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Full text of "Zeitschrift Für Orthopädische Chirurgie Einschließlich Der Heilgymnastik Und Massage 13.1904 HV"

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ZEITSCHRIFT 

FÜR 

ORTHOPÄDISCHE CHIRURGIE 

EINSCHLIESSLICH DER 

HEILGYMNASTIK UND MASSAGE. 


UNTER MITWIRKUNG VON 

Dr. KRUKENBEIRO in Liegnitz, Prof. Dr. LORENZ in Wien, Privatdocent 
Dt. W. SCHULTHESS in Zürich, Professor Dr. VULPIÜS in Heidelberg, 
Oberarzt Dr. L. HEUSNER in Barmen, Professor Dr. JOACHIMSTHAL in 
Berlin, Professor Dr. P. LANGE in München, Dr. A. SCHANZ in Dresden, 
Dr. DREHMANN in Breslau, Dr. HANS SPITZY in Graz 

HERAUSGEGEBEN VON 

DB- ALBERT HOFFA, 

OKH. HEDICINALRATH, a. o. PROFESSOR AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. 


Xlir. BAND. 


MIT 4 TAFELN UND 278 IN DEN TEXT GEDRUCKTEN ABBILDUNGEN. 



STUTTGART. 

VERLAG VON FERDINAND ENKE. 

1904 . 


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Druck der Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart. 


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Seite 


Inhalt. 


I. (Aus der orthopädischen Klinik des Herrn Prof. H. Turner zu 
St. Petersburg.) üeber die sogenannte Coxa valga. Von Prof. 

H. T u r n e r. Mit 5 in den Text gedruckten Abbildungen ... 1 

II. (Aus der orthopädischen Klinik der Kaiserl. militär-mediciniscben 
Akademie zu St. Petersburg.) üeber einen Versuch zur Verein¬ 
fachung der Etappenbehandlung des Genu valgum adolescentium. 

Von Prof. H. Turner. Mit 2 in den Text gedruckten Abbil¬ 
dungen . 7 

III. (Aus dem orthopädischen Ambulatorlun^ [Prof. Dr. Länge-Mün¬ 

chen]). Zur Behandlung des Schiefbe.l8es. Von Dr. G. Hob mann, 
Assistenzarzt. Mit 6 in den Text gedruckten Abbildungen . . 10 

IV. (Aus der orthopädischen Heilanstalt Dr. A. Schanz in Dres¬ 
den.) üeber einen Fall von Genu varum paralyticum. Von Dr. 

J. V ü 11 e r 8, Assistenzarzt. Mit 4 in < den Text gedruckten Ab¬ 
bildungen. 17 

V. Heniik Kellgren's manuelle Behandlungsmethode. Dargestellt 
von einem Arzte. Kritische Bemerkungen von Dr^ipied. Patrik 
Haglund, Privatdocent in Stockholm 23 

VI. (Aus der chirurgisch-orthopädischen Klinik des Herrn Geh. Medi- 
cinalraths Prof. Dr. A. Hoffa.) Beitrag zur Paget schien Knochen¬ 
krankheit. Von Dr. Gustav Albert Wollenberg, Assistenz¬ 
arzt. Mit 8 in den Text gedruckten Abbildungen .49 

VH. Zur Therapie der Skoliosen, Von Dr^Karl Ger so -Berlin. Mit 

1 in den Text gedruckten Abbildung.. 68 

VIII. üeber den Pes valgus. (Nach einem Vortrag, gehalten am 16. Juni 
1904 in der Medicinischen Gesellschaft zu Basel.) Von Dr. C. Hüb¬ 
scher, Docent an der üniversität. Mit 5 in den Text gedruckten 

Abbildungen.73 

IX. (Mittheilungen aus dem orthopädischen Institut von Dr. A. Lüning 
und Dr. W. Schulthess, Privatdocenten in Zürich.) XXVIII. 
Klinische Studien über die Dorsalskoliose. Von S. Samu Hoff- 

mann aus Budapest (üngam).97 

X. Bericht über den 18. Congress der American Orthopedic Association. 

Von Dr. Hans Spitzy, Facharzt für orthopädische Chirurgie der 

Universitätskinderklinik Graz.145 

Referate. Mit 3 in den Text gedruckten Abbildungen.153 

XI. Zur Pathologie der Gelenkcontracturen. Von J.v.Mikulicz -Breslau 233 

XII. Die Pathologie und Therapie der Gelenkcontracturen. Von H. 

Gocht-Halle a. S. Mit 5 in den Text gedruckten Abbildungen 242 

XIII. Zur Behandlung der entzündlichen Gelenkcontracturen. Von Dr. 

Max Haudek-Wien.,.258 


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IV 


Inhalt. 


Seite 


XIV. Ueber doppelseitige Hüftgelenksankjlosen. Von Prof. Dr. Jo- 

achimsthal in Berlin. Mit 4 in den Text gedruckten Abbildungen 261 

XV. Zur operativen Behandlung doppelseitiger Hüftankylosen. Von 
Dr. Gustav Drehmann-Breslau. Mit 2 in den Text gedruckten 

Abbildungen.266 

XVI. Ueber Gelenkentzündungen im Säuglingsalter und ihre ätiologischen 
Beziehungen zu späteren Deformitäten. Von Dr. Gustav Dreh¬ 
mann-Breslau. Mit 5 in den Text gedruckten Abbildungen. . 272 

XVII. Multiple Gelenkcontracturen, künstliche Pseudarthrosenbildung an 


der einen Hüfte. Von Dr. Froelich-Nancy.286 

XVIII. (Aus dem Wiener k. k. Universitäts-Ambulatorium für orthopädische 
Chirurgie.) Ueber die Entstehung und Behandlung der coxitischen 
Contracturen. Von Dr. Robert Werndorff. Mit 3 in den Text 

gedruckten Abbildungen..292 

XIX. Eine neue Methode der Behandlung der habituellen Patellarluxation. 

Von Dr. W. Böcker, Specialarzt für orthopädische Chirurgie in 
Berlin. Mit 3 in den Text gedruckten Abbildungen.307 


XX. (Aus dem Universitäts-Ambulatorium für orthopädische Chirurgie 
des Prof. A. Lorenz in Wien.) Die Peroneuslähmung bei der 
Bebandlnng der Kniegelenkscontracturen. V on Dr. RudolfRitter 
Y. Aberle, Assistenten des Ambulatoriums. Mit 5 in den Text 


gedruckten Abbildungen.315 

XXL Die Bedeutung der Nervenplastik für die Orthopädie. Von Dr. 
Hans Spitzy, Facharzt für orthopädische Chirurgie der Uni- 
versitatskinderklinik Graz. Mit Tafel 1—II und 8 in den Text 
gedruckten Abbildungen.326 


XXII. Ueber einen Fall von veralteter supracondylärer Femurfractur mit 


secundärem Bluterknie» geheilt durch schiefe Osteotomie. Von 
Dr. med. A h r e n s» Specialarzt für Chirurgie und Orthopädie in Ulm 356 
XXlIl. Beitrag zur Frage der Coxa valga. Von Dr. Max David-Berlin. 

Mit 4 in den Text gedruckten Abbildungen.360 

XXIV. Die Behandlung der Oberschenkelfracturen im Greisenalter. Von 
Dr. med. Brodnitz-Frankfurt a. M. Mit 1 in den Text ge¬ 
druckten Abbildung..371 


XXV. Apparat zur Behandlung von Rückgratsverkrümmungen. Von 
Dr. med. Ferd. Schultze-Duisburg, chirurgischer Oberarzt am 
St. Vincenz-Hospital. Mit 2 in den Text gedruckten Abbildungen 374 
XXVI. Ein neuer Osteoklast. Von Dr. med. Ferd. Schnitze-Duisburg» 
chirurgischer Oberarzt am St. Vincenz-Hospital. Mit 7 in den 


Text gedruckten Abbildungen.379 

XXVII. Die Therapie der Klumpfüsse Neugeborener in den ersten Wochen 
nach der Geburt. Von Julius Finck. Mit 21 in den Text ge¬ 
druckten-Abbildungen . 386 

XXVIII. Combinirter Zug-Gips-Verband. Von H. Gocht-Halle a. S. Mit 

5 in den Text gedruckten Abbildungen . ..405 

XXIX. Zur Technik der Etappengipsverbände. Von Dr. Julius Finck. 

Mit 1 in den Text gedruckten Abbildung.411 


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Inhalt. V 

Seite 

XXX. Zur Reposition congenitaler Oberschenkelluxationen. Von Dr. 

Hoeftman-Königsberg. Mit Tafel III—IV und 1 in den Text 
gedruckten Abbildung.415 

XXXI. Das decimetrische Messgitter. Von Dr. Oskar v. Hovorka, 
Chefarzt für Oiihopädie am Wiener Zanderinstitut. Mit 2 in 

den Text gedruckten Abbildungen ..420 


XXXII. Ein orthopädischer Operations- und Verbandtisch. Von Dr. F. 

L a n g e • München. Mit 15 in den Text gedruckten Abbildungen 432 
XXXIII. (Aus dem Universitäts-Ambulatorium für orthopädische Chirurgie 
des Prof. A. Lorenz in Wien.) lieber einen blutig reponirten 
Fall von angeborener Kniegelenksluxation. Von Docent Dr. Max 
Reiner, Assistent des Ambulatoriums. Mit 4 in den Text ge¬ 
druckten Abbildungen.442 

XXXIV. (Aus dem Universitäts-Ambulatorium für orthopädische Chirurgie 
des Prof. A. Lorenz in Wien.) Einiges über Functionsstörung 
nach Extensorlähmung und über Indication zur Transplantation 
an der unteren Extremität Von Docent Dr. MaxReiner, Assistent 
des Ambulatoriums. Mit 2 in den Text gedruckten Abbildungen 451 
XXXV. (Aus der orthopädischen Abtheilung der Königl. chirurgischen 
Klinik zu Breslan.) Zur Pathogenese und Therapie der Knie- 
gelenkscontracturen. Von Dr. K. Ludloff, Privatdocenten der 
Chirurgie in Breslau. Mit 44 ln den Text gedruckten Abbildungen 471 
XXXVI. Die Behandlung des statischen Plattfusses mittelst des Redresse¬ 
ment forc^ und der Sehnenplastik. Von Dr. med. Ferd. Schultze- 
Duisburg, chirurgischer Oberarzt am St. Vincenz-Hospital. Mit 


26 in den Text gedruckten Abbildungen.502 

XXXVII. (Aus der chirurgisch-orthopädischen Klinik von Geheimrath Prof. 

Dr. A. Hoffa zu Berlin.) Die Little'sche Krankheit. Von Dr. 

Paul Glaessner, Assistent der Klinik.539 

XXXVIII. (Aus der Klinik für orthopädische Chirurgie des Herrn Geheim¬ 
raths Prof. Dr. Hof fa-Berlin.) Beiträge zur Sehnenplastik. Von 
Dr.. Jos. Koch, früherem I. Assistenten der Klinik. Mit 8 in 

den Text gedruckten Abbildungen.610 

XXXIX. Ein neue Abductionsvorrichtung für Hüftapparate. Von Dr. J. F. 
Gottstein, Reichenberg in Böhmen. Mit 1 in den Text ge¬ 
druckten Abbildung.649 

XL. (Aus der orthopädischen Heilanstalt des Dr. A. S c h a n z in Dresden.) 

Eine Aenderung an der Halscravatte zur ambulanten Behandlung 
der Cervical-Spondylitis. Von Dr. J. Vüllers, Assistenzarzt. Mit 

2 in den Text gedruckten Abbildungen.651 

XLI. Nachtrag zu meiner im XII. Band dieser Zeitschrift erschienenen 
Arbeit: »Ein Beitrag zur Arthropathie bei Tabikern*. Von Dr. 

Blencke-Magdeburg.653 

XLII. Ein weiterer Beitrag zur sogen. Klumphand. Von Dr. Blencke- 

Magdeburg. Mit 4 in den Text gedruckten Abbildungen . . . 654 
XLIU. Ueber das Recidiv nach Schiefhalsoperationen. (Nach einem vor 
der Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Breslau 


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VI Inhalt. 

Seite 

. gehaltenem Vortrage.) Von Dr. A. Schanz in Dresden^ Mit 

4 in den Text gedruckten Abbildungen . . . ..658 

XLFV. Zur Therapie de» Plattfusses. Von Prof.Dr. 11a 1 o Antonelli, 
Privatdocent der kliniechen Chirurgie und Director des städtischen 
Krankenhauses zu Pavia. Mit 2 in den Text gedruckten Abbil¬ 


dungen . ..666 

XLV. Ein weiterer Fall von congenitalem Fibuladefect. Von Dr. Schlee- 

Braunschweig. Mit 3 in den Text gedruckten Abbildungen . . 675 
XLVI. (Aus der orthopädischen Abtheilung des Bürgerhospitals zu 
Köln a. Rh.) Ein Fall vdn Defect des Musculus pectoralis major 
und minor rechterseits. Von Dr. K. Gramer, dir. Arzt. Mit 

1 in den Text gedruckten Abbildung.678 

XLVII. Ein vereinfachtes Skoliosegerüst.' Von Dr. med. Otto Heine, 
Specialarzt für Orthopädie in Dortmund. Mit 1 in den Text ge¬ 
druckten Abbildung. . ' ..685 

XLVIU. (Aus den Turnsälen des Herrn Geh. Medicinalraths Prof. Dr. 
Hoffa- zu Berlin.) Zur Therapie der Skoliosen. Von Dr. Karl 
Gerson-Berlin. Mit 3 in den Text gedruckten Abbildungen . 689 
XLIX. (Mittheilungen aus dem orthopädischen Institut von Dr. A. Lüning 


und Dr. W. Schulthess, Privatdocenten in Zürich.) XXIX. lieber 
die Lage der skoliotischen Abbiegungen in den verschiedenen 
Altersjahren. Von Ernst Müller-Altdorf. Mit 18 in den Text 

gedruckten Abbildungen.. . • . 695^ 

L. (Aus der chirurgisch-orthopädischen Klinik des Herrn Geheimen 
Medicinalraths Prof. Dr. A. Hoffa.) Die Correction und Fixation 
des Klumpfusses nach dem forcirten Redressement. Von Dr. J. D. 
Ghiulamila (Bukarest), Assistenzarzt der Klinik. Mit 10 in 


den Text gedruckten Abbildungen.. . 719 

LI. Ein einfacher Detorsionsbügel zum Hessing'schen Skoliosencorset. 

Von Dr. C. W a h 1 - München. Mit 2 in den Text gedruckten 

Abbildungen...752 

LIf. Ein modificirter Osteoklast-Redresseur. Von f F. Beely.- Mit 

. 3 in den Text gedruckten Abbildungen.755 

LIII. Bruch der unteren Epiphyse des Radius bei Automobilmechanikern. 

Von Prof. Dr. C. Ghillini, Bologna ..759 


LIV. (.Aus dem k. k. üniverBitäts-Ambulatorium für orthopädische Chi¬ 
rurgie des Professor Adolf Lorenz in Wien.) Die axillare 
Abduction in der Behandlung der congenitalen Hüftgelenksver¬ 
renkung. Von Dr. Robert Werndorff. Mit 17 in den Text 


gedruckten Abbildungen. 765 

LV. (Aus der Königl. chirurgisch-orthopädischen Universitäts-Poliklinik 
in Berlin. Director: Geh. Medicinalrath Professor Dr.A. Hoffa.) 
Ueber die Beziehungen zwischen Plattfuss und Skoliose. Von 

Denis G. Zesas . 783 

Referate .. 790 

Autorenverzeichniss . .. 854 

Sachregister. .. 856 


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1 . 




(Aus der orthopädischen Klinik des Prof. H. Turner 
zu St. Petersburg.) 

lieber die sogenannte Goxa valga. 

Von 

Prof. H. Turner. 

Mit 5 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Der Frage der Verkrümmungen im Gebiet des oberen Endes 
des Femur, namentlich derjenigen Verkrümmungsform, die als Coxa 
vara bezeichnet wird, ist in der letzten Zeit eine besonders grosse 
Aufmerksamkeit entgegengebracht worden. In dieser Zeitschrift 
kann man eine ganze Reihe von Aufsätzen finden, die von verschie¬ 
denen Autoren herrühren und das vorerwähnte Thema behandeln. 
Man kann sogar sagen, dass die Frage der Aetiologie dieser De¬ 
formität bereits eine genügende Beleuchtung erfahren hat, und man 
kann, indem man die Ansicht eines einzelnen Autors (Fröhlich) 
über die Rolle der Mikrobieninfection übersieht, annehmen, dass 
das Wesen der Coxa vara auf eine Ueberanstrengung des Schenkel¬ 
halses hinauskommt, der infolge gewisser Ursachen geschwächt ist 
und der Einwirkung der Schwere nachgeben kann. 

Hierher wären somit sämmtlicbe Momente zu rechnen, die die 
Entstehung anderer Verkrümmungen der unteren Extremität be¬ 
günstigen, an erster Stelle die Wachsthumsperiode und hierauf sämmt- 
liche übrigen Ursachen, welche die Widerstandsfähigkeit der Knochen 
berabsetzen (Rhachitis etc.), bezw. die Belastung übermässig steigern. 
Die Resultate der Untersuchungen von Maas können auch ganz gut 
zur Erklärung der Coxa vara herangezogen werden. 

Neben diesen Ursachen kommen unbedingt als solche im Kindes¬ 
alter entstehende Fracturen des Oberschenkelhalses in Betracht, und 
wir können auf Grund einer eigenen Collection von Präparaten 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XIII. Bd. 1 


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H. Turner. 


die in dieser Richtung von einer Reihe von Autoren (Hoffa, 
Joachimstbal, Sprengel u. A.) gemachten Angaben nur be¬ 
stätigen. Wir glauben annebmen zu können, dass der von Kocber 
dargestellte Typus der Coxa vara, nämlich derjenige, bei dem der 
Fuss nach aussen gedreht ist, seine Entstehung einer früheren Fractur 
verdankt. Auf unseren Präparaten tritt sehr deutlich die Gombination 
von Verringerung des Winkels zwischen Hals und Diaphyse des 
Oberschenkels und von Schwund der hinteren Oberfläche des Schenkel¬ 
halses, d. h. von Annäherung zwischen dem Caput femoris und der 
hinteren Linea intertrochanterica (Einkeilung der Merke Tschen 
Spore) hervor. 

Die Coxa vara stellt somit das unvortbeilhafte Resultat des 
Kampfes zwischen den natürlichen Massnahmen zur Festigung des 
Gebietes des Schenkelhalses, die sich in zweckmässigem Bau des¬ 
selben äussem, und der auf demselben ruhenden Last dar. Das ist 
alles, was sich aus der umfangreichen Literatur über dieses Thema 
extrahiren lässt. Bei der Durchsicht dieser Literatur, die übrigens 
schon von Wagner (Zeitschrift für orthopädische Chirurgie, Bd. 7) 
in reichlicher Anzahl gesammelt ist, kann man sich überzeugen, dass 
zwischen den zahlreichen Beobachtungen, die Coxa vara zum Thema 
haben, ab und zu einzelne Erwähnungen von der entgegengesetzten 
Erscheinung, nämlich von Coxa valga, dazwischen treten. Eine Er¬ 
klärung dafür kann man unseres Erachtens in der geringeren prak¬ 
tischen Bedeutung der Coxa valga erblicken, die in klinischer Be¬ 
ziehung nur geringe Umstände verursacht. 

Nichtsdestoweniger bietet Coxa valga für die Frage der Aetio- 
logie der Verkrümmungen des Schenkelhalses überhaupt grosses 
Interesse dar. Aus diesem Grunde erlauben wir uns, unsere äusserst 
bestimmten Ansichten über diese Frage auf Grund einer ziemlich 
grossen Anzahl von Tbatsacben bekannt zu geben, die wir in der 
Klinik oder in dem uns unterstellten chirurgischen Museum gewonnen 
haben. Bei Betrachtung der von mir gesammelten Collection von 
Knochentrockenpräparaten dachte ich häufig über einen interessanten 
Fall von im oberen Drittel amputirten Femur nach. Der Knochen 
rührte augenscheinlich von einem erwachsenen Individuum her, 
während die Amputation vor längerer Zeit, in der Kindheit, ausge¬ 
führt worden sein dürfte. 

Der Schenkelhals war fast in einer geraden Linie langgezogen, 
die die Fortsetzung des Oberschenkels darstellte (Fig. 1). 


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üeber die sogenannte Coxa valga. 


3 


Mit dem Studium der Frage der Coxa vara beschäftigt, durch¬ 
suchte ich eine Reihe von Präparaten, und bald war mir die Ur¬ 
sache der Geraderichtung des Schenkelhalses vollständig klar. 

Alle Momente, die in ihrer Wirkung nicht nur die Last vom 
Caput femoris entfernen, sondern noch einen Zug auf die Extremität 
in der Richtung nach unten ausüben, können in der W^achstbums- 
periode zur Oeraderichtung des zwischen 
dem Schenkelhals und der Diaphyse lie¬ 
genden Winkels führen. 

Die These, welche ich hier zum 
Ausdruck bringe, ist keineswegs absolut 
neu. Sie wird von Albert in seinem 
vorzüglichen Werk über „Coxa vara 
et valga“ (1899) gestreift. Nur geht 
dieser Autor, wie mir scheint, nicht bis 
zu Ende. Indem er die Beschreibung 
von 3 Fällen von Coxa valga bei infan¬ 
tiler Paralyse (Knochenpräparate) gibt, 
bemerkt Albert: „Man glaubt förmlich 
zu sehen, wie das Gewicht des hängen¬ 
den Beines auf den Schenkelhals exten- 
dirend wirke und den Winkel, den er 
mit dem Schenkelkopf bildet, vergrössere. 

Es dürfte ja auch zutreffen, dass das 
Jahre lang schlenkernde Bein einen 
solchen Einfluss übt, aber die Präparate der nächsten Gruppe legen 
es nahe, anzunehmen, dass dieser Factor nicht der einzige sei.'" 

Indem er weiter 2 Fälle von Präparaten, die die untere Ex¬ 
tremität im Zustande von Atrophie infolge von veralteter Ankylose 
des Eniees darstellen, mittheilt, schreibt Albert: „Es ist in beiden 
Fällen ein schwerer Knochenprocess am Kniegelenk vorhanden ge¬ 
wesen und nicht eine Paralyse.“ Ferner erklärt er, „dass das, was 
sowohl jener paralytischen, als auch dieser im Knie ankylotischen 
Gliedmasse fehlte, die Tragfähigkeit war. Gewiss wurden alle die 
Beine beim Gehen nicht belastet, und es ist wohl gerechtfertigt, 
diesem Momente eine wissenschaftliche Bedeutung bei dem Zustande¬ 
kommen des Collum valgum zuzuschreiben“. 

Indem er ferner über die von ihm in den Museen gesammelten 
Präparate berichtet, nämlich über 1 Fall von Collum valgum bei 


Fig. 1. 



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4 


H. Turner. 


Osteomyelitis des Darmbeins, 2 Fälle bei schwerer Rhachitis, 1 Fall 
bei Osteomalacie und 1 Fall bei multipler Exostose bei (angeborener) 
Verrenkung der anderen Seite und bei Genu yalgum, schenkt Albert 
allen diesen Fällen keine weitere Beachtung und macht keinen Ver¬ 
such, aus denselben für die Theorie der Coxa valga einige Anhalts¬ 
punkte zu extrahiren. 

Auf Grund des Eindrucks, 
den ich beim Studium verschie¬ 
dener Röntgenaufnahmen von 
lebenden Menschen, sowie von 
Präparaten aus unserem Museum 
gewonnen habe, glaube ich, 
folgende Meinung zum Ausdruck 
bringen zu können: 

Alle Momente, die Inac- 
tivität der unteren Extremität 
bewirken und die Belastung vom 
Caput femoris entfernen, machen 
dasjenige System der Befesti¬ 
gung des Schenkelhalses über¬ 
flüssig, auf welches Meyer, 
Wolf u. A. hinweisen. Die 
Röntgenaufnahme eines durch 
einen solchen Schenkelhals ge¬ 
führten Sägeschnittes (Fig. 2) 
zeigt uns im Gegensatz zu dem, 
was wir auf einem von einem 
normalen Schenkelhals gefertig¬ 
ten Präparat zu sehen gewohnt 
sind, das Fehlen irgend eines Systems von Knochenbalken (leichte 
Vara, Fig. 3). Wenn zu diesem Factor noch die weiteren Factoren 
des Wachsthumsprocesses des Schenkelhalses und der Zug nach unten 
durch die Last der hängenden Extremität hinzukommen, so entstehen 
Verhältnisse, die an das Milieu, bei dem Maas Verkrümmungen von 
im Wachsthum begriffenen Knochen künstlich erzeugte, vollständig 
erinnern. 

Ausser dem oben mitgetheilten Präparat von Coxa valga nach 
Amputation des Oberschenkels besitze ich noch folgende zwei Prä¬ 
parate. 



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lieber die sogenannte Coxa valga. 


5 


In dem einen Falle (Fig. 4) bestand Ankylose des Kniees in¬ 
folge eines veralteten tuberculösen Processes mit Erscheinungen von 
Flexion des Schenkels in sagittaler Ebene (mit der Convexität nach 
vorn), welche beweisen, dass die Extremität nicht gestützt, sondern 
nach vorn hängend war. 

In dem anderen Falle war die Coxa valga infolge von In- 
activität der Gliedmasse nach schwerem Trauma in Form von Fractur 


Fig. 3. 



in der Gegend des unteren Endes des Femur und im Kniegelenk 
entstanden (Epiphysentrennung, Fig. 5). 

Der Eindruck, den ich in Bezug auf die Aetiologie der Coxa 
valga beim Studium der Präparate gewonnen habe, gewährt uns die 
Möglichkeit, diese Form von abnormem Schenkelhals unter klinischen 
Verhältnissen sehr häufig zu finden. Die Röntgenaufnahmen aller 
derjenigen Fälle, in denen die Extremität als Stützpunkt nicht ge¬ 
dient hat (Amputation, infantile Paralyse, Luxation etc.), liefern uns 
fast täglich ein mehr oder minder stark ausgesprochenes Bild von 
Coxa valga. 

Es ist dabei interessant, die leicht verständliche Conibination 
von Coxa valga der inactiven Extremität mit Coxa vara der gesunden, 
übermässig belasteten Extremität zu beobachten. 


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6 


H. Turner. lieber die sogenannte Coxa valga. 


Es wäre natürlich verfrüht, im positiven Sinne von den Ur¬ 
sachen der Coxa valga in einzelnen Fällen zu sprechen, wie sie bei¬ 
spielsweise von Albert angegeben werden. Würde man aber die 
gewöhnliche Ursache, d. h. die Inactivität der Extremität ausschliessen, 
so würde man bei Genu valgum an Coxa valga denken können, und 
zwar infolge der dabei unvermeidlichen vertikaleren und folglich für 


Fig. 4. Fig. 5. 



die Aufnahme der Schwere vortheilhafteren Stellung des Halses, der 
der Flexion weniger nachgibt. 

Zum Schluss kann man sagen, dass vom klinischen und nament¬ 
lich vom therapeutischen Standpunkte aus Coxa valga zweifellos 
weniger interessant ist als Coxa vara. 

Jedoch liefern uns die Beobachtungen in Bezug auf die Ent¬ 
stehung der ersteren Anhaltspunkte zur Erklärung der Aetiologie 
der letzteren, die das Thema zu einer so umfangreichen Literatur 
abgegeben hatte. _ 

Ich erachte es für meine Pflicht, dem geehrten Collegen Herrn 
Dr. B. F. Grün eisen für die mir bei der Auswahl des Materials im 
Museum und bei der Ausfertigung der Illustrationen geleistete Hilfe 
meinen Dank zu sagen. 


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II. 


(Aus der orthopädischen Klinik der Kaiserl. militär-medicinischen 
Akademie zu St. Petersburg.) 

Ueber einen Versnch zur Vereinfachnng der 
Etappenbehandlnng des Oenn valgnm adolescentinm. 

Von 

Prof. H. Turner. 


Mit 2 in den Text gedruckten Abbildungen. 


Jeder, der Gelegenheit hatte, die unblutige Correctur des Genu 
Talgum bei jungen Individuen vorzunehmen, dürfte y(ohl die Mög¬ 
lichkeit gehabt haben, sich zu überzeugen, dass die Schwierigkeiten, 


Fig. 1. 



die mit dieser Operation verknüpft sind, darin liegen, dass es 
schwer fallt, im Moment der gewaltsamen Geraderichtung die Ex¬ 
tremität in die gewünschte Lage zu bringen und den Oberschenkel 
zu fixiren. 

Sehr häufig ist das erzielte Resultat illusorisch, und zwar da¬ 
durch, dass das Divergiren der Oberschenkel im Hüftgelenk, augen- 


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8 


H. Turner. 


scheinlich auf Kosten der Verlängerung des Ligamentum teres und 
der Kapsel, die vollzogene Annäherung der unteren Enden der Unter¬ 
schenkel compensirt. 

Indem wir über ein grosses Genu valgum-Material in unserem 
Ambulatorium verfügen, waren wir bestrebt, unsere Arbeit zu ver- 



Fig. 2. 


kürzen, und greifen augenblicklich 
sehr häufig zu folgender Vereinfachung 
der Intervention: 

Vor Beginn der Correctur wird 
das Becken des Patienten mittelst eines 
ziemlich einfachen Apparats (Fig. 1) 
fixirt, dessen concave Pelotten die 
Trochanteren fest umschliessen. 

Ferner werden beide unteren Ex¬ 
tremitäten gleichzeitig gegipst; in 
demjenigen Moment, in dem der Gips 
erstarrt, wird zwischen die inneren 
Oberflächen der beiden Kniee (oder 
richtiger der beiden Condyli femoris) 
ein festes cylindrisches Kissen ge¬ 
steckt, das mit Haar oder Sand ge¬ 
füllt ist, und durch die Hände des 
Operateurs werden die unteren Enden 
der Unterschenkel einander genähert 
(Fig. 2). 

Die ganze Procedur der Gerade¬ 
richtung geschieht dabei in höchstem 
Grade mild und methodisch; das er¬ 
zielte Resultat, welches es auch sein 
mag, ist ein genaues; die Operations¬ 
technik ist ausserordentlich einfach 


und kurz. 


Besondere Vorth eile bietet die im Vorstehenden vorgeschlagene 
Methode bei beiderseitigen Verkrümmungen; aber auch die ein¬ 
seitige Krümmung kann durch verschiedene Variationen der Me¬ 
thode beispielsweise in der Weise corrigirt werden, dass man den 
Gipsverband auf die gesunde Extremität früher anlegt und er¬ 
starren lässt. 

Es liegt mir fern, etwas absolut Neues in Vorschlag bringen 


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Ueber einen Versuch zur Vereinfachung der Etappenbehandlung etc. 9 


ZU wollen. Apparate zur Fixation des Beckens gibt es schon seit 
jeher. Ich halte es aber für nützlich, die Aufmerksamkeit der Col- 
legen auf eine milde und einfache Methode zu einer Zeit zu lenken, 
zu der Methoden von forcirter Beugung, Epiphyseolysis, sowie weit 
complicirtere Apparate, wie derjenige von Milo (Deutsche Zeit¬ 
schrift für orthopädische Chirurgie Bd. 12, Heft 3), angewendet 
werden. 


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III. 


(Aus dem orthopädischen Ambulatorium [Prof. Dr. Lange-München]). 

Zur Behandlung des Schiefhalses. 

Von 

Dr. 6. Hohmann, Assistenzarzt. 

Mit 6 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Zur Behandlung des Schiefhalses sind eine ganze Anzahl Me¬ 
thoden angegeben worden, blutige und unblutige. Zu den letzteren 
gehört vor allem die von Lorenz empfohlene unblutige Dehnung 
des Sternocleidomastoideus, die dem modellirenden Redressement der 
Gelenke entspricht. Die blutigen sind: subcutane und offene Durcb- 
schneidung des Sternocleidomastoideus an seiner stemoclavicularen 
Portion, die Mikulicz’sche Exstirpation des ganzen Muskels und 
die von Foederl jüngst angegebene Myoplastik. 

In diesen Zeilen will ich eine neue Operationsmethode 
bei Schiefhals empfehlen, nach der Professor Länge-München 
seit einer Reihe von Jahren mit bestem Erfolge operirt. 

Warum genügen die alten Methoden nicht? 

Die unblutige Dehnung des Muskels hat naturgemäss ein be¬ 
schränktes Anwendungsgebiet, weil nur die leichtesten Formen des 
Schiefhalses damit erfolgreich behandelt werden können. Am meisten 
geübt wird augenblicklich die subcutane und mehr noch die offene 
Durchschneidung des Muskels an seinem stemoclavicularen Ansatz. 
Wohl hatte man bei der Tenotomie im allgemeinen gelernt, die Ge¬ 
fahr der offenen Durchschneidung durch den subcutanen Eingriff zu 
verringern und so schon vor der Asepsis gute Resultate zu erreichen; 
aber was bei der Achillessehne möglich war, das stiess beim Kopf¬ 
nicker auf grosse technische Schwierigkeiten. Denn beim Schiefhals 
findet sich pathologisch-anatomisch ein Muskel, der theilweise oder 
ganz fibrös entartet ist, meist noch verwachsen mit der Unter¬ 
lage, anderen Muskeln und dem tiefen Blatt der Halsfascie. Oft 


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Zur Behandlung des Schiefhalses. 


11 


gehen die Verwachsungen sehr weit in die Tiefe. Bei solchen Ver¬ 
hältnissen ist es der Gefässe wegen gewagt, subcutan arbeiten zu 
wollen, wenn man alle Stränge durchtrennen will. Oder man durch¬ 
schneidet nur einen oberflächlich gelegenen Strang und begnügt sich 
mit halbem Erfolg. Deshalb verliess Richard Volkmann die 
subcutane Methode und ging schon 1885 zur offenen Durchtrennung 
über, indem er den Muskel durch einen grossen Schnitt am inneren 
Rand freilegte und völlig lospräparirte. Bei beiden Methoden sind 
häufig Recidive beobachtet worden, ebenso auch bei der Mikulicz- 
schen Totalexstirpation des ganzen Muskels. Das begreift man, 
wenn man von Kader erfährt, dass sich darnach in ganzer Aus¬ 
dehnung des Wundkanals eine derbe callöse Narbe bildete, ein 
Narbenstrang, oft bis daumenstark, derb, meist druckempfindlich und 
bisweilen mit der Haut verwachsen. — Aus Gussenbauer's Klinik 
empfiehlt FoederP) endlich neuerdings die sogen. Myoplastik, eine 
etwas complicirtere Operation, die darin besteht, dass die Clavicular- 
portion des Kopfnickers von ihrem Ansatz und ihrer Unterlage ab¬ 
gelöst wird bis zum gemeinsamen Kopf. Hier wird dann die Sternal¬ 
portion durchschnitten und nach der Correctur des Schiefhalses die 
Glavicularportion mit dem peripheren Stumpf der Sternalportion 
durch Naht vereinigt. Oft ist Excision der übrigen gespannten Theile 
des Platysma, der Halsfascie und des Cucullaris nöthig. Durch die 
Verlegung der Ansätze wird also eine gewisse Verlängerung erzielt. 
Foederl rühmt als Vorzug seiner Methode, dass bei ihr die Model- 
lirung des Halses erhalten bleibe, indem der Raum, wo die Clavi- 
cularportion war, sich mit Blut ausfüllt, das sich organisiren soll. 
Er fügt aber hinzu, dass bisweilen später als „Residuen dieses In¬ 
filtrates dünne bis bleistiftdicke bindegewebige Stränge 
bestehen, die wegen functioneller und kosmetischer Störung 
durch subcutane Discissionen durchtrennt werden können“. — Diese 
drei blutigen Methoden haben alle den Nachtheil, dass sie eine Narbe 
an eine Stelle setzen, die, beim weiblichen Geschlecht besonders, aus 
kosmetischen Gründen geschont werden muss. Aber das ist nicht 
das Ausschlaggebende, was gegen diese Methoden spricht und uns 
nöthigt, andere Wege zu zeigen. Wober kommen die so häufigen 
Recidive nach Schiefhalsoperationen? 

*) Richard Volkmann, Centralbl. f. Chir. 1885, Nr. 14. 

*) Foederl, lieber Caput obstipum musculare. (Arbeiten aus dem Ge¬ 
biet der klinischen Chirurgie. Wien-Leipzig 1903.) 


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12 


G. Hohmann. 


Einmal sicher dadurch, dass Stränge in der Tiefe stehen bleiben, 
dann durch ungenügende, ja meist fehlende orthopädische Nach¬ 
behandlung. Aber der Hauptgrund liegt bei sehr vielen Fällen wohl 
darin, dass nach der Durchschneidung des Muskels an seinem unteren 
Ansatz der Kopf nicht völlig redressirt werden kann, besonders 
wenn, wie sehr häufig, im Verlauf des ganzen Muskels feste Ver¬ 
wachsungen mit den darunter liegenden Geweben bestehen. Dann 


Fig. 1. 



A. Z., 10 Jahre alt, vor der Operation, von vorn. 


kommen die Recidive. Die Lange’sche Methode der Operation, die 
ich jetzt kurz schildern will, trägt diesen Verhältnissen Rechnung, 
sie besteht darin, dass der Muskel nicht unten am sternoclavi- 
cularen Ansatz, sondern oben am Ansatz am Warzenfortsatz 
durchschnitten wird. Dann kann der Kopf ohne weiteres bis zur 
üebercorrectur redressirt werden. Die Technik der Methode, die 
nach privaten Mittheilungen in Frankreich geübt werden soll, über 
die ich aber in der Literatur keine Angaben gefunden habe, ist sehr 
einfach: Unter Anspannung des verkürzten Kopfnickers legt man 
einen etwa 3 cm langen Hautschnitt auf dem Muskel selbst parallel 


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Zur Behandlung des Scbiefhalses. 


13 


seiner Verlaufsricbtung au, der ungefähr am Ansatz am Warzen¬ 
fortsatz beginnt. Fascie und Platysma werden durchtrennt, dann 
der Sternocleidomastoideus freigelegt und auf dem Kocherrschen 
Elevatorium quer durchtrennt. Sind alle Stränge durchschnitten, so 
wird der Kopf ausgiebig redressirt. Die kleine Hautwunde wird ge¬ 
näht und 2mal 24 Stunden mit Sublimatdocht drainirfc. Zur Fixirung 
des Operationsresultates wird ein Gipsverband angelegt, der Brust 


Fig. 2. 



Dieselbe, vor der Operation, von hinten. 


und Stirn circulär umgreift und, unter Freilassen der Kehlkopf¬ 
gegend vorn, den Kopf von der Seite her in leichter Ueber- 
correctur hält. Vor üebertreibung der Uebercorrectur ist wegen 
leicht eintretenden Collapses zu warnen. 10 Tage nach der Operation 
können durch ein Fenster im Verband die Nähte entfernt werden. 
Der Gipsverband selbst bleibt 14 Tage liegen. Dann beginnt die 
eigentliche Nachbehandlung, auf die bei dieser Deformität besonders 
Gewicht zu legen ist. Dazu dient eine Cravatte, die nach einem 
Gipsabguss in übercorrigirter Stellung aus Celluloidstahldraht ange¬ 
fertigt wird (Fig. 5 u. 6). Sie wird zunächst 14 Tage lang Tag 


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14 


G. Hohmann. 


und Nacht getragen, dann kann sie Tags über weggelassen werden 
und an ihre Stelle täglich Stunde Suspension in der Sayre’schen 
Cravatte treten, wobei der Riemen auf der Seite der Deformität 
kürzer geschnallt wird als auf der anderen Seite und gleichzeitig 
der Kopf so gedreht wird, dass das Ohr der gesunden Seite nach 
vom sieht. So erreicht man möglichste Dehnung des Muskels der 


Fig. 3. 



Fig. 4. 



Dieselbe, nach der Operation, von vorn, 


von hinten. 


kranken Seite. Diese Nachbehandlung kann 2—3 Monate durch¬ 
geführt werden, um vor jedem Recidiv sicher zu sein. 

Die Vorzüge dieser Methode liegen auf der Hand. Durch die 
Verlegung der Narbe in die Haar- und Ohrgrenze wird den 
kosmetischen Ansprüchen vollkommen genügt, was bei Mädchen 
sicher nicht gering zu schätzen ist. In noch weit höherem Maasse 
geschieht dies durch die vollständige Erhaltung derHalsmodel- 
lirung bei dieser Operation im Gegensatz zu den anderen Methoden, 
wo bei der Tenotomie des sternalen resp. clavicularen Ansatzes die 
äusserlich sichtbare Vertiefung der Jugulargrube verloren geht und 
bei der Mikulicz’schen Exstirpation des Muskels theils eine wirk- 


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Zur Behandlung des Schiefhalses. 


15 


liehe Aushöhlung der operirten Halsseite, in allen Fällen aber eine 
Abflachung derselben entsteht. Die Narben nach der Mikulicz’schen 
Operation, besonders die seitlichen Stichkanalnarben, sind nach den 
Mittheilungen Stumme’s^) aus der Mikulicz’schen Klinik doch 
mitunter recht störend. Dass die Verlegung der Narbe in die obere 
Halsgegend kosmetisch ,im Effect ausgezeichnet** ist, erfuhr Mikulicz 



Fig. 5. 



Fig. 6. 


Ualscravatte von vorn. Die Ueber- 
correetnr ist deutlich sichtbar 


Ualscravatte von der Seite. 


selbst an einem Fall, wo er die Exstirpation der oberen entarteten 
Theile des Muskels vornahm. 

Aber nicht bloss kosmetisch ist diese Methode den anderen 
überlegen, so wichtig das auch an sich bei einer Operation ist, die 
hauptsächlich aus kosmetischen Gründen ausgeführt wird. Viel wich¬ 
tiger ist der functioneile Effect der Operation, die Be¬ 
seitigung der Deformität. Und da ist es für das Redressement des 
Kopfes durchaus nicht gleichgültig, w o der verkürzte Muskel durch¬ 
trennt wird, oben oder unten. Es wäre gleichgültig, wenn der 
Muskel einen völlig isolirten Strang darstellte, der zwi¬ 
schen Warzenfortsatz und Sternum bezw. Clavicula aus- 


*) Stumme, Zeitschr. f. orthopäd. Chir. 1901, Bd. 9 Heft 3. 


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16 


G. Hohmann. Zur Behandlung des Schiefhalses. 


gespannt ist. Dann könnte man den Schnitt an jeder 
Stelle machen und stets redressiren. In Wirklichkeit ist 
aber der Muskel nicht isolirt, sondern in der Mehrzahl 
der Fälle fest verwachsen mit der Umgebung, der Unter¬ 
lage, mit anderen Muskeln und der Halsfascie. Durchtrennt 
man nun unten wie gewöhnlich, so geben die Verwachsungen wohl 
etwas nach durch Dehnung, aber ein vollkommenes Redressement des 
Kopfes ist bei starken Verwachsungen vielfach nicht möglich, wie leicht 
einzusehen ist. Und die Recidivgefahr besteht in hohem Grade. Darum 
war es nur consequent, dass Mikulicz die Tenotomie unten verliess 
und alles exstirpirte. Die Frage ist nur, ob diese radicale Operation 
nothwendig ist. Deshalb wolle man die hier vorgeschlagene Methode 
prüfen, die den Muskel oben am Ansatz am Kopf durchschneidet 
und dann ohne Mühe sofort den Kopf ausgiebig bis zur Ueber- 
correctur zu redressiren im Stande ist. Dabei bleiben die Ver¬ 
wachsungen und der Muskel, wo sie sind, die Modellirung des Hals¬ 
reliefs bleibt erhalten, und die kleine Narbe liegt an einer Stelle, 
wo sie durch Ohr und Haar leicht verdeckt wird. Seit Jahren 
operirt Prof Lange nach dieser Methode mit bestem Erfolg, ohne 
je ein Recidiv gesehen zu haben. Die beigefügten Photographien 
eines Falles können den EfiPect der Methode leicht veranschaulichen 
(Fig. 1, 2, 3, 4), besonders Fig. 3, die das gut erhaltene Halsrelief 
zeigt. Die Methode ist absolut ungefährlich. Eine Verletzung des 
Accessorius oder der Vena jugularis externa, die hei derMikulicz- 
schen Operation wiederholt vorgekommen ist, lässt sich hier sicher 
vermeiden, wenn man sich möglichst oben hält, also 1 cm etwa ent¬ 
fernt vom Ansatz des Muskels am Warzenfortsatz. 


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IV. 


(Aus der orthopädischen Heilanstalt des Dr. A. Schanz in Dresden.) 

Ueber einen Fall von Grenn varnm paralyticnm. 

Von 

Dr. J. Tüllers, Assistenzarzt. 

Mit 4 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Das Genu varum paralyticum scheint zu den seltenen Deformi¬ 
täten zu gehören, wenigstens habe ich in der mir zugängigen Lite¬ 
ratur keinen Fall davon beschrieben gefunden, während die anderen 
paralytischen Deformitäten des Kniegelenks — auch das Genu valgum 
paralyticum — eine beträchtliche Literatur besitzen. Unter diesen 
Verhältnissen dürfte die Mittheilung eines einschlägigen Falles be¬ 
rechtigt sein. 

G. H. wurde 1895 als dritte Tochter ihrer gesunden, noch 
lebenden Eltern geboren. Die Geburt war leicht. Ihre beiden Ge¬ 
schwister sind im frühen Alter an Diphtherie gestorben. Sie selbst 
war ein kräftig entwickeltes Kind, nach Aussage der Mutter das 
kräftigste und gesundeste von allen. Die Dentitio war mit heftigen 
Krämpfen verbunden, wobei dann eine plötzliche Lähmung einge¬ 
treten sein soll. Sonstige fieberhafte Krankheiten hat das Kind nicht 
durchgemacht. Seit der Dentitionszeit war das Kind vollständig ge¬ 
lähmt. Erst ganz allmählich lernte es wieder die Arme bewegen. 
Ob damals Blase und Mastdarm mitergrifiPen waren, kann die Mutter 
nicht mit Genauigkeit angeben. Sprechen lernte das Kind leicht im 
zweiten Lebensjahr. Die geistige Entwickelung war eine normale. 

Stat. praes.: Das in Bezug auf seine Grösse und Knochenbau 
durchaus nicht zurückgebliebene Kind bietet eine ganze Sammlung 
von Lähmungserscheinungen dar. Der Gesichtsausdruck ist ein müder 
und blöder. Die Augenlider hängen schlaff herunter. Der Kopf 
kann nur mit Mühe aufrecht gehalten werden, meist fallt er schlaff 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XIII. Bd. 2 


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18 


J. Vüllera. 


nach vorn über und sucht an Schulter oder Brust eine Stütze zu 
gewinnen. Die dünnen Arme, die beim Sitzen stets als Stützen des 
Oberkörpers benutzt werden, wobei sich die Ellenbogen nach vom 
durchbiegen, und zwar rechts bedeutend stärker wie links, hängen 

beim Stehen schlaff herunter. Der 
Oberkörper ist vornübergebeugt, in 
sich zusammengeknickt. Es hat sich 
eine hochgradige, linksconvexe Total¬ 
skoliose gebildet. Beim Stehen der 
Patientin, was ihr bloss mit Unter¬ 
stützung möglich ist, ist das Becken 
von rechts nach links in einem Winkel 
von etwa 10 ® geneigt. Ebenso hoch¬ 
gradige Deformitäten zeigen die unteren 
Extremitäten. Das rechte Kniegelenk 
ist zu einem Genu valgum deformirt. 
Beiderseits bestehen hochgradige para¬ 
lytische Plattfüsse. 

Was aber am meisten in die 
Augen sticht, ist das hochgradige 
Genu varum linkerseits, worauf ich 
hier näher eingehen möchte. — Das 
sehr muskelschwache Bein erfährt beim 
Stehen eine Biegung mit der Convexi- 
tät nach aussen von 45^, die manuell 
noch leicht zu vergrössern ist. Die 
Conturen des Kniees sind verwischt. 
Die Gelenkgegend ist verdickt. Ein 
dünner Muskelzug hebt sich an der 
Innenseite vom Knochen ab wie die 
Sehne eines Bogens (Fig. 1). Das 
ganze Gelenk ist schlotternd, leicht hin 
und her zu biegen. Die Muskeln des 
ganzen Beines sind gegen die des rechten, an welchem auch schon 
eine hochgradige Atrophie besteht, noch bedeutend schwächer. Die 
elektrische Erregbarkeit ist überall fast null; nur an der Waden- 
musculatur, sowie am Quadriceps und Sartorius sind träg verlaufende 
Zuckungen auszulösen. Nervenreflexe sind nirgends zu erhalten. Das 
Leitungsvermögen wie das Empfindungsvermögen der Haut ist normal. 



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Ueber einen Fall von Genu varum paralyticum. 


19 


Noch zu bemerken wäre, dass es dem Kinde nur mit grösster 
Anstrengung möglich ist, sich im Liegen herumzuwälzen. Ein Auf¬ 
richten aus dem Liegen in sitzende Stellung gelingt nur mit Hilfe 
der Arme. Dass bei so hochgradiger allgemeiner Muskellähmung 
die Gehfähigkeit dem Kinde vollständig mangelt, brauche ich wohl 
kaum hervorzuheben. Noch eine andere Erscheinung will ich nicht 
unerwähnt lassen, das ist das Eintreten eines heftigen Singultus, 
der sich bis zum Erbrechen steigern 
kann, sobald das Kind ins Lachen 
kommt. 

Was dem Fall Interesse verleiht, 
das ist jedenfalls die Frage: Wie ist 
das Genu varum zu Stande gekommen? 

Um sie zu beantworten, muss man 
sich erinnern, welche Bedingungen 
für die Formbildung der paralytischen 
Deformitäten des Kniegelenks über¬ 
haupt massgebend sind. Das Knie¬ 
gelenk bildet in der Tragsäule, welche 
die untere Extremität im Falle der 
Belastung darstellt, eine schwache 
Stelle, die ihre Tragfähigkeit durch die Spannung der Muskeln und 
der Bandmassen gewinnt. Wenn diese Spannung durch irgend welche 
Umstände verringert oder gar aufgehoben wird, so lässt die Stabilität 
des Kniegelenkes in demselben Maasse nach. Dieses kann man sich 
leicht veranschaulichen, wenn man zwei Stäbe mit etwas gerundeten 
Enden, wie Fig. 2 a u. b zeigt, auf einander stellt. Dieselben haben 
ausser in der Balance, die jedoch leicht gestört werden kann, über¬ 
haupt keinen Halt und werden unbedingt fallen. Spannt man je¬ 
doch vom einen zum anderen Bänder gleichmässig fest an, etwa vier, 
wie oben abgebildet, vorn, hinten und an beiden Seiten, so ist eine 
der Zahl und Straffheit der Bänder entsprechende Stabilität erreicht. 
Die so gebildete Säule kann bis zu einer bestimmten Grenze belastet 
werden, ohne ihre Form zu verändern. Lockert man nun ein Band, 
etwa das an der Aussenseite (in Fig. 2 b durch Fortlassen desselben 
bezeichnet), und belastet dann die Säule, so knickt dieselbe nach 
der entgegengesetzten Richtung ein. 

Dieses Experiment kann man zur Erklärung der paralytischen 
Kniegelenksdeformitäten benutzen. Auch am Knie haben wir ge- 


Fig. 2 b. 




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20 


J. Vüllers. 


spannte Weichtheile, die man ebenfalls in vier Gruppen theilen kann. 
Vorn die Strecker, hinten die Beuger, aussen und innen neben den 
sich dort herüberspannenden Muskeln in der Hauptsache Bänder, 
deren Festigkeit aussen noch besonders neben der Fascia lata durch 
den Tractus illiotibialis (Maissiati) erhöht wird. Es ist nun leicht 


Fig. 3. 



erklärlich, dass bei Ausschaltung von Muskeln und Bändern je nach 
der Lage derselben verschiedene Deformitäten entstehen müssen, 
z. B. bei Streckerlähmung die paralytische Beugecontractur, bei 
Beugerlähmung das Genu recurvatum paralyticum. Schwieriger ist 
die Erklärung der seitlichen Verbiegungen, weil die sehr starken 
Bandmassen, die sich denselben entgegensetzen, von der Lähmung 
nicht direct betroffen werden. Am ehesten ist noch die Entstehung 
eines Genu valgum denkbar, da ja schon nach dem ersten Lebens¬ 
jahre eine geringe Valgusstellung des Kniegelenks die natürliche ist 


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Ueber einen Fall von Genu varum paralyticum. 


21 


und eine Vermehrung derselben durch die normale Belastung ent¬ 
stehen kann. Für die Entstehung eines Genu varum liegen dagegen 
die anatomischen Verhältnisse ganz ungünstig. Jedenfalls muss dazu 


Fig. 4. 



aus irgend einem Grunde entweder eine Genu varum-Biegung des 
Beines oder eine Dehnung der äusseren Gelenkbänder gegeben werden. 

Letzteres ist bei unserer Patientin der Fall. Ein Bilck auf 
Fig. 3 belehrt uns, wie diese Dehnung entstanden ist. Das Bild 
veranschaulicht die LieblingssteUung, die das Kind beim Sitzen ein¬ 
nimmt. Da seine sämmtlichen Muskeln erheblich geschwächt sind 


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22 


J. Vüllers. lieber einen Fall von Genu varum paralyticum. 


und das Kind nicht im Stande ist, mit Hilfe derselben seinen Ober¬ 
körper zu balanciren, sucht es unwillkürlich sein Piedestal zu ver- 
grössern, um dadurch seinen Stützpunkt zu verbreitern. Es schlägt 
das linke Bein einwärts unter den rechten Oberschenkel. Der Druck 
des Körpers, welcher dabei auf das linke Knie fällt, hat die äusseren 
Bandverbindungen des Kniees gedehnt. Dadurch ist der bei der 
Ueberlastung des Kniees entstehenden Deformität die Ausschlags¬ 
richtung nach aussen gegeben. Durch die Fortdauer der Belastung 
wird die Deformität vermehrt. 

Nach dieser Auffassung ist das Genu varum dieses Kindes eine 
statische Belastungsdeformität, welche sich auf Grund einer Lähmung 
entwickelte. Es müssen sich, wenn diese Auffassung richtig ist, 
auch an diesem Fall die Erscheinungen finden, welche für statische 
Belastungsdeformitäten charakteristisch sind. In der That lassen 
sich die von Schanz für diese Deformitäten geforderten Eigenthüm- 
lichkeiten auffinden. Ich will davon hier nur eine Erscheinung 
hervorheben, die als Schutzmassregel des Körpers gegen weitere 
Deformirungen zu erklären ist. — Wie schon vorhin erwähnt, be¬ 
steht ein starkes Hervorspringen des Tibiakopfes nach innen. Das¬ 
selbe imponirt auf den ersten Blick, auch bei der Betastung, als eine 
Abknickung der Tibia. Auf dem Röntgenbilde (Fig. 4) sieht man 
nun, dass der Cond. int. tibiae eine mächtige Ausladung nach innen 
besitzt. Die Frage, wie dieselbe zu erklären ist, beantwortet sich 
damit, dass wir hier ein Pendant zu den Ausladungen haben, welche 
sich nach der Schanz*schen Erklärung als Stützblöcke an der Con- 
cavität der verkrümmten Wirbelsäule bei Skoliosen und Kyphosen 
ansetzen. Schanz hat dargelegt, dass eine belastete Säule, in 
welcher statisch minderwerthige Stellen vorhanden sind, dadurch gegen 
Ueberlastung geschützt werden kann, dass an ihrer Concavität Stütz¬ 
blöcke angelegt werden, und hat gezeigt, dass sich derartige Stütz¬ 
blöcke regelmässig an der Concavität einer verkrümmten Wirbelsäule 
vorfinden. Auch in unserem Falle findet die Ausladung am Cond, 
int. tibiae am leichtesten als Stützblock und somit als Selbsthilfe 
des Körpers seine Erklärung. 

Noch ein paar Worte zur Therapie. Es konnte nur die Aufgabe 
gestellt werden, dem deformen Knie Halt zu verschaffen. Es ist das 
durch eine feste Kniekappe geschehen. Im übrigen soll versucht wer¬ 
den, die Musculatur durch Massage und Gymnastik zu kräftigen. Viel¬ 
leicht bieten sich dann später Aussichten für ein operatives Vorgehen. 


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V. 


Henrik Eellgren’s manuelle Behandlnngsmetliode*). 

Dargestellt von einem Arzte. 

Kritische Bemerkungen 

von 

Dr. med. Patrik Haglund, 

Privatdocent in Stockholm. 

Henrik Kellgren's weitbekannte sogen, »manuelle Behand¬ 
lungsmethode** tritt durch die im Titel angeführte grosse Arbeit 
(506 Seiten gr. 8®) zum erstenmal im Ernst innerhalb der Grenzen 
der medicinischen Kritik. Andeutungen von »Kellgren's Methode“ 
wurden uns wohl auch von medicinisch gebildeten Verfassern ge¬ 
reicht, hauptsächlich aber durch Arvid Kellgren's (M. D. in 
Edinburgh) gymnastische Schriften. Nach Dr. Cyriax’s eigener 
Angabe in der Einleitung der oben genannten Arbeit ist dieselbe 
jedenfalls als die erste vollständige, aus medicinischem Gesichts¬ 
punkte herausgegebene Arbeit über die genannte Methode zu be¬ 
trachten. Dass Kellgren’s Behandlungsmethode nicht früher einer 
Debatte in medicinisch gebildeten Kreisen ausgesetzt worden ist 
— ein Umstand, den Cyriax (schwedischer Gymnastikdirector und 
M. D. in Edinburgh) zu bedauern scheint —, darf wohl weder Er¬ 
staunen noch Bedauern erregen. Man kannte ja bis jetzt eigent¬ 
lich nichts anderes von Kellgren’s Behandlungsmethoden, als was 
man in von nicht medicinisch gebildeten Personen geschriebenen, 
dann und wann in der Presse erschienenen Artikeln oder separat 
herausgegebenen Broschüren hat lesen können; der Inhalt derselben 
ist allerdings der Art gewesen, dass es Kellgreii und seinen 
Schülern gewiss nichts genützt hätte, wenn sie von inedicinischer 
Kritik verantwortlich gemacht worden wären für diese kritiklosen 

*) Edgar F. Cyriax, The elements of Kellgren’s manual treatment. 
London 1903. 


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24 


Patrik Haglund. 


Darstellungen, welche dem medicinisch gebildeten Leser nur einen 
Eindruck einer vom medicinischen Gesichtspunkte aus wenig inter¬ 
essanten Kurpfuscherei haben geben können. Kellgren und seine 
Schüler hätten damit nicht zufrieden sein können, dass ihre »Me¬ 
thode“ infolge solcher Mittheilungen Gegenstand medicinischer Prü- 
fung geworden wäre! Nach dem Erscheinen der Arbeit von Cyriax 
ist die Sachlage jedoch verändert. Kellgren's Behandlungssystem 
tritt in allem Ernst innerhalb des Horizontes der medicinischen 
Kritik; ausserdem tritt das Werk mit so grossen Ansprüchen her¬ 
vor, dass der gymnastisch interessirte Arzt alle Veranlassung hat, 
zu untersuchen, worin Kellgren's Methode eigentlich besteht, um 
sich eine Vorstellung bilden zu können, ob diese Methode wirklich 
die grosse Bewunderung verdient, der sie sich von vielen Seiten er¬ 
freut. Nachfolgendes ist wohl zunächst eine Beleuchtung des oben 
angeführten Werkes; da dasselbe jedoch Henrik Kellgren ge¬ 
widmet ist, dürfte man — übrigens auch aus vielen anderen Grün¬ 
den — annehmen können, dass Kellgren den Auseinandersetzungen 
Cyriax's nicht ganz fremd ist. Folgende Kritik wird deshalb noth- 
wendigerweise in gewissem Maasse eine Beleuchtung der ganzen 
Kellgren’schen Schule mit ihrer Auffassung und Thätigkeit. 

Wie es allzuoft bei Darstellungen von solchen therapeutischen, 
mehr oder weniger werthvollen Methoden, die von Laien ausgebildet 
sind, der Fall ist, ist die ganze Darstellung Cyriax’s von einer 
wenig versteckten Unterschätzung der Aerzte — d. h. der »pro¬ 
fessionellen“ Aerzte — und ihrer Thätigkeit durchdrungen. Schon 
in der Einleitung tritt uns sogar ein scharfer Angriff auf die Aerzte 
entgegen, insbesondere bezüglich ihres Verhältnisses zu der Heil¬ 
gymnastik und deren Ausübung; dieses wäre jedoch kaum von all¬ 
gemeinerem Interesse, wenn sich Cyriax nicht mit unseren schwedi¬ 
schen Verhältnissen in der ungenirtesten Weise befasste. Cyriax's 
Darstellung von dem Verhältniss zwischen den Vertretern der Medicin 
und denen der Heilgymnastik verlangt deshalb mit Nothwendigkeit 
einige Bemerkungen in der Fachliteratur. Cyriax vertritt übrigens 
mit seinen Erläuterungen über dieses Verhältniss eine Anschauungs¬ 
weise, die einzelnen schwedischen Gymnasten keineswegs fremd ist — 
noch ein Grund, seine Auseinandersetzungen zur Prüfung aufzu¬ 
nehmen. 

Nach Worten des Bedauerns über die in Schweden herrschenden 
Bestrebungen, die Arbeit der Gymnasten zu verringern und somit 


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Henrik Kellgp-en^s manuelle Behandlungsmethode. 


25 


ihre Position zu schädigen, infolge welcher Bestrebungen alle schwe¬ 
dische Gymnasien nunmehr unter Ueberwachung eines Arztes arbeiten 
müssen, fährt Cyriax fort: «unfortunately, however the majority 
of medical men know next to nothing about it*^ (die gymnastische 
Behandlungsmethode). Dieses über die Aerzte ausgesprochene Urtheil, 
welches man auch seitens schwedischer Gymnasien leider nicht 
selten hören muss, ist durchaus unrichtig. Es ist in der Thai un¬ 
fassbar, dass nunmehr eine solche Auffassung existiren kann, die 
wohl vor einem Vierteljahrhundert oder mehr eine gewisse Berechti¬ 
gung hatte, jetzt aber jeden sachlichen Grund entbehrt. Es ist 
wohl wahr, dass die Heilgymnastik zu jener Zeit und noch länger 
zurück nicht viel Verständniss seitens der damals prakticirenden 
Aerzte fanden. Wie hätten sie auch Verständniss finden können bei 
Aerzten, von denen eine grosse Anzahl im gleichen Alter oder sogar 
älter waren als Georgii, Branting und Hjalmar Ling? Wie 
konnten sie verlangen, dass die Anschauungen, die sie vertraten, 
sich gleich über die ganze Welt verbreiten würden und dass diese 
neuen Auffassungen einer Generation von Aerzten beizubringen wären, 
die in einer der jetzigen weit entfernten Zeit ausgebildet war, und 
in einer Anschauungsweise, die von der jetzigen sehr verschieden 
war? Während des vergangenen Vierteljahrhunderts haben sich die 
Verhältnisse ganz verändert. Die Aerzte sind nunmehr von dem 
Werthe eines richtigen Gebrauches der Heilgymnastik und Massage 
so überzeugt, dass die Ausüber derselben durchaus keinen Grund 
haben, sich über Mangel an Verständniss in solchen Fragen zu be¬ 
klagen. Sowohl Universitätslehrer als Gymnastikärzte haben dahin 
gestrebt, Eenntniss und Verständniss von dem therapeutischen Werth 
der Anwendung der Gymnastik unter den Ausübem der Medicin 
zu verbreiten. Und sicher findet man jetzt wenige Aerzte, welche, 
wenn sie auch nicht immer die technische Ausübung der Gymnastik 
vollständig beherrschen, dieselbe nicht völlig verstehen und hoch 
schätzen und — sofern sie dazu Gelegenheit haben — sie in ihrer 
Thätigkeit verordnen. Der Verfasser ist vielmehr zu der Ansicht 
geneigt, dass zuweilen bei uns seitens der Aerzte — insbesondere 
in den grösseren Städten — ein gewisses Maass von Ueberschätzung 
und übertriebenem Gebrauch, speciell der Massage, sich geltend 
macht. Nichtsdestoweniger erdreistet sich Cyriax — und mit ihm 
viele andere —, noch im Jahre des Heils 1903 zu behaupten, dass 
,die Majorität der Aerzte (in Schweden!) so gut wie nichts von 


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Patrik Haglund. 


derselben (der gymnastischen Methode) kennen“. Es würde für die 
medicinische Gymnastik von grossem Werth sein, wenn solchen un¬ 
wahren Behauptungen ein Ende gemacht werden könnte, und den 
Ausübern der Heilgymnastik — sowie auch dem ganzen hilfesuchenden 
Publikum — würde es viel nutzen, wenn sie einsehen lernten, dass, 
wenn sie seitens der Aerzte nicht immer Sympathie begegnen, dieses 
vielleicht an anderen Verhältnissen als Mangel an Eenntniss des 
Werthes „ihrer Behandlungsmethode“ seitens des Arztes liegen kann. 
Was speciell Dr. Cyriax's Competenz, die Beschaffenheit unserer 
Aerzte in der einen oder anderen Beziehung zu beurtheilen, betrifft, 
dürfte sie wohl am nächsten gleich Null sein. Der Verfasser hätte 
auch weder Tinte noch Druckerschwärze an seine Erläuterungen 
verschwendet, wenn nicht dergleichen Ansichten zuweilen auch bei 
uns hervorträten, obgleich im allgemeinen nicht seitens graduirter 
Aerzte. 

Von diesen mehr allgemein gehaltenen Angriffen auf die Aus- 
über der Mediciu geht Cyriax über zu einem Angriffe speciellerer 
Natur. Er erzählt, wie Ling's System in den letzten Jahren eine 
wesentliche Modification erlitten hat. Nach Cyriax gründet sich 
dieses Verhältniss hauptsächlich auf die Thätigkeit des Docenten 
A. Wide in Stockholm und speciell auf sein bekanntes Handbuch 
der medicinischen Gymnastik. Ob Wide der Auffassung ist, dass 
er in demselben und in dem Unterricht, den er seit langem vielen 
von den Medicinern Schwedens ertheilt hat, wirklich eine „Modi¬ 
fication von Liug’s System“ vorgelegt hat, ist dem Verfasser un¬ 
bekannt; diese Frage liegt allerdings ausserhalb des Rahmens dieser 
Darstellung. Cyriax fällt jedoch ohne eingehende Erklärungen über 
die Art dieser „Modification“ folgendes Urtheil über Wide’s Handbuch: 
„Most emphatically a handbook based on such a lack of sound 
fundamental principles should never have been written.“ Ein so 
strenges Urtheil über ein in Referaten in continentalen Fachzeit¬ 
schriften sehr berühmtes, in mehreren Auflagen herausgegebenes und 
in viele ausländische Sprachen übersetztes Lehrbuch, hätte wohl doch 
etwas näher motivirt sein sollen. 

Irgendwelche Andeutung solcher Motivirung kommt nicht vor. 
Ein anderer Ausspruch von Cyriax in diesem Zusammenhang ist 
indessen sehr beleuchtend für seine —und allzuvieler Heilgymnasten — 
Weise, ein solches Lehrbuch zu beurtheilen. Cyriax sagt (S. 8): 
„The results of the cases, treated by Wide are seldom in any way 


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Henrik Kellgren's manuelle Behandlungsmethode. 


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remarkable and in some cases they show a distinct retrogression 
compared, with the results obtained from Ling’s System in past 
ysars.*" Dieses Citat charakterisirt sehr gut, wie eine ganze Menge 
Heilgymnasten eine Behandlungsmethode beurtheilen und Unterricht 
in derselben ertheilen; sie scheinen sich kein besseres Mittel vor- 
stellen zu können, den Werth ihrer Methode hervorzuheben oder 
Unterricht in dem Gebrauch derselben zu geben, als durch Be¬ 
schreibungen merkwürdiger Fälle, die durch Gymnastik- und Massage¬ 
kuren geheilt worden sind. Diese Unterrichtsmethode dürfte wohl 
in allem, was medicinische Behandlung betrifft, die schlechteste von 
allen sein. Wie leicht übersieht der vielleicht unkritische Schüler, 
dass die Erfahrung des einzelnen Falles nicht generalisirt werden 
darf; das Resultat eines solchen Unterrichts ist vielleicht, dass der 
Schüler seine Thätigkeit mit solchen Vorstellungen beginnt, die 
durch folgenden Fehlschluss symbolisirt werden können: „In diesem 
oder jenem Falle wurde ein so und so schwerer Fall mit diesen 
und jenen Symptomen, nachdem viele Aerzte vergebens gesucht 
worden waren, mit so und so vielen Massagesitzungen geheilt; 
folglich kann ich auch mit so und so vielen Massagesitzungen 
jeden Patienten mit denselben Symptomen heilen, der vorher bei 
einer Menge Aerzten keine Hilfe gefunden hat.“ Es ist sehr zu 
bedauern, dass diese Darstellungsmethode, die übrigens die reich¬ 
haltige Kurpfuscherliteratur charakterisirt, auch in der heilgymnasti¬ 
schen Literatur, aus welcher der Heilgymnast seine Kenntnisse 
schöpfen und auffrischen soll, empfohlen und ausgeübt wird; und 
man fragt sich besorgt, was würde wohl aus den schwedischen Heil¬ 
gymnasten werden, wenn sie aus solchen Brunnen schöpfen müssten ? 
Werden sie nicht gegen ihren Willen nothwendigerweise auf den 
schlüpfrigen Pfad der Charlatanerie und Kurpfuscherei getrieben, 
welcher — von dem ethisch Verwerflichen in einer solchen Thätig¬ 
keit abgesehen — der Art ist (glücklicherweise!), dass nur eine 
kleine Zahl (und nicht die besten) sich auf demselben durchschlagen 
können, währenddem die meisten eine kummervolle Existenz in einer 
unbefriedigenden Thätigkeit führen müssen? In dieser Beziehung 
steht, nach der Meinung des Verfassers, Wide’s hier von Cyriax 
so verketzertes Handbuch sehr hoch über der meisten übrigen heil¬ 
gymnastischen Literatur. Uebrigens wird das ganze Buch Cyriax*s 
von der Darstellungsweise dieses Einleitungskapitels gekennzeichnet; 
insbesondere möchte der Verfasser hier hervorheben, dass man in 


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P^trik Haglund. 


dem Buch so viele falsche Angaben betreffs des Standpunktes Wide's 
in heilgymnastischen Fragen und betreffs seiner Thätigkeit findet, 
dass es von grosser Unfähigkeit, nicht nur unsere schwedischen Ver¬ 
hältnisse, sondern auch heilgymnastische Fragen im allgemeinen zu 
beurtheilen, zeugt. Da der Verfasser vielleicht in dem Folgenden 
nicht alle solche Fehlerhaftigkeiten hervorheben kann, sei hier so¬ 
gleich ein ernster Protest ausgesprochen gegen diese Weise, Ver¬ 
hältnisse zu beurtheilen, von denen man kaum gründliche Kennt- 
niss haben kann^). 

Von den nächstfolgenden Kapiteln (I und II) betreffend die 
Classification, Ausgangsstellungen u. s. w. der Bewegungen (S. 10—26) 
ist nicht viel zu sagen; der Leser findet da wenig, was man speciell 
„Kellgrenisch“ nennen möchte. Nach Cyriax finden wir jedoch 
schon hier etwas für Kellgren's Methode Specielles, nämlich Wider¬ 
standsbewegungen unter Traction, d. h. der bewegliche Gelenktheil 
wird in seiner ganzen Bewegungsbahn Traction ausgesetzt, wodurch 
der Gymnast versucht, dieselbe von dem fixirten Gelenktheil zu ent¬ 
fernen; dadurch sollte ein „additional stimulatory effect*^ der Be¬ 
wegung erzielt werden, der eine grosse Rolle spielen sollte. Cyriax 
hält dies für etwas Neues und hat diese Bewegungsform nicht in 
der Literatur erwähnt oder bei der G.C.I. gebraucht gefunden. 
Dem Verfasser ist diese kleine Modification beim Geben der Wider¬ 
standsbewegungen seit langem wohlbekannt; eigene Erfahrung be¬ 
treffend den Unterricht bei der G.C.I 1903—1904 macht den Ver¬ 
fasser abgeneigt zu glauben, dass dieselbe 1898—1899 daselbst keine 
Anwendung gefunden hätte; übrigens dürfte dieselbe von den meisten 
ausübenden Heilgymnasten sehr häufig gebraucht werden ^). Dass 
diese Modification in Cyriax's Buch aufgenommen und besonders 
betont worden ist, schadet ja durchaus nicht; dass sie aber von 
Cyriax als etwas für Kellgren’s Methode Specielles und Wichtiges 
hervorgehoben wird, scheint dem Verfasser dagegen sehr erstaunlich. 


0 Der Verfasser meint, dass eine gründlichere Kenntniss von den schwedi¬ 
schen Aerzten und ihren Qualificationen keineswegs erworben werden kann 
durch einen einjährigen Aufenthalt in der G.C.I.; noch weniger ist solche zu 
gewinnen in einigen Jahren Gymnastthätigkeit in Schweden unter den so 
besonderen Verhältnissen, wie sie bei San na herrschen. 

*) Es sei hier erwähnt, dass Dr. Arvedsson in seinem Unterricht diese 
Bewegungsmodification betont, obgleich er derselben eine andere Bedeutung 
beimisst als dem sehr unbestimmten „stimulirenden Effect“. 


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Henrik Kellgren's manuelle Behandlungsmethode. 


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In dem Kapitel IV (S. 26—40) findet man die Darstellung 
von der physiologischen Wirkung der activen und passiven Bewe¬ 
gungen. Cyriax beschreibt hier in einer ziemlich vollständigen 
Weise den allbekannten EflFect der Gymnastik auf die verschiedenen 
Gewebe und Organe. Cyriax scheint in ziemlich hohem Grade auch 
die physiologische Literatur — am wenigsten doch die neuere — 
benutzt zu haben; etwas speciell Kellgrenisches findet man auch 
nicht in diesem Kapitel, mit Ausnahme vielleicht des zu viel detail- 
lirten Theoretisirens (S. 27—28) über die speciellen Wirkungen der 
im vorigen Kapitel erwähnten Traction. 

Im Kapitel V (S. 41—220) gibt Cyriax die allgemeine Dar¬ 
stellung der Technik; bis zu S. 132 besteht dieses Kapitel aus einer 
Beschreibung der von Kellgren gebrauchten gymnastischen Be¬ 
wegungen, alle ziemlich übereinstimmend und jedenfalls in keinem 
wesentlichen Grade von den gebräuchlichen Bewegungen der schwedi¬ 
schen Heilgymnastik abweichend. Natürlich kann man Kellgren 
und seinen Fürsprechern nicht verweigern, alle die kleinen Modi- 
ficationen beim Bewegungsgeben zu beschreiben, welche Kellgren, 
sowie jeder erfahrene Gymnast nach und nach ausarbeitet; diese 
kleinen Modificationen dagegen als etwas so Wesentliches hervorzu¬ 
heben , dass sie für ein besonderes gymnastisches System kenn¬ 
zeichnend angesehen werden müssen, scheint wenig wissenschaftlich. 
Vielleicht sollte man sich auch bei Cyriax's Darstellung der Be¬ 
wegungen des Ellenbogengelenkes bei verschiedenen Stellungen des 
Unterarmes ein wenig auf halten. Cyriax scheint der Ansicht zu 
sein, dass die auf S. 49 — 51 vorkommende detaillirte Darstellung 
von der Function der verschiedenen Muskeln bei Beugung und 
Streckung des Ellenbogengelenkes unter verschiedenen Verhältnissen 
etwas Neues und sehr Wichtiges enthält, und betont, dass Wide 
nichts von diesen Verhältnissen in seinem Handbuch erwähnt. Die 
sehr gute Darstellung enthält jedoch nichts anderes von der Wir¬ 
kung der Muskeln, als was alle Mediciner in der Anatomie kennen 
lernen. Weiter muss hervorgehoben werden, dass eben Wide in 
seiner Dissertation diesen Verhältnissen Aufmerksamkeit gewidmet 
hat. Da Cyriax scheinbar, und vielleicht mit Recht, so grosses 
Gewicht auf solche detaillirte Darstellungen der Function der Muskeln 
in gymnastischen Handbüchern legt, hätte man nähere Beschrei¬ 
bungen auch betreffs der übrigen Hauptgelenke erwarten können; 
solche sind aber nicht zu finden, mit Ausnahme von dem Ellen- 


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Patrik Haglund. 


bogengelenke. In dieser Abtheilung findet man weiter einige naive 
Bemerkungen im allgemeinen mit dem Zwecke, den grossen Unter¬ 
schied zwischen den Darstellungen Cyriax's (Kellgren's) und 
denen früherer Gymnasten hervorzuheben. Siehe z. B. S. 97, wo 
Cyriax in einer Note die interessante Mittheilung gibt, dass «Wide 
is not aware of the fact that such rotation (passive Rotation im 
Handgelenk) exists“. Cyriax lebt scheinbar des Glaubens, dass 
Wide keinen anderen Grund zum Weglassen dieser ziemlich un¬ 
wichtigen Bewegung hat haben können, als mangelnde Kenntniss 
der Ausführbarkeit derselben! Noch eine Sache sei hier erwähnt. 
In der Einleitung zu diesem technischen Kapitel betont Cyriax, 
dass er in seiner Arbeit nur wichtigere Verschiedenheiten zwischen 
«Kellgren’s Methode“ einerseits und «Wide*s Methode“ (S. 43) 
andererseits hervorheben will. Der Verfasser fragt infolge dieses: 
«Welche ist Wide's Methode?“ Weder dem Verfasser noch Wide 
selbst ist eine solche bekannt. Die Auffassung des Verfassers ist 
sogar, dass in diesem Umstand eine grosse wissenschaftliche Ueber- 
legenheit des Wide'schen Handbuches liegt im Vergleich mit der 
Arbeit Cyriax's. Dem wissenschaftlich denkenden Gymnasten oder 
Arzte muss diese Weise, beständig von «verschiedenen Methoden“ 
zu sprechen, wenn es gilt, die nunmehr so einstimmig anerkannte 
therapeutische Anwendung, Nützlichkeit und Unentbehrlichkeit der 
Gymnastik darzustellen, wenig zweckmässig Vorkommen. Nur aus 
dem Grunde, dass der eine die Bewegungsformen unter etwas ver¬ 
schiedenen Namen oder in anderer Reihenfolge erwähnt, oder viel¬ 
leicht die Hilfsmittel der Gymnastik aus einem verschiedenen Ge¬ 
sichtspunkte classificirt, spricht man gleich von «verschiedenen 
Methoden“. Dem Verfasser scheint dieses sehr unwissenschaftlich; 
dieses Verhältniss begegnet uns jedoch leider allzuoft auch auf anderen 
Gebieten. 

Erst auf S. 133 findet der Leser etwas, wenn nicht gerade 
Neues, jedenfalls doch zum erstenmal so Durchgearbeitetes und Aus¬ 
geführtes, dass es das Interesse des gebildeten Gymnasten fesseln 
kann. Dieses betrifft die Darstellung der passiven Bewegungen, die 
eine so grosse Rolle in der Behandlung Kellgren's spielen, näm¬ 
lich: «Shaking, Vibration, friction, hacking, clapping, beating, stroking, 
kneading, pressing, various other moveraents and special manipula- 
tions“ (S. 133—220). 

Es ist eine sehr mühsame Arbeit, diese ganze Darstellung von 


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Henrik Kellgren's manuelle Behandlungsmethode. 


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allen den verschiedenen Manipulationen, die Kellgren und seine 
Schule gebrauchen, durchzugehen; trotz aller Sorgfalt beim Studium 
dieses Kapitels und trotz wiederholtem Durchlesen ist es dem Ver¬ 
fasser nicht gelungen, vollständige Klarheit in dieses complicirte 
System zu bringen. In den zuweilen und öfters viel zu ausgedehnten, 
zuweilen dagegen viel zu kurzen Beschreibungen von speciellen 
Manipulationen findet man ja alle die Bewegungen wieder, deren 
sich die medicinische Gymnastik und Massage bedienen, als Hacken, 
Klopfen, Erschütterung, Vibriren, Druck, Reiben, Kneten u. s. w. 
Wohl sucht Cyriax theils durch lange und detaillirte Beschreibungen 
dem Leser die Auffassung beizubringen, dass fast alle diese Be¬ 
wegungsformen weit verschieden sind von denen von den Ausübern 
„anderer Methodengebrauchten, theils sucht Cyriax in mehrfachen 
Auseinandersetzungen diese Verschiedenheiten der Manipulationen, 
welche die Ueberlegenheit von Kellgren’s Methode über alle an¬ 
deren beweisen, hervorzuheben. Cyriax's dahin zielende Dar¬ 
stellungen wirken jedoch nicht selten etwas construirt, so z. B. die 
auf S. 230—231 vorkommende Parallele zwischen Kellgren's „stomach 
exercise“ und anderer Schulen „abdominal massage**, welche übrigens 
— besonders Punkt I — ganz fehlerhaft ist. 

Von grossem Interesse ist indessen in dieser Abtheilung alles, 
was sowohl die locale als die allgemeine Nervenbehandlung berührt, 
welche das Charakteristischste für die Methode Kellgren's und seiner 
Schule bildet, und es ist wohl zweifellos, dass Kellgren der localen 
und allgemeinen mechanischen Nervenbehandlung eine so grosse Be¬ 
deutung beigemessen und die Manipulationen bei dieser Behandlung 
so energisch ausgebildet und beschrieben hat, dass seine Massage¬ 
behandlung in dieser Beziehung eine gewisse Ausnahmestellung er¬ 
hält. Der Verfasser hat desgleichen versucht, sich eine Vorstellung — 
aus medicinischem Gesichtspunkte — von dem Werthe derselben zu 
bilden. Es scheint auch dem vorurtheilsfreien Beobachter, als ob 
Kellgren mit Recht grösseres Gewicht auf die locale Nervenbehand¬ 
lung legte, als die Ausüber der medicinischen Gymnastik und die 
medicinischen oder gymnastischen Verfasser im allgemeinen derselben 
beimessen. 

Nach der Darstellung Cyriax's zu beurtheilen, scheinen auch 
Kellgren und seine Schule dieser Nervenbehandlung eine so ausser¬ 
ordentlich grosse Bedeutung bei der Behandlung von allen Krank¬ 
heiten beizumessen, dass jede andere Behandlung dadurch in Schatten 


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Patrik Haglund. 


gestellt und überflüssig gemacht wird. Cyriax scheint jetzt eine 
vollständige Darstellung dieser hoch entwickelten Technik und der 
physiologischen Wirkungen dieser Nervenbehandlung geben zu wollen. 
Auf diese Wirkungen, die nach Cyriax (Kellgren) keineswegs auf 
die Krankheiten des Nervensystems beschränkt sind, sondern directen 
oder indirecten Einfluss auf die Krankheiten aller Organe und auf 
alle Constitutionskrankheiten ausüben, wird der Verfasser später, be¬ 
züglich des letzteren, mehr speciell therapeutischen Theiles des grossen 
Werkes, zurückkommen. 

Diese Behandlungsmanipulationen werden jetzt von der Kell¬ 
gren’sehen Schule in einer sehr specialisirten Weise betrieben und 
werden in der Beschreibung Cyriax’s bis zu dem äussersten Grade 
classificirt; es fällt dadurch dem Leser sehr schwer, sich irgend eine 
klare Auffassung des kunstmässigen Baus zu bilden. Da Cyriax 
zum Schluss des langen Kapitels die Unmöglichkeit kräftig betont, 
die Ausführung dieser wunderbaren Manipulationen in Büchern zu 
lernen (z. B. „suction vibrations, rotatory shaking** u. a.), muss der 
Leser einen starken Zweifel hegen über den Werth dieser langen, 
oft eine ungeheure Geduld erfordernden Darstellung der Technik. 
Wenn möglicherweise einzelne Heilgymnasten „von Gottes Gnaden* 
während einer langen Thätigkeit wirklich ein solches Geschick sich 
aneignen, dass sie in jedem Falle auf specielle, bestimmte Indicationen, 
und in einer speciellen, bestimmten Weise diese unzähligen Modifica- 
tionen der einfacheren, allen ziemlich zugänglichen Bewegungsformen, 
als Erschütterung, Reiben, Kneten, Vibriren u. s. w., gebrauchen 
können, ist der Verfasser nichtsdestoweniger völlig überzeugt, dass 
es ganz sinnlos ist, dieses specialisirte System als ein jedem Gym¬ 
nasien, der von dem Buch Cyriax’s Kenntniss nehmen will, zugäng¬ 
liches Behandlungsystem darzustellen. Für den nicht praktisch 
arbeitenden Gymnasien, also für den grössten Theil der Aerzte, an 
welche Cyriax sich mit seinem Buche speciell hat wenden wollen, 
ist diese Darstellung natürlich ganz uninteressant. Das einzige, was 
dem Verfasser betreffs des ausschliesslich Technischen anerkennens- 
werth scheint, ist, dass Cyriax graphische Darstellungen von Er¬ 
schütterungen und Vibrationen mittheilt, wodurch die Frequenz der¬ 
selben beurtheilt werden kann; nach Cyriax ist die Frequenz bei 
Erschütterungen höchstens 7 pro Secunde, bei Vibration ungefähr 12. 
Ausserdem mögen die Schema erwähnt werden, welche die Bahnen 
auf dem menschlichen Körper zeigen, in welchen die von Kellgren 


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Henrik Kellgren's manuelle Behandlungsmethode. 


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so viel gebrauchten «running nerve frictions** gegeben werden sollen. 
Dass nicht alle Heilgymnasten eine so grosse Geschicklichkeit bei 
der Ausübung solcher Bewegungen erreichen können, wie Cyriax, 
ist jedoch ganz sicher. Cyriax behauptet nämlich, Vibrationen 
während 1^/4 Stunden ununterbrochen ausgeführt zu haben, und er 
glaubt, dass er, wenn die Verhältnisse es erforderten, mehrere 
Stunden unaufhörlich damit fortzufahren im Stande wäre (S. 143). 
Auffallend ist bei dieser Cyriax'sehen Darstellung die das ganze 
Buch charakterisirende Abgeneigtheit, die Versuche anderer, solche 
locale Nervenbehandlung bei heilgymnastischer Behandlung zu ge¬ 
brauchen, anzuerkennen. Insbesondere dürften Cyriax's Ausführungen 
über Gebrauch und Darstellung der Bedeutung des Nervendruckes u. s. w. 
seitens schwedischer Gymnasten und Aerzte, speciell Wide's, sehr 
fehlerhaft sein. Aber auch an vielen anderen Stellen seiner Dar¬ 
stellung sucht Cyriax Wide's Verfahren zu verringern. Indem 
Cyriax im allgemeinen die vielen gymnastischen und medicinischen 
Verfasser, die in der letzten Zeit über Heilgymnastik geschrieben 
haben, in Ruhe lässt, betont er immerfort, dass Wide in seinem 
Handbuch diesen nach der Eellgren'schen Schule so dominirenden 
Manipulationen nicht Raum genug gegeben habe. Der Grund hierzu 
ist schwer zu verstehen, wenn es nicht der wäre, dass Cyriax 
Wide's Buch für die wichtigste Arbeit hält, die über die medicinische 
Gymnastik erschienen ist. Wenn das der Fall ist, kann der Ver¬ 
fasser Cyriax vollständig Recht geben; im übrigen kann er die An¬ 
sichten Cyriax's von Wide's Handbuch nicht theilen, denn Cyriax 
schätzt dasselbe, wie oben erwähnt, sehr gering. Es scheint, als ob 
schon der Versuch, die gymnastischen Hilfsmittel aus rein medici- 
nischem Gesichtspunkte darzustellen, ohne alle die Merkwürdigkeiten 
betreffs der speciellen Wirkungen der vielerlei Handgriffe, von denen 
die Gymnastikliteratur früher — und nun auch das Buch Cyriax's — 
erfüllt war, anzuführen, Cyriax's Missbilligung erregt hätte. Die 
Ansicht des Verfassers ist, dass Wide gerade in dieser Beziehung 
einem grossen, seit lange fühlbaren Mangel endlich abgeholfen hat. 
Wenn Wide vielleicht nicht in jeder Hinsicht vollständig in der 
oben angeführten Aufgabe erfolgreich gewesen ist, muss man be¬ 
denken, welche schwere Aufgabe es in der That war, aus dem 
heilgymnastischen System alles zu entfernen, was vom medici¬ 
nischen Standpunkte aus als ganz falsch betrachtet werden musste. 
Cyriax hat scheinbar, seinem medicinischen Grade zum Trotz, durchaus 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XIII. Bd. 3 


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Patrik Haglund. 


keinen Versuch gemacht — von Titelblatt und Ausstattung ab¬ 
gesehen —, seiner Arbeit irgend welches medicinische Gepräge zu 
geben; noch weniger können einige Versuche — wie sie Cyriax auf 
S.43 verspricht—, eine wissenschaftliche Darstellung der manuellen 
Behandlung Kellgren’s zu geben, gefunden werden. Infolge dieses 
vollständigen Mangels einer medicinischen oder wissenschaftlichen 
Kritik ist Cyriax's Arbeit in keiner Beziehung ein Gewinn der 
Medicin, d. h. der leidenden Menschheit, geworden. Die Gymnastik 
als Heilkunde, hoc est die Heilgymnastik mit allem, was dazu ge¬ 
hört, muss doch aus dem Gesichtspunkte der Medicin gesehen werden. 
Diese medicinische Heilkunst ist jedoch nicht ganz werthlos, wenn 
auch manche kritiklos und verbündet genug sind, zu glauben, dass 
die vieltausendjährige Thätigkeit der Aerzte auf dem Gebiet der 
Heilkunst überhaupt kein nützliches Resultat ergeben hat, während 
einer Behandlungsmethode neueren Datums, die aber den Vortheil 
hat, wenigstens anfangs von Laien ausgebildet zu sein, eine Be¬ 
deutung beigemessen wird, als könnte sie dem menschlichen Leiden 
mit einem Mal ein Ende machen. Sehr entmuthigend ist es jedoch, 
unter diesen kritiklosen und kurzsichtigen Heilgymnasten sogar 
graduirte Doctoren zu finden. 

Cyriax gibt weiter eine detaillirte Darstellung von der Appli¬ 
cation aller dieser Manipulationen auf specielle Organe, und es könnte 
ganz verlockend sein, Beispiele aufzuzählen, zu welchen Lächerlich¬ 
keiten und Naivitäten (s. z. B. »sitting ear exercise“, S. 225) eine 
solche kritiklose Darstellung führt. Der Leser wird jedoch selbst 
dergleichen eine Unmenge finden, weshalb der Verfasser den tech¬ 
nischen Abschnitt verlässt, um Cyriax’s Darstellungen der physio¬ 
logischen Wirkungen der »Methode“ irgendwelches medicinische In¬ 
teresse abgewinnen zu suchen. 

Hier tritt uns zunächst Cy riax's Darstellung des physiologischen 
Efiectes der Vibrationen und Frictionen auf Nerven und Ganglien 
entgegen. Während Cyriax im allgemeinen eine Menge Wirkungen 
übriger gymnastischer Bewegungen und MassagehandgriflFe, die auf 
objective Beobachtungen gegründet und nunmehr mittelst wissen¬ 
schaftlicher Untersuchungen beleuchtet sind, ziemlich summarisch 
behandelt, finden wir seine Darstellung des physiologischen Effectes 
dieser Nervenbehandlungen sehr detaillirt und specialisirt. Diese so 
specialisirten Wirkungen sind jedoch ausschliesslich durch »klinische“ 
Beobachtungen studirt worden, und das wahre Substrat vieler von 


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Henrik Kellgren's manuelle Behandlungsmethode. 


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den meist kategorischen Behauptungen betreffs dieser Wirkungen sind 
iu vielen Fällen nur die Angaben des Patienten, was er zu empfinden 
glaubt u. 8. w. Dass Eellgren selbst während einer langen Thätig- 
keit, bei seiner Behandlung einer grossen Zahl oft hochgebildeter 
Personen, viele sehr interessante Observationen hat machen können 
und auch gemacht hat, ist ja selbstverständlich. Dergleichen Beob¬ 
achtungen werden auch in ziemlich grosser Menge unter den Mit¬ 
theilungen von dem speciellen Effect der verschiedenen Manipulationen, 
die in dem technischen Theil eingestreut sind, erwähnt; sie sind 
zweifellos von grossem Interesse, und besonders Gymnastik ausübende 
Aerzte haben alle Veranlassung, Kenntniss von diesen Erfahrungen 
zu nehmen. Nur der, welcher sich viel mit Heilgymnastik beschäf¬ 
tigt hat, kann alle diese Angaben prüfen und sich eine Ansicht über 
die Bedeutung derselben bilden. Der Verfasser möchte jedoch hervor¬ 
heben, dass diese oft in einer sehr generalisirten und kategorischen 
Form mitgetheilten Beobachtungen nicht immer ganz zuverlässig 
scheinen. Es fällt dem Leser sehr schwer, zu glauben, dass eine 
solche Unmenge von offenbaren Thatsachen bis jetzt aller Beobach¬ 
tung hätte entgehen können; es fällt einem schwer, an das generelle 
Vorhandensein aller dieser »Zeichen“ zu glauben. Jedoch abgesehen 
von diesem, geht aus Cyriax*s Darstellung hervor, dass eine grosse 
Zahl dieser kategorischen Angaben nur auf den subjectiven Auf¬ 
fassungen und Angaben der Patienten beruht. Man hätte des¬ 
halb — von einem Arzte — eine etwas mehr reservirte und weniger 
kategorische Schreibweise erwarten können. Auch sind Cyriax's oft 
ganz chaotische Eintheilungen des Stoffes in hohem Grade geeignet, 
die Uebersicht über diese Menge isolirter Angaben zu erschweren. 

Vieles in dieser Abtheilung ist jedoch von Interesse. Prüft 
man aber diese Angaben, so findet man allzuoft den Effect irgend 
einer Manipulation dadurch ausgedrückt, dass sie diesen oder jenen 
Nerv, dieses oder jenes Ganglion oder Organ »stimulirt“. Cyriax 
sucht nicht tiefer in die Physiologie einzudringen; irgend welche 
Darstellung von den Aeusserungen dieser »Stimulation“ findet der 
Leser nicht; noch weniger macht Cyriax einen Versuch, noch etwas 
tiefer beim Beurtheilen des Werthes dieser Behandlungsmethoden zu 
gehen. Es hätte ja dem medicinisch gebildeten Verfasser des Buches 
von Interesse sein sollen, etwas tiefer hineinzudringen und aus ein¬ 
ander zu setzen, ob diese behauptete »Stimulation“ wirklich eine so 
enorme Bedeutung für die Heilung der grossen Menge Krankheiten, 


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Patrik Haglund. 


welche Gegenstand einer solchen Behandlung werden, hat. Aus der 
Darstellung Cyriax's geht aber ganz deutlich hervor, dass Kellgren 
und seine Schule der Ansicht sind, dass diese Nervenbehandlungen 
in einer besonderen Weise auf jedes Organ des menschlichen Körpers, 
sowie auf den ganzen Organismus einwirkeii können. In Betracht 
des grossen Umfanges des Buches und der unerhört grossen Geduld, 
welche dasselbe von dem medicinisch gebildeten Leser fordert, hätte 
doch die Unmenge von allbekannten anatomischen Thatsachen be¬ 
züglich des Verlaufes der Nerven, der Lage der Ganglien und Organe, 
welche umfangreichen Raum in Anspruch nehmen, ungestraft weg¬ 
bleiben können. 

Mit den oben kurzgefassten Andeutungen von dem ersten, all¬ 
gemein technischen Theil des Buches Cyriax*s muss der Verfasser 
sich begnügen. Der interessirte Leser wird auf das Original hin¬ 
gewiesen; ihm wird da vieles Lesenswerthe begegnen, wenn es 
ihm auch, gleich dem Verfasser, schwer wird, etwas zu finden, das 
ihn dazu verleitet, die neue „Methode“ als etwas Neues in die prak¬ 
tische Medicin einzuführen, welches würdig wäre, unsere gewöhn¬ 
liche medicinische Gymnastik, wie dieselbe schon unser medicinisches 
Bewusstsein durchdrungen hat, zu ersetzen oder neben dieser als 
„neue Behandlungsmethode“ aufgestellt zu werden. Weiter wird er, 
gleich dem Verfasser, einige vielleicht werthvolle Zusätze zu der 
gymnastischen Therapie finden, und eine grosse Menge „klinischer“ 
Beobachtungen, die zu einer vielseitigen Prüfung anregen, und oft 
dem wissenschaftlich Interessirten grosse Lust zu einem Erklärungs¬ 
versuche geben. Bei dem Verfasser der anspruchsvollen Arbeit ent¬ 
deckt man nirgends eine solche Lust, tiefer in seinen Stoff ein¬ 
zudringen. 

Die letztere Hälfte des Buches Cyriax's besteht aus der im 
Theil II (S. 245—483) mitgetheilten „practical application of the 
treatment, illustrated by cases“. Nachdem man mühsam den ersten 
Theil durchgegangen hat, und in demselben, in Betracht des grossen 
Umfanges, so wenig Interessantes gefunden hat, ist es erklärlich, 
wenn man mit einer gewissen Unlust zum Studium des zweiten, 
ebenso umfangreichen Tbeiles übergeht; man hofft jedoch, wenigstens 
in den vielen Krankengeschichten etwas von medicinischem Interesse 
zu finden. Auch in diesem Falle wird jedoch das mühsame Studium 
eine vollständige Täuschung. In dem V^orwort dieses Theiles betont 
Cyriax — wie gewöhnlich in einer sehr kategorischen Form — 


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Henrik Kellgren's manuelle Behandlungsmethode. 


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seine eigene Auffassung von Kellgren*s Behandlung und den Re¬ 
sultaten derselben; es heisst da (S. 245): ^Further, the rapid course, 
that acute ailments take under Kellgren's treatment is of extra- 
ordinary interest, and calls for detailed account; it is, indeed, not 
to much to say that some of the results to be obtained will cause 
a revolution in the hitherto ordinarily accepted ideas concerning 
Symptoms, duration, prognosis, sequelae and mortality/ Man er¬ 
wartet deshalb in den folgenden Krankengeschichten etwas zu finden, 
das zur Bestätigung dieser anspruchsvollen Behauptung dienen kann. 
Der Verfasser hat jedoch alle diese unendlich trivialen und nichts¬ 
sagenden Krankengeschichten mit grösster Sorgfalt durchgelesen, 
ohne etwas zu finden, sei es von allgemeinerem medicinischen In¬ 
teresse, sei es von Beschaffenheit, diese Cyriax'schen Behauptungen 
auf irgend eine Weise zu bekräftigen. Unter solchen Verhältnissen 
muss der Verfasser sehr bedauern, dass Cyriax zu seinen Kranken¬ 
geschichten nichts hinzugefügt hat, welches Bedeutung oder Charakter 
von epikritischen Bemerkungen hätte. Infolge dieses Mangels ver¬ 
misst der Leser jeden Zusammenhang zwischen Cyriax's stolzen Ein¬ 
leitungsworten und den folgenden, in gewissen Beziehungen detail- 
lirten, aber wenig vollständigen Krankengeschichten. Es würde 
deshalb das beste sein, die Arbeit ganz bei Seite zu legen und die¬ 
selbe ihrem Schicksale zu überlassen; verschiedene Gründe, auf welche 
der Verfasser später zurückkommen wird, haben ihn jedoch veran¬ 
lasst, auch über diesen Theil einige Worte zu sprechen. 

In dem einen von den zwei sehr summarischen Einleitungs¬ 
kapiteln (S. 247—250) bespricht Cyriax die Bedeutung der ein¬ 
zelnen Bewegungen und Handgriffe bei der Untersuchung und für 
die Diagnose, und betont dabei auch mit Recht, welche ausserordent¬ 
lich grosse Bedeutung eine geübte Palpationsfähigkeit für jeden Aus- 
über von medicinischer Thätigkeit hat. Man ist jedoch ein wenig 
zweifelnd, ob es Cyriax gelungen ist, eine grössere Palpations¬ 
fähigkeit zu erwerben; so zeugen z. B. die Krankengeschichten über 
Fälle von Appendicitis und Peritonitis in einer ganz deutlichen Weise 
davon, dass Cyriax durch seine Palpation des Bauches eine sehr 
geringe Vorstellung von den Veränderungen in demselben gewonnen 
hat. Diese Krankengeschichten sind nämlich in dieser Beziehung 
so unvollständig, dass sie in einer medicinischen Arbeit nicht hätten 
Vorkommen dürfen. Als diagnostische Hilfsmittel findet man auch 
in diesem Kapitel die im vorigen Theil hier und da erwähnten. 


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Patrik Haglund. 


specielle Krankheitszustände bezeichnenden Effecte von gewissen 
Nervenbehandlungsmanipulationen der Kellgren’schen Schule dar¬ 
gestellt; dieses ist jedoch sehr summarisch behandelt. Gerade hier 
möchte der Leser einige Auseinandersetzungen über den Nutzen dieser 
^Zeichen“ für die Diagnostik finden; dieses vermisst man jedoch. 
Dieses Verhältniss ist bezeichnend für das ganze Werk, und doch 
rechnet dasselbe auf medicinisches Interesse! Dieser vollständige 
Mangel an irgend welchen Versuchen, auf den Grund zu gehen bei 
Prüfung dieser Verhältnisse, von welchen Cyriax meint, dass sie 
wichtig und bedeutungsvoll genug seien, um eine Revolution in 
unserer ganzen praktischen Medicin zu bewirken, macht das Buch 
völlig ungeniessbar. Ganz besonders gilt dieses vom folgenden Ein¬ 
leitungskapitel: „General principles in the application of the manual 
treatment.“ Es scheint unglaublich, aber dieser umfassenden üeber- 
schrift folgen zwei (!) Seiten Text, da die Erzählung von dem all¬ 
täglichsten Krankheitsfalle oft doppelt so viele und noch mehr Seiten 
einnimmt. Diese zwei Seiten enthalten übrigens nichts, als dass die 
Behandlung zum Theil local, zum Theil allgemein sein soll, und dass 
Henrik Kellgren (warum er gerade?) gefunden hat, dass „the 
cause of many afifections in peripheral parts is now often to be found 
in diseases of the internal Organs than is generally supposed^ (S. 250). 

In den folgenden Kapiteln (lU—IX) werden fast ausschliess¬ 
lich Krankengeschichten mitgetheilt, in folgende Gruppen eingetheilt; 
Specifische Infectionskrankheiten; Krankheiten der Respirationsoi^ane; 
Krankheiten der Verdauungsorgane; Herzkrankheiten; die Krank¬ 
heiten des Blutes und der Lymphwege; die Krankheiten des Nerven¬ 
systems; die Krankheiten der Locomotionsorgane und die Krank¬ 
heiten der Urogenitalsphäre inclusive Partus. 

Alle die in diesem Kapitel erwähnten Krankheitsfölle sind nach 
der Angabe Cyriax’s in dem Vorworte (S. 240) ausschliesslich mit 
„Kellgren's treatment“ behandelt worden, wenigstens während der 
Zeit, da sie unter Behandlung von Cyriax oder irgend einem anderen 
Kellgrenianer waren. 

Ein näheres Eingehen auf eine kritische Beleuchtung von allen 
diesen Kapiteln und den darin beschriebenen Krankheitsfällen — inso¬ 
fern es möglich ist, sich durch Cyriax's Krankengeschichten irgend 
eine Vorstellung davon zu bilden — würde Veranlassung zu einem 
Buche, wohl so gross als Cyriax’s eigenes, geben. Der Verfasser muss 
es dem interessirten Arzte überlassen, selbst zu versuchen, allen diesen 


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Henrik Eellgren's manuelle Behandlungsmethode. 


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Krankheitsfällen irgend etwas von speciellem Interesse abzugewinnen. 
Dagegen muss der Verfasser hier einige Gesichtspunkte und Re¬ 
flexionen hervorheben, die sich ihm beim Durchlesen ungesucht auf¬ 
gedrängt haben. 

Schon der Umstand, dass man in einer medicinischen Arbeit 
der manuellen Behandlung der specifischen acuten Infectionskrank- 
heiten einen Raum von 60 Seiten gewidmet findet, erregt ja eine 
gewisse mit Erstaunen gemischte Neugierde. Doch findet man in 
diesem Kapitel ebenso wenig wie in irgend einem der folgenden eine 
vollständig orientirende, von wissenschaftlichem Denken zeugende 
Uebersicht über den Standpunkt der Kellgren'schen Schule bezüg¬ 
lich dieser Krankheiten und ihrer Behandlung. Das Ganze ist auf 
zwei Seiten beschränkt, auf welchen der Verfasser nichts anderes 
hat finden können, als eine sehr knapp gehaltene Darstellung der 
Behandlung einer mit Fieber verlaufenden Infection, wonach Gyriax 
beschreibt, wie dieses erwünschte Ziel erreicht werden kann. Als 
eine Beleuchtung der ganzen Behandlung sei hier folgendes an¬ 
geführt (S. 252): 

„This is effected by means of the so-called“ general treatment 
for fever, which is executed so as to: 

1. Diminish cerebral excitement; 

2. Stimulate the nervous System as a whole; 

3. Quiet the circulatory disturbances; 

4. Stimulate the Organs that bring nutrient matter to the 
body; 

5. Stimulate the assimilatory Organs; 

6. Stimulate the excretory Organs; 

7. Stimulate the spieen. 

This so-called „general treatment for fever“ comprises: 

1. Head exercise; 

2. Spinal nerve frictions, especially cervical; 

3. Heart Vibration or shaking; 

4. Side shaking and inducing the patient to take a few deep 
respirations; 

5. Stomach exercise; 

6. Kidney Vibration or friction; 

7. Spleen Vibration or friction; 

8. Vibration or skaking over the bladder (usually). 


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Patiik Haglund. 


In der oben angeführten schematischen Darstellung liegt die 
ganze Kellgren’sche Weise in therapeutischen Fragen zu räson- 
niren; etwas ausser diesem — der Verfasser möchte sagen — „Spiele 
mit Wörtern“ findet man nichts. Alle Organe können unter allen 
Verhältnissen beeinflusst (zuweilen stimulirt, zuweilen beruhigt) wer¬ 
den, und dieses mit, im Verhältniss zu den subtilen Lebensprocessen, 
sehr groben mechanischen Hilfsmitteln, währenddem keine anderen 
Mittel, auch nicht hygienische und diätetische Vorschriften, nach 
Cyriax (S. 252) diese Organe erwähnenswerth beeinflussen können. 
Es ist ja sowohl erstaunend als entmuthigend, in einer medicini- 
schen (?) Arbeit dieses rein symptomatische Denken und diese Be¬ 
handlungsweise in den feinsten Details und bis zu den äussersten 
Consequenzen durchgeführt zu finden. 

Der Symptomcomplex „Fieber“ wird fast überall als eine con- 
crete handgreifliche, immer mit denselben Mitteln zu bekämpfende 
Krankheitsursache betrachtet, welche immer als etwas nicht nur von 
seinen vielen verschiedenen Ursachen, sondern auch von allen anderen 
gleichzeitigen Symptomen Isolirtes angesehen werden muss; in jedem 
Falle kann er mit „general treatment for fever“ bekämpft werden. 
Dieselbe Anschauungsweise, die uns nunmehr nur in den Heilmittel¬ 
anzeigen der Kurpfuscher begegnet! Wie würde es uns jetzt Vor¬ 
kommen, wenn ein Arzt bei einer acuten Fieberkrankheit zu dem 
Urtheil käme: „Dies ist Fieber, das muss mit Chinin bekämpft 
werden“ ? Die Situation wird wohl nicht weniger bedauernswerth, 
wenn man anstatt Chinin das Arcanum „general treatment for fever“ 
wählt. Der Verfasser muss jedoch diese Einleitung, die für die 
folgenden, als auch für die Weise Cyriax's, seine Fälle zu beur- 
theilen, ganz bezeichnend ist, verlassen, um einige Worte von den 
Krankheitsfällen zu sagen, welche wir in den verschiedenen Kapiteln 
erwähnt finden. 

Unter den acuten Infectionskrankheiten finden wir Typhoid¬ 
fieber (1 Fall, die Diagnose unsicher ^)), Keuchhusten (1 Fall), Masern 

*) Diese Behauptung scheint kühn, da Cyriax nach seiner eigenen An¬ 
gabe Bacillen aus Fäces reincultivirt hat mit den Eigenschaften, welche den 
Typhoidfieberbacillus, aber nicht Bacterium coli commune charakterisiren. 
Widal's Reaction wird dagegen nicht erwähnt. Hat Cyriax wirklich bei 
San na Gelegenheit gehabt, die ausserordentlich schweren biologischen Reac- 
tionen zu machen, die erforderlich sind, um mit Sicherheit die beiden, so ähn¬ 
lichen Bacillenarten von einander zu unterscheiden? Es scheint dem Verfasser 
fast unmöglich. 


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Henrik Eellgren’s manuelle Behandlungsmethode. 


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(2 Fälle), Scarlatina (13 Fälle), Parotitis epidemica (1 Fall), Diph¬ 
therie (1 Fall), Erysipelas (l Fall), epidemische Cerebrospinal- 
meningitis (1 Fall), rheumatisches Fieber und Erythema (1 Fall), 
Erythema nodosum (I Fall). 

Zu dieser Gruppe müssen auch 1 Fall von Typhoidfieber mit 
todtlichem Ausgang und ein ebenfalls tödtlich verlaufender Fall von 
Diphtherie gerechnet werden, welche in einem «Appendix*^ (S. 482 
bis 483) unvollständig beschrieben werden. Bei einem sorgfältigen 
Studium dieser Krankengeschichten hat der Verfasser keine einzige 
Thatsache finden können, darauf hindeutend, dass die Kellgren- 
sche Behandlung den acuten Infectionskrankheiten einen rascheren 
oder günstigeren Verlauf gäbe, als sie gewöhnlicherweise haben. 
Man könnte glauben, dass das in dem vorigen Theile beschriebene, 
detaillirte und specialisirte System von Bewegungen und Handgriffen 
in Praxis zu einer, in einer vortheilhaften Weise individualisirten 
Behandlung jedes Falles führen würde; statt dem findet man die 
stereotypste Behandlung der Fälle, insofern man nämlich von Cyriax's 
Darstellung derselben urtheilen kann. So wenig Individualisirung 
begegnet uns in der Behandlung dieser verschiedenen Krankheiten. 
Doch es muss ja so werden, da in dem acuten Stadium jeder In- 
fectionskrankheit „general treatment for fever* das Behandlungs¬ 
bild beherrscht! 

Die Behandlung der Scarlatinapatienten erhält ein besonderes 
Interesse dadurch, dass diese, wie die meisten von den Fällen Cyriax’s, 
nicht in England, sondern in Schweden behandelt worden sind, 
nämlich in der Nähe von Sanna, nicht weit von Jönköping. 
Cyriax scheint daselbst eine bedeutende ärztliche Praxis zu be¬ 
treiben, sich wahrscheinlich dabei auf seine Legitimation als Gym- 
nastikdirector stützend; zur Ausübung ärztlicher Praxis in Schwe¬ 
den wird wohl Cyriax keine Legitimation besitzen. Es scheint 
wohl jedem, als ob die Legitimation zum Ausüben der Heilgym¬ 
nastik, welche der schwedische Staat durch sein Medicinalcollegium 
ertheilt, nur eine Erlaubniss für den Betreffenden wäre, heilgym¬ 
nastische Praxis innerhalb der Grenzen auszuüben, innerhalb welcher 
G.C.I. und nunmehr auch Dr. Arvedsson’s Institute künftigen 
Gymnastikdirectoren Unterricht in Heilgymnastik und Massage er- 
theilen. Cyriax oder andere ausländische Aerzte mitGymnastikdirector- 
Legitimation in Schweden können wohl deshalb kaum das Recht 
haben, in diesem Lande ärztliche Praxis zu betreiben, weil sie mög- 


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Patrik Haglund. 


licherweise — gegen die überall gewöhnliche und von dem schwedi« 
sehen Staate durch seine Organe festgestellte Auffassung — der 
Meinung sind, dass alle Krankheiten innerhalb des Gebietes der 
heilgymnastischen Behandlung fallen. Es ist wichtig, dieses her¬ 
vorzuheben, da eine solche Praxis dem Publikum, welches der Staat 
durch seine Organe schützen will, sehr gefährlich sein kann; man 
bedenke nur, wenn ein Heilgymnast nach dem anderen ärztliche 
Praxis im weitesten Sinne auszuüben begönne, sich auf die Legiti¬ 
mation des schwedischen Medicinalcollegiums und das Beispiel von 
Dr. Cyriax stützend!^) Besonders, wenn es sich um Epidemien handelt, 
kann die Gefahr sehr gross werden. Cyriax berichtet (S. 265) über 
eine Scarlatinaepidemie, die in der Nähe von Sanna im Frühling 
1902 ausbrach; er beklagt sich über seine Schwierigkeiten infolge 
der Verbreitung der Epidemie, und wie seine Bemühungen, dieselbe 
zu begrenzen, nicht immer erfolgreich waren. Man hätte erwarten 
können, dass Cyriax vor diesen Schwierigkeiten seine moralische 
Pflicht eingehalten hätte, die Anmeldungsschuldigkeit zu erfüllen, 
welche der schwedische Staat allen prakticirenden Aerzten betreffs 
gewisser epidemischer Krankheiten auferlegt hat. Hätte Cyriax 
dieses gethan, dann hätte er ohne Zweifel Beistand beim Bekämpfen 
dieser oben genannten Schwierigkeiten seitens des betreffenden Kreis¬ 
arztes und CommunalVorsitzenden erhalten. Ein solches Verfahren 
wird jedoch nirgends erwähnt. Die Verhältnisse, die durch ein solches 
Vorgehen eines ausländischen Arztes entstehen können, können 
also dem Publikum eine grosse Gefahr werden, welche nicht auf das 
Risiko des Einzelnen beschränkt ist. 

Uebrigens bieten Cyriax's Scarlatinafälle wenig von Interesse; 
sie scheinen wie viele andere verlaufen zu sein. Man hegt wohl 
zuweilen beim Durchlesen dieser Krankengeschichten den subjectiven 
Verdacht, dass die Patienten mehr Ruhe gehabt hätten unter ge¬ 
wöhnlicher oder ganz ohne Behandlung; in dem acuten Stadium 
täglich drei manuellen, ziemlich beschwerlichen Behandlungen unter¬ 
worfen zu werden, muss dem Patienten sehr unangenehm sein. 
Kellgren und seine Schüler messen jedoch dieser Behandlung als 
linderndem Mittel grosse Bedeutung bei; irgendwelche andere Mittel, 
die in acuten Fieberkrankheiten dem Patienten Linderung bereiten 


*) Nachdem dieses gedruckt worden ist, hat Verfasser erfahren, dass 
Dr. Cyriax nicht einmal Legitimation als Heilgymnast in Schweden besitzt. 


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Henrik Kellgren's manuelle Behandlungsmethode. 


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können (Hydrotherapie u. a.), und welche auch „Stimulation“ ver¬ 
ursachen, kennen oder anerkennen sie nicht. Diesen Mitteln dürfte 
wohl doch ein gewisser Werth zuerkannt werden; vor allem sollte 
die Schule Kellgren's einsehen, dass es jedoch — auch voraus¬ 
gesetzt, dass diese Eellgren'sche Fieberbehandlung einigermassen 
von Werth ist — nicht binnen bestimmter Zeit möglich ist, allen 
Patienten diese sehr theure Behandlung zu verschaffen. 

Von den Krankheiten der Respirationsorgane finden wir: Acute, 
croupöse Pneumonie (1 Fall), acute Bronchitis (1 Fall), acute Pleu¬ 
ritis (1 Fall), chronische Pleuritis (4 Fälle). 

Von der energischen gymnastischen Therapie auch für die 
acuten Fälle abgesehen, begegnet uns in diesem Kapitel nichts von 
Werth, welches nicht schon in die medicinische Therapie völlig ein¬ 
gearbeitet ist. Ein Umstand bei diesen Krankengeschichten ist jedoch 
zu bemerken. Unter den 4 Fällen von „chronischer Pleuritis* waren 
bei zwei gymnastische Behandlung von einem Arzte vorgeschrieben, 
und ein dritter war schon vor der Behandlung Cyriax's gymnastischer 
Behandlung während 2 Monate unterworfen worden. Von diesen 
3 Fällen ist der eine von besonderem Interesse (Fall I, S. 323). Ein 
Dienstmädchen war wegen einer exsudativen Pleuritis an das Kranken¬ 
haus in Jönköping verwiesen und daselbst während einiger Zeit 
gepflegt worden, wonach sie gebessert mit der Ordination entlassen 
wurde, sich gymnastische Nachbehandlung zu verschaffen. Hätte 
Gyriax sich nicht hüten sollen, wegen der Thatsache, dass ein Kranken¬ 
hausarzt einen wahrscheinlich mittellosen Patienten ermahnt, nach einer 
überstandenen Pleuritis sich heilgymnastisch behandeln zu lassen, 
kritiklos von den schwedischen Aerzten zu behaupten, dass die 
Majorität von ihnen so gut wie nichts von der Heilgymnastik kenne ? 
Betreffs der acuten Lungenkrankheiten sei hier eine Reflexion aus¬ 
gesprochen, welche der Leser Veranlassung hier und da beim Durch¬ 
lesen des Buches zu machen hat, welche sich ihm aber hier be¬ 
sonders kräftig aufdrängt. Wie seiner Zeit Branting, so behandeln 
auch Cyriax u. A. acute Pneumonie „successfully“ mit gymnastischen 
Methoden. Was wird damit gemeint, eine acute Pneumonie „success- 
fully* zu behandeln? Dass eine acute Pneumonie nach einiger Zeit 
in Heilung übergeht, kann wohl Cyriax nicht naiv genug sein, als 
einen besonders merkwürdigen Erfolg zu betrachten. Hier, wie 
überall, vermisst der Leser jeden Versuch zur Motivirung dieser 
kategorischen Behauptungen; eine Andeutung, auf welchen factischen 


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Patrik Haglund. 


reellen Grund die üeberzeugung von Kellgren u. A. sich stützt, 
dass ihre Behandlungsmethode die ganze Medicin revoltiren wird, 
findet der Leser selten. Sogar die sehr seltenen, einzelnen Ver¬ 
suche, auf offenbare Resultate der einzelnen Behandlungen hin¬ 
zuweisen, sind wenig auf klärend. So wird wohl kaum der Leser 
bei Betrachtung der zum 4. Falle von chronischer Pleuritis mit 
Skoliose und Thoraxretraction beigefügten Textfiguren (S. 330 und 332) 
etwas von der grossen Besserung, welche der Text beschreibt, finden 
können. Zu dieser Abtheilung gehören auch zwei im »Appendix“ 
(S. 483) mitgetheilte, tödtlich verlaufende Fälle von Bronchopneumonie; 
die Notizen über diese Patienten sind allerdings so unvollständig, 
dass sie sich jeder Kritik entziehen. Nicht einmal Alter oder Be¬ 
handlungsweise wird angegeben, es scheint, als handle es sich um 
Kinder. 

In dem Kapitel von den Krankheiten der Verdauungsorgane 
findet der Leser: Acute membranöse Tonsillitis (1 Fall), acute katar¬ 
rhalische Appendicitis (2 Fälle), »acute rapidly extending Peritonitis* 
(1 Fall), acute Gastroenteritis (1 Fall), acute Enteritis (1 Fall), 
chronische Appendicitis (1 Fall), Obstipatio (1 Fall), chronische 
Enteritis (1 Fall), Diarrhoe (1 Fall). Von der unerhörten Kühnheit 
abgesehen, mit welcher Cyriax sich an die Behandlung von sogar 
ziemlich drohenden Fällen macht, findet man in diesen Kranken¬ 
geschichten nichts von medicinischem Interesse. Der Arzt, welcher 
ja allzuoft vor Krankheitsfällen unsicher und fragend steht, und nicht 
immer überzeugt ist, dass er den richtigsten Weg für sein Vorgehen 
findet, muss beim Studium des Buches Cyriax's gar oft über die 
Ruhe und Sicherheit, mit welcher dieser junge Edinburger Arzt auch 
vor recht schweren Appendicitiden und dergleichen steht, erstaunen. 
Es muss unermesslich glücklich sein, nie angesichts eines Krank¬ 
heitsfalles zögern zu müssen, sondern immer eine sichere Gewissheit 
zu haben, dass man recht handelt. Wenn man nur eine einzige 
Behandlungsmethode kennt oder anerkennt, und überzeugt ist, dass 
alle Krankheitsfälle sofort behandelt werden sollen, wird der Beruf 
des Arztes nicht sehr belästigend! In dem Nachtrag werden weiter 
zwei zu dieser Abtheilung gehörende Fälle von wahrer Peritonitis 
(der oben erwähnte Fall war unsicher) mit tödtlichem Ausgang mit- 
getheilt. Cyriax scheint in beiden Fällen erst kurz vor dem Tode 
herbeigerufen worden zu sein; nichtsdestoweniger hat er mit der 
Behandlung begonnen; in dem einen Falle 3mal während des letzten 


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Henrik Kellgren's manuelle Behandlungsmethode. 


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Tages des Patienten, in dem andern 2mal. Cyriax scheint sogar 
zu bedauern, dass man unterliess, ihn vor dem Tode des Patienten 
noch einmal herbeizuholen!! 

In dem Kapitel VI finden wir die Herzkrankheiten, Dieses 
Kapitel ist das einzige von grösserem medicinischem Interesse, und 
zwar aus dem Grunde, weil die Krankengeschichten in dieser Ab¬ 
theilung besser sind. Als Einleitung findet man eine ziemlich kurze, 
aber doch einigermassen wissenschaftliche Darstellung von der Be¬ 
deutung der Heilgymnastik für die Circulationsstörungen. Der Ver¬ 
fasser ist jedoch der Ansicht, dass diese Abtheilung noch besser und 
vollständiger hätte werden könneü, wenn Cyriax nicht nur die ältere 
gymnastische Literatur, sondern auch die grosse medicinische Literatur 
der letzten Jahre bezüglich dieser Fragen benutzt hätte. Im Ver¬ 
gleich mit den vielen Darstellungen der Fachliteratur in diesen 
Fragen ist die von Cyriax ziemlich unbedeutend; im Vergleich mit 
verschiedenen von den anderen Kapiteln des Buches Cyriax's steht 
sie jedoch sehr hoch, vor allem dadurch, dass sie nicht von diesen 
nichtssagenden Gymnastausdrücken so erfüllt ist (stimulate the kid- 
neys, the spieen“ u. s. w.), welche hier und da das Buch ganz un- 
geniessbar machen. Von einem gewissen Interesse sind auch die 
sphygmographiseben Curven, aus welchen jedoch aus verschiedenen 
Gründen keine Schlusssätze in weiterem Maasse gezogen werden 
können. 

Unter den Krankheiten des Blutes und der Lymphwege be¬ 
gegnen uns: Chlorosis (1 Fall), Lymphangitis (5 Fälle), Morbus 
Basedowii (1 Fall). Dass Kellgren und seine Schule nicht das ge¬ 
ringste Bedenken haben, sogar recht schwere Lymphangitiden u. dergl. 
manuell zu behandeln, ist ja nicht erstaunend; sie haben ja eine 
sichere Gewissheit, dass sie mit ihren auf die Haut placirten Fingern 
Bacterien und Toxinkörper irgendwohin locken können; mit diesem 
Glauben als Ausgangspunkt ist ja die genannte Behandlung (S. 382) 
dieser scheinbar sehr gutartigen Fälle ganz rationell. Jedem, welcher 
sich von den alltäglichsten Erscheinungen von der Absurdität eines 
solchen Glaubens hat überzeugen lassen, scheint dieselbe dagegen 
nicht ganz gefahrlos. 

Auch das Kapitel VIII (die Krankheiten des Nervensystems) 
ist von einem gewissen Interesse durch eine grosse Menge Kranken¬ 
geschichten, welche unzweideutig zeigen, wie weit man in gewissen 
Fällen durch Geduld und energische Gymnastikbehandlung kommen 


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Patrik Haglund. 


kann, welche aber auch zeigen, wie viel Zeit, Kraft und Kosten für 
den Patienten von Fanatikern auch in solchen Fällen verschwendet 
werden können, bei welchen von Anfang an ein schlechtes Resultat 
hätte vorausgesehen werden können. Dass in jedem Falle, auch von 
den schwierigsten und unheilbarsten organischen Gehimkrankheiten, 
Epilepsie u. s. w., der Patient in irgend einer Beziehung eine Besse¬ 
rung von einer fortdauernden Behandlung erfahren wird, ist ja natür¬ 
lich; dieser Umstand erklärt die Angabe Cyriax's, dass er nur in 
2 Fällen vergebens gearbeitet habe, ln diesem Kapitel findet der 
Leser nämlich einen ersten Versuch zu statistischer Beleuchtung von 
Gyriax’s Behandlungsresultaten. Ein Blick auf die zu diesem Zwecke 
mitgetheilte Tabelle (S. 896) zeigt dem Leser, dass aus derselben 
durchaus keine Schlusssätze gezogen werden können, welche die ge¬ 
ringste Stütze geben zu den kategorischen und stolzen Behauptungen 
Cyriax's von den Resultaten Kellgren’s und seiner Schüler. Das 
Kapitel von den Nervenkrankheiten kann jedoch eines Studiums 
werth sein für den, welcher nicht schon von der Bedeutung gewöhn¬ 
licher Heilgymnastik für die Therapie bei verschiedenen organischen 
und functioneilen Nervenkrankheiten völlig überzeugt ist; unter 
Aerzten wird Cyriax Niemand finden, welcher diese üeberzeugung 
nicht besitzt. 

Im Kapitel IX (die Krankheiten der Locomotionsorgane) findet 
der Leser: chronischer Rheumatismus (2 Fälle), Lumbago (3 Fälle), 
Gastrocnemiusruptur (1 Fall), chronische Synovitis im Kniegelenk 
(1 Fall) und Dislocation von Humerus (2 Fälle), ausser welchen 
Cyriax zu den Krankheiten der Locomotionsorgane auch einen Fall 
von Abscess im Antrum Highmori rechnet. (Cyriax's Classification 
der Krankheiten ist zuweilen sehr sonderbar!) Nach diesem kurzen, 
ganz und gar interesselosen Kapitel bespricht Cyriax im Kapitel X 
(die Krankheiten der Urogenitalsphäre u. a.) einen Fall von „sudden 
incontinence of the bladder“, einen Fall von Menorrhagie, einen Fall 
von Mammarabscess und einen normalen Entbindungsfall, hei welchem 
Cyriax durch Reibungen über Sacralnerven und Lumbalregion, und 
durch Vibration über Sutura coronalis der Kreissenden Linderung 
von den Geburtswehen verschaflFte, „ihr Energie gab und ihr beim 
Austreiben des Kindes behilflich war“; auf Partus folgte „sacral 
nerve and uterine frictions and stomach exercise“ (S. 477). 

Noch ist zu erwähnen eine von Cyriax beigefügte Tabelle 
über alle von ihm behandelten „Fälle von specifischen Infections- 


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Henrik Kellgren's manuelle Behandlungsmethode. 


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krankheiten und andere schwere acute Fälle, von Fieber und Con¬ 
stitutionsstörungen gefolgt, in welchen die Diagnose ganz sicher 
war* (S. 478). In dieser Tabelle finden wir die meisten, wenn nicht 
alle, von den in dem Vorhergehenden beschriebenen acuten Fällen; 
ausserdem einige (13 Fälle) von Angina tonsillaris, bezüglich welcher 
Gyriax bemerkt, dass in keinem Falle Abscess folgte (!) und einige 
einzelne Fälle verschiedener Krankheiten. Es dürfte hier erwähnt 
werden, dass Cyriax durch seine Krankengeschichten nicht immer 
dem Leser seine Auffassung bezüglich der „absolut sicheren Diagnose* 
beibringen kann. Dass man von der betreffenden Tabelle eben¬ 
sowenig als von den vorhergehenden Krankengeschichten durchaus 
keine Auffassung der Art erhalten kann, dass Cyriax’s Resultate sich 
von dem gewöhnlichen Verlauf dieser Krankheiten unter gewöhn¬ 
licher medicinischer (also auch Oymnastikbehandlung beherrschender) 
Therapie offenbar unterscheiden, zeigt der erste Blick auf dieselbe. 

Das mühsame Durchgehen der Arbeit Cyriax’s ist somit be¬ 
endigt; dem Verfasser ist das Resultat desselben sehr entmuthigend 
gewesen; er hätte doch gehofft, irgend etwas von besonderem In¬ 
teresse in dieser Kellgren’schen Methode zu finden, die so viel be¬ 
sprochen und in der letzten Zeit auch von graduirten Aerzten ausgeübt 
wird. Vielleicht wird es einmal leichter werden, vom medicinischen 
Gesichtspunkte aus diese Vermehrung des gymnastischen Bewegungs- 
vorrathes zu schätzen, welche die Kellgren’sche locale und allgemeine 
Nervenbehandlung möglicherweise enthält, wenn diese gymnastische 
Therapieform einmal die wirklich medicinische und wissenschaftliche 
Beleuchtung erhält, die ihr jetzt leider, dem Cyriax'schen Werke 
zum Trotz, zum grössten Theil mangelt. — Unter solchen Verhält¬ 
nissen wäre es dem Verfasser lieber gewesen, das Werk ganz seinem 
Schicksale zu überlassen; es wird jedenfalls die befestigte Auffassung 
unserer Aerzte durchaus nicht beeinflussen, welche dieselben vom 
Werthe und der Unentbehrlichkeit der Heilgymnastik und Massage 
für unsere jetzige medicinische Therapie haben. Ein Grund, welcher 
dem Verfasser sehr schwerwiegend schien, hat ihn jedoch dazu be¬ 
wogen, das Resultat dieser Prüfung zu veröffentlichen. Wir wissen — 
und Cyriax’s Literaturangaben bestätigen in einer auffallenden Weise 
dasselbe —, dass die älteren schwedischen Heilgymnasten fast alle 
Krankheiten mit Gymnastik behandelten und somit ein in gewissen 
Beziehungen geniales gymnastisches System auf das Niveau jedes 
Kurpfuscherarcanum brachten. Durch eine energische Arbeit von 


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48 Patrik Haglund. Henrik Kellgren's manuelle Behandlungsmethode. 

für die Gymnastik interessirten Aerzten und hochgebildeten Gym- 
nasten — vielleicht vor allem durch die Thätigkeit von A. Wide 
und J. Arvedsson u. A.— hat man hier in Schweden die schlimmsten 
von den vielen pathologischen Auswüchsen der heilgymnastischen 
Behandlungsmethode, die in dieser Weise entstanden, beseitigt. Jetzt 
kommt, hinter einem medicinischen Grade versteckt, ein Gymnastik¬ 
phantast und gibt ein grosses Buch, mit prachtvoller Ausstattung 
und verführerischem Titelblatt versehen, heraus, dessen Ziel von der 
ersten bis zu der letzten Seite ist, die schwedische Gymnastik zu 
dem niedrigen Standpunkte zurückzuführen, von welchem wir uns 
zu erheben erfolgreich versucht haben. Wie wird wohl beim Studium 
dieser scheinbar medicinischen Darstellung der nicht medicinisch 
gebildete Gymnast sich gegen die Versuchung wehren können, dem 
verwerflichen Beispiele von Kellgren und seinen Schülern zu folgen? 
Hierin liegt eine grosse Gefahr für unsere schwedische Heilgymnastik 
und für das ganze hilfesuchende Publikum. Könnte vorliegende 
Kritik die Aufmerksamkeit der Aerzte und intelligenten Gymnasten 
auf diese Gefahr lenken, so wäre die Mühe nicht umsonst gewesen. 


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VI. 


(Aus der chirurgisch-orthopädischen Klinik 
des Herrn Geh. Medicinalraths Prof. Dr. A. Hoffa.) 

Beitrag zur Fagefschen Enochenkrankheit. 

Von 

Dr. Gastar Albert Wollenberg, Assistenzarzt. 

Mit 8 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Die zuerst von Sir James Paget im Jahre 1876 unter dem 
Namen «a form of chronic inflammation of bones (osteitis deformans)** 
als typische Krankheit beschriebene und daher nach ihm benannte 
Erkrankung des Skelets, die PagePsche Krankheit oder Osteo- 
malacia chronica deformans hypertrophica bietet in ihrer 
Klinik so viel des Interessanten, in ihrer Aetiologie so viel des Un¬ 
aufgeklärten, in ihrer Therapie bisher so wenig Anhaltspunkte, dass 
es von grösster Wichtigkeit ist, jeden einschlägigen Fall dieser immer¬ 
hin ziemlich seltenen Erkrankung zu veröffentlichen. 

Bevor wir unsere eigenen Beobachtungen beschreiben, wollen 
wir kurz das Bild der Paget'schen Knochenkrankheit entwerfen, 
soweit die Literatur hierüber Aufschluss gibt. 

Die Erkrankung befällt nur Erwachsene und tritt meist um 
das fünfte Decennium ein; jedoch sind auch Fälle etwas früherer, 
häufig auch späterer Erkrankung bekannt. 

In der Regel werden von den langen Röhrenknochen zuerst 
und am häufigsten die unteren Extremitäten ergriffen, weiter die 
Schlüsselbeine. Es erkranken an den langen Röhrenknochen haupt¬ 
sächlich die Diaphysen. Von den platten und kurzen Knochen 
wird zunächst das Schädeldach, dann die Rippen und die Wirbel¬ 
säule in den Krankheitsprocess einbezogen. 

Bevor irgend welche Knochenveränderungen eingetreten sind, 
hat sich die Krankheit in der Regel durch ziehende, „rheumatische“ 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XIII. Bd. 4 


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Gustav Albert Wollenberg. 


Schmerzen documentirt. Auch Kopfschmerzen und Schwindelanfalle 
werden nicht selten beobachtet. 

Die Schmerzen, welche oft besonders des Abends eintreten, 
pflegen mit zunehmender Deformirung der Knochen gewöhnlich etwas 
nachzulassen. 

Joncheray unterscheidet von dieser häuflgeren schmerzhaften 
Form der Ostitis deformans eine schmerzlose, welche zuerst die oberen 
Extremitäten befallen und bei Frauen öfters Vorkommen soll, als 
bei Männern. 

Von weiteren nervösen Symptomen der Krankheit ist wenig 
zu berichten; da die Schädelbasis stets frei bleibt von der Erkran¬ 
kung, pflegen sich Complicationeu von Seiten der Hirnnerven nicht 
einzustellen. 

Die Reflexe bleiben hormal. 

Die elektrische Untersuchung der Musculatur und der Nerven 
ergibt meist keine wesentlichen Abweichungen von der Norm. Die 
Intelligenz ist fast immer intact; man hat zuweilen Qedächtniss- 
schwäche eintreten sehen, aber abgesehen davon ist gerade im Gegen¬ 
sätze zu den überaus hochgradigen Veränderungen im Habitus der 
Patienten, welche denselben auf dem Höhepunkt der Krankheit etwas 
Afienähnliches verleihen, die vollkommen ungestörte Intelligenz höchst 
charakteristisch. 

Auch das gute Allgemeinbeflnden der Patienten steht in auf¬ 
fälligem Gegensatz zu den schweren Deformationen. 

Ehe wir nun auf das Gesammtbild des von der Paget’schen 
Krankheit Befallenen eingehen, wollen wir die Veränderungen seiner 
einzelnen Körpertheile in der Reihenfolge, in welcher dieselben auf¬ 
zutreten pflegen, betrachten. Hierbei sei gleich hervorgehoben, dass diese 
Reihenfolge durchaus nicht constant ist; wie auch unsere Kranken¬ 
geschichten beweisen, herrscht vielmehr in dieser Beziehung die 
grösste Mannigfaltigkeit. 

Wie erwähnt, erkranken zuerst die unteren Extremitäten, und 
zwar meist die eine Tibia. Es folgt dann bald die andere, dann 
die Fibulae und die Feraora. Die Kniee stehen meist weit aus 
einander, die Unterschenkel sind verkrümmt, und zwar so, dass die 
Convexität nach vorne und aussen gerichtet ist. Die Knöchel be¬ 
rühren sich. Betastet man die Knochen, so fühlt man auf der Tibia 
mehr oder weniger feine Rauhigkeiten; diese können jedoch auch 


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Beitrag zur Paget'schen Knochenkrankheit. 


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grösser sein und bis erbsengrosse Vorsprünge bilden. Die Crista 
tibiae ist nicht mehr scharf, sondern stumpf und abgerundet. 

Sind die Fibulae mit ergrifEen, so kann man ihre Enden als 
stark verdickte Knochen durchfühlen. 

Die Kniescheiben sind zuweilen im ganzen vergrössert, meist 
aber in ihrer Form unverändert. 

Im Gegensätze zur Tibia pflegt das Femur keine distincte 
Rauhigkeiten darzubieten, sondern eine glatte Oberfläche; es ist stark 
und gleichmässig verkrümmt. Die Trochanteren springen als ver¬ 
dickte Knochenmasseu vor. 

Das Kniegelenk kann ganz intact bleiben. Häuflg aber findet 
man starke und schmerzhafte Bewegungsbeschränkung desselben, 
was jedoch nicht auf die Paget’sche Erkrankung, sondern auf eine 
gleichzeitig bestehende Arthritis deformans zurückzuführen ist. 

Die Haut der Beine zeigt meist höchst charakteristische Ver¬ 
änderungen, die in Verdünnung, inselförmiger Pigmentirung, starker 
Entwickelung der Venennetze, Ulcerationen und Narbenbildungen 
bestehen. In einzelnen Fällen war die Haut verdickt und prall¬ 
elastisch (Messerschmied). 

Nächst der unteren Extremität wird meist das Schlüssel¬ 
bein ergriffen. Die Veränderungen bestehen hier ebenfalls in 
mehr oder minder starken Verdickungen, Verbreiterungen und Ver¬ 
krümmungen. 

Die Erkrankung des Schädels ist eine höchst charakte¬ 
ristische: Die Knochen des Schädeldaches hypertrophiren, und zwar 
meist asymmetrisch; dabei bleiben die Knochen glatt, zeigen höchstens 
kleine Unebenheiten. Durch die Hypertrophie der einzelnen Knochen 
erscheint die Stirn verbreitert und gewölbt, die Schläfengruben ver¬ 
streichen, die Orbitalränder werden verdickt, die Scheitelbeine springen, 
vergrössert, excentrisch vor; ebenso die Hinterhauptsschuppe. Die 
Schädelbasis bleibt, wie bereits erwähnt, meist unverändert. Ge¬ 
wöhnlich besteht Kahlköpfigkeit. 

In einem von Paget geschilderten Falle bemerkte der Patient 
das allmähliche Hypertrophiren seiner Schädelknochen, bevor grobe 
Veränderungen wahrnehmbar waren, dadurch, dass ihm seine Hüte 
zu eng wurden, so dass er sich allmählich immer weitere Hüte an- 
schaffen musste. 

Die Rippen werden verdickt, ihre Beweglichkeit wird ein¬ 
geschränkt, wodurch die thoracale Athmung wesentlich leidet. Die 


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Gustav Albert Wollenberg. 


Intercostalräume werden verengt. Der Thorax nimmt meist eine 
fassförmige, zuweilen eine seitlich abgeplattete Form an. 

An der Wirbelsäule zeigt sich die Erkrankung durch die 
Entstehung einer gleichmässigen Kyphose; dadurch wird der ganze 
Rumpf nach vorne geschoben. Oft zeigen sich Verdickungen der 
Processus spinosi. 

Dies sind im wesentlichen die typischen Erkrankungen der 
Knochen, die natürlich je nach dem Stadium der Krankheit und nach 
der Art des Einzelfalles variiren können. Die weiteren Skeletver¬ 
änderungen sind viel inconstanter, jedoch wollen wir kurz auf sie 
eingehen: Die Knochen der Hände und Füsse sind fast immer 
unverändert; nur hin und wieder findet sich Hypertrophie der 
Metatarsalknochen oder der Fingergelenke. Die Zehennägel zeigen 
öfters trophische Störungen. 

Radius und Ulna sind, wenn sie mit ergriffen sind, meist 
auf die Fläche gekrümmt, zuweilen auch S-förmig gebogen; dadurch 
wird die Pro- und Supination eingeschränkt. 

Der Humerus pflegt, wenn er in den Erkrankungsprocess 
einbezogen ist, eine Verkrümmung mit der Convexität nach aussen 
darzubieten. 

Die Scapulae zeigen nur zuweilen Verdickungen der Spinae. 

Das Becken pflegt wenig Veränderungen darzubieten; zu¬ 
weilen finden sich Verdickungen der Cristae iliacae. Nur selten 
trifft man die charakteristische Form des osteomalacischen Beckens. 

Am Gesichtsschädel können sich geringe Verdickungen 
der Oberkieferknochen oder des Unterkiefers, im Vereine mit un¬ 
regelmässigen Verkrümmungen, einstellen. 

Wenn wir uns diese, theilweise so schweren Deformationen der 
Knochen vergegenwärtigen, so erhellt, dass auch die äussere Er¬ 
scheinung des Patienten, ebenso wie die Functionen seiner 
Körpertheile, auf dem Höhepunkte der Krankheit schwere Ver¬ 
änderungen zeigen: 

Die Verminderung der Körperlänge durch die Verbiegungen 
der unteren Extremitäten sowie durch das Einsinken der Wirbel¬ 
säule lässt die Arme ungewöhnlich lang erscheinen. Die auswärts 
rotirten, im Knie gewöhnlich etwas flectirten Beine, welche nur 
zögernd dahinschreiten, legen im Verein mit dem vorgebeugten, de- 
formirten Kopf den Vergleich dieser unglücklichen Patienten mit 


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Beitrag zur Paget'schen Knocbenkrankheit. 


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anthropomorphen Affen nahe, wie dies schon Paget in seiner ersten 
Veröffentlichung hervorhebt. 

Die Function der erkrankten Knochen pflegt erheblich ge¬ 
stört zu sein. Dies rührt einmal her von den Verbiegungen und Ver¬ 
dickungen der Knochen, weiter von dem erhöhten Gewicht derselben, 
schliesslich aber von der begleitenden Erkrankung der Musculatur, 
welche vorwiegend in einer Atrophie besteht. 

Es kann jedoch auch bisweilen die Function der Extremitäten 
eine ganz gute sein (Paget). 

Dass die thoracale Athmung durch die Deformirung der 
Rippen gestört oder sogar ganz verhindert sein kann, erwähnten wir 
bereits. In letzterem Falle pflegt der Athemtypus ein rein dia- 
phragmaler zu sein. 

Was den Gang der Patienten betrifft, so ist derselbe zu An¬ 
fang bei einseitiger Erkrankung hinkend, bis dann auch das andere 
Bein denselben Grad der Deformirung erreicht hat. Auf dem Höhe¬ 
punkt der Krankheit ist dann der Gang schleppend. 

Die Pro- und Supinationsstörungen der Vorderarme wurden 
oben erwähnt. 

Der Verlauf der Paget'schen Krankheit ist ein eminent 
chronischer; er kann sich durch Jahrzehnte hinziehen, und fast nie 
ist die eigentliche Knochenerkrankung die unmittelbare Todesursache. 
Meist erfolgt der Tod durch eine andere hinzukommende Krankheit. 
Es ist klar, dass die mangelhafte Athemthätigkeit leicht zu Erkran¬ 
kungen der Respirationsorgane führt, zu Emphysem und chronischer 
Bronchitis. Auch chronische Nieren- sowie Circulationserkrankungen 
(Atheromatose) sind nicht selten. Ein besonderes Interesse gewinnt 
die Paget’sche Erkrankung durch das auffallend häufige Auftreten 
von bösartigen Neoplasmen, und zwar meist von solitären oder 
multiplen Osteosarkomen. Eine grosse Zahl der in der Literatur 
beschriebenen Kranken erlag dieser Complication. Die Osteosarkome 
führen nicht selten zu Spontanfracturen, während letztere sonst bei 
der PagePschen Krankheit trotz der Weichheit und der Deformi¬ 
rung der Knochen zu den grossen Ausnahmen gehören. 

Während im allgemeinen der chronische Verlauf der Paget- 
schen Krankheit ein continuirlicher zu sein pflegt, kommt es nicht 
ganz selten auch zu einer Verlangsamung oder gar zu einem schein¬ 
baren Stillstände des Processes. So zeigte Paget’s Kranker 3 bis 


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Gustav Albert Wollenberg. 


4 Jahre vor seinem durch ein Sarkom des Radius verursachten Tode 
einen Stillstand des bis dahin fortgeschrittenen Knochenprocesses. 

Wenden wir uns nunmehr zu der pathologischen Anatomie 
der in Rede stehenden Krankheit: 

Wir erwähnten bereits anfangs, dass der Process von den 
langen Röhrenknochen den Diaphysentheil betrifft, dass er zu Ver¬ 
dickungen und Verkrümmungen führt. Dabei hypertrophirt der 
Knochen im ganzen, zeigt aber auch einzelne höckerige Vorsprünge. 
Die Oberfläche der verdickten Röhrenknochen zeigt rauhes Aussehen. 
Paget fand, dass die Verdickung in der Diaphyse durch Expansion 
der compacten Substanz und durch Auflagerungen auf dieselben be¬ 
dingt war •, die Markhöhle war in ihrem Lumen nicht beeinträchtigt; 
in den Gelenkenden, im Schenkelhals, im Trochanter major und der 
Patella fand er die Verdickungen durch Einlagerung neugebildeter 
Knochenmassen in die Substantia spongiosa hervorgerufen. 

In anderen Fällen, wie in dem von Schmieden, in den beiden 
von Mönötrier und Gauckler u. A. war von einer Corticalis 
nichts mehr zu sehen; der ganze Knochen bestand aus spongiöser 
Substanz. Schmieden erwähnt in seinem Falle, dass das Knochen¬ 
mark in der Mitte der Diaphyse stellenweise rothen, lymphoiden 
Charakter getragen habe; das Periost liess sich leicht abziehen, wobei 
einzelne dünne, weiche Knochenplättchen, wohl periostal neugebildeter 
Knochen, am Periost haften blieben. 

Der Knochen ist meist sehr weich, leicht eindrückbar und mit 
dem Messer schneidbar. 

Das Schädelgewölbe zeigt starke Verdickung, so dass der 
Knochen der Schädelkapsel bis auf das Vier- bis Fünffache der nor¬ 
malen Dicke kommen kann. Seine Oberfläche ist rauh, uneben, zu¬ 
weilen leicht höckerig. Er besteht aus feinporöser, gerötheter, weicher 
Substanz; die Tabula interna, externa und die Diploö ist zuweilen 
kaum von einander abzugrenzen (Richards); zuweilen beobachtet 
man harte, sklerotische Lagen und Inseln in die weiche Substanz 
eingesprengt (Paget, Stilling u. A.). 

Was die chemische Zusammensetzung der befallenen Knochen 
betrifft, so fand Paget in denselben eine relative Armuth an Mineral- 
bestandtheilen. 

Die feinere Anatomie der erkrankten Knochen ist von Paget, 
besonders aber von Stilling und v. Recklinghausen studirt wor- 


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Beitrag zur Paget’schen Enocbenkrankheit. 


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den; neuere histologische Untersuchungen von Schmieden, M^n^- 
trier und Gauckler u. A. decken sich im wesentlichen mit den 
ihrigen. 

Am Knochen finden sich die Erscheinungen der Resorption und 
der Neubildung: Die erstere documentirt sich durch die Bildung 
Howship’scher Lacunen mit den sie hervorrufenden Osteoklasten, 
ferner von Havers’schen Räumen und durchbohrenden Kanälen. 

Men^trier und Gauckler fanden sowohl die äussere und 
innere Grundlamelle des Knochens wie ihre Systeme von Havers- 
schen Kanälen vollkommen geschwunden. 

Was den neugebildeten Knochen betrifft, so bleibt derselbe zu¬ 
nächst kalklos; später jedoch findet in demselben Kalkablagerung statt, 
die dichte sklerotische Inseln in dem osteoiden Gewebe bilden kann. 

Die Mark- und Gefässräume sind stark erweitert. Im Knochen¬ 
mark finden wir ebenfalls einen sklerosirenden Process, indem das 
Fettmark in fibröses umgewandelt wird. So sehen wir dann ein 
blutreiches, streifiges Bindegewebe. Mit dem Fortschreiten des Pro- 
cesses tritt allmählich Erweichung und Höhlenbildung in dem ge¬ 
schrumpften, schliesslich äusserst zellarmen Fasermark ein. 

Sehr schöne Auskunft über den Bau des erkrankten Knochens 
liefert uns das Röntgenbild. Wir erkennen an demselben einmal 
den Grad und Sitz der Verkrümmung, die Verdickung, weiter aber 
auch die feinere Structur. Wir sehen (cf. den Fall von Schmieden), 
wie sich die Spongiosastructur den veränderten BelastungsVerhält¬ 
nissen anpasst, ferner erkennen wir die Armuth resp. den Reich¬ 
thum des Knochens an Kalksalzen auf das Deutlichste. 

So gut bekannt die pathologische Anatomie unserer Krankheit 
ist, so dunkel ist ihre Aetiologie. Die Erblichkeit der Paget- 
schen Krankheit ist bisher nicht sicher nachgewiesen, jedoch er¬ 
wähnten Berger und Chauffard in der Discussion zu Lanne- 
longue's Vortrag Fälle von directer Vererbung dieser Krankheit. 
Im allgemeinen werden Männer und Frauen gleich häufig ergriffen, 
jedoch erwähnten wir bereits eingangs, dass Joncheray der Mei¬ 
nung ist, dass die schmerzlose Form der Erkrankung häufiger bei 
Frauen vorkommt, als bei Männern. 

Amerikanische Autoren (Biggs u. A.) betonen die Seltenheit 
des Vorkommens der Paget'schen Krankheit in Amerika; die meisten 
der dort beobachteten Fälle sind zugewanderte. 


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Gustav Albert Wollenberg. 


Der Zusammenhang der Krankheit mit Rheumatismus, Gicht, 
mit Arthritis deformans, Osteomalacie, Rhachitis, wie er von einzelnen 
Autoren in Erwägung gezogen wurde, ist bisher vollkommen haltlos. 

Schmieden nahm in seinem Falle eine bacteriologische Unter¬ 
suchung vor, die jedoch negativ ausfiel. 

V. Recklinghausen glaubt aus den histologischen Verände¬ 
rungen des Knochenmarkes auf einen entzündlichen Charakter der 
Krankheit schliessen zu dürfen und nennt sie daher auch Ostitis 
fibrosa. 

In neuerer Zeit wird, besonders von französischen Autoren, 
der Zusammenhang der Paget'schen Krankheit mit der Syphilis 
lebhaft discutirt. 

Lannelongue hält die Paget’sche Krankheit für eine späte 
Manifestation der hereditären Syphilis; er kommt zu dieser An¬ 
schauung durch Vergleich der charakteristischen klinischen Sym¬ 
ptome, welche beim Neugeborenen, beim wachsenden Individuum 
und beim erwachsenen unter dem Einfluss der hereditären Syphilis 
sich zeigen, mit dem charakteristischen Bilde der Paget'schen Krank¬ 
heit; aus der Aehnlichkeit beider Syraptomencomplexe schliesst er 
auf die gleiche Natur der Leiden. 

Fournier erkennt die Argumentation Lannelongue’s zwar 
an, meint jedoch, es könne sich bei der Page tuschen Krankheit um 
eine parasyphilitische Erscheinung handeln. 

Interessant sind die beiden Fälle M^nötrier's und Gauckler’s, 
indem beide nachweislich vor vielen Jahren eine Syphilis erworben 
hatten. Die Section ergab in beiden Fällen neben dem typischen 
Bilde der Paget’schen Krankheit noch sklerotische Processe im 
Herzen, in den Nieren, Verkalkungen der grossen, Endarteriitis der 
kleinen Arterien. 

Die Autoren, welche darum auch die Paget’sche Krankheit 
„Scl^rose osseuse hypertrophique“ nennen, sind geneigt, einen Ein¬ 
fluss der Syphilis auf die Pathogenese der Paget’schen Krankheit 
anzunehmen. 

Was die Diagnose betrifft, so wird dieselbe meist unschwer 
zu stellen sein. Von der Akromegalie, die ja auch erhebliche 
Störungen im Längen- und Dickenwachsthum der Knochen zeigt, 
unterscheidet sich die Paget’sche Krankheit dadurch, dass bei ihr 
die Hände und Füsse fast stets vom Krankheitsprocess verschont 
bleiben. Wenn die Krankheit noch auf die Tibia beschränkt ist, 


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Beitrag zur Paget'schen Knochenkrankheit. 


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so wird man an Osteomyelitis, chronische gummöse Ostitis, 
abnorm geheilte Fracturen und Geschwulstbildungen zu denken 
haben; die Unterscheidung wird aber meist leicht sein. Ebenso die 
Differentialdiagnose von der deformirenden Arthritis und der 
Osteomalacie, welch letztere ja meist durch ihren Beginn im 
Becken charakterisirt ist. Die schweren Schädelveränderungen haben 
eine gewisse Aehnlichkeit mit dem als Leontiasis ossea be¬ 
schriebenen Krankheitsbilde; bei der Paget'schen Krankheit bleibt 
aber im Unterschied zu derselben die Schädelbasis fast immer frei. 

Die Prognose ist quoad vitam eine relativ günstige, insofern, 
als die Krankheit sich über Jahrzehnte hin erstrecken kann, quoad 
restitutionem aber ist sie eine absolut ungünstige. Der Tod erfolgt, 
wie erwähnt, meist durch intercurrente Krankheiten, von denen die 
der Respirationsorgane, chronische Herz- und Nierenerkrankungen, 
sowie Geschwulstbildungen in erster Linie in Betracht kommen. 

Die Machtlosigkeit unserer Therapie haben wir schon da¬ 
durch gekennzeichnet, dass wir die Prognose quoad restitutionem 
eine absolut ungünstige nannten. Wir kennen bisher in der That 
kein Mittel, welches den Verlauf der Krankheit auch nur iin minde¬ 
sten aufhielte. Jodkali, Quecksilber, Arsen u. dergl. haben sich als 
absolut nutzlos erwiesen. 

Eine, wenn auch noch skeptische, Hoffnung könnte man setzen 
in den Vorschlag Lannelongue’s; bei seiner Auffassung der 
Page tuschen Krankheit als einer späten Manifestation der hereditären 
Syphilis will er, dass sämmtliche hereditären Syphilitiker von Jugend 
auf und durch das erwachsene Alter fortdauernd periodisch anti¬ 
luetischen Kuren unterzogen werden. 

Einstweilen fehlen in dieser Hinsicht ja noch alle Erfahrungen, 
und wir sind daher auf symptomatische Behandlung unserer Patienten 
angewiesen. So kann man die Schmerzen durch Chinin, Bromkali, 
Natr. salicylic., Antipyrin, Morphium u. dergl. zu bekämpfen suchen. 

Bei stärker ausgebildeten Deformitäten könnte man daran 
denken, den Patienten durch Stützapparate Erleichterung zu ver¬ 
schaffen, was sich aber wegen der Muskelatrophien und wegen des 
an sich schon erhöhten Gewichtes der Glieder verbietet. 

Ein hohes Interesse in Bezug auf die Therapie bietet der von 
Schmieden aus der Schede'schen Klinik veröffentlichte Fall; der¬ 
selbe zeigt nämlich, dass die Befürchtung, der so hochgradig ver¬ 
änderte Knochen möchte nach operativer Durchtrennung keine Ten- 


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Gustav Albert Wollenberg. 


denz zur Consolidation zeigen, nicht immer gerechtfertigt ist. Schede 
führte, um die Verkrümmung der Tibia zu beseitigen und um letztere 
zu verkürzen, die Keilosteotomie aus. Diese heilte ohne jede Stö¬ 
rung prompt, so dass Patientin mit Schienenhülse entlassen werden 
konnte und nun wesentlich besser ging. Eine zunehmende Arthritis 
deformans des Kniegelenkes veranlasste dann die Resection des letz¬ 
teren, an welche sich jedoch eine endlose Eiterung anschloss, die 
Knochenenden zeigten jetzt gar keine Tendenz zur Heilung, die Ver¬ 
krümmung der Tibia nahm wieder zu, weswegen, Jahre nach der 
ersten Operation, die Amputation vorgenommen wurde. 

Jedenfalls ermuthigt dieser Fall nicht gerade zu weiterer Ver¬ 
folgung operativer therapeutischer Massnahmen. — 

Gehen wir jetzt zu unseren eigenen Beobachtungen über: 

Fall 1. Louise P., 57 Jahre alt. Aufgenommen December 1903. 

Anamnese: Hereditär will Patientin in keiner Weise belastet 
sein. Als Kind ist sie angeblich stets gesund gewesen. Von ihrem 
Manne, der an einer Magenkrankheit gestorben sein soll, ist sie 
luetisch inficirt worden. Sie hat ein Kind geboren, welches schwach¬ 
sinnig ist. 

Im Jahre 1871 hat die Patientin einen schweren Gelenk¬ 
rheumatismus durchgemacht mit consecutiven Herzstörungen. 

Vor etwa 22 Jahren bemerkte sie ohne nachweisbare Ursachen 
eine geringe Anschwellung an der Streckseite des linken Unter¬ 
schenkels im unteren Drittel mit zeitweilig auftretenden bohrenden 
Schmerzen ohne jede Functionsstörung. Im Laufe der Jahre ver¬ 
schlechterte sich der Zustand, es trat zuweilen ein Gefühl von Mattig¬ 
keit und Steifheit im rechten Beine ein. Zeitweilig besserte sich 
das Befinden etwas, dann aber trat vor nunmehr etwa 10 Jahren 
eine deutliche Verschlimmerung des Leidens ein. Patientin bemerkte 
eine leichte Verkrümmung des linken Oberschenkels, vor 8 Jahren 
auch des rechten Oberschenkels. Seit den letzten 2 Jahren soll der 
Zustand immer schlimmer geworden sein, angeblich im Anschluss 
an einen Fehltritt beim Aussteigen aus einem Wagen; damals traten 
heftige Schmerzen ein, Patientin war 4—5 Wochen bettlägerig und 
wurde mit Massage und Knieumschlägen behandelt. 

Patientin will seit etwa 12 Jahren um 15—20 cm kleiner ge¬ 
worden sein. Jetzt klagt sie über zeitweilige stärkere Schmerzen 
knapp unterhalb der Kniegelenke, besonders über unangenehme 


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Beitrag xur Pagefschen Knochenkrankheit. 


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Empfindungen beim Strecken der Kniegelenke, über grosse Kraft¬ 
losigkeit, zeitweiliges Kältegefühl und reissende Schmerzen in beiden 
Beinen, über zeitweise auftretende schmerzhafte Beugekrämpfe in 
den beiden vierten Zehen, die 3—5 Minuten andauern. 

Weiter gibt Patientin an, dass sie, schon seit etwa 4 Jahren, 
unangenehme Empfindungen im rechten Arme verspüre, besonders 
bei Bewegungen; gleichzeitig besteht eine geringe Steifigkeit und 
Kraftlosigkeit in diesem Arme. Seit etwa 2 Monaten bemerkte Pa¬ 
tientin auch eine leichte Verkrümmung des rechten Vorderarms. 

Ausserdem bestehen seit Jahren heftige Kreuzschmerzen, viel¬ 
fache Magenbeschwerden, Kopfschmerzen, leichte Erregbarkeit, Herz¬ 
klopfen, besonders nach Anstrengungen und Gemüthsbewegungen. 
Seit 2 Monaten soll häufiger, früher nur 1—2mal im Jahre, während 
des Essens oder beim Gähnen eine leichte schmerzhafte Anschwellung 
in der Gegend des linken Kiefergelenkes mit leichter Functions¬ 
beschränkung eingetreten sein, die jedoch stets nach 6—7 Minuten 
spontan verschwunden sein soll. 

Status praesens: Kleine, zusammengeschrumpft aussehende, 
mässig kräftige, ziemlich gut genährte, etwas unruhige Dame. Die 
ganze Gestalt macht den Eindruck, als ob die Beine etwas zu kurz 
wären. Die genauere Untersuchung wird durch die übertriebene 
Schamhaftigkeit sehr erschwert. 

Am Nacken, besonders auf der rechten Seite, sind einige harte, 
schmerzlose Drüsengruppen fühlbar. Die Herzdämpfung ist etwas 
nach links verbreitert. An der Herzspitze besteht an der Stelle des 
ersten Tones ein deutliches blasendes Geräusch; der zweite Ton ist 
dumpf. Der Puls ist unregelmässig, ungleichmässig, ziemlich kräftig, 
seine Frequenz 72 pro Minute. 

Der rechte Unterschenkel zeigt an der Tuberositas tibiae eine 
winklige Abknickung, hierauf eine deutliche Verkrümmung der 
beiden oberen Drittel mit der Convexität nach vorne und aussen. 
Bei Betastung der Tibia fühlt man einige höckerige Vorsprünge. Der 
rechte Oberschenkel ist ebenfalls nach vorne und aussen verkrümmt. 

Das linke Bein bietet dieselben Verhältnisse dar, wie das rechte, 
mit dem Unterschiede, dass der linke Oberschenkel stärker, der linke 
Unterschenkel schwächer convex ist, als auf der rechten Seite (siehe 
Fig. 1). Die Beweglichkeit beider Fuss- und Kniegelenke ist normal; 
alle Bewegungen sind schmerzfrei, nur ruft die Streckung in den 
Kniegelenken leichte unangenehme Empfindungen hervor. 


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Gustav Albert Wollenberg. 


In beiden Kniegelenken fühlt man bei Bewegungen feine, weiche, 
ausgedehnte Crepitationen. 

Beide Hüftgelenke stehen in Flexionsstellung; die Flexion 
ist ad maximum möglich, die Extension dagegen wesentlich einge¬ 
schränkt; die Abduction ist eingeschränkt, etwa bis 25® möglich. 
Adduction und Rotation sind unbehindert. Es bestehen keine Umfangs¬ 
und LängendiflFerenzen an beiden Beinen. 

Die Reflexe sind beiderseits sehr lebhaft. Sensibilitätsstörungen 
an den Beinen bestehen nicht. 



Patientin kann ohne Stock nicht gehen; mit Stock geht sie, 
leicht nach vorne geneigt, ohne Anstrengung, etwas breitbeinig. Die 
Schuhe müssen gut erhöhte Absätze haben, da Patientin angeblich 
nicht mit dem ganzen Fusse auftreten kann. . 

Am rechten Vorderarm ist eine eben angedeutete Ver¬ 
krümmung mit der Convexität nach der Streckseite bemerkbar. 

Weitere Skeletveränderungen, besonders des Schädels, sind 
nicht nachweisbar. 

Das Röntgenbild (Fig. 2) zeigt sehr schön die überaus hoch¬ 
gradigen Veränderungen der Unterschenkelknochen. Besonders die 
rechte Tibia zeigt eine sehr starke Abknickung im oberen Drittel, 
weiter eine enorme Dickenzunahme. Zugleich sehen wir aus 
der streifigen Transparenz des Knochens, dass der Gehalt des¬ 
selben an Kalk stellenweise ein geringer ist. Auf der Convexität 


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Beitrag zur Paget'schen Knochenkrankheit. 


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des Knochens sieht man einen breitbasigen höckerigen Vorsprung. 
Links ist die Verkrümmung weniger ausgeprägt, zeigt jedoch grössere 
Unregelmässigkeit, wie rechts. Auch die Verdickung der Tibia ist 
links eine viel geringere, wie rechts. Die Fibulae, deren Contouren 
man hinter den Tibiae eben erkennen 
kann, scheinen nicht erheblich ver¬ 
ändert. Fig. 3 zeigt die Verkrümmung 
und Verdickung des rechten Femur. 

Fall 2. Paul C., Kaufmann, 
ledig. 80 Jahre alt. 

Anamnese: Patient will früher 
stets gesund gewesen sein. Speciell 
luetische Infection, sowohl hereditäre 
wie acquirirte, wird von seinem behan¬ 
delnden Arzt, Herrn Geh. Sanitätsrath 
Dr. Thamm, für ausgeschlossen er¬ 
klärt. 

Vor etwa 20—22 Jahren be¬ 
merkte Patient Veränderungen an 
seinem linken Beine, indem sich das¬ 
selbe verkrümmte. 

Schmerzen bestanden nicht. Die Function war wenig behin¬ 
dert; Patient konnte damals noch grosse Fusstouren machen. Er 
consultirte Beely, welcher zu einem Schienenhülsenapparat rieth, 
der jedoch abgelehnt wurde. 

Vor 10 Jahren sollen allgemeine Oedeme aufgetreten sein, die 
auf Digitalis allmählich zurückgingen. 

Seit dem letzten Jahre soll sich das Kniegelenk sehr ver¬ 
schlimmert haben, so dass Patient jetzt keine Treppe mehr steigen 
kann. Zugleich entwickelte sich ein Ulcus cruris. Seit 1 Jahre 
ungeföhr soll sich auch die Wirbelsäule stärker verkrümmt haben; 
jedoch will Patient stets eine „schlechte Haltung“ gehabt haben. 
Patient kann nicht genau angeben, ob sein Schädelumfang sich in 
den letzten Jahren vergrössert habe; er meint, er habe schon stets 
eine etwas asymmetrische Kopfform gehabt. 

Schmerzen oder andere Beschwerden ausser dem Beinleiden, 
welches ihn am Gehen hindert, leugnet der Patient; Appetit, Ver¬ 
dauung seien gut. 



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Gustav Albert Wollenberg. 


Status praesens: Greis von gesunder Gesichtsfarbe. Starke 
Schwerhörigkeit. Der Gang ist hinkend und schwerfällig, woran 
jedoch nur das linke Bein schuld ist. Körperhaltung gebückt. 

Patient zeigt Loquacitas senilis und eine gewisse Schwerfällig¬ 
keit beim Sprechen, jedoch scheint die Intelligenz intact. 

Innere Organe: Lungen normal, nur hinten neben der Wirbel¬ 
säule zuweilen einzelne gröbere, klingende Rasselgeräusche. Herz: 
Dämpfung vierte Rippe; linker Sternalrand; zwei Finger links von 
linker Mammillarlinie. Erster Ton ist in ein sonores, blasendes, 
weithin hörbares Geräusch verwandelt; zweiter Ton leise, kaum hör¬ 
bar. Puls ziemlich regelmässig, 64 pro Minute. Abdominalorgane 
ohne Besonderheiten. 

Knochensystem: 

Linkes Bein: Unterschenkel stark verdickt und verbogen, 
und zwar so, dass die Convexität nach vorne und aussen schaut. Die 


Fig. 4. 



Tibia ist stark verdickt und verbreitert, ihre Crista abgerundet, ihre 
Oberfläche stellenweise leicht höckerig, ihre Tuberositas etwas ver- 
grössert. Die Fibula ist nicht durchzufühlen. Grösster Umfang der 
Wade beträgt 45 cm. Die Haut des Unterschenkels ist prall elastisch, 
braun bis dunkelblauroth pigraentirt und zeigt auf der vorderen und 


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Beitrag zur Paget'scben Enochenkrankheit. 


63 


ausseren Fläche grosse, unregelmässige, mit viel Secret bedeckte 
Geschwüre mit steilen Rändern (cf. Fig. 4). 

Bei Bewegungen im Knie, welche frei sind, fühlt die aufgelegte 
Hand reibende und knackende Geräusche. 

Die Patella ist nicht vergrössert, jedoch mit zahlreichen Höckern 
von Linsen- bis Erbsengrösse versehen. 

Das Femur zeigt keine deutlichen Veränderungen. 

Rechtes Bein: Die Tibia ist ebenfalls, jedoch in sehr ge¬ 
ringem Grade, verdickt, aber nicht verbogen. Die Haut des Unter¬ 
schenkels zeigt im unteren Drittel geringes, trockenes Ekzem. 
Grösster Umfang der Wade 35 V 2 cm. Die rechte Patella ist genau 
so, wie die linke, mit reichlichen Höckern besetzt, in toto jedoch 
nicht vergrössert. 

Das rechte Femur zeigt, wie das Jinke, keine gröberen Ver¬ 
änderungen. 

Becken frei von Veränderungen. 

Claviculae leicht verdickt. 

Wirbelsäule: Rechtsconvexe Kyphoskoliose der oberen 
Brust- und unteren Halswirbelsäule. Lendenlordose fast ganz ver¬ 
schwunden. Proc. spinosi scheinen leicht verdickt. Bewegungen im 
Hals- und Brusttheile fast ganz aufgehoben. 

Scapulae unverändert. 

Schädel: Hirnschädel scheint vergrössert im Verhältniss zum 
Gesichtsschädel. Seine Oberfläche ist ziemlich glatt. Form etwas 
asymmetrisch. 

Der Kopf wird infolge der Kyphoskoliose schief gehalten, und 
zwar ist das Kinn nach rechts geneigt. 

Schädelumfang (Stirn — Hinterhaupt) 63 cm. 

Das rechte Jochbein scheint etwas vergrössert. 

Thorax: Rippen ohne deutliche Veränderungen. Die Form 
des Brustkorbes erscheint etwas seitlich zusammengedrückt. 

Bei tiefer Athmung wird der Brustkorb zwar in toto etwas 
gehoben, jedoch ist der Athemtypus fast ein ausschliesslich dia- 
phragmaler. 

Das Röntgenbild des linken Unterschenkels (Fig. 5) zeigt 
dieselbe winklige Abknickung der Tibia im oberen Theile, wie wir 
sie beim ersten Fall gesehen haben. Auch die enorme Verbreiterung 
der Tibia, sowie die eigenartige Knochenstructur mit ihrer streifen- 
und fleckförmigen Transparenz ist sehr deutlich. 


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Gustav Albert Wollenberg. 
Fig. 5. 



Fall 3. Mrs. V. 

Wir besitzen von diesem Falle leider nur die Photographie und 
Röntgenbilder der Unterschenkeldeformitäten, welche jedoch für die 
Erkrankung höchst charakteristisch sind. 

Fig. 6 zeigt uns die mit der 
Convexität nach aussen und vorne ge¬ 
richteten Verkrümmungen der Unter¬ 
schenkel. 

Am Röntgenbild des rechten 
Unterschenkels (Fig. 7) sehen wir so¬ 
wohl die Tibia, wie die Fibula er¬ 
griffen. 

Die Tibia ist im ganzen, be¬ 
sonders aber im oberen und mittleren 
Theile verbogen. Der Knochen ist 
enorm verdickt, seine Structur zeigt im 
Bereiche der ganzen Diaphyse in der 
theilweise bogenförmigen Anordnung 
der sich kreuzenden Knochenbälkchen 
die Anpassung an die veränderten 
statischen Verhältnisse. Gleichzeitig 
weisen die zwischen den dunkleren Bälkchen befindlichen hellen 
Partien auf den reichlichen Gehalt des hypertrophischen Knochens 
an osteoidem Gewebe hin. 



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Beitrag zur Paget’schen Enochenkrankheit. 65 

Fig. 7. 



An dem linken Unterschenkel (Fig. 8) sehen wir den Process 
noch nicht so weit vorgeschritten. Die Fibula ist intact, die Ver¬ 
krümmung und Verdickung der Tibia noch gering. In Bezug auf 
die Structur gilt auch hier das oben Gesagte. 


Unsere Fälle fügen sich so gut in den Rahmen der anfangs 
gegebenen Darstellung ein, dass wir aus den Krankengeschichten nur 

Zeitschrift fftr orthopädische Chirargie. XIII. Bd. 5 


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66 


Gustav Albert Wollenberg. 


wenig hervorzuheben haben; bei Fall 1 ist von besonderem Interesse, 
dass hier eine luetische Infection zugegeben wird. Ob letztere in 
ätiologischer Beziehung irgend einen Einfluss auf die deformierende 
Knochenerkrankung gehabt hat, das wagen wir natürlich nicht zu be¬ 
haupten. Jedenfalls ist wohl als sicher anzusehen, dass, falls man einen 
Einfluss der Syphilis auf die Paget’sche Krankheit annimmt, es sich 
nicht allein um eine späte Manifestation der hereditären Lues, wie 
Lannelongue dies annimmt, zu handeln braucht, sondern dass 
dann auch die erworbene Syphilis diese Krankheit hervorrufen kann. 
Unser Fall 1 und die von Men^trier und Gauckler berichteten 
sprechen hierfür. 

Weiter wollen wir an unserem Fall 1 noch hervorheben, dass 
hier der Process unter Uebergehung des Rumpf- und Schädelskelets 
sich in den Knochen des rechten Vorderarms localisirt hat. 

Im Gegensatz zu diesem Falle, der ja einen Ueberfluss von 
nervösen Symptomen darbietet, steht unser Fall 2; eigenartig ist 
hier die absolute Schmerzlosigkeit, mit der das Leiden aufgetreten 
und bisher verlaufen ist. Das ist gewiss selten. Wir erwähnten 
allerdings anfangs bereits, dass Joncheray einen schmerzlosen 
Typus der Krankheit von dem schmerzhaften unterscheidet; ersterer 
soll aber im Gegensätze zu letzterem zuerst die oberen Extremitäten 
befallen. 

Weiter ist an dem 2. Falle interessant das Verhalten der Pa- 
tellae: während wir sonst in der Literatur Anden, dass die Patellae 
in toto hypertrophiren, finden wir hier die eigenartigen circumscripten 
Exostosen, ohne Vergrösserung der Patellae. 

Auf das Vitium cordis und die den Krankheitsprocess begleitende 
Arthritis deform ans in unseren beiden ersten Fällen einzugehen, er¬ 
übrigt sich; im ersten Falle ist das Vitium wohl auf den früher 
durchgemachten Gelenkrheumatismus zurückzuführen. 

Weiter wollen wir noch einmal auf die Mannigfaltigkeit des 
Symptomenkomplexes der Paget*schen Krankheit hin weisen, die im 
ersten Falle — bei ungefähr gleicher Dauer des Krankheitsprocesses 
— vorwiegend die Extremitäten, im letzteren neben diesen vor allem 
den Rumpf und Schädel befallen hat. Beziehentlich der Aetiologie 
gibt uns der 2. Fall keinerlei Anhaltspunkte. 


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Beitrag zur Paget’schen Knochenkrankheit. 


67 


Zum Schlüsse ist es mir eine angenehme Pflicht, meinem 
hochverehrten Chef, Herrn Geheimrath Hoffa, für die Ueberlassung 
des Materials meinen Dank auszusprechen. 


Literatur. 

Eine ausführliche Literaturangabe findet sich in 
Schnchardt, Die Krankheiten der Knochen und Gelenke. Deutsche Chirurgie 
1899, Liefrg. 28, S. L—LI. 

Derselben wäre hinzuzufügen: 

Messerschmidt, Ueber Ostitis deformans beider Schienbeine und des linken 
Wadenbeines. Inaug.-Diss. Jena 1902. 

Lannelongue, Syphilis osseuse hereditaire tardive, type Paget. Types in¬ 
fantile et adolescent, types de Tadulte et du vieillard. Annales de Chi¬ 
rurgie et d’Orthopedie, April 1903, Nr. 4. 

Fournier, A propos de la maladie de Paget consid4ree comme manifesta- 
tion de syphilis hereditaire tardive. Annal. de Chirurg, et d’Orthop. 
April und Mai 1903, Nr. 4 und 5. 

Menetrier etGauckler, Deux cas de maladie osseuse de Paget avec examen 
anatomique. Revue fran 9 ai 8 e de Medecine et de Chirurgie, August 1903, 
Nr. 40. 

Schmieden, Beitrag zur Kenntniss der Osteomalacia chronica deformans 
hypertrophica (Paget). Deutsche Zeitschr. f. Chir., Sept. 1903, Bd. 70 
Heft 1—2. 

Biggs, A Case of PagePs Disease. Medical Record, 23. Jan. 1904. 


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VII. 


Zur Therapie der Skoliosen. 

Von 

Dr. Karl Gerson-Berlin. 

Mit 1 in den Text gedruckten Abbildung. 

Bei hochgradigeren Skoliosen findet man stets zwei Rippen¬ 
buckel, einen vorderen und einen hinteren, deren Grösse naturgemäss 
dem Grade der Skoliose entspricht. Die engen Beziehungen der 
beiden Rippenbuckel zu einander erkennt man leicht daran, dass ein 
Druck auf den hinteren den vorderen mehr ausprägt, ein Druck auf 
den vorderen Rippenbuckel den hinteren mehr hervorwölbt. Letz¬ 
teres freilich in geringerem Grade, weil der auf den vorderen Rippen¬ 
buckel ausgeübte Druck durch die grosse Elasticität der Rippen¬ 
bogen abgeschwächt wird und so den hinteren, starreren, mit der 
Wirbelsäule verbundenen nicht in gleichem Maasse zu bewegen ver¬ 
mag, wie dieser jenen. (Man ersieht zugleich aus diesem Verhalten 
der beiden Rippenbuckel zu einander, dass der hintere zuer.st ent¬ 
steht und seine weitere Ausbildung bis zu einem gewissen Grade erst 
die Entstehung des vorderen zur Folge hat.) Immerhin ist selbst bei 
älteren Individuen ein deutlicher Einfluss des gedrückten vorderen 
Rippenbuckels auf den hinteren bemerkbar. 

Der Patient selbst vermag mit Leichtigkeit bei seinen täglichen 
Redressionsübungen z. B. durch Druck auf seinen rechten hinteren 
Rippenbuckel den linken vorderen hervorzuwölben. Kann man ange¬ 
sichts dieser Thatsache von einer eigentlichen Redression des hinteren 
Rippenbuckels sprechen, wenn man unter letzterer das Zurückdrängen 
eines abnorm liegenden Körpertheiles in seine normale Lage ver¬ 
steht, ohne dass dadurch andere Körpertheile aus ihrer Lage heraus- 
gedräugt werden? Bei Druck auf den hinteren Rippenbuckel wird 
aber der vordere mehr hervorgewölbt; es findet also keine wirkliche 
Redression, sondern nur eine Verlagerung der Rippenbuckel 


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Zur Therapie der Skoliosen. 


69 


und des sie verbindenden diagonalen Durchmessers nach vom statt. 
Erst wenn man mit dem Druck auf den hinteren Rippenbuckel einen 
solchen auf den vorderen verbindet, findet eine wirkliche Redression 
(mehr oder weniger) nicht nur der Wirbelsäule, sondern des ganzen 
Brustkorbes statt, indem der grössere diagonale Durchmesser um das¬ 
selbe Maass sich verkleinert, als der vorher kleinere sich vergrössert. 
Man kann diesen Vorgang während der Redression deutlich beob¬ 
achten: Die dem Rippenbuckel benachbarte eingefallene Rückenseite 
fiacht sich mehr oder weniger ab, während zugleich die correspon- 
dirende Brustseite stärker hervortritt. 

Es erhellt hieraus meines Erachtens der geringe Werth der 
selbstthätigen, nur den hinteren Rippenbuckel berücksichtigenden 
Redressionsversuche und die hohe Wichtigkeit der Einbeziehung des 
vorderen Rippenbuckels in die Behandlung. Besonders bei der An¬ 
wendung der mannigfachen Redressionsapparate ist stets auch eine 
Redression des vorderen Rippenbuckels nothwendig, um so mehr, als 
die Patienten in diesen Apparaten ja längere Zeit verharren und 
durch längeren einseitigen Druck auf den hinteren Rippenbuckel der 
vordere immer stärker ausgebildet wird. Man kann diesen Vorgang 
z. B. bei Anwendung des Barwell-Hoffasehen Sitzrahmens beob¬ 
achten. Je mehr der hier durch Flaschenzug bewirkte kräftige 
Druck den hinteren Rippenbuckel zum Verschwinden bringt, um so 
stärker fühlt man den vorderen Rippenbuckel heraustreten. Es findet 
also auch in diesem Apparate keine wirkliche Redression, sondern 
nur eine Verlagerung des hinteren Rippenbuckels auf Kosten des 
vorderen statt. Hoffa sagt auch selbst in seinem Lehrbuch^) bei 
Besprechung seines Apparates, derselbe „bietet den Vortheil, dass 
man durch Auflegen einer entsprechenden Pelotte auf den vorderen 
Rippenbuckel gleichzeitig auch diesen günstig zu beeinfiussen ver¬ 
mag“. Ich habe nun versucht, eine Vorderpelotte, die nach dem 
Gesagten durchaus nothwendig erscheint, damit der Apparat wirklich 
redressirend wirke, auf möglichst einfache Weise dem Hof falschen 
Sitzrahmen einzufügen. Ich baute in den verticalen Sitzrahmen A 
einen horizontalen Rahmen JR ein, dessen eine Seite zum Eintritt des 
Patienten in den Rahmen seitlich geöffnet werden kann. Diese Seite 
wird, nachdem der Patient auf dem dreh- und schiebbaren Sitz S 
Platz genommen, wieder geschlossen. Die Kopfextension wird ein- 


*) Lehrbuch der orthopädischen Chirurgie S. 441. 


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70 


Karl Gereon. 


fach durch die Kurbeldrehung K bewerkstelligt (s. Figur). Nun wird 
der Rahmen B so eingestellt, dass die an ihm befestigte hintere 
Pelotte H in der Höhe des hinteren Rippenbuckels steht. Weiterhin 
wird die Pelotte durch seitliche Verschiebung dem Rippenbuckel 



genau gegenüber gestellt. Ebenso stellt man die vordere Pelotte P 
auf den vorderen Rippenbuckel ein, der durchweg etwas tiefer sitzt, 
als der hintere. Infolge dessen ist die vordere Pelotte P nicht nur 
horizontal, sondern auch vertical nach unten verschiebbar. (Statt 
den Rahmen P zu verstellen, kann man auch den Sitz S hoch oder 
niedrig drehen.) Man schraubt nun die beiden Pelotten auf die 
Rippenbuckel auf, so fest, als es der Patient vertragen kann. Darauf 
fordert man den Patienten auf — einen rechten hinteren und vor- 


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Zur Therapie der Skoliosen. 


71 


deren linken Rippenbuckel vorausgesetzt —, seinen Oberkörper gegen 
die beiden Pelotten anzupressen, zu welchem Zwecke er mit dem 
rechten ad maximum gebeugten Arm den hinteren Rippenbuckel 
gegen die Pelotte H presst, während der linke ausgestreckte Arm 
nach vorn zieht und so den vorderen Rippenbuckel gegen die Pe¬ 
lotte P drückt. Die Hände finden dabei an dem Rahmen P, wie 
aus der Figur ersichtlich, genügenden Halt. Der Oberkörper erhält 
so die Tendenz einer Drehung nach rechts. Bei linkem hinteren 
und rechtem vorderen Rippenbuckel würden natürlich Pelottenstellung 
und Armhaltung umgekehrt sein. Diese selbstthätige Redres¬ 
sion des Patienten, der seinen Oberkörper den Pelotten entgegen¬ 
drücken muss, ist besonders wichtig und sogar entscheidend für 
die Wirkung des Apparates. 

Man erkennt leicht eine Verkleinerung des die Rippenbuckel 
verbindenden diagonalen Durchmessers und dementsprechend eine 
Vergrösserung des entgegengesetzten Durchmessers, die schon aus 
der mehr oder minder starken Abflachung der vorher vertieften 
Rückenseite ersichtlich ist. Noch vollkommener wird diese Neigung 
zur Symmetrie des Brustkorbes, wenn man einen zweiten selbst- 
thätigen Factor zu Hilfe nimmt: tiefes Athmen. Dasselbe kann aber 
nur durch allmähliche Uebung bis zu einem höheren Grade geführt 
werden, wodurch zugleich eine erhebliche Stärkung der Lungen 
resultirt. So nützlich tiefes Athmen aber in frischer, reiner Luft 
ist, so schädlich kann es in verdorbener werden, indem die Keime 
durch tiefe Inspirationen viel energischer in die Lungen dringen, als 
bei gewöhnlichem Athmen. Es muss daher gefordert werden, dass 
der Gebrauch des beschriebenen Sitzrahmens, wie alle übrigen ortho¬ 
pädischen Apparate, die zu ihrer Wirkung tiefes Athmen verlangen, 
in reiner Luft, wenn möglich, im Freien stattfinde. Diese Forderung 
habe ich schon an anderer Stelle betont^). — Bei rundem Rücken 
wird die hintere Pelotte mit ihrem grösseren Durchmesser horizontal 
auf die Höhe der Rücken Wölbung gestellt, die vordere Pelotte auf 
das Sternum. Bei diesem Leiden ist natürlich die selbstthätige Re¬ 
dression durch die beschriebene Armhaltung nicht am Platze. Wir 
erwähnten vorhin, dass der vordere Rippenbuckel tiefer sitzt, als der 
hintere. Dies liegt m. E. daran, dass die Rippenbogen nach 


') K. Gerson, Zur Redression von Rückgrats Verkrümmungen. Zeitschr. 
f. orth. Chir. Bd. 12. 


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Earl Gerson. Zur Therapie der Skoliosen. 


vorn tief geneigt verlaufen, und die Articulationen der Rippen 
mit der Wirbelsäule auch viel höher liegen, als diejenigen mit dem 
Sternum. Befindet sich z. B. der hintere Rippenbuckel in der 
Gegend der 5.—8. Rippe, also etwa in der Mitte der Brustwirbelsäule, 
so ist der vordere Rippenbuckel schon beträchtlich unter dem Pro¬ 
cessus xiphoides bemerkbar. Eine zweite Ursache, warum der vor¬ 
dere Rippenbuckel tiefer sitzt, als der hintere, ist wohl darin zu 
suchen, dass die Elasticität des Brustkorbes nach unten hin 
zunimmt, theils wegen des grösseren Umfanges der Rippenbogen, 
theils weil die Rippenknorpel, die Verbindungsstücke der knöchernen 
Rippen und des Brustbeins, nach unten immer länger werden. Es 
muss also ein vom hinteren Rippenbuckel nach vom sich fortpflan¬ 
zender Druck die elastischere untere Rippenpartie, vornehmlich den 
unteren Rippenbogen am meisten vorwölben, und zwar um so stärker, 
je tiefer der hintere Rippenbuckel sitzt. Bei rundem Rücken findet 
sich statt des vorderen Rippenbuckels ein Stemalbuckel. 

Die vorstehend beschriebene Modification^) des Barwell-Hoffa- 
schen Sitzrabmens, die zur vollsten Zufriedenheit meines verehrten 
Chefs, des Herrn Geheimraths Hoffa, seit 1 Jahre in seinen Turn¬ 
sälen functionirt, ist auch für die Patienten nach deren übereinstim¬ 
menden Aussage durchaus nicht unbequem. 

Die gleichen Erwägungen, wie bei dem Sitzrahmen, haben mich 
veranlasst, auch für den Beely'schen „Apparat zur gewaltsamen 
Geradrichtung skoliotischer Wirbelsäulen“ eine Vorrichtung zur Ro¬ 
dression des vorderen Rippenbuckels anzugeben. Denn auch bei diesem 
Apparate ist die so nothwendige Behandlung des vorderen Buckels 
ganz ausser Acht gelassen. Eine genaue Beschreibung dieser Vor¬ 
richtung wird bald folgen. 

') Hergestellt vom Medicinischen Waarenhause, Berlin N.W. 


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VIII. 

Ueber den Pes valgus. 

(Nach einem Vortrag, gehalten am lü. Juni 1904 in der Medicinischen 
Gesellschaft zu Basel.) 

Von 

Dr. C. Hübscher^ 

Docent an der Universität. 

Mit 5 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Die wichtigsten orthopädischen Erkrankungsformen zeigen eine 
gemeinsame Erscheinung, nämlich die, dass das statische Verhältniss 
einzelner Eörpertheile zu einander gestört ist. Punkte am Körper, 
die von Rechtswegen in eine senkrechte Belastungslinie über oder 
unter einander gehören, sind verschoben, theils in sagittaler, theils 
in frontaler Richtung. 

Bei manchen Deformitäten ist gerade diese Abweichung das 
wesentliche und das auffälligste Symptom. So finden wir z. B. bei 
ausgebildetem Schiefhals den Kopf beinahe vollständig über der ge¬ 
sunden Thoraxhälfte: eine von der Glabella nach abwärts gefällte 
Senkrechte triflFt nicht den Nabel, sondern die Mammilla. Bei be¬ 
ginnenden, wie bei schweren Skoliosen ist die Rumpfverschiebung 
oft die auffallendste Erscheinung. Das Genu valgum und das Genu 
varum zeichnen sich dadurch aus, dass die Kniegelenksmitte ent¬ 
weder nach innen oder nach aussen von der senkrechten Belastungs¬ 
linie steht. 

Ganz im Vordergrund steht diese Abweichung von normaler¬ 
weise unter einander angeordneten Punkten beim Pes valgus, dem 
X- oder Knickfuss (Hoffa). 

Der Knickfuss ist nach meinen Erfahrungen eine überaus 
häufige Deformität, die oft zu wenig beachtet wird und zu dia¬ 
gnostischen Irrthümem Veranlassung geben kann. Da er zudem das 
Jugendstadium des so wichtigen Plattfusses darstellt, so schien es 


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74 


C. Hübscher. 


mir erlaubt, Ihnen meine Erfahrungen und Ansichten über dieses 
Leiden vorzulegen. 

Das Wesen des Enickfusses besteht, wie sein Name besagt, 
darin, dass der Fuss in der Höhe der Knöchel nach aussen abge¬ 
knickt erscheint. Die Fersenmitte steht ausserhalb der senkrechten 
Belastungslinie, der innere Knöchel ragt auf Unkosten des äusseren 
vor. Daneben besteht eine Abduction des Vorderfusses und meist 
eine Aussenrotation des ganzen Beines. Das wichtigste aber an 
dem ganzen Symptomencomplex ist der Umstand, dass diese Ab¬ 
weichungen nur am belasteten Fuss zu Tage treten. Da nebenbei 
auch das Fussgewölbe beim reinen Yalgus keineswegs abgeflacht ist, 
so ergibt sich daraus leicht, dass diese Deformität übersehen werden 
kann. Auf die Mittel, sie zu enthüllen, sowie auf die Beschwerden, 
welche sie verursacht, werden wir bei der Besprechung der einzelnen 
Formen dieses Leidens eingehen. 

Was das Auftreten des Valgus anbelangt, so kann derselbe 
in jedem Alter beobachtet werden. Im grossen und ganzen können 
wir jedoch drei Häufigkeitsperioden unterscheiden. 

Eine erste Gesellschaft von Knickfüssen setzt sich aus Ver¬ 
tretern der beiden ersten Lebensjahre zusammen. Es sind die 
Anfänger in der schweren Kunst des Stehens und des Gehens und 
sie straucheln bei diesem Fortschritt auf der Bahn zum homo erectus 
an dem Missverhältniss zwischen Körperlast und Entwickelung ihrer 
Gehwerkzeuge. Um eine grössere Basis bei den ersten Gehversuchen 
zu gewinnen, strampeln bekanntlich die jungen Erdenbürger mit ge¬ 
spreizten und nach auswärts gedrehten Beinchen davon. Das ungewohnte 
Gewicht des oft pastösen und überfütterten Körpers wird dabei auf 
die Innenseite der Füsse übertragen, die noch wenig entwickelten 
Hemmungsvorrichtungen, Bänder, Knochen und Muskeln geben dem 
Belastungsdruck nach und die Füsschen stellen sich in volle Pro¬ 
nation. Werden Kinder mit solchen Füssen etwas später wieder 
gebracht, so finden wir oft die Füsse nach einwärts gedreht: in- 
stinctiv wird die Pronation des Fusses durch eine Innenrotation des 
ganzen Beines zu compensiren versucht und es wäre weit gefehlt, 
wenn wir diese secundäre Drehung bekämpfen wollten. In den 
meisten Fällen heilen solche Füsse bei richtiger Ernährung und 
richtiger Beschuhung während der sogen, ersten Streckung voll¬ 
ständig aus. 

Ein zweites Hauptcontingent von Knickfüssen liefern die Jahre 


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Ueber den Pes valgus. 


75 


zwischen dem ersten Zahnwecbsel und der Pubertät, also 
das 7. bis 14. Es sind meistens dünnbeinige Knaben und Mädchen, 
aufgeschossene, schwächliche Wesen mit schlaffer Haltung, auffällig 
geradem oder schon rundem oder hohlrundem Rücken; ferner häufig 
solche, bei welchen sich schon habituelle Skoliosen entwickelt haben. 
Daneben überfettete Mädchen mit angeborener, pathologischer Adi¬ 
positas. Meist ist es die Schusterrechnung, welche die Eltern zum 
Arzte treibt: die Kinder scheuern ihre Schuhe an den vorstehenden 
inneren Knöcheln durch und treten die Absätze krumm. Das sind 
die „schwachen Enkel“ Stromeyer’s, wobei unter Enkel nicht 
seine Epigonen, sondern die Fussgelenke zu verstehen sind. 

Beschwerden machen diese Füsse meist wenig, ausser etwa 
rasche Ermüdung bei langen Märschen. Doch habe ich einen 9jäh- 
rigen, sonst gesunden Jungen getroffen, der Jahre lang periodisch 
als sogen. Periostitis des inneren Knöchels zu Bette lag und mit 
Jodanstrichen behandelt wurde, bis das Leiden als Knickfuss erkannt 
und durch die entsprechende Beschuhung behoben wurde. 

Wollen wir die Entstehung dieser Valgusfüsse verstehen, so 
muss ich Sie an meine perimetrischen Untersuchungen normaler Fuss¬ 
gelenke erinnern, welche ich vor 3 Jahren Ihnen vorlegen durfte. 
Ich habe Ihnen die am Perimeter gewonnenen Bewegungsfelder der 
Terschiedenen Altersperioden gezeigt und die bekannte, überaus grosse 
Beweglichkeit des Säuglingsfussgelenkes graphisch dargestellt. Bei 
normaler Entwickelung engt sich dieses Bewegungsfeld schon sehr 
bald ein und zwar unter dem Einfluss der statischen Beanspruchung. 
Die Einengung findet sich besonders auf der Pronationsseite aus¬ 
gesprochen, wo die Entwickelung des äusseren Knöchels den Be¬ 
wegungen in dieser Richtung ein festes Widerlager entgegenstellt. 
Durch Stehenbleiben auf einer infantilen Stufe bleiben manche Füsse 
abnorm beweglich und werden dann wie die Füsse der eben be¬ 
sprochenen ersten Klasse durch die Körperlast nach aussen gedrängt. 
Hand in Hand mit dieser ünterentwickelung der Fussgelenke sehen 
wir an den gleichen Individuen die mangelhafte Ausbildung der 
Wirbelgelenke mit ihrer für die Haltung und für die Function der 
Wirbebäule so nachtheiligen Folgen. Was die Prognose der Pedes 
valgi dieser zweiten Kategorie betrifft, so heilen viele dieser Füsse 
ohne jede Behandlung mit Erstarkung der Musculatur und des all¬ 
gemeinen Kräftezustandes aus: sie „verwachsen“ sich, wie der bei 
anderen Deformitäten zu oft angewandte euphemistische Ausdruck 


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76 


C. Hübscher. 


lautet. Andere aber gehen direcct in den Plattfuss über oder bilden 
wenigstens die Brutstätte für dieses Leiden der Adolescenten, sobald 
der gewählte Beruf höhere Leistungen im Stehen verlangt. 

Ausser diesen statischen Knickfüssen beider Altersperioden 
stossen wir noch auf eine Anzahl von X-Füssen, welche die Folge 
besonderer krankhafter Zustände sind. Der angeborene Valgus 
kommt vor bei congenitalem Defect der Fibula, der rhachitische 
bei Verkrümmung der ünterschenkelepiphyse; bei Einderlähmung 
stellt sich der Fuss bei Paralyse der Supinatoren ebenfalls in Valgus- 
Stellung. Das rhachitische Genu varum bedingt ausnahmslos den 
von Albert beschriebenen Pes valgus compensatorius, eine 
Form, auf welche wir weiter unten noch eingehen werden. 

Die letzte und dritte Hauptgruppe der Enickfüsse gehört dem 
erwachsenen und meist dem sogen, bestandenen Alter an. 

Wenn wir diese Gruppe näher ins Auge fassen und nach der 
Aetiologie sichten, so ergeben sich drei wohlumschriebene Formen 
unserer Deformität. 

Wir unterscheiden: 

1. Den traumatischen Valgus. Wenn auch eine Ablen¬ 
kung des Fusses resp. des unteren Endes des Unterschenkels infolge 
von Verletzung in jedem Lebensalter verkommen kann, so finden 
wir naturgemäss die überaus grosse Mehrzahl der traumatischen 
Enickfüsse in einer Altersperiode, in welcher die meisten Ver¬ 
letzungen Vorkommen. Bekanntlich entstehen solche Valgi entweder 
schleichend, erst durch die Belastung, bei Fussverletzungen, die 
scheinbar leichterer Natur waren. Eine Abrissfractur eines oder 
beider Knöchel ist unter der Flagge einer Distorsion gesegelt und 
erst die nachträgliche Durchleuchtung bringt uns, wenn die Sache 
nicht recht vorwärts gehen will, den wahren Sachverhalt an den Tag. 
Oft sind aber auch diese Deviationen primär unter dem ersten Ver¬ 
band verborgen, wenn eine Dupuy tren'sche Fractur, durch starken 
Bluterguss maskirt, nicht genau reponirt wurde. Beim ersten Verband¬ 
wechsel erscheint dann die äusserst unangenehme Entdeckung des 
nach aussen abgewichenen Fusses, unangenehm für den Patienten 
wie für den Arzt, der sich oft nicht frei von Schuld und Fehle fühlt 
und dem jedenfalls die ünfallsfolgen aufs Kerbholz geschnitten werden. 
Wir wissen, wie wir uns und unsere Patienten vor der Bildung 
dieser Deformität zu schützen haben: genaue Reposition, wenn immer 
möglich in Narkose, häufiger Verbandwechsel mit jeweiliger Massage, 


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Ueber den Pes valgus. 


77 


Tragen eines geeigneten Supinationsstiefels nach der Bruchheilung. 
Ist das Unglück einmal da — und von einem solchen dürfen wir 
bei den erheblichen Beschwerden, welche ein traumatischer Valgus 
macht, wohl reden —, so hilft nur eine lineare oder keilförmige Osteo¬ 
tomie so nahe als möglich am Deformitatswinkel. Wird ein opera¬ 
tiver Eingriff ausgeschlagen, so vertrösten wir den Patienten mit 
einem Schienenstiefel, den er zeitlebens zu tragen bat. In günstigen 
Fällen kann es allerdings Vorkommen, dass wir nach längerem 
Tragen des Apparates mit einem einfachen Einlageschuh auskommen. 

2. Der Pes valgus nach Venenerkrankungen. Längst 
schon wurde auf das Zusammentreffen von Varicen mit Plattfuss 
aufmerksam gemacht und ein ätiologischer Zusammenhang zwischen 
beiden Leiden angenommen. Für das Entstehen eines X-Fusses und 
eines später aus ihm hervorgebenden Planus ist nach meinen Er¬ 
fahrungen diese Annahme durchaus gerechtfertigt. Es kommen 
hierbei weniger die oberflächlichen Varicen in Betracht, welche sich 
bei aufgeschossenen jugendlichen Individuen infolge von Sfceharbeit 
und meist auf hereditärer Basis entwickeln; hier bilden die ange¬ 
deuteten Schädlichkeiten die gemeinsame Prädisposition für die beiden 
Leiden. 

Bei den Fällen von tardivem Pes valgus, welche wir im Auge 
haben, besteht ein eigentlicher Causalnexus zwischen Fussdeformität 
und einer zeitlich vorausgegangenen Venenerkrankung. Diese ur¬ 
sächliche Erkrankung ist zudem immer schwererer Natur, als die 
unschuldigen Varicen; sie ist entweder eine recidivirende, chronisch 
gewordene Phlebitis oder eine vor Jahren überstandene Thrombose 
der Cruralvene. 

Der Grund, warum derartige Erkrankungen in so überaus un¬ 
günstiger Weise auf die statische Leistungsfähigkeit des Fusses ein¬ 
wirken, ist ein zweifacher: in erster Linie vermeiden Patienten mit 
schmerzhaften Affectionen im Gebiet des Unterschenkels ängstlich, 
ihre Unterschenkelmuskeln zu contrahiren und den Fuss beim Gehen 
abzuwickeln. Um den Gang trotzdem zu ermöglichen, werden die 
Beine nach aussen rotirt und die FUsse als Stelzen benutzt. Der 
Schritt erfolgt über den inneren Fussrand, statt dass zuletzt die 
Zehenspitzen vom Boden abgehoben werden. Kein Wunder, wenn 
schon durch diese Fusshaltung der Fuss in Valgusstellung und Pro¬ 
nation gedrängt wird und die Körperlast den inneren Gewölbetheil 
bedrückt. In zweiter Linie kommt als schädigendes Agens die 


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C. Hübscher. 


venöse Stauung, die chronische Eohlensäureintoxication der Muskeln 
und der übrigen Gewebe in Betracht, die sich ja durch die mehr 
oder weniger hochgradige Cjanose solcher Füsse kundgibt. Dass 
hierdurch ein eigentlicher Circulus vitiosus entsteht, ist leicht zu er¬ 
sehen: der Gang über den inneren Fussrand setzt die Muskulatur 
ausser Thätigkeit, während gerade regelrecht Muskelcontractionen 
beim Gehen als circulationsbeförderndes Mittel der Stase am besten 
abhelfen würden; die venöse UeberfüUung wiederum führt zu Un- 
thätigkeit und Atrophie der Muskeln, wodurch das Abheben des 
Fusses erschwert wird. 

Die vorwiegende Einseitigkeit venöser Erkrankungen der unteren 
Extremität bringt es mit sich, dass der Pes valgus ex phlebitide in 
der grossen Mehrzahl der Fälle sich nur auf einen Fuss beschränkt. 

Die Beschwerden dieses Fusses entstehen insidiös, in kürzerer 
oder längerer Zeit nach dem Einsetzen des Grundleidens. In einem 
Falle sah ich sie erst ca. 18 Jahre nach einer schweren, im 22. Jahre 
erlittenen Thrombose der Cruralvene auftreten, nachdem der Fuss 
vollständig leistungsfähig geblieben war. Der Anstoss zur Entwicke¬ 
lung des Valgus gab erst eine wiederholte und länger dauern de Ueber- 
lastung des Fusses und zwar beim Fischen an einer steilen Halde, 
wobei die 1. Planta Stunden lang in extremer Pronationsstellung dem 
Geländewinkel sich anpassen musste. 

Da wohl in allen Fällen von obliterirten oder chronisch ent¬ 
zündeten Venen vorübergehende oder bleibende Schmerzen vorhanden 
sind, so werden sehr häufig die sich zugesellenden Valgusbeschwerden 
auf das primäre Leiden bezogen. Dadurch wird die Diagnose dieser 
Deformität häufig nicht gestellt, wobei noch in Betracht kommt, dass 
die Beurtheilung solcher Füsse durch das chronische Oedem er¬ 
schwert ist. Die normalen Knöchelcontouren und die vorspringende 
Achillessehne werden hierdurch verwischt und die Ablenkung wird 
vollständig verdeckt. Wir werden weiter unten sehen, wie wir mit 
einfachen Hilfsmitteln zur richtigen Erkenntniss gelangen können. 

In prophylaktischer Hinsicht möchte ich die internen Herren 
Collegen bitten, doch in jedem Fall von überstandener Phlebitis ganz 
besonders auf das Tragen von richtigem Schuhwerk zu dringen. 
Schon die ersten Gehversuche sollen nicht in den beliebten Finken, 
sondern in entsprechend gebauten und mit einer Einlagsohle ver¬ 
sehenen Schuhen unternommen werden. 

Die Therapie des entwickelten phlebitischen Valgus mittelst 


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Ueber den Pes valgus. 


79 


rationellem Schuhwerk ist eine äusserst dankbare, da nicht nur die 
Valgusbeschwerden verschwinden, sondern oft noch wenigstens ein 
Theil der phlebitischen Schmerzen behoben wird. Die Füsse können 
oder müssen in der neuen Stellung wieder abgehoben werden, die 
ünterschenkelmuskeln contrahiren sich wieder und pressen bei jeder 
Zusammenziehung einen Theil des gestauten Blutes nach oben. Unter¬ 
stützt wird die orthopädische Behandlung in ausgewählten Fällen 
durch eine vorsichtige Massagekur, welche manchmal durch Beseiti¬ 
gung des comprimirenden Oedems und Wiederherstellung der Elasticität 
ausgezeichnete Resultate ergibt. Patienten mit totaler Insufficienz 
der Venenklappen der unteren Extremität können auf diese Weise 
in einen Zustand wenigstens relativer Insufficienz übergeführt werden, 
wobei doch während der Nacht das Oedem vollständig schwindet. 
Doch müssen wir bei dieser Behandlung immer bedenken, dass der 
Teufel nie schläft, wie sich Lorenz in seiner bilderreichen Sprache 
bei einem anderen Anlass ausdrückt, wenn auch das Schreckgespenst 
der Embolie bei längst abgelaufenen Phlebitiden nicht in Frage 
kommt. 

3. Die dritte Form des in späterem Leben auftretenden X-Fusses 
möchte ich nach dem Zeitabschnitt, in welchem er am häufigsten 
auftritt und mit welchem er ätiologisch verbunden ist, den Valgus 
des Schwabenalters nennen. Er ist die am wenigsten beachtete 
und die am häufigsten misskannte Form unserer Deformität. 

Während der ersten vier Decennien haben die Füsse ihre 
Schuldigkeit gethan; dann schwindet ganz allmählich der elastische 
Gang der Jugendjahre, bei dem einen früher, bei dem anderen später. 
Erinnern Sie sich an die Curve mit steilen Erhebungen, welche ein 
rasch marschirendes Rekrutenbataillon aus der Ferne dem Auge dar¬ 
bietet, und vergleichen Sie damit die sanfte Wellenlinie einer behäbig 
einherziehenden Landwehrabtheilung. Es ist die Zeit der beginnenden 
Decadence, die sich weit entfernt am oberen Körperende durch die 
Schwäche des Accommodationsmuskels äussert. Zu gleicher Zeit er¬ 
leiden die Füsse eine zweite Belastungsprobe und zwar unter be¬ 
deutend ungünstigeren Umständen als im ersten Kindesalter. Das 
oft rasch zunehmende Körpergewicht bedingt eine thatsächliche Mehr¬ 
leistung für die Unterschenkelmuskeln beim Gehen und Stehen, die 
nicht mehr wie früher durch Erstarkung der Muskeln während des 
Wachsthums ausgeglichen wird. Ermüdungsgefühl und Bequemlich¬ 
keit führen zur schlechten Gewohnheit, die Füsse nicht mehr ab- 


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0. Hübscher. 


zuwickeln; der Gang über den inneren Fussrand wird, wie beim 
phlebitischen Valgus, zur Gewohnheit. Gleichzeitig drängt sich der 
nun ins Gleiten gerathene Bauch zwischen die Oberschenkel und 
zwingt dessen Träger, die Beine nach auswärts zu rotiren und ge¬ 
spreizt zu gehen. Schon im Sitzen müssen bekanntlich wohlbeleibte 
Menschen ihrem Bauch durch Abduction der Oberschenkel Platz 
machen. Dabei ist die Gangart bei beiden Geschlechtern meist eine 
verschiedene, aber durchaus typische. Der Mann schiebt, um sein 
Körpergewicht möglichst wenig heben zu müssen, die Füsse mit 
auswärts und aufwärts gerichteten Spitzen nach vom, die Frau, mit 
der grösseren Beckenbreite, pendelt ihre Körperlast von einem Fuss 
auf den anderen, wodurch jenes majestätische Seitwärtsschwanken 
entsteht, das dem Gang der bestandenen Matrone eigen ist. 

Zu diesen, ich möchte sagen, physiologischen Schädlichkeiten 
können sich nun andere gesellen, welche im Stande sind, die ab¬ 
norme Fusshaltung in eine Deformität überzuführen. Hierher ge¬ 
hört in allererster Linie die professionelle Ueberanstrengung 
des Fusses durch zu langes Stehen. In höchst lehrreicher Weise 
finden wir den X-Fuss einseitig entwickelt bei solchen, welche ge¬ 
zwungen sind, den grössten Theil des Tages ihre Körperlast einem 
Bein anzuvertrauen. Es ist gewiss kein Zufall, dass unter meinen 
einseitigen Valguspatienten sich drei Zahnärzte befinden, welche bei 
der Ausübung ihres Berufes stets einbeinig arbeiten. Sehr interessant 
ist es, solche Patienten mit einseitigem Valgus auf der Strasse zu 
beobachten: sie wählen immer diejenige Seite der Strasse, welche 
dem erkrankten Fuss entspricht, um die schiefe Ebene der Bom- 
birung als Correctur der Abweichung zu benutzen. Bei ihrem Gang 
ins Geschäft z. B. gewöhnen sie sich einen bestimmten Weg an, 
ähnlich wie das Wild seinen Wechsel besitzt. Wir werden bei der 
Messung der Deformität auf diese Umstände näher eintreten. 

In seltenen Fällen kann ein einseitiger, beweglicher Valgus 
allmählich in einen spastischen, ja total fixirten X-Fuss übergehen, 
ohne dass das Fussgewölbe eine Spur von Abflachung zeigt. 

Der doppelseitige Valgus des Schwabenalters entwickelt sich 
bei Personen, welche den verschiedensten Berufsklassen und Lebens¬ 
stellungen angehören: der stehend ex cathedra docirende Ordinarius, 
die Premiere eines grossen Modemagazins, der Apotheker hinter dem 
Dispensirtisch, der Polizeimann, die durch häufige und späte Schwanger¬ 
schaften überlastete Hausfrau, ans Stehpult gewöhnte Schreiber — 


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üeber den Pes valgus. 


81 


kurz eine bunt zusammengewürfelte Gesellschaft, welche durch zu¬ 
nehmende Beschwerden endlich zum Arzte getrieben wird. Diesen 
Beschwerden geht meist ein Stadium voraus, in welchem nur über 
früher ungewohnte Ermüdung beim Stehen geklagt wird. Bald ge¬ 
sellen sich die eigentlichen Valgusschmerzen hinzu, die sich meist 
zuerst an der Prädilectionsstelle, dem Ansatz des Lig. talotibiale am 
inneren Knöchel einstellen. Im weiteren Verlauf treten Schmerzen 
an den verschiedensten Punkten des Fusses auf, und zwar eines 
Fasses nach dem Sprachgebrauch unserer badischen Nachbarn, bei 
welchen er bekanntlich dort anfängt, wo der Rücken aufhört. 

Die anatomische Grundlage des Yalgusfusses müssen wir 
in einer Insufficienz der Supinatoren suchen, welche nicht mehr im 
Stande sind, den Fuss während der Belastung aus der habituell ge¬ 
wordenen Pronationslage genügend oft und ausgiebig genug in die 
Belastungslinie zurückzuführen. Dadurch tritt zu früh und zu lang 
die Bänder- und Enochenhemmung in Action, bei deren Bean¬ 
spruchung mit Sicherheit Schmerzen auftreten. 

Die Schwäche der Supinatoren kann in prägnanter Weise bei 
allen älteren Fällen durch meine Methode der Perimetrie nach¬ 
gewiesen werden; das Bewegungsfeld zeigt dann eine deutliche Ein- 
schiänkung auf der medialen Seite. Aber auch ohne diese Unter¬ 
suchungsmethode sind wir im Stande, wenigstens die Insufficienz 
eines Muskels schon beim beginnenden X-Fuss und später bei dem 
daraus entstandenen Plattfuss direct am 
Fusse abzulesen und zwar durch die Form- 
Teränderung der grossen Zehe. 

Bei jedem gut gebauten Fuss steht die 
Basisphalanx des Hallux in leichter Dorsal- \ 
flexion, der eine ebenso grosse Beugestel- 
lang des Nagelgliedes entspricht. Sie können 
diese Verhältnisse an jeder antiken Statue nachsehen, eine vollständig 
gestreckte Zehe wirkt unschön. Beim Valgus liegt nicht nur meistens 
der ganze Hallux der Bodenfläche auf, sondern die Nagelphalanx kann 
sogar durch Ueberwiegen des Streckers direct nach oben gerichtet 
sein. Die Zehe hat dann die überaus typische Form, wie sie die 
nach einem Abguss aufgenommene Fig. 1 zeigt. 


') Weitere MittbeiluDgen über die Perimetrie der Gelenke. Deutsche Zeit¬ 
schrift f. Chir. Bd. LIX S. 487. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XIII. Bd. 0 



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82 


C. Hübscher. 


Noch deutlicher als durch die Betrachtung der äusseren Form 
tritt die Insufficienz des Grosszehenbeugers bei der Functions¬ 
prüfung zu Tage. Fordern wir einen Valguspatienten auf, das End¬ 
glied zu beugen,, so macht er hierzu die fruchtlosesten Versuche und 
ist meist sehr erstaunt über seine Misserfolge. Allenfalls gelingt 
noch eine Spur von Beugung bei extremer Dorsalflexion des ganzen 
Fusses, weil hierdurch die Sehne des Beugers gespannt wird; aber 
schon bei rechtwinkeliger Haltung hört jede Flexion auf. Bei ex¬ 
tremer Plantarflexion ist übrigens bei den meisten erwachsenen 
Culturmenschen eine Beugung der Nagelphalanx unmöglich, weil die 
Beugesehne hierbei beinahe geradlinig verläuft und dadurch so ent¬ 
spannt wird, dass die Muskelcontraction nicht mehr ausreicht. Diese 
physiologische Insufficienz muss man kennen, um nicht zu falschen 
Diagnosen verleitet zu werden. 

Wie kommt nun dieses Symptom der Insufficienz des 
Flexor hallucis longus bei Pes valgus, welche, so viel ich weiss, 
noch nicht beachtet wurde, zu Stande? Ist die Insufficienz Ursache 
oder Folge der Valgusstellung? 

Die Anatomen bezeichnen den langen Grosszehenbeuger als den 
stärksten der tiefliegenden Schicht auf der Rückseite des Unter¬ 
schenkels ^). 

Um über das Verhältniss dieses Muskels zu seinen Genossen 
ins Klare hinsichtlich seiner Stärke zu kommen, habe ich mit gütiger 
Erlaubniss von Herrn Prof. Eollmann an einem mit Formol in- 
jicirten Unterschenkel die neun langen Muskeln frei präparirt und 
an Ursprung und Ansatz abgetrennt. Da die Kraft des Muskels 
proportional seiner Masse zu setzen ist, bestimmte ich das Volum 
jedes einzelnen Muskels durch Eintauchen in Wasser und Messen der 
verdrängten Wassermenge in Cubikcentimetem. Das Verhältniss der 
erhaltenen Werthe zum Gesammtvolum sämmtlicher Muskel des 
Unterschenkels wurde in Procente umgerechnet und auf quadrirtem 
Papier graphisch neben einander gestellt. Auf solche Weise erhalten 
wir ein übersichtliches Bild von der Kraftvertheilung in den einzelnen 
Muskeln und Muskelgruppen, das Fig. 2 wiedergibt*). 

*) Vergl. Eollmann, Plastische Anatomie S. 444. Hyrtl, Lehrb. der 
Anatomie S. 539. 

*) In einer früheren Bestimmung der Muskelwerthe von Dursy (Lehrb. 
der Anatomie 1863), der die einzelnen Muskeln in frischem Zustande an der 
Leiche eines 42jährigen Mannes durch Wägung bestimmte, ist der Grosszeben- 


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üeber den Pes valgus. 


83 


Wir sehen aus dieser Untersuchung, dass der uns interessirende 
Flexor hallucis thatsächlich der kräftigste Muskel des tiefen Stratums 



Volum in Procent: 

50,3® 0 7,03 ®/o 8,07 ®/o 3,25 ®/o 7,13 ®/o 4,4 ®/o 10,55 ®/o 5,87 ®/o 2,7 ®/o 

Volum in Cubikcentimeter: — 100 ®/o 

480 67 77 31 68 42 106 56 26 

= 953 ccm 

ist. Er übertrifift noch an Volumen den officiellen Supinator Tibialis 
posticus und steht hinter dem supinatorischen Fussheber Tibialis 

beuger nm l®/o kleiner als der Tibialis posticus. Sonst stimmen die Angaben 
trotz der Verschiedenheit der Methode ziemlich gut mit den von mir erhaltenen 
Wcrtiien überein. Die betreffenden Zahlen sind, wenn ich sie in Procente um- 
rechne, folgende: Triceps surae 55®/o, Tib. post. 7,8®/o, Flex. hall. 1. 6,8®/o, Flex. 


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C. Hübscher. 


anticus auf der Vorderseite nur wenig zurück. Sollte nun dieser 
Muskel wirklich nur die Function haben, die entfernteste Endphalanx 
des menschlichen Körpers zu beugen? Lateral von den beiden unteren 
Dritteln des Wadenbeins entspringend, sendet er seine starke Sehne 
medialwärts hinter dem Sprungbeinkörper und unter dem Susten- 
taculum tali des Calcaneus nach der Planta, indem sie mit diesen 
beiden wichtigsten Knochen des Fusses enge Beziehungen eingeht. 
An der Rückseite des Sprungbeinkörpers hinterlässt sie auf ihrem 
Wege eine tiefe Furche, in welcher sie durch ein selten starkes 
fibröses Retinaculum fixirt wird. Wir gehen gewiss nicht fehl, wenn 
wir annehmen, dass diese innige Verbindung den Talus auf der 
inneren Seite stützt, ganz besonders beim Erheben in den Zehen¬ 
stand, wenn die hinten schmälere Gelenkfläche der Talusrolle nicht 
mehr genau in die Malleolengabel passt. Die Beziehung der Flexor 
hallucis-Sehne zum Calcaneus ist in der ausgezeichneten Arbeit von 
Walter Engels: „lieber den normalen Fuss und den Plattfuss“') 
durchaus zutreffend berücksichtigt. In dieser Arbeit, in welcher 
Engels auf Grund von Röntgogrammen die noch immer umstrittene 
Statik des Fusses in durchaus origineller Weise auf hellt, finden wir 
folgenden Satz: „Ebenso wirkt die starke Sehne des Flexor hallucis 
longus an dem vortheilhaft gelegenen Hebelarm des Sustentaculum 
tali direct hebend auf die mediale Seite des Calcaneus, ihn vor 
Ueberschreitung des physiologischen Drehungswinkels 
schützend.“ Das Wesen des Pes valgus liegt aber eben darin, dass 
die Ueberschreitung des physiologischen Drehungswinkels eine ha¬ 
bituelle geworden ist und dass der Calcaneus von einer weiteren 
Drehung nur noch durch die Action der Bänder gehemmt wird. 
Functionlrt der Flexor hallucis longus richtig, so hat er in Verbin¬ 
dung mit dem Tibialis posticus die Aufgabe, den Fuss vor dieser 
dauernden Beanspruchung der Bänderhemmung zu schützen und den 

digit. 1. 2,55 ®/of Peron. 1. 6,5®/«» Peron. b. 3,1 ®/o, Tib. ant. 10,8 ®/o, Ext. digit. L 
5,0 ®/o, Ext. hall. 1. 2,3 ®/o. 

Beim Orang fehlt der Flex. hall. 1. gänzlich, bei den übrigen Affen er¬ 
gänzt er den langen Flex. digit. comm. und gibt für die grosse Zehe nur einen 
schwachen Ast ab. Beim Menschen verbindet er sich gewöhnlich in der Fuss- 
sohle an der Ereuzungsstelle mit dem Flex. digit. comm. durch einen lateralen 
Ast, der zur zweiten und dritten, häufig nur zur zweiten Zehe geht (Gegen¬ 
bau r, Lehrb. der Anat. S. 469). Diese anatomischen Hinweise verdanke ich 
der Güte von Herrn Prof. Kollmann. 

*) Zeitschr. f. orthop. Chir. Bd. 12, Heft 3, S. 495. 


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üeber den Pes valgus. 


85 


Calcaneus in die Belastungslinie hineinzubolen. Arbeitet er nicht so, 
wie es die klinische Untersuchung in den meisten Fällen ergibt, so 
dürfte der gleich starke oder sogar noch schwächere Tibialis posticus 
für sich allein nicht im Stande sein, dieser Aufgabe zu genügen. 

Würden wir nun feststellen können, dass der Grosszehenbeuger 
primär geschädigt ist, so wäre seine Schwäche die directe Ursache 
des Pes valgus, und wir würden ihm die Ehre anthun, ihn als Haupt¬ 
schuldigen bei der Entstehung des X-Fusses und des Plattfusses über¬ 
haupt hinzustellen. Es ist möglich, aber nicht zu beweisen, dass 
dies in einer Anzahl von Fällen wirklich zutrifift. Hoffa sieht im 
Tragen spitzen und hohen Schuhwerks mit hohen Absätzen eine 
Hauptursache für die Pronationsstellung des Fusses. Thatsächlich 
wird aber durch diese Sünde der Eitelkeit gerade der Flexor hallucis 
am meisten betrofiFen. Durch den hohen Absatz wird der Fuss in 
Spitzfussstellung gehalten und die Beugesehne des Hallux entspannt. 
Das spitze Schuhende zwängt in nur zu bekannter Weise die grosse 
Zehe in Valgusstellung und verhindert so ihre Beugefähigkeit. Es 
kann uns nicht wundern, wenn der entsprechende Muskel der Atrophie 
anheimfallt. 

In den meisten anderen Fällen dürfte die Arbeitseinstellung 
des Grosszehenbeugers eine secundäre sein; sie wäre mit ein 
leicht erkennbarer Index für die allgemeine Muskelschwäche 
der Supinatoren, die wir oben als steten Begleiter des Pes valgus 
jeder Provenienz kennen gelernt haben. 

Die Messung des Pes valgus. 

Die Messung des X-Fusses soll uns gleichzeitig die Diagnose 
und den Grad der Deformität ergeben. Von Lowett und Cotton^), 
sowie neuerdings aus der Hoffa'schen Klinik von Nieny*) sind 
besondere Apparate erfunden worden, um den Grad der Valgusstellung 
nach der gleichzeitigen Abduction und Pronation zu bestimmen. Ich 
halte diese sinnreichen Methoden in praktischer Hinsicht für über¬ 
flüssig und begnüge mich mit dem allereinfachsten Instrument, dem 
Senkel. 

Principiell wird jeder Patient, der über Fussbeschwerden klagt, 

*) Transact. of the Americ. Orthop. Associat. 1898. 

•) lieber den Knickfuss und seine Messung von Karl Nieny. Zeitschr. 
f. orthop. Chir. 1902, Bd. 10 S. 660. 


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86 


C. Hübscher. 


auf einen Tisch hinauf befördert und so zur Untersuchung hin¬ 
gestellt, dass die hinteren Fersenumfänge gerade den Tischrand be¬ 
rühren. Beide Füsse stehen auf einem Bogen weissen Papiers, dessen 
Band genau mit der Tischkante sich deckt. Die beiden Malleolen¬ 
spitzen werden mit Blaustift durch eine hintere Querlinie verbunden, 
die Mitte der Kniekehle, sowie die Fersenmitte ebenfalls markirt. 
Lassen wir nun von der Mitte der Kniekehle das Loth nach unten 
fallen, so schneidet die Lothlinie beim normalen Fuss die Malleolen- 
linie genau in der Mitte der Achillessehne und trifft in ihrem Weiter- 
verlauf die Mitte der Ferse. Ganz anders beim Pes valgus: Mitte 
der Kniekehle und der Achillessehne stehen meist senkrecht unter 
einander, die Fortsetzung der Senkrechten trifft aber den Innenrand 
des hinteren Fersenumfangs, die Fersenmitte liegt ausserhalb des 
Senkels (Fig. 3). 

Durch diese Lothung ist die Diagnose des X-Fusses festgesteUt; 
um nun den Grad der Ablenkung zu bestimmen, verfahren wir fol- 
gendermassen: Ziehen wir von dem Schnittpunkte der Malleolenlinie 
mit der Senkrechten eine Verbindungslinie zur Fersenmitte, so um- 
schliesst diese nach aussen abweichende Linie mit der Senkrechten 
einen Winkel-AJBC, dessen Grösse den Grad der Valgusstellung ab¬ 
gibt. Die Endpunkte der Linie A C und B C werden auf dem unter¬ 
liegenden Papierbogen angezeichnet, ebenso wird die Höhe des Drei¬ 
ecks, BC^ in Centimetem bemerkt. Auf dem gleichen Bogen wird 
selbstverständlich auch die Fusscontour und die verticale Projection 
des vorstehenden inneren Knöchels aufgezeichnet. 

Das Dreieck ABC mit dem Valguswinkel v kann am Rande 
des Papiers mit der grössten Leichtigkeit auf die Fläche umgekantet 
werden; wir brauchen nur die Senkrechte BC und die Wagrechte J.J? 
an der rechtwinkeligen Ecke des Papiers in Centimetem abzumessen 
und die Endpunkte zur Hypothenuse AC zm verbinden. Diese rasch 
ausführbare Construction ergibt uns die genaue Nachbildung des 
Dreiecks mit dem Valguswinkel v, dessen Grösse nun mit dem Trans¬ 
porteur gemessen werden kann. 

Durch trigonometrische Berechnung kommt man zu folgender ungefähren 
Schätzung des Winkels: Die Höhe der Ordinate ist durchschnittlich beim Er¬ 
wachsenen 9 cm; tg V = , also = ~ . Setzt man für x nach einander 

£> O y cm 

■0,5, 1, 1,5, 2, so erhält man für je 0,5 cm einen Werth von 3 Grad. Es ist 
also der Valguswinkel bei einer Abscissenlänge AB von 1 cm = 6®, von 3 cm 
= 18 ^ 


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(Jeber den Pes yalgos. 


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Beim Pes valgns compensatorius bei Genu varum (Albert) 
steht die Fersenmitte senkrecht unter der Mitte des Hüftgelenks. Bas Knie 
liegt nach aussen, die Malleolenmitte nach innen von dieser Senkrechten (Fig. 4). 
Der Valguswinkel v ist gleich dem Varuswinkel v' des Kniegelenks. Ist die 


Fig. 3. 



Ablenkung am Fusse grösser, als am Knie, so ist sie unter allen Umständen 
nach den weiter unten erwähnten Grundsätzen zu corrigiren. Wird das Genu 
varum gestreckt, so ist eine gleichzeitige Behandlung des Fusses selbstverständlich. 

Allein viel mehr als die Berechnung des Winkels und dessen 
Aufzeichnung interessirt uns dieses Dreieck in praktischer Hinsicht. 
Thatsächlich verweilen wir uns nicht lange mit der Ausmessung des 
Winkels, sondern wir schneiden den Papierzwickel ABC einfach mit 
der Scheere ab und geben ihn eventuell dem Schuster als Maass 


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C. Hübscher. 


für die Herstellung der Sohle. Der Winkel v ist nämlich nicht nur 
das Maass für die Grösse der Ablenkung, sondern auch der Cor- 
rectionswinkel, um welchen der innere Fussrand gehoben werden 
muss, um den Fuss wieder in die Lothlinie zu bringen. Um so 


Fig. 4. 



Fig. 5. 



viel Grade der Fuss habituell pronirt ist, muss er auch 
wieder supinirt werden (Fig. 5). 

Man kann sich diese Verhältnisse sofort an einem Beispiele klar 
machen: ein linksseitiger Valguspatient mit 15® Ablenkung traversirt 
eine Halde von 15® Neigung, die rechte Schulter gegen den Hang. 
Beide Füsse schmiegen sich natürlich der Unterlage an, so dass der 
linke Fuss um 15® supinirt, der rechte um ebenso viel pronirt wird. Der 
linke kranke Fuss, der in der Ebene eine habituelle Pronation von 


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Ueber den Pe8 valgus. 


89 


15® batte, wird nun auf dieser Halde gerade um so viel supinirt, 
dass er eingesenkelt und corrigirt ist. Diese Selbstcorrection durch 
'das Terrain lässt auch den Valguspatienten, wie oben schon erwähnt, 
die schiefe Strassenseite instinctiv aussuchen, die seinem X-Fuss ent¬ 
spricht. Ich kenne verschiedene Valguspatienten und Plattfusscandi- 
daten, welche in der Stadt mühselig und beladen einherwandern; im 
Hochgebirge aber werden sie zu ausdauernden Berggängem. In 
vielen Berggegenden ist der Knick- und Plattfuss endemisch; trotz¬ 
dem tragen die damit Behafteten stundenweit die schwersten Lasten. 
Sobald solche Menschen bei der Aushebung durchschlüpfen und auf 
der Landstrasse einige Kilometer marschiren müssen, so versagen ihre 
Füsse den Dienst. 


Die Behandlung des Pes valgns. 

Die Behandlung des Valgus ist entweder eine causale, gegen 
die Ursachen der Ablenkung gerichtete, oder sie begnügt sich, das 
Hauptsjmptom, die Abweichung aus der Belastungslinie, auszu¬ 
gleichen. 

Zur ersten Kategorie der Behandlungsweisen gehört z. B. die 
schon erwähnte operative Beseitigung der posktraumatiscben Ab¬ 
knickung der unteren Tibiaepipbyse. Bekanntlich wurde auch beim 
gewöhnlichen Plattfuss diese Operation empfohlen. Von grösstem 
Interesse ist die von Hoffa eingeführte Verkürzung der Supinatoren, 
besonders des Tibialis posticus. Diese Methode wendet sich direct 
gegen die Schwäche der Muskeln, welche die habituelle Pronation 
zu verhindern haben; durch Annäherung von Ursprung und Ansatz 
sucht sie das Actionsgebiet derselben zu erhöhen. Ein Analogon 
dieser Operation ist die Vorlagerung der Intemi bei motorischer 
Asthenopie der Augen. Die durchaus rationell erdachte Operation 
ist dann zu empfehlen, sobald der Beweis geleistet wird, dass sie die 
Operirten vom Tragen von Einlagsohlen entbindet. Soviel ich weiss, 
hat noch kein Operateur auf das nachherige Tragenlassen von Sohlen 
verzichtet. In einem Fall, welchen ich vor Jahren durch Verkürzung 
des Tibialis anticus zu heilen suchte, war trotz sehr schöner Supi¬ 
nation doch ein Plattfussstiefel nöthig. 

Bis wir weitere Erfahrungen gesammelt haben, wird die sym¬ 
ptomatische Behandlung der Valgusstellung mittelst besonderen Schuh¬ 
werks das Normalverfahren sein. Schon die Hippokratischen 


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C. Hübscher. 


Schriften erwähnen besondere Schuhe bei der Nachbehandlung re- 
dressirter Füsse, und seit Ambroise Pare findet sich in aUen 
Chirurgien in dem gewöhnlich sehr kurzen Kapitel: De Valgis et 
Varis die Sohlenerhöhung erwähnt. Heutzutage hat beinahe jeder 
Orthopäde seine eigene Methode der Plattfusseinlage, während gleich¬ 
zeitig die Industrie und die Schuhkünstler wetteifern, den Valgus- 
patienten zu Hilfe zu kommen. 

Beim Pes valgus sui generis liegen die Verhältnisse sehr ein¬ 
fach. Wir haben gesehen, dass der Ablenkungswinkel gleich 
ist dem Correctionswinkel; von irgend einer orthopädischen 
Vorrichtung am Schuhwerk des Patienten müssen wir dringend ver¬ 
langen, dass der Knickungswinkel thatsäcblicb und voll unter 
Controlle des Senkels ausgeglichen wird. Bringen wir durch 
unsere Vorrichtung die Fersenmitte nicht in die Belastungslinie, so 
ist der Zweck derselben verfehlt. 

Wo sollen wir nun diese schiefe Ebene oder diesen Keil an- 
bringen, deren Neigung oder dessen Winkelgrad wir durch unsere 
Messung bestimmt haben? 

Diese rein praktische Frage kann auf verschiedene Arten ge¬ 
löst werden. 

1. Die Schiefstellung des Absatzes mit seiner Erhöhung 
auf der inneren Seite. Diese von unserem leider verstorbenen Lands¬ 
mann Beely, allerdings ohne Angabe des Grades der Uebererhöhung, 
befürwortete Methode ist die einfachste, billigste und in mässigen 
Fällen bis zu 10® Valgus durchaus rationelle Weise der Ausgleichung. 
Der Papierzwickel ABC unseres Messblattes wandert zum Schuster 
und gibt ihm das genaue Maass für die Schiefstellung. Durch noch¬ 
malige Messung des Fusses im Schuh wird die Ausgleichung des 
Winkels controllirt. 

2. Ist der Grad der Valgusstellung ein höherer oder ist das 
Fussgewölbe gleichzeitig schon fiach oder verlangt die Eitelkeit eine 
unsichtbare Correctur, so wird 

3. das Fussgewölbe auf der inneren Seite so weit unter¬ 
stützt, bis der Fuss aus der Valgusstellung in Supination herüber¬ 
geholt ist. Die Ueberhöhung kann sich dabei nur auf das eigent¬ 
liche Gewölbe beschränken (Sohlen von V ö t s c h, von H o f f a 
empfohlen) oder sie kann auf der ganzen Länge des inneren Fuss- 
randes angebracht werden, so dass auch die Köpfchen der Meta¬ 
tarsen noch auf einer massig schiefen Ebene auftreten (Lorenz). 


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üeber den Pes valgus. 


91 


4. Kann man in hochgradigen Fällen gezwungen sein, den 
schiefen Absatz mit der Sohleneinlage zu combiniren. 

Aus welchem Material sollen wir diese schiefe Ebene her- 
stellen? 

Dauerhafbigkeit, Elasticität und leichte Anpassungsfähigkeit 
kommen hier in Betracht. Von der Natur des Materials wird es 
auch abhängen, wer die Arbeit zu liefern hat, Bandagist, Schuster 
oder sogar der Arzt! 

Von vornherein möchte ich gegen die fabrikmässige Her- 
steUung von Plattfusseinlagen und deren Verordnung durchaus pro- 
testiren. Die unzweckmässigsten, leider noch häufig selbst von 
Aerzten verschriebenen Einlagen sind die halbkreisförmigen Eau- 
tschuksättel, welche ohne weiteres in die Schuhe bineingeleimt 
werden. Anfangs sind die Patienten ja sehr zufrieden, allein die 
Herrlichkeit dauert nur so lange, bis der Kautschuk zusammen¬ 
getreten und der ganze sogen. Gelenktheil des Schuhes direct vor 
dem Absatz nach unten durcbgebogen ist. 

Ferner finden sich im Handel sogen. Stahlblechsohlen mit Hart¬ 
gummi oder Celluloidüberzug. Diese in Formen gestanzten, neuer¬ 
dings zur Verstärkung mit Hohlrinnen versehenen Products sind in 
ganz seltenen Fällen im Stande, den Fuss in das Loth zu bringen. 
Infolge unrichtiger Bearbeitung des Materials sind sie nach aussen 
abgebogen und lassen daher den wichtigsten Theil des Gewölbes, 
Metatarsus I, gänzlich ohne Stütze. Trotz des isolirenden Ueber- 
zuges werden sie von dem alles zerstörenden Schweiss angegriffen 
und brechen in kurzer Zeit zusammen. 

In letzter Zeit werden mit geschickter Reklame (gutes Bild 
eines durchgetretenen Plattfussstiefels) sogen, federnde Sohlen in den 
Handel gebracht. Die Feder, auf Leder montirt, wird in der Mitte 
angeschraubt, die beiden Enden bleiben frei. Für ganz leichte Fälle 
von Senkung des Gewölbes dürften sie genügen; eine redressirende 
Wirkung auf die Valgussteilung besitzen sie nicht, wie man sich 
leicht mit dem Senkel vergewissern kann. 

Der Pes valgus und der aus ihm resultirende Plattfuss ist ein 
derart wichtiges Leiden, dass es wohl berechtigt ist, wenn sich der 
Arzt selbst mit der Herstellung der Correctionssohlen näher be¬ 
schäftigt, ja dieselben, wie wir sehen werden, selbst herstellen lernt. 
Er erlebt dann die Genugthuung, dass er durch seiner Hände Werk 


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92 


C. Hübscher. 


Patienten, welche Jahre lang Qualen ausgestanden haben, die Arbeits¬ 
fähigkeit und die Lebensfreude wiedergeben kann. 

Es sei mir gestattet, kurz den Plattfussschuh, welchen ich seit 
ca. 10 Jahren verordne, zu beschreiben. In jedem schwierigeren 
Fall von Valgus, wenn ein schiefer Absatz nicht genügt, wird die 
Fusscontour auf Zinkblech aufgezeichnet und ausgeschnitten. Aut 
diese Blechsohle wird aus Plastoline (mit Glycerin gemischter Bild¬ 
hauerthon) die Sohle aus freier Hand modellirt, und zwar so, dass 
mit Ausnahme der Ferse der ganze innere Fussrand auf eine nach 
aussen abfallende, dem supinirten Fussgewölbe angepasste schiefe 
Fläche zu stehen kommt. Dieses Sohlenmodell wird dem auf dem Tische 
stehenden Patienten unter den Fuss gelegt und dann mit dem Senkel 
nachgemessen, ob die Calcaneusmitte thatsächlich in die Lothlinie 
hereingehebelt ist. Ist dies der Fall, so erhält der Schuster dieses 
Modell, nach welchem er die Korkeinlage zu schneiden hat. Der 
Fersentheil der Sohle wird möglichst tief in den Absatz verlegt und 
bildet dort ein rundliches Nest für den Sohlentheil des Hackens. Hier 
findet der Fuss seinen Gegenhalt für das Abgleiten nach aussen, so 
dass das Anbringen von Blechhaken am äusseren Schuhrand nach 
Staffel überfiüssig ist; die äussere Seite wird nur durch stärkeres 
Leder (sogen. Contrefort) verstärkt. Um das Einsinken des künst¬ 
lichen Korkgewölbes zu verhüten, wird zwischen Brandsohle und 
Sohle eine starke, besonders hergestellte sogen. Gelenkfeder ein¬ 
gearbeitet, welche von der Ferse bis zu den Mittelfussköpfchen reicht. 
Ganz ungenügend sind die käuflichen, aus Gussstahl verfertigten 
Federn, sie springen wie Glas. 

Wie aus dieser Beschreibung hervorgeht, bin ich bei der Her¬ 
stellung des Plattfussstiefels abhängig von der Intelligenz und dem 
guten Willen des Schusters. Dieser Mann gehört zu einer höchst 
ehrbaren Zunft von Fusskünstlern, denen es oft an den beiden eben 
genannten Prämissen mangelt. Die meisten derselben sind von ihren 
Systemen von Sätteln aus Filz, Leder u. dergl. so eingenommen, dass 
sie bei jedem Versuch einer Neuerung sofort störrisch werden. 

Es ist daher erfreulich, dass uns neuerdings zwei Methoden zur 
Verfügung stehen, welche uns vom Schuster unabhängig machen. 
Durch die Liebenswürdigkeit und Zuvorkommenheit ihrer Erfinder, 
der Herren Dr. Schanz in Dresden und Prof. Dr. Lange in 
München, war es mir möglich, beide Methoden an der Quelle zu 
erlernen. 


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üeber den Pes valgus. 


93 


Beiden Herren bin ich zu grossem Dank verpflichtet. 

Schanz geht folgendermassen vor: Nach dem Russabdruck wird 
eine Papierschablone abgenommen, nach welcher die Sohle aus 3 mm 
dicker Celluloidplatte ausgeschnitten wird. Die aus siedendem Wasser 
mit einer Zange herausgefischte, nun weiche Platte wird zwischen 
einem Tuch rasch aus freier Hand zurechtgebogen, bis sie der Form 
des redressirten Fussgewölbes entspricht. Diese provisorische Ein¬ 
lage trägt nun der Patient eine gewisse Zeit probeweise in einem 
gewöhnlichen Stiefel; Verbesserungen, ja selbst die gänzliche Um- 
niodelung und Höherwölbung sind nachträglich immer noch möglich. 
Sitzt die Einlage einmal richtig, so wird erst die definitive Sohle 
genau nach dem Muster aus 1 mm starkem Duranablech getrieben. 
Diese eisenhaltige Bronce wird vom Schweiss absolut nicht ange- 
grifiTen und bleibt, was wichtig ist, nach dem Hämmern in hervor¬ 
ragender Weise elastisch. Für das Treiben ist selbstverständlich ein 
geschickter orthopädischer Handwerker von Nöthen. Die Methode 
erlaubt uns jedoch, mit Hilfe des Senkels sofort über die Wirkung 
der Einlage in Klare zu kommen; die provisorische Celluloidsohle 
können wir bei der ersten Consultation in der Sprechstunde in wenigen 
Minuten anfertigen. 

Lange hat uns nun gelehrt, gänzlich ohne die Hilfe eines 
Technikers auszukommen. Seine Celluloidstahldrahteinlage 
passt sich zudem in geradezu idealer Weise der redressirten Fuss- 
form an. Der Fuss wird rasch mit einer Gipsbinde umwickelt, wobei 
zum Aufschneiden des Abgusses auf dem Dorsum ein Blechstreifen 
eingelegt wird. Während des Erhärtens tritt der Patient mit dem 
äusseren Fussrand auf, höhlt durch Supination „an Ort*^ möglichst 
das Fussgewölbe und belastet diesen redressirten Fuss mit dem ge- 
sammten Körpergewicht. Der Supinationsbestrebung des Patienten 
wird vom Arzt durch einen transversalen Druck auf den inneren 
Knöchel nachgeholfen und so der Calcaneus aus seiner Pronations¬ 
lage hineingeholt. Auf dem Ausguss dieses Negativs wird die Sohle 
folgendermassen hergestellt: Ein ausgeschärftes Stück Filz schützt 
das Fussgewölbe, darüber kommen zwei Lagen von Gurten, welche 
mit Celluloidacetonlösung bestrichen sind, eine Längslage und eine 
Querlage. Zwischen beiden wird ein System von drei sich kreuzen- 


*) Lange, Neue Plattfusseinlagen aus Celluloidstahldraht. Münchener 
med. Wochenschr. 1893, Nr. 7. 


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94 


C. Hübscher. 


den, 2 mm dicken Stahldräbten eingelegt und das Ganze mit starkem 
Bindfaden umwickelt. Nach dem Trocknen wird die Sohle zuge¬ 
schnitten, in den Schuh eingepasst und mit Spaltleder überzogen. 

Das Ingeniöse an der Lange’schen Methode ist der Umstand, 
dass das ganze Körpergewicht auf drei höchst widerstandsfähigen 
Stahldrähten ruht, die in durchaus sicherer Weise in der dem redres- 
sirten Fussgewölbe angepassten Sohle eingegossen sind. Die supi- 
nirende Wirkung der Einlage kann genau dosirt werden, die Her¬ 
stellung der Sohle ist yiel einfacher als deren Beschreibung. Seit 
October 1903 habe ich eine grosse Anzahl solcher Sohlen angefertigt 
und bin mit den Resultaten ausserordentlich zufrieden. Nach meinen 
Erfahrungen ist die Einlage nach Lange der bedeutendste Fort¬ 
schritt in der Behandlung des Plattfusses, der in den letzten Jahren 
gemacht wurde. 

Sie sehen, meine Herrn, dass uns zur Ausgleichung des Pes 
valgus und des aus ihm hervorgehenden Plattfusses eine Anzahl von 
Methoden zur Verfügung stehen, so dass einem die Wahl schwer 
fällt. Da heisst es individualisiren, nach Form und Art des Valgus, 
nach dem durch unsere Messung gefundenem Grad, nach dem Alter 
des Besitzers, ja nach dessen Geldsäckel. War es ja oft die Schuster¬ 
rechnung, die eine rationelle Behandlung vereitelte. Bei kleinen 
Kindern, sowie bei Knaben und Mädchen mit raschem Knochen¬ 
wachsthum wird es kaum praktisch sein, alle paar Monate einen 
neuen Gipsabguss herzustellen; wenn der Schub vertragen ist, macht 
der Schuster einen neuen mit der entsprechenden Korkeinlage. In 
Fällen, wo ich nicht sicher bin, dass die amovible Einlage auch 
richtig getragen wird, lasse ich auch bei Erwachsenen den alten 
Korkstiefel weiter herstellen. So z. B. nach dem Redressement 
schwerer fixirter Valgi und Plattfüsse bei jugendlichen Landarbeitern, 
bei welchen es auf ein ausserordentlich dauerhaftes Schuhwerk an- 
komrat. Zur Prophylaxe des phlebitischen Valgus genügt oft das 
Einarbeiten einer Gelenkfeder oder das Einschrauben der käuflichen 
federnden Sohle in einen getragenen Schuh. Bei allen anderen ent¬ 
scheidet die Messung, ob die Schiefstellung des Absatzes genügt oder 
ob eine Einlage herzustellen ist. Dann kommen wieder die schon 
oben berührten finanziellen Fragen in Betracht, aus welchem Ma¬ 
terial die Sohle zu fabriciren ist. Die Duranamethode arbeitet 
theurer, weil sie die Hilfe des Technikers in Anspruch nimmt; die 
Celluloidstahldrahteinlage hat den eminenten Vortheil, dass sie 


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üeber deo Pes valgus. 95 

billig ist und auch in der poliklinischen Praxis verwendet wer¬ 
den kann. 

Nur in ganz seltenen Fällen und nur nach Redressement schwer¬ 
ster Valgi sind wir genöthigt, für die erste Zeit eine einfache innere 
Gelenkschiene mit Metallsohle tragen zu lassen. 

Neben dieser orthopädischen Behandlung ist eine allgemeine 
und locale Kräftigimg von grösstem Nutzen. Bei pastosen kleinen 
Kindern ist die Nahrung zu verbessern, besonders der oft zu lange 
hinausgeschobene Gemüsegenuss anzurathen. Dünnbeinige Knaben 
und Mädchen haben täglich die von Hoffa empfohlenen Plattfuss- 
übungen (Erheben auf den Fussspitzen mit einwärts gestellten 
Füssen etc.) zur Kräftigung der Supinatoren zu machen. Bei meinen 
Skoliosepatienten, von welchen immer */3 Valgusfüsse aufweisen, 
werden solche üebungen täglich zum Schluss der Turnstunde in Ver¬ 
bindung mit der Athemgymnastik gemacht. Die Massagebehandlung 
des phlebitischen X-Fusses habe ich schon erwähnt. Die Valgus- 
patienten des Schwabenalters sind aus ihrer Bequemlichkeit aufzu¬ 
rütteln; Bergsteigen und jeder noch erlaubte Sport in vernünftigen 
Grenzen ist dringend anzurathen. Gymnastische üebungen werden 
wohl verordnet, aber äusserst selten auch wirklich durchgeführt; 
stosst man auf die seltenen Ausnahmen, welche einer derartigen Be¬ 
handlung zugänglich sind, so ist neben der Kräftigung der Supina¬ 
toren der Flexor hallucis longus ganz besonders zu berücksich¬ 
tigen und durch active Beugungen und Widerstandsgymnastik zu 
srärken. Dass redressirte, fixirt gewesene Valgi einer lange dauernden 
sorgfältigen Nachbehandlung bedürfen, ist selbstverständlich. Hier 
sind specielle Apparate (Supinationspendel) kaum zu entbehren. 


Zum Schluss sei es mir gestattet, das Ergebniss dieser Arbeit in 
einigen Sätzen zusammenzustellen: 

1. Der Pes valgus, das Vorstadium des Plattfusses, entsteht mit 
Ausnahme der traumatischen Fälle durch eine habituelle Pronation 
im unteren Sprunggelenk. 

2. Bedingt ist diese Pronationslage durch eine Insufficienz der 
Supinatoren, welche verlernt haben, den Fuss in die Belastungslinie 
hineinzuholen. 

3. Die Ursache dieser Insufficienz ist eine verschiedene: Miss- 
verhältniss zwischen Körperlast und Entwickelung der Muskeln, all- 


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96 


C. Hübscher, lieber den Pes valgus. 


gemeine schwächliche Constitution, locale Schwächung des Muskels 
durch Phlebitis und Varicen, Nichtabwickeln des Fusses infolge zu¬ 
nehmender Körperfülle und Bequemlichkeit etc. 

4. Ein sichtbarer Index für diese Insufficienz ist die mangel¬ 
hafte Function des Flexor hallucis longus. 

5. Jeder Patient, welcher über Fussbeschwerden klagt, ist auf 
den Tisch zu stellen und mit Hilfe des Senkels auf Valgussteilung 
des Calcaneus zu untersuchen. 

6. Der mit der Senkelmethode gefundene Ablenkungswinkel ist 
principiell durch eine am oder im Schuh angebrachte schiefe Ebene 
zu corrigiren, welche den Fuss um so viel Winkelgrade supinirt, als 
er vorher pronirt war. 


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IX. 


(Mittheilungen aus dem orthopädischen Institut von Dr. A. Lüning 
und Dr. W. Schulthess, Privatdocenten in Zürich.) 

XXVIII. 

Elinisclie Stadien über die Dorsalskoliose. 

Von 

S. Sama Hoffmann aus Budapest (Ungarn). 

In unserer Arbeit haben wir uns in erster Linie die Aufgabe . 
gestellt, zu entscheiden, ob die Dorsalskoliose einschliesslich der 
Cervicodorsalskoliose während der Beobachtungszeit 

1. persistirt; 

2. wenn sie sich ändert, welche Formen aus ihr her¬ 
vorgehen. 

Wir berücksichtigen nur solche Fälle, welche im Verlaufe der 
Beobachtung mehr wie einmal gemessen waren, und welche 
über l.Jahr in Beobachtung standen. Daher ist die Zahl der für 
uns verwerthbaren Fälle beträchtlich kleiner ausgefallen, als in der 
Statistik von Dr. Schulthess in „üeber die Prädilectionsstellen der 
skoliotischen Abbiegungen an der Wirbelsäule nach Beobachtungen 
an 1140 Skoliosen** ^), woselbst 739 Dorsalskoliosen aufgeführt wur¬ 
den, 223 links-, 516 rechtsconvexe. 

Wir haben im ganzen 166 Fälle zusammengestellt, davon 
52 einfache Dorsalskoliosen, 105 complicirte Dorsal¬ 
skoliosen und 9 Cervicodorsalskoliosen. 

Bei der Zusammenstellung wurden folgende Punkte tabellarisch 
geordnet: 

1. Journalnummer. 

2. Alter, zur Zeit der ersten Untersuchung. 

3. Geschlecht. 


*) Zeitschr. f. orthopäd. Chirurgie Bd. 10. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XIII. Bd. 7 


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98 


S. Samu Hoffmann. 


4. Datum der ersten und letzten Untersuchung, also 
die Beobachtungszeit. 

5. Charakteristik des Falles bei der ersten und letzten 
Messung. 

Sie umfasste wiederum folgende Punkte: 

a) Seitenabweichung. 

Bei der ersten Untersuchung wurde die Scheitelhöhe in der¬ 
selben Art wie in den früheren Arbeiten aus dem Institute gemessen. 
Bei der letzten Untersuchung konnte die Scheitelhöhe bei den per- 
sistirenden Formen angegeben werden, bei den umgewandelten Formen 
mit mehrfachen Krümmungen die mit dem ersten Bilde gleichsinnige 
Scheitelhöhe. 

b) Ueberhängen. 

Distanz der Vertebra prominens von einer auf die Mitte des 
Kreuzbeins errichteten Senkrechten. 

c) Torsion. 

1. Im aufrechten Stehen in den drei bei der Messungs¬ 
methode üblichen Ebenen aufgenommen. 

2. Bei Vorbeugehaltung mit dem Nivellirtrapez gemessen. 

d) Physiologische Krümmung: Dorsalkrümmung, 
Lumbalkrümmung, der Haltungstypus. 

Wir verzichten hier darauf, die daraus hervorgehende Tabelle 
in extenso anzuführen, da wir im Anschlüsse an die Besprechung 
einzelner Punkte jeweilen einen entsprechenden Abschnitt der Tabelle 
einzuflechten gedenken. 

Aus der Tabelle ergeben sich nun folgende Thatsachen, welche 
wir zur Charakteristik des Materials anführen. 

Alter. 

Das Alter zur Zeit der ersten Untersuchung bewegt sich zwi¬ 
schen 5—23 Jahren, bei 9 Fällen fehlen die Angaben. 

Jahre; 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 23 Fehlt Totol 
Fälle: 2 1 3 8 9 18 9 22 18 25 20 13 3 2 1 2 1 9 166 

Bei den Dorsalskoliosen werden also die meisten 
Fälle beobachtet von 12—15 Altersjahren, und das Maxi¬ 
mum erreicht in 14 Altersjahren, was mit dem früheren 
Fund im orthopädischen Institute übereiustimmt. 


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Klinische Studien über die Dorsalakoliose. 


99 


Geschlecht. 

Wir bemerken ein bedeutendes lieber wiegen des weiblichen 
Geschlechtes. Unter den 166 Fällen finden wir 153 (92,7 ^/o) weib¬ 
liche und 12 (7,3 ® o) männliche. In einem Fall fehlt die An¬ 
gabe des Geschlechtes. (Er ist in obiger Rechnung nicht inbe¬ 
griffen.) Dieses Verhältniss stimmt mit dem früher gefundenen. 

Beobachtungszeit. 

Die Beobachtungszeit wechselt zwischen 1—13 Jahren, und zwar 

Beobachtungen von 1— 2 Jahren sind 78 Fälle 

, . 2 — 3 , , 22 , 

. , 3- 5 , . 41 , 

, . 5-10 , , 21 , 

- * 10 -18 . . 4 , 

Zusammen 16t> Fälle 

Besonders diese langen, an demselben Patienten fortgeführten 
fieobachtungen und Messungen geben uns Tor alleoi die Mittel in 
die Hand, die oben gestellten Fragen zu beantworten. 

Behandlung. 

Die Fälle waren meistens in Behandlung, selbstverständlich 
wurde aber die letzte Messung, auf welche wir uns beziehen konnten, 
meistens nicht zu einer Zeit vorgenommen, während welcher das 
Kind in Behandlung stand, sondern viel später. Wir verzichten auch 
darauf, hieran besondere Schlüsse zu knüpfen, da ja die Behand- 
lungsresultate des Instituts in früheren Berichten besprochen sind. 

Deviation. 

In Bezug auf die Seitenabweichung zeigen sich unter den 
166 Fällen 50 (30,12 ®/o) linksconvexe und 116 (69,88 ®/o) rechts¬ 
convexe Formen. Wie wir daraus sehen, eine grosse Differenz zu 
Gunsten der rechtsconvexen. 

Behufs weiterer Analyse der Beobachtungen theilten wir unser 
Material in drei Gruppen, und zwar: 

A. Einfache Dorsalskoliose. 

B. Complicirte Dorsalskoliose. 

C. Cervicodorsalskoliose. 


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100 


S. Samu Hoffmann. 


A. Einfaclie Dorsalskoliose. 52 Fälle. 


Alter. 


Jahre 

Fälle 

Jahre 

Fälle 

5 

1 


I Uebertrag 
29 

6 

— [ 

14 

6 

7 

1 

15 

5 

8 

5 

16 

5 

9 

2 1 

17 

— 

10 


18 

1 

11 

2 

19 

— 

12 

8 

20 

2 

13 

5 

Fehlt 

4 

Total 29 

ToUl 52 


Zur Zeit der ersten Untersuchung schwankend zwischen 5 bis 
20 Jahren, bei 4 Fällen fehlen die Angaben. Die Altersfrequenz 
schwankt bei dieser Form also weniger, als bei der Ge- 
sammttabelle. Das Maximum wird also hier mit dem 12. Alters¬ 
jahr erreicht. 

Geschlecht. 


Weibliche. 46 (88,5®/o) 

Männliche.5 ( 9,6 , ) 

Geschlechtsangaben fehlen 1 ( 1,9 , ) 


Total 52 Fälle 
Beobachtungszeit. 

Die Beobachtungszeit wechselt zwischen 1—8 Jahren. 

1—2 Jahre waren in Beobachtung 26 Fälle 

2 3 » n n • 7 » 

3 - 5 „ n «• fl 12 » 

5—8 « » » fl_ 7 „ 

Zusammen 52 Fälle 

Deviationsrichtuug. 

Unter den 52 Fällen waren 25 linksconvexe (48,1 ®/o) und 
27 (51,9^/o) rechtsconvexe Formen. Wie wir daraus sehen, keine 
grosse Differenz. Diese Zahl möchte für die von Kölliker veröffent¬ 
lichte Statistik aus der Leipziger Poliklinik sprechen^). Hier findet 

*) Centralblatt f. Chirurgie Nr. 21, Jahrg. 1886. 


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Klinische Studien über die Dorsalskoliose. 


101 


er unter 391 Dorsalskoliosen 208 (53,2 ®/o) rechtsconvexe und 
183 (46,8 ®/o) linksconvexe Formen. Hierbei ist allerdings zu be¬ 
rücksichtigen, dass Kölliker hier offenbar sämmtliche dorsal- und 
lumbodorsale Formen eingerechnet hat. 

In der letzten Statistik von Dr. Schulthess^) ergaben sich 
bei 217 einfachen Dorsalskoliosen 105 rechtsconvexe und 112 links¬ 
convexe Formen, demnach weichen unsere Procentzahlen wenig von 
diesen Angaben ab. 

Bei der zweiten Untersuchung finden wir 27 rechtsconvexe und 
25 linksconvexe Formen, wir sehen, dass die Zahlen fast geblieben 
sind. 2 Fälle sind aus linksconvexen in rechtsconvexe 
übergegangen und 2 Fälle sind aus rechtsconvexen in 
linksconvexe übergegaugen. 

üeberhängeu. 

Wir finden bei der ersten Untersuchung: 

25 (48,1 ®/o) Fälle rechts überhängend 

20 (38,5 ,) , links 

7 (13,4 .) . nicht 

Zusammen 52 Fälle 

Bei der zweiten Untersuchung: 

27 (51,8 ®/o) Fälle rechts überhängend 

19 (36,6 , ) , links 

6(11,6,) , nicht 

Total 52 Fälle 

Wir fanden also einen kleinen Unterschied zu Gun¬ 
sten der Rechtsüberhängenden. 

Berücksichtigen wir dabei die Richtung der Convexität, so 
finden wir bei der ersten Untersuchung unter 25 linksconvexen 
Formen 

15 (60 ®/o) Fälle links überhängend 

9 (36 „ ) , rechts , 

1(4,), nicht 

Total 25 Fälle 

Und unter 27 rechtsconvexen Formen 

16 (59,26 ®/o) Fälle rechts überhängend 

5 (18,52 ,) , links 

_ 6 (22 , 22 , ) , nicht , 

Zusammen 27 Fälle 

*) Zeitschr. f. orthopäd. Chirurg. Bd. 10. 


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102 


S. Samu Hoffmann. 


Aus dieser Zusammenstellung ergibt sich, dass unter den links¬ 
convexen Formen 60®/o, unter den rechtsconvexen Formen 59,26 
also in beiden Arten ungefähr ganz gleiche Procentzahlen nach der 
gleichen Seite überhängend sind, nach welchen die Convexitat des 
Bogens gerichtet ist. 

Auffallend ist nur, dass wir bei den rechtsconvexen Formen 
22,2 V nicht überhängende Formen finden, während bei den links- 
convexen Formen nur 4®/o, d. h. 1 Fall, um so mehr als Joseph 
Hess^) in seiner Arbeit über Totalskoliose 20 *^^0 nicht überhängende 
Fälle bei der linksconvexen Form gefunden hat. 

Bei der zweiten Untersuchung sind die Zahlen etwas ver¬ 
ändert, und zwar: 

Bei den linksconvexen Formen: 

11 (44®/o) Fälle links überhängend 

9 (86 „ ) , rechts „ 

5 (20 > ) , nicht , 

25 Fälle 

Aus den links Überhängenden Formen sind also in 16 
nicht überhängende geworden, mit anderen Worten, die 
Fälle zeigen eine Tendenz zum Ueberhängen nach rechts. 

Bei den rechtsconvexen Formen: 

14 (52 ® o) Fälle rechts überhängend 

12 (44,4 . ) , links 

_ 1 ( 3,6 „ ) „ nicht , 

Total 27 Fälle 

Hier haben sich die rechts- bezw. gleichsinnig Über¬ 
hängenden Formen etwas vermindert, die links überhän¬ 
genden Formen mehr als um das Doppelte vermehrt, die 
nicht überhängenden vermindert. Die links überhängenden 
zeigen einen Zuwachs von 26%, auf Kosten der beiden 
anderen Formen. Noch deutlicher als die linksconvexe 
Dorsalskoliose zeigt also die rechtsconvexe eine Tendenz 
zum Ueberhängen nach der der Convexität entgegen¬ 
gesetzten Seite. 

Die Grösse des Ueberhängens. 

Es zeigt sich, dass dieselbe bei den 27 rechtsconvexen 
Formen 

') Zeitschr. f. orthop. Chirurgie Bd. 6. 


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Klinische Studien Über die Dorsalskoliose. 


103 


bei 4 (14,9 ” o) Fällen 

. 9 (33,3 , ) , 

. 9 (33,3 . ) , 

. 3 (11,1 ,) . 

_ . 2 ( 7,4 . ) , 

Total 27 Fälle 


gleich geblieben ist 
kleiner geworden ist 
grösser , , 

von 1. n. r. übergegangen ist 
,, r. n. 1. 


Bei 

gendes: 


den 25 linksconvexen Formen zeigt sich Fol- 


bei 


2 ( 8® o) Fällen 

7 (28 . ) . 

10 (40 , ) , 
3(12.) . 

3(12.) . 


gleich geblieben ist 
kleiner geworden ist 
grösser , 

von 1. n. r. übergegangen ist 
» r. n. 1. 


Total 25 Fälle 


Hier finden wir, dass bei den rechtsconvexen Formen 
in mehr Fällen das Ueberhängen grösser als kleiner ge¬ 
worden ist. Nur in wenig Fällen bleibt es gleich. Beiden 
linksconvexen Formen finden wir ganz gleiche Zahlen für 
grösser und kleiner Werden. Etwas mehr Fälle gehen von 
links nach rechts über, als umgekehrt. 

Es zeigt sich weiter, dass dieselbe bei den 30 nach rechts 
überhängenden Formen 

bei 2 ( 6,66 ®/o) Fällen gleich geblieben ist 

. 11 (36,6 .) . grösser geworden ist 

. 11 (36,6 , ) , kleiner . . 

. 6 (20 „ ) * das links Ueberhängen in rechts 

Ueberhängen übergegangen ist 

Bei den 22 links überhängenden Formen zeigt sich: 

bei 4 (18,18 ®/o) Fällen ist sie gleich geblieben 

, 9 (40,91 . ) , • . grösser geworden 

. 6 (27,27 , ) . , . kleiner 

. 3 (13,64 . ) . . . von 1. n. r. übergegangen 

Nach dieser Tabelle sehen wir, dass bei den rechts¬ 
convexen Formen nur bei den linksconvexen Formen 

18 V gleich geblieben sind, was wiederum darauf hin deutet, 
dass die linksconvexen Formen mehr Tendenz haben, die 
Richtung ihres Ueberhängens beizubehalten, als die rechts¬ 
convexen Formen. Weiterhin sehen wir, dass die Zunahme 
des Ueberhängens bei den linksconvexen Formen öfters 
beobachtet ist (in 40 V)? als bei den rechts convexen Formen 
(in 36V). 


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104 


8. Samu Hoffmann. 


a)Lage des Krümmungsscheitels in Beziehung zur 
Senkrechten auf das Kreuzbein. 

Linksconvexe Formen. 

I. Untersuchung: 25 Fälle. 

II. Untersuchung. 

23 (92 ®/o) Fälle linksconvex 
2 ( 8 „) , rechtsconvex 

Total 25 Fälle 

Rechtsconvexe Formen. 

I. Untersuchung: 27 Fälle. 

II. Untersuchung. 

25 (92,6 ®/o) Fälle rechtsconvex 
2 ( 7,4 „ ) , linksconvex 

“total 27 Fälle 

Die Art der Krümmung hat sich demnach in der Be¬ 
obachtungszeit bei links- und rechtsconvexen Formen in 
ähnlicher Weise geändert, 7,4®/o—8®/o zeigten die Convexität 
nach der anderen Richtung. 

Diese veränderten Fälle sind in nachstehenden Tabellen auf¬ 
geführt. 

Rechtsconvexe Formen. 


Journal 


Ge- 

Beobnchtungszeit 

Lage des Krümmungs¬ 
scheitels 

Nr. 


schlecht 

Jahr 1 

Monat 

I. Beob. 1 

11. Beob. 

243 

8 

W 

1 

5 

1 

4r. 

8 1. 

1189 

9 

W 

3 

3 

8r. 

6 1. 

166 

Fehlt 

Linksconvexe Formen. 

1 M 1 1 1 — 

101. 1 

6r. 

1786 

1 

10 

w 

5 

11 

61. 

4r. 


Scheitelhöhe. 

In 23 (44,23 7o) Fällen ist die Scheitelhöhe kleiner geworden 
. 17 (32,70 J . grösser 

„ 8 (15,38 , )*) , , „ p gleich geblieben 

*) In 2 (3,84 ®/o) Fällen ist die Scheitelhöhe von 1. n. r. übergegangen 
, 2 (3,84 , ) p pp p p r. n. 1. , 


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Klinische Studien Ober die Dorsalskoliose. 


105 


In knapp der Hälfte der Fälle wurde die Scheitelhöhe 
kleiner. Diese Veränderung ist sehr wahrscheinlich auf 
die stattgehabte Behandlung zurückzuführen, während die 
Vergrösserung der Scheitelhöhe in32,7 ^/o zur Genüge darauf 
hindeutet, dass eine starke Tendenz zur Vermehrung der 
Krümmung vorhanden ist. 

In Beziehung auf die Vertheilung auf links- und rechtsconvexe 
Formen ergibt sich Folgendes. 

Rechtsconvexe Formen. 

In 12 (44,4 7o) Fällen ist die Scheitelhöhe kleiner geworden 

, 11 (40,8 , ) , , , , grösser , 

, 2 ( 7,4 , ) , , , , gleich geblieben 

p 2 ( 7,4 p ) , , , , von r. n. 1. übergegangen 

Linksconvexe Formen. 

ln 11 (44 7o) Fällen ist die Scheitelhöhe kleiner geworden 

, 6 ^24 , ) , , , , grösser , 

, 6 (24 . ) , , , , gleich geblieben 

p 2 ( 8 „ ) „ , , , von 1. n. r. übergegangen 

Bei beiden Formen ist ungefähr in der Hälfte der Fälle 
die Scheitelhöhe kleiner geworden, dagegen zeigen die 
rechtsconvexen Formen eine stärkere Tendenz zur Ver¬ 
grösserung der Scheitelhöhe, als die linksconvexen. Be¬ 
sonders wenn wir hierzu die beiden Fälle nehmen, welche 
aus linksconvexen Formen rechtsconvexe geworden sind. 


b) Lage des Krümmungsscheitels in Beziehung auf 
die Verschiebung nach oben oder nach unten. 

In 30 (57,69 7o) Fällen ist der Krümmungsscheitel in ders. Stelle geblieben 
, 16 (30,76 „ ) , , p p nach unten gewandert 

„ 6 (11,55 p ) p , , p p oben „ 

Total 52 Fälle 

Die kleine Tabelle sagt uns, dass der Krümmungs¬ 
scheitel in der Mehrzahl der Fälle in gleicher Höhe bleibt, 
mit anderen Worten, dass die in der Wirbelsäule entstan¬ 
dene Knickung als solche persistirt. Um so bemerkens- 
werther ist es aber, dass bei 30,76 ^/o der Krümmungs- 


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106 


S. Samu Hoffmann. 


Scheitel nach unten wandert, viel seltener nach oben 
(ll,55®|o). Ohne Zweifel hängt diese Wanderung mit den stati¬ 
schen Verhältnissen zusammen, und es ist wohl möglich, dass 
durch die Zurückbiegung des oberhalb der Knickungsstelle ge¬ 
legenen Abschnittes, bezw. durch die Entstehung der oberen Gegen¬ 
krümmung ein Grund geliefert wird für das Herabrücken des 
Krümraungsscheitels. Ein weiterer Grund kann in der starken Seit¬ 
wärtsneigung des unterhalb des Krümmungsscheitels gelegenen Ab¬ 
schnittes gesucht werden. Dieser ist wiederum abhängig von der 
Vermehrung der Knickung in der Lendenwirbelsäule. Jedenfalls 
deutet aber diese Beobachtung darauf hin, dass es sich in diesen 
Fällen nicht um starke und scharfe Knickungen handelt, sondern um 
Biegungen, welche veränderlich sind. Die Beobachtung erklärt 
ferner die von Dr. Schulthess gemachte, wonach die Stelle der 
stärksten Frequenz rechtsconvexer dorsaler Abbiegungen unter der 
Stelle der maximalen Deviationen liegt ^). 

Torsion. 

Die Torsion wurde in dem uns vorliegenden Material mit zwei 
Methoden gemessen. 

1. In Zeichnungen von drei horizontalen Touren im 
aufrechten Stehen. 

2. Durch die Feststellung des Torsionsgrades in Vor¬ 
beugehaltung mit dem Nivellirtrapez. Wir besprechen zuerst 
die Resultate der ersten Methode. 

Die nachstehenden Tabellen zeigen, wie oft bei der ersten und 
zweiten Beobachtung Torsion constatirt wurde in den drei Curven. 
Curve I bedeutet Acroraialhöhe, Curve II Höhe des Scapularwinkels, 
Curve III Lumbalhöhe. Die eine Tabelle entspricht der ersten, die 
andere der zweiten Beobachtung; die dritte der bei den ein¬ 
zelnen Fällen. 


Tabelle I. Erste Untersuchung. 


Curve 

Rechts¬ 

torsion 

Links¬ 

torsion 

Keine 

Torsion 

Fehlen die 
Angaben 

Zusammen 

1. 

19 

18 

1 

7 

8 

52 

11. 

30 

9 

5 

8 

52 

III. 


14 

13 

8 

52 


Zeitschr. f. orthop. Chirurgie Bd. 10. 


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Klinische Studien Über die Dorsalskoliose. 


107 


Tabelle II. Zweite Untersuchung. 


Curve 

Rechtfi- 

torsion 

1 

Links¬ 

torsion 

Keine 1 

Torsion 

1 Fehlen die 
Angaben 

Zusammen 

I. 

19 

14 

11 

8 

52 

11. 

35 

4 

5 

8 

52 

III. 

19 

16 

9 

8 

52 


Tabelle III. Bei den einzelnen Fällen. 


1 


Ver- 

Von links 

Von rechts 

Fehlen 


Curve 1 Persistirt 

Neue auf* 

schwun- 

n. rechts 

n. links 

die 

Zu- 


getreten 

den 

überge 

gangen 

Angaben 

sammen 

I. ! 23 

1 7 

11 

3 

— 

8 

52 

11. 34 

2 

3 

4 

1 

8 

52 

III. 1 26 

9 

5 

i 

2 

2 

8 

52 


Entsprechend den Deviationen ergibt sich, dass in Curve II die 
grösste Zahl Torsionen, und zwar Rechtstorsionen beobachtet sind. 
Die Linkstorsionen haben ihr Maximum in der Curve I. Die Tor¬ 
sion fehlt am meisten in der Lumbalcurve und am seltensten in der 
Scapularcurve. Die Vergleichung mit der zweiten Tabelle weist 
nach, dass in der Curve II mehr Fälle mit Rechtstorsionen zur Be¬ 
obachtung kommen als bei der ersten Beobachtung, und dass in der 
Lendencurve ein geringes Steigen der Fälle nachgewiesen werden 
kann, sowohl für Links-, wie auch für Rechtstorsion. 

Das Hau.ptergebniss ist eine kleine Vermehrung in 
der Rechtstorsion und eine kleine Verminderung der Links¬ 
torsion. 

Die wesentlichste Veränderung zeigt sich bei Ta¬ 
belle III in der Curve I, in welcher die Torsion in 11 Fällen 
verschwunden ist, und dass der Uebergang der Links¬ 
torsion in Rechtstorsion etwas häufiger vorkommt, als 
umgekehrt. 

Betrachten wir jetzt separat die rechts- und linksconvexen 
Formen. 


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108 


S. Samu Hoffmann. 


Rechtsconvexe Formen. 

1. Beobachtung. 


Curve 

Rechts- 

torsion 

Linke¬ 

torsion 

Keine 

Torsion 

Fehlen die | 
Angaben 

Zusammen 

I. 

6 

13 

5 

3 

27 

II. 

19 

3 

2 

3 

27 

III. 

12 

6 

6 

3 

27 


II. Beobachtung. 


I. 

8 

12 

4 

II. 

21 

1 

2 

III. 

11 

10 

3 


27 

27 

27 


Linksconvexe Formen. 


I. Beobachtung. 


Curve 

Rechts¬ 

torsion 

Links- 
torsion 

Keine 

Torsion 

Fehlen die 
Angaben 

Zusammen 

I. 

13 

5 

2 

5 

25 

II. 

11 

6 

3 

5 

25 

III. 

5 

8 

7 

5 

25 



11. Beobachtung. 



I. 

11 

2 

7 

5 

25 

II. 

14 

3 

3 

5 

25 

111. 

8 

6 

6 

1 

5 

25 


Torsion bei Vorbeugehaltung. 

Hier finden wir bei der 

Brustwirbelsäule: 

I. Beobachtung. 

16 (30,72 ®/o) Fälle Rechtetorsion 
18 (34,70 „ ) „ Linkstorsion 

7 (13,44 „ ) „ keine Torsion 

11 (21,14,) , fehlen die Angaben 

Total 52“mie 

(Die Nivellirtrapezmessung datirt aus dem Jahre 1891.) 


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Klinische Studien über die Dorsalskoliose. 


109 


II. Beobachtung. 

29 (55,73 ® o) Fälle Rechtstorsion 

9 (17,17 ,) , Linkstorsion 

3 ( 5,96 • ) « keine Torsion 

11 (21,14 „) • fehlen die Angaben 

Total 52 Fälle 

Wie wir daraus sehen, haben die Fälle mit Links¬ 
torsionen und ohne Torsionen abgenommen zu Gunsten 
der Rechtstorsionen. 

Lendenwirbelsäule. 

I. Beobachtung. 

15 (28,85 7o) Fälle Rechtstorsion 
14 (26,88 , ) « Linkstorsion 

12 (23,13 ,) „ keine Torsion 

11 (21,14 , fehlen die Angaben 

Total 52 Fälle 

II. Beobachtung. 

19 (36,48®/®) Fälle Rechtstorsion 
11 (21,14 „) , Linkstorsion 

11 (21,14 „) , keine Torsion 

_ 11 (2L14 „) „ fehlen die Angaben 

Total 52 Fälle 

Hier fanden wir dasselbe wie bei der Brustwirbel¬ 
säule, nur nicht in so grossen Differenzen. 

Nehmen wir die Convexität in Betracht, so finden wir Fol¬ 
gendes: 

Linksconvexe Formen. 

Brustwirbelsäule. 

I. Beobachtung. 

8 (32®/o) Fälle Rechtstorsion 

10 (40 „) „ Linkstorsion 

2(8,) , keine Torsion 

5 (20 , ) , fehlen die Angaben 

Total 25 Fälle 

II. Beobachtung. 

9 (36®/o) Fälle Rechtstorsion 

8 (32 ,) , Linkstorsion 

3 (12 , ) • keine Torsion 

5 (20 , ) , fehlen die Angaben 

Total 25 Fälle 


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110 


S. Samu HofFmann. 


Rechtsconvexe Formen. 

Brustwirbelsäule. 

J. Beobachtung. 

8 (29,7 ®/o) Fälle Rechtstorsion 
8 (29,7 „ ) „ Linkstorsion 

5 (18,4 ,) , keine Torsion 

_ 6 (22,2 „ ) „ fehlen die Angaben 

Total 27 Fälle 

II. Beobachtung. 

20 (74,1 ® o) Fälle Rechtstorsion 
1 ( 3,7 « ) „ Linkstorsion 

6 (22,2 , ) „ fehlen die Angaben 

Total 2TYÄ]\e 

Bei den linksconvexen Formen finden wir keine 
grossen Differenzen, bei den rechtsconvexen finden wir 
einen grossen Unterschied gegen die erste Untersuchung, 
nämlich sämmtliche Linkstorsionen und die Fälle ohne 
Torsionen sind Rechtstorsionen geworden, das ist ganz 
typisch. 

Sehen wir nach, ob die Torsion in Vorbeugehaltung während 
der Beobachtung persistirt, oder ob sie sich verändert. 

B rustwirbelsäule. 

In 4 ( 7,68%) Fällen ist es gleich geblieben 
„ 17 (32,68 „ ) „ , « grösser geworden 

„ 16 (30,79 „) „ B „ kleiner , 

, 3 ( 5,79 B) n ,, 7 » von r. nach 1. übergegangen 

B 1 ( 1,92 B) , B » « 1- ,7 r- 

B 11 (21,14 b) » fehlen die Angaben 
Total 52 Fälle 

Lendenwirbelsäule. 

In 9 (17,35%) Fällen ist es gleich geblieben 
B 11 (21,14 , ) B »• » grösser geworden 

B 15 (28,85 B ) 1 . 77 77 kleiner , 

B 2 ( 3,84 B ) 77 „ » von r. nach 1. übergegangen 

B 4 ( 7,68 B ) 7. B 77 7. 1- 7. r. 

B 11 (2 1,14 B ) 17 fehlen die Angaben 

Total 52 Fälle 

So finden wir, dass bei der Brustwirbelsäule das 
grösser und kleiner Werden der Torsion fast gleich oft 
vorkommt. Weiterhin sehen wir, dass etwas mehrFälle 
von rechts nach links übergegangen sind, alsumgekehrt. 


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Klinische Studien über die Dorsalskoliose. 


111 


Bei derLendenWirbelsäule finden wir einen grösseren 
Unterschied. Hier finden wir mit 7 > mehr Fälle, die 
kleiner geworden sind, als grösser. Weiterhin sehen 
wir, dass die Lendenwirbelsäulen in mehr Fällen persi- 
stiren, als die Brustwirbelsäulen, und mehr Fälle von 
links nach rechts übergehen, als umgekehrt. 

Analysiren wir die rechts- und linksconvexen Formen, so 
finden wir: 

Rechtsconvexe Formen. 

Brustwirbelsäule. 

In 12 (44,4 ® o) Fällen ist es grösser geworden 


» 

8 (29.7 .) , 

„ „ kleiner 


1 ( 3,7 . ) . 

, , von r. nach 1. übergegangen 


6 (22,2 . ) . 

fehlen die Angaben 

Total 

27 Fälle 



Rechtsconvexe Formen. 


Lendenwirbelsäule. 

In 

1 ( 3,7 ®/o) Fällen ist es gleich geblieben 

« 

9 (33,4 , ) . 

, „ grösser geworden 

n 

7 (25,9 . ) . 

„ , kleiner , 

r> 

1 ( 3,7 . ) , 

„ „ von r. nach 1. übergegangen 

» 

8 (11.1 . ) . 

II » n k „ r. D 

n 

6 (22.2 , ) . 

fehlen die Angaben 

Total 

27 Fälle 



Linksconvexe Formen. 


Brustwirbelsäule. 

In 

4 (16®/o) Fällen ist es gleich geblieben 

V 

5 (20 .) . 

^ , grösser geworden 

n 

8 (32 , ) . 

„ , kleiner 

II 

2(8.) . 

„ „ von r. nach 1. übergegangen 

n 

1(4.) , 

1» 11 B !• W 11 

y 

5 (20 .) , 

fehlen die Angaben 

Total 

25 Fälle 



Linksconvexe Formen. 


Len 

denwirbelsäule. 

In 

8 (32®/o) Fällen ist es gleich geblieben 

n 

2(8.) , 

„ grösser geworden 

I» 

8 (32 .) , 

, „ kleiner 


1(4.) . 

„ „ von r. nach 1. übergegangen 

* 

1(4.) . 

B ■ B 1 • B r. g 

1* 

5 (20 , ) , 

fehlen die Angaben 

Total 

25 Fälle 



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112 


S. Samu Hoffmann. 


Die nachstehenden Tabellen zeigen uns die Torsion in Auf¬ 
recht- und Vorbeugehaltung. 


Rechtsconvexe Formen. 

I. Beobachtung. II. Beobachtung. 


5 '1 

Torsion beim auf¬ 
rechten Stehen 

Torsion b. Vor¬ 
beugehaltung 

Torsion beim auf¬ 
rechten Stehen 

Torsion b. Vor- 
beugehaltung 

s 


Curve 


Brust-1 Lenden- 

Curve 

Brust- j Lenden- 

o |r 
1; 

I. 

II. 

III. 

Wirbelsäule 

I. 

II. 

III. 

Wirbelsäule 

131 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt j 

Fehlt 

Fehlt 

148 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

2431 

i‘) 

1 

r 

Fehlt 

Fehlt 

1 

1 

r 

Fehlt 

Fehlt 

368 ' 

0 

r 

1 

Fehlt 

Fehlt 

1 

r 

1 

Fehlt 

Fehlt 

438 1 

1 

r 

r 

Fehlt 

Fehlt 

r 

r 

r 

Fehlt 

Fehlt 

584'| 

0 

1 

0 

Fehlt 

Fehlt 

1 

0 

0 

Fehlt 

Fehlt 

597 

1 

r 

r 

6° r 

8® r 

1 

r 

r 

9»r 

1—2®r 

604 „ 

1 

r 

0 

5'’r 

2®r 

1 

r 

1 

7»r 

1 5® r 

606 

0 

r 

r 

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2® 1 

1 

r 

1 

2-3» 1 

! 15®r 

712 1 

r 

1* 

r 

5—O'r 

3—4®r 

r 

r 

l 

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768 'I 

r 

r 

r 

23® r 

2® 1 

r 

r 

r 

33 »r 

5®r 

1129 

1 

r 

1 

10® r 

4®1 

1 

r 

0 

19 »r 

1 5®1 

1136 '1 

r 

r 

1 

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6»1 

r 

r 

r 

30» r 

' 14® 1 

1189 ;| 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

5® r 

2» r 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

1® r 

0 

1293 '| 

0 

r 

r 

23® r 

0 

r 

r 

r 

40» r 

5® r 

1385 ij 

1 

r 

r 

15» r 

5»r 

0 

r 

r 

18» r 

11® r 

1409 

0 

r 

r 

39» r 

1®1 

r 

r 

r 

43» r 

0 

1520 1* 

1 

r 

r 

8»r 

0 

0 

r 

r 

18® r 

1 3»r 

1546 

1 

r 

0 

6» r 

0 

1 

r 

1 

10-1 l»r 

0 

1868 '1 

r 

r 

r 

46» r 

5® 1 

r 

r 

r 

o 

o 

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' 5» r 

1986 

l 

0 

0 

5® r 

3®r 

1 

0 

1 

1» r 

i 0 

1995 ' 

1 

0 

1 

ll»r 

l-2®r 

1 

r 

1 

7—8»r 

l®r 

2285 J' 

1 

r 

1 

ll»r 

4® r 

1 

r 

1 

2—3® r 

2»1 

2364 ' 

r 

1 

r 

0-l»r 

0 

r 

r 

0 

1—2»r 

' 2»1 

2375 

r 

r 

1 

9» r 

7®1 

0 

r 

1 

5-6® r 

1 5*1 

2579 ' 

l 

r 

0 

10» r 

0 

1 

r 

r 

7®r 

1» r 

2750 ' 

1 

r 

0 

8-9» r 

1®1 

0 

r 

1 

5®r 

1 0 


r = rechte Torsion 
1 = linke , 

0 = keine , 


Digitized by ^ooQle 





Klinische Studien über die Dorsalskoliose. 


113 


Linksconvexe Formen. 


I. Beobachtung. 


II. Beobachtung. 


u 

Torsion beim auf¬ 
rechten Stehen 

Torsion b. Vor¬ 
beugehaltung 

Torsion beim auf¬ 
rechten Stehen 

Torsion b. Vor¬ 
beugehaltung 

u 

a 


Curve 


Brust- 

Lenden- 

Curve 

Brust-1 Lenden- 

o 

•-a 

I. 

11. 

III. 

Wirbelsäule 

I. 

II. 

i 

Wirbelsäule 

2 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

32 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

166 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

198 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

386 

r 

r 

r 

0 

3® r 

0 

0 

r 

0-1“ r 

1® r 

537 

1 1 

r 1 

1 

Fehlt 

Fehlt 

1 

r 

0 

Fehlt 

Fehlt 

558 

r 

r 

1 

2-3® r 

1-2“ 1 

0 

r 

0 

5* r 

2® r 

674 

1 

1 

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3—4“ r 

4® r 

r 

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r 

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1 

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1 

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1621 

1 

1 

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1 

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o 

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1785 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

lo-in 

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Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

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1786 

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0 

2® r 

1958 

r 

^ 1 

0 

1®1 

0 

0 

0 

r 


0 

2051 

1 

1 

1 

2-3® 1 

0 

0 

0 

1 

0 

0 

2397 

r 

0 

1 

0-1® 1 

2®1 

r 

r 

1 

l®r 

2®1 

2604 

0 

r 1 

r 

2® 1 

0 

r 

r 1 

r 

1® 1 

0 

2693 

r 

r j 

1 ^ 

1®1 

0 

r 

r 1 

0 

1-2® 1 

0 


B. Complicirte Dorsalskoliose. 105 Fälle. 

Zur complicirten Dorsalskoliose rechnen wir diejenigen com- 
plicirten Formen, welche nicht durch ein ganz deutliches üeberwiegen 
anders gelegener Krümmungen, oder durch sonstige charakteristische 
Eigenschaften in Bezug auf Torsion oder starkes üeberhängen u. s. w. 
sich anders qualificirten. 

Zeitschrift fttr orthopildische Chirurgie. XIII. Bd. 8 


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114 


S. Samu HofFmann. 


Alter. 

Was das Alter anbetriflft, finden wir ungefähr dieselben Zahlen, 
wie es schon von Mehreren beobachtet ist. Die Zahlen variiren 
zwischen 6 — 23 Altersjahren, im Durchschnitt 13,2 Jahre. 
Grösste Frequenz im 14. Lebensjahre. In Tabelle zusam¬ 
mengestellt: (In 5 Fällen fehlen die Angaben.) 

Jahre: 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 23 Fehlt Zusammen 
Fälle: 1 2 3 6 10 7 12 13 18 14 8 3 1 1 1 5 105 

Geschlecht. 

Hier finden wir noch ein grösseres Ueberwiegen des weiblichen 
Geschlechts, als bei der einfachen Dorsalskoliose, dort fanden wir 
92,7 ®/o weibliche, und hier von den 105 Fällen 100 = 95,24% 
weibliche und 5 = 4,7 6 ^/o männliche Patienten. 

Beobachtungszeit. 

Die Beobachtungszeit wechselt zwischen 1—13 Jahren, und 

zwar: 

Beobachtungen von 1— 2 Jahren sind 47 Fälle 
, . 2- 3 . . 14 , 

H T 3 5 „ y, 2i f, 

. r 5-10 , , 13 , 

, . 10-13_,_^ 4 , 

Zusammen 105 Fälle 

Diese Fälle waren alle in Behandlung und einige davon stehen 
noch immer unter Beobachtung. 

Deviationsrichtung. 

Die Seitenabweichung zeigt unter den 105 beobachteten Fällen 
rechtsconvexe 85 (80,96^/o), linksconvexe 20 (19,04®/o). Es 
besteht hier ein grösserer Unterschied als bei der einfachen Dorsal¬ 
skoliose, dort waren 52 rechts- und 48 ® o linksconvexe Formen. 
Diese Zahlen entsprechen dem von Dr. W. SchuIthess veröfient- 
lichten Bericht vom Jahre 1890—1900 ^). Er fand unter 312 com- 
plicirten Dorsalskoliosen 254 (81,4 ^/o) rechts- und 58 (18,6 ®/o) links¬ 
convexe Fälle. Wir sehen also, dass die rechtsconvexen Formen die 
linksconvexen stark überwiegen. 

0 Zeitschr. Bd. 5 u. Bd. 9. 


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Klinische Studien über die Dorsalskoliose. 


115 


Rechtsconvexe Formen. 

I. Untersuchung. 

85 Fälle. 

II. Untersuchung. 

75 (88,24 ®/o) gleich geblieben 

_ 10 (11,76 ,) von rechts nach links übergegangen 

Zusammen 85 Fälle 

Linksconvexe Formen. 

I. Untersuchung. 

20 Fälle. 

II. Untersuchung. 

17 (85®/o) gleich geblieben 

_ 3 (15 „ ) von links nach rechts übergegangen 

Zusammen 20 Fälle 

Wie wir aus den Procentzahlen ersehen können, finden wir bei 
Jen linksconvexen Formen etwas grössere Procentzahlen von ver¬ 
änderten Formen, als bei den rechtsconvexen. 

lieber hängende Formen. 

I. Untersuchung. 

49 (46,66 ®/o) rechts überhängend 

50 (47,62 ,) links 

_ 6 ( 5,72 , ) n icht 

Zusammen 105 Fälle 

II. Untersuchung. 

50 (47,62 °/o) rechts überhängend 
46 (43,81 , ) links 

_ 9 ( 8,57 „ ) n icht , 

Zusammen 105 Fälle 

Aus dieser tabellarischen Zusammenstellung sehen 
wir einen kleinen Unterschied zu Gunsten der rechtscon- 
Texen und nicht überhängenden Formen. Es ist also im 
ganzen eine kleine Schwankung der Fälle nach rechts 
zu beobachten. 

Untersuchen wir die rechtsconvexen Formen, da finden wir von 
den 85 Fällen: 


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116 


S. Samu Hoffmann. 


Rechtsconvexe Formen. 

I. Untersuchung. 

42 (49,41%) rechts überhängend 
37 (43,52 „) links , 

_ 6 ( 7,07 „ ) nicht , 

Total 85 Fälle 

II. Untersuchung. 

42 (49,41%) rechts überhängend 
35 (41,19 , ) links „ 

8 ( 9,40 , ) nicht , 

Total 85 Fälle 

Aus dieser Tabelle ergibt sich, dass die nach rechts 
überhängenden Formen diese Richtung beibehalten haben, 
die links überhängenden haben zu Gunsten der nicht über¬ 
hängenden ebenso viel abgenommen (2,33'';o). 

Bei den linksconvexen Formen finden wir Folgendes: 

Linksconvexe Formen. 

I. Untersuchung. 

18 (65%) Fälle links überhängend 

_ 7 (35 „ ) , rechts , 

Total 20 Fälle 

II. Untersuchung. 

11 (55®/o) Fälle links überhängend 
8 (40 , ) • , rechts 

_1 ( 5 „) , nicht „ 

Total 20 Fälle 

Wir fanden hier einen kleinen Unterschied zu Gun¬ 
sten der rechts und nicht überhängenden Formen. Das 
bestätigt, was wir schon bei den einfachen Dorsalskoliosen gefunden 
haben, dass nämlich die Fälle eine Tendenz zum Ueberhängen 
nach rechts haben. 

Das Auffallende ist, dass sowohl rechtsconvexe wie 
linksconvexe Formen eine Tendenz zum Ueberhängen nach 
rechts haben. 

Sehen wir nach, ob die Grösse des Ueberhängens während 
der Beobachtung sich verändert, mit anderen Worten ob die 
Distanz von Vertebra prominens grösser oder kleiner geworden, 
oder gleich geblieben ist. So finden wir von den 105 Fällen, 
dass sie 


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Klinische Studien über die Dorsalskoliose. 


117 


in 3 ( 2,90 7ö) Fällen 
, 34 (32,35 .) , 

, 35 (33,30 ,) , 

. 15 (14,30 , ) . 

_ . 18 (17,15 , ) , 

Zusammen 105 Fälle 


gleich geblieben ist 
grösser geworden „ 
kleiner , „ 

von r. n. 1. übergegangen ist 
, 1. n. r. 


Die Orösse des Ueberhängens bleibt demnach selten 
gleich, wird gleich oft grösser wie kleiner, und wechselt 
die Richtung in ähnlicher Weise, etwas mehr von links 
nach rechts, als umgekehrt. 

Betrachten wir die rechts- und linksconvexen Formen separat, 
so finden wir bei den 85 rechtsconvexen, dass das Ueber- 


hängen 

in 2 ( 2,32 7o) Fällen 

. 27 (31,82 J , 

, 30 (35,36 , ) , 

, 12 (14,12 ,) . 

_ , 14 (16,48 . ) , 

Zusammen 85 Fälle 


gleich geblieben ist 
grösser geworden „ 
kleiner , , 

von r. n. 1. übergegangen ist 
^ 1. n. r. „ „ 


Bei den 20 linksconvexen finden wir Folgendes: 

in 1 ( 5%) Fall ist sie gleich geblieben 
, 7 (35 „) Fällen ist sie grösser geworden 

„ 5 (25 , ) „ „ „ kleiner 

, 3 (15 «) „ , „ von r. n. 1. übergegangen 

_n 4 (20 „ ) , „ „ , 1. n. r. 

Zusammen 20 Fälle 


Die rechtsconvexen Formen zeigen eine stärkere Ten¬ 
denz zur Verkleinerung der Grösse des Ueberhängens, als 
die linksconvexen. Auch hier zeigt sich die starke Ten¬ 
denz zum Uebergang nach der rechten Seite. 


a) Lage des Krümmungsscheitels. 

Rechtsconvexe Formen. 

I. Untersuchung. 

85 Fälle. 

II. Untersuchung. 

75 (88,24®/®) rechtsconvex 
10 (11,76 „ ) linksconvex 

'Total 85 Fälle 


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118 


S. Samu Hoifmann. 


Linksconvexe Formen. 

I. Untersuchung. 

20 Fälle. 

II. Untersuchung. 

17 (85 ® o) linksconvex 

8 (15 ^ ) rechtsconvex 
Total 20 Fälle 

Wir fanden also, dass in 11,7 6 ^ 0 , und bei den links¬ 
convexen Formen sogar in 15®'o die Scheitellage sich ge¬ 
ändert hat, während wir bei den einfachen Dorsalskoliosen 
nur 7—8% gefunden haben. Die complicirten Dorsal¬ 
skoliosen haben also mehr Tendenz ihren Krümmungs¬ 
scheitel zu ändern, als die einfachen Dorsalskoliosen. 

Diese veränderten Fälle sind in nachstehender Tabelle aufgeführt. 

Rechtsconvexe Formen. 


Journal- 

Nr. 


112 

779 > 

924 
1051 
1770 I 
1779 
1817 I 
2163 I 
2193 
2752 


80 
653 
1082 

Scheitelhöhe. 

In 15 (14,46 ®/o) Fällen ist sie gleich geblieben 
„ 49 (46,56 % „ „ „ grösser geworden 

„ 28 (26,61 r ) „ „ „ kleiner 

„ 10 ( 9,51 , ) , „ , von r. n. 1. übergegangen 

. 3 ( 2.86 , ) , , , , 1. n. r. 

Total 105 Fälle 

‘) Die in diesen Colonnen aufgeführten Zahlen geben die Deviations¬ 
grösse in Millimeter. 



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Klinische Studien über die Dorsalskoliose. 


119 


Aus dieser Tabelle finden wir, dass in nicht ganz 
der Hälfte der Fälle während der Beobachtung die 
Scheitelhöhe grösser geworden ist, was dar auf hin deutet, 
dass eine starke Tendenz zur Vermehrung der Krümmung 
vorhanden ist. Zu dieser Vermehrung tritt natürlich auch das 
Wachsthum insofern bei, als ein Bogen oder eine Knickung von 
derselben Grösse an einer langen Wirbelsäule mehr Scheitelhöhe 
zeigt, als an einer kurzen. Nur in ^/s der Fälle ist die Scheitel¬ 
höhekleiner geworden, während bei den einfachen Dorsal¬ 
skoliosen in der Hälfte der Fälle. 

In Beziehung auf die Vertheilung auf rechts- und linksconvexe 
Formen sehen wir Folgendes: 

Rechtsconvexe Formen. 85 Fälle. 

In 11 (12,96 7o) Fällen ist die Scheitelhöhe gleich geblieben 
„ 43 (50,51 , ) , „ , , grösser geworden 

, 21 C24,75 , ) . . , . kleiner 

_ „ 10 (11,78 , ) , , , „ von r. n. 1. übergegangen 

Zusammen 85 Fälle 

Linksconvexe Formen. 20 Fälle. 

In 4 (20®/o) Fällen ist die Scheitelhöhe gleich geblieben 
„ 6 (30 , ) , , „ * grösser geworden 

^ 7 (35 „ ) „ „ „ „ kleiner „ 

_ ^ 3 (15 „ ) „ „ „ , von 1. n. r. übergegangen 

Zusammen 20 Fälle 

Hier finden wir eine grosse Differenz, beiden rechts¬ 
convexen Formen finden wir (50,51®/o) eine viel stärkere 
Tendenz zur Vermehrung der Scheitelhöhe, als bei den 
linksconvexen Formen (30®,o), und umgekehrt, ähnlich wie 
bei den einfachen Dorsalskoliosen. 

b) Lage des Krümmungsscheitels in Beziehung auf die 
Verschiebung nach oben und unten. 

In 53 (50,43%) f'ällen ist der Krümmungsscheitel an der gleichen Stelle 

geblieben 

* 22 (20,98 „ nach oben gewandert 

_„ 30 (28.59 „ ) „ ^ ^ „ unten „ 

Zusammen 105 Fälle 

Der Krümmungsscheitel wandert also häufiger nach 
unten, als nach oben. 


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120 


S. Samu Hoffmann. 


Analysiren wir die Fälle, so finden wir Folgendes: 

Rechtsconvexe Formen. 

In 43 (50,64 7o) Fällen ist der Erümroungsscheitel an der gleichen Stelle 

geblieben 

, 19 (22,32 „ ) „ „ , „ nach oben gewandert 

_ „ 23 (27,04 , ) , „ „ „ „ unten 

Total 85 Fälle 

Linksconvexe Formen. 

In 10 (50°/o) Fällen ist der Krümmungsscheitel an dergleichen Stelle ge- 

geblieben 

, 3 (15 , ) „ „ „ „ nach oben gewandert 

^ 7 (35 „ ) « „ « , „ unten , 

Total 20 Fälle 

Diese Tabelle bestätigt die schon bei den einfachen Dorsal¬ 
skoliosen gefundene Thatsache, dass der Krümmungsscheitel in 
der Hälfte der Fälle wandert, und zwar nach unten häufiger 
als nach oben. Das Wandern nach unten ist bei den links¬ 
convexen Formen noch deutlicher, als bei den rechtscon¬ 
vexen. Dasselbe fanden wir bei der einfachen Dorsalskoliose auch. 

Gegenkrümmungen. 

Rechtsconvexe Formen. 

I. Untersuchung. 

In 25 (29,45®/o) Fällen finden wir eine Gegenkrümmung 
„ 49 (57,58 „ ) „ , , zwei „ 

_ . 11 (12,97 . ) , , , drei 

Zusammen 85 Fälle 

II. Untersuchung. 

In 30 (35,30®/o) Fällen finden wir eine Gegenkrümmung 
„ 42 (49,39 „ ) „ „ „zwei 

_ „ 13 ( 15.31 „ ) „ „ „ drei 

Zusammen 85 Fälle 

Wie wir daraus sehen, finden wir 6®o mehr Fälle 
mit einerGegenkrümmung, als beidererstenünter- 
s u c h u n g. 


Linksconvexe Formen. 

I. Untersuchung. 

In 12 (60®/o) Fällen finden wir eine Gegenkrümmung 

_ ^ 8 (40 „ ) „ „ „ zwei , 

Zusammen 20 Fälle 


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Klinische Studien Uber die Dorsalskoliose. 


121 


II. Untersuchung. 

In 9 (4«5%) Fällen finden wir eine Gegenkrümmung 
, 7 (35 , ) , , n zwei 

_ , 4 (20 , ) , „ , drei 

Zusammen 20 Fälle 

Hier finden wir, dass die Gegenkrümmungen 
Yermehrt sind, bei den rechtsconvexen Formen ver¬ 
mindert sind. 

Art der Gegenkrümmungen. 

Rechtsconvexe Formen. 

I. Untersuchung. 

In 2 ( 2,24 Fällen finden wir nur cervico-dorsale Gegenkrümmung 
, 16 (18,93 , ) w fl n dorso-lumbale , 

, 7 ( 8,29 , ) , « * • lumbo-sacrale „ 

, 31 (36,49 , ) , , , cervico-dorsale, dorso-lumbale „ 

• 7 ( 8,29 , ) fl fl fl cervico-dorsale, lumbo-sacrale „ 

- 11 (12,88 fl ) fl fl fl dorso-lumbale, lumbo-sacrale „ 

fl 11 (12,88 fl ) , fl fl cervico-dorsale, dorso-lumbale, lumbo- 

sacrale Gegenkrümmung 

Total 85 Fälle 

II. Untersuchung. 

In 2 ( 2,24®/o) Fällen finden wir nur cervico-dorsale Gegenkrümmung 
, 18 (11,26 fl) fl fl fl fl dorso-lumbale a 

, 10 (11,75 fl) fl fl fl fl lumbo-sacrale a 

, 27 (31.79 fl) fl fl fl cervico-dorsale, dorso-lumbale a 

, 5 ( 5,85 fl) fl fl fl cei-vico-dorsale, lumbo-sacrale a 

fl 10 (11,85 fl ) , fl fl dorso-lumbale, lumbo-sacrale , 

, 13 (15,26 fl ) fl fl fl cervico-dorsale, dorso-lumbale, lumbo- 

sacrale Gegenkrümmung 

“Totar85 Fälle 

Aus dieser Tabelle sehen wir, dass mit die 

Fälle mit einer Gegenkrümmung zugenommen haben 
und die Fälle mit drei Gegenkrümmungen mit 2,5 ®/üi 
die Fälle mit zwei Gegenkrümmungen indessen mit 8,5^/o 
weniger geworden sind. Abnahme zeigen also haupt¬ 
sächlich die Combinationen mit cervico-dorsal und 
dorso-lumbal, ferner cervico-dorsal, lumbo-sacral. Zu¬ 
nahme dorso-lumbale, lumbo-sacrale und die dreifache 
Krümmung. 


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122 


S. Samu Hoffmann. 


Linksconvexe Formen. 

I. Unterauchung. 

In 5 (25®/«) Fällen finden wir nur dorso-lumbale Gegenkrümmung 
, 7 (35 , ) , ^ ^ „ lumbo-sacrale , 

^ 3 (15 „ ) « ^ ^ cervico-dorsale, dorso-lumbale , 

, 5 (25 „ ) „ ^ „ doreo*lumbale, lumbo-sacrale , 

Zusammen 20 Fälle 

II. Untersuchung. 

In 4 (20®/o) Fällen finden wir nur dorso-lumbale Gegenkrümmung 
, 5 (25 „ ) „ „ , „ lumbo-sacrale 

j, 3 (15 , ) „ „ „ cervico-dorsale, dorso-lumbale ^ 

„ 4 (20 , ) „ „ „ dorso-lumbale, lumbo-sacrale „ 

„ 4 (20 » ) « p „ cervico-dorsale, dorso-lumbale, lumbo- 

sacrale Gegenkrümmung 

Zusammen 20 Fälle 

Der Unterschied zwischen rechts- und linkscon¬ 
vexen Formen besteht darin, dass bei den linksconvexen 
die dorso-lumbalen an Zahl abnehmen, die dreifachen 
Krümmungen aber zunehmen. 

Sehen wir nach den gesammten Gegenkrümmungen, da finden 
wir bei der ersten Untersuchung 

52 (30,23®/o) cervico-dorsale Gegenkrümmungen 
72 (41,86 „ ) dorso-lumbale „ 

48 (27,91 „ ) lumbo-sacrale „ 

Zusammen 172 Gegenkrümmungen 

11. Untersuchung. 

54 (28,72®/^) cervico-dorsale Gegenkrümmungen 
83 (44,16 „ ) dorso-lumbale „ 

51 (27,12 „ ) lumbo-sacrale „ 

Zusammen 188 Gegenkrümmungen 

Aus dieser Tabelle ist ersichtlich, dass die Gegen¬ 
krümmungen während der Beobachtung zugenommen 
haben. Die häufigsten Gegenkrümmungen sind dorso- 
lumbal und cervico-dorsal. 

Torsion. 

Die Torsion wurde hier in ähnlicher Weise, wie es schon bei 
der einfachen Dorsalskoliose angeführt wurde, gemessen. Tabelle I 
bedeutet die erste, Tabelle II die zweite Beobachtung. 


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Klinische Studien über die Dorsalskoliose. 


123 


I. Untersuchung. 


Curve 

Rechts* 

Links* 

Keine 

Fehlen die 

Total 

torsion 

torsion 

Torsion 

Angaben 

I- .1 

37 

44 

7 

17 

105 

11. :l 

71 

14 

3 

17 

105 

III. 

32 

42 

14 

17 

105 



II. Unte 

r s u c h u n g. 



I. 

38 

43 

7 

17 

105 

II. 

69 

12 

7 

17 

105 

IIL ' 

1 

37 

38 

13 

17 

105 


Aus dieser Tabelle sehen wir, dass die Zahlen in 
Curvel gleich geblieben sind. In Curve II haben die Fälle 
mit Rechts-und Linkstorsion zugenommen und in Curve III 
haben die Linkstorsion en abgenommen zu Gunsten der 
Rechtstorsionen. In Curve I überwiegen bei beiden 
Untersuchungen die Linkstorsion, bei Curve II die 
Rechtstorsion in noch viel höherem Maasse. Die Fälle, 
die keine Torsion zeigen, haben etwas zugenommen, 
am meisten in Curve II. 

Die Registrirung der Veränderungen bei den ein¬ 
zelnen Fällen ergibt Folgendes: 


, Gleich- 

C-ve S 

persistirt 

^ Neue 

1 auf¬ 
getreten 

Ver- 

schwun- 

den 

Von r. n. 

1. über¬ 
gegangen 

Von 1. n. 
r. über¬ 
gegangen 

Fehlen 

die 

Angaben 

Zu¬ 

sammen 

I. 

53 

6 

6 

13 

10 

17 

105 

11. 1 

71 

1 

5 

6 

5 

17 

105 

III. J 

55 

9 

8 

8 

8 

17 

105 


Mehr wie in der Hälfte der Fälle bleibt die Torsion 
gleich. Ganz besonders in der Curve II. Neues Auftreten 
ist etwas seltener, als das Verschwinden. Mehr Fälle 
gehen von Rechtstorsion in Linkstorsion über, als um¬ 
gekehrt. 

Betrachten wir jetzt separat die rechts- und linksconvexen 
Formen. 


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124 


S. Samu Hoffmann. 


Rechtsconvexe Formen. 
1. Untersuchung. 


Curve 

Rechts¬ 

torsion 

Links¬ 

torsion 

j Keine 

Torsion 

Fehlen die ! 

Angaben | 

1 

Total 

1 

I. 

29 

37 

5 

14 

1 

85 

11. 

62 

8 

1 

14 

85 

III. 

26 

32 

13 

14 

85 



II. Unte 

rsuchung. 



I. 

32 

34 

5 

14 

85 

II. 

64 

6 

1 

14 

85 

III. 

29 

33 

9 

1 

14 

85 


Aus dieser Tabelle sehen wir, dass die Rechtstor¬ 
sionen in allen drei Curven zugenommen haben, die Links¬ 
torsionen in Curve I und II abgenommen, in Curve III zu¬ 
genommen haben. Die Zahlen ohne Torsion sind in 
Curve I und II gleich geblieben und haben in Curve III ab¬ 
genommen. 

Bei den linksconvexen Formen finden wir Folgendes: 


I. Untersuchung. 


Curve 

Rechts¬ 

torsion 

Links- 
1 torsion 

Keine 

Torsion 

Fehlen die 
Angaben 

Zu¬ 

sammen 

I. 

8 

7 

2 

3 

20 

II. ' 

9 

6 

2 

3 

20 

III. ' 

6 

10 

1 

3 

20 

I. 

6 

11. Unte 

9 

rsuchung. 

2 

3 

20 

II. 

5 

6 

6 

3 

20 

III. 

8 

5 

4 

3 

20 

Hier 

finden wir, dass 

die Torsionen nach 

rechts in 


Curve I und II weniger geworden sind, nur in Curve III 
haben die Zahlen etwas zugenommen; die Torsion nach 
links ist in Curve II gleich geblieben, in Curve I etwas 
grösser und in Cur ve III um die Hälfte kleiner geworden. 


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Klinische Studien über die Dorsalskoliose. 


125 


Bei den Fällen ohne Torsionen sind die Zahlen in 
Curve I gleich geblieben und haben die Zahlen in Curve II 
und III zugenommen. 

Ziehen wir alle drei Curven in Betracht, dann sehen wir, dass 
bei den rechtsconvexen Formen die Rechtstorsion zuge¬ 
nommen hat, Linkstorsion und Fälle ohne Torsionen da¬ 
gegen abgenommen. Bei den linksconvexen Formen im 
Gegentheil haben die Rechts- und Linkstorsionen abge¬ 
nommen und die Fälle ohne Torsionen zugenommen. 


Torsion bei Vorbeugehaltung. 
Brustwirbelsäule. 

I. Untersuchung. 


Rechtstorsion 

Linkstorsion 

! Keine Torsion 

Fehlen die 
Angaben 

i 

Zusammen 

64 

8 

1 

32 

105 


II. Untersuchung. 


58 

12 

3 

32 

105 


Lendenwirbelsäule. 
I. Untersuchung. 


Rechtstorsion 

Linkstorsion 

Keine Torsion 


Fehlen die 
Angaben 

Zusammen 

24 

38 

11 


32 

105 


II. Untersuchung. 



24 

40 

1 9 

i 


32 

105 


Wir beobachten, dass die Fälle mit Torsion in der 
Brustwirbelsäule nach rechts abgenommen die nach links 
und ohne Torsion an Zahl zugenommen haben. 

Bei der Lendenwirbelsäule finden wir sehr geringe 
Differenzen; die Torsionen nach rechts sind gleich ge¬ 
blieben, die Linkstorsionen haben zugenommen, die Fälle 
ohne Torsion abgenommen. 

Nehmen wir die Convexität in Betracht, so finden wir bei den 


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126 


S. Samu Hoffmann. 


Rechtsconvexen Formen: 
Brustwirbelsäule. 

I. Untersuchung. 


Rechtstorsion 

Linkstorsion 

Keine Torsion 

Fehlen die 
Angaben 

Total 

55 

2 

1 

27 

85 


II. Untersuchun 

g- 


50 

6 

2 

27 

85 


Lendenwirbelsäule. 



I. 

Untersuch ung. 


Rechtstorsion 

Linkstorsion 

Keine Torsion 

Fehlen die 
Angaben 

1 Total 


18 I 32 I 8 I 27 I 85 

II. Untersuchung. 

17 I 33 I 8 1 27 I 85 

Linksconvexen Formen: 
Brustwirbelsäule. 

I. Untersuchung. 


Rechtstorsion | 

Linkstorsion 

Keine Torsion | 

Fehlen die 
Angaben 

Total 

9 

6 

— 

5 

20 


II. 

Untersuchun 

g* 


8 1 

1 6 

1 1 1 

1 5 

1 20 


Len 

denwirbelsäule. 



I. 

Untersuchun 

g* 


1 

Rechtstorsion | 

1 

Linkstorsion 

j Keine Torsion 

Fehlen die 
Angaben 

Total 

6 

1 

6 

3 

5 

20 


II. 

Untersuchung. 


7 

1 7 

1 1 

1 5 

1 20 


Hier ist besonders die ungemeine Constanz der Fälle 
in die Augen springend. Dass in der Brustwirbelsäule die Rechts¬ 
torsion, in der Lendenwirbelsäule die Linkstorsion herrscht, ist selbst- 


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Klinische Studien über die Dorsalskoliose. 


127 


verständlich. In der zweiten Untersuchung sehen wir, dass 
die Torsion nach rechts etwas abgenonimen, die Links¬ 
torsion zugenommen hat. Bei den linksconvexen Formen haben 
wir noch kleinere Differenzen in den Zahlen. 

Betrachten wir die Veränderungen der Torsionsgi*össe in Vor¬ 
beugehaltung während der Beobachtung, so finden wir Folgendes 
bei der Brustwirbelsäule: 

In 4 ( 3,82 ^/o) Fällen ist sie gleich geblieben 
, 33 (31,38 , ) „ , „ kleiner geworden 
, 29 (27,64 , ) „ , „ grösser , 

, 6 ( 5,72 „ ) „ „ „ von r. n. 1. übergegangen 

» 1 ( 0,96 , ) ,1 „ „ „ 1. n. r. „ 

, 32 (30.48 „ ) „ fehlen die Angaben *) 

Zusammen 105 Fälle 

So sehen wir, dass fast in der Hälfte der gemes¬ 
senen Fälle die Torsion kleiner geworden ist. Auffal¬ 
lend ist, dass nur in 3,8 2 ®/o die Torsion gleich geblieben 
ist, weiterhin, dass viel mehr Fälle von rechts nach 
links übergegangen sind, als umgekehrt. 

Bei der Lendenwirbelsäule finden wir Folgendes: 

In 8 ( 7,63%) Fällen ist sie gleich geblieben 
, 29 (27,62 , ) , „ , kleiner geworden 

p 23 (21,90 „ ) „ , „ grösser , 

, 7 ( 6,66 , ) , , von r. n. 1. übergegangen 

7 ) 6(5,^!,,) „ ,1 B • 1. n. r. ^ 

_ „ 32 (30,48 ^ , fehlen die Angaben 

Zusammen 105 Fälle 

Hier finden wir in ähnlicher Weise das Abnehmen 
derTorsion. Mehrere Fälle persistiren, die Uebergänge 
sind fast gleich. 

Nach der Richtung der Convexität finden wir Folgendes: 

Rechtsconvexe Formen. 

Brust wir beisä Ille. 

In 2 ( 2,24%) Fällen ist sie gleich geblieben 
, 25 (29,49 ,1 ) , • « kleiner geworden 

, 25 (29.49 7 ,) r 7 . 7 , grösser 

, 5 ( 5.85 , ) „ , , von r. n. 1. übergegangen 

, 1 ( 1,11 n ) 1 . „ , , 1. n. r. 

_ , 27 (3 1.82 , fehlen die Angaben 

Zusammen ^5 Fälle 

*) Die Nivellirtrapezraessung datirt erst vom Jahre 1891. 


Digitized by v^ooQle 




128 


S. Samu HofTmann. 


Linksconvexe Formen. 

Brustwirbelsilule. 

In 2 (10® o) Fällen ist sie gleich geblieben 

« 4 (20 , ) , ^ , grösser geworden 

„ 8 (40 , ) , , ^ kleiner 

«1(5,) , , , von r. n. 1. übergegangen 

, 5 (25 , ) , fehlen die Angaben 

Zusammen 20 Fälle 

Wir sehen also, dass die linksconvexen Formen 
mehr Tendenz haben kleiner zu werden, als die rechts¬ 
convexen Formen. 

Rechtsconvexe Formen. 

Lendenwirbelsäule. 

In 6 ( 7,07 ®/o) Fällen ist sie gleich geblieben 
, 18 (21,26 , ) , « , grösser geworden 

« 24 (28,15 , ) « « , kleiner , 

, 5 ( 5,85 « ) , , , von r. n. 1. übergegangen 

, 5 ( 5,85 , ) , , , , 1. n. r. , 

« 27 (31,82 , ) , fehlen die Angaben 

Zusammen 85 Fälle 


Linksconvexe Formen. 

Lendenwirbelsäule. 

In 2 fl0®/o) Fällen ist sie gleich geblieben 
, 5 (25 « ) , , , grösser geworden 

« 5 (25 , ) , , , kleiner 

« 2 (10 « ) „ « , von r. n. 1. übergegangen 

T> 1(5«) , , ,,1. n. r. , 

, 5 (25 ,) , fehlen die Angaben 

Zusammen 20 Fälle 


Die nachstehenden Tabellen zeigen uns die Torsion in Aufrecht- 
und Vorbeugehaltung. 


Digitized by v^ooQle 


Klinische Studien über die Dorsalskoliose. 


129 


Rechtsconvexe Formen. 

I. Beobachtung. II. Beobachtung. 


iZ 

s 

Torsion beim auf¬ 
rechten Stehen 

Torsion b. Vor¬ 
beugehaltung 

Torsion beim auf¬ 
rechten Stehen 

Torsion b. Vor¬ 
beugehaltung 

I. 

11 . 

III. 

Brust-1 Len den- 

I. 

II. 

III. 

Brust-1 Lenden- 

o 


Curve 


Wirbelsäule 


Curve 


Wirbelsäule 

108 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

109 




ff 

ff 

ff 

ff 

ff 

ff 

ff 

112 



ff 

ff 

ff 

ff 

ff 


ff 

ff 

152 



ff 

ff 

ff 

ff 

ff 

* 

ff 

ff 

158 

« 


ff 

ff 

ff 

ff 



ff 

ff 

167 

» 


ff 

ff 

ff 

ff 

ff 

ff 


ff 

197 

n 

« 


ff 

ff 

ff 

ff 

ff 

ff 

ff 

203 

» 

* 


ff 

ff 

ff 

ff 


ff 

ff 

208 


• 


ff 

ff 

ff 

ff 


ff 

ff 

221 


ff 


ff 

ff 

ff 



ff 

ff 

252 

I’) 

r 

l 

ff 

• 

r 

r 

r 

ff 

ff 

261 

r 

r 

r 

ff 

ff 

r 

r 

1 

ff 

ff 

282 

1 

r 

0 

ff 

ff 

1 

r 

0 

ff 

ff 

306 

1 

r 

r 

ff 

ff 

1 

r 

r 

ff 

ff 

315 

r 

r 

r 


ff 

1 

r 

r 

ff 

ff 

325 

1 

r 

1 

ff 

ff 

1 

r 1 

0 

ff 

ff 

334 

r 

r 

1 

ff 

ff 

r 

r 1 

1 


ff 

353 

1 r 

r 

r 

ff 

ff 

r 

r 

r 


ff 

369 

r 

r 

1 

ff 

ff 

1 

r 

1 

ff 

ff 

382 

1 , 

r 

1 

ff 

ff 

r 

r 

r 

ff 

ff 

411 

1 

r 

r 

ff 

ff 

1 

r 

1 

ff 

ff 

436 

0 

r i 

0 

ff 

ff 

1 

r 

0 

ff 

1 ff 

511 

1 

r 

r 

ff 

ff 

1 

1 

r 

ff 

1 ^ 

523 

1 

r 

0 

ff 

ff 

1 

r 

1 

fl 

ff 

593 

1 r 

r 

r 


ff 

1 

1 

0 

ff 


071 

■ ^ i 

r 

1 


ff 

1 

r 

1 


ff 

762 

1 

r 

1 

15«r 

9M 

1 

r 

1 

2»1 

8 “ 1 

770 

1 i 1 

r 

1 

00 

o 

•-t 

UM 

r 

r 

1 

13 “r 

701 

779 

1 

r 

0 

4—5'’r 

2 M 

1 

r 

1 

4'>r 

301 

788 

r 

r 

r 

27 «r 

3® 1 

r 

r 

r 

24 “r 

15» r 


*) r = rechte Torsion 
1 = linke , 

0 = keine „ 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XIII. Bd. 


9 


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130 


S. Samu Hoffmann. 



Torsion beim auf¬ 
rechten Stehen j 

Torsion b. Vor¬ 
beugehaltung 

Torsion beim auf- | 
rechten Stehen | 

Torsion b.Vor 
beugehaltung 

c 

Ul 

I- 1 

.jlj 

III. 1 

Brust- Lenden¬ 

I. 

II. 

III. 

Brust- 1 

Lenden 

o 

•-3 


Curve 

1 

wirbelsäule 

Curve 1 

Wirbelsäule 

804 

r ! 

r 1 

1 

r I 

1 

10 "r 1 

2 —3®r 

r 

r 

r j 

9”r 

1°1 

805 

1 1 

r 

r 

n^r 1 

20 ° r 

r 1 

r 

r 1 

22 ® r 

13°r 

822 

1 

r 

0 ' 

ll^r 

5°1 

1 

r 

r 

17» r 

IM 

853 

r 

r 

1 

6 »r ' 

9*’ 1 

1 

r 

r 

12 " r 1 

5°1 

864 

1 

1 

r 

4'’r , 

10 r 

r 1 

r 

1 

2-3» rj 

l°r 

888 

r 

r 

1 

s^r: 

4°1 

Ö 1 

r 

1 

101 l»r 

2 °r 

924 

1 1 

r 

1 

401 . ' 

4°r 

1 

1 

0 1 

0 j 

IM 

954 

0 

r 

r 

ISOr 1 

6°1 

0 

r 

r 

17»r j 

9°1 

1051 

Fehlt ' 

Fehlt 

Fehlt 1 

2 " 1 , 

401 

Fehlt 1 

Fehlt 

Fehlt 1 

2—3» 1 

4M 

1088 

0 1 

r 

0 1 

iCr 

4°l 

1 

r 

r 

1 — 2 » ij 

2 M 

1099 

r 

r 

0 1 

2 "! i 

0 

r 1 

r 

0 i 

0 —l»r' 

0 

1100 

0 ' 

0 

1 


2°1 

1 

0 

1 

8 »r 1 

4M 

1316 

Fehlt : 

Fehlt 

Fehlt 

1 — 2 '>r 

0 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt ' 

0 — 1 » 1 

2 ® 1 

1377 

1 

r 

1 

ns-' 

3° 1 

' i 

r 1 

1 

23»r j 

4°1 

1380 

r 

r 

1 

IßOr 

8 ° 1 

r 

r 

1 

20 » r 1 

3®1 

1387 

0 

r 

0 

22 * r 

2 ° 1 

r 

r 

0 

28»r 

l°r 

1388 

r 

r 

r 


1 10 j. 

r 1 

r 

1 . 

22 » r 

2°1 

1393 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

1 Fehlt 

Fehlt ' 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

1395 

r 

r 

l 

7—S'r 

10 ° 1 

r 

r 

1 

0 — 1 » 1 

6®1 

1398 

r 

r 

1 ^ 

20 "r 

1 10 °r 

1 

1 r 

r 

23» r 1 

1 3°r 

1 

1405 

r 

i‘ 

' 1 

25-26"r 

, 2 ° r 

r 

r 

r 

1 46»r 

! 1-21 

1508 

1 

1 r 

1 

1 

IS'r 

, 4°1 

0 

r 

1 

12 »r 

5®1 

1514 

1 

i ^ 

r 

10 'r 

1 5° 1 

1 

1 ' 

1 

7»r 

4®1 

1543 

r 

r 

r 

23-24''r 

4° l 

r 

r 

r 

24 »r 

7«1 

1557 

r 

r 

1 

12 »r 

5-6° 1 

r 

i r 

1 

14»! 

1 — 2 ®r 

1686 

r 

r 

1 

3 * 1 - 

1°1 

1 

1 r 

1 

7»r j 

1 — 2®1 

1770 

r 

r 

0 

Fehlt 

Fehlt 

r 

r 

r 

Fehlt 

Fehlt 

1779 

1 

1 

0 

4—5” r 

, 2 °r 

r 

r 

0 

3"r ■ 

0 

1817 

r 

r 

1 

3—4" r 

2 ° r 

r 

r 

1 

3"r 

0 

1822 

1 

r 

1 

7— 8 "r 

' 7° I 

1 

r 

1 

5-0» r 

5°1 

1823 

1 

1 

1 

3“r 

1 2 °r 

1 

r 

1 

4»r 

7-8° r 

1931 

1 

r 

0 

18"r 

! 2°1 

1 

r 

r 

13»r 

1 5® 1 

1984 

l 

r 

1 

6 ”r 

10 ° 1 

r 

r 

l 

5»r 

1 9®1 

2055 

r 

r 

r 

1 — 2 "r 

5° 1 

r 

r 

1 

1 

2—3» r 

0 

2163 

1 

r 

r 

14" r 

4°r 

0 

r 

1 1 

9»r 

0 

2165 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

14"r 

3—5° 1 

Fehlt 

Fehlt 

i Fehlt 

18»r 

5°1 

2192 

r 

r 

r 

19"r 

5°r 

r 

' 0 

0 

17»r 

1®1 

2193 

1 

1 

r 

0 

1 — 2 °r 

r 

1 r 

r 

0 

1 — 2 °r 

2214 

1 

r 

r 

38 ®r 

3° 1 

1 

r 

r 

30 »r 

3°1 

2234 

1 

1 

1 

4"r 

10 ° 1 

1 

1 

1 

1 

3-4» r 

! 2 ° 1 

1 

1 


Digitized by ^ooQle 



KÜDische Studien über die Dorsalskoliose. 


131 



Torsion beim auf¬ 
rechten Stehen 

Torsion b. Vor¬ 
beugehaltung 

Torsion beim auf¬ 
rechten Stehen 

Torsion b. Vor¬ 
beugehaltung 

cS 

s 

3 

I. 

1 

111 . 

Brust- jLenden- 

I. 

II. 

III. 

Brust* 1 Lenden¬ 

O 


Curve 


wirbelsäule 


Curve 


wirbelsäule 

2267 

1 

r 

r 

15—I6<>r 

5®r 

r 

r 

r 

15®r 

6 ®r 

2363 

1 

1 

1 

g'r 

6 ®r 

1 

1 

1 

5®r 

0 

2508 

r 

r 

r 

ll*r 

0 

r 

r 

r 

8 ®r 

l®r 

2515 

1 

1 

1 

o 

1 

0 

1 

r 

I 

e 

a> 

1 

00 

1 —2®r 

2624 

1 

r 

r 

U^r 

0 

l 

r 

r 

17®r 

l®r 

2645 

1 

r 

r 

14®r 

2®1 

r 

r 

I 

6 —7®r 

2 —3®1 

2714 

1 

r 

0 

19®r 

12®1 

r 

r 

r 

24®r 

6®1 

2726 ^ 

1 

r 

1 

5-6* r 

1 -2® 1 

1 

r 

r 

5-6® r 

0 -1® 1 

2729 ' 

r 

r 

1 

4®r 

5®1 

r 

r 

1 

6 —7®r 

3® 1 

2743 

r 

r 

r 

4®r 

0 

0 

r 

r 

2—3® r 

0 

2752 

r 

r 

1 

6 ®r 

0 

1 

r 

1 

3—4®r 

1®1 

2824 

r 

r 

0 

16®r 

2®1 

r 

r 

r 

21 ®r 

1 -2® 1 

2867 

l 

r 

r 

4®r 

0 

1 

r 

r 

6 ®r 

t-, 

o 

OJ 

2902 

r 

r 

1 

10- lior 

13® 1 

r 

r 

1 

10 ®r 

12 ® 1 

2917 

1 

r 

1 

1 

12 ® r 

8 ®r 

1 

r 

r 

15-I6''r 

0 




Linksconvexe 

Formen. 




80 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

' Fehlt 

Fehlt 1 

Fehlt 

Fehlt 

127 

w 

« 

« 

• 

n 

« 

9 

9 

II 

9 

313 

1 

r 

1 


9 

1 

r 

0 

• 

9 

354 

1 

1 

1 

« 

9 

1 

1 

1 

11 


653 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

* 

9 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

9 


707 

r 

1 

1 

8 M 

3® 1 

0 

1 

1 

10 ® 1 

2-3® 1 

750 

i 1 

0 

1 

5M 

2 ® 1 

1 

1 

r 

1®1 

8® 1 

803 

r 

r 

r 

1 

CO 

e 

0 

1 

0 

r 

0 -l®r 

0 

849 

1 1 

r 

1 

3<’r 

l®r 

1 

0 

0 

2 ®r 

4®r 

912 

1 r 

r 

r 

IM 

1 -2® r 

1 

0 

r 

0 

2 ®r 

1040 

1 r 

0 

1 

2 ® r 

3® 1 

r 1 

0 

0 

1 —2®r 

2 ®r 

1082 

' 1 

1 

1 

2 ®r 

10 ®r 

r 

r 

1 

5®r 

6®1 

1320 

1 0 

r 

1 

6 ®r 

5®1 

1 

r 

r 

5®r 

3®1 

1538 

1 r 

1 

1 

4®1 

5®1 

r 

0 

1 

4®1 

5®1 

1586 

1 r 

r 

1 

O-lM 

3®r 

1 

1 

1 

0 —rr 

0 -1® 1 

1689 

' 1 

1 

r 

17—180 1 

0 

1 

1 

r 

21 ® 1 

13®r 

1811 

r 

r 

r 

3®r 

6 ®r 

r 

r 

r 

6 ®r 

4®r 

1952 

1 0 

r 

r 

3®r 

4®r 

r 

r 

r 

l®r 

l®r 

2071 

1 1 

1 

r 

e 

1 

00 

2®1 

1 

1 

0 

1®1 

0 -1® 1 

2666 

1 ^ 

r 

0 

2 ® r 

0 

0 

0 

1 

1 

1 

1®1 

0 —l®r 


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132 


S. Samu HofTmanii. 


C. Gervicodorsalskoliose. 

Alter: 


Jahre 

5 
9 

10 

11 

12 

13 

14 

15 

Das Alter bei der Gervicodorsalskoliose bewegt sich zwischen 
5—15 Jahren. Die grösste Frequenz im 10. Lebensjahre. 
Bei der complicirten Dorsalskoliose 14. 

Geschlecht. 

Hier finden wir bei den 9 Fällen 7 weibliche (77,7®/o) und 
2 (22,3®/u) männliche Patienten. Wir finden also hier mehr Pro¬ 
cent männliche Fälle, als bei den beiden anderen Formen. 

Beobachtungszeit. 

Die Beobachtungszeit wechselt zwischen 1—5 Jahren. 

Beobachtungen von 1—3 .Jahren sind 6 Fälle 

» 1* 3—5 T, ^ S j, 

Total 9 Fälle 

Deviationsrichtung. 

Die Seitenabweichung zeigt zwischen den 9 beobachteten Fällen 
5 (5 5,56 ®/o) Fälle links- und 4 (44,44 ^/o) rechtsconvexe 
Formen. Wir finden hier ein Ueberwiegen der linksconvexen For¬ 
men, was wir bei den anderen zwei Formen nicht gefunden haben. 
Weiterhin sehen wir, dass während der Beobachtung in 2 Fällen 
aus rechtsconvexen linksconvexe und in 1 Fall aus links¬ 
convexer rechtsconvexe geworden ist. Die beobachteten Fälle 
sind aber sehr wenig zahlreich, so dass wir keinen bestimmten Schluss 
ziehen können. 


Fälle 


1 

1 

3 

2 

1 

1 


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Klinische Studien über die Dorsalskoliose. 


133 


Ueberhängende Richtung. 

I. Untersuchung. 

3 (33,3 ®/o) Fälle rechts überhängend 

6 (66,7 , ) , links „ 

Total 9 Fälle 

II. Untersuchung. 

2 (22,2%) Fälle rechts überhängend 

7 (77,7 . ) , links 

Total 9 Fälle 

Wir sehen eine Vermehrung der links überhüngenden 
Formen. 

Sehen wir nach der Convexität, so finden wir bei den 

Rechtsconvexen Formen: 

I. Untersuchung. 

2 (50%) Fälle rechts überhängend 

_ 2 (50 „ ) „ links „ 

Total 4 Fälle 

II. Untersuchung. 

1 (25 7o) Fall rechts überhängend 

3 (75 . ) F älle links 
Total 4 Fälle 

So sehen wir, dass in 25®/o die Richtung des Ueber- 
hängens nach der anderen Seite übergegangen ist zu Gun¬ 
sten der links überhängenden Formen. 

Linksconvexe Formen. 

I. Untersuchung. 

4 (80%) Fälle links überhängend 
1 (20 , ) Fall rechts , 

Total 5 Fälle 

II. Untersuchung. 

4 (80%) Fälle links überhängend 
1 (20 , ) Fall rechts , 

Total 5 Fälle 

Wir sehen, dass die Zahlen gleich geblieben sind, 
und dass die linksconvexen Formen mehr Tendenz haben. 


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134 


S. Samu Hoffmann. 


ihre Richtung beizubehalten, als die r e c h t s c on v ex e n 
Formen. 

Stärke des üeberhängens. 

In 1 (11,1» Fall ist sie gleich geblieben 
, 7 (77,8 , ) Fällen „ , kleiner geworden 
, 1 (11.1 „ ) Fall , „ grösser , 

Total 9 Fälle 

Wir beobachten in 77,8®/o Kleinerwerden des Ueber- 
hängens, was auf die stattgehabte Behandlung zurückzu¬ 
führen ist. So sehen wir, dass bei der Cervicodorsal- 
skoliose eine Besserung in der grossen Mehrzahl der Fälle 
eintritt. 


Lage des Erümmungsscheitels. A. 

Rechtsconvexe Formen. 

I. Untersuchung. 

4 Fälle rechts. 

II. Untersuchung. 

2 (50®/o) Fälle rechtsconvex 
2 (50 ,) * linksconvex 

Total 4 Fälle 


Linksconvexe Formen. 

I. Untersuchung. 

5 Fälle links. 

II. Untersuchung. 

4 (75®/o) Fälle linksconvex 
1 (25 „ ) Fall rechtsconvex 
Total 5 Fälle 

Wir sehen also, dass die linksconvexen Formen mehr 
Tendenz haben, ihre Krümmungsscheitelrichtung beizube¬ 
halten, als die rechtsconvexen Formen. Weiterhin, dass 
in 2 Fällen aus rechtsconvexen linksconvexe und in 1 Fall 
aus linksconvexer rechtsconvexe Form geworden ist. 

Die Fälle sind folgende: 


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Klinische Studien Über die Dorsalskoliose. 


135 


Rechtsconvexe Formen. 


Joumal- 

Nr. 

1 Alter 

Ge¬ 

schlecht 

1 

Beobachtungszeit 

Lage des 

Krümmungsscheitels 

1 

1 ' 

1 Jahre 

1 Monate 

1. Beob. 

II. Beob. 

1038 


M 

3 

11 

4 r 

41 

1780 

! io 

W 

2 

4 

2 r 

41 



Linksconvexe Formen. 



737 . 

’’ 14 

w 1 

1 1 

1 

101 

1 4 r 


Scheitelhöhe. 


ln 2 (22,2 ^/o) Fällen ist die Scheitelhöhe gleich gebheben 


. 2 ( 22,2 , ) , 

n 3 (33,8 , ) « 9 9 

. 1 (11,1 . ) Fall , , 

_^ aizL._L - " - 

Total 9 Fälle 


grösser geworden 
kleiner „ 

von r. n. 1 . übergegangen 
„ 1 . n. r. 


Die Scheitelhöhe ist mit ll®/o mehr Fällen kleiner ge¬ 
worden, als grösser und wechselt die Richtung in ähnlicher 
Weise von rechts nach links, wie umgekehrt. 

Analysiren wir die Fälle, so finden wir Folgendes: 


Rechtsconvexe Formen. 

In 1 (25®/o) Fall ist sie gleich geblieben 

, 2 (50 , ) Fällen „ , kleiner geworden 

„ 1 (25 , ) Fall „ „ von r. n. 1. übergegangen 

Total 4 Fälle 

Linksconvexe Formen. 

In 1 ( 20 ®/o) Fall ist sie gleich geblieben 
, 2 (40 „ ) Fällen „ , grösser geworden 

„ 1 (20 „ ) Fall „ , kleiner 

_ „ 1 (20 „ ) , , , von 1 . n. r. übergegangen 

Total 5 Fälle 

Lage des Krümmungsscheitels. B. 

In 3 (33,3%) Fällen ist der Krümmungsscheitel an derselben Stelle geblieben 
, 4 (44,4 9 ) „ p 9 9 nach unten gewandert 

, 2 ( 22,2 , ) , , . . , oben 

Total 9 Falle 


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136 


S. Samu Hof[inann. 


Hier finden wir auch das Resultat, was wir schon 
früher gefunden haben, nämlich in mehr Fällen wandert 
der Erümmungsscheitel nach unten, als nach oben. 
Analysiren wir die Falle, so finden wir Folgendes: 

Rechtsconvexe Formen. 

In 1 (25®/o) Fall ist der Krümmungsscheitel an der gleichen Stelle geblieben 
, 1 (25 fl ) , fl fl , nach oben gewandert 

fl 2 (50 fl ) F ällen a a a a unten 

Total 4 Fälle 


Linksconvexe Formen. 

In 2 (40®/o) Fällen ist der Krümmungsscheitel an der gleichen Stelle geblieben 
fl 1 (20 fl ) Fall fl fl fl nach oben gewandert 

fl 2 (40 „ ) F ällen a a a * unten 

Total 5 Fälle 


Gegenkrümmungen. 

Rechtsconvexe Formen. 

I. Untersuchung. 

In 2 (50%) Fällen finden wir nur eine Gegenkrümmung 
fl 2 (50 fl ) fl fl fl fl zwei Gegenkrümmungen 
Total 4 Fälle 

II. Untersuchung. 

Dasselbe wie bei der I. Untersuchung. 


Linksconvexe Formen. 

I. Untersuchung. 

In 4 (80%) Fällen finden wir nur eine Gegenkrümmung 
fl 1 (20 A ) Fall fl „ n zwei Gegenkrümmungen 
Total 5 Fälle 


II. Untersuchung. 

In 2 (40%) Fällen finden wir nur eine Gegenkrümmung 
fl 2 (40%) fl » n I» zwei Gegenkrümmungen 
A 1 (20%) Fa ll fl fl , drei 
Total 5 Fälle 

Die Gegenkrümmungen zeigen eine Tendenz, sich zu 
vermehren, was wir bei den complicirten Dorsalskoliosen 
auch gefunden haben. 


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Klinische Studien über die Dorsalskoliose. 


137 


Art der Gegenkrümmungen. 
Rechtsconvexe Formen. 

1. Untersuchung. 

In 2 (50 ®o) Fällen finden wir nur LS-Gegenkrümmungen 
, 1 (25 , ) Fall , , DL-LS 

. 1 (25 . ) . . , CD-LS 

Total 4 Fälle 


II. Untersuchung. 

Dasselbe wie bei der I. Untersuchung. 

Demnach sind die Gegenkrümmungen bei den rechts 
convexen gleich geblieben. 


Linksconvexe Formen. 

I. Untersuchung. 

In 4 (80®/o) Fällen finden wir nur LS-Gegenkrümmungen 
. 1 (20 , ) Fa ll . , DL—LS 

Total 5 Fälle 


II. Untersuchung. 

In 2 (40®/o) Fällen finden wir nur LS-Gegenkrümmungen 
. 2 (40 , ) . . . CD-DL 

, 1 (20 , ) Fa ll , , DL—LS 

Total 5 Fälle 

Die Fälle mit CD—DL-6egenkrümmungen haben zu¬ 
genommen, die Fälle mit LS ebenso viel abgenommen. 

Sehen wir nach den gesammten Gegenkrümmungen, so finden 
wir bei der 

I. Untersuchung: 

1 ( 8,34®/o) cervico-dorsale Gegenkrümmung 

2 (16,68 , ) dorso-lumbale Gegenkrümmungen 

9 (74,98 , ) lumbo-sacrale „ 

Total 12 Gegenkrümmungen 

II. Untersuchung: 

2 (14,29 ®/o) cervico-dorsale Gegenkrümmungen 

3 (21,44 ,) dorso-lumbale „ 

_ 9 (64,27 „ ) l umbo-sacrale ,, 

Total 14 Gegenkrümmungen 


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138 


S. Samu Hoffmann. 


Im allgemeinen haben die Gegenkrümmungen zuge¬ 
nommen. Die häufigste Gegenkrümmung ist die lumbo- 
sacrale, während es bei der complicirten Dorsalskoliose 
die dorso-lumbale ist. 

Torsion. 

Die Torsion wurde hier auch in ähnlicher Weise gemessen, 
wie es bei der einfachen Dorsalskoliose besprochen wurde. Tabelle 1 
bedeutet die erste, Tabelle II die zweite Beobachtung. 

Tabelle I. 


Curve 

Rechts- 

Links- 

Keine 

Fehlen die 

Total 

torsion 

torsion 

Torsion 

Angaben 

I. 

2 

5 

1 

1 

9 

II. 

3 

4 

1 

1 

9 

III. 

5 

3 

0 

1 

9 



Tabelle II. 



I. 

2 

3 

3 

1 

9 

II. 

3 

5 

— 

1 

9 

III. 

5 

1 

2 

1 

9 


In Curve I und III haben die Linkstorsionen abgenom¬ 
men zu Gunsten der Fälle ohne Torsionen; in Curve 11 
hat die Linkstorsion zugenommen und die Fälle ohne Tor¬ 
sion abgenommen. Die Rechtstorsion ist überall gleich 
geblieben. 

In Curve I und II überwiegen die Linkstorsionen und 
in Curve III die Rechtstorsionen. 

Die Registrirung der Veränderungen bei den einzelnen Fällen 
ergibt Folgendes: 


Curve 

Persistirt 

Neue auf¬ 
getreten 

Ver¬ 

schwun¬ 

den 

1 Von r. n. 
I. über¬ 
gegangen 

Von 1. n. 
r. über¬ 
gegangen 

Fehlen | 
die 

Angaben 

Total 

I. 

5 

— 

2 

— 

1 

1 

9 

11 . 

5 

1 

— 

1 

1 

1 

9 

III. 

5 

— 

2 

—• 

1 

; 1 

i 

9 


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Elinische Studien über die Dorsalskoliose. 


139 


In 55®/o bleibt die Torsion gleich in allen drei Curven. 
Verschwunden sind mehr, als neue aufgetreten, mehr Fälle 
gehen von links nach rechts über, als umgekehrt. 

Analysiren wir nach der Convexität, so finden wir Folgendes: 


Rechtsconvexe Formen. 


I. Untersuchung. 


Curve 

Rechts¬ 

torsion 

Links¬ 

torsion 

Keine 

Torsion 

Fehlen die i 
Angaben 

Zusammen 

I. 

1 

3 

1 

— 

4 

II. 

2 

2 

— 

— 

4 

III. 

2 

2 

— 

— 1 

4 



II. Untersuchung. 



I. 1 

1 

1 

2 

— 

4 

II. 1 

2 

2 

_ 

— 

4 

III. 

2 

1 

1 

— 

4 


Wir sehen also hier, dass die Rechtstorsion gleich ge¬ 
blieben ist, Linkstorsion hat in Curve I und III abgenom¬ 
men, die Fälle ohne Torsion haben zugenommen, Curve II 
ist gleich geblieben. 


Linksconvexe Formen. 
I. Untersuchung. 


Curve 

Rechts¬ 

Links¬ 

torsion 

torsion 

I. 

1 

2 

II. 

1 

2 

III. 

8 

1 


Keine 

Torsion 

Fehlen die 
Angaben 

Zusammen 

1 

1 

5 

1 

1 

5 

— 

1 

5 


II. Untersuchung. 


1. 

1 

2 

1 

II. 

1 

3 

— 

III. 

8 

1 

1 


i 

5 

5 


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140 


S. Samu Hoffmann. 


Hier finden wir, dass die Rechtstorsion in allen drei 
Curven gleich geblieben ist, die Linkstorsion hat in Curve II 
zugenommen, in Curve III abgenommen. 

Wir sehen also, dass bei rechtsconvexen Formen die 
Linkstorsion abgenommen hat, die Fälle ohne Torsion 
zugenommen haben. 

Bei den linksconvexen Formen sind die Zahlen gleich 
geblieben. 


Torsion bei Vorbeugehaltung. 
Brust wir bei Säule. 

I. CJnterauchung. 


Rechtstorsion 

Linkstorsion 

Keine Torsion 

Fehlen die i 
Angaben 

Zusammen 

1 

4 

— 

4 1 

9 


1 


4 


II. Untersuchung. 


4 


9 


Lendenwirbelsäule. 
I. Untersuchung. 


Rechtstorsion 

Linkstorsion 

Keine Torsion 

Fehlen die 
Angaben 

Zusammen 

3 

2 

— 

4 

9 


11. 

Untersuchung. 


3 1 

2 


1 4 

1 ^ 


Die Torsion bei Vorbeugehaltung ist ganz gleich ge¬ 
blieben während der Beobachtung. 

Betrachten wir die Veränderungen der Torsionsgrösse in Vor¬ 
beugehaltung bei den einzelnen Fällen, so finden wir Folgendes: 


Brustwirbelsäule. 

In 3 (33,3%) Fällen ist die Torsion kleiner geworden 
, 2 (22,2 , ) , , , , grösser , 

„ 4 (44.5 „ ) „ fehlen die Angaben 

Total 9 Fälle 


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Klinische Studien über die Dorsalskoliose. 


141 


Lendenwirbelsäule. 

In 2 (22,2 ®/o) Fällen ist die Torsion gleich geblieben 
, 2 (22,2 „ ) „ „ » „ kleiner geworden 

, 1 (11,1 , ) , , , , grösser 

, 4 (44,5 , ) , fehlen die Angaben 

Total 9 Fälle 

Wir sehen, dass die Torsionsgrösse der Brust- und 
Lendenwirbelsäule in mehreren Fällen (H’Vo) kleiner ge¬ 
worden ist, als grösser, was auf die stattgehabte Behand¬ 
lung zurückzufOhren ist. Weiterhin sehen wir, dass die 
Fälle der Lendenwirbelsäule mehr Tendenz haben, ihre 
Torsion beizubehalten, als die der Brustwirbelsäule. 

Die nachstehenden Tabellen zeigen uns die Torsion in Aufrecht- 
und Vorbeugehaltung. 


Rechtscorivexe Formen. 

I. Beobachtung. II. Beobachtung. 



Torsion beim auf- i 
rechten Stehen 

Torsion b. Vor¬ 
beugehaltung 

Torsion beim auf¬ 
rechten Stehen 

Torsion b. Vor¬ 
beugehaltung 

s 

5 

I. 

II. 1 

111. 

Brust- 

Lenden* 

I. 

II. 

III. * 

Brust- Lenden- 

o 

•-5 


Curve 


Wirbelsäule 


Curve 


1 Wirbelsäule 

688 

r 

r 

1 

2M ' 

S'r 

0 

r 

1 

3M 

2 ® r 

1038 

1 

1 

1 

Fehlt 

Fehlt 

r ! 

r 

r 

Fehlt 

' Fehlt 

1205 

1 

j r 

r 



1 

1 

r 


»1 

1780 

1 

1 

r 

40r 

2''r 

0 

1 

0 

2® r 

IM 




Linksconvexe 

Formen. 




58 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 

Fehlt 1 

Fehlt 

577 

0 

r 

r 



0 

r 

r 

» 1 

n 

787 

r 

1 

r 

2'" 1 

1-2M 

r 

1 1 

r 

IM j 

3M 

1080 

1 

0 1 

r 

2M 

2M 

1 

1 

r 

3M 1 

2M 

2621 

1 

1 

1 

UM 

5M 

1 

1 

0 

7M 1 

5M 


Das Resultat obiger Zusammenstellungen und Unter¬ 
suchungen kurz zusammengefasst ist nun Folgendes: 

1. Deviationsrichtung: 

Einfache Dorsalskoliose fast überall gleich geblieben, 

2 Fälle sind aus rechtsconvexen linksconvexe geworden 
2 p n » linksconvexen rechtsconvexe , (7,4 7o), 


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142 


S. Samu Hoffmann. 


Complicirte Dorsalskoliose» 

11 ®/o aus rechtsconvexen zu linksconvexen geworden 
15 „ ^ linksconvexen zu rechtsconvexen „ 

Cervicodorsalskoliose» 

50®/o a-us rechtsconvexen zu linksconvexen geworden 
20 , „ linksconvexen zu rechtsconvexen , 

Die complicirten Dorsalskoliosen haben mehr Tendenz, 
die Richtung ihrer Erümmungsscheitel zu ändern, und 
noch mehr die Cervicodorsalskoliosen, als die einfachen 
Dorsalskoliosen. 

Die Rechtsconvexen behalten dieselbe Richtung öfters 
bei, als die Linksconvexen. 

2. Ueberhängen: 

Einfache Dorsalskoliose, 48®/o (I. Unters.), 51°/o (11. Unters, 
rechts überhängend, 38®/o bezw. 47% links überhängend. 

Complicirte Dorsalskoliose, 

40% bezw. 47% rechts Überhängend 
47 „ „ 43 , links , 

Cervico dorsal Skoliose, 

33% bezw. 22 ® o rechts überhängend 
66 „ „ 77 * links , 

Bei den zwei ersten Formen finden wir bei der I. und II. Unter¬ 
suchung ein Vorwiegen der rechts überhängenden, bei den Cervico¬ 
dorsalskoliosen der links überhängenden Formen. 

Das Ueberhängen wechselt die Richtung etwas mehr von links 
nach rechts, 20^/o bezw. 17%, als umgekehrt, 13% bezw. 14 ®ü. 

Weiterhin haben die Linksconvexen mehr Tendenz, die Rich¬ 
tung ihres Ueberhängens beizubehalten, als die Rechtsconvexen, 55 % 
bezw. 49%. 

Die Grösse des Ueberhängens bleibt selten gleich, nur in 2 
bezw. 6%) bezw. 11%, öfters wird sie kleiner, 32% bezw. 36®/> 
bezw. 77%, als grösser. 

3. Krümmungsscheitelhöhe: 

Einfache Dorsalskoliose in 44^ o kleiner geworden 
Complicirte Dorsalskoliose „ 26 „ „ „ 

Cervicodorsalskoliose » 77 „ „ , 

Wir können deshalb sagen, dass die Cervicodorsalskoliosen und 
einfachen Dorsalskoliosen mehr Tendenz haben zur Besserung, als 
die complicirten Dorsalskoliosen. 


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Klinische Studien über die Dorsalskoliose. 


143 


Weiterhin sehen wir, dass die linksconvexen Formen mehr 
Tendenz haben zum Kleinerwerden der Höhe des Erümmungs- 
scheitels, als die rechtsconvexen. 

4. Die Verschiebung des Krümmungsscheitels findet in der Art 
statt» dass er im Laufe der Beobachtung viel häufiger nach unten (28 bezw. 
30•/o bezw. 44®/o) wandert, als nach oben (ll®/o bezw. 20®/o bezw. 22 7o)- 

Das Wandern nach unten ist bei den Linksconvexen 
deutlicher, als bei den Rechtsconvexen. 

5. Gegenkrümmungen. Complicirte Dorsalskoliose und Cer* 
vicodorsalskoliose etwas zugenommen. 

Wir bemerken eine Verminderung der rechtsconvexen 
und eine Vermehrung der linksconvexen Krümmungen. 

Die grössten Zahlen der Gegenkrümnuingen sind 
dorso-lumbale. Ihnen folgen die cervico-dorsalen und lumbo- 
sacralen. 

Bei denCervicodorsalskoliosen finden wir die grössten 
Zahlen lumbo-sacrale Gegenkrümmungen. 

6. Torsion. A. Im aufrechten Stehen. Einfache Dorsal- 
fikoliose. 

Die Fälle mit Linkstorsion sind mit O^o weniger geworden 
, , , Rechtstorsion , „ 30 , mehr „ 

, , ohne Torsion sind gleich geblieben 

Complicirte Dorsalskoliose. 

Die Fälle mit Linkstorsion sind mit 7®/o weniger geworden 
„ , „ Rechtstorsion , » 4 , mehr „ 

„ , ohne Torsion „ , 3 , „ 

Ce rvi CO dorsal Skoliose. 

Die Fälle mit Linkstorsion sind mit 33®/o weniger geworden 
, , „ Rechtstorsion sind gleich geblieben 

, „ ohne Torsion sind mit 33®/o mehr geworden 

So ist bei den Cervicodorsalskoliosen in 66®/o Besserung ein¬ 
getreten. 

Bei der einfachen Dorsalskoliose persistirt die Torsion in 
62%, in 14^,0 ist sie verschwunden, in 12 ^/o ist neue Torsion auf¬ 
getreten, in 2^/o ist die Torsion von rechts nach links, und in 
7% ist sie von links nach rechts übergegangen. 

Bei der complicirten Dorsalskoliose persistirt die Torsion 
in 67%, in 7% ist sie verschwunden, in 6% ist neue Torsion auf- 


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144 S. Samu Hoffmann. Klinische Studien über die Dorsalskoliose. 


getreten, in 10 ^/o ist sie von rechts nach links übergegangen und 
in 9®/o ist die Torsion von links nach rechts übergegangen. 

Bei der Cervicodorsalskoliose persistirt die Torsion in 
63®/o, in 17% ist sie verschwunden, in 4% ist neue aufgetreten, 
in 4% ist sie von rechts nach links übergegangen, in 12% ist sie 
von links nach rechts übergegangen. 

Auffallend ist, dass bei den einfachen Dorsalskoliosen 
die Torsion in Curve I in 23% verschwunden ist. Bei den 
complicirten Dorsalskoliosen finden wir in Curve III die 
* grössten Zahlen der verschwundenen Torsionen, bei den 
Cervicodorsalskoliosen in Curve I und III. 

Torsion B. In Vorbeugehaltung. Einfache Dorsal¬ 
skoliose. In der Brustwirbelsäule ist die Rechtstorsion um 25 
der Fälle gestiegen, die Linkstorsion ist um 17% der Fälle ge¬ 
sunken, die Fälle ohne Torsion sind um 7 % gesunken. 

In der Lendenwirbelsäule ist die Rechtstorsion um 8% 
der Fälle gestiegen, die Linkstorsion um 5% der Fälle gesunken, 
die Fälle ohne Torsion sind um 2 % gesunken. 

Wir fanden hier dasselbe wie bei der Brustwirbelsäule, nur in 
geringerem Maasse. 

Coraplicirte Dorsalskoliose. Die Rechtstorsion in der 
Brustwirbelsäule ist um 11% der Fälle gesunken, die Links¬ 
torsion ist um 5,5% der Fälle gestiegen, die Fälle ohne Torsion 
sind um 2,5 gestiegen. 

In der Lendenwirbelsäule ist die Zahl der Fälle bei der 
Rechtstorsion gleich geblieben, die Zahl der Fälle mit Linkstorsion 
um 2,5 %j gestiegen, die Zahl der Fälle ohne Torsion um 2,5 % ge¬ 
sunken. 

Bei den Cervicodorsalskoliosen sind die Zahlen in der 
Brust- und Lendenwirbelsäule ganz gleich geblieben. 

Allgemein sehen wir, dass in der Brustwirbelsäule die Rechts¬ 
torsion, in der Lendenwirbelsäule die Linkstorsion die grössten Zahlen 
zeigen. Weiterhin sehen wir, dass in der Lendenwirbelsäule die 
Torsion um 10% der Fälle öfters perisistirt, als in der Brust¬ 
wirbelsäule. 


Zum Schluss unserer Arbeit sprechen wir Herrn Dr. W. Schult- 
hess hiermit für die gütige Ueberlassung des reichhaltigen Materials 
und für die persönliche Unterstützung unseren aufrichtigsten Dank aus. 


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X. 


Bericht über den 18. Gongress der American 
Orthopedic Association. 

Von 

Dr. Hans Spitzy, 

Facharzt für orthopädische Chirurgie der Universitätskinderklinik Graz. 

Der Congress wurde am 8. Juni in Atlantic City, Pa., eröffnet. 
Angemeldet waren 64 „papers“, deren Erledigung auf 5 Halbtag¬ 
sitzungen aufgetheilt wurde in der Weise, dass in der ersten Nerven- 
und Sehnenplastik, Klumpfuss und Plattfuss-, in der zweiten die 
Skoliosenfrage, in der dritten Coxitis, Gelenke und Knochen, in der 
vierten Coxa vara und congenitale Hüftluxation und in der fünften 
endlich Spondylitis und verschiedene kleine Vorträge erledigt wurden. 
Da viele der Vorträge wegen Abwesenheit der Autoren wegfielen, 
gelang deren Abwickelung leicht, ohne ein zu grosses Abhasten, wie 
es leider bei unserer viel gedrängteren Tagesordnung immer der 
Fall ist. 

In einer Vorrede betonte der Vorsitzende Dr. Reg. H. Sayre- 
New York den Werth und das Wachsen unserer Wissenschaft und 
die sich stets steigernde Vervollkommnung der diagnostischen und 
therapeutischen Methoden, besonders gedachte er der hohen Wichtig¬ 
keit der Prophylaxe. 

J. Young-Philadelphia demonstrirte einen Operationsversuch, 
eine isolirte Lähmung des M. tib. ant. eines 8jährigen Kindes durch 
eine Nervenanastomose zu corrigiren. Der den M. tib. ant. ver¬ 
sorgende Ast des N. peron. wurde in einen anderen intacten Zweig 
desselben Nerven inplantirt. Der Erfolg war wegen vorhandener 
Ueberdehnung des gelähmten Muskels und bestehender Verkürzung 
der Achillessehne nicht sehr in die Augen springend, doch positiv. 

H. Spitzy-Graz bespricht die Bedeutung und Ausführungs¬ 
möglichkeit der Nervenplastik auf Grund ausgedehnter Thierversuche. 

Zeitschrift für orthopädische (’hiriirgie. XIII. Bd. 10 


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146 


Hans Spitzy. 


Die diversen Methoden der Reinnervation gelähmter Muskeln wurde 
beschrieben und mittelst beigegebener Mikrophotogramme die Re¬ 
sultate erläutert und bewiesen. 

Von den empfohlenen Operationsmethoden wird insbesondere 
die Neurotisation des gelähmten Quadriceps vom N. obturatorius au? 
hervorgehoben. An der sich an diese Vorträge anschliessenden leb¬ 
haften Discussion betheiligte sich insbesondere Geheimrath Hoffa- 
Berlin, Dr. Shermann-San Francisco, Dr. Meyers-New York und 
Dr. Townsend-New York. 

Geheimrath Prof. Hoffa-Berlin sprach über die Erfolge der 
Sehnenplastik. Nach einer Hunderte zählenden Operationsstatistik 
forderte Hoffa zur Erreichung eines guten Functionsresultates die 
stricte Beobachtung von fünf Hauptpunkten: 

1. absolute Beherrschung der Asepsis, 

2. exacte Blutstillung, 

3. Verwendung von functionstüchtigem Muskelmaterial, 

4. Fixation der überpflanzten Sehnen unter hoher Spannung 
und dies alles 

5. nach einem vorher wohl erwogenen Operationsplan. 

Die Versammlung lauschte mit grosser Aufmerksamkeit den 
Worten des erfahrenen Meisters und dankte mit lebhaftem Beifall. 

Grosses Interesse erweckte die von V. P. Gibney-New York 
erörterte Operationsmethode zur Beseitigung der Innenrotation des 
Beines bei cerebralen spastischen Processen. Durch eine Myotomie 
und partielle Exstirpation des oberen Ansatzes des M. tens. fase. lat. 
erreicht Gibney eine Correctur dieser lästigen Stellungsanomalie des 
Beines. 

John Dane und D. Townsend-Boston, Mass., verhalten sich 
etwas skeptisch den Erwartungen gegenüber, die in die Sehnen¬ 
plastik gesetzt werden, und warnen vor zu complicirten Sehnen¬ 
operationen; in diesem Falle sei eine Arthrodese vorzuziehen. 

H. M. Sherman-San Francisco, Cal., sucht den Pes calcan. 
paralyt. durch Ueberlegung des M. ext. dig. auf den Metatarsu? 
mit einer durch den vor der Operation angelegten Gipsverband 
gehenden Naht zu corrigiren. (Details siehe Originalarbeit.) 

In der diesen Vorträgen folgenden Discussion gab Geheimrath 
Hoffa viele Rathschläge und Winke betreffend die Ausführung der 
Sehnenoperationen. 


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Bericht über den 18. Congress der American Orthopedic Association. 147 


Der Nachmittag brachte lange Erörterungen Ober die nie ver¬ 
siegende Skoliosenfrage. 

Frank E. Peckham-Providence, R. I., bespricht einen Fall 
von Skoliose, durch einseitigen Klumpfuss hervorgerufen. Behandlung 
des GrundQbels brachte auch die Skoliose zum Schwinden. — Oscar 
A. Allis-Philadelphia, Penn., sucht aus seiner reichen langen Lebens¬ 
erfahrung die Frage zu ergründen: seitliche Abweichung, Torsion, 
Rotation, die ganze verhängnissvolle Fragenfolge wird aufgerollt. 
Der Vortragende sieht in der Drehung des Rumpfes gegen das 
fixirte Becken beim Schreibact das ätiologische Hauptmoment, die 
Verbildung der Gelenkfortsätze und der Thoraxreifen sei das Primäre, 
und die Behandlung habe sich darnach zu richten. 

R. Tunstall Taylor und Com pton R ei ly-Baltimore, Md., 
sehen als Hauptursache der Umbildung der Knochenstructur in 
skoliotischen Wirbeln die pathologische Muskel Wirkung an, die von 
den Bauch- und Beckenmuskeln gegen den rotirten Thorax aus¬ 
geübt wird und suchen insbesondere diesen rotatorischen Kraft- 
componenten durch entsprechende Behandlung entgegenzuwirken. 

Albert H. Freiberg-Cincinnati, 0., demonstrirt eine gra- 
duirte Glastafel zum Zweck einer raschen Skoliosenmessung. 

Das Ausführlichste und Complicirteste an Messungsvorschlägen 
bot Joseph M. Speilissy-Philadelphia, Penn. Durch exacteste 
Photographie von allen Seiten, unter Benutzung von Spiegeln sucht 
er den jeweiligen Status zu fixiren. Doch ist diese umständliche 
Messung nach der Erklärung des Vortragenden selbst eher für genaue 
anthropometrische Laboratoriumsstudien, als für praktische Zwecke 
brauchbar. 

Das mechanische Talent Compton Reily’s zeigte uns auch 
einen dem Schulthess'schen Tasterzirkel ähnlichen, viel einfacheren 
Apparat, sowie einen dem bei uns gebrauchten ähnlichen Schaukel¬ 
apparat zur Entwickelung von photographischen Platten. 

R.B. Osgood-Boston, Mass., demonstrirt ausgezeichnet schöne 
Röntgenbilder, bespricht die Diagnostik an der Hand derselben, ihre 
Interpretation sowie die möglichen Fehlerquellen. 

Bei Erledigung der Coxitis brachten uns zuerst R. W. Lovett 
und Percy Brown eine ausgezeichnete Studie über den diagnostischen 
Werth der Röntgenbilder bei der Coxitis. 

Hundert Hüftgelenke wurden unabhängig von klinischer Unter¬ 
suchung photographirt und nun aus dem Bilde die Diagnose ge- 


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148 


Hans Spitzy. 


stellt. Vergleichung mit dem von anderer Seite aufgenommenen 
klinischen Status zeigte fast in allen Fällen die sichere Möglichkeit, 
die Erkrankung aus dem Bilde diagnosticiren zu können. Kein Fall, 
der als normal bezeichnet wurde, hatte eine Coxitis. Abnahme der 
Knochendichtigkeit an Kopf, Pfanne und angrenzenden Knochen, 
verschwommene Umrisse sind die prägnantesten Frühsymptome. 

A. H. Freiberg construirte ein an jedes Bett leicht anzu¬ 
bringendes Kollensystem zur Extensionsbehandlung. 

Augustus Thorndike-Boston, Mass., berichtet über einen 
Fall von „Sacro-iliac disease“ bei einem Kinde. 

John J. Porter-Chicago, 111., referirt über einen Fall von 
Coxitis mit Spontanluxation nach Typhus. 

S. L. Mc Curdy-Pittsburg, Pa., spricht über das Stellungs- 
verhältniss des Beckens zur Beinhaltung und demonstrirt einen 
Apparat zur sofortigen Bestimmung der Grösse der Winkelstellung 
zur Beinlänge. 

Joel E. Goldthwait-Boston, Mass., beobachtete bei einer An¬ 
zahl von Frauen mit beständigen Kreuzschmerzen während oder 
anschliessend an eine Schwangerschaft eine Dislocation des Kreuz¬ 
beins, hervorgerufen durch eine Lockerung der Verbindung derselben 
mit dem Os ilei. 

Die Reposition und Fixirung gelingt leicht und befreit die 
Patienten von den Schmerzen und erleichtert eine eventuell nach¬ 
folgende Geburt. 6 Fälle. 

Die Coxa vara-Frage wurde mit einem Vortrage von Royal 
Whitman-New York eingeleitet. 

Derselbe unterscheidet streng zwischen einer Schenkelhals- 
fractur und einer Lösung der Epiphyse. Die häufigste Verletzung 
ist nach ihm auch bei Kindern bei directer Gewalteinwirkung eine 
gewöhnliche Schenkelhalsfractur, die Epiphysenfractur bezw. Lösung 
und Verschiebung spiele sich meistens im adolescenten Alter ab, ist 
meist incomplet und langsam fortschreitend und bringt, weil direct 
das Gelenkinnere berührend, stärkere Bewegungsbehinderung mit sich. 

Diese Unterscheidung spinnt sich in der Behandlung weiter. 
Die Fractur wird mit Fixirung in extremster Abduction behandelt, 
die epiphy.säre Verschiebung ist operativ in Angriff zu nehmen und 
der Kopf wieder an die richtige Stelle zu reponiren. 

Chas. F. Paint er-Boston, Mass., berichtet über 3 Fälle von 


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Bericht über den 18 . Congress der American Orthopedic Association. 149 

Fracturen, intracapsulärer Epiphysenlösung; operative Behandlung, 
Reposition und Fixirung mit Silberdraht. 

James E. Moore-Minneapolis, Minn., tritt ebenfalls für eine 
energischere Behandlung der Schenkelhalsfractur ein, als dies bisher 
geschehen; bei Beobachtung der mechanischen und anatomischen 
Principien geben sowohl Lagerungsbehandlung wie operative Me¬ 
thoden gute Resultate. 

John L. Porter-Chicago, Dl., beschreibt 2 Fälle von Coxa 
vara und die entsprechende Behandlung. 

In der Discussion spricht Hoffa in längerer Rede über die 
Coxa vara und die Schenkelhalsfractur. Im Gegensatz zu Whitman 
sieht Hoffa meist eine epiphysäre Lösung als Grund der Coxa vara- 
Bildung, besonders bei Kindern, an, der Bruch erfolgt meist in oder 
in unmittelbarer Nähe der Epiphysenlinie. 

Die bilaterale Coxa vara ist eine angeborene Deformität, die 
rhachitische Form ist meist mit einer gleichzeitigen Krümmung des 
oberen Femurendes vergesellschaftet. Das beste Mittel zur Beseiti¬ 
gung der durch die Fractur entstandenen Bewegungsbehinderung 
ist die Entfernung des dislocirten Kopfes und die Abrundung und 
Einstellung des Schenkelhalses in die Pfanne. Bei einer typischen 
Coxa vara ist die dominirende Operation die subtrochantere keil¬ 
förmige Osteotomie mit Fixirung in Abduction; bei Adduction nach 
vollzogener Consolidirung ist der offene Winkel zwischen Hals und 
Schaft wiederhergestellt. 

Newton M. Schaffer-New York demonstrirt eine Schiene zur 
Behandlung von nicht verheilten Fracturen, die eine bessere Controlle 
der Callusbildung zulasse als Gipsverbände; ebenso einen Apparat 
zur ambulanten Behandlung der acuten und subacuten Coxitis. 

Zu dem Kapitel „Angeborene Luxationen“ sprach zuerst 
F. E. Pe ckham-Providence, R. I., mit einem Bericht über 2 Fälle 
angeborener Schulterluxation. Der klinische Status stellt sie sehr 
nahe jenen paralytischen Luxationen, die wir nach Lähmung der 
Schulter-Oberarmmusculatur gelegentlich finden; auch nach operativer 
Reposition war die Bewegungsmöglichkeit in diesen Fällen nur sehr 
unvollkommen wiedergekehrt. 

Zu demselben Thema sprach auch E. G.Brackett-Boston, Mass. 

Die Besprechung der angeborenen Hüftverrenkung eröffnete 
Geheimrath Hoffa mit einem Vortrage über die Endresultate seiner 
unblutigen Repositionen. 


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150 


Hans Spitzy. 


Von 205 einseitigen Luxationen ergab die unblutige Einrenkung 
(nach Hoffa, Lorenz, Schede) 

30^/o anatomische Heilungen, 

64®/o Transpositionen nach vorne, 

6^/ü Reluxationen nach hinten. 

Bei 65 doppelseitigen Luxationen waren die Erfolge: 

7,7"/o anatomische Heilungen, 

50®/o beiderseitige Transpositionen nach vorne, 

15,3®/o einseitige Heilung, auf der anderen Seite Trans¬ 
position, 

27®/o Reluxationen. 

Hoffa warnt vor dem Ausdehnen der Repositionsversuclie 
über ein gewisses Alter, bei einseitigen 7—8 Jahre, bei doppel¬ 
seitigen 5—7 Jahre. 

Nach 2maliger Relaxation ist die offene Reposition indicirt, 
die bei exacter Handhabung der Asepsis einen ungestörten Wund¬ 
verlauf, controllirbare anatomische Reposition und ein günstiges 
functionelles Resultat garantirt. 

Bei älteren Patienten besteht auch nach gelungener unblutiger 
Einrenkung oft eine hochgradige Bewegungseinschränkung; der diffor- 
mirte Schenkelkopf ist in die längliche, dreieckige Pfanne hinein¬ 
gestemmt und kann sich in derselben aus rein mechanischen Gründen 
nicht bewegen. 

Solchen älteren Patienten kann durch eine schräge Osteotomie, 
die die Adduction beseitigt und durch Traction und Fixirung die 
Verkürzung corrigirt, viel grössere Erleichterung geboten werden, 
als durch in ihrem Erfolg unsichere Einrenkungsmanöver. Bei 
beiderseitigen Luxationen älterer Patienten macht Hoffa die be¬ 
kannte Pseudarthrosenoperation. 

H. M. Sh er man-San Francisco, Cal., zieht die offene Operation 
jeder anderen Behandlungsmethode vor und berichtet über mehrere 
nach vorhergegangener Oeffnung der Kapsel vorgenommene Re¬ 
positionen, die sämmtlich ein gutes Resultat zeigten. 

H. Aug. Wilson-Philadelphia, Pa., verliest einen Bericht von 
Prof. Lorenz über Behandlung und Nachbehandlung der ange¬ 
borenen Hüftverrenkung. 

Lorenz schildert seinen uns wohlbekannten Standpunkt und 
schreibt, dass er an seinem Verfahren weder bezüglich Reposition 
noch Retention etwas Wesentliches abzuändem habe. Bei der 


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Bericht über den 18. Congress der American Orthopedic Association. 151 


Untersuchung ist auf die genaue Beobachtung der klinischen Sym¬ 
ptome der grösste Werth zu legen, Diagnosen nach dem Röntgenbild 
allein können leicht zu Täuschungen Veranlassung geben. Bezüglich 
der Endresultate unterscheidet Lorenz anatomische Repositionen, 
supracotyloide Dislocationen (anstatt Transposition nach vorne), laterale 
Appositionen und Reluxationen nach hinten. Die Hauptsache ist 
die Wiederherstellung der Function der Extremität, der anatomische 
Stand des Kopfes kommt weniger in Betracht. Demgemäss be¬ 
ziehen sich auch die statistischen Mittheilungen mehr auf die erreichten 
functionellen Resultate, die sich in 70—80 ®/o als befriedigend 
erweisen. Ist wegen des Alters eine unblutige Reposition nicht 
mehr möglich, so empfiehlt Lorenz eine Stellungsverbesserung des 
Gliedes in der Art, dass er dasselbe nach verausgegangener sub- 
cutaner Zerreissuug der Adductoren und eventueller Myotomie der 
vorderen pelvi-femoralen Muskeln in maximaler Abduction und 
Hyperextension fixirt. 

H.L.Taylor-New York zeigt die Bilder einer interessanten Miss¬ 
bildung, eine doppelseitige Luxation mit hochgradiger Adduction (Bein- 
kreuzung), vergesellschaftet mit einem Klumpfuss und angeborenem Pes 
valgus. — Correction durch Osteotomie, Fasciotomie — Redressements. 

Ausserdem berichten noch A. J. Steele-St. Louis, Mo., über 
3 Fälle erfolgreicher Einrenkung schwerer doppelseitiger Luxationen, 
A. Cook-Hartford, Conn., über einen doppelseitigen Fall. Die an¬ 
schliessende Discussion war ausserordentlich lebhaft, da die Frage 
nach dem Besuche von Prof. Lorenz noch immer im Vordergründe 
des allgemeinen Interesses steht. 

Die letzte Sitzung beschäftigte sich mit der Spondylitis- 
behandlung und chirurgischen Tuberculose überhaupt. So bespricht 
Ch. F. Painter-Boston, Mass., einen Fall von TuberculoseaflFection 
der retroabdominalen Lymphdrüsen, von denen aus die Wirbelkörper 
ergriffen wurden, so dass das Ganze dann unter dem Bilde einer 
Lumbalspondylitis erschien. 

A. H. Fr ei b erg-Cincinnati, 0., hatte mit Bier’scher Stauungs¬ 
hyperämie ausgezeichnete therapeutische Erfolge bei Gelenkstuber- 
culosen zu verzeichnen und sucht seine Collegen für diese Behand¬ 
lungsart zu gewinnen. 

J. K. Young beschreibt zur Fixierung von Patienten mit 
Spondylitis dorsalis einen Apparat mit fixer Kopfstütze, dem Schalen¬ 
apparat DollingeFs gleichend. 


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152 fl* Spitzy. Bericht über den 18. Congress d. American Orthopedic Association. 


A. 6. P o o k - Hartford, Conn., empfiehlt einen nach dem Princip 
des Gipsbettes construirten Drahtcuirass zur Fixirung kleiner Kinder, 
der Cuirass kann auf einem Wägelchen zur bequemen Transportirung 
angebracht werden. 

In mechanischer und maschineller Hinsicht wurde überhaupt 
noch vieles Bemerkenswerthe geboten; die Beschreibung der Modelle 
möge in den Originalen nachgesehen werden, da diese ohne bei¬ 
gegebene Bilder doch unverständlich wäre. 

So hatte Compton Reily-Baltimore, Md., einen äusserst 
sinnreichen Apparat aus Gurten, Rollen und Gasrohr construirt, um 
Patienten mit acuten Wirbelaflfectionen (Fractur) ohne Schmerzen zu 
heben und eventuell von einem Bett ins andere oder ins Bad zu 
transportiren. 

R. Tunstall Taylor misst die Rotation bei der Skoliose mit 
einem einfachen Rechtecklineal, und einigen daran angebrachten 
kleinen Messapparaten. 

J. Tor ran ce Rugh-Philadelphia, Pa., beweist mit einem kleinen 
Apparat, dass sich Gipsverbände nach dem Erhärten ausdehnen etc. 

An diese Vorträge schloss sich noch ein interessanter Vortrag 
über die Wachsthumsverhältnisse und die Behandlung des Klump- 
fusses von A. B. Judson-New York an. 

Ferner ein von A. B. Hosmer-Chicago vorgetragener Bericht 
über einen Fall einer scheinbaren Coxitis. Das Bild wurde durch 
eine im Muse, psoas steckende Nadel liervorgerufen. Nach Entfernung 
derselben schwanden die Symptome. 

üeber ausgezeichnete Operationsresultate bei einer sehr lästigen 
Erkrankung, der Coccygodynie berichtet H. A. Wilson-Phila¬ 
delphia, Pa. Durch eine Keilresection beseitigt er die Dislocation 
des Steissbeins und umgeht dadurch die Exstirpation desselben. 
In den beobachteten Fällen sind die Symptome durch diesen Ein¬ 
griff vollständig behoben worden. 

Mit diesen interessanten Ausführungen wurde die Reihe der 
wichtigen Vorträge geschlossen, sie haben uns Zeugniss abgelegt 
von dem Fortschreiten der amerikanischen Orthopädie, von dem 
gemeinschaftlichen Mitarbeiten unserer Collegen an unseren wissen¬ 
schaftlichen Aufgaben; insbesonders angenehm berührte uns der 
Corpsgeist, der unter unseren Collegen herrscht, und ihre cordiale 
Collegialität, die uns das Verweilen in ihrer Mitte zu den angenehmsten 
Stunden machte. 


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Referate 


Mit 3 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Ammann, Die Bedeutung der Orthopädie für den praktischen Arzt. Deutsche 
Praxis 1904, Nr. 6. 

Ammann weist in seiner Arbeit die hohe Bedeutung der Orthopädie 
für den praktischen Arzt nach, der besonders als Hausarzt einen ungleich 
grösseren Einfluss auf die Verhütung der sogenannten orthopädischen Leiden 
hat als der Specialarzt für Orthopädie. Da diese Erkrankungen häuflg ihre 
Entstehungsursache im fötalen Leben haben oder durch den Kräftezustand der 
Mutter bedingt sind, so verlangt Ammann, dass die Prophylaxis schon auf 
die Mütter ausgedehnt wird. Er empflehlt als das beste Hilfsmittel die schwe¬ 
dische Art der Behandlung Schwangerer: Heilgymnastische Hebungen und leichte 
Massage. Vou hervorragender Bedeutung für die Kräftigung des Neugeborenen 
ist das Stillen durch die Mutter selbst. — Die eigentliche Besprechung der De¬ 
formitäten und ihrer Behandlung bringt dem Fachorthopäden nichts Neues. 

Pfeiffer - Berlin. 

Müller, Die Indicationen für die Anwendung orthopädischer Apparate. Therapie 
der Gegenwart 1904. 

Müller versucht in seiner Arbeit, den praktischen Arzt über die In¬ 
dicationen für die Anwendung portativer orthopädischer Apparate zu belehren. 
Zu diesem Zwecke bespricht er in Kürze den Zweck der gebräuchlichsten Appa¬ 
rate: des StÜtzcorsets und des Geradehalters, sowie des Schienenhülsenapparates. 
Er demonstrirt ferner mit Hilfe von Abbildungen ihre Wirkungsweise und zählt 
die verscliiedenen Erkrankungen auf, die mit Hilfe solcher Apparate gebessert 
resp. geheilt werden können. Zum Schluss erwähnt Müller noch einen „un¬ 
scheinbaren, aber in seiner Wichtigkeit leider sehr verkannten Apparat“, den 
Plattfussschuh, der dazu berufen ist, zahllose Beschwerden zu beseitigen. 

Pfeiffer-Berlin. 

Muskat, Schwedische Heilgymnastik. Deutsche med. Wochenschr. 1904, Nr. 8. 

Muskat gibt eine kurze Uebersicht über die Ausbildung der schwedischen 
Heilgymnastik durch Ling und Zander, sowie über ihre Ziele und Erfolge. 
Wenn auch einer allgemeinen Einführung dieser Heilmethode nach seiner An¬ 
sicht viele Schwierigkeiten entgegenstehen, so erscheint sie doch werthvoll für 
Volksheilstätten und ähnliche Institute, einmal schon um die Langeweile der 
Insassen zu bekämpfen und dann, um die bei Nichtgebrauch der Glieder leicht 
eintretende Muskelschwäche zu verhüten. Pfeiffer-Berlin. 


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154 


Referate. 


V. Mikulicz uud Frau Tomasczewski, Orthopädische Gymnastik gegen 
Rückgratsverkrümmungen und schlechte Körperhaltung. Jena, Gust. 
Fischer’s Verlag, 1904, 2. Auflage. 

Das Buch, welches jetzt bereits in 2. Auflage vor uns liegt, dürfte seinem 
Zwecke, «Aerzten und Erziehern die Durchführung des orthopädischen Turnens 
zu erleichtern“, in hervorragender Weise gerecht werden. 

Den Inhalt bildet zunächst eine klare, leicht verständliche Darstellung 
der Entstehung und Behandlung der Wirbelsäulenverkrümmungen, sodann eine 
Beschreibung der Turnapparate und schliesslich eine Fülle von überaus zweck¬ 
mässigen Uebungen. Die letzteren bestehen in Rumpfbeugeübungen auf der Turn¬ 
bank, Freiübungen, Uebungen mit dem Largiader'schen Brust- und Muskelstärker 
und schliesslich in den Geräthübungen. Wollenberg-Berlin. 

Stange, üeber Bauchmassage. Die raedicinische Woche, 1904 Nr. 13. 

Stange hat bei chronischer Obstipation durch eine combinirte Behand¬ 
lung mit Massage, Heilgymnastik und Abführmitteln glänzende Resultate erzielt. 
Letztere konnten schon in der 3.—4. Woche ganz fortgelassen werden, die 
übrige Behandlung musste aber mindestens 2 Monate fortgesetzt werden, da 
sonst Recidive auftraten. Die technischen Manipulationen hat Stange des¬ 
wegen modificirt, weil er das Vorwärtstreiben des Magen- und Darminhaltes für 
unnütz und schädlich hält; er verwendet daher nur Reibungen, Knetungen und 
Vibrationen, um energischere Contractionen der glatten Musculatur der Darmwand 
auszulösen. Die Vibrationen, die er übrigens speciell für den Magen am ge¬ 
eignetsten hSlt, führt er stets mit Vibratoren aus. Pfeiffer-Berlin. 

Menciere (Reims), Sept cas d'impotence fonctionnelle grave des membres, gueris 
par le traitement mecanotherapique. M^ddcine des accidents du travail 
1903, Nr. 2. 

Menciere zeigt an der Hand von sieben einschlägigen Fällen, wie die 
Mechanotherapie im Stande ist, bei richtiger Anwendungsweise selbst schwere 
Functionsstörungen zu bessern und oft ganz zu beseitigen. Für diese Therapie 
kommen hauptsächlich in Betracht Patienten, die orthopädisch - chirurgischen 
Eingriffen unterzogen worden sind; hier gilt es, die Muskeln zu kräftigen und 
Gelenksteifigkeiten zu überwinden. Eine zweite Kategorie bilden Verletzte 
(Knochenbrüche, Verrenkungen, Verstauchungen etc.). In diesen Fällen ist die 
Mechanotherapie berufen, die Heilung zu beschleunigen und langes Kranken¬ 
lager zu verhüten. Die dritte, vielleicht grösste Gruppe setzt sich aus den 
sogen. Unfallpatienten zusammen, die längere Zeit nach ihrer Verletzung mit 
schon ausgebildeten Deformitäten, Versteifungen und schweren Functions- 
Störungen den medico-mechanischen Instituten überwiesen werden. 

Menciere will mit seiner Arbeit, in der er mehr die Erfolge der 
Mechanotherapie deraonstrirt, als auf ihre Art und Weise eingeht, diesem 
Zweige der Heilkunde auch in Frankreich das Ansehen verschaffen, das er in 
anderen Ländern längst geniesst. Pfeiffer-Berlin. 

Lessing. Die Mechanotherapie in der Nachbehandlung von Knochen- und Ge¬ 
lenkverletzungen. Charite-Annalen, XXVIII. Jahrg. 

Les sing macht im ersten Theil dieser Arbeit auf die Wichtigkeit einer 
richtigen Vorstellung der im Einzelfall vorliegenden pathologisch anatomischen 


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Referate. 


155 


Veränderangen aufmerksam. Er erinnert an die Heilungsvorgänge in den das 
Gelenk umgebenden Weichtheilen, an den acuten Hydarthros infolge langer 
Ruhigstellung, er gibt die Resultate einiger experimentellen Arbeiten über die 
Veränderungen des Gelenkknorpels wieder. Auch bei völlig normalem Gelenk 
trat durch Ruhigstellung in einem Knie Atrophie der sich berührenden Stellen 
auf ohne entzündliche Erscheinungen. Sodann werden die Muskelveränderungen 
erwähnt, die der Hauptsache nach in einfacher Atrophie bestehen, hervorgerufen 
durch Nichtgebrauch. Nach Ansicht anderer Autoren handelt es sich meist um 
eine reflektorische Schädigung der Vorderhomzellen durch Vermittelung der 
gereizten Gelenknerven (Duplay und Carin, Kippel, Raymond und Deroche, 
Hoffa). Besonders der letztere hat durch Tierversuche die Paget-Vulpiansche 
Reflextheorie einwandfrei bewiesen. Im zweiten Theil bespricht Lessing die 
einzelnen Factoren der Mechanotherapie: Massage, Elektricität, active und 
passive Gymnastik und Apparatübungen in ihrer Anwendung und Wirkung. 

Rauenbusch - Berlin. 

Müller, Ueber die Heilung von Wunden bei aseptischem und antiseptischem 

Heilverfahren und bei primärer und secundärer Naht. Diss. Königsberg 1904. 

Verfasser gibt zunächst einen kurzen geschichtlichen Ueberblick über die 
Wundbehandlung und kommt dann auf seine Versuche zu sprechen, die er an 
Kaninchen über die Wundheilung bei aseptischer und antiseptischer Behandlung 
gemacht hat. In eingehendster Weise wird über dieselben berichtet und der 
makroskopisclie wie mikroskopische Befund besprochen. Näher auf die Einzel¬ 
heiten einzugehen, würde den Rahmen eines kurzen Referates überschreiten; 
ich kann mich nur darauf beschränken, kurz die Resultate wiederzugeben, wie 
sie Müller am Schlüsse seiner Arbeit noch einmal zusammengestcllt hat. Die 
Versuche zeigen aufs deutlichste die verschieden starke Wirkung der chemischen 
Agentien auf die Wunden, und zwar wirkt Sublimat am schwersten schädigend, 
weniger Carbol, und noch geringere Reizwirkung übt die physiologische Koch¬ 
salzlösung aus, jedoch ist auch diese für die Wunden durchaus nicht indifferent. 
Die ungenähten und gar nicht weiter behandelten Wunden weisen die besten 
Heilungsbedingungen auf, weil die Wundreizung hier am geringsten ist. Daraus 
ergibt sich für den Wundheilungsverlauf die Ueberlegenheit der Asepsis gegen¬ 
über dem antiseptischen Verfahren und die Thatsache, dass eine Wunde um so 
günstigere Heilungsbedingungen zeigt, je mehr man darauf Acht gibt, womöglich 
jede Reizwirkung von ilir fernzuhalten. Die zweite Versuchsreihe liefert den 
Beweis der starken Reizwirkung der Naht bei kleinen Wunden; doch wird man 
deswegen in praxi auf die grossen Vortheile der Naht auch bei kleinen Wunden 
wegen der schnelleren und eleganteren Vernarbung nicht verzichten. Die letzte 
Versuchsreihe, die sich mit der Wundheilung bei tamponirten und dann secundär 
genähten Wunden beschäftigt, hat ergeben, dass die Heilung so behandelter 
Wunden fast gleichwerthig ist der primär genähten und dass daher auch das 
Verfahren der secundären Naht eine ausgiebigere Anwendung verdient. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Stein, Parafflninjectionen. Stuttgart. V^erl. von Ferd. Enke 1904. 

Die ausgedehnte Anwendung der Parafflninjectionen in der Medicin recht¬ 
fertigt den Versuch Stein’s, eine zusammenfassende Darstellung der gebräuch- 


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15G 


Referate. 


liehen Methoden und ihrer Erfolge zu geben. Im allgemeinen Theil des Buches 
erfahren wir Ausführliches über die Geschichte, Chemie und Fabrication, Pharma¬ 
kologie und Toxikologie des Paraffins, weiter über die Emboliegefahr nach 
Injectionen (mit Aufführung der Casiiistik), über das anatomische Verhalten des 
injicirten Paraffins, über die verschiedenen Paraffine in ihrem unterschiedlichen 
Verhalten, über den Heilungsverlauf nach der Injection und über die Indicationen 
der letzteren. Im speciellen Theil wird die Verwendung der Paraffininjectionen 
in den einzelnen Specialgebieten der Medicin des Genaueren unter Anführung 
zahlreicher Krankengeschichten erörtert. 

Von Einzelheiten des Stein’schen Werkes sei nur hervorgehoben, dass 
der Autor, wie dies ja seine bisherigen Publicationen schon darthaten, der Ver¬ 
wendung von Weichparaffin (Schmelzpunkt 42—43^) vor allen übrigen 
Methoden den Vorzug gibt. Zur Herstellung desselben wird eine Vaselinparafhn- 
mischung verwendet. Die Injection geschieht am besten mit einer Spritze, bei 
welcher der mit Schraubengewinde versehene Stempel allmählich hineingeschoben 
wird. Mit dieser Spritze lässt sich das schon im Erstarren begriffene Paraßin 
unter hohem Drucke mit Leichtigkeit entleeren; die Dosirung ist eine genaue, 
die Emboliegefahr auf ein Minimum reducirt. 

Ebenso eingehend, wie die Injection des Weichparaffins, wird auch die 
des Hartparaffins (Schmelzpunkt 50—60®), deren eifrigster Vertreter Eckstein 
ist, abgehandelt. Obwohl principieller Gegner dieser letzteren Methode, be¬ 
merkt Stein, dass man die Gefahren derselben bedeutend vermindern könne, 
wenn man sich eines harten Vaselinparaffingemisches (Schmelzpunkt 58® u. mehr) 
bediene, dieses aber mittelst der Schraubendruckspritze langsam und in pastösem 
Zustande injicire. 

Weitere Einzelheiten anzuführen erübrigt sich; es sei auf das mit guten 
Abbildungen und einem ausführlichen Literaturverzeichniss versehene Buch nach¬ 
drücklich hingewiesen. Wollenberg-Berlin. 

Wagenknecht, Altes und Neues zur Behandlung von Knochenhöhlen seit Ein¬ 
führung der antiseptischen Wundbehandlung. Beiträge zur klinischen 

Chirurgie Bd. 42 Heft 3. 

Verfasser gibt in der ausführlichsten Weise einen geschichtlichen üeber- 
blick über alle die Methoden, die zur Behandlung von Knochenhöhlen seit Ein¬ 
führung der antiseptischen Wundbehandlung empfohlen wurden, und zwar zu¬ 
nächst über diejenigen, die nur bei Höhlen von geringerem Umfange anwendbar 
sind, und dann über die, die hauptsächlich bei der Behandlung umfangreicher 
Knochenhohlräume in Betracht kommen. Er schildert nicht nur die einzelnen 
Verfahren, sondern er erörtert auch ihre Vor- bezw. Nachtheile, um schliesslich 
sich noch eingehender mit der von Goldmann und Schulze-Berge an¬ 
gegebenen und ausgeführten Methode zu beschäftigen, die in insgesammt 4 Fällen 
der Nachbarschaft einen gestielten Hautlappen entnahmen und in die Höhle 
einschlugen. Verfasser theilt die beiden Goldmann’schen Krankengeschichten 
in extenso mit. Die transplantirte Fläclie heilte verschieblich auf, wurde 
bis zur Erreichung des übrigen Hautniveaus emporgehoben und Hess sich dann 
in Falten hochheben. Die Vorzüge, welche der Einheilung eines gestielten Haut¬ 
lappens auf Grund der sich abspielenden Wundheilungsvorgänge zukommen, sind: 


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Referate. 


157 


1. das Zustandekommen einer directen Heilung; 

2. die Beschränkung der secundären Infection; 

3. das Emporsteigen des Hautlappens bis zum Niveau der Nachbarbaut. 

Schliesslich vergleicht Wagenknecht noch die Lappenimplantation hin¬ 
sichtlich ihres klinischen Verhaltens mit den besten anderen Methoden, mit der 
Plombirung nach v. Mosetig und Fantino-Valan, mit der Osteoplastik 
nach Lücke und af Schulten und endlich mit der Myoplastik nach af Schulten 
und kommt zu der Ansicht, dass die vorgenannten Verfahren immer ihren Platz 
in der Chirurgie behalten werden, dass wir aber in der Plastik nach Sch ul ze- 
Berge-Goldmann eine sehr schätzbare Ergänzung unseres therapeutischen 
Apparates zur Heilung von Knochenhöhlen gewonnen haben, und zwar speciell 
da, wo die anderen Methoden versagen, also vorzugsweise für grosse Höhlen 
in den Epiphysen der langen Röhrenknochen. Ein Literaturverzeichniss, das 
104 Nummern umfasst, und mehrere Abbildungen sind der sehr lesenswerthen 
und interessanten Arbeit beigegeben. Blencke-Magdeburg. 

Brüning, lieber Knochenplombirung. Deutsche med. Wochenschr. 1904, Nr. 15. 

Verfasser empfiehlt, nachdem er die Nachtheile der vielen Methoden zur 
Knochenplombirung angeführt hat, die neuerdings von Mosetig-Moorhof 
angegebene, die wiederholt mit gutem Erfolge in der Giessener Klinik an¬ 
gewendet werde. Wenn auch noch nicht genug Fälle operirt sind, um ein 
abschliessendes Urtheil fällen zu können, so sah Brüning doch jetzt schon, dass 
die Bebandlungsdauer durch die Plombirung bedeutend abgekürzt wurde. Nach 
14 Tagen bis 3 Wochen können die betreflenden Patienten die Klinik mit einem 
gebrauchsfähigen Bein verlassen, während früher die Nachbehandlung wesentlich 
länger dauerte. Ausgeschlossen von dieser Behandlung müssen alle die Fälle 
werden, bei denen es nicht gelingt, die Höhle vollständig zu glätten und zu 
säubern. B1 e n c k e - Magdeburg. 

Grisson, Zur Technik der Knochennaht mit Silberdraht. Centralbl. f. Chir. 

1904, Nr. 11. 

Grisson empfiehlt einen neuen Verschluss der Knochennaht mit Silber¬ 
draht, der absolut fest und doch wieder leicht lösbar ist. Er markirt das Draht¬ 
ende, das aus dem bequemer gelegenen Bohrloch herausragt, durch zwei Knoten, 
von denen einer sich dicht am Knochen befindet, der zweite ausserhalb der 
Wunde. Nun schlingt er das andere Drahtende einmal um den ersten Knoten 
herum und zieht mit Hilfe einer Zange eine Schleife dieses Drahtendes unter 
dem dem Knochen parallel laufenden Draht hindurch. Je stärker dieser Ver¬ 
schluss gespannt wird, um so fester wird er durch die Pressung der Schleife 
zwischen Draht und Knochen. Zur Lösung zieht man an dem ungeknoteten 
Draht, bis die Oeflfnung der Schleife erfolgt ist, schneidet dieses Ende möglichst 
kurz ab und zieht nun auch noch das geknotete Ende des Drahtes heraus. 

Pfeiffer-Berlin. 

V. Friedländer, Die tuberculöse Osteomyelitis der Diaphysen langer Röhren¬ 
knochen. Deutsche Zeitschrift für Chirurgie Bd. 73. 

V. Friedländer weist hier, gestützt auf 15 eigene Beobachtungen, auf 
die primäre, d. h. in der Diaphyse, nicht von den Epiphysen fortgeleitete Osteo- 


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Referate. 


myelitis tuberculosa der langen Röhrenknochen hin, die von den pathologischen 
Anatomen vernachlässigt, von den Klinikern mit Unrecht für ausserordentlich 
selten erklärt worden sei. Er hat seine Fälle innerhalb von 18 Monaten gesammelt. 
Es handelt sich um 7 Knaben und 8 Mädchen im Alter von 2—SV* Jahren, 
von denen 5 erblich belastet waren; nur 2mal bestand ein einzelner tuberculöser 
Heerd, in erster Linie befallen waren Ulna und Tibia, halb so oft Radius und 
Humerus, Imal Femur. Diese 15 Fälle kamen auf ein Gesammtmaterial von 
151 Knochen- und Gelenktuberculosen. Pathologisch-anatomisch unterscheidet er 
3 Gruppen: 1. progressive Infiltration, 2. begrenzte Infiltration mit Sequester¬ 
bildung, 3. centrale käsige Infiltration ohne makroskopisch nachweisbaren Se¬ 
quester. Klinisch ist zu bemerken, dass die Erkrankung ohne schwere Initial¬ 
erscheinungen beginnt und dass das Allgemeinbefinden manchmal erataunlich wenig 
oder gar nicht beeinträchtigt ist. Differentialdiagnostisch kommt die chronische, 
nicht specifische Osteomyelitis und Lues in Betracht. Am wichtigsten für die 
Diagnose des Leidens selbst sowie der bestimmten Gruppe ist das Röntgenbild. 
Therapeutisch räth er zur Operation und Ausfüllung mit der v. Mosetig’schen 
Jodoformplombe, wenn es sich nicht um die progressive Form handelt, bei 
welcher gewöhnlich anderweitige schwere Veränderungen vorhanden sind und 
höchstens die Amputation in Frage kommt. Rauenbusch-Berlin. 

Voss, Klinisch-statistischer Beitrag zur Frage der sogenannten traumatischen 

Localtuberculose, speciell der Knochen und Gelenke. Diss. Rostock 1903. 

Um einen weiteren klinischen Beitrag zu der interessanten Frage der 
sogen, traumatischen Localtuberculose, speciell der Knochen und Gelenke zu 
liefern, hat Verfasser die Krankenjournale der Rostocker chirurgischen Klinik 
aus den Jahren 18y0—1902 durchgesehen und dabei unter 577 Fällen von 
Knochen-, Gelenk- und Hodentuberculose 125 = 21,6% gefunden, die nach An¬ 
gabe der Erkrankten durch Trauma verursacht sein sollten. Verfasser theilt alle 
diese Krankengeschichten in möglichster Kürze mit. Ein Drittel von diesen 
schliesst er ganz aus, da entweder die Diagnose ungewiss war oder durch das 
Trauma offenbar nur eine Verschlimmerung des schon vorhanden gewesenen 
Leidens hervorgerufen wurde oder aber auch, da die Zeit zwischen dem Trauma 
und dem Aufti'eten der krankhaften Erscheinungen so gross war, dass ein Zu¬ 
sammenhang nicht in Betracht kommen konnte. Das zweite Drittel machte 
nach Voss’ Ansicht die Fälle aus, bei denen der ursächliche Zusammenhang 
zwar nicht mit Sicherheit auszuschliessen, seine Wahrscheinlichkeit aber gering 
war. Nur beim letzten Drittel der Fälle, also bei ca. 7% will Voss mit grosser 
Wahrscheinlichkeit einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Trauma und 
Tuberculose annehmen. Dass in vielen Fällen eine Entscheidung äusserst schwierig 
ist, liegt auf der Hand. Ein 45 Arbeiten umfassendes Literaturverzeichniss ist 
der lesenswertlien Arbeit beigegeben. B1 e n c k e - Magdeburg. 

Bilhaut, Quelques apei^us sur le trnitement des absces froids. Annales 

de Chirurgie et d’orthopedie. T. XVII. Nr. 4. 

Bilhaut gibt im Anschluss an casuistische Mittheilungen einige Regeln 
für die Behandlung der kalten Abscesse. Ist der Knochenheerd oberflächlich 
und leicht zu erreichen oder ist ein solcher überhaupt nicht auffindbar, so räth 


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Referate. 


159 


er zur breiten Spaltung, Entfernung der Abscessmembran mit scharfem Löflfel 
und Scheere, zur Kxcision der Hautbedeckung, soweit ihre Ernährung in Frage 
gestellt ist, sowie überhaupt alles kranken Gewebes, soweit erreichbar, und Jodo¬ 
formgazetamponade, wenn nicht der Abscess durch Ruhe und äussere Anwen¬ 
dung einer Salbe, bestehend aus Onguent. napolitain und Lanolin, äa 20,0, 
Campher pulverise 1,0 zurückgeht. Bei tief liegendem Knochenheerd, z. B. 
Coxitis oder Spondylitis, punktirt er mit dickem Trokar und injicirt Jodoform¬ 
äther oder Naphtol camphr^, wobei er den Abfluss des dicken Eiters nöthigen- 
falls dadurch ermöglicht, dass er durch einen zweiten, feinen Trokar 127oige 
Wassei-stoflTsuperoxydlösung injicirt. Im Ganzen warnt er vor einer Schemati- 
sirung der Behandlung. Rauen husch-Berlin. 

Forest Willard, Sunshine and fresh airs; the Finsen ultraviolet rays in 
tuberculosis of the joints and bones. Journal of Americ. med. Asso¬ 
ciation. July 18, 1903. 

Eine zusammenfassende kurze Besprechung der Lichtbehandlung der 
Tuberculose. 

Verfasser mahnt, bei der sicherlich zweckmässigen Behandlung der 
Krankheit mit künstlichen Lichtstrahlen in Form des Röntgen- und Finsenlichtes 
doch nicht das natürliche Sonnenlicht zu vernachlässigen und die Patienten 
selbst, sowie aber bei Knochen- und Gelenktuberculose besonders die erkrankten 
Partien reichlich den heilbringenden Strahlen der Sonne auszusetzen, wobei 
zweckmässig die Gelenke resp. erkrankten Knochenpartien zwecks besserer Durch¬ 
lässigkeit der ultravioletten Strahlen mit Blau zu bedecken sind. 

Ebbinghaus - Berlin. 

Dörn, Beitrag zur Phosphorbehandlung mit besonderer Berücksichtigung der 
Wirkung des Protylin-Roche bei Rhachitis und Scrophulose. Deutsche 
Aerztezeitung 1904, 12.—15. Juni. 

Verfasser hebt zunächst die Hauptmängel bei der Verwerthung des Phosphors 
hervor, die zunächst in seiner schweren Assimilirbarkeit und unsicheren Dosirung, 
dann aber auch in seiner Giftigkeit zu Anden sind. Diese Mängel haften dem 
unter voller Beachtung aller für ein durchaus brauchbares Phosphoreiweissprä¬ 
parat erforderlichen Vorbedingungen hergestellten Protylin nicht an, das vom 
Pankreassaft im Darm der typischen Verdauung unterzogen wird und der Magen¬ 
verdauung nicht zugänglich ist, so dass es selbst bei geschwächter Magenfunk¬ 
tion ohne Nachtheil gebraucht werden kann. Verfasser berichtet kurz über die 
mit diesem Präparat in den verschiedenen Kliniken gemachten Erfahrungen und 
theilt am Schlüsse der Arbeit noch einige Krankengeschichten und therapeu¬ 
tische Erfolge mit, welche dazu beitragen sollen, die Wirkungsweise des Pro- 
tylins namentlich bei Rhachitis und Scrophulose näher zu beleuchten und zu 
charakterisiren. B1 e n c k e - Magdeburg. 

Benaroya, Beitrag zur therapeutischen Anwendung des Sanatogens. Deutsche 
Aerztezeitung 1904, 15. 

Des Verfassers Beobachtungen, die er mit Sanatogen machen konnte, er¬ 
strecken sich vorwiegend auf der Rhachitis zugehörende Fälle. Bei Kindern 


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Referate. 


mit zum Teil hochgradigen Deformitäten des Thorax und der Extremitäten 
konnte er neben einer regelmässigen Körpergewichtszunahme von 250—5uO g 
wöchentlich noch eine wesentliche Besserung ihres Appetits und merkliche Con- 
solidirung ihres Knochensystems constatieren. Sehr wahrscheinlich wird durch 
die Sanatogendarreichung die Kalksalzaufnahme von Seiten der Digestionsorgane 
begünstigt. Während die kleinen Patienten sonst bei längerem Stehen oder 
Herumgehen oder auch bei Berührung der Gliedmassen über Schmerzen in den¬ 
selben klagten, waren sie nach vierwöchiger Sanatogendarreichung bereits im 
Stande, den IVs Stunden dauernden orthopädischen Uebungen ohne besondere 
Uebermüdung zu folgen. (Referent gibt schon seit Jahren neben den Üblichen 
anderen Darreichungen bei Rhachitis auch noch Sanatogen und kann sich auf 
Grund der von ihm gemachten Erfahrungen nur voll und ganz den Ausführungen 
des Verfassers bezüglich dieser Erkrankung anschliessen und das Verfahren zur 
Nachprüfung empfehlen.) Blencke-Magdeburg. 

Lex er. Weitere Untersuchungen über Knochenarterieii und ihre Bedeutung 

für krankhafte Vorgänge. Archiv f. klin. Chir. Bd. 73. 

Verfasser berichtet über die Vertheilung der intraossalen Arterien, welche 
er durch die Injection einer Quecksilberterpentinverreibung im Röntgenbild 
sichtbar gemacht hat, bei Neugeborenen, kleinen Kindern und Erwachsenen. 
Beim Neugeborenen treten drei Gefässbezirke an den langen Röhrenknochen 
scharf hervor: die diaphysären, metaphysären und epiphysären Gefässe. Mit 
zunehmendem Alter verwischen sich diese Gefässbezirke mehr und mehr durch 
das Auftreten zahlreicher Anastomosen, und es nehmen die diaphysären Gefässe 
an Zahl und Stärke ab zu Gunsten der meta- und epiphysären Gefässe. Dabei 
bleiben wahrscheinlich auch bei Erwachsenen einige Endarterien bestehen, wo¬ 
für das Auftreten tuberculöser Keilheerde spricht. Beim Vergleich zwischen den 
genannten Gefässverzweigungen und dem Sitz der klinischen oder auch experi¬ 
mentell erzeugten Knochenerkrankungen ergiebt sich ein zweifelloser Zusammen¬ 
hang zwischen beiden. Es erkranken diejenigen Knochenabschnitte, deren 
Arterien Versorgung beim Erwachsenen abnimmt, in der Jugend häufiger als im 
Alter. Dagegen bleiben diejenigen Stellen auch im Alter bevorzugt, an denen 
sich kräftige und reichliche Gefässe finden (Epiphyse). Zum Schluss wird em¬ 
pfohlen, auch das Verhalten der intraossalen Arterien im krankhaft veränderten 
Knochen in derselben Weise weiter zu prüfen. Ohl-Berlin. 

Matsuoka, Beitrag zur Lehre von der fötalen Knochenerkrankung. Deutsche 

Zeitschr. f. Chir. Bd. 73. 

Verfasser beschreibt die von ihm genau untersuchte Leiche eines weib¬ 
lichen Neugeborenen, die zahlreiche, im wesentlichen das Skelet betreffende 
Missbildungen aufweist. Die Literatur dieser Entwickelungsanoraalien wird ge¬ 
bührend herangezogen und der Fall unter die anderwärts beschriebenen ein¬ 
gereiht. Fehlerhafte Keimanlage scheint Verfasser für das Entstehen dieser 
Missbildungen massgebender zu sein, als die sonst geäusserten Factoren: Lues, 
alimentäre Schädlichkeiten, Uterusleiden, Schilddrüsendefecte etc. Die histo¬ 
logischen Verhältnisse sind auf einer Tafel farbig dargestellt. 

Ebbinghaus - Berlin. 


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Referate. 


161 


Davidsohn, Ueber Knochenerweichung im weiteren Sinne, Osteoporose 
mit Osteomyelitis fibrosa und Periostitis ossificans. Charite > Annalen, 
XXVIII. Jahrgang. 

Verfasser beschreibt ausführlich das Sectionsergebniss und die histologischen 
Untersuchungen eines ursprünglich* als Osteomalacie gedeuteten Falles, dessen 
wesentliche Charakteristica in dem Titel der Arbeit gegeben sind. Die Befunde, 
welche Verfasser erheben konnte, weichen von allen bisher beschriebenen, in 
das Gebiet der Knochenerweichungen gehörenden Fällen derart ab, dass eine 
Einreihung in eine der bekannten Krankheitsgruppen nicht möglich war. 

Wollen berg -Berlin. 

Ruckert, Zur Kenntniss der Knochentumoren und der dabei vorkommenden 
Spontanfracturen. Dias. Göttingen 1904. 

Nach kurzen Bemerkungen über Fracturen, bei denen an dem Orte der 
Fractur keine Geschwulstmassen vorhanden sind, sondern die bedingt sind durch 
Absorption und Atrophie der Knochen, theils bei bestehenden Geschwülsten an 
anderen Körpertheilen, theils infolge nervöser oder einfach entzündlicher Vor¬ 
gänge wendet sich Verfasser den Spontanfracturen zu, die durch Zerstörung 
des Knochens infolge von Geschwülsten hervorgerufen werden und bei denen 
trotz Ruhe, Extensionsverbänden etc. nie eine knöcherne Vereinigung zu Stande 
zu kommen pflegt. Eine Amputation bezw. Exarticulation des betreffenden 
Gliedes kann hierbei nur von Nutzen sein, da ja die Gefahr für das Leben des 
Patienten mit dem Grösserwerden der Geschwulst wächst. Im Anschluss an 
diese Erörterungen berichtet Ruckert über 2 Fälle von Sarkom. Im ersten trat 
ein Bruch des Femur ein; es musste die hohe Amputation ausgeführt werden; 
Patient wurde geheilt entlassen, starb aber V» JH'hr später an einem ,Lungen¬ 
leiden**, sicher an metastatischen Sarkomheerden. Im anderen Fall trat eine 
Fractur des Schenkelhalses ein; es wurde die Exarticulation gemacht; Patient 
wurde geheilt entlassen. Ob und wie lange derselbe von Recidiven verschont 
geblieben ist, Hess sich leider nicht ermitteln. 

Nach des Verfassers Zusammenstellung kamen im preussischen Heere in 
den letzten 15 Jahren 447 bösartige Geschwülste zur Beobachtung, und zwar 
287 Sarkome, von denen 221 ihren Sitz am Knochen hatten, 87 allein am Femur, 
dann folgte die Tibia mit 67 Fällen. Operirt wurden 185; das Resultat war: 
107 wurden geheilt entlassen, 17 starben im ersten Monat nach der Operation, 
61 im Laufe des nächsten Jahres. Bei allen Obductionen, die gemacht wurden, 
fanden sich regelmässig Metastasen in den Lungen, im Herzen, in der Niere 
und Leber, ln etwa einem Drittel der Fälle war eine nachweisbare Ursache 
nicht zu erkennen, aber in weitaus den meisten Fällen wird ein ganz bestimmter 
Insult angegeben, nach welchem die ersten Beschwerden resp. Erscheinungen 
der Geschwulst aufgetreten sind. B1 e n c k e - Magdeburg. 

Beck, Ueber das Correcturverfahren bei schlecht verheilten Knochenbrüchen. 
Fortschritte a. d. Gebiet der Röntgenstrahlen Bd. VII, H. 4. 

Beck hebt unter Mittheilung zweier einschlägigen Fälle die eminente 
Wichtigkeit der Röntgenuntersuchung bei allen Fracturen, besonders bei nicht 
absolut geklärtem Befund, gebührend hervor. Im Falle einer schlechten Heilung 
Zeitschrift für orthopiidische Chirurgie. XIII. Bd. H 


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Referate. 


ermöglicht es häufig das Röntgenbild, ausser der Diagnose auch einen Weg zur 
operativen Correctur zu finden, wie ihm dies bei zwei schweren Vorderarm¬ 
brüchen mit Betheiligung des Handgelenkes gelungen ist 

Rauenbusch - Berlin. 

Niehans (Bern), Zur Fracturbehandlung durch temporäre Annagelung. Archiv 
für klinische Chirurgie 1904, Bd. 73 H. 1. 

Niehans empfiehlt bei Fracturen des unteren Humerusendes die tem¬ 
poräre Annagelung. Die Technik ist kurz folgende: 

6—7 cm oberhalb des Epicond. ext. auf der lateralen Kante des Humerus 
beginnender Schnitt, der über den Epicond. ext. herunterzieht und von da bei 
gebeugtem Vorderarm bis zu einem 172—2 cm von der Olecranonspitze entfernten 
Punkte der dorsalen Ulnakante zieht. Dieser Schnitt eröffnet unten die Gelenk¬ 
kapsel dicht hinter dem Lig. collaterale radiale und dem intact bleibenden 
Radiusköpfchen und durchdringt den M. anconaeus IV. Durchmeisselung des 
oberen Endstückes der Ulna, während das Periost der Innenfläche der Ulna 
unversehrt bleibt. Abpräparirung der rückwärts vom Epicondyl. ext. liegenden 
Weichtheile; Umklappen der gesummten Extensorenmassc mitsammt dem Oie- 
crauon nach aussen und hinten; Reposition des unteren Fragmentes, sodann 
Einschlagen zweier Nägel, die, beide in der frontalen Ebene des Humerus 
liegend, nach oben convergiren. Der eine Nagel dringt in den lateralen, der 
andere in den medialen Condylus ein. Die Kopfenden der Nägel ragen frei 
aus der Wunde heraus. Reposition des Haut-Muskel-Olecranonlappens und 
exacte Naht der Weichtheile. Drainage. Steriler Schutz verband (Contentiv- 
verband unnöthig. Nach 4—7 Tagen Extraction der Nägel. 

Niehans hat diese Operation in 12 Fällen mit gutem Resultat — wie es 
auch die beigefügten Röntgenbilder bestätigen — ausgeführt. Er rühmt die 
leichte Ausführbarkeit der Operation, die ideale Reposition der Fragmente, die 
Möglichkeit, die Nägel bald zu entfernen, die schnelle Heilung und schliesslich 
die guten functionellen Resultate. (Die regelmässig eintretende Atrophie des 
Anconaeus macht keine Störungen.) Verfasser hat das Verfahren der temporaren 
Annagelung auch bei Abreissungsfracturen des Tuberculum majus sowie bei 
Fracturen des Humeruskopfes angewandt und hält es auch bei manchen anderen 
Fracturformen für geeignet (Condylenbrüche des Kniegelenkes, Fracturen im 
Collum tibiae, quere Calcaneusfracturen etc.). 

Das Verfahren empfiehlt sich einer ausgedehnten Nachprüfung. 

W 0 11 e n b e r g- Berlin. 

Borchard, Die Knochen- und Gelenkerkrankungen bei der Syringomyelie 
Deutsche Zeitschr. f. Chir. Bd. 73. 

Eine Betrachtung der Erkrankungen der Knochen und Gelenke bei Syringo¬ 
myelie an der Hand von 19 einschlägigen Fällen, die Verfasser in den letzten 
7 Jahren in Posen beobachten konnte. Im Gegensatz zu Büdinger's und auch 
Schlesingers Ansicht glaubt Verfasser auf Grund seiner Erfahrungen, dass 
die Syringomyelie ein viel grösseres Contingent zu den Gelenkerkrankungen 
stellt, als jene Autoren es annebmen. Die einzelnen Fälle sind mit ausführ¬ 
lichen Krankengeschichten, zum Theil illustrirt, angeführt. Auffallend ist die 
überaus häufige Angabe der Patienten, dass das Knochen- resp. Gelenkleiden 


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Referate. 


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auf traumatischer Basis entstanden sei. Verfasser nimmt in Bezug hierauf an, 
dass schon vorher Emährungsalterationen durch das Grundleiden in den be¬ 
treffenden Gelenken beständen, und dass diese, durch den traumatischen Reiz 
vermehrt, zu der Exacerbation des Gelenkprocesses leiten. — Die interessante 
Arbeit ist im übrigen in den einzelnen Punkten für ein kurzes Referat kaum 
geeignet, und es muss deshalb auf das Original verwiesen werden. Zu erwähnen 
wäre vielleicht noch mit ein paar Worten, dass nach Verfasser die operative 
Therapie dieser Art von Gelenkleiden nach Möglichkeit einzuschränken ist, da 
die Erkrankungen ohne Gefahr, und häufig sogar ohne Beschwerden Jahrzehnte 
lang bestehen können und auch Spontanheilungen möglich sind. Wenn auch 
besondere, ungünstigere Heilungsverhältnisse bei Operationen nicht vorzuliegen 
scheinen, so sollte man doch die Behandlung solcher Gelenke mit Apparaten 
in erster Linie in Betracht ziehen. Eb binghaus-Berlin. 

Grüder. Ein Beitrag zur Entstehung der freien Gelenkkörper durch Osteo¬ 
chondritis dissecans nach König. Deutsche Zeitschr. f. Chir. Bd. 72, H. 1—3. 
Grüder berichtet über einen Fall von Kniegelenkserkrankung, bei dem 
die Röntgenaufnahme in der Gelenkfläche des Condylus internus eine ovale 
Stelle zeigte, die von einem Schatten umgeben war. Da ein directes Trauma 
ausgeschlossen werden konnte und ein indirectes Trauma (Functionsverletzung) 
nach Ansicht des Verfassers an einer so geschützten Stelle keine Knorpel Ver¬ 
letzung herbeiführen kann, so wurde die Diagnose auf Osteochondritis dissecans 
gestellt. Die vorgeschlagene Operation verweigerte der Patient, so dass sich 
die Streitfrage leider nicht klären Hess. Grüder empfiehlt als diagnostisches 
Hilfsmittel das Röntgen verfahren, das nach seiner Meinung ,auffallend selten 
in der Literatur der freien Gelenkkörper erwähnt wird“. Pfeiffer-Berlin. 

Janssen, Zur Kenntniss der Arthritis chronica ankylopoetica. Mittheilungen 
aus den Grenzgebieten der Medicin und Chirurgie. Bd. 12, H. 5, 1903. 
Verfasser theilt 2 Fälle von Arthritis chronica ankylopoetica mit, die im 
pathologischen Institut der Universität Leipzig zur Section gelangten und von 
deren einem es möglich war, die Vorgänge, die bei der Ankylosirung zu Stande 
kommen, namentlich an den kleineren Gelenken, mit dem Mikroskop zu ver¬ 
folgen. Auf Einzelheiten aus den Befunden, die in der ausführlichsten Weise 
wiedergegeben sind und deshalb schon im Original eingesehen werden müssen, 
kann ich mich hier nicht näher einlassen. Nach denselben glaubt Janssen 
nicht fehlzugehen, wenn er der Arthritis ankylopoetica eine Sonderstellung in 
der grossen Klasse der chronischen Arthritiden einräumt, sie vor allem von der 
Arthritis deformans nicht nur klinisch, sondern auch anatomisch trennt. Defor- 
mirende Processe kommen bei ihr nicht vor. Die Form der Gelenke bleibt, 
trotz der grossen Veränderungen, die an denselben Vorgehen, die gleiche. 
Während die Vorgänge bei der Arthritis deformans gekennzeichnet sind durch 
hyperplastische Wucherungen der betheiligten Knochen, fehlen diese nicht nur 
bei dieser Erkrankung, sondern man findet neben der knöchernen Umwandlung 
allenthalben fast nur regressive, atrophische Vorgänge und Osteoporose sowohl 
in den Harkräumen als auch in der Corticalis. 

Janssen hält es für richtiger, die sogenannte knorpelige und binde- 


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Referate. 


gewebige Ankylose als Vorbereitung zum Endstadium anzuseben: der Ankylosis 
Dssea. In den meisten Fällen scheint diese Form der Ankylosenbildung in ganz 
allmählichem Verlaufe ohne ein. acutes Anfangsstadium zu Stande zu kommen, 
aber andererseits ist auch die Wahrscheinlichkeit des Auftretens im Anschluss 
an ganz acut infectiöse, nicht eiterige Entzündungsprocesse in den Gelenken 
nicht von der Hand zu weisen. Am Schlüsse seiner Arbeit, die allen denen, 
die sich für dieses Thema interessiren, aufs angelegentlichste empfohlen werden 
kann, geht dann Verfasser noch auf die Literatur der Arthritis ankylopoetica 
mit wenigen Worten ein, soweit ihm dieselbe zugänglich war. Drei ausgezeich¬ 
nete Tafeln und eine Abbildung im Text sind der Arbeit beigegeben. 

B1 e n c k e • Magdeburg. 

Büdinger, Die Behandlung chronischer Arthritis mit Vaselin inj ectionen. 

Wiener klin. Wochenschrift 1904, Nr. 17. 

Die chronischen Arthritiden, sowohl traumatischen als entzündlichen Ur¬ 
sprungs, trotzen vielfach jeder Behandlung und geben durch vorhandene Uneben¬ 
heiten im Gelenke Veranlassung zu Schmerzen und oft hochgradigen Bewegungs¬ 
störungen. Die Rauhigkeiten in den Gelenken versuchte nun Büdinger durch 
Injectionen von sterilem Vaselin in das Gelenk unschädlich zu machen. Bü¬ 
dinger wählte hierfür Vaselin, da dieses nicht so rasch resorbirt wird, wieOel 
oder Glycerin. In einem Falle, bei dem 40 Tage post injectionem das Gelenk 
eröffnet wurde, fand sich bei Untersuchung der Gelenkflüssigkeit noch etwa der 
fünfte Theil der injicirten Fettmenge. 

Büdinger wendet sein Injectionsverfahren nicht nur bei leichten Arthri¬ 
tiden an, sondern auch bei tiefer greifenden Gelenkaffectionen und bei Mo- 
bilisirung chronischer Versteifungen der Gelenke, wo dann forcii*te passive 
Bewegungen ausgeführt wurden. In 9 Fällen leichter, meist rheumatischer 
Arthritis konnte Büdinger recht befriedigende Resultate erzielen (7mal 
Kniegelenk, 2mal Schulter, Imal Handgelenk). Durch die Injection von Vaselin 
(2'/*—6 g) wurde in diesen Fällen die Crepitation zum Verschwinden gebracht 
oder wesentlich abgestumpft, die subjectiven Symptome haben sich in allen 
Fällen gebessert, meist so weit, dass die volle Functionstüchtigkeit des Gelenkes 
wieder hergestellt war. Durch die Injection wird in diesen Fällen die für das 
Fortschreiten des krankhaften Processes so schwerwiegende mechanische Reizung 
der Gelenkflächen durch Rauhigkeiten ausgeschaltet. 

In 4 Fällen chronischer Arthritis höheren Grades, hier waren immer 
schon mehrere Gelenke afficirt, wurde durch die Injection Besserung erzielt. In 
2 Fällen von Versteifungen (Hand- und Kniegelenk, Schultergelenk) wurde durch 
die Vornahme der Injectionen der Erfolg der passiven Bewegungen gesichert 
und eine deutliche Besserung erzielt. 

Contraindicirt sind die Injectionen bei Verdacht aut Tuberculose, ebenso 
wie bei acuten Nachschüben entzündlicher Processe, insbesondere gonorrhoi¬ 
scher Natur. 

Zur Injection verwendet Büdinger jetzt steriles, gelbes Vaselin (früher 
weisses) von Körpertemperatur. Für das Kniegelenk genügen 4 ccm, fürs Schulter¬ 
gelenk .3 ccm, für die kleineren Gelenke 1—2 ccm, bei ausgedehnten Verände¬ 
rungen etwas grössere Mengen. Das Hüftengelenk ist im allgemeinen für die 


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Referate. 


165 


Injectionen nicht geeignet. Nach der Injection werden ausgiebige Bewegungen 
mit dem Gelenk vorgenommen. Behandlung meist ambulatorisch mit sofortiger 
Inanspruchnahme des Gelenkes. Als Reaction auf den Eingriff treten meist nach 
* 2 —2 Standen Schmerzen auf, die manchmal sogar sehr heftig sein kOnnen und 
in 2—6 Tagen langsam abnehmen. Manchmal traten auch leichte entzündliche 
Schwellungen (Folgen einer leichten Synovitis) auf. Haudek-Wien. 

David, Traumatische Gelenkneurosen. Monatsschr. für orthopäd. Chirurgie 

und physik. Heilmethoden 1904, Nr. 4. 

Verfasser gibt die Beschreibung von 3 Fällen einer ausgesprochenen Ge¬ 
lenkneurose. die alle ihren Grund in einem mehr oder weniger weit zurück¬ 
liegenden Trauma haben. Welchem Umstande es zuzuschreiben ist, dass gerade 
die Gelenkgegenden Prädilectionsstellen für Neurosen sind, lässt er unentschieden. 
Bei seinen Fällen schliesst er die von Brodie und Esmarch (Hysterie einer¬ 
seits und Bluterguss andererseits) gestellte Aetiologie aus. Auch andere Gelegen¬ 
heitsursachen wie Infectionskrankheiten, Typhus, Tabes, Nicotinmissbrauch waren 
bei seinen Fällen nicht nachzuweisen. Die Diagnose stellte er per exclusionem. 
Seine Therapie bestand in einem forcirten Tapotement der Gelenkgegenden 
und entsprechenden Nerven vermittelst elektrischem Vibrationsapparat. Der 
Erfolg war in allen Fällen vollständige Heilung innerhalb einiger Wochen ohne 
Reddiv. V ü 11 e r s - Dresden. 

Weisz (Pistyan), Einige Worte über Gelenkneurosen. Therapie der Gegen¬ 
wart 45. Jahrg., Heft 6. 

Bei Gelenkerkrankungen ist der Gelenkschmerz das erste Symptom, das 
rein subjectiver Natur ist. Da Patienten oft simuliren, wird es schwer sein, 
den Fall klarzustellen, wenn Veränderungen am Gelenk nicht wahrnehmbar 
sind. Erschwert wird die Beurtheilung der Fälle dadurch, dass es schwere 
Gelenkerkrankungen gibt (alte Lues), die kein objectiv wahrnehmbares Sym¬ 
ptom machen. Ebenso ist es mit den Anfangsstadien der Tumoren, cen¬ 
tralen Nervenerkrankungen etc. Jedoch soll man sich hüten, stets Simulation 
anzunehmen. Gelenkneuvosen finden meist in den höheren Ständen ihre Ver¬ 
treter. Die Hauptsache ist aber die richtige Diagnose. Bei den Gelenk- 
neurosen pflegt der Schmerz zu dem objectiven Befund in keinem Verhält- 
niss zu stehen. Das Gelenk ist schmerzhafter auf Berührung als auf stärkeren 
Druck. Der Schmerz wird ferner stärker, wenn der Kranke auf das Gelenk 
achtet, als wenn er es nicht thut. Die Musculatur des Gelenkes zeigt sodann 
keine Spur von Veränderungen und die Neurose bezieht sich fast stets auf ein 
einzelnes Gelenk. Die Haltung des Gelenkes ist normal, abgesehen bei 
hysterischen Contracturen infolge Muskelspasmen. Im Schlafe äussert der Kranke 
nie Schmerzen. Ausnahmsweise nur findet man am Gelenk ödemartige Schwel¬ 
lungen, auch kleinere Temperatursteigerungen kommen mitunter vor (angio- 
neurotische Erscheinungen). 

Die Therapie richtet sich gegen die ganze Individualität des Kranken 
und besteht in psychischer (suggestiver) Beeinflussung. Der Arzt darf keine 
Unsicherheit zeigen. Am besten ist eine Massagekur. Suggestiv günstig wirkt 
die Verordnung eines geeigneten Badeortes. 


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166 


Referate. 


Aasserdem ist das Nervensystem zu stärken, die Ernährung möglichst zu 
bessern, der Kranke abzuhärten. Geistig und körperlich darf der Kranke nicht 
überanstrengt werden. Vorzüglich ist mässige Bewegung (Schwimmen, Turnen etc.i. 
Aber die Hauptsache besteht darin, den Patienten aus seiner früheren Umgebong 
möglichst rasch zu entfernen. Hil 1er-Berlin. 

Freund, üeber radiographische Befunde beim intermittirendem Hinken. 

Wiener raed. Presse 1904, Nr. 13. 

Freund machte in 3 Fällen von typisch ausgebildetem intermittirendem 
Hinken Röntgenaufnahmen. Die klinische Untersuchung ergab normales Ver¬ 
halten von Sensibilität, Motilität, der Muskelernährung und der Gelenke und 
Reflexe. Es handelte sich in diesen Fällen jedenfalls nur um Veränderungen 
an den distalen Gefässästen, da sowohl in der Femoralis als der Poplitea deut¬ 
liche Pulsation gefühlt werden konnte. In dem einen der Fälle sah man im 
Röntgenogramm entsprechend dem Verlaufe der Arter. tib. postica und den Arter. 
dors. pedis deutliche Schattenbilder, die bei der hochgradigen Arteriosklerose 
von Kalkeinlagerungen in der Gefässwand herrührten. In den beiden anderen 
Fällen (Endarteriitis luetica obliterans und einfache Arteriosklerose) ergab der 
Röntgenbefund nichts Abnormes. Haudek-Wien. 

Erb, üeber Dysbasia angiosclerotica (intermittirendes Hinken). Münchner med. 

Wochenschr. 1904, Nr. 21. 

Erb berichtet über 45 neue Fälle jenes Leidens, welches er im Jahre 1898 
zuerst eingehend behandelt hat. Die Symptome bestehen in beim Gehen auf¬ 
tretenden Parästhesien, Schmerzen und anderen Beschwerden in den Füssen. 
Zugleich zeigen die letzteren vasomotorische Störungen, unter denen das Fehlen 
oder Kleinerwerden der Fusspulse, sklerotische Gefässveränderungen, Blässe oder 
Röthe und Cyanose, weiter Kälte der Füsse die Hauptrolle spielen. 

Für die Diagnose der typischen Fälle — es gibt auch atypische, auf die 
der Verfasser besonders aufmerksam macht — genügt es, beim intermittirenden 
Hinken das Fehlen oder Kleinerwerden der Fusspulse — bei Fehlen aller spinalen 
Symptome — nachzuweisen. 

Was die Aetiologie des Leidens betnfft, so ergaben die Fälle des Ver« 
fassers in einer kleinen Anzahl das Fehlen einer jeden Schädlichkeit; Syphilis 
und Alkohol scheinen von geringem, Kälteschädlichkeiten von wesentlicherem, 
Tabakabusus von hervorragendem Einfluss auf das Entstehen des intermittirenden 
Hinkens zu sein. 

Das Leiden scheint nicht so überaus selten zu sein; es steht in engstem 
Zusammenhang mit der Arteriosklerose und ist häufig der Vorläufer der spon¬ 
tanen Gangrän. Wollenberg-Berlin. 

Feilchenfeld, üeber das Hinken der Simulanten. Aerztl. Sachverständigen- 

Zeitung 1904, Nr. 13. 

Verfasser erörtert kurz die Ursachen, welche im allgemeinen das Hinken 
veranlassen. Unter denselben spielen die Schmerzen an irgend einer Stelle des 
Gangapparates für die Frage der Simulation die grösste Rolle. An der Hand 
einiger Beobachtungen weist Verfasser darauf hin, dass die Gesellschaften oft 


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Heferate. 


167 


einer bedeutenden Ausnutzung durch Simulanten preisgegeben sind, weil häufig 
ein zu geringer Werth auf das erste Attest gelegt wird; ist dieses gründ¬ 
lich abgefasst, so gelingt es leichter^ die Diagnose auf Simulation zu stellen. 
Ein weiteres nachtheiliges Moment für die Gesellschaften ist dadurch gegeben, 
dass selbst bedeutende Autoritäten häufig nach einmaliger Untersuchung, ohne 
die Persönlichkeit des sie consultirenden Patienten zu kennen, Atteste aus¬ 
stellen, wodurch leicht eine Simulation unentdeokt bleiben kann. 

Wollenber g -Berlin. 

Vulpius, Ueber die Fortschritte in der Behandlung schwerer Kinderlähmung 
und ihrer Folgezustände. Vereinigung der Kinderärzte Süd Westdeutsch¬ 
lands und der Schweiz. Heidelberg, 12. Juni 1904. 

Vulpius demonstrirt eine Patientin mit Lähmung an einem Bein und 
beiden Armen, bei der durch operativen Eingriff vollkommene Functionswieder¬ 
herstellung erzielt wurde, ferner vier Patienten mit Lähmung beider Beine, die 
bisher auf den Händen gekrochen waren und durch mehrfache Operationen 
auf die Beine gebracht wurden. Im Anschluss hieran bespricht er die Fort¬ 
schritte in der Behandlung schwerer Lähmungen. Durch Arthrodese, durch 
Sehnentransplantationen, auch durch Anwendung von Schienenhülsenapparaten 
sei man heutzutage bei richtiger Combination dieser Verfahren im Stande, selbst 
noch in den schwersten Fällen von Lähmungen mehrerer Extremitäten recht 
gute Erfolge zu erzielen. Blencke-Magdeburg. 

Bierast, Zur Casuistik der Sehnentransplantation bei Kinderlähmungen und 
Lähmungsdeformitäten. Diss. Berlin 1903. 

Bierast hat im Anschluss an 11 in der v. Bergmännischen Klinik 
mit gutem Erfolge ausgeführten Sehnentransplantationen die Indicationen dieser 
Operation, ihre Technik und Prognose, sowie ihre Erfolge besprochen. 

Pfeiffer-Berlin. 

Jones, The treatment of infantile spastic paralysis. Annals of surgery, 
March 1903. 

Jones bespricht die Behandlung der spastischen Lähmungen an der 
Hand eines reichen Materials (839 Fälle). Er theilt sie ein in 1. infantile Hemi¬ 
plegie, 2. cerebi-ale Diplegie und 3. spastische Paraplegie. 

Die infantile Hemiplegie ist eine meistens vor dem 4. Jahre erworbene 
Krankheit. Er beobachtete sie in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle (510). 
Die ungünstigste Prognose gibt die cerebrale Diplegie. Als Unterabtheilung 
dieser Erkrankung nimmt er, wenn der Spasmus nur in den unteren Extremi¬ 
täten auftritt, die unter 3. genannte spastische Paraplegie oder die Little’sche 
Krankheit an. 

Bei der Behandlung selbst wendet er die gebräuchlichen subcutanen und 
offenen Durchschneidungen der Sehnen, sowie Transplantationen der Sehnen an 
und legt ein grosses Gewicht auf eine lange andauernde und eachgemässe Nach¬ 
behandlung durch Massage, methodische Uebungen und Elektricität. Mit gutem 
Erfolg hat er den Flexor carpi ulnaris und Flexor carpi radialis auf die Streck¬ 
seite verpflanzt. Bei Pronationsspasmus verpflanzt er den Ansatz des Pronator 
teres auf die Rückseite des Radius. Zand er-Berlin. 


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168 


Referate. 


Straatmann, Zur Lehre von der spastischen Spinalparalyse. Dies. Rostock 

1903. 

Verfasser beschreibt einen Fall von spastischer Spinalparalyse, bei dem 
bei der ersten Untersuchung ohne Zweifel nach Anamnese und Befund die 
klinisclie Diagnose begründet war. Ohne irgend eine äussere Veranlassung 
angeben zu können, klagt Patientin über Müdigkeit in den Beinen, das Gehen 
wird ihr schwer. Sie fühlt eine gewisse Kraftlosigkeit, die sie bald zwingt, 
ihre Arbeit aufzugeben. Allmählich wird dieser Zustand immer schlimmer. 
Die Beine werden steifer. Erst gelingt es ihr noch, mit Hilfe eines Stockei 
sich fortzubewegen, bis auch diese Stütze versagt, und sie gezwungen ist, das 
Bett zu hüten. Die Sensibilität ist dabei nicht wesentlich gestört, nur geringe 
Schmerzen in der Regio sacralis bei Bewegungen und ein leises Kribbeln auf 
den Fussrücken. Von Seiten der Blase und des Mastdarms keine Störungen. 
Von einer Atrophie der Musculatur ist nirgends etwas zu bemerken. Dabei ist 
der Gang ausgesprochen spastisch. Gegen Ende des Krankheitsverlaufs Hessen 
Decubitus, Incontinenz der Blase und des Mastdarms auf Complicationen schliessen. 
Es erfolgte der Exitus. Sectionsbefund und das Ergebniss der mikroskopischen 
Untersuchung gibt Fischer in der ausführlichsten Weise wieder. Man fand 
in den beiden Seitensträngen, speciell in den Pyramidenbahnen rechts und links 
in abwechselnder Stärke eine ausgesprochene Degeneration, die älteren Datums 
war und die die spastischen Erscheinungen erklärte. Die später hinzugetretenen 
Complicationen fanden ebenfalls eine vollständige Erklärung in der neu hinzu- 
getretenen fettigen Degeneration, die man fast über die ganze weisse Substanz 
hin beobachten konnte. 

Der Fall reiht sich also denjenigen an, die wenigstens eine Zeitlang das 
Bild einer spastischen Spinalparalyse darbieten, und bei denen dennoch keine 
Rede sein kann von einer typischen Systemerkrankung des Rückenmarks, da 
der pathologisch-anatomische Befund direct eine Heerderkrankung, als von An¬ 
fang an vorhanden gewesen, erkennen Hess. Es ist nach des Verfassers Ansicht 
ein neuer Beweis dafür, dass auch heerdweise Degenerationen des Rückenmarks, 
falls sie nur zufällig ihren ersten Sitz der Hauptsache nach in den Seiten¬ 
strängen haben, längere Zeit das klinische Bild der spastischen Spinalparalyse 
hervorrufen können. B l e n c k e - Magdeburg. 

Veragutb, Ueber einen Fall von spastischer Spinalparalyse, die nach einem 

Trauma in Erscheinung trat. Monatsschrift für Unfallheilkunde Nr. 6, 1904. 

Es handelte sich um einen Patienten, der aus gesunder Familie stammte. 
6—7 Jahre vorher eine Geschlechtskrankheit durcbgemacht hatte, im übrigen 
aber immer gesund gewesen war, einen Unfall erlitt und in zeitlichem Anschluss 
an denselben von einem Nervenleiden befallen wurde, bei dem es sich zweifels¬ 
ohne um eine sogen, spastische Spinalparalyse handelte. Durch einen heftigen 
Sturz mit dem Rade wurde der ganze Körper, also auch das Rückenmark, einer 
bedeutenden P^rschütterung ausgesetzt. Schon nach 48 Stunden zeigten sich die 
ersten Spuren der Unterbrechung der ßewegungsbahnen im Rückenmark, die 
dann schnell Zunahmen. Nach des Verfassers Amsicht bietet am meisten Wahr¬ 
scheinlichkeit die Annahme einer molekularen, nekrotischen Veränderung, even¬ 
tuell einer Zerreissung einzelner Theile der Pyramidenbahn unter Wirkung des 


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Referate. 


169 


Sturzes. Er beantwortet die Frage, ob die Erkrankung in einem ursächlichen 
Zusammenhang mit dem Unfall steht, mit Folgendem: 

Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfall und der jetzigen 
spastischen Spinalparaljse ist mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrschein¬ 
lichkeit anzunehmen. Dieser Zusammenhang ist in zwei Möglichkeiten denkbar: 
Entweder war der Patient vorher syphilitisch. Dann ist anzunehmen, dass der 
Unfall sehr wesentlich dazu beigetragen hat, dass die Krankheit rapid sich 
entwickelt hat. Oder er war vorher nicht syphilitisch und nicht sklerotisch; dann 
war der Unfall allein schuld an der Entstehung der spastischen Spinalparalyse. 
Die endgültige Entscheidung dieser Grundfrage wird sich aus dem weiteren 
Verlauf ergeben. Ist derselbe progressiv, so ist Lues oder multiple Sklerose an- 
zun.ehmen; bleibt der Zustand aber stationär oder stellt sich anhaltende Besserung 
ein, so ist nach des Verfassers Ansicht die rein traumatische Ursache damit 
erwiesen. B1 e n c k e - Magdeburg. 

Burckhardt, Ein Fall von multipler Sklerose im Kindesalter. Diss. Kiel 1904. 

Verfasser beschäftigt sich in seiner Arbeit in der Hauptsache mit der 
Aetiologie der multiplen Sklerose. Er bespricht die verschiedenen Anschauungen 
der einzelnen Forscher, auf die ich hier nicht näher einzugehen brauche, da sie 
ja zur Genüge bekannt sind. Wenn er sich auch nicht mit anderen Autoren 
von dem überwiegend häufigen Zusammenhang zwischen Infectionskrankheiten 
und multipler Sklerose überzeugen konnte, so scheint ihm bei Kindern jedoch 
ein solcher entschieden häufiger zu sein. Er erwähnt kurz die hierher gehörigen 
Fälle, die er aus den letzten 10 Jahren in der Literatur auffinden konnte, und 
sucht dieses so zu erklären, dass ja für gewöhnlich die äusseren Schädigungen, 
welche zum mindesten den Anstoss zur Entstehung dieser Erkrankung geben 
können, während der Kindheit in geringerem Masse gegeben sind als im reifen 
Alter und dass gerade im Kindesalter diejenige Schädlichkeit, der dieses am 
häufigsten ausgesetzt ist, nämlich die Infectionskrankheiten, häufiger als bei 
Erwachsenen in directem ätiologischen Zusammenhang mit der multiplen Sklerose 
zu stehen scheinen. Burckhardt lässt sodann den in der Kieler psychiatrischen 
Klinik beobachteten Fall in ausführlicher Darstellung folgen. Es handelte sich 
um ein LSjähriges Mädchen, das mit 6 Jahren Diphtherie durchgemacht hatte 
und bei dem darnach sich die ersten Zeichen der Krankheit gezeigt hatten. 
Dass es sich sicherlich um multiple Sklerose handelte, sucht sodann Burck¬ 
hardt noch zu beweisen, indem er genau die einzelnen Symptome durchgeht 
und jede irgendwie differentialdiagnostisch noch in Frage kommende Erkrankung 
ausschliesst. B1 e n c k e - Magdeburg. 

Emrich, Ueber einen atypischen Fall von multipler Sklerose. Diss. München 1904. 

Verfasser beschreibt einen Fall, bei dem das klinische Bild einer spastischen 
Spinalparalyse bestand: die Motilitätsstörungen betrafen ausschliesslich die beiden 
unteren Extremitäten, Parese und Spasmen combinirten sich, eine active wie 
piissive Beweglichkeit auf ein Minimum zu reduciren und die Extremität primär 
in gestreckter Haltung, erst später in Beugestellung zu fixiren. E.s waren also 
die von Erb für die spastische Spinalparalyse angegebenen charakteristischen 


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170 


Referate. 


Symptome: Spasmus» Parese und gesteigerte Sebnenreflexe vorbanden. Die 
Section ergab dann später die Diagnose: multiple Sklerose. 

B1 e n c k e • Magdeburg. 

Haeseler» Zur Casuistik der hereditären Ataxie. Diss. Leipzig 1904. 

Verfasser sucht an 4 Fällen von hereditärer Ataxie» die seit 1896 in der 
Leipziger Universitätspoliklinik beobachtet wurden» nachzuweisen» ob sie der 
Friedreich’schen Ataxie gleichen oder ähnlichen Erkrankungen gleicbzustellen 
sind. Er kommt zu der Ansicht» dass man es hier mit zwei ganz deutlich von¬ 
einander zu trennenden Affectionen zu thun hat. Gemeinsam ist beiden die 
Coordinationsstörung in den Extremitäten» gemeinsam sind ferner beiden die 
Sprachstörung und der Nystagmus. Bei dieser findet man jedoch im Gegensatz 
zur Friedreich’schen gesteigertePatellarrefiexe, Functionsstörungen der Augen- 
musculatur, Herabsetzung der Sehschärfe, Störungen des Farbensehens, keine 
choreatischen Bewegungen, keine Skoliose, keine Verbildung des Fusses» schliess¬ 
lich in den meisten Fällen geistige Minderwerthigkeit und Beginn im späteren 
Alter. Haeseler bespricht sodann noch der Reibe nach die differential¬ 
diagnostisch in Frage kommenden Erkrankungen und den anatomischen Befand 
bei diesen Affectionen» sowie die bei dieser Krankheit vorkommenden anatomi¬ 
schen Veränderungen des Nervensystems. Blencke-Magdeburg. 

Glautz, Ueber Röjckenmarkserweichung nach einer Wirbelfractur mit beson¬ 
derer Berücksichtigung der Regeneration des Rückenmarks. Diss. Wün- 
bürg 1904. 

Verfasser gibt zunächst einen kurzen Ueberblick über das Wesen der 
Myelitis und die durch sie hervorgerufenen Degenerationsvorgänge des Rücken¬ 
marks» um dann über alles das zu berichten» was über die Regenerationsvorgänge, 
inbesondere der nervösen Bestandtheile des Rückenmarks bekannt ist» wobei er 
sich auf die Ergebnisse aus der Literatur» welche die in dem letzten Jahrzehnt 
angestellten Untersuchungen über Heilungsvorgänge im Rückenmark ergeben 
haben» beschränkt und hauptsächlich die bekannte Stroebe'sche Arbeit be¬ 
rücksichtigt. Im Anschluss an diese Erörterungen theilt er einen Fall aus dem 
Würzburger pathologischen Institut mit, bei dem es sich um eine Wirbelsäulen- 
fractur mit Rückenmarks Verletzung bezw. totaler Durchtrennung des Rücken¬ 
marks gehandelt hatte. Die Krankengeschichte und das Sectionsprotocoll werden 
in der ausführlichsten Weise wiedergegeben» desgleichen auch die Beschreibung 
der mikroskopischen Präparate, die bezüglich der Neubildung nervöser Elemente 
interessante positive Resultate lieferten. Auf nähere Einzelheiten einzugeben, 
würde mich zu weit führen. Blencke-Magdeburg. 

Steinhausen (Hannover), Syringomyelie als Folge von Rückenmarks Verletzung. 
Monatsschr. für Unfallheilkunde 1904» Nr. 4. 

Steinhausen scbliesst sich auf Grund des Befundes bei einem Fall 
von Rückenmarksverletzung der Ansicht derjenigen Autoren an» welche be¬ 
haupten» dass progressive echte Syringomyelie als Folge von Trauma entstehen 
könne. Der betreffende Patient» dessen Krankheitsbild näher beschrieben wird» 
erlitt eine derartige Rückenmarksverletzung, als deren Folge sich eine schlaffe 
Lähmung der Beine mit Gefühllosigkeit einstellte. Die Lähmung blieb am 


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Referate. 171 

linken Bein bestehen und die Untersuchung ergab die typischen Symptome der 
Syringomyelie. 

Steinhausen schliesst auf einen causalen Zusammenhang zwischen 
dem Trauma und dem Symptomencomplex aus folgenden Gründen: 

1. Vor dem Trauma bestanden keine derartigen Symptome; 

2. das Symptomenbild entwickelte sich in directem Anschluss an die 
Verletzung; 

3. der syringomyelitische Heerd liegt innerhalb des Blutungsheerdes; 

4. ausserhalb der betreffenden Sphäre keine syringomyelitischen Symptome, 
auch nicht am Halsmark; 

5. keine Pseudosyringomyelie; 

6. keine Pseudoprogression. Hill er-Berlin. 

Hoffmann, Beitrag zur Lehre der Neuritis alcoholica. Diss. Kiel 1904. 

Verfasser gibt in seiner Arbeit ein genaues Krankheitsbild der Neuritis 
alcoholica und beschreibt im Anschluss hieran einen Fall, den er in der Siemer¬ 
lin g'schen Klinik zu beobachten Gelegenheit hatte, der aber im übrigen keine 
wesentlichen Abweichungen von den bereits veröffentlichten zeigt. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Lewandowski, Ueber unblutige Nervendehnung. Die Therapie der Gegen¬ 
wart 1904, Heft 5. 

Nach einem kurzen Ueberblick über die Geschichte der Nervendehnung 
und über ihre wissenschaftliche Begründung bespricht Verfasser zunächst die 
Methoden, welche von den einzelnen Autoren für die Dehnung des N. ischiadicus 
angegeben worden sind. Verfasser bat in der Hausklinik und Poliklinik der 
Charite unter Schweninger bei Ischias mehrmals täglich die unblutige 
Dehnung des Ischiadicus vorgenommen (die Methoden, welche Verfasser an¬ 
wendete, sind einfach, bieten aber wohl keine Vorzüge vor den bekannten) und 
hat gute Erfolge davon gesehen. Bei ausgeprägten neuritischen Symptomen 
wurde erst der Ablauf der Heizerscheinungen abgewartet. Bei den Dehnungen 
bemerkte Verfasser öfters, dass durch dieselben bei Patienten, die an Tic dou- 
loureux, nicht aber an Ischias litten, ein Anfall des Tic douloureux ausgelöst 
wurde, eine Femwirkung, welche auf Grund der Neuronlehre wohl erklärt 
werden kann. Durch öfters wiederholte Dehnung des Ischiadicus (Reizübungen) 
konnte die Empfindlichkeit im Gebiete des Trigeminus allmählich herabgesetzt 
und aufgehoben werden. Bei der Behandlung der Tabes hält Verfasser die 
Methode der unblutigen Nervendehnung für nicht sehr aussichtsreich, jedenfalls 
glaubt er sie durch die compensatorische Uebungstherapie überholt. 

Auf dem Gebiete der trophischen Störungen will Verfasser durch metho¬ 
dische Nervendehnungen (üeberstreckungsversuche in den verschiedensten Ge¬ 
lenken) Erfolge gesehen haben. Weiter glaubt der Verfasser, dass die Nerven¬ 
dehnung bei der Behandlung der Neurasthenie eine Rolle zu spielen berufen sei. 

Wollenberg - Berlin. 

Foramitti, Zur Technik der Nervennaht. Archiv für klin. Chirurgie. 1904 H. 3. 

Foramitti benutzte zur Tubulisation verletzter Nerven theils frische, 
theils gehärtete Arterien. Seine experimentellen Untersuchungen ergaben stets 


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172 


Referate. 


primäre Einheilungen der über die Nahtstellen des verletzten Nerven gezogenen 
Arterien ohne Verwachsungen mit der Umgebung. Die mikroskopische Unter¬ 
suchung der so gewonnenen Präparate zeigte keinerlei entzündliche Reiznng 
des Nerven, eine nur lockere Verbindung der Arterienwand mit der Nervenscheide. 
Die Structur der Arterien wand war sowohl bei der Verwendung frischer, wie 
gehärteter Arterien stets gut erkennbar, nur war in letzterem Falle die Intima 
weniger gut erhalten. 

Die Präparation der Arterien gestaltet sich so, dass letztere (von frisch 
geschlachteten Kälbern entnommen) auf Glasstäbe gespannt, in 5—lO^’/oiger For¬ 
malinlösung durch 48 Stunden gehärtet, 24 Stunden in fliessendem Wasser ge¬ 
waschen, dann 20 Minuten lang gekocht und in ^h^/oigem Alkohol aufbewahrt 
werden. 

Verfasser glaubt, dass diese Methode sich zur Verwendung beim Menschen 
eignet. Wollenberg - Berlin. 


Kurzwelly, Die Behandlung der Ischias durch subcutane und paraneurotiscbe 
Injectionen. Diss. Leipzig 1904. 

Verfasser bringt auf Grund der eingehendsten Literaturstudien — das 
Literaturverzeichniss umfasst 154 Nummern — eine Zusammenstellung der In- 
jectionsmethoden bei Ischias, die an Genauigkeit und Ausführlichkeit nichts zu 
wünschen Übrig lässt. Auf die Einzelheiten hier näher einzugehen, ist mir unmög¬ 
lich; ich kann nur jedem, der sich für dieses Thema interessirt, die Arbeit aufs 
angelegentlichste empfehlen, an deren Schluss Kurzwelly über die Erfahrungen 
berichtet, die an der inneren Abtheilung am Diakonissenhause zu Leipzig-Lindenan 
gemacht wurden mit der neuen Infiltrationsmethode, wie sie von Schleich und 
Bloch angegeben wurde. An Stelle des von Schleich empfohlenen Cocain 
wurde Eucain B genommen, der Morphiumzusatz wurde weggelassen und der 
Kochsalzgehalt auf 0,8 ®/o erhöht, so dass folgende Zusammensetzung herauskam: 

Eucain B 0,1, 

Natr. chlorat. 0,8, 

Aq. dest. 100,0. 

Bei den 8 Fällen, deren Krankengeschichten wiedergegeben sind, war zweimal 
ein gänzlicher Misserfolg zu verzeichnen. In 3 Fällen trat eine mehr oder we¬ 
niger befriedigende Besserung ein; bei den übrigen 3 Patienten wurde völlige 
Heilung erzielt. In diesen letzten Fällen, die alle drei als schwer zu bezeichnen 
waren, war aber der Erfolg ein sehr eclatanter. Wenn auch ein abschliessendes 
ürtheil Über den Werth der Methode nach diesen wenigen Fällen nicht ge¬ 
wonnen werden kann, so empfiehlt der Verfasser doch diese Methode sehr, da 
man, wenn mit letzterer ein Erfolg erzielt wird, den Vortheil zugleich gewinnt, 
dass die Heilung entschieden, besonders gegenüber den physikalischen Methoden, 
auffallend rasch erzielt wird. Blencke-Magdeburg. 

Jamin, Experimentelle Untersuchungen zur Lehre von der Atrophie gelähmter 
Muskeln. Gustav Fischer. Jena 1904. 

Die Lehre von der Muskelatrophie hat für die moderne orthopädische 
Chirurgie ein besonders hohes Interesse; fordern doch die Muskel- und Sehnen- 


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Referate. 


173 


plastiken mit ihren ungeahnten Erfolgen zu eingehenden Untersuchungen über 
die feineren Vorgänge im gelähmten Muskel hei-aus. 

Die vorliegenden Untersuchungen J a m i n's bilden einen werthvollen 
Beitrag für die Erkenntniss in den eben erwähnten Fragen. 

Die Versuche wurden sämmtlich an Hunden angestellt, und zwar war die 
Versuchsanordnung die, dass zunächst eine Dnrchschneidung des Rückenmarkes 
in der Höhe eines der mittleren Dorsalsegmente ausgeführt wurde; sodann 
wurde die Resection des linken N. ischiadicus vorgenommen. Es gelang meist, 
die Thiere relativ lange am Leben zu erhalten. Die einzelnen in Betracht 
kommenden Muskeln wurden nun auf ihr makroskopisches (Gewicht) und mikro¬ 
skopisches Verhalten hin untersucht. 

Besonderes Gewicht wurde auf eine möglichst gleichaiiige Behandlung 
der Präparate gelegt 

Verfasser bringt ausführliche Krankengeschichten und Versuchsprotokolle 
von 5 Hunden bei. 

Die wichtigsten Ergebnisse sind folgende: 

Der Muskelschwund nach Läsion des motorischen Nervensystems besteht 
beim Hunde in einer einfachen Verminderung der contractilen Substanz ohne 
degenerative Veränderungen. 

Eine besondere trophische Einwirkung der nervösen Centren auf die 
Muskeln wurde nicht nachgewiesen. 

Die Messungen der Muskelfasern und histologischen Untersuchungen 
sowie die klinische Beobachtung der Versuchsthiere bewiesen, dass auch nach 
Ausschaltnng der willkürlichen motorischen Innervation die reflectorischen Er¬ 
regungen die Function der peripherischen motorischen Centren und Bahnen so weit 
zu erhalten im Stande sind, dass Thätigkeit und Ernährung des Muskels nicht 
allzu grosse Störungen erleiden. Bei Ausschaltung dieser centripetalen ner¬ 
vösen Reize fand dagegen eine erhebliche Steigerung des Muskelschwundes statt. 

Die anatomischen Begriffe einfache und degenerative Muskel¬ 
atrophie (letztere bei traumatischer oder toxischer Schädigung) decken sich 
nicht mit der Functionsfilhigkeit und der elektrischen EiTegbarkeit der Muskeln. 
Die Entartungsreaction ist nur ein Zeichen für den Ausfall der peripheri¬ 
schen Nervenerregung. 

Die Contractilität einer Muskelfaser bleibt bis zu einem gewissen Grade 
unabhängig von den anatomischen Veränderungen, verschwindet aber mit 
steigender Abnahme der contractilen Substanz. 

Den Schluss der mühevollen Untersuchungen Jamin's bildet ein aus¬ 
führliches Literaturverzeichniss. W o 11 e n b e r g - Berl in. 


Steinhausen, Ueber isolirte Lähmung des clavicularen Abschnittes des M. tra- 
pezius. Monatsschrift für Unfallheilkunde 1904, Nr. 6. 

Der vom Verfasser genau analysirte Fall, bei dem die isolirte Lähmung 
der Clavicularportion des Trapezius wahrscheinlich infolge einer Neuritis ent¬ 
standen ist, gibt manche interessante Aufschlüsse Über die Anatomie und 
Physiologie dieses Muskelabschnittes, die theilweise in Widerspruch mit den 
herrschenden Anschauungen stehen. Wir wollen folgende Punkte hervorheben: 


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174 


Referate. 


Der Functionsausfall bei der in Frage kommenden Affection macht 
sich in der Ruhelage der Schulterstellung in einer Senkung des Schlüsselbemes 
nach unten und vorne geltend. 

Das Heben der Schulter ohne Betheiligung der Arme wird fast allein 
durch den clavicularen Theil des Trapezius ausgeführt, ist also auf der kranken 
Seite unmöglich. Die Armerhebung dagegen ist auf der kranken Seite nicht 
wesentlich erschwert, während die ,Uebererhebung‘ (Erhebung des Scbultergörtels 
in toto bei senkrecht emporgestreckten Armen) unmöglich ist. 

Bei der zur maximalen Armerhebung nöthigen Drehung der Scapula 
spielt der Claviculartheil des Trapezius keine Rolle; ebensowenig bewirkt er 
die diese Bewegung der Scapula begleitende Rotation der Clavicula um ihre 
Längsachse. 

Was die Innervation der Clavicularportion betrifft, so scheint dieselbe 
in dem vorliegenden Falle vorwiegend durch Cervicaläste besorgt zu sein; die 
vom Accessorius versorgten Muskeln sind intact. 

In Bezug auf das Verhalten der einzelnen Abschnitte des M. trapezius 
zu einander tritt Verfasser der alten Eintheilung des Muskels in eine «respira* 
torische“, .elevatorische“ und „adductorische“ Portion (Duchenne) entgegen 
und erkennt nur die Eintheilung in eine elevatorische (die Clavicularportion) 
und eine rotatorische (die Scapularportion) an. 

Beziehentlich der diagnostischen Bedeutung der Schulterblatt¬ 
deviation bemerkt Verfasser, dass Drehungen der Scapula nur im akromialen 
Gelenke oder, bei fester Anlegung beider Schulterknochen, im stemalen Gelenke 
der Clavicula stattfinden können. Im vorliegenden Falle ist die Deviation des 
Schulterblattes durch die Senkung und Vorwärtsdrehung des Schultergürtels 
um das sternale Gelenk und durch eine Drehung der Scapula im Akromial- 
gelenke bedingt. Wollenberg-Berlin. 

Binnie, On myositis ossificans traumatica. Annals of surgery, September 1903 

Verfasser bespricht einen Fall von traumatischer Myositis ossificans am 
Arm, der durch ein geringfügiges Trauma (Stoss beim Boxen) entstanden ist. 
An der Hand der in der Literatur veröffentlichten Fälle erörtert er die ver¬ 
schiedenen Theorien der Entstehung dieses pathologischen Zustandes, sowie die 
Differentialdiagnose von traumatischem Osteom. Zander-Berlin. 

Taylor, Myositis ossificans. Annals of surgery, Juni 1903. 

Taylor bespricht 2 Fälle von Myositis ossificans, die er operirt hat 
und in denen die Diagnose auch durch die pathologisch-anatomische Unter¬ 
suchung festgestellt wurde. Bei dem einen handelt es sich um die Folge eines 
Traumas (Hufschlag), während bei dem zweiten keine derartige Ursache lu 
ermitteln war. Die Operation hatte in beiden Fällen guten Erfolg. 

Zand er-Berlin. 

Busse und Blecher, Ueber Myositis ossificans. Deutsche Zeitschrift für 

Chirurgie Bd. 73 H. 4—6. 

Die Verfasser nehmen unter Eingehen auf die hierhergehörige Literatur 
und genauer klinischer und anatomischer Beschreibung einiger eigenen Falle 
Stellung gegen die Trennung zwischen der Myositis ossificans traumatica, die 


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Referate. 


175 


nach einmaligem starkem Trauma auftritt und den durch kleine, wiederholte 
Schädigungen entstehenden Reit- und Exerzierknochen. Sie führen an, dass in 
Fällen, die sich klinisch durchaus als Myositis ossificans traumatica charakteri- 
sirten, anatomisch die völlige Unversehrtheit des Knochens und Periostes fest- 
bestellt wurde, so dass als Mutterboden der Knocbenbildung auch hier, wie 
bei den Reit- und Exerzierknochen, der betroffene Muskel angesehen werden 
musste. Betreffs der Behandlung wird vor frühzeitigen Bewegungen und medico- 
mechanischen Uebungen gewarnt, welche einen Anreiz zu verstärkter Knocben- 
bildnng geben. R au enbu sch-Berlin. 

Wi rtz, Beitrag zur Klinik der Wachsthumsstörungen, insbesondere der chondro- 

dystrophischen Mikromelie. Diss. Giessen 1904. 

Nach einigen allgemeinen einleitenden Worten über die Chondrodystrophie 
sucht Verfasser deren Stellung zur echten Rhachitis genau festzulegen, mit der 
sie nicht das Mindeste zu tbun bat, und kommt dann auf die Unterscheidungs¬ 
merkmale zwischen derselben und dem Kretinismus zu sprechen, wobei er sich 
hauptsächlich an die auf diesem Gebiete bekannten Arbeiten von Kauf¬ 
mann u. A. anlehnt. Da es ihm vor allen Dingen darauf ankommt, die 
wesentlichen klinischen Symptome dieser eigenartigen Erkrankung festzulegen 
und von allen Nebensächlichkeiten zu abstrahiren, bringt er eine ausführliche 
Beschreibung der Chondrodystrophie und gibt ein vollständig abgerundetes Bild 
derselben mit ihren charakteristischen Merkmalen, an dessen Hand man leicht 
im Stande sein wird, in jedem einzelnen Falle die klinische Diagnose zu stellen. 
Die auffallendste Erscheinung ist immer die Kürze der Glieder bei verhältniss- 
mässig normal langem Rumpf, der immer nur geringen oder gar keinen An- 
theil an der Verkleinerung hat. Die Wirbelsäule kann eine verstärkte Lordose 
im Lendentheil aufweisen. Näher auf alle die einzelnen Veränderungen ein¬ 
zugehen, würde mich zu weit führen. Im Anschluss an die interessanten und 
lesenswerthen Erörterungen beschreibt dann Verfasser am Schluss seiner Arbeit 
einen Fall von Wachsthumsstörung, den er zu untersuchen Gelegenheit hatte 
und bei dem drei Processe nach einander eingewirkt haben mussten, und zwar 
1. ein der fötalen ChondroJystrophie gleichbedeutender oder ähnlich wirkender 
Process, 2. eine echte Rhachitis und 3. eine Arthritis deformans. Der Arbeit 
sind mehrere Abbildungen beigegeben. Blencke-Magdeburg. 

Mouchet, Ectromelie du pouce, absence du premier metacarpien avec persi- 

stance du radius. Bullet, et mem. de la societe anatomique de Paris, 

1904, Nr. 1. 

Mouchet stellt einen Fall und das Röntgenbild eines Neugeborenen vor. 
Es fehlt der erste Metacarpus, der Daumen ist sehr klein, hat seine beiden 
Glieder und durch ein kurzes fadendünnes Fussstück hängt er an dem Inter- 
phalangealgelenk des Zeigefingera. Der Daumen ist frei beweglich. — Der Radius 
ist erhalten. Das Kind wies ferner eine Steissgrube und zwei Angiome von 
der Grösse eines Fünfzigcentimesstückes an der linken grossen Zehe auf. 

Analoge Fälle sind selten; sie sind von Dolbeau und Ehrhardt ver¬ 
öffentlicht. 


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176 


Referate. 


Die Fälle von Klippel und Raband unterscheiden sich durch Modi- 
ficationen des Carpus und des Radius. 

Ganz ähnlich ist ein Fall von Bilhaut. Fehlen des Metacarpus I, der gut 
entwickelte Daumen setzte sich höher an den Radialrand der Hand. Das Kind 
wurde im Alter von 2 Monaten so operirt, dass Bouchet den Daumen an den 
äusseren Rand des 2. Metacarpus annähte. Hi Iler-Berlin. 


Le Roy des Barres et Geide, Malformations congenitales des mains et des 

l^ieds. Gazette des Höpitaux civils et militaires 1904, Nr. 70. 

Eine 30jährige Person mit Missbildungen an Händen und Füssen. Eine 
Heredität lässt sich nicht feststellen. Nur weist ihr Bruder (Tjährig) äusserlich 
dieselben Missbildungen auf. 

Die Hände sind an der Basis 6 cm breit. Sie haben die Gestalt einer 
Platte, welche begrenzt wird durch einen dem 5. Finger entsprechenden Punkt. 
Dieser Finger misst 6 cm und ist gut entwickelt, von normaler Beweglichkeit, 
die seitliche allein ist fast Null. 

Der ulnare Rand misst 8 cm, der radiale 7*/« cm. Beide Hände sind fast 
ganz gleich gross. Die Haut der Palma man. ist dick und wenig faltig. Auf 
der Dorsalfläche ist sic normal. Die Bewegungen im Handgelenk sind ganz 
normal. 

Die Füsse haben die Gestalt von Zangen. Der Tarsus ist gespalten und 
auf jeder Hälfte hat er eine Zehe, ihre grösste Länge beträgt 7 cm. Die beiden 
Zehen entsprechen der 1. und V. Zehe. 

Der Daumen misst 9 cm und hat einen noimalen Nagel. Die 5. Zehe 
misst 8 cm. Ihre Basis beträgt 5 mm, die des Daumens nur 22 mm. Auch hier 
ist der Nagel normal gebildet. Möglich ist Beugung und Streckung, sowie 
Adduction und Abduction aber fast nur in Verbindung mit Extension und 
Flexion. Der Hinterfuss ist normal, ebenso die Bewegung im Tibiotarsalgelenk. 

Das Röntgenbild der Hand zeigt ein normales Skelet des 5. Fingers. 
Metacarp. V articulirt mit Os hamatum. Metacarp. IV weicht etwas nach links 
ab, articulirt mit Os hamat. Der Knochen ist im ganzen dünn. Die 2. Carpal¬ 
reihe besteht aus einem einzigen Knochen, der dem Os hamat. entspricht. Oben 
steht er im Contact mit der I. Carpalreihe, aussen vielleicht mit dem Os pisiforme. 
Die Knochen dieser Reihe sind vollzählig vorhanden von normaler Form. Sie 
sind in Form eines V angeordnet. Os naviculare und lunat. stehen mit dem 
Radius in Verbindung; die Gelenkflexion des Radius und der Ulna normal. 
Epiphysenlinie deutlich sichtbar, ebenso der Gelenkknorpel. 

Die 5. Zehe hat eine leicht erkennbare Phalange, die beiden anderen 
sind schwer erkennbar. Der I. Metatarsus ist länger, aber dünner als normal, 
der Metatarsus V hat ein beträchtliches Volumen. 

Der Tarsus besteht aus 5 Knochen: Talus, Calcaneus, Naviculare, Cuboideum 
und Cuneif. I. Das Naviculare articulirt hinten mit dem Talus, vom mit 
Cuneif. 1. Aussen hat es eine Facette für das Os cuboid. Dieses ist gpross. 
vorn Articul. mit Metatarsus V. 

Die Defecte an beiden Händen und Füssen sind gleich, das ist nicht 
immer der Fall, so z. B. bei dem Bruder des Mädchens. — Sie ist wenig be- 


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Refei*ate. 


177 


hindert. Sie hält Messer und Gabel, kleidet sich allein an, spaltet Holz etc. 
Sie geht mit Ausdauer, Musculatur gut entwickelt. Hiller-Berlin. 


Fromm, Beitrag zur Casuistik der congenitalen Knorpelreste am Halse. Diss. 

München 1904. 

Verfasser befasst sich in dieser Arbeit mit jenen meist Knorpelreste ent¬ 
haltenden Hautauswüchsen, die in Form von lappigen Gebilden oder Knoten 
besonders am äusseren Ohre oder Halse sich befinden und die auch von manchen 
Autoren wegen ihres entwickelungsgeschichtlichen Zusammenhanges mit den 
Halsfisteln oder Kiemenfisteln als Kiemengangshautauswüchse bezeichnet werden. 
Er gibt eine entwickelungsgeschichtliche Deutung dieser Missbildungen, eine 
pathologisch-anatomische Beschreibung derselben, zählt die bisher beobachteten 
Falle auf und lässt am Schlüsse seiner Arbeit die Krankengeschichten zweier 
neuen, im Münchener medicinisch-klinischen Institut beobachteten Fälle folgen. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Hoffroann, Ein Beitrag zu den angeborenen Sacralgeschwülsten. Diss. 

Leipzig 1904. 

Verfasser liefert im Anschluss an einen selbst beobachteten Fall einen 
ausführlichen Beitrag zu den angeborenen Sacralgeschwülsten und beschäftigt 
sich besonders eingehend in seiner Arbeit mit den verschiedenen über die Ent¬ 
stehung dieser Geschwülste aufgestellten Theorien, das Für und Wider der ein¬ 
zelnen erörternd. In dem vorliegenden Falle Hessen das Aeussere, die Lage 
und der Einfluss auf die Umgebung, die Versorgung des Tumors, der makro¬ 
skopische und besonders der mikroskopische Befund des Inhalts ganz sicher die 
Annahme zu, dass es sich um einen typischen Sacraltumor handelte. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Strunz, Klinischer Beitrag zur Lehre von der Spina bifida. Diss. Er¬ 
langen 1903. 

Nach Beschreibung eines Falles von Spina bifida aus der Erlanger Klinik, 
der von Graser mit gutem Erfolge operirt wurde, geht Verfasser zunächst 
auf die heute herrschende Lehre von den verschiedenen Arten dieser Erkran¬ 
kung näher ein, auf die Myelocele, die Myelocystocele und Meningocele, be¬ 
spricht die in Frage kommenden Operationsverfahren und erörtert an der Hand 
des Gesagten seinen Fall, bei dem es sich um eine Myelocysto Meningocele 
handelte. Im Anschluss an diese Erörterung erwähnt Verfasser noch einen Fall 
von Spina bifida, der im Mai 1903 in der chirurgischen Abtheilung des Er¬ 
langer Universitatskrankenhauses zur Behandlung kam. Es handelte sich um 
eine Meningocele. Der Erfolg der Operation war auch ein guter. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Schüller und Robinsohn, Die röntgenologische Untersuchung der Schädel¬ 
basis. Wiener klin. Rundschau 1904, Nr. 26. 

Die Verfasser geben eine Anleitung zur Aufnahme der Schädelbasis mit 
Röntgenstrahlen und eine Beschreibung der bei den verschiedenen Stellungen 
sichtbaren Einzelheiten. Rauenbusch-Berlin. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XIII. Bd. 12 


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178 


Referate. 


Jonesco, Ankylose compl^te du maxillaire inferieur, ost^otomie sous condj- 
lienne droite — Guerison. Bulletins et memoires de la societe de 
Chirurgie de Bucarest. 

Jon es CO theilt einen Fall von knöcherner rechtsseitiger Ankylose des 
Unterkiefers bei einer 20jährigen Patientin mit, die im 2. Lebensjahr nach 
einer eitrigen Mittelohrentzündung aufgetreten war und zu einer hochgradigen 
Atrophie des Unterkiefers geführt hatte (Vogelgesicht). Bei der Operation 
mittelst des Schnittes nach Farabeuf zeigte sich auch der Proc. coronoidens 
knöchern mit der Schädelbasis verbunden. Er nahm deshalb die Durchmeisselong 
des aufsteigenden Unterkieferastes vor. Tamponade mit Jodoformgaze, Heilong. 
Der Erfolg war ein vollkommener. Die Kranke hatte das Bild einer doppel¬ 
seitigen Ankylose dargeboten; es ist deshalb von Wichtigkeit, in solchen Fällen 
nach dem Ausgangspunkt zu forschen, wobei man häufig anamnestisch eine 
einseitige, eitrige Mittelohrentzündung finden wird. Die mehrere Wochen liegen¬ 
den Gazetampons verhinderten ein Rezidiv. Ganz gleich verfuhr er in einem 
zweiten Falle. Rauenbusch -Berlin. 


Kempf., Ueber Ursache und Behandlung des Caput obstipum musculare. 

Deutsche Zeitschrift für Chirurgie Bd. 73 H. 4—6. 

Kempf geht zuerst auf die Literatur ein und beschäftigt sich länger 
mit der Kader'sehen Arbeit über das Caput obstipum, der bekanntlich eine 
Entzündung auf infectiöser Basis als Ursache der genannten Erkrankung an¬ 
sieht. Nach Ansicht des Verfassers aber gleichen die pathologisch-anatomischen 
Veränderungen mehr denen einer ischämischen Muskelcontractur. Auf Grand 
von Injectionspräparaten nnd mikroskopischen Untersuchungen kommt er zu 
folgendem Schluss: „Die histologischen Befunde am Kopfnicker des Schiefhalses 
sind nicht beweisend für die entzündliche Natur des Leidens. Sie sprechen 
vielmehr für eine ischämische Entstehung des Caput obstipum musculare. FQr 
den Eintritt von Ischämie bietet der Kopfnicker vermöge seiner exponierten 
Lage und seiner eigentümlichen Gefässverhältnisse besonders günstige Bedin¬ 
gungen. In manchen Fällen können trophoneurotische Vorgänge die Wirkung 
der Ischämie steigern. Die Indurationen des Sternocleidomastoideus sind patho¬ 
logisch-anatomisch dem hämorrhagischen Infarct vergleichbar. Sie können, 
ohne Schädigungen zu hinterlassen, verschwinden, gelegentlich aber auch die 
ischämische Contractur einleiten. Ischämisch-neuropathische Einwirkungen können 
den Sternocleidomastoideus intrauterin, intra partum und im späteren Leben 
treffen.^ Bezüglich der Behandlung hält Verfasser die einfache Durchschneidong 
des Muskels mit querem Hautschnitt dicht Über der Olavicula für das Normal¬ 
verfahren. Er bedeckt die kleine Wunde mit einem einfachen (nicht redres- 
sirenden) Schutzverband, nach vollendeter Wundheilung besteht die Nach¬ 
behandlung, die den Angehörigen überlassen wird, darin, dass eine Person die 
Schulter der operirten Seite fixirt, eine andere den Kopf nach dieser Seite 
dreht und nach der andern neigt. Diese Uebungen müssen lange fortgesetzt 
werden. Ein Recidiv hat er bei dieser Behandlung nicht gesehen. Es folgt 
dann noch die Beschreibung von 37 operirten Fällen aus der hannoverschen 
Kinderheilanstalt. Rauenbusch - Berlin. 


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Referate. 


179 


M e i nh o 1 d, SubcntaDer Bruch des rechten Schlüsselbeins, secundärer Verschluss 
der Schlüsselbeinschlagader, Aufmeisselung, Enochennaht, Mechanismus 
der Gefässverletzungen bei Schlüsselbeinbrüchen. Münchener med. Wochen¬ 
schrift Nr. 17. 

Verfasser beschreibt einen Fall von Schlüsselbeinbruch, bei dem ca. 
3V* Monate nach der Verletzung plötzlich Symptome eines Verschlusses der 
SchlüBselbeinschlagader auftraten: rechter Arm weiss, kalt, pulslos etc. Da 
diese Symptome im Lauf eines Tages nicht verschwanden, wurde durch eine 
Operation der Bruch freigelegt, von den Fragmenten so viel entfernt, als zur 
Beseitigung des Druckes auf die Subclavia erforderlich erschien und der Knochen 
genäht. Nach der Operation trat vollkommene Heilung ein. Die Bruchlinie 
verlief sehr schräg von vom aussen nach hinten innen. Der Verschluss der 
Subclavia entstand wahrscheinlich durch Verschiebung eines Bruchendes nach 
hinten und Callusbildung zwischen beiden Bruchenden. Ohl-Berlin. 

Wohl, Schlüsselbeinfractur bei normaler Geburt. Wiener klinische Rundschau 
1904, Nr. 25. 

Wohl theilt einen derartigen Fall mit und erklärt sich denselben so, 
dass bei dem ausserordentlich raschen Durchtritt des in erster Schädellage 
liegenden Kindes in dem Augenblick der Rotation um die Symphyse als Hypo- 
mochlion die rechte vordere Schulter zu stark an diese gedrückt und dadurch 
das Schlüsselbein gebrochen worden sei. Rauen husch-Berlin. 

Schwarz, lieber die habituelle Luxation der Clavicula im Steraoclavicular- 
gelenk. Diss. Leipzig 1904. 

In dem vorliegenden Falle handelte es sich um eine 25jährige Patientin, 
bei der das stemale Ende der rechten Clavicula nach vorn luxirt war; auch die 
linke zeigte eine leichte unvollständige Luxation nach vorn, die beide am deut¬ 
lichsten sichtbar wurden bei horizontaler Stellung der Arme. Das verordnete 
Tragen eines einfachen Apparates, der dem CoopeFschen sehr ähnelte, ergab 
einen recht befriedigenden Erfolg. Im Anschluss an diesen beobachteten Fall 
bespricht Schwarz die Entstehungsmöglichkeiten der bekannten drei Arten 
dieser Luxation, die Therapie u. a. m. an der Hand der bisher über diese Ver¬ 
renkung veröffentlichten Literatur, die er eingehend berücksichtigt hat. Neues 
bringt er nicht. Der Arbeit sind 2 Abbildungen beigegeben. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Klar, Ein Fall von Luxatio claviculae supraspinata. Deutsche Zeitschrift für 
Chir. Bd. 73 Heft 1—3. 

Zu den 2 in der Literatur von Davis und Grossmann beschriebenen 
Fällen von Luxatio claviculae supraspinata bringt Verfasser einen 3. selbst 
beobachteten analogen Fall. Deraelbe unterscheidet sich von den vorher er¬ 
wähnten Fällen dadurch, dass er erst 4 Monate nach dem Unfall zur Beobach¬ 
tung kam und eine Reposition infolgedessen nicht gelang (Narkose und blutige 
Operation wurden vom Patienten abgelehnt). Es blieb daher als Folge des Un¬ 
falles eine höchst mangelhafte Function des betreffenden Schultergelenkes be¬ 
stehen, während bei den anderen beiden Fällen die Reposition gut gelang 


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180 


Referate. 


und vollkommene Arbeitsfähigkeit in kurzer Zeit wieder eintrat. Ausserdem 
zeichnet sich der vom Verfasser beschriebene Fall dadurch aus, dass das 
luxirte acromiale Ende des Schlüsselbeins den M. trapezius vollkommen durch¬ 
bohrt hatte und direct unter der Haut zu fühlen war. Im übrigen sind die 
Symptome der Verletzung den früheren Beobachtungen analog. 

Ohl- Berlin. 

Ranzi, Ein Fall von doppelseitiger (congenitaler) Schulterluxation nach rück¬ 
wärts. Fortschritte a. d. Gebiet der Röntgenstrahlen Bd. VII H. 4. 
Ranzi beschreibt nach einer Uebersicht der einschlägigen Literatur einen 
Fall von doppelseitiger angeborener Schulterluxation nach rückwärts bei einem 
38jäbrigen Patienten, der über seit 2 Monaten bestehende Schmerzen in der 
rechten Schulter klagte. Dieselben waren von Bewegungen unabhängig und 
stellten sich besonders Nachts ein. Bereits 20 Jahre vorher war der Patient 
wegen ähnlicher Beschwerden behandelt und damals das Bestehen der Luxation 
festgestellt worden, von der er bis dahin nichts wusste. Bewegungsstörungen 
bestanden erst seit kurzem, indem der rechte Arm nicht bis zur Horizontalen 
gehoben werden konnte. Bei Bewegungen nach rückwärts und bei directem 
Druck von hinten nach vorn trat der Kopf leicht in die Pfanne, um dieselbe 
aber alsbald wieder zu verlassen. Das Röntgenbild ergab einen etwas ab¬ 
geplatteten Kopf, rudimentäre Fossa glenoidalis und Fehlen des Collum scapulae. 
Durch eine Schulterkappe wurde der Kopf an der normalen Stelle fixirt 

Rauenbusch - Berlin. 

Regnier, Des impotences fonctionelles prolongees ou definitives dans les 
luxations de r^paule. La mddecine des accidents du travail T. II Nr. 4. 
Regnier macht auf die Functionsstörungen aufmerksam, welche nach 
einer Schulterlnxation direct durch die Verletzung oder im Anschluss an die 
Einrenkung häufig aufzutreten pflegen und sich auf Verletzungen der Knochen, 
der Gelenkkapsel, der Muskeln, Gefässe oder Nerven zurückführen lassen. Nach¬ 
dem er die den einzelnen Variationen der Luxation eigenthümlichen Neben¬ 
verletzungen besprochen hat, zeigt er an zwei Krankengeschichten den gat^n 
Erfolg der Behandlung durch Massage, Gymnastik und Galvanisation. Es waren 
dies Fälle, in denen es sich um directe Muskelläsionen handelte. Schwerer, 
häufig gar nicht zu beeinflussen sind die Verletzungen der Nerven, wobei ge¬ 
wöhnlich die Sensibilität wenig oder gar nicht leidet im Vergleich zur Motilität 
Auch das Alter der Patienten ist bei der Prognose zu berücksichtigen, insofern 
als die bei älteren Patienten eventuell vorhandenen chronischen Gelenk Verände¬ 
rungen die Heilung verzögern können. Rauenbusch-Berlin. 

Axmann (Erfurt), Scapularkrachen, Deutsche med. Wochenschr. 1904, Nr.‘i6. 

Den von Küttner-Tübingen beschriebenen und zusammengestellten 
22 Fällen von Scapularkrachen fügt Verfasser einen Fall an, der einen 18 Jahre 
alten kräftigen, früher stets gesunden Patienten betrifft. Allmählich entwickelt 
sich unter dem rechten Schulterblatt ein knackendes Geräusch. Körperhaltung 
und -bildung völlig symmetrisch. Musculatur der rechten Schulter stärker al? 
die der linken. Beim Heben der Schulter entsteht das Geräusch, das auf mehrere 
Meter hin hörbar ist. Die aufgelegte Hand fühlt über dem unteren Scapular 


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Referate. 


181 


Winkel Crepitation. Nach vorübergehender Fixation der Scapula ist das Ge¬ 
räusch zunächst schwächer, wird dann aber so stark wie zuvor. Bei passiver 
Bewegung der Scapula fehlt das Geräusch. Röntgenbefund negativ. Eüttner 
gibt folgende ätiologische Momente an: Enochendeformitäten an Thorax und 
Scapula (z. B. bei Tuberculose und Lues), Schultergelenksankylose, Lähmung und 
Atrophie der Musculatur, Hygrombildung an den Reibeflächen. Der Fall des 
Verfassers wies nichts Derartiges auf. Da keinerlei Beschwerden vorhanden 
waren, erübrigte sich eine therapeutische Massnahme. Hi Iler-Berlin. 

Lamöris, Beitrag zur Eenntniss des angeborenen Schulterblatthochstandes. 

Archiv für klin. Chir. Bd. 73. 

Verfasser beschreibt einen selbst beobachteten Fall von angeborenem 
Schulterblattbochstand, der durch eine Operation wesentlich gebessert wurde. 
Die Ursache des Schulterblatthochstandes bestand in einer bindegewebigen Ent¬ 
artung und Schrumpfung des rechten M. rhomboid. Durch diesen Strang wurde 
der untere Theil der rechten Scapula nach der Wirbelsäule zu fixirt. Durch 
Operation wurde dieser Strang exstirpirt. Der M. trapezius war normal ent¬ 
wickelt, der rechte M. serratus anticus maj. war schwach, aber functionsfähig. 
Durch die Operation und entsprechende Nachbehandlung wurde der Zustand 
derart gebessert, dass der rechte Arm seitlich bis zu einem <5^ von 165® ge¬ 
hoben werden konnte (vor der Operation seitliche Hebung nur bis 88® mög¬ 
lich). Ausserdem war der Hochstand der rechten Schulter wesentlich vermindert. 

Ohl-Berlin. 

Hibbs und Löwenstein, Ein Fall von angeborenem Hochstand des Schulter¬ 
blattes etc. Arch. f. Orthopädie Bd. 2 Heft 1. 

Die Verfasser bringen nach Beschreibung eines selbst beobachteten Falles 
von angeborenem Schulterblatthochstande eine Uebersicht über die bisher ver¬ 
öffentlichten 64 einschlägigen Fälle mit dem Versuche einer Classification. Sie 
unterscheiden: 1. Fälle mit einer knöchernen Brücke zwischen Schulterblatt und 
Wirbelsäule, 2. Fälle mit vollständigem Ausfall eines oder mehrerer Muskeln des 
Schultergürtels, 3. Fälle mit einem langen, übergebogenen snpraspinalen Theile der 
Scapula und 4. Fälle ohne knöchernen Auswuchs mit normalem oder verklei¬ 
nertem Schulterblatte, mit verkürzten oder anderweitig defecten Muskeln. 
Einer kurzen Eritik Über die bisher aufgestellten Theorien über die Entstehung 
des Leidens folgt die Angabe der geeignetsten Therapie, die in der ersten und 
dritten Glasse in Resection der Enochenstücke resp. des Enochenvorsprunges 
zu bestehen hat. Die zweite Gruppe von Fällen ist mit orthopädischen Apparaten 
zu behandeln, welche die hochstehende Schulter niederdrücken, die vierte je 
nach dem Befund mit Apparaten, Massage, Hebungen und Elektricität oder auf 
operativem Wege. Pfeiffer-Berlin. 

M 0 V e s t i n, Fusion congönitale des os de Tavant bras ä leur partie superieure. 

Bull, et mdm. de la societe anatomique de Paris 1904, Nr. 1. 

Mehr noch wie der partielle oder totale Mangel des Radius interessiren 
die Fälle von Verwachsungen des Ellenbogens mit dem Radius. Die Fälle sind 
sehr selten, Eirmisson hat alles in allem 4 Fälle zusammengestellt. Die 


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182 


Referate. 


Operation dieser Fälle war von den betreffenden Beobachtern stets abgelehnt 
worden. Verfasser bat in einem näher zu beschreibenden ziemlich günstigen 
Falle die Operation ausfäbren können. Der Radius wies eine Hemmungsbildung 
an seinem oberen Ende auf und war mit dem Ellenbogen tbeilweise verwachsen. 
Der Effect der Operation war Trennung beider Knochen von einander und Ver¬ 
besserung der Function, Herstellung der Pronation und Supination, welche 
zuvor ganz unmöglich war. 

Es handelt sich um ein 19jähriges Mädchen, in dessen Familie angeblich 
keine Missbildungen erblich waren. Die Missbildung ihres Arms besteht seit 
ihrer Geburt. 

Der Vorderarm ist pronirt, der Daumen ist direct nach innen gestellt 
und der Arm ist nicht aus dieser Stellung zu bringen. Die Länge beider 
Vorderarme zeigt eine Differenz von nur V* cm. Nirgends sind Narbenbildungen 
bemerkbar. Flexion und Extension im Ellenbogengelenk ist völlig normal. 
Ebenso die Bewegungen der Hand. Der Ellenbogen ist ganz normal gebildet. 
Das Radiusköpfcben erscheint etwas kleiner, etwas oberflächlicher und mehr 
distal gelegen und steht näher am hinteren Rande des Ellenbogens, als in der 
Norm. Der Radius bleibt ganz unbeweglich, man mag noch so grosse Gewalt 
anwenden, denn es bestand eine innige Verbindung der beiden Vorderarm¬ 
knochen an ihren höchsten Enden. 

Das Röntgenbild zeigt eine stärkere Krümmung der Knochen als gewöhn¬ 
lich. Der Radius scheint oben in Form eines Trommelschlegels zu enden. Sein 
oberes abgeplattetes Ende ist mit dem Ellenbogen verwachsen. Das Spatium 
interosseum ist ganz erhalten. Der Daumen war in den früher beschriebenen 
Fällen anormal lateral beweglich. Hier war es nicht der Fall. Das Gelenk 
war ebenso fest wie auf der anderen Seite. 

Für die Operation wurde ein 6 cm langer Schnitt an der äusseren Kante 
des Ellenbogens geführt. Später musste ein senkrechter äusserer Schnitt von 
3 cm daraufgesetzt werden. Der äussere Rand des M. ancon. durchtrennt, vom 
Ext. dig. V getrennt und zurückgeklappt. Das Cap. rad. war flach, rudi¬ 
mentär, ausser Verbindung mit dem Humerus. Es wurde resecirt. Vom Ellen¬ 
bogen war es durch eine fibröse Schicht getrennt. Beide Knochen des Vorder¬ 
arms waren vom Cap. rad. ab 2 cm lang fest verwachsen. Ihre Trennung war 
schwer. Bei den Versuchen zu supiniren fühlt Verfasser einen enormen Wider¬ 
stand der Weichtheile, der durch langsame, lange und beharrlich fortgesetzte 
Bewegungen überwunden wurde. 

Heilung per prim am. Nach 8 Tagen Massage und Gymnastik. Der 
Erfolg ist eine Rotation des Vorderarms um 80®. Zweifellos ist die Deformität 
angeboren. H i 11 e r - Berlin. 

Stolle, lieber Epiphysenlösungen, Fracturen und Luxationen im Bereiche des 

Ellenbogengelenkes und ihre Behandlung nach der Bardenheuer'schen 

Extensionsmethode. Deutsche Zeitschr. f. Chir. Bd. 74 H. 1 u. 2. 

Stolle gibt im ersten Theil seiner Arbeit eine Zusammenstellung der 
für die Röntgendiagnostik wichtigen Forschungsergebnisse der letzten Jahre, 
besonders der Entwickelung der einzelnen Knochenkeme des Ellenbogengelenks, 
sowie eine zusammenfassende Besprechung der in sieben Gruppen eingetheilten 


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Referate. 


183 


140 hierhergehörigen Fälle des Kölner Bürgerhospitals aus den Jahren 1898 
bis 1903. Er unterscheidet 1. 34 Fälle von Epiphysenlösung» 2. 25 Fälle von 
Fractura supracondylica» 3. 16 Fälle von Fractura intercondylica, 4. 9 Fälle von 
Fractura epicondyli int et ext.» 5. 19 und 4 Fälle von Fractura olecrani und 
Fractura processus coronoides» 6. 9 Fälle von Fractura capituli radii und colli 
radii, 7. 8 Fälle von reinen Luxationen» während 14 andere Luxationen» die 
mit Brüchen komplicirt waren» oben eingereiht sind» und 8. 6 Fälle von Gelenk- 
coutnsionen. Im zweiten Theile wird die Technik der Bardenheuer*schen Exten- 
sionsbehandlnng im allgemeinen» sowie ihre Anwendung bei den einzelnen 
Fracturformen im besonderen besprochen» worüber die Originalarbeit einzu¬ 
sehen ut Rauenbus cb-Berlin. 

Schulz» lieber Myositis ossificans im Gebiete des Ellbogengelenkes. Wiener 

klin. Wochenschrift 1894» Nr. 14. 

Schulz berichtet über 3 Fälle» die an der poliklinischen Abtheiluug des 
Prof. Hochenegg zur Beobachtung kamen. Im ersten handelte es sich um 
eine Ankylose des linken Ellbogengelenkes» die nach Fractur des Olecranons 
entstanden und durch eine Verknöcherung des Muse, brach, intern, verursacht 
vurde; die Gelenke erschienen im Röntgenbilde frei. Die Geschwulst wurde 
operativ entfernt (Abmeisselung); nach weiterer Behandlung mit Bädern» Mas¬ 
sage und passiven Bewegungen schliesslich active Beweglichkeit bis 45^ Beu- 
j^ung und 120® Streckung. In einem zweiten Falle konnte bei negativem Pal¬ 
pationsbefunde im Röntgenbilde an der Beugeseite des Ellbogengelenkes und 
Tom Humerus etwas abstehend ein als Knochengeschwulst diagnosticirbares Ge¬ 
bilde constatirt werden. Vor 14 Tagen Sturz auf den Ellbogen; Schmerzhaftig¬ 
keit bei forcirter Beugung. In einem dritten Falle handelte es sich um einen 
partiellen Ausriss der Tricepssehne» die einzelnen Fasern retrahirten sich» ein 
Stück des Periosts mit einem winzigen Corticalisstückchen blieb an ihnen hängen. 
Von hier ging die Knochenneubildung aus. Haudek-Wien. 

‘iermer» Zwei congenitale Tumoren des Vorderarmes. Diss. Greifswald 1904. 

Verfasser bespricht im ersten Theil seiner Arbeit die angeborenen 
Angiome und besonders die der Extremitäten, die ja bekanntlich so ausser¬ 
ordentlich selten sind» und gibt die Krankengeschichte eines Falles von grossem 
Angiom des rechten Vorderarmes wieder. Mehr Interesse für den Orthopäden 
bietet der zweite Theil der Arbeit, der über die congenitalen Sarkome handelt, 
über jene Fälle von malignen Neubildungen ira intrauterinen Leben» denen man 
nach des Verfassers Ansicht den ersten Rang unter den congenitalen malignen 
Neubildungen einränmen muss. Germer kann dem einzigen in der Literatur zu 
findenden Fall von congenitalem Sarkom des Vorderarmes einen Fall eigener 
Beobachtung hinznfügen» bei dem es sich um ein congenitales exulcerirtes 
Sarkom des Vorderarmes handelte. Eine Abbildung dieser angeborenen Ge¬ 
schwulst ist der Arbeit beigegeben. Blencke-Magdeburg. 

Läufer, Spontangangrän des Vorderarmes durch Muskelsarkom und durch 

Compression. Diss. Greifswald 1904. 

In dem vorliegenden Falle handelte es sich um einen Muskeltuinor» um 
ein Spindelzellensarkom in der Ellbogenbeuge, durch das infolge Mumification 


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Referate. 


und Macerationsprocessen an der Oberfläche der Haut die linke Hand nebst an* 
grenzendem Abschnitt des Vorderarmes nekrotisch geworden und die Vorder¬ 
armknochen vollständig skeletirt waren. Einen ähnlichen Fall vermochte Ver¬ 
fasser in der Literatur nicht zu finden; er beschreibt dann aber noch einen 
zweiten Fall, bei dem ebenfalls durch anhaltenden Druck infolge einer Krücke 
und dadurch bedingte Compression derGefässe und Thrombenbildung eine Gangrän 
und Mumification der rechten oberen Extremität zu Stande kam. In diesem 
Falle erfolgte aber die Absetzung des Gliedes rechtzeitig, so dass es noch nicht 
zu so hochgradigen Zerstörungen gekommen war, insbesondere nicht im Ge¬ 
biete der Muskeln und Nerven. Blencke-Magdeburg. 


Sehlbach, lieber Periarthritis des Handgelenks. Diss. Bonn 1904. 

Bei der Periarthritis handelt es sich um eine Affection, die sich in die 
allgemeinen Bezeichnungen der chronischen einfachen Arthritis oder einer Ver¬ 
stauchung nicht einreihen lässt, die aber für die Praxis von ausserordentlicher 
Wichtigkeit ist ihrer Hartnäckigkeit wegen und weil sie oft zu den unangenehm¬ 
sten Gebrauchsstörungen der Hand führen kann. Es handelt sich bei dieser 
Erkrankung vornehmlich um eine Art chronischer Entzündung der das Gelenk 
umgebenden Weichtheile, insbesondere des Bandapparates, die in schwereren 
Fällen eine meist nur geringe Schwellung an der radialen und radiodorsalen, 
selten ulnaren oder dorsoulnaren Gelenkgegend erkennen lässt. In manchen 
Fällen sind geringe Muskelatrophien vorhanden; als besonders charakteristisch 
gelten die Schmerzen bei Bewegungen und die Behinderung in der Gebrauchs¬ 
fähigkeit der Hand. Die bei der Untersuchung auftretenden Druck- und Zer¬ 
rungsschmerzen concentriren sich alle meist auf die radiale oder radiodorsale 
Gelenkgegend. Bei der Aetiologie kommen nach Sehlbach zunächst Traumen 
mehr oder weniger geringfügiger Art in Betracht, zu denen auch die beson¬ 
deren Griffe, wie Aufstützen der Hand, Holzzerbrechen u. dergl. m. gerechnet 
werden müssen. Eine weitere Kategorie stellen dann die Fälle dar, bei denen 
sich diese Erkrankung gleichsam als eine Gewerbekrankheit geltend macht. 
Näherinnen, Fabrikarbeiter, Wäscherinnen, Plätterinnen kommen hier in Be¬ 
tracht. Zunächst bestehen keine erheblichen Beschwerden, so dass die Patienten 
ruhig Weiterarbeiten. Allmählich nehmen sie erst dann zu, der Gebrauch der 
Hand wird immer mehr und mehr behindert, und schliesslich ist überhaupt an 
keine Thätigkeit mehr zu denken. Verfasser will diese Erkrankung als einen 
chronisch entzündlichen Reizzustand angesehen wissen, dessen Ursache mehr 
oder weniger unerhebliche Zerrungen sind, Zerrungen, die durch beständige 
Handgriffe fortwährend wiederholt schliesslich eine chronische Entzündung za 
Wege bringen, die sehr hartnäckig ist, leicht zu Recidiven neigt und fast nie 
vollständig gebessert werden kann, da die Patienten nie so lange die Hand 
schonen können, wie es wohl wünschenswerth wäre. Ruhe, Jodpinselungen. 
Handbäder und Heissluftbäder kommen therapeutisch in Betracht. 

Zum Schluss weist Verfasser noch an der Hand eines bestimmten Falles 
auf die Wichtigkeit der Krankheit bei Begutachtung von Betriebsunfällen hin 
und bringt in Tabellenform die wichtigsten Daten aus 53 Krankengeschichten 
aus der Bonner chirurgischen Poliklinik. Blencke-Magdeburg. 


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Referate. 


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Wendt-Halle, Die Reposition des luxirten Os lunatum. Münchener med. 

Wochenschr. 1904, Nr. 24. 

Zu den Erkrankungen, deren Diagnose durch das ROntgenverfahren mög¬ 
lich wird, gehört die Luxation des Os lunatum. Vorgetäuscht kann werden 
eine Fractura radii typica, und es wird die Krankheit dann falsch behandelt. 

Nur 1 Fall ist in der Literatur bekannt, wo sofort die lichtige Diagnose 
gestellt wurde (Fall von Sulzberger). Bei in Rede stehendem Fall wurde 
auch sogleich die richtige Diagnose gestellt. 

Der 40jährige Patient fiel auf den Rücken der volarfiectirten Hand. 
Handgelenk und Hand waren geschwollen. Handwurzel scheinbar verkürzt, der 
Abstand zwischen der Basis des Metacarpus und des Proc. styl. rad. aber nicht 
kürzer als auf der gesunden Seite. Hand ulnarwärts leicht adducirt. Auf der 
Beugeseite der Hand eine fühlbare Prominenz, entsprechend dem Os lunatum. 
Beugung im Handgelenk fast unmöglich. Diagnose durch Röntgenaufnahme 
bestätigt. 

Die Luxation besteht zwischen Os lunatum und Capitatum. Die für das Os 
lunatum bestimmte Gelenkfiäche des Capitatum berührt fast den Radius. Längs- 
verschiebung beträgt IV 2 cm. Reposition durch Zug in der Längsrichtung der 
Hand, Dorsalflexion und folgende Volarflexion unter gleichzeitigem Druck auf 
das Lunatum. Ausser der Luxation ist noch eine Querfractur des Naviculare 
vorhanden. Fixation in Schede'scher Schiene, dann Massage und Mechano* 
Iherapie. Bei der Entlassung war die Fractur nicht consolidirt, die Dorsal* 
fiexion und Abduction der Hand ist noch etwas beschi^nkt. Das verdickte 
Handgelenk knirscht. 

Die zurückgebliebene Bewegungsstörung ist auf die Fractur des Naviculare 
zurückzuführen. Reponirt man nicht, so ist nach Verfasser die Bewegungs* 
Störung sehr bedeutend. Abgesehen von den von v. Lessar und von Eigen* 
brodt beschriebenen Fällen, in denen das Os lunatum eine Drehung um etwa 
180^ gemacht hatte, ist wohl stets die unblutige Reposition möglich. In den 
Hallenser 7 Fällen war das Lunatum mit dem Radius in Verbindung geblieben, 
das volare Band also nicht zerrissen. Gelingt die unblutige Reposition nicht, 
so muss sie blutig bewerkstelligt werden. Ist der Knochen aus all seinen Ver¬ 
bindungen gerissen, so wird er exstirpirt. Auch bei veralteten Fällen ist die 
Operation indicirt. Die Erfolge der Operation sind gute, wenn der Fall nicht 
schon zu veraltet ist (bis 5 Monate nach der Verletzung). Hill er-Berlin. 


Perain, Luxation laterale ancienne irreductible de la phalangette de l’index. 
Rösection de la tete phalangienne. Bullet, et mem. de la societe ana* 
tomique de Paris 1904, Nr. 1. 

Seit dem fünften Lebensjahre besteht bei einer nun 13jährigen Patientin 
eine Luxation der Nagelphalanx des Zeigefingers, welche nicht rechtzeitig dia- 
gnosticirt wurde und welche wegen der seitlichen Verschiebung des Gliedes mit 
einem aus zwei kleinen Zinkschienen bestehenden Apparat 6 Wochen lang be¬ 
handelt wurde. Darauf Massagekur, ohne Erfolg. 

Der Befund ist folgender: Das erste und zweite Glied bilden einen Winkel 
von 125”. Der Kopf der I. Phalanx springt etwas nach vorn und innen vor. 


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186 


Referate. 


Die Haut ist an dieser Stelle dünn. Das zweite Glied erscheint länger. Das 
Gelenk ist unbeweglich. Das Röntgenbild zeigte die Luxation. Das Endglied 
ist im Volumen verringert, das dritte Glied hypertrophisch, das untere Ende 
desselben deform und macht einen Haken nach innen. 

Unter Cocainanästhesie innerer seitlicher Längsschnitt; Resection des 
Köpfchens; Redression. Zu ihrer Erhaltung Aluminiumschiene. 

Die seitliche Luxation ist nach Verfasser sehr selten. Der Mechanismus 
ihres Entstehens ist nicht leicht verständlich. Möglich wird die Luxation bei 
Zerreissung der Seitenbänder, wenn die Gewalt, auf die Palmarfläche wirkend, 
das Glied extrem extendirt. Hier wirkte das Trauma aber auf die Volarfläche 
ein. Man muss also annehmen, dass der Finger des Mädchens unterstützt war, 
als sich das Trauma ereignete. Dazu Ruptur des Seitenbandes. 

H i 11 e r - Berlin. 

Teschemacher, üeber das Vorkommen der Dupuytren’schen Fingercontractur 

bei Diabetes mellitus. Deutsche med. Wochenschr. Nr. 14, 1904. 

Teschemacher hat unter 213 Diabeteskranken 83 Fälle von Dupuy* 
tren'scher Contractur aufgefunden, ein Procentsatz, der nach seiner Meinung 
ein zufälliges Zusammentrefl'en mit Sicherheit ausschliesst. Die Ursache der 
Contractur sieht er in einer Alteration des Nervensystems, ,vielleicht durch 
den in den Körpergeweben abgelagerten oder in der Körperflüssigkeit cirku- 
lierenden Zucker“. Trophische Störungen führen dann zu Irritationen der Haut 
und des darunter liegenden Gewebes, die zu Gewebsneubildung ohne Zerfall, 
zu Hyperplasien mit folgender Schrumpfung führen. An der Hand seiner 
33 Fälle geht Teschemacher kurz auf das Vorkommen und die Verbreitung 
des Leidens ein, sowie auf die begleitenden Krankheitserscheinungen. Thera¬ 
peutische Hinweise werden nicht gegeben. Pf ei ff er-Berlin. 

Lengemann, Zur Thiosinaminbehandlung von Contracturen. Deutsche med. 

Wochenschr. Nr. 13, 1904. 

Lengemann berichtet über einen weiteren, durch Thiosinamineinspritzung 
geheilten Fall von Dupuytren’scher Contractur. Es wurden im Verlauf von 
2 Monaten 45 Injectionen gemacht und gleichzeitig Massage, passive Streckungen, 
warme Bäder und Application von 20 % Thiosinaminpflastermull in Anwendung 
gebracht. Die Einspntzungen erfolgten direkt in das Narbengewebe; vorher 
wurde durch dieselbe Canüle und in dieselbe Einstichsstelle */* ccm 1 ®/o Cocain- 
lösung injicirt, um die Schmerzhaftigkeit der Injection zu mildem. Der Erfolg 
war ein vollständiger, ebenso bei einer traumatischen Contractur des rechten 
Daumens. Pfeiffer - Berlin. 

Schulthess, Beiträge zur pathologischen Anatomie der Wirbelsäule. Arch. 

f. Orthopädie Bd. II Heft 1. 

Schulthess hatte Gelegenheit, die pathologische Anatomie der Wirbel¬ 
säule an der Leiche einer skoliotischen Patientin zu studiren, die er in vivo 
mit seinem Apparate gemessen hatte. Er fand hierbei die Uebereinstimmung 
seiner Messung mit den Ergebnissen der anatomischen Untersuchungen, so dass 
hiermit der Beweis geliefert ist, dass die Messung im Messapparate ein zuver- 


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Referate. 


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lässiges Bild der skoliotischen Rückgratsverkrümmung abgibt. Im weiteren 
Verlauf seiner Arbeit bringt Schulthess das interessante Obductionsresultat 
einer schweren Skoliose, sowie solche von Spondylitis und die Beschreibung 
Ton Präparaten der Wirbelsäule nach Spondylitis tuberculosa. Einzelheiten 
müssen in der Arbeit selbst eingesehen werden. Pfeiffer-Berlin. 

Riely, A study of the anatomy, pathology and etiology of scoliosis. Journ. 

of the Americ. med. Assoc. April 2, 1904. 

Auf Grund seiner Skoliosenuntersuchungen kommt Verfasser zu dem 
Resultat, dass die Rückenmuskeln mit Unrecht als ätiologisch massgebende 
Factoren für diese Erkrankung angesprochen werden. Die erste und zweite 
Schicht derselben dienen vielmehr dazu, die Schulterbewegungen zu unterstützen 
und zu controlliren, die anderen^ mit Ausnahme des Ileocostalis und des 
Quadratus lumborum, sind zu nahe an der Wirbelsäule, um irgend welche 
nennenswerte Kraft als Rotatoren oder gar Seitwärtsbeuger ausüben zu können, 
sie scheinen hauptsächlich für die Aufrichtung der Wirbelsäule da zu sein. 
Quoad Pathologie der Skoliose lenkte Verfasser sein Augenmerk auf die vordere 
Körperseite und stellte erhebliche Asymmetrien der Beckenmaasse, sowie in den 
abdominellen Muskeln fest, letztere sind stets auf der Concavitätsseite der 
Skoliose länger und gespannter als auf der Convexitätsseite. Das Os ilei ist auf 
der Concavitätsseite mehr vorwärts, abwärts und auswärts geneigt, während auf 
der anderen Seite das Os ilei vertikaler und seine Cristae horizontaler stehen. 
Verfasser hält ätiologisch die Pelvisdistorsion allein für ausschlaggebend, ab¬ 
gesehen von den paralytischen Fällen, sowie denjenigen, die auf Empyem oder 
Malum Pottii folgen. Die am Becken anhaftenden und mit der Distorsion natür¬ 
lich auch verschobenen Muskeln vermögen dann infolge ihres Zuges an den 
Rippen, diese als lange Hebelarme benutzend, eine Ausbiegung und Rotation 
der Wirbelsäule hervorzurufen. Als Ursache der Beckendistorsion mögen vor- 
liegen: gewohnheitsmässige schlechte Haltung beim Gehen oder Sitzen während 
einer rhachitischen Krankheits- oder der Wachstumsperiode; ungleichmässige und 
unregelmässige Ossification; Längendifferenzen irgend welcher Art in den Beinen 
(Coza vara, Hüftdislocation, Coxitis, Plattfus etc.). Zur Behandlung empfiehlt 
Verfasser einen Apparat zur forcierten Redression der Skoliose, sein sogen. 
jSkoliotone“. 

Die Arbeit bietet sicherlich mancherlei Interessantes, immerhin aber 
dürften doch die Stützpunkte des Verfassers für seine neue Skoliosentheorie viel¬ 
fach nicht sehr beweisend erscheinen (Ref.). Ebbinghaus-Berlin. 

Teschner, The present status of the treatment of lateral curvature. Medical 

Record 1903, Nr. 26. 

Teschner empfiehlt bei der Behandlung der Skoliose seine schon früher 
ausgesprochene Methode der Hebungen und verwirft jede Immobilisation des 
Rückens. Seine Hebungen haben sich in hunderten, auch in sehr schweren 
Fällen gut bewährt. Er fordert strict, dass jedoch nur der Arzt die Hebungen 
vomimmt und überwacht und dass die Kinder nicht Masseusen oder schwedischen 
Gymnasten überlassen werden. Diesem Uebelstande schreibt er einen Theil der 
ungünstigen Resultate zu, den die amerikanischen Orthopäden zum Theil mit 
seiner Uebungsmethode gehabt haben. Zand er-Berlin. 


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Referate. 


Böhm, Zur Behandlung der habituellen Skoliose. Diss. Leipzig, 1904. 

Wenn die vorliegende Arbeit auch für den Orthopäden nichts Neues 
bringt, so wird jeder doch an derselben seine Freude haben, schon der über¬ 
sichtlichen und doch kurzen Art wegen, in der sie geschrieben ist. Sie hebt sich 
weit über den Rahmen der gewöhnlichen Dissertationen hinaus und kann vor 
allen Dingen den praktischen Aerzten zum Studium aufs angelegentlichste 
empfohlen werden, da sie in prägnanter Kürze und Uebersichtlichkeit alles das 
bietet und bringt, was der Arzt namentlich über Prognose und Therapie der 
habituellen Skoliose wissen muss. Verfasser gibt in klarer ausgezeichneter 
Weise den augenblicklichen Stand der Skoliosentherapie wieder, wie er wohl 
von allen Orthopäden heute gebilligt wird. Darauf näher einzugehen, habe 
ich deshalb nicht nötig. Auch er ist der Ansicht, dass bei der Behandlung der 
Skoliose die Gymnastik und Massage die Hauptrolle spielen, dass es aber auch 
Fälle genug gibt, bei denen wir ohne ein Corset nicht auskommen werden. 

B1 e n c k e • Magdeburg. 

Bilhaut (Paris), Scoliose confirm4e. Son traitement rationnel. Annales de 

chir. et d'orthopedie 1904, Nr. 1. 

Bilhaut steht auf dem zweifellos richtigen Standpunkte, dass eine ratio¬ 
nelle Therapie der Skoliose vor allem die Correctur der fehlerhaften Stellung 
der Wirbelsäule zu erstreben hat. Wenn er aber Gymnastik, Massage und 
Elektrotherapie nur für die Nachbehandlung der Patienten, d. h. in der Zeit 
nach der Gipsbehandlung, für zweckmässig hält, so ist dem entschieden zu 
widersprechen. Eine fixirte Skoliose ist nur nach vorhergegangener Mobili¬ 
sation durch gymnastische Uebungen im Gipsverbande zu corrigiren. Dass in 
leichteren Fällen auch ohne redressirende Verbände durch Gymnastik und 
Massage gute Resultate zu erreichen sind, beweist eine vielhundertfache Er¬ 
fahrung. Pfeiffer-Berlin. 

Lamm er s (Köln), Das Gipsbett zur Behandlung der Skoliose und Kyphose. 

Münch, med. W. Nr. 19, 1904. 

Verfasser hat, veranlasst durch die guten Erfolge, die er mit dem Gips¬ 
bett bei Spondylitis erzielte, dasselbe auch bei Skoliose und Kyphose angewandt. 
Er legt es bei event. extendirtem Körper in Bauchlage an; es reicht vom Scheitel 
bis zu den Knieen. Ein System von Bandeisen, das auf dem Bett befestigt ist, 
dient zur Anbringung von Gurten und einer Glissonschen Schlinge und sichert 
den Halt. Der Gurt, der durch einen dem jeweiligen Buckel entgegengesetzt 
liegenden Schlitz gezogen wird — bei Kyphose durch zwei Schlitze — und vom 
an einem queren Bandeisen befestigt wird. Übt, wenn er zugezogen wird, einen 
am Rippenwinkel angreifenden und direct von hinten nach vorn wirkenden 
Druck auf den Buckel aus und bewirkt dadurch sowohl eine Verkleinerung des 
Buckels als auch in Verbindung mit der Extension, die dui*ch Schräglagerang 
einerseits und durch eine Glissonsche Schlinge, die, an einem den Kopf über¬ 
ragenden Bandeisen befestigt, den Kopf fixiert, andererseits erreicht wird, eine 
Aufdrehung der Wirbelsäule um ihre Längsachse. Daneben lässt Verfasser 
fieissig turnen, massieren, elektrisieren. Die Erfolge sind sehr gute. 

A n d r e a e - Berlin. 


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Referate. 


189 


H o k e, A 8tudj of a case of lateral curvature of the spine: A roport on an 

Operation for the deformity. The american joumal of orthopedic surgery 

Nov. 1903. 

VerfaFser beschreibt in seiner Abhandlung eine Reihe von Operationen, 
die er zwecks Redressement einer starken veralteten Skoliose bei einer Patientin 
worgenommen hat. Wenn auch so leicht Niemand in Deutschland den Mut 
haben wird, derartig tiefgreifende Operationen nachzumachen, so ist es doch 
zum Verständnis der ganzen Procedur notwendig, etwas ausführlich darauf ein¬ 
zugehen. 

Es handelt sich um eine 16jährige Patientin mit stark rechtsconvexer 
Dorsalskoliose. Verkrümmung zuerst mit 9 Jahren bemerkt. Vom 10. Jahre 
ab behandelt mit Massage, Gymnastik, Gradhalter. Der Zustand verschlimmerte 
sich immer mehr. Mit 16 Jahren kam Patientin in die Behandlung des Ver¬ 
fassers. Nach langer Uebung wurde durch Correctionsstellung und Muskel- 
anstrengping eine ziemliche Geradehaltung bewirkt, die Patientin für einige 
Minuten innehalten konnte, doch konnte dieselbe wegen der knöchernen Thorax¬ 
deformität und Wirbelkörperdrehung nicht eingehalten werden. Deshalb ent¬ 
schloss sich Verfasser zur Operation. 

Um eine brauchbare Operationsmethode zu finden, machte er zunächst 
Versuche am Cadaver. Er fand hier erst einmal, dass durch Durchschneidung 
der costovertebralen Bänder eine bedeutend grössere Beweglichkeit der Rippen- 
sectoren bewirkt wurde, doch genügte diese nicht, um Rippenbuckel zu be¬ 
seitigen. An einem Thoraxsegment eines Hammelkadavers nahm er nun Durch- 
schneidnngen der Rippen der einen Seite an drei Punkten vor und erhielt so 
eine starke Modellirfähigkeit des Thorax. Diese Erfahrungen Übertrug er auf 
Thierexperimente. An 6 Hunden machte er Versuchsoperationen. Dabei fand 
er die grösste Schwierigkeit in der Auslösung des zu resecirenden Rippen¬ 
stückes aus seinem Periost, ohne die Pleura oder grössere Nerven und Gefässe 
zu verletzen. Er konstruirte sich dann sechs Instrumente: Ein Costotom, eine 
Lochzange und vier verschiedene gebogene Elevatorien resp. Raspatorien. Mit 
seinen so gemachten Erfahrungen und neuen Instrumenten ausgerüstet, ging er 
am 6. December 1902 an die erste Operation bei obiger Patientin. Dieselbe ge¬ 
staltete sich wie folgt. 

Aethemarkose. Patientin liegt auf dem Bauch. Hautschnitt vom fünften 
Wirbel nach aussen etwas unterhalb des Ang. inf. scapulae. Zweiter Schnitt 
reichte vom Ang. inf. scapulae bis zum zwölften Rückenwirbel. Dieses so ge¬ 
bildete Dreieck wurde blossgelegt. Mit den Fingern wurde M. latiss. dorsi und 
trapezius abpräparirt, lange Klemmen an den Trapezius senkrecht zu seinem 
Faserverlauf gelegt und zwischen denselben zwei Zoll weit auseinander gezogen. 
Der Rhomboid. maj. wurde durchschnitten. Durch Zurückziehen der Haut und 
Muskeln und durch nach Vom- und Auswärtsziehen der oberen Extremität wurde 
das Thoraxskelet freigelegt. Die fünfte, sechste, siebente und achte Rippe 
wurden zur Operation aasgewählt, weil dieselben am meisten abgefiacht waren 
und sich am meisten der Gegenrotation widersetzten. Das Periost wurde H förmig 
eingeschnitten und mit den Elevatorien abgehoben. Unter die vom Periost ent- 
blössten Rippentheile Gazestreifen gezogen., die Rippen durch das Costotom 
durchtrennt und schmale Stücke, nach oben und unten kleiner werdend, resecirt. 


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190 


Referate. 


Die Rippenstümpfe wurden durchlocht. Ein Assistent drückte von der 
rechten Seite auf den Rippenbuckeh bis sich die Fragmente übereinander legten. 
So reitend wurden sie durch Silbemaht vereinigt. Das Periost wurde darüber 
genäht. Matrazennaht mit Seide durch die Muskeln. Hautnaht. Gipsverband. 
Dauer der Operation 3 Stunden 30 Minuten. Shock. Patientin erholt sich bis 
zum Abend. Weiterbehandlung mit Gipsverbänden. Resultat kein genügendem, 
deshalb 20. Februar 1903 zweite Operation. Aethemarkose. Patientin liegt anf 
der linken Seite. Es war geplant, je zwei Rippen durch trennungen zu machen 
von der fünften bis zur zehnten Rippe einschliesslich. Hautscbnitt ähnlich wie 
bei der ersten Operation, nur länger. Der M. latis. dorsi wurde fünf Zoll, der 
M. trapezius IV* Zoll quer durchschnitten. Vor der Operation wurde ein Gips¬ 
abguss vom Rücken in vorgebeugter Haltung genommen. Davon wurde ein 
Positivabdruck genommen und über diesen nach Ausfüllen der eingefallenen 
Seite und Modellirung des Rippenbnckels ein Gipsbett gemacht. In diesem 
Gipsbett wrurde Patientin nach vollendeter Operation mit zwölf Rippendurch- 
trennungen hineingelegt und mit demselben eingegipst. Dauer der Operation 
2 Stunden 20 Minuten. Auch durch diese Operation war der Buckel nicht 
gänzlich beseitigt, noch die linke Seite ganz ausgefüllt. Deshalb 26. Juni 1903 
dritte Operation. Aethemarkose. Patientin liegt auf der rechten Seite. Die 
Technik, die Rippen frei zu legen, war dieselbe wie in den vorigen Operationen. 
In dieser dritten Operation wurde die zwölfte Rippe einmal, die elfte zweimal, 
die zehnte dreimal, die neunte dreimal, die achte dreimal, die siebente zweimal, 
letztere beiden nach aussen von der Resectionsstelle bei der ersten Operation 
geknickt resp. durchschnitten. Die Pleura war dabei an einer Stelle durch¬ 
stochen. Dauer der Operation 1 Stunde 40 Minuten. Der Gipsverband wurde 
dann auf einem dazu construirten Rahmen angelegt, auf dem mittels Druck 
durch drei Schrauben, zwei hinten rechts, eine vorn links, der Thorax, der 
jetzt leicht zu modelliren war, hinten flach und vom symmetrisch gebogen 
wurde. Angriffspunkte der Kraft seitlich in Rotationsdmckrichtung. Zehn Tage 
nach der Operation Verbandwechsel. Knöcherne Verheilung, Patientin kann 
sich nach allen Seiten gleichmässig biegen. Nachbehandlung: Gipscorsets in 
vierwöchentlichem Wechsel. Später abnehmbare Corsets, Massage. 

Resultat Aug. 1903. Die Wirbelsäule ist nicht gerade, jedoch gerader 
wie vorher und die Körpemmrisse sind mehr symmetrisch. Wenn die Patientin 
auf dem Bauche gestreckt liegt, ist die Wirbelsäule gerade. Der Körper ist 
noch sehr biegsam, schon durch ganz leichte Kleidung fällt er etwas zusammen, 
Verfasser hält es für unmöglich, solch schwer deformirte Brustkörbe vollständig 
symmetrisch zu machen. Trotzdem will er fortfahren mit blutigen Operationen bei 
Skoliose und denkt die Skoliosentherapie in Zukunft folgendermassen zu gestalten: 

1. Massage und Gymnastik mit dem einzigen Ziel Beweglichkeit der 
Wirbelsäule. 

2. Blutige Operation, wodurch die abgeflachte Seite so viel wie möglich 
zur normalen gestaltet wird und jeder erhebliche Widerstand gegen die Drehung 
der Wirbelkörper aufgehoben wird. 

3. Eine Reihe von Gipsverbänden, wobei der Rippenbuckel als Angriffih 
punkt eines Druckes zur Erhaltung einer Gegenrotation benutzt wird bis zur 
knöchernen Consolidirung der durchtrennten Rippen. 


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Referate. 


191 


4 . Die Krümmungen an den Rippen der prominenten Seite müssen durch 
blutige Operation so viel wie möglich abgeflacht werden. 

5. Eine Reihe Correctivgipsverbände muss angelegt werden, bis die best¬ 
mögliche Correction und knöcherne Vereinigung der Rippen erreicht ist. 

6. Abnehmbares Corset und tägliche Uebungen. 

Verfasser will über weitere Operationen später beriöhten. 

Vülle rs-Dresden. 

Aronheim, Ein Fall von linksseitigem vollständigen congenitalen Defect des 
Musculus cucuUaris und congenitaler Skoliose bei einem SOjährigen 
Manne. Monatsschr. f. ünfallbeilk. Nr. 8, 1904. 

Aronheim beobachtete einen Fall von totalem linksseitigen Defect des 
Musculus cucullaris. Gleichzeitig bestand eine starke Atrophie der Scapula und 
Clavicula derselben Seite und eine hochgradige rechtsconvexe Brustskoliose; die 
Beweglichkeit des linken Armes war fast normal, der Patient konnte seinen 
Beruf als Schlosser in vollem Umfange ausüben. Da irgendwelche nervöse 
Störungen ausgeschlossen werden konnten, hält Aronheim das Leiden für 
congenital. Danach wäre auch die gleichzeitig bestehende Skoliose als con¬ 
genital zu bezeichnen. Pfeiffer-Berlin. 

Stephan, Ueber einen Fall von hochgradiger angeborener Rückgratsverkrüm¬ 
mung bei einem Segelschiffsmatrosen. Monatsschr. f. Unfallheilk.Nr.il, 1903. 
Stephan fand bei einem Segelschiffsmatrosen eine hochgradige seitliche 
Rückgratsverkrümmung, die den Patienten durchaus nicht an der Ausübung 
seines schweren Berufes hinderte. Verfasser hält das Leiden für angeboren, 
ohne die Berechtigung dieser Annahme anders nachzuweisen als durch den Satz: 
,H. kam verwachsen zur Welt.“ Ein Röntgenbild hätte hier vielleicht Klarheit 
gebracht; freilich ist zuzugeben, dass seine Anfertigung bei der Hochgradigkeit 
der Verkrümmung technisch grosse Schwierigkeiten bereitet hätte. 

Pfeif fer-Berlin. 

Sei ff er. Hysterische Skoliose bei Unfallkranken. Charite-Annalen XXVIII. Jahrg. 

Sei ff er beschreibt zwei hierher gehörende Fälle, die beide bei Erwach¬ 
senen mit völlig gesundem Knochen- und Muskelsystem im Anschluss an einen 
geringfügigen Unfall entstanden sind. Im ersten Fall trat die Verkrümmung 
einige Zeit nach einer heftigen Bewegung beim Bücken nach der rechten Seite 
bei einem neuropathisch belasteten 31jährigen Mann auf. Patient steht auf 
dem rechten Bein, Einsattelung der rechten, Tiefstand der linken Hüfte. Die 
rechte Schulter steht tiefer als die linke, starke linksconvexe Dorso-Lumbal- 
skoliose. Dieselbe gleicht sich beim Bücken nach vorn und beim Liegen völlig 
aus. Gaumen- und Rachenreflex schwer auslösbar. Schwanken beim Stehen mit 
geschlossenen Augen und Füssen. Bisherige Behandlung mit orthopädischem 
Corset ohne Erfolg, hypnotische Behandlung verweigert, so dass Patient un- 
geheilt entlassen wurde. Seine Einbusse an Erwerbsfähigkeit betrug 50%. 
Bei dem zweiten Patienten, einem 49jährigen Arbeiter, zeigte sich die Skoliose 
nach einer starken Quetschung des Kreuzes und der rechten Schulter. Patient 
steht auf dem rechten Bein, Einsattelung der rechten Hüfte, links convexe 
Dorso-Lumbalskoliose, Tiefstand der rechten Schulter, Beugung des Oberkörpers 


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192 


Referate. 


Dach rechts. Die VerkrümmoDg gleicht sich beim Bücken und in Bauchlage 
aus. Angeblich heftige Schmerzen in der rechten Schulter, doch ist hier ob- 
jectiv nichts nachweisbar. Dagegen bestand bedeutend erhöhte Pulsfrequenz 
und starke Hyperhidrosis an Händen und Füssen, Störung des Schlafes, depri- 
mirtes, energieloses Wesen. Seiffer nimmt an, dass die Skoliose hier eine 
Folge der (bysterischen) Schulterschmerzen sei. Indem er dann auf die Literatur 
und mehr allgemeine Punkte zu sprechen kommt, gelangt er zu dem Schluss, 
dass die hysterische Skoliose , häufig eine Haltungsanomalie rein psychogener 
Natur ist, durch welche der Patient irgend eine Reihe von krankhaften Auto¬ 
suggestionen zum Ausdruck bringt, sei es, dass dieselben mit der Absicht, einen 
Schmerz zu unterdrücken, verknüpft sind, sei es, dass sie sich unter Einwirkung 
eines lebhaften Afiectes in dieser bestimmten Weise manifestirt haben.* 

Rauenbusch - Berlin. 

Hildebrandt, Ueber hysterische Skoliose. Charite-Annalen XXVHI. Jahrg. 

Hildebrandt theilt zwei von ihm selbst genau beobachtete Fälle von 
hysterischer Skoliose mit, weist auf die Wichtigkeit dieser Erkrankung besonders 
für die ärztliche Unfallbegutachtung hin und gibt einen zusammenfassenden 
üeberblick über die Literatur. Im ersten Falle handelte es sich um einen Un¬ 
fallpatienten, welcher einige Monate nach einem schweren Trauma durch Sturz 
mit einer rechts convexen Cervicodorsal-, links konvexen Lumbodorsalskoliose 
zur Beobachtung kam. Ausserdem bestand Tiefstand der rechten Schulter um 
12 cm, Eopfneigung nach links, brettharte Spannung der Rücken- und Lenden¬ 
muskeln. Keine Torsion, kein Rippenbuckel. Active Bewegungen der Wirbel¬ 
säule angeblich nicht möglich, passive schmerzhaft. Klagen über Schmerz¬ 
haftigkeit und Schwäche der ganzen rechten Körperseite. Ausgesprochene 
Hyperhidrosis rechts. Während des Schlafes schwand der Contractionszustand 
der Muskeln, in Suspension glich sich die Deformität aus. Die paradoxe Con- 
traction der Antagonisten bei Beugung der Wirbelsäule mit Widerstand bewies 
unzweifelhaft, dass der Patient simulirte, das heisst in diesem Falle seine 
Beschwerden stark überhieb. Der zweite Fall betraf ein junges Mädchen, die 
ausser der Skoliose noch zahlreiche andere Contracturen aufwies. Es handelt 
sich bei der hysterischen Skoliose nicht um eine Skoliose in eigentlichem Sinne, 
wie das Fehlen der knöchernen Deformitäten an Wirbeln und Rippen sowie der 
Rotation zeigt, sondern um musculäre oder statische Skoliosen. Die Diagnose 
ist bei Berücksichtigung des plötzlichen Auftretens der oben angeführten Kenn¬ 
zeichen sowie des Allgemeinzustandes meist leicht. Ferner treten häufig Exacer 
bationen und Remissionen ein. Die Therapie muss zugleich orthopädisch und 
psychisch sein, hat aber bei Unfallpatienten häufig keinen Erfolg. 

Rauenbusch - Berlin. 

Kölliker, Zur Verhütung und Behandlung der pleuritischen und empyemati- 

sehen Skoliose. Deutsche med. Wochenschr. 1904, Nr. 17. 

Kölliker bespricht in seiner Arbeit zunächst die Mittel zur Verhütung 
der nach Pleuritis und Empyem auftretenden Thoraxdeformitäten, die für ge¬ 
wöhnlich das Bild einer Skoliose mit compensatorischer Gegenkrümmung zeigen. 
Naturgemäss wird die Ausbildung einer solchen Skoliose am besten durch 
rasche Ausheilung des Grundleidens verhindert. Das geschieht am besten durch 1 


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Referate. 


193 


möglichst frühzeitige Function resp. Rippenresection. Wenn sich trotzdem 
eine Skoliose ausbildet, so muss ihre Behandlung sofort einsetzen, falls Aus¬ 
sicht auf völlige Genesung vorhanden sein soll. Die in Frage kommende 
Therapie besteht in Gymnastik und im Anlegen passender Stützapparate. 
Krstere erstrebt vor allem die Ausdehnung der geschrumpften Thoraxseite. Zu 
diesem Zwecke benützt Kölliker einen Apparat zur Selbstsuspension mit ver¬ 
stellbaren Handhaben. Die der kranken Seite entsprechende Handhabe wird so 
gestellt, dass sie nur mit erhobenem Arm erreichbar ist, diejenige für die 
convexe Seite der Skoliose so tief, dass der Patient nach unten greifen muss, 
um sie zu erreichen. Durch einen elastischen Gurt, der gegen die Convexität 
der Skoliose angezogen wird, kann die Wirkung dieses Apparates noch ver¬ 
stärkt werden. Gleichfalls in redressirendem Sinne wirkt der anzulegende Stütz¬ 
apparat, der aus einem modificirten Hessingcorsett besteht; auch hier übt ein 
elastischer Gurt einen ständigen Druck auf die convexe Thoraxseite aus, während 
die Schulter der erkrankten Seite durch eine Achselkrücke gehoben wird. Durch 
diese Behandlungsweise gelang es Kölliker noch in der Entwickelung be¬ 
griffene pleuritische und empyematische Skoliosen vollkommen auszuheilen und 
ausgebildete bedeutend zu bessern. Pfeiffer-Berlin. 

Aron heim. Ein Fall von vollständigem erworbenen Schwund des linken Mus- 

culus cucullaris und pathologischer Skoliose bei einer 26jährigen Frau. 

Monatsschr. f. Unfallheilkunde 1904, 6. 

Aronheim bringt einen neuen Beitrag zur Casuistik des so seltenen 
Defectes des Musculus cucullaris mit pathologischer Skoliose bei einer 20jährigen 
Frau, bei der bis zur Pubertät weder seitens der Angehörigen noch seitens der 
Patientin selbst irgend eine Anomalie an den Weichtheilen oder dem Skelet 
beobachtet worden war. Verfasser schliesst deshalb einen congenitalen Defect 
aus; für ihn kommt nur die rein myopathische Affection, die Dystrophia muscu- 
laris bezw. die Erb sehe Dystrophia muscularis juvenilis in Frage, die besonders 
häufig bei Mädchen im Pubertätsalter auftritt und mit Vorliebe die Muskeln 
der Schultern und oberen Extremität befällt. Die vorhandene rechtsconvexe 
Skoliose sieht er als secundäre Erscheinung an, bedingt durch die pathologische 
Veränderung der linken Seite, die Myopathie und consecutive vermehrte Thätig- 
keit der Musculatur der rechten Schulter und der oberen Extremität. Die Skoliose 
war nicht mehr mobil, glich sich beim Beugen nicht aus und war deshalb 
therapeutischen Eingriffen unzugänglich. Blencke-Magdeburg. 

Marcus, Zur Aetiologie der Entspannungsskoliose. Monatsschr. f. Unfallheil¬ 
kunde 1904, 6. 

Die beiden Fälle, von denen der Verfasser die Krankengeschichten wieder- 
g-ibt, wurden ihm mit der Diagnose Scoliosis ischiadica zugeschickt. In beiden 
führten die Patienten ihre Erkrankung mit voller Bestimmtheit aut eine Ver¬ 
letzung zurück und in beiden war das Krankheitsbild durch eine Kyphose com- 
plicirt, deren Entstehung nach des Verfassers Ansicht mit hoher Wahrschein¬ 
lichkeit auf eine Verletzung zurückzu führen war. Da aber diese starke und 
schmerzhafte Kyphose nicht in das Bild der Entspannungsskoliose passt, so ver- 
Zeitschrift fUr orthopädische Chirurgie. Xlll. Bd. 13 


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Referate. 


muthet Verfasser, dass es sich in den Fällen um zwei verschiedene gleichzeitig 
neben einander laufende Krankheitsprooesse handelt. Die Kyphosen erinnern 
an das bekannte Krankheitsbild, wie es im Anschluss an Verletzungen der 
Wirbelsäule zu entstehen pflegt. Es kann sich um eine Contusion der Zwischen* 
wirbelscheiben gebandelt haben. Als Gegenstück zu diesen beiden Fällen führt 
Marcus noch einen Fall an, der als eine Entspannungsskoliose anfzufassen ist 
und der natürlich eine viel günstigere Prognose bietet als jene beiden erst er¬ 
wähnten. B len cke-Magdeburg. 

Ehret, Weitere Beiträge zur Lehre der Skoliose nach Ischias. Mittheilungen 
aus den Grenzgebieten der Medicin und Chirurgie, Bd. XIII, 1, 1904. 
Verfasser sucht auf Grund weiterer Beobachtungen in dieser Arbeit zu 
beweisen, dass seine Ansicht, die er schon in einer früheren Arbeit vertreten 
hat, die richtige sei, dass nämlich die Entstehung der bei und nach Ischias so 
häuflg auftretenden Skoliose auf eine eigenthümliche Stellung des erkrankten 
Beines zurückzuführen ist, die er Selbsthilfestellung nennt. Dieselbe besteht im 
wesentlichen in Abduction, Flexion im Hüftgelenk und Rotation nach aussen, 
dazu gesellt sich noch eine leichte Flexion im Kniegelenk. In der secundären 
Beckensenkung ist dann die Ursache der seitlichen Verbiegung der Wirbelsäule 
zu suchen. Für die statisch-mechanische Entstehung der Skoliose spricht ihre 
Beeinflussbarkeit durch künstliche Verlängerung des Beines, sobald die die 
Beinstellung bedingende Schmerzhaftigkeit im N. ischiadicus geschwunden ist. 
Zur weiteren Stütze dieser Theorie führt Ehret zwei eigenartige Fälle an, die 
er zu beobachten Gelegenheit hatte: In dem einen Falle wurde durch eine an 
und für sich nicht bedeutende Verkürzung eines Beines infolge einer Fractur 
des kranken Beins, die nie eine Skoliose veranlasst haben würde, eine ganz 
mächtige Skoliose hervorgebracht, wie sie bei derartigen Fällen von Ischias 
wohl kaum gesehen wurde. In dem zweiten Falle wurde ein infolge Bein¬ 
verkürzung bestehende Skoliose durch eine das andere Bein befallende Ischias 
einfach zum Verschwinden gebracht. Was nun die anderen Formen der Skoliose, 
die homologen und alternirenden anlangt, so werden diese durch besondere 
Verhältnisse bedingt, die mit der eigentlichen Ischias nichts zu thun haben, 
die aber die primäre Stellung des Beines oder die secundäre Stellung des 
Beckens in dem einen oder anderen Punkt beeinflussen. Ich kann auf diese 
Verhältnisse nicht näher eingehen, da es mich zu weit führen und den Rahmen 
eines kurzen Referates weit überschreiten würde. Ich muss deshalb auf das 
Original verweisen, das ich nicht genug denen empfehlen kann, die sich für 
dieses Thema interessiren. Auf 100 Fälle von Ischias rechnet Ehret 70— SO, 
bei denen Verbiegungen zu constatiren sind. Die heftigsten Ischiasfälle machen 
nicht immer die hochgradigsten Skoliosen. In 5 Fällen heftigster acuter Ischias, 
die zum Theil während des Krankenlagers eine ausgesprochene Selbsthilfe¬ 
stellung des erkrankten Beines zeigten, sah Ehret sich keine Skoliose entwickeln. 
Bezüglich der Therapie rieth Ehret zunächst möglichst lange Bettruhe an. 
Wo diese nicht durchführbar ist, ist der Gebrauch der Krücken für jeden 
ernsteren Fall dringend zu empfehlen. Ferner soll man die Selbsthilfestellung 
zu beseitigen suchen durch einen fixirenden Verband. Verfa^er hat letzteren 
in 14 Fällen angewendet und in keinem dieser Fälle eine hochgradigere Skoliose 


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Referate. 


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gesehen. Der Verband, der am besten aus Wasserglas herzustellen ist, bleibt 
mindestens zehn Tage liegen, selten länger wie drei Wochen, wird dann ab- 
nelimbar gemacht und allmählich immer längere Zeit entfernt. 

B1 e n c k e - Ma gdeburg. 

Arnold, lieber Scoliosis ischiadica. Inaug.-Diss. Erlangen 1903. 

Verfasser bespricht die bisher bekannten Formen der Scoliosis ischiadica 
und bringt ausführlich eine eigene Krankengeschichte dieser Affection. Es 
bandelt sich um eine heterologe Skoliose mit leichter Kyphose im Lenden- und 
geringer Lordose im oberen Brusttheile. Die Nervenaffection ist auch auf den 
Plexus sacrolumbalis übergegangen, und zwar auf die hinteren Aeste des¬ 
selben. Verfasser bespricht dann die mannigfaltigen Theorien, welche das 
Zustandekommen der verschiedenen Formen der Scoliosis ischiadica zu erklären 
suchen, und glaubt, für seinen Fall die heterologe Skoliose theils mit einer Ent¬ 
lastungshaltung, theils durch die Insufficienz der Musculatur der kranken Seite, 
und besonders durch den krampfartigen Contractionszustand der gesunden 
Antagonisten erklären zu können. 

Der Ansicht SchüdeTs, Higier’s, Fischer-Schönwald’s, Sachs’, 
Vulpius’, welche eine skoliotische Verkrümmung der Wirbelsäule mit seitlicher 
Verschiebung des Rumpfes nur bei üebergreifen des Entzündungsprocesses auf 
höher gelegene Nervenbahnen, besonders auf den Plexus lumbosacralis für 
möglich halten, räumt Verfasser auch auf Grund seines Falles ausgedehnte 
Bedeutung ein. Wollen berg-Berlin. 

M ö hr in g, Ueber die ambulante Behandlung der Wirbeltuberculose und Heilung 

des tuberculösen Buckels. Wiener med. Wochenschr. 1904, Nr. 13 u. 14. 

Nach Möbring soll eine rationelle Behandlung der Spondylitis jetzt nicht 
mehr eine Streckbehandlung, sondern eine Druckbehandlung mit allmählicher 
Steigerung sein und wird ausser bei Lähmungen ambulant, ohne Bettruhe durch- 
geführt; nur bei der Halswirbeltuberculose wird die Streckbehandlung ange¬ 
wendet. 

Möhring ist der Ansicht, dass es möglich ist, jede Buckelbildung zu ver¬ 
hüten und legt bei der Diagnosenstellung grosses Gewicht auf die Beachtung 
manchmal ganz unklarer Beschwerden, z. B. unklarer hartnäckiger Verdauungs- 
beschwerden bei Kindern. 

Die Technik des Verfahrens wird durch das Alter des Patienten, den 
Entwickelungsgrad der Tuberculose und die Grösse des bereits gebildeten Buckels 
bestimmt. 

Bei kleinen Kindern, die noch nicht laufen, verwendet Möhring eine 
dem Lorenz’schen Gipsbett ähnliche Halbrinne, in der die Schultern durch 
Gurte möglichst nach hinten gehalten werden. Bei etwas älteren Kindern 
wendet Möhring bei starker Rückwärtsbeugelage in floriden Fällen das Gips- 
corset an unter Anwendung des Druckes vorwiegend auf die seitlichen Partien; 
die Schultern werden gut nach hinten gezogen. Das Corset reicht bis Schulter¬ 
höhe. Möglichst bald wird zum abnehmbaren Corset übergegangen. Möhring 
verwendet das Waltuch’sche Holzcorset, das hinten durch eine Slahlschiene 
verstärkt wird. Der Druck wird nun allmählich verstärkt durch allmählich 
erhöhte Druckpolster aus Filz und eventuelles Nach biegen des Stahlstabes im 


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Referate. 


Rücken. Für die Nacht ist der Körper möglichst hohl zu legen mit tief herab¬ 
hängendem Kopfe. 

Energischer geht Möhring bei schon fortgeschrittener oder vollendeter 
Heilung vor. Er führt in diesen Fällen eine regelrechte orthopädische Tum- 
und Streckbehandlung durch; bei erzielter Streckfähigkeit erfolgt Eingipsung 
in möglichst verbesserter Stellung entweder auf dem von Möhring construirten 
Gurtenmhmen oder im senkrechten Streckrahmen mit Querzügen, eventuell im 
Wullstein’schen Apparat. Durch queres Einschneiden des Gipsverbandes vom 
und seitlich wird durch Druck und Zug allmählich eine weitere Correctur des 
Gibbus angestrebt. Möhring hatte hierbei keinen üblen Zufall zu beklagen. 

Zum Schluss verwendet Möhring einen Stützapparat aus Stahlstangen, 
der den Körper nur am Becken, Schultern und an der Rückenwölbung angreift: 
es ist nicht mehr Schutz vor jeder Bewegung, sondern nur kräftiger, steigerungs 
fähiger Druck nothwendig. Die Druckstütze besteht aus einem das Becken 
unverschieblich umfassenden Beckengürtel, zwei Rückenstäben, die zu beiden 
Seiten der Domfortsätze verlaufen, und einem Rückenquerstück, das durch die 
Achseln vom um die Schultern herumläuft; dieser Theil wird aus einem Stuck und 
unverstellbar gearbeitet. Rückenstütze und Beckengürtel sind verstellbar. Durch 
das fortschreitende Ausbiegen der gepolsterten Rückenstäbe erfolgt die Gerad- 
richtung des Körpers. Für die Nacht verwendet Möhring eine Längsrinne 
mit entsprechend erhöhten Polstern. Grosse Vorsicht ist beim Ausziehen de> 
Corsets nöthig; der Körper mu.s8 hierbei in möglichster Rückwärtsbeugung ge¬ 
lagert werden. 

Möhring spricht sich gegen die Verwendung des Hessing'schenCorsets 
bei der Behandlung der Spondylitis aus, da es nur ein Streckcorset ist. 

Bei Halswirbeltuberculose wird mit der Dmckstütze noch eine Kopfstütze 
verbunden; der Stützpunkt muss immer am Becken sein. Die Kopfstütze be¬ 
steht aus einer nach Modell gearbeiteten Celluloidschale, die von einem starken 
Stahlstab getragen wird; dieser steckt in einer Hülse, die durch eine Feder 
elastisch gehoben wird. Die Grenze für die Anwendung der Kopfstütze sieht 
Möhring in der Localisation im zweiten Brustwirbel. Haudek-Wien. 

Melborn (Marienthal), Die in der kgl. Chirurg. Klinik zu Kiel in den Jahren 

1899 bis 1. Juli 1903 behandelten Fälle von Spondylitis tuberculosa mit 

besonderer Berücksichtigung der Endergebnisse. Inaug. Diss. Kiel 1903. 

Statistik über 71 an Spondylitis tub. behandelte Fälle. Davon sind nach¬ 
untersucht 72^0 (36 Männer, 35 Frauen). Ihr Alter beträgt 1—72 Jahre. 

Laminektomirt wurden 8, davon sind: 1 völlig geheilt, gebessert 2, un 
geheilt 1, gestorben 4. 

Ohne Gibbus waren nur 5 Fälle (2 gestorben), mit Senkungsabscessen 23 
(6 gestorben). 

Die Fälle mit Compression waren nie mit Senkungsabscessen verbunden, 
trotz Vorhandensein von Eitersacken neben der Wirbelsäule. Die Compression 
ist also vielleicht eine Folge des Druckes des nicht abfliessenden Eiters. In den 
meisten Fällen (43) war der Sitz der Erkrankung der Brusttheil der Wirbelsäule. 

Dauererfolge: 13 Fälle; 8 sind ganz gesund, 5 arbeiten ohne oder troU 
Fisteln. Der eine geheilte Fall ist der laminektomirte, der andere betrifft einen 


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Referate. 


197 


Patienten, der lange mit Wasser behandelt wurde, welcher Therapie Verf. den 
erzielten Erfolg zuschreibt(!). Hill er-Berlin. 

Saxl, Ueber einen Fall von Compressionsmjelitis der Wirbelsäule bei Wirbel- 

caries. Arbeiten aus dem neurologischen Institut in Wien. 1904, Heft 6. 

Saxl bringt die Krankengeschichte und den histologischen Befund eines 
Falles von Compressionsmyelitis der Wirbelsäule bei Wirbel caries. Die Diagnose 
konnte erst bei der Section gestellt werden, die eine Spontanfi-actur der Wirbel¬ 
säule mit Abquetschung des Rückenmarkes und rother Erweichung desselben in 
der Ausdehnung des letzten Hals- und ersten Brustwirbels ergab. Besonders 
interessant an dem histologischen Befunde ist eine Degeneration in den hinteren 
Wurzeln des Lendenmarkes, die wohl das anatomische Substrat für das in diesem 
Falle beobachtete Fehlen der Patellarreflexe ist. Für eine weitere Ursache dieser 
Erscheinung hält Saxl den durch Zerquetschung des Rückenmarkes bedingten 
Shok; eine vollkommene Querläsion bestand nämlich nicht. 

Pfeiffer-Berlin. 

Neuma^in, Ueber syphilitische Erkrankung der Wirbelsäule. Wiener med. 

Presse 1904, 1. 

Bei syphilitischen Erkrankungen der Wirbelsäule liegen Verwechselungen 
mit tuberculöser Wirbelcaries sehr nahe nach des Verf .’s Ansicht, der zunächst 
eine kurze Skizze aus der Literatur über diesen Gegenstand gibt, aus der her¬ 
vorgeht, dass die überwiegende Mehrzahl der Fälle luetischer Spondylitis die 
Halswirbelsäule betrifft und zwar vorwiegend die drei ersten Halswirbel und 
in den meisten Fällen den Proc. odontoideus des Epistropheus. Neumann 
theilt die Krankengeschichte eines Falles mit, der 11 Jahre lang mit kurzen 
Intervallen in beständiger Behandlung war. 8 Jahre nach der Infection ent¬ 
wickelte sich am Grunde eines gummösen Geschwürs der hinteren Rachenwand 
eine Periostitis an der Vorderseite der Wirbelkörper des 3. u. 4. Halswirbels. 
Der Process führte unter zunehmenden Beschwerden, Steifheit des Halses, 
Schmerzen im Hinterhaupt, Ankylostoma und Schlingbeschwerden zur phleg¬ 
monösen Entzündung mit consecutiver Zerstörung der Bandscheibe zwischen 
3. u. 4. Halswirbel mit Luxation. Im letzten Monate vor dem Tode trat unter 
täglichen Fiebersteigerungen der phlegmonöse Eiterungsprocess ein, der auch 
den Tod herbeiführte. Die 3 Jahre vor dem Tode unmittelbar im Anschluss 
an das Rachengumma aufgetretene Usurirung des Periostes war syphilitischer 
Natur, während der im letzten Monate vor dem Tode sich entwickelnde Eite- 
iningsprocess das Resultat einer Mischinfection war. Einschliesslich dieses Falles 
konnte Neu mann 36 Beobachtungen über luetische Affectionen der Halswirbel¬ 
säule zusammenstellen und fand, dass diese in den meisten Fällen vom Periost 
der vorderen Seite der Wirbelkörper ihren Ausgang nehmen, welches am 
Grunde eines exulcerirten Rachengumma blossgelegt wird. Von hier greift der 
Process auf den Wirbelkörper, eventuell auch auf die Dom- und Querfortsätze 
über und führt zur Nekrose derselben. In selteneren Fällen erkranken die Dorn¬ 
oder Querfortsätze primär und es kann zur Exostosenbildung kommen. Die 
meisten dieser Affectionen können durch eine rechtzeitige ausreichende anti¬ 
luetische Behandlung geheilt werden. Blencke-Magdeburg. 


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Referate. 


ünverricht, Ueber die ankylosirende Wirbelsäulenentzünduog. Vortrag in 
der med. Gesellschaft zu Magdeburg am 11. Februar 1904. 

Der Vortragende geht zunächst auf die Geschichte, Symptomatologie und 
pathologische Anatomie des Leidens ein und bespricht in ausführlicher Weise 
die von den einzelnen bekannten Autoren beschriebenen Typen. Er ist nut 
Grund der gemachten Erfahrungen zu der Ansicht gekommen, dass eine spe- 
cifische, in klinischer und anatomischer Hinsicht scharf charakterisirte Erkran¬ 
kung nicht vorliegt, sondern dass ätiologisch sehr verschiedenartige Processe zu 
einer Versteifung der Wirbelsäule führen können. Seiner Meinung nach eii* 
stiren zwischen den bestimmten Typen so viele üebergangsformen, dass keine 
Grenzen zu ziehen sind. 

Im Anschluss an diesen Vortrag stellt ünverricht einen Fall vor, der 
ohne jede nachweisbare Ursache schon in frühester Jugend entstand. Die auf- 
genommenen Röntgenbilder Hessen genau erkennen, dass die Zwischenwirbel¬ 
scheiben keine gröberen Veränderungen zeigten. Auch von irgend welcher 
Spangenbildung oder deformirenden Processen war nichts zu erkennen, ünver¬ 
richt denkt deshalb an eine Erkrankung des Bandapparates. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Niedner, Ueber die der chronischen ankylosirenden WirbelsäulenentzQndung 
zu Grunde liegenden anatomisch-pathologischen Verhältnisse. Charite 
Annalen, XXVIII. Jahrg. 

Niedner trennt mit der Mehrzahl der Autoren das in Frage stehende 
Krankheitsbild von der Spondylitis deformans, tritt aber unter Hinweis aui 
einen schon früher veröffentlichten anatomischen Befund von sog. Marie- 
Strümpel Tscher Erkrankung und Mittheilung eines Röntgenbefundes bei einem 
unzweifelhaft dem Bechterew’schen Typus angehörenden Fall für die Identität 
dieser beiden Formen ein, indem er die Röntgenuntersuchung für einen voll¬ 
kommenen Ersatz der Section in diesbezüglichen Fällen erklärt^ Bei dem 
Patienten bestand eine vollständige Versteifung der Lenden-, Brust- und unteren 
Halswirbelsäule, die, oben beginnend, nach unten fortgeschritten war, Ausgleichung 
der Lendenlordose, starke Brustkyphose, Atrophie der Rückenmuskeln, völlig 
intacte Sensibilität und Beweglichkeit der Extremitätengelenke. Im Röntgen¬ 
bilde zeigte sich knöcherne Verbindung der fünf unteren Halswirbel und der 
Brust- und Lendenwirbel, Verknöcherung der Ligg. interspin. Die Region der 
Zwischenwirbelscheiben überall erkennbar, wenn auch undeutlich, in der Lenden¬ 
wirbelsäule sehr hoch. Dieser Befund deckte sich fast wörtlich mit dem früher 
erhobenen, der durch Autopsie bestätigt wurde. Rauenbusch-Berlin. 

Simmonds, Ueber Spondylitis deformans und ankylosirende Spondylitis. Fort¬ 
schritte auf dem Gebiet der Röntgenstrahlen VII, 2. 

Simmonds weist auf die Verschiedenheiten der Ansichten über die 
scharfe Trennung zwischen den von Bechterew, von Strümpell und von 
Pierre Marie beschriebenen, mit Steifigkeit und bestimmten Deformitäten ver¬ 
bundenen Wirbelsäulenerkrankungen hin. Die Zahl der klinisch festgestellten 
und anatomisch genau untersuchten Fälle ist eine kleine. Seine Untersuchungen 
erstrecken sich auf über 300 Fälle von Spondylitis deformans und suchen fest- 


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Referate. 


199 


zustellen, welche Veränderungen der Wirbelsäule charakteristisch für diese Er¬ 
krankung sind und welche Formen der Wirbelsteifigkeit von der deformirenden 
Spondylitis anatomisch sich trennen lassen. Die Betrachtung des frischen Prä* 
parates und vor allem die Benützung der Röntgenstrahlen ist von weitgehender 
Bedeutung. Er stellt fest, dass die Spondylitis deformans besonders bei Männern 
jenseits von 50 Jahren eine häufig featzustellende Veränderung darstellt. Aus¬ 
nahmslos bleiben die Bandscheiben erhalten, doch geben Veränderungen der 
Elasticität dieser, nach Rokitanski gewissermassen als Puffer wirkenden Ge¬ 
bilde den ersten Anstoss zu Exostosenbildungen, welche die Zwischenräume 
zwischen den einzelnen Wirbeln überbrücken und dieselben knöchern mit ein¬ 
ander vereinigen können, wobei dann die Spongiosabälkchen ein einheitliches 
System bilden und sich zu bogenförmigen Zügen anordnen. Neben diesen für 
die Spondylitis deformans charakteristischen Veränderungen können auch die 
kleinen Wirbelgelenke betroffen werden. Die Wirbelkörper sind verkleinert, 
vorn abgeflacht und rareflcirt, wodurch erhebliche Kyphosenbildung eintreten 
kann. Am häufigsten sind die Brustwirbel, meist rechts stärker als links, be¬ 
troffen. Ausser dieser Form kommen noch andere Fälle von generalisirter Ver¬ 
steifung Wirbelsäule vor, welche durch das fast völlige Fehlen der Ex¬ 
ostosenbildung, durch Ankylosirung aller befallenen Gelenke, sowie durch die 
ausschliessliche Betheiligung des gesamten Bandapparates an der Verknöcherung 
charakterisirt ist. Die Wirbelsäule ist völlig starr und kyphotisch verbogen, 
die Bandscheiben sind erhalten. Combinationen beider Formen kommen vor, 
doch entsteht die Ankylose bei der Spondylitis deformans vorwiegend durch 
osteogene Synostose, bei der ankylosirenden Spondylitis dagegen durch syndesmo- 
gene Synostose. R au enbusch-Berlin. 

Fraenkel, lieber chronische, ankylosirende Wirbelsäulen Versteifung. Fort¬ 
schritte auf dem Gebiet der Röntgenstrahlen VII. 2. 

Fraenkel will in dieser Arbeit untersuchen, ob man berechtigt ist, die 
beiden als Bechterewaschen und Strümpell-Marie’schen bezeichneten 
Krankheitstypen von einander zu trennen und als selbständige Krankheitsformen 
aufzufasseo. Nach einem kurzen Ueberblick über die einschlägige Literatur 
beschreibt er 4 hierher gehörige, klinisch und anatomisch genau untersuchte 
Fälle und kommt ebenso wie mehrere andere Forscher zu dem Schluss, dass 
diese Trennung nicht festzuhalten ist, da nicht bei einem einzigen der von ihm 
mitgetheilten Fälle die Gesammtheit oder auch nur die Mehrheit der für die 
beiden Typen aufgestellten Symptome vorhanden war. Auch der Begriff der 
traumatischen Spondylitis (KümmeTsche Krankheit) ist nach Ansicht Fraenkel's 
fallen zu lassen, zumal auch Kümmel selbst sich überzeugt habe, dass das 
Krankheitsbild durch eine directe Fractur, nicht durch entzündliche, zur Er¬ 
weichung führende und traumatisch ausgelöste Vorgänge bedingt sei. Das 
Trauma spielt auch in der Aetiologie der chronischen, ankylosirenden Wirbel- 
säalenversteifung, welchen Sammelnamen er für die bisher getrennten Krank¬ 
heitsbilder vorschlägt, eine wichtige Rolle, und zwar entweder als einmalige 
schwere Verletzung oder in Form oft wiederholter geringfügiger Erschütterungen. 
Hinzu kommen noch rheumatische Erkrankungen, Lues und Gonorrhoe. Zur 
Bestimmung der zu Grunde liegenden pathologisch anatomischen Processe genügt 


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Referate. 


nicht die Untersuchung^ des macerirten Knochens, sondern ist die Betrachtung 
des frischen Präparates unbedingt erforderlich, sowie auch das Röntgenverfabren 
mit Yortheil heranzuziehen. Dabei stellt es sich heraus, dass charakteristisch 
und in allen Fällen vorhanden nur die an den Gelenkverbindungen der Pro¬ 
cessus articulares sich abspielenden, zur Ankylosenbildung führenden Processe 
sind, nicht die Bildung von Enochenspangen und die Verknöcherung der Bänder. 

Auch das Verhalten der Bandscheiben wechselt, da dieselben häufig 
normal sind, in anderen Fällen sich mürbe und brüchig zeigen, eventuell sogar 
ganz fehlen können, so dass die Wirbelkörpcr synostotisch mit einander ?er- 
bunden sind. Sonst verhalten sich die Letzteren in ihrer Foim und in ihrer 
Architektur völlig normal. Einen weiteren charakteristischen Befund bilden die 
in einer Zerstörung des Gelenkknoi-pels bestehenden Veränderungen der Rippen- 
wirbelgelenke, die man als eine Arthritis chronica ankylopoetica bezeichnen 
muss, wie auch Strümpell schon rein auf Grund klinischer Erscheinungen 
annahm. Gegen eine Identifizirung mit der Arthritis deformans spricht die 
wohlerhaltene Form der Wirbelkörper und die hervorragende Erkrankung der 
kleinen Gelenke, die bei der Arthritis deformans meist frei bleiben, während die 
Form der Wirbelkörper immer hochgradig verändert ist. 

Rauenbusch' Berlin. 

G 0 n d e 8 e n - Flensburg, Beobachtungen über den Heilungsverlauf der seit dem 
Jahre 1900 in der Kieler chirurg. Klinik behandelten Fälle von Wir¬ 
belbrüchen. Inaug.-Diss. Kiel 1908. 

Statistik über 43 Fälle von Wirbelfracturen, und zwar darunter 7 Frac- 
turen der Halswirbelsäule, 12 der Brustwirbelsäule, 5 der Lendenwirbelsäule. 
17 Fälle wiesen Markläsionen auf. 10 dieser Fälle endeten tödtlich, 7 blieben 
am Leben, aber mit grossen Beschwerden. Die anderen 26 sind nach Extensions¬ 
behandlung mittelst Gipscorsets ziemlich beschwerdefrei. In den 26 letztgenannten 
Fällen war die Ursache meistens eine indirecte Gewalteinwirkung. Bei manchen 
derselben nimmt Verf. eine gewisse Prädisposition an. Als solche prädisponirende 
Momente führt Hoffa an: Ankylosen der Wirbelkörper, Osteoporosis senilis, 
Lues, Tumoren, Arthritis deform. Die Diagnose war meist leicht zu stellen aus 
den bekannten Symptomen. Nur selten war die Diagnose erschwert. In 2 Fällen 
konnte die Diagnose erst nachträglich gestellt werden. 

Wichtig ist eine frühzeitige Diagnose zur Vermeidung von durch un¬ 
vorsichtiges Untersuchen hervorgerufenen Markläsionen. 

Zur Therapie ist eine Entlastung der Wirbelsäule nothwendig (Glisson- 
sche Schwebe, Hochstellen des Bettkopfes, Gegenzug an den Beinen und Becken¬ 
gürtel). 

Die Kyphose kann durch Unterlegen eines Spreukissens allmählich aus¬ 
geglichen werden. Nach 6—8 Wochen Hängeübungen in der Glissonschwebe. 
Dann Gipscorset. Später leichter Stützapparat für jahrelangen Gebrauch. Aber 
es traten später in fast allen Fällen Beschwerden auf. Von den 20 nachunter¬ 
suchten Fällen des Verfassers ist nur ein einziger dauernd beschwerdefrei 
geblieben. Diese Beschwerden bestanden in Druck- und Stauchungsschmerz, 
Schmerzen beim Bücken und Heben von Gegenständen, Störungen der Motihtät 
und Sensibilität. 


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Referate. 


201 


Meist entstehen bei der Heilung der Wirbelbrüche partielle Ankylosen. 
Manche Fracturen verlaufen fast symptomlos. nach König, Heidenheim u. A. 
bandelt es sich hierbei vielleicht um durch Osteoporose oder Halisterese her- 
beigeführte Wirbelkörperfracturen. Dieser Vorgang heisst «Spondylitis trau¬ 
matica* und ist durch Folgendes chorakterisirt: Zunächst nach der Verletzung 
scheinbare Heilung und Aufhören der Beschwerden. Dann aber Schmerzen und 
Fun^ionsbehinderungen der Wirbelsäule, Druck- und Stauchungsschmerz an der 
alted Stelle der Wirbelsäule. Ausbildung einer bogenförmigen Kyphose. 
Niemals Eiter- und Senkungsabscessbildung und niemals erkrankt nur ein 
Wirbelkörper, wie bei der tub. Spondylitis. Der Process ist progredient, seine 
Prognose zweifelhaft. Verfasser verfügt über 8 solche Fälle. Nach Sick sind 
die Wirbelfracturen Gelenkbrüche, die meisten Erscheinungen lassen sich zwang¬ 
los als Arthritis chron. oder deform, der Nachbargelenke deuten. 

Im zweiten Theil seiner Arbeit behandelt Verf. die Fälle mit Rücken¬ 
marksverletzung. Es sind 17 Fälle. Bei 4 Fällen kurze Zeit nach der Ver¬ 
letzung Exitus letalis; bei 3 Fällen erfolgte er nach längerem Krankenlager, 
die übrigen verstarben nach längerem Siechthum, nachdem sie gebessert die 
Klinik verlassen hatten. 

Die Markverletzung entsteht entweder durch eine Blutung in den Wirbel- 
kanal oder durch Compression des Markes. Die Compression kann kurzdauernd 
sein und bietet eine gute Prognose, oder sie ist langdauemd oder stellt sogar 
eine völlige Durchquetschung des Markes dar. Die Lähmungen treten mitunter 
erst längere Zeit post Trauma auf, bedingt durch Dislocation der Fragmente 
oder ein länger dauerndes Hämatom. 

In einem Falle liess der Symptomencomplex auf eine Verletzung der 
Cauda equina schliessen: Blasen- und Mastdarmlähmung, Anästhesie an Darm, 
Genitalien und Hinterfläche der Oberschenkel (Hoflfa). Sonst fanden sich bei 
den verschiedenen Fällen verschiedene sensible und motorische Lähmungen, aus 
denen man auf den Sitz der Markverletzung schliessen konnte. Bei einem Falle 
entstand Priapismus nach Verletzung der Halsanschwellung (vasomotorische 
Lähmung). — Prognose dieser so complicirten Fracturen ist schlecht, wie bereits 
aus der oben gegebenen üebersicht hervorgeht. 

Die Therapie vermeidet unnütze Manipulationen, durch die die Dislocation 
und die Markverletzung noch vergrössert wird, und bringt Extension in Anwendung. 

Bei dieser Therapie sind von 17 Fällen 10 gestorben, 7 gebessert worden. 

Wichtig ist es, den Decubitus und die Cystitis zu vermeiden. Ersteres 
bewirken oft Salbenverbände, letzteres möglichst seltenes Katheterisiren. In 
Bezug auf die Unfallrente ist nach Heidenheim Vollrente oft für mehrere 
Jahre am Platz, damit die Patienten später um so arbeitsfähiger werden. 
Ausserdem lässt man so lange wie möglich Stützapparate tragen. Für Prognose 
und Therapie sind aber stets von Wichtigkeit: Aller, Constitution und andere 
Momente. H i 11 e r - Berlin. 

O tz. Experimentelle Untersuchungen zur Genese der Sternumfractur bei Wirbel¬ 
fracturen. Deutsche Zeitschrift für Chirurgie 72, S. 387. 

Die aus der Berner chirurgischen Klinik hervorgegangene Arbeit, die mit 
ein- und ausleitenden Bemerkungen Kochers versehen ist, sucht experimentell 


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202 


Referate. 


zu ergründen, wodurch die Brustbeinfractur zu Stande kommt, welche die 
Brüche der Wirbelsäule in ihrer oberen Hälfte so regelmässig begleitet. Die 
Fracturen der Wirbelsäule wurden an Leichen hervorgerufen dadurch, dass auf 
den vorgebeugten Kopf einer in sitzender Stellung fixirten Leiche ein 50 kg 
schweres Gewicht aus verschiedenen Höhen niederfiel, wobei der Kopf vor 
directer Verletzung durch ein Spreukissen geschützt war. Die Kinn- und Rippen- 
Wirkung wurde theils beibehalten, theils durch Resection resp. ünterpolstenmg 
des Kinns und Durchtrennung der vier obersten Rippen ausgeschaltet. Die 
Resultate der 8 Versuche, die im einzelnen genau beschrieben werden, sind die. 
dass mit und ohne Kiefer- und Rippenwirkung typische Stemumfracturen bei 
Wirbelsäulenbrüchen Vorkommen können. Immerhin spricht Kocher der 
Kiefer- und Rippenmitwirkung auf Grund seiner klinischen Erfahrungen eine 
grössere Bedeutung zu. Ebbinghaus-Berlin. 

Lange (Strassburg), Die unblutige Behandlung der angeborenen Hüftgelenks¬ 
verrenkung. Münchener medicin. Wochenschr. 1904, Nr. 20. 

Nach einer kurzen Uebersicht über die Symptome, die pathologischen 
Veränderungen der Knochen und Muskeln, über die Folgen einer Nichtbehand¬ 
lung und die früheren blutigen und unblutigen Behandlungsmethoden, geht 
Verfasser auf die jetzt geübten Verfahren ein. Er gipst das reponirte Gelenk 
in rechtwinkliger Abductionsstellung ein und führt es in 2— 4 Etappenverbänden 
in die Mittellage zurück. Nach ^/4jähriger Fixation werden durchschnittlich die 
Patienten freigegeben. Als günstigste Zeit für die Behandlung gibt Verfasser 
das 2. —3. Jahr an, vorher hält er eine Behandlung wegen der Unreinlichkeit 
der Kinder für meist unmöglich. Als oberste Grenze für einseitige Luxation 
gilt im Durchschnitt das 10. Jahr, für doppelseitige das 7. Jahr. Verfasser be¬ 
spricht sodann die eventuellen Störungen bei der Reposition, die anatomischen 
Resultate der Reposition und schliesst mit folgenden statistischen Angaben: 
31 Patienten mit 37 Gelenken wurden von ihm behandelt; hiervon functioneil 
gut 34 und zwar anatomische Heilung 10 über l'/a Jahr, 6 kürzere Zeit. Miss¬ 
erfolge 3. Doppelseitige Luxation 7 mit 13 behandelten Gelenken; hiervon 
functioneil gut 11, anatomisch 4, Misserfolge 2. Andreae-Berlin. 

Deutschländer, Zur BeuHheilung der unblutigen Reposition der angebo¬ 
renen Hüftverrenkung. Deutsche Zeitschrift für Chirurgie, Bd. 73 
H. 1-3. 

Deutschländer gibt in dieser Arbeit nach einer Zusammenstellung 
der Complicationen dieses Verfahrens eine kritische Beurtheilung der einzelnen 
Theorien über die Entstehung der angeborenen Hüftgelenksverrenkung. Er 
weist die Annahme eines Vitium primae formationis zurück, da nach seiner 
Ansicht dann eine Atrophie der Pfannengegend eintreten müsste wie bei jeder 
anderen Entwickelungshemmung, während doch thatsächlich eine Hypertrophie 
besteht. Diese Annahme steht auch mit den H o 11 z m a n n'schen Untersuchungen, 
welcher Störungen in der Knochenbildung am Ypsilonknorpel nicht aufgefunden 
hat, sowie mit den Ergebnissen der Behandlung im Widerspruch. Denn eine 
anatomische Heilung, wie sie doch durch Röntgenbilder für viele Fälle erwiesen 
ist, Hesse sich bei einer nur rudimentär angelegten Pfanne nicht durch die Her 


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Referate. 


203 


Stellung der richtigen Gelenkbeziehungen allein erklären. Es liegt näher, an- 
zunehmen, dass der Kopf erst secundär aus der Gelenkpfanne tritt, und zwar 
kann er dieses zu verschiedenen Zeiten des fötalen, eventuell auch noch im 
postfötalen Leben thun. Eine Stütze gewinnt diese Annahme durch Versuche, 
welche der Verfasser an 9 wachsenden jungen Thieren durch künstliche Er¬ 
zeugung der Luxation anstellte. Diese bewiesen, dass bei Störung des Gelenk¬ 
mechanismus eine erhebliche Steigerung der Wachsthumsvorgänge der Pfanne 
eiutrat, die am Knorpel besonders stark ausgeprägt sind. Die knöcherne 
Pfanne bewahrt im allgemeinen ihre Form. — lieber die Erfolge der einzelnen 
Operateure gibt eine Anzahl von tabellarischen Zusammenstellungen einen Ueber- 
blick. Zum Schluss bricht Deutschländer noch eine Lanze für die Hoffa'sche 
blutige Repo.rition llir den Fall, dass die unblutige aus irgend einem Grunde 
versagen sollte. Rauenbusch-Berlin. 

Haudek, Erfahrungen und Resultate bei der unblutigen Behandlung der an¬ 
geborenen Hüftluxation. Wiener medic. Presse 1904, Nr. 16—17. 
Haudek bespricht in seiner Arbeit die unblutigen Behandlungsmethoden 
der angeborenen Hüftgelenks Verrenkung. Er selbst bevorzugt die manuelle Re¬ 
position nach dem Vorgehen von Lorenz und Hoffa und hat mit diesem 
Verfahren quoad functionem gute Resultate erzielt, wenn auch, wie gewöhnlich, 
zumeist keine anatomische Reposition, sondern eine Transposition nach vom zu 
Stande kam. Im allgemeinen ist seine Behandlungsweise die jetzt allgemein 
übliche. Pfeiffer-Berlin. 

Weis eher. Ein Beitrag zur Therapie der angeborenen Hüffcgelenksverrenkung. 
Centralbl. f. Chir. 1904, Nr. 15. 

Weischer konnte bei einer 15jährigen Patientin mit doppelseitiger an¬ 
geborener Hüftgelenksverrenkung durch etappenweises Vorgehen beim 6. Ver¬ 
suche eine Reposition erzielen. Schon vor der S t e i n e rischen Veröffentlichung 
über diese Methode hatte Verfasser sein Verfahren angewendet. Es bestand 
in präliminarer Gewichtsextension (30—50 kg) und nachfolgendem Lorenz- 
schen Repositionsmanöver; dann wurden die Beine in möglichst abducirter und 
hyperextendirter Stellung eingegipst. Die schliessliche Einrichtung gelang auf 
folg^ende Weise: Der adducirte und maximal flectirte Oberschenkel wurde ein¬ 
wärts rotirt, wobei der Schenkelkopf unter die Haut der Schenkelbeuge trat. 
,Die folgenden Bewegungen führten das Bein rasch in die rechtwinklige Stellung 
zur Beckenachse, so dass nun in typischer Weise der Kopf mit hör- und fühl¬ 
barem Ruck über den Pfannenrand sprang.” Es wäre interessant gewesen, 
näheres Über diese ,folgenden Bewegungen“ zu erfahren, die es zuwege 
brachten, den augenscheinlich nach vorn transponirten Schenkelkopf rückwärts 
in die Pfanne zu bringen. Auch über das Endresultat fehlen Angaben. 

Pfeiff er-Berlin. 

Lenormant et Desjardins, Anatomie d'une luxation ancienne, probable- 
ment congenitale de la hauche. Bull, et mem. de la societe anatomique 
de Paris 1904, Nr. 2. 

Verfasser geben in ihrer recht ausführlichen Arbeit die pathologisch¬ 
anatomische Beschreibung einer alten Hüftgelenksluxation, welche aus folgenden 
Gründen von ihnen für angeboren angesehen wird: 


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204 


Referate. 


1. Der Kopf steht direct nach oben gerichtet. Bei traumatischer Luxation 
steht er meist entweder anterior oder posterior und nach oben gerichtet. 

2. Die gesummten pelvitrochanteren und femoralen Muskeln find atrophisch. 
Missverhältniss zwischen Kopf und Pfanne. 

3. Gelenkkapsel intact, ohne Zusammenhang mit der Pfanne, und ist 
durch einen Theil des Lig. Bertini getheilt, der zwischen alter und neuer Pfanne 
ausgespannt ist. 

Der Schenkelhals ist gerade gerichtet, der Querdurchmesser des Femur 
kopfes verringert. Derselbe erscheint nicht mehr gestielt. Der Winkel zwischen 
Hals und Diaphyse grösser als 127^. Die Halsverkürzung beträgt vom 13 mm 
(gemessen von der Knorpelgrenze bis zur Lin. intertroch. ant.), hinten 7 mm 
(bis zur Lin. intertroch. post.), hervorgerufen durch die Geraderichtung des Halses. 

Die Lin. intertroch. ant. stark vorspringend, als Ansatz des Lig. Bertini 
Das Caput, fern. ei*scheint oben abgeplattet, sein Knorpelüberzug ist unregel¬ 
mässig. Das Lig. teres existirt nicht. 

Os ilei atrophisch, Becken asymmetrisch, Beckenschaufel fast plan, Crista 
ilei fast geradlinig, Spina ant. stark vorspringend. Am oberen Pol der Pfanne 
ein starker Höcker. Am Os ischii nur schwach entwickelte Muskelansätze. 

Die Pfanne ist dreieckig und schaut nach hinten. Ihre Maasse sind in 
dem Original des näheren bestimmt. Die Pfanne ist knorpellos. 13 mm über 
ihrem oberen Pol liegt eine neue, rudimentär gebliebene Gelenkfläche, von der 
alten Pfanne durch die Ansatzstelle des Lig. Bertini getrennt. Der Femurkopf 
ist von dichtem Gewebe umgeben, in welchem derselbe bei den Gehbewegungen 
gleitet. An diesem Gewebe betheiligen sich Muskeln und Bänder (Lig. Bertini 
und das stark verdickte Lig. pubo-femorale). 

Was die von den Verfassern studirte Knochenstructur betrifft, so zeigt 
sich Verdickung des Os ilei, Verdünnung der Beckenschaufel. Am Femur ist 
die Spongiosa im oberen Theil des Kopfes und Halses dünner als im unteren, 
Veränderungen, welche nach Ansicht der Autoren aus den veränderten statischen 
Verhältnissen resultiren. Hill er-Berlin. 

Brüning, Beitrag zur Lehre von der blutigen Reposition veralteter Hüfl- 

luxationen. Deutsche Zeitschr. f. Chir. 1904. 

Verfasser stellt mit 3 eigenen, von ihm selbst beobachteten 33 Fälle ver¬ 
alteter traumatischer Hüftluxation und 5 Distensionsluxationen aus der Literator 
zusammen. Meist handelt es sich um Luxatio iliaca, 6mal um Luxatio obtura* 
toria. Die Haupthindernisse für die Reposition des Kopfes liegen in veralteten 
Fällen nach Verfasser nicht in der Verkürzung der Muskeln, sondern in den 
secundären Kopf- und Pfannen Veränderungen, dazu kommt als hindernd die 
Organisation des in die Gelenkhöhle ergossenen Hämatoms, Verwachsungen des 
Halses und Kopfes, abgesprengte und sich in den Weg legende Pfannenwand* 
Stückchen, Knopflochmechanismus etc. 

Verfassers Schlüsse aus der Arbeit sind: 

1. Bei veralteten Hüftluxationen sind nur sehr schonende Reposiüons 
versuche gestattet. Gelingt die Reposition nicht, so suche man eine vordere 
Luxationsform in eine hintere umzuwandeln und diese blutig zu reponiren. 

2. An den Versuch der unblutigen Reposition schliesse man nie deo 


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Referate. 


205 


blutigen Eingriff an, sondern lasse der Operation eine mehrtägige Extensions- 
bebandlung vorausgehen. 

3. Je frühzeitiger der Patient in Behandlung kommt, und je jünger er 
ist, desto grösser ist die Aussicht auf ein gutes functionelles Resultat. Die 
medico-mechanischen Uebungen haben möglichst frühzeitig zu beginnen. 

4. Distensionsluxationen (d. h. solche, die ihre Entstehung einer über¬ 
mässigen Ausdehnung der Gelenkkapsel durch ein Exsudat verdanken) geben 
immer ein schlechteres Resultat, wie die traumatischen. 

HinzuzufQgen wäre noch, dass nach Verfasser bei der Operation die 
Scbnittführung nach Langenbeck oder Hueter-Schede (vorderer Längs¬ 
schnitt) zu bevorzugen ist. Die passiven Bewegungen werden im Durchschnitt 
nach 14 Tagen unter anfänglicher Vermeidung der Rotationsbewegungen be¬ 
gonnen. Ebbinghaus-Berlin. 


Wolfsohn, lieber Spontanluxationen der Hüfte nach acuten Infectionskrank- 

heiten. Diss. Freiburg 1904. 

Verfasser berichtet aus der Freiburger Klinik über einen Fall von Luxatio 
femoris iliaca post scarlatinam, bei dem nach einer ohne Erfolg gebliebenen 
Extensionsiiehandlung die Osteotomia subtrochanterica nach Volk mann aus- 
geführt wurde. Die Verkürzung von 4 cm blieb dieselbe; abgesehen von einer 
leichten Innenrotation war die Stellung des Beines normal. Die Bewegungen 
waren schmerzlos. Der Gang des Patienten war nur mässig hinkend und ohne 
wesentliche Beschwerden. 

Im Anschluss an diesen Fall bespricht Wolfsohn diese Deformität und 
ihre Aetiologie, wobei er namentlich auf die Theorien von Petit, Vernueil 
und Gr aff näher eingeht. Er beschreibt dann die pathologisch-anatomischen 
Veränderungen und die Symptome der spontanen Hüftluxation und kommt so¬ 
dann auf die Prognose zu sprechen, die eine bessere als die der traumatischen 
veralteten Luxationen ist. Die Therapie hat zunächst dem Eintreten einer 
Laxation vorzubeugen. Ist sie aber da, dann soll man dieselbe, wenn irgend 
möglich, zu reponiren suchen oder, falls dies ausgeschlossen ist, die fehlerhafte 
Beinstellung in eine functioneil brauchbare umwandeln. Zur Reposition stehen 
zwei Methoden zu Gebote, die unblutige und die blutige, auf die ich wohl hier 
nicht näher einzugehen nöthig habe. Gelingt die letztere auch nicht, so bleibt 
nach des Verfassers Ansicht nur noch die Resection und die Osteotomia sub¬ 
trochanterica Übrig. Letztere ist namentlich zu empfehlen, wenn das Bein in 
einer functionell unbrauchbaren Stellung fixirt ist, und ist an Stelle einer 
blutigen Reposition indicirt in frischen Fällen, in denen noch eine Gelenk¬ 
entzündung besteht, in allen Fällen, in denen das Köntgenbild eine Fixation 
des Femurkopfes durch Knochenwucherungen nachweist und bei schwächlichen 
Personen und Greisen. Alle die in der Literatur veröffentlichten Fälle zeigen, 
dass die Osteotomie eine wesentliche functionelle Verbesserung herbeiführt. 
Eine gewisse Bewegungsbeschränkung und eine geringe Verkürzung sind die 
einzigen Symptome, welche nach der Operation Zurückbleiben. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 


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206 


Referate. 


Hall, A case of dislocation of the hip in acute rheumatism. Annals of surgeir 
1903, April. 

Hall beschreibt einen Fall von Hüftluxation, den er nach emem acnten 
Gelenkrheumatismus beobachten konnte. Bei der Einrenkung, die ohne grosse 
Schwierigkeiten vor sich ging, schnappte der Kopf nicht in die Pfanne ein. 
sondern schien oberflächlich liegen zu bleiben, als ob die Pfanne mit Exsudat 
ausgefüllt war. Heilung mit ganz geringer Functionsstörung. 

Zander- Berlin. 

V. Friedländer, Zur Diagnostik der Coxitis. Vorläufige Mittheilong. Wiener 

klinische Wochenschr. 1904, Nr. 17. 

Bei der Analyse der pathognomonischen Stellung bei der Coxitis findet 
man nach Friedländer, dass 1. einzelne Componenten der Zwangsstellnng 
des Beines stärker betont sind als die anderen, und 2. dass bei beginnender 
Erkrankung meist nur eine Einschränkung des Excursionskegels des Beines in 
einer oder der anderen Richtung bei sonstiger Freiheit der Bewegung zu be¬ 
obachten ist. Diese Momente sprechen nach Friedländer gegen die An¬ 
nahme einer, wenn auch nur theilweise intendirten Muskelthätigkeit und stimmen 
die sonst gemachten Erklärungsversuche für diese Fälle nicht. 

An der Hand seines Coxitismateriales glaubt nun Friedländer, das? 
gerade in der Einschränkung des Exkursionskegels bei beginnender Coxitis ein 
wichtiger Anhaltspunkt für die Eruirung des Ausgangspunktes der Coxitis liege. 
Friedländer hat bei allen Fällen, welche primäre Abductionssperrung auf¬ 
weisen, ossale Heerde im Bereiche der Kapselinsertion an der unteren Circum- 
ferenz des Schenkelhalses im Röntgenbilde (3 Fälle) nachweisen können. Als 
Ursache der Abductionsstellung des Beines und der Sperrung der weiteren Ab- 
duction beschuldigt Friedländer die entzündliche Schwellung und Starrheit 
der Muskelmassen, die dem Entzündungsheerde benachbart sind oder an ihm 
inseriren; da der pathologisch veränderte Muskel die Näherung seiner Insertious- 
punkte zulässt, bleibt die Adduction frei. 

Eine Stütze seiner Annahme sieht Friedländer in einem 4. Falle, 
in dem eine gleiche Beschränkung der Beweglichkeit vorhanden war, trotzdem 
der Heerd vollständig intraarticulär in den unteren Theilen der Epiphysen und 
des Schenkelhalses localisirt war. Bei der Resection fand nun Friedländer 
eine ungleichmässige Erkrankung der Synovialis, besonders an den unteren 
Kapsel Partien und deren Insertion am unteren Schenkelhalsumfange, verursacht 
durch eine rückläufige Infection der Weichtheile von den ernährenden Gefassen 
des Schenkelkopfes an der Ein- resp. Austrittstelle der Gefässe. Diese Stelle 
entspricht der Localisation des Knochenheerdes in den drei anderen Fällen und 
kann daher eine Betheiligung der benachbarten Muskelbündel angenommen 
werden. 

Friedländer kommt auf Grund seiner Betrachtungen zum Schlüsse, 
dass 1. gewisse Bedenken gegen die bisherigen Deutungen der pathognomonischen 
Stellung bei Coxitis bestehen und dass 2. die Localisation der Erkrankung ein 
wichtiger Factor für die Nuancirung der pathognomonischen Stellung bei be¬ 
ginnender Coxitis ist und auch die partielle Beschränkung des Excursionskegels 
der erkrankten Extremität durch die Localisation beeinflusst wird und dass um- 


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Referate. 


207 


gekehrt die initiale Beschränkang der Beweglichkeit in bestimmter Richtung 
auf eine bestimmte Localisation des Processes schliessen lässt. Die anatomisch¬ 
pathologischen Grundlagen dieser Behauptungen will Friedländer noch in 
einer ausfQhrlichen Arbeit darstellen. Haudek-Wien. 

Hoffa, Die Behandlung der tuberculösen Coxitis im Kindesalter. Zeitschrift 

für ärztliche Fortbildung I. Jahrgang, Heft I, 1904. 

Bei der Behandlung der Anfänge der tuberculösen Coxitis ist nach Hoffa 
zunächst das kranke Glied ruhig zu stellen, sodann aber soll Patient frische, 
gesunde Luft und gute, kräftige Kost haben. Besonders empfiehlt Hoffa die 
Anwendung der grünen Seife (Kapesser, Kollmann) nach Art des Hg, 
wobei sich oft sogar Fisteln schliessen. Die locale Behandlung ist die Haupt¬ 
sache und hat in Extension und Fixation zu bestehen, in Abduction und leichter 
Flexion. Die Extension wirkt direkt antispasmodisch, die Gelenkenden 
werden 1—3 mm von einander entfernt, der Schmerz hört bei genügender Be¬ 
lastung auf (bis zu 20 Pfund). Stellungsanomalien können durch Extension 
verhindert und ausgeglichen werden. 

Besteht Stellungsanomalie noch nicht, so wird typische Heftpflaster¬ 
extension angewendet. Bei bestehender Abductionsstellung muss in irgend einer 
Weise Gegenextension angebracht werden, so dass die kranke Beckenhälfte 
gehoben wird, zur Vermeidung einer Zunahme der pathologischen Stellung. 

Da die Hauptwirkung der Extension zum Theil in der Ruhigstellung des 
kranken Gliedes besteht, so ist am besten die Methode, welche Extension und 
Fixation combinirt. Dazu dienen portative Apparate, die dem Patienten gleich¬ 
zeitig das Aufstehen und ümhergehen ermöglichen. Angeführt und theil weise 
näher beschrieben werden die amerikanischen Apparate, ferner die von v. Volk- 
mann, Liemann und Bruns, die eine vollkommene Fixation gestatten und 
besonders die von Hessing. Sie lassen alle nicht afBcierten Gelenke frei und 
werden 2—3 Jahre getragen. — Für die ärmere Praxis eignen sich die Apparate 
von Heusner, Lorenz oder Port. Ebensogut verwendbar sind die ganz gewöhn¬ 
lichen Gipsverbände, besonders wenn sie auch das gesunde Bein mit einschliessen. 

Alle Verbände werden bis zum Schwinden aller Krankheitssymptome 
getragen. Das Endresultat ist meist ein steifes Hüftgelenk und eine Verkürzung 
des Beines von 1—3 cm. Die Stellung ist jedoch die erwünschte leichte Flexions- 
und Abductionsstellung. 

Coxitische Abscesse werden durch diese Apparate sehr günstig beein¬ 
flusst. Sie werden behandelt durch Injection von Jodoforraglycerin oder zimmt- 
saurem Natron (0,001—0,05 g), oder Chlorzinklösung in die Umgebung des 
Abscesses (Methode sclerogene), oder durch Spaltung des Abscesses, Entfernung 
alles Krankhaften und Nachfüllen von Jodoformglycerin. 

Contractnrstellungen werden am besten nach dem näher beschriebenen 
D ollinger'schen Verfahren ausgeglichen. In dem so erhaltenen Gipsverband 
kann Patient gehen. 

Heilungen nachdem conservativen Verfahren treten nach Bruns-Wagner 
in 55,7 ®/o ein. In 64 ®/o entstehen Ankylosen. In den übrigen jedoch Bewegungs¬ 
beschränkung. Die Verkürzung beträgt durchschnittlich 1,7 cm. 

Zur Operation schreitet Hoffa bei Versagen der conservativen Methode. 


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208 


Referate. 


Contraindication für den operativen Eingriff bildet grosse Schwäche, höheres 
Alter und allgemeine Tuberculose des Patienten. Indicirt ist er bei Bedrohung 
des Lebens durch Beckenabscesse, Zersetzung des Eiters etc. In Betracht kommt: 
Ai-threctomie und Resection. — Gegenüber den mannigfachen Nachtheilen der 
Operation gegenüber der conservativen Behandlung, bietet erstere den Vortheil 
der Abkürzung des Heilverfahrens. Hi 11 er-Berlin. 


Calot, Technique du traitement de la coxalgie. Paris, Massen et Cie. 1904. 

Calot weist in der Einleitung auf die den meisten Aerzten fehlenden 
Kenntnisse und mangelnde Uebung in der Behandlung der angeborenen und 
erworbenen Deformitäten hin. In seinem Trait^ pratique de technique ortho- 
pedique will er dem Praktiker für alle vorkommenden Fälle eine einzige, aber 
praktisch erprobte und leicht anwendbare Behandlungsart angeben und es da¬ 
durch ermöglichen, dass nicht jeder Arzt seine derartigen Patienten dem Specia- 
listen zuschicken muss. Der erste Band behandelt die tuberculöse Hüftgelenks¬ 
entzündung. Bei der Diagnose legt Calot den Hauptwei-th auf die Druckempfind¬ 
lichkeit des Schenkelkopfes, auf die Beschränkung der Beweglichkeit gegenüber 
dem gesunden Bein, sowie auf die Abductionsstellung, die er für pathogno- 
monisch bei tuberculöser Coxitis erklärt und die als Verlängerung des Beins 
am meisten in Erscheinung tritt. Als fast ebenso wichtig gilt ihm die Atrophie 
des kranken Beines. Die Spannung der Adductoren bei passiven Bewegungen 
im Sinne der Abduction, die uns als ein wichtiges Initialsymptom gilt, erwähnt 
er nicht. Differentialdiugnostisch zieht er in Betracht periarticuläre Verletzungen. 
Spondylitis lumbalis, Erkrankungen des Knies, Rheumatismus, Wachsthums¬ 
schmerzen in der Epiphyse, Osteomyelitis, congenitale Luxation, Kinderlähmung. 
Die Prognose bezüglich der Dauer und des Enderfolges ist abhängig von der 
Art der Erkrankung und von der Behandlung, im allgemeinen jedenfalls günstig. 
Geschlossene Coxitiden (ohne Fisteln) heilen sicher. Spontane oder operatiro 
Eröffnung des Heerdes kann durch hinzutretende Mischinfection tödtliche Ent¬ 
artung der Nieren und der Leber herbeiführen. Verallgemeinerung der Tuber¬ 
culose und Meningitis sind zu verhüten durch möglichst reichliche und kräftige 
Ernährung und Aufenthalt an der See oder auf dem Lande. Rechtzeitig er¬ 
kannte und gut behandelte Fälle heilen ohne erhebliche Functionsstörung. 
Bestehen schon Abscesse und gröbere Formveränderungen, so heilt die Ent¬ 
zündung mit Ankylose aus. Im ersten Falle dauert es annähernd V»—1 Jahr, im 
zweiten 1 V« — 2 Jahre, beim Vorhandensein eines Abscesses kann die Ausheilung 
in einigen Monaten erfolgen, bei erheblicheren Knochenzerstörungen ohne Absres? 
in drei oder mehr Jahren, bei Anwesenheit von Fisteln nimmt sie mehrere 
Jahre oder Monate in Anspruch, je nachdem diese inficiert sind oder nicht. 
Bezüglich der Behandlung, die er nach den auch bei uns allgemein gebräuch¬ 
lichen Grundsätzen leitet (Hebung des Allgemeinzustandes, Ausgleich der fehler¬ 
haften Stellung in Narkose, Ruhigstellung und Entlastung des Gelenkes in 
einem exakt anmodellii ten Gipsverbande) räth er absolut conservativ vorzugehen, 
indem er die Resection bei der tuberculösen Coxitis als eine schlechte Operation 
bezeichnet. Einzig und allein bei inficirten Fisteln und behindertem Eiterabflus^ 
hält er sie zum Zweck ausgiebiger Drainage des Krankheitsheerdes für erlaubt. 


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Referate. 


209 


Des weiteren gibt er Anleitung zur Anfertigung von Apparaten aus Celluloid, 
erwähnt auch Apparate nach Hessing und Raspail. An operativen Eingriffen 
bespricht er dann die Tenotoinie der Flexoren und Adductoren (subcotan), 
ebenso die Osteotomie, die er subcutan im Schenkelhals von oben nach unten 
möglichst senkrecht zu machen räth, nachher Fixation im Gipsverband für 
4 Wochen. Geschlossene kalte Abscesse werden von 5 zu 5 Tagen, punctirt mit 
nachfolgender Injection von Naphtolkampher, Jodoformäther und Kreosotöl, bis 
nach etwa zehn Injectionen der Abscess geheilt ist. Die gleiche Injection macht 
er in nicht inficierte Fisteln. Bei Spontanluxationen stellt man den Trochanter, 
der meist gut erhalten ist, im Gegensatz zum Kopf, in die Pfannengegend ein 
in starker Abduction, die man etappenweise von Monat zu Monat bis auf 15 
oder 20 Grad herabsetzt, dann fixirender Verband. Es folgt dann eine klinische 
Besprechung der verschiedenen Formen der Coxitis, der doppelseitigen Coxitis 
sowie der Combination mit Spondylitis, congenitaler Luxation sowie Tuberculose 
des Kniegelenkes und anderer Körperteile. Bezüglich der Entscheidung über 
die vollendete Ausheilung gibt Calot den Rath, den Kranken erst 6—8 Monate 
nach Verschwinden aller klinischen Symptome als geheilt zu entlassen. Zum 
Schloss wird die Nachbehandlung besprochen. Rauenbusch-Berlin. 

Hulleu, Traitement de Tadduction avec ankylose dans un cas de coxalgie 

double. Revue d'orthopddie 1904, Nr. I. 

Hulleu hat in einem Falle von äusserst schmerzhafter Adductions- 
contractor bei Coxitis mit gutem Resultate folgendes Verfahren angewendet: 
Beide Beine des Patienten wurden in üblicher Weise mit Gewichten nach unten 
extendirt, gleichzeitig aber auch abducirt mit Hilfe starker Gummizüge^ die 
von den seitlichen Betträndem aus um die Kniee geschlungen waren. Um 
einen zu starken Druck in der Kniegelenksgegend zu vermeiden, Hess Hulleu 
diese Gummizüge über Gipsschienen laufen, die der Innenseite der Beine genau 
anmodellirt waren. Da schon nach 6tägiger Behandlung die Distanz der 
Kniee sich um 11 cm vergrössert hatte, dürfte kaum eine Ankylose Vorgelegen 
haben (Ref.). Pfeiffer-Berlin. 

Muskat, üeber Hüftgelenksresection bei Arthritis deformäns. Diss. Freiburg 

1904. 

Die Zurückhaltung, dass nämlich so wenig bei der Arthritis defornians 
operirt wird, um die intensiven Schmerzen und erheblichen Functionsstörungen 
IO beseitigen oder doch wenigstens zu bessern, gab dem Verfasser zum Nach¬ 
denken Anlass, und er unterzog sich deshalb der Aufgabe, an der Hand der 
beschriebenen Resectionen die bisherigen Resultate auf ihren Werth hin zu 
prüfen und die Indicationen für diesen immerhin nicht unerheblichen chirur- 
:,nschen Eingriff festzustellen. Ehe er sich aber dieser gestellten Aufgabe zu¬ 
wendet, bringt er zunächst noch eine kurze Schilderung über das Wesen der 
Arthritis deformäns. Über die pathologisch-anatomischen Veränderungen, über 
ihre Aetiologie und den klinischen Verlauf, um dann die in der Literatur ver¬ 
öffentlichten Fälle wiederzugeben und ihnen noch zwei neue hinzuzufügen, die 
von Kraske operirt wurden, die aber beide durch hinzugetretene Compli- 
cationen ausgezeichnet waren. Letzteren war es auch wohl vornehmlich zur 
Zeitschrift für orthopitdiHche Chirurgie. XIII. Bd. 14 


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210 


Referate. 


Last zu legen, dass beide Fälle tOdtUch endigten. Bei dem ersten hatte mao 
es mit entzündlichen Vorgängen an der Pfanne und der das Gelenk umgebenden 
Muskulatur zu thun, welche sich zeitlich an die Operation anschlossen, sicherlich 
aber nicht einer Infection durch die Operation zur Last zu legen sind, sondern 
eventuell auch tuberculöser Natur waren, was sicherlich beim zweiten Patientai 
der Fall war, insofern als hier die Complication mit Tuberculose schon vor der 
Operation diagnosticirt werden konnte. Der tuberculöse Process, welcher inr 
Zeit des Aufenthaltes des Patienten in der Klinik bereits derartig ausgebreitete 
Veränderungen über beiden Lungen erkennen Hess, war mit grösster Wahr¬ 
scheinlichkeit auch an dem durch die Arthritis deformans geschaffenen Locus 
minoris resistentiae zur Entwickelung gekommen. 

In Procentzahlen ausgedrückt stellten sich die Ergebnisse folgender- 
messen dar; 

12,5 ®/o Exitus, 

6,25 ®/o Recidive, 

31,25 ®/o erhebliche Besserung, 

50 ^/o dauernde Heilung. 

Verfasser kommt auf Grund der gemachten Erfahrungen zu der Ansicht 
dass jugendliches Alter, monoarticuläre Localisation, traumatischer Ursprung 
und kurzer Verlauf der Krankheit die Voraussetzungen für das verhältnissmässig 
beste Resultat in functioneller Hinsicht ausmachen. Die Indiaition zu diesem 
immerhin nicht unerheblichen Eingriff werden nur die schwersten und allen 
anderen Mitteln trotzenden Fälle geben. Dabei wird man stets auch den all¬ 
gemeinen Zustand, das Alter des Patienten, seinen Beruf und seine sociale Lage 
berücksichtigen müssen. Um ein gutes functionelles Resultat zu erlangen, em¬ 
pfiehlt Verfasser den Trochanter zu erhalten und sein Augenmerk stets auf eine 
sorgfältige Nachbehandlung zu richten. Blencke-Magdeburg. 


David, Beitrag zur Frage der Coxa valga. Monatsschr. für orthopäd. Chirurgie 

und physikal. Heilmethoden 1904, Nr. 5. 

Die Aetiologie der bisher beschriebenen Fälle von Coxa valga war ent¬ 
weder in der Rhachitis oder einem Trauma oder in einer Verminderung der 
normalen Belastung (Amputation) zu suchen, auch kamen bei angeborener Hüft* 
luxation Fälle von Coxa valga zur Beobachtung. Einen unbestreitbar primären 
angeborenen Fall von doppelseitiger Coxa valga beobachtete Verfasser. 
handelt sich um einen 5jährigen Knaben, bei dem der Neigungswinkel de? 
Schenkelhalses beiderseits 165® betrug, gegenüber einem normalen von 12o^ 
der Alsberg’sche Richtungswinkel betrug 79® gegenüber 51® normal. Ueber 
die Aetiologie dieses Falles äussert sich Verfasser nur vermuthungsweise (Raum- 
beengung, Mangel an Fruchtwasser), doch schliesst er statische Belastung!* 
deformität und Rhachitis, Kinderlähmung etc. aus. Seine Therapie bestand 
darin, dass er den Knaben mit möglichst starker Adduction und Innenrotation 
der Beine von der Brust bis zu den Knieen eingipste und ihn so gehen lie® 
Das Resultat war nach 6 Wochen folgendes: Neigungswinkel 155®, Richtungs¬ 
winkel 70 ®. Bedeutend besseres Gehvermögen. V Ü11 e r s - Dresden. 


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Referate. 


211 


Lieblein, Zar Casuiatik der Coxa vara infantom. Prag, med, Wochenscbr. 

1903, Nr. 43. 

L i e b 1 e i n hatte in der W ö 1 f 1 e r'schen Klinik Gelegenheit, 4 Fälle von 
Coxa vara bei Kindern von 7—9 Jahren zu beobachten. In den ersten beiden 
Fällen konnte als Ursache der Erkrankung mit Sicherheit Rhachitis festgestellt 
werden, da diese zwei Kinder am ganzen Skelett die ausgeprägtesten Zeichen 
der Rhachitis darboten. In den beiden übrigen Fällen fehlten sonstige rhachi- 
tische Veränderungen, auch wiesen hier die Röntgenbefunde grosse Aehnlichkeit 
mit denjenigen auf, die bei der traumatischen Lösung der Schenkelkopfepiphyse 
von anderen Autoren beschrieben worden sind. Trotzdem rechnet sie Lieblein 
in Ermangelung eines anamnestischen Traumas nicht zur Coxa vara traumatica; 
er nimmt eine Erkrankung der Kopfepiphysenfuge an, welche zu pathologischer 
Nachgiebigkeit, vielleicht sogar zur Lockerung derselben geführt hat, so dass 
schon die gewöhnlichen Bewegungen ein Herabrutschen der Kopfepiphyse am 
Hals veranlasst haben. Seine therapeutischen Massnahmen beschränken sich 
auf die Verordnung erhöhter Sohlen. Pfeiffer-Berlin. 

Härting, üeber Coxa vara, Münch, med. Wochenschr. 1904, Nr. 26. 

Verfasser bringt im Anschluss an einen Fall von Coxa vara, den er zu 
beobachten Gelegenheit hatte, in gedrängter Kürze alles für den praktischen 
Arzt Wissenswerthe über dies Krankheitsbild. Neues bringt die Arbeit, der 
eine Röntgenaufnahme beigefügt ist, nicht, Blencke-Magdeburg. 


VThitman, A new method of treatment for fracture of the neck of femur 
together with remarks on coxa vara. Annals of Surgery, November 1902. 
Verfasser empfiehlt unter Anführung zahlreicher ausgezeichneter Erfolge 
mit Krankengeschichten für Schenkelhalsfracturen und Lösungen der oberen 
Femurepiphyse dringend den Gipsverband in forcirter Abduction. Indem er den 


Fig. L 



Fig. 3. 



oberen Acetabulumrand als Hypomochlion benutzt, vermag Verfasser auf diese 
Weise sehr wohl das periphere Femurende, das auf der unteren Seite ja noch 
durch die Bänder gehalten wird, gegen den abgesprengten Kopf zu drücken und 
in dieser Stellung gut die Fragmentenden adaptirt zu halten. Die Schnelligkeit 
der Genesung der Fälle von Schenkelhalsfractur in jugendlichem Alter scheint 
dafür zu sprechen, dass bei diesen meist nicht eine völlige Trennung der Frag¬ 
mente vorliegt, indessen hat die bei Heilung solcher Fälle resultirende Depression 
des Halses die Neigung zur Progression, d. h. zu einer secundären traumatischen 


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212 


Referate. 


Coxa vara. Die Aetiologie dieser Erkrankung beruht sicherlich weit öfter auf 
dieser traumatischen Basis, als man bisher annimmt. 

Für Coxa vara empfiehlt Verfasser die keilförmige subtrochantere Osteo¬ 
tomie und dann nach Adaptirung der Knochenfischen durch Abduction da 
Beines Gipsverband in dieser Stellung. Durch diese Behandlungsmethoden wird 
nachher stets der normale Winkel zwischen Schenkelhals und Schaft des Humerus 
von 125—140® wiederhergestellt. — Die oben reproducirten schematischen Zeich¬ 
nungen veranschaulichen in der Arbeit die Lage der Fragmente bei der Schenkel- 
halsfractur. Ebbinghaus - Berlin. 

Haemisch, Ueber die Behandlung intrakapsulärer Schenkelhalsfracturen. 

Leipzig 1904. 

Nach einigen allgemeinen Bemerkungen über die Schenkelhalsfracturen 
geht Verfasser des Näheren auf die Therapie dieser Verletzungen ein und iwar 
hauptsächlich auf die Therapie der intrakapsulären losen Fracturen, bei denen 
man aller Voraussicht nach trotz Streck- und Gehverbänden doch keine knöcherne 
Heilung zu erzielen im Stande ist. Hierbei will Haemisch einen Unterschied 
gemacht wissen je nach der Allgemeinconstitution des Patienten. Bei alten 
decrepiden, schlecht genährten, katarrhalisch afficirten Personen soll die am¬ 
bulante Massagebehandlung in Anwendung kommen, durch die man eine mög¬ 
lichst günstige Pseudarthrosenbildung zu erzielen sucht und der drohenden 
Muskelatrophie nach Möglichkeit entgegenarbeitet und die mit geeigneter Be¬ 
wegungstherapie verbunden wird. Hat man es dagegen mit leidlich gesunden 
und kräftigen Leuten zu thun, so soll man unter allen Umständen eine Pseud¬ 
arthrosenbildung zu vermeiden suchen. Dies geschieht am sichersten durch die 
blutige Operation entweder durch Excision des abgebrochenen Kopfes oder durch 
Zusammennageln der beiden Fragmente. Die Fälle, die nach der ersten Methode 
operirt sind, ergaben, soweit Haemisch es aus der Literatur ersehen konnte, 
wenig befriedigende Ergebnisse, so dass nach des Verfassers Ansicht diese 
Methode wohl nicht zur herrschenden werden wird. Weit bessere Resultate 
zeigte die Fixation der Fragmente durch Draht oder Knochenstifle. Den 
in der Literatur veröffentlichten Fällen reiht Haemisch noch zwei weitere von 
Trendelenburg operirte Fälle an, der eine starke Stahlschraube, also un- 
resorbirbares Material wählte, das dem resorbirbaren entschieden Überl^en ist. 
Die beiden Patienten gingen schon 8 Monate nach der Operation ganz leidlich 
an einem Stock. Der Arbeit sind die Röntgenbilder der beiden Fälle beigefügt 

Blencke - Magdeburg. 

Hesse, Ein Fall von Fractura pelvis mit Luxatio centralis. Diss. Kiel 1904- 

Verfasser gliedert den von Wilms angeführten Fällen von Fracturen 
des Beckens mit Luxatio centralis einen analogen an, den er in der Kieltf 
Klinik zu beobachten Gelegenheit hatte. Der intacte Schenkelkopf hatte den 
grösseren Theil der Pfanne mitsammt dem Scham- und Sitzbein in das Becken¬ 
innere hinein vor sich hergeschoben. Es gelang in tiefer Narkose durch Ex¬ 
tension und Adduction den Sclienkelkopf mit der Pfanne aus der fehlerhaften 
Stellung in die normale herauszuziehen. Ein Gewichtsextensionsverband mit ent¬ 
sprechenden Gegen- und Nebenzügen sollte die Fragmente in der richtigen 
Stellung halten, aber die vor der Entlassung etwa 6 Wochen nach dem Unfall 


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Referate. 


213 


angefertigte Röntgenaufnahme liesa erkennen, daas eine erhebliche Verbesserung 
in der Stellung der Fragmente nicht erreicht war. Active Bewegungen waren 
nur in sehr geringem Umfange möglich, passive Bewegungen nicht schmerz¬ 
haft, auch nicht das Andrücken des Oberschenkels gegen die Pfanne. Erst bei 
forcirten Bewegungen treten Schmerzen auf. Die Verkürzung beträgt IV* cm. 
Der Patient wurde einem medico-mechanischen Institut zur Nachbehandlung 
überwiesen. B1 e n c k e • Magdeburg. 

Dorn, Ein Fall von Beckenenchondrom. Diss. München 1904. 

Verfasser gibt zunächst eine allgemeine Betrachtung Über Enchondrome 
in kurzen Zügen, geht auf das Beckenenchondrom im speciellen über und würdigt 
zunächst dasselbe vom klinischen Standpunkt aus, bespricht dann die für den 
Kliniker wichtigen Momente, um im Anschluss hieran einen Fall zu beschreiben, 
der durch seine excessive Grösse sich auszeichnete. Es handelte sich um eine 
67jährige Frau, welche nacii 14tägigem Aufenthalt in der Münchener chirur¬ 
gischen Klinik ihrem Leiden erlag imd zur Obduction gelangte. In der Gegend 
der linken Beckenhälfte, um den Troch. mtgor herum befand sich eine etwa 
dreimannskopfgrosse, harte, höckerige Geschwulst, die nach oben bis in die 
Höhe des ersten Lendenwirbels sich erstreckte und gegen die Unterlage nicht 
verschoben werden konnte. Sie hatte eine Höhe von 40 cm und einen Umfang 
von 80—90 cm. Die Bewegungen des Hüftgelenks waren activ wie passiv be¬ 
hindert, der Oberschenkel wurde fast rechtwinklig flectirt und fixirt gehalten. 
Die grösste Störung betraf das Allgemeinbefinden der Patientin. Es bestand 
ausgesprochene Geschwulstkachexie. Der Tumor erwies sich als ein Encbondrom, 
den Dorn in die Klasse der malignen Geschwülste eingereiht wissen will, da 
er nicht nur der schleimigen Entartung anheimgefallen und durch den Aufbruch 
nach aussen complicirt war, sondern ihn auch seine abnorme Ausdehnung und 
die dadurch bedingte Inoperabilität zu einem Casus infaustus stempelten. Be¬ 
treffs der Aetiologie drängt nach Dorn's Ansicht alles darauf hinaus, neben 
mitwirkenden äusseren Schädlichkeiten auch innere Ursachen anzunehmen, die 
in den Verhältnissen des betreffenden Gewebes oder des ganzen Organismus 
gelegen sind. B1 e n c k e - Magdeburg. 

Fähndrich, Ueber einen Fall von Exarticulation des Oberschenkels wegen 

periostalen Sarkoms des Femur. Diss. München 1908. 

Nach einigen einleitenden Erörterungen über die Geschwülste im allge¬ 
meinen und die Sarkome im besonderen bespricht Verfasser eingehend den 
Fall, der den Anlass zu dieser Arbeit gab. Es handelte sich um einen 87* Jahre 
alten Knaben mit Sarcoma femoris. Der Tumor, der den Oberschenkel von der 
Mitte bis oben umfasste, war ganz unbeweglich mit dem Knochen verwachsen. 
Metastasen waren nicht nachzuweisen. Es wurde die Exarticulatio coxae aus- 
geführt, die gut überstanden wurde. Glatte Wundheilung. Exitus 3 Monate 
nacb der Operation. Ueber die Todesursache war nichts zu erfahren, jedoch 
machen die kurz nach der Operation aufgetretenen Symptome — Verdickung 
am Beckenknochen, allmählich zunehmender Icterus und Tumor hinter dem 
Sternum — den Verdacht auf Metastasen sehr wahrscheinlich. 

Bei der Exarticulation wurde der Rose'sche Modus angewandt mit vor- 


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214 


Referate. 


hergehender prophylaktischer Unterbindung der Arteria und Vena iliaca externa, 
welche bei minimaler Blutung ein gutes Heilresultat gab. Verfasser beschreibt 
diese Methode und auch die sonst üblichen und hebt die Vortheile jener diesen 
gegenüber hervor. Blencke*Magdeburg. 

Hausmann, Hemia muscularis des Musculus tensor fasciae latae. Diss. Greih- 

wald 1904. 

Verfasser beschreibt einen Fall einer Hernie am Tensor fasciae latae. Unter¬ 
halb der linken Spina iliaca ant. sup. ist in Ruhelage eine ganz geringe Her¬ 
vorwölbung sichtbar, die viel deutlicher bei Flexion und geringer Abdoction 
des Oberschenkels wird und eine Grösse von 14 cm Länge und 8 cm Breite hat. 
Ein Riss in der Fascie ist nicht nachzuweisen. Bei Contraction des Muskels 
kann man durch die Haut die einzelnen Muskelbündel liindurchfühlen. Die 
Lage der Geschwulst, ihre Veränderlichkeit bei Contraction und Ruhe dieses 
Muskels machen die Diagnose einer Hemia ziemlich leicht. Ueber die Ent 
stehung dieser Geschwulst weiss Patient nichts anzugeben. Dem Verfasser 
scheint bei diesem Fall die Annahme berechtigt, dass eine Prädisposition vor* 
liegt, da Patient ausserdem auch noch andere Leiden hat, die eine meist an¬ 
geborene Herabsetzung der Widerstandsfähigkeit der Gewebe zur Voraussetzong 
haben, einen Leistenbruch, eine Anlage dazu, eine Hernie in der Linea alba 
und starke Varicen. Ausserdem ist die Musculatur sehr schlaff, das Fettpolster 
gering. An der Hand von Beispielen aus der Literatur geht sodann Haus¬ 
mann alle Ursachen durch, die für eine Muskelhemie in Betracht kommen, 
die directen Traumen, Operationen, heftige Contractionen der betreffenden Mus¬ 
keln. Letztere Ursache ist nach Hausmannes Ansicht unzweifelhaft moglicb. 
ohne dass eine gewisse Sprödigkeit der Fascie vorhanden zu sein braucht, wie 
sie bei älteren Leuten vorkommt. Verfasser erwähnt auch solche Fälle, bei 
denen die Fascie durch beständige stärkere Muskelanstrengungen verdünnt und 
ausgebuchtet wird, so dass sie bei einer erneuten starken Contraction des Mus¬ 
kels leicht zerreisst, und kommt dann auf diejenigen zu sprechen, die unter 
die erwähnten Kategorien nicht unterzubringen sind. Bei diesen glaubt eben 
Verfasser eine gewisse Prädisposition annebmen zu müssen. Die Symptome, 
Prognose und die Therapie werden dann noch am Schlüsse der Arbeit, der 
zwei Abbildungen beigegeben sind, in der ausführlichsten Weise besprochen. 

B1 e n c k 6 - Magdeburg. 

Thal er. Zur Casuistik der Abrisse der Sehne des Biceps femoris vom Capi- 

tulum fibulae. Diss. Leipzig 1904. 

Verfasser bringt die Krankengeschichte eines Falles, den er im städtischen 
Krankenbause zu Hildesheim zu beobachten Gelegenheit hatte und bei dem es 
sich um einen Abriss der Sehne des Biceps femoris vom Capitulum fibolae 
handelte, um eine Zerreissung des Lig. collaterale fibulare und der Gelenk¬ 
kapsel und um eine Quetschung des N. peroneus. Die Verletzung war ohne 
jede äussere Gewalteinwirkung zu Stande gekommen. Die Function des Biceps. 
des Lig. collaterale fibulare und der Gelenkkapsel konnten durch einen opera¬ 
tiven Eingriff vollkommen wieder hergestellt werden. Die Nervenfunction zeigte 
nach Ablauf von 4 Monaten nur geringe Besserung. An der Hand dieses selbst 


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Referate. 


215 


beobachteten Falles und der am Ende der Arbeit aus der Literatur zusammen- 
^estellten 18 Fälle erörtert dann Thaler den Mechanismus der Verletzung^, 
die Symptome, die sie macht, die Complication seitens des N. peronens und 
die Behandlung, die einzig und allein in der Operation besteht. 

B1 e n ck e • Magdeburg. 

H ähle, üeber die Entstehung und Behandlung des Genu valgum in der Wachs¬ 
thumsperiode. Diss. Leipzig 1904. 

Verfasser stellt zunächst in seiner Arbeit diejenigen Forschungsergebnisse 
über Genu valgum zusammen, die, wie er sich ausdrückt, sich zu fast allgemeiner 
Anerkennung durchgerungen haben. Er bespricht eingehend die Hu et er'sehe, 
M ikulicz'sche und Wolffsche Theorie, kommt dann auf die einzelnen Be¬ 
handlungsmethoden, die für die Beseitigung des Genu valgum in der Wachs¬ 
thumsperiode in Betracht kommen, zu sprechen und bringt im Anschluss hieran 
15 kurze Krankengeschichten von Kindern, die von Tillmanns osteotomirt 
worden, denen er noch 33 Osteotomien aus den Jahren 1892—1903 hinzufügt, 
und zwar ohne Krankengeschichten. In allen Fällen wurde am Oberschenkel 
nach Maeewen osteotomirt mit Ausnahme von 12 Fällen, wo die Tibia osteo^ 
tomirt und die Fibula manuell eingeknickt wurde. Die Heilung erfolgte in 
allen Fällen mit Ausnahme eines einzigen, bei dem sich unter dem Verbände 
ein Abscess gebildet hatte, stets reactionslos. Die Resultate waren in allen Fällen 
sehr gute. Blencke-Magdeburg. 

Blauel, Die Resection des tuberculösen Kniegelenks und ihre Resultate auf 

Grund von 400 Operationen an der v. Bruns'schen Klinik. Habilitations¬ 
schrift Tübingen 1904. 

Die Arbeit steht in engem Zusammenhang mit den früheren aus der 
V. B r u n s'schen Klinik hervorgegangenen Arbeiten über die Resection des tuber¬ 
culösen Kniegelenkes, die, wie Verfasser sich ausdrückt, eine zusammenfassende 
Betrachtung darüber darstellen sollen, was im Verlaufe von 27 Jahren durch 
eine im wesentlichen von denselben Grundsätzen beherrschte operative Therapie 
in der Bekämpfung eines schweren und sehr verbreiteten Leidens erreicht wurde. 
Betreffs der Indication zur Operation will Blauel vor allen Dingen Rücksicht 
genommen wissen auf die sociale Stellung der Patienten. Für die Angehörigen 
der ärmeren Bevölkerungsschichten ist die Durchführung einer regelrechten, 
über Jahre sich erstreckenden conservativen Behandlung unmöglich. Für diese 
kommt nur die Behandlung in Frage, welche in möglichst kurzer Zeit und mit 
denkbar grösster Sicherheit den vorher Arbeitsunfähigen seinem Erwerbsleben 
znrückgibt, und das ist die Resection, die gerade beim Kniegelenk schon wegen 
der bequemen Zugänglichkeit zu demselben und wegen der dadurch gegebenen 
Möglichkeit, alles Kranke leicht entfernen zu können, sehr zu empfehlen ist. 
Conservativ werden in der Tübinger Klinik nur die Fälle behandelt, die die 
Anfangsstadien dieser Erkrankung bei einer geringen Neigung zu schnellem 
Fortschreiten zeigen und ferner, von schweren Fällen abgesehen, die Entzün- 
dangen bei Kindern unterhalb der Wachsthumsgrenze. Wenn nach Ablauf von 
5—6 Monaten kein sichtbarer Erfolg zu constatiren ist, dann soll operativ vor¬ 
gegangen werden. Wenn es irgendwie das Allgemeinbefinden und das Alter 


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216 


Referate. 


erlauben, soll immer zunächst selbst bei den malignesten Formen acuter pro¬ 
gredienter Kniegelenkstuberculose die Resection versucht werden. Personen im 
vorgerückteren Alter werden nicht mehr resecirt. Im allgemeinen gilt als obere 
Altersgrenze das 50. Lebensjahr. Die Arthrektomie ist in der Klinik fast völlig 
verlassen, da die Erreichung eines normal functionirenden beweglichen Gelenkes 
zu den Ausnahmen gehört und da eine schonende Resection — zwischen beiden 
ist bezüglich der functioneilen Spätresultate kein praktischer Unterschied — 
fraglos eine grössere Gewähr für radicale Entfernung aller erkrankten Theile 
gibt als eine Arthrektomie. 

Verfasser bespricht dann ausführlich die Technik der Resection, auf die 
ich hier nicht näher einzugehen brauche, da ja die von Bruns geübte Methode 
zur Genüge aus früheren Arbeiten bekannt sein dürfte. Das Gleiche gilt auch 
von der Nachbehandlung. 

Von 1875 bis Anfang 1903 wurden 400 Resectionen ausgeführt Am 
meisten betheiligt waren die Altersstufen von 6—20 Jahren. Von da ab ist mit 
steigendem Alter eine schnelle Abnahme zu verzeichnen. Unterhalb des 
5. Jahres waren 24 Kinder, das jüngste war 2 Jahre. Von den 400 hatte in 
fast der Hälfte der Fälle die Krankheit ihren Anfang im 1. Lebensdecenniom 
genommen; zur Operation kamen dagegen in diesem Lebensalter etwas über 
V4 der Gesammtzahl. Die pathologisch-anatomischen Befunde bei der Resec¬ 
tion zeigten entsprechend der grossen Anzahl von Fällen alle Überhaupt vor¬ 
kommenden Veränderungen. Von 342 zu verwerthenden Fällen waren 211 
primär synoviale Tuberculosen, 131 primär ostale. Es erkrankten innerhalb der 
ersten 15 Lebensjahre an primär synovialer Tuberculose 139, an primär ostalcr 
77, nach dem 15. Lebensjahre 72 an primär synovialer und 54 an primär ostaler. 
Der Antheil der primär synovialen Formen steigt also noch für die Erkran¬ 
kungen innerhalb der ersten 15 Lebensjahre, während er für die späteren Alters¬ 
stufen fällt. Von den 400 Resecirten starben 7, nicht ein einziges Mal handelte 
es sich aber dabei um Wundcomplicationen. Secundäre Amputationen waren 
17 nöthig, 16 unter den ersten 300 und nur eine unter den letzten 100. Diese 
Abnahme füllt zeitlich zusammen mit der Einführung der radicaleren Opera- 
tionsmethode. Vier Patienten mussten ungelieilt entlassen werden, in 29 Fällen 
fanden sich zur Zeit der Entlassung noch Fisteln bei sonst durchaus gutem 
Befunde an der Resectionsstelle. .343 mal war vollständige Heilung zu con- 
statiren. Es waren also 93% gute Resultate und 7®/o schlechte. Ueber da.« 
weitere Schicksal 1 Jahr nach der Operation erhielt man von 361 der früher 
Resecirten sichere Auskunft; 87,9% waren mit Erfolg resecirt, 12,1 ®o ohne 
Erfolg. Bezüglich der functioneilen Heilerfolge gaben von den jenseits de> 
20. Lebensjahres Resecirten 96 Auskunft, von denen sich 88 einer durchaus 
guten Gebrauchsfähigkeit des operierten Gliedes erfreuten. Bei den während 
des Wachsthums resecirten waren zwei unliebsame Folgezustände, die Verkrüm¬ 
mungen und die Verkürzungen des Gliedes nicht immer zu vermeiden. 9(> v 
heilten mit geraden, 10% mit krummen Knieen aus. In 60 Fällen bestand eine 
Verkürzung leichten Grades, in 23 Fällen eine solche schweren Grades. Bei 
fast der Hälfte der Resectionen im wachsenden Alter trat eine Wachsthums- 
Verkürzung überhaupt nicht oder nur in ganz unbedeutendem Maasse ein. Die 
aus der Gesammtsumme berechnete Durchschnittsverkürzung belief sich aut 


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Referate. 


217 


rund 4,5 cm. Die Verkürzungen der Tibia bewegten eich in sehr engen 
Grenzen, diejenigen des Femur dagegen nahmen weit grössere Werthe an und 
bildeten in 7» Fälle bei weitem den Hauptantheil der Wachsthumsverkür- 
zung. Verkürzungen, welche noch durch Beckensenkung und Spitzfussstellung 
ausgleichbar waren, gaben bei guten Körperkrä.ften noch ein leistungsfähiges 
Bein. Im letzten Abschnitt seiner sehr lesenswerthen und interessanten Arbeit 
kommt dann Blauel noch auf den Einfluss der Resection auf den Allgemein* 
zustand zu sprechen und fasst schliesslich seinen Standpunkt dahin zusammen, 
dass die ausserordentlich guten Resultate der Resection des Kniegelenkes bei 
Tuberculose uns berechtigen, bei Erwachsenen und bei Kindern die operative 
Radicalbehandlung als das Normalverfahren für alle schwereren Erkrankungen 
anzusehen, auch für leichtere Fälle dann, wenn eine richtig geleitete conserva- 
tive Therapie nach Ablauf einer bestimmten, nicht zu lang zu setzenden Frist 
erfolglos blieb oder die sociale Stellung der Patienten eine länger dauernde 
conservative Behandlung verbietet. Blencke-Magdeburg. 

Röpke, Zur Kenntniss der Tuberculose und Osteomyelitis der Patella. Archiv 

f. klin. Chir. Bd. 73. 

Verfasser berichtet über 8 Fälle von primärer Tuberculose und 2 Fälle 
von Osteomyelitis der Patella aus der Jenenser Klinik. Nach dem Vorbilde von 
Lex er hat er die Gefässvertheilung in der Patella in verschiedenen Lebensaltern 
studirt durch Herstellung von Röntgenbildern nach vorangegangener Injection 
von Terpentinölquecksilberemulsion. Auch er findet einen Zusammenhang zwischen 
dem Sitz des Krankheitsheerdes und der Gefässvertheilung. Abgesehen von der 
letzteren ist die Grösse des Knochenkernes von Einfluss auf den Sitz der Krank¬ 
heit. Bei kleinem Knochenkem und dementsprechender, mehr auf das Centrum 
beschränkter Gefässvertheilung findet man auch den Sitz der Krankheit in der 
Mitte der Patella. Bei wachsendem Knochenkern etc. wandert auch der Krank- 
heitsheerd mehr nach der Peripherie der Patella. Die Prognose der in Frage 
stehenden Krankheit hängt vor allem davon ab, ob das Kniegelenk miterkrankt 
ist. Im allgemeinen bleibt dasselbe bei Osteomyelitis häufiger verschont als bei 
Tuberculose. Die Diagnose wird erschwert durch Mitbetheiligung des Knie¬ 
gelenkes. Ferner können bei gesundem Gelenk Verwechselungen mit isolirter 
Phlegmone der Schleimbeutel Vorkommen. 

Die Therapie erfordert eine schnelle Beseitigung des Krankheitsheerdes, 
am das Kniegelenk, wenn möglich, vor einer Miterkrankung zu bewahren. 

Ohl-Berlin. 

Boyksen, Ein Fall von Necrosis patellae infolge technisch falscher Anwendung 

der Stauungshyperämie nach Bier. Diss. Kiel 1904. 

Verfasser geht zunächst etwas näher auf die Bi ersehe Stauung ein und 
knüpft daran die Mahnung, stets die grösste Vorsicht und Sachkenntniss dabei 
zu beobachten, damit nicht die beabsichtigte Wirkung ins Gegentheil umschlägt, 
wie es ein nach dieser Seite hin sehr lehrreicher Fall, der in der chirurgischen 
Klinik zu Kiel zur Beobachtung kam, beweist. Es handelte sich um ein 
lljähriges Mädchen, bei dem der Arzt, um eine Beugecontractur im Knie zu 
heben, die BieFsche Stauung angelegt hatte. Da der Arzt verreisen musste. 


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218 


Referate. 


Übernahmen die Eltern weiterhin das Anlegen der elastischen Binde. Als er 
zurückkam, sah er, dass die Eltern die Binde zu fest gewickelt hatten und dass 
eine Gangrän der Haut über und theilweise seitlich vom Knie eingetreten war. 
Als sich diese abgestossen batte, zeigte sich auch eine Nekrose des größeren 
Theiles der Patella und der Gelenkkapsel. Zwei Abbildungen sind der Arbeit 
beigegeben. B1 e n c k e - Magdeburg. 

Willems, Zur Therapie der Patellarfracturen. Dies. Giessen 1904. 

Verfasser schickt zunächst eine Betrachtung der normal-anatomischen 
und pathologisch-anatomischen Verhältnisse der Kniescheibe voraus unter be¬ 
sonderer Berücksichtigung ihres Zusammenhanges mit dem Streckapparat des 
Unterschenkels, um dann in Kürze die Krankengeschichten von 20 Fallen 
aus dem Kölner Bürgerhospital wiederzugeben, die dieser Arbeit zu Grunde ge¬ 
legt sind. 16mal handelte es sich um einen Querbruch, Imal um einen Stern¬ 
bruch, 3mal war eins der Bruchstücke noch einmal in zwei oder mehr Theile 
gespalten. In 2 Fällen handelte es sich um veraltete Brüche, in 18 um frische; 
bei jenen betrug die Diastase der Bruchstücke 6 und 8 cm, bei diesen 4mal 
1 cm, 12mal bis 3 cm und 2mal bis 5 cm. Abgesehen von den beiden ver¬ 
alteten Fällen, bei denen das Bein überhaupt nicht gestreckt werden konnte 
und die Patienten ohne fremde Hilfe nicht gehen konnten, war in 13 Fällen 
das Gehvermögen vollkommen aufgehoben, in 5 waren leidliche Streckbewe¬ 
gungen möglich. An Heilungsverfahren kamen in Anwendung 9mal die per¬ 
manente Extensionsbehandlung nach Bardenheuer, Imal die Malgaigne- 
sehe Klammer, Imal die Punction nach Volkmann in Verbindung mit der 
BardenheueFschen Extension, 8mal die Naht der Fragmente, 2mal die 
Operation nach Schanz in einer von Bardenheuer modificirten Weise, 
und zwar beide Male bei den veralteten Fällen, Verfasser berührt dann 
noch die Heilungsverfahren, die in Anwendung kamen, mit kurzen Worten, 
hebt die Vor- bezw. Nachtheile der einzelnen hervor und empßehlt sehr das 
von Bardenheuer modificirte Schanz’sche Operationsverfahren, der die 
verloren gegangene streckende Kraft des Quadriceps nicht nur durch den Sar¬ 
torius zu ersetzen suchte, sondern auch noch von der Flexorengruppe den Semi- 
tendinosus und Semimembranosus zur Hilfe nahm. Mit diesem Verfahren ist 
es nach des Verfassers Ansicht in jedem Falle von Patellarfractur und bei jeder 
beliebigen Diastase der Fragmente möglich, auf eine sichere Art die aufgehobene 
Streckfunction des Beines wieder zur normalen zu gestalten und so Erfolge 
zu erzielen, die mit .den seither üblichen Methoden nicht erreicht werden 
konnten. Der Verzicht auf knöcherne Heilung der Fractur hat keine Gefahren 
einer Refractur, da an den fibrösen Callus keine Anforderungen gestellt werden. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Dreyfus (Paris), Piece de fracture de la rotule traitee par le cerclagc. 

Bulletins et raemoires de la societe anatomique de Paris 1904, Nr. 1. 

Dreyfus demonstrirt eine bei einer Leiche gefundene Fractur der Patella. 
Ein Silberfaden umgibt den Knochen, der in die Quadricepssehne und in das 
Ligamentum der Patella übergeht. Auf einem Verticalschnitt durch die Mitte der 
Patella bemerkt man eine weisse Linie, herrührend von einem ganz dünnen horizon- 


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Referate. 


219 


talen Callas an der Vorderfläche der Patella von höchstens V* mm Dicke, welcher 
^gen die Mitte des Knochenschnittes hin verschwindet Hinten ist keine Spur 
einer Fractur vorhanden. Dass es sich hier um eine Totalfractur handelt, 
beweist die Betrachtung des knorpeligen üeberzuges, welcher hinten unvolb 
ständig ist und durch einen Streifen fibrösen Gewebes ersetzt ist. 

Demnach ist die Fractur vom ganz knöchern, hinten mit einem fibrösen 
Gallus von der Ausdehnung eines halben Centimeters geheilt Die Function 
des Kniegelenkes war ganz erhalten, physiologisch wie anatomisch. 

H i 11 e r - Berlin. 

Lanz, Sehnenplastik bei habitueller Luxation der Patella. Correspondenzblatt 
für Schweizer Aerzte 1904, Nr. 8. 

Lanz nähte bei einem Patienten^ welcher das Bild der habituellen ange¬ 
borenen Patellarluxation nach aussen darbot (bei activer Beugung glitt die Knie¬ 
scheibe nach aussen ab, active Streckung unmöglich, bei passiver Streckung kehrt 
die Patella an ihren Platz zurück) den M. gracilis und semimembranosus nach 
Ablösung von der Tibia an den Innenrand der Patella, lieber den Enderfolg 
wird nichts berichtet. Rauenbusch-Berlin. 

Panther, Beitrag zu den subcutanen Verletzungen des Ligamentum patellae 
proprium. Dies. Heidelberg 1904. 

Verfasser berichtet über einen Fall von subcutaner Verletzung des Liga¬ 
mentum patellae proprium, der nicht allein durch seine Schwere, sondern auch 
durch die Seltenheit einer gleichzeitigen beiderseitigen Verletzung des Ligamen¬ 
tum patellae ausgezeichnet ist, und bei dem in verhältnissmässig kurzer Zeit 
durch die eingeschlagene Behandlungsweise, die in Freilegung und Naht der 
zerrissenen Theile bestand, eine vollständige Wiederherstellung erzielt wurde. 
Im Anschluss an diesen Fall bespricht Panther die Art dieser Verletzungen, 
ihr Zustandekommen, die Symptome und dergl. mehr, wobei er sich im wesent¬ 
lichen an die Arbeiten von Walz und M a y d 1 anlehnt, und tritt entgegen der 
Ansicht einzelner Autoren warm für die Operation ein, die 100 Procent voll¬ 
ständige Heilungen bringe. Er hält die Furcht vor einer Gelenkeröffhung bei 
dem heute so hoch entwickelten Stande der Asepsis für unbegründet. Mass¬ 
gebend sind für ihn die Erfolge, die doch sehr zu Gunsten der blutigen Methode 
aasfallen. Die Heilungsdauer wird durch dieselbe bedeutend abgekürzt; man 
bekommt durch die Eröffnung des Gelenks erst einen richtigen Ueberblick 
über die gesetzten Zerstörungen und durch dieselbe erst die Möglichkeit, die die 
Heilung verzögernden und unmöglich machenden Zufälligkeiten, über deren 
Vorhandensein eine äussere Untersuchung wohl nur in den seltensten Fällen ge¬ 
nügenden Aufschluss geben kann, zu beseitigen. Am Schlüsse seiner Arbeit 
kommt dann Verfasser noch auf die Ausführung der Operation zu sprechen, 
die er im Hinblick auf die grossartigen Erfolge bei allen Ligamentrupturen, 
mögen sie partiell oder total sein, frisch oder veraltet, für durchaus indicirt 
hält. ßlencke-Magdeburg. 

Lejars, L*inflammation chronique de la graisse sous-patellaire. Lasemaine 
medicale 24^ ann^e Nr. 6. 

Lejars weist in dieser Veröffentlichung darauf hin, dass es neben den 
allgemein bekannten und gut Charakterisirten Erkrankungen des Kniegelenkes 


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220 


Referate. 


häufig Fälle gibt, in welchen die Diagnose sehr schwierig und unsicher, die 
Therapie häufig machtlos ist. Hierzu gehört auch das oben genannte, von 
Hoffa zuerst genauer studirte Leiden, dessen Ursprung in den meisten Fällen 
ein traumatischer, dessen Silz das Fettgewebe unterhalb und neben der Knie¬ 
scheibe ist. Die Symptome sind häufig die eines Fremdkörpers oder einer 
Meniscusluxation, die Schmerzen trotzen manchmal jeder Behandlung, selbst 
der Ruhigstellung durch Gips verband. Die Diagnose stützt sich ausser auf diese 
Symptome auf ein mässiges Knarren bei Bewegungen sowie auf zwei Wülste, 
die neben dem Lig. pat. propr. hervortreten. Sie sind bedingt durch lappiges, 
derbes, gelbröthliches Fettgewebe mit fibrösen Zügen, welches manchmal Blu¬ 
tungen enthält. Die operative Entfernung durch einen oder zwei Seitensebnitte 
führt zu sicherer Heilung. Es folgt dann Mittheilung zweier selbst beobachteter 
Fälle, die durch die Operation geheilt wurden und bei welchen die Diagnose 
auf Tuberculose gestellt worden war. Rauenbusch -Berlin. 

Böcker (Berlin), Ein Fall von freien Gelenkkörpern in beiden Kniegelenken 

mit doppelseitiger habitueller Luxation der Patella nach aussen. Deutsche 

medicin. Wochenschrift 1904, Nr. 23. 

Aus der Anamnese dieses Falles ist hervorzuheben, dass die Beschwerden 
— Einklemmungserscheinungen, ab und zu aufbretende Anschwellung beider Knie¬ 
gelenke und später Abweichen beider Patellae nach aussen — eingetreten sind, 
ohne dass Patient einen Grund hierfür angeben konnte. Der Befund ergibt: 
Lockerung der seitlichen Bänder, palpatorischer Nachweis freier Gelenkkörper. 
Abweichen beider Patellae bei contrahirtem Quadriceps, fast normale Lage bei 
Beugung. Ein zwischen Semimembranosus und Gastroenemius angelegter Schnitt 
lässt aus dem hier liegenden Schleimbeutel 8 hühnerschrot- bis haselnussgrosse 
Gelenkkörper zum Vorschein kommen. Ein zweiter Schnitt an der Innenseite 
der Patella macht am Condylus intern, einen 4 cm breiten, V/t cm dicken und 
5 cm langen Defect sichtbar, dessen Grund mit Knorpel bedeckt ist. Dieser 
Defect entspricht einem im oberen Recessus aufgefundenen Gelenkkörper von 
unregelmässiger und höckeriger Form, glänzendem Aussehen und knorpeliger 
Beschaffenheit. Im übrigen ist das Gelenk intact. Eine Fixation der Patella 
an ihre normale Stelle wird durch Ueberpfianzung des Semimembranosus an 
den inneren Rand der Patella erreicht. Operation und Befund am anderen 
Knie ist fast derselbe, besonders auch in Bezug auf Grösse und Lage des De- 
fectes am Condylus intern. Verfasser führt die habituelle Luxation auf die durch 
den Reiz der Gelenkkörper, durch den Hydrops und die Atrophie des Quadri¬ 
ceps entstandene Schlaffheit der Gelenkkapsel und Sehnen zurück. Er reiht 
diesen Fall denen von König mit Osteochondritis dissecans bezeichnelen 
Fällen ein: 

1. wegen des Mangels eines Traumas, 

2. wegen der Grösse und des correspondirenden Sitzes des Defectes in 
beiden Kniegelenken, 

3. wegen der Form und der Beschaffenheit der Gelenkkörper. 

Infolge des guten Resultates — Patient kann nach 5 Wochen ohne Be¬ 
schwerden gehen, er kann das Knie bis zu V* R- beugen, die Patellae sind gut 
fixirt — empfiehlt Verfasser diese Operation. Andreae-Berlin. 


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Referate. 


221 


Sheldon, Posterior dislocation of the head of the tibia. Annals of surgery 
1908, January. 

Sheldon berichtet Über drei vollständige Luxationen der Tibia nach 
hinten und gibt im Anschluss daran eine genaue Uebersicht Ober die in der 
Literatur veröffentlichten Fälle dieser seltenen Verletzung. Zand er-Berlin. 

Taylor, Osteoma of the knee-joint. Annals of surgery 1903, January. 

Taylor beschreibt einen Fall von Knieosteom, dessen Diagnose mittelst 
Röntgenstrahlen gelang und der 2 Jahre lang wegen Rheumatismus mit Massage 
und Elektrizität behandelt wurde. Er weist auf die Wichtigkeit der Röntgen¬ 
untersuchung in derartigen Fällen hin und auf die geringe Gefahr der Gelenk 
Operation bei peinlichster Asepsis. Z an der-Berlin. 

Summa, Zur Casuistik der traumatischen Epiphysenlösung am unteren Ober¬ 
schenkelende. Deutsche Zeitschr. f. Chir. Bd. 72 Heft 1—3. 

Summa beobachtete einen Fall von traumatischer Epiphysenlösung am 
untern Femurende, der durch Ueberstreckung entstanden war. Die seitlichen 
Kniegelenksbänder hielten stand, nicht aber die Epiphysenfuge, worauf die 
Epiphyse unter winkliger Knickung nach vom dislocirt wurde. Die Behandlung 
bestand in Eröffnung des Kniegelenks und manueller Reposition in Ueberstreckung; 
die Einrichtung erfolgte mit deutlichem Schnappen. Es trat völlige Heilung 
ein mit anatomisch wie functioneil günstigem Resultat. In der Literatur hat 
Summa unter vielen ähnlichen 3 dem seinen ganz gleiche Fälle aufgefunden, 
die er in Kürze beschreibt. Er zieht aus ihnen den Schluss, dass die Dis¬ 
location der unteren Femurepiphyse nach vorn unter winkliger Knickung 
typisch ist für Fälle, die durch plötzliche Ueberstreckung des Knies entstanden 
sind. Ist die Reposition eine schnelle und vollständige, so ist die Prognose 
gut. Das Zeichen der gelungenen Einrichtung ist das federnde Einschnappen der 
Epiphyse und das sofortige Verschwinden des Scblotierknies. Dauernde Functions¬ 
störungen sind unter diesen Umständen ausgeschlossen, abgesehen von den 
Folgen etwaiger Wachsthumsstörungen des Oberschenkels. 

Pfeiffer - Berlin. 

Hage, Ein Beitrag zur Behandlung der Unterschenkelbrüche. Diss. Göt¬ 
tingen 1904. 

Verfasser berichtet über die seit der üebemahme der Leitung der Göt¬ 
tinger chirurgischen Klinik durch Geheimrath Braun vom 1. December 1895 
bia 1. April 1903 daselbst behandelten 164 Fälle von Unterschenkelbrüchen. Es 
handelte sich um 98 einfache und 66 complicirte. Unter der Gesammtzahl be¬ 
fanden sich 15 Pseudarthrosen. Hage geht auf die unblutige Behandlungsweise 
von Knochenbrüchen bei verzögerter Callusbildung, nämlich auf das Klopfen der 
Fracturstelle und die Erzeugung von Hyperämie durch Stauung näher ein und 
führt 8 Fälle an, die zur Genüge beweisen, dass häufig das Verfahren zur Ver¬ 
meidung von Pseudarthrosen mit Erfolg angewendet wird. Von den 66 com- 
plicirten Knochenbrüchen musste bei 9 die Amputation gemacht werden wegen 
aoagedehnter Zersplitterung, meist jedoch wegen beginnender Sepsis oder Gangrän. 
Vier Patienten starben, und zwar zwei an Fettembolie der Lungen, einer durch völlig 


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222 


Referate. 


verschliessende Embolie in beiden Hauptästen der Lungenarterien, einer an 
fibrinöser Pneumonie. Hage kommt dann auf die Pseudarthrosen zu sprechen 
und auf die verschiedenen Methoden, die zu ihrer Heilung angegeben sind; er 
glaubt der Geringschätzung der Callus bildenden Wirkung des Elfenbeinstifles 
auf Grund von 13 Fällen entgegentreten zu müssen, deren Kiunkengeschichten 
er genauer anführt. Es bandelte sich um 9 Pseudarthrosen nach einfachen Unter, 
schenkelfracturen und um 4 nach complicirten. In 12 Fällen führte das Ein* 
schlagen derartiger Stifte zur Consolidation der Pseudarthrose, während dieselbe 
einmal nicht erfolgte. In diesem Falle hatte der Patient vor vollendeter Heilung 
die Klinik verlassen und bei einer späteren Untersuchung wurde minimale Be¬ 
weglichkeit der Fracturstelle gefunden. In keinem Falle war es nöthig, die Stifte 
wieder zu entfernen, die in keinem Falle lediglich die Rolle eines Fixations¬ 
mittels gespielt hatten, da sie sämmtlich quer eingetrieben waren im Sinne des 
alten Dieffenbac h’schen Verfahrens. Die Resection der Bruchenden zur Her¬ 
beiführung der Consolidation mit nachfolgender Knochennaht wurde in 7 Fällen 
von Pseudarthrosen gemacht, von denen 5 als sicher geheilt eruirt werden 
konnten. Bl en cke-Magdeburg. 

Buschmann, üeber die Behandlung der Osteomyelitis acuta und ihrer Folge¬ 
zustände mit besonderer Berücksichtigung zweier Fälle von totaler Tibia- 

Osteomyelitis. Diss. Marburg 1904. 

Verfasser gibt zunächst einen kurzen Ueberblick über die Geschichte der 
Behandlung der Osteomyelitis, bespricht die Ausführung der Frühoperation, 
deren Vortheile er genügend hervorhebt, die Diagnose dieser Erkrankung und 
beschreibt im Anschluss hieran 2 Fälle von totaler Tibia-Osteomyelitis. Die 
verschiedenen Operationsmethoden werden der Reihe nach besprochen und die 
Folgezustände der Osteomyelitis werden kurz gestreift. Neues bringt die Arbeit, 
der sowohl die Röntgenaufnahmen wie auch die Abbildungen der erwähnten 
Fälle beigegeben sind, nicht. Bl en cke-Magdeburg. 

Bahrmann, lieber die Bildung tragfähiger Amputationsstümpfe an der unteren 

Extremität. Diss. Leipzig 1904. 

Verfasser gibt zunächst einen kurzen Ueberblick über die Operationen, 
durch die schon vor Bier tragfähige Amputationsstümpfe erzielt werden sollten, 
und geht dann in der ausführlichsten Weise auf die osteoplastische Operation 
Bier’s und ihre Erfolge an den verschiedenen Kliniken näher ein, sowie auf 
die von Bunge angegebene, auf BieFs Principien sich stützende Methode. Er 
kommt zu dem Resultat, dass die Herstellung tragfähiger Amputationsstümpfe 
am besten und sichersten gelingt, wenn man den Fuss nach Pirogoff, den 
Unterschenkel im Knie nach Gritti oder S ab an eje w amputirt, während bei 
Amputationen in den Diaphysen des Ober- und Unterschenkels allein die 
Bier’sche resp. bei voraussichtlich gestörtem Wundverlauf die Bunge’sche 
Methode am Platze ist. Dabei sind seiner Ansicht nach besonders diese beiden 
letzten Methoden zweckmässig zu combiniren mit der methodischen Nachbehand¬ 
lung, wie sie Hirsch angegeben hat. Ob die Methode von Hirsch allein auch 
zum Ziele führt, darüber will Babrmann bei den geringen Erfahrungen, die 
man mit ihr gemacht hat, noch kein Urtheil iUllen. Bien cke-Magdeburg. 


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Referate. 


223 


Schubert, Beitrag zur Eenntniss der Fussgelenksluxation durch Rotation nach 
aussen mit hoher Spiralfractur der Fibula. Deutsche Zeitschr, f. Chir. 
Bd. 73. 

Verfasser berichtet über zwei einschlägige Fälle aus dem Hafenkranken¬ 
haus in Hamburg. Der Mechanismus und die klinischen Symptome der nach 
Verfassers Ansicht durchaus nicht allzu seltenen Verletzung werden eingehend 
mit Berücksichtigung der vorliegenden Literatur besprochen und sind im Original 
einzusehen. Häufig wird nach Verfasser die Fussgelenksluxation sofort ohne 
Kunsthilfe spontan reponirt. Die Röntgenbilder der Fälle sind beigefügt. 

Ebb inghaus-Berlin. 


Bayer, Die Verrenkungen der Mittelfussknochen im Lisfranc’schen Gelenk. 

Sammlung klinischer Vorträge 1904, Nr. 372. 

Verfasser ruft zunächst die anatomischen und physiologischen Verhältnisse 
ins Gedächtniss zurück und geht dann auf die einzelnen Luxationsformen, die 
in dem Lisfranc'schen Gelenk verkommen können, des Näheren ein unter 
jedesmaliger Beifügung mehrerer aus der Literatur gesammelter Fälle. 68 Fälle 
insgesammt konnte Bayer zusammenstellen und zwar 34 totale, also mit Ver¬ 
schiebung des ganzen Metatarsus, und ebenfalls 34 partielle mit Verrenkung 
eines oder mehrerer Mittelfussknochen. Unter diesen 68 Fällen befanden sich 
nur drei Frauen. Die Symptome der einzelnen Luxationsformen, deren Diagnose 
ja heute wesentlich erleichtert ist durch Zuhilfenahme der Röntgenstrahlen, 
werden eingehend besprochen, desgleichen auch ihre Entstehung. Für die Be¬ 
handlung kommt natürlich in erster Linie die Reposition in Frage. Wenn man 
mit Zug und Gegenzug nicht zum Ziel kommt, so hat man fast immer Erfolg, 
wenn man zuerst die pathologische Stellung noch verstärkt und dann durch 
einen ruckweise vorgenommenen üebergang in die normale Stellung die luxirten 
Knochen in ihre Gelenkverbindung zurückhebelt. Kann durch diese Repositions¬ 
niethoden die Einrichtung nicht erreicht werden, dann ist natürlich ein opera¬ 
tives Vorgehen angezeigt. Auch in dem Fall seiner eigenen Beobachtung musste 
zur Resection geschritten werden. Unter 44 Fällen, die sich zur Untersuchung 
des Endergebnisses verwerthen Hessen, ergaben 26 Fälle ein gutes Resultat mit 
Reposition und 4 ein gutes ohne Reposition, 14 Fälle ergaben ein schlechtes 
Resultat und zwar 5 mit gelungener Reposition und 9 ohne Reposition. Die 
4 F^lle, bei denen trotz der Luxation ein gutes Resultat erzielt wurde, stammen 
allerdings aus einer Zeit, in der wir die Unfallversicherung noch nicht kannten. 
Damals scheint nach des Verfassers Ansicht der fleissige Gebrauch des verletzten 
Gliedes und die Gewöhnung im Stande gewesen zu sein, secundär eine günstige 
Veränderung in der Structur des Fussskeletes und damit auch diese vorzüg¬ 
lichen functionellen Resultate hervorzurufen. Bayer erscheint es bei der 
Schwächung des Fussgewölbes, wie sie durch eine Luxation im Tarsometatarsal¬ 
gelenk wohl immer in mehr oder weniger hohem Grade erfolgt, in allen Fällen 
angebracht, den Patienten bei der Entlassung prophylaktisch eine Plattfussein- 
lage mitzngeben, eine Vorsichtsmassregel, die nur von Vortheil sein kann. 

Blencke - Magdeburg. 


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224 


Referate. 


Fischer, Zur Luxation des ersten Metatarsalknochens. Deutsche Zeitschr. für 

Chirurgie Bd. 74 Heft 1 und 2. 

Fischer stellt im Anschluss an eine eigene Beobachtung die bisher ver¬ 
öffentlichten Fälle von reiner Luxation des ersten Metatarsalknochens, im ganzen 
18 Fälle, zusammen und weist dabei auf die ausserordentliche Vielgestaltigkeit 
dieser Verletzung hin. In seinem Falle handelte es sich um eine Luxation auf 
das Dorsum des zweiten Metatarsus, in der complicirenden Hautwunde lag die 
Gelenkfläche frei. Die Reposition war trotz Narkose erst nach der Resection 
und der Entfernung eines pflaumenkemgrossen Bruchstückes vom lateralen 
Theile des ersten Keilbeins möglich. Die Heilung dauerte wegen einer grossen 
Hautnekrose 9 Wochen, die Function wurde wieder völlig hergestellt. 

Rauenbusch - Berlin. 

Neuhaus, Beitrag zur Kenntniss der Calcaneusfracturen. Charite-Annalen. 

XXVIII. Jahrg. 

Ne uh au 8 weist darauf hin, dass die Veröffentlichungen über Fersenbein¬ 
brüche, von denen die Rissbrüche schon Hippokrates bekannt waren, in letzten 
Zeiten, nach Inkrafttreten der Arbeiterwolilfahrtsgesetze und seit Beginn der 
Röntgenära, etwas zahlreicher geworden sind als früher. Zu den beiden oben 
erwähnten Typen kommen nach Golebiewski noch die Brüche der Fortsätze 
des Fersenbeins, also des Sustentaculum tali und des Processus inframalleolaris, 
sowie die Schussfracturen. Verfasser fand in den Krankengeschichten der letzten 
Jahre in der chirurgischen Klinik der Charite 11 hierher gehörige Fälle, darunter 
einen Rissbruch. Bei den Zerquetschungsbrüchen kommen längs verlaufende, 
schräge oder quere Bruchlinien vor. Diese letzteren verlaufen nicht immer, 
man a priori annehmen sollte, durch die schwächste Stelle, nämlich die G^end 
des Sinus tarsi, sondern auch schräg von da nach hinten unten. In 2 F^en 
von Querbruch war der Sinus tarsi überhaupt nicht betroffen. Als ziemlich 
häufige Nebenverletzung (4 in seinen 11 Fällen) fand Neuhaus einen Broch 
des Processus posterior tali, der auch von Golebiewski erwähnt wurde. Die 
Rissfractur, bei welcher die Bruchlinie genau dem Verlauf der Spongiosabälkchen 
entsprechend verlief, war, wie alle anderen, ebenfalls durch Fall auf die Füsse 
entstanden. Auch eine Schussfractur ist beobachtet worden, die nichts beson¬ 
deres in ihrem Befund und Verlauf zeigt. Bezüglich der Wiederherstellung 
der Function rosp. Arbeitsfähigkeit sind die mit totaler oder wenigstens erheb¬ 
licher Zertrümmerung einhergehenden Formen ungünstig zu beurteilen, die 
leichteren Zerquetschungs-, sowie die Rissbrüche geben eine günstigere Prognose; 
zur Klarstellung ist besonders bei Unfallverletzten das Röntgenverfahren heran¬ 
zuziehen. Rau en husch-Berlin. 

Bauer, Drucknekrosen bei congenitalem Klumpfuss. Deutsche Zeitschr. für 

Chirurgie Bd. 72, Heft 1—3. 

Bauer fand bei einem Neugeborenen mit doppelseitigem Klumpfusse 
Drucknekrosen auf beiden äusseren Knöcheln, die zu einem Substanzverlust der 
Haut geführt hatten. Die Geburt war normal verlaufen, so dass die Uterus- 
contractionen intra partum die Drucknekrosen nicht herbeigeführt haben konnten. 
Der Befund der Druckstellen sprach dafür, dass der Druck in den letzten Monaten 


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Referate* 


225 


der Schwangerschaft zur Geltung kam, was eventuell gegen die Theorie der 
frühzeitigen Entstehung der Klumpfüsse sprechen könnte. Pfeiffer-Berlin. 


Türk, Zur Pathologie, Diagnose und Behandlung des Plattfusses nach Erfah¬ 
rungen aus der königlichen chirurgischen Universitätspoliklinik zu Berlin. 
Diss. Rostock 1903. 

Verfasser bespricht in seiner Arbeit, nachdem er sich zuerst mit dem Bau 
und der Function des normalen Fusses beschäftigt hat, die Anatomie und Patho¬ 
logie des Plattfusses, auf die ich hier näher einzugehen nicht nöthig habe, da 
in dem betreffenden Abschnitt nichts Neues enthalten ist Er kommt dann auf 
die Therapie zu sprechen, die die verloren gegangene, normale Stellung wieder- 
herznstellen sucht, 1. operativ, 2. durch Plattfussstiefel und Einlagen und 8. mit 
Massage und Gymnastik, geht die einzelnen Abschnitte durch und beschreibt 
vor allen Dingen eine Einlage, die ihm nicht nur selbst, sondern auch vielen 
anderen recht gute Dienste geleistet hat Er verlangt von einer zweckmässigen 
Einlage, dass sie den Fuss aussen umgreift, um ihn am Abgleiten zu hindern, 
und dass sie nach innen weit genug in die Höhe geht, um ein Ueberkippen zu 
vermeiden. Die von ihm construirte Einlage weist deshalb an der Aussenseite 
die beiden Lange'schen Haken auf und geht an der Innenseite ähnlich der 
Whitman’schen in die Höhe. Dieser Theil ist fächerförmig geschlitzt und 
erlaubt so neben der nöthigen Federung ein leichteres Anpassen an den Fuss. 
Die Einlage wird nach einem Gipsabdruck aus Stahlblech geschnitten und ent¬ 
sprechend dem Gewicht des Patienten gehärtet. Die Kosten sind verhältniss- 
mässig gering. Bl encke-Magdeburg. 

P^raire, Orteil en marteau avec hygrome forteroent d^velopp^. Osteotomie 
cuneiforme. Guärison. Bull, et m^m. de la soci4te anatomique de Paris 
1904, Nr. 1. 

Beschreibung einer Hammerzehe am rechten Fuss (Digit. II), bei einem 
jungen Mann, der seine Militärzeit soeben überstanden hatte. Auf der Höhe des 
Interphalangealgelenkes befindet sich ein etwa nussgrosser, ganz runder, an der 
Oberfläche etwas eingedrückter, mit schwarzen Krusten bedeckter Schleimbeutel. 
Die Haut ist etwas geröthet. Die Affection ist sehr schmerzhaft. — Unter 
Cocainanästhesie Exstirpation des Schleim beuteis, keine Drainage. Histologisch 
zeigte das Hygrom eine beträchtliche Hypertrophie der Haut und des Unterhaut¬ 
zellgewebes. Die Papillen stehen unregelmässig, die elastischen Fasern sind ver¬ 
mehrt. Zwischen Strat. com. und Strat. Malpighi Anhäufungen von Eiterzellen, 
in Form eines kleinen, intraepidermoidalen Abscesses. Nach Peraire ist kein 
Fall bekannt, in welchem ein Schleimbeutel so beträchtliche Grösse erreicht 
hätte. Hill er-Berlin. 

Lomnitz, Ueber einen Fall von traumatischer centraler Lähmung der grossen 
Zehe. Diss. Leipzig 1904. 

In dem vorliegenden Falle handelte es sich um eine Patientin, der eine 
eiserne Stange auf den Kopf gefallen war. Bei der Aufnahme ins Krankenhaus 
Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XIII. Bd. 15 


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226 


Jteferate. 


war eine vollständige rechtsseitige Hemiplegie mit Ausnahme des Facialisgebieies 
zu constatiren. Es lag eine complicirte Depressionssch&delfractur vor mit 
Zertrümmerung eines etwa markstückgrossen Theiles der Schädeldecke; zahl 
reiche Knochensplitter, die ins Gehirn eingedrungen waren, mussten entfernt 
werden. Der Substanzverlust im Gehirn war von etwa 4 cm Tiefe. Der Wund¬ 
verlauf war ein guter. Die Lähmung ging allmählich zurück; am hartnäckigsten 
war die Paralyse des rechten Beins, aus der jedoch allmählich eine Parese wurde. 
8 Jahre nach dem Unfall Hess sich die Patientin aufs neue in das Angusta- 
hospital aufnehmen. Sie klagte über Lähmung des rechten Unterschenkels, Kopf¬ 
schmerzen und Schmerzen an der Stelle der Narbe. An den unteren Extremi¬ 
täten waren alle Glieder frei beweglich bis auf das rechte Fussgelenk, das in 
keiner Richtung activ bewegt werden konnte. Ebenso war keine active Be¬ 
wegung der Zehen möglich. Die Patientin wurde nochmals operirt und es wurde 
noch ein Knochensplitter entfernt. 1 */» Monate nach der Operation erguh die 
Untersuchung beider unteren Extremitäten, dass in beiden die grobe motorische 
Kraft eine sehr beträchtliche war. Nur die rechte grosse Zehe stand in starker 
Hyperextension. Spontan konnte diese Contraction nicht überwunden werden 
und demzufolge auch die grosse Zehe nicht bewegt werden. Die Contractor 
Hess sich ohne grosse Mühe ausgleichen und das Glied passiv bewegen. Die 
Sensibilität erwies sich intact, es fand sich nur eine ausschliesslich auf die 
grosse Zehe beschränkte Störung des Muskelsinnes, die sich später aber auch noch 
verlor. Letzterer Befund zwingt Lomnitz für seine Beobachtung zu dem 
Schlüsse, dass im Gehirn der Ort der Bewegungsvorstellung und der Ort des 
Lagebewusstseins des betreffenden Gliedes identisch sind. Am Schlüsse seiner 
Arbeit fasst Verfasser das Ergebniss der vorliegenden klinischen Beobachtung 
kurz folgendermassen zusammen: Durch eine Läsion im Gebiete des oberen 
Theiles der Regio centralis ist eine isolirte Lähmung der grossen Zehe erzeugt 
worden. Gleichzeitig ist wenigstens temporär eine Störung des Muskelgeföhls 
dieser Zehe beobachtet worden, eine Thatsache, die den Schluss gestattet, dasi 
in der erwähnten Region das Centrum für die Bewegung der grossen Zehe sich 
befindet und gleichzeitig das Lagegefühl derselben dort localisirt ist. 

B1 e n c k e • Magdeburg. 

V. Hovorka, Ueber Stelzbeine und ihre Verwendung in der Massenpraxis. 

Als Material verwendet Hovorka, und zwar für das Gerüst des Körpere 
des Stelzbeines, ein weitmaschiges Drahtgeflecht, welches mit Blechstreifen 
versteift und innen entsprechend gepolstert ist. Die Hülse ist sowohl für 
rechts- oder linksseitige Stümpfe verwendbar. Das Drahtgeflecht ist mittelst 
Stahlplatte und Schrauben in eine hohle Holzkapsel eingepasst, und an dieser 
ist wieder der Stock befestigt, der aus leichtem, sehr festem englischen Stahl¬ 
rohr besteht. Die Befestigung der gepolsteiien Seitenschienen am Stumpf erfolgt 
mittelst Riemen. Bei höheren Amputationen, sowie bei Exarticulationen kommoi 
Sitzrahmen, Tuberstützen eventl. Beckengürtel hinzu. 

Am unteren Ende der Stelze ist ein drehbarer Ansatz befestigt. Derselbe 
besteht aus zwei Stahlröhren, von denen die eine am Stock des Stelzbeines 
befestigt ist, die andere zur Aufnahme eines gerifflen Gummipuffers dient. Durch 
Einschaltung eines Kugellagers zwischen die beiden Rohre und Abschluss der 


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Referate. 


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Lageyerbindnngen durch einen Staubmantel wird die Yorriohtung vor Staub etc. 
geschützt. 

Hovorka erklärt es für sehr wichtig, dass bei der Vornahme von Am¬ 
putationen vom Chirurgen schon auf die zweckmässige Herstellung des Stumpfes 
Rücksicht genommen werde; es soll dabei schon auf die zukünftige Prothese 
Bedacht genommen werden. 

Zum Schluss befürwortet Hovorka noch eine ausgiebige Gymnastik des 
Amputationsstumpfes, um den späteren Gebrauch desselben als Träger der Pro¬ 
these entsprechend vorzubereiten. Haudek-Wien. 

Lossen, lieber einige neue heilgymnastische Apparate. Arch. f. Orthopädie 
Bd. II Heft 1. 

Lossen hat einen neuen Lagerungsapparat mit Pendelschwingung für 
Skoliotische construirt, der in Rücken- und Seitenlagerung zu benutzen ist und 
eine verhältnissmässig lange Applicationsdauer gestattet; er bewirkt ausserdem 
eine viel ausgiebigere Extension und stärkeres Redressement als andere ähnliche 
Constructionen. Lossen kommt nach seinen kurz angedeuteten Erfahrungen 
mit anderweitigen Neuschöpfungen auf dem Gebiete der Apparatotherapie zu 
dem Schlüsse, dass die Zander'schen Apparate immer noch die erste Stelle 
einnehmen und allen übrigen Constructionen mehr oder weniger als Vorbild ge¬ 
dient haben. Pfeiffer-Berlin. 

Charlier (Paris), Appareils pour Timmobilisation du thorax, de l’öpauleiet du 
bras. Annales de chir. et d’orthop4die 1904, Nr. 3. 

Charlier hat eine einfache Vorrichtung angegeben, die eine Immobili¬ 
sation des Thorax, der Schulter und des Armes bewirken soll. Sie besteht aus 
einer 18—23 cm hohen, gürtelförmig den Brustkorb umfassenden Stoffbandage, 
die zum Schnüren eingerichtet ist und mittelst zweier über die Schultern 
laufender Tragbänder fixirt wird. An dieser Bandage wird mit Sicherheits¬ 
nadeln ein viereckiges Stück Stoff befestigt, das von der gesunden Achsel über 
die Brust hinweg bis hinten zur Wirbelsäule reicht. Dieses Tuch wird voll 
hinten über den rechtwinklig gebeugten, der Brust anliegenden Vorderarm 
hinübergeschlagen, worauf sein unterer Zipfel am oberen Rande der Körper¬ 
bandage festgesteckt wird, so dass der Arm wie in einer Mitella ruht. Diesen 
Verband wendet Charlier mit entsprechenden Modificationen (einseitiges Trag¬ 
band und Anstecken des unteren Zipfels hoch oben am Tragbande) auch bei 
Schlüsselbeinbrüchen an. Die Thoraxbandage allein ist indicirt bei Fracturen 
des Brustbeins und der Rippen und dient ferner zur Compression der Mammae 
Und des Thorax. Pfeiffer-Berlin. 

Wohrizek, .Corrector“ Apparat für corsetfreie Behandlung der Rückgrats¬ 
deformitäten. Arch. f. orth. Chir. 1903, Bd. I. 

Der ,Corrector‘ bietet als erste Neuheit, dass er, mit einem stellbaren 
Arbeitstische verbunden, den Skoliotkchen das Lesen und Schreiben gestattet, 
.während ihre deformirte Wirbelsäule einer heilsamen functioneilen Belastung 
unterworfen ist*. Diese erste Neuheit, das Arbeiten am Arbeitstisch beim 
Functioniren des .Corrector“, wird aber nur durch eine zweite Neuheit ermög- 


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22a 


Referate. 


licht, dass nämlich Verfasser die altbewährte und allseitig erprobte Extension 
der Wirbelsäule perhorrescirt. Eine dritte Neuheit besteht darin, dass Verfasser 
auf Corsetbehandlung gänzlich verzichtet. Alles fibrige vom «Corrector* nnd 
.Kyphosenapparate* ist altbekannt. Indes dürften auch die angeführten Neu¬ 
heiten genügen, um den .Corrector* einer verdienten Würdigung anheimfallen 
zu lassen, zumal er „mehrfach patentirt* ist. Gersou-Berlin. 

Funke, Eine neue Unterschenkelschiene. Münchner med. Wochenschr. 1904, 

Nr. 23. 

Holzschiene, die sich einigermassen der Vorderfläche des Unterschenkels 
anpassen soll, zur Verhütung des bei langem Krankenlager etc« leicht ent¬ 
stehenden Klumpfusses. Wollenberg-Berlin. 

Bockenheimer (Berlin), Die Technik des Extensionsverbandes. Zeitschrift für 

ärztliche Fortbildung 1904, Heft 1. 

Im Wesentlichen eine Beschreibung der Anfertigung und Anlegung des 
typischen Extensionsverbandes, wobei nur die Selbstherstellung des Pflasters 
durch 5 Minuten langes Kochen einer Mischung von 57 Theilen Bleiglätte, 
3V* Theilen Burgunderharz und 97 Theilen Baumöl etwas relativ Bemerkens- 
werthes darstellt. H i 11 e r - Berlin. 

Port, Anleitung zur Selbstherstellung von Apparaten für den Transport der 

Schwerverwundeten und für die Behandlung der eiternden Knochenbrdche. 

Stuttgart 1904. 

Für den Transport Krieg^verwundeter hat Port eine Anzahl von leicht 
herzustellenden Apparaten construirt, welche sich für Kriegszwecke gut eignen 
mögen. 

Die Beschreibung der einzelnen Apparate ist nur verständlich an der 
Hand der beigegebenen zahlreichen Abbildungen. Hier seien nur die einzelnen 
Apparate aufgezählt. 

1. Doppelt geneigte Ebene für den Oberschenkelbruch. 

2. Schienen verband für den Oberschenkelbruch. 

3. Ausziehbare Blechrinne für den Unterschenkelbruch. 

Zur Behandlung der eiternden Knochenbrüche gibt Port Apparate an* 

1. Für Oberschenkelfractur. 

2. , Fracturen in der Gegend des Kniegelenkes. 

3. . . in der Mitte oder dem unteren Ende des Unterschenkels. 

4. . . des Oberarms. 

5. . . des Ellenbogens. 

6. . . am Vorderarm. 

ln einem Anhänge legt Verfasser auch die Vortheile dar, welche diese 
Apparate für die Friedenspraxis bringen, und gibt noch ferner einen Apparat 
für die Clavicularfractur, für die Ober- und Vorderarmfracturen, sowie Bein* 
und Armschweben zur Behandlung der Gelenkentzündungen an. 

Hil 1er-Berlin. 


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Referate. 


229 


V. Hovorka, Beitrag zur Behandlung von Nabelbrttchen. Archiv f. Ortho¬ 
pädie, Mechanotherapie und Unfallchirurgie Band II Heft 2. 

Verfasser beschreibt in seiner Abhandlung ein neues Bruchband, das nicht 
wie die bisherigen Constructionen mit einer Pelotte und Gegennabel versehen 
ist. Er legt die Bauchhaut parallel der M. recti in zwei L&ngsfalten und sucht 
diese, coulissenartig Über dem Brach zusammengezogen, zu erhalten. Das dazu 
construirte Bruchband besteht aus zwei stumpfkantig auslaufenden Compressions- 
theilen, zwischen welche die Hautfalte zu liegen kommt Diese Kissen sind 
durch einen breiten Gummigurt, der den Körper von hinten umschiiesst vereinigt. 
Geschlossen wird das Bruchband vom durch verstellbare Lederriemen, die sich 
gabelförmig kreuzen. Als Vortheil dieses Bandes schildert er den sicheren Sitz 
und die stets leicht ausführbare Controlle. VüHers-Dresden. 

K raus, üeber den Einfluss des Corsets auf die somatischen Verhältnisse. Wiener 
med. Wochenschrift 1904, Nr. 8. 

Kraus hat an einer Anzahl von weiblichen Individuen, auch solchen, 
die noch kein Corset getragen haben, Untersuchungen, im speciellen mittelst 
radiographischer Aufnahmen, angestellt und konnte hierbei unter anderem fest¬ 
stellen, dass, abgesehen von einer allgemeinen Compression der Lungen, beson¬ 
ders der laterale rechte Pleurasinus fast gänzlich verstrichen war. Kraus bringt 
mit dieser Thatsache den Umstand in Verbindung, dass sich bei miedertragen¬ 
den Frauen hier häuflg hartnäckige Catarrhe localisiren. 

Ferner kommt es durch das Corsettragen zu Lageveränderungen des 
Herzens, einer Torsion und Hebung desselben in den grossen Gefässen. Hiermit 
ist auch meist eine Torsion und Zerrung der zahlreichen benachbarten nervösen 
Elemente verbunden, die Kraus als Ursache der bei Frauen so häufigen Reflex¬ 
neurosen beschuldigt, für die wohl diese Läsionen des Plexus cardiacus und des 
übrigen Vagusgebietes nicht ohne Einfluss sind. 

Das Herabdrängen der unteren Magengrenze und Hinaufheben des cardialen 
Antheils, das «Aufrichten* des Magens, sowie das Tiefertreten des Colons im 
Vereine mit der Lordosenvermehrung dürften nach Kraus bei der Frage der 
Aetiologie der Enteroptose Berücksichtigung finden. 

Dauernde sichtbare Veränderungen infolge des Corsettragens sind 1. Herab¬ 
rücken der Ebene des kleinsten Umfanges, 2. Verstärkung der normalen Lordose 
in der Beckenneigung, 3. Verlegung des Scheitels der Lordose in die Ebene 
des kleinsten Umfanges, d. h. Erzeugung einer Taille in vier Fagonen des 
Thorax. 

Das Frauencorset vermehrt die Lordose, ist also für die Behandlung des 
Hängebauches ungeeignet, ebenso für die der Enteroptosen. 

Das Corset als Kleidungsstück normaler Frauen ist ohne jede Einschränkung 
zu verwerfen. H a u d e k - Wien. 

Fenn er. An apparatus to facilitate the application of plaster jackets during 
spinal hyperextension. Annals of surgery 1903, January. 

Fenn er beschreibt einen Extensionstisch, der eine Hyperextension der 
Wirbelsäule und schrittweise sowie schmerzlose Correctur des spondylitischen 


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230 


Referate. 


Gibbos ermöglicht und auf dem in horizontaler Lage das Gipscorset gleich 
während der Correction angelegt werden kann. Zander-Berlin. 


Menciöre, Note sur mon Instrumentation pour la Chirurgie m^canique non- 
sanglante osseuse et articulaire. Archives provinciales de Chirurgie h 
XIIi; Nr. 4. 

Menciere gibt die Abbildung und Beschreibung mehrerer Apparate zur 
unblutigen Behandlung von Deformitäten. Sie sind nach dem Piinzip des HebeU 
konstruirt und ermöglichen durch ihren Bau eine Anwendung, bei welcher un¬ 
erwünschte Nebenwirkungen ausgeschlossen resp. vermieden werden können. 
Es handelt sich um einen Apparat zur Ausgleichung von Contracturen in Hüfte 
und Knie, zur Einrenkung der angeborenen Hüftverrenkung, um einen Osteo¬ 
klasten und einen Apparat zur Behandlung der Skoliose. 

Rauenbusch - Berlin. 

Baermann und Linser, Beiträge zur chirurgischen Behandlung und Histologie 
der Röntgenulcera. Münchner medicinische Wochenschrift 1904, Nr. 21. 
Verfasser berichten über 8 Fälle, in denen sie wegen hartnäckiger Röntgen- 
uleera die Transplantation gestielter Hautlappen mit gutem Erfolge vomahmen. 
Die histologischen Befunde, welche die Autoren bei der mikroskopischen Untere 
suchung der Ulcerationen und der transplantirten Bezirke erheben konnten, 
beweisen, dass in erster Linie die GefUsse es sind, welche unter der Röntgen* 
bestrahlung leiden; sie gehen zu Grunde und zeigen häufig stärkere endarte- 
riitische Wucherungen mit Verengerung der Lumina. Das Bindegewebe der 
Ulcerationen zeigt degenerative Veränderungen. Bei den mit Transplantation 
behandelten Ulcera findet nun eine lebhafte Vascularisirung des gefässarmen 
Geschwürsgrundes statt; dieser schliesst sich eine Regeneration des Binde¬ 
gewebes und meist eine prompte Einheilung der Lappen an. 

W 0 11 en b e r g - Berlin. 

Baermann und Linser, Ueber die locale und allgemeine Wirkung derRöntgen- 
strahlen. Münchner medicinische Wochenschrift 1904, Nr. 23. 
Gegenüber der von Scholz begründeten und bisher ziemlich allgemein 
acceptirten Anschauung, dass das Epithel da^enige Gewebe sei, welches am 
ersten und schwersten unter der Wirkung der Röntgenstrahlen zu leiden habe, 
weisen die Verfasser durch eine Reihe von Transplantationen, bei denen iheils 
die zu überhäutende Fläche, theils die Hautpartie, welche zur Ueberpfianzung 
benutzt werden soll, vorher einer energischen Röntgenbestrahlung ausgesetzl 
wird, nach, dass der primär und am empfindlichsten geschädigte Theil des Körper¬ 
gewebes die Blutgefässe sind. 

Weiter thun die Verfasser durch die Methode der Hämolyse und die 
spectroskopische Untersuchung dar, dass eine Schädigung des Blutes und der 
Lymphe durch die Röntgenstrahlen nicht stattfindet. Der geschädigte Theil ist 
eben die Gefässwand, und zwar zeigt die Intima die stärksten Veränderungen. 

Was die allgemeine Wirkung der Röntgen strahlen betrifft, so konnten 
auch die Verfasser sehr häufig Fieber nach der Bestrahlung beobachten. Um 
ferner das Verhalten des Stoffwechsels unter der Bestrahlung zu studiren, wurden 


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Referate. 


231 


an 7 Patienten Stoffwechselversuche angestellt» die stets eine Erhöhung der 
N-Ausscheidung im Ham ergaben. Wollenberg-Berlin. 

Schnee, ,Das elektrische Vier-Zellen-Bad“. Verlag: ^Vier-Zellen-System-Gesell- 
schaft Berlin* 1904. 

Ans der Pnblication ist herrorzuheben, dass das ^Yier-Zellen-Bad* von 
Lossen, v. Noorden, Eulenburg, Schnee u. a. bei den nachstehenden 
Erkrankungen mit sehr gutem Erfolg angewandt wurde: Arthritis deformans, 
Arthritis urica, Muskelrheumatismus, cerebrale und periphere Lähmungen (be¬ 
sonders Kinderlähmung) Neuralgien, Anästhesien, Parästhesien, Muskelschwäche, 
Neurasthenie, Ischias, Nachbehandlung von Kontusionen, Fracturen, Luxationen, 
Zellgewebsentzündungen, Muskelatrophien und Gelenkversteifungen nach lang- 
dauernden Gipsverbänden. Autoreferat. 


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XL 


Zur Pathologie der 6^elenkcoiitractaren‘). 

Von 

J. T. Miknlicz-Breslau. 

Meine Herren! Als der Herr Vorsitzende mich einlud, in der 
heutigen Versammlung das Referat über die Pathologie der Gelenk- 
contracturen zu übernehmen, setzte mich diese ehrenvolle Aufforde¬ 
rung in einige Verlegenheit. Bei dem grossen Arbeitsgebiet der 
modernen Chirurgie, welchem ich in meiner klinischen Stellung nach 
den mannigfachsten Richtungen gerecht werden muss, bleibt mir 
heute leider wenig Zeit übrig, mich mit einer, wenn auch noch so 
wichtigen Einzelfrage aus dem Gebiete der Orthopädie eingehend 
zu beschäftigen. Dieses Bedenken wurde indessen leicht zerstreut, 
als Herr Dr. Ludloff es übernahm, sich in die Arbeit mit mir zu 
theilen. Mir war seine Mitarbeit um so willkommener, als er sich 
schon längere Zeit mit diesem Thema beschäftigt hatte. 

Ein zweites Bedenken hatte ich, indem ich zweifelte, ob es 
zweckmässig sei, einen Theil der so kurz bemessenen Zeit des 
Orthopädencongresses zu einem mehr theoretischen Vortrage zu ver¬ 
wenden und dadurch den Raum für den vielleicht wichtigeren Zweck 
der Versammlung, für die Demonstrationen zu verkürzen. Indessen 
musste ich nach reiflicher Ueberlegung dem Vorschlag des Herrn 
Vorsitzenden doch aus voller Ueberzeugung beistimmen. Wenn auch 
die Orthopädie in ihrer heutigen Entwickelung auf vorwiegend prak¬ 
tischen Wegen wandelt, so hat sie doch die Anregung zu vielen 
ihrer zahlreichen glücklichen Erfolge aus theoretischen Kenntnissen 
und Voraussetzungen geschöpft. Manche der letzteren haben viel¬ 
fach den Charakter von Hypothesen und liegen in ihrer Entstehung 
Jahre und Jahrzehnte zurück. Es kann deshalb nur von Nutzen 
sein, sie von Zeit zu Zeit einer Revision zu unterziehen. Es ist 
nicht zu bezweifeln, dass diese Revision gerade bei der Lehre von 
den Gelenkcontracturen heute wünschenswerth erscheint. Neben 

') Vortrag, gehalten auf dem III. Congress der Deutschen Gesellschaft 
für orthopädische Chirurgie am 5. April 1904. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XIII. Bd. 10 


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234 


J. V. Mikulicz. 


anderen neuen Untersuchungen sind es namentlich die Befunde der 
Röntgenphotographie, von welchen wir auch bei der Lehre von den 
Gelenkcontracturen vielleicht neue Aufschlüsse erwarten durften. 

Ich habe mich nun mit Herrn Dr. Ludloff derartig in die 
Arbeit getheilt, dass ich den allgemeinen, mehr theoretischen Theil 
übernommen habe, während er die Einzelheiten vortragen wird, so¬ 
weit sie durch seine Untersuchungen eine feste Gestalt gewonnen 
haben. 

Da es den Rahmen eines kurzen Referates weit überschreiten 
würde, wenn wir sämmtliche Gelenke in den Bereich unserer Be¬ 
sprechungen ziehen wollten, so haben wir uns auf ein einziges 
Gelenk beschränkt und zwar das Kniegelenk. Wenn einmal hier 
alle fraglichen Punkte erörtert sind, kann es nicht schwer sein, auch 
die Contracturen anderer Gelenke nach ähnlichen Gesichtspunkten 
zu untersuchen. Dass das Kniegelenk zum Studium der Gelenk¬ 
contracturen besonders geeignet ist, ist einleuchtend. Es wird nur 
aus zwei Knochen zusammengesetzt und hat eine relativ einfache 
Mechanik. Es liegt so oberflächlich, dass wir von drei Seiten fast 
unmittelbar unter der Haut die Veränderungen an den Knochen und 
der Kapsel mit dem Auge und der palpirenden Hand verfolgen 
können. Aus demselben Grunde gibt die Röntgenphotographie hier 
so klare und unzweideutige Bilder, wie bei wenigen anderen Gelenken. 
Schliesslich gehören die Kniegelenkscontracturen zu den häufigsten, 
die wir beobachten. Ihre praktische Bedeutung ist nicht nur des¬ 
halb so gross, sondern weil schon geringe Grade der Contracturen 
schwere functionelle Störungen zur Folge haben. Nur einen Nach¬ 
theil bietet für unsere Betrachtungen das Kniegelenk, nämlich, dass 
sein innerer complicirter Bau sich der directen Beobachtung ent¬ 
zieht und auch durch die Röntgenphotographie nicht dargestellt 
werden kann. 

Wenn wir uns fragen, was wir unter Gelenkcontractur ver¬ 
stehen, so wird es uns schwer, eine kurze Definition zu geben; und 
doch scheint mir dies für eine klare Verständigung bei der Lehre 
von den Contracturen nothwendig. Ich möchte die Gelenkcontractur 
als eine partielle oder vollständige Aufhebung der activen und 
passiven Beweglichkeit eines Gelenkes definiren, jedoch mit dem 
Ausschluss der echten Ankylosen, welchen eine feste (knöcherne oder 
bindegewebige) Verwachsung der Gelenkenden zu Grunde liegt. Die 
strenge Unterscheidung der Ankylose von der Contractur ist in 


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Zur Pathologie der Oelenkcontractaren. 


235 


ämpiomatischer^) und therapeutischer Richtung von so grosser Be¬ 
deutung, da3s wir an dieser Scheidung auch bei der Nomenclatur 
festbalten müssen. 

Die Röntgenphotographie kann uns nicht immer über die Frage, 
ob eine wirkliche Ankylose vorliegt, völlig aufklären. 

Die Gelenkcontractur besteht sehr häufig nicht nur in einer 
Feststellung oder Beweglichkeitsbeschränkung des Gelenkes inner¬ 
halb der physiologischen Excursionsweite; sie kann namentlich beim 
Kniegelenk noch mit Stellungsanomalien in pathologischem Sinne 
verbunden sein, d. h. die Gelenkenden stehen in einer Stellung zu 
einander, die sie bei intactem Gelenkmechanismus nie einnehmen 
können. Dieser Zustand wird ganz allgemein als eine Theilerscheinung 
auch zur Contractur gerechnet; es ist indessen gewiss zweckmässig, 
ihn schon dem Namen nach von der reinen Contractur zu trennen. 
Ich möchte vorschlagen, die Contractur im Rahmen der physio¬ 
logischen Excursionsweite als einfache Contractur zu bezeichnen, 
bei jeder Deformität in dem angeführten Sinne dagegen von einer 
complicirten Contractur zu sprechen. Wenn also das Knie¬ 
gelenk ausser in Beugestellung noch in Genu valgum- oder Sub- 
loiatioDsstellung fixirt ist, hätten wir eine complicirte Contractur 
vor uns. 


Zu einer stricten Unterscheidung der Ankylose von der Contractur ist 
keioeswegs die Untersuchung in der Narkose nöthig, wie vielfach gelehrt wird. 
Wir besitzen zwei Symptome, die uns die beiden Zustände sicher unterscheiden 
laaen. Nimmt man eine Bewegung in einem versteiften Gelenke vor, so wird 
im Falle einer wirklichen Ankylose jede Reaction von Seiten der das Gelenk 
versorgenden Muskeln ausbleiben. Das Gelenk existirt eben nicht mehr; infolge 
dessen lallt der reflectorische Reiz auf die Musculatur auch ganz fort. Im Falle 
einer Contractur dagegen wird, besonders bei schmerzhaften Gelenkaffectionen, 
selbst der geringste Versuch einer Beugung oder Streckung die Antagonisten 
in einen Contractionszustand versetzen. Diesen sieht und fühlt man auch deut¬ 
lich mit der aufgelegten Hand, beim Kniegelenk sowohl an den Beugern als 
anch an den Streckern. 

Ein zweites Symptom ist folgendes: Besteht nur eine Contractur, so sind 
immer Bewegungen im Gelenk noch möglich, wenn sie auch so geringfügig 
(ind, dass sie sich durch eine gröbere Untersuchung nicht nachweisen lassen. 
Sie werden bei den gewöhnlichen rohen Bewegungsversuchen sofort durch eine 
Anspannung der Antagonisten parirt. Man kann aber die Beweglichkeit inner¬ 
halb kleinster Excursionen ganz deutlich constatiren, wenn man rasche, oscil- 
lirende Bewegungen ohne stärkere Gewalteinwirkung vomimmt; diesen ver¬ 
mögen die das Gelenk versorgenden Muskeln nicht zu folgen. 


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236 


J. V. Mikulicz. 


Wenn wir die Kniegelenkcontracturen nach ihrer Aetiologie 
durchgehen, so werden wir die dermatogenen und durch andere 
Weichtheilschrumpfungen hervorgerufenen am besten ganz ausser 
Acht lassen, weil sie an und für sich zu wenig theoretisches Inter¬ 
esse bieten und auch zum Verständniss der praktisch wichtigsten 
Contracturen, der arthrogenen, wenig beitragen. Dagegen werden 
wir die primären myo- und neurogenen Contracturen wohl berück¬ 
sichtigen müssen, weil wir an ihnen am besten lernen, wie weit der 
Contractionszustand oder aber die functionelle Ausschaltung einzelner 
Muskelgruppen allein die Stellung des Gelenkes beeinflussen können. 
Herr Dr. Ludloff wird Ihnen mehrere hierher gehörige interessante 
Befunde mittheilen. 

Das Hauptinteresse haben für uns natürlich die arthrogenen 
Contracturen, nicht nur die verschiedenen Grade und Formen der¬ 
selben, sondern vor allem auch ihre Pathogenese. Es ist schwer, 
heute auf diesem Gebiete ganz neue Gesichtspunkte aufzuiindeo. 
seitdem König in seinem klassischen Werke , lieber die Tuberculose 
des Kniegelenks*^ die Grundlage für unsere heutige Auffassung der 
Kniegelenkcontracturen geschaffen hat. Es ist auch kaum möglich, 
an der König’schen Lehre in wesentlichen Punkten Aenderungen 
vorzunehmen, höchstens kann es sich darum handeln, einzelne 
Momente in der Pathogenese der Kniegelenkcontractur mehr in den 
Vordergrund zu rücken, als es vielleicht König gethan hat. 

A priori werden wir bei den arthrogenen Kniegelenkcontrac¬ 
turen eine dreifache Pathogenese annehmen können. Entweder wird 
die Stellung des Gelenks durch die dasselbe bewegenden Muskeln 
bestimmt; es liegt dann eine secundäre myogene Contractur vor; 
oder aber Veränderungen in der Kapsel und in den Bändern be¬ 
schränken die Beweglichkeit und zwingen dem Gelenk eine bestimmte 
Stellung auf. Wir können in diesem Falle von einer desmogenen 
Contractur sprechen. Endlich können Form Veränderungen der 
knöchernen Componenten des Gelenks die Stellung derselben be¬ 
stimmen: osteogene Contractur. 

Wenn ich im folgenden versuche, diese dreifache Pathogenese 
der arthrogenen Contractur zu erörtern, so habe ich vor allem die 
tuberculösen Contracturen im Auge, die ja für uns im Vordergrand 
des Interesses stehen. Für die Beurtheilung der nicht tuberculösen 
arthrogenen Contracturen, namentlich der chronisch-entzündlichen, 
gelten im wesentlichen dieselben Gesichtspunkte wie für die tuber- 


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Zur Pathologie der Gelenkcontracturen. 237 

cuJösen; doch finden sich bei ihnen wesentliche Abweichungen vom 
tuberculösen Typus, worauf Herr Dr. Ludloff ausführlicher zu 
sprechen kommen wird. 

Wir wollen uns zunächst mit der Frage beschäftigen, welche 
Bedeutung den ein entzündetes Gelenk versorgenden Muskeln für die 
Entstehung der Contractur zukommt. 

Sie wissen wohl alle, welche wichtige Rolle der reflectorischen 
Muskelcontraction, speciell der Beuger beim Zustandekommen der 
Kniegelenkcontractur durch Billroth, Volkmann, Duplay u. A. 
seinerzeit beigelegt wurde. Auch König räumt den Muskeln in der 
Pathogenese der Gelenkcontractur eine wesentliche Bedeutung ein, 
indem er ausdrücklich sagt, dass sich die Bewegungsdefecte im 
Gelenk unter dem Einfluss des Willens vollziehen. In dieser all¬ 
gemeinen Fassung kann die Eönig’sche Anschauung sicher nicht 
bestritten werden. Was wir heute dagegen in Abrede stellen möchten, 
ist die Lehre von der reflectorischen Muskelcontractur infolge der 
Schmerzhaftigkeit des Gelenks. Wir sind vielmehr der Meinung, 
dass es keines reflectorischen Contractionszustandes bedarf, wenigstens 
beim Knie nicht, um das Gelenk in Beugestellung zu bringen. 
Durch eine Erschlaffung sämmtlicher das Knie bewegenden Muskeln 
allein ist die Entstehung der Contracturstellung in den Initialstadien 
der Erkrankung genügend erklärt. Es ist das eben die Mittelstellung, 
bei der nicht nur sämmtliche Muskeln, sondern auch alle zum Knie¬ 
gelenk gehörigen Weichtheile, insbesondere Kapsel und Bänder, am 
gleichmässigsten erschlafft sind. Dass dieser Zustand der vollstän¬ 
digen Erschlaffung am meisten die Schmerzen im Kniegelenk herab- 
$etzt, ist leicht verständlich. Die Stellung des Kniegelenks ist dabei 
QBgeffihr dieselbe, welche es auch in gesundem Zustand bei voll¬ 
ständiger Erschlaffung und ohne jede Belastung einzunehmen pflegt, 
z. B. in einem warmen Vollbad. Es ist auch nicht zweifelhaft, dass 
diese Erschlaffung der Muskeln zunächst von unserem Willen abhängt. 

Auch im weiteren Verlaufe der Erkrankung spielen die Muskeln, 
so lange der Process florid, das heisst das Kniegelenk schmerzhaft ist, 
keine active Rolle. Nur in einem Falle treten sie wirklich in Thätig- 
keit und zwar ziemlich energisch; sie sind gewissermassen die Wächter 
fOr die Innehaltung der Stellung des Gelenkes, bei welcher es sich 
im Ruhezustände befindet. Alles, was eine Aenderung dieser Stellung 
herbeifübrt, ruft eine Muskelcontraction im antagonistischen Sinne 
hervor. Jede ärztliche Untersuchung, wenn sie nicht mit besonderer 


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238 


J. V. Mikulicz. 


Zartheit vorgenommen wird, ist besonders geeignet, solche Muskel- 
contractionen als unbewusste Abwehrbewegungen hervorzurufen. 
Diese Muskelcontractionen treten sicher auch unabhängig vom Willen 
auf und können deshalb als reflectorische Abwehrbewegungen ange¬ 
sehen werden. Ohne Zweifel hat die Beobachtung dieser reflecto- 
rischen Muskelcontractionen zur Auffassung der activ mjogenen 
Entstehung der Oelenkcontracturen geführt. Selbstverständlich treten 
diese Muskelcontractionen als Abwehrbewegungen auch dann ein, 
wenn der Patient das erkrankte Gelenk, so lange es noch schmen- 
haft ist, gebraucht oder gar belastet. Dass bei einem belasteten 
Hüft- oder Kniegelenk die Muskeln krampfhaft angespannt sind, 
um die Ruhelage des Gelenkes nach Möglichkeit zu erhalten, ist 
nur verständlich. Wird aber das Gelenk functionell in keiner Rich¬ 
tung in Anspruch genommen, so tritt sofort vollständige Entlastung 
aller Muskeln ein. 

Erst in den Endstadien, wenn der Kranke beim Gebrauch des 
Beins die bestehende Contractur durch active Contractionen des 
Quadriceps zu überwinden sucht, kommt der Muskelapparat wieder 
in Thätigkeit. Hier beeinflusst er insofern die Form des Knies, als 
die forcirten Extensionsbewegungeu eine vielleicht vorher noch nicht 
bestehende oder nur angedeutete Subluxation der Tibia, oder richtiger 
gesagt, Achsenverschiebung von Femur und Tibia hervorrufen. 

In späteren Stadien spielen die Muskeln noch eine nicht un¬ 
wichtige Rolle bei der Fixirung einer einmal entwickelten Contractur. 
Entsprechend der dauernden Annäherung ihrer Insertionspunkte sind 
sie „nutritiv“ verkürzt und setzen der Streckung einen passiven 
Widerstand entgegen. 

In zweiter Linie kann die Pathogenese der arthrogenen Con- 
tracturen in Veränderungen der Kapsel und des Bandapparates 
liegen. Wir können diese Entstehungsart im allgemeinen als des- 
mogen bezeichnen. Bekanntlich hat Bon net auf Grund von Leichen- 
experimenten die Entstehung der Gelenkcontracturen in einseitiger 
Weise dadurch zu erklären versucht, dass infolge einer prallen 
Füllung der Gelenkkapsel durch Exsudat dem Gelenk die Mittel¬ 
stellung aufgezwungen wird. Diese Bonnet’sche Lehre ist längst 
widerlegt. Wir sehen wiederholt bedeutende acute und chronische 
Ergüsse im Kniegelenk, ohne dass die Contracturstellung dem Gelenk 
aufgezwungen würde. Ueberdies fehlt in den meisten Fällen von 
Kniegelenkcontractur, wenigstens bei der Tuberculose, eine stärkere 


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Zur Pathologie der Gelenkcontracturen. 


239 


Füllung des Gelenkes mit Flüssigkeit. Dass trotzdem die Verände¬ 
rungen der Kapsel und der Gelenkbänder eine grosse Rolle bei der 
Gelenkcontractur spielen, ist nicht zu bezweifeln. Im Anfänge ist 
es die Gelenkkapsel, die infolge der entzündlichen Infiltration die 
heftigen Schmerzen hervorruft. Diese sind selbstverständlich dort 
am grössten, wo die Kapsel bei der Strecklage am meisten gespannt 
ist, also an der Beugeseite. Das Gelenk kommt erst dann in einen 
relativen Ruhezustand, wenn es eine Mittelstellung einnimmt, bei 
der alle Tbeile, also auch die hintere Kapselwand möglichst gleich- 
roässig entspannt sind. Uebrigens ist es nicht der Spannungszustand 
der Kapsel allein, der die Schmerzen hervorruft, sondern die an¬ 
dauernde Unruhe, in der sich das Gelenk infolge des labilen Gleich¬ 
gewichts zwischen Beugern und Streckern bei einer freiwillig ein* 
gehaltenen Strecklage befindet. Ist das Gelenk in vollständiger 
Strecklage durch Schienen oder Apparate sicher fixirt, so wirkt auch 
das schmerzstillend. Ohne äussere Fixation tritt die Ruhe im Gelenk 
offenbar am besten in der Mittelstellung ein. Dass dabei die Art 
der Lagerung des kranken Beins, die Art seines Gebrauchs bei Geh¬ 
versuchen, namentlich die Art der etwaigen Belastung eine grosse 
Rolle spielt, hat König genügend auseinander gesetzt. 

Während in den Aufangsstadien die schmerzhafte Gelenkkapsel 
secundär, durch reflectorische Muskelerschlaffung die Contractur 
herbeiführt, bestimmt sie im weiteren Verlaufe der Krankheit durch 
ihre pathologischen Veränderungen direct die Stellung des Gelenks. 
Infolge von Verdickung und Auflagerung und schliesslich narbiger 
Schrumpfung verliert sie ihre Elasticität und normale Faltbarkeit 
und beschränkt dadurch immer mehr die Beweglichkeit des Gelenks. 
Welche Rolle die geschrumpfte Kapsel bei den Contracturen spielt, 
geht am besten daraus hervor, dass auch in der Narkose, bei voll¬ 
ständiger Muskelerschlaffung und selbst nach der Tenotoraie sänirat- 
licher Beuger manche Contractur doch nicht ohne Gewalt zu besei¬ 
tigen ist. 

Was die eigentlichen Gelenkbänder betrifft (die Ligamenta 
Collateralia sowie Cruciata), so haben sie auf die Contracturstellung 
keinen unmittelbaren Einfluss. Die Befunde bei Gelenkresectionen 
in vorgeschrittenen Stadien der Gelenktuberculose lehren uns, dass 
namentlich die Ligg. cruciata den Zerstörungsprocess im Gelenk lange 
überdauern und mitten in den Granulationsmassen intact bleiben 
können. Die Gelenkbänder können aber indirect die Stellung des 


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240 


J. V. Mikulicz. 


Gelenkes beeinflussen, sobald die knöchernen Componenten desselben 
schwer verändert sind. Sie können dann dem Gelenk die Contractur- 
Stellung mit noch mehr Gewalt aufzwingen als eine geschrumpfte 
Kapsel. 

Ein dritter Grund für die arthrogene Contractur kann in Ver¬ 
änderungen des Knochens liegen. Wir können sie als osteogene 
Contractur bezeichnen. König hat schon mit aller Klarheit die 
Veränderungen beschrieben, die an den Gelenkenden ein treten imd 
eine Deformität resp. Contractur derselben herbeiführen können. 
Soweit es sich dabei um Zerstörungen des Knochens handelt, ist der 
Vorgang klar. Es tritt aber auch und gewiss nicht selten das 
Gegentheil ein: Vermehrtes Wachsthum infolge des Entzündungs¬ 
reizes, den ein tuberculöser Knochenheerd auf seine Umgebung ausubt. 
Dies kann zunächst wie bei der Osteomyelitis die Diaphyse betreffen, 
wenn der Entzündungsheerd bis an den Epiphysenknorpel reicht. 
Pels Leusden hat jüngst ein vermehrtes Diaphysenwacbsthum 
bei Kindern von 2—9 Jahren uachgewiesen. Noch wichtiger ist 
das pathologisch vermehrte Wachsthum eines oder beider Condylen 
— in der Regel handelt es sich dabei um die Femurcondylen. 
König sagt ausdrücklich: „Es ist mir unzweifelhaft, dass zu¬ 
weilen dieser innere Abschnitt der Femurcondylen vergrössert 
ist, dass er mehr wächst.“ In klarer Weise hat dies Lud 1 off durch 
Röntgenbilder von tuberculösen Kniegelenken bei Kindern nach¬ 
gewiesen. Die Wachsthums Vermehrung kommt natürlich nur bei 
Kindern und Halbwüchsigen in Betracht, während wir bei Erwach¬ 
senen vorwiegend den Zustand der Knochenzerstörung beobachten. 
In den Röntgenbildern solcher kindlicher Knochen sieht man deut¬ 
lich bei Vergleich mit der gesunden Seite, dass der Ludloffsche Epi¬ 
physenfleck in der Femurepiphyse infolge der tuberculösen Entzündung 
blässer erscheint, während die Umgebung und der ganze Condylus 
eine erhebliche Volumenszunahme erfahren hat. Der pathologisch 
verdickte Condylus wächst nun nicht nur nach aussen, sondern auch 
ins Gelenk hinein. Ist nur ein Condylus betroffen, so führt das in 
der Regel zum Genu valgum, weil der Condylus int. am bäuflgsten 
vom primären Krankheitsheerd ergriffen ist. Bei beiderseitiger Wachs¬ 
thumsvermehrung der Condylen wird der Tibiakopf in toto nach 
hinten verschoben, wodurch die charakteristische Subluxationsstellung 
erzeugt oder soweit sie schon vorhanden war, noch vermehrt wird. 

Wir haben bei den bisherigen Erörterungen stillschw'^eigend 


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Zur Pathologie der (jelenkcontracturen. 


241 


angenoramen, dass das erkrankte Gelenk sich selbst überlassen und 
Tor allen äusseren Schädlichkeiten bewahrt geblieben ist. Dies wird 
jedoch in Wirklichkeit kaum je beobachtet werden. Fast immer 
wird die Stellung des Gelenks noch secundär durch äussere Schäd¬ 
lichkeiten beeinflusst. Diese liegen einmal in den Versuchen des 
Patienten selbst, sein Bein trotz Contracturstellung zu gebrauchen 
und sich damit fortzubewegen, mit oder ohne Belastung des Knies. 
Das andere Mal sind es die therapeutischen Versuche des Arztes, 
der Contractur entgegenzuarbeiten. 

In Bezug auf diese secundären, mechanischen Momente in der 
Pathogenese der Gelenkcontracturen ist zu dem, was uns König 
gelehrt hat, kaum etwas Neues hinzuzufügen. 

Meine Herren! Bevor ich das Wort Herrn Dr. Ludloff 
überlasse, möchte ich mit einigen Worten noch auf die praktischen 
Consequenzen der von uns vertretenen Gesichtspunkte zu sprechen 
kommen. 

Unsere Betrachtungen haben uns ebenso wie alle praktischen 
Erfahrungen gezeigt, wie gering die Kräfte sind, durch welche eine 
Contractur in der ersten Zeit ihrer Entstehung festgehalten wird 
gegenüber den enormen Widerständen, die wir in späteren Stadien 
zu überwinden haben, wenn wir die Contractur beseitigen wollen. 
Die Prophylaxe ist hier also von grösster Bedeutung; noch im ersten 
Beginn müssen wir die Entstehung der Contractur zu verhindern 
suchen. Später können wir häufig nur mit langwierigen, umständ¬ 
lichen Apparaten oder gar nur mit schweren operativen Eingriffen 
zum Ziel kommen. Die grösste Schwierigkeit beim Redressiren der 
Kniegelenkcontracturen bieten die Volumenszunahme der Condylen 
infolge primärer, ossaler, tuberculöser Heerde; um auch dieser Com- 
plication vorzubeugen, müsste man den tuberculösen Knochenheerden, 
welche die Hypertrophie der Condylen hervorrufen, noch in einem 
frühen Stadium isolirt beikommen. Wir haben es in der letzten 
Zeit mehrere Male versucht, diese Knochenheerde, nachdem sie rönt- 
gographisch sicher gestellt waren, extraarticulär mit dem scharfen 
Löffel zu entfernen, ein Verfahren, wie es schon seit einiger Zeit 
ein College in Buffalo, dessen Name mir augenblicklich entfallen 
ist, übt. Ob ein solches Verfahren den gewünschten Erfolg herbei¬ 
führen wird, kann selbstverständlich erst eine mehrjährige Beob¬ 
achtung lehren. 


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XII. 


Die Pathologie und Therapie der G^elenkcontractnreii'). 

Von 

H. Oocht-Halle a. S. 

Mit 5 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Vom Herrn Vorsitzenden ist mir der Auftrag geworden, 90 
eingehend, aber auch so kurz als möglich die rein orthopädischeD 
Behandlungsmethoden bei Oelenkcontracturen vor Ihnen zc 
skizziren. Ich bitte nun, im Hinblick auf meine folgenden Aus¬ 
führungen nicht missverstanden zu werden. Unsere therapeutischen 
Massnahmen hängen in jedem einzelnen Falle von so viel Factoren 
ab, dass es falsch wäre, sich ein für allemal auf eine einzige Be 
handlungsmethode einzuschwören. Jede extreme Einseitigkeit in der 
Therapie ist vom üebel. Die operative und die orthopädische Chirurgie 
haben Hand in Hand zu gehen, um so nach unserem besten Wissen 
und Können die bestmöglichen Ziele zu erreichen. 

Dies musste ich vorausschicken, ehe ich mich nunmehr gerade 
bezüglich der Behandlung der Oelenkcontracturen als Anhänger der 
mehr orthopädischen Behandlungsmethoden erkläre. Ich thue dies 
im Hinblick auf meine eigenen guten Erfahrungen und besonders, 
weil zweifellos sich unser Augenmerk von vornherein bei jeder 
Gelenkerkrankung darauf richten muss, neben der Heilung der Ge¬ 
lenkerkrankung die sich meist sofort ausbildenden Contracturstellungen 
aufzuhalten und sie so weit zu beseitigen, dass das erkrankte Gelenk 
durch unsere Massnahmen nur günstig beeinflusst wird. 

Wir haben aber bei der Behandlung nicht allein die primären 
Contracturzustände zu berücksichtigen. Ebenso häufig stehen wir 
den secundären Folgezuständen derselben gegenüber, nämlich allen 
den Schrumpfungsprocessen, die in den contrahirten Muskeln selbst 
und in den das Gelenk umgebenden Bändern, Fascien etc. ein- 
setzen; und ferner den Verwachsungen, welche sich im Gelenkinnem 

‘) Vortrag, gehalten auf dem III. Congress der Deutschen Gesellschaft 
für orthopädische Chirurgie am 5. April 1904. 


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Die Pathologie und Therapie der Gelenkcontracturen. 243 

an der Kapsel und an sich berührenden und pressenden Knorpel¬ 
flächen etc. etabliren. Kurz gesagt, ich fasse mein Thema so auf, 
dass ich Ihnen kurz* unsere orthopädischen Massnahmen rekapitulire, 
wie sie sich mir nach und nach als die besten gezeigt haben zur 
Verhütung und Beseitigung der primären Gelenkcontracturen und 
zur Beseitigung der secundären contracten Gelenkzustände, also der 
Schrumpfungsresultate und der im Gelenkinnem entstandenen Ver¬ 
wachsungen fibröser Art. 

Mein Thema umfasst also im engeren Sinne die Therapie 
der Stellungs- und Beweglichkeitsanomalien, welche 
durch Gelenkentzündung hervorgerufen werden und 
nach denselben Zurückbleiben. 

Unsere orthopädisch-therapeutischen Massnahmen hängen 
von den verschiedensten Factoren ab. Wir müssen im Stande 
sein zur Erkenntniss und Beurtheilung der im Einzelfall vorliegenden 
Gelenkerkrankung; ferner müssen wir uns gegenwärtig halten den 
pathologisch-anatomischen Zustand im ganzen Bereiche der Er¬ 
krankung; und von beidem und der Erfahrung ist wiederum ab¬ 
hängig, wie wir im Hinblick auf die Prognose, auf das bestmögliche 
Resultat die Behandlung einzuleiten haben. 

Alle unsere Massnahmen haben demgemäss, begründet durch 
eine sachgemässe Diagnose, das GrundUbel zu beseitigen und gleich¬ 
zeitig die Contracturzustände der Gelenke möglichst günstig zu be¬ 
einflussen. 

Der Aetiologie kann ich hier nicht näher treten, ich will nur 
daran erinnern, dass im allgemeinen die schmerzhaften Gelenkent¬ 
zündungen die grösste Neigung zu Contracturen haben, während die 
chronisch deformirenden und destruirenden Gelenkerkrankungen sel¬ 
tener dazu fuhren. 

Aber die ersteren überwiegen bei weitem. 

Auch wollen wir uns daran erinnern, dass nach den vorliegen¬ 
den Statistiken mindestens 50—60 ®/o aller Gelenkcontracturen auf 
Grund eines tuberculösen Gelenkleidens entstehen. 

Welche orthopädischen Massnahmen stehen uns nun 
zur Verfügung, um die Gelenkcontracturen primärer und secundärer 
Art zu bekämpfen und gleichzeitig dem Grundübel zu steuern? 

Darauf lässt sich nicht so direct antworten, vielmehr müssen 
wir uns vorher erinnern, welche Contracturstellungen in den ein¬ 
zelnen Gelenken die typischen sind, und ferner welche Stellungen 


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244 


H. Gocht. 


der einzelnen Gelenke für den Patienten zur späteren Benutzung am 
günstigsten sind, falls das betreffende Gelenk in fester Versteifung 
bleiben sollte. 

Wir wissen, dass im grossen und ganzen normaliter die Ex¬ 
tremitätengelenke in der Ruhe einen gewissen Beugegrad einnehraeE. 
dass in Beugestellung die Muskeln am meisten erschlafft sind, dass 
die Flexoren überhaupt das Uebergewicht haben über die Extensoren. 
dass die Extensoren schneller zur Atrophie neigen, dass auch die 
Schwere der einzelnen Gliedabschnitte mehr Beugestellung befür¬ 
wortet, dass schliesslich die Gelenke in leichter Beugestellung die 
höchste Capacität haben. Aus allen diesen Gründen überwiegt au 
den Extremitäten die Beugecontractur, d. h. die Flexoren sind es. 
welche die ersten Spuren von anhaltender pathologischer Contraction 
zeigen. 

So stellen sich die Zehen fast regelmässig in Beugecontractur. 

Am entzündeten Fussgelenk kommt es besonders schnell zur 
Valgusstellung und durch die Schwere des Fusses zur Volarfleiiou. 

Das Kniegelenk stellt sich stets in Beugestellung, derart, dass 
sich zu der Flexion noch eine Rotation des Unterschenkels nach 
aussen und ein Nachbintensinken des ganzen Unterschenkels hinzu¬ 
gesellt. 

Am Hüftgelenke entwickelt sich mit einer gewissen Regel¬ 
mässigkeit bei der Entzündung zuerst eine Beuge- und Abductions- 
stellung und Aussenrotation, später gesellt sich zu der eventuell fort¬ 
geschrittenen Beugestellung die Adduction und Innenrotation. 

Die Fingergelenke stellen sich in der Mehrzahl der Gelenk¬ 
entzündungen in Beugestellung, hin und wieder auch in Streckstellung. 

Am Handgelenk entwickelt sich meist eine abnorme Volar¬ 
flexion, dabei stehen dann die Finger mehr oder weniger gestreckl 

Das Ellenbogengelenk stellt sich in Beugestellung in einem 
Winkel von 120—135®; dazu kommt meist eine ausgesprochene 
Pronationsstellung. 

Am Schultergelenk kommt es am häufigsten zu einer leichten 
mittleren Abductionsstellung mit starker Behinderung der Innen¬ 
rotation. 

Fast alle diese aufgeführten Contracturstellungen sind nun, 
falls eine feste Verwachsung der erkrankten Gelenkteile eintreten 
sollte, für die beste Function und für das beste kosmetische Resultat 
ungünstig; wir wollen vielmehr: 


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Die Pathologie und Therapie der Gelenkcontracturen. 


245 


das Schultergelenk in der diagonalen Richtung zwischen 
Frontal- und Sagittalebene abducirt und nach innen rotirt, 

das Ellenbogengelenk rechtwinklig gebeugt und bei Frauen 
dabei den Vorderarm möglichst supinirt, bei Männern in einer Mittel¬ 
stellung zwischen Pronation und Supination, so dass Daumen und 
Zeigefinger nach oben sehen, 

das Handgelenk in Streckstellung oder ganz massiger Beuge¬ 
stellung, eher etwas abducirt als adducirt, 

die Fingergelenke im allgemeinen gebeugt, so dass der 
Faustschluss möglich ist, 

das Hüftgelenk bei grösserer Verkürzung abducirt, ganz 
wenig gebeugt und in mittlerer Rotationsstellung (Fuss geradeaus), 
bei geringer Verkürzung weniger abducirt, etwas mehr gebeugt, 

das Kniegelenk bei grösserer Verkürzung ganz gestreckt, 
bei ganz geringer Verkürzung ein klein wenig gebeugt, 

das Fussgelenk bei geringer Verkürzung rechtwinklig in 
Mittelstellung zwischen Pro- und Supination (bei jeder grösseren 
Verkürzung in einer Plantarflexion, so dass die Verkürzung durch 
Zehenschuh ausgeglichen werden kann), 

die Zehen in möglichster Streckstellung. 

Aus diesen Betrachtungen ergibt sich von selbst, welche Trans- 
formirungen die einzelnen Oelenke durchmachen müssen, um aus der 
contracten Stellung in die gewünschte überführt zu werden. 

Und damit komme ich zu unserer Hauptfrage zurück. Die 
Antwort zerfallt in drei verschiedene, je nach dem Zustande des 
betroffenen Gelenkes: 

1. Ist das Gelenk noch entzündet und contract, so wird 
dasselbe im allgemeinen zunächst durch irgend einen immobili- 
sirenden Verband ruhig gestellt. In den folgenden Tagen und Wochen, 
wenn die Schmerzen nachgelassen haben und der sonstige Allgemein¬ 
zustand ein guter ist, wird die Contractur ganz allmählich und sehr 
vorsichtig in der einzelnen Sitzung dosirt unter Zug ausgeglichen, 
ohne dass Patient dabei über Schmerzen zu klagen hat; also ohne 
Narkose. 

Gleichzeitig werden, dem jeweiligen Krankheitsfalle entsprechend, 
innere Mittel angewandt und der allgemeine Kräftezustand des 
Patienten in jeder Weise zu heben versucht. 

2. Ist dagegen die eigentliche Gelenkentzündung ab¬ 
gelaufen, so entscheidet die genaueste Untersuchung, das Röntgen- 


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246 


H. Gocht. 


bild und die Anamnese, ob sich der betreffende Gelenkzustand ffir 
eine rein orthopädische Ueberftthrung in eine functionell brauchbare 
Stellung eignet, oder ob gleichzeitig Sehnen-, Muskel- oder Knochen¬ 
operationen in ihr Recht zu treten haben. Den Ausschlag gibt 
eventuell erst eine Narkosenuntersuchung. 

Eignet sich der Fall für rein orthopädische Behandlung (d. h. 
in der Hauptsache: hat der Gontracturzustand nicht zu einer knöchernen 
Verwachsung geführt), so wird das Gelenk zunächst durch Appli¬ 
cation der bekannten allgemeinphysikalischen Agentien (besonders 
der Wärme) vorbereitet; die Weichtheile werden möglichst nach¬ 
giebig gemacht, und sobald sich die Nachgiebigkeit unter einem 
Zugverband documentirt oder vermuthet werden darf, dann schreiten 
wir zum Anlegen eines immobilisirenden Verbandes. In diesem wird 
wieder in verschiedenen Sitzungen mit Zwischenräumen von Tagen 
oder Wochen die betreffende (Jeberführung des Gelenkes in die ge¬ 
wünschte Stellung vorgenommen, und zwar mit der gleichen Vor¬ 
sicht und langsamen Dosirung, meist ohne Narkose und mit mög¬ 
lichst wenig Schmerzen für den Patienten. Sollte schon vorher 
feststehen, dass die Schrumpfung der contracten Muskeln eine zu 
hochgradige ist, so müssen dieselben vorher offen durchschnitten 
werden. Auch dann führe ich die entsprechende Richtung des Ge¬ 
lenkes nachträglich allmählich aus, übertreibe also die Correctur 
zuerst nicht zu sehr. 

In diesen beiden unter 1. und 2. geschilderten Fällen ist dann 
in der Zwischenzeit nach einem vorher gefertigten Modell irgend ein 
Hülsenapparat gefertigt, dessen Charniere an dem erkrankten Gelenke 
zunächst feststehen und erst probeweise geöffnet werden, wenn das 
Gelenk keine Spur von Schmerzen und Entzündung mehr zeigt, oder 
wenn die Immobilisation entsprechend der Schwere der vorherigen 
Contractur lange genug fortgesetzt worden ist (im allgemeinen also 
2—12 Monate). Erst wenn keine Schmerzen mehr bestehen, lasse 
ich den Patienten mit dem Gipsverband oder dem Apparate aufstehen. 

3. Liegt der Fall aber so, dass nur Gelenksteifig* 
keiten vorhanden sind,z. B. bei den verschiedenen rheumatischen 
(nicht tuberculösen) Arthritiden und Polyarthritiden, so tritt die grosse 
Reihe der übrigen orthopädischen Massnahmen im weiteren Sinne: 
Massage, Gymnastik, Bewegungsapparat, und die Application der 
physikalischen Agentien in Kraft. Während ich also bei tuberculösen 
Contracturzuständen nach deren Beseitigung die Rückkehr der Be- 


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Die Pathologie und Therapie der Gelenkcontracturen. 


247 


weglichkeit diesen Gelenken selbst überlasse, unterstützt durch die 
ausgezeichnete B i e r’sche Stauungshyperämie (Stauung täglich 1 
bis 2 Stunden), werden die übrigen nach Gelenkrheumatismus, Arthritis 
deformans, Gonorrhoe, sonstigen Infectionskrankheiten zurückbleiben¬ 
den Beweglichkeitsanomalien einer sorgfältigen Behandlung unter¬ 
zogen. Darüber gleich das Nähere. 

Die Grundprincipien einer sorgsamen orthopädischen Behand¬ 
lung bei Gelenkcontracturen sind also folgende: 

1. Solange das Gelenk noch entzündet und schmerzhaft ist, 
muss es in möglichst absoluter Ruhe immobilisirt werden. 

2. Die Redressirung des entzündeten contracten Gelenkes wird 
ganz allmählich, Schritt für Schritt im Laufe von Wochen ohne 
Narkose, ohne Schmerzen ausgeführt. 

3. Die Redressirung wird derartig ausgeführt, dass die Gelenk¬ 
enden während des Actes durch Zug vom inneren Druck möglichst 
entlastet, also distrahirt werden. 

4. Diese Distraction muss durch den Verband auch nach Be¬ 
endigung des eigentlichen Redressionsactes aufrecht erhalten werden. 

5. Ist die gewünschte Redressionsstellung erreicht, wird das 
Resultat in einem inzwischen gefertigten Schienenhülsenapparat unter 
weiter wirkendem Zug und Distraction erhalten. 

6. Ein contractes, nicht mehr entzündliches Gelenk wird nach 
denselben Principien unter Einleitung der ersten Streckung durch 
vorherige erhitzende Verbände oder Mittel und unter eventueller 
Zuhilfenahme der Narkose behandelt. Auch hier werden die 
Redressionen mit grosser Vorsicht und Schonung vor¬ 
genommen. 

7. Tuberculöse Gelenkversteifungen mobilisire ich nicht. 

8. Sonstige Gelenkversteifungen werden möglichst mobil gemacht. 

In diesen mehr allgemeinen Ausführungen sind alle unsere 

orthopädischen Massnahmen enthalten, und ich will nunmehr zu einer 
Besprechung der nothwendigen Einzelheiten kurz übergehen. 

Die Immobilisirung eines Gelenkes erzielen wir am schnellsten 
und sehr exact mit Hilfe eines Gipsverbandes an den grösseren Ge¬ 
lenken, an den kleinen Finger- und Zehengelenken am besten mit¬ 
telst leichter, biegsamer Metall- oder Spiralschienen (nach Heusner), 
die unter geringer Polsterung dem Finger und der Hand mit schmalen 
Stärkebinden angewickelt werden. 

Zug oder Distraction an einem Gelenke wird erreicht durch 


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248 


H. Gocht. 


einen Zugverband, angelegt entweder mittelst eines breiten, halt¬ 
baren, gut klebenden Zinkpflasters oder Heftpflasters, noch besser 
mittelst des von Heusner angegebenen Filzstreifenverbandes und 
seiner Klebemasse. 

Cerae flavae 10,0, 

Kesinae Damarah & Colophon. ää 10,0, 

Terebinth. 1,0, 

Aether., Spir., Ol. Terebinth. ää 55,00. 

L a n g e - München empfiehlt als Klebemasse den bekannten 
Zinkleim. 

Der Zug wird ausgeübt durch Gewichte. Ferner können Ga¬ 
maschen für Zug verbände, desgleichen einfache breite Schlingen ver¬ 
wandt werden, letztere, sobald es sich um Zug handelt, in einer 
Richtung schräg oder senkrecht vom Gliede weg. 

Indessen scheint mir zweifellos eine Distraction bei Im- 
mobilisation werthvoller zu sein; das erreicht man in ausserordent¬ 
lich vollkommener Weise durch den gleich zu beschreibenden com- 
binirten Zuggipsverband oder später durch einen entsprechenden 
Schienenhülsenapparat, an dem die nothwendigen besonders gestalteten 
Charniere angebracht sind. 

Um nämlich einen Zug, z. B. auf das kranke Kniegelenk, auszn- 
üben, der auch im Gipsverband und während des Redressirens fort¬ 
wirkt, habe ich mir auf einfache und dabei äusserst wirksame Weise 
geholfen. Ich lege dem betreffenden Unterschenkel, etwas oberhalb 
der Kniegelenkslinie beginnend, unter Polsterung der beiden Malleolen 
einen regelrechten Zugverband an mit recht breitem Spreizbrett unten 
zum Auseinanderhalten. Patient lagert auf einer Beckenstütze, und 
das ganze Bein sammt Fuss wird mit guter Polsterwatte umwickelt, 
unter das Tuber ischii und gegen die Schambeinweichtheile kommt 
ein Stück Filz. Nunmehr wird ein sorgfältiger Gipsverband an¬ 
gelegt und zwar zunächst beginnend etwas oberhalb der Malleolen: 
derselbe braucht unten nicht zu fest anzuliegen, muss aber gegen 
Tuber und Schambein sorgsam anmodellirt werden. Schliesslich 
wird das Bein an dem Spreizbrett allein gehalten oder auf einem 
Zugtisch (Schede, Heusner) an demselben extendirt und der Gips' 
verband um den Fuss herum vollendet. Das Pflaster oder die Filz¬ 
streifen schauen dann unten neben den Malleolen durch den Gips 
hindurch (Fig. 1) und werden nach dem Trocknen hier nicht losgelassen. 
Hört also der Zug auch unten auf, er bleibt bestehen durch das 


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Die Pathologie und Therapie der Gelenkcontracturen. 


249 


Eingegipstsein der Zugstreifen rechts und links. Die Folge ist, dass 
trotz des stärksten Zuges an dem Fuss und Unterschenkel nie eine 
Belastung des Fussspanns eintritt und eben so wenig ein Druck 
hinten oberhalb der Ferse, beides Punkte, die in den früheren Gips¬ 
zugverbänden ausserordentlich gefährdet waren. Im Gegentheil, der 
Fuss kann so lose gegipst werden, dass er im Fussgelenk Bewe¬ 
gungen geringen Grades ausführt. Wenn Sie sich er¬ 
innern, dass uns Herr Codivilla im vorigen Jahre mit¬ 
theilte, er schlage einen Nagel durch das Fersenbein, an 
dem der Gipsverband Halt gewinne gegen den Decubitus, 
so werden Sie das Schonende und Wirksame dieser ein¬ 
fachen Combination von Gips- und Zugverband recht 
ermessen. Ich bemerke dazu, dass ich diesen Zuggips¬ 
verband nunmehr seit ^.4 Jahren anwende und noch 
nicht ein einziges Mal auch den leisesten Druck bei 
stärkstem und andauerndem Zug gehabt habe. 

Ist nun dieser Verband hart und hat Patient in 
seinem contracten Kniegelenk keine Schmerzen mehr, 
nach Tagen, eventuell nach Wochen, so säge ich den Verband etwas 
unterhalb der eigentlichen Kniescharnierlinie auf und zwar hinten bis 
halb nach vorn jederseits geradlinig, vom halb ovalär; ziehe ich nun 
ganz leise am Unterschenkelgips, so tritt sofort eine leichte Streckung 
ein im Kniegelenk, die ich nur so weit ganz vorsichtig fortsetze, als 
mir für das erste Mal genug erscheint, die ich sofort sistire, wenn Patient 
Schmerzen äussert. Hinten in den klaffenden Schlitz kommen nach 
Gersuny's Vorgang Korkstücke. Das Resultat wird mit einer Stärke¬ 
binde fixirt. Der Fuss rutscht nun nicht nach oben, wie er es in 
allen früheren Verbänden bei mir that, und die Tibiagelenkfläche 
bleibt distrahirt von den Femurcondylen. Wie wir uns bei hoch¬ 
gradigen Kniecontracturen der zu fürchtenden oder schon eingetre¬ 
tenen Subluxation der Tibia nach hinten gegenüber zu verhalten 
haben, sei später kurz skizzirt. 

Dass sich zu den geschilderten Fixations- und Redressions¬ 
verbänden auch andere Materialien verwenden lassen, das nur 
nebenbei. 

Ferner lassen sich in den Gips verband, der nachträglich zum 
Redressiren mitbenutzt werden soll, in der Achse des zu behandeln¬ 
den contracten Gelenkes Charniere einlegen; der Gips wird zu dem 
Zwecke, wie oben geschildert, hinten geradlinig, vom halbovalär, 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XIII. Bd. 17 


Fig. 1. 



1 


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250 


H. Gocht 


mondsichelförmig, aufgeschnitten. Denn es ist besser, den vorderen 
Schnitt nicht einfach so (Fig. 2) anzulegen, wie das gewöhnlich 
geschieht. In allen schwereren Fällen, wo man ein Ausweichen des 
Kniegelenkes nach vom noch besonders hintanhalten will, legt 
man den breiten Schnitt vorn so an wie in Fig. 3; 
dann ist der sicherste Halt gewährleistet. 

^ Dass die Gipsverbandredressionen auch Nachtheile 

haben, unterliegt keinem Zweifel; vor allem die, dass 
das zu redressirende Gelenk der Inspection unzugänglich ist und 
dass ein oder mehrere Nachbargelenke zeitweilig mit festgestellt 
werden müssen. Wenn uns Sayre erzählt, dass ein Patient mit 
einseitiger coxitischer Contractur durch Ruhiglagerung so 
Fig. 3. weit kommt, dass die Coxitis heilt, dass aber gleichzeitig 

I \ fünf andere Gelenke, nämlich das andere Hüftgelenk, die 

I I beiden Knie- und die beiden Fussgelenke ankylosirten. 

so ist das ein trauriges Zeichen, wohin eine sinnlose zu 
langdauernde Mitimmobilisirung von Nachbargelenken 
führen muss und kann. 




Ausser den Zugverbänden und den festen Verbänden haben 
wir nun noch die Möglichkeit, mittelst der Ihnen allen bekannten 
Schienenhülsenapparate die nothwendigen Fixations- und Redressioos- 
acte auszuführen. Und die Vortheile der in höchster Vollkommen¬ 


heit von Hessing angegebenen Apparate sind so hinlänglich be¬ 
kannt, dass ich sie hier nicht alle einzeln zu wiederholen brauche. 
In meiner „orthopädischen Technik* haben dieselben eine 
eingehende Würdigung erfahren. Man muss nur durch ein paar be¬ 
sondere Schrauben dafür sorgen, dass Patienten oder Angehörige nicht 
zu Hause angekommen, den Apparat selbständig lösen oder lockern 
können zu einer Zeit, wo nach der Beseitigung einer Contractur das 
betreffende Gelenk noch feststeben muss. Solch richtig und gut 
gearbeiteter Apparat sitzt exact, ohne zu drücken; er fixirt oder 
redressirt aufs Genaueste; dabei ist er leicht, haltbar, bequem anzn- 
legen und zu entfernen; er schliesst nur so viel von der Körperober¬ 
fläche ein, als unbedingt unter Gewährleistung aller anderen Gesichts¬ 
punkte nöthig ist. Es werden ferner vor allem immer nur so wenig 
Gelenke festgestellt und damit von der Function ausgeschlossen, als im 
Interesse der sonstigen Erfordernisse von Fixirung und Entlastung 
unbedingt nöthig ist. Gummizüge, Federn, Spiralfedern (Heusner), 
Schrauben oder andere elastische Vorrichtungen können mit Wirkung 


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Die Pathologie und Therapie der Gelenkcontracturen. 


251 


nach den verschiedensten Richtungen an den Schienenhülsenapparaten 
angebracht werden, um so direct Stellungsveränderungen von con- 
tracten Gelenken allmählich zu erzwingen. Dabei ist es möglich, 
die Distractionswirkung noch jeden Augenblick, während der Schienen¬ 
hülsenapparat dem Körper anliegt, zu variiren. 

Wenn also heut zu Tage noch ein Chirurg die gute Beschaflfen- 
heit und Wirkung der Schienenbülsenapparate nicht anerkennt und 
würdigt, dem ist nur zu helfen, wenn er vielleicht gelegentlich die 
Vortheile eines solchen am eigenen Leibe erfahren sollte. 

Ich erinnere nochmals daran, dass man bei den frischen 
und älteren Contracturen nach Tuberculose ausgiebigen Gebrauch 
machen soll von der Bier’schen Stauung; das lässt sich in den 
Scbienenhülsenapparaten sehr bequem machen, besonders nunmehr, 
nachdem H e n 1 e vor wenigen Tagen seinen ausserordentlich bequem 
zu handhabenden Hohlschlauchgebläseapparat der Oeffentlichkeit 
übergeben hat (Stauung täglich 1—2 Stunden bei Tuberculose, bei 
gonorrhoischen Versteifungen 10—12 Stunden). 

Ich hatte oben erwähnt, dass man sich die schon älteren Con- 
tracturstellungen der Gelenke zur Streckung im Zuggipsverband durch 
die verschiedenen bekannten äusseren Hitzemittel gewissermassen 
Torbereitet und weich macht. Ich muss dies hier noch einmal 
hervorheben. Wir verwenden dazu vorbereitend die Bier'schen 
Heissluftkästen, in denen die Gelenke täglich 1 Stunde durchheizt 
werden. Die Hitze, die Hyperämie etc. helfen in vielen Fällen 
wesentlich. Sehr empfehlenswerth scheinen auch die jetzt sehr ver- 
Yollkommneten Bier'schen *) Saugapparate zur Hervorrufung einer 
Hyperämie zu sein; ich habe dieselben neulich eingehend besichtigt 
und an mir selbst probirt; dabei konnte ich mich von der enormen 
Redressionskraft derselben unter Hyperämie überzeugen. 

Ich möchte Ihnen nun noch einen Verband warm empfehlen, 
den Langemack in meiner Privatklinik eingeführt hat, das ist 
der sogen. Hedeverband. Hede oder Werg, ein Abfall von Hanf 
und Flachs, wird vom Volk als Rheumatismusmittel benutzt. Der 
Verband wird folgendermassen angelegt. Die Haut wird tüchtig mit 
Vaseline eingefettet bis 25 cm oberhalb und 25 cm unterhalb des 


0 Centralbl. f. Chirurgie 1904, Nr. 13 S. 381. Lieferant: Georg Haertel, 
Breslau. 

Lieferant: Eschbaum, Bonn a. Rh. 


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252 


H. Gocht. 


Gelenkes, z. B. am Ellenbogengelenk. Dann wird eine 10 cm dicke 
Schicht Hede rings um das Gelenk bis 20 cm oberhalb und unter¬ 
halb gewickelt und das Ganze mit einem Stück alter Leinwand 
bedeckt. Die Leinwand ist auf der inneren Fläche durch Auf¬ 
streichen yon grüner Seife mittelst eines Holzspatels in dünner 
Schicht für Feuchtigkeit und Luft undurchdringlich gemacht. Die 
Leinwand kommt also mit der Seifenseite auf die Hede und wird 
fest angezogen, so dass alle Hede bedeckt ist; die Seitenränder der 
Leinwand ohne Seife legen sich der gefetteten Haut an. Das Ghmze 
wird mit Bindentouren dem Ellenbogengelenk fest anbandagirt. Unter 
diesem Langemack’schen Verband setzt nun langsam eine ganz be¬ 
deutende Wärmeentwickelung ein, die sich besonders am 2. und 
3. Tage steigert. Während der Verband anliegt, muss der Patient 
sein Gelenk fleissig bewegen, ausserdem werden methodische zu¬ 
nehmende Bewegungen passiv mit dem Gelenk 2—3mal täglich vor¬ 
genommen. Solcher Verband bleibt gewöhnlich 4 Tage liegen, dann 
wird ein Tag pausirt, inzwischen das Gelenk in Watte gewickelt; 
und so folgen sich eventuell 2—3 Hedeverbände. Es ist ganz er¬ 
staunlich, wie in solchem Verbände die Gelenksteifigkeiten und die 
geschrumpften Weichtheile am Gelenk nachgeben. Der Verband ist 
so billig und so wirksam, dass er der weitesten Verbreitung würdig ist. 

Wenn ich oben unter 7. sagte: Tuberculöse Gelenke mobihsire 
ich nicht, so soll das heissen, ich mache mit den redressirten tuber- 
culösen Gelenken keine Experimente mit Bewegungsapparaten oder 
manuellen Bewegungsversuchen. — Nach sonstigen Gelenkerkran- 
kungen resultirende Versteifungen greife ich mit den üblichen Mitteln 
an: Langemack'scbe Hedeverbände bei schweren Fällen, Biers 
Heissluftkästen, Fango, heisse Sandbäder in leichteren Fällen, dazu 
Massage zur Kräftigung der atrophischen Muskeln, active Uebongen 
nach Commando, activ-passive Uebungen an Pendelapparaten, Hülsen- 
apparate mit abwechselnd verschiedenartigem Zug. Auch der galvanische 
und faradische Strom kann bezüglich der Musculatur das Seinige thun. 

Ich möchte zum Schluss noch kurz auf die einzelnen Gelenke 
eingehen, bezüglich der Methoden, die ich mir angeeignet habe und 
die ich als gut und brauchbar empfehlen kann. 

Fussgelenk in Volarflexion contract: Ich fasse mir nach 
Polsterung mit zwei Lagen der bekannten Wiener Watte den Fuss 


*) Lieferant: Moritz Böhme, Berlin, Oranienburgerstr. 


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Die Pathologie und Therapie der Gelenkcontracturen. 


25a 


über dem Dorsum und über der Achillessehne mit zwei sich kreuzenden 
5 cm breiten halbcirculären Bindenzügeln und lege in der fehlerhaften 
Stellung einen exacten Gipsverband an von den Zehenspitzen bis zum 
Kniegelenk. Die heraushängenden Binden¬ 
enden haften fest im Gips. Wenn der Gips 
hart ist und keine Schmerzen mehr bestehen, 

Einschnitt hinten im Halbkreis in Malleolen- 
höhe geradlinig, vom auf dem Dorsum ovalär 
(Fig. 5). Derartig fortgesetzte Redressionen 
bis zum rechten Winkel. Danach Schienen¬ 
hülsenapparat. 

Kniegelenk. Zug-Gips verband in der 
fehlerhaften Stellung. Allmähliche Streckung in der oben geschil¬ 
derten Weise. 

Bei hochgradigeren, mit Subluxation einhergehen- Fig. 5. 
den Fällen wird die Schiene von Braatz im Gipsver- 
band verwendet und danach die Hoffa'sche Antisub- ^ 

luxationsschiene oder die EngeTsche Schiene. 

Beweghchkeit wird im Fuss und Kniegelenk erst eingeleitet, 
wenn bei Belastungs- und bei seitlichem Druck auf die Gelenklinien 
kein Schmerz mehr eintritt. 

Hüftgelenk. In fast allen Fällen haben wir es hier mit den 
Folgen von tuberculöser Coxitis zu thun und nur in den seltensten 
Fällen ist es zu knöchernen Verwachsungen des Femurkopfrestes 
mit dem Hüftbein gekommen. Ich selbst erinnere mich an keinen 
einzigen Fall; dagegen führen die osteomyelitischen und rheumatischen 
Processe häufig zur knöchernen Ankylose. 

Demgemäss werden wir also in der grossen Mehrzahl der Fälle 
mit dem unblutigen Redressement nach Dollinger auskommen. 

Ich halte das rein orthopädische Vorgehen bei Hüftgelenks- 
contracturen noch während des entzündlichen Stadiums und ebenso 
nach Ablauf des eigentlich entzündlichen Stadiums für ein ausser¬ 
ordentlich dankbares. Nur muss man sich stets gegenwärtig halten, 
mit der Dosirung der Kraft recht vorsichtig zu sein. Bei allen 
frischen, floriden Fällen, in denen noch Schmerzen bestehen, aber 
die Schrumpfung der das Gelenk umgebenden Weichtheile noch keine 
bedeutende ist, lässt sich die Beuge- und Adductionscontractur (von 
dem ersten Stadium der Abductionscontractur sehe ich ganz ab) noch 
verhältnissmässig sehr leicht ausgleichen. Patient bekommt nach 


Fig. 4. 



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254 


H. Gocht. 


Herstellung eines Gipsabgusses des Beins einen GipsTerband Ton den 
Zehenspitzen bis über den unteren Rippenbogen mit sorgfältiger 
Anmodellirung am Becken, am Tuber, am Schambein, und zwar in 
der fehlerhaften Stellung. Haben bei Bettruhe die Schmerzen nach 
5—10 Tagen aufgehört, dann wird nach entsprechenden linearen 
und ovalären Einschnitten im Bereich des Hüftgelenks leicht redres- 
sirt ohne Narkose, möglichst ohne dass es zu Schmerzen kommt. 
So wird die Deformität im Laufe der nächsten 2 Wochen aus¬ 
geglichen, soweit es dieser Verband zulässt; eventuell muss noch 
ein zweiter Verband das Resultat vervollständigen, bis der Schienen¬ 
hülsenapparat mit sorgföltigst gearbeitetem Beckentheil und Exten¬ 
sionslasche am Fuss angelegt wird. 

Ich will noch betonen, dass ich jedesmal, wenn schwerere De¬ 
formitäten auszugleichen sind, den combinirten Zuggipsverband an- 
wende. Aufstehen dürfen die Patienten wieder erst, wenn die 
Schmerzen ganz beseitigt sind. 

In allen den Fällen nun von Hüftgelenkscontracturen, in welchen 
die Entzündung abgelaufen ist und eine mittelschwere Deformirung 
vor uns liegt, wende ich das Verfahren an, wie es Dollinger zuerst 
angegeben hat; die Hüftgelenksredression wird vorgenommen, wäh¬ 
rend Patient auf zwei Eisenstangen liegt und nachdem zuerst der 
Thorax und das Becken bei fehlerhafter Haltung des Beins sorg- 
fältigst eingegipst sind. Ich möchte nur dabei wieder einiges betonen: 

1. Langsame, allmähliche, auf 2—3—4 Sitzungen vertheilte 
Redression mit Zwischenräumen von 6—10 Tagen, je nachdem 
Schmerzen auftreten. 

2. Bei allen Fällen, wo eine pathologische Rotationsstellung des 
ganzen Schenkels oder des Fusses zu überwinden ist, und eines von 
beiden ist fast stets der Fall, muss der Fuss mit in den Verband hinem. 

3. Bei allen sehr schweren Contracturen, besonders bei den 
mitunter vorkommenden sehr widerspenstigen Abductionscontracturen 
ist es sehr empfehlenswerth, zuerst Brust, Bauch, Becken und ge¬ 
sundes Bein bei fehlerhafter Haltung des contracten Hüftgelenkes 
in den Beckenfixationsgipsverband mit hinein zu nehmen. Dieser 
provisorische Beinverband wird am nächsten Tage circulär abge¬ 
schnitten, so dass die gesunde Hüfte wieder frei wird. 

4. Ist eine erhebliche Kniecontractur gleichzeitig mit zu über¬ 
winden, empfehle ich dringend, den Zuggipsverband gleichzeitig mit 
dem Dollinger-Redressement zu verbinden. 


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Die Pathologie and Therapie der Gelenkcontracturen. 


255 


5. Es ist eigentlich kaum nöthig, zu erwähnen, dass man stets 
bei Ausgleichung einer Adduction am kranken Bein zieht, am ge¬ 
sunden Bein das Becken nach oben schiebt und umgekehrt bei der 
Abductionscontractur. 

Alle Autoren sind schliesslich darin einig, dass man irgend 
welche gröbere Mobilisirung an den tuberculösen Hüftgelenken ver¬ 
meiden soll; wir müssen unter allen Umstanden ein Wiederaufflackern 
der entzündlichen Processe vermeiden. Ferner ist zu warnen vor 
einem unblutigen Redressement bei über 30 Jahre alten und noch 
älteren Patienten. Hier ist die Osteotomie mit nachfolgender Re¬ 
dression im Gesunden das weit schonendere und für den Patienten 
erträglichere Verfahren. 

Dass der Hüftredresseur, den Lorenz für die coxitiscben 
Contracturen angegeben hat, beste Dienste thun muss, ist ganz 
zweifellos. Dieser Redresseur lässt sich übrigens leicht an jedem 
Schedetisch improvisiren oder anbringen. 

Auch in den nach Dollinger redressirten Fällen muss noch 
lange zur Sicherung des Resultates ein Schienenhülsenapparat ge¬ 
tragen werden, die Zeit schwankt zwischen V*—2 Jahren. Nur so 
wird man mit seinen Resultaten wirklich zufrieden sein und es nicht 
erleben, wie jüngst in einer Statistik mitgetbeilt wurde, dass die 
Hälfte aller Coxitisfälle, die nach abgeschlossener Behandlung nach¬ 
untersucht wurden, eine Adductionscontractur aufwies. 

Auch wir können übrigens bestätigen, dass bei den erst später 
redressirten Fällen diejenigen Patienten mit geringster Beweglichkeit 
die beste Function aufweisen; dass umgekehrt vom Beginne der 
Erkrankung an sehr sorgsam mit Immobilisation behandelte Gelenke 
die beste Beweglichkeit später aufwiesen. 

An dieser Stelle sei noch hingewiesen auf die Adductions- 
contracturen an Hüftgelenken, wie wir sie sehr häufig nach Lues 
und nach Arthritis deformans bei Patienten im mittleren und höheren 
Alter sehen. Hier kommen wir fast immer mit dem Tragenlassen 
von Beckenbeinapparaten aus. Patient reitet mit dem Sitzknorren 
auf dem Apparat, die Bewegungen im Hüftgelenk werden eventuell frei¬ 
gegeben im Sinne der Beugung und Streckung und vermittelst des 
einfachen circulären Beckengurtes wird eine Abduction des Beines 
erstrebt. Man sieht dann, wie durch die Entlastung und das ab- 
ducirende Federn des Apparates die Hüfte wieder ganz langsam in 


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256 


H. Gocbt. 


eine Normalstellung zurückkehrt, ohne dass der Patient seinen Beruf 
wesentlich unterbrechen müsste. 

Schultergelenk. Hierbei kann ich nur auf die Ausführungen 
von Schüller verweisen und rathen, sofort im Beginn der Ent¬ 
zündung durch einen Gipsverband eine Transformirung des Schulter¬ 
gelenkes in eine schräg vorwärts abducirte und leicht innenrotirte 
Stellung vorzunehmen. Der Gipsverband wird derart angelegt, dass 
er den Brustkorb umschliesst, die kranke Schulter, den kranken 
Oberarm; das gesunde Schultergelenk bleibt frei. Die Redression 
findet in der üblichen Weise statt. Solche Verbände werden am 
vortheilhaftesten im Wullstein’schen Redressionsapparat an¬ 
gelegt, während Patient an Kopf und Oberschenkeln fixirt sitzt. 

Nach Erreichung des Zieles sichert eine Lederkapsel dasselbe, 
bis wir das Gelenk sich selbst überlassen können. 

Dass man auch mit der von Schüller angegebenen Winkel¬ 
schiene zu einem guten Resultat kommt, ist sicher. 

Ellenbogengelenk. Um das Ellenbogengelenk aus seiner 
üblichen Beugestellung von 120—185® in diejenige von 90® überzu¬ 
führen, dazu habe ich meist einen Apparat verwandt, der den 
Oberarm und den Unterarm mit je einer Hülse umfasste. Die Beu¬ 
gung bewirkte langsam ein mehr oder weniger kräftiger elastischer 
Zug und das gewonnene Resultat wurde mit Schrauben festgestellt 
Auch mit einem articulirenden Gipsverband lässt sich ein gutes Ziel 
erreichen. Man muss nur dafür sorgen, dass der Ellenbogen beim 
Beugen nicht nach vorn ausweicht. Deshalb werden wieder zwei 
Zugstreifen mit eingipst, die sich über der Bicepsmitte kreuzen, den 
Oberarm breit umgreifen und hinten direct oberhalb des Olecranons 
im Gips endigen. 

Handgelenk. Für die Beseitigung der Handgelenkscontrac- 
turen liegt meist kein Grund vor. Viel wichtiger ist es, bei 
denselben die grösste Aufmerksamkeit dem Zustand der Finger zu¬ 
zuwenden, damit dieselben möglichst normal und beweglich bleiben. 

Falsche Stellungen müssen eventuell durch Gips oder den 
sehr praktischen E s m a r c h’schen Extensionsverband ausgeglichen 
werden. 

Für die Finger will ich nur noch bemerken, dass wir hier 
mit Gipsverbänden und kleinen biegsamen Schienchen sehr gut zun 
Ziele kommen; bei Combination mit Heftpfiaster ist stets eine vor¬ 
treffliche Fixation möglich. 


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Die Pathologie und Therapie der Gelenkcontracturen. 


257 


Unmöglich ist es, dass ich alle die sonst angegebenen Apparate 
zur Mobilisining der einzelnen Gelenke Ihnen aufführe. Ich persön¬ 
lich verwende nur solche, die nach dem Krukenberg’schen Pendel- 
princip gebaut sind. 

Ich bin am Schluss. Das Thema ist ein so gewaltiges, dass 
es sich nicht leicht in ein so kurzes Gewand zwingen Hess. Dabei 
bin ich mir bewusst, vieles zu kurz nur gestreift zu haben. 

Und wenn ich hinblicke auf die Ausführungen meiner Mit¬ 
referenten, so möchte ich empfehlen, gerade bei der Behandlung der 
Gelenkcontracturen recht schonend, dabei aber gründlich zu verfahren. 
Ob im einzelnen Falle die Schwere der Erkrankung, bedrohliche 
Eiterungen, trotz sorgfältigster Verbände weitere Schmerzen etc. uns 
zwingen, die Gelenkerkrankung operativ anzugreifen, das muss jeder 
selbst entscheiden auf Grund seiner eigenen Erfahrung und derjenigen 
Anderer. Unbedingt aber ist zu fordern, dass nach der Heilung der 
betreffenden Gelenkerkrankung und nach Abschluss der Behandlung 
eine gute brauchbare Gelenkstellung resultirt. 


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XIII. 


Zur Behandlung 

der entzündlichen Gelenkcontracturen'). 

Von 

Dr. Max Haudek-Wien. 

Meine Erfahrungen auf diesem Gebiete sowie die bei der Behand¬ 
lung zur Anwendung kommenden Methoden entsprechen grössten- 
theils den Ausführungen der Referenten. In erster Linie strebe ich 
die Beseitigung der Gelenkcontracturen mit Hilfe der unblutigen 
Verfahren an, die ja auch, solange wirklich nur Contracturen vor¬ 
liegen, zum Ziele führen, und ich will an dieser Stelle auch nur auf 
diese näher eingehen. 

Für die einzuschlagende Therapie ist vor allem die Aetiologie 
massgebend. Bei der Behandlung der auf infectiöser, insbesondere 
tuberculöser Basis beruhenden Gelenkerkrankungen und der diese 
begleitenden Contracturen vermeide ich alle forcirten Eingriffe, da 
die hierbei vielfach beobachteten unangenehmen Ereignisse, die die¬ 
selben häufig genug im Gefolge haben, zur Vorsicht mahnen. Es 
ist hier vor allem schon prophylaktisch der Entstehung der Con¬ 
tracturen vorzubeugen, indeVn das afficirte Gelenk von vornherein in 
jene Stellung gebracht und in derselben fixirt wird, die für die 
spätere Function die beste ist. Für diese Zwecke eignet sich am besten 
der Gipsverband oder ein entsprechend gebauter Schienenhülsen¬ 
apparat. Handelt es sich jedoch um die Beseitigung schon aus¬ 
gebildeter Contracturen, so ziehe ich hierttlr in erster Linie die 
Apparatbehandlung in Anwendung, wobei ich nicht nur die Besei¬ 
tigung der fehlerhaften Stellung, sondern auch die Erhaltung resp. 
Wiedergewinnung der Gelenkbewegungen anstrebe. Es gilt dies 


') Vortrag, gehalten auf dem III. Congress der Deutschen Gesellschaft 
für orthopädische Chirurgie am 5. April 1904. 


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Zur Behandlung der entzündlichen Gelenkcontracturen. 


259 


hauptsächlich für Knie- und Ellbogengelenk. Es wird dies von mir 
in ähnlicher Weise, wie dies Staffel empfohlen hat, erreicht. Bei 
den Beugecontraoturen des Ellbogengelenkes bediene ich mich hierbei 
entweder der Einwirkung einer federnden Schlägerklinge oder elasti¬ 
scher Züge zur Streckung und bei Streckcontracturen zur Behebung 
dieser des elastischen Zuges. In vielen Fällen gelingt es, durch ab¬ 
wechselnde Anwendung dieser Vorrichtungen Beweglichkeit im Oe- 
lenke zu erhalten, deren Ausmaass natürlich von den vorhandenen 
pathologischen Veränderungen abhängt. Am Kniegelenk handelt es 
sich vorwiegend um Streckung von Beugecontracturen, die am besten 
mittelst der am Schienenhülsenapparat einwirkenden Schlägerklinge 
bewirkt wird. Wenn man nun in Intervallen die Einwirkung der 
Feder ausschaltet, so wird durch die Zusammenziehung der Muskeln 
das Gelenk sehr bald wieder in die Beugestellung zurückgebracht. 
Durch die wechselnde Einwirkung von Streckung und Beugung ist 
es möglich, den contrahirten Muskeln und Sehnen wieder eine ge¬ 
wisse Elasticität und dem Gelenke eine grössere oder geringere Ex- 
cursion wiederzugeben. Durch die Anwendung des Braatz'schen 
Sectors wird auch gleichzeitig die Behebung der eventuell vorhan¬ 
denen Subluxationsstellung der Tibia ausgeführt. 

In energischerer Weise als bei den Contracturen auf infectiöser 
Basis kann man bei den rheumatischen Vorgehen und werden wir 
hier auch alle Mittel der Mechanotherapie anwenden. In diesen 
Fallen leistet auch die Heissluftbehandlung gute Dienste. Ich habe 
diese mit der elastischen Redression verbunden, und es hat sich mir 
dieses Verfahren in einem hartnäckigen Falle von rheumatischer 
Einiegelenkcontractur, bei dem ich es angewendet habe, sehr gut 
bewährt. Ich benutze zur Redression eine dem von Gross zur 
Streckung von Kniecontracturen angegebenen Apparat ähnliche An¬ 
ordnung; nur erfolgt die Streckung nicht durch Schraubenwirkung, 
sondern durch den dosirbaren Zug einer elastischen Binde, während 
das Kniegelenk der Einwirkung im Heissluftapparat ausgesetzt wird. 
Unter- und Oberschenkel werden auf den stellbar gemachten Fixa¬ 
tionsvorrichtungen gelagert; durch Höher- oder Tieferstellen der 
Lagerungs Vorrichtung, insbesondere der für den Unterschenkel be¬ 
stimmten, kann die Spannung der elastischen Binde regulirt werden. 
Diese fixirt unter mässiger Anspannung das Kniegelenk gegen das 
Verbindungsstück der beiden Lagerungsstützen. Um den Heissluft¬ 
apparat über das Knie bringen zu können, muss die Lagerungs- 


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260 Haudek. Zur Behandlung der entzündlichen Gelenkcontracturen. 

YorrichtuDg für den Unterschenkel sammt dem Verbindungstheil aus 
dem Fusstheile aushebbar construirt werden. Durch die gleichzeitige 
Anwendung des elastischen Zuges wird die durch die Einwirkung der 
heissen Luft erzeugte Hyperämie im Gelenk und Succulenz desselben 
zur intensiveren Streckung ausgenutzt. Der etwa 30—40 Minuten 
dauernden Anwendung dieses combinirten Verfahrens lässt man noch 
Massage und Gynmastik in Form activer und schonender passi?» 
Bewegungen folgen. Nach jeder Sitzung wurde dann ein mit Streck¬ 
vorrichtung versehener SchienenhOlsenapparat angelegt, um das durch 
die oben erwähnten Manipulationen erreichte Resultat bis zur näch¬ 
sten Sitzung festzuhalten. Im Verlaufe von etwa 6 Wochen gelang 
bei diesem Verfahren die Streckung der Contractur ohne Zuhilfe¬ 
nahme forcirter Eingriffe. 

Lassen uns die genannten Methoden im Stiche, so wird in 
diesen Fällen bei den rheumatischen Contracturen mit Hilfe des for- 
cirten Redressements die Beseitigung der Contracturen ausgeführt 
werden. Dieselbe gelingt, solange nur bindegewebige Fixation vor¬ 
liegt, ziemlich leicht, entweder manuell oder mit Hilfe des Lorenz- 
schen Redresseurosteoklasten. Von grösster Wichtigkeit ist hier die 
Nachbehandlung, die sofort nach dem Redressement einsetzen muss 
und in Massage sowie Vornahme von Bewegungen zu bestehen hat 


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XIV. 


Heber doppelseitige Hüftgelenksankylosen*). 

Von 

Prof. Dr. Joachimsthal in Berlin. 

Mit 4 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Meine Herren! Bei doppelseitigen Ankylosen des Hüftgelenks 
resultiren bekanntlich eine Reihe von schweren Störungen in der 
Fortbewegung, deren mehr oder minder hoher Qrad von der Stellung 
abhängt, in der die Oberschenkel zum Becken fixirt sind. Die 
Patienten, deren beide Hüftgelenke in Streck- oder leichter Beuge¬ 
stellung fixirt sind, vermögen sich bei Parallelstellung beider Ober¬ 
schenkel nur in der Weise fortzubewegen, dass sie abwechselnd die 
eine und die andere Beckenhälfte nach vorne drehen und damit 
Rumpf und untere Extremitäten vorwärts bewegen. Aeusserst 
schwierig gestaltet sich bei ihnen das Sitzen, das nur bei starker 
Vorwärtsneigung des Oberkörpers möglich wird. Bei einer Patientin 
meiner Beobachtung mit Ankylose beider Hüftgelenke in Streck¬ 
stellung liess sich ein wenn auch äusserst mühseliger Gang in der 
Weise ermöglichen, dass die Kranke abwechselnd beide Kniee über¬ 
streckte und so allmählich vorwärts kam. Die Folge dieses durch¬ 
aus unpbysiologischen Gebrauchs der Kniegelenke war eine derartige 
Lockerung des Bandapparates an der Vorderseite, dass eine habi¬ 
tuelle Luxation beider Kniescheiben eintrat, und nun bei jedem Beuge- 
Tersuch die Patella an die Aussenseite des Condylus externus glitt, 
wodurch eine Reihe von weiteren Unbequemlichkeiten bedingt wurde. 

Relativ am günstigsten befinden sich die Patienten mit beider¬ 
seitiger HQftankylose, wenn bei ihnen beide Hüftgelenke bei Parallel¬ 
stellung der Oberschenkel in einem Winkel von 30—40fixirt sind; 
denn einmal wird in dieser Stellung das Sitzen leicht möglich, und 

0 Vortrag, gehalten auf dem III. Congress der Deutschen Gesellschaft 
für orthopädische Chirurgie am 5. April 1904. 


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262 


Joachimsthal. 


weiterhin haben infolge der Schrägstellung der Oberschenkel die 
Unterschenkel in genügendem Maasse die Fähigkeit, durch Hin- und 
Herpendeln den Oberkörper Torwärts zu bringen. 

Wie hochgradige Beugestellupgen sich übrigens gelegentiich 
beiderseits entwickeln können, mag Ihnen ein Präparat vor Augen 
führen (Fig. 1 und 2). An demselben ist auf beiden Seiten ein Flexions- 



winkel von etwa 140® zu Stande gekommen, so dass in der gewöhn¬ 
lichen Haltung des Beckens die Oberschenkel direct nach oben ge¬ 
richtet sind. Rechterseits ist — offenbar infolge von Tuberculose — 
eine vollkommen knöcherne Verwachsung des Gelenks eingetreten, 
und ausserdem eine brückenförmige Verbindung zwischen der Gegend 
des Trochanter minor und dem horizontalen Scbambeinast zu Stande 
gekommen, während linkerseits die Fixirung des Gelenks in der er¬ 
wähnten hochgradigen Beugestellung die Folge der ausgedehnten 
Zerstörung einerseits der Pfanne, andererseits des Kopfes und Hakes 
gewesen ist. 

Hochgradige Ab- und Adductionsstellungen der Gelenke machen 
in der Regel jede Art der Fortbewegung unmöglich und zwingen 
uns direct zur Anwendung operativer Massnahmen. 

In Betracht kommen hier ausser der Resection Osteotomien 
und zwar in verschiedenen Stellen, einmal in der Region der Ver¬ 
wachsung des Kopfes mit der Pfanne, wobei wir durch frühzeitige 
Bewegungen eine spätere Beweglichkeit zu erzielen suchen, weiterhin 
im Bereiche des Schenkelhalses und endlich unterhalb des Trochanters. 
Zweifellos werden wir durch den ersteren Eingriff die idealsten Re¬ 
sultate zu erzielen im Stande sein. Leider bleibt indess vielfach die 


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Ueber doppelseitige Hüftgelenksankjlosen. 


263 


gewünschte Beweglichkeit aus. Bei Beugeankylosen des Hüftgelenks 
werden wir häufig auch lediglich durch Osteotomien eine Beseiti¬ 
gung der Ab- und Adductionsstellungen und damit in Bezug auf die 
Fortbewegung zufriedenstellende Resultate erzielen. 

Ueber einen solchen Fall möchte ich mir erlauben, Ihnen kurz 
zu berichten. 

Fig. 3. 



Es handelt sich um ein Mädchen, bei dem im Alter von 
10 Jahren im Anschluss an Scharlach eine Vereiterung beider Hüft¬ 
gelenke mit einem äusserst schweren Verlaufe eingetreten war. Eine 
Reihe von operativen Eingriffen, Eröffnungen der Gelenke, partielle 
Resectionen, waren bereits zur Ausführung gelangt, bis endlich eine 
Ausheilung mit beiderseitiger Ankylose zu Stande kam. Als ich die 
Kranke im September 1902 im Alter von 11 Jahren in Behand¬ 
lung bekam, bestand ausser der Ankylose eine derartige Stellung 
der Oberschenkel, dass eine Fortbewegung nur äusserst mühsam zu 
Stande kam. 

Zunächst standen beide Oberschenkel in einem Winkel von 45® 
flectirt^ der linke war etwa um 30® abducirt, der rechte befand sich 
in einem Adductionswinkel von 45®. Er war hierbei so eng an das 


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264 


Joachims thal. 


linke Bein gepresst, dass in der Kniegegend ein Decubitus zu Stande 
gekommen war. Die Folge der rechtsseitigen Adduction war eie 
bedeutender Höherstand der rechten Beckenhälfte und eine relatiTe 
Verkürzung der Extremität um 7 cm, die nur durch eine entsprechende 
Sohlenerhöhung ausgeglichen werden konnte. Die Röntgenuntersuchung 
ergab ein vollkommenes Fehlen des linken, ein partielles Fehlen de? 


Fia. 4. 



rechten Kopfes und eine ausgedehnte Verwachsung im Bereiche der 
Hüftgelenke. Ich entschloss mich in Anbetracht der Verhältnisse 
lediglich zur Ausführung der Oesteotomia subtrochanterica, die ich 
am 20. September 1902 ausführte. Nach lineärer Durchtrennung des 
Femur schräg von aussen unten nach innen oben liess sich der 
distale Theil desselben ohne Durchschneidung der Weichtheile au 
der Innenseite in eine vollkommene Abduction überführen und durch 
einen Gipsverband in dieser Stellung fixiren (s. Fig. 3). Der vor¬ 
handene Flexionswinkel wurde dem Oberschenkel belassen. Nach 
etwa 6 Wochen war Patientin bereits ohne Verband im Stande zu 


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Ueber doppelseitige Hüftgelenksankylosen. 


265 


gehen und zwar — dank der gleichzeitigen Flexionsstellung beider 
Femora — in recht behender Weise, mit gleich langen unteren 
Extremitäten und infolge dessen ohne die Nothwendigke[it 
einer Sohlenerhöhung. 

Interessant ist das vor kurzem angefertigte Röntgenbild (Fig. 4). 
Dasselbe zeigt, wie aus der scharfen, operativ gesetzten Abknickung 
unterhalb des Trochanters sich allmählich eine mit der Convexität 
nach innen gerichtete Abbiegung des oberen Antheils des Ober¬ 
schenkels entwickelt hat. 


Zeitschrift für orthopädische (Chirurgie. XIII. Bd. 


18 


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XV. 


Zur operativen Behandlung doppelseitiger 
Hüftankylosen‘). 

Von 

Dr. Gastav Drehmann-Breslau. 

Mit 2 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Während einseitige Ankylosen des Hüftgelenks in günstiger 
Stellung den Trägem der Deformität relativ wenig Beschwerden ver¬ 
ursachen, sind die doppelseitigen Ankylosen recht schwere Zustände, 
besonders wenn die Ankylose in Contracturstelluug erfolgt ist. Die 
Behandlung derartiger Zustände kann nur eine operative sein, jedoch 
herrscht über die Wahl der Operationsmethode noch keine Einig¬ 
keit. Glücklicherweise sind derartige Fälle äusserst selten, so dass 
die Besprechung eines einzigen Falles immerhin gerechtfertigt ist. 

Was die verschiedenen Operationsmethoden betrifft, so können 
wir über die einfache subtrochantere Osteotomie mit Redression der 
Contracturstellung kurz hinweggehen. Die Operation bringt zwar 
den Patienten eine bessere Gehfähigkeit, macht aber das Sitzen ganz 
unmöglich. Ich habe eine 8jährige Patientin beobachtet, welche in¬ 
folge blutiger Einrenkung einer doppelseitigen angeborenen Hüft- 
luxation eine Ankylose beider Hüftgelenke in Streckstellung hatte. 
Das Kind lief mit kleinen Schritten verhältnissmässig gut, da die 
Kniegelenke eine compensatorischeUeberstreckfähigkeit erlangt hatten, 
das Treppensteigen war jedoch ganz unmöglich, noch grössere Schwie¬ 
rigkeit machte das * Sitzen. Das Aufrichten aus der liegenden Stel¬ 
lung war sehr erschwert, ebenso aus der knieenden. 

Die übrigen Operationsmethoden bezwecken die Herstellung be¬ 
weglicher Gelenke. Hier ist zunächst die Frage zu entscheiden, ob 
es zweckmässig ist, auf beiden Seiten eine Pseudarthrose zu erzielen. 

*) Vortrag, gehalten auf dem III. Congress der Deutschen Gesellschaft 
für orthopädische Chirurgie am .5. April 1904. 


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Zur operativen Behandlung doppelseitiger Hüftankylosen. 


267 


oder auf der einen Seite eine Ankylose in brauchbarer Mittelstellung 
und auf der anderen ein bewegliches Gelenk herzustellen. Was die 
erste Frage betrifft, so kommt hier nur eine Operationsmethode in 
Betracht, das ist die Meisselresection nach Volkmann. Handelt es 
sich um geringgradige Zerstörung des Skelets und gut erhaltene 
Musculatur, wie wir es bei Ankylosen nach rheumatischen Affectionen 
sehen, so gibt die Meisselresection ausgezeichnete Resultate. Ich 
hatte Gelegenheit, während meiner Assistentenzeit an der Hof fa¬ 
schen Klinik, einen derartig von Maas operirten Fall, welchen auch 
Hoffa öfters erwähnt hat, zu untersuchen; der betreffende Patient 
lief wie eine doppelseitige Hüftluxation, aber ausdauernd, Sitzen und 
Treppensteigen normal möglich. Er bediente sich gewöhnlich zweier 
Stöcke beim Gehen, wie es schien, mehr um Mitleid zu erregen, da 
das Gehen ohne Stock ebenfalls leicht von statten ging. Die Er¬ 
folge sind aber nicht immer gleich gute, auch bei günstigen Muskel¬ 
verhältnissen; ich habe auch einen derartigen Fall, der Ende der 
70er Jahre von Volkmann selbst operirt wurde, vor einigen Jahren 
längere Zeit medico-mechanisch behandelt. Hier war das Gehen 
beschwerlich und unsicher, besonders bei etwas feuchtem Erdboden. 
Die Mechanik des Gehens war hier eine ganz interessante; während 
der Patient im Liegen die Hüftgelenke gut beugen und strecken 
konnte (Rotation und seitliche Bewegungen waren activ nicht mög¬ 
lich), war er im Stehen auf einem Beine nicht im Stande, das andere 
activ im Hüftgelenk zu beugen. Der Gehact kam dadurch zu Stande, 
dass der Patient beim Heben der einen Beckenhälfte den Oberkörper 
in der Pseudarthrose des Standbeines nach hinten pendelte und so 
das Schwungbein nach vorn brachte. Das Gehen war auf diese 
Weise ziemlich beschwerlich und unsicher. Abgesehen von dem ge¬ 
waltigen Eingriff* einer doppelseitigen Hüftresection, ist demnach 
diese Operationsmethode nicht für alle Fälle brauchbar. Es wurde 
nun der Vorschlag gemacht, nur auf einer Seite ein bewegliches 
Gelenk herzustellen und auf der anderen eine functionell brauchbare 
Ankylose zu belassen. Wir wissen ja, dass einseitige Hüftankylosen 
in günstiger Stellung relativ wenig Beschwerden verursachen. Zur 
Erreichung der Pseudarthrose concurrirt neuerdings die von Lorenz 
angegebene Osteotomia pelvitrochanterica mit der oben erwähnten 
Volkmann’schen Resection. Lorenz erzielte mit der Durchtrennung 
des Restes des Schenkelhalses und Correctur der Deformität ein be¬ 
wegungsfähiges Gelenk. Da dieser Eingriff gegenüber der Meissel- 


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268 


Gustav Drehmann. 


resection, welche bei mangelhafter Musculatur leicht ein unbrauch¬ 
bares Schlottergelenk geben kann, ein recht einfacher ist, lohnt es 
sich schon in Fällen, bei welchen die Musculatur stark geschädigt 
ist, das Verfahren nachzuprüfen. Ein derartiger Fall, in welchem 



durch schwere Vereiterung beider Hüftgelenke, ausgedehnte Narben¬ 
bildung und extreme Contracturstellung eine der schwersten func¬ 
tioneilen Störungen vorlag, veranlasste mich, das Lorenz’sche Ver¬ 
fahren nachzuprüfen, da hier die Meisselresection keinen Erfolg ver¬ 
sprach. Der Fall war kurz folgender: 

Olga St., 16 Jahre alt, aus Colonnowska in O.S., wurde mit 
8 Jahren wegen angeborener Hüftluxation auf beiden Seiten operirt 


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Zur operativen Behandlung doppelseitiger Hüftankjlosen. 


269 


Es trat eine Vereiterung beider Gelenke ein, die Heilung dauerte 
mehrere Monate. 

Juni 1903 trat die Patientin in meine Behandlung. Sie konnte 
stehend nur kurze Zeit zubringen und nur wenige Schritte aufrecht 


Fig. 2. 



gehen; im Zimmer bewegte sie sich meistens auf den Knieen und 
Ellenbogen kriechend fort. Beim Stehen machte sie einen abnorm 
kleinen Eindruck, da sich infolge rechtwinkeliger Beugecontracturen 
eine hochgradige Lordose ausgebildet hatte, lieber den Hüftgelenken 
und dem Kreuzbein tiefe, mit der Unterlage fest verwachsene Narben. 
Beide Hüftgelenke völlig ankylotisch, das linke Bein hochgradig ad* 
ducirt, so dass das Knie sich in die Weichtheile des rechten Ober- 


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270 


Gustav Drehmann. 


Schenkels einbohrte. Das aufrechte Gehen war kaum möglich. Die 
Glutäalmusculatur links völlig reactionslos, rechts geringe Spuren. 

Von einem Erfolge einer Meisselresection war bei dem Zu* 
stände der Musculatur gar nichts zu erwarten. Es wäre mit Sieber* 
heit ein ganz unbrauchbares Schlottergelenk zu Stande gekommen. 
Ich wagte deshalb einen Versuch mit der pelvitrochanteren Osteo¬ 
tomie. 

Das Röntgenbild zeigt die hochgradige Zerstörung des Skelets, 
links (Fig. 1) besteht eine starke Adductionsstellung, die Pfannen- 
gegend ist verödet, der Rest des Schenkelhalses geht unvermittelt 
in die Substanz des Darmbeins über. Auf der rechten Seite geht 
der Oberschenkel direct in die Pfannengegend über (Fig. 2). Wegen 
der starken Contracturstellung war die gleichzeitige Aufnahme beider 
Hüftgelenke unmöglich. Ich habe auf der rechten Seite mir durch 
einen seitlichen Schnitt die Gelenkgegend freigelegt und die Durch¬ 
trennung des Schenkelhalsrestes mit dem Meissei bewerkstelligt 
Wegen der Contractur und der Kürze des Schenkelhalses, wenn man 
überhaupt von einem solchen noch reden kann, war die Durch¬ 
trennung mit dem Meissei sehr erschwert. Auf der linken Seite 
wurde durch eine einfache Durchmeisselung unterhalb des Trochan¬ 
ters die starke Flexions- und Adductionsstellung corrigirt. 

Die pelvitrochantere Osteotomie wäre auf der linken Seite 
leichter gewesen, aber hier war auch nicht die geringste Spur von 
Musculatur mehr vorhanden, während rechts die Glutäalmusculatur 
noch reagirte. 

Auf der rechten Seite hat sich nun eine ganz brauchbare 
Pseudarthrose entwickelt, welche Beugung bis ;5um rechten Winkel 
zulässt. Die Patientin, welche früher sich aufrecht überhaupt kaum 
fortbewegen konnte, geht jetzt ohne »Stock, sie kann Treppen steigen 
und bequem sitzen. 

Ich übergebe den Fall der OefiFentlichkeit, einerseits um die 
Osteotomia pelvitrochanterica bei der Behandlung von Hüftgelenks¬ 
versteifungen, die nicht auf tuberculöser Basis beruhen, mehr zu 
empfehlen, andererseits um einen Vorschlag zu machen, die tech¬ 
nischen Schwierigkeiten dieser Operation, welche sicherlich eine all¬ 
gemeine Aufnahme derselben bis jetzt verhindert haben, zu ver¬ 
mindern. Die Durchtrennung mit dem Meissei ist meistens wegen 
der starken Beugecontractur, Adduction und fast völligem Verlust 


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Zur operativen Behandlung doppelseitiger Hüftankylosen. 


271 


des Kopfes und Schenkelhalses sehr erschwert, oder erfordert eine 
ausgedehnte Freilegung des Operationsgebietes. Ich möchte deshalb 
Vorschlägen, die Durchtrennung mit der Gigli’schen Drahtsäge vor- 
zimehmen. Es wäre dann das Operationsgebiet durch einen vorderen 
etwas seitlichen Schnitt, wie ihn Hoffa für die blutige Behandlung 
der angeborenen Hüftverrenkung angenommen hat, und durch einen 
kleineren hinteren Schnitt freizulegen. Die Drahtsäge lässt sich jetzt 
bequem zwischen Becken und Trochanter von vorn nach hinten 
durchführen und dann von hinten zwischen Oberschenkelschaft und 
dem Schambein wieder nach vom bringen. Die Durchtrennung wird 
so eine sehr einfache sein. Ich bitte, diesen Operationsvorschlag in 
geeigneten Fällen nachprüfen zu wollen. 


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XVI. 


lieber Grelenkentzündimgen im Säuglingsalter und 
ihre ätiologischen Beziehungen zu späteren 
Deformitäten'). 

Von 

Dr. OastaT Drehmann-Breslau. 

Mit 5 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Im frühesten Säuglingsalter kommt eine typische Gelenkent¬ 
zündung vor, die bis jetzt von Seiten der Orthopäden wenig Be¬ 
achtung gefunden hat. Gewöhnlich beginnt die Gelenkentzündung 
am Ende der zweiten Lebenswoche mit Schwellung und Contractur- 
stellung. Die Symptome dauern mehrere Wochen; es kommt in 
einigen Fällen zur spontanen Entleerung eines hellen schleimigen 
Eiters oder es bildet sich eine geröthete Stelle, welche zur Incision 
vom Arzte benutzt wird. Es tritt darauf baldige Heilung auf. In 
anderen Fällen, und dies scheinen mir die Mehrzahl der Fälle zu 
sein, dauern die Symptome mehrere Wochen oder Monate an, es 
kommt nicht zur Eiterung, sondern es tritt ein langsames Nach¬ 
lassen der entzündlichen Erscheinungen auf und eine nachherige 
scheinbar völlige Wiederherstellung des Gelenks ein, ohne dass es 
zum Durchbruch von Eiter kommt. 

Die Prognose dieser Entzündung wird in der Literatur ge¬ 
wöhnlich als eine relativ gute angesehen, wenn auch hin und wieder 
ein Todesfall vorkommt. Der Sitz der Erkrankung ist häufig das 
Hüftgelenk, ebenso das Kniegelenk, Hand und Ellenbogen scheinen 
seltener befallen zu werden. 

Die Aetiologie dieser Entzündungen ist wenig bekannt. Tuber- 
culöse Entzündungen, die im späteren Leben so häufig sind, werden 

Vortrag, gehalten auf dem III. Congress der Deutschen Gesellschaft 
für orthopädische Chirurgie am 5. April 1904. 


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(Jeber Gelenkentzündungen im Säuglingsalter etc. 


273 


in der frühesten Kindheit nicht beobachtet. Syphilitische Gelenk¬ 
entzündungen kommen sehr häufig in den ersten Lebenswochen zur 
Beobachtung, sind aber von dem geschilderten Typus ganz ab¬ 
weichend. Hier treten Gelenkschwellungen auf, die wenig schmerz¬ 
haft sind; die befallene Extremität, am häufigsten die obere, hängt 
schlaff gelähmt herab und wird gar nicht bewegt. Die Verwechs¬ 
lung mit wirklicher Lähmung ist sehr leicht und kann auch häufig 
vorkonunen. Es ist das den Kinderärzten wohlbekannte Bild der 
Pseudoparalyse infolge Osteochondritis syphilitica dissecans. Nach 
antiluetischer Behandlung verschwinden die Lähmungssymptome sehr 
schnell. Bei mangelnder Behandlung kommt es zur langwierigen 
Gelenkdestruction mit Durchbruch des Eiters und chronischer Ent¬ 
zündung. Hier sehen wir im späteren Alter ausgedehnte strahlige 
Narben, Verkürzung der Extremität und Contracturstellung. Einen 
derartigen Fall habe ich durch Jahre nach der Abheilung beobachtet. 

Bei den Gelenkentzündungen, die ich hier besprechen will, 
nimmt nach Abnehmen der mehr acuten Symptome die Contractur¬ 
stellung nach und nach ab, es tritt Beweglichkeit mit normaler 
Function auf, ja das Gelenk erscheint wieder völlig normal; erst 
spater treten Deformitäten auf, die ich dann besprechen will. 

Sehen wir die Literatur durch, so sehen wir unter dem oben 
erwähnten Bilde verlaufend die zuerst im Jahre 1885 von Lucas 
(British Medical Journal) beschriebenen Fälle von Entzündungen im 
Anschluss an Ophthalmoblennorrhoea neonatorum. Gegen Ende der 
Abheilung der Blennorrhöe nach dem 16. bis 18. Tage, tritt mit 
Schwellung, Schmerzhaftigkeit und Contracturstellung die Arthritis 
ein. Nach 4—8 Wochen trat mit einfacher localer Behandlung 
durch Umschläge Heilung und Restitution des Gelenkes ein. Aehn- 
liche Fälle sind später zahlreich beschrieben, so von Fendik, 
Deutschmann, Escherich, Vignaudon u. a. Die sämmtlichen 
Fälle treten im Anschluss an eine Augenentzündung auf. Die Deu¬ 
tung dieser Fälle machte keine Schwierigkeiten, sie wurden ebenso 
wie die Blennorrhöe als gonorrhoischer Natur aufgefasst. In den 
7 Fällen, von welchen icli allerdings nur einen frisch, die übrigen 
in ihren Folgezuständen beobachtet habe, war nach Angabe der Eltern 
keine Augenentzündung vorhanden, so dass die Deutung auf Schwierig¬ 
keiten stösst. 

Neuerdings beschrieb nun Renel,B. Kimball (Medical record 
November 1903) 8 Fälle von gonorrhoischer Gelenkentzündung bei 


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274 


Gustav Drehniann. 


5—10 Wochen alten Kindern. Diese Fälle betrafen 7 Knaben und 
1 Mädchen. In keinem Falle bestand eine Augenentzündung, ferner¬ 
hin weder Urethritis noch Vulvovaginitis. Die Schleimhäute er¬ 
schienen völlig normal. Die Gonorrhöe der Eltern wurde geleugnet. 
Die Untersuchung des Eiters ergab stets Diplokokken in Semmelform, 
diese entfärbten sich nach Gram. Die Mortalität dieser Fälle war 
sehr hoch, da 6mal Exitus eintrat. Die Prognose derartiger Gelenk¬ 
entzündungen scheint demnach nicht so günstig zu sein, wie andere 
Autoren annehmen. Kim ball kommt zu den Schlussfolgerungen, 
dass die Gonorrhöe bei Säuglingen häufiger vorkommt, als bis jetzt 
angenommen wird. Die gewöhnliche Form ist die Conjunctivitis 
und die Vulvovaginitis; Gelenkentzündungen entstehen im Anschluss an 
diese, sie können aber auch ohne derartige sicher nachweisbare Ein¬ 
gangspforten Vorkommen und sind ebenfalls gonorrhoischer Natur. Er 
glaubt, dass die ohne locale Infection auftretenden Gelenkentzündungen 
durch eine gonorrhoische Stomatitis oder Entzündung der oberen 
Luftwege zu Stande kommt. Er weist darauf hin, dass durch genaue 
mikroskopische Untersuchungen und bacterielle Züchtung die genauere 
Natur dieser Erkrankungen noch zu klären ist. 

Alle derartigen Gelenkentzündungen auf gonorrhoische Infection 
zurückzuführen, ist aber kaum angängig, besonders da wir durch 
neuere Untersuchungen von Hess (fränkische Gesellschaft für Ge¬ 
burtshilfe, 30. Januar 1904 zu Würzburg) wissen, dass die Blennor- 
rhöe nicht nur durch den Gonococcus, sondern auch durch andere 
Mikroorganismen, wie z. B. Pneumococcus, Bacterium coli, Strepto¬ 
coccus u. a. hervorgerufen wird. Das Bacterium coli dürfte in vielen 
Fällen für die Infection der Gelenke haftbar zu machen sein. Wir 
können uns vorstellen, dass durch leichte Traumen bei dem Geburts¬ 
act unbedeutende Gelenkverletzungen entstehen, die fUr die Auto- 
infection vom Darm aus guten Boden abgeben. Bei Säuglingen 
mit derartigen Gelenkentzündungen findet sich nun sehr häufig Darm¬ 
störung vor, wie ich durch Herrn Prof. Czerny in Breslau, welcher 
viele derartige frische Fälle beobachtet hat, erfuhr. Es würde sich 
so eine Infection durch das Bacterium coli sehr leicht erklären 
lassen. 

Was nun die pathologische Anatomie betrifft, so wissen wir 
auch hier wenig Sicheres, ob es sich um eine primäre synoviale In¬ 
fection oder um ostale Processe handelt; hier geben uns die später 
sich bemerkbar machenden Deformitäten des späteren Lebens einigen 


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Ueber Gelenkentzünduugen im Säuglingsalter etc. 


275 


AofscUuss. In der Regel scheint es sich um eine epiphysäre Er¬ 
krankung zu handeln mit secundärer Betheiligung des Gelenks, 
worauf ich später zurückkomme. 

Was die Folgezustände betrifft, so finden wir gewöhnlich an¬ 
gegeben, dass nach Abheilung der Entzündung oder Entleerung des 
Eiters die Gelenke wieder völlig normale Form und Beweglichkeit 
zeigen. Ueber die späteren Schicksale oder später sich entwickelnden 
Deformitäten findet man in der Literatur keine Angaben ausser einer 
kurzen Bemerkung Hoffa's (Handbuch der praktischen Chirurgie 
Ton Bergmann, Bruns, Mikulicz), dass bei Coxitis des ersten 
Lebensalters Luxationen Vorkommen können. Es dürfte daher von 
Interesse sein, etwas näher auf dieses Gebiet einzugehen. Ich will 
dies an der Hand meiner Fälle thun. 

Von 7 Fällen, welche ich in den letzten 5 Jahren in meiner 
Privatpraxis beobachtete, betrafen 6 Erkrankungen das Hüftgelenk, 
ein Fall das Kniegelenk. Nur einen einzigen Fall, das Hüftgelenk 
betreffend, habe ich während des entzündlichen Stadiums einige Tage 
beobachtet. Es handelte sich um ein etwa halbjähriges Kind, das 
schon längere Zeit an Schmerzen und Beugestellung des Hüftgelenks 
litt. Die Symptome waren die einer Coxitis leichteren Grades. Das 
Kind wurde bald der Behandlung entzogen und ist später gestorben; 
die nähere Todesursache habe ich nicht erfahren. 

Die übrigen Fälle betrafen ältere Patienten mit Deformitäten. 
In 3 Fällen handelte es sich um Hüftluxationen, die in ihrer äusseren 
Gestalt von angeborenen Verrenkungen nicht zu unterscheiden waren 
und von denen der eine besonders interessant ist. 

Ich lasse die Krankengeschichten kurz folgen: 

1. Karl D., 3 Jahre alt, trat am 9. März 1899 in meine Be¬ 
handlung. Zweiter Sohn gesunder Eitern, normal ohne Kunsthilfe 
geboren. Mit 8 Tagen beobachtete der Hausarzt, welcher mir auch 
den Knaben zur Untersuchung brachte, eine Flexionsstellung im 
linken Hüftgelenk. Das Kind äusserte bei passiven Bewegungen 
des Beines Schmerzen und bewegte die Extremität selbst sehr wenig. 
Das Kind gedieh sonst gut, so dass eine weitere Therapie ausser Salz- 
bädem nicht angewendet wurde. Mit etwa 14 Tagen wurde an der 
Anssenseite des Unterschenkels ein Abscess entleert, der bald verheilte. 
Die Beugestellung blieb bestehen, so dass der Hausarzt an eine 
Psoascontractur dachte. Die Mutter beobachtete noch etwa bis zu 


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276 


Guatav Drehmann. 


einem Vierteljahr beim Umbetten des Kindes Schmerzensäusserungen 
bei Berührung der linken Hüfte. Mit etwa 4 Monaten wurde das 
Bein spontan besser bewegt, die Beugestellung war beseitigt; dabei 
fiel der Mutter auf, dass das Beinchen anscheinend kürzer war als 
das andere. Mit 6 Monaten wurde von berufener Seite eine con¬ 
genitale Hüftluxation diagnosticirt und die Behandlung mit dem 
Mikulicz'scben Lagerungsapparat eingeleitet. Diese Behandlung 
wurde etwa ein Vierteljahr durchgeführt, aber dann, als das Kind 
etwas herunter kam, von den Eltern unterbrochen. Im zweiten Jahre 
wurde von anderer Seite ebenfalls eine angeborene Luxation ange¬ 
nommen und zu einer unblutigen Einrenkung gerathen, es wurde 
auch ein Gipsverband in stärkster Abduction angelegt, der längere 
Zeit liegen blieb, den Zustand aber nicht änderte. 

Bei der Untersuchung am 9. März 1899 zeigte der gut ent¬ 
wickelte Knabe genau den Gang wie bei congenitaler Luxation; 
die Verkürzung betrug 3 cm. Auch sonst unterschied sich die 
Luxation nicht im geringsten von einer angeborenen, so dass ich 
ebenfalls der Anamnese keine zu grosse Bedeutung beilegen zu müssen 
glaubte und auch die Diagnose auf congenitale Luxation stellte. 
Das damals aufgenomraene Röntgenbild zeigte den Kopf oberhalb 
der Pfanne, genauere Structurverhältnisse Hessen sich an den damaligen 
Bildern nicht nach weisen. 

Am 11. März 1899 wurde die typische Einrenkung in Narkose vor¬ 
genommen, die nach Dehnung der Adductoren leicht gelang. Die Ein¬ 
renkung unterschied sich von einer sonstigen Einrenkung einer an¬ 
geborenen Hüftluxation, deren ich damals schon eine grössere Anzahl 
unternommen hatte, gar nicht. Der Kopf trat mit deutlichem Ein¬ 
renkungsgeräusch in die Pfanne, das Bein wurde in rechtwinkliger 
Abduction fixirt. Am 11. December 1899 wurde der letzte Verband 
entfernt. Der Kopf stand gut in der Pfanne und der Knabe ging 
gut. Nach 3 Wochen wurde der Gang schlechter, es stellte sich 
eine Beugestellung ein. Eine Untersuchung in Narkose zeigt den 
Kopf in der Pfanne, die Beugestellung ist leicht corrigirbar. Der 
Knabe bekommt einen abnehmbaren Filzverband, mit dem er gut 
ohne Schmerzen umhergeht. Nach 5 Monaten wird der Verband 
völlig weggelassen, der Gang war ganz normal und ist es bis jetzt 
geblieben. Die Beine sind gleich lang. 

Bis auf die vorübergehende Flexionsstellung, welche bei mir 
die Diagnose des congenitalen Charakters der Luxation doch schwan- 


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Ueber Gelenkentzündungen im Säuglingsalter etc. 


277 


kend machte und den Angaben des Hausarztes und der Mutter mich 
doch mehr Bedeutung beilegen liess, unterschied sich auch nichts 
von einer angeborenen Luxation. Ich habe den Knaben die letzten 
5 Jahre immer in Beobachtung gehabt. Der Gang ist ein völlig 
normaler geblieben, es besteht keine Verkürzung. Um so über- 


Fig. 1. 



raschender kam mir der jetzt bei der Nachuntersuchung erhobene 
Röntgenbefund (Fig. 1). Während die Bilder aus dem Jahre 1899 nur 
den grob anatomischen Befund erkennen Hessen, sind wir jetzt in 
der Lage, genauere Structurverhältnisse am Hüftgelenk zu erkennen. 

Das Bild zeigt eine annähernd normal grosse Pfanne, deren oberer 
Rand etwas ausgeklüftet ist. Die Reposition ist eine sehr gute, der 
Kopf und der Hals ist jedoch auf die Hälfte gegenüber der anderen 
Seite reducirt. Die Epiphysenlinie des Kopfes ist zwar noch deut¬ 
lich zu erkennen, aber unregelmässig und schmäler als normal. 
Der Kopf und Hals zeigen ausserdem unregelmässige Knochenwuche- 


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278 


Gustav Drehmann. 


rungen, so dass wir mit ziemlicher Sicherheit annehmen können, 
dass hier sich ein Entzündungsprocess abgespielt hat. Das Merk¬ 
würdige dabei ist, dass keine messbare Verkürzung besteht und ausser 
dem Röntgenbefund äusserlich auch nicht das geringste Pathologische 
nachweisbar ist. 

Einfacher in der Deutung waren die beiden anderen Fälle von 
Luxation, da hier in den ersten Lebenswochen in der Nähe des Ge¬ 
lenkes die Incision eines Abscesses vorgenommen wurde. 

2. Elly Sch., 12 Jahre alt, hinkt seit den ersten Laufversuchen, 
mit 8 Tagen wurde rechts am Ansatz der Adductoren vom Hausarzt 
ein Abscess eröffnet, der schnell heilte. Die Verkürzung betragt 
3 cm, das Röntgenbild zeigt den Kopf dicht am oberen Pfanuen- 
rand. Bei Flexion und Adduction ist der anscheinend gut geformte 
Kopf auf dem Darmbein zu fühlen. Juli 1900 wurde nach manueiier 
Dehnung der Adductoren, die wegen der alten Narbe dort ziemlich 
schwierig war, die Einrenkung genau wie bei der congenitalen vor¬ 
genommen nnd der Gipsverband in stärkster Abduction angelegt. 
Das Endresultat war ein gutes, das Kind lief bei einer Nachunter¬ 
suchung nach 2 Jahren sehr gut, ohne zu hinken und ausdauernd. 

3. Elisabeth S., 30 Jahre alt. Mit 14 Tagen wurde seitlich 
vor dem rechten Trochanter ein Abscess entleert. Als Kind wurde 
sie in einem orthopädischen Institut und in chirurgischer Klinik an 
angeborener Luxation mit Extension und Corset behandelt. Der 
Gang war schmerzlos bis vor kurzem, wenn auch hinkend. Seit einem 
Jahre bestehen Schmerzen, die die Patientin oft zu mehrwöchentlicher 
Bettlage zwingen. Dieser Schmerzen wegen sucht sie meine Be¬ 
handlung auf. 

Es besteht eine Luxation mit Verkürzung von 5 cm, Adduc- 
tionsstellung massigen Grades, stark ausgeprägtes Trendelenburg- 
sches Hinken. Der Kopf ist hinten auf dem Darmbein fühlbar und 
anscheinend gut entwickelt. 

Juni 1903 wird in Narkose eine manuelle Dehnung der Adduc¬ 
toren vorgenommen und eine Transposition des Kopfes vorn unter 
die Spina erreicht. Gipsverband in mittlerer Abduction und Aussen- 
rotation. Nach 4 Monaten Abnahme des Verbandes, abnehmbare 
Hülse bis Januar 1904. 20. März 1904: Patientin geht ohne zu 
hinken und ohne Schmerzen. Beckensenkung rechts gleicht die Ver¬ 
kürzung von etwa 2^-2 cm aus. 


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Ueber Gelenkentzündungen im Säuglingsalter etc. 


279 


Wenn wir die gewöhnliche Art der congenitalen Hüftluxation 
betrachten, so finden wir, dass in den ersten Lebensmonaten die 
Luxation nicht als solche zu erkennen ist. Erst sobald der Gehact 
einsetzt, wird die Verrenkung deutlich. Wir wissen, dass bei der 
Geburt nur eine Art von Gelenkmissbildung, eine Dysarthrosis nach 


Fi<T. 2. 



Ammon besteht und erst später das völlige Abgleiten der Gelenk- 
enden von einander zu Stande kommt, genau wie ich es auch für die 
angeborene Kniegelenkverrenkung nachgewiesen habe (Zeitschrift für 
orth. Chir. Bd. 7). Diese Gelenkmissbildungen sehen wir jetzt bei 
der Röntgendurchleuchtung ab und zu als Nebenbefund (Fig. 2). 
Während auf der einen Seite eine völlige Luxation besteht, zeigt 
die andere eine mangelhafte Entwickelung des oberen Pfannenrandes, 
ohne dass besondere Symptome auf dieser Seite vorhanden sind. 
Derartige Gelenkmissbildungen brauchen nicht stets zur Verrenkung 


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280 


Gustav Drebmann. 


zu führen, wie ich an einigen Fällen durch spätere Röntgendurch¬ 
leuchtungen nachweisen konnte; auch ohne Behandlung hatte sich 
hier ein normales Gelenk ausgebildet. 

Bei den in der Literatur erwähnten Fällen von frühzeitig 
diagnosticirten angeborenen Luxationen finden wir, abgesehen von 
Fällen mit multiplen Missbildungen todter Früchte, fast immer die 
Angabe, dass kurz nach der Geburt eine schmerzhafte Beugecontractor 
vorhanden war. Ausserordentlich interessant ist der in der letzten 
Zeit veröffentlichte Fall von Michael Cohn (Berl. med. Ges., 
10. Juni 1903, Berl. klin. Wochenschr. 1903, Nr. 34). Der Fall 
ist kurz folgender: 

Mädchen, 3 Monate alt, bei der ersten ärztlichen Untersuchung. 
Am 10. Tage fiel der Mutter auf, dass das Kind das linke Bein- 
chen angezogen hielt und nicht bewegte. Berührungen waren 
schmerzhaft. Die Beugung und Bewegungslosigkeit blieb bestehen, 
so dass die Mutter mit 5 Wochen den Arzt aufsuchte. Die Unter¬ 
suchung ergab, dass das Kind das rechte Bein normal bewegte, 
während das linke im Hüft- und Kniegelenk absolut still gehalten 
wurde. Es bestand eine Beugestellung des Hüft- und Kniegelenks. 
Versuchte man durch Zug am Fusse das Beinchen zu strecken, so 
hatte man dabei einen gewissen Widerstand zu überwinden, es gelang 
auch nicht vollkommen und das Kind schrie dabei. Nach und nach 
besserte sich die Beugestellung und das Kind fing an das Beinchen 
spontan zu bewegen. Dabei zeigte sich bald eine Verkürzung, die 
später 1^2 cm betrug und auch am Röntgenbild durch Höherstand 
des Trochanters nachweisbar war. Cohn diagnosticirte eine ange¬ 
borene Luxation, gibt aber keine Erklärung der schmerzhaften 
Beugecontractur. 

Auffallend ist es, dass diese Beugestellung so lange schmerz¬ 
haft war. Dass sie schmerzhaft war, müssen wir sicher annehmen, 
weil das Kind das Bein so lange nicht bewegte. Eine traumatische 
Ursache ist auszuschliessen, da wir selbst bei stärkeren Geburts¬ 
verletzungen, wie Schlüsselbein- oder selbst Oberschenkelbrüchen, 
bald nach wenigen Tagen Bewegungen ausführen sehen. Bei einer 
angeborenen Beugecontractur, wie sie ab und zu beschrieben sind 
und wie ich sie selbst bei angeborenen Knieverrenkungen beobachtet 
habe, bewegen die Kinder das Bein, soweit es die Contractur zu- 


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Ueber Gelenkentzündungen im Säuglingsalter etc. 


281 


lässt, ohne jede Schmerzäusserung. Es bleibt nach meiner Ansicht 
nur die Annahme einer Gelenkentzündung übrig. 

Ich glaube, dass die Annahme gerechtfertigt ist, dass es sich 
bei derartigen vom gewöhnlichen Typus der congenitalen Luxationen 
abweichenden Fällen um pathologische Verrenkungen handelt, noch 
aus dem Grunde, weil alle von mir in der Literatur gefundenen 
Fälle von frühzeitig diagnosticirten angeborenen Hüftluxationen ein¬ 
seitige Fälle waren. Eine Möglichkeit könnte allerdings bei manchen 
Fällen noch zugestanden werden, dass es sich um Verrenkungen 
während der Geburt handelt. Dass derartige traumatische Luxa¬ 
tionen Vorkommen, scheint mir doch annehmbar; bei doppelseitigen 
Luxationen habe ich in letzter Zeit häufig die Angabe der Eltern 
notirt, dass es sich um Steisslagen und Extraction gehandelt habe. 
Einen interessanten Fall habe ich früher beobachtet: hier war bei 
der Extraction ein Oberschenkelbruch vorgekommen; derselbe war 
geheilt, aber gegen Ende des ersten Jahres fiel den Eltern auf, 
dass das andere Bein verkürzt war. Eine Röntgendurchleuchtung 
zeigte sehr deutlich eine mit Dislocation geheilte subtrochantere 
Fractur des einen Beines und eine Hüftluxation des anderen. 

Bemerken will ich noch, dass ich bei den zahlreichen Einren¬ 
kungen angeborener Hüftluxationen, welche ich vorgenommen habe, 
nur noch in einem einzigen Falle eine derartige Beugecontractur 
nach Abnahme des letzten Verbandes habe eintreten sehen. Auch in 
diesem Falle war schon mit Jahre die Luxation deutlich er¬ 
kennbar. Auch hier verschwand die schmerzhafte Contractur bald 
wieder, die Reposition ist eine ideale und besteht jetzt bereits 
3^» Jahre. Am letzten Röntgenbild war keine Structurveränderung 
zu sehen. 

Ausser diesen Hüftluxationen habe ich Fälle von Coxa vara 
im Anschluss an derartige oben geschilderte Gelenkentzündungen 
entstehen sehen. Die Fälle sind kurz folgende: 

1. V. Ch., 2^;2jähriges Mädchen. Abscess mit '/a Jahre nach 
länger andauernder Schmerzhaftigkeit der rechten Hüfte in der In¬ 
guinalgegend operirt. Die Untersuchung des Eiters ergab nichts 
für Tuberculose Verdächtiges, sonstige Untersuchungen wurden nicht 
vorgenommen. 

Als das Kind längere Zeit lief, zeigte sich eine zunehmende 
Verkürzung. Das Kind hinkte und ermüdete sehr leicht, so dass 

Zeitschrift fttr orthopädische Chirurgie. XIII. Bd. 19 


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282 


Gustav Drehmann. 


an eine Hüftgelenkentzündung gedacht wurde. Schmerzen bestanden 
nur bei längerem Laufen, die Bewegungen des Gelenks waren alle frei. 

Bei der Untersuchung zeigte sich eine leichte Adductions- 
contractur, die Abduction war ganz unmöglich, sonst alle Bewegungen 


Fig. 3. 



schmerzlos. Der Trochanter 2 cm über der Roser-Nälaton’schen 
Linie. Das Röntgenbild (Fig. 3) zeigt eine deutliche Verbiegung 
des Schenkelhalses im Sinne der Coxa vara. 

2. Marie V., 1 Jahr alt, wird mir wegen Verdachtes auf an¬ 
geborene Hüftgelenkverrenkung zur Untersuchung gebracht. Es 
bestand eine Verkürzung des rechten Beines, welche den Eltern 
schon längere Zeit aufgefallen war. Beim Berühren des rechten 
Hüftgelenks hat das Kind früher Schmerzen geäussert, auch soll 
es das Beinchen in den ersten Lebensmonaten stets gebeugt gehalten 
haben. 


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Ueber Gelenkentzündungen im Säuglingsalter etc. 


283 


Bei der Untersuchung am 8. Juni 1900 stellte ich fest, dass 
eine deutliche Verkürzung vorhanden war, der Kopf jedoch die Pfanne 
ausfüllte. Die Bewegungen schmerzlos und frei bis auf die Abduction, 
die aufgehoben war. Das Röntgenbild (Fig. 4) zeigt den Kopf in 

Fig. 4. 


r I 


.M 



der Pfanne, den Trochanter deutlich höherstehend und eine Ver¬ 
biegung des Oberschenkelschaftes dicht unterhalb des Trochanters. 

Auch in diesem Falle glaube ich die Deformität auf eine Ge¬ 
lenkentzündung zurückführen zu müssen. Für eine rhachitische Ver- 


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284 


Gustav Drehmann. 


biegung sprach sonst gar nichts, die Annahme einer angeborenen 
Coxa vara scheint mir noch gewagter. Angeborene Fälle sind meistens 
doppelseitig und beruhen nach Hoffa auf einer Hemmungsbildung 


Fig. 5. 



des Schenkelhalses; derartige Fälle sind von Joachimsthal, 
Hoffa und Helbing beschrieben. 

Ich glaube, dass gerade für die einseitige kindliche Coxa Tara 
die Annahme der von mir geschilderten Gelenkentzündung häufiger 
in Betracht zu ziehen ist. Wir wissen, dass die rhachitische Coia 
vara keine echte Schenkelhalsverbiegung ist, sondern dass es sich 
hier um Verbiegungen im Oberschenkelschaft handelt. Traumatische 
Coxa vara wird im Kindesalter sicher beobachtet, doch sehen wir 


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Ueber Gelenkentzündungen im Säuglingsalter etc. 


285 


viele Fälle, in welchen jedes Trauma fehlt. Derartige Fälle waren 
bis jetzt schwer zu deuten. Die von mir angenommene Aetiologie 
dürfte über manche Schwierigkeiten hinweghelfen. 

Ausser diesen Hüftgelenkerkrankungen habe ich nur einen 
Fall von Erkrankung des Kniegelenks zur Untersuchung bekommen. 
Es handelt sich um einen Fall von Genu valgum (Fig. 5). Bei dem 
jetzt 2jälirigen Kinde wurde mit 14 Tagen an der Aussenseite des 
linken Kniegelenks ein Abscess operirt. Das Gelenk war flectirt 
und stark angeschwollen. Mit Jahre bemerkten die Eltern bereits 
eine immer mehr zunehmende Verbiegung des Kniegelenks. Diese 
seitliche Verbiegung nahm, trotzdem das Kind sofort mit Schienen¬ 
hülsenapparaten behandelt wurde, ständig zu, so dass die Abweichung 
des Unterschenkels von der Achse des Oberschenkels bei meiner 
ersten Untersuchung bereits 45 Grad betrug. Das Kind lief zur 
rechten Zeit. 

Das Röntgenbild zeigt deutlich, dass an der Aussenseite der 
unteren Feraurepiphyse ein Knochenprocess sich abgespielt hat. In¬ 
teressant ist hier, dass die Deformität sich bereits entwickelte, ohne 
dass die Extremität durch das Gehen belastet wurde. Es wird da¬ 
durch bewiesen, dass die Verbiegung durch ungleichmässiges Epi¬ 
physenwachsthum zu Stande gekommen ist, dies berechtigt uns zu dem 
Schluss, dass es sich um eine epiphysäre Infection mit secundärer 
Betheiligung des Gelenks gehandelt hat. 

Meine Mittheilung soll den Zweck haben, die Aufmerksamkeit 
der Fachkollegen auf das Vorkommen derartiger Gelenkentzündungen 
zu lenken, da ich glaube, dass manche Deformität, deren Aetiologie 
dunkel ist, so leicht erklärbar wird. Ich habe mich um so mehr 
zu der Veröffentlichung entschlossen, als ich in der Literatur ein 
genaueres Eingehen auf dieses Gebiet vermisse. Ich bitte deshalb 
um Nachprüfung meiner Beobachtungen. Besonders weise ich dar¬ 
auf hin, dass die Aetiologie der Gelenkentzündungen noch nicht 
völlig geklärt ist, und hoffe durch meine kurze Mittheilung ein wei¬ 
teres Studium dieser Frage an einem grösseren Material, als es mir 
zur Verfügung steht, veranlasst zu haben. 


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XVII. 


Multiple (jelenkcontracturen, künstliclie 
Pseudarthrosenbüdung an der einen Hüfte’). 

Von 

Prof. Dr. Froelich-Nancy. 

Das Mädchen, das dieser Fall betrifft, ist 18 Jahre alt. Seine 
Geschichte ist folgende: Eltern gesund, ein Bruder in seinem 
20. Jahre an Lungentuberculose gestorben, eine Schwester gesund. 

Das Kind selbst soll vor dem 12. Jahre stets gesund gewesen 
sein, als plötzlich ohne Ursache das linke Knie anfing zu schmerzen 
und sich in Flexion zu stellen. Ein herbeigezogener Chirurg schnitt 
die Sehnen der Kniekehlmuskeln durch, redressirte das Knie, liess 
es während 6 Wochen in einer Gipsrinne liegen. Das Knie blieb 
gerade, aber ankylotisch. Die Schmerzen waren verschwunden. 

In den nachfolgenden Monaten versteifte die linke Hüfte, ohne 
vorhergehende Schmerzen oder Fiebererscheinungen, auch soll die 
Hüfte nie geschwollen gewesen sein. 

Ein Jahr nachher wurde auch die rechte Hüfte steif, auch hier 
ohne Schmerz und ohne Fieber. 

Das Gehen war ausserordentlich erschwert und konnte nur mit 
Krücken oder mit zwei Stöcken geschehen. 

Auch verminderte sich die Beweglichkeit beider Ellbogen¬ 
gelenke. 

Vor einem Jahre, d. h. 5 Jahre nach dem Anfänge dieser mul¬ 
tiplen Contracturen, fing die Halswirbelsäule an schmerzhaft zu wer¬ 
den; Kopf beugen und Drehen wurden während 4 Monaten unmög¬ 
lich; hiernach verschwand wieder jeglicher Schmerz und jegliche 
Contractur an der Wirbelsäule. 

Am 27. Juli 1903 wurde uns die Patientin durch ihren Arzt 
Dr. Weiller aus St. Di^ zugesandt. 

0 Vortrag, gehalten auf dem UI. Congress der Deutschen Gesellschaft 
für orthopädische Chirurgie am 5. April 1904. 


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Multiple Gelenkcoutracturen etc. 


287 


Status praesens: Ziemlich schwächliches Mädchen, dessen 
Anblick die herumgehenden Photographien illustriren. 

Das linke Knie ist ankjlotisch, in leicht fiectirter Stellung und 
in einem geringen Grade von Varusstellung. Die Knochen scheinen 
normal, in dem Gelenke keine Spur von Erguss; keine Verdickung 
auf der Synovialis* 

Beide Hüften sind versteift und in leichter Flexion und Ad- 
duction, keine Drüsen in der Inguinalgegend, keine Schwellungen 
der Knochen und der Weichtheile. Die Hüften scheinen knöchern 
verwachsen zu sein; diesem widersprach aber ein Röntgenbild. All 
diese Untersuchungen sind keineswegs schmerzhaft. 

Die linke untere Extremität ist 2 cm kürzer als die rechte. 
Die Verkürzung vertheilt sich 1 cm auf den Femur und 1 cm auf 
die Tibia, sie bewirkt eine schiefe Haltung des Körpers, der nach 
links geneigt ist. 

Das rechte Knie und beide Sprunggelenke haben ihre freien Be¬ 
wegungen. 

Beide Schultergelenke, beide Handwurzelgelenke, sämmtliche 
Fingergelenke sind von normaler Beschaffenheit und von normaler 
Motilität. 

Die Extension der Ellbogengelenke geht bis zu 130^, hingegen 
ist die Flexion complet. 

Auch existirt ein mässiger Grad von Contractur der Kiefer¬ 
gelenke. Das Oeffnen des Mundes ist beschränkt. 

Die Bewegungen der Halswirbelsäule lassen nichts zu wün¬ 
schen übrig. 

Die Dorsalwirbelsäule ist leicht kjphotisch. 

Die Lendenwirbelsäule links convex skoliotisch, auch ist sie ziem¬ 
lich steif. 

Trotz dieser multiplen Contracturen ist die Musculatur erhalten. 

Die elektrische Erregbarkeit jedoch überall herabgesetzt. 

Das Empfindungsvermögen ist überall normal, die Sprache des 
Mädchens eine leicht stotternde; ihre Intelligenz ist befriedigend, 
Lungen, Herz und Verdauungsorgane sind gesund. 

Eine Röntgenuntersuchung zeigte die Hüftgelenke und die Ell¬ 
bogengelenke mit normalem Schatten; hingegen im linken Knie¬ 
gelenk, wie man es auf der herumgehenden Platte sehen kann, 
scheint die Tibia leicht nach hinten verrenkt und mit den Femur- 
condylen knöchern verwachsen. Die hinteren Contouren des Knie- 


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288 


Froelich. 


gelenks sind unregelmässig: dasselbe bemerkt man auch an den Tor- 
deren Contouren der Tibia und der Femurcondylen. 

Zwischen Patella und Femur erblickt man Knochen Wucherungen, 
die aber keine Synostosen zwischen den zwei Knochen herbeige¬ 
bracht haben. 

Der Gang ist ohne Krücken unmöglich, nur hüpfend und mit 
einem Stock kann das Mädchen, ohne diese, einige Meter vorwärts¬ 
gehen. 

Auch ist die Entleerung der Blase und des Dickdarms durch 
die doppelseitige Contractur der Hüfte sehr erschwert. 

Um diesem elenden Zustande abzuhelfen, schlug ich den Eltern 
vor, an der einen Hüfte eine Pseudarthrose anzulegen. 

Die Operation wurde am 4. September 1903 ausgeführt. Nach 
einer Osteotomia subtrochanterica an dem rechten Femur schaltete 
ich zwischen den zwei Knochenstücken, von denen ich 1 cm abtrug, 
eine Celluloidplatte von 5 cm Länge, 4 cm Breite und 1 mm Dicke. 

Das Bein wurde in Abduction in einen Gipsapparat gestellt und 
Dauerextension angebracht. 

Die Folgen der Operation verliefen reactionslos. 

Nach 14 Tagen wurde der Gipsapparat abgenommen und leichte 
Bewegungen vorgenommen; dieselben waren sehr schmerzhaft. 

An der Operationsnarbe existirte eine Fistel, aus der spärliche 
Tropfen Blut oder klarer Flüssigkeit sickerten. Die Fistel blieb noch 
3 Wochen bestehen. 

5 Wochen nach der Operation musste die Patientin aufstehen 
und mit den Krücken einhergehen. 

Während der Nacht wurde die Extension immer noch fort¬ 
geführt und die Abduction durch einen Beinspreizer gesichert. 

Den 28. September wurde der Patientin zu diagnostischem 
Zwecke ein Tropfen Tuberculin in 1 ccm Karbollösung injicirt. Wäh¬ 
rend 5 Tagen wurden sämmtliche contracte Gelenke schmerzhaft und 
Fieber von 38—39^ C. dauerte 3 Tage. 

2 Monate nach der Operation konnte das Mädchen mühsam mit 
einem Stocke gehen. Die Pseudarthrose war in der Flexion und in 
der Abduction beweglich. Willkürlich aber nur in der Flexion. 

Diese Bewegungen waren immer noch schmerzhaft, als das Kind 
zu seinen Eltern zurückfuhr. 

Der Hausarzt, der die Nachbehandlung übernahm (Massage und 
Mobilisation), schrieb mir Anfangs Januar 1904, dass der Zustand 


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Multiple Gelenkcontracturen etc. 


289 


sich sehr verbessert batte; die Schmerzen waren fast ganz verschwun¬ 
den, und mit einem Stock konnte das Mädchen leidlich im Hause 
herumgehen. 

Anders lautete die Meldung im Februar 1904; die Bewegungen 
in der Pseudarthrose waren nach 14tägigem Ausbleiben der Massage 
verschwunden. 

Auf einer Reise nach St. Did, Ende Februar, konnte ich die 
Patientin untersuchen. Ein knöcherner Gallus hatte sich gebildet, 
und zwar 6 Monate nach der Operation. 

Trotzdem war das Bein in Abduction geblieben und der Gang 
war auffallend besser, wie früher. 

Durch die Abduction war die Basis sustentationis vergrössert, 
das Mädchen stand fester. 

Das rechte Knie stand in Valgussteilung, die Bänder des Knies 
nnd der zwei Sprunggelenke hatten sich sehr gelockert und durch die 
Lateralbewegungen, die sie in diesen drei Gelenken machen konnten, 
war der Gang erleichtert. 

Unästhetisch genug blieb er allerdings. 

Das Interesse dieses Falles beruht einerseits auf der Aetiologie 
dieser multiplen Gelenkversteifungen und andererseits auf der Therapie 
der doppelseitigen Hüftgelenkcontracturen. 

Die Aetiologie scheint in dem von Professor Poncet aus Lyon 
beschriebenen „Rhumatisme tuberculeux“ zu suchen zu sein. 

Im Jahre 1897 gab Poncet im französischen Chirurgencongress 
einen Vortrag über die „Polyarthrite tuberculeuse deformante ou 
pseudorhumatisme chronique tuberculeux“. 

Er unterschied: 1. Multiple Gelenkentzündungen ohne Eiter¬ 
bildung bei hereditär belasteten Individuen. 2. Multiple Gelenk¬ 
entzündungen (polyarthrite s^che) bei Patienten mit Lungen- oder 
Visceraltuberculose. Endlich 3. Gelenkentzündungen bei Kranken, 
bei denen zu gleicher Zeit eine Arthritis tuberculosa besteht. 

Von Gelenkversteifungen ist in dieser ersten Schrift Poncet*s 
noch nicht die Rede. Seither haben seine Schüler ihre Aufmerksam¬ 
keit auf alle Gelenkkrankheiten, die bei tuberculös belasteten Kranken 
Vorkommen, gerichtet. 

Poncet selbst hat zu beweisen gesucht, dass es auch einen ver¬ 
steifenden tuberculösen Gelenkrheumatismus gäbe. 

Gewisse Fälle von Marie'scher und Bechterew’scher Krank- 


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290 


Froelich. 


heit (Spondylose rhizomelique) wären nichts anderes als ankylosirender 
tuberculöser Rheumatismus. 

Die Arbeiten von Thärenot, Pic und Bombes de Villiers 
sind dennoch nicht beweiskräftig. 

Dass die Versteifungen der Wirbelsäule und der grossen Ge¬ 
lenke mit Tuberculose bei demselben Patienten zusammen vorhanden 
sein können, hat nichts Aussergewöhnliches, ohne dass es nöthig wäre, 
die Gelenkerscheinungen auf die Tuberculose zurUckzufÜhren. 

üeberhaupt haben die tuberculösen Processe nur ausnahms¬ 
weise das Endresultat, beträchtliche Knochenwucherungen hervoi^- 
bringen. 

Dennoch hat Poncet auf dem letzten französischen Chirurgen- 
congress (October 1903) einige beweiskräftige Beispiele des plasti¬ 
schen ankylosirenden „Rhumatisme tuberculeux“ gegeben. 

In unserem Falle waren die klinischen Erscheinungen denjenigen 
des von Jacoud beschriebenen „Rhumatisme fibreux“ ähnlich. 

Verwandte Fälle sind auch bei Kindern in der ausführlichen 
Arbeit von Hans Spitzy (Zeitschr. für orthopädische Chirurgie 1903) 
beschrieben worden. Interessant war zu sehen, ob diese multiplen 
Gelenkcontracturen, von denen alle entschieden fibröser Natur waren, 
eine nur, die des linken Knies, Knochenverwachsungen darbot, tuber¬ 
culöser Natur wären. 

Persönliche Belastungen waren zur Zeit bei unserer Patientin 
nicht vorhanden. Lungen und Visceralorgane waren normal. Anders 
war es, was die Heredität anbelangt. Ihr Bruder war in seinem 
20. Jahre an Lungenphthise gestorben. 

Wie vorher gesagt, wurde eine Tuberculininjection der Patientin 
beigebracht. 

Sämmtliche contracten Gelenke, selbst die Wirbelsäule, wurden 
schmerzhaft während 5 Tagen, und der Fieberanfall dauerte 3 Tage. 

In diesen Verhältnissen kann man mit ziemlich grosser Sicher¬ 
heit annehmen, dass die chronische Versteifung der Hüfte sowie die 
knöcherne Verwachsung des Kniegelenks eine Form von tuber¬ 
culösen Arthritiden vorstellen und in die Kategorie des „Rhumatisme 
tuberculeux“ gehören. 

Was die Pseudarthrosenoperation anbelangt, die wir bei unserer 
Patientin ausführten, kann nur hervorgehoben werden, dass die Ein¬ 
schaltung (nach Osteotomia subtrochanterica und Resection eines 
1 cm langen Stücks Femur) von einem ansehnlichen Stück Celluloid- 


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Multiple Gelenkcontracturen etc. 


291 


platte zwischen den Knochenenden nicht genügt, um eine dauernde 
Pseudarthrose herzustellen. 

6 Monate nach der Operation kann ein Knochencallus sich noch 
nachträglich bilden, nachdem schon während 3 Monaten das neue 
Gelenk in ziemlich guter Weise fungirt hatte. 

Bemerkt sei noch, dass diese Fremdkörpereinschaltung während 
4 Wochen sich durch eine seröse Fistelbildung kundgegeben hat und 
dann glatt eingewachsen ist. 


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XVIII. 


(Aus dem Wiener k. k. Universitäts-Ambulatorium für orthopädische 

Chirurgie.) 

Ueber die Entstehung und Behandlung der 
coxitischen Contractnren'). 

Von 

Dr. Robert Werndorff. 

Mit 3 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Im Kampfe des Orthopäden gegen die Coxitis beherrscht die 
Contractur die Scene, und ihr begegnet er immer. Im Anfang als 
reflectorischer Muskelspasmus, der sich durch die Narkose allein be¬ 
seitigen lässt, dann als secundär fixirte Stellung des nicht behandelten 
Beines und endlich selbst nach gemachter operativer Correctur in 
Form des Recidives. Was ist daher erklärlicher, als dass sich das 
Interesse vieler Orthopäden und Chirurgen der Erklärung und Be¬ 
handlung dieser Deformität zugewendet hat, freilich ohne dass die 
Versuche, die zur Erklärung der coxitischen Contractur gemacht 
wurden, im Stande waren, eine allgemein befriedigende Lösung zu 
bringen. 

Die auf Injectionsversuche gegründete Bonnet’sche Erklärung 
hat eine frühzeitige Richtigstellung durch König, Krause, Blencke, 
Lannelongue u. A. erfahren. 

Die Ergebnisse des Leichenversuches können nicht als Analogon 
der Verhältnisse am Lebenden angeführt werden. Gelingt doch das 
Experiment an der Leiche erst nach Durchschneidung aller Weich- 
theile und nach Durchsägung des Oberschenkels, ganz abgesehen 
davon, dass sich wohl schwer jemand zu der Meinung verstehen 


*) Vortrag, gehalten auf dem III. Congress der Deutschen Gesellschaft 
für orthopädische Chirurgie am 5. April 1904. 


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üeber die Entstehung und Behandlung der coxit. Contracturen. 293 


wird, es könnte der normale Sjnovialdruck am Lebenden dem Beine 
entgegen der Schwere irgend eine Stellung ertheilen. 

Die klinischen Erfahrungen endlich sprechen ja gerade gegen 
die Bonn et'sehe Erklärung; denn einerseits kann diese Stellung 
schon ausgebildet sein, bei ganz unbedeutendem Gelenkinhalt, wäh¬ 
rend auf der anderen Seite oft die Inhaltsvermehrung so langsam 
erfolgt, dass die durch Infiltration gedehnte Kapsel sich dieser lange 
angepasst hat, ohne dass es das Bein nöthig hätte, durch Abduction 
den Gelenkinhalt zu vergrössern. 

Die Sayre’sche Adductionserklärung durch Entleerung der per- 
forirten, mit Eiter gefüllten Kapsel, die BarwelTsche Auffassung 
von dem Ueberwiegen der Beuger über die Strecker eines jeden 
Gelenkes überhaupt, entbehren jeder näheren Begründung. 

Und so finden wir in der Literatur nur noch die Phelps’sche 
Hypothese und die König’sche Theorie. 

Die Phelps'sche Hypothese ist eben Hypothese geblieben. Es 
war eine unrichtige Beobachtung, wenn Phelps meinte, die Beugung 
des Oberschenkels auf 25^ verwandle die abducirenden Muskeln in 
Einwärtsroller, und durch diese Störung des Antagonismus resultire 
die Adduction. Dagegen spricht die klinische Erfahrung, dagegen 
spricht das Experiment. Sehen wir doch sehr häufig Beugegrade 
über 25® mit Abduction, während umgekehrt die Adduction oft schon 
unter 25® auftritt. Das elektrophysiologische Experiment endlich 
weist die Unrichtigkeit der Phelps’schen These vollends nach, denn 
ein so klarer und absolut verlässlicher Beobachter wie Duchenne 
hat gezeigt, dass die von Phelps beschriebene Adduction nur eine 
scheinbare sei, indem die vorderen Fasern des Glutaeus medius in 
Strecksteilung einwärts rotiren, diese Einwärtsrotation auch in Beu¬ 
gung beibehalten, so lange das Bein des Untersuchten nicht unter¬ 
stützt ist, sondern frei in der Luft schwebt, dass sich diese Einwärts¬ 
rotation aber sofort in eine minimale Annäherung des Beines an die 
Mittellinie verwandle, wenn der Fuss den Boden berührt und unter¬ 
stützt wird. Zudem hat Duchenne betont, und darauf legen wir 
grosses Gewicht, dass diese Bewegung mit minimaler Kraft aus¬ 
geführt wird, ich glaube also, dass sie für die Entstehung der coxi- 
tischen Adductionscontractur ganz ohne Belang ist. 

Erst König hat in die Frage von der Entstehung der coxi- 
tischen Deformität einige Klarheit gebracht und ihm gebührt das 
grosse Verdienst, zuerst die mechanischen Verhältnisse gewürdigt zu 


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294 


Robert WerndorfF. 


haben. Da wir aber seine Ansicht nicht in allen Punkten theilen, 
will ich seine Worte etwas ausführlicher anführen. 

Nach König entsteht die Abduction beim gehenden Coxitiker 
durch Schonung des schmerzhaften Beines vor der Belastung, die 
Adduction immer durch das Liegen im Bett auf der gesunden Seite 
und durch das KrUckengehen. König sagt ungefähr wörtlich: Die 
Abduction entsteht immer durch Schonung des erkrankten und schmen- 
haften Beines. Der Kranke sucht sein gesundes Bein durch eine 
Adductionsbewegung möglichst senkrecht zur Körperachse zu stellen, 
um das kranke zu entlasten, welches dadurch in Abduction gerath. 
Gehen mit einem schmerzhaften Bein ohne Krücke ist demnach in 
einer anderen als abducirten Stellung unmöglich. Dann wird der 
Process so schmerzhaft, dass der Kranke überhaupt nicht mehr gehen 
kann, dann legt er sich ins Bett und bekommt durch das Liegen 
auf der gesunden Seite Adduction — Einwärtsrotation. Oder er geht 
mit Krücken, indem er das Bein hinaufzieht, das dann den Boden 
überhaupt nicht mehr berührt. 

So die Worte Königes. Mir sei es gestattet, den Anschauungen 
Königes im folgenden die Ansichten Lorenz' entgegen zu stellen, 
Ansichten, welche die Abductionserklärung König's für unrichtig 
halten, seine Erklärungsversuche der Adduction theilweise einschränken, 
theilweise wesentlich ergänzen. 

Die Abduction entsteht nämlich sicher nicht durch Schonung 
des erkrankten Beines. Im Gegentheil, wir werden beweisen, dass 
das abducirte Bein belastet wird, belastet werden kann, ohne beson¬ 
dere Schmerzhaftigkeit; denn in diesem Stadium ist das coxitische 
Bein gegen Belastung relativ unempfindlich. 

Durch die klinische Erfahrung sind wir auf dem Wege der 
Deduction zu der Erkenntniss gekommen, dass die Coxitis in zwei 
Phasen verläuft. Die erste Phase enorme Schmerzhaftigkeit bei der 
leisesten Bewegung, während die Belastung relativ unempfindlich ist. 

Die Synovialis ist nach Lorenz, ob jetzt primär wie gewöhn¬ 
lich, oder secundär erkrankt, der Sitz der Schmerzhaftigkeit, und die 
geringsten Bewegungen, welche die infiltrirte und geschwellte Syn¬ 
ovialis — und in diesem Zustande haben wir letztere bei unseren 
gelegentlich vorgenommenen GelenkeröfiFnungen immer gefunden — 
zur Berührung bringen, müssen die heftigsten Schmerzen erzeugen. 
Diese zu verhindern, wird das Gelenk nun festgestellt, und dabei ist 
für seine Stellung weder massgebend der Füllungsraum der Kapsel 


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Ueber die Entstehung und Behandlung der coxit. Contracturen. 295 


|nach Bon net), noch der Wille des Patienten, worauf König 
grossen Werth legt, sondern ganz unwillkürlich muss sich auf den 
Reiz der in der Synovialis liegenden, ungemein empfindlichen Nerven 
ein Spasmus der das Hüftgelenk umgebenden Muskeln einstellen, der 
das Gelenk in der Mittellage feststellt, in jener Lage, in der alle 
Spovialistheile möglichst erschlafft sind, und das ist eben die Ab- 
duction — Aussenrotation. 

Einmal durch kräftige Muskelaction festgestellt ist nun das 
Gelenk gegen die Belastung relativ unempfindlich, während es auf 
eine passive Stellungsveränderung mit grossen Schmerzen antwortet. 
Ist die Synovialis nämlich durch den Muskelspasmus ruhig gestellt, 
dann fällt jedes schmerzerregende Moment weg, die Reibung, Fal¬ 
tung und Einklemmung der überaus empfindlichen Theile, und da 
der Knochen in dieser Phase nicht erkrankt, wenigstens nicht em¬ 
pfindlich ist, da ferner nach den Untersuchungen von Dubois- 
Reymond dem Jüngeren die Equilibristik beim Stehen nicht durch 
Knochenhemmung, sondern zum geringen Theil durch das Ligamen¬ 
tum Bertini, zum grössten Theil aber durch das Spiel der Hüft- 
gelenkmusculatur zu Stande kommt, so ist ja theoretisch im vor¬ 
hinein gar nicht einzusehen, warum der Coxitiker in der ersten Phase 
Belastungsschmerzen haben soll, wenn einmal die schmerzbewirkende 
Ursache, nämlich die Bewegung der Synovialis durch Muskelspasmus 
beseitigt ist. 

Und die klinische Beobachtung hat uns ja diese Argumente 
gelehrt! Denn wie die tägliche Erfahrung zeigt, ist der Abductions- 
coiitiker gegen die Belastung unempfindlich. Nur die Bewegung 
macht ihm die grossen Schmerzen, das durch Spasmus fixirte ab- 
ducirte Gelenk kann er immer belasten. Und wenn er hinkt, so 
hinkt er nicht deshalb, weil er Schmerzen, sondern weil er ein ab- 
ducirtes Bein hat; dieses belastet er im Gehen und im Stehen. Und 
er kann es auch gar nicht entlasten. König hätte Recht mit seiner 
Erklärung, wenn der Kranke das abducirte Bein in der Luft hielte; 
in dem Augenblick aber, wo es den Boden berührt, muss es einen 
Theil der Körperlast tragen, und zwar nicht den kleinsten. Um das 
schmerzhafte Bein zu entlasten, müsste der Kranke ganz anders 
stehen. Er müsste die kranke Beckenhälfte hochheben, das Bein in 
Spitzfussstellung eleviren, nicht aber das Becken senken, die Lende 
nach der kranken Seite ausbiegen, das Bein von und vor sich spreizen. 
Dazu ist der Oberkörper immer nach der abducirten Seite hin ver- 


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Robert WemdorfF. 


lagert (Fig. 1). Im Stehen muss also das abducirte Bein belastet 
werden. 

Und erst im Gehen! Es wird mir ja nicht schwer fallen zu 
beweisen, dass ein Mensch, der überhaupt auf seinen Beinen ohne 
Krücken geht, diese abwechselnd belasten muss. Es 
müsste demnach der Abductionscoxitiker sein krankes 
Bein zumindest in der Phase des Ganges, wo es 
das Standbein ist, wie sein gesundes belasten; aber er 
ist ja der Belastung gegenüber viel schlechter dran 
als jeder andere. Denn im Gehen beschreibt sein 
Oberkörper einen weiten Kreisbogen hinaus über die 
Unterstützungsfläche des abducirten Beines, und es 
muss sich die Körperlast mit viel grösserer Wucht auf 
ein abducirtes Bein übertragen, wie auf ein normales 
Standbein. 

König hat also Unrecht, wenn er den Coxitiker die Abduction 
wählen lässt als eine Stellung, in der das Bein vor der Belastung 
geschützt ist. Denn erstens ist, wie ich gezeigt habe, die Abduc- 
tionsstellung die denkbar ungünstigste Stellung der Belastung gegen* 
über, im Gehen sowohl wie im Stehen, und zweitens hat es in dieser 
Phase der Coxitiker gar nicht nöthig, sich vor der Belastung zu 
schützen. Denn schmerzhaft ist nur die Bewegung, ist diese durch 
Muskelfixation beseitigt, dann kann und wird das Gelenk ohne 
Schmerzen belastet. 

Kommt nun die Coxitis in diesem Stadium zur Ausheilung, so 
wird diese Stellung durch secundäre Weichtheilsschrumpfung fixirt 
und es erklären sich so die Abductionscontracturen, die wir nach 
ausgeheilter Coxitis zu Gesichte bekommen. Leider ist ihre Zahl 
sehr gering. 

In der Regel ändert sich das Bild bald. Die prompte Fixation 
des Gelenkes durch Muskelaction hört auf, wenn die Synovialis mit 
ihren empfindenden Nerven zu Grunde gegangen ist. Der Spasmus 
weicht der Atrophie und endlich erkrankt auch der Knochen und 
wird empfindlich. Der Abduction folgt die Adduction. 

Wir sehen von jeder hochgradigen Destruction des Gelenkes ganz 
ab, denn es ist klar, dass jede Zerstörung der Gelenkkörper, jede 
Ausweitung des Pfannenrandes nach oben Adduction bedingt. Jede 
Verkürzung ferner, auch die scheinbare, muss Adduction zur Folge 
haben; sie nöthigt den Patienten in Spitzfussstellung zu stehen, jeder 



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üeber die Entstehung und Behandlung der coxit Contracturen. 297 


Spitzfuss bedeutet Beckenhebung, jede Beckenhebung Adduction. Und 
dabei muss jede Verkürzung durch den ausgleichenden Spitzfuss über- 
corrigirt werden; denn ein Patient, der genöthigt ist, immer mit 
minimalem Spitzfuss zu stehen, müsste seine Unterschenkelmuskeln 
zu sehr in Anspruch nehmen und vorzeitig ermüden. Er zieht es 
darum vor, mit maximalem Spitzfuss zu stehen, weil er in dieser 
Stellung die Equilibristik der Knochenhemmung seinen Metatarsus¬ 
köpfchen überlässt und die Muskeln schont. Die Verkürzung also 
erzeugt ebenso wie die Destruction immer Adduction. 

Aber wenn nur überhaupt der Knochen erkrankt ist, abgesehen 
von den centralen tuberculösen Sequestern Königes, dann muss die 
Adduction entstehen. In der grossen Mehrzahl der Fälle schreitet 
der Process von der Peripherie her auf das Centrum, von der Syn¬ 
ovialis auf den Knochen fort. Dann aber bekommt der Coxitiker 
Selastungsschmerzen, dann, aber erst dann wird er sich bestreben, 
sein erkranktes Bein zu entlasten, und dann bekommt er durch 
Schonung des erkrankten Beines Adduction und nicht, wie König 
argumentirte, Abduction. Die Adductionserklärung König’s trifft 
ja nur für die wenigsten Fälle zu. Die Zahl der Bettlieger ist eine 
verschwindend kleine, das Gros der Patienten läuft herum, und unter 
dem Einflüsse der Belastung entsteht die Deformität im Gehen. Es 
concurriren bei der Entstehung der Adduction jetzt mehrere Momente, 
aber immer ist es die Belastung, welche massgebend ist, die Be¬ 
lastung im Gehen und im Stehen. 

Im Stehen wird sich der Coxitiker jetzt, da er jetzt Belastungs¬ 
schmerzen hat, bestreben, ,im Wesen das gesunde Bein zu belasten“. 
Wohl! Aber dann entsteht nicht Ab-, sondern Adduction. Jetzt wird 
er sich bemühen, die Knochen auf der erkrankten Seite zu ent¬ 
lasten, er muss so stehen, wie ich es früher gezeigt habe: er hebt 
mit den gesunden pelvitrochanteren Muskeln die kranke Beckenhälfte 
hoch, das Bein stellt er in Spitzfuss, elevirt es, also Adduction im 
Stehen. 

Aber auch in jeder Phase des Ganges muss jetzt die Adduction 
entstehen. Ist in der ersten Gangzeit das kranke Bein das Stand¬ 
bein, dann muss, wegen der hochgradigen Insufficienz der atrophischen 
krankseitigen pelvitrochanteren Muskeln, jedesmal das Becken unter 
dem Einfluss des Körpergewichtes nach der gesunden Seite hinab¬ 
fallen, es wird also beim jedesmaligen Auftreten auf das kranke Bein 
mit der Kraft des ganzen Körpergewichtes Adduction erzeugt, da die 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XIII. Bd. 20 


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Robert Wemdorff. 


insufficienten Muskeln unfähig sind, der Eörperschwere das Gleich¬ 
gewicht zu halten. 

Ist umgekehrt in der nächsten Phase des Ganges das kranke 
Bein das Schwungbein, dann concurriren wieder bei der Entstehung 
der Adduction zwei Momente: 1. die Beckenhebung durch die kräf¬ 
tigen pelvitrochanteren Muskeln der gesunden Seite; 2. die Insuffi- 
cienz der pelvitrochanteren Muskeln auch der erkrankten Seite, die 
das Gewicht des nach vorne pendelnden Beines nicht tiberwinden 
können, so dass das Bein der Eigenschwere folgend in Adduction 
geräth. 

Die zweite Phase also ist es, die dem Coxitiker die Belastungs- 
schmerzen und damit die Adduction bringt. Letztere entsteht immer 
durch Schonung des erkrankten Beines, aber nicht, wie König meint, 
im Liegen, sondern gerade im Gegentheil unter dem Einflüsse der 
Belastung im Gehen. Die Adductionscontractur ist vielmehr der 
klinische Ausdruck ftir die Belastungsschmerzen des gehenden Coxi- 
tikers und wenn wir jetzt alle möglichen Ursachen zusammenfassen, 
so entsteht die Adduction in der zweiten Phase der Coxitis aus fol¬ 
genden Ursachen: 

1. durch die Destruction, Pfannen Wanderung; 

2. durch den Ausgleich einer jeden Verkürzung mit Spitzfuss: 

3. durch Schonung des erkrankten Beines im Stehen; 

4. durch die Belastung abwechselnd des erkrankten und ge¬ 
sunden Beines im Gehen; 

5. in verschwindend kleiner Anzahl durch das Liegen auf der 
gesunden Seite und durch das KrUckengehen. 


Was nun die Behandlung der nach abgelaufener Coxitis zurück¬ 
gebliebenen Contractur betrifft, so corrigiren wir die Adduction in 
einer Sitzung durch das modellirende Redressement. Die Abductions- 
contractur ist uns eine erwünschte Stellung, wir werden uns hüten, 
sie zu corrigiren, — jene ungemein seltenen Fälle ausgenommen, 
wo eine so übergrosse Abductionsstellung vorhanden ist, dass sie eine 
grobe Gangstörung gibt. 

Wir corrigiren also in einer Sitzung — ohne Furcht vor der Menin¬ 
gitis tuberculosa. Die Furcht vor den üblen Folgen, namentlich vor 
der allgemeinen oder Hirnhauttuberculose, hat dem Redressement viele 
Gegner gezeugt, und noch heute hören wir allenthalben, wenn es 


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üeber die Entstehang und Behandlung der coxit. Contracturen. 299 


sich um die Indicationsstellung des Redressements handelt, die Frage: 
Aber die Meningitis tuberculosa? 

Wir fürchten die Meningitis tuberculosa nicht, und gestützt 
auf eine vielhundertfache klinische Erfahrung können wir wohl be¬ 
haupten, es gibt keine Meningitis tuberculosa im Anschluss und als 
Folge des Traumas nach dem modellirenden Redressement. Freilich 
kann ein Coxitiker auch einmal eine Meningitis tuberculosa be¬ 
kommen, gewiss kann man auch einen Patienten nach einem Re¬ 
dressement einmal auf diese Weise verlieren. Was kommt nicht 
alles dem Chirurgen unter! Aber niemals arrivirt eine meningeale 
oder allgemeine Tuberculose durch das Trauma des schonenden, 
modellirenden Hüftredressements, und weil ein oder der andere Ope¬ 
rateur weniger Glück hatte wie wir, wollen wir doch nicht so viele 
Coxitiker um den Vortheil dieser Methode bringen. — 

Nur müssen die Grenzen der Indication strenge eingehalten 
werden. 

Wir gehen also nur jene Fälle an, die mindestens 1 Jahr lang 
schmerzfrei waren und weisen natürlich alle jene zurück, wo ein 
Abscess oder eine Fistel auf das Bestehen eines frischen Krankheits¬ 
heerdes hinweist, wir redressiren aber auch nicht jene Contracturen, 
die klinisch der Ankylose so nahe kommen, wo wir nur „federnde“ 
Bewegungen auslösen können, und die straffe Verbindung des Ober¬ 
schenkels mit dem Becken ein schonendes unblutiges Verfahren im 
vornhinein unmöglich erscheinen lässt; diese Fälle verfallen der 
Osteotomie ebenso wie jene wenigen beweglichen Contracturen, die 
bei einem Trochanterhochstand von 5—6 cm ungünstige Bedingungen 
für den Ausgleich der Verkürzung liefern. 

Die Kraft nämlich, die zur Correctur der Adductionscontractur an¬ 
gewendet wird, hat den Widerstand der verkürzten Weichtheile an der 
Adductionsseite zu überwinden, dessen mittlere Grösse und Richtung 
gegeben sei durch a (Fig. 2). Wie aus dem Kräfteparallelogramm 
hervorgeht, erzeugt der eine componentale Antheil h die Adductions¬ 
contractur, während der andere in der Richtung des Pfeiles wirkende 
Antheil c keinen BewegungsefiFect hat, da er durch den Widerstand 
der Pfanne aufgehoben wird. Bei der Correctur wird sich also das 
Femur nur im Sinne der Abduction bewegen können, während das 
proximale Ende seinen Platz nicht verlässt. In dem Augenblicke 
aber, wo der Kopf die Pfanne verlassen hat, ändern sich die physi¬ 
kalischen Bedingungen; denn jetzt fällt der feste Widerstand der 


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300 


Robert Wemdorff. 


Pfanne weg und der Schenkel gleitet der Componente c folgend an 
der steilen Darmbeinfläche in die Höhe, und zwar muss dies um 
so mehr der Fall sein, je mehr der Kopf von der Pfanne entfernt 
ist, je höher also der Trochanter steht, ausgenommen natürlich jene 
Fälle, wo es zur Ausbildung einer neuen 
Pfanne gekommen ist, die dem Kopf einen 
genügenden Widerstand bietet. Man könnte 
nun einwenden, dass diese physikalischen Be¬ 
dingungen immer gegeben sind, wenn über¬ 
haupt der Kopf die Pfanne verlassen hat und 
dass man nicht gerade den Trochanterhoch¬ 
stand von 5 cm als Grenze annehmen muss; 
aber die einfache Ueberlegung lehrt uns, dass 
bei geringem Trochanterhochstand dieser Fehler 
vernachlässigt werden kann, während er sich 
bei 5 cm Trochanterhochstand zu der ohne¬ 
hin enormen Verkürzung addirt und durch 
Abduction nicht mehr ausgeglichen werden 
kann. 

Was nun die Technik des modellirenden 
Redressements anlangt, so verlangen wir aus¬ 
nahmslos die präliminäre subcutane Durchtrennung aller verkürzten 
Weichtheile und üben diesen vorbereitenden Act principiell auch 
beim Knieredressement. Nur so ist man in der Lage, das Auf¬ 
einanderpressen der Gelenkkörper zu verhindern. Der Einwand, 
dass nach Durchtrennung der Sehnen die Gefässe der Knie¬ 
kehle der Gefahr einer zu starken Ueberdehnung ausgesetzt sind, 
besteht nicht zu Recht, da die in der einschlägigen Literatur publi- 
cirten Fälle von Zerreissung der Arteria poplitia nur bei narbiger 
Verwachsung und Schrumpfung arrivirten und wir bei den vielen 
Streckungen, die wir jährlich vornehmen, doch wenigstens einmal 
etwas von einer zu starken Ueberdehnung der Gefässe hätten wahr¬ 
nehmen müssen. 

Die Durchschneidung der Weichtheile halten wir für das erste 
und allerwichtigste Postulat und darum durchtrennen wir immer mit 
dem Tenotom die subspinalen Weichtheile und Adductoren, letztere 
schon deshalb, um ihre Componente bei der späteren Bekämpfung 
des Recidivs auszuschalten. 

Wir führen also unterhalb der Spina ant. inf. von aussen das 


Fig. 2. 



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Ueber die Entstehung und Behandlung der coxit. Contracturen. SOI 

Tenotom ein, möglichst weit nach innen vorschiebend, der tastende 
Finger markirt die gefährliche Nähe der Arteria femoralis, stellen 
es dann senkrecht auf, den Griff aufwärts, die Schneide nach aussen 
und beschreiben um die Einstichsöffnung als Mittelpunkt einen Kreis¬ 
bogen, mit der ganzen Länge der Schneide als Radius alle Muskel- 
und Fascienstränge ausgiebig durchtrennend. Dann gehen wir medial 
von der Arterie noch einmal ein 
und durchtrennen die Adduc- 
torencoulisse. Um die Muskel- 
und Fascienstränge möglichst zu 
spannen, empfiehlt sich, bei Fixa¬ 
tion des Beckens nach Qer- 
auny während der Tenotomic 
maximal strecken, resp. abduciren 
zu lassen. 

Ein aseptischer Verband 
deckt die Wunde und nun wird 
redressirt, indem wir uns dabei 
von folgenden Grundsätzen leiten 
lassen. Erstens darf bei Ver¬ 
meidung jeder anderen Bewe¬ 
gung die Correctur nur in 
deformitätsconträrer Richtung 
vorgenommen werden — Cir- 
cumductionsbewegungen nach 
Eirmisson sind strenge ver¬ 
pönt — und zweitens muss das 
Bein während der Correctur durch 
einen Assistenten permanent extendirt werden, wobei wir die manuelle 
Extension der mit der Lorenzschraube vorziehen, weil der Operateur 
so die Excursionen controlliren und die Richtung der corrigirenden 
Kraft eher beherrschen kann. Letzteres namentlich bei der Beseiti¬ 
gung der Beugecontractur zu erleichtern, liegt der Patient mit dem 
Becken auf einem keilförmigen Kissen, die Basis fusswärts am Rande 
des Tisches, ein zwischen den Beinen unter dem kranken Becken über 
die gesunde Leiste geschlungenes Linnen besorgt am Kopfende des 
Tisches die Contraextension. 

Der Operateur tritt nun an die mediale Seite des erkrankten 
Beines und umfasst den Oberschenkel, während das Becken nach 



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302 


Robert Wemdorff. 


Qersuny fixirt wird, möglichst nahe dem Gelenke, um durch das 
Arbeiten am kurzen Hebelarme eine Fractur zu vermeiden. Er re- 
dressirt mit langsam anwachsender Kraft ohne Hebelwirkung bei 
permanenter Extension durch einen Assistenten, wobei er sein eigenes 
Körpergewicht zu Hilfe nimmt. 

Es wird also jede Deformitätsrichtung — Beugung, Adduction — 
corrigirt und da durch die permanente, stetig zunehmende Extension 
die verkürzten, durch die Tenotomie etwa noch nicht beseitigten 
Weichtheile allmählich nachgeben, das Aufeinanderpressen der 
Qelenkkörper sicher vermieden wird, genügt ein geringer Kraftauf¬ 
wand des Operateurs, ohne jegliche Hebelwirkung dem Beine die 
erwünschte Stellung zu geben. Durch die Vermeidung jeder über¬ 
flüssigen Bewegung und des Aufeinanderpressens der erkrankten 
Gelenkkörper sind wir in Stand gesetzt, alle Reibungen und Malträ- 
tirungen der erkrankten Partien möglichst zu umgehen, die ja in 
erster Linie verantwortlich gemacht werden müssen für die üeber- 
schwemmung der Blutbahn mit dem tuberculösen Virus. 

Wenn wir also resumiren, so liegen die Vortheile des schonen¬ 
den modellirenden Redressements in dem geringen Kraftaufwand, 
den wir nur mehr nöthig haben nach Beseitigung der Widerstände 
durch Tenotomie und permanente Extension und in der geringen 
Traumatisirung des erkrankten Hüftgelenkes 

1. durch die Correctur in nur deformitätsconträrer Richtung bei 
Vermeidung jeder anderen Bewegung; 

2. durch das mit Tenotomie und Extension vermiedene Aufein¬ 
anderpressen der Gelenkkörper; 

3. durch den Wegfall jeglicher Hebel Wirkung. 

Das durch das Redressement gewonnene Resultat wird in einer 
einfachen Gipshose fixirt, wir suspendiren und extendiren das kranke 
Bein nicht, sondern wir fixiren es in einfachem, bis zum Knie 
reichendem Verbände ohne Entlastung. Nach 2 Tagen, wenn der 
Verband trocken ist, läuft der Coxitiker, eine erhöhte Sohle unter 
dem gesunden Beine, herum. In 3 Monaten nehmen wir den Ver¬ 
band ab und beginnen mit den bekannten Hebungen gegen das Re- 
cidiv: activen und passiven Abductionsübungen, Massage der pelvi- 
trochanteren Muskeln, Liege- und Hängesack. 

Die activen Hebungen lassen wir in folgender Weise vornehmen. 
Der Kranke liegt auf einem Tische auf der gesunden Seite und hebt 
sein krankes Bein möglichst hoch in die Luft, dann steht er auf 


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Ueber die Entetehang und Behandlung der coxit. Contracturen. 303 


seinem gesunden Bein und spreizt das andere weit weg, seitlich, 
im Sinne der Abduction. Endlich steht er auf einem erhöhten Brett¬ 
chen mit dem gesunden Bein und sucht bei vollkommen gestreckten 
Kniegelenken mit der kranken Fusssohle plantigrad den Fussboden 
zu erreichen, er macht also activ das, was wir sonst im Hüft- 
redresseur passiv machen, Beckensenkung — Abduction auf der 
kranken, Beckenhebung — Adduction auf der gesunden Seite. Alle 
diese Uebungen sind je 50mal Smal im Tage zu machen. 

Um die Beugecontractur zu bekämpfen, liegt der Kranke auf 
dem Bauche, nur die Kniee und der Oberkörper sind unterstützt, 
das Becken schwebt frei und wird mit einem 3—10 kg schweren 
Sandsack belastet. Die Adduction beeinflussen wir leicht, indem wir 
den Elranken so lagern, dass sein ganzes krankes Bein vom Hüft¬ 
gelenk an über den seitlichen Rand des Tisches ragt, während ein 
Sandsack mittelst einer Gamasche in der Kniegelenksgegend am 
Ober- oder Unterschenkel befestigt wird. Dazu kommen, wie er¬ 
wähnt, 2 mal des Tages Massage der pelvitrochanteren Muskeln und 
passive Bewegungen bei fixirtem Becken im Sinne der Abduction 
und üeberstreckung. 

Ich habe im ersten Theil meiner Erörterungen über das Ent¬ 
stehen der Contracturen aus einander gesetzt, wie bei der Belastung 
des kranken Beines die gesunde Beckenhälfte unter dem Einflüsse 
der Körperschwere herunter sinken muss wegen der Insufficienz der 
pelvitrochanteren Muskeln auf der kranken Seite und in diesem Um¬ 
stande erblicken wir auch die Ursache des gefürchteten Adductions- 
recidives, gegen das wir viele Jahre hindurch nach gemachtem 
Redressement ankämpfen müssen und das oft trotz der sorgfältigsten 
Nachbehandlung eintritt, eintreten muss, nach unseren Darlegungen. 
Lehrt uns doch oft die Erfahrung, dass manchmal schon wenige 
Tage nach dem Redressement genügen, um den Verband des gehen¬ 
den Patienten auf der gesunden Seite über die Spina superior hinauf¬ 
steigen zu lassen; trotz der exactesten Anmodellirung an die Becken¬ 
form tritt also im Verband die Adduction auf der kranken, die Ab¬ 
duction auf der gesunden Seite ein. 

Von anderer Seite wurde schon lange zur Correctur der Ad¬ 
duction die Aussenschiene (Hoffa-Schede) empfohlen. Aber aus 
meinen Darlegungen über die Mechanik des erkrankten Hüftgelenkes 
im Gehen und Stehen geht hervor, dass diese Schiene unmöglich im 
Stande ist, dem Gewichte des ganzen Körpers entgegen den Ober- 


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304 


Robert Werndorff. 


Schenkel anzuziehen; in der Ruhelage erfüllt sie ihren Zweck und 
wird von uns auch als Nachtapparat verwendet. 

Wir haben nun versucht, auch den statischen Anforderungen 
gerecht zu werden und glauben der Lösung dieses schwierigen Pro- 
blemes in der Orthopädie ein wenig näher gekommen zu sein. 

Ein contralateraler Perinealsitzring wird durch eine Schiene 
gestützt, die an der Innenseite am Knie des erkrankten Beines be¬ 
festigt wird. Tritt nun der Kranke auf das kranke Bein auf, so 
kann jetzt die gesunde Beckenhälfte nicht mehr herabsinken, da sie 
auf dem contralateralen Sitzringe reitet und bei jedem Schritt über¬ 
trägt sich das Gewicht des ganzen Körpers durch die Schiene auf 
den erkrankten Oberschenkel von innen her, es wird also beim jedes¬ 
maligen Auftreten auf das kranke Bein die Adduction verhindert. 

Eine ähnliche, die mechanische Ursache der Adductionscontractur 
berücksichtigende Therapie finden wir nicht in der Literatur, denn 
die bekannte Schiene von Tailor-Sayre stützt sich zwar auf das 
entgegengesetzte Tuber von innen her, reicht aber bis über die 
Fusssohle des erkrankten Beines hinaus und verfolgt ausschliesslich 
den Zweck der Extension. Die Bedeutung des Körpergewichtes für 
das Entstehen der Adductionscontractur ist dem Autor dabei voll¬ 
kommen entgangen, ebenso wie die von verschiedenen Seiten an¬ 
gegebenen contralateralen Perinealsitzringe nicht in Würdigung 
des mechanischen Problems erdacht wurden, da sie beweglich sind 
und nur zur Fixation des Beckentheiles dienen. 

Die Lorenz’sche Innenschiene mit contralateralem Sitzring 
— Abductionsspreize — erfüllt auch die theoretischen Bedingungen 
und kann, da sie sehr einfach herzustellen und im Bedarfsfälle 
sofort weggenommen werden kann, neben allen anderen vorher er¬ 
wähnten Massnahmen in der Nachbehandlung der Adductionscontrac¬ 
tur empfohlen werden. 

Aber: Redressement, Nachbehandlung durch Massage, active 
und passive üebungen, Aussen- oder Innenschiene, das Adductions- 
recidiv muss bei beweglichem Gelenk früh oder später eintreten, 
weil sie dem unabänderlichen Gesetze der Mechanik folgt. Und 
darum ist der Coxitiker glücklich zu preisen, dessen Coxitis mit einer 
Ankylose in brauchbarer Stellung ausheilt. 


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lieber die Entstehung und Behandlung der coxit. Contracturen. 305 


Literatnr. 

Blencke, A., Zur operativen Behandlung der schweren Formen von Contrac- 
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S.B. V, 363. — Traitä therapeutique des maladies articulaires. Paris 1853. 

Duchenne, G. B., Physiologie der Bewegungen nach elektrischen Versuchen 
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Lähmungen und Entstellungen.. Uebersetzt von C. Wernicke 1885. 

du Bois-Reymond, Specielle Muskelphysiologie oder Bewegungslehre. Berlin 
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Derselbe, Langenbeck’s Arch. Bd. 42. 

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Derselbe, Die Erklärung der Contracturstellung bei Coxitis. Centralbl. f. 
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Derselbe, Ijebrbuch der Chirurgie Bd. 3. 

Derselbe, Chirurgencongress 1893. 

König-Paschen, Deutsche Zeitschr. f. Chir. III. 

Krause, F., Die Tuberculose der Knochen und Gelenke. Deutsche Chirurgie 
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Lorenz, Das instrumenteile combinirte Redressement der Htiftgelenkscontrac- 
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Derselbe, Ueber das unblutige instrumenteile Redressement der Hüftcontrac- 
turen. Berichte über die 69. Naturforscher- und AerzteVersammlung. 
Braunschweig. 

Derselbe, Ueber die mechanische Behandlung der Coxitis. Wiener klin. 
Wochenschr. 1892, Heft 10 und 11. 

Derselbe, Orthopädie der Hüftgelenkscontracturen. Wien 1889. 

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30G Robert Wemdorflf. lieber die Entstehung und Behandlung^ etc. 

Phelps, A. M., Etiology of the various deformities of the hipjoint disease 
with twenty illustrations. N. Y. med. record. 1893, Juli 15 

Re dar d, Trait6 practique de Chir. orth. Paris 1892. 

Rosmanit, Zur operativen Behandlung der schweren Formen von Contrac¬ 
tu ren und Ankylosen im Hüftgelenk. 

Sasse, Die conservative Behandlung der tuberc. Coxitis und deren Resultate. 
Langenbeck's Arch. 

Wahne au, Die Behandlung der Knie- und Hüftgelenkscontracturen. Jahrb. 
der Staatskrankenanst. 9. Jahrg. 1890. 

Weber, W. E., Die Mechanik der menschlichen Gehwerkzeuge. Göttingen 
1836. 




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XIX. 


Eine neue Methode der Behandlung der habituellen 

Patellarluxation'). 

Von 

Dr. W. Böcker, 

Specialarzt für orthopädische Chirurgie in Berlin. 

Mit 3 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Meine Herren! Eine ganze Reihe von Methoden zur Behandlung 
der habituellen Patellarluxation sind bereits in der Literatur angegeben 
und ausgefbhrt, die alle in den betreffenden Fällen mit mehr oder 
weniger Erfolg verwerthet worden sind. Ich will nun nicht die ein¬ 
zelnen Methoden, die in letzter Zeit in den Arbeiten von Steindler, 
Hoffa und Friedländer zusammengestellt sind, hier anführen. 
König fasst das leitende Princip der in Anwendung gebrachten 
Operationen folgendermassen zusammen: 

„Im wesentlichen bestehen die Operationen in einer Verlage¬ 
rung des Ligamentum patellae durch Ablösung und Anfrischung der 
Tibia auf der Innenseite und in einer Verkürzung durch Falten- 
durchschneidung und Ausschneidung der inneren Kapsel.*^ Hoffa 
empfiehlt für die Zukunft, die Methode oder eine Combination ver¬ 
schiedener Methoden dem markantesten Symptom anzupassen, welches 
als ursächliches angenommen werden muss. Auch will ich nicht im 
einzelnen auf die Ursachen des Zustandekommens der angeborenen 
und habituellen Luxationen der Patella eingehen, über die in den 
letzten Jahren werthvolle Arbeiten von Bereaux Appel, Potel, 
Steindler und Spitzy erschienen sind, die alles Wesentliche be¬ 
züglich des Wesens enthalten. Ich wollte nur kurz über eine 
Methode berichten, die, wie aus der Literatur hervorgeht, bisher 
zwecks Beseitigung der habituellen Luxation der Patella noch nicht 

*) Vortrag, gehalten auf dem III. Congress der Deutschen Gesellschaft 
für orthopädische Chirurgie am 5. April 1904. 


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308 


W. Böcker. 


geübt ist und wegen ihrer Einfachheit und ihres guten Erfolges 
einer kurzen Besprechung und Nachprüfung werth erscheint- 

Die Operation, die, wie ich später ausführen werde, in einer 
Sehnenplastik besteht, wurde am 9. November 1903 in der Privat¬ 
klinik von Herrn Geheimrath Prof. Dr. Hoffa an einem 33 Jahre 
alten Patienten vorgenommen, der Jahre lang ausser doppelseitiger 
Luxation der Patella nach aussen noch an freien Gelenkkorpem in 
beiden Kniegelenken und in der Bursa semimembranosa der rechten 
Seite gelitten hat. Der Fall ist also doppelt interessant, um so 
mehr noch, als er sich für die König'sche Theorie der Osteochon¬ 
dritis dissecans verwerthen lässt. Die freien Gelenkkörper, über die 
ich bereits in der Freien Vereinigung der Chirurgen Berlins am 
14. December 1903 einen Vortrag, der in der Deutschen medicini- 
schen Wochenschrift in extenso veröffentlicht ist, gehalten habe, lasse 
ich heute unberücksichtigt und wende mich ausschliesslich der habi¬ 
tuellen Luxation der Patella zu. 

Der Fall bot in Bezug hierauf folgendes Bild: Die Musculatur 
beider Oberschenkel war stark atrophisch, insbesondere der Quadri- 
ceps ausserordentlich schwach und schlaff. Bewegungen in den Knie¬ 
gelenken waren nicht behindert, doch sah man, wie beide Knie¬ 
scheiben dabei abwechselnd ihre normale Stelle verliessen und an 
dieselbe wieder zurückkehrten. Bei entspanntem Quadriceps Hessen 
sich beide Kniescheiben leicht nach aussen verschieben, so dass man 
deren untere Fläche und das Planum patellare femoris in toto ab¬ 
tasten konnte. Liess mau Patient die herabhängenden Unterschenkel 
in wagerechter Richtung erheben, so trat eine Verschiebung der Knie¬ 
scheiben ganz nach aussen ein. 

Die Patella sass dann auf der Aussenseite des Condylus ex- 
ternus fest auf, und beim Beugen des Unterschenkels trat sie an¬ 
nähernd wieder an ihre normale Stelle. 

Wurden dagegen bei Rückenlage des Patienten die Knie¬ 
scheiben in Streckstellung bei entspanntem Quadriceps an ihre t 
normale Stelle gebracht und so festgehalten, so konnte trotz An- 
spannens dieses Muskels das Bein nicht gehoben werden. Liess 
man die Kniescheiben los und contrahirte Patient die Quadriceps- 
sehne, so sprang die Patella beiderseits sofort wieder nach aussen. 
Keine Genua valga, dagegen häufig wiederkehrender Hydrops in¬ 
folge des Reizes der vorhandenen freien Gelenkkörper. Starke Schlaff¬ 
heit der Kapseln. Die in Strecksteilung der Kniee aufgenommenen 


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Eiue neue Methode der Behandlung der habituellen Patellarluxation. 309 


Röntgenbilder zeigten die Patella beiderseits neben dem Condylus 
eiternus femoris (Fig. 1 und 2). 

Nach diesem Befunde und auf Grund der glaubwürdigen An¬ 
gaben des Patienten, dass die Luxation sich erst viele Jahre nach 
dem Bestehen des Gelenkleidens ganz allmählich ohne ein bestimmtes 
Trauma gebildet hat, ist wohl kein Zweifel, dass es sich um eine 
pathologische Luxation handelt, die eben auf eine Erweiterung und 
Schlaffheit der Kapsel infolge des wiederholt aufgetretenen Hydrops 
wie auf die infolge der Atrophie des Quadriceps eingetretene Er¬ 
schlaffung der Quadricepssehne zurückzuführen ist. Hoffa gibt diese 


Fig. 1. 



Rechtes Knie. 



Symptome ausser der Veränderung in der Configuration der Gelenk¬ 
enden besonders als Ursachen des Habituellwerdens der Luxation an. 

Wenn wir nun dem Vorschläge Hoffa's folgen, die Methode 
dem am deutlichsten hervortretenden, als ursächlich angenommenen 
Symptom anzupassen, so würde es sich in unserem Falle darum 
bandeln, die Schlaffheit der Kapsel und insbesondere der Quadriceps¬ 
sehne zu beseitigen. Dies würden wir meiner Ansicht nach von den 
verschiedenen Methoden noch am besten durch die Le Dentu*sche 
Methode mit Hoffa'scher Modification erreichen: 

Le Dentu bildete bekanntlich aus der inneren erschlafften 
Kapselpartie einen länglichen Wulst und verengte die Kapsel durch 
Zusammennähen derselben. Hoffa modificirte die Methode in der 
Weise, dass er 1. den unteren Theil der medialen Kapsel wulst- 
förmig faltete und vernähte und dass er 2. noch das Periost der 
Patella an die Aponeurose des Condylus internus nähte — aber diese 
Methode schien uns bei der enormen Schlaffheit des Quadriceps nicht 
ganz sicher zu sein und darum musste eine Methode ausfindig ge- 


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310 


W. Böcker. 


macht werden, die dazu geeignet war, dem äusserst erschlafften 
Quadriceps ein gehöriges Gegengewicht zu schaffen. Da wir jetzt 
einmal in der Aera der Sehnenplastiken leben, lag der Gedanke 
nahe, eine medial gelegene Beugesehne des Oberschenkels mit dem 
Innenrand der Patella zu verbinden, um so ein günstigeres Gegen¬ 
gewicht für den schlaffen Quadriceps herzustellen. Vermag doch 
ein Muskel, der gleichsam als Band wirkt, einen festeren Halt zu 
geben und einen kräftigeren Zug auszuüben, als die obigen Methoden 
dazu im Stande sind! 

Es war dies ja sehr einleuchtend und so führten wir folgende 
Methode aus, die auf beiden Seiten die gleiche war. 

Nach gründlicher Desinfection des ganzen Operationsfeldes 
machten wir in der Kniekehle nach der medialen Seite zu einen 
ca. 12 cm langen Längsschnitt und legten die am inneren Condjlus 
der Tibia inserirenden Muskeln frei. Darauf suchten wir den Mus- 
culus semimembranosus, der uns wegen seiner Stärke, Elasticität und 
fleischigen Beschaffenheit am geeignetsten erschien, auf, lösten ihn 
bis zu seinem Ansatz los und durchschnitten ihn mit der Scheere an 
dieser Stelle. Der Muskel wurde durch einen um den Stumpf gelegten 
Seidenfaden festgehalten und dadurch an einer stärkeren Retraction 
gehindert. Jetzt wurde ein ebenso grosser Längsschnitt an der 
Vorderseite des Kniegelenks und zwar am inneren Rand der Trochlea 
gemacht, wobei in weiter Ausdehnung das Gelenk zwecks Entfernung 
der in demselben durch das Röntgenbild nachgewiesenen freien Gelenk¬ 
körper eröffnet wurde. Ich bemerke, dass sonst das Gelenk selbst nicht 
eröffnet zu werden braucht. Jetzt wurde mittelst Elevatorium zwischen 
Haut und Condylus internus femoris eine Verbindung der beiden Wunden 
hergestellt und von der vorderen Wunde aus durch die so geschaffene 
Oeffnung eine Kornzange in die hintere Wunde geführt, mittelst 
welcher der abgelöste Semimembranosus nach vom gezogen wurde. 
Die nach aussen luxirte Patella wurde nun mit kräftigem Druck 
nach innen gedrängt und der Stumpf des Muskels, der straff ange¬ 
zogen wurde, an den oberen inneren Rand der Patella gelegt. 
Darauf wurde zuerst im Bereich der Incision die Kapsel, die ausser¬ 
ordentlich schlaff und gedehnt erscheint, genäht und daun der 
Muskelstumpf mit dem Periost und sehnigen Ueberzug der Patella 
an ihrem oberen inneren Rand durch mehrere Seidennähte vereinigt 
Wenn nun auch allein durch die Kapselnaht die Patella medialwärts 
gehalten wurde, so erhielt sie aber ihre wahre Festigkeit erst durch 


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Eine neue Methode der Behandlung der habituellen Patellarluxation. 311 

die Vernähung des Semimembranosus mit dem oberen 
inneren Rand der Patella. Nachdem es sicher war, dass die 
Kniescheiben vollkommen medialwärts fixirt lagen, erfolgte die Haut¬ 
naht und Schienenverband. Die Heilung nahm einen ganz normalen 
l"erlaaf. Bei Entfernung der Hautnähte am 10. Tage zeigte sich 
keine Nahtausstossung, die auch später nicht aufgetreten ist. Nach 
14 Tagen Hessen wir bereits Patient die ersten Bewegungen machen, 
wobei sich zeigte, dass die beiden Kniescheiben zwar jede an nor¬ 
maler Stelle lagen, activ aber gar nicht bewegt werden konnten. 
Der Quadriceps war beiderseits ausserordentlich schwach; nicht die 
geringsten Contractionen waren möglich. Wir begannen nun mit 
Massage, wodurch die Streckmuskeln gestärkt wurden, und nach 
weiteren 14 Tagen begann Patient mit Gehversuchen und mit der 
Gymnastik. Schon jetzt konnte man sehen, wie sich der Quadriceps 
langsam kräftigte. Patient war im Stande, activ leichte Bewegungen 
mit der Patella durch Contraction des Quadriceps auszuführen. 

Die Behandlung wurde in 
dieser Weise noch 8 Wochen 
fortgesetzt. Bei seiner Entlas- 
sang lagen nicht nur bei Beuge- 
nnd Streckbewegungen die Knie¬ 
scheiben an normaler Stelle, 
sondern auch der Quadriceps 
hatte beiderseits seine normale 
Contractionsfähigkeit fast wie¬ 
dererlangt. Die Kniescheiben 
sind gut fixirt, dabei aber in 
normalen Grenzen verschieblich. 

Die Patella bleibt nunmehr bei¬ 
derseits beim Heben des Beines 
in gestreckter Stellung an nor¬ 
maler Stelle. Bis auf die Be- 
wegungsfähigkeit des Kniege¬ 
lenkes, die bis zum rechten 
Winkel möglich ist, zeigt Patient 
völlig normale Verhältnisse. Dagegen zeigte sich bei der Wieder- 
untersuchung am 2. April, also 5 Monate nach der Operation, dass 
die rechte Kniescheibe leicht nach aussen abgewichen war, während 
links dieselbe sich an normaler Stelle befand, wie beistehende Photo- 


Fig. 3. 



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312 


W. Böcker. 


graphie dies illustrirt (Fig. 3). Dies ist darauf zurückzuführen, 
dass wir den Seraimembranosus der rechten Seite nicht straflF genug 
angezogen hatten. Dass noch eine gewisse Bewegungsbeschränknng 
der Gelenke vorhanden war, darf bei der sonstigen Natur des Leidens 
und dem Eingriff nicht Wunder nehmen. Doch das Resultat unserer 
in Anwendung gebrachten Methode ist immerhin ein gutes und möchte 
ich dieselbe in Zukunft nicht nur in unserem Falle, wo durch die 
Natur des Leidens dieser Weg der gegebene zu sein schien, sondern 
auch für all* die Fälle zur Nachprüfung empfehlen, wo neben der 
schlaffen und gedehnten Kapsel eine ausserordentliche Schlaflfheit 
des Quadriceps besteht, weil mir durch diese Methode, die technisch 
keine Schwierigkeiten bietet, der Erfolg gesichert erscheint. 

So liegt denn der Vortheil unserer Methode der peri¬ 
ostalen Sehnenüberpflanzung einmal ausser der Einfach¬ 
heit der Technik in der weit sichereren Fixation der 
Patella, zweitens in dem kräftigeren Gegenzug für den 
erschlafften Quadriceps und drittens in dem Fehlen der 
Nahtausstossung, was die Le Dentu’sche Methode selbst mit 
Hof falscher Modification in solchen Fällen in Frage stellen würde. 

Zum Schluss will ich noch erwähnen, dass in der Literatur 
ähnliche Methoden angegeben und beschrieben sind von Barden¬ 
heuer, der in einigen Fällen von Luxation der Patella mit Erfolg 
an der Innenseite des Gelenks die Capsula fibrosa und das Ligamen¬ 
tum patellae extrasynovial durchtrennte, den hinteren Rand der Kapsel 
über den vorderen zog und vernähte, darauf den abgelösten Vastus 
internus an die Kniescheibe nähte und den inneren Rand der Qua- 
dricepssehne durch Uebereinandernähen verkürzte; von Schanz, der 
in einem Falle von veraltetem Kniescheibenbruch die aufgehobene 
Function des Quadriceps durch Loslösung und Lagerung des Sarto¬ 
rius über die Bruchstücke der Patella und Annähung an denselben 
wiederhergestellt hat; von F. Krause und Lange, die, soweit ich 
die Literatur übersehe, als die ersten bei Quadricepslähmungcn die 
Beuger des Oberschenkels, den Biceps auf der lateralen, den Semi- 
membranosus, Semitendinosus auf der medialen Seite, ersterer auf die 
Patella, letzterer, unter Benutzung von seidenen Sehnen, auf die 
Tuberositas tibiae überpflanzten und damit ein gutes functionelles 
Resultat erzielten; von Heusner, der in seinem Vortrage auf dem 
Chirurgencongress vor 2 Jahren „über Dauerresultate der Sehnen¬ 
überpflanzung bei arthrogener Kniecontractur“, wo er mit gutem Er- 


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Eine neue Methode der Behandlung der habituellen Patellarluxation. 313 

folg die Beuger auf die Streckseite überpflanzt hat, kurz einen Fall 
von doppelseitiger habitueller Patellarluxation nach aussen anführt, 
bei dem er den Versuch gemacht hat, an dem einen Bein den Semi- 
tendinosus an dieQuadricepssehne zu nähen, und dabei empfiehlt, 
die Sehne in möglichst querer Richtung zur Patella zu führen, aber 
wegen der Kürze der seit der Operation verflossenen Zeit über den 
Erfolg noch nichts berichten konnte, und jüngst von Ali Krogius, 
der bei habitueller Luxation der Patella nach aussen durch Resection 
eines länglichen, brückenförmigen Muskelsehnenlappens aus dem Vastus 
medialis und der fibrösen Kapsel den erschlafften inneren Kapseltheil, 
ohne das Gelenk selbst zu eröffnen, verkürzte, den Lappen um den 
äusseren Rand der Patella herumführte und den durch Incision bis 
auf die Synovia an der Aussenseite erzeugten Spalt nähte und so den 
straffen äusseren Kapseltheil verlängerte und eine nach innen ziehende 
Wirkung des Muskels schaffte und über zwei Heilerfolge und einen 
Misserfolg berichtet. 

Selbst diese von Krogius kürzlich empfohlene Methode, die 
im Princip mit der Methode von Bardenheuer wohl am meisten 
Aehnlichkeit hat und vielleicht an Wirksamkeit die des öfteren er¬ 
probte Le Dentu'sche eventuell mit Hoffa'scher Modification über¬ 
trifft, aber wegen der leichten Eröffnung des Gelenks die grösste 
Vorsicht erheischt und darum nicht ganz ungefährlich ist, dürfte in 
jenen Fällen mit stärkerer Quadricepserschlaffung nicht die Aus¬ 
sichten auf Erfolg und die Garantie, die unsere Methode zu leisten 
verspricht, bieten. 

Zunächst bleiben hierüber noch weitere Erfahrungen abzu¬ 
warten, und erst weitere Versuche lassen ein entscheidendes Urtheil 
gerechtfertigt erscheinen. 


Literatur. 

Steindler, lieber die angeborene Luxation der Patella. Zeitschr. f. Heil¬ 
kunde 1898, Bd. 19 Heft 4. 

Hoffa, Zur Behandlung der habituellen Patellarluxation. Arch. f. klin. Chir. 
1899. 

Friedländer, Die habituelle Luxation der Patella. Arch. f. klin. Chir. 1901, 
Bd. 63. 

Bereaux, Des Luxations r4cidivantes de la Rotule. Thdse. Paris 1894. 
Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XIII. Bd. 21 


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314 W. Böcker. Eine neue Methode der Behdlg. der habit PateUarlnxatioii. 

Appel, Zur Lehre von der congenitalen Patellarluxation. Münchener medic. 
Wochenschr. 1895. 

Potel, Etüde sur les malformations congenitales du genon. Th^e. Lille 1S9T. 
Spitzy, Ueber die pathologische Mechanik eines Kniegelenks mit angeborener 
Luxation der Patella. Zeitschr. f. orth. Chir. 1899, Bd. 6 Heft 3 und 4. 
König, Lehrbuch der spec. Chirurgie 1900, Bd. 3. 

Bardenheuer, Ueber Kapselverengemng bei Grelenkaffectionen. Centralbl. f. 
Chir. 1900, Nr. 41. 

Schanz, Erfahrungen mit Sehnen- und Muskeltransplantationen. Verband]. 

d. Deutschen Gesellschaft f. orth. Chir. 1903. 

F. Krause, Die Flexoren des Oberschenkels als Ersatz für den gelähmtes 
Quadricepa. Deutsche med. Wochenschr. 1902, Nr. 7 und 8. 

Lange, Ueber periostale Sehnenüberpflanzungen bei Lähmungen. Münchener 
med. Wochenschr. 1900, Nr. 15. 

Heusner, Ueber Dauerresultate der Sehnenüberpflanzung bei artbrogener Knie- 
conti-actur. Verhandl. der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie 190*2. 
Ali Krogius, Zur operativen Behandlung der habituellen Patellarluxation. 
Centralbl. f. Chir. 1904, Nr. 9. 


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XX. 


(Aus dem Universitäts-Ambulatorium für orthopädische Chirurgie 
des Prof. A. Lorenz in Wien.) 

Die Peroneuslähmung hei der Behandlung der 
Eniegelenkscontractnren'). 

Von 

Dr. Undolf Bitter t. Aberle, 

Assistenten des Ambulatoriums. 

Mit 5 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Es ist eine bekannte Thatsache, dass von den Aesten des Nervus 
ischiadicus der Nervus peroneus Insulten gegenüber eine weitaus 
grössere Empfindlichkeit zeigt als der Nervus tibialis. 

Daus*) hat im Jahre 1903 die directen und indirecten Schä¬ 
digungen des Peronems, die sich aus mechanischen, als auch toxi¬ 
schen Ursachen ergeben, zusammengestellt und kritisch beleuchtet. 
Im folgenden soll abgesehen werden von den directen Traumen, 
denen der Nervus peroneus infolge seines oberfiächlichen Laufes 
hart am Fibulaköpfchen besonders leicht ausgesetzt ist. Ich will 
mich nur auf die Fälle von Peroneuslähmung beschränken, die sich 
im Anschluss an orthopädische Operationen der unteren Extremitäten 
einstellen. Von diesen Operationen kommen vor allem das Redresse¬ 
ment bei Kniegelenkscontracturen, ferner die Reposition angeborener 
Hüftgelenksluxationen und Genu valgum-Operationen in Betracht. 
Diese sind nicht so selten von einer mehr oder weniger completen 
Lähmung im Ischiadicusgebiet gefolgt, die meist auf den Nervus 
peroneus beschränkt bleibt, oder, wenn schon der Nervus tibialis 
mitbetheiligt ist, den ersteren doch vorzugsweise betrifiFt. 

Diese unerwünschte Complication findet sich bei den verschie¬ 
densten Autoren meist nur als casuistischer Beitrag ohne nähere Be- 

*) Vortrag, gehalten auf dem III. Congress der Deutschen Gesellschaft 
für orthopädische Chirurgie am 5. April 1904. 

*) Daus, Die Pathologie der Peroneuslähmungen. Monatsschrift für 
Psychiatrie und Neurologie Bd. 13 S. 389—400, Bd. 14 S. 62—74 und S. 139—155. 


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316 


Rudolf Ritter v. Aberle. 


rücksichtigung der Aetiologie erwähnt. Codivilla^), der unter den 
Complicationen bei forcirtem Redressement des Genu valgum 34mal 
Peroneuslähmung beobachtete, suchte die Ursache derselben ,nicht 
etwa in einer Zerrung der Nerven, sondern in einem durch die Con- 
tentivvorrichtungen auf die äussere Kniegegend ausgeübten Drucke 
vorzugsweise in solchen Fällen, bei welchen Verschwellungen der 
dem Wadenbeinköpfchen anliegenden Weichtheile bestehen“. 

Eingehender haben sich mit diesem Thema Gerhardt jun.^), 
aber namentlich Hofmann^) beschäftigt. In allerjüngster Zeit hat 
Bernhardt^) im Anschluss an einen neuen näher beschriebenen Fall 
die verschiedenen Ansichten über diesen Gegenstand präcisirt. Aus 
seinen experimentellen Studien und Untersuchungen über die Erreg¬ 
barkeit der genannten Nerven nach dem Tode glaubt Gerhardt 
schliessen zu müssen, dass eine geringere Widerstandsfähigkeit des 
ganzen zu den betreflfenden Muskeln gehörenden nervösen Apparates 
zu Grunde liege. Hof mann zog zur Erklärung der grösseren Em¬ 
pfindlichkeit des Peroneus die eigenthümlichen GefässverhaltDisse im 
Ischiadicusgebiete heran. Auf Grund seiner Beobachtungen und mit 
Hilfe der radiographisch aufgenommenen, mit Teichmann-Masse in- 
jicirten Präparate kommt er zu dem Schlüsse, dass die Gefassver- 
theilung für den Nervus tibialis eine wesentlich günstigere sei als für 
den Nervus peroneus. Der letztere erhalte aus den Hauptärterien 
(Art. glutaea inf., Art. circumtiexa femoris medialis, perforantes) am 
Oberschenkel nur vier zarte Zweige, während für den Nervus tibiahs 
auf derselben Strecke acht grössere Gefässchen die Blutzufuhr be¬ 
sorgen. Es müsste daher im Peroneusgebiet auch bei gleicher Deh¬ 
nung viel leichter Ischämie durch Gefässverschluss eintreten, da dem 
Nervus peroneus nicht nur zartwandigere, schwächere, sondern auch 
überdies noch weniger zahlreiche Zuflüsse zur Verfügung stehen. 

Wenn es sich nun schon a priori annehmen lässt, dass auch 
der Nervus peroneus de norma hinreichend mit Blutgefässen ver¬ 
sorgt ist, haben überdies meine Untersuchungen ergeben, dass eben 

Codivilla, lieber das forcirte Redressement des Genu valgum. Zeit¬ 
schrift f. orthop. Chir. Bd. 11 S. 131 und S. 137 f. 

*) Gerhardt, jun., Bernhardt; Die Erkrankungen der peripheren Nerven. 

2. Aue. Th. 1 S. 518. 

*) Hofmann, Die Gefässverhaltnisse des Nervus ischicidicus und ihre 
Beziehung zur Dehnungslähmung. Arch. f. klin. Chir. 1903, Bd. 69 S. 676—694. 

“*) Bernhardt, üeber einige seltener vorkommende periphere Läh¬ 
mungen. Berl. klin. Wochenschr. 1904, Nr. 10. 


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I>ie Peroneuslähmung bei der Behandlung der Kniegelenkscontracturen. 317 


Fig. 1. 


Cap.fdK 


die Voraussetzung Hofmann’s, beide Nerven würden auf Dehnung 
gleich stark beansprucht, nicht zutrifft. Bei den genannten Ope¬ 
rationen ist der Nervus peroneus thatsächlich dem Ti- 
bialis gegenüber einem weit grösseren Trauma ausgesetzt. 

Schon Lorenz vermuthete, dass der Ner¬ 
vus peroneus durch stärkere bindegewebige Fixi- 
rung am Capitulum fibulae bei seinem Eintritt 
zwischen die Insertionsköpfe der Musculi peronei 
von einem Zerrungsinsult in besonderem Masse 
betroffen werde. 

Von dieser Voraussetzung ausgehend, habe 
ich meine Versuche an der Leiche folgender- 
massen angestellt. Ich habe die betreffenden 
Nerven an vier Stellen aufgesucht, ohne daselbst 
die Nerven mehr als unbedingt nothwendig von 
der Umgebung frei zu präpariren. Zwei Stellen 
lagen in gleicher Höhe unmittelbar nach der 
Theilung des Ischiadicus in seine beiden Haupt¬ 
äste noch oberhalb des Capitulum fibulae (Fig. 1 
und P^), die zwei anderen im weiteren Verlauf 
am Unterschenkel. Ein Schnitt, der durch die 
Mitte der bereits vereinigten Gastrocnemiusköpfe 
und dann weiter durch das Fleisch des Soleus führte, legte den 
Nervus tibialis frei (P^), ein anderer suchte ebenfalls in gleicher 
Höhe an der Vorderseite zwischen Musculus tibialis anterior und Mus- 
culus extensor digitorum longus den Nervus peroneus profundus 
auf (Pg). In den Verlauf der vorerst vollkommen iutact gelassenen 
Nerven wurden an den vier Stellen Gummischnürchen von 1 mm 
Durchmesser eingebunden (Fig. 2). Der Durchmesser wurde nicht 
zu gross gewählt, um bei Dehnung einen möglichst grossen Aus¬ 
schlag zu erhalten, ohne jedoch eine wesentliche mechanische Aen- 
derung einzuführen. Die Länge der Schnüre betrug 5 cm, so dass 
jederseits ein genügend grosser Theil von 1 cm zum Einbinden 
mit mehrfachen starken Ligaturen verwendet werden konnte, um das 
Ausreissen möglichst zu verhindern. In der Mitte blieb ein genau 



*) Lorenz, lieber die Behandlung der Knieankylosen mittelst des model- 
lirenden Redressements. Wiener klin. Rundschau 1901, Nr. 40, 42, 43 u. 44. — 
Derselbe, üeber die Heilung der angeborenen Hüftgelenk Verrenkung durch 
unblutige Einrenkung und functioneile Belastung. Deuticke 1900, S. 252. 


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318 


Radolf Ritter v. Aberle. 


2 cm langes Stück (a—6) frei dem Nerven anliegend. Zum Ver¬ 
suche blieb die Extremität horizontal gelagert, ausserdem wurde für 
eine kräftige Fixation gesorgt, um die Beugung im Kniegelenke zu 
verhindern. Die Kraft liess ich bei den ersten Versuchen am Ischia- 
dicus selbst durch Vermittelung einer starken Bebschnur, die über 
eine Rolle lief, später an beiden Nerven gesondert, 
angreifen. Vor Beginn des Versuches, also noch 
vor Einwirkung der Zugkraft, wurden die Nerven 
im Bereich der freigelassenen Gummistücke durch¬ 
schnitten, so dass jetzt diese allein die Continuität 
herstellten (Fig. 2 bei c). Es wurde sodann noch¬ 
mals die Länge des Gummistückes von a—b mit 
Zirkel sorgfältig controllirt und die unveränderte 
Länge von 2 cm festgestellt. Die angewandte Zug¬ 
kraft betrug 200 g und wurde nach und nach bis 
auf 700 g gesteigert. Jeder neuerlichen Gewichts¬ 
vermehrung folgte eine genaue Zirkelmessung aller 
vier Gummistücke. 

Da bei Mehrbelastung die Gummischnüre und Pj ausrissen, 
bevor sich noch eine Einwirkung auf die entfernter liegenden Stücke 
Tg und Pg zeigte, konnte die weitere Vergleichung des Ausschlages 
von Pg und Pg nur durch directes Angreifen der Kraft am Peroneus 
communis und tibialis fortgesetzt werden. Bei diesen Versuchen 
konnte die Zugkraft bis auf 10 kg gesteigert werden. 

Die Resultate, die sich aus diesen Versuchen ergaben, sind 
in kurzem folgende (vergl. beistehende Tabellen): 


Fig. 2. 



T, 

Pi 

P2 


Tabelle I. 


Zug am Nervus ischiadicus. 


1 kg 



2 kg 

3 kg 

Redrcssirt 

24*/* nim 


30 mm 

34 mm 

48 mm + 

25>/. , 



27 V» . 

35 ’A , 

54 . + 

22 , 



23V3 , 

23V. , 

23V* n 

20 



20 

20 , • 

20 , 




Tabelle 

n. 




Zug 

an beideii Nerven. 



200 g 

500 g 

700 g 


T, 

79 

mm 

83 mm 

102'/. mm 

. 4- 

P, 

79 

» 

48 , 

106 , 


T. 

20 

* 

20 , 

22'/. . 


P» 

20 


20 . 

20 



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Die Peroneuslähmung bei der Behandlung der Kniegelenkscontracturen* 319 

Tabelle IIL 

Zug an beiden Nerven. 

1 kg 2 kg 3 kg 4 kg 5 kg T'/a kg 9 kg 

24 mm 21^1% mm 80 mm 30 mm 327« mm 34Va mm 35 mm 

Pj 20 . 20V4 , 2074 . 2072 . 207* . 207* . 207* , 

1. In allen Fällen erlitten die Gummistücke und ober¬ 
halb der queren Kniegelenkachse eine bedeutend stärkere Dehnung 
als die Stücke und Pj. 

2. Das Stück zeigte stets einen grösseren Ausschlag als das 
entsprechende Stück Pg. 

3. Pg liess auch bei fortgesetzter forcirter Belastung nur eine 
minimale Verlängerung erkennen (z. B. bei 9 kg Belastung nur mm 
gegen 15 mm des Stückes T^)* 

Dieses Resultat lässt nun keine andere Schlussfolgerung zu, als 
dass auf dem Wege zwischen P^ bis Pg an irgend einer oder mehreren 
Stellen eine fast vollständige Fixirung des Nerven an die 
Umgebung stattfindet, welche die Fortleitung des Zuges auf das ent¬ 
fernter liegende Stück Pg verhindert. Dagegen kann die Zugkraft 
ihre Wirkung auch auf das Stück geltend machen, so dass noch 
ein ganz beträchtlicher Ausschlag resultirt. Für die Dehnungsver¬ 
hältnisse des Peroneus kommt also nur die Länge bis zu dem zwi¬ 
schen Pj und Pg gelegenen Fixpunkt in Betracht, während sich beim 
Tibialis der Zug auf die ganze Strecke des Nerven bis herab zum 
Unterschenkel vertheilt. Es wird jedes einzelne Theilstück des 
Peroneus in viel höherem Grade auf Dehnung beansprucht als im 
Bereich des Nervus tibialis. 

Dadurch, dass ich in meinen weiteren Versuchen, wie früher 
bemerkt, den gleichen Zug an beiden Nerven gesondert angreifen 
liess, konnte auch die Fehlerquelle ausgeschlossen werden, dass die 
grössere Dehnung von darauf beruhe, dass Tg in die directe Fort¬ 
setzung des Nervus ischiadicus falle, der Nervus peroneus communis 
jedoch in einem Winkel von ca. 20—30® vom Hauptstamme ab- 
zweige. 

Ueber die Art der Befestigung gibt nun die nähere Be¬ 
trachtung der anatomischen Verhältnisse Aufschluss. Diese bestätigen 
nicht nur die ausgesprochene Vermuthung, sondern zeigen auch, dass 
bei der Fixation zwei Momente in Betracht kommen: 


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820 . 


Rudolf Ritter v. Aberle. 


1. Bindegewebige Fixirung des Stammes. 

Der Nervus peroneus communis ist im Bereich des untersten 
Antheils der Bicepssehne, dann im weiteren Verlaufe auf seinem 
Wege um das Fibulaköpfchen, endlich entsprechend seiner Eintritts¬ 
stelle in die Scheide der Peronealmusculatur durch straffe Binde- 
gewebszüge befestigt. Am Fibulaköpfchen ist er in eine eigene 
Knochenrinne eingebettet und hier durch ganz besonders straffe Fasern 
mit dem Periost förmlich verwachsen. 

Diese Rinne schliessen vollends die hier ziemlich complicirt an¬ 
geordneten Fascien^) von der lateralen Seite her ab, die ebenfalls 
mit der Nervenscheide innig Zusammenhängen. Durch das Zu¬ 
sammentreten mehrerer Fascienblätter und ihre Ansatzverhältnisse 
am Knochen bilden sie durch spitzwinkelig sich überkreuzende 
Faserzüge und aponeurotische Bogen eine Reihe von förmlichen 
Zwingen um den Nerven (Fig, 3). 

Der hintere Antheil der ersten Zwinge ist von der Fortsetzung 
der Fascie gebildet, welche den Musculus soleus überkleidet, der 
vordere Schenkel der Zwinge gehört der Fascia lata (resp. Fascia 
cruris) an, die sich am Fibulaköpfchen und an der Fibula anheftet 
und sich daselbst mit der ersteren verbindet. Kaum IV^ cm weiter 
abwärts von dieser ersten Stelle*) tritt der Nerv in die Peroneus- 
scheide ein, wobei er durch einen straffen aponeurotischen Bogen, 
der dem Septum intermusculare fibulare posterius angehört, eine eben¬ 
falls stärkere Fixirung erfährt. In der Scheide findet die Theilung 
des Nerven in seine Hauptend'äste statt. 

Während man die Isolierung des Tibialis und Peroneus ab¬ 
wärts von Pg leicht mit Pincette oder Kropfsonde auf stumpfe Weise 
vornehmen kann, gelingt dies in diesem ganzen Bereich absolut 
nicht. Man muss hier den Nerv mit dem Scalpell aus seinem Kanal 
förmlich herausschälen. Erst nach vollkommener Freilegung, so zwar, 
dass man den Nerv aus seinem Lager herausholen kann, gibt das 
untere Gummistück Pg einen grösseren Ausschlag (z. B. hei 5 kg Be¬ 
lastung ca. 4 mm). 

Die Dehnung ist aber auch jetzt noch keine so vollständige, wie 
man nach den Voraussetzungen erwarten könnte. Es muss also noch 

') Poirier, Traite d’Anatomie Humaine 1896, Tome deuxieme, Myo* 
logie S. 247. 

2) Poirier 1. c. 


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Die Peroneuslähmung bei der Behandlung der Kniegelenkscontracturen. 321 

ein weiteres Moment dazukommen, welches den Nerven auch jetzt 
noch in seiner Lage erhält. Da der Nervenstamm von allen Seiten 
frei praparirt vorliegt, gibt es nur die eine Erklärung, dass er 


2. durch seine Nebenäste noch weiter fixirt bleibt. 


Das anatomische Präparat gibt nun auch darüber Aufklärung. 
Während nämlich der Nervus peroneus superficialis keine weitere 
stärkere Befestigung zeigt, findet 
der Profundus bei seinem Durch- ^ 


tritt durch das vordere Septum 
der Peronealscheide durch einen 
besonders widerstandsfähigen 
aponeurotischen Bogen eine aber¬ 
malige, dritte Fixation (Fig. 4). 
Wenn man nun ausserdem, wäh¬ 
rend die oben geschilderte Ex¬ 
tension wirkt, die kurzen moto¬ 
rischen Nervenäste des Profundus 
und Superficialis betrachtet, er¬ 
scheinen alle ad maximum ge¬ 
spannt, sie drohen an der Stelle 
ihrer Einsenkung in die Muskel¬ 
köpfe abzureissen. Alle in Be¬ 
tracht kommenden Muskeln neh¬ 
men nämlich oben in dem eng 
begrenzten Raume an der Fibula, 
der Membrana interossea, Tibia, 
auch an der derben Fascia cruris, 
ihren Ursprung, sind also in 
ihren ürsprungsköpfen kaum 
verschieblich. Ihre ganz kurzen 
Nervenäste (Fig. 4) erhalten sie 



y.penm rnm.. 
Säbuilia 


l Zmiitge 

Fascir d. 
M.sokus 


Septum 

inkrmusc. 

post 

}f.prjvn. Ion ff. 


Cap. fihuiwe 


Fascia latcu 
M peron. Ion ff. 

' S. prrtm .covL 
Aponear. Bogen 


M perondmiff. 
X. peron . sup. 


Unterschenkel von der lateralen Seite. Das 
proximale Ende des Muse, peroneus longus ist 
nach oben umgelegt. Bei X Zwinge durch 
Zusammentreten der Fascien. Bei XX ist die 
Fascia lata gespalten und der Nervus peron. 
com. freigelegt. Nach Durchtritt unter dem 
aponeurot. Bogen des Sept. intermusc. post, 
(nb.) Theilung des N. peron. communis. Der 
N. peron. prof. etwas durchschimmernd. 


in ihrem obersten und zugleich am meisten fixirten Antheile. Die 
ganze Zugkraft bleibt also auf die Nervenäste beschränkt, ohne 
dass das allenthalben fixirte und mit tendinösen Strängen durch¬ 
setzte Muskelfleisch dem Zuge folgen und sich an der aufzubringen¬ 
den Verlängerung betheiligen könnte. Es dürften also auch die 
Nervenendapparate an den quergestreiften Muskeln geschädigt werden. 


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322 Rudolf Ritter v. Aberle. 

Die vom Nervus tibialis versorgte Musculatur ist dagegen durch ihre 
Ansatz Verhältnisse unter viel günstigere Bedingungen gestellt. 

Auf dieses zweite Moment, die Fixirung durch die Muskel¬ 
äste und die stärkere Betheiligung des vorwiegend motori¬ 
schen Nervus peroneus profundus an der Fixation ist meines 

Erachtens besonderes Gewicht 
zu legen. Es erklärt uns 
eine Erscheinung, über die 
wir durch den Hofmann- 
schen Erklärungsversuch kei¬ 
nerlei Aufschluss erhalten, 
nämlich die oft intacte Sen¬ 
sibilität trotz motori¬ 
scher Lähmung. »Hin¬ 
gegen lässt sich das Nicht¬ 
betroffensein der sensiblen 
Fasern aus der Gefassver- 
theilung nicht erklären®, gibt 
Hofmann selbst zu^). 

Jedenfalls scheint das 
Verhalten der Sensibilität nur 
auf graduellem Unterschied 
des Operationstraumas zu be¬ 
ruhen. 

Die Annahme der Mehr¬ 
betheiligung des motorischen 
Profundus an der Fixation 
hat auch durch den Leichen¬ 
versuch ihre Bestätigung ge¬ 
funden. Ich habe denselben 
für diesen Zweck nur insofern 
abgeändert, dass ich die Guramistücke in den Peroneus superficialis an 
einer Stelle distal von der Abzweigung seiner Muskeläste und in den 
Peroneus profundus an der früher beschriebenen Stelle einband. Die 
Kraft griff am Peroneus communis an. Der Ausschlag war zwar 
nicht bedeutend, betrug aber immerhin 2—3 mm, während sich das 
Stück im Nervus peroneus profundus nur um 1 mm dehnen Hess. 


*) Hof mann 1. c. S. 688. 


Fig. 4. 



Unterschenkel von der lateralen Seite. Das proxi¬ 
male Ende de.s Musculus peroneus longus ist 
nach oben umgelegt, um die beiden Ursprungs¬ 
köpfe des M. perou. longus und den Nervenverlauf 
zur Ansicht zu bringen. Typischer Abgang des 
Ramus muscularis für den vom Cap. Üb. entsprin- 
g^enden Kopf des M. peron. longus noch vor der 
Theilung des N. peroneus communis. Durchtritt 
des N. peron. prof. unter dem dem Septum inter- 
musc. anterius (fibulare) angehörenden aponeuro- 
tischen Bogen. 


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Die Peroneuslähmung bei der Behandlung der Kniegelenkscontracturen. 323 


Wenn nun der Peroneus schon bei Dehnungsversuchen an nor¬ 
malen Leichen in Zwangslagen geräth, muss seine Position beim 
Redressement wegen Eniecontractur, namentlich nach Fungus des 
Gelenks ganz offenkundig noch eine bedeutend ungünstigere sein, 
weil sich hier noch ausserdem die so häufige Subluxation der Tibia 
nach hinten hinzugesellt. Hier bildet dann, wie man sich stets über¬ 
zeugen kann, die hintere Condylenbegrenzung der Tibia einen weit 
vorspringenden Wall, während das Fibulaköpfchen ganz besonders 
wie ein Eckpfeiler hervortritt. Ich habe diesen Vorgang bei Sub¬ 
luxation des Gelenks an mehreren Leichen ebenfalls nachzuahmen 
gesucht, indem ich nach Durchschneidung der vorderen Kapselwand, 
der Kreuz- und Seitenbänder die Tibia unter gleichzeitiger Beugung 
im Kniegelenke nach hinten luxirte. In die nun frei vorliegenden 
Femurcondylen schlug ich von unten her kräftige Eisenklammem 
und Haken ein, dass sie in der Mitte der Condylen parallel der queren 
Kniegelenkachse eine um einige Centimeter vortretende Wand bil¬ 
deten. Die Streckung des Kniegelenks konnte jetzt nur bei persisti- 
render Subluxation der Tibia vorgenommen werden, indem die Eisen¬ 
klammern die Reposition hinderten. Die Dehnung, welche dabei der 
Peroneus communis und seine motorischen Aeste erlitten, war über¬ 
raschend; sie waren wie straff angezogene Saiten über den Steg — 
hier das Capitulum fibulae — gespannt. Der Nervus peroneus pro- 
fundus dagegen zeigte, wie man sich durch Berühmng mit dem 
Finger leicht überzeugen konnte, nur massigste Spannung. 

Ob meine hier gegebene Erklärung auch für einige andere 
Formen von Peroneuslähmung traumatischen Ursprungs zutrifft, will 
ich nicht behaupten, bin aber überzeugt, dass man auf Grund dieser 
für viele Fälle dieselben Gesichtspunkte auffinden kann. So könnte 
bei vielen Schwangerschaftslähmungen, insofern sie wirklich nur eine 
isolirte Lähmung des Peroneus betreffen und nicht doch mit einer 
wenigstens theilweisen Tibialislähmung combinirt sind^), infolge der 
protrahirten, schweren Geburt die langdauernde Rückenlage mit 
maximal gebeugten-Hüft- und Kniegelenken, die ausserdem vielleicht 
noch durch irgend eine Beinhaltevorrichtung festgehalten werden, 
anzuschuldigen sein. Denn auch in dieser Stellung ist die Zerrung 


*) Hünermann, Vorstellung von zwei Kranken mit Peroneuslähmung 
nach schwerer Entbindung. Berl. klin. Wochenschr. 1892, Nr. 38 S. 960. — 
Discussion zu dieser Demonstration: Jolly, Bernhardt, Goldscheider. 


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324 


Rudolf Ritter v. Aberle. 


der Nerren eine bedeutende. Andererseits wäre bei toxischen Läh¬ 
mungen, z. B. der alkoholischen Neuritis, die Lagerung des Peroneus 
in dem von allen Seiten von fast unnachgiebigen Wandungen be¬ 
grenzten, ziemlich langen Kanal nicht ohne Bedeutung. Eine Schwel¬ 
lung in diesem Bereich müsste wohl zu einer Pression des Nerven führen. 

Ich möchte nur noch auf die Behandlung der Kniegelenks- 
contracturen selbst eingehen, wie sie sich aus der Berücksichtigung 
der grossen Empfindlichkeit des Nervus peroneus ergibt. 

Da wir wissen, dass der Nervus peroneus nicht so sehr auf die 
einzelne kurzdauernde Zerrung während des Operationsactes, aLs 
auf die andauernde, maximale Spannung reagirt, ist es unser 
Princip, nie das zuletzt erhaltene Resultat zufixiren, son¬ 
dern die erreichte Spannung zu mildern. 

Bei dem unblutigen, modellirenden Eniegelenksredressement 
üben wir derzeit zwei Methoden. Bei beiden lassen wir für gewöhn¬ 
lich die subcutane Tenotomie der Eniekehlenmusculatur vorausgehen, 
um das Operationstrauma auf ein Minimum zu reduciren. 

Handelt es sich um eine Contractur, welche überhaupt in einer 
Sitzung streckbar ist, so beginnen wir mit manuellem Redressement 
und setzen, wenn auf diese Weise das Ziel nicht erreicht werden 
kann, die Streckung im Lorenz’schen Redresseurosteoklasten fort. 
Um dabei eine supracondyläre Fractur zu vermeiden, ist darauf zu 
achten, dass die Patella noch zwischen den beiden Platten des Osteo¬ 
klasten eingespannt bleibt. In jedem Falle ist mit kurzem Hebel¬ 
arm zu arbeiten. 

Die Streckung geschieht weiter durch langsame, aber lange fort¬ 
gesetzte, wiederholte redressirende Bewegungen, welche so lange aus¬ 
geführt werden müssen, bis ein ausgesprochenes Genu recurvatum er¬ 
reicht ist. Durch ein breit zusammengelegtes dreieckiges Tuch, welches 
um die hintere Unterschenkelfläche nahe der Kniegelenkachse herum¬ 
geschlungen und an der Zugvorrichtung des Osteoklasten angebracht 
wird, können wir uns das Redressement wesentlich erleichtern. Das 
Redressement kann aber immerhin eine halbe bis eine ganze Stunde 
in Anspruch nehmen. Sind auf diese Weise alle Elasticitätswider- 
stände geschwunden, lassen wir mit der äussersten Kraft nach und 
fixiren das Bein in gerader Stellung im Gipsverband. Sollten wir 
auch dann noch, wenn der Patient aus der Narkose erwacht, oder 
auch später, eine Parese des vom Verband freigelassenen Fusses 
wahrnehmen, lüften wir sofort ein an der Rückseite des Unter- 


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IDie Peroneuslähmung bei der Behandlung der Kniegelenkscontracturen. 325 


sclienkels gleich nach Anlegung des Gipsverbandes in denselben ein¬ 
geritztes Fenster, welches von oberhalb der queren Kniegelenkachse 
IdIs zum Ende des Verbandes reicht und die ganze hintere Hälfte 
des Unterschenkels freizugebeu gestattet (Fig. 5). Dadurch ist so¬ 
fort ein Nachlassen in der Spannung ermöglicht, 
indem sich der Unterschenkel in geringe Beuge¬ 
stellung einstellen kann. Nach einigen Tagen wird 
der Unterschenkel durch Anspannen der Calicot- 
binden jetzt ohne Gefahr für den Peroneus wie¬ 
der in die ursprüngliche Stellung zurückgeführt. 

Bei hochgradigen Fällen, bei welchen wir 
darauf verzichten, in einer Sitzung zum End¬ 
resultat zu gelangen, um ja nicht den Peroneus 
zu gefährden, wenden wir die Methode an, welche 
Lorenz^) vor 3 Jahren als sogen, secundäres 
Etappenredressement ausführlich beschrieben 
hat. Auch dabei strecken wir wieder na^h und 
nach bis zur vollen Geraden, ja über dieselbe 
hinaus, legen aber von vornherein den ersten 
Gipsverband nicht in Streckstellung, sondern in 
Winkelstellung des Kniegelenks an. Die end¬ 
gültige Streckung, die nun nach diesem vorbe¬ 
reitenden Redressement leicht gelingt, wird nach 
2 — 3 Wochen in einer zweiten Sitzung vorgenommen, wobei wir die 
Schädigung des Peroneus nicht mehr zu befürchten brauchen. 

Der Gipsverband, der vom Trochanter bis zu den Malleolen 
reicht, wird über einem Tricotschlauch unter reichlicher Watte¬ 
polsterung, namentlich in Knie- und Peroneusgegend, aber unter 
starkem Anziehen der Calicotbinden angelegt. Auf eine ausgiebige 
Wattirung ist ganz besonders Gewicht zu legen. 

Bei diesen Vorsichtsmassregeln ist es uns gelungen, die Zahl 
der Peroneuslähmungen auf ein Minimum herabzudrücken. Sie ist 
bei uns eine seltene Erscheinung geworden. In den wenigen Fällen, 
wo sie doch aufgetreten war, handelte es sich aber nur um eine 
transitorische Lähmung, die nach kurzer Zeit verschwand. 

*) Lorenz 1. c. Nr. 44. 


Fig. 5. 



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XXL 


Die Bedeutung derNervenplastik für die Orthopädie’). 

Von 

Dr. Hans Spitzy, 

Facharzt für orthopädische Chirurgie der Universitätskinderklinik Gi-az. 

Mit Tafel I—II und 8 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Wir alle wissen, welch grossen Aufschwung in den letzten 
Jahren die Sehnenplastik genommen — „die Orthopädie steht unter 
dem Zeichen der Sehnenplastik“ citirt Vulpius —, die Methoden 
sind von den verschiedensten Gesichtspunkten aus theoretisch und 
praktisch durchprüft worden, so dass man diesen Correctionsarten 
der Lähmungsresiduen in 8er Peripherie einen hohen Grad von Voll¬ 
kommenheit zusprechen muss. 

Wenn sich jedoch bei allen unseren Correctionsmethoden der 
Ruf nach möglichst centraler Correctur erhebt, warum nicht hier 
auch? Wäre es nicht zweckmässiger, vor endgültigen eingreifenderen 
Methoden in der Verarbeitung der Muskelreste an eine Wieder¬ 
belebung der geschädigten Theile vom Centrum her zu denken. 

Diese und ähnliche Fragen waren es, die mich vor mehr als 
Jahresfrist zu eingehenderem Studium dieser Frage führten; die Er¬ 
gebnisse der Einzelversuche Ihnen vorzuführen, wäre zu ausgedehnt 
und vielfach noch verfrüht. Doch glaube ich, dass hier der richtige 
Ort ist, sich über die allgemeine Berechtigung der Nervenplastik, 
über ihre praktische Ausführbarkeit, über ihren theoretischen Zu¬ 
sammenhang mit den neurologischen Lehrsystemen, über die an sie 
gestellten Anforderungen, sowie über die zu erwartenden Erfolge 
im allgemeinen zu äussern und zur Nachprüfung der Resultate in 
diesen eminent wichtigen Fragen aufzufordern. Deber die speciellen 
Ergebnisse der zeitraubenden und langwierigen Thierexperimente wird 
eingehend an anderer Stelle berichtet werden; das gegenwärtig Ge¬ 
botene bitte ich als vorläufige Mittheilung zu nehmen. 

0 Vortrag, gehalten auf dem III. Congress der Deutschen Gesellschaft 
für orthopädische Chirurgie am 5. April 1904. 


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Die Bedeutung der Nervenplastik für die Orthopädie. 


327 


Lange hat im Vorjahre an dieser Stelle eine warnende Stimme 
erlioben gegen die zu weit gehende Zersplitterung der uns in den 
irestirenden Muskelquerschnitten gegebenen Kraftquellen; wenn sich 
stucli ein Muskel an neue Anforderungen anzupassen im Stande ist, 
so geht dies doch nur bis zu einer gewissen Grenze; mit einer zu 
grossen Anhäufung von Aufgaben wird dann die Endleistung im 
umgekehrten Verhältnisse stehen. Lange rätb zu möglichster Ver¬ 
einfachung der Mechanik. Bedenkt man, wie man oft mit dem ge¬ 
gebenen intacten Material sparen muss, so thut es einem doppelt 
leid um die brachliegenden Muskelgruppen, die man beiseite lässt, 
als todt und unbrauchbar betrachtet. 

Und doch weiss man aus früheren, wie aus neueren Unter¬ 
suchungen (Koch), dass diesen Muskelschlacken eine hohe Regene¬ 
rationskraft innewohnt; sobald die Leitung zum Centrum wieder 
hergestellt ist, leben sie wieder auf und regeneriren sich fast voll¬ 
ständig. Das ist doch werth, alles zu versuchen, den zündenden 
Funken wieder zu ihnen dringen zu lassen und sie wieder der Willens¬ 
action zu unterwerfen. Wir wissen zudem, dass es sich meist nur 
um eine Unterbrechung der Leitung an bestimmten Stellen handelt, 
theils ist der Defect im peripheren Verlauf des Nerven zu suchen, 
theils liegt, wie bei den meisten unserer hier in Betracht kommenden 
Fälle, in bestimmten Metameren des Rückenmarkes das Trümmer¬ 
feld, über das der Willensimpuls den Weg in den peripheren Nerv 
zum innervirten Muskelbezirk nicht mehr findet. 

Sind höhere Centren von einem Insult getroffen, so sehen wir 
oft die merkwürdige Thatsache, dass gewisse Sphären supplirend für 
andere eintreten können, wenn diese functionsuntüchtig geworden 
sind; ja es wurden von neurologischer Seite Fülle publicirt, wo 
allerdings vor der Geburt entstandene Defecte ganzer grosser Hirn- 
theile durch andere so supplirt wurden, dass intra vitam nur ein 
minder tief greifender Ausfall vermuthet werden konnte (Anton). 

Auch in postembryonalen Entwickelungen kann Neubildung 
von Centren beobachtet werden, bei Zerstörung der Sprachregion 
kann die Gegenseite eine neue anbilden. Der Organismus öffnet von 
selbst eine grosse Menge von Hilfsquellen, er verfügt über eine Fülle 
von Reservekräften; sie für den speciellen Fall fiüssig zu machen, 
muss mit verbesserter Technik möglich werden. 

Es ist nicht einmal nöthig, dass immer neue Centren angebildet 
werden müssten. Die Aufgabe wird noch dadurch wesentlich er- 


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328 


Hans Spitzy. 


leichtert, dass gerade das Centralnervensystem eine grosse Zahl von 
Verbindungswegen zwischen den einzelnen Centren besitzt, so dass 
gegebenen Falles diese sich gegenseitig suppliren können. — Fallen 
die meist gegangenen Wege einem zerstörenden Einfluss zum Opfer, 
so gibt es noch viele sonst weniger benutzte Bahnen, die durch 
öfteren erzwungenen Gebrauch wieder gangbar werden (,Einschlei¬ 
fung neuer Bahnen“: Goldscheider), und so werden neue Wege 
im Centralorgan geschaffen, die zwar auf Umwegen, jedoch oft bis 
zur vollständigen Functionssicherheit den Verkehr übernehmen. Wir 
machen ja in der üebungstherapie schon immer Gebrauch von dieser 
Fähigkeit unseres Hauptnervencentrums. 

Und warum sollte dies nicht auch bei Centralstellen niedriger 
Ordnung möglich sein? 

Könnte nicht bei einer Zerstörung der Wurzeln des N. pero¬ 
neus im Vorderhorne des Rückenmarkes der oft intacte N. tibialis 
die Leitung übernehmen und so die Verbindung des Peroneus- 
bezirkes mit dem Centrum vermitteln? Handelt es sich doch nur 
darum, die degenerirten Rückenmarkspartien zu umgehen und auf 
anderen Bahnen zu höheren Centren zu gelangen, sei es, dass dort 
die alten auf anderem Wege erreichten Kerne ihre Thätigkeit wieder 
aufnehmen oder es hypertrophiren die Kerne der neuen Bahn der¬ 
art, dass sie in den Stand gesetzt werden, auch den neuhinzu- 
gekommenen Muskelbezirk mit Willensimpulsen zu versorgen. 

Auch diese supponirten Thätigkeiten verlangen wir schon jetzt 
vom Centralnervensystem; wie könnte man sich anders die Func¬ 
tionsmöglichkeit eines antagonistisch getheilten Muskels vorstellen, 
die von verschiedener Seite gemeldet wurde? 

Theoretisch wird also nichts Neues begehrt; dass man von 
einer praktischen Anwendung in der bisherigen Literatur in dem 
letzten Jahrzehnt so wenig hörte und erst in den letzten Jahren 
sich das Interesse an diesen Fragen wieder zu regen beginnt, hat 
mehrfache Gründe: 

1. Liegt die Neurobiologie in ihren histologischen und besonders 
in ihren physiologischen sehr subtilen und oft vielfach speculativen 
Details unserem eminent praktischen Fach etwas ferne, es bedarf 
zeitraubender Studien, um sich in den vielfach verschlungenen Pfaden 
und Ausdrucksweisen der Neurologie halbwegs zurecht zu finden. 

2. Ergeben sowohl Thierversuche wie operative Eingriffe erst 
nach langer Zeit die erwarteten Resultate; es fehlt also der Factor, 


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Die Bedeutung der Nervenplastik für die Orthopädie. 329 

der hauptsächlich die Beliebtheit der openativen Heilmethoden aus- 
macht: der augenblickliche Erfolg, obwohl wir in dieser Beziehung 
geduldiger sind, als unsere Mutterwissenschaft, die Chirurgie. 

3. War es insbesondere eine in dem letzten Jahrzehnt be¬ 
stehende Lehre, welche in ihrer ursprünglich starr dogmatischen 
Fassung, besonders in anatomisch-physiologischem Hinblicke, den 
neurochirurgischen Fortschritt gehemmt hat; ich meine die Lehre 
von den Neuronen. 

So viel Vortheil und Aufhellung diese Lehre für die Neuro¬ 
pathologie gebracht, der Weiterentwickelung der chirurgischen The¬ 
rapie heftete sie sich durch ihr starres «Non possumus“ schwer 
lastend an die Fersen. 

Aus der von Waldeyer 1891 aufgestellten Lehre von den 
Neuronen sei folgendes hervorgehoben: 

Die Nervenleitung vom Centrum zur Peripherie zerfällt in 
Einzelabschnitte. Jeder solche Abschnitt, Neuron genannt, besteht 
aus einer Ganglienzelle, der aus ihr entspringenden Nervenfaser und 
ihrem Endbäumchen, das wieder die Ganglienzelle des folgenden 
Neurons umspinnt und per contiguitatem (durch Berührung) die Ver¬ 
bindung mit dem nächsten Neuron herstellt. Der Reiz pflanzt sich 
darnach innerhalb eines Neurons per continuitatem, von Neuron zu 
Neuron per contiguitatem fort. 

Jedes solche Neuron stellte darnach eine absolute anatomische, 
trophische, wie functionelle Einheit vor. Directe anatomische Ver¬ 
bindungen zwischen solchen wurden nicht angenommen. Uns inter- 
essirt anfangs nur das letzte bezw. erste Neuron, gebildet von der 
Ganglienzelle im Vorderhorn, der aus ihr entspringenden Nerven¬ 
faser, die einzellig immer fortzieht durch die ganze Bahn des moto¬ 
rischen, peripheren Nerven zu ihrem Endapparat in der Muskel¬ 
fibrille. 

Bei der Durchtrennung einer solchen Bahn müssen logischer¬ 
weise folgende Erscheinungen auftreten: 

Das periphere Stück des Zellfortsatzes, abgetrennt von seinem 
Mutterboden, seinem trophischen Centrum, muss absterben. Alles 
peripher Gelegene fällt der Degeneration anheim, das centrale bleibt 
erhalten (Waller'sches Gesetz). Die Degeneration im peripheren 
Theil schreitet unaufhaltsam fort bis zum Nervenendapparat im 
Muskel und führt dadurch zu jener eigenthümlichen Abänderung des 
Muskelzuckungsgesetzes, die man „Entartungsreaction“ nennt; schliess- 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XIII. Bd. 22 


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330 


Hans Spitzy. 


lieh verödet nach längerem Bestehen der Lähmung das ganze be¬ 
troffene Nerv-Muskelgebiet, der Muskel selbst fällt der fettigen De¬ 
generation anheim. 

Dem centralen Theil jedoch wohnt die Kraft inne wieder aus¬ 
zuwachsen; von der am Ende liegenden Ganglienzelle, die raeterweit 
entfernt liegt, versorgt, wachsen die einzelnen Achsencylinder wieder 
aus; treffen sie auf ihren Wegen den peripheren Stumpf, so wachsen 
sie in diesen hinein, benutzen diesen „vollkommen neutral bleibenden 
Stumpf“ als Weg und legen so in Wochen oder in Monden den 
langen Weg bis zu den Endapparaten zurück und beleben aufs 
Neue die ihnen zugetheilte Muskelgruppe (Neurotisation nach Van- 
lair). Von einer Abgabe von Zweigen, einer Spaltung des Achsen- 
cylinders, einer Neubildung von Nervenmaterial ist noch nicht die 
Rede. Auch Finotti schrieb unter dem Druck dieser Anschauungen 
bei seinen Untersuchungen über die Heilungsvorgänge bei der 
Nervennaht: 

„Niemals sah ich, trotz aller Bemühungen, eine Spaltung der 
Achsencylinder, niemals eine Neubildung von Nervenfasern (im cen¬ 
tralen Stumpf).“ 

Bald ging man von der extremen Auffassung der Neuronen¬ 
einheit ab, gab Verzweigungen und Spaltungen der Nervenfasern zu. 

Mönkeberg, Bethe und Apathy haben durch eine grosse 
Anzahl von Thierexperimenten an wirbellosen und höheren Thieren 
den Beweis erbracht, dass eine Nervenneubildung von den Kernen 
der Scheide aus stattfindet, und zwar nicht nur im centralen, son¬ 
dern — bei ganz jungen Individuen — sogar im peripheren Stumpf, 
eine Thatsache, wie sie sogar seine Gegner Zugaben; nur um die 
Deutung des Ursprunges dieser neugebildeten Fasern dreht sich noch 
der Streit. Die Einheit der Neuronen ist bis zur „functionellen 
Einheit“ zusammengeschrumpft, und Münzer, einer der heftigsten 
Vertheidiger der Neuronenlehre, definirt das Neuron als die Zu¬ 
sammenfassung aller Fasern, die aus einer Nervenzelle hervor¬ 
gegangen, oder aber „aller Fasern, die nutritiv von einem Proto¬ 
plasten abhängen“. 

Bethe dagegen verwirft die Neuronenlehre und damit die 
Reizleitung per contiguitatein überhaupt, sieht in den Nervenfasern 
nur das Product von eigenen in den Scheiden gelegenen Zellkernen, 
deren freies Protoplasma sich eigenthümlich schichtet und Nerven- 
fibrillen bildet; eine Summe von solchen Nervenfibrillen bildet einen 


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Die Bedeutung der Nervenplastik für die Oi-thopädie. 


331 


Achsencylinder, die Einzelfibrillen gehen in die Ganglienzellen direct 
über, knäueln sich dort unter vielfachen Verzweigungen und Ver¬ 
bindungen unter einander zu einem Neuripil zusammen, aus welchem 
wieder direct Fibrillen in andere Leitungen übergehen (Reizleitung 
per continuitatem). Die Ganglienzelle ist nur ein Knotenpunkt, kein 
trophisches Centrum. 

Es ist nicht überflüssig, diese ja noch nicht entschiedenen 
Streitfragen zu berühren, da von ihrer Richtigkeit, bezw. endgültigen 
Entscheidung und Richtigstellung vielfach die Ansicht und Möglich¬ 
keit eines operativen Eingriffes abhängt, ausserdem ist ihre Kenntniss 
zum Verständniss der geschichtlichen Entwickelung der verschiedenen 
Operationsversuche unbedingt nothwendig. 

Nehmen wir den Fall einer versuchten Nervenplastik heraus; 
Leti^vant schlägt zuerst die Verbindung verschiedener Nerven 
(Greffe nerveuse) vor. Er frischte den intacten Nerven an, um an 
dieser Stelle das periphere Stück eines anderen durchtrenuten Nerven 
anheilen zu lassen. Dass diese wenigen Achsencylinder, denen man 
durch das „Anfrischen“ Gelegenheit gegeben, in den angegliederten 
Nerv hinein zu wachsen, diesen wirklich „neurotisiren“ würden, 
könnte man nach der alten Anschauung kaum für möglich halten. 

Noch weniger rationell wäre es danach gewesen, wenn man 
den peripheren Stumpf in einen Längsschlitz des intacten Nerven 
einpflanzen würde, da wäre noch wenigeren Achsencylindern ein 
Einwachsen möglich. Und trotzdem wurden beide Methoden mit 
Erfolg ausgeführt und durch Präparate eine Theilung der Achsen¬ 
cylinder erwiesen (vergl. Manasse). Nach der älteren Lehre waren 
diese Versuche von vornherein aussichtslos, da sie ja auf der Vor¬ 
aussetzung einer reichlichen Sprossung von Nervenfasern und Thei¬ 
lung der Achsencylinder zum Mindesten vom centralen Theile aus 
basiren. 

Ausser den bereits citirten Beobachtungen, sowie den von 
Bethe vertheidigten autogenen Regenerationen sind noch andere 
beruhigende Beobachtungen in letzterer Zeit berichtet worden. 

So theilte Marenghi 1898 mit, dass in einem Falle nach 
Durchschneidung des N. ischiadici beim Hunde nach der Naht in 
klinischer Beziehung Heilung eintrat. Bei Blosslegung des Nerven 
zeigte es sich jedoch, dass die Muskeln nur dann vom Nerven aus 
erregt werden konnten, wenn der Reiz peripher von der Narbe dem 
Nerven applicirt wurde, central von der Narbe angreifende Reize 


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Hans Spitzy. 


riefen keinerlei periphere Erscheinungen hervor. Der Schlüssel liegrt 
im Verhalten des N. cruralis. Nach Durchschneidung desselben war 
nicht nur sein Muskelgebiet gelähmt, sondern auch eine totale Ischia- 
dicuslähmung da. Und wenn dieses Beispiel auch zur Vorsicht in 
der Beurtheilung von „Heilungen“ mahnt, so ist es doch anderer¬ 
seits wieder ein Beweis, dass den Nerven die Fähigkeit zur Bildung* 
von Collateralen, von Anastomosenbildung und Sprossung innewohnt, 
die in diesem Fall zu einer spontanen Greife nerveuse geführt hat. 

Und wenn mir schon die Lehre Bethe’s von der autogenen 
Regeneration wie eine wahre Erlösung für die Frage der Nenren- 
plastik und ihrer Möglichkeit erschien, so kann es immerhin auch 
ein Trost sein, dass wir uns auch mit den älteren Lehren, aller¬ 
dings in ihrer geänderten Fassung, nicht im Widerspruche befinden. 

Die Versuche, auf chirurgischem Wege neue Nervenleitungen 
zu schaffen, auf welchen sich Willensimpulse von den centralen Kernen 
zu den peripheren motorischen Mechanismen fortpflanzen, haben also 
nach den neueren Forschungen entschieden wissenschaftlichen Boden 
und sind nicht als unsichere Trugschlösser oder gewagte Specula- 
tionen zu betrachten. 

Die anatomischen Erwägungen über die einer Nervendurch¬ 
schneidung und Verbindung folgende Nervendegeneration- und Re¬ 
generation sind dieselben, die schon in einer grossen Zahl von 
Arbeiten in letzterer Zeit berichtet wurden. 

Wird ein peripherer Nerv leitungsunfähig gemacht, sei es dass 
seine Ursprungskerne zerstört werden oder er an einer Stelle seines 
Verlaufes eine Zusammenhangstrennung oder eine sonstige, gröbere 
Verletzung erfährt (Quetschung, Vergiftung), so fällt der periphere 
Abschnitt einer Degeneration anheim, die rasch fortschreitend in 
wenigen Stunden auch den Nervenmuskelapparat ergreift und zur 
Entartungsreaction der Muskeln führt. 

Die ältere Ansicht führt diese Degeneration im peripheren 
Theile auf die Abtrennung vom trophischen Centrum zurück. Doch 
auch im centralen Stumpfe treten Degenerationserscheinungen auf, 
nicht nur bis zum Renviersehen Schnürring, wie anfänglich ge¬ 
glaubt wurde, sondern auch höher hinauf verfolgbar. Dieser Wider¬ 
spruch (die retrograde Degeneration) wurde durch die Einwirkung 
des Traumas und sich eventuell an dieses anschliessende neuritische 
Processe erklärt (Rai mann, En ge Im an). 

Bethe sieht überhaupt nur im Trauma den Degenerations- 


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Die Bedeutung der Nervenplastik für die Orthopädie. 


333 


factor, sowohl im peripheren, wie im centralen Theil, der im peri¬ 
pheren Theil unverhältnissmässig mehr zur Geltung kommt, «weil 
ein relativer Unterschied in der Lebenskraft des centralen und peri¬ 
pheren Theiles existirt, den man als eine Art Polarisation auffassen 
kann“. 

Man sieht, jede der Anschauungen hat schwache Punkte und 
innere Widersprüche, wie es bei einer so subtilen und schwer be¬ 
siegbaren Materie kaum anders zu erwarten ist. 

Die Degenerationserscheinungen offenbaren sich in einer Trübung 
des Nervenmarkes, in kurzer Zeit geht dieses eine fettige Metamorphose 
ein, es zerfällt in Klümpchen und Tröpfchen; der Achsencylinder be¬ 
ginnt aufzuquellen, später zerbröckelt er unter Vacuolenbildung. Nach 
den Untersuchungen Bethe's gehen die einzelnen Fibrillen einem 
körnigen Zerfall entgegen, die einzelnen Körner lösen sich allmäh¬ 
lich auf und geben dadurch Veranlassung zur Vacuolenbildung. Nur 
die Kerne der Schwann*schen Scheide wuchern lebhaft mitten in 
diesem Degenerationsvorgang, nur diese und das Epineurium bleiben 
nach längerer Zeit vom Nerven übrig, wenn es bei persistirender 
Lähmung endlich zu einer fibrösen Induration des Nerven kommt. 

Der Zeitraum, in dem diese Degeneration abläuft, erstreckt 
sich auf 4—5 Tage. Nach kurzer Zeit beginnen jedoch wieder Re¬ 
generationserscheinungen. Schon 1776 wurde von Cruishank die 
Entdeckung gemacht, dass die Enden eines durchschnittenen Nerven 
sich nach einigen Wochen wieder vereinigten, bald darauf wurde 
die Möglichkeit der Wiederherstellung der Function durch Haighton 
erwiesen, und von da an zieht sich durch die Literatur eine lange 
Kette von Beobachtungen über Verheilung der Nerven durch pri¬ 
märe und secundäre Naht. 

Nachdem man erkannt hatte, dass hauptsächlich der periphere 
Theil immer zerfällt, begann auch schon der Streit über die Art 
der Regeneration. 

Gemäss dem WaHerrschen Gesetze kann die Regeneration nur 
durch Auswachsen des centralen Stumpfes in das Stützgewebe des 
peripheren Theiles vor sich gehen. Von dieser Lehre (Vanlair, 
Ströbe, Nothaft, Münzer) bis zur autogenen Regeneration Bethe's 
gibt es alle Uebergänge (Philipeaux, Vulpian, Ziegler, Ken¬ 
nedy, V. Büngner, Mönkeberg, Siegmund Mayer). Nach 
Bethe’s Ansicht vermag sich ein Nerv aus sich selbst zu regene- 
riren. Die Regenerationskraft ist im «centralen“ Theil ungleich 


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Hans Spitzy. 


grösser als im peripheren und bei jugendlichen Individuen stärker 
ausgeprägt. Die Zellen der Scheide beginnen zu wuchern, ihr Proto¬ 
plasma bildet neue Fibrillen, die mit den alten und zum Theil auch 
neugebildeten des centralen Stumpfes verwachsen. 

Es ist also doch wieder eine Secunda intentio nervorum, die 
bis da fast ebenso heftig bekämpft wurde, wie die einst von Gluck 
behauptete und nie zurückgenommene Beobachtung einer Prima in¬ 
tentio mit sofortiger Functionsherstellung. 

Auch gegen die alte Lehre von der Neurotisation im Sinne 
Vanlair’s weiss ßethe eine Menge Einwendungen. Die grösste 
Länge der Fasern, die man bei frei auswachsenden centralen Nerven¬ 
stücken beobachten kann, beträgt im günstigsten Fall einige Centi- 
ineter. Wenn es aber das peripher degenerirte trifft, so soll es 
gleich meterweit auswachsen können; ob wohl wirklich der schon 
gewohnte Weg, das bereitliegende Stützgewebe, der gute Nährboden, 
die bestehende GefässVersorgung etc. diesen Widerspruch zu er¬ 
klären im Stande ist? Die Physiologen mögen es zur Endklärung 
bringen. 

Die Wiedervereinigung oder die Neurotisation dauert immer 
Wochen oder Monate, es kann auch ein Jahr darüber verstreichen, 
bevor die Leitungsfähigkeit wiederkehrt und da oft nur unvollständig. 
Auch eine gewisse Gesetzmässigkeit in der Zeit der W^iederkehr der 
Function wurde gefunden. Wölfler gab an, dass, je weiter sich 
der Ort der Continuitätstrennung vom Centrum befinde, desto rascher 
gehe die Wiederinnervation des entsprechenden Nervenbezirkes vor 
sich. Dieselbe Beobachtung constatirten Etzold, Albrecht. — Eine 
grosse Anzahl von Publicationen beweisen die Möglichkeit der Nerven- 
regeneration, sowohl bei deren primären wie bei der secundären 
Vereinigung. Die Resultate jedoch sind quoad Wiederherstellung 
der Function sehr verschieden: ein grosser Theil vollkommene Wieder¬ 
herstellung, andererseits wieder grössere und kleinere Defectreste, bei 
einem geringen Theil blieb der Erfolg ganz aus. Welche Factoren 
hier mitspielen, ist uns noch verschlossen, so viel steht fest, dass 
eine Primaheilung das erste Postulat zu dem functionellen Gelingen 
einer Nervennaht ist. Eiterungen bilden festere Narben zwischen 
beiden Stümpfen, so dass ein Durchwachsen dieser callösen Masse 
von den Nervenelementen fraglich, zum Mindesten erschwert ist. 
Ausserdem ist die Möglichkeit einer toxischen Schädigung des Nerven¬ 
gewebes durch die Eiterungsproducte nicht von der Hand zu weisen, 


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Die Bedeutung der Nervenplastik für die Orthopädie. 


335 


■ja die Zerfallsproducte der Nervensubstanz selbst wirken nach Mott 
toxisch. 

Je glatter die Heilung, je besser die Adaptirung und je ge- 
jringer das interponirte Narbenmaterial, je jünger das Individuum, 
desto leichter erfolgt die functionelle Wiederherstellung. 

Der Vollständigkeit halber gehören hierher auch die Versuche, 
grössere Substanzverluste im Verlaufe eines Nerven auszufüllen, 
schon deshalb, weil der theoretische Begründer der Nervenplastik, 
Lietievant, auf diesem Wege zur Vorstellung der Nervenpfropfung 
(^Greffe nerveuse) kam. Er proponirte eine Nervenverkettung zu 


Fig. 1. 

/ n 



Greife nerveuse nach Leti^vant. 


schaffen, wie sie aus beiliegender Skizze ersichtlich ist (Fig. 1). 
Doch vermied er es, in Wirklichkeit dieses Experiment zu machen. 
Letiövant gab selbst seiner „Autoplastie nerveuse k lambeaux“ den 
Vorzug, bei welcher er durch Abspaltung von Lappen die Enden zu 
nähern suchte. 

Gluck, Vanlair, Asssaky, Braun, Hahn, Rawa, Payr 
suchten die auswachsenden Fasern durch Zwischenschaltung von 
artfremden Nervenstücken oder überhaupt heterogenem Material zu 
„leiten“; Catgutfäden, Seidenfäden, Knochenröhren, Magnesium¬ 
röhren etc. wurden dazu verwendet. 

Eine andere Art, die Vereinigung der Enden zu ermöglichen, 
war, sie durch weitgehende Ablösung von der Grundlage zu mobili- 
siren und sie durch Dehnung einander zu nähern (Schüller, 
V. Hacker). 

Wie viel man zu opfern bereit ist, nur um eine exacte Ver¬ 
einigung der Enden zu erzielen, beweist der Vorgang von Löbker 


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Hans Spitzy. 


und V. Bergmann, die bei Nervenverletzungen an den Extremi¬ 
täten so viel von den Knochen des betreffenden Gliedes resecirtea, 
als nothwendig war, um eine directe Nervennaht anlegen zu können. 

Die eigentliche Nervenplastik endlich wurde, wie schon er¬ 
wähnt, von Letievant inaugurirt, der sie bei einer eventuell ein¬ 
tretenden Unmöglichkeit der Vereinigung bei zu grosser Diastase 
der Stücke anrieth, besonders dann, wenn auch eine Lappenplastik 
aussichtslos wäre (Lorsque Tautoplastie avec ou sans lambeaux est 
rendu impossible). 

Voici ses procedes: 

Un nerv vient d'öprouver une grande perte de substance, re- 
cherche son bout inferieur Tavive et le suture ä un bout appartenant 
ä un autre nerf aussi par la blessure mais plus bas que le premier 
et moins important que lui (Fig. 1 /). 

Und bald darauf: 

Le Chirurgien pourrait encore tenter la greflfe du bout inferienr 
du median sur le nerf musculo-cutan^ auquel il aurait pratique une 
petite surface d'avivement dans un point de son parcour et sur nn 
de ses bords (Fig. 111), 

Der erste derartige Versuch wird von Deprös gemeldet. Er 
vereinigte den peripheren Medianusstumpf mit dem unverletzten Ul- 
naris in der Weise, dass er die Fasern des letzteren mittelst einer 
Pincette auseinanderschob und nun die Fäden des ersteren hinein¬ 
schob (nach Ti Ilm ans). Von einem eigentlichen Zerfasern der 
vereinigten Nerventheile, wie es Dumstrey und Manasse dar¬ 
stellen, ist bei diesem Autor nicht die Rede. Die Originalarbeit 
war mir nicht zugänglich. Die Wunde heilte per secundam, unter 
fortgesetzter elektrischer Behandlung besserten sich die gelähmten 
Muskeln, so dass der Patient mit völlig „brauchbarer“ Hand ent¬ 
lassen werden konnte. Dumstrey rechnet diesen Fall zu den 
günstigen Resultaten, Manasse zu den ungünstigen. 

Ein weiterer Fall ist von Gunn (Fig. 211): 

Dieser nähte das periphere Ende des N. ulnaris in die ge¬ 
spaltene Scheide des Medianus. Vier Monate später konnte der 
Patient die Hand mit Kraft adduciren und den Muse. flex. carpi 
ulnaris etwas contrahiren. Die Fingerbewegungen gingen noch nicht. 

Fig. 2 HL Neugebauer erwähnt eine Implantation eine> 
durchschnittenen N. peroneus in einen Schlitz des N. tibialis. Nach 
8 Monaten noch keine Regeneration. Weitere Nachrichten fehlen. 


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Die Bedeutung der Nervenplastik für die Orthopädie. 


337 


Fig. 3/. Faure und Furet vernähten den abgeschnittenen 
N. facialis mit dem N. accessorius, der ebenfalls vor seinem Ein¬ 
tritt in den Eopfnicker durchtrennt wurde. Keine Heilung. 

Fig. 3//. Sick und Sänger erreichten ein schönes Resultat 
durch Einpfropfung des N. radialis in den Verlauf des N. medianus 
in der Weise, dass sie auf dem Medianus einen Lappen wegpräpa- 
rirten (analog wie vom Kraftspender bei der Sehnenplastik) und 


Despres 



Fig. 2. 

Neiigebauer 
Gunn N, tib. 



Manasse Dumstrcy Körte 



Periphere Implantationen. 


diesen circa die Hälfte des Medianusquerschnittes einnehmenden 
Lappen mit dem Radialis verbanden. Der Erfolg war völlige Ge- 
brauchsfähigkeit der Hand. 

Manasse schliesst nach diesen mitgetheilten Ergebnissen sehr 
pessimistisch, „man sei zwar nicht berechtigt, nach diesen Erfah¬ 
rungen die GreflFe nerveuse überhaupt zu verwerfen, aber er mahnt 
zur Vorsicht“. 

Und gerade er hat durch glänzende Thierexperimente, bei denen 
er den peripheren Facialisstamm mit dem unverletzten N. accesorius 


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338 


Hans Spitzj. 


mit Erfolg zur Verheilung brachte, der GrefiFe nerveuse eine physio¬ 
logische Basis und durch seine Präparate den histologischen Beweis 
der Existenzberechtigung geschenkt. Aus den letzteren geht zweifel¬ 
los hervor, dass Fasern aus dem bahngebenden Stamm in den bahn¬ 
suchenden und umgekehrt ziehen. 

Fig. 1, 5. Dumstrey schob den peripheren Stumpf des N. 
ulnaris in einen Schlitz des N. medianus ein, den er so gewann, dass 
er ca. V» des Medianus durch einen schrägen Schnitt lostrennte und 
in diesen Schlitz den am Ende zugeschärften Ulnarisstumpf ein¬ 
schob und ihn dann durch eine quere Naht dort fixirte. Das Re- 

Fig. 3. 


Fauret et Furet Sick und Sänger Hackenhruch 



Centrale Implantationen. 


sultat waren bald auftretende Parästhesieen im Ulnarisgebiet, Weicher¬ 
werden der Contracturen; die activen Excursionen in den Gelenken 
zwischen Grundphalangen und Mittelhandknochen gingen zwar noch 
in bescheidenen Grenzen, aber doch deutlich sichtbar vor sich, und 
vor allem stellte sich das Spreizen und Schliessen der Finger ein. 
so dass leichtere Gegenstände zwischen den Fingern festgebalten 
werden konnten. 

Fig. 37/7. Hackenbruch heilte eine alte, 8 Jahre bestandene 
Facialislähmung eines Kindes durch die Einpflanzung eines Accessorius- 
bandes in einen Schlitz des Facialisstammes. Ausserdem kündigte 
er eine Neurotisation eines gelähmten N. peroneus durch einen 
Tibialislappen an. 

Gelegentlich der Discussion dieses am vorjährigen Chirurgen- 
congresse vorgestellten Falles demonstrirte Körte einen Patienten. 


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Die Bedeutung der Nervenplostik für die Orthopädie. 


339 


bei welchem der bei einer ausgebreiteten Felsenbeinoperation durch¬ 
schnittene Facialis mit seinem peripheren Ende an den Hypoglossus¬ 
stamm angeheftet wurde (Fig. 2 VI). 

Bei beiden Fällen begann die Functionswiederkehr erst nach 
Jahr, nach 1— 1^2 Jahren bestand keine grosse Differenz mehr 
zwischen beiden Gesichtshälften, wenigstens nicht bei der Muskel¬ 
ruhe. Der Erfolg war zwar nicht ganz vollkommen, „jedoch ver- 
hältnissm'ässig besser, als wenn eine Facialislähmung bestünde*^. Bei 
beiden Fällen werden Mitbewegungen im Gebiete der bahngebenden 
Nerven erwähnt: dort im Accessorius, hier im Hypoglossusgebiete, 
jedenfalls ein Beweis der gemeinschaftlichen Bahnbenutzung beider 
Gebiete. 

Da sich im Falle Körte’s auch eine leichte Zungenatrophie 
zugesellte, so schlägt Körte selbst vor, bei ähnlichen Fällen zur 
Pfropfung den Accessorius vorzuziehen. 

Sprengel erwähnte gleichzeitig einen Fall von Nervenpfropfung 
mit negativem Resultat. 

Das Resume der Erfolge ist also sammt dem negativen Fall 
SprengeTs 3:6, also 60®/o Heilungen, bezw. Besserungen, wenn 
man nach einer so kleinen Statistik überhaupt urtheilen darf. Die 
Möglichkeit aber einer Wiederherstellung einer obsolet gewordenen 
Nervenbahn ist dadurch auch für den Menschen absolut sicher gestellt. 

Thierexperimente liegen ja auch in den verschiedensten Varia¬ 
tionen vor. 

Bethe zählt eine Reihe von durchgeführten Zusammenhei- 
iungen auf. 

Flourens (1842) kreuzte die durchschnittenen beiderseitigen 
Plexus brachialis beim Huhn, die Flugfähigkeit kehrte nach einigen 
Monaten wieder. 

Weitere Versuche von Rawa, Stefani, Forsmann. Letzterer 
bewies, dass bei Kreuzung vom N. tibialis und N. peroneus die 
Functionsherstellung ebenso rasch wieder erfolgt, wie bei gleich¬ 
sinniger V^ereinigung. Auch wenn zwei periphere Enden zweier 
durchschnittener Nerven nur mit einem centralen Stück vereinigt 
werden, erfolgt ausgiebige Neurotisation. 1900 veröffentlichte im 
Gegensätze zu Forsmann, Cunningham als Ergebniss von Ex¬ 
perimenten , dass bei Kreuzung von anti^onistischen motorischen 
Nerven auch nach gelungener Heilung die Coordination in den 
Muskelbewegungen geschwunden sei. Innervirte früher einer von 


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340 


Hans Spitzy. 


den gekreuzten beiden Nerven rhythmisch wirkende Muskeln, so bleibt 
die rhythmische Action dauernd vernichtet. 

Caligareau und Henri kreuzten Vagus und Hypoglossus 
bei Hunden mit verschiedenen Erfolgen, so viel ersahen sie jedoch 
daraus, dass die Vagusfasern auch vom Hypoglossuskern die zur 
normalen Function gehörigen Reize bekommen können. 

Die letzteren Versuche sind besonders von neurologischem Inter¬ 
esse, da sie beweisen, dass rein motorische Nerven mit sensiblen 
mit Erfolg zu Verheilung und Functionsübernahme gebracht werden 
können (Langley, Sympaticus vagus, Floresco etc.). 

Manasse übt bei den Thierversuchen ausschliesslich die Ver¬ 
einigung des N. facialis mit dem N. accessorius bei Hunden und 
zwar legt er die abgeschnittenen peripheren Facialisäste an den 
Stamm des N. accessorius. 

Für den Nachweis des vollkommenen Erfolges der Greffe ner- 
veuse im Thierexperiment fordert er: 

a) Klinische Wiederherstellung der Function im Gebiete des 
gelähmten Nerven. 

b) Wiederkehr der elektrischen Erregbarkeit der gelähmten 
Muskeln und- Nerven. 

c) Anatomische Verbindung der mit einander vernähten Nerven 
an der Stelle der Nervenplastik. 

d) Den histologischen Beweis dafür, dass im Bereiche der 
Neuroplastik Nervenfasern aus dem Stamm des intacten Nerven in 
das periphere Ende des verletzten Nerven continuirlich übergehen. 

Wegen häufiger Supplirung von Bewegungen durch Anpassung 
erhaltener Muskeln verwirft Manasse Thierversuche an den Ex¬ 
tremitätennerven, weil hierbei sehr leicht Irrthümer in der Beurthei- 
lung der klinischen Regeneration unterlaufen könnten. 

Da ich es nun vorziehe, als Vorstudie für Neuroplastiken, wie 
sie in unserem Fache vorzukommen pflegen, gerade Extremitäten¬ 
nerven zu nehmen, so bin ich wegen des Kriteriums des Erfolges 
Aufklärung schuldig. Ich möchte zu diesem Zwecke die Beschrei¬ 
bung eines Falles aus der Versuchsreihe anführen (Fig. 4): 

Ein 2jähriger Hund wurde am 8. November 1903 in Aether- 
Morphium-Narkose operirt, der rechte Ischiadicusstamm wurde bloss¬ 
gelegt, und zwar bis unter die Theilung in den N. peroneus und 
N. tibialis. Der Peroneus wurde durchschnitten und in einen Längs- 
schlitz des Tibialis durch eine Längsnaht befestigt. Das centrak 


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Die Bedeutung der Nervenplastik für die Orthopädie. 


341 


Peroneusende wurde zurückgeschlagen, durch den Musculus biceps 
durchgezogen und an dessen medialer Seite, also in einem anderen 
Muskelinterstitium durch Nähte fixirt, um so eine spontane Ver¬ 
einigung der durchtrennten Nervenstücke zu verhindern (nach Bethe). 
Heilung per primam. Durch 3 Wochen Gebrauchsunfähigkeit des 
Beines, darauf vorsichtige Bewegungen, die Streckmusculatur des 
Fusses fühlt sich schlaff an, ist fiiradisch nur mit stärksten Strömen 


erregbar. Streckbewegungen wer¬ 
den nicht ausgeführt. Der Zustand 
bessert sich zusehends. Am 4. Fe¬ 
bruar, also nach 3 Monaten, wurde 
bei dem Hunde auch am rechten 
linken Hinterbeine eine Plastik 
vorgenommen. Der Hund war jetzt 
gezwungen, auf dem erst operirten 
Beine zu gehen. Er hob die Pfote 
ebenso wie andere Hunde. Am 
17. März, also nach 4^/ä Monaten, 
war auch der Tonus in den Streck¬ 
muskeln wieder zurückgekehrt, sie 
fühlten sich so hart wie die der 
anderen Beine an. 

Die Stelle der Plastik wird 


Fig. 4. 

central 



peripher 


frei gelegt, in einer Fettmasse 

eingebettet lag der N. ischiadicus, von der Stelle der Plastik sah 
man den Tibialis und aus diesem heraus aus einer knopfartigen 
Auftreibung, den N. peroneus ziehen. Ca. 4 cm höher liegt der 
iimgeschlagene, durch den M. biceps gehende centrale Peroneustheil. 
Die Nervenverheilung ist also anatomisch sicher gestellt, von einer 
Verbindung mit dem centralen Peroneustheil keine Rede. 

Die Nerven werden isolirt und in folgender Reihenfolge gereizt 
(s. Fig. 4): 

1. Auf elektrisch-galvanische und mechanische Reizung des 
Ischiadicusstammes, central der Narbe bei A: Zucken im Peroneus- 
und Tibialisgebiet. 

2. Auf Reizung des Tibialisstammes central der Narbe bei B: 
Zucken im Peroneus- und Tibialisgebiet. 

3. Reizung des Tibialisstammes peripher der Narbe bei C\ 
Zuckung ira Tibialisgebiet (leichtes Mitzucken im Peroneusgebiet). 


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Hans Spitzy« 


4. Reizung des Peroneusstammes peripher der Narbe bei D: 
Zuckung im Peroneusgebiet. 

Darauf Durchschneidung des N. tibialis, ca. 1 cm peripher der 
Nahtstelle bei C. 

5. Reizung des Ischiadicus bei .4, oder Tibialis bei B central 
der Narbe ruft nur Zuckung im Peroneusgebiet hervor, das Tibialis- 
gebiet ist unbeweglich. 

6. Reizung des peripheren Stumpfes des N. tibialis bei C ruft 
Zuckung im Tibialisgebiet ohne Mitbewegung des Peroneusgebietes 
hervor. 

Durch diese Anordnung ist jede Zweideutigkeit oder die Mög¬ 
lichkeit einer Neurotisation durch Nervenverbindungen, tbeils vom 
centralen Stumpf, theils peripher der Naht vom intacten Nerven aus 
ausgeschlossen. 

Nun wurden die Nerven an der Stelle der Plastik einige Centi- 
meter peripher und central derselben abgetrennt, und in physio¬ 
logischer Spannung fixirt, um zu histologischer Untersuchung ver¬ 
wendet zu werden. 

Die Präparate wurden in Zenkerlösung gehärtet, in Paraffin 
eingebettet, nach Pal gefärbt und zum Zwecke von Uebersichts- 
präparaten ziemlich dick geschnitten. Die Schwierigkeit besteht 
hauptsächlich darin, dass die verschiedenen Theile in verschiedenen 
Ebenen liegen, es also auch unter einer grossen Anzahl von Schnitten 
schwer ist, solche auszulesen, auf welchen die in Frage stehenden 
Objecte auf weitere Strecken verfolgt werden können. Taf. I, 1, 2, 3, 
Taf. II, 4 zeigen Mikrophotogramme, aus welchen ersichtlich ist, 
dass eine anatomische Verheilung des implantirten N. peroneus in 
den N. tibialis an gewünschter Stelle stattgefunden hat. Auch das 
Bestehen von bereits regenerirten functionstücbtigen Fasern im peri¬ 
pheren Peroneustheil resultirt daraus, wie auch insbesonders aus 
Taf. II, 5, auf welcher man ein directes üebergehen von Faserzügen 
aus einem Nerven in den anderen beobachten kann. 

Das Bindegewebe ist ungefärbt. 

Schöner und reiner bieten sich noch die Bilder einer später 
vorgenommenen Implantation des N. tib. in den N. peroneus. Die 
ebenso behandelten Präparate wurden auch nach Weigert-Pal ge¬ 
färbt, Celloidineinbettung und sehr dünn geschnitten. 

Wieder der Beweis der Einheilung an gewünschter Stelle (es 
ist noch der Seidenfaden sichtbar), von der Nahtstelle ziehen schräg 


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Die Bedeutung der Nervenplaatik für die Orthopädie. 


343 


Fasern in den implantirten Tibialisstumpf, es sind noch reichliche, 
schollig zerfallene Achsencylinder da, aber in der ganzen Breite 
(Textfig. 5—8) bereits neue Achsencylinder, die alle ihren Weg 
schräg zum bahngebenden Peroneus nehmen. Der Stamm des N. 
peroneus bat durch die Operation wenig gelitten. Die peripher der 
Narbe gelegenen Fasern sind etwas blässer, es sind aber wenig 
degenerirte Fasern zu finden. 

Ich glaube, gegen dieses Versuchskriterium wird auch nach 
Manasse nichts einzuwenden sein. 

Wenn man auch Schede’s Warnung beherzigt, dass „die 
Thierexperimente nicht ohne weiteres auf den Menschen zu über¬ 
tragen sind, da das allgemeine Gesetz, dass das Regenerationsver- 
mögen mit der höheren Entwickelung der Thiere stufenweise ab¬ 
nimmt,“ sich auch hier wiederholt, so sind wir doch nicht nur 
berechtigt, sondern sogar fast verpfiichtet, nach diesen Chancen 
immer vorerst die Neurotisation zu versuchen, bevor wir bei einer 
Sehnenplastik die gelähmten Muskeln ganz ausschalten. 

Damit ist auch die Indicationsstellung zur Vornahme eines 
Versuches der Nervenplastik gegeben: Die Nervenplastik ist als 
ultimum refugiura zu versuchen: 1. bei alten Facialislähmungen, 
nachdem die anderen Hilfsmittel der Wiederbelebung versagt und 
die Zeit einer noch möglichen spontanen Regeneration verstrichen 
ist. 2. Vor einer eingreifenden Sehnenplastik, bei der grössere ge¬ 
lähmte Muskelbezirke ganz bei Seite geschoben und endgültig auf¬ 
gegeben werden, und andere intacte durch Abspaltung geschwächt 
werden — vorausgesetzt, dass die übrigen Umstände ein Zu warten 
bis zum Regenerationstermin gestatten. 

Das grösste Fragezeichen bei diesem Thema ist nach meiner 
Ansicht die Technik der Nervenplastik. 

Die Ursache des scheinbar grundlosen Schwankens der Resul¬ 
tate bei gleichscheinenden Prämissen ist jedenfalls häufig hier zu 
suchen. Alle bisher geübten Methoden unterscheiden sich nicht 
wesentlich von den bei der Sehnenplastik geübten (beiderseitige 
Trennung, Verbindung mit directer Naht oder eventuell Aneinander¬ 
legung, Durchknüpfung etc., Abspaltung der Sehnenzipfeln etc.), 
und doch haben wir es hier mit einem viel empfindlicheren Substrat 
zu thun, nicht mit blossen Verbindungsstücken oder -Theilen mecha¬ 
nischer Systeme, sondern wir haben feine Leitungseinheiten vor uns 
mit Functionen, deren Art und Weise uns noch vielfach unbekannt 


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344 


Hans Spitzy. 


ist. Ein möglichst subtiles Vorgehen, eine möglichst peinliche 
Schonung alles intacten Materiales ist dringendst geboten. Wenn 
schon überall, so ist besonders hier der alte Satz an die Spitze aller 
Vorschriften zu stellen: Nil nocere. 

Die Erfolge sind ja nicht sicher, wir dürfen also nichts Tom 
Bestehenden, Guten riskiren. 


Fig. 5. 



Filrbuiig: \Veigert*Pal. Reioliert Obj. 3. V«!igrösserung 45. 

Wenn wir nach diesen Gesichtspunkten die bisher angeschlagenen 
Methoden einer Kritik unterziehen, so ergibt sich daraus folgendes: 

Die von Letievant vorgeschlagene Methode ist wegen der 
damit seiner Meinung nach nöthigen Anfrischung und der damit 
verbundenen Preisgabe einer grossen Anzahl von intacten Nerven- 
wegen nicht zu empfehlen, besonders da über die topographische 
Anordnung der einzelnen Bahnen im Areale der Hauptstämme zu 
wenig bekannt ist und man gar nicht weiss, ob der Anfrischungs- 
achnitt nicht wichtige Nervenleitungen trifft. 


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Die Bedeutung der Nervenplastik für die Orthopädie. 


345 


Manasse näht den Facialis ohne Anfrischung seitlich an den 
Accessorius und es erfolgt eine anatomisch nachgewiesene Verbin- 
dang der Achsencylinder beider Nerven. 

Dieselbe Methode beobachtete Körte, als er den N. facialis 
an den Hypoglossus legte. Bezüglich der Nahtführung siehe weiter 
unten. 

Fig. 6. 



Färbung: Weigert-Pal. Reichert OV)j. 3, Vergrösserung 45. 


Als wenig verletzend fand ich bei Thierversuchen die Implan¬ 
tation eines peripheren Nervenstückes in einen Längsschlitz eines 
benachbarten; die Fasern des bahngebenden Nerven können stumpf 
zum Auseinanderweichen gebracht werden, um ja eine zu grosse 
Zerstörung zu vermeiden. Anfassen mit Pincetten, sowie jede 
Quetschung oder Zerrung ist zu meiden. 

Desprös operirte nach dieser Methode mit ziemlich gutem 
Erfolge. 

Der Schlitz muss natürlich längsverlaufend parallel zur 
Nervenfaserung gehen und nicht wie beim Falle von Dumstrey, 

Zeitschrift fOr orthopädische Chirurgie. XIII. Bd. 23 


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Hans Spitzy. 


der den bahngebenden Nerven schräg anschnitt und ausserdem den 
Stumpf des implantirten Nerven durch eine quere Naht in dem 
Schlitze fixirte (nach der der Arbeit beigegebenen Zeichnung’). 

Die Nähte müssen alle längs gelegt und locker geknüpft sein. 
Quer geknüpfte Fixirungsschlingen schnüren die dazwischen geratbenen 
Achsencylinder ab und ziehen bei der grossen Empfindlichkeit der 


Fig. 7. 



Färbung: VVeigert-Pal. Reichert Obj. 3. Vergrösserung 45. 


Nervenelemente gegen Druck Leitungsunfähigkeit und die typischen 
Degenerationsvorgänge nach sich. Nach vier von mir diesbezüglich 
angestellten Thierversuchen bewährt sich die Einknüpfung eines 
peripheren Stumpfes in einen Längsschnitt durch eine Längsnaht 
ganz vorzüglich; eine Schädigung des bahngebenden Nerven war nie 
zu bemerken. 

Principiell von dieser Methode verschieden ist die von Sick, 
Sänger, Hackenbruch geübte Lappenbildung. Sie spalten vom 
benachbarten intacten Nerven bandartige Lappen mit centralwärts 


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Die Bedeutung der Nervenplastik für die Orthopädie. 347 

gelegener Basis ab und implantiren diese in den gelähmten Nerven. 
Die Erfolge sind zweifellos gute; wenn durchführbar, so hat diese 
Methode gewiss viel Aussichten für sich. Der centrale Lappen steht 
auch nach den neueren Auffassungen der Regeneration unter gün¬ 
stigeren Lebens- bezw. Regenerationsverhältnissen und ausserdem 
wird der bahnsuchende, gelähmte Nerv in seiner ihn ernährenden 
Umgebung belassen. 

Fig. 8. 



Färbung: Weigert-Pal. Reichert Obj. 3. Vergrösserung 46. 


Es ist jedoch nicht immer möglich, diesen Weg zu wählen: 
Nehmen wir an, es handle sich um zwei Nerven, von welchen der 
eine gelähmt ist; beide jedoch haben wichtige Muskelgruppen zu 
versorgen. Da wäre es doch ein gewagtes Unternehmen, von dem 
gesunden einen Theil abzuspalten und damit den gelähmten neuroti- 
siren zu suchen. Schlägt der Versuch fehl, so hat man das Läh- 
mungsgebiet beträchtlich erweitert, denn die Ansicht Hacken- 
bruch's, dass bei motorischen Nerven, wenn man einen Theil 
wegnimmt, die innervirten Muskelgruppen keinen grossen Schaden 


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348 


Hans Spitzy. 


leiden, möchte ich doch nicht ohne weiteres unterschreiben, wenig¬ 
stens nicht, bevor man über die Lagerung der einzelnen Fibrillen 
genauer orientirt ist. Eine supponirte Peroneuslähmung bei intactem 
Tibialis vermag obige Annahme zu illustriren. 

Ueber Werth und Wahl dieser concurrirenden Methoden wäre 
ungefähr folgendermassen zu bestimmen: 

Liegt in der Nachbarschaft der gelähmten neu zu bahnenden 
Nerven ein weniger wichtiger, motorischer Nerv, auf dessen Muskel¬ 
gebiet man im gegebenen Falle zur Noth verzichten könnte, so ist 
ein centraler, möglichst grosser Lappen von diesem zur Implanta¬ 
tion in den gelähmten zu verwenden (centrale Implantation 
[Fig. 3]: Facialis-Accessorius, Cruralis-Obturatorius, Obturatorios- 
Ischiadicus). 

Liegen jedoch in erreichbarer Nähe nur andere, ebenso wich¬ 
tige Nerven, so ist die Einpfropfung des peripheren Stückes des 
abgeschnittenen bahnsuchenden Nerven in einen Längsschlitz des 
bahngebenden Nerven vorzuziehen (periphere Implantation 
[Fig. 2]: Tibialis-Peroneus, Medianus-Ulnaris). 

Vielleicht wird die Vervollkommnung der Technik im Stande 
sein, die Möglichkeitsvariationen zu mehren, vorläufig wird man gut 
daran thun, sich an diesen Numerus clausus zu halten. 

Ein Wort wäre noch über die Ausführung der Naht selbst 
hinzuzufügen. Dass circuläre Nähte absolut auszuschliessen sind, 
wurde bereits erwähnt, im übrigen ist die paraneurotische Naht, die 
das Nervenmaterial am meisten schont, vorzuziehen, doch darf um 
ihren Preis die genaueste Adaptirung der zu vereinigenden Flächen 
nicht beeinträchtigt werden, eher soll man zu nicht zu fest ge¬ 
knüpften, durch den Nerven selbst gezogenen Längsnähten greifen. 
Nähmaterial: Catgut oder auch feine Seide. 

Der weitere natürlich prima conditione aseptische Wundverlauf 
ist wie bei anderen Nervennähten, die Nahtstelle ist durch ent¬ 
sprechende Lagerung und Verbandtechnik vor jeder Zerrung (acti? 
und passiv) sorglich zu behüten. 

Am Status wird sich, wie bei einer sonstigen primären oder 
secundären Nervennaht, in den ersten Monaten wenig ändern. Bei 
Kaninchen nach 2 Monaten, bei Hunden nach 3 Monaten, begann 
sich die active Beweglichkeit in den ausgeschalteten Muskelgruppen 
bei meinem Thierversuche einzustellen. Beim Menschen erfolgt sie 
oft erst nach mehreren bis zu 8 Monaten (Hackenbruch). Zu- 


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Die Bedeatang der Nervenplastik für die Orthopädie. 


349 


erst scheint sich die sensible Sphäre zu regeneriren, das Gefühl kehrt 
unter parästhetischen Begleiterscheinungen wieder zurück, doch ist 
ilir IBrscheinen noch kein Kriterium für den positiven Ausgang des 
Falles; denn 

1. verhalten sich nach Schede die einzelnen Sensibilitäts¬ 
qualitäten zu verschieden, um hier eine genaue eindeutige Prüfung 
durchführen zu können; 

2. scheinen gerade zwischen den sensiblen Nervenendigungen 
weitverzweigte Verbindungsnetze zu bestehen, so dass oft auch nach 
vollkommener Zerstörung einer Nervenbahn sein Sensibilitätsbezirk 
nur unbedeutend oder wenigstens doch nicht seinem Verbreitungs¬ 
gebiete entsprechend eingeschränkt erscheint; diese oft beobachtete 
Thatsache (sensibilit^ souple nach Ldtievant) wurde theils durch 
Miterschütterung benachbarter Tastkörperchen (Ldtievant), theils 
durch Versorgung der coUateralen Nervenzüge erklärt (Siegmund 
Ma yer, v. Bruns), die analog den coUateralen Blutgefässen die 
Nervenstämme begleiten, oder aber man führt sie auf die Ueber- 
nahme der wichtigsten Functionen (trophische und sensible) durch 
benachbarte Nerven zurück, entweder dass von diesen Zweige und 
Sprossen in das gelähmte Gebiet hinein wachsen (Schuch) oder aber 
die bereits vorhandenen feinsten Anastomosen zwischen den Nerven¬ 
enden zur Reizleitung ausgenützt werden. Besonders beim N. ulnaris 
und medianus, an deren sensible Functionen bei der Versorgung 
der Palma und der Fingerspitzen die grössten Anforderungen ge¬ 
stellt werden, wurde die vicariirende Sensibilität häufig beobachtet. 

Nur die Wiederkehr der Motilität ist für die gelungene ana¬ 
tomische und physiologische Heilung beweisend. 

Die von Lätievant angegebene Motilite souple wird viel¬ 
fach angezweifelt und wird wohl theils in Beobachtungsfehlern, theils 
in gezwungener Anpassung der noch intacten, von anderen Nerven 
versorgten Muskeln ihren Grund haben. An diese werden natür¬ 
lich vermehrte Anforderungen herantreten, sie wissen sich oft so 
gut mit der neuen Aufgabe abzufinden, dass sie ein Wieder er wachen 
der erloschenen Beweglichkeit der gelähmten Bewegungssysteme vor¬ 
zutäuschen im Stande sind (Bardenheuer). 

Eine principielle Frage drängt noch zur Kritik. In welchem 
Zeitpunkt ist die Nervenplastik vorzunehmen, oder besser, bis zu 
welchem Zeitpunkt soll damit bei bestimmten Fällen gewartet wer¬ 
den? Es ist durchsichtig, dass ich damit hauptsächlich auf spinale 


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350 


Hans Spitzj. 


Kinderlähmungen oder ähnliche Lähmungen mit mehr centraler LocaU- 
sation abziele. Dass man bei Verletzungen sofort die primäre Naht 
bei gröberen Substanz?erlusten die übrigen Plastikmethoden und erst 
bei Unmöglichkeit dieser Vorschläge sich auf eine Nervenpfropfong 
einlassen wird, ist ohnehin klar. 

Aehnlich liegen die Verhältnisse bei alten Lähmungen, peri¬ 
pher-traumatischer Natur. Die secundäre Nabt ist jedenfalls zu 
versuchen, da sie auch nach jahrelanger Leitungsunterbrechung doch 
Functions Wiederherstellung zu bewirken vermag (Kennedy). Bei 
Leitungsunterbrechungen, bei welchen die Läsionsstelle nicht za- 
gänglich ist, wie oft bei Facialislähmung, gelten dieselben Grund¬ 
sätze wie bei Lähmungen mit centraler Läsionslocalisation. Bei 
diesen, sowohl bei spinalen, wie bei cerebralen Lähmungen ist mit 
der Nervenplastik nicht früher vorzugehen, als alle übrigen Methoden 
der Wegsammachung erschöpft sind und besonders ist es nothwendig, 
zuzuwarten, bis die solchen Attaquen folgende Periode der Spontan¬ 
regeneration aufhört. Bei der spinalen Kinderlähmung pflegt sich 
das Lähmungsgebiet im Verlaufe eines halben Jahres auf seinen 
Dauerbezirk einzugrenzen, —1 Jahr nach erfolgter Attaque wird 
man den Versuch der Nervenplastik machen dürfen; bleibt der Er¬ 
folg aus, oder ist er unvollkommen, so haben wir in den Methoden 
der Sehnenplastik immer noch ein Mittel, das Fehlende zu ersetzen 
oder zu verbessern, insbesondere um eventuell restirende Uebcr- 
dehnung oder mangelhaften Tonus zu corrigiren. 

Den Muskeln selbst wohnt eine kolossale Regenerationskraft 
inne, nach Monaten, nach Jahren können sie sich wieder entfalten; 
erst kürzlich sind mir auszugsweise Koch's Studien über dieses 
Thema bekannt geworden. Nach seinen Untersuchungen ist der 
fettige Zerfall der Muskelsubstanz kein durchgehender, sondern nur 
heerdweise auftretend, dabei findet überall eine reichliche R^enera- 
tion von neuen Fasern statt, so dass eine Wiederaufnahme seiner 
Functionen nach Regeneration der Nervenendapparate im Muskel 
sehr wohl denkbar ist. Tbatsächlich erfolgte im Falle Hacken- 
bruch’s nach 8 Jahre bestehender Lähmung eine Wiederbelebung 
der Musculatur durch die Einpfropfung functionstüchtiger Nerven¬ 
bahnen. Der Neurologie ist es längst bekannt, dass auch Muskeln, 
die bereits lange hindurch typische Entartungsreaction zeigten, ge¬ 
legentlich auch spontan wieder zu normaler Thätigkeit erwachen 
können, wenn ihr nervöser Zusammenhang mit dem Centrum wieder 


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Die Bedeutung der Nervenplastik für die Orthopädie. 


351 


hergestellt wird. Eine Grenze nach oben ist also kaum anzugeben, 
der Versuch ist auch bei desperat aussehenden Fällen langbestandener 
Lähmung in Anbetracht des doch möglicherweise winkenden Er¬ 
folges jedenfalls zu machen, besonders wenn man dabei die Norm 
vor Äugen hält, durch den EingriflF nichts zu riskiren. 

Cerebral sitzende Processe werden ohnehin eine geringere Elolle 
spielen, da sie meist entweder grössere Gruppen von Bewegungs¬ 
systemen, grössere Körperabschnitte betreffen, oder mehr durch den 
Defect von ganzen Bewegungstypen, als durch den Ausfall be¬ 
stimmter, von einzelnen Nerven versorgter Muskeln gekennzeichnet 
sind. So sehen wir häufig, dass gerade bei der cerebralen Hemi¬ 
parese gewisse coordinirte Bewegungstypen eine empfindliche Ein¬ 
busse in ihrer Executionsweite erlangen, Gruppen von Bewegungen, 
die von Muskeln ausgeführt werden, die von anatomisch ganz ver¬ 
schiedenen Nervenstämmen versorgt werden. So schildert uns Mann 
das häufige Betroflfensein jenes Muskelcomplexes, der die Auswärts¬ 
rollung des Armes bewirkt, sowohl die Hand mit dem Unterarm 
wie Oberarm sind in dieser Excursion gehemmt, auch der Schluss 
der Auswärtsrollung, die Annäherung des Schulterblattes an die 
Wirbelsäule ist unmöglich, es ist also „der ganze Mechanismus in 
toto gelähmt" oder geschädigt. Ebenso ist die Fingerbeugung mit 
Dorsalfiexion der Hand, wie die Fingerstreckung mit der Palmar- 
fiexion coordinirt. Für diese Art der Lähmungen wird ja nun in 
der Neuroplastik kein grosser Heilfactor liegen, hier erreichen wir 
mehr durch constant fortgesetzte üebungstherapien, durch Aus¬ 
schleifung neuer Bahnen und können auf diese allerdings etwas 
mühsame Weise die Neuanbildung oder Vermehrung der Kerne dieser 
Bewegungscomplexe anstreben. 

Für die Lähmungen des cerebralen Typus sinken die Chancen 
allerdings durch diese Beobachtungen, in gleichem Maasse steigen 
sie für alle anderen Typen. Wenn die motorischen Centren im 
Cerebrum nicht nach den einzelnen Muskelactionen, sondern nach 
Bewegungsgruppen geordnet sind (Hering), so sind ja dadurch viel 
mehr Wege, zu ihnen zu kommen, geöffnet. Wenn'ohnehin zur Er¬ 
reichung einer intendirten Bewegung die von einem Punkte der 
Hirnrinde ausgehenden Bewegungsimpulse oft in verschiedenen oder 
meist in antagonistischen Nervenstämmen ihren Weg nehmen müssen, 
80 wird sich der Organismus auch leichter an eine Veränderung 
oder Vertauschung dieser Bahn accommodiren können. Die Beob- 


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Tafel I. 



Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XIII, Bd. 







352 


Hans Spitzy. 


achtung Cunningham’s, dass nach Vertauschung antagonistisch 
wirkender Nerven die Coordination in den Bewegungscomplexen jener 
von diesen Nerven versorgten Muskeln schwindet, ist danach Ter- 
ständlich, doch flir ebenso sicher halte ich es, dass sie wiederkehrt, 
sie muss eben neu eingeübt werden, wie von Anfang an; wenn ein 
Hund, dem Medianus und Radialis vertauscht wurden, nicht mehr 
nach erfolgter Heilung die Pfote geben kann, trotzdem die einzelnen 
Muskelbewegungen ausführbar sind, so wird dieser Bewegnngs- 
complex jedenfalls wieder central neu angebahnt werden können. 
Bei meinen sämmtlichen an den Hinterpfoten operirten Hunden war 
die diesbezügliche Beobachtungsreihe folgende: 

Anfänglich hielt der Hund das Hinterbein immer aufgezogen 
und lief auf den übrigen dreien. Nach ca. 4 Wochen begann er 
es aufzustellen, zog es aber noch etwas ungeschickt nach, in ver¬ 
schiedener Haltung, je nachdem die Beuger oder Strecker erhalten 
waren. Nach weiteren 4 Wochen begann er es beim Laufen zu be¬ 
nützen, es wurde noch nicht so schön gehoben wie das andere, doch 
dies besserte sich zusehends, besonders als ich Ende des dritten 
Monats auch am linken Hinterbeine operirte und er jetzt gezwungen 
war, das rechte ausschliesslich durch längere Zeit zu gebrauchen. 
Nach dem vierten Monate konnte ich keinen Unterschied gegen die 
sonstigen üblichen Hundebewegungen bemerken. 

Der aus dem Studium der Wirkung der Complexcentren zu 
ziehende Schluss ist weniger der, die Bindung oder Kreuzung ant¬ 
agonistischer Nerven zu meiden, als vielmehr solche Nervencombina- 
tionen zu unterlassen, die gar keine Bewegungscomplexe gemeinsam 
haben. 

Dass es schwer zu einer Functionsübertragung oder Functions- 
cumulation zwischen Hypoglossus und Vagus kommen kann und 
dass daraus die Seltenheit und die grosse Verschiedenheit im Grade 
des Erfolges erhellt, ist eigentlich ganz natürlich, dass es doch ge¬ 
legentlich geht, zeugt nur von den wunderbaren Gommunications- 
systemen im Centralorgan und ihrer Ausbildungsfahigkeit; dass bei 
Vertauschung von einfachen motorischen und von solchen Nerven, 
die rhythmische Bewegungen innerviren, der Rhythmus verloren geht, 
ist ohne weiteres klar (Vagus hypoglossus sympath. hyp.). 

Bei den Operationen, die beim Menschen in Frage kämen, 
handelt es sich ohnehin fast immer um functionsverwandte Nerven, 
synergetische Combinationen verdienen natürlich immer den Vorzug 


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Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XIII, Bd. 







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Die Bedeutung der Nervenplastik für die Orthopädie. 353 

Doch werden wir es nach Obigem nicht ablehnen, auch antago¬ 
nistische Kervenstamme zu binden, besonders wenn es aus topo¬ 
graphischen Gründen so leichter und sicherer auszuführen ist. 


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Die Bedeutunfi^ der Nervenplastik für die Orthopädie. 


355 


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Mann, üeber das Wesen und die Entstehung der hemiplegischen Contractur 
Monatsschr. f. Psychiatr. u. Neurolog. Bd. 4. 

Vor der Drucklegung dieser Arbeit kam mir noch eine Arbeit 
zur Kenntniss von 

Frank E. Peckham, Providence, R. J., Nerve grafting. The Providenc: 
Med. Joum. 1900, 1, 

über zwei gelungene Fälle von Nervenplastik. 


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XXII. 


lieber einen Fall von veralteter snpracondylärer 
Femnrfractnr mit secnndärem Blnterknie, geheilt 
durch schiefe Osteotomie'). 

Von 

Dr. med. Ahrens^ 

Specialarzt für Chirurgie und Orthopädie in ülm. 

Meine Herren! Ich erlaube mir, Ihnen heute über einen FaU 
von Oberschenkelbruch zu berichten, welcher wegen der Seltenheit 
der dabei vorhanden gewesenen Einkeilung der Bruchenden in 
einander an der unteren Epiphyse schon allein Aufmerksamkeit 
verdient, um so interessanter aber noch wird, als infolge einer 
schlechten Heilung dieser Fractur ein richtiges Bluterknie entsteht, 
welches nach längerem Bestehen durch Fortnahme seiner Entstehungs¬ 
ursache durch eine Operation beseitigt wird. 

Ich gehe gleich zur Krankengeschichte über: 

Im October 1902 wurde ich zu einem 28jährigen Hausknecht 
geholt wegen einer stark schmerzhaften Anschwellung des linken 
Kniegelenks. Derselbe stammt aus gesunder Familie und ist sonst 
nie ernstlich krank gewesen. Am 17. Februar 1902 fiel ihm im 
Lagerkeller ein 300 1 haltendes volles Spiritusfass, welches von einer 
steilen Treppe mit dem Kopf voran aus einer Höhe von ca. 3 m 
herunterrutscbte, gegen seinen linken Oberschenkel, diesen gegen 
die Kellermauer pressend. Patient kam nicht zu Fall, sondern hielt 
sich an einem Lattenverschlag aufrecht. Als er, nachdem herbei¬ 
geeilte Leute das Fass von seinem Bein entfernt hatten, aber anf- 
treten wollte, verspürte er einen heftigen Schmerz im linken Ober¬ 
schenkel und getraute sich deshalb nicht, seinen Fuss fest aufzusetzen. 
Er wurde aus dem Keller hinaufgetragen, dachte aber nicht daran, 

Vortrag, gehalten auf dem III. Congress der Deutschen Gesellschaft 
für orthopädische Chirurgie am 5. April 1904. 


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üeber einen Fall von veralteter supracondylärer Femurfractur etc. 357 

dass sein Bein gebrochen wäre, sondern meinte, nur eine starke 
Quetschung erlitten zu haben, da die Knochen scheinbar fest zu¬ 
sammen geblieben waren und auch eine geringe Belastung, soweit es 
die Schmerzhaftigkeit erlaubte, gestatteten. Der gleich zu Rathe ge¬ 
zogene praktische Arzt hielt die Verletzung, wohl aus denselben 
Gründen, gleichfalls nur fQr eine Quetschung, verordnete Bleiwasser¬ 
umschläge und fing der starken Schwellung wegen gleich mit Massage 
an, welcher er von Anfang an passive Bewegungen im Kniegelenk 
hinzufügte. Ein fixirender Verband .wurde nicht angelegt. Bereits 
nach 3 Wochen stand Patient wieder auf und machte vorsichtige 
Gehversuche. Wenn er dabei auch noch heftige Schmerzen ver¬ 
spürte, so trug doch jetzt schon das verletzte Bein wieder die Last 
des Körpers. Weitere 10 Wochen bis zum Ablauf der Kranken- 
kassenbebandlung wurde er täglich massirt und passiv bewegt. 
Während dieser Zeit traten schon — etwa 10 Wochen nach dem 
Unfall zum erstenmal — ganz plötzlich nach längerem Oehen ohne 
jede ersichtliche Ursache sehr heftige mit starker Anschwellung des¬ 
selben verbundene Schmerzanfälle im linken Kniegelenk auf, welche 
eine sofortige Bettlägrigkeit erforderten. Erst nach 3 Tagen war 
das Knie wieder abgeschwollen, wieder annähernd normal configurirt, 
und waren die Schmerzen abgeklungen. 

Von der Zeit an wiederholten sich solche Anfälle regelmässig 
etwa alle 14 Tage, sowohl hier in Ulm, als auch in einem aus¬ 
wärtigen Institut, wohin Patient nach Ablauf von 13 Wochen von 
seiner Berufsgenossenschaft zur medico-mechanischen Nachbehandlung 
geschickt wurde. Nach 11 wöchentlicher Behandlung wurde Patient 
mit 50 ®/oiger Rente dort entlassen, aber es wiederholten sich auch hier 
wieder ca. alle 14 Tage die schmerzhaften Gelenkanschwellungen, 
und in einem solchen Anfall Hess mich der Patient rufen. 

Ich fand einen jungen kräftigen Mann von gesunder Gesichts¬ 
farbe. Das linke Kniegelenk war durch einen intraarticulären Er¬ 
guss stark angeschwollen und gespannt; es war weder geröthet, noch 
druckempfindlich, noch fühlte es sich heiss an. Fieber war nicht 
vorhanden. Das Bein hatte starke 0-Beinstellung und war um 
3^2 cm verkürzt, der Oberschenkel war oberhalb der Kniescheibe 
erhebHch verdickt. Der Unterschenkel konnte nur wenig gebeugt 
werden, aber auch die Streckung war nicht vollständig möglich. 
Aus diesen Symptomen ergab sich die Diagnose „schlecht geheilte 
Oberschenkelfractur“ ja sofort; wie erklärten sich aber die Folge- 


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358 


Ahrens. 


Zustände, die häufigen ohne jeden besonderen Anlass auftret^ndeD 
Gelenkexsudationen? Zuerst dachte ich, worauf man wohl am ersten 
verfallen musste, an die Absprengung eines Knochen- oder Knorpel- 
sttickes von einem der Gelenkenden und hielt die Anfälle für Ein¬ 
klemmungserscheinungen einer Gelenkmaus, dachte aber sogleich 
auch an die Möglichkeit eines Bluterkniees und stellte meine dies¬ 
bezüglichen Fragen, auf welche der Patient antwortete, dass er sich 
früher viele Zähne hätte ausziehen lassen und immer 3—4 Stunden 
dabei nachgeblutet hätte; jeder kleinste Riss oder Schnitt wäre 
immer von einer erst mit Mühe zu stillenden Blutung gefolgt gewesen. 
In seiner Familie wäre keine Bluterkrankheit, so viel er wisse, vor¬ 
handen gewesen, sein Vater wäre mit 40 Jahren an einer Lungen¬ 
entzündung, seine Mutter in gleichem Alter an einem Herzleiden 
gestorben. Kinder hätte er nicht. Noch am selben Abend punktirte 
ich zur Sicherstellung meiner Wahrscheinlichkeitsdiagnose , Bluter¬ 
knie“ das Gelenk und entleerte durch einen Trocar etwa eine Tasse 
voll fiüssigen Blutes. Damit war meine Vermuthung bestätigt. Die 
Ursache für diese erste ernstere Manifestation der Hämophilie sich 
zu erklären, war nicht schwer: Durch die Einkeilung des (merk¬ 
würdigerweise) unteren dickeren in das obere dünnere Fragment, welche 
Sie deutlich auf diesem Röntgenbilde hier sehen, hatte sich neben der 
Verkürzung und 0-Beinstellung des Beines eine starke Knochen¬ 
verdickung an der Einkeilungsstelle oberhalb des Kniegelenks heraus¬ 
gestellt, welche auf die kleinsten Venen der Synovialmembran stauend 
wirkte und es bei der grösseren Durchlässigkeit der letzteren und der 
hämophilen Constitution des Verletzten leicht zur Diapedese kommen liess. 

Ich machte nun zunächst immobilisirende Gompressions- und 
Gipsverbände und entschloss mich, als es unter dieser Ruhekur nach 
V 2 Jahr nicht wieder zur Blutung ins Gelenk gekommen, die Hämo¬ 
philie also nicht eine sehr hochgradige war, so dass ich wohl, ohne 
einen Exitus durch Verblutung zu riskiren, eine wenig eingreifende 
Operation wagen konnte, die schiefe Osteotomie des Oberschenkels 
an der Stelle der eingekeilten Fractur vorzunehmen, um 1. durch 
Herunterziehen des unteren an dem oberen Fragment die Knochen- 
verdickung zu vermindern und damit die Stauung als Ursache der 
Blutungen in dem Gelenk fortzunehmen, um 2. die Verkürzung des 
Beines auszugleichen, um 3. die 0-Beinstellung und um 4. eine durch 
Dislocatio ad axin entstandene Beugestellung des Kniegelenks zu 
corrigiren. 


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üeber einen Fall von veralteter supracondylärer Femurfractar etc. 359 

Die Osteotomie wurde auf dem Schede’schen Extensionstisch 
gemacht, die Knochenenden stark an einander vorbei gezogen und 
die starke Extension des Beines durch einen gut anmodellirten Gips¬ 
verband aufrecht erhalten und hierdurch der Erfolg erzielt, dass nach 
6 Wochen bei fester Knochenconsolidation die Verkürzung bis auf 
1 cm ausgeglichen und die O-Bein- und Beugestellung beseitigt war. 
Jetzt wurden Uebungen an Pendelapparaten gut vertragen, bald 
konnte Patient wieder ordentlich gehen, nach einigen Wochen sogar 
schon grössere Märsche von 4—5 Stunden Dauer ausführen und 
etwa ^/4 Jahr post operat. wieder eine nicht leichte Stelle als Haus¬ 
knecht annehmen und dabei jede Arbeit verrichten, ohne dass es je 
wieder — es ist seitdem über 1 Jahr verflossen — zu einer Gelenk¬ 
blutung gekommen wäre. Nur eine geringe Steifigkeit im Knie¬ 
gelenk, wohl auf Kapselschrumpfung durch die wiederholten Blut¬ 
ergüsse beruhend, Hess sich nicht ganz beseitigen, und bekommt 
Patient deshalb von seiner Berufsgenossenschaft noch eine 10®/oige 
Rente- 

Ich glaube, meine Herren, dass dieser Fall von secundärem 
Bluterknie bei dem verhältnissraässig seltenen Vorkommen von Bluter- 
knieen überhaupt, von welchen bisher aber nur die primäre essen¬ 
tielle Form bekannt war, einen interessanten Beitrag zur Casuistik 
der Bluterkniee gegeben hat und dass er deshalb besonders von prak¬ 
tischer Wichtigkeit ist, weil er lehrt, bei derartigen plötzlich auf¬ 
tretenden schmerzhaften Gelenkexsudationen unter anderem immer 
auch an das bei der Differentialdiagnose noch viel zu wenig ge¬ 
würdigte Bluterknie zu denken, damit man mit einer medicomechani- 
schen Behandlung nicht einen Misserfolg erzielt oder geradezu noch 
der Heilung entgegenarbeitet. 


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XXIII. 


Beitrag zur Frage der Coxa valga‘). 

Von 

Dr. Max DaTid-Berlin. 

Mit 4 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Seit den grundlegenden Arbeiten von £. Müller, Hofmeister 
und Kocher ist die Pathologie und Therapie der Coxa vara trotz 
des relativ kurzen Zeitraums, in dem diese Deformität die Würdi¬ 
gung der Forscher gefunden hat, so eingehend Gegenstand des 
Studiums der Chirurgen und Orthopäden gewesen, dass man wohl 
im grossen und ganzen dieses Kapitel als abgeschlossen betrachten 
darf. Die eingehende Debatte über Coxa vara auf dem vorjährigen 
Congress unserer Gesellschaft hat ja auch eine völlige üebereinstim- 
mung der pathologisch - anatomischen und klinischen Auffassungen 
der Autoren ergeben. 

Ganz im Gegensatz hierzu ist die entsprechende Valgusdefor- 
mität des Hüftgelenkes bisher wenig beachtet geblieben. In der 
Literatur finden sich nur vereinzelte Hinweise auf eine derartige 
Verbildung, ja selbst die speciellen Lehrbücher der orthopädischen 
Chirurgie erwähnen sie nur andeutungsweise. Etwas eingehender 
mit diesem Gegenstand haben sich nur wenige Autoren beschäftigt. 
Albert*) bespricht die Deformität in einer Monographie »Zur 
Lehre von der sogen. Coxa vara und Coxa valga*, Manz^) 
in einer Arbeit „Die Ursachen der statischen Schenkelhals Verbie¬ 
gung**, Hofmeister^) erwähnt in seiner reichen Casuistik einen 

') Vortrag, gehalten auf dem III. Congress der Deutschen Gesellschaft 
für orthopädische Chirurgie am 5. April 1904. 

^ E. Albert, Zur Lehre von der sogen. Coxa vara und Coxa valga. 
Wien 1899. 

*) 0. Manz^ Die Ursachen der statischen Schenkelhalsverbiegung. Bei¬ 
träge zur klin. Chir. Bd. 28 S. 29. 

*) F. Hofmeister, Coxa vara. Eine typische Schenkelhalsverbiegung. 
Beitr. z. klin. Chir. Bd. 12 S. 245. 


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Beitrag zur Frage der Coxa valga. 


361 


einzigen klinisch beobachteten Fall von Coxa valga, und Lauen¬ 
stein berichtet von 3 Fällen von vergrössertem Neigungswinkel 
des Schenkelhalses, bei denen es sich in dem einen Falle um eine 
rhachitische Verbildung handelte, während die beiden anderen Fälle 
an AmputationsstQmpfen zur Beobachtung gelangten. 

Ausserdem führt Thiem*) in seinem , Handbuch der ünfall- 
erkrankungen* einige von ihm, Bruns, König und Hoffa beob¬ 
achteten Fälle an, bei denen nach einer Fractur des Schenkelhalses 
Kopf und Hals des Femur sich aufgerichtet haben und derart zur 
WiederTereinigung gelangten, dass Kopf, Hals und Schaft mehr oder 
weniger annähernd eine gerade Linie mit einander bilden, und in 
der neuesten Auflage seines , Lehrbuches der Fracturen und Luxa¬ 
tionen“ reproducirt auch Hoffa^) selber einen Fall von Coxa valga 
traumatica, die durch Aufrichtung des Kopfes nach Fractur des 
Schenkelhalses entstanden ist. 

Unter normalen Verhältnissen bilden Kopf und Hals mit dem 
Schaft des Femur einen Winkel von ca. 125®, den Mikulicz den 
Neigungswinkel benannt hat. 

Alsberg^) hat sich bemüht, eine präcisere Bestimmung des 
Winkels zu treffen. Bei der Mittelstellung des Hüftgelenkes ver¬ 
läuft eine durch die Basis der überknorpelten Schenkelkopffläche 
gelegte Ebene annähernd parallel der äusseren Pfannenapertur. Eine 
Linie dieser Ebene, die die Längsachse des Oberschenkelschaftes 
schneidet, bildet mit derselben einen Winkel, welcher in der Norm 
41® beträgt. Diesen Winkel hat Alsberg „Richtungswinkel be¬ 
nannt. 

Derselbe ist (ich halte mich hier an den Wortlaut des Hoffa¬ 
schen Lehrbuches) ziemlich grossen individuellen Schwankungen unter¬ 
worfen, dürfte aber selbst bei den Extremen des Normalen nicht 
unter 29® herabgehen und nicht über 51® steigen. Ein vergrösserter 
Richtungswinkel bedeutet eine Abductionsstellung des Oberschenkels 
bei Mittelstellung der Oelenkfläcben zu einander, also Coxa valga, 


*) C. Lauenstein, Bemerkungen zu dem Neigungswinkel des Schenkel¬ 
halses. Arch. f. klin. Chir. Bd. 40 S. 248. 

*) C. Thiem, Handbuch der Unfallerkrankungen 1898, S. 225. 

A. Hoffa, Lehrbuch der Fracturen und Luxationen 1904, S. 410. 

*) A. Alsberg, Anatomische und klinische Betrachtungen Über Coxa 
vara. Zeitschr. f. orth. Chir. Bd. 6 S. 106. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XIII. Bd. 24 


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363 


Max David. 


während der verkleinerte oder gar negativ gewordene Winkel eine 
entsprechende Adductionsstellung, also Coxa vara bedeutet. 

Albert^) schlägt in der eben erwähnten Monographie statt 
des Namens Coxa valga die Benennung «Collum valgum* vor. 
Während nämlich, nach seiner Definition, die Coxa vara ein schweres 
klinisches Leiden ist, stellt die Coxa valga lediglich einen anatomi¬ 
schen Zustand, eine steilere Richtung des Schenkelhalses resp. eine 
Vergrösserung des Richtungswinkels vor. 

In der der Monographie beigegebenen Casuistik werden einige 
Fälle von Coxa valga vorgeführt, die Albert^) bei verschiedenen 
pathologischen Zuständen der unteren Extremitäten an Präparaten 
des Wiener anatomischen Museums gefunden hat. 

Wir sehen da zunächst einige Fälle, bei denen nach Paralyse 
des einen Beines durch das Jahre lang hängende und schlenkernde 
Bein eine ständig extendirende Wirkung auf den Schenkelhals und 
dadurch in weiterer Folge eine Vergrösserung des Neigungs- resp. 
Richtungswinkels erzeugt wurde. (Unter dieselbe Rubrik dürften 
wohl auch die beiden Fälle von Lauenstein zu rechnen sein, bei 
denen Coxa valga an Amputationsstümpfen auftrat.) 

Einen gleichartigen Zustand trifiPt man bei Beinen mit wesent¬ 
lich verminderter Activität, aber ohne Lähmung. Dieselben waren 
infolge eines schweren Kniegelenkleidens nicht tragfähig; es fehlte 
ihnen daher auch die Belastung beim Gehen, und dieser Factor, der 
übrigens auch bei der eben erwähnten Paralyse des einen Beines 
noch als verstärkend hinzuaddirt werden muss, ist ätiologisch für 
das Zustandekommen der Deformirung des Schenkelhalses zu be* 
schuldigen. 

Aus demselben Grunde ist bei linksseitiger Osteomyelitis des 
Darmbeins ein Collum valgum entstanden. 

Endlich sind noch bei Rhachitis, Osteomalacie, multipler Ex¬ 
ostosenbildung, Genu valgum und congenitaler Luxation der anderen 
Hüfte Fälle von Coxa valga von Albert beobachtet. 

Auf das Vorkommen dieser Schenkelhalsverbiegung bei ange¬ 
borener Hüftgelenks Verrenkung weisen übrigens auch Schulthess 
und Lüning^) in ihrem «Atlas und Grundriss der orthopädischen 

') 1. c. S. 28. 

*) ibid. S. 28—34. 

*) A. Lüning und W. Schulthess, Atlas und Grundriss der ortho¬ 
pädischen Chirurgie 1901, S. 475. 


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Beitrag zur Frage der Coxa valga. 


363 


Chirurgie“ hin, und Schede^) gibt in der Monographie ,Die an¬ 
geborenen Luxationen des Hüftgelenkes“ einige Röntgenbilder von 
▼ergrössertem Neigungswinkel des luxirten Beines. 

Diese aufgeführten wenigen Ausführungen sind alles, was ich 
in der Literatur über die Coxa valga gefunden habe. 

Fast alle bisher beschriebenen Fälle haben das eine Gemein¬ 
same, dass bei ihnen das Vorkommen der Schenkelhalsverbiegung 
als eine Folge- oder doch mindestens Begleiterscheinung anderer 
Affectionen aufzufassen ist. 

Fine einwandsfreie primäre Coxa valga, sei es als angeborene, 
sei es als erworbene statische Belastungsdeformität, ist bisher nicht 
mitgetheilt worden. 

Unter den 4 von Manz^) beschriebenen und als primäre sta¬ 
tische Coxa valga bezeichneten Fällen ist 3mal ein mehr oder minder 
schweres Trauma erfolgt, bevor sich subjective Beschwerden bei den 
Patienten zeigten und diese zur Beobachtung gelangten, und Hof¬ 
meister^) erklärt selbst ausdrücklich, dass bei seinem Patienten, 
den Manz als höchstwahrscheinlich an primärer statischer Coxa 
valga erkrankt anführt, in der Jugend Rhachitis bestanden habe. 
Nur ein Patient aus der Manz’schen Casuistik hat, ohne je ein 
Trauma erlitten zu haben, die Symptome gezeigt, die Hofmeister 
und Manz als für Coxa valga sprechend anführen, nämlich stärkere 
Aus senrotation und Abduction bei behinderter Adduc- 
tionsfähigkeit des Beines. Leider haben beide Autoren ihren 
Arbeiten keine Röntgenaufnahmen beigegeben, so dass eine Infor¬ 
mation über die Stellung des Schenkelhalses nicht möglich war. 

Unter diesen Umständen dürfte es nicht unangebracht sein, 
hier über einen Fall zu berichten, den ich zu beobachten Gelegen¬ 
heit hatte, bei dem es sich um eine doppelseitige, angeborene Coxa 
valga handelt. Derselbe unterscheidet sich also von allen oben ge¬ 
nannten Fällen dadurch, dass bei ihm die Deformität nicht als Folge-, 
sondern als Grundzustand anzusehen ist. 

Der 5jährige Knabe A. S. war nach Angabe der Eltern stets 
gesund, im speciellen ist er niemals an Rhachitis oder Kinderläh- 

‘) M. Schede, Die angeborene Luxation des Hüftgelenkes. Fortschritte 
auf dem Gebiet der Röntgenstrahlen Heft 4. 

*) 1. c. S. 39 ff. 

*) 1. c. S. 260, 270, 296. 


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364 


Max David. 


mung erkrankt gewesen, hat auch kein Trauma erlitten. Im Beginn 
des 2. Lebensjahres hat er angefangen zu laufen. Den Angehörigen 
fiel es bald auf, dass das Kind einen sonderbaren, steifen Gang hatte, 
beim Bücken leicht hinfiel und sich schwer wieder erheben konnte. 
Im Anfang des Jahres 1903 wurde die innere Poliklinik eines hiesigen 
Krankenhauses aufgesucht und dort der Verdacht rege, dass es sich 
um den Beginn einer Dystrophia muscularis progressiva mit Pseudo* 
hypertrophie handeln könnte. Der Knabe wurde in der Poliklinik 
längere Zeit genau beobachtet und regelmässig elektrisirt. Ein Er¬ 
folg, d. h. eine Aenderung des Ganges, wurde nicht erreicht, es trat 
aber auch keine Verschlimmerung des Zustandes ein, derselbe blieb 
sich völlig gleich, so dass sich in der nächsten Zeit keine Anhalts¬ 
punkte für eine bestimmte Diagnose ergaben, und man dieselbe io 
dubio lassen musste, zumal weder an der zuerst verdächtigten Becken- 
gürtelmusculatur, noch sonst irgend wo etwas Abnormes zu finden 
war. Schliesslich wurde die Vermuthung, dass eine progressire 
Muskeldystrophie vorliege, endgültig fallen gelassen. 

Im October 1903 kam der Knabe in meine Behandlung. Ich 
konnte damals folgenden Befund aufnehmen: 

Es handelt sich um ein etwas anämisches, aber sonst völlig 
gesundes, gut genährtes Kind. Die Musculatur ist kräftig, der Panni- 
culus adiposus genügend reichlich. Der kleine Patient klagt sab- 
jectiv nicht über Schmerzen. 

Bei der Inspection fallen sofort der eigenartige Gang und die 
Haltung des Oberkörpers auf. Die Beine werden beiderseits in 
starker Abductionsstellung und Aussenrotation bei leichter Flexion 
der Hüft- und ziemlich starker Strecksteilung der Kniegelenke ge¬ 
halten. Die Fussgelenke sind leicht plantarflectirt. Der Oberkörper 
ist etwas vornüber gebeugt. Die physiologischen antero-posterioren 
Krümmungen der Wirbelsäule, namentlich die Lendenlordose, sind 
vermindert. 

Der Gang erinnert entschieden an den bei der spastischen 
Spinalparalyse, derart, dass die Füsse nur wenig vom Boden entfernt 
werden, denselben etwas schleifen, und dass das eine Bein im Bogen 
herumgeführt vor das andere gesetzt wird. Beim Gehen schwankt 
der Oberkörper nach der Seite des Gangbeines hinüber; es entsteht 
dadurch aber nicht das bekannte Watscheln, wie bei der doppel¬ 
seitigen congenitalen Luxation oder auch zuweilen bei der doppel¬ 
seitigen Coxa vara, sondern mehr ein wiegender Gang, ein abwech- 


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Beitrag zur Frage der Coxa valga. 


365 


selndes Hinüber- und Herüberschwanken des Oberkörpers, wie man 
es oft bei Seeleuten findet. 

Das Stehen auf einem Bein ist nur möglich, wenn der Knabe 
gestützt wird; es geschieht dann in der Weise, dass der Patient das 
andere Bein mit stark gestrecktem Kniegelenk etwas vorstreckt. 

Bei der eingehenderen Untersuchung findet sich der Trochanter 
beiderseits in der Roser-N^aton'schen Linie. 

Die passive Beugung und Streckung ist in allen Gelenken un¬ 
behindert und schmerzfrei, dagegen die Adduction und die Innen¬ 
rotation der Beine erheblich vermindert. 

Das Röntgenbild (Fig. 1) zeigt auf beiden Seiten die normal 
gebildeten Köpfe in der sehr gut entwickelten Pfanne. Auf den 
ersten Blick fallen die ausserordentlich steil aufsteigenden Schenkel¬ 
hälse auf. Irgend eine andere Abnormität ist dagegen nicht zu 
sehen, insbesondere keine Verbiegung des Schenkelhalses nach vom 
oder hinten. 

Die genaue Messung ergibt 

für den Neigungswinkel . . . 165^ 

« * Richtungswinkel . . . 79*^ 

und zwar sind diese Maasse auf beiden Seiten völlig gleich. 

Die von Alsberg als äusserste Grenze des normalen Rich¬ 
tungswinkels angegebenen 5P sind also um 28^ überschritten, und 
die Differenz zwischen dem durchschnittlichen Neigungswinkel von 
125® und dem hier festgestellten beträgt 40®. 

Fassen wir das Wesentliche aus der Krankengeschichte zu¬ 
sammen, so ist dies der Befund der Abductionsstellung der Beine 
verbunden mit Aussenrotation und Behinderung der Adduction; das 
sind also genau dieselben Symptome, die Hofmeister und Manz 
aus ihren klinischen Beobachtungen als pathognomonisch für die 
Coxa valga festgestellt haben. Völlig sicher gestellt wird die Dia¬ 
gnose durch das Röntgenbild, denn hier liegt ohne Zweifel dasjenige 
Verhältniss vom Kopf und Hals zum Schaft des Femur vor, das als 
Coxa valga zu bezeichnen ist. 

Der völlig symmetrische Befund an beiden Extremitäten in 
Verbindung mit dem Umstande, dass weder eine constitutionelle, 
noch eine Knochen-, eine Muskel- oder Nervenkrankheit bisher an 
dem Patienten beobachtet ist (ich muss hier noch bemerken, dass 


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366 


Max David. 


ich selbstverständlich die eingehendste Prüfung auf Sensibilität, 
elektrische und mechanische Erregbarkeit der Muskeln, Entartnngs- 
reaction u. s. w. vorgenommen habe), sowie endlich die Thatsache, 
dass der abnorme Qang von dem Moment an, wo das Kind mit 
seinen ersten Gehversuchen begann, constatirt wurde, alle diese Fac- 
toren lassen die Annahme als berechtigt erscheinen, dass es sieb 
hier um eine angeborene Deformität handelt. 


Fig. la. 



Suchen wir die klinischen Erscheinungen aus dem vorliegenden 
objectiven Befund des Röntgenbildes zu deuten, so können wir uns 
wohl vollinhaltlich der von Manz gegebenen Erklärung anschlies- 
sen, der logisch folgert, dass ebenso wie eine Abwärtsbiegung des 
Schenkelhalses die Abduction, so eine Aufwärtsbiegung die Adduc- 
tion hindert. 

Die dauernde Abductionsstellung der Beine ist wohl auch als 
ursächliches Moment des schwankenden Ganges anzusehen und zwar 

’) Manz, 1. c. S. 42. 


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Beitrag zur Frage der Coxa valga. 


367 


ganz im Sinne Trendelenburg's. Die Abductoren, die Mm. 
glutaei medii et minimi, sind durch ihre permanente übermässige 
Inanspruchnahme functioneil derart geschwächt, dass sie ihrer Auf¬ 
gabe , das Becken beim Gehen in horizontaler Lage zu erhalten, 
nicht mehr gerecht werden können. 

Ueber die Aetiologie kann ich mich nur vermuthungsweise 
äussem. 

Fig. Ib. 



Lauenstein nimmt an, dass bei den drei Knochenpräpa¬ 
raten, an denen er vergrösserte Richtungswinkel von 140‘^, 146® und 
155® gesehen hat, die abnorme Grösse des Winkels auf mangelnde 
Belastung des betreffenden Beines zurückzufUhren ist. 

Albert^) beansprucht, wie wir gesehen haben, für einen Theil 
seiner Fälle denselben Factor. 

Für den von mir beobachteten Fall ist dieses ätiologische 
Moment ausgeschlossen, und ich versage es mir daher, des Näheren 
darauf einzugehen. 

Auch die ausserordentlich geistvollen Ausführungen von Manz®) 
über die Entstehung der primären statischen Coxa valga muss ich 


>) 1. c. S. 248. 

1. c. S. 32. 

’) 1. c. S. 80. 


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368 


Max David. 


ausser Betracht lassen, da dieses mich weit über den Rahmen der 
mir gestellten Aufgabe hinausführen würde. 

Bei der angeborenen Goxa vara nehmen Hoffa^) und Schanz*) 
intrauterinen Raummangel resp. überhohen intrauterinen Druck als 
Entstehungsursache an. Ob dieses Moment auch bei der angeborenen 
Goxa valga zu beschuldigen ist, wage ich nicht isu entscheiden. Man 


Fig. 2 a. 



müsste dann aber wohl annehmen, dass dieser Druck von den beiden 
Seiten her in völlig gleicher Richtung und Stärke auf die Buckel 
der Sch enkelhals Winkel gewirkt hat, so dass diese flacher geworden 
und sich einem Winkel von 180® genähert haben. Die Geburt ist 
nach der bestimmten Angabe der Mutter völlig normal in Schädel¬ 
lage erfolgt und ein Mangel an Fruchtwasser nicht aufgefallen. 

Vielleicht liegt aber auch eine fehlerhafte Keimanlage vor, doch 
ist eine hereditäre Veranlagung nicht eruirbar gewesen. 

') A. Hoffa, Lehrbuch der orthop. Chir. 1902, S. 676. 

*) A. Schanz, Coxa vara — die statische Belastungsdeformität 
Schenkelhalses. Verhandlg. der Deutschen Ges. f. orth. Chir. 1903, S. 101. 


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Beitrag zur Frage der Coxa valga. 


369 


Bei der vorzunehmenden Therapie Hess ich mich von fol¬ 
genden Brwägungen leiten: 

Schanz^) fasst die Coxa vara als eine exquisit statische Be¬ 
lastungsdeformität auf, entstanden durch ein Missverhältniss zwischen 
statischer Inanspruchnahme und Leistungsfähigkeit. Daraus folgt, 
dass durch Herstellung normaler statischer Verhältnisse 

Fig. 2 b. 



die Deformität beseitigt werden kann. Diesen Standpunkt 
theile ich als Schüler von Julius Wolff durchaus. Gelingt es, 
normale statische Verhältnisse herzustellen, so wird durch die nor¬ 
male Function auch wieder eine normale Form herbeigefUhrt. 

Ich brachte daher die Beine in die möglichst zu erreichende 
Adductionsstellung und Innenrotation und fixirte sie so in einem 
öipsverband, der den Körper von den Brustwarzen bis zu den Knie¬ 
gelenken umfasste. In diesem Verband, der 6 Wochen liegen blieb, 
Hess ich das Kind umherlaufen. 

An dem nach der Abnahme des Verbandes gewonnenen Rönt¬ 
genbild ergaben die Messungen folgende Resultate: 

Neigungswinkel . . . 155® 

_Richtungswinkel . . . 70® 

>) 1. c. S. 100. 


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370 


Max David. Beitrag zur Frage der Coxa valga. 


Wenn diese Messresultate in ihren Details auch mit aller Vor¬ 
sicht aufgenommen werden müssen, so ist das Eine doch sicher, da^ 
auf der zweiten Röntgenplatte sowohl der Richtungs- als auch der 
Neigungswinkel wesentlich kleiner sind als auf der ersten, also, ob¬ 
wohl immer noch der anatomische Zustand der Coxa valga besteht, 
um ein Beträchtliches sich der Norm genähert haben (Fig. 2). 

Zu diesem objectiven Befund kommt nun aber auch noch die 
Thatsache hinzu, dass der functionelle Erfolg des Verbandes ein 
recht zufriedenstellender ist. Der Knabe kann die Beine jetzt ziem¬ 
lich gut adduciren, die starke Aussenrotation der Beine ist beseitigt, 
das Hin- und Herschwanken des Oberkörpers wesentlich gebessert 
Auch die starke Streckstellung der Knie- und die Plantarflexion der 
Fussgelenke ist nicht mehr vorhanden, so dass der Gang des Kindes 
zwar noch nicht ganz normal, aber gegenüber dem vor der Behand¬ 
lung ein recht guter ist. Ich glaube^ dass der Erfolg immerhin so 
ermuthigend sein kann, dass versucht werden darf, auf diesem Wege 
weiter zu gehen. 

Ich lasse mit dem Knaben zur Zeit fleissig Marschier- und 
gymnastische Hebungen vornehmen und werde eventuell versuchen, 
durch einen zweiten redressirenden Verband, der ja dann unter viel 
günstigeren Bedingungen angelegt werden kann, noch ein vollkom¬ 
meneres Resultat zu erreichen. 

Wenn ich mich zum Schluss resümire, so darf ich, ohne irgend 
welche verallgemeinernden Schlüsse ziehen zu wollen, doch wohl 
sagen, dass es sich bei dem von mir beobachteten Falle um eine 
primäre, angeborene doppelseitige Coxa valga handelt. Die¬ 
selbe stellt anatomisch lediglich eine Vergrösserung des Schenkel¬ 
halswinkels dar, äussert sich functioneil aber in recht erheblicher 
Beeinträchtigung der Qehfähigkeit. Durch Herstellung normaler 
oder doch wenigstens annähernd normaler statischer Verhältnisse 
sind wir im Stande, eine corrigirende Wirkung auf den reformirten 
Schenkelhals im Sinne des Wolff'schen Transformationsgesetzes 
auszuüben. 


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XXIV. 


Die Behandlnng der Oberschenkelfractnren im 

Greisenalter’). 

Von 

Dr. raed. Brodnitz-Frankfurt a. M. 

Mit 1 in den Text gedruckten Abbildung. 

Meine Herren! Die Oberschenkelfracturen sind im hohen 
Greisenalter bekanntlich besonders gefahrdrohend, da sie die Ver¬ 
letzten zu längerem Bettliegen nöthigen. Die Gefahr der hyposta¬ 
tischen Pneumonie, die Gefahren des ausgedehnten Decubitus sind 
kaum zu vermeiden. 

Die Gesichtspunkte, von denen wir uns bei der Behandlung 
leiten lassen müssen, sind natürlich die gleichen, wie bei jeder Fractur 
überhaupt, nämlich Reposition der dislocirten Fragmente und Fixation 
derselben. Diese Fixation erfolgt nun entweder durch erhärtende 
Verbände oder durch Extensionsverbände; bei beiden Methoden pflegt 
nun im hohen Alter nur gar zu bald dort, wo die Verbände an¬ 
greifen, trotz bester Polsterung Decubitus aufzutreten, der uns 
nöthigt, den Verband abzunehmen, und deshalb pflegt man gewöhn¬ 
lich in diesen Fällen von einem Verbände überhaupt abzusehen. Man 
sieht dann vielfach solche Patienten, das Bein zu beiden Seiten durch 
einen Sandsack gestützt, ihrem Schicksale überlassen, und dieses 
Schicksal erfüllt sich nun entweder sehr bald, indem der Patient, 
ich möchte sagen an der ersehnten Pneumonie zu Grunde geht, oder 
aber er bleibt dauernd bettlägerig, indem die Consolidation völlig 
ausbleibt oder mit einer solchen Verkürzung einhergeht, welche die 
Gebrauchsfähigkeit aufhebt. 

Wir befinden uns solchen Patienten gegenüber in einer wenig 
rühmlichen Position. 

*) Vortrag, gehalten auf dem 111. Congress der Deutschen Gesellschaft 
für orthopädische Chirurgie am 5. April 1904. 


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372 


Brodnitz. 


So wurde ich vor einiger Zeit zu einer 93jährigen Patientin 
gerufen, die zwar durch ihr Alter gebückt, aber sonst noch recht 
rüstig, auf einen Stock gestützt, im Zimmer umher zu gehen pflegte; 
sie war auf dem glatten Boden ausgerutscht und ich constatirte eine 
Fractura intertrochanterica mit einer Verkürzung von 8 cm, die durch 
leichten Zug fast völlig auszugleichen war, um beim Nachlassen sich 
sofort wieder einzustellen. An einem Gips* oder Extensionsverband 
war bei dem aus Haut und Knochen bestehenden Mütterchen nicht 



zu denken; sie einfach ihrem Schicksale zu überlassen, widersprach 
meinem ärztlichen Empfinden, und so suchte ich mir auf folgende 
Weise zu helfen: 

Ich Hess einen Sack anfertigen, der etwa so breit wie das halbe 
Becken und so lang war, wie der Abstand vom Darmbeinkamme bis 
zu den Malleolen. Dieser Sack wurde zu mit weichem Sand 
gefüllt und auf die Matratze gelagert; in seine Längsrichtung wurde 
eine Furche dem Beine entsprechend hineingedrückt und die Pa¬ 
tientin nunmehr, während das Bein am Fusse stark extendirt wurde, 
so auf den Sack gelagert, dass das Bein bis dicht oberhalb der 
Malleolen in der Furche lag; nunmehr wurden die beiden Enden 
des Sackes durch ein an ihnen befestigtes Band dicht oberhalb der 
Malleolen einander genähert, während die an beiden Seiten des 
Beines befindüchen Sandmassen sich diesem ansöhmiegten. 

Liess man nun den Fuss los, so stemmten sich die Ferse und 
die Malleolen gegen den Sandsack an, und es trat kaum eine Yer- 


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Die Behandlung der Oberschenkelfracturen im Greisenalter. 373 


kürzung; ein. Der Sand schmiegte sich als plastische Masse dem 
Beine fest an und wirkte wie ein Gipsyerband. Die Fixation des 
Beines wurde gesichert durch je einen schmalen Sandsack, der dicht 
oberhalb der Patella und schräg über das Becken gelegt wurde. 

Diese Lagerung wurde täglich erneuert, indem hierbei die Pa¬ 
tientin von einer Person am Becken gehoben und gleichzeitig das 
Bein von einer zweiten Person am Fusse extendirt wurde. Diese 
Zeit des ümlagerns wurde benutzt, um Gesäss und Schenkel mit 
Spiritus abzuwaschen und einzufetten. Da in den ersten Tagen diese 
ümlagerung recht schmerzhaft war, so bekam die Patientin 1 Stunde 
vorher 0,02 Codein, von der zweiten Woche war das nicht mehr 
nöthig. Beim Unterschieben der Bettpfanne wurde das Becken ge¬ 
hoben, während das Bein im Saudlager liegen blieb. Nach 3 Wochen 
war dieses Sandlager nicht mehr nöthig, es genügte, durch zwei seit¬ 
liche Sandsäcke das Bein zu stützen, nach 4 Wochen konnten vor¬ 
sichtig passive Bewegungen ausgefUhrt werden, nach 6 Wochen 
wurden activ die Bewegungen im Liegen ausgeführt, nach 9 Wochen 
ging Patientin auf beiden Seiten gestützt, und nach 12 Wochen 
konnte sie wieder am Stock wie vorher im Zimmer umher gehen. 
Die Verkürzung betrug 2 cm, es war völlige knöcherne Consolidation 
eingetreten. Ich hatte bald nochmals Gelegenheit, diese Methode bei 
einer 70jährigen, sehr dürftig genährten Patientin, die eine Schenkel- 
halsfractur ohne Einkeilung erlitten hatte, anzuwenden und zwar mit 
gleich gutem Resultat, so dass ich dieses Verfahren in geeigneten 
Fällen empfehlen möchte. 

Es gewährt den Vortheil, dass der Sand als plastische Masse 
sich wie ein fixirender Verband dem Körper anschmiegt, ohne wegen 
der täglichen Umlagerung und der dabei vorgenommenen körper¬ 
lichen Pflege einen Decubitus befürchten zu lassen. Diese Umlage¬ 
rungen und die damit verbundenen unwillkürlichen Reibungen an 
der Bruchstelle fördern die Callusbildung und die durch die Um¬ 
lagerung hervorgerufenen, wenn auch kurz dauernden Schmerzen, 
rufen Schmerzäusserungen hervor, welche eine erwünschte, energische 
Ausdehnung der Lunge zur Folge haben. 

Die Einfachheit des Verfahrens dürfte sein grösster Vorzug sein. 


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XXV. 


Apparat 

znr Behandlung von Bückgratsverkrümmungeii’). 

Von 

Dr. med. Ferd. Schultze-Duisburg, 
chirurgischer Oberarzt am St. Vincenz-Hospital. 

Mit 2 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Im Laufe der Jahre ist eine grosse Anzahl von Apparaten 
construirt worden, welche den Zweck hatten, die Verkrümmung der 
Wirbelsäule in irgend einer Weise zu beeinflussen. Die zweck- 
massigsten dieser Art sind die Constructionen von Zander, Schult- 
hess und Wullstein. Es bestehen noch zwei getrennte Lager, auf 
der einen Seite wird die Behandlung der Skoliose mit starren Ver¬ 
bänden bevorzugt, auf der anderen Seite wird lediglich durch gym¬ 
nastische Uebung die Verkrümmung der Wirbelsäule zu corrigiren 
versucht. Ich stehe auf dem Standpunkt, beiden Richtungen ge¬ 
recht zu werden. Das Princip, welches bei allen Verkrümmungen 
in der orthopädischen Chirurgie massgebend ist, muss auch bei der 
Behandlung der Skoliosen zum Ausdruck gebracht werden, das ist 
die Mobilisation und die Fixation. Deshalb sind bei der gymnastischen 
Behandlung die passiven Apparate, wie solche Zander zuerst ange¬ 
geben, von besonderer Bedeutung. Durch diese Apparate wird die 
Wirbelsäule mobilisirt, bis dass dieselbe leicht durch einen starren 
Verband in der gewünschten Stellung — der üebercorrectur — ge¬ 
halten werden kann, üebercorrecturen gerade bei der Skoliosen¬ 
behandlung anzustreben, ist von grösster Wichtigkeit, es ist mass¬ 
gebend für die Prognose. Bei der Construction von Apparaten 
müssen wir also diesem Hauptgesichtspunkt, der üebercorrectur, ge- 


*) Vortrag, gehalten auf dem III. Congress der Deutschen Gesellschaft 
für orthopädische Chirurgie am 5. April 1904. 


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Apparat zur Behandlung von RückgraUverkrümmungen. 


375 


recht werden. Wir erreichen dies durch Apparate, welche eine 
horizontale Streckung mit einer verticalen verbinden. 

Seit einiger Zeit habe ich Gelegenheit gehabt, in diesem Sinne 
die Skoliosen zu behandeln. Der erste Apparat, welchen ich con- 
struirte, bestand in einem Tisch und einem Schaukelstativ. Auf dem 
Tisch vollzog sich die horizontale Extension, auf dem Stativ die verti- 
cale. Diesen Apparat habe ich s. Z. in der orthopädischen Zeit- 


Fig. 1. 



Schrift beschrieben. Die vielen Mängel, welche demselben anhafteten, 
vor allem die Schwerfälligkeit im Betrieb, haben mich veranlasst, 
einen Apparat hersteilen zu lassen, wie Sie solchen hier vor sich 
sehen (Fig. 1). Derselbe ist einfachster Construction, ebenso einfach 
in der Handhabung. Sie sehen hier den ziemlich massiv gebauten 
Tisch, welcher am Kopf- und Fussende eine Welle trägt mit vor¬ 
geschaltetem Dynamometer. Diese besorgen an unserem Tisch die 
horizontale Extension. Ferner sehen Sie unter dem Tisch ein eisernes 
Stativ (Fig. 2). Letzteres enthält ein Schneckenzahnradgetriebe, dessen 
Anordnung Sie der Zeichnung entnehmen können. Durch die Schnecke 


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376 


Ferd. Schultze. 


wird nur eine mit Zahnradkerbung versehene Stange auf- und nieder- 
bewegt. Am Ende der Stange befindet sich ein gepolstertes Brett 
Die Schnecke mit der verlängerten Achse nimmt das Schwungrad 
bezw. die Kiemscheibe auf. Neuerdings habe ich die Welle durch 
den von mir angegebenen Extensionsapparat ersetzt. Letzterer hat 
den Vorzug der Einfachheit und der bequemen Handhabung. Es ist 
ein kleiner Kasten, welcher ohne besondere Vorkehrungen allent¬ 
halben angebracht werden kann. 


Fig. 2. 



Am besten wird der Antrieb des Skoliosenapparates durch einen 
Motor regulirt. Durch Motoranschluss erreicht man einen gleich- 
massigen Gang des Apparates; Einrücker, welche auf beiden Seiten 
sich vorfinden, lassen den Apparat leicht und sicher handhaben. 
Auf jeder beliebigen Höhe ist der Apparat festzustellen, kann von 
hier auch niedriger und höher gestellt werden. Habe ich z. B. die 
Wirbelsäule bis zu einer bestimmten Grenze gedehnt, so kann ich 
von hier aus die Wirbelsäule auf dem Höhepunkt der Correctur noch 
durch Auf- und Niedergehen des Apparates in kurzen Excursionen 
sehr günstig beeinfiussen. 

Die Handhabung des Apparates vollzieht sich nun in folgender 
Weise. Der Patient wird so auf den Tisch gelegt, dass der zu cor- 
rigirende Theil dem gepolsterten Brett aufruht. Ein Extensionsgurt 
(Fig. 1) umfasst das Becken, eine Kopfschlinge den Kopf. In dieser 
Lage werden die beiden Extensionsapparate am Kopf- und Fussende 
angedreht. Nun ist der Patient fertig zur Mobilisation resp. Ueber- 


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Apparat zur Behandlung von RückgratsverkrQmmungen. 


377 


correctur der Wirbelsäule, welche durch Einstellung des Schnecken¬ 
betriebes sich glatt abwickelt. 

Methodisch gehen wir nun in folgender Weise vor. Zunächst 
werden die Patienten in Rückenlage gestreckt, dann legen sich die¬ 
selben auf die kranke Seite. Hier kann sowohl eine Drehung des 
Oberkörpers, als des Unterkörpers resp. des Beckens in entgegen¬ 
gesetzter Richtung eingeschaltet werden. 

Dynamometer vom Kopfende erlaubt die genaue Controlle der 
Extension, welche ausgeübt wird. Ich habe zwischen 20 und 80 kg 
Belastung constaiiren können. Es hat sich folgende Belastungsscala 
ergeben. Die horizontale Extension bewegt sich zu Anfang zwischen 
10 und 20 kg bei Kindern bis zu 10 Jahren. Bei Kindern bis zu 
16 Jahren steigt die Belastung allmählich auf 30 kg. Dieser hori¬ 
zontale Zug wird durch die verticale Extension erhöht, und zwar bei 
Kindern bis zu 10 Jahren auf 30—40 kg; bei den älteren Kindern 
auf 50—80 kg. Zu bemerken ist, dass sich bei geringer horizontaler 
Extension durch die folgende verticale Extension eine bessere üeber- 
correctur der Wirbelsäule erzielen lässt. Wenn nun zu Anfang hori¬ 
zontal, z. B. auf 20 kg extendirt wurde, so geht dieser Zug durch 
das Nachgeben des Zugmaterials incl. Körper allmählich auf 10 bis 
15 kg zurück, so dass dann bei Fortsetzung der üebungen eine 
stärkere Uebercorrectur sich ergibt. 

Was nun die Leistungsfähigkeit des Apparates angeht, so glaube 
ich es wohl als einen besonderen Vorzug ansehen zu dürfen, dass 
eine exacte Dosirung möglich ist, dass ferner eine Uebercorrectur 
leicht und sicher ausgeführt werden kann. Gerade die Mobilisation 
der Wirbelsäule, welche doch jeder Fixation durch Verbände natur- 
gemäss vorangehen soll, kann mittelst exacter Dosirung des Appa¬ 
rates in kürzester Zeit erreicht werden. So kann man bei den 
mobilen Skoliosen des ersten Decenniums, selbst bei den schwersten 
Formen, nach einer Stägigen Behandlung eine absolute Uebercorrectur 
von rechts nach links oder umgekehrt erreichen. 

Die Üebungen werden täglich 1—2mal vorgenoramen. Die 
weitere Behandlung ist nun verschieden. Eine Fixation mittelst 
Gipscorset geschieht nur ausnahmsweise. Wenn eine Fixation in 
Gips erfolgt, so lege ich stets in Uebercorrectur den Verband an. 
Einen grösseren Werth lege ich auf das Tragen eines rationellen 
Stützapparates. Da erscheint mir das von Bade angegebene Corset 
(Congress 1903) am besten allen Anforderungen zu entsprechen. Zu 

Zeitschrift für orthopädische f'hirurgie. XIII. Bd. 25 


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378 Ferd. Scbultze. Apparat zur Behandhnig von Rückgrat^verkrünimungei 


schätzen ist an diesem Apparat die Dosirung und die AusschaltnDj 
der Belastung für Bauch und Brust. Letztere bleiben frei und könneii 
sich ausdehnen. Ein ganz besonderer Vorzug des Corsets ist die 
Verstellbarkeit, entsprechend den Fortschritten der Mobilisation der 
Wirbelsäule. Neben diesem Hilfsapparat wird es unsere Aufgabe 
sein, auch für die Nachtzeit den Patienten ein geeignetes Lager zü 
schaffen. Zur Zeit sind die bekannten in Correcturstellung gewon¬ 
nenen Lagerungsapparate allgemein in Gebrauch. Der Werth dieser 
Apparate kann erst dann gewürdigt werden, wenn häufiger eine Er¬ 
neuerung desselben stattfindet, damit dem durch die Behandlung ge¬ 
wonnenen Resultat Rechnung getragen wird. Ich habe deshalb 
Lagerungsapparate construirt, welche in ihrer Stellung verändert 
werden können und eine exacte Dosirung täglich zulassen. Bisher 
hat derselbe nur bei kleinen Kindern als portativer Apparat Ver¬ 
wendung gefunden, ich werde denselben auch auf die Nachtbehand¬ 
lung übertragen und demnächst veröffentlichen. 


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XXVI. 

Ein neuer Osteoklast'). 

Von 

Dr. med. Ferd. Schultze-Duisburg, 
chirurgischer Oberarzt am St. Vincenz-Hospital. 

Mit 7 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Die Bestrebungen, bei allen Correcturen des Klumpfusses den 
blutigen Eingriff zu vermeiden, stehen schon zwei Decennien im 
Vordergrund orthopädisch-chirurgischer Leistungen. Die blutigen 
Operationen sind mit Recht wohl ganz zurückgedrängt. Nur hier 
lind da werden Stimmen laut, welche für diese Methoden eine Lanze 
brechen. Es mögen verschiedene Gründe hierfür massgebend sein 
und zwar einerseits die erschwerte Modellirfähigkeit des jugendlichen 
Klumpfusses, andererseits die erhöhte Neigung zu Recidiven. Nicht 
leugnen lässt sich, dass die Klumpfusstherapie durch Einführung der 
verschiedenen Hilfsapparate von Lorenz, Heusner etc. wesentlich 
erleichtert und vereinfacht worden ist. Nichtsdestoweniger bedarf 
es doch ganz besonderer Massnahmen, um die Uebercorrectur eines 
Klumpfusses zu bewerkstelligen. Den Fuss aus der Spitzfussstellung 
herauszubringen und in die Normalstellung überzuführen, kann unter 
Umständen in eine Kraftleistung ersten Ranges ausarten. Die von 
Heusner angegebenen, dem Fuss angepassten grossen Hebel leisten 
hier schon grosse Dienste und bewirken eine ausgeprägte Correctur 
und Mobilisation des Fusses. Bei kleinsten Füssen in der erwähnten 
Weise die Widerstände zu brechen, war häufig, wie dies auch von 
anderen Seiten seine Bestätigung finden wird, mit grössten fast un¬ 
überwindlichen Schwierigkeiten verknüpft. Dies hat mich veranlasst, 
einen einfachen Apparat herzustellen, welcher eine Be.seitigung jeg- 


Vortrag, gehalten auf dem III. Congress der Deutschen Gesellschaft 
für orthopädische Chirurgie am 5. April 1904. 


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380 


Ferd. Schultze. 


liehen Widerstandes auch bei den kleinsten Füssen in kurzer Zeit 
bewirkt. 

Der Apparat (Fig. 1) ist folgendermassen construirt. Zwei 
derbe Bretter aus Buchenholz sind durch ein festes Charnier ver¬ 
bunden. Das eine Brett ist 60 : 20 cm, das andere 50 : 20 cm. 
Ersteres ruht auf dem Tisch und wird mit einer Schraubzwinge an 
demselben befestigt; das zweite lässt sich auf- und zuklappen und 


Fig. 1. 



hat an seinem äussersten Ende einen festen Querstab mit Hand¬ 
griffen. Gummiplatten oder dickster Filz dienen als Polstereinlagen. 

Die Handhabung des Apparates ist nun folgende. Erst nach¬ 
dem die Supinationsstellung des Fusses beseitigt — dies ist conditio 
sine qua non — kann der Apparat seine Wirksamkeit entfalten. 
Durch den Lorenz'schen Osteoklasten oder auch manuell erreichen 
wir in kurzer Zeit die volle Beseitigung der Supination. Es ver¬ 
bleibt uns nunmehr die grosse Arbeit, die Spitzfussstellung zu be¬ 
seitigen. Nicht mit einer Tenotomie ist dies zu machen, so ver¬ 
führerisch dies auch zu sein scheint. Hier soll die Tenotomie stets 
streng contraindicirt sein. Ein Redressement des Knochens ist un¬ 
bedingt erforderlich, um den Sinus tarsi modellirfähig zu gestalten. 
Dies ist nun Aufgabe unseres neuen Osteoklasten. Das Bein wird 
auf den offen geklappten Apparat gelegt und das Knie auf dem- 


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J 






Ein neuer Osteoklast. 


381 


selben in Rotation nach innen von einem Assistenten festgebalten. 
Der Operateur umfasst mit der Rechten das Fussgelenk, mit der 
Linken Qbemimmt er die Führung des Fusses. Durch die Rotation 
des Beines ist der Fuss ebenfalls einwärts rotirt. Letzterer muss 
nun vom Operateur etwas aufgerichtet werden. Man umfasst daher 
den Vorderfuss und sucht denselben in die Normalstellung über¬ 
zuführen. In dieser Position lässt man dann den Apparat wirken. 


Fig. 2. 



Doppelseitiger Kluinpfuss eines 2jilhrigen Knaben. 


Die Stellung des Fusses wird verändert, sobald nothwendig; 
die Widerstände werden controllirt und jedesmal die Stelle des 
Fusses eingestellt, deren Widerstand noch nicht gebrochen. Dies 
erreicht man dadurch, dass man den Vorderfuss allmählich in Aussen- 
rotation überführt. Die Hand des Operateurs wird etwas niit- 
gequetscht, ohne zu Schaden zu kommen. Durch sein Commando 
wird er dies leicht verhüten können. Ist der erste Widerstand über¬ 
wunden, so genügt es durch Zug an der kleinen Zehe den Fuss ein¬ 
zustellen. Auch kann man durch Anlegen von Bindenzügeln die 
Führung des Fusses besorgen, am besten dirigirt jedoch die Hand 
des Operateurs. 

Unter der Einwirkung des Apparates sind in kurzer Zeit die 
Widerstände beseitigt. Die Kraftwirkung ist eine allmähliche, aber 
jedesmal in kurzer Zeit eine so intensive, dass jeder Widerstand 
weichen muss. Die sichere Wirksamkeit des einfachen Apparates 
beruht darauf, dass eine ganz momentane, sehr schwere Gewalt ein¬ 
wirken kann, ohne zu schaden. Die Gewalteinwirkung ist ganz ad 


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382 


Ferd. Schultze. 


libitum zu verändern, je nach dem Commando des Operateurs. 
Correctur in einer Sitzung ist das Ideal, wenn nicht, so muss das 
Redressement nach einigen Tagen wiederholt werden. Jedoch nie 
soll man zu lange warten, weil alsdann wieder Vernarbung und neue 
Verletzungen resultiren. Durch die vielen Correcturen werden die 
Gelenke der Fusswurzel ganz ankylotisch, indem bald hier, bald dort 
eine Verletzung gesetzt wird. Der Pusswurzelbezirk verwandelt sich 


Fig. 3. 



Anliige der Bindenzügel. 


dadurch in eine starre Masse, er wird der Correctur schwerer zu¬ 
gänglich und erhöht die Functionsstöruugen. 

Die kleinsten Küsse machen uns bekanntlich die grössten 
Schwierigkeiten. Wesentlich sind wir auf die Handcorrectur an¬ 
gewiesen und können von keinem Hilfsapparat Gebrauch machen. 
Gerade hier lässt uns vielfach die Hand im Stich, ebenso auch der 
für kleine Füsse construirte Lorenz'sche modificirte Osteoklast von 
Stille. Es kommt dann zu Halbcorrecturen und die sogen. Recidive 
sind sicher. So hat denn Lauenstein auf Grund ungünstiger Er¬ 
fahrungen jüngst wiederholt die blutige Operation nach Ogston 
ausgeführt, ebenso Wiesinger. Ich glaube nun, dass letztere 


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Ein neuer Osteoklast. 


383 


Fig. 4. 



Wirkung des Osteoklasten unter Ziigelzng. 


Fig. 5. 



Beseitigung aller Wi<ler.stilutle. 


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384 


Ferd. Schultze. 


Autoren diesen operativen Eingriff sicher entbehren können, wenn 
sie von dem Osteoklasten Gebrauch machen. 


Fig. 6. 



C’orrectur, durch Fingerdruck gehalten. 


Der Osteoklast vereinigt seine Vorzüge in äusserster Einfach¬ 
heit und in sicherer Wirksamkeit. Seit einem Jahre habe ich den¬ 
selben in Gebrauch. Es ist wirklich erstaunlich, in welch kurzer 


Fig. 7. 



Vollcorrectur. 


Zeit gerade bei den kleinsten Klumpfüssen die Widerstände über¬ 
wunden werden. Irgend eine äussere Verletzung ist bei dieser 
Methode nicht zu befürchten. In einzelnen Fällen habe ich nach 
dem ersten Verband — nach 8 Tagen — das Redressement wieder¬ 
holen müssen. 


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Ein neuer Osteoklast. 


385 


Auch beim Eingipsen mache ich vom Princip meiner Methode 
Gebrauch. Ich benutze nämlich zur bequemen und sicheren Ueber- 
sicht einer rechtwinkligen Pussstellung ein rechtwinklig stehendes 
Brett, welches durch seine Charniere ein Zuklappen gestattet. 
Dieses verwerthe ich auch bei der Anlage des Gipsverbandes. Es ist 
nämlich eine wohl allgemein gemachte Beobachtung, dass bei den 
kleinsten Klumpfüssen die Widerstande, welche man eben beseitigte, 
bereits beim Anlegen des Gipsverbandes sich in bestimmtem Maasse 
wieder einstellen. Durch das Brett bekomme ich eine bequeme 
Handhabe, die Widerstände völlig wieder auszuschalten. Der Fuss 
wird auf das Brett gelegt und einfach im Gipsverband in die Ueber- 
correctur gebracht, man kann, ohne zu schaden, einen Druck aus¬ 
üben. Bricht der Verband, wie dies meist und zwar oberhalb des 
Fussgelenks der Fall ist, so lässt man den Verband erst trocknen, 
legt dann die Bruchstellen an einander und fixirt mit einer Binde, 
welche man beliebig fest auziehen kann, da der Verband er¬ 
starrt ist. 

Zum Schluss füge ich zur besseren Orientirung eine Anzahl 
von Bildern bei, welche die einzelnen Phasen der Correctur dar¬ 
stellen. 

Fig. 2 stellt den doppelseitigen Klurapfuss eines 2jährigen 
Knaben dar, welcher seit dem ersten Lebensmonat in Behandlung 
war. Anfangs mit Schienen und Gipsverbänden behandelt, soll er 
in den letzten Monaten Schienenapparate getragen haben. 

Fig. 3 demonstrirt die Anlage der Zügel. Ein Zügel um den 
Hinterfuss, ein Zügel um den Vorderfuss. Ich betone hier, dass 
ich die Zügelführung nur in Ausnahmefällen für nothwendig halte. 
Ira allgemeinen genügt die Hand, welche zweifellos eine sichere 
Ein.stellung der Widerstände gewährleistet. 

Fig. 4 zeigt die Wirkung des Osteoklasten unter Zügelzug. 

Fig. 5 gibt ein Bild in extremer Dorsalflexion, nachdem alle 
Widerstände beseitigt. 

Fig. 6 präsentirt den corrigirten Fuss, welcher durch Finger¬ 
druck in der corrigirten Stellung gehalten wird. 

Fig. 7 bietet das Bild der Vollcorrectur. 


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XXVII. 


Die Therapie der Klumpflisse Neugeborener in den 
ersten Wochen nach der Gehurt*). 

Von 

Julius Finck. 

Mit 21 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Meine Herren! Vor mehr als 3 Jahren beschrieb ich, als An¬ 
hang zu meiner Arbeit „Zur Klumpfussbehandlung“ (Volkmann'sche 
Vorträge N. F. Nr. 285) meine ersten Versuche, den Klumpfuss der 
Neugeborenen möglichst unmittelbar nach der Geburt zu redressiren. 
Es waren nur Versuche gewesen, gering an der Zahl, aber in 
ihren schönen Resultaten derartig aufmunternd, dass ich nicht umhin 
konnte, darüber zu berichten, trotzdem die Technik noch vieles zu 
wünschen übrig Hess. Ich zog es aber vor, nicht länger damit zu 
warten, weil die Aussicht, in absehbarer Zeit über genügendes 
Material zu verfügen, eine sehr geringe war. 

Die Nachprüfung, um welche ich bat, wurde auf Veranlassung 
Sr. Exc. V. Bergmann von Dr. v. Dettingen, Assistenzarzt der 
Berliner chirurgischen Klinik, vorgenommen. 

An der Hand des reichen Materials der Klinik kam er zum 
Schlüsse, dass das Redressement der Klumpfüsse Neugeborener ein 
lohnender und völlig gefahrloser Eingriff sei, dass aber die von mir 
angegebene Methode, sowohl des Redressements selbst, wie des nach¬ 
folgenden Verbandes, sich nicht gut dazu eigneten, besonders weil 
der Verband eine zu sorgfältige Beaufsichtigung verlange, was bei 
poliklinischen Fällen nicht gut möglich sei. 

Er arbeitete in der Folge eine eigene Methode aus, über welche 
und über die mit ihr erzielten Resultate er in der Berliner klinischen 
Wochenschrift 1902 Nr. 2(5—28 berichtete. 

’) Vortrag, gehalten auf dem III. Congress der Deutschen Gesellschaft für 
orthopädische Chirurgie am 5. April 1904. 


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Die Therapie der Klumpfdsse Neugeborener etc. 


387 


Die Methode v. Oettingen's zeichnet sich durch eine fast 
verblüffend einfache Verbandtechnik aus und auch der zur Nach¬ 
behandlung verwendete Gummiriemen lässt an Einfachheit und — 
das will schon was bedeuten — Billigkeit nichts zu wünschen übrig. 
Sie ist aber nicht einwandsfrei. 

Nach meiner Ueberzeugung ist eine der Hauptursachen des 
Recidivs das Zurückbleiben der Ferse in Supinationsstellung. Das 
Princip der Uebercorrectur ist entstanden aus der Beobachtung, 
dass immer ein Zurückgehen uro ein bestimmtes Maass zur fehler¬ 
haften Stellung hin stattfindet. Bei der Uebercorrectur erwarten 
wir daher ein Zurückgehen auf eine gewünschte gute Mittelstellung, 
welche der normalen entspricht. Bleibt daher die Ferse beim Klump- 
fusse auch nur um ein geringes in der fehlerhaften Stellung zurück, 
dann müssen wir ein noch weiteres Zurückgehen mit grosser Wahr¬ 
scheinlichkeit erwarten. 

Es muss also bei der Correctur des Klumpfusses die supinirte 
Ferse in gleicher Weise stark pronirt werden, wie der vordere und 
mittlere Fussantheil. Ein Verband aber, welcher die Ferse nicht 
mit fasst, wird daher letztere mehr weniger in Supinationsstellung 
zurUcklassen und zwar um so mehr, je schwerer und starrer der 
Klumpfuss ist. 

Der Oettingen'sche Verband fixirt aber den redressirten Fuss 
mit einer Binde so, dass die Ferse frei bleibt; dasselbe macht der 
zur Nachbehandlung gebrauchte Gummizügel. 

Bleibt nun eine auch noch so geringe Supinationsstellung der 
Ferse nach, dann können die Kranken wohl die ganze Sohle auf- 
setzen, sie rotiren aber die Füsse einwärts. Es tritt also das ein, 
was V. Oettingen durch die Innenrotation erklärt wissen will. 

Dass eine Innenrotation existirt, ist für mich zweifellos. Ebenso 
zweifle ich aber nicht daran, dass nur ein verhältnissmässig kleiner 
Theil sie hat. Ich habe nicht gefunden, dass die Innenrotation ein 
Hindemiss gegen das gerade Aufsetzen der Füsse zu sein braucht, 
weil ein gewisses Plus an Abduction im Talocruralgelenk resp. 
Aussenrotation genügt, um sie zu paralysiren. v. Oettingen ver¬ 
legt aber die Correctur der Innenrotation ins Kniegelenk, indem er 
dieses, bei rechtwinkliger Beugung, kräftigst nach aussen rotirt. Ob 
dadurch aber eine wirkliche Correctur im Sinne eines Dauerresultates 
entsteht, erscheint mir fürs erste noch fraglich. Vorläufig sehe ich 
daher in der Fixirung des Fusses bei Beugestellung des Knies nur 


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388 


Julius Finck. 


ein gewandtes technisches Manöver, dazu dienend, der Binde eine 
feste Angriffsfläche zu verschaffen. Mir scheint es aber auch, das.^ 
diese Art der Fixirung ihre Nachtheile hat. Denn 1. leidet darunter 
die Beurtheilung, ob der Fuss selbst genügend abducirt ist, 2. kann 
eine Cachirung einer noch vorhandenen Spitzfussstellung stattfinden, 
da ja der M. gastrocnemius bei rechtwinkeliger Beugung ira Knie 
bedeutend erschlafft. 

Nichtsdestoweniger sehe ich die v. Oettingen'sche Methode 
als eine recht werthvolle Errungenschaft an, vor allen Dingen des¬ 
halb, weil sie wegen ihrer einfachsten Mittel für jedermann zu hand¬ 
haben ist, was ich von meiner Methode nicht sagen kann. Auf dem 
flachen Lande, in kleinen Städten, überall dort, wo eine orthopädische 
Anstalt schwer zu erreichen ist, wird durch diese poliklinische Me¬ 
thode jedem Chirurgen ein Mittel in die Hand gegeben, durch that- 
kräftiges Eingreifen die verzweifelten Mütter schnell zu trösten. 
Ich habe schon in meiner oben erwähnten Arbeit darauf hingewiesen, 
dass, wenn das Resultat auch nicht immer gleich ideal sein sollte, 
man doch späterhin, bei der Nachcorrectur, leichte Arbeit vor- 
finden wird. 

Ich persönlich bin hoch erfreut, dass meine Idee, den Klump- 
fuss des Neugeborenen womöglich unmittelbar nach der Geburt zu 
redressiren, in solch einfacher Art, wie sie die 0ettingen'sche 
Methode gibt, verkörpert wurde. 

Wenn ich es dennoch unternehme. Ihnen meine Methode vor¬ 
zulegen, so geschieht es deshalb, weil sie der Dettingen sehen ent¬ 
schieden überlegen ist, sowohl in den Resultaten, als auch in der 
Zeit, während welcher diese erzielt werden können. 

Meine Methode ist eine chirurgisch-orthopädische, sie arbeitet 
mit Mitteln, wie sie zum Theil wenigstens nur dem orthopädisch 
geschulten Arzte zur Verfügung stehen. Ohne im geringsten com- 
plicirt zu sein, stellt sie an die technischen Fertigkeiten ziemlich 
hohe Anforderungen, sie verlangt daher vor ihrer Anwendung gründ¬ 
liche vorherige Einübung. 

Die Behandlung umfasst das Alter bis zu 3 Monaten, man kann 
sie unbedenklich beginnen, sobald nur das Kind einige Tage alt ist. 
Meine jüngste Patientin war 5 Tage alt. Das Redressement findet 
ohne Narkose statt und je jünger das Kind ist, um so unempfind¬ 
licher verhält es sich gegenüber dem Eingriff. Das Alter von 3 Mo¬ 
naten ist, wie ich gefunden habe, die Grenze nach oben, bis zu 


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Die Therapie der Kluxnpfüsse Neugeborener etc. 


389 


welcher ohne Narkose redressirt werden kann, später wird es zur 
Quälerei und muss die Narkose zu Hilfe genommen werden. Auch 
muss man die Fälle von sehr schwerem Klumpfusse, wenn sie älter 
als 3 Wochen zur Behandlung kommen, für eine spätere Narkose 
hinausschieben. 

Die Methode zerfällt in 5 Abtheilungen. 

1. Das Redressement. 

2. Der Verband. 

3. Das Nachcorrigiren mit dem Verbände bis zur Uebercorrectur. 

4. Die Ruheperiode. 

5. Die Nachbehandlung. 

1. Das Redressement. 

Dabei erfasst man das Füsschen zwischen die Daumen beider 
Hände einerseits und die Zeige- und Mittelfinger andererseits. Die 
Daumen liegen auf- oder nebeneinander auf dem Klumpfusshöcker, 
Zeige- und Mittelfinger umklammern einerseits von hinten herum¬ 
greifend die Ferse, andererseits von oben herübergreifend den 
Vorderfuss. Man fasst kräftig zu, stemmt die Daumen fest gegen 
den Taluskopf und zieht und biegt mit den übrigen Fingern. Man 
arbeite schnell und gleichmässig, dann hat man das winzige Füsschen 
in längstens einer Minute redressirt. In manchen Fällen begegnet 
man einem stärkeren Widerstande, dann arbeite man etwas länger, 
begnüge sich aber, falls das Redressement zu schwer sein sollte, 
mit dem Ausgleich der Adduction des Vorderfusses. Die Correctur 
der Adduction muss immer vollkommen gelungen sein, das ist Be¬ 
dingung für den Erfolg. Immerhin wird es in den meisten Fällen 
gelingen, die ganze Correctur bis auf den Spitzfuss besorgt zu haben. 
Wenn nicht, dann kann man am nächsten Tage noch eine Etappe 
dransetzen. Damit muss aber das Redressement sein Ende gefunden 
haben. Den Spitzfuss lässt man bestehen. 

2. Der Verband. 

Das Material dazu muss bis aufs letzte Stück fertig daliegen, 
damit kein unnützer Aufenthalt entstehe. Während der Verband¬ 
anlegung fixirt man das Füsschen in Correcturstellung mit einer 
Hand und arbeitet von jetzt an mit einer Hand weiter, leiht sich 
aber die freie Hand des Assistenten. Bewegungen des Fusses müssen 


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390 


Julius Finck. 


vermieden werden. Man wird die Wahrnehmung machen können, 
dass in den meisten Fällen die Kleinen sich ruhig verhalten, wenn 
ihr Fuss nur nicht gerührt wird. 

Das Beinchen wird jetzt vom unteren Drittel des Oberschenkels 
an bis zur Fussspitze mit der von mir schon in meiner oben er¬ 
wähnten Arbeit angegebenen Klebeflüssigkeit bestrichen. Diese hat 
folgende Zusammensetzung: 

Terebinth. venetian. 15,0 
Mastix 12,0 

Colophoniuin 25,0 

Resina alb. 8,0 

Spirit, vini 90 180,0 

M. Filtra! 

Dr. V. Oettingen nimmt 28,0 Colophonium und dazu noch 
20,0 Aether, mir hat aber bisher in allen Fällen mein Recept 
genügt. 

Ein Stück fertiggeschnittener Rollwatte wird nun schnell um das 
Füsschen bis zu den Knöcheln incl. herumgelegt und mit einer Mull¬ 
binde festgezogen. Darauf wird das Füsschen in die innen durch 
Kratzer angerauhte Aluminiumsohle hineingedrückt, und nun folgt 
das Legen der Binde. Die Binde besteht aus feinstem weichem 
Flanell und ist 2^2—4 cm breit und 5—7 m lang. Indem man 
die Bindenrolle mit der gleichnamigen Hand fasst, legt man das 
Ende derselben recht schräg von oben aussen nach unten innen über 
dem Knie an den Oberschenkel des Kindes an. Ein Assistent stellt 
sich hinter das Kind und umfasst mit ganzer Hand von unten her 
so hoch oben als nur möglich den Oberschenkel des Kindes. Mit 
seinem Daumen drückt er das Bindenende an die Haut an, wo es 
auch sogleich anklebt (Fig. 1). 

Die Binde wird nun unter dem Knie durch von innen nach 
aussen in 1—2 Spiraltouren um den Unterschenkel herum geführt bis 
zum lateralen Knöchel. Sie soll, ohne zu schnüren, der Haut glatt 
und faltenlos anliegen. Eine Deckung des Unterschenkels mit den 
Spiraltouren soll nicht stattfinden, im Gegentheil, es muss zwischen 
den Touren Haut frei bleiben. Ueber der Fussbeuge, welche ge¬ 
polstert ist, geht die Binde auf die mediale Fussseite über, um die 
Sohle herum die Ferse fassend, und nun directen Wegs nach oben, 
längs der äusseren Wadenseite zum Daumen des Assistenten, um 
welchen sie einmal herumgeschlungen wird, nachdem man sie fest 


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Die Therapie der Elumpfüsse Neugeborener etc. 


391 


angezogen hat. Indem der Assistent den Daumen an die Haut des 
Kindes andrUckt, erhält er die Binde gespannt. Die Häkchen der 
Sohle verhindern ein Abrutschen der Binde. 


Fig. 1. 



Durch von oben nach unten laufende Circulärtouren wird weitei 
dieser so gebildete erste Zügel, welcher die Ferse pronirt, an den 
Unterschenkel angedrückt und zum Ankleben gebracht. Man ver¬ 
meide eine Schnürung, welche nie stattfinden darf. Die Circulär- 


Fig. 2. 



touren setzt man bis zur Fussspitze fort; sie müssen fest dem Fusse 
anliegen. Jetzt bildet man einen vorderen äusseren Zügel, mit 
welchem man ebenso verfährt, wie mit dem hinteren (Fig. 2). Den 
Bindenrest benutzt man dazu, um den Verband am Fussgelenk und 
am Knie zu verstärken und zum Schluss die vom Daumen des Assi¬ 
stenten herabgestreiften Bindenschleifen, nachdem man sie herunter¬ 
geklappt hat, zu befestigen. 


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392 


Julius Finck. 


Damit ist der Zweizügelverband fertig und wird man sich 
überzeugen, dass er ganz tadellos die Correctur erhält. Der hintere 
Zügel hat die Aufgabe, die Ferse zu proniren, der vordere die, den 
vorderen Fusstheil zu abduciren, zu proniren und dorsalwärts zu 
flectiren. Die Sohle hat die Aufgabe, das Ganze gewissermassen 
zusammen zu halten, den Fuss als Ganzes zu fassen. Zudem schützt 
sie den äusseren Fussrand vor Druck. Hat man die Adduction des 
Vorderfusses vollständig vernichtet, dann wird der 
innere Sohlenrand nicht drücken. Man überzeugt 
sich davon am nächsten Tage und muss man, falls 
man die Spitze der grossen Zehe stark geröthet 
vorfindet, den Verband abnehmen und die Sohle nach¬ 
biegen, indem man sie etwas zusammendrückt und 
zwar in der Richtung des Pfeils auf beistehender Skizze (Fi|^. 3). 
Der Fuss wird dadurch etwas zwischen die beiden Flächen der 
Sohle geklemmt und sein medialer Rand vor Berührung mit der 
Sohle geschützt. 

Zu Decubitus darf es auf keinen Fall kommen. Wenn es 
irgendwo drückt, dann sind die Kinder unruhiger als gewöhnlich. 
Man sehe lieber einmal zu viel als zu wenig nach und findet man, 
dass der Fuss noch zur Adduction hin federt, so muss man kurz 
entschlossen das Federn durch erneute Redression vernichten. Ein 
offener Decubitus stört das weitere Behandeln ungemein. Findet 
man, dass eine Druckstelle schwarz ist, dann bedeckt man sie mit 
einer dicken Schicht Xeroform, welches sehr gut trocknet und die 
Abstossung des Decubitus verhindert. Es ist gut, wenn man seiner 
Sache nicht sicher ist, gleich am Anfänge, vor dem ersten Verbände 
ein kleines Depot von Xeroform am Capitulum metatarsi I abzulagem. 
Ich habe nur im Anfänge hier und da einen leichten Decubitus be¬ 
kommen, später nie mehr. Zur Röthung kommt es öfter noch, nie 
aber zum Brandigwerden. 

3. Die Nachcorrectur. 

Der Verband bleibt nach einem gut gelungenen Redressement 
3—4 Tage unberührt. Darauf wird folgendermassen weiter corrigirt. 

Der Verband wird bis auf den vorderen äusseren Zügel los¬ 
gemacht, alles übrige bleibt am Fusse daran. Die Binde wird auf¬ 
gerollt und nun legt man wieder einen hinteren und einen vorderen 


Fig. 3. 



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Die Therapie der Klompfüsse Neugeborener etc. 


393 


Zügel an, indem man jedesmal beim Anspanneu des Zügels mit der 
Hand den Fuss leicht conrigirt. Macht man die Etappe in dieser 

Fig. 4. 



Art täglich einmal, dann ist sehr bald die äusserste Uebercorrectur 
erreicht, bis auf einen kleinen Rest Spitzfuss, gegen welchen der 

Fig. 5. 



Zweizügelverband machtlos ist. Zur ausgiebigen Dorsalflexion kommt 
der Dreizügelverband in Anwendung (Fig. 4). 

Man verfährt folgendermassen: Nachdem der vordere äussere 
Zügel über den Assistentendaumen geschlungen ist, kehrt er zum 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XIII. Bd. 26 


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394 


Julius Fiuck. 


inneren Fussrande zurück, umschlingt vorne die Sohle und geht ab 
Verdoppelung des vorderen äusseren Zügels wieder zum Dmimen 
zurück. Während der Anspannung des vorderen inneren Zügels wird 
der Spitzfuss mit der Hand etwas corrigirt. Wie der fertige Drei¬ 
zügelverband aussieht, zeigt Fig. 5. 

Von dem Redressement an gerechnet bis zur absoluten Ueber- 
correctur vergehen im Mittel 2 Wochen. Während dieser Zeit wird 
hier und da zwecks Controlle die Binde ganz entfernt und eine neue 
genommen. Auch wird dann, nach Entfernung des Klebstoffes mit 
Spiritus, das Beinchen leicht massirt. Gewöhnlich ist der Fuss etwas 
geschwollen. 

4. Die Ruheperiode. 

Nach vollendeter Correctur wird der Verband entfernt und ein 
Modell zum Apparate gemacht. Darauf folgt mit einer neuen Binde 
der Zweizügelverband bei äusserster Correcturstellung, wobei jetzt 
die Dorsalflexion keine Hindernisse erfährt. Wer Acetoncelluloid vor- 
räthig hat, thut gut, damit die Oberfläche des Verbandes leicht ein¬ 
zureiben. Nothwendig ist das nicht. Der Verband hält auch so vor, 
wenn man nur dafür sorgt, dass die obersten gelockerten Schichten 
wieder angezogen werden, was die Mutter selbst besorgen kann. Kam 
früher der Patient täglich, so wird er jetzt jeden dritten Tag be¬ 
stellt. Die Mutter wird streng angewiesen, den Verband trocken zu 
erhalten. Der beste Nässeschutz ist das Herauslassen 
des verbundenen Fusses aus den Windeln und Decken. 
Dr. V. Oettingen empfiehlt einen dicken wollenen Strumpf auf den 
Verband zu ziehen und ihn mit Lycopodiumsamen zu bestreuen. Die 
Mutter erhält auch noch folgende strenge Vorschrift, welche auch 
für die ganze Zeit der Nachbehandlung gilt: Beim Herumtragen darf 
das kranke Beinchen nicht an den Leib der Mutter herankommen, weil 
das Füsschen sonst in die Varusstellung gedrängt wird. Bei doppel¬ 
seitigem Leiden muss das Kind so getragen werden, dass beide 
Beinchen frei heraushängen. Bei Kindern, deren Mütter diese Regel 
nicht begreifen, wird das Füsschen recidiviren, welches beim Herum¬ 
tragen beständig an den Leib der Mutter herangedrückt wurde. Auch 
dürfen die Füsse nie mit einer schweren Decke bedeckt werden. 

Der Ruheverband bleibt so lange liegen, bis jede Spur von 
Schwellung vorüber ist, und noch etwas darüber. 10—14 Tage sind 
in den meisten Fällen genügend. Unterdessen ist der Apparat fertig 


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Die Therapie der Elumpfüsse Neugeborener etc. 


395 


geworden. Von Beginn der Behandlung bis hierher ist ein 
Zeitraum von circa einem Monat verstrichen. 

5. Die Nachbehandlung. 

Diese besteht nur im Tragen des Gummizügelapparates und in 
Massage. Eine mobilisirende Gymnastik ist absolut unnöthig. Das 
Mobilisiren und das Einschleifen der Gelenke besorgen die Kleinen 
selbst. Ein kleines Kind, welches frei daliegt, bewegt seine Bein- 
chen fortwährend, indem es sie abwechselnd beugt und streckt. Die 
drei Gummizüge des Apparates (s. Fig. 6) hindern die Plantarflexion 


Fig. 6. 



nicht. Sie werden aber jedesmal dabei angespannt und führen den 
Fuss wieder richtig in die corrigirte Lage zurück. Durch dieses 
beständige Hin und Zurück erfolgt eine so ausgiebige Mobilisirung 
der Gelenke in einer bestimmten Richtung durch den kleinen Patienten 
selbst, wie man sie sich besser gar nicht wünschen kann. Und ge¬ 
rade dieser Umstand bewegt mich, auf diesen Apparat, welcher mir 
bei der Behandlung älterer Kinder unschätzbare Dienste leistet 
(Fig. 7 u. 8), bei der Behandlung des Neugeborenen nicht zu ver¬ 
zichten, obgleich er wegen des beständigen Wäschewechselns manche 
Scheerereien macht. Die Mütter nehmen die Mühe aber ganz gerne 
auf sich, und haben es bald gelernt, mit dem Apparat kunstgerecht 
umzugehen. Das Massiren überlasse ich ebenfalls den Müttern, welche 
schon zeitig, eventuell am gesunden Bein oder am Arme, im Streichen 
und Kneten unterwiesen werden. 

Der Apparat wird einen Monat ununterbrochen getragen, darauf 
allmählich während des Tages fortgelassen bis auf 2 Stunden, welche 
der oben erwähnten Gymnastik dienen. Des Nachts schläft der kleine 


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396 


Julius Finck. 


Patieut im Apparate, bis 6 Monate herum sind, worauf der Apparat 
ganz fortgelassen wird. Dazwischen haben sich die Patienten einmal 


Fig. 7. 



Torzustellen. Die Nachbehandlung ist somit die denkbar einfachste 
und verlangt von der Mutter nur einige Sorgsamkeit im Anziehen 
des Apparates. 

Was nun den Apparat anbetrifft, so wird er aus Acetoncellu¬ 
loid gemacht. Celluloid ist wohl das einzige Material, welches ein 


Fig. 8. 



häufiges Nasswerden verträgt. Der Apparat besteht aus Beckenstück, 
Kniehülse und Sohle. BeckenstUck und Kniehülse werden durch ein 
Riemchen aussen mit einander verbunden, Kniestück und Sohle durch 


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Die Therapie der KluxnpfüBse Neugeborener etc. 


397 


drei Gummizüge. Der Zug der letzteren wird somit auf das Becken 
übertragen, ohne dass irgendwo ein Chamier angebracht wird, welches 
nur die freie Bewegung hindern könnte. 

Das Modell zum Apparate wird mit Gipsbinde gemacht, der 
Beckentheil, während das Kind über einer Lücke zwischen zwei 
Polsterkissen liegt. Man wird die Bemerkung machen können, dass 
ein neugeborenes Kind in einer ganz typischen Stellung daliegt. Die 
Beinchen sind etwas an den Leib herangezogen und nach aussen rotirt, 
die Kniee flectirt. Dieser Lage entsprechend wird der Apparat ge* 
baut. Das Modell zum Beckentheil muss also etwas auf den Ober* 
Schenkel herübergehen, während das Bein in der Hüfte flectirt ge* 
halten wird. Dadurch erhält der untere Rand des Beckentheils eine 
aufwärts gebogene Form, welche wichtig ist, damit der untere Rand 
nicht drückt, wenn das Kind seine Beinchen heranzieht. Da man bei 
einem kleinen Kinde von Taille nicht reden kann, so wird beim 
Hartwerden des Gipses eine Rinne eingerieben, welche wenigstens 
ins ünterhautfett sich eindrückt. Das Modell zum Knie wird bei 
stumpfwinkliger Beugung genommen, dasjenige zur Sohle mit 
einem weichen dünnen Carton, auf welchen man sich die Contour 
der Fusssohle anzeichnet. Den medialen Rand zeichnet man aus 
freier Hand daran, schneidet das Stück aus, und probirt es am 
Fusse an. Da die Sohle über der Wattepolsterung passen soll, 
so muss diese natürlich berechnet werden. Das Modell muss die 
Form beistehender Skizze (Fig. 8a) haben, a ist die 
eigentliche Sohle, h der mediale Rand, welcher am a 
und h verbindenden Stege aufwärts gebogen wird. Die 
Kanten c —d, e—f werden durch Biegen entsprechend 
zur Berührung gebracht, bei h wird der Rand über den 
Fussrücken hinübergebogen. Die Punkte i, 2 und 3 
bezeichnen die Stellen an der Sohle, wo die drei 
Häkchen angeniethet oder angelöthet werden. Die 
Häkchen müssen die Form haben, wie sie Fig. 9 wiedergibt, sie 
werden aus Kupferdraht gebogen. Die Sohle selbst wird aus Alu¬ 
miniumblech oder aus ganz dünnem verzinktem 
Eisenblech gemacht; man muss sie mit grösster 
Leichtigkeit mit den Fingern nachbiegen kön¬ 
nen. — Die Kniehülse reicht nach innen so 
weit, dass die Genitalien nicht mit ihr in Berührung kommen, nach 
hinten und seitlich bis zur queren Glutäalfalte. Sie wird durch einen 


Fig. 9. 



Fig. 8 a. 



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398 


Julius Finck. 


Lederriemen aussen auf eiuem Enöpfchen geschlossen. Nach unten 
reicht sie vorne bis zur Knielinie, hinten bis etwas auf die Wade. 
Das EniestUck hat aussen auf der Höhe des Fibulaköpfchens einen 
Spiralhaken, auf welchen zwei kleine Ringe kommen. Der eine Ring 
ist für die beiden äusseren Gummizüge, der andere für den inneren 
bestimmt. 

Das Beckentheil wird vorne geschnürt, vorne ist es ganz 
schmal, hinten breiter. Der Lederriemen, welcher Becken- und 
Eniestück Zusammenhalt, muss genau seitlich angebracht werden. 
Am Beckenstück muss er sich drehen können, am Kniestück ist eine 
kleine Schnalle angenäht, durch welche er durchgezogen wird. Die 
Celluloidhülsen werden so dünn wie nur möglich hergestellt, die 
Ränder werden nicht vernäht, sondern mit Acetoncelluloid ver¬ 
strichen. 

Der Apparat wird so angezogen: Zuerst wird das Beckenstück 
angelegt und gut verschnürt. Darauf legt man das Eniestück daran, 
und zieht es mit dem Seitenriemen etwas höher hinauf, als es eigent¬ 
lich kommen soll, worauf es geschlossen wird. 

Die Sohle wird folgendermassen angebracht: In die beiden Ringe, 
welche im Spiralhaken hängen, werden die Gummizüge sicher einge¬ 
bunden, am besten mit Seide, welche man bindet, während der Gummi 
lang ausgezogen wird. Jetzt wird die Sohle angelegt, während der Fass 
in Correctursteliung gehalten wird, je ein Gummizug in die Sohlen¬ 
häkchen eingeklemmt, indem man dem Gummizug gerade nur leichteste 
Spannung gibt. Man wird, wenn man darauf den Fuss loslässt, sofort 
bemerken, dass er in der gewünschten Stellung gehalten wird. Der 
hohe Sohlenrand muss der medialen Fussseite gut anliegen. Auf 
alle Fälle müssen die beiden äusseren Züge kräftiger ziehen, als der 
innere. Man muss die Kraftwirkung jedes einzelnen Zuges 
genau reguliren. 

Weiterhin werden beim Abnehmen der Sohle vom Fusse die 
beiden Ringe vom seitlichen Haken abgehakt, beim Anziehen wieder 
darangesetzt. 

Zur Apparatensohle benutzt man dieselbe, welche beim Ver¬ 
bände war, nachdem man eine dünne Filzschicht hineingeklebt hatte. 
Das Füsschen ist unterdessen gewachsen und passt ziemlich genau. 
Für späterhin wird, falls das Füsschen heraus wachsen sollte, eine 
etwas grössere Sohlennummer mitgegeben. Es ist zweckmässig, sich 
drei Nummern vorräthig zu halten, sie können für alle Füsse nach 


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Die Therapie der ElumpfQsse Neugeborener etc. 


399 


derselben Schablone hergestellt und nach Bedarf zurechtgebogen und 
geschnitten werden. Gleichfalls ist es möglich, sich drei Modell¬ 
grössen für das Becken- und Kniestück aufzubewahren. Das Modell¬ 
machen für jeden einzelnen Fall fallt dann weg, die kleinen Körper¬ 
chen sind sich ja fast alle gleich. 

Die Gummizüge spanne ich bei grösseren Kindern so stark an, 
dass die Sohle ohne jedes andere Hilfsmittel, nur durch die elastische 
Kraft fest am Fusse sitzt. Bei ganz kleinen zarten Kindern ist das 
nicht möglich, der stark gespannte Gummizug wirkt weiter corri- 
girend und erzeugt neben Schmerzen ein unerwünschtes Uebermaass. 


Fig. 10. 



Um dieses leicht eintretende Zuviel zu vermeiden, werden die Züge 
nur so weit angespannt, dass sie bei Ruhelage des Fusses gerade die 
Sohle noch halten. Sobald das Kind aber die Beine bewegt, treten 
Verschiebungen ein, und um das zu vermeiden, muss die Sohle noch 
extra befestigt werden. Dieses kann geschehen 

1. durch eine Binde, welche aber unter den Gummizügen durch¬ 
gezogen werden muss; 

2. durch Ankleben der Sohle mit der oben genannten Klebe¬ 
masse an den Fuss, was möglich ist, da die Sohle eine Filzein¬ 
lage hat; 

3. dadurch, dass man aus weichem Leder einen kleinen Schuh 
anfertigen lässt (Fig. 10), welcher an den Sohlenfilz angenäht wird. 

In Anbetracht der Länge der Zeit ist vielleicht letzterer Modus 
am praktischsten. 


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400 


Julius Finck. 



Fig. 11 gibt die Zeichnung des kleinen Apparates, wie er jetzt 
verwendet wird. Es ist noch nachzutragen, dass für die Züge sich 
die in allen Gummiwaarenhandlungen erhältliche, solide Schwarz¬ 
gummischnur, kantig, von 3 mm Dicke, am besten bewährt hat. 

Bei einseitigem Klumpfusse ist 
11* gg rathsam, für beide Füsse den Apparat 

zu machen, da der anscheinend ge¬ 
sunde Fuss immerhin die leichteste 
Varusform darstellt und beim Gehen 
einwärts auftritt. Ausserdem hält sich 
der ganze Apparat viel besser, wenn 
er für beide Füsse gemacht ist 

Wenn das Kind aufgesetzt wird 
(ältere Kinder), dann muss der das 
Becken- und Kniestück verbindende 
Kiemen angespannt werden, da er beim 
Sitzen erschlafft. 

a Beckenstück, e Kniestück, h Sohle. ^ -er -i i i 

fe Verbindungsriemen mit Schnalle und Der Vortheil, Welchen die frÜIl 

drehbarem Knopf, d Schliessriemen . , . i» i t» i j 

für c. « spiniihaken. f kleiner Ring, eingeleitete radicale Behandlung der 
g drei Gummizüge, fc Sohlenhakchen. ^ i • i ■ x 

• Ueberstehender Sohicnrand. Klumpfüsse Neugeborener bringt, ist 

ein ganz eclatanter, insofern als die 
Füsse sich ganz normal weiter entwickeln, sowohl was die Form, 
als auch was die Function anbetriflft. Nur ein Kennerauge vermag 
späterhin den ehemaligen Klumpfuss zu erkennen. Es ist eine Freude. 

zu sehen, wie solche Kinder, sobald sie 
zu gehen beginnen, ganz richtig ihre Füsse 
aufsetzen und bewegen. Ich benutze die 
Gelegenheit, Ihnen das Bild eines Kindes 
zu zeigen, welches nun bald 3 Jahre alt 
ist. Margarethe H. aus Charkow, con¬ 
genitaler doppelseitiger Klumpfuss, ein 
schwerer Fall. Geboren am 21. Juli 
1901. Trat in Behandlung am 10. Sep¬ 
tember 1901, als es also noch nicht 
2 Monate alt war. Da ich verreist 
war, als das Kind geboren wurde, hattra 
die Eltern meine Rückkehr abgewartet und unterdessen nichts ge- 
than. Das Redressement wurde zweizeitig gemacht, am 10. und am 
11. September. Am 12. Behandlungstage wurde der Dauerverband 


a Beckenstück, c Kniestück, h Sohle. 
b Verbindungsriemen mit Schnalle und 
drehbarem Knopf, d Schliessriemen 
für c. e Spiniihaken. f kleiner Ring. 
g drei Gummizüge, fc Sohlenhakchen. 

• Ueberstehender Sohicnrand. 


Fig. 12. 


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Die Therapie der KlumpfQsse Neugeborener etc. 


401 



auf 2 Wochen angelegt und darauf der Apparat, nach dessen An¬ 
legung noch ein Schmerzenstag zu verzeichnen war; dafür waren aber 
die Füsse ganz exquisit corrigirt. Bei täglicher Massage wurde der 
Apparat 6 Monate getragen. Damit wurde die Behandlung abge¬ 


schlossen und ist bis heute nichts weiter geschehen. Fig. 12 zeigt die 
Klumpfüsse des 6 Wochen alten Kindes. Auf Fig. 13 ist das Kind 
am 16. März 1904 von vorne, auf Fig. 14 von der Rückseite photo- 
graphirt, letzteres, um die ganz normale Stellung der Fersen zu 
demonstriren. Man erkennt die hübsche Entwickelung der Waden 
und des Fusses. Letzterer ist etwas breiter als ein normaler sein 
sollte und ein leichter Plattfuss, die Zehen spreizen sich etwas beim 
Auftreten. Das Kind wurde photographirt, wie es sich hingestellt 
hatte. Es geht ohne zu ermüden weite Strecken, der Fuss ist weich, 


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402 


Julius Finck. 


pronirt activ ganz normal und mit genügender Kraft. Beim Gehen 
werden die Füsse gerade nach vorne gestellt 

Ein zweiter Fall. Maria K. aus Charkow. Der Fall ist von 
mir schon in meiner oben angeführten Arbeit beschrieben worden« 
Der Fall war leicht und wandte ich damals noch keinen Apparat 
zur Nachbehandlung an, sondern den Zweizügelverband, in dessen 
Anlegung die Wärterin unterrichtet wurde. Es ist aber interessant 
zu sehen, wenn man Fig. 15 u. 16 vergleicht, welche Umwandlung 


Fig. 15. Fig. 16. 



die Füsse erfahren haben. Das erste Bild zeigt die Füsse des 5 Tage 
alten Kindes, das zweite die Füsse 11 Monate nachher. Patientin ver¬ 
zog aus Charkow, es geht ihr aber gut. 

Die folgenden Bilder zeigen Klumpfüsse vor und 1 Monat nach 
Beginn der Behandlung. 

I. Samson K. aus Ssimferopol, Krim. Bei Beginn der Behand¬ 
lung 1 Monat alt. Doppelseitiger sehr schwerer Klumpfuss. Zwei¬ 
zeitiges Redressement am 13. und 14. März 1903; wurde am 14. April 
1903 mit Gummizügelapparat entlassen, erschien 3 Monate darauf 
bei vorzüglicher Stellung der Füsse, erhielt, da der Apparat zu klein 
geworden war, einen neuen (Fig. 17 u. 18). 

II. Aaron K. aus Melitopol. Doppelseitiger. mittelschwerer 
Klumpfuss. Bei Beginn der Behandlung 5 Wochen alt. Einseitiges 
Redressement am 17. October 1903, Nachcorrectur bis zur üeber- 
correctur am 30. October beendet. Wurde am 18. November 1903 
mit Gummizugapparat aus der Behandlung entlassen (Fig. 19 u. 20). 


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Die Therapie der KlumpfüMe Neugeborener etc. 403 


Von den übrigen Patienten habe ich keine guten Abbildungen, 
dagegen habe ich eine kleine Zahl Gipsabdrücke vor der Behandlung 

Fig. 17. Fig. 18. 



und bei der Entlassung. Lehrreich ist der Fall Friedrich D. aus 
Friedrichsfeld, Gouv. Taurien. Doppelseitiger sehr schwerer Klump- 
fuss, intrauterine Zehenaroputation, bei Beginn der Behandlung 


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404 Julius Finck. Die Therapie der KlumpfÜsse Neugeborener etc. 



2 Wochen alt. Atrophisches Kind. Zweizeitiges Redressement am 
2. und 3. Mai 1902. Der rechte Fuss machte keine Schwierigkeiten, 
beim linken gelang es auf keine Weise, den Equinus zu corrigiren, 
so dass ich schliesslich nach öwöchentlicher Behandlung, nachdem 
alles übrige in Ordnung gekommen war, gezwungen war, die Achilles¬ 
sehne zu tenotorairen, was unter Localanästhesie ausgeführt wurde. 

Pig 21. Nichtsdestoweniger erhielt ich nach 

ca. ^/4 Jahren die Nachricht, dass 
der linke Fuss in Spitzfussstellong 
recidivirt sei. Das Kind erschien 
nicht zur Nachcorrectur. Der Fall 
ist insofern noch bemerkenswerth, 
als am linken Beine überall, wo 
nur irgend ein leichter Druck statt¬ 
fand, Decubitus auftrat, sogar über 
dem Knie, während der rechte Fass 
nichts Besonderes darbot. Fig. 21 
zeigt die Gipsabgüsse des rechten 
Fusses, welcher viel stärker verkrümmt war als der linke, vor und 
nach Swöchentlicher Behandlung. Man erkennt die kräftige Pro¬ 
nation der Ferse. 

Was nun die Recidive anbetrifft, so habe ich unter 21 Fällen, 
welche nicht später als 3 Monate nach der Geburt zur Behandlung 
kamen, 3 Recidive zu verzeichnen, d. h. soweit ich von jedem ein¬ 
zelnen Falle genaue Nachricht erhalten konnte. Wirklich genaue 
Berichte zu erhalten ist aber schwer. Immerhin ist der Totalein¬ 
druck ein sehr befriedigender, so dass ich mit gutem Gewissen diese 
Behandlungsart empfehlen kann. Wie es mit den Spätrecidiven 
werden wird, darüber kann ich auch noch nicht urtheilen, bin aber 
der Ueberzeugung, dass manches Mal eine Nachcorrectur nothwendig 
sein wird. Diese Nachcorrectur hat aber mit dem Gummizügel- 
apparate gar keine Schwierigkeiten, eine Erfahrung, welche ich bei 
der Behandlung älterer Kinder gewonnen habe, so d&ss ich über die 
endlichen Resultate meiner Klumpfussbebandlung ganz beruhigt bin« 
Auf alle Fälle sind die Mütter mit der Weisung zu entlassen, 
den Apparat nicht früher fortzulassen, als bis 6 Monate vorüber 
sind, auch wenn das Füsschen schon „sehr schöngeworden sei 
und weiter, den Apparat sofort wieder anzulegen, falls es sich zeigen 
sollte, dass die Füsse wieder anfangen, sich nach einwärts zu kehren. 


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XXVIll. 


Combinirtep Zug-Gips-Verband’). 

Von 

H. Gocht-Halle a. S. 

Mit 5 in den Text gedruckten Abbildungen. 

In der Extremitäten- und Gelenkchirurgie gibt es eine Ueber- 
fQlle von pathologischen Zuständen, in denen ein ständig weiter- 
wirkender Zugv^erband angezeigt erscheint. Es sei nur erinnert an 
die Knochenbrliehe, an Gelenkentzündungen und deren Folgezustände, 
an veraltete traumatische Luxationen, an die angeborene Hüftver¬ 
renkung bei älteren Kindern etc. 

Gerade die letzte Erkrankung ist es gewesen, die diesen com- 
binirten Zug-Gips-Verband veranlasst hat. Wir stehen öfters bei 
beträchtlichem Hochstand der Scbenkelköpfe einer so enormen Ver¬ 
kürzung aller das Hüftgelenk umgebenden Gewebstheile gegenüber, 
dass in Anbetracht eines möglichst schonenden Repositionseingriffes 
eine langsam zunehmende, aber beträchtliche Dehnung aller ver¬ 
kürzten Theile unbedingt geboten ist. Um diese zu erreichen, wurde 
bisher nach blutiger oder unblutiger Durchtrennung der betreffenden, 
sich am meisten anspannenden Theile (Sehnen, Muskeln, Fascien) 
die Gewichtsextension angewandt. Diese fesselt aber unsere Patienten 
ans Bett. 

Legt man aber unter einem stärkeren Zug einen Gipsverband 
an das Bein, so findet der Zug und Gegenzug statt: oben am 
Tuber ischii und am Schambein, unten am Fussrücken und hinten 
direct an und oberhalb der Ferse. Steigert man nachträglich diesen 
Zug noch mehr, so hilft die exacteste Polsterung am und um den 
Fuss nicht, es muss hier Decubitus geben, oder der Fuss rutscht 
innerhalb des Gipsverbandes hoch; der Zug wird illusorisch. Der 

*) Vortrag, gehalten auf dem III. Congress der Deutschen Gesellschaft 
für orthopädische Chirurgie am 5. April 1904. 


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406 


H. Gocht. 


Druck oben gegen das Tuber und das Os pubis lässt sich dag^en 
durch eine sorgsame Polsterung, einen Sitzring vermeiden. 

Es kam also darauf an, 

1. einen fortwirkenden, steigerungsfähigen Zug auf das 
Bein auszuüben, 

2. den Patienten frei zu machen vom Bett, ihm mit dem 
Zugverband völlige Bewegungsfreiheit zu geben, 

3. jeden schädigenden Druck zu vermeiden. 


Fig. 1. 



Alle diese drei gleich wichtigen Momente werden aufs einfachste 
und exacteste erreicht durch den combinirten Zug-Gips-Verband. 

An dem Beispiele eines hochgradigen Coxa vara-Falles sei die 
Technik des Verbandes kurz geschildert. 

Nach Ausführung der Knochenoperation, Schluss der Wunde 
durch Naht und sterile Verbandstoffe wird Patient, so wie es Fig. 1 
zeigt, auf unserer Beckenstütze gelagert und ein Zugverband ange¬ 
legt. Als Material dient Heftpflaster, Zinkpflaster, Filzstreifen mit 
Klebemasse (Heusner) oder mit Zinkleim (Lange). Diese Becken¬ 
stütze besteht aus drei Theilen (Fig. 2): 

1. der senkrechten Führungsstange, welche am Tisch fest¬ 
geschraubt wird, 

2. dem wagerechten Arm, der in beliebiger Höhe oberhalb des 
Tisches festgestellt wird, 

3. der eigentlichen Lager- und Stützvorrichtung für das Becken. 

Letztere endet nach oben in einer verschiebbaren, feststellbaren, 

runden Stange, nach unten in einer herzförmigen Auflage. Die Vor- 

*) Beckenstütze von Gocht-Lossen, Lieferant: Fr. Baumgartel, Halle a. S. 


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Combinirter Zug^Gips-Verband. 


407 


Züge dieser neuen Beckenstütze vor allen bisher üblichen sind in der 
Hauptsache folgende: 

1. Die Beckenstütze wird unterhalb der Tischplatte, nicht 
an dieser selbst angebracht. 

2. Die Beckenstütze gestattet aufs bequemste jede Höbenver- 
schiebung und Drehbewegung. 

3. Die Beckenstütze ist für Kinder und Erwachsene gleich 
brauchbar. 

4. Die Beckenstütze gestattet, da die Auflage drehbar ist, den 
Patienten mehr rechts oder links oder in der Mitte zu unterstützen. 


Fig. 2. 



5. Da die Lagervorrichtung hängt (und nicht, wie sonst, 
von unten her getragen wird), ist eine absolute Freiheit bei An¬ 
legung des Gipsverbandes und allen sonstigen Becken-und 
Bauchyerbänden gewährleistet. Die ganze Glutäalgegend liegt von 
unten her frei. 

6. Die Beckenstützvorrichtung wird mit eingegipst, beim Zu- 
rQcklagem des Patienten nach Lösung der oberen Schraube im Ver¬ 
band gelassen und erst nachträglich leicht entfernt. 

Für alle die Fälle, in denen ein manueller Zug ausreicht, ge¬ 
nügt diese oder eine ähnliche Beckenstütze. Der Oberkörper des 
Patienten ruht auf einem Kissen, das Becken und der Damm stützen 
sich gegen die eigentliche herabhängende Lager- und Stützvorrich- 
tung, das gesunde Bein ist mittelst einer Gummibinde an der senk¬ 
rechten Führungsstange in überstreckter Stellung festgewickelt. 


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408 


H. Gocht. 


Der Zugverband endet, unten den Fuss 20—25 cm überragend, 
in einem recht breiten, festen Spreizbrett. Während ein Assistent ent¬ 
sprechend am Spreizbrett zieht, wird der Fuss sammt der Knöchel- 


Fig. 3. 



gegend fingerdick gut umpolstert. Der Zinkpflaster-Zugverband wird 
mit einer schmalen Mullbinde gleichmässig angewickelt. Gegen den 
Sitzknorren und die Schambeingegend legt sich fest ein 6—8 cm 
breiter, an den Rändern mit der Scheere abgeschrägter Streifen 

Fig. 4. 



guten Polsterfilzes. Becken und Bein werden schliesslich mit zwei , 
Lagen Wiener Watte eingehüllt und darauf der Gipsverband um I 
Becken und Bein angelegt (Fig. 3). Ganz zum Schluss wird auch , 
der Fuss bei rechtwinkeliger Stellung und fortgesetztem Zug am I 
Spreizbrett in den Gipsverband hineingenommen, derart, dass die 
Zinkpflasterstreifen rechts und links aus dem Verband heraustreten 
und an der Durchtrittsstelle fest in den Gipsspalten haften (Fig. 4). ; 

Ist der Gips erhärtet, rutschen die Zinkpflasterstreifen nicht 


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Combinirter Zug-Gips-Verband. 


40Ü 


von der Stelle. Auf diese Weise wird selbst der nur lose eiuge- 
gipste Fuss mit seiner Sohle an der Sohle des Gipsverbandes fest¬ 
gehalten, und es kommt weder zu einem Druck auf den FussrUcken 
noch hinten an der Fersengegend. Der Fuss kann sogar, da eben 
nicht an ihm, sondern an dem ganzen Bein gezogen wird, im Fuss- 
gelenk geringe Bewegungen ausführen. Wenn wir uns erinnern, 
dass uns Herr Codivilla auf dem Congress 1903 mittheilte, er 
schlage einen Nagel quer durch das Fersenbein, an dem der Gips¬ 
verband Halt gewinne gegen den Decubitus, so lässt sich das 


Fig. 5. 



Schonende und Wirksame dieser Combination von Gips- und Zug¬ 
verband recht ermessen. In diesem Zug-Gips-Verband wirkt also 
der während des Eingipsens gegebene Zug weiter und erschöpft sich 
durch die Dehnung der verkürzten Gewebstheile oder durch ein Distra- 
hiren der in unserem Fall schräg durchtrennten Knochentheile etc. 
Das Spreizbrett wird schliesslich weggenomraeu, und die freien 
Pflasterstreifen werden provisorisch mit einer Mullbinde an den Gips¬ 
verband angewickelt. Nach einigen Tagen wird der Gipsverband im 
Oberschenkeltheil circular aufgeschnitten (Fig. 5) und an dem wieder 
unten eingelegten Spreizbrett so stark gezogen, dass ein Klaffen an 
der circulären Schnittstelle im Gipsverband entsteht. Aus Kork ge¬ 
schnittene flache Stücke legt man ringsherum in den Spalt ein, so 
dass die Gipshülsen aus einander gedrängt bleiben. Jede Stellungs¬ 
veränderung im Sinne einer Rotation etc. kann jetzt gleichzeitig, 
z. B. durch Drehen des unteren Gipsverbandabschnittes, gegen den 
oberen erwirkt werden. Eine Stärke- oder Gipsbinde fixirt zum 
Schluss das gewonnene Resultat. 

Zeitschrift für orthopädische ( hinirgie. XIII. Bd. 27 


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410 


H. Gocht. Combinirter Zug-Gips-Verband. 


Auf ganz analoge Weise kann noch 2—3mal der Zug ge¬ 
steigert werden. 

In allen Fällen, z. B. bei doppelseitigen Hüftverrenkungen, 
wenn einmal der manuelle Zug nicht genügen sollte, oder wenn man 
ganz ohne Assistenz arbeiten will, wird der Patient sorgfältig auf 
einem Extensionstisch(Schede, Heusner) gelagert; der maschinelle 
Zug greift wieder an dem Spreizbrett an. 

Es ergibt sich von selbst, dass eine Zugwirkung auf das Knie¬ 
gelenk allein erreicht wird, indem man die Pfiasterstreifen erst vom 
Kniegelenk abwärts anlegt. 

Soll z. B. nur das Fussgelenk distrahirt werden, so legt sich 
ein Zinkpflasterstreifen breit und glatt über den Fussrücken beider¬ 
seits schräg nach hinten, ein zweiter umgreift die Ferse von hinten 
schräg nach vorn, so dass also vier getrennte Pflasterstreifen aas 
dem Gips verband seitlich unten heraustreten. 

Wenn ich zum Schluss hinzufüge, dass mich dieser combinirte 
Zug-Gips-Verband bisher seit mehr als ^|4 Jahren in keinem einzigen 
Falle mit seiner Wirkung im Stich gelassen hat, dass ich seitdem 
einen Decubitus am Fuss nicht wieder erlebt habe, dass schliesslich 
die Patienten in dem Verband wohl herumgehen können, so glaube 
ich genug zu seiner Empfehlung gesagt zu haben. 

') Esch bäum-Bonn fertigt für den Scbede-Tisch ebenfalls unsere hängende 
Beckenstützvorrichtung. 


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XXIX. 


Zur Technik der Etappengipsverbände'). 

Von 

Dr. Jalius Finck. 

Mit 1 in den Text gedruckten Abbildung. 

Die Wolff*schen Etappenverbände haben bei all ihren Vor¬ 
zügen auch ihre Schattenseiten. Durch das vielfache Aufpacken von 
Gips auf eine und dieselbe Stelle werden sie 1. dick und unförm¬ 
lich, 2. schwer und 3. werden sie zu einer wahren Plage, wenn es 
ans Aufschneiden geht. Daher ist das Verlangen nach einer, sagen 
wir, eleganteren Methode ein ganz natürliches. Es lag nahe zu ver¬ 
suchen, den die Etappe fixirenden Verband abnehmbar zu machen. 

Ich bin so zu einem Verfahren gekommen, welches nur die 
Vorzüge, nicht die Nachtheile der Etappenverbände besitzt. Es hat 
sich bei mir schon seit einigen Jahren so gut bewährt, dass ich 
auch vor den schwierigsten Aufgaben nicht zurückschrecke. 

Setzen wir beim Knie den einfachsten Fall einer uncoraplicirten 
Flexionscontractur voraus, so wird, wie gewöhnlich, bei guter Unter¬ 
polsterung der Stellen, welche Druck auszuhalten haben, der Ver¬ 
band auf Watte angelegt. Ohne die geringste Correctur vorzunehmen, 
wird das völlige Erhärten des Verbandes abgewartet. Nachdem 
dieses geschehen, durchtrennt man mit einem scharfen Scalpell in 
glattem Schnitt den Gips rund um das Knie herum. Der Schnitt 
verläuft an dem vorderen Rande der Patella vorbei in einem Oval 
von vorne unten nach hinten oben (siehe Fig. a —A). Der Keil wird 
vorne unterhalb dieses Schnittes durch einen zweiten, die halbe 
Circumferenz des Knies umlaufenden Schnitt h aus dem Unter¬ 
schenkeltheil des Verbandes herausgeholt. Durch eine solche Spaltung 
des Verbandes bildet man sich ein Dach über dem Knie und ver¬ 
hindert es so am Ausweichen. 

*) Vortrag, gehalten auf dem III. Congress der Deutschen Gesellschaft 
für orthopädische Chirurgie am 5 April 1904. 


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412 


Julius Finck. 


Weiter schneidet man an der äusseren Seite, parallel zum 
Contractionswinkel, aus dem Verbände eine schmale Rinne cd heraus. 
3—4 mm breit und je nachdem 10—15 cm lang. 

Jetzt wird das Knie circular mit zwei bis drei Schichten Mull¬ 
binde von der Marke e bis f umwickelt, das obere und das untere 
Ende der seitlichen Rinne bleiben davon frei. 

Nachdem die Correctur erfolgt ist, wird sofort ein dickes Gips¬ 
pflaster unausgedrückt herumgelegt und mit einer klitschnassen Gips¬ 
binde festgezogen. Die Touren derselben reichen aber auch über 
die Grenzen der Mullbindenlage, also über e und f nach ^ und A auf 
den primären Qipsverband hinüber (die schrägschraffirte Partie der 
Figur), aber nicht mehr als in zwei Lagen. Sie werden dort 



zwischen g und e, f und h sorgfältig mit dem unterliegenden Gips- 
verbande verrieben. Bedingung ist, dass die Gipsbinde vollkommen 
nass auf diese Stellen daraufkommt. Dadurch wird das Gipspflaster 
oben und unten mit dem primären Gipsverbande verbunden. Bei 
schweren Beinen wird es wohl auch nöthig sein, die Gipsbinde fest 
in den Spalt hineinzuziehen. 

Während der Gips erhärtet, drückt man die seitliche Rinne 
mit irgend einem stumpfen Instrumente ein, um damit den Verlauf 
derselben zu bezeichnen. 

Vor der nächsten Etappe stösst man die Zunge der Stille¬ 
schen Scheere durch die die Enden der Rinne bedeckende dünne 
Gipsschicht hindurch und die Zunge längs der Rinne führend schneidet 
man so mit Leichtigkeit den secundären Verband auf. 

Nachdem dieses geschehen, fasst man mit beiden Händen in 
den Schnitt hinein und reisst fast ohne Kraftanstrengung vorsichtig 
den secundären Verband vom primären herunter. Dank der Mull¬ 
bindenzwischenschicht ist der Verband dort nicht mit der Unterlage. 


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J 


Zur Technik der Etappengipsverbände. 


413 


verklebt und dort, wo er verklebt ist, ober- und unterhalb, wird er 
leicht durchrissen. 

Auf diese Weise präsentirt sich uns der Verband nach Ab¬ 
nahme der secundären Schicht in der Gestalt, wie am Anfänge und 
bleibt er so, bis die letzte Etappe gemacht ist. 

Erwähnen möchte ich noch, dass es Arbeit und Aerger sparen 
heisst, wenn man bei jedem Etappenverbande am Knie in den Ver¬ 
band das Becken einschliesst, ebenso den Fuss. 

Was die Etappenverbände des Hüftgelenkes anbetrifiR;, so sind 
sie meines Wissens noch nicht bekannt und doch sind sie sehr em- 
pfehlenswerth. Aber was am Kniegelenk möglich ist: die unbe¬ 
schränkte Anzahl von Etappen, ist hier nicht zu erreichen, weil man 
den secundären Verband nicht abnehmbar einricbten kann ^). Wir 
kommen aber in den meisten Fällen mit zwei bis drei Etappen aus, 
vorausgesetzt, dass es sich nicht um schwere veraltete arthrogene 
Contracturen handelt, bei welchen sie überhaupt nicht indicirt sind. 

Eine Hauptbedingung für das Gelingen der Streckung von 
Hüftcontracturen ist eine absolut sichere Fixirung des Beckens durch 
den Verband. 

Der Verband muss erstens hoch hinaufreichen, fast bis an die 
Achselhöhle, der Fuss muss mit im Verbände sein bis zu den Zehen. 
Die Beckenkämme müssen genau anmodellirt sein, die Nates dürfen 
nur so weit frei bleiben, wie es gerade eben angeht. Weiter müssen 
Damrazügel aus einem unnachgiebigen Stoffe angelegt werden. Sie 
werden mehrfach genommen und straff angezogen, in den Becken- 
theil des Verbandes mit eingegipst, bevor dieser ganz fertig ist. 

Während der Verbandanlegung muss die Extremität genau in 
der pathologischen Stellung gehalten werden. 

Sobald der Verband erhärtet ist, spaltet man ihn, während der 
Patient noch auf der Beckenstütze (Gersuny’sche) liegt mit einem 
bogenförmigen nach oben convexen Schnitte. Der Keil wird aus 
dem Oberschenkeltheile des Verbandes dort herausgeholt, wo es sich 
als nothwendig erweist. 

Nun wird corrigirt. lieber die durch die Correctur entstandene 
Lücke klebt man sofort ein nasses Gipspfiaster und klemmt darauf 


*) Nachtrag. Es ist mir inzwischen, während der Drucklegung dieser 
Arbeit, schon gelungen, den secundären Verband abnehmbar zu machen und 
werde demnächst darüber berichten. Der Verf. 


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414 Julius Finck. Zur Technik der Etappengipsyerbände. 

in die entstandene Lücke nach Gersuny’s Vorschlag KorkstQcke ein. 
Darüber kommt ein zweites grosses Gipspfiaster, welches man durch 
Circulärtouren über Becken und Oberschenkel so befestigt, dass vom 
Pflaster kein freier Rand nachbleibt. 

Der Kranke kommt ins Bett mit erhöhter Lagerung des Beckens. 

Die zweite Etappe kann nicht gut auf der Beckenstütze vor- 
genommen werden. Da man nun, um freies Actionsfeld zu be¬ 
kommen, den Kranken weit über den Tischrand hinausrücken müsste, 
so würde der Kranke sich bei dieser Lagerung unsicher fühlen. Es 
wird daher ein zweiter, gleich hoher kleiner schmaler Tisch an die 
eine Hälfte der schmalen Seite des Verbandtisches herangerückt. Auf 
diesen zweiten Tisch kommt das gesunde Bein zu liegen. Der Ober¬ 
körper liegt auf dem Haupttische, die Spina ilei schneidet mit der 
Tischkante ab, das kranke Bein wird gehalten. Jetzt rückt man 
den Nebentisch so weit von dem Haupttische ab, dass der Rand des 
Beckenverbandes noch gerade auf der Kante des Nebentisches Stütze 
findet. Mit der Stille’schen Scheere wird nun in der durch die 
erste Correctur entstandenen Lücke des primären Verbandes der 
secundäre aufgesclmitten. Darauf verfährt man ebenso, wie beim 
ersten Male. 

Es steht nun frei, für die dritte Etappe einen neuen Verband 
anzulegen oder so zu verfahren, wie bei der zweiten. Da der Kranke 
so wie so liegen muss, so schadet es nichts, wenn der Verband dick 
wird, das Aufmachen ist immer leicht. 

Die Etappen werden nun je nach dem Falle in Intervallen von 
5 Tagen bis zu 2 Wochen wiederholt. 

Die Correcturen von Hüftcontracturen gelingen bei etappen- 
mässigem Vorgehen überraschend leicht und sind verhältnissmässig 
wenig schmerzhaft. Bewährt haben sie sich besonders bei den relativ 
frischen Coxitisformen, bei denen die Spasmen noch vorhanden sind. 
Ist grosse Schmerzhaftigkeit da, dann macht man die erste Etappe 
erst dann, wenn das kranke Kind Vertrauen zu seinem Verbände 
gewonnen hat, wenn es weiss, dass ihm nichts geschehen kann, so¬ 
lange der Verband noch daran ist. In solchen Fällen ist die Correctur 
gemacht, ehe noch das Kind es gemerkt hat, was mit ihm geschehen 
ist. Bei starker Flexionscontractur ist es nöthig, um eine bequeme 
Lagerung zu ermöglichen, das Knie leicht gebeugt einzugipsen. 
Diese Beugung wird, sobald das Hüftgelenk gestreckt ist, in einer 
Etappe corrigirt. 


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XXX. 


Zur Reposition 

congenitaler Oberschenkellnxationen'). 

Von 

Dr. Hoeftman-Eönigsberg. 

Mit Tafel III—IV und 1 in den Text gedruckten Abbildung. 

Meine Herren! Wenn ich wiederum kurz die Frage der Be¬ 
handlung der congenitalen Luxationen berühre, geschieht es, weil ich 
die Hoffnung hege, darin einen Schritt vorwärts getban zu haben. 

Ich muss dazu kurz auf den Unterschied der gewöhnlichen, so¬ 
zusagen normalen, und der congenitalen Hüftgelenksverrenkungen 
eingehen. 

Bei der gewöhnlichen Hüftgelenksluxation nach hinten wird 
nach Austritt des Kopfes hinter die Gelenkpfanne (nur diese Luxa¬ 
tionen kommen hierbei in Frage) das Bein vornehmlich durch das 
Ligament. Y (Bigelow) oder Bertini mehr oder weniger stark 
nach innen rotirt erhalten. Am stärksten ist die Innenrotation und 
Adductionsstellung bekanntlich, wenn der Kopf nach hinten und 
unten austrat, so dass er noch durch die Sehne des Obturator in¬ 
ternus (Luxation unter die Sehne: Bigelow) aufgehalten wird. 

Bei den congenitalen Luxationen fehlt diese Innenrotation fast 
immer, und es hat dieses seinen Grund darin, dass fast ausnahmslos 
bei denselben der Kopf in Anteversionsstellung zum Schenkelhälse 
steht, die in den extremen Fällen so stark ist, dass der Kopf gegen 
den Schenkelhals rechtwinklig nach vorn gedreht erscheint. Infolge¬ 
dessen steht der Fuss nach der Reposition häufig fast direct nach 
innen gerichtet, in extremen Fällen sogar derart, dass die Spitze des 
Fusses etwas nach hinten sieht. Bei den früher von mir ausgeführten 
blutigen Repositionen habe ich wenigstens fast ausnahmslos einen 

’) Vortrag, gehalten auf dem III. Congress der Deutschen Gesellschaft 
für orthopädische Chirurgie am 5. April 1904. 


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416 


Hoeflman. 


derartigen Befund erbeben können. leb war dann gezwungen, um 
die Innenrotation zu bekämpfen, den Kopf entsprechend abzumodeln 
oder Tbeile vom hinteren Pfannenrande abzumeisseln, was immerhin 
misslich war, da dieses so wie so der schwache Punkt ist. Als 
ultimum refugium blieb nach der Reposition eine darauf folgende 
Durchmeisselung unterhalb des Trochanter übrig, um die fehlerhafte 
Innendrehung zu beseitigen. 

Die übrigen üntersucher berichten ja auch fast durchgehend 
alle von dieser Anteversion. Infolge dieses Verhaltens des Schenkel¬ 
halses fehlt bei der congenitalen Luxation die Innenrotation. Der 
Kopf hat bei starker Vorwärtsneigung des Beckens hinter der Pfanne 
Platz, und es entsteht dadurch die typische Lordose. Ich zeige Ihnen 
hier ein Präparat, das ich mir in der Weise zubereitet habe, dass 
ich nicht eine extreme Stellung, sondern eine Anteversion von etwa 
45® nach Durchsägung des Schenkelhalses hergestellt habe. Sie sehen 
hier leicht die typischen Verhältnisse (Demonstration, s. Fig. 1 und 2). 

Infolge dieser anatomischen Details muss man natürlich bei 
der Reposition etwas anders vergehen, als bei normal gebautem 
Schenkelhälse. Wenn man aber diese Verhältnisse berücksichtigt 
wird es wohl in jedem Falle nicht zu schwer sein, den Kopf der 
Pfanne gegenüber zu stellen. Natürlich, wo kein Kopf vorhanden 
ist und die Pfanne wie in ganz alten Fällen verödet ist, wird man 
zufrieden sein, wenn man einfach eine Transposition ausführt und 
den Kopf unter das Ligamentum Bertini hakt: es verschwindet dann 
die Lordose und das Pendeln des Beckens. Die Transposition ist 
ja doch bisher in einem grossen Theile der Fälle das Endresultat 
gewesen. Ich habe daher eine Zeitlang einfach von vornherein nur 
eine Transposition gemacht. Man erreicht dadurch eine ganz erheb¬ 
liche Abkürzung der Behandlung mit recht guten Resultaten. Immer¬ 
hin ist dies natürlich kein ideales Resultat. 

Sehen wir uns aber die übliche Methode der Reposition an, so 
ist es leicht durch extreme Flexion bei Innenrotation den Kopf nach 
unten seitlich vor die Pfanne zu bringen (s. Fig. 3). Während man 
bei der gewöhnlichen Luxation jetzt den Schenkel bei leichter Aussen- 
rotation abducirt und in Extension bringt (Demonstration), wird 
dieses bei den anatomischen Verhältnissen der congenitalen Luxa¬ 
tionen den Kopf wieder nach hinten herausgleiten machen (zum Theil 
wegen der fehlerhaften Stellung des Kopfes, zum Theil wegen der 
mangelhaften Entwickelung des hinteren Pfannenrandes). Es ist 


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Zur Reposition congenitaler Oberschenkelluxationen. 


417 


daher nothwendig, nach der Hyperflexion bei Adduction gleich eine 
starke Rotation nach aussen bei üeberführung in Hyperextension 
vorzunehmen. Hierbei bewirkt das Aufrollen des Ligamentum Bertini 
ein Andrängen des Kopfes gegen die vordere Pfannengegend (Demon¬ 
stration, s. Fig. 4). Um die Reposition bis hierher auszuführen, sind 
übrigens so gut wie gar keine Pumpenschwengelbewegungen oder 
andere forcirte Repositionsmanöver nothwendig, wenn man die er¬ 
wähnten anatomischen Details berücksichtigt. 

So weit sind auf die eine oder andere Art fast alle gekommen. 
'Es wurde dann das Bein in der bekannten fast rechtwinkligen Stellung 
bei etwas Hyperextension und starker Aussenrotation eingegipst und 
darauf das Kind damit kürzer oder länger herumgehen gelassen. Von 
den meisten wurde dazu ein erhöhter Absatz benutzt, ich habe dafür 
verschiedene Stelzen construirt. Bei dem späteren Ueberführen in 
die gestreckte Stellung trat dann aber in verhältnissmässig nur ge¬ 
ringem Procentsatz eine wirkliche Heilung, in einem grossen Theile 
eine Transposition, in einem* nicht unerheblichen eine Reluxation 
ein. Erwägt man aber die anatomischen Verhältnisse, so wird von 
vornherein klar, dass man aus der Stellung, in die es eingegipst 
war, das Bein nicht nach unten führen kann, ohne den Kopf durch 
Anpressen des Trochanter gegen das Becken aus der Pfanne zu 
hebeln (s. Fig. 5). Flectirt man den Schenkel dabei mehr, so wird 
der Kopf gegen den defecten hinteren Pfannenrand getrieben und 
reluxirt. Wird die Bewegung bei mehr extendirter Stellung aus- 
geftihrt, tritt Transposition ein. Hält man dagegen das Bein in 
Hyperextension und lässt langsam in der Aussenrotation etwas nach, 
während man das Bein streckt, so wird durch das gespannte Y-Liga- 
ment der Kopf andauernd nach vorn gepresst, so dass die hintere 
Pfannengegend vom Druck ganz frei ist, dabei wird zugleich der 
Trochanter vom Becken entfernt, und zwar um so sicherer, je mehr 
man das Bein abducirt (s. Fig. 6 u. 7). (Bei Abduction muss man mehr 
Aussenrotation beibehalten, da sonst das Ligamentum Y entspannt 
wird.) Im schlimmsten Falle wird man bei zu starker Hyperextension eine 
Transposition erzielen, also immerhin noch ein annehmbares Resultat. 
Es steht nun aber nichts im Wege, diese Manipulation gleich von 
vornherein vorzunehmen. Man hyperflectirt also bei Adduction das 
Bein und rotirt es sodann stark nach aussen: der Kopf steht in der 
Pfannengegend. Hierauf sucht man das Bein nach hinten zu hyper- 
extendiren, was nur möglich ist, wenn man die starke Rotation nach 


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418 


Hoeftman. 


aussen etwas ermässigt und dadurch das Y-Band etwas entspannt 
wird. Hierauf bei andauernder Hyperextension eine Circumduction 
nach innen, so dass aber noch immer am Ende eine leichte Aussen- 
Totation bestehen bleibt. Danach Eingipsen in leicht hyperexten- 
dirter und leicht aussenrotirter Stellung, bei der man die Aussen- 
rotation um so mehr verringern kann, je mehr man das Bein der 
Adductionsstellung nähert, da durch Adduction das Ligamentum Y 
gespannt erhalten wird. Der Vortheil liegt auf der Hand: die 
Kinder können gleich in verhältnissm'ässig guter Stellung gehen und 



ihnen sowie den Eltern ist die Monate lange Qual der starken Ab- 
duction erspart. Ich habe nach diesen theoretischen Erwägungen 
2 Fälle in Behandlung genommen^), wie es scheint mit Erfolg. 
Das Röntgenbild zeigt den Kopf in der Pfanne. 

Die Fälle sind zu frisch, um schon ein Endresultat vorstellen 
zu können, ermuntern jedoch zu weiteren Versuchen. Natürlich wird 
man auch nicht erwarten, dass man durch diese Methode alle Fälle 
ideal wird heilen kckinen. Immerhin glaube ich, dass die End¬ 
resultate nicht schlechter, sondern besser sein werden als die durch 
die bisherige Methode erreichten, und dass eine erhebliche Abkürzung 
der Behandlungszeit wird erreicht werden können. 

Seitdem ist noch ein dritter Fall mit dem gleichen Erfolg behandelt 
Ich füge das Röntgenbild des ersten reponirten Falles hinzu nebst schematischer 
Zeichnung, wie der Fall vor der Reposition aussah (Fig. 8 und 9). 


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Fig. 8. 


Tafel IV. 



: Ilpniiislicbeln durch Trocliantcr ina.jor. — Fig. 6: Seitenansicht. Ligamentum Y presst den Kopf nach vorn. — Fig. 7: Vorderansicht. 


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Znr Reposition congenitaler Oberschenkelluxationen. 


419 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel III—lY. 

F i 1. Seitenansicht eines Modells einer congenitalen Hüftgelenksluxation. 

Kopf hinter der Pfanne. Bein leicht nach aussen rotirt. Innerer Schenkel 
des Lig. Bertini mehr gespannt als äusserer. 

F i g. 2. Congenitale Hüftgelenksluxation von hinten. 

F i g. 3. flyperflexion und Adduction bei Rotation nach aussen, Kopf gleitet 
vor die Pfanne. 

Fig. 4 . Rechtwinklige Abductionsstellung, in der bisher gewöhnlich das Bein 
eingegipst wurde. 

Fig. 5 zeigt das Anstemmen des Trochanter major gegen das Becken, wo¬ 
durch bei etwas Hyperextension eine Anteposition, bei etwas Flexion eine 
Reluxation erfolgen musste. 

Fig. 6. Seitenansicht. Schenkel in etwas Hyperextension. Hinterer oberer 
Pfannenrand frei, so dass man den kleinen Finger zwischen Pfanne und 
Kopf legen kann. Das straffe Lig. Y presst den Kopf stark nach vom. 

Fig. 7. Endstellung, Vorderansicht. Das straffe Lig. Y presst den Kopf an 
die vordere Pfannenwand. Oberschenkel etwas adducirt, fast gar keine 
Rotation. Bei Abduction wird das Y-Band erschlafft, um dabei eine Re¬ 
luxation zu verhindern, muss das Bein mehr in Aussenrotation gestellt 
•werden. 

Fig. 8. Röntgenbild des ersten derartig reponirten Falles in Bauchlage. 


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XXXI. 

Das decimetrisclie Messgitter. 

Ein Vorschlag zur einheitlichen orthopädischen Rückenmessung ^). 

Von 

Dr. Oskar y. Hororka, 

Chefarzt für Orthopädie am Wiener Zanderinstitut. 

Mit 2 in den Text gedinickten Abbildungen. 

lieber die Messung der Skoliose ist bereits so viel gesprochen 
und geschrieben worden, an Messvorrichtungen zu diesem specielien 
Zwecke gibt es bereits eine solche Fülle, dass es beinahe als ge¬ 
wagt erscheinen dürfte, mit Neuerungen aufzutreten. Es liegt mir 
auch durchaus die Absicht ferne, Ihnen, meine Herren, einen neuen 
Apparat vorzuführen. 

Aber gerade der Umstand, dass bei einer so grossen Anzahl 
von Methoden und Vorrichtungen für die Messung des menschlichen 
Rückens ein einziges, von allen Orthopäden angenommenes Mess- 
hildverfahren noch nicht existirt, birgt in sich das Zeichen der That- 
sache, dass unsere bisherige orthopädische Rückenmessung noch 
immer verbesserungsfähig ist. Weder die ganz einfachen, von einem 
jeden praktischen Arzte leicht zu handhabenden Messvorrichtungen, 
noch die äusserst complicirten, eine grosse Geschicklichkeit seitens 
des Specialisten erheischenden Präcisionsapparate vermochten sich 
einen allgemein anerkannten Platz in der Orthopädie zu erobern, 
geschweige denn auch dem Praktiker von Nutzen zu sein. 

Der Grund hierfür ist theils in der Uneinigkeit der Fachärzte, 
theils in dem Umstande zu suchen, dass nur bei wenigen von den 
vorgeschlagenen Methoden alle drei Grundbedingungen eines wirk¬ 
lich guten Messverfahrens entsprechende Berücksichtigung finden, 
nämlich die Einfachheit, Genauigkeit, Billigkeit. 

0 Vortrag, gehalten auf dem III. Congress der Deutschen Gesellschaft 
für orthopädische Chirurgie am 5. April 1904. 


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Das (i&cimetrische Messgitter. 


421 


Der Uneinigkeit der Fachärzte, welche allerdings wohl auch 
unter den Aerzten im allgemeinen und zwar seit Hippokrates’ Zeiten 
fast immer nicht gerade klein gewesen ist, können wir einen schätzens- 
werthen Factor entgegenstellen: es ist dies die conventioneile 
Vereinbarung, wie sie ja auf allen Gebieten des menschlichen 
Wissens bereits erfolgreiche Früchte getragen hat. Ich greife als 
Beispiel aus dem medicinischen Gebiete nur die Vereinbarung über 
die anatomische Noraenclatur, die Frankfurter Verständigung der 
Anthropologen heraus. Ich hoflFe auch unter den anwesenden Fach- 
collegen auf keinen Widerspruch zu stossen, wenn ich hervorhebe, 
dass gerade ein Congress der competenteste Ort sei, auf welchem 
derlei Fragen am leichtesten gelöst werden können. 

Der zweite Grund, warum wir trotz der ehrlichsten Bestre¬ 
bungen noch immer nicht über ein einheitliches orthopädisches 
Messsystem verfügen, ist wohl viel schwieriger zu analysiren. 

Ein Messbildapparat nämlich, welcher in gleicher Weise allen 
drei Elementarforderungen entsprechen würde, welcher also zugleich 
einfach, genau und billig v/äre, existirt bis heute eigentlich nicht. 

In einem Vortrage, welchen ich heuer in der anthropologischen 
Gesellschaft zu Wien gehalten habe^), habe ich das Thema der 
Rückenmessung im allgemeinen, soweit es für die Anthropologie 
und Orthopädie von Interesse ist, in ausführlicher Weise behandelt, 
und dabei nebst einer Beschreibung aller bestehenden Messmethoden 
deren kritische Sichtung versucht. Bei der systematischen Ein- 
tbeilung derselben bin ich von anderen Gesichtspunkten ausgegangen, 
als es Hoffa gethan hat. Hoffa stellt bekanntlich für die Messungs¬ 
und Zeichnungsmethoden und -apparate für Rückgratsverkrüm¬ 
mungen sechs Hauptgruppen auf, welche er folgendermassen kenn¬ 
zeichnet : 

I. Messung. 

II. Contourzeichnung. 

III. Perspectivische Zeichnung. 

IV. Röntgenphotographie. 

V. Plastische Darstellung. 

VI. Systematische Messung. 


*) Dr. 0. V. Hovorka, lieber die antbropolog.-orthopäd. Messmethoden 
des Rückens. Mittheilungen der anthropologischen Gesellschaft in Wien 1904, 
Bd. XXXIV. 


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422 


Oskar v. Hovorka« 


Ich versuchte nun die systematische Eintheilung des ortho¬ 
pädischen Messbild Verfahrens in der Weise zu vereinfachen, indem 
ich zwei grosse Hauptgruppen aufstellte, und zwar: 

A Messung, 

B Abbildung. 

Die erstere arbeitet mit Hilfe von 1. Punkten, 2. geraden Linien 
und 3. Curven. Die letztere erfolgt 1. auf dem Wege der Zeich¬ 
nung in einer Ebene, oder 2. mittelst der plastischen Abbildung 
in allen Ebenen. In diesem Systeme lassen sich alle Messmethoden 
und Apparate leicht unterbringen. Beide Hauptgruppen reprasen- 
tiren die zwei vorzüglichsten Tendenzen, durch welche wir uns bei 
der Ausführung des Messbildverfahrens in der Orthopädie leiten 
lassen. Dort, wo wir ein Maass behufs rascher Orientirung über den 
Zustand eines Kranken oder behufs Anfertigung eines einfachen 
orthopädischen Hilfsapparates etc. benöthigen, wird in den meisten 
Fällen die einfachste Art der Messung ausreichend sein; dort hin¬ 
gegen, wo es sich um die genaue wissenschaftliche Feststellung 
eines bestimmten Skoliosengrades, um die Herstellung eines genau 
sitzenden orthopädischen Apparates oder des Fortschrittes in der 
Behandlung etc. handelt, wird die vollkommenste Art der Messung 
gerade noch die beste sein; schematische oder auch nur halbschema¬ 
tische Feststellungen einer Skoliose werden für diesen letzteren Zweck 
stets minderwerthig bleiben. Dasselbe gilt von Messungen, bei 
welchen unsere Sinneswahrnehmung eine subjective Hauptrolle spielt 
also je nach der individuellen Auffassung verschieden sein kann. 
Als Beispiel führe ich den Pendelstab von He in ecke, den Diopter- 
Lothapparat von Bühring, den Tachygraph von Pansch au. 
Wenn wir demnach solchen Darstellungen in Bezug auf eine rasche 
Orientirung oder kurze Uebersicht durchaus nicht jeden Werth ab¬ 
sprechen dürfen, so wird uns stets jenes Messbildverfahren am besten 
dienen, welches uns das Object in seiner vollkommenen, nicht skiz- 
zirten oder schematisirten Gestalt vor die Augen führt. Dies kann 
wiederum nur auf dem Wege der Abbildung erfolgen. 

Es ist nun auf den ersten Blick klar, dass die Abbildung in 
einer Ebene, also die bildliche Darstellung, wegen ihrer Einfachheit 
und Billigkeit einen grossen Vorzug hat vor der plastischen Ab¬ 
bildung. Die Photographie einer Skoliose — denn nur diese Art 
der Abbildung in einer Ebene kommt hier in Betracht — ist aller¬ 
dings nicht so genau wie die Plastik, aber für unsere Zwecke wohl 


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Das decimetrische Messgitter. 


423 


in der Regel genügend. Die Photographie eines skoliotischen Rückens 
als solche bietet dem Orthopäden sowohl Vortheile als Nachtheile, 
üeber die letzteren werden wir später sprechen. Den Vortheil einer 


Fig. 1. 



Messgitter. 


raschen üebersicht, einer raschen Ausführbarkeit, einer klaren Orien- 
tirung wird ihr wohl niemand absprechen. Eine halbwegs gut ge¬ 
lungene Abbildung eines Gegenstandes wird stets den Vorzug be¬ 
halten vor einem Schema, oder sogar vor einer spaltenlangen, noch 


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424 


Oskar v. Hovorka. 


so ausführlichen Beschreibung. Ein weiterer Vortheil der Photo¬ 
graphie ist ferner der, dass die subjectiye Sinneswahmehmung bei ihr 

Fig. 2 a. 



Messbild, aiifgenommen mittelst der centrirten Messgitterphotographie. 
Vor der Behandlung. 


vollkommen in Wegfall kommt, indem dabei nicht unser Auge, 
sondern die Linse des photographischen Apparates arbeitet. 

Von diesen Erwägungen geleitet, habe ich an der orthopä¬ 
dischen Abtheilung des Wiener Zanderinstitutes ein Messbild verfahren 


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Das decimetrische Messgitter. 


425 



eingeführt, welches beide Grundideen desselben, sowohl die Messung, 
als auch die Abbildung, in einer harmonischen Weise in sich ver- 

Fig. 2b. 


Messbild, aufgenommen mittelst der centrirten Messgitterphotographie. 

18 Monate nach der Behandlung. 

einigt. Mit Hilfe einer Correctur sind wir im Stande, sogar genaue 
Messungen auszuführen und erhalten zugleich ein möglichst getreues 
Bild des zu messenden Rückens. Ausserdem gehört jedoch zu diesem 
Messbildverfahren — und dies muss ich besonders betonen — eine 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XTII. Bd. 28 


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426 


Oskar v. Hovorka. 


einheitlich vorzunehmende Einstellung des Messob* 
jectes, welche van einem conventionell zu verein¬ 
barenden Basalpunkte ausgeht. 

Die Ausführung ist sehr einfach. 

Ich gehe in der Weise vor, dass ich vor dem Rücken des zu 
photographirenden Kindes ein in Decimeterquadrate eingetheiltes 
Messgitter (s. Fig. 1) aufstelle, so zwar, dass der Kreuzungspunkt 
zweier Drahtstäbe genau dem obersten Ende der Rima ani 
aufliegt. Es ist dies der Basalpunkt, einer jener wenigen Punkte, 
welche auf den Weichtheilen des Körpers mit einer ziemlichen Ge¬ 
nauigkeit festgestellt werden können. Ein zweiter, wenn auch nicht 
mehr so constanter, jedoch trotzdem eine gewisse Sicherheit bietender 
Punkt ist die Vertebra prominens, also die Mitte der Nacken¬ 
basis. Ich stelle nun das zu photographirende Kind jedesmal so 
auf, dass der Mitteldraht meines Messgitters diese beiden Punkte 
schneidet. Auf diese Weise gelangen wir durch Verbindung zweier 
Hauptpunkte zu einer Grundlinie, wodurch der Rücken gewisser- 
massen centrirt wird. Eine wichtige Forderung dieser centrirten 
Messgitterphotographie besteht ferner in der stets peinlichen 
Einhaltung einer constanten Entfernung zwischen dem Messgitter 
und der photographischen Linse, welche ein für allemal festgestellt 
werden kann. Für meine Zwecke erwies sich als die beste die 
Distanz von 250 cm (s. Fig. 2 a und Fig. 2 b). 

Meine Herren! Man wird mir nun ein wenden, dass manche auf 
diese Weise aufgestellten Kinder, besonders in den höheren Graden 
ihrer Skoliose, oft eine gezwungene Haltung werden einnehmen 
müssen, dass man die Handhabe zur Beurtheilung der Taillen¬ 
dreiecke verliert, dass diese Art der Messung vielleicht dennoch zu 
ungenau ist. 

Die Nachtheile einer gezwungenen Haltung sind nur scheinbar. 
Wenn man die bisherigen Skoliosenphotographien von wahllos auf¬ 
gestellten oder willkürlich stehenden Kindern betrachtet und unter 
einander vergleicht, so werden wir leicht zur Ueberzeugung ge¬ 
langen, dass in den meisten Fällen von einer Vergleichung Ober¬ 
haupt kaum wohl je die Rede sein kann. Der Werth einer Ver¬ 
gleichung solcher auf die bisherige Art und Weise hergestellten 
Photographien nimmt um so mehr ab, je hochgradiger die Skoliose, 
je stärker die Torsion ist. Ich erlaube mir hiervon einige ab¬ 
schreckende Beispiele vorzuzeigen. 


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Das decimetrische Messgitter. 


427 


Denn so wie es eine ,denkbar beste Haltung“ der Skoliotiscben 
gibt, kann man wohl auch von einer „denkbar schlechtesten Haltung“ 
derselben sprechen. 

Diesen Umstand wissen viele nicht'ärztliche Orthopäden sehr 
schlau anszunutzen und bilden zu Reclamezwecken das ihrer „Be¬ 
handlung“ anvertraute Kind in dieser soeben genannten Stellung 
bei der Aufnahme ab, um es bei der Entlassung wieder in der 
denkbar besten Stellung darzustellen. Was dazwischen liegt, kommt 
natürlich auf die Rechnung der „vorzüglichen Behandlung“ des Kur¬ 
pfuschers. Wenn auch das geübte Auge des Facharztes den Werth 
solcher Bilder auf das richtige Maass sofort zurückzuführen vermag, 
so verbleibt der Laie gegenüber dieser absichtlichen Täuschung 
meistens ohne Schutz. Es ist deshalb der Werth einer solchen con- 
ventionell zu vereinbarenden Orientirung des Körpers bei der photo¬ 
graphischen Aufnahme nicht hoch genug auszuschlagen. Wenn je¬ 
doch jemand durchaus einen besonderen Werth auf die Beurtheilung 
der Taillendreiecke etc. legt, nun, so bleibt es ihm ja unbenommen, 
dass er überdies noch in dieser Stellung eine zweite Aufnahme 
vornehme. 

Das in Decimeter eingetheilte Messgitter habe ich überdies 
mittelst eines feinen Drahtes noch in Quadrate zu 5 cm eingetheilt, 
was bei der Messung gewisse Vortheile bietet (Fig. 1). Wer jemals 
mit den Fadennetzen intensiv gearbeitet hat, wie dies besonders 
Zander, aber auch andere (Oramcko, Oehler, Grünbaum, 
Bübring u. a.) für das Centimetersystem angegeben haben, wird 
mir zugeben müssen, wie wenig übersichtlich solche kleinquadrirte 
Diagramme aussehen und wie bald sie das Auge ermüden. 

Bei dem decimetrischen Messgitter ist man ferner nicht ge- 
nöthigt, wie beispielsweise bei der Schulthess- oder Zandermessung, 
die schematischen oder halbschematischen Contouren vorerst direct 
abzutasten und dann erst auf das Papier zu übertragen, sondern der 
photographische Apparat liefert uns gemeinschaftlich mit den Mess¬ 
quadraten direct die wirklichen, messbaren Contouren, wie beim 
Messverfahren von Oehler — allerdings zum Theile in perspec- 
tivischer Verkürzung. 

Aber gerade Oehler war es, welcher uns eine Correcturformel 
angegeben hat, durch welche wir diesen optischen Fehler zwischen 
Messobject und Fadennetz vollends eliminiren können. 

Die Formel lautet: 


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428 


Oskar v. Hovorka. 


oder gekürzt: 



Dabei bedeutet s die zu messende Strecke am Körper, y das 
am Netz abgelesene Maass vom Mittelpunkte des Bildes gerechnet 
d die Distanz zwischen Netz und Körper, D die Distanz vom photo¬ 
graphischen Apparat zum Netz. 

Man kann auch diese Formel vollkommen umgehen, indem 
man das Kind und das Messgitter gesondert aufnimmt und nachher 
beide Negative gleichzeitig copirt. 

Das Messgitter ist ein relativ sehr billiger Apparat, welcher 
aus einem Drahtnetze besteht, welches an einem Holzrahmcn be¬ 
festigt ist; der letztere kann mit Hilfe eines fahrbaren Standers am 
Holz in der senkrechten Richtung leicht verschoben und für das 
oberste Ende der Rima ani eingestellt werden. 

Obwohl die von mir bisher ausgeübte centrirte Messgitter¬ 
photographie des skoliotischen Rückens noch immer nicht das Ideal 
einer orthopädischen Messung darstellt, so halte ich sie dessen un¬ 
geachtet wegen ihrer zahlreichen Vortheile für discussionsfahig und 
annehmbar. Sie steht auch in der von mir aufgestellten systemati¬ 
schen Reihenfolge (s. Anhang) nahe an jenem Ende, welches im Ver¬ 
gleich zu dem Anfang derselben sozusagen phylogenetisch die Ver¬ 
vollkommnungbedeutet. Ausserdem ist sie auch einfach; denn welcher 
Orthopäde wird heute ohne photographischen Apparat sein Aus¬ 
kommen finden ? Auch das Messgitter ist einfach, billig, weit billiger, 
als die Apparate von Zander, Schulthess, Heinleth etc. Diese 
Messmethode ist auch ziemlich genau, wenngleich nicht vollkommen. 

Die Seitencontouren, den Stand der Schultern und der Hüften 
können wir mit ihrer Hilfe sehr leicht abmessen, ebenso die seit¬ 
liche Deviation der Dornfortsatzlinie, und zwar noch besser, wenn 
wir sie vorher mit dem Tintenstift markiren. Und gerade diese 
seitliche Deviation ist es ja, auf welche es uns bei allen Messungen 
hauptsächlich ankommt. 

Die Torsion und Horizontalprojection des Rumpfes vermögen 
wir allerdings mit ihr nicht festzustellen. Doch dieser Mangel be¬ 
steht — wenn wir vorzugsweise von den Präcisionsapparaten ab- 
sehen — auch bei den meisten übrigen bisherigen Messmethoden. 


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Das decimetrische Messgitter. 


429 


Dessen ungeachtet ist es feststehend, dass zur raschen Orientirung 
für den vielbeschäftigten Orthopäden zumeist die Frontalansicht des 
Runapfes vollkommen genügt. 

Wenn wir demnach alle Vortheile und alle Nachtheile der 
-centrirten Messgitterphotographie gegen einander abwägen, so ge¬ 
langen wir zu dem Resultate, dass die letzteren Yon den ersteren 
bedeutend überwogen werden. Auch die Frankfurter Verständigung 
der Anthropologen hat ihre Nachtheile und Mängel, aber wir sehen 
heute, was ein einheitliches Vorgehen aller Fachcollegen 
in einer Disciplin auf einer gemeinsamen Basis gerade in diesem 
Falle geleistet hat. Warum sollten nun einmal nicht auch die Ortho¬ 
päden einheitlich Vorgehen?! 

Meine Herren! Wie ich bereits anfangs hervorgehoben habe, 
wollte ich Ihnen durchaus nicht etwa ein neues Messbildverfahren 
vorführen; weder das von mir bisher benutzte Messgitter stammt 
von mir, noch habe ich die Photographie der Skoliose erfunden; 
nicht einmal die Combination beider habe ich als erster angewendet. 
Das, was ich vorschlage, ist lediglich die Vereinbarung über ein 
einheitliches Vorgehen aller Orthopäden, sagen wir vorläufig 
in Deutschland. Und wenn es uns Ihatsächlich gelingt, auf diesem 
eng begrenzten Felde ein bischen Eintracht und Einigkeit zu er¬ 
zielen, so können wir mit dem Bewusstsein heimkehren, dass wir 
einen Schritt vorwärts gethan haben. Und damit schliesse ich. 


Uebersicht des orthopädischen Messbildverfahrens. 

A. Messung. 

I. Punkte: Bandmaass (biegsam oder steif), 

Messrädchen (Hübscher), 

Tasterzirkel, 

Gleitzirkel (Glissiere), 

Stangenzirkel, 

Glasröhren (Fischer , 

Wasserwage (Lorenz), 

Nivellirzirkel (Schulthess), 

Nivellirtrapez (Schulthess), 

Skoliosometer (Bradford), 

Nivellirzirkellibelle (Reiner), 

Punktirmethode (Seeger), 

Pendelstab (Heinecke), 


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430 


Oskar v. Hovorka. 


Skoliosometer (B e e 1 y • K i r c h h o ff), 

Skoliosometer (Mikulicz), 

Scoliosis gauge (Barwell), 

Rückgratmesser (G r a m c k o). 

II. Gerade Linien: Rumpfmessapparat (Zander), 

Messapparat (Bigg), 

Diastrophometer (Robert), 

Systen)atische Messung (Schanz), 
üebersichtstafeln (Sargent). 

III. Curven: Bleidraht (Schildbach), 

Zinndraht (Roth), 

Kyrtometer (Voillez). 

Rolle (Weigel), 

Notograph (Virchow), 

Delineator (Elkinton), 

Messbildapparat (Murray). 

Curvenmesser (Weil), 

Messapparat (Murray), 

Stäbchenkyrtometer (Beel y), 

Coordinatenapparat (Pansch), 
Querschnittsmessapparat (Zander). 

Tachygraph (Pansch), 

Storchschnabelappurate (Scudder.Walter.Biondettil. 
Thoracograph (Hübscher), 

Thoracograph (Schenk), 

Thoracometer (H e i n 1 e t h). 

Diopter-Lothapparat (Bübring), 

Messapparat (G h i 11 i n i), 

Messapparat (Lange), 

Projectionszeichenapparat (Milo), 

Mess- und Zeichnungsapparat (Schulthess). 

Camera lucida (Wollaston), 

Ikonometer (Grünbäum), 

Oikatopter (Epper), 

Camera obscura (Schildbach). 

B. Abbildung. 

Ereihandzeichnung (Seeger), 

Photographie (ßerend), 

Netzphotographie (Spelissy, Young, Oehler), 


Digitizecd by ^ooQle 



Das decimetrische Messgitter. 


431 


II. Plastik: 


Centrirte Messgitterpliotographie (v. H o v o r k a), 
Stereoskopische Photographie (Schanz), 
Radiographie (Hoffa, Baer), 

Notzradiographie (J o a c h i m s t h a 1), 
Röntgenmessapparat (Kienböck und Kraus), 
Orthodiagraph (Moritz). 

Gipsabguss (Delpech, Heine), 

Modellverband (Beel y). 

Reliefbild, 

Segmentaler Gipsstreifenabdruck (Dollinger), 
Plattenmodellirung (Hübscher). 


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XXXII. 


Ein orthopädischer Operations- und Verbandtisch’). 

Von 

Dr. F. Länge-München. 

Mit 15 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Meine Herren! Das Röntgenbild hat uns gezeigt, dass bei 
vielen Leiden, und besonders hochgradig und regelmässig bei der 
Gelenktuberculose, ein acuter Schwund der Kalksalze im Knochen 
auftritt. 

Ich zeige Ihnen das an instructiven Röntgenbildern von kind¬ 
lichen Knietuberculosen, bei denen ausser der kranken Seite regel¬ 
mässig auch die gesunde Seite aufgenommen ist und einen Vergleich 
gestattet (Fig. 1). 

Durch diesen Mangel an Kalksalzen oder durch diese acute 
Knochenatrophie muss die Druckfähigkeit des Knochens ausser¬ 
ordentlich leiden, und diese Tbatsache verdient meines Erachtens 
bei der Technik des modellirenden Redressements von Gelenkcontrac- 
turen mehr berücksichtigt zu werden, als das bisher geschehen ist. 

Wenn man z. B. eine tuberculöse Kniebeugecontractur 
streckt — so wie es Lorenz gelehrt hat (Fig. 2) —, so hängt das 
Resultat des Redressements davon ab, ob die Druckfestigkeit des 
kranken Knochens oder ob die Zugfestigkeit der verkürzten Sehnen 
vom Biceps und Semitendin. etc. grösser ist. Wenn das letztere der 
Fall, d. h. wenn der Knochen nachgiebiger ist als die Sehne, so 
werden bei dieser Methode nicht die verkürzten Sehnen verlängert, 
sondern es wird der morsche Knochen zusammengedrückt und da¬ 
durch eine künstliche Destruction der Gelenkenden geschaffen. 

Um dies zu vermeiden, scheint es rationell zu sein, die ver¬ 
kürzten Beugesehnen in der Kniekehle offen zu durch- 
schneiden. 

*) Vorti*ag, gehalten auf dem III. Congress der Deutschen Gesellschaft 
für orthopädische Chirurgie am 5. April 1904. 


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Ein orthopädischer Operations- und Verbandtisch. 


433 


Ich habe das früher wiederholt gemacht; aber ich habe mich 
überzeugt, dass das ein sehr gefährlicher Eingriff ist. Denn 


Fig. 1. 









434 


F. Lange. 


so dass dasselbe wie ein straff gespanntes Seil in der Kniekehle vor¬ 
springt. Dass eine solche brüske, unvermittelte Anspannung der 


Fig. 3. 



Gefässe und Nerven nicht ungefährlich ist, brauche ich nicht erst 
zu begründen. 

Deshalb empfehle ich, von der Durchschneidung der Beuge¬ 
sehnen möglichst abzusehen, bei jedem Redressement von Knie- 


Fig. 4. 



beugecontracturen aber den grössten Nachdruck auf er¬ 
giebige Verlängerung der verkürzten Beugesehnen zu 
legen. 

Wenn ich z. B. eine schwere, spitzwinkelige Kniebeugecon- 
tractur zu redressiren habe, so lege ich zunächst den Patienten in 
Bauchlage hin, fixire den Körper durch einen am Tuber ischii der 
kranken Seite angreifenden Wollstrang (Fig. 3 a) und lasse auf den 
Unterschenkel einen Zug einwirken, welcher genau der Verlaufs- 


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Ein orthopädischer Operations- und Verbandtisch. 


435 


richtung der verkürzten Muskeln entspricht und dieselben direct ver¬ 
längert (Fig. 36). Wenn ich auf diese Weise die Deformität so 
weit corrigirt habe, dass der Unterschenkel zum Oberschenkel einen 
rechten oder stumpfen Winkel bildet, dann lege ich den Patienten 
auf die kranke Seite und lasse einen Zug an den Knöcheln an¬ 
greifen, welcher ebenfalls die verkürzten Muskeln verlängert, gleich¬ 
zeitig aber die Gelenkenden kräftig distrahirt und die Contractur 
weiter beseitigt (Fig. 4). 

Wünschenswerth wäre, dass man nach dieser Methode das 
ganze Redressement ausführen könnte. Bei schweren Contracturen 


Fig. 5. 



bleibt aber nach meinen Erfahrungen stets ein Rest von 30—40®, 
den man auf andere Weise beseitigen muss, entweder in derselben 
oder in einer späteren Narkose. 

Der Patient kommt wieder in Bauchlage. Zunächst wird strafi 
der distrahirende Zug (a) angelegt, dann kommt ein zweiter Zug (6) 
hinzu, der direct den Unterschenkel in Streckstellung überführt und 
gleichzeitig den Unterschenkel möglichst nach vorn verschiebt und 
dadurch die häufig vorhandene Subluxation nach hinten bekämpft, 
soweit das möglich ist (Fig. 5). 

Die Vorzüge dieses Verfahrens sind wohl ohne weitere Er¬ 
klärung zu erkennen. 

Aehnlich gehe ich bei Hüftbeugeco ntracturen vor. Zu¬ 
nächst führe ich eine energische Distraction aus und dehne dadurch 
die verkürzten Beuger und Adductoren des Hüftgelenkes. Dabei 
wird das Bein aus der meist vorhandenen Adductionsstellung in 


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436 


F. Lange. 


Fig. 6. 


Abductionsstellung übergeführt, und gleichzeitig wird die Beuge- 
contractur etwas gebessert (Fig. 6). Zur vollständigen Streckung 
der schweren Beugecontracturen muss nach meiner Erfahrung aber, 
ebenso wie bei den Kniecontracturen, schliesslich ein directer Zug, 

nach unten wirkend, hinzugefügt werden. 
Die Anordnung ist ebenso wie beim Knie 

(Fig. 7). 

Die Fixation des Beckens wird da¬ 
durch erreicht, dass der gesunde Ober¬ 
schenkel in extremer Beugestellung durch 
den Gurt a festgehalten wird. 

Um diese Methoden auszuführen, 
bedarf man des Tisches ^), den ich Ihnen 
hier zeige, und der die Arbeit von mehre¬ 
ren Assistenten ersetzt. Was man in 
der Orthopädie überhaupt un¬ 
blutig durch Schraubenzug re- 
dressiren kann, ist auf diesem 
Tisch ausführbar. 

Ich zeige Ihnen zunächst das Ge¬ 
stell des Tisches, der im wesentlichen 
aus zwei horizontal liegenden Rahmen 
von Gasrohren besteht, die durch vertical 
verlaufende Gasrohrstücke verbunden sind 
(Fig. 8). In dem oberen Rahmen sind 
zwei Holzplatten h und c einzuhängen 
und in der Längsrichtung beliebig zu 
verschieben. Auf diese Holzplatten wer¬ 
den zwei hartgepolsterte Eissen d und 
e gelegt, auf welchen der Patient wäh¬ 
rend der Narkose oder zum Zweck der 
Untersuchung ruht (Fig. 9). 

Zur Beseitigung von Fussdeformitäten dient die Fixirungsvor- 
ricbtung f (Fig. 10), die an jeder Stelle des oberen horizontalen Gas¬ 
rohrrahmens einzuhängen ist. Der central von der Deformität ge¬ 
legene Gliedabschnitt wird zwischen zwei Gummiplatten, ähnlich wie 



0 Bezugsquelle: Ingenieur Zähringer Hannover-Linden. Preis: gegen 
200 Mark. 


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beim Lorenz’schen Apparat, fixirt. Das Redressement des peri¬ 
pheren Gliedabschnittes endlich besorgt die Schraube g (Fig. 10), 
welche ebenfalls an jeder beliebigen Stelle des oberen Gasrohrrahmens 


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439 


Ein orthopädischer Operations- und Verband tisch. 
Fig. 11b. 



Fig. 12. 



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eingehängt und durch einen Stift fixirt werden kann. Als angreifen¬ 
den Zug benutze ich 5 cm breite gewaschene Matratzengurte, die 

weich und doch fest sind. Bei 
schwierigen Aufgaben schalte 



ich endlich noch einen einfachen 
Federmanometer ein, um jeder¬ 
zeit die zur Anwendung gelan¬ 
gende Kraft controlliren zu 
können. 

Ich zeige Ihnen in Zeich¬ 
nungen das Redressement Tom 
Elumpfuss (Fig. 11a u. b), 
vom Plattfuss (Fig. 12), vom 
Spitzfuss (Fig. 13) und vom 
X- und O-Bein (Fig. 14). 

Die Chirurgen, die noch 
das gewaltsame Redressement 
der spondylitischen oder 
skoliotischen Wirbelsäule 
vornehmen — ich selbst thue es 
nicht mehr —, können diese 
Operationen auf diesem Tische 
in wirksamster und doch scho- 
nendster Weise ausfQhren. 

Vorzügliche Dienste hat 


mir der Tisch bei der Reposition 


der angeborenen Hüftverrenkung geleistet, um den Kopf mög¬ 


lichst tief in die Pfanne hineinzutreiben. Die Anordnung des 


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Ein orthopädischer Operations- und Verbandtisch. 


441 


ßxirenden und des redressirenden Zuges veranschaulicht diese Zeich- 
nung (Fig. 15). 

Ich glaube es der Mitarbeit dieses stummen Assistenten zu ver¬ 
danken ^ wenn ich in den letzten 2^/2 Jahren bei 43 in Betracht 
kommenden Gelenken 86,5 ®/o volle ideale Reposition, 4,5 ®/o excen¬ 
trische Reposition und nur 9 ®/o Reluxationen bei der Entfernung des 
Verbandes zu verzeichnen hatte. 


Fig. 15. 



Ein weiterer Vorzug des Tisches ist, dass er gestattet, das 
volle Resultat des Redressements im Gips verband ohne 
Mitwirkung von Assistenten festzuhalten, weil in jeder Rich¬ 
tung sich Bindenzügel anbringen lassen. 

Und endlich ermöglicht der Tisch die Anfertigung von 
Gipsabgüssen bei bestredressirter Stellung des Gliedes. 
In der Beziehung hat sich mir der Tisch besonders bei Behandlung 
von Fracturen zur Anfertigung von Gehapparaten bewährt. 

Ich benutze diesen Tisch seit 7 Jahren. Er hat sich mir 
bei über 2000 orthopädischen EingriflFen bewährt, und ich glaube 
ihn deshalb mit gutem Gewissen zur Benutzung empfehlen zu dürfen. 


Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. Bd. 29 


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XXXIII. 


(Aus dem Universitäts-Ambulatorium für orthopädische Chirurgie 
des Prof. A. Lorenz in Wien.) 

üeber einen blutig reponirten Fall von angeborener 
Eniegelenkslnxation'). 

Von 

Docent Dr. Max Keiner, 

Assistent des Ambulatoriums. 

Mit 4 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Von dieser relativ seltenen angeborenen Missbildung hat Dreh¬ 
mann im Jahre 1900 doch 122 veröffentlichte Fälle sammeln können. 
Seither hat sich die Zahl weiter vermehrt. Es kommen hinzu die 
5 Fälle aus Drehmann’s eigener Beobachtung, 1 Fall von Roberts, 

2 Fälle von Bisping und 2 Fälle von Joachimsthal. 

Wenn ich es trotzdem unternehme, über einen neuen Fall zu 
berichten, so geschieht dies mit Rücksicht auf mehrere Besonder¬ 
heiten, welche derselbe bietet. Der hier zu beschreibende Fall ist 
zunächst darum von Interesse, weil es sich um ein älteres Kind 
(8 Jahre) handelt und weil er zu jener äusserst geringen Zahl von 
Fällen zählt, bei welchen die Luxation zu einer totalen geworden 
ist. Ferner konnte durch die blutige Reposition eine Autopsie in 
vivo gemacht werden, was vorher, meines Wissens, bloss in 2 Fällen 
möglich war, nämlich im Falle von J. Wolff und in jenem von 
Roberts. Ferner bietet der Fall durch zahlreiche begleitende 
M issbildungen und durch die Art, wie das Kind seine Loco- 
motion bewerkstelligte, weitere Besonderheiten dar. 

Der Knabe ist zur Zeit 8 Jahre alt, von normaler Intelligenz, 
für sein Alter etwas klein. Anamnese nicht erhältlich. Der Kopf 

*) Vortrag, gehalten auf dem IN. Congress der Deutschen Gesellschaft 
für orthopädische Chirurgie am 5. April 1904. 


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lieber einen blutig reponirten Fall von angeborener Kniegelenksluxation. 443 

ist hydrocephal, Umfang 51 cm, Strabismus divergens. Pect, carinat., 
Eversion der unteren Brustaperturen. 

Wie aus Fig. 1 und la ersichtlich, benützt der Knabe beim 
Stehen seine Waden als Fusssohlen. Die Kniegelenke sind also 
nahezu rechtwinkelig recurvirt. 

Aufgefordert zu gehen, erfasst der Patient mit den beiden 
Händen die beiden Füsse und hebt so mit der gleichnamigen Hand 


Fig. 1. Fig. la. 



das jeweilige Schwungbein vorne auf, indem er seinen Körper gleich¬ 
zeitig nach der Seite des Stützbeines wirft, und dadurch das Schwung¬ 
bein auch hinten, d. i. dem Kniegelenke entsprechend, vom Boden 
abhebt. Trotzdem auf diese Weise bloss die Pendellänge der Ober¬ 
schenkel beim Gehen ausgenützt wird, hat es der Knabe doch erlernt, 
sich ziemlich rasch fortzubewegen. 

Der Knabe weist nun folgende Deformitäten auf: 

1. Obere Extremität. Habituelle Luxation des rechten 
Cubitus. Beugecontractur der meisten Finger im 2. Interphalangeal- 
gelenk resp. congenitale Subluxation. Andeutung von Flughautbildung 
an denselben Fingern. 


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444 


Max Reiner. 


2. Untere Extremität. Luxat. coxae congen. dext. Luxat. 
genu praefemoralis congen. bilateral. Pes equino-varus con¬ 
gen. magni gradus bilateral. 

Die rechtsseitige Htiftgelenkverrenkung weist einen Trochanter- 
hochstand von 3cm auf. Der Kopf ist gross, gut geformt, nicht 
antevertirt. 

Das rechte Kniegelenk ist vor mehreren Jahren an anderem 
Orte (nicht bekannt, wo) einer blutigen Operation unterzogen worden. 
An der inneren Fläche des Kniegelenkes befindet sich eine ca. 12 cm 
lange longitudinale Operationsnarbe. Der Erfolg der Operation ist 
äusserst gering; es ist nur erreicht worden, dass die totale Luxation 
in eine Subluxation verwandelt wurde. Die active und passive Be¬ 
weglichkeit im Sinne der Beugung fehlt auch jetzt noch. Die ein¬ 
zige Ebene, in welcher active Beweglichkeit möglich ist, befindet sich 
zwischen Hyperextension und Abduction. 

Das linke bisher nicht operirte Kniegelenk ist im antero- 
posterioren Durchmesser beträchtlich vergrössert. 

Die Gegend der Kniekehle weicht von der normalen Form be¬ 
trächtlich ab. Die beiden seitlichen Coulissen, welche sonst durch 
die vorspringenden Sehnen der Kniebeuger erzeugt werden, fehlen, 
die Höhlung ist durch eine starke Prominenz ersetzt, welche durch 
die Condylen des Femur hervorgebracht wird; zwischen den beiden 
Condylen kann man die Arteria poplitea deutlich durch die Haut 
pulsiren sehen. Die beiden Condylen sind gut tastbar, scheinen iu 
ihrer Form nicht wesentlich verändert, aber auffallend zart. Der 
äussere Condylus ist einige Millimeter kürzer und in seinem queren 
Durchmesser etwas kleiner, als der innere. Distal vom Gelenkfort¬ 
satze des Femur lässt sich die Haut tief eindrücken, so dass die 
Condylen gut abgetastet werden können. An der Kuppe der Femur- 
condylen befinden sich Gehschwielen. 

An der Vorderfläche des Kniegelenkes lässt sich die Kante der 
Tibiagelenkfläche in grossem Umfange deutlich palpiren. Die Tuber- 
ositas tibiae sendet nach vorne oben einen stachelartigen Fortsatz. 
Die äusseren Weichtheile sind hier weniger eindrückbar und daher 
lässt sich kein so genaues Urtheil über die Formation der Gelenk¬ 
fläche gewinnen, als rückwärts. 

Die klinische Messung ergibt, dass die Dislocatio ad longi- 
tudinem der proximalen Tibiagelenkfläche gegenüber der distalen 
Femurgelenkfläche ca. 35 mm beträgt. 


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TJeber einen blutig reponiiten Fall von angeborener Kniegelenksluxation. 445 

Die Patella, fast von normaler Grösse, lässt sich deutlich ab¬ 
tasten und weist keine seitliche Luxationsstellung auf. 

Passive Beweglichkeit des luxirten Kniegelenkes aus der 
Streckhaltung im Sinne der 


Beugung. 

. 15« 

Ueberstreckung .... 

. 75« 

Adduction (Genu var.) . 

o 

O 

(M 

Abduction (Genu valg.) . 

. 35« 

Rollung nahezu .... 

. 0« 


Bei dem Versuche, dieUeberstreckung weiter als über 75^ 
zu treiben, stösst man auf einen harten, knöchernen Widerstand. Es 
macht den Eindruck, als ob man mit dem oberen stachelartigen 
Fortsatze der Tuberositas tibiae gegen die Vorderfläche des Os femur 
anstiesse. Forcirt man die Beugung über die Grenze von 15 ^ so 
werden Schmerzen ausgelöst und man stösst auf einen federnden 
Widerstand. Derselbe wird offenbar durch die sich spannenden Liga¬ 
menta lateralia hervorgerufen. Selbstverständlich handelt es sich 
bei dieser Bewegung überhaupt nicht um eine wirkliche Beugung, 
bei welcher die Gelenkfläche der Tibia an jener des Os femur gleiten 
würde, sondern um eine einfache Abhebelung des oberen Tibiaendes 
von seiner Unterlage. 

Die active Beweglichkeit ist nur im Sinne der Ueber- 
streckung vorhanden und bis zu einem Winkel von ca. 30 mög¬ 
lich. Wenn der Patient der Aufforderung, das Knie überstreckt 
zu halten, nachkommt, spannt sich der sonst vollkommen er¬ 
schlaffte Muse, quadriceps deutlich an, und Patella und Ligam. 
proprium erheben sich brückenartig aus der tiefen Nische, in welcher 
sie liegen. Ausser dem Muse, quadriceps wirkt aber immer der 
Muse. Sartorius noch kräftig mit, besonders wenn der Patient, am 
Rücken liegend, den Oberschenkel gleichzeitig mit erhebt. Deshalb 
ist die Flexionsbewegung im Hüftgelenk immer auch mit leichter 
A ussenrotation in der Hüfte verbunden. 

Im Sinne der activen Beugung ist die Beweglichkeit der Knie¬ 
gelenke vollkommen Null. Hebt man, während der Patient Bauch¬ 
lage einnimmt, den Unterschenkel innerhalb der geringen vorhan¬ 
denen passiven Excursionsbreite nach oben, beugt also im Knie¬ 
gelenke, so vermag Patient nicht, diese dem Unterschenkel ertheilte 
Stellung aus eigener Kraft inne zu halten. Bei dem Versuche, dies 


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446 


Max Reiner. 


zu thun, erfolgt zwar eine wahrnehmbare Contraction der inneren 
Kniebeuger, jedoch kein mechanischer Effect derselben. Der Unter¬ 
schenkel fällt wieder kraftlos herunter. Eine Contraction des Muse, 
biceps fern, lässt sich überhaupt nicht nachweisen. 


Fig. 2. 



Die Sehnen der inneren Kniebeuger weichen knapp oberhalb 
der oberen Circumferenz des Condylus int. nach vorne ab und ver¬ 
laufen über den Condylus hinweg zu ihrer Ansatzstelle an der Tibia. 

Die Röntgenbilder, für deren Aufnahme ich Herrn Dr. Hoh- 
knecht zu Dank verpflichtet bin, weisen zunächst einen hohen Grad 
von Porosität (excentrischer Atrophie) aller Knochen der unteren 
Extremitäten nach. 

Die knöchernen Constituentien des linken Kniegelenkes (Fig. 2) 


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Ueber einen blutig reponirten Fall von angeborener Kniegelenksluxation. 447 


fallen ausserdem durch ihre ausserordentliche Zartheit (concentrische 
Atrophie) auf. Die Knochenkeme der Epiphysen sind relativ klein. 
Der Tibiakopf, dessen Oelenkknorpel sich am Negativbilde sehr gut 
umgrenzen lässt, hat nicht die gewöhnliche flache Form, sondern ist 


Kig, 8. 



halbrund gestaltet, ganz ähnlich einem Humeruskopfe. Die Halb¬ 
kugel sitzt aber dem Schafte nicht rechtvvinkelig auf, sondern in 
einer nach rückwärts geneigten Ebene, welche mit der Tibiaachse 
einen Winkel von ca. 70 ® einschliesst. 

Auch das Gelenkende des Femur ist mehr halbkugelig ge¬ 
staltet und lässt die normalerweise vorhandene kräftige Ausladung der 
Condylen nach rückwärts vermissen. Der Femurschaft ist oberhalb 


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448 


Max Reiner. 


des Oelenkendes etwas abgeknickt, so dass er einen nach hinten 
oflFenen stumpfen Winkel bildet. 

Der Gelenkkopf der Tibia liegt mit seinem hinteren unteren 
Rande der vorderen oberen Umrandung des Femurgelenkkopfes 


Fig, 4. 



direct auf. Die Dislocatio ad longitudinem beträgt, auch am 
Röntgenbilde gemessen, 35 mm. Sehr schön treten am RöntgenbiUe 
die topographischen Verhältnisse der Patellen am Ligam. proprium 
hervor. 

Das Röntgenbild (Fig. 3) ist bei maximaler Ueberstreckung 
aufgenommen. 

Die vom rechten Kniegelenk stammenden Bilder ergeben 
die Subluxationsstellung desselben, zeigen aber, dass die Knodien 


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lieber einen blutig reponirten Fall von angeborener Eniegelenksluxation. 449 

dieses vor Jahren operirten Gelenkes weniger atrophisch sind, 
und dass die Ossification der Epiphysen weiter vorgeschritten ist, 
als links. 

Oie Reposition des linken Kniegelenkes habe ich, nachdem 
etwa 1 Jahr vorher ein Versuch der unblutigen Reposition missglückt 
war, ani 26. November 1903 ausgeführt. Querer Hautschnitt von 
einem Epicondylus zum anderen. Das Ligam. patellae wird in der 
Mitte seiner Länge quer durch trennt. Sehr viel Fettgewebe. Bei 
Eröffnung der Kapsel erfolgt der Lufteintritt ins Gelenk unter pfei¬ 
fendem Geräusch. Die Kapsel wird in ganzer Ausdehnung des Haut¬ 
schnittes quer gespalten. Der KnorpelUberzug sämratlicher Gelenke 
zeigt fast durchaus normale Beschaffenheit. Der mediale Meniscus 
fehlt vollständig, vom lateralen ist nur ein schmaler, sehr verdünnter 
halbmondförmiger Saum vorhanden. Die Ligam. cruciata zu dünnen 
Strängen ausgezogen. Die vielfach beschriebene Facettirung der 
Femurgelenkfläche ist nicht constatirbar. Die normalerweise vor¬ 
handenen Gelenkfacetten der Tibia sind ganz flach, kaum durch eine 
Vertiefung angedeutet. Nach Einkerbung der beiden Seitenbänder 
lässt sich die Reposition durch Extension, sowie durch Druck am 
unteren Femurende nach vorne und am oberen Tibiaende nach hinten 
leicht bewerkstelligen. 

Die Reposition ist aber ganz labil. Daher werden jetzt die 
Gelenkfacetten der Tibia in ihrem vorderen Antheile mittelst des 
Hohlmessers vertieft und die gegenüber liegenden Condylenflächen 
gleichfalls zurecht gestutzt. Ueberdies wird durch eine Seidensutur, 
welche durch die Vorderkante beider Gelenkflächen hindurchgeht, die 
Stabilität der Reposition gesichert. Nun wird die Kapsel, dann das 
Ligam. patellae proprium, endlich die Haut vernäht und ein Gips¬ 
verband in Streckstellung angelegt. Es sei hier bemerkt, dass nicht 
der mindeste Zug angebracht werden musste, um die beiden 
Schnittflächen der Ligam. patellae proprium einander zu nähern. 
Es ist also keinerlei Verkürzung des Muse, quadriceps vor¬ 
handen gewesen. 

Nach 8 Tagen werden die Hautnähte entfernt; prima in- 
tentio. 

Gipsverband in leichter Beugestellung. 

Nach 2 Monaten wird der Gipsverband behufs Anfertigung eines 
Modelles für einen Schienenhülsenapparat abgenommen. Es zeigt 
sich, dass die Reposition unverändert besteht und dass leichte Be- 


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450 


Max Reiner. lieber einen blutig reponirten Fall etc. 


weglichkeit im Sinne der Beugung vorhanden ist. Die beiden Knie¬ 
gelenksenden weisen aber noch beträchtliche Verschiebbarkeit auf. 

Ende Juni, also ca. 7 Monate post operationem ist die patho¬ 
logische Beweglichkeit der Gelenksenden bereits äusserst gering, 
ebenso die Hyperextensionsfähigkeit des Gelenkes. Active Beugung 
bis zum Winkel von 60—70®. 


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XXXIV. 


( A.US dem Universitäts-Ambulatorium für orthopädische Chirurgie 
des Prof. A. Lorenz in Wien.) 

Einiges über Fnnctionsstömng 
nach Extensorlälunnng und über Indication znr 
Transplantation an der unteren Extremität’). 

Von 

Docent Dr. Max Reiner, 

Assistent des Ambulatoriums. 

Mit 2 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Bekanntlich war Volkmann der erste, welcher der Frage 
näher trat, auf welche Weise ein Bein, dessen Kniestreckmusculatur 
gelähmt ist, seine Gehfunction auszuführen vermag. Er gelangte 
hierbei zur Ansicht, dass in der überwiegend grossen Mehrzahl der 
Fälle von Parese oder vollständiger Paralyse des Quadriceps ein 
Genu recurvatum sich einstellen müsse, unabhängig davon, ob die 
Flexoren des Kniegelenkes theilweise functionsfähig geblieben sind 
oder nicht. Zur Erklärung des Mechanismus dieser nach der Seite 
des gelähmten Muskels hin erfolgenden Deviation zog Volkmann 
das seither viel citirte Beispiel vom Taschenmesser heran. 

So treffend nun dieser Hinweis Volkmann*s auf bekannte ein¬ 
fache mechanische Verhältnisse ist, mussten doch betreffs der Allge¬ 
meingültigkeit der thatsächlichen Angabe Volkmann’s Vorbehalte 
gemacht werden. Es ist nämlich nicht richtig, dass die Mehrzahl 
der Patienten mit gelähmtem Quadriceps im Laufe der Zeit durch 
die Gehfunction ein Genu recurvatum acquirirt. Dies trifft in der 
Kegel nur dann zu, wenn die Beuger des Kniegelenkes in erheb- 


*) Vortrag, gehalten auf dem III. Congregs der Deutschen Gesellschaft 
für orthopädische Chirurgie am 5. April 1904. 


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452 


Max Reiner. 


lieber Weise an der Paralyse participiren. Sind sie dagegen von der 
Lähmung verschont geblieben oder nur in geringem Grade betroffen, 
so stellt sich meist eine Contractur nach der Seite der weniger ge¬ 
lähmten Muskeln ein, und die Kranken acquiriren ein Genu flexum. 
Sie gehen aber trotz des Genu flexum ohne Stütze und werden hier¬ 
bei gerade von jenem mechanischen Moment unterstützt, welches 
Volkmann zuerst richtig erkannt, und aus welchem er die Noth- 
wendigkeit einer Recurvation ableiten zu können geglaubt hat. Die 
Kranken müssen bekanntlich, um im Kniegelenke nicht in dem 
Momente einzuknicken, in dem das entsprechende Bein in die Stütz¬ 
phase übergeht, ihren Oberkörper stark nach vorne werfen, um da¬ 
durch die Schwerlinie des Rumpfes vor die Kuiegelenksachse zu 
bringen und das Gewicht des Körpers im Sinne der Streckung des 
Kniegelenkes wirken zu lassen. Solche Kranke müssen also bei jedem 
Schritt eine tiefe Verbeugung nach vorne machen, welche immer in 
die Stützphase des gelähmten resp. contracten Beines fällt. Diese 
Bewegung ist äusserst unschön und so auffällig, dass man ä distance 
die Diagnose Quadricepslähmung stellen kann ^). 

Ist die Contractur des paralytischen Kniegelenkes eine hoch¬ 
gradige, dann reicht das Vomüberwerfen des Körpers nicht mehr 
aus; dann pflegen die Patienten, besonders Kinder und Halberwachsene, 
durch Vermittelung der auf das Knie aufgestützten gleichnamigen 
Hand das Körpergewicht direct auf dasselbe zu übertragen und hier¬ 
durch das Einknicken zu verhindern. 

Sowohl bei Genu recurvatum als auch bei Genu flexum be¬ 
obachten wir ausserdem sehr oft eine Aussenrollung des contracten 
Beines. Dieselbe ist manchmal eine Contracturstellung, wenn Muskeln 
mit einwärts rollender Componente gelähmt sind, dürfte aber zum 
Theil auch auf eine instinctive Neigung der Patienten zurückzuführen 
sein, die Bewegungsrichtung des Kniegelenkes senkrecht zur Rich¬ 
tung der Schwerpunktsbeschleunigung beim Gange zu stellen und 
auch hierdurch der Einknickungsgefahr zu begegnen. 

Im ganzen und grossen kennt man also zwei Arten des Ganges 
bei Quadricepslähmung, u. z.: die eine mit dem Vorschleudem des 
gelähmten Beines und der Ueberstreckung im Kniegelenke, die andere 

*) Allerdings ist man bei solchen ä-distance Diagnosen auch Irrthumem 
ausgesetzt. So muss beispielsweise bei arthrogener Beugecontractur in der 
Hüfte, wenn die Beugung so hochgradig ist, dass sie durch Lendenlordose nicht 
mehr compensirt werden kann, ein ganz ähnlicher Mechanismus eintreten (s. u.). 


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Einiges über Functionsstürung nach Extensorlähmung etc. 


453 


mit dem Vorbeugen des Körpers und der Beugecontractur des Ge¬ 
lenkes. Die erstere Gangart machen sich vorzugsweise Erwachsene, 
die eine Lähmung acquiriren, zu eigen. 

Ich habe aber wiederholt Kinder und Halberwachsene gesehen, 
welche mit totaler Quadricepsparalyse behaftet waren, aber keine 
dieser beiden Gangarten aufwiesen. Sie gingen mit gebeugtem Knie¬ 
gelenke, aber ohne das oben beschriebene Vorbeugen des Körpers 
bei jedem Schritt, nur mit einer ganz leichten, kaum merkbaren Vor¬ 
beugehaltung. Sie gingen so schön, dass ihre Gangart sich nur wenig 
von jener normaler Menschen unterschied. 

In weiterer Verfolgung dieser auffallenden Thatsache liess sich 
constatiren, dass diese schöne Gangart trotz Quadricepslähmung nur 
bei jenen Patienten zu beobachten ist, welche nebst ihrer Kniebeuge- 
contractur auch einen gewissen Grad von Pes equinus besitzen. 

Es wird also die bei Quadricepsparalyse sich ergebende Gang¬ 
art wesentlich modificirt durch den Contracturzustand der übrigen 
Gelenke des Beines. 

Um dem Verständniss der einschlägigen Fragen näher zu 
kommen, habe ich zunächst getrachtet, bei Fällen mit möglichst in- 
complicirter Lähmung des Quadriceps den Functionsausfall zu prüfen. 
Ein recht willkommenes Object bot mir hier ein sehr intelligenter 
11 jähriger Knabe, welcher nach Poliomyelitis eine nahezu isolirte 
Lähmung des Quadriceps auf beiden Seiten acquirirt hatte. 

Die Attaque war 3 Jahre vorher eingetreten und hatte zu 
schwerer Schädigung der unteren Extremitäten und der Rumpf- 
musculatur geführt. Infolge der Lähmung der Rückenmuskeln und 
halbseitiger Lähmung der Bauchdeckenmuskeln war auch eine para¬ 
lytische Skoliose aufgetreten. Wenngleich die Skoliose zum grössten 
Theil geblieben ist, haben sich doch die Rücken- und Bauchdecken¬ 
muskeln zu nahezu normaler Kraft wiederum erholt. An den unteren 
Extremitäten sind die Adductoren, sowie die Extensoren des Knie¬ 
gelenkes auf beiden Seiten vollkommen gelähmt. Der Knabe ist 
absolut nicht im Stande, die Unterschenkel aus der horizontalen 
Rückenlage dem Zuge der Schwere entgegen zu heben. Das Bestehen 
eines minimalen Restes von Function der Extensoren des Knie¬ 
gelenkes lässt sich aber daraus erschliessen, dass bei der Intention, 
den Unterschenkel zu heben, die seitliche Beweglichkeit der Patella 
geringer wird. Ferner kann der Knabe, wenn die beiden Unter¬ 
schenkel herunterhängen, dieselben um etwa 15® aus der Gleich- 


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454 


Max Reiner. 


gewichtslage heben, doch ist der Rest der Muskelkraft so gering, 
dass der Knabe diese minimale Bewegung nicht ausführen kann, 
wenn er sitzt. Wie er selbst herausgefunden hat, muss er sich zu¬ 
erst auf den Rücken legen, um mit dem herabhängenden Unter¬ 
schenkel diese Streckbewegung ausführen zu können. Der Zweck 
dieses Sichzurücklegens ist klar. Die Verktirzungsfahigkeit des Rectus 
(denn offenbar handelt es sich um diesen Kopf des Quadriceps) ist 
so gering, dass sie erst nach Verlängerung des Muskels durch Ent¬ 
fernung der beiden Ansatzpunkte von einander zur Geltung kommen 
kann. Im übrigen sind alle Muskeln der unteren Extremitäten voll¬ 
kommen intact. Da der Ausfall der Adductorenwirkung sich nur 
bei wenigen Versuchen zum Zweck der Functionsprtifung geltend 
gemacht hat, konnte man denselben meistens vernachlässigen und 
den Fall als reine Lähmung beider Kniestrecker auffassen. 

Dieser Knabe weist nun keine Kniebeugecontractur auf, es sei 
denn, dass man die eben wahrnehmbare Verringerung der Streck¬ 
fähigkeit des Kniegelenkes um etwa 3—4 ® als Kniebeugecontractur 
gelten lassen will. 

Wenn der Knabe steht, so merkt man von der Lähmung der 
Kniestrecker nichts. 

Bekanntlich ist auch normalerweise der Quadriceps bei der 
sogen, bequemen Stehhaltung vollkommen schlaff und unthätig. Es 
rührt dies daher, dass die Schwerlinie des Körpers vor der Achse 
des gestreckten Kniegelenkes vorübergeht, so dass nur die Muskel* 
kraft der Beuger des Kniegelenkes in Anspruch genommen wird, 
u. z. um der Schwerkraft das Gleichgewicht zu halten, resp. die 
UeberstreckuDg des Kniegelenkes zu verhindern. 

Auch die vielen Arten des asymmetrischen Stehens beanspruchen 
nur selten eine Quadricepsfunction. 

Mit Ausnahme jener Stehhaltung, welche fast die gesammte 
Musculatur des Körpers in Anspruch nimmt, das ist also die mili¬ 
tärische Grundstellung, fällt dem Quadriceps beim Stehen nur selten 
und auch dann nur eine äusserst leichte Aufgabe zu. 

Beim Gange dagegen hat der Quadriceps in einer bestimmten 
Phase des Schrittes Spannung zu entwickeln. In dem Moment näm¬ 
lich, wo das dem Boden aufgesetzte Bein die Rolle des Stützbeines 
übernimmt, ist es im Kniegelenke noch leicht flectirt, oder es ist 
aus der vollen Streckstellung, die es kurz vor der Beendigung des 
Vorschwunges angenommen hatte, wieder in Beugestellung über- 


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Einiges über Functionsstörung nach Extensorlähmnng etc. 


455 


gegangen, gerade bevor die Ferse den Boden berührt hat. Die 
Schwerlinie geht in diesem Moment hinter der Achse des Knie¬ 
gelenkes vorbei, wirkt also im Sinne der Vermehrung der Beugung. 
Dieser Beugungstendeuz nun hat normalerweise die Spannung des 
Quadriceps entgegenzuarbeiten. 

Wie deckt nun unser Patient den Ausfall ? 

Einfach durch eine vermehrte Beschleunigung, welche er dem 
Schwerpunkt des Körpers durch das jeweilige Stemmbein ertheilt. 
Es muss daran erinnert werden, dass auch normalerweise die Ge¬ 
fahr, in der genannten Phase des Schrittes nach hinten umzukippen, 
ausser durch die Spannung des Quadriceps noch durch ein zweites 
und zwar dynamisches Moment beseitigt wird. In jenem Zeitpunkte 
nämlich, wo das hintere Bein den Boden verlässt, ist der Schwer¬ 
punkt des Körpers noch gar nicht so weit nach vorn verlagert, dass 
die Schwerlinie in die neue ünterstützungsfläche fallen könnte; sie 
geht in diesem Stadium nicht nur hinter der Kniegelenksachse, 
sondern auch hinter der Ferse des eben nach vorne aufgesetzten 
Beines vorüber. Als statisches Problem aufgefasst, ist diese Stellung 
demnach auch normalerweise undenkbar. Beim Gehen jedoch wird 
der Schwerpunkt durch die Beschleunigung, welche das Hinterbein, 
knapp bevor es vom Boden gehoben wurde, dem Körper durch die 
kräftige Plantarflexion ertheilt, über diesen todten Punkt hinüber- 
geschwungen. 

Unser Patient gestaltet nun das Abstossen des jeweiligen 
Stenimbeines vom Boden etwas kräftiger und bewirkt dadurch eine 
stärkere Beschleunigung des Schwerpunktes, welche, da sie nach 
vorne wirkt, die Function des Quadriceps entbehrlich macht. Indem 
er aber dadurch eine bestimmte Phase des Schrittes (zeitlich) ver¬ 
kürzt, verliert der Gang ein wenig an Gleichmässigkeit; ausserdem 
ist verständlich, dass der Patient, da er eine starke Schwerpunkts¬ 
beschleunigung von Seiten des Stemmbeines nothwendig hat, auch 
im allgemeinen besser geht, wenn er rasch ausschreiten kann, als 
wenn er ein langsames Tempo einzuhalten hat. 

Noch in einer zweiten Phase des Schrittes kommt normaler¬ 
weise die Quadricepsfunction zur Geltung. Wenn das vorne auf¬ 
gesetzte Stützbein eine starre Strebe wäre, so müsste der Schwer¬ 
punkt unter dem Einflüsse der ihn vorwärts treibenden lebendigen 
Kraft über dem unterstützenden Fusse einen Kreisbogen beschreiben, 
dessen Halbmesser durch die Länge des Beines bestimmt ist. Die 


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Max Reiner. 


Höhe dieses Bogens wird nun normalerweise dadurch beträchtlich 
verringert, dass das Stützbein fast um 15 ® (R. du Bois-Reymond) 
im Knie gebeugt wird, um dann erst, wenn der Schwerpunkt senk¬ 
recht über dem Fusse steht, in Streckung überzugehen. 

Unserem Patienten gestattet nun zwar seine kräftige Schwer¬ 
punktsbeschleunigung auch eine leichte Kniebeuge, jedoch nicht in 
normalem Ausmaasse. Die Folge davon ist, dass er, wie aus den 
obigen Ausführungen verständlich wird, dem Schwerpunkte seines 
Körpers höhere Elongationen in verticaler Richtung ertheilen muss, 
als es de norma der Fall ist. Von der Richtigkeit dieser That- 
sache konnte man sich durch Beobachtung seines Scheitels beim 
Gange überzeugen. 

Im Ganzen und Grossen unterscheidet sich also sein 
Gang von dem normalen durch eine vermehrte horizon¬ 
tale Schwerpunktsbeschleunigung und eine vermehrte 
verticale Schwerpunktselongation. Diese Differenzen sind 
aber bei dem Gange auf ebenem Boden des Zimmers so gering, dass 
sie einer oberflächlichen Beobachtung fast entgehen. Bei dem Gang 
auf dem unebenen Boden der Strasse wird der Unterschied auf¬ 
fälliger, wobei allerdings auch noch der Ausfall der Adductoren- 
wirkung bei der Erhaltung des Aequilibriums in Betracht kommen 
dürfte. 

Viel wichtiger als die Function beim Gehen und Stehen ist 
jene Function, welche der Quadriceps als synergistischer Ago¬ 
nist beim Aufstehen und Treppaufsteigen zu erfüllen hat. 

Das Aufstehen beruht auf dem Zusammenarbeiten der Strecker 
des Unterschenkels, des Knies, des Beckens und des Rumpfes. Durch 
die plötzlich frei werdende grosse Spannung in den genannten Ex¬ 
tensorgruppen wird dem Schwerpunkt des Körpers die nothwendige 
Beschleunigung nach vorne oben ertheilt. Es hängt ganz von der 
Geschwindigkeit, mit welcher die Bewegung ausgeführt wird, ab, 
in welcher Lage die Schwerlinie des Körpers und die durch die 
Fusssohle repräseutirte Stützfläche sich zu einander befinden müssen. 
Befindet sich der Schwerpunkt ziemlich weit hinter der Unter¬ 
stützungsfläche, so kann das Sicherheben vom Sitze nur in raschem 
Tempo erfolgen. Durch die dem Schwerpunkte ertheilte lebendige 
Kraft gelangt er sehr bald über die Stützfläche. Soll das Aufstehen 
langsam erfolgen, dann muss schon vorher die Schwerlinie über die 
Unterstützungsfläche gebracht werden, entweder durch Anziehen 


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Einiges über Functionsstörung nach Extensorlähmung etc. 457 

des Fusses unter den Sitz oder durch starke Vorneigung des 
Rumpfes. 

Ist nun der Synergismus der Bewegung, wie in unserem Fall, 
durch das Fehlen der Quadricepswirkung gestört, so ist das Auf¬ 
stehen in den geschilderten Abarten überhaupt nicht mehr möglich. 
Die Art und Weise, wie der Patient die Aufgabe des Sicherhebens 
durchführt, hängt nun ganz davon ab, wie hoch sich die Sitzfläche, 
die der Patient einnimmt, über dem Fussboden befindet. Ist der 
Sitz für ihn relativ hoch, wie es die gewöhnlichen Subsellien für 
den 11 jährigen Knaben naturgemäss sind, so gelingt ihm das Auf¬ 
stehen vom Stuhle am leichtesten. Er beugt seinen Oberkörper ein 
wenig nach vorne und streckt die Oberschenkel gegen das Becken, 
so dass die Hinterflächen der Oberschenkel eine schiefe Ebene dar¬ 
stellen, an welcher er entlang der Vorderkante der Sitzfläche herunter¬ 
rutscht. Dadurch, dass er sich nicht auf die volle Sohle, sondern 
auf die Fussspitze fallen lässt, wirkt eine Coniponente der Triceps- 
spannung im Sinne der Beugung des proximalen Tibiaendes nach 
hinten, d. h. im Sinne der Streckung des Kniegelenkes. 

Unter weiterer Vorbeugung des Körpers sowie unter weiterer 
Anspannung der Olutaei und der Wadenmuskeln schiebt er seinen 
Schwerpunkt weit genug nach vorne, um rasch die vollständige Auf¬ 
richtung des Körpers durchführen zu können. Im ganzen bringt er 
das Aufstehen von einem relativ hohen Sitz rasch fertig. 

Muss sich Patient von einer Sitzfläche erheben, die niedriger 
ist als die vorher in Betracht gezogene, die sich also in Kniehöhe 
oder noch etwas tiefer befindet, so stützt er seine beiden Hände an 
der Vorderkante der Sitzfläche, aussen neben beiden Oberschenkeln 
auf, und hebt seinen Körper zunächst mit Hülfe der Oberarmkraft, 
bis der Grad der Kniebeugung so weit vermindert ist, dass er mittelst 
der Spannung der Glutaei und der Tricipites, sowie mittelst der Vorne¬ 
verlagerung des Schwerpunktes seines Körpers den Rest der Streckung 
vollführen kann. 

Von einem niederen Schemel kann er sich in derselben Weise 
nur erheben, wenn er neben demselben höher gelegene Stützpunkte 
für seine Hände findet. Sind solche dagegen nicht vorhanden, so 
dreht er sich auf dem Schemel um, so dass er auf demselben kniet, 
und erhebt sich nun, indem er sich an seinem eigenen Körper ebenso 
hinaufrankt, wie wir es etwa bei Kindern mit progressiver Muskel¬ 
atrophie zu sehen gewohnt sind. Ebenso muss er es anstellen, wenn 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XIII. Bd. 3() 


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Max Reiner. 


er sich direct von dem Erdboden erheben will. Selbstverständlich 
ist es dem Patienten ganz unmöglich, eine Kniehocke auszuführen. 

Als antagonistische Synergisten haben die Eniestrecker 
beim Niedersetzen und Treppabsteigen zu fungiren. Der Oberschenkel 
beugt sich beim Niedersetzen successive gegen den UnterschenkeL 
Da die Schwerkraft im Sinne der Vermehrung dieser Beugung wirkt, 
muss der Quadriceps Spannung entwickeln, um der Schwerkraft ent¬ 
gegen zu wirken und die Bewegung zu einer dosirten, gleichmässigen 
zu gestalten. 

Unser Patient deckt den Ausfall des Quadriceps beim Nieder¬ 
setzen, ähnlich wie wir es früher beim Aufstehen gesehen haben, 
am leichtesten, wenn er einen Sitz einnehmen soll, der für ihn rela¬ 
tiv zu hoch ist. Auf einen der gewöhnlichen Stühle setzt er sich, 
indem er sich zunächst hart vor denselben hinstellt, seine hinteren 
Oberschenkelflächen an die vordere Kante der Sitzfläche anlehnt, 
und diese Stellung zugleich durch Vorbeugen des Körpers sichert. 
Dann lässt er sich, indem er das ßumpfgewicht zurückwirft, auf die 
Sitzfläche niedersinken, wobei die Bewegung dadurch moderirt wird, 
dass die Oberschenkel an der Kante der Sitzfläche eine Stütze finden. 
Ist das Subsellium niedriger, so muss er sich, wenn er keine Ge¬ 
legenheit hat, sich mit den Händen an einer höher gelegenen Hand¬ 
habe zu stützen, auf dasselbe fallen lassen. Die normalerweise 
beim Niedersetzen eintretende Bewegung des proximalen Tibiaendes 
nach vorn bleibt hierbei aus und der Oberschenkel knickt im Knie 
einfach nach rückwärts um. 

Sehr interessant ist die Art und Weise, wie der Patient die 
fehlende Quadricepswirkung beim Treppabsteigen ersetzt. Hierbei 
bat bekanntlich der Quadriceps des (hinteren) Stützbeines Spannung 
zu entwickeln, um durch die Beugung im Kniegelenke die Ver¬ 
kürzung des Beines um die Höhe der Stufe zu bewirken. 

Unser Patient weiss nun in der Art ohne diese Verkürzung 
auszukommen, dass er die dem jeweiligen Schwungbeine entsprechende 
Beckenhälfte nach vorne dreht, so dass das Schwungbein jetzt ober¬ 
halb der unteren Stufen schwebt, und nun lässt er sich einfach auf 
dieses vordere Schwungbein resp. auf die untere Stufe niederfallen. 
Er lässt sich aber nicht auf die Sohle des Schwungbeines nieder, 
sondern bloss auf die Fussspitze und gewinnt dadurch nach zweierlei 
Richtung. Erstens verringert er die Fallhöhe um die durch die 
Equinusstellung gewonnene Verlängerung des Beines, und zweitens 


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Einiges über Funct^onsstörung nach Extensorlähmung etc. 


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sichert er durch den Zug des gespannten Triceps seinem oberen 
Tibiaende und dadurch auch dem Kniegelenke eine nach rückwärts 
wirkende Componente, so dass er sich auf das Schwungbein fallen 
lassen kann, ohne die Gefahr des Zusammenknickens im Kniegelenke 
im Momente des Auffallens fürchten zu müssen. 

Resumirend wollen wir also constatiren, dass die Lähmung der 
Extensoren des Kniegelenkes, wenn der Eintritt schwerer Contrac- 
turen verhütet wurde, nur im geringen Grade beim Gehen und Stehen 
störend empfunden wird, dass sie aber beim Niedersetzen und Auf¬ 
stehen sowie beim Treppensteigen, selbst wenn keine Contractur vor¬ 
handen ist, eine schwere Störung verursacht. 

Die beim Gehen und Stehen öfters nothwendig werdende Func¬ 
tion dieser Muskelgruppe kann zwar (abgesehen von der Wirkung 
der Schwerkraft) noch in anderer Weise zum Theil ersetzt werden. 
Es ist nämlich verständlich, dass eine (Rückwärts-)Streckung des 
Oberschenkels im Hüftgelenke, verbunden mit gleichzeitiger Rück¬ 
wärtsdrehung des Unterschenkels im Talocruralgelenke, eine rein 
passive Streckung des Kniegelenkes bewirken kann (R. du Bois- 
Reymoud). Von diesen Hilfsmitteln macht unser Patient, wie wir 
gesehen haben, ausgiebigen Gebrauch; er benützt also die Glutaei 
und die Tricipites zur Extension im Kniegelenke. Bei jenen Be¬ 
wegungen jedoch, welche, wie das Hinsetzen und Aufstehen, das 
Treppauf- und Treppabsteigen, auf dem kräftigen Synergismus aller 
drei grossen Extensorgruppen beruhen, fällt der Ausfall einer Gruppe 
natürlich schwer ins Gewicht. 


Welche Aussichten bieten sich nun, wenn man versucht, die 
verloren gegangene Quadricepsfunction durch Transplantation gesunder 
Muskeln zu ersetzen? Man braucht bloss das gross angelegte und 
modernste Buch über diesen Gegenstand, jenes von Vulpius, zur 
Hand zu nehmen und das Resum^ über das Kapitel: „Die Sehnen¬ 
verpflanzung am spinalgelähraten Oberschenkel“ S. 187 aufzu¬ 
schlagen, um sofort die Beantwortung der Frage zu erhalten. Sie 
lautet: „Der functioneile Erfolg ist gerade hier so überraschend, 
dass er auch hartnäckige Zweifler überzeugen muss“, und weiter: 
„Selbst wenn die active Streckung nicht oder nicht in erheblichem 
Grade erzielt wird, zeigt sich doch oft eine wesentliche functionelle 


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Max Reiner. 


Besserung, indem das Gehen ermöglicht wird, das vorher wohl haupt¬ 
sächlich durch die Action der Beuger gestört wurde.“ 

Von diesen beiden Sätzen scheint mir der zweite den Geltungs¬ 
bereich des ersten doch wesentlich einzuschränken. Ich bin sogar 
durchaus geneigt, jeden Fall von Sehnentransplantation zum Ersätze 
des Quadriceps, infolge deren sich nur die vorher fehlende Gehföhig- 
keit wieder hergestellt hat, während die active Streckfähigkeit ganz 
oder zum grossen Theil ausgeblieben ist, als einen vollständigen 
Misserfolg des Transplantationsversuches zu bezeichnen. Die Wieder¬ 
herstellung der Gehfunction ist auch vor der Transplantationsära 
bei einseitiger und oft selbst bei doppelseitiger Quadricepslähmung. 
bloss durch das modellirende Redressement der Kniecontractur mög¬ 
lich gewesen, und so kommt auch jetzt dieser Gewinn sehr oft 
lediglich auf das Conto des implicite vorgenommenen Redressements, 
nicht auf jenes der Transplantation. Aber auch dann, wenn das Er¬ 
heben des Beines aus der Rückenlage bei völliger Streckhaltung des 
Kniegelenkes möglich ist, ist damit noch nicht ein grosser Erfolg 
bewiesen, weil diese Bewegung, die im gewöhnlichen Leben ausser 
zum Zwecke der ärztlichen Untersuchung kaum jemals zur Anwen¬ 
dung kommt, nur einen geringen Kraftaufwand erfordert, während 
jene Bewegungen, bei welchen die Quadricepswirkung unerlässlich 
ist, eine sehr hohe Kraftentfaltung des Muskels beanspruchen. Die 
Mittheilungen über erfolgreiche Versuche zum Ersätze des Quadriceps 
müssten, glaube ich, gerade darüber ausführlicher berichten, wie der 
Patient sich beim Aufstehen und Niedersetzen, beim Treppensteigen, 
bei der Kniehocke etc. verhält. Hierbei darf allerdings nicht über¬ 
sehen werden, dass bei einseitiger Affection die Function des intacten 
Beines zum Zustandekommen der genannten Bewegungen vielfach 
allein ausreicht. 

Ueberhaupt liegen die Bedingungen für erfolgreichen Ersatz 
des Quadriceps durch Muskeltransplantation nicht so günstig, als im 
allgemeinen angenommen zu werden scheint. Um sich hierüber 
eine klare Vorstellung verschaffen zu können, erscheint es roth- 
wendig, die Kraft, welche die Extensoren des Kniegelenkes normaler¬ 
weise aufbringen, mit jener Kraft zu vergleichen, welche die Beuger 
des Kniegelenkes, die ja in erster Linie bei jedem Transplantations¬ 
plane in Betracht kommen, normalerweise zur Verfügung haben. 
Für normale Verhältnisse sind diese Kräfte durch Herz und Bum 
vermittelst des von Herz construirten Gewicht - Hebel-Dynamo- 


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Einiges über Functionsstörung nach Extensorlähmung etc. 


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meters gemessen worden. Sie lassen sich aber nicht durch eine 
einzige Zahl ausdrUcken, wie aus Folgendem hervorgeht. Beispiels¬ 
weise ist eine Muskelgruppe A ohne weiteres im Stande, eine Last 
Fon einem bestimmten Gewicht zu heben, während eine Muskelgruppe 
B dieselbe Last nicht bewältigt. Aber die scheinbar schwächere 
Muskelgruppe B kann vielleicht ein wenn auch kleineres Gewicht 
um so viel höher heben als die Gruppe A, dass sie damit eine grössere 
Gesammtarbeit leistet als die stärkere, aber eine geringere Hub¬ 
höhe erzielende Gruppe A. 

Diese beiden verschiedenen Aeusserungen der Muskelkraft 
Werden als „mittlere Zugkraft“ und als „specifische Energie“ des 
betreffenden Gelenkmuskelapparates bezeichnet. Herz und Bum 
haben dieselben an allen in Betracht kommenden Bewegungen des 
menschlichen Körpers gemessen und, auf relative Werthe reducirt, 
tabellarisch zusammengestellt. Diese Tabelle gibt uns ein Mittel au 
die Hand, wenigstens annähernd die Zugkraft zu bestimmen, welche 
jeder einzelnen Muskelgruppe zukommt, wenn wir bei einem Indivi¬ 
duum auch nur die Zugkraft einer einzigen Muskelgruppe kennen. 
Zum Zwecke des Vergleichs der gewonnenen Resultate wäre es ge¬ 
wiss von Vortheil, wenn die Autoren, die über glücklich transplan- 
tirte Fälle berichten, in Zukunft dieselben auch durch Zahlen prä- 
cisirten. Diese Zahlen wären mittelst des Gelenkdynamometers am 
transplantirten Gelenke, sowie zum Vergleiche auch an anderen voll¬ 
kräftigen Gelenken desselben Individuums zu gewinnen. 

Um aber wieder zur Kniegelenksbewegung zurückzukommen, 
wollen wir das gegenseitige Kräfteverhältniss der Beuger- und der 
Streckergruppe kennen lernen. Um relative Vergleichszahlen zu 
erhalten, mussten Herz und Bum die mittlere Zugkraft und die 
specifische Energie der Bewegung eines bestimmten Gelenkes als 
Vergleichsgrösse aufstellen. Sie wählten hierzu das Kniegelenk und 
setzten die mittlere Zugkraft der Kniestreckung = 100, ebenso 
die specifische Energie derselben Bewegung = 100 Arbeitsein¬ 
heiten. 

Für die Kniebeugung lauten nun die resp. Zahlen der 
mittleren Zugkraft und der specifischen Energie 82 und 115. Das 
heisst, die Kniebeuger vermögen, wenn ihre Hubhöhe voll ausgenützt 
werden kann, im ganzen mehr Arbeit zu leisten als die Strecker. 
Wenn von ihnen aber nur jene kleinere Hubhöhe in Anspruch ge¬ 
nommen wird, welche der Streckbewegung normalerweise eigen 


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Max Reiner. 


ist und den auf die Streckseite transplantirten Beugern gleichfalls 
zu eigen wird, dann können alle Beuger zusammengenommen noch 
nicht die Leistung aufbringen, welche jener der Strecker adäquat wäre. 

Weiters muss betont werden, dass es durchaus unstatthaft wäre, 
etwa die gesammten BeugemuskeJn zu transplantiren, um eine kräftige 
Streck Wirkung zu gewinnen. Der Ausfall der Beuger würde, wie 
immer von neuem bestätigte Erfahrung lehrt, unfehlbar zu einer 
Recurvation des Kniegelenkes führen. Ist doch die Auffassung, dass 
die Ueberstreckung des Kniegelenkes beim Gehen, Stehen etc. durch 
den intraarticuläen Hemmungsapparat des Gelenkes verhindert wird, 
längst als irrthümlich erkannt worden. Die Beugemuskeln des Knie¬ 
gelenkes sind es, welchen die wichtige Aufgabe zufällt, die Ueber¬ 
streckung des Kniegelenkes jeweilig durch rechtzeitige Contraction 
zu verhindern. Der vollständige Wegfall der Beugemusculatur hat 
also Genu recurvata schwersten Grades zur Folge, welche sich unter 
dem Einflüsse des Körpergewichtes und der Zugwirkung der neu 
gewonnenen Strecker entwickeln. Ein solcher Patient ist aber viel 
ärger daran, als ein mit einer ganz leichten Kniebeugecontractur 
behafteter. Denn während bei Lähmung des Quadriceps, wenn nur 
die Beuger intact sind, die durch das Redressement erreichte Streck¬ 
stellung durch entsprechende Pflege des Gelenkes, tägliche Belastung 
im Sinne der Streckung mittelst eines Schrotsackes etc., also über¬ 
haupt durch gymnastische Einwirkungen dauernd erhalten werden 
kann, ist der Gymnast dem Genu recurvatum gegenüber vollkommen 
machtlos. Der Patient muss jetzt zur Verhinderung weiterer Ueber¬ 
streckung einen Apparat tragen, den er sonst hätte entbehren können. 
Es wäre gewiss von grossem Interesse, wenn die Autoren ihre Fälle 
darauf hin nachprüfen und feststellen wollten, in wie vielen ihrer 
Fälle sich diese unerwünschte Folgeerscheinung eingestellt hat. 

Es ist also durchaus unrichtig, wenn gesagt wird, .dass es sich 
empfiehlt, möglichst viele Muskeln heranzuholen“. 

Es ist auch die Angabe fehlerhaft, dass, .was die Einbusse an 
activer Beugungsfähigkeit anlangt, die natürlich durch die Ver¬ 
lagerung der drei Flexoren entstehen muss, dieselbe unbedeutend sei 
im Vergleiche zum Gewinn“. 

Endlich ist auch die tröstliche Versicherung irrthümlich, dass 
.der Gastrocnemius eine immerhin noch bemerkenswerthe Beuge¬ 
fähigkeit behalte“; denn bei der gewöhnlichen Beanspruchung, wo 
der Fuss am Boden festgestellt und der Körper der bewegte Theil 


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Einiges über Functionsstörung nach Extensorlähmung etc. 


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ist, wirkt der Gastrocnemius als Strecker, nicht als Beliger des Knie¬ 
gelenkes. 

Ich glaube also, dass man es sich zur Regel machen 
müsse, nur in solchen F allen dieverloren gegangene 
Function des Quadriceps durch Transplantation zu 
ersetzen, wo auch genügend wirksame Antagonisten 
in Form von Kniebeugern reservirt werden können. 

Auch der von Vulpins vor Jahresfrist ausgesprochene Satz, 
dass nicht der Befund einer Quadricepslähmung an sich, sonderü nur 
der Nachweis erheblicher Functionsstörung die Indication zur Trans¬ 
plantation abgeben dürfe, bedarf demnach einer gewissen Correctur, 
weil bei dieser Indicationsstellung nur die Gehfunction in Betracht 
gezogen wurde und auch die oben geschilderten Verhältnisse un¬ 
berücksichtigt geblieben sind. 

Ausser den Beugern kommen der topographischen Lage nach 
allerdings noch der M. sartorius, die Adductoren und der M. gracilis 
in Betracht, von welchen der letztere als „Kraftspender“ wohl nicht 
schwer in die Wagschale fällt, während die Adductoren sich zur Trans¬ 
plantation wohl nicht besonders eignen. Zur Verhütung des Eintrittes 
eines Genu recurvatum müssen Beuger stehen bleiben, und da über¬ 
dies weder ein Genu valgum noch ein Genu varum producirt werden 
soll, so muss je ein Beuger an der lateralen und an der medialen 
Seite des Kniegelenkes verbleiben. Da man überdies den Biceps 
kaum wird spalten können, so ergibt sich von selbst die Regel, nur 
dann zu transplantiren, wenn alle vier oder oder fünf genannten 
Muskeln intact geblieben sind, und als Kraftspender nur zwei von 
ihnen zu verwenden, und zwar den M. sartorius einerseits und den 
M. semitendinosus oder den M. semimembranosus andererseits. 


Es ist schon einleitend hervorgehoben worden, dass die Func¬ 
tion des Beines bei Quadricepslähmung wesentlich vom Contractur- 
zustande der übrigen grossen Gelenke desselben Beines beeinflusst 
wird. Es bestünde beispielsweise eine Beugecontractur im Hüft¬ 
gelenke. Ist dieselbe gering, so kann sie der Patient durch Lordose 
im Lumbalsegmente vollständig compensiren, und die Function des 
Beines wird kaum leiden. Denn durch die Lordose wird der Schwer¬ 
punkt des Rumpfes nach vorne verlagert, die Schwerlinie fällt vor 


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Max Reiner. 


dem Kniegelenke herunter, wirkt also im Sinne der Streckung auf 
dasselbe. Ist die Beugecontractur grösser, so wird sie nicht mehr 
vollständig compensirt werden können und ein Theil derselben bleibt 
auch im Gehen manifest; jetzt wird in dem Momente, wo das vordere 
Bein aus der Schwungphase in die Stützphase tritt, die ünter- 
stUtzungsfläche vor die Schwerlinie zu stehen kommen, die Schwer¬ 
kraft wirkt jetzt im Sinne der Beugung des Kniegelenkes, und die 
Erhaltung des Körpergleichgewichtes wird erschwert oder ganz un¬ 
möglich gemacht. 

In ähnlicher Weise ist es mit dem Sprunggelenke und den 
übrigen Gelenken des Fusses bestellt. Fassen wir zunächst den 
kräftigsten Muskel des Fusses, den Wadenmuskel, ins Auge, so hat 
dieser zunächst die statische Aufgabe zu erfüllen, den Unterschenkel 
auf dem Fusse beim Stehen im Gleichgewicht zu halten; da die 
Tibia normalerweise etwas nach vorne übergeneigt ist, fällt die 
Schwerlinie des Körpers vor dem Sprunggelenke herunter. Die Schwer¬ 
kraft würde also die Neigung der Tibia nach vorne noch vermehren, 
wenn ihr die Spannung der Wadenmusculatur nicht das Gleichgewicht 
halten würde. 

Die beistehende Fig. 1 illustrirt die einschlägigen Verhältnisse. 
Der Fuss d e ist auf dem Boden aufgesetzt. Die Schwerlinie a h 
fällt vor dem Drehpunkte des Systems in c, das 
ist vor der Sprunggelenksachse, herunter, sucht 
also den Winkel a c d z\x verkleinern. Die in der 
Richtung a e wirkende Kraft des M. gastrocnemius 
würde für sich allein den Winkel a c d vergrössem, 
wirkt also genau im entgegengesetzten Sinne als 
die Schwerkraft und kann ihr das Gleichgewicht 
halten. 

Nun denken wir uns den Muskel a e verkürzt 
(Fig. 2), wobei es für die Betrachtung vorläufig 
gleichgiltig ist, ob die Verkürzung die Folge einer 
willkürlichen Contraction oder einer pathologischen Contractur ist. 
Die Verkürzung des Muskels involvirt eine Annäherung der beiden 
Insertionspunkte desselben. Wird diese Annäherung von dem Punkte a 
allein besorgt, so bedeutet dies eine Streckbewegung im Knie¬ 
gelenke, welche so lange währen kann, als es der Hemmungsapparat 
des Gelenkes gestattet. Die weitere Annäherung muss vom Punkte e 
geleistet werden. Damit wird e gehoben, d gesenkt und es resul- 


Fig. 1. 
a 

i 



\ 

1 

1 

\ 

1 

1 \ 

1 


i 

\ 

1 

1 

1 

\ 

d i 

\ 


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Einiges über Fanctionsstörung nach Extensorlähmung etc. 


465 


iirt Spitzfussatellung. In dem Momente aber, als das Auftreten 
in Spitzfussstellung erfolgt, ändern sich die mechanischen Ver¬ 
hältnisse am Fusse wesentlich. Denn jetzt ist ein neuer Drehpunkt 
geschaffen, der durch die Capitula metatarsium reprdsentirt wird und 


Yor der in h auftreffenden Schwerlinie sich befindet. Fassen wir 

also nun zunächst den Fuss und Unterschenkel 

als starres System auf, bei welchem ein Dreh- Fig. 2. 

pnnkt im Sprunggelenke nicht existirt, so wirkt (l 

jetzt die Körperlast nicht mehr im Sinne der Vor- 

wärtsdrehung des oberen Tibiaendes, sondern im l\\ 

Sinne der Rückwärtsneigung desselben, und diese | \ \ 

Tendenz bleibt so lange gewahrt, als sich die | \ 

Schwerlinie des Körpers noch hinter dem neuen i \ \ 

Drehpunkte befindet. Ein Patient mit einem spasti- 1 \ 

scheu Pes equinus infolge Contractur des Triceps ^ 

surae gewinnt also durch die Rumpflast eine kräf- ^ 

tige Componente zur Streckung des Kniegelenkes. 


Bevor wir diesen Fall weiter verfolgen, müssen wir gleich dem 
etwaigen Emwande begegnen, warum unser 11 jähriger Knabe mit 
Quadricepslähmung nicht willkürlich auf den Fussspitzen einher¬ 
schreitet, wenn diese Fussstellung bei vielen Formen der Bean¬ 
spruchung in dem Sinne nützlich ist, die sonst dem Quadriceps zu¬ 
kommende Function der Kniestreckung zu übernehmen ? Er thut dies 
beim Gehen deshalb nicht, weil ein schwacher Grad von Spitzfuss 
eine enorme Beanspruchung der Zugkraft des M. triceps nothwendig 
hat, welche für die Dauer nicht aufgebracht werden kann. Für 
kurzdauernde Beanspruchungen, z. B. beim Treppabsteigen, macht 
er, wie wir gesehen haben, von diesem mechanischen Moment Ge¬ 
brauch. Wir wissen von Coxitikern mit geringgradiger Verkürzung 
des Beines, dass dieselben ihren geringen Grad von Verkürzung 
niemals durch leichten Spitzfuss ausgleichen. Viel lieber über- 
corrigiren sie die Verkürzung durch hochgradigen Spitzfuss, weil sie 
mit einer um so geringeren Innervation des M. triceps auskommen, 
je mehr sie die Capitula metatarsium unter das Sprunggelenk zu 
bringen im Stande sind. Dass durch diese Uebercorrectur die Ad- 
ductionsneigung der kranken Hüfte wieder gefördert wird, ist freilich 
eine unerwünschte Zugabe. 

Besteht nun aber bei einem quadricepslahmen Patienten ein 
leichter Grad dauernder Contractur des Triceps surae, so hat der 


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Max Reiner. 


Muskel naturgemäss keine active Arbeit zu leisten, um die Spitx- 
fussstellung einzuhalten. Die Schwerkraft trachtet, das ganze System 
d e a um d als Drehpunkt nach hinten zu drehen, und deshalb trifft 
auch der in Fig. 2 supponirte Fall zu, dass c als Drehpunkt nicht 
existirt. Die durch die Spitzfussstellung veränderte Mechanik des 
Fusses kommt dem Kniegelenke zu gute, so dass dasselbe bei 
Quadricepslähmung jetzt auch dann noch gestreckt erhalten bleibt, 
wenn die Schwerlinie nicht mehr vor der Achse desselben vorbeizieht. 

Dies alles gilt aber nur insolange, als der Projectionspunkt 
der Schwerlinie h hinter dem Unterstützungs- oder Drehpunkte d sich 
befindet. In dem Momente, als die Schwerlinie über diesen Punkt 
nach vorne wandert, tritt wieder der umgekehrte Fall ein, die 
Schwerkraft wirkt wieder im Sinne der Vorwärtsneigung des pro¬ 
ximalen Tibiaendes, also wieder im Sinne der Beugung des Knie¬ 
gelenkes. 

Deshalb geht auch der Vortheil der Spitzfussstellung bei Quadri- 
cepsparalyse wieder verloren, wenn es sich um höhere Grade 
handelt. Denn erstens wird bei Steilstand der Linie d e die Pro- 
jection derselben auf die Horizontale verkleinert und damit die Ge¬ 
fahr vergrössert, dass die Schwerlinie vor den Unterstützungspunkt 
gelangt; zweitens erfordert jeder höhere Grad von Spitzfussstellung 
eine stärkere Vorneigung der Tibia, so dass auch darum wieder das 
Kniegelenk und die Schwerlinie des Körpers vor den Unterstützungs¬ 
punkt gelangen würde. 

Wenn wir also aus dem bisher Vorgebrachten den Schluss 
ziehen, dass für einen mit Quadricepsparalyse behafteten Patienten 
ein leichter Grad von spastischem Spitzfuss von grossem Nutzen sei, 
so haben wir damit den Fall im Auge gehabt, dass der Spitzfüssige 
wirklich mit der Fussspitze auftritt, was aber nicht immer der Fall 
ist. Sehr viele Spitzfüssige treten mit der vollen Sohle auf, haben 
aber dafür ein Genu recurvatum. 

Wir kommen damit zur Beurtheilung eines weiteren Factors 
zur Contracturbildung im Kniegelenke bei Quadricepsparalyse. Von 
zwei Patienten, welche ganz gleiche Lähmungszustände am Ober¬ 
schenkel aufweisen, wobei aber die Beuger noch über die Strecker 
des Kniegelenkes etwas überwiegen können, wird derjenige mit nor¬ 
malem Triceps in der Regel ein Genu flexum acquirirt haben. Beim 
zweiten aber, der nebenbei mit spastischem Pes equinus behaftet ist, 
wird sich sicherlich ein Genu recurvatum eingestellt haben. 


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Einiges über Functionsstörung nach Extensorlähmung etc. 


467 


Es gibt ausserdem Patienten in grosser Zahl, bei welchen die 
Lalimung so vertheilt ist, dass sie eine vollständige Paralyse des 
Quadriceps, keine oder eine nur geringe Parese der Beuger und 
nebenbei noch einen leichten Grad von Spitzfuss aufweisen. Diese 
Patienten sind beim Gehen sehr gut daran. Denn so oft dieses 
Sein in der Phase des Stützbeines sich befindet, wird in dem durch 
den M. triceps und den Fuss repräsentirten elastischen Systeme Kraft 
aufgespeichert, welche in dem Momente als lebendige Kraft frei 
wird, als es als Stützbein functionirt. Diese Patienten gewinnen also 
auch aus ihrem gelähmten Stemmbeine einen gewissen Grad von 
Schwerpunktsbeschleunigung. 

Im Gegensätze hierzu weist derjenige Patient, der nebst seiner 
Quadricepslähmung und seiner Spitzfussstellung noch ein Genu recur- 
vatum acquirirt hat, eine viel schwerere Gangstörung auf. Dieser 
kann wegen der Rückwärtsneigung seiner Tibia den Fuss nicht vom 
Boden abwickeln, er muss ihn senkrecht vom Boden abheben. Um 
dies thun zu können, muss er immer erst sein gesundes Bein neben 
das gelähmte hingestellt haben. Er gewinnt daher nicht nur keine 
Schwerpunktsbeschleunigung, wenn sein gelähmtes Bein aus der 
Stützphase in die Schwungphase übergeht, sondern muss im Gegen- 
theil den Rest der lebendigen Kraft, welchen er von der Wirkung 
seines gesunden Beines noch besass, in diesem Momente aufzehren. 

Für die Praxis ergibt sich daraus die Regel, bei Lähmung der 
Extensorgruppen des Kniegelenkes einen gleichzeitig bestehenden 
Pes equinus vollständig zu corrigiren, wenn ein Genu recurvatum 
vorhanden ist, einen leichten Grad von Spitzfuss jedoch nicht zu 
corrigiren, wenn ein leichter Grad von Genu flexum vorhanden ist. 
Ein schwerer Grad von Spitzfuss soll in diesem Falle durch plastische 
Sehnenverlängerung zu einem leichten Grade umgestaltet werden. 
Ist der Triceps auch an der Lähmung betheiligt, und ein Pes cal- 
caneus aufgetreten, so schaffe man den bei Genu flexum erwünschten 
leichten Spitzfussgrad künstlich durch das modellirende Redressement 
mit darauffolgender Tenodese der Achillessehne. 

Es braucht wohl nicht besonders betont zu werden, dass es 
Ursache mit Wirkung verwechseln hiesse, wenn man in dem letzt¬ 
erwähnten Falle versuchen wollte, den erwünschten Grad von Spitz¬ 
fussstellung durch einen höheren Absatz im Schuhe herzustellen. 


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468 


Max Reiner. 


Wir haben jetzt nur noch den Fall in Betracht zu ziehen, dass 
die Lähmung des Triceps surae fUr sich allein, also ohne wesentliche 
Alteration der Oberschenkelmuskeln bestünde. Welche Muskeln wollen 
wir zum Ersätze des Triceps heranziehen? Darauf ist meines Er¬ 
achtens nur die eine Antwort möglich: „Gbir keinen.“ 

Bezüglich der mächtigen Gruppe der Glutäalmuskeln ist man 
auch früher auf diesem Standpunkte gestanden, einfach aus dem 
Grunde, weil eine Transplantation aus topographisch-anatomischen 
Gründen unmöglich ist. Beim Triceps ist topographisch-anatomisch 
die Möglichkeit zur Transplantation gegeben; und deshalb ist auch 
transplantirt worden, ohne dass man sich darüber genügend Rechen¬ 
schaft gegeben hätte, ob durch die Transplantation auch ein einiger- 
massen brauchbarer Ersatz geschaffen werden kann. 

Es ist bekannt, dass die Tricepsgruppe eine grössere Fleisch¬ 
masse besitzt als alle anderen Muskeln des Unterschenkels zusammen- 
genommen. Nach Herz sind die Zahlen für die specifische Energie 
und die mittlere Zugkraft der Tricepsgruppe 60 und 130. Der Triceps 
ist daher im Stande, grosse Gewichte zu heben, verfügt aber nnr 
über eine geringe Hubhöhe. Die bezüglichen Zahlen für die Dorsal¬ 
flexion lauten 47 und 101. (Supination und Pronation sind nicht 
angeführt.) 

Wenn schon deshalb die Chancen, brauchbaren Ersatz für den 
Triceps zu schaffen, äusserst gering sind, so werden dieselben noch 
weiter verringert durch einen Umstand, welchen schon Lange ge¬ 
legentlich der Besprechung seiner Transplantationserfolge bei para¬ 
lytischem Klumpfusse hervorhebt. Der eine Theil der Patienten 
ging stets sicher und schön, der andere Theil konnte zwar im Zimmer 
am ebenen Boden ebenfalls gut gehen, sobald er aber im Freien 
sich bewegte und auf unebener Strasse gehen musste, wurde der 
Gang unschön, unsicher und hinkend. Wie die genauere Unter¬ 
suchung lehrt, war hier die Möglichkeit der activen Supination und 
Pronation des Fusses ausschlaggebend; der sichere Gang war nur 
in jenen Fällen möglich, bei welchen der Fuss sich in seiner Stellong 
jeder Unebenheit des Bodens anpassen konnte. 

Es dürfte sich also auch hier als zweckmässig herausstellen. 
die vorhandenen Muskelkräfte als Pronatoren, Supinatoren und Dorsil- 
flexoren nutzbringend zu verwerthen resp. zu vertheilen, für die 
Plantarflexion aber keine active Muskelkraft zu vergeuden. Wir haben 
schon oben gesehen, wie gut die elastische Kraft des durch dss 


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Einiges über Fnnctionsstörung nach Extensorlähmung etc. 


469 


Körpergewicht gespannten M. triceps (sowie des Fusses) ausgenützt 
werden kann, auch wenn die active Contraction unmöglich ist. Der 
Triceps gehört eben zu jenen Muskeln, bei welchen die Hubhöhe 
ausserordentlich gering ist im Verh'altniss zur mittleren Zugkraft. 
<Je geringer nun im allgemeinen die erstere im Verhältniss zur 
letzteren wird, desto öfter kommt der betreflFende Muskel in 
<lie Lage, lediglich durch eine dauernde und sich gleich bleibende 
Contraction und die dadurch hervorgerufene Feststellung des Sy¬ 
stems zu wirken, als durch den stetigen Wechsel von Anspan¬ 
nung und ErschlaflFung. Solche Muskeln werden daher gelegentlich 
auf ihre Elasticität mehr beansprucht als auf ihre active Ver¬ 
kürzungsfähigkeit. 

Ist der Triceps gelähmt, so besteht demnach die therapeutische 
Aufgabe lediglich darin, einen dauernden Contracturzustand desselben 
herbeizufUhren, und diese Aufgabe ist durch dieTenodese der Achilles¬ 
sehne (an die hintere Fläche von Tibia und Fibula) zu lösen. Die 
Tenodese ist in diesem Falle auch der Arthrodese vorzuziehen, weil 
sie die Bewegung nicht vollständig ausschliesst. 

Aus dem oben Erörterten ergeben sich die folgenden thera¬ 
peutischen Gesichtspunkte. 1. Bei Lähmung des Quadriceps ist nur 
dann zu transplantiren, wenn von den vier, resp. fünf, topographisch¬ 
anatomisch hauptsächlich in Betracht kommenden Eraftspendern keiner 
in seiner Leistungsfähigkeit wesentlich alterirt ist. Zwei Muskeln 
sind auf die Streckseite zu bringen, die anderen, symmetrisch ver¬ 
theilt, auf der Beugeseite zu belassen. 

2. Ist die ünterschenkelmusculatur und insbesondere der Triceps 
surae normal, so kann eine vorhandene Eniebeugecontractur mit 
Vortheil bis zu einer leichten üebercorrectur (Genu recurvatuin) 
corrigirt werden, vorausgesetzt, dass das Eniegelenk durch genügend 
kräftige Beuger vor weiterer Recurvation geschützt ist. 

3. Besteht gleichzeitig ein leichter Grad von Spitzfuss, so wird 
eine indiflFerente Streckstellung des Eniegelenkes oder eine leichte 
Beugecontractur mit grossem Vortheile belassen. Abweichungen der 
Fussform im Sinne der Varus- oder Valgussteilung sind selbstver¬ 
ständlich zu corrigiren. 

4. Ein schwerer Grad von Spitzfuss ist in solchen Fällen durch 
Sehnenverlängerung bis zu leichtem Spitzfussgrade zu corrigiren, ein 
Pes calcaneus durch Tenodese zu einem leichten Equinus urazu- 
gestalten. 


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470 Max Reiner. Einiges über Functionsstörung nach Extensorlähmong ek. 


5. Besteht Spitzfuss bei gleichzeitigem Genu recurvatum, so ist 
die Equinusstellung vollständig zu corrigiren. 

G. Vorhandene Kraftspender am Unterschenkel sind nicht zum 
Ersätze des Triceps, sondern für die Pronation, Supination und Dorsal¬ 
flexion zu verwenden. Die Achillessehne wird durch Tenodese mit 
Tibia und Fibula vereinigt. 


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XXXV. 


(Aus der orthopädischen Abtheilung der Eönigl. chirurgischen 
Klinik zu Breslau.) 

Zur Pathogenese und Therapie der 
Eniegelenhcontractnren'). 

Von 

Dr. K. Lndloff, 

Privatdocenten der Chirurgie in Breslau. 

Mit 44 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Indem ich mich auf den eben gehaltenen Vortrag meines Chefs, 
des Herrn Qeheimraths von Mikulicz-Radecki beziehe, durch den 
unter anderem ausführlich dargethan ist, weshalb wir uns auf die 
Kniegelenkcontracturen allein in unserer Arbeit beschränken, möchte 
ich zum Ausgangspunkt meines Vortrages die schematischen Strich¬ 
pausen unserer Röntgenbilder machen. 

Die Anordnung dieser verschiedenen Serien der neurogenen 
und arthrogenen Contracturen ist so getroffen, dass in der oberen 
a-Reihe immer das gesunde, in der unteren b-Reihe immer das 
kranke Knie in derselben Stellung steht, die Patella nach links ge¬ 
richtet. 

Die contracten Kniee sind in ihrer ohne Gewalteinwirkung 
möglichen Streckstellung, die gesunden in einer dieser möglichst 
gleichen Stellung wiedergegeben. 

Betrachten wir zunächst die Gruppe der neurogenen Contrac¬ 
turen (1—IV), so haben wir 3 bei spinaler Kinderlähmung mit 
Quadricepsparalyse (2 vor Verknöcherung der Epiphysenfuge, 1 im 
25. Lebensjahre) und 1 mit spastischer Contractur nach Poliencephalitis 
bei einer 70jährigen Frau. 

>) Vortrag, gehalten auf dem III. Congress der Deutschen Gesellschaft 
ßr orthopädische Chirurgie am 5. April 1904. 


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474 


K. LudlofF. 


Bei den 3 fällt zunächst die Schmächtigkeit der Diaphysen des 
Oberschenkels und Unterschenkels auf, besonders bei I, während die 
Epiphysen verhältnissmässig wenig verändert sind; nur bei III nimmt 
auch die Epiphyse an der allgemeinen Knochenatrophie Theil. 

Dagegen ist bei allen 3 ein Tiefstand der Patella auf der 
kranken Seite auffallend; dieselbe liegt hier direct vor dem Knie¬ 
gelenksspalt, während sie auf der gesunden Seite vor der Femur¬ 
epiphyse liegt. Bei III b ist dieselbe wesentlich kleiner. !Eine Sub¬ 
luxationsstellung ist auf dem Röntgenbild allenfalls bei II angedeutet. 

Bei IV (der spastischen Contractur) sind die Knochen auf 
beiden Seiten fast ganz gleich stark, dagegen ist die Femurepiphyse 
auf der kranken Seite etwas mehr rechtwinkelig abgebogen als auf 
der gesunden Seite, eine Subluxation besteht nicht. 

Der Winkel beträgt bei den 3 ersten ca. 35—70 bei 

IV ca. 90 ^ 

Die 3 ersten können ad maximum gebeugt, aber nicht ad 
maximum gestreckt werden. Während man bei den 3 ersten keine 
Muskelaction sieht oder fühlt, wenn man sanft untersucht., sieht 
man bei IV die Ansätze der Beuger coulissenartig vorspringen und 
fortwährend Spasmen in der Musculatur sich abspielen. 

Wir kommen nun zur Gruppe der arthrogenen CJontracturen 
und haben da 

1. tuberculöse (V—XIV), 

2. eine postosteomyelitische (XV), 

3. gonorrhoische (XVI—XVUI). 

Bei den tuberculösen betrachten wir zunächst die 7 Paare, bei 
denen die Epiphysenfugen noch persistiren, dann die 3 Paare der 
Erwachsenen. 

Soweit die Weichtheile angedeutet sind, ragen diese in der 
b-Reihe (den kranken Knieen) alle in der Gegend der Patella und 
unterhalb derselben halbkreisförmig viel weiter heraus als bei den 
gesunden. Besonders hervorzuheben ist in dieser Beziehung noch IX. 
Während auf der gesunden Seite IXa der „rautenförmige Fleck* zwi¬ 
schen dem unteren Patellarrand, Condylenvorderfläche imd Tibiakopf 
deutlich und klar hervortritt, ist dieser bei IX b undeutlich und von 
Granulationen erfüllt, die stärkeren Weichtheilschatten werfen. Ks 
ist dies die Stelle der Plicae alares, deren pathologische Veiünderung 
auch auf dem Röntgenbild klar zu erkennen ist; hier auf den Strich¬ 
pausen konnten die auf den Platten sehr deutUchen Veränderungen nur 


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Zur Pathogenese und Therapie der Kniegelenkcontracturen. 475 


schematisch angedeUtet werden. Die wichtige Rolle, die diese fungösen 
Wucherungen in der Gegend der Plicae alares bei der Entstehung 
der Contractur spielen, wird nachher ausführlicher erörtert werden. 


Fig. 9. 



Vb. VI b. 


Die Knochen der einzelnen Paare weisen folgende Unter¬ 
schiede auf. 

1. Die Diaphysen des Oberschenkels erscheinen auf der kranken 
Seite überall mehr oder weniger schmächtig, besonders bei VIIIb. 


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476 


E. Ladloff. 


2. Die Femurepiphysen nehmen an dieser Verschmächtigang 
nicht Theil, sondern sie sind alle mehr oder weniger vergrössert, 

Fig. 15- 

Fig. 13. 


VII a.. Villa. 

Fig. 16. 



VII b. VIII b. 


am auffallendsten bei Vb, VIIb, Vlllb und Xb. Diese EpiphTsen 
sind nicht nur in toto vergrössert, sondern sie haben auch unregel¬ 
mässige Formen erhalten, besonders die Gondy len; und wenn wir 
ihre Stellung zur Femurachse genauer ins Auge fassen, so finden 




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Zur Pathogenese und Therapie der Eniegelenkcontracturen. 477 



Fig. 20. 



♦VIII b. IX b. Xb. 


wir, dass die Epiphysen der kranken Seite mehr nach Torn ausge¬ 
bogen sind. 

3. Die Patellen sind auf der kranken Seite vergrössert ^). 

') Cf. Ludloff, Zur Diagnostik der Kniegelenkstuberculose. Langen- 
beck 8 Archiv Bd. 71 S. 613. 


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478 


E. Ludloff. 


4. Eine Subluxationsstellung finden wir bei Xb und XI b. 

Bei diesem Paar aber erscheint auch auf der gesunden Seite 
der Unterschenkel etwas nach hinten verschoben. 


Fitf. 21. 



Fig. 22 a. 



Fig. 22. 



Fig. 22 b. 



Bei VIII b zeigt der Unterschenkel unterhalb der Epiphysenfuge 
eine leichte Biegung, nach vorn concav. 


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Zur Pathogeneee und Therapie der Kniegelenkcontracturen. 


479 


und zeigen uns die beiden oben genannten Kniee 

nochmals in flectirter Stellung, wobei keine Spur von Subluxation 
wahrzunehmen ist. 

Alle haben einen ausgesprochenen Fungus mit Ausnahme von 
XI. Grösserer Flüssigkeitserguss im Gelenk, Eiter war nicht nach¬ 
zuweisen. Alle Gelenke stehen in einem Winkel von ca. 40—60®, active 
Beweglichkeit fehlt, nur bei XI kann der Unterschenkel bis 90® ge¬ 
beugt werden. In Seitenansicht bieten alle mehr oder weniger das 
Bild der Subluxation, in Vorderansicht Vergrösserung des Condylus 
internus und Abweichung im Sinne des Genu valgum oder bei XI 
des Genu varum. 

Hervorspringende Muskelwülste, auffallendes Hervorragen der 
Sehnenansätze, Contractionszustände der Beugemusculatur konnten 
nicht constatirt werden. 

Bei der nächsten Gruppe, den tuberculösen Kniecontracturen 
der Erwachsenen, erscheinen weder bei XII noch bei XIII oder XIV 
die Condylen vergrössert; im Gegentheil, ausser dem Fungus ist bei 
XII b eine grössere Zerstörung des Condylus externus und bei XIII b eine 
partielle Zerstörung des Tibiakopfes zu finden. Subluxation besteht nicht. 

Trotz der Fungusmassen bei XIII b, der Fungus- und Eiter¬ 
ansammlung bei XII b und des grossen Ergusses bei XIV b ist die 
Contractur eine verhältnissmässig geringe. Active Beweglichkeit ist 
bei XII und XIII ganz aufgehoben, bei XIV herabgesetzt, bei XII b 
ist Neigung zur Ueberstreckung vorhanden. 

Bei der osteomyelitischen Contractur XV zeigt sich eine un¬ 
regelmässige Knochenwucherung des Tibiakopfes als Ursache der 
Contractur, der Unterschenkel ist nach vom etwas concav verbogen. 
Eine Vergrösserung der Femurcondylen besteht nicht, eine Subluxa¬ 
tion ebenfalls nicht; dagegen sind die Condylen auf der kranken 
Seite etwas mehr rechtwinkelig abgebogen als auf der gesunden 
Seite. Der oberfiächliche Anblick zeigt scheinbar Subluxation, bei 
genauerem Zusehen findet man aber, dass die Subluxation bloss vor¬ 
getäuscht wird durch eine Verbiegung in der Tibiadiaphyse (concav 
nach vom). Das Gelenk lässt sich etwas beugen und strecken. In 
diesem bescheidenen Umfang ist die Beweglichkeit vollständig frei. 
Die Bewegung wird vorn und hinten durch knöchernen Widerstand 
gehemmt. 

Bei XVI, XVU, XVIII, Contractur nach Gonorrhöe, ist ebenfalls 
keine Vergrössemng der Condylen, keine Subluxation, aber geringe 


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482 


EL Ludloff. 


Zerstörung und Enochenneubildung der Knochenknorpelgrenze der 
Femurepiphyse vorhanden. Die übrigen Theile der Condylen und 
des Tibiakopfes erscheinen im Röntgenbild vollständig normal und 
weisen keine Knochenerweichung auf. Diese kleinen auf dem Röntgen¬ 
bild sichtbaren Knochenusuren bei sonst nicht atrophischen Knochen 
sehe ich für Gonorrhöe als pathognomonisch und für die Differential¬ 
diagnose dieser Erkrankung durch das Röntgenbild für sehr wichtig an. 


Fig. 29. 



Fassen wir das zusammen, was wir Thatsächliches aus dieser 
Zusammenstellung gefunden haben, so bieten uns 

die paralytischen Contracturen: Tiefstand der Patella, Ver- 
schmächtigung der Diaphysen, normale jedesfalls nicht wesentlich 
verkleinerte Epiphysen, geringe Achsenverschiebung der Gelenk- 
componenten, massige Contractur, vollständige Beuge-, aber ein¬ 
geschränkte Streckfähigkeit, 

die spastische Contractur: rechtwinklige Contractur, stärkere 
Entwickelung der Musculatur, besonders der Beuger und ihrer An¬ 
sätze, weder ausgiebige Beuge- noch Streckfähigkeit, 

die tuberculösen Contracturen: a) bei Kindern Vergrösse- 
rung der Epiphysen mit unregelmässiger Knochenneubildung, Ver- 


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Zur Pathogenese und Therapie der Eniegelenkcontracturen. 483 

grösserung der Patella, massige Achsenverschiebung, aber deutliches 
Vorspringen der Oberschenkelepiphjse des Gelenkes, fast aufgehobene 
Beweglichkeit, massige Contracturen ohne Muskelspasmen, b) bei 
Erwachsenen geringe Contracturen, partielle Enochenzerstörung ohne 
jede Enochenvergrösserung oder Neubildung, keine Subluxations¬ 
stellung, höchstens etwas Genu recurvatum, geringe passive Be¬ 
weglichkeit, ohne Muskelspasmen, 


Fig. 30. 



die gonorrhoischen Contracturen: massige Contractur, par¬ 
tielle Enochenzerstörung an der Enorpelknochengrenze mit kleinen 
Enochenauflagerungen, keine Enochenerweichung, 

die osteomyelitische Contractur: rechtwinklige Beugung, 
circumscripte Enochenvergrösserung, im kleinen Umfang freie Be¬ 
weglichkeit. 

Wie können wir nun diese Befunde für die Entstehung der 
Contracturen verwerthen? Ehe wir das beurtheilen können, müssen 
wir uns erst wieder kurz die normale Anatomie und Physiologie des 
Eniegelenkes in die Vorstellung zurückrufen. 

Die Vorderwand des Enies wird durch die fibröse Kapsel 
mit dem synovialen faltenreichen üeberzug, das Lig. patellae, das 


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Zur Pathogenese und Therapie der Eniegelenkcontracturen. 485 

Retinaculum patellae und Patella gebildet Die so gebildete Yorder- 
iraod inserirt nur an einer Seite unten am Knochen, oben aber ist sie 
an die Muskeln angeheftet. 

Die Hinterwand wird durch die fibröse Kapsel, das Lig. arcua- 
tum, Lig. popliteum obliquum gebildet. Mit dieser hinteren Kapsel¬ 
wand ist mehr oder weniger lose das Lig. Roberti und das Lig. 
cniciatum posterius verbunden. Alle diese hinteren Bänder ziehen 
Tom Knochen zum Knochen ohne Einschaltung von Muskeln. 

An der lat. Seite liegt das runde Lig. coUaterale fibulare, an 
der medialen Seite das breite Lig. coUaterale tibiale. Beide ziehen 
Fom Knochen zum Knochen. 

Das vordere Kreuzband setzt sich hinten an der inneren Seite 
des Condylus lateralis an, das hintere Kreuzband vom an der inneren 
Seite des Condylus medialis. 

An der vorderen Kapselwand zu beiden Seiten der PateUa und 
nach unten liegen die Plicae alares, die sich in den vorderen Oe- 
lenkspalt hineinlegen (cf. Fig. 84). 


Fig. 34. 



Vom unteren Ende der Patella zieht die Plica synovialis patellae 
quer durchs Gelenk zum vorderen Kreuzbandansatz. 

Ich möchte noch besonders auf die grosse Rolle, die die Lig. 
cruciata in der Mechanik des Kniegelenks spielen, hinweisen, die 
selbst bei weitestgehenden Zerstörungen noch intact befunden wer¬ 
den, und auf die Wirkung der Plicae alares zu beiden Seiten der 
Patella, die bei der Tuberculose des Kniegelenks sehr bald ergriffen 
und verändert werden. 

Die Wirkung der Kreuzbänder sieht man am deutlichsten, 
wenn man alle übrigen Bänder durchschneidet. Dann kann man 


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486 


K. Ludloff. 


trotzdem das Knie nicht überstrecken, der Ueberstreckung* wieder- 
setzen sich die beiden über einander gedrehten Bänder. Dag^en 
kann man bequem den Unterschenkel nach aussen rotiren. Sobald 
die Drehung so weit getrieben ist, dass die Tuberositas tibiae unter 
dem Epicondylus lateralis steht, laufen die beiden Kreuzbänder 
parallel mit einander und der Gelenkspalt erweitert sich. Sobald 
aber der Unterschenkel wieder zurückgedreht wird, kreuzen sich die 
Kreuzbänder wieder und verkürzen sich wie ein gedrehter Strick, 
Tibiakopf und die Condylen werden auf einander gepresst und lassen 
sich nicht überstrecken. 

Diese Ueberstreckung wird ferner noch weiter gebindert durch 
die Ligamente der hinteren Kapsel wand. Die Aussenrotation bei 
gestrecktem Knie wird verhindert durch das Lig. collaterale tibiale, 
das breiter angelegt ist, als das ßbulare. Die beiden Seitenbänder 
werden gespannt bei der Streckstellung, wobei bekanntlich unter 
normalen Verhältnissen die Rotation des Unterschenkels unmög¬ 
lich ist. 

Sobald die Streckung durch Muskelzug aufhört, erschlafiFen die 
Seiten- und Kreuzbänder etwas durch geringe Zurückdrebung nach 
aussen und das Knie flectirt sich; dabei gleitet der Tibiakopf auf 
den hinteren Theil des Condylus. 

Die Extension ist mit einem Gleiten des Tibiakopfes nach 
vorn, die Flexion mit Gleiten des Tibiakopfes nach hinten ver¬ 
bunden. 

Die Extension, die Geradestellung des Kniegelenkes ist ein rein 
activer, mit Contraction des Quadriceps verbundener Vorgang, wenn 
nicht die Schwere bei Rückenlage, oder die Verlagerung des Schwer¬ 
punktes nach vorn beim Stehen die Streckung bewirkt. 

Die Mittelstellung des Gelenkes ist die, in der sämmtlicbe 
Bänder ohne Muskelaction gleichmässig gespannt oder entspannt sind. 
Wir erhalten sie im warmen Vollbad oder durch Injection ins Ge¬ 
lenk nach Bon net, sie beträgt ungefähr 50‘*. 

Die Anspannung der Hemmungsbänder gegen die Ueber¬ 
streckung tritt bei Neugeborenen und im 1. Jahr schon viel früher 
auf, als bei Erwachsenen. 

Normale Gelenkconfigurationen, besonders der Knorpel, werden 
hauptsächlich im Lebensabschnitt des grösseren Wachsthums nur 
durch ihre fortwährende Function erhalten. 

Die Kreuzbänder reichen mit ihrer Länge bei ihrer Ueber- 


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Zur Pathogenese und Therapie der Eniegelenkcontracturen. 487 

drebung gerade so weit, dass bei normal gestalteten und nicht ver- 
grösserten und verbildeten Condylen die Ober- und ünterschenkel- 
acbse eine Gerade bilden. 

In gestreckter Stellung des Knies werden die Oelenkenden 
durch die Wirkung der Kreuzbänder und Seitenbänder fest auf 
einander gepresst. 

Die Flexionshemmung ist eine rein musculäre. Die Extensions¬ 
hemmung kann schon allein nur durch die hinteren Yerstärkungs- 
bänder bewirkt werden. 

Vorn liegt das Kniegelenk ganz ohne Muskelbedeckung vor 
und hinten ziehen auch nur die Köpfe oder die Endsehnen der 
Muskeln am Gelenk mehr weniger seitwärts vorbei. Jedenfalls 
liegt hier, im Gegensatz zum Hüftgelenk, kein Muskelbauch dem 
Gelenk selbst auf. 

In welcher Weise verändert sich nun das tuberculös erkrankte 
Knie und wie wirken diese Veränderungen auf die Mechanik ein? 

Diese Veränderungen des Gelenkes sind ja seit König genug 
bekannt, so dass wir des Weiteren darauf nicht einzugehen brauchen. 

Sobald die Erkrankung, sei es nun, dass die Synovialis vorher 
allein oder der Knochen allein oder beide zugleich afficirt sind, eine 
gewisse Ausdehnung im Gelenk erreicht hat, muss zunächst die Streck- 
fahigkeit leiden; denn bei der Streckung durch den Quadriceps werden 
die Plicae alares, die Plica synovialis patellae mit der Patella nach 
oben gezogen, gezerrt und gedrückt, ebenso werden die Kreuzbänder 
und die hintere Kapselwand gespannt, der Unterschenkelkopf gleitet 
auf den Condylen nach vorn und wird nun mit Hilfe der oben er¬ 
wähnten Bänder fest auf die Condylen gepresst und die hintere 
Synovialwand gegen den hinteren Theil der Condylen gedrückt. 

Sobald nun diese Synovialisfalten (Plicae alares) mit Tuberkeln 
Qbersät sind, werden durch diese Zerrung und Pressung natürlich 
heftige Schmerzen ausgelöst. Infolge dessen wird die Quadriceps- 
anspannung unterlassen. Wenn diese auf hört, geht das Gelenk 
infolge des Zurückfedems der Kreuzbänder in die Mittelstellung 
zurück, mehr oder weniger, je nachdem der Patient Rücken- oder 
Seitenlage einnimmt. In Rückenlage wird übrigens die Entspannung 
nicht etwa durch die Beuger, sondern durch Flexion und dadurch 
Erhebung des Oberschenkels in der Hüfte vorgenommen. 

Jede einzelne Extension durch Quadricepscontraction ver¬ 
ursacht Ton neuem einen Schmerzanfall, besonders bei Stellungs- 


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488 


K. Ludloff. 


yeranderung. Dasselbe gilt ebenso bei der Synoyitis gonorrhoics und 
rheumatica. Je weiter nun diese Synoyitis fortschreitei, je gross« 
die fungösen Massen werden, desto lieber wird das Gelenk in Mittel¬ 
stellung gelassen, wobei ebensowohl die Synoyialfalten der yorderen 
Kapsel wie die der hinteren nicht entfaltet werden. 

Ungefähr zu gleicher Zeit entwickelt sich aber auch, yrie wir 
seit König wissen^ der Pannus an den typischen Stellen und auch 
die Meniskusränder werden yon Fungus überwuchert. Dadurch wird 
zunächst die Gleitfähigkeit des Knorpels beeinträchtigt, und durch 
diese fungösen Meniskusauflagerungen wird ein Missyerhältniss der 
Gelenkcomponenten zur Länge der Kreuzbänder geschaffen, die, wie 
gesagt, selbst bei hochgradigen Erkrankungen intact bleiben. 

Jetzt wird die Mittelstellung nicht allein mehr wegen der 
Schmerzen eingehalten, sondern sie kann überhaupt auch bei Streck- 
yersuchen nicht mehr aufgegeben werden, da die Knorpel durch die 
Pannusentwickelung nicht mehr normal gleiten können. 

Diese Mittelstellung ist eine rein passive, durch keine zur 
Kniefunction gehörige Muskelaction bedingte, weder der Strecker 
noch der Beuger. 

Während der Zeit können sich aber auch Knochenheerde ent¬ 
wickeln, sei es nun secundär vom Pannus aus oder primär an der 
Knochenknorpelgrenze. Wir haben gesehen, dass diese Knochen¬ 
heerde mit Vorliebe an der vorderen Knorpel knochengrenze des Con- 
dylus medialis sitzen. 

Bei Kindern ist mit dieser Infection eine Knochenneubildung 
und Vergrösserung neben der Zerstörung verbunden, bei Erwachsenen 
überwiegt aber bei weitem die Knochenzerstörung. 

Dieses Knochenwachsthum bei Kindern vergrössert das vorhin 
angeführte Missyerhältniss der Condylen zu der Länge der Kreuz¬ 
bänder und der hinteren Kapselwand oder führt es unter Umständen 
allein herbei. 

Diese Stellung wird ferner durch fungöse oder bindegewebige 
Verwachsungen fixirt. 

Nun ist es aber ein grosser Unterschied in dem weiteren Schick¬ 
sal der Contractur, ob ein Kind oder ein Erwachsener von der 
Tuberculose befallen wurde. 

Beim Erwachsenen tritt, entsprechend dem mehr destructiven 
Charakter der Tuberculose, in diesem Alter eher eine Verkleinerung 
der Condylen resp. eines der Gelenkenden ein, beim Kinde aber 


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Zur Pathogenese und Therapie der Eniegelenkcontracturen. 489 


wachsen die Oelenkenden in der Richtimg des verminderten Wider¬ 
standes weiter und ganz besonders noch durch den Entzündungsreiz 
an den Condjlen. Die Flexionscontractur muss also noch vergrössert 
werden und ausserdem kommt es auch zur Valgusstellung, da, wie 
gesagt, besonders der Condylus medialis betroffen ist. Dieses kind¬ 
liche Epiphysenwachsthum ist aber auch mit die Ursache für die 
als Subluxation bezeichnete Achsenverschiebung der beiden Gelenk¬ 
enden. So entstehen die Stellungen, die in den schematischen Zeich¬ 
nungen wiedergegeben sind. 

Bisher hatten wir die Contractur bis zur Flexionsstellung wenig 
Ober die Mittelstellung hinaus verfolgt und gesehen, dass die fungös 
entarteten Plicae alares eine grosse Rolle dabei spielen (cf. IX b und 
Fig. 34). Aber wir finden viele Contracturen, die eine weit grössere 
Flexion aufweisen. 

Im weiteren Verlauf des Processes gibt es zwei Möglichkeiten, 
Entweder der Process heilt aus oder er geht in Eiterung über. 

In den Fällen, die ohne nennenswerthe Eiterung ausheilen, 
kommt es zu Schrumpfungen der erkrankt gewesenen Synovialis. 
Hierdurch treten die Conturen der vergrösserten Condylen etc. noch 
stärker und deutlicher hervor. Die einmal eingenommene Flexions¬ 
stellung wird mindestens festgehalten, indem auch die hintere 
Synovialwand schrumpft. Entsprechend aber der fortschreitenden 
Heilung und abklingenden Schmerzhaftigkeit fängt nun das Kind an, 
das Bein wieder mehr zum Stehen und Gehen zu benutzen. Von 
diesem Augenblick der wiedererlangten Function wirken zwei neue 
Momente auf die Contractur ein: 

I. die Belastung, 

II. die functionelle Muskelthätigkeit. 

Die Belastung muss natürlich die bestehende Flexion noch ver- 
grössem. Beim Stehen wirken die Beuger Semimembranosus etc. 
und auch die Wadenmusculatur. Letztere in diesem Fall ganz be¬ 
sonders, da das Individuum zum Ausgleich der Contractur Spitzfuss- 
stellung einnehmen muss. 

Die Wirkung dieser beiden Muskelgruppen an der Beugeseite, 
die sich hinter dem Knie kreuzen, muss abermals zur Vergrösserung 
der Flexion beitragen, besonders da der einzige Antagonist, der 
Quadriceps, in der Wirkung durch die Fixation der Patella geschwächt 
ist. Das ausheilende Knie wird also erst recht im Sinne der 
Flexion beeinflusst. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XIII. Bd. 32 


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490 


K. Ludloff. 


Bei den Knieen, die nach Eiterung mit allen den Compli- 
cationen ausheilen, ist die noch hochgradigere und unregelmässige 
Contracturstellung aus den ausgedehnteren Knochenzerstörungen und 
infiltrirenden Weichtheilsprocessen mit allen ihren Folgen noch leichter 
einzusehen. 

Bisher hatten wir angenommen, der Kniegelenksprocess wäre 
sich selbst überlassen geblieben, resp. exspectatiy behandelt worden. 

Der grösste Theil der Fälle wird aber wohl auf diese oder 
jene Weise behandelt werden. 

Die Zeichnungen Vlllb, Xb, Xlb (Fig. 16, 20, 22) und die ganze 
Serie von XIX—XXIV (Fig. 35—40) stammen von solchen Fällen. 

Die ersteren drei sind mit nicht forcirten orthopädischen Mass¬ 
nahmen behandelt worden. Sie haben alle die Achsenverschiebung 
des Ober- und Unterschenkels gemeinsam. Aber bei VIII b ist sie 
entstanden durch Verkrümmung des Unterschenkels concav nach 
vorn, während die Epiphysen ihre flectirte Stellung behalten haben, 
bei Xb und Xlb ragt die Tibiaepiphyse weiter nach hinten hinaus. 

Letztere bezeichnen wir als die sogen. Subluxation. 

Wie kommt diese zu Stande? Man hat angenommen, durch 
Hinuntersinken des Unterschenkels bei Bettruhe in Rückenlage. 

Das Hinuntersinken ist unmöglich wegen der bestehenden Ad¬ 
häsionen und der Wirkung der Kreuzbänder. 

Wir glauben, die Erklärung für alle 3 Fälle im folgenden 
zu finden. 

Bei allen 3 Fällen ist die Gleitfähigkeit der Epiphysen auf 
einander aufgehoben und zwar durch Vergrösserung der Epiphysen 
und ausserdem durch Adhäsionen. Was geschieht nun bei mässigen 
Streckversuchen ? 

Der Tibiakopf wird an seinem normalen Gleiten nach vom 
bei der Streckung gehemmt; wenn nun die hintere Kapsel wand von 
Fungus und Schwartenmassen belegt ist, wenn die Epiphysen ver¬ 
grösserung so weit gegangen ist, dass schon bei Flexion die Lig. 
cruciata ziemlich gespannt sind, so kann also im Gelenk keine Streck¬ 
stellung mehr stattfinden und es kommt zu einer Verbiegung in den 
pararticulären Segmenten. Bei VIIIb ist in der That eine ganz enorme 
Vergrösserung der Condylen vorhanden, mehr als bei Xb und Xlb. 
In letzteren Fällen kann die hintere Kapsel und das hintere Kreuz¬ 
band noch nachgeben, und so kommt es zu einem Klafien des hinteren 
Gelenkspaltes. 


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Zur Pathogenese und Therapie der Eniegelenkcontracturen. 491 


Das Charakteristische für diese sog. Subluxation ist das Miss- 
verhältniss zwischen dem Orade der Extensionsstellung des Unter¬ 
schenkels zum Grade der Extensionsstellung der Tibiagelenkfläche 
zu den Condjlen. 

So sehen wir ein, weshalb die Contractur bei tuberculöser 
Kniegelenkentzündung sich bei jugendlichen Individuen anders 
gestalten muss, als bei Erwachsenen. 

Die Hochgradigkeit bei ersteren, sowohl in Bezug auf Flexion, 
Valgusstellung und Achsen Verschiebung wird hauptsächlich bedingt 
durch das Wachsthum, sowohl das normale wie pathologische infolge 
des Entzündungsreizes an der Knochenknorpelgrenze. 

Zum Ausgangspunkt hatten wir die Mittelstellung 
des Gelenkes gemacht, bei der wir alle Muskeleinflüsse 
für ausgeschaltet gehalten haben. 

Finden wir hochgradige Contracturen mit Subluxation bei Er¬ 
wachsenen, so ist immer erst zu eruiren, ob der Process nicht 
schon aus der Kindheit mit ins spätere Lebensalter hinüber ge¬ 
schleppt ist. 

Bei acuten Gonitiden Erwachsener werden meistens die Con¬ 
tracturen kaum über die Mittelstellung hinausgehen, ja sogar oft 
in gestreckter Stellung bleiben, weil hier fast von Anfang an Bett¬ 
ruhe und Rückenlage festgehalten werden. Pathognomonisch für 
Gonorrhöe scheinen mir, wie oben gesagt, die auf dem Röntgenbild 
sehr deutlich sichtbaren Knorpelusuren und Knochenauflagerungen 
bei nicht atrophischem Knochen, wodurch bald eine feste Fixation 
erzeugt wird. 

Auch die Erklärung der Contractur bei Osteomyelitis bietet 
keine Schwierigkeiten, wenn man auch hier die Mittelstellung zum 
Ausgang nimmt und aus dieser sich das Gelenk umformen lässt, 
mit den eventuell durch die Jugend bedingten Modificationen. Patho¬ 
gnomonisch für diese Contracturen scheint die freie Beweglichkeit 
in bescheidenem Umfang zu sein. 

Sind nun diese für die arthrogenen Contracturen angenommenen 
Entstehungsmomente auch für die neurogenen gültig? 

Von vornherein ist man geneigt, anzunehmen, dass bei 
Quadricepslähmung die Contractur dadurch entsteht, dass sich nun 
die Beuger anspannen und den Unterschenkel flectiren. Dem steht 
aber entgegen, dass die Contractur auch dann anfangs dieselbe Form 
hat, wenn auch alle Muskeln gelähmt sind. Es geht daraus hervor. 


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492 


K. Ludloff. 


dass auch in diesem Falle anfangs das Kniegelenk die Mittelstellung 
ohne jede Muskelthätigkeit einnimmt. Besonders da ja in der ersten 
Zeit nach dem Ausbruch der Krankheit fast immer die ganze Ex¬ 
tremität gelähmt ist und erst allmählich wieder in einzelnen Muskeln 
die Contractionsfähigkeit erwacht. Dass später die Contractor sich 
anders gestaltet, je nachdem alle Muskeln oder nur wenige betroffen 
sind, ist klar. 

Modificirt wird die Stellung dann durch das Stehen und Gehen 
der Kinder, durch Belastung und einseitige Muskelfunction und durch 
das Wachsthum in der Richtung des geringsten Widerstandes; wo¬ 
durch es bald zur Incongruenz der Gelenktheile kommt. Kein 
Wunder, dass man dann auch nicht nach der Tenotomie derartige 
Kniee ganz strecken kann. 

Der Tiefstand der Patella ist wohl nur als der Ausdruck 
der Insufficienz des Quadriceps aufzufassen und zeigt deutlich die 
Abhängigkeit der Ausgestaltung der vorderen Kniegelenkswand von 
der Quadricepsthätigkeit. 

Wenn wir bei der Little’schen Krankheit abnormen Hocbstand 
der Patella, beim Neugeborenen Tiefstand beobachten, so geht daraus 
hervor, dass die Patella erst durch die Quadricepsfunction in die 
gewöhnliche Stellung gebracht wird. 

Die Contractur bei der spastischen cerebralen Lähmung zu 
erklären, ist nicht schwer, hier kommt sie von Anfang an durch 
Muskelaction zu Stande und zeigt deutlich das Ueberwiegen der 
Beuger über die Strecker. Sie unterscheidet sich aber auch wesent¬ 
lich von den übrigen durch 

1. rechtwinklige Stellung des Unterschenkels zum Oberschenkel, 
wobei die Beuger die grösste Angriffsmöglichkeit haben, 

2. deutliches Hervortreten der einzelnen Muskelgruppen und 
ihrer Sehnen und ihrer Contractionen, 

3. Fehlen der Subluxation. 

Wie verhalten sich nun unsere Ansichten zu denen anderer ? 

Die ßonnet’sche Auffassung, die Contracturstellung der Ge¬ 
lenke daraus zu erklären, dass in dieser Stellung die Raumentfaltung 
des Gelenkes am grössten ist, erklärt weniger die Contractur im 
einzelnen Fall, sondern hat uns einwandfrei die Mittelstellung der 
Gelenke gezeigt. Durch die Bon net'schen Versuche wird vor allem 
dargethan, welche Stellung die Gelenkenden zu einander haben. 


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Zur Pathogenese und Therapie der Eniegelenkcontracturen. 493 


wenn jede Muskelaction ausgeschaltet ist, und die einzelnen Eapsel- 
theile und Bänder im Gleichgewicht stehen. 

Für die Erklärung der Entstehung der Contracturen sie schlecht¬ 
hin zu yerwenden, geht wohl nicht an, denn: 

1. Bei welchen pathologischen Zuständen kommt denn ein solch 
enormer Secretionsdruck vor, wie er zur Erzeugung dieser Stellung 
durch Injection nothwendig ist? 

2. Es giebt viele Fälle mit grossem Flüssigkeitserguss, bei 
denen keine Contractur eintritt. 

3. Bei einer grossen Zahl von ausgesprochenen Contracturen 
haben wir auch im Anfang sehr geringen oder gar keinen Erguss. 

Dann hat man diese Contracturen als Beflezcontracturen auf- 
gefasst. 

Durch Reizung der Synovialis sollen Muskelspasmen erzeugt 
werden. Es ist uns aber in keinem dieser Fälle ausser bei IV ge¬ 
lungen, Spasmen nacbzuweisen. Hier ist aber der Spasmus cere¬ 
bralen Ursprungs, und die Form der Contractur eine ganz andere. 

Wenn man beim Hüftgelenk annimmt, dass durch Muskel¬ 
spasmen ein Theil der Contracturen mit bedingt ist, ist das nicht zu 
verneinen, denn hier ziehen wirklich Muskelbäuche dicht über die 
Gelenkkapsel; es ist also nicht unmöglich, dass sich der Entzündungs¬ 
reiz direct auf die Muskelsubstanz fortpflanzt und in ihr Spasmen 
erregt. Dazu bietet aber das tuberculöse Kniegelenk weniger Ge¬ 
legenheit, da die Muskeln mehr vorbeiziehen und nur ihre Sehnen 
oder Köpfe in Betracht kommen. Anders ist es bei der Osteomyelitis 
der Oberschenkeldiaphyse, hier kann wirklich eine Reizung der 
Beuger durch den Process bedingt sein und die Ursache für eine rein 
myogene Contractur werden. Aber auch bei der tuberculösen Hüft- 
contractur scheint mir der Einfluss des Ligamentum teres auf die 
pathognomische Stellung noch nicht genügend gewürdigt zu sein. 
Dieses Ligament und die die Incisura acetabuli ausfüllenden Fett- und 
Synovialfalten scheinen eine ähnliche Rolle bei tuberculöser Erkran¬ 
kung der Hüftgelenkssynovialis zu spielen wie die Plicae alares bei 
der Gonitis. 

Wenn man freilich einen Fall brüsk untersucht, darf man sich 
nicht wundem, wenn das betreffende Individuum seine Beuger con- 
trahirt; diese Contractionen verhalten sich aber ähnlich, wie die 
Contractionen anderer Muskelgruppen, die zu Abwehrbewegungen 
gebraucht werden. 


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494 


E. Ludloff. 


Dass ein Theil der Contractur anfangs in Narkose zuruckgeht, 
kann uns nicht wundem. Die Narkose schaltet eben das dardi 
die rohere Untersuchungsmethode gegebene Hinderniss der Streckung 
aus. Anfangs lässt sich dann beim betäubten Indiriduum natürlich 
die Synovialis comprimiren resp. sie weicht nach vorn aus, wenn der 
Quadriceps nicht auch gleichzeitig angespannt ist. Wie oft sind wir 
aber enttäuscht gewesen, wenn weder durch Narkose noch durch 
Tenotomie der Beuger die Eniecontractur nur wenig beeinflusst 
werden konnte. 

Wir nehmen also als reflectorisch nur das Unterlassen schmerz¬ 
hafter Muskelactionen an, sowohl Streckung wie Beugung aus der 
Mittelstellung, gerade so wie jemand nicht auf seine blossliegende 
Pulpa heisst. 

Ich glaube auch nicht, dass der Wille bei der Einnahtne der 
Stellung eine active Rolle spielt, sicher nicht bei ganz kleinen 
Kindern und höchstens insofern, als mit Willen alle Stellungen weg¬ 
gelassen werden, die Schmerzen machen; also die Veränderung aus 
der Mittelstellung. 

Das Individuum macht das Bein nicht krumm, um da¬ 
durch die Schmerzen abzuhalten, sondern das Bein hat 
sich nach anderen Gesetzen gekrümmt, und der Kranke 
wacht nun ängstlich darüber, dass diese Krümmung er¬ 
halten bleibt. 

Nun wird man aber einwerfen, wenn wirklich intraarticuläre 
Verhältnisse die Ursache für die Contractur sind, woher kommen 
dann die postoperativen hochgradigen Contracturen ? Hier sind ja 
die erkrankte Kapsel und Knochentheile ausgeschaltet. Wenn das 
pathologisch gereizte Knochenwachsthum die Contractur mit bedingt, 
sollte man doch annebmen, dass nach Eliminirung keine hochgradige 
Contractur mehr auftreten könnte. 

Diese Contracturen, die Hofmeister in klarer Weise beleuchtet 
hat, entsprechen unseren Contracturen im secundären Stadium (cf. S.489), 
die sich aus der primären Mittelstellungscontractur durch einseitige 
Muskelfunction und Belastung beim Gehen undStehen entwickelt haben. 

Wir kommen damit zur Frage der Behandlung. 

An der Spitze der ganzen Contracturbehandlung steht der Satz: 

Jede Eniecontractur, auch die geringfügigste, muss gestreckt 
werden. Die Gründe brauchen wir nicht aus einander zu setzen. Bei 
jeder Contractur ist das leicht im Anfang, mag sie neurogen oder 


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Zur Pathogenese und Therapie der Eniegelenkcontracturen. 495 

arthrogen sein, es ist aber schwer und wird unter Umständen ganz 
unmöglich, wenn sie sich erat einmal ganz entwickelt hat. 

Deshalb müssen wir, wenn wir es in der Hand haben, der 
Prophylaxe unsere grösste Aufmerksamkeit schenken und um so 
mehr, je jünger das betreffende Individuum ist, denn hier spielt das 
in falsche Bahnen gedrängte Wachsthum der knöchernen Compo- 
nenten eine höchst verderbliche Rolle. 

Das ist nicht allein der Fall bei den arthrogenen entzündlichen, 
sondern auch bei den neurogenen. 

Wie bewerkstelligen wir nun diese Prophylaxe zweckmässig? 

Bei schlaffen Lähmungen der spinalen Kinderlähmung muss wo¬ 
möglich vom Tage der Erkennung der Lähmung an ein Verband an¬ 
gelegt werden, der jede active oder passive Krümmung des Knies ver¬ 
hindert, selbstverständlich leicht und abnehmbar, um auch Gelegenheit 
für andere Massnahmen, Massage, Elektricität, Bäder, passive Bewe¬ 
gungen zu lassen, denn nur durch diese letzteren wird eine Verbildung 
der Gelenkenden verhindert, worauf Hoffa schon früher hingewiesen 
hat. Wenn so verfahren wird, können wir dann ruhig abwarten, bis 
sich die wirklich stationär bleibende Lähmung bestimmter Muskel¬ 
gruppen offenbart hat. Dann können wir uns in Ruhe entscheiden, 
ob wir die Apparatbehandlung fortsetzen oder Arthrodese oder Sehnen¬ 
transplantation vornehmen wollen. Wenn nur wenige Muskeln ge¬ 
lähmt sind, die sich durch gleichartig wirkende Muskeln ergänzen 
lassen, wird natürlich die Sehnentransplantation die Operation der 
Wahl sein. Ob wirklich die Verwendung der Beuger als Strecker 
am Kniegelenk wenigstens sehr grosse Vorzüge vor der Arthrodese 
hat, davon haben wir uns noch nicht so ganz durch wirklich „ideale“ 
Resultate überzeugen können. Aber nach dem Programm des 
Chirurgencongresses werden wir vielleicht auch für das Knie über¬ 
zeugt werden. Das Hauptkriterium bleibt die gute Function beim 
Treppensteigen, nicht das Hochhalten des gestreckten Beines. Die 
functionellen Resultate der Arthrodese sind gute, wenn wir auch hier 
bei Kindern doch wohl die Befürchtungen wegen postoperativer 
Contracturen ebenso wie bei der Resection nicht von der Hand 
weisen können. 

Bei spastischen Lähmungen beginnt die Prophylaxe mit der 
Tenotomie und ebenfalls mit dem portativen Apparat in gestreckter 
Stellung. Dann ist dem Patient für alle Fälle die Möglichkeit selbst¬ 
ständiger Fortbewegung wenigstens gewährleistet. 


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496 


E. Ludloff. 


Das tuberculöse Knie gehört unter allen Umständen in den 
Verband in gestreckter Stellung, sei es nun in einen portativen oder 
mit Gewichtsextension, denn hier ist besonders bei Kindern die Con- 
tractur am drohendsten. Wer hier nicht schnell handelt, kommt 
meistens zu spät. Wenn erst eine Incongruenz der Gelenktbeile da 
ist, ist eine unblutige Ausgleichung mit Apparaten unmöglich, und 
durch den blutigen Eingriff wird das Gelenk natürlich meistens für 
immer zerstört. 

Ob Gewichtsextension oder portativer Apparat, darüber kann 
man streiten. Jede Methode hat ihre Vortheile, jede ihre Nachtheile ^), 
die sociale Indication fordert meistens gebieterisch den billigen, ein¬ 
fachen portativen Apparat. Jedesfalls muss dieser aber so einge¬ 
richtet sein, dass er nicht nur streckt, sondern auch fixirt und ent¬ 
lastet. Wenn es auch wünschenswerth ist, noch zu gleicher Zeit dem 
tuberculösen Process durch Jodoforminjectionen oder Stauung etc. 
beizukommen, so würde man doch nach der ersten Injection für die 
nächste Zeit lieber auf die Abnehmbarkeit verzichten, wenn nur die 
Fixirung eine gute ist. Schon diese allein hat einen enorm heilenden 
Einfluss. Der amobile Gipsverband wird im Anfang am besten vor 
der Contractur schützen. Während wir bei den Lähmungen Rücksicht 
auf wenigstens passive Beweglichkeit nehmen mussten, fallt dies bei 
der Tuberculöse vollständig fort. 

Bei acuten arthrogenen Gelenkprocessen wird die Volkmann- 
sche Blechschiene immer am zweckmässigsten sein, weil sie uns jeder 
Zeit Zugang zum Gelenk zu allen möglichen Massnahmen lässt 

Leider kommen wir aber häufig erst zu solchen Fällen, wo von 
Prophylaxe keine Rede mehr ist. 

Hier zeigt sich nun deutlich sehr häufig unser Unvermögen, 
wenigstens bei Kindern, eine schon entwickelte Contractur 
wirklich noch zu strecken. 

Es muss einerseits die Flexion, andererseits aber auch die 
Achsenverschiebung bekämpft werden. Letzteres ist deshalb so 
schwierig, weil erstens die beiden Gelenkflächen durch feste Ad¬ 
häsionen an einander fixirt sind und nicht mehr gleiten, ferner die 
Gelenkenden durch Vergrösserung incongruent geworden sind. 

Infolge dessen kommt es bei der Apparatbehandlung oder bei 


*) Cf. Ludloff, Die Behandlung der tuberculösen Coxitis. Langenbeck*s 
Archiv Bd. 63 S. 728. 


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Zur Pathogenese und Therapie der Eniegelenkcontracturen. 497 


fixtensionsbehandlung entweder zu pararticulären Verbiegungen, oder 
die erweichten Knochen werden in einander getrieben, wie die 
ZeiclinuDgen XIX—XXIV zeigen. 


Fig. 35. 




Fig. 36. 


XX. 


Fig. 38. 





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498 


K. Ludloff. 




Aber nicht nur unser Unvermögen der idealen Streckung setzt 
dem Redressement ein Ziel (meistens geschieht das nur in den par- 
articulären Segmenten), sondern auch die Gefahren der Wieder¬ 
anfachung der Tuberculose und die mehrfach beobachtete Fettembolie. 

üeber die Wirkungen der verschiedenen Apparate werden wir 
noch aus berufenem Munde hören. 

Ich möchte nur noch einige Worte zur Resection sagen: 

Es ist kein Zweifel, dass man derartige Contracturen, die 
sonst unstreckbar, durch Resection vollständig beseitigen kann. 
Ausserdem beseitigt am Knie die Resection den Erankheitsprocess 
vollständig. 

Da nun erwiesen ist, dass die Gelenkfunction an solchen schwer¬ 
erkrankten Knieen unter allen Umständen vernichtet ist, und das 
Haupterfordemiss immer die tragende und stützende Function bleibt 
so muss man sich nur wundem, dass nicht mehr resecirt wird. 

Es werden hauptsächlich zwei Einwände gemacht. 

1. Jugendliche Individuen bekommen nach der Resection wieder 
Contracturen. 

2. Durch Resection entstehen hochgradige Verkürzungen. 

Darauf erwidern wir: 


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Zur Pathogenese und Therapie der Knicgelenkcontracturen. 499 

1. Contracturen bekommen beide, die resecirten und nicht re- 
secirten, wenn nicht längere Zeit Apparate getragen werden. 

2. Schädliche Verkürzungen entstehen nur durch Eliminirung 
der Epiphysenfugen. 

Diese können wir aber verhüten: 

a) wenn wir bei der Resection unter allen Umständen die 
Epiphysenfugen schonen und die einzelnen Heerde auskratzen, die 
wir bei der Operation die Fuge durchbrechend finden; 

b) wenn wir möglichst früh reseciren, ehe die Heerde, die 
anfangs doch meistens an der Knochenknorpelgrenze sitzen, sich 
der Fuge zu weit genähert haben. 

Für die Resection derartiger Gelenke wird aber immer mehr 
Boden gewonnen werden, wenn wir die Factoren ausschalten, die 
nach Hofmeister die eigentliche Ursache der postoperativen Con- 
tractur sind, nämlich die Oberschenkelbeuger: zunächst durch Teno- 
tomie oder durch Einpflanzung auf die Streckseite. 

Die schlechtesten Resultate geben jedenfalls die Contracturen 
ad vitam et valetudinem, die zu spät resecirt werden. 

Den Zeitpunkt für die Resection richtig abzuwägen, wird nicht 
leicht sein, aber auch hier ist „zu früh** besser als „zu spät**. 

Selbstverständlich wird man immer in den Anfängen erst mit 
weniger eingreifenden Massregeln auszukommen suchen. Vielleicht 
verspricht die Auslöffelung des kranken Heerdes am kranken Con- 
dylus einen günstigen Einfluss auf den Process und mit ihm auf die 
Contractur in den Fällen, in denen das Röntgenbild einen primären 
Knochenheerd mit Sicherheit erkennen lässt. 

Die tuberculöse Contractur bei Erwachsenen macht viel weniger 
Schwierigkeiten, bei ihr treten bei leichterer Erkrankung die portativen 
Apparate in ihre eigentliche Wirksamkeit, weil hier die Subluxation 
selten, wenn sie nicht aus früher Jugend mit herübergenommen 
ist. Ueber die Nothwendigkeit und Nützlichkeit der Resection be¬ 
bestehen hier keinerlei Zweifel. 

Bei der Contractur nach Gonorrhöe und Rheumatismus wird 
die Resection selten in Frage kommen, da die Knochen selbst nie 
so erkrankt sind, dass sie eliminirt werden müssten, wenn auch die 
Knochenknorpelgrenze meistens usurirt ist, und es hier zu Ver¬ 
wachsungen gekommen ist. 

Während bei der Tuberculöse die Patienten, froh, ihrer Schmer¬ 
zen und ihres Krankenlagers ledig zu sein, sich bald mit ihrem steifen 


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500 


E. Ludloff. 


Bein abfinden werden, bleibt hier die Sehnsucht nach einem beweg¬ 
lichen Knie immer lebendig. Dieses Drängen hat uns in 3 Fällen 
dazu geführt, Versuche mit energischen Mobilisirungen zu machen, 
die von Erfolg waren. Eine dringende Nothwendigkeit wird meistens 
nicht vorliegen, da das Bein häufig in gestreckter Stellung versteift 
ist. Es ist uns in diesen Fällen gelungen, eine Beweglichkeit ron 
ca. 20^ zu erreichen, so dass die Patienten jetzt ohne Schmerzen viel 
besser umhergehen können« 

Den Erfolg rechnen wir der lange ausgiebig fortgesetzten Heiss- 
luftbebandlung nach Bier an, durch die entschieden die Folgen des 
Redressements in Narkose, Schwellungen und Schmerzen im Gelenk, 
schnell zurückgingen. Massage und Medicomechanik sind natürhch die 
Hauptfactoren bei der Behandlung. Nach 3 Monaten haben wir so den 
Quadriceps derartig gekräftigt, dass er der anderen geraden Seite 
mindestens gleichwerthig ist. Wir sind hier mit Massage und Medico¬ 
mechanik zur Muskelkräftigung ausgekommen und hoffen das auch 
fürderhin in solchen Fällen; sollte nach längerer Zeit wirklich der 
Quadriceps nicht wieder gekräftigt werden können, dann bleibt uns 
in der Transplantation der Beuger auf die Strecker nach Heusner 
immer noch ein vorzüglicheres Mittel, ein Gontracturrecidiv zu ver¬ 
hindern, als zur Resection seine Zuflucht nehmen zu müssen. 

Nun bleibt uns aber noch die Behandlung solcher Gelenke 
übrig, die in contracter Stellung z. B. von ca. 90® nach Osteo¬ 
myelitis eine beschränkte aber freie Beweglichkeit aufweisen. Io 
dieser Stellung nützt dem Patienten der Rest von Bewegung gar 
nichts, und doch sträubt man sich, ein auch nur gering bewegliches 
Gelenk zu reseciren. Vielleicht ist in solchen Fällen die Osteotomie 
oberhalb und unterhalb des Kniegelenks zweckmässig. Patient er¬ 
hält dann allerdings ein Kniegelenk, welches vollständig vor der 
Achse des Beines liegt. Er wird es aber trotzdem wohl gut als 
Stütze gebrauchen können und kann nun den Rest der Beweglich¬ 
keit ausnützen. Die Natur hat bei ihm in der Verbiegung des 
Unterschenkels concav nach vorn etwas ähnliches aber unvollkommen 
angebahnt. 

Zum Schluss möchte ich nun unsere Ansicht so zusammenfassen: 

Wir haben in dieser Untersuchung hauptsächlich mit Hilfe des 
Vergleichs von Röntgenbildern der Kniee nachzuweisen gesucht, 

1. dass die Kniegelenkscontractur rein mechanisch aus der 
passiven Mittelstellung ihren Anfang nimmt und später erst durch 


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Zur Pathogenese und Therapie der Eniegelenkcontracturen. 501 

Belastung und Muskelaction bei der Function des Beines im Sinne 
der Flexionscontractur modificirt wird; 

2. dass für alle Contracturen des Knies das Lebensalter, 
in dem die Contractur erworben wird, von einschneidender Bedeu¬ 
tung ist; 

3. dass wir deshalb vor allem prophylaktisch die Contracturen 
bekämpfen müssen, da eine Ausgleichung mehr entwickelter Con- 
tracturen ohne bedeutendere blutige Eingriffe nicht mehr möglich ist. 




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XXXVI. 


Die Behandlang des statischen Plattfasses mittelst 
des Redressement forcd und der Sehnenplastik'). 

Von 

Dr. med. Ferd. Schaltze-Duisburg, 
chirurgischer Oberarzt am St. Vincenz-Hospital. 

Mit 26 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Die therapeutischen Massnahmen, welche im Laufe der Jahre 
im allgemeinen zur Heilung des Plattfusses in Vorschlag gebracht 
worden sind, lassen sich in drei Gruppen zusammenfassen. Als erste 
bezeichne ich die gymnastische Methode, welche darauf hinzieli, durch 
methodische Uebungen die normale Gestalt wiederherzustellen. Die 
zweite Gruppe betrifiPl orthopädische Einrichtungen, Einlagen, be¬ 
stimmte Fussbekleidung, portative Apparate, welche das Fussgewölbe 
erhalten sollen. Die dritte Gruppe endlich umfasst die operativen 
Eingriffe, dazu bestimmt, das eingesunkene Gewölbe zu reconstruiren. 
Diese blutigen Operationen beziehen sich nun vorwiegend auf das 
Skelet, neuerdings sind Operationen des Muskelapparates vorgeschlagen 
worden. Bei der Behandlung des statischen Plattfusses kommt die 
letzte Gruppe allein in Betracht, wir müssen daher kurz auf die ein¬ 
zelnen Methoden zurückgreifen. 

Trendelenburg und Hahn empfahlen zur Behandlung des 
acquirirten traumatischen Plattfusses die Osteotomia cruris supra 
malleolaris. Das Eahnbein wurde von Golding-Bird exstirpirt; 
Ogston entfernte einen Keil aus dem inneren Fussrand, entsprechend 
dem Gelenk zwischen Talus und Naviculare; Stork es resecirte ein 
Stück vom Kopf und Hals des Talus, Weinlechner ebenso, 
Morest in entfernte den ganzen Talus. Phelps suchte im umge¬ 
kehrter Weise seine Klumpfussmethode auf den Plattfuss zu über- 

*) Vortrag, gehalten auf dem III. Congress der Deutschen Gesellschaft 
für orthopädische Chirurgie am 5. April 1904. 


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Die Behandlung des statischen Plattfusses etc. 


503 


tragen, indem er die Weichtheile bis auf den Knochen durchschnitt, 
durch Excision verkürzte und so dem Fussgewölbe mehr Halt zu 
geben versuchte. Gleich brachte die Durchsägung des Calcaneus 
mit Verschiebung dieses Stückes nach vom in Vorschlag. Opera¬ 
tionen von Hoffa und Franke beziehen sich auf den Muskel¬ 
apparat. Beide empfehlen eine Verkürzung des Muse, tibial. posticus 
bei Knickfuss. 

Neben diesen blutigen Eingriffen sind dann noch von Schnitze 
Vorschläge zur Correctur des statischen Plattfusses gemacht worden 
und jüngst von Nicoladoni. Die Methoden dieser Autoren haben 
den Vorzug, dass dieselben zunächst die Bedingungen, welche man 
an die Correctur des Plattfusses stellt, erfüllen und ferner den blu¬ 
tigen Eingriff am Knochen vermeiden. Schultze’s Methode der 
Correctur des statischen Plattfusses bezog sich auf das Redressement 
fored, verbunden mit Tenotomie der Achillessehne. Das Redresse¬ 
ment war jedoch abweichend von dem bisher üblichen. Zunächst 
wurde die Achillessehne tenotomirt und der Fuss in Hackenfuss- 
stellung (Supination und Adduction) eingegipst. Dies war darauf be¬ 
rechnet, den durch den starken Zug des Triceps nach oben gezogenen 
Calcaneus herunter zu holen. In einer zweiten Sitzung wurde das 
wesentlichste Redressement ausgeführt durch Knickung des Vorder- 
fusses zum Hinterfuss, so dass das Dorsum pedis annähernd in der 
Ebene der Patella lag. Die Adduction und Supination wurde stets 
dabei wahrgenommen und der Fuss in dieser Pes paralyticus-Stellung 
eingegipst. Im Laufe der Zeit hat diese Methode verschiedene Modi- 
ficationen erfahren, auf die ich unten zurückkomme. 

Es ist nun in einer kurzen sehr instructiven Arbeit von Ni¬ 
coladoni ein Vorschlag zur Behandlung des schweren statischen 
Plattfusses gemacht worden. Derselbe geht dahin, die Correctur 
durch Redressement mit nachfolgender Sehnenplastik auszuführen. 
Nicoladoni geht von der Ansicht aus, dass der Triceps surae 
einen gewaltigen Zug auf den Calcaneus ausübe und diesen nach 
aufwärts ziehe. Ferner soll eine Herabsetzung der Function des 
Muse, tibial. posticus die Folge sein, indem dieser Muskel verlängert 
und somit sein Gleichgewicht verliert. Von diesem Gedankengang 
ausgehend, ist Nicoladoni zu dem Vorschlag gekommen, den 
Triceps surae zu vermindern und den Muse, tibial. posticus zu ver¬ 
stärken. Somit spaltet er den Triceps und überträgt die Hälfte auf 
den Posticus. Kurz nach der Publication dieser Operationsmethode 


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1 


504 Ferd. Scbultze. 

erschien dann ein zweiter Aufsatz, in dem er das eben erwähnte 
Verfahren als nicht richtig verwarf. Nicoladoni präcisirte in 
dieser letzten Arbeit seinen Standpunkt dahin, dass die Sohlenmnscn- 
latur die wesentlichste Stütze für das Fussgewölbe abgebe. Als 
Beweismaterial führt er die entsprechenden essentiellen Paralysen an. 
Er sagt, wir haben bei Lähmung des Triceps surae und Tibialis 
posticus einen ausgesprochenen Hohlfuss; wir haben auf der anderen 
Seite bei Lähmung der Sohlenmusculatur und Erhaltung des Triceps 
surae und Tibialis posticus einen Plattfuss. Auf Grund dieser Be¬ 
obachtungen spricht sich Nicoladoni nun für die temporäre Aus¬ 
schaltung der Achillessehne aus, er verwirft seinen kurz zuTor 
gemachten Vorschlag, den Triceps zu schwächen, den Posticus zu 
stärken. 

H o f f a macht in der neuesten Auflage seines Lehrbuches darauf 
aufmerksam, dass die Tenotomie der Achillessehne einen wichtigen 
Factor bei der Behandlung des Plattfusses bilde. „Ein Punkt, der 
bisher noch fast gar nicht von den Collegen gewürdigt worden ist, 
ist das Verhalten der Achillessehne beim Plattfuss. Bei jedem stär¬ 
keren Plattfuss finden wir fast ausnahmslos eine starke Spannung und 
Verkürzung der Achillessehne, indem sich die Wadenmuskeln der 
plantarflectirten Stellung des Talus und Calcaneus anpassen. In 
Deutschland hat schon vor Jahren Kraus auf diese Thatsache auf¬ 
merksam gemacht, in Amerika neuerdings Schaffer. Die Tenotomie 
der Achillessehne ist nun ein ausgezeichnetes Hilfsmittel, um die 
forcirte Redression beim Plattfuss zu erleichtern. Ich möchte dringend 
empfehlen, bei schweren Plattfüssen zu diesem Hilfsmittel zu greifen. 
Man wird dann erstaunt sein, zu sehen, welch mächtiges Hindemiss 
die gespannte Achillessehne der Redression dargeboten hat.* Hofft 
macht weiter den Vorschlag, schon nach 3 Wochen den Verband zu 
entfernen, den Patienten mit geschmiedeten Einlagen gehen zu lassen, 
und weiter mit Massage, Gymnastik und Redression zu behandeln. 

Heusner steht der Plattfusstherapie noch sehr skeptisch 
gegenüber, er vertritt jedoch in seiner letzten Arbeit den Standpunkt, 
dass die Correction des fehlerhaften Fussgewölbes die Hauptsache 
ist. Heusner plaidirt für kurze Fixirung des corrigirten Fusses 
und frühzeitige Nachbehandlung. 

Die im Vorstehenden erwähnten Methoden für die Behandlnng 
des statischen Plattfusses sind in zwei Hauptgruppen unterzubringen. 
Die erste umfasst alle blutigen Operationen, welche das Skelet an- 


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Die Behandlung des statischen Plattfasses etc. 


505 


greifen, sei es durch Resection oder Exstirpation des Fusswurzel- 
knochen. Die zweite bezieht sich auf eine unblutige Correctur des 
Skelets und damit einhergehender Correctur des Muskelapparates. 
Es steht fest, dass die operativen Eingriffe am Skelet mit wenigen 
Ausnahmen eine directe Verstümmelung repräsentiren, ebenso wie 
dies bei den analogen Vorschlägen zur Klumpfüssoperation zutrifft. 
Wir sehen dabei ganz ab von der Gefahr, welche doch mit jeder 
schweren Enochengelenkoperation — zumal hier durch die Eröffnung 
gesunder Gelenke — verbunden zu sein pflegt. Infolge dessen haben 
die blutigen Knochenoperationen keinen festen Fuss fassen können, 
zumal die Resultate nach den Mittheilungen verschiedener Autoren 
keineswegs den Erwartungen entsprachen (Morestin, Vincent). 

In voller Würdigung dieser Methoden habe ich dem ortho¬ 
pädisch-chirurgischen Eingriff den Vorzug gegeben, bestehend in dem 
Redressement forc^ und Tenotomie des Achillessehne. Im Laufe von 
12 Jahren hat nun diese Methode verschiedene Wandlungen erfahren. 
Kurz muss ich im Interesse der Sache zurückgreifen. 

Vor ca. 10 Jahren publicirte ich eine Methode zur Behandlung 
des Plattfusses, welche wesentlich dem letzten Vorschlag Nicola- 
doni's entsprach. Die Correctur des Plattfusses habe ich nun seit 
Jahren geübt und relativ günstige Erfolge zu verzeichnen. Im Laufe 
der Zeit haben sich gewissermassen drei Typen des Verfahrens her¬ 
ausgebildet. 

1. Ursprüngliche Methode. Zunächst wurde nur die Tenotomie 
der Achillessehne vorgenommen, um den um seine Querachse nach 
oben gezogenen Calcaneus wieder herunter zu bringen. Es folgte 
dann die Eingipsung des Fusses in Hackenfussstellung unter Ad- 
duction und Supination. In dieser Stellung verblieb der Fuss ca. 8 Tage 
und wurde dann in einer zweiten Sitzung die Knickung des Vorder- 
zum Hinterfuss vorgenommen, so dass das Dorsum pedis mit der 
Patella in derselben Ebene lag. Gehverband. 

2. Modification. In extremer Hackenfussstellung wird der Fuss 
in dem Lorenz’schen Osteoklasten eingespannt, und alsdann der 
Vorderfuss im Sinne der Hyperplantarflexion mobilisirt und ein¬ 
gegipst. Gehverband. Nach ca. 6 Wochen Tenotomie und Gipsver¬ 
band in rechtwinkeliger corrigirter Stellung. 

3. Modification durch primäre Verlängerung der Achillessehne 
nach Bai er, wodurch die Hackenfussstellung erreicht wurde, dann 
Correctur im Osteoklasten wie oben. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XIII. Bd. 33 


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506 


Ferd. Schultze. 


Stets habe ich die in dieser Weise behandelten Patienten in 
Spitzfussstellung umhergehen lassen, nachdem durch Ausfüllung der 
Hackenpartie eine genügend grosse Gehfläche geschaffen war. 

Vergegenwärtigen wir uns den zweiten Vorschlag Nicola- 
doni’s, Redressement mit nachfolgender temporärer Ausschaltung der 
Achillessehne, so werden wir gestehen müssen, dass beide Methoden 
nicht von einander verschieden sind. 

Nach diesem Verfahren behandelte Patienten (Fig. 1) befinden 
sich in guter und schlechter Verfassung. Gerade das Letztere kann 
bei der Schwere des Leidens nicht Wunder nehmen. Im grossen 
ganzen kann man jedoch mit den Erfolgen zufrieden sein. Es unter¬ 
liegt keinem Zweifel, dass auf diese Weise ein günstiger, wenn auch 
nicht normal anatomischer, so doch beschwerdefreier Zustand herbei¬ 
geführt werden kann. Jenseits der Wachsthumszone werden die 
Resultate schlechter. Für diese Fälle ist jedoch die erzielte Besse¬ 
rung der Beschwerden nicht zu unterschätzen, wenn auch das kos¬ 
metische Resultat viel zu wünschen übrig lässt. Deshalb habe ich 
mich auch in diesem Alter, sowie im 3. und 4. Decennium nicht 
zurückhalten lassen, eine Correctur vorzunehmen, trotz der wirklich 
unangenehmen Ueberraschungen, schon nach kurzer Zeit, nach 3 bis 
4 Monaten und schon früher, statt eines kunstvoll aufgebauten Ge¬ 
wölbes, eines Hohlfusses, wieder ein total eingesunkenes Fussgewölbe 
mit beginnender Abduction vor sich sehen. Eine Besserung des Zu¬ 
standes jedoch erreichen wir meistens, und dadurch erweisen wir dem 
Patienten schon den grössten Dienst. Eine grössere Stabilität des 
Fussgewölbes glaube ich erreicht zu haben, nachdem ich die Knochen- 
correctur mit grösster Kraftanstrengung ausführe, und aus dem Sinus 
tarsi eine Convexität mache. 

Die nach dem erwähnten Verfahren operirten Fälle betreffen 
47 Patienten in einem Zeitraum von 12 Jahren. Davon befanden 
sich 6 im 1., 29 im 2. und 12 im 3. Decennium. Von 11 Recidiven 
betrafen 8 das 3. und 3 das 2. Decennium. Einen Fall will ich 
hier besonders erwähnen, da der Patient nach ^'sjähriger Dienstzeit 
beim Militär sein Recidiv acquirirte. Vor 6 Jahren war die Correctur 
gemacht worden (Fig. 2). 

Im Verfolg meiner Fälle habe ich mich häufig des Eindruckes 
nicht erwehren können, dass bei normal-anatomischem Aufbau des 
Fusses die Lockerung im Fussgelenk abnorm war. Gerade diese 
unbequeme Erscheinung gab die Veranlassung, den Nicoladoni- 


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Die Behandlung des statischen Plattfusses etc. 


507 


sehen Vorschlag der Sehnenplastik aufzunehmen. Ich will zugeben, 
dass unter dem Einfluss einer veränderten Fussstellung, also in diesem 
Falle Pes equino varus-Stellung, der Muse, tibial. posticus sich zu¬ 
sammenzieht und sein Antagonist der Muse, peronaeus sich verlängert. 
Ich bin jedoch der Ansicht, dass dieses Verhältniss auch bis zu einem 
bestimmten Grade bestehen bleiben muss. Die grösste Garantie hier¬ 
für wird durch die Verstärkung des Muse, tibial. posticus durch den 
Muse, triceps surae gegeben. 

In weiterer Erwägung der pathologischen Verhältnisse des 
Plattfusses habe ich mich der Ansicht nicht verschliessen können. 


Fig. 1. 



('orrectur. Derselbe. Recidiv nach 0 Jahren. 


dass die sämmtlichen bisher in Anwendung gekommenen Methoden 
einseitiger Natur sind. Wir haben es aber bei dem Plattfuss nicht 
mit einem einseitigen Leiden zu thun, nicht allein einem veränderten 
Skelet, sondern auch dem an diesem Skelet fixirten, nicht mehr 
normal wirkenden Muskelapparat ist vollste Beachtung zu schenken 
und in geeigneter Weise Rechnung zu tragen. Deshalb kann für 
die Correctur des Plattfusses nur die Methode wirksam sein, welche 
beide Theile beeinflusst, das Skelet sowie die betheiligten Muskeln. 
Letzteres geschieht schon zum Theil durch das von mir vorgeschla¬ 
gene Redressement. Jedoch ist dies nicht immer genügend und 
dürfte es nothwendig sein, jeden Muskel in den normalen Rahmen 
seiner Thätigkeit zurückzuführen, Verlängerungen oder Verkürzungen 
folgen zu lassen. Die Gleichgewichtsstörung der Muskeln hält gleichen 
Schritt mit der der Knochen. Hier das Gleichgewicht allein wieder 


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508 


Ferd. Schultze. 


herzustellen, würde nicht richtig sein. Es muss vielmehr unser Be¬ 
streben sein, die eine Klumpfussstellung begünstigenden Muskel- 


Fia. 3. 



(’oiTeetur im Osteolvlasten. 


gruppen zu stärken und denselben ein dauerndes Uebergewicbt zu 
verschaflFen. Andererseits darf es nicht unterlassen werden, eine 
gründliche Correctur der Knochen vorzunehmen (Fig. 3, 4, 5 u. 6‘). 

Fig. 4. 



Im Osteokliisten volleiulete (’orroctur. 


Was zunächst das Knochengerüst beim statischen Plattfuss an¬ 
geht, so ist dasselbe in seinen sämtlichen Gelenkverbindungen verän¬ 
dert, worauf Hoffmann in seiner Arbeit aus der NicoladonTschen 


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Die Behandlung des statischen Plattfusses etc. 


509 


Klinik hingewiesen hat. Die Stellung der Fusswurzelknochen zu 
<einander ist verschoben worden, dementsprechend hat sich eine Ver¬ 
änderung der Gelenkflächen ausgebildet, ebenfalls eine solche der 
Kapsel und des Bandapparates. Auf die Verschiebung der einzelnen 
Oelenke wollen wir hier nicht näher eingehen und nur betonen, dass 
der Talushals und das Kahnbein durch ihre starken Verschiebungen 
dem statischen Plattfuss den Typus geben. 

Dass Keizzustände wie bei jeder chronischen Gelenkentzündung 
sich in den Fusswurzelgelenken etabliren, ist von Kirmisson 
und Bize nachgewiesen worden. Ge¬ 
nannte Autoren haben bei einem 15jäh- 
rigen doppelseitigen schweren Platt¬ 
fuss Ogston*s Operation vorgenommen 
und das Knochenmaterial makro- und 
mikroskopisch untersucht. Es wurde 
constatirt, dass ein Theil der Gelenk- 
Bäche, der Taluskopf, welche mit der 
entsprechenden Gelenkfläche des Kahn¬ 
beins articulirte, verändert war; er er¬ 
schien makroskopisch verfärbt durch 
Injection des darunter liegenden Kno¬ 
chens und zwar von dem gesunden 
Abschnitt durch zarte Furchen und 
Leisten getrennt. Mikroskopisch wurde eine Vermehrung der Platten¬ 
zellen der oberflächlichen Knorpelschicht constatirt, schichtweise An¬ 
ordnung und stärkere Abplattung derselben. Die Zwischensubstanz 
war gleichfalls geschichtet und von abnormer fibrillärer Beschaffen¬ 
heit. Die Knorpeloberfläche scheint von einer feingestreiften fibril¬ 
lären Membran überzogen zu sein. In der Schicht der runden Zellen 
scheinen die Zellen vermehrt, die Intercellularsubstanz vermindert. 
Die Dicke des Knorpels ist im allgemeinen vermindert und scheint 
in der Tiefe der Furche auf jenes feine fibrilläre Häutchen reducirt zu 
sein. An den schwer erkrankten Stellen ist der Knochen stark rare- 
ficirt, das Mark injicirt. 

Gleichmässig mit der Veränderung der Knochen hat sich eine 
solche der einzelnen Muskelgruppen herausgebildet. Beim Plattfuss 
ist die Sohlenmusculatur in abnormer Verfassung, ferner besteht eine 
Veränderung der übrigen am Fuss thätigen Muskelgruppen. Die 
Sohlenmusculatur ist vollständig überspannt, dieselbe kann infolge 


Fi>. 5. 



CorriRirt«*!- Plattfuss im 
(tipsverbund. 


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510 


Ferd. Schultze. 


dessen nicht mehr arbeiten, sie verfällt naturgemass der fettigen 
Degeneration. Der Triceps surae hat sich contrahirt, da seine In¬ 
sertion durch die Drehung des Calcaneus um seine Querachse ver- 


Fig. 6. 



Plattfusstypen, welche corrigirt wurden. 


lagert wurde. Die Peronäen haben sich ebenfalls contrahirt, sowie 
sämmtliche Extensoren; die Flexoren hingegen sind gedehnt. Der 
Muskelapparat hat also auf der einen Seite eine Verkürzung, auf der 
anderen eine Verlängerung erfahren. 


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Die Behandlung des statischen Plattfusses etc. 


511 


Nicoladoni stellt die Bedeutung des Muse, tibial. posticus 
als Gewölbespanner in Abrede und will deswegen eine Aenderung 
des Operationsplanes für juvenile PlattfÜsse. Ganz kann man nicht 
dieser Ansicht beipflichten. Durch Verstärkung des Posticus und 
Schwächung des Triceps tritt eine wesentliche Verlagerung der 
Muskelkraft ein, welche darin besteht, dass 

1. die Neigung, den Calcaneus anzuspannen, herabgesetzt wird; 

2. das Bestreben des Fusses, in der Richtung des Tib. posticus 
zu wirken, erhöht wird. 

Hierdurch wird indirect die Sohlenmusculatur entlastet und kann 
sich zusamraenziehen. 

Hoffmann hat durch seine Untersuchungen bewiesen, dass die 
Sehne des Muse, tibial. posticus durch Insertion am Os cuneiforme III 
und Metatarsus III eine Aneinanderpressung der Mittelfussknochen 
vermittelt. Dadurch wird ein Einsinken der Fusswölbung in trans¬ 
versaler Richtung verhindert. Sind diese Voraussetzungen richtig, 
und diesen möchte ich in vollem Umfange beipflichten, so dürfte doch 
dem Muse, tibial. posticus eine wichtige Aufgabe bei der Correctur 
des Plattfusses zufallen. Nicoladoni’s Standpunkt würde nicht 
ganz zu theilen sein. Ich bekenne mich vielmehr jetzt zu der An¬ 
sicht, dass eine vermehrte Leistungskraft des Tibial. posticus — und 
dies geschieht durch die Verstärkung mittelst des halben Triceps — 
auch einen grösseren Nutzungswerth zur Folge haben wird, d. h. 
es wird die Spannung des Fussgewölbes in transversaler Richtung 
in höherem Maasse garantirt. Die Untersuchungen von Hoffmann 
haben ferner ergeben, dass eine Muskeldegeneration der Sohlen- 
mnsculatur in bestimmten Fällen resultirt. Die wichtige Thatsache 
muss bestimmend sein für die Therapie. Die Sohlenmusculatur ist 
von grösster Wichtigkeit für die Erhaltung des Fussgewölbes. 

Unter Berücksichtigung der vorliegenden pathologisch-anato¬ 
mischen Verhältnisse ist uns der Weg, welcher zur Correctur des 
statischen Plattfusses führen soll, vorgezeichnet. In erster Linie ist 
der Aufbau des Knochengerüstes, des Fussgewölbes, nothwendig. 
Dies erreichen wir durch das Redressement forc4. Die Fixirung des 
Fusses in Adduction (Roser) genügt nicht, die Knickung des Vorder- 
fusses zum Hinterfuss muss noch angeschlossen werden. Es ist vor- 
theilhaft, auch hier den bei allen orthopädischen Massnahmen be¬ 
währten Grundsatz der Uebercorrectur zu wahren. In zweiter Linie 
hat die ßegulirung des Muskelapparates zu erfolgen. Das Gleich- 


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512 


Ferd. Schultze. 


gewicht der Musculatur muss wieder hergestellt werden; auch hier 
ist durch üebercorrectur das Ziel zu erstreben. Die Muskeln werden 
in folgender Weise wieder hergestellt. Nach dem Vorschlag Nico- 
ladoni’s ist der Triceps surae zu mindern, damit der Zug am Cal- 
caneus herabgesetzt wird; der Muse, tibial. posticus ist zu verstärken, 
damit eine Spannung des Gewölbes in transversaler Richtung ge¬ 
währleistet wird, ein Factor, der für die Aufrechterhaltung des Fuss- 
gewölbes von wesentlicher Bedeutung ist, wie dies Hoffmano 
nachgewiesen hat. Der Posticus producirt die Kletterstellung des 
Fusses (Hirtl). Diese Stellung in übertriebener Form kommt der 
Plattfusscorrectur gut zu statten. Mit Rücksicht auf diesen letzten 
Gesichtspunkt allein möchte ich mich schon für den ersten und g^en 
den zweiten Vorschlag NicoladonFs aussprechen. Vom Standpunkt 
der Statik betrachtet ist sehr bald einzusehen, dass die erwähnte 
Muskelverstärkung sehr werthvoll ist. Oben ist bereits bemerkt 
worden, dass der Sinus tarsi verschwinden und eine Convexität an 
seine Stelle treten soll. Dies lässt sich nur dadurch erreichen, dass 
die Knochen an dieser Stelle eine andere Winkelstellung einnehmen. 
Die Erhaltung dieser Winkelstellung ist Sache des Posticus; zieht 
dieser Muskel unter gegebenen statischen Verhältnissen am Vorder- 
fuss, so wird diese Stellung consolidirt. Wird nun diese Kletter- 
fussstellung durch den Posticus aufrecht erhalten, so ist dadurch ein 
Einfluss auf die Sohlen musculatur gewährleistet. Letztere sowohl, 
als auch die Ligamente werden sich contrahiren und besser arbeiten^ 
begünstigt durch die Schwächung des Triceps surae. Eine Verlänge¬ 
rung der Extensoren dürfte nicht immer nothwendig, jedoch stets zu 
überlegen sein. 

Nach diesen Erwägungen bin ich zu dem Entschluss gekommen, 
die Correctur des statischen Plattfusses zu bewirken: 

1. durch das von mir angegebene Redressement; 

2. durch Nicoladoni’sche Plastik; 

3. durch eventuelle Verlängerung der Extensoren, mit Aus¬ 
nahme des Tibial. anticus. 

Die Operation wird nun in folgender Weise ausgeführt. Der 
in Narkose befindliche Patient wird mit dem Hinterfuss in Hacken- 
fussstellung in den Lorenz'schen Osteoklasten gespannt. Das Knie¬ 
gelenk wird vom Assistenten fixirt und der Operateur beginnt nun 
mit dem Redressement. Um die nothwendig starke Gewalt ausüben 
zu können, stellt sich der Operateur auf einen Schemel. In Stunde 


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Die Behandlung des statischen Plattfusses etc. 


513 


ist meistens die Correctur erledigt. Zum Herunterholen des Cal- 
caneus leistet der von Heusner angegebene Hebel vorzügliche 
Dienste und ist bei schweren Fällen dem Osteoklasten vorzuziehen. 
Principiell ist, wie auch bei der Klumpfussbebandlung, daran festzu¬ 
halten, dass der Fuss erst nach vollständiger Mobilisation ein¬ 
gegipst wird. Nach Anlage des mit genügender Filzpolsterung ver¬ 
sehenen Gipsverbandes stellt sich der Fuss so, dass das Dorsum 
pedis ungefähr in derselben Ebene liegt wie die Patella, ferner in 


Fig. 7. 



Gehverbände. 


Adduction und Supination. So befindet sich nun der Vorderfuss zum 
Hinterfuss im rechten Winkel. Durch Ausfüllung dieses Winkels 
mit fest gewickelter Holzwatte und anschliessender Verstärkung aus 
plastischem Filz lässt sich eine bequeme Auftrittfiäche für den Geh¬ 
verband schaffen (Fig. 7). 

Nun folgt die Plastik der Flexoren und die eventuelle Correctur 
der Extensoren. Entweder wird die Plastik dem Redressement direct 
angeschlossen oder später ausgeführt, nachdem der Patient seine ver¬ 
änderte Fussstellung eingelaufen. Meistens habe ich dieselbe später 
ausgeführt, bin aber jetzt dazu übergegangen, dieselbe direct dem 
Redressement anzuschliessen. Die Technik ist folgende: 

Bei horizontaler Lage des Patienten wird der Unterschenkel in 
gebeugter Stellung (45 auf ein Bänkchen von ca. 20 cm Höhe 
gelegt, so dass die innere Seite des Unterschenkels gut zugänglich 
ist. Schnittführung auf der Innenseite, mitten zwischen Tibia und 
Triceps surae vom Malleolus int. crur. bis zur Mitte des Unter¬ 
schenkels, ergibt die Freilegung der Achillessehne und deren Muscu- 


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514 


Ferd. Schultze. 


latur, welche bis in Mitte des Unterschenkels median gespalten wird. 
Es folgt nun Trennung am peripheren Ende des Triceps, welcher 
letzterer mit einer Klemme gefasst in seiner Muskelschicht toU- 
ständig von dem bestehen bleibenden Theil des Triceps getrennt 
wird (Fig. 8). Die breite dicke Sehne des Tibial. posticus, welche direct 
der hinteren Tibia anliegt, wird mit zwei Klemmen hervorgezogen und 
zwischen denselben ein Spalt für den partiellen Triceps surae prä- 
parirt, ca. 2—3 Finger breit oberhalb des Mall, intern. Tiefer ist 
der Spalt nicht anzulegen, weil alsdann das durchgezogene Triceps- 



ende sich nicht oben bis zum äussersten Winkel des gespaltenen 
Muskels ziehen lässt. Der gespaltene Triceps wird nun in der Rich¬ 
tung von vorn nach hinten — nicht umgekehrt — durch den Spalt 
gezogen (Fig. 9) und dann wieder in der Wundfläche des Triceps 
surae vernäht. Von grundsätzlicher Bedeutung ist die Ausführung 
der Naht, welche sich in folgender Weise erledigt (Fig. 10). 

Die Schlinge, welche fest durch den Spalt gezogen, wird im 
Wundwinkel des Triceps mit Roser’schen Arterieuklemmen fixirt 
Weiterhin erfolgt, lateral und medial, eine Vernähung der durch¬ 
gezogenen Tricepsschlinge, nachdem letztere entfaltet und durch 
Klemmen fixirt war (Fig. 10). Auch die Wundfläche des auf die Hälfte 
reducirten Triceps surae wird durch einige Klemmen geschlossen und 
vernäht. An der Stelle, wo die Schlinge den Posticus passirt, werden 
zwei Nähte angelegt. Von Wichtigkeit ist die Haltung des Fusses 
während der Operation. Der Assistent muss den Fuss in denkbar 


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Die Behandlang des statischen Plattfusses etc. 


515 


grösster Uebercorrectur erhalten, welche auch durch den Verband zu 
fixiren ist. 

Zur Technik will ich noch bemerken, dass man die Operation 
unter exacter Blutleere ausführen soll. Die Arbeit mit den Klemmen 
hat den Vorzug, dass eine Berührung der Wunden mit dem Finger 
Termieden wird, dass ferner eine ganz exacte Adaption der Wund¬ 
flächen stattßndet. Die Naht ist dadurch erheblich erleichtert. Sind 
die Klemmen allenthalben angelegt, so ist die ganze Umgebung, mit 
Ausnahme des Nahtbezirks, mit feuchten Tupfern zu bedecken. Nach 
Herstellung der Naht wird die exacte Blutstillung besorgt. Meistens 
ist keine Blutung vorhanden und folgt dann die Hautnaht. Zur 
Hautnaht möchte ich bemerken, dass zunächst die ganze Wunde mit 
Klemmen geschlossen wird, und zwar mit Rücksicht auf die bessere 
Adaption der Wundränder nur die oberflächliche Haut mit den 
Klemmen gefasst. Zwischen jede Klemme legt man eine Naht, 
welche auch nicht mehr Haut fasst als die Klemme. Tiefere in die 
Fettschicht gehende Nähte werden principiell vermieden. Als Naht¬ 
material benutze ich nur feinste Seide. 

Zunächst legt man nur einen Schienenverband an, und zwar 
mit einer Holzschiene, welche vom Trochanter ausgehend den Fuss 
um Handbreite überragt. Der Fuss wird unter möglichster Wahrung 
der en'eichten Correctur bandagirt. 

Nach Erledigung der Wundbehandlung können die Patienten 
im Gehverband sich bewegen; es wird nach ca. 8 Wochen der 
Verband entfernt. Tägliche Bäder und später medico-mechanische 
Behandlung bleiben der Nachbehandlung Vorbehalten. Mit einer der 
Fusswölbung entsprechenden starken Fussbekleidung wird der Pa¬ 
tient entlassen. 

Wir kommen jetzt zur Kritik der Operationsmethode. Von 
ausschlaggebender Bedeutung ist die Knochencorrectur und zwar die 
Art und Weise, wie dieselbe ausgeführt wird. Die primäre Teno- 
tomie habe ich verlassen, seitdem ich die Correctur mit dem Osteo¬ 
klasten sowie die Sehnenplastik ausführe. In Hackenfussstellung wird 
der Fuss in dem Osteoklasten fixirt und dann die Plantarflexion des 
Fusses vorgenommen. Stets hört man bei den ersten Bewegungen 
ein Krachen. Dasselbe Princip der Mobilisation, wie bei der Cor¬ 
rectur des Pes equino varus, muss auch hier befolgt werden. Der 
redressirte Fuss muss auf leichten Druck in die gewünschte Stellung 
übergehen. Es ist geradezu erstaunlich, welche Umwandlung die 


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516 


Ferd. Schulixe. 


ausgeprägtesten PlattfUsse, mit starker Prominenz des Taloshabe? 
und des Os scaphoideum im Zeitraum von —V* Stunde durch 
diese Manipulation erfahren. Die Patienten vertragen diese Correc- 
tur sehr gut und ist die Schmerzäusserung meistens nicht nennens- 
werth. Die Patienten pflegen ca. 10 Tage im Bett zu bleiben, um 
alsdann mit einem Geh verband umher zu gehen. Der Verband wird 
ausgepolstert und eine genügende Gehfläclie wird durch Unterstützung 
des plastischen Filzes, welche bei allen Geh verbänden sehr gute 
Dienste leistet, erzielt. Zum Auspolstern benutze ich fest aufgerollte 
Holzwatte. 8 Wochen die Patienten in dieser Stellung umherlaufen 
zu lassen, ist empfehlenswerth. Anfangs habe ich die Muskelplastik 
erst in der 4. Woche, später dann in der 2. Woche, dann direct in 
einer Sitzung ausgeführt. Letztere Modification dürfte der Normal¬ 
methode entsprechen. Der Schienenapparat wird zweckmässig direct 
durch einen Gipsverband ersetzt. Es ist der Gang anfangs etwas 
unbequem und tappig, jedoch gewöhnen sich die Patienten bald an 
diesen klumpfussähnlichen Gang. Nach Entfernung des Verbandes 
befinden sich die Füsse in Spitzfussstellung, welche allmählich unter 
Bettruhe vom Patienten durch Uebung ausgeglichen werden muss. 
Zum Gegentreten habe ich am Fussende der Betten ein die ganze 
Fusswand des Bettes einnehmendes Brett einstellen lassen, welches 
beiden Füssen eine schiefe Ebene bietet. 

Nun kommt es vor, dass die Dorsalflexion länger auf sich 
warten lässt, oder auch dass dieselbe, wie es uns mehrmals passirte, 
durch eine Tenotomie beseitigt werden musste. In diesen Fällen 
haben auch wir stets die Bai ersehe Verlängerung der Sehne ge¬ 
macht. Sobald die Patienten die rechtwinkelige Stellung des Fusses 
erreicht haben, sollen sie mit medico-mechanischen Hebungen be¬ 
ginnen. Abgesehen von den allgemeinen Hebungen zur Stärkung* 
der Musculatur sind für den Fuss solche im Sinne der Adduction 
und Supination von besonderer Bedeutung. Von Ellis und Roth 
sind für den beginnenden Plattfuss eine Reihe gymnastischer Hebun¬ 
gen zur Stärkung der Supination vorgeschlagen. Diese Idee, welche 
auch bei dem von mir vorgeschlagenen Redressement Verwendung 
findet, dadurch, dass die Patienten später in extremer Supination und 
Spitzfussstellung einhergehen, muss auch den corrigirten Füssen zu 
Gute kommen. Diese Hebungen sind sehr zu empfehlen, zumal sich 
dies zu Hause abwickeln lässt. 

Störungen im Wundverlauf sind 2mal unterlaufen, ohne jedoch 


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Die Behandlung des statischen Plattfusses etc. 


517 


Folgen zu hinterlassen. Decubitus wurde nicht beobachtet; prophy¬ 
laktisch wurden bei allen Gipsverbänden die typischen Stellen mit 
Zinkpflaster beklebt. 

Eine Fussbekleidung wird von den Patienten angelegt, sobald 
die recht winkelige Stellung erreicht ist. 

Bevor ich zur Besprechung der Prognose übergehe, möchte ich 
noch, kurz auf den kindlichen Plattfuss eingehen. Die angeborenen 
Plattfüsse nach der Untersuchung von Küstner betragen 5 ®/o» Bessel- 
Hagen stellt einen viel niedrigeren Satz, etwa 0,25 ®/o fest, ebenso 
Selter. Letzter Autor macht eingehende Mittheilung über den in¬ 
fantilen Plattfuss, dessen Literatur selten zu nennen ist. Die An¬ 
sicht Seitens, dass die anatomisch-physiologischen Bedingungen für 
die Entstehung des Plattfusses im kindlichen Alter die günstigsten 
sind, dass die Patienten sich infolge mangelhafter Auffassung und 
Angaben über Plattfussbeschwerden nicht melden, ferner dass der 
stationäre Charakter des Plattfusses fehlt, theile ich in vollem Um¬ 
fange. Dadurch wird auch die Ansicht Karewski’s unterstützt, 
dass der juvenile Plattfuss seine Entwickelung in der Kindheit hat; 
erst die professionellen Schädlichkeiten fixiren die pathologische 
Stellung. 

Die grosse Menge wird also erworben, sei es nun im 1. oder 
2. Decennium. Die Ursachen — Erkrankung des Knochen- und 
Muskelsystems — sind verschiedener Natur und ist hier nicht der 
Ort, näher darauf einzugehen. Es bildet sich auf Grund einer 
pathologischen Unterlage zweifellos eine Summe von Wechselwir¬ 
kungen, die einerseits das Skelet, andererseits den Muskelapparat be¬ 
treffen. Sobald hier eine Störung des Gleichgewichts eintritt, kommt 
es zu einer Verschiebung, sowohl der Knochen- als der Muskel¬ 
leistung. Sehr deutlich tritt dies beim Kind zu Tage in der Adduc- 
tionsstellung des Fusses. Diese Varusstellung mag zum Theil noch 
Effect der intrauterinen Lage sein, unterhalten wird dieselbe sicher¬ 
lich durch den noch vorhandenen Ausfall in der Knochenproduction. 
Die Knochenkerne des das Fussgewölbe bildenden Knochen, Navi- 
culare, Ossa cuneiformia, Calcaneus, sind noch nicht vorhanden 
(Henke). Diesen Ausfall sucht das Kind dadurch auszugleichen, 
dass es den Vorderfuss in Adduction bringt. Das Kind schützt sich, 
wie Selter sehr richtig bemerkt, durch die Adductionsstellung des 
Vorderfusses vor einem völligen Einsinken des inneren Fussgewölbes, 
und vor allem vor einer Pronations-(Valgus-)Stellung des Fusses. 


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518 


Ferd. Schultze. 


Diese Adductionsstellung des Kindes ist wesentlich bedingt durch 
eine besondere Leistung des Muse, tibial. posticus. In dieser 
physiologischen Stellung des Kinderfusses finden wir somit einen 
Fingerzeig, in welcher Weise der Fuss behandelt werden soll, um 
der Plattfussstellung yorzubeugen. Es deckt sich diese physiologische 
Thatsache mit dem oben gemachten Vorschlag zur Beseitigung des 
statischen Plattfusses. 

Bei dieser Gelegenheit möchte ich zu einem Passus des Seit er¬ 
sehen Aufsatzes Stellung nehmen. Dort heisst es: „Wie wunder¬ 
liche Blüthen die Therapie manchmal treibt, zeigt die neuerliche 
Empfehlung der von Heusner für die Aussendrehung des Klump- 
fusses empfohlenen Feder auch für den nach innen rotirten normalen 
Fuss.“ Selter hat ganz Recht, sofern die von Heusner vor¬ 
geschlagene Methode darauf hinausginge, die kindliche, sagen wir 
compensatorische Stellung zu beeinflussen. Dies ist jedoch 
keineswegs der Fall und liegt nicht im Sinne der Indication 
H e u s n e r’s. Diese Methode hiesse ja orthopädisch Plattfüsse 
züchten. Die Indication Heusner's beschränkt sich auf die Pa¬ 
tienten, welche in späteren Jahren, z. B. im 5.—6. Lebensjahre, 
noch diese für die erste Kindheit physiologische, in dem Alter aber 
pathologische Stellung beibehalten haben. Diese Stellung resp. diesen 
Gang findet man nicht selten. Sicherlich ist es angebracht, den¬ 
selben zu bekämpfen, und suche ich dies ebenfalls durch die von 
Heusner vorgescblagene Methode oder durch gleichartige Mani¬ 
pulationen zu erreichen. Ich zweifle nicht daran, dass Selter diese 
Indication für die Verwendung der entsprechenden Heusnerschiene 
berechtigt finden wird. Ich würde es als Fehler bezeichnen, wollte 
man dieser pathologischen Fussstellung durch entsprechende Behand¬ 
lung nicht Rechnung tragen. 

Den statischen Plattfuss haben wir beim Kind nicht, der Fuss 
bleibt mobil in seinen Gelenkverbindungen, da alles im Wachsen 
begriffen. Besteht nun hier eine Schwäche der Musculatur, so des 
Tibialis posticus, so sind die besten Bedingungen für den späteren 
statischen Plattfuss geschaffen. Schon unter fehlerhaften statischen 
Verhältnissen entwickelt sich der Knochenapparat, infolge dessen 
werden auch nicht die Stützpunkte sich ausbilden können, welche 
massgebend sind für die spätere Haltung des Gewölbes. Schon im 
1. und 2. Lebensjahr, wie Selter angibt, findet man Kinder mit 
enorm lockeren Fussgelenken und schwacher Musculatur, die beim 


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Die Behandlung des statischen Plattfusses etc. 519 

Gehen den Pes valgus bekommen. Die Beobachtung habe auch ich 
gemacht. 

Für die Therapie dieser Fälle hat Selter nun im grossen 
ganzen die conservative Behandlung vorgesehen. Für die schweren 
Fonnen reservirt er den Gipsverband und die Schienenhülsenapparate. 
Die Herstellung der Adduction des Fusses dient als Grundlage der 
Behandlung. Mit Rücksicht darauf wird die Sohle des Schuhes so 
geschnitten, als wäre der Vorderfuss im Chopart adducirt. Die 
schiefe Ebene und Ledereinlage werden verwandt. Mit diesem Schuh 
hat Selter gute Resultate erzielt. 

Der von Selter vorgeschlagene Weg wird ja zweifellos in 
einer Anzahl von Fällen zum Ziele führen. Die von ihm empfohlene 
Adductionssohle, wenn man diese so nennen darf, kann nur einen 
guten Einfluss anf die Stellung des Fusses ausüben und vortheilhaft 
wirken. Mit diesen Vorschlägen möchte ich jedoch nicht die Therapie 
des kindlichen Plattfusses abgeschlossen betrachten. Gerade für das 
kindliche Alter möchte ich das Redressement und auch unter Um¬ 
ständen die Muskelplastik in den Rahmen der therapeutischen Mass¬ 
nahmen aufnehmen. Was wir allmählich durch die orthopädischen 
Schuhe erreichen, wird mit einem Schlage durch das Redressement 
fertig gestellt. Dieses Resultat aufrecht zu erhalten, ist Sache einer 
entsprechenden Fussbekleidung. Nicht allein bei den schweren Fällen 
würde ich dies auszuführen vorschlagen, sondern auch bei den leich¬ 
teren Formen, lediglich geleitet von dem Princip, die Fusswurzel- 
knochen unter correcter Stellung in die normalen Wachsthumsbahnen 
zu verweisen. Sind Störungen des Muskelapparates vorhanden, so 
würde man in leichten Fällen durch das Redressement zum Ziele 
kommen, besonders wenn man berücksichtigt, dass die Patienten 
Wochen laug in Klumpfussstellung herumlaufen. Finden sich jedoch 
erhebliche Gleichgewichtsstörungen im Muskelapparat, ist z. B. der 
Enickfuss vorhanden, oder bestehen die sogen, lockeren Gelenke, so 
würde ich stets einer Muskelplastik das Wort reden. Wenn man 
bedenkt, dass der Eingriff, das Redressement forcd, ein ungefähr¬ 
licher ist, ebenso die Muskelplastik, so dürfte es zweifellos im Inter¬ 
esse des kindlichen Plattfusses liegen, diesen möglichst früh operativ 
zu behandeln. Die mangelhafte Entwickelung der Fusswurzel- 
knochen, des Os scaphoideum, der Ossa cuneiformia, geben keine 
Contraindication, im Gegentheil, deren Entwickelung dürfte durch den 
Eingriff günstig beeinflusst werden. 


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520 


Ferd. Schultze. 


Was die Prognose angeht, so können die bescheidenen Zahlen 
einstweilen noch nicht absolut massgebend sein. Im allgemeinen 
aber können wir auf Grund früherer Erfahrungen bestimmt wieder¬ 
holen, dass nur durch die Reconstruction des Knochen- und Muskel¬ 
apparates eine Heilung erfolgen kann, welche den physiologischen 
Vorgängen entspricht. Dies wird erreicht durch unsere Operations¬ 
methode. 

Mit dem auf ca. 1 Jahr sich vertheilenden kleinen Matenal 
habe ich keine schlechte Erfahrung gemacht. Behandelt wurden im 
ganzen 11 statische Plattfüsse mittelst des Redressements und der 
Plastik und zwar 7 doppelseitige und 4 einseitige. Die Plastik wurde 
also im ganzen 18mal ausgeführt. 

lieber die Dauerresultate wage ich ein abschliessendes Urtheil 
noch nicht abzugeben. Wenn die momentanen Verhältnisse nicht 
trügen, so glaube ich auch über günstige Dauerresultate demnächst 
berichten zu können. 

Keinen Augenblick wollen wir uns verhehlen, dass die hyper¬ 
trophischen Gewölbe, welche meist an Pes cavus zu erinnern pflegen, 
im weiteren Gebrauch wieder einsinken. Dies ist auch wünschens- 
werth, aber nicht in dem Sinne, dass der Vorderfuss wieder eine 
abweichende Stellung einniramt und den Talushals und das Navi- 
culare verdrängen lässt. Prognostisch ungünstig sind die anatomischen 
Verhältnisse, welche eine ausgesprochene Contractur der Extensoren 
nachweisen Hessen. Unter solchen Verhältnissen darf es nicht ver¬ 
gessen werden, die Tenotomie der Extensoren auszuführen. Das ab¬ 
solute Hinderniss für die Correctur bildet die Degeneration der 
Sohlenmusculatur, wie solche von Hoffmann nachgewiesen wurde. 
Eine Beseitigung der häufig vorkomraenden pathologischen Zehen¬ 
stellung zu unterlassen, ist für die Prognose von wesentlicher Be¬ 
deutung. Eine Unterlassung dieser Correctur begünstigt zweifellos 
ein Recidiv. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass sowohl bei der 
Correctur des Pes varus, wie auch Pes valgus, dieser Abnormität 
viel zu wenig Beachtung geschenkt wird. Principiell auch diese fast 
stets vorhandenen Abnormitäten zu beseitigen, habe ich mir zur 
Aufgabe gemacht. Es wird dies in hochgradigen Fällen operativ 
erledigt oder in milden Fällen manuelles Redressement mit nach¬ 
folgendem Heftpflasterverband in Uebercorrectur. Nach Abschluss 
der Behandlung pflegen die Patienten anfangs schwerfällig zu gehen. 
Im Laufe von einigen Wochen bessert sich dies bis zur Norm. Eine 


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Die BebandluDg des statischen Plattfusses etc. 


521 


Patientin theilte mir ca. 3 Monate nach der Entlassung mit, dass 
sie seit Jahren wieder ihren ersten Walzer flott hätte tanzen können. 
Stundenlange Märsche werden von den Patienten ohne Beschwerden 
ertragen. Eine Patientin beklagte sich noch über eine mangelhafte 
Dorsalflexion, welche besonders auf der Treppe beim Abstieg sich 
unangenehm bemerkbar mache. Ernstere Beschwerden sind nicht 
zur Meldung gekommen. 

Bei der Nachuntersuchung der Patienten waren die übertrie¬ 
benen Fussgewölbe, wie solche sich nach Entfernung des Verbandes 
zeigen, nicht mehr vorhanden, aber statt dessen ein normal aus¬ 
geprägtes Fussgewölbe. In einem Falle habe ich eine Neigung zur 
Abductionsstellung beobachtet. Auch hier war eine Gleichgewichts¬ 
störung der Muskelgruppen zu constatiren. Vor der Operation hatte 
eine deutliche Contractur der Extensoren bestanden; die Teno- 
tomie dieser Muskeln war bei Vornahme der Correctur nicht aus¬ 
geführt worden. Ich ziehe die Lehre aus dem Fall, dass man selbst 
bei geringer Contractur eine Tenotomie dieser Muskelgruppen nicht 
unterlassen soll. 

Noch ein Wort zur Plastik Nicoladoni's. 

Der halbe Triceps wird durch einen Spalt des Tibialis posticus 
gezogen und zwar mit ziemlicher Gewalt, so dass der Spalt leicht 
centralwärts aufreisst und dadurch die gewünschte Spannung wieder 
herabsetzt. Deshalb ist die Frage berechtigt, ob es nicht zweck¬ 
mässig ist, den Muse, tibial. posticus unter starker Spannung seines 
peripheren Endes mit dem halben Triceps zu vernähen, im Muskel- 
und im Sehnentheil. Versuche müssen ergeben, ob dieser Vorschlag 
nicht zweckentsprechender ist und die Prognose unterstützt. 

Einem Kapitel, welches prognostisch von grösster Bedeutung, 
müssen wir noch besondere Beachtung schenken, das ist das Kapitel 
»Fussbekleidung“. Das mühsam aufgerichtete Fussgewölbe bedarf einer 
gut präparirten Fussbekleidung, um ein Einsinken des Fussgewölbes 
zu verhüten. Die Fussbekleidung ist in seiner Wirksamkeit abhängig 
einerseits von der Construction, andererseits von der Pflege. Was 
die Construction angeht, so ist die Wölbung des Fusses massgebend 
für die Wölbung der Schuhe. Eine Verstärkung durch Plattfuss- 
einl^e ist eine unbedingte Nothwendigkeit. Die von Lange an¬ 
gegebenen Einlagen sind am zweckmässigsten. Von allen Arten 
erfüllt der Schnürschuh am besten seinen Zweck. Da der Fuss 
corrigirt, so wird bei der Schuhconstruction von selbst der Indication 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XIII. Bd. 34 


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522 


Ferd. Schultze. 


Selter’s — Adductionssohle — Rechnung getragen. Die Zehen¬ 
kappe muss steif und nicht eindrückbar sein, zugleich genügend breit 
als Spielraum für die Zehen. Der Absatz muss in seiner Höhe sich 
nach der Höhe der Wölbung richten, je höher die Wölbung, desto 
höher der Absatz. Dadurch erreiche ich eine begrenzte Auftrittfläche 
des Vorderfusses. Durch den Schnürschuh wird der Fuss gewisser- 
massen eingespannt, ein Einsinken wird verhindert und ein Druck 
der Zehen durch den Spielraum verhütet, ein Rutschen des Fusses 
ist durch die Schnürung unterbunden. Es geht der Patient in 
massiger Spitzfussstellung, wir erreichen durch diese Stellung eine 
grössere Garantie für die Erhaltung der Correctur. Die Schuhe mit 
niedrigen Absätzen der Mode entsprechend haben zweifellos sehr 
viel Unheil angerichtet. Ebenso wie für den Normalfuss der niedrige 
Absatz zu verwerfen ist, so gilt dies ganz besonders vom corrigirten 
Plattfuss. Die Abwickelung des Fusses vollzieht sich beim hohen 
Absatz leichter. Für die nothwendige Auftrittfläche muss gesorgt 
sein, alsdann ist ein Umschlagen des Fusses, wie Hoffa dies be¬ 
fürchtet, nicht so leicht möglich. Die Art der Absätze sind von 
Bedeutung. Seit Jahren verordne ich meinen Patienten drehbare 
Gummiabsätze (System Nölle). Ich trage dieselben seit 10 Jahren 
und finde, dass die Elasticität des Ganges dadurch wesentlich erhöht 
wird. Diese Absätze haben vermöge ihrer Drehbarkeit noch den 
Vorzug, dass bei Verordnung einer schiefen Schuhebene der Absatz 
stets gleichmässig abgelaufen werden kann. Ich möchte die Gummi¬ 
absätze nicht mehr entbehren, sie schwächen die Erschütterung beim 
Gehen erheblich ab. 

Die Pflege der Fussbekleidung bedarf einer besonderen Be¬ 
tonung, da nach dieser Richtung hin sehr viel unterlassen wird. Von 
grösster Bedeutung für den Plattfussschuh ist Erhaltung der Form. 
Sobald diese verloren und das Mittelstück des Schuhes eingetrieben 
oder auch nur die Neigung hat, so ist eine Reparatur resp. Ersatz 
dringend angezeigt. Um die Schuhe in bester Verfassung zu er¬ 
halten, ist in erster Linie der tägliche Wechsel eine unbedingte 
NothWendigkeit. Dann muss dieser Wechsel durch eine grössere 
Anzahl von Paaren, 3—4, unterhalten werden. Die Schuhe werden 
während der Ruhe auf Leisten gezogen, um die Form möglichst zu 
wahren. Das letztere halte ich für eine wirklich sehr geeignete 
Beigabe zur Vervollkommnung der Schuhpflege. Dem Plattfüssigen 
den Auftrag zu geben, niemals ohne Schuhe zu gehen, bedarf kaum 


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Die Behandlung des statischen Plattfusses etc. 


523 


des Hinweises, da es den Patienten meist nicht möglich ist. Hin¬ 
gegen muss man ihnen scharf einprägen, dass sie nicht mit unvor- 
scbriftsmässiger Fussbekleidung sich bewegen sollen. 

Nun noch einige Worte zur photographischen Aufnahme des 
Plattfusses. Die Aufnahmen mit der Stereoskoplinse geben die beste 
üebersicht bei allen Aufnahmen. Der Aufnahmetypus muss ein be¬ 
stimmter sein. Als erste Aufnahme pflege ich von vom in etwas 
offenem Winkel und Zwischenraum zwischen beiden Calcaneus zu 
photographiren. Dadurch wird die Fussstellung gut übersichtlich. Die 
Stellung bei der zweiten Aufnahme nach der Correctur muss analog 
sein. Auf diese Art und Weise kann man am besten das Resultat 
beurtheilen. Stets müssen die Füsse in aufrechter Körperstellung 
photographirt werden. Letzteren Gesichtspunkt habe ich bei meinen 
Aufnahmen nicht genügend gewahrt und nehme ich deswegen Ge¬ 
legenheit zu diesen kurzen Bemerkungen. 

Röntgenaufnahmen wurden von jedem Plattfuss stets in der¬ 
selben Stellung ausgeführt. Aus dem Studium der Platten bestimmte 
werthvolle Schlüsse zu ziehen, war mir bis jetzt noch nicht möglich. 

Die vorstehenden Ausführungen fasse ich in folgenden Schluss¬ 
sätzen zusammen: 

1. Der statische Plattfuss kann corrigirt werden. 

2. Die Indication zur Correctur ist gegeben im 1., 2., 3. und 
unter Umständen im 4. Decennium. 

3. Die conservative Behandlung des Plattfusses in der Jugend 
ist im allgemeinen zu verwerfen; nur in leichten Fällen ist dieselbe 
indicirt. 

4. Bei der Correctur ist wiederherzustellen: 

a) das Skelet, 

b) die Musculatur. 

5. Dies kann erreicht werden durch die Verlängerung der 
Achillessehne mit folgendem typischen Redressement. 

6. Die von Nicoladoni vorgeschlagene Plastik, Schwächung 
des Triceps und Stärkung des Tibialis posticus, ist in den schweren 
Fällen nicht zu entbehren; ira allgemeinen ist die Plastik der unter 
5. angegebenen Methode vorzuziehen. 

7. Die Tenotomie des Extensor digitor. und halluc. ist im Falle 
einer Contractur nothwendig. 

8. Der Gehverband in übercorrigirter Stellung unterstützt nicht 
unwesentlich den Erfolg. 


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524 


Ferd. Schultze. 


Erankengescliicliteii. 

1. J. K., 25 Jahre, BüfiPetfräulein, Duisburg. 

Diagnose: Pes valgus sin. et dextr. (Fig. 11 u. 12). 
Aufnahme: 9. Juni 1903. 

Operation: 12. Juni 1903; 6. Juli 1903; 29. Juli 1903. 
Entlassung: 15. October 1903. 

Anm. Patientin bat im October 1902 an Gelenkrheumatismas in aUen 
Gelenken gelitten. Seit dieser Zeit batten sieb ihre Füsse gesenkt, sie wurden 
sebmerzbaft, so dass Patientin zuletzt kaum mehr geben und sieben konnte. 


Fig. 12 



Plattfüsse. Correctur. 


Status praesens: Patientin klagt über heftige Schmerzen in den Füssen 
auf dem Fussrücken aussen und in der Ferse, sowohl beim Stehen als beim 
Gehen, Abends am stärksten; sie sei nicht mehr im Stande zu arbeiten. 

Beide Füsse, besonders der linke, stehen in ausgesprochener Valgusstel* 
lung mit starker Abduction. Die Extensoren spannen sich zuweilen. Beugung 
und Streckung ist eingeschränkt. Supination ist beiderseits aufgehoben. 

12. Juni 1903. Operation: Narkose. Redressement im Osteoklasten. Gips* 
verband in üebercorrectur. 

6. Juli 1903. Abnahme des Gipsverbandes [und Eingipsen in derselben 
Stellung. 

8. Juli 1903. Verstärkung zum Gehverband. 

28. Juli 1903. Abnahme des Gipsverbandes. Füsse stehen in starker 
üebercorrectur. 

29. Juli 1903. Narkose. Sehnenplastik. An beiden Unterschenkeln wird 
auf der Innenseite Incision gemacht. Die innere Hälfte der Achillessehne wird 
bis ungefähr zur Mitte des Unterschenkels aufwärts abgetrennt und durch ein 
der Mitte dieses Stückes gegenüber liegendes Loch in der Sehne des Muse. tib. 
post, schleifenförmig durchgezogen. Das durchgezogene Stück der Achilles¬ 
sehne wird dann wieder nach aufwärts in sich und mit der äusseren Hälfte der 
Achillessehne vernäht. Hautnaht. Stärkeverband. 

Nach Abnahme des Verbandes findet sich Heilung per primam. Sall^* 
verband. Fussübungen. 


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Die Behandlung des statischen Plattfusses etc. 525 

17. August 1903. Uebungen im medico^mechanischen Institut. 

1. October 1903. Die Füsse stehen noch etwas in Spitzfussstellung. Des¬ 
halb wird heute die Achillessehne verlängert. Das Fussgewölbe ist gut aus¬ 
gebildet. Gipsverband in rechtwinkliger Stellung. 

9. October 1903. Abnahme der Gipsverbände; Füsse stehen gut. 

15. October 1903. Patientin erhält orthopädische Schuhe mit gut aus¬ 
gearbeitetem verstärktem Gelenk; Gang ist noch sehr unsicher. 

29. März 1904. Untersuchung ergibt keinerlei Beschwerden, flotter Gang. 
Etwas unbequem beim Abstieg der Treppe. Fussstellung gut, Gewölbe gut er¬ 
halten. 


2. J. Sch., 20 Jahre, Küchemädchen aus Barmen (Fig. 13, 
14 u. 15). 

Diagnose: Ulcus cruris sin., Pes valgus sin. et dextr. 
Aufnahme: 17. April 1903. 

Operation: 16. Juni 1903; 19. Juli 1903. 

Entlassung: 15. November 1904. 


Fig. 13. 


Anm. Vor 10 Jahren entstand zuerst ohne Veranlassung ein Ulcus 
cruris, welches nach 2 Jahren verheilte. 5 Jahre später stiess Patientin wieder 
gegen das linke Schienbein, worauf sich das 
Geschwür bildete. Da seit 14 Tagen Ver- 
schiimmerung eingetreten, sucht Patientin das 
Hospital auf. Vor 2 Jahren hat Patientin 
Bbenmatismus sämmtlicher Gelenke durchge- 
macht. Seit Jahren ist sie fussleidend. 

Status praesens: Patientin klagt über 
heftige Schmerzen in beiden Füssen, besonders 
im linken. Am Abend sollen die Füsse ge¬ 
schwollen sein und die Schmerzen heftiger. 

Morgens wenn sie aufstehe, habe sie anfangs 
sehr heftige Schmerzen. 

Am linken Unterschenkel etwa in seiner 
Mitte vom flndet sich ein etwa handteller¬ 
grosses mit nekrotischen Fetzen bedecktes Ge¬ 
schwür. 




PlattfUsse. 


Beide Füsse, besonders der linke, stehen in starker Plattfussstellung, der 
linke in stärkerer Abduction. Naviculare und Collum tali springen stark vor, 
besonders links. 

An beiden Unterschenkeln leichte Varicenbildung. Die Extensoren des 
linken Fusses spannen sich an; die Flexion und Extension ist eingeschränkt, 
Supination anfgehoben. 

Bettruhe. Salbenverband. 

21. April 1903. Feuchte Umschläge. 

Operation 16. Juni 1903. Nachdem das Geschwür fast verheilt ist, wird 
heute im Osteoklasten die Fussstellung corrigirt. 


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526 


Ferd. Schultze. 


Gipsverband an beiden Füssen in üebercorrectur. 

18. Juli 1903. Abnahme der Gipsverbände. Beide Füsse stehen gut in 
üebercorrectur. 

19. Juli 1903. Operation. Sehnenplastik. Incision an der Innenseite 
beider Unterschenkel. Achillessehne und Muskel wurden im unteren Drittel 
nach aufwärts halbirt und losgelöst. Dieses losgelöste Stück wird durch ein 


Fig. 14. 



Correctur links. 


seiner Mitte gegenüber liegendes Loch in der Sehne des Muse. tib. post, schleifen¬ 
förmig hindurchgezogen nach oben und in sich vernäht. 

Hautnaht. Stärke verband. Füsse bleiben in üebercorrectur. 

Bei Abnahme des Verbandes findet sich das linke Bein per primam ver¬ 
heilt. Gipsverband. Rechts besteht in der Mitte der Narbe eine kleine Eite¬ 
rung. Erweiterung der Oeffnung. Tamponade. Schienenverband. 

24. August 1903. Gipsverband entfernt. Gute Stellung des linken Fusses. 
Am rechten Fuss tritt allmähliche Heilung ein. 

8. October 1903. Beide Füsse stehen gut. Am linken Fuss ist die Dorsal¬ 
flexion noch etwas eingeschränkt, weshalb die Verlängerung der Achillessehn 
am 4. November 1903 vorgenomraen wird. 

29. November 1903. Patientin hat gute Fussstellung und normale Function. 

Wegen des ülcus ist längere Bettruhe nothwendig, da Zerfall der Haut 
eingetreten war. Durch Transplantation wird Heilung erzielt, nachdem nur 
einige Inseln erhalten blieben. 

1. Februar 1904. Heilung. 


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Die Behandlung des statischen Plattfusses etc. 


527 


Während des Krankenlagers hat Patientin zum Gegentreten am Fuss- 
ende stets eine schiefe Ebene. 

25. Februar 1904. Mit gut sitzenden im Gewölbe verstärkten Schuhen 
entlassen. 

1. April 1904. Patientin kann gut gehen und hat keine Beschwerden. 
Die Fussstellung ist gut, das Gewölbe ausgeprägt. 


Fig. 15. 



Correctur rechts. 


3. Ch. S., 18 Jahre, Burchsteinfurt, Küchemädchen (Fig. 16 u. 17). 

Diagnose: Pedes valgi. 

Aufnahme: 12. Mai 1903; 28. Juli 1903. 

Operation: 16. Mai 1903; 2. Juli 1903. 

Entlassung: 5. September 1903. 

Anm. Patientin gibt an, dass sie schon seit 12 Jahren Beschwerden in 
den Füssen habe, sie habe nie gut gehen können, stets besondere Schuhe tragen 
müssen. Mit Jahren hätten die Beschwerden zugenommen und gegenwärtig so 
stark, dass sie kaum gehen und stehen könne. 

Status praesens: Patientin klagt über hochgradige Schmerzen im Fuss- 
gelenksbezirk innen und aussen, in der Ferse und im ganzen Fuss. 

Beide Füsse stehen in hochgradiger Valgusstellung, der Talushals tritt 
hervor, sowie das Naviculare. Die Supination ist aufgehoben, die Beugung und 
Streckung ist um V* c™ eingeschränkt. Die Musculatur ist etwas atrophisch. 
Es bestehen Schweissfüsse. 

Operation: 16. Mai 1903. Redressement im Osteoklasten. Eingipsen in 
üebercorrectur. 


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528 


Ferd. Schnitze. 


1. Juni 1903. Neuer Gipsverband in derselben Stellung. Stellnng gut 

2. Juni 1903. Im Gehverband nach Hause entlassen. 

28. Juni 1903. Wiederaufnahme. Abnahme des Gipsverbande«. 

2. Juli 1903. Sehnenplastik. An beiden Unterschenkeln wird auf der 
Innenseite Incision gemacht. Die innere Hälfte der Achillessehne wird bis un¬ 
gefähr zur Mitte des Unterschenkels aufwärts abgetrennt und durch ein der 
Mitte dieses Stückes gegenüber liegendes Loch in der Sehne des Muse, tibialis 



post, schleifenförmig durchgezogen. Das durchgezogene Stück der Achillessehne 
wird dann wieder nach oben hin in sich vernäht. 

Hautnaht. Schienenverband. 

10. Juli 1903. Nach Abnahme des Verbandes findet sich Heilung per 
primam. Salbenverband. Uebung der Fussbewegungen. 

17. Juli 1903. Beginn der medico-mechanischen Uebung. 

12. August 1903. Operation. Tenotomie resp. Verlängerung beider Achilles¬ 
sehnen, da die Dorsalfiexion nicht genügend ausgeführt werden konnte. Gips¬ 
verband. 

21. August 1903. Abnahme der Gipsverbände, Füsse stehen gut, Dorsal¬ 
flexion ohne Beschwerden ausführbar. Gute Wölbung und Stellung. 

5. September 1903. Patientin wird mit orthopädischen Schuhen entlassen. 

1. Februar 1904. Der Gang ist ein guter. Patientin schreibt, dass sie 
bereits wieder getanzt habe. 

1. April 1904. Patientin stellt sich vor, hat keinerlei Beschwerden, hat 
noch nie so gut laufen können wie jetzt. Der Gang ist flott. Am rechten 
Fuss ist das Gewölbe gut erhalten, die Fussstellung ist normal zu bezeichnen. 
Am linken ist das Gewölbe nicht so gut, es zeigt sich hier deutlich Neigung 
zur alten Stellung, auch spannen sich hier die Extensoren. 

Auf wiederholtes Befragen erklärt Patientin, dass sie keinerlei Beschwerden 
an diesem Fuss habe. Mit Rücksicht darauf wurde denn auch mein Vorschlag, 
einen Geh verband in Correctur anzulegen, abgelehnt. 


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Die Bebandlong des statischen Plattfusses etc. 


529 


4. Karl Niedecker, 15 Jahre, aus Oberbröhl, Schneider 
(Fig. 18 u. 19). 

Diagnose: Pes varus sin., Pes valgus dextr. 

Aufnahme: 12. September 1903; 4. December 1903. 
Operation: 15. September 1903; 23. September 1903. 
Entlassung: 3. December 1903 (Fig. 14). 

Fig. 18. 


Fig. 19. 



Pes valg. dextr.; Pes eq. var. sin. Correctur. 



Anm. Patient gibt an, dass der rechte Fuss im Laufe der Jahre immer 
schlimmer geworden sei. Seit mehr als einem Jahre verursache derselbe viel 
Schmerzen, welche nach dem Unterschenkel und Knie ausstrahlen. Der rechte 
Fuss mache ihm keine Schmerzen, aber wegen des linken könne er häufig 
nicht gehen. 

Status praesens: Die Planta pedis des linken Fusses liegt dem Planum 
des Tisches völlig auf, Vorderseite des Unterschenkels und Fussrücken liegen 
in einer horizontalen Ebene. Der Vorderfuss steht zum Hinterfuss und Unter¬ 
schenkel in einem Winkel von ca. 110® nach innen gebogen. Am äusseren 
Fussrand, über dem Grundgelenk der kleinen Zehe eine fast fünf markstück¬ 
grosse Druckschwiele mit Schleimbeute]. 

Das Fussgewölbe des rechten Fusses ist total geschwunden, Talus und 
Naviculare sind völlig nach unten gesunken und prominiren stark am inneren 
Fussrand. 

Vorderfuss und Hinterfuss stehen statt in gestrecktem Winkel hinter 
einander hier in einem nach aussen offenen Winkel von ca. 120®. Es besteht 
Abductionsfuss, der äussere Fussrand ist gehoben. 

Beide Füsse sind gleich lang; die Musculatur des linken Unterschenkels 
zeigt deutliche Atrophie. 


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530 


Ferd. Scbultze. 


15. September 1903. Operation. Redressement beider Fasse im Osteo¬ 
klasten ; nachfolgende manuelle Correctur (Gipsverband). Tenotomie der Achilles¬ 
sehne des linken Klumpfusses. Gipsverband an beiden Füssen in Uebercorrector. 

23. September 1903. Operation. Incision an der Innenseite des rechten 
Unterschenkels; Halbirung des M. triceps, welches durch eine in dem M. tib. 
post, angelegte Oeffnung hindurchgezogen und in sich vernäht wird. Hautnaht 

Sofort Gipsverband in üebercorrectur, der Wunde entsprechend Fenster 
im Gipsverband. Heilung per primam. 

Patient erhält Verstärkung: Laufverband. Dann entlassen bis am 24. Oc 
tober 1903. Verbände haben sich gut gehalten. In der Narbe am rechten 
Unterschenkel hat sich ein kleiner Abscess gebildet. Derselbe wird incidirt und 
austamponirt. Verband. 

Für den corrigirten Klumpfuss erhält Patient einen Schuh mit schiefer Ebene. 

Erneuerung des Gipsverbandes am rechten Fuss in Üebercorrectur. Mit 
Gehverband entlassen. 

Am 8. November 1903 kommt Patient wieder. Der Gipsverband ist noch 
in Ordnung. Er gibt an, beim Gehen im linken Fuss (corrigirter Klumpfu^si 
keinerlei Beschwerden verspürt zu haben. Er geht sehr gut. 

Abnahme des Gipsverbandes ergibt gute Correctur. 

Zur Beschleunigung des Heilverfahrens wird die Verlängerung der Achilles* 
sehne gemacht, da Patient den Ausfall in der Dorsalflexion nur langsam be¬ 
seitigen konnte. 

18. November 1903. Heilung. Medico-mechanische Hebungen. 

3. December 1903. Patient wird mit gutem Gewölbe in entsprechender 
Fussbekleidung entlassen. 

29. März 1904. Patient geht mit Ausdauer, nur beim Bergabsteigen 
klagt er über geringe Beschwerden. Die Fussstellung ist gut auf beiden Seiten. 
Das Gewölbe ist genügend ausgebildet. 

5. Karl S. aus H., 17 Jahre, Lehrling. 

Diagnose: Pedes valgi. 

Aufnahme: 27. Juli 1903. 

Operation: 29. Juli 1903; 7. August 1903. 

Entlassung: 7. October 1903. 

Anm. Patient gibt an, in seiner Kindheit schon an Plattfüssen gelitten 
zu haben, er habe zeitweise besondere Schuhe getragen. Die Beschwerden 
seien nicht sehr stark gewesen, er habe nicht mit Ausdauer längere Zeit mar* 
schiren können. Seit einem Jahre seien allmählich zunehmende Beschwerden 
eingetreten, die vorübergehend ihn arbeitsunfähig gemacht hätten. Wegen Zu¬ 
nahme der Beschwerden habe er seine Stelle aufgeben müssen. 

Status praesens: Schlanker, mittelgrosser Patient, klagt über heftige 
stechende Schmerzen in der Ferse, innen und aussen unterhalb des Knöchels, 
nach dem Unterschenkel ausstrahlend. 

Die Füsse stehen in starker Plattfussstellung, so dass das Naviculare und 
Collum tali stark hervortreten. Die grossen Zehen sind pronirt, Stellung ist 
nicht vorhanden; die Extensoren spannen sich mässig an. Die Dorsal- und 


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Die Behandlung des statischen Plattfusses etc. 


531 


Plantarflexion ist erheblich eingeschränkt. Die Supination ist aufgehoben, die 
Addoction ebenfalls. Der Gang ist schwerfällig, Patient ermüdet leicht. 

29. Juli 1903. Operation. Redressement beider Füsse im Osteoklasten 
starkes Krachen. Gipsverband. 

7. August 1903. Plastik der Achillessehne. Triceps in der Mitte ge¬ 
spalten und peripher getrennt; Loch in dem Tibial. post, nimmt den gespal¬ 
tenen Triceps auf, welch letzterer kräftig durchgezogen fixirt und vernäht wird 
unter extremer üebercorrectur des Fusses. Naht. Schienenverbände. 

Verlauf normal. 

14. August 1903. Gehverband. 

26. August 1903. Entfernung des Verbandes. Fussstellung ist gut; es 
besteht hochgradiger Hohlfuss beiderseits. In Bettruhe fleissige Bewegungen 
des Fussgelenks. Als Fussstütze dient die schiefe Ebene, am Fassende ein¬ 
gestellt. 

14. September 1903. Medico-mechanische Uebungen. 

7. October 1903. Mit guter Stellung entlassen. Der Gang ist noch etwas 
beschwerlich. 

15. März 1904. Patient theilt mit: ,Die Bewegungen des Fusses haben 
sich sehr bald gebessert. Jetzt kann ich stundenlang ohne Beschwerden laufen. 
Die Schuhe sind noch in Ordnung und wechsle ich stets.“ 

6. Mäschig, Johann, 18 Jahre, Bochum bei Crefeld (Fig. 20 u. 21). 
Diagnose: Pes valgus sin. 

Aufnahme: 28. Juli 1903; 1. October 1903. 

Operation: 30. Juli 1903; 2. October 1903; 12. October 1903. 
Entlassung: 7. December 1903. 

Fig. 20. Fig. 21. 


c 


Pes valg. sin. Correctur. 

Patient, der als Kupferschmied bei der Arbeit sehr lange Zeit stehen 
muss, bemerkte vor IV 2 Jahren, dass sein linker Fuss eine anormale Bildung 
annahm. Zunächst geringe Schmerzen bei längerem Gehen. 

Bisherige Behandlung war ohne Erfolg. 

Patient klagt hauptsächlich über heftige Schmerzen in der Fusssohle, 
innerer Rand im mittleren Theil des Fussrückens und im Fassgelenk. Er hat 
schon längere Zeit orthopädische Schuhe getragen, keine Linderung. 




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532 


Ferd. Schultze. 


Status: Das Fussgewölbe ist völlig geschwunden, Talushals und dis 
Kahnbein sind stark prominent. 

Chopart- und Lisfranc’sches Gelenk völlig steif, Bewegungen im Fuss* 
gelenk schmerzhaft, Flexion und Extension mässig eingeschränkt, Adductioi 
ist aufgehoben, ebenso die Supination. Ganz schleppend mit auswärts rotirtem 
Fuss, ohne Abwickelung. 

Therapie: Tenotomie der Achillessehne nach Beier. Bei Dehnung 
völlige Zerreissung. 

Nun Correctur im Osteoklasten, der Fuss wird in typischer Stellung ein- 
gegipst. 

17. August 1903. Patient erhält den zweiten Gipsverband. Das Fusi- 
gewölbe ist gut ausgeprägt. Der Fuss wird in Correcturstellung wieder ein¬ 
gegipst. 

5. September 1903. Patient nach Hause entlassen. 

1. October 1903. Abnahme des Gipsverbandes. 

2. October 1903. Operation. Sehnenplastik in typischer Weise, durch 
Spaltung des Triceps, welcher durch einen Schlitz des Tib. posÜcus gezogen 
in sich vernäht wird. 

10. October 1903. Entfernung der Nähte. In der Mitte der Narbe eitert 
ein Stichkanal. 

12. October 1903. Gipsverband; Fuss in rechtwinkeliger Stellung nebst 
Correctur der Varusstellung des Vorderfusses. Die Wunde beginnt zu secer- 
niren, daher Oeffnung der Naht. Sehr langsamer Heilungsverlauf. 

Abnahme des Gipsverbandes. Das Fussgewölbe ist sehr gut ausgeprägt 

7. December 1903. Patient geheilt entlassen. 

20. März 1904. Sehr gute Stellung. Patient ist wieder als Kupferschmied 
thätig und vollkommen beschwerdefrei, 

7. 0. S., 17 Jahre, Lehrling, aus D. (Fig. 22 u. 23). 
Diagnose: Plattfuss, links. 

Aufnahme: 10. September 1903. 

Operation: 12, September 1903; 15, October 1903. 
Entlassung: 15. December 1903. 

Anm. Patient gibt an, dass er wegen starker Schmerzen am linken Fusi 
nicht mehr arbeiten könne. Er könne schlecht gehen und stehen. Häufig habe 
er Stechen in der Ferse und am äusseren Knöchel. Seit dem letzten Jahr will 
er zunehmend diesen Zustand beobachtet haben. 

Status: Das Fussgewölbe des linken Fusses ist abgeflacht, der Talus- 
hals und Os naviculare sind nach unten getreten und prominiren an der Innen¬ 
seite des Fusses. Der ganze Fuss steht in deutlich ausgeprägter Abductions* 
Stellung. Linker Fuss 1—2 cm länger als der rechte. Bewegungen im Chopart- 
sehen Gelenk sind nur minimal ausführbar und schmerzhaft;. 

Patient hat hinkenden Gang, schont den linken Fuss. 

Diagnose: Pes valgus sin. 

12. September 1903. Operation. Redressement im Osteoklasten. Der 
Fuss wird dann in Uebercorrecturstellung eingegipst. 


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Die Behandlung des statischen Plattfusses etc. 


533 


Abnahme des Gipsverbandes am 24. September 1903. 

Sehnenplastik: Tibialis post, wird an seinem Ansätze am Os navic. ab> 
gelöst und mit den dieser Stelle entsprechend auf dem Fussrücken liegenden 
Extensorensehnen vernäht. Elemmnaht. 

Verband mit Innenschiene. 

Heilungsverlauf gut. 

20. September 1903. Verband entfernt. 

Gipsverband in Uebercorrecturstellung angelegt. 

15. October 1903- Abnahme des Gipsverbandes. 

Fig. 23. 


n 


Correctur. 

Operation: Sehnenplastik nach Nikoladoni. Incision an der 
Innenseite des Unterschenkels. Der Achillesmuskel resp. -Sehne wird im unteren 
Drittel bis ca. zweiquerfingerbreit oberhalb des Ansatzes am Calcaneus halbirt 
(der Lange nach). Das innere Stück wird unten abgelöst und durch eine der 
Mitte dieses Muskelstückes gegenüber angelegte OefPnung in der Sehne des 
Tibialis post, hindurcbgezogen (nach innen zu) dann nach oben zurückgebogen 
und vernäht. Hautnaht. Verband mit Aussenschiene. 

Verlauf: Normal. Gipsgeh verband. 

20. November 1903. Verband entfernt. Fuss steht gut. Bewegungen 
bei Bettruhe. Schiefe Ebene. Medico-mechanische Hebungen. 

15. December 1903. Mit guter Fussstellung, hohes Gewölbe, entlassen. 
Orthopädischer Schuh. 

11. März 1904. Guter Gang, mit Ausdauer. Stellung normal. Keine 
Beschwerden. 

8. F. S., 14 Jahre, Schüler aus K. 

Diagnose: Pedes valgi. 

Aufnahme: 5. Januar 1904. 


Fig. 22. 



Pes valgus sin. 



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534 


Ferd. Schnitze. 


Operation: 8. Januar 1904; 17. Januar 1904. 

Entlassung: 15. April 1904. 

Patient gibt an, dass er als Kind schon platte Füsse gehabt habe; ei 
habe nach Anstrengungen dann stets Schmerzen in den Füssen gehabt. Patient 
hat in der Jugend englische Krankheit nicht durchgemacht, ebenfalls keine 
anderen Krankheiten. Vor einigen Monaten will Patient Rheumatismus durch- 
gemacht haben, hauptsächlich habe er aber Schmerzen in den Füssen gehabt, 
die Schmerzen im Kreuz und in der rechten Schulter seien nicht so erheblich 
gewesen. 

Status: Etwas blass aussehender, gracil gebauter Mensch, klagt über 
heftige Schmerzen an der Innenseite, besonders beim Gehen. Dieselben sind 
in der letzten Zeit schlimmer geworden. Anderweitige Schmerzen sind nicht 
vorhanden. 

Die Untersuchung ergibt hochgradige Plattfussstellung. Talushals und 
Kahnbein springen stark vor. Die Sehnen auf dem Fussrücken spannen sich 
stark, besonders links. 

Functionen sind dorsal und plantar um ein Drittel eingeschränkt, be¬ 
wegen sich bei der extremen Pronationsstellung des Fusses in einer anderen 
Ebene. Die Supination ist ganz aufgehoben, ebenso die Adduction und die 
Rotation. 

Der Gang ist tappig; mit ganzem Fuss wird bei der Auswärtsstellung 
der Fussspitze aufgetreten. 

An der Fusssohle sind die Linien verstrichen. 

Die Musculatur des Unterschenkels ist mässig. Patient leidet an Schweiss- 
füssen. Die Stellung der Zehen ist rechts normal zu nennen, links besteht 
Valgussteilung mit Drehung der grossen Zehe um seine Längsachse, so dass 
der äussere Rand der Zehe etwas gehoben ist. 

8. Januar 1904. Operation. Correctur im Osteoklasten, welche leicht 
gelingt, unter starkem Krachen. 

17. Januar 1904. Typische Plastik beiderseits, Verstärkung des Tib. posti- 
cus mittelst Schlingenbildung durch den ersten bis zweiten Triceps. Naht Hei¬ 
lung per primam. 

5. Februar 1904. Gehgipsverband in Pes equin. var.-Stellung. 

10. März 1904. Verband entfernt, gute Stellung beider Füsse mit hoch¬ 
gradigem Gewölbe. Brett mit schiefer Ebene wird eingestellt. 

15. April 1904. Mit noch etwas unbeholfenem Gang entlassen. Fuss- 
bekleidung mit Einlage und Gummiabsätze. 

9. Happ, Heinrich, 25 Jahre, Kellner (Fig. 24 u. 25). 
Diagnose: Hallux valgus sin.; Pes valgus dextr. 

Aufnahme: 2. März 1904. 

Operation: 2. März 1904; 15. März 1904; 30. März 1904. 

Anm. Patient wurde mehrere Monate auf der inneren Station wegen 
gonorrhoischer Arthritis, die sich bald in den Knie- und Fussgelenken, bald in 
Schulter und Arm resp. Handgelenken zeigte, behandelt. 


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Die Behandlung des statischen Plattfusses etc. 


535 


Status: Die linke grosse Zehe steht in starker Valgusstellung, die 
äbrigen Zehen ebenfalls in geringerem Grade. Der linke Fuss zeigt eine ge- 
rioge Neigung zur Plattfussbildung. Die Bewegungen im Fussgelenk sind stark 
eingeschränkt und schmerzhaft. 

Rechts besteht ausgeprägter Plattfuss; das Fussgewölbe ist total ab¬ 
geflacht, äusserer Fussrand höher, Talus nach unten getreten. 

Bewegungen im Fussgelenk nur minimal ausführbar und schmerzhaft. 

Fig. 25. 


Fig. 24. 


Pes valg. dextr. 

Der Gang des Patienten ist beschwerlich, das rechte Bein wird fast völlig 
steif in starker Abductionsstellung gehalten. 

Beide Fussgelenke sind in toto geschwollen. An der Calx calcanei findet 
sich eine Exostose. 

2. März 1904. Operation. 

Links: Osteotomie: Keilexcision aus Metatarsus I, Correctur: Klemmnaht. 

Rechts: Redressement im Osteoklasten. Gipsverband in Uebercorrectur. 

Heilungsverlauf normal, keine Tcraperatursteigerungen. 

14. März 1904. Abnahme des Gipsverbandes: Es ist keine Schwellung, 
keine Drucknekrose vorhanden. Osteotomie geheilt. Gute Correctur des Hallux 
Talgus. 

15. März 1904. Sehnenplastik nach Nikoladoni. Resection der Ex¬ 
ostose des Calcaneus. Naht. Schienenverband. 

Heilung per primam. Es wird auch die Correctur der übrigen Zehen des 
linken Fussea vorgenommen: Verband durch Zinkpflasterstreifen. 

30. März 1904. Es wird wieder Gipsverband in Uebercorrectur angelegt. 

Patient befindet sich noch in Behandlung. Die Correctur ist vollständig. 

10. L. S., 15 Jahre, aus D. 

Dia^ose: Pes valg. dextr. et sin. 




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536 


Ferd. Schultze. 


Aufnahme: 3. Februar 1904. 

Operation: 7. Februar 1904. 

Anm. Patientin gibt an, dass sie in der Jugend die englische Krank¬ 
heit durchgemacht habe. Eine Zeit lang habe sie besondere Schuhe getragen; 
Plattfüsse habe sie immer gehabt. Eine Verschlimmerung sei in den letzten 
Jahren eingetreten. 

Status praesens: Patientin klagt über Schmerzen in der Fußsohle 
und unterhalb des äusseren Knöchels. Die Plattfüsse sind beiderseits hoch¬ 
gradig mit typischem Vordrängen des Talushalses und des Scaphoideum. Func¬ 
tionen eingeschränkt. Supination und Adduction aufgehoben. Gang typisch 
unter Aussenrotation, ohne Abwicklung. 

Operation: Correctur im Osteoklasten, anschliessend daran die Muskel¬ 
plastik des Triceps und Posticus. Naht. Gips verband in üebercorrectur. Ver¬ 
lauf normal. Nach Entfernung der Naht Gehverband. 

29. März. Verband entfernt. Gute Stellung. 

Durch Bewegen in Bettruhe wird allmählich die Stellung corrigirt unter 
Application der schiefen Ebene. Patientin befindet sich noch in medico-mecha- 
nischer Behandlung. Der Gang ist noch etwas beschwerlich, Schmerzen be¬ 
stehen nicht. 

11. Elly L., 15 Jahre, aus Duisburg, Dienstmädchen (Fig. 26). 

Diagnose: Pedes valgi. 

Aufnahme: 26. Februar 1904. 

Operation: 1. März 1904. 


Fig. 26. 



Plattfüsse. 


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Die Behandlung des statischen Plattfusses etc. 537 

Patientin hat als Kind Plattfüsse gehabt; die Beschwerden waren nur 
gering. Jetzt, wo sie seit 9 Monaten in Stellung ist, sind die Beschwerden erst 
aufgetreten und immer schlimmer geworden, so dass sie arbeitsunfähig ist. 

Status praesens: Patientin klagt über heftige Schmerzen aussen und 
innen nach dem Kniegelenk ausstrahlend. Beide Füsse stehen in ausgesprochener 
Valgusstellung. Der linke schlimmer als der rechte. Der linke Vorderfuss 
st^ht zum Übrigen Fuss in Abduction. 

Die Extensoren sind besonders links stark gespannt. Die Bewegungen 
im Fussgelenk sind gemindert, die Adduction ist aufgehoben, die Supination 
ebenfalls. Der Gang ist plump, tappig, mit auswärts gedrehten Füssen. 

1. März 1904 Operation. Correctur im Osteoklasten und Sebnenplastik, 
in der typischen Weise. Der Extensor digit. et hall, wird beiderseits teno* 
tomirt. Qipsverband mit Fensier. 

Verlauf reactionslos. Patientin befindet sich noch in Behandlung. Die 
Correctur ist vollständig. 


L i t e r a t n r. 

1. Franke, Therapeut. Monatshefte 1901. 

2. Gleich, Arch. f. klin. Chir. 1893, Bd. 46. 

3. Heusner, Arch. f. Orthop. 1903, S. 57. 

4. Derselbe, Chirurgencongress 1903. 

5. Hoffa, Münch, med. Wochenschr. 1900, Nr. 15. 

6. Derselbe, Lehrbuch 1902. 

7. Hoffmann, Deutsche Zeitschr. f. Chir. Bd. 67. 

8. Karewski, Chir. Krankheiten des Kindesalters 1894. 

9. Kirmisson und Bize, Revue d’orthop. 1903, Nr. 1. 

10. Lücke, Deutsche Zeitschr. f. Chir. Bd. 34. 

11. Morestin, Bull, et m^moires de la soe. anatom. 1901, Nr. 3. 

12. Derselbe, Bull, et memoires de la soc. anatom. de Paris 1901, XXVI. 

13. Nikoladoni, Deutsche Zeitschr. f. Chir. Bd. 67. 

14. Schultze-Duisburg, Deutsche med. Wochenschr. 1895, Nr. 28. 

15. Selter, Jahrbuch f. Kinderheilkunde 1902. 

16. Trendelenburg, Chirurgencongress 1893. 

17. Vincent, Archiv, provincial. de Chir. 1901, Nr. 2. 


Zeitschrift für orthopädische (Jiirurgie. Xlll. Bd. 


35 


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XXXVII. 


(Aus der chirurgisch-orthopädischen Klinik Yon Geheimrath 
Prof. Dr. A. Hoffa zu Berlin.) 

Die Little’sche Krankheit. 

Von 

Dr. Paul Glaessner^ 

Assistent der Klinik. 

Das Symptomenbild der Little'schen Krankheit, das, was Freud 
infantile diplegische Cerebrallähmung nennt, ist bereits zu wiederholten 
Malen Gegenstand der Bearbeitung der Chirurgen und Orthopäden 
gewesen ^), und eine Durchsicht der diesbezüglichen Literatur beweist, 
dass sich mit dieser trotz aller Bemühungen der Neurologen noch 
immer nicht völlig geklärten Erkrankung die Orthopäden mehr zu 
befassen scheinen als Kinderärzte und Neurologen. Der Grund hierfür 
liegt wohl hauptsächlich in den Erfolgen, welche eine orthopädische 
Behandlung der genannten Erkrankung in den meisten Fällen zu 
erzielen vermag, während auf anderem Wege der beklagenswerthe 
Zustand der armen Kranken kaum gebessert werden kann. 

So mag denn auch eine neuerliche Bearbeitung dieser Erkran¬ 
kung auf Grund von 70 Fällen der Klinik meines verehrten Chefs 
und Lehrers Herrn Geheimraths Prof. Hoffa gerechtfertigt erscheinen, 
um so mehr als die Erfolge unserer Behandlungsmethoden von Jahr 
zu Jahr bessere werden, und weil gerade in den letzten Jahren recht 
wenig über diesen Gegenstand bekannt gegeben wurde. Bevor wir 
aber in die nähere Besprechung der recht zahlreichen Fälle eingehen, 
scheint es nöthig, nochmals in Kürze auf die Stellung hinzuweisen, 
welche die Little’sche Erkrankung unter den Nervenkrankheiten 
gegenwärtig einnimmt, und die verschiedenen Formen derselben auf 
Grund der gemachten Beobachtungen aus einander zu halten. 

0 Die Geschichte der infantilen diplegischen Cerebrallähmung ist von 
Freud so ausführlich behandelt worden, dass es sich erübrigt, darauf nochmals 
einzogehen. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XIII. Bd. 36 


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540 


Paul Glaessner. 


Trotz der grossen Bemühungen Freud’s, der in seiner Mono¬ 
graphie und später in seiner grossen äusserst sorgfältigen Arbeit in 
NothnageTs specieller Pathologie und Therapie ^ die Little'sche 
Krankheit in die infantilen Cerebrallähmungen einreiht, nimmt sie 
selbst in den modernen Lehrbüchern der Kinder- und Nervenheil¬ 
kunde noch immer eine ziemlich selbständige Stellung ein. Nicht 
bloss das Sjmptomenbild, das die Little’sche Erkrankung bietet und 
das mit dem gar mancher anderer Gehirn- und Rückenmarkskrank¬ 
heiten grosse Aehnlichkeit zeigt, macht es so schwierig, derselben 
eine bestimmte Stellung unter den Nervenkrankheiten zuzuweisen, 
sondern auch die recht zahlreichen und immer mannigfacher werdenden 
pathologisch-anatomischen Befunde, welche man für einen und den¬ 
selben Symptomenkomplex erhoben hat, sowie der gleiche Krankheits- 
process bei verschiedenartigem Symptomenbild. 

Freud reiht die Little’sche Erkrankung, wie schon oben be¬ 
merkt, in die Gruppe der infantilen Cerebrallähmungen ein, unter 
denen er, wie bekannt, hemiplegische und diplegische streng von 
einander scheidet. Auch Hoffa gibt in seinem Lehrbuch der ortho¬ 
pädischen Chirurgie (1902, IV. Auflage) eine Unterscheidung zwischen 
cerebralen Diplegien und Hemiplegien, wenn auch in seiner Ein- 
theilung, die lediglich einem klinisch-praktischen Standpunkte dient, 
die Scheidung zwischen Hemiplegien und Diplegien nicht so streng 
durchgeführt ist wie bei Freud. Hoffa reiht die Little’sche Krank¬ 
heit auch in die Gruppe der cerebralen Diplegien und er bezeichnet 
die Diplegien als Littlersehe Krankheit im weiteren Sinne. Andere 
Autoren, z. B. v. Strümpell, handeln die genannte Krankheit im 
Anschlüsse an die sogen, spastische Spinalparalyse der Erwachsenen 
ab, wieder andere rechnen sie zu den cerebralen Erkrankungen. 

Wie in vielen Fällen, in denen es sich um so divergente 
Meinungen handelt, wird man wohl auch in diesem nicht fehlgehen, 
das Richtige als in der Mitte liegend zu suchen; wir stehen nicht 
an, die Litt letsche Krankheit als eine cerebro-spinale zu bezeichnen 
und werden weiter unten sehen, was uns zu dieser Anschauung be¬ 
rechtigt und welche Schlüsse wir aus derselben ziehen können. 

Es wird immer seine Schwierigkeiten haben, Krankheiten mit 
vielgestaltigen Symptoraenbildern zur übersichtlichen Darstellung in 


*) Die infantile Cerebrallähmung. Nothnagel, Specielle Pathologie und 
Therapie 1897, Bd. 9. 


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Die Little*8che Krankheit. 


541 


Gruppen einzutheilen, und diese Schwierigkeiten werden um so grösser 
sein, je mannigfacher die Aetiologie, je verschiedenartiger der patho¬ 
logisch-anatomische Befund und je ungleicher der Verlauf derselben 
ist, wenn man eine Eintheilung schaffen will, in welche die einzelnen 
Krankheitsbilder auch mit Leichtigkeit einzureihen sind und man 
nicht weit mehr Uebergangsforraen als Typen haben will. Auch für 
die Littlersehe Krankheit finden wir eine Reihe von Eintheilungen, 
die jede in ihrer Art Ausgezeichnetes leistet, die bisher aber jede 
von einem anderen Eintheilungsprinzip ausgehend, einen inneren Zu¬ 
sammenhang unter einander vermissen lassen. Oddo gibt in seinen 
Diplegies spasraodiques eine zusammenfassende Darstellung der von 
älteren und neueren Autoren über die spastische Lähmung im Kindes¬ 
alter vorgebrachten Anschauungen und theilt auf Grund seiner Unter¬ 
suchungen die spastischen Diplegien folgendermassen ein. 

1. Cerebrale Diplegien: 

a) verschiedene corticale Läsionen (Sklerose, Porencephalie, 
Cyste u. s. w.). Ursachen: am häufigsten infectiös u. a. 
hereditäre Lues; 

b) hämorrhagische Meningitis: Geburtshinderniss, asphyk- 
tische Geburt; gewisse Charaktere: cerebrale Störungen, 
Intelligenzdefecte, Epilepsie, Convulsionen, angeborene 
Chorea, Athetose; stationärer Verlauf; unheilbar. 

2. Spinale Diplegien: Little'sche Krankheit; angeborene Ur¬ 
sache (Frühgeburt), Agenesie der Pyramidenbahnen, para- 
plegische Erscheinungen ohne cerebrale Symptome, regres¬ 
siver Verlauf. 

3. Familiäre Diplegien: Beginn in verschiedenen Altersperioden, 
wechselnde klinische Typen. Einzelne specielle Symptome, 
die bei den anderen Formen fehlen (Nystagmus, Intentions¬ 
zittern), combinirte Sklerose der Pyramidenstränge, Klein¬ 
hirn-Seitenstrangbahnen, der GolTschen Stränge, progres¬ 
siver Verlauf. 

Diese gewiss sehr vollständige Eintheilung, deren Princip aller¬ 
dings nicht streng einheitlich ist, berücksichtigt wohl Aetiologie, 
pathologische Anatomie und Prognose in weitgehender Weise, ist 
aber deshalb klinisch weniger brauchbar, weil wohl gleichartige 


Archives de inedecine des enfants 1899, 2, 3. 


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542 


Paul Glaessner. 


Krankheitsbilder in verschiedene Gruppen einzureihen wären, anderer¬ 
seits die Zahl der Uebergangsformen gewiss eine übergrosse würde. 

Freud theilt die cerebralen Diplegien in sechs Gruppen ein: 

1. Die allgemeine Starre; von Geburt ab, Muskeln allgemein 
gleichmässig gespannt, im unteren Körpertheil am stärksten 
ausgesprochen (Adductoren-Contractur), Verlauf ohne Besse¬ 
rung, psychische und intellektuelle Entwickelung verlang¬ 
samt oder aufgehalten; articulatorische Störungen, langsame 
Sprache. Ursache: asphyktische Geburt, durch alle mög¬ 
lichen Hindernisse bedingt. Verlauf regressiv bis zur Wieder¬ 
herstellung der Functionen an Armen, befriedigende geistige 
Entwickelung. 

2. Die paraplegische Starre. Unterschied von a) durch völliges 
Freibleiben oder leichteste Andeutung von Spannungen, bezw. 
Ungeschicklichkeit in den oberen Extremitäten, häufig Stra¬ 
bismus: ätiologisch spielt Frühgeburt die Hauptrolle. 

3. Die paraplegische Lähmung oder spastische Paraplegie: 
seltener — neben der Muskelsteifigkeit an den Beinen hohe 
Grade von motorischer Lähmung, von trophischer Verkümme¬ 
rung. Krankheitsbild ein schweres, ätiologisch: congenitale 
Bedingungen und infectiöse Krankheiten von Wichtigkeit. 

4. Die bilaterale Hemiplegie (spastische Diplegie). Erschei¬ 
nungen einer verdoppelten cerebralen Hemiplegie mit Con- 
tracturstellungen und Atrophie. Oft mit schweren Graden 
psychischer Hemmungsbildung. Aetiologisch wie bei 3. 

5. Die allgemeine Chorea. Spontanbewegungen (weiche, in 
einander übergehende, unregelmässiger Art) grösserer Körper¬ 
abschnitte meist von kleinerem Umfang. (?) 

6. Die bilaterale Athetose. Grosse Aehnlichkeit mit der Hemi- 
athetose Vulemonts und der choreatischen Parese von Freud- 
Rie mit stärkeren Lähmungserscheinungen. Aetiologisch: 
mütterliche Bedingungen, besonders Schreck erkennbar. In¬ 
telligenz ist oft weit weniger gestört als bei den anderen 
Formen. 

Diese symptomatisch äusserst scharf gegliederte Eintheilung, 
deren einzelne Glieder eine gewisse Bedeutung als klinische Durch¬ 
schnittsbilder für sich in Anspruch nehmen, haben einen wesentlichen 


*) a. a. 0. 


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Die Little’sche Krankheit. 


543 


nosographischen Werth, auf welchen sie nach Freud auch nur An¬ 
spruch erheben. 

Die Hoff a’sche Eintheilung der cerebralen Diplegien unterscheidet: 

1. Die Little'sche Krankheit im engeren Sinne des Wortes 
oder sogen, angeborene spastische Qliederstarre (Rupprecht). 
Obere Extremitäten frei, häufig etwas Strabismus, Intelligenz 
völlig normal, Prognose sehr gut. 

2. Allgemeine Starre: neben den unteren auch die oberen Ex¬ 
tremitäten befallen; daneben cerebrale Störungen (Strabis¬ 
mus, Sprachstörungen). Intelligenzdefecte und nicht selten 
epileptische Anfälle. Prognose für die Therapie schlecht. 

3. Allgemeine Athetose. Prognose relativ günstig. 

Für den Kliniker besitzt zweifellos die von Hoffa angegebene 
Eintheilung eine weit grössere Bedeutung, denn sie setzt uns in den 
Stand, den hilfesuchenden Kranken zu erklären, ob günstige oder 
ungünstige Aussichten für eine möglichst gute Function der be¬ 
treffenden Körperabschnitte vorhanden ist. 

Es bedarf keines besseren Beweises für die Zweckmässigkeit 
dieser Eintheilung als die Gruppirung der seinerzeit von Boecker^) 
in seiner schönen Arbeit über cerebrale Kinderlähmungen veröflTent- 
lichten Fälle, um zu erkennen, dass man all die scheinbar so ver¬ 
schiedenen Krankheitsbilder ganz gut in drei grosse Gruppen unter¬ 
bringen kann. Natürlich wird es auch hier fliessende üebergänge 
von der einen zu der anderen Gruppe geben, indess ist die Ein¬ 
theilung auch theoretisch interessant und bedeutungsvoll, wie die 
zahlreichen angeführten Krankengeschichten beweisen, die auch ich 
in die drei oben genannten Gruppen scheiden werde. Von den mir 
vorliegenden 70 Fällen habe ich 53 Krankengeschichten hier zu¬ 
sammengestellt. 17 Krankengeschichten habe ich zum Theil ihres 
geringen Interesses wegen, zum Theil aus äusseren Gründen hier 
nicht mit aufgenommen. 


Erste Gruppe. 

1. Vera v. S., 10 Jahre alt, Frühgeburt im 7. Monat 
nach einer Schwangerschaft, in deren Beginn tiefer Kummer und 
nervöse Depressionen fielen. Es war eine Zwillingsgeburt. Gleich 
nach der Geburt bemerkte man, dass der Rumpf stärker entwickelt 

0 Hoffa, Zeitschr. f. orthopäd. Chirurgie Bd. 7 S. 102ff. 


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Paul Glaessner. 


war als die yerbältnissmässig kleinen Beine. Die In teili ge nz ent¬ 
wickelte sich normal. Die Nahrungsaufnahme ging gut von statten. 
Im 3. Jahre machte sich dann ein Einknicken der Beine, die bei 
den ersten Gehversuchen gleich einwärts rotirt waren, bemerkbar. 
Das Kind lernte mit 16 Monaten sprechen. Krämpfe hat es nicht 
durchgemacht. Es wurde als zweites geboren. Drei Brüder leben, 
sind gesund und normal entwickelt. Geistige Begabung normal; das 
Kind ist in seiner Schulausbildung infolge der Krankheit um 2 Jahre 
zurückgeblieben. Von durchgemachten Krankheiten weiss V. nur 
Masern und Scharlach anzugeben. Elektricität und Massage, die 
nicht systematisch angewendet wurden, hatten keinen Erfolg. — 
1904. Normale Sprache. Die oberen Gliedmassen von nor¬ 
maler Entwickelung und Function. Das Kind ging auf den Hacken 
balancirend, die Kniee beugend, den rechten Fuss kann Patientin 
mit Anstrengung beugen, den linken nicht. Gang ohne Ermüdung 
20 Minuten möglich, Patientin hat täglich 3—4 Stunden Unterricht. 
Der Mangel an weiterer Behandlung hemmt, nach Aussagen des 
Vaters, die weiteren Fortschritte. 

Therapie: Tenotomie der Adductoren, oflFene Durchschneidung 
der Sehnen in den Kniekehlen. Tenotomie der Achillessehnen, 
üebliche Nachbehandlung, während welcher Patientin sehr rasche 
Fortschritte macht. Schienenhülsenapparate für verhältnissmässig 
kurze Zeit. 

2. Lilli G., 12 Jahre alt, Frühgeburt am Anfang des 
8. Monats. Lebensfähig; ziemlich klein. Nahrung bekam das 
Kind von einer Amme, die viel Alkohol zu sich nahm. Im 1. Lebens¬ 
jahre bemerkte man, dass das sonst gesunde und blühende Kind nicht 
ohne Stütze sitzen konnte, und auf die Beine gestellt, die Füsse 
kreuzweise aufsetzend, widerstandslos zusammenknickte. Im 3. Jahre 
erfolglose erste Gehversuche. Die Intelligenz entwickelte sich normal. 
Von durchgemachten Krankheiten werden angegeben: 2mal schwere 
Influenza; im 3. Lebensjahre Krämpfe, später eine schwere Angina, 
Windpocken, Masern und Keuchhusten. Von therapeutischen Be¬ 
mühungen, die ohne wesentlichen Erfolg blieben, ein Kuraufenthalt 
in Oeynhausen. Im 4. und 5. Jahr schwedische Massage; eine Be¬ 
handlung bei Hessing. Corset und Schienenhülsenapparate mit an¬ 
fänglichem Fortschritt, später aber vollkommen erfolglos. Ein älterer 
Bruder litt an Asthma. Krämpfe im 3. Lebensjahre begannen unter 


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Die Little'sche Krankheit. 


545 


plötzlichem Fieber mit Zuckungen des ganzen Körpers und wurden 
durch Chloroformiruug des Kindes und Packungen behoben. Eltern 
gesund. Ein Bruder des Vaters an einer Geisteskrankheit gestorben. 
Ziemlich grosses, gut genährtes, gewecktes, ausserordentlich leicht 
reizbares und nervöses Kind; nervöse Herzpalpitationen bei kleinen 
Erregungen. Intelligenz gut entwickelt, gutes Gedächtniss und 
Sprachtalent. Typischer Gang, wie häufig bei Little’schen Erkran¬ 
kungen, dabei ein Vorschieben der linken Beckenhälfte, Sinkenlassen 
des Kopfes. An den oberen Extremitäten keine spastischen 
Erscheinungen. Sprache leicht singend. Lig. patellae verlängert. 

Therapie: November 1902 beiderseits Tenotomie der Achilles¬ 
sehnen, Durchschneidung der Beugesehnen in den Kniekehlen. Teno¬ 
tomie der Adductoren. November 1903 Resection des Nervus ob- 
turatorius links. Nachbehandlung mit 2mal täglicher Massage, 
Uebungen an Pendelapparaten, elektrischen Bädern (Vierzellenbad 
„Schnee“), Gehübungen. Der gegenwärtige Zustand, nach Angabe der 
Mutter sehr wechselnd, Aussehen blühend. Ernährungszustand sehr 
gut. Sprache normal, bei Erregung und Verlegenheit etwas 
schwerfällig. Intelligenz normal entwickelt, die nervösen 
Erregungen lassen einen regelmässigen Unterricht des Kindes nicht 
zu, wodurch das Kind etwas zurückgebliebenerscheint. Die Hände 
sind etwas ungeschickt. Die Sehkraft auf dem linken Auge be¬ 
deutend herabgesetzt; rechts mangelhaft. Der Gang ist schwerfällig, 
etwas wackelnd, mit einwärts rotirten Beinen. Die Beine werden 
nur durch Anstrengung des ganzen Körpers gehoben. Das Gehen 
ist nur mit Unterstützung einer Person auf der einen und eines 
Stocks auf der anderen Seite möglich. Das Gehen mit zwei Stöcken 
gelingt nur zuweilen und dann nur für wenige Schritte. Apparate 
werden seit ungefähr einem ^/2 Jahre nicht mehr getragen. Meist 
wird ein Corset gebraucht, doch ist das Kind im Stande, auch ohne 
dasselbe Gehübungen vorzunehmen und auch ohne Stütze einige Zeit 
zu sitzen. Zur besseren Stellung des Fusses, besonders zur Erzielung 
der Aussenrotation, werden Drahtspiralen verwendet. In letzter Zeit, 
weil das Kind dadurch angegrififen wird, werden sie weggelassen. Das 
Kind kann bis 15 Minuten ohne Ermüdung gehen. Die Dauer des 
Ganges hängt dabei sehr von dem psychischen Befinden des Kindes ab. 

3. Hans L., künstliche Frühgeburt, mehr nicht zu 
eruiren. Ein frühgeborener Bruder gesund, Mutter sehr nervös. 


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Paul Glaessner. 


Mit 1 ^/2 Jahren wurden die ersten Krankheitserscheinungen bemerkt. 
Keine Kinderkrankheiten. Kräftig entwickelt; gesundes Aussehen; 
Intelligenz intact; keine Störungen der oberen Ex¬ 
tremitäten; leichter Strabismus convergens. Füsse in Spitz- 
fussstellung. Stellung corrigirbar. Spasmus der Adductoren. Gang 
spastisch, langsam ohne Stütze. 

Therapie: Verlängerung der beiden Achillessehnen (nach 
Bayer), Gipsverband; später Massage des Quadriceps. Füsse stehen 
gut. Erfolg ausgezeichnet. 

4. Edgar M., 9 Jahre. Frühgeburt im 7. Monat. Trauma 
der Mutter 14 Tage vorderGeburt Fall übereineSchwelle. 
Verschiedene Kinderkrankheiten und Lungenentzündung durchgemacht 
Die ersten Krankheitserscheinungen wurden beim Gehenlemen be¬ 
merkt; Intelligenz entwickelte sich ganz normal. Eine Schwester 
gesund. — Patient steht auf den Fussspitzen, die Kniee leicht flec- 
tirt, die Patellae schauen nach innen. Die Oberschenkel stehen in 
Adductions- und leichter Innenrotationsstellung. Patient vermag 
jedoch das linke Knie vollkommen zu strecken und den linken Fuss 
bis zum rechten Winkel zu beugen, so dass er auf dem ganzen Fuss 
stehen kann. Gang in typischer Stellung auf den Fussspitzen. Ziemlich 
starke Lordose der Lendenwirbelsäule und geringe rechtsconvexe 
statische Dorsalskoliose. Die Füsse stehen in ziemlich starker Spitz- 
fussstellung fixirt. Achillessehnen sehr stark gespannt. Beugung 
und Streckung im Kniegelenk beiderseits gut. Die völlige Streckung 
ira Kniegelenk ist möglich, doch spannen sich die Beugemuskeln in 
der Kniekehle recht stark an. Adductorenspasmus. Bewegungen 
der Arme und des Kopfes frei. Leichter Strabismus convergens. 
Patellarsehnenreflexe, besonders links, gesteigert. 

Therapie: Beiderseits Verlängerung der Achillessehne nach 
Bayer, subcutane Tenotomie der Adductoren, offene Durchschneidung 
der Muskeln in der Kniekehle. Gipsverband in üblicher Weise. Nach¬ 
behandlung: Massage, Gymnastik etc. Erfolg gut. 

5. Emilie W., 15 Jahre alt, Frühgeburt im 7. Monat. 
Mit 2^/2 Jahren spastische Krämpfe mit Bewusstlosigkeit von 
^Astündiger Dauer. Mit 5 Jahren soll die Krankheit ihren Höhe¬ 
punkt erreicht haben. — Normal entwickelt, nur die Beine zeigten 
geringe Schwäche. Eine Behandlung mit Massage und Gymnastik 
hatte keinen nennenswerthen Erfolg. Keinelntelligenzstörungen. 


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Die Little'sche Krankheit. 


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Arme und Hände vollkommen intact. Hochgradig spastischer 
Gang. Beine im Kniegelenk leicht flectirt, können nur passiv ge¬ 
streckt werden. Adductoren sehr, Beuger des Unterschenkels weniger 
stark gespannt. Geringe Beweglichkeit der Füsse, leichte Spitzfuss- 
stellung. Gang schleppend, nur mühsam mit Krücken möglich; dabei 
tritt bald Ermüdung ein. 

Therapie: Massage, Gymnastik, Nachts Lagerungsapparat; 
später, da dies nicht genügte, Redression der Contracturstellung im 
Kniegelenk in Narkose, Gipsverband. Nach 4 Wochen Geh- und 
Pendelübungen, durch längere Zeit fortgesetzt, erreichen, dass 
Patientin bei der Entlassung beide Beine gestreckt hielt und bis zu 
einem Winkel von 45spreizen konnte. Gang entschieden besser. 
Kurze Strecken können auch ohne Stock zurückgelegt werden. Im 
ganzen der Gang noch etwas schleppend, mit leicht nach vorn ge¬ 
neigtem Oberkörper. 1904 keine Nachricht erhalten. 

6. D. G. BL, 20 Jahre alt. Wurde vorzeitig geboren. 
Patient hat ein gutes Gedächtniss und lernt leicht. Er spricht fünf 
Sprachen. Keine Sprachstörung. Nur die unteren Extremi¬ 
täten sind befallen. Hochgradiger spastischer Gang. Die Beine 
stellen sich sehr stark nach einwärts; beiderseits erhebliche Adduc- 
torenspannung. Die Füsse stehen in Spitzfussstellung; Patient tritt 
nur mit den Fussspitzen auf und geht mit gebeugten Knieen. Patellar- 
reflexe nicht erheblich gesteigert. 

Therapie: Tenotomie der Achillessehnen. Redression des 
Spitzfusses. Gipsverband, der 4 Wochen liegen bleibt. Nach Ab¬ 
nahme desselben Behandlung mit Massage und Gymnastik. Patient 
liegt täglich 3—4 Stunden auf dem Lagerungsapparat. Der Gang 
bessert sich zusehends, ebenso die Beweglichkeit in beiden Fuss- 
gelenken. Beugung und Streckung sowie Rotation beiderseits leidlich 
ausführbar. Die Spannung in den Adductoren hat wesentlich nach¬ 
gelassen, so dass Patient seine Beine weit aus einander zu spreizen 
vermag. Bei der Entlassung nach 1^2 Jahren ist der Gang recht 
gut. Patient geht stundenweit, ohne zu ermüden; kann sogar tanzen. 
Er tritt mit der ganzen Fusssohle auf, wenn auch noch leicht stampfend. 
1904 keine Nachricht erhalten. 

7. Auguste L., 26 Jahre alt, Frühgeburt, in der Kindheit 
Convulsionen und Hallucinationen. Gang unsicher, schleppend, 
Arme und Hände frei; leichte Intelligenzstörungen; spas- 


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Paul Glaessner. 


tischer Oang, leichte Flexionscontractur und Innenrotation der Kniee, 
starker Adductorenspasmus. Bewegungen im Fussgelenk behindert. 
Infolge von Tobsuchtsanfällen wurde die Behandlung nach kurzer 
Zeit eingestellt, der Erfolg war infolge dessen vollkommen negativ. 
1904 keine Nachricht erhalten. 

8. Hans A., 16 Jahre alt, Frühgeburt, sehr schwächlich und 
klein; mit 1^2 Jahren die ersten Stehversuche mit sehr geringem Er¬ 
folg und rasch eintretendem Zusammensinken in den Knieen. Später 
mühsamer Gang in Schienenhülsenapparaten. Nach zunehmender 
Besserung stellte sich nach Scharlach 1897 eine derartige Ver¬ 
schlimmerung ein, dass Patient keinen Schritt mehr gehen konnte. 
Entwickelung nur langsam; Intelligenz völlig intact; nervös, 
leicht erregbar. Sprache stossweise sprudelnd, hin und wieder ge¬ 
hemmt. Stil fliessend und correct. Der Gang mit grosser Mühe 
an Krücken möglich, dabei Beine im Hüftgelenk einwärts i*otirt, 
Kniee gebeugt, nur die Fussspitzen berühren den Boden. Beim Gehen 
werden die Beine nicht gekreuzt; beim Stehen stellt Patient das 
eine Bein in Kreuzstellung vor das andere. Adductorenspasmus ge¬ 
ringeren Grades. Active Beugung und Streckung im Hüftgelenk bei 
Rückenlage möglich, weitere Beugung im Kniegelenk möglich, 
Streckung auch nicht annähernd ausführbar. Abduction der Beine 
unmöglich. 

Therapie: Subcutane Tenotomie der Beuger in der Kniekehle 
und subcutane Adductorendurchschneidung. Gipsverband in über- 
corrigirter Stellung. Nach 4 Wochen Abnahme desselben. Nach¬ 
behandlung mit Massage und gymnastischen Hebungen; Nachts Lage¬ 
rung auf dem Spreizbrett. Erste Gehversuche nach 6 Wochen an 
Krücken mit völlig durchgedrückten Knieen, Auftreten der ganzen 
Fusssohle möglich. Der Oberkörper wird noch etwas nach vorne 
gebeugt gehalten. Der Gang noch schleifend. 1 ^2 Jahre nach der 
Operation kann Patient mit etwas nachschleifenden Füssen bei auf¬ 
rechter Körperhaltung an einem Stock gehen. 1904 keine Nachricht. 

9. Friederike R., 3 Jahre alt, Zwillingsgeburt, Früh¬ 
geburt. Das Kind hat weder stehen noch gehen können. Unter 
den Armen unterstützt, stand es auf den äussersten Fussspitzen mit 
gebeugten Kniegelenken und gekreuzten Beinen. Die Adductoren 
hochgradig gespannt. Die Hüftgelenke beiderseits leicht gebeugt. 
Intelligenz normal. Arme und Hände gut gebrauchsfähig. 


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Die Little'sche Krankheit. 


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Auch an ein Fortbewegen auf allen Vieren war bei der Unbeholfen- 
heit des Kindes nicht zu denken. Alle Heilungsversuche blieben 
erfolglos, bis unsere Therapie, Tenotomie der Adductoren, Achilles¬ 
sehnen und Beuger der Kniekehle, Redressionen im Gipsverband und 
übliche Nachbehandlung, den EflFect hatten, dass Patientin nach 
einigen Monaten, an der Hand geführt^ auf ganzer Sohle und mit 
durchgedrückten Knieen, ohne Beinkreuzuug gehen konnte. In diesem 
Zustande wurde sie entlassen und vermochte schon 1900, nach An¬ 
gabe der Mutter, mit etwas stampfendem und hie und da schwan¬ 
kendem Gang allein zur Schule zu gehen. 1904 keine Nachricht. 

10. Armin Pr., 14 Jahre, etwas vorzeitig geboren. Die 
ersten Krankheitserscheinungen gleich nach der Geburt in einer ge¬ 
wissen Steifigkeit der Beine von den Eltern bemerkt. Gang schwer¬ 
fällig. Mit den Händen balancirend. Die Kniee stiessen beim Gehen 
an einander. Die Fussspitzen stellten sich immer mehr einwärts. 
Schnell eintretende Ermüdung. 

1896. Der Schädel difibrm, in der Querrichtung zusammen¬ 
gedrückt. Intelligenz normal. Sprache ohne Besonderheiten. Patient 
zeigt ein aufgeregtes, nervöses Wesen. Geht Patient, so stossen die 
leicht gebeugten Kniee zusammen, so dass ein Knie vor das andere 
zu liegen kommt. Er tritt nur mit den nach innen rotirten Fuss¬ 
spitzen auf, die Unterschenkel stehen in einem nach unten offenen 
Winkel von ca. 30® zu einander. Der rechte Fuss in Spitzfuss- 
stellung. 

Therapie: Tenotomie der Beuger des Unterschenkels und der 
Adductoren, Gipsverband in übercorrigirter Stellung. Patient tritt 
mit ganzer Fusssohle auf, geht mit durchgedrückten Knieen an zwei 
Stöcken. Die Beine in normaler Stellung. Gang normal, abgesehen 
von einem ganz geringen Nachschleifen des rechten Beines. 

1904. Patient kann sich allein gut fortbewegen. Der Gang 
ist noch etwas wackelnd und den Boden schleifend, doch völlig sicher 
und werden keinerlei Stützen gebraucht. Intelligenz vollkommen gut 
entwickelt; Gebrauchsfäbigkeit der oberen Gliedmassen ausgezeichnet. 

11. Toni H., 2. Juli 1900, 7 Jahre alt, Frühgeburt, 
Schwangerschaftsalbuminurie und Eklampsie der Mutter. 
Das Kind begann erst nach mehreren Stunden zu schreien, hat aber 
während dieser Zeit geathmet; Nachts sehr unruhig, nach 6 Wochen 
leichte Krämpfe, lernte sehr langsam sprechen, mit 3 Jahren die 


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Paul Glaessner. 


ersten Gehversuche; erstes Kind; die beiden jüngeren Geschwister 
gesund. Jüngere Schwester congenitale Hüftgelenksluxation. Durch¬ 
gemachte Krankheiten: Sommerdiarrhöe, doppelseitige Lungenent¬ 
zündung, halbseitige epileptische Krämpfe mit Bewusstlosigkeit. Be¬ 
handlung mit Soolbädern, Massage, Elektricität, Jodothyrin ohne 
sonderlichen Erfolg. Kind geht auf den Fussspitzen mit stark ab- 
ducirten Beinen und gebeugten Kniegelenken; Patientin ist voll¬ 
kommen idiotisch. 

Therapie: Tenotomie der Achillessehnen; übliche Nach¬ 
behandlung. 1904. Aussehen und Ernährungszustand recht gut. 
Sprache nur das Nothwendigste. Intelligenz recht gering; besucht 
eine Schule für geistig Zurückgebliebene. Gebrauchsfahigkeit der 
oberen Gliedmassen gut. Gang spastisch ohne Unterstützung von 
V4stündiger Dauer, leichte Ermüdung, seit Jahren keine Krämpfe; 
die Intelligenz nimmt langsam zu. 

12. Siegfried K., gegenwärtig 7 Jahre alt, Frühgeburt; erste 
Krankheitserscheinungen nach 1 Jahr bemerkt, da das Kind nicht 
sitzen wollte. Mit 1 ^2 Jahren begann es zu sprechen. Intelligenz 
gut entwickelt; erstes von fünf Geschwistern. Aussehen, Ernährungs¬ 
zustand vollkommen befriedigend; typisches Symptomenbild. Behand¬ 
lung wie bei Nr. 11. 

1904. Nach kürzlich eingelaufenen Nachrichten befindet sich 
Patient sehr gut, spricht gut, die Gebrauchsfähigkeit der oberen 
Gliedmassen ist normal; auch mit dem Gang ist der Vater zufrieden. 
Patient geht mit Stützen noch etwas stampfend; ohne Stützen 
3 Minuten freilaufend. Geistige Fähigkeiten gut entwickelt. Stra¬ 
bismus. 

13. Lotte B., gegenwärtig 8 Jahre, Frühgeburt Ende des 
7. Monats, im Anfang schwierige Ernährung; zunächst wurde Rha- 
chitis angenommen, mit IV 2 Jahren die richtige Diagnose gestellt. 
Das Kind lernte zur normalen Zeit sprechen. Die Intelligenz ent¬ 
wickelte sich gut; Krankheiten und Krämpfe hat das Kind nicht 
durchzumachen gehabt. Es ist nie gegangen, bevor es in Behand¬ 
lung kam. Es bekam in Göggingen Corset und Beinapparate, die 
ein mühsames Fortbewegen möglich machten; nach Ablegen derselben 
und weiterer Behandlung gingen die Beine in die alte Stellung zurück. 
Status: wie Nr. 10. Typische Behandlung. 1904. Gross, gut ge- 


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Die Little*8che Krankheit. 


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nährt, isst wenig und langsam. Sprache gut, geistig sehr geweckt, 
liest und rechnet weit über ihr Alter. 

Die Ajrme zu jeder Arbeit und zum Schreiben fähig, bis krampf¬ 
artige Zusammenziehung der Finger eintritt, die aber aufhört, sobald 
der Griffel oder die Nadel weggelegt und von Neuem ergriffen werden. 
Der Gang mit zwei Stöcken, seit 4 Wochen auch zeitweilig allein 
möglich, dabei noch unsicher, etwas steif und mehr auf die Hacken 
auftretend. Je nach körperlichem, besonders psychischem Befinden 
kann Patientin bis zu 1 Stunde an der Hand geführt oder mit zwei 
Stöcken allein gehen; seit Ostern 1903 ausser klinischer Behandlung. 

14. Wilhelm H., 12 Jahre alt, Frühgeburt im 8. Monat. Die 
ersten Krankheitserscheinungen nicht zu einer bestimmten Zeit an¬ 
zugeben. Patient hat nach normaler Zeit sprechen gelernt; nach 
2 Jahren fing er an auf dem Boden herumzurutschen; ist eigentlich 
nie allein gegangen, mit Mühe Fortbewegung an zwei Stöcken möglich. 
Intelligenz entwickelte sich sehr gut; Patient hat keine Krankheiten 
durchgemacht mit Ausnahme einer Bronchitis; keine Krämpfe. Vater 
Neurastheniker, eine Schwester des Vaters sehr nervös und zeitweilig 
geistesgestört. Grossvater starb an Apoplexie; mütterlicherseits nichts 
Pathologisches nachweisbar; einziges Kind. War des Oefteren in 
medico-mechanischer Behandlung, hat auch Badekuren in Nauheim 
durchgemacht. Status: geistig normal entwickelter Knabe; Ohren 
abstehend, Schädel in der Querrichtung verschmälert — Strabismus 
convergens — Zähne gut, unregelmässig; Arme normal functionirend; 
kann kaum allein stehen, geht, an einer Hand geführt, mühsam mit 
stark spastischen Beinen, lässt die Fussspitzen am Boden kleben. 
Füsse und Unterschenkel livid verfärbt, fühlen sich kalt an; Patellar- 
sehnenreflexe gesteigert; infolge Beckensenkung steht das rechte 
Bein stark abducirt und erscheint verlängert; beim Gehen tritt 
Patient nur mit der Fussspitze auf; am linken Bein bei Streck¬ 
bewegungen stärkerer Widerstand als rechts; beiderseits Patellar- 
clonus. Spreizung in Rückenlage bei gestreckten Beinen bis auf 
eine Entfernung der Patellae von einander auf 25 cm möglich. Starke 
Spannung der Adductoren; weiterer Spreizung wird starker Wider¬ 
stand entgegengesetzt; active Dorsalflexion der Füsse bis zu einem 
Winkel von ca. 45 Musculatur der Beine fühlt sich hart an. 
Operation: ein abgespaltener Zipfel der Achillessehne wird auf die 
Peroneen verpflanzt beiderseits. 


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Paul Glaessner. 


Gipsverband in tibercorrigirter Stellung. Erfolg: Füsse in an¬ 
nähernd normaler Stellung, Spasmen gebessert. 

1904. Gegenwärtig 16^/4 Jahre alt; Grösse, Aussehen und Er¬ 
nährungszustand normal; kein Strabismus mehr; Intellig-enz aus¬ 
gezeichnet, lernt sehr gut und leicht („fremde Sprachen, sowie exacte 
Wissenschaften, hat sich auch viel mit Zeichnen beschäftigt*); möchte 
gern sein Einjährigenzeugniss ausserhalb erwerben; grosse Kraft und 
normale Gebrauchsfähigkeit der oberen Extremitäten. Ist gegen¬ 
wärtig wieder in Behandlung (Sodenthal); trägt Schnürstiefel und 
Plattfusseinlage links. Gang leidlich gut. 

15. Albert R., 12 Jahre, Frühgeburt in der Mitte des 
7. Monats. Grosse Schwäche des Kindes. Sehr mühsame Er¬ 
nährung. Die ersten Krankheitserscheinungen im 4. Lebensjahr be¬ 
merkt durch Spitzgang. Durchschneidung der Achillessehnen. Die 
ersten Gehversuche fallen in das 7. Lebensjahr. Die Entwickelung 
war im ganzen verzögert; die Intelligenz mässig gut. Von durch¬ 
gemachten Krankheiten: Lungenentzündung, Keuchhusten, Scharlach. 
Eine Schwester gesund. Vater an Phthise gestorben. Mutter ge¬ 
sund. Typische Little’sche Krankheitssymptome. Schädel seitlich 
platt gedrückt. Sprache besonders im Beginnen und bei Erregung 
leicht stotternd. Obere Extremitäten vollkommen frei, kräftig ent¬ 
wickelt. Untere Extremitäten in bezeichnender Stellung. Leichter 
Strabismus. 

Therapie: Tenotomie der Achillessehnen beiderseits, Durch¬ 
schneidung der Beugesehnen in den Kniekehlen, Durchschneidung 
des Quadriceps beiderseits, beiderseitige Resection des Nervus ob- 
turatorius. Uebliche Nachbehandlung, nach Sodenthal zum Kur¬ 
aufenthalt entlassen. 

16. Jacob R., 9 Jahre alt; Frühgeburt im 7. Monat 
Asphyxie des Kindes. Belebungsversuche nach längerer Zeit von 
Erfolg. 13 Geschwister. Zehn leben und sind gesund. Jüngstes 
Kind; schwächlicher Junge mit gesunder Gesichtsfarbe und ganz 
intelligentem Aussehen. Strabismus. Rumpf und die oberen 
Extremitäten normal. Gang mühsam, ungeschickt. Oberschenkel 
adducirt; leichte Beugung in den Kniegelenken. Füsse beiderseits 
in leichter Pes equino-valgus-Stellung. Jeder Versuch der activen 
und passiven Spreizung der Beine ruft stärkere Spasmen hervor. 
Musculatur der Ober- und Unterschenkel atrophisch. 


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Die Little'sche Krankheit. 


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Therapie: Massage und gymnastischeüebungen. Gutes Resultat. 
1904 keine Nachricht erhalten. 

17. Georg W., 7 Jahre alt, Frühgeburt im 7. Monat. 
Zwillinge. Spontangeburt beim Knaben. Beim Mädchen Vollendung 
der Geburt durch Wendung. Mädchen starb nach 20 Stunden. Mit 
2 Jahren begann Georg zu sprechen. Intelligenz entwickelte sich 
sehr gut. Er hat Scharlach, Nierenentzündung, allgemeine Wasser¬ 
sucht, Hodenentzündung durchgemacht. Litt während des Scharlachs 
kurze Zeit an Krämpfen. Das Kind hat eine antirhachitische Be¬ 
handlung durchgemacht, hat einen stark deformen Schädel, der seit¬ 
lich abgeplattet ist. Zwei Geschwister gesund. Kam als zweites zur 
Welt. Aussehen, Ernährungszustand, Sprache gut. Geistige 
Fähigkeiten sehr gut entwickelt, singt, ist sehr musikalisch. Gebrauchs¬ 
fähigkeit der oberen Gliedmassen vollkommen normal. 
Angeborener doppelseitiger Leistenbruch, typische Krankheitserschei¬ 
nungen. Operation am 5. Mai, gegenwärtig noch in poliklinischer 
Behandlung. 

18. Martha K., 3 Jahre alt, Frühgeburt, letztes von drei Ge¬ 
schwistern. Die beiden anderen Kinder vollkommen gesund. Im Alter 
von 2 Jahren machte Patientin die ersten Gehversuche, mit 1Jahren 
hat sie sprechen gelernt. Keine Krämpfe, auch sonst keine Krank¬ 
heiten durchgemacht. 

Intelligenz gut entwickelt, Sprache normal. Geringer Strabismus, 
der früher angeblich hochgradiger war. Die oberen Extremitäten 
vollkommen frei beweglich. Die Musculatur der unteren Extremitäten 
normal entwickelt. Bei Bewegungen derselben bemerkt man eine 
deutliche Spannung im Gebiete der Adductoren, besonders links, 
ferner einen Spasmus beider Achillessehnen und eine durch die Span¬ 
nung der Beuger des Oberschenkels hervorgerufene leichte Beuge¬ 
stellung des linken Kniegelenks. 

Der Gang sehr charakteristisch. Das Kind geht nur auf den 
Fussspitzen, mit etwas nach innen rotirten, besonders am linken 
Kniegelenk leicht gebeugten Beinen, indem es die Füsse meist über 
den Boden hinschleift. 

Therapie: Offene Verlängerung der beiden Achillessehnen nach 
Bayer. Gipsverband in redressirter Stellung der Füsse bis zu den 
Knieen. Nach 4 Wochen Anlegen eines Schienenhülsenapparates für 
das linke Bein. liebliche Nachbehandlung mit Massage und Gym- 


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Paul Glaessner. 


nastik. Das Kind geht schon nach 6 Wochen nicht mehr auf den 
Fussspitzen, sondern tritt auf der ganzen Sohle sicher auf. Gang 
noch etwas schleifend. Gegenwärtig noch in Behandlung. 

19. Alois Z., 5 Jahre alt, normale Geburt im 9. Monat 
nach normaler Schwangerschaft. Harn- und Stuhlbeschwerden nach 
der Geburt. Mit 2 Jahren konnte das Kind sprechen, bis zu 3 Jahren 
konnte das Kind nur kriechen; nachher mühsames Gehen im Lauf¬ 
stuhl. Intelligenz normal; eine ältere Schwester blutarm. Durch¬ 
gemachte Rhachitis, epileptische Anfälle. Intelligenz vollkommen 
normal entwickelt. Arme und Hände vollständig frei, in 
beiden Beinen Spasmen, links etwas stärker, hochgradige Beuge- 
contractur in den Kniegelenken. Die Unterschenkel in etwas recht¬ 
winkeliger Stellung zum Oberschenkel. Starke Adductorenspannung, 
wodurch die Beine sich beim Stehen kreuzweise über einander legen. 
Füsse stehen in Spitzfussstellung. Sehnenreflexe allgemein gesteigert. 

Therapie: Tenotomie der Achillessehnen, der Beugesehnen in 
den Kniekehlen und Adductoren, Gipsverband in maximaler Abduction. 
Nach 4 Wochen neuer Verband, mit dem das Kind nach 4 Wochen 
entlassen wird. Nach späteren Nachrichten soll das Kind an zwei 
Stöcken gehen können, beide Beine aber nachschleppen. 1904 in¬ 
dessen Reposition doppelseitiger Hüftluxation durch Geh.-Rath Hoffa, 
Aussehen, Ernährungszustand, Sprache ohne Besonderheiten. In¬ 
telligenz ausgezeichnet entwickelt, besucht die Schule. Ge¬ 
brauchsfähigkeit der oberen Extremitäten vollkommen normal; Gang 
schleppend, mühsam, Patient kann eine kurze Zeit frei gehen, wird 
meistens geführt. Gehen ohne Ermüdung 10 Minuten möglich. 
Seit 7 Jahren ausser Behandlung. 

20. Albert Fr., 10 Jahre alt, Zwillingsgeburt. Das erste 
Kind starb nach wenigen Minuten; das zweite (Albert) wegen hoch¬ 
gradiger Wellenschwäche nach Blasensprengung durch die Zange 
entwickelt. Erste Krankheitserscheinungen: geringe Bewegungen 
der Beine des Kindes beim Baden bemerkt. Zahlreiche Versuche 
mit Bädern, Massage Elektricifät. Durch Prof. Lorenz Tenotomie 
der Beugesehnen in der Kniekehle und Achillotomie. Gipsverband, 
Massage und gymnastische Hebungen. Der Gang wurde dadurch 
wesentlich gebessert, war mit Hilfe Anderer möglich, doch war 
Patient sehr unbeholfen und fiel ohne Unterstützung jedesmal zu 
Boden. Behandlung: mehrere Monate lang Massage, Elektricität, 


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Die Little’flche Krankheit 


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Bäder, gymnastische üebungen, möglichst exact ausgeführt. Dadurch 
wurde bewirkt, dass Patient bei seiner Entlassung mit Hilfe eines 
Stockes grössere Strecken gehen konnte, ohne zu fallen, und sogar 
einige Schritte ohne Beihilfe machte. Die Beine waren gestreckt, 
es bestand noch eine gewisse Unsicherheit und Steifigkeit in denselben. 

21. Paula St., 3 Jahre alt, rechtzeitig geboren, normale 
Geburt, während der Schwangerschaft kein Trauma. In den ersten 
Monaten zeigten sich die ersten Zeichen der Erkrankung. „Die Beine 
konnten kaum aus einander gebracht werden.* Mit IV-i—2 Jahren 
lernte das Kind sprechen, mit 2 Jahren machte es die ersten Geh¬ 
versuche. Die Intelligenz entwickelte sich langsam, auch wurden 
Krämpfe bemerkt, die man angeblich als Leibschmerzen deutete; 
mit 3 Jahren Diphtheritis. Eine ältere Schwester gesund. 

Folgsames, mässig intelligentes Kind, Beine in starker Adduction 
und Innenrotation, beiderseits Pes equino-varus. Mit Unterstützung 
steht Patientin mit gebeugten Hüft- und Kniegelenken auf den Fuss- 
spitzen. Die Beine sind gekreuzt, Patientin kann ein bis zwei Schritte 
machen, fällt dann wieder zusammen. Patellarsehnenreflexe beider¬ 
seits gesteigert. 

Therapie: Tenotomie der Adductoren — der Muskeln in der 
Kniekehle und der Achillessehnen in einer Sitzung. — Gipsverband 
in überkorrigirter Stellung. Nachbehandlung mit gymnastischen 
Hebungen und Massage. Hoffa’scher Lagerungsapparat. Resultat 
befriedigend. Im Jahre 1900 ümhergehen längere Zeit möglich; 
gegenwärtig (1904) wieder anderweitig in Behandlung. Ernährungs¬ 
zustand, Aussehen, Sprache sehr gut, geistige Fähigkeiten 
mittelmässig; Gang wackelnd, geht ohne Stützen; Ausdauer beim 
Gehen ca. 1 Stunde. Gegenwärtiges Alter 9^2 Jahre. 

* 22. Emmy W., 24 Jahre alt, normale Geburt nach nor¬ 
maler Schwangerschaft. Keine störende Entwickelung. Die ersten 
Krankheitserscheinungen wurden zwischen dem 4. und 5. Jahre be¬ 
merkt, Nachziehen des rechten Fusses. Entwickelung der Intelligenz 
langsam, niemals Krämpfe. Mit 14 Jahren Masern. 10 Ge¬ 
schwister; ein älterer Bruder leidet an ähnlicher Erkrankung (nach 
Prof, Roser und v. Volkmann Kinderlähmung infolge Keuch¬ 
hustens). Patientin ist nervös, leicht erregbar. Die Adductoren 
stark gespannt; Kniee kreuzen sich beim Gehen. Gang möglich mit 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XIII. Bd. 37 


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Paul Glaessner. 


zwei Stöcken bei gebeugten Enieen, einwärts rotirten Beinen auf den 
Fussspitzen. Seitliche Rumpfbewegungen deutlich. 

Therapie: Massage, Gymnastik, Lagerungsapparat, Uebungen 
an den Eruckenberg’schen Pendelapparaten. Später Tenotomie 
der Achillessehnen; Redression der Spitzfussstellung, Gipsyerband. 
Darauf folgend Schienenhülsenapparate, mit denen die Patientin auf¬ 
steht und herumgeht. Massage und Gymnastik werden fortgesetzt 
Wegen Spannung der Adductoren und der Beuger des Unterschenkels 
Tenotomie derselben in einer Sitzung, desgleichen offene Durch¬ 
schneidung der Fascia lata. Nach 6 Wochen Abnahme des Gips¬ 
verbandes. Patientin geht in aufrechter Stellung, tritt mit der ganzen 
Fusssohle noch etwas stampfend auf. Activ können die Beine 35—40*^^ 
abducirt werden. 1900: Patientin ist glücklich über das erreichte 
Resultat und die Eltern nicht minder zufrieden. Augenblicklich 
wieder in der Klinik zwecks weiterer Kräftigung der Musculatur. 
Patientin zieht die Beine beim Gehen noch leicht nach. 1904: Gegen¬ 
wärtiger Zustand befriedigend; Aussehen zart; Ernährungszustand 
normal. Sprache, geistige Fähigkeiten normal. Gebrauch 
der oberen Extremitäten vollkommen normal. Gang 
schleppend und langsam, blos bei Spaziergängen wird ein Stock als 
Stütze gebraucht. Dauer des Gehens ohne Ermüdung ausserhalb der 
Stadt in guter Luft ca. 1 Stunde. Nur orthopädische Schuhe; keine 
Apparate. Seit 2 Jahren ausser Behandlung. 

23. Therese B., 1901: lOJahre alt, normale Geburt am 
Ende einer normalen Schwangerschaft. Mit 15 V 2 Monaten 
schwerer Allgemeinzustand, der von der Mutter ungefähr 
folgendermassen beschrieben wird: »Das Kind war müde, schläfrig 
und launisch und verlangte stets ins Bett; des Nachts wechselte es 
mit Schlafen und Weinen, in der folgenden Nacht schrie es fort¬ 
während, war sehr unruhig und hatte einen heissen Kopf, am folgenden 
Morgen schlief es endlich ein und blieb in diesem Zustand 9 volle 
Tage; auf Fragen reagirte es mit ja und nein.“ (Meningitis?!) 
Das Kind hat zur normalen Zeit sprechen gelernt; im 13. Monat lief 
es fest und sicher; beide Füsse stehen in massiger Pes equino-varus- 
Stellung, durch Spannung der Achillessehne ziemlich stark fixirt. 

Therapie: Links subcutane Tenotomie der Achillessehne, rechts 
subcutane Verlängerung der Achillessehne. Redression im Gips¬ 
verband ohne Schwierigkeit; übliche Nachbehandlung. 


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Die Little'sche Krankheit 


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1904: Aussehen, Ernährungszustand, Sprache gut, geistige 
Fähigkeiten normal entwickelt; besucht die höhere Töchterschule. 
Die oberen Gliedmassen vollkommen normal beweglich; 
der Gang hinkend, das linke Bein ist angeblich um 2 cm kürzer; 
,beim Gang sind die Kniee vorgebeugt**; ohne sich anzuhalten kann 
Patientin überhaupt nicht stehen. Anamnestisch ist noch nachzutragen, 
dass das Kind das sechste, drei Geschwister leben, zwei sind gestorben, 
eines todtgeboren. Gestorben sind das zweite und fünfte. 3—4 Wochen 
vor der oben erwähnten Erkrankung soll das Kind von einem 
Stuhl gefallen und auf den Hinterkopf aufgeschlagen sein. Krampf¬ 
attacken nur Imal beobachtet. 

24. Emma K., 9 Jahre alt, von früher Jugend an gelähmt, 
auch mit Apparaten nicht im Stande zu geben. Gut genährt, blass, 
FOD wenig intelligentem Gesichtsausdruck, Nase verdickt, Lippen 
gewulstet, Mund offen, Zunge oft etwas aus dem Munde hervor¬ 
gestreckt. Sprache singend, Articulation nicht gestört. Ausdrucks¬ 
weise dem Alter entsprechend. Intelligenzdefect nicht an¬ 
zunehmen. 

Strabismus convergens. Beim Sitzen Rücken stark gekrümmt, 
kann nicht ohne Unterstützung der Hände gerade gestreckt werden. 
Rfickenmuskeln gelähmt. Die Beine im Hüftgelenk leicht flectirt, 
adducirt und nach innen rotirt. Passiver Abduction wirkt starker 
Spasmus entgegen. Flexion im Kniegelenk; active Streckung des 
Kniees beiderseits nicht möglich. Die Füsse in Spitzfuss- und leichter 
Varusstellung. Die Sehnenreflexe enorm gesteigert. Starker Patellar- 
und Fussclonus, der schon bei schwacher Dorsalflexion des Fusses 
und bei Beklopfen des Unterschenkels auftritt; desgleichen bei dem 
Versuch, das Kniegelenk zu strecken. Die Arme sind frei. 

Therapie: Offene Durcbschneidung der Beugesehnen in der 
Kniekehle und Tenotomie der Achillessehnen. Gipsverband, Massage, 
Debungen, Schienenhülsenapparate. Resultat: Beine sind im Knie¬ 
gelenk fast vollkommen gestreckt'; der linke Fuss kann activ dorsal 
und plantar flectirt werden, im rechten Fuss keine Beweglichkeit. 
Im Hüftgelenk active Flexion möglich. Starker Spasmus der Adduc- 
toren noch vorhanden. In ihren Schienenhülsenapparaten kann sich 
Patientin allein fortbewegen. 1904 keine Nachricht. 

25. Max H., 19 Jahre. Das Leiden besteht seit der Geburt. 
Eltern und fünf Geschwister sind gesund. Die ersten Gehversuche 


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Paul Glaessner. 


mit 5 Jahren gemacht. Kräftig, von gesundem Aussehen, Intelli¬ 
genz und Sprache normal. Gesicht und obere Extremitäten voll¬ 
kommen frei. An den unteren Extremitäten starke Abductions- 
hemmung im Hüftgelenk beiderseits infolge Adductorenspasmus. 
Leichtere Contracturen in den Kniegelenken; die Füsse in starker 
Pes equinus-Stellung, Varusstellung ist nur angedeutet. Patient kann 
ungefähr 1 Stunde gehen, ohne zu ermüden. 

Therapie: Tenotomie der Adductoren und Achillessehnen. 
Schienenhülsenapparate. Erfolg: Wesentliche Besserung. 

26. Ludwig A., 9 Jahre. Bezüglich der Geburt nichts 
Näheres zu eruiren. Das Leiden angeblich angeboren. Normale 
Entwickelung. Gute Intelligenz. Obere Extremitäten frei 
Untere Extremitäten im Knie- und Hüftgelenk gebeugt. Die Füsse 
in Spitzfussstellung. Spasmus der Adductoren und der Beugemnskeln 
in der Kniekehle. Tenotomie der Achillessehnen. Gipsverband. 
Uebliche Nachbehandlung. Gutes Resultat, 


Zweite Gruppe. 

27. Hanna Sch., 4 Jahre alt, asphyktische Geburt nach 
normaler Schwangerschaft. Nach 10 Minuten hatten Wiederbelebungs¬ 
versuche Erfolg. Die Ernährung des sehr schwächlichen Kindes 
machte grosse Schwierigkeiten; die Nahrung musste ihm eingeflösst 
werden. Wenige Tage nach der Geburt Krämpfe. Das Kind lernte 
mit 3 Jahren mit grosser Mühe sprechen, mit 8^/2 Jahren machte 
es die ersten, fast erfolglosen Gehversuche. Erstes Kind. Intelligenz 
entwickelte sich langsam. Bisherige Behandlung keine specielle, 
lediglich antirhachitische. Typisches Bild der L ittlersehen Erkran¬ 
kung. Gegenwärtiger Zustand und Aussehen befriedigend. Sprache 
schleppend langsam, etwas singend. Geistige Fähigkeiten wenig ent¬ 
wickelt. Das Kind fragt sehr viel. Rechte obere Extremität weniger 
gebrauchsfähig, adducirt, im Ellbogengelenk gebeugt, Finger über¬ 
streckt. Anfang Juni operirt; noch in Behandlung. 

28. Paul P., 5 Jahre alt, nach normaler Schwangerschaft 
asphyktische Geburt. Kind in den ersten Wochen sehr schwach; 
konnte nur mit Mühe Nahrung zu sich nehmen, ,im Alter von 
V 2 Jahr bekam er Kopfkrämpfe“. Die ersten Gehversuche ün 
3. Jahre. Sonst keine Krankheiten durchgemacht. Mutter starb an 


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Schwindsucht. Vater lebt und ist gesund. Zwei Geschwister starben 
an unbekannter Krankheit. Wurde längere Zeit ohne Erfolg mit 
Elektricität behandelt. Kleiner, schwächlicher, blasser Junge, etwas 
deformirter Schädel. Geistige Fähigkeiten normal. Strabismus. 
Sprache langsam ohne Besonderheiten. Der linke Arm an deu Ober¬ 
körper angedrückt, im Ellbogengelenk gebeugt; der Vorderarm pronirt, 
activ wenig beweglich, ungeschickt, schwächer. Kann weder gehen 
noch stehen. Der Befund an den unteren Extremitäten wie bei Nr. 1. 

Therapie: Offene Durchschneidung der Beuger in der Knie¬ 
kehle, subcutane Tenotomie der Adductoren und Achillessehnen, 
Gipsverband. Seit 3 Wochen ausser Verband; in ziemlich hoch¬ 
sitzenden Schnürschuhen läuft Patient jetzt verhältnissmässig aus¬ 
gezeichnet. Ist den ganzen Tag auf den Beinen. Steht gegenwärtig 
noch in poliklinischer Behandlung. 

29. Sophie H., 22 Jahre alt, schwere Geburt durch Kunst- 
hilfe beendet. Am 3. Tage Krämpfe. An dem linken Unter¬ 
schenkel und Fuss soll sich die Haut in Blasen abgehoben haben. 
Bald darauf Gangrän, so dass am 12. Tage zur Amputation ge¬ 
schritten werden musste. Glatte Heilung. Das Kind entwickelte 
sich sehr langsam; lernte erst mit 1 Jahr sitzen; mit Hilfe eines 
Apparates erst im 4. Jahre etwas laufen. Sprache schlecht. Speichel¬ 
fluss. Intelligenz ebenfalls schlecht entwickelt. Seitdem 
2. Jahr regelmässig epileptische Krämpfe, jetzt nur 1—2mal 
monatlich. Häufig Kopfschmerzen. Patientin hat bisher stets 
Apparate an beiden Beinen getragen. Kräftig gebautes, mittelgrosses 
Mädchen in mässigem Ernährungszustand. Blöder Gesichtsausdruck. 
Kopf im fronto-occipitalen Durchmesser stark verkürzt. Der linke 
Unterschenkel endet in seiner Mitte mit einem konischen Stumpf. 
Das Ende der Tibia und Fibula dicht unter der sehr gespannten 
Haut fühlbar. Das rechte Knie kann nur bis zu einem Winkel von 
120® gestreckt werden infolge Verkürzung der Beugemusculatur. 
Der rechte Fuss steht in Equino-varus-Stellung. Die zweite Zehe in 
Hammerstellung. Der Fuss kann leicht redressirt werden. Die 
Musculatur des Unterschenkels paretisch. Peroneen vollkommen ge¬ 
lähmt. Die rechte Hand meist in Beugestellung leicht einwärts 
rotirt gehalten. Die Finger überstreckt; die Daumen eingeschlagen. 
Alle Bewegung des rechten Armes langsam mit leichter Koordinations- 
Störung. Zungen- und Gaumenmusculatur zeigen gleichfalls un- 


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Paul Glaessner. 


koordinirte Bewegungen. Strabismus. Intelligenz etwas herabgesetzt. 
Die Haltung des Körpers beim Stehen nach vorne leicht übergeneigt 
Der rechte Unterarm wird gebeugt gehalten, die Kniee sind flectirt. 
Gang spastisch. 

Therapie: Offene Durchschneidung der Sehnen in der Knie¬ 
kehle; Verlängerung der Achillessehne nach Bayer, Gipsverband. 
Nach Spaltung der Haut Uber dem Amputationsstumpf wird das 
Periost von Tibia und Fibula zurückgeschoben und von beiden je 
1^/2 cm mit Hilfe einer Luer’schen Knochenzange abgekniffen. 
Nach Glättung der Wundränder Hautnaht, Verband. Neuerliche 
Operation: Lineäre Osteotomie des rechten Oberschenkels; das untere 
Fragment wird etwas nach aussen rotirt. Gipsverband. Heilung p. p. 
üebliche Nachbehandlung mit Massage, Gymnastik, Schienenhülsen¬ 
apparaten. Patientin geht ohne jede fremde Hilfe ziemlich aufrecht 
Beugung im rechten Kniegelenk bis zum rechten Winkel schmerz¬ 
frei. Bewegung der Hand und Finger gebessert. Prothese für das 
linke Bein sitzt sehr gut. 1904 keine Nachricht erhalten. 

30. Kurt E., 12 Jahre alt, nach normaler Schwangerschaft 
protrahirte Geburt mit Zange beendet. Während derSchwanger- 
schaft hatte die Mutter einen Schreck, der wie lähmend auf ihre 
Beine wirkte. Das Leben des Kindes war in den ersten Wochen 
sehr in Frage gestellt. Die rechte Seite des Kopfes und der rechte 
Unterkiefer waren durch den Zangenlöffel eingedrückt, so dass in 
den ersten Tagen die Nahrung eingeflösst werden musste. Die ersten 
Krankheitserscheinungen traten schon frühzeitig auf. Beim Zufassen 
nach Gegenständen griff Patient immer daneben; wurde er auf dem 
Arm getragen, so beugte er den Kopf stark nach hinten. Gehver¬ 
suche wurden überhaupt nicht gemacht. Die Sprache entwickelte 
sich nur langsam und schwerfällig. Patient ist gewiss nicht 
von normalen geistigen Fähigkeiten. Ausser Masern und 
in späteren Jahren Erkältungskrankheiten hat er niemals schwe-e 
Krankheiten durchgemacht. 

Die Behandlung wurde mit dem ganzen Arsenal der zur Ver¬ 
fügung stehenden Methoden der Behandlung der Nervenkrankheiten 
versucht, doch ohne jeglichen Erfolg. Eine homöopathische Kur, 
über deren Wesen nichts Genaueres zu erfahren ist, hat angeblich 
gute Dienste geleistet. Erstes Kind nach Smonatlicher, durch Heben 
einer schweren Last hervorgerufenen Fehlgeburt. Ein Bruder gesund 


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Die liittle’sche Krankheit. 


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und kräftig. Aussehen und Ernährungszustand vollkommen normal. 
Sprache langsam, etwas singend. Geistige Fähigkeiten trotz des 
guten Gedächtnisses recht gering, fragt sehr viel. Grosser, kräftiger, 
gutmüthiger Junge mit stark vornüber gebeugter Haltung, deformir- 
tem Schädel, mit starken Spasmen an den Beinen, speciell der Ad- 
ductoren, Kniekehlensehnen und Achillessehnen. Gang vollkommen 
dem Befund entsprechend. 

Therapie (1904): Beiderseits Tenotomie der Achillessehnen, 
Durchschneidung der Beugesehnen in den Kniekehlen, Durchschnei¬ 
dung des Quadriceps. liebliche Nachbehandlung; Massage, üebungen, 
Scbienenhülsenapparate. Nach Sodentbal zum Kuraufenthalt entlassen. 

31. Gertrud H., 10 Jahre, Steissgeburt, Asphyxie, 
Belebung durch Schulze’sche Schwingungen; sofort nach der 
Geburt setzten häufig wiederkehrende Krämpfe ein; am rechten 
Arm soll ein dicker Strang verlaufen sein, von dem aus durch Druck 
die Krämpfe auslösbar waren. Sprechen auch jetzt, 1904, im Alter 
von 13^2 Jahren noch nicht deutlich. Gehversuche bis nach der 
Behandlung in der Klinik völhg erfolglos; ein älterer Bruder gesund; 
Intelligenz gut entwickelt; durchgemachte Krankheiten: Keuchhusten, 
Erkältungskrankheiten; wurde früher mit Stützapparat und Massage 
behandelt, der Gang besserte sich, so dass der Apparat weggelassen 
werden konnte, nachher Verschlechterung des Zustandes; Gang sehr 
wechselnd. Rechter Fuss in Spitzfussstellung, linker Fuss Pes equino- 
varus. Achillessehnen, Adductoren stark gespannt, rechte Hand 
weniger kräftig als die linke. 

Therapie: Sehnenplastik links, ein Theil der Achillessehne 
wird an die Peroneen angenäht, der stehen gebliebene Theil der 
Achillessehne wird verlängert, auf der anderen Seite Achillotomie. 

1904 Aussehen, Ernährungszustand gut, Gebrauchsfdhigkeit der 
oberen Gliedmassen ziemlich gut (isst allein, spielt Ball). Gang mit 
Corset und Stützapparat am rechten Bein; Spaziergänge von 3—4 km 
möglich; Füsse werden gewöhnlich nach einwärts gesetzt; sich in 
Gleichgewicht zu halten, macht Patientin etwas Schwierigkeit; störend 
ist noch das Ausfiiessen von Speichel aus dem Munde. Intelligenz 
gut entwickelt, seit 3 Jahren ausser klinischer Behandlung. 

32. Max G., gegenwärtig 7 Jahre, nach normaler Schwanger¬ 
schaft Zangengeburt nach protrahirtem Geburtsverlauf. 
Vollkommen normale Entwickelung als Kind; erste Krankheits- 


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Paul Glaeasner. 


erscheinung im 9. Monat nach starkem Husten (Keuchhusten?!). 
Einziges Kind; Entwickelung der Intelligenz sehr gut! Von 
durchgemachten Krankheiten Qehirnkrämpfe, öfters Magenkatarrh 
und Durchfall. Die Erscheinungen an den oberen Extremitäten be¬ 
stehen in leichter Adduction des Vorderarms und Pronationsstellung 
desselben und Ueberstreckung der Finger, Ungeschicklichkeit bei 
Bewegungen. Die der unteren Extremitäten in starken Adductoren- 
spasmen, Spasmen der Beuger des Unterschenkels und der Waden- 
musculatur. 

Therapie: Bäder, Elektricität, Massage. Wesentliche, fort¬ 
schreitende Besserung des Zustandes an den oberen Extremitäten, 
während die Beine unbeeinflusst blieben. Operativer Eingriff wurde 
nicht vorgenommen. 

Aussehen, Ernährungszustand, Sprache und Intelligenz ausge¬ 
zeichnet; Gebrauchsfähigkeit der oberen Extremitäten fast völlig 
normal. Wird zur Schule gefahren; Gang sehr schlecht, kann weder 
stehen noch gehen; hat keine Apparate, trägt Corset; seit ungefähr 
4 Jahren ausser klinischer Behandlung; gegenwärtig zu Hause mit 
Bädern und Massage behandelt, will wieder in die Klinik kommen. 

33. Marie J., 1904 12^* Jahre alt, Zangengeburt nach 
normaler, durch einen heftigen Schreck gestörter Schwangerschaft, 
Asphyxie. Nach 2 Stunden hatten Belebungsversuche Erfolg. Leben 
des Kindes in den ersten Wochen sehr in Frage gestellt. Nahrungs¬ 
aufnahme erschwert, nur mit vieler Mühe möglich. „Der Hals war 
lang gezogen, die eine Stirnseite durch den Zangenlöfifel tief einge¬ 
drückt, Kinn und Mund verletzt.“ Im 4. Lebensjahre lernte das 
Kind sprechen; im 3. Jahre machte es die ersten Gehversuche. 
Keine besonderen Krankheiten durchgemacht, doch immer elend, 
krank und blutarm. Stets in ärztlicher Behandlung; in den ersten 
Lebens Wochen allgemeine Krämpfe; eine jüngere Schwester gesund. 
Intelligenz ganz gut* Die oberen Extremitäten unsicher und steif. 
Die unteren Extremitäten zeigen Spasmen, welche den Gang fast 
unmöglich machen. 

Therapie; Wie bei 1. und 2. 

Gegenwärtiger Zustand gegen früher bedeutend gebessert; 
Aussehen blühend; Ernährungszustand gut. Die früher in den 
Händen vorhandene Unsicherheit und Steifigkeit macht all¬ 
mählich einer gewissen Sicherheit Platz. Schreiben macht Mühe, 


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Schrift zur Noth leserlich; fangt an mit dem Löffel zu essen und 
kann schon allein trinken. Sprache langsam, der Sprachunterricht 
in der Klinik zu Würzburg hatte guten Erfolg. Gang auch etwas 
gebessert, hebt die Füsse nicht mehr so hoch und bei ganz lang¬ 
samem Gehen tritt sie ziemlich richtig auf, dazwischen, wenn sie 
wenig geführt wird, kreuzt sie gelegentlich die Beine. Ohne Unter¬ 
stützung kann sie einige Schritte gehen, stehen kann sie lange, doch 
unruhig. An beiden Händen geführt, kann sie 2 Stunden ohne Er¬ 
müdung gehen. Seit kurzem fährt sie ein Dreirad, das sie selbst 
tritt und auf dem sie sich 2—3 Stunden fortbewegen kann. Patientin 
trägt Hessing-Corset; 4 Jahre aus der Behandlung; besucht die 
zweite Klasse der Volksschule. 

34. Frieda B., 3 Jahre alt, protrahirte Steissgeburt, hat 
nie gehen gelernt und kann nicht stehen. Keine Sprachstö¬ 
rungen. Hände und Arme frei. Unter den Armen in die Höhe 
gehalten, steht das Kind auf den Fussspitzen. Beine im Knie- und 
Hüftgelenk leicht flectirt, Unterschenkel etwas nach innen rotirt, 
Kniee an einander gepresst. 

Therapie: Achillotoraie beiderseits; Gipsverband. 3 Wochen 
später subcutane Tenotomie der Adductoren, Gipsverband in abducirter 
und extendirter Stellung. Uebliche Nachbehandlung. Gehen im 
Laufstuhl mit gestreckten Knieen. Die Fusssohle wird ganz auf¬ 
gesetzt. Abduction der Beine bis zu einem Winkel von 35 ® möglich. 
Gehen ohne fremde Hilfe nicht möglich. 1900: Mit Hilfe eines 
Stockes kann Patientin in aufrechter Körperhaltung, ohne zu fallen, 
grössere Strecken zurücklegen. 1904 keine Nachricht. 

35. Asta V. P., 5 Jahre alt, Krämpfe ohne bekannte Ur¬ 
sache wenige Wochen nach normaler Geburt. Bei den 
Gehversuchen wurden die ersten Krankheitserscheinungen bemerkt. 
Das Kind knickte um, konnte sich nicht auf den Beinen halten, 
war beim Gehen sehr schwerfällig. Intelligenz ungestört Arm und 
Hände frei. Keine Sprachstörung. Kein Strabismus. Füsse in 
leichter Equino-varus-Stellung. Beine nach innen rotirt. Kniegelenke 
im Winkel von 150® gebeugt. Unter Beihilfe steht das Kind mit 
an einander gelegten Knieen und leichter Abduction der Unterschenkel 
auf den Fussspitzen. Gehen ganz unmöglich. Passive Streckung und 
Abduction möglich, daher nur Gipsverband beider Beine in gestreckter 
und abducirter Stellung. Nach 6 Wochen konnte das Kind mit der 


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Paul Glaessner. 


ganzen Fusssohle auftreten, wenn es gehalten wurde. Doch war das 
Gehen ebenso wenig möglich als das Stehen. In Schienenhülsen¬ 
apparaten konnte Patientin, an beiden Händen geführt, ein Bein 
vor das andere setzen. 1900: Das Kind kann allein gehen, ermüdet 
aber bald und zeigt einen schleifenden Gang. 1904: Ich selbst hatte 
im letzten Jahr Gelegenheit, Patientin 2mal 4 Wochen hindurch zn 
behandeln und konnte feststellen, dass der Gang gegenwärtig wohl 
nicht völlig normal, jedoch vollkommen sicher, ziemlich rasch und 
ausdauernd ist, dass in den Beinen, besonders im rechten, noch ein 
geringfügiger, leicht zu überwindender Spasmus vorhanden und dass 
die Pes equino-varus-Stellung, besonders des rechten Fusses, während 
der letzten Behandlung, aber auch die des linken eine ganz wesent¬ 
liche Besserung erkennen Hess. Patientin kann eine Stunde ohne 
Stützen und ohne geführt zu werden in ihren bis ans Knie reichenden 
Schienenhülsenapparaten gehen. Die Intelligenz ist sehr gut 
entwickelt, doch zeigt sich bei dem Kind noch eine leichte Erregbarkeit. 

36. Robert Z., 5^2 Jahre alt, normale Geburt. In den ersten 
Wochen und auch später angeblich krampfartige Zuckungen in den 
Därmen. Geh- und Sprechversuche im 3. Lebensjahr begonnen. 
Körperlich und geistig machte sich frühzeitig ein gewisser Schwäche¬ 
zustand bemerkbar. Die Intelligenz entwickelte sich langsam. 
Hereditär nicht belastet. Als erstes Kind geboren. Keine Geschwister. 

Wenig kräftiger, blasser Knabe von mässig gut entwickelter 
Intelligenz. Sprache zeitweilig bei psychischer Ruhe sehr gut. Obere 
Extremitäten vollkommen frei. Die Beine leicht nach innen rotirt, 
im Kniegelenk wenig gebeugt. Deutliche Spitzfussstellung beider 
Füsse. Gang auf den Fussspitzen, schwankend, doch vermag Patient, 
wenn er sich Mühe gibt, mit dem ganzen Fuss aufzutreten. Rechter 
Arm etwas schwächer als der linke. 

Therapie: Massage, Gymnastik, Gehübungen. Zustand etwas 
gebessert, doch noch nicht ganz normal. Gegenwärtig steht Patient 
noch in Behandlung. 

37. Guido S., 12 Jahre alt. Geburt normal nach normaler 
Schwangerschaft; im 3. Schwangerschaftsmonat starke Er¬ 
regung derMutter durch den Tod ihres ersten Kindes. 2—3 Mo¬ 
nate nach der Geburt wurden an dem Kinde grosse Unruhe und 
Nervosität bemerkt; mit Zuckungen in den Beinen und Armen, 
ungeschicktem Greifen, Verdrehen der Augen. Diese Unruhe hat 


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sich nie ganz verloren. Erst im 3. Lebensjahre begann Patient zu 
sprechen, machte nur langsam Fortschritte und konnte nie ordent¬ 
lich sprechen. Die ersten Gehversuche, fast ohne Erfolg, im 4. bis 
5. Jahr. Gehen und Stehen nur unter grosser Anstrengung bei 
völliger Ruhe des Patienten in ganz geringem Grade möglich. In¬ 
telligenz anfangs sehr gering, hat sich in den letzten Jahren bei 
regelmässigem Unterricht leidlich entwickelt. Seit 1898 werden 
orthopädische Apparate ohne besonderen Erfolg getragen. Gross, 
kräftig, gut genährt. Wenig intelligenter Gesichtsausdruck. Sprache 
zeitweilig sehr undeutlich, stossend, von mässig guter Articulation. 
GutmOthiger Charakter; kann zeitweilig sehr heftig, lärmend werden, 
schlägt dann mit Armen und Beinen um sich und erhebt ein fürchter¬ 
liches Heulen. Leichte atethotische Bewegungen in den Händen und 
Armen, gröbere Bewegungen der gleichen Art in den unteren Ex¬ 
tremitäten. Schädel deformirt. Kein Strabismus. Die Beine im 
HOft- und Kniegelenk stark flectirt, im Hüftgelenk stark adducirt 
und nach innen rotirt, die Füsse in Pes equino-varus-Stellung. Der 
Gang sehr stark spastisch-atactisch, nur mit Unterstützung unter 
beiden Armen und unter grosser Mühe des Unterstützenden möglich. 
Die Sehnenreflexe sehr lebhaft. 

Therapie: Offene Durchschneidung des Quadriceps beiderseits, 
der Beugesehnen in den Kniekehlen, subcutane Verlängerung der 
Achillessehnen nach Bayer. Gipsverband. Nachbehandlung in 
üblicher Weise. Schienenhülsenapparate. Patient läuft schon nach 
8 Wochen im Heusner'schen Laufstuhl ohne grosse Mühe, auch 
sein psychisches Verhalten ist wesentlich gebessert. Wird nach 
Sodenthal zur weiteren Behandlung entlassen. 

38. Adolf G., 13 Jahre alt, Eltern gesund, Mutter hatte im 
5. Monat der Schwangerschaft starke Blutungen. Mit 18 Monaten 
zeigte sich im Anschluss an einen fieberhaften Magendarmcatarrh 
eine Verkürzung des rechten Beines und eigenthümliche Be¬ 
wegungen der Finger. Im 6. Jahr wurde das rechte, kürzere 
Bein gestreckt und mit Stützapparaten versehen. Ziemlich grosser, 
intelligent aussehender, schwächlicher, blasser Knabe mit typischen 
Little’schen Symptomen, ohne Strabismus und mit verhältnissmässig 
geringer Betheiligung der oberen Extremitäten. Linksseitige 
hochgradige Coxa vara. Gang unmöglich. 

Therapie: Subtrochantere Osteotomie der linken Seite wegen 


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Paul Glaessner. 


Coxa vara; der rechten Seite wegen einer Verkürzung von 10 cm. 
Tenotomie der Achillessehnen beiderseits und Durchschneidung der 
Beugesehnen in beiden Kniekehlen. Dies alles in einer Sitzung. 
Gipsverband unter möglichster Ausgleichung der Längendifferenz der 
Beine. Nach 6 Wochen Resection des Nervus obturatorius beider¬ 
seits. Nachbehandlung in der üblichen Weise mit Bügelcorset 
Schienenhülsenapparaten, Massage, Gymnastik, Gehübungen. Nach 
ca. 6 Monaten Entlassung in wesentlich gebessertem Zustand. Patient 
kann im Laufstuhl seine Füsse vollkommen auf den Boden setzen und 
sich ziemlich gut fortbewegen. 

39. Frieda S., 7Yi Jahre, normale Geburt nach normaler 
Schwangerschaft. Mit 5 Jahren allmählich die ersten Krankheits¬ 
erscheinungen ohne bekannte Ursache, indem zuerst das rechte und 
dann das linke Bein typische Contracturstellungen einnahmen. Mit 
1 Jahre konnte Patientin schon gehen. Drei Geschwister gesund. 
Viertes Kind. Intelligenz wenig gut entwickelt; keine heredi¬ 
täre Belastung. Typische Krankheitserscheinungen; kein Strabismus. 
Sprache minder gut; geringe geistige Fähigkeiten, Gebrauchs¬ 
fähigkeit der oberen Gliedmassen normal. Ist gegenwärtig ander¬ 
weitig in Behandlung. 

40. Carl W., 4 Jahre alt, normale Geburt nach normaler 
Schwangerschaft, nach 3 Monaten convulsivischer Husten ca. Jahr 
lang; mit Jahren die ersten Zeichen der Erkrankung, mit 3 Jahren 
die ersten Gehversuche. Intelligenz gut entwickelt, durchgemachte 
Krankheiten: Keuchhusten, Masern, zeitweilig Krämpfe während der 
Krankheiten; drittes von vier Geschwistern, die übrigen gesund, 
kräftig, gut entwickelt, Muskeltonus an beiden unteren Extremitäten 
vermehrt, rechts mehr wie links — wo eigentlich nur die Adductoren 
spastisch contrahirt erscheinen. Rechts besteht eine Contractur des 
Kniegelenks von ungefähr 170®, die sich nur schwer ausgleichen 
lässt, ferner besteht ein erheblicher Grad von Pes equinus, der sich 
manuell nicht ganz corrigiren lässt. Adductoren und Flexorensehnen 
alle stark gespannt; alle Sehnenreflexe sind erhöht. Die oberen 
Extremitäten frei, doch auch hier erhöhte Sehnenreflexe. Als Neben¬ 
befund Hypospadia scrotalis. 

Therapie: Offene Durchschneidung der Beugesehnen in der 
rechten Kniekehle. Tenotomie der rechten Achillessehne nach Bayer. 
Gipsverband, übliche Nachbehandlung. Spasmen wie vorher. 1904, 


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Die Little’sche Krankheit. 


567 


j etzt 8 Jahre, Befinden gut; sehr gut befähigt, Gebrauchsfähigkeit der obe¬ 
ren Gliedmassen normal; verschiedene Buchstaben, r, s, werden schlecht 
ausgesprochen, beim Anfängen etwas Stottern; Gang hinkend. Das rechte 
ßein ein wenig erhebend, vom Boden im Bogen aufsetzend, das linke 
^in wenig schleifend. Patient kann mit Anstrengung eine Stunde ohne 
Unterstützung gehen. Seit ca. 2 Jahren ausser klinischer Behandlung. 

41. Arthur Z., 8 Jahre, October 1899, bei normaler Ge¬ 
burt ohne Kunsthilfe ausgetragenes Kind, bei der Geburt sehr kräftig 
und lebensfähig, begann mit 14 Monaten zu sprechen, mit 14—15 Mo¬ 
naten konnte er laufen wie irgend ein anderes Kind. Zwei Schwestern, 
eine älter, eine jünger als Patient, «körperliche und geistige Muster¬ 
exemplare“; eine Fehlgeburt, Die ersten Krankheitszeichen nach 
vollendetem 4. Lebensjahre. Intelligenz vollkommen normal ent¬ 
wickelt. Von durchgemachten Krankheiten im Alter von 10 Monaten 
zwei Fieberanfälle mit krampfartigen Erscheinungen und Nessel¬ 
ausschlag infolge Genusses schlechter Milch; angeblich Scharlach. 
Während des Gehens in den ersten Jahren wurde ein häufiges Hin¬ 
fallen des Knaben beobachtet. Der Junge fing an auf den Fuss- 
spitzen, überhaupt schlechter zu gehen. Behandlung mit Jodbädern 
in Bad Hall ohne Erfolg. Massage und passive Gymnastik in Alt- 
Aussee in den Jahren 1896/97 erzielten kein besseres Resultat; im 
Gegentheil, der Zustand wurde schlechter, Patient fiel sehr oft hin, 
besonders nach rückwärts, konnte aber immer noch allein gehen. 
Der Gang war so, dass das Kind auf den Fussspitzen, mit nach 
innen gedrehten Oberschenkeln gehend, «um das Gleichgewicht bei¬ 
zubehalten, mit ausgebreiteten Armen das Gleichgewicht herstellte, 
so dass er wie ein Neuling mit den Schlittschuhen auf dem Eise 
aussah.“ Eine dreimonatliche Kneippkur in Wörishofen 1897 hatte 
eine geringe Besserung zur Folge; nach fortgesetzter Kaltwasser¬ 
behandlung verschlechterte sich der Zustand wieder, so dass Salz¬ 
bäder in Lakusarat, Rumänien, während zweier Sommer gebraucht 
werden; auch diese hatten keinen Erfolg. 1899 Aufnahme in die 
Klinik in Würzburg. Anamnestisch ist noch von Wichtigkeit, dass 
der Vater des Patienten der leibliche Onkel der Mutter ist. Ferner, 
dass Patient im Alter von 9 Monaten von seiner Amme während 
eines Traumes aus dem Bett geschleudert wurde und angeblich wie 
eine leblose Masse aufgelesen werden musste. Ein Arzt konnte das 
Kind bald wieder zum Leben zurückbringen. 


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Paul Glaessner. 


Status: Von gutem Ernährungszustand, normaler Intelli¬ 
genz. Sprache sehr undeutlich und langsam. Gehen und 
Stehen unmöglich. Beine im Hüftgelenk stark flectirt und adducirt; 
im Kniegelenk gebeugt; Füsse stehen in starker Spitzfussst^llung 
fixirt, der Rücken wird gebeugt gehalten, die Wirbelsäule als Ganzes 
nach vorne gekrümmt, auch die Schultern nach vorne gesunken. 

Therapie: Subcutane Tenotomie der Adductoren und Achilles¬ 
sehnen ; Redression der Spitzfüsse; Gipsverband in starker Abduction, 
Hof falscher Lagerungsapparat, Massage 2mal des Tages, active Be¬ 
wegungen, Schienenhülsenapparate nur Nachts; tagsüber Gehversuche 
ohne Apparate, 2mal täglich Hebungen am Eniegelenkpendel, Spreiz¬ 
brett und Apparat zur Bewegung des Fussgelenks. Entfernung der 
hypertrophischen Tonsillen mittelst geknöpften Messers; später geht 
Patient an 2 Stöcken in aufrechter Haltung mit ziemlich steifen 
Beinen und langsamen Schritten, allmählich kann er allein stehen 
und auch kurze Strecken langsam und unsicher gehen. 1904, Patient 
ist gegenwärtig 13 Jahre alt, Aussehen und Ernährungszustand, 
geistige Fähigkeiten vollkommen normal entwickelt. Sprache schwierig, 
schleppend, ganze und halbe Worte verschluckend, bei Erregung 
scheint die Stimme zu versagen; er erhält täglich Unterricht. Ge¬ 
brauch der oberen Gliedmassen stark beeinträchtigt; Un¬ 
sicherheit beim Gebrauch derselben. Gang mühsam, ohne mensch¬ 
liche Unterstützung unmöglich, in nach rückwärts gelehnter Haltung 
mit mühsamen Schritten. Apparate, Schuhe etc. werden nicht ver¬ 
wendet, das Gehen kann ohne merkliche Ermüdung, falls Patient 
sich Mühe gibt, durch 20 Minuten und in einer Entfernung von 100 m 
bei möglichst normalen Schritten vollführt werden. Seit 1900 ohne 
Behandlung; gegenwärtig nur Gehübungen und Radfahren auf einem 
Dreirad mit angeschnallten Füssen. 

42. Mathilde H., 19 Jahre alt, normale Geburt. Das Kind 
zeigte einen zweiten Daumen an der rechten Hand, der operativ ent¬ 
fernt wurde. Angeblich bis zum 11. Jahre vollkommen gesund. 
Im Anschluss an eine Influenza Klagen über anhaltendes Schwäche¬ 
gefühl in den Beinen. ^/4 Jahre nach der Influenza plötzlich 
Lähmung des linken Fusses, an die sich im Verlauf von 8 Tagen 
eine Lähmung sämmtlicher Extremitäten und der Rumpfmusculatur 
angeschlossen haben soll. Mit Bädern ohne Erfolg behandelt. Seit 
8 Jahren vollkommen hilflos zu Bett. In der ganzen körperlichen 


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Die Little'sche Krankheit. 


569 


Entwickelung zurückgeblieben. Auch die geistige Entwickelung bat 
eine Einbusse erlitten. Patientin liegt vollkommen zusammengekauert 
im Bett, so dass die Arme krampfhaft im Ellenbogen zusammengepresst 
und im Handgelenk stark volarflectirt gehalten werden. Die Ober¬ 
schenkel sind zum Körper unter einem Winkel von 45 ® nach rechts 
gestellt, bei massiger Flexion der Hüftgelenke und starker Flexion 
der Kniegelenke. Hochgradiger Adductorenspasmus. Patientin kann 
weder gehen noch stehen. Der Spasmus in den Kniegelenken gleich¬ 
falls sehr stark ausgeprägt; beiderseitig Pes equino-varus mit starker 
Spannung der Achillessehne. Alle Spasmen werden bei passiven 
Bewegungen viel heftiger; auch die oberen Extremitäten zeigen 
Spasmen, doch ist die active Beweglichkeit derselben weit besser, 
als die der unteren. Mit den Händen und Armen werden ungeschickte 
Greifbewegungen gemacht. Die Vorderarme stehen gebeugt, stark 
pronirt. Die Handgelenke in Volarflexion, desgleichen die Finger¬ 
gelenke. Deutliche Spasmen bei passiven Bewegungen. Sprache 
langsam, stossend, abgerissen. Strabismus. Die Finger stehen bei 
Bewegungen der Hände in den Interphalangealgelenken hyperextendirt. 
Besonders der rechte Daumen. Tenotomie der Adductoren. Achillo- 
tomie beiderseits. Oipsverband in Spreizstellung, Schienenhülsen¬ 
apparate. Uebliche Nachbehandlung. Gutes Endresultat. 

43. M. W., 9 Jahre, anamnestisch nichts zu eruiren. 
Intelligenz sehr gering. Sprachstörungen, Hydrocephalus; an 
Stelle der früheren Vorderhauptfontanelle befindet sich eine tiefe 
Einsenkung des Schädelgewölbes. Gehen vollkommen unmöglich; 
Stehen unterstützt möglich. Ausgesprochener Spasmus der Beuge¬ 
sehnen, der oberen und unteren Extremitäten. Die Finger werden 
eingeschlagen gehalten. Die Beine befinden sich in leichter Ad- 
duction, Flexion- und leichter Innenrotatioü, doch so, dass sich die 
Beine nicht kreuzen. Tenotomie der Adductoren und Achillessehnen. 
Gipsverband, liebliche Nachbehandlung. Erfolg gut. 

44. Alfred L., 20 Jahre .alt, anamnestisch nichts Ge¬ 
naueres zu erheben, ausser, dass er im ersten Lebensjahre 
seine Beine nicht gut bewegen konnte. Später verschlimmerte 
sich der Zustand, so dass er bei der Aufnahme in die Klinik nur 
an Krücken gehen konnte, trotz zahlreicher, verschiedenartiger 
therapeutischer Massnahmen. Geistig etwas zurückgeblieben; 
leichter Strabismus. Hände und Arme zeigen einen ge- 


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Paul Glaessner. 


ringen Grad von Spasmus der Beugesehnen. Beine stark flectirt. 
Unterschenkel bilden mit den Oberschenkeln beim Gehen einen 
Winkel von 45 Musculatur auffallend schwach. Beim Sitzen ver- 
grössert sich der Winkel bis zu einem rechten und beim Liegen 
können die Unterschenkel noch um 20 ® gestreckt werden. Die Ober¬ 
schenkel so stark adducirt, dass die Kniee einander berühren, die 
Unterschenkel dagegen nach innen und aussen verbogen. Füsse in 
hochgradiger Spitzfussstellung, so dass Patient den Boden meist nur 
mit der grossen Zehe berührt. Die grossen Zehen sind unter die 
Nachbarzehen geschoben. Bewegungen in den Hüftgelenken ziemlich 
frei. Adductoren so stark gespannt, dass eine Abduction nur in ganz 
minimaler Weite möglich ist. 

Therapie: Subcutane Tenotomie der Achillessehnen und offene 
Durchschneidung der Beuger in der Kniekehle, subcutane Tenotomie 
der Adductoren, Gipsverband in corrigirter Stellung, da Uebercorrectur 
unmöglich. Später Schienenhülsenapparat. Nachts Lagerungsapparat. 
Massage und gymnastische Uebungen Tags über. Bei seiner Ent¬ 
lassung konnte Patient ohne Apparate und ohne jede Stütze mit fast 
gestreckten Beinen im Zimmer umhergehen und mit der ganzen 
Fusssohle auftreten. Auch das Spreizen ging gut. In Anbetracht 
der langen vorhergehenden Behandlung mit Apparaten, (jipsverbänden 
und inneren Mitteln, die alle ohne Erfolg blieben, kann man mit 
dem erzielten Resultat zufrieden sein. 

45. Elfriede M., 18 Jahre alt, Frühgeburt, schwierige 
Ernährung, als Kind sehr zart, litt an Schlafstörungen. Mit 1V* Jahren 
die ersten sehr mühsamen Gehversuche; Intelligenz im allgemeinen 
gut. Durchgemachte Krankheiten: Masern und Diphtherie. Krämpfe 
wurden nicht beobachtet. Mit 2^^ Jahren konnte sie gar nicht mehr 
stehen, aufgestellt sank sie gleich wieder zusammen; auch bemerkte 
die Mutter eine gewisse Unruhe an ihr, Zuckungen an allen Tbeilen 
des Körpers; allmählich eiutretende Steifigkeit in den Gelenken; Zu¬ 
stand von Jahr zu Jahr schlimmer. Ein jüngerer Bruder leidet an 
ähnlichen Erscheinungen geringeren Grades. Tenotomie der Achilles¬ 
sehne in unserer Klinik. Drei Schwestern gesund und frisch; in der 
Familie mütterlicherseits zahlreiche organische und functioneile Nerven¬ 
krankheiten. Vater ehemals luetisch. 

1898, Patient kann weder gehen noch stehen; mit den Händen 
werden ungeschickte Greifbewegungen ausgeführt, besonders links 


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Die Litt]e*8che Krankheit. 


571 


spastische Palmarflexionen der Mittelhandfingergelenke. Die Beine 
im K^niegelenk in leichter Beugestellung können passiv vollkommen 
gestreckt werden; die inneren Condylen der Oberschenkel liegen fest 
aneinander. Die Füsse stehen in Equino-varus-Stellung; Gesichts- 
musculatur gleichfalls spastisch afflcirt; Sprache undeutlich, langsam 
und abgerissen. Strabismus. Intelligenz wenig gestört. 

Therapie: Tenotomie der Achillessehnen und Correctur- 
stellung der FUsse im Gipsverband. In Schienenhülsenapparaten kann 
Patientin von zwei Seiten an den Armen geführt, ein Bein langsam 
vor das andere setzen, allein stehen und mit ganzer Fusssohle auf- 
treten. Da die Arme eine Stütze nicht halten können, könnte man 
mit diesem, wenn auch nur geringen Erfolg, zufrieden sein. 

1904, nach eingelaufenen Nachrichten im Alter von 21 Jahren 
an allmählicher Entkräftung gestorben. 

46. Johann B., 12 Jahre alt, protahirte schwierige Geburt. 
Asphyxie des Kindes. Die ersten Gehversuche im 3. Lebensjahre; 
dabei die ersten Krankheitserscheinungen. Das Kind fiel beim Gehen 
immer hin. Allmähliche Verschlimmerung, so dass das Kind weder 
gehen, stehen, noch sitzen konnte. Mit 8 Jahren war das Kind nicht 
mehr im Stande, die unteren Gliedmassen auch nur im Geringsten zu 
bewegen. Die oberen Extremitäten zeigen nur eine geringe 
Beweglichkeit. Das Kind hat niemals sprechen gelernt. 1898, 
das Kind lag zusammengekauert da, konnte nur unarticulirte Laute 
von sich geben, doch hatte es den Anschein, als ob das Kind alles 
verstünde. Der Kopf wurde nach hinten gehalten. Leichter Stra¬ 
bismus convergens; der Rumpf seitwärts geneigt. Die Arme beider¬ 
seits im Ellenbogengelenk spitzwinklig flectirt; die Oberarme fest an 
den Rumpf gepresst. Die Hände stark palmarflectirt, pronirt und 
ulnarwärts flectirt. Die Finger wurden gestreckt gehalten. Die 
unteren Extremitäten im Kniegelenk so stark gebeugt, dass die Fersen 
beim Liegen die Glutäen berührten. Die Kniee fest aneinander 
gepresst, die Oberschenkel stark adducirt und im Hüftgelenk leicht 
flectirt. Die Füsse in Spitzfussstellung. 

Therapie: Bei dem Üblen Zustand des Patienten erschien die 
Prognose als eine wenig günstige. Trotzdem wollte man doch aus 
dem vollkommenen Krüppel einen gehfähigen Menschen machen und 
versuchte mit den üblichen Behandlungsmethoden dieses Resultat zu 
erreichen. 12 Stunden nach der Operation, nach welcher sich noch 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XIII. Bd. 33 


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Paul Glaessner. 


epileptische Anfälle eingestellt hatten, erfolgte plötzlicher Tod, Section 
wurde leider verweigert. 

47. H. K., 0 Jahre; Eltern leben und sind gesund; schwere 
Geburt, mit Zange vollendet; fing spät zu laufen an, Beine in typi¬ 
scher Stellung; erfolglos mit Massage, Elektricität, Badem und 
Schienenhtilsenapparaten behandelt. Status; Kopf gross, asymmetrisch: 
Sprache stotternd, abgebrochen; Gesichtsausdruck wenig intelligent. 
Gang typisch mit adducirten, ira Hüft- und Kniegelenk flectirten. 
einwärts rotirten Beinen; tritt mit den Fussspitzen auf, klebt beim 
Gehen am Boden und schleift darüber hin. Abduction so gut wie 
ausgeschlossen; Adductoren sehr stark gespannt; passive Streckimg 
des Knies bis zu 160möglich; Füsse in Plattfussstellung plantar- 
flectirt, Achillessehnen gespannt. 

Therapie: Offene Durchschneidung aller Sehnen, Muskeln 
und Fascien in der Kniekehle; subcutane Tenotomie der Adductoren, 
Gipsverband (Becken, beide Beine) in extremer Spreizstellung mit 
überstreckten Knieen, Füsse nach auswärts rotirt, etwas pronirt und 
dorsal flectirt. Später Schienenhülsenapparate; täglich mehrere 
Stunden Lagerung auf dem Spreizbrett, Massage, üebungen; nach 
14 Tagen geht der Knabe schon recht gut, nur noch etwas nach 
vorne vorgeneigt; Gang im Laufe der folgenden Wochen sehr ge¬ 
bessert; Spasmen haben bedeutend nachgelassen; Nachbehandlung in 
Bad Sodenthal. 1904, keine Nachricht. 

48. Pauline P., 1876 geboren, drittes Kind; Vater gesund; 
Mutter lebt, doch hat dieselbe wiederholt an nervösen Erkrankungen 
gelitten; zwei Brüder gesund; Schwangerschaft und Geburt normal: 
im Alter von 2 Monaten Erkrankung unter Fieber und Benom¬ 
mensein. Im Anschluss daran blieben die Glieder steif ge¬ 
lähmt, so dass das Kind erst mit 7 Jahren laufen lernte. Im Alter 
von 14 Jahren ging die Gehfahigkeit allmählich wieder verloren: 
verschiedene Apparate sollen den Zustand noch verschlimmert haben. 
Neben den Contracturen der Gesichts-, Arm- und Beinmuskeln 
schwere, fortwährende Kopfschmerzen am Hinterkopf. Eine energische 
Kaltwasserkur in Wörishofen beseitigte die Kopfschmerzen und 
besserte den Allgemeinzustand. 1899, Gang sehr schwerfällig, an 
der Hand oder unterm Arm geführt, Patientin wackelt dabei mit 
dem Kopf, verzieht das Gesicht, fuchtelt und balancirt mit dem freien 
Arm in der Luft umher. Zum Alleingehen ist sie nicht zu bewegen. 


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Die Little'sche Krankheit. 


573 


ebenso wenig zum Alleinstehen; manchmal besteht leichter Strabis¬ 
mus. Kopf etwas gedunsen; Oesichtsausdruck nicht sehr intelligent, 
Patientin wissenschaftlich sehr gut unterrichtet, macht einen kind¬ 
lichen Eindruck; allgemein sehr starkes Fettpolster. Patientin geht 
und steht mit im HOft- und Kniegelenk gebeugten Beinen; die 
Oberschenkel stark adducirt, so dass die Kniee aneinander reiben und 
schrittweise vor einander liegen. Die Küsse stehen ganz einwärts 
rotirt; die inneren Fussränder von der Unterlage abgehoben; tritt 
nur mit der vorderen äusseren Fusssohlenfläche auf; die Gelenke 
sind stark spastisch afficirt, die Spasmen lassen sich nur mühsam 
aasgleichen. Gang in sehr starker Lordose; die Arme, besonders 
der rechte etwas spastisch gelähmt. Supination am rechten Vorder¬ 
arm unmöglich, doch schreibt Patientin sehr gut. 

Therapie: Der äussere abgetrennte Zipfel der Achillessehne 
beiderseits wird auf die Peronäen verpflanzt, bei starker Pronations¬ 
stellung der Küsse. Die Adductorencoulissen werden beiderseits sub- 
cutan tenotomirt. Gipsverband in der üblichen Weise. Spreizbrett, 
Schienenhülsenapparate, Massage, lassen stetige Fortschritte erzielen, 
welche durch ein dem nach vorne Sinken des Oberkörpers und der 
zu starken Lordose entgegenwirkendes Stoffcorset, das mit den Bein¬ 
apparaten durch Schienen verbunden ist, noch wesentlich gesteigert 
werden. Gang schon bald recht gut. Patientin kann ganz allein gehen 
und hat eine recht gute Haltung bekommen. Neben der Massage der 
Beine wird auch der Rücken täglich massirt. Patientin kann jetzt 
activ die Beine wie ein gesunder Mensch spreizen, sie kann activ die 
Füsse nach aussen rotiren und supiniren. Das Resultat, schon jetzt 
sehr gut, verspricht ein ganz ausgezeichnetes zu werden. 

1904, nach kürzlich eingetroflFenen Nachrichten kann Patientin 
jetzt an einem Stock ohne jede weitere Unterstützung gehen. Die 
Kniee streifen einander nicht mehr beim Gang und die Patientin hält 
sich vollkommen sicher im Gleichgewicht. Mit dem schönen Resultat 
ist sie sehr zufrieden. 

49. M. H., 7 Jahre alt, schwere Geburt, Zangenextraction, 
enges Becken. Asphyxie des Kindes. 2 Stunden künstliche Ath- 
mung. Unter sehr sorgfältiger Pflege des Kindes erholte sich das¬ 
selbe einigermassen. Die Eltern bemerkten aber bald, dass das Kind 
im Rücken keinen Halt hatte. Mit 2^2 Jahren die ersten Gehver¬ 
suche: sehr schwierig. Die Füsse konnten nicht fest aufgestellt 


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Paul Glaessner. 


werden. Mit 5 Jahren bemerkten die Eltern, dass die Extremitäten 
sich bei jeder activen und passiven Bewegung spastisch contrahirten. 
besonders die unteren Extremitäten. Das Leiden verschlimmerte sich 
seit dieser Zeit fortwährend. ThyreoYdin wurde ohne sichtbaren Er¬ 
folg angewendet. Ein folgendes Kind wurde ebenso mittelst Zange 
entwickelt. Das Kind ist völlig gesund, leidet angeblich nur an 
einer schiefen Brust, deren Ursprung auf die schwere Geburt zuröck- 
zuführen ist. Das Kind mässig entwickelt. Es besteht Strabismus 
und sehr beträchtliche Sprachstörungen. Patellarsehnenreflex 
gesteigert. Das Kind kann nur gehen, wenn es geführt wird; es 
hält dann die Beine im Hüftgelenk gebeugt, adducirt und nach innen 
rotirt. Die Füsse hängen in Spitzplattfussstellung herunter und 
werden kreuzweise vor einander gesetzt. Der passiven Ausgleichung 
setzen sie starke Spasmen entgegen; der Rücken wird krumm ge¬ 
halten; der Kopf fällt nach vorne. Die Oberarme liegen dem Leib 
dicht an; die Handflächen schauen in extremer Pronationsstellung 
nach aussen. Die Finger werden gewöhnlich im Metacarpophalan- 
gealgelenk gebeugt gehalten und sind nicht im Stande, einen Gegen¬ 
stand festzuhalten. Die Bewegung der Arme erfolgt unsicher und 
zitternd, oft von unwillkürlichen Greifbewegungen unterbrochen. Die 
Beugestellung der Extremitäten lässt sich nur mit grosser Gewalt 
ausgleichen. Die Intelligenz ist nicht sehr gestört; es zeigt viel 
Interesse an seiner Umgebung und äussert oft den Wunsch, geheilt 
zu werden. 

Therapie: Der innere Zipfel der Achillessehne wird verpflanzt 
auf die Innenseite des Tibialis anticus. Gipsverband von den Fuss- 
spitzen bis aus Becken in gut gestreckter und stark gespreizter 
Stellung. Die Füsse werden in leichter Klumpfussstellung dorsal 
flectirt gehalten. Schienenhülsenapparate, Stoffcorset, Kopfhalter. 
Tägliche Massage der Beine und sorgfältige active Uebungen; zu¬ 
gleich Massage der Arme und des Rückens und methodische Sprach¬ 
übungen. Der Zustand der Patientin hat sich wesentlich gebessert. 
Sie kann jetzt schon allein gehen und stehen; die athetotischen Be¬ 
wegungen sind nahezu völlig verschwunden. Auch das Sprach- 
vermögen ist ein ungleich viel besseres geworden. 


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Die Little’sche Krankheit. 


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Dritte Gruppe. 

50. Florenz 0., 8 Jahre alt. Nach normaler Schwangerschaft 
Zangengeburt. Starke Gelbsucht in den ersten Monaten. Kind sehr 
schwächlich. Bis zu 1^2 Jahren yollkommen theilnahmslos; dann 
begann er langsam zu sprechen und zu gehen; beides sehr unsicher. 
Kräftiger, gut entwickelter Junge. Der ganze Körper in fortwäh¬ 
renden unwillkürlichen uncoordinirten groben Bewegungen, die sich 
besonders in der Halsmusculatur, der Musculatur der Arme und 
Beine abspielen. Der Gesichtsausdruck wenig intelligent. Der 
Schädel leicht deformirt. Der Mund stets etwas offen. Speichel¬ 
fluss. Kein Strabismus. Der Kopf, meistens etwas nach links ge¬ 
dreht und rechts geneigt, wird fortwährend bewegt. Die Sprache 
sehr undeutlich, schlechte Articulation. Die oberen Extremitäten 
stets in den oben angeführten Bewegungen begriffen. Die Ellbogen 
beiderseits überstreckt. Intendirte Bewegungen aller Gelenke, der 
Arme mit grosser Mühe, unsicher und ausfahrend, ausgeführt. Der 
Gang unruhig, ataktisch. Intelligenz ohne wesentliche Defecte; etwas 
in der Entwickelung zurückgeblieben. Sehnenreflexe gesteigert, Sen¬ 
sibilität normal. 

Therapie: Tägliche methodische exact ausgeführte Uebungen 
und Massage. Corset mit Kopfstütze. Verlauf: In wenigen Monaten 
hat sich der Zustand bereits um vieles gebessert. Die Bewegungen 
sind viel weniger heftig und deutlich geringer geworden; der vor- 
genomraene Sprachunterricht hat wesentlich zur Besserung der Arti¬ 
culation beigetragen. Der Speichelfluss hat fast vollkommen auf¬ 
gehört. Patient steht noch in Behandlung. 

51. Albert W. In der Krankengeschichte lassen sich keine 
Angaben über Schwangerschaft und Geburt vorfinden. 6 Jahre 
alt; in den ersten Lebensmonaten viel an Convulsionen gelitten. Hat 
nie gehen gelernt. Die ersten Krankheitserscheinungen wurden schon 
im 1. Lebensjahre bemerkt und bestanden in fortwährenden Zuckungen 
im Gesicht, in unwillkürlichen Bewegungen der Gliedmassen, von 
ständig gleicher Intensität. Das Stehen war wohl für Augenblicke 
möglich. Patient fing aber bald zu schwanken an und fiel zu Boden. 
Das Gehen war unmöglich. Schon bei den geringsten Gehversuchen, 
wobei er geführt werden musste, traten stets unwillkürliche unco- 
ordinirte Bewegungen sämmtlicher Extremitäten auf, dabei wurden 


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576 


Paul Gläessner. 


lebhafte Zuckungen in der Gesicbtsmusculatur wahrgenommen, die 
Augen wurden gross aufgerissen; der Mund mit lächelnder Miene 
verzogen. Dabei stiess Patient unarticnlirte Laute aus. Die Be¬ 
weglichkeit sämmtlicher Gelenke war frei. Die Sprache etwas 
stotternd; dabei wurde der Mund ebenfalls stets unwillkürlich ver¬ 
zogen. Bei geringen, selbst freudigen Ereignissen schrie er sehr 
stark und laut. Ganz geringer Grad von Schwachsinn. Die 
Finger wie die Zehen zeigten athetotische Bewegungen. 

Therapie: Massage, exact durchgeführte gymnastische 
Uebungen. Das Resultat war insofern recht günstig, als schon nach 
einigen Monaten die Unruhe in den Gliedern nachgelassen und 
Patient dieselben viel besser in seiner Gewalt hatte. Ausserdem 
konnte er jetzt viel besser gehen, wenn er auch noch öfter zu Boden 
fiel und die Beine noch etwas hoch schleuderte. Gang allein ohne 
Hilfe längere Zeit möglich. Neben den auf Kommando möglichst 
exact ausgefUhrten Uebungen, die sich allmählich auf alle Körper¬ 
muskeln ausdehnten, wurden ganz besonders zur Besserung der 
stotternden und lallenden Sprache Sprachübungen ausgeführt. Daneben 
innerlich zuerst Jodkali, später Arsen, Soolbäder. Unter Mithilfe einer 
geschulten Wärterin lernte er sehr gut sprechen, Gedichte her¬ 
sagen u. s. w. Eine völlige Heilung steht in Aussicht. 

1904. Keine Nachricht erhalten. 

52. A. N., 12 Jahre alt, aus gesunder Familie, schwere 
Zangengeburt und schwere Asphyxie des Kindes. Dasselbe 
konnte nur mit viel Mühe und Sorgfalt am Leben erhalten werden. 
Frühzeitig schon machten sich die ersten Krankheitserscheinungen 
geltend; es traten athetotische Bewegungen auf, so dass ein rich¬ 
tiges Gehen überhaupt nicht möglich wurde. Alle nur denkbaren 
Heilmethoden zur Besserung des Zustandes blieben ohne wesentlichen 
Erfolg. Im ganzen gut genährter Knabe, von seinem Alter ent¬ 
sprechender Grösse, gut entwickelter Intelligenz, Sprache stotternd. 
Der ganze Körper in fortwährender Bewegung. Der Kopf wird fort¬ 
während nach hinten und zur Seite geschleudert und der Junge ver¬ 
mag ihn nicht einen Augenblick still zu halten. Die Arme sind in 
fortwährender Thätigkeit, namentlich die Finger werden fortdauernd 
bewegt. Am Rücken ist eine linksconvexe Lenden- und rechts¬ 
convexe Brustskoliose vorhanden. Die Skoliose rührt von einem 
Hochstand des Beckens auf der rechten Seite her. Das rechte Bein 


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Die Little^sche Krankheit. 


577 


ist stark adducirt uud dementsprechend scheinbar 5 cm kürzer als 
das linke. Auch beide Beine sind keinen Augenblick ruhig. Der 
Junge zappelt mit ihnen beständig hin und her, und ist auch das Gehen 
mit stampfenden Schritten nur bei genügender Unterstützung möglich. 

Therapie: Schienenhülsenapparate mit Corset und Kopfhalter. 
Arsen. Später Massage des ganzen Körpers am Morgen und gym¬ 
nastische Uebungen durch ^|2 Jahr lang. Der Erfolg war ein ganz 
ausgezeichneter. Zunächst besserten sich die Beine; dann Hessen die 
athetotischen Bewegungen in den Armen nach und auch die Kopf¬ 
haltung ist ruhiger geworden, trotzdem es sehr schwierig war, dieses 
zu bewerkstelligen. Patient hat gelernt, sicher und gut auf einem 
Zweirad zu fahren. Das Resultat wäre ein vollkommenes gewesen, 
wenn es gelungen wäre, die Adductionsstellung zu corrigiren. Mit 
Gipsverbänden wurden wiederholte Fehlversuche gemacht. Zur Teno- 
tomie konnten sich die Eltern des Patienten nicht entschliessen; 
dieselben waren mit dem erreichten Resultat vollkommen zufrieden. 

53. P. 6., 8 Jahre alt, normale Geburt nach normaler 
Schwangerschaft, hereditär nicht belastet, in den ersten Lebens¬ 
monaten vollkommen normal; im 9. Monat zeitweiliges Auftreten 
von Krämpfen; doch lernte das Kind mit Jahren das Laufen. 
Im 3. Lebensjahr Masern und Scharlach; im Anschluss daran 
soll sich das Krankheitsbild entwickelt haben. Befund: beständige 
Action der Extremitäten; Arme und Beine können nicht ruhig an 
einem Platze gehalten werden, letztere befinden sich in fortwährender 
Abductions-, Adductions-, Flexions- und Extensionsbewegung. Die 
Bewegungen ziemlich ruckartig, unwillkürlich, incoordinirt und ziellos. 
Die Absicht, nach einem Gegenstand zu fassen, wird meist durch 
Danebengreifen vereitelt. Gleichzeitig mit den Zwangsbewegungen 
der Extremitäten stellen sich die Finger in einer eigenthümlichen 
Hyperextensions- und Abductionsstellung der Metacarpalknochen. Es 
erfolgt eine Ueberstreckung im Metacarpalgelenk. Aehnlich verhalten 
sich die Zehen. In der Ruhestellung der Hand sind die Finger ge¬ 
wöhnlich im Metacarpophalangealgelenk gebeugt, der Daumen etwas 
nach innen geschlagen, die Finger im übrigen gestreckt. Intelligenz 
nicht sehr herabgesetzt, kann gut rechnen und lesen, hat Inter¬ 
esse an seiner Umgebung. Sprache sehr gestört, lallend und 
zusammenhanglos. Leichter Strabismus convergens. Gehen voll¬ 
kommen unmöglich. Im Schlaf Zwangsbewegungeri weniger intensiv. 


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Paul Glaeesner. 


Therapie: Regelmässige Massage; im Anschluss daran exacte 
methodische Uebungen, Corset, Schienenhülsenapparate, später Sool- 
bäder. Zustand hat sich wesentlich gebessert. 

1904 keine Nachricht. 


Wenn wir die grosse Reihe der Krankenbilder etwas kritisch 
überblicken, so können wir die Dignität der einzelnen Fälle in einer 
Curve darstellen, welche ihren Höhepunkt in der zweiten Gruppe 
findet. Wir haben es in der ersten Gruppe lediglich mit Störungen 
zu thun, die die unteren Extremitäten betreffen und die höchstens 
mit etwas Strabismus vergesellschaftet sind. Veranlassend spielt die 
Frühgeburt die Hauptrolle (33 V»®/®), d. h. es kommen im all¬ 
gemeinen mechanische Momente bei der Erankheitsentstehung 
wenig in Betracht, und der pathologische Process beruht wohl im 
wesentlichen auf einer Agenesie der Pyramidenbahnen. Die Prognose 
ist sehr günstig. Wir kommen auf die pathologische Anatomie der 
Little’schen Krankheit unten nochmals zurück. 

Bei der zweiten Gruppe mit sehr verschiedenen ätiologischen 
Momenten (Geburtshinderniss, asphyktische Geburt, Trauma post 
partum oder infectiöse Erkrankung), von denen einige, ohne die 
gleichen klinischen Störungen zu setzen, gewiss auch bei der Ent¬ 
stehung der Krankheitsformen der ersten Gruppe von Bedeutung sind, 
handelt es sich neben den Erscheinungen an den unteren Extremi¬ 
täten um Mitbetheiligung der oberen in verschiedenen Graden sowie 
um eine Reihe von rein cerebralen Symptomen: mangelnde Intelligenz 
oder Intelligenzdefecte, Augenmuskelstörungen und Sprachstörungen. 
Der pathologische Process spielt sich lediglich in den oberen Theilen 
des Centralnervensystems ab und weist die verschiedenartigsten Be¬ 
funde auf. Die Prognose ist ungünstig. 

Die dritte Gruppe endlich, die der Athetose, wird ätiologisch 
mit psychischen Traumen, welche die Mutter während der Gravidität 
erlitten, in Zusammenhang gebracht, doch lassen unsere Fälle dafür 
kaum Anhaltspunkte gewinnen. Auch bei dieser Gruppe spielen Ge¬ 
burtshindernisse eine grosse ätiologische Rolle. Es kommen aber 
auch Fälle vor, wo die Erscheinungen zweifellos lange latent ge¬ 
blieben und erst später, in den ersten Kinderjahren, auf traten. Die 
klinischen Erscheinungen lassen auf eine vorwiegende Rindenbethei¬ 
ligung der Grosshirnhemisphäre schliessen, welche sich ja durch die 


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Die Little*sche Krankheit. 


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Aetiologie (Geburtstrauma) vollkommen erklären Hesse. Die Prognose 
ist eine günstige. 

Nach obigem bleiben wir also bei der von Hoffa gegebenen 
Eintheilung, welche praktisch gewiss die meisten Vortheile bietet, 
berücksichtigen aber auch die anderen, speciell die Eintheilung 
Oddo's. ‘Wir haben auf diese Weise insofern einen Zusammenhang 
zwischen den einzelnen Formen angebahnt, als wir neben der Pro¬ 
gnose in der Eintheilung das veranlassende Moment in Betracht 
ziehen und indem wir auf die von der ersten bis zur dritten Gruppe 
immer höher im Centralnervensystem aufsteigenden anatomischen 
Störungen hinwiesen. 

Frequenz: Genauere Angaben über die Frequenz auf Grund 
unserer Erfahrungen über die Littlesche Krankheit zu machen, ist 
meiner Meinung nach nicht recht angängig. Denn wenn man be¬ 
denkt, dass wir im letzten Jahre allein ca. 20 Fälle von Little'scher 
Erkrankung behandelt haben und wenn man damit das Material 
selbst grosser Nervenkliniken vergleicht, so würde man in seinen 
Schlüssen aus dieser Zahl gewiss eine zu hohe Frequenz der Krank¬ 
heit berechnen. Wie schon eingangs erwähnt, sammeln sich der¬ 
artige Fälle mehr bei den Orthopäden wegen der ganzen Behandlungs¬ 
art und der damit im Zusammenhang stehenden günstigen Prognose, 
und es kann deshalb nicht gut auf ein bestimmtes Procentual- 
verhältniss der Little’schen Krankheit zu den überhaupt zur Be¬ 
handlung kommenden Krankheiten geschlossen werden. 

Das Geschlecht hat auf die Entwickelung der Krankheit wohl 
keinen Einfluss; ein kleines Ueberwiegen des männlichen Geschlechtes 
über das weibliche führe ich auf Zufälligkeiten zurück. 

Aetiologie: Wenn Freud den Satz aufstellt, es wäre sicher¬ 
lich berechtigt, die cerebralen Diplegien nach ihrer Ursache einzu- 
theilen in congenital oder besser pränatal bedingte Geburtslähmungen 
und extrauterin erworbene und die Berechtigung dieser Eintheilung 
auf Grund der geringen praktischen Brauchbarkeit in Frage stellt, 
so scheint dies auch nach unseren eigenen Erfahrungen, die wir an 
den beantworteten Fragebogen und bei unseren Anamnesen gemacht 
haben, vollkommen zutreffend. 

So sehr wir auch die bereits öfter erwähnten ätiologischen 
Momente der Little’schen Krankheit anerkennen, es macht sich 
doch immer wieder das Bedenken geltend, ob nicht neben diesen 


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580 


Paul Glaessner. 


noch tiefere Ursachen für die Entstehung der Krankheit vorhanden 
sind, die Freud als pränatale bezeichnet und die uns bisher völlig 
verborgen blieben. Alles, was man diesbezüglich annehmen könnte, 
bleibt vorläufig doch nur Hypothese. Denn erstens kommen für die 
Beui'theilung der Krankheitsursache oft mehrere Momente in Betracht 
deren Einfluss auf die Entstehung der Krankheit sich gar nicht ge¬ 
sondert feststellen lässt, und zweitens darf die Bedeutung einzelner 
Momente, welche man allgemein als Krankheitsursache hinzustellen 
pflegt, keineswegs zu hoch angeschlagen werden. In dem, was man 
aber als Veranlassung der Littleschen Krankheit — nicht als deren 
Ursache — ansehen kann, lassen sich zweckmässig gewisse Ord¬ 
nungen aufstellen, welche einen Ueberblick leichter ermöglichen. 

Die Little'sche Erkrankung kann demnach veranlasst sein 

1. Durch mütterliche Momente, als welche man a) Allgemein¬ 
erkrankungen (Cachexien, Tuberculose und physisches oder psychisches 
Trauma während der Gravidität), b) Anomalien und Erkrankungen 
des Geburtsapparates ansehen kann (Rigidität der Weichtheile, ab¬ 
normes Becken, Zwillingsschwangerschaft). 

2. Durch kindliche Momente, als welche a) Entwickelungsano¬ 
malien und Hemmungsbildungen oder intrauterine Erkrankungen, z. B. 
Syphilis; b) Traumen während oder nach der Geburt (Wendung, Zange: 
Fall auf den Kopf); c) durchgemachte acute Infectionskrankheiten 
(Masern, Scharlach, Keuchhusten, Influenza) in Betracht kommen. 

3. Durch mütterliche und kindliche Momente, als welche Früh¬ 
geburt, räumliches Missverhältniss zwischen Kind und Beckengrösse, 
Asphyxie aufgefasst werden können. 

All die oben genannten Momente können zweifellos eine Rolle 
bei der Entstehung der Little'schen Krankheit spielen, wenn die 
Bedeutung dieser Rolle auch sehr verschieden sein mag. Ja dieselben 
Momente können auph völlig bedeutungslos bleiben, und es gibt eine 
grosse Zahl von Beispielen, welche beweisen, dass die gleichen 
Momente glücklicherweise in der Mehrzahl der Fälle gar keine Stö¬ 
rungen veranlassen. 

Wenn wir an der Hand unserer Krankengeschichten die Be¬ 
deutung der einzelnen oben angeführten Veranlassungsursachen durch¬ 
gehen, so können wir das Vorkommen aller für die erste Gruppe 
in Betracht kommenden bestätigen. In den meisten Fällen kann 
man wohl neben den Krankheitserscheinungen anamnestisch eines 
oder sogar mehrere der angeführten angeblich ätiologischen Momente 


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Die Little’sche Krankheit. 


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erheben, indess ist ein causaler Zusammenhang beider nur in wenigen 
mit Sicherheit nachzuweisen. Dies gilt vor allem von der Gruppe la, 
die oben angeführt ist, aber auch zum grossen Theil von Ib. In 
wie weit ein psychisches Trauma, das die Mütter während der Gra¬ 
vidität erlitten, für die Entstehung des Erankheitsbildes in Betracht 
kommen kann, ist ebenso schwierig mit Sicherheit festzustellen wie 
seine Bedeutung für die Entstehung von angeborenen Krankheiten 
überhaupt. Die geburtshilflichen Kliniken mit grossem Material 
würden sich Dank erwerben, wollten sie diesbezügliche Forschungen 
in die Wege leiten. Bei der geringen Selbstbeobachtung der meisten 
dort aufgenommenen Frauen aber und bei der geringen Bedeutung, 
welche diese Frauen solchen psychischen Einflüssen beilegen, wird 
man auch da nicht zu völlig einwandsfreien Resultaten kommen. 

Anders natürlich verhält es sich mit jenen Momenten, welche 
bestimmte anatomische Störungen setzen und welche wir besonders 
in der Gruppe 2 b und 2 c finden. Gewiss macht ein intrameningealer 
Bluterguss seine mechanischen Störungen an der Grosshirnrinde, ge¬ 
wiss können schwere Quetschungen des Schädels an den verschie¬ 
densten Theilen des Gehirns anatomische Läsionen setzen, die secundär 
Krankheitserscheinungen, wie das Bild der Little*schen Krankheit, 
im Gefolge haben, aber dann ist es eben der intrameningeale Blut¬ 
erguss, die schwere Schädelquetschung und nicht die Zangengeburt 
oder das räumliche Missverhältniss im Becken, welches die Krank¬ 
heit verursacht hat, denn eine grosse Zahl von Zangengeburten und 
Geburten unter anderen erschwerenden Umständen verläuft, ohne eine 
Little’sche Krankheit im Gefolge zu haben. Auch die Infections- 
krankheiten können, insofern sie Entzündungsheerde an bestimmten 
Stellen des Gehirns entstehen lassen, Ursache der genannten Er¬ 
krankung werden, und doch ist die Frequenz einer solchen Aetiologie 
eine verhältnissmässig sehr seltene. 

Schwerer abfinden können wir uns mit der dritten Gruppe, 
speciell mit der Frühgeburt. Wenn wir in Bezug auf die psychischen 
Traumen die Möglichkeit einer ätiologischen Bedeutung nicht ge¬ 
leugnet haben, trotzdem ausser der Anamnese nicht die Spur eines 
Anhaltspunktes für dieselbe vorhanden ist, so können wir bezüglich 
der Frühgeburt eine solche Bedeutung erst recht nicht in Abrede 
stellen, wenn auch das pathologische Substrat bei der Frühgeburt 
für das Auftreten der Krankheitserscheinungen durchaus keinen 
sicheren Schluss zulässt. Ein Zurückbleiben der Pyramidenbahnen, 


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Paul Glaessner. 


wie es vielfach angenommen wird und wie es besonders van Ge¬ 
buchten vertreten hat, mit frühen Stadien der Entwickelung durch 
die Frühgeburt, würde mit Leichtigkeit die Erscheinungen erklären, 
wenn alle frühgeborenen Kinder die Symptome der Little’schen 
Krankheit darböten. Dem ist aber durchaus nicht so. Im Gegen- 
theil, nur ein verhältnissmässig sehr kleiner Theil aller Frühgeborenen 
zeigt diese Symptome*). 

Auch über die Bedeutung der asphyktischen Geburt für die 
Entstehung der Little’schen Krankheit kann man nur mit grosser 
Vorsicht urtheilen. Es ist keine Frage, dass die Asphyxie ätiologisch 
eine grosse Rolle spielt, aber auch hier sollte man nie vergessen zu 
fragen, wie viele asphyktisch zur Welt gekommene Kinder bekom¬ 
men keine Little’sche Krankheit? Wir werden am Schlüsse der 
Arbeit in einer übersichtlichen Tabelle unsere selbst beobachteten 
Fälle nach Aetiologie, nach den wichtigsten Symptomen, nach Therapie 
und Erfolg zusammenzustellen suchen, und es soll aus dieser üeber- 
sicht hervorgehen, wie schwierig es immer bleiben wird, die Werthig- 
keit der angeblich ätiologischen Momente zu bemessen und wie 
nöthig es ist, doch für die meisten Fälle der in Frage stehenden 
Erkrankung noch tiefer liegende angeborene Ursachen anzunebmen. 
welche den Veranlassungsmomenten erst den geeigneten Angriffspunkt 
für ihre Wirkung bieten. 

Bezüglich der Aetiologie der Little’schen Krankheit noch ein 
Wort über die Bedeutung der Syphilis. Wie aus unserer Zusammen¬ 
stellung hervorgeht, spielt die Syphilis bei der Entstehung der 
Little’schen Krankheit nur eine sehr geringe Rolle. Ich möchte 
dies indess nicht als einen unbedingt bindenden Schluss anseben. 
Ein jeder weiss, wie schwierig es ist, gerade dort, wo es sich um 
Gehirn- oder Rückenmarkskrankheiten handelt, das Zugestehen durch¬ 
gemachter Syphilis von Seiten der Eltern zu erlangen. Wenn also 
in unseren Fällen diese Angabe in der Anamnese so selten auftritt, 

*) Faisceau pyramidal et maladie de Little. Journal de neurologie et 
hypnologie 1896, 13 und 16. — Contribution ä T^tude du faisceau pyramidale. 
Ibid. 1896, 17 und 18. — L’exagerations des reflexes et la contracture chez le 
spasmodique et chez Themiplegie. Ibid. 1897, 4, 5 und 6. — Ref. im Central¬ 
blatt für Nervenheilkunde und Psychiatrie 1897, S. 255 ff. 

*) Nach einer Zusammenstellung von Burckhardt konnten bei 54 früh¬ 
zeitig und asphyktisch geborenen Kindern nur 1 als von Little'scher Krank¬ 
heit befallen festgestellt werden. Zeitschr. f. Geburtsh. und Gynäkol. Bd. 41 
Heft 3. 


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Die Little'sche Krankheit. 


583 


dürfen wir noch nicht schliessen, dass in den übrigbleibenden gewiss 
die Syphilis nicht im Spiele ist. Aber auf der anderen Seite möchte 
ich auch hier der Verallgemeinerung einer solchen Aetiologie nicht 
das Wort reden, um so weniger als sich aus einer derartigen An¬ 
nahme Directiven für die Therapie ergeben, die keineswegs gleich¬ 
gültig und für eine grosse Zahl von Fällen bestimmt nicht am 
Platze sind ^). 

Ein aus unserer Tabelle berechnetes Procentualverhältniss der 
einzelnen veranlassenden Momente ergibt: 
für die Frühgeburt 33,8 ®/o; 
für die asphyktische Geburt 13,2 ”/o; 
für die schwere Geburt ohne Asphyxie 13,2 ®/o; 
für das psychische Trauma der Mutter während der Gravidi¬ 
tät 5,G7o; 

in 22,5 7« ist kein veranlassendes Moment zu erheben; 
für die infectiösen Erkrankungen 9®o. 

Aus all dem ergibt sich: die Little'sche Erkrankung kann 
durch die verschiedenartigsten Momente, welche Mutter oder Kind 
oder Beide betreffen, veranlasst sein. Nach unseren bisherigen Er¬ 
fahrungen aber wie auf Grund der vorhandenen Literatur lässt sich 
eine einheitliche Ursache für die Little'sche Krankheit nicht an¬ 
geben. Der Symptomencomplex hat wahrscheinlich eine bestimmte 
Disposition als Ursache, welche den veranlassenden Momenten, die 
wir oben alle aufgezählt haben, den Boden schafft, auf dem sie 
ihren Einfluss geltend machen können. Mit Recht wird man dieser 
Ausführung den Vorwurf machen, dass sie doch wieder nur mit etwas 
Unbekanntem rechnet, aber sie hat sich wenigstens bemüht nachzu¬ 
weisen, dass keines der sogen, ätiologischen Momente allein die 
Krankheit nothwendig zur Folge hat. 

Symptome: In unseren voranstehenden Krankengeschichten 
sind die Symptome so oft und so ausführlich geschildert, dass es 
sich eigentlich erübrigen könnte, sie an dieser Stelle zu wiederholen. 
Indess ich möchte der besseren Uebersicht wegen doch in Kürze die 
charakteristischen Symptome, welche unsere drei Gruppen besonders 

*) G a 11 o i 8 und Springer (Maladie de Little tres amelioree par le 
traitement mercuriel; annales de Chirurgie et d’Orthopedie 1902, 12) empfahlen 
für die Behandlung der L i 111 e'schen Krankheit die Quecksilberkur selbst dann, 
wenn keinerlei Symptome von erworbener oder hereditärer Syphilis bestehen. 


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Paul Glaessner. 


kenntlich machen, nochmals hervorheben. Im allgemeinen handelt 
es sich zu der Zeit, in welcher man die Kinder in Behandlung be¬ 
kommt, um kräftige wohlgenährte Kinder von gesundem, oft sogar 
von blühendem Aussehen und sehr gutem Allgemeinbefinden. 

Die Patienten der ersten Gruppe zeigen eine verschieden hoch¬ 
gradig ausgebildete spastische Lähmung beider Beine, oft mit etwas 
Strabismus vergesellschaftet. 

Die Beine selbst können rechts und links verschieden stark von 
der Krankheit ergriffen sein und zeigen in ihrer Stellung ein so 
charakteristisches Aussehen, dass man — hat man einmal einen 
Fall genau angesehen — gar nicht mehr zweifeln kann, um was es 
sich handelt. Die Beine sind im Hüft- und Kniegelenk gebeugt, 
etwas nach einwärts rotirt und adducirt; letzteres bisweilen so stark, 
dass es selbst schon bei kleinen Kindern Mühe macht, ja sogar ganz 
unmöglich sein kann, die Beine passiv zu spreizen. Die Kniee werden 
beim Stehen, besonders oft aber beim Gehen über einander geschoben, 
die Füsse stehen in Equinus-, Equino-varus-, zeitweilig auch in Equino- 
valgus-Stellung. Im Übrigen kann auch die Stellung des Fusses 
auf beiden Seiten (rechts und links) verschieden sein. Die Knie¬ 
scheibe ist ausserordentlich hoch hinaufgerückt. Bei den Kranken, 
die ich selbst zu behandeln Gelegenheit hatte, konnte ich die Ver¬ 
längerung des Lig. patellae proprium (Schulthess) fast durchweg 
nachweisen, in den älteren Krankengeschichten ist auf dieses Symptom 
noch recht wenig Werth gelegt. Der Gang ist, wenn überhaupt möglich, 
höchst schwerfällig, schleppend und langsam. In der oben beschrie¬ 
benen Stellung der Beine bewegen sich die Patienten mit grosser Mühe 
vorwärts, indem sie, meist auf den Fussspitzen auftretend, die Beine 
über den Boden schleifen, dieselben sogar überkreuzen, das Becken 
seitliche Bewegungen ausführen lassen und dasselbe entweder rechts 
oder links nach vorne schieben. Auch die Haltung des Rumpfes ist 
in vielen Fällen eine schlechte, indem derselbe ohne Stütze stark 
nach voime gekrümmt ist; der Kopf ist gleichfalls oft nach vorne 
gesunken und wie zwischen den beiden Schultern eingeklemmt. In 
anderen Fällen ist das Stehen und Gehen überhaupt unmöglich; stellt 
man einen solchen Patienten auf, so knickt er gleich in den Knieen 
zusammen. Er ist vollkommen hilflos und kann nicht einmal auf 
allen Vieren rutschen. Auch das Sitzen ist in solchen Fällen oft 
sehr erschwert dadurch, dass der Oberkörper der Kranken stark nach 
vorne sinkt. Untersucht man den Kranken im Liegen, so findet man 


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Die Little'sche Krankheit 


585 


keine Atrophie der Extremitätenmusculatur, im Gegentheil, dieselbe ist 
gut und kräftig entwickelt, hingegen eine erhebliche Steigerung aller 
Sehnenreflexe. Die Bewegungen der oberen Extremitäten sind in den 
meisten Fällen der ersten Gruppe vollkommen frei und ohne Spasmen. 
Wie schon oben erwähnt, kommen ja auch Uebergangsformen zu der 
zweiten Gruppe vor, doch lassen sich diese üebergänge sehr leicht 
erkennen und bewerthen. So zeigen z. B. die Finger in ihren Gelenken 
eine eigenthümliche Beschaffenheit; sie sind bei einigen Patienten 
während intendirter Bewegungen, bei anderen auch während der 
Ruhe, besonders im ersten und zweiten Interphalangealgelenk, etwas 
überstreckt. Bisweilen zeigt sich im Zusammenhang damit eine 
gewisse Schwäche der Arme und Hände. Die Bewegungen der 
unteren Extremitäten sind beträchtlich erschwert, von den ganz leichten 
Graden, bei denen man bei der Ausführung passiver Bewegungen, z. B. 
bei der Abduction im Hüftgelenk, nur einen verhältnissmässig geringen 
Widerstand erfährt, bis zu den starren, fast unüberwindlichen Ad- 
ductorenspasmen finden sich alle üebergänge. Eine active Streckung 
der Beine im Hüftgelenk lässt sofort alle Muskeln enorm anspannen, 
der Patient gibt sich sichtlich die erdenklichste Mühe, doch ist die 
Bewegung für ihn nicht ausführbar. Ganz ähnlich verhält es sich 
mit dem Knie- und Fussgelenk. Ich brauche wohl kaum zu er¬ 
wähnen, dass die Spannung auch gelegentlich so gross sein kann, 
dass active Bewegungen der Streckung im Hüft- und Kniegelenk und 
der Dorsalflexion im Fussgelenk völlig ausgeschlossen sind. In dem 
Momente, in welchem eine passive Bewegung der genannten Gelenke 
versucht wird, spannen sich fast alle Muskeln der unteren Extremi¬ 
täten stark an und setzen der Bewegung einen heftigen Widerstand 
entgegen. Die Sensibilität ist vollkommen normal, desgleichen das 
Gefühl für Lage und Stellung der Glieder. Von einer echten Ataxie 
kann man nicht sprechen. Die Bewegungen erscheinen nur deshalb 
ataktisch, weil erst die Spasmen überwunden werden müssen, bevor 
der Effect des Willensimpulses erreicht wird. Die Intelligenz der 
Patienten ist im allgemeinen vollkommen intact. Ja, die Zahl der 
geistig sehr Regsamen unter den von uns beobachteten Patienten ist 
eine verhältnissmässig sehr hohe. Ganz auffallend tritt bei den sonst 
durch ihre lange Krankheit recht verzogenen Kindern ein hohes 
Maass von Herzensgüte hervor. Voll Dankbarkeit verfolgen sie jeden 
Fortschritt, den ihnen die oft Monate währende Behandlung bringt, 
und sind unermüdlich in der Ausführung der vorgeschriebenen 


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Paul Glaessner. 


Uebungen. Der oft vorhandene Strabismus ist meist ein Strabismus 
convergens. 

Die Kranken der zweiten Gruppe zeigen ein Erankheitsbild, das 
von denen der ersten Gruppe sich, wie schon oben erwähnt, durch 
das Vorhandensein mehr oder weniger schwerer cerebraler Störungen, 
speciell Intelligenzdefecte und Sprachstörungen, sowie durch die 
spastische Affection auch der oberen Extremitäten wesentlich unter¬ 
scheidet. Der Schädel zeigt meist Asymmetrien und erscheint recht 
gross, der Gesichtsausdruck ist wenig intelligent, die Sprache lang¬ 
sam, schleppend, meist etwas singend, die Articulation undeutlich. 
Nicht selten tritt zu Beginn des Sprechens Stottern auf, das sich 
auch bei jeder psychischen Erregung wieder zeigt. Die Betheiligung 
der oberen Extremitäten an dem Krankheitsbild ist eine verschieden 
hochgradige. Im Anfang sind die Erscheinungen meist viel deutlicher 
ausgeprägt, und allmählich macht sich eine bessere Gebrauchsfahig- 
keit von Armen und Händen bemerkbar. Indess eine gewisse Un¬ 
geschicklichkeit bleibt auch dann noch zurück. In besonders typischen 
Fällen sind die Arme im Ellenbogengelenk flectirt, die Oberarme an 
den Rumpf angepresst, die Hände stark palmarflectirt, pronirt und 
ulnarwärts flectirt, die Finger überstreckt. An den unteren Extre¬ 
mitäten dieselben Erscheinungen wie in Gruppe I, meist nur noch 
stärker ausgeprägt. Die Intelligenz zeigt die verschiedensten Ab¬ 
stufungen in der Entwickelung. In den meisten Fällen ist dieselbe 
nicht vollkommen normal, und diese Anomalie kann sich bis zur 
völligen Verblödung steigern. In anderen Fällen, allerdings sind 
das die Ausnahmen, ist die Intelligenz völlig intact, ja wir beobach¬ 
teten Fälle, in denen sie für das Alter des Patienten sogar sehr hoch 
entwickelt war. Dass gelegentlich auch epileptische Anfälle bei den 
Kranken dieser Gruppe auftreten, ist schon erwähnt worden. Den 
Uebergang zu der dritten Gruppe vermittelt eine Reihe von Fällen, 
welche neben den oben genannten Erscheinungen noch zeitweilig, 
besonders im Zustand stärkerer Erregung auftretende unwillkürliche 
Bewegungen in gewissen Muskelgruppen ausführen, welche Be¬ 
wegungen als rein athetotische gedeutet werden können. 

Der vierten Gruppe gehören schliesslich Fälle an, welche fol¬ 
gendes Krankheitsbild bieten: Die im übrigen gesunden Patienten 
zeigen meist ein gutes Aussehen, sind wohl genährt und kräftig. 
Ihr Gesichtsausdruck verräth geringe geistige Veranlagung, der Mund 
ist meist etwas geöffnet, und in vielen Fällen besteht Speichelfluss 


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Die Little'sche Krankheit. 


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Der Kopf ist etwas deformirt, asymmetrisch, seitlich leicht abgeplattet, 
die Stirn breit, die Tubera frontalia ziemlich stark vorspringend. 
Auch in diesen Fällen findet sich häufig Strabismus convergens. 
In der ganzen Körpermusculatur bemerkt man eine fortwährende 
Unruhe, deren Intensität zwar auf äussere Reize hin zunimmt, die 
aber auch im Zustand völliger psychischer Ruhe ständig vorhanden 
ist. Diese Bewegungen prägen sich besonders in der Musculatur 
des Gesichtes, des Halses und der oberen Extremitäten aus, während 
die unteren Extremitäten sich im allgemeinen etwas ruhiger ver¬ 
halten. Die Bewegungen sind unwillkürlich, meist uncoordinirt, grob, 
stark ausfahrend. Der Kopf wird oft seitlich gedreht und gleich¬ 
zeitig nach einer Seite geneigt, der Gesichtsausdruck ist dabei der 
eines einfaltig Lächelnden. Bei stärkerer psychischer Erregung 
(Schmerz, Freude) steigern sich all diese Bewegungen, und es werden 
kräftige unarticulirte Laute ausgestossen. Mit Armen und Beinen 
werden dann schleudernde Bewegungen ausgeführt, der Gang wird 
ganz unregelmässig, und die Richtung des* Weges nimmt etwa die 
Form einer Zickzacklinie an. 

Die zu wiederholten Malen bereits erwähnten Uebergangsformen 
und Combinationen der Krankheitsbilder der einzelnen Gruppen, für 
die sich auch in unseren Krankengeschichten mehrere Beispiele finden, 
brauchen hier wohl nicht noch gesondert beschrieben zu werden. 

Pathologische Anatomie^). Zahlreiche Sectionsbefunde 
über Fälle von Little’scber Krankheit liegen vor, zahlreiche Unter¬ 
suchungen wurden angestellt, und trotzdem ist man nicht im Stande, 
wenigstens mit einiger Sicherheit über den ursächlichen Zusammen¬ 
hang zwischen klinischen Symptomen und pathologisch-anatomischem 
Befund etwas auszusagen. Der Grund für diese Verhältnisse liegt 
woA hauptsächlich in der Mannigfaltigkeit der pathologischen Ver¬ 
änderungen, auf welche wir weiter unten gleich eingehen wollen, 
sowie in dem Fehlen jeglicher Localisation der Erkrankung in be¬ 
stimmten Tbeilen des Centralnervensystems. 

Unter den Veränderungen, die man bei Sectionen nach Little- 
scher Erkrankung erhoben hat, muss man mit Freud zweckmässig 
unterscheiden zwischen Initialläsionen und End Veränderungen. Freud 
hat in seiner schon oft citirten Arbeit sich darüber so ausführlich 

*) Literatur sehr ausführlich bei Freud a. a. 0. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XIII. Bd. 39 


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Paul Glaessner. 


verbreitet, dass ich mich darauf beschränken kann, nur in Kürze auf 
das Wichtigste hinzu weisen, um so mehr, als uns eigene pathologisch¬ 
anatomische Erfahrungen auf diesem Gebiete vollkommen fehlen. 

Als Initialläsionen werden aufgeführt: 

I. traumatische; 

II. vasculäre; 

III. entzündliche. 

Als Endveränderungen: 

a) die diffuse, lobäre und partielle atrophische Sklerose; 

b) die hypertrophische (knollige) Sklerose; 

c) die Porencephalie. 

L i 111 e hat selbst schon die erschwerte Geburt als ätiologisches 
Moment für die von ihm beschriebene Krankheit aufgefasst und hat 
sich deren Wirkung so erklärt, dass die Schädelknochen unter der 
langen Geburt zusammengedrückt würden. Später betonte er den 
Einfluss der Asphyxie stärker und wies darauf hin, dass infolge 
letzterer intensive venöse Congestion und capillare Hämorrhagien, 
sowie Blutungen aus den Meningealgefässen aufträten. 

Sarah Mac Nutt konnte nun 1885 nachweisen, dass einmal 
unter erschwerten Verhältnissen geborene Kinder solche Meningeal¬ 
blutungen zeigen, und dass zweitens diese Schädigungen bei längerer 
Lebensdauer eine Sklerose und Atrophie der betreffenden Windungs¬ 
bezirke zur Folge haben. Die Ursache dieser Meningealblutungen bei 
erschwerter Geburt liegt, wie Virchow gezeigt hat, in einer üeber- 
einanderschiebung der Schädelknochen und dadurch bewirktem Ab- 
reissen von Venen, die von der Pia in die grossen Hirnsinus ein- 
treten. 

Von den vasculären Initialläsionen sind besonders die Thrombose, 
die Embolie und Hämorrhagie zu erwähnen, Störungen, welche wie 
bekannt die grösste Rolle bei den Gehirnlähmungen der Erwachsenen 
spielen. Auch hiefür sind zahlreiche Sectionsbefunde angeführt. Es 
muss ausdrücklich stets darauf hingewiesen werden, dass dieselben 
anatomischen Störungen sowohl hemiplegische wie diplegische Läh¬ 
mungen zur Folge haben können. 

Was die entzündlichen Initialläsionen betrifft, so will ich, um 
einer eingehenderen Schilderung dieser Verhältnisse, welche gleichfalls 
aus der Klinik meines verehrten Chefs, des Herrn Geheimrath Hofifa, 
hervorgeht, nicht vorzugreifen, mich nur damit begnügen, festzustellen, 
dass auch entzündliche Initialläsionen bei der Little'schen Krank- 


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Die Little*8che Krankheit. 


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heit Yorkommen können, dass ihr Vorkommen aber im Vergleich zu 
dem der anderen, speciell der ersten Gruppe (traumatische Initial¬ 
läsionen) gewiss seltener ist. 

Die oben genannte, in Vorbereitung befindliche Arbeit wird 
sich gleichfalls mit den Endveränderungen genauer zu befassen 
haben. 

Neben den oben angeführten Initialläsionen spielen Entwicke- 
lungshemmung (Mikrocephalie, Mikrogyrie), Hjdrocephalus chronicus 
und Meningoencephalitis, Meningitis chronica vielleicht auch eine 
Rolle bei der Entstehung der Little’schen Krankheit. 

Insbesondere kann man bezüglich der Entwickelungshemmung 
eine solche Annahme für die Fälle nach Frühgeburt nicht ganz von 
der Hand weisen. Vielleicht ist die Frühgeburt eine ähnliche Ver¬ 
anlassungsursache wie die Asphyxie oder die Zangengeburt, oder 
handelt es sich bei derselben um eines jener Momente, welche Freud 
als pränatale bezeichnet, und wäre die Frühgeburt dann selbst ein 
Ausdruck einer tiefer liegenden Störung. Solange noch keine anderen 
Zeichen gefunden sind, wird man zweckmässig als bedeutsam für die 
Fälle von Little'scber Krankheit nach Frühgeburt die Agenesie der 
Pyramidenbahnen ansehen müssen. 

Ob der Hydrocephalus chronicus, den man gelegentlich bei der 
Section von Kindern mit Little’scher Krankheit findet, als eine 
ursprüngliche und daher ursächliche Veränderung anzusehen ist, oder 
ob nicht vielmehr die neben dem Hydrocephalus, der doch vielfach 
völlig symptomlos verläuft, noch vorkommenden sonstigen Störungen 
als ursächlich angeschuldigt werden müssen, darüber will ich nicht 
entscheiden. Hinsichtlich der Meningoencephalitis oder Meningitis 
chronica wird ein ursächlicher Zusammenhang mit unserer Erkran¬ 
kung in Abrede gestellt. 

Wenn wir nun pathologisch-physiologisch die anatomischen Be¬ 
funde mit den klinischen Symptomen in einen gewissen Zusammen¬ 
hang bringen wollen, dessen Erkenntniss ja für unsere ganze 
Krankheitsauffassung so bedeutungsvoll scheint, so hat das insofern 
etwas Unsicheres, als die Befunde durchaus nicht constant und nicht 
gleichartig localisirt sind, mithin für die functioneile Bewerthung 
sehr wenig Anhaltspunkte bieten. Mit Rücksicht darauf aber, dass 
die selbst so verschiedenartig localisirten Krankheitsheerde doch oft 
die Pyramidenbahnen an irgend einer Stelle ihres Verlaufs innerhalb 
des Gehirns treffen, schädigen, aber nicht völlig zerstören, ist es, wie 


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590 


Paul Glaessner. 


Hoffa so geistvoll gezeigt hat, wenigstens für eine Reihe von Fällen 
möglich, das Bestehen gewisser Symptome zu erklären. Die in den 
meisten Fällen vorhandene Steigerung der Sehnenreflexe und die mit 
derselben in engem Zusammenhang stehende, bei jeder octiven und 
passiven Bewegung eintretende reflectorische Starre in gewissen 
Muskelgruppen führt Hoffa zurück auf eine Schädigung der Nerven¬ 
bahnen, welche vom Gehirn bis zu den grossen Ganglienzellen der 
grauen Vorderhörner führen. Durch diese Schädigung wird der 
Willensimpuls von den Grosshirnhemisphären ausgehend innerhalb 
der Leitung abgeschwächt, es fallen gewisse Hemmungen der Reflex- 
thätigkeit des Rückenmarkes weg, und es kommt dann zu jenen 
spastischen Bewegungen, welche unserer Krankheit ein so charakte¬ 
ristisches Gepräge geben. — Eine ähnliche Erklärung liesse sich 
auch für die Fälle von Athetose geltend machen, indem man auch 
hier an einen Wegfall oder an eine Einschränkung gewisser Hem¬ 
mungsvorgänge denken könnte. 

Auch für die Functionsstörungen in der Sprachrousculatur und 
in den Augenmuskeln lassen sich ähnliche Ursachen annehmen, wenn 
auch der Vorgang hier sicher ein viel complicirterer sein muss. 

Verlauf und Prognose. Der Verlauf der Little'schen 
Krankheit ist im allgemeinen kein progressiver. Allerdings kommt 
es nach lange dauernder Inactivität der Extremitäten zu hochgradiger 
Muskelatrophie und schweren oft nicht mehr zu beseitigenden Con- 
tracturstellungen, welche den Kranken völlig hilflos und elend machen. 
Aber das sind wesentlich mechanische und functioneile Momente, 
welche eine solche Verschlimmerung des Leidens herbeiführen, und 
nicht in der Natur der Krankheit selbst gelegene. Je nach den ver¬ 
schiedenen Formen kann man den Verlauf in einen regpressiven und 
einen stationären scheiden. Nur wenige Fälle schwerster Art zeigen 
auffallende Verschlechterungen und auch diese hängen meist von dem 
psychischen Verhalten der Kranken ab. Sonst sind die Störungen 
unmittelbar nach der Geburt oder kurze Zeit später, wenn darauf 
geachtet worden ist, meist als hochgradige angegeben und bilden 
sich im Laufe der Zeit allmählich zurück. So findet man vielfach 
Fälle, in denen ursprünglich die oberen Extremitäten, allerdings in 
geringerem Maasse, betheiligt waren, in späterer Zeit so weit gebessert, 
dass sich keinerlei Functionsstörungen mehr an denselben nachweisen 
lassen oder nur noch eine gewisse Schwäche resp. Ungeschicklichkeit 


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Die Little*sche Krankheit. 


591 


in den Armen vorhanden ist. Aehnlich verhält es sich auch mit ^en 
Sprachstörungen. Auch da kommen ganz wesentliche Besserungen 
zur Beobachtung. In anderen Fällen, mit schweren Intelligenz- 
sfcörangen, stellen sich immer häufiger werdende epileptische An- 
Me ein, die dann auch den Allgemeinzustand wesentlich beein¬ 
trächtigen. 

Die Prognose ist selbst in schweren Fällen in Bezug auf das 
Leben des Kranken eine günstige. Quoad sanationem ist die Prognose 
mit Bezug auf die Therapie nur gut für die leichten Fälle der ersten 
Gruppe; wenn man aber auch bei den schweren Fällen berücksichtigt, 
in welch traurigem Zustand sich die völlig hilflosen, unbeweglichen 
Kranken befinden, und welche Erfolge eine zweckmässig geleitete 
Behandlung zu erzielen vermag, so kann man selbst bezüglich dieser 
Fälle die Prognose quoad functionem als eine recht günstige be¬ 
zeichnen. 

Wenig Aussicht auf eine Besserung bieten die schweren Fälle 
von allgemeiner Starre, also die Fälle der zweiten Gruppe, die Fälle 
von Athetose hingegen lassen wesentliche Besserungen, wenn auch 
keine vollkommenen Heilungen erwarten. 

Diagnose. Aus der Lektüre der voranstehenden Kranken¬ 
geschichten und der Schilderung der Symptome der in Rede stehenden 
Krankheit erkennt man mit Leichtigkeit, dass die Diagnosestellung 
bei der Little'schen Krankheit keine grossen Schwierigkeiten machen 
kann, ja dass selbst die Einreihung des einzelnen Falles in eine der 
drei von Hoffa angegebenen Gruppen eine leichte ist. Trotzdem 
erscheint es nötbig, noch in Kürze auf die Unterscheidung von ge¬ 
wissen anderen Krankheiten mit ähnlichem Syraptomenbild hinzu¬ 
weisen, als welche Ziehen die spastische Spinalparalyse, die multiple 
Sklerose, gewisse combinirte Systemerkrankungen des Rückenmarks, 
doppelseitige Heerderkrankungen des Gehirns, Meningealblutungen 
im Bereiche des medianen Mantelspalts, welche die beiden Para¬ 
centralläppchen in Mitleidenschaft ziehen (so namentlich bei Zangen¬ 
geburten), ansieht. 

Im allgemeinen werden hier Anamnese, eine genaue Beobach¬ 
tung der Erscheinungen, das Fehlen jeglicher Sensibilitätsstörungen, 
die Muskelspasmen, die eventuelle Combination mit Augenmuskel- 
storungen und Sprachstörungen genügende Anhaltspunkte zur Siche¬ 
rung der Diagnose bieten. 


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Zahl 


592 


Paul Glaessner. 


o3 

03 

Name 

Aetiologie 

Wie¬ 

vieltes 

Kind? 

Krämpfe ? 

Obere 

Extremitäten 

Untere 

Extremitäte 

1 

Vera v. S. 

Frühgeburt (Zwil¬ 
linge), (psychisches 
Trauma der Mutter). 

2. 

Nein. 

Frei. 

Befallen. 

2 

Lilli G. 

Frühgeburt. 

1. 

Im dritten 
Lebensjahr. 

Frei, etwas 
ungeschickt. 

Befallen. 

3 

Hans L. 

Frühgeburt (künst¬ 
liche), (Mutter sehr 
nervös). 

2. 

Nein. 

Frei. 

Befallen. 

4 

Edgar M. 

Frühgeburt (Trauma 
der Mutter 14 Tage 
a. p.). 

? 

Nein. 

Frei. 

Befallen. 

5 

Emilie W. 

Frühgeburt. 

9 

Mit 2V« Jah¬ 
ren. 

Vollkommen 

frei. 

Befallen. 

6 

Diego G. Bl. 

Frühgeburt. 

? 

Nein. 

Vollkommen 

frei. 

Befallen. 

7 

Auguste L. 

Frühgeburt. 

1 

9 

Ja. 

Frei. 

Befallen. 

8 

Haus A. 

Frühgeburt (später 
Scharlach mit con- 
secutiver Verschlim¬ 
merung des Zustan¬ 
des). 

? 

Nein. 

1 

Frei. 

Befallen. 

9 

Friederike R. 

Frühgeburt (Zwil¬ 
linge). 


Nein. 

Gut ge¬ 
brauchs¬ 
fähig. 

Befallen. 

10 

i 

1 

1 

Armin Pr. 

Frühgeburt. 

j 

2. 

Nein. 

Sehr gut ent¬ 
wickelt. 

Befallen. 


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Google 





Die Little'sche Krankheit. 


593 


[ xitelligenz 

Sprache 

Therapie 

Erfolg 

Anmerkung 

Sehr gut 
«spricht vier 
Sprachen). 

Normal. 

Tenotomie d. Adduc- 
toren und Ach illes¬ 
sebnen, offene Durch* 1 
schneidung d. Beu¬ 
ger in der Kniekehle , 
(Nov. 1903). 1 

1 

{ 1904. Kann durch 
20 Minuten ohne Er¬ 
müdung im Schie¬ 
nenhülsenapparate 
und Corset ohne 
Stütze und Stock 
( gehen. 


Normal. 

Etwas 

Nov. 1902. Teno- 

1 1904. Kann je nach 

Hochgradige 


singend, sonst 
normal. 

tomie der Achilles¬ 
sehnen. OffeneDurch- ^ 
schneidung der Seh¬ 
nen in den Knie¬ 
kehlen. Tenotomie i 
der Adductoren. 
Nov. 1903. Resection 
des Nerv, obturato- 
rius links. 

dem jeweiligen psy¬ 
chischen Zustand, auf < 
einer Seite durch eine 
Person, auf der an¬ 
deren auf einen Stock 
gestützt, ohne Appa¬ 
rate u. Corset 15 Min. 

gehen. 

i 

Nervosität 

Normal. 

? 

Verlängerung der 
beiden Achillesseh¬ 
nen nach Beyer. 

Erfolg ausgezeich¬ 
net. 


Normal. 

1 

1 

Verlängerung der 
Achillessehnen nach 
Beyer. 

1 Erfolg gut. 

Eine Schwester 
an gleicher 
Krankheit 

Sehr gut. 

' Gut. 

Behandlung mit 
corrigirenden Ver¬ 
bänden. 

Kurze Strecken kön- 
1 nen ohne Stock zu¬ 
rückgelegt werden, 
Gang noch etwas 
schleppend. 


Sehr gut. 

Sehr gut. 

1 Tenotomie der 
Achillessehnen. 

1 

Geht stundenweit. 
Kann tanzen, tritt 
mit der ganzen Fuss- 
sohle auf. 


Leichte Stö¬ 
rungen. 

Gut. 

Wegen Tobsuchtsj 

anfällen entlassen. 


Völlig intact. 

Stossweise 

sprudelnd. 

Durchschneidung 
der Beuger in der 
Kniekehle. Teno¬ 
tomie der Adducto¬ 
ren. 

Gang an einem 
Stocke mit etwas 
nachschleifenden 
Füssen möglich. 


Völlig nor¬ 
mal. 

Gut. 

Tenotomie der Achil¬ 
lessehnen und Ad¬ 
ductoren. Durch¬ 
trennung der Beuger 
in den Kniekehlen. 

Gang etwas stam¬ 
pfend. Patientin geht 
allein zur Schule. 


Vollkommen 

normal. 

Gut. 

1896. Tenotomie d. 
Adductoren. Durch¬ 
schneidung der Beu- i 
ger in den Kniekeh¬ 
len. 

Gang etwas 
wackelnd, doch völ- 
1 lig sicher, ohne 
Stützen und dauernd 
ohne Ermüdung. 



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594 


Paal Glaessner. 


CS3 

Name 

Aetiologie 

Wie¬ 

vieltes 

Kind? 

1 

Krämpfe ? 

Obere | 
Extremitäten j 

Untere 

Extremitätei 

11 

Toni H. 

Frühgeburt (Eclam- 

1. 

Ja. 

Frei. ! 

Befallen. 


1 

psia grav.). 

1 



1 

i 

12 1 

Siegfried K. 

Frühgeburt. 

1. 

Nein. 

Frei. 

1 

Befallen. 

13 

Lotte B. 

Frühgeburt. 

1. 

Nein. 

Vollkommen 
brauchbar; 

Befallen. 






nach längerer 







Zeit leichte 







Spasmen. 


14 

Wilhelm H. 

Frühgeburt. 

i 

1. 

Nein. 

Vollkommen 

Befallen. 





frei. 


15 

Albert R. 

Frühgeburt. 

1. 

Nein. 

Vollkommen 

Hochgradig’ 





frei, kräftig. 

ergriffen. 

1 

16 

Jacob R. 

Frühgeburt 

13. 

Nein. 

1 

Frei. 

Mässig er¬ 



(Asphyxie). 

jOng- 



griffen. 




stes 




17 

Georg W. ^ 

Frühgeburt (Zwil¬ 

2. 

Ja, kurze Zeit. 

Vollkommen 

Befallen. 


linge), (Wendung), 
(später Scharlach). 



normal. 



18 

Martha K. 

Frühgeburt. 

3. 

Nein. 

Fast voll¬ 

Sehr gering 



jOng- 


kommen nor¬ 

ergriffen. 




stes 


mal. 


19 

Hanna Sch. 

Asphyktische Ge¬ 

1. 

Wenige Tage 

Rechte obere 

Befallen. 



burt. 


nach der Ge¬ 

Extremität 



1 



burt. 

weniger ge¬ 
brauchsfähig. 


20 

Paul P. 

Asphyktische Ge¬ 


Im Alter von 

Linker Arm 

Befallen. 



burt. 


1 Jahr. 

ungeschickt, 

s(mwächer. 





1 


activ wenig 
beweglich. 



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Die Little'sche Krankheit. 


595 


Intelligenz 

Sprache 

Therapie 

Erfolg 

Anmerkung 

ToUkommen 

Spricht sehr 

Tenotomie d. Achil- 

Gang spastisch, ohne 

Schwester hat 

idiotisch. 

wenig, nur 
dasNothigste. 

lessehnen. 

Unterstützung. von 
V48tündiger Dauer. 
Intelligenz hebt sich 
langsam. 

congenitale Hüft- 
gelenksluzation. 

Normal. 

Normal. 

Tenotomie d. Achil¬ 
lessehnen und Ad- 
ductoren. 

1904. Gang gut, mit 
Stützen, etwas 
stampfend, ohne jeg¬ 
liche Stütze 8 Mi¬ 
nuten ohne Ermü¬ 
dung. 


Sehr gut. 

Normal. 

Tenotomie d. Achil 
lessehncn. 

1904. Gang mit zwei 
Stücken ziemlich gut. 
Gegenwärtig auch 
ohne Stütze möglich. 


?ehr gut ent¬ 
wickelt, sehr 
begabt. 

Normal. 

Sehnenplastik. 

1904. Leidlich gut 
und ausdauernd. 


Massig gut. 

Bei Erregung 
leicht 
stotternd. 

Tenotomie d. Achil¬ 
lessehnen und Ad* 
ductoren, Durch¬ 
schneidung des Qua- 
driceps u. d. Muskeln ' 
in den Kniekehlen, i 
Später beiderseitige 1 
Resection d. Nerv, j 
obturatorius. | 

1904. Gegenwärtig 
noch in Behandlung. 
Bereits wesentlich 
gebessert. 


Ziemlich gut. 

Normal. 

Massage und gymna* i 
stische Uebungen. ; 

Guter Erfolg. 


Sehr g^t (sehr 1 
musikalisch). ! 

Normal. 

Tenotomie d. Achil¬ 
lessehnen und Ad- 
ductoren. Durch- i 
schneidung der Beu¬ 
ger in d. Kniekehle. 

Noch in Behandlung. 

! 


Gut ent¬ 
wickelt. 

Normal. 

1 

Verlängerung der 
Achillessehnen nach 
Beyer. 

Noch in Behandlung. 


Massig ent¬ 
wickelt 

Langaam. 

Tenotomie der Achil¬ 
lessehnen und Ad- 
ductoren, Durch¬ 
schneidung der Beu-^ 
ger in der Knie- 
kehle. 

1904. Gang gebes- 
! sert. Noch in Be¬ 
handlung. 

1 


Normal ent¬ 
wickelt. 

1 Langsam. 

1 

Tenotomie der Ad- 
ductoren und der 
Achillessehnen. 
Durchschneidung 
der Beuger in den ' 
Kniekehlen. 

1904. Seit mehreren 
Wochen aus dem 
Verband. Läuft in 
hohen Schnürstiefeln 
' ausgezeichnet. 



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596 


Paul Glaessner. 


'S 


21 


22 


23 


24 


25 


26 


27 

28 


29 


Name 

Aetiologie 

Wie¬ 

vieltes 

Kind? 

Krämpfe ? 

1 

Obere 1 Untere 1 

Extremitäten j ExtremiUc. 

Sophie H. 

Schwere Geburt mit 
Kunsthilfe. 

1 

! 

Seit dem 
zweiten Jahr 
epileptische 
Krämpfe. 

r 

Rechter Arm Befall«, 

ungeschickt. , 
weniger beweg-; 

lieh, in typi¬ 
scher Stellung 

1 , 

Kurt E. 

Protrahirte Geburt 
mit Zange beendigt 
(psychisches Trauma 
der Mutter). 

2. 

1 

1 

Nein. 

1 Normal. Befallen i 

, ; 

' ' Wei^. 

1 1 

1 , 

Gertrud H. * 

Steissgeburt 

(Asphyxie). 

1 

i 

1 

Häufig wie¬ 
derkehrend. 

1 

Rechte Hand Id verKkr 
weniger kräf- den hoheE 

1 tig als die ; Grade l'c- 
1 linke. fallen. 

Max G. 

Protrahirte Geburt 
mit Zange beendet. 
Nach starkem Husten 
im 9. Monat erste 
Krankheitserschei* 

i 

1 

Nein. 

1 ‘ 

, Fast völlig j In typi>el:-r 
normal. ' Weise br- 
1 fallen. 

Marie J. 

nungen. 
Zangengeburt. 
Asphyxie, psychi¬ 
sches Trauma der 
Mutter. 

1. 

jin den ersten 
Lebens^ 
Wochen. 

Unsicher undi In tjpi^tr: 
steif. 1 Weise le- 

1 fallen. 

1 1 

1 

Frieda B. 

Protrahirte Steiss¬ 
geburt. 

1 

Nein. 

i 1 

1 Vollkommen ! Leicht W 

1 frei. 1 fallen. 

1 1 

Albert Fr. 

Zangengeburt (Zwil 
linge). 

— 

— 

1 

— 1 Befallen. 

1 1 

Alois Z. 

(Normale Geburt.) 

i 


Epileptische 

Anfälle. 

1 

Vollkommen 1 Stark he- 
1 frei. fallen. 

1 

Asta V. P. 

1 

(Normale Geburt.) 

? 

1 

Wenige Wo¬ 
chen nach 
der Geburt. 

1 

j Rechter Armi Stark be- 
etwas 8chwä-| fallen, 

eher und we-i 


1 

1 

- 

niger ge- 1 
schickt als | 
der linke. i 

1 


Digitized by ^ooQle 





Die Little’sche Krankheit. 


597 



Sprache 

Therapie 

Erfolg 

Anmerkung 

ir ^erin^. j 

Schlecht. 

Verlängerung der 
Achillessehne rechts. 

Durchschneidung 
der Sehnen in der 
rechten Kniekehle. 

Wesentliche Besse¬ 
rung des Ganges. 

Kann ohne jede 
fremde Hilfe ziem¬ 
lich aufrecht geben. 

Linker Unter¬ 
schenkel wegen 
Gangriln in den 
ersten Lebens¬ 
wochen ampu- 

Usig grnt 

Langsam 

1904. Durchschnei- 

1904. Nach Soden- 

tirt. 

twickelt. 

und schwer- 
ftlHg. 

düng des Quadriceps 
und der Beugeseh¬ 
nen in den Knie¬ 
kehlen. Tenotomie 
der Achillessehnen. 

thal zum Kuraufent¬ 
halt entlassen, steht 
noch in Behandlung. 


jut ent- 
«nckelt. 

Undeutlich. 

Links: Sehnenpla¬ 
stik. Rechts: Achillo- 
tomie. 

1904. Gebrauchs¬ 
fähigkeit der oberen 
Extremitäten besser; 
Spaziergänge von 3 
bis 4 km möglich. 


ir gut ent¬ 
wickelt. 

Sehr gut. 

Bäder, Elektricität, 
Massage. 

1904. Keine Besse¬ 
rung. Will wieder 
klinische Behand¬ 
lung aufsuchen. 


Qanz gut 

Langsam, 

Tenotomie der Ad- 

1904. Ohne Unter- 


entwickelt. 

undeutlich. 

ductoren und Achil¬ 
lessehnen. Durch¬ 
schneidung der Beu¬ 
ger in den Kniekeh¬ 
len. 

Stützung einige 
Schritte möglich. An 
beiden Händen ge¬ 
führt, Ganp 2 Stun¬ 
den ohne Ermüdung 
möglich. 


Keine Angabe. 

Achillotomie beider¬ 
seits. Tenotomie 
der Adductoren. 

1900. Mit Hilfe eines 
Stocks in aufrechter 
Haltung Gang über 
grössere Strecken 
möglich. 


Keine Angabe. 

Tenotomie d. Beuge¬ 
sehnen in den Knie¬ 
kehlen und der 
Achillessehnen. 

1904. Mit Hilfe eines 
Stockes können grös 

1 sere Strecken zurück- 
^ gelegt werden. 


Durchaus 1 

1 Normal. 

Tenotomie der Achil¬ 

1 1904. Kann kurze 

Luxatio coxae 

normal. 


lessehnen, der Beuge¬ 
sehnen in den Knie¬ 
kehlen und Adduc¬ 
toren. 

1 Zeit frei gehen, wird 
meist geführt. 

10 Minuten ohne Er¬ 
müdung. 

congenita 

utriusque. 

Völlig normal 
entwickelt. 

Normal. 

Gipsverband in cor- 
rigirter Stellung. 

1 

1904. Kann eine 

1 Stunde und mehr 

1 ohne fremde Hilfe in 

1 Schienenhülsen¬ 
apparaten ohne Er¬ 
müdung laufen. 





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598 


Paul Glaessner. 


'S Name 
csi 


Aetiologie 


vieltes Krämpfe? Extremsten Ex^fe 


30 Robert Z. 


31 Guido S. 


(Normale Geburt.) 


(Normale Geburt), 
starkes psychisches 
Trauma der Mutter. 


In den ersten Rechter Arm Befallen 
Wochen, schwächer als 
der linke. 

I 

— Zeigen zeit- Hoch^di^ 
weilig starke ergriffen. 

Unruhe; 
leichte Spas 
men. 


32 Adolf G. 


Fieberhafter Magen- — 
darmkatarrh im 
Alter von 18 Mona¬ 
ten. 


Geringgradig Hocharäd:| 
erg]^en, befallen. 
Schwäche in 
den Händen. 


Frieda S. (Normale Geburt.) 4. 

Carl W. (Normale Geburt.) 3. von 

Mit IV« Jahren die vier 
ersten Krankheits- Ge- 
Zeichen. schw. 

? 


Normal. 


Normal. 


Typisch be¬ 
fallen. 

Becbte 
stärker 
fallen äl- 
link!. 


Arthur Z. (Normale Geburt.) — 

Nach 4 Jahren die 
ersten Erankheits- 
zeichen. (Inzucht, 

Vater ist der Onkel 
der Mutter.) Fall aus 
dem Bett auf den 
Boden. 

Paula St. (Normale Geburt.) 2. 

Erste Zeichen in den 
ersten Lebensmona¬ 
ten. 

? 


Gebrauch 
derselben 
stark beein¬ 
trächtig^. 


Stark W 
fallen. 


Frei. I Befallen. 


Emmy W. (Normale Geburt.) 10. 

Erste Zeichen zwi- jüng- 
schen viertem und stes 
!fünftem Lebensjahr. 


Frei. I Typisch ht 
fallen. 


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Google 




Die LitUe’ache Krankheit. 


599 


Intelligenz 

Sprache 

Therapie 

Erfolg 

Anmerkung 

1 

M^g ent- , 
wickelt. 1 

Weohs^nd, 
zeitweise gnt. 

1904. Massage und 
Uebungen. 

Geringer Erfolg. 


Anfangs sehr 
feriog; hebt 
sieb kngsam. 

Schlechte 
Articnlation. 
Stottert bei 
Erregung. 

1904. Durchschnei¬ 
dung des Quadriceps 
beiderseits, der 
Beugesehnen in den 
Kniekehlen, subcu- 
tane Verlängerung 
der Achillessehnen. 

Gang nach kurzer 
Zeit in Schienen- 
hOlsenapparaten 
wesentlich gebessert. 
Nach Sodentbal zum 
Kuraufenthalt ent¬ 
lassen. 


Sthr intelli¬ 
gent 

Sehr gut. 

1904. Subtrochan- 
tere Osteotomie links 
(Coxa vara), desgl. 
rechts (wegen Ver¬ 
kürzung). Tenotomie 
der Achillessehnen, 
Durchschneidung 
der Beugesehnen in 
den Kniekehlen. 

Gang etwas gebes¬ 
sert. 

Linksseitige 
hochgradige 
Coxa vara. 

Wenig ent¬ 
wickelt 

Nicht gut 

Steht in anderweitiger Behandlung. 

I 


Gut ent¬ 
wickelt 

Im Anfang 
etwas 
Stottern. 

Offene Durchschnei¬ 
dung der Beugeseh¬ 
nen in der rechten 
Kniekehle, Teno¬ 
tomie der rechten 
Achillessehne. 

1904. Mit Anstren¬ 
gung kann C. eine 
Stunde ohne Unter 
Stützung gehen. 


Vollkommen 

normal. 

Schwierig, 

schleppend. 

Subcutane Teno¬ 
tomie der Adducto- 
ren und der Achilles¬ 
sehnen. 

1904. Gehen ohne 
merkliche Ermü¬ 
dung, falls Pat. sich 
Mühe gibt, ca. 20 Mi¬ 
nuten lang möglich, 
dabei aber gestützt; 
mühsamer u. schwer- 
fUlliger Gang. 


Entwickelte 
si' b langsam, 
tst aber fast 
normal. 

Sehr g^t. 

1 

Tenotomie der Ad- 
ductoren und Achil¬ 
lessehnen. Durch¬ 
schneidung der Mus¬ 
keln in den Knie¬ 
kehlen. 

1904. Gang etwas 
wackelnd, ohne 
Stützen von circa 
1 Stunde Dauer 
ohne Ermüdung. Er¬ 
folg ausgezeichnet. 


Normal. 

Normal. 

Tenotomie der Achil¬ 
lessehnen und Ad- 
ductoren, Durch¬ 
schneidung der Beu¬ 
gerin denKniekehlen 
und der Fascia lata. 

1904. Bloss bei 
Spaziergängen wird 
ein Stock als Stütze 
benutzt. Dauer des 
Gehens ohne Ermü¬ 
dung ca. 1 Stunde. 

Ein älterer Bru¬ 
der leidet gleich¬ 
falls an Little- 
scher Krankheit. 


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600 


Paul Glaessner, 


'S Name 
csi 

38 Mathilde H. 

89 Therese B. 

40 Emma K. 

41 Max H. 

42 Ludwig A. 

43 M. W. 

44 Alfred L. 

45 Elfriede M. 

46 Johann B. 


Aetiologie 

Wie¬ 

vieltes 

Kind? 

Krämpfe? 

Obere 

Extremitäten 

Unter? 

Extremiücax 

(Normale Geburt.) 
Erste Erankheits- 
erscheinungen im 
elften Lebensjahr 
nach Influenza. 

— 

— 

Beide gleich schwer 
ergriffen. 

(Normale Geburt.) 
Wahrscheinlich 
Meningitis mit 
57« Monaten. 
Trauma des Kindes. 
Fall auf den Kopf. 

6. 

jüng- 

stes 

Imal 

beobachtet. 

Frei. 

j BefalleiL 

9 


Nein. 

Frei. 

Typisch ht- 
fallen. 

0 

— 

Nein. 

Frei. 

Typisch er 

krankt. 

? 

— 

Nein. 

Frei. 

Typisch er 
krankt 

1 

I ? 

— 

— 

1 

Beide typisch befalleit 

1 

1 

1 

i 

— 

— 

Geringe 

Spasmen. 

Befallen. 

1 

1 

Frühgeburt. In der 

1 Familie der Mutter 

1 zahlreiche organi¬ 
sche und functionelle 
; Nervenkrankheiten. 
Vater luetisch in- 
ficirt. 

— 

— 

Spasmen mit, 
leichten 
athetotischen 
Bewegungen. 

Schwer It* 
fallen. 

1 Protrahii*te Geburt. 

1 Asphyxie. 

1 



Geringe Be¬ 
weglichkeit. 1 
typische ' 
Spasmen und| 
Stellungen. | 

1 

Typisch 
fallen, sehr 
hochgrad:c 
StöruDgec 






Die Little'sche Kraokbeit. 


601 


itelligenz 

Sprache 

Therapie 

Erfolg 

Anmerkung 

Gering. 

Nicht an¬ 
gegeben. 

Tenotomie der Ad- 
ductoren u. Achilles¬ 
sehnen. i 

Zufriedenstellender 

Erfolg. 

Ueberzähbger 
Daumen rechts. 

Normal. 

Normal. 

1 

Subcutane Teno- , 
tomie der Achilles- 1 
sehne links, subcu¬ 
tane Verlängerung 
der Achillessehne 
links. 

Gang hinkend, müh¬ 
sam, nur mit Stützen 
möglich. 


Normal. 

1 

Normal. 

Tenotomie der Achil¬ 
lessehnen, offene 
Durchschneidung 
der Beugeaehnen in 
den Kniekehlen. 

1904. Kann sich in 
ihren Schienen¬ 
hülsenapparaten 
allein fortbewegen. 


Normal. 

Normal. 

Tenotomie der Ad- 
ductoren u. Achilles¬ 
sehnen. 

Wesentliche Besse¬ 
rung. 


Normal. 

Normal. 

Tenotomie der Achil¬ 
lessehnen. 

Gutes Resultat. 


»ehr gering. 

Sehr schwer 
und langsam. 

j 

Tenotomie der Ad- 
ductoren u. Achilles¬ 
sehnen. 

Erfolg gut 

Hydrocephalus. 

1 

itwas zurück¬ 
geblieben. 

i Nicht an¬ 
gegeben. 

Tenotomie der Ad- 
ductoren u. Achilles¬ 
sehnen. Offene 
Durchschneidung 
der Beuger in den 
Kniekehlen. 

V erhältnissmässig 
guter Erfolg. 


Wenig ge- 
stört. 

Undeutlich, 

langsam, 

abgerissen. 

Tenotomie der Achil¬ 
lessehnen. 

1904. P. konnte allein 
; stehen, mit ganzer 
Fusssohle auftreten 
und gestützt lang¬ 
sam gehen. Im Alter 
von 21 Jahren an 
Entkräftung ge¬ 
storben. 

Jüngerer Bruder 
leidet an ähn¬ 
lichen Erschei¬ 
nungen geringe¬ 
ren Grades. 

Sehr wenig 
entwickelt. 

P. konnte nur 
unarticulirte 
Laute von 
sich geben. 

1 

Tenotomie der Achil¬ 
lessehnen etc. 

12 Stunden nach der 
Operation epilepti¬ 
sche Convulsionen 
und Exitus letalis. 



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602 


Paal Glaessner. 





Wie¬ 

43 

eS 

Name 

Aetiologie 

vieltes 

N 



Kind? 

47 

K. H. 

Protrahirte Geburt. 




(Zange.) 



Krumpfe? 


Obere 

Extremitäten 


Untere 

Extremität^ 


Nicht be- Typiach b€ 
theiligt. fallen. 


48 


Paaline P. 


Nach einer fieber¬ 
haften Erkrankung 
mit Bewasstseins- 
störangen erste 
Krankheitserschei¬ 
nungen. I 


3. von 
fünf 
Ge- 
schw. 


49 


M. H. 


Schwere Geburt, 
enges Becken 
(Zange). Asphyxie. 


. 50 


Florenz 0. 


Zangengeburt. 1 — 


Mässig er- Sehr starh 
griffen.haupt- afficirt. 
sächlich 
rechts. 


I 

Beide oberen 
Extremitäten 
schwer spa¬ 
stisch afficirt. 
Athetotische 
Bewegungen. 


Athetotische Bewegungen, 


In typische 
Weise er¬ 
griffen. 


51 


Albert W. 


9 


52 


A. N. 


Schwere Zangen¬ 
geburt, schwere 
Asphyxie. 


ln den ersten Starke Athetose sämmt- 
Lebens- lieber Extremitäten, 

monaten. | 

— Fortwährende starke 

athetotische Bewegungen. 


53 


P. 6. 


Im Anschluss an 
Scharlach traten die 
ersten Krankheits¬ 
erscheinungen auf. j 


1 

Im neunten Starke athetotische Be- 
Monat. wegungen. Besonders 
Finger und Zehen stark 
von der Athetose befallen 


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Die Little’sche Krankfaeit 


603 


'mellig^nz Sprache 


Therapie 


Erfolg 


AnmerkuDg 


W eni^ intelli' Stotternd, 

gent. I abgerissen. 


Aua- Normal, 

gezeichnet. 

I 


Tenotomie der Ad* i Schon nach einigen 
ductoren, offene I Wochen ist eine 
Durchschneidung ‘ wesentliche Besse- 
der Muskeln in den i rung des Gangs zu 
Kniekehlen. bemerken. 

I 

Sehnenplastik an Ausgezeichnet P. 
beiden Füssen, Sub- geht allein, auf einen 
cutane Tenotomie Stock gestützt, voll* 
der Adductoren. kommen sicher und 
' gut. 


Verbaltnias- Sehr beträcht- 

mässig wenig liehe Sprach- 
gestort- Störungen. 


Sehnenplastik (der P. kann allein stehen 
innere Zipfel der ge- ! und gehen, atheto- 
spaltenen Achilles* tische Bewegungen 
sehne wird auf die | nahezu völlig ver* 
Innenseite des Tibia* 1 schwunden. Sprache 
lis anticus ver* i bedeutend gebessert, 
pflanzt). I 


Leidlich gut 

entwickelt. 

Schlechte, 

undeutliche 

Articulation. 

Massage, Gymnastik, 
Uebungen. Corset 
mit Kopfstütze. 
Sprachunterricht. 

Gegenwärtig noch in 
Behandlung. Deut¬ 
liche Besserung 
schon jetzt bemerk¬ 
bar. 

Geringer 
Grad von 
^-hwaebainn. 

Stotternd, 

lallend. 

Massage, Gymnastik, 
Uebungen. Jodkali, 
Arsen, Soolbäder. 

Deutliche Besserung. 
Auch in der Sprache 
grosse Fortschritte. 

V erhältniss- 
mässig gut 
entwickelt 

Stotternd. 

, 

Massage, gymnasti* 
sehe Uebungen. Cor¬ 
set mit Kopfstütze. 
Innerlich Arsen. 

Sehr gutes Resultat. 

Nicht sehr , 
?tark herab¬ 
gesetzt 

1 

j 

[ Lallend, 
zusammen¬ 
hanglos. 

1 

Regelmässige Mas¬ 
sage, methodische 
Uebungen. Corset u. 
Schienenbülsen- 
apparate. 

Zustand bat sich 
wesentlich gebessert. 


Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XIII. Bd. 


40 


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604 


Paul Glaessner. 


Therapie. Wir haben oben schon darauf hingewiesen, welche 
Erwägungen uns zu einer man könnte sagen fast causalen Therapie 
gebracht haben. Nach dem, was wir auf S. 590 auseinandergesetzt, 
wird man es vollkommen begreifen, was Hoffa sagt: Wir müssen 
mit allen uns zu Gebote stehenden Mitteln die Energie des cortico- 
motorischen Neurons (jener Bahn, welche von der Grosshimrinde 
bis zu den grauen Vorderhörnern des Rückenmarks führt) zu heben 
und dagegen die Wirkung des peripheren Neurons (jener Nerven¬ 
bahn, welche von den grauen Vorderhörnern des Rückenmarks zu 
den Endverzweigungen im Muskel führt) zu schwächen suchen. 

Dieses oberste Princip der ganzen Behandlung der Little'schen 
Erkrankung wird mit verschiedensten Mitteln angestrebt und die er¬ 
zielten Resultate sind im allgemeinen als sehr günstige und für die 
Kranken äusserst werthvolle zu bezeichnen. Nur bei den allerleich¬ 
testen Fällen wird es gelingen, durch diese Behandlungsmethode einen 
von dem normalen kaum verschiedenen Gang zu erzielen, in den 
meisten Fällen wird man sehr zufrieden sein können, wenn die 
Kranken sich später ohne jegliche Stütze oder wenigstens ohne 
fremde Hilfe frei fortbewegen können. Bevor wir auf die ver¬ 
schiedenen Massnahmen unserer Behandlung näher eingehen, möchte 
ich an dieser Stelle jene Tabelle einfügen, von der ich bereits S. 582 
gesprochen habe und welche unter anderem auch den Erfolg unserer 
therapeutischen Bemühungen veranschaulichen soll. 


Aus der voranstehenden Tabelle geht mit Deutlichkeit hervor, 
dass in den allermeisten Fällen der Erfolg der Behandlung ein sehr 
günstiger, in wenigen ein relativ befriedigender und in ganz ver¬ 
einzelten ein negativer war. Die in der Rubrik „Therapie“ auf¬ 
gezählten Massnahmen sind, wie ein Vergleich mit den entsprechenden 
gleichnamigen Krankengeschichten lehrt, nur mit Bezug auf das ope¬ 
rative Vorgehen angeführt; die solchen operativen EingrifiFen folgende 
Nachbehandlung, die gleich weiter unten beschrieben werden soU, 
ist nicht besonders erwähnt und fand in allen Fällen, natürlich den 
individuellen Verhältnissen angepasst, gleichmässig statt. 

Entsprechend des oben angeführten Grundsatzes für die Be¬ 
handlung der Little'schen Krankheit kann man die in Betracht 
kommenden Massnahmen in zwei Gruppen scheiden: 


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Die Little'sche Krankheit. 


605 


1. solche, welche dazu dienen, das periphere Neuron zu schwächen 
and 2, solche, welche im Stande sind, die Energie des cortico-moto- 
rischen Neurons zu heben. 

Das erste Ziel erreicht man am besten, indem man sämmtliche 
Sehnen, welche activen wie passiven Bewegungen jenen so oft ge¬ 
nannten spastischen Widerstand entgegensetzen, durchschneidet. Die 
sich selbst in leichten Fällen recht stark anspannenden und bei jedem 
Versüß, die Beine in stärkere Abductionsstellung zu bringen, oft 
coulissenartig, oft als derber, fester Strang vorspringenden Ursprungs¬ 
sehnen der Adductoren der Oberschenkel wird man am zweckmässig- 
sten subcutan durchschneiden. Auf denjenigen, der diese Durch¬ 
schneidung zum erstenmal sieht, selbst auf geübte Chirurgen, macht 
sie den Eindruck eines kleinen Wagestücks wegen der Nähe der 
Vena saphena magna und der Nähe der grossep Oefässe. Die Be¬ 
merkung: ,Sie haben aber Mutb,*" die ein geübter Chirurg gelegent- 
hch einer solchen subcutanen Tenotomie machte, mag als Beleg 
hierfür dienen. Trotzdem passirt eigentlich nie ein unangenehmer 
Zwischenfall bei diesem nur einen Augenblick dauernden Eingriff. 
Die manchmal etwas stärkere Blutung steht mit Compression recht 
bald und der in die Wundhöble allerdings verhältnissmässig selten 
zu Stande kommende Bluterguss wird resorbirt, ohne dass irgend 
welche Storungen eintreten. Zur Beseitigung der Adductorenspasmen 
wurde auch einigemale die Resection des Nervus obturatorius aus¬ 
geführt. Die Erfahrungen sind zu gering, um über den Erfolg ein 
Urtbeil abgeben zu können. Die Beugesehnen in der Kniekehle 
werden offen durchschnitten. Entweder macht man zwei Incisionen 
in der Poplitealgegend 6—8 cm lang und sucht sich die Sehnen aus, 
oder man durchschneidet alle Sehnen von einer Incision aus. Letzteres 
Verfahren, nicht so übersichtlich, hat keine Vortheile. Achten muss 
man, dass der an der Aussenseite der Kniekehle verlaufende Nerv, 
peroneus bei dieser Gelegenheit nicht mit durchgeschnitten wird. 
Bei starker Spannung des Muse, cruris quadriceps und Hochstand 
der Patella ist es ganz zweckmässig, auch die Sehne dieses Muskels 
von einer Incision oberhalb der Patella (5—6 cm lang) freizulegen 
und zu durchtrennen. 

Zur Beseitigung der Spitzfussstellung hat man mehrere Methoden 
zur Wahl. Erstens die einfache subcutane Tenotomie, ferner die 
subcutane Verlängerung der Achillessehne nach Bayer, dann die 
ofiTene Verlängerung der Achillessehne nach Bayer und schliesslich 


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606 


Paul GJaessner. 


die Verpflanzung eines abgespaltenen Zipfels der Achillessehne (be¬ 
sonders in Fällen von Fes equino-varus) auf Tibialis anticus resp. 
Peroneen. Je nach der Besonderheit des Falles muss man unter 
den angegebenen Wegen wählen. 

Hat man nun auf operativem Wege all die Hindernisse, welche 
eine freie Beweglichkeit der einzelnen Gelenke der unteren Extremi¬ 
täten beschränken, glücklich beseitigt, so ist damit erst die Hälfte 
oder vielleicht noch weniger als die Hälfte erreicht. Jetzt setzt die 
gerade in diesen Fällen so wichtige Nachbehandlung ein, welche 
eigentlich schon mit dem Verband beginnt. Die nach Durchtrennung 
der Adductoren möglich gewordene Abduction muss zunächst durch 
längere Zeit festgehalten werden, damit nicht die sich ausbildenden 
Muskel- resp. Sehnennarben das erreichte Resultat wieder vernichten. 
Zu diesem Zwecke wird nach sorgfältigem aseptischem Verband aller 
gesetzten Wunden unter Hereinnahme des Beckens ein Gipsverband 
in starker Abductionsstellung der Hüftgelenke, vollkommener Streckung 
der Kniegelenke und rechtwinkliger Stellung der Fussgelenke an¬ 
gelegt. Dieser Verband bleibt 4—6 Wochen liegen. Die Nähte 
werden nach 6—8 Tagen durch Fenster im Gipsverband entfernt. 
Unterdessen werden für die Fälle, in denen es nothwendig ist, 
Schienenhülsenapparate nach vorher fertiggestellten Gipsabgüssen 
angefertigt. Nach Abnahme des Gipsverbandes beginnt die Nach¬ 
behandlung im eigentlichen Sinne des Wortes. 

Während das bis jetzt geschilderte Vorgehen sich nur auf die 
schwereren Fälle der ersten und auf die Fälle der zweiten Gruppe 
bezieht, welche nicht schon schwere psychische Störungen bieten, 
soll die nun folgende Beschreibung der weiteren Massnahmen auch 
für die Behandlung der schwersten Fälle, der Athetosen sowie der 
ganz leichten Fälle, in denen vielleicht nur die Spitzfussstellung 
durch eine einfache subcutane Tenotomie zu beseitigen ist, Anwen¬ 
dung finden. 

Nach Abnahme des Gipsverbandes werden in geeigneten Fällen 
Schienenhülsenapparate angelegt — es erübrigt sich wohl, noch eine 
genaue Beschreibung dieser bei der beute bereits ganz allgemeinen 
Verwendung derselben folgen zu lassen —, welche zunächst für 
längere Zeit (mehrere Monate) Tag und Nacht getragen werden. 
Morgens und Abends werden die Apparate abgenommen zum Zwecke 
einer ausgiebigen Massage und Gymnastik der Extremitäten. 

Während die Strecker einer gründlichen Effleurage und Petris- 


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Die Little'sche Krankheit. 


607 


sage unterworfen werden, erfahren sämmtliche Beugesehnen ein 
kräftiges Tapotement; die sich an die Massage anschliessenden 
Uebungen sollen unter Leitung und Aufsicht des Arztes ausgeführt 
werden und erfolgen auf ganz regelmässiges Commando. Bei der 
Ausführung der gleich noch näher zu beschreibenden Uebungen muss 
von Seiten des Kranken wie des Arztes grosse Geduld und Sorgfalt 
aufgewendet werden. Besonders im Anfang, wo die Excursionsbreite 
der Bewegungen in den einzelnen Gelenken noch eine recht geringe 
ist, wird man oftmals zählen, ohne dass auf das gegebene Commando 
eine Bewegung erfolgt. Wenn in dieser Zeit der Kranke nur Willens¬ 
impulse zu den noch nicht gehorchenden Muskeln schickt, so ist schon 
der Beginp einer Bewegung gemacht. Nach und nach werden die 
Bewegungen ausgiebiger, und dann hat man besonders darauf zu 
achten, dass dieselben möglichst exact ausgeführt werden. Es kommen 
vorzüglich in Betracht Abductionsbewegungen im Hüftgelenk, Streck¬ 
bewegungen im Kniegelenk und Dorsal- und Plantarflexion im Fuss- 
gelenk. Dass man nebenbei noch andere mögliche Bewegungen aus- 
führen lassen wird, versteht sich von selbst. Eine ganze Reihe ein¬ 
facher Uebungen und deren Combinationen wird dem Patienten eine 
genügende Abwechslung in der meist Monate lang währenden Be¬ 
handlung bieten. Sache des Arztes wird es sein, besonders im An¬ 
fang keine zu grossen Ansprüche an die Widerstandsfähigkeit der 
oft recht reizbaren Kranken zu stellen. Die genannten Uebungen 
auch im warmen Bade ausführen zu lassen, empfiehlt sich aus be¬ 
kannten Gründen. Die gleichen oder ähnliche Uebungen wie an den 
unteren Extremitäten wird man in geeigneten Fällen auch von den 
oberen ausführen lassen. Man wird stets active und passive Uebungen 
mit einander abwechseln lassen, im Anfang etwas mehr Förderungs-, 
später mehr Widerstandsbewegungen einschliessen. Gelegentlich wird 
auch eine Massage des Kückens mit darauf folgenden Uebungen der 
Rückenmusculatur sich als nothwendig erweisen. 

Tagsüber werden Gehübungen vorgenommen, und zwar zunächst 
im Heusner'schen Lauf harren, welcher den Kranken eine sehr gute 
Stütze gewährt, später mit zwei Stöcken und allmählich ohne Stütze. 
Es kann nicht oft genug darauf hingewiesen werden, wie nothwendig 
es ist, die Ausdauer der Patienten stets wach zu erhalten. Sind erst 
einmal sichtbare Fortschritte vorhanden, so fühlt sich der Kranke 
durch jedes kleine Stückchen Wegs, das er mehr zurücklegen kann 
als am Tage vorher, schon von selbst belohnt. 


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608 


Paul Glaeasner. 


In vielen Fällen ist es, besonders im Anfang, nothwen¬ 
dig, den stark nach vom überfallenden Rumpf durch ein Hes- 

sing’sches Bügelcorset zu stützen. Man kann auch eine Verbin¬ 
dung des Corsets mit den Schienenhülsenapparaten ausführen lassen, 
so dass selbst ganz schwere Fälle sich aufrecht halten können; 
der ganzen Schwere des Körpers dienen dann die Achseln als 
Stütze. 

Erschwert werden die Qehübungen ganz wesentlich, wenn die 
oberen Extremitäten auch von der spastischen Lähmung befallen sind. 
Dann kann sich der Kranke nur mit Mühe und ganz unzuverlässig 
auf seine Arme stützen und gewinnt viel langsamer die Sicherheit 

beim Gehen. — Neben den Gehübungen kommen noch Uebungen 

an gewissen Apparaten in Betracht. Der früher so vielfach ver¬ 
wendete Hoffa’sche Lagerungsapparat wird jetzt durch einen anderen 
Spreizapparat mit Widerstandsgewichten ersetzt, auf dem die Kranken 
bis zu ^/2 Stunde ihre Uebungen ausführen. Ebenso werden Knie- 
und Fusspendelapparate vielfach bei der Nachbehandlung verwendet. 
Sehr zweckmässig ist es, die Kranken im Sommer ein Soolbad auf¬ 
suchen zu lassen. 

Eine besondere gymnastische Behandlung erfordern auch die 
Sprachstörungen. Hoffa hat neuerdings (Centralblatt für physi¬ 
kalische Therapie Heft 1) auf die Nothwendigkeit hingewiesen, be¬ 
sonders die für die Lautbildung nothwendigen Mundstellungen mög¬ 
lichst exact unter Benutzung eines Spiegels zur Selbstcontrolle des 
Patienten üben zu lassen und neben diesen Uebungen eine regel¬ 
mässige Athemgymnastik zur Erlernung der nicht geläufigen Athem- 
bewegungen einzuführen. 

Nun noch ein Wort über die Dauer der Behandlung. Es ist 
selbstverständlich, dass nach dem ganzen Krankheitsbild und nach 
unseren verhältnissmässig geringen Kenntnissen seiner Aetiologie die 
Dauer der Behandlung eine recht lange sein muss. Selbst in den 
leichten Fällen wird sie sich auf viele Wochen erstrecken müssen, 
und schwere Fälle müssen Monate lang in Behandlung bleiben. Be¬ 
rücksichtigt man nun die Art der therapeutischen Massnahmen, ins¬ 
besondere die 2malige tägliche Massage und die vielen Gehübungen, 
so wird man begreifen, dass eine solche Behandlung auch ihre 
Grenzen haben muss, soll der nervöse Zustand des Kranken und im 
Zusammenhang damit sein Allgemeinbefinden nicht leiden. Deshalb 
empfiehlt es sich, natürlich mutatis mutandis nach einer mehrmonat- 


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Die Liiile'sche Krankheit. 


609 


liehen Erstbehandlung eine längere Pause eintreten zu lassen, um 
später au dem erreichten Resultat weiter zu arbeiten. 

Nur durch hebe rolle, unermüdliche Thätigkeit, die sich der 
Grenzen des Erreichbaren wohl bewusst bleibt, wird es gelingen, 
jenes Resultat zu erzielen, welches man bei üebernahme der Kranken 
erstrebt hat: die oftmals völlig hilflosen Menschen auf eigene Füsse 
zu stellen, ihnen die Möglichkeit zu schaffen, sich selbst fortzubewegen 
und sie dadurch von jenem so deprimirendem Gefühl, bei jeder 
kleinsten Ortsveranderung auf fremde Hilfe angewiesen zu sein, völlig 
zu befreien. 


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XXXVIII. 


(Aus der Klinik für orthopädische Chirurgie des Herrn Geheimraths 
Prof. Dr. Hoffa-Berlin.) 

Beiträge zur Sehnenplastik. 

Von 

Dr. Jos. Koch, 

früherem I. Assistenten der Klinik. 

Mit 3 in den Text gedruckten Abbildungen. 

A. Allgemeiner Theil. 

Die pathologisohe Anatomie des durch Poliomyelitis gelähmten 
Muskels und ihre Bedeutung für die Sehnenplastik. 

Auf dem Gebiete der Sehnenplastik haben uns neuere Arbeiten 
grosse Fortschritte gebracht. Fragen wissenschaftlicher wie prak¬ 
tischer Natur sind bereits befriedigend beantwortet oder doch ihrer 
Lösung näher gebracht. 

Aber während wir heute über die feineren histologischen Vor¬ 
gänge bei der Heilung und Regeneration von transplantirten Sehnen 
durch vortreflFliche Arbeiten, wie die von Hoffa, Borst und Seggel 
genau unterrichtet sind, ist merkwürdigerweise der gelähmte Muskel 
selbst bis jetzt noch nicht Gegenstand eines genaueren Studiums ge¬ 
wesen, und in der That wissen wir so gut wie nichts über die paAo- 
logische Anatomie desselben. In den Arbeiten über Sehnentrans¬ 
plantation ist zwar viel die Rede von Atrophie, fettiger Degeneration, 
Fettgewebsentwickelung der gelähmten Muskeln, wir hören ferner 
von total gelähmten und überdehnten Muskeln, makroskopisch unter¬ 
scheiden wir gelbweiss, rosaroth und dunkelroth aussehende Muskeln, 
aber eine genaue Vorstellung der Histologie dieser pathologisch ver¬ 
änderten Muskeln verbinden wir mit den verschiedenen Ausdrücken 
nicht. Dass diese Lücke noch nicht ausgefüllt ist, mag seinen Grund 
darin haben, dass die Kapitel Muskelatrophie und Regeneration mit zu 


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Beiträge zur Sehnenplastik. 611 

den schwierigsten und yielumstrittensten der allgemeinen Pathologie 
gehören. 

Die Lähmung der Muskeln bei der spinalen Kinderlähmung 
kommt bekanntlich durch einen im Vorderhorn des Rückenmarks 
etablirten Krankheitsprocess zu Stande, und zwar handelt es sich 
am eine Heerderkrankung der grauen Substanz des Vorderhorns. 
Auf die pathologische Anatomie desselben soll hier nicht näher ein¬ 
gegangen werden, da sie genugsam bekannt ist. Secundär werden 
nun diejenigen peripherischen Nerven und die von diesen versorgten 
Muskeln in Mitleidenschaft gezogen, deren trophisches Gentrum im 
Vorderhorn zerstört ist; in frischen Fällen fanden Untersucher an 
den peripherischen Nerven im Gebiete der gelähmten Extremitäten 
Zerfall von Mark und Achsencylindem, an den Muskeln deutliche 
Zeichen fettiger Degeneration. 

Nach dem Handbuche von E. v. Leyden und Goldscheider 
,Die Erkrankungen des Rückenmarks und der Medulla oblongata“ 
zeigt die spinale Kinderlähmung drei scharf getrennte Perioden: 

1. die Periode der acuten Entwickelung der Lähmung, acutes 
Stadium, 

2. das Stadium der Degeneration und Regeneration, 

3. das stationäre Stadium. 

Muskeln aus den beiden ersten Perioden der spinalen Kinder¬ 
lähmung standen mir nicht zur Verfügung, wohl aber die des dritten, 
des stationären Stadiums. Es befinden sich in diesem alle die Fälle, 
die heute infolge der guten Resultate der Sehnenplastiken unsere 
Kliniken aufsuchen, um von Lähmungen befreit zu werden, deren 
Ursprung mehr oder weniger lange Jahre zurückliegt. Die Klinik 
des Heim Geh.-Rath Prof. Dr. Hoffa speciell verfügt über ein 
grosses Material, und durch die Güte meines Chefs war ich in der 
Lage, meine Muskeluntersuchungen an solchen Patienten anzustelleii, 
die ich selbst genau beobachtet und operirt habe. 

Allen Beobachtern, die praktische Erfahrungen über Sehneii- 
transplantation gemacht haben, ist die veränderte Farbe der ge¬ 
lähmten Muskeln aufgefallen, und nach der jeweiligen Farbe ist bei 
der Operation die Entscheidung gefallen, ob der Muskel zur Trans¬ 
plantation geeignet war oder nicht. Kunik unterscheidet in seiner 
Arbeit „Ueber die Functionserfolge der Sehnenüberpfianzungen bei 
paralytischen Deformitäten, insbesondere nach der spinalen Kinder¬ 
lähmung“, Münch, med. Wochenschr. 1901, Nr. 7, dunkelrothe func- 


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612 


Jo8. Koch. 


tionstUchtige, gelb au.ssehende degenerirte gelähmte Muskeln, endlich 
die rosarothen sogen, atrophischen Muskeln. Er erwähnt ferner die 
interessante Beobachtung, dass an einem und demselben Muskel alle 
drei Verfärbungen neben einander Vorkommen können, so dass der¬ 
selbe ein getigertes, streifiges Aussehen zeigt. Auch mir waren bei 
Operationen solche Verhältnisse aufgefallen, ebensowohl auch anderen 
Beobachtern, ohne mir dies eigenartige Verhalten erklären zu können, 
bis ich durch die mikroskopische Untersuchung solcher Muskeln volle 
Aufklärung erhielt, ja noch mehr, ich konnte aus den Präparaten 
gewissermassen das Schicksal der durch die Poliomyelitis gelähmten 
Muskeln vom ersten bis zum dritten Stadium verfolgen und einige 
neue Beobachtungen über die Atrophie und Regeneration solcher 
Muskeln machen. 

Untersucht man nun solche Muskeln, so bietet sich bei mikro¬ 
skopischer Betrachtung folgendes Bild: mit schwacher Vergrösserung 
sieht man auf Längsschnitten ein von einem normalen Muskel durch¬ 
aus abweichendes Aussehen (s. Fig. 1). Während bei einem normalen 
Muskellängsschnitt Faser an Faser liegt, die nur durch eine sehr geringe 
Menge von Bindegewebe, dem Perimysium intemuro, getrennt sind, 
während die einzelnen Muskelfasern im grossen und ganzen dieselben 
Kaliberverhältnisse und einen gleichmässigen Kernreichthum zeigen, 
herrscht bei dem pathologischen Muskel in den Kaliberverhältnissen 
eine starke Differenz der Fasern. Letztere sind vielfach durch eine 
vermehrte Menge von Bindegewebe aus einander gedrängt, der Kem- 
reichthum schwankt an den verschiedensten Stellen ausserordentlich. 
Verhältnissmässig selten sieht man normal lange und dicke Muskel¬ 
fasern, sehr häufig dagegen Bruchstücke von contractiler Substanz, 
deren Kaliber und Längenverhältnisse ausserordentlich schwanken; 
zwischen diesen Bruchstücken, die öfter einen gewundenen, ge¬ 
schlängelten Verlauf aufweisen, sind kernreiche Partien eingelagert, 
meist aber schlanke, zierliche, durch Eosin hellrosa gefärbte Fasern, 
die mit den durch das Eosin dunkler gefärbten dicken Muskelbruch¬ 
stücken eigenartig contrastiren. In Muskelbündeln mit spärlichem 
Faserreichthum tritt gewöhnlich ein reichliches Fettgewebe auf. 

Es gibt aber auch Partien, in denen die oben erwähnten 
schlanken zarten Fasern in ziemlicher Länge regelmässig parallel zu 
einander verlaufend Vorkommen, nur durch ein spärliches Binde¬ 
gewebe von einander getrennt. 

Ein ebenso vom normalen Muskelquerschnitt abweichendes Bild 


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Beiträge zur SebneDplastik. 


613 


zeigte der Querschnitt des pathologischen Muskels (s. Fig. 2). Was dem 
Auge des Beobachters am schärfsten auffallt, sind vereinzelte runde 
Muskelfasern von grossem Durchmesser, die von einer grösseren Menge 
von Fettbindegewebe von anderen Bündeln geschieden werden, in denen 
Muskelfasern mit ausserordentlich kleinem Durchmesser verkommen. 
Die Ealiberverhältnisse sind also auch hier ausserordentlich ver¬ 
schieden, ebenso die Gestalt, kreisrunde lebhaft gefärbte Querschnitte 
wechseln ab mit ovalen bis schmalen bandförmigen matter tingirten 
Fasern, die manchmal zwischen die schönen hypertrophischen Quer¬ 
schnitte sich drängen. 

Man gewinnt den Eindruck, als wenn einzelne Fasern das 
Bild höchster Hypertrophie, andere das stärkster Atrophie zeigten, 
kurz und gut ein durchaus unregelmässiges, vom normalen Muskel 
stark abweichendes Bild. 

Kehren wir nun zum Längsschnitt des pathologischen Muskels 
zurück und versuchen wir mit mittelstarker Vergrösserung die ein¬ 
zelnen Elemente genauer zu studiren. Ueberall zwischen den plumpen 
dicken Bruchstücken erhaltener Musculatur finden sich die bereits 
oben erwähnten schlanken Fasern. Ihre contractile Substanz ist 
durch das Eosin zart rosa gefärbt. Die Kerne an ausgebildeten 
Fasern im allgemeinen regelmässig angeordnet, durch Hämatoxilin 
tief blauschwarz gefärbt; die Länge wechselt sehr, je nachdem sie 
im Verlauf der Bruchstücke liegen und so eine Verbindung derselben 
scheinbar hersteilen oder zwischen denselben sich hinzieben. Im 
ersteren Falle erreichen sie keine besondere Länge, im letzteren 
können sie eine respectable Länge erreichen, manchmal umfassen 
sie die Bruchstücke von beiden Seiten. Verhältnissmässig selten sind 
aber Bündel solcher schlanken Fasern, die keine Bruchstücke alter 
Musculatur aufweisen; zierliche Bilder entstehen, wenn aus einem 
plumpen Bruchstück contractiler Substanz, die fast überall eine aus¬ 
gezeichnete Kernfärbung und ausgezeichnete Kerne zeigt, eine, zwei, 
manchmal noch mehr solcher schlanken Fasern hervorsprossen. 
Während dies ein gewöhnliches Vorkommniss ist, finden sich seit¬ 
liche Sprossungen nur selten, im übrigen halten Bruchstücke, wie 
schlanke Fasern die Längsrichtung scharf ein. Zu bemerken ist noch, 
dass fast in allen Muskelbündeln Fettgewebe in mehr oder weniger 
grosser Menge vorkommt. Dies tritt besonders auf Querschnitten 
hervor, wo zwischen vielem Fettgewebe nur wenige Muskelquerschnitte 
sich finden. In diesen Stellen ist manchmal die contractile Substanz 


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Ö14 


Jo8. Koch. 


in ein dichtes Fasernetz aufgelöst, ohne Kerne, im Perimysium vor¬ 
handen. Häufig trifft man Kerne innerhalb eines Muskelquerschnittes, 
die zuweilen denselben halbiren oder unregelmässige Stücke ab¬ 
schnüren. 

Vacuoläre Zerklüftung einzelner grossen Querschnitte kommt 
auch vor, ist aber selten. 

Das Bild, welches ich hier gezeichnet habe, stammt von einem 
Muskel eines 20jährigen jungen Mannes, der wegen eines paraly- 


Fig. 1. 



tischen Spitzfusses infolge einer im 3. Lebensjahre überstandenen 
Kinderlähmung die Klinik aufsuchte. Bei der Operation fiel mir die 
eigenartige Farbe der Musculatur der Extensoren auf, der Muskel 
hatte ein streifiges marmorirtes Aussehen, lebhaft rothe Streifen wech¬ 
selten mit rosarothen bis gelbweissen ab; von diesen Partien excidirte 
ich Stücke, die in Formol-Müller und steigendem Alkohol con- 
servirt und mit Hämatoxilin-Eosin gefärbt wurden. 

Wie haben wir nun den oben geschilderten mikroskopischen 


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Beiträge zur Sehnenplastik. 


615 


und makroskopischen Befund zu deuten? Offenbar haben wir es mit 
einem Muskel zu thun, in dem sich seiner Zeit einmal ein schwerer 
pathologischer Process abgespielt hat, in diesem Falle infolge einer 
Poliomyelitis anterior, die zu einer Lähmung sämmtlicher Extensoren 
führte. Die gewöhnliche Vorstellung, die wir von solchen patho¬ 
logischen Muskeln haben, ist die, dass es sich um eine hochgradige 
Atrophie der einzelnen Muskelelemente nebst einer mehr oder minder 
lipomatösen Degeneration, also einer Fettgewebsentwickelung zwischen 
denselben handle. Weitere Angaben sind in den Lehrbüchern nicht 
zu finden. Wir wissen weder, welche Veränderungen die Musculatur 
im acuten Stadium der acuten Kinderlähmung erleidet, noch den 
Zustand nach dem abgelaufenen Erankheitsprocess im stationären 
Stadium. 

Die Präparate zeigen nun, dass von einer Atrophie der ein¬ 
zelnen Muskelfasern, d. h. Abnahme des Volumens der contractilen 
Substanz, keine Rede sein kann. Auf Querschnitten sehen wir, dass 
ganze Muskelbündel seiner Zeit im acuten Stadium der Erkrankung 
total untergegangen sind, an ihrer Stelle hat sich Fettgewebe ge¬ 
bildet. An anderen Stellen sehen wir zahlreiche wohlgebildete junge 
Muskelfasern, es sind dies die schmalen zarten Fasern, und an wieder 
anderen Stellen sehen wir ein regelmässiges Bild, wie zwischen den 
plumpen, dicken Muskelbruchstücken auch an ihnen vorbeiziehend 
und sie einschliessend zahlreiche junge Muskelelemente sich ge¬ 
bildet haben, gewissermassen eine Verbindung der Bruchstücke der 
alten Fasern darstellend. So liegen also zwischen und neben den 
Trümmern alter Fasern junge neugebildete Muskelelemente. Ueberall 
sind reichliche Ansätze und bereits fertige Vorgänge von Regene¬ 
ration in dem sogen, atrophischen Muskel vorhanden. 

Die vorstehenden Ausführungen machen keinen Anspruch darauf, 
ein genaues histologisches Bild des spinal gelähmten Muskels gegeben 
zu haben. Dazu bin ich nicht im Stande, weil der pathologische 
Befund ein viel zu wechselnder ist. Bei dem einen Muskel über¬ 
wiegt die Menge des Fettgewebes (s. Fig. 3), bei dem anderen die 
der Musculatur, die aus alten Fasern bezw. deren Trümmern und neu¬ 
gebildeten besteht. 

Aber ob man auch gelblich verfärbte, getigerte oder 
Muskeln mit anderen Farbennuancirungen untersucht, es 
handelt sich immer um denselben Process der Degeneration 
und Regeneration, niemals einer gewöhnlichen Atrophie 


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616 


Jos. Koch. 


der Fasern. Wir sollten deshalb die Ausdrücke «atrophische 
Muskeln" fallen lassen und sie correcterweise «degenerirte" 
nennen. 

Man könnte hier den Ein wand machen, dass eben die zarten, 
schlanken Fasern atrophische, keineswegs neugebildete Muskelelemente 
seien. In der That ist es für einen, der auf dem Gebiet der Muskel¬ 
regeneration nicht zu Hause ist, gar nicht so leicht, die einzelnen 
Elemente zu würdigen. Aber wir haben Zeichen genug, um den 
objectiven Beweis zu führen, dass wir es in der That mit neu¬ 
gebildeten Muskelfasern zu thun haben. 

Zunächst finden wir fast regelmässig dort die Fasern, wo die 
alte Musculatur zu Grunde gegangen ist. Wie schon oben geschildert, 
suchen die schmalen Elemente gewöhnlich die Continuität der übrig 
gebliebenen Muskelbruchstücke wieder herzustellen dadurch, dass sie 
von einem zum anderen ziehen. Nicht minder beweisend und charak¬ 
teristisch sind jene Bilder, wo aus den Trümmern der alten Muskel¬ 
fasern schmale Elemente wie Knospen hervorsprossen, manchmal nur 
eine, öfter auch mehrere, die eine respectable Länge erreichen 
können. Solche Fasern ähneln denen, die zwischen den Bruchstücken 
entstanden, auf das Haar. Von Merkmalen einer Atrophie haben 
sie nichts an sich, alles aber spricht für Neubildung: ihre scharfen 
Conturen, die regelmässige Anordnung ihrer Kerne, ihr zartes Proto¬ 
plasma, endlich ihre schöne Querstreifung. 

Ohne weiteres zuzugeben ist, dass der Process der Neubildung 
bereits abgelaufen, wie lange er zurückliegt und warum die jungen 
Muskelelemente nicht das Kaliber der alten erreicht haben, die 
Frage kann ich nicht beantworten. Ueberhaupt bieten sich dem 
Pathologen beim Studium des spinal gelähmten Muskels noch manche 
interessanten Einzelheiten, auf die ich nicht weiter eingehen will. 

Einen weiteren Beweis für die Thatsache der Neubildung 
liefern mir meine experimentellen Studien über Regeneration, die 
ich an der Musculatur von Kaninchen angestellt habe. Ohne auf die 
feineren histologischen Verhältnisse der Entstehung neuer Muskel¬ 
fasern einzugehen, will ich nur so viel bemerken, dass meine Prä¬ 
parate, die ich auf dem obigen Wege erhielt, fast übereinstimmende 
Bilder mit den oben gezeichneten ergaben. 

Auch RudolfVolkmann, «lieber die Regeneration des quer¬ 
gestreiften Muskelgewebes beim Menschen und Säugethier“, Ziegler s 
Beitr. z. pathol. Anatom, und z. allg. Pathol. Bd. XII, hat bei der 


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Beiträge zur Sehnenplastik. 


617 


Regeneration der Typhusmusculatur dieselben Bilder gesehen, wie 
ich sie abgebildet habe. 

Genau, wie es beim Typhus nach den Untersuchungen von 
R. Volkmann der Fall zu sein scheint, kann es auch bei der 
spinalen Kinderlähmung zu einer Regeneration der untergegangenen 
Musculatur kommen, nur mit dem Unterschiede, dass es meist nicht 
so regelmässig und so vollkommen der Fall ist. 

Wir sind ferner durch das Studium des degenerirten Muskels 
in der Lage, auch über die Art und Weise seiner Schädigung und seines 
Unterganges im acuten Stadium der Poliomyelitis uns eine Vor¬ 
stellung zu machen. Darüber ist ja so gut wie gar nichts bekannt. 
Leyden und Goldscheider erwähnen in ihrem Handbuch, dass 
die gelähmten Muskeln schon in frischen Fällen gleichfalls deutliche 
Zeichen fettiger Degeneration erkennen lassen. Nach demselben 
Handbuch fand Redlich auch am Zwerchfell Degenerationen ein¬ 
zelner Fasern. 

Nach meinen Untersuchungen gehen im acuten Sta¬ 
dium der Poliomyelitis die einzelnen Muskelfasern durch 
eine fettige Degeneration, d. h. durch eine Fettmetamor¬ 
phose der contractilen Substanz zu Grunde. Infolge des 
Entzündungsprocesses im Vorderhorn des Rückenmarks kommt es zu 
einem Zerfall der betreffenden peripherischen Nerven, ihr Mark- und 
Achsencylinder zerfällt und die von ihnen versorgten Muskeln rea- 
giren ihrerseits durch den Zerfall von Muskelfasern durch Fettmeta¬ 
morphose : die Intensität sowie die Ausdehjnung der Degeneration ist 
verschieden. Auf mikroskopischen Schnitten sehen wir, wie ganze 
Muskelbündel verschwunden und nachträglich durch Fettgewebszellen 
ersetzt sind, an anderen Stellen wiederum war die Ursache der De¬ 
generation so schwach, dass noch nicht einmal die ganze Muskel¬ 
faser, sondern nur Theile derselben zerstört wurden und Bruchstücke 
alter contractiler Substanz erhalten blieben. Man kann also von einer 
deckweisen Degeneration sprechen, mit der das makroskopische Aus¬ 
sehen der verschiedenartigen Verfärbungen wohl übereinstimmt. 

Wie Eunik bemerkt, liegt die Erklärung dafür in dem Ver¬ 
halten der Ursprünge des den betreffenden Muskel versorgenden 
Xerven. So wird z. B. der Extensor digitorum pedis communis von dem 
tiefen Ast des Nervus peroneus versorgt. Da nun die spinale Kinder¬ 
lähmung auf Heerderkrankungen der grauen Substanz des Vorder- 
homs beruht und nur diejenigen Muskeln der fettigen Degeneration 


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Jos. Koch. 


verfallen, deren trophisclies Centrum im Vorderhorn zerstört ist, so 
ist es einleuchtend, dass bei dem Sitz der Krankheit im vierten Lumbal¬ 
segment in unserem Beispiel nur die hiervon versorgten Muskelfasern 
degeneriren werden, während die von den beiden anderen Segmenten 
innervirten Muskelbündel nur einer mehr oder weniger weitgehenden 
Inactivitätsatrophie verfallen. Was die letztere anbetrifft, so habe 
ich bei meinen Untersuchungen spinalgelähmter Muskeln davon nichts 
constatiren können. 

Es wäre übrigens ausserordentlich wünschenswerth, einmal in 
das Kapitel der sogen. Muskelatropbie Klarheit zu bringen. Trotz 
vieler einschlägigen Arbeiten ist die Verwirrung auf diesem Gebiete 
noch immer sehr gross. Ohne mich auf den Streit der Meinungen 
über reflectorische und Inactivitätsatrophie der Musculatur näher ein¬ 
zulassen, möchte ich mich gegen die Ansichten Rickers wenden 
(Inaug.-Dissert. 1893), der in seinen vergleichenden Untersuchungen 
über Muskelatrophie, die er auf Anregung von Schimmelbusch 
in der Bergmännischen Klinik anstellte, die Behauptung aufstellt, 
dass die Atrophie der Musculatur, selbst wenn sie durch Aufhebung 
des nervösen Einflusses als des mächtigsten hier in Betracht kom¬ 
menden Factors erreicht ist, durchaus chronisch, zunächst auf lange 
Zeit nur unter dem Bilde interstitieller Veränderungen verläuft, bis 
vielleicht erst nach Jahr und Tag auch Veränderungen des eigent¬ 
lichen Muskelparencbyms nachweisbar werden. Nach Rick er lassen 
Muskeln, welche in 10 Tagen durch Nervendurchschneidung um die 
Hälfte ihres Gewichts abgenommen haben, wohl unter dem Mikroskop 
einen schweren, sich in ihnen abspielenden pathologischen Process 
erkennen, aber dieser soll keineswegs in einem rapiden Zerfall der 
contractilen Substanz und einer Resorption der Zerfallsproducte be¬ 
stehen, etwa in dem, was man, im Gegensatz zu der einfachen, degene- 
rative Atrophie genannt hat, vielmehr war Rick er durch die mikro¬ 
skopische Untersuchung von der intacten Beschaffenheit des eigent¬ 
lichen Muskelparenchyms überzeugt. Er konnte nur die einfache 
Atrophie mit interstitiellen Veränderungen erkennen. Es sei daher 
durchaus falsch, wenn man den Unterschied zwischen der durch In- 
activität und der durch neurotische Processe hervorgebrachten Atrophie 
dahin definire, dass jene eine einfache, diese dagegen eine degene- 
rative sei, die vielmehr zunächst unter dem mikroskopischen Bilde 
der einfachen Atrophie, die erst allmählich in degenerative Processe 
der contractilen Substanz übergehe, schneller allerdings vielleicht. 


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Beiträge zur Sehnenplastik. 


619 


nach Aufhebung des nervösen Einflusses wegen des dabei betheiligten 
trophischen Momentes, als nach dauernder Aufhebung der Function 
durch andere Einflüsse 

Die vorstehenden Behauptungen Ricker’s treffen speciell für 
die Muskelatrophie bei der spinalen Kinderlähmung, die doch auch 
eine neurotische ist, überhaupt nicht zu. Das glaube ich durch 
meine Untersuchungen der Muskeln spinal gelähmter Kinder be¬ 
wiesen zu haben, dass von einer einfachen Atrophie, also der Ab¬ 
nahme des Volumens der einzelnen Fasern, keine Rede sein kann. 
Wie will man denn anders die zahlreichen Bruchstücke erhaltener 
contractiler Substanz, die auf Querschnitten den Eindruck hyper¬ 
trophischer Fasern machen, anders deuten als die Trümmer und 
Reste, wie anders die zahlreichen schlanken, zarten Fasern in Ver¬ 
bindung und zwischen letzteren, die doch beweisen, dass hier einmal 
contractile Substanz untergegangen, neue sich gebildet hat. 

Meine Untersuchungen über das histologische Verhalten quer¬ 
gestreifter Musculatur bei Inactivität stehen noch aus. Aus guten 
Gründen glaube ich annehmen zu dürfen, dass es sich bei ihr auch 
in der Hauptsache um keine einfache, sondern um eine degenerative 
handelt. Allerdings muss man solche Muskeln schon in den aller¬ 
ersten Tagen, wo sie der schädigende Process betroffen hat, in zweck¬ 
mässiger Weise, d. h. mit Reagentien untersuchen, wodurch die 
fettige Degeneration zum Vorschein kommt. Denn der Untergang 
und die fettige Metamorphose der contractilen Substanz geht sehr 
schnell, vielleicht schon in den ersten 24 Stunden vor sich. 

Was nun die feineren histologischen Vorgänge bei der Re¬ 
generation der Muskeln bei der spinalen Kinderlähmung betrifft, so 
muss ich bemerken, dass in den von mir untersuchten Muskeln der 
Process bereits abgelaufen ist; er befindet sich also im Ruhestadium. 

Aber trotzdem kann man mit Sicherheit die Vorgänge der 
Regeneration reconstruiren, wenn man sich durch das Thierexperiment 
über den Gang der Regeneration Klarheit verschafft hat. 

Ich habe meine Versuche an lebenden Kaninchen angestellt, 
denen ich in die Glutealmusculatur siedend heisses Wasser einspritzte, 
dem etwas Zinnober beigemischt war, um den Heerd der geschädigten 
Musculatur leicht wieder aufzufinden. Nach 24, 48 Stunden und 
4—6 u. s. w. Tagen wurden diese Partien excidirt, lebendfrisch in 
Flem ming’scher und Z enker'scher Lösung conservirt und in der 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XIII. Bd. 41 


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Jos. Koch. 


üblichen Weise geschnitten und gefärbt. Die Bilder, die ich erhielt, 
gleichen in hohem Grade denen, die ich oben beschrieben habe. 

Nach 48 Stunden sehen wir beim Kaninchenmuskel dort, wo 
das heisse Wasser nicht zu intensiv eingewirkt und die Musculatur 
nicht gänzlich zerstört hat, also in den Randbezirken, die Degenera¬ 
tionserscheinungen schon meistentheils abgelaufen. Ueberall sehen 
wir im Gesichtsfeld die übrig gebliebenen Faserstümpfe; vielfach 

Fig. 2. 



scheinen aus der Continuität der Fasern kürzere oder längere Stücke 
verschwunden zu sein; zwischen ihnen spannt sich ein zierliches Netz 
eines feinfaserigen Gewebes aus; die übrig gebliebenen Faserstümpfe 
sind nicht immer gleichartig, manche zeigen noch eine deutliche Quer¬ 
streifung und Kernfärbung, andere befinden sich in scholliger Zer¬ 
klüftung, bilden Klumpen von wachsartigem Aussehen; sie liegen 
innerhalb des meist gut erhaltenen Sarkolemins; an einzelnen Stellen 
scheint sich die zerstörte Muskelsubstanz in eine äquivalente Anzahl 
von Zellen, die durchweg eine polygonale Gestalt und einen zarten 
Protoplasmahof aufweisen, aufzulösen. In noch gut erhaltenen Faser- 


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Beiträge zur Sehnenplastik. 


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Stümpfen erblickt man überall eine Kernreihenbildung von manchmal 
10—20 Kernen hinter einander. 

Vergleichen wir diese Bilder mit denen des spinal degenerirten, 
so ergibt sich insofern eine genaue Uebereinstimmung, als auch 
hier im Gesichtsfeld die zahlreichen FaserstUmpfe sichtbar sind, 
Klumpen contractiler Substanz, die bei dem acuten Process Übrig 
geblieben. Zwischen ihnen liegt aber nicht das zarte Fasernetz, 
wir sehen hier nicht die polygonalen Zellen, in 
denen einige stark mitgenommene Fasern aufge¬ 
löst zu sein scheinen, sondern überall schon fertig 
gebildete, die Lücken zwischen den Faserstümpfen 
ausfüllende und neben ihnen herlaufende und sie 
theilweise umfassende junge Fasern. Also über¬ 
all, wo noch genügend contractile Substanz er¬ 
halten blieb, sehen wir reichliche Regeneration; 
dort, wo sie gänzlich zerstört, keine Spur von ihr; 
diese Stellen sind durch Fettgewebe ersetzt. Es 
geht die Regeneration nur von den Kernen und 
dem Protoplasma erhaltener Fasern, resp. deren 
Bruchstücken aus. 

Verfolgen wir nun das Schicksal des sich 
regenerirenden Muskels beim Kaninchen weiter, 
so sehen wir, wie sich innerhalb des Sarkolemms 
musculöse Bildungszellen entwickeln, wie diese 
theils untergehen, theils sich weiter zu jungen 
Muskelfasern entwickeln. Ebenso wie Volk mann 
bei der Regeneration des Typhusmuskels beschrie¬ 
ben hat, sah auch ich die Neubildung der jungen 
Fasern continuirlich oder discontinuirlich erfolgen, d. h. sie kann im 
oder ohne directen Zusammenhang mit den alten Fasern vor sich 
gehen. Während das discontinuirliche Wachsthum mehr dem embryo¬ 
nalen Typus der Muskelneubildung entspricht, gleicht das continuir- 
liche Wachsthum mehr dem Vorgang der Sprossung oder Knospen¬ 
bildung. 

Alle diese Vorgänge sehen wir bei dem spinal gelähmten 
Muskel nicht mehr, wohl aber das Endresultat, und zwar würden 
die zahlreichen Fasern zwischen den alten Muskelbruchstücken dis¬ 
continuirlich, die in Verbindung mit ihnen durch Knospung oder 
Sprossung continuirlich entstanden sein. 


Fig. 3. 



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Jo8. Koch. 


Ich bin auf die histologischen Verhältnisse der Muskelregene¬ 
ration näher eingegangen, weil ich zeigen wollte, dass sie mit der 
auf experimenteller Weise entstandenen eine grosse Aehnlichkeit hat 
und sie in keiner Weise ab weicht von dem, was andere Beobachter, 
wie Volkmann, darüber mitgetheilt haben. 

Warum aber die neuen Fasern im degenerirten Muskel an 
Volumen nicht zugenommen haben, während dies doch bei den Bruch¬ 
stücken und Fasern der alten offenbar der Fall gewesen ist, diese 
merkwürdige Thatsache kann ich nicht erklären. 

Mit meinen Resultaten der mikroskopischen Unter¬ 
suchung spinal gelähmter Muskeln stimmt die klinische 
Erfahrung über den Verlauf der spinalen Kinderlähmung 
überein. Je nach der Intensität des Krankheitsprocesses werden auch 
die Muskeln verschieden in Mitleidenschaft gezogen. Wir sehen zwi¬ 
schen einer vorübergehenden ois zur schwersten Lähmung, die innerhalb 
eines Zeitraums von 14 Tagen auftreten kann, alle Uebergänge. Im 
ersteren Falle hat ein nennenswerther Untergang von Muskelfasern 
durch Fettmetamorphose überhaupt nicht stattgefunden, im anderen 
Falle ist die ganze contractile Substanz vernichtet, so dass eine 
Regeneration von neuem Muskelgewebe nicht statthaben kann. Wo 
aber in den einzelnen Muskeln keine totale, sondern nur eine heerd- 
weise Degeneration eingetreten ist, da sehen wir überall das Be¬ 
streben der Fasern, sich zu regeneriren. Diese Thatsache macht es 
denn auch verständlich, dass der Muskel sich in vielen Fällen wieder 
erholen, d. h. seine Function wieder aufnehmen kann. Dieses Er¬ 
holen ist eben nichts anderes als eine Regeneration untergegangener 
Substanz, die wieder functionstüchtig wird. In welcher Zeit die 
Regenerationsprocesse sich abspielen, lässt sich nur schwer sagen, 
jedenfalls ungleich länger, wie der Prozess der Lähmung und De¬ 
generation. Im allgemeinen lehrt die klinische Erfahrung, dass eine 
Lähmung sich in den ersten Monaten noch bessern, resp. ganz zurück¬ 
gehen kann, was aber nach einem 7—9monatlichen Bestehen noch 
gelähmt ist, hat wenig Aussicht auf eine Besserung oder gar resti¬ 
tutio ad integrum. In dieser Zeit dürften eben die letzten Regene¬ 
rationsprocesse abgelaufen sein. 

Eine für die Operation der Sehnenplastik sehr wichtige Frage 
ist die: sind diese verschieden pathologisch verfärbten Muskeln noch 
functionstüchtig, und können sie eventuell für eine Plastik noch in 
Betracht kommen? 


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Beiträge zur Sehnenplastik. 


623 


Wir wissen aus der Muskelphysiologie, dass die Zusammen- 
ziehung des Muskels auf einer Contraction seiner Muskelfasern 
beruht. Die Zusammenziehung ist um so kräftiger, je mehr Fasern 
gleichzeitig wirken und um so grösser, je länger die Fasern sind. 
Wir wissen ferner, dass die Muskeln im allgemeinen als dauernd 
gespannte Stränge anzusehen sind. Diese dauernde Spannung 
hat zwei verschiedene Ursachen: erstens ist jeder Muskel rein 
mechanisch durch die Lage seiner Endpunkte gezwungen, eine 
grössere Länge einzuhalten, als ihm im Ruhezustände zukommt; 
der Muskel ist also gedehnt und mithin elastisch gespannt. Zweitens 
besteht in allen lebenden Muskeln für gewöhnlich ein geringer Grad 
von Erregung der contractilen Substanz, die durch das Nervensystem 
vermittelt wird. Man bezeichnet die dadurch hervorgebrachte Span¬ 
nung als den normalen Muskeltonus. 

Elastische Spannung und Muskeltonus, diese beiden 
Momente sind also für die Wirkung des Muskels von der 
grössten Bedeutung. Beide gehen aber dem Muskel, der durch 
Fettmetamorphose infolge der Poliomyelitis acuta geschädigt wird, 
verloren. Ich habe nun gezeigt, dass ein verschieden grosser Ersatz 
der untergegangenen Musculatur stattfindet, was aber nicht wiederkehrt, 
ist seine elastische Spannung und der Muskeltonus. Er ist in diesem 
Zustande überdehnt, nicht contractionsfähig, ob schon sich oft noch 
genugsam contractile Substanz regenerirt hat. Seine Kraft schlummert 
gewissermassen. 

Nun hat uns die Erfahrung gelehrt, dass solche Muskeln 
ihre Functionen wieder aufnehmen können, wenn wir ihnen 
die elastische Spannung zurückgeben. Das erreichen wir 
durch die Verkürzung der Sehnen. Von dem günstigen Einfluss 
der Verkürzung konnten wir uns bei verschiedenen Fällen überzeugen, 
bei denen die Lähmung schon lange Jahre bestanden hatte. Es waren 
dies aber Fälle, wo ein theilweiser Ersatz der untergegangenen Mus¬ 
culatur stattgefunden hatte; wo dies nicht der Fall gewesen, wo an 
Stelle der Musculatur Fettgewebe getreten, da gibt auch eine Sehnen¬ 
verkürzung niemals die Function zurück, da eben nichts mehr vor¬ 
handen ist, was sich contrahiren könnte. Man kann also behaupten, 
dass jeder spinal degenerirte Muskel noch functionsfähig ist, in dem 
noch Muskelsubstanz vorhanden. 

üebrigens haben auch schon andere Beobachter den günstigen 
Einfluss der Sehnenverkürzung beobachtet. So bemerkt Kunik von 


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Jos. Koch. 


rosarothen, sogen, atrophischen Muskeln: „Gerade diese letzteren, die 
infolge einer Deformität eine passive Dehnung erfahren haben und 
einer Inactivitätsatrophie verfallen sind, hat man namentlich seit der 
Anwendung der Sehnenverkürzung als kräftige Förderer eines guten 
Erfolges schätzen gelernt, da man beobachtet hat, dass sich derartig 
atrophische Muskeln in der Correcturstellung unter zweckentsprechen¬ 
der Nachbehandlung wieder fast zur Norm erholen können. Bei der 
Nachprüfung dieser Muskeln einige Monate nach der Operation haben 
wir mehrmals eine Steigerung der elektrischen Erregbarkeit ein¬ 
wandfrei beobachten können.* 

Die Beobachtung Kunik’s in Betreff der Wiederaufnahme der 
Function stimmt mit der unserigen überein. Nicht richtig aber ist 
seine Annahme, dass es sich bei den atrophischen rosarothen Muskeln 
um passiv gedehnte und einer Inactivitätsatrophie verfallene Muskeln 
handle. Auch bei diesen Muskeln hat sowohl ein Untergang als 
auch eine theilweise Regeneration von Muskelfasern stattgefunden. 

Nach meinen Untersuchungen kann jeder degenerirte 
Muskel mit noch vorhandener Muskelsubstanz seine Func¬ 
tion wieder aufnehmen, sofern er unter Bedingungen gesetzt 
wird, die ihm gestatten, sich wieder activ zu contrahiren. 
Jedoch wird die Kraft seiner Contractionen sehr verschieden 
sein; sie ist abhängig von der Zahl der übrig gebliebenen 
Muskelfasern und -reste, sowie derMenge der neugebildeten. 

Im allgemeinen wird man solche Muskeln zu einer Plastik nicht 
heranziehen, aber die erweiterten Kenntnisse der pathologischen 
Anatomie spinal gelähmter Muskeln, sowie die practische Erfahrung 
über die theilweise Wiederkehr ihrer Contractionsfähigkeit lassen uns 
die Indicationen der Operation der Sehnenplastik weiterziehen. Einen 
Versuch kann man daher in Fällen, wo normale Muskeln nicht mehr 
zu Gebote stehen, mit degenerirten machen, zumal man es a priori 
keinem derselben ansehen kann, ob doch nicht eine gewisse Functions¬ 
fähigkeit zurückkehrt. 

Auf das makroskopische Aussehen soll man sich nicht immer 
verlassen, wie wir zu unserer Freude an einem Fall constatiren 
konnten, der in vieler Hinsicht lehrreich ist. Ich lasse die Kranken¬ 
geschichte ausführlich folgen: 

H. Sch. aus R. 42 Jahre. 15. Juli 1903. Im 5. Lebensjahre 
an spinaler Kinderlähmung erkrankt. Die Lähmung soll eine sehr 


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Beiträge zur Sehnenplastik. 


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ausgebreitete gewesen sein und fast den ganzen Körper betroffen 
haben. Während sich der Rumpf und die oberen Extremitäten von 
der Lähmung erholten, blieb die Lähmung der Streckmusculatur des 
rechten Beines und die des linken Unterschenkels dauernd bestehen. 

Status: Kräftiger, in gutem Ernährungszustand befindlicher 
Patient. Herz und Lungen gesund. Beide Füsse befinden sich in 
starker Klumpfussstellung, der rechte jedoch mehr wie der linke. 
Musculatur beider Unterschenkel und des rechten Oberschenkels 
hochgradig atrophisch. Patient kann ohne Apparat nicht auf seinen 
Beinen sich aufrecht halten; er kann den rechten Unterschenkel nicht 
strecken und in horizontaler Lage halten. Der Patient trägt an 
beiden Beinen schwer gearbeitete Schienenhülsenapparate mit Becken- 
gOrtel. Herr Geh.-Rath Prof. Dr. Hoffa rieth zur Operation, ob¬ 
schon verschiedene chirurgische Autoritäten abgerathen hatten. 

Operation in Chloroformnarkose. Zunächst wird eine Re¬ 
dression beider Klumpfüsse im Stille'schen Osteoclasten vorgenommen. 
Die redressirten Füsse werden in möglichst guter Stellung im Gips¬ 
verband fixirt. Die Stellung des linken Fusses ist eine leidliche. 

Nach 8 Tagen Abnahme des Gipsverbandes. Die Füsse nehmen 
darauf sofort wieder ihre alte Stellung ein. 

Operation in Chloroformnarkose. Es wird zunächst eine Ver¬ 
kürzung der Extensorensehnen des linken Fusses in typischer Weise 
nach Hoffa ausgeführt, und zwar auf der lateralen Seite mehr wie 
auf der medialen Seite. Abgesehen von einer mittelstarken Adduction 
des Vorderfusses ist die Stellung des Fusses eine gute. 

Darauf Versuch zur Herstellung eines künstlichen Quadriceps 
des rechten Beines. Schnitt in der Kniekehle medial und lateral 
zur Freilegung des Muse, biceps und semitendinosus. Man kann bei 
der Mobilisirung derselben constatiren, dass diese Muskeln von gelber 
Farbe und fast gänzlich von Fettgewebe durchwachsen sind. Da aber 
keine anderen Muskeln vorhanden sind, so wird trotzdem der Ver¬ 
such gemacht, diese makroskopisch degenerirten Muskeln an die 
Patella durch einen von hinten nach vorn verlaufenden Kanal unter 
der Haut anzunähen. Zur Verstärkung des Semitendinosus wurde 
vorher durch Naht der Muse, semimembranosus mit ihm vereinigt. Die 
Muskeln waren beiderseits lang genug, um sie direct an das Periost 
der Patella unter genügender Spannung ohne Seidensehnen zu fixiren. 

Verlauf: Heilung per primam. Gipsverband für die Dauer 
von 6 Wochen. Schon bei der Abnahme des Verbandes konnte 


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Jos. Koch. 


Patient die Patella durch eine active Contraction prompt in die Höhe 
ziehen, nach weiteren 2 Wochen den rechten Unterschenkel fast bis 
zur Geraden strecken und in dieser Haltung activ erhalten. Man 
konnte dabei gut beobachten, wie die an die Patella periostal be¬ 
festigten Muskeln sich deutlich contrahirten und hervorhoben. 

Dies Resultat hat uns überrascht. Man muss dabei wohl be¬ 
denken, dass die Muskeln, die wir zur Plastik verwandten, ein gelb- 
weisses Aussehen hatten, und dass die Muskelbäuche wie ihre Sehnen 
mit Fettgewebe stark durchwachsen waren, aber trotzdem ein be¬ 
friedigendes Resultat. 

Die Erklärung für diese auffällige Thatsache ist die, dass in 
den makroskopisch schwer degenerirten Muskeln noch genug Reste 
und neugebildete Muskelfasern vorhanden waren, die wieder wirken 
konnten, als die elastische Spannung der Muskeln wieder herge¬ 
stellt war. 

Fassen wir zum Schluss noch einmal die Hauptergebnisse der 
Arbeit zusammen. 

Während wir heute über die histologischen Vorgänge bei der 
Heilung und Regeneration von transplantirten Sehnen durch vor¬ 
treffliche Arbeiten genau unterrichtet sind, ist merkwürdigerweise 
der spinal gelähmte Muskel selbst bis jetzt noch nicht Gegenstand 
eines genaueren Studiums gewesen, und in der That wissen wir so 
gut wie gar nichts über die pathologische Anatomie desselben. Wie 
bekannt, kommt es infolge des Entzündungsprocesses im Vorderhorn 
des Rückenmarkes bei der spinalen Kinderlähmung zu einem Zerfall 
der peripherischen Nerven. Die von ihnen versorgten Muskeln 
reagiren auf den Entzündungsreiz durch einen Zerfall ihrer contrac- 
tilen Substanz durch Fettmetamorphose. Die Ausdehnung derselben 
ist eine verschiedene. Es können ganze Muskelbündel durch fettige 
Degeneration zu Grunde gehen, zuweilen ist aber die Ursache der 
Degeneration so schwach, dass noch nicht einmal die ganze Faser, 
sondern nur Tlieile derselben zerstört werden, und Bruchstücke alter 
contractiler Substanz erhalten bleiben. Die Degeneration der Muskeln 
ist also eine fleck- oder heerdweise. 

Wo Muskelfasern in grösserer Menge zu Grunde gegangen 
sind, tritt an ihre Stelle gewöhnlich ein reichliches Fettgewebe 
(lipomatöse Degeneration). Die landläufige Vorstellung, die wir bis¬ 
her von den spinal gelähmten Muskeln hatten, dass es sich um eine 


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Beiträge zur Sehnenplastik. 


627 


hochgradige Atrophie, d. i. Abnahme des Volumens der einzelnen 
Fasern, handle, ist falsch. 

Die mikroskopische Untersuchung der spinal gelähmten Muskeln 
ergab die wichtige uns interessante Beobachtung, dass überall dort, 
wo eine heerd weise Degeneration von Muskelfasern eingetreten, 
gleichzeitig eine reichliche Regeneration von neuen Fasern stattfindet. 
Die Bildung der neuen Fasern kann continuirlich und discontinuir- 
lich erfolgen, d. h. sie kann im Zusammenhang oder ohne directen 
Zusammenhang mit der alten Faser vor sich gehen. 

Die Thatsache der Regeneration von neuem Muskelgewebe 
macht die klinische Erfahrung verständlich, dass der gelähmte Muskel 
sich in vielen Fällen wieder erholen, d. h. seine Function wieder 
aufnehmen kann. 

Makroskopisch kann der spinal gelähmte Muskel verschiedene 
Verfärbungen aufweisen, zwischen einer normal rothen bis rosarothen 
oder gelbweissen Farbe kommen alle Uebergänge vor. Die drei 
verschiedenen Verfärbungen sieht man zuweilen an einem und dem¬ 
selben Muskel, eine Beobachtung, auf die schon Kunik hingewiesen 
hat. Sie erklären sich durch den verschieden starken, heerd weisen 
Untergang bezw. Regeneration von Musculatur oder deren Ersatz 
durch gelbes Fettgewebe. 

Die wichtige Frage, ob diese verfärbten degenerirten Muskeln 
noch functionstüchtig sind, und ob sie für eine eventuelle Plastik 
noch in Betracht kommen, ist dahin zu beantworten: 

Sofern noch contractile Substanz vorhanden, bezw. eine Re¬ 
generation von neuen Muskelfasern stattgefunden hat, ist der Muskel 
nie vollkommen, sondern nur partiell gelähmt; theoretisch müsste 
man nun von solchen Muskeln verlangen, dass sie je nach der Menge 
der erhaltenen und neu gebildeten Fasern verschieden kräftig func- 
tionirten. Dass es trotzdem nicht der Fall ist, liegt daran, dass den 
spinal gelähmten Muskeln zwei für ihre Contraction sehr wichtige 
Factoren verloren gegangen sind, nämlich die elastische Spannung 
und der normale Muskeltonus. Der Muskel ist im gelähmten Zu¬ 
stande überdehnt, nicht contractionsfähig, obschon sich oft noch 
genug contractile Substanz regenerirt hat, seine Kraft schlummert 
gewissermassen. Geben wir diesen Muskeln ihre elastische Spannung 
wieder, so können sie wieder functioniren. Das erreichen wir durch 
die Sehnenverkörzung, oder bei eventueller Transplantation derselben 
durch die Spannung, die wir bei der Vernähung dem Muskel geben. 


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628 


Jos. KocI). 


B. Specieller Theil. 

Im folgenden werde ich eine Reihe von Krankengeschichten 
geben, welche die Operationsweise bei Sehnenplastiken an der Klinik 
des Herrn Geheimraths Hoffa illustriren sollen. Das Material stellt 
keineswegs ausgewählte Fälle dar, sondern zeigt vielmehr unter¬ 
schiedslos die verschiedenen Grade paralytischer und spastischer 
Difformitäten und Lähmungen, wie sie während eines Zeitraumes von 
mehreren Monaten operirt worden sind. 

Bevor ich jedoch auf die einzelnen Fälle eingehe, möchte ich 
einige Bemerkungen über eine Art der Sehnen Verkürzung am Fuss 
vorausschicken, die von Herrn Geheimrath Hoffa angegeben, oft 
angewendet, und die ich in den Krankengeschichten kurz als Ver¬ 
kürzung der Extensoren nach Hoffa bezeichnet habe. 

Hoffa machte zum ersten Male auf dem 11. Congress für 
orthopädische Chirurgie 1903 über diese Art der Sehnen Verkürzung 
Mittheilung: 

„Wir können in vielen Fällen von paralytischem Schlotter¬ 
gelenk des Fusses, sowohl beim Pes equino-varus als beim Pes equino- 
valgus, zur Feststellung des Fusses im rechten Winkel, also gewisser- 
massen zum Ersatz der Arthrodese, eine tendinöse Fixation des 
Fusses in der erstrebten Stellung desselben dadurch erreichen, dass 
wir eine Verkürzung sämmtlicher Sehnen am Fussrücken des Patienten 
vornehmen. Die Technik dieser Operation ist eine sehr einfache. 
Ich mache eine Incision über den Fussrücken zum Unterschenkel 
herauf, lege nun mit Messer, Scheere, Pincette und Elevatorium 
alle Sehnen bloss, lasse dann das ganze Sehnenpacket mit einem 
stumpfen Haken eraporziehen und verkürze nun die Sehnen dadurch, 
dass ich die Sehnen unter dem Haken zusammennähe. Ist die 
genügende Verkürzung erreicht, so wird mit einer scharfen Scheere 
alles überflüssig gewordene Sehnenmaterial abgeschnitten und die 
Hautwunde darauf vernäht. Die Heilung erfolgt in der Regel ohne 
jede Störung; gelegentlich stösst sich auch wohl einmal ein oder 
der andere Seidenfaden ab; das Endresultat wird dadurch aber nicht 
beeinflusst. Das Endresultat ist, wie gesagt, eine tendinöse Fixation 
des Fusses im rechten Winkel, so dass er zur Stütze beim Gehen 
und Stehen brauchbar ist. Ich gestatte mir. Ihnen einen Patienten 
vorzustellen, der an schwerstem paralytischen Klumpfuss litt und 
bei dem durch die Operation ein ideales Resultat erreicht ist. Selbst- 


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Beiträge zur Sehnenplastik. 


629 


verständlich kann man diese Operation auch in Verbindung mit 
anderen Sehnenplastiken am Fuss gleichzeitig ausführen, auch kann 
man meine Operation und eine richtige Arthrodese gleichzeitig aus- 
fllhren, wenn man bei starkem Schlottergelenk einen wirklichen Halt 
des Fusses erreichen will.“ 

Man kann gerade nicht behaupten, dass die Operation der Ver¬ 
kürzung sämmtlicher Extensorensehnen auf den ersten Blick eine 
schöne oder gar physiologische Operation gegenüber anderen Sehnen¬ 
plastiken darstellt; und doch muss man sie auf Grund der gemachten 
Erfahrungen als eine zweckmässige bezeichnen. In den meisten 
Fällen handelt es sich auch keineswegs um eine einfache tendinöse 
Fixation des paralytischen Spitzfusses, sondern, sofern auch nur ein 
functionsfähiger Muskel vorhanden ist, um eine wirkliche Plastik 
und Functionsübertragung auf gelähmte Muskeln. Nehmen wir 
z. B. den Fall, dass der Muse, extensor halluc. long. noch functions- 
tüchtig, während Tibialis antic. und Extensor digit. comm. gelähmt 
sind. Durch die Verkürzung und Aneinanderlagerung der Sehnen 
dieser sämmtlicben Muskeln wird nun nicht nur die erforderliche 
Spannung hergestellt, sondern auch gleichzeitig eine Plastik und 
Functionsübertragung eines normalen Muskels auf gelähmte, in diesem 
Falle auf TibiaUs anticus und Extensor comm. ausgeführt. 

Ein weiterer Vortheil besteht darin, dass man sie mit anderen 
Plastiken beliebig combiniren kann. Eine sehr zweckmässige Com- 
bination ist z. B. bei Lähmung sämmtlicher Extensoren die Ver¬ 
kürzung derselben und üebertragung einer Hälfte der Achillessehne 
auf das verkürzte Extensorenpacket, wodurch man in vielen Fällen 
die verlorene Dorsalflexion dem Fusse zurückgeben kann. 

Einen Theil dieses guten Resultates müssen wir auf die durch 
die Verkürzung herbeigeführte Spannung der Muskeln zurückführen, 
deren Lähmung ja meist eine partielle ist und, wie ich gezeigt habe, 
oft noch zu einer mehr oder minder tauglichen Function schlummernde 
Muskelsubstanz aufweisen. 

Als ausserordentlich zweckmässig können wir die Combination 
der Verkürzung der Extensoren nach Hoffa und eine Arthrodese 
des Talocruralgelenkes bei hochgradigem Schlotterfuss empfehlen. 
Will man hier eine wirklich gute Fixation erzielen, so ist bei der 
Arthrodese des Fussgelenkes die gleichzeitige Verkürzung der Sehnen 
des Fussrückens unerlässlich. In einzelnen Fällen kehrt dabei sogar 
eine Wiederkehr der Beweglichkeit der Zehen ein. 


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Jos. Koch. 


Man macht die Operation am besten so, dass man zunächst 
sämmtliche über das Fussgelenk ziehende Sehnen von ihrer Unter¬ 
lage ablöst und dieselben durch einen Sehnenhaken kräftig auf die 
Seite ziehen lässt. Alsdann wird das Gelenk eröffnet, die Knorpel- 
flachen gut zum Klaffen gebracht und daun dieselben theils mit 
Meissei oder bei Kindern mit kräftigem scharfen Löffel entfernt. 
Sind auf diese Weise die Knochenenden genügend angefrischt, so 
werden sie in ihre alte Lage zurückgebracht und nunmehr die Sehnen 
verkürzt. 

Zur Technik der Operation wäre noch zu bemerken, dass man 
am besten Seide verwendet, deren Stärke je nach der Stärke der zu 
verkürzenden Sehnen wechseln muss. Obschon manchmal viel Seide 
versenkt werden muss, so heilt sie doch meist reactionslos ein; es 
sind seltene Fälle, dass später durch einen kleinen Fadenabscess sich 
Fäden ausstossen. Das Resultat wird hierdurch nicht beeinträchtigt, 
nur die Heilung etwas verzögert. 

Wichtig ist es dagegen, dass der Sehnenstumpf nicht unmittel¬ 
bar unter den Hautschnitt, sondern etwas seitlich von ihm zu liegen 
kommt, so dass der Stumpf gut mit Haut gedeckt werden kann. 
Beim Anlegen des Verbandes ist darauf zu achten, dass der mit 
Haut bedeckte Sehnenstumpf keinen Druck erhält, da sonst eine 
Nekrose der den Stumpf bedeckenden Haut eintreten kann. 

Krankengeschichten, 

a) Fälle von Pes equinus paralyticus. 

E. H. aus G., 19 Jahre, Uhrmacher. 

Mit 3 Jahren ist Patient angeblich infolge Erkältung erkrankt, 
woraus eine Lähmung des rechten Beines resultirte. Patient ist bis¬ 
her mit Elektricität und allen möglichen Kuren behandelt. 

Patient seinem Alter entsprechend gebaut, etwas schmächtig. 

Innere Organe ohne Besonderheiten. 

Rechter Fuss hängt in Spitzfussstellung schlaff herunter, ist 
passiv gut beweglich, während active Bewegungen unmöglich sind. 
Nur die zweite bis fünfte Zehe lässt sich minimal nach beiden Seiten 
bewegen. Das rechte Kniegelenk kann activ gebeugt und gestreckt 
werden. Beim Gehen muss Patient den rechten Oberschenkel mit 
der Hand fixiren. Der Unterschenkel wird mit jedem Schritt nach 
vorwärts geschleudert. Beim Auftreten biegt sich dann der ge- 


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Beiträge zur Sehnenplastik. 


631 


lähmte Fuss in starke Plattfussstellung, so dass Patient nur mit dem 
inneren Fussrande auftritt. Patient kann so gehen, benutzt aber 
sonst Krücken. 

Operation: Loslösung der Extensoren. Eröffnung des Fuss- 
gelenkes, worauf die Knorpelflächen des Talus und der Tibia theils 
mit scharfem Löffel, theils mit Meissei entfernt werden. Darauf 
Verkürzung der Extensoren in typischer Weise. Der Fuss steht in 
rechtwinkeliger Stellung, doch hängen die Zehen, besonders die grosse, 
schlaff herab. Zum Zweck der Muskeluntersuchung wird ein Stück¬ 
chen Musculatur aus der Wade entnommen. Die Musculatur zeigt 
ein gelbröthliches marmorirtes Aussehen. 

Verlauf: Heilung per primam, doch wird ein ungefähr zehn¬ 
pfennigstückgrosser Hautbezirk über dem Sehnenstumpf nekrotisch. 
Das Resultat der Operation ist folgendes: Schon am 3. Tage nach 
der Operation konnte der Patient die zweite, dritte und vierte Zehe 
des Fusses bewegen. Dagegen hängt die grosse Zehe noch ganz 
schlaff herunter. Es wird deshalb 4 Wochen nach der ersten Opera¬ 
tion noch eine Verkürzung der Sehne des Extensor halluc. long. 
ausgeführt, so dass die Zehe nach der zweiten Operation in guter 
Stellung sich befindet. 

Heilung per primam. 

Epikrise: Es handelte sich bei dem Patienten um einen hoch¬ 
gradigen Schlotterfuss. Durch die Operation der Arthrodese des 
Sprunggelenkes und der gleichzeitigen Verkürzung sämmtlicher Ex¬ 
tensoren nach Hoffa wurde ein sehr gutes Resultat erzielt; es kehrte 
sogar eine geringe Function des Extensor digit. comm. wieder, ein 
Beweis dafür, dass noch Reste von Musculatur vorhanden waren, die 
durch die Verkürzung wieder contractionsfähig wurden. 

L. aus P., 13 Jahre. 

Anamnese: Mit 2 V» Jahren soll Patientin unter Fieber erkrankt 
und seitdem an beiden Beinen gelähmt gewesen sein. Sonst ausser 
Masern nie krank gewesen. 

Status: Kräftig gebautes Mädchen in gutem Ernährungs¬ 
zustände. Brust- und Bauchorgane sind gesund. Es besteht eine 
totale Lähmung beider Ober- und Unterschenkel. Die Füsse hängen 
in Spitzfussstellung schlaff herab. Musculatur ist beiderseits total 
degenerirt. Es besteht ferner ein Genu valgum beiderseits von 
einem Winkel von 150 


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Jo8. Koch. 


Die Patientin kann weder gehen noch stehen, bisher hat sie 
stets zu Bett gelegen. Irgend welche Bewegung der gelähmten 
unteren Extremitäten ist unmöglich. Sensibilität ist zwar erhalten, 
aber beiderseits stark herabgesetzt. Die Haut fühlt sich kühl an, 
ist von bläulich cyanotischer Farbe. 

Diagnose: Totale Lähmung beider Unterextremitäten infolge 
Poliomyelitis anterior. 

Therapie: Operation in Chloroformnarkose. Osteotomia supra- 
condylica nach Mac Even, beiderseits Gipsverband. 

Heilung per primam nach Abnahme des Gipsverbandes nach 
6 Wochen. 

Eine zweite Operation wurde ausgeführt zur Beseitigung des 
Schlottergelenkes des linken Talocruralgelenkes. Schnitt über das 
Talocruralgelenk. Ablösung sämmtlicher Extensorensehnen, die stark 
atrophisch, morsch und mit Fettgewebe durchwachsen sind, nach 
Hoffa. Eröffnung des Talocruralgelenkes, Entfernung der Gelenk¬ 
flächen mit dem Meissei und scharfem Löffel, wobei constatirt wird, 
dass die Knorpel und Knochen ausserordentlich weich sind. Ver¬ 
kürzung der Extensorensehnen in typischer Weise. Der Fuss steht 
jetzt in rechtwinkliger Stellung. Gipsverband. Heilung per primam. 

Epikrise: Der Fuss steht nach Abnahme des Gipsverbandes 
in guter rechtwinkliger Stellung. Es sollte in diesem Falle der 
Versuch einer Arthrodese gemacht werden, welche durch eine Com- 
bination der arthrogenen und tendinogenen Fixation gut erreicht 
wurde. Eine Wiederkehr der Function der Unterschenkelmusculatur 
war natürlich ausgeschlossen. Patientin bekam zwei Schienenhülsen¬ 
apparate mit Corset, in welchen sie gehen und stehen kann. 

P. aus S., 15 Jahre, Schülerin. 

Mit 6 Jahren Kinderlähmung. Danach Lähmung beider Beine, 
so dass Patientin weder gehen noch stehen konnte. Letzteres lernte 
sie im Laufe des Jahres wieder, aber nur ausserordentlich mühsam. 
Dagegen kehrte die normale Stellung der Füsse nicht mehr zurück, 
die Füsse hingen schlaff herab. 

Status: Kräftig gebautes, in gutem Ernährungszustände be¬ 
findliches Mädchen. Brust- und Bauchorgane normal. Beide Füsse 
befinden sich in extremster Spitzfussstellung und hängen schlaff 
herab. Der linke Fuss befindet sich dazu in leichter Varusstellung. 
Die Füsse können leicht passiv in eine normale Mittelstellung ge- 


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Beiträge zur Sehnenplastik. 


633 


bracht werden, fallen aber sofort in ihre alte Stellung zurück. Beim 
Auftreten stellt sich der rechte Fuss in leichte Valgusstellung; dabei 
spannt sich die Achillessehne straff an. 

Eine Bewegung im Sinne der Extension, sowie eine Bewegung 
der rechten Zehen ist unmöglich, links können die Zehen flectirt 
werden. Patientin kann stehen, geht mit Stützen aber ausserordent¬ 
lich mühsam, dabei watschelt sie sehr stark. 

Operation: Rechter Fuss. Es wird der Peroneus brevis hinter 
der Achillessehne durchgezogen und derselbe an die Tuberositas 
ossis navicularis periostal befestigt. Verlängerung der Achillessehne. 
Dann Verkürzung der Extensoren nach Hoffa. 

Linker Fuss. Verkürzung der Extensoren nach Hoffa. 

Verlauf: Per primam. Massage, Gymnastik, Schienenhülsen¬ 
apparate, Gorset. 

Rechter Fuss kann activ leicht dorsal flectirt werden. Die 
Stellung beider Füsse ist gut. 

Epik rise: In diesem Falle konnte durch die Verkürzung der 
Extensoren nur eine tendinöse Fixation beider Füsse beabsichtigt 
sein, die auch vollkommen erreicht worden ist. Dadurch ist der Gang 
der Patientin ein bedeutend besserer geworden; sie tritt jetzt mit 
beiden Füssen mit voller Sohle auf. 


b) Fälle von Pes equino-varus paralyticus. 

Frau M. 0. aus B., 25 Jahre. 

Anamnese: Mit 2 Jahren Kinderlähmung. Allmählich bildete 
sich eine starke Deformität des linken Fusses aus im Sinne eines 
Spitzklumpfusses. 

Status: Mittelkräftige, in mittlerem Ernährungszustände be¬ 
findliche Patientin. Der linke Fuss befindet sich in starker Equiiio- 
varusstellung. Vorderfuss in starker Adduction, Dorsalflexion un¬ 
möglich. Beim Gang legt sich der Fuss derart um, dass Patientin 
mit dem Malleolus later, den Boden berührt. Patientin trägt einen 
Schuh, der den Fuss einigermassen in die normale Stellung drängt. 

Operation: Zunächst wird der Fuss in Chloroformnarkose 
manuell redressirt, in normale Stellung gebracht, die sogar etwas 
öbercorrigirt wird, so dass der Fuss in leichter Valgusstellung steht. 
Nach 8 Tagen Abnahme des Verbandes. Der Fuss kehrt aber sofort 
in seine alte Stellung zurück. 


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634 


Jos. Koch. 


Operation in Chloroformnarkose. 

Es wird die Achillessehne freigelegt, dieselbe längs gespalten 
bis hoch in den Muskel hinauf, der gelbröthlich aussieht. Dann 
Schnitt über das Gelenk auf der Dorsalfläche. Verkürzung der Ex¬ 
tensoren nach Hoffa. Annähen des lateralen Zipfels der Achilles¬ 
sehne, der unter der Haut durchgezogen wird, an das verkürzte 
Extensorenpacket. Naht. Qipsverband. 

Verlauf: Per primam. Schienenhülsenapparat. Gymnastik. 
Massage. Stellung normal. 

Epikrise: Kosmetisch wurde bei dem hochgradigen Spitz- 
klumpfuss, der starr fixirt war, ein sehr schönes Resultat erzielt. 
Der Fuss befindet sich in normaler Stellung, die Patientin tritt mit 
ganzer Sohle auf. Functionelles Resultat: 12 Wochen nach der 
Operation active Dorsalfiexion. 

M. H. aus D., 15 Jahre, Schülerin. 

Seit dem 3. Lebensjahre hat sich links ein Klumpfuss ent¬ 
wickelt, wahrscheinlich infolge von Kinderlähmung. Vor 3 Jahren 
Veitstanz. 

Gut entwickeltes Mädchen. Herz und Lungen gesund. 

Linker Fuss ist stark adducirt, nach innen rotirt, supinirt. 

Auf dem äusseren Fussrande findet sich über der Basis des 
fünften Metatarsalknochens eine Schwiele, ebenso eine solche über 
dem Talus unterhalb des Malleol. extern. Beide sollen vom Tragen 
von Schienen herrühren. 

Die Plantar- und Dorsalflexion des linken Vorderfusses ist, 
wenn auch in geringem Grade, möglich. 

Operation in Chloroformnarkose. Verkürzung der Extensoren 
nach Hoffa mit offener Verlängerung der Achillessehne nach Bayer. 

Verlauf: Heilung per primam. Fixation im Gipsverband 
durch 8 Wochen. Danach Massage und active Bewegung. Nach 
öwöchentlicher Nachbehandlung Stellung des Fusses normal. Dorsal- 
und Plantarflexion haben sich bedeutend gebessert. Supi- und Pro¬ 
nationsbewegung möglich, aber nur schwach. 

H. Sch. aus R., 42 Jahre (s. auch S. 624). 

Operation: Zunächst wird eine Redression beider Klumpfüsse 
im Stille'schen Osteoclasten vorgenomraen. Die redressirten Füsse 
werden in möglichst guter Stellung im Gipsverband fixirt. Die Stel¬ 
lung des linken Fusses ist eine leidliche. 


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Beiträge zur Sebneuplastik. 


635 


Nach 8 Tagen Abnahme des Gipsverbandes. Die Füsse nehmen 
darauf sofort wieder ihre alte Stellung ein. 

Darauf Operation in Chloroformnarkose. Es wird zunächst eine 
Verkürzung der Extensorensehnen des linken Fusses in typischer 
Weise nach Hoffa ausgeführt, und zwar auf der lateralen Seite 
mehr wie auf der medialen Seite. Abgesehen von einer mittelstarken 
idduction des Vorderfusses ist die Stellung des Fusses eine gute. 

Verlauf: Der linke Fuss steht mit Ausnahme einer geringen 
Adductionsstellung des Vorderfusses normal. Der Patient kann jetzt 
mit ganzer Sohle auftreten. Dorsal- und Plantarflexion in massigem 
Umfange möglich, Supination und Pronation nur in geringem Maasse. 

Epikrise: Es wurde also hier in der Hauptsache eine Correc- 
tion der Stellung des starken, starr deformirten Elumpfusses durch 
die Verkürzung der Extensoren erreicht, ein Resultat, welches immer¬ 
hin bei der schweren Deformität und dem Alter des Patienten als 
ein sehr zufriedenstellendes bezeichnet werden muss. 

c) Fälle von Pes equino-valgus paralyticus. 

F. St., aus 0., 10 Jahre, Gymnasiast. 

Als Patient 4 Jahre alt war, hatte er eine fleberhafte Erkran¬ 
kung; es trat im Anschluss eine Lähmung beider Beine auf; doch 
erholte sich das rechte Bein wieder, während das linke gelähmt 
blieb. 1899 unterzog sich der Patient einer Operation, doch kehrte 
der Fuss in seine alte Stellung zurück. 

Status: Mittelkräftiger, in mittlerem Ernährungszustände be¬ 
findlicher Knabe. Brust- und Bauchorgane gesund. 

Der linke Fuss steht in Valgusstellung, er hängt schlaff' herab. 
Der innere Fussrand ist gesenkt, der äussere gehoben. Ueber dem 
Fussgelenk eine Narbe (frühere Plastik). Plantarflexion möglich. 
Wadenmusculatur degenerirt. 

Op eration: Verkürzung der Extensorensehnen nach Hoffa. 
Verlängerung der Achillessehne nach Bayer. Peroneus brevis wird 
an die Tuberositas ossis navicul. befestigt, und zwar vermittelst 
kurzer Seidensehne, da die Sehne nicht bis zur Tuberositas reicht. 

Verlauf: Heilung per primam. Stellung des Fusses sehr gut. 
Patient wird zur Nachbehandlung nach auswärts entlassen. 

Epikrise: Dass nach der ersten Plastik ein Recidiv eintrat, 
hat seinen Grund darin, dass der operirte Fuss nur etwa 3 Wochen 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XIII. 6d. 42 


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636 


Jos. Koch. 


im Qipsverband fixirt war. In dieser kurzen Zeit konnte unmöglich 
eine feste Vereinigung der Sehnen wunden stattfinden. Es zeigt dieser 
Fall also, wie wichtig eine längere Fixation bei erfolgter Sehnen¬ 
plastik ist. 

E. N. aus R., 20 Jahre. 

Anamnese: Beginn der Erkrankung nicht bekannt, angeblich 
angeboren. Verschlimmerung nach Diphtherie im 5. Lebensjahre. 
Patientin ging gut bis zu ihrem 16. Jahr, seitdem hohe Sohle. In 
der letzten Zeit Steigerung der Beschwerden, leichtes Ermüden und 
öfter Schmerzen im ganzen Bein. 

Status: Parese der Extensoren und des Muse. tib. ant., rechts 
Verkürzung der Wadenmuskeln. Pes equino-valgus. 

Operation: Tenotomie der Achillessehne nach Bayer oflfen. 
Verkürzung der Extensoren, üeberpflanzung des Muse, peroneus 
brevis auf das Os naviculare. Gipsverband. 

Verlauf: Ungestörte Heilung. Fuss steht gut. Weiterer 
Verlauf steht noch aus. 

R. St. aus B., 12 Jahre, Gymnasiast. 

Eltern leben, Geschwister gesund. Masern und Keuchhusten 
mit 10 Jahren. 

Patient hat mit 5 Jahren eine fieberhafte Erkrankung durch¬ 
gemacht, infolge deren eine Lähmung des linken Fusses zurückblieb. 
Trotz Massage und elektrischer Behandlung bekam der Fuss eine 
abnorme Haltung, so dass Patient, um gehen zu können, einen 
Apparat tragen musste. 

Status: Grosser, schlanker, im mittleren Ernährungszustände 
befindlicher Knabe. Brust- und Bauchorgane gesund. 

Der linke Fuss befindet sich in Valgusstellung, dazu geringe 
Spitzfussstellung. Der innere Fussrand stark gesenkt, der äussere 
gehoben. Die Tuberosit. ossis navicularis berührt beim Aufsetzen 
des Fusses den Boden, trägt einen Schleimbeutel. Condylus medialis 
steht ebenfalls tiefer. Supination des Fusses und Dorsalflexion un¬ 
möglich. 

Operation in Chloroformnarkose. Verkürzung der Extensoren. 
Abspaltung eines Theiles der Achillessehne, der auf das verkürzte 
Extensorenpaket aufgenäht wird. Peroneus brevis wird an die 
Tuberositas ossis navicul. angenäht. 

Verlauf: Heilung per primam. Fixation des operirten Fusses 


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Beiträge zur Sehnenplastik. 


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im Gipsverband während 10 Wochen. Danach energische Massage 
und active Bewegungen. Erfolg war ein guter. Stellung des Fusses 
ganz normal. Plantar- und Dorsalflexion in ausgiebiger Weise mög¬ 
lich. Supination ebenfalls möglich. Patient wird mit Schienenstiefel 
entlassen. 

E. W. aus St., 8 Jahre. 

Mit 1 ^2 Jahren erkrankte das Kind mit Erbrechen und Unwohl¬ 
sein. Gelähmt waren nach Ausspruch von Prof. Heubner linkes 
Bein, Gesäss und Rückenhälfte. Nach längerer Behandlung ging 
die Lähmung zurück bis auf den Unterschenkel. Vor 3 Jahren 
ururde sie operirt, ausserdem ist sie seitdem ständig massirt worden. 
Verschlechtert hat sich der Zustand nicht. 

Status: Kräftig gebautes Mädchen im mittleren Ernährungs¬ 
stande. Innere Organe ohne pathologischen Befund. Der linke 
Unterschenkel ist bedeutend schwächer wie der rechte, der linke Puss 
steht in Plattfussstellung und sinkt plantarwärts über. Die Achilles¬ 
sehne ist stark gespannt, die Extensoren sind gelähmt, reagiren auch 
nicht auf faradischen Strom. Die Peronei und Flexoren des Unter¬ 
schenkels sind functionsfähig. Ueber dem Fussgelenk befinden sich 
auf beiden Seiten des Gelenks zwei ca. 10 cm lange, feine, reizlose 
Narben, von der früheren Operation herrührend. 

Operation: Verkürzung der Extensoren. Der Peroneus 
wird freigelegt und an der Ansatzstelle losgelöst. Nachdem die 
Achillessehne nach Bayer subcutan verlängert ist, wird mit dem 
Elevatorium vom Peroneus (an der Stelle, wo der Muskel in die 
Sehne übergeht) ein Weg unter der Achillessehne zur inneren Seite 
des Fusses gebahnt, die Peroneussehne dort durchgezogen und 
unterhalb und vor dem Malleol. int. mit dem Periost fest vernäht. 
Hautnähte. Gipsverband in leichter Varusstellung des Fusses. 

Nach Abnahme des Verbandes wird das Kind regelmässig 
massirt (Fuss, Unter- und Oberschenkel), besonders auch die Flexoren 
des Knies, die fast gar nicht functioniren, während der Quadriceps 
relativ kräftig ist. Der Fuss befindet sich in normaler Stellung. 

Schienenhülsenapparat. 

Verlauf: Allmählich geringe active Bewegungen der Fuss- 
gelenke im Sinne von Abduction und Adduction in geringer Ex- 
cursionsgrösse möglich. 

Bei der Entlassung steht der Fuss in guter Stellung, erlaubt 


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Jo8. Koch. 


in geringer Excursionsgrösse Abduction und Abduction; die kleine 
Zebe für sich kann ebenfalls flectirt und gestreckt werden. Die 
Knieflexoren sind bedeutend kräftiger geworden. 

0. B. aus B., 15 Jahre, Gymnasiast. 

Vater starb an Schlaganfall. Gehirnhautentzündung angeblich 
vor 9 Jahren. Danach Kinderlähmung; es soll der ganze Körper 
gelähmt gewesen sein, so dass der Patient einen Hessing-Apparat 
tragen musste. Die Lähmung ging allmählich zurück, bis auf den 
rechten Fuss. Derselbe hing meist schlaff* herab. Ostern 1903 wurde 
eine Tenotomie der Achillessehne gemacht. 

Status: Grosser, kräftiger Patient. Brust- und Bauchorgane 
gesund. Patient trägt ein Corset; es besteht eine Kyphoskoliose. 

Der linke Fuss hängt in Spitzfussstellung schlaff herab; 
äusserer Fussrand gehoben, innerer gesenkt; bei Dorsalflexion, die 
gut möglich, weicht der Fuss stark in Valgussteilung ab. Waden- 
musculatur atrophisch. Beine gleich lang. 

Operation: Verkürzung der Extensorensehnen nach Hoffa, 
und zwar auf der medialen Seite stärker, wie auf der lateralen. 

Heilung per primam. Im Gips verband entlassen. 

Nach 6 wöchentlich er Behandlung mit Massage, Bädern, Elek- 
trisiren, Uebungen sind alle Bewegungen, wenn auch in behindertem 
Maasse möglich. 

d) Fälle von Quadricepslähmung. 

E. Ph. aus L., 47« Jahre. 

Eltern leben, gesund. Mit 12 Monaten hatte Patient nach 
Aussagen der Mutter im Anschluss an einen Fall eine fieberhafte 
Erkrankung, 1 Woche lang. Während er vorher laufen konnte, 
ging es nachher nicht mehr, obschon er 2 Jahre mit Massage und 
Elektrisiren behandelt wurde; das ganze rechte Bein blieb schwächer 
als das linke. 

Status: Leichtes rechtes Genu valgum, der Fuss steht in 
Spitzfussstellung. Etwas Hohlfuss. Das Bein im ganzen knapp 
1 cm verkürzt, Musculatur gleichmässig degeuerirt, auch die der 
Nates, Haut cyanotisch. Parese verschiedenen Grades in den einzelnen 
Gruppen, besonders der der Strecker. Die Fussspitze kann etwas 
flectirt und gestreckt werden; Patient kann das Knie nicht activ 
strecken, wird es passiv bis zur Wagerechten gehoben, so fällt es 
herab. Abduction und Adduction im Hüftgelenke ausführbar. 


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Beiträge zur Sehnenplastik. 


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Therapie: Operation in Chloroformnarkose. 1. Quadriceps- 
plastik. Ueberpflanzung der Sehne des lateralen Kopfes des gut 
erhaltenen Muse, biceps fern, auf den äusseren, der Sehne des Muse, 
semitendinosus auf den inneren Rand der Patella, vermittelst peri¬ 
ostaler Naht. 

2. Verkürzung der Extensoren des Fusses. Gips verband von 
den Zehen bis zum Damm. 

Die Sehnen des Bieeps und Semitendinosus waren lang genug, 
um sie an den Rand der Patella zu befestigen. Heilung per primam. 

Stellung des Fusses genau rechtwinklig. 8 Wochen Gips¬ 
verband, darauf Schienenhülsenapparat. 

Täglich Massage, Elektrisiren, Bäder. 

Das functionelle Resultat am rechten Fuss ist ein zufrieden¬ 
stellendes. Alle Bewegungen sind ausführbar, aber noch behindert. 

Als nach 2monatlicher Nachbehandlung der Patient entlassen 
wird, kann er den Unterschenkel einige Zeit in wagrechter Haltung 
halten. 

W. K., aus L., 10 Jahre. 

Anamnese: Eltern sind gesund. Patient erkrankte angeblich 
mit Jahr, woraus eine Lähmung des rechten Fusses und linken 
Beines resultirte. Mit ^/4 Jahren wurde Patient deswegen von 
Prof. Wolf operirt, und zwar soll durch die Operation ein Spitzfuss 
corrigirt worden sein. Seitdem hat Patient beständig Schienen ge¬ 
tragen, mit denselben auch ganz gut gehen können. 

Status: Knabe von mittlerem Ernährungszustand. Hautfarbe 
ziemlich blass. 

Herz, Lungen ohne Besonderheiten. Thorax ziemlich flach. 

Wirbelsäule zeigt rechts convexe Dorsal-, links convexe Lumbal¬ 
skoliose, die sich jedoch leicht ausgleichen lassen. 

Rechtes Bein im Hüft- und Kniegelenk activ und passiv 
gut beweglich. Fuss steht in Valgussteilung. Unterhalb des Malleol. 
int. eine grosse Druckschwiele. Der rechte Fuss kann dorsal- und 
plantarwärts gebeugt werden, bleibt aber dabei in der Valgus- 
stellung. 

Die Achillessehne sowie die Sehnen der Extensoren springen 
bei activen Bewegungen stark vor; der Muse, tibial. antic. dagegen 
ist functionsuntüchtig. 

Linkes Bein erscheint vollkommen gelähmt. Extremität 


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640 


Jos. Koch. 


blauröthlich verfärbt. Nägel zeigen trophiscbe Störungen. Bei Auf¬ 
forderung, zu extendiren, adduciren, abduciren und flectiren im Hüft¬ 
gelenk, verschiebt Patient sein Becken und täuscht so eine geringe 
Beweglichkeit vor. 

Die Muskeln des Unterschenkels und Fusses sind ebenfalls 
vollkommen gelähmt. 

Im Hüftgelenk lassen sich passive Bewegungen über das normale 
Maass ausführen, wobei man ein knackendes Geräusch vernimmt, 
ebenso im Kniegelenk, welches in Valgusstellung steht und eine 
geringe Beugecontractur zeigt, und im Fussgelenk, welches den Typus 
eines Schlottergelenks darstellt. Wenn Patient geht, so wirft er mit 
einer stossenden Bewegung des Beckens seinen gelähmten linken 
Schenkel vor, fixirt denselben mit der Hand. Ebenso richtet er sich aus 
liegender Stellung auf, indem er den Oberschenkel mit der Hand fixirt. 

Beide Füsse werden in starker Valgusstellung aufgesetzt. 

Operation in Chloroformnarkose. Am rechten Fuss wird 
die Tenotomie der Tendo Achillis ausgeführt. Sodann die Ueber- 
Pflanzung der Sehne des Muse, peroneus brevis auf die Tuberos. 
oss. navicular. Verkürzung der Extensorensehnen nach Hoffa. 

Am linken Beine: Die Sehnen des Muse, biceps und Muse, 
semimembranosus werden von ihrer Ansatzstelle losgelöst und durch 
eine direct unter der Haut angelegte Tasche nach vorne gebracht; 
erstere direct, letztere, da sie sich als zu kurz erwies, mittelst einer 
Brücke von Seidenfäden mit dem Periost der Patella vernäht. Die 
Muskelbäuche sind von rother Farbe und scheinen normal zu sein. 
Gipsverbände an beiden Beinen. 

Verlauf: Heilung per primam. Nach 8 Wochen Abnahme 
des Gipsverbandes. Der rechte Fuss steht in guter Stellung. Patient 
wird täglich massirt und elektrisirt, bekommt dazu warme Bäder. 

Resultat ist ein gutes. 

R. aus R., 3 Jahre. 

Anamnese: Eltern und Geschwister gesund. Das Kind ist 
seit 2^2 Jahren gelähmt infolge Poliomyel. ant. 

Vor 6 Wochen wurden ausserhalb an beiden Füssen Tenotomien 
gemacht und ein Gipsverband angelegt, der 4 Wochen getragen 
wurde. Dann erhielt er Schienenhülsenapparate. 

Status: Seinem Alter entsprechend gebautes Kind. Haut, 
Schleimhäute rein. Keine Drüsen, keine starken rhachitischen 


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Beiträge zur Sehnenplastik. 641 

Symptome. Herz, Lungen gesund. Lebergrenzen normal, Milz 
nicht palpabel. 

Beide Füsse stehen in Spitzklumpfussstellung. Unterschenkel- 
musculatur gelähmt. Zehen werden gebeugt, Oberschenkel können 
flectirt, ab- und adducirt werden, doch kann der rechte nicht ge¬ 
streckt werden. 

Operation in Chloroformnarkose. Rechts Quadriceps- 
plastik. Es wird an der Aussenseite der kräftige, dunkelrothe 
Biceps, an der Innenseite der blasse, gelbröthliche Semitendinosus in 
ziemlicher Ausdehnung freigelegt und durch einen subcutanen Kanal 
auf die Streckseite gebracht, woselbst die Enden unter stärkster 
Spannung periostal auf den oberen Rand der Patella genäht werden. 
Fortlaufende Naht. Gipsverband in Strecksteilung. 

Linkes Bein: Verlängerung der Achillessehne offen nach 
Bayer, wobei die Sehne nicht in typischer Weise auseinander weicht, 
sondern durchreisst. Sie zeigt eine ausserordentlich starre Beschaffen¬ 
heit. Naht derselben mit zwei dünnen Seidenfäden. Verkürzung 
der Extensoren nach Hoffa; die Nähte greifen an der lateralen 
Seite des Sehnenpaketes weiter, so dass hier eine stärkere Verkür¬ 
zung stattfindet. In gut corrigirter Stellung Gipsverband. 

Verbandwechsel. Wunden reactionslos. Erneuerung der Gips¬ 
verbände. 

Epikrise: Es dürfte sich empfehlen, die Verlängerung der 
Achillessehne stets offen vorzunehmen; einmal, weil wir auf diese 
Weise die Einkerbung der Sehne in exacter Weise vornehmen können, 
andererseits die Sehne durch ein paar Nähte sofort wieder vereinigt 
werden kann, wenn dieselbe einmal in atypischer Weise reisst, wie 
es in diesem Falle geschah und öfter vorkommt, als man gewöhn¬ 
lich annimmt. 

Verlauf steht noch aus. 

P. Sch. aus Th., 4^2 Jahre. 

Anamnese: Patient hat mit 3 Jahren eine fieberhafte Er¬ 
krankung durchgemacht; es entstand eine Lähmung des rechten 
Beines. Patient konnte von nun an nicht mehr gehen und auf dem 
rechten Beine stehen. Trotz Elektrisiren, Massage blieb der Zustand 
ein dauernder. 

Status: Kräftiger Knabe in gutem Ernährungszustände. Herz 
und Lungen gesund. 


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642 


Jos. Koch. 


Die Musculatur des rechten Beines atrophisch; besonders die 
Oberschenkelmusculatur. Der Fuss befindet sich in Equino-varus- 
Stellung. Zehen können bewegt werden; andere Bewegungen sind 
unmöglich. Patient kann den Unterschenkel nicht strecken, hebt 
man ihn passiv bis zur Wagrechten, so fällt er schlaff herab. Es 
besteht eine Lähmung des Quadriceps, auch die Beuger sind bis auf 
den Muse, biceps gelähmt. 

Operation in Narkose. Bei einer Probeincision auf den 
Muse, tensor fasciae latae erweist sich derselbe von normalem Um¬ 
fang und Farbe, während die anderen Muskeln ein gelbröthliches 
Aussehen darbieten. Da er zum Ersatz des gelähmten Quadriceps 
sehr geeignet erscheint, wird er sorgfältig hoch hinauf mobilisirt 
und an den oberen Rand der Patella periostal durch einige kräftige 
Seidenfäden befestigt. 

Der Spitzklumpfuss wird durch Verkürzung der Extensoren 
nach Hoffa beseitigt. Naht, Gipsverband. 

Verlauf: Heilung per primam. 

Der Erfolg einer Quadricepsplastik hängt in erster Linie von 
dem zur Verfügung stehenden Muskelmaterial, in zweiter Linie von 
dem Grade der Spannung ab, mit welchem die Muskeln vernäht werden. 
Wir stimmen in diesem Punkte vollkommen mit Lange überein. 

Was die von uns zur Quadricepsplastik benutzten Muskeln an¬ 
geht, so bevorzugen wir im allgemeinen von den Beugemuskeln den 
Mus. biceps femoris und den Muse, semitendinosus, sofern sie beide, 
aber wenigstens einer, einen gesunden Muskelbauch aufweisen. W^ir 
weichen aber sofort von dieser Regel ab, wenn ein anderer Muskel 
durch sein gutes Aussehen eine grössere Aussicht eines guten Er¬ 
folges bietet. Man muss eben auch hier individualisiren. So be¬ 
nutzten wir in einem Fall den Tensor fasciae latae, in einem an¬ 
deren erschien der Muse, semimembranosus besser wie der semiten¬ 
dinosus. Da er aber zu kurz war, so wurde er durch vier Seidenfädea 
verlängert und dieselben periostal unter starker Spannung an der 
Patella befestigt. 

In erster Linie verbürgt also das gute Muskelmaterial den Er¬ 
folg, in zweiter Linie der Grad der Spannung der transplantirten 
Sehnen. Ein Beweis dafür bildet der schon im allgemeinen Theil 
besprochene Fall. Hier standen uns die Beuger als gelbverfärbte, 
makroskopisch vollständig degenerirte Muskeln zur Verfügung. Wir 


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Beiträge zur Sebnenplastik. 


643 


Hessen es in diesem verzweifelten Falle auf einen Versuch ankommen, 
brachten den Biceps und die vorher durch Naht vereinigten Musculi 
semitendinosus und semimembranosus nach vorn, wo sie unter stärkster 
Spannung periostal an der Patella befestigt wurden. Der Erfolg war 
ein recht befriedigender. Während der Patient vor der Operation 
den Unterschenkel nicht strecken und in wagrechter Stellung halten 
konnte, konnte er nach der Operation denselben mit Leichtigkeit 
strecken und ihn eine Zeitlang in gestreckter Stellung halten. 

Die Erklärung für diese auffällige Thatsache ist die, dass in 
den makroskopisch schwer degenerirten Muskeln noch genug Reste 
und neugebildete Fasern vorhanden waren, die wieder wirken konnten, 
als die elastische Spannung der Muskeln wieder hergestellt war. 

Sind die Sehnen bei der Plastik nicht lang genug, so ver¬ 
längern wir sie nach Lange mit Seide. Wir thun das nicht nur 
bei der Quadricepsplastik, sondern auch unbedenklich in jedem an¬ 
deren Falle, wenn die Sehnen bis zum neuen Insertionspunkte nicht 
ausreichen. Es bleibt eben nichts anderes übrig, und dass Seide 
bei peinlicher Asepsis reactionslos einheilt, steht nach unseren Er¬ 
fahrungen ausser jedem Zweifel. 

üeberhaupt erscheint uns die Streitfrage: „alte oder periostale 
Methode* nicht so wichtig, wir nehmen das gute von beiden, wie aus 
unseren Krankengeschichten hervorgeht. Beide Methoden schliessen 
sich nicht aus, sondern ergänzen sich, wie H o f f a treffend auf dem 
n. Orthopädencongress betont hat. Weitere Erfahrungen müssen 
die genauere Abgrenzung der Indicationen für die eine oder andere 
Methode erbringen. 

e) Fall von Pes calcaneus. 

F. T. aus B., 13 Jahre, Arbeiterkind. 

Patientin hat mit 1Jahren eine fieberhafte Erkrankung durch¬ 
gemacht — angeblich Lungenentzündung und gastrisches Fieber —, 
wonach beide Beine gelähmt waren. Kind konnte früher gut laufen, 
gleich nach der Erkrankung jedoch gar nicht mehr. Dieser Zustand 
besserte sich nach einigen Monaten, so dass das Kind wieder gehen 
konnte. Im Laufe der Zeit haben sich die Contracturen eingestellt. 
Sonst ist Patientin nie krank gewesen. 

Status: Kräftig entwickeltes, gut genährtes Kind mit un¬ 
gestörtem Allgemeinbefinden. Innere Organe ohne pathologischen 
Befund. Temperatur normal. Puls normal. 


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Jos. Koch. 


Harn frei von Albumen und Zucker. 

Kind hat Beschwerden beim Gehen, kann sich nur fortbewegen, 
wenn sie mit den Händen das rechte Knie festhält. Patientin tritt 
rechts mit der Ferse auf, der Fuss steht in Valgusstellung. Links 
tritt sie ebenfalls mit der Ferse auf, der Vorderfuss ist plantarwärts 
reflectirt. 

Die Musculatur beider Oberschenkel ist gut erhalten bis auf 
den rechten Quadriceps, der sich schwächer und schlaffer anfühlt, 
doch kann Patientin das rechte Bein ebenfalls bewegen. Die Patellar- 
reflexe sind stark herabgesetzt, rechts mehr als links. 

Am rechten Unterschenkel sind die Flexoren und die Peronei 
gut erhalten, alle übrigen Muskeln sind gelähmt resp. geschwächt, 
die Zehen können jedoch bewegt werden. 

Am linken Unterschenkel sind die Flexoren gelähmt, ebenfalls 
die Extensoren. 

Diagnose: Pes calcaneo-valgus paralyticus sinister. 

Pes calcaneus excavatus paralyticus dexter. 

Therapie: Operation in Chloroformnarkose. 

Am rechten Fuss werden die Peronei abgelöst und an das 
Periost der Tuberositas ossis navicularis angenäht, die Achillessehne 
wird verkürzt. Der Fuss wird in normaler Stellung eingegipst. Am 
linken Fuss wird die Plantarfascie tenotomirt, der hintere Theil des 
Calcaneus abgemeisselt, nach hinten verschoben und so eine neue 
Ferse gebildet. Die Achillessehne wird durch Faltennaht verkürzt, 
der Peron. long. wird auf die Tuberositas ossis navic. überpflanzt, 
der Fuss in normaler Stellung eingegipst. 

Normaler Wundverlauf, Abnahme des Verbandes links, Fäden 
entfernt, neuer Gipsverband. 

Abnahme des rechten Verbandes, Herausnahme der Fäden, 
neuer Gipsverband. 

Gutes Resultat an beiden Füssen. 

f) Fall von spinaler Kinderlähmung am Oberarm. 

Sp. aus R., 3 Jahre. 

Anamnese: Eltern wissen über die Erkrankung des Kindes 
nur so viel anzugeben, dass mit 1^/2 Jahren nach einer fieberhaften 
Erkrankung eine Lähmung des linken Armes eintrat, die sich im 
Laufe einiger Monate so weit besserte, dass der Unterarm wieder 


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Beiträge zur Sehneuplastik. 


645 


fast normal wurde, während eine Lähmung der Oberarmmusculatur 
zurückblieb. 

Status: Mittelkräftiges, in gutem Ernährungszustände befind¬ 
liches Kind. Temp. afebril. Herz und Lungen gesund. 

Der linke Arm hängt schlafl* herab. Die Musculatur des Ober¬ 
armes ist stark atrophisch, besonders die Schultermusculatur (Del- 
toideus). Unter dem Proc. coracoideus eine Grube, so dass man mit 
den Fingern zwischen ihn und den Oberschenkelkopf eindringen kann. 

Der kleine Patient kann mit den Oberarmen keine Bewegungen 
ausführen. 

Operation: Loslösung des Muse. cueuUaris von seiner An¬ 
satzstelle durch einen Schnitt, der über die Spina scapulae des 
Acromion bis auf die Clavicula geführt wird; ein zweiter Schnitt in 
der Längsrichtung des Oberarms legt den Deltoidesansatz frei, Farbe 
des Muse, cucullaris tiefroth, die des Deltoides gelblichweiss degenerirt. 

Nach genügender Mobilisation des Muse, cucullaris wird er an 
die Circumferenz des Oberarms in der Höhe der Ansatzstelle des 
Muse, deltoideus angenäht. Der Arm wird in wagrechter abducirter 
Stellung verbunden. 

Verlauf: Nach 10 Tagen Entfernung der Nähte. Heilung 
per primam. Der Arm soll noch 8 Wochen lang in abducirter 
Stellung fixirt bleiben. 

Epikrise: Leider lässt sich in diesem Falle über das End¬ 
resultat nichts aussagen, da die Eltern mit dem Kind 14 Tage nach 
der Operation in die Heimath zurückreisten. 

An diese Fälle von spinaler Kinderlähmung reihen sich 2 Fälle 
von cerebraler Hemiplegie und einer traumatischen Peroneuslähmung 
an, bei denen ebenfalls Sehnenplastiken ausgeführt wurden. 


g) Fälle von cerebraler Hemiplegia. 

E. W., 13 Jahre. 

Vater starb an unbekannter Krankheit. Mutter und Geschwister 
gesund. Von Kinderkrankheiten nichts bekannt. Als die Patientin 
1 \2 Jahr alt war, soll sie einen Schlaganfall gehabt haben, darnach 
soll der linke Arm und der linke Fuss gelähmt gewesen sein. Laufen 
hat sie erst mit 6 Jahren gelernt. Wann sie zu sprechen gelernt, 
ist unbekannt. 


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646 


Jos. Koch. 


Status: Kräftiges, in gutem Ernährungszustände befindliches 
Mädchen. Temperatur normal. Brust- und Bauchorgane gesund. 
Es fällt auf, dass der linke Arm schlaff herunterhängt und dass die 
Musculatur des Ober- wie des Unterarms bedeutend schwächer ent¬ 
wickelt ist wie rechts. 

Umfang des linken Oberarms in der Mitte = 19 cm 

„ „ rechten „ » « „ = 22 1/2 , 

„ „ linken Unterarms „ „ „ = 19^/2 „ 

„ « rechten , „ „ „ = 22 

Die linke Hand hängt in Pronationsstellung herunter. Die 
Finger sind fiectirt, der Daumen in die Hand eingeschlagen. Supi¬ 
nationsbewegungen des linken Unterarms fast unmöglich, dabei 
äussert die Patientin Schmerzen und gibt an, dass sie im Ellenbogen 
einen Krampf verspüre. Die Finger können passiv nur unter Ueber- 
windung eines leichten Widerstandes gestreckt werden, activ ist es 
unmöglich. Der linke Daumen kann nicht abducirt werden. Wenn 
man den Unterarm (links) passiv im Ellenbogen beugt, spannt sich 
die Sehne des Biceps als ein contrahirter, fester Strang an, über¬ 
haupt dabei die ganze Musculatur des Oberarms. Die Haut des 
linken Armes ist bläulich gefärbt und fühlt sich kalt an. Der linke 
Fuss befindet sich in ganz leichter Equino-varus-Stellimg, active und 
passive Bewegungen nach allen Richtungen möglich, das ganze Bein 
ist weniger stark entwickelt; die Musculatur um ein Geringes atro¬ 
phischer wie rechts; die Verkürzung des ganzen Beines 1 cm. Der 
Gang ein leicht hinkender, die linke Beckenhälfte steht tiefer, es 
besteht eine leichte Skoliose. 

Operation: a) Loslösung des Pronatorteres vom Condylusintern. 

b) Durchschneidung des Lacertus fibrosus und der Sehne des 
Biceps in der Armbeuge. 

c) Schnitt über der Dorsalfiäche des Handgelenks, Verkürzung 
der Sehnen des Extensors digitorum comm. und digiti quinti, derart, 
dass die Hand und Finger in extremster Hyperextension stehen. 
Gips verband. 

Verlauf: Heilung per primam. Nach 10 Tagen Entfernung 
der Nähte. Nach 4 Wochen neuer Gipsverband. Die Hand steht 
gut, in starker Hyperextension. Die Fingerspitzen können gebeugt 
werden. 8 Wochen nach der Operation wird mit Bädern, vorsichtiger 
Massage, aktiven und passiven Bewegungen der Finger begonnen. 


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Beiträge zur Sehnenplastik. 


647 


Das Resultat einer Gwöchentlichen Nachbehandlung ist folgendes: 

Die Hand steht in wagrechter Stellung, die Finger können voll¬ 
kommen gestreckt werden, ausser dem Daumen, der nicht abducirt 
werden kann. Die Finger können zur Faust geballt werden, dabei 
steht die Hand in leichter Dorsalflexion. Die Kraft ist zwar noch 
bedeutend herabgesetzt, hat sich aber bedeutend gehoben. Der Arm 
kann im Ellenbogen vollkommen gebeugt werden. Der Erampfzustand 
in der Musculatur ist vollkommen verschwunden. Die Supination 
der Hand fast vollkommen möglich. Die gesammte Musculatur des 
Ober- wie des Unterarms hat sich bedeutend gekräftigt und ist 
voluminöser geworden. 

Epikrise: Durch die Operation haben wir zunächst in cos- 
metischer Hinsicht einen guten Erfolg erzielt. Die Hand sieht fast 
wie eine normale aus, auch das functionelle Resultat kann als ein 
gutes bezeichnet werden. Die Patientin kann Pronations- wie auch 
Supinationsbewegungen ausführen, sie kann die Finger strecken und 
beugen, die Krampfzustände haben vollkommen aufgehört. Die 
Patientin wird am 15. September entlassen. 

J. D. aus S., 8 Jahre. 

Eltern leben, Vater lungenkrank. Keine Kinderkrankheiten. 
Mit 8 Monaten, nach Angaben der Mutter, Kinderlähmung. Mit 
3 Jahren fing die Patientin an zu laufen, der Gang war von Anfang 
an unbeholfen, sie schleppte den linken Fuss immer nach. Das linke 
Knie konnte nicht vollständig gestreckt werden. 

Die Finger krümmten sich stets und waren in die Hohlhand 
eingeschlagen. 

Die Patientin wurde eine lange Zeit massirt und elektrisirt 
ohne Besserung. 

Status: Mittelkräftiges Mädchen, in mittlerem Ernährungs¬ 
zustände. Temperatur afebril. Brust- und Bauchorgane gesund. 

Der linke Arm wird im Ellenbogen- und Handgelenk flectirt ge¬ 
halten. Die Finger befinden sich in Flexionsstellung, die ganze Hand 
hängt in typischer Pronationsstellung herab. 

Active Bewegungen sind im Handgelenk nicht möglich, ebenso 
wenig können die Finger bewegt werden. Dagegen können passive 
Bewegungen nach allen Richtungen ausgeführt werden, wobei bei 
der Extension des Handgelenks, sowie der Finger, ein mässiger 
Widerstand zu überwinden ist. 


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648 


Jos. Koch. Beiträge zur Sehnenplastik. 


Im Ellenbogengelenk ist active Bewegung möglich, und zwar 
Flexion fast vollkommen, die Exteusion ist nicht vollkommen, ganz 
unmöglich ist jedoch die Supination des Vorderarmes. 

Operation: Schnitt vom Condylus medialis auf der Innen¬ 
fläche des Vorderarms schräg lateral dem Verlauf des Musculus 
pronator teres entsprechend. Der Pronator teres wird von seiner 
Insertionsstelle losgelöst, gut mobilisirt und unter einer Hautbrücke 
nach dem Condylus lateralis verlagert und dort periostal mit kräf¬ 
tiger Seide unter starker Spannung angenäht. 

Darauf Schnitt über die Dorsalfläche des Handgelenks. Es 
werden die Sehnen des Extensor carpi radialis und des Muse, extens. 
digitor. commun. derart verkürzt, dass die Hand in stärkster Hyper¬ 
extension steht. Gipsverband. 

Entlassungsbefund: Die Hand steht etwas dorsalflectirt 
und ulnarflectirt. Finger können fast bis zur Faust flectirt werden. 

Nachbehandlung unmöglich, da Patient abreiste. 

h) Pall von Peroneuslähmung. 

A. St. aus L., 13 Jahre. 

Vater und Mutter gesund, keine Kinderkrankheit. Am 20. Mai 
1902 fiel Patient vom Klettergerüst. Dabei will er sich eine Ver¬ 
renkung des linken Oberschenkels aus der Hüftpfanne zugezogen 
haben, die sofort reponirt wurde. 3 Wochen Bettruhe. Danach be¬ 
merkte der Patient, dass der linke Fuss schlafl* herabhing. Der Gang 
war hinkend. Trotz Elektrisiren, Massiren bis jetzt keine Besserung. 

Status: Sehr kräftiger, in gutem Ernährungszustände befind¬ 
licher Junge. Der linke Fuss befindet sich in Equino-varus-Stellung. 

Dorsalflexion in sehr geringem Masse möglich, sehr gut Ad- 
ductionsbewegungen, Abductionsbewegungen unmöglich. Die Peronei 
sind gelähmt. Patient hinkt und tritt mit dem äusseren Fussrande auf. 

Therapie: Verkürzung der Extensoren nach Hoffa, Fuss 
in Valgusstellung eingegipst. 

Nach längerer Nachbehandlung wurde ein in normaler Stellung 
befindlicher Fuss mit fast vollkommen normalen Bewegungen erzielt, 
so dass das Resultat als ein sehr gutes bezeichnet werden kann. 


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XXXIX. 


Eine neue Abdnctionsvorriclitimg für Hüftapparate. 

Von 

Dr. J. F. Gottstein, Reichenberg in Böhmen. 

Mit 1 in den Text gedruckten Abbildung. 

Im Folgenden sei eine Schienenvorrichtung empfohlen, welche 
die Aufgabe der Abduction an Schienenhülsenapparaten für das 
Hüftgelenk in befriedigender Weise zu lösen scheint. 

Die Vorrichtung besteht aus einem System von drei Schienen, 
einer oberen und zwei unteren, welche in der Beugeachse des Hüft¬ 
gelenkes durch einen Bolzen c zu einem Scheibencharnier zusammen¬ 
gehalten werden. Um das Charnier in beliebiger Beuge-, in Streckstel¬ 
lung oder Ueberstreckung fixiren zu können, trägt die dem Apparat 



h 


anliegende untere Schiene zwei Gewindlöcher (bei 6*), welche mit 
mehreren ebensolchen Löchern der oberen Schiene an deren ver¬ 
breitetem unteren Ende correspondiren; die Schrauben bei c sind von 
der Innenseite her eingeschraubt. 

Die beiden unteren Schienen besitzen nahe dem oberen Ende 
in gleicher Höhe Thürflügelcharniere (rf). Die oberflächliche Schiene 
ist kürzer als die dem Apparat anliegende und besitzt gegen das 
untere Ende zu einen langen Schlitz (a); in der Streckstellung ent¬ 
sprechen der Mitte dieses Schlitzes zwei Gewindlöcher der tiefen 
Schiene. Im Bereiche des Schlitzes ist die oberflächliche Schiene an 
beiden Flächen, die tiefe an der äusseren Fläche zur Vermehrung 
der Reibung mit Rillen versehen. (Das Plättchen b soll die obere 
Hülsenmutter markiren.) 

Um beispielsweise die Abduction zu vermehren, braucht man 


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@50 J- Gottfitein. Eine neue Abductionsvorrichtung für Hüftapparate. 

nur die Schrauben bei a ein wenig lockern und nach Einstellung des 
Beines in der gewünschten Stellung wieder anziehen. 

Die Vorzüge dieser Vorrichtung gegenüber den bisher ge¬ 
brauchten Mechanismen sind: 

1. Die Einfachheit ihrer Herstellung sowohl wie ihrer 
Anwendung; sie gestattet die Verstellung am Körper ohne einen 
besonderen Schlüssel. 

2. Die gute Fixation, bei welcher ein Federn oder Wackeln 
ausgeschlossen ist. 

3. Die Dauerhaftigkeit gegen Zerbrechen. (Bei der 
Schraubenabduction z. B. soll es vorgekomraen sein, dass die Schraube 
auf der Heimreise aus der Anstalt brach.) 


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(Aus der orthopädischen Heilanstalt des Dr. A. Schanz in Dresden.) 

Eine Aendernng an der Ealscravatte znr ambulanten 
Behandlung der Cervical-Spondylitis. 

Von 

Dr. J. Tflilers, Assistenzarzt. 

Mit 2 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Die von Alters her in der Behandlung der Cervical-Spondylitis 
übliche Cravatte (Minerva) hat den Nachtheil, dass dieselbe, wenn 
sie ordnungsmässig fest sitzt, eine Bewegung des Kinns nicht er- 

Fig. 1. Fig. 2. 


Zeitschrift far orthopädische Chirurgie. XIII Bd. 


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652 J* Vüllers. Eine Aenderang an der Halscravatte etc. 

laubt und darum die Patienten am Sprechen und Essen hindert. 
Um diesem Uebelstand abzuhelfen, verwenden wir in unserer Anstalt 
eine kleine Modification, die in folgendem besteht. — Aus der aus 
Hartleder gewalkten Grundlage des Apparates wird dort, wo die 
Unterkieferpartie in die Halspartie tibergeht, ein halbmondförmiger 
Streifen ausgeschnitten, dessen Spitze in der Gegend des Proc. 
mastoid. zu liegen kommt. Durch ein kleines Charnier und eine 
Schneckenfeder wird eine bewegliche Verbindung von Unterkiefer- 
theil und Halstheil hergestellt. Die Feder drtickt den Dnterkiefer- 
theil so weit nach oben, dass derselbe dem Kopf eine gute Stütze 
gewährt; ihre Spannung ist aber so gewählt, dass Bewegungen des 
Kinns ohne allzu grosse Kraftanstrengung ausgeftihrt werden können. 

Im übrigen lassen wir den Kopftheil am Hinterhaupt weit her¬ 
auf, den Brust- und den Rückentheil weiter, wie es gewöhnlich ge¬ 
schieht, herunter gehen, und wir vereinigen durch zwei Schnallen¬ 
gurte in den Seiten Brust- und Rückentheil. Die Hartlederschicht 
wird durch dünne Stahlleisten, welche an den Rändern gelegen sind, 
verstärkt und mit Qlac^leder überzogen. Fig. 1 zeigt einen mit diesem 
Apparate versehenen Knaben bei geschlossenem Munde. In Fig. 2 
ist derselbe Knabe mit weit geöffnetem Munde dargestellt. 


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XLI. 


Nachtrag 

ZU meiner im XII. Band dieser Zeitschrift erschienenen Arbeit: 

„Ein Beitrag zur Arthropathie bei Tabikern“. 

Von 

Dr. Blencke-Magdeburg. 

Ähre ns schrieb in seiner im VIII. Bande dieser Zeitschrift 
veröfiFentlichten Arbeit über Arthropathie bei Tabikern wörtlich fol¬ 
gendes: ^In neuerer Zeit haben Rotter und BUdinger geglaubt, 
die Arthropathia tabidorum als eine echte Arthritis deformans auf¬ 
fassen zu sollen, wie letzterer annimmt, verursacht durch die bei 
Tabes häufig zu beobachtende Degeneration der betreffenden peri¬ 
pheren Nerven. Es ist mir nicht bekannt, dass sich diese Degene¬ 
ration als constante Begleiterscheinung bei der Arthritis deformans 
vorfindet und die Veranlassung zur Entstehung derselben bildet, ich 
habe wenigstens in der Literatur vergeblich nach positiven Angaben 
hierüber gesucht.“ 

Ich bin nun in meiner Arbeit auf diesen soeben angeführten 
Passus zurück gekommen und zwar mit folgenden Worten: Büdinger 
will auch die Arthropathie als eine echte Arthritis deformans ange¬ 
sehen wissen, die verursacht wurde durch die bei Tabes so häufig 
zu beobachtende Degeneration der betreffenden peripheren Nerven, 
eine Degeneration, von der es Ahrens und mit ihm auch Anderen 
nicht bekannt ist, dass sie sich als constante Begleiterscheinung bei 
der Arthritis deformans vorfindet und die Veranlassung zur Ent¬ 
stehung derselben bildet. „Ich habe wenigstens vergeblich in der 
Literatur nach positiven Angaben hierüber gesucht“, sagt Ahrens. 

Diese meine Schilderung könnte in sofern zu etwaigen Miss¬ 
verständnissen Veranlassung geben, dass man etwa annehmen könnte, 
Büdinger verfüge über derartige Angaben. Dem ist aber nicht 
so; auch er schreibt in seiner Arbeit wörtlich: Obwohl keine An¬ 
gaben darüber vorliegen, ob bei der Arthritis deformans die Gelenks¬ 
und Knochennerven ebenfalls erkrankt zu sein pflegen, lässt sich 
dies doch theoretisch aus dem Allgemeinzustande der Patienten er¬ 
warten, welche an dieser Krankheit leiden. 


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XLII. 


Ein weiterer Beitrag zur sogen. Klnmpliand. 

Von 

Dr. Blencke-Magdeburg. 

Mit 4 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Im XII. Bande dieser Zeitschrift habe ich einen Fall von con¬ 
genitaler Klumphand veröflfentlicht. Ich bin nun in der Lage, diesem 
Fall von angeborenem totalen Radiusdefect noch vier weitere Fälle 
hinzufügen zu können, die vor allen Dingen wohl deshalb schon 
einiges Interesse haben dürften, vieil sie alle einer Familie angehören. 
Die betreffende Mutter hatte neun Kinder, von denen vier die gleiche 
Deformität, den angeborenen totalen Radiusmangel aufzuweisen hatten. 
Ich füge die Bilder und die Röntgenaufnahmen von zwei Geschwistern 
bei, die ich mit Mühe und Noth dazu bewegen konnte, sich photo- 
graphiren zu lassen. Die Aufnahmen sind deshalb auch nicht so 
ausgefallen, wie man es gewünscht hätte, aber ein zweites Mal sich 
dieser Procedur zu unterziehen, dazu waren die Patienten absolut 
nicht zu bewegen. 

Die Eltern sowohl wie die Kinder schwebten in gewaltiger 
Angst vor den Röntgenstrahlen infolge albernen Geschwätzes eines 
alten Weibes aus dem Heimatdorfe, das ihnen ganz gefährliche Dinge 
von den Röntgenstrahlen vorerzählt hatte, mit denen sie angeblich 
im Krankenhause behandelt sei. 

Das erste von den neun Kindern war ein Junge mit angeborenem 
totalen Radiusdefect beiderseits, das zweite ein Mädchen mit der¬ 
selben Deformität (Fig. 1 u. 2). Die folgenden vier Kinder, zwei 
Mädchen und zwei Jungen, waren vollkommen normal und wohl¬ 
gebildet. Das siebente Kind war wieder ein Junge (Fig. 3 u. 4) 
mit der nämlichen Deformität, das achte war ein gesundes und 
normal entwickeltes Mädchen und das jüngste war nochmals ein Junge 
mit totalem Radiusdefect beiderseits. Natürlich spielte auch hier 


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Ein weiterer Beitrag zur sogen. Klumphand. 


655 


wie überall das Versehen wiederum eine grosse Rolle. Auch hier 
will die Mutter in ihrer ersten Schwangerschaft durch einen Frosch 

Fig. 1. 



erschreckt sein. Während der ganzen zweiten Schwangerschaft will 
sich dann fortwährend die Mutter mit dem Gedanken befasst haben, 

Fig. 2. 



dass auch dieses Kind ebenso verkrüppelt sein könnte wie das erste. 
Und richtig, es war auch der Fall. Auf Anrathen der Hebamme 


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656 


Blencke. 


dachte dann die Mutter in den übrigen vier Schwangerschaften gar 
nicht an ihre verkrüppelten Kinder und siehe da, alle vier Kinder 

Fig 3. 



waren normal und wohlgebildet. Mittlerweile waren nun aber die 
beiden ältesten missgestalteten Kinder so gross geworden, dass sie 

Fig. 4. 



sich auf der Strasse Gespielen suchten. Von diesen wurden sie nun 
häufig ihrer Deformität wegen geneckt und sobald dies die inzwischen 


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Ein weiterer Beitrag zur sogen. Klumphand. 


657 


wieder schwanger gewordene Mutter sah, wurde sie von Neuem an 
ihr Unglück erinnert und diesem Umstande schreibt sie es auch zu, 
dass sie noch mit zwei Kindern niederkam, die dieselbe Deformität 
aufzuweisen hatten, wie die beiden ersten Kinder. 

Einer eingehenden Beschreibung der einzelnen Fälle bedarf es 
wohl nicht, da sie im übrigen keine wesentlichen Abweichungen von 
den bisher beschriebenen Fällen dieser Deformität zeigen. Es han¬ 
delt sich bei allen vier Kindern um einen vollständigen Mangel des 
Radius. Hervorheben möchte ich noch, dass in allen Fällen alle 
fünf Finger vorhanden waren. Die Kinder konnten ihre Hände zu 
allen Verrichtungen, wie sie auf dem Lande ausgeführt werden, gut 
gebrauchen; die Mädchen waren auch sehr geschickt in Handarbeiten. 


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XLIII. 


lieber das Recidiv nach Schiefbalsoperationen. 

(Nach einem vor der Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte 
zu Breslau gehaltenem Vortrage.) 

Von 

Dr. A. Schanz in Dresden. 

Mit 4 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Meine Herren! Einfachster Natur ist die pathologisch-anatomische 
Grundlage des musculären Schiefhalses: Die Verkürzung eines 
einzelnen Muskels ist es, was die Deformität bedingt. 

Klar bezeichnet ist unter diesen Verhältnissen der Angriffspunkt 
und das Ziel, welche jede rationelle Therapie nehmen muss: die 
Beseitigung der Muskelverkürzung — eine Verlängerung des 
Kopfnickers so weit, dass eine normale Stellung des 
Kopfes und Halsbewegungen in normalen Grenzen er¬ 
möglicht werden, muss der wesentliche Inhalt jedes 
Behandlungsversuches sein. 

Die anatomischen Verhältnisse scheinen für die Erfüllung dieser 
Aufgabe ganz ausserordentlich günstig zu sein. Der Kopfnicker ist 
ein oberflächlich gelagerter Muskel, er tritt bei unserer Deformität 
sogar noch besonders scharf hervor, so dass wir ihn ohne Schwierig¬ 
keit angreifen können. In einem hohen Procentsatz der Fälle können 
wir den Muskel subcutan durchreissen, wir können ihn durch eine 
subcutane Tenotomie trennen, wir können ebenso ohne Schwierigkeit 
die offene Durchschneidung ausführen, ohne Gefahr eines nennens- 
werthen Verlustes können wir den Muskel sogar exstirpiren, wir 
können natürlich ebenso gut plastische Verlängerungen des Muskels 
ausführen. 

Damit ist eine ganze Reihe verschiedener Behandlungsvorschläge 
aufgezählt. 

Schon die Existenz einer so grossen Anzahl von Lösungsver- 


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üeber das Recidiv nach Schiefhalsoperationen. 


659 


suchen unserer therapeutischen Aufgabe muss uns stutzig machen, 
ob diese Aufgabe in der That so einfach zu erfüllen ist, als es auf 
den ersten Blick scheinen möchte. 

Und in der That, wenn wir nachlesen, so finden wir, dass die 
meisten der verschiedenen BehandlungsVorschläge gemacht worden 
sind, weil die anderen früher bekannt gegebenen Methoden nicht 
eine genügende Sicherheit des Erfolges boten. Ganz allgemein 
finden wir die Angabe, das die verschiedenen Methoden neben einer 
gewissen Anzahl tadelloser Resultate einen wechselnden Procentsatz 
theilweiser oder ganzer Misserfolge geben. 

Selbst das radicalste Verfahren — die Exstirpation des Muskels 
— macht hier keine Ausnahme, nach dem von Stumme gegebenen 
Berichte selbst nicht in der Hand ihres Erfinders v. Mikulicz. 

Was ist hier die Ursache? Wie kommt es, dass uns 
die Erfüllung einer so einfachen Aufgabe, wie es die 
Verlängerung eines einzelnen, oberflächlich gelegenen 
Muskels ist, trotz der grossen Zahl der zur Verfügung 
stehenden Mittel nicht in jedem Pall gelingen will? 

Zwei Möglichkeiten sind hier gegeben: entweder kann 
der ungenügende Erfolg dadurch bedingt sein, dass 
bei der Operation nicht alle verkürzten Theile durch¬ 
trennt werden, zweitens kann irgend ein nach der 
Operation einsetzender Process das zunächst tadellose 
Operationsresultat beeinträchtigen. 

Die meisten Autoren haben die erstgenannte Möglichkeit an¬ 
genommen; wie ich glaube mit Unrecht. Denn anzunehmen, dass 
z. B. ein Operateur wie Herr v. Mikulicz, bei einer offenen Durch¬ 
schneidung des Kopfnickers das Messer aus der Hand legt, ehe der 
Muskel thatsächlich durch ist und so lange noch irgend ein ver¬ 
kürzter Bindegewebsstrang steht, das wäre doch ein Zeichen eines 
sehr naiven Gemüthes. Nein, bei allen eigentlichen Recidivfällen 
ist zunächst das Ziel der Operation vollständig erreicht gewesen: 
Der verkürzte Muskel sammt seiner Umhüllung war vollständig 
durchtrennt, der Kopf liess sich in übercorrigirte Stellung bringen. 
Die Beeinträchtigung des Resultats ist erzeugt worden 
durch einen Process, der nach der Operation einsetzte. 

Welches ist nun dieser Process? v. Mikulicz nimmt, wie 
mir aus seinen und Kaders Veröffentlichungen hervorzugehen scheint, 
an, dass das Recidiv durch das Fortbestehen eines entzündlichen 


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660 


A. Schanz. 


Processes im Muskel und in seiner bindegewebigen Umgebung be¬ 
dingt werde, dass dadurch eine Reizung zu fortschreitender Ver¬ 
kürzung bestehen bleibe, sowohl im Muskel und seiner Umgebung 
selbst, als auch in der Narbe, welche sich zwischen den Muskel¬ 
enden interponirt. 

Aus dieser Auffassung ergibt sich sein Vorschlag, den erkrankten 
Muskel zu exstirpiren. 

Ich will nicht auf diese und andere Erklärungen der Recidiv- 
bildung eingehen, jedenfalls entspricht das endliche Bild, welches das 
Schiefhalsrecidiv gibt, ganz der v. Mikulicz'schen Darstellung. 

Untersuchen wir einen solchen Recidivfall, so finden wir von 
dem nach oben zurückgewichenen Muskelstumpf des Kopfnickers 
einen oder mehrere Stränge nach der Gegend des Ansatzes des 
Muskels ziehen. Diese Stränge enthalten keine contractile Substanz, 
sie variiren in Länge und Dicke, sie variiren auch in ihrem Ansatz¬ 
punkt; sie treffen seltener den Ansatzpunkt des Muskels selbst, zu¬ 
weilen ziehen sie medialwärts davon zum Sternum, meistens aber 
lateral zum Schlüsselbein. Oben entspringen sie nicht immer von 
der Querschnittfläche, sondern oftmals von einer höher gelegenen 
Partie des Muskels, oder sie verlaufen auch, ohne dass man deutlich 
ihren Ansatzpunkt am Muskel markiren könnte; meistens gehen sie 
dann in die Muskelscheide über. Dieses Bild wird Ihnen allen ge¬ 
läufig sein. Charakteristische Abbildungen davon enthält die Arbeit 
von Stumme^), aus der Breslauer Klinik (s. Fig. 1 u. 2). Dieselbe 
bestätigt damit zugleich, dass auch nach der Kopfnickerexstirpation 
die Recidivbildung genau dieselben Wege einschlägt wie nach der 
offenen oder der siibcutanen Durchschneidung. Ich gebe Ihnen die 
betreffende Arbeit hier herum. Diese auf den Abbildungen so 
deutlich hervortretenden Stränge — Ersatzstränge nennt sie 
Stumme — oder vielmehr die ungenügende Länge dieser Stränge, 
das ist unzweifelhaft die Ursache des Recidivs. Wären diese 
Stränge nicht vorhanden, oder wären sie so lang, dass sie die Einnahme 
einer normalen Kopfhaltung, die Ausführung normaler Halsbewegungen 
nicht hinderten, so würde das Ziel der Operation erreicht sein. 

Wollen wir Sicherheit vor dem Recidiv erlangen, so müssen 
wir Mittel und Wege suchen, die Ausbildung dieser Stränge ent- 


*) Stumme, lieber die Spätresultate der Resection des Kopfnickers beim 
musculären Schiefhals nach Mikulicz. Zeitschr. f. orthop. Chirurgie Bd. 9. 


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lieber das Recidiv nach Schiefhalsoperationen. 


661 


weder ganz zu vermeiden, oder wir müssen die Stränge zwingen, eine 
Länge anzunehmen, dass von ihnen keine Behinderung für die Normal- 
haltung und Bewegung des Kopfes gesetzt wird. 

Wollen wir diese Aufgabe lösen, so müssen wir zuerst kennen 
zu lernen suchen, von welchen Momenten die Entstehung der Stränge 
abhängt und von welchen Momenten ihre Länge bestimmt wird. 

Die Entstehung der Stränge ist wohl folgendermassen zu 


Fig. 1. 



erklären: Haben wir durch irgend eine Operation eine Durchtrennung 
des Kopfnickers bewirkt und redressiren wir darnach die Deformität, 
so zieht sich der Muskel in einer bindegewebigen Hülle nach oben 
zurück. Treten nun HeilungsVorgänge ein, so kann die Muskel¬ 
wunde mit Theilen ihrer bindegewebigen Umgebung verwachsen und 
so kann eine Verbindungslinie wieder hergestellt werden nach der 
Gegend des alten Muskelansatzes. Bildet sich eine Muskelnarbe aus, 
so stellt diese eine directe Verbindung mit der alten Ansatzstelle her. 
Von der Höhe, in welcher der Muskelquerschnitt mit seiner Um¬ 
gebung verwächst, von der Länge der Muskelnarbe wird es ab- 
hängen, ob die Ersatz- oder Narbenstränge ein Recidiv bedingen. 


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662 


A. Schanz. 


Eine genügende Länge dieser Stränge müssen wir er¬ 
halten, wenn wir nach der Operation den oberen Muskelstumpf so 
weit zurückdrängen, dass bei einer Verwachsung mit seiner Um¬ 
gebung oder bei Ausbildung einer Muskelnarbe die Stränge lang 
genug werden, um auch die Einnahme einer Uebercorrectionsstellung 
zu erlauben. In dieser Situation muss der Muskelstumpf gehalten 
werden, bis jede Neigung zu narbiger Schrumpfung vorüber ist. 


Fig. 2. 



Als Mittel, diese Aufgabe zu erfüllen, kommen Verbände 
oder portative Apparate in Frage. 

Man wird zuerst an den Qipsverband denken, der ja schon 
längst in der Nachbehandlung der Schiefhalsoperationen benutzt wird 
und welcher, wenn er den Kopf in übercorrigirter Stellung hält, bei 
genügend langem Liegen unsere Aufgabe erfüllen müsste. Aber bei 
der praktischen Anwendung zeigt sich der Gipsverband zur Erfüllung 
unserer Aufgabe als nicht besonders geeignet. Ich will ganz davon 
absehen, dass die Anlegung eines solchen Gipsverbandes nicht un¬ 
beträchtliche technische Schwierigkeiten bereitet. Aber an dem sich 
bei der Athmung auf und nieder bewegenden Thorax ist ein Gips¬ 
verband gar nicht exact zu befestigen. Ebensowenig am Kopf, da 


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lieber das Recidiv nach Schiefhalsoperationen. 


663 


wir dem Kinn Bewegungsfreiheit lassen müssen, und da die runde 
Kugel des Schädels für einen Gipsverband keinen genügenden Fixations¬ 
punkt bietet. Man mag den Verband noch so sorgfältig angelegt 
haben, der Patient gewinnt in demselben in kurzer Frist eine gewisse 
Bewegungsfreiheit und benutzt dieselbe natürlich sofort, um an der 
Operationsstelle eine Entspannung der verwundeten und gedehnten 
Theile herbeizuführen. 

Während der Gipsverband einen dicken Schleier darüber breitet, 
geht die beschriebene Recidivbildung vor sich. Bei der Abnahme 
des Verbandes bietet sich dem erstaunten Auge des Operateurs ein 
ungenügender Erfolg, der meist auch durch die sorgfältigste sogen, 
orthopädische Nachbehandlung nicht wesentlich verbessert wird. 

Ebensowenig leistet irgend ein nach der Operation angelegter 
portativer Apparat; denn die anatomischen Verhältnisse bieten seiner 
Wirksamkeit dieselben Schwierigkeiten wie dem Gips verband. 

Halb durch Zufall bin ich auf ein Mittel gekommen, welches 
wesentlich Vollkommeneres leistet als der Gipsverband und dabei 
noch den Vortheil besitzt, bedeutend einfacher als dieser zu sein: 
es ist ein einfacher dicker Watte verband. 

Bei einer meiner ersten Schiefhalsoperationen bekam ich eine 
starke Blutung und legte deshalb auf die genähte Wunde einen 
dickeren Watteverband, den ich durch Bindentouren kräftig fest¬ 
legte; natürlich musste ich, damit der Bindendruck ertragen wurde, 
den ganzen Hals mit Watte ein wickeln. Als ich sah, dass dieser 
Verband den Kopf sehr gut stützte und den Hals extendirte, ver¬ 
zichtete ich darauf, einen Gipsverband darüber zu legen. Wenn sich 
der Verband durch Zusammendrücken der Watte lockerte, legte ich 
eine neue Watteschicht auf und zog das Ganze wieder mit einer 
Binde zusammen. 

So erhielt ich den Verband ein paar Wochen und hatte nach 
Abnahme desselben ein tadelloses Resultat, welches, gegen alle Ge¬ 
wohnheit, keinerlei Nachbehandlung erforderte. 

Seitdem — es sind etwa 7 Jahre — habe ich bei einigen 
20 Fällen diesen selben Verband weiter verwendet, in jedem Fall 
mit demselben günstigen Erfolg. 

Ich habe bei allen diesen Fällen nicht nöthig gehabt, auch nur 
eine einzige Sitzung einer sogen, orthopädischen Nachbehandlung 
auszuführen oder gar einen Apparat tragen zu lassen. Nur in der 
allerjüngsten Zeit bekam ich eine Ausnahme. Es handelte sich um 


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664 


A. Schanz. 


einen halb dementen Knaben, welcher mehrere Monate nach der 
Operation anfing, den Kopf wieder leicht schief zu tragen. Durch 
ein paar Redressionsübungen war die Sache wieder behoben. Mög¬ 
lich, dass in diesem Fall ein nervöser Process im Spiele ist. 

Die Wirkung meines Watteverbandes ist einfach die, 
dass durch den elastischen Druck desselben eine Extension des Halses 
stattfindet, und dass dadurch wie auch durch den Druck der Watte 


Fij?. 3. 



in die Muskellücke eine Auseinanderlagerung der Muskelwundfiächen 
bewirkt wird. Der Muskel wird infolge dessen um so viel verlängert, 
dass er, wenn der Hals nach Abnahme des Verbandes wieder die 
normale Lordosirung einniramt, auch die Herstellung einer Ueber- 
correctionshaltung gestattet. 

Die Frage, wie lange man den Verband behalten soll, war 
theoretisch sehr leicht dahin beantwortet: so lange, als Neigung zu 
narbiger Schrumpfung vorhanden ist. In praxi ist dieser Zeitpunkt 
nicht sehr leicht zu bestimmen, denn man sieht im Moment dem 
Fall nicht an, ob diese Neigung noch besteht oder nicht. Durch 
vorsichtiges Tasten und Beobachten bin ich dazu gekommen, die 
Verbände durchgehends 6 Wochen liegen zu lassen. Ich glaube, 


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Ueber das Recidiv nach Schiefbalsoperationen. 


665 


dass diese Zeit für alle Fälle genügt, dass sie aber auch nicht zu 
lang festgesetzt ist. 

Eine Nachbehandlung habe ich, wie gesagt, unter einigen 20 
so behandelten Fällen nur ein einziges Mal unter besonderen Um¬ 
standen und in sehr geringem 
Maassenöthig gehabt. Die anderen 
Fälle sind sämmtlich recidivfrei 
geblieben. 

Um noch einmal mit ein paar 
Worten darauf zurUckzukommen, 
so ist die Technik des Verbandes 
eine sehr einfache. Auf die ge¬ 
nähte Wunde kommt ein kleiner 
aseptischer Verband. Nun um¬ 
wickle ich den Hals mit einer 
drei- oder vierfachen Watte¬ 
schicht, die durch Bindetouren 
festgelegt wird. Darüber kommt 
eine zweite Wattelage, in diese 
kann man auf der operirten Seite 
ein Wattekissen einfügen; es wird 
dann der Kopf etwas in üeber- 
correctur gedrückt. Diese Watte¬ 
schicht wird wieder durch Binde¬ 
touren festgelegt. Diese Touren 
werden schon straffer als die ersten angezogen. — Ob man noch 
eine dritte Lage darüber legt oder nicht, hängt ganz davon ab, ob 
die Wattehülle schon die nöthige Festigkeit und Druckkraft er¬ 
langt hat. 

Lockert sich der Verband, was gewöhnlich in 3—4 Tagen ge¬ 
schieht, so wickelt man ihn ab und legt ihn frisch an, oder man 
legt einfach eine Binde oder eine neue Wattelage darüber. Die 
Herstellung und die Erhaltung des Verbandes ist also äusserst einfach. 

Zum Schluss möchte ich noch bemerken, dass dieser Verband 
von mir mit recht günstigem Erfolge auch bei der Behandlung der 
Spondylitis cervicalis verwendet wird. 


Fig. 4. 



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XLIV. 


Zur Therapie des Plattftisses. 

Von 

Prof. Dr. Italo Antonelli, 

Privatdocent der klinischen Chirurgie und Director des städtischen 
Krankenhauses zu Pavia. 

Mit 2 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Die Schwierigkeiten einer therapeutischen Behandlung des Platt- 
fusses finden ihren Ausdruck in den vielfachen Versuchen, die namentlich 
heutzutage von Chirurgen und orthopädischen Fachmännern mit einer 
der schwierigen Lösung der verschiedenen ätiologischen und therapeu¬ 
tischen Fragen gleichkommenden Beharrlichkeit unternommen werden. 

Wohl begreiflich erscheint es, wenn sämmtliche Autoren — 
ehe sie es wagten, operative EingrijBFe vorzuschlagen, die ja nur in 
einer entschiedenen Ueberzeugung von dem Zutreffen einer ätio¬ 
logischen Annahme ihre Rechtfertigung finden können — sich zu¬ 
nächst mit dem Studium des Mechanismus des Plattfusses befasst 
haben. 

Wenn aber auch die Frage schon an und für sich eine derart 
verwickelte ist, dass sie selbst einen berufsmässig den mathematischen 
Disciplinen obliegenden Geist zum Nachdenken zu veranlassen ver¬ 
mag, mit dem erschwerenden Umstande noch dazu, dass der Fuss — 
speciell mit Rücksicht auf seine wesentlichen Bestandtheile — ein 
solches harmonisches Ganzes ist, dass er eine weit höhere Zusammen¬ 
fügung darstellt als jede andere durch mathematische Lehrsätze aus¬ 
gedrückte bezw. geregelte, so bin ich — ohne hier weiter nach¬ 
grübeln zu wollen, ob beim Fusse zwei Gewölbe (Lorenz) oder 
nur eines (H o ffa) in Betracht zu ziehen sei — zu der Ansicht 
gekommen, dass, wenn man die Sache schematisiren will, ein 
longitudinales Knochengewölbe von einem transversalen zu 
unterscheiden ist; ersteres würde seine äussersten Stützpunkte in der 
hinteren Tuberosität des Calcaneus sowie an den Köpfen der Meta- 


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Zur Therapie des Plattfusses. 


667 


tarsi — speciell an jenem des Metatarsus I — finden, der Höhepunkt 
des Gewölbes würde hierbei der vom Ligam. calcaneo-scaphoid. inf. 
eingenommenen Stelle entsprechen. Das transversale hingegen 
— dachrinnenartig, dreikantig gestaltet — würde den durch zwei 
von der Tuberositas calcanei anter. des Calcaneus zu den Köpfen der 
Metatarsi I und V gezogenen und eine dritte diese beiden Endpunkte 
mit einander verbindende Linie begrenzten Raum einnehmen; der 
Doppelbogen des Fusses würde alsdann die Bildung einer Vertiefung 
veranlassen, die sich mit einer aus grösstentheils kegelförmigen, mit 
der Spitze nach unten gekehrten Steinblöcken bestehenden architek¬ 
tonischen Kuppel vergleichen Hesse, deren Auseinanderweichen an 
ihrer Basis durch eine Anzahl die Bogensehnen darstellende Binde¬ 
balken verhütet wird; die Bogensehnen entsprächen den langen 
Bändern (Ligam. plant, long., fase, plant, etc.), den Fusssohlen- 
muskeln und den zugehörigen Sehnen, sowie den Sehnen einiger 
Muskeln der hinteren Gegend des Unterschenkels (Peron. long., 
Flexor digit. long., Flexor hallucis, Tibialis post.). 

Ich schliesse mich jenen Autoren an, die der Muskelthätigkeit 
die allermeiste Betheiligung an der Erhaltung des Plantargewölbes 
zuerkennen, dafür aber auch in dessen Schwächung die allererste 
Ursache der Bildung des statischen Plattfusses erblicken. Ich ver¬ 
zichte hier auf eine nochmalige Angabe der Gründe, die mich zu 
dieser Anschauung drängen — ich habe dieselben bereits in meiner 
in der „Gazzetta Medica Italiana“ (22—24, 1904) erschienenen 
Arbeit über den Plattfuss ausführlich dargelegt — und die ich nicht 
nur aus meiner eigenen Ueberzeugung, sondern auch aus einer sorg¬ 
fältigen Durchsicht der einschlägigen Mittheilungen (Koenig, Hoffa, 
Engels, Duchenne, Henke, Riedinger, Barwell, Busch, 
Withman, Beynier u. a.) geschöpft habe. 

Aus den in erwähnter Arbeit angeführten Untersuchungen geht 
nun hervor, dass unter den Bändern die Plantaraponeurose das einzige 
ist, das wir dazu geeignet finden, thatsächlich die Rolle einer zwischen 
der Tuberositas calcanei und den Metatarsusköpfen gespannten Bogen¬ 
sehne zu übernehmen — die kürzeren sind ja von örtlicher Be¬ 
deutung (Engels), und keine der Sehnen der langen Muskeln zieht 
die Tuberositas calcanei in den Bereich ihrer Thätigkeit — daher 
die präcise Bestimmung, dem Fusse seine longitudinale Spannung zu 
geben, vor allem dem Flexor plant, brev., Abductor halluc., Flexor 
brevis des Kleinfingers quadratischem Fleisch von Silvio zufällt, 

Zeitschrift ftlr orthopädische Chirurgie. XIII. Bd. 44 


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668 


Italo Antonelli. 


indem diese Muskeln mit den Lumbricales und Interossei und 
namentlich dem Abductor hallucis zur Erhaltung der Fusshöhlung 
beitragen. Diese Beeinflussung des Querbogens — oder besser ge¬ 
sagt der Hohlrinne — kommt hingegen fast ausschliesslich der nach 
dem Fusse ziehenden langen Musculatur zu, und zwar, wie ich be¬ 
reits gezeigt, dem Peroneus longus, dem Tibialis post, unter Mit¬ 
wirkung des Flexor digit. long. und — für die longitudinale Span¬ 
nung — des Flexor hallucis long. 

Auf diese Erfahrungen gestützt und die Schwierigkeiten wohl 
vor Augen haltend, auf die man hier in technischer Hinsicht stossen 
würde, sobald man einen Eingriff auf die kurze Musculatur oder auf 
die Fascie bezw. Ligamenta des Plattfusses versuchen wollte in der 
Absicht, auf directem Wege eine Annäherung der dem Vorderende 
der Metatarsi entsprechenden Linie an das Hinterende des Calcaneus 
zu erzielen — was ja in der chirurgischen Praxis nichts Neues 
wäre —, habe ich darüber nachgedacht, ob es denn nicht angezeigt 
wäre, die Erreichung dieses Zieles dadurch anzustreben, dass man 
auf indirectem Wege es möglich macht, beim statischen beweglichen 
Plattfuss die eingebüsste Concavität operativ wieder herzustellen, der 
Annahme Drob nie k's zufolge, dass eine gleichmässigere Vertheilung 
der Kräfte es den einzelnen Theilen gestatte, eine Stellung anzunehmen, 
die deren Form verbessert und dieselben zu Bewegungen fähig macht, die 
in Bezug auf Richtung und Stärke sich besser dazu eignen, ihnen eine der 
normalen so weit als möglich nahe kommende Function wiederzugeben. 

Bei beweglichem, seine Entstehung einer Schwäche oder Muskel¬ 
parese bezw. -lähmung verdankenden Valgusplattfuss wende ich 
aber — auch in Anbetracht der Erfahrung, dass Atrophie und 
Degeneration vornehmlich den Tibialis ant. (Ditttel) und Tibialis 
post. (Tillmanns) betreffen, während umgekehrt der Extensor prop. 
hallucis sich in der Regel hypertrophisch zeigt (Alessandrini) 
und dem Principe der modernen Orthopädie huldigend („zuerst die 
Function, erst dann die Form“) — das weiter unten angegebene 
Verfahren an, in der Absicht: 

1. die longitudinale (innere) Fusswölbung zu kräftigen; 

2. ebenso die transversale; 

3. die supinatorische Muskelthätigkeit zu erhöhen; 

4. die pronatorische zu vermindern. 

Ich habe dahin gestrebt, dies Ziel zu erreichen durch gleich¬ 
zeitige Anwendung folgender Verfahren: 


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Zur Therapie des Plattfusses. 


669 


a) Uebertragung der Sehne des eventuell durch den Tibialis 
aut. gestärkten Extensor prop. halluc. (Antonelli) unter die Plantar¬ 
wölbung und deren Fixirung daselbst durch passende Technik (Lange); 

b) Verlängerung der Achillessehne behufs Erzielung einer tem¬ 
porären Erschlaffung ihrer Kraft bei gleichzeitig in entgegengesetzter 
Richtung auf den Calcaneus ausgeübter Zugkraft (Codivilla); 

c) Erhöhung der Spannung und Kraft des Tibialis post., und 
zwar sowohl durch Verkürzung desselben, als auch durch Implan¬ 
tation von Sehnen anderer Muskeln, deren Kraft von ihrer normalen 
Thätigkeit abgelenkt werden soll, auf dessen Sehne; 

d) Schwächung oder geradezu Aufhebung der Thätigkeit des 
Peroneus brevis und hierbei — in der Regel — Uebertragung der 
Kraft auf den Tibialis post.*); 

e) theilweise Uebertragung der Thätigkeit der vom Extensor 
comm. long. herkommenden — langen extensorischen Sehne der 
n. Zehe auf den Hallux. 

Wie bereits erwähnt, habe ich durch die Uebertragung der 
Sehnen nicht nur eine Wiederherstellung der statischen Verhältnisse 
des Fusses angestrebt, sondern auch meinem Dafürhalten nach der 
ümwandlungskraft die Aufgabe zugewiesen, durch Modificirung der 
localen Form- und Ernährungsveränderungen — je nach dem Grade 
der neuen hierher übertragenen Energie — zur Beseitigung der 
Deformität mit beizutragen. 

Was nun aber die Verlängerung der Achillessehne anbetrifft, 
so will ich daran erinnern, dass bereits Kr aus s, Schaffer, Hoffa 
die Wahrnehmung gemacht, dass beim Plattfuss eine starke Span¬ 
nung und eine bemerkenswerthe Verkürzung besagter Sehne vor¬ 
zukommen pfiegt. Die Tenotomie dieser letzteren soll aber nach 
Hoffa ein vortreffliches Hilfsmittel sein, um beim Plattfuss das 
Redressement force zu erleichtern. 

Bezüglich der Application der Zugkraft auf den Calcaneus nach 
Codiyilla’s Verfahren muss doch anerkannt werden, dass man wohl 
kaum durch ein anderes Mittel so kräftig auf das hintere Ende des 


’) In manchen Fällen auch des Peroneus III. 

In einigen Fällen von Yalgus-Plattfuss mag auch eine Verlängerung 
der Sehne des Peroneus long. angezeigt erscheinen; ich selbst habe in einem 
speciellen Falle zu einem solchen Eingriffe schreiten müssen; in anderen — sehr 
seltenen — Fällen kann sich umgekehrt die Nothwendigkeit ergeben, eine Ver¬ 
kürzung der Sehne zu erzielen. 


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670 


Italo Antonelli. 


Calcaneus einzuwirken vermag. Codivilla*8 Methode verschafft uns 
die Möglichkeit, weit bedeutendere Zugkräfte einwirken zu lassen 
als durch Anwendung der Uebertragungsmittel der Zugkraft des 
Skelets vermittelst der Weichtheile, welch letzteres Verfahren zudem 
noch Hautdecubitus an den Knochenvorsprüngen veranlassen kann. 
Ich theile die Ansicht Galeazzi’s, dass „Codivilla's Verfahren — 
eines auf das Skelet ausgeübten directen Zuges — dazu berufen ist, 
gute Dienste zu leisten bei der Behandlung zahlreicher chirurgischen 
bezw. orthopädischen Verletzungen, indem dasselbe eine grosse Ver¬ 
besserung unserer Mittel einer continuirlichen Zugkraft darstelle“. 

Die Operation führe ich nun folgendermassen aus: 

1. Tempo: Ich mache einen kurzen Einschnitt etwas auswärts 
von der Sehne des Extensor prop. halluc. an der Articulatio meta- 
tarsica phalangea I und durchschneide die Sehne, von der ein Stück 
in situ belassen wird. Dieses Stück soll später auf die innere Hälfte 
der benachbarten in der Nähe ihres Endpunktes durchschnittenen, 
mit Hilfe von Codivilla's flexiblem Specillus längs der Scheide des 
Extensor long. hallucis durchgezogenen Sehne der IL Zehe eingepflanzt 
werden. Ein zweiter, recht kurzer longitudinaler Einschnitt wird 
aber am Fussrücken gemacht, und zwar gleichfalls in der Verlaufs¬ 
richtung des Extensor hallucis. Hierauf wird die Sehne blossgelegt 
und das ganze periphere Endstück aus der Scheide herausgezogen, 
welch letztere an dessen Stelle die Sehne des Extensor long. der 
II. Zehe (N) aufnimmt. Sodann wird — gleichfalls longitudinal — 
am inneren Rande der Fusssohle, entsprechend dem inneren Rande 
des Ligam. calcaneo-navicul., von dem ein dem Tuberkel des Sca- 
phoideum (S) — jedoch etwas mehr nach rückwärts von diesem — 
entsprechender Theil losgelöst wird, ein dritter kleiner, gleichfalls 
longitudinaler Einschnitt ausgeführt (s. Fig. 1); mit einer stumpfen 
Pincette ergreife ich sodann das Ende der Sehne des Extensor prop. 
hallucis und ziehe dasselbe durch den zweiten Einschnitt und sub- 
cutan*) durch die Weichtheile hindurch, unter der Sehne des Tibialis 
ant. (Fig. 1, A) hinweg und durch den dritten Einschnitt hinaus; 
von da — stets unter Führung der Pincettenspitze — ziehe ich sie 

*) In Fig. 1 ist aber die Sehne des Extensor halluc. (H) etwas zu weit 
nach vorn gerückt; ebenso ist auch die periostaMigamentöse Brücke nicht 
genau entsprechend ausgefallen; dieselbe muss ebenfalls weiter nach rückwärts 
gedacht werden. 

*) Womöglich ist das Durchziehen unter der Fascie vorzuziehen. 


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Zur Therapie des Plattfusses. 


671 


durch die Fusssohle hindurch, dicht an der Knochenfläche vorbei 
bis zum äusseren Fussrande, wo unter Führung der Sondenspitze ein 
vierter kurzer Einschnitt gemacht und dadurch der Höhepunkt des 
Lorenz’schen äusseren Bogens zur Wahrnehmung gebracht wird; 
daselbst wird nun mit dem Meissei eine starke Periostbrücke mar- 
kirt und das Ende der Sehne schlingenartig fest gemacht. Wie aus 


Fig. 1. 



Implantationsstelle der beiden Muskeln; F= Flexor prop. halluc.; G = Flexor digit. comm.; 
X>= Trieeps surae (verlängert); a — Codivilla’scher Nagel; b = Ligam. deltoideum; e = Tibio- 
tarsica synovialis: P = periostische Brücke; ^ = Insertion des M. tibialis ant.; 2 ’= Tibia; 
K = Fibula; Z= Calcaneiisj 0= Astragalus internus; Scaphoideum; R= Cuneiformis; 
r I = Metatarsus; A = M. tibialis ant.; L = Extensor hall, long.; c = Extensor digit. long. ; 

B — Peroneus brevis; P= M. tibialis posticus. 

Fig. 2 (P) ZU ersehen ist, kann eine solche Festmachung auch am 
Periost des Cuboideum bewerkstelligt werden, entsprechend der Furche, 
in welcher der Peroneus longus nach der Fusssohle hingleitet. Mit 
einigen getrennten Nahtstichen werden die vier kleinen Hauteinschnitte 
wieder zugenäht und der Fuss mit aseptischer Gaze verbunden. 

II. Tempo: Längseinschnitt entsprechend der Mittellinie der 
Achillessehne; letztere wird ebenfalls longitudinal eingeschnitten, 
wobei das innere Ende am Calcaneus befestigt belassen, das äussere 
aber in der Nähe der Insertion der Tuberositas calcanei durchschnitten 
wird. Darauf wird zur Verkürzung des Tibialis post, geschritten 
(Fig. 1, P) (Codivilla, Hoffa). Eventuell — je nach den speciellen 


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672 


Italo Antonelli. 


Indicationen des betreffenden Falles — wird sodann entweder der 
Peroneus brevis (Fig. 1, -B), wenn es sich um einen stark aus¬ 
gesprochenen Pes valgus handelt ^), oder aber eine Partie der Achilles¬ 
sehne, und zwar die zur Furche gehörige, vorher isolirte, falls sich 
bestimmt die Indication ergibt, die Thätigkeit des Triceps surae ab¬ 
zuschwächen, überpflanzt. 

Nachdem schliesslich der Eingriff am Tibialis post, ergänzt 
worden, werden die durchschnittenen Enden der Achillessehne wieder 
vereinigt und letztere dadurch zu einer beträchtlichen Verlängerung 
befähigt, ohne ihr zu gestatten, ihre mächtige Thätigkeit zu ent¬ 
falten; schliesslich wird der Hauteinschnitt mit getrennten Naht¬ 
stichen wieder vernäht. 

III. Tempo: Es wird am Calcaneus der Codivilla’sche Nagel 
und an diesem zwei lange starke sterilisirte Leinbändchen behufs 
Daranbefestigung der Streckgewichte angebracht, hierauf dem Fusse 
ein passender Verband von Gaze und aseptischer Baumwolle angelegt, 
darüber zwei weitere starke Bänder zur Extension des Metatarsus 
(Fig. 2, a) und Gegenextension am Tarsus (Fig. 2, c) und die Medi- 
cation durch eine einzige zum Festhalten derselben wohl hinreichende, 
aber durchaus nicht die Rolle eines Immobilisirungsapparates spielende 
gestärkte Binde gesichert. 

Darauf wird sowohl an der Extensions- als auch der Gegen¬ 
extensionsvorrichtung das Gewicht angebracht*), wobei die Vor¬ 
schriften Codivilla’s sowie die Toleranz der betreffenden Patienten 
massgebend sind. Nach 10—12 Tagen werden die Hautnähte und 
der Codivilla’sche Nagel entfernt, der Gipsverband angelegt, und 
zwar in der Weise, dass er der durch die Zug- und Gegenzugvor¬ 
richtung allmählich erzielten Fusskurve sich anpasst. 

Ich habe es für zweckmässig erachtet, den Codivilla’schen 
Apparat zu benutzen, da es meiner Ansicht nach bei Missbildungen, 
welche jugendliche, mit wenn auch nicht immer erweichten, aber 
doch der Einwirkung einer continuirlichen Kraft zugänglichen Knochen 
und gelockerten Ligamentis befallen, eine Krümmung des Fusses eher 
als mit anderen Mitteln wieder zu erlangen wäre, indem sich — ganz 
besonders in der Folge — nach Massgabe des veränderten fiinctio- 

') Was die Regel ausmachen muss, sobald man die Anschauung Hoffa*8 
theilt, dass der Pes valgus das erste Bildungsstadium des Plattfusses darstellt. 

*) Das Gewichtsverhältniss ist folgendermaasen zu regeln: a = */*» ^ = V*» 
c= 3/3 (Fig. 2). 


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Zur Therapie des Plattfusses. 


673 


nellen Zustandes njanche günstige Umgestaltung bei den Tarsus- 
knocben erzielen lässt. 

Den Gipsverband stelle ich in der Weise her, dass man den¬ 
selben nach Belieben anlegen und abnehmen kann. Dadurch wird 
es mir ermöglicht, schon zu Beginn der Behandlung die kurze Mus- 
culatur des Fusses, auf die man einzuwirken hat, so lange noch das 


Fig. 2. 



T = Unterschenkelknochen; A = ("alcaneus; K = Tarsus; M = Metatarsus; V = Tarsusende 
dfs Metatarsus V; P= Periostbrücke, woran das Ende der Sehne des Extensor long. hall, 
befestigt ist; C = ('odivilla’scher Nagel; a&c = Züge und Gegenzug. 

hintere Ende des Calcaneus den Metatarsusköpfen verhältnissmässig 
am nächsten gelegen ist, einer Massage zu unterziehen; die Massage 
der langen, vom Unterschenkel nach dem Fusse ziehenden Muskeln 
gelingt praktisch weit weniger leicht wegen der Schwierigkeit, ja 
nahezu der Unmöglichkeit, auf den Tibialis post, und Flexor, long. 
digit. et halluc. einzuwirken, und ist deshalb erst später vorzunehmen, 
wenn nämlich das regelmässige Functioniren der kurzen Fussmuskeln 
gesichert ist. 

Will man zusammenfassen, so ergeben sich nachstehende 
Formeln : 

*) Erklärung der Abkürzungen: Verlängerung; <^: Abkürzung; 

A: Achillessehne; EA: Eztensor prop. halluc.; ED: Eztensor digit. comm. 
long.; P ß: Peroneus brevis; T P: Tibialis post.; S: Sohle; =: von, zu. 


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674 


Italo Antonelli. Zur Therapie des Plattfusses. 


A]>: oder: 

oder: 

oder: 

A>; 

E A = Fussbogen 

id. 

id. 

EA = Fussbogen 
BP = Ip 

ED (II. Zehe) = ea 



PB = tp. 

TP< 

S = tp 

S = tp. 


Noch weitere Formeln Hessen sich hier aufstellen, da es dem 
klugen Bemessen des Operateurs überlassen bleibt, die verschiedenen 
Kräfte je nach Indicationen des speciellen Falles zu regeln. Hat 
man es mit bereits contrahirten Muskeln zu thuu, so ist eine Sehnen¬ 
verlängerung angezeigt (Sangiorgi). 

Da ich dies nun, und zwar mit bestem Erfolge, zur praktischen 
Ausführung gebracht habe, möge es mir gestattet sein, die Zuver¬ 
sicht auszusprechen, dass diese meine Anschauung, das Knochen¬ 
gewölbe, bezw. der Fussbogen, gerade da zu stützen und zu heben, 
wo es am ehesten zusammenzubrechen droht, d. i. am Ligam. 
calcaneo-scaphoideum, und damit die durch erhöhte Spannung des 
Tibialis post., eventuell — in ganz besonderen Fällen von Valgus- 
plattfuss (Hoffa) — auch des Peroneus longus erzielte Kräftigung 
der Bogensehne zu verbinden, die, wenn auch nicht unbedingte, 
aber doch immer die Schwierigkeiten der Sache würdigende Zustim¬ 
mung der Fachgenossen erlangen dürfte. 


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XLV. 


Ein weiterer Fall von congenitalem Fibnladefect. 

Von 

Dr. Schlee-Braunschweig. 

Mit 3 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Lediglich zur Vervollständigung der Kasuistik sei ein weiterer 
Fall von congenitalem Fibuladefect mitgetheilt, der in Bezug auf das 
klinische Bild kaum Verschiedenheiten von dem gewöhnlichen Typus 


Fifir. 1. 



bietet und auch anamnestisch nur insofern einigermassen abweicht, 
als jegliche Störung der Schwangerschaft oder Entbindung und 
jegliche Abnormität bei der letzteren gefehlt hat, resp. wenigstens 
nicht aufgefallen ist. 

Friedrich Bock, vor 19 Monaten geboren als fünftes Kind ge¬ 
sunder Eltern. Die anderen Kinder sollen völlig normal, Missbil- 


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676 


Schlee. 


düngen in der Familie nicht bekannt geworden sein. Die Schwanger¬ 
schaft war normal, Entbindung ging ganz leicht von statten, ein 
Mangel an Fruchtwasser oder eine Abnormität der Nachgeburt ist 
nicht beobachtet, das Gewicht des Neugeborenen nicht festgestellt 
worden. 

Ziemlich kräftig entwickelter Junge, leichte Rhachitiszeichen 
am Schädel und an den Epiphysen, Fontanellen geschlossen, Zahn- 


Fig. 2. 



bildung normal. Geistige Entwicklung kann kaum als zurückgeblieben 
bezeichnet werden. 

Obere Extremitäten völlig normal. Rechtes Bein ebenfalls 
ganz normal bis auf eine starke Belastungs-Valgusstellung. 

Der linke Unterschenkel ist um 5 cm gegenüber dem rechten 
verkürzt. Umfang in allen Maassen ca. 2 cm kleiner als rechts. 
Das Bein steht massig flectirt in deutlicher Genu valgum-Stellung, 
die sich bei passiver Streckung des Knies noch erheblich verstärkt 
Die Patella erscheint im Verhältniss zu den sonstigen Knochen- 
stärkediflferenzverhältnissen gegen rechts stärker verkleinert, nach 
aussen verlagert. Die Tibia ist stark, fast winkelig nach vorne 
ausgebogen, auf der Höhe der Krümmung findet sich die oft be¬ 
schriebene Hautnarbe, der Unterlage anhaftend, dunkel pigmenürt 
— Die Fibula fehlt in ganzer Ausdehnung, ein fibröses Surrogat 


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Ein weiterer Fall von congenitalem Fibuladefect. 


677 


ist nicht zu fühlen. — Als Auftrittsfläche werden — bei starker 
Equinusstellung — lediglich die Plantarfluchen der Zehen, speciell der 
ersten bis vierten incL, benutzt. Der Calcaneus ist stark verschmälert, 

Fig. 3. 



Durchmesser 2 cm gegen 4 cm rechts. Der Fuss ist in toto gegen 
den Unterschenkel nach aussen verschoben, dergestalt, dass die Ver¬ 
längerung der Tibiaachse in die Längsachse des Metatarsus I fällt, 
bei belastetem Fuss sogar noch nach innen vom Fussinnenrand vor¬ 
beiweist. Die Mittelfussknochen sind säramtlich deutlich abtastbar, 
die Fuss Wurzelknochen nicht deutlich fühlbar. — Weitere Einzel¬ 
heiten zeigen die Abbildungen. 


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XL VI. 


(Aus der orthopädischen Abtheilung des BUrgerhospitals zu Köln a. Rh.) 

Ein Fall von Defect des Mnscnlns pectoralis major 
und minor rechterseits. 

Von 

Dr. K. Cramer, dir. Arzt. 

Mit 1 in den Text gedruckten Abbildung. 

In seiner eingehenden Arbeit über angeborene Muskeldefecte 
beklagt Robert Bing (Archiv für patholog. Anatomie etc. von 
Rudolf Virchow Bd. 170) die Erscheinung, dass sehr viel Muskel¬ 
defecte publicirt werden, ohne dass histologische Untersuchungen 
gemacht worden sind, auf deren Basis unsere Erkenntniss der Genese 
dieses Defectzustandes weitere Aufklärung finden würde. Der Grund 
hierfür ist ohne weiteres augenfällig. Es wurden Muskeldefecte be¬ 
schrieben in ungefähr 215 Fällen, darunter 16 von Fehlen des Pec¬ 
toralis major und minor. Hiervon sind die meisten beobachtet 
worden bei lebenden Individuen, nur sehr wenig an Leichen. Ein 
lebender, im übrigen gesunder Mensch, resp. wenn er im Kindesalter 
steht, dessen Eltern werden sich nur ausnahmsweise entschliessen, 
die zu histologischen Untersuchungen noth wendigen Gewebsexcisionen 
zuzugeben. Auch ist der Wunsch Bing's vielleicht nicht hinreichend 
gewürdigt worden, sei es, weil man ihn nicht kannte, resp. sich für 
die Entstehungsweise der angeborenen Muskeldefecte nicht hin¬ 
reichend interessirte, sei es, w^eil ihm das directe praktische Inter¬ 
esse fehlt. 

1901 empfahl Dam sch (Handbuch der praktischen Medicin) 
kurz vor Bing ebenfalls die histologische Untersuchung dieser Muskel¬ 
defecte, nachdem derartige Arbeiten im Jahre 1900 von Schlesinger 
(Wiener klinische Wochenschrift Bd. 13 Nr. 2) und von Erb (Neuro¬ 
logisches Centralblatt 1889) publicirt worden waren. 

Ich lasse hier zunächst die Krankengeschichte folgen: 


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Ein Fall von Defect des M. pectoralis major und minor rechterseits. 679 


E. L., 10 Jahre alt, zu Köln. Vier Geschwister im Alter von 
7—13 Jahren. Eine 7jährige Schwester zeigt deutliche Spuren über- 
standener Rhachitis. Den Aussagen der Mutter nach ist das Kind 
nie ernstlich krank gewesen. 

Objectiver Befund: Gut genährtes, intelligentes Kind. Die 
Schneidezähne sind unregelmässig geformt, zeigen Riffelung. Im 
Rachen, am Zäpfchen, an den Gaumenböden und der Mundhöhle 
nichts Besonderes. Die vorderste Partie der Zunge weicht beim 
Herausstrecken leicht nach links ab. Die Ohrläppchen sind nicht an¬ 
gewachsen. Keine Asymmetrie des Gesichtes. Es besteht ein kleiner 
Kropf. 

Die rechte Schulter steht 2 cm tiefer wie die linke. Die rechte 
vordere Brusthälfte vom Schlüsselbein abwärts bis zum Rippenbogen 
erscheint stark abgeflacht und leicht eingezogen. Man sieht hier 
die Rippen direct unter der Haut deutlich liegen. Die Musculi pec¬ 
toralis major und minor fehlen vollkommen. Durch diesen Defect 
ist die rechte Achselhöhle vorne nicht abgeschlossen. 

Der untere innere Winkel des rechten Schulterblattes steht 
4 cm höher wie links. Direct unterhalb des Processus coracoideus 
fühlt man dicht unter der Haut einen kleinen harten Strang nach 
der obersten Partie des Oberarmes hinziehen. 

Dieser wird bei Abspreizung des Oberarmes nach oben und 
hinten unter der Haut, der vorderen Axillar wand entsprechend, als 
kleiner, 3 cm langer, bleistiftdicker Strang sichtbar. Die rechte Brust¬ 
warze steht 1 cm tiefer wie die linke, sie ist kleiner als diese und 
ihre Areola bleicher. Die Haut der rechten vorderen Brustseite ist 
dünn, das Fettgewebe unter derselben fehlt. Die Rippenbögen sind 
in leichter Weise rhachitisch verändert. Es besteht eine leichte Form 
von Trichterbrust. Unter dem rechten Schlüsselbein fühlt man den 
Muse, subclavius. Die Brust- und Lendenwirbelsäule ist als Ganzes 
nach hinten und rechts convex verbogen. Der Brustkorb weicht in 
den Lenden eine Spur nach rechts ab. Keine Hemiatrophie des Ge¬ 
sichts oder Körpers. Das rechte Akromion tritt deutlicher hervor 
wie das linke. Die linke Schulter scheint abgerundet. Der Tiefen¬ 
durchmesser des rechten Akromions gemessen vom Schlüsselbein- 
akromialgelenk senkrecht nach hinten ist um 2 cm kleiner als linker¬ 
seits. Das Röntgenbild erklärt diese Differenz nicht. Man sieht auf 
ihm keinerlei Besonderheiten, keine Medianlagerung des Herzens. 
Der Musculus supraspinatus und die Clavicularportion des Deltoides 


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G80 


K. Gramer. 


ist rechts wesentlich stärker wie links. Die Contouren des rechten 
Schlüsselbeins springen stark vor. Die Supra- und Infraclavicular- 
gruben sind rechts sehr hohl, während sie linkerseits ausgefüllt sind. 
Das Vorspringen des Schlüsselbeins ist besonders deutlich, wenn man 
die Schulter am Arm nach vorn zieht. 

Die Beweglichkeit des Oberarms und der Schulter 
rechterseits ist in keiner Weise beeinträchtigt. Beiderseits 



leichter Grad von rhachitischem Plattfuss und leichter X-Stellung des 
Unterschenkels. An Lunge und Herz nichts Besonderes. Die Länge 
der Claviculae beträgt rechts 11, links 10,5 cm, des Humerus rechts 
27, links 29 cm. Elle und Speiche, sowie Ober- und Unterschenkel 
sind beiderseits gleich lang. 

Aus dem obenerwähnten Strang in der Gegend, wo sich sonst 
die vordere Wand der Axilla befindet, wurde nach Hautschnitt ein 
kleines Stück von etwa 1 ^ 2 cm Länge und 1 cm Dicke zu mikro¬ 
skopischen Untersuchungen genommen und die Haut vernäht. Pri¬ 
märe Heilung. 


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Ein Fall von Defect des M. pectoralis major und minor rechterseits. 681 


Die Präparate wurden nach Sublimathärtung in Celloidin ein¬ 
gebettet und mit Hämatoxilin und Eosin gefärbt; ein Theil der¬ 
selben mit Osmiumsäure behandelt und in Paraffin eingebettet, um 
die Fettfärbung deutlich zu machen. Ein drittes Stückchen wurde 
frisch untersucht als Zupfpräparat. 

Man sieht fibrilläre Bindegewebszüge theils parallel, theils un¬ 
regelmässig gelagert; dazwischen Fettzellen, die bald einzeln, bald 
in grösseren Haufen liegen. 

Stellenweise finden sich scholligzerfallene Muskelfasern mit 
Uebergang in Bindegewebe. Messung der Muskelfasern ist nicht 
möglich, weil die einzelnen Muskelfasern sich infolge scholligen Zer¬ 
falles nicht mehr abgrenzen lassen. Ausserdem besteht eine leichte 
Kemyermehrung und vielleicht geringe Gefässvermehrung. 

Mehrere Einschnitte zu machen, um noch anderweitige Gewebs- 
stücke speciell auch aus anderen Muskeln zu bekommen, wurde von 
der Mutter des Kindes nicht zugegeben. Es sind deshalb unsere 
histologischen Resultate nicht so brauchbar, wie ausgedehnte Unter¬ 
suchungen vieler Muskeln. 

Im ganzen liegen nur vier Berichte derartiger mikroskopischen 
Untersuchungen vor, und zwar wurden sie ausgeführt von Erb, 
Damsch, Schlesinger und Bing. Erb excidirte bei doppelseitigem 
Cucullarisdefect am lebenden aus einem restirenden Bündel des linken 
Cucullaris und aus dem linken Deltoides je ein Muskelstückchen. 
Er fand in dem Cucullaris theils Anhaltspunkte, ähnlich wie man 
sie bei juveniler Muskeldystrophie findet. Das deltoide Stück hielt 
er nicht für normal, entschloss sich jedoch für eine Gebrauchs¬ 
hypertrophie. (Rudimentäre Form der Dystrophia musculorum pro¬ 
gressiva, die nach Verfall weniger Muskeln zum Stillstand ge¬ 
kommen ist.) 

Damsch zeigte auf dem 10. Congress für innere Medicin histo¬ 
logische Präparate von der Leiche eines jungen Mannes mit Defect 
der Stemocostalportion des rechten Pectoralis major und eines Theils 
des Cucullaris. Der rechte Cucullaris sah makroskopisch grau, fisch- 
muskelähnlich aus. Damsch beurtheilte seinen Fall dahin, dass die 
congenitalen Defecte wahrscheinlich theilweise auf eine frühzeitig ab¬ 
geheilte Dystrophie zurückzuführen seien. 

Schlesinger beschrieb in der Wiener klinischen Wochen¬ 
schrift 1900 folgenden Fall, den ich ebenfalls kurz wiedergebe. 
Defect der Portio sternocostalis des Pectoralis major und des Pec- 


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682 


K. Gramer. 


toralis minor an der Leiche eines 64jährigen Menschen. Mikro¬ 
skopisch fand er an den Pectorales vollständig normale Verhältnisse. 
,Keine grösseren Unterschiede der Muskelfasern, keine abnorme 
Dünnheit derselben, keine wesentliche Kern Vermehrung oder Zunahme 
des interstitiellen Gewebes.“ Bei diesem Befunde folgert er, ein der¬ 
artiges Verhalten würde nicht für eine in einem frühen Stadium 
stehengebliebene Dystrophie sprechen. 

Bing machte seine Untersuchungen an der Leiche eines 67jäh- 
rigen Greises. Der rechte Pectoralis minor fehlte vollkommen. 
Beide Pectorales major und der Pectoralis minor der linken Seite 
zeigten mikroskopische, der Triceps bracchii, Teres minor, Deltoides 
und Infraspinatus makroskopische Veränderungen, deren Deutung 
ihm Schwierigkeiten machte und ihn zu folgendem Schlüsse kommen 
lässt: „Bei einem Falle seit frühester Kindheit bestehenden stationär 
gebliebenen Defects der Sternocostalportion des rechten Pectoralis 
major sowie des Pectoralis minor derselben Seite erwies sich eine 
Reihe von Muskeln des Schultergürtels, und zwar auch der anderen 
Seite mikroskopisch, zum Theil auch makroskopisch, zum Theil auch 
klinisch als erkrankt.“ 

Die Abnormitäten unseres Falles kurz recapitulirend finden 
wir an dem Kinde folgende Besonderheiten: Rechterseits völliges 
Fehlen des Pectoralis major und minor und des Panniculus adiposus 
an dieser Körperpartie, Trichterbrust, Riffelung der Scbneidezähne, 
kleiner Kropf, Hochstand der linken Schulter, Tiefstand der linken 
Brustwarze, links convexe Dorsocervicalskoliose, Hypertrophie der 
vorderen Partie des rechten Deltoides; Dünnheit der Haut an der 
Vorderseite der rechten Brustkorbhälfte, rhachitische PlattfÜsse, 
X-Stellung der Unterschenkel, ungleiche Länge der Schlüsselbeine 
und Oberarme. Alle diese Abnormitäten sind bei Muskeldefecten 
wiederholt beobachtet worden. 

In klinisch-orthopädischer Hinsicht verdient, abgesehen von den 
alltäglichen Symptomen überstandener Rhachitis, die Thatsache Er¬ 
wähnung, dass die Beweglichkeit der rechten Schulter und des rechten 
Oberarmes in keiner Weise gestört oder beeinträchtigt ist. Bei 
Pectoralisdefecten eine bekannte Thatsache, die schon vor mehreren 
Jahren die Militärärzte interessirte, indem sie trotz des auffallenden 
klinischen Befundes im allgemeinen Dienstuntauglichkeit nicht bedingt. 
Ich erinnere hier kurz an die in dieser Hinsicht der Functionstüchtig¬ 
keit trotz Fehlens wesentlicher Musculatur instructiven Fälle von 


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Ein Fall Ton Defect des M. pectoralis major und minor rechterseits. ^83 


Rieder (Annalen der städtischen allgemeinen Krankenhäuser zu 
München 1894) und Stintzing (Deutsches Archiv fUr klinische 
Medicin Bd. 45). Im ersten Falle fehlte linkerseits der Pectoralis 
minor, die Portio sterno-costalis des Pectoralis major und der Serratus 
anticus major, daneben bestand Trichterbrust, Rippendefect, Median¬ 
lagerung des Herzens, Lungenhernie und Flughaut. Trotzdem war 
der Betreffende ein anerkannt guter Berufsreiter und Turner. Im 
Stintzing’schen Falle handelt es sich um einen Studenten, dem 
linkerseits die Pectorales fehlten. Er war Linkshänder und als guter 
Linksschläger auf der Mensur bekannt. 

In unserem Falle dürfte der vordere, stark hypertrophische 
Theil des Deltoides die Function der fehlenden Pectorales haupt¬ 
sächlich übernommen haben. Immerhin eine auffällige Erscheinung, 
wenn man sich die Vielseitigkeit der Arbeitsleistungen dieser Muskeln 
vergegenwärtigt. Nach Duchenne (Physiologie der Bewegungen) 
zerfällt der Pectoralis major in zwei Portionen, zwei verschiedene 
Muskeln, die sich auch getrennt contrabiren können. Er schreibt 
der Pars clavicularis des Deltoides eine ähnliche Wirkung zu, wie 
dem Pectoralis major. Auch andere Muskeln können die Aufgabe 
der Pectorales übernehmen resp. deren Ausfall verdecken. Rhom- 
boidei und Suprainfraspinatus, Teres major, Cucullaris. 

Handelt es sich in unserem Falle um einen angeborenen, oder 
nach der Geburt erworbenen Mangel? Oder mit anderen Worten, 
besteht eine Missbildung oder der Effect einer Krankheit? Für eine 
abgelaufene Erkrankung sprechen mit ziemlicher Deutlichkeit die 
mikroskopischen Bilder des excidirten MuskelstUckes. Man sieht un¬ 
regelmässige fibrilläre Bindegewebszüge, theils parallel, theils un¬ 
regelmässig gelagert, die ich ihrer charakteristischen Anordnung 
nach als untergegangene Muskelzüge auffassen möchte, besonders 
da man schollig zerfallene Muskelfasern mit Uebergang in Binde¬ 
gewebe direct sieht. Ob dieser Zerfall der Muskelfasern resp. die 
Bindegewebsentwickelung eine intrauterine oder postfötale Erkrankung 
zur Ursache hat, wage ich nicht zu entscheiden. Mit Wahrschein¬ 
lichkeit nehme ich nach dem übrigen objectiven Befunde und der 
Anamnese, in welcher die Mutter des Kindes bestimmt behauptet, das 
Kind sei stets ausser englischer Krankheit gesund gewesen, an, dass 
diese Muskelerkrankung zum Stillstand, resp. zum Abschluss ge¬ 
kommen ist. Analog den Fällen Erb und Damsch, die an eine 
zum Stillstand gekommene Form der Muskeldystrophie denken. Für 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XIU. Bd. 45 


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084 Cramer. Ein Fall von Defect des M. pectoralis major etc. 

eine Krankheit scheint mir auch zu sprechen die trophische Störung 
der Weichtheile über der rechten Pectoralisgegend, die Dünne der 
Haut, das Fehlen des Panniculus adiposus und die Blässe der Areola. 
Dagegen deuten der Hochstand der Schulter und die ungleiche Länge 
der Oberarmknochen und der Schlüsselbeine mehr auf eine Miss¬ 
bildung hin, sei es, dass man au eine Anomalie der Keimanlage oder 
an eine Entwickelungshemmung denken will. Immerhin muss man 
auch in Erwägung ziehen, dass diese letzteren Besonderheiten auch 
das Resultat einer postfötalen chronischen Krankheit sein können, 
und damit die mikroskopische Diagnose — Krankheit — zu Recht 
bestehen bliebe. 


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XLVII. 


Ein vereinfaclites Skoliosegerüst. 

Von 

Dr. med. Otto Heine, 

Specialarzt für Orthopädie in Dortmund. 

Mit 1 in den Text gedruckten Abbildung. 

Von den vielen Apparaten, welche auf die Skoliose eine sicht¬ 
lich intensive Einwirkung ausüben, ist der von Beely «zur ge¬ 
waltsamen Redression der Wirbelsäule* angegebene einer der 
vorzüglichsten. Seine Wirkung ist eine so starke, dass es unter 
Umständen des Guten «etwas zu viel* wird. Das gewaltsame Re¬ 
dressement wird daher nicht von allen Patienten gleich gut und gern 
ertragen. Ich habe mehrere Jahre lang einige hundert Skoliosen 
auf diesem Apparate selbst behandelt und bin zu dem Schlüsse ge¬ 
kommen, dass er wohl eine sehr gute Redression ausübt, aber an 
die Leistungsrähigkeit des Patienten enorme Anforderungen stellt, 
ln verschiedenen Berliner Instituten habe ich denn auch gesehen, 
dass man den Rahmen des Apparates in einem bestimmten Neigungs¬ 
winkel fixirt hielt, um somit den Druck auf die verbogene Wirbel¬ 
säule weniger intensiv zu gestalten und die Uebung selbst erträg¬ 
licher zu machen. Je horizontaler die Lage des Rahmens ist, um 
80 mehr «liegt* der Patient auf dem Apparat, je steiler sie ist, um 
so mehr «hängt* er. Wenn er nun im Hängen noch einen starken 
Pelottendruck im Rücken verspürt, so kann er diese Uebung jedesmal 
nur circa eine Minute lang aushalten. Eine öftere Wiederholung der¬ 
selben ist also zum Erfolge nöthig. Soll daher der Patient die Vortheile 
des Apparates geniessen und doch dabei keine Ueberanstrengung 
erleiden, so muss man ihm den Apparat möglichst horizontal stellen, 
aber so, dass die Wirbelsäule auch extendirt wird. Stellt man den 
Rahmen des Apparates in einen Winkel von ca. 70® zur Senkrechten, 
so hat man eine Neigungsebene, die am besten diese Forderungen 
erfüllt. Ich habe daher einen Apparat construirt, der unverstellbar 


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686 


Otto Heine. 


ist, auf dem der Oberkörper jedoch ungefähr in diese Ebene zu 
liegen kommt. Aus der beigegebenen Abbildung ist das Princip des 
Beely'schen Apparates unschwer zu erkennen. Da aber auf einer 
Photographie die perspektivischen Verhältnisse verändert werden, so 
erscheint auch auf dem Bilde die Lage der einzelnen Bestandtheile 
des Apparates zu einander verschoben. 

Der Apparat selbst besteht aus zwei Theilen: dem Holzgerüst 
und der lose darauf liegenden Strickleiter mit anhängenden Pelotten. 

Das Gerüst stellt ein doppeltes unregelmässiges Viereck ah cd 
dar. Der Abstand zwischen a b und e f beträgt etwas über 50 cm. 
Der Winkel a beträgt 70 ^ während Winkel ß am besten ein Recht¬ 
eck ist. Die übrigen Winkel ergeben sich dann von selbst, wenn 
die Länge von cd und at je 2 m beträgt und die Höhe hc unge¬ 
fähr 1,70 m ist. 

Strickleiter und Lagerungspelotten liegen dem Gerüst voll¬ 
kommen lose auf, sie gleiten auf demselben hin und her, je nachdem 
man in einem Einschnitte bei h und f die Sprossen der Strickleiter 
einhakt, je nachdem man also durch einfachen Zug nach oben oder 
Heruntergleitenlassen die Pelotten höher oder tiefer hängen lassen 
will. Dadurch wird der Apparat sowohl von Erwachsenen bis 1,80 
Grösse, als auch von kleinsten Kindern benutzt werden können. An 
der Strickleiter hängt zunächst ein gepolstertes Brett welches zum 
Auflegen des Kopfes bestimmt ist. An beiden Seiten von g hängt 
eine Kette zum Boden herab. Die Ketten haben den Zweck, die 
Pelotten i und k festzuhalten, welche zu diesem Zwecke an beiden 
Seiten mit einfachen Haken versehen sind. Diese beiden Lagerungs¬ 
pelotten sind gänzlich abnehmbar und werden nur durch die Ketten 
fixirt, deren Glieder es gestatten, die Pelotten beliebig nahe zusammen 
oder weit auseinander zu rücken. 

Jede der Pelotten i und k besteht aus zwei aufeinander liegen¬ 
den Brettern von 10 cm Breite. Auf der einen Seite sind dieselben 
durch ein einfaches Charnier verbunden, so dass sie nach der anderen 
Seite hin von einander entfernt werden können. 

Das untere Brett liegt den Balken ab und ef auf, während 
das obere, gepolsterte, die eigentliche Lagerungspelotte dar¬ 
stellt, die mittelst der durchlochten Eisenstange m beliebig hoch ge¬ 
stellt werden kann, je nachdem man die Skoliose mehr oder weniger 
stark beeinflussen will. 

Die Abbildung zeigt die Einstellung des Apparates für eine 


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Ein vereinfachtes Skoliosegerüst. 


687 


rechtsseitige Dorsal- und linksseitige Lumbalskoliose. Soll nun be¬ 
sonders auf den Rippenbuckel eingewirkt werden, die Lage des 
Körpers auf dem Apparate also eine mehr seitliche sein, so wird 



das dreieckige aufgeschnallte Polster n unter die entgegengesetzte 
fvörperseite geschoben, wodurch einmal der Körper besser die seit¬ 
liche Haltung einnehmen kann, und wodurch er andererseits vor 
Ermüdung geschützt wird. Da die Pelotten i und h abnehmbar 
sind, indem man ihre seitlichen Haken einfach aus der Kette löst, 
können sie auch auf die unteren Balken aufgelegt werden, wie bei 
h zu sehen ist. Es kann somit eine Druckwirkung im Liegen er- 


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688 


Otto Heine. Ein vereinfachtes Skoliosegerüst. 


zielt werden, die sich noch durch eine Extensionsvorrichtung an Kopf 
und Füssen erhöhen lässt. 

Die ganze Handhabung des Apparats ist eine so einfache, dass 
sie mit Leichtigkeit vom Patienten selbst besorgt werden kann. 
Entfernt man die Pelotten, so lassen sich an dem Apparate auch die 
sämmtlichen Uebungen, welche sonst an der schrägen Leiter aus- 
geführt werden, vornehmen. Durch entsprechend tiefe Einstellung 
nur einer Pelotte und Auflegen eines Polsterkissens über die obere 
Kante lässt sich der Apparat auch als Wolm benutzen. Hat man 
in der Wand entsprechende Vorrichtungen, so lässt sich der ganze 
Apparat noch bedeutend vereinfachen. Es genügt dann eine 
einfache Leiter, in deren unterer Hälfte die Sprossen fehlen. Die 
Leiter wird oben an der Wand schrägstehend eingehakt, durch be¬ 
sonderen Wandbeschlag ist eventuell eine Schräg- oder Horizontal¬ 
einstellung möglich. Man kann somit der Leiter jeden Neigungs¬ 
winkel geben. Befestigt man nun noch in der Mitte der Leiter¬ 
balken zwei Ketten, so braucht man nur noch die Pelotten aufzulegen 
und man hat den Beely’schen Apparat in veränderter Gestalt 
vor sich. 

Wenn man bei der Skoliosenbehandlung das Princip verfolgt, 
dass kurze forcirte Redressements weniger günstig wirken, 
als längerdauernde und weniger intensive, so wird man 
in der Benutzung des von mir neu construirten Apparates einen 
nicht zu verachtenden Vortheil erblicken. Der Apparat leistet das¬ 
selbe wie der Beely’sche, die Uebungen auf demselben werden aber 
vom Patienten viel besser ertragen. Ich erblicke ferner einen 
Vortheil darin, dass er keine fremde Hilfe erfordert und dass sich 
an demselben eine Reihe anderer Uebungen vornehmen lassen. 
Sein Hauptvorzug ist der, dass er ungefähr viermal billiger ist 
als der Beely'sche. Meine Patienten nehmen die Gymnastik auf 
dem Apparate sehr gerne vor, insbesondere sind diejenigen von ihm 
sehr erbaut, die ich früher mit dem Beely*schen Apparate behan¬ 
delt habe. Dieses vereinfachte Skoliosegerüst hat auch in der 
Privatklinik des Collegen Tenbaum in Münster i. W. Aufstellung 
gefunden. 


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XLVlll. 


(Aus den Turnsälen des Herrn Geh. Medicinalraths Prof. Dr. Hoffa 

zu Berlin.) 

Zur Therapie der Skoliosen. 

Von 

Dr. Karl Oerson-Berlin. 

Mit 3 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Hoffa machte zuerst darauf aufmerksam, dass bei Skoliotischen, 
die methodische Vorwärtsbeugungen zur Redression ihrer Wirbelsäule 
und des hinteren Rippenbuckels ausführten, der vordere Rippenbuckel 
nicht auch redressirt wurde, vielmehr bei diesen Uebungen noch 
stärker hervortrat. Er suchte deshalb von hinten mit beiden Händen 
den vorderen Rippenbuckel des sich vorbeugenden Patienten zurück¬ 
zuhalten. Wodurch aber nur mühsam und dann noch unvollkommen 
der angestrebte Zweck erreicht wurde. Daher ersuchte mich Herr 
Geh.-Rath Hoffa, eine Vorrichtung zu ersinnen, die bei den gym¬ 
nastischen Freiübungen Skoliotischer nicht nur den hinteren, sondern 
auch den vorderen Rippenbuckel zu redressiren geeignet sei. Aus 
dieser Anregung des Herrn Geh.-Raths Hoffa habe ich nun einen 
Apparat construirt, der nicht nur den erwähnten Anforderungen 
Genüge leistet, sondern nach vielen Seiten hin seine Brauchbarkeit 
erwiesen hat. 

Der Apparat ergänzt zunächst die Freiübungen Skoliotischer, 
indem er eine Redression der Wirbelsäule und der beiden Rippen¬ 
buckel in möglichst vollkommener Weise erwirkt und diese Redression 
durch active Uebung der Rückenmuskeln unterstützt. 
Der Patient stellt sich nach OeflFnung des Rahmens II senkrecht 
unter den Aufhängepunkt des Kopfhalters auf das Trittbrett T. 
Letzteres wird durch Drehung des Rades Q so gestellt, dass die 
Hüftklemmen B in Trochanterhöhe — nicht höher — stehen. Die 
Hüftklemmen BB werden beiderseits so weit vorgerückt und mittelst 
des Rades J festgeschraubt, dass das Becken vollkommen feststeht. 


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690 


Karl Gerson. 



Der Kopf wird nun in den drehbaren Kopfhalter geschnürt und an 
der Kurbel K die Wirbelsäule extendirt, soweit es der Patient ver¬ 
trägt. Dann wird der in dem Rahmen 0 gleitbare Rahmen B 
Höhe des hinteren Rippenbuckels festgestellt und die hintere Pelotte 

und die vordere Pelotte 
auf die bezüglichen Rippen¬ 
buckel aufgeschraubt. Bei 
Patientinnen mit starkem 
Busen thut man gut, die 
vordere Pelotte V quer zu 
stellen, so dass also ihr 
längerer Durchmesser hori¬ 
zontal steht. Nachdem so 
eine möglichst vollkom¬ 
mene Redression der Wir¬ 
belsäule und Rippenbuckel 
durch Extension und vor¬ 
deren und hinteren Pe- 
lottendruck erreicht ist, 
macht der Patient in dem 
Apparat, dessen Obertheil 
um die Achse A drehbar 
ist, Vor- und Rückwärts- 
beugungen des Oberkör¬ 
pers. Er hat dabei den 
Widerstand der an dem 
Hebel P befindlichen Ge¬ 
wichte zu überwinden und 
so eine selbstthätige 
Arbeit seiner Brust- und 
Rückenmuskeln zu leisten. 
Die durch Extension und Pelottendruck bewirkte passive Redression 
der Wirbelsäule wird so durch eine active infolge der Muskel- 
contractionen beim Vor- und Rückwärtsbeugen des Körpers ver¬ 
stärkt. Nicht unwesentlich bei dieser activen Redression sind die 
durch die Muskelarbeit und die Bewegung angeregten tieferen 
Inspirationen. Sie wirken gleichfalls im Sinne der Redression, 
weil der Thorax bei tiefer Inspiration nur in der den Pelotten ent¬ 
gegengesetzten Diagonale des Brustkorbes sich ausdehnen kann. 


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•S 



Zur Therapie der Skoliosen. 


691 



Auch eine Detorsion der Wirbelsäule wird durch die com- 
binirte active und passive Redression erreicht. Die Patientin drängt 
nämlich — eine rechtsconvexe Dorsalskoliose vorausgesetzt — wie 
aus Fig. 2 ersichtlich, ihre rechte RUckenseite gegen die hintere 
Pelotte H und drückt die 
linke Brustseite und damit 
den vorderen Rippenbuckel 
gegen die Vorderpelotte J\ 

Dadurch erhält die Wirbel¬ 
säule eine ihrer fehlerhaf¬ 
ten Torsion entgegenge¬ 
setzte Drehung nach rechts. 

Da das Becken vollkommen 
fixirt ist, hat die Patientin 
bei ihren Bemühungen, den 
Oberkörper zu drehen, am 
Becken einen festen Halt. 

Bei Cervicalskoliose wird 
die Detorsion der Wirbel¬ 
säule durch Extension und 
forcirtes Drehen des Kopfes 
in dem drehbaren Kopf¬ 
halter nach der der Con- 
vexität der Krümmung ent¬ 
sprechenden Seite erreicht. 

Bei hochgradigeren 
Torsionen der Wirbelsäule 
muss der Patient — nach 
Fixirung des Beckens — 
seinen Rumpf und Kopf in 
dem drehbaren Kopf halter 
nach der der Torsion 
entgegengesetzten Seite 
drehen, damit eine Abdrehung der Wirbelsäule stattfinden kann. 
In dieser detorquirten Haltung werden dann die beiden Pelotten if 
und V auf den Oberkörper geschraubt. Sie wirken durch Druck 
auf die Rippenbuckel gleichfalls detorquirend. Drückt die Patientin 
nun selbstthätig durch Drehung ihres Oberkörpers gegen die Pe¬ 
lotten, so wird die Detorsion noch verstärkt. Die Rückenmuskeln 


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692 


Karl Gerson. 



unterstützen so durch ihre Contraction kräftig den Druck der 
Pelotten. 

Die Einstellung der Gewichte auf dem Pendel P erfolgt natür¬ 
lich gemäss den Kräften des liebenden, deren allmähliche Zunahme 

durch Senken des grös¬ 
seren oder kleineren 
Gewichtes an dem gra- 
duirten Pendel control- 
lirt werden kann. Man 
thut gut, im Anfang der 
üebungen das kleinere 
obere Gewicht ganz hoch 
zu stellen, das schwere 
untere aber in einer 
solchen Höhe, dass Pa¬ 
tientin die Schwingun¬ 
gen gut, wenn auch mit 
einiger Mühe ausführen 
kann. Dreissig möglichst 
ausgiebige Schwingun¬ 
gen nach vorn und hin¬ 
ten dürften in den ersten 
Tagen genügen. Täg¬ 
lich wird nun das klei¬ 
nere obere Gewicht um 
einen Theilstrich tiefer 
gestellt. Ist es auf den 
tiefsten Strich gekom¬ 
men, so stellt man es 
wieder ganz hoch und 
gleichzeitig das schwere 
untere Gewicht um einen Theilstrich tiefer. Darauf wieder nur das 
kleinere obere u. s. f. Auch die Zahl der Schwingungen kann man 
allmählich bis auf fünfzig steigern. So wird die Arbeitsleistung der 
Rückenmuskeln durch tägliche geringe Vermehrung des Widerstandes 
fast unmerklich, aber stetig erhöht. 

Will man den zu überwindenden Widerstand mehr auf den 
hinteren Rippenbuckel wirken lassen, so zieht man den die Scheibe S 
durchbohrenden Stift aus derselben hervor, während man mit der 


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Zur Therapie der Skoliosen. 


693 


linken Hand zugleich den Rahmen 0 etwas nach vorn beugt. Der 
Stift springt dann in das nächste Loch der Scheibe S und stellt 
den Rahmen 0 schräg nach vorn. Infolgedessen hat der Patient 
beim Rückwärtsbeugen des Oberkörpers nun einen verstärkten Wider¬ 
stand zu überwinden, wodurch der Druck auf die hintere Pelotte H 
erheblich vermehrt wird. In eben dem Maasse ist der vordere 
Pelottendruck vermindert. Diese nach vorn geneigte Stellung des 
Rahmens 0 bevorzuge man in Fällen, wo der hintere Rippenbuckel 
bedeutend stärker ausgeprägt ist als der vordere, oder wo ein vor¬ 
derer Rippenbuckel kaum bemerkbar ist. Die gleiche Stellung des 
Rahmens 0 wird man auch bei rundem Rücken anwenden, wobei 
die hintere Pelotte H mit ihrem grösseren Durchmesser horizontal 
gestellt und auf die Höhe der Rückenrundung aufgeschraubt wird. 

Einen vorsichtigen Versuch dürfte man so auch bei abgelaufener 
Spondylitis und erloschener Kümmel'scher Krankheit machen. 

Will man den Pelottendruck vorn verstärken und hinten ab¬ 
schwächen, so stellt man den Rahmen 0 in der beschriebenen Weise 
(die linke Hand muss stets den Rahmen 0 festhalten, während die 
rechte den Stift aus der Scheibe S vorzieht) nach hinten. Diese 
Stellung des Rahmens 0 nach hinten ist hauptsächlich bei rhachi- 
tischen Verbiegungen des Brustkorbes indicirt. Bei Pectus carinatum 
z. B. wird die Pelotte direct auf das vorspringende Sternum auf¬ 
geschraubt. Liegt der vorspringende Theil des Brustkorbes seitlich, 
so wird auch die Pelotte seitlich in dem Rahmen It verschoben, 
jenem genau gegenüber fixirt und aufgeschraubt. Die hintere Pelotte 
wird in letzterem Falle in der entsprechenden Diagonale festgestellt. 
Man kann bei solchen rhachitischen Thoraxanomalien, vornehmlich 
bei jüngeren Individuen, deren Brustkorb noch sehr elastisch ist, 
Abflachung der rhachitischen Wölbungen durch Umformung des 
Thorax erreichen. Nur muss man Zeit und Mühe sich dabei nicht 
verdriessen lassen. 

Aber nicht nur bei Rückgratsverkrümmungen, sondern auch in 
Fällen, wo bei gerader Wirbelsäule nur eine Schwäche der Rücken¬ 
muskeln infolge zu schnellen Wachsthums oder ein hohler Rücken 
besteht, ist der Apparat mit Vortheil zu verwenden. Man wird 
aber bei solchen Patienten der Extension entrathen, wie auch der 
vorderen Pelotte, und die hintere Pelotte mit ihrem grösseren Durch¬ 
messer sagittal mitten auf den Rücken des Lebenden setzen. 

Eine Massage des Bauches (bei habitueller Obstipation, Bauch- 


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094 


Karl Gerson. Zur Therapie der Skoliosen. 


muskellähmungen) ermöglicht der Apparat, wenn man, nach Rück- 
wärtsstellung des Rahmens 0, den Rahmen H möglichst tief herab- 
lässt und die Yorderpelotte dem Leib gegenüber mit ihrem grösseren 
Durchmesser horizontal stellt. Beugt sich nun der Patient vor, so 
presst sich die Pelotte fest gegen den Leib, um so tiefer, je mehr 
der Patient nach vorn sich neigt. Die möglichst stark vorgebeugte 
Haltung muss der Patient kurze Zeit innehalten, und dann langsam 
wieder zurückgehen. Es ist rathsam, diese Bewegung zwecks Massage 
des Bauches besonders im Anfang nicht schnell auszuführen und mit 
nicht zu starkem Widerstande. 

Eine weitere Anwendung gestattet der Apparat als Pendel¬ 
apparat bei Versteifungen des Rückens rheumatischer und trauma¬ 
tischer Hatur. Zu diesem Zwecke schiebt man die beiden Gewichte 
auf dem Pendel P möglichst hoch nach oben, um denselben in ein 
mehr labiles Gleichgewicht überzuführen. Man bewegt nun den 
Pendel langsam hin und her, soweit es der Rücken des Patienten 
gestattet. Dieser steht dabei mit hxirtem Becken und auf die Mitte 
der Brust und des Rückens leicht aufgeschraubten Pelotten. In¬ 
wieweit Spondylitis deformans, senile Kyphose, Bechterew'sche Krank¬ 
heit, chronisch ankylosirende Entzündung und Strümpell-Pierre- 
Marie’sche Krankheit sich zur Behandlung mit meinem Apparate 
eignen, bleibe dahingestellt. Bisher bot sich zu Versuchen des 
Apparates bei diesen Leiden keine Gelegenheit. 

Der Apparat ^), den wir Skoliosen-Schwingungsapparat nennen 
wollen, functionirt seit einem halben Jahre in den Turnsälen des 
Herrn Geh.-Raths Hoffa. Fig. 2 zeigt die in den Apparat ein¬ 
gespannte Patientin in Ruhestellung, Fig. 3 in Vorbeugung des 
Körpers. Will die Hebende den Apparat verlassen, so lässt man 
den Kopfhalter herab, öffnet den Rahmen P und schiebt die Hüft- 
klemme zurück. 


*) Hergestellt vom Medicinischen Warenhause Berlin N. 


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XLIX. 


(Mittheilungen aus dem orthopädischen Institut von Dr. A. Lüning 
und Dr. W. Schulthess, Privatdocenten in Zürich.) 

XXIX. 

üeber die Lage der skoliotisclieii Abbiegnngen in 
den verschiedenen Altersjahren. 

Von 

Ernst Mttller-Altdorf. 

Mit 18 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Nachdem Herr Dr. Wilhelm Schulthess in der Arbeit 
,üeber die Praedilektionsstellen der skoliotischen 
Abbiegungen an der Wirbelsäule* gezeigt hat, an welcher 
Stelle der Wirbelsäule bei den im Laufe der Jahre beobachteten 
1140 Skoliosen die Krümmungen liegen, so lag der Gedanke nahe, 
nun auch noch zu prüfen, welche Lage diesen Krümmungen in den 
einzelnen Altersjahren zukommt und welche Unterschiede in diesen 
einzelnen Jahren wie auch gegenüber der Schult hessischen Gesammt- 
Statistik sich ergeben würden. Schon Dr. Schulthess hatte in 
seiner vorhin erwähnten Arbeit, um sämmtliche Krümmungen der 
Domfortsatzlinie aller gemessenen 1140 Skoliosen tabellarisch ordnen 
und in Curven auftragen zu können, jede einzelne Wirbelsäule vom 
7. Halswirbel, bis zur Umbiegungsstelle des Kreuzbeins in zehn Unter¬ 
abtheilungen eingetheilt und durch Messung und Rechnung hierauf 
genau festgestellt, in welchem Zehntel die einzelnen Krümmungen 
liegen. Fig. 1 *) zeigt uns eine solche Zehntheilung der Wirbelsäule, 
und wir sehen in ihr zugleich, wie sich die einzelnen Wirbel auf 
diese zehn Zehntel vertheilen. In der bevorstehenden Arbeit, die 
sich überhaupt ganz an die anfangs genannte Schulthess’sche 
Arbeit anlehnt, wurde dasselbe Material in obigem Sinne bearbeitet. 

') Siehe Zeitschr. f. orthop. Chirurgie Bd. 10. 

*) Siehe Fig. 6 der Schulthess’schen Arbeit. 


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696 


Ernst Möller. 


Fig. 1. 

Zelmtel Wirbel 



Ganze Wirbelsilulencontouv mit Zehntel- 
eintheilung (Orientirungstafel). 

und 15 rechtsconvexe Formen, 
rechts, während die Schulthei 


Mit seiner gütigen Erlaubniss wur¬ 
den auch aus derselben die Curven 
sämmtlicher Abbiegungen mit den 
Durchschnittscurven von üeber- 
hängen und Höhe (Fig. 2 *)) und die 
Curven sämmtlicher Krümmungs¬ 
scheitel mit gesonderten Haupt- 
und Nebenkrümmungen (Fig. 3*)) 
in dieser Arbeit nochmals wieder¬ 
gegeben, weil eine Vergleichung 
derselben mit unseren Curven zum 
Verständniss der letzteren absolut 
nöthig ist. In den später folgen¬ 
den Curven ist jeweilen wie in 
diesen von einer senkrechten Achse 
aus die jedem Zehntel entspre¬ 
chende Anzahl von Abbiegungen 
seitwärts in einer Länge aufge¬ 
tragen. Die linksconvexen sind 
links, die rechtsconvexen rechts 
von der Achse gruppirt. Die Ver¬ 
bindungslinie dieser Punkte ergab 
die erwähnten Curven. 

Wir vergleichen nun vorerst 
das Resultat der Erhebungen der 
einzelnen Jahre mit demjenigen der 
Gesammtstatistik, welche von Dr. 
Wilhelm Schulthess in der 
Zeitschr. f. orthopäd. Chir. Bd. X 
herausgegeben worden. 

8. Jahr. Fig. 4, 

45 Fälle oder 4®/o sämmt¬ 
licher beobachteten Skoliosen. Die¬ 
selben zerfallen in 30 linksconvexe 
in Procenten 67 ®/o links und 33 ^ 
s'sche Gesammtstatistik nur 54®/o 


*) Siehe Fig. 7 der Schulthess’schen Arbeit. 
*) Siehe Fig. 8 der Schulthess’schen Arbeit. 


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Ueber die Lage der skoliotiscbeii Abbiegungen etc. 


697 


linkscoDTexe und 46®/o rechtsconvexe aufnreist. Die Vertheilung 
auf links und rechts ist also im achten Jahre gegenüber 


Fig. 2. 

0 r, 



4 'urve der Lage silmmtlicher Krümraungsscheitel (-) mit den Durchschnittscurven 

von tJeberhüngen (.) und Höhe (-) des Krummungsscheitels fllr li37 Skoliosen. 

lOS« linksconvexe, 722 rechtsconvexe Krüminiingen. 2,6 mm = l mm Abweichung bei Höhe 
und Ueberhilngen, 1 mm = 4 Falle für die Zahl der KrUmmungsscheitel. 


der Gesammtstatistik sehr zu Gunsten der linksconvexen 
Formen verändert. 


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698 Ernst Malier. 

Betrachten wir zuerst die Jahrescurve sämmtlicher Abbiegungen 
(Fig. 4), in welchen sowohl die einfachen und Hauptkrümmungen der 



C’urve der Lage silmmtlicher Krümmuugsscheitel. Haupt- (-) und Nebenkrümmn^- 

(-) gesondert. Für 1137 Skoliosen. Sieben linksconvexe und neun rechtsconrexe 

krümmungen, die, weil sie jeweilen dritte Nebenkrümmungen betrafen, gleichnamig e- 
der Hauptkrüramung verliefen, wurden w eggelassen, weil das Format der Curre nx W' 
Stellung zu klein war. 1 mm = 4 Falle. 


complicirten Fälle, als auch die NebenkrQmmungen aufgeDomm^Q 
sind, so haben wir 38 Krümmungen links und 24 rechts oder 62 


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Ueber die Lage der skoliotischen Abbiegungen etc. 


699 



links- und 38 ®/o rechtsconvexe Abbiegungen, gegenüber der ent-^ 
sprechenden Schulthess*schen Curve mit 60 ^/o linksconvexen und 
40 rechtsconvexen Krümmungen. 

Das Maximum der Abbiegungen enthält in der Jahrescurve 

Zeitschrift für orthopädische C’hirurgie. XIII. Bd. 4ß 


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700 


Ernst Müller. 



links das 5. Zehntel oder die Höhe des VIIL—X. Brustwirbels mit 
11 Abbiegungen oder 18 ^/o und rechts das 4. Zehntel oder VL bis 
VIIL Brustwirbel mit 7 Abbiegungen oder ll®/o. Weitaus die 
Grosszahl der Krümmungen fällt links auf das 4., 5. und 6. Zehntel, 


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Ueber die Lage der skoliotischen Abbiegungen etc. 


701 



nämlich 28, während rechts die gleichen 3 Zehntel nur 10 Ab¬ 
biegungen aufweisen. Während in der analogen Schulthess’schen 
Curve das Maximum der Abbiegungen sich rechts ebenfalls im 
4. Zehntel findet mit 13 ^/o, so liegt dasselbe dagegen links erst im 


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702 


Ernst Müller, 


6 . Zehntel mit 14®/o. Auch findet sich in beiden Curven im 6. Zehntel 
rechts ein deutliches Minimum der Abbiegungen; links hat wohl 
die Schulthess'sche Curve ebenfalls im 3. Zehntel ein Minimum; die 
entsprechende Jahrescurve sämmtlicher Abbiegungen dagegen weist 
kein solches auf. 

Nach Zergliederung der Curve sämmtlich^.-Abbiegungen 
des 8. Jahres in eine Curve der einfachen und Hauptkrüm¬ 
mungen complicirter Fälle einerseits und Nebenkrüm¬ 
mungen andererseits, fallt in der Curve der HauptkrUmmungen 
auf, dass die ganze Lendenwirbelsäule links und rechts bis hinauf 
zum XI. Brustwirbel nur je einen Fall aufweist. 

Im übrigen zeigt uns ein Vergleich dieser Jahrescurve mit der 
entsprechenden Schulthess'schen Curve beiderseits ein ähnliches 
Bild, zumal in letzterer infolge Wegfallens der im 6. Zehntel reich¬ 
lich vorhandenen GegenkrUmmungen das KrUmmungsmaximum nun 
auch ins 5. Zehntel gerückt ist. 

Das Durchschnittsmaximum der Deviationen und des Ueber- 
hängens, der einfachen und Hauptkrümmungen complicirter Fälle 
stimmt mit dem Maximum der Krümmungsscheitel überein, also 
links im 5. Zehntel mit 12,54 und 16,82 und rechts im 4. Zehntel 
mit 14,33 und 12,67. 

Was endlich die Gegenkrümmungen anbelangt, so liegen sie 
zum grössten Theil in der Lenden- und theilweise auch in der Brust¬ 
wirbelsäule, ziemlich [gleichmässig auf links und rechts vertheilt, 
gleich 9 links und 8 rechts, lassen sich aber im übrigen wegen 
ihrer geringen Zahl wenig statistisch verwerthen. 

Als charakteristisches Merkmal der 8. Jahrescurve können 
somit die auffallend gering ausgeprägten Krümmungsmaxima gelten, 
wie auch die verhältnissmässig grössere Zahl von linksconvexen Ab¬ 
biegungen in der Höhe des V.—X. Brustwirbels gegenüber der ent¬ 
sprechenden Schulthess’schen Curve. 

9. Jahr. Fig. 5. 

63 Fälle oder 5,5 ® o der Gesammtstatistik. Davon sind 43 Fälle 
oder 68 linksconvexe und 20 Fälle oder 32 ^/o rechtsconvexe, also 
auch im 9. Jahre gegenüber den 54 ®/o linksconvexen und 46^/0 
rechtsconvexen Formen der Schulthess'scheii Curve ein bedeutendes 
Plus von Fällen zu Gunsten der linksconvexen Formen. Bei einer 
Betrachtung der Curve sämmtlicher Abbiegungen des 9. Jahres, Fig. 5, 


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lieber die Lage der skoliotischen Abbiegangen etc. 


703 


und der analogen Sch ult hessischen Curve haben wir in ersterer 
56 linksconvexe und 33 rechtsconvexe Krümmungen = 63 ®/o links- 
und 37 V rechtsconvexe, und in letzteren 60 V links- und 40 V 
rechtsconvexe KrUmmungen. 

Das Maximum der Abbiegungen enthält in dieser Jahrescurve 
links das 5. Zehntel mit 17 Krümmungen oder 19% und rechts das 
7. Zehntel mit 8 Krümmungen oder 9V* Die analoge Schult- 
hess’sche Curve hat ihr Maximum links im 6. Zehntel mit 14 V 
und rechts im 4. Zehntel mit 13 V- Auch in dieser Jahrescurve 
findet sich rechts im 6. Zehntel ein deutliches Minimum von Ab¬ 
biegungen, während links ein solches fehlt. Während ferner in der 
Schulthess’schen Curve im linken 7. Zehntel immer noch 12 V 
und im 4. Zehntel nur mehr 7,5 V der Abbiegungen vorhanden sind, 
so sehen wir in der entsprechenden 9. Jahrescurve gerade das um¬ 
gekehrte Bild auftreten: nämlich 7,9 V linken 7. Zehntel und 
14,6 V 4. Zehntel. In der Curve der einfachen und Hauptkrüm¬ 
mungen complicirter Fälle des 9. Jahres ist immer noch das linke 
4. Zehntel mit 20V vertreten, während in der entsprechenden 
Schulthess'schen Curve dasselbe nur mehr 10 V enthält, woraus 
hervorgeht, dass im 9. Jahre, wie bereits schon im 8. Jahre links der 
VI.—X. Brustwirbel verhältnissmässig mehr zu Abbiegungen neigt, 
als dies aus der Gesammtstatistik hervorgeht. 

In der Curve der einfachen und Hauptkrümmungen complicirter 
Fälle finden wir auch im 9. Jahre wie in der analogen Schulthess- 
schen Curve das Maximum der Abbiegungen links im 5. Zehntel mit 
26 Vi und rechts im 4. mit 11 V- 

Das Durchschnittsmaximum der Deviationen und des Ueber- 
hängens ist bei den Hauptkrümmungen links im 6. Zehntel mit 12,5 
und 5,1 und rechts im 5. Zehntel mit 14,5 und 21,5. 

Eigenthüralich und typisch ist für die 9. Jahrescurve, dass 
in derselben die Hals- und Brustwirbelsäule beinahe keine Gegen¬ 
krümmungen enthält, indem dieselben fast alle in der Lendenwirbel¬ 
säule liegen und zwar ziemlich gleichmässig auf links und rechts 
vertheilt. Im übrigen zeigt sie uns ein ähnliches Bild, wie die ent¬ 
sprechende 8. Jahrescurve. 

10. Jahr. Fig. 6. 

79 Fälle oder 7 V der Gesammtstatistik. Hievon sind links¬ 
convexe Formen 47 oder 59^2 V und rechtsconvexe 32 oder 40% V. 


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704 


Ernst Müller. 


Die Gesammtstatistik dagegen hat, wie bekannt, nur 54 links und 
46^/0 rechts. 

Die Curve sämmtlicher Abbiegungen des 9. Jahres Fig. 6 er¬ 
gibt 76 linksconvexe Krümmungen oder 65®/o und 41 rechtsconvexe 
oder 35®/o, also auch hier immer noch ein deutlicheres Vorherrschen 
der linksconvexen, als in der entsprechenden Schulthess'schen Curve 
mit 60^0 links und 40% rechts. Das Maximum der Abbiegungen 
ist links im 5. Zehntel mit 22 Krümmungen oder 19% und fällt 
dann besonders gegen das 4. Zehntel zu in ziemlich steiler Curve 
rasch ab. Rechts liegt das Maximum der Abbiegungen im 4. Zehntel 
mit 11 Fällen oder 9,4%. 

Im Gegensätze zu den Schult hessischen Curven, die auf der 
linken Seite einen ziemlich stumpfwinkeligen, allmählich ansteigenden 
Charakter zeigen, haben wir in den 10. Jahrescurven, besonders in 
der Curve der einfachen und Hauptkrümmungen complicirter Fälle, 
links ein sehr steiles Ansteigen zum Maximum im 5. Zehntel mit 
20 Fällen oder 25%. Rechts ist das Maximum im 4. Zehntel mit 
10 Fällen oder 13%. 

Die Curve der Nebenkrümmungen zeigt ein starkes üeberwiegen 
der linken Seite = 29 Krümmungen links und 9 rechts oder 76% 
linksconvexe und 24 % rechtsconvexe. Sie zeigt somit ein ähnliches 
Verhältniss, wie die entsprechende Schulthess'sche Curve, die 70% 
linksconvexe und 30 rechtsconvexe Abbiegungen enthält. Beide 
Curven zeigen auch links zwei deutliche Maxima; die Jahrescurve 
ein kleineres im 2 . Zehntel mit 5 Abbiegungen oder 13 % und ein 
grösseres im 6 . Zehntel mit 9 Abbiegungen oder 23 %; die analoge 
Schulthess’sche Curve eines im 2. Zehntel mit 10% und eines im 
7. Zehntel mit 24%. 

Das Durchschnittsmaximum der Deviationen der Hauptkrüm¬ 
mungen ist links im 3. Zehntel mit 11 , 2 % und rechts im 

2 . Zehntel mit 16,8%. Das Durchschnittsmaximum, des Ueber- 
hängens liegt links im 1. Zehntel mit 32,3% und rechts im 

3. Zehntel mit 11,8%. 

Als Hauptunterschied der 10. Jahrescurve, besonders der 
Curve der einfachen und Hauptkrümmungen complicirter Fälle, muss 
somit ihr hohes spitzwinklig ansteigendes Maximum im linken 
5. Zehntel, das heisst die starke Concentration von linksconvexen 
Fällen auf den IX.—X. Brustwirbel angesehen werden. 


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Ueber die Lage der skoliotischen Abbiegungen etc. 


705 


11. Jahr. Fig. 7. 

03 Fälle oder 8®/o der beobachteten Skoliosen. Davon sind 
60 linksconvexe und 33 rechtsconvexe Formen, in Procenten aus¬ 
gedrückt 64®/o links und 36®/o rechts. Also auch hier gegenüber 
der Gesammtstatistik mit ihren 54 ®/o linksconvexen und 46 ®/ü rechts¬ 
convexen Formen ein deutliches üeberwiegen der linksconvexen Fälle 
und zwar um volle 10®/o. 

Ebenso bemerken wir in der Curve sämmtlicher Abbiegungen 
des 11. Jahres, Fig. 7, mit ihren 128 Krümmungen, wovon 82 oder 
04linksconvex und 46 oder 36®/o rechtsconvex sind, gegenüber 
der entsprechenden Schulthess'schen Curve ein Prominiren der 
linken Seite um 4®/o. Im übrigen aber zeigt uns ein Vergleich der 
beiden Curven mit einander eine auffallende Aebnlichkeit derselben. 
Das Maximum der Abbiegung befindet sich nun in dieser Jahres- 
curve ebenfalls wie in der entsprechenden Schulthess'schen Curve 
im 6. Zehntel mit 24 Abbiegungen oder 19®/o und fällt dann be¬ 
sonders nach oben im 5. und 4. Zehntel gleich wie dort ganz all¬ 
mählich ab. Rechts haben wiederum beide Curven ihr Maximum im 
4. Zehntel, hier mit 14 Abbiegungen oder ll^/o; und endlich weist 
auch diese Jahrescurve zwei deutliche Minima auf, das eine links im 
3. Zehntel, das andere rechts im 5. und 6. Zehntel, ganz gleich wie 
in der entsprechenden Schulthess’schen Curve. 

Sieht man somit von der etwas grösseren Frequenz der links¬ 
convexen Abbiegungen in der 11. Jahrescurve ab, so könnte man 
dieselbe ihrer ganzen Structur nach leicht für ein verkleinertes Ab¬ 
bild der Schulthess’schen Gesammtcurve halten. 

Auch nach Zergliederung der allgemeinen Jahrescurve in die¬ 
jenige ihrer einfachen und Hauptkrümmungen complicirter Fälle und 
die ihrer Nebenkrümmungen sehen wir in diesen gesonderten Jahres- 
curven ziemlich den gleichen Charakter, wie in den entsprechenden 
Schulthess’schen Curven beibehalten. 

Das Durchschnittsmaximum der Deviationen und des Ueber- 
hängens der Hauptkrümmungen ist links im 4. Zehntel mit 13,3 und 
16,33 und rechts im 5. Zehntel mit 14,67 und 13. Bei den Neben- 
krümmungen ist das Durchschnittsmaximum der Deviationen links im 
7. Zehntel mit 12,9 und rechts im 4. Zehntel mit 13 und des Ueber- 
hängens links im 5. Zehntel mit 9 und rechts im 6. Zehntel mit 8. 

Wir finden somit auch im 11. Jahre in üebereinstimmung 
mit sämmtlichen bisher besprochenen Jahren eine bedeutend höhere 


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706 


Ernst Müller. 


Frequenz von liuksconvexen Formen gegenüber den rechtsconvexen, 
als in der entsprechenden Sch ult hessischen Curve. Im übrigen ist 
für die 11. Jahrescurve mehr ihre grosse Aehnlichkeit mit der Schult- 
hess’schen Curve, als ihre Verschiedenheit von derselben charak¬ 
teristisch. 

12. Jahr. Fig. 8. 

109 Fälle oder 9,6 ^/o der Gesammtstatistik. 65 Fälle oder 
60®/o sind hievon linksconvexe und 44 Fälle oder 40 ®/o rechtsconvexe 
Formen; somit auch hier immer noch ein Ueberwiegen der links¬ 
convexen Formen um 6®/o gegenüber der Gesammtstatistik. Die 
Curve sämmtlicher Abbiegungen dieses Jahres (Fig. 8) enthält 
161 Krümmungen, wovon 92 oder 57®/o linksconvexe und 69 oder 
43 rechtsconvexe sind. Im Gegensätze zu den bereits besprochenen 
Jahren haben wir nun gegenüber der entsprechenden Sc hui th ess- 
schen Curve hier ein Plus von rechtsconvexen Abbiegungen, aller¬ 
dings nur um 3®/o. Während ferner in der Schulthess’schen 
Curve der sämmtlichen Abbiegungen dieselbe auf der linken Seite 
von ihrem im 6. Zehntel liegenden Maximum, sowohl nach oben als 
nach unten allmählich, aber stetig abnimmt, sehen wir die ent¬ 
sprechende Curve des 12. Jahres, die ebenfalls ihr Maximum im 
6. Zehntel hat, mit 26 Abbiegungen oder 16®/o sich im 4. Zehntel 
links wiederum zu einem zweiten Maximum erheben, mit 19 Krüm¬ 
mungen oder 12®/o gegenüber 7,7 ^/o der analogen Sch ult hessischen 
Curve. Auch die rechten Seiten der Schulthessischen Gesammt- 
curve und der zu besprechenden Jahrescurve weichen insoweit von 
einander ab, als das dort vorhandene, auffallend steile Ansteigen der 
Curve zu ihrem Maximum im 4. Zehntel hier absolut fehlt, indem 
in unserer Curve der Unterschied der Frequenz der Abbiegungen 
zwischen dem Maximum im 4. Zehntel mit 15 Abbiegungen oder 9 
und der Summe der Abbiegungen im 3. Zehntel rechts nur l®/«, in 
der entsprechenden Schulthess*schen Curve aber 8®/o ausmacht. 
Ebenso ist in dieser Jahrescurve weder links noch rechts ein deut¬ 
liches Maximum, wie es sich in den Schulthess'schen Curven 
findet, zu entdecken. Auch nach Auflösung der Gesammtcurven in 
diejenigen ihrer einfachen und Hauptkrümmungen complicirter Fälle 
und Nebenkrümmungen sehen wir in ersterer den Charakter der 
Gesammtcurve des 12. Jahres ziemlich beibehalten; nur hat nun hier 
das Maxiraum der linksconvexen Fälle im 4. Zehntel mit 18 Fällen 


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Ueber die Lage der skoUotiscben Abbiegungen etc. 


707 


oder dasjenige im linken 6. Zehntel mit 17 Fällen noch über¬ 

troffen. Rechts liegt das Maximum im 4. Zehntel mit 13 Fällen 
oder 12 dem sich das 3. Zehntel mit 10 Fällen oder 9 V anschliesst. 

Von den 52 Nebenkrümmungen sind 27 oder 52linksconvexe 
und 25 oder 48 V rechtsconvexe, was gegenüber den 70 V links¬ 
convexen Nebenkrümmungen der Gesammtstatistik ein Plus von 18 V 
zu Gunsten der rechtsconvexen Nebenkrümmungen ausmacht. 

Das Durchschnittsmaximum der Deviationen und des üeber- 
hängens liegt links im 2. Zehntel mit 13 und 18,66 und rechts im 
4. Zehntel mit 22,4 und 20,8. 

Wir sehen somit, dass die Schulthess'schen Gesammt- 
curven von den entsprechenden Curven des 12. Jahres wesentlich 
darin von einander abweichen, dass die in ersteren vorhandenen und 
besonders rechts sehr deutlich ausgeprägten Maxima und Minima 
hier wie auch in der früher besprochenen 8. und 9. Jahrescurve be¬ 
deutend weniger hervortreten, und dass sie neben einem Maximum 
von linksconvexen Abbiegungen in der Höhe des XI.—XII. Brust¬ 
wirbels noch ein zweites in der Höhe des VI.—VIII. Brustwirbels 
besitzen. 

13. Jahr. Fig. 9. 

124 Fälle oder 11 V »W^r beobachteten Skoliosen. Davon sind 
76 oder 01 ‘Vo linksconvexe und 48 oder 39 V rechtsconvexe Formen, 
was gegenüber der Gesammtstatistik hier ein Plus von 7 V zu 
Gunsten der linksconvexen Skoliosen ausmacht. 

Die Curve sämmtlicher Abbiegungen des 13. Jahres (Fig. 9) 
enthält 188 Abbiegungen, wovon 115 oder 61 V linksconvexe und 
73 oder 39 V rechtsconvexe Krümmungen sind; somit beinahe ein 
gleiches Verhältniss wie in der entsprechenden Schulthess'schen 
Curve mit 60 V links- und 40 V rechtsconvexen Abbiegungen. 

Noch grösser wird ferner die Aehnlichkeit der Schulthess- 
schen Gesammtcurve mit der Curve sämmtlicher Abbiegungen des 
13. Jahres, wenn wir betrachten, dass in beiden Curven die Maxima 
und Minima der Abbiegungen sowohl links wie rechts nicht nur der 
Lage nach übereinstimmen, sondern auch in der Zahl ihrer Krüm¬ 
mungen das gleiche Verhältniss in Procenten aufweisen. So enthält 
links im 6. Zehntel das Maximum der Abbiegungen hier in unserer 
Curve 28 Krümmungen oder 14,9 ®(», dort in der Schulthess'schen 
Curve 14,5 ®/o; das Minimum links im 3. Zehntel hier 4 Abbiegungen 


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708 


Ernst Müller. 


oder 2 ^/o, dort 3 ® 0 und rechts ira 4. Zehntel das Maximum hier 
26 Abbiegungen oder 13,8 ^/o, dort 13,4 ^/o und endlich das Minimum 
rechts im 6. Zehntel hier 5 Abbiegungen oder 3 ®/o, dort ebenfalls 3 V- 

Auch die Curve der einfachen und Hauptkrümmungen compli- 
cirter Fälle zeigt kein wesentliches Abweichen von der entsprechenden 
Schulth ess'schen Curve. 

Die Curve der Nebenkrümmungen des 13. Jahres endlich mit 
ihren 39 oder 61®/o linkscoüvexen und 25 oder 41 ‘* o rechtsconvexen 
Abbiegungen zeigt gegenüber der entsprechenden Schulthess'schen 
Curve 9^10 mehr rechtsconvexe Krümmungen. 

Das Durchschnittsmaximum der Deviationen und des Ueber- 
hängens der Hauptkrümmungen enthält links das 5. Zehntel mit 
13,53 und 18 und rechts das 3. Zehntel mit 20,6 und 22 und das 
Durchschnittsmaximum der Deviationen der Nebenkrümmungen ist 
links im 7. Zehntel mit 17 und rechts im 4. Zehntel mit 13,7 und 
das Durchschnittsmaximum des Ueberhängens links im G. Zehntel 
mit 6,4 und rechts im 5. Zehntel mit 4. 

Es lässt sich also auch bei den 13. Jahrescurven als Haupt¬ 
merkmal eine sehr grosse Aehnlichkeit mit den entsprechenden 
Schulthess'schen Curven constatireii, die beinahe noch diejenige 
übersteigt, welche wir bei der 11. Jahrescurve gefunden haben. 

14. Jahr. Fig. 10. 

138 Fälle oder 12^/0 sämmtlicher beobachteten Skoliosen. 
70 Fälle oder 51 7« sind hievon linksconvexe und 68 Fälle oder 49 ^/o 
rechtsconvexe Formen. Zum ersten Male sehen wir somit in diesem 
Jahre gegenüber der Qesammtstatistik nicht mehr wie bisher ein Plus 
von Fällen zu Gunsten der linksconvexen, sondern nun zu Gunsten 
der rechtsconvexen Formen auftreten und zwar von 3®/o. 

Die Curve sämmtlicher Abbiegungen des 14. Jahres (Fig. 10) 
enthält 233 Abbiegungen mit 145 oder 62 ®/o linksconvexen und 88 
oder 38^ 0 rechtsconvexen Krümmungen. Auffallend und abweichend 
von der entsprechenden Schulthess’schen Curve ist, dass in dieser 
Curve links neben dem 6. Zehntel auch das 7. Zehntel, das Maximum 
von Abbiegungen gleich 36 oder 15 aufweist und ebenso rechts 
das hohe, sehr steil ansteigende Maximum von Abbiegungen im 
4. Zehntel mit 39 Krümmungen oder 17 ^/o gegenüber von 14®/o des 
rechten 4. Zehntels der entsprechenden Schulthess’schen Curve. 
Und wie wir aus einer Betrachtung der Curve der einfachen und 


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Ueber die Lage der skoliotischen Abbieguogen etc. 


70Ö 


Hauptkrümmungen complicirter Fälle des 14. Jahres ersehen, beruht 
jenes hohe Maximum im rechten 4. Zehntel, in der Curve sämmt* 
lieber Abbiegungen des 14. Jahres, Fig. 10, absolut nur auf ein¬ 
fachen und Hauptkrümmungen complicirter Fälle, haben wir ja auch 
in der Curve der Hauptkrümmungen im rechten 4. Zehntel 39 Fälle 
oder 28 ® o sämmtlicher in diesem Jahre beobachteten Skoliosen, was 
gegenüber dem rechten 4. Zehntel der entsprechenden Schulthess- 
schen Curve ein Plus von 9 % zu Gunsten der Jahrescurve ausmacht. 
Anders verhält es sich mit dem linken 7. Zehntel der Curve sämmt¬ 
licher Abbiegungen des 14. Jahres. Dieses besteht zum weitaus 
grössten Theil aus Nebenkrümmungen. 

Schliessen wir hier zugleich die Betrachtung der Nebencurven 
an, so sehen wir die 95 vorhandenen Nebenkrümmungen in 75 oder 
79®/o linksconvexe und 20 oder 21 ®/o rechtsconvexe Abbiegungen 
zerfallen, somit gegenüber der entsprechenden Schulthess’schen 
Curve hier ein Plus von 9®/u zu Gunsten der linksconvexen Krüm¬ 
mungen. Weitaus das grösste Maximum enthält links das 7. Zehntel 
mit 27 Krümmungen oder 28^/0; diesem schliessen sich das linke 

6. und 8. Zehntel an, welche 3 Zehntel miteinander 53 Abbiegungen 
oder 56®/o sämmtlicher Nebenkrümmungen dieses Jahres, oder 10®/o 
mehr, als die entsprechenden 3 Zehntel der Schulthess'schen Curven 
der Nebenkrümmungen enthalten. Und somit wird die schon in der 
Sch ult hessischen Gesammtstatistik herausgefundene Thatsache, dass 
die rechtsconvexen Dorsalkrümmungen sich weitaus am häufigsten 
mit den linksconvexen Lendenkrümmungen verbinden, durch diese 
14. Jahrescurve mit ihrer grossen Zahl von rechtsconvexen Dorsal- 
und linksconvexen Lendenkrümmungen nur noch weiter bekräftigt 
und bestätigt. 

Das Durchschnittsmaximum der Deviationen und des üeber- 
hängens ist links im 5. Zehntel mit 13,65 und 16,35 und rechts 
ebenfalls im 5. Zehntel mit 22,15 und 24,7. 

Bei den Nebenkrümmungen ist das der Deviationen links im 

7. mit 17,63 und rechts im 3. Zehntel mit 9,5 und das des Ueber- 
hängens links im 5. Zehntel mit 10 und rechts im 5. Zehntel mit 13. 

Kurz zusammengefasst ergibt somit die Uebersicht über 
diese Jahrescurve folgende hauptsächlichen Resultate: 

1. Im 14. Altersjahr kommen weitaus am meisten Skoliosen 
zur Beobachtung. 

2. Die rechtsconvexen Skoliosen zeigen in diesem Jahre ein 


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710 


Ernst Müller. 


auffallend hohes Maximum von Fällen in der Höhe des VI. bis 
VIII. Brustwirbels, das dasjenige der Schult hessischen Gesammt- 
statistik um 9 ^jo übersteigt, und diese verbinden sich 

3. mit linksconvexen Gegenkrümmungen, die zum grössten 
Theil in der Höhe des I.—H. Lendenwirbels liegen. 

15. Jahr. Fig. 11. 

102 Fälle oder 9 ^/o sämmtlicher beobachteten Skoliosen. 
48 Fälle oder 47 V sind hievon linksconvexe und 54 oder 53 ® o 
rechtsconvexe Formen; somit auch hier gegenüber der Gesammt- 
statistik ein Plus von 7 zu Gunsten der rechtsconvexen Formen. 

Die Curve sämmtlicher Abbiegungen des 15. Jahres, Fig. 11, 
enthält 178 Krümmungen. Dieselben zerfallen in 106 linksconvexe, 
welche Vertheilung auf links und rechts in Procenten ausgedrückt 
ein absolut gleiches Verhältnis ergibt, wie in der entsprechenden 
Schulthess'schen Curve, nämlich hier wie dort 60®/o linksconvexe 
und 40 ”/o rechtsconvexe Abbiegungen. 

Das Maximum der Abbiegungen ist links im 7. Zehntel mit 
29 Krümmungen oder 16®/o; es liegt also in unserer Curve 1 Zehntel 
tiefer, als in der entsprechenden Schulthess'schen Curve. 

Das Maximum rechts enthält 28 Abbiegungen oder 16weicht 
aber der Lage nach, wie auch die beiden Minima, von dem in der 
entsprechenden Schulthess'schen Curve nicht ab. 

Die Curve der einfachen und Hauptkrümmungen complicirter 
Fälle hat ihr Maximum links im 6. Zehntel mit 15 Fällen oder 15 V 
und rechts im 4. Zehntel mit 24 Fällen oder 24®/o, oder mehr 
als das entsprechende Maximum der Schulthess’schen Curve. 

Die Curve der Nebenkrüramungen des 15. Jahres enthält 
76 Krümmungen, wovon 58 oder 75®/o linksconvexe und 18 oder 
24^0 rechtsconvexe Abbiegungen sind, also hier 6®/o mehr links¬ 
convexe Krümmungen, als in der entsprechenden Schulthess'schen 
Curve. Die linke Seite zeigt im 7. Zehntel ein hohes Maximum von 
29 Abbiegungen oder 22 ®/ö. 

Das Durchschnittsmaximum der Deviationen der einfachen und 
Hauptkrümmungen complicirter Fälle des 15. Jahres ist links im 
7. Zehntel mit 17,43 und rechts im 5. mit 22,42 und dasjenige des 
Ueberhängens links im 4. Zehntel mit 19,57 und rechts im 5. Zehntel 
mit 21,8; bei den Nebenkrümmungen dasjenige der Deviationen links 
im 8. Zehntel mit 23,8 und rechts im 4. mit 12,5 und das des 


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Ueber die Lage der skoliotischen Abbiegungen etc. 711 

Ueberhängens links im 3. mit 24 und rechts im 5. Zehntel mit 
8 mm. 

Die Betrachtung dieser Jahrescurve hat uns somit gegen¬ 
über der Schulthess’schen ein deutliches Tieferrücken des Maximums 
der linksconvexen Abbiegungen gezeigt, indem sich ja dasselbe erst 
in der Höbe des I.—II. Lendenwirbels befindet. 

16. Jahr. (Fig. 12.) 

71 Fälle oder 6,2 ^/o sämmtlicher beobachteten Skoliosen. Davon 
sind 29 Fälle oder41®/o linksconvexe und 42 oder 59®/o rechtscon¬ 
vexe Formen, also gegenüber der Gesammtstatistik hier ein Plus von 
14 V zu Gunsten der rechtsconvexen Formen. 

Die Curve sämmtlicher Abbiegungen des 16. Jahres (Fig. 12) 
enthält 125 Abbiegungen, von denen 67 oder 53,6 V linksconvexe 
und 58 oder 46,4 V rechtsconvexe Krümmungen sind, somit 6,4 V 
mehr rechtsconvexe Krümmungen als die entsprechende Gesammt- 
curve enthält. Links liegt in dieser Jahrescurve das Maximum sämmt¬ 
licher Abbiegungen erst im 7. Zehntel oder am I.—II. Lendenwirbel 
mit 16 Abbiegungen oder 13 V sämmtlicher Abbiegungen dieses 
Jahres. Auch das Minimum ist links ein Zehntel tiefer gerückt, liegt 
also im 4. Zehntel mit zwei Abbiegungen oder 2V* Rechts zeigt 
diese Curve sowohl von der entsprechenden Schulthess'schen Ge- 
sammtcurve, wie sämmtlichen übrigen Jahrescurven einen insofern 
abweichenden Typus, als sie nicht wie in jenen im 4. Zehntel beider¬ 
seitig steil zu ihrem Maximum ansteigt, sondern wie im 4., so auch 
im 5. Zehntel ein gleich grosses Maximum von 15 Abbiegungen oder 
12 V enthält. Diese beiden Maxima rechts wie auch das Minimum 
links im 4. Zehntel werden auch in der Curve der einfachen und 
Hauptkrümmungen complicirter Fälle beibehalten. In der Curve der 
Nebenkrümmungen des 16. Jahres fällt neben dem verhältnissmässig 
kleinen Maximum im linken 7. Zehntel mit 11 Abbiegungen oder 
20 V die ziemlich starke Betheiligung der Brustwirbelsäule mit einem 
2. Maximum im 2. Zehntel mit 8 Fällen oder 15 V <ler Neben¬ 
krümmungen dieses Jahres auf. ln der entsprechenden Schulthess- 
schen Curve finden sich im linken 2. Zehntel nur 10 V Jer Neben¬ 
krümmungen. 

Das Durchschnittsmaximum der Deviationen der Hauptkrüm- 
mungen liegt links im 5. Zehntel mit 19 und rechts im 3. Zehntel 
mit 20,2 und das des Ueberhängens links im 2. Zehntel mit 16,7 


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712 


Ernst Müller. 


und rechts im 5. Zehntel mit 22,23. Bei den Nebenkrümmungen 
liegt dasjenige der Deviationen links im 6. Zehntel mit 16 und rechts 
im 6. Zehntel mit 26 und das des üeberhängens links im 6. mit 
13,5 und rechts im 6. Zehntel mit 21 mm. 

ZweiPunkte sind es also hauptsächlich, in denen die IG.Jahres- 
curve von der Schulthess'schen Curve abweicht: 

1. enthält sie in der Höhe des III.—V. Brustwirbels mehr 
linksconvexe Gegenkrümmungen als diese; 

2. vertheilen sich bei ihr zum grössten Theil die rechtscon¬ 
vexen Krümmungen, und zwar ziemlich gleichmässig auf den VI. bis 
X. Brustwirbel und nicht nur auf den VI.—VIII., wie dies bei der 
Schulthess'schen Curve der Fall ist. 

17. Jahr. (Fig. 13.) 

38 Fälle oder 3 ®/o sämmtlicher beobachteten Skoliosen. 14 Fälle 
oder 37 ®/o sind hiervon linksconvexe und 24 oder 63 ®/o rechtsconvexe 
Formen; also gegenüber der Gesammtstatistik hier ein Plus von 17 ®/o 
zu Gunsten der rechtsconvexen Formen. 

In der Curve sämmtlicher Abbiegungen des 17. Jahres (Fig. 13) 
fällt links, gegenüber der entsprechenden Schulthess'schen Curve, 
die geringe Zahl von Erhebungen im 5. und 6. Zehntel und ein 
verhältnissmässig hohes Maximum im 7. Zehntel mit 13 Abbiegungen 
oder 19 ^/o und ein kleineres im 2. Zehntel mit 6 Abbiegungen oder 
9®/o auf. Eine Zergliederung dieser Jahrescurve iu diejenige ihrer 
einfachen und Hauptkrümmungen complicirter Fälle und in die ihrer 
Nebenkrümmungen zeigt uns, dass diese eigenthümliche Curvenform 
einerseits in der geringen Zahl der linksconvexen Hauptkrünimungen 
und anderseits in der grossen Zahl der linksconvexen Nebenkrüm- 
mungen beruht. Denn 45 ®/o sämmtlicher Abbiegungen des 17. Jahres 
oder 8®/o mehr als in der entsprechenden Schulthess'schen Curve 
sind Nebenkrümmungen, und von diesen sind 84 ®/o linksconvexe 
Krümmungen und nur 16®/o rechtsconvexe; also wiederum gegen¬ 
über der Gesammtstatistik hier ein Plus von 14 ®/o zu Gunsten der links¬ 
convexen Nebenkrümmungen, die sich nun hauptsächlich auf das 7. 
und 2. Zehntel vertheilen, wo wir ja auch die beiden Maxima finden. 

Das Durchschnittsmaximum der Deviationen der Hauptkrüm¬ 
mungen ist links im 4. Zehntel mit 13,5 und rechts im 4. Zehntel 
mit 24,25 und das des üeberhängens links im 5. Zehntel mit 14,8 
und rechts im 4. Zehntel mit 22,9. 


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Ueber die Lage der skoliotischen Abbiegungen etc. 


713 


Dasjenige der Deviationen der Nebenkrümmungen ist links im 
6. Zehntel mit 26 und rechts im 8. Zehntel mit 11, und das des 
Ueberbängens links im 6. Zehntel mit 20 und rechts im 3. Zehntel 
mit 5 mm. 

Zu den charakteristischen Eigenschaften der 17. Jahres- 
curve gehört somit 

1. das starke Vorherrschen der rechtsconvexen Formen gegen¬ 
über den linksconvexen, 

2. die im Verhältniss zu sämmtlichen Abbiegungen sehr hohe 
Zahl von Nebenkrümmungen, 

3. das starke üeberwiegen der linksconvexen Nebenkrümmungen 
gegenüber den rechtsconvexen und deren fast ausschliessliche Lage 
in der Höhe des I.—II. Lendenwirbels. 

18. Jahr. (Pig. 14.) 

42 Fälle oder 3,7 ®/o sämmtlicher beobachteten Skoliosen. Die¬ 
selben zerfallen in 20 linksconvexe und 22 rechtsconvexe Formen, was 
einem procentischen Verhältniss von 48 ^/o linksconvexen und 52 ^/o 
rechtsconvexen Formen entspricht; somit gegenüber der Gesammt- 
statistik ein üeberschuss von 6^/o von skoliotischen Krümmungen 
zu Gunsten der rechtsconvexen Formen. 

Die Curve sämmtlicher Abbiegungen des 18. Jahres (Fig. 14) 
enthält 71 Krümmungen, die in 44 linksconvexe und 27 rechtscon¬ 
vexe Abbiegungen zerfallen oder, in Procenten ausgedrückt, 62®/o 
linksconvexe und 38^/o rechtsconvexe, welche Vertheilung auf links 
und rechts nicht wesentlich von derjenigen in der entsprechenden 
Schul t hessischen Curve ab weicht. Das Maximum der Abbiegungen 
liegt in der Curve der sämmtlichen Abbiegungen des 18. Jahres 
h'nks im 7. Zehntel mit 14 Abbiegungen oder 20®/o und rechts im 

4. Zehntel mit 15 Abbiegungen oder 22 ^/o. Ein wesentlich ab¬ 
weichendes Verhalten von der entsprechenden Schulthess'schen 
Gesammtcurve zeigt die Curve der einfachen und Hauptkrümmungen 
complicirter Fälle des 18. Jahres. Während nämlich in jener das 
Maximum der linksconvexen Formen im 5. linken Zehntel liegt, 
findet sich in dieser im gleichen 5, Zehntel das Minimum der links¬ 
convexen Skoliosen mit bloss 1 Fall oder 2®/o; das Maximum jedoch 
ist erst im linken 6. Zehntel oder in der Höhe des XI.—XII. Brust¬ 
wirbels mit 9 Fällen oder 22®/o. 

Die Curve der Nebenkrümmungen zeigt ein ähnliches Bild wie 


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714 


Ernst Müller. 


diejenige des 17. Jahres. Sie enthält 29 Krümmungen, wovon 24 
oder 83 ^/o linksconvexe und 5 oder 17 ^jo rechtscouvexe Ab¬ 
biegungen sind. 

Das Durchschnittsmaximum der Deviationen und des Ueber- 
hängens der Hauptkrümmungen ist links im 3. Zehntel mit 25,67 
und 30,3 und rechts ebenfalls im 3. Zehntel mit 34,5 und 27, und 
dasjenige der Nebenkrümmungen ist für die Deviationen links im 
8. Zehntel mit 20 und rechts im 2. Zehntel mit 13 und das Ueber- 
hängen links im 5. Zehntel mit 16,5 und rechts im 9. Zehntel mit 6. 

Als Charakteristisches dieser 18. Jahrescurve endlich 
muss somit vor allem die eigenthümliche Lage ihres Minimums von 
linksconvexen Formen in der Höhe des IX.—X. Brustwirbels, also 
an einer Stelle, wo bei den meisten übrigen Jahren das Maximum 
gelegen ist, angesehen werden und ferner ihre grosse Aehnlichkeit 
mit der 17. Jahrescurve. 


Die bisherige Besprechung batte den Zweck, ein genaues Bild 
von dem typischen Charakter der einzelnen Jahrescurven zu entwerfen 
und durch einen Vergleich derselben mit den entsprechenden Schult- 
hess'schen Gesammtcurven uns auf die Aehnlichkeit und Verschie¬ 
denheit zwischen diesen und jenen aufmerksam zu machen. Im 
übrigen nahm sie aber auf das Verhältniss der einzelnen Jahrescurven 
zu einander nur wenig Rücksicht, was nun im folgenden geschehen soll. 

In erster Linie wird es uns interessiren, wie sich diese be¬ 
obachteten Skoliosen der Zahl nach auf die einzelnen Jahre ver¬ 
theilen. Fig. 15 gibt uns darüber Auskunft, indem wir hier in Pro- 


Fip. 15. 



Vertheilung der Skoliosen auf die verschiedenen Jahre in Procent. 


centen ausgedrückt finden, wie sich die Zahl der Skoliosen der ein¬ 
zelnen Jahre sowohl unter sich, als gegenüber der Zahl sämmtlicher 
beobachteten Skoliosen verhält. Laut dieser Curve kommen somit 


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Uebcr die Lage der skoliotischen Abbiegungen etc. 


715 


im 14. Altersjahre am meisten Skoliosen zur Beobachtung, ganz all¬ 
mählich, aber stetig fällt die Zahl von Fällen nach den unteren 
Jahren; nach den oberen Jahren dagegen ist ihre Abnahme bedeutend 
rascher, doch ebenfalls stetig. 

Verfolgen wir ferner in den einzelnen Jahren das procentische 
Verhältniss der Frequenz der linksconvexen zu den rechtsconvexen 
Skoliosen, wie wir dies in Fig. 1(5 in zwei Curven aufgezeichnet 


Fig. 16 . 



Procentisches Verhältniss dtü* liiiksconvexen zu den rechtsconvexen Skoliosen in den 

Jahren 8—lö. 

finden, so sehen wir im 8. Jahre 67 “yo linksconvexe und 33 V rechts¬ 
convexe Skoliosen auftreten, was ein plus von 34 ^/o zu Gunsten der 
linksconvexen Skoliosen ausmacht; und im 9. Jahre beträgt dies plus 
von linksconvexen Formen sogar 36%. In den folgenden Jahren 
aber nähert sich das Verhältniss der Frequenz der links- und rechts¬ 
convexen Skoliosen immer mehr einander, bis im 14. Jahre diese 
an Zahl jene nur mehr um 2% übertreffen. Hierauf kreuzen sich 
die Curven, und wir sehen nun in den folgenden Jahren das um¬ 
gekehrte Bild eintreten, nämlich eine grössere Frequenz der rechts¬ 
convexen Skoliosen gegenüber den linksconvexen, und zwar nimmt 
dieselbe bis zum 17. Jahre stetig zu, wo wir als Maximum 63‘’/o 
rechtsconvexe und 37 % linksconvexe Skoliosen finden oder ein plus 
von 16% zu Gunsten der rechtsconvexen Formen. 

Daraus ergibt sich nun folgendes: 

Im 8. —13. Jahre sind die linksconvexen Skoliosen häufiger als 

Zeitschrift für orthopädische Chirurj^ie, XIII. Bd. 47 


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716 


Ernst Müller. 


die rechtsconvexen. Im 14. Jahre ist die Frequenz zwischen beiden 
Formen ziemlich gleich. Im 15.—18. Jahre überwiegen die rechts¬ 
convexen. 

Diese eigenthümliche Beobachtung können wir uns nur dadurch 
erklären, dass die im 14. Altersjahre häufiger zur Beobachtung 
kommende typische rechtsconvexe Dorsalskoliose viel öfters Behand¬ 
lungsobject wird als die leichteren linksconvexen Formen. Einen 
Schluss auf die absolute Frequenz der Formen gestattet selbstver¬ 
ständlich eine Anstaltsstatistik nicht. 

Ein fernerer Vergleich der Curven der vereinigten einfachen 
und Hauptkrümmungen complicirter Fälle der einzelnen Jahre mit 
einander zeigt uns, dass in diesen allen, wie folgegemäss auch in 
der entsprechenden Schulthess'schen Gesammtcurve das Frequenz¬ 
maximum der rechtsconvexen Skoliosen in der Höhe des VII. bis 

VIII. Brustwirbels liegt. Jedoch ist die Grösse dieses Maximums in 
den einzelnen Jahren sehr verschieden: am wenigsten tritt dasselbe 
im 8., 9. und 12. Jahre hervor, während vor allem im 14. und theil- 
weise auch im 15. Jahre die Concentration von Fällen auf diese 
Wirbel auffallend ist. 

Bei den linksconvexen Skoliosen machen sich hauptsächlich 
zwei Maxima geltend: für das 12., 13., 15. und 18. Jahr die Höhe 
des IX.—XII. Brustwirbels und für die übrigen Jahre die Höhe des 

IX. —X. Brustwirbels. 

Was ferner die Nebenkrümmungen anbelangt, so sehen wir, 
dass mit Ausnahme des 8. und 9. Jahres in sämmtlichen übrigen 
Jahren die linksconvexen Nebenkrümmungen an Zahl in hohem 
Masse die rechtsconvexen übertreflFen. Fig. 17 veranschaulicht uns 
dies in zwei Curven, die das procentische Verhältniss der Frequenz 
der linksconvexen zu den rechtsconvexen Nebenkrümmungen dar¬ 
stellen. In Uebereinstimmung mit der entsprechenden Schulthess- 
schen Gesammtcurve zeigen sämmtliche Jahre ein auffallend hohes 
Maximum von linksconvexen Nebenkrümmungen in der Höhe des 
I.—II. Lendenwirbels und ein zweites, jedoch kleineres, in der Höhe 
des III.—IV. Brustwirbels. 

Als weiteres sehr interessantes Ergebniss nehmen wir eine mit 
den Jahren allmählich zunehmende grössere Frequenz der Neben- 
krUmmungen gegenüber sämmtlichen Krümmungen wahr. Fig. 18 
versinnbildlicht uns dies in einer Curve, die das procentische Ver¬ 
hältniss der Nebenkrümmungen zu sämmtlichen Krümmungen in den 


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Ueber die Lage der skoliotiscben Abbiegungen etc. 


717 


einzelnen Jahren enthält. Wie daraus ersichtlich, sind im 8. Jahre 
nur 27 ^^0 von sämmtlichen Abbiegungen dieses Jahres Nebenkrüm- 


Fig. 17. 



Fig. 18. 



8 9 10 11 12 13 1U 15 16 n WJalut 


Verhältniss der NebenkrUininuugen zu silmnitlichen Abbieguiigoii der einzelnen Jahre 

in Proeent. 

mungen, während das 17. Jahr 45 Nebenkrümmungen oder 18 
mehr als jenes aufweist. 

Schliessen wir nun noch kurz einen Vergleich der Curven 
sämmtlicher Abbiegungen der einzelnen Jahre (Fig. 4—14) an, so 


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718 Ernst Müller. Ueber die Lage der skoliotischen Abbiegungen etc. 

fällt ein mit dem Ansteigen der Jahre allmählich tiefer rückendes 
Maximum der linksconyexen Krümmungen auf, indem ja dasselbe im 
8.—10. Jahre in der Höhe des IX.—X. Brustwirbels, im 11. bis 
14. Jahre in der Höhe des XI.—XII. Brustwirbels und im 15. bis 
18. Jahre in der Höhe des I.—II. Lendenwirbels gelegen ist. Wie 
aus dem früher Gesagten hervorgeht, beruht diese Erscheinung wohl 
zum grössten Theil auf der in den höheren Jahren stattfindenden 
starken Zunahme der linksconvexen Nebenkrümmungen mit ihrem 
grossen Maximum in der Höhe des I.—H. Lendenwirbels. 

Was endlich die Lage der Durchschnittsmaxima der Deviationen 
und des Ueberhängens der Haupt- und Nebenkrümmungen anbelangt, 
so lässt sie keine deutlichen Beziehungen zu derjenigen der Erüm- 
mungsmaxima entdecken, sondern wir finden jene unabhängig von 
dieser bald in der Brust-, bald in der Lendenwirbelsäule liegend. 

Als wesentliches Ergebniss dieser Arbeit zählen wir folgende 
Punkte auf: 

1. Die allgemeine Frequenz der beobachteten Skoliosen steigt 
vom 8.—14. Jahre stetig und nimmt alsdann wieder ab. 

2. Vergleichen wir die Jahre 8—17 mit einander, so zeigt 
sich das Frequenzmaximum der rechtsconvexen Abbiegungen immer 
in der Höhe des VI.—VIII. Brustwirbels. 

3. Das Frequenzmaximum der linksconvexen Krümmungen steht 
im 8. Jahre höher entsprechend dem VIII.—X. Brustwirbel, sinkt 
dann bis zum 15. Jahr hinunter auf den I.—II. Lendenwirbel und 
bleibt die folgenden Jahre hier. 

4. Vom 8.—17. Jahre fällt mit wenig Ausnahmen die Frequenz 
der linksconvexen Skoliosen und steigt diejenige der rechtsconvexen; 
fast gleichmässige Vertheilung zeigt das 14. Jahr. 

5. Die Zahl der Nebenkrümmungen vermehrt sich fast stetig 
vom 8.—17. Jahr. Die Vermehrung kommt hauptsächlich auf Rech¬ 
nung der linksconvexen Nebenkrümmungen. 


Am Schlüsse dieser Arbeit erfülle ich gerne die angenehme 
Pflicht, Herrn Dr. W. Schulthess sowohl für die freundliche 
Ueberlassung des Themas, als auch die zuvorkommende Unterstützung 
während der Arbeit meinen verbindlichsten Dank auszusprechen. 


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L. 


(Aus der chirurgisch-orthopädischen Klinik des Herrn Geheimen 
Medicinalraths Prof. Dr. A. Hoffa.) 

Die Gorrection und Fixation des Klumpftisses nach 
dem forcirten Redressement. 

Von 

Dr. J. D. Ghinlamila (Bukarest), 

Assistenzarzt der Klinik. 

Mit 10 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Wenn wir einen Blick auf den gegenwärtigen Stand der Klump« 
fussbehandlung werfen, so sehen wir, dass fast überall das forcirte 
methodische Redressement als diejenige Behandlungsmethode ange¬ 
sehen wird, welche die besten functioneilen und kosmetischen 
Resultate gibt und in der großen Majorität der Fälle indicirt ist. 

Was die technische Ausführung dieser Methode betrifit, so 
finden wir in der Literatur mehrere Verfahren angegeben, um die 
Gorrection der Deformität zu erreichen. Ich erwähne als die am 
meisten angewandten Methoden diejenigen von König — das 
Redressement forc^ —, von Lorenz — das modellirende Redresse¬ 
ment — und von J. Wolff — das Etappenredressement. 

Analysiren wir die verschiedenen Verfahren, so sehen wir, 
dass nur eine Verschiedenheit in der Art und Weise der Anwendung 
besteht; das Princip haben sie alle gemeinsam. 

Die Gesichtspunkte, die alle diese Verfahren beherrschen, kann 
man in folgenden drei Leitsätzen zusammenfassen; 

1. Redressement der Deformität und Ueberführung 
des Fusses in normale oder übercorrigirte Stellung. 

2. Fixation des Fusses in die.ser Stellung für eine 
gewisse Zeit. 

3. Behandlung der Musculatur und Erhaltung des 
Fusses, respective des ganzen Beines in der corri- 


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720 


J. D. Ghiulamila. 


girten Stellung, bis sich die definitiven anatomischen 
Veränderungen, entsprechend den neuen statischen 
Verhältnissen eingestellt haben. 

Für den ersten Punkt haben wir von König und Lorenz 
classische Vorschriften erhalten. Sie basiren auf den anatomisch¬ 
pathologischen Veränderungen, die der Deformität zu Grunde liegen, 
und führen am besten und am schnellsten zur Erreichung des ge¬ 
steckten Zieles. 

Ob wir uns nun zum Redressement des Klumpfusses der Hände¬ 
kraft bedienen, oder in schwierigen Fällen unsere Zuflucht zum 
Osteoclasten oder ähnlichen Apparaten nehmen, oder endlich die 
Tenotomie der Achillessehne oder der Plantarfascie noch ausführen, 
der Endzweck dieses Actes ist stets, die Deformität von Grund aus 
in ihren verschiedenen Componenten zu corrigiren und dem Fuss 
eine Stellung zu geben, die der ursprünglichen entgegengesetzt ist, 
d. h. eine übercorrigirte Stellung. Je nach den Fällen und den 
Anschauungen des Operateurs wird diese vollständige Correction in 
einer oder mehreren Sitzungen zu erreichen sein. 

Auf das Redressement folgt der zweite Act der Methode, die 
Fixation des Fusses in corrigirter Stellung. 

Auf den ersten Blick scheint es, dass in der modernen Re¬ 
dressionsbehandlung, bei welcher, entgegen dem früheren Verfahren, 
Redressement und Fixation in zwei Zeiten erfolgen, diesem zweiten 
Acte, der Fixation, kein hoher Werth beizumessen ist, vielmehr alles 
nur auf das Redressement selbst ankommt. 

Man könnte glauben, dass zur Fixation des erreichten Resul¬ 
tates ein leichter Verband genüge. 

In dieser Anschauung wird man bestärkt, wenn man den Vor¬ 
trag Königs auf dem Chirurgencongress von 1890 über seine Re¬ 
dressionsmethode liest. 

Noch in seinem Lehrbuch der Chirurgie äussert sich König [25] 
über den dem forcirten Redressement folgenden Fixationsverband 
folgendermassen: Das, was in einer Sitzung errungen ist, wird durch 
einen leichten Verband erhalten, welcher nur das Mittel sein soll, 
zu verhüten, dass der Fuss wieder in die alte fehlerhafte Stellung 
hinein sinkt, und zugleich Bewegungen gestatten soll. 

Ebenso wie bei König finden wir in vielen anderen Lehr¬ 
büchern nur wenige Details über diesen Theil der Methode. 

Andererseits sagt Lorenz [31], welcher bei seiner Methode 


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Die Correction uod Fixation des Klumpfusses etc. 


721 


der Fixirung der Correcturstellung durch einen exacten und gut 
ausgeführten Verband grosse Bedeutung beilegt, folgendes: „War die 
vollständige Ummodelung des Fusses eine Sache der Ausdauer, so 
ist die exacte, kunstgerechte Fixirung des gewonnenen Resultates 
eine Sache der handwerksmässigen Geschicklichkeit, welche nur durch 
Uebung erworben werden kann.“ 

Solchen Ausdrücken über die Schwierigkeiten bei der Her¬ 
stellung eines guten Fixationsverbandes für den Klumpfuss begegnet 
man auf jedem Schritte in der Klumpfussliteratur. Aber dem Praktiker 
ist damit nicht viel geholfen, man thut besser, ihm einen Wegweiser 
an die Hand zu geben, mittelst dessen es auch bei geringer Geschick¬ 
lichkeit gelingen wird, rasch brauchbare Resultate zu erzielen. 

„Die Anlegung des Verbandes wird durch das vorausgegangene 
ModeUement des Fusses in ganz ausserordentlicher Weise erleichtert“ 
sagt Lorenz [31]; trotzdem ist der Fixationsverband beim Klump¬ 
fuss immer noch der schwierigste in der ganzen orthopädischen 
Technik; er ist der Prüfstein für die Geschicklichkeit des Orthopäden, 
und es gibt wenig Chirurgen, ja sogar Orthopäden, welche die 
Technik dieser Fixation beherrschen. 

Deshalb, glaube ich, sind auch die Resultate in verschiedenen 
Händen so verschiedene; oft sieht man Misserfolge, die man der 
Methode zuschreibt, die aber in Wahrheit dem Operateur zur Last 
fallen. 

Meine reichen Erfahrungen bei der Klumpfussbehandlung haben 
mich nicht allein die Schwierigkeiten der Fixation kennen gelehrt, 
ich habe auch Gelegenheit gehabt mich zu überzeugen, dass bei der 
Methode alles von der exacten Fixation des Fusses in der Correctur¬ 
stellung abhängL 

Auch nach einem wohlgelungenen Redressement kann man 
schlechte Resultate erhalten, wenn man das Redressionsresultat 
nicht zu fixiren versteht. 

Mit einem einzigen Fixationsverbände kann man nach Verlauf 
weniger Monate zu einem wunderbaren und dauernden Resultat ge¬ 
langen; andererseits habe ich die Fixation Jahre hindurch fortsetzen 
sehen, ohne den geringsten Erfolg. 

Die Fixation ist eben der Schlüssel der Methode, und deshalb 
habe ich den Versuch gemacht, die Erfahrungen, die ich bei der 
Klumpfussbehandlung über diesen Punkt gesammelt habe, nieder¬ 
zulegen. 


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722 


J. D. Ghiulamila. 


Ich glaube, damit eine Lücke in der Literatur der ortho¬ 
pädischen Technik auszufüllen, und möchte die Aufmerksamkeit auf 
einige interessante Einzelheiten lenken, deren Beachtung mir bei der 
Behandlung des Klumpfusses von besonderer Bedeutung zu sein 
scheint. 

Um die Schwierigkeiten und die Wichtigkeit des Fixations¬ 
verbandes hervorzuheben, möchte ich auf folgende Punkte eingehen: 

1. Obwohl Lorenz gezeigt hat, dass man mit seinem Verfahren 
sehr viel erreichen und selbst in einer Sitzung den Widerstand der 
schwersten Klumpfüsse besiegen könne, gehen die meisten Ortho¬ 
päden nicht so vor. Denn die Erfahrung hat gelehrt, dass die An¬ 
wendung allzu grosser roher Kraft nicht ungefährlich ist, und wenn 
man in sehr schweren und hartnäckigen Fällen, die der Redression 
einen großen Widerstand entgegensetzen, alles auf einmal erreichen 
will, so wird man, um der Scylla zu entgehen, in den Strudel der 
Charybdis gerathen, das heisst, man wird, um Druckgeschwüre durch 
die Redression im Verbände (wie bei dem älteren Verfahren) zu 
vermeiden, den schwersten Decubitus und noch schlimmere Compli- 
cationen durch das dem Verband vorhergehende Redressement er¬ 
zeugen, wie man dies in der Literatur citirt findet. 

Das Ziel dieses Actes des Redressements ist, den Knochen 
durch Dehnung der Weichtheile eine normale Stellung zu geben, 
nicht aber diese Stellung auf Kosten einer Schädigung der Knochen 
zu erreichen. Deshalb empfehlen die meisten Chirurgen, wie mein 
Chef Prof. Hoffa [19], in vorsichtiger Weise vorzugehen und in 
den schweren Fällen nicht mit roher Gewalt in einer Sitzung er¬ 
zwingen zu wollen, was man in mehreren leicht erreichen kann. 
Man muss wissen, im rechten Augenblicke mit der Redression auf- 
zuhören, um die erwähnten Complicationen zu vermeiden. 

Um aber in den Fällen, wo man einen theilweisen oder nahezu 
vollständigen Erfolg erzielt hat, wirklich Nutzen aus dem Redresse¬ 
ment zu ziehen, muss man ihn fixiren können. 

Es ist keineswegs gleichgültig, ob die Fixation nur eine leichte 
oder eine der Correcturstellung genau adaptirte ist. Der grosse 
Unterschied kommt erst beim nächsten Redressement zur vollen 
Geltung, da die exacte Ausführung des Verbandes dasselbe ausser¬ 
ordentlich erleichtert. 

2. Bei einer zweiten Serie von Fällen bietet das Redressement 
nur wenig Schwierigkeiten. Es sind namentlich Kinder, die schon 


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Die Correction und Fixation des Klumpfusses etc. 


723 


verschiedenen redressirenden Eingriflfen ohne dauernden Erfolg unter¬ 
zogen wurden, oder auch noch nicht behandelte Kinder, bei denen 
man sehr leicht in wenigen Minuten das Füsschen redressiren und 
es bequem in normale Lage oder übercorrigirte Stellung bringen kann. 

Hier ist es oft ausserordentlich schwierig, eine wirklich gute, 
exacte Fixation zu erreichen, denn yon dem sehr elastischen und 
weichen Fuss gleitet selbst ein gut adaptirter Verband ab. Oder 
aber, wenn man den Verband nicht in extremer Correction angelegt 
hat, so kehrt er nach Abnahme des Verbandes wieder in seine 
fehlerhafte Stellung zurück, und man hat noch den Nachtheil einer 
durch die Ruhe im Verbände geschwächten Musculatur. 

3. Damit sind wir bereits zum dritten Punkte gelangt, zur 
Frage der Correcturstellung. 

üeber den Grad des Redressements des Klumpfusses sprechen 
sich alle Autoren dahin aus, dass man so lange redressiren muss, 
bis der Fuss eine normale oder übercorrigirte Stellung einnimmt. 
Lorenz [31] und Hoffa [19] sehen in dieser Uebercorrection die 
beste Garantie gegen das Eintreten eines Recidivs; doch man kann 
schlechte Resultate erhalten, ob man nun die Redression bis zum 
Extrem treibt, oder nur bis zur normalen Stellung. 

Bei schweren, recidivirenden oder noch nicht behandelten 
Klumpfüssen der Erwachsenen kann sich, infolge allzu energisch 
in einer Sitzung ausgeführten Redressements, aus dem Klumpfuss 
ein Plattfuss entwickeln. Stellt man die extreme Correcturstellung 
in derartig brüsker Weise her, so werden dabei die Bänder zerrissen 
und stark geschädigt. Lassen wir 
nun die Körperschwere unvermittelt 
auf die Knochen ein wirken, so erfolgt 
die sich vollziehende Transformation 
derselben bei dem Fehlen aller Hem¬ 
mungen und Widerstände von Seiten 
der Weichtheile nicht im Sinne eines 
normalen Fusses, sondern in dem eines 
Plattfusses. Den unliebsamen EflFect 
einer zu weit getriebenen Redression hatte ich Gelegenheit bei einem 
jungen Mann zu sehen, bei dem sich im Laufe der Zeit aus dem 
Elunipfusse ein schwerer Plattfuss mit allen Beschwerden eines 
solchen ausbildete (s. Fig. 1). 

Zu ähnlichen Erfolgen — sofern man hier noch von Erfolgen 


Fig. 1. 



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724 


J. D. Ghiulamila. 


sprechen darf — kann man namentlich auch durch partielle Hyper- 
correction gelangen. 

Die Anfänger machen hauptsächlich das Redressement des 
Vorderfusses gegen den Hinterfuss und treiben diese Correction bis 
zum Maximum, ohne sich weiter mit der fixirtbleibenden Fusswurzel 
zu beschäftigen. 

Aus solchen einseitigen Redressionsbestrebungen resultiren dann 
fehlerhafte Correcturstellungen des Fusses, indem man die eine 
Componente zu stark corrigirt, um das Nichtcorrigirtsein der anderen 
zu cachiren. Man erhält auf diese Weise einen partiell redressirten 
Fuss mit einem schwachen Punkt in seiner Mitte, wo nunmehr die 
Einwirkung des Körpergewichtes am meisten zur Geltung kommt. 

Man soll daher nicht jede Componente für sich von vornherein 
maximal corrigiren, sondern allen Componenten zunächst eine mitt¬ 
lere Correcturstellung geben und dann erst in einem gemeinsamen 
Redressement den ganzen Fuss in übercorrigirte Stellung überführen. 

Wenn wir so Vorgehen, so sehen wir, dass die Correction einer 
Deformitätscomponente die der anderen in ihrem Effect vergrössert 
und ergänzt; das Fersenbein rückt herab, das Redressement ist 
überall gleichmässig, und wenn wir einen solchen Fuss auf dem 
Boden aufruhen lassen, so hat er thatsächlich eine vollkommene 
Correcturstellung, und jede Rückfederung ist ausgeschlossen. 

In einer solchen Correcturstellung fixirt man den Fuss. 

Im allgemeinen soll man bei älteren Klumpfusspatienten stets 
einen leichten Grad von Uebercorrection, einen leichten Pes calcaneo- 
valgus zu erreichen suchen, der sich im Laufe der Zeit zu einem 
Fuss mit normaler Stellung entwickeln und als solcher bestehen 
bleiben wird. 

Im Gegensatz zura Klumpfuss der Erwachsenen ist bei kleinen 
Kindern der Klumpfuss weich und elastisch, die Ossification noch 
nicht beendet. Um hier ein gutes Resultat zu erreichen, muss man 
sehr oft den Fuss in die extremste Correcturstellung bringen, denn 
es besteht ständig die Tendenz zu Recidiven, und man muss daher 
die Correcturstellung auf das genaueste durch den Verband fixiren, 
da bei lockerer Anlegung desselben sich auch im Verbände leicht 
eine abnorme Stellung herstellen kann. 

4. Doch wie kann man den Fuss in dieser vollkommenen 
Correcturstellung fixiren ? 

Ganz einfach, sagen die Autoren. Bei einem gut redressirten 


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Die Correction und Fixation des Rlumpfusses etc. 


725 


Fuss bedarf es weiter keiner Gewalt, man hält ihn mit zwei Fingern 
in Calcaneo-valgus-Stellung und legt in dieser Position einen leichten 
fixirenden Verband an. 

Ich supponire einen nach Lorenz* oderKönig’s Methode gut 
redressirten Fuss, wir machen das Schlussredressement und wenden 
uns nun zum Verband. Wenn wir dazu den Fuss in der gewünschten 
corrigirten Stellung halten wollen, haben wir dabei weiter keine 
Angriffspunkte als unten die Zehen und oben das Knie. Zwischen 
diesen beiden Punkten befindet sich das Calcaneura, welches der am 
schwierigsten zu redressirende und in Correction zu erhaltende Theil ist. 

Hat man denn die Möglichkeit, durch Angreifen an diesen 
beiden Punkten auch die Supinationsstellung der Ferse wirksam zu 
beeinflussen? 

Betrachten wir einen Fuss, der durch einen wohlgeschulten 
Assistenten gehalten wird, so sehen wir, dass diese Stellung keines¬ 
wegs die gewünschte ist. Sehen wir uns z. B. nachstehende, aus 


Fig. 2. 



der Vulpius'schen [40] Arbeit entnommene Abbildung (Fig. 2) an; sie 
stellt die Photographie eines redressirten Fusses vor der Verband¬ 
anlegung dar. Ist das eine Calcaneo-valgus-Stellung? 

Betrachten wir auch die Abbildung, die eine Copie einer 
photographischen Aufnahme ist. Der Fuss war vollständig redressirt 
und wird von mir in der zur Anlegung des Verbandes erforder¬ 
lichen Stellung gehalten. Man sieht, dass die Ferse sich noch in 
leichter Supination befindet. 


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726 


J. D. Ghiulamila. 


Wollen wir den Fass in dieser Stellung, ohne die Abweichung 
der Ferse zu berücksichtigen, fixiren, so würde, trotz des gelungenen 
Redressements, der Erfolg gewiss kein grosser sein. 

Ich glaube, dass viele Orthopäden, die sich an Lorenz’ 
Regeln halten, auch dem wichtigsten Theile des Redressements, der 
Correction der Supinationsstellung der Ferse, Rechnung tragen; aber 
nur sehr wenige verstehen diese werthvolle und schwer zu erreichende 
Correcturstellung, welche uns einzig und allein eine sichere Garantie 
gegen ein Recidiv gibt, zu fixiren. 

Ich bin auf diesen Punkt näher eingegangen, weil ich sehr 
oft Orthopäden beobachtet habe, die zwar einen Klumpfuss nach 
allen Regeln redressirten und gut corrigirten und auch einen schein¬ 
bar gut sitzenden Verband anlegten; nahm man dann nach einigen 
Monaten den Verband ab, so schien die Fussstellung auch thatsäch- 
lich vollkommen corrigirt, die Adduction völlig beseitigt, die Planta 
pedis mit ihrer vollen Fläche den Fussboden berührend, aber bei 
näherer Untersuchung zeigte es sich, dass das Calcaneum nicht den 
Boden berührte, es stand noch hoch oben, in Supination, ein unter 
ihm gelegenes Fettpolster erweckte den Anschein der vollkommenen 
Correction. 

Hat man keine Erfahrung, so ist man von dem erreichten 
Erfolg hoch befriedigt, hält den Fuss für vollkommen corrigirt und 
verordnet einen besonders gearbeiteten Stiefel. Nach kurzer Zeit 
aber rückt dann das Fersenbein noch weiter in die Höhe, und da¬ 
mit stellt sich der Fuss wieder in Supination und Adduction. 

Solche Recidive können sich, wenn die Fixation der Ferse keine 
exacte ist, auch bei langer Zeit fortgesetzten Verbänden ständig 
wiederholen; es kommt eben darauf an, dass alle Knochen des 
Fusses, nicht bloss die Metatarsen, unter normalen statischen Ver¬ 
hältnissen der Einwirkung der Transformationskraft unterworfen 
werden. 

Solche Beobachtungen haben mich gelehrt, zur Beurtheilung des 
durch die Redression und Fixation erzielten Resultates vor allem die 
Stellung des Fersentheils zu beachten: Ruht die Ferse direct auf 
dem Boden und befindet sie sich in Pronation, so ist das Re¬ 
sultat gut. 

Ein solches Resultat kann man freilich nicht immer mit einem 
Male durch einen Verband erreichen. 

Die Schwierigkeiten, die sich der Erhaltung der Correctur- 


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Die Correciion und Fixation des Klumpfuflses etc. 


727 


Stellung entgegenstellen, sind theils durch die Deformität an sich be¬ 
dingt, theils dadurch, dass normalerweise der Fuss mit dem Unter¬ 
schenkel einen Winkel bildet, wodurch, wie erwähnt, der hintere 
Theil des Fusses sich nur schwer in corrigirter Stellung halten lässt. 
Um den Fuss während der Anlegung des Verbandes in der Correctur- 
stellung zu erhalten, empfiehlt Lorenz, dieselbe abwechselnd mit 
der als Zügel wirkenden Binde und durch leichten Druck der Hand 
zu sichern. 

Für grössere Klumpfüsse ist dies Verfahren ausreichend, bei 
kleinen fetten Kinderfüssen genügt es nicht. 

Dasselbe gilt für die Flanellbinden- oder Heftpflasterzügel, die 
als Hilfsmittel zur Erhaltung der Correcturstellung während der 
Verbandanlegung dienen. 

Alle diese Verfahren verfolgen das eine Ziel, eine manuelle 
Correction, die möglicherweise einen Decubitus erzeugen könnte, zu 
vermeiden. 

Aus demselben Grunde, aus Furcht vor einem Decubitus, legt 
Lorenz nach dem Redressement, auch wenn der Fuss gut redressirt 
ist, den Verband zunächst in normaler Correcturstellung an, und 
erst 8 Tage später, wenn die Schwellung vorbei ist, fixirt er den 
Fuss in Obercorrigirter Stellung. 

Wenn wir jedoch etwas weniger brüsk Vorgehen, haben wir 
dergleichen Vorsichtsmassregeln nicht nöthig und können mit dem 
ersten Verbände die durch das Redressement erreichte Stellung 
fixiren und ohne Gefahr im Verband corrigiren. 

Hoffa empfiehlt in seinem Lehrbuch die definitive Correction 
im Gipsverband vorzunehmen, ebenso nimmt Heineke [14J diese 
Correction nach dem Redressement einfach manuell vor. 

Eine solche Correction im Verband birgt, wenn man sie zu 
machen versteht, keinerlei Gefahren in sich, aber sie ist von der 
grössten Wichtigkeit für den Erfolg. Wir können dem redressirten 
Fuss in dem Verbände, der sich exact anschmiegt, die gewünschte 
redressirte Stellung geben, d. h. die Stellung, die er unter Belastung 
einnehmen soll. Die Knochen werden nicht einer gegen den anderen 
gedrückt, sondern aneinander gehalten, und die Calcaneo-valgus- 
Stellung verstärkt sich in dem Verbände, anstatt sich zu verringern. 

Der Verband muss unter Vermeidung jeder Compression die 
Form haben, die wir dem Fuss zu geben wünschen. Druck auf die 
Fusssohle ist mit keiner Gefahr verbunden, hat aber den Vortheil, 


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728 


J. D. Ghiulamila. 


die Knochen unter sich zu entfernen und der Planta pedis zu 
nähern. So kommt das Fettpolster, welches eine normale Fersen¬ 
stellung Vortäuschen kann, zum Verschwinden. 

Versteht man „Fixation“ in diesem Sinne, so spielt der Ver¬ 
band eine wichtige Rolle bei der Correction des redressirten Fusses, 
nicht aber übt man durch ihn selbst eine Redression aus. 

Der Verband darf erst dann angelegt werden, wenn das Re¬ 
dressement in allen seinen Componenten beendet ist. 

Um eine derartige Correction und Fixation zu erreichen, brauchen 
wir ein rasch erhärtendes und nicht zu theures Material. Der Ver¬ 
band darf das Gehen nicht sonderlich geniren; er muss also weder 
zu schwer, noch zu zerbrechlich sein. 

Er soll sich den Conturen des Fusses und Unterschenkels genau 
anschmiegen und sie decken, ohne stärkeren Druck auszuüben oder 
die Circulation zu stören. 

Ein gut angelegter Gipsverband erfüllt alle diese Bedingungen. 

Dazu ist, abgesehen von gutem Verbandmaterial, eine gewisse 
Geschicklichkeit des Operateurs, sachverständige Assistenz und eine 
exacte Technik nothwendig. 

Das Verbandmaterial. 

In allen Büchern findet man die Bemerkung, dass man für 
die Herstellung eines Gipsverbandes besten Alabastergips verwenden 
soll. Wenige Chirurgen aber gebrauchen diese Art Gips. Er ist 
freilich ein wenig theurer als der gewöhnliche Gips, den man überall 
anwenden sieht, aber das sollte eigentlich keine Rolle spielen, wenn 
man seine Vorzüge berücksichtigt. 

Der Gips muss trocken und in Blechkästen gut verschlossen 
auf bewahrt werden, damit er nichts von seinen wertvollen Eigen¬ 
schaften einbüsst und die Erhärtung rasch eintritt. 

Die Anwendung des Gipses geschieht in der Form von Gips¬ 
binden. 

Am meisten geeignet für Klumpfussverbände sind Stärke¬ 
binden, in die der Gips gleichmässig und fest eingerieben ist; die 
Binde selbst darf nicht zu fest gewickelt sein, damit der Gips ge¬ 
nügend vom Wasser durchdrungen werden kann. 

In die fertig eingerollten Binden macht man mit dem Messer 
an beiden Seiten je einen Einschnitt. Man vermeidet so die stören- 


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Die Correction und Fixation des Klumpfusses etc. 


729 


den EinschnUruDgen, die dadurch entstehen, dass die Randfäden 
beim Abrollen der Binde dieser nicht folgen, sondern sich anspannen. 

Die Stärkegaze enthält Gelatine, die dem Gips besondere 
Eigenschaften verleiht. Sie verlangsamt die Erhärtung etwas, gibt 
aber dem Verband grössere Festigkeit und Dauerhaftigkeit. 

Das Wasser, in das wir die Gipsbinden einlegen, soll eine 
mittlere Temperatur von 45 ® haben. Wärmeres Wasser beschleunigt 
die Erhärtung des Gipses. Dem Wasser setzen wir zweckmässig 
Alaun, auf eine Waschschüssel etwa eine Handvoll zu, wodurch 
wir ein rascheres Erhärten des Gipses erreichen. Die Binden müssen 
in einer genügenden Menge Wasser 2—4 Minuten liegen; wenn wir 
sie früher herausnehmen, so werden sie nicht hinreichend von Wasser 
durchzogen; die inneren Schichten bleiben trocken, aus den äusseren 
Schichten, die nicht genügend Wasser absorbirt haben, um den Gips 
zu binden, fällt beim Ausdrücken ein Theil des Gipses heraus. Wir 
müssen alsdann doppelt so viel Binden dazu verwenden. Wenn die 
Binden zu lange in dem nicht bewegten Wasser bleiben, so saugt 
der Gips eine grosse Quantität Wasser auf, wodurch dieselben com¬ 
pacter und voluminöser werden. 

Solche Binden kann man nicht ausdrücken, sie sind für andere 
grössere Verbände gut brauchbar, für Klumpfussverbände aber nicht 
geeignet, denn sie erhärten so rasch, dass bei Anlegung der zweiten 
Binde die erste bereits fest ist. 

Ist das Wasser sehr warm, so bildet der Gips mit der in der 
Binde befindlichen Gelatine eine zähe, klebrige Paste, der Gips lässt 
sich schlecht ausstreichen, die einzelnen Schichten werden ungleich- 
massig und die Oberfläche des Verbandes erhält ein rauhes Aussehen. 

Am besten ist es, man versteht, sich die Binden selbst zu prä- 
pariren und einzulegen. Dann wird man nicht ständig in die Ver¬ 
legenheit kommen, dass einmal die Binde zu trocken, ein andermal 
zu nass ist oder keinen Gips enthält. 

Eine gute Binde soll vom Anfang bis zum Ende mit einem 
weichen, gleichmässigen, glatten Gipsbrei, der nicht zu rasch er¬ 
härtet, imprägnirt sein. 

Ausser dem Gips braucht man ein Polstermaterial. Die 
directe Application des Gipsverbandes auf die Haut, die manche 
Autoren befürworten, kann ich für den Klumpfuss nicht empfehlen. 

Der Fixationsverband des redressirten Klumpfusses ist ein 
Gehverband: bei fehlender Polsterung wird sich der Fuss infolge 


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J. D. Ghiulamila. 


der Bewegung an der etwas rauhen Innenwand reiben, und Excoria- 
tionen der Haut werden die Folge sein. 

Will man ausserdem nachträglich an irgend einer Stelle den 
Verband einschneiden, so hat man keinerlei Anhaltspunkte dafür, 
in welcher Tiefe man sich befindet, und eine Verletzung der Haut 
wird daher nicht sicher zu vermeiden sein. Aber auch eine starke 
Polsterung ist fehlerhaft, weil sie die so wichtige genaue Adaptation 
des Verbandes illusorisch macht. 

Ich habe die verschiedenen Materialien, die zur Polsterung ver¬ 
wandt werden (Tricot, Flanelle, Watte etc.), versucht und gebe der 
Watte den Vorzug. Ich verwende die sogen, doppelt geleimte, nicht 
entfettete Wienerwatte in Bindenform. 

Man bullt damit den Fuss bis zu den Zehenspitzen und den 
Unterschenkel bis zum Knie in ganz dünner Schicht ein. Beim kind¬ 
lichen Fuss genügt eine einzige Lage von Circulärtouren, die sich 
zur Hälfte decken. Beim Erwachsenen kann man zwei Lagen an¬ 
wenden. Bei ganz kleinen Kindern muss die Polsterung besonders 
dünn sein; das erreicht man leicht, wenn man die Watte in zwei 
Schichten trennt und nur die eine von ihnen zur Polsterung in einer 
einfachen Lage verwendet. 

In allen Fällen decke ich die am meisten dem Druck aus¬ 
gesetzten Stellen, den inneren Fussrand und den Malleolus internus, 
mit einer doppelten Lage. 

Bei Erwachsenen kann man sich auch der Flauellbinden be¬ 
dienen, während dieselben bei kleinen Klumpfüssen eine zu ungleich- 
mässige und relativ dicke Unterlage geben. 

Klebende Substanzen, die ein Abrutschen des Verbandes ver¬ 
hindern sollen, verwende ich bei Wattepolsterung nicht. 

Vielfach legt man zur Fixirung der Watte und zur Erhaltung 
des Fusses in der Correcturstellung darüber eine fest angezogene 
Calicot- oder Mullbinde. 

Das ist bei starker Polsterung zulässig; bei der von uns an¬ 
gewandten so dünnen Polsterung ist es überflüssig, und wir ver¬ 
meiden die Inconvenienzen, die durch sie verursacht werden können. 

Die Mullbinde, die man unter starker Anziehung fest über der 
Watte anlegt, wird, wenn sie aus dem Gips Wasser absorbirt, noch 
fester, und beim geringsten Stellungswechsel des Fusses können ihre 
Ränder Einschnürungen auf der Haut hervorrufen. 

Die Unannehmlichkeit, dass die nicht durch eine solche Mull- 


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Die Correciion und Fixation des Klumpfusses etc. 


731 


binde gedeckte Watte leicht an den feuchten Händen klebt, ver¬ 
meide ich dadurch, dass ich die ersten Oipsbindentouren anlege, ohne 
die Watte mit den Händen zu berühren, und erst, nachdem die erste 
Gipsbindenschicht angewickelt ist, den Gips anstreiche. 

Wiederholt habe ich direct auf die Haut unter der Watte auf 
den oberen Theil des Unterschenkels und an den Vorderfuss einige 
Mnllbindentouren angelegt, die ich später, wenn der Verband auf¬ 
geschnitten wird, Uber den unteren und oberen Rand zurUckschlage 
und mit einer neuen Qipsbindentour fixire. Dadurch werden die 
Ränder des Verbandes glatt und gleichmässig, und die Rinder können 
die Watte aus dem Verbände nicht herausziehen. Doch ist das 
Verfahren ziemlich mühsam und nicht gerade nothwendig. 

Alles erforderliche Material muss bereits vor Beginn des Redresse¬ 
ments fix und fertig zu unserer Verfügung sein. Ebenso müssen wir 
steriles Verbandmaterial zur Verfügung haben. Für den Fall einer Läsion 
der Haut oder nach einer Tenotomie legen wir einen ganz leichten 
aseptischen Verband an oder einen Vaseline- resp. Dermatolverband. 


Wir wenden uns nun zur Besprechung der Functionen, die bei 
Anlegung des Verbandes dem Assistenten und dem Operateur zufallen. 

Man braucht nur einen Assistenten, der aber gut geschult 
sein muss. Ohne eine solche geschulte Assistenz kann der Opera¬ 
teur, und sei er auch noch so geschickt, keinen guten Klumpfuss- 
verband machen. Der Assistent hat den Fuss in der übercorrigirten 
Stellung zu halten und später, wenn der Operateur beim Erhärten 
des Verbandes die Stellung corrigirt, den Unterschenkel zu fixiren; 
der Operateur legt den Verband an und führt die Correction aus. 
Es hat also dieser zweite Theil der Methode, 


zwei Acte: 
und 


die Fixation, 

1. Die Anlegung des Verbandes, 

2. Die Correction. 


Die Anlegung des Verbandes. 

Der Assistent bringt den Patienten an den Rand des Tisches, 
so dass das Knie genau auf den Tischrand aufruht und Unterschenkel 
und Fuss frei in der Luft bleiben. Er hält mit einer Hand das 

Zeitschrift für oi*thopä(li9che Chirurgie. XIII. Bd. 48 


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J. D. Ghiulamila. 


Knie und mit der anderen die Zehen. Seine Rolle ist eine sehr er¬ 
müdende, sowohl bei den Füssen Erwachsener als auch bei denen 
der Kinder, deren kleine Zehen nur einen schlechten Angriffspunkt 
bieten. 

Assistent und Operateur müssen mit beiden Händen gleich ge¬ 
schickt sein. 

Der Platz für den Assistenten ist stets an der Aussenseite des 
deformirten Gliedes. Er steht also beim rechten Fuss an der rechten 
Seite des Patienten; die linke Hand umgreift die Condylen des 



Femur, wobei ein Theil der Patella frei bleibt, um stets die Stellung 
des Fusses zur Gliedachse controlliren zu können; die rechte Hand 
fasst die Zehen, jedoch so, dass sie den Operateur nicht daran hindert, 
dieselben vollständig mit in den Verband hineinzunehmen. 

Der Assistent rotirt nun mit einer Hand das Knie nach innen, mit 
der anderen Hand hebt er den Fuss in die Höhe, stellt ihn in extreme 
Dorsalflexion und zieht die Zehen gegen sich, d. h. nach aussen. Da¬ 
durch fixirt er einmal das Knie gegen den Tisch, wodurch ein fester 
Unterstützungspunkt gewonnen wird, andererseits bewirkt er durch die 
Hebung des Fusses eine Ueberstreckung resp. eine Fixation des 
Knies, so dass keine Bewegungen in demselben erfolgen können, 
wenn wir den Fuss abduciren und dorsalflectiren. 

Diese beiden letzteren Bewegungen bezwecken, den Fuss in 
Calcaneo-valgus-Stellung überzuführen, indessen erreichen sie in 
Wirklichkeit nur die Correction des Vorderfusses, ohne auf die Fuss- 
wurzel einen gleichen corrigirenden Einfluss ausüben zu können. Einen 
Einfluss auf die Stellung des ganzen Fusses kann man aber durch 
Innenrotation des Knies ausüben, indem bei der Uebercorrection der 


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Die CorrecUon und Fixation des Klumpfasses etc. 


733 


Addactionsstellong des Fusses letzterer nunmehr in verticale und 
damit in eine leicht abducirte Stellung gebracht wird. 

Macht es einige Schwierigkeiten, den Fuss lange in der yor- 
geschriebenen Stellung zu halten, wie z. B. bei jungen Kindern, die 
mit ihren kleinen und glatten Zehen einen schlechten Haltepunkt 
bieten, so bedient man sich zweckmässig der Finck’schen Lösung, 
mit der man die Zehen des Klumpfusses und die denselben haltenden 
Finger bestreicht. Die Klebkraft dieser Lösung erleichtert das Fest¬ 
halten des Fusses wesentlich. 

Handelt es sich um einen Erwachsenen, so erfordert es oft zu 
yiel Aufwand an Kraft von seiten des Assistenten, den Fuss allein 
in der richtigen Stellung zu halten; wir lassen alsdann durch eine 
dritte Person das Knie in Innenrotation fixiren, und der Assistent 
hält allein den Fuss, indem er mit einer Hand die Zehen fasst, mit 
der anderen die Ferse unterstützt. Wenn die Gipsbinde um die 
Ferse herum geführt wird, lässt der Assistent dieselbe für einen 
Augenblick frei. 

Der Operateur wählt zunächst die Gipsbinden in erforder¬ 
lichen Breiten und in genügender Zahl aus und legt sie ein. Nun 
bringt der Assistent den Fuss in die gewünschte Stellung, während 
der Operateur rasch Unterschenkel und Fuss mit Watte umwickelt. 
Er controllirt, ob die Watteschicht gleichmässig deckt, und legt noch 
etwas Watte über den Innenrand des Fusses. Der Bindenkopf wird 
mit der linken Hand gefasst, das Bindenende mit der rechten. (Die 
Beschreibung bezieht sich auf die Anlegung eines Verbandes für den 
rechten Fuss.) 

Der Operateur steht dem Assistenten gegenüber und legt die 
Touren stets nach einer bestimmten Regel an. 

Ich lege die erste Tour über Fussgelenk und Ferse, indem ich 
an der Vorderfläche des Fussgelenks beginne. Von hier aus steige 
ich über die Innenseite der Ferse herab, an der Aussenseite derselben 
herauf, darauf gehe ich diagonal über den Fussrücken zum inneren 
Fussrand, führe die Binde über die Fusssohle zum äusseren Fussrand 
und lege nur einige Circulärtouren um den Vorderfuss. Dann steige 
ich gleichmässig mit Circulärtouren, die sich zur Hälfte decken, nach 
oben bis zum Knie. 

Legt man die ersten Touren über den Metatarsus, so können 
dieselben beim Anstreichen leicht rutschen; dadurch verschiebt sich 


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J. D. Ghiulamila. 


auch die Watteschicht, und der Fuss hleibt zum Theil ohne Polste¬ 
rung. Das vermeidet man, wenn man die erste Tour um Fussgelenk 
und Ferse legt. Es ist zweckmässig, mehrere Touren hintereinander 
um die Zehen zu legen, weil dadurch die Binde, deren erste Touren 
gewöhnlich wenig Gips enthalten, besser fixirt wird. Achtertouren 
verwende ich nicht. 

Ich mache den Verband stets so, dass er nach unten die Zehen¬ 
spitzen überragt, nach oben bis zur Kniegelenksspalte reicht. Proxi¬ 
mal und distal decken die Bindentoüren noch etwas die Hände des 
Assistenten. 

Zu achten hat man darauf, dass nicht der Rand einer Binden¬ 
tour in dem Winkel, den Fuss und Unterschenkel mit einander 
bilden, zu liegen kommt, sondern immer nur die Mitte der Binde. 

Die Breite der Binde nimmt man gleich der Länge des Fuss- 
rückens; bei kleineren Kindern kann sie noch etwas breiter sein, 
denn die aus appretirter Stärkegaze hergestellte Gipsbinde schmiegt 
sich beim Anstreichen vollkommen der Form des Fusses an. 

Mit Gipsbinden macht man keine ümschlagtouren, sondern legt, 
wenn die Circulärtouren sich nicht exact decken, den freien Rand 
in Form eines Dreiecks um und streicht ihn an. So wird der Ver¬ 
band überall gleichmässig dick. 

Im Gegensatz zur Mullbinde soll die Gipsbinde nicht fest an¬ 
gezogen werden, man rollt sie lose ab und erreicht ein exactes An¬ 
liegen der Touren durch Anstreichen, das man jeder Tour folgen 
lässt. Indem dabei der Gipsbrei in die Maschen der Binde eindringt, 
verkleben und verbinden sich die einzelnen Lagen unter einander; 
Luft soll zwischen den einzelnen Gipsschichten nicht bleiben. Auf 
diese Weise erhalten wir einen gleichmässigen und dünnen, dabei 
dennoch resistenten Verband. 

Nach Anlegung einer oder zweier Binden streicht man mehrmals 
über den ganzen Verband, wodurch dieser, so lange er noch weich 
ist, der Oberfläche des Gliedes entsprechend modellirt wird und durch 
Beseitigung der letzten Falten eine glatte Innenfläche erhält. 

Der Operateur muss schnell, sauber und ohne Erschütterung des 
Fusses arbeiten. Raschheit ist deshalb erforderlich, weil der Assistent 
bald ermüdet und den Fuss schliesslich nicht mehr in der corrigirten 
Stellung halten kann, dann aber auch, weil der Gips schnell erhärtet 

Was die Dicke des Verbandes anbetrifft, so hänge dieselbe von 
der Grösse des Patienten ab. Bei Kindern genügt im allgemeinen 


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Die Correction und Fixation des Klumpfusses etc. 


735 


eine Stärke von 3—4 mm, bei Erwachsenen 6—8 mm. Gewöhnlich 
braucht man, wenn die Binden genügend Gips enthalten, 4~5 Lagen 
für Kinder, 8—9 für Erwachsene. 

Um überall eine gleichmässige Dicke zu erreichen, müssen wir 
jede Binde vom Knie bis zu den Zehen führen und uns die Zahl 
der Schichten gegenwärtig halten. Die Fusssohle kann man nach¬ 
träglich etwas verstärken, indem man mehrere Lagen auf einmal auf 
dieselbe legt und dieselben durch eine Schlusstour einwickelt. 

Um die Widerstandsfähigkeit des Verbandes zu beurteilen, sollen 
wir uns nicht nach der Resistenz richten, die derselbe unmittelbar 
nach seiner Anlegung darbietet, denn er soll dann noch ganz weich 
sein, sondern um uns ein Urtheil darüber zu bilden, müssen wir uns 
nach der Schichtenzahl richten. So werden wir es vermeiden, den 
Verband unnöthig schwer zu machen, und werden hinsichtlich der 
wahren Stellung des Fusses keine Irrthümer begehen. 

Im oberen Theil des Unterschenkels, an den Condylen der Tibia, 
muss der Verband etwas fester anliegen, im Bereich der Wade kann 
er ganz locker sein, er soll die Haut und Muskeln nicht drücken 
und den letzteren Contractionen gestatten. Besonders exact soll der 
Verband sich den Malleolen und dem Fuss anlegen. 

Die Correction. 

Ist die letzte Gipsbinde angelegt, so wäscht sich der Operateur 
ein wenig die Hände und wendet sich nun zur Correction. Wie 
schon erwähnt, muss dazu der Gips noch weich und nachgiebig sein. 

Man führt dieselbe auf zwei Arten aus, nach der von Hoffa 
empfohlenen oder nach Hei necke. 

Das erste Verfahren beruht darauf, den Fuss mit der ganzen 
Sohle auf eine horizontale Ebene, z. B. den Tisch, zu stellen, um 
ihm durch einen Druck auf das spitzwinklig gebeugte Knie die ge¬ 
wünschte Stellung zu geben (s. Fig. 4). 

Man zieht den Patienten auf den Tisch zurück, der Operateur 
bringt das Knie in stärkste Beugung, während der Assistent den 
Fuss auf die Tischfläche setzt und festhält. Bei Erwachsenen ist es 
vortheilhaft, unter das Gesäss ein Kissen zu legen. Um die gewünschte 
Calcaneusstellung zu erreichen, legt der Operateur beide Hände auf 
das Knie des Patienten und beugt dasselbe so weit nach vorne, dass 
es in einer Senkrechten mit den Zehen liegt. Um die Valgusstellung 


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J. D. Ghiulamila. 


zu erreichen, neigt der Operateur das Knie nach aussen, während der 
Assistent den Fuss festhält und ihn verhindert, nach innen zu gleiten. 

Ist die Abduction des Fusses nicht genügend, so legt der 
Assistent eine Hand auf den Rücken des Fusses und zieht mit den 
seinen inneren Rand umgreifenden Fingern den Vorderfuss nach 


Fiff. 4. 



(Aus Hoffa, Lehrbuch der orthopädischen Chirurgie.) 


aussen, während die andere Hand von hinten und innen die Ferse 
fixirt und nach aussen drängt. In wirksamer Weise kann man sich 
die üeberführung des Fasses in Pronation und Abduction dadurch 
erleichtern, dass man die Fusssohle auf eine von innen nach aussen 
ansteigende schiefe Ebene stellt. 

Der Fuss muss in der corrigirten Stellung bis zum Erhärten 
des Verbandes absolut ruhig gehalten werden. 

Bei dieser Methode erreichen wir also die Correction des Fusses 
durch Belastung. 

Bei älteren Patienten kommen wir mit diesem Verfahren gut 
zum Ziele, bei jüngeren Kindern aber ist die Methode wegen der 
Kleinheit des Fusses und des nothwendigen hohen Grades von üeber- 
correction weniger zu empfehlen. Hier ist es besser, die Correction 
rein manuell vorzunehmen. 

Das Kindchen wird wieder auf den Tisch zurückgezogen. Ein 
schmales Kissen kommt unter den Unterschenkel, ein Handtuch über 
den Verband. Der Assistent umgreift jetzt das Knie, drückt es gegen 
das Kissen und rotirt es stark nach innen. Der Operateur nimmt 
den Fuss, die eine Hand kommt unter die Fusssohle (beim rechten 


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Die Correction und Fixation des Klumpfusses etc. 


737 


Fuss die linke), so dass sich die Handfläche gegen die ganze Fuss- 
sohle anstemmt, die andere Hand stützt sich mit dem Kleinfinger¬ 
ballen von innen her gegen die Ferse, während die Finger, ohne zu 
drücken, die Malleolen umgreifen. Die auf der Fusssohle liegende 
Hand hat die Aufgabe, den Fuss in Dorsalflexion, Pronation und 
Abduction zu fixiren, indem sie auf die Planta pedis einen nach oben 
und aussen gerichteten Druck ausübt. Ihre Wirkung können wir 


Fij?. 5. 



dadurch verstärken, dass wir mit dem Daumen den inneren Fussrand 
umfassen und ihn nach aussen schieben, während die andere Hand 
die Ferse und Malleolen unter Vermeidung jedes Druckes fixirt. 
Dazu gibt man ihr die Form einer Halbrinne und lässt ihre Dorsal¬ 
fläche sich auf den Tisch stützen. Sie umgreift die Malleolen in 
der Art, dass der Hypothenar auf den inneren Theil der Ferse zu 
liegen kommt. So trägt sie in wirksamer Weise dazu bei, die Ferse 
in Pronatiousstellung zu beugen. 

Es ist zweckmässig, dem Druck der auf die Ferse gelegten 
Hand den auf die Fusssohle wirkenden Druck der anderen Hand 
Torhergehen zu lassen; da letztere den Fuss in Calcaneusstellung 
drängt und damit ein Herabdrücken der Ferse verbunden ist, so 
wird für die an dieser wirkende Hand nunmehr ein besserer Angrifis- 
punkt geschafien. 

Die Kraft, die wir bei diesen Manövern ausüben, soll lediglich 
zur Correction der Fussstellung verwandt werden, nicht aber, um 
einen Druck auf den Fuss auszuüben. Im Gegen theil muss ein solcher 
sorgfältig vermieden werden. Man soll deshalb die Finger nicht ge¬ 
spreizt, sondern aneinandergelegt halten; so wird man Fingereindrücke 
in dem noch feuchten Gips vermeiden. 


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J. D. Ghiiilamila. 


Eine manuelle Correction, wie ich sie beschrieben habe, hat 
mir niemals Misserfolge und unangenehme Zwischenfälle eingetragen. 
Denn da bei Beginn der Correction der Verband noch weich ist, so 

modellirt sich seine Innenfläche nach der 
Form des Fusses und Unterschenkels und 
gibt ein genaues Negativ derselben, ohne 
irgend welche Unebenheiten, die zu De- 
cubitusbildung führen könnten. 

Ausschneiden des Verbandes. 

Mit einem scharfen Gipsmesser 
machen wir einen Einschnitt am äusse¬ 
ren Rande der kleinen Zehe, der Länge 
derselben entsprechend. Den dorsalen 
Rand heben wir etwas von der Watte¬ 
schicht und führen durch den Dorsaltheil 
des Verbandes einen Schnitt in einer 
Linie, die von der Basis der kleinen 
Zehe zur Kuppe der grossen Zehe reicht. Auf der Fusssohle setzen 
wir die Incision fort in einer den Zehenspitzen entsprechenden Linie; 
die Sohle des Verbandes soll nicht kürzer sein als die Zehen, sondern 
kann dieselben noch um einige Millimeter überragen. 

Schneiden wir den Verband in dieser Weise auf, so bleibt die 
grosse Zehe fast vollkommen in den Verband eingeschlossen. Sie 
kann sich nicht nach innen zu bewegen, sondern wird im Gegentbeil 
ständig nach aussen gedrängt. Die kleine Zehe ist nach allen Seiten, 
ausser nach unten, frei und ist in ihren Bewegungen nicht beschränkt. 
Wenn der Verband derart ausgeschnitten ist und sein Dorsaltheil 
den Metatarsalköpfchen fest anliegt, so bleiben die Zehen unver¬ 
ändert in ihrer Lage. Bewegungsfreiheit besteht nur in einer Rich¬ 
tung, die der ursprünglichen entgegengesetzt ist, das heisst nach 
aussen und oben. 

Die Watte überragt den Rand des Verbandes um einige Millimeter. 

Wenden wir uns jetzt zum oberen Theil des Verbandes. Der¬ 
selbe wird bis zur unteren Begrenzung der Tibiacondylen abge¬ 
schnitten, hinten ein wenig weiter als vorne, damit das Bein voll¬ 
ständig, ohne Störung, gebeugt werden kann. 

Ich will bemerken, dass der Fixationsverband beim Klnmpfuss, 


Fig. 6. 



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Die Correciion und Fixation des Klumpfusses etc. 


739 


im Gegensatz zu den anderen Apparaten, die zur Entlastung des 
Fussgelenkes bestimmt sind, den Tibiacondjlen nicht zu fest anmodellirt 
sein soll, er soll hier ziemlich locker sein oder dieselben ganz frei lassen 
und die Wirkung der Schwere des Körpers auf den Fuss gestatten, 
um die Knochen dem Einfluss der Transformationskraft auszusetzen. 

Der fertige Verband muss die exacte Form des Fusses, den er 
deckt, zeigen; alle Componenten der redressirten Deformität müssen 
sich jetzt in Uebercorrection oder normaler Stellung präsentiren; die 
Sohle des Verbandes soll platt und ein wenig nach aussen gedreht 
sein (vgl. Fig. 6—10). 

Uebt man einen Druck auf das Knie aus, so dürfen die Zehen 
sich nicht im Verbände hin und her bewegen; das ist ein Zeichen 
dafür, dass der Verband zu locker angelegt ist und der Fuss sich 
in ihm in leichter Equinusstellung befindet. 

Doch der Anfänger wird nicht von vornherein einen vollendeten 
Verband anlegen können, kleine Inconvenienzen können dabei Vor¬ 
kommen, die er kennen muss, um sie vermeiden zu können. 

Kleine Inconvenienzen. 

In erster Linie kommt hier der Grad der Correction in Be¬ 
tracht, der im ganzen oder theilweise ungenfigend sein kann. 

Bemerken wir nach Anlegung des Verbandes, dass die Stellung 
des Fusses keine genügende ist, so dürfen wir nicht etwa nach der 
Erhärtung des Verbandes noch nachträglich eine weitere Redression 
versuchen, da sonst leicht höchst unwillkommene Schädigungen auf- 
treten können. Wir müssen in solchen Fällen entweder den Verband 
abnehmen und einen neuen anlegen, oder aber, wenn wir den Patienten 
bald wieder sehen können, lassen wir vortheilhaft den Verband etwa 
noch eine Woche liegen und geben erst dann einen neuen, in dem 
wir den Fuss besser corrigiren können, da er sich nun schon an die 
Correctionsstellung gewöhnt hat. 

Zeigt sich nach dem Erhärten und Ausschneiden des Verbandes, 
dass seine Festigkeit zu gering ist^ so können wir dieselbe leicht 
erhöhen, wenn wir noch nachträglich eine Gipsbinde unter besonderer 
Berücksichtigung der Fusssohle anwickeln. 

Ein Urtheil darüber, ob der Verband zn fest ist, kann man 
sich leicht nach dem Aussehen der Zehen bilden, da sich Circn- 


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J. D. Ghiulamila. 


lationsstorangen am Fuss und Unterschenkel gerade hier zu er¬ 
kennen geben. 

Im allgemeinen wird der Blutkreislauf durch einen gut ange¬ 
legten und exact in Correctionsstellung anmodellirten Verband nicht 
beeinträchtigt. Das gibt sich darin zu erkennen, dass wenige Mi¬ 
nuten nach Beendigung des Verbandes die Zehen wieder die normale 
Rosafärbung annehmen. Oft aber sehen die Zehen nach der Correction 
mehr oder weniger lange blass aus, werden dann rosafarben oder 
nehmen zuerst eine blaurothe — und dann Rosafärbung an. In 
diesen Fällen liegt eine Circulationsstörung vor, aber wo ist ihre 
Ursache? Sie kann im Fuss oder in dem zu fest angelegten Ver¬ 
band liegen. 

Wenn wir den Fuss redressirt und den Verband nach den oben 
angegebenen Regeln angelegt haben, so kann er nach seiner Voll¬ 
endung das Glied nicht comprimiren, doch es kann etwas später, 
wenn das durch die Redression gegebene Trauma gross genug ge¬ 
wesen ist und eine reactive Entzündung hervorgerufen hat, zu einer 
Compression kommen. Das kann sich einige Stunden nachher oder 
am folgenden Tage zeigen. 

Einen anderen Grund für das Auftreten einer Circulations¬ 
störung können die zahlreichen Hautfalten darstellen, die sich auf 
dem Fussrücken eines redressirten Klumpfusses bilden. 

Wir können oft schon vor Anlegung des Verbandes, wenn wir 
den Fuss in der corrigirten Stellung halten, beobachten, wie die 
Haut des Fussrückeus sich faltet, blass wird und der Rückfluss des 
Blutes unterbrochen ist. Es ist das eine Folge der durch die Faltung 
ausgeübten Compression der oberflächlichen Venen. Man muss sich 
der Möglichkeit einer solchen Entstehung von Circulationsstörungen 
vor Anlegung des Verbandes bewusst sein, um die nach Anlegung 
desselben auftretenden Stauungserscheinungen in richtiger Weise zu 
beurtheilen. 

Comprirairt der Verband nicht, so erfolgt die Wiederherstellung 
der auf diese Weise entstehenden Circulationsstörungen rasch. Wenn 
aber die Zehen nur sehr langsam, namentlich auf der Streckseite, 
ihr normales Aussehen wiedergewinnen, so liegt die Schuld am Ver¬ 
bände, der entweder im ganzen oder in einer bestimmten — mehr 
oder minder grossen — Partie einen zu starken Druck ausübt. Be¬ 
sonders häufig befindet sich der Sitz der Compression auf dem Fuss¬ 
rücken, namentlich in dem Winkel, den Fuss und Unterschenkel bilden. 


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Die Correction und Fixation des Elurapfusses etc. 


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Um jede unmittelbare oder später eintretende Compression zu 
▼erhindem, empfiehlt Lorenz [10], auf dem Fussrücken und der 
Vorderfläche des Unterschenkels aus dem Verband ein dreieckiges 
Stück herauszuschneiden, wodurch die ganze gefährdete Partie frei¬ 
gelegt wird. Auch kann man noch die dem Fenster benachbarten 
Partien des Verbandes durch Unterschieben eines Spatels lockern. 

Ein so grosses Fenster nimmt jedoch dem Verbände viel von 
seiner Festigkeit und hebt bei kleinen Kindern die genaue Fixation 
auf. Daher mache ich, falls eine Compression eingetreten oder zu 
erwarten ist, nur einen Längsschnitt auf der Vorderfläche des Fuss- 
gelenks und biege mit einem Eleyatorium die diesen Einschnitt be¬ 
grenzenden Ränder so weit auf, als ich es für nöthig halte. Nach 
3 oder 4 Tagen lege ich dieselben wieder an und fixire sie mit einer 
Stärkebinde. So geht die Festigkeit des Verbandes nicht verloren, 
und man verhindert, dass im Bereiche des Fensters ein Oedem 
entsteht 

Früher beobachtete ich derartige Circulationsstörungen, die auch 
nicht verschwanden, wenn ich lange Einschnitte in den Verband 
machte oder sogar ein dreieckiges Stück ausschnitt; später machte 
ich die Wahrnehmung, dass nicht der Oipsverband selbst die Com¬ 
pression bedingte, sondern dass die Mullbinde, die ich zur Fixation 
der Watte verwandte, durch einen ihrer Ränder die Einschnürung der 
Haut verursachte. Seit ich auf die Anwendung der Mullbinde ver¬ 
zichte, habe ich nur noch sehr selten ähnliche Störungen beobachtet. 

Ein nicht zu fest angelegter Gipsverband kann nur an einer 
Stelle eine Compression ausüben; das ist, wie schon erwähnt, die 
Streckseite des Fussgelenks. Die Compression kann hier durch die 
im Verband ausgeführte Correction bedingt werden. 

Wenn der Fuss z. B. bei Anlegung des Verbandes in Equinus- 
stellung gehalten wird und wir führen ihn dann im Verbände in 
Calcaneusstellung, so drückt der Gips auf diesen Winkel wie eine 
Leiste. Um die so entstehende Compression zu vermeiden, soll der 
Assistent von vornherein den Fuss in möglichster Calcaneusstellung 
halten, so dass nach Vollendung des Verbandes eine weitere Correction 
in diesem Sinne kaum noch nöthig ist. 

Wie erwähnt, habe ich nur ausnahmsweise eine Compression 
durch den Verband beobachtet, und dann lag die Schuld entweder 
an der Assistenz oder am Material, aber niemals an der Technik 
oder an der Correction. 


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J. D. Ghiulamila. 


Ich mache daher auch nur sehr selten prophylaktische Ein¬ 
schnitte in den Verband und beschränke dieselben auf die Fälle, wo 
eine Schwellung als Folge der energischen Redression zu erwarten 
ist. Dann aber mache ich den Einschnitt reichlich lang und biege 
seine Ränder auf. 

Liegt Grund zu der Annahme vor, dass der Verband wegen 
der nachträglichen Correction eine Compression ausübt, so schneide 
ich in der Gegend des Fussgelenks ein ovales Stück bis auf die 
Watte heraus. 

Im allgemeinen stellt sich, wenn wir die Ursache der Circu- 
lationsstöruugen beseitigt haben, der normale Blutkreislauf rasch 
wieder her. Ist das aber nach dem erwähnten Einschnitt nicht der 
Fall, so liegt das daran, dass der Verband um die Wade zu fest an¬ 
gelegt ist, und wir müssen dann den Einschnitt eventuell so weit 
nach oben verlängern, bis die Zehen ihre normale Färbung wieder 
erlangen. 

Macht man Fenster in den Verband, so soll man es, sobald die 
Schwellung verschwunden ist, mit Watte ausfüllen und darüber eine 
Binde fest anziehen, da sonst an den freiliegenden Stellen sich leicht 
Oedem einstellt. 

Die Hauptfurcht aller Chirurgen bei Anlegung eines Gipsver¬ 
bandes ist der Decnbitns« Der Decubitus entsteht an den Stellen, 
wo die Haut direct auf Knochen auf liegt und durch den Verband 
gegen denselben gepresst wird. Solche Stellen sind die Malleolen, 
der Fussrücken, der innere Fussrand und der hintere Theil der Ferse. 

An den Malleolen und der Ferse etablirt sich ein Decubitus, 
wenn der Verband sehr fest angelegt wird, oder wenn während der 
Correction der Assistent oder der Operateur zur Fixation des Unter¬ 
schenkels die Malleolengegend fest fasst und direct gegen den Tisch 
presst. Ich habe schon auseinandergesetzt, in welcher Weise man 
den Unterschenkel während der Correction fixiren muss, um jeden 
Druck an diesen Stellen zu vermeiden. Der leichte elastische Druck, 
den man ausübt, um die Ferse nach aussen zu bringen, kann nie¬ 
mals Decubitus hervorrufen. 

Auf dem Fussrücken kann ein Decubitus auf die oben be¬ 
schriebene Weise entstehen; zeigen uns Circulationsstörungen hier 
eine Compression an, so müssen wir den Verband abnehmen oder 
ihn einschneiden. 


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Die Correctioo und Fiiation des Klumpfussea etc. 


743 


Der innere Fussrand isfc bei einem gut redressirten Klumpfuss 
dem Decubitus am wenigsten ausgesetzt. 

Aber bisweilen kann der Verband eine Gompression an irgend 
einer Stelle ausUben, trotzdem die Girculatiou der Zehen für den 
Augenblick nicht gestört ist. Auch in solchen Fällen können wir 
auf Grund der Manöver, durch die wir die Gorrection erreicht haben, 
vermuthen, ob ein Druck stattfindet. Wenn wir mit den Fingern 
stärkere Eindrücke in der Malleolengegend hinterlassen haben, wenn 
wir die Equinusstellung des Fusses erst im Verbände corrigirt haben, 
wenn die Energie des angewandten Redressements das Auftreten 
eines Decubitus oder einer entzündlichen Schwellung wahrscheinlich 
macht, müssen wir prophylaktisch in den Verband an den bedrohten 
Stellen einen Einschnitt machen und entsprechend demselben die 
Ränder etwas auf biegen. — Hat sich ein Decubitus unter dem Ver¬ 
bände gebildet, so stellt sich ein dauerndes Oedem der Zehen und 
des Fusses ein, das Kind empfindet Schmerz und gibt das durch 
Weinen und durch Zurückziehen des Fusses bei Berührung der Zehen 
zu erkennen. Man muss dann nach dem Sitz des Decubitus suchen 
und den Verband eventuell entfernen. Bei den Erwachsenen verräth 
sich ein Decubitus nur selten durch Schmerzen und Oedem. 

Wenn sich ein Decubitus unter dem Verbände einstellt, so ist 
das für die weitere Behandlung sehr unangenehm, denn man muss 
in solchen Fällen die Ulceration verbinden und will andererseits auf 
das erreichte Resultat nicht Verzicht leisten. 

Die Methode, ein Fenster in den Gipsverband zu machen und 
durch dieses den Verbandwechsel vorzunehmen, ist nicht zu empfehlen. 
Von einer peinlichen Asepsis kann dabei nicht die Rede sein und das 
locale Oedem lässt die Haut an der vom Verband befreiten Stelle promi- 
niren. So sind die Bedingungen für eine rasche Heilung nicht günstig. 

Man soll in solchen Fällen den Verband aufschneiden, so dass 
man eine vordere und hintere Hülse erhält. Zum Verbandwechsel 
wird die vordere Hülse abgenommen und nach Beendigung desselben 
wieder angelegt. 

In seltenen Fällen bilden sich als unangenehme Begleitumstände 
Ekzeme und Erytheme; es empfiehlt sich daun, abnehmbare Ver¬ 
bände zu verwenden. 

Ein weniger für den Patienten als für den Arzt unangenehmes 
Ereigniss ist das Ratschen des Verbandes« 


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744 


J. D. Ghiulamila. 


Bei kleinen kräftigen Kindern, die mit ihren fleischigen elasti¬ 
schen Füssen immerfort in Bewegung sind, kommt es, namentlich 
wenn der Verband etwas weit ist, aber auch bei exact sitzendem 
Verband, leicht vor, dass der letztere sich verschiebt. Dann erscheint 
nicht zu selten 1 oder 2 Tage darauf die Mutter mit ihrem Kind, 
unseren Verband in der Hand. 

In solchen Fällen muss man den Verband nicht etwa zu straff 
anlegen, man soll ihn so wenig wie möglich polstern, gut anmodelliren, 
in möglichster Dorsalflexion anlegen und bei der Correction einen 
starken, continuirlichen Druck auf die Planta ausöben, damit dieselbe 
eine gleichmässig ebene, nicht convexe Form erhält. 

Es kann sich ereignen, dass sich auch dieser Verband einige 
Tage später etwas verschiebt, aber der Fuss hat sich bereits an seine 
neue Stellung gewöhnt und lässt sich durch einen dritten Verband 
vollkommen fixirt halten. 

Wenn der Verband nur wenig abrutscht, so soll man ihn einige 
Tage ruhig liegen lassen, um den Fuss zu gewöhnen, und dann den 
Verband erneuern. Hat sich der Verband in stärkerer Weise ver¬ 
schoben, so wird der Fussrücken gedrückt und ein Decubitus kann 
die Folge sein. In solchen Fällen soll man den Verband sofort 
abnehmen. 

Die Festigkeit des Verbandes kann gleich nach seiner An¬ 
legung oder später durch verschiedene Momente nngflnstig beein¬ 
flusst werden. 

Lassen die Eltern in der Meinung, der Verband sei bereits 
genügend fest, das Kind wenige Stunden nach der Anlegung umher¬ 
laufen, so bricht der Verband ein, oder die Sohle wird weich. Man 
soll daher die Eltern stets anweisen, die Kinder mindestens 24 Stun¬ 
den im Bett zu halten, und, um das rasche Austrocknen zu be¬ 
günstigen, den Verband nicht zu bedecken. Ebenso kann natürlich 
auch bei Erwachsenen der Verband geschädigt werden, wenn er zu 
früh belastet wird. 

Später kann namentlich bei armen Kindern, die in ihrem Ver¬ 
band ohne Schuhwerk gehen, sich der Verband an der Sohle ab¬ 
nutzen, ohne im übrigen seine Fixation einzubüssen. Man braucht 
dann den Verband nicht abzunehmen, es genügt, die Planta zu ver¬ 
stärken. 

Bei ganz kleinen Kindern werden die Verbände oft durch den 


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Die Correction und Fixation des Elumpfusses etc. 


745 


Urin beschmutzt und in ihrer Widerstandsfähigkeit geschädigt. Wir 
verwenden bei ihnen daher Verbände, die für Wasser undurchlässig 
sind. Es gibt mehrere Verfahren, um den Verband gegen Feuchtig¬ 
keit zu schützen. Das beste, dabei recht einfache, ist, ihn, wenn er 
genügend trocken ist, mit einer alkoholischen ScheUacklösung zu 
imprägniren. Um den Verband zu schützen, bis er getrocknet ist, 
kann man ihn in eine dünne Lage nicht entfetteter, gewöhnlicher 
Watte einhüllen. 

In der Poliklinik verwenden wir gewöhnlich Wasserglas, welches 
dazu dient, den Verband zu verstärken und ihn relativ undurchlässig 
zu machen. 

Man wickelt, nachdem er gut trocken geworden ist, eine oder 
zwei Schichten einer in Wasserglas getauchten Stärkebinde an. Die 
Ränder des Verbandes und die Watte sollen damit bedeckt werden, 
ohne dass dabei die Wasserglasbinde in directe Berührung mit der 
Haut kommt. 

Man darf die Binde nicht zu stark ausdrücken und soll bei 
ihrer Anlegung sie nicht zu fest ausstreichen, da sie sonst an den 
Händen klebt und die Glätte der Oberfläche leidet. Die Binde soll 
reichlich Wasserglas enthalten, soll gut angezogen werden und bis 
zum Trocknen vollkommen unbedeckt sein. 

In der Privatpraxis kann man Gummistrümpfe verwenden, die 
bis über das Knie binaufreicben. 

Gewöhnlich sind die Mütter sorgfältig darauf bedacht, die Ver¬ 
bände durch Einhüllen in Wachsleinwand möglichst lange sauber zu 
halten. Ist aber der Verband durch Urin beschmutzt, so soll man 
einen neuen anlegen. Ich habe versucht, auf den Verband zum 
Schutze Guttapercha mittelst Aether und Chloroform aufzukleben, doch 
gibt das keine guten Resultate. — 

Wann soll man den Verband wechseln und wie lange soll man die 
Verbände fortsetzen? 

Wenn man das Redressement in mehreren Sitzungen vornimmt, 
so bleibt der Verband zunächst nur kurze Zeit liegen, dann nimmt 
man ihn ab, redressirt vollständig oder redressirt noch ein oder mehr¬ 
mals, indem man jedes Mal den Verband bis zum nächsten Redresse¬ 
ment liegen lässt. 

Ist die Fussstellung zufriedenstellend, so gibt man einen Fixations- 


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746 


J. D. Ghiulamila. 


verband für mehrere Monate. Ist der Verband nach den besprochenen 
Vorschriften angelegt und entspricht er den oben erwähnten Anfor¬ 
derungen, so kann er 2—3 Monate und länger liegen bleiben. 

In dieser Zeit erleidet das Fussskelet gewisse Form- und Structur- 
veränderungen, doch bedarf die Transformationskraft einer längeren 
Zeit, um eine der normalen Stellung des Fusses entsprechende Um¬ 
bildung zu erreichen. Der Fuss muss dazu mindestens 6—7 Monate 
im Verbände fixirt sein, dabei wechseln wir in diesem Zeitraum 
2- oder 3mal den Verband. Bei Gelegenheit des Verbandwechsels 
kann man den Fuss auch baden lassen, um die Haut von den ober¬ 
flächlichen Epidermisschichten zu befreien und den Effect der Re¬ 
dression und Fixation zu controlliren. 

Lässt man einen Fuss, der längere Zeit im Verband fixirt war, 
ohne einen solchen, so stellt sich bereits nach 12—24 Stunden ein 
Oedem ein, das erst nach 2 oder 3 Tagen verschwindet. Man soll 
daher beim Verbandwechsel den neuen Verband nicht ein paar Tage 
später anlegen, sondern sofort. 

Ist bei kleinen Kindern der Fuss einige Zeit hindurch fixirt 
gewesen und behält er seine redressirte Stellung bei, so darf man 
nicht auf jede Fixation verzichten, denn wenn dieselben noch nicht 
gehen und Stiefel oder andere Apparate nicht tragen können, so fehlt 
die Belastung, die nöthig ist, soll sich die Transformationskraft wirk¬ 
sam erweisen. 

Hier können wir nach dem letzten Gipsverband, der als Negativ 
dient, einen abnehmbaren Celluloidapparat in Calcaneo-valgus-SteUung 
arbeiten, der lange Zeit von dem Kind getragen werden kann. — 
Es empfiehlt sich, öfters auch den Gipsverband durch einen solchen 
Celluloidapparat zu ersetzen, wenn die Haut des Fusses unter dem 
Verbände leidet, oder um die Musculatur durch Massage zu kräftigen. 

Um den Verband abzunehmen, kann man ihn auf zwei 
Arten aufschneiden. Bei Erwachsenen, oder aber, wenn wir ihn 
in einen abnehmbaren Verband verwandeln wollen, schneiden wir 
ihn von oben nach unten durch zwei seitliche Längsschnitte auf, 
von denen der eine vor dem einen Malleolus, der andere hinter dem 
anderen Malleolus verläuft. So werden die Malleolen nicht gedrückt, 
und die Abnahme des Verbandes vollzieht sich leicht. Bei kleinen 
Kindern genügt gewöhnlich ein Längsschnitt in der Medianlinie auf 
der Hinterseite des Beines und der Planta. 


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Die Correction und Fixation des Klumpfusses etc. 


747 


Effect der Fixation. 

Wenn wir, nach 5 oder 6 Monaten, den letzten Fixationsver¬ 
band abnebmen, so können wir aus dem erreichten Resultat den Werth 
unserer Technik beurtheilen. 

Die Haut, die von dem Verbände bedeckt war, ist schmutzig, 



b a b a 


Fig. 9. 


Fig. 10. 



aber intact; auf der Fusssohle lässt sich die Epidermis in grossen 
Stücken abziehen, die schwieligen Verdickungen der Haut sind ver¬ 
schwunden. Das subcutane Fettpolster, besonders auf dem Fuss- 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XIII. Bd. 49 


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748 


J. D. Ghiulamila. 


rücken, wo sich früher die Haut in Falten legte und eine dorsal¬ 
convexe Vorwölbung bestand, hat sich zurückgebildet, und wir finden 
hier sogar eine Einziehung. Ara Fersentheil fühlt man unter der 
Haut das Tuber calcanei. Ira Liegen hält das Kind den Fuss in 
Calcaneo-valgus-Stellung, aber wenn wir es gehen lassen, so tritt es 
mit der ganzen Sohle auf. Der ganze Fuss steht in Abduction und 
Valgusstellung. Bei Erwachsenen haben wir dasselbe Bild, nur 
weniger ausgesprochen. Die Abbildungen (Fig. 7 —10) zeigen die 
Correction der einzelnen Componenten im Verband (a) und nach 
Abnahme desselben (b). 

Wenn wir glauben, dass das Resultat der Fixation kein ge¬ 
nügendes und nicht dauerhaft genug sein wird, können wir dieselbe 
verlängern; doch richtet sich das nach dem einzelnen Falle: Bei gut- 
situirten Patienten werden wir den Qipsverband so bald als mög¬ 
lich durch einen den Fuss in seiner redressirteu Stellung haltenden 
Schienenhülsenapparat ersetzen. 

Bei Erwachsenen muss man auf die Bewegungsfäbigkeit der 
Fussgelenke besondere Rücksicht nehmen, da bereits nach ömonat- 
licher Fixation trotz wohlgelungenem Redressement die Bewegungen 
der Fussgelenke fast vollkommen aufgehoben zu sein pflegen. Bei 
Kindern bleibt die Beweglichkeit in den Fussgelenken trotz jahrelanger 
Fixation erhalten. 

In allen Fällen tritt nun als dritter Theil der Methode die 
Nachbehandlung in ihr Recht. 

Man hat dieser langdauernden Fixation im Gipsverbande die 
sich einstellende Muskelatrophie zum Vorwurf gemacht. Das 
würde natürlich ein grosser Uebelstaiid sein. 

Meiner Erfahrung nach haben derartige hochgradige Atrophien ihre 
Ursache in einer ungenügendenVerbandtechnik und allzu langen Fixirung. 

Ich habe, um mich in dieser Beziehung keinen Täuschungen 
hinzugeben, systematische Messungen vorgenommen und nach fimonat- 
licher Fixation nur sehr geringe oder gar keine Verminderung des 
Umfangs der Wadenmusculatur feststellen können. 

Wenn man den Verband auf die beschriebene VTeise anlegt, 
so können die Muskeln in dem Verband functioniren, wenn das Kind 
läuft oder sein Bein bewegt. An dem Auftreten stärkerer Atrophie 
ist gewöhnlich eine zu feste Anlegung des Verbandes schuld. Nimmt 
man einen solchen Verband ab, ist die Haut welk und faltig und 
die Muskeln sind comprimirt. 


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Die Correction und Fixation des Klumpfusses etc. 


749 


Eine Abmagerung der Musculatur entsteht namentlich, wenn 
man wegen unzureichender Verbandtechnik immer wieder aufs neue 
jahrelang hindurch immobilisirt. 

Kommen solche bereits (allerdings schlecht) behandelte Fälle 
zu uns, so soll man zunächst in extrem übercorrigirter Stellung einen 
wirklich gut anmodellirten Verband für 3—4 Monate anlegen; danach 
Massage und abnehmbare Schienenhülsenapparate. 

Noch ein Wort über das Alter, in dem man mit dem 
Anlegen der Gipsverbände beginnen soll. 

Bei Säuglingen in den ersten Monaten ist es nicht leicht, einen 
gut sitzenden Verband zu machen. Ich habe schon bei Kindern von 
2—3 Wochen Gipsverbände angelegt, die ohne Schaden ertragen 
wurden. Doch ist es gut, den Verband bei ihnen alle 3 oder 4 Wochen 
zu wechseln, weil die Haut sehr empfindlich ist. Bei 2- oder 3monat- 
lichen Kindern kann man bei guter Technik leicht Verbände machen, 
die allen Ansprüchen genügen. Sie müssen wegen des raschen 
Wachsthums des Fusses alle 4—6 Wochen erneuert werden. Bei 
lebhaften und kräftigen Kindern muss man besonders darauf achten, 
dass der Verband sich nicht verschiebt. 


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These. Montpellier 1897. 

2. Armann, Die Behandlung des Klumpfusses. Jahrb. f. Kinderheilkunde 

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12. Fink, Julius, Die Therapie der Klumpfüsse Neugeborener in den ersten 

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13. Fröhlich (Nancy), Du traitement du pied bot chez le nourrisson par le 

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14. Graser, Ueber Klumpfussbehandlung. Chirurgencongress 1888und Langen- 

beck's Aich. Bd. 37 S. 824. 

15. Gutsche, Ueber Klumpfuss und Klumpfussbehandlung. Diss. Halle 1896. 

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17. Hahn, Zur Behandlung des Pes varus. Berl. klin. Wochenschr. 1883, Nr. 12. 

18. Heusner, Ueber Aetiologie und Behandlung des angeborenen Klumpfusses. 

Chirurgencongress 1899 und Arch. f. klin. Chir. 1899, Bd. 59 S. 206. 

19. Hoffa, Die moderne Behandlung des Klumpfusses. München 1899 und 

Lehrbuch d. orthop. Chir. Stuttgart 1902, 4. Aufl. 

20. Joachimsthal, Functionelle Form Veränderung an den Muskeln. Langen- 

beck’s Arch. Bd. 54 Heft 3. 

21. Kaposi, Zwei bisher nicht beobachtete Unfälle nach modellirendem Re¬ 

dressement. Münchn. med. Wochenschr. 1899, Nr. 23. 

22. Kirmisson, Anatomie pathologique et traitement du pied bot varus 

equin congenital. Rev. d’orthop. 1896, Nr. 3 et 4. 

23. Derselbe, Lehrbuch der chirurgischen Krankheiten angeborenen Ursprungs. 

1899. 

24. König, F., Die unblutige gewaltsame Beseitigung des Klumpfusses. Chi¬ 

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25. Derselbe, Lehrbuch der speciellen Chirurgie 1898—1900, 7. Aufl. 

26. Kraus, Die Orthopädie und ihre Heilerfolge bei Pes varus. Deutsche 

Zeitschr. f. Chir. Bd. 27 S. 185. 

27. Derselbe, Therapie des Klumpfusses in der Heidelberger Universitäts¬ 

klinik. Ibid. Bd. 28 S. 317. 

28. Kocher, Zur Aetiologie und Therapie des Pes varus congenitus. Deutsche 

Zeitschr. f. Chir. 1878, Bd. 9. 

29. L e V y, Zur Klumpfussbehandlung. Zeitschr. f. orthop. Chir. Bd. 2 S. 370. 

.30. Lieblein, Ueber den articulirenden Gipsverband und seine Anwen¬ 
dung zur Behandlung angeborener und erworbener Deformitäten. Beitr. 
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31. Lorenz, Heilung des Klumpfusses durch das modellirende Redressement. 
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.32. Lücke, Ueber d. angebor. Klumpfuss. Samml. klin. Vortr. 1. Reihe, Nr. 16. 

33. V. Mosengiel, Fixationsmethode des Fusses in einer erzwungenen Stellung 

beim Erhärten des Gipsverbandes. Arch. f. klin. Chir. 1874, Bd. 16. 

34. Neuber , Zur Klumpfussbehandlung. Arch. f. klin. Chir. 1899, Bd. 59 S. 335. 


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Die Correction und Fixation des Elumpfusses etc. 


751 


35. ▼. Oettingen, Die Behandlung des angeborenen Elumpfusses beim Säug¬ 
ling. Berl. klin. Wochenschr. 1902. 

86. Schanz, 1000 Patienten. Zeitscbr. f. ortbop. Cbir. Bd. 8 S. 24. 

87. Schnitze, Beitrag zur Behandlung des Elumpfusses. Zeitscbr. f. orthop. 

Chir. Bd. 8 S. 306. 

88. Sprengel, Zur Behandlung des angeborenen Elumpfusses. Zeitscbr. f. 

orthop. Cbir. Bd. 10 Heft 24, 3. 

39. Strübe, Bericht über die Hoeftmann'scbe Elinik« Zeitscbr. f. ortbop. 

Chir. Bd. 9 S. 223. 

40. Vulpius, Ueber die Behandlung des Elumpfusses Erwachsener. Münchn. 

med. Wochenschr. 1901, Nr. 1. 

41. Derselbe, Zur Heilung des angeborenen Elumpfusses. Münchn. med. 

Wochenschr. 1896, Nr. 21. 

42. Wolff, J., Ueber Elumpfussbehandlung. Arch. f. klin. Chir. Bd. 21 S. 90. 

43. Derselbe, Ein portativer Elumpfussverband. Ibid. Bd. 20. 

44. Derselbe, Ueber den Etappen verband bei Fussdeformitäten. Berl. klin. 

Wochenschr. 1893, Nr. 22. 

45. Derselbe, Zur Elumpfussbehandlung mittelst des portativen Wasserglas¬ 

verbandes. Berl. klin. Wochenschr. 1889, Nr. 8. 

46. Derselbe, Ueber die Ursachen, das Wesen und die Behandlung des Elump- 

fusses. Berlin 1908, Hirschwald. 


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LI. 


Ein einfacher Detorsionsbiigel zum Hessing’schen 
Skoliosencorset. 

Von 

Dr. C. Wahl-München. 

Mit 2 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Bezüglich des Nutzens von Corsets bei der Skoliosenbehand¬ 
lung herrschen unter den Orthopäden recht verschiedene Anschau¬ 
ungen. Während die einen ihre HaupthoflFnung auf das Corset 
setzen, sprechen ihm die anderen jede Bedeutung in der Skoliosen- 
therapie ab. Nach meiner Ueberzeugung schiesst jede der beiden 
Parteien über das Ziel hinaus. Während ich einerseits behaupte, 
dass durch Corsetbehandluug allein wohl kaum je eine Skoliose ge¬ 
heilt wurde, möchte ich andrerseits das orthopädische Corset als 
werthvollen Bundesgenossen im Kampfe gegen den Schiefwuchs 
nicht missen. 

Was nun die Art der Corsets anbelangt, so verfertigte ich 
früher solche aus Celluloid und anderen Materialien über corrigirten 
Gipsmodellen an. Seit 2 Jahren fertige ich dagegen nur noch nach 
Maass gearbeitete Stoffcorsets mit Stahleinlagen nach der Hessing- 
schen Construction bei Schiefwuchs an. 

Ich finde, dass bei dieser Art von Corsets, wenn auch nicht 
das wünschenswerthe stärkste Redressement, so doch eine ansehn¬ 
liche Redression bei dem geringsten Masse von Belästigung für den 
Patienten erzielt wird; und das ist nach meiner Ansicht alles, was 
man von einem orthopädischen Corset zu verlangen berechtigt ist. 

Bekanntlich besteht das Gerippe des Hessing'schen StoflFcorsets 
aus Hüftbügel, Rückenschienen und Armkrücken, deren Anordnung 
aus Fig. 1 ersichtlich ist. 

In dieser einfachen Ausführung wird aber das Stoffcorset den 
an dasselbe gestellten Anforderungen nur zum Theil gerecht. Die 


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Ein einfacher Detorsionsbügel zum Hessing'schen Skoliosencorset. 753 


Rückenschiene über dem Rippenbuckel hat ja die Aufgabe, einen 
federnden Druck auf denselben auszuUben, in Wirklichkeit erweist 
sich aber dieser Druck nach den gegebenen mechanischen Verhält¬ 
nissen als unzureichend, um eine nennenswerthe detorquirende Wir¬ 
kung hervorzurufen. Es sind daher mannigfache Versuche gemacht 
worden, diese detorquirende Wirkung durch Pelotten, die meist am 
HflftbUgel festsitzen, zu erreichen. 

Ein weiterer empfindlicher Nachtheil des StoflFcorsets besteht 


Fig. 1. Fig. 2. 



darin, dass sich bei ihm die so sehr wünschenswerthe hohle Lagerung 
des tiefliegenden Rückentheiles nur schlecht bewerkstelligen lässt. 

Ich glaube, durch eine einfache Vorrichtung den gerügten 
Nachtheilen des StoflFcorsets in befriedigender Weise abgeholfen 
zu haben, die sich mir in allen Fällen von Schiefwuchs mit starker 
Torsion des Thorax gut bewährte. 

Wie aus Fig. 2 ersichtlich ist, führe ich in der Höhe des 
Rippenbuckels von der Axillarlinie der tiefliegenden Seite horizontal 
einen Bügel nach dem Gipfel des Rippenbuckels. Der Bügel besteht 
aus starkem Federstahl und ist an seinem einen Ende an den Stäben 
der einen Acbselstütze durch Schrauben befestigt, geht unter der 
Rückenschiene der eingesunkenen Thoraxhälfte durch, um am anderen 
Ende, durch eine kleine Pelotte verbreitert, auf den Rippenbuckel 
zu drücken. 

Auf diese Weise wird einerseits die tiefliegende Seite des 
Thorax hohl gelegt und überbrückt, andererseits der durch das Be¬ 
streben des Gorsets, sich der tiefliegenden Seite anzulegen, erzeugte 


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754 


C. Wahl. Ein einfacher Detorsionsbügel etc. 


Druck und der Druck der Feder auf den Rippenbuckel übertragen 
und so zur Detorsion verwendet. 

Die Krümmung des Bügels entspricht dem horizontalen Profil 
des Rippenbuckels und wird durch einen Abdruck mit Bleidraht 
gegeben. 

Ich bringe den Bügel erst an, wenn das Corset schon ganz 
vollendet ist und die übrigen Stahlschienen schon auf dem Stoff be¬ 
festigt sind. 

Die Vorrichtung lässt sich deshalb auch an jedem alten Stoff- 
corset mit Leichtigkeit anbringen. 

Die Wirkung des beschriebenen Detorsionsbügels ist eine so 
gute, dass ich kein Stoffcorset mehr bei Skoliose mit starker Torsion 
ohne denselben anfertige. Auch der kosmetische Effekt dieser Con- 
struction ist überraschend günstig. 


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LII. 

Ein modificirter Osteoklast-ßedressenr. 


Von 

t F. Beely. 

Mit 3 in den Text gedruckten Abbildungen. 


Im Jahre 1893 demonstrirte Halsted Mjers^) auf der 
VIL Versammlung der Amerikanischen Gesellschaft für Orthopädie 
ein Instrument, das er „Doppelhebel-Streckapparat“ (double-lever- 
stretching Apparatus) nannte, das zum gewaltsamen Redressement 
von Klumpfüssen bestimmt war, aber auch erfolgreich von ihm in 
4 Fällen von Verkrümmung der Tibia und in 4 Fällen von Genu 
valgum bei Kindern zwischen 4 und 6 Jahren als Osteoklast an¬ 
gewandt worden war. Bei zwei Kindern zwischen 5 und 6 Jahren 
mit Genu valgum gelangte Myers allerdings nicht zum Ziel; die 
nachfolgende Osteotomie ergab Sklerose des 
Knochens und erklärte auf diese Weise den 
Misserfolg. 

Dieser Apparat (Fig. 1) zeichnet sich 
durch Einfachheit aus. Er besteht aus zwei 
Hebelarmen, deren eines Ende als Handgriff 
benutzt wird, deren anderes die darauf 
senkrecht stehenden kurzen Greifarme A, 

Ä' und B trägt. Man könnte den einen 
(Fig. la) als männlichen, den zweiten 
(Fig. 1 b) als weiblichen bezeichnen. 

Der männliche Arm gleicht dem als 
„Thomas Wrench“ bekannten Instrument und kann auch für sich 
als solcher benutzt werden, der weibliche Arm ist genau ebenso 


Fig. 1. 

a b 


c 

A 

B 


N H 


c 

A' 

D 


*) „Forcible Correction of Club-Foot by a Double-Lever-Stretching Appa> 
ratu8.‘ Transactions of the American Orthopädie Association. Seventh annual 
Meeting, held at St. Louis, Sept. 19, 20 and 21, 1893, Vol. VI. Philadelphia 1894. 


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756 


t F. Beely. 


geformt, nur hat er an Stelle des zweiten senkrechten Greifarmes S 
eine Oeffnung D, in die der Arm B hineinpasst. 

Eine einfache Gleitvorrichtung ermöglicht es, die Greifarme 
Ay A' und B einander zu nähern und durch eine Fitigelschraube C 
festzustellen. 

Soll das Instrument als Doppelbebel benutzt werden, so steckt 
man den Stift B durch die Oeffnung JD und schiebt tiber den Stift, 
einen dicken Kautschukschlauch, in gleicher Weise werden auch die 
Stifte A und A' tiberzogen. 

Zur Correction der Adductionsstellung im Tibiotarsalgelenk 
wird das Instrument so angelegt, dass der gemeinsame Greifarm S 
sich unterhalb des Mall, ext., die beiden Greifarme A und A' unter¬ 
halb und oberhalb des Mall. int. befinden; durch das Auseinander- 
ftihren der langen Hebelarme erfolgt die Correction. 

Zur Beseitigung der Adductionsstellung des Metatarsus in den 
Tarsalgelenken wird der gemeinsame Greifarm B an der Aussen- 

Seite des Fusses, die beiden ande¬ 
ren Arme A und A' an der Innen¬ 
seite angelegt (Fig. 2). Bei der 
Bekämpfung der Plantarflexion im 
Tibiotarsalgelenk lässt sich der 
Arm a des Apparates (Fig. 1) ohne 
oder mit Tenotomie der Achilles¬ 
sehne in Form des Thomas’schen 
Instrumentes anwenden. 

Bei der Benutzung als Osteo¬ 
klast wird der gemeinsame Greif¬ 
arm B auf den höchsten Punkt der 
Convexität, dort, wo die Fractur 
erfolgen soll, die beiden anderen 
Greifarme an der entgegengesetz¬ 
ten Seite angelegt. 

Der Eautschuktiberzug dreht 
sich bei der Benutzung des Instru¬ 
ments iiuf den Greifarmen, so dass eine gewaltsame Dehnung der 
Haut, die sich unter denselben verschieben kann, vermieden wird, 
doch kann man die Haut auch noch durch aufgelegte dicke Platten 
von Schabrackenfilz schlitzen. 

Es hat sich mir dieser einfache und billige Apparat recht 



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Ein modificirter OsteoklastRedressenr. 


757 


brauchbar erwiesen, besonders in einem Fall von Elumpfuss bei 
einem sehr kräftigen Patienten. Trotz der Anwendung recht grosser 
Gewalt kam es nirgends zu Druckstellen. 

Etwas unbequem war mir nur der Umstand, dass die Greif¬ 
arme, sobald das Redressement etwas weiter gelungen war, sich 
lockerten, das Glied nicht mehr fest genug fassten und von neuem 
angezogen und festgestellt werden mussten. 

Als daher der bekannte Fabrikant Stille im Jahre 1900 
einen Thomas’schen Apparat auf den Markt brachte, bei dem 
mittelst einer Schraube ohne Ende durch einfaches Drehen der Hand¬ 
griffe die Greifarme einander genähert oder von einander entfernt 
werden konnten, veranlasste ich ihn, diesen Mechanismus auch bei 
Halsted Mjers Instrument anzubringen. Und das Endresultat war 
nach wiederholten Aenderungen schliesslich der in Fig. 3 abgebildete 
Apparat. 

Er wirkt in derselben Weise wie der von Myers, nur kann 
er nicht in zwei Theile zerlegt und als Thomas Wrench gebraucht 
werden. Er war von vornherein für ältere 
Patienten berechnet und wurde daher 
grösser und kräftiger gebaut. Will man 
ihn als einfachen Hebel anwenden, so 
muss man beide Hebelarme dicht an ein¬ 
ander legen und ihn in dieser Form be¬ 
nutzen. Damit Kaum für die Hände zum 
Drehen der Handgriffe bleibt, kann zwi¬ 
schen die Arme vor den Handgriffen ein 
Holzstück eingeklemmt werden. 

Dieses Instrument hat vor dem von 
Myers den Vortheil voraus, dass man 
in jedem Augenblick die Qreifarme ein¬ 
ander nähern und damit fester fassen, 
oder sie von einander entfernen und lösen 
kann, ohne dass man die Handgriffe los¬ 
zulassen braucht. — Dreht man die Handgriffe nach innen, so nähern 
sich die Qreifarme, dreht man sie nach aussen, so entfernen sie sich 
von einander. Das Schraubengewinde ist am rechten Hebelarm links 
gewunden, am linken Hebelarm rechts gewunden. 

Für gewöhnliche Fälle wird die einfache Drehung der Hand¬ 
griffe durch den Operateur genügen, wo grössere Kraft erforderlich 


Fig. 3. 



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758 


t F. Beely. Ein modificirter Osteoklasi-Redresseur. 


ist, kaon ein Assistent mit einem Schlüssel, der am Griffende der 
langen Hebelarme angesetzt wird, nacbhelfen. 

Knochen von der Stärke einer Phalanx kann man durch ein¬ 
faches Drehen der Griffe nach innen, wobei die Greifarme sich ein¬ 
ander nähern, brechen, ohne die Handgriffe von einander zu ent¬ 
fernen. Diese Art der Anwendung des Apparates eignet sich fOr 
kleinere Objecte, bei denen man ein Abgleiten der Grei&rme be 
fürchten muss, wenn die Handgriffe von einander entfernt werden. 

Der Apparat kann von Herrn Stille in Stockholm bezogen 
werden. 


Obiges Manuscript fanden wir kürzlich unter dem Nachlasse 
des Sanitätsraths Dr. F. Beely. Wir fühlen uns verpflichtet, es 
auch jetzt noch zu publiciren, einestheils aus Pietät gegen den ye^ 
storbenen, anderentheils weil wir den Apparat in mehreren Fällen 
von schwerem Klumpfuss mit bestem Erfolge anwandten und ihn 
sehr empfehlen können. 

Dr. Fopp und Dr. Eckstein. 


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LIII. 


Bmcli der unteren Epiphyse des Radius bei 
Automobilmechanikern. 

Von 

Prof. Dr, C. Ohillini^ Bologna. 

Der Automobilismus liefert einen neuen Beitrag zu einem der 
gewöhnlichsten Brüche, dem von Pouteau oder von Colles, d. h. dem 
Bruch des unteren Radiusendes. 

Der Mechaniker Ludwig (Luigi) ärazia, 34 Jahre alt, aus 
Bologna, ein tüchtiger Specialist im Automobilismus, erlitt eine 
solche Verletzung und suchte Hilfe in meiner Klinik. 

Ich legte ihm einen Schienenverband an und dann einen be¬ 
wegbaren Gipsapparat, um die Massage gut ausführen zu können, 
und erzielte vollständige Heilung. 

Ich wiederhole hier die Beschreibung des Traumas, wie sie 
mir von dem Patienten selbst gemacht wurde. 

Um den Motor eines Automobils in Bewegung zu setzen, muss 
man mit der Kurbel eine Bewegung machen, um den Druck des 
Gases im Cylinder zu fühlen. Da man jedoch die Kurbel ergreifen 
muss, wenn sich dieselbe in horizontaler Lage befindet^ um den 
Druck des Cylinders zu bewältigen, so muss man eine grosse Kraft 
anwenden, damit die Kurbel ihren tiefsten Punkt erreicht. 

Geschieht die Entzündung des Gases auf normale Weise, d. h. 
nicht zu früh und nicht zu spät, so muss die Kraftanwendung, um 
den Druck zu überwinden, ganz plötzlich ausgeführt werden, die 
Kurbel macht dann eine Vierteldrehung, die Explosion des Gases 
bewegt den Motor, und die Kurbel bleibt frei. 

Wenn jedoch die Entzündung des Gases zu rasch vor sich geht, 
d. h. bevor der Kolben (im Cylinder) den Punkt des höchsten Druckes 
erreicht, dann geht durch die Explosion der Kolben zurück, gibt 
der Kurbel, welche tief steht, einen heftigen Stoss, und die Hand, 


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760 


C. Ghillini. 


welche sich auf derselben in verticaler Stellung befindet, erhält den 
Stoss auf die Handfläche in der Gegend des Ballens. 

Auf diese Weise erfolgte in unserem Falle der Bruch der 
unteren Epiphyse des Radius. 

Ist der Kurbelzapfen nicht ganz genau eingepasst, so dass der¬ 
selbe sich bewegt, oder gar bricht, dann erzeugt der Stoss häufig 
eine Ausrenkung des Daumens. 

In den Fällen, in welchen keine der angeführten Verletzungen 
vorkommt, verspürt der Mechaniker infolge des Stosses einen Schmerz 
im Ellenbogen in der Gegend des Olecranon und dieses ist von 
Wichtigkeit in Bezug auf die Erklärung des Mechanismus des 
Bruches. 

Die Mechaniker der Automobilmotoren suchen deshalb immer, 
um die Heftigkeit des Traumas abzuschwächen, dass der Stoss wo¬ 
möglich dann erfolgt, wenn die Hand sich oben befindet, d. h. sie 
ergreifen die Kurbel an ihrer tiefsten Stelle, indem sie die Drehung 
nach oben ausführen, dann trifft der Stoss die Finger, und da ist 
es leicht möglich, dass die Kurbel der Hand entschlüpft. 

Die Chirurgische Gesellschaft in Paris beschäftigte sich in 
ihrer Versammlung vom 27. Januar 1904 mit den Radiusbrüchen, 
hervorgerufen durch das Bewegen der Kurbel am Automobil. 

Lucas Champoni^re sagte: „Die Kurbel, welche den Auto¬ 
mobilmotor in Bewegung setzt, kann durch eine Rückwärtsbewegung 
den Vorderarm der Person treffen, welche sie bewegt, und so einen 
directen Bruch herbeiführen, ähnlich dem, welcher hie und da vor¬ 
kommt, wenn der Vorderarm einen heftigen Schlag erhält durch die 
Kurbel, welche dazu dient, die eisernen Rolläden an den Schau¬ 
fenstern herunter zu lassen. 

Allein man hat noch eine andere Art von Radiusbruch, welcher 
durch die gleiche Ursache hervorgerufen wird. 

Es kommt vor, dass der Mechaniker die Hand, welche die 
Kurbel in dem Moment, wo der Stoss erfolgt, hält, nicht rasch 
genug wegziehen kann; die Hand wird dann nach rückwärts ge¬ 
bogen, dadurch wird ein heftiger Zug hervorgerufen, welcher einen 
Rissbruch der unteren Extremitäten des Radius verursachen kann. 
Hier handelt es sich also um einen indirekten Bruch, ähnlich dem, 
der gewöhnlich durch einen Sturz auf die Handfläche entsteht.“ 

Ljot und Demoul in schildern ebenfalls Fälle, von ihnen 
beobachtet, und Walther berichtet: 


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Bruch der unteren Epiphyse des Radius bei Automobilmechanikem. 761 


,Ausser den directen und indirecten Brüchen, von denen uns 
Lucas Champoniere spricht, existiert noch ein dritter Typus von 
Trauma, das typische der Faust, ähnlich dem Schlag, hervorgerufen 
durch das Inbewegungsetzen der Kurbel der Automobilmotoren, d. h. 
eine directe Zerreissung (Ausreissung) durch Zug: Ich konnte einen 
Kranken beobachten, welchem die Hand wirklich ohne Hautverletzung 
ausgerissen war, mit vollständiger Continuitätstrennung aller Gelenks¬ 
ansätze, und incompleter Reissung, oder wenigstens heftiger Zerrung 
der Nerven.“ 

Die Beweglichkeit und das Gefühl trat erst nach 18 Monaten 
wieder ein. 

Ich möchte mich jetzt mit dem Mechanismus des typischen 
Radiusbruches auf indirectem Wege, wie der vorgeführte Patient ihn 
aufzuweisen hat, beschäftigen. 

Um den Mechanismus des Bruches zu erklären, beschreibt 
N^laton sein klassisches Experiment, welches dann von allen 
Studirenden geprüft wurde, folgendermassen. 

Wir veranlassen unsere Schüler, um das Studium dieser Brüche 
zu erleichtern, solche am Kadaver auszuführen. Man kommt damit 
auf folgende Weise leicht zu Stande. 

Es wird der Vorderarm am Ellenbogengelenk amputirt, dann 
trennt man mit einem Sägeschnitt das Olecranon im Niveau der 
oberen Gelenkfläche des Radius. Die Handfläche wird alsdann auf 
ein starkes Brett gestützt, der Vorderarm in rechtem Winkel zu 
der Handfläche erhoben und in verticaler Haltung gehalten, während 
man mit einem schweren Körper auf die oberen Extremitäten der 
beiden Knochen des Vorderarmes schlägt. Ein Knirschen und eine 
Deformation der Faust zeigen an, dass eine Fractur stattgefunden hat. 

Die Secirung zeigt eine Continuitätstrennung des Knochens, 
welche durch ihren Sitz, ihre Richtung, durch die Art der Ver¬ 
schiebung der Knochensplitter, derjenigen gleicht, welche man in 
der Praxis täglich beobachten kann, hervorgerufen durch einen Sturz 
auf die Handfläche. 

Der Knochen, welcher durch zwei entgegengesetzte Kräfte be¬ 
ansprucht wird, der Widerstand des Bodens einerseits, und das Ge¬ 
wicht des Körpers, welches vom Ober- und Vorderarm auf die Hand¬ 
fläche übertragen wird, andererseits, versucht sich zu biegen, und 
bricht dann an dem Punkte, wo er am schwächsten ist, d. h. da, 
wo das compacte Gewebe aufhört und das schwammige anfängt. 


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762 


C. Ghillini. 


Den Bruch durch Biegung des Knochens bestätigen mit 
N^laton auch Dupuytren, Malgaigne, Bonnet, Goirand., 
Gosselin, Lopes, Bähr, Hennequin, Rzehulka, Voillemier, 
Velpeau, Barton und Packard. Lecomte, welcher seinen 
Namen an die Theorie des Ausreissens gebunden, sucht zu be¬ 
weisen : 

1. dass bei dem Sturz auf die Handfläche der Stoss, welcher 
durch den Widerstand des Bodens hervorgerufen wird, niemals direct 
auf die untere Extremität des Radius übertragen wird, und dass 
die Theorie der directen Uebertragung des Stosses nicht begründet ist; 

2. dass bei dem Stürzen mit Bruch die Hyperextention immer 
eine beständige und sichere Erscheinung ist; 

3. dass Streckung für sich allein schon einen Rissbruch her- 
vorrufen kann; 

4. dass bei der Mehrzahl der Fälle das Ausreissen hervor¬ 
gerufen wird durch die Concentration auf den vorderen Bandapparat 
des Radius-Carpale, durch die Ausdehnung infolge der gewaltsamen 
Streckung und durch die Gewalt des senkrechten Druckes auf die 
Serie des Carpalknochens. 

Diese Ansicht wird auch von Tillaux, König, Poggi, 
Linhart, Honigschmid, Buonomo, Lucas Champoniere 
und Ljot getheilt. 

Es bestehen somit bis jetzt zwei Theorien, um den Mechanis¬ 
mus dieses Bruches zu erklären. Die Theorie der Biegung des 
Radius und die Risstheorie. 

Ich glaube dagegen, dass man den Mechanismus folgender- 
massen erklären muss. 

Beim Stoss empfängt die untere Epiphyse des Radius, welche 
auf den Carpalknochen drückt, die vollständige Wirkung direct, 
ohne elastischen Zwischenapparat, welcher denselben zu schwächen 
vermag. 

Unter diesem Einfluss kann die untere Extremität des Radius, 
je nach der Art und Richtung des Stosses gebrochen werden, ent¬ 
weder durch Schnitt (reiner Bruch mit oder ohne parallele Ver¬ 
schiebung des kleinen Fragmentes) oder durch Schnitt und Knickung 
(Bruch mit Verschiebung des kleinen Fragmentes, Verschiebung be¬ 
gleitet mit Rotation) oder durch Quetschung, hauptsächlich in Be¬ 
tracht der speciellen patliologischen Bedingungen des Knochengewebes 
(comminutiver Bruch). 


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Bruch der unteren Epiphyse des Radius bei Automobilmechanikem. 763 

Die Ursache, weshalb der Bruch an dem Radius und nicht an 
dem Cubitus stattfindet, muss darin gesucht werden, dass die Wirkung 
des Stosses vom Radius auf den Cubitus übertragen wird und zwar 
vermittelst der Bänder, welche durch ihre Elasticität nothwendiger- 
weise die Wirkung des Stosses abschwächen müssen, indem dieselben 
sozusagen die Verrichtung einer eingeführten Feder übernehmen. 

Im Radius muss der Bruch an der unteren Extremität statt¬ 
finden, weil das Ligamentum interosseum den ganzen mittleren Theil 
der beiden Knochen des Vorderarmes einnimmt, und weil infolge 
dessen der obere Theil keine Ueberanstrengung aushalten muss, oder 
doch nur eine sehr geringe, da die Bänder solche schon auf den 
Cubitus übertragen haben. 

Kommt es nicht zum Bruch des Radius, so muss sich die 
Wirkung stets im Ellenbogen fühlbar machen, wo sich der Cubitus 
auf den Humerus stützt, d. h. in der Gegend des Olecranon, und 
thatsächlich verspüren die Automobilmechaniker bei dem Stoss der 
Kurbel einen Schmerz im Kopf des Ellenbogenbeines (Olecranon). 

Lecomte und die Vertreter der Risstheorie erklären den Bruch 
der unteren Epiphyse des Radius durch einen Sturz auf die Hand¬ 
fläche, wenn die Hand in übertriebener Dorsalflexion, durch die 
Wirkung der ausserordentlich stark gespannten Bänder steht. Dieses 
kann jedoch nicht nur allein durch Einwirkung von Spannung ge¬ 
schehen. 

In der That, wenn man die Hand langsam ohne Stoss biegt, 
wird nie ein Radiusbruch stattfinden, was ich an den von mir selbst 
ausgeführten Experimenten bestätigen kann. 

Die sogen. Kautschukmänner können, wie alle wissen, bei ihren 
Hebungen ihre Bänder bis zur Verschiebung der Gelenksoberflächen 
strecken, ohne dass dadurch Brüche stattfinden. 

Es ist dies demnach einzig eine Erscheinung von verschiedener 
Verlheilung der Belastung, da es bekannt ist, dass auch ein weiches 
Material grosse Belastungen tragen kann, sobald solche nur gleich- 
massig auf jede Flächeneinheit vertheilt sind. 

Es sei mir hinsichtlich dieses erlaubt, ein sehr vulgäres Bei¬ 
spiel anzuführen. Ein Mann, welcher auf einem Schneefeld geht, 
wird sicher einsinken, doch sobald er breite Schneeschuhe (Sky) an¬ 
legt, kann er, ohne Gefahr einzusinken, auf dem Schnee gehen. 

Die übertriebene Dorsal- sowie auch die Palmarflexion bedingt, 

wie aus dem Studium des Radio-Carpal-Gelenkes hervorgeht, dass 
Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XIII. Bd. 5Q 


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764 


C. Ghillini. Bruch der unteren Epiphyse des Radius etc. 


die Berührung zwischen der ersten Knochenreihe des Carpus und 
des Radius statt auf eine ausgedehnte Oberfläche, sich nur auf 
wenige Punkte beschränkt, und dadurch wird die Einwirkung des 
Stosses auf die Flächeneinheit grösser, und mithin die Zersplitterung 
infolge dessen geringer. 

Die Bänder haben keine andere Verrichtung, als diejenige, die 
verschiedenen Theile des Skelettes fest verbunden zu erhalten. 

Schliesslich wird bei Stoss durch das Fallen auf die Handfläche, 
oder durch Einwirkung der Kurbel des Automobils bei der Be¬ 
rührung des Scheitels des Carpus und der Gelenkhöhlung des Radius, 
eine Pressung ausgeübt, welche je nach den verschiedenen Stellungen 
der Hand — Flexion, Extension, Abduction, Adduction — auf die 
ganze Gelenkhöhle des Radius, oder auch nur auf einen Theil der¬ 
selben vertheilt wird. 

Unter dem Einfluss dieser Pressung, welche plötzlich wirkt, 
da sie durch den Stoss hervorgerufen wird, kann der Bruch um so 
leichter stattfinden, je mehr die Berührungsfläche der Knochen be¬ 
schränkt ist. (Je grösser die Dorsal- oder Palmarflexion der Hand 
ist, um so geringer ist die Berührung.) Je nach der Richtung kann 
dieser Bruch ein einfacher Schnitt oder Zersplitterung, oder Bie¬ 
gung in Verbindung mit Schnitt, oder auch Quetschung sein. 

Mit den von mir gemachten Beobachtungen glaube ich das 
allgemeine Gesetz erklärt zu haben, weshalb der Bruch im Radius 
und genau in seiner unteren Extremität stattfindet, anstatt in der 
Diaphyse, oder in der Ellenbogenröhre. 

Diese Verletzung, welcher die Automobilmechaniker trotz aller 
Vorsicht sehr häufig unterworfen sind, kann als eine Art professio¬ 
nellen Unfalls betrachtet werden und es ist deshalb nur billig, dass 
man von Seiten der Industriellen und der Besitzer von Automobilen 
daran denkt, die Arbeiter gegen einen solchen Unfall zu versichern. 


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LIV. 

(Aus dem k. k. Universitäts-Ambulatorium für orthopädische Chirurgie 
des Professor Adolf Lorenz in Wien.) 

Die axillare Abduction in der Behandlung der 
congenitalen Hüftgelenksverrenkung'). 

Von 

Dr. Robert Werndorff. 

Mit 17 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Es sei mir gestattet, im Folgenden einen kleinen Beitrag zu 
der Frage zu liefern, wie man in der Behandlung der angeborenen 
Hüftgelenksverrenkung in einzelnen Fällen gegen das Entstehen 
einer Reluxation nach vorne und oben, der Transposition, oft erfolg¬ 
reich ankämpfen kann. 

Es wurde in letzter Zeit von verschiedenen Seiten die Forde¬ 
rung aufgestellt, die von Lorenz angegebene rechtwinklige resp. 
negative Abductionsstellung zu Gunsten einer Primärstellung in ver¬ 
minderter mit Innenrotation verbundener Abduction zu verlassen. 
Die Wahl einer solchen Primärstellung wird ja bei sehr guten 
anatomischen Verhältnissen manchmal zu dem gewünschten Erfolge 
führen, aber aus dieser Methode eine Regel zu machen, dazu konnten 
wir uns nie entschliessen, sondern wir sind einer extremen Stellung 
als Primärstellung immer treu geblieben, ja ich bin sogar in der 
Lage, Ihnen an der Hand von Röntgenbildern und eines anatomischen 
Präparates zu zeigen, dass man durch die Ungunst der anatomischen 
Verhältnisse manchmal gezwungen sein kann, eine allerextremste 
Stellung zu wählen, eine Stellung, für welche ich den Namen axillare 
Abduction vorschlagen möchte. 

Die Frage der mit Innenrotation verbundenen Abduction von 
60 ® kann doch nur bei sehr stark antevertirtem Kopfe aufgeworfen 
werden. Bei günstigerer Entwickelung dieses Gelenktheiles läuft man 
ja in dieser Stellung Gefahr, den Kopf über den hinteren Pfannen¬ 
rand zu reluxiren. 

*) Nach einem Vortrage, gehalten auf dem Naturforschertage in Breslau 1904. 


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766 


Robert VVerndoift’. 


Und welchen Nutzen soll diese Primärstellung bei stark ante- 
vertirtem Kopf bringen? Natürlich kann man durch die Innenrotation 
bei Abduction von 60 ® einen hochgradig antevertirten Kopf in die 
Pfanne stellen! Was soll ihn aber dort später, nach Abnahme des 
letzten Verbandes, festhalten? Die Anspannung der unteren und 
hinteren Kapsel? Wird er sich nicht vielmehr beim Aufgeben der 
Fixation, von der zwingenden Kraft des Gipsverbandes befreit, so 
einstellen, wie er sich einstellen muss, das heisst bei frontaler Knie- 


Fif?. 1. 



achse zwar in Pfannenhöhe, aber vor oder seitlich von ihr? Und 
was soll ihn dann später verhindern, sich unter dem Einflüsse der 
functioneilen Belastung subspinal zu stellen ? Die Abduction von 60 ^ 
mit Innenrotation könnte man nur dann rechtfertigen, wenn man sie 
in der vorgefassten Absicht wählt, nachträglich eine die Anteversion 
corrigirende Osteotomie nach dem Vorgänge Schedes zu machen. 

Aber die Verfechter der verminderten mit Innenrotation ver¬ 
bundenen Abductionsstellung verfolgen ja gar nicht dieses Ziel, sie 
erheben ja ihre Forderung in dem Gedanken, durch die Anspannung 
der hinteren und unteren Kapsel den Kopf in der Pfanne zu fixiren. 
Darauf kann es doch nicht ankommen, den Kopf durch die An¬ 
spannung gewisser Kapseltheile in die Pfanne hineinzudrücken! Das 


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Die axillare Abduction in der Behdlg. d. congenit. Hüftgelenksverrenkung. 767 

wäre ja eine mittelbare Retention und wir sollen doch eine unmittel¬ 
bare Retention anstreben! Das Schicksal des Kopfes nach der Ab¬ 
nahme des Gipsverbandes soll unsere therapeutischen Entscheidungen 
bestimmen, nicht die Erwägung, wie man vor der Anlegung oder 
während der Fixationsperiode die Retention erzielen kann. 

Zudem gelingt es ja nicht einmal immer, den Kopf durch Ab¬ 
duction von ca. 60 ^ mit Innenrotation in der Pfanne zu halten. 
Und so wie wir auf der einen Seite uns manchmal veranlasst sehen, 

Fig. 2. 




als Zwischen- oder Endglied der Behandlung in vereinzelt stehenden 
Fällen auf 3—4 Wochen in verminderter, mit Innenrotation ver¬ 
bundener Abduction zu fixiren, wenn das Kind gerne auswärts rotirt 
oder der Kopf am Pfaniienorte ein wenig prominent steht, so 
müssen wir auf der anderen Seite mit aller Entschiedenheit betonen, 
dass es zweifellos viele Kinder gibt, bei denen, wie besonders der 
Fall 7 und 8 der später aufgeführten Casuistik einwandsfrei beweist, 
der Kopf durch die Abduction von 60 ® mit Innenrotation selbst in 
Narkose unmöglich in der Pfanne gehalten werden kann, sondern 
subspinal steht, während er auf dem Wege über die rechtwinkelige 
zur negativen, oder axillaren Abduction unter sichtbarem und laut 
hörbarem Phänomen in die Pfanne hinunterspringt. 



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768 


Robert Wemdorff. 


Diese beiden Fälle sind aber nur ein Beispiel für viele andere. 
Und darum liegt die Zukunft, die dem Verfahren mit primärer geringer 
Abduction mit Innenrotation gehört, noch in weiter Feme, und wir 
halten nach wie vor an dem Grundsatz fest, dass die Aufgabe einer 
unmittelbaren Retention nur in der Wahl einer primären, mehr 
weniger extremen Abductionsstellung gelegen sein kann; denn diese 
unmittelbare Retention muss sich doch das Ziel stecken, nicht durch 
mehr theoretische Kapselspannung den Kopf in der Pfanne zu halten. 


Fig. 3. 



sondern dem einmal reponirten Kopf für späterhin den Weg zu einer 
Wanderung aus der Pfanne hinaus zu verlegen, nach hinten und 
nach oben. Und nach hinten verlegen wir ihn ja eben durch die 
negative Abduction; sie nähert die Insertionspunkte der hinteren 
Kapsel, und die Schrumpfung und Verkürzung der letzteren während 
der langen Fixationsdauer macht es erklärlich, warum wir die Re- 
luxation nach hinten so selten beobachten. Denn bei der Vermin¬ 
derung der Primärstellung verhindert die geschrumpfte und verkürzte 
hintere Kapsel den Kopf, über den hinteren Pfannenrand zu gleiten, 
und das Entweichen des Kopfes nach oben wird in der überwiegen¬ 
den Mehrzahl der Fälle glücklicherweise dadurch verhindert, dass 
der Kopf an dem oberen Pfannenrande oder der oberen Kapsel einen 


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Die axillare Abduction in der Behdlg. d. congenit. Hüftgelenksverrenkung. 769 

genügenden Widerstand findet. Dass man trotz der negativen Ab¬ 
duction auch manchmal Transpositionen erlebt, liegt nicht in der 
Wahl dieser primären Stellung, sondern in der ganz besonderen Un¬ 
gunst der anatomischen Verhältnisse, der gegenüber eben dem mensch¬ 
lichen Können eine Grenze gesetzt ist; und wenn es uns trotzdem 
gelingt, einen kleinen Procentsatz von diesen Transpositionen durch 
die Ausdauer unserer individualisirenden Behandlung einer Restitutio 
ad integrum zuzuführen, so geschieht das niemals durch eine primäre 


Fig. 4. 



verminderte Abduction mit Innenrotation, sondern dadurch, dass wir 
aus der Bedeutung der vermehrten Abduction die äusserste Con- 
sequenz ziehen und in solchen verzweifelten Fällen eben die negative 
Abduction so weit vermehren, als es möglich ist. 

Wenn uns nämlich die anatomischen Verhältnisse so ganz im 
Stiche lassen: wenn wir ein steiles oberes Pfannendach, keine Spur 
eines oberen Pfannenrandes, neben einem antevertirten Kopf eine 
schlaffe obere Kapsel haben, wenn der Weg nach oben also nur 
mangelhaft verlegt ist, dann gelingt es uns zwar durch die recht¬ 
winkelige oder negative Abduction, die Reluxation nach hinten zu 
verhindern, aber bei der endlichen Verminderung der Primärstellung 
muss unfehlbar eine Reluxation nach vorne und oben entstehen, 


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770 


Robert Werndortf. 


wenn das verkürzte hintere Kapselband den Kopf am kurzen Hebel¬ 
arme nach oben treibt, ohne dass er an dem oberen Pfannenrande 
oder der oberen Kapsel einen genügenden Widerstand findet. In 



solchen Fällen werden wir uns bemühen müssen, dem Kopf den 
Weg nach oben ebenso zu verlegen, wie wir ihm den Weg nach 
hinten erschwert haben, und dass die verminderte mit Innenrotation 

Fisr. 6. 



verbundene Abduction den Kopf auf seinem Weg nach oben nicht 
aufhalten kann, ist nach dem oben Erwähnten ebenso klar wie die 
Beantwortung der Frage, wie anders man in solchen Fällen das Ziel 
der Therapie erreichen kann. 


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Die axillare Abduction in der Behdlg. d. congenit. Hüftgelenksverrenkung. 771 


Die obere Kapsel muss man in solchen Fällen zur Schrumpfung, 
zur Verkürzung bringen, damit sie den Kopf dort, wo er am oberen 
Pfannenrande keinen genügenden Widerstand findet, nicht nach oben 
gleiten lässt. Und so wie wir durch die rechtwinkelige resp. negative 
Abduction die Hinterkapsel verkürzen, um das Hinübergleiten des 
Kopfes über den hinteren Pfannenrand zu verhindern, ebenso müssen 
wir die obere Kapsel durch Faltung zur Verkürzung und Schrumpfung 
bringen, und wenn die bisher gebräuchlichen Grade der negativen 


Fig. 7. 



Abduction dazu nicht ausreichen, dann muss man eben einen Schritt 
weiter gehen und die extremste Abduction wählen, die man anatomisch 
überhaupt wählen kann, das ist eine Stellung, bei welcher der Ober¬ 
schenkel dem Thorax ganz anliegt und sich das Knie in der ent¬ 
sprechenden Achselhöhle befindet. 

Diese axillare Abduction muss man aber gerade bei ungünstigen 
anatomischen Verhältnissen anwenden, weil sie die allerbeste Ein¬ 
stellung des Kopfes in die Pfanne gibt, weil sich bei ihr der axillar 
abducirte Kopf absolut concentrisch in die Pfanne einstellt. Dies 
sieht man an den Röntgenbildern eines anatomischen Präparates, das 
ich später zu demonstriren mir erlauben werde: Fig. 1 zeigt das 
reluxirte Gelenk, Fig. 2 das reponirte Bein in negativer, Fig. 3 in 
axillarer Abduction. Der Vergleich der beiden letzten Bilder ergibt 
einen sehr auffallenden Unterschied in der Einstellung des Kopfes. 


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772 


Robert Werndorff. 


Es unterliegt gar keinem Zweifel, dass in der axillaren Abductions- 
stellung die Einstellung des Kopfes in die Pfanne eine ideale ist. 
Er liegt vollkommen concentrisch innerhalb der Pfanne, vom oberen 
und hinteren Contur der letzteren umrahmt, und diese Stellung 
bietet besonders der verminderten, mit Innenrotation verbundenen 
Abduction gegenüber den grossen Vortheil, dass man den Kopf un¬ 
möglich aus der Pfanne nach oben, oder nach hinten hin bewegen kann. 

Noch deutlicher sieht man diese Verhältnisse an dem Präparate 
selbst. Man sieht, wie bei der axillaren Abduction die obere Kapsel 
in Falten gelegt wird, man sieht den innigen Contact des Kopfes 

Fi". 8. 



mit der Pfanne, und diesen um so mehr, je grösser die Anteversion des 
Kopfes ist; je stärker der Kopf antevertirt ist, um so tiefer taucht 
in dieser Stellung der Kopf in die Pfanne, wie man leicht erkennt, 
wenn man sich die Richtung des Halses mit einem Stäbchen 
markirt. 

Dazu kommt noch ein Umstand, der mir wenigstens für einzelne 
jüngere Fälle nicht ganz unwichtig erscheint. Wenn ein Ligamen¬ 
tum teres vorhanden ist, dann wird es in verminderter Abduction 
durch die Einwärtsrollung zwischen Kopf und Pfanne eingeklemmt 
und verhindert so den Contact beider Gelenkflächen, der für die 
spätere Ausbildung einer besseren Pfanne von allergrösster Wichtig- 


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Die axillare Abduction in der Behdlg. d. congenit. Hüftgelenksverrenkung. 773 


keit ist. Man sieht nun sehr deutlich die Einklemmung des Liga¬ 
mentum teres in 60 ® Abduction mit Innenrotation, während in 
axillarer Abduction das Ligament aufgerolit wird und sicher ausser¬ 
halb der Berührungsflächen des Gelenkes zu liegen kommt. Man 
kann sich endlich leicht vergegenwärtigen, wie bei der Verminderung 
der durch eine Zeit hindurch festgehaltenen axillaren Abduction der 
Kopf durch die inzwischen geschrumpfte und verkürzte obere Kapsel 
am Hinaufsteigen verhindert wird. 

Dass es thatsächlich möglich ist, den Kopf auch unter sehr 
ungünstigen anatomischen Verhältnissen so am Pfannenorte zurück- 


Fig. 9. 



zuhalten, beweisen die Heilerfolge, die ich in einigen Fällen mit 
der axillaren Abduction erzielen konnte, wie man aus den Röutgen- 
bildern der nachfolgenden Fälle entnehmen kann. Es handelt sich 
dabei fast ausschliesslich um Fälle, die wir 2-, ja sogar 3mal einer 
Reposition unterziehen mussten, ohne mit der negativen Abduction 
den Kopf am Pfannenorte hallen zu können. Eine Fixation in 
axillarer Abduction auf 6—12 Wochen, je nach dem Alter des 
Kindes und der Beweglichkeit des Kopfes, war ausreichend, den 
Kopf am normalen Pfannenorte festzuhaltcn, und gestattete es, die 
Behandlung mit den bei allen anderen Luxationskindern üblichen 
Abductionsverbänden zu Ende zu führen. 

Von 8 behandelten Fällen sind 4 seit einem Jahre aus dem 


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774 


Robert Werndorff. 


Verband, während bei den übrigen 4 die Behandlung mit Verbänden 
in rechtwinkeliger Abduction noch weiter fortgeführt wird. 

Fall 1. Schwarz, Stephanie, 7 Jahre. Lux. cox. cong. dextr. 
1. Iteposition am 10. März 1903. Nach Abnahme des ersten Ver¬ 
bandes Relaxation nach vorne und oben, daher 2. Reposition am 
22. Juli 1903. Und da der Kopf selbst in negativer Abduction 
subspinal oberhalb der Pfanne stand, in Abduction von 60® mit 
Innenrotation aber über den hinteren Pfannenrand glitt, wird der 


Fig. 10. 



Oberschenkel axillar abducirt, da in dieser Stellung der Kopf am 
Pfannenorte blieb. Fig. 4 zeigt die axillare Einstellung, in welcher 
das Bein durch 6 Wochen festgehalten wurde. Nunmehr blieb der 
Kopf an seinem Orte bei Verminderung der Primärstellung, da er 
aber bei Beuge- und Adductionsbewegungen zu mobil war, musste er 
in negativer Abductionsstellung mit weiteren 6 Wochen fixirt werden. 

Seit October 1903 ist das Kind aus dem Verbände. Fig. 5 zeigt 
die letzte, vor kurzem gemachte Aufnahme. Die Function ist tadellos. 

Ganz ähnlich waren die Verhältnisse bei Fall 2. Neurath, 
Hedwig, 2 Jahre alt. Lux. cox. cong. dextr. Axillare Fixation 
8 Wochen. 

Ohne Verband seit Mai 1903. Letzte Aufnahme im August 


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Die axillare Abduction in der Behdig. d. congenit. Hüftgelenksverrenkung. 775 

1904 zeigt vollkommen anatomische Einstellung; leider konnte die 
Copie, die am Breslauer Natur forschertage 1904 demonstrirt wurde, 
hier nicht reproducirt werden. 

Fall 3. Schenk, Therese, 3 Jahre. Lux. cox. cong. sin. 1. Reposi¬ 
tion am 28. Januar 1903. Relaxation nach vorne und oben trotz 4monat- 
licher Fixation in negativer Abduction. 2. Reposition am 1. Mai 1903. 
Fig. 6 zeigt die letzte Röntgenaufnahme vom 22. Januar 1904. 

Bei der 6 Monate später erfolgenden Nachprüfung stand der 


Fig. 11. 


1 — 



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■-w.r 



Kopf anatomisch, eine Röntgenaufnahme konnte damals aus tech¬ 
nischen Gründen nicht gemacht werden. Die Function wie bei Fall 
1 und 2. 

Fall 4. Koller, Joseph, 3 Jahre. Lux. cox. cong. dextr. 

1. Reposition am 22. September 1902. Reluxation nach hinten trotz 
8inonatlicher Fixation (zwei Verbände) in rechtwinkeliger Abduction. 

2. Reposition am 2. April 1903. Fixation in axillarer Abduction 
auf 4 Wochen. Hierauf rechtwinkelige Abductionsverbände durch 
4^/2 Monate, 

Ohne Verband seit dem 1. October 1903. Fig. 7 zeigt die 


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776 


Robert WerndorfF. 


Röntgenaufnahme Ende August 1904, wenngleich der Kopf nicht 
concentrisch, sondern mit einem kleinen Segmente im oberen An- 
theil der Pfanne steht, so haben wir dennoch ein Recht, auch in 
diesem Fall von einer Heilung zu sprechen; denn die Function 
des reponirten Beines unterscheidet sich nicht im Geringsten von 
der eines normalen. Bei der Prüfung des Trendelenburg'schen 
Phänomens wird das Becken ebenso hoch und kräftig gehoben, wie 
auf der gesunden Seite, die Lordose und der wackelnde Gang ist 


Fig. 12. 



selbstverständlich vollkommen verschwunden, und der Kleine macht 
nach dem Berichte seiner Mutter Ausflüge von 2 Stunden ohne 
Unterbrechung und ohne Spur von Ermüdung, — für einen 5jährigen 
Knaben immerhin eine ansehnliche Leistung, auch wenn er ganz 
gesunde Beine hätte. 

Bei den übrigen 4 Fällen ist die Behandlung noch nicht ab¬ 
geschlossen : 

Fall 5. Wollner, Ernst, 2^2 Jahre alt. Lux. cox. cong. sin. 
1. Reposition am 7. December 1903. Nach 4monatlicher Fixation 
in negativer Abduction Reluxation nach vorne oben. 2. Reposition 
am 21. April 1904. Fixation in axillarer Abduction durch 8 Wochen. 


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Die axillare Abduction in der Behdlg. d. congenit. Hüfrgelenksverrenkung. 777 


Fig. 8 zeigt die Einstellung in negativer, Fig. 9 in axillarer 
Abduction, Fig. 10 bei möglichst adducirtera Bein nach Abnahme 
des axillaren Verbandes. Das Bein wird rechtwinkelig abducirt, 
weiter fixirt. 

Fall 6. Latzka, Marie, 4 Jahre alt. Lux. cox. cong. sin. 
1. Reposition am 24. März 1904. Wegen des schlechten primären 
Haltes fand die Revision schon nach 1 monatlicher Fixation in nega- 


Fig. 13. 



tiver Abduction statt, wobei eine Reluxation nach oben und vorne 
festgestellt wurde. 2. Reposition am 24. April 1904. Axillare Ab¬ 
duction durch 7 Wochen. 

Die Behandlung wird vom Juni an wegen zu grosser Beweg¬ 
lichkeit des Kopfes mit Verbänden in rechtwinkeliger Abduction fort¬ 
gesetzt ^). Röntgenaufnahme im August 1904. 

Fall 7. Beer, Theresia, 3 Jahre alt. Lux. cox. cong. bil. 
1. Reposition am 1. März 1904. Beiderseitige Fixation in recht- 

‘) Die Originalplatte brach, beim Transporte und da die Drucklegung 
bereit« erfolgt war, musste die Reproduction dieses Bildes unterbleiben. 


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778 


Robert Wemdorff. 


winkeliger Abduction auf 5 Monate. Nach Abnahme des Verbandes 
fand man den rechten Kopf excentrisch, aber gut fixirt, den linken 
in eine neugebildete Pfanne vorne und oberhalb der alten reluxirt. 
2. Reposition links über den unteren Pfannenrand am 1. October 1904. 
Selbst in Narkose war es unmöglich, den Kopf in irgend einer 
Stellung am Pfannenorte zu halten, weder in Innenrotation bei 60^ 
Abduction, noch in negativer Abduction konnte ihn die fixirende 
Hand des Assistenten reponirt erhalten; der Kopf glitt phänomenlos 


Fig. 14. 



in die neue Pfanne (Fig. 11). Nur durch die axillare Abduction 
konnte man den Kopf nach unten in die alte Pfanne treiben und 
dort unverrückt festhalten (Fig. 12). Eine 4wöchentliche Fixation 
in dieser Stellung sicherte die Retention. Nun konnte man die Ab¬ 
duction bis zum rechten Winkel vermindern, ohne dass der nunmehr 
festfixirte Kopf seine concentrische Einstellung in die alte Pfanne 
änderte (Fig. 13). Der Unterschied in den beiden Einstellungen 
(Fig. 12 u. 13), also unmittelbar vor und nach der 4wöchentlichen 
axillaren Fixation, die prompte Fixation am Pfannenorte gegenüber 
der früheren grossen Beweglichkeit lässt nur die Annahme zu, dass 
die maximale Verkürzung und Schrumpfung der in dem Scheitel des 
axillaren Abductionswinkels gelegenen Weichtheile im Stande war. 


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Die axillare Abduction in der Behdlg. d. congenit. Hüftgelenksverrenkung. 779 


bei vollkommenem Gontact der Gelenkflächen die Retention zu 
sichern. 

Der letzte Fall beweist endlich ganz einwandsfrei, dass die ver¬ 
minderte, mit Innenrotation verbundene Abduction dort vollkommen 
im Stiche lassen kann, wo man mit einer maximalen Abduction 
noch eine tadellose Retention zu erzielen im Stande ist. 

Fall 8. Zippe, Frieda, 3 Jahre alt. Lux. cox. cong. sin. 
Reposition am 29. September 1903. Fixation in recht winkeliger Ab- 


Fig. 15. 



duction durch 5 + 3 + 4 Monate. Die Untersuchung am 4. Octo- 
ber 1904 ergab folgenden interessanten Befund: der in der Leisten¬ 
gegend prominente Kopf steht subspinal. Versucht man bei Abduction 
von 60 ® einwärts zu rotiren, so dringt der Kopf nicht in die Pfanne 
ein. Bei axillarer Abduction rückt der Kopf entschieden tiefer und 
gibt, wenn man die axillare Abduction verringert, ungefähr in recht¬ 
winkeliger Stellung ein Reluxationsgeräusch. 

Ebenso erhält man ein lautes Phänomen, wenn man von der 
60Abduction zur axillaren wieder zurückgeht, aber erst auf dem 
Wege von der negativen zur axillaren Abduction. Fig. 14 zeigt die 

Stellung des Kopfes ausserhalb der Pfanne in 60®iger, mit Innen¬ 
zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XIII Bd. 51 


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780 


Robert WerndorfF. 


rotation verbundener Abduction, Fig. 15 die concentrische Einstellung 
in axillarer Abduction, in welcher Stellung der Verband auf 6 Wochen 
angelegt wurde. 

lieber die Verbandstechnik nur wenige Worte! Fig. 16 zeigt 
den über dem blossen Körper ohne Tricot angelegten, reichlich 


Fig. 16. 



gepolsterten Gipsverband. Das Tricot muss deshalb vermieden 
werden, weil sonst sicher zwischen Bein und Thorax ein Intertrigo 
entsteht. 

Zwei grosse Fenster, eines vorne, ein zweites correspondirend 
hinten, machen den Verband leichter und bequemer, haben aber 
hauptsächlich den Zweck, die Zugänglichkeit der vom Schweisse be¬ 
drohten Stelle zu ermöglichen, so dass man täglich Amylum zwischen 


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Die axillare AbductioD in der Behdlg. d. congenit. Hüftgelenksverrenkung. 781 


dem Bein und dem Thorax durchstreuen kann. Ueble Zufölle, Cir- 
culationsstörungen oder Lähmungen sind bei exacter Verbandanlegung 
ausgeschlossen. Ein einziges Mal trat sofort noch während der Ver¬ 
bandanlegung eine Tibialislähmung auf; ich spaltete den Verband 
an der Oberschenkelseite ein wenig, und die Bewegung kehrte nach 


Fig. 17. 



wenigen Minuten wieder. An die Unbequemlichkeit der Lage ge¬ 
wöhnen sich die Kinder erst nach 3—4 Tagen, sind aber dann aus¬ 
nahmslos ruhig und munter. 

Nach Abnahme des Verbandes, auch wenn man nachher noch 
in rechtwinkeliger Abduction fixirt hat, behalten die Kinder immer 
eine habituelle axillare Abduction bei und ziehen es vor, selbst ein 


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782 


Robert Wemdorff. Die axillare Abduction etc. 


Jahr nach Abnahme des letzten Verbandes in der Weise zu sitzen, 
wie es die Fig. 17 zeigt. Da es unsere Hauptaufgabe der Nach¬ 
behandlung reponirter Hüftgelenke ist, durch Jahre hindurch die 
leichte Wiederherstellbarkeit der Primärstellung bei den Luxations- 
kindem zu erhalten, ist diese Art der Selbstbehandlung nur sehr 
erwünscht. 

Meine Herren! Ich schliesse meine Ausführungen, weil ich dar¬ 
gelegt zu haben glaube, dass man in vereinzelten Fällen nicht wird 
umhin können, die axillare Abduction in der Behandlung der ange¬ 
borenen Hüftgelenksverrenkung anzuwenden. 

Ich will damit nicht sagen, dass ma^ sie als Primärstellung 
in allen Fällen wählen soll. Im Oegentheil! Nichts wäre verfehlter 
als dieser Vorschlag; denn glücklicherweise wird man nur in Aus¬ 
nahmsfällen dazu greifen müssen! Und ich betone ausdrücklich, dass 
wir die axillare Abduction immer nur nach Abnahme des ersten 
oder zweiten Verbandes angewendet haben, in Fällen, die schon 1- 
oder 2mal reponirt wurden und trotz monatelanger Fixation in 
rechtwinkeliger resp. negativer Abduction eine Reluxation nach oben 
und vorne, in einem Falle sogar nach hinten zeigten. 


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LV. 


(Aus der Königl. chirurgiscb-orthopädischen üniTersitäts-Poliklinik 
in Berlin. Director: Geh. Medicinalrath Professor Dr. A. Hoffa.) 

üeber die Beziebnngen zwischen Plattfnss und 

Skoliose. 

Von 

Denis 0. Zesas. 

Die Frage eines ätiologischen Zusammenhanges zwischen Platt- 
fuss und Skoliose ist heute noch nicht derart aufgeklärt, dass eine 
nochmalige Besprechung dieses nicht nur in theoretischer, sondern 
auch in praktischer Hinsicht Interesse bietenden Themas als überflüssig 
erscheinen möchte; ist doch von berufener Seite behauptet worden, 
dass mit der Heilung des Plattfusses die Skoliose entweder ver¬ 
schwinde oder sich wesentlich bessere. 

R. Roth^) war der Erste, der im Jahre 1889 auf das häufige 
Vorkommen von Plattfuss und Skoliose aufmerksam machte. In 
einer von ihm publicirten, 200 skoliotische Kranke umfassenden 
Statistik figuriren 87 Fälle mit Andeutung von Plattfuss, 32 mit 
mässigem Grad und 20 mit schwerer Form desselben. 

Eine darauffolgende Zusammenstellung H e u s n e r s ergab 
59 Procent Skoliotische unter 283 plattfüssigen Patienten. Um¬ 
gekehrt fand Heussner bei der Hälfte aller Skoliotischen Plattfuss. 
»Von unsem 1000 Krankenhauspfleglingen“ — schreibt er — »hatten 
Skoliose 335, also ein Drittel der Fälle, Plattfüsse 283, über ein 
Viertel. Von den 663 Männern hatten Skoliose 188, gleich 28®/o; 
von den 337 Frauen 147, gleich 43*’/o. Plattfuss war bei Männern 
und Frauen fast gleich häufig. Von den 283 plattfüssigen Kranken 

0 Roth, Two hundred consecutive cases of lateral curvatur of the spine 
treated with out mechanical supports: Read in the Section of Surgerj of the 
Annual Meeting of the Britisch Med. Association in Cardiff. 

’) Heusner, Beitrag zur Behandlung der Skoliose. Langenbecks Arch. 
Bi. 44 8. 843. 


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784 


Denis G. Zesas. 


hatten Skoliose 59^/o, über die Hälfte; von den 717 nicht platt- 
füssigen 20 ®/o, gleich ein Fünftel. Umgekehrt fand sich auch bei 
der Hälfte aller Skoliotiscben Plattfuss, eine Beobachtung, die schon 
Bernhard Roth in London in seiner erschienenen Broschüre über 
die Behandlung der Skoliose veröffentlicht hat. Aehnlich wie bei 
den Erwachsenen waren auch die Resultate bei den Schulkindern. 
Von den 250 Untersuchungen waren 64 mit Skoliose behaftet und 
65 hatten Plattfuss, also in beiden Fällen etwa ein Viertel. Von 
den 185 nicht plattfüssigen Kindern hatten Skoliose 40, annähernd 
ein Fünftel; von den 65 plattfüssigen 24, über ein Drittel. Platt¬ 
fuss war bei beiden Geschlechtern annähernd in jedem vierten Falle 
vorhanden, wie bei den Erwachsenen. Skoliosen batten von den 
Knaben 18®/o, von den Mädchen 26®/o, also ebenfalls ein ähnliches 
Verbältniss zwischen den Geschlechtern, wie beim Erwachsenen; aber 
etwas geringere Häufigkeit der Skoliose. Weit seltener als am Fuss- 
und Wirbelskelet zeigten sich Deformitäten am Knie und zwar über¬ 
wiegend wieder bei solchen Personen, die mit Plattfuss oder Skoliose 
behaftet waren, denn von letzteren hatten X- oder 0-Beine 5®/o, 
von den nicht Skoliotiscben oder Plattfüssigen aber nur l^/o.“ 

In einer von Rödard^) aufgestellten, 100 Skoliosenfälle be¬ 
treffenden Statistik befinden sich 12 Fälle von Lumbalskoliose mit 
einseitigem, mehr oder weniger ausgesprochenem Plattfuss. Von 
diesen 12 Lumbalskoliosen waren 10 linksconvexe und 2 rechts¬ 
convexe. R^dard glaubt, dass der Plattfuss eine der 
häufigsten Ursachen der Skoliose bedinge: „Es findet 
sich häufig bei primärer Lendenskoliose ein Plattfuss auf der Seite, 
welcher die Convexität der Lendenkrüramung entspricht. Die Folge 
des Plattfusses ist eine Verkürzung der betreffenden Extremität, 
daher führt die Heilung des Plattfusses auch meist zur Heilung der 
Skoliose.“ 

Auch Kirmisson^) fühlt sich veranlasst, dem Plattfusse bei 
der Skolioseätiologie eine nicht minder wichtige Rolle zuzuerkennen, 
indem er schreibt: „De mon cötd, des le döbut de mes ätudes sur 
la scoliose, j*en ai reconnu Texistence, et je ne manque jamais chez 
les scoliotiques d'examiner Tetat des pieds. Souvent il arrive que 
le pied plat valgus soit plus marqu^ d'un cötö, il en resulte un 


0 Traite pratique des deviations de la colonne vertebrale. Paris 1890, 
*) Difformitäs acquises de l’appareil locomoteur. Paris 1902, S. 248. 


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Ueber die Beziehungen zwischen Plattfuss und Skoliose. 


785 


affaissement de la boüte plantaire entrainant rabaissement du bassin 
du m^me cöte, et par suite, une scoliose lombaire dont la convexit^ 
repond au cöt^ vers lequel se produit rinclinaison du bassin“. 

Demgegenüber bemerkt Dolega in seiner Pathologie und 
Therapie der kindlichen Skoliose (Leipzig 1897), dass er die Coin- 
cidenz des Plattfusses und der Skoliose nicht systematisch verfolgt 
habe, jedenfalls aber „die Erscheinung eines entzündlichen Platt¬ 
fusses bei keiner seiner Skoliosen constatiren konnte.“ 

Eine weitere Zusammenstellung verdanken wir Combe, 
Schulder und Weith^), eine fernere Sigmund LöbeP). Ersterer 
präsentirt das Ergebniss der constatirten seitlichen Wirbelsäule¬ 
verkrümmung der Lausanner Schulkinder und belehrt uns, dass 
von 297 Fällen von Skoliose 215 normale Füsse (72,5 ®/o), 57 gleiche 
PJattfüsse (19,3 ®/o) und 25 ungleiche Plattfüsse (8,4 ®/o) hatten. 
Die Statistik LöbeTs stammt aus der Züricher orthopädischen 
Klinik von Schulthess und Lüning. 

Bei 114 Skoliosenfällen, die Löbel untersuchte, notirte er: 

24mal normale Füsse.= 21,l^/o 

81mal Plattfüsse im weiteren Sinne . = 71,1 „ 

9mal Anlage und Neigung zu Plattfuss = 7,8 „ 

Löbel fand also in 78,9 ®/o aller Skoliosen Plattfuss oder An¬ 
lage zu demselben, so dass er annimmt, „dass der Plattfuss und 
Skoliose viel häufiger neben einander Vorkommen, als es bis jetzt 
vermuthet wurde.“ 

Während unseres Aufenthaltes an der Hof falschen Klinik in 
Berlin hatten wir Gelegenheit, diese nicht übereinstimmend lautenden 
Ergebnisse des gleichzeitigen Vorkommens von Plattfuss und Skoliose 
einer erneuten Prüfung zu unterziehen. 

Die Zuvorkommenheit des Herrn Geheimrath Hoffa ermög¬ 
lichte uns zu diesem Zwecke die Untersuchung von 150 an den 
Turnübungen der königl. Poliklinik im Monat Juni und Juli dieses 
Jahres theilnehmenden skoliotischen Patienten. Diese Zahl um¬ 
fasst 124 weibliche und 20 männliche Kranke; das Alter vertheilt 
sich auf: 


0 Les deviations de la colonne vertebrale dans les ecoles de Lausanne 
par Dr. Combe, Scholder et Weith, Lausanne. 

*) Zeitschr. f. orth. Chir. Bd. 10 S. 690. 


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786 


DeDis G. Zesas. 


6 Patienten zwischen dem 1. und 5. Lebensjahre, 


63 , 

n 

. 5. 

, 10. 

U 

67 


, 10. 

. 15. 

1» 

13 , 

yt 

, 15. 

, 20. 

1> 

1 Patient 

9 

O 

(M 

. 25. 

JI 


BetreflFend der Skoliosenform notirten wir: 

79 mal rechtsconvexe Dorsalskoliose, 

28 „ linksconvexe Dorsalskoliose, 

5 „ rechtsconvexe Lumbalskoliose, 

13 „ linksconvexe „ 

8 „ rechtsconvexe Totalskoliose, 

6 ^ linksconvexe „ 

2 „ flacher Rücken, 

9 „ runder Rücken. 

Von diesen 150 skoliotischen Patienten hatten 102 PlattfÜsse 
und 48 normale Füsse, wobei wir gleich bemerken wollen, dass nur 
ausgesprochene PlattfÜsse bei unseren Untersuchungen be¬ 
rücksichtigt wurden und dass fast sämmtliche Patienten ihrer Platt- 
fussalfection nicht bewusst waren; nur 3 davon klagten über Schmerzen 
bei längerem Gehen oder anhaltendem Stehen. 

Die 102 Plattfussfälle betrafen 25mal d’en rechten, 
15mal den linken Fuss und 62mal beide Füsse. 

Bezüglich der Skoliosenform bestand der Plattfuss bei den 
79 rechtsconvexen Dorsalskoliosen: 12mal rechts, 6mal 
links und 34mal beiderseits. 27 Fälle hatten normale Füsse. 

Bei den 28 linksconvexen Dorsalskoliosen notirten 
wir 5mal rechtsseitigen, 3mal linksseitigen und 14mal beiderseitigen 
Plattfuss. 6 Fälle ergaben normale Füsse. 

Unter den 5 rechtsconvexen Lumbalskoliosen waren 
3mal normale Füsse, Imal rechts- und Imal linksseitiger Plattfuss 
vorhanden. 

Bei den 13 linksconvexen Lumbalskoliosen bestand der 
Plattfuss 4mal rechts, 4mal links und Imal beiderseits; in 4 Fällen 
normales Verhältniss. 

Die 8 rechtsconvexen Totalskoliosen erwiesen in 3 Fällen 
beiderseitigen Plattfuss und in 5 Fällen normale Füsse, während die 
6 linksseitigen Totalskoliosen Imal rechts- und 2mal beider- 


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Qeber die Beziehungen zwischen Plattfuss und Skoliose. 


787 


seitigen Plattfuss darboten. 3 Fälle dieser Kategorie ergaben nor¬ 
malen Fussbestand. 

Bei den 2 Fällen von flachem Rücken constatirten wir den 
Plattfuss Imal rechts und Imal links; bei den übrigen 9 Fällen von 
rundem Rücken: Imal rechts, 2mal links und 5mal beiderseitig. 
Nur einer unter diesen'9 Fällen war plattfussfrei. 

Vergleichen wir das Ergebniss unserer Untersuchungen mit 
demjenigen der am Anfang dieser Mittheilung erwähnten verschie¬ 
denen Beobachter, so steht dasselbe im Einklang mit der Annahme, 
dass thatsächlich Plattfuss und Skoliose neben einander bestehen und 
in irgend eine gegenseitige ursächliche Beziehung zu einander ge¬ 
bracht werden können. Nun drängt sich hier die Frage auf, ob in 
den betreffenden Fällen der Plattfuss das ursächliche Moment für 
die Skoliosenentwickelung abgibt, wie es häufig behauptet worden, 
oder ob umgekehrt die Skoliose es ist, welche vermöge der durch sie 
bedingten statischen Veränderungen, die Entstehung des Plattfusses 
berbeiführt. 

Nach den alltäglichen Erfahrungen zu urtheilen, dürfte die 
Annahme, dass in vielen Fällen der Plattfuss das primäre Leiden 
darstellt, als die wahrscheinlichere gelten, zieht doch die Verkürzung 
einer Extremität gewöhnlich eine Senkung des Beckens nach sich 
und mit dieser eine seitliche Abweichung der Wirbelsäule, deren 
Convexität meistentheils der Seite des verkürzten Beines entspricht. 
R^dard, der sich eingehend mit dieser Frage beschäftigte, äussert 
sich bezüglich des Vorganges wie folgt: 

„Les scolioses que nous venons de döcrire, doivent ^tre rang^es 
dans la catägorie des scolioses dites statiques dont la plus grande 
frequence est aujourd'hui admise par la gänäralite des orthopedistes, 
le pied plat affaissä, s’accompagnant d’une attitude vicieuse et d un 
raccourcissement d’un des membres inf^rieurs, modifiant les con- 
ditions d'^quilibre du tronc et produisant une deviation vertebrale. 
Elles doivent etre rapprochees des scolioses statiques par inegalite 
des membres inferieurs congönitales ou aquises, dont elles presentent 
la plupart des caracteres. Parmi les causes produisant Tinegalit^ 
des membres infärieurs, le pied plat doit ^tre place en premiere ligne.“ 

Die Resultate der bisherigen Untersuchungen lassen aber in 
dieser Hinsicht kein einwandfreies Urtheil zu, da weder die Richtung 
der Convexität noch die Skoliosenform bestimmte Anhaltspunkte ab¬ 
geben, ob der einseitige Plattfuss thatsächlich in irgend einem 


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788 


Denis G. Zesas. 


statischen Zusammenhang mit der seitlichen Wirbelsäuleabweichung 
steht. „Es konnte“ — schreibt Loebel — „keine stärkere Ent¬ 
wickelung des der Convexität der Total- oder Lumbalskoliosen ent¬ 
sprechenden Plattfusses nachgewiesen werden. Auch bei den Dorsal¬ 
skoliosen, bei welchen eine stärkere Entwickelung des der Convexität 
entgegengesetzten Plattfusses zu erwarten gewesen wäre, liess sich 
nichts Gesetzmässiges finden.“ 

Die Resultate der vorhandenen Zusammenstellung stimmen 
darin überein, dass bei der Skoliose grösstentheils beider¬ 
seitiger Plattfuss vorliegt. Combe, Scholder und Weith 
fanden gelegentlich ihrer Untersuchungen bei 297 Skoliosenfällen 
57 mit gleichen und 25 mit ungleichen Plattfüssen, während 
Loebel in beinahe zwei Dritteln aller seiner Fälle den Plattfuss doppel¬ 
seitig und ihn nur in einem Drittel derselben einseitig beobachten 
konnte. Auch Redard bemerkt: „que le pied plat est generale- 
ment double plus marquä d’un cöte avec valgus plus ou moins 
prononcä, s'accompagnant rarement de phdnomenes douloureux.“ 
Unsere Untersuchungen ergaben, wie bereits erwähnt, unter 102 
Plattfussskoliosenfällen 59 doppelseitigen und, soweit es sich nach- 
weisen liess, beiderseitig gleichentwickelten Plattfuss. 

Gerade dies häufige Vorkommen beiderseitiger Plattfüsse scheint 
zu Ungunsten eines bestimmten, statischen, ätiologischen Zusammen¬ 
hanges zu sprechen; es macht vielmehr die Annahme geltend, dass 
Plattfuss und Skoliose ätiologisch nur insofern auf einander Bezug 
haben, als beide Krankheiten durch das nämliche Grundleiden be¬ 
dingt sind, somit der Plattfuss als eine Begleiterscheinung der 
Skoliose aufgefasst werden sollte. „Wir müssen also erklären,“ — 
bemerkt Loebel, — „dass wir bei allen Skoliosen mit doppelseitigem 
Plattfuss keinen Zusammenhang zwischen Skoliose und Entwickelung 
des Plattfusses finden konnten.“ 

Wir wissen, dass eine durch Ueberanstrengung bedingte Er¬ 
müdung der Rückenmusculatur die Skoliosenbildung begünstigt, ebenso, 
dass dynamische Störungen der Wadenmuskeln, namentlich des 
Tibialis anticus und posticus, die normalerweise die Spannung des 
Fussgewölbes aufrecht erhalten sollen, Plattfuss bedingen. Plattfuss 
und Skoliose dürften somit ihre gemeinsame Ursache in einer all¬ 
gemeinen Muskelschvväche des befallenen Individuums haben, eine 
Ansicht, der auch Prof. Joachimsthal sich zuneigt, wie er uns 
brieflich mitzutheilen die Freundlichkeit hatte. 


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lieber die Beziehungen zwischen Plattfuss und Skoliose. 


789 


Nicht unwahrscheinlich wäre ferner, dass beide Zustände die 
Folge einer anderen Affection darstellten, nämlich eines die Knochen 
erweichenden Processes, dem unter Mitwirkung des Belastungsdruckes 
bekanntlich eine hervorragende ätiologische Rolle, sowohl bei der 
Skoliosenentwickelung, als auch bei der Entstehung des Plattfusses 
zuerkannt wird. 

Einen diesbezüglichen Passus lesen wir in dem bekannten 
Hoffa'schen Lehrbuche: „Vor allem" — sagt Hoffa — „bedarf es 
einer abnormen Weichheit der Knochen, damit ein Plattfuss zu 
Stande kommt. Warum bekommen nicht alle Schulkinder, die doch 
zumeist denselben Schädlichkeiten unterworfen sind, Skoliosen ? 
Weil zu deren Entstehung eine bestimmte Prädisposition, vorzüglich 
eine abnorme Weichheit der Wirbelknochen nothwendig ist. Ebenso 
werden nicht alle Kellner oder alle Schlosserlehrlinge plattfüssig, 
sondern nur diejenigen, deren Skelet durch abnorme Weichheit 
dazu disponirt ist. Die pathologisch-anatomische Unterlage dieser 
abnormen Weichheit der Knochen ist uns noch unbekannt; mög¬ 
licherweise ist es wie bei der Skoliose eine Art Rhachitis. Dass 
aber eine solche Weichheit der Knochen im Falle der Plattfuss- 
oder Skoliosenbildung besteht, kann man direct nach weisen. Ich 
habe bei der Skoliose schon erwähnt, dass ich Präparate von Skoliosen¬ 
wirbeln besitze, deren Gestalt ich durch einfachen festpressenden 
Druck mit meinen Fingern verändern kann. Ebenso, wie hier die 
Finger wirken, denke ich mir nun auch den dauernden Druck der 
Belastung wirkend.“ 

Am Ende unserer Mittheilung resumiren wir das hier Gesagte 
in der Schlussfolgerung: dass der Plattfuss in der weitaus 
grössten Mehrzahl der Fälle als eine Begleiterscheinung 
der Skoliose aufzufassen ist und kein statisch-ätiolo¬ 
gisches Moment derselben darstellt. 


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Referate 


Berger et Banzet (Paris), Chirurgie orthop4diqae. Paris 1904, 6. Steinbeil. 

Das vorliegende neue Lehrbuch der orthopädischen Chirurgie enthält 
nicht nur eine genaue Darstellung der orthopädischen Operationen, sondern 
auch der gebräuchlichsten Apparate und der gesammten orthopädischen Be¬ 
handlungsmethoden. Hierzu gehören die Gymnastik, die Massage, die Mechano- 
therapie, ferner die elektrische Behandlung, sowie die Hydro- und Thermotherapie. 
Die allgemeine Eintheilung des Stoffes ist die übliche nach den verschiedenen 
Krankheiten. Das Eingehen auf Einzelheiten verbietet der Umfang des Buches, 
der dem in den letzten Jahren erfolgten weiteren Ausbau der orthopädischen 
Chirurgie entspricht. Pfeiffer- Berlin. 

Vulpius, Neurologie und Orthopädie. Münchener med. Wochenschrift 1904, 

Nr. 89. 

Verfasser geht in der Einleitung seiner Arbeit mit kurzen Worten auf 
den befruchtenden Einfluss der Neurologie auf die Orthopädie ein, um sich dann 
in erster Linie mit der Therapie nervöser Erkrankungen zu beschäftigen, so¬ 
weit dieselbe dem Orthopäden zukommt. Er unterscheidet die mechanische 
und die chirurgische Orthopädie; er bespricht bei der ersten die bekannten 
Schienenhülsenapparate; wobei er die Verdienste Hessing*s in gebührender 
Weise würdigt, zugleich aber auch hier wieder von Neuem betont, dass dieser 
Mann ein Laienpraktiker mit allen charakteristischen Merkmalen eines solchen 
ist: schablonenhafte Anwendung des orthopädischen Apparates in allen Krank¬ 
heitsfällen, das Versprechen der Heilung in Fällen, bei welchen ärztliche 
Kenntniss und Erfahrung die Unmöglichkeit der Heilung feststellen muss, Ge¬ 
ringachtung unserer ärztlichen Thätigkeit. Mit dem Hinweis, derartige Apparate, 
so gut sie auch in einzelnen Fällen sein mögen, nach Möglichkeit zu vermeiden 
ihrer Nachtheile wegen, auf die ich ja hier nicht näher einzugehen brauche, 
kommt Vulpius zum zweiten Theil seiner Arbeit, der sich mit der chirurgi¬ 
schen Orthopädie befasst. Dass dieser Theil natürlich den breitesten Raum 
einnimmt, bedarf ja wohl kaum der Erwähnung; denn auf keinem Gebiet sind 
wohl gerade in der letzten Zeit so erhebliche Fortschritte gemacht worden, 
wie auf diesem. Verfasser erwähnt die Osteotomie, die Arthrodese, bespricht 
die Technik der letzteren und kommt dann auf die Sehnenoperationen zu 
sprechen, auf ein Gebiet, auf dem ja bekanntermassen dem Verfasser wohl mit 
die allermeisten Erfahrungen zu Gebote stehen. Zahlreiche diesbezügliche 
Arbeiten sind ja schon aus seiner Feder geflossen und die vorliegende kann 


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Referate. 


791 


allen jenen würdig zur Seite gestellt werden. Die Geschichte, die Technik 
dieser Operationen werden kurz berührt, auch die physiologischen Fragen, 
welche sich an die nachgewiesenen Erfolge der Ueberpflanzung knüpfen, werden 
gestreift. Dass diese Operation eine der segensreichsten Erfindungen für die 
Orthopädie darstellt, diesen von Vulpius ausgesprochenen Satz wird wohl 
jeder, der derartige Operationen ausgeführt hat, voll und ganz unterschreiben 
können. 

Im speciellen Theil der Arbeit führt sodann Verfasser aus, in welcher 
Weise und mit welchen Erfolgen die Transplantationen bei den verschiedenen 
in Betracht kommenden Affectionen des Nervensystems zu verwerthen sind. Er¬ 
wähnt werden die muskuläre Form der progressiven Dystrophie, die Verletzungen 
und Erkrankungen der peripheren Nerven, die spinalen Erkrankungen und von 
diesen wieder in erster Linie die Poliomyelitis acuta anterior mit ihren Folge¬ 
zuständen, eine Erkrankung, der vor allen Dingen diese Fortschritte auf dem 
Gebiete der Orthopädie zu Gute gekommen sind. Verfasser bespricht sodann 
die orthopädische Behandlung der Myelitis transversa, der Tabes, der Lähmungen 
nach Spondylitis, wobei er bei den schwereren Formen, die ja lebensgefährliche 
Erkrankungen darstellen können, das Risiko des Redressements in Kauf ge¬ 
nommen wissen will, allerdings nur unter vorsichtigem Vorgehen. Wenn auch 
dieses im Stich lässt, kommt für ihn nur noch die Laminektomie in Frage. 
Die Besprechung der spastischen Erkrankungen des Rückenmarks, der cerebralen 
Affectionen, der functionellen Neurosen bildet den Schluss dieser höchst inter¬ 
essanten und lesenswerthen Ausführungen, die das, was Vulpius mit ihnen 
erreichen will, auch voll und ganz erreichen werden, nämlich die Aufmerksam¬ 
keit weiterer ärztlicher Kreise auf das Grenzgebiet zwischen Neurologie und 
Orthopädie hinzulenken und sie mit dessen Umfang und Bedeutung und mit 
den Erfolgen bekannt zu machen. Wir können das Studium dieser Arbeit, der 
wir eine möglichste Verbreitung nur auf das Sehnlichste wünschen können, aufs 
Angelegentlichste empfehlen, in erster Linie natürlich den praktischen und 
Nervenärzten. Aber auch jeder Orthopäde wird an derselben, wenn sie auch 
an sich nicht viel Neues bi-ingt und auch nicht bringen sollte, seine helle 
Freude haben. B1 e n c k e - Magdeburg. 

Rosenfeld (Nürnberg), Krüppel schulen. Referat auf dem I. internationalen 

Congress für Schulhygiene zu Nürnberg 1904. 

Rosenfeld gibt eine ausführliche Uebersicht über die leider noch zu 
wenig vorhandenen Krüppelanstalten, von denen die Münchener als einzige 
staatliche Krüppelanstalt als Vorbild gelten darf und die in 75 Jahren 1056 Zög¬ 
linge entlassen hat, von denen 93 7o vollständig erwerbsfähig geworden sind, 
während sonst nur 67 ^/o der Erwachsenen sich selbständig, und zwar meist nur 
kümmerlich ernähren können. Verfasser fordert, dass für 320000 Krüppel, die 
Deutschland hat. Schulen vom Staate errichtet werden, in denen die Krüppel 
nach einem einheitlichen Lehrplan, sowohl wissenschaftlich wie, was mindestens 
ebenso wichtig ist, schon frühzeitig gewerblich ausgebildet werden. Dabei müssen 
die Anstalten gleichzeitig unter Aufsicht eines orthopädischen Chirurgen stehen, 
wobei so manche Deformität oder Lähmung ganz beseitigt oder zum mindesten 
bedeutend gebessert werden kann. Zander-Berlin. 


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792 


Referate. 


Friedländer (Wiesbaden), üeber die Verwendung des Spiegels in der 

Uebungstherapie. Physik.-medic. Monatshefte Jahrg. 1, Mai 1904. 

Bei der Wiedereinübung von Bewegungen leistet der Spiegel sehr gute 
Dienste. Nur bei Sprachstörungen ist er nach Verfasser früher schon im Ge¬ 
brauch gewesen. Friedländer wendet ihn seit einem Jahr bei Steh- und 
Gehübungen an und zwar in einer von ihm angegebenen Gonstruction. Durch 
den Spiegel ^vermag der Patient sich sehr vollkommen zu controlliren, der ^visu- 
cerebrale Coordinationsmechanismus wird besser ausgenütztBei seitlicher 
Stellung des Spiegels kann der Arzt dem Patienten die nachzumachenden 
üebungen besser als sonst demonstriren. — Soll der Patient direct sich auf 
die Füsse sehen, so werden die sonst hieraus resultirenden Fehler in seiner 
Haltung leicht vermieden, wenn sich Patient im Spiegel betrachtet. — Bei 
Üebungen im Liegen kommt der Spiegel nicht in Betracht. 

Hiller-Berlin. 

Weigert (Breslau), Die Behandlung der Scrophulose und Tuberculose mit 

Soletrinkkuren. Monatsschr. f. Kinderheilk., Mai 1904. 

Weigert hat in der Breslauer Kinderklinik scrophulöse und tuberculöse 
Kinder Soletrink kuren durchmachen lassen, um die Witczak-Rosenberger’scbe 
Hypothese auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Letztere besagt , dass durch die 
supponirte Schwäche des lymphatischen Systems bei solchen Kindern eine Ver¬ 
langsamung und Stauung des Lymphstroms eintritt, die durch Erhöhung dea 
Kochsalzgehaltes im Blute beseitigt werden könne. Das einfachste Mittel hierzu 
seien Soletrinkkuren. Diese speciell von Rosenberger versuchte wissen¬ 
schaftliche Begründung der Erfolge der Soletrinkkuren hat durch WeigerPs 
Versuche keine genügende Bestätigung gefunden, da die von Rosenberger 
beobachtete, während der Kur eintretende Vermehrung der Leukocyten des 
Mundspeichels nicht nachgewiesen werden konnte. Die Behandlung tuberculöser 
Kinder mit Soletrinkkuren zeitigte einen vollkommenen Misserfolg, vielleicht 
entstanden dadurch sogar Schädigungen der Patienten. Dagegen zeigten 
scrophulöse Kinder eine Besserung des Allgemeinbefindens, einige auch eine 
Abnahme der Neigung zu Schleimhautkatarrhen und eine Verkleinerung der 
lymphatischen Organe des Nasenrachenraumes; bei anderen blieben die Sym¬ 
ptome der Scrophulose gänzlich unbeeinflusst. Freilich erscheinen uns bei der 
Kleinheit der Versuchsreihen bindende Schlüsse nicht zulässig. 

Pfeiffer-Berlin. 

Heine (Dortmund), Zur subcutanen Gestaltung der subcutanen Osteotomie. 

Centralbl. f. Chirurgie 1904, Nr. 34. 

Die subcutane Durchtrennung der Weichtheile wird heute noch ausge¬ 
führt, wo sich die offene Tenotomie verwenden lässt. Eine Infection ist eher 
bei ersterer Methode ausgeschlossen als bei letzterer. Trotz aller aseptischen 
Vorsichtsmassregeln soll man auch versuchen Osteotomien subcutan auszuführen; 
die Methode kann zu einer ,der subcutanen fast gleichkommenden“ ausge¬ 
bildet werden. 

Verfasser erwähnt drei Verfahren, welche er ausgeführt hat. 

1. Der Meissei wird direct auf die Haut gesetzt und nun so die Osteo¬ 
tomie vpllendet (!). Wenn Verfasser behauptet, dass „Unangenehmes nicht 


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Referate. 


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passirt sei*, so muss ich ihm darin recht geben, dass die Methode unglaublich 
roh ist. 

2. üeber dem Knochen wird eine Hautfalte erhoben, der scharfe Meissei 
faindurchgestossen und auf den Knochen durcbgeführt. Dann Durchmeisselung. 
Audi dieses Verfahren erscheint dem Referenten nicht gut und nicht einfacher 
als das gewöhnlich geübte. 

3. Verfasser empfiehlt hier die Osteotomie mittelst H a u t Verschiebung. 
Während der Assistent durch straffes Anziehen der Unterschenkelhaut möglichst 
viel von derselben zu verschieben sucht, macht der Operateur in diesem Ge¬ 
biete der Haut den 1 cm langen Schnitt, durchmeisselt den Knochen, der Assi¬ 
stent lässt die Haut los, Knochen- und Hautwunde liegen nicht mehr auf 
einander. 

Nach Verfasser kommt diese Methode in Frage bei Tibiadurchmeisselung 
bei kindlicher Rhachitis. Bei Erwachsenen kommt die Methode nicht in 
Frage, wegen der Masse des zu durchdringenden ünterhautzell- und Fett¬ 
gewebes. 

Verfasser sieht folgende Vortheile seiner Methode: 

1. Kürze des Eingriffes (einige Minuten). 

2. Kleinheit des Hautschnittes. 

3. Arbeiten möglichst unter Luftabschluss. 

4. Aehnlichkeit mit einem uncomplicirten Knochenbruch. 

5. Haut- und Knochenwunde liegen aus einander. 

6. Subcutaner Charakter der Operation. 

Ob diese vom Verfasser angegebene Methode eine wirkliche Bereiche¬ 
rung unseres Operationsschatzes darstellt, bleibe dahingestellt, da bei durch¬ 
geführter Asepsis — und dieselbe verlangt Verfasser ja auch ausdrücklich 
für seine Methode — die Resultate der an der Hof falschen Klinik massen¬ 
haft nach gewöhnlicher subcutaner Art ausgeführten Osteotomien nichts an 
Erfolg zu wünschen übrig lassen. Hi 11 er-Berlin. 


Hagen-Torn (St. Petersburg), Zur Arthrodesenbildung. Centralbl. f. Chirurgie 

1904, Nr. 34. 

Verfasser berichtet über eine Methode der Arthrodesenbildung am Knie¬ 
gelenk, die er seit mehreren Jahren übt. 

Die meisten seiner Patienten wollen auch unter Opferung der Beweg¬ 
lichkeit im Gelenk rasch geheilt sein. Daher Hess er die Patienten schon am 

7. Tage nach der Resection umhergehen. Die Sägeflächen wurden weder ge¬ 
näht noch genagelt, nur auf die Congruenz der Flächen kommt es an. Der 
Sägeschnitt verläuft so, dass die Knochenenden einen nach hinten offenen 
Winkel von einigen Graden bilden, so dass das Knie leicht flectirt steht. 

Seine Methode ist theoretisch wichtig, 1. weil bei grösseren Spongiosa¬ 
flächen prima intentio, so wie bei Weichtheilwunden eintreten kann, 2. weil 
functionelle Belastung am besten die Consolidation begünstigt. 

Verband: Gewöhnlich Mc Ewens Seitenschiene mit Kniekehlen und 
leicht geneigter Sohlenstütze. Nach dem ersten Verbandwechsel Gipshülse, 
welche je */• Ober- und Unterschenkels bedeckt. Die dem Kranken ge- 


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Referate. 


gebenen Krücken sollen nicht die Extremität entlasten sondern stützen. Die 
Schmerzen sind unbedeutend oder fehlen. Consolidation in 2—3 Wochen. 

Hill er-Berlin. 

Ei sing (New-York), Charaetöres pathologiques de certaines affections des os 

longs r^v^les par la radiographie. La m^decine des accidents du travail 

1904, Nr. 9. 

Verfasser berichtet über die radiographisch nachweisbaren differential¬ 
diagnostisch wichtigen Zeichen verschiedener Knochenaffectionen, speciell bei 
Osteomyelitis und den malignen Neubildungen, dem Sarkom und Carcinom. 

Beim Carcinom bemerkt man eine wie ausgenagt anzusehende circum- 
scripte Knochenrarefication. Diese Rarefication erscheint homogen, ihre Aus¬ 
dehnung ist je nach der Dauer der Erkrankung verschieden. Im Periost bildet 
sich kein Knochen. 

Beim Sarkom ist das Riesenzellensarkom vom Rundzellensarkom zu unter¬ 
scheiden. 

Das Bild des ersteren ist ganz charakteristisch; indem es eine Resorp¬ 
tionszone im Knochen und Periost deutlich erkennen lässt, die Begrenzungs¬ 
linie ist glatt. Die Rundzellensarkome zeigen eine verschwommene Verbreite¬ 
rung der Knochendiaphyse. Die Markhöhle erscheint verbreitert, das Periost 
ist mitunter verdickt, jedoch besteht keine Knochenneubildung. 

Die Osteomyelitis hat Verfasser nur in ihrer subacuten und chronischen 
Form untersucht. Die wahrnehmbaren Zeichen bestehen in einer unregel¬ 
mässigen verschwommenen Verdickung des Knochens. Die erkrankte Knochen¬ 
partie ist verschieden durchsichtig, manchmal sieht man Höhlen oder Sequester; 
Periost mitunter verdickt, oft mit Knochen Wucherungen bedeckt. Auf das Alter 
der Krankheit lassen sich daraus ungefähre Rückschlüsse ziehen. 

Hil 1 er-Berlin. 

Fe iss, Method of studying the pathology of bone lesions by the X rays. 

Verfasser will zur Diagnose der Knochenerkrankungen die Mikroskopie 
durch die Röntgenphotographie vollständig ersetzen. Er liefert zu diesem Zwecke 
Röntgenbilder von einem durch Tbc. theilweise zerstörten Talus sowie von einer 
mit Pott'schem Leiden behafteten Wirbelsäule, und stellt dieselben den von 
denselben Stellen erhaltenen mikroskopischen Präparaten gegenüber. Die Röntgen¬ 
bilder hat er gewonnen erstens aus den halbirten ganzen Knochen und dann 
aus 2 mm dicken Knochenscheiben, die er von den erkrankten Partien nahm. 
Er zeigt nun, dass an den Stellen, wo im mikroskopischen Bilde die Trabekeln 
verdickt resp. verdünnt sind, auch das durch X-Strahlen gewonnene Schatten¬ 
bild stärker resp. schwächer ist und dass dort, wo das mikroskopische Präparat 
Nekrosen aufweist, das Röntgenbild helle Stellen zeigt. Auch die Grenzen der 
Erkrankung sind auf seinen Röntgenbildem sehr scharf differenzirt. 

V ü 11 e r s - Dresden. 

Rehn, Multiple Knochensarkome mit Ostitis deformans. Archiv f. klin. Chir. 

Bd. 74, H. 2. 

Beschreibung eines Falles der im Titel angegebenen Krankheit. Ein 
23jähriges Mädchen erkrankte an Knochenturaoren, welche vorwiegend die 
unteren Extremitäten und das Becken, dann auch die Rippen, den Oberarm 


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Referate. 


795 


und Schultergürtel ergriffen. Die bei mehrfachen Operationen entfernten Tumoren 
erwiesen sich als myelogene Riesenzellensarkome. 

Dauer der Krankheit über 9 Jahre; im Verlaufe derselben Deformirung 
der Knochen und Spontanfracturen. 

Rehn hält die Riesenzellensarkome seines Falles für entzündliche Neu¬ 
bildungen; das Endprodukt derselben sieht er in jenen knochenharten^ weiss- 
lichen Geschwülsten, deren Massiv aus Fasermark besteht, während glattwandige 
kleine Cysten, unregelmässige Züge rothen Markes sie durchsetzen. Diese alten 
Tumoren unterscheiden sich auf das Schärfste von den frischen, weichen, braun- 
rothen. Dazwischen finden sich als Uebergänge Tumoren, welche weiss und 
hart sind, im Inneren jedoch blassgelbröthliche Inseln mit dem Bau des typi¬ 
schen Riesenzellensarkoms zeigen. Letztere Inseln sind als Reste des ursprüng¬ 
lichen Gewebes nach der Degeneration zurückgeblieben. 

Wollenberg - Berlin. 

Marie et Viollet, Fracture spontanee de la jambe chez un paralytique 
general. Socidte anatom. de Paris, April 1904. 

Der Patient hat bis zu seinem 83. Jahre mindestens nenn Fracturen der 
verschiedensten Knochen aquirirb. Die sich hierin dokumentirende leichte Zer¬ 
brechlichkeit der Knochen war nicht durch Tabes dorsalis verursacht, die Sec- 
tion gab keine Anhaltspunkte dafür, sondern wahrscheinlich durch hereditäre 
Lues. Diese Annahme gewinnt an Wahrscheinlichkeit, weil der Patient die in 
der Jugend durchgemachten Fracturen gerade nach leichten Traumen 
acquirirte. 

Die Fracturen heilten rasch, recidivirten aber ebenso schnell. Im 
31. Lebensjahr brach er den Unterschenkel, um Heilung zu erzielen musste zur 
Knochennaht geschntten werden. Die Heilung erfolgte aber doch nur in sehr 
schlechter Stellung. Das Röntgenbild zeigt eine Synostose beider ünter- 
schenkelknochen und die versenkte Silberdrahtnaht. Ausserdem sieht man das 
Bild einer rareficirenden Ostitis und einer Knochenverdichtung, diese letztere 
im Bereich des Gallus. Hiller-Berlin. 

Klaus, Die Knochenbrüche aus den Jahren 1896—1903, mit besonderer Be¬ 
rücksichtigung der Renten Verhältnisse. Dias. Tübingen 1904. 

Verfasser hat aus dem städtischen Hospital in Schwäbisch-Gmünd alle 
Fälle von Knochenbrüchen aus den Jahren 1896—1903 zusammengestellt. Der 
Hauptwerth wurde auf die Nachuntersuchung der behandelten Fälle gelegt, da 
ja diese allein für den Erfolg der Behandlung massgebend ist. Da es sich in 
den «llermeisten Fällen um Rentenempfänger handelte, so war diese leicht zu 
bewerkstelligen. Bei diesen Nachuntersuchungen, bei denen Verfasser natür¬ 
lich aus begreiflichen und bekannten Gründen nur wenig Wert auf die sub- 
jectiven Angaben legte, fiel ihm hauptsächlich der Unterschied der Heilung der 
in der Privatpraxis und der in Krankenhäusern behandelten Fälle auf. Von 
zehn typischen doppelten Malleolenfracturen, die im Krankenhaus behandelt 
wurden, endigten neun mit vollständiger Erwerbsfäbigkeit, während bei sehr 
vielen auswärts behandelten Fällen durchschnittlich eine Rente von 40% be¬ 
zahlt wurde. Die Schuld liegt nicht an den Aerzten, sondern an den Verhält¬ 
nissen, deshalb räth Verfasser dringend, schwerere Fälle sofort dem Spital zu 
Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XIII. Bd. 52 


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796 


Referate. 


überweisen. Verfasser macht sodann noch auf die Schwierigkeiten aufmerksam, 
die sich uns bei der Abschätzung der Erwerbsfähigkeit von Verletzten im Sinne 
des ünfallversicherungsgesetzes entgegenstellen, und kommt dann nach diesen 
allgemeinen Bemerkungen auf die einzelnen Fracturengruppen der Reihe nach 
zu sprechen. Er erstattet über die behandelten Fälle in möglichst knapper 
Form Bericht, beschreibt interessantere Fälle etwas ausführlicher, fügt die be¬ 
treffenden Krankengeschichten bei und stellt am Schlüsse eines jeden Kapitels 
die Ergebnisse der Nachuntersuchungen zusammen. Es liegen dieser Arbeit 
243 Fracturen zu Grunde, von denen 21 den Schädel, 29 den Rumpf, 89 die 
obere Extremität und 104 die untere Extremität betrafen. Auf nähere Einzel¬ 
heiten der verschiedenen Abschnitte kann ich hier nicht eingehen, es würde 
mich zu weit führen; diese müssen schon im Original nachgelesen werden. Die 
Arbeit, der noch eine Anzahl Röntgenbilder beigegeben.sind, liefert einen 
dankenswerthen Beitrag zur Fracturenlehre und kann nur jedem, der sich für 
dieses Thema interessirt, aufs Angelegentlichste empfohlen werden. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Salensen, Des fractures de jambe au V» inferieur dans leur rapports avec 

les accidents du travail. Thöse de Montpellier 1904. 

Nach Schilderung der pathologischen Anatomie der ünterschenkelfracturen 
im mittleren Drittel, ihrer Complicationen, der gerichtlich-medicinischen Folge¬ 
rungen kommt Verfasser an der Hand von 2 Beobachtungen zu folgenden 
Schlüssen: 

Die Fracturen im unteren Drittel sind häufiger als die in dem mittleren 
und oberen Drittel; die Verletzung ist schwer, die zu bewilligende Ruhezeit 
soll mindestens 10 Monate betragen. Complicationen und schlechte Resultate 
sind nicht selten und zwar in den verschiedensten Stärkegraden, so dass ein 
vorher festgelegter Unfallrententarif, wie er in Deutschland und Oesterreich 
festgelegt ist, recht unpraktisch erscheint. Nur eine Begutachtung von Fall zu 
Fall lässt uns Ungerechtigkeiten vermeiden. Hil 1er-Berlin. 

Khouzam, Du soubresaut dans les fractures de jambe. These de Paris 1904. 

Verfasser kommt am Schlüsse seiner Arbeit, in welcher die Kranken¬ 
geschichten von 42 Fällen von Beinfracturen gegeben werden, in Bezug auf die 
sich dabei findenden Zuckungen zu folgenden Schlüssen: 

1. Die Zuckungen sind so häufig bei Beinfracturen, dass sie ein patho- 
gnomonisches Zeichen darstellen können. 

2. Sie finden sich wie bei den Fracturen des Fusses, mitunter bei den 
Fracturen der Rotula und des Femur sowie bei Exarticulation und Resectionen. 

3. Sie finden sich sowohl bei Fracturen eines als auch beider Knochen 
des Unterschenkels. 

4. Sie sind bei Schrägbrüchen länger anhaltend. 

5. Nervosität und Alkoholismus sind prädisponirende aber nicht be¬ 
stimmende Momente. 

6. Die Pathogenie dieses Symptomes ist nicht bestimmbar. 

7. Die beste Behandlung ist die Anlegung eines immobilisirenden Appa¬ 

rates. Ohne ihu persistiren die Zuckungen bis zu 14 Tagen nach der Ver¬ 
letzung. Hi Iler-Berlin. 


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Referate. 


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Lauriat, Trailement sanglant des fractures fermöes de la jambe. These de 

Paris 1904. 

Verfasser kommt am Schlüsse seiner Arbeit (Krankengeschichten von 
3 Fällen) zu folgenden Folgerungen: Gewisse Fracturen des Beines und beson¬ 
ders die Schrägfracturen bedürfen grosser Sorgfalt in ihrer Behandlung. Sehr 
nützlich ist die Röntgenuntersuchung zur Diagnose und Behandlung in Bezug auf 
Adaption, Extension und Controlle, ferner für den Entschluss, operativ einzugreifen. 

Mittelst unserer Hilfsmittel (Narkose, Traction, Immobilisation im Gips¬ 
verband erzielen wir functioneil ausserordentlich günstige Resultate. Aber be¬ 
sonders bei den Schrägfracturen ist die Coaptation sehr schwer; es entsteht ein 
difformer Gallus, der dann functionell Störungen hervorruft. In solchen Fällen 
soll man operiren (Naht, Immobilisation im Verband bis zur erfolgten Con- 
solidation). Die Knochennaht ist Dank der strengen Asepsis völlig gefahrlos 
und verdient in die tägliche chirurgische Praxis aufgenommen zu werden. 

Hill er-Berlin. 

Serrant (Paris), Traitement orthop4dique de la fracture de Dupuytren recente. 

Th^se de Paris 1904. 

Serrant gelangt auf Grund der von ihm zusammengestellten 29 Fälle 
von Dupuytren’scher Fractur zu der Ansicht, dass diese Verletzung eine 
sehr schwere ist und dass eine Restitutio ad integrum ziemlich selten ist. Zu¬ 
nächst ist eine exacte Reposition oft schwierig infolge von Muskelcontracturen, 
Interpositionen von Muskeln oder Knochenfragmenten oder durch Luxation des 
Talus. Gewöhnlich treten reÜectorische Muskelatrophien, Gelenksteifigkeiten, 
trophische und vasomotorische Störungen ein. Oft resultirt auch eine Valgus- 
stellung des Fusses, selbst wenn seine Position im Verband richtig war. Um 
ein gutes Endresultat zu erzielen, ist eine exacte und unmittelbare Reposition 
absolut erforderlich; sie muss, falls sie durch einfache manuelle Massnahmen 
in tiefer Narkose unmöglich, durch Tenotomie der Achillessehne oder in offener 
Wunde erzwungen werden. Der beste Verband bleibt der Gipsverband, der 
für 25 Tage eine absolute Immobilisation bewirken muss. Darnach kann mit 
Massage und Bewegungen begonnen werden, dos Umhergehen sollte aber erst 
am 60. Tage erlaubt werden und auch dann noch mit einem Hülsenapparat 
erfolgen. Eine mehrmalige radiographische Untei*suchung ist unerlässlich. Compli- 
cirte Fracturen erfordern die bekannten chirurgischen Massnahmen. 

Pfeiffer-Berlin. 

Klar (Heidelberg), 13 Knochenbrüche bei einem Manne zu gleicher Zeit, gute 

Heilung. Monatsschr. f. Unfallheilkunde und Invalidenwesen 1904, Nr. 7. 

Verfasser bespricht einen Fall näher, bei welchem Patient folgende Ver¬ 
letzungen aufwies: 

1. Fractur der 4.—7. Rippe in der Mammillarlinie. 

2. Fractur der beiden Knochen des rechten Vorderarmes mit Gefäss- 
zerreissung. 

3. Bruch beider Knochen des linken Vorderarmes. 

4. Bruch des linken Oberarmknochens. 

5. Complicirter Bruch des linken Oberschenkelknochens mit Knochen¬ 
splitterung. 


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Referate. 


6. Bruch des rechten Oberschenkels. 

7. Bruch des rechten inneren Knöchels. 

8. Bruch des 5. Metacarpus rechts. 

9. Quetschung der linken Gesichtshälfte und des rechten Handrückens. 

Nach 6 Monaten war das Heilergebniss ein verhältnissmässig sehr günstiges. 

Die complicirte 0berschenkelfractur ist mit starker Verbiegung nach 

aussen und mit kräftiger Gallusbildung geheilt. Ebenso gut ist der rechte 
Oberschenkel consolidirt (Länge: rechtes Bein 87 cm, linkes Bein 85 cm). Linker 
Oberarm um 1 cm verkürzt, der linke Vorderarm erlaubt folgende Bewegungen: 
Beugung und Streckung im Hand* und Ellenbogengelenk normal. Supination 
leicht beschränkt. Der rechte Vorderarm gut consolidirt, Verkürzung 2 cm. 
Volarflexion der rechten Hand um ein Viertel, die Dorsalflexion um etwa die 
Hälfte beschränkt. Supination zur Hälfte möglich. Die Hände können zur 
Faust geschlossen werden (Dynamometer: links 20 kg, rechts 10 kg). Der 
Umfang der Extremitäten ist auf beiden Seiten etwas geringer. Die Kippen- 
fracturen sind ausgezeichnet geheilt. Keine Verbildung am Thoi'ax, keine Unter¬ 
schiede bei der Athraung. 

Das Sprunggelenk ist noch etwas schmerzhaft, am Malleolus geringer Gallas. 

Das Allgemeinbetinden des Patienten ist sehr gut. Keine Zeichen von 
traumatischer Neurasthenie. Für die noch bestehenden functioneilen Defecte 
ist bei fortgesetzter Uebung die Prognose sehr gut. Hill er-Berlin. 

Arrault (Paris), Gontribution ä Tetude du traitement des pseudarthroses de 

la jambe. Thdse de Paris 1904. 

Arrault bringt in seiner Dissertation 7 Krankengeschichten, die Pseud- 
arthrosen der unteren Extremität betreffen. An der Hand dieser Fälle bespricht 
er kurz die Aetiologie, Symptome, Prognose und Therapie dieser Pseudarthrosen. 
Er hat gefunden, dass das obere Ende des unteren Tibiafragmentes in solchen 
Fällen eine rareficirende Ostitis zeigt, die beim oberen Fragmente, wahrschein¬ 
lich infolge der günstigeren Ernährungsverhältnisse, fehlt. Therapeutisch ge¬ 
nügt nach seiner Meinung für diejenigen Fälle, in denen das Röntgenbild eine 
gute Adaptirung der Fragmente erkennen lässt, ein Stützapparat, der drei Be¬ 
dingungen erfüllen muss: 1. soll er einen normalen Gang gestatten; 2. soll er 
den Fragmenten genügend Spielraum lassen, um beim Gehen eine automatische 
Reibung deifselben zu erlauben; 3. muss der Apparat leicht an- und abzulegen sein, 
um einmal zur Zeit der Ruhe zwecks besserer Ernährung der Extremitäten jedesmal 
entfernt werden zu können, dann aber auch eine öftere Application der Massage 
und der gymnastischen Uebungen zu ermöglichen. Für Fälle mit ungenügender 
Reposition empftehlt Arrault die Dujarier’sche Knochenklammer, die aber 
nur dann wirksam sei, wenn man den Patienten vom 10. Tage ab nach der 
Operation massiren und umhergehen lässt. Pfeiffer-Berlin. 

V. Mango Idt, Uebertragung ungestielter Periost-Knochenlappen zur Heilung von 

Pseudarthrosen und Knochenhöhlen. Archiv für klinische Ghirurgie 1904, 

Bd. 74, Heft 2. 

V. Mangoldt hebt den Werth der freien Periost-Knochenübertragung 
hervor und erläutert die mit dieser Methode erzielte knöcherne Vereinigung 


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Referate. 


799 


einer Pseudarthrose, sowie die Heilung einer osteomyelitischen Knochenhöhle 
an der Hand je einer Krankengeschichte und mehrerer, in bestimmten Intervallen 
aufgenommener Röntgenbilder. Was die Technik betrifft, so räth v. Mangoldt 
zur Entnahme des Lappens von der vorderen inneren Fläche der Tibia (ge¬ 
gebenen Falls auch von der freien Ulnakante, von den Rippen, von der Becken- 
Schaufel). Bei Entnahme von der Tibia führt Verfasser einen Thürflügelschnitt 
mit medialer Basis aus, umschneidet den Lappen (etwas grösser wie der zu 
deckende Knochendefect) und trägt ihn mit dem Meissei ab. Behufs besserer 
Adaptirung wird der Lappen in Längs- und Querrichtung mehrmals ein- 
geknickt. Die Anheilung pflegt auch bei hinzukommenden Complicationen 
(stärkere Secretion der Wundhöhle) zu erfolgen. Es kommt jedoch häufig noch 
zur Ausstossung kleinerer Sequester, die wohl von den übertragenen Knochen¬ 
plättchen herrühren. Wo Ile n her g-Berlin. 

AVagenknecht, Altes und Neues zur Behandlung von Knochenhöhlen seit 

Einführung der antiseptischen Wundbehandlung. Beiträge zur klinischen 

Chirurgie 42. Bd. 

Wagenknecht gibt, nachdem er kurz auf die Aetiologie der Knochen¬ 
höhlen eingegangen ist, wobei er dieselben in aseptische und inficirte eintheilt, 
einen chronologischen Ueberblick über die einzelnen Behandlungsmethoden. Mit 
dem Beginn der ListeFschen Wundbehandlung begann man auch die entzünd¬ 
lichen Erkrankungen der Knochen und des Knochenmarks energischer als bisher 
chirurgisch anzugreifen, v. Mosetig-Moorhof führt die antiseptische Tam¬ 
ponade mit Jodoformgaze ein, Billroth füllte die Höhlen mit Jodoformglycerin. 
Sodann bemühen sich eine grosse Anzahl Chirurgen um einen Ersatz des haupt* 
sächlich von Roch er und Schede angegriffenen Jodoforms. Als directes 
Füllmaterial empfahl Kümmel Glaswolle und Sublimatsand, Ewald nahm 
Schleich's Formalingelatine. Ein völlig neues Prinzip führt Schede 1886 durch 
die „Heilung unter dem feuchten Blutschorf'‘ ein und wurde von v. Bergmann 
und Länderer heftig bekämpft. Schon 1879 hatte Neu her, allerdings mit 
schlechtem Resultat, Blut zur Ausfüllung verwerthet, während die S c h e d e’schen 
Erfolge glänzend waren (91% Heilungen). Eine weitere Neuerung bildet die 
Plombirung der Knochenhöhlen, die ebenfalls von deutschen Chirurgen zuerst 
ausgeführt wurde (Dreesmann 1893). Die verschiedenartigsten Materialien 
wurden hierzu benützt, Gips, Kupferamalgam, Guttapercha, v. Mosetig’s Jodo¬ 
formplombe, Thymoljodoform von Fautier und Val an u. s. f. Die resorbir- 
bare Tamponade, zuerst von Hamilton 1879 empfohlen, von Duplay und 
Cazin praktisch erprobt, ist die Vorläuferin der Osteoplastik, die, zu Beginn 
des vorigen Jahrhunderts zuerst versucht, durch die Versuche Ollier’s ihren 
grossen Aufschwung nahm und durch ihn, Langenbeck und J. Wolff aus¬ 
gebaut wurde. Hauptsächlich wurde zuerst die Frage nach dem Weiterleben 
transplantirten Knochens ventilirt und durch Ollier und Wolff in be- 
jaliendem Sinne entschieden. Da veröffentlichte 1893 und 1895 Barth seine 
Untersuchungen und stiess damit die Ergebnisse der vorhergehenden Arbeiten 
völlig um. Auch autoplastisch transplantirter Knochen wurde stets nekrotisch, 
wenn nicht ein ausreichender Periostlappen für seine Ernährung sorgte. Das 
freiwerdende Material dient zum Aufbau des neuen Knochens. Nur frische 


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Referate. 


Knochenstücke sehr junger Thiere heilten auch so ein. Diese Barth’sche 
Lehre ist heute wohl fast allgemein anerkannt. Auch entkalkte Knochen wurden 
als Füllmaterial benützt (Senn, Kümmel). Barth schlug auf Grund seiner 
Versuche Füllung mit ausgeglühter und pulverisirter Knochenerde vor, da er 
den Kalkgehalt für wesentlich hielt. Alle diese Verfahren (am besten nach 
y. Mosetig, Fautier-Valan oder Schede) sind nur für kleine Defecte, 
etwa bis Aprikosengrösse, anwendbar. Sonst kommt das von Lücke ein¬ 
geführte Implantationsverfahren in Frage oder die Bier’sche osteoplastische 
Nekrotomie. Sehr gute Resultate geben auch die Verfahren von af Schulten, 
der die grössten Höhlen im Femur, Tibia und Humerus erfolgreich deckte und 
zwar durch Periostknochenmuskellappen. Hautlappeu zur Ausfüllung von Knochen- 
hölilen wurden zuerst von Neuber verwendet, der 1883 seine Methode der 
Lappeneinstülpung veröffentlichte. Die Erfolge dieser Behandlung sind häufig 
sehr gute, indem die Hautlappen allmählich bis zum normalen Niveau empor¬ 
gehoben werden können, und zwar durch neugebildete Knochen. Zum Schluss 
vergleicht Verfasser diese Methode mit den anderen und schliesst damit, sie 
für alle Fälle angelegentlichst zu empfehlen. Rauenbusch-Berlin. 

Wolkowisch (Kiew), Zur Frage der operativen Behandlung der Tuberculose 
der grossen Gelenke der Extremitäten und speciell der Resection der¬ 
selben. Deutsche Zeitschrift für Chirurgie 74. Bd., Heft 5—6. 

Verfasser vertheidigt die operativen Eingriffe bei Gelenktuberculose, und 
führt die mitunter beobachteten Misserfolge auf die Unzulänglichkeit der Methode 
zurück. 

Verfasser spricht sich gegen die Excochleation aus und ersetzt sie durch 
Aussägen oder Ausmeisseln der erkrankten Partien. Bei der Resection umgeht 
Wolkowisch die tuberculösen Theile gewissermassen, lässt das Gelenk un- 
eröffnet, sägt die Gelenke ab und entfernt so alles Erkrankte. 

Die Anpassung der gegenüberliegenden Knochenenden erfolgt am besten 
sofort im Anschluss an .die Resection und zwar nicht nur wie bisher üblich, 
allein beim Kniegelenk, sondern auch am Fass- und Handgelenk, sofern grössere 
Partien resecirt werden müssen. So vermeidet man am besten Schlottergelenke. 

Verfasser bespricht alsdann die Methoden und Erfolge der Resection. 
Die Beschreibung der Methoden ist nur an der Hand zahlreicher Abbildungen 
zu geben. Stets aber resecirt Wolkowisch en bloc, ohne Eröffnung des Ge¬ 
lenkes. Die Erfolge sind nun folgende: 

Bei 28 Fällen von Hesectio genu betrug die grösste Verkürzung in 10 Fällen 
5 cm. In 2 Fällen betrug sie nur 1 Vz cm. Die Stellung der Extremitäten war 
fast in allen Fällen tadellos. Eben so gut sind die Dauerresultate. 8 von 
11 Patienten sind völlig geheilt und arbeitsfähig. 

Am Fuss wurden 9 Patienten operirt; bei 2 Patienten, über welche 
Wolkowisch Nachrichten sammeln konnte, ist das Dauerresultat ein gutes. 
Bei Affectionen des Fussgelenkes operirte Verfasser nach einer Modification der 
M icu 1 ic z-W 1 adim iro ffschen Operation in 24 Fällen. Von 8 Patienten, über 
welche er Nachrichten besitzt, befinden sich 7 vorzüglich. Bei einer entwickeln 
sich fortgesetzt neue Fistelgänge. 

Am Hüftgelenk resecirt Wolkowisch nach Kocher. Nachrichten be- 


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Referate. 


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sitzt Wo] ko wisch über 7 von 16 operirten Patienten. Davon starb einer 
4V« Jahre post Operationen!. 3 sind fistelfrei. 

Aehnlich sind die Erfolge der Resection en bloc im Ellenbogen- und 
Handgelenk. 

Nach den Handgelenksoperationen wurden zur Herstellung der Finger¬ 
beweglichkeit methodische Uebungen gemacht, die darin bestehen, dass Patient 
mit der Hand des operirten Armes einen Gumraiball knetet. 

Hil 1er-Berlin. 

Kothe (Bonn), Studien über die Temperatur erkrankter und hyperämisirter 

Gelenke. Münchener medicinische Wochenschrift 1904, Nr. 31. 

Verfasser untersuchte die Temperatur erkrankter und hyperämisirter Ge¬ 
lenke mittelst einer thermometriscben Vorrichtung, welche im Original aus¬ 
führlich beschrieben wird und im Wesentlichen aus einem sehr empfindlichen 
Galvanoskop (nach Prof. Paschen) besteht; die thermoelektrische Kraft wird 
dadurch verstärkt, dass man mehrere Elemente zu einer Thermosäule verbindet. 
Anfänglich wurden zwei Thermosänlen zugleich verwendet, später wurde jedes 
Gelenk einzeln gemessen. 

Die Messungen müssen an genau symmetrischen Stellen und unter gleichen 
Verhältnissen vorgenommen werden. 

Da Anomalien der Blut Versorgung im Körperinneren von einer abnormen 
Blutvertheilung in der Haut begleitet sind, darf man schliessen, dass die Messung 
der Hauttemperatur Aufschluss über die Temperatur des Gelenkes gibt. 

Bei den auf diese Weise ausgeführten Untersuchungen ergab sich eine 
scharfe Trennung in acute resp. subacute und chronische Entzündungen. Die 
Temperatursteigerung bei acuter Entzündung richtet sich nach der Schwere 
der Erkrankung, sodann darnach, ob ausser den Gelenkeu auch Schleimbeutel, 
Sehnenscheiden etc. befallen sind. Die höchste Steigerung (5® und mehr) con- 
statirte Verfasser bei acuten Gelenkvereiterungen nach Traumen, Infections- 
krankheiten ete. 

Bei chronischen Entzündungen (Arthritis deformans etc.) war das er¬ 
krankte Gelenk um etwa 2® kälter. Oft fehlte ein Temperaturunterschied 
überhaupt. Nie bestand Temperaturerhöhung der kranken Seite. 

Dagegen bestand bei 30 untersuchten chronisch-tuberculösen Arthritiden 
stets Erhöhung der Temperatur (bis 4®), besonders wenn kalte Abscesse im 
Entstehen waren. Die Wichtigkeit in differential-diagnostischer Hinsicht (bei 
gewöhnlicher und tuberculöser Arthritis) liegt auf der Hand, und auch für die 
Therapie sind solche üntei-suchungen oft nicht wenig nützlich. 

Die Wirkung hyperämisirender Mittel ist verschieden bei activer 
und passiver Hyperämie. Bei Application des Heissluftkastens zum Beispiel 
beträgt die Temperaturerhöhung manchmal 8°. Bei Anwendung des Saug¬ 
apparates war die Temperatursteigerung geringer. 

Bei passiver Hyperämie (Stauungsbinde) trat nur bei acutentzünd¬ 
lichen Processen eine leichte Temperaturerhöhung ein. 

Durch Priessnitz-Umschläge blieb die Hauttemperatur ganz unbeeinflusst. 
Alkoholumschläge erwärmten um 1—1\2®C. Jodtinctur erwärmte um 3—4®, und 
zwar langandauemd. Hiller-Berlin. 


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Referate. 


Laqueur (Berlin), Zur Behandlung der chronisch-rheumatischen und der gonor¬ 
rhoischen Gelenkerkrankungen mittelst der Bier'schen Hyperämie. Ber¬ 
liner klinische Wochenschrift Nr. 36, 1904. 

In 40 Fällen von chronischem Gelenkrheumatismus ist vom Verfasser 
die B i e r sehe Stauung angewandt worden und zwar genau nach der B i e r- 
schen Methode. Die Dauer der Stauung stieg von 2—4 Stunden Anfangs- 
application nach und nach auf 12 ja 22 Stunden, ohne dass schädliche Neben¬ 
einwirkungen gesehen wurden. Bei gonorrhoischer Arthritis betrug die längste 
Dauer 10 Stunden. Die gestauten Glieder können benützt werden. Nicht an¬ 
gewandt wurde die Stauung bei Hüft- und Schultererkrankung. 

Der Erfolg bestand zunächst in einer Linderung des Schmerzes. 
Bei der ganz chronischen Form, der Arthritis deformans, war der Erfolg aber 
kein dauernder. Ferner eignen sich die distalen Gelenke (Finger, Zehen) bessser 
zur Behandlung als die Knie- und Ellenbogengelenke. Sodann trat alsbold Besse- 
rung der Function infolge Nachlassens der Schmerzen und Auf¬ 
hören der Schwellung ein. Die Stauung wurde in vielen Fällen nicht allein 
angewandt, sondern in Verbindung mit anderen therapeutischen Massnahmen, 
wodurch sich die Erfolge noch günstiger gestalteten. 

An 5 in extenso wiedergegebenen Fällen erläutert Verfasser die erzielten 
Erfolge. 2 Fälle betreffen Affectionen des Fussgelenkes, welche sehr günstig 
beeinüusst wurden. 

Unter 5 bisher behandelten gonorrhoischen Arthritiden waren 2 Misserfolge 
zu verzeichnen. 

Besonders eclatant war der günstige Einfluss der Stauung bei einem 
Patienten mit Polyarthritis gonorrhoica. Das Kniegelenk, welches gestaut wurde, 
ist fast ganz beweglich. Ein Recidiv am anderen Kniegelenk bildete sich in 
wenigen Tagen infolge dieser Behandlung zurück. Die beiden anderen Fälle 
betrafen subchronische und chronisch-gonorrhoische Aflfectionen des Handgelenkes, 
wobei das Resultat ein sehr günstiges war. Hier wurde die Stauung mit 
Massage combinirt. 

Auch bei Ischias wurde nach Aufliören der ersten acuten Schmerzhaftig¬ 
keit durch die Methode eine bedeutende Besserung der Beschwerden erzielt. 

Im Ganzen ist nach dem Verfasser die Bier’sche Stauung ein sehr 
schätzenswerthes Mittel zur Behandlung von Arthritiden. Hi 11 er-Berlin. 

Tanon et Bijou (Paris), Präsentation de pieces d'arthropathie tabetique. 

Society anatomique de Paris 1904, Nr. 4. 

Der von den Verfassern beschriebene Fall ist durch die kolossale Ver- 
grösserung des Kniegelenkes bemerkenswerth. 

Vor 2 Jahren entstanden lancinirende Schmerzen in der unteren Extremität 
und gleichzeitig vergrösserte sich auch das Kniegelenk. Die Articulation hat 
die Grösse eines Manneskopfes, die Haut darüber ist gespannt, glatt, varicös. 
Die vordere Fläche des Gelenkes ist 24 cm hoch. Die Circumferenz der Femur- 
condylen beträgt 54 cm, an der Tibia 49 cra (6 cm mehr als auf der gesun¬ 
den Seite). 

Die mittlere Partie der Rotula hat einen Umfang von 58 cm, gegen 
40 cm der gesunden Seite. 


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Referate. 


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Seitliche BeweguDgen sind ausführbar; Extension und Flexion sind zwar 
möglich aber schmerzhaft. Das Gelenk kracht dabei. Die Palpation ist schmerz¬ 
haft und zeigt Knochenveränderungen sehr beträchtlicher Art. Es bestehen 
alle Zeichen der Tabes. Eine infolge der bestehenden hohen Temperatur aus- 
geführte Probepunction des Gelenkes erzielt eine reichliche, fibrinreiche, faden¬ 
ziehende Flüssigkeit mit Erythrocyten und degenerirten Leukocyten. Es findet 
eine Amputation im Oberschenkel statt. 

Bei der Section des Kniegelenkes zeigen sich sehr starke Knochen¬ 
veränderungen. Der Gelenkknorpel ist stellenweise verschwunden, die erhaltenen 
Theile sind grau verfärbt und leicht abschälbar. An den Ligamenten und der 
Synovialis finden sich fest anhaftende Knochenstücke. 

Am Knochen lassen sich histologisch die Zeichen einer Entzündung (klein¬ 
zellige Infiltration) feststellen. Die Knorpelkapseln sind verlängert, unregel¬ 
mässig angeordnet, enthalten zwei bis sechs Kcorpclzellen, deren Kerne sich 
schlecht färben. Der Knorpel erscheint wenig lebensföhig und im Stadium des 
Absterbens begriffen. 

Bei der Section des nach der Operation zum Exitus gekommenen Patienten 
wurde eine Tuberculose der rechten Lunge festgestellt. Hi 11 er-Berlin. 

Br ade, Gelenkerkrankungen bei Scarlatina. Diss. Leipzig, 1904. 

Verfasser beschreibt zunächst den Verlauf der schon lange bekannten 
Gelenkerkrankungen bei Scharlach, die sich bekanntlich ziemlich typisch in 
zwei Formen abzuspielen pflegen; die seröse und die eitrige Form. Er glaubt 
nicht fehl zu gehen, wenn er diese Gelenkentzündungen den toxischen Einflüssen 
des noch vorläufig unbekannten Scharlacherregers zuschreibt und wenn man 
die neben der Gelenkerkrankung gelegentlich beobachteten Entzündungen 
anderer seröser Häute nicht in causalen Zusammenhang mit der Synovitis 
bringt, sondern beide auf das Scharlachgift als gemeinsame Ui'sache zurück¬ 
führt. In den Jahren 1889—1903 wurden im städtischen Krankenhause zu 
St. Jacob in Leipzig 868 Fälle Scarlatina behandelt, unter denen sich 60 be¬ 
fanden, in denen Gelenkerscheinungen auftraten. Diese Zahl ist nach des 
Verfassers Ansicht etwas zu niedrig, da bei der häufigen Geringfügigkeit der 
objectiv nachweisbaren Veränderungen, namentlich bei kleinen Kindern, mancher 
Fall übersehen werden kann. Die Mehrzahl der Patienten, nämlich 44, waren 
jugendliche Erwachsene; 11 waren noch nicht 15 Jahr, 5 über 25 Jahr. 56 Fälle 
gehörten der serösen Form der Synovitis an und verliefen fast ausnahmslos 
gutartig, 4 waren eitriger Natur und verliefen sämmtlich tödtlich unter pyämi¬ 
schen Erscheinungen. Bei 2 der Patienten traten die Symptome gleichzeitig 
mit den übrigen Scharlachsymptomen auf, 26mal kam die Synovitis innerhalb 
der 1. Scharlach Woche, 23mal in der 2., je 3mal in der 3. und 4. und je 
3mal im ferneren Verlauf zum Ausbruch. In 8 Fällen war nur je ein Gelenk 
betroffen, bei allen übrigen Patienten war die Entzündung multipel. Schmerz¬ 
haftigkeit war das constanteste Symptom; daneben traten sehr häufig Schwel¬ 
lung und Temperatursteigerung auf. Die Dauer der Erkrankung betrug durch¬ 
schnittlich 6 Tage. Die Therapie bestand bei der serösen Form in Ruhigstellung 
und Watteeinpackungen, bei der eitrigen Form konnte sie nur eine chirurgische 
sein. B1 e n c k e • Magdeburg. 


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Referate. 


Moujauze-Chamboulives (Correze), Contribution ä Tetude de Thydartbrose 
intermittente. Th6se de Paris, 1904. 

Die iDtermittirende Hydarthrose ist eine chronische, in gewissen nach 
scheinbar präcisen Regeln sich einstellende Gelenknffection, mit serösem Erguss 
und rapider Entwickelung. Das Auftreten der einzelnen Anfälle scheint von 
äusseren Umständen, wie Temperatur, Ermüdung etc. unabhängig zu sein, 
ebenso existiren keine Alters* oder GeschlechtseinBüsse für ihre Entwickelung. 
Man sollte die Affection lieber als „periodische Hydarthrose* bezeichnen. 
Die Krankheit hat zur Aetiologie eine periodische Paralyse der Vaso¬ 
motoren, welche nach Koenig und Poulet fast immer das Vorhandensein 
von Tuberculose vcrrathen soll. Hi 11 er-Berlin. 

Troller, Beiträge zur Chirurgie der Sehne. Geschichtliche Skizze und Ca- 
suistik. Diss. Basel, 1904. 

Der 1. Theil der Abhandlung beschäftigt sich mit den Sehnenverletzungen 
und der Sehnennaht; Verfasser zeigt uns, wie erst unter der Aera der Anti- 
und Asepsis die Furcht vor den Sehnenverletzungen und einer Behandlung durch 
die Naht verschwand, eine Furcht, die länger als 2000 Jahre die Aerzte von 
einer rationellen Therapie abgeschreckt hat. Nach kurzer Skizzirung der ge¬ 
bräuchlichen Nahtmethoden wendet sich Verfasser zum 2. Theil seiner Arbeit, 
der Tenotomie. Der 3. Theil behandelt die plastischen Sehnenverlängerungen, 
der 4. die Sehnenverkürzungen, der 5. die Sehnenüberpflanzungen. Alle diese 
Theile erörtern die historische Entwickelung der einzelnen Operationen und die 
gebräuchliche Technik. 

Mit einer Casuistik von 80 orthopädischen Sehnenoperationen aus dem 
Institut des Doc. Dr. Hübscher in Basel schliesst die lesenswerthe Arbeit. 
Letztere Casuistik umfasst 9 Fälle von Torticollis, 15 von angeborener Glieder¬ 
starre und cerebraler Diplegie, 17 von Spitzfuss, und zwar 7 nach infantiler 
cerebraler Hemiplegie, 6 nach Poliomyelitis, 2 nach Neuritis des N. ischiadicus, 
2 Fälle von compensatorischem Spitzfuss. Weiter 14 Fälle von angeborenem 
Klumpfuss, 1 Fall von angeborenem Hackenfuss, 7 Fälle von paralytischem 
Klumpfuss, 17 Sehnentransplantationen. Wollenb erg-Berlin. 

Kausch, Beiträge zu den plastischen Operationen. Fingerbeuger- und Finger¬ 
streckerplastik, Ersatz der Fingerkuppe, Nasenplastik aus der Zehe, Penis¬ 
haut- und Skrotumplastik. Arch. f. klin. Chir. Bd. 74, H. 2. 

1. Die Verlängerung der Fingerbeugesehnen erreichte Kausch dadurch, 
dass er aus den beiden vorhandenen Sehnen des Flexor sublimis und profundus 
eine einzige bildete: Durchtrennung der Sublimissehne dicht an ihrer Insertions- 
stelle, der Profundussehne an proximaler Stelle, je nach dem Grade der aus¬ 
zugleichenden Verkürzung. Vernähung des distalen Endes der Profundussehne 
mit dem proximalen der Sublimissehne. Dies Verfahren, das der Verfasser in 
2 Fällen erprobte, soll als Normalverfahren angesehen werden in den Fällen, 
wo beide Sehnen vorhanden sind. Das Verfahren nach Beyer hält Verfasser 
für so schmale Sehnen für ungeeignet. 

2. Bei einer Durchschneidung der Strecksehne über dem Mittelgliede 
eines Fingers fand Kausch bei der Operation einen rautenförmigen Defect 


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Referate. 


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in der Dorsalaponeurose. An der proximalen Spitze dieses rautenfSrmigen De- 
fectes endete das centrale Sehnenende, während das periphere nicht sichtbar 
war. Kausch ging nun so vor, dass er durch zwei seitliche bogenf5rmige 
Schnitte die Dorsalaponeurose spaltete, dann die letztere mobilisirte und die 
so entstandenen beiden doppeltgestielten, brückenförmigen Lappen in der Mitte 
durch Naht vereinigte. Sofort konnte der Finger, der bisher in Beugecontractur 
stand, activ gestreckt werden. 

3. Bei Verlust der Fingerkuppe hat Kausch den Defect stets durch 
gestielte, der Brusthaut entnommene Lappen gedeckt. Da nun das Wachsthum 
des Nagels bei der gewöhnlichen Methode (Festnähen des Lappens am Finger¬ 
rücken, dann nach Durchtrennung des Stiels Naht auf der Volarseite) starke 
Störungen erlitt, nähte Kausch bei Fixirung der Hand in extremster Prona¬ 
tion an der Brust den Lappen zunächst auf der Volarseite fest. Nach Durch¬ 
trennung des Stieles wurde der Lappen so auf die Fingerkuppe gelegt, dass 
die Gegend des zukünftigen Nagelbettes frei blieb. Der Nagel nahm ideale 
Form an. 

4. Bei starker Zerstörung der Nase durch Rhinosklerom deckte Kausch 
den Defect durch eine Zehe, die zunächst auf die Hand, von dort auf die Nase 
gepflanzt wurde. Diese Wanderplastik hat ein ganz leidliches Resultat ergeben, 
das durch Paraffininjectionen noch verbessert werden soll. 

5. ln einem Falle von totaler Abreissung der Haut des Penis und des 
Skrotum wurde die Deckung des Penis durch Thiersch'sche Transplantation, 
die der Hoden durch zwei von der inneren Oberschenkel- und Bauchgegend 
genommene doppeltgestielte, sagittal gestellte Lappen vorgenommen. Resultat 
in jeder Hinsicht vorzüglich. 

Weiter erörtert Verfasser die in der Literatur niedergelegten Fälle von 
Defecten der Penis- und Skrotumhaut, deren Aetiologie das Trauma oder die 
Gangrän darstellen. Ein eigener Fall von Gangrän des Penis, bei dem durch 
Plastik ein 3 cm langer Penis gebildet wurde, wird hinzugefügt. 

Wollenberg- Berlin. 

Deroque (Paris), Les r^sultats ^loign^s de la transplantation tendineuse dans 

la paralysie infantile. IV. Congres p4riodique de Gynecologie, d'Ob- 

stetrique et de Pediatrie. Rouen 1904. 

Verfasser gibt eine umfassende Zusammenstellung der bis jetzt mittelst 
Sehnentransplantation behandelten Fälle von spinaler Kinderlähmung und unter¬ 
sucht dieselben auf die erzielten Dauerresultate hin. 

Er folgert aus dem umfangreichen Untersuchungsmaterial folgender- 
massen: 

Die Operation ist ungefährlich, ihre Mortalität gleich Null. Eine andere 
Frage ist es, ob die Operation einem gelähmten Gliede die Beweglichkeit 
zurüdizugeben vermag. 

Zweifellos existiren solche Beobachtungen, aber andere nicht minder ein¬ 
gehende Beobachtungen ergaben, dass die Operation völlig erfolglos war, noch 
andere aber beweisen, dass nach vorübergehender Besserung ein 
totales Recidiv sich eingestellt hatte. 

Sich über die völligen und mittelmässigen Erfolge, sowie über die Miss- 


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Referate. 


erfolge Rechnung zu geben, ist sehr schwer. Viele Chirurgen sind der Sehnen- 
transplantatiou treu geblieben, andere haben sie aufgegeben, weil sie unver- 
hältnissmässig viel Misserfolge sahen und griffen wieder auf die Arthrodese 
zurück. 

Ein richtiges unbefangenes ürtheil über den Werth der Sebnenplastik 
bei Poliomyelitis anterior wird man erst in vielen Jahren fällen können, wenn 
alle Operateure ihr zahlreiches Material rückhaltslos veröffentlichen. 

Hill e r- Berlin. 

Levy (Halle a. S.), lieber den Einfluss von Zug auf die Bildung faserigen 

Bindegewebes. Zugleich ein Beitrag zur Kenntniss der Sehnenvernarbung. 

Arch. f. Entwickelungsmechanik der Organismen, Bd. VlII, H. 2, 1904. 

In der ausführlichen Arbeit, deren Studium bestens empfohlen wird, 
stellt sich Verf. die Aufgabe, zu prüfen, welchen Einfluss mechanischer Zug 
auf die Bildung faserigen Bindegewebes ausübt. 

Vier Versuchsreihen werden zur Lösung dieses Problems aufgestellt. 

1. Bei einfacher Tenotomie der Achillessehne studirte Verfasser 
die Entwickelung jungen, keimenden Bindegewebes, während ein steter inter- 
mittirender Zug der Musculatur angewandt wurde. Er stellte dabei fest, dass 
in den ersten 10 Tagen „eine complicirt gebaute, aber nach einem bestimmten, 
den zeitigen mechanischen Verhältnissen entsprechend gebaute Narbe ent¬ 
stand*, die dann weiterhin zu einer parallelfaserigen und längsfaserigen Structur 
sich umbildet. 

2. Tenotomie der Achillessehne, Neurectomie des N. ischiadicus bei 
seinem Austritt aus dem Becken. Untersucht wurde auch hier die Entwicke¬ 
lung des jungen Bindegewebes. Die Differenzirung der Bindegewebszellen, bei 
anfangs abgeschwächtem Zuge, ist hier verzögert. Später jedoch, wenn die 
Musculatur schrumpft, wobei ein Zug derselben und des entspannten Binde¬ 
gewebes eintritt, entsteht auch hier eine längs- und parallelfaserige Narbe, die 
im Querschnitt späterhin stark atropbirt. 

3. Exstirpation des M. triceps surae, Tenotomie der übriggelassenen 
Achillessehne. So flel der gesammte Zug der Musculatur fort. Dabei findet 
eine bedeutende Verzögerung in der Differenzirung der jungen Bindegewebs¬ 
zellen statt. Die später sich entwickelnden Bindegewebsfasern sind atypisch 
und regellos mit einander verflochten. 

4. Exstirpation der Musculatur, Tenotomie wie bei 3. Auf das ent¬ 
stehende Keimgewebe wurde durch einen eingeheilten Seidenfaden ein con- 
stanter querer Zug ausgeübt. Er setzte dann schon ein, wenn Bindegewebs¬ 
fasern noch nicht abgeschieden sein konnten. Dabei entstand ein Strang quer¬ 
gerichteter Bindegewebsfasern. Seine Entstehung konnte in einigen Fällen 
bestimmt auf den quergerichteten Zug zurückgeführt werden. 

Aus seinen Versuchen schliesst Verfasser, dass „mechanischer Zug 
die Diff erenzi r ung faserigen Bindegewebes begünstigt, einen 
wesentlichen Einfluss auf die Richtung der Bindegewebs¬ 
fasern ausübt und lebenserhaltend auf die gebildeten Fasern 
wirkt.“ 

Verfasser suchte dann endlich das Wesen dieser Wirkungsweise zu er- 


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Referate. 


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kennen und kam dabei zu der Ansicht, dass ,die auf der trophiscben Wirkung 
des functioneUen Reizes beruhende Theorie Roux*s den Thatsachen am besten 
gerecht wird*. Hiller-BerJin. 

Muskat (Berlin), üeber Verwendung von Sehnenoperationen. Centralblatt f. 
d. Grenzgebiete d. Medicin u. Chirurgie Bd. VIII, Nr. IG, 1904. 

Die Sebnenoperationen theilt Verfasser ein in: 

1. Verlängerung von Sehnen. 

2. Verkürzung von Sehnen. 

3. Ersatz verloren gegangener Sehnen. 

4. Ueberpflanzung von Sehnen. 

Nach kurzer Schilderung der Indicationen zur Operation und der Opera- 
tionstecbnik, geht Verfasser auf die Frage ein, in welcher Weise die Inner¬ 
vation von neugescbaffenen Muskelindividuen von statten gebt. Schwer ist die 
Frage zu entscheiden bei Ueberpflanzung von Antagonisten. Muskat führt 
die einzelnen hierüber existirenden Theorien an, ohne sich im übrigen für eine 
derselben stricte zu entscheiden. Nützlich ist die „Gleichgewicbtsstellung der 
Gelenke* (vorherige Ausgleichung von Deformitäten), was bei spastischen Läh¬ 
mungen sehr wichtig ist, und er führt einen Fall von Wittek an, bei welchem 
fast alle willkürlichen Bewegungen aufgehoben waren. Diese waren, soweit 
sie überhaupt vorhanden waren, theils athetotisch, tbeils choreatisch. Durch 
Tenotomie des Ileopsoas und Transplantation der Oberschenkelmuskeln wurde 
der Oberschenkel nach 5 Wochen beug- und streckbar. Am Unterschenkel, 
an dem nicht operirt worden war, bestand der Spasmus fort. Der Grund für 
diesen Erfolg ist theoretisch ,in einer Einschaltung neuer centripetaler Reize 
zu suchen*, durch die die unwillkürlichen Bewegungen aufgehoben wurden. 
Die erzielten Resultate regen zu weiteren Versuchen an. Hill er-Berlin. 

Hevesi (Kolozsvär), Sehnenüberpflanzung und Sehneuplastik bei Muskelläh¬ 
mungen und Contracturen. Fester med.-chir. Presse, 40. Jahrg. 1904, 
Nr. 4-9. 

Erfolge bei durch eine Reihe von Erkrankungen unbrauchbar gewordenen 
Extremitäten erzielt man durch Sehnentransplantation, Sehnenplastik oder 
Arthrodese. Sebnenüberpflanzungen sollen die Kraft gesunder Muskeln auf irgend¬ 
wie ausser Tbätigkeit gesetzte übertragen. Diese Operationsmethode ist von 
Nikoladoni im Jahre 1880 an einem Falle von Pes calcan. paralyt. zum ersten 
Male mit Erfolg ausgefübrt. Verfasser schildert nun kurz die Geschichte der 
Operationsmetbode. 

Bei der Schnentransplantation kommt oft noch eine Verlängerung der 
Sehnen nach Stromeyer, Beyer oder Verfasser (treppenförmige Einkerbungen) 
in Frage. Defecte der Sehnen ersetzt man mit menschlichem, thierischem oder 
todtem Material (Czerny, Helferich u. a.). — 

Die Hauptindication zur Operation bildet dauernde Störung der 
Function einzelner Muskeln, die sich bei folgenden Krankheiten finden: 

1. Sehnendefecte (bei Verletzungen, Entzündungen, bei alter subcutaner 
Ruptur). 


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Referate. 


2. Motorische periphere Lähmungen durch Traumen (N. peroneus und 
radialis). 

3. Schlaffe Lähmungen centralen Ursprunges. Sehr günstig ist die Polio¬ 
myelitis ant. — Bei Lähmung aller Muskeln Arthrodese oder tendinöse Fixation. 
Zeitpunkt für die Operation: 9 Monate bis 34 Jahre nach Ablauf der Krank¬ 
heit (Vulpius). 

4. Bei spastischen Lähmungen (Little, Paralysis spinal, spast. heredit., 
Dystrophia muscul. progr., Syringomyelie, Meningocele, Athetose), wenn die 
Krankheit zum Stillstand gekommen ist. 

5. Bei Kniecontracturen nach Entzündungen, Beugecontracturen nach 
Unterschenkelamputation, rhachitischem Plattfuss etc. In den Fällen von Pes valg. 
adolesc., beim angeborenen Klumpfuss, und bei Genu recurvatum operirte Ver¬ 
fasser mit sehr gutem Erfolg. 

Vor der Operation ist eine genaue Functionsprüfung nach den bekannten 
Methoden nöthig. Während der Operation kann man aus dem Adspect der 
Muskelbäuche den Zustand derselben erkennen. 

Schwer zu bestimmen ist die Kraft, die durch die Transplantation neu¬ 
gewonnen werden wird und besonders, ob bei dem Patienten das Centralnerven¬ 
system sich den geänderten peripherischen Verhältnissen anpassen wird. — Defor¬ 
mitäten werden vor der Operation corrigirt. Die Asepsis muss tadellos sein: 
Verfasser verwirft wegen der Gefahr der Nachblutung die Blutleere (Vulpius). — 

Für die Technik gilt folgendes: Der Hautschnitt sei lang. Hautnaht 
und Sehnennaht falle nicht zusammen. Lappenschnitte sind zu vermeiden. 
Verfasser empfiehlt den Längs-, Bogen- oder den Schrägschnitt. Oft sind mehrere 
Schnitte nöthig. — 

Bei der Transplantation unterscheidet man zwei Arten: 

1. Sehnenanastomose (Nikoladoni). 

2. Uebeq^flanzung auf das Periost. 

a) Anfrischung und Vernähung. 

b) Sehnendurchschneidung und Ueberpflanzung, entweder vollständig oder 
als sogenannte Sehnenvertheilung. Naht: Knotennaht oder WölflePs wellen¬ 
förmige Fadenschlingen, oder Raffnaht nach Lange. 

Bei congenitalem Klumpfuss wendet Hevesi seine Sehnen Verschiebung 
an, wobei die Peronei vor den Knöchel gebracht und stark verkürzt werden. 
Bei hochgradigem Plattfuss operirt Verfasser nach der Methode Müllers. — 

Die Sehnenscheiden sollen sehr geschont werden, auch scheidenlose Muskeln 
functioniren jedoch oft noch recht gut. — 

Als Verband bedient sich Verfasser zweier abnehmbarer Gipsschienen. 
Der Verband soll die Correctur fixiren und Zerrung und Spannung, verhindern. 

3— 4tägige Suspension des Gliedes. Nach 2—3 Wochen Entfernung des Ver¬ 
bandes und Anlegung von Schienenschuhen und anderen Apparaten. Nach 

4— 5 Wochen orthopädische Nachbehandlung. 

Für die Wahl derMethode ist massgebend: die geringste Verletzung, 
beste Heilung und mechanische Wirkung. Auch die Combination mehrerer 
Methoden ist möglich. Am zweckmässigsten ist die Transplantation von 
Sehne auf Sehne. Die Transplantation auf Knochen oder Periost ist indicirt 
bei grosser Schwäche der Sehne. 


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Referate. 


809 


Verfasser führt nun des Weiteren die Methoden der Operation an den 
einzelnen Extremitäten und bei den einzelnen Krankheitsformen an. 

1. Obere Extremität: Bei Sch lottergelenk statt der Operation nach 
Hoffa und Winiwarter Arthrodese (Hev6si), indem bei Unversehrtheit der 
Pectorales und der breiten Rückenmuskeln der Oberarm bei normaler Lage der 
Scapula in fast horizontaler Abduction, in geringer Supination und etwas vor¬ 
wärts gerichtet fixirt wird, unter gleichzeitiger Transplantation des Deltoideus 
auf den Triceps. — Bei peripheren Lähmungen sind die Erfolge besser als bei 
centralen. Ausgezeichnete Erfolge erzielte Verfasser bei folgenden, im Original¬ 
werk näher beschriebenen Affectionen: 

1. Spinale Kinderlähmung. 

2. Diphtherische Lähmung. 

3. Spastische Hemiplegie mit Athetose der Finger und Füsse. 

4. In dem vorigen ähnlichen Fällen. 

2. Untere Extremität. Ausgleichung pathologischer Einwärts- und 
Auswärtsrotation des Oberschenkels bei Lux. coxae cong. (2 Fälle). Schilde¬ 
rung der Methode. 

Bei Schlottergelenk im Knie. Fixation in gestreckter Lage durch 
Hülsen oder Arthrodese. Ist die BeogeiBUskiihctur stark, so macht man die 
Transplantation auf den Quadriceps (3 Fälle). Verfasser führt an: 1. Quadri- 
cepslähmung bei Poliomyelit. ant., 2. und 3. mittlere Fälle von Ueberpflanzung 
auf die Patella. 

Ueberpflanzung der Flexoren auf die Extensoren ist nützlich bei ent¬ 
zündlichen Kniegelenkscontracturen, ebenso bei Resectio gönn und Arthrodese, 
falls Neigung zur Contracturbildung besteht (Tub. Gonitis, Fall von Total¬ 
exstirpation der Synovialis). 

Gering ist der Werth der Ueberpflanzung des Muse, tensor fasciae latae. 
Besser ist verwendbar der Muse. Sartorius. Sehr wirksam ist der Muse, semi- 
membranosus. Auch in 5 Fällen von spastischen Kniecontracturen bewährte 
sich die Transplantation. Bei Bewegungsstörungen »des Unterschenkels führt 
man aus: Sehnenanastomose, Sehnentransplantation oder Transplantatio ossea 
oder periostalis. 

Verfasser schildert nun die Transplantationsmöglichkeiten an der Unter- 
schenkelmusculatur. 

Die Anzahl der Schnitte beträgt mitunter 4—5. Rückwärtige Muskeln 
werden durch das Spat, interosseum hindurchgeführt (C o d i v i 11 a). Je mehr 
Muskeln functionsuntüchtig sind, um so schwerer wird deren Auswahl zur Trans¬ 
plantation. Sind 6 Unterschenkelmuskeln ausgefallen, so ist die sehnige 
Fixation fast unmöglich. Statt dessen tritt die Arthrodese in ihre Rechte. 

Sehr häufig wird bei paralytischen Fussdeformitäten operirt. Verfasser 
hat mit Erfolg operirt: 

1. 3 Fälle von Pes equinus paralyticus, 

2. 3 Fälle von Pes equinus spasticus. 

3. 5 Fälle von Pes varus und varoequinus paralyticus. 

4. 1 Fall von paralytischem Pes equinovalgus (Stärkung des Muse. tib. 
anticus). 

5. 2 Fälle von spastischem paralytischem Plattfuss. 


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Referate. 


6. Bei Pes calcaneus paralyticus; hier muss der gelähmte M. triceps surae 
ersetzt werden, am besten zugleich durch den M. peron. long. und die Zehen¬ 
beuger. Ist der M. tib. anticus unversehrt, so kann man auch den M. tib. 
posticus benutzen. — Bei Schlottergelenk im Sprunggelenk empfiehlt sich am 
meisten die Arthrodese. 

7. Bei Pes varus congenitus erzielte Yeifasser völlige Heilung ohne weitere 
V crbandbehandlung. 

8. Bei Plattfuss hat Verfasser anstatt der Methode M ü 11 e r’s seine eigene 
Methode (Redressement mit nachfolgender Sehnenüberpflanzung auf den Tibialis 
ant. und posticus, Schwächung des Triceps) in 7 Fällen mit Erfolg ausgeführt 
(nur 1 Fall recidivirte). 

9. Bei Hallux valgus hat Verfasser das Metatarsusköpfchen resecirt und 
die Hälfte der Sehnen des Extensor und Flexor hallucis long. mit gutem Er¬ 
folg transplantirt. 

Die Heilerfolge beschränken sich mitunter nur auf die Redression der 
Stellungsanomalie. Die Muskelfunction stellt sich um so eher wieder her. je 
mehr Muskeln intact waren, oft schon 14 Tage post operationem. Vollkommene 
Erfolglosigkeit ist kaum zu befürchten. 

Verfasser erläutert die Frage, wie nun die neuen Bewegungen zu Stande 
kommen und wie man sich diesen Vorgang zu erklären habe. Bei Synergisten 
ist der Vorgang klar. Bei Antagonisten ist der Functionswechsel auffallender. 
Bemerkenswerth sind folgende Beobachtungen: Vulpius und Lange constatirten 
nach Theilung einer Sehne und Transplantation das Entstehen zweier getrennten 
Muskelindividuen mit separater Innervation und selbständiger willkürlicher 
Function. 

Die Erfolge bei spastischen Lähmungen beruhen auf einer „mechanisch 
proportionellen Vertheilung der Kräfte*. Eigenartig berührt nur das 
Aufhören der Muskelkrämpfe. 

Dass mehrere Functionen von einem Muskel übernommen werden können, 
erklärt sich v. Lechner durch den „Reflexbogen* (s. Original). Es findet eine 
„Reflexumformung“ statt. 

Dass auch in aseptischer Beziehung die Resultate des Verfassers sehr 
vorzügliche sind, sei hier nur angedeutet. Hi Iler-Berlin. 

Zesas (Nyon), Die bisherigen Ergebnisse der Nervenpfropfung. Fortschr. d. 

Medicin 1904, Nr. 25. 

Nach einer Zusammenstellung des Verfassers kam die Nervenpfropfung 
bisher 26mal zur Ausführung. 19mal wurde das distale Facialisende auf den 
Accessorius und 7mal auf den Hypoglossus gepfropft. Tndication zur Operation 
war: Facialiskrampf (2mal), Schädigung des Nervus infolge von Ohraffectionen 
(8mal), traumatische Insulte (6mal). Geheilt wurde 1 Fall, gebessert 4, unent¬ 
schieden blieben bisher noch 4 Fälle. 

Bei den übrigen Fällen war das Resultat ungünstig, indem die Operirten 
nur mittelst Schulterbewegungen leichte Gesichtsmuskelcontractionen zu erzeugen 
vermochten. 

Die Hypoglossuspfropfung (7 Fälle) hatte zur Indication: Trauma (2mal) 
und Schädigung des Facialis inf. von Otitis media (5mal). Günstiger Erfolg 


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Referate. 


811 


Imal, Besserung 2xDal, unentschieden bisher 2mal, die Übrigen Fälle sind in 
Bezug darauf nicht bekannt oder ungünstig. 

Es ergibt sich daraus nach Verfasser, dass die Restitutio ad int. kaum 
je erreicht wurde. Dissociirte Bewegungen im gelähmten Gebiete sind nicht 
zu erzielen gewesen. 

Recht vollkommen wurde die Gesichtsasjmmetrie beseitigt oder doch ge¬ 
bessert, ob aber die Operation dadurch gerechtfertigt erscheint, soll dahin¬ 
gestellt bleiben. 

Viele Erfahrungen sprechen für die Wahl des Hypoglossus zur Pfropfung, 
dagegen sind etwaige Hjpoglossusparesen schwerwiegender als solche des 
Accessorius. 

Mit der Operation soll nicht gewartet werden, bis die Muskulatur völlig 
degenerirt ist. Nach Stewart soll dem Muskelzustande die gprösste Bedeutung 
zufallen. H i 11 e r- Berlin. 

Breitmann, Das klinische Bild der cerebralen Kinderlähmung. Russ. Med. 

Rundschau 1904, Nr. I—III. 

Breitmann bespricht genau das klinische Bild der cerebralen Kinder¬ 
lähmungen, ohne jedoch wesentlich Neues zu bringen. Die Therapie berührt er 
gar nicht, so dass die sonst sehr übersichtliche Arbeit für den Orthopäden 
wenig Interesse hat. Zand er-Berlin. 

Vulpius, Ueber die Behandlung der spinalen Kinderlähmung. Zeitschrift f. 

ärztliche Fortbildung 1904, Nr. 17. 

Verfasser bespricht und beschreibt zunächst die bekannten Schienenhülsen¬ 
apparate, die wir nie ganz bei den Folgen der spinalen Kinderlähmung wer¬ 
den entbehren können Dieselben sollen aber nur noch in Anwendung kommen 
bei den schwersten Fällen. Eine Heilwirkung können wir von diesen überhaupt 
nicht erwarten, derartige Aufgaben fallen der chirurgischen Orthopädie zu, der 
Sehnenüberpflanzung, der Arthrodese, der Tenodese, Operationen, die natürlich 
erst bei Dauerzuständen in Anwendung zu bringen sind, nicht etwa im acuten 
Stadium der spinalen Kinderlähmung, dessen Behandlung zunächst besprochen 
wird. Sodann kommt Verfasser auf die erwähnten Operationsmethoden zu 
sprechen, führt eine Anzahl Beispiele an und sucht durch diese zu beweisen, 
ein wie dankbares Gebiet die spinale Kinderlähmung für den Orthopäden dar¬ 
stellt, aber nur für den Orthopäden, der nicht nur Massage, Heilgymnastik 
und Apparatbehandlung anwendet, sondern der auch das Messer zu führen weiss. 
Unter Hunderten von Fällen spinaler Kinderlähmung und ihrer Folgezustände 
ist dem Verfasser, dessen Erfolge auf diesem Gebiet ja zur Genüge bekannt 
sein dürften, nicht ein einziger Fall in die Hände gekommen, der nicht einer 
functioneilen Besserung zugänglich gewesen wäre. Blencke-Magdeburg. 

Hoffa (Berlin), Die physikalische Behandlung spastischer Contracturen. Central¬ 
blatt f. physikalische Therapie und Unfallheilkunde 1904, Heft I. 

Hoffa empfiehlt die compensatorische Uebungstherapie, welche das beste 
Mittel darstellt, «die Kranken zu möglichster Beherrschung der Mitbewegungen 
zu erziehen,“ nach den von Fränkel, v. Leyden, Jakob und Goldscheider 
Zeitschrift für orthopildische Chirurgie. XIII. Bd. 53 


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812 


Rofemfce. 


gegebenen Regeln. Die Heilgymnastik unterstützt diese therapeutischen Be> 
Strebungen. 

Verfasser empfiehlt täglich l—2malige allgemeine leichte Körpermassage, 
daran anschliessend zunächst nach Zählen taktmässig auszuführende passive 
Bewegungen, jedoch nie bis zur Ermüdung. Allmählich vermag Patient dann 
active Bewegungen mitzumachen; am besten unterstützt man Patient im medico- 
mechan. Institute. — Sehr zweckmässig ist die elektrische Behandlung und zwar 
in Form des Schnee'schen Vierzellenbades und Hydrotherapie. 

Vorhandene Sprachstörungen werden systematisch durch genau geschilderte 
Hebungen bekämpft. Athemübungen mit activen Körperbewegungen verbunden 
sind zweckmässig. Nothwendig ist eine Schulung der Stimmbänder. (Aus¬ 
sprechen von Vokalen, An- und Abschwellenlassen der Stimme etc.) Bei Be¬ 
theiligung des Rumpfes am Symptomenbilde unterstützen orthopädische Appa¬ 
rate (Stützcorsets, die den Kopf und die Beine mitfassen) die Therapie. Die 
Apparate zeitigen bei langem Tragen (1—2 Jahre) sehr erhebliche Resultate. 

H i 11 e r - Berlin. 

Markus (Posen). Juvenile Muskeldystrophie bei einem älteren Manne und 

Trauma. Aerztliche Sachverständigen-Zeitung 1904, Nr. 16. 

Verfasser gibt einen Fall bekannt, bei welchem nach Trauma eine Affec- 
tion des linken Schultergelenkes und eine Abmagerung des betreffenden Armes 
festgestellt wurde. Letztere wurde späterhin stärker. Bei der Untersuchung 
zeigt sich beiderseits eine starke Muskelatrophie des Oberarms und der 
Schulter, besonders des M. Serratus anticus, Pectoralis major, Serrat. posticus, 
Cucullaris, Rhomboideus, weniger des Biceps, gar nicht des Deltoides. Keine 
elektrische Erregbarkeit. Links ist die Atrophie stärker als rechts (Unterschied 
im oberen Drittel 2 cm, im mittleren 4 cm, im unteren 5 cm, am Unterarm 
1,5 cm). Mässige Contractur im Sch ul tefgelenk. Der Arm wird bis zu einem 
Winkel von 135^ erhoben. Kniereflexe erhöht. Anamnestisch keine Heredität 
feststellbar. Nach einer fieberhaften Erkrankung will Patient zuerst eine Ab¬ 
magerung auf der Brust bemerkt haben. Später ist der linke Arm schwächer 
geworden als der rechte. 

Durch die Therapie wurde Herstellung der Armbewegungen erzielt. Die 
Atrophie wurde nicht beeinflusst. Das Gutachten lautete dahin, dass die 
Atrophie durch den Unfall zwar nicht entstanden, aber ungünstig beeinflusst 
worden sei. 

Verfasser sagt, dass es sich hier unmöglich um eine Inactivitätsatrophie 
infolge der Gelenkverletzung handelt, sondern dass hier „ein schnelleres Fort¬ 
schreiten der Muskeldystrophie vorliegt, veranlasst durch den Unfall“. 

H i 11 e r • Berlin. 

M'Kenzie, Report of a case of unusual congenital multiple deformities. The 

Amer. journ. of orth. surg. 1904, Nr. 4, May. 

M'Kenzie bespricht eine äusserst seltene Combination von angeborener 
Hüftluxation nach vorne mit Klumpfüssen, Genu recurvatum und valgum am 
linken Knie und Verlagerung der rechten Patella nach aussen. 

Zander- Berlin. 


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Referate. 


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Hilbert (Sensburg). Vererbung einer eechsfachen Missbildung an allen 4 Ex¬ 
tremitäten durch drei Generationen. Münchener med. Wochenschr. 1904, 
Nr. 39. 

An einem Neugeborenen stellte Hilbert folgende Missbildungen fest: An 
beiden Händen Syndactylie zwischen Zeige- und Mittelfinger bis hinauf zum 
Nagel. Es besteht nur eine WeichtheilVerwachsung. Dieselbe Erscheinung findet 
sich an den gleichen Zehen beiderseits, ausserdem zeigt jeder Fuss noch einen 
überzähligen Hallux, der mit dem Metatarsus 1 articulirt. Die beiden Halluces 
einer Seite verlaufen parallel zu einander. 

Merkwürdig an dem Falle ist, dass Vater und GrossVater des Kindes 
genau dieselben Missbildungen aufweisen und dass sich dieselben nur in der 
männlichen Nachkommenschaft fortgepflanzt haben. Wie der Grossvater behauptet, 
hat auch dessen Vater und Grossvater dieselben Missbildungen gezeigt. 

Hi Iler-Berlin. 

Gayet et Pinatelle, Deux cas d’hypertrophie congenitale du membre in- 
ferieur. Revue d’orthopedie 1904, Nr. 1. 

Die Verfasser hatten Gelegenheit, in 2 Fällen von congenitaler Hyper¬ 
trophie der unteren Extremität histologische Untersuchungen nnzustellen. Im 
ersteren, in dem schon im Alter von 9 Monaten die Amputation von 4 Zehen 
wegen clephantiastischer Verdickung vorgenommen worden war, ergab die 
1.5 Jahre später ausgeführte histologische Untersuchung eines Gewebsstückes 
aus dem colossal verdickten Oberschenkel ein Neurom. Im zweiten Falle handelte 
es sich um ein Angiom, indessen sind die Verfasser doch der Ansicht, dass der¬ 
artige Bezeichnungen nicht ganz zutreffend sind, da es sich ebenso wie in den 
andern bisher histologisch untersuchten Fällen nicht um einen eigentlichen Tumor, 
sondern um eine Missbildung handelt, und zwar betrifft diese Missbildung nicht 
ein einzelnes System, sondern das ganze Mesoderm in allen seinen Varietäten. 
Die Prognose des Leidens ist nach Ansicht der Verfasser stets mit Vorsicht zu 
stellen, da wie in ihrem ersten Falle und in sonstigen in der Literatur be¬ 
schriebenen Fällen selbst nach Abschluss der Wachsthumsperiode mit einer 
plötzlich auftretenden Malignität der Tumoren zu rechnen ist. Bezüglich der 
Therapie drücken sich die Verfasser sehr vorsichtig aus, indem sie die einzig 
rationelle Amputation im Gesunden nicht direct befürworten. 

Pfeiffer - Berlin. 

Kersting, Beitrag zur Behandlung des Caput obstipum.. Diss. Göttingen 1904. 

In der vorliegenden Arbeit, die sich vortheilhaft den meisten Dissertationen 
gegenüber ihrer Gründlichkeit wegen auszeichnet, hat Verfasser unter eingehender 
Berücksichtigung der in Frage kommenden Literatur einen Beitrag zur Caput 
obstipum-Frage geliefert, dessen Lektüre wir jedem aufs angelegentlichste em¬ 
pfehlen können. Mit einem kurzen geschichtlichen Ueberblick beginnt der Verfasser, 
um sich dann des Längeren mit der Aetiologie dieses Leidens zu beschäftigen. Er 
erwähnt die von den einzelnen Autoren aufgestellten Theorien, erörtert eingehend 
ihr Für und Wider und kommt schliesslich zu der Ansicht, dass es keinem Zweifel 
unterliegt, dass mehrere Entstehungsmöglichkeiten für das Caput obstipum vor¬ 
handen sind. Im fötalen Leben entsteht das Leiden, sei es, dass eine mangelhafte 
Keimanlage vorliegt, oder sei es, dass mechanische Verhältnisse die Neigung 


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814 


Referate. 


des Kopfes zur Seite und die Verkürzung des Muskels bewirken. Durch Ver¬ 
letzungen des Eopfnickers während der Geburt, durch solche mit und ohne 
hinzutretende Entzündung wird fenier der Schiefhals erworben und im extra¬ 
uterinen Leben vermag eine Entzündung oder Verletzung allein oder beide zu¬ 
sammen die Abnormität hervorzurufen. Verfasser geht sodann auf die Ver¬ 
änderungen, die der Schiefhals secundär hervorruft, des Näheren ein und kommt 
dann auf die Therapie zu sprechen. Die Resultate der offenen Tenotomie sind 
seiner Meinung nach so gute, dass alle anderen Methoden zu entbehren sind 
und dieselbe als Normalverfahren zu bezeichnen ist für alle Fälle, für die 
schweren sowohl, wie für die leichten. Er hebt die Vortheile dieser Methode 
in gebührender Weise hervor und berichtet im Anschluss hieran über 30 Fälle 
aus der Göttinger Klinik, bei denen in 17 Fällen der Schiefhals sofort nach 
der Geburt bemerkt wurde, in 2 Fällen 8—14 Tage nach der Geburt, 5mal 
im 1. Lebensjahre und je Imal im 2., 6. und 10. Jahre. In 7 Fällen wurde 
die subcutane Tenotomie gemacht, 22mal die offene und Imal wurde die Wull- 
stein’sche Methode angewendet. Sämmtliche Patienten wurden einer Nachunter¬ 
suchung unterzogen. Von den 7 ersten Fällen wurden 5 geheilt, 2 nicht, von 
den 22 weiteren wurden 21 vollkommen geheilt und 1 wesentlich gebessert. 
Auch der nach der Wullstein’schen Methode operirte Fall gab ein sehr gutes 
Resultat. Die 30 Krankengeschichten und ein Literaturverzeichniss, das 82 Num¬ 
mern umfasst, sind der Arbeit beigegeben. Biencke-Magdeburg. 


Thomasian Haroubioun, De la luxation congenitale de Tomoplate ou maladie 

de Sprengel. These de Nancy 1904. 

Verfasser gibt die Krankengeschichten von 47 Patienten mit angeborener 
Luxation des Schulterblattes und zieht folgende Schlüsse: 

1. Die Luxation des Schulterblattes ist congenital, wohl charakterisirt und 
heisst mit Recht auch «SprengeFsche Krankheit*. 

2. Ihr Ursprung ist rein musculär, identisch in seiner Natur mit dem 
congenitalen Torticollis. 

3. Im Falle, dass die Schulterdeformität zu beträchtlich ist, oder die Arm¬ 

functionen zu sehr herabgesetzt sind, besteht die Behandlung entweder in der 
Resection des oberen vorspringenden oder hypertrophischen Winkels des Schulter¬ 
blattes, einem Verfahren, dem man auch die Tenotomie einzelner retrahirter 
Muskeln anfügen kann. Hil 1er-Berlin. 


Kirmisson (Paris), La surelevation congenitale de Tomoplate. Revue d’ortho- 

p6die 1904, Nr. 1. 

Kirmisson bespricht an der Hand der bisher veröffentlichten 62 Fälle 
von angeborenem Hochstande des Schulterblattes sowie eines eigenen die Sympto¬ 
matologie und die Aetiologie des Leidens, ohne irgend welche neuen Gesichts¬ 
punkte zu bringen. Zum Schluss seiner Arbeit kann er es sich nicht versagen^ 
Sprengel die Priorität der Entdeckung des Leidens abzusprechen, da Will et 
und Wal sh am schon 1880 einen einschlägigen Fall veröffentlicht hätten, der 
mit Erfolg operirt wurde. Pfeiffer-Berlin. 


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Referate. 


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Schulz, Ueber einen Fall von angeborenem Defect der Thoraxmusculatur mit 
einer Verbildung der gleichseitigen oberen Extremität. Wiener klinische 
Wochenschr. 1904, Nr. 33. 

Von der im Titel angeführten Deformität wird der genaue Palpations¬ 
und röntgenographische Befund gegeben. An der Extremität handelt es sich 
um einen nur am unteren Ende etwas deformen Humerus, an den sich ein läng¬ 
licher Knochen lagert, der als Ulna zu deuten ist, während das distale Ulna- 
stQck, Carpus, Metacarpns und zum Theil die Phalangen zu einem gemein¬ 
samen Stück verschmolzen sind. Radius fehlt, nur durch einen Vorsprung am 
Humerus angedeutet. Schulz erörtert anschliessend die Ursaclien der Ent¬ 
stehung der Deformität und schliesst sich der K ü m m e Tschen Ansicht an, wo¬ 
nach der Druck der Eihäute an dem Zustandekommen der Deformität schuld¬ 
tragend ist. H a u d e k - Wien. 

J 0 ü 0 n (Nantes), Absence congenitale du muscle grand pectoral avec döpression 
stemale siraulant thorax ,en entonnoir'^. Revue d'orthop4die 1904, Nr. 1. 
Joüon beobachtete bei einem 6jährigen Knaben einen angeborenen Defect 
des rechtsseitigen Muse, pectoralis major, der mit einer so starken Depression 
des Brustbeines verbunden war, dass eine ausgesprochene Trichterbrust vorhan¬ 
den war. Ausser einer ziemlich ausgesprochenen Kyphose bestanden keine 
weiteren Deformitäten. Die Function des rechten Armes war gut, wenn auch 
die Adduction nicht ganz so kräftig erfolgte wie die des linken Armes. Irgend¬ 
welche Betrachtungen hat der Verfasser an diesen Fall nicht geknüpft. 

Pfeiffer-Berlin. 

Veliit (Paris), La periarthrite scapulo-humerale traumatique et les fractures des 
tuberosites humerales. These. Paris 1904. 

Nach Velut’s Ausführungen ist die Periarthritis des Schultergelenkes, 
die Duplay zuerst beschrieben bat, ein zweifellos vorkommendes Krankheits¬ 
bild, das er selbst zu beobachten Gelegenheit hatte. Indessen bat die ver¬ 
besserte Röntgentechnik gezeigt, dass es sich hierbei doch des öfteren um eine 
Fractur der Tuberositäten des Humerus gehandelt hat, die ganz ähnliche Sym¬ 
ptome zeigen; aus dieser Verletzung kann schliesslich in einzelnen Fällen die 
Periarthritis scapulo-humeralis entstehen. Die Fracturen selbst stellen entweder 
eine Complication der Schulterverrenkung dar, oder sie kommen isolirt vor. 
Ihre Prognose ist immer zweifelhaft. Ist die Diagnose sicher, so sollte von 
einer langdauernden Immobilisation abgesehen werden, dagegen frühzeitig mit 
Massage und gymnastischen Uebungen des Gelenkes begonnen werden. 

Pfeiffer-Berlin. 

Hof mann, Ueber subcutane Ausreissung der Sehne des langen Bicepskopfes 
an der Tuberositas supraglenoidalis und secundäre Naht. Wiener klin. 
Wochenschr. 1904, Nr. 33. 

Die Verletzung kam 8 Wochen nach ihrer Entstehung zur Behandlung 
und wurde, da conservative Behandlung keinen Erfolg versprach, operirt. Hierbei 
zeigte sich nach Incision einer derben, bindegewebigen Hülle der Sehne, dass 
der obere Theil umgeschlagen war und das der Tuberositas supraglenoidalis ent¬ 
sprechende Ende am Uebergang der Sehne in das Muskelfleisch drang. Aus der 


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Referate. 


Länge der Sehne konnte auf die Abrissstelle geschlossen werden. Die schwartige 
Hülle der Sehnenschleife entsprach einerseits der ausgezogenen Sehnenscheide, 
andererseits dem peritendinösen und perimusculären Bindegewebe, das durch 
organisirte Blutung verdickt war. Hof mann durchschnitt die Sehne ca. 4 cm 
über ihrem Muskelbauch quer, zog den langen Bicepskopf bei maximaler Beuge* 
und Supinationsstellung im Ellenbogengolenk hoch hinauf und nähte das Sehnen¬ 
ende nach Abziehen des Muscul. deltoideus an die Sehne des Muscul. pectoralis 
major, hart wo sich diese an die Crista tubercul. raajor. ansetzt. Der aus dem 
Sulcus intertubercularis hervortretende feste, derbe, die Hülle für die Selinen- 
schleife abgebende Kranz, der im Sulcus intertubercularis festhaftet, wird ca. 
5 cm. unterhalb des Deltoideusansatzes abgeschnitten und an die laterale Seite 
des hier zum Theil schwartig veränderten langen Bicepskopfes durch Nähte 
fixirt. Hierdurch wird eine genügende Fixation der Bicepssehne erreicht und 
das functioneile Resultat ist nach 6 Wochen bereits ein sehr gutes, da Patient 
Supination und Beugung fast mit gleicher Kraft, wie auf der gesunden Seite 
ausführt. Auch im Schultergelenk Bewegungsfähigkeit fast vollständig normal 
und schmerzlos. Haudek-Wien. 

Huhn, Zwei Fälle von subcutaner Zerreissung des Musculus biceps brachii. 

Wiener klin. Wochenschr. 1904, Nr. 28. 

Zerreissungen des Biceps brachii sind häuBger, als sie diagnosticirt werden, 
und werden besonders bei gleichzeitigen anderen Verletzungen übersehen. Unter 
78 Oberarm Verletzungen, die im Jahre 1903 an der chirurgischen Abtheilung des 
Kaiser Franz-Josephspitales zur Behandlung kamen, fanden sich 2 subcutane 
Zerreissungen des Biceps. Die eine war eine Ruptur der Sehne des langen Astes 
an der Uebergangsstelle vom Muskel in die Sehne, da die bei höherer Locali- 
sation sonst vorhandene Subluxation des Humeruskopfes fehlte. Im zweiten Falle 
betraf der Abriss das untere Ende und zwar war der Muskelbaucli von der 
in ihrer Continuität erhaltenen Aponeurose abgelöst, so dass er eine kugelförmige 
Geschwulst an der oberen Hälfte des Oberarmes bildete, während die untere 
abgeflacht war. Die Verletzung war allmählich im Laufe von 4 Wochen aus¬ 
gebildet. In beiden Fällen wird die operative Vereinigung (Prim-Lotheissen) 
ausgefühlt; im ersten directe Naht der an einander gebrachten Sehnenenden, im 
zweiten wird die Sehne gefaltet an den Muskelbauch genäht, so dass durch die 
spätere Streckung der Sehne die Muskeltheile wieder gedehnt und der normale 
Zustand herbeigeführt werden kann. 

Ueber operative Eingriffe bei der Bicepsruptur wird in der Literatur wenig 
berichtet. Hahn stellt nur die Indicationen für operative Eingriffe bei Biceps¬ 
ruptur auf. Diese Indicationen sind: 1. Die vollständigen Sehnenzerreissungen. 
Die Naht soll hier womöglich primär gemacht werden, wird aber auch bei ver¬ 
alteten Fällen die Kraft wiedergeben. 2. Gewisse Muskel zerreissungen o) frische 
Fälle von Muskelzerreissungen, wenn sehr bedeutende Funktionsstörungen be¬ 
stehen; b) alte, meist unbehandelte Fälle, wo es schon zu starker Herabsetzung 
der Kraft und zur Muskelatrophie gekommen ist. Hieher gehören die beiden 
beschriebenen Fälle. 

Für die unblutige Behandlung eignen sich nur frische Fälle von incom- 
plcten Muskelzerreissungen. Haudek-Wien. 


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Referate. 


817 


Boujgues (Paris), Des fractares isoleea de rextremit4 inferieur du cubitus. 

These de Paris 1904. 

Boujgues bespricht an der Hand von 17 einschlägigen Fällen die 
Pathogenese, pathologische Anatomie, Prognose und Therapie der isolirten Frac- 
toren des unteren Endes der Ulna. Nach seinen Ausführungen ist diese Ver¬ 
letzung sehr selten. Hervorgerufen wird sie zumeist durch directe Ursachen, 
seltener indirect durch Fall auf die Handfläche; der isolirte Bruch des Processus 
stjloideus ulnae ist gewöhnlich eine Rissfractur. Die Symptome der Verletzung 
gleichen den typischen Zeichen aller Knochenbrüche. Die Prognose ist im all¬ 
gemeinen günstig. Die Behandlung der Brüche des Proc. stjloideus besteht in 
frühzeitiger Massage, die der übrigen Brüche des distalen Ulnaendes in 14tägiger 
Immobilisation im Gipsverbande mit nachfolgender Massage und gymnastischen 
üebungen. P f e i f f e r- Berlin. 

Lebourgeois (Paris), Contribution äP^tudedelafracturesus-condylienne trans¬ 
versale de rhumerus. These de Paris 1904. 

Lebourgeois gibt an der Hand von 15 Fällen von transversaler supra- 
condylärer Fractur des Humerus eine Studie über die Aetiologie, Symptome, 
Prognose und Therapie des Leidens. Danach findet sich diese Verletzung am 
häufigsten im ersten Lebensdecennium; sie entsteht dann durch Fall auf die 
Hand oder den Ellenbogen, der bei Erwachsenen eine Schulterluxation hervor¬ 
zurufen pflegt. Die Symptome der Fractur sind Hämatom des Ellenbogengelenkes, 
Depression oberhalb des Olecranons, Verschiebung des unteren Fragmentes zu¬ 
meist nach hinten. Der Unterarm steht halb pronirt und bildet mit dem Ober¬ 
arm einen nach innen oder aussen oflfenen Winkel. Die active Beweglichkeit 
ist aufgehoben, die passive stark eingeschränkt; ausserdem bestehen Ekchymosen 
und typischer Bruchschmei*z. Die häufigsten Complicationen sind Verletzungen 
der Haut, der Muskeln, Blutgefässe und Nerven. Letztere führen oft zu Lähmungen, 
die freilich auch noch später durch Druck von Seiten des Gallus entstehen können. 
Die Therapie ist die allgemein übliche. Pfeiffer-Berlin. 

Croyn (Vesoul), Le Traitement non sanglante des fractures de l’olecrane. Th4se 

de Paris 1904. 

Verfasser gibt 10 Fälle von nicht blutig behandelter Olecranonfractur, 
aus welchen er folgende Schlüsse zieht: 

Die Olecranonfracturen bei mittelgrosser Fragmentdiastase (1 cm) werden 
durch Immobilisation mittelst Gipsschiene behandelt. Bei sehr starkem Erguss 
ist Aspiration der Flüssigkeit am Platze. 

Ist die Diastase grösser als 2 cm, so nagelt man die Fragmente mit 
Metallnägeln aneinander. Bei unbedeutender Diastase ist die Behandlung mit¬ 
telst Heilgymnastik am Platze, welche in allen Fällen schon am 10.—12. Tage 
einzusetzen hat. 

Bei complicirten Fracturen soll man nach völliger Reinigung, Drainage 
und Ruhigstellung des Gelenkes nageln. 

Nach denselben Gesichtspunkten werden Rotulafracturen behandelt. Die 
völlig gefahrlose Immobilisation und unblutige Behandlung überhaupt sichert 
diesen den Vorzug gegenüber den mannigfachen Gefahren blutiger Eingriffe. 

Hill er-Berlin. 


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818 


Referate. 


Lefebvre (Lille), De la luxation du radius par elongation chez Tenfant. Th^e 
de Lille 1904. 

Nach Lefebvre’s Ausführungen beruht der bei kleinen Kindern beob¬ 
achtete pathologische Process der Luxation des Radios (in Frankreich auch Para¬ 
lyse oder schmerzhafte Pronation genannt) nicht auf einer nervösen Störung, was 
übrigens in Deutschland auch niemand vermuthet hat. Der Autor unterscheidet 
drei verschiedene Grade des Leidens: 1. Eine blosse Einklemmung der Synovialis. 
2. Ein Herausgleiten des Radiusköpfchens aus dem Ringbande bei unverletzter 
Kapsel und 3. den seltensten Fall, eine vollkommene Luxation des Radius nach 
vorn mit Zerreissung der Gelenkkapsel. Seine Besprechung der Therapie des 
Leidens enthält nichts Neues. Acht einschlägige Krankengeschichten bilden den 
Schluss der Arbeit. Pf ei ff er-Berlin. 

Natier (Cambrai), Les complications ncrveuses des fractures de coude. Th^e 
de Lille 1904. 

Verfasser gibt 25 Krankengeschichten von Patienten mit Ellenbogen¬ 
brüchen, die mit nervösen Störungen coinplicirt waren. Er gelangte zu folgen¬ 
den Schlüssen: 

Ellenbogenfracturen, besonders bei Kindern, können nervöse Läsionen zur 
Folge haben, welche unvermuthet entweder sofort oder einige Wochen nach der 
Verletzung auftreten können. Treten sie erst sehr lange darnach auf, so werden 
sie häufig gar nicht erkannt. Bei jugendlichen Individuen verursachen sie, 
wenn sie Fracturen an der Epiphysengrenze begleiten, oft Difformitäten in Ge¬ 
stalt des Cubitus varus oder valgus, welche nun nervöse Erscheinungen auslösen. 

Infolge der grossen Variabilität dieser Complicationen sowohl in der 
Zeit ihres Auftretens, als auch in ihrer Entwickelung ist die Prognose einer 
Ellenbogenfractur, besonders beim Kinde, stets recht zweifelhaft. 

Hiller-Berlin. 

Barth es (Paris), De la luxation progressive du poignet chez Tadolescent et 
chez Tadulte. These de Paris 1904. 

Bei den progressiven Luxationen der Hand muss man zwei Typen unter¬ 
scheiden: 1. Die progressive Subluxation der Jünglinge, Made- 
lung'sche Krankheit, 2. die progressiven Luxationen der Er¬ 
wachsenen. 

Die Madelung’sche Krankheit wird nur bis zum vollendeten Skelet- 
wachsthura beobachtet und ist durch die Einknickung des unteren Endes des 
Radius charakterisirt. Ihre Entwickelung ist nicht schmerzhaft, sondern äussert 
sich nur in einer zunehmenden Bewegungsstörung der Hand. 

Die Luxationen der Erwachsenen haben als Aetiologie Arthritiden, musculäre 
Contracturen, entweder primäre, secundäre oder traumatische. Sie sind einfache 
Subluxationen, schmerzhaft und stören den Patienten in seiner Arbeitsfähigkeit. 
Beide Affectionen sind in der Regel nicht heilbar. Hiller-Berlin. 

Wittek, Ueber Verletzungen der Handwurzel (Os lunatum). Beiträge zur 
klinischen Chirurgie 1904, Bd. 41 Heft 3. 

Wittek vermehrt die Casuistik der HandwurzelverletzUngen, indem er 
einen Fall von isolirter Luxation des Os lunatum, einen von Luxation des Os 


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Referate. 


819 


hinatum mit gleichzeitiger Fractur des Os naviculare und schliesslich einen 
Yon isolirter Compressionsfractnr des Os lunatum beschreibt. Sämmtliche Fälle 
kamen an der Grazer chirurgischen Klinik zur Beobachtung. In den beiden 
ersten Fällen wurde die Diagnose aus den klinischen Erscheinungen gestellt 
und fand durch das Röntgenbild ihre Bestätigung. 

W ö 11 e n b e r g • Berlin. 

Chancel (Paris), La luxation trapdzo-metacarpienne. Thöse de Paris 1904. 

Chancel bespricht in seiner Dissertation an der Hand von 30 zum Tbeil 
selbst beobachteten Fällen den Mechanismus, die Symptome, Prognose und 
Therapie der ziemlich seltenen Verrenkung des Metacarpus des Daumens. 
Diese Verrenkung findet in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle nach hinten 
statt, selten nach aussen. Sie ist cbarakterisirt durch eine Vor>Yölbung des 
Metacarpusköpfchens. Die functioneilen Störungen, die zuerst sehr schwer sind, 
verschwinden allmählich, selbst in Fällen, in denen keine Reposition statt¬ 
gefunden hat. Letztere gelingt gewöhnlich leicht und ohne chirurgischen Ein¬ 
griff, sogar längere Zeit nach der Verrenkung; dagegen macht die Retention 
grössere Schwierigkeiten und ist nur mit Hilfe eines exact sitzenden Gips¬ 
verbandes möglich. P fei ff er-Berlin. 

Wittek, Doppelseitige Luxation des Metacarpus I (nicht traumatischen Ur¬ 
sprungs). Beiträge zur klinischen Chirurgie Bd. 42 Heft 3. 

Wittek gibt eine Uebersicht über die bisher bekannten traumatischen 
Subluxationen und vollständigen Luxationen im Carpo-Metacarpal-Gelenk des 
Daumens und bespricht sodann einen Fall von nicht traumatischer Subluxation 
des 1. Metacarpus bei einer 17 Jahre alten Patientin, die ungefähr seit dem 
12. oder 13. Lebensjahre bestand. Das Röntgenbild liess an beiden Händen 
eine mangelhafte Entwickelung der Gelenkkörper, besonders der Basis des 
I. Metacarpus, mit abnormem Ansatz der Epiphyse auf der Diaphyse und 
ungleiches Wachsthum des volaren und dorsalen Antheils der Epiphyse er¬ 
kennen. Die Therapie bestand in eiher Faltung der Kapsel, wobei zur 
sichereren Fixirung das Periost am Multangulum majus und an der Basis des 
1. Metacarpus mitgefasst wurde. Der Erfolg war, trotzdem zwei Aluminium- 
broncedrahtnäbte durchschnitten, ein verhältnissmässig guter, da Patientin mit 
der operirten Hand — es wurde nur die linke operirt — alle Arbeiten ver¬ 
richten kann. Zander-Berlin. 

Berdach, Beitrag zur Casuistik der Interphalangealluxationen. Wiener klin. 

Wochenschr. 1904, Nr. 39. 

Interphalangealluxationen bilden in den Statistiken einen kleinen Procent¬ 
satz, vielleicht aus dem Grunde, weil sie meist von anderer, als ärztlicher Seite 
behandelt werden. Berdach berichtet über eine solche Luxation, die durch 
Schlag mit einer kantigen Stange gegen die Voln manus entstanden war. Es 
handelte sich um eine dorsale Luxation der 11. und III. Phalanx des linken 
Ringfingers. Der Schlag musste die Vola der II. Phalanx getroffen haben. Die 
Reposition gelang leicht durch mässige üeberstreckung der luxirten Phalanx und 
Herabdrücken derselben über die Gelenkfläche der proximalen Phalanx. Die 


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820 


Referate. 


Anlegung eines Verbandes behufs Richtigstellung des Gelenkes hält Berdach 
wegen der Gefahr des Recidivs für unbedingt nöthig; Verfasser sab ein solches 
bei einer Luxation der Endphalanx des rechten Mittelfingers, welche nach der 
Reposition ohne Verband geblieben war. Haudek-Wieu. 

Poncet (Lyon), Rhumatisme tuberculeuse abarticulaire; retraction de l'apo- 
nevrose palnoaire d*origine tuberculeuse. Annales des chir. et d’orthopedie. 
1904. Nr. 3. 

Poncet hat 3 Fülle von Dupuytren’scher Contractur beobachtet, die 
nach seiner Meinung auf tuberculöse Infection zurückzuführen sind. Alle 
3 Patienten litten an tuberculösen Erkrankungen der Langen resp. der Knochen 
und Gelenke, die gleichzeitig mit dem Beginn der Fascicncontractur einsetzten und 
sich verschlimmerten. Aus diesem Grunde und dem Fehlen anderweitiger ätio¬ 
logischer Momente, wie Traumen, Alkoholismus, Gicht, Syphilis etc., schliesst 
Poncet auf den bacillären Charakter des Leidens. Auf derselben Ursache be¬ 
ruht nach seiner Ansicht der bei Tuberculösen so oft beobachtete Rheumatismus 
mit seinen articulären und extraarticuläen Erscheinungen (Rhumatisme tuber¬ 
culeuse nach Poncet.) Pfeiffer-Berlin. 

Fere et Demanche, Note sur un cas de retraction de Tapon^vrose palmaire 
consecutive a une fracture de l'avant bras. La medecine des accidents 
du travail 1904, Nr. 7. 

Der Patient, der im Delirium eingeliefert wird, zeigt eine Retraction der 
Palmaraponeurose der rechten Hand. Vor 4 Jahren war er auf Fractur des 
rechten Vorderarmes behandelt worden. Drei Monate nach dem Unfall be¬ 
merkte er, dass seine Hand sich immer stärker beugte und dass die Streckung 
erschwert war. Die Affection wurde innerhalb eines halben Jahres immer stärker, 
blieb aber auf den fünften Finger beschränkt. Atrophie der Musculatur im 
Gebiet des N. ulnaris. Sensibilität normal, keine Schmerzen. Die atrophischen 
Ulnarismuskeln sind faradisch erregbar. Die alte Fractur ist wohl eine Radius- 
fractur. Patient ist hereditiär psychisch belastet, sonst war er aber stets gesund. 

Verfasser meint, hier handle es sich als ätiologisches Moment für das Zu¬ 
standekommen der Retraction der Palmaraponeurose nicht um ein centrales 
Leiden, sondern man muss das Trauma als Ursache dafür ansprechen. 

H i 11 e r • Berlin. 

Hoch he im (Brandenburg), Ein Fall von Brachydactylie an allen Extremitäten. 
Fortschritte auf dem Gebiete der Röntgenstrahlen Bd. 7 Heft 5. 
Hochheim beobachtete einen Fall von Brachydactylie an allen Extremi¬ 
täten eines 18jährigen Mädchens, und zwar handelte es sich um eine mangel¬ 
hafte Ausbildung mehrerer Mittelhand- und Mittelfussknochen beider Körperseiten. 
An den Füssen war die Störung genau symmetrisch, da beiderseits der III. und 
IV. Mittelfussknochen verkürzt war, an den Händen dagegen war zwar beider¬ 
seits der IV. und V., links aber auch der III. Mittelhandknochen auffallend 
verkürzt. Aus dem Fehlen einer Epiphysenlinie an dem verkürzten IV. Meta¬ 
tarsalknochen schliesst Hochheim, dass die Verkürzung wenigstens zum 
Theil die directe Folge einer vorzeitigen Verknöcherung der Epiphysenlinie ist. 


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Referate. 


821 


Die letzte Ursache für die Bracbydactylie sieht er indessen in einer endogenen 
Anlage. In seinem Falle liegt sicher eine gewisse Disposition in der Familie 
vor, da ein jüngerer Bruder der Patientin gleichfalls eine Verkürzung der IV. Zehe 
zeigte. — Die Functionsstörungen resp. die Schmerzen, die in diesem Falle die 
Patientin zum Arzte führten, erkläi*te H o c h h e i m durch Entzündungszustände 
in dem gedehnten und gezerrten Bandapparat. Pfeiffer-Berlin. 

Baldwin, A preliminary study of funnel-front. The amer. joum. of orthop. 
surgery. May 1904, Nr. 4. 

Baldwin beschreibt hauptsächlich die in englischer Sprache veröffent¬ 
lichten Fälle von Brustdepressionen und bringt selbst einige Krankengeschichten 
von Trichterbrust, die noch mit anderen Deformitäten verbunden war. Aetio- 
logisch kommen Rhachitis, Osteomalacie der Kinder wie in utero-Schlaffheit der 
Bauchmusculatur in Betracht. Doch sind dies alles Hypothesen. 

Zander- Berlin. 

Grimme, Anomalien der Halswirbelsäule nach den in dem anatomischen 
Institut in Göttingen gesammelten Präparaten. Diss. Göttiugen 1904. 
Verfasser beschreibt eine Reihe einzelner Halswirbel aus dem anatomischen 
Institut zu Göttingen, die in ihrem Bau von dem normalen Typus zum Theil 
nicht unerheblich abweichen. Es handelt sich durchweg um Anomalien einzelner 
Wirbel, von denen die Mehrzahl nur an sich interessant sind, ohne eine Be¬ 
deutung für die Wirbelsäule als Ganzes zu besitzen. Ans diesem Grunde kann 
ich hier auf nähere Einzelheiten auch nicht eingehen und muss auf das Original 
verweisen. B1 e n c k e • Magdeburg. 

Stempel (Breslau), Einiges über Verletzungen der Wirbelsäule und deren ge- 
riebtsärztliehe Beurtheilung. Monatsschr. f. Unfallheilkunde 15. Juli 1904. 
Verfasser geht auf das Thema der gerichtsärztlichen Begutachtung der 
Wirbelsäulenverletzungen speciell der Fracturen an der Hand des folgenden, von 
ihm beobachteten Falles ein: 

Beim Schieben eines Karrens auf einen Neubau glitt Patient aus und 
fiel ein Stockwerk tief ab. Er zog sich angeblich eine Verstauchung der Huls- 
wirbelsäule, sowie des linken Fusses und der rechten Hand zu. Durch einen 
Streckverband trat bald Besserung der Beschwerden ein, welche nach dem ersten 
ärztlichen Gutachten darin bestanden, dass der Kopf wenig gedreht werden 
konnte, sowohl seitlich als auch nach vom und hinten, dass ferner die Hals¬ 
wirbelsäule auf Druck sehr empfindlich war. 

Patient behielt nach seiner Entlassung aus dem Krankenhause eine be¬ 
trächtliche Steifigkeit der Halswirbelsäule zurück. Auch ist die rechte Schädel¬ 
dachhälfte auf Druck empfindlich. An der Halswirbelsäule sind grobe ana¬ 
tomische Veränderungen nicht zu constatiren. Der Befund ist kurz ein der¬ 
artiger, dass eine Verrenkung oder ein Bruch eines Halswirbels 
ziemlich sicher ausgeschlossenerscheint. Beeinträchtigung der Arbeits¬ 
fähigkeit um 33‘/3 ®/o. 

Bei der nach einem Jahre erfolgten Nachuntersuchung sind keinerlei Ver¬ 
änderungen mehr nachweisbar. Wegen der Fussverletzung 25” o Rente. 


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822 


Referate. 


Nach 6 Monaten Exitus letalis; nach ärztlicher Feststellung bestand 
Blasenlähmung, Decubitus, allgemeine Abmagerung wohl infolge eines Rücken- 
marksleidens, dessen Zusammenhang mit dem Unfall aber negirt wird. Auf 
Antrag des Verfassers Exhumirung der Leiche, weil die Frau des Todten Renten¬ 
anspruch erhob, Maceration der Halswirbelsäule. Am Epistropheus erscheint die 
rechte Gelenkfläche zusammengepresst, ihre vordere Leiste springt mehr vor wie 
auf der linken Seite. Die rechte Gelenkfläche ist ferner rauh, das vordere 
Drittel eingepresst, Querdurchmesser rechts 2 cm, links 1 cm. Der rechte Proc. 
transversus steht tiefer als der linke. For. transversum aussen verschmälert, 
zusammengedrückt, verengert und bogenförmig verlaufend. Das rechte For. 
intervertebrale ist ebenso stark zusammengequetscht. Breite links 0,6 cm, rechts 
0,2 cm. — Auch die untere rechte Gelenkfläche des Atlas ist verbreitert. — 

Am 5. Halswirbel ist der Körper rechts aufgetrieben, leichte Compression, 
Der 6. und 7. Halswirbel in einer Ausdehnung von 1,3 cm knöchern verwachsen, 
links erscheinen Lücken im Knochen, das Corpus des 7. Halswirbels erscheint 
nach vorn vorgestülpt, an der Vorderfläche verschmälert. Die betreffenden Proc. 
transv. knöchern verwachsen. — 

Diese drei isolirten Compressionsfracturen stehen nach Gutachten des 
Verfassers in Zusammenhang mit dem Unfall, auch das Rückenmarksleiden und 
der Tod des Mannes seien darauf zurückzuführen. — 

Folgendes kann man nach Verfasser aus dem Fall lernen: Simulation 
des Patienten ist sehr selten. Fast stets dagegen ist Aggravation vorhanden, 
weil die Patienten eine möglichst hohe Rente erzielen wollen. Zum Schutz da¬ 
gegen muss eine genaue Untersuchung des Kranken stattfinden und man muss 
auch genau die Art des Traumas berücksichtigen. 

Da das Corpus vertebrae sehr wenig widerstandsfähig ist, so wird es 
schon von schwachen einwirkenden Gewalten stark angegriffen. — Am häufigsten 
ist die Compressionsfractur. Die Diagnose ist bei schweren Fällen einfach aus 
den Gestaltsveränderungen und den Nervenerscheinungen zu stellen. 

Leichte Fälle sind schwer zu erkennen, da die Patienten sich nach dem 
Unfall bald wieder wohl befinden. 

Bei reinen Corpuscompressionsfracturen ist das Rückenmark nicht mit- 
betheiligt. Ausser der Schmerzhaftigkeit auf Druck bestehen oft gar keine Sym¬ 
ptome. Am wichtigsten zur Diagnose ist der Schmerz an der Stelle der Ver¬ 
letzung. — Ganz sicher wird diese durch den Nachweis eines Vorspnngens der 
Dornfortsätze an der Stelle der eventuellen Verletzung. — Häufig wird der 
Rumpf auch nach vorn gebeugt getragen. Dementsprechend entsteht an der 
Bauchhaut eine Faltenbildung. 

Im Laufe der Zeit bildet sich eine Bewegungseinschränkung der Wirbel¬ 
säule aus. Durch Periostwucherungen entsteht ein Bild, ähnlich der Bech- 
terew’schen und Strümpell-Marie’schen Erkrankung. — 

Nervöse Erscheinungen können völlig fehlen. In schweren Fällen jedoch 
sind sie wohl stets vorhanden. Gehen die Erscheinungen zurück, so sind sie 
wohl durch Compression von Nerven durch Blutergüsse hervorgebracht. Durch 
Periostwucherung kann eine Compression ganz allmählich zu stände kommen. — 
Fehlen auch alle nervösen Symptome längere Zeit, so ist die Prognose doch 
noch nicht unbedingt günstig. 


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Referate. 


823 


Aus allen diesen Gründen ist es nöthig und wünschenswerth, möglichst 
schnell die Diagnose zu stellen. Das Röntgenbild erlaubt dieses in den aller- 
meisten Fällen. Verfasser bespricht die Technik des Verfahrens an der Wirbel¬ 
säule näher. Am leichtesten ist die Darstellung der Halswirbelsänle. Stets sind 
mehrere Aufnahmen nothwendig. 

Die Therapie besteht in leichten Fällen in Lagerung auf eine feste 
elastische Unterlage, Sorge fflr Hautpflege. Schwere Fälle behandelt man mit 
Extension. Erst nach Anlegung eines passenden Stützcorsets sollen solche 
Patienten aufstehen und umhergehen. 

Die Arbeitsfähigkeit ist bei Mitläsion des Rückenmarkes aufgehoben. 
Auch bei leichteren Fällen sollte für längere Zeit Vollrente gewährt wer¬ 
den zur Erhöhung der späteren Arbeitsfähigkeit, mindestens für 1 Jahr. So¬ 
dann sollen die Verletzten jedes halbe Jahr untersucht werden. 

Am Schlüsse seiner ausgedehnten Arbeit erwähnt Verfasser, dass Lud- 
loff-Breslau bei einer Halswirbel Verletzung 27 Röntgenbilder angefertigt hat, 
und schliesslich einwandfrei eine Fractur des 6. Wirbels nachweisen konnte. 

Hitler- Berlin. 

Lovett (Boston), Forcible correction in lateral curvature of the spine. Boston 
medical and surgical Journal 1904. March 17. 

Lovett nimmt das forcirte Redressement schwerer Skoliosen in Bauchlage 
vor und zwar auf einem Rahmen, der dem seiner Zeit von Nebel angegebenen 
ähnelt. Der Patient liegt auch hier auf einem System von Gurten, die Reine 
hängen aber herab, um die Lendenlordose auszugleichen, worauf Lovett be¬ 
sonders Gewicht legt. Rings um den Rahmen laufen 3 auf den seitlichen 
Rahmenstangen verschiebliche Stahlreifen, auf denen wieder verschiebliche Pe- 
lotten angebracht sind, die gegen den vorderen und hinteren Rippenbuckel fest¬ 
geschraubt werden, ln übercorrigirter Stellung wird dann ein Gipscorset an¬ 
gelegt, das etwa 3 Wochen liegen bleibt. Es wird später als Negativ benützt, 
um über einem danach modellirten Gipstorso ein Corset aus Leder oder Celluloid 
anzufertigen, das Tag und Nacht getragen und nur zur Vornahme gymnastischer 
üebungen abgelegt wird. Wichtig an der Lovett’schen Methode ist der gänz¬ 
liche Verzicht auf Extension, den Lovett damit begründet, dass er ohne Ex¬ 
tension eine weit geringere Kraft zur üebercorrection benöthige. Seine Erfolge 
sind, soweit sich das Überhaupt nach Photographien beurtheilen lässt, gute. 

P feif f er-Berlin. 

Lubinus (Kiel), Gummi-Luftdruckpelotten zur Behandlung der Torsion der 
Wirbelsäule bei der schweren Skoliose und der Kyphose der Wirbelsäule 
bei Spondylitis. Zeitschrift für Krankenpflege, Juni 1904, 26. Jahrgang. 
Die Pelotten haben eine Grundfläche von 14:16, 16; 18 oder 18; 18 cm 
und sind mit abgestumpften Ecken versehen. Maximalböhe im aufgeblasenen 
Zustand 8 cm. Das Aufblasen geschieht durch eine Luftpumpe. Die Pelotte 
wird auf den vorderen oder hinteren oder auch beide Rippenbuckel gelegt, 
allseitig mit Watte umhüllt und die Gipsbinden so gewickelt, dass nur das 
Schlussventil aus dem so gefertigten Corset herausschaut. 

Vom und hinten werden nach Hartwerden des Gipses Fenster heraus¬ 
geschnitten und nun die Pelotte aufgeblasen. Alle 8 Tage muss das Aufblasen 


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824 


Referate. 


erneuert werden. Der Verband bleibt 8—10 Wochen liegen, und in dieser Zeit 
werden gymnnstische Hebungen angewendet. Diese Pelotten haben folgende 
Vortheile: 1. Seltener Decubitus. 2. Keine complicirte Anwendungsmethode. 
3. Sie sind bei allen Arten von Corsets anwendbar. 4. Die detorquirende Ge¬ 
walt lässt sich nach Belieben steigern. Das Nachfüllen von Luft geschieht wöchent¬ 
lich nur Imal. Hil 1 er-Berlin. 

Sachs (Posen), Zur Aetiologie der Entspannungskoliose. Monatsschrift für Un¬ 
fallheilkunde 1904, Nr. 6. 

Verfasser beschreibt ausführlich 2 Fälle von sogenannter Entspannungs¬ 
oder Entlastungsskoliose, entstanden nach Trauma und complicirt mit einer 
seiner Ansicht nach infolge von Trauma entstandenen Kyphose. 

Beide Male lautete die ursprüngliche Diagnose «Scoliosis ischiadica*. 
Keinerlei nervöse Symptome. In beiden Fällen liegt eine Verletzung der unteren 
Extremität vor. Die bald verschwundenen Schmerzen treten dann plötzlich 
wieder auf und bald dai*auf bemerkt man dann auch die Skoliose. Der Befund 
ist in beiden Fällen: seitliche Verbiegung der Dorsalsäule, Kyphose der Lumbal¬ 
säule, Abknickung des Rumpfes nach der der verletzten Extremität entgegen¬ 
gesetzten Seite. Keine Schmerzen in der verletzten Extremität, freie Beweg¬ 
lichkeit im Hüftgelenk. Lendenwirbelsäule schmerzhaft, Bewegung nach rück¬ 
wärts unmöglich. 

Beides sind „Entspannungsskoliosen*, deren Aetiologie entweder Trauma 
oder Neuralgie bildet. Für die erstere Annahme spricht besonders die Kyphose, 
auf welche die Patienten besonders ihre Klagen richten. Diese aber passt nicht 
zum Bilde der „Entspannungsskoliose*, da erstens bei den meisten derartigen 
Fällen eine starke Kyphose überhaupt fehlt, sodann aber ist die Verletzung 
des Beines keine Erklärung für die Entstehung der Kyphose. Sie ist keine 
„Entspannungskyphose*. Sie gleicht auch nicht den bei Skoliosen beobachteten 
Kyphosen; eine Tuberculosc ist auch auszuschliessen. Aber sie erinnert an die 
Kyphose, welche im Anschluss an Wirbelsäulen Verletzungen auftritt. Aus¬ 
geschlossen ist hier Fractur oder Luxation. In Betracht kommt ein Contusio 
der Menisci intervei-t. Diese „partiellen Wirbel Verletzungen“ (Kocher) können 
hier zu Stande gekommen sein durch ein geringfügiges indirectes Trauma. 
Nach Ansicht des Verfassers ist die Kyphose direct auf das Trauma zurück¬ 
zuführen.. In diesem Falle würden neben einander bestehen: direct durch das 
Trauma hervorgerufene Entspannungsskoliose, indirect durch Trauma ent¬ 
standene Kyphose. Eine Verletzung der Wirbelsäule war allerdings auch mittelst 
Röntgenstrahlen nicht nachweisbar. — Verfasser führt endlich noch einen dritten 
zietnlich analogen Fall an (r. c. Dorso-Lumbalskoliose) aber ohne Kyphose, der 
also eine reine „Entspannungsskoliose* darstellt. In diesem Falle ist die Pro¬ 
gnose gut, in den beiden ersten schlecht. Hil 1er-Berlin. 

Robert, La Scoliose tuberculeuse. Th^se de Nancy 1904. 

An der Hand einer Statistik von 29 Fällen von tuberculöser Skoliose 
stellt Verfasser in seiner Arbeit folgende Schlussfolgerungen auf: 

Die Krankheit ist häufig, leicht aus dem Pott’schen Buckel zu diagno- 
sticiren. Den Seiten Verkrümmungen kann man durch schnelles Eingreifen Ein- 


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Referate. 


825 


halt thun. Schwer ist die Therapie^ wenn die Skoliose das Primäre ist, denn 
die bekannten Symptome wie Schmerzen, Muskelcontracturen, leichte Ermüd¬ 
barkeit setzen unseren Bemühungen den grössten Widerstand entgegen. Diese 
Symptome fehlen oft bei der ersten Untersuchung und die Diagnose soll dann 
sehr vorsichtig gestellt werden und man soll von einem eventuellen gefährlichen 
therapeutischen Verfahren abstehen. Von der sicheren Diagnose hängt die Pro¬ 
gnose und oft das Leben des Patienten ab. Hil 1 er-Berlin. 

Veras, Des d^viations de la colonne vertebrale chcz les pottiques coxalgiques. 

L’echo medic. 1908, Nr. 57. 

Verfasser beschreibt in seiner Arbeit zwei Fälle von mit Gibbus einher¬ 
gehender Coxitis, bei welcher sich gleichzeitig eine Skoliose ausbildete. Im 
ersten Falle war es eine rechtsconvexe Brustskoliose, im zweiten Falle links¬ 
convexe Dorsolumbalskoliose. 

Was die Erklärung betrifft, so glaubt Verfasser nicht, dass die Skoliose 
etwa auf reflectorischen Muskelkrampf, wie bei schmerzhaften Arthritiden zurück- 
zuführen sei, da keine Rückenschmerzen vorhanden waren (Fall 1) respective 
die Skoliose erst nach dem schmerzhaften Stadium sich entwickelte (Fall 2). 

Eine statische Skoliose ist ausgeschlossen, deswegen, weil die Convexität 
nach dem gesunden Bein zu liegt. Erklären kann Verfasser sich das Entstehen 
nur durch die Lage, die Patienten im Bette einzunehmen pflegten, wobei man 
allerdings annehmen müsste, dass unterhalb des Pott’schen Buckels, in dessen 
Bereich die Wirbelsäule schon ankylosirt war, dieselbe noch flexibel gewesen wäre. 

Eine andere Erklärung wäre die, dass schon auf Seiten des kranken 
Gliedes eine primäre Lumbalskoliose bestand, dass die Dorsalskoliose nur compen- 
satorisch sei. Die Totalskoliosen können unter dem Einfluss der Ruhe sich 
entwickelt haben. 

Auch könnte man schliesslich noch die halbsitzende Stellung der Coxal- 
giker im Bette verantwortlich machen, bei welcher sie bei ankylotischem Hüft¬ 
gelenk nur Bewegungen in 'der Wirbelsäule machen können. Die Kranken 
beugten sich wohl dabei mehr nach der Seite der Concavität wie der Convexität. 
ln der umgekehrten Richtung waren Torsion und Bewegungen im Becken möglich. 

Hil 1er-Berlin. 

Jehle, Zur Casuistik der Spondylitis tuberculosa. Wiener klin. Wochenschrift 

1904, Nr. 38. 

Die oft vorhandenen Schwierigkeiten der Diagnose bei der Spondylitis 
belegt Jehle durch 4 Krankengeschichten aus einem Materiale von 64 Spon- 
dylitisfällen, die im Zeiträume von beinahe 2 Jahren im Wilhelminen-Spital in 
Wien zur Beobachtung gekommen waren. Im ersten Falle war ein Empyem 
vorhanden, das aber wahrscheinlich durch die sich erst später manifestirende 
Spondylitis verursacht worden war. Beim zweiten Falle bestanden durch einige 
Monate Wurzelsymptome in Form von Lumboabdominalneuralgien mit Betheili¬ 
gung des Urogenitalsystems; erst später entwickelte sich langsam ein Gibbus 
der Lendenwirbelsäule. Im dritten Falle fand sich seitliche Verschiebung des 
Rumpfes mit hochgradigen Torsionserscheinungen bei geringer Fixation der 
Wirbelsäule. Es war eine Raum Verschiebung nach rechts bei hauptsächlichem 


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82Ü 


Referate. 


Hervortreten der linksconvexen Lumbalskoliose. J e h 1 e sucht dieses Verhalten 
durch neurotische Processe zu erklären, ähnlich wie die Entstehung der Scoliosis 
ischiadica, oder nach der Erklärung v. Friedländer’s für die pathognomo- 
nische Stellung bei Coxitis, durch entzündliche Schwellung und Starrheit der den 
Seitenpartien des Krankheitsheerdes benachbarten Muskeln, die dadurch ihre 
Function einbüssen. Der Fall wurde als Skoliose behandelt und erst 6 Monate 
später wurde die Spondylitis evident. 

Im vierten Falle bestand eine abnorme Kopfhaltung; Kopf etwas nach 
rechts geneigt und nach hinten gebeugt, so dass das Hinterhaupt auf dem 
Rücken aufruht; Lordose der Halswirbelsäule, die nirgends druckempfindlich 
ist. Active Bewegungen werden nach keiner Richtung ausgeführt, passiv die 
Neigung des Kopfes nach der Seite, die Drehung und die Vermehrung der 
Beugung nach hinten, nicht nach vorne möglich. Aeusserlich und im Rachen 
nichts Abnormes, kein Stützen des Kopfes. Erst 2 Monate später Retropharyn- 
gealabscess und Abscess an der linken Halssäule. Die Obduction des Falles 
ergab eine hochgradige Diastase des 3. und 4. Halswirbelkörpers und ein fast 
völliges Fehlen der zwiscbenliegenden Bandscheiben. Die atypische Haltung 
der Halswirbelsäule, die maximale Lordose erklärt J eh le durch das frühzeitige 
Zugrundegehen der Bandscheibe und des Ligam. longitud. ant. und die Degene¬ 
ration der vorderen tiefen Halsmuskeln. Der Schädel ruhte nun mit seinem 
ganzen Gewichte auf der Wirbelsäule, an der nur die hinteren Theile intact 
waren, so dass dadurch die Lordosirung zu Stande kam. Die spätere Zer¬ 
störung der anderen Wirbel führte nicht mehr zur Kyphose, da das Kind im 
Gipsbett lag und die Belastung wegfiel. Haudeck-Wien. 

Ridlon (Chicago), Straightening of the curvatures of tubercular spondylitis. 

The Chicago medical recorder, April 1904. 

Ridlon, der als erster in Amerika das Calot’sche Verfahren der ge¬ 
waltsamen Geraderichtung spondylitischer Buckel angewendet hat, spricht sich 
in seiner kurzen Arbeit für ein sanfteres Vorgehen aus, das bedeutend bessere 
Resultate zeitige. Besonders bei schon eingetretener Consolidation sei jede 
grössere Kraftanwendung zu perhorresciren. Bei der Auswahl von Fällen für 
die Geraderichtung soll man Spondylitiden der Cervicalregion als gefährlich, der 
oberen Dorsalwirbelsäule als zu schwierig und der unteren Lumbalpartie wegen 
der Unmöglichkeit, das Resultat zu erhalten, ausscheiden. Es bleibt also nur 
wenig Material. Nach der Streckung sollen die Patienten ein Jahr lang absolute 
Ruhelage einnehmen und so sorgfältig immobilisirt werden wie nach Fracturen. 
Ridlon hält im allgemeinen die Reclinationslage bei guten hygienischen Be¬ 
dingungen immer noch für die beste und sicherste Behandlung der tuberculösen 
Spondylitis. Pfeiffer-Berlin. 

Blanchard (Chicago), The present status of the mechanical treatment of 

spondylitis. The Chicago medical Recorder 1904. 

Blanchard fasst in seiner Studie über den gegenwärtigen Stand der 
mechanischen Behandlung der tuberculösen Spondylitis die Principien dieser 
Therapie folgendermassen zusammen: 1. Entlastung; 2. Verhütung der Flexion 
und Rotation der Wirbelsäule; 3. grösstmöglicher Druck direct auf die Defor- 


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Referate. 


827 


mität oder auch ihre Nachbarschaft; 4. Hyperextension der Wirbelsäule. Bl au¬ 
ch ard zeigt die Durchführung dieser Principien in der modernen Gips- und 
Apparatbehandlung, wobei für den Fachorthopäden nur zwei Neuheiten be- 
merkenswerth sind, welche die Unterstützung des Kopfes betreffen. Letztere 
wird im Gipscorset dadurch bewirkt, dass der Vordertheil des Corsets bis unter 
das Kinn hinaufgeführt wird. An anderweitigen Corsets bringt Blanchard 
eine nach Art des Jurymastes wirkende Feder an, die mittelst eines Stirnbandes 
den Kopf zurückhält. Pfeiffer -Berlin. 

Zesas (Nyon), Beitrag zur chronischen ankylosierenden Entzündung der Wirbel¬ 
säule. Zeitschr. f. Chirurg. 1904, Bd. 74 Heft 5— 6 . 

An zwei schönen in der Königlichen Universitäts-Poliklinik für ortho¬ 
pädische Chirurgie in Berlin beobachteten Fällen von Bechterewscher Er¬ 
krankung bespricht Zesas die beiden Formen der ankylosirenden Entzündung 
der Wirbelsäule (Typus Bechterew und Typus StrÜmpell-Pierre-Marie). 

Als Aetiologie des Leidens werden in der vorhandenen Literatur am 
häufigsten „rheumatische Schädlichkeitenangeführt, was auch für Verfassers 
Fälle zutrifft, sowie andere fieberhafte Erkrankungen. Die Frage, ob es ge¬ 
rechtfertigt erscheint, eine strenge Scheidung der beiden oben erwähnten Typen 
anzuerkennen, lässt sich nach Zesas' Ansicht aus den Kranhkeitssymptomen 
nicht entscheiden. Die pathologische Anatomie lässt wegen der geringen An¬ 
zahl der zur Section gekommenen Fälle keine exacten Schlüsse zu. Auch für 
die Erken ntniss des Wesens der Krankheit hat die pathologische Anatomie wenig 
Bedeutung. Aber die chronisch ankylosirende Wirbelsäulenerkrankung ist — 
so viel steht fest — von dem Gebiete der Spondylitis deformans auszuschalten. 
Das beweist die pathologische Anatomie und das klinische Symptomcubild. 
Denn die Bechterew'sohe Erkrankung soll jüngere, die Arthritis deformans 
ältere Personen befallen, und die Entzündungserscheinungen sollen bei ersteren 
mehr im Vordergrund stehen als bei letzteren. 

In Bezug auf die Aetiologie spricht schliesslich Zesas die Vermuthung 
aus, dass es sich möglicherw^se nicht um „rheumatische Schädlichkeiten*, son¬ 
dern um eine „specielle Infeciionskrankheit handelt, die sich in der Wirbelsäule 
locaüsirt und mitunter audi die Übrigen Gelenke in Mitleidenschaft zieht/ 

Hi Iler-Berlin. 

Frank, Wirbelerkrankung bei Tabes dorsalis. Wiener klin. Wochenschr. 1904, 
Nr. 34. 

Das Substrat der Arbeit bildet eine tabische Osteoarthropathie bei einem 
55 jährigen Mann. Ein Jahr nach einem geringfügigen Trauma der Kreuzgegend 
traten bei dem vorher ganz gesunden Manne (keine Lues) tabische Symptome 
auf: lancinirende Schmerzen, Parästhesien, Blasenstörung, leichte Gangstörung, 
transitorische Diplopie. Die Untersuchung ergibt den Befund einer ausge¬ 
sprochenen Tabes im ersten Stadium ohne Ataxie, bei Fehlen der Patellar- und 
Achillessehnenreflexe, sowie Bestehen von Incontinentia vesicae et alvi. Der Kranke 
nimmt eine nach vom übergebeugte Haltung ein, es bestehen zahlreiche horizon¬ 
tale Bauchhautfalten, eine deutliche linksseitige arcuäre Kyphoskoliose im Brust¬ 
lendenwirbelsegment mit compensirenden Krümmungen nn der übrigen Wirbel- 
Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XIII. Bd. 54 


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828 


Referate. 


Säule und ein Knochentumor links neben der Lendenwirbelsäule: keinerlei 
Schmerzhaftigkeit, kein Krachen bei Bewegungen, keine besondere Versteifung* 
der Wirbelsäule, die übrigen Knochen und Gelenke nicht afficirt. 

Der Knochenprocess ist nach des Verfassers Ansicht sicher tabischer 
Natur, da das Bild des Falles mit den sonstigen typischen Erscheinungen der 
tabischen Arthropathie übereinstimmt. Die Beweglichkeit der Wirbelsäule ist 
kaum gestört, trotzdem die Affection ziemlich schwer ist; der Sitz derselben, 
die Lendenwirbelsäule, entspricht der Prädilectionsstelle dieser Processe. Als 
geradezu ausschlaggebend für die Diagnose ist die paravertebrale Knochen- 
bildung, deren Aktinogramm vorliegt. Die eigenthümliche verwaschene Auf¬ 
hellung des Knochenschattens bei besonders scharfer Contourirung desselben ist 
für den Process charakteristisch und als Knochenatrophie zu deuten. 

Verfasser erörtert hierauf die Diiferentialdiagnose und stellt sich bezüglich 
der Aetiologie auf den Standpunkt des neurogenen Ursprungs der Gelenk- 
knochenaffection, gegenüber der mechanischen oder traumatischen Theorie. 
Frank nimmt eine periphere Neuritis besonders im Plexus lumbalis als Ur¬ 
sache an, wodurch auch die häufige Localisation in der Lendenwirbelsäule eine 
Erklärung findet. Durch eine systematische Röntgenographie der TabesRllle 
würde nach des Verfassers Ansicht sicher ein häufigeres Vorkommen des Pro- 
cesses constatirt werden. Das häufige Befallensein des Lendensegmentes erklärt 
sich auch noch daraus, dass der Lumbaltheil der Wirbelsäule das grösste Volumen 
besitzt und meist aus Spongiosa besteht, die in erster Linie der Rarefication 
anheimfällt; ferner hat der Lumbaltheil auch den grössten Druck auszuhalten 
und ist der beweglichste Theil der Wirbelsäule. Alles Gründe, die erklären, 
warum gerade diese Skeletpartie am meisten vom pathologischen Process be¬ 
troffen wird. Die Prognose ist günstig, therapeutisch kommt die merkurielle 
Behandlung und insbesondere die orthopädische Behandlung mit dem Stützcorset 
in Anwendung. Haudek-Wien. 

Monnier (Paris), Osteomyelite du coccyx. Revue d'orthopedie 1904, Nr. 2. 

Monnier konnte einen der seltenen Fälle von acuter Osteomyelitis des 
Steissbeines beobachten, der bei einem ITV^jährigen Mädchen nach mehrtägigem 
Fieber mit unbestimmten Symptomen aiiftrat. Die Diagnose wurde erst nach 
dem spontanen Auf brechen eines Abscesses über dem Steissbein gestellt. Die 
sofort vorgenommene Operation ergab eine Entblössung des 11. Steisswirbels von 
Periost mit starker Eiterbildung; Exstirpation des erkrankten Knochens, Tam¬ 
ponade. Das Fieber persistirte noch einige Zeit, langsame Heilung. Monnier 
ist der Ansicht, dass viele Analfisteln auf eine nicht diagnosticirte Osteomyelitis 
des Steissbeines zurückzuführen sind. Pfeiffer-Berlin. 

Karehnke, Casuistischer Beitrag zu den Oberschenkelluxationen. Münchener 

med. Wochenschr. 1904, Nr. 39. 

Verfasser beschreibt aus seiner Praxis einen Fall von Oberschenkelluxation 
nach vom. Die linke untere Extremität stand in deutlicher Auswärtsrotation, 
Abduction und stumpfwinkliger Flexion. Das Kniegelenk war ziemlich stark 
gebeugt. Die Reposition wurde so vorgenommen, dass zwei Gehilfen den Ober- 


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Referate. 


829 


körper des auf einer Matratze liegenden Verletzten fixirten und er selbst mit 
einem Gehilfen die üeberstreckung des Beines durch starken Zug bewirkte; 
an den Zug wurde die Rotation nach innen ui d Adduction angeschlossen und 
unter lautem Schnappen ging der Kopf in die Pfanne zurück. 

B1 e n c k e* Magdeburg. 

Arregger (Luzern), Beitrag zur centralen Luxation im Hüftgelenk. Diss. 

Basel 1904. 

Verfasser zieht folgende Schlussfolgerungen: 

Die Luxatio centr. ist sehr selten, entsteht bei rascher Einwirkung grosser 
Gewalten auf den Trochanter, wodurch der Femurkopf durch das Acetabulum 
ins kleine Becken getrieben wird. 

Die Haupt Symptome sind: 

1. Aussenrotation des Beines, leichte Redressionsmöglichkeit, leichtes 
Zurückfallen in die fehlerhafte Stellung bei Auf hören der redressirenden Gewalt 

2. Verkürzung der Distanz zwischen Symphyse und Trochanter. 

3. Vorspringen des Femnrkopfes und der Beckentrümmer ins kleine Becken. 

Der Nachweis der Verletzung geschieht durch rectale oder vaginale 

Untersuchung und Radiographie. Die Untersuchung sei schonend. 

Therapie: 

1. Bei reponirtem Femurkopf: seitliche und Längsextension, mit bald ein¬ 
setzender orthopädischer Behandlung oder Gipsverband bis über den Rippenbogen. 

2. Bei irreponiblem Femurkopfe, Extension oder Hochlagerung in Schiene. 

3. Bei schlechter Stellung des Oberschenkels oder Störungen der Becken¬ 
organe: Resection des Beckens und Reposition. 

4. Bei Complicationen (Blutungen etc.) wie üblich. 

Der Verlauf ist bei leichten Fällen günstig, wegen Gelenkneubildung 
im Beckeninnern aus den Knochentrümmern. Heilungsdauer mehrere Monate. 
Bei schwereren Fällen meist Exitus let. infolge von Shock, Sepsis oder Ein¬ 
geweideverletzungen. H i 11 e r - Berlin. 

Maziol, Des luxations exceptionelles de la hanche (luxat. pubopectinee et 

luxat. intrapelvienne. Thöse de Paris 1904. 

Verfasser bespricht in seiner Arbeit den Mechanismus des Zustande¬ 
kommens der seltenen Luxationes pubo-pectineae und intrapelvineae, schildert 
die pathologische Anatomie, die Diagnostik, Prognose und Therapie und gibt 
die Krankengeschichten von 13 hierher gehörigen Fällen. 

Er gelangt zu folgenden Schlüssen: 

Bei den Luxationen nach oben unterscheidet man 2 Arten: 1. Luxat. 
ileo-pubicn, 2. Luxat. pubo-pectinea. 

Diese letztere braucht durchaus nicht als Luxat. infracotyloidea zu be¬ 
ginnen, sondern kann sofort als solche vorhanden sein. 

Die Luxat. intra pelvica beginnt als Luxat. obturatoria; erst wenn das 
Trauma längere Zeit einwirkt, gelangt der Kopf des Femur vor die Eminentia 
ileo-pectinea und von dort in das Becken. Bei beiden Arten der Luxation sind 
Gefässläsionen zu befürchten, welche, wenn sie vorhanden sind, die sonst gün¬ 
stige Prognose sehr trüben. Die Reduction ist gewöhnlich leicht. 

Hill er-Berlin. 


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830 


Referate. 


Whitman (New-York), Nouveau traitemeut des fractures du col de f4mur. 

La raedecine des accidents du travail. 1904, Nr. 8. 

Verfasser sieht seine Anschauung bestätigt, dass Femurhalsfracturen 
bei jugendlichen Individuen nicht so selten sind, als man allgemein annimmt. 
Die Prognose ist gut. Von einer Serie von 241 innerhalb 3 Jahren behandelter 
Fälle sind nur 3 Patienten gestorben. Da bei Contusioncn selten an eine 
Schenkclhalsfractur gedacht werde, so entgehen viele Fälle dem Arzt und einer 
guten, zweckentsprechenden Behandlung. Gewöhnlich sind diese Patienten dazu 
verurtheilt, ihr Leben lang Krüppel zu bleiben, die therapeutischen Resultate 
sind hier sehr wenig befriedigend. 

Wichtig ist auch heute noch die Unterscheidung von intra* und extra- 
capsulären Fracturen, wegen der mit den intracapsulären verbundenen Schwierig¬ 
keit, die Fracturstelle genau zu adaptiren, und wegen der drohenden Ankylose 
im Hüftgelenk. Der typische Verband ist eine das Becken mitfassende und das 
Bein fixirende Schiene mit Extension, welche indessen auf die entstehenden 
Deformitäten wenig Einfluss haben kann, wie die resultirenden Veikörzungen 
von oft vielen Centimetem beweisen. Bei incompletten Fracturen entsteht 
häufig eine traumatische Coxa vara. Eine Behandlung ist nöthig wegen der 
daraus sonst resultirenden functionellen Behinderung. 

Im allgemeinen sind also unsere Mittel, eine Schenkelhalsfractur zur 
Adaptation zu bringen, völlig unzureichend. 

Verfasser hat nun vor 14 Jahren den ersten Fall von Fract colli fern, 
erlebt, bei dem die Diagnose „Coxitis* gestellt wurde, besonders wegen der Un¬ 
möglichkeit, die bestehende Coxa vara trauraat. zu erkennen. Damals wurde 
die subtrochantere Osteotomie ausgeführt, das Bein in Abduction gebracht, bis 
der Hals und Trochanter das obere Pfannendach berührten. Gipsverband bis 
zur Consolidation. 

Da die Verminderung des Schenkelhalswinkels die Schenkelbewegungen 
vermindert, kommt alles darauf an, den richtigen Winkel wieder herzustellen. 
Auch bei der stärksten Abduction ist eine Schenkelkopfluxation nicht zu be¬ 
fürchten, wegen der bestehenden Fractur. So hat Verfasser im Jahre 1902 
2 Fälle behandelt, welche völlig geheilt wurden. 

Bei Erwachsenen und alten Personen ist die Methode die gleiche. 
Eventuelle Stellungsdeformitäten werden durch Zug ausgeglichen, dann Ab¬ 
duction. Sodann beschreibt Verfasser seine Methode nochmals im Zusammen¬ 
hang. Patient liegt in Narkose auf der Beckenstütze. Polsterung des kranken 
Gliedes bis zum Becken hinauf. Bei incompletter Fractur sofort Abduction und 
zwar auch des gesunden Beines behufs Beckenfixation. Bei completten 
Fracturen Extension und Contraextension zur Ausgleichung der eventuellen De¬ 
formitäten. Dann Abduction. Oft hört man das Geräusch, wenn der Hals das 
Acetabulum berührt. Erst wenn die richtige Stellung des Gliedes erreicht ist, 
Anlegung des Gipsverbandes, der das Kniegelenk mitfasst. Nach 4 Wochen 
Freimachen des Kniegelenkes. Nach 8 Wochen Entfernen des Verbandes. 
Dann orthopädische Nachbehandlung. 4 Monate jedoch mindestens darf das 
kranke Bein keine Last tragen. Daher Anpassung einer Gehschiene. Das Ver¬ 
fahren setzt am besten sofort nach der eingetretenen Verletzung ein. Der späteste 
Termin ist bei incompletten Fracturen */< Jahr, bei completten noch länger. 


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Referate. 


831 


Die Entfernung des Caput femoris ist nur bei destructiven Knochen- 
erkrankungen oder bei einer nicht reponirten Hüftgelenksluxation statthaft, 
denn das Gelenk soll, auch wenn es ankylosirt ist, möglichst erhalten bleiben, 
zum Tragen der Körperlast. 

Epiphysenfracturen im Hals sind selten. Unter 25 Fällen von Collumfractur 
beobachtete Verfasser dieselbe nur Imal. Verfasser bespricht kurz die Symptome 
und eine consecutive Goxa vara. Das von Sprengel empfohlene operative 
Verfahren, d. h. Entfernung des Kopfes, ist wegen der schlechten functionellen 
Resultate zu verwerfen. Am besten ist wieder unblutige Behandlung, eventuell 
operative Entfernung der die Bewegung störenden Callusmassen. 

Zur Erreichung guter Function ist es nicht nöthig, dass die Fragmente 
stets genau adaptirt sind. Das ist auch meist gar nicht möglich. Verfasser 
hält sein Verfahren für das beste der bis jetzt vorhandenen. Hi Iler-Berlin. 

Ti Hau (Paris), Fractures du col du femur. Symptömes et diagnostic. Ann, 

de chir. et d’orthop. 1904, Nr. 6. 

Die Diagnose des Femurhalsbruches wird aus drei Zeichen gestellt. 

1. Fussstellung (Aussenrotation). 

2. Verkürzung des Beines. 

3. Aufhebung der Function. 

Je nachdem die Fractur intra- oder extracapsulär ist, sind die charakte¬ 
ristischen diiferentialdiagnostisch wichtigen Symptome verschiedenartige. Bei 
ersterer Art können sich die Fragmente nicht aneinander stark verschieben, 
ausser im seltenen Falle der Einkeilungsfractur; bei der zweiten Art der Fractur 
dagegen findet eine oft sehr betrilchtliche Dislocation statt. Daraus folgt, dass 
bei intracapsulärer Fractur der Trochanter unversehrt ist, dass er jedoch bei 
extracapsulärer Fractur verbreitert und nach hinten verschoben erscheint. Die 
Rotation des Beines nach aussen ist bei den intracapsulären Brüchen leicht und 
schmerzlos auszugleichen, nicht jedoch bei den extracapsulären. Diese Corrections- 
roöglichkeit der Aussenrotation ist das wichtigste differential diagnostische Zeichen. 

Hiller-Berlin. 

Müller (Paris), Fractures et döcollements ^piphysaires du col du f6mnr. Thöse 

de Paris 1904. 

Möller theilt 11 Krankengeschichten mit, welche Fälle von Coxa vara 
traumatica betreffen, d. h. Fracturen des Schenkelhalses und Epiphysenlösungen 
des Femurkopfes. Seine Ausführungen über die Aetiologie, Symptome und 
Therapie des Leidens sind wenig originell. Auch er constatirt das verbältniss- 
mässig häufige Vorkommen der Erkrankung im jugendlichen Alter und em¬ 
pfiehlt für frische Fälle continuirliche Extension, für veraltete die schräge 
subtrochantere Osteotomie. Eine tabellarische Zusammenstellung von 34 ein¬ 
schlägigen Fällen aus der dem Verfasser zugänglichen Literatur bildet den 
Schluss der Arbeit. Pfeiffer-Berlin. 

Quesnot (Paris), Contribution ä l’etude de la coxa vara traumatique. These 

de Paris 1904. 

Die Quesnot'sche Arbeit unterscheidet sich von der im vorhergehenden 
Referat besprochenen nur durch die Anzahl der aus der Literatur gesammelten 


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Referate. 


Fälle. Es sind nur 17; Hoffa konnte im vergangenen Jahre schon 84 Fälle 
zusammenstellen, die alle das jugendliche Alter betrafen. Pfeiffer-Berlin. 

Freiberg, A unique case of congenital luxation of the ankle. Amer. joum. 
of orthop. surg. 1904, Nr. 4. 

Freiberg beobachtete einen Fall von angeborener Luxation des Knöchel¬ 
gelenks, bei dem kein Defect der Fibula vorhanden war. Sie ist nach innen 
verbogen und im Vergleich zur Tibia verdickt. Die untere Fibulaepiphyse 
steht höher als bei der Tibia. Die Gelenklinie geht in einem Winkel von 75® 
schräg von aussen nach innen und abwärts. Eine therapeutisch vorgeschlagene 
Osteotomie, um den äusseren Knöchel herabzubringen, wurde abgelehnt. Der 
Fall, der bisher einzig dasteht, hat deswegen Interesse, weil er die Theorie des 
amniotischen Druckes zu unterstützen scheint. Zand er-Berlin. 

Riedinger, Physikalisch-medicinische Gesellschaft zu Würzburg. Sitzung 
vom 14. Juli 1904. Münchener med. Wochenschr. 1904, Nr. 38. 
Riedinger demonstrirt zunächst einen Fall von Lux. femoris supra- 
cotyloidea congenita dextra infolge von Hypoplasie der rechten Beckenhälfle 
bei einem 7 Jahre alten Knaben, der von Neuem wieder ein Beweis dafür ist, 
dass die angeborene Hüftluxation in der ersten Zeit nach der Geburt eine Luxatio 
supra-cotyloidea ist, und der eine Erklärung für die Hypoplasie des Skelets als 
intrauterine Belastungsdeformität und für den Mechanismus der Luxation gibt. 

Im Anschluss hieran bespricht er seine Erfolge bei der Behandlung der 
angeborenen Luxationen und stellt mehrere Fälle vor. Die Reposition machte 
er in den letzten 3 Jahren bei 12 Kindern an 15 Gelenken. Von diesen 12 
reponirten Gelenken zeigen 9 complette Reposition = 60 ®/o, 5 Transposition 
= 33,37o und 1 Gelenk Reluxation = 6,6®/o. Blencke-Magdeburg. 

Joüon (Nantes), De la coxalgie compliquant la luxation congenitale de la 
hanche. Gazette medical de Nantes 1904, Nr. 16. 

Joüon theilt die Krankengeschichte eines Falles von rechtsseitiger an¬ 
geborener Hüftgelenks Verrenkung mit, der mit Coxitis tuberculosa complicirt war. 
Infolge der Abscessbildung konnte die Diagnose mit Sicherheit gestellt werden. 
Die eingetretene falsche Stellung des Beines wurde durch schräge subtrochantere 
Osteotomie corrigirt. — Wie allgemein bekannt, ist die Complication der an¬ 
geborenen Hüftgelenksverrenkung mit Coxitis ziemlich selten. Den Grund hierfür 
hat man darin gesucht, dass bei der Hüftverrenkung kein Contact der Gelenk¬ 
flächen besteht, dass Knochen mit Wachsthumsstörung zumeist von der Tuber- 
culose verschont bleiben und dass der durch das Fehlen des Ligamentum rotun- 
dura bedingte Mangel an Gefässen dem Entstehen einer tuberculösen Infection 
ungünstig ist. Joüon ist nun der Ansicht, dass die infolge der Luxation nach 
hinten oben eingetietene Einwärtsrotation des Schenkelkopfes den Ausbruch 
der Tuberculose beeinflusst habe. Die Symptome des Leidens sind die einer 
gewöhnlichen Coxitis. Die therapeutischen Massnahmen beschränken sich auf 
Ruhigstellung des Gelenkes. Bestehen feblerjaafte Stellungen, so empfiehlt 
Joüon die subtrochantere Osteotomie, die allen Bewegungen des erkrankten 
Gelenkes vorzuziehen sei. Pf ei ff er-Berlin. 


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Referate. 


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Cazal, Quatre vingt-qualre cas de Coxalgie. These de Montpellier 1904. 

Verfasser gibt eine Statistik von 84 Fällen von Hüftweh und gelangt 
am Schluss zu folgenden Schlüssen: 

1. Coxitis ist in Montpellier und dessen Unigebung die häufigste chirur¬ 
gische Erkrankung der Kinder. 

2. Ihre Mortalität beträgt 27 7o. 

3. Die Heredität ist kein wichtiger ätiologischer Factor. Die Haupt¬ 
sache sind die hygienischen Verhältnisse. 

4. Es besteht eine symptomatische Coxa vara. 

5. Die Behandlung mittelst Immobilisation muss sehr frühzeitig einsetzen. 

6. Am besten eignet sich zur Behandlung die Bonnet’sche Rinne. Der 
Gipsverband ist zu schmutzig (wenigstens in dem Lande des Verfassers). 

7. Kalte Abscesse werden durch Function mit nachfolgender Injection 
von Jodoformäther behandelt. 

8. Naphthol-Campher ist sehr gefUhrlich und nicht anzuwenden. 

9- Der Allgemeinbebandlung kommt die grösste Bedeutung zu. 

Hil 1er- Berlin. 

Michelsohn (Hannover), Beiträge zur Behandlung der tuberculösen Hüft- 

gelenksentzündung. Diss. Göttingen 1904. 

Verfasser benutzt in seiner Arbeit die im Auszug wiedergegebenen 
209 Coxitisfälle, welche in den Jahren 1896-—1902 in der Göttinger Chirurg. 
Klinik behandelt wurden. Folgende Ergebnisse sind aus der Statistik bemerkens- 
werth: Ergriffen waren: 126 männliche, 83 weibliche Patienten. Im Alter von 
6—10 Jahren ist die Erkrankung am häufigsten. Von den Behandlungsmetho- 
den der Coxitis erwähnt Michelsohn die Ruhe, die Gewichtsextension, Jodo- 
formglycerininjection, die Resection des Hüftgelenkes. Er schildert sodann die 
bekannten therapeutischen Eingriffe beim Vorhandensein von Fisteln und Abs- 
cessen und gibt einen Ueberblick über die Endergebnisse der Behandlung. Von 
85 rein mechanisch Behandelten sind 52 völlig geheilt; von den 71 mit Jodo¬ 
formglycerin und Verbänden Behandelten sind 42 völlig geheilt. 

Resecirt wurden 40 Patienten, von denen 8 gestorben, 22 geheilt sind. 
Von allen 209 Patienten sind 5,8 ®/o gestorben, 60,3 7» völlig geheilt, 3,6 7» nicht 
geheilt. Hil 1er-Berlin. 

Helbing (Berlin), Die Behandlung der coxitischen Hüftgelenkscontracturen 

durch Osteotomie. Deutsche med. Wochenschr. 1904, Nr. 19. 

Gegen die coxitischen Contracturen, welche auch dann wieder auftreten, 
wenn die Behandlung schon für abgeschlossen gilt, wendet Hel hing statt 
der früher angewandten Dolli nger’schen Methode, des Lorenz’schen model- 
lirenden Redressements und der Osteotomie, je nachdem es sich um fibröse 
Adhäsionen oder um Ankylosen im Hüftgelenk handelte, stets die Osteotomie 
an, zumal da bei den unblutigen Manövern die Gefahr des Wiederaufflackerns 
des tuberculösen Processes gross und eine oft jahrelange Nachbehandlung noth- 
wendig ist. 

Als Verfahren empfiehlt Helbing die einfach auszuführende subtrochan- 
tere schräge Osteotomie nach Hoffa und Terrier, wodurch gleichzeitig eine 


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Referate. 


Verlängerung des Gliedes erzielt wird. Nach der Operation sogleich Gips* 
verband. Zur Behebung der Stellungsanomalie ist oft die Tenotoniic der Ad- 
ductoren und des Tens. fase. lat. nothwendig. Die erreichten Resultate sind 
durchweg gute. Das Entstehen des oft sich im Gefolge der Coxitis entwickeln¬ 
den Genu valguni muss man sich ebenso vorstellen wie das des Pes varus bei Genu 
valgum. Seine Beseitigung erfolgt am besten erst nach der Osteotomie. Das Genu 
valgum bei Coxitis beruht nach Hel hing auf einer Schlaffheit der Kapsel und 
Bänder. Wie die Röntgenbilder beweisen, ist der Knick unterhalb des Troch. 
major, der durch die Osteotomie gesetzt war, schon nach 5 Monaten fast ganz 
ausgeglichen. Durch Vergrösserung des Schenkelhalswinkels bildet sich eine 
Coxa valga heraus. Hi 11 er• Berlin. 

Menci^re (Reims), Dix cas d’ankylose de la hanche en position vicieuse avec 
difformit4 tr6s accentue et grave impotence fonctionelle. Osteotomie, 
soustrochanterienne oblique, traitement mechanotherapique secondaire et 
dressage metodique ä la marche. Guerison. Arch. provinc. de Chirurgie. 
1904, Nr. 6. 

Hüflankylosen finden sich am häufigsten nach Coxitis, und Verfasser hat 
nun die Behandlung der daraus folgenden schweren Difformitäten auch bei 
älteren Patienten unternommen. Ist die Ankylose wenig fest, so kann man 
manuell oder mit einem im Original näher beschriebenen Apparate die fehler¬ 
hafte Stellung ausgleichen. Ist aber die Ankylose fest, so greift man am besten 
zur sub troch unteren schiefen Osteotomie. Verfasser führt die Kranken¬ 
geschichten von 10 Patienten an, welche vor mehr als 4 Jahren so operirt w urden. 
Der jüngste Patient war 5 Jahre, der älteste 34 Jahre alt Bei diesem letzteren 
war die Coxitis schon in dem ersten halben Lebensjahr diagnosticirt. Aus den 
ausführlich wiedergegebenen Krankengeschichten, sowie den sehr instructiven 
Bildern geht hervor, dass durch die Operation und die nachfolgende energische 
medico-mechanische Behandlung vorzügliche Resultate erzielt wurden. 

Hiller-Berlin. 

Broca (Paris), Resection de la hanche chez l’enfant. Revue d’orthopedie. 
1904, Nr. 2. 

Broca demonstrirt an der Hand dreier mit Hüftresection behandelter Fälle 
von Coxitis im Kindesalter, welche Nachtheile dieser Operation im allgemeinen 
anhaften. Der häufigste und grösste ist, dass zumeist ein ganz unbrauchbares 
Schlottergelenk resultirt, das die Patienten fast absolut bewegungsunfähig 
macht; mit wenigen Ausnahmen erzielt die Hüftgelenksresection nur dann ein 
functioneil gutes Resultat, wenn eine Ankylose in guter Stellung des Ober¬ 
schenkels eintritt. Allerdings hat man heutzutage gelernt, auf den Eintritt 
dieser Ankylose durch langdauemde Fixation in richtiger Stellung wenigstens 
hinzuarbeiten. Die Schilderung dieser Methode bildet den Schluss der klinischen 
Vorlesung. Pfeiffer-Berlin. 

Wieting (Konstantinopcl), Beitrag zu den Affectionen, namentlich der Tuber- 
culose der Schleimbeutel in der Beckenhüftgegend. Deutsche Zeitschr. 
f. Chir. 1904, Bd. 74 Heft 5-6. 

Die Tuberculose der Schleimbeutel in der Beckenhüftgegend ist verhältniss- 
mässig selten Gegenstand eingehender Erörterungen gewesen. Verfasser hatte 


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Referate. 


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Gelegenheit» sie häuGg zu sehen und fand» dass dieselbe Ausgangspunkt für 
Senkungsabscesse werden kann. 

7 derartige operativ behandelte Fülle werden beschrieben und die Anatomie 
der Beckenhüftgegend in Bezug auf die Localisation der Schleimbeutel geschil¬ 
dert. Diese variiert ungemein» am constantesten sind die Bursa subiliaca und 
die B. trochanteric. subcutanea und musc. glutaei maximi. Ihre Bildung hängt zum 
Teil ab von der Beschäftigung der Individuen von entzündlichen Processen und 
vielleicht auch von individueller Veranlagung. Die Häufigkeit ihres Vorkommens 
^ bei den Türken erklärt sich nach W i e t i n g aus dem bekannten ganz eigen¬ 
artigen Sitz dieser Menschen. 

In diesen Schleimbeuteln entwickelt sich nun die Tuberculose» die als 
gutartige Erkrankung anzusehen ist. Die Bursa profunda dient zum Ausgangs¬ 
punkt der Erkrankung» wenn die Eiterung unter den Glutäalmuskeln oder der 
derben Fascia oder dem Sehnenansatz herauskommt und an der Innenseite des 
Oberschenkels unter der Haut erscheint. 

Die Unterscheidung von Knochen und Schleimbeuteleiterungen ergibt 
sich aus der geringen functioneilen Störung im Gebrauch der Extremität und 
der Schmerzlosigkeit des Hüftgelenkes. Das Röntgenverfahren hilft die Unter¬ 
scheidung erleichtern. 

Bei der Schleimbeuteltuberculose» die sich nach Krankengeschichten des 
Verfassers auch in der Burs, mucos.» des Musc. biceps fern, etablirt, besteht die 
Therapie einzig und allein in der breiten Incision und radicaler Ausräumung. 
Die Resultate sind um so besser, je frühzeitiger man operirt. 

H i 11 e r • Berlin. 

Reismann. (Haspe), Der Epiphysenbruch des Femur im Kniegelenk. Deutsche 

Zeitschr. f. Chir. 1904, Bd. 74 Heft 3—4. 

Im Anschluss an den von Summa früher veröffentlichten Fall von Epi- 
physenfi-actur des Femurs im Kniegelenk, bei welchem die Gründe für die 
schwere Reposition nicht dargelegt wurden» erörtert Reismann dieselben und 
erklärt sie aus folgenden» durch das Röntgenbild zu eruirenden Thatsachen: 

1. Epiphyse mit der Tibiagelenkfläche nach oben dislocirt. 

2. Einkeilung der Epiphyse zwischen Patella und Diaphyse. 

3. Starkes Vorspringen der Spinae tibiae. 

4. Heruntergeschobensein des Diaphysenfragmentes in der Kniekehle. 

5. Die Bruchfläche der Epiphyse ist nach hinten gerichtet» die der Dia¬ 
physe nach unten. 

6. Es besteht eine Verkürzung von 4 cm. 

Aus der Art des Traumas geht hervor» dass die Epiphyse eine Drehung 
erfahren hat in der Richtung der Beugung. Die Dislocation erklärt sich durch 
Muskelzug» die anderen angeführten Eigenthümlichkeiten folgen aus der Lösung 
des Zusammenhanges zwischen Diaphyse und Epiphyse. 

Die Diagnose muss in solchen Fällen möglichst genau» wegen drohender 
Gangrän oder Lähmungen» gestellt werden. Im besten Falle würde bei Fehl¬ 
diagnose eine Deformität und functioneile Unfähigkeit entstehen. 

Die Therapie vermeidet möglichst den blutigen Eingriff. Eine digitale 
Reposition ist nur in Beugestellung des Kniegelenkes möglich. Zu achten ist auf die 


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836 


Referate. 


Herstellung der ursprünglichen Länge des Gliedes und auf die Vermeidung 
seitlicher Abknickungen an der Fracturstelle. Das Eingipsen erfolgt bei 
gebeugtem Knie. 

Analog sind die Verhältnisse bei der Fractur und der Reposition der 
Humerusepiphyse im Ellenbogengelenk. Hil 1er-Berlin. 

Heine, Ueber den angeborenen Mangel der Kniescheibe. Berliner klinische 

Wochenschrift 1904, Nr. 19. 

Heine geht zunächst auf die Bildungsgeschichte der Patella ein und 
berührt auch die vergleichende Anatomie. Bemerkenswerth ist, dass im 4. bis 
5. Jahre meist noch kein Knochenkem der Patella vorhanden ist. Es folgen 
dann Angaben über die von Joachimsthal festgelegte Structur der Patella 
und über Lageveränderungen derselben, z. B. bei der Little’schen Krankheit, 
wo die Patella hoch auf das Femur hinaufrückt und auch gewisse Gestalte¬ 
veränderungen erleidet. Für die Function des Beines des Menschen ist die Knie¬ 
scheibe nicht unbedingt nöthig, ebenso wie gewisse Thiere eine Kniescheibe ent¬ 
behren. Der angeborene Defect derselben bedinge keine Beeinträchtigung der 
Bewegungsfreiheit des Individuums. Heine unterscheidet folgende Fälle des 
angeborenen Defectes der Patella: 

1. Solclie von angeborenem erblichen und dauernden Mangel der Patella 
in Verbindung mit Muskel- und anderen Defecten. 

2. Solche, bei denen allein die Kniescheibe fehlt und zu welchen auch 
der Fall des Verfassers gehört. 

Allen bisher bekannten 3 Fällen ist gemeinsame Erblichkeit, normales 
Verhalten des Kniegelenkes, ungestörte Gelenksfunction. Die Quadricepssehne 
ist sehr kräftig und findet bei forcirter Bewegung Halt am äusseren Condylus, 
indem sie die Fossa condylica verlässt. Nach Heine kommt der Patella in 
dem Kniestreckapparat eine functionelle Aufgabe zu. 

Bemerkenswerth erscheint es, dass bei dem Patienten Heine’a eine an¬ 
geborene Luxation des Radiusköpfchens nach hinten zu constatiren war, mit 
ausreichender Beweglichkeit des Vorderarms. Hill e r - Berlin. 

Willems (Grünberg, Hessen), Zur Therapie der Patellarfracturen. Diss. 

Köln 1904. 

Man kann in der Therapie der Fract. patellae zwei Methoden unterscheiden: 
Die unblutige und die blutige. 

Zur ersteren gehören Massage und Verbände, 

zur zweiten (ohne Eröffnung des Gelenkes) Malgaigne’sche Klammer, 
die Volkmann’sche Sehnennaht, Kochers peripatellare Naht und die sub- 
cutane Metallnaht Ceci’s. (Mit Eröffnung des Kniegelenkes): Punction nach 
Volkmann, Arthrotomie Listen’s, die v. Berg mann’sche Operation, die 
S c h a n z’sche 0peration. 

Verfasser schildert die Anatomie des Kniegelenkes mit Rücksicht auf die 
Befestigung der Patella, unter Zugrundelegung der Hoffa’schen Beschreibung. 
Bevor man eine der angeführten Methoden anwendet, muss man sich über die 
pathologische Anatomie des betreffenden Falles klar sein. Z. B. ist die Ge¬ 
lenkkapsel seitlich eingerissen, so wird ohne Operation nicht auszukommen sein. 


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Referate. 


837 


Nach diesen Ueberlegungen wurden 20 Patienten behandelt, deren Kranken¬ 
geschichten in extenso angeführt werden. Es handelt sich um 17 Männer und 
3 Frauen. Alter: Imal unter 20 Jahren, 13mal zwischen 20 und 50 Jahren, 
6mal über 50 Jahre. Art des Bruches: 16mal Querbruch, Imal Sternbruch, 
3mal mehrfache Fractur des oberen oder unteren Sprengstückes. 2 Fälle waren 
alt, 18 frisch. In ersteren beträgt die Diastase 6 und 8 cm, in letzteren 4mal 
bis 1 cm, 12mal bis 3 cm, 2mal bis 5 cm. In 13 Fällen war das Geh vermögen 
völlig aufgehoben. In 5 Fällen leidliche Streckung. 

Angewandt wurde: 

9mal die Bar den heuer'sche Extension. 

Imal Malgaigne'sche Klammer. 

Imal Function nach Vo 1 kmann mit Extension nach Bardenheuer. 

8mal Naht der Fragmente. 

2mal (veraltete Fälle) Operation nach Schanz (Modification von Bar¬ 
de n h e u e r). 

Nicht angewandt wurde Massagebehandlung, die Volkmann'sche 
Sehnennaht, Kocher’s peripatellare Naht und Ceci’s Naht. 

Was die Anwendung der Methoden betrifit, so wurde angewandt: 

Die permanente Extension: bei geringer Diastase und leichter Vereini- 
gungsmöglichkeit der Fragmente, bei alten Leuten und bei Verweigerung des 
operativen Eingriffes. Die Extension dauerte 5 bis 6 Wochen, Erneuerung nach 
3 Wochen zur Controlle. 

Das Resultat war: 6mal knöcherne Verwachsung, 3mal bindegewe¬ 
biger Callus. 

Mit der Malgaigne’schen Klammer wurde eine knöcherne Vereini¬ 
gung erzielt. 

Bei der offenen Naht erzielte man stets eine knöcherne Vereinigung. 
Kräftige Streckung, wenig gute Beugung. 

Die beiden veralteten Fälle hatten guten Erfolg. Diese Schanz-Bar- 
denh euer'sehe Methode erlaubt nach Ansicht des Verfassers bei jeder be¬ 
liebigen Diastase eine gute Streck Function zu erreichen und übertrifft so die 
anderen Methoden. Weitere Versuche müssen mit dem Verfahren angestellt 
werden. Hi 11 er-Berlin. 

Mocochain, Traitement compare des fractures de rotule. Methode sanglante 

et Methode non sanglante comparces. These de Paris 1904. 

Aus einer Statistik von 22 Fällen von Fractur der Rotula zieht Verfasser 
folgende Schlüsse: 

1. Bei Nichtbeherrschung der Asepsis unblutige Methode: Immobilisation 
und Massage. 

2. Ist die Schwellung zu beträchtlich, so punctirt man vor der Immo- 
bilisirung und Massage. 

3. Im Falle Dislocation fehlt, oder wenn sie nur gering ist, Immobili¬ 
sation und Massage. 

4. Bei Dislocation über 2 cm und einer Fractur, bei der die Stücke gleich 
und regelmässig sind, soll man Naht machen, oder Naht der Ligamente, ent¬ 
sprechend dem Willen des Operateurs. 


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Referate. 


6. Bei Splitterfracturen Nagelung oder theilweise Nagelung oder Naht 
der vor der Rotula gelegenen Ligamente. Hiller-Berlin. 

Graser, Zur Behandlung der Luxatio patellae inveterata. Osteotomie am Ober¬ 
schenkel mit Einwärtsdrehung der unteren Epiphyse. Archiv fQr klin. 
Chir. Bd. 74, H. 2. 

Graser erörtert zunächst die Ursachen, weshalb die Luxationen der 
Patella fast stets solche nach aussen sind; vor allem sieht er dieselbe in <ler 
anatomischen Eigenart des Femur. Der mediale Condylus zeigt Kugelgestalt, 
bietet also der Patella nirgends einen Stützpunkt, der laterale dagegen zeigt 
eine scharfe Kante, über welche die einmal luxirte Patella nicht so leicht zu¬ 
rückgleiten kann. Nach kurzer Besprechung der bekannten therapeutischen 
Massnahmen berichtet nun Graser über 3 Fälle, bei denen er zu einem neuen 
operativen Verfahren schritt; der erste Fall zeigte nämlich die Eigenthümlichkeit, 
dass der Condylus ext. femor. tief unter dem Condyl. intern, stand, so dass die 
über die Höhe der Condylen gelegte Ebene schräg von innen nach aussen ab¬ 
fiel. Durch die Osteotomie des Oberschenkels mit folgender Einwärtsdrehung 
des distalen Gliedabschnittes um 30° wurde der Condylus ext. so hoch auf¬ 
gerichtet, dass nunmehr die über die Höhe der Condylen gelegte Ebene schräg 
von aussen nach innen verlief. Die Reposition trat mit Leichtigkeit ein, und 
der Erfolg der Operation war ein vollständiger. Bei einem zweiten Falle mit 
irreponibler Luxation wurde dieselbe Operation aus demselben und weiteren 
Gründen mit bestem Erfolge ausgeführt. Es bestand nämlich ein hochgradiges 
Genu valgum mit starker Auswäi-tsrotation des Unterschenkels, sowie des Femur. 
Auch hier war die Schrägheit der Condylenebene eclatant. Es wurde daher 
die keilförmige Osteotomie gemacht. Bei einem dritten Falle doppelseitiger 
Luxation der Patella infolge rhachitischer Verkrümmungen wurde die Osteo¬ 
tomie an Femur und Tibia ausgeführt und durch Einwärtsdrehung des unteren 
Condylus femor. Heilung erzielt, 

Graser empfiehlt das Verfahren für ähnliche Fälle. 

Wollenberg - Berlin. 

Riedel (Jena), Ueber die Catgutnaht bei frischer und bei veralteter Patellar- 
fractur. Arch. f. klin. Chirurgie, Band 74, Heft 1, 1904. 

Fracturen der Patella, in deren unterem, oberem oder mittlerem Theil, wer¬ 
den selten zu eingreifenden Operationen veranlassen. Die meisten Chirurgen 
nähen bei Querbrüchen tief unten oder bei weitklalfender Dia-stase im mittleren 
Theil mit Silberdraht. Verfasser will diese Methode (mit Quereröffnung des 
Gelenks) nie angewandt wissen, 1. wegen der späteren Functionsstörung, 2. weil 
er nie einen Fremdkörper in ein Gelenk einheilen lassen will. Verfasser näht 
subcutan mit resorbierbarem Material (Catgut). Der Schnitt ist klein, längs¬ 
verlaufend. 

Zum ersten Male hat Verfasser im Jahre 1883 so operirt. Der so operirte 
Patient hatte nach etwa 1 Jahr sein völlig bewegliches Kniegelenk. Riedel 
beschreibt seine Methode nunmehr des Näheren. Nach langer Zeit hat Ver¬ 
fasser dann sein Verfahre» erst wieder neu aufgenommen und danach 2 Patienten 
mit tadellosem Erfolg oi)erirt. — Zur Operation gehören 2 gestielte Nadeln, eine 


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Referate. 


839 


flachere und eine gebogene. Die Anwendung derselben wird erläutert. Der 
Verband bleibt 4 Wochen liegen. Dann Quadricepsmassage, Flexionsübungen, 
nach 8 bis 14 Tagen erst Aufstehen und ümhergehen. 

Bei veralteten Fällen ist die subcutane Naht nicht ausfahrbar. Man 
macht zwei Farallelschnitte zu beiden Seiten der Patella. Freilegung und An¬ 
frischung der Bruchstücke der Patella. Verfasser verfügt über 2 Fälle mit gutem 
Erfolge. — Das verwandte Catgut muss sehr stark sein. Die Hautwunden 
bleiben offen. Die Fälle des Verfassers boten sämmtlich nur eine geringe Dia- 
stase, aber derselbe glaubt, dass sich auch bei grossem Klaffen der Fractur- 
stücke die Resultate günstig gestalten würden. Hil 1er-Berlin. 

Küttner, Die Einklemmungsluzation der Patella (Luxatio patellae cuneata). 

Beitr. z. klin. Chirurgie 1904, Bd. 42, H. 8. 

Für den Namen „horizontale Luxation* oder „Luxation der Patella nach 
unten* schlägt Küttner den im Titel der Arbeit angegebenen Namen vor. 
Diese Luxation ist gekennzeichnet durch Einklemmung der Patella zwischen 
die Condylen von Femur und Tibia bei Drehung der Patella um ihre trans¬ 
versale Achse. Die Arbeit bringt einen eigenen, durch die anatomische Unter¬ 
suchung besonders werthvollen Fall dieser überaus seltenen Luxationsform. Im 
Anschluss an diesen und 8 der Literatur entnommene Fälle bespricht Verfasser 
sodann in eingehender Weise die Einklemmungsluxation der Patella; er theilt 
die 9 Fälle folgen dermassen ein: 

1. Einklemmungsluxationen ohne Zerreissung des Kniestreckapparates 

a) traumatische Luxationen (4 Fälle) 

b) nicht traumatische, habituelle Luxationen (2 Fälle). 

2. Zerreissungen des Kniestreckapparates mit Einklemmung der Patella 
(3 Fälle). 

Die in Gruppe 2 angeführten werden nicht zu den eigentlichen Ein¬ 
klemmungsluxationen gerechnet. 

Beziehentlich der interessanten Details muss auf das Original verwiesen 
werden. Wo llenb erg-Berlin. 

Chevrier (Fontenay-le Comte), Des luxations traumatiques de la Rotule. Th^se 

doct. Paris 1904. Mit 89 Abb. 

An der Hand von 158 in extenso wiedergegebenen Krankengeschichten 
von Patienten mit traumatischer Luxation der Rotula gibt Verfasser eine Be¬ 
schreibung der normalen Anatomie, der experimentellen Herstellung dieser 
Luxationen, beschreibt die einzelnen Arten der Luxation, die therapeutischen 
Eingriffe und kommt zu folgenden Schlüssen: 

Der Bau des inneren Randes *der Rotula erklärt die grosse Zahl der 
Formen der Luxation. Luxationen nach innen sind selten. Die pathologische 
Anatomie, die bei frischen Fracturen schlecht bekannt ist, hat Verfasser durch 
experimentelle Untersuchungen klarzulegen versucht und kommt zu der Ansicht, 
dass eine Torsion des Beines eine sehr wichtige Rolle bei ihrem Zustandekommen 
spielt. Jedenfalls existirt eine gewisse hereditäre, congenitale etc. Prädisposition, 
die das Entstehen der Luxationen erleichtert. 

Zur Stellung der Diagnose genügt die Untersuchung des Quadriceps und 


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Referate. 


des Ligaments der Rotula durch Palpation. Die auftretenden Complicationen 
sind nicht sehr zahlreich, in Betracht kommen besonders intraarticuläre Ab¬ 
reissungen. Die Prognose ist in Bezug auf Kecidive sehr zweifelhaft. 

Zur Reposition frischer Luxationen ist eine Combination von directen und 
indirecten Methoden nöthig. Die Erschlaffungsmethode von Valentin, die 
stets unschädlich ist, soll zuerst versucht werden. Sie ist nur zulässig bei den 
completen Luxat. nach aussen. Die Traction nach Mayo*Malgaigne ist nur 
bei den Luxationen in frontaler Achse statthaft. 

Einfacher Stoss ist die einzig allgemein zulässige Methode. Man soll 
möglichst in Narkose reponiren. 

Die blutige Reposition ist selten indicirt. 

Bei alten Luxationen variirt die Behändlungsweise je nach der Form der 
Luxation. Sie wird wohl basiren müssen auf der partiellen Ektomie der Kapsel 
oder der sehr exacten Capsularaphie. H i 11 e r-Berlin. 

Boyksen (Oldenburg), Ein Fall von Nekrosis patellae infolge technisch falscher 

Anlegung der Stauungshyperämie nach Bier. Diss. Kiel 1904. 

Nach einleitenden Worten über Geschichte und Methode der Stauungs¬ 
hyperämie, ihre wissenschaftlich-theoretische Begründung, macht Verfasser von 
folgendem Falle Mittheilung: 

Ein lljähriges Mädchen wurde wegen Pes equinus tenotomirt. Von jeher 
hatte sie eine Flexionscontrnctur des Knies. Gegen dieselbe Bi er'sehe Stauung, 
welche in Abwesenheit des Arztes weiterhin von den Eltern ausgeführt wurde, 
durch zu festes Anlegen der Binde Gangrän der Haut seitlich vom Knie und 
Nekrose der Patella und der Gelenkkapsel. 

Die Untersuchung ergibt Verkürzung des Beines. Oberschenkelmuskeln 
nicht gelähmt. Paralytischer Spitzfuss, aber beweglich. Geringe Flexions- 
contractur im Knie. Genu valgum von 170®. Entsprechend der Gelenkkapsel 
vom Condylus med. fern, bis zum hinteren Rand des Condylus lat. reichender 
Defect von 9 cm Breite, % der Patella liegen frei. Ihre Seitenwände sind aus¬ 
genagt, bedeckt ist sie von Quadricepssehne und Lig. stat. propr. Geringe 
schmerzlose Bewegungen activ wie passiv möglich. Ausserdem Defecte an der 
Ferse und der Innenseite des Unterschenkels. 

Unter feuchtem Verband Abstossung der Nekrosen. Nachdem ein Schienen¬ 
hülsenapparat angelegt ist, granulirt die Wunde, die Patellanekrose stosse sich 
ab. Später Extensionsverband. Patella wieder etwas beweglich. Alsdann Gips¬ 
verband. Deckung des Defectes mittels Transplantationen. Entlassung mit 
Salbenverband und gefensterter Gipshülse. Hi 11 er-Berlin. 

Ebner (Königsberg), Ein Fall von Ganglion am Kniegelenksmeniskus. Münch. 

med. Woclienschr. 1904, Nr. 39. 

Bei einem 40jährigen Pat. entwickelte sich im Laufe von ca. 5 Jahren 
am Kniegelenk eine taubeneigrosse Geschwulst, welche ihm ziemlich grosse Be¬ 
schwerden verursachte. Patient glaubt eine Verrenkung für das Entstehen der 
Geschwulst verantwortlich machen zu müssen, welche unterhalb des Cond}'! ext. 
etwa in der Höhe des Meniskus gelegen ist. 


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Referate. 


841 


Bei der Operation wurde festgestelt, dass der Tumor mit dem Gelenk 
nicht in Verbindung stand; an der Trennungsstelle erscheint der Meniskus auf¬ 
fallend gelblich vererbt. Der Tumor ist ein Ganglion, welches aus vielen durch 
dünne Bindegewebssepten getrennten Kammern besteht, die den typischen In¬ 
halt aufweisen. Mikroskopisch zeigte das Bild alle Eigentliümlichkeiten des 
Ganglions. Keiner der Hohlräume ist von Endothel ausgekleidet Gefässverände- 
rungen der verschiedensten Art finden sich vor. 

Aus einer Literaturübersicht über die sich an der unteren Extremität 
findenden Ganglien geht hervor, dass nur 10 Fälle bekannt sind. Im Knie¬ 
gelenk sassen nur 4 derartige Tumoren, von der Kniegelenkskapsel ausgehend 
waren aber nur 2 zu betrachten. Die Localisation des Ganglions am Meniskus 
steht in der Literatur einzig da. Interessant ist, dass in 87,5^/o aller Fälle 
Männer an der Afiection leiden, wofür Verfasser eine befriedigende Erklärung 
nicht zu geben vermag. Hil 1er-Berlin. 


Goulard (Paris), Traitement des osteo-arthrites longueuses du genou par la 

mothode scl4rogene etc. These, Paris 1904. 

Goulard konnte in 6 Fällen von tuberculöser KniegelenksentzÜndung 
günstige therapeutische Erfolge erzielen durch Combination der intraarticulären 
Injectionen mit der sklerogenen Methode, den periarticulären Einspritzungen 
von Zinkchlorür. Freilich erfordert die Methode grosse Geschicklichkeit und 
Uebung, da sonst unglückliche Zufälle unausbleiblich sind. Von solchen ist 
zunächst die Injection in das Gelenk selbst zu erwähnen, die eine acute Ent¬ 
zündung hervorruft. Ferner können die entstehenden Narben Contracturen ver¬ 
anlassen ; ein weiterer Nachtheil der Methode ist ihre grosse Schmerzhaftigkeit, 
welche die Narkose nöthig macht mit nachfolgender Darreichung von Morphium. 

Pfeiffer - Berlin. 

Hähle (Saida), lieber die Entstehung und Behandlung des Genu valgum. Diss. 

Leipzig 1904. 

Verfasser schildert die Theorien, die über das Entstehen des Genu valgum 
aufgestellt worden sind, wobei er besonders des Jul. Wolff’schen Transfor¬ 
mationsgesetzes gedenkt. Er beschreibt das Vorkommen und die Aetiologie der 
Erkrankung, wobei auf die Entstehungserklärung von Schönberg aufmerksam 
gemacht wird und wendet sich alsdann der Behandlungsweise der Deformität 
zu. Dieselbe ist entweder blutig oder unblutig. 

Die Methoden der unblutigen Redression und ihre Anwendungsart werden 
näher beschrieben und zwar in historischer Reihenfolge der Entwicklung. Ver¬ 
fasser wendet sich der Osteoklase zu (Rizzoli, Robin und Lorenz), und 
kommt endlich zur Osteotomie, deren einzelne Entwicklungsetappen angeführt 
w’erden. Näher geht Verfasser auf die Ogston’sche Operation, desgleichen 
auf die supracondyläre Osteotomie nach Maeewen und ihre Modificationen 
(Hahn), sowie auf das neuere Verfahren von Krukenberg ein, und berichtet 
über 48 Fälle der Klinik von Till man ns, welche säinmtlich nach Maeewen 
osteotomirt wurden und sehr gute Resultate gaben. Verfasser hält diese Ope¬ 
ration für die beste zur Redression des Genu valgum. Hi 11er-Berlin. 


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Referate. 


Bilhaut (Paris), Du genou valgum chez les enfants atteints de paralysie in¬ 
fantile de cöte oppos^. Ann. de Chirurg, et d’Orthop4die 1904, Nr. 6^ 

Man unterscheidet nach Verfasser beim Genu valgum eine ligamentöse 
Form (Verlängerung der Ligamente nach infantiler Lähmung) und eine knöcherne 
Form (infolge von Rhachitis, die gewöhnliche Art). 

Unter den zahlreichen Patienten mit Genu valgum, welche Verfasser be¬ 
handelt hat, hat er 5 Beobachtungen, welche einiges Eigenartige darbieten. 
Es sind Kinder von 5 bis 8 Jahren, 2 Mädchen und 3 Knaben, mit einseitiger 
Deformität. Auf der anderen Seite bestand infantile Lähmung der Extremität, 
80 dass hier die Aetiologie des Genu valgum nicht Rhachitis, sondern das ge¬ 
störte statische Verhalten des Individuums zu sein scheint. Das paralytische 
Bein ist im Wacbsthum zurückgeblieben, es folgt daraus eine Verlängerung 
und dann Verkrümmung des gesunden, denn dieses trägt das Gewicht des Körpers 
ganz allein. Bei der Wirkung der dabei auch in Betracht kommenden Schwer¬ 
kraft handelt es sich um eine Linie, welche von der Cavitas cotyloidea bis zur 
Mitte der Kniecondylen verläuft, sie erstreckt sich von oben nach unten und 
von aussen nach innen. 2. Um eine Linie von der Mitte der Gelenkfläche der 
Tibia bis zum Sprunggelenk. Diese Achsen bilden einen nach aussen ofi'enen 
Winkel, welcher durch das mit dem Alter zunehmende Körpergewicht allmäh¬ 
lich verringert. Um so mehr aber vermehrt sich auch die Deformität des Knies. 

Natürlich kann auch hier eine Rhachitis bestehen. Bei den Patienten 
des Verfassers war dieses nicht der Fall. 

Folgendes darf man als Aetiologie der Afiection ansprechen, wenn das 
Genu valgum mit einer Paralyse des anderen Beines alternirt: 1. die Anstrengung 
des Patienten, die ungleiche Länge der Beine auszugleichen, 2. die Wirkung 
der Schwerkraft, 3. die Rhachitis. 

Als Folgerung ergibt sich nach Verfasser: 

Das gelähmte Glied muss möglichst therapeutisch beeinflusst, und durch 
leichte, aber resistente Schienenhülsenapparate geschützt werden (nach Vorschlag 
des Verfassers aus Aluminium). Ist die Deformität eingetreten, so greife der 
Chirurg nur bei Gehbehinderung ein. Hill er-Berlin. 

Wollenberg, Abrissfractur der Tuherositas tibiae. Deutsche med. Wochenschr. 

1904, Nr. 43. 

Kurze Beschreibung eines Falles der im Titel angegebenen Verletzung. 
Vor 6 Jahren verunglückte ein damals ITjähriger Kadett beim Weitsprunge. 
Infolge der kräftigen Action des M. quadriceps femoris wurde bei dem sehr 
muskelstarken jungen Manne der obere Theil der Tuherositas abgerissen. Das 
Fragment heilte nicht wieder an, sondern liegt jetzt mit seinem unteren Ende, 
in fester Verbindung mit der Tibia, vor dem Gelenkspalte, während die intacte 
Patella wesentlich höher steht, als auf der gesunden Seite. Auffallend ist der 
Umstand, dass das abgerissene Fragment, wie aus den Röntgenbildem ersicht¬ 
lich, seit der Verletzung erheblich gewachsen ist. Verfasser lässt es dahingestellt, 
ob diese Vergrösserung des Fragmentes durch Wucherung von Seiten des mit¬ 
abgerissenen Periostes erfolgt ist, oder aber, ob in dem abgerissenen Stück ein 
Knochenkern gelegen war, der als Wachsthumscentrura in demselben functionirte. 

Autoreferat. 


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Referate. 


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Mohr, Die unvollständigen Abrissbrüche der Tuberositas tibiae. Monatsschr. 
für Unfallheilkunde und Invalidenwesen 1904, Nr. 8. 

Verfasser erhärtet an der Hand eines Falles, dass nicht nur ini jugend¬ 
lichen Alter jene von Schiatter beschriebenen Verletzungen der Tuberositas 
tibiae eintreten, sondern gelegentlich auch bei Erwachsenen Vorkommen. Es 
handelt sich um einen 38jährigen kräftigen Mann, bei dem infolge häufiger 
Traumen beim Turnen allmählich eine ossificirende Periostitis in der Gegend 
der Tuberositas eingetreten war; letztere zeigte geschwulstartige Verdickung 
mit leichtem Druckschmerz. Bei geeigneter Therapie (Schonung, Umschläge, 
Einreibungen) allmählich Heilung. Von einer Röntgenuntersuchung, die den 
Fall doch wesentlich geklärt hätte, wird nichts erwähnt. 

Wollenberg - Berlin. 

Osgood (Boston), Lesions of the Tibiae Tubercle occuring during Adolescence. 
Boston Medical and Surgical Journal 1903, Jan. 29. 

Osgood bespricht zunächst die Entwicklung der Tuberositas tibiae, 
welche bekanntlich als ein zungenförmiger Fortsatz der oberen Tibiaepiphyse 
angelegt wird und zuweilen einen eigenen Knochenkem besitzt. An der Hand 
von Leichenuntersuchungen wird kurz der Mechanismus einer Verletzung der 
Tuberositas erörtert. 

Sodann wendet sich der Verfasser zu der seltenen completen Abreissung 
der Tuberositas tibiae, bespricht ihre Aetiologie, Diagnose und Behandlung. 
Zum Schlüsse werden die häufiger vorkommenden unvollständigen Abreissungen 
oder Lockerungen der Tuberositas besprochen. 

Instructive Röntgenbilder sind beigefügt. Wollenberg-Berlin. 

Hage (Eschershausen), Ein Beitrag zur Behandlung der Unterschenkelbrüche. 
Dies. Göttingen 1904. 

Verfasser stellt die 164 Fälle von Unterschenkelfracturen zusammen, die 
in den Jahren 1895—1903 an der Kgl. Chirurg. Klinik zu Göttingen behandelt 
wurden. Es waren 98 einfache, 66 Fälle complicirte Brüche. Im ganzen waren 
16 Pseudarthrosen darunter. Verfasser berichtet über die Heilerfolge. 

Unter den 98 Fällen heilten 66 in 30 bis 60 Tagen. Die längste Heilungs¬ 
dauer betrug 76 Tage, 

Von 21 im Gips verband entlassenen Fällen soll 1 nicht consolidirt sein. 
Bei Verzögerung der Heilung empfiehlt sich das Klopfen der Fractur- 
stelle und die Bier’sche Hyperämie, auf welche Methoden Verfasser näher 
ein'geht. 

Unter den complicirten Fracturen (66 Fälle) kamen 62 zur Heilung, 

4 zum Exitus letalis. 48 wurden conservativ behandelt, 9 wurden amputirt, 

5 endeten mit Pseudarthrose, die operativ beseitigt wurde. 

Die Krankengeschichten der 4 letal verlaufenen Fälle folgen ausführlich 
nebst dem Sectionsbefund. 

In Bezug auf die Behandlung ist Verfasser sehr ausführlich. Referent 
glaubt die bekannten Angaben übergehen zu können. 

In extenso angeführt werden ferner die 13 Fälle von Pseudarthrose, deren 
Behandlungsmethode (Nagelung etc.) beschrieben wird. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XIII. Bd. 55 


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844 


Referate. 


Die zur Nagelung verwandten Stifte wurden belassen. 

Die Resection der Bruchenden mit nachfolgender Naht wird heute von 
vielen Autoren mit bestem Erfolge angewandt und Verfasser berichtet über 7 
in der Königsberger Klinik derartig behandelte Fälle (Rimck). 5 Fälle sind 
sicher geheilt. Einer wurde nicht bis zu Ende beobachtet, einer soll nicht 
consolidirt sein. H i 11 e r- Berlin. 

Wolff (Hermannswerder b. Potsdam), Ueber die praktisch chirurgische Bedeu¬ 
tung des Sesambeines im Musculus gastrocnemius. Berl. klin. Wochen¬ 
schrift 1904, Nr. 40. 

Infolge eines vor 12 Jahren erlittenen Falles auf das Knie blieben beim 
Patienten Schmerzen, Schwellungen und Functionsbehinderung zurück. Objectiv 
ist ein geringer Hydrops festzustellen. Passive Bewegungen sind ohne erheb¬ 
liche Schmerzen ausführbar. 

Nach Ausschluss von Tuberculose, Lues, Gonorrhoe blieb für die DiflPe- 
rentialdiagnose eine Meniskusabreissung oder traumatische Gonitis übrig. 

Die Röntgenuntersuchung zeigte einen kirschkerngrossen Schatten an der 
hinteren Fläche des Kniegelenkes. Durch die infolge der nun gestellten Diagnose 
„Gelenkmaus'^ ausgeführte Operation wurde festgestellt, dass es sich um ein 
Sesambein des Muse, gastrocnemius handelte. 

Derselbe findet sich (Hellendall, Ost, Pfitzner) bei jedem 6. resp. 
11 . Menschen, jedoch ist nach Wolff’s Ansicht dieser Knochen bisher noch 
nicht so eminent praktisch wichtig gewesen. 

Eine röntgographische Nachuntersuchung ergab das nunmehrige Vor¬ 
handensein des Körpers im Gelenkspalt (wohl infolge von Narbenschrumpfung 
dorthin verlagert. Verfasser). 

Das Operationsresultat ist ein ausgezeichnetes gewesen und Verfasser 
glaubt, dass durch die breite Eröffnung des Kniegelenks die seit dem Trauma 
bestehende Gonitis zum Ausheilen gelangte. Hill er-Berlin. 

Füster, Ueber einen Fall von Luxatio pedis posterior inveterata und deren 
Reposition. Beitr. z. klin. Chir, Bd. 42, H. 3. 

Füster beschreibt einen Fall von Luxation des Fusses nach hinten mit 
einer Abrissfractur des Malleolus internus, die bereits 9 Wochen bestand. Die 
Reposition wurde mittelst des Lorenz’schen Osteoklasten ausgeführt Ein zweiter 
Fall von hinterer Luxation des Fusses war mit Abrissfracturen beider Malleolen 
complicirt. Zander- Berlin. 

Bayer (Cöln), Die Verrenkungen der Mittelfussknochen im Lisfrank’schen 
Gelenk. Sammlung klin. Vorträge, Leipzig 1904, 12. Heft der 13. Serie, 
Nr. 372. 

Die in Rede stehende Luxation ist selten. Prahl hat unter 2016 Luxa¬ 
tionen nur 9 Verrenkungen der Ossa metatarsalia festgestellt (0,5:100). Das 
hat seinen Grund in den anatomischen Verhältnissen des Gelenkes, welche es 
auch erklären, dass isolirte Luxationen eines Metatarsus ebenso häufig sind wie 
die totalen in diesem Gelenk (Trennung der Gelenkhöhlen und unregelmässiger 


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Referate. 


845 


Verlauf der Gelenklinie), dass die dorsalen Luxationen häufiger als die plantaren 
sind (Stärke des Bandapparates), und dass laterale Luxationen leichter zu Stande 
kommen, als mediale (grössere Abductionsfähigkeit des Mittelfusses, schräger 
Verlauf der Gelenklinie nach hinten aussen von vomen innen, und lateral ge¬ 
ringere Einfalzung des 2. Metatarsale). 

Aus einer Zusammenstellung aller bekannten Fälle von Luxationen im 
Lisfrank’schen Gelenk folgt, dass bisher 34 totale und 34 partielle bekannt 
geworden sind. 

Als ätiologische Momente führt Verfasser folgende an (10 Fälle konnten 
daraufhin nicht eruirt werden); 

1 . Einfacher Fehltritt oder Ausgleiten (5 Fälle, 3 partielle, 2 totale 
Luxationen). 

2. Fall bei feststehendem oder eingeklemmtem Vorderfuss (5 Fälle, und 
zwar 3 totale, 2 partielle Luxationen). 

3. Ueberfahrenwerden (7 Fälle, 5 totale, 2 partielle). 

4. Auffallen schwerer Gegenstände auf den Fuss (14 Fälle, 8 totale, 
6 partielle Luxationen). 

5. Sprung oder Fall auf die Füsse (13 Fälle, und zwar 5 totale, dar¬ 
unter Imal doppelseitig, 8mal partielle Luxationen). 

6 . Sturz mit dem Pferde (11 Fälle, 8 isolirte Luxationen, darunter 6mal 
der Metatars. I, 8mal totale Luxationen). 

7 . Schusscontusion (1 Fall, Metatars. I). 

Das weibliche Geschlecht ist bei diesen Verletzungen nur selten betroffen, 
(unter 68 Fällen nur 3 Frauen); die Diagnose wurde häufig erst spät gestellt, 
einmal erst am 14. Tage. 

Das Bild des Fusses bei Totalluxation ist folgendes: Dorsale Verkürzung 
des in Equinusstellung stehenden Fusses und Vermehrung der Convexität. Auf 
dem Dorsum unter der Haut fühlt man eine quere Leiste, dahinter eine Vertiefung. 

Die Zehen sind dorsalflectirt. Bei der frischen Luxation jedoch 
bleibt nur eine charakteristische Equinus varus-Stellung sichtbar, deren Scheitel 
in der Gegend des Lisfrank’schen Gelenkes liegt (Lauenstein). 

Bei dorsaler Subluxation sind die Symptome nicht so ausgesprochen. 

Von plantarer Totalluxation ist nur ein Fall (Smyly) bekannt. Der Fuss 
stand in Streckstellung und war etwas verkürzt. Sohle abgeflacht, in ihr die 
Metatarsusbasis gut abzutasten. 

Die Totalluxation kann sein: 1. eine solche nach innen (Beobachtung von 
Kirk), 2. eine nach aussen, deren Symptome erörtert werden. 

Totalluxationen des ganzen Metatarsus nach aussen sind in mehr als der 
Hälfte der Fälle mit Fracturen des Metatarsus verbunden; jedenfalls ist eine 
solche möglich ohne gleichzeitigen Knochenbruch, woran man lange ge¬ 
zweifen hatte. 

3. Die Totalluxation kann ferner dorsomedial oder 4. dorsolateral 
sein. Die hierbei auftretenden Symptome sind sehr wechselnd. 

5. Divergirend (sehr selten). 

Die isolirten Luxationen, bei denen in den weitaus meisten Fällen der 
Metatarsus I befallen ist, sind aus den vorhandenen Vorsprüngen und Vertiefungen 
leicht erkennbar. 


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846 


Referate. 


Die Reposition erfolgt durch kräftigen Zug und Druck auf das vor¬ 
stehende Ende des luxirten Knochens, meist in Narkose. Mitunter muss man, 
um zum Ziele zu kommen, erst die pathologische Stellung vermehren und dann 
mit kräftigem Ruck in die normale übergehen. Nachbehandlung: Fixation oder 
Extension (besonders bei den sehr oft recidivirenden Subluxationen. 

Die Extension gestattet eine frühzeitige gymnastische üebungstherapie. 
Die Reposition glückte in der Hälfte der Fälle von Totalluxation, nur die 
7 dorsolateralen Luxationen machten grössere Schwierigkeiten. Die isolirten 
Luxationen Hessen sich zum grossen Theil leicht reponiren. Theilweise gelang 
dieses in den Fällen von Malgaigne und Lacombe. 

Die Reposition wurde in 17 Fällen nicht ausgeführt wegen zu grosser 
Nebenverletzungen, operativ wurde meist nur in frischen Fällen vorgegangen, 
nach Missglücken der Repositionsmanöver. Verfasser erwähnt das Schrauben- 
toumiquet, Druck mittelst eines Pfriems (1 Todesfall v. Malgaigne). 

Auch totale Entfernung des luxirten Metatarsale musste 3mal stattfinden, 
öfter musste resecirt werden, so auch in einem Fall des Verfassers. 

Die Prognose ist gut, trotz der 7 Todesfälle, von denen 6 aber nicht in 
Beziehung zur Luxation standen. 

Zur Untersuchung des Endergebnisses sind 44 Fälle brauchbar. Von 
diesen boten ein gutes Resultat: mit Reposition 26 Fälle, ohne Repo.sition 
4 Fälle; ein schlechtes Resultat: mit Reposition 5 Fälle, ohne Reposition 
9 Fälle. 

Einige Patienten wurden mit ausgebildetem Plattfuss entlassen, gegen 
welchen sie Einlagen erhielten. Hi Iler-Berlin. 

Fischer, Zur Luxation der Keilbeine. Aus dem Stadt Hannoverschen Kranken¬ 
hause in Linden. Deutsche Zeitschr. f. Chir. 1904, Heft 4—6. 

Mit einem eigenen Falle isolirter Luxation des 1. Keilbeines gibt Fischer 
eine tabellarische üebersicht von 26 Fällen theils isoliiter, theils mit Luxation 
von Metatarsalknochen combinirter Luxation eines oder mehrerer Keilbeine. 

Im Anschluss daran wird Mechanismus, Symptomatologie, Diagnose und 
Therapie besprochen. In Fischev’s Fall wurde, da die Reposition misslang, 
die Exstirpation des verrenkten Keilbeines ausgeführt. Wollenberg-Berlin. 

Marx (Heidelberg), Ein Fall von Sesambeinfractur. Münchn. med. Wochenschr. 

1904, Nr. 38. 

Ein 40jähriger Patient fällt auf den rechten Fuss, verspürt alsbald heftige 
Schmerzen im Grosszehenballen und muss, da derselbe ihn in seiner Arbeit hindert, 
einen Arzt aufsuchen, welcher die Diagnose „Zehengelenkentzündung infolge 
von Verstauchung“ stellt. Nach wiederholter Behandlung mittelst Einreibungen, 
Umschlägen etc. erfolgt die Untersuchung in der Klinik, welche eine Schmerz¬ 
haftigkeit an der tibialen Seite des Grosszehenballens bei activer Bewegung 
der Zehe ergibt. Der Schmerz ist circumsciipt. Der Gang ist stampfend, der 
Fuss wird nicht regelmässig beim Gehen abgewickelt. Das Röntgenbild ergibt 
eine schräge Fractur des medialen Sesambeines in der Articulat. metatarso- 
phalangea. Analog ist nur ein einziger Fall, den Verfasser in extenso anführt. 

Ira vorliegenden Falle ist die Fractur durch directe Gewalt entstanden. 


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Referate. 


847 


der Muskelzug dürfte eine derartige Fractur nicht bewirken können im Gegen¬ 
satz zur Patellarfractur. 

Die Therapie sollte in einer Entfernung des zertrümmerten Sesam¬ 
beines bestehen, die Operation konnte jedoch aus äusseren Gründen nicht aus¬ 
geführt werden. H i 11 e r - Berlin. 

Momburg, Die Entstehung der Fussgeschwulst. Deutsche Zeitschr. f. Chir. 

1904, Bd. 73 Heft 4—6. 

Momburg sucht eine mechanische Erklärung für die Entstehung der 
Fussgeschwulst zu geben; er hat bei der Betrachtung von Röntgenbildem 
8 Typen der Länge des 2. und 3. Metatarsus gefunden. Die Typen, bei denen 
der 2. und 3. Metatarsus gleich lang sind, waren selten; meistens war vielmehr 
der 3. Metatarsus kürzer als der 2. In Bezug auf die Stärke der Knochen zeigte 
sich meist der 1. Metatarsus am stärksten entwickelt; ihm folgte der 2., sodann 
der 5., darauf der 3. und schliesslich der 4. 

Weiter fand der Verfasser, dass die Verbindung des 2. und 3. Mittelfuss- 
knochens mit einander weit strafiFer und weniger verschieblich war, als die der 
übrigen Metatarsi. 

Auf Grund seiner Untersuchungen sucht nun der Verfasser die wieder 
von Blech er vertretene alte Anschauung, dass die Ferse und die Köpfchen 
des 1. und 5. Metatarsus die drei Hauptstützpunkte des Fusses seien, zu ent¬ 
kräften: er sucht vielmehr zu beweisen, dass die Ferse und die gewissermassen 
zu einer Einheit verbundenen Metatarsi II und III die Hauptträger darstellen. 
Diese letzteren sind also erstens durch ihre Function, zweitens durch ihre grössere 
Länge für die Fractur prädisponirt. Verfasser sucht nun die Entstehung der 
Fussgeschwulst darin, dass die Metatarsi, welche die Hauptstützen des Fusses 
darstellen, durch die dauernden Insulte eines langen und beschwerlichen 
Marsches allmählich über ihre Elasticitätsgrenze in Anspruch genommen werden 
und dass dieselben infolge der „Ermüdung“ des Knochens zunächst mit einer 
mehr oder weniger starken Knochenhautentzündung, bei weiterer abnormer In¬ 
anspruchnahme mit einer Fractur reagiren. 

Ferner zieht Verf. aus einer Reihe von Röntgenbefunden den Schluss, dass 
bei wiederholten Ueberanstrengungen, ohne dass diese zu pathologischen Ver¬ 
änderungen führen, die Metatarsi der erhöhten Inanspruchnahme durch Volum¬ 
zunahme, meist durch Periostose, seltener durch Osteosklerose, gerecht werden. 

W 0 11 e n b e r g- Berlin. 

Banke (Thorn), Ueber Brüche der Fusswurzelknochen. Diss. Halle 1904. 

Der Procentsatz dieser Brüche ist höchstens 1:100. Viele werden äuch 
nicht diagnosticirt 

Bei vielen Brüchen der Fusswurzel ist nur die distale Reihe derselben be¬ 
troffen. In schweren Fällen ist eine Restitutio ad integrum zweifelhaft (offene 
Brüche). 

Nachdem Verfasser die bekannte Therapie geschildert hat, bespricht er 
die in den Jahren 1890—1901 an der Hallenser königlich chirurgischen Klinik 
beobachteten Fälle von Fusswurzelfracturen, deren Krankengeschichten in extenso 
dargestellt werden. Auf die Einzelheiten einzugehen würde zu weit führen. 


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848 


Referate. 


Zum Schluss seiner Arbeit erwähnt Banke eine von Kohlhardt be¬ 
schriebene Zertrümmerung des Kahnbeines, entstanden durch Zusammenpressen 
des Fusses in der Längsrichtung. Sanatio nach 3 Monaten. Hill er-Berlin. 

Jaboulay (Lyon), Tuberculose du tarse anterieur. 

Jabo ul ay empBehlt im Anschluss an die Besprechung eines Falles von 
Tuberculose des vorderen Theiles des Tarsus die subperiostale Resection der 
Mittelfussknochen, die er in ähnlichen, allerdings traumatischen Fällen mit 
Erfolg ausgeführt hat. Freilich erscheint es uns fraglich, ob im vorliegenden 
Falle — die Patientin war 61 Jahre alt und litt ausserdem an Lungen- und 
Lymphdrüsentuberculose — die von Jaboulay perhorrescirte Amputation nicht 
doch vorzuziehen gewesen wäre. Pfeiffer-Berlin. 

Vivier (Paris), Traitement conservateur de la tuberculose de Pastragale et 

de l’articulation tibio-tarsienne chez Penfant. Th^e de Paris 1904. 

Verfasser gibt 29 Krankengeschichten von Fällen tuberculöser Erkrankung 
des Astragalus und des Tibio-taraalgelenkes im Kindesalter und bespricht deren 
Behandlung. 

Folgendes sind seine Schlussfolgerungen: 

Das conservative Verfahren ist bei der betreffenden Erkrankung ein aus¬ 
gezeichnetes und besteht in Immobilisation im Gipsverband, in Verbindung mit 
Compression, Injectionen von Flüssigkeiten, mit Ignipunctur oder Auskratzung 
des Astragalus. 

Das Resultat kann völlige Restitutio ad integrum in Bezug auf Form und 
Function des Fusses sein. 

Die Dauer der Behandlung ist verschieden und mehrere Ignipuncturen 
sind oft nothwendig. 

Nur im Falle, dass alle conservativen Methoden ohne Erfolg sein sollten, 
darf die blutige Behandlung (Resection) Platz greifen. Hil 1er-Berlin. 

Roquet, De Tosteomyelite du calcan^um. These de Lille 1904. 

Beobachtungen von 23 Fällen von Calcaneus Osteomyelitis. Verfasser 
zieht folgende Schlüsse: 

Die Calcaneus-Osteomyelitis entsteht auf Grund derselben pathogenen 
Keime wie die anderer Knochen, ist besonders häufig in Kindheit und Jünglings¬ 
alter. Dass die Krankheit so häufig vorkommt, häng^ zusammen mit der Menge 
der Ossificationspunkte dieses Knochens, seinem grossen Gefässreichthum und 
seiner exponierten Lage im Fussknochengerüst, welche ihn für Traumen sehr 
zugänglich macht. Die Diagnose der Krankheit beruht auf der localisirten 
Schmerzempfindung und der Anschwellung der Ferse. 

Die alte Calcaneusosteomyelitis ist besonders im Stadium der Fistelbildung 
schon von der Knochentuberculose zu unterscheiden. Hier entscheidet die 
Schnelligkeit im Entstehen der Krankheit und wohl auch das Fehlen anderer 
tuberculöser Erkrankungsheerde des Körpers. 

Die Prognose sehr heftig einsetzender Formen ist oft schlecht. Sonst 
hängt sie ab von der Ausbreitung der Krankheit. Günstig ist sie bei raschem 


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Referate. 


849 


Eingreifen. Die Behandlong ist rein chirurgiBch. In Betracht kommen: Tre¬ 
panation, Sequestrotomie und partielle oder totale subperiostale Resection. 

H i 11 e r - Berlin. 

Schiff (Berlin), Ueber die Entstehung und Behandlung des Plattfusses im 

jugendlichen Alter. Veröffentlichungen aus dem Gebiete des Milit&r- 

Sanitätswesens. Berlin 1904» Heft 25. 

Die Hauptergebnisse der ausführlichen Arbeit des Verfassers sind etwa 
folgende: 

Der Plattfuss ist nächst der Skoliose die häufigste Deformität. Das Fuss- 
gewölbe beruht auf der richtigen Anordnung des Metatarsus III, Cuneiforme III, 
Cuboideum und Calcaneus. Das Gewölbe hat das Köpfchen des Metatarsus lU 
und die beiden Fersenbeinhöcker zu Stützpunkten und wird durch gleichzeitiges 
Zusammenwirken der Knochen, Muskeln und Bänder erhalten, die beim Platt¬ 
fuss, welcher ein Pes flexus, Pronatus reflexus abductus ist, charakteristisch sich 
verändern. Der Plattfuss entsteht durch Aufhebung des Gleichgewichtszustandes 
zwischen den auf den Fuss einwirkenden Lasten und der Widerstandskraft des 
Gewölbes. Er ist keine Rasseeigenthümlichkeit der Juden und Neger, die Aetio- 
logie für ihn ist in raschem Wachsthum, lymphatischer Constitution, Chlorose, 
Knochenweichheit und anderem mehr zu finden. Seine Diagnose ist im Beginn 
des Leidens oft schwer zu stellen, die Prognose ist bezüglich der Beseitigung 
der Beschwerden meist günstig, in Bezug auf die Beseitigung der Deformität 
ziemlich ungünstig. 

Die Therapie besteht beim beweglichen Plattfuss in Gymnastik, Massage, 
Einlagen oder Schuhen. Der contracte Plattfuss ist zu mobilisiren und zu corri- 
giren. Die Nachbehandlung stimmt mit der des beweglichen überein. Operative 
Eingriffe unterstützen in geeigneten Fällen die Behandlung. 

Hi 1 ler-Berlin. 

Sachs (Berlin), Zur Behandlung des Plattfusses. Die Therapie der Gegenwart. 

September 1904. 

Sachs beschreibt in der Hauptsache die heutzutage in jedem orthopä¬ 
dischen Institut übliche Therapie des Plattfusses und zwar zu dem Zwecke, auch 
dem nicht specialis tisch vorgebildeten Arzte eine erfolgreiche Behandlung dieses 
Leidens zu ermöglichen. Dem Fachorthopäden bringt er nichts Neues. 

Pfeiffer- Berlin. 

Schuhmacher, Ein Fall von sekundärer Syndactylie an den Zehen. Wiener 

klin. Wochenschrift 1904, Nr. 30. 

Schuhmacher hatte Gelegenheit, die anatomische Untersuchung eines 
Falles von Syndactylie der ersten 3 Zehen des Fusses vorzunehmen; sonst be¬ 
stand bei dem betreffenden Individuum keine Abnormität. Die Zehen sind fast 
der ganzen Länge nach verwachsen bis auf ganz dünne, zum Theil für eine 
mittelstarke Sonde durchgängige Kanäle, die den Zwischenzehenräumen ent¬ 
sprechen. Die Syndactylie ist nicht nur eine oberflächliche, sondern die Phalangen 
sind auch durch straffe Bänder mit einander verbunden. Das Verhalten der 
Muskeln ist bis auf eine kleine Abnormität normal, ebenso das der Gefässe und 
Nerven. An den Knochen sind verschiedene pathologische Veränderungen be¬ 
schrieben. 


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850 


Referate. 


Schuhmacher fasst die Syndactylie als angeborene auf, da keine Spur 
einer äusseren Einwirkung zu sehen ist, und reiht sie als Syndact. fibrosa (2. Grades 
nach Kümmel) wegen der Trennung an der Basis unter die »gitterförmigen“ 
ein. Zu den secundären Syndactylien zählt Autor den Fall, weil er aus den 
basalen Kanälen darauf schliesst, dass die Phalangen ursprünglich getrennt 
waren und erst durch einen hauptsächlich in senkrechter Richtung auf die Längs¬ 
achse des Fusses wirkenden Druck mit einander verkleben, zu einer Zeit, da die 
Sehnen der Zehenstrecker und -beuger und die Interphalangealgelenke noch nicht 
vollständig ausgebildet waren. Der Fall Schuhmachers ist als eine exogene, 
secundäre, partielle, distale Syndactylie anzusprechen. Hau deck-Wien. 

Kuss (Paris), Hypertrophie congenitale du deuxieme orteil. Societe auatomique 

de Paris, April 1904. 

Beschreibung eines neuen Falles von Hypertrophie der 2. Zehe. Der 
Patient hatte ein Mal perforant du pied an dieser Stelle. Die Zehe ist sehr be¬ 
trächtlich vergrössert. Die Radiographie ergab: Osteophytbildungen an dem 
Metatarso-Phalangealgelenk, sowie Anomalien in den Zehengelenken, verursacht 
durch das Mal perforant und eine Hypertrophie des Nagelgliedes. Nagel¬ 
anomalien begleiten diese Veränderungen, jedoch sind keinerlei nervöse Stö¬ 
rungen bemerkbar. 

Die ülceration verschwand nach Auskratzung, Jodbehandliing und Bettruhe. 

Die Zehenhypertrophie ist congenital, die stärkste Grössenzunahme findet 
naturgemäss im 10. bis 20. Jahre statt. Sie sind den Fingerhypertrophien 
analog ein pathologischer Vorgang und man bringt sie mit trophischen Störungen 
in Zusammenhang, die durch nervöse Zufälle verschuldet werden. MitDuplay, 
Brinet und anderen hält Verfasser die Makrodactylie für ein Degenerations¬ 
zeichen des Nervensystems; sie ist ein Symptom für ein Nervenleiden. 

Hill er-Berlin. 

Hebert, Un cas de defoimations acquises des orteils. Revue d’orthopedie, 

1904, Nr. 2. 

Hebert ist der Ansicht, dass die Existenz von erworbenen Missbildungen 
der Zehen zumal im Jugendalter sich durchaus nicht allein durch die mecha¬ 
nische Theorie erklären lässt. Er sucht ihre Ursache in der allgemeinen Diathese, 
die entweder erblich sei wie Arthritis und nervöse Leiden, oder erworben, wie 
Rheumatismus, Intoxicationen, und besonders Alcoholismus. In dem von ihm 
eingehend beschriebenen Falle bei einem 63jährigen Arbeiter lag Rheumatismus 
und Hysterie vor. Hier bestanden symmetrische Missbildungen an beiden Händen 
und Füssen und zwar hochgradiger Hallux valgus, Varusstellung der übrigen 
Zehen mit zahlreichen schmerzhaften Anschwellungen auf der Dorsalseite. Das 
Gehen mit blossen Füssen war fast unmöglich. An beiden Händen waren die 
Daumen in Strecksteilung und Abduction, die übrigen Finger in leichter Beuge¬ 
stellung und Ulnarflexion fixirt. Die Musculatur war sehr atrophisch, anästhetische 
Stellen fanden sich über den ganzen Körper verstreut. Wenn man zur Er¬ 
klärung der Fussdeformitäten auch die mechanische Drucktheorie heranziehen 
kann, so lässt sie doch völlig im Stich für gleichzeitig aufgetretene Missbildungen 
der Hände, zumal der Patient seit Jahren keinerlei Arbeit mehr verrichtet hat. 

Pfeiffer-Berlin. 


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Refei-ate. 


851 


Pouret (Paris), De Thallux-valgus. These de Paris, 1904. 

Eine Statistik von 22 Fällen von Hallux valgus, welche Verfasser zu 
folgenden Schlüssen führte: 

Der Hallux valgus ist eine Krankheit des späteren Alters und ist häufiger 
bei Frauen wie bei Männern, kommt durch Einwirkung vieler Faktoren zu 
Stande, — seine Aetiologie ist aber noch nicht festgestellt —, und macht ganz 
charakteristische Symptome, infolge deren ein chirurgischer Eingriff strikte in- 
dicirt ist, um einer funktionellen Schädigung vorzubeugen und Entzündungen 
möglichst zu verhüten. 

Man kann dem Entstehen des Hallux valgus durch Tragen breiten, be¬ 
quemen, nach dem Fusse gearbeiteten Schuhwerkes Vorbeugen. 

Ist der Hallux valgus nur gering entwickelt, so können rein orthopädische 
Massnahmen Erfolge erzielen, der chirurgische Eingriff ist dagegen in schweren 
Fällen indicirt. Als operatives Verfahren kommt am ersten die Resection des 
Metatarsusköpfchens in Betracht. Wenn man dabei die Sesambeine in ihrer 
normalen Lage erhält, so hat Pat. von der Operation keine functioneilen 
Nachtheile. Hi 11 er-Berlin. 

Jerusalem (Wien), Einiges über locale Wärmebehandlung. Die Therapie der 

Gegenwart. Heft 8. 1904. 

Durch die Forschungen Bier’s ist die Behandlung mittelst localer 
Hyperämie in Form der Heissluft, Stauung und der verdünnten Luft ausgebaut 
worden. Erfolge sind wohl unstreitig erzielt. Die Theorie ist jedoch nicht 
klar formulirt. 

Nach Richter ist die durch die Stauung bewirkte Stromverlangsamung 
des Blutes das Wesentliche, wegen der vermehrten Leukocytenauswanderung. 
Büchner weist auf die Ausscheidung von Alexinen in das Serum hin. 

Frankel, Hamburger u. a. haben andere Anschauungen. 

Jedenfalls ist die Schaffung localer Hyperämie der beste Schutz gegen 
eingedrungene Bacterien und Toxine. Dieses besagt auch die bekannte Fieber- 
lebre von Herz, auf welche Verfasser näher eingeht. 

Verfasser berichtet alsdann über Versuche mit Wärme bei Erysipel* und 
Streptokokkenphlegmone, welche er schon früher an ca. 1000 Erysipelkranken 
angestellt hatte. Folgendes hatte er damals nachweisen können: 

1 . Schmerzstillende Wirkung bei Gesicbtserysipel. 

2. Bei Extremitätenerysipel Verhinderung der fast stets eintretenden 
Phlegmonenbildung bei rechtzeitiger Application. 

Jetzt verfügt Verfasser Über 26 neue Fälle. Von diesen behandelte er : 
10 mit dem L11 mann’schen Hydrothermoregulator, 

10 „ „ Gärtner’schen Dampfapparat, 

6 „ „ Krause’schen Heissluftkasten. 

Es folgt Beschreibung der Apparate. 

Der Gärtner’sche und Krause’sche Apparat wurden 2mal täglich je 
1 Stunde lang applicirt. Der üllmann’sche Apparat wurde Tag und Nacht 
ununterbrochen angewandt. Der Effect war: Auf hören des Schmerzes. Ein 
Patient, der den Apparat von Gärtner nicht vertrug, befand sich beim 
Ullmann*schen sehr wohl. Sehr werthvoll ist die Wärmetherapie bei Phlegmonen, 


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852 


Referate. 


die noch nicht flnctuiren oder eben incidirt sind. Letztere reinigten sich bald. 
Die Anschauung Bieres ist die, dass man durch Eälteapplication acute Ent¬ 
zündungen chronisch machen könne. Wo theure Apparate nicht zu beschaffen 
sind, begnügt man sich mit heissen Tüchern oder Thermophorcompressen, mit 
Knöchelumschlägen oder heissen Sandsäckchen. Bei eiternden Phlegmonen thun 
protrahirte sehr heisse Bäder gute Dienste. Hill er-Berlin. 

He nie (Breslau), Apparat zur Anwendung venöser Hyperämie. Zeitschrift für 

Krankenpflege. Januar 1904. 

Erstrebensw’erth in der Therapie ist die »heisse“ Stauung, welche nur 
durch genauestes Dosiren bei der Anlegung des Schlauches erzielt werden 
kann. Verfasser hat hierzu einen Apparat erfunden. Er verwendet zur Com- 
pression einen Hohlschlauch, der lose um die Extremität geschlungen und mit 
Luft ausgefüllt wird. Der Druck, der so erreicht wird, wird durch ein Mano¬ 
meter auf Millimeter genau dosirt. Der Gummischlauch hat an einer Stelle 
einen Längsstreifen derben Stoffes, der beim Anlegen nach aussen zu liegen 
kommt und bewirkt, dass beim Aufblähen der Druck nur auf die Extremität 
hin concentrirt wird. Die Höhe des anzuwendenden Druckes muss stets zunächst 
empirisch bestimmt werden. Er hängt ab von dem Gesammtblutdruck des Indi¬ 
viduums und dem Blutdruck an der betreffenden Stelle, sowie von der Dicke 
der vorhandenen Weichtheile. Angefangen wird mit 30—40 mm Hg., sodann 
Steigerung um b —10 mm. Das Optimum liegt zwischen 60 und 100 mm Hg. 

Hill er-Berlin. 

Weissbatt (München), Ein Wasserdampfapparat zu therapeutischen Zwecken. 

Münch, med. Wochenschr. 1904, Nr. 37. 

Der von einer Münchnerin erdachte Apparat, der den Nachtheil einer 
Inconstanz der Temperatur nicht besitzt, besteht aus einem Dampfkessel und 
einem Körpertheil, welche durch einen Dampfschlauch mit einander in Ver¬ 
bindung stehen. Die Temperatureinwirkung kann durch Einschaltung von 
Tüchern etc. zwischen Körpertheil und Dampfkasten variirt werden. 

Solche Heissluftkästen sind für alle Körpertheile construirt. Der für das 
Auge ruht auf einem Stativ, und passt sowohl für die linke, wie für die 
rechte Seite. 

Verfasser benutzte den Apparat in einigen Fällen von Beckenexsudat, 
Ulcus ventriculi, Kolik, Gelenkrheumatismus etc. mit gutem Erfolge. 

Seine Vorzüge sind: Konstanz der Temperatur, Billigkeit und beliebige 
Dauer der Anwendungsmöglichkeit Hi 11 er-Berlin. 

Hovor ka, Ueber die anthropologisch-orthopädischen Messmethoden des Rückens. 

Mittheilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien. Bd. 34. 

Hovorka gibt eine genaue übersichtliche Schilderung sämmtlicher Mess¬ 
methoden des Rückens mit gründlicher kritischer Angabe der Vortheile und 
Fehler der einzelnen Methoden und Apparate. Zand er-Berlin. 

Schapps (New York), A simple clubfoot retention splint. Journal of the 

american med. Association, March 26, 1904. 

Schapps hat eine neue Schiene angegeben zur Behandlung des Klump- 
fusses. Sie besteht aus einer Metallsohle, die an zwei seitlichen Unterschenkel- 


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Referate. 


853 


schienen aus Draht befestigt ist. Diese Schienen müssen biegsam genug sein, 
um dem Arzte die Ueberführung des Fusses in Dorsalflexion zu gestatten und 
andererseits müssen sie doch fest genug sein, um den Fuss in dieser Stellung 
zu erhalten. Die beiden Ränder des Sohlenbleches sind entsprechend auf¬ 
gebogen, um ein seitliches Abgleiten des Fusses zu verhindern. Mittelst starker, 
mit Schnallenvorrichtungen versehener Gurten wird der Fuss dann in über- 
corrigirter Stellung in der Schiene fixiert. Diese Vorrichtung bietet durch die 
Möglichkeit rascher Anlegung und Abnahme den Vortheil einer häufigen Appli¬ 
cation von Massage, Gymnastik und redressirenden Manipulationen. 

Pfeiffer-Berlin. 

Sch öder (Lausanne), Der Arthromotor. Centralblatt für physikalische Therapie 

1904, Bd. 1 Heft 2. 

Verfasser beschreibt einen Apparat zur Wiederherstellung der Beweglich¬ 
keit für obere und untere Extremitätengelenke. Mit dem Apparate werden 
active und passive Flexions-, Extensions-, Supinations-, Pronations-, Rotations- 
Abductions- und Adductionsbewegungen erzielt und zwar in sich steigernden 
Excursionen, Der Apparat passt sich dem „bestehenden Winkel des erkrankten 
Gelenkes an“. Simulirte Gelenksteifigkeiten können von wirklich bestehenden 
unterschieden werden. Bei passiven Bewegungen kann ihre Zahl pro Minute 
regulirt werden. 

Angezeigt ist die Behandlung mittelst des Apparates bei besonders durch 
Traumen bedingten Gelenksteifigkeiten, bei Muskel- und Sehnenverletzungen 
und daraus resultirenden Muskelatrophien, bei complicirten Fracturen etc. 

Der Apparat besteht aus zwei Haupttheilen, welche näher beschrieben 
werden und deren Beschreibung nur mit Hilfe der Abbildungen verständlich 
wird. Für die einzelnen Glieder der Extremitäten sind besondere Ansatzstücke 
construirt und zwar im ganzen 13 für Handgelenk, Fingergelenke (Flexion und 
Extension), Spreizung der Finger, Ab- und Adduction des Handgelenks etc. 
Mit jedem der Ansatzstücke sind sechs verschiedene Bewegungen möglich, so 
dass sowohl rechts- als auch linksseitig je 78 Bewegungen ausgeführt werden 
können. Alle Theile des Apparates sind graduirt, so dass eine genaue Ein¬ 
stellung und Dosirung möglich wird. 

Um sich ein Bild von der Maschine machen zu können, empfiehlt es 
sich, die Originalarbeit nachzulesen. Hil 1er-Berlin. 


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Autorenverzeichniss 


Origioalarbeiten sind mit ♦ versehen. 


A. 

Aberle, Ritter v. 315*. 
Ahrens 356*. 

Ammann 158. 
Antonelli 666*. 

Arnold 195. 

Aronheim 191. 193. 
Arrault 797. 

Arregger 828. 

Axmann 180. 


B. 

Baermann und Linser. 
230. 

Bahrmann 222. 

Baldwin 820. 

Banke 846. 

Banzet (et Berger) 789. 
Barth^s 817. 

Bauer 224. 

Bayer 223. 843. 

Beck 161. 

t Beely-Berlin 755*. 
Benaroja 1-59. 

Berdach 818. 

Berger (et Banzet) 789. 
Bierast 167. 

Bijou (et Fanon) 801. 
Bilhaut 158. 188. 841. 
Binnie 174. 

Blanchard 825. 

Blauei 215. 

Blecher (u. Busse) 174. 
Blencke 653*. 654*. 
Blomchoir-Chicago 777. 
Bockenheimer 228. 
Böcker 220. 307*. 

Böhm 188. 

Bonygues 816. 

Borchard 162 
Boyksen 217. 839. 


Brade 802. 

Breitmann 810. 

Broca 833. 

Brodnitz 371*. 

Brüning 157. 204. 
Büdinger 164. 
Burkhardt 169. 
Buschmann 222. 

Busse (u. Blecher) 174. 


C. 

Calot 208. 
Cazal 832. 
Chancel 818. 
Charlier 227. 
Chevrier 838. 
Gramer 678*. 
Croyn 816. 


D. 

David 165. 210. 360*. 
Davidsohn 161. 
Demanche (et Fere) 819. 
Deroque 804. 

Desjardins (et Lenormant) 
203. 

Deutschländer 202. 

Dorn 213. 

Dom 159. 

Drehmann 266*. 272*. 
Dreyfus 218. 


£. 

Ebner 839. 
Ehret 194. 
Eising 793. 
Emrich 169. 
Erb 166. 


F. 

Fähndrich 213. 
Feilchenfeld 166. 

Feiss 793. 

Fenner 229. 

Fere et Demanche 819. 
Finck 386*. 411*. 

Fischer 224: 845. 
Foramitti 171. 

Fqrest Willard 159. 
Frank 826. 

Fraenkel 199. 

Freiberg 831. 

Freund 166. 

V. Friedländer 157. 206. 
Friedländer 791. 

Froelich 286*. 

Fromm 177. 

Funke 228. 

Füster 843. 

G. 

Gay et et Pinatelle 812. 
Geide (und Le Roy des 
Barres) 176. 

Germer 183. 

Gerson 68*. 689*. 

Ghillini 759*. 

Ghiulamila 719*. 
Glaessner 539*. 

Glautz 170. 

Gocht 242*. 405*. 
Gondesen 200. 

Gottstein 649*. 

Goulard 840. 

Graser 837. 

Grimme 820. 

Grisson 157. 

Grüder 163. 

H. 

Haehle 215. 840. 
Haemisch 212. 


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Autorenverzeichniss. 


855 


Haeseler 170. 

Hage 221. 842. 
Hagen-Torn 792. 

Haglund 23^ 

Hall 206. 

Harting 211. 

Haudeck 203. 258*. 
Hausmann 214. 

Hebert 849. 

Heine 685*. 791. 885. 
Helbing 832. 

Henle 851. 

Hesse 212. 

Hevesi 806. 

Hibbs (und Löwenstein) 
181. 

Hildebrandt 192. 

Hilbert 812. 

Hochheim 819. 
Hoeftmann 415*. 

Hoflfa 207. 810. 

Hofmann 814. 

Hoffmann, Saniu 97*. 
Hoffniann 171. 177. 
Hohmann 10*. 

Hoke 189. 

Holl 206. 

V. Hovorka 226. 229. 420*. 
851. 

Hübscher 73*. 

Hullen 209. 

Huhn 815. 


J. 

Jabulay 847. 

Janin 172. 

Janssen 163. 

Jehle 824. 
Jerusalem 850. 
Joachimsthal 261*. 
Jones 167. 

Jonesco 178. 

Joüon 814. 831. 


K. 

Kausch 803. 
Karehnke 827. 
Kempf 178. 
M'Kenzie 811. 
Kersting 812. 
Khonzam 795. 
Kirmisson 813. 
Klar 179 796. 
Klaus 794. 


I Koch 610*. 

! Köllicker 192. 

I Kothe 800. 
Kraus 229 
Küttner 838. 
Kurzwelly 172. 
Kuss 849. 


L. 

Lammers 188. 

Lamöris 181. 

Lange 202. 432*. 

Lanz 219. 

Laqueur 801. 

Lauriat 796. 

Läufer 183. 

Lebourgeois 816. 
Lengemann 186. 
Lenormant (etDesjardins) 
203. 

Lefebvre 817. 

Lejars 219. 

Lessing 154. 

Le Roy des Barres (et 
Geide) 176. 
Lewandowski 171. 

Lovy 805. 

Lexer 160. 

Lieblein 211. 

Linser (u. Baermann) 230. 
230. 

Lomnitz 225. 

Löwenstein 181. 

Lossen 227. 

Lovett 822. 

Lubinus 822. 

Ludloff 471*. 


M. 

V. Mangoldt 797. 

Marie (et Violet) 794. 
Markus 193 811. 

Marx 845. 

Matsuoca 160. 

Maziol 828. 

Meinhold 179. 

Melborn 196. 

Menci^re 154. 230. 833. 
Michelsohn 832. 

V. Miculicz 233*. 

V. Miculicz und Torna- 
sczewski 154. 233. 
Mocochain 836. 

Mohr 842. 


Möhring 195. 

Mouchet 175. 
Moujause-Chamboulives 
803. 

Momburg 846. 

Monnier-Paris 827. 
Movestin 181. 

Müller 695*. 

Müller 153. 

Müller 155. 695*. 
Müller-Paris 830. 
Muskat 153. 209. 806. 


N. 

Natier 817. 
Neumann 197 
Neuhaus 224. 
Niedner 198. 
Niehaus 162. 


0 . 

Osgood 842. 
Otz 201. 


P. 

Panther 219. 

Patrik 23. 

Perain 185. 295. 

P4raire 225. 

Pinatelli (et Gayet) 812. 
Poncet 819. 

Port 228. 

Pouret 850. 


Q- 

Quesnot-Paris 830. 


R. 

Ranzi 180. 

Regnier 180. 

Rehn 793. 

Reiner 442*. 451*. 
Reismann 834. 
Riedel 837. 

Ridlon 825. 
Riedinger 831. 
Riely 187. 

Riumie 174. 


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856 


Autorenverzeicbniss. 


Robert 823. 

Robinsohn (u. Schüller) 
171. 

Röpke 217. 

Roquet 847. 

Rosenfeld 790. 

Rückert 161. 

S. 

Sachs 828. 848. 

Salensen 795. 

Sa^l 197. 

Simmonds 198. 

Schanz 658*. 

Schappo 852. 

Schiff 848. 

Schlee 675*. 

Schnee 231. 

Schöder 852. 

Schubert 223. 

Schulthess 186. 
Schultze-Duisburg 374*. 

379*. 502*. 

Schulz 183. 814. 

Schüller (u. Robinsohn) 
177. 

Schuhmacher 848. 
Schwarz 179. 

Sehlbach 184. 

Seiffer 191. 

Serrant 796. 

Sheldon 221. 


Spitzy 145*. 326*. 

Stange 154. 

Stein 155. 

Steinhausen 170. 173. 
Stempel 820. 

Stephan 191. 

Stolle 182. 

Straatmann 168. 

Strunz 177. 

Summa 221. 

T. 

Tanon et Bijou 801. 
Taylor 174. 221. 
Teschner 187. 
Teschemacher 186. 
Thaler 214. 

Thomasian Haroubioun 
813. 

Tillau 830. 

Tomasczewski 154. 
Troller 803. 

Turner 1*. 7*. 

Türk 225. 

ü. 

ünverricht 198. 

V. 

Velut 814. 

Veraguth 168. 


Veras 824. 

Viollet (et Marie) 794. 
Vivier ^7. 

Voss 158. 

Vulpius 167. 789. 810. 
Vüllers 17*. 651*. 

W. 

Wagenknecht 156. 798. 
Wahl 752*. 

Weigert 791. 

Weischer 203. 

I Weissbart 851. 

I Weisz 165. 

' Wendt 185. 

I Weischer 203. 

Wemdorff 292*. 765*. 

1 Whitman 211. 829. 

Wieting 838. 

I Willems 218. 835. 
Wittek 817. 818. 

Wirtz 175. 

I Wohl 179. 

Wohrizek 227. 

Wolfsühn 205. 

Wolff 843. 

Wolkowisch 799. 

I Wollenherg.G. A.49*.841. 

I Z* 

! Zesas 782*. 809. 826. 


Sachregister. 

Originalarbeiten sind mit * yeraehen. 


Abductionsvorrichtung, neue, für Hüft- Apparate, heilgymnastische (Lossen) 

apparate (Gottstein) 649*. 227. 

American Orthopedic Association, Be- — zur Immobilisation des Thorax, der 
rieht über den 18. Congress derselben Schulter und des Armes (C h a r 1 i e r) 

(Spitzy) 145*. 227. 

Amputationsstümpfe, die Bildung trag- Arthritis, Behandlung der chronischeo 
fähiger an der unteren Extremität A. mit Voselininjectionen (B Q- 
(Bahrmann) 222 ding er) 164. 

Ankylose der Hüfte (Meneiere) 833. — chronica onkylopoetica, zur Kennt- 

Apparat ,Corrector‘ zur corsetfreien niss der (Janssen) 163. 

Behandlung der Rückgrats verkrüm- Arthrodesenbildung, zur (Hagen- 

luungen (Wohrizek) 227. Torn) 792. 

Apparate, Anleitung zur Selbstherstel- Arthromotor, der (Schöder) 852. 
lung derselben für den Transport Arthropathie bei Tabikern (Blenckel 
der Schwerverwundeten (Port) 228. 653*. 


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Sachregister. 


857 


Arthropathie tab4tique, Demonstration 
eines Kniegelenks mit A. (Tanon et 
Bijou) 801. 

Ataxie, zur Casuistik der hereditären 
(Haeseler) 170. 

Ausreissung der Sehne des langen Bi- 
cepskopfes (Bofmann) 814. 

Bauchmassage (Stange) 154. 

Beckenchondrom (Dorn) 213. 

Beckenfractur mit Luxatio centralis 
(Hesse) 212. 

Behandlungsmethode, Kellgreens ma¬ 
nuelle (Haglund) 23*. 

Biceps femoris, Casuistik der Abrisse der 
Sehne des — vom Capitul. fibulae 
(Thaler) 214. 

Blutige Behandlung bei nicht compli- 
cirten Fracturen des Beines (Lau- 
riat) 796. 

Brachydact^lie (Hoch he im) 819. 

Calcaneus, Osteomyelitis des (Roquet) 
847. 

Calcaneusfractur (Neuhaus) 224. 

Caput obstipum musculare, Behandlung 
(Kerapf) 178. 

-Behandlung (Kersting) 812. 

Chirurgie orthopedique (Berger et 
Banzet) 789. 

Clavicula, Bruch derselben bei normaler 
Geburt (Wohl) 179. 

— habituelle Luxation im Sternoclavi- 
culargelenk (Schwarz) 179. 

— Luxatio supraspinata ders. (Klar) 
179. 

Contracturen, coxitische, Entstehung 
und Behandlung(Werndorff) 292*. 

— spastische], psychische Behandlung 
(Hoffa) 810. 

Corset, Einfluss des C. auf die somati¬ 
schen Verhältnisse (Krauss) 229. 

Coxa valga (Turner) 1*. 

-(David) 210. 360*. 

— vara, Casuistik der C. infantum 
(Lieblein) 211. 

-(Härting) 211. 

-traumatische (Quesnot) 830. 

Coxalgie bei congenitalen Luxationen 
(Joüon) 814. 

— 84 Fälle von (Cazal) 832. 

Coxitis, siehe auch Coxalgie. 

— Diagnose der C. (Friedländer) 206. 

— die Behandlung der tuberculösen 
im Kindesalter (Hoffa) 207. 

— Technik der Behandlungsweise (C a- 
lot) 208. 

— Behandlung der Adduction mit 


Anl^lose in einem Fall von doppel¬ 
seitiger (Hullen) 209. 

Coxitische Contracturen (Werndorff) 
292*. 

Coxitische Hüftgelenkscontracturen, Be¬ 
handlung durch Osteotomie (Hel¬ 
bing) 832. 

Cucullaris, vollständiger congenitaler 
Defect des Musculus u. s. w. 
(Aronheim) 191. 

— vollständiger erworbener Schwund 
des linken C. und patholog. Skoliose 
(Aronheim) 193. 

Defect d. Thoraxmusculatur (Schulz) 
814. 

— congenitaler, des Pectoralis major 
(Joüon) 814. 

— des Muse. pect. maj. u. min. rechts 
(Cramer) 678*. 

Deformation, seltene, angeborene (Mc. 
Kenzi) 811. 

Detorsionsbügel, ein einfacher, zum Hes- 
sing’schen Skoliosen corset (Wahl) 
752*. 

Dorsalskoliose, klinische Studien (H o f f- 
mann) 97*. 

Dupuytren’sche Fingercontractur bei 
Diabetes mellitus (Teschemacher) 
186. 

— Fractur (Serrant) 796. 

Ellenbogengelenk. Myositis ossificans 
im Bereiche des (Schulz) 183. 

— über Epiphysenlösungen, Fract. u. 
Lux. des E. u. Behandlung nach d. 
BardenheueFschen Extensionsme¬ 
thode (Stolle) 182. 

Entspannungsskoliose, zur Aetiolog^e 
der (Sachs) 823. 

Epiphyse, Bruch der unteren E. d. 
Radius bei Automobilmechanikem 
(Ghillini-Bologna) 759*. 

Epiphysenbruch des Femur im Knie¬ 
gelenk (Reismann) 834. 

Epiphysenlösung, traumat. am unt. 
Oberschenkelende (Summa) 221. 

Etappengips verbände (Finck) 411*. 

Extensionsverband, zur Technik des¬ 
selben (Bockenheimer) 228. 

Extensorlähmung an der unteren Extre¬ 
mität (Reiner) 451*. 

Femurfractur, veraltete, sui)racondy- 
läre F. mit secundärem Bluterknie, 
schiefe Osteotomie (Ahrens - Ulm) 
356*. 


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858 


Sachregister. 


Fettgewebe, chron. EntzünduDg des sub* 
patellaren F. (Lejars) 219. 

Fracturbehandlung durch temporäre An¬ 
nagelung (Ni eh ans) 162. 

Fracturen des Femurhalses (Whit- 
mann) 829. 

-(Tülau) 830. 

— des Unterschenkels (Khouzam)795. 

-Ellenbogens, nervöse Compli* 

cationen (Natier) 817. 

— und Epiphysenlösung des Femur* 
halses (Müller) 830. 

— des Oberschenkels (Brodnitz) 371*. 

— im unteren Drittel des Unterschen¬ 
kels, Beziehung zu Unfällen (Sa- 
lensen) 795. 

— isolirte, des unteren Ulnaendes 
(Bouygues) 816. 

— blutige und unblutige, der Knie¬ 
scheibe (Macochain) 836. 

Fractur. supracondyläre, des Humerus 
(Lebourgeois) 816. 

Fussgeschwulst, Entstehung (Mom- 
b u r g) 846. 

Fussgelenksluxation durch Rotation 
nach aussen mit hoher Spiralfractur 
der Fibula (Schubert) 223. 

Fusswurzelknochen,Brüche(Banke)846. 

Ganglion am Kniegelenksmeniscus 
(Ebner) 839. 

Gelenkcontracturen, Behandlung der 
entzündl.G. (Haudeck-Wien) 258*. 

— multiple, künstliche Pseudarthrosen- 
bildung an der Hüfte (Froelich- 
Nancy) 286*. 

— Pathologie u. Therapie (G o c h t) 242*. 

— Pathologie (Mikulicz) 233*. 

Gelenkentzündungen im Säuglingsalter 
und ihre ätiolog. Beziehungen zu j 
späteren Deformitäten (D reh m ann) I 
272*. 

Gelenkerkrankungen bei Scarlatina 
(Brade) 802. 

Gelenkneurosen (Weicz) 165. 

— traumatische (David) 165. 

Gelenktuberculose, operat. Behandlung 

(Wolkowisch) 799. | 

Genu valgum, Entstehung und Behand¬ 
lung des (Hähle) 215. 

-bei infantiler Paralyse (B i 1 h au t) 

841. 

— — über einen Versuch zur Verein 
fachung des Etappenverbands bei 
(Turner) 7*. 

— — über Entstehung und Behand¬ 
lung des, in der Wachsthumsperiode 
(Hähle) 215. 


Genu varum paralyticum, ein Fall von 
(Vüllers) 17*. 

Gipsbett für Skoliose und Kyphose 
(Lamm er s) 188. 

Gipsverband, combinirter Zuggipsver¬ 
band (Gocht-Halle) 405*. 

Gummiluftdruckpelotten zur Behand¬ 
lung der Torsion der Wirbelsäule 
(Lu bin US- Kiel) 822. 

Hallux valgus (Pouret) 850. 

Halscravatte zur ambulanten Behand¬ 
lung der Cervical-Spondylitis (Vül- 
lers-Dresden) 651*. 

Halswirbelsäule, Anomalien (Grimme) 
820. 

Hammerzehe mit stark entwickeltem 
Hygrom (Päraine) 225. 

Handgelenk, über Periarthritis des 
(Sehlbach) 184. 

Heilgymnastik, schwedische (Muskat) 
153. 

Hinken, radiographische Befunde beim 
intermittirenden (Freund) 166. 

— intermittirendes (Erb) 166. 

Hüfte, Dislocation der bei acutem 

Rheumatismus (Hall) 206. 

Hüftgelenk, centrale Luxation (Arreg¬ 
ge r) 828. 

Hüftgelenkankylosen, doppelseitige 
(Joachimsthal) 261*. 

— operative Behandlung doppelseitiger 
(Drehmann-Breslau) 266*. 

Hüftgelenksentzündung, Behandlung 
der tuberculösen (Michelsohn) 832. 

Hüftgelenksresection, bei Arthritis de¬ 
form. (Muskat) 209. 

Hüftgelenksverrenkung, axillare Abduc- 
tion in der Behandlung der congeni¬ 
talen (Werndorff) 765*. 

— die unblutige Behandlung der an¬ 
geborenen (Lange) 202. 

— Therapie der angeborenen 
(W e i 8 c h e r) 203. 

— blutige Reposition veralteter (Br ü- 
ning) 204. 

— pathologische Anatomie einer alten, 
wahrscheinlich angeborenen (L e n o r- 
mant et Desjardins) 203. 

— zur Beui-theilung der unblutigen Re¬ 
position der angeborenen(D e u t sch¬ 
iänder) 202. 

Hydarthrose, intermittente(M o u j a u z e- 
Chamboulives) 803. 

Hyperämie, Apparat zur Anwendung 
venöser (Henle) 851. 

— Behandlung der chronischen, rheu¬ 
matischen und der gonorrh. Gelenks- 


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Sachregister. 


859 


erkrankuDgen mittelst der Bier'schen 
tLaqueur) 807. 

Hypertrophie, congenitale der unteren 
Extremität (Gay et et Pin atelle) 
812. 

Instrumentarium zur unblutigen Chi¬ 
rurgie der Knochen und Gelenke 
(Menciöre) 230. 

Inte] 7 )halangealluxation(B e r d a c h)818. 

Ischias, die Behandlung ders., subcutane, 
paraneurotische Injection (E u r z- 
welly) 172. 

Kalte Abscesse, Bemerkung Qber ihre 
Behandlung (Bilhaut) 158. 

Keilbeine, z. Luxation der (F i s c h er) 224. 

Kinderlähmung, über die Fortschritte 
in der Behandlung derselben etc. 
(Vulpius) 167. 

— zur Causistik der Sehnentransplan¬ 
tation bei (Bierast) 167. 

— spinale, Behandlung derselben 
(Vulpius) 810. 

— cerebrale, klinisches Bild der (Breit¬ 
mann) 810. 

KlumpfÜsse, die Therapid' der K. Neu¬ 
geborener in der ersten Woche nach 
der Geburt (Fink) 386*. 

Klumpfuss, Drucknekrose bei congen. 
(Baier) 224. 

— die Correction und Fixation des K. 
nach forcirtem Redre88ement(Ghiu- 
1 amila-Berlin.-Bukarest) 719*. 

— -schiene (Schapps) 852. 

Klumphand, ein weiterer Beitrag zur 

sogen. Klumphand (Blencke-Mag¬ 
deburg) 654*. 

Knie, ein Fall von Osteom desselben 
(Taylor) 221. 

Kniegelenk, die Resection des tuber- 
culösen K. und ihre Resultate auf 
Grund von 400 Operationen etc. 
(Blauel) 215. 

— freie Gelenkkörper in beiden — mit 
doppels. habitueller Luxat. d. Pat. 
nach aussen (Böcker) 220. 

Kniegelenkscontracturen, zur Patho¬ 
genese und Therapie (Ludloff- 
Breslau) 471*. 

Kniegelenksluxation, Fall von ange¬ 
borener (Reiner-Wien) 442*. 

Kniescheibe, über den angeborenen 
Mangel der (Heine) 835. 

Knochenarterien, weitere Untersuchun¬ 
gen und ihre Bedeutung für die 
krankhaften Vorgänge (Lexer) 160. 

Knochenbrüche, die K. aus d. Jahren 
Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. 


1896—1903 mit besonderer Berück- 
sichtigping der Rentenverhältnisse 
(Klaus) 794. 

— 13. K. bei einem Manne zu gleicher 
Zeit (Klar) 796. 

— schlechtgeheilte, Correctur derselb. 
(Beck) 161. 

Knochenerkrankungen (Feiss) 798. 

— Beitrag zur Lehre der fötalen 
(Matsuoka) 160. 

Knochenerweichung im weiteren Sinne 
etc. (Davidsohn) 101. 

Knochenhöhlen, Behandlung der Kn. seit 
Einführung der antisept. Wund¬ 
behandlung (Wagenknecht) 156. 

Knocbennaht zur Technik der K. mit 
Silberdraht (Grisson) 1.57. 

Enochenplombirung (Brüning) 157. 

Knochensarcome, multiple K.mit Arthrit. 
deform. (Rehn) 733. 

Knochentumoren und dabei vorkom¬ 
mende Spontanfracturen (Ruckert) 
161. 

Knorpelreste, d. congen. am Halse 
(Fromm) 177. 

Krüppelschulen (Rosenfeld) 790. 

Ligamentum patellare propr., Ver¬ 
letzung des (Panther) 219. 

Lisfranc^sches Gelenk, Verrenkungen 
der Mittelfussknochen (Bayer) 223. 

Little'sche Krankheit (Glässner) 539*. 

Localtuberculose, traumatische (Voss) 
158. 

Lunatum os, Reposition des luxirten 
(W e n d t) 185. 

Luxatio femoris supracotyloidea con¬ 
genita (Riedinger) 831. 

— patellae (Graser) 837. 

— pedis posterior, über einen Fall von, 
und deren Reposition (Füsier) 843. 

Luxation, congenitale, des Schulter¬ 
blattes (Sprengel) (Tbomasien 
Haroubioum) 813. 

— doppelseitige, des Metacarp. I. 
(Wittek) 817. 

-des Radius (Lefebvre) 817. 

progressive, der Handwurzel (Bar- 
th6s) 817. 

— seitliche, irreponible, des Nagel¬ 
gliedes (P4rain) 185. 

— trapezo*m4tacarpienne (Chancel) 
818. 

Luxationen des Hüftgelenks (Maziol) 
828. 

— spontane, der Hüfte nach acuten 
Infectionskrankbeiten (Wolfsohn) 
205. 

XIII Bd. 56 


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860 


Sachregister. 


Mechanotherapie, 7 Fälle von Functions¬ 
störungen der Gliedmassen, geheilt 
durch (Menci^re) 154. 

Messgitter, das decimetrische (v. H o- 
vorka) 420*. 

Messmethoden (v. Ho vorka) 851. 

Metacarpus, Luxation des I. (Fischer) 
224. 

Missbildungen, angeborene, der Hände 
und Füsse 176. 

Missbildung, Vererbung einer Gfachen 
(Hilbert) 812. 

Mittelfussknochen, Verrenkungen im 
Lisfranc'schen Gelenk (Bayer) 223. 

Muskelatrophie, juvenile (Markus) 
811. 

Muskeln, experimentelle Untersuchun¬ 
gen über die Atrophie gelähmter 
(Jamin) 172. 

Myositis ossificans (Busse, Taylor) 
174. 

— traumatica (Binnie) 174. 

Piabelbrüche, Behandlung (Hovorka) 
229. 

Nachbehandlung, Mechanik der N. von 
Knochen- und Gelenkverletzungen 
(Lessing) 154. 

Nervendehnung, unblutige (Lewan- 
dowski) 171. 

Nervennaht, Technik derN.(F o r a m i 11 i) 
171. 

Nervenpfropfung, Ergebnisse (Zesas) 
809. 

Nervenplastik, die Bedeutung der N. 
für d. Orthopädie (Spitzy) 326*. 

Neuritis alcoholica (Hoffmann) 171. 

Neurologie und Orthopädie (Vulpius) 
789. 

Oberschenkelfracturen, die Behandlung 
im Greisenalter (Brodnitz) 371*. 

Oberschenkelluxation, Reposition con¬ 
genitaler (Hoeftmann) 415*. 

Oberschenkelluxationen, casuist. Beitrag 
zu den 0. (Karehnke) 827. 

Operations- und Verbandtisch, ortho¬ 
pädischer (Lange) 432*. 

Orthopädische Gymnastik gegen Rück¬ 
gratsverkrümmungen (v. Mikulicz- 
Tomaczewski) 154. 

— Apparate, Indikation ihrer Anwen¬ 
dung (Müller) 153. 

Orthopädie, Bedeutung für d. prakt. 
Arzt (Ammann) 153. 

Osteoarthritis, Behandlung der fungösen 
0. des Knies durch die sclerogene 
Methode (Goulard) 840. 


Osteochondritis dissecans, Entstehung 
der freien Gelenkkörper bei der 0. 
(Gruder) 163. 

Osteoklast (Schnitze) 379*. 

Osteoklast-Redresseur, ein modificirter 
(Beely) 755*. 

Osteomyelitis acuta, d. Behandlung 
der 0. und ihre Folgezustände, 
bes. bei totaler Tibiao^omyelitis 
(Buschmann) 222. 

— die tuberculöse der Diaphysen langer 
Röhrenknochen (v. Friedländer) 
157. 

— des OS coccyg. (Monnier) 827. 

Osteotomie, zur subcutanen Gestaltung 

der 0. (Heine) 791. 

PageFsche Knochenerkrankung, Bei¬ 
trag zur (Wollenberg) 49 . 

Paraffininjection (Stein) 155. 

Patella, die Einklemmungsluxation der 
(Küttner) 838. 

— ein Fall von Necroais der — wegen 
technisch falscher Anwendung der 
Stauungshyperämie (Boyksen)217. 

— Sehnenplastik bei habitueller Luxa¬ 
tion der (Lanz) 219. 

— zur Kenntniss der Tuberculöse und 
Osteomyelitis der (Röpke) 217. 

Patellarfractur, über die Catgutnaht 
bei frischer und bei veralteter 
(Riedel) 837. 

Patellarfracturen, zur Therapie der 
(Willems) 218. 

Patellarluxation, habituelle, eine neue 
Methode der Behandlung (Böcker) 
307*. 

— traumatische (Chevrier) 838. 

Periarthritis 8capulo-humerali8(Velut) 

814. 

Periost-Knochenlappen, Uebertragung 
ungestielter, zur Heilung . von 
Pseudarthrosen und Knochenhöhlen 
(v. Mangoldt) 797. 

Peroneuslähmung, die P. bei der Be¬ 
handlung der Kniegelenkscontrac- 
turen (Ritter v. Aberle) B15*. 

Pes valgus, über den (Hübscher) 73*. 

Phosphorbehandlung (Protylin-Roche 
bei Rhachitis und Scrophulose) 
(Dorn) 159. 

Plastische Operationen (Kausch) 7. 

Plattfuss, die Behandlung des statischen 
P. mittels des Redressement force 
und der Sehnenplastik (Schnitze) 
502*. 

— Entstehung und Behandlung im 
jugendlichen Alter (Schiff) 848. 


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SachregiBter. 


861 


PlattfuBS, Behandlong (Sachs) 848. 

— Pathologie, Diagnose u. Behandlung 
der P. Kgl. Chirurg, üniversitäts- 
poliklinik zu Berlin (TQrk) 225. 

— Therapie des P. (Antonelli) 666^. 

— und Skoliose (Zesas) 785*. 

Pseudarthrosen, Behandlung der P. des 

Beines (Arrault) 797. 

— Uebertragung ungestielter Periost- 
Enochenlappen zur Heilung von Ps. 
und Enochenhöhlen 797. 

Resection des Daumens beim Kind 
(Broca) 833. 

Retraction derPalmaraponeurose (F4r6 
et Demanche) 819. 

Rheumatismus, tuberculöser Gelenkrh., 
Retraction der Palmaraponeurose 
etc. (Poncet) 819. 

Röntgenstrahlen , über die allgemeine 
und locale Wirkung der (Bär mann 
und Lins er) 230. 

Röntgenulcera, Beitrag zur Chirurg. 
Behandlung und Histologie der 
(Bärmann und Linser) 230. 

Rückenmarkserweichung nach Wirbel- 
fractur (Glautz) 170. 

Rückenmarksverletzung, Syringomyelie 
als Folge von (Steinhäuser) 170. 

Rückgratsverkrümmungen , Apparat 
(Schnitze) 374*. 

— hochgradige,angeborene(Stephan) 
191. 

Sacralgeschwülste, angeborene (Hoff¬ 
mann) 177. 

Sanatogen, therapeutische Anwendung 
(Benaroya) 159. 

Sarkom des Femur, Exarticulation des 
Oberschenkels wegen (Fähndrich) 
213. 

Scapula s. auch Schulterblatt. 

Scapularkrachen (Axmann) 180. 

Schädelbasis, röntgenologische Unter¬ 
suchung (Schiller u. Robinson) 
117. 

Schenkelfracturen, Behandlung intra¬ 
capsulärer (Hämisch) 212. 

SchenKelhalsfracturen, eine neue Me¬ 
thode der Behandlung (W i t h m a n) 
211 . 

Schiefhals, Behandlung (Hohmann) 

10 *. 

Schiefhalsoperationen, Recidiv bei 
(Schanz) 658*. 

Schleimbeutel in der Beckenhüftgegend, 
Beitrag zu den Affectionen, nament¬ 
lich der Tuberculose (Wi e t i n g) 833. 


Schlüsselbein, subkutaner Bruch des 
rechten (Meinhold) 179. 

Schulterblatthochstand, angeboren er 
(Lamöris) 181. 

— angeborener (Hibbs u. Loewen- 
stein) 181. 

-(Kirmisson) 813. 

Schulterluxation, doppelseitige congeni¬ 
tale — nach rückwärts (Ranzi) 180. 

Schulterluxationen, langdauernde oder 
definitive Functionsstörungen bei den 
(Regnier) 180. 

Scoliosis ischiadica (Arnold 195. 

Scrophulose, Behandlung der — und 
Tuberculose mit Sooletrinkkuren 
(Weigert) 791. 

Skoliose (Correction) (Lovett) 822. 

— tuberculöse (Robert) 823. 

— Behandlg. d.habituellen (Böhm) 188. 

— Anatomie, Pathologie, Aetiologie 
(Riely) 187. 

— fixierte, rationelle Behandlung der 
(Bil haut) 188. 

— congenitale, bei SOjährigem Manne 
(Aronheim) 191. 

— hysterische, bei ünfallkranken 
(Seiffer) 191. 

— hysterische (Hildebrand) 192. 

— pathologische, ein Fall von (Aron¬ 
heim) 193. 

— pleuritiscbe und empyematische, 
Verhütung der (Eölliker) 192. 

— zur Aetiologie der Entspannungs¬ 
skoliose (Markus) 193. 

— nach Ischias (Ehret) 194. 

— Gipsbett (Lammers) 188. 

Skoliosegerüst, ein vereinfachtes 

(Heine) 685*. 

Skoliosen, Therapie (G erson) 68*. 689*. 

Skoliotische Abbiegungen, über die Lage 
der — in den verschiedenen Alters¬ 
jahren (Müller) 695*. 

Sehnen, Chirurgie (Troller) 803. 

Sehnenoperationen (Muskat) 806. 

Sehnenplastik (Koch) 610*. 

Sehnenüberpflanzung u. Sehnenplastik 
bei Muskellähmungen und Contrac- 
turen (Hev4si) 806. 

— bei Kinderlähmung (Deroque) 804. 

Sesambein, practisch-chirurgische Be¬ 
deutung des — im M. gastrocnemius 
(Wolff) 843. 

Sklerose, multiple im Kindesalter 
(Burkhard) 169. 

Sklerose, atypischer Fall von multipler 
(Emrich) 169. 

Spastische Paralyse, Behandlung (Jo¬ 
nes) 167. 


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862 


Sachregister. 


Spina bifida (Struntz) 177. 

Spinalparalyse nach Trauma (Vera- 
gut h) 168. 

— spastische (Braatmann) 168. 

Spondylitis, der gegenwärtige Stand 
der mechanischen Behandlung der — 
(Blanchard) 825. 

Spondylitis deformans und ankylosi- 
rende Spondylitis (S i m m o n d s) 198. 

Spondylitis tuberculosa, Casuistik 
(Jehle) 824. 

Spondylitis tuberculosa, aus der Kgl. 
Chirurg. Klinik in Kiel (Melhörn) 
196. 

Spontanfractur des Unterschenkels bei 
Lähmung (Marie etViollet) 794. 

Spontanfracturen, zur Kenntniss der 
Knocbentumoren und der dabei vor¬ 
kommenden — (Ruckert) 161. 

Stelzbeine, über — und ihre Verwen¬ 
dung in der Massenpraxis (Ho- | 
vorka) 226. i 

Sternumfractur, experimentelle Unter- ] 
Buchung über Entstehung bei Wir- 
belfractur (Otz) 201. 

Syndactylie, an den Zehen (Schuh¬ 
macher) 848. 

Syringomyelie, Knochen- und Gelenk¬ 
erkrankungen bei (Borchard) 162. 


Tabes dorsalis, Wirbelerkrankung bei 
(Frank) 826. 

Temperatur, Studien über(Kothe) 800. 

Tensor fasciae lat., Hemia muscularis 
des (Hausmann) 214. 

Tbiosinamin bei Dupuytren’scher Con- 
tractur (Lengemann) 186. 

Tibia, Abrissfractur der Tuberositas 
(Wollenberg) 841. 

— die unvollständigen Abrissbrüche 
der Tuberositas (Mohr) 842. 

Tibiadefect, congenitaler (S c h 1 e e) 675*. 

Tibialuxation nach hinten (Sheldon) 

221 . , 

Tibiatuberculose (Osgood) 842. 

Trapezius, isolirte Lähmung des (Stein¬ 
häuser) 173. 

Trichterbrust (Baldwin) 820. 

Tuberculose des Vorderfusses (Jabou- 
lay) 847. 


I Tuberculose, conservative Behandlung 
■ der T. des Talus und des Tibiotarsal- 
gelenks (Vivier) 847. . 

Uebungstherapie (Friedländer) 791. 

Unterkiefer, Ankylose de8(J o n e s c o)l 78. 

Unterschenkelbrüche (Hage) 222. 

Unterschenkelschiene, eine neue 
(Funke) 228. 

Verletzungen der Handwurzel (Wittek) 
817. 

Verkrümmung, die Behandlung der seit¬ 
lichen — der Wirbelsäule (Tesch¬ 
ner) 187. 

— (Hoke) 189. 

Vierzellenbad, elektrisches (Schnee) 
231. 

Vorderarm, Spontangangrän (Läufer) 
183. 

— congenitale Tumoren (G e r m e r) 183. 

Vorderarmknochen, angeborene Ver¬ 
wachsung der (Movestin) 181. 

Wachsthumsstörungen, Klinik der 
(Wicz) 475. 

Wärmebehandlung, locale (Jerusa¬ 
lem) 850. 

W asserdampfapparat (We i s s b a r t) 851. 

Wirbelbrüchß (Gondesen) 200. 

Wirbelsäule, chron. ankylosirende Ent¬ 
zündung der (Zesas) 826. 

-(Niederer) 198.. 

— pathol. Anatomie 186. 

— Compressionsmyelitis (Saxl) 197. 

— Syphilis derselben (Neumann) 197. 

— Tuberculose ders. (Mitring) 195. 

— Verletzungen (Hempel) 82W. 

— Versteifung, chron. ankylosirende 
(Fraenkel) 199. 

Wundheilung bei aseptischem und anti¬ 
septischem Heilverfahren (Müller) 
155. 

Zehe, träumat. centrale Lähmung der 
grossen (Bomnitz) 225. 

— erworb. Deformitäten (Hubert) 849. 

— angeborene Hypertrophie der II. 
(Kuss) 849. 

Zerreissung, subcutane des Biceps brach. 
(Huhn) 815. 


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