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Full text of "Zeitschrift Für Orthopädische Chirurgie Einschließlich Der Heilgymnastik Und Massage 14.1905 HV"

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^ZEITSCHRIFT 

FÜR 

ORTHOPÄDISCHE CHIRURGIE 

EINSCHLIESSLICH DER 

HEILGYMNASTIK UND MASSAGE, 


UNTER MITWIRKUNG VON 

Dr. KRUKENBERG io Elberfeld, Prof. Dr. LORENZ in Wien, Privatdoz. 
Dr. W. SCHULTHESS in Zürich, Prof. Dr. VULPIUS in Heidelberg, Prof. 
Dr. L. HEUSNER in Barmen. Prof. Dr. JOACHIMSTHAL in Berlin, Prof. 
Dr. F. LANGE in München, Dr. A. SCHANZ in Dresden, Dr. DREHMANN 
in Breslau, Privatdozent Dr. HANS SPITZY in Graz 

HERAUSGEGEBEN VON 

D R - ALBERT HOFFA, 

GEH. MEDIZINALRAT, a. 0 PROFESSOR AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. 


XV. BAND. 


MIT 202 IN DEN TEXT GEDRÜCKTEN ABBILDUNGEN. 



STUTTGART. 

VERLAG VON FERDINAND ENKE. 

1900. 


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Druck der Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart. 


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Inhalt. 


Seite 

I. (Aus der kgl. chirurgisch-orthopädischen Universitätspoliklinik in Ber¬ 
lin.) [Direktor: Geheimer Medizinalrat Prof. Dr. A. Hoffa.] Ueber 
den angeborenen Hochstand des Schulterblattes. Von Denis 
G. Zesas in Lausanne. Mit 3 in den Text gedruckten Abbildungen 1 

II. (Aus der chirurgisch-orthopädischen Klinik des Geh. Medizinalrats 
Prof. Dr. Hoffa.) Angeborene Thoraxdefekte. Von Dr. Adolf 


Silberstein, Assistent der Klinik. Mit 3 in den Text gedruckten 
Abbildungen.24 

III. Zum angeborenen Hallux valgus. Von Denis G. Zesas in Lausanne. 

Mit 7 in den Text gedruckten Abbildungen.36 

IV. Ueber Spontanamputationen. Von Dr. Oskar v. Ilovorka, Chef¬ 

arzt für Orthopädie am Wiener Zander-Institut. Mit 7 in den Text 
gedruckten Abbildungen.40 


V. (Aus der chirurgisch-orthopädischen Klinik des Geh. Medizinalrats 
Prof. Dr. Hoffa-Berlin.) Hüftgelenkserkrankungen in Schwanger¬ 
schaft und Wochenbett. Von Dr. Adolf Silberstein, Assistent 


der Klinik.60 

VI. Das Genu valgum. Von Prof. Dr. Cesare Ghillini, Oberarzt 

der chirurgischen Abteilung am Hospital dell’ Addolorata in Bo¬ 
logna. Mit 10 in den Text gedruckten Abbildungen.77 

VII. Zur plastischen Achillotomie nach Bayer. Ein einfaches Tenotoin. 

Von Dr. C. Hübscher, Dozent an der Universität Basel. Mit 

2 in den Text gedruckten Abbildungen.86 


VIII. Eine kombinierte Methode der photographischen Skoliosenmessung. 

Von Dr. Eugen Kopits, ordinierender Arzt für orthopädische 
Chirurgie im Stefanie-Kinderspital zu Budapest. Mit 6 in den Text 
gedruckten Abbildungen.89 

IX. (Aus dem orthopäd. Institut von Dr. Ernst Mayer in Köln a. Rh.) 
Schiebeapparate zu orthopädischen Zwecken. (Fortsetzung meiner 
Mitteilung: »Ein neuer Apparat zum Strecken der Beine und 


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IV 


Inhalt. 


Seite 


Spreizen der Füße“ in der Zeitschrift für orthopäd. Chirurgie 

XIV. Band.) Von Dr. med. Ernst Mayer. Mit 7 in den Text 
gedruckten Abbildungen.100 

X. (Aus dem mediko-mechanischen Zanderinstitut Köln.) Einiges zur 
Bruchbandfrage. Von Dr. Gustav Thomas, Spezialarzt für 
mechanische Chirurgie in Köln. Mit 2 in den Text gedruckten 
Abbildungen.104 

XI. Noch einmal die „Kellgreensche Behandlungsmethode“. Von Patrik 

Haglund .112 

XII. Ueber Stellungs* und Haltungsanomalien rhachitischer Kinder. Von 

Dr. med. Brandenberg, Winterthur.114 

XIII. Ueber die Kombination der angeborenen Hüftgelenksverrenkung mit 

anderen angeborenen Deformitäten. Von Dr. Gustav Albert 
Wo 1 lenberg. I. Assistent der Hoffaschen Klinik. Mit 2 Ab¬ 
bildungen .118 

Referate.151 

XIV. (Aus der Königl. Universitäts-Poliklinik für orthopädische Chi¬ 
rurgie in Berlin.) Die infantile cerebrale Hemiplegie. Von 

Dr. James Fränkel, Assistenzart.207 

XV. (Aus der Professor Dr. V ul p iusschen orthopädisch-chirurgischen 
Klinik zu Heidelberg.) Die amniogene Entstehung des angebo¬ 
renen Klumpfußes. Von Assistenzarzt Dr. Ewald. Mit 3 in den 
Text gedruckten Abbildungen.27G 

XVI. Zur Kasuistik der angeborenen Coxa vara. Von Dr. Francke, 
Chirurg in Altenburg (S.-A.). Mit 3 in den Text gedruckten 
Abbildungen.288 

XVII. Ein Fall von Scoliosis traumatica und Diabetes nach Blitzschlag 

und Trauma. Von Privatdozent Dr. V. Chlumsky in Krakau 294 
XVIII. Ein neues Nabelbruchband für Kinder Von Privatdozent Dr. 

V. Chlumsky in Krakau. Mit 1 in den Text gedruckten Ab¬ 
bildung .299 

XIX. (Aus der chirurgisch-orthopädischen Privatklinik des Sanitätsrat 

Dr. K ö h 1 er-Zwickau i. S.) Ueber einen Fall veralteter Subluxa¬ 
tion des Os naviculare am Fuß. Von Dr. med. Karl Gaugele, 
leitendem Arzt der Klinik. Mit 3 in den Text gedruckten Ab¬ 
bildungen .302 

XX. Meine bei der angeborenen Luxation des Hüftgelenks gemachten 

Erfahrungen. Von Dr. Blencke, Spezialarzt für orthopädische 
Chirurgie in Magdeburg. Mit 15 in den Text gedruckten Ab¬ 
bildungen .310 

XXI. Ueber die Tuberkulose des Uiosakralgelenkes. (Die tuberkulöse 
Sakrocoxalgie.) Von Denis G. Zesas in Lausanne. Mit 2 in 
den Text gedruckten Abbildungen.330 


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Inhalt V 

Seite 

XXII. (Aus dem Pathologischen Institut in Berlin.) Ueber kongenitale 
Skoliose. Von Dr. A. Perrone aus Neapel. Mit 9 in den Text 
gedruckten Abbildungen.353 

XXIII. Ein neues Stützkorsett zur Maskierung der Deformität bei Skolio- 
tikern mit großem Rippenbuckel. Von Dr. Eugen Kopits, 
ordinierender Arzt für orthopädische Chirurgie im Stefanie- 
Kinderspital zu Budapest. Mit 6 in den Text gedruckten Ab¬ 
bildungen .390 

XXIV. (Aus der chirurgisch orthopädischen Klinik des Herrn Geheimrats 
Prof. Dr. A. Hoffa in Berlin.) Zur mechanischen Behandlung 
der Hüftgelenkskontrakturen. Von Dr. Simon Silberstein, 
Assistent der H offaschen Klinik. Mit 5 in den Text gedruckten 


Abbildungen.402 

XXV. Zur Messung mittels Photographie. Von W. F. J. Milatz, Arzt 

in Rotterdam. Mit 5 in den Text gedruckten Abbildungen . . 417 


XXVI. (Aus Prof. Dr. Vulpius’ orthopädisch-chirurgischer Klinik in 
Heidelberg.) Ueber kongenitale Osteodysplasie der Schlüsselbeine, 
der Schädeldeckknochen und des Gebisses. („Angeborener Schlüssel¬ 
beindefekt.*) Ein kasuistischer Beitrag. Von Dr. Max M. Klar, 
bisherigem I. Assistenzarzt, Arzt für orthopädische Chirurgie in 
München. Mit 9 in den Text gedruckten Abbildungen und einem 
Nachtrag aus dem Ambulatorium für orthopädische Chirurgie des 


k. k. Regierungsrats Prof. Dr. Lorenz in Wien.424 

XXVII. Zur Nachbehandlung der tuberkulösen Coxitis. Von A. Schanz 

in Dresden.468 

XXVIII. Technische Kleinigkeiten. Von A. Schanz in Dresden. Mit 4 in 

den Text gedruckten Abbildungen.476 


XXIX. Keimfehler oder abnorme Druckwirkung? (Zugleich Erwiderung 
auf Wollenbergs Abhandlung: „Ueber die Kombination der 
angeborenen Hüftgelenksverrenkung mit anderen angeborenen De¬ 
formitäten*.) Von Dr. Paul Ewald, Assistenzarzt derVulpius- 
schen Klinik.482 

XXX. Keimfehler oder abnorme Druckwirkung? Bemerkung zu Ewalds 

gleichnamigem Aufsatz. Von Dr. Gustav Albert Wollen¬ 
berg, Assistent der Hoffaschen Klinik.494 

XXXI. Die Coxa vara unter Zugrundelegung des Materials aus der Privat¬ 
klinik des Herrn Geheimrat Hoffa und der kgl. Universitäts¬ 
poliklinik für orthopädische Chirurgie zu Berlin. Von Dr. Carl 
Helbing, I. Assistenten der kgl. Universitätspoliklinik für ortho¬ 
pädische Chirurgie zu Berlin. Mit 81 in den Text gedruckten 


Abbildungen.502 

XXXIT. Ueber Hüftgelenksverrenkungen nach Coxitis im Säuglingsalter. 

Von Dr. Fritz Wette-Berlin. Assistent der Hoffaschen Klinik. 

Mit 3 in den Text gedruckten Abbildungen.632 


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VI 


Inhalt. 


Seite 


XXXIII. (Aus der chirurgisch-orthopädischen Abteilung der Universitäts- 
Kinderklinik Graz.) Aus den Grenzgebieten der Chirurgie und 
Neurologie. Von Dr. Hans Spitzy, Oberarzt der Abteilung. Mit 
4 in den Text gedruckten Abbildungen.641 

Referate.655 

Autorenverzeichnis.697 

Sachregister.699 


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I. 


(Aus der kgl. chirurgisch-orthopädischen Universitätsklinik in Berlin.) 

[Direktor: Geheimer Medizinalrat Prof. Dr. A. Hoffa.] 

Ueber den angeborenen Hochstand des Schulterblattes. 

Von 

Denis G. Zesas in Lausanne. 

Mit 3 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Der zuerst von Eulenburg im Jahre 1868 im Archiv für 
klinische Chirurgie beschriebene angeborene Hochstand des Schulter¬ 
blattes, über welchen auch nachträgliche interessante Beiträge von 
Willet und Walsham, Burney und Sands vorliegen, fand erst 
die gebührende Beachtung, seitdem Sprengel im Jahre 1891 vier 
einschlägige Fälle veröffentlichte und dabei den Versuch machte, diese 
Deformität ätiologisch zu erklären. Seither hat sich die Kasuistik 
des angeborenen Schulterblatthochstandes wesentlich vermehrt, ohne 
jedoch der Pathogenese dieses eigenartigen Zustandes zu einer be¬ 
friedigenden Lösung zu verhelfen, was wohl seinen Hauptgrund darin 
haben dürfte, daß hier ätiologische Vorgänge in Betracht kommen, 
die in das intrauterine Leben zurückgreifen und einer eingehenderen 
Forschung besondere Schwierigkeiten entgegenstellen. Auch der Um¬ 
stand, daß als angeborener Schulterblatthochstand verschiedene 
pathologische Prozesse gedeutet wurden, die der ursprünglichen 
Sprengel sehen Deformität nicht entsprachen, mag die Lösung der 
Frage nach der Pathogenese dieser Mißbildung nicht unwesentlich 
erschwert und verwickelt haben. 

Angeregt durch einen Fall von angeborenem Hochstand der 
Scapula, den wir während unseres Aufenthaltes an der Hof faschen 
Klinik zu Gesichte bekamen, unterzogen wir uns der Durchsicht der 
einschlägigen zerstreuten Literatur und gestatten uns hier, jene 
derselben entnommenen Momente zur Sprache zu bringen, die uns 
bezüglich der Genese dieser Deformität etwelche Aufklärung zu 
geben berufen zu sein scheinen. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XV. Bd. 1 


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2 


Denis G. Zesas. 


Die Heredität, welche bekanntlich bei der Pathogenese der 
angeborenen Mißbildungen eine nicht unwichtige Rolle behauptet, ist 
als ursächliches Moment bei der Aetiologie des Schulterblatthoch¬ 
standes noch nicht bewiesen worden. Die meisten Krankengeschichten 
ermangeln bezüglicher Angaben; nur in einzelnen Beobachtungen 
wird hervorgehoben, daß betreffend Heredität nichts zu eruieren war. 
Der interessanteste Fall in dieser Hinsicht ist wohl jener Sicks, in 
welchem bemerkt wird, daß eine Schwester des Vaters der 4jährigen 
Patientin hohe Schulter in ganz ähnlicher Weise aufwies, wie die 
Kranke, und daß mehrere Glieder der Familie des Gatten mit der 
gleichen Mißbildung behaftet waren. Aus den vorliegenden kargen 
Angaben ist es jedoch kaum möglich, die Rolle der Heredität bei der 
Aetiologie des Schulterblatthochstandes zu bestimmen, sehr annehmbar 
scheint es aber, daß der hereditären Belastung, der ja bei der Patho¬ 
genese der Mißbildungen im allgemeinen ein wesentlicher Einfluß 
zufällt, auch bei dem angeborenen Schulterblatthochstand eine ur¬ 
sächliche Bedeutung nicht abgesprochen werden darf. Unfälle 
während der Schwangerschaft scheinen für das Zustande¬ 
kommen der Deformität nicht von Belang zu sein, nur in einer Be¬ 
obachtung Kirmissons erfahren wir, daß die Mutter im 4. Schwanger¬ 
schaftsmonat einen Fall erlitt und in jener Lamms wird bemerkt, 
daß die Schwangere zur Verrichtung andauernder strenger Arbeit 
genötigt war. Auch der Beobachtung Janons entnehmen wir, daß 
die Mutter der Patientin im 6. Schwangerschaftsmonat einen Fall 
vom Zweirad erlitt. Doch alle diese Zufälle scheinen sicher mit der 
Entstehung der Mißbildung nicht im Zusammenhang zu stehen. 
Interessanter sind die Angaben über die Einzelheiten des Geburts¬ 
aktes selbst. So wird in dem Hoffa- Boltenschen Falle berichtet, 
daß bei der sonst normalen Entbindung die geringe „Frucht- 
wassermenge“ der Hebamme auffiel. Nach der Geburt lag der 
linke Arm dicht am Rücken an, als ob er dort festgebunden wäre. 
Auch Sprengel mißt der geringen Fruchtwassermenge ätio¬ 
logisch große Bedeutung bei, welcher Anschauung sich auch Peter¬ 
mann anschließt. Im Gegensatz hierzu wird im Falle Mohrs bemerkt, 
daß die Fruchtwassermenge reichlich vorhanden, die Geburt aber 
eine schwere gewesen. Auch in dem zweiten Sickschen Falle werden 
ähnliche Angaben gemacht; das Fruchtwasser — heißt es — bestand 
in beträchtlicher Menge, das Kind aber mußte wegen Wehenschwäche 
mit der Zange geboren werden. 


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Ueber den angeborenen Hochstand des Schulterblattes. 


3 


Bezüglich der Lage des Kindes sind die Angaben lückenhaft; 
meist handelte es sich jedoch um Kopflagen; Steißlagen sind nur 
in den Beobachtungen von Mohr, Beely und Tridon verzeichnet. 
Sichere ätiologische Momente für die Genese unserer Deformität 
lassen sich somit weder während der Schwangerschaft noch 
bei der Entbindung feststellen, so daß wir zur Aufklärung der 
Pathogenese nach anderweitigen ursächlichen Gründen fahnden müssen 
und dies führt uns zur Besprechung der obwaltenden Theorien über 
die Genese des angeborenen Schulterblatthochstandes. 

Sprengel, der die erste pathogenetische Theorie aufstellte, 
nimmt an, daß der Arm des Fötus durch irgend welche Momente 
gedreht und derart auf den Rücken gelagert wird, daß die Rückseite 
des Vorderarmes dem Rücken, die Rückseite der Hand dem Darm¬ 
beinkamm der entgegengesetzten Seite auf liegt. Verharrt nun¬ 
mehr bei geringerer Fruchtwassermenge der Arm durch 
den Druck der Uteruswandungen in dieser Stellung, so 
soll infolge der Verkürzung des seinen Ursprungsstellen dauernd 
genäherten Musculus cucullaris eine Verschiebung der Scapula 
nach oben bewirkt werden. Bei den Versuchen, die Sprengel 
au größeren und kleineren Kindern anstellte, indem er die ange¬ 
nommene Lagerung des Armes künstlich nachahmte, konnte er vor¬ 
übergehend ein dem angeborenen Hochstand der Scapula ähnliches 
Bild erzeugen. 

Kölliker, welcher seine erste Beobachtung bald nach der 
Publikation der Sprengelschen Arbeit bekannt machte, brachte 
zunächst die in seinem Falle angenommene „Exostosenbildung 
am oberen Schulterblattrand“ in ursächlichen Zusammenhang 
mit der Entstehung des Schulterblatthochstandes; später trat er 
jedoch von seiner Annahme zurück, nachdem die vermeintliche 
Exostose sich als der umgebogene Schulterblattwinkel 
erwies (Hoffa) und schloß sich bezüglich der Pathogenesefrage der 
Sprengelschen Theorie an. 

Gestützt auf eine Erfahrung bei einer 14jährigen Tochter, 
deren intelligente Mutter eine verkehrte Haltung des Armes nach der 
Geburt aufs bestimmteste in Abrede stellte, neigt sich Schlange 
zur Annahme, daß wenigstens in einem Teil der Fälle der Schulter¬ 
blatthochstand auf amniotische Verwachsungen zu beziehen 
wäre, welche eine Verkürzung des Musculus trapezius und dadurch 
ein sekundäres Höhertreten des Schulterblattes bewirke. 


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4 


Denis G. Zesas. 


Schlange stellt die Affektion in Paralelle zu dem durch amniotische 
Verwachsungen des Kopfnickers herbeigeführten Caput obstipum con- 
genitum. Bei Verkürzung des Sternocleido soll der bewegliche Kopf 
dem Zuge des am unbeweglichen Sternum inserierenden Muskels 
folgen, bei Verkürzung des Trapezius werde beim Bestreben nach 
gerader Kopfhaltung, die bewegliche Scapula nach oben gezogen. 
Interessant in dieser Hinsicht ist der Fall Lamms, bei welchem 
eine Kombination von angeborenem Hochstand des linken Schulter¬ 
blattes mit rechtsseitigem muskulären Schief hals zur Beobachtung kam. 

Kausch hat in jüngster Zeit versucht, den Defekt des 
unteren Bündels des Trapezius in ursächlichen Zusammenhang 
mit dem Schulterblatthochstand zu bringen, da er in seinen Fällen 
keine stichhaltigen Gründe fand, „diesen Defekt als eine sekundäre 
Erscheinung aufzufassen oder ihn als zufälligen Nebenbefund zu be¬ 
trachten“. In zweien der Kau sch sehen Beobachtungen bestand der 
Defekt ein-, in zwei anderen beidseitig, und zwar in dem einen Falle 
fehlten nur die unteren Teile, in dem anderen mangelte auf einer 
Seite der Muskel gänzlich, während auf der anderen nur ein schmales 
Bündel erhalten war, welches an der Grenze von mittlerer und 
unterer Partie lag. „Bei dem 5maligen Zusammentreffen von kon¬ 
genitalem Schulterblatthochstand mit Trapeziusdefekt wirft sich nun 
ohne weiteres die Frage auf, — sagt Kausch — ob ein Zusammen¬ 
hang und welcher zwischen diesen beiden Befunden besteht, oder 
ob das Zusammentreffen ein rein zufälliges ist? Bei ersterer Annahme 
sind wiederum verschiedene Möglichkeiten vorhanden: Beide Er¬ 
scheinungen können Folge derselben Ursache sein, oder die eine ist 
die Folge der anderen, wobei jede von beiden das Primäre sein 
kann. Daß das Zusammentreffen beider Erscheinungen ein zufälliges 
ist, scheint mir in Anbetracht der Häufigkeit nicht wahrscheinlich: 
in allen Fällen von angeborenem Hochstand der Scapula, welche ich 
bisher zu Gesicht bekam, konnte ich den Cucullarisdefekt konstatieren, 
womit natürlich keineswegs gesagt sein soll, daß dies immer so sein 
müßte. Und dann sind die Beziehungen des Musculus cucullaris zur 
Stellung des Schulterblattes doch zu enge, um nicht einen Zusammen¬ 
hang beider a priori wahrscheinlich zu machen. Ich möchte daher 
auf die Annahme des zufälligen Zusammentreffens nur dann zurück¬ 
kommen, wenn die anderen Erklärungsversuche versagen sollten. 
Gegenüber der Annahme, daß beide Erscheinungen Folge derselben 
Ursache wären, möchte ich mich ebenso verhalten. Die Annahme, 


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Ueber den angeborenen Hochstand des Schulterblattes. 


daß der Muskeldefekt die Folge des Schulterhochstandes sei, ist von 
der Hand zu weisen. Es können wohl infolge des andauernden 
Hochstandes der Schulterblätter und des dadurch bedingten vermin¬ 
derten Gebrauches, die das Schulterblatt nach anderer Richtung als 
nach aufwärts, zumal die es nach abwärts ziehenden Muskeln 
atrophieren; niemals können sie aber, wie es hier der Fall ist, 
völlig schwinden. Wir kommen S 9 schließlich zur letzten Erklärung, 
daß der Schulterhochstand durch den Muskeldefekt bedingt ist. Ist 
diese Annahme richtig, so muß die pathologische Stellung der Scapula 
durch den Muskeldefekt, den Ausfall an Muskelfunktion, zu er¬ 
klären sein.* 

Diese Kauschsche Auffassung läßt sich im ganzen genommen 
nicht von der Hand weisen, da unstreitig der Musculus cucullaris 
auf die Lagebeziehungen des Schulterblattes zum Rumpf einen wesent¬ 
lichen Einfluß ausübt. Beim Fehlen der untersten Bündel des Mus¬ 
culus cucullaris wird der Antagonist, der Musculus levator scapulae 
ein Herabtreten des Schulterblattes verhindern können. Die Literatur 
weist eine kleine Anzahl von Fällen auf — es sind deren ca. 10 — 
bei welchen nebst dem Schulterblatthochstande Defekte im Gebiete 
des Musculus cucullaris beobachtet wurden, ob aber diesen Muskel¬ 
defekten bei der Aetiologie des Schulterblatthochstandes im allge¬ 
meinen, jene überwiegend wichtige Rolle obliegt, die man ihnen 
zuschreibt, bleibt vorläufig dahingestellt, da es klinisch, selbst mit den 
elektrischen Untersuchungsmethoden nicht immer leicht fällt, partielle 
Defekte dieses Muskels festzustellen. Auch darf nicht übersehen 
werden, daß in einzelnen Fällen der untere Rand des Trapezius auf 
der kranken Seite deutlicher wahrnehmbar gewesen, als auf der 
gesunden (Fall Bolten u. a.), so daß in diesen Beobachtungen 
an ein Fehlen des Muskels kaum gedacht werden darf. Auch ander¬ 
weitige Muskeldefekte und Muskelveränderungen sind mit dem an¬ 
geborenen Hochstand des Schulterblattes in Beziehung gebracht 
worden, so von Schlesinger ein Defekt des Musculus pectoralis, 
von Kays er ein solcher des Sternocleidomastoideus und vonLameris 
eine primäre Erkrankung des Musculus rhomboides. Man hat sich 
vielfach bemüht, festzustellen, ob der beobachtete Muskelmangel auf 
einen Krankheitsprozeß, welcher den Schwund der Muskulatur zur 
Folge hat, zurückzuführen wäre, oder ob es sich vielmehr um an¬ 
geborenes völliges Fehlen der Muskeln, also um eine Mißbildung, 
handle. Eine Entscheidung hierin ist nicht erzielt worden, obwohl 


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6 


Denis G. Zesas. 


eine solche Feststellung sich für die Pathogenese der Deformität von 
keinem geringen Wert erwiesen hätte. Erb, der in einem Falle von 
doppelseitigem Cucullarisdefekt einige exzidierte Muskelstückchen 
mikroskopisch untersuchte, konnte eine Anzahl von Veränderungen 
konstatieren, welche denen der bei der Dystrophia musc. progr. beob¬ 
achteten entsprachen. Nichtsdestoweniger ließ er nach eingehender 
Würdigung des histologischen Befundes es unentschieden, ob in 
seinem Falle tatsächlich ein kongenitaler Defekt Vorgelegen. Damsch 
hingegen gelangte bei der Untersuchung eines Falles von angeborenem 
einseitigem Defekt des Musculus pectoralis und eines Teiles des gleich¬ 
seitigen Musculus cucullaris zu dem bestimmten Ergebnis, daß die histo¬ 
logischen Bilder den typischen Veränderungen der Dystrophia musc. 
progr. vollauf entsprachen. Er konstatierte: Vermehrung des Binde¬ 
gewebes, teilweise Hypertrophie der Muskelfasern, atrophische Fasern 
ohne Querstreifen, zum Teil mit deutlicher Längsstreifung, Vakuolen 
und Vermehrung der Zahl der Muskelkerne. Dementgegen stehen 
uns Fälle zur Verfügung, bei welchen solche Veränderungen gänzlich 
fehlten. So fand Schlesinger bei seinem Fall von Defekt des Mus¬ 
culus pectoralis bei eingehender histologischer Untersuchung und 
vergleichender Durchmusterung einer größeren Zahl von Kontroll- 
präparaten durchaus normale Verhältnisse. Weder Größenunterschiede 
der Muskelfasern, noch Kernvermehrung, noch Zunahme des inter¬ 
stitiellen Gewebes waren zu konstatieren. Angeborene Muskeldefekte 
bieten an sich selbst keine große Seltenheit, so daß auch die hier 
in Frage stehenden Muskeldefekte in ungezwungener Weise als an¬ 
geboren aufgefaßt und den anderen gleichzeitig mit dem angeborenen 
Hochstand der Scapula zur Beobachtung gelangten Mißbildungen 
gleichgestellt werden dürften. Wenn mitunter histologische Muskel¬ 
veränderungen bei solchen Fällen beobachtet werden, so vermögen 
dieselben kaum die oben erwähnte Annahme zu entkräften, da man 
ja, wie Kaiser richtig bemerkt, bei kongenitalen Muskelstörungen 
normale mikroskopische Bilder nicht erwarten darf. 

Meyer hat anläßlich einer Diskussion über die Genese des 
Schulterblatthochstandes in der ärztlichen Gesellschaft zu Kopen¬ 
hagen die Vermutung ausgesprochen, daß bei der Aetiologie dieser 
Deformität auch die Möglichkeit einer Epiphysenlösung am 
obersten Ende des Oberarms während der Entbindung in 
Frage kommen dürfte. Dächte man sich diese Verletzung in abnormer 
Weise geheilt, indem die Epiphyse sich außen und hinten um ihre 


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Ueber den angeborenen Hochstand des Schulterblattes. 


7 


Achse gedreht hätte, so könnte man schon annehmen, daß die Rota¬ 
tion nach außen aufgehoben wäre, da die Mm. infraspinatus und 
teres minor sich an die Epiphyse ansetzen, während die Funktion 
der Einwärtsrotatoren (Mm. teres minor und subscapularis, die an 
der Diaphyse sich inserieren) nicht beeinflußt wäre. Fügt man hierzu 
die Möglichkeit einer gleichzeitigen Nervenläsion, die später resti¬ 
tuiert würde, so wäre es nach Meyer nicht unmöglich, daß dadurch 
ein dem angeborenen Schulterblatthochstande analoges Krankheitsbild 
entstünde. Doch gegen eine solche Auffassung sprechen die Röntgen¬ 
bilder und das Verhältnis des Gelenkes selbst, welches passive Rota¬ 
tionsbewegungen in normaler Ausdehnung gestattet. 

Mit einer abgelaufenen intrauterinen Poliomye¬ 
litis anterior acuta oder einer eventuellen Cerebralaffektion 
suchte Bloch die Mißbildung in Zusammenhang zu bringen; doch 
auch für eine solche Auffassung fehlen genügend klinische Anhalts¬ 
punkte. 

Kirmisson verlegte die Ursache der Deformität in eine 
Mißbildung des Schulterblattes selbst und stützte sich 
hierbei auf das anatomische Präparat eines kurz nach der Geburt 
verstorbenen Kindes, welches gleichzeitig mit einer Hüftgelenks¬ 
luxation und multiplen Skelettdeformitäten ein ganz eigenartiges 
Verhalten des Schulterblattes zeigte. Am Schulterblatte war nämlich 
eine leichte Entwicklungshemmung, die sich nicht bloß auf die 
Gelenkgegend, sondern auch auf verschiedene Teile des Knochens 
erstreckte, zu konstatieren. Die Fossa infraspinata war völlig ver¬ 
schwunden und diese Verbildung am rechten Schulterblatt ausge¬ 
sprochener als am linken. Das ganze Schulterblatt schien sich 
anstatt in der Längsrichtung hauptsächlich in transversalem Sinne 
entwickelt zu haben; das Schulterblatt war hierbei in allen Durch¬ 
messern atrophisch. Auch die Schulterblätter des Patienten Milos 
waren wesentlich breiter und kürzer als im normalen Zustande und 
eine ähnliche Form zeigte das Schulterblatt des Falles K reck es. 
Diese spezielle Form des Schulterblattes ist jedoch pathogenetisch 
von großer Bedeutung, da sie uns den Knochen in einer fötalen 
Entwicklungsperiode vorführt und somit den Schulterblatthochstand 
mit Entwicklungshemmungen in Zusammenhang bringt. Die beträcht¬ 
liche Höhe dieses Knochens wird beim Menschen erst im Laufe der 
Entwicklung gewonnen, die Basis soll bei Neugeborenen und Em¬ 
bryonen viel schmäler sein als bei Erwachsenen. Nach Kays er 


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8 


Denis G. Zesas. 


zeigen auch niedere Stämme (Neger) ein relativ niedrigeres und 
breiteres Schulterblatt als höhere Menschenrassen. 

Diese embryonale Gestaltung des Schulterblattes sollte zu einer 
weiteren, vielleicht zu der richtigen pathogenetischen Auffassung des 
angeborenen Schulterblatthochstandes führen. Aus der vergleichenden 
Anatomie wissen wir, daß die Lage Verhältnisse der Glieder zum 
Rumpf der Wirbeltiere allmählich erworbene und nicht ur¬ 
sprünglich angelegte sind. Bei den niederen Wirbeltieren stehen 
die Vordergliedmaßen in naher räumlicher Beziehung zu den dem Kopfe 
gehörigen Kiemenbogen; bei den Knochenfischen sind sie mit dem 
Kopfe in Verbindung. Gegenbauer nimmt an, daß das Skelett 
der Vordergliedmaßen ursprünglich dem Kiemenapparat angehörige 
Stützgebilde, das heißt Kiemenbogen waren, welche allmählich ihren 
Zusammenhang mit dem Kiemenapparat aufgaben und, indem sie 
sich differenzierten, eine selbständige Entwicklungsrichtung ein¬ 
schlugen. Dieser Annahme entsprechend müssen wir — betont richtig 
Kayser — die Anlage des Schulterblattes beim Fötus in der Nähe 
der ursprünglichen Kiemenbogen suchen. Von hier schreitet das 
Schulterblatt mit fortschreitender Entwicklung des Fötus 
allmählich nach unten. Chievitz beschreibt die Lage des fötalen 
Schulterblattes folgendermaßen: The most striking points in connection 
with the schouldergirdle are the hight position of the bones and the 
attitude assumed by the scapula, the body of which lies much more 
nearly in a sagittal plane than is the case in adults, owing to the 
shape of the upper part of the thorax. The resemblance between 
the human foetus and quadripeds in thes peculiarity in the position 
of the scapula lias been already pointed out by several authors. 
The scapula lies upon the postero-lateral aspect of the thorax over 
the prominence corresponding to the position of the lung: it is 
inclined to the sagital plane at an angle of about 22 0 in the hori¬ 
zontal section, and its upper part inclines sliglitey towards the 
median plane. It is rotated so that the glenoid fossa is directed 
markedly upwards and the inferior angle is carried forward. The 
triangulär surface at the inner end of the spine lies close beside 
the transverse process of the Ist. dorsal vertebra and the inferior 
angle reaches the lower border of the 5 st. rib at a point about 
15 mm external to the angle of the rib. The coracoid and glenoid 
fossa are placed abowe the level of the Ist. rib and the outer ex- 
tremity of the clavicle is directed markedly upwards. In conformity 


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Ueber den angeborenen Hochstand des Schulterblattes. 


9 


with this position of tlie bones the passage from the neck to the 
axilla is situated high up and the nerves of the brachial plexus 
instead of taking a descending course, pass outwards into the limb 
in an almost horizontal direction. The position of the scapula just 
describet, whilst it differs from that mat with in adults, in whom 
the bone extends from the 2st. to the 7st. rib, in one that is con- 
stantly observed in Younger foetuses (for instence in the one measu- 
ring 13 mm figured by His). In fact the upper limb is, in its 
origin a cervical appendage and retains a position trou- 
ghout foetal life indicative of that origin, and it is not until 
the beginning of extra uterine life that mechanical influences come 
into play and induce permanent modifications of the foetal condition. “ — 
Nach einer mündlichen Mitteilung, Chievitz an Rager, soll die 
ursprüngliche hohe Anlage der Schulter das ganze Fötalleben hin¬ 
durch bestehen; ein Descensus scapulae erfolgt nur während des 
Geburtsaktes. Auch Hutchinson hat anläßlich der Besprechung 
eines Falles von angeborenem Schulterblatthochstande hervorgehoben, 
daß die Scapula aus verschiedenen Gründen in ihrer ursprünglichen 
hohen Stellung verharren kann, und ausdrücklich auf die Bedeutung 
der normalen Fötalstellung der Schulter aufmerksam gemacht, um 
den angeborenen Hochstand dieses Knochens zu erklären. 

Tridon hat die Lage der Schulterblätter an einigen ausge¬ 
stoßenen Föten kontrolliert und obwohl bei diesen die gleichen Situs- 
verhältnisse nicht obwalten wie bei den sich in der Gebärmutter 
noch befindlichen Früchten, so kam er doch zu Resultaten, die mit 
denen von Chievitz übereinstimmen und zu der Schlußfolgerung, 
daß „comme il £tait ä prövoir, Tomoplate se trouve d’autant plus 
elevee que Ton a affaire ä un sujet plus jeune“. Gehen wir von 
diesen anatomischen Tatsachen aus, so erscheint es uns am natür¬ 
lichsten, das eigentliche Wesen des angeborenen Schulterblatthoch¬ 
standes darin zu suchen, daß durch irgend einen Grund die 
Scapula in der Nähe der Stelle, in welcher sie ursprüng¬ 
lich angelegt war, stehen geblieben ist. Die Deformität 
bestünde somit nicht in einer angeborenen Verschiebung des Schulter¬ 
blattes nach oben, sondern in einem fehlerhaften Descensus sca¬ 
pulae. Diese die Pathogenese des Schulterblatthochstandes in eine 
besondere Beleuchtung stellende Theorie soll nach Rager von Slo- 
niann stammen; wir finden sie aber auch in der Arbeit Kaysers 
vertreten. 


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10 


Denis G. Zesas. 


Nach dieser Auffassung, welche der hier in Rede stehenden 
Deformität eine ungezwungene Aufklärung verschafft, soll der an¬ 
geborene Schulterblatthochstand wie jede andere kongenitale Mi߬ 
bildung auf einer Entwicklungshemmung beruhen, deren 
spezielle Ursachen wiederum teils in innerhalb der Frucht ge¬ 
legenen Einflüssen, teils in äußeren Gründen zu suchen sind. Ihrem 
Wesen nach sind uns erstere noch völlig unbekannt. Die Heredität, 
welcher bei der Aetiologie der Mißbildungen im allgemeinen eine 
wesentliche Rolle zugedacht wird, ist bei dem Schulterblatthochstand 
noch nicht bewiesen; vielleicht werden nachträgliche Erfahrungen 
uns besser darüber orientieren. Nichtsdestoweniger scheint es uns, 
daß wir in den so oft neben dem angeborenen Hochstand der Scapula 
beobachteten anderweitigen Mißbildungen einen unumstößlichen Be¬ 
weisgrund besitzen, daß auch dieser Deformität kein anderer patho¬ 
genetischer Grund als jener der Entwicklungshemmungen zugeschrieben 
werden darf. Die Kasuistik weist eine Anzahl von Fällen auf, bei 
denen gleichzeitig mit dem Schulterblatthochstand verschiedene Mi߬ 
bildungen zur Beobachtung gelangten. So finden wir unter diesen: 
Totaler Radiusdefekt und Schädelmißbildung (Bolten), Defekt des 
Ober- und Vorderarmes (Joachimsthal), angeborener Schiefhals 
(Lamm und Beely), aufgetriebener Schädel, schlitzförmige Lid¬ 
spalten (Schlesinger), angeborene Enge des Afters (Pankow), 
Asymmetrie der Gesichtshälften (Honseil), Spaltung im Bereiche 
der Hals- und Brustwirbelsäule (Sick), ausgedehnte trophische 
Störungen am Skelett und an den Muskeln (Holz), mehrfache Muskel¬ 
defekte (Kausch, Kay ser u. a.), Wanderniere (Hödlmoser), Atro¬ 
phie der einen Unterextremität (Sainton), Rippendefekte (Willett 
und Walsham), Ectopia analis (Kirmisson). Interessant sind die 
Fälle Gourdons, bei welchen das ganze Skelett, besonders aber 
Schultergegend, Scapula und Oberarm in der Entwicklung zurück¬ 
geblieben waren. 

Dem nebst diesen Deformitäten bestehenden angeborenen 
Schulterblatthochstande kann keine spezielle pathogenetische Deutung 
gegeben werden, da derselbe jedenfalls nur ein Kettenglied der ver¬ 
schiedenen Entwicklungshemmungen darstellt und zweifelsohne den 
gleichen Ursprung hat. Eine mangelhafte Anlage des Schulter¬ 
gürtels darf ohne weiteres als der namhafteste pathogenetische 
Grund des angeborenen Schulterblatthochstandes angenommen werden 
und hierher sind die wiederholt konstatierten Formveränderungen des 


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Ueber den angeborenen Hochstand des Schulterblattes. 


11 


Schulterblattes zu zählen. Ob nebst diesen Entwicklungsstörungen 
in der Anlage des Schultergürtels noch äußere mechanische Mo¬ 
mente für die Deformität verantwortlich gemacht werden müssen, 
die den normalen Schulterblattdescensus verhindern, ist möglich, 
aber noch nicht einwandfrei erwiesen. Eine pathologische Stel¬ 
lung des Armes, bedingt durch Fruchtwassermangel und Druck der 
Gebärmutterwandungen, könnte in der Tat das Schulterblatt in 
seinem Tiefertreten auf halten, obwohl es schwer faßlich, wie ein 
so beweglicher Körperteil wie der Arm anhaltend fixiert bleiben 
kann. Nicht unwahrscheinlich wäre es auch, daß die Retentio sca- 
pulae die Richtung des Proc. glenoidalis ändert und somit, wie 
Sick bemerkt, die pathologische Armstellung sekundär zu stände 
kommt. Doch selbst zur Aufklärung der wichtigsten mechanischen 
Ursachen sehen wir uns genötigt, wiederum Entwicklungshemmungen 
zu Hilfe zu nehmen. Hierher gehören in erster Linie die mehrfach 
beobachteten Muskeldefekte, die zweifelsohne mit dem Nichttiefer¬ 
treten des Schulterblattes in innigem Zusammenhang stehen. Auch 
die öfters beschriebenen Knochenspangen, die Rippen- und Scapula¬ 
exostosen, die für den fehlenden Descensus scapulae verantwort¬ 
lich gemacht werden, sind auf Entwicklungshemmungen, wahr¬ 
scheinlich auf versprengte Knochenanlagen, zurückzuführen. Solche 
Knochenspangen und Exostosen werden von Willett und Walsham, 
Kirmisson, Hutchinson, Goldthwait und Painter u. a. be¬ 
schrieben. ln den Fällen von Willett und Walsham handelt es 
sich um eine 32jährige Frau und um ein 8jähriges Mädchen. In 
der ersteren Beobachtung wurde eine Knochenspange, welche die 
Scapula mit den zwei letzten Cervikalwirbeln verband, in der zweiten 
eine Knochenmasse, welche zwischen Schulterblatt und Wirbelsäule 
saß, konstatiert. Nebenstehend geben wir drei diesbezügliche Ab¬ 
bildungen der ersten Beobachtung, die wir der Tridonsehen Arbeit 
entnehmen, wieder. 

Goldthwait und Painter sind einer ähnlichen Knochenspange 
begegnet, welche mit der Wirbelsäule und der Scapula artikulierte, 
auch Kirmisson erwähnt das Vorhandensein eines solchen Zwischen¬ 
knochens und bemerkt: Aujourdhui il est bien prouvö et par la 
radiographie et par Tanatomie pathologique faite sur le vivant au 
cours des operations que nous venons de rapporter, que, parmi les 
cas de surelevation congönitale de l’omoplate, il en est un certain 
nombre qui s’expliquent par la presence de pieces osseuses surnume- 


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12 


Denis G. Zesas. 


raires reliant cet os ä la colonne vertebrale, et mettant obstacle ä 
son abaissement. 

Hutchinson zeigte der Pathological society in London ein 
Präparat von einem Kinde stammend vor, wo die linke Schulter 
hoch im Nacken unter dem Hinterkopf festgestanden hatte. Das 
Präparat demonstrierte, daß die Laminae von Vert. cervicalis 
3 und 4 einander nicht in der Mitte begegneten und daß sie an der 

linken Seite zusammenge¬ 
schmolzen waren. Auch fand 
man eine abnorme Verbin¬ 
dung zwischen den gespalte¬ 
nen Wirbeln und der oberen 
medialen Ecke des Schulter¬ 
blattes, so daß das Schulter¬ 
blatt bei diesem Vorsprung, 
der ossös in nächster Nähe 
der Wirbelsäule und karti- 
laginös bei dem Schulterblatt 
gewesen, an der Wirbelsäule 
aufgehängt war. Während 
Hutchinson es für unwahr¬ 
scheinlich erklärt, daß der 
oben beschriebene, teilweise 
knöcherne Vorsprung eine ab¬ 
norme Entwicklung eines 
supraskapulären Elementes 
sein möchte — This disposition disproved the possible view that the 
osseous process was an abnormal developpement of a suprascapular 
element — gehtBowlby weiter, indem er annimmt, daß diese Exostose 
oder Ecchondrose mit einer ausgedehnteren Mißbildung der Wirbelsäule 
zusammenhängt, „as part of a deeper failure in the developpement of the 
spine,“ was ja auch sehr glaublich erscheint. Alle beide aber sind 
der Ansicht, daß diese abnorme Verbindung zwischen dem Schulter¬ 
blatt und der Wirbelsäule die Ursache abgibt, daß das Schulterblatt 
in seiner ursprünglichen hohen Stellung verblieben ist. The high 
Position of the scapula corresponded with the normal primitive 
condition of the human subject. 

Zwei weitere ähnliche Fälle teilt Rag er mit. Bei einem 8jäh- 
rigen Knaben mit linksseitigem Schulterblatthochstand fand sich 


Fig. l. 



Hintere Ansicht. 


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Ueber den angeborenen Hochstand des Schulterblattes. 


13 


zwischen dem Schulterblatt und der Wirbelsäule eine scharf be¬ 
grenzte schmale Knochenspange, welche vom oberen Teil des medianen 

Fig. 2. 



Vordere Ansicht. 


Schulterblattrandes bis zur Gegend des Proc. spinosus und Vert. 
prom. ging und dort mit der Wirbelsäule in loser Verbindung 
stand. Bei einem zweiten 6jährigen Knaben mit linksseitigem Schulter¬ 
blatthochstand bestand eine ähnliche, 3 cm 
breite, 2 cm hohe Knochenleiste, welche 
sich vom medialen Rand des Schulter¬ 
blattes bis nahe an den Proc. spinosus 
des ersten Dorsalwirbels, mit diesem in 
lockerer Verbindung stehend, erstreckte. 

Eine weitere pathologische Erscheinung, 
die nebst dem angeborenen Schulterblatt¬ 
hochstande beobachtet wurde und die 
gleichfalls überzeugend auf Entwicklungs¬ 
störungen hindeutet, ist die Rhachischisis 
der Halswirbelsäule. In einem von Sick beobachteten Falle, wo 
die Halswirbelsäule lordotisch ausgebogen war, waren die Proc. 
spinosi der Halswirbel nicht abzutasten. Man fühlte nur undeut¬ 
liche Prominenzen rechts und links von der Mittellinie; in dieser 
selbst kam der Finger in eine schmale für die Kleinfingerkuppe 


Fig. 3. 



Obere Ansicht. 


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14 


Denis G. Zesas. 


nicht passierbare Rinne, welche sich bis etwa zum zweiten Brust¬ 
wirbel verfolgen ließ. Die Röntgenaufnahme zeigte entsprechend 
dieser Rinne eine eigentümliche, unregelmäßige, zickzackförmige 
Unterbrechung der Knochenschatten, vom zweiten Brustwirbel be¬ 
ginnend , bis sie sich in dem tiefen Kopfschatten verlor. Sie 
bestätigte die Vermutung, daß es sich nur um eine Spaltbildung 
im Bereiche der Lordose handelte. In tieferen Abschnitten der 
Wirbelsäule erwiesen sich die Spangen ungespalten. Die oberen 
Scapularänder sah man beiderseits die Thoraxkuppel überragen. Die 
Proc. coracoidei waren groß und tief dunkel. In einem zweiten, eben¬ 
falls von Sick mitgeteilten Falle zeigte das Röntgenbild eine am 
vierten Brustwirbel endigende unregelmäßige Aufhellung der Hals¬ 
wirbelschatten,- die wieder als Hemmungsbildung der Wirbelsäule zu 
deuten ist. Eigenartig war noch die starke Knickung und Abwärts¬ 
neigung der oberen Rippen, ihre Schmalheit oder Kantenstellung, 
wahrscheinlich hing diese Erscheinung auch mit der Wirbelmi߬ 
bildung zusammen. Von der Höhe des zweiten Lendenwirbels bis 
zum Sacrum fand sich reichlicher Haarwuchs von feinen blonden bis 
20 cm langen Haaren. Weiter beschreibt Rager in seinem 3. Falle, 
wo sich zwischen medialem Schulterblattrand und Wirbelsäule eine 
knöcherne Spange vorfand, einen auf dem Röntgenbild sichtbaren 
mangelhaften Verschluß der hinteren Wirbelbogen der beiden untersten 
Hals- und obersten Brustwirbel mit einer Verschiebung der linken 
Hälfte nach oben. 

All die erwähnten Beweisgründe sprechen mit Bestimmtheit 
zu Gunsten der Annahme, daß dem angeborenen Schulterblatthoch¬ 
stand Entwicklungshemmungen in der Anlage des Schul¬ 
tergürtels zu Grunde liegen und daß die damit einhergehenden 
Form Veränderungen der Scapula oder die Weiterentwicklung ver¬ 
sprengter Knochenanlagen den normalen Descensus scapulae verhindern 
können. Weiterhin ist nicht zu übersehen, daß ein gänzlicher oder 
partieller kongenitaler Mangel der am Schulterblatt sich inserierenden 
Muskulatur oder eine im Fötalleben sich einstellende Atrophie derselben 
nicht ohne Einfluß auf die Lagerung des Schulterblattes bleiben kann 
und besonders wichtig erscheinen in dieser Hinsicht die Mm. pectoralis 
minor und trapezius. Doch auch das Fehlen dieser Muskeln ist auf 
eine Entwicklungshemmung zurückzuführen, so daß im Ganzen ge¬ 
nommen der angeborene Schulterblatthochstand als eine Entwick¬ 
lungshemmung xat’ sio'/’^v angesehen werden muß. Auch die 


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Ueber den angeborenen Hochstand des Schulterblattes. 


15 


Tatsache, daß der angeborene Hochstand so häufig ohne anderweitige 
Mißbildungen auftritt, spricht nicht gegen diese Annahme, da ja ver¬ 
einzelte Bildungsanomalien bei sonst wohlgebauten Individuen nicht 
selten sind. Freilich wird es nicht immer leicht fallen, faßbare ätio¬ 
logische Momente für den fehlenden Descensus scapulae nachzuweisen, 
da trotz radiographischer Untersuchungen abgesprengte Knochen¬ 
stückchen sowie Form Veränderungen der Scapula zuweilen unbemerkt 
bleiben, gleich wie unsere klinischen Untersuchungsmethoden den 
Mangel einzelner Muskeln oder Muskelteile nicht immer festzustellen 
vermögen. 

Der angeborene Schulterblatthoch stand ist, soweit unsere Nach¬ 
forschungen reichen, bis anhier lOOmal beobachtet worden. Wir lassen 
in tabellarischer Form die diesbezüglichen Beobachtungen folgen *): 


i. 

2 ; 

6 

Autor 

Alter 

Ge- ‘ 
schlecht 

Affizierte 

Seite 

Bemerkungen 

^ ' 


des Patienten ' 



i 

Eulenburg 

10 Monate 

w. 

rechts 

Retraktion des Muse, leva- 

2 

Derselbe 

5 V 2 Jahre 

m. 

rechts 

tor anguli scap. und des 

3 

Derselbe 

9 Jahre 

w. 

links 

oberen Teiles des Muse, 
cucullaris. 

4 

Willet und 

W alsharn 

? 

9 

9 

— 

5 

Dieselben 

8 Jahre 

m. 

? 

Ein Zwischenknochen 
fixierte das Schulterblatt 
an der Wirbelsäule. 

6 1 

Mac Burney 

23 Jahre 

w. 

rechts 

— 

7 

Sands 

2 Jahre 

m. 

9 

Es wurden in diesem Falle 
verschiedene Tenotomien 
und eine partielle Resek¬ 
tion des Schulterblattes 

8 





vorgenommen. 

Sprengel 

1 Jahr 

9 

links 

Sprengel nimmt die be¬ 

9 

Derselbe 

4 Jahre 

9 

links 

reits besprochene ver¬ 

10 

Derselbe 

6 Jahre 

? 

links 

kehrte Stellung des Armes 

11 

Derselbe 

7 V« Jahre 

? j 

links 

bei geringer Fruchtwas- 
serraenge als ätiologi¬ 






sches Moment an. 

12 

Schlange 

14 Jahre 

w. 

rechts 

Verkürzung des Mu9C. cu- 

13 

j Derselbe 

30 Jahre 

in. 

i rechts 

cullarisenlsprechend dem 
Hochstande des Schulter¬ 






blattes. 


*) In dieser Statistik sind nur Fälle von zweifellos angeborenem Hoch¬ 
stand de3 Schulterblattes aufgenommen, Beobachtungen, deren kongenitaler 
Ursprung unsicher, oder solche, die der Spren ge Ischen Deformität nicht ent¬ 
sprechen, 6ind umgangen. 


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16 


Denis 6. Zesas. 


Ä 

© 

J 

Autor 

Alter 

des Pa 

Ge¬ 

schlecht 

tienten 

Affizierte 

Seite 

Bemerkungen 

14 

Permann 

? 

? 

links 


15 

Derselbe 

? 

? 

links 

— 

16 

Bolten 

3 V* Jahre 

m. 

links 

Bei der Operation erwies 
sich, daß der obere Schul¬ 
terblattrand, der fast die. 
Clavicula erreichte, die 
angenommene Exostose 
vorgetäuscht hatte. 

17 

Tillmanns 

8 Jahre 

w. 

rechts 

Verkürzung d. M.trapezius. 

18 

Beely 

l 1 /* Jahre 

m. 

links 

— 

19 

Derselbe 

4 Jahre 

m. 

rechts 

— 

20 

Derselbe 

3 Monate 

w. 

rechts 

— 

21 

König 

7 Jahre 

w. 

9 

— 

22 

Wiesinger 

2 Jahre 

in. 

rechts 

Wenig Fruchtwasser. 

23 

Krecke 

15 Jahre 

w. 

links 

— 

24 

Kölliker 

10 Jahre 

m. 

rechts 

— 

25 

Wolffheim 

16 Jahre 

w. 

rechts 

— 

26 

Kirmisson 

117* Jahre 

w. 

rechts 

' — 

27 

Derselbe 

4 Jahre 

w. 

rechts 

— 

28 

Pischinger 

10 Jahre 

m. 

links 

Cucullaris spannt sich stark 

29 

Derselbe 

3 Jahre 

w. 

links 

an. ValgU88tellung beider 
Füße. 

30 

Kölliker 

10 Jahre 

m. 

links 

— 

31 

Derselbe 

? 

? 

9 

— 

32 

Pitsch 

37* Jahre 

m. 

links 

Exostosenartig vorspringen¬ 
der Fortsatz des Schul¬ 
terblattes. 

33 

Milo 

? 

m. 

beider¬ 

seits 

— 

34 

Sainton 

9 Jahre 

m. 

rechts 

— 

35 

Monnier 

4 Jahre 

m. 

links 

— 

36 

Jouon 

? 

m. 

links 

— 

37 

Tilan us 

10 Jahre 

m. 

links 

In einem operativ behan¬ 

38 

Derselbe 

1 Jahr 

m. 

links 

delten Falle wurde eine 

39 

Derselbe 

9 

9 

links 

subskapuläre Exostose 

40 

Derselbe 

8 Jahre 

m. 

links 

! 

konstatiert; in zwei wei¬ 
teren Fällen glaubt Ti¬ 
lan u s ebenfalls eine 
Exostose annehmen zu 
dürfen. 

41 

Freiberg 

4 1 1 2 Jahre 

w. 

links 

— 

42 

Nove Josse* 
rand 

9 Jahre 

w. 

rechts 

— 

43 

Gourdon 

10 Jahre 

m. 

rechts 

— 

44 

Derselbe 

11 Jahre 

m. 

rechts 

— 

45 

Derselbe 

17 Jahre 

m. 

rechts 

— 

46 

Derselbe 

1 Jahr 

m. 

rechts 

— 

47 

Virden 

10 Jahre 

1 W. 1 

links 

— 

48 

W achter 

29 Jahre 

1 ra. 

links 

— 

49 

Derselbe 

24 Jahre 

m. 

rechts 

— 

50 

Sainton 

12 Jahre 

| m. 

links 

— 


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.füe. 


Ueber den angeborenen Hockstand de8 Schulterblattes. 


17 


i 

51 

52 

53 

•54 

55 

56 j 

57 

•58 1 

59 

60 
61 
62 ! 

63 | 

64 

65 

66 

67 

68 

69 

70 

71 

72 


J 

Autor | 

Alter 

Ge¬ 

schlecht 

Affizierte 

Seite 

Bemerkungen 


des Patienten 


Sainton 

28 Jahre 

w. 

rechts 


Joachimsthal 

10 Jahre 

m. 

rechts 

— 

Sick 

4 Jahre 

w. 

beider- 

Rhachischisis. 




seits 


Derselbe 

9 Jahre 

w. 

rechts 

— 

Kausch 

12 Jahre 

w. 

beider- 

Bei Palpation der Muskeln 

Derselbe 



seits 

ergab sich, daß links der 
M. trapezius völlig fehlte. 

8 Jahre 

w. 

beider- 

Palpation, mechanische u. 




seits 

faradisehe Erregbarkeit 
erwies, daß vom Cucul- 
laris nur die obersten 
Partien normal ent¬ 
wickelt waren. 

Derselbe 

3 Jahre 

m. 

links 

Völliges Fehlen der Rhom- 





boides und des unteren 
Teiles des Cucullaris. 

Derselbe 

28 Jahre 

m. 

links 

Die palpatorische Unter- 




l 

suchung des M. cucullaris 
ergab, daß derselbe rechts 
vollkommen normal war, 
links fehlte die untere 
Partie völlig. 

Derselbe 

7 Jahre 

? 

links 

: Hier fehlte für die Palpa- 

Honseil 




• tion wie für den faradi- 
schen Strom der unterste 
Teil des linken Trapezius. 

41 Jahre 

m. 

beider¬ 

— 




seits 


Göppert 

? 

! 9 

beider¬ 

— 


i 


seits 


Pankow 

6 Jahre 

m. 

beider¬ 

— 




seits 


Wittfeld 

9 Jahre 

w. 

beider¬ 

— 




seits 


Müller 

3 1 /2 Jahre 

w. 

beider¬ 

— 




seits 


Mohr 

22 Jahre 

w. 

beider¬ 

— 

Hirsch 



seits 


1 Jahr 

w. 

beider¬ 

_ 

Weiß und 

8 Monate 


seits 


IC Jahre 

m. 

rechts 

— 

Froelich 

Bulow- 

Hansen 

4 Jahre 

m. 

rechts 

— 

Maaß 

? 

9 

rechts 

— 

Derselbe 

? 

? 

rechts 

_ 

Derselbe 

? 

? 

rechts 

_ 

Broca 

? 

I w. 

rechts 

— 

. 1 I 1 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XV. Bd. 

2 


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18 


Denis 6. Zesas. 


Ä 

c> 

Autor 

Alter 

Ge¬ 

schlecht 

Affizierte 

Seite 

Bemerkungen 

2 


des Patienten 



73 

Cantru 

9 

! m. 

links 

Multiple anderweitige Miß- 




i 


bildungen. Angeborene 
Luxation beider Radius- 


I 


1 


köpfchen. Kongenitale 
Luxation d. linken Hüfte. 
Klumpfüße. 

74 

Wilson und 
■ Torrange 

7 Jahre 

w. 

links 

— 

75 

I Dieselben 

17 Jahre 

w. 

links 

Da9 Röntgenbild zeigte eine 


1 


1 


abnorme Knochenverbin¬ 
dung zwischen Hals¬ 
wirbelsäule und Schulter¬ 
blatt. 

76 

Watermann 

9 

m. 

links 

Abnorme Knochenverbin- 


! 




düng zwischen Hals¬ 
wirbelsäule und Schulter- 






blatt. 

77 

Rüssel -Hibbs 

25 Jahre 

m. 

9 

Abnorme Knochenverbin- 


i 




düng zwischen Hals¬ 
wirbelsäule und Schulter- 


i 




blatt. 

78 

Lamm 

5*/-« Jahre 

w. 

links 

Kombination mit musku- 


1 



| lärem Schief hals. 

79 

i Kayser 

19 Jahre 

m. 

links 

j Schultermuskeldefekte. Bei 


i 

1 


' der elektrischen Prüfung 
ließen sich auf der linken 



1 




Seite die dem M. sterno- 
| cleidomastoideus angehö- 
rigen Muskelfasern nicht 
erkennen. Linker Tra- 






| pezius trat bei indirekter 

1 Reizung weniger hervor 
als der rechte. 

80 

Lam eria 

6 Jahre 

w. 

rechts 

Lameris nimmt eine pri¬ 






märe Erkrankung des 
M. rhomboides als ätio¬ 



' 



logisches Moment an. 

81 

Höd lmoser 

12 Jahre 

m. 

links 

— 

82 

Mercie r 

3 Jahre 

m. 

links 

— 

83 

Schlesinger 

22 Jahre 

m. 

links 

Defekt des M. pectoralis. 

84 

Fort 

11 Jahre 

m. 

links 

— 

85 

R a g e r 

8 Jahre 

w. 

rechts 

— 

86 

Wilson und 

7 Jahre 

w. 

rechts 

— 


Rugli 





87 

Dieselben 

16 Jahre 

w. 

links 

— 

88 

Rager 

8 Jahre 

EU. 

links 

— 

89 

Derselbe 

5 Jahre 

m. 

links 

Siehe Text. 

90 

Ho ffa 

3 V* Jahre 

m. 

links 


91 

Goldthwaint 
und Painter 

11 Jahre 1 

1 

m. 

rechts 


92 

Dieselben 1 

i 

12 Jahre 

m. 

links 

— 


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Ueber den angeborenen Hochstand des Schulterblattes. 


19 


* 1 

Autor 

i 

j Alter 

Ge¬ 

schlecht 

Affizierte 1 
Seite 

Bemerkungen 

tZ 


des Patienten 



93 | 

Tridon 

12 Jahre 

1 

m. 

links 

_ 

94 : 

Dersel be 

28 Jahre 

w. 

rechts 

— 

95 ! 

Derselbe 

26 Monate! 

w. 

links 

— 

96 1 

Piscninger 

16 Jahre 

w. 

rechts 

j — 

97 

Kirmisson 

6 Monate 

m. 

links 


98 

Derselbe 

23 Monate 

m. 

links 

— 

99 ’ 

Hutchinson 

9 | 

m. 

links 

— 

1 

jun. 


j 




Als der hundertste Fall sei hier kurz zusammengefaßt jener wieder¬ 
gegeben, den wir an der Hoffaschen Klinik zu Gesichte bekamen 
und der leider, da die Adresse des betreffenden Patienten unrichtig 
vermerkt worden, behufs nachträglicher eingehender Untersuchung 
nicht mehr auffindig gemacht werden konnte: 

Der 5jährige R. D., von gesunden Eltern stammend, wurde in 
Kopflage und ohne Kunsthilfe geboren. Er hat noch zwei Geschwister, 
die gesund sind und keine Abnormitäten aufweisen. Hereditäre Mi߬ 
bildungsanlage wird des bestimmtesten in Abrede gestellt. Ueber 
Fruchtwasserverhältnisse kann keine Auskunft erlangt werden. Schon 
im Laufe der ersten Lebensmonate bemerkte die Mutter beim Baden 
des kleinen Patienten, daß dessen rechtes Schulterblatt höher stand, 
und daß er den rechten Arm nicht so frei bewegte wie den linken, 
was sie als „ Schwäche“ deutete und dafür keinen ärztlichen Rat 
einholte. Auch zur Konsultation in der Universitätspoliklinik für 
orthopädische Chirurgie stellte sie sich nicht des Armzustandes ihres 
Kindes, sondern seiner Beine wegen, die seit einem Jahre krummer 
zu werden begannen und seither sich bedeutend verschlimmert hatten, 
ein. Bei der Untersuchung sah das Kind gesund aus. Die Extremi¬ 
täten etwas zart, die beiden Tibiae O-förmig gekrümmt, auch die 
Oberschenkelknochen leicht gebogen. Am Thorax rhachitische Merk¬ 
male, Muskulatur mäßig entwickelt, Fettpolster gering. Beide Arme 
hängen parallel am Thorax herunter, der rechte Arm ist jedoch leicht 
nach außen rotiert. Von hinten gesehen, fällt sofort die Abnormität 
der rechten Scapula auf. Das rechte Schulterblatt steht ca. um 5 cm 
höher als das linke und scheint bei der Palpation, die bei den dünnen 
Weichteilen gut möglich ist, breiter und niedriger zu sein als das 


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20 


Denis G. Zesas. 


linke. Die Palpation der Scapularänder läßt keine wesentliche Ab¬ 
weichung von der Norm erkennen, auch die Muskulatur bietet, soweit 
es die Untersuchung gestattet, keine Abnormitäten. Neben dem 
Schulterblatthochstand ist eine linkskonvexe Skoliose der oberen Brust¬ 
wirbelsäule auffällig. Die Bewegungsfähigkeit des linken Schulter¬ 
gürtels ist normal, die des rechten nur mäßig behindert. Das Hoch¬ 
ziehen der Schultern geschieht fast gleichmäßig, nur ist ein Erheben 
des Armes der kranken Seite in der Frontal- wie in der Sagittal- 
ebene über 110° weder aktiv noch passiv möglich. Bei dem Versuch, 
den Arm passiv noch mehr zu heben, spannt sich die Muskulatur 
sehr stark an. Die Bewegungen im Schultergelenk sind frei. 

Soweit die Krankengeschichte dieses Falles, welcher leider zur 
radiographischen, sowie elektrischen Untersuchung der einzelnen Muskeln 
nicht mehr auffindig gemacht werden konnte; insofern aber Interesse 
bietet, als nach Angabe der Mutter das Kind sehr spät gehen gelernt 
hat, und die krummen Beinchen sich frühzeitig bemerkbar machten, 
schon als dasselbe zu stehen begann. Ob in diesem Falle die Rha- 
chitis in ätiologischer Beziehung mit dem Schulterblatthochstande 
steht, und ob es sich hier um jene seltene, vielumstrittene Form der 
fötalen Rhachitis handelt, welche gewisse Formveränderungen der 
Scapula erzeugte, die den normalen Descensus verhinderten, ist schwer 
zu entscheiden. Jedenfalls aber gehört diese Beobachtung nicht zu 
dem erworbenen Schulterblatthochstand, über den K öl liker und 
Groß berichtet haben. Der Hochstand der Scapula wurde von der 
Mutter schon im Laufe der ersten Lebensmonate bemerkt, 
anderweitige nahmhafte rhachitische Symptome haben sich erst nach¬ 
träglich eingestellt. Wenn ein Zusammenhang des Schulterblatt¬ 
hochstandes und der Rhachitis bestünde, so könnte nur jene seltene 
Form der fötalen Rhachitis in Frage kommen. 

Ueberblicken wir nur die weiter oben angeführte Kasuistik, 
so ergibt sich, daß der angeborene Hochstand des Schulterblattes 
48mal bei Männern und 34mal bei Frauen zur Beobachtung gelangte. 
Bei den übrigen Fällen ist das Geschlecht nicht genauer angegeben, 
indem häufig die Bezeichnung „Kind“ gebraucht wird. In 47 Fällen 
war die linke und in 3(5 Fällen die rechte Seite betroffen. In 
11 Beobachtungen begegnen wir der Affektion doppelseitig. Die 
Mißbildung scheint also die linke Körperseite zu bevorzugen. Das 
Alter der Patienten schwankt zwischen 3 Monaten und 41 Jahren 
und zwar entfallen: 


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Ueber den angeborenen Hochstand des Schulterblattes. 


21 


auf das 1.—10. Lebensjahr 56 Fälle 

, , 10—20. , 18 jy 

„ „ 20.-30. , 10 , 

, • 30.-40. , — , 

, , 40.-50. „ 1 . 

Das Maß der Verschiebung schwankt bei Kindern zwischen 2 und 
6 cm, bei Erwachsenen zwischen 3 und 12 und hält sich im Durch¬ 
schnitt bei letzteren auf 6,5 cm. Diese Zahlen würden für eine 
Steigerung des Grades der Deformität mit den Jahren sprechen, was 
prognostisch zu berücksichtigen wäre, leider belehrt uns die vor¬ 
handene Kasuistik nicht, wie sich mit den veränderten Größenver- 
hältnissen die funktionellen Störungen verhalten haben. Nur in 
1 Falle Kirmissons ist bei wiederholter Beobachtung ein Sta¬ 
tionärbleiben des ganzen Symptomenkomplexes konstatiert worden. 
Die beobachteten Funktionsstörungen sind im allgemeinen unbe¬ 
deutender Natur, die hochgradigsten derartigen Symptome bestehen 
in der Unmöglichkeit, den Arm über die Horizontale zu heben oder 
denselben horizontal seitwärts zu bewegen. Auch die Supination 
des Armes wird bisweilen beeinträchtigt gefunden. Eine ziemlich 
gewöhnliche Nebenerscheinung des Schulterblatthochstandes ist die 
skoliotische Verkrümmung der Wirbelsäule. Sie ist vielfach be¬ 
sprochen und erklärt worden; interessant sind die Fälle von Schulter¬ 
blatthochstand, die mit angeborener Skoliose zur Beobachtung ge¬ 
langten (Willett und Wal sh am). 

Eine Behandlung des angeborenen Schulterblatthochstandes 
wird selten in Frage kommen, da dieser Mißbildung im allgemeinen 
nur die Bedeutung eines Schönheitsfehlers zukommt. Die operativ 
erzielten Resultate ermutigen im ganzen genommen auch zu keinem 
chirurgischen Eingriff. Gymnastische Uebungen werden die Gebrauchs¬ 
fähigkeit des Armes auf ungefährliche und sichere Weise steigern, 
nur in refraktären Fällen wird man zur Hof faschen Operation, über 
deren Erfolg Pitsch eingehend berichtet, schreiten. 


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22 


Denis G. Zesas, 


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63. Wilson and Rugli, Annals of surgery, April 1900. — 64. Wolfheim, Zeit¬ 
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f. pathol. Anatomie 1888. — 68. Albert, Medizinische Jahrbücher 1887. — 


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lieber den angeborenen Hochstand des Schulterblattes. 


23 


69. Cautru, Revue d’orthopedie 1892. — 70. Chievitz, A research on the 
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Zeitschr. f. orth. Chir. Bd. 12. — 74. Haroutioun, These de Nancy 1904.— 
75. Broca, Le 9 ons cliniques de Chirurgie enfantine 1902. — 76. Li von, These 
de Paris 1879. — 77. König, Verhandlungen der Deutschen Gesellschaft für 
Chirurgie. Berlin 1893. — 78. Mollier, Ueber die Statik und Mechanik des 
menschlichen Schultergürtels unter normalen und pathologischen Verhältnissen. 
Jena 1899. — 79. Stange, Deutsche med. Wochenschr. 1896. — 80. Gegen¬ 
bauer, Vergleichende Anatomie der Wirbeltiere. — 81. Erb, Neurologisches 
Zentralbl. 1889. — 82. Damsch, Verhandlungen des 10. Kongresses für innere 
Medizin. — 83. Karewski, Die chirurgischen Krankheiten des Kindesalters. — 

84. Henle, Handbuch der Muskellehre des Menschen 1882. 2. Auflage. — 

85. Manasse, Berliner klin. Wochenschr. 1903, Nr. 51. — 86. Benda, Zur 
Aetiologie des Schulterblatthochstandes. Münchener med. Wochenschr. 1903, 
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shoulder etc. New York med. Journal 1901. — 90. Perm au, Nordiskt med. 
Arkiv 1892. — 91. Weigel, Congenital dislocation of the shoulder, zitiert von 
Hoffa und Blencke. — 92. Hoffa und Blencke, Die orthopädische Lite¬ 
ratur 1903, S. 291—294. — 93. Winkel, Münchener med. Wochenschr. 1896. 
— 94. Wittfeld, Ueber den angeborenen Hochstand der Scapula. Dissert. 
Bonn 1901. 


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II. 


(Aus der chirurgisch-orthopädischen Klinik des Geh. Medizinalrats 

Prof. Dr. Hoffa.) 

Angeborene Thoraxdefekte. 

Von 

Dr. Adolf Silberstein, 

Assistent der Klinik. 

Mit 3 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Angeborene Mißbildungen des Thorax sind nicht allzu häufig. 
Die Literatur ist dementsprechend recht spärlich. Zwei Thorax¬ 
deformitäten, die interessante Einzelheiten aufweisen, gelangten kurz 
hintereinander nach dem Gesetz von der Duplizität der Fälle in der 
Klinik meines hochverehrten Chefs des Herrn Geheimrats Professor 
Dr. Hoffa zur Beobachtung. 

Wir unterscheiden kongenitale Mißbildungen des Brustbeins, 
der Brustmuskeln und der Kippen. Für unsere Betrachtungen 
scheiden die Sternaldefekte aus. Brustmuskeldefekte und Rippen¬ 
defekte kommen getrennt und vereint vor. Das Fehlen des M. pecto- 
ralis major, minor und des M. serratus anticus major ohne weitere 
Anomalien ist mehrfach beschrieben worden (Cru veil hier, Nuhn, 
Gruber, Hirtel, Ziemssen, Eulenburg, Berger, Epstein u. a. 
mehr). Defekte der Brustmuskulatur und der Rippen vereint finden 
sich in der Literatur zum ersten Male in einem Bericht Frorieps 
in den „Neuen Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde“ 
vom Jahre 1839. 

Froriep, in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts Pro¬ 
sektor an der Charite, Virchows Lehrer und Vorgänger, beschreibt 
den Sektionsbefund einer 30jährigen Frau, die einer Peritonitis nach 
der Entbindung erlag. Ihm fiel der Mangel der rechten Brustdrüse 
auf, die genauere Untersuchung ergab dann den Befund, den er wie 
folgt beschreibt: 


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Angeborene Thoraxdefekte. 


25 


„Die dritte und vierte Rippe endigt gerade vor dem vorderen 
Rande des Schulterblattes, so daß die vordere Brustfläche von da bis 
zum Brustbein zwischen der zweiten und fünften Rippe nur durch 
eine feste sehnige Haut geschlossen wird. Die zweite und fünfte 
Rippe ist normal gebildet, doch steht die zweite höher und die fünfte 
tiefer als die der linken Seite. Die Rippenknorpel der dritten und 
vierten Rippe der rechten Seite scheinen nicht ganz zu fehlen, denn 
es setzen sich in der Höhe der dritten und vierten Rippe knorplige 
Massen an den rechten Brustbeinrand, welcher zwar mit dem Rippen¬ 
knorpel der fünften und sechsten Rippe zu einer Knorpelplatte ver¬ 
einigt ist, doch aber auf der Oberfläche einige gebogene Furchen 
zeigt, so daß es nicht schwer wird, drei nebeneinander liegende 
Knorpelstreifen zu der fünften Rippe hin zu verfolgen.“ 

Außerdem fehlte vom Pectoralis major die Sternalportion, der 
Pectoralis minor, ferner die beiden Zacken des Serratus anticus, die 
von der dritten und vierten Rippe entspringen, auch fehlten dem 
Rippendefekt entsprechend die Interkostalmuskeln. 

Nach ihm hat Frickhöffer in Virchows Archiv im Jahre 
1856 einen ähnlichen Fall veröffentlicht. Es handelt sich um einen 
Rippendefekt bei einem 14jährigen Knaben mit ausgeprägter links¬ 
konvexer Lumbodorsalskoliose. Nur die erste linke Rippe steht mit 
dem Brustbein in Verbindung, die übrigen Rippen enden 3 resp. 
1 1 s Zoll weit entfernt vom Brustbein. Die gesamte linksseitige 
Brustmuskulatur fehlt, so daß die Brustorgane „nur von der Haut 
überdeckt sind“. Er knüpft an den Befund lediglich Betrachtungen 
über die Herzbewegungen und schließt mit rührender Selbstbeschei¬ 
dung, die wir heutzutage in medizinischen Publikationen vergebens 
suchen würden: „Dies sind übersichtlich die Beobachtungen, die mir 
ein so seltener Fall von Mißbildung lieferte. Ich übergebe sie der 
Oeffentlichkeit mit der Ueberzeugung, daß ein umsichtigerer und 
geübterer Beobachter ihre Zahl und ihren Wert um vieles hätte er¬ 
höben können.“ 

Eine weitere Beobachtung verdanken wir Volkmann, der bei 
einer 30jährigen Frau einen angeborenen Mangel des M. pectoralis 
major und einen Defekt der dritten und vierten Rippe an der Knorpel¬ 
knochengrenze sah. Die entsprechenden M. intercostales waren merk¬ 
würdigerweise vorhanden. 

Ferner eine Beobachtung von Schlözer: ein 5jähriges Mädchen 
mit Defekt der vierten Rippe. 


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26 


Adolf Silberstein. 


Der Fall, den Ritter beschreibt, verdient besonderes Interesse. 
Es handelt sich um einen Thoraxdefekt bei einem 10 Tage alten 
Neugeborenen, bei dem sich eine Monodaktylie der linken oberen 
Extremität findet. Der ganze linke Arm läuft in einen Einzelfinger 
aus. Was die Thoraxdeformität betrifft, so fehlen die Knorpel der 
vierten, fünften und sechsten Rippe. Dadurch entsteht eine Lücke 
in der linken vorderen Thoraxwand, die sich bei der Inspiration ver¬ 
tieft, bei der Exspiration abflacht und die Bewegungen des Herzens, 
das unmittelbar unter der Hautdecke liegt, deutlich erkennen läßt. 
Ritter macht darauf aufmerksam, daß die linke obere Extremität 
zur Zeit der ersten Beobachtung 10 Tage nach der Geburt genau in 
die Lücke hineinpaßte, während später die Lücke für die wachsende 
Extremität zu klein wurde. Den klinischen Befund konnte Ep- 
pinger 4 Monate später durch die Sektion erhärten. 

Seitz hat dann im Jahre 1884 eine genaue Beobachtung eines 
einschlägigen Falles mitgeteilt. 

Es handelt sich um einen 28jährigen Bauernknecht mit an¬ 
geborenem Defekt von Knochen- und Muskelpartien der linken 
Thoraxhälfte. Es besteht eine linkskonvexe Skoliose. Die rechte 
vordere Thoraxhälfte ist normal entwickelt, die linke pfannenartig 
vertieft. Es fehlt die linke Mammilla. Die erste linke Rippe ist 
intakt, die zweite endet in daumenbreiter Entfernung vom Sternum 
mit einer Verdickung, die dritte 6,5 cm vom Sternum entfernt in der 
Parasternallinie, die vierte und fünfte Rippe endet 4 cm vom Sternum 
entfernt. Die zweite und dritte sowie die vierte und fünfte Rippe 
sind an ihren dem Sternum zugewandten Enden verschmolzen. Vom 
M. pectoralis major sinistr. besteht nur die Portio clavicularis. Der 
Pectoralis minor, die M. intercostales sinistr. fehlen. Der Latissi- 
mus und Serratus anticus major ist schwach entwickelt. Der Spitzen¬ 
stoß fehlt an normaler Stelle und findet sich dagegen unter dem 
Proc. xiphoid. Das Herz liegt unter dem Sternum (Medianlage). 
Es besteht eine linksseitige Lungenhernie; sonst normaler Befund. 

In der Reihe der Beobachter folgt Häckel mit einer Arbeit 
aus der Jenaer chirurgischen Klinik (1888). 

Es handelt sich um ein 14jähriges Mädchen mit folgendem 
Befund. Die linke Schulter steht höher als die rechte. Die linke 
vordere Brustgegend ist erheblich abgeflacht im Vergleich zur nor¬ 
malen Wölbung der rechten Seite. Es fehlt der Pectoralis major sinistr., 
Pector. minor und Serratus anticus major völlig, der Deltoideus da- 


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Angeborene Thoraxdefekte. 


27 


gegen ist sehr stark entwickelt. Geringe linkskonvexe Dorsalskoliose. 
Die dritte und vierte linke Rippe liegt tiefer im Niveau als die 
übrigen, sie erreichen nicht das Sternum, sondern enden „dicht nach 
außen von der Mammillarlinie in Gestalt einer federnden Platte“. 
Lungenhernie. Linke Brustwarze steht höher und ist verkümmert. 
Mamma gering entwickelt, sonst normaler Befund. 

Rieder hat dann im Jahre 1894 3 Fälle von angeborenem 
Knochen- und Muskeldefekt am Thorax beschrieben. In dem Falle I 
fehlt die Portio clavicularis des linken Pectoralis major zum Teil, 
die Portio sterno-costal. gänzlich. Nicht vorhanden ist ferner der 
linke Pectoralis minor. Es fehlt das knorplige Ansatzstück der 
dritten Rippe. Interkostalmuskeldefekt. Infolge dessen kam es 
zur Ausbildung einer linksseitigen Lungenhernie. Die linke Brust¬ 
warze ist verkümmert, das Herz befindet sich in Medianlage. Im 
übrigen ergibt der Befund keine Abweichung von der Norm. In 
dem Falle II fehlt gleichfalls die Portio clavicularis des M. pec¬ 
toralis major zum Teil, die sternokostale Portion, sowie der Pec¬ 
toralis minor vollständig. Auch der Serratus anticus major ist 
nicht vorhanden. Es besteht eine typische Trichterbrust, die vierte 
Rippe ist defekt. Sie endet mit einem scharfen Vorsprung in der 
vorderen Axillarlinie. Die fünfte Rippe ist gleichfalls unvollkommen, 
sie findet ihren Abschluß in der Parasternallinie in Form eines 
scharfkantigen Vorsprungs. Auch hier ist es zur Bildung einer 
Lungenhernie im Bereich der entsprechend fehlenden Interkostal¬ 
muskeln gekommen. Die linke Brustdrüse ist in der Entwicklung 
zurückgeblieben. Das Herz befindet sich in Medianlage. Keine 
weitere Mißbildung. In dem Falle III fehlt ein Teil der sterno- 
kostalen Portion des rechten Pectoralis major, sowie der rechte Ser¬ 
ratus anticus major. Die vierte rechte Rippe ist teilweise defekt, 
sie ist unterhalb der Mammilla in ihrem Verlauf unterbrochen und 
läßt sich dann in Form einer Knochenspange bis zur Axillarlinie 
verfolgen. 

An die Beschreibung dieser Fälle reiht sich im Jahre 1890 
Freunds interessante Mitteilung eines Falles von Aplasie dreier 
Rippen bei einem 8 Wochen alten Kinde (Breslauer Universitäts¬ 
kinderklinik). Es fehlten die vierte, fünfte, sechste rechte Rippe 
vollständig. Dem Defekt entsprechend bestand eine tiefe Rinne vom 
Brustbein bis zur Wirbelsäule, die sich bei den In- und Exspirations¬ 
bewegungen des Thorax einbuchtete bezw. abflachte. Aehnliche 


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28 


Adolf Silberstein. 


äußerst seltene Fälle haben nach Freund nur noch Thomson und 
Lallemand beschrieben. 

Wenn ich diesen Berichten die Krankengeschichten eigener 
Beobachtungen aus der Klinik des Herrn Geheimrats Prof. Dr. Hoffa 
hinzufügen darf, so handelt es sich im Falle I um einen 9jährigen 
Schüler, Hermann E., bei dem unmittelbar nach der Geburt die zu 
beschreibende Mißbildung bemerkt wurde. Mißbildungen sollen weder 
in der Familie des Vaters noch in der der Mutter, soweit bekannt, 
vorgekoramen sein. H. wurde im Alter von 3 Wochen wegen einer 
angeborenen Syndaktylie sämtlicher Finger der linken Hand operiert. 
Da jedoch die Verwachsungen nicht beseitigt waren, wurde derselbe 
Eingriff nach einem Jahre wiederholt, wiederum ohne Erfolg. Ein 
gleich unbrauchbares Resultat erzielte die ira sechsten Lebensjahre 
vorgenommene Operation, er wird daher in die Klinik aufge¬ 
nommen. 

Status: Kräftig gebauter Knabe von gesunder Gesichtsfarbe, 
Muskulatur und Fettpolster gut entwickelt, insbesondere ergibt die 
Untersuchung das Vorhandensein sämtlicher äußerer Brustmuskeln 
(Pectoralis major, minor, Serratus anticus major). Keine Oedeme, keine 
Exantheme, keine Drüsenschwellungen. Lungenschall überall laut und 
voll. Atmungsgeräusche normal. Herzgrenzen: obere Grenze: oberer 
Rand des rechten vierten Rippenknorpels. Aeußere Grenze: einen 
Querfinger breit innerhalb der rechten Mammillarlinie. Innere 
Grenze: linker Sternalrand. Spitzenstoß: in der Gegend des Pro¬ 
cessus xiphoid. Töne rein. 

Bau des Thorax: linke vordere Brusthälfte muldenförmig ein¬ 
gezogen, die Vertiefung beginnt in Höhe der zweiten linken Rippe, 
sie hat etwa die Größe eines Handtellers. Die linke Brustwarze fehlt, 
an ihrer Stelle findet sich ein stecknadelkopfgroßer Fleck, der leicht 
pigmentiert ist. Bei den Atembewegungen bleibt die linke Brust¬ 
hälfte hinter der rechten in mäßigem Grade zurück, sie buchtet sich 
ein bei der Inspiration und wölbt sich hervor bei der Exspiration. 
Die Palpation ergibt das Fehlen der vorderen Bögen der dritten und 
vierten Rippe. 

Die linke Hand ist in der Entwicklung zurückgeblieben, sie ist 
nur halb so groß wie die rechte. Der Daumen zeigt normale Bildung 
und normale Funktion. Mittel- und Endphalange des Zeigefingers 
sind in Beugestellung und ulnarer Deviation verwachsen. Die gleichen 
Veränderungen weist der Mittelfinger auf, und zwar in stärkerem 


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Angeborene Thoraxdefekte. 


29 


Grade; beim vierten Finger ist die Abweichung eine radiale, die Haut 
ist narbig verändert, ebensolche Erscheinungen zeigt der kleine 
Finger. 

Das Röntgenbild des Thorax läßt erkennen: Dextrokardie, Fehlen 
der vorderen Bögen der dritten und vierten linken Rippe, die hinteren 
Rippenbögen enden in der vorderen Axillarlinie (Fig. 1). 


Fig. 1. 



Das Röntgenbild der linken Hand zeigt knöcherne Ankylose 
zwischen den Mittel- und Endphalangen. Die Endphalangen zeigen 
den narbigen Fingerstümpfen entsprechende Verbiegungen und Ver¬ 
krümmungen (Fig. 2). 


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30 


Adolf Silberstein. 


Fig. 2. 



Im Falle II handelt es sich um ein 5 Monate altes Mädchen, 
Ursula 0. 

Anamnese: Das Kind stammt angeblich aus gesunder Familie, 
insbesondere soll nach den Angaben der Mutter eine Mißbildung in 
der Familie bisher nicht vorgekommen sein. Es ist das zweite Kind, 
es soll nach normaler Schwangerschaft ohne Kunsthilfe in zweiter 
Schädellüge zur Welt, gekommen sein. Aerztlicherseits wurde un¬ 
mittelbar nach der Geburt die zu beschreibende Mißbildung fest¬ 
gestellt. Status praesens: Schwächliches Kind mit äußerst gering 
entwickelter Muskulatur und schlecht entwickeltem Fettpolster. Blasse 
Farbe der Haut, keine Oedeme, keine Drüsenschwellungen. Länge 
53cm, Kopfumfang 39 cm, Gewicht 3840 g. Es besteht links¬ 
seitiges Caput obstipum, der linke Sternocleidomastoideus ist ver¬ 
kürzt und als harter Strang deutlich zu fühlen. Hochstand der 
rechten Schulter. Während die rechte vordere Brustwand normale 
Wölbung zeigt, findet sich an der Stelle der linken vorderen Brust¬ 
wand eine muldenförmige Rinne, deren Hauptrichtung von der Achsel¬ 
höhle zum Processus ensiformis verläuft. In diese Vertiefung kann 
man die Knöchel von vier Fingern legen. Während die rechte Brust¬ 
warze normal entwickelt ist, ist an Stelle der linken ein schwach 
pigmentierter Fleck; eine linksseitige Brustdrüse ist nicht vorhanden. 
Die Vertiefung flacht sich bei der Exspiration ab und wird durch 
die Inspiration verstärkt. Die Palpation ergibt folgenden Befund: 
während die Clavicula, die Rippen der rechten Seite und das Sternum 


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Angeborene Thoraxdefekte. 


31 


normal entwickelt sind, enden die vorhandenen linken Rippen in ver¬ 
schiedener Entfernung vom Brustbein. Es bilden die knopfartig 
endenden Rippen einen in der Axillarlinie nach aufwärts reichenden 



Kamm, der in einem nach außen konvexen horizontalen Bogen einen 
Querfinger breit unter der Achselhöhle nach hinten sich erstreckt 
und Aehnlickkeit hat mit einem Hessingschen Hüftbügel. Sechs 
solcher knopfartig hervorragenden Enden sind abzutasten. Sie 
sind untereinander verbunden, während eine Rippe ihrem Ursprung 
der neunten rechten Rippe entsprechend frei nach vorn endet. Den 


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32 


Adolf Silberstein. 


hinteren Rippen der linken Seite fehlt die konvexe Biegung. Es 
kommt dadurch eine Abflachung zu stände, in die man die Knöchel 
einer Hand hineinlegen kann. Brustmuskulatur normal entwickelt. 
Es fehlen naturgemäß im Bereiche der linken vorderen Brustwand 
die Interkostalmuskeln. Es besteht eine rechtskonvexe kongenitale 
Lumbodorsalskoliose. Der Lungenschall ist überall gleich laut und 
voll, das Atmungsgeräusch vesikulär. Herzgrenzen: obere Grenze: 
am unteren Rande der vierten rechten Rippe. Innere Grenze: rechter 
Sternalrand. Aeußere Grenze: vom vierten Rippenknorpel abwärts. 
Spitzenstoß in der Gegend des Processus xiphoideus. Linker Daumen 
ist nur mit einem dünnen Hautstiel am Metakarpus befestigt. Uebriger 
Befund normal. 

Das Röntgenogramm ergibt den der palpatorischen Feststel¬ 
lung entsprechenden Befund. 

Abweichend von den bisher beschriebenen Fällen ist in beiden 
Beobachtungen die Lage des Herzens: das Herz befindet sich in der 
rechten Brusthälfte. Die Brustmuskulatur ist in beiden Fällen bis 
auf die Interkostalmuskeln im Feblbereicli der Rippen intakt. Wäh¬ 
rend der Rippendefekt des 11jährigen Knaben dem Befund der 
übrigen Fälle entspricht, ist die Defektbildung des 5 Monate alten 
Mädchens durchaus verschieden von den bisherigen Beobachtungen: 
es fehlen die sämtlichen Rippenknorpel der linken Seite, es sind 
überhaupt im ganzen nur sieben rudimentäre Rippen vorhanden, und 
diesen sieben fehlen die vorderen Bögen, während die vorhandenen 
hinteren Bögen statt der normalen dorsokonvexen Krümmung ventro- 
konvex gekrümmt sind. 

Zum Verständnis dieser Defektbildungen ist es erforderlich, 
einen Blick auf die normale Entwicklung der Rippen und des Brust¬ 
beins zu werfen. Im zweiten Fötalmonat beginnt die Entwicklung 
der Rippen, indem die zwischen den Muskelsegmenten gelegenen 
Zwischenmuskelbänder streifenweise verknorpeln. So entstehen zu¬ 
nächst kleine Spangen, die sich ventralwärts weiter entwickeln. 
Während nun anfangs diese Spangen von allen Wirbelkörpern aus¬ 
gehen (mit Ausnahme der Sakral wirbelkörper ), kommen beim Menschen 
lediglich diejenigen Rippenanlagen zur vollen Entwicklung, die von 
den Brustwirbeln ihren Ausgang nehmen. (Bei Fischen, Reptilien, 
zum Teil auch bei Amphibien entwickeln sich die Rippenanlagen 
sämtlicher Wirbelkörper.) Die übrigen Rippenspangen bleiben rudi¬ 
mentär bezw. erfahren eine entsprechende Umwandlung. Die Brust- 


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Angeborene Thoraxdefekte. 


33 


rippen dagegen vereinigen sich ventralwärts zur Bildung des Brust¬ 
beins. Es besteht also die Tendenz der Rückbildung bezw. der Ver¬ 
kümmerung ursprünglicher Rippenanlagen überhaupt, soweit sie nicht 
dem Bereich der Brustwirbel angehören. Aber auch hier besteht eine 
ungleiche Entwicklungstendenz, insofern sich nur die ersten fünf 
Rippen vollkommen ventral vereinigen, während die übrigen Rippen 
eine nach abwärts allmählich geringere Entwicklung zeigen, die in den 
Costae fluctuantes das Mindestmaß der Ausbildung erkennen lassen. 
Bleibt dieser Zusammenschluß der fünf ersten ventralen Rippenenden 
aus, so kommt es zur Bildung der Fissura stemi congenita, oder 
aber es resultieren kleinere oder größere Lücken im Sternum. 

Bei der Regelmäßigkeit, mit der sich die Symptome der be¬ 
schriebenen Mißbildung in allen beobachteten Fällen wiederholen, 
liegt es nahe, an eine einheitliche Ursache zu denken, und zwar 
könnte man nach Analogie der Brustbeinfissuren annehmen, daß es 
sich in allen Fällen lediglich um Hemmungsbildungen des Keimes 
handle. Es ließe sich dafür anführen, daß wir in mehreren Be¬ 
obachtungen die Enden der Rippen zu Knorpelplatten verschmolzen 
finden. Wenn nun aber gelegentlich ovale Lücken im Brustbein be¬ 
obachtet werden, so liegt der Gedanke nahe, daß gewissermaßen als 
nächst höherer Grad der Defektbildung die Verbindung zweier Lücken 
fehle, und so fände dann die Bildung der Knorpelplatte ihre natür¬ 
liche Erklärung. Das entspricht der Auffassung H äckels, der ferner als 
wiederkehrendes Symptom auf die Defektbildung zwischen zweiter und 
fünfter Rippe hinweist, d. h. der Rippen, die die Bildung des Brust¬ 
beins besorgen. Das mag für eine Reihe von Fällen zutreffen, für 
alle Beobachtungen sicherlich nicht. Ich glaube mit Froriep und 
Seitz für meine Fälle eine andere Erklärungsweise annehmen zu 
müssen, und zwar Entwicklungshemmung durch andauernd abnormen 
Druck. Seitz nimmt an, daß der Arm der betreffenden Seite über 
die Brust gelagert durch einen Tumor beispielsweise an die Brust 
gedrückt, die normale Entwicklung der betroffenen Thoraxwand ver¬ 
hindern könne, bezw. daß eine Geschwulst in der Gebärmutter direkt 
den Druck auf die defekte Brustwand ausübt, eine Auffassung, die 
bereits Froriep vertrat. Ich glaube, daß die Annahme eines Uterus¬ 
tumors nicht unbedingt erforderlich sei, Mangel des Fruchtwassers 
genügt zur Erklärung. Der Fötus, dessen Arm zwischen Brustwand 
und Uteruswand bei mangelndem Fruchtwasser fest eingekeilt liegt, 
zeigt die Entwicklungshemmung in den beiden gedrückten Körper- 

Zeitschrift f&r orthopädische Chirurgie. XV. Bd. 3 


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84 


Adolf Silberstein. 


regionen, der Brustwand und der betreffenden Extremität. Die Mi߬ 
bildung der entsprechenden Extremität kann kein Zufall sein, wie 
der Ritt er sehe Fall einleuchtend beweist, um nur einen Fall be¬ 
sonders hervorzuheben. Es muß natürlich nicht in jedem Fall zur 
Mißbildung der Extremität kommen, wie ja auch nicht jede Ex¬ 
tremitätenmißbildung mit einem Thoraxdefekt vergesellschaftet ist, 
wiewohl für eine Reihe von Extremitätenverbildungen die »Druck¬ 
theorie“ (Einklemmung zwischen Rumpf und Uterus wand) ätiologisch 
in Frage kommen dürfte. Genau so, wie wir annehmen, daß der 
Druck der Uterus wand bei mangelhaftem Fruchtwasser zur Klump¬ 
fußbildung, zur Bildung des Caput obstipum führt, genau so dürfen 
wir für eine Reihe von Fällen, und dazu gehören auch die unsrigen, 
den Druck der Uteruswand, der bei geringem Fruchtwasser eine 
Einkeilung der betreffenden oberen Extremität zuließ, für die Ent¬ 
stehung genannter Mißbildung verantwortlich machen. 

Nun finden wir noch weitere Mißbildungen in dem Falle II: 
die angeborene Skoliose, den angeborenen Schiefhals. Angeborene 
Skoliosen sind nach Hoffa äußerst seltene Deformitäten und sind, 
soweit sie nicht auf eine anormale Ausbildung, Vermehrung, Mangel 
oder Verschmelzung einzelner Wirbel zurückzuführen sind, als intra¬ 
uterine Belastungsdeformitäten aufzufassen. In gleicher Weise hat 
denn auch hier der Mangel an Fruchtwasser die Entstehung des 
Caput obstipum verschuldet. 

Hoffa weist in seinem Lehrbuche darauf hin, daß gerade die 
Häufung von Deformitäten bei ein und demselben Fötus auf die 
Raumbeengung, die der Mangel an Fruchtwasser hervorrief, zurück¬ 
zuführen sei. 

Ich glaube die Frage nach der Aetiologie der angeborenen 
Thoraxdefekte dahin beantworten zu müssen: Kongenitale Thorax¬ 
defekte müssen in einer Reihe von Fällen als Hemmungsbildungen 
des Keimes aufgefaßt werden im Sinne Häckels. In anderen Fällen 
aber handelt es sich um intrauterine Entwicklungsstörungen rein 
mechanischer Art. Als hauptsächlichster Faktor kommt die Raum¬ 
beengung des Uterus infolge Mangels an Fruchtwasser in Betracht. 


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Angeborene Thoraxdefekte. 


35 


Literatur. 

1. Froriep, Beobachtung eines Falles von Mangel der Brustdrüse. Neue 

Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde 1839, Bd. 9. 

2. Frickhoeffer, Beschreibung einer Deformität des Thorax mit Defekt der 

Rippen. Virchows Arch. 1856. 

3. Volkmann, Zur Theorie der interkostalen Muskeln. Zeitschr. f. Anat. u. 

Entwicklungsgeschichte 1877. 

4. Schloezer, Die angeborene Mißbildung des gesamten weiblichen Skelett¬ 

systems. Inaug.-Diss. Erlangen 1842. 

5. Ritter, Angeborene Lücke des Brustkorbs. Oesterr. Jahrb. f. Pädiatrik 

1876. 

6. Seitz, Eine seltene Mißbildung des Thorax. Virchows Arch. 1884. 

7. Haeckel, Ein Fall von ausgedehntem angeborenem Defekt am Thorax. 

Virchows Arch. 1888. 

8. Rieder, Drei Fälle von angeborenem Knochen- und Muskeldefekt am 

Thorax. Annalen der städt. allgem. Krankenhäuser zu München 1894. 

9. Freund, Ein Fall von Aplasie dreier Rippen. Jahrb. f. Kinderheilk. 1899, 

Bd. 49. 

10. Thomson, Teratologia. Januar 1895. 

11. Lällemand, Eph£m. med. de Montpellier 1826. 

12. Hoffa, Lehrbuch d. orthop. Chir. 1905, 5. Aufl. 


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III. 


Zum angeborenen Hallnx valgus. 

Von 

Denis G. Zesas in Lausanne. 

Mit 7 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Anknüpfend an einen aus der Vulpiusschen Klinik in dieser 
Zeitschrift soeben publizierten Fall von angeborenem Hallux valgus 
bemerkt Klar 1 ), daß es ihm nicht ermöglicht gewesen, Angaben 
„über das familiäre Vorkommen bezw. die Vererbung des Hallux 
valgus oder über eine angeborene oder vererbte Anlage zu der De¬ 
formität“ auffindig zu machen. Am Schlüsse der beachtenswerten 
Mitteilung ist hinzugefügt, „daß es unentschieden bleibe, ob es sich 
um eine fehlerhafte Keimanlage handle, oder ob intrauteriner 
Druck für die Entstehung des Hallux valgus cong. verantwortlich 
gemacht werden müsse“. 

Wir gestatten uns, an dieser Stelle auf eine interessante dies¬ 
bezügliche Beobachtung Mauclaires, die bereits im Jahre 1896 2 ) 
erschienen ist und zweifellos beweist, daß das Zustandekommen des 
angeborenen Hallux valgus mitunter auf eine fehlerhafte Keimanlage 
zurückgeführt werden kann, aufmerksam zu machen. 

Fraglicher Fall, dessen Wiedergabe Mauclaire uns gütigst 
gestattete, betrifft einen älteren Mann, über welchen schon 1861 
Morel-Lavallöe 3 ) in der Sociätä de Chirurgie berichtete, und von 
welchem er sagte „si ce n'est pas un cas unique, c’est au moins 
un cas assez rare et assez curieux pour möriter votre attention“. 
Mauclaire hatte nachträglich Gelegenheit, den anatomischen Befund 
an der Leiche festzustellen, und wir geben hier in Fig. 1, 2, 3 und 4 
die äußere Konformation und das Skelett der linken und der 
rechten Hand. 

Zeitschr. f. orth. Chir. Bd. 14 Heft 2. 

s ) La Presse medicale 1896, Nr. 35, und Bull, de la Soc. d’Anthropologie 
de Paris 1894. 

3 ) Bulletins de la Societe de Chirurgie 1861, S. 409. 


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Zum angeborenen Hallux valgus. 


37 



Fig. 5 veranschaulicht das Skelett des rechten Fußes und 
Fig. 6 und 7 den linken Fuß und dessen knöcherne Bestandteile. 
„Les mains — sagt Morel-Lavall^e — ne sont repr&sentöes 
chacune que par deux doigts, qui simulent parfaitement les pinces 
d'une äcrevisse; la division comprend tout le mStacarpe jusqu’au 
carpe exclusivement. Le pied droit est fendu jusqu'aux os du tarse, 
de fa^on ä reprösenter aussi une pince d'dcrevisse. Le pied gauche 
possfcde le premier, le 3e, le 4e et le 5e orteil. Le premier 
orteil est luxö en dedans pour combler l'espace, qu’occu- 
perait un deuxifeme orteil. Lorsqu'on le redresse, il 
dlpasse de beaucoup la longeur du troisifeme orteil. 
Qooique le pied gauche ait une conformation moins anormale que 
le pied droit, il Supporte moins facilement la position hanch^e et 


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38 


Denis G. Zesas. 


Fig. 5. 



Rechter Fuß. 


Fig. 6. 



Fig. 7. 



Linker Fuß. 


la marche, ce qui tient probablement ä deux causes: la luxation du 
premier orteil, qui a produit un oignon ä l’extremite interne, et 
l’inägalitd de base de sustentation, la base du pied droit etant tres 
etendue parceque sa pince peut s’öcarter de 4 centimötres.* 

Die Ursache der Deformität in diesem Falle springt in die 
Augen und macht jede weitere Erklärung überflüssig, nichtdesto- 
weniger geben wir den anatomischen Befund dieses uns hier speziell 
interessierenden Körperteiles mit den Worten Mauclaires wieder: 
„Le deuxiöme mötatarsien offre une configuration spöciale. II se 
bifurque ä sa partie anterieure aprös un court trajet. Des deux 
branches de bifurcation, Tinterne plus longue se porte en dedans et 
en avant et s'articule avec la partie externe de Fextrömitö anterieure 
du premier mätatarsien; 1’externe plus petite se porte en dehors et 
en avant, se termine par une extrömite arrondie et s’articule avec 
la partie laterale interne de Texträmitö anterieure du troisiöme 
mötatarsien en arriere de la töte mötatarsienne, tandis que du cötö 
opposö, cette articulation osseuse fait au niveau de la töte articulaire 
ellemöme. La premiöre phalange du gros orteil s’articule par une 
facette interne avec Textrömitö anterieure du premier mötatarsien, 
par une facette externe avec la brauche interne de bifurcation du 
deuxiöme, disons d’ailleurs que Textrömitö anterieure du premier 
mötatarsien est döjetöe en dedans. Sur le cöte interne de l'extrömite 
antärieure du troisiöme mötatarsien existe une petite apophyse 
osseuse, qui s’articule avec cette extrömite et qui se termine par 


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Zum angeborenen Hallux valgus. 


39 


une pointe saillante en avant et en baut. Quant aux phalanges, le 
gros orteil en possöde deux, les trois derniers orteils en possedent 
chacun trois.* 

Irgend eine hereditäre Belastung in diesem Falle ist nicht er¬ 
wiesen, nur weiß man mit Bestimmtheit, daß die Hallux valgus- 
Stellung eine angeborene gewesen. Ob neben einer fehlerhaften 
Keimanlage noch intrauterine Druckverhältnisse zur Entstehung des 
Hallux valgus congenitalis beitragen, ist möglich; weitere Fälle 
werden uns darüber Auskunft verschaffen. Das Vorkommen des 
angeborenen Hallux valgus soll ja gar nicht selten sein. Mau- 
claire widmet dieser Deformität in der Chirurgie clinique et operatoire 
?on Le Den tu und D eibet 1 ) einen kleinen Abschnitt und Kir- 
misson bemerkt in dem Traitö de Chirurgie von Duplay und 
Reclus 2 ) bei der Aetiologie des Hallux valgus: „qu’il est assez 
frequent de trouver l’höröditö dans les antöcedents.* 


J ) Bd. 10 S. 1308. a ) Bd. 8 S. 825. 


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IV. 


Ueber Spontanampntationen 1 ). 

Von 

Dr. Oskar v. Hoyorka, 

Chefarzt für Orthopädie am Wiener Zander-Institut. 

Mit 7 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Die spontane Gliedablösung, als angeborene Defektbildung, ist 
durchaus nicht so selten, als man früher annahm. Wenn Rouget 
im Jahre 1889 bereits 30 Fälle aufzählen konnte, so würde es heute 
bei genauerem Eingehen in das Wesen der Sache wohl kaum jemandem 
einfallen, sich der Mühe des Zusammensuchens aller bisherigen 
Fälle zu unterziehen. Der Enddefekt, von dem ich nun sprechen will, 
ist auch in den meisten Fällen so konstant und eindeutig, der eine 
Fall gleicht dem anderen fast so wie das eine Ei dem anderen, daß 
es vollkommen genügt, die einzelnen Gruppen herauszugreifen; diese 
müssen dann allerdings genau umgrenzt werden. 

In unserem Falle handelt es sich um eine fötale Spontan¬ 
amputation des linken Vorderarmes bei einem 4jährigen Knaben 
eines Gewerbetreibenden in Wien (Fig. 1). Seine noch heute leben¬ 
den gesunden Eltern wissen nichts von einem ähnlichen Falle in ihren 
beiden Familien. 

Die Mutter (Fig. 1) ist eine gesunde, kräftige Frau, die außer¬ 
dem einen um etwa 1 Jahr jüngeren Knaben sowie ein Mädchen 
geboren hat, welches letztere jedoch noch als Säugling an Gehirnent¬ 
zündung starb. Die Schwangerschaft mit dem mißbildeten Knaben 
verlief vollkommen normal; als Kuriosum sei nur erwähnt, daß sich 
die Mutter etwa im 3 . Monat an einem 12jährigen Mädchen, von 
welchem sie einmal mit einem amputierten Unterarm angebettelt 
wurde, „versehen“ haben will. Bei der ganz normal abgelaufenen 

l ) Vortrag, gehalten am 2G. September 1905 an der 77. Versammlung 
deutscher Naturforscher und Aerzte in Meran. 


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Ueber Spontanamputationen. 


41 


Intrauterine Gliedablösung. 


Sieht man näher zu, so findet 
inan, daß diese Schwäche auch die 
Schulter betrifft, welche im Vergleiche 
zur rechten weniger gut gewölbt, 
kleiner und der Medianlinie näherge¬ 
rückt erscheint. Dessenungeachtet ist 
die Beweglichkeit des Schultergelenkes 
nach allen Richtungen hin vollkom¬ 
men frei und intakt. Während nun der rechte Unterarm ganz nor¬ 
male Formen aufweist, erheben wir links folgenden Befund (Fig. 2). 

Statt des Unterarmes sehen wir einen Stumpf, der mit einem 
Amputationsstumpf eine große Aehnlichkeit. hat. Er erscheint an 
seinem distalen Ende etwas verdickt, halbkugelig abgerundet; die 
Haut darüber ist gleichmäßig gespannt und verschiebbar. Während 
die Länge des rechten Unterarmes 13 cm beträgt, mißt der Stumpf 
7 cm. Der epikondyläre Durchmesser beträgt rechts 9, links 8,5 cm, 
der Umfang des Ellbogens rechts 17, links 15 cm. An der Ampu¬ 
tationsfläche des Stumpfes sieht man zwei der Anordnung der beiden 



Entbindung fanden sich bei Austritt der Nachgeburt keine abge¬ 
trennten Gliedmaßen. 

Der Knabe war bisher niemals krank und kann physisch als 
vollkommen gesund, psychisch als völlig normal entwickelt bezeichnet 
werden. Das Herz, Lunge, Leber, 

Magen, Nieren, Nervensystem zeigen 
keine pathologischen Erscheinungen. 

Wir gehen somit gleich zur Beschrei¬ 
bung der verstümmelten Extremität 
über. 

Der linke Oberarm ist im Ver¬ 
gleiche zum rechten schwächer ent¬ 
wickelt als der rechte. Sein Umfang 
beträgt: 

rechts links 

im oberen Drittel . 18 cm 15,5 cm 

in der Mitte . . 17 „ 15 „ 

im unteren Drittel 16 * 14,5 „ 

die Länge des Ober¬ 
arms .... 14,5 „ 13,5 


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42 


Oskar v. Hovorka. 


Vorderarmknochen entsprechende Hautgrübchen (Fig. 2), welche sich 
nicht nur durch Hin- und Herschieben der äußeren Hautdecke, son¬ 
dern auch durch indirekte Muskelkontraktionen seitens der Knochen 
vertiefen und abflachen lassen. Beide Grübchen sind durch eine 

Reihe von konzentrisch verlaufenden Falten 
der äußeren Haut markiert. In gleich großer 
Entfernung, wie jene zwischen den beiden 
Hautgrübchen ist, sehen wir ein etwa 
erbsengroßes, 11 mm breites, 5 mm hohes, 
sehr bewegliches Hautwärzchen (Fig. 3), an 
welchem vier Einkerbungen mit fünf Toch¬ 
terwärzchen zu finden sind. Ihre Richtung 
verläuft nicht axial, also etwa wie eine 
Hand, sondern vielmehr seitwärts gegen 
innen, ulnarwärts und gegen das Ellbogen¬ 
gelenk geneigt. Von den fünf Tochter¬ 
wärzchen ist das zweite und dritte das 
größte; bei einem vorsichtigen Darübergleiten mit der Fingerbeere 
fühlt man eine Rauhigkeit; eine ähnliche Rauhigkeit fühlt man 
in geringem Maße auch am ersten Tochterwärzchen, welches je¬ 
doch im übrigen sehr schwach entwickelt ist. Bei der mikro¬ 
skopischen Untersuchung entpuppt sich diese Rauhigkeit als Nagel- 

Fig. 3. 


Amputationsstumpf mit Handrudiment (Haut zurückgezogen). 




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Ueber Spontanamputationen. 


43 


Substanz. Das erste Tochterwärzchen steht in derselben Reihe 
wie alle übrigen; von einer Oppositionsstellung ist nichts zu beob¬ 
achten, ebenso wenig fühlt man bei der Palpation der gesamten 
Hautwarze irgend eine harte, knochenähnliche Verdickung. 

Bei der Palpation des Unterarmstumpfes ergibt sich, daß schon 
die Epikondylen des Humerus weniger scharf hervortreten als rechts; 
doch glaubt man das Olekranon deutlich zu fühlen und es scheint 
sich dasselbe auch ganz normalerweise in die Fossa supratrochlearis 
einzuhaken; das proximale Ende des Radius ist in der Nähe des 
Gelenkes palpapel, obwohl man den Eindruck hat, daß beide 
Knochen etwas weniger gut ausgebildet sind im Vergleiche zur 
rechten Seite. Es fällt bei der Palpation auch sofort auf, daß sie 
sich distalwärts verjüngen; nahe an seinem Ende fühlt man beim 
Radius eine leichte Verdickung. Der Radius ist auch, um einige Milli¬ 
meter länger als die Ulna. 

Die Beweglichkeit im Ellbogengelenk ist durchaus nicht ge¬ 
hemmt. Sowohl die Beugung und Streckung, als auch die Einwärts- 
und Auswärtsrollung sind leicht ausführbar. Durch kombinierten 
Haut- und Muskelzug vermag das Kind nicht nur die Hautgrübchen 
einzuziehen und zu vertiefen, sondern selbst das Hautwärzchen zu 
bewegen. Es führt mit dem verstümmelten Arm auch kombinierte 
Bewegungen aus und es bereitet ihm durchaus keine Schwierigkeit, 
z. B. Ball und Reifen zu spielen, komplizierte Spielsachen zu hand¬ 
haben, Stühle zu schieben u. s. w. Die Sensibilität ist vollkommen 
intakt. 

Betrachten wir das Radiogramm des Vorderarmes (Fig. 4), so 
finden wir sowohl die Knochen als auch die Konturen der Musku¬ 
latur und des Unterhautzellgewebes samt der Haut genau differenziert. 
Der Humerus läuft distalwärts in eine kolbenförmige Anschwellung 
aus, an der man den äußeren und inneren Kondyl, die Fossa supra¬ 
trochlearis ziemlich gut erkennen kann. Weniger deutlich aus¬ 
geprägt sind die Konturen der Trochlea und der Eminentia capitata. 
Ihre distale Begrenzungslinie verläuft nicht wellenförmig wie bei 
einem normalen Humerus, sondern im halbrunden Bogen. Statt der 
Vorderarmknochen findet man zwei Knochenrudimente, von denen 
das größere sofort als die Ulna, das kleinere unstreitig als Radius 
anzusprechen ist. 

Am proximalen Ende der Ulna sieht man einen halbkreisförmig 
ausgeschnittenen Teil, in welchem wir sofort die Cavitas sigmoidea 


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44 


Oskar v. Hovorka. 


erkennen. Ueber der Cavitas vermissen wir jedoch das hakenförmig 
sie überragende Ende des Olekranon, obwohl ein demselben ent¬ 
sprechender Knochenwulst ziemlich breit nach außen hervorragt. Es 
hat den Anschein, als ob das im Bau begriffene Olekranon plötzlich 
in seiner Entwicklung innegehalten hätte. Dafür ist der Proc. 
coronoideus ziemlich gut ausgeprägt, obgleich auch er nicht vollends 
zur Entwicklung gelangt ist. Unterhalb jener Stelle, an welcher wir 
sonst gewöhnt sind die Tuberositas ulnae zu suchen, verjüngt sich 


Fig. 4. 



nun plötzlich der Schaft des Knochens, um in einen stumpfspitzigen, 
leicht aufgebogenen Konus zu endigen. Seine Spitze ist gegen eine 
an den äußeren Begrenzungskonturen leicht sichtbare Einsenkung des 
Gliedstumpfes gerichtet, jenes Hautgrübchen, welches wir bereits bei 
der äußeren Untersuchung gefunden haben. 

Das dem Radius entsprechende Rudiment zeigt an seinem 
proximalen Ende eine dem Capitulum radii entsprechende knollige An¬ 
schwellung, welche jedoch nicht in allem den Konturen eines normalen 
Radiusköpfchens gleicht: hinter dem angedeuteten Radiushalse stoßen 
wir an eine Knochenerhabenheit, in welcher wir das Tuberculum 
radii zu suchen haben. Weiter distalwärts verjüngt sich unser Radius¬ 
rudiment nicht wie jenes der Ulna, sondern wir finden hier vielmehr 


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Ueber Spontanamputationen, 


45 


eine leistenförmige Verbreiterung desselben gegen das Spatium in- 
terosseum, was ja auch den anatomischen Verhältnissen bei einem 
normalen Vorderarmknochen entsprechen würde. Erst weiter distal- 
wärts wird der Knochen wieder schmäler und dünner, bis er schlie߬ 
lich in einer kugeligen Vortreibung auf fast die gleiche Weise, wie 
beim Stumpfe der Ulna, doch etwas weiter nach vorn endigt. 
Gerade so wie dort findet man auch hier in der verlängerten Richtung 
seiner distalen Spitze eine etwas seichtere Vertiefung der Haut. Bis 
zur Mitte der beiden Knochenrudimente sieht man deutlich die Mus¬ 
kelkonturen; erst weiter nach außen und distalwärts verschmelzen 
sie mit jenen des Unterhautzellgewebes und der Haut. Zwischen 
den Ober- und Vorderarmknochen besteht ein relativ großer Zwi¬ 
schenraum. 


Im vorliegenden Falle handelt es sich zweifelsohne um eine 
spontane Gliedablösung, von welcher wir zwei große Gruppen 
unterscheiden müssen: die intra- und die extrauterine, oder ange¬ 
borene und erworbene. 

Die erworbene spontane Gliedablösung kann durch eine Reihe 
der verschiedensten Prozesse erfolgen; so z. B. auf traumatischem 
Wege durch andauernden Druck eines eng abschnürenden Ringes 
oder Bandes; auf dem Wege von akuten oder chronischen Ent¬ 
zündungen, wie Panaritium, Lues, Tuberkulose etc., ferner wird sie 
bewirkt durch gangränöse Prozesse, wie beispielsweise die Spontan¬ 
gangrän, Altersgangrän und die Raynaud sehe Krankheit. Unter 
letzterer versteht man bekanntlich einen ischämischen Brand infolge 
vasomotorischer Störungen oder pathologischer Vorgänge im zentralen 
Nervensystem. Hierher haben wir zu zählen ferner die Gliedablösung 
infolge von Lepra mutilans, Sklerodaktylie, sowie die sogenannte 
epitheliale Daktylolyse, wie sie Menzel und Wiedemann beschrie¬ 
ben haben. Die interessanteste Form der erworbenen spontanen 
Gliedablösung bietet der Ainhum der Neger in Afrika (Guimaraes, 
Da Silva Lima, Pinöau, Wucherer u. a.), indem er wieder¬ 
holt mit der angeborenen spontanen Gliedablösung in Beziehung 
gebracht und mit ihr sogar identifiziert wurde (Proust, Legroux). 

Dieser großen Gruppe der extrauterinen spontanen Gliedab¬ 
lösung steht die Gruppe der fötalen Amputation oder intrauterinen 
Gliedablösung gegenüber. 


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Oskar v. Hovorka. 


Die erstere Bezeichnung ist jedoch sowohl mit Bezug auf ihren 
Gesamtbegriff als auch in ihrer Form unrichtig. Zum Begriffe der 
Amputation gehört doch zweifelsohne die Absetzung eines ganzen 
Gliedes vom Rumpfe in toto, oder aber eines distalen Teiles desselben 
in toto. Dabei wollen wir noch nicht einmal die Zeit in Betracht 
ziehen, welche wir im chirurgischen Sinne hierzu benötigen. Aber 
ebenso klar als selbstverständlich ist es, daß bei einer jeden Ampu¬ 
tation ein Stumpf und ein abgesetztes Glied oder Gliedteil resultiert. 

Dieser wichtige Umstand ist bisher nicht von allen Autoren 
gebührend gewürdigt worden. Bei einem jeden Falle der fötalen 
Spontanamputation müßten wir demnach bei der Geburt a priori 
neben der Frucht das abgesetzte Glied finden. Viele Autoren lassen 
jedoch diese Tatsache vollends unberücksichtigt, teils weil sie dies 
übersahen, teils aus dem Grunde, weil es sich um erwachsene Per¬ 
sonen oder größere Kinder handelte, bei welchen der Befund über¬ 
haupt nicht mehr zu erheben war. 

So berichtet z. B. Mäder über einen lebenden Knaben, dessen 
amputierter Oberarm neben der Nachgeburt geboren wurde. Chaussier 
fand einmal die Reste eines abgetrennten gangränösen Armes an der 
fötalen Fläche der Placenta haftend. Nur solche und ähnliche Fälle, 
welche wir als wohlverbürgte Beispiele anführen, dürfen wir als 
eine wahre fötale Amputation bezeichnen. Neben diesen Fällen gibt 
es jedoch solche — und diese sind in der überwiegenden Mehrzahl —, 
bei denen trotz der sorgsamsten Untersuchung und genauesten Er¬ 
hebung nicht eine Spur von abgesetzten Gliedern gefunden worden 
ist. Auch in unserem Falle ist mit der Nachgeburt kein abgesetzter 
Gliedteil abgegangen. Sehen wir uns jedoch unseren Fall näher an, 
so müssen wir zu der Ueberzeugung gelangen, daß dies überhaupt 
auch gar nicht unbedingt nötig, ja nicht einmal möglich ist. Es 
kann nämlich nicht dem geringsten Zweifel unterliegen, daß wir in 
jenem vielgegliederten Hautwärzchen unweit der Knochengrübchen 
am distalen Ende des Unterarmstumpfes Rudimente einer Hand zu 
erblicken haben. Dafür spricht unzweideutig die Gliederung in eine 
große Mutterwarze, welche der Hohlhand, beziehungsweise dem Hand¬ 
rücken entspricht, ferner die zweifellose Gliederung in fünf Tochter¬ 
warzen, an deren Spitzen sogar Nagelsubstanz nachzuweisen ist. In 
den meisten Fällen findet sich zumeist eine leicht bewegliche und 
verschiebbare, knochenfreie, mit der Haut des Stumpfes breit zu¬ 
sammenhängende Warze, welcher ähnlich, wie in unserem Falle, 


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Ueber Spontanamputationen. 


47 


drei bis fünf Tochterwarzen aufsitzen; sehr häufig findet man zwei 
derselben minder gut entwickelt. Es ist unbegreiflich, warum 
Hecker, in dessen Falle am oberen, inneren Stumpfende in einer 
muldenförmigen Tasche drei hahnenkammähnliche, papilläre Wuche¬ 
rungen bestanden, ausdrücklich betont, daß die letzteren keine Aehn- 
lichkeit mit Fingern hatten. 

Wir haben schon vorher hervorgehoben, daß die Form des 
demonstrierten Vorderarmes den Eindruck macht, wie wenn derselbe 
während seiner Entwicklung plötzlich innegehalten hätte. Bis zu 
einer gewissen Marke ist er fast ganz normal entwickelt, dann ver¬ 
jüngen sich seine Teile und an seinem distalen Ende sieht man nur 
Elemente einer frühembryonalen Epoche. 

Fragen wir uns nun nach der Ursache dieser eigenartigen Er¬ 
scheinung. Es ist bekannt, daß die fötale Amputation zumeist den 
sogenannten amniotischen Fäden zugeschrieben wird, mit welchen 
sich zuerst Simonart 1876 beschäftigt hat. Sie führen auch des¬ 
halb den Namen Simonartsche Fäden. Ueberdies hat man hierfür 
auch die Nabelschnur beschuldigt, obwohl dies andere Autoren in 
Abrede stellen (Mäder). Hie und da wird die fötale Amputation 
auf die gegenseitige Druckwirkung der sich im Uterus überkreuzen¬ 
den Arme und Beine bei zu spärlichem Fruchtwasser zurückgeführt 
(Englisch). Auf eine Kompression der Art. radialis durch die 
über die Brust gekreuzten und im Ellbogengelenk gebeugten Arme 
der Frucht weist Birnbach er hin. Wieder andere (Proust und 
Legroux) halten die fötale Amputation als mit Ainhum analog, 
jener vorher erwähnten, der afrikanischen Rasse eigentümlichen, 
spontan und aus unbekannten Gründen auftretenden Krankheit 
Ainhum, welche in einer langsam fortschreitenden allmählichen Ab¬ 
schnürung von Gliedmaßen besteht. Das sogenannte „Versehen* der 
Mutter brauchen wir als ernstlichen Grund wohl kaum anzuführen. 
Denn bei der Tatsache, daß der Stoffwechsel zwischen Mutter und 
Kind so gut wie ausschließlich nur den Austausch von Gas und 
Flüssigkeit betrifft, ist es fast immer ein leichtes, nachzuweisen, daß 
die Zeitangabe solcher und ähnlicher geheimnisvoller ätiologischer 
Momente fast niemals mit dem Höhestande der embryonalen Ent¬ 
wicklung übereinstimmt. Noch mystischer klingt der Erklärungs¬ 
versuch Andrys, welcher annahm, daß die Samenfäden bei dem 
Gedränge in die Eizelle sich beschädigen. In den Arbeiten von 
Haller, Vrolik, Bischoff bricht sich die Anschauung Bahn, daß 


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Oskar v. Hovorka. 


die fötale Amputation als eine Bildungshemmung aufzufassen sei, 
welche entweder aus uns noch unaufgeklärten Ursachen oder aber 
durch Einflüsse der Blut- oder Nervenbahn erfolgt. Auf eine Gangrän, 
bedingt durch eine intrauterine Fraktur führten sie zurück: Billard, 
Chaussier, Desormaux, Grätzer. 

Es ist nicht leicht, in diesem Gewirr der verschiedensten 
Meinungen sich sofort zurechtzufinden. Da das ätiologische Moment 
der amniotischen Fäden, Falten und Stränge seit den Arbeiten von 
Simonart, Montgomery, Credö, Geoffroy, St. Hilaire am 
meisten zitiert wird, so müssen wir uns vorerst die Frage nach der 
Genesis derselben vorlegen. 

Das Amnion haben wir uns als eine weiche Membran vorzu¬ 
stellen, welche den Fötus allenthalben umfaßt und durch die Amnion¬ 
flüssigkeit in einer fortwährenden Spannung erhalten wird. Diese 
Spannung erzeugt einen Druck, dessen Intensität experimentell bereits 
auch gemessen wurde; er beträgt nach Schatz, unabhängig von 
den zeitweiligen Zusammenziehungen der Gebärmutter, etwa 5 mm 
Quecksilber. Kommt es nun aus irgend einem Grunde, auf den wir 
vorläufig nicht eingehen wollen, zu einer Abnahme des Druckes oder 
Verminderung der Spannung, so muß sich das Amnion — ähnlich 
wie ein schlaff herabhängendes Segel an den Mast bei Windstille — 
an die einzelnen, am meisten vorragenden Körperteile der Frucht 
anlegen. Dadurch kommt es nach und nach zur Verklebung des 
Amnions mit der äußeren Haut der Frucht, sowie zur Faltenbildung 
des Amnions. Verläuft die Anheftungsstelle nicht linienförmig, 
sondern ragt sie mehr hügelartig vor, so verlaufen die Falten strahlen¬ 
förmig und vertiefen sich unter einer fortwährenden Zunahme ihrer 
Spannkraft und abschnürenden Wirkung in gleichem Maße, als das 
Wachstum der Frucht fortschreitet. Die hierdurch bloßgelegten Frucht¬ 
teile erfahren jedoch zugleich eine bedeutende Zunahme des intra¬ 
uterinen Druckes, welcher eben 5 mm Quecksilber beträgt und für 
die Weiterentwicklung derselben durchaus nicht gleichgültig bleiben 
kann. Die notwendige Folge davon muß eine Hypoplasie der be¬ 
troffenen Fruchtteile sein. 

Wie wir später sehen werden, sind zur Abschnürung in der 
Regel bestimmte Teile und Regionen der Extremitäten prädestiniert. 
Es ist nun klar, daß gerade jene Teile der Frucht von der Falten¬ 
bildung und Umschnürung betroffen werden, welche am meisten 
kantig und hügelig hervorragen. Wir brauchen uns hierbei nur die 


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Ueber Spontanamputationen. 49 

Lage und Stellung des Fötus im Uterus in dem betreffenden Monate 
zu vergegenwärtigen. 

Versuchen wir es nun, den Zeitpunkt zu bestimmen, welchem 
diese Faltenbildung entspricht, so müssen wir uns vorerst vor 
Augen halten, daß die Extremitäten der Seitenfalte des Embryonal¬ 
körpers entstammen, welche als Wolffsehe Leiste bezeichnet wird, 
und welche von den Kiemenbögen zum Steißende ventral von der 
Urwirbelleiste verläuft. Gegen Ende der dritten Woche wächst an 
ihrem vorderen und hinteren Ende stets, einer Reihe von bestimmten 
Urwirbeln entsprechend, je ein langgezogener Wulst, aus welchem 
sich später die Extremitäten entwickeln. His findet am Ende der 
fünften Woche alle Abschnitte deutlich voneinander gegliedert. Im 
Laufe der achten Woche differenzieren sich alle Teile der unteren 
und oberen Extremität deutlich voneinander ab. Es streckt sich 
vorerst der Vorderarm, sonach der Oberarm, noch später bilden sich 
die Konturen der Schulter heraus, wodurch der Oberarm in sein 
richtiges Längenverhältnis einrückt. Ueberdies findet jedoch während 
dieser Umformungen noch eine Torsion im entgegengesetzten Sinne 
statt, so zwar, daß sich der radiale bezw. tibiale Rand der Extremi¬ 
täten zu drehen beginnt. Auf diese Weise gelangt die radio-tibiale 
Seite nach auswärts, die Streckseite kaudalwärts. 

Bei der Durchsicht der sehr reichen Kasuistik fällt es uns 
sofort auf, daß die fötale Amputation an gewissen Stellen der Ex¬ 
tremitäten immer wieder auftritt, während sie andere konsequent 
meidet. Wir gelangen auf diese Weise zur Aufstellung von mehreren 
feststehenden Gruppen, deren Anzahl kaum mehr eine Vermehrung 
erfahren dürfte; die Zahl analoger Fälle innerhalb einer Gruppe ist 
hingegen im steten Wachsen begriffen. 

Wir wollen vorerst bemerken, daß die intrauterine Gliedablösung 
zumeist allein, ohne jede andere Anomalie, vorkommt. Jene Fälle, 
wo sie mit anderen angeborenen Anomalien auftritt, wollen wir gar 
nicht in Betracht ziehen. 

In die erste Gruppe gehören nun Fälle, in welchen ein Ober¬ 
schenkel oder ein Oberarm amputiert ist. Diese Fälle sind im Ver¬ 
hältnis zu den übrigen sehr selten. Die Extremität erscheint in der 
Regel hoch oben abgesetzt, so daß man den Eindruck einer statt¬ 
gefundenen Enukleation erhält. Braun beobachtete ein neugeborenes 
Mädchen ohne linken Oberarm, sowie einen Knaben, dessen linke 
untere Extremität wie im Hüftgelenk enukleiert aussah. Bei der 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XV. Bd. 4 


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Oskar v. Hovorka. 


Geburt fanden sich keine abgesetzten Gliedteile vor. Ry di gier 
beschrieb einen Knaben, dessen alle vier Extremitäten mangelhaft 
entwickelt sind; beide Vorderarme fehlen. Die linke untere Ex¬ 
tremität erscheint im Oberschenkel amputiert, rechts besteht nur ein 
kurzer Stumpf. Trotzdem bewegt sich der Kranke schnell am Boden 
fort, er hält ein Glas und vermag sogar mit einem Messer zu 
schneiden. Einen ähnlichen Fall beschrieben auch Blumenthal und 
Hirsch. Fälle, wie diese, sind wohl kaum geeignet, die Entstehungs¬ 
theorie der fötalen Amputation durch gegenseitigen Druck der 
Extremitäten zu stützen. 

In die zweite Gruppe gehören die Amputationen des Unter¬ 
armes und des Unterschenkels. Alle Fälle sehen sich meistens 
ungemein gleich. Beim Unterarm sitzt die Amputationsstelle in der 
Regel proximalwärts im ersten oberen Drittel; stets finden sich die 
bekannten zwei Knochengrübchen, welche der distalen Spitze des 
Radius und Ulna entsprechen; daneben sieht man in der Form eines 
mehr oder minder gegliederten, charakteristischen Wärzchens ein 
Handrudiment. Einmal ist der Radius länger wie in umserem Falle, 
das andere Mal die Ulna (Härdtl). Im Falle Cohen bei einem 
19jährigen Mädchen fehlte der Radius gänzlich; allerdings steht diese 
Beobachtung aus dem Jahre 1894, also aus der Vor-Röntgenzeit, 
ziemlich vereinzelt da. Aus der ziemlich lückenhaften Beschreibung 
dieses Falles geht auch nicht mit Sicherheit hervor, ob es sich um 
eine reine intrauterine Gliedablösung oder aber um eine Kombination 
derselben mit einem kongenitalen Radiusdefekt handelt, von dem 
von Schmid und Kümmel bereits 67 Fälle beobachtet wurden. 
Auch Hebra schildert einen wohlgebauten Landmann, welcher 
rechterseits nur das Olekranon als einzigen Bestandteil des Vorder¬ 
armes besaß, dem fünf Fingerfragmente aufsaßen. Doch bilden diese 
und ähnliche Fälle nur eine Ausnahme von der Regel. Unser Fall 
gehört zu den typischsten und häufigsten. Er ist kaum zu unter¬ 
scheiden von den Fällen, wie sie z. B. Tournier, Härdtl, Greuser, 
Hecker, Schräder, Wilms u. a. beschrieben haben. Am Unter¬ 
schenkel ist es im Gegensätze zum Unterarm das untere Drittel, an 
welchem die fötale Amputation vorzukommen pflegt. Doch ist die¬ 
selbe bei weitem nicht so häufig wie jene am Unterarm. Lanne- 
longue beschreibt ein viermonatliches Kind, welches eine Schnür- 
furche am Unterschenkel nebst Schnürfurchen und Amputationen an 
den Fingern und Zehen aufwies. Sehr instruktiv für die Entstehungs- 


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lieber Spontanamputationen. 


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weise der fötalen Amputation ist auch der Fall Wiedemanns 
(Fig. 5), welcher bei einem 1jährigen Kinde nebst mehreren Ab- 

Fig. 5. 



c) Rechte Hand. d) Linke Hand. 

Angeborene Schniirfurchen (Fall Wiedemann), ljähriges Kind. 


schniirungen an den Fingern und Zehen eine tiefe Schnürfurche, 
also eine nicht ganz vollendete Amputation, am unteren Drittel der 
beiden Unterschenkel vorfand. 

In die dritte Gruppe gehören endlich jene fötalen Amputationen, 
welche sich an den Fingern und Zehen abspielen. Eine Amputation 
an der Vola manus oder im Handgelenk ist bis jetzt meines Wissens 
nicht beobachtet worden, doch beschreibt Braun 2 Fälle, und zwar 
den eines neugeborenen Mädchens, bei welchem der Fuß wie nach 
einer Chopartschen Enukleation aussah; bei einem neugeborenen 
Knaben hingegen wieder wie nach Lisfranc. Angeborene Schnür- 
furchen und Amputationen der Finger und Zehen sind hingegen 
häufig und oft beschrieben worden (Simonart, Menzel, Fürst, 
Olshausen, Küstner, Wiedemann, Gruber u. a.). Aus der 


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Oskar v. Hovorka. 


langen Reihe von Beobachtungen wollen wir nur die Beobachtung 
von Marchand (Fig. 6) herausgreifen, weil sie ähnlich wie der Fall 
Wiedemann einen Einblick in die Entstehungsweise der fötalen 
Amputation gestattet. Wir brauchen nur die Fig. 6, 5 und 1 neben¬ 
einander zu stellen, um die ein¬ 
zelnen Entwicklungsgrade der fö¬ 
talen Amputation zu beurteilen. 

Es ist klar, daß das Amnion, 
bezw. das in Fäden ausgezogene 
Amnion, in der vorher beschrie¬ 
benen Weise bei bestimmten Druck¬ 
verhältnissen in der Gebärmutter¬ 
höhle eine zumeist zirkuläre Um¬ 
schnürung der Extremitäten er¬ 
zeugt. Diese Umschnürung, welche 
zwar ganz langsam und allmählich, 
doch umso energischer, wie ein 
chirurgischer Ekraseur wirkt, je 
länger sie andauert, scheint zumeist 
auf der Höhe des zweiten Monates 

stattzufinden; zu diesem Schlüsse 

gelangen wir, wenn wir bei der Durchsicht der bisherigen Literatur 
die einzelnen gebliebenen Rudimente betrachten. Fötale Amputationen 
aus späteren Lebensperioden stammen zweifelsohne nicht von den 
amniotischen Fäden, sondern von der Nabelschnur. Dieses Faktum 
wurde zwar eine Zeitlang angezweifelt (Küstner, Mäder u. a.), 
doch ist an dessen Richtigkeit heute nicht mehr zu zweifeln (Beaty, 
Marchand). Allerdings sind solche Amputationen weit seltener, 
besonders an lebenden Früchten. Warum treffen wir nun einmal 

Früchte mit, das andere Mal ohne Rudiment an der amputierten 

Extremität? Während an den Oberarmen und Oberschenkeln zumeist 
Amputationen ohne Rudiment Vorkommen, sind sie am Unterarm 
mit Rudiment die Regel, dagegen an den Händen und Füßen kommen 
sie meistenteils in Form von unvollständigen Abschnürungen vor. 

Dieses Faktum ist gewiß damit zu erklären, daß die amnio¬ 
tischen Fäden dort, wo sie an ihrer Anheftungsstelle durch die 
Bewegungen der Frucht am wenigsten gehindert werden, z. B. am 
Oberarm, am besten haften, mithin zu kompletten Amputationen 
führen, welche den Eindruck von Enukleationen machen; hingegen 


Fig. 6. 




SpontaneGliedablösung (Fall Marchand), 
1—smouatlicher Fötus. 


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Ueber Spontanamputationen. 


53 


dort, wo die beweglichsten Teile, z. B. Finger und Zehen, sind, zu¬ 
meist unvollständige Abschnürungen zu stände kommen. 

Was speziell unseren Fall am Unterarm betrifft, ist es klar, 
daß von einer wahren Amputation nicht die Rede sein kann. In 
solchen Fällen gibt es ja nichts, was amputiert worden wäre. Es 
ist der Unterarm da, wir sehen die Hand — wenn auch nur rudi¬ 
mentär. Doch amputiert wurde nichts. Ebensowenig konnte bei 
der Geburt der abgesetzte Teil der Extremität vorgefunden werden. 
Solche »Amputationen“ können wir demnach nur als falsche oder 
als intrauterine Gliedablösung bezeichnen. 

Der Unterschied, auf den wir schon vorher aufmerksam machten: 
Vorfindung oder Nichtvorfindung des abgesetzten Gliedes oder Glied¬ 
teiles bei der Geburt, wird in der Regel auch bei der Gestaltung 
des Stumpfes seinen Ausdruck finden. Im ersten Falle sehen wir 
eine glatte Amputationsfläche, im zweiten ein Rudiment. Daher 
unterscheidet Kümmel zwei Gruppen von Enddefekten; solche mit 
und solche ohne rudimentären Teil des peripheren Abschnittes. Es ist 
auch unnötig anzunehmen, wie es Marchand will, daß von'den abge¬ 
trennten Teilen meist aus dem Grunde nichts mehr bei der Geburt 
vorhanden ist, da dieselben, wenn die Abschnürung sehr früh erfolgte, 
vollständig mazeriert werden und spurlos verchwinden. Wo nichts 
abgetrennt wurde, konnte auch nichts amputiert werden. Es handelt 
sich dann um keine wahre Amputation, sondern um eine Hypoplasie 
bezw. Aplasie. Der abschnürende Amnionstrang hat z. B. in unserem 
Falle den Unterarm der Frucht in einer bestimmten Entwicklungs¬ 
woche derselben die Abschnürung nicht vollkommen bewerkstelligt, 
sondern ließ für das weitere Wachstum eine kleine Lücke frei, durch 
welche sich die Extremität, wenn auch ganz mangelhaft, so doch 
wenigstens teilweise weiterentwickeln konnte. 

Wie wir gesehen haben, waren wir im stände, unseren Fall 
nicht auf die Basis einer Bildungsanomalie, also nicht mit einem 
Defekte der Anlage, sondern vielmehr aus rein mechanischen Ur¬ 
sachen infolge eines gut lokalisierten Vorganges als eine einfache 
Wachstumshemmung zu erklären. Aus diesem Grunde haben wir 
auch unseren Fall als eine sekundäre Mißbildung aufzufassen. Für 
die Zerreißlichkeit des Amnions haben wir ein Nachgeben des inneren 
Druckes angenommen; Simonart und Simpson machten dafür 
Entzündungsvorgänge im Amnion verantwortlich. Menzel ging von 
einer anderen Anschauung aus. Er suchte nämlich den Nachweis 


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Oskar v. Hovorka. 


zu erbringen, daß der mikroskopische Befund bei der fötalen Ampu¬ 
tation analog sei mit jenem bei Ainhum. Die Ablösung erfolge 
durch eine epitheliale Einsenkung, daher der Name epitheliale 
Daktylolyse. Ihm haben sich Beauregard und Wiedemann an¬ 
geschlossen, welch letzterer besonders seinen Fall als ein Bindeglied 
zwischen den bisher bekannten und Ainhum hält. Er betraf eine 
69 Jahre alte an Psoriasis leidende Frau, bei welcher vor 14 Jahren 
an den Zehen und Fingern allmählich unter großen Schmerzen und 
zwar ohne jedes Zeichen einer Entzündung oder Narbenbildung 
zirkuläre Abschnürungen auftraten. Mag dieser Fall eine noch so 
große Aehnlichkeit mit Ainhum aufweisen, so ist es nicht schwer 
zu erkennen, daß er, mit seinem eigenen Falle bei dem Kinde 
Fig. 5 verglichen, mit der fötalen Amputation nichts zu tun hat. 
Hier sehen wir einen allmählich verlaufenden Abschnürungsring, 
dessen Entstehungsursache uns noch dunkel ist, dort eine scharf 
markierte, direkt in die Tiefe der Fleischteile gehende Schnürfurche, 
welche uns keinen Zweifel darüber läßt, wie sie entstanden ist. Bei der 
letzteren ist nicht nur die Art, sondern auch die Genesis derselben 
eine grundverschiedene, was bereits aus der einfachen Vergleichung 
mit dem Falle Marchand (Fig. 6) erhellt. Wenn wir auch nur über 
spärliche mikroskopische Untersuchungen bisher verfügen, wie die 
amniotischen Verwachsungen beschaffen sind, so ist uns bekannt 
(T esdorpf), daß sie aus vielfach verfilzten Bindegewebsbündeln, mit¬ 
unter auch aus elastischen Fasern bestehen, zwischen welchen oft 
unvollständige Reste einer Zellschicht liegen. Doch fehlen Gefäße, 
welche für die entzündlichen Bindegewebsadhäsionen so charak¬ 
teristisch sind. 

Bei den spärlichen Sektionsbefunden, über die wir bei der 
fötalen Spontanamputation verfügen, finden wir nichts besonders 
Bemerkenswertes. Die Untersuchung des Stumpfes ergibt wohl kaum 
etwas wesentlicheres, als das, was wir bereits bei der Palpation und 
bei der äußeren, sowie radiologischen Untersuchung finden können. 

T r o i s i e r hat bei einer angeborenen Spontanamputation 
Atrophie der Vorder- und Hinterhörner im Rückenmark nachge¬ 
wiesen und Edinger fand bei einer angeborenen Vorderarmampu¬ 
tation Atrophie der Nerven wurzeln und der Rückenmarksubstanz, 
sowie Atrophie des Vorderhornes nebst Zurückbleiben der motorischen 
Rindenzone des Gehirns im Wachstum. Wenn nun auch Davidov 
diese Atrophie der Rindensubstanz als primär auffaßt, so kann uns 


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Ueber Spontanamputationen. 


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diese Tatsache gar nicht überraschen, da wir ja auch bei chirurgisch 
Amputierten eine Atrophie der Rückenmarksubstanz der betreffenden 
Bahnen vorfinden. 

Aus dem bisher Gesagten ist wohl deutlich zu entnehmen, daß 
es sieb in ähnlichen Fällen um keine eigentliche Amelie, Phokomelie, 
Mikromelie etc. handeln kann, sondern stets nur eine sekundäre 
Mißbildung infolge einer rein mechanischen Wachstumsstörung 
vorliegt. Wir halten selbst die Bezeichnung Perobrachius bei un¬ 
serem Falle, wie dies z. B. Schräder in einem ähnlichen tut, für 
nicht gut angebracht. Der beste Beweis dafür ist stets der radio¬ 
logische Befund. 

Es erübrigt uns nur noch die Frage der Systematik der spon¬ 
tanen Gliedablösung zu berühren, welche besonders Kor mann und 
Schräder angeregt haben. So unterscheidet Kor mann zwischen 
Bildungshemmungen und Spontanamputationen, und zwar: 

I. Bildungshemmungen: 

1. primäre (aus noch völlig dunklen Gründen), 

2. sekundäre, 

a) als Folge unvollständiger Spontanamputation durch 
Umschlingung, 

b) als Folge narbiger Schrumpfung des Hautsackes 
(Virchow), 

c) als Folge von Kompression durch amniotische Falten. 

II. Spontanamputationen: 

1. durch Kompression, 

a) durch Umschlingung der Nabelschnur (selten), 

b) durch amniotische Bänder und Fäden, die entweder 
durch Entzündung, plastische Verklebung oder durch 
Behinderung der Entwicklung des Amnions, durch 
Rupturen des letzteren oder durch Ablösung der 
amniotischen Bekleidung des Nabelstranges entstan¬ 
den sind, 

2. durch intrauterine Frakturen (selten), 

3. durch narbige Schrumpfung infolge von Hautentzündungen. 

In einer ähnlichen Weise bewerkstelligt Schräder seine 
systematische Aufstellung, nur läßt er neben der Bildungs- noch die 
Entwicklungshemmung gelten, und zwar: 


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Oskar v. Hovorka. 


I. Entwicklungs- oder Bildungshemmung: 

1 . durch amniotische Adhäsionen oder Nabelschnur, 

a) vermittels zirkulären Druckes und sekundärer Hypo¬ 
plasie der peripher gelegenen Teile, 

b) vermittels peripheren Druckes, entgegengesetzt der 
Wachstumsrichtung, 

a) reine Hypoplasie, 
ß) Spaltbildung, 

7 ) Abknickung im Gelenk oder in der Kontinuität 
der Längsachse, 

2 . durch primäre Obliteration der Blutbahnen, 

3. durch primäre Anomalien oder Degenerationsprozesse 

im Zentralnervensystem. 

H. Wahre Spontanamputation: 

1. durch abschnürende Amnionstränge oder Nabelschnur, 

2 . durch Gangrän der gipfelnden Teile, 

a) nach Trauma (intrauterine Fraktur), 

b) nach Thrombose. 

Sowohl Kor mann als Schräder machen einen Unterschied 
zwischen Wachstumshemmung und Bildungshemmung. Während 
Schräder bei der ersteren nur primär einwirkende Ursachen an¬ 
nimmt, stellt Kormann auch den Einfluß sekundärer Faktoren auf. 
In der zweiten Abteilung spielt das Trauma die Hauptrolle, nur 
läßt Kormann die Schrumpfung, Schräder die Gangrän raitsprechen. 
Wir sind der Ansicht, daß damit der Kernpunkt der fötalen Spontan¬ 
amputation nicht getroffen wurde. Weder bei der Kormannschen 
noch bei der Sehr ad ersehen Einteilung findet man den eigentlichen 
Unterschied zwischen der wahren und falschen Spontanamputation 
prägnant ausgedrückt. Und dennoch liegt die Sache ziemlich einfach. 

Die intrauterine Gliedablösung haben wir uns als eine mangel¬ 
hafte Ausbildung von Extremitäten oder Extremitätsteilen vorzu¬ 
stellen, welche entweder endogen (Bildungshemmung) oder exogen 
(Wachstumsstörung) vor sich gehen kann. Die endogene ist sehr 
selten und ihre Ursachen sind uns bis heute noch nicht ganz klar. 
Bei Fällen, wie bei dem unserigen, kommt sie auch kaum in Betracht. 
Die exogene intrauterine Gliedablösung entsteht hingegen durch 
pathologische Prozesse der Frucht und der Fruchthäute oder durch 
Trauma (Kompression, Fraktur, Thrombose etc.). Nur jene intra¬ 
uterine Gliedablösung, welche dadurch entsteht, daß Amnionteile oder 


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Ueber Spontanamputationen. 


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die Nabelschnur eine Extremität oder Teile derselben zirkulär um¬ 
schnüren und so den peripheren Abschnitt derselben absetzen, daß 
er frei in der Amnionflüssigkeit herumschwimmt, sind wir berechtigt 
als fötale Spontanamputation zu bezeichnen. Intrauterine Glied¬ 
ablösungen, bei welchen wir Rudimente von peripher gelegenen 
Extremitätabschnitten vorfinden, sind nicht als eine Spontanamputation, 
sondern vielmehr als eine aus zwar gleichen mechanischen, doch 
unvollkommen wirkenden Ursachen entstandene Wachstumsstörung 
aufzufassen, bei welcher es nicht zu einer totalen, sondern nur zu 
einer partiellen Absetzung mit nachfolgender Hypoplasie der distal 
gelegenen Teile gekommen ist. In diesem Sinne fassen wir auch 
unseren Fall nicht als eine wahre fötale Spontanamputation auf. 


Dem bisher Gesagten habe ich nur wenig hinzuzufügen. Ob¬ 
wohl Kinder mit ähnlichen angeborenen Defekten erfahrungsgemäß 
trotz ihrer Verstümmelung eine oft staunenerregende Geschicklichkeit 
erlangen, hat man es wiederholt, und zwar mit Erfolg, versucht, 
ihnen den Mangel der Extremität durch sinnreich konstruierte Pro¬ 
thesen zu ersetzen. Seltener sah man sich bisher zu chirurgisch¬ 
orthopädischen Eingriffen veranlaßt (Fürst). 


Fig. 7. 



In unserem Falle verfertigten wir dem Knaben einen künst¬ 
lichen Arm, welcher zuin größten Teile einen zweigeteilten Schienen¬ 
hülsenapparat mit einer künstlichen Hand darstellt. An der radialen 
und ulnaren Seite laufen zwei Stahlschienen, welche in der Höhe 


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Oskar v. Hovorka. 


des Ellbogengelenkes mittels Scharnieren verbunden und in das 
Walkleder eingearbeitet sind. Der Oberarm teil ist nach vorn mit 
Schnüren versehen und reicht fast bis zur Schulter; der Unterarmteil 
ist nach dem Gipsabguß des Stumpfes gewalkt und mit weichem 
Rehleder innen ausgekleidet. Die künstliche Hand bewegt sich 
mittels eines Kugelgelenkes im Sinne der Volar- und Dorsalflexion, 
ebenso die vier Finger, während der Daumen durch eine starke 
Feder in leichter Oppositionsstellung gegen den Zeigefinger fest¬ 
gehalten wird. 

Es ist klar, daß besonders bei kleineren Kindern die Prothese 
entsprechend ihrem Wachstum oft erneuert werden muß; doch ver¬ 
richten dieselben vorzugsweise, wenn sie einigermaßen lebhaft sind, 
ihr Tagewerk erfahrungsgemäß stets lieber ohne Prothese als mit 
Prothese. 


Literatur. 

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V. 


(Aus der chirurgisch-orthopädischen Klinik des Geh. Medizinalrats 
Prof. Dr. Hoffa-Berlin.) 

Hüftgelenkserkrankungen in Schwangerschaft nnd 

Wochenbett. 

Von 

Dr. Adolf Silberstein, 

Assistent der Klinik. 

Paci hat im Jahre 1891 in einer ausführlichen Monographie, 
betitelt „Sulla coxite puerperale e suoi esiti“, auf die puerperale 
Form der Hüftgelenkserkrankungen hingewiesen, die er durchaus als 
selbständige, wohlcharakterisierte Erkrankung bezeichnet. In letzter 
Zeit hatten wir mehrfach Gelegenheit, Erkrankungen des Hüftgelenks 
zu beobachten, die wir zunächst als sogenannte puerperale Coxitiden 
aufzufassen geneigt waren. Die genauere Beobachtung hat uns je¬ 
doch bald gelehrt, jene Fälle nicht der puerperalen Coxitis Pacis 
zuzurechnen. Die Betrachtung aller Gelenkerkrankungen, die in 
Schwangerschaft und Wochenbett auftreten, hat uns vielmehr davon 
überzeugt, daß es eine Coxitis puerperalis im Sinne Pacis nicht 
gibt, d. h. bei sorgsamer Betrachtung jedes einzelnen Falles wird 
es stets gelingen, ihn in der einen oder der anderen Gruppe der be¬ 
kannten Formen der Coxitiden unterzubringen. Paci hat im ganzen 
5 Fälle eigener Beobachtung veröffentlicht. Zum näheren Verständnis 
führe ich im Auszuge die Charakteristika der einzelnen Fälle hier 
kurz an. 

Erster Fall. 

Anamnese: Hereditäre Verhältnisse ohne Belang. Zwei Aborte, 
ein Partus, bei dem die Perforation wegen Hydrocephalus erforder¬ 
lich war. Die Entbindung hat vor 9 Jahren stattgefunden. Am 
neunten Tage des Wochenbetts traten blitzartige heftige Schmerzen 
auf, die vom linken Hüftgelenk bis zum linken äußeren Knöchel 


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Hüftgelenkserkrankungen in Schwangerschaft und Wochenbett. 61 


ausstrahlten. Es bestand eine beträchtliche Schwellung des Ober¬ 
schenkels, keine Rötung. Am folgenden Tage sollen dann die gleichen 
Erscheinungen rechts aufgetreten sein. Die Schmerzen zwangen zur 
völligen Bettruhe 4 Monate hindurch. Das alles beruht auf Angaben 
der Patientin, da ärztliche Hilfe während der ganzen Zeit nicht in 
Anspruch genommen war. Im Jahre 1884 erneute Schwangerschaft, 
nunmehr ärztliche Untersuchung, und zwar im sechsten Schwanger¬ 
schaftsmonat. Nunmehr ergibt sich folgender Befund: Beide Hüft¬ 
gelenke sind vollkommen ankylosiert, die Vorwärtsbewegung ist un¬ 
beholfen, der Rumpf muß nach vorn gebeugt werden, wenn Patientin 
einen Schritt tut, sie schiebt sich gewissermaßen in den Hüften vor. 
Die Geburt ist normal, desgleichen zwei spätere Geburten. 

Zweiter Fall. 

Während der Schwangerschaft Schmerzen in der rechten Hüfte, 
die in den rechten Oberschenkel ausstrahlen und als ischiadische 
gedeutet werden. Massagebehandlung. Normale Geburt, angeblich 
kein Fieber im Wochenbett. Am fünften Tage des Wochenbetts 
Zunahme der rechtseitigen Schmerzen, gleichzeitig treten im linken 
Hüftgelenk heftige Schmerzen auf. Ruhige Bettlage „mit vollständig 
gestreckten Beinen“ wegen der anhaltenden intensiven Schmerzen 
bei geringster Bewegung. Haut der Oberschenkel geschwollen, 
glänzend weiß. Allmählich entwickelt sich in beiden Hüftgelenken 
eine „fibröse Pseudoankylose“, die durch forcierte Bewegungen in 
der Narkose, später mit aktiven und passiven Bewegungen zum 
Schwinden gebracht wird. Nachuntersuchung ergibt: Flexion des 
linken Beines im Hüftgelenk auf einen Winkel von 160° beschränkt, 
rechts 165 °. Abduktion so weit möglich, daß sich die Kniee 32 cm 
entfernen können. 

Dritter Fall. 

Es handelt sich um eine doppelseitige puerperale Coxitis, 
winklige knöcherne Ankylose der rechten Hüfte, pathologische 
linksseitige Luxation. Die Heilung wird herbeigeführt durch sub- 
trochantere Osteotomie rechterseits und Resektion des Schenkelkopfs 
linkerseits. 

Anamnese: 26jährige Witwe. In der Familie Disposition zur 
Tuberkulose. Am vierten Wochenbettstage der dritten Entbindung 
beginnt eine puerperale Infektion. Im linken Hüftgelenk treten 


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Adolf Silberstein. 


äußerst heftige Schmerzen auf, die die Patientin zwingen, auch nach 
Ablauf des Fiebers 2 Monate hindurch im Bett auf der rechten Seite 
zu liegen. Aerztliche Hilfe wird nicht in Anspruch genommen. 
Etwa l 1 /* Jahre nach der Entbindung sucht sie das Spital Pacis 
auf, der folgenden Befund erhebt: 

Status praesens: Normales Knochengerüst, Muskulatur und 
Fettpolster wenig entwickelt. Bleiche Hautfarbe, Hals und Thorax 
lang und schmal. Auskultation und Perkussion ergibt nichts Be¬ 
sonderes. Links: Leistenbeuge verstrichen, linkes Bein in maximaler 
Adduktion, es scheint verkürzt, starke Innenrotation, die sich leicht 
vermehren läßt. Hochstand des Trochanter major über der Roser- 
N^latonschen Linie 5 cm. Linke Glutealfalte steht höher als rechte. 
Patientin kann nicht auf dem linken Beine stehen. Rechts geringe 
Flexion, keine einzige Exkursion möglich: vollständige knöcherne 
Ankylose. Paci faßt seine Anschauungen dahin zusammen, daß sich 
im Anschluß an eine schwere puerperale Infektion eine doppelseitige 
Arthrosynovitis gebildet hat, die ohne ärztliche Behandlung allmäh¬ 
lich zurückging und den soeben beschriebenen Zustand hinterließ. 
Die fehlerhafte, lang andauernde Haltung, die Lage auf der rechten 
Seite in einem unbequemen Bett erkläre die Fixation in pathologi¬ 
scher Stellung mit konsekutiver Ankylose, während wir die Luxation 
links durch „den Mechanismus der sogenannten Distensionsluxationen* 
uns zu stände gekommen denken können. 

Behandlung der Luxation durch Extension und Kontraextension 
blieb erfolglos, ebenso Versuche der Reposition durch Flexion, Ab¬ 
duktion, Außenrotation und Extension erfolglos wegen der Retrak¬ 
tion der Adduktoren. Aus diesem Grunde kam Paci zur Diagnose 
der „Distensionsluxation“ durch Druck des Schenkelkopfes auf die 
Kapsel und nicht infolge einer einfachen Coxitis entstanden. Re¬ 
sektion des Schenkelkopfes links und subtrochantere Osteotomie 
rechts wird ausgeführt. 

Vierter Fall. 

Anamnese: Hereditäre Verhältnisse ohne Belang. Zwei nor¬ 
male Geburten sind voraufgegangen. Am dritten Tage des letzten 
Wochenbettes heftige Leibschmerzen, hohe Temperatur: puerperale 
Infektion. Am fünften Tage heftige Schmerzen in der linken Hüfte, 
Schwellung und weißliche Färbung der Haut des Oberschenkels. 
Ruhige Bettlage in gestreckter Stellung macht allein die Schmerzen 


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Hüftgelenkserkrankungen in Schwangerschaft und Wochenbett. 63 

erträglich. Die Erscheinungen des Puerperalfiebers gehen vorüber, 
allmählich lassen auch die Schmerzen in der linken Hüfte nach. 
Verschlimmerung nach den ersten Gehversuchen. Nach 3 Monaten 
erste ärztliche Untersuchung: Schwellung, Schmerzen im linken Hüft¬ 
gelenk. Stoß gegen die linke Ferse wird im Hüftgelenk schmerz¬ 
haft empfunden, linkes Bein in Streckstellung, jedoch keine voll¬ 
kommene Fixation. Geringe passive Bewegungen möglich. Residuen 
der Parametritis, die sich im Anschluß an die puerperale Infektion 
entwickelt hatten, rufen abendliche Temperatursteigerungen, 38—38,3° 
hervor. 

Therapie: Wasserglas verband, später forcierte Bewegungen in 
Narkose, Massage, aktive und passive Bewegungen mit gutem funk¬ 
tionellen Resultat, wie die Nachuntersuchung nach 6 Jahren ergibt. 


Fünfter Fall. 

Anamnese: Hereditäre Verhältnisse ohne Belang. Zwei nor¬ 
male Geburten. Am fünften Tage des dritten Wochenbetts Puer¬ 
peralfieber: Schüttelfrost, Temperatur 41°. Schmerzen im linken 
Hüftgelenk, sowie im ganzen linken Bein. Schwellung und wei߬ 
glänzende Färbung der Haut. Intrauterine Ausspülungen, Chinin. 
Rückgang der Temperatur nach 5 Tagen, Steigerung der Schmerzen 
im linken Hüftgelenk bedingt völlige Ruhehaltung: die Kranke liegt 
auf dem Rücken, beide Beine vollkommen gestreckt und einander 
dergestalt genähert, daß „das linke Bein die größtmöglichste Stütze 
am rechten hätte“. Miktion und Defäkation erschwert, selbst der 
Druck der Bettdecke ruft heftige unerträgliche Schmerzen hervor. 
Zeitweise Muskelzuckungen. Nach Anlegung eines fixierenden Ver¬ 
bandes schwinden die Schmerzen. Nach 25 Tagen Abnahme des 
Verbandes, nach l 1 /* Monaten erste Gehversuche, völlige Restitutio 
ad integrum. 

Wenn wir das allen FäUen Gemeinsame, gleichsam für die 
Coxitis puerperalis Pacis Pathognomonische zusammenfassen, so er¬ 
gibt sich folgendes Krankheitsbild: 

Im Anschluß an eine puerperale Infektion, aber auch ohne daß 
eine solche nachweisbar voraufgeht, erfolgt am vierten, fünften Tage 
des Wochenbetts akut beginnend eine Erkrankung des Hüftgelenks. 
Auffallend ist das an sich so seltene doppelseitige Auftreten in 
3 Fällen unter fünf Beobachtungen (nach Paci fand RidIon über- 


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Adolf Silberstein. 


haupt nur 14, Kirmisson nur eine einzige doppelseitige Coxitis). 
Der Schmerz tritt von vornherein sehr heftig auf. Die geringste 
Bewegung, ja der Druck der Bettdecke wird als äußerst schmerzhaft 
geschildert. Er strahlt in das Bein der befallenen Seite aus, nimmt 
zeitweilig den Charakter schwerer Ischias an. In allen Fällen findet 
sich eine eigentümliche Schwellung der Haut des Oberschenkels, die 
als weißglänzend geschildert wird, eine Schwellung, die Paci, wie 
er mehrfach hervorhebt, an die der Phlegmasia alba dolens erinnert. 
Schwellung und Schmerz treten gleichzeitig in Hüfte und Ober¬ 
schenkel auf. Die Intensität des Schmerzes zwingt die Patienten, 
von vornherein eine absolut ruhige Dauerlage einzuhalten, und zwar 
ist es die Streckstellung, die die Patienten Pacis insgesamt bis zum 
Auf hören des Entzündungsprozesses einnahmen, worauf in einigen 
Fällen knöcherne Ankylosen, in anderen mehr oder minder feste 
fibröse Verwachsungen ein traten. Konstant erhält sich die voll¬ 
kommene Streckstellung, wiewohl Monate hindurch keine Fixation in 
festen Verbänden vorgenommen wurde. Es kommt nirgends zur 
Eiterung im erkrankten Hüftgelenk. Die Dauer der Erkrankung 
erstreckt sich auf 2—4 Monate. 

Es handelt sich also nach Paci um ein völlig begrenztes Krank¬ 
heitsbild, eine Form der Hüftgelenkserkrankung, die im Wesen und 
charakteristischen Verlauf übereinstimmend lediglich als eine puer¬ 
perale zu bezeichnen ist, um eine Krankheit sui generis. 

Betrachten wir zunächst allgemein die Gelenkerkrankungen, die 
gelegentlich während der Schwangerschaft und während des Wochen¬ 
betts auftreten. Logischerweise ist in einer Reihe von Fällen von 
vornherein ein innerer Zusammenhang der Gelenkaffektion einerseits 
und der Schwangerschaft bezw. des Wochenbetts anderseits auszu¬ 
schließen: so selbstverständlich es erscheint, verdient es hervor¬ 
gehoben zu werden, daß eine Schwangere, bezw. eine Wöchnerin, 
wie jede andere, eine Gelenkerkrankung acquirieren kann, und daß 
eine an einer Gelenkerkrankung leidende Person eine Schwangerschaft 
bezw. ein Wochenbett durchmachen kann. Beide Zustände, der 
krankhafte und der physiologische, können jedoch in Wechselbezie¬ 
hungen treten, der eine den anderen beeinflussen. Die Franzosen 
haben bereits vor drei Jahrzehnten auf den schweren Verlauf hinge- 
gewiesen, den allgemein Gelenkerkrankungen während der Schwanger¬ 
schaft nehmen (Tison, Georgi ad es, Her vieux, Alexandre u. a. m.). 
Die lange Dauer der Erkrankung, das oft ausschließliche Befallen- 


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Hüftgelenkserkrankungen in Schwangerschaft und Wochenbett. 65 


sein eines Gelenkes bezw. einer Gelenkgruppe, der Ausgang in 
Ankylosenbildung waren übereinstimmend und treffend beobachtet. 

Nach dieser Richtung hat v. Noorden sodann im Jahre 1892 
seine Aufmerksamkeit auf den Verlauf des akuten Gelenkrheumatis¬ 
mus in Schwangerschaft und Wochenbett gelenkt. 

Seine Beobachtungen beziehen sich naturgemäß lediglich auf 
solche Gelenkentzündungen, die keineswegs in septicopyämischen 
Prozessen ihre Aetiologie finden. Vielmehr handelt es sich aus¬ 
schließlich um echte rheumatische Polyarthritiden, die während der 
Schwangerschaft begannen und das Wochenbett weit überdauerten. 
Akuter Gelenkrheumatismus trat stets unter Formen auf, die von 
Anbeginn auf eine schwere Erkrankung schließen ließen. Abweichend 
von dem gewöhnlichen Verlauf der rheumatischen Gelenkentzündungen, 
die sprungweise ein Gelenk nach dem anderen heimsuchen, war in 
den beobachteten Fällen stets ein Gelenk oder eine Gelenkgruppe 
mit besonderer Heftigkeit und Hartnäckigkeit befallen, die allen 
antirheumatischen Mitteln trotzte und Monate hindurch die geringste 
Bewegung der Gelenke verhinderte, so daß es in fast allen Fällen 
schließlich zur Ankylosenbildung kam, ein Krankheitsbild, das dem 
der gonorrhoischen Arthritis recht ähnlich sah. v. Noorden schreibt: 
»Wenn man in Erwägung zieht, daß in dem Zeitraum von 3 Jahren 
im ganzen 11 Schwangere mit akutem Gelenkrheumatismus zur Be¬ 
obachtung gelangten und bei 9 derselben der Gelenkrheumatismus 
einen ungewöhnlich lenteszierenden, die Gravidität weit überdauern¬ 
den Verlauf nahm, in einzelnen Gelenken hartnäckig sich festsetzte 
und schließlich zu Ankylose derselben Anlaß gab, so kann man das 
Urteil kaum ablehnen, daß Gravidität und Puerperium der Poly¬ 
arthritis einen besonderen Stempel aufprägen und ihre Abheilung 
erschweren.“ Wenn v. Noorden dann darauf hinweist, daß diese 
11 Fälle Schwangerer sich auf 101 Fälle von Polyarthritis rheuma- 
tica verteilen, die während des Zeitraumes von 1889 —1892 auf der 
Frauenstation der II. med. Klinik der Charite zur Beobachtung ge¬ 
langten, und daß von den Erkrankungen der nichtschwangeren 
90 Patientinnen 83 einen glatten Verlauf zeigten, von denen der 
11 Schwangeren dagegen nur 2, so ergibt sich daraus die Bedeutung 
der Polyarthritis rheumatica für Schwangerschaft und Wochenbett. 

Eine eigene Beobachtung lasse ich folgen. 

Die 28jährige Frau A. K. erkrankt plötzlich mit Schüttelfrost, 
Erbrechen, Kopfschmerzen, Temperatur 40,8 °. Anamnestisch ist fest- 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XV. Bd. 5 


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Adolf Silberstein. 


zustellen, daß die Patientin, die zwei normale Entbindungen vor 
3 und 5 Jahren durchgemacht hat, die letzten Menses vor etwa 
3 Monaten gehabt hat, daß in letzter Zeit außer häufigem Erbrechen, 
wiederholten Halsschmerzen, Mattigkeitsgefühl, Schmerzen in beiden 
Sprunggelenken, im rechten Kniegelenk und im rechten Hüftgelenk 
aufgetreten seien, die sie vorübergehend zur Bettruhe zwangen. Der 
behandelnde Arzt stellte einen beginnenden Abort fest. In An¬ 
betracht der drohenden Erscheinungen nahm er sofort die Aus¬ 
räumung vor. An die Ausräumung wurde unmittelbar eine intrauterine 
Spülung angeschlossen. Trotzdem sank die Temperatur nur um 
wenige Zehntel Grade. Abendtemperatur 40,1, Schüttelfröste traten 
jedoch nicht mehr auf. Am 2. Tage stellten sich lebhafte Schmerzen 
und Schwellung im linken Handgelenk ein, die gleichen Erschei¬ 
nungen traten im Laufe des folgenden Tages im linken Kniegelenk, 
im rechten Hand- und Schultergelenk auf. Am 4. Tage wird über 
besondere Schmerzhaftigkeit im linken Hüftgelenk geklagt, hier 
steigern sich auch die Schmerzen in der Folge, während Schmerz 
und Schwellung in den übrigen Gelenken allmählich zurückgehen. 
Der Schmerz im linken Hüftgelenk wird als unerträglich geschildert, 
jede, auch die geringste Bewegung steigert ihn beträchtlich. Die 
Fieberkurve gibt keinen Aufschluß über den Verlauf des fieberhaften 
Abortes, da tägliche reichliche Gaben von Salipyrin abwechselnd mit 
Aspirin die Temperatur beeinflussen. Am 9. Tage kehrt die Tempe¬ 
ratur zur Norm zurück. Gelegentlich treten geringe abendliche 
Temperatursteigerungen, etwa 38—38,2° auf. Obwohl sich das All¬ 
gemeinbefinden — Herz und Lungen sind unbeeinflußt — sichtlich 
bessert, ändert sich die Schmerzhaftigkeit im linken Hüftgelenk 
nicht; Schwellung und Rötung ist nicht nachweisbar, Fluktuation 
nirgends vorhanden. Allmählich lassen die Schmerzen im linken Hüft¬ 
gelenk nach. 3 Wochen nach dem Auftreten der Erkrankung wird eine 
energische Bekämpfung der beginnenden Kontraktur eingeleitet, nach 
4wöchentlicher täglicher Massage, aktiven und passiven Bewegungen 
wird die Funktionsfähigkeit des Hüftgelenkes völlig wieder hergestellt. 

Zweifellos bestand bereits beim Beginn des Abortes, dessen 
Aetiologie mit Sicherheit nicht zu eruieren ist, eine Polyarthritis 
rheumatica, die durch den Eintritt des Abortes in ungünstigem Sinne 
beeinflußt wurde. Ich bin nicht geneigt, trotz des Schüttelfrostes, 
der hohen Anfangstemperatur an septicopyämische Prozesse zu 
glauben, das sprungweise Befallensein zahlreicher Gelenke, das Aus- 


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Hüftgelenkserkrankungen in Schwangerschaft und Wochenbett. 67 


bleiben der gefürchteten Abszedierungen, der durch Salizylpräparate 
sichtlich beeinflußte Krankheitsverlauf beim Fehlen septischer All¬ 
gemeinsymptome, wie Ikterus, Albuminurie, peritonitischer bezw. peri- 
und parametritischer Erscheinungen spricht wohl mehr für das 
zufällige Zusammentreffen von Abort und Polyarthritis rheumatica, 
als für einen kausalen Zusammenhang beider Erkrankungen. Die 
stürmischen Erscheinungen der Polyarthritis sind jedoch wesentlich 
durch die genitalen Vorgänge beeinflußt. 

Als Pseudorheumatismus puerperalis bezeichnen Charpentier, 
Besnier, Lorain u. a. eine besondere Form puerperaler Gelenk¬ 
erkrankungen, die zwar im klinischen Verhalten völlig mit den 
gonorrhoischen Arthritiden übereinstimmen, jedoch in ätiologischer 
Beziehung von jenen durchaus zu trennen seien. Demgegenüber weist 
Begouin auf die Häufigkeit gonorrhoischer Gelenkerkrankungen in 
Schwangerschaft und Wochenbett hin: Pseudorheumatismus puer¬ 
peralis und Arthritis gonorrhoica sind weder klinisch noch bakterio¬ 
logisch von einander zu trennen. Auf 500—600 Wöchnerinnen kommt 
nach Begouin 1 Fall von gonorrhoischer Arthritis. Der Nachweis 
der gonorrhoischen Natur der Erkrankung wird durch den Gonokokken¬ 
befund in den entzündeten Gelenken sowie im Urogenitalapparat 
erbracht. In jedem Schwangerschaftsmonat können gonorrhoische 
Arthritiden auftreten. Starke Leukorrhoe begleitet stets die gonor¬ 
rhoische Arthritis im Wochenbett. In der Regel werden mehrere 
Gelenke zugleich befallen. Während jedoch die entzündlichen Er¬ 
scheinungen (Schwellung und Schmerzen) bereits nach wenigen 
Tagen im Rückgang begriffen sind, setzen sie sich hartnäckig in 
einem Gelenk fest. Zuweilen ist auch von vornherein nur ein Gelenk 
befallen, in dem dann der Krankheitsprozeß allen therapeutischen 
Maßnahmen trotzt. In den 49 Fällen, die Begouin beobachtete, 
war die Entzündung 2mal im Hüftgelenk lokalisiert, am häufigsten 
(18mal) im Handgelenk. In differentialdiagnostischer Beziehung 
kann die Aehnlichkeit mit der tuberkulösen Form der Arthritis 
gelegentlich Schwierigkeiten bereiten. 

Wie allen Formen gonorrhoischer Gelenkerkrankungen, so ist 
auch der puerperalen gonorrhoischen Arthritis eine ungünstige Pro¬ 
gnose eigen, soweit sie die Herstellung der Gelenkfunktion betrifft. 
Begouin hat 12mal Ankylosen beobachtet, Bahr in einem Falle 
Vereiterung, in dem er im Gelenkexsudat bakteriologisch nur Gono¬ 
kokken nachweisen konnte. 


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Adolf Silberstein. 


Des weiteren haben wir eine Form der Hüftgelenkserkrankungen 
zu betrachten, die zwar mit der Gravidität wie mit dem Puerperium 
ätiologisch nichts zu tun hat, die jedoch durch Schwangerschaft und 
Wochenbett nicht unerheblich beeinflußt werden kann, die tuber¬ 
kulöse Form puerperaler Coxitis. Die physiologischen Vorgänge der 
Schwangerschaft, die beträchtlichen Umwälzungen, die im kleinen 
Becken vor sich gehen, der Geburtsakt, sie können wie ein Trauma 
wirken, alte, längst erloschene tuberkulöse Coxitisherde aufs neue 
aufflackern lassen, wie auch latente Entzündungsvorgänge mani¬ 
festieren. Charakteristisch hierfür erscheint mir der folgende Fall, 
den ich in der Klinik meines hochverehrten Chefs, des Herrn Geb. 
Rats Prof. Dr. Hoffa, zu beobachten Gelegenheit hatte. 

M. P., 26 Jahre alt, Kaufmannsgattin. Anamnestisch ist zu 
erheben: Vater an „Brustfellentzündung“ gestorben. Mutter lebt, 
ist gesund. Eine Schwester ist angeblich lungenleidend. Patientin 
will nie ernstlich krank gewesen sein. Beginn der Menses mit 
15 Jahren. Menses ohne besondere Beschwerden, regelmäßig von 
2—3tägiger Dauer. Patientin ist seit 1 Jahre verheiratet. Abort 0, 
Partus 1. Im 6. Schwangerschaftsmonat, Mitte April 1904, erkrankte 
Patientin mit heftigen Schmerzen in der rechten Seite, denen sich 
bald Schmerzen im linken Handgelenk und in der linken Hüfte zu¬ 
gesellten. Das linke Handgelenk soll geschwollen gewesen sein. Die 
Beschwerden im linken Handgelenk schwanden nach wenigen Tagen, 
während die Schmerzen im linken Hüftgelenk sich vermehrten und 
trotz energischer interner Behandlung (Salizyl, Aspirin) und äußerer 
Jodapplikation nicht wichen, so daß Patientin bis zu der am 9. Juni 
1904 erfolgten Entbindung fortgesetzt das Bett hüten mußte. Die 
Entbindung ging glatt von statten, ohne Kunsthilfe. Das Kind starb 
jedoch nach 3 Stunden. Das Wochenbett verlief anfangs normal. 
14 Tage nach der Entbindung soll eine Nierenbeckenentzündung 
aufgetreten sein, die nach einigen Wochen unter ärztlicher Behandlung 
verschwand. Während des Gesamtverlaufes der Hüfterkrankung, die 
das Wochenbett weit überdauert, hat die Patientin die gebeugte 
Stellung des linken Oberschenkels zum Becken innegehalten. Am 
5. Tage nach der Entbindung wurde ein Gipsverband angelegt, der 
Becken und linkes Bein in möglichster Streckstellung fixierte. Danach 
ließen die Schmerzen nach. Der Gipsverband wurde nach 4 Wochen 
entfernt, Patientin ist dann mit Massage und Elektrizität behandelt 
worden; es war ihr danach möglich, in einem Gehapparat, später 


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Hüftgelenkserkrankungen in Schwangerschaft und Wochenbett. 69 


an zwei Stöcken sich fortzubewegen. Die Schmerzen in der Hüfte 
sind, wenn auch in geringerem Grade, geblieben, Bewegungsbeschrän¬ 
kungen in der Hüfte sind noch vorhanden. 

Stat. praes.: Mäßig gut genährte Patientin, von blasser Gesichts¬ 
farbe. Gering entwickelt ist Muskulatur und Fettpolster. Exantheme 
und Drüsenschwellungen sind nicht nachweisbar, Herzgrenzen regel¬ 
recht, Töne rein, Puls regelmäßig. Lungenbefund ohne Besonder¬ 
heiten. Linke Hüftgegend äußerst schmerzempfindlich, es besteht eine 
mäßige Kontraktur, der linke Oberschenkel ist leicht flektiert und 
adduziert, in der Narkose läßt sich freie Beweglichkeit im linken 
Hüftgelenk feststellen. 

4. Januar 1905: Therapie: Extensionsverband mit Kontra¬ 
extension. 

Am 12. Januar: Massage, Gymnastik, Extensionsverband wird 
nicht vertragen. 

15. Februar: Gipsverband nach Korrektur der Stellung in 
Narkose. 

16. März: Erneuerung des Gipsverbandes. Es besteht noch 
geringe Adduktions-Flexionskontraktur, nur geringe Schmerzhaftigkeit. 

Es handelt sich in diesem Falle um eine Patientin, die seitens 
der Familie tuberkulös belastet erscheint. Sie weist phthisischen Habitus 
auf. Nachweisbare Veränderungen in den Lungen sind jedoch zur 
Zeit nicht vorhanden. Im letzten Drittel der Schwangerschaft beginnt 
in anscheinend akuter Form eine Gelenkaffektion, die zunächst den 
Eindruck der Polyarthritis rheumatica erweckt, die sich dann aber 
im linken Hüftgelenk dauernd lokalisiert. Antirheuroatische Therapie 
bleibt erfolglos. Das ist nicht der gewöhnliche Beginn tuberkulöser 
Coxitis, dennoch handelt es sich um eine solche. König sagt in 
der neuesten Auflage seines Lehrbuches von der tuberkulösen 
Coxitis: „In einer Reihe von Fällen muß man die Krankheit als 
primär ansehen, während sie in anderen als tuberkulöse Metastase 
aufzufassen ist. Ich habe eine Anzahl solcher beobachtet mit multipler 
Gelenkaffektion, mehrere Male so akut auftretend, daß man im Beginn 
an einen akuten Gelenkrheumatismus dachte.“ 

In den bisherigen Betrachtungen war der Zusammenhang der 
Hüftgelenkserkrankungen mit den Vorgängen in Schwangerschaft 
und Wochenbett teils ein accidenteller, rein zufälliger, teils ein in¬ 
direkter, wie bei der gonorrhoischen Arthritis. In direktem ätio¬ 
logischen Zusammenhang mit dem Puerperium steht die metastatische 


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Adolf Silberetein. 


Hüftgelenksentzündung bei der puerperalen Pyämie. Kommt es bei 
einer septischen Allgemeininfektion zu einer Lokalisation in einem 
oder in mehreren Gelenken, beispielsweise in einem Hüftgelenk, so 
können sämtliche Formen von der leicht serösen bis zur schwer 
eitrigen Form in die Erscheinung treten. Die eitrige Entzündung 
jedoch ist der häufigste Ausdruck puerperaler metastatischer Gelenk¬ 
entzündung, die meist in der zweiten Woche des Puerperiums beginnt. 
Wir sehen von den leichteren Formen des Puerperalfiebers ab, für 
unsere Betrachtung kommen nur die Fälle in Betracht, in denen die 
Mikroben den Schutzwall, der an der Eintrittspforte der Infektion 
von den umgebenden Zellen gebildet wird, durchbrochen haben. 
Die Erkrankung breitet sich auf der Innenwand des Geburtstraktus 
aus, erzeugt Colpitis, Endometritis, geht schließlich auf das Para- 
und Perimetrium über und verbreitet sich im Peritoneum. Nach dem 
Verbreitungswege des puerperalen Giftes treffen wir die Einteilung 
bekanntlich in Septikämie (lymphatische Form) und Pyämie (phlebo- 
thrombotische Form). Charakteristisch nun für die pyämische Form 
sind die eitrigen Gelenkentzündungen, die sie so häufig begleiten. 
Auf hämatogenem Wege also kommt es zu einer Bakteriennieder¬ 
lassung in den Gelenken. Das sind die Fälle, die gebieterisch die 
schleunige Inzision und Drainage verlangen, eventuell auch die Re¬ 
sektion erforderlich machen. 

Ein hierher gehöriger Fall gelangte in der Klinik zur Beobachtung. 

Ich lasse die Krankengeschichte so, wie sie mir vorliegt, folgen: 

Frau P. D., 33 Jahre alt. Patientin erkrankte im Anschluß an 
eine puerperale Sepsis vor 4 Jahren an einer äußerst schmerzhaften Ent¬ 
zündung im rechten Hüftgelenk, welche in ihrem Verlauf das ganze 
rechte Bein in Mitleidenschaft zog. Zahlreiche kleine Abszesse, die 
an dem stark geschwollenen Bein bis zur Mitte des Unterschenkels 
auftraten, mußten eröffnet werden. Die Temperaturen waren lange 
Zeit sehr hoch, das Allgemeinbefinden ein sehr schlechtes. Als End¬ 
resultat dieser Hüftgelenksentzündung besteht folgender Befund: 

Das rechte Bein steht im Hüftgelenk in leichter Flexions- und 
ziemlich hochgradiger Adduktionsstellung fixiert, das rechte Knie¬ 
gelenk in leichter Beugestellung nur in sehr geringem Umfang 
beweglich. Das rechte Fußgelenk in geringer Plantarflexion in seiner 
Beweglichkeit beschränkt. Der Gang der Patientin ist unbeholfen, 
sie kann sich nur mit Hilfe eines Stockes hinkend fortbewegen, sie 
ermüdet rasch. 


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Hüftgelenkserkrankungen in Schwangerschaft und Wochenbett. 71 


5. Januar 1905: Resectio capitis femoris dextri. Gipsverband 
in Abduktion und Extension des rechten Beines. Die Wunde wird 
bis auf einen kleinen Spalt für den Tampon vernäht. Wundverlauf 
reaktionslos. Nach wenigen Tagen Beginn einer eitrigen Bronchitis, 
die gut überstanden wird. 

15. Februar: Erste Gehversuche im Gipsverband. 

23. Februar: Abnahme des Gipsverbandes, Patientin geht mit 
Hilfe eines Stockes, der Gang ist bedeutend leichter im Vergleich 
zu dem Gange vor der Operation. Aktive und passive Bewegungen 
im Hüftgelenk werden gut ausgeführt. Tägliche Massage, gym¬ 
nastische Uebungen. 

10. März: Entlassung. 

Die Coxitis puerperalis, die im Anschluß an septicopyämische 
Prozesse auf metastatischem Wege entstanden ist, hat so wenig für 
eine Hüftgelenkserkrankung im Puerperium Spezifisches, wie eine 
Arthritis purulenta im Schultergelenk oder in irgeud einem anderen 
Gelenk bei septischer Allgemeininfektion! Man kann nicht einmal 
sagen, daß das Hüftgelenk relativ häufig bei puerperaler Infektion 
befallen sei. 

Und nun zurück zu den Fällen Pacis. 

Es bestehen durchaus wesentliche Uebereinstimmungen des 
Pacisehen Krankheitsbildes mit dem der gonorrhoischen Coxitis, 
wie bereits Hoffa und König hervorgehoben haben. Ich möchte 
geradezu für einige Fälle Pacis annehmen, daß es sich um die 
phlegmonöse Form der gonorrhoischen Gelenkentzündung gehandelt 
habe. In anderen Fällen scheint es sich um eine Mischinfektion von 
Streptokokken und Gonokokken gehandelt zu haben. Damit stimmt 
überein der akute Beginn, die exorbitante Empfindlichkeit, die bei 
der gonorrhoischen Form besonders in die Erscheinung tritt (der 
Druck der Bettdecke wird kaum vertragen, selbst völlige Ruhelage 
mindert den Schmerz nur wenig), die Schwellung der umgebenden 
Weichteile der Haut, der rasche Abfall der Temperatur, die Störung 
der Funktion, die sich in kurzer Frist entwickelt, insofern binde-* 
gewebige bezw. knöcherne Verwachsungen der Gelenkenden resul¬ 
tieren, ohne daß eine nachweisbare Eiterung im Gelenk vorausgeht, 
dazu die Krankheitsdauer, die sich über Monate erstreckt. 

Der Symptomenkomplex der puerperalen Coxitis wird von 
Paci vor allem scharf abgegrenzt gegenüber den Befunden der 
häufigsten Form der Hüftgelenkserkrankungen: der tuberkulösen 


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72 


Adolf Silberstein. 


Coxitis. Das Fehlen der sogenannten pathologischen Stellung, der 
üblichen Flexionsstellung des Oberschenkels zum Becken, der Ab¬ 
duktion, die dann allmählich in Adduktion übergeht, ist nach Paci 
geradezu charakteristisch für die puerperale Form der Coxitis. Ob¬ 
wohl keine rationelle Behandlung von vornherein durchgeführt wurde, 
die Patienten vielmehr vom Beginne der Krankheit an monatelang 
zum größten Teil sich selbst überlassen blieben, fand sich die Fixa¬ 
tion in gestreckter Stellung, die sich „bis zum Auf hören des Ent¬ 
zündungsvorganges“ erhielt, worauf bei einigen Patienten knöcherne 
Ankylose eintrat, bei anderen Gelenksteifigkeit infolge fibröser Pseudo¬ 
ankylose. Darauf ist zu erwidern: wenn unter den fünf Beobachtungen 
Pacis kein Fall tuberkulöser puerperaler Coxitis wäre, so spräche 
das nicht gegen das Vorkommen tuberkulöser puerperaler Coxitis 
überhaupt. Ferner aber wissen wir, daß die sogenannte pathologische 
Stellung kein unbedingtes Postulat tuberkulöser Coxitiden ist. Ist 
der Patient beim Beginne der tuberkulösen Hüftgelenkserkrankung 
umhergegangen, so resultiert eine andere „pathologische Stellung“ 
als bei ruhiger Bettlage, die von vornherein innegehalten wird. 
Gerade dann findet sich bekanntlich der Oberschenkel der erkrankten 
Seite adduziert und nach Innen rotiert, und zwar von Anbeginn an. 
In dem Falle III, dessen Anamnese durchaus Verdacht auf Tuber¬ 
kulose auf kommen läßt, findet sich denn auch die Angabe: „Linkes 
Bein ad maximum adduziert, verkürzt, sehr stark nach innen rotiert, 
so daß die Außenfläche fast zur Vorderfläche geworden ist.“ Gerade 
dieser Befund läßt sich mit der sogenannten pathologischen Stellung 
bei tuberkulöser Coxitis von vornherein bettlägriger Patienten wohl 
vereinbaren. 

Wir gelangen demnach zu dem eingangs bereits besprochenen 
Resultat: Es gibt keine Coxitis puerperalis im Sinne Pacis. Die 
Hüftgelenkserkrankungen in Schwangerschaft und Wochenbett können 
die verschiedensten ätiologischen Grundlagen haben, die eine ent¬ 
sprechend verschiedene Prognose besitzen und therapeutisch durch¬ 
aus gesonderte Maßnahmen erfordern. 

Was die Diagnose der einzelnen Formen anbetrifft, so kann 
der akute Gelenkrheumatismus mit vorwiegender Beteiligung der 
Hüfte gelegentlich von einer abgeschwächten pyämischen Strepto- 
kokkencoxitis schwer zu unterscheiden sein. Der hoch fieberhafte 
Verlauf des Wochenbettes im Einklang mit den bekannten Sym¬ 
ptomen schwerer puerperaler Allgemeininfektion: wiederholte Schüttel- 


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Hüftgelenkserkrankungen in Schwangerschaft und Wochenbett. 73 


froste, Ikterus, Albuminurie, peritonitische Reizerscheinungen u. s. w., 
wird kaum einen Zweifel in Bezug auf die Streptokokkennatur der 
Coxitis aufkommen lassen. Andernfalls mag der Streptokokkenbefund 
im Blut den Schlußstein der Diagnose bilden. Abszeßbildung mit 
den bekannten Erscheinungen der Schwellung, Rötung, Fluktuation 
verrät gleichfalls unschwer die Natur septicopyärai scher Coxitis. Für 
die gonorrhoische Form spricht der akute, überaus schmerzhafte 
Beginn, meist bereits in der Schwangerschaft, die lebhafte Neigung 
zur Kontrakturbildung. Der Nachweis der Gonokokken in der er¬ 
krankten Hüfte sowie im Urogenitalapparat sichert die Diagnose. 
Der Beginn- der tuberkulöseu Form puerperaler Coxitis ist weniger 
stürmisch, sie tritt gleichfalls häufig schon während der Schwanger¬ 
schaft ein. Tuberkulöser Habitus, Anamnese, tuberkulöse Erkrankung 
anderer Organe erwecken von vornherein den Verdacht tuberkulöser 
Coxitis, der durch den späteren Verlauf (Fistelbildung, eventuell 
langdauernde Eiterung) bestätigt wird. 

Was die Prognose anbelangt, so haben wir bereits gesehen, 
daß in allen Fällen puerperaler Coxitis der Ausgang in Ankylosen¬ 
bildung zu fürchten ist. Selbst der akute Gelenkrheumatismus zeigt 
in Schwangerschaft und Wochenbett, wie erwähnt, die Neigung mit 
Aukylosierung der am schwersten betroffenen Gelenke auszuheilen. 
Bei der puerperalen Coxitis nach einer Streptokokkenallgemeininfektion 
wird die Prognose selbstverständlich von dem gesamten Krankheits¬ 
bild abhängen. Sie ist hiernach in jedem Falle ernst. Wird der 
Organismus mit der allgemeinen Sepsis fertig, so kann die Coxitis 
dennoch durch langandauernde profuse Eiterungen den letalen Aus¬ 
gang herbeiführen. In günstigen Fällen jedoch kann auch die Coxitis 
zur Ausheilung kommen, relativ häufig mit bindegewebiger bezw. 
knöcherner Ankylosierung. Die tuberkulöse Form puerperaler Coxitis 
teilt die zweifelhafte Prognose aller tuberkulösen Gelenkerkrankungen, 
die im Laufe der Jahre mit Kontrakturen, Ankylosen zur Ausheilung 
gelangen können, nachdem mehr oder minder schwere Zerstörungen 
des Gelenkes eingetreten sind, die aber gelegentlich auch durch lang¬ 
wierige Eiterungen zur Amyloidbildung in den Körperorganen führen 
und so den tödlichen Ausgang bewirken. Die Prognose der gonor¬ 
rhoischen Form puerperaler Coxitis ist, was die Funktion anbelangt, 
als ungünstig zu bezeichnen, wie dies ja allgemein bei gonorrhoischen 
Arthritiden der Fall ist, besonders wenn sie in ärztliche Behandlung 
kommen, nachdem bereits Kontrakturen und Ankylosen vorhanden 


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74 


Adolf Silberstein. 


sind. Auch für die puerperale gonorrhoische Coxitis gilt der Ausspruch 
Königs: „Der Mensch ist und bleibt durch die Gonorrhoe ein 
Hüftgelenksin valide. * Daß auch sie gelegentlich, besonders bei 
Mischinfektionen, einen letalen Verlauf nehmen können, lehrt die 
Beobachtung. 

Was nun die Therapie der Schwangerschafts- und Wochenbetts¬ 
arthritiden anbelangt, so ist hier streng ätiologisch zu verfahren. 
Im allgemeinen werden wir in der Behandlung von der üblichen 
Therapie nicht wesentlich abweichen. Es fragt sich nur, ob wir be¬ 
rechtigt und verpflichtet sind, in den Fällen, in denen sich die 
Zeichen der Erkrankung bereits in den Schwangerschaftsmonaten 
zeigen, einen künstlichen Abort bezw. eine künstliche Frühgeburt 
einzuleiten, in der Voraussetzung, damit einen günstigen Verlauf der 
Hüftgelenkserkrankung herbeizuführen. Darüber wurde vor allem in 
der französischen Literatur viel hin und her gestritten. Mercier 
hat darüber geschrieben: „Apres la delivrance tout change. La douleur 
spontanöe disparait comme par enchantement, la tumöfaction diminue 
progressivem ent et les mouvements reparaissent peu a peu. Deux 
ou trois semaines ont suffi souvent ä Fartieulation malade depuis 
des mois pour reprendre ses fonctions. En un mot, Tarthrite guörit 
presque toujours d'elle-meme, sous la seule influence de la parturition.* 

Auch Gaulard, Lorain, Tracon und Buö raten zur Ein¬ 
leitung eines Abortes bezw. einer künstlichen Frühgeburt. Demgegen¬ 
über hat Bdgouin neuerlich festgestellt, daß die bisherigen Ergeb¬ 
nisse bezüglich der künstlichen Unterbrechung der Schwangerschaft 
durchaus nicht befriedigen. Lorain hat in einem Fall die Ankylose 
nicht verhindern können, das Kind starb 3 Tage nach der künst¬ 
lichen Entbindung. Und ebensowenig ermutigend sind die Erfolge, 
die Gaulard veröffentlichte. Tuberkulösen Coxitiden gegenüber 
werden wir die Indikation nicht eng begrenzen. In gleicher Weise 
wie die beginnende Lungentuberkulose gibt die beginnende tuber¬ 
kulöse Coxitis uns meines Erachtens nach das Recht, die Schwanger¬ 
schaft zu unterbrechen. 

Soweit es sich um die Erscheinungen des akuten Gelenk¬ 
rheumatismus handelt, wird man im allgemeinen mit den gebräuchlichen 
Salizylpräparaten auskommen. Trotz lebhafter Schmerzen wird man 
vorsichtig mit Massage, passiven Bewegungen beginnen, sobald es 
der Zustand irgendwie erlaubt. Vorbeugung Kontrakturen und Anky¬ 
losenbildung gegenüber ist dringend geboten, wenn wir an die wenig 


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Hüftgelenkserkrankungen in Schwangerschaft und Wochenbett. 75 

befriedigenden Resultate in den Fällen, die v. Noorden veröffent¬ 
lichte, denken. Auch hydrotherapeutische Maßnahmen sind hier am 
Platze. Die gonorrhoische Form puerperaler Coxitis erfordert schon 
wegen der äußerst intensiven Schmerzen die völlige Ruhestellung 
durch Gewichtsextension, die zugleich etwa beginnenden Kontrak¬ 
turen entgegenwirkt, oder aber, wenn dieselbe nicht vertragen wird, 
durch einen Gipsverband. In frischen Fällen bei nachweisbarem 
Exsudat empfiehlt sich die Punktion, an die vielfach die Ausspülung 
mit schwachen antiseptischen Lösungen angeschlossen wird. Besteht 
ein eitriges Exsudat, so ist natürlich die Eröffnung des Gelenkes 
durchaus indiziert. Eine lokale antigonorrhoische Behandlung ein¬ 
zuleiten, wird in allen Fällen ratsam sein. Rechtzeitig ist mit aktiven 
und passiven Bewegungen zu beginnen, denen Massage und Elek¬ 
trizität anzuschließen sind. Beginnende Ankylosenbildung, soweit sie 
sich nicht von vornherein vermeiden ließ, ist nach allgemeinen Regeln 
energisch zu bekämpfen. Die puerperale tuberkulöse Coxitis erfordert 
gleichfalls Ruhigstellung, die wir auch hier durch Gewichtsextension 
bezw. einen gut angelegten Gipsverband erreichen, der in der Folge 
durch einen gut gearbeiteten Hessingschen Schienenhülsenapparat 
mit festem Beckengürtel ersetzt werden kann. Haben sich Abszesse 
in der Umgebung des Hüftgelenks entwickelt, so werden wir von 
der üblichen Behandlungsweise (Injektion von Jodoformglyzerin) nicht 
abweichen. Daß in einer geringen Anzahl von Fällen Fieberungen, 
lebensgefährliche Eiterungen die Resektion indizieren, braucht an 
dieser Stelle nicht des näheren erörtert zu werden. Häufiger gibt 
naturgemäß die rein eitrige pyämische puerperale Coxitis Anlaß zur 
Resektion, falls die Inzision an sich nicht genügt. Daß auch nach 
Jahren die Resektion erforderlich werden kann, lehrt die Beobachtung 
des Falles Seite 70. 


Literatur. 

v. Noorden, Ueber den Verlauf des akuten Gelenkrheumatismus in Schwanger¬ 
schaft und Wochenbett. Chariteannalen 1890, S. 185. 

Bar, Rhumatisme blennorrhagique et puerperalite. Rev. obstet, internation. 
Dez. 1895. 

Kelly, Acute articular rheumatism completing the puerperal state. New York 
Med. Journ. 1888, 23. 

Begouin, P., Du pseudorhumatisme puerperal, son identite avec le rhumatisme 
blennorrhagique. Ann. de gyn. et de l’obst. Paris 1849, Tom. I p. 139. 


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76 


Adolf Silberstein. Hüftgelenkserkrankungen etc. 


Lefour et Fieux, Arthrite blennorrhagique et puerp£ralite. Gaz. hebdom. des 
Sciences med. de Bordeaux 1895* 

Alexandre, Contribution ä l’etude du rhumatisme pendant la grossesse. These 
de Paris 1883/84. 

Smith, Puerperal rheumatism. Tr. Wash. obst. and gyn. soc. Tom. III p. 33. 

Mercier, Etüde sur Tarthrite survenue pendant le cours de la grossesse. These 
de Paris Nr. 61. 

Fournier, G., Du rhumatisme articulaire pendant la grossesse. These de Paris 
1884/85. 

Lop, P. A., Des arthrites au cours de la puerperalite. Gaz. des Höpitaux de 
Paris, Tom. LXXVI p. 977. 

Loubet, J., Des arthrites sacro-iliaques dans la puerperalite. Thöse de Mont¬ 
pellier 1902. 

Tison, Du rhumatisme pendant la grossesse. These de Paris 1876. 

Lorain, Gazette des höpitaux 1875, Nr. 89. 

Tracon et Bu4, De Taccouchement preraature dans les arthrites de grossesse. 
Arch. de tocol. et de gyn. 1892, Vol. XIX Nr. 1. 

Riviere, Rhumatisme articulaire aigu generalise röveille par le traumatisme 
de l’accouchement. Arch. clin. de Bordeaux 1892, p. 46. 


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VI. 


Das Genu valgum. 

Von 

Prof. Dr. Cesare Ghillini, 

Oberarzt der chirurgischen Abteilung am Hospital dell’ Addolorata 

in Bologna. 

Mit 10 in den Text gedruckten Abbildungen. 

In seiner wertvollen Arbeit über die Kniegelenksdeformitäten 
des Genu valgum sagt Albert: 

„So einfach das Thema erscheint, so schwierig wird es, wenn 
man die Betrachtung um einiges vertieft. Ich bringe daher im Ab¬ 
schnitte nur: ,Vorbemerkungen zu einer künftigen Theorie des Genu 
valgum 4 . Es müssen noch Vorarbeiten vorausgehen, bevor man 
eine Theorie des Genu valgum wird entwerfen können. Ich führe 
es auch des näheren aus, in welcher Richtung diese Vorarbeiten zu 
unternehmen sein werden, und hebe schon hier, im Vorworte, hervor, 
daß ein näherer wissenschaftlicher Kontakt zwischen der Chirurgie 
insbesondere der orthopädischen Chirurgie — und einzelner poly¬ 
technischen Doktrinen, wie Baumechanik und Maschinenlehre, schon 
heute zum Bedürfnis wird. Ja auch andere Kapitel der Chirurgie 
fühlen schon das Bedürfnis nach einer ständigen und in theoretischen 
wie in praktischen Dingen organisierten Berührung mit der Technik. 
Anderseits müssen noch durch bessere Ausnützung des klinischen 
und anatomischen Materiales die Voraussetzungen geschaffen werden, 
damit auf dem Gebiete der Theorie der Deformitäten eine gemein¬ 
same Arbeit der Techniker und Chirurgen erfolgreich werde.“ 

Ich war der erste, der auf experimentellem Wege, bei Kaninchen, 
ein Genu valgum erzielte, und in einer Konferenz auf dem Ersten 
Kongreß der Deutschen Orthopädischen Gesellschaft sprach sich Maaß 
folgendermaßen darüber aus: 

„Versuche, auf experimentellem Wege Deformitäten zu erzeugen, 
sind nicht gerade neu; ich erwähne in dieser Hinsicht besonders die 


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78 


Cesare Ghillini. 


Experimente von Ghillini, auf die ich kurz eingehen möchte, weil 
sie gewissermaßen das Gegenstück zu meinen eigenen Experimenten 
darstellen. Ghillini gelang es, ausgiebige Skelettdeformitäten zu 
erzeugen, indem er das Periost oder die Wachstumsknorpel junger 
Tiere lädierte, und hierdurch entweder eine örtliche Hemmung, oder 
Steigerung des Knochenwachstums bewirkte; beispielsweise erzeugte 
er künstliches Genu valgum durch Läsion der lateralen Hälfte des 
proximalen Wachstumsknorpels der Tibia resp. des distalen Femur¬ 
knorpels, während entsprechende Läsion ihrer medialen Abschnitte 
Genu varum ergab. Hier handelt es sich also um organische Wachs¬ 
tumsstörungen; die Valgus- resp. Varusstellung ist bewirkt durch 
verminderte Knochenproduktion seitens des Wachstumsknorpels auf 
der verletzten Seite und dem daraus resultierenden ungleichen 
Längenwachstum des betreffenden Diaphysenendes, wie wir das ja 
in ganz ähnlicher Weise auch am menschlichen Skelett nach früh¬ 
zeitigen Verletzungen resp. Erkrankungen der Diaphysenenden beob¬ 
achteten. 

In wesentlich anderer Richtung als die Versuche Ghillinis be¬ 
wegen sich meine eigenen Experimente, insofern diese darauf zielen, 
unter möglichster Schonung der Knochenmatrix durch äußere, rein 
mechanische Einflüsse das Knochenwachstum störend zu beeinflussen 
und experimentelle Deformitäten unter analogen Bedingungen zu er¬ 
zeugen, als sie für die Entstehung all derjenigen Skelettdeformitäten 
in Frage kommen, die wir am gesunden menschlichen Skelett unter 
dem Einfluß abnormer Druck- und Zugspannungen beobachten, in¬ 
sonderheit also der ,Belastungsdeformitäten 4 , deren Pathogenese trotz 
der ausgezeichneten Arbeiten J. Wolffs u. a. über die Innen¬ 
architektur deformer Skeletteile doch noch keineswegs völlig geklärt 
erscheint.“ 

Maaß gipste ein Knie in Valgumstellung ein und erhielt in 
der Tat ein Genu valgum. Ich entnehme aus seiner Arbeit die 
drei Figuren der Tibia (Fig. 1, 2, 3), und wenn man die beiden 
letzten (Fig. 2, 3) genau beobachtet, so sieht man in beiden die 
Gelenksoberfläche gegen den Condylus lateral geneigt, also eine Tibia 
valga. Maaß sagt weiter: „Ich möchte hier nur kurz auf den grund¬ 
legenden Unterschied der organischen und mechanischen Störungen 
des Knochenwachstums hinweisen, wie er sich gerade aus der Gegen¬ 
überstellung der Ghillinisehen und auch meiner Versuche ergibt 
(vgl. Fig. 1, 2 und 3). Bei jenen (Fig. 3) handelt es sich um Hemmung 


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Das Genu valgum. 


79 



Figuren von Maaß. 

E= Epiphyse, ahcd stellt das proximale Diaphysenende der Tibia beim Beginn des 
Versuchs dar. aba^b^ — das wahrend der Versuchsdauer stattfindende appositionelle 
Längenwachstum der Diaphyse. 

Fig l zeigt das Längenwachstum unter physiologischen Bedingungen, Fig. 2 hei einseitig 
gesteigertem Druck il*feil D), Fig. 3 hei einseitiger Lüsion des Waehstumknorpels (Gliil- 
1 inischer Versuch). Das physiologische Längenwachstum ist in Fig. 2 und 3 durch die 
punktierten Linien gekennzeichnet. 


der Knochenproduktion infolge Läsion der Knochenmatrix, bei 
diesen beiden ist der örtlich gesteigerte Druck nur Hemmung der 
räumlichen Ausdehnung des wachsenden Knochens in der 
Druckrichtung, die Knochenproduktion selbst dagegen 
nimmt ihren ungestörten Fortgang, und deshalb kommt es 
zu dem für die mechanischen Wachstumsstörungen charakteristischen 
kompensatorischen Wachstum in der druckfreien Rich¬ 
tung. Der wachsende Knochen verhält sich also — um es leicht 
faßlich auszudrücken —mechanischen Wachstums widerständen gegen¬ 
über nicht anders als ein Strom, der nach Verlegung seines natür¬ 
lichen Flußbettes zwar nicht auf hört zu fließen, aber in neue Ab¬ 
flußbahnen in der Richtung der geringsten Widerstände gedrängt 
wird. Im besonderen stelle ich die funktionelle Pathogenese der 
Belastungsdeformitäten in Abrede und bekenne mich im wesentlichen 
ganz und voll zu der alten mechanischen Hüter-Volkmann sehen 
Drucktheorie.“ 

Maaß erzielt durch Druck eine Höhenabnahme der Gelenks¬ 
oberfläche und damit eine Neigung des Knies zum Valgismus, welch 
letzteren ich durch Verletzung der Epiphysenknorpel erzielte. Somit 
haben wir nun eine Höhendifferenz der Condylen, d. h. eine Ver¬ 
änderung, welche sogar die älteren Autoren — aufmerksame Beob¬ 
achter — bestätigt hatten. Nach Maaß hat der Druck auf den 
Condylus die räumliche Ausdehnung gehemmt, während bei meinen 


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80 


Cesare Ghillini. 


Experimenten auf der verletzten Seite eine verminderte Knochen¬ 
produktion wahrzunehmen war, welche zu demselben Resultate führte, 
d. h. zu einer Ungleichheit der Gelenksoberflächen des Knies. Aus 
dieser Höhendifferenz der Condylen entsteht die Verschiebung des 
Unterschenkels nach außen, so daß das Individuum gezwungen ist. 
seinen Fuß nach auswärts zu stellen, und dadurch entsteht eine 
Veränderung der statischen Verhältnisse, durch welche sich die Druck- 
und Zugsspannungen hauptsächlich in den Diaphysen des Femurs 
und der Tibia fühlbar machen, um Krümmungen hervorzurufen, 
welche kompensatorische Formen oder Anpassungen an die neuen 
Verhältnisse bilden. Demnach sind die Deformitäten, welche sich 
in den Diaphysen bilden, die Folgen der Deformitäten der Gelenks¬ 
oberflächen, welche ihrerseits die Folge der Läsion der Epiphysen¬ 
knorpeln sind, die sich gerade am ersten verändern. 

Die Theorie der funktionellen Anpassung ist richtig, allein 
nicht so, wie Wolff sie erklärt. Wolff sagt: „Somit bedeutet 
auch das Genu valgum wieder nichts anderes als die funktionelle 
Anpassung der Knochen und Weichgebilde der Extremität an die 
häufig und andauernd wiederholte Auswärtsstellung des Unter¬ 
schenkels.“ 

Nach Wolff würde man zuerst die Verschiebung des Unter¬ 
schenkels nach außen und nachher das Genu valgum haben; allein 
man begreift nicht, weshalb ein Individuum den Unterschenkel nach 
außen stellen sollte, wenn das Knie noch normal ist; und eben des¬ 
halb glaube ich hingegen, daß die Verschiebung des Unterschenkels 
nach außen die funktionelle Anpassung des Unterschenkels an die 
veränderten Verhältnisse der Gelenksoberflächen des Knies ist. So 
erklärt man auch die Theorie von Mikulicz, welcher annimmt, daß 
das Genu valgum durch einen Schiefstand der Diaphyse auf die 
Epiphyse hervorgerufen ist; Schiefstand, welcher nach meiner An¬ 
sicht die Folge der Veränderungen des Epiphysenknorpels ist, welche 
zuerst die Schrägstellung der Gelenksoberfläche erzeugt hat und in¬ 
folge nach den statischen Gesetzen die Krümmung der Diaphyse 
gegen die Epiphyse. Es ist jedoch von verschiedenen Autoren 
nachgewiesen, daß es nicht richtig ist, daß bei einem Genu valgum 
die Gelenksoberfläche des Knies mit der Epiphysenlinie parallel 
bleibe, wie Mikulicz behauptete, sondern daß dieselbe einen Wiukel 
bilde, und deshalb darf man den Kniebasiswinkel dem Epiphysen¬ 
linienwinkel nicht gleichsetzen. 


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Das Genu valgum. 


81 


Die Drucktheorie von Volkmann-Hueter nahm an, daß ver¬ 
mehrter Druck auf die Oberfläche des Knochens eine Entwicklungs¬ 
hemmung, Entlastung hingegen eine Zunahme der Knochenbildung 
hervorrufe, während Wolff das Gegenteil fand. Durch meine Ver¬ 
suche zeigte ich, daß beide Ansichten richtig sind, da vermehrter 
Druck auf die Gelenksoberfläche eine Entwicklungshemmung hervor¬ 
rief, dadurch, daß die Wirkung des Druckes sich mehr an dem 
Epiphysenknorpel bemerkbar machte, welcher infolgedessen weniger 
Knochen entwickelte, während die Entlastung größere Knochen¬ 
produktion hervorrief. Auf die Diaphysen der Knochen hingegen 
bewirkten die Druck- und Zugspannungen eine Zunahme der 
Knochensubstanz durch vermehrte Arbeit des Periostes. In der Tat, 
als ich die Deformität der Diaphysen des Femurs und der Tibia 
eines Tieres, bei welchem ich ein künstliches Genu valgum hervor¬ 
gerufen hatte, beobachtete, bemerkte ich, daß die Corticalissubstanz 
in der Hälfte der Diaphyse zugenommen hatte und an der Mitte der 
gebogenen Tibia waren die Kanten, welche gewöhnlich scharf sind, 
abgerundet. In den Diaphysen hatten demnach die Druck- und 
Zugsspannungen die Knochensubstanz vermehrt, während man in den 
Epiphysen den gegenteiligen Effekt hatte. Da der Druck auf die 
Epiphyse andere Wirkungen als auf die Diaphyse hervorgerufen 
hatte, sah Wolff sich veranlaßt zu sagen: 

„Ghillini hat zu dem zwiefachen Modus des Entstehens der 
Deformitäten noch eine neue Art hinzu ersonnen. Vermehrter Druck 
soll nach Ghillini an den Epiphysen Schwund oder geringere Ent¬ 
wicklung der Knochen, an der Diaphyse hingegen Wachstum zur 
Folge haben. Es folgen also nach diesem Autor die Diaphysen dem 
Transformationsgesetz, die Epiphysen hingegen der Drucktheorie.“ 

Ich erwiderte Wolff hierauf, daß es unrecht sei, mir diese 
Auslegung zuzuschreiben, allein daß Druck, welcher an allen Punkten 
auf gleiche Weise wirkt, einen verschiedenen Einfluß hatte, je nach¬ 
dem er seine Wirkung auf die Epiphysen oder die Diaphysen aus¬ 
übte. Aus diesem Grunde fand ich die Bemerkungen Volkmann- 
Hueter betreffs der Gelenksenden richtig, und die Bemerkungen von 
Wolff betreffs der Diaphysen der Knochen. 

Wieder Anatom Meyer, Culmann, dem Gründer der graphischen 
Statik das Problem des menschlichen Skelettbaues in seinem normalen 
Zustande vorlegte, so wollte ich das Problem des Baues der Defor- 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XV. Bd. 6 


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82 


Cesare Ghillini. 


mitäten, welche ich auf künstlichem Wege erzielt hatte, dem Prof. 
Canevazzi unterbreiten. 

Auch Wolff wollte die Deformitäten in mechanischer Hinsicht 
studieren und fand dadurch die Theorie des Krans, welchen er mit 
dem Femur verglich. Doch diese Theorie schien nicht richtig und 
viele griffen dieselbe an. Albert sagt: „Die Bemerkungen von 
Bähr, Korteweg, Kölliker und Ghillini lassen wohl den Ein¬ 
druck, daß die Krantheorie nicht mehr haltbar sei, allein dabei wird 
man Wolffs Verdienste nie vergessen. Der Anatom und der 
Chirurg wird an den Mechaniker herantreten und diesem das Problem 
vorlegen, oder besser gesagt, zurechtlegen müssen, und so tat es auch 
Ghillini in Bologna, der sich an Canevazzi, Professor am dor¬ 
tigen Polytechnikum, wendete.“ 

Canevazzi fand in der Tat, nachdem er die Deformitäten, 
welche ich auf experimentellem Wege erzielte, geprüft hatte, daß 
dieselben vollständig den Gesetzen der Statik entsprechen und 
Albert selbst sagt an einer anderen Stelle: „Berücksichtigt man 
die an einem hochgradigen Genu valgum vorhandene S-förmige 
Gestalt der Tibia, wie es aus unserer Fig. 7 (Fig. 4) zu sehen ist, 
so hat man die Empfindung, daß Ghillinis Ausführungen mit 
unserem Objekt in nahe Berührungen gelangen.“ 


Fig. 4. 



Fig. 5. 




Experimentelles Genu valgum 
von Ghillini. 


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Das Genu yalgum. 


83 


Die von Albert genannte Figur stellt in der Tat die S-förmige 
Gestalt einer Tibia eines Individuums dar, eine Deformität ähnlich 
derjenigen, welche ich auf experimentellem Wege (Fig. 5) durch 
Reizung der Epiphysenknorpel des lateralen Condylus der Tibia 
erhielt. 

„Nach der Theorie des Gleichgewichtes der elastischen Körper 
mußte die Längsachse die Form einer Sinusoide annehmen (Fig. 5 
und Fig. 10), und man kann nicht umhin, die sinusoidale Form der 
Tibia des von mir auf experimentellem Wege erhaltenen Genu valgum 
wahrzunehmen. “ 


Fig. 6. 



Fig. 7. 





T 


Fig. 8. 



Fig. 9. 



Fig. 10. 



Schematische Darstellung der Entwicklung des Genu valgum. 

F = Femur. T= Tibia. Ä' R = Seitenbänder, 
rifr 6: Das Femur und die Tibia in einem gesunden Individuum. Fig. 7: Tibia mit ein¬ 
stiger Verletzung des oberen Epiphysenknorpels (äußere Seite). Normales Femur. Fig. 8: 
'aleusstellung der Tibia nach der Verletzung des oberen Epiphysenknorpels (äußere Seite), 
ng. t: (ienu valgum (wie Fig. 8). Die punktierte Linie bezeichnet die Kurve, welche die 
Tibia annimmt. Fig. io: Form der Sinusoide der Tibia nach der Theorie des Gleichgewiches 
der elastischen Körper. 


Das Genu valgum ist demnach eine Deformität, welche durch 
Höhendifferenz der Condylen der Tibia oder des Femurs hervor¬ 
gerufen ist, und diese Differenz ist die Folge der verschiedenartig 
bildenden Tätigkeit der Epiphysenknorpel (der obere der Tibia und 
der untere des Femurs) an ihren verschiedenen Stellen; eine bildende 
Tätigkeit, welche durch verschiedene Anregungen erzeugt wird. 

Der Ausgangspunkt des Genu valgum ist demnach die Epi¬ 
physenknorpel. 

Der Deformität der Gelenkoberflächen des Knies folgen die 
Deformitäten der Diaphyse des Femurs und der Tibia, weil die 
Diaphysen, welche nach auswärts gestellt wurden, ihre statischen 
Bedingungen verändert haben, und infolgedessen entstehen Kriim- 


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84 


Cesare Ghillini. 


mungen, welche eine funktionelle Anpassung an die veränderten 
Verhältnisse der Epiphyse darstellen. 

Die funktionelle oder kompensatorische Anpassung des Genu 
valgum findet daher in den Diaphysen der Tibia und des Femurs 
statt, welche sich je nach den vorgekommenen Veränderungen des 
Kniegelenkes deformieren. Dieses angenommen ist es leicht, sich 
die spontane Heilung dieser Deformität und ihre Korrektion mittels 
Anlegung von orthopädischen Apparaten und durch Etappen das 
Redressement nach Wolff zu erklären. 

Die spontane Heilung dieser Deformitäten erklärt sich nach 
meiner Ansicht dadurch, daß die Kranken, um besser gehen zu 
können, es versuchen, den Fuß gegen die Medianlinie des Körpers 
zu bringen, damit der Schwerpunkt durch den Fuß geht, und wir 
wissen, wie diese Kranken, welche mit doppelseitiger Deformität von 
einer gewissen Bedeutung behaftet sind, um besser gehen zu können, 
ein Knie über das andere schieben. Dieses Verschieben des Fußes 
nach innen versucht das Knie in Varusstellung zu bringen, dadurch 
wird die laterale Hälfte des Gelenkes, d. h. die Gelenksoberflächen 
der Condylen entfernt, während die medialen mehr dem Drucke aus¬ 
gesetzt werden. Nach meinen eigenen Arbeiten und auch nach denen 
von Maaß hemmt der Druck auf die Epiphysen die räumliche Aus¬ 
dehnung der wachsenden Knochen, während Entlastung vermehrtes 
Wachstum der Knochen erzeugt; dadurch entsteht nun die Ver¬ 
änderung des Knochen Wachstums, indem es die Produktion auf der 
lateralen Seite vermehrt und auf der medialen Seite vermindert und 
so die Verschwindung des Schiefstandes der Gelenksoberflächen, und 
den Ausgleich der Höhendifferenz herbeiführt. Den veränderten oder 
gebesserten Verhältnissen der Gelenksoberflächen folgen die Ver¬ 
änderungen in den statischen Verhältnissen des Beines (Druck- und 
Zugspannungen), welche die Diaphysenverkrümmungen, die durch 
die Deformität erzeugt waren, verbessern. 

Aus den gleichen Ursachen lassen sich auch die Heilungen 
durch orthopädische Streckapparate und durch Etappenredressement 
von Wolff erklären, wie ich schon oben bemerkte, auch die durch 
das Redressement force von Delore, da die Radiographien, welche 
nach letzterer Operation aufgenommen wurden, nicht klar genug 
beweisen, wie sonst auf andere Weise die Korrektion des Genu valgum 
hätte stattfinden können. 


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Das Genu valgum. 


85 


Literatur. 

Albert, E., Die seitlichen Kniegelenksverkrümmungen und die kompensatori¬ 
schen Fußformen. Wien 1899, Hof* und Universitätsbuchhandlung. 

Ghillini, C., Experimentelle Untersuchungen über die mechanische Reizung 
des Epiphysenknorpels. Arch. f. klin. Chir. 1893, Bd. 40 Heft 4. 

Derselbe, Experimentelle Knochendeformitäten. Arch. f. klin. Chir. Bd. 52 
Heft 4. 

Derselbe, Die Pathogenese der Knochendeformitäten. Arch. f. klin. Chir. 
1899, Bd. 58 Heft 2. 

Ghillini und Canevazzi, Betrachtungen über die statischen Verhältnisse 
des menschlichen Skeletts. Wiener klin. Wochenschr. 1901, Nr. 23. 

Dieselben, Ueber die statischen Verhältnisse des Femurs. Arch. f. klin. Chir. 
1902, Bd. 65 Heft 4. 

Hueter, Anatomische Studien an den Extremitätengelenken Neugeborener und 
Erwachsener. Virchows Arch. Bd. 25 S. 572. 

Maaß, Ueber experimentelle Deformitäten. Zeitschr. f. orth. Chir. 1903, Bd. 11 
Heft 1. 

v. Volk mann, R., Chirurgische Erfahrungen über Knochen Verbiegungen und 
Knochenwachstum. Virchows Arch. 1862, Bd. 24. 

Derselbe, Krankheiten der Bewegungsorgane. Pitha-Billroths Chir. II 1865, 
1872. 

Wolff, J., Das Gesetz der Transformation der Knochen. Berlin 1892, Verlag 
von A. Hirschwald. 

Derselbe, Die Lehre von der funktionellen Pathogenese der Deformitäten. 
Arch. f. klin. Chir. Bd. 53 Heft 4. 


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VII. 


Zur plastischen Achillotomie nach Bayer. 

Ein einfaches Tenotom. 

Von 

Dr. C. Hübscher, 

Dozent an der Universität Basel. 

Mit 2 in clen Text gedruckten Abbildungen. 

In den letzten Tagen kamen 2 Fälle von Littlescber Krank¬ 
heit in meine Behandlung, bei welchen früher von berufenen Chirurgen 
die offene plastische Verlängerung der Achillessehnen vorgenommen 
worden war. 

Im ersten Fall, einen 10jährigen Italiener betreffend, finden sich 
über den Achillessehnen ausgedehnte keloidartige Narben, welche 
durch den Druck des Schuhrandes leicht wundgerieben werden. 

Der zweite Fall betrifft ein 9jähriges Mädchen, das auf der 
Innenseite beider Sehnen 12 cm lange, gut sichtbare Narben davon¬ 
getragen hat. Dabei ist die Verlängerung der Sehne ungenügend 
und die Spitzfüße sind nicht vollständig korrigiert. 

Diese Duplizität der Fälle veranlaßt mich, mit aller Wärme 
für die Bayer sehe subkutane Verlängerung der Achillessehne ein¬ 
zutreten, welche in meiner Praxis die einfache subkutane Tenotomie 
vollständig verdrängt hat. 

Die kleine Operation besteht bekanntlich in dem subkutanen 
seitlichen Einkerben der Sehne von zwei Stichöffnungen aus bis zur 
Mitte, ohne daß die Endpunkte der entgegengesetzten Halbschnitte 
durch eine Längswunde getrennt werden. Die Längstreunung erfolgt 
stumpf unter leichter Dorsalflexion des Fußes und zwar so glatt, 
als ob sie mit dem besten Messer erfolgt wäre. 

Hiervon konnte ich mich dieser Tage bei der Operation eines paralyti¬ 
schen Klumpfußes überzeugen; nachdem ich bei dem 19jährigen Mann die 
Achillessehne plastisch verlängert hatte, legte ich nach Vollendung der Ver¬ 
pflanzungen an den Extensoren zum Schluß die Achillessehne weiter oben bloß. 


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Zur plastischen Achillotomie nach Bayer. 


87 


um einen Lappen zur Implantation in die Peronealsehnen abzutrennen. Im 
unteren Teil lag der zentrale Stumpf der Sehne mit der vollständig sauberen 
Längstrennung. 


Fig. 1. 


Die Vorzüge der Bay ersehen Operation sind außer der genauen 
Dosierbarkeit, Bildung eines gleichmäßigen Kallus, Vermeiden von 
Ueberkorrektion, überaus rasche Heilung und Unsicht¬ 
barkeit der Narben. Ich sehe nicht ein, warum man die 
offene Methode der subkutanen vorziehen soll, nachdem 
Bayer selbst die erstere, ebenfalls von ihm angegebene, 
verlassen hat. 

Ich habe seit der Mitteilung von Bayer im Jahre 
1901 l ) 81 mal die Achillessehne plastisch subkutan ver¬ 
längert; nur in 2 Fällen versagte die Methode, die Längs¬ 
trennung erfolgt nicht, wenn schon früher eine quere 
Tenotomie ausgeführt war 2 ). Der Narbenkallus ist eben 
kein parallel gefasertes Gewebe. 

Zur Ausführung verwende ich ein Tenotom, das 
ich seit 10 Jahren in Gebrauch habe. Das Instrument 
(vgl. Fig. 1) trägt am einen Ende eine kleine Lanze zum 
Einstich in die Haut, am anderen ein kleines, gedecktes 
Tenotom. 

Der Patient ist in Bauchlage; die linke Hand des 
Operateurs liegt so auf der Ferse und dem hinteren Teil 
der Planta, daß Daumen und Zeigfinger zur Fixierung 
der Sehne frei bleiben. Die Stichöffnung wird genau 
mitten auf der Sehne angelegt. Nach Umwenden des 
Instruments wird das Tenotom flach eingeführt und 
unter Verschieben der Hautöffnung am Rand der Sehne 
senkrecht unter Drehen auf die Schneide eingestellt. 

Enter kleinen sägenden Bewegungen erfolgt dann in 
sagittaler Richtung die Halbierung der Sehne, wie dies 
Bayer schon angegeben hat (Fig. 2). Von einer zweiten 
Stichöffnung aus — der Abstand derselben von der ersten 
entspricht der gewünschten Verlängerung — wird die andere Hälfte 
der Sehne durchtrennt. Sobald man sich beim zweiten Schnitt der 


*) Bayer, Eine Vereinfachung der plastischen Achillotomie. Zentralbl. 
Chii. 1901, Nr. 2. 

2 ) Tr oller, Beiträge zur Chirurgie der Sehne. Diss. Basel 1904, S. 52. 


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88 


G. Hübscher. Zur plastischen Achillotomie nach Bayer. 


Mitte nähert, so fühlt die auf der Planta lastende linke Hand das 
Nachgeben der Längsfasern. 

Bei einiger Uebung ist die Dauer der plastischen subkutanen 
Tenotomie nicht größer als die der klassischen queren Durchtrennung; 


Fig. 2. 



durch die Benützung meines Tenotoms*) wird jeder Zeitverlust ver¬ 
mieden, da ein Wechsel der Instrumente oder der Assistenten¬ 
hände wegfällt. Nebenverletzungen von Gefäßen oder der Haut 
kommen nicht vor. 


l ) Das Instrument ist erhältlich bei Knöbel, Fabrikant chirurgischer 
Instrumente, Basel. 


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VIII. 


Eine kombinierte Methode der photographischen 
Skoliosenmessung. 

Von 

Dr. Engen Kopits, 

Ordinierender Arzt für orthopädische Chirurgie im Stefanie-Kinderspital 

zu Budapest. 

Mit 6 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Bei der Behandlung der Skoliose ist eine zeitweilige Unter¬ 
suchung der Patienten und auch die Festhaltung der gewonnenen 
Dntersuchungsresultate unstreitig notwendig. Es ist eine Haupt¬ 
bedingung, bevor man einen an Wirbelsäuleverkrümmung leidenden 
Kranken in Behandlung nimmt, dessen derzeitigen Zustand auf irgend¬ 
welche Weise zu fixieren und zwar derart, daß man die Gestalt des¬ 
jenigen je besser und genauer “zurtickgibt. Durch Vernachlässigung 
dieser Regel ist es unmöglich, zu kontrollieren, ob sich die Defor¬ 
mität mindert oder vergrößert, ob die in Angriff genommenen Heil¬ 
verfahren richtig sind und auch geeignet, eine Besserung hervor¬ 
zurufen oder ob trotz ihrer Anwendung der Zustand des Patienten 
sich allmählich verschlechtert. 

Die Festhaltung des Bildes^ der ersten Untersuchung in unserer 
Erinnerung ist schon daher unverläßlich, da wir Skoliotiker gleich¬ 
zeitig in größerer Zahl behandeln, anderseits die Veränderungen im 
Zustande sich nur allmählich entwickeln und meistens erst nach 
Monaten auffälliger werden, und da wir die in Behandlung stehenden 
Kranken täglich beobachten, ist das Auffrischen des vor Monaten 
gewonnenen Bildes in unserer Erinnerung noch beträchtlich erschwert. 
Die wörtliche Beschreibung der gewonnenen Untersuchungsresultate, 
mögen sie noch so genau sein, kann sich nur in allgemeinen Grenzen 
bewegen. Die Beschreibung des Zustandes kann nur die Richtung 
der Verkrümmung, die Veränderungen in der Lage der Schulter¬ 
blätter und des Beckens, die Bezeichnung der Umrisse des Körpers 


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90 


Eugen Kopits. 


geben, doch nie den Grad der Veränderungen und auch nicht das 
Verhältnis der einzelnen Körperteile zueinander. Daher ist es not¬ 
wendig, das erste Bild der Untersuchung derart festzuhalten, daß 
es die Gestalt der Krankheit warheitsgetreu zurückgebe und geeignet 
sei, durch spätere Vergleichungen den Grad der Besserung, deren 
raschere oder langsamere Fortschritte aufzuweisen, woraus es mög¬ 
lich ist, auf die Prognose der Krankheit wichtige Folgerungen 
zu machen. 

Die Meßvorrichtungen und Methoden sind sehr zahlreich, doch 
keine allgemein verbreitet und beinahe jede nur durch den Erfinder 
gebraucht. Den größten Anhang doch erwarb sich in früheren Zeiten 
Zander, dessen Apparat aber neuerdings durch den Schulthefi¬ 
schen erheblich verdrängt wurde. Nachteil der Mehrzahl der Me߬ 
apparate ist die Unverläßlichkeit der meisten bezüglich ihrer Genauig¬ 
keit, ihre Kostspieligkeit, das große Raumbedürfnis, und doch in 
größter Zahl zur Messung anderer Deformitäten unbrauchbar. 

Daher stellte ich mir die Aufgabe, eine Methode zu finden, 
welche den folgenden Anforderungen entsprechen soll: 

1. Das gewonnene Bild gebe vollständig plastisch die 
Gestalt des skoliotischen Rumpfes zurück, wie ich sie vor 
mir sehe oder vor vielen Jahren sah. Das Bild gebe wo¬ 
möglich Aufschluß über sämtliche Symptome der Skoliose. 

2. Es gebe mir eine geeignete Skizze zur Messung 
und Vergleichung der frontalen Projektion des Rumpfes. 

3. War es mein Bestreben, dieses Ziel durch ein¬ 
fache, leicht zugängliche und nicht nur einem Zwecke 
dienende Mittel zu erreichen. 

Die Anforderungen des ersten Punktes fand ich in der von 
Lorenz schon früher empfohlenen stereoskopischen Photographie am 
vollkommensten vereinigt. Die Photographie, die derzeit in der 
Medizin ein unentbehrliches Hilfsmittel ist, spiegelt am getreuesten 
die Gestalt des Kranken zurück. Ein großer Nachteil der nicht 
stereoskopischen Photographie ist, daß sie die Bilder der plastischen 
Objekte auf eine Fläche reduziert, während das stereskopische Bild, 
in das Stereoskop gebracht, den Kranken sozusagen vor unsere 
Augen zaubert (Fig. 1) ! ). Er steht so vor uns, als würden wir ihn 
in Wirklichkeit sehen, wir haben nicht nur Umrisse, sondern ein 


‘) Die originelle Größe der Bilder ist 8,5 : 17 cm. 


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Eine kombinierte Methode der photographischen Skoliosenmessung. 91 

plastisches Objekt. Wir sehen den Rumpf des Patienten auf die 
eine oder andere Seite hängen, wir bekommen ein Bild von den 
beiderseitigen Taillendreiecken, wie der Patient den Kopf hält und 
gut bemerkbar ist auch die Rotation des Kopfes. Wir bekommen 
genauen Aufschluß über die Details des Rumpfes, wir sehen die 
antero-posterioren Verkrümmungen der Wirbelsäule, die Lage der 
Schulterblätter und abgesehen, daß wir den Hochstand des einen 
oder anderen Schulterblattes bestimmen können, sehen wir auch den 

Fig. 1. 



Abstand und die durch den Rippenbuckel erzeugte Niveaudifferenz 
des Schulterblattes. Das Stereoskop spiegelt die aus der Rotation 
der Wirbelsäule entstandenen Veränderungen vorzüglich zurück, der 
Rippenbuckel ist ebenso ausgeprägt wie die Verflachung der ent¬ 
gegengesetzten Seite. Um die Größe des Rippenbuckels noch auf- 
tälliger zu machen, können wir die Aufnahme in vorgebeugter Stellung 
(Fig. 2) des Patienten vornehmen, ebenso wie bei der Untersuchung 
der Kranken üblich ist. Schließlich können wir die wahrnehmbaren 
Lageveränderungen am Becken wie auch den allgemeinen Ernäh¬ 
rungszustand des Kranken sehen. 

Mit einem Worte, wir bekommen bei der Betrachtung 
des stereoskopischen Bildes den nämlichen Eindruck, 


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92 


Eugen Kopits. 


den die Inspektion des Kranken bietet, und nachdem 
sämtliche Symptome der Skoliose durch Inspektion fest- 
stellbar sind, ist das durch die stereoskopische Photo¬ 
graphie gewonnene Bild leicht erklärlich vollkommen 
entsprechend. 

Gegenüber den Meßmethoden mittels Apparaten äußert sich 
der Vorteil der Photographie darin, daß, während wir mit jenen 
bloß ein und dieselbe Lage des Kranken im stände sind zu reprodu- 


Fi*. 2. 



zieren, wir den Kranken in jeder beliebigen Stellung photographieren 
können. Wie oben erwähnt, photographiere ich die Kranken in 
vorgebeugter Stellung, wobei sich der Rippenbuckel gut hervorwölbt, 
ebenso verfertige ich auch Aufnahmen von den suspendierten Kranken 
mit gestreckter Wirbelsäule (Fig. 3 ), wobei ich von der Dehnbarkeit 
oder Steifheit des Rückgrates ein dauerndes Bild bekomme, was bei 
der Beurteilung der Prognose sehr wertvoll ist. Interessiert mich 
die antero - posteriore Krümmung der Wirbelsäule des Kranken, 
verfertige ich auch eine besondere Aufnahme in Profilstellung des 
Kranken. Die einzelnen Symptome kann ich noch mehr zur Geltung 
bringen, wenn ich, um die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, auf 
dem Körper mit Dermograph Bezeichnungen mache. So bezeichne 


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Eine kombinierte Methode der photographischen Skoliosenmessung. 93 


ich mit Punkten die Stelle der Dornfortsätze, wie auch die sicht¬ 
baren und fühlbaren Konturen der Schulterblätter und Darmbein- 
kämme (Fig. 2 u. 3). Um die Abweichung der Wirbelsäule von der 
Vertikalen noch auffälliger zu machen, befestige ich um den Hals 
des Kranken eine mit Senkblei versehene Schnur derart, daß dieselbe 
von der Vertebra prominens bis zur Rima ani frei herabhänge. Ist keine 
Seitenverschiebung vorhanden, läuft die Schnur in den Einschnitt 
hinein, hängt aber der Rumpf nach der Seite, so verläuft die Schnur 


Fig. 3. 



neben dem Einschnitte, und zwar näher oder entfernter davon, je nach 
der Größe der seitlichen Verschiebung. Selbstverständlich darf das 
verwendete Gewicht durch seine Schwere die Haltung des Kranken 
nicht beeinflussen. Aus der Abweichung der über den Dornfortsätzen 
punktierten Linie von dem vertikalen Verlauf der Schnur ist der 
Typus der Wirbelsäulenverkrümmung sicher stellbar. Die Richtungs¬ 
linie vermag auch deutlich die Größe der sagittalen Verkrümmung 
darzustellen. Selbstverständlich entspricht die mit dem Gewichte ver¬ 
sehene Schnur nicht der Mittellinie des ganzen Körpers, denn diese 
könnten wir nur durch eine von der Rima ani aufsteigende Vertikale 
darstellen. 

Damit das Bild der Wirklichkeit treu entspreche, ist 


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94 


Eugen Kopits. 


der Apparat derart einzustellen, daß die Ebene der licht¬ 
empfindlichen Platte vollständig mit der frontalen Ebene 
des Körpers parallel verläuft. 

Bei der Aufnahme benütze ich keinerlei Stütz- oder Fixierungs¬ 
apparat, um die habituelle Haltung des Körpers nicht im mindesten 
zu beeinflussen; das ist übrigens gar nicht notwendig, da eine Auf¬ 
nahme je nach der Stärke der Belichtung einen Moment oder 5 bis 
10 Sekunden benötigt. Der Vorteil der stereoskopischen Photographie 
über die einfache ist auch noch der, daß sie unbedingt treu ist. 
Diesbezüglich ist das stereoskopische Bild unerbittlich, es duldet 
keinerlei Retusche, die kleinste Korrigierung auf der positiven oder 
negativen Platte wird sofort unverkennbar bemerklich. Auch durch 
die Beleuchtung täuscht die stereoskopische Photographie nicht in 
dem Maße wie die einfache, da im Stereoskop die Haltung des 
Kranken sofort ins Auge fällt und die Plastizität des Bildes klärt 
sogleich den Irrtum auf, welchen ohne Stereoskop die aus der ein¬ 
seitigen Beleuchtung hervorgehende Beschattung hervorrufen könnte. 

Die stereoskopische Photographie ist geeignet, bei nach längerer 
Zeit vorgenommener Untersuchung zwischen Kranken und dem 
früheren Bilde Vergleichungen aufzustellen. Handelt es sich nicht 
um die genaue Messung der Krümmung, so ist keine neue 
Aufnahme nötig. Die Frage, ob auf dem Bilde die eventuelle 
Veränderung zu bestimmen, beurteilbar ist, muß ich bejahen. Vermag 
ich von zwei nebeneinander gestellten skoliotischen Kranken zu 
sagen, daß die Krümmung der Wirbelsäule des einen größer ist als 
die des anderen, oder daß der Rippenbuckel nicht so groß ist wie 
der andere, so vermag ich auch zu bestimmen, ob und inwiefern 
sich die Deformität geändert hat, wenn ich, in das Stereoskop sehend, 
den Kranken mit dem früheren Bilde vergleiche, welches ihn mir 
gleich einer Statue vorzaubert. 

Im Sinne des zweiten Punktes meiner Aufgabe war ich bestrebt, 
nebst dem stereoskopischen Bilde auch noch eine Skizze von der 
frontalen Projektion des Rumpfes zu gewinnen. Je schematischer ein 
Bild ist, nämlich wenn es bloß die wesentlichen Punkte enthält, ohne 
sich auf Nebensachen zu erstrecken, welche die Aufmerksamkeit des 
Beobachters ablenken könnten, desto auffälliger ist der Unterschied 
zwischen den zwei zur Vergleichung bestimmten Bildern. Solche 
zur Vergleichung geeignete frontale Projektionsskizze erhalten wir 
mit Hilfe von Projektionsapparaten, welche auf optischem oder rnecha- 


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Eine kombinierte Methode der photographischen Skoliosenmessung. 95 

nischein Wege die Luftfigur des ganzen Rumpfes unmittelbar selbst 
vom Körper des Kranken reproduzieren. Diese Skizze vermag ich 
viel vollkommener mit Hilfe meiner Aufnahme zu verfertigen. Vor 
Anwendung der oben erwähnten Meßapparate müssen der Verlauf 
der Wirbelsäule, die Konturen der Schulterblätter und der Darm¬ 
beine mit dem Dermograph auf der Haut markiert werden und der 
so bezeichnete Rumpf wird mit Hilfe der Instrumente aufgenommen. 
Mit Hilfe der Apparate wird eigentlich das reproduziert, 
was man auf den Rumpf zeichnete und schließlich die un¬ 
bestimmten Konturen des Rumpfes. Viel vollkommener 
erhalte ich dieselbe Skizze, wenn ich die wesentlichen 
Umrisse mit dem Dermograph auf den Rumpf zeichne, das 
Ganze binnen einer Sekunde mit Hilfe der Photographie 
fixiere und die Reproduktion von dem gewonnenen Bilde 
verfertige. Ich sehe den Vorteil dieses Verfahrens darin, daß in 
der Beziehung der einzelnen Linien kein Irrtum entstehen kann; 
den Umriß des Rumpfes erhalte ich viel treuer und der Wirklichkeit 
entsprechender, da ich es mit einer Linie zu tun habe, während in 
der Natur die Grenzen des Rumpfes wie der sichtbare Umriß eines 
jeden Körpers von verschiedenen Punkten betrachtet sich verschiedener¬ 
maßen äußern. Die gewonnenen Luftfiguren enthalten die vollstän¬ 
digen Umrisse des Halses, des Kopfes, sowie der frei herabhängenden 
Arme, woraus ich bezüglich der Lage des ganzen Rumpfes sehr 
wichtige Anhaltspunkte gewinne. 

Die Luftfigur zeichne ich in dreifacher Größe der 
Photographie mit Hilfe eines pünktlichen Pantographen. 
Durch die einfache Kopierung der Umrisse der photographischen 
Aufnahme wäre eine Luftfigur leicht zu erhalten, doch halte ich 
die Vergrößerung für wichtig, da erstens auf einem größeren Bilde 
die Unterschiede viel auffälliger sind und infolgedessen die Skizze 
zur Messung geeigneter ist; zweitens würde man von Photographien 
verschiedener Größe verschieden große Luftfiguren erhalten, welche bei 
der Vergleichung zu Täuschungen Veranlassung geben könnten. Zur 
Erreichung von gleich großen Luftfiguren verfertige ich schon die 
Aufnahme auf die Weise, daß ich auf der Photographie Figuren 
von vollständig gleicher Größe erhalte. Das könnte ich natürlich 
mit dem Augenmaße nicht entscheiden, darum mußte ich solchen 
Punkten nachforschen, deren Entfernung voneinander eine konstante 
bleibt, ob nun der Kranke steht oder suspendiert ist. Zwei solche 


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9(J Eugen Kopits. 

sehr geeignete Punkte fand ich in den hinteren oberen Darmbein - 
stacheln, welche in Form kleiner, grübchenartiger Einziehungen 
immer gut erkennbar sind. Diese werden ebenfalls mit Dermograph 
bezeichnet. Bei der Aufnahme stelle ich nun den Kranken auf der 
Mattscheibe der Camera in solcher Größe ein, daß die Entfernung 

der hinteren oberen Darm¬ 
beinstacheln von einander 
1 cm betrage. Das ist mit 
Hilfe eines Zirkels, dessen 
Schenkel in der Entfernung 
von 1 cm fixiert sind, leicht 
ausführbar. So kann ich mit 
meinem Verfahren erreichen, 
daß ich immer gleich große 
Bilder erhalte, deren jedes 
bis zur dreifachen Größe ver¬ 
größert wird. So erhalte ich 
von den verschiedenzeitigen 
Aufnahmen genau gleich große 
und zu einer direkten Ver¬ 
gleichung geeignete Luft¬ 
figuren. Die Fig. 4 zeigt die 
zur Hälfte verkleinerte Skizze 
des stehenden Kranken, die 
Fig. 5 diejenige des suspen- 
sierten Kranken zur Demon¬ 
stration dessen, in welchem 
Maße sich in letzterer Lage 
die Wirbelsäule gerade streckt. 
Um die erhaltene Skizze direkt 
zur Messung benützen zu können, zeichne ich die Figur auf von den 
Ingenieuren benütztes in Quadratmillimeter eingeteiltes Papier. Zeichne 
ich das Bild derart, daß die Schnur des Senkbleies auf eine gerade 
Linie fällt, so vermag ich die Größe der Deviation der Wirbelsäule 
auf deren beliebigen Punkten unmittelbar vom Bilde abzulesen. 
Dadurch ist die Bestimmung der Abweichungen sämtlicher wesent¬ 
licher Punkte des Rumpfes in Zahlen auszudrücken leicht möglich. 
Selbstverständlich beziehen sich die auf diese Weise gewonnenen 
Werte bloß auf das Bild und nicht auf den Rumpf des Kranken 



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Eine kombinierte Methode der photographischen Skoliosenmessung. 97 

und können bloß wiederholt mit dem im Falle einer Veränderung 
verfertigten neuen Luftfigur von derselben Größe zum Vergleiche 
verwendet werden. Nachdem ich die eine Hälfte des stereoskopi¬ 
schen Doppelbildes zur Reproduktion benütze, halte ich es für not¬ 
wendig, immer dieselbe Hälfte, 
also immer das rechte oder 
das linke Bild zu benützen, 
da zwischen den zwei Bildern 
schon ein geringer Unter¬ 
schied mit freiem Auge be¬ 
merkbar ist, durch die Natur 
des stereoskopischen Bildes 
bedingt. 

Um auch eine genaue 
Skizze von dem Umriß des 
deformierten Thorax bezw. 
des Rippenbuckels zu erhal- 
teu, verfertige ich einen ge¬ 
nauen Abdruck mit Bleidraht 
über dem höchsten Punkte 
des Rippenbuckels. Dieses 
sehr alte Verfahren gibt 
ebenso verläßliche Umri߬ 
zeichnungen, als ob wir die¬ 
selben mit einem Zeichen¬ 
apparate angefertigt hätten. 

Den Abdruck verfertige ich 
in zwei Teilen, genau vom 
Dornfortsatz des Wirbels bis 
zur bezeichneten Mittellinie 
der vorderen Thoraxfläche, darauf achtend, daß der Draht genau in 
der Querebene verlaufe. Der Bleidraht darf nicht zu dünn sein, da er 
beim Abnehmen vom Körper zusammenfällt. Ich benütze zu diesem 
Zwecke das bei Einrichtung der elektrischen Beleuchtung gebräuch¬ 
liche dünne Bleikabel, welches dick genug ist und dessen Stärke 
die zwei in demselben verlaufenden Kupferdrähte ein wenig erhöht, 
sich aber plastisch genug an den Körper anschmiegt. Den Draht 
vom Körper entfernt, lege man ihn auf das Zeichenpapier und ver¬ 
fertige die Skizze auf die Weise, daß ich den Bleistift am Rande 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XV. Bd. 7 



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98 


Eugen Kopits. 


des Reifens führe. Die Zusammenpassung der Endpunkte der Krüm¬ 
mungslinien geben die ganze Kontur des Rumpfes. Die auf diese 
Weise gewonnene Skizze lege ich mittels des Pantographen zur 
Hälfte verkleinert der Krankengeschichte bei (Fig. 6). Von welcher 


Fig. 6. 



Höhe des Rumpfes der Umriß stammt, zeigt die Zahl des Wirbels, 
in dessen Höhe die Messung genommen wurde. Je nach Bedarf ver¬ 
mag ich natürlich von dem deformierten Brustkörbe eine ganze Serie 
solcher Aufnahmen zu verfertigen. 

Bei der Zusammenstellung dieser Methoden schwebte es mir 
immer vor Augen, mit Hilfe einfacher Instrumente möglichst genaue 
Reproduktionen von dem deformierten Rumpf und dessen Details zu 
erlangen. Ich glaube auch dieses Ziel erreicht zu haben, da meine 
Methode, welche ich in meiner Anstalt schon seit 2 Jahren zur 
Kontrolle der Behandlung bei Skoliotikern benütze, sich praktisch 
vollständig bewährte. Zur Ausführung dieser Meßmethode benötigt 
man sozusagen keiner neuen Einrichtung. Der photographische Appa¬ 
rat, besonders der stereoskopische Apparat ist unentbehrlich in jeder 


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Eine kombinierte Methode der photographischen Skoliosenmessung. 99 

orthopädischen Heilanstalt auch zur Festhaltung anderer Deformitäten, 
und ein guter Pantograph ist billig zu erlangen. 

Ich glaube, daß bezüglich der Pünktlichkeit gegen diese Me߬ 
methode kein Einwand erhoben werden kann, da wir bereits in jeder 
Phase derselben mit erprobten Mitteln der Optik und Mechanik 
arbeiten. Die Ausführung des Verfahrens ist auch genügend kurz 
und brauchen wir hauptsächlich den Kranken nicht lange damit zu 
belästigen. Der übrige Teil des Verfahrens ist bei entsprechender 
Einübung ebenfalls schnell ausführbar und mechanisch genug, um 
ihn einem Laien überlassen zu können. Ich kann aus all diesen 
Gründen diese Meßmethode wegen ihrer Einfachheit, Billigkeit, 
Schnelligkeit und besonders wegen ihrer Pünktlichkeit all denen 
empfehlen, die sich mit der Behandlung von Skoliotikern befassen. 


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IX. 


(Aus dem orthopäd. Institut von Dr. Ernst Mayer in Köln a. Rh.) 

Schiebeapparate zu orthopädischen Zwecken. 

(Fortsetzung meiner Mitteilung: „Ein neuer Apparat zum Strecken der 
Beine und Spreizen der Füße“ in der Zeitschrift für orthopäd. Chirurgie 

XIV. Band.) 

Von 

Dr. med. Ernst Mayer. 

Mit 7 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Das Prinzip, Schlitten, welche sich auf Führungsleisten leicht 
auf- und abschieben lassen, zu orthopädischen Zwecken zu benützen, 
kann für Uebungsapparate fast sämtlicher Gelenke praktische An¬ 
wendung finden. Die leichte Beweglichkeit, welche die Schlitten¬ 
blöcke auf Schienen erzielen, wirkt dabei ähnlich wie der Pendel 
bei den Pendelapparaten. Krukenberg sagt über diese Wirkung: 
„Hier werden die Bewegungen durch die Muskeln des erkrankten 
Gelenkes selbst eingeleitet, aber die dem Pendelapparate durch den 
Patienten mitgeteilte Bewegung erhält sich durch die Trägheit des 
Pendels, und wenn der Patient immer wieder dem Apparate kleine 
Bewegungsimpulse mitteilt, so addieren sich diese zueinander und 
vermehren die Exkursion der Bewegungen immer mehr und mehr. 
So ist es möglich, daß Patienten, welche nur sehr geringe aktive 
Bewegungen auszuüben im stände sind, bei welchen der ganze mecha¬ 
nische Effekt der Bewegung nur in einem leichten Zucken des er¬ 
krankten Gliedes besteht, doch in dem Pendelapparte ausgiebige 
Schwingungen machen können.“ 

Die Beweglichkeit des Schlittens kann durch Gewichte, welche 
auf Rollen laufen, vergrößert und es wird dadurch eine mehr adres¬ 
sierende Wirkung hervorgerufen, oder sie kann im Sinne eines Wider¬ 
standsapparates vermindert werden (Fig. 15). Ich verdanke diese 
letztere Einrichtung einer Anregung von Schultheß - Zürich ge- 



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Schiebeapparate zu orthopädischen Zwecken. 


101 


legentlich meiner Demonstration auf dem IV. Kongreß für ortho¬ 
pädische Chirurgie. 

Bei meiner ersten Mitteilung Über die Schlittenapparate fehlte 
noch ein Block zur Hervorbringung von Supination und Pronation, 



sowie zur Korrektion von Spitz- und Hakenfußstellungen. Fig. 16 
zeigt einen Block zur Korrektion des Haken- und Spitzfußes, je 
nachdem das Blatt b in den Löchern des Eisens d in einem stumpfen 

Fig. 16. Fig. 17. 



(Fig. 18) oder in einem spitzen (Fig. 19) Winkel zu seiner Unter¬ 
lage a gestellt wird. Zur Korrektion des Hakenfußes steht beispiels¬ 
weise b stumpfwinklig zu a (Fig. 18) und die Kniestellung des Pa¬ 
tienten ist im Anfang eine gebeugte; es wird dann dadurch, daß der Block 
fortgestoßen wird, eine Streckung des Knies und eine energische 
Plantarflexion des Fußes hervorgerufen. Bei Redressionsübungen gegen 


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102 


Emst Mayer. 


Spitzfußstellung ist die Anfangsstellung gerade umgekehrt: das 
Brett b steht spitzwinklig zu a (Fig. 19) und die Kniee sind zuerst 
gestreckt, um zu der Uebung gebeugt zu werden. 

Derselbe Block kann, wenn Brett b in rechtwinkliger Stellung zu a 
steht, zu Redressionsübungen von Htiftkontrakturen benützt werden. 


Fig. 18. 



Fig. 19. 



Beide Füße werden an das Brett b angeschnallt. Beim Strecken der 
Kniee muß naturgemäß die längere Extremität auf die verkürzte 
kontrakturierte einen energischen Zug ausüben; dieser Zug kann 
verstärkt werden dadurch, daß man der normalen Extremität durch 
Unterlegen von Klötzchen (Fig. 20) noch mehr Redressionskraft 




verleiht. Auch gegen Flexionskontrakturen des Knies kann dieser 
Block angewendet werden. 

Zur Nachbehandlung von eingerenkten kongenitalen Hüftgelenks¬ 
verrenkungen nach der Verbandabnahme möchte ich den Apparat 
nicht mehr missen. Außerdem kann er zur Nachbehandlung von 
Frakturen, besonders auch als Widerstandsapparat verwendet werden. 
Eine Pro- und Supination des Fußgelenkes bezweckt ein Block (Fig. 17), 
bei welchem auf der Unterlage a zwei winklig gegeneinander beweg- 


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Schiebeapparate zu orthopädischen Zwecken. 


103 


liehe Bretter angebracht sind. In Fig. 21 sind die Füße zur Ver¬ 
anschaulichung in Supinationsstellung eingeschnallt, während eine 
Pronationsstellung sich leicht aus dieser Figur ableiten läßt. Die 
Kniee werden dabei immer abwechselnd gebeugt und gestreckt, 
während die Füße festgeschnallt sind. 

Mit diesen Schlittenblöcken haben wir in dem einen kleinen 
Apparat für fast sämtliche Gelenke der unteren Extremität Redres- 
sions- und Uebungsapparate vereint. Dieser Umstand dürfte speziell 
für Krankenanstalten mit wenig Platz und geringen Betriebsmitteln 
von Wert sein. 

Der ganze Apparat ist von Franz Langel, Köln a. Rh., 
Crefelderst. 22, zu beziehen. 


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X. 


(Aus dem mediko-mechanischen Zanderinstitut Köln.) 

Einiges zur Bruchbandfrage. 

Von 

Dr. Gustav Thomas, 

Spezialarzt für mechanische Chirurgie in Köln. 

Mit 2 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Seitdem der geniale Laie Hessing in Göggingen die ganze 
Welt mit seinen sinnreich konstruierten Apparaten beglückt, und 
seitdem Hoffa in seinem Lehrbuch der orthopädischen Chirurgie 
die Lehre vom Ersatz verlorengegangener Gliedmaßen einschließlich 
der Anfertigung aller Apparate und Bandagen für die mechanische 
Chirurgie in Anspruch genommen hat, hat sich manche Anstalt zu 
diesem Zwecke unter sachverständiger ärztlicher Leitung aufgetan 
und ist literarisch mit bemerkenswerten Leistungen hervorgetreten. 

Fast jeder der Konstrukteure hat seine Eigenheiten, durch die 
er sich von den übrigen Kollegen wesentlich zu unterscheiden glaubt, 
ob es nun künstliche Glieder, Korsette oder irgendwelche Hülsen¬ 
schienenapparate anbetrifft. Man könnte daraus schließen, daß es 
sich mit dem Wert aller dieser Bandagen und ihrer verschiedenen 
Konstruktionsmethoden gerade so verhält wie mit den vielen Mitteln 
gegen eine einzelne Krankheit. Je mehr man Mittel gegen eine 
einzelne Krankheit hat, bezw. Anwendungsformen desselben besitzt, 
mit umso größerem Recht kann man sagen, daß keines dieser Mittel 
der Krankheit ordentlich zu Leibe geht. Denn wenn wir ein Spezi¬ 
fikum gegen eine Krankheit haben, wie z. B. Quecksilber gegen 
Lues etc., so brauchen wir ja kein anderes Mittel. 

Ich neige aber zu der Ansicht, daß man in unseren Fällen 
betreffs der Orthopädie auch mit Recht behaupten kann, alle diese 
verschiedenen Konstruktionen haben ihre Vorteile für den speziellen 
Fall, sie haben nicht die Nachteile der Schablone. Es führen alle 
Wege nach Rom, für jeden Pilger paßt aber nicht jeder Weg und 
für jedes in das Gebiet der Orthopädie fallende Krankheitsbild paßt 


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Einiges zur Bruchbandfrage. 


105 


nicht jede Konstruktion. Auch hier handelt es sich wieder um das 
Individualisieren! 

Längere Zeit war über die Bruchbandkonstruktionen von seiten 
der mechanischen Chirurgen nichts in der Literatur mitgeteilt worden, 
bis Schanz in seinem unten erwähnten Artikel eine gute Methode 
angab, wie man große Leisten- oder Schenkelpfortenbrüche, bei 
denen man auf eine völlige Reposition Verzicht leisten muß, be¬ 
handeln kann. Er befestigte seine elastische Beutelpelotte an einem 
stählernen Ring, welche die Austrittsstelle des Bruches umgreift und 
arbeitete die Pelotte selber nach dem Gipsmodell des Bruches, welchen 
er zuvor so weit als möglich zurückgebracht hatte. Der Beutel selber 
war von Gummitrikot und wirkte automatisch dem Größerwerden 
des Bruches entgegen. (Siehe auch Münchener medizinische Wochen¬ 
schrift Nr. 17, 1905, eine Bandage für große Bauchbrüche von dem¬ 
selben Autor.) Zum Zurückbringen von Brüchen, welche der Repo¬ 
sition größeren Widerstand leisten, hat sodann Hoffa (s. Literatur) 
1896 ein Bruchband angegeben, welches ingeniös erdacht, aber nicht 
einfach anzufertigen ist und dessen allgemeiner Verbreitung auch 
der Preis im Wege stehen dürfte. 

Die Beschreibung dieses Bandes findet man in dem ersten Teil 
des oben genannten Aufsatzes. Von anderen Seiten bezogen sich die 
Abänderungen auf die Pelotten, auf die man das Hauptgewicht legen 
zu müssen glaubte, und hier kam man auf die seltsamsten Er¬ 
findungen in Bezug auf Form und Füllung. Ich sehe aber davon 
ab und wende mich zu einer Konstruktion, welche zum ersten Male 
eine vollkommene Abweichung von den Camp ersehen Grundsätzen 
darstellt. 

Seitdem Camper zuerst elastisch federnde Bruchbänder zum 
Zurückhalten von Brüchen im Jahre 1779 gebrauchte und ihre Grund¬ 
bedingungen festgelegt hatte, sind auf dieser Basis unendlich viele 
Modifikationen angegeben worden, und erst in neuester Zeit wurde 
es darüber wieder still. 

Die hier in Betracht kommende grundlegende Abänderung ist von 
einem Bandagisten angegeben und von Dr. Woerner (s. Literatur) 
empfohlen. Der Erfinder will nicht die Pelotte, sondern die Feder 
des Bruchbandes abändern und besorgt das so gründlich, daß dieses 
Bruchband als „Bruchband ohne Feder“ in gewissem Sinne bezeichnet 
werden darf. Auf seine genaue Beschreibung muß ich hier verzichten 
und will nur erwähnen, daß ich es wohl für möglich halte, daß 


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106 


Gustav Thomas. 


Arbeiter dieses Bruchband tragen, aber für Gesellscbaftskleidung 
bezw. für die weibliche Bevölkerung dürfte es sich wohl auch nicht 
eignen, weil die Enden des Bügels nicht am Körper anliegen, sondern 
von demselben absteheu. Es müßten also bei eng anliegenden 
Kleidungsstücken die Bügelenden hervortreten. 

Bei mehrmaligem bloßen Studium des Artikels bin ich ziemlich 
skeptisch geblieben aus dem Grunde, weil die Bruchbandpelotte nur 
eine schmale Befestigung hat und weil im Gegensatz dazu doch die 
Last, nämlich der Bruch, an einem langen Hebelarm von der Länge 
der Pelotte zu wirken vermag. Da aber der Herr Kollege Woerner 

Fi g. 1. 



von guten Resultaten mit diesem Bande spricht, so mag es immer¬ 
hin sein, daß der von ihm bezw. dem Erfinder betretene Weg nach 
Rom führt. 

Was aber die Form der Pelotte und ihren Querschnitt anbetriffb, 
so unterschreibe ich voll und ganz das, was der Kollege Wagner 
in seinem unten zitierten Artikel des näheren ausfübrt. 

Beide Autoren haben von ihren Aufsätzen gegenseitig keine 
Kenntnis gehabt, welche beide zu gleicher Zeit ungefähr geschrieben 
sein müssen. Hätte Herr Kollege Woerner den Wagner sehen 
Artikel gekannt, so würde er dafür gesorgt haben, daß die darin als 
richtig anzuerkennenden Grundsätze bezüglich der Pelotten auch bei 
seinem Bruchbande Anwendung gefunden hätten. Denn ich glaube, 
daß die Konstruktion seines Bandes das zuläßt. 

Wagner bricht — und wie ich glaube mit Recht und Erfolg — 
eine Lanze für die flache Pelotte, weil sie die Bruchpforte und den 


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Einiges zur Bruchbandfrage. 


107 


Bruchkanal besser schließt und nicht die Bruchpforte, wie das die 
Eigenschaft der gewölbten Pelotte ist, vergrößert. Ich bin nun bei 
der Konstruktion meines Bruchbandes noch einen anderen Weg ge¬ 
gangen als andere Autoren vor mir und habe mich da von dem 
zweiten Teil des oben genannten Hof faschen Artikels anregen lassen. 
Ausgehend von der Erfahrungstatsache, daß man nur selten ein wirk¬ 
lich gut sitzendes Bruchband findet, weil, wie Wagner ganz richtig 
sagt, die Herstellung der Bänder nicht in den Händen der Banda¬ 
gisten, sondern fast vollständig in denen der Fabrikanten liegt, ich 
sage, ausgehend von dieser Tatsache, finden wir als Grund dafür 
die falsch konstruierte Pelotte, bezw. sitzt der Fehler schon am 
Pelottenhals. 

Besonders war es ein Fall, der zwei Leistenbrüche, einen Schenkel¬ 
pfortenbruch und einen Bauchbruch gleichzeitig aufwies, der mir zu 
denken gab bei der Lösung der Aufgabe, dem Leidenden eine einiger¬ 
maßen genügende Erwerbsfähigkeit zu verschaffen. 

Ich sehe davon ab, wie ich hier gleich bemerken will, mein 
Bruchband zum allgemeinen Gebrauch zu empfehlen, dazu wird gerade, 
wie bei Hoffas Bandage, wohl der Preis zu hoch sein, aber dieses 
Bruchband wird sich empfehlen, sobald es sich um das Zurückhalten 
von mehreren und von solchen Brüchen handelt, die anderen Bruch¬ 
bändern nicht gehorchen, außerdem hat es den Vorteil, daß es 
von dem mechanischen Chirurgen ohne Schwierigkeit angefertigt 
werden kann. 

Aenderte der Erfinder des Woernersehen Bruchbandes die Idee 
in der Weise ab, daß er die Pelotte nicht mehr an die Feder ansetzt, 
wiewohl es in gewissem Sinne immer noch eine Feder ist, die die 
Pelotte trägt, so behielt ich bei meinem Bruchbande zwar den federn¬ 
den Charakter der Pelotte bei, änderte aber von Grund aus die 
Richtung der Feder. 

Während nämlich die Federn der bisherigen Bruchbänder eine 
wagrechte Richtung haben und zwischen Rollhügel und vorderer 
oberer Hüftspitze verlaufen, um dann im Halse sich die Pelotte an¬ 
setzen zu lassen, so verläuft meine Bruchbandfeder direkt vertikal, 
also in einem ungefähr rechten Winkel zu dem bisherigen Verlauf, 
und das bekommt sie fertig dadurch, daß sie sich an den Hüftbügel 
der Hof faschen Leibbinde, die ihrerseits wieder aus dem H essin g- 
schen Korsettbügel hervorgegangen ist, anschließt. Diese Binde wende 
ich übrigens mit großem Vorteil oft an und kann sie bestens emp- 


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108 


Gustav Tbomas. 


fehlen. Ich habe 1897, also bald nachdem ich angefangen hatte, 
mich mit Anfertigung von Bruchbändern zu befassen, eine Reihe 
von 10—12 Fällen, meist Unfallverletzte, mit diesem Bruchband 
behandelt und die Leute waren sehr zufrieden, weil das Band un¬ 
möglich sich verschieben konnte und sie ein sicheres Gefühl durch 
dasselbe hatten, der Bruch konnte eben nicht heraus. 

Unter diesen Leuten war auch der oben erwähnte Mann mit 
vier Brüchen, dem ich seine Erwerbsfähigkeit in beschränktem Grade 
erhalten habe, während er vorher gänzlich erwerbsunfähig war. 

Ich kann mir theoretisch denken, daß ein menschlicher Körper 
alle möglichen Brüche aufweisen kann, auch die selten vorkommenden 
Formen, wie die Hernia obturatoria etc., und alle diese Brüche kann 
ein einziges Bruchband zurückhalten. Für jede Hernie brauche ich 
nur eine Pelotte. 

Die Beschreibung meines Bruchbandes lasse ich hier folgen. 

Der aus Korsettdrell hergestellte Teil des Bruchbandes bildet 
die untere Hälfte eines Hessingschen Korsetts von der Taille ab¬ 
wärts. Der obere Rand wird gebildet durch eine Gummieinlage, 
um ein gleichmäßiges Anschließen an den Körper zu erreichen. 

Die Seitenschnürungen sind genau so eingerichtet wie bei den 
Hessingschen Korsetts. Die Bandage wird vorn geschlossen mittels 
Schnürungen oder auch durch eine Anzahl Riemen mit Schnallen. 
Das Bruchband beginnt hinten unten, wie der Hessingsche Bügel 
immer beginnt, steigt dann zum Kreuzbein-Darmbeingelenk, geht 
über den Beckenrand herüber nach der Seite zu und ist von der 
Stelle ab, wo es aus der aufsteigenden Richtung mehr in die wag¬ 
rechte Richtung übergeht, als Feder gehärtet bis an sein vorderes 
Ende. Genau wie bei der Hoffaschen Leibbinde endigt nun dieser 
vordere Bügel nicht nach einwärts und unten von der vorderen 
oberen Hüftspitze, sondern verläuft an der Innenseite derselben direkt 
auf die Bruchpforte zu und endigt an ihrem unteren Ende. 

Der untere Rand ist alsdann mit einer flachen Pelotte ver¬ 
sehen, welche ich in der ersten Zeit genau so geformt habe in Wachs, 
wie Wagner es mit der seinigen in Paraffin gemacht hat. Ich weiß 
nicht, wem die Priorität betreffend der Erfindung der flachen Pelotte 
zukommt, lege aber auch nicht das geringste Gewicht darauf. 

Tatsache ist, daß ich ein einziges Mal eine konvexe Pelotte an¬ 
gefertigt habe und dann nicht wieder, weil ihre Unzweckmäßigkeit 
in die Augen sprang. Jedenfalls hat Wagner das Verdienst, auf 


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Einiges zur Bruehbandfrage. 


109 


die Zweckmäßigkeit der flachen Pelotte in seinem oben zitierten 
Aufsatz aufmerksam gemacht zu haben. 

Während ich bei der Demontierung der gewöhnlichen Bruch¬ 
bänder meist gefunden habe, daß die Bruchbandfeder am oberen 
Ende oder in der Mitte der Pelottenlänge endigt, lasse ich meine 
Bruchbandfeder über die ganze Länge der Pelotte verlaufen, bezw. 
setze ich meine Pelotte so auf die Feder auf, daß die unteren Ränder 
beider in gleicher Höhe endigen. Auf diese Weise erreiche ich ein 
gleichmäßiges Anliegen der Pelotte. Selbstverständlich müssen alle 
Löcher, die in dem Bruchband angebracht werden müssen, vor der 
Härtung der Feder bereits gebohrt sein. Je nach dem Falle lasse 
ich es bei diesem einen Bügel bewenden oder füge, wenn kein 
zweiter Bruch auf der anderen Seite vorhanden ist oder der einzelne 
Bruch schwer zurückzuhalten geht, dann noch einen gewöhnlichen 
Hessing sehen Bügel hinzu, welcher vorn nach innen und unten von 
der vorderen oberen Hüftspitze endigt und natürlich nicht federhart 
gemacht wird. 

Die Verbindung beider Bügel kann dann hinten durch eine 
stählerne Sperre, welche statt der Löcher kleine Schlitze trägt, und 
vorn durch eingeknöpfte Riemen bewerkstelligt werden. 

Handelt es sich um einen Fall von einem Leistenbruch auf jeder 
Seite, so werden beide Federn in gleicher Weise gearbeitet, und die 
Pelotte wiederum bei aufrechtstehender Körperhaltung angepaßt. 

Ist gleichzeitig ein Bruch in der Linea alba vorhanden, so er¬ 
hält jeder Bügel ein Knöpfchen oberhalb der vorderen oberen Hüft¬ 
spitze und der Stoff nach außen von der Schnürung jederseits einen 
Schlitz, durch welchen ich einen Riemen mit Gummi hindurchführe, 
welcher wiederum eine entsprechend große Pelotte trägt. Diese 
Pelotte sitzt dann natürlich direkt auf der Bruchpforte. 

Habe ich es nunmehr mit zwei oder mehreren Brüchen auf 
einer Seite zu tun, so spalte ich beim Schmieden des Hessingschen 
Bügels sein vorderes Ende in zwei oder mehrere Teile und biege sie 
in der Richtung auf den Bruch zu, welchen sie zu bedecken be¬ 
stimmt sind. 

Bei mageren Personen genügt im allgemeinen beim Vorhanden¬ 
sein eines einzelnen Bruches ein Bügel, dagegen werden wir bei fetten 
Personen oder bei Brüchen, welche sich schwer zurückhalten lassen, 
besser tun, auf der anderen Seite einen Hessingschen Bügel hinzu¬ 
zufügen. Während mir früher die Anpassung Hessingscher Bügel 


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110 


Gustav Thomas. 


in der Weise, wie Hoffa es empfiehlt, viel Zeit raubte, macht mir 
jetzt dieselbe keinerlei Umstände mehr; ich brauche nicht mehr die 
langwierige Anprobe, bis ein solcher Bügel vorschriftsmäßig sitzt, 
sondern es bedarf jetzt nunmehr nur noch einer kleinen Biegung an 
einzelnen Körperstellen, um eine derartige Bügelsitzung zu Ende zu 
bringen. Gewöhnlich bin ich in einer Viertelstunde mit dem An¬ 
probieren, ob der Bügel richtig sitzt, fertig und erlebe niemals mehr 
die Notwendigkeit, umschmieden zu müssen. 

Zu diesem Vorteil bin ich gekommen, indem ich mir die Bügel 
erst aus einer flachen Stange von Hart- und Weichblei genau nach 
den Körperformen anpasse und die dann so fertig geformten auf 
einem Gipsblock abdrücke. Ich habe alsdann das Negativ des zu- 


Fig. 2. 



künftigen Bügels und schmiede alsdann Zentimeter für Zentimeter 
den ganzen Bügel nach dem Modell; man spart stundenlange Arbeit 
und hat keine Anprobe mehr dadurch. 

Notwendig ist es bei dieser Bandage, daß sie direkt auf der 
Haut getragen wird, deswegen überziehe ich sie an der inneren Seite 
entweder mit Sämischleder oder, was etwas billiger ist, mit Trikot 
und lasse sie unter dem Hemd tragen. Auf diese Weise ist sie auch 
beim Wechseln der Kleidung in keiner Weise hinderlich. Der Stoff 
nach unten zu reicht nur so weit, daß er die Pelotten nicht mehr 
bedeckt. 

Diese endigen vielmehr frei und liegen der Bruchpforte und 
dem ganzen Bruchkanal vollständig an. Die Federn selber sind wie 
die Hessingschen Bügel immer in ihrer ganzen Länge auf dem 
Stoff aufgenäht und besonders noch einmal an ihrer Innenfläche mit 
Sämischleder unterfüttert. Von einem Verschieben dieser Bruch¬ 
bandage kann natürlich keine Rede sein, auch kann sie keinen Druck 
erzeugen, weil der Knochen mit keiner Stelle der Bügel in Be¬ 
rührung kommt. 


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Einiges zur Bruchbandfrage. 


111 


Die beigefügte Abbildung erläutert einigermaßen deutlich das 
hier beschriebene Band, da aber das Bruchband für sich gezeichnet 
werden mußte, so sind durch den Federdruck die Pelotten zu nahe 
aneinander gekommen und liegen teilweise übereinander, am Körper 
nehmen sie indessen ganz von selber ihre richtige Lage ein. 


Literatur. 

1. Zentralbl. f. Chirurgie 1896, Nr. 20. Zur Bruchbandfrage von Alb. Hoffa 

in Würzburg. II. Bandagen für Bauchbrüche, Nabelhernien, Hängebäuche 
und Wandernieren. 

2. Münchener med. Wochenschr. 1891, Nr. 9. A. Schanz, Bruchband und 

elastische Beutelpelotte. 

3. Medizinisches Korrespondenzbl. des Württemberger ärztlichen Landesvereins 

vom 18. Juni 1904, Nr. 25. Aus dem städtischen Hospital zu Gmünd. 
Ein neues Bruchband ohne Feder von Dr. Wörner, dirig. Arzt. 

4. Derselbe, Deutsche med. Wochenschr. vom 25. August 1904, Nr. 35. Das¬ 

selbe Thema. 

5. Arch. f. orth. Mechanotherapie und Unfallchirurgie 1904, Nr. 17. Ueber das 

Bruchband von Dr. Wagner, Spezialarzt für Orthopädie, Bad Kreuznach. 


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XI. 


Noch einmal die „Kellgrensche Behandlungsmethode“. 

Von 

Patrik Haglund. 

Obwohl ich es für völlig nutzlos halten muß, den sehr in 
Anspruch genommenen Raum einer berühmten medizinischen Zeit¬ 
schrift noch einmal mit Betrachtungen über die Arbeit des Herrn 
Dr. med. Cyriax oder über die sogenannte Kellgrensche Behand¬ 
lungsmethode zu belästigen, will ich doch — anläßlich der Erwide¬ 
rungen Cyriaxs — noch einige Worte in dieser Frage hier sagen. 

Ich kann dabei mich nicht mit allen »Erwiderungen* beschäf¬ 
tigen, da eine nur einigermaßen vollständige Beleuchtung einer 
solchen kritiklosen medizinischen Darstellung wie der des Herrn 
Dr. Cyriax ein ganzes Buch — wenigstens so dick wie die be¬ 
sprochene Arbeit — werden müßte; es ist auch gar nicht nötig, da 
der geehrte Verfasser eben in seinen »Erwiderungen“ mit vollkom¬ 
menster Deutlichkeit selbst zeigt, wie richtig meine Auffassung 
seines pretentiösen Werkes ist. Jeder Arzt — und ich richte mich 
diesmal nur an die Kollegen — sieht selbt beim Durchlesen der 
Erwiderungen, wie korrekt ich den Kurpfuscherstandpunkt des 
Dr. Cyriax beurteilt habe. Es wäre nutzlos, darüber mehr zu 
sprechen. Der mehr Interessierte kann in der Cyriaxschen Arbeit 
selbst die in Frage kommenden Auseinandersetzungen lesen, und er 
wird gleich finden, daß ich mich keiner Uebertreibung schuldig 
gemacht habe. 

Anläßlich einer Bemerkung Cvriaxs, daß ich eine falsche 
Angabe gegeben hätte, will ich nur betonen, daß der „Erste Pro¬ 
vinzialarzt“ in Jönköping — an welchen jede Meldung epidemischer 
Krankheitsfälle ergehen sollte — amtlich mir gemeldet hat, daß er 
nichts von jener Scarlatinaepidemie gehört habe. Das ganze Buch 
Cyriaxs zeigt ohne weiteres, daß er eine ärztliche Praxis und nicht 
nur gymnastische Tätigkeit in Schweden getrieben hat. Es spielt 


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Noch einmal die „Kellgrensche Behandlungsmethode*. 


113 


doch gar keine Rolle; es leben in Schweden leider so viele Kur¬ 
pfuscher, daß es auf einen mehr oder weniger auch nicht ankommt. 

Ich muß also die Erwiderungen des Herrn Dr. Cyriax ihrem 
Wert — oder besser ihrer jedem Mediziner deutlichen Haltlosigkeit — 
überliefern. Ich will hier nur noch hinzufügen, daß ich von Kollegen 
in Schweden und auswärts eine ziemlich scharfe Kritik meiner Kritik 
der Cyriaxschen Arbeit habe hören müssen. Man hat gesagt, daß 
ein Arzt eine solche Arbeit überhaupt nicht rezensieren sollte. 
Es ist, sagt man, derselben eine zu große Bedeutung beigemessen 
worden. Ich glaube aber, daß dieser Standpunkt jetzt ein wenig 
veraltet ist. Diese medizinische Gymnastikfrage ist doch eine bedeu¬ 
tungsvolle Frage, und ich halte es für überaus wichtig, daß die 
Aerzte sich für alles, was die Behandlung kranker Menschen berührt, 
interessieren. Und im hier vorliegenden Falle ist es außerdem kein 
Kurpfuscher — im gewöhnlichen Sinne — sondern ein approbierter 
Arzt, der mit großer Prätention den reinen Unsinn predigt. Man 
muß doch deutlich darlegen, daß man solches von Kollegen nicht 
geduldig ertragen kann. Anderseits kann ein Gymnastikenthusiast 
gewiß wertvolle Beobachtungen machen, zumal unsere therapeutischen 
Maßnahmen doch nicht zum wenigsten von Laien stammen. Und ich 
habe wirklich in meiner Kritik der Cyriaxschen Arbeit alles Gute, 
was ich nur habe finden können, scharf hervorgehoben. Daß 
Dr. Cyriax diese meine Aussprüche als einen sehr wertvollen Preis 
seines Werkes auffaßt, erstaunt ein wenig — siehe meine Kritik! 
Hat aber meine Kritik nur dazu beigetragen, die Aufmerksamkeit 
der Kollegen auf diese wichtigen Fragen zu lenken, hat sie ihren 
Zweck erfüllt. 


Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XV. Bd. 


8 


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XII. 


Ueber Stellungs- und Haltungsanomalien 
rhachitischer Kinder. 

Von 

Dr. raed. Brandenberg, Winterthur. 

Eine Arbeit meines früheren hochverehrten Chefs, Professor 
E. Hagenbach-Burckhardt am Kinderspital in Basel über 
„Klinische Beobachtungen über die Muskulatur der Rhachitischen“ 
(Jahrbuch f. Kinderheilkunde N. F., LX., Heft 3) verdient wohl, in 
einer Fachschrift für Orthopädie besprochen zu werden. Ich tue das 
umso lieber, als mich gleiche Ideen schon lange beschäftigen und 
ich einzelne Krankheitsbilder der orthopädischen Praxis seit mehreren 
Jahren unter gleichem Gesichtspunkt betrachtete. 

Daß dem Fachorthopäden hauptsächlich das fait accompli der 
Rhachitis vorgestellt wird, liegt in der Natur der Sache. Der Kinder¬ 
arzt, der viel früher Gelegenheit hat, die gleichen Fälle zu unter¬ 
suchen, wird in Bezug auf die Aetiologie der rhachitischen Defor¬ 
mitäten kaum mit Unrecht häufig anderer Ansicht sein. Es werden 
eben Ursache und Wirkung, wenn man die Rhachitis einzig und 
allein als Knochenerkrankung auffaßt, miteinander verwechselt. Um 
ein Beispiel vorweg zu nehmen, wird es den Orthopäden nicht ver¬ 
wundern, daß bei einem rhachitischen Plattfuß der Muse, tibial. 
postic. verlängert ist und durch eine Verkürzung des Muskels Heilung 
eintritt (cf. Hoffa, Zur Behandlg. des Pes valgus, Münch, med. 
Wochenschr. 1900, Nr. 15). Die Verlängerung des Muskels könnte 
nun einerseits als Folge der Plattfußstellung, wohl richtiger aber 
als Ursache der Veränderung aufgefaßt werden. Hagenbach weist 
in seiner Arbeit nach, daß die Ursache des Pes valgus rhachit. vor 
allem in der rhachitischen Kindern eigenen Schlaffheit der Muskeln 
zu suchen ist und daß die Belastung als wirkendes Moment anzu¬ 
nehmen erst viel später Berechtigung findet. Selbstredend handelt 


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Ueber Stellungs- und Haltungsanomalien rhachitischer Kinder. H5 


es sich in dieser Besprechung in erster Linie um rhachitische Defor¬ 
mitäten oder besser gesagt Stellungs- und Haltungsanomalien, da 
ich den Begriff Deformität nur für jene Fälle aufgespart wissen 
möchte, wo sekundär nachweisbare Veränderungen an den Skelett¬ 
teilen eingetreten sind. 

Nach Hagenbach beschäftigen sich von früheren Forschern 
nur Rehn, Baginsky, Trousseau, Combes, Fischl und Heubner 
eingehender mit der Muskulatur Rhachitischer. Am deutlichsten 
spricht sich über diese Frage Vierordt (Nothnagel, spez. Pat. 
und Ther.) aus: „Uns scheint die Muskelschlaffheit ein wesentlicher 
Bestandteil der Rhachitis zu sein.* 

Die genauen Beobachtungen im Spital haben Hagenbach dazu 
geführt, die Unbeweglichkeit rhachitischer Kinder nicht als durch 
Schmerz verursacht, wie dies Kassowitz meint, aufzufassen, son¬ 
dern als abnormale Muskelfunktion und zwar der Gesamtmuskulatur. 
Das ermöglicht die geradezu paradoxen Stellungen solcher Kinder 
und diese Stellungen können stundenlang ohne jede Schmerzäußerung 
innegehalten werden. Ich selbst erinnere mich eines Kindes, das 
beim Schlafen die Fußsohlen auf den Schultern hatte, die Beinchen 
dem Thorax eng angeschmiegt und die Aermchen den unteren Ex¬ 
tremitäten entlang legte. Eine ähnliche abnorme Beweglichkeit findet 
sich nach Hagenbach noch an den unteren Extremitäten von 
Kindern, die nach Poliomyelitis ausgedehnte Paralysen aufweisen. 
In der Tat können wir beim paralytischen Platt- oder Klumpfuß 
ohne jedes Rodressement (wenn die Fälle nicht veraltet sind und 
aus der pathologischen „Stellung“ durch Knochenveränderung eine 
richtige „Deformität“ entstanden ist) durch Muskelkürzungen und 
Muskelplastik eine normale Stellung des Fußes erzielen. Gerade 
dieses Analogon spricht für Hagenbachs Ansicht über den rhachi- 
tischen Plattfuß. 

Während bei den sogenannten Schlangenmenschen nach Vir chow 
eine durch Uebung erreichte Ausschaltung der Antagonisten die 
bizarren Stellungen ermöglicht, ist es beim rhaclritischen Kinde Aus¬ 
schluß der Antagonisten infolge von „Schlaffheit, Schwäche und 
Insuffizienz der Muskeln“. 

Uebergehend auf die einzelnen Formen der orthopädisch wich¬ 
tigeren rhachitischen Veränderungen behandelt Hagenbach zuerst 
den rhachitischen Plattfuß. 

Von Orthopäden treten speziell Hoffa, Schultheß und 


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116 


Brandenberg. 


Lüning für die Belastungstheorie des rhachitischen Plattfußes ein, 
die rhachitische Kyphose soll ihre Ursache hauptsächlich im Liegen 
auf nachgiebigen Kissen und frühem Aufsitzen haben. 

Daß der rhachitische Plattfuß nicht das Resultat von Belastung 
allein sein könne, geht daraus hervor, daß er bei Kindern beobachtet 
wurde, die noch gar keine Gehversuche gemacht hatten, es handelt 
sich in diesen Fällen auch nicht um besondere Schlaffheit der 
Gelenke, sondern „die scheinbare Schlaffheit im Fußgelenk muß auf 
•die Muskulatur mit vermindertem Tonus zurückgeführt werden“. Des 
öfteren erzielte ich bei Platt- und Klumpfußstellung rhachitischer 
Kinder, die allerdings das Gehen schon erlernt hatten, einzig mit 
Massage und Elektrizität günstige Resultate, indem beim Plattfuß 
der Tibial. post., bei Klumpfuß Muse, peron. long. et brevis der Be¬ 
handlung unterzogen wurden. Der oft überraschend schnelle Erfolg, 
zumal bei Kombination der Massage und aktiver Bewegung mit 
Elektrizität, haben mich dazu geführt, für diese Fälle nur eine 
Schwäche der betreffenden Muskeln anzunehmen, ich registrierte 
diese Fälle unter: myasthenischer Platt- resp. Klumpfuß. Die gleiche 
Muskelschwäche darf wohl auch für viele Totalskoliosen des schul¬ 
pflichtigen Alters angenommen werden, auch da scheint mir die 
Annahme einer Myasthenie ungezwungener als die einer bis jetzt 
noch nie nachgewiesenen „Spätrhachitis“. 

Die weiteren Beobachtungen Hagenbachs, daß mit dem 
Kräftigerwerden der Muskulatur beim rhachitischen und nichtrhachi- 
tischen Kinde der Plattfuß ausheile, sobald er nicht sekundäre Ver¬ 
änderungen an Knochen und Bändern erlitten hat, unterstützen seine 
Hypothese wesentlich. 

Für die rhachitische Kyphose scheint mir erst recht die An¬ 
nahme der Muskelschwäche gerechtfertigt, weil die meisten dieser 
Fälle mit dem Kräftiger werden der Kinder ausheilen, ebenso ist 
häufig die Kyphose der Schuljahre (wenn nicht als familiäres Uebel 
aufgetreten) durch Stärkung der Muskulatur besserungsfähig, gar 
viele dieser Patienten erfreuen sich später einer tadellosen Haltung, 
was nicht der Fall wäre, wenn durch die angenommene Weichheit 
der Knochen Veränderungen am Skelett der Wirbelsäule eingetreten 
wären, bei den hochgradigen Fällen und da, wo trotz Behandlung 
eine Besserung nicht eingetreten ist, muß allerdings angenommen 
werden, daß sekundär Form Veränderungen der Wirbelsäule einge¬ 
treten sind. 


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Ueber Stellungs- und Haltungsanomalien rhachitischer Kinder. 117 

Daß eine ausgedehnte Beweglichkeit in den Gelenken nicht von 
einer Gelenkschlaffheit herrührt, wie dies Eassowitz annimmt, 
will Hagenbach dadurch beweisen, daß an der Leiche nach Durch- 
trennung z. B. sämtlicher Muskeln am Fußgelenk die hochgradigste 
Beweglichkeit des Fußes möglich ist. 

Allerdings wird in neuester Zeit auch von Orthopäden der 
Muskulatur beim Plattfuß die nötige Aufmerksamkeit geschenkt. Ich 
verweise auf die ausgezeichnete Arbeit von Prof. Antonelli, Pavia 
(Zeitschr. f. orthop. Chirurgie XIII., 3. H.): „Ich schließe mich jenen 
Autoren an, die der Muskeltätigkeit die allermeiste Beteiligung an 
der Erhaltung des Plantargewölbes zuerkennen, dafür aber auch in 
dessen Schwächung die allererste Ursache der Bildung des statischen 
Plattfußes erblicken.“ 

Wenn auch für den Orthopäden durch diese mehr theoretischen 
Erörterungen keine bahnbrechenden Ideen in Bezug auf die Behand¬ 
lung der besprochenen Haltungs- und Stellungsanomalien gezeitigt 
werden, so dienen sie vielleicht doch dazu, vor zu großer Operations¬ 
lust oder zu schnell bereitem Anlegen korrigierender Verbände bei 
rhachitischer Platt- und Klumpfußstellung zu warnen, heilen doch 
viele dieser Fälle bei richtiger, exspektativer Behandlung auch aus. 


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XIII. 


Ueber die Kombination der angeborenen 
Httftgelenksverrenknng mit anderen angeborenen 

Deformitäten. 

Von 

Dr. Gustav Albert Wollenberg, 

I. Assistent der Hoffaschen Klinik. 

Mit 2 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Schon seit langer Zeit sind Fälle von Komplikationen der an¬ 
geborenen Hüftverrenkung mit anderen angeborenen Deformitäten 
bekannt; dieselben werden in den ausführlicheren Werken kurz ge¬ 
streift, im übrigen finden sie sich hie und da in der kasuistischen 
Literatur verstreut. Es ist nun zwar ein gewiß berechtigtes Prinzip, 
für eine Duplizität oder Multiplizität verschiedener Krankheitsbilder 
bei einem und demselben Individuum nach einer gemeinsamen Ur¬ 
sache zu suchen, aber man muß doch stets daran denken, daß das 
Spiel des Zufalls in der Pathologie eine nicht geringere Rolle spielt, 
als in anderen Dingen, daß also sehr wohl bei demselben Indivi¬ 
duum verschiedene angeborene Deformitäten verschiedenen Ursachen 
ihre Existenz verdanken können. 

Es ist klar, daß, je mehr Deformitäten sich bei einem Indivi¬ 
duum komplizieren, desto schwieriger die Beurteilung derselben sein 
wird. So wird denn auch eine Reihe der Fälle, die ich aus unserem 
Materiale und aus der Literatur zusammenstellen werde, ein vor¬ 
wiegend teratologisches Interesse darbieten, ohne daß man weit¬ 
gehende Schlüsse aus denselben ziehen könnte. 

Es hat sich, wie Dollinger ausführt, wohl ein jeder Autor, 
der sich mit der kongenitalen Hüftluxation beschäftigt hat, seine 
eigene Theorie der Aetiologie dieses Leidens gebildet; mit den zahl¬ 
losen Theorien will ich mich hier durchaus nicht beschäftigen, da 
sie von den verschiedensten Autoren bereits kritisch gesichtet 
worden sind. 


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lieber die Kombination der angeborenen Hüftgelenksverrenkung etc. 119 

Was meine persönliche Meinung über die Aetiologie der an¬ 
geborenen Hüftverrenkung betrifft, so bin ich der Ansicht, daß es 
sich in der erdrückenden Mehrzahl der Fälle um einen primären Keim¬ 
fehler handelt. 

Ich will hier noch einmal ganz kurz die Hauptmomente an¬ 
führen, welche die Anhänger der Keimfehlertheorie als Stützen ihrer 
Ansicht betrachten. 

1. Die von Hoffa zuerst erkannte, von Bade beschriebene 
Veränderung am oberen Pfannendache der klinisch ge¬ 
sunden Seite, welche nach letzterem Autor in ca. 25°/o der Fälle 
nachweisbar ist, und welche im wesentlichen in einer Abflachung des 
Daches besteht. Nun nehmen die Anhänger der Belastungstheorie 
an, daß diese Erscheinung darauf zurückzuführen sei, daß dieselbe 
abnorme Haltung des Fötus im Uterus auf beide Beckenseiten un¬ 
gefähr gleichmäßig einwirkt (Ewald). Dem gegenüber meine ich, 
daß bei der intrauterinen Haltung der fötalen Oberschenkel, welche 
die Belastungstheorie fordert, nämlich Flexion resp. Flexion und 
Adduktion, lediglich die untere resp. hintere untere Pfannenhälfte 
eine Abflachung erfahren müßte, nicht aber das obere Dach, denn 
dieses wird in der Stellung ja garnicht belastet. 

2. Die Erblichkeit. 

Es fehlt allerdings nicht an Stimmen, welche der Vererbungs¬ 
fähigkeit erworbener Fehler das Wort reden, jedoch sind meiner 
Ansicht nach die Anhaltspunkte für derartige Anschauungen nicht 
beweiskräftig. 

Schon Krönlein hat uns interessante Stammbäume von 
,Luxationsfamilien“ gegeben, ferner haben Lorenz, Delanglade, 
Narrath und Vogel Beweise für das erbliche Vorkommen der Af¬ 
fektion geliefert. Narrath beobachtete in seinem Material in 40°/o, 
Vogel in 30° o Erblichkeit. Auch in unserem großen Material finden 
sich sehr häufige Fälle, wo das Leiden von väterlicher oder mütter¬ 
licher Seite auf die Kinder vererbt wurde, oder wo mehrere Ge¬ 
schwister an Luxationen litten oder sonst in Seitenlinien Luxationen 
vorkamen. Ewald will gerade die letzteren Fälle von der Betrach¬ 
tung ausgeschlossen wissen; das ist aber unzulässig, da ja auch 
andere angeborene Anomalien, die wir als primäre betrachten müssen, 
diesen eigenartigen Typus zeigen: sprungweises Auftreten in der 
Aszendenz und in den Seitenlinien. 

Wenn nun die Erblichkeit einen bestimmten Typus hätte, der- 


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120 


Gustav Albert Wollenberg. 


art, daß die angeborene Hüftgelenksverrenkung nur durch das weib¬ 
liche Geschlecht vererbt würde, so könnte man allenfalls annehmen, 
daß hier eben nur die Disposition des Fruchthalters oder Beckens 
vererbt würde, welche zu intrauteriner Raumbeschränkung des Fötus 
führt, daß also eine mechanische Ursache der Hüftgelenksluxation 
vererbt würde; dem ist aber nicht so: die Luxatio coxae con¬ 
genita wird von dem Vater ebenso oft auf die Kinder ver¬ 
erbt, wie von der Mutter. 

Wenn Drehmann die Heredität durch eine ererbte Haltung 
des Fötus mit stark flektierten Hüftgelenken oder stärkerer Inflexion 
des Oberkörpers erklären will, so kann man eine derartige Anschau¬ 
ung nur als eine sehr gezwungene und unwahrscheinliche bezeichnen. 

3. Die Komplikation der Hüftluxation mit anderen an¬ 
geborenen Fehlern. 

Alles dieses spricht für die Theorie des primären Keimfehlers, 
ebenso der Umstand, daß die Krankheit in der überwiegenden Mehr¬ 
zahl der Fälle das weibliche Geschlecht betrifft, da erfahrungsmäßig 
die Bildungsfehler überhaupt das weibliche Geschlecht häufiger be¬ 
treffen als das männliche. Die mechanische Theorie ist kaum im 
stände, eine Erklärung dafür zu geben; man muß deshalb Heußner 
recht geben, wenn er aus diesem Grunde, wie aus der Erblichkeit 
der Hüftluxation die Insuffizienz der Belastungstheorie nachweist. 

Diese wenigen Worte mögen genügen, um meinen Standpunkt 
in Bezug auf die Aetiologie des Leidens zu kennzeichnen. 

Ich gehe jetzt zu meinem Spezialthema über, das sich haupt¬ 
sächlich mit der Frage beschäftigen soll: Für welche Aetiologie der 
kongenitalen Hüftluxation sprechen die Fälle von Mißbildungen resp. 
Erkrankungen, welche mit derselben kombiniert Vorkommen? 

Diese Fälle von kombinierten Deformitäten bilden nur eine re¬ 
lativ äußerst kleine Zahl im Gegensatz zu der Häufigkeit der 
unkomplizierten angeborenen Hüftluxation. 

Ich stelle zunächst in Gruppe I die Fälle zusammen, welche 
der Art und Zahl der Mißbildungen nach das Gebiet der Teratologie 
erreichen. 


Gruppe I. 

1. Cruveilhier: Ausgetragener Fötus mit angeborener 
doppelseitiger Hüftluxation, Klumpfuß, Klumphand und 
Atresie des Afters. 


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Ueber die Kombination der angeborenen Hüftgelenksverrenkung etc. 121 


2. Voß: Lux. femor. congen. und Inversio vesicae 
ur inariae. 

3. Grawitz: Männliches Kind mit Bauchspalt, Ektopie 
der Leber und des Darmes, Klumpfüßen und Klumphänden, 
beiderseitiger Hüftverrenkung, Lordoskoliose der Wirbel¬ 
säule, Subluxation der Schultergelenke. 

4. Grawitz: Spina bifida, leichte Lordose der Lenden¬ 
wirbelsäule, Luxatio coxae congenita duplex (und Fractura 
femoris intra partum acquisita). 

5. Grawitz: 8monatliche Frucht mit Ektopie der Bauch¬ 
eingeweide, Blasenspalt, Diastase der Symphysis pubis, 
Spina bifida, Luxatio coxae duplex, Pes varus duplex. 

6. Grawitz: 9monatlicher weiblicher Fötus mit Bauchspalt, 
Ektopie der Baucheingeweide, Blasenspalt, Diastase der 
Symphysis pubis, Spina bifida, Luxatio coxae duplex. 

7. Grawitz: Reifer Fötus mit Bauch-, Blasen-, Sym¬ 
physen- und Lendenwirbelspalt, Klumpfüßen und Luxatio 
coxae duplex. 

8. Grawitz: Bauch- und Blasenspalt, Diastase der 
Symphyse, Vorfall der Baucheingeweide, Skoliose, Luxa¬ 
tio coxae dextra. 

9. Grawitz: Bauch- und Blasenspalt, Vorfall der Ein¬ 
geweide, Kloakenbildung, Spina bifida, Skoliose, Pes va¬ 
rus sinister, Luxatio coxae dextra. 

10. Teufel: 14jähriger Knabe mit Lux. cox. congen. dextr. 
iliaca und Genu recurvat. dextr., angeborener Luxation und 
Ankylose im rechten Lisfrancschen Gelenk, angeborener 
Luxation im linken Talotarsalgelenke, häutiger Verwach¬ 
sung der 2. und 3. Zehe beiderseits, Wolfsrachen, rhachiti- 
schem Schädel und Unterkiefer. 

11. Bachert: ßjähriges Mädchen mit Uterus bicornis uni- 
collis, kongenitaler, fistulöser Kommunikation zwischen 
Vagina und Rectum, Luxatio coxae congenita duplex. 

12. Kirmisson: Junger Mann mit Spina bifida lumbalis, 
Luxatio coxae congenita und Pes equinovarus am selben Beine. 

13. Lorenz: Luxatio coxae congenita sinister (mit 
direkter Anteversion des Schenkelhalses) und Pes varus duplex, 
Spina bifida, doppelseitiger Subluxation des Radiusköpfchens 
nach vorne. 


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Gustav Albert Wollenberg. 


14. Holtzmann: Neugeborenes mit Luxatio coxae con¬ 
genita duplex, Spina bifida sacralis, Klumpfüße. 

15. Holtzmann: Fötus mit großer Myelomeningocele sacro- 
lumbalis, Luxation beider Hüftgelenke, Bauch-, Becken- 
und Blasenspalte, Atresia ani, Agenesie der Genitalien, 
linkseitiger Skoliolordose, starken Klumpfüßen beiderseits. 

16. Holtzmann: Fötus mit Defekt der rechten Bauch¬ 
wand, Beckenhälfte und des rechten Beines (geschlossen durch 
adhärente Placenta), Luxation des linken Hüftgelenkes, links¬ 
seitiger Klumpfuß (mit dem Gesäß verwachsen). 

17. Holtzmann: Fötus mit rechtseitiger Skoliose, Even¬ 
tration, Fissura abdominis, Verwachsung der Placenta mit 
den Eihäuten, linkseitiger Hüftluxation. 

18. Holtzmann: Fötus mit Spaltung der Sakral wirbel¬ 
bogen, Luxation beider Hüften und Kniegelenke, Herm¬ 
aphroditismus spurius femininus externus. 

19. Kirmisson: lßjähriger Mann mit Lux. coxae congen. 
dextra, Spina bifida lumbalis und Pes valgus dexter. 

20. Delanglade: Ttägiges männliches Kind. Schwangerschaft 
und Geburt normal. Mißbildung der unteren Gesichtspartie 
(Makrostomie, Atrophie des Unterkiefers, kleine gestielte Fibrochon- 
drome und Fibrolipome zwischen Mund und Ohr; vor dem letzteren 
im Niveau des Jochbogens eine Fistel; Mißbildung der Ohren). 
Luxatio coxae congen. dextra. 

21. Froning: 8— Omonatlicher weiblicher Fötus mit Lux. 
cox. congen. sin. (beide Oberschenkel, besonders der linke, stark 
auswärts rotiert, flektiert und abduziert). Pes equinovarus dupl., 
rechtsseitige Radiusluxation. Beiderseitige Cy s t e n n i e r en, 
Einmündung beider Ureteren in die Vagina, Uterus 
bicorn is. 

22. Lepage et Große: Neugeborenes (Geburt ohne Besonder¬ 
heiten, nur scheinbar Fehlen des Fruchtwassers). Luxatio congen. 
coxae dextr. mit Hypoplasie der rechten Beckenhälfte und rechts¬ 
seitiger Kryptorchismus, angeborene Inguinalhernie, doppelseitige 
Gaumenspalte, Pes adductus. 

Hierzu füge ich einen weiteren, in der Berliner Universitäts¬ 
poliklinik für orthopädische Chirurgie beobachteten Fall, welcher 
von Helbing in der Berliner medizinischen Gesellschaft demonstriert 
worden ist. 


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Ueber die Kombination der angeborenen Hüftgelenksverrenkung etc. 123 


23. 6 Tage altes weibliches Kind (Steißgeburt, Fruchtwasser¬ 
mangel). Luxatio coxae congen. duplex. Flexionskontraktur 
beider Hüftgelenke, Streckkontraktur beider Kniegelenke 
(dieselben sind rekurviert und in Valgusstellung; angeborene Ver¬ 
kürzung beider Beine. Pes varus congen. duplex; Kloaken¬ 
bildung (After mündet in die Vulva). Spaltbildung des Kreuz¬ 
beines. 

24. Schließlich will ich wegen der Art des komplizierenden 
Fehlers an dieser Stelle noch einen Fall anführen, der neben einer 
rechtsseitigen Hüftverrenkung eine rechtseitige an¬ 
geborene Inguinalhernie aufwies (Kind Ch. S.). 

Die meisten der hier zitierten Fälle haben wegen der Zahl und 
Art der vorhandenen Mißbildungen ein hohes teratologisches Interesse; 
was dagegen ihre Bedeutung bezüglich der Aetiologie der Hüftgelenks¬ 
luxation betrifft, so ist hier, gerade wegen der Multiplizität der 
vorhandenen Mißbildungen, dringend Reserve in der Beurteilung 
geboten. 

Grawitz verwertet seine Fälle bekanntlich derart, daß er die 
Ursache der Hüftluxation auf eine Bildungshemmung des Ypsilon¬ 
knorpels, in Gestalt eines Zurückbleibens in der normalen Ossi¬ 
fikation, zurückführt, während er die komplizierenden Bildungsfehler, 
als Bauch-, Blasenspalt, Spina bifida, mit Wahrscheinlichkeit auch 
die Schultergelenksluxation, Klumpfüße und Klumphände, unter die 
gleiche Kategorie der Hemmungsbildungen rechnet. Holtzmann, 
dessen histologische Untersuchungen denen von Grawitz diametral 
entgegengesetzt sind, nimmt für seine Fälle gleichwohl eine Keim¬ 
störung in Anspruch, welche das zentrale Blastem der Beckenanlage 
betrifft, und deren Beginn vor die 6.—7. Woche zu setzen ist. 

Kirmisson dagegen ist geneigt, in seinem Falle die Anomalie 
des Nervensystems (Spina bifida) für die Mißbildungen der Extremi¬ 
täten verantwortlich zu machen. Delanglade hält die Mißbildungen 
seines Falles für primäre Entwicklungsstörungen, nicht für die Folgen 
amniotischer Verwachsungen, während Lepage und Große, die sich 
übrigens in ihrem Falle, unter Vernachlässigung der übrigen Mi߬ 
bildungen, nur auf die Erklärung der Mißbildungen des Beckens und 
der unteren Extremitäten beschränken, für die Krümmung der Ober¬ 
schenkel und die fehlerhafte Haltung der Füße intrauterine Be¬ 
lastung, für die Hüftluxation und die Beckenasymmetrie eine Ent¬ 
wicklungshemmung verantwortlich machen. 


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124 . 


Gustav Albert Wollenberg. 


leb möchte jedenfalls die 12 mit Spina bifida komplizierten 
Fälle von der Beurteilung für die uns interessierende Frage aus¬ 
schließen; die übrigen Fälle jedoch kann man, wenn man noch von 
Fall 16 und 17, bei denen die Eihäute offenbar eine große Rolle 
spielen, absieht, zwanglos in die Gruppe der Bildungsfehler resp. 
Bildungshemmungen einreihen. 

Im allgemeinen läßt sich aus der Literatur entnehmen, daß die 
Autoren, welche in der angeborenen Hüftgelenksluxation eine primäre 
Keimstörung sehen, die oben angeführten Fälle für eine Stütze ihrer 
Ansicht halten (Krönlein, Schede, J. Wolff u. a.), während die 
Verfechter der mechanischen Entstehungsweise der angeborenen 
Hüftluxation diesen Fällen wegen der Vielheit der Mißbildungen 
keine rechte Beweiskraft zusprechen (Schanz), vielmehr diejenigen 
komplizierenden Mißbildungen in den Kreis ihrer Betrachtungen 
ziehen, welche sie für Folgeerscheinungen intrauteriner fehlerhafter 
Haltung, resp. intrauteriner Belastung ansehen. 

Ich werde später noch auf diese Fragen eingehen, nachdem 
ich nun diejenigen Fälle zusammengestellt habe, welche meiner An¬ 
sicht nach als Komplikationen der Hüftverrenkung mit intrauterinen 
Belastungsdeformitäten gedeutet werden könnten, und welche also 
für die Anschauungen der zuletzt erwähnten Autoren sprechen 
könnten. 

Diese Fälle betreffen, teilweise multiple, Deformitäten, welche 
unter sich so viel Gemeinsames haben, daß sie eine Betrachtung 
von einem einheitlichen Gesichtspunkte zulassen. Ich fahre dabei in 
der Numerierung fort: 


Gruppe II. 

25. Sandifort der Jüngere: Junge, skoliotische Person mit 
Subluxatio coxae sin., Luxatio coxae dextra iliaca und Pes 
varus sin. (derselbe bestand aus Tarsus, Metatarsus und 4 Zehen). 

26. Cruveilhier: Totgeborenes Kind mit Luxatio coxae 
congen. dupl., Klumphänden , Klumpfüßen. 

27. Adams: Hüftluxation und Klumpfuß. 

28. Rupprecht: Lux. cox. congen. und Klumpfuß. 

29. Barth: Neugeborenes mit Lux. coxae congen. dextr., 
Genu recurvatum congenitum dextrum, Beugekontraktur 
der rechten Hüfte. 


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Ueber die Kombination der angeborenen Hüftgelenksverrenkung etc. 125 


30. Zehnder: lOjähriges Mädchen mit Lux. cox. sin. und 
Caput obstipum dextr. 

31. J. Wolff: Lux. cox. congen., Klumpfuß, Flughaut¬ 
bildung. 

32. De Forest Willard: öjähriger Knabe mit Lux. cox. 
congen. dextr., beiderseitigem Defekt, resp. Hypoplasie 
desFemur, Kniebontrakturen, Defekt der linken Patella 
und Fibula, Krümmung der Tibia nach vorne, beiderseitigem 
Zehen-, rechtseitigem Fingerdefek t. 

33. Bar et Lamotte: Neugeborenes männliches Kind mit 
Luxatio coxae cong. sin., Flexions- und Adduktionskon¬ 
traktur des linken Beines. 

34. Cautru: Neugeborenes weibliches Kind mit Luxat. cox. 
cong. sin., Pes equinovarus duplex. 

35. J. Wolff: 9^jähriges Mädchen mit Lux. cox. congen. 
dupl., angeborener Luxation des linken Kniegelenkes, will¬ 
kürlicher Luxation des rechten Kniegelenkes, angeborener 
Luxation beider oberen Radiusgelenke. 

36. Bernacchi: 15jähriger Knabe mit Lux. cox. cong. dext., 
beiderseitigem Fibuladefekt, Jinkseitigem Femurdefekt, 
Pes valgus duplex, Zehendefekte. 

37. Sainton: Neugeborenes mit Lux. cox. congen. sin. 
(Flexions- und Adduktionsstellung des linken Hüftgelenkes), doppel¬ 
seitigem Klumpfuß. 

38. Sainton: Fötus mit Lux. cox. cong. sin. und doppel¬ 
seitigem Klumpfuß. 

39. Goesche: 7jähriger Knabe mit Lux. cox. congen. dupl. 
und Trichterbrust. 

40. Lorenz: 6jähriges Mädchen mit Lux. cox. cong. dextr., 
Pes calcaneovalgus dextr. 

41. Holtzmann (Fall 1): Fötus mit Lux. cox. cong. dupl., 
Klumpfüßen, Skolio se, hämorrhagischen Infiltrationen 
der Dura mater spinal, et cervical. 

42. Kirmisson: lOjähriges Mädchen mit Lux. cox. congen. 
dupl., ferner Ankylosierung der Finger, Unregelmäßig¬ 
keiten des Hand- und Fußskeletts, Torticollis. 

43. Schanz: Lux. cox. congen. unilateralis, Pes varus 
und Pes valgus congen. 

44. Hirschberger: 22 Wochen altes männliches Kind mit 


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126 Gustav Albert Wollenberg. 

Lux. cox. cong. dextr. und einer doppelten kongenitalen 
Skoliose. 

45. J. Wolff: lOjähriges Mädchen mit Lux. cox. dextr. und 
rechtseitigem Klumpfuß. 

46. Drehmann: 1 jähriges Mädchen mit Lux. cox. cong. 
dextra. mit Genu recurvatum congen. derselben Seite, leichte 
Calcaneusstellung des Fußes. 

47. Hantke: 7jähriges Mädchen mit Lux. cox. congen. 
sin. und Caput obstipum sin. 

48. Joachimsthal: 2 Monate altes Mädchen mit Lux. cox. 
congen. dextr. und Luxation des rechten Kniegelenkes (der 
Tibia nach vorne). 

49. Joachimsthal: 6jähriger Knabe mit doppelseitiger 
angeborener Hüftgelenksluxation und doppelseitigem 
Klumpfuß. 

50. Taylor: Lux. cox. congen. dupl. mit Pes varus und 
Pes valgus. 

51. Vogel: 1 ^jähriges Mädchen mit Lux. cox. congen. sin., 
Hypoplasie der ganzen linken Beckenhälfte und rechtskon¬ 
vexer kongenitaler Skoliose. 

52. Bacilieri: 27jähriger Mann mit Lux. cox. cong. dupl., 
Luxation beider Radiusköpfchen nach vorne, totaler Luxation 
der rechten Tibia nach vorne, doppelseitigem Klumpfuße. 

53. Wehsarg: 22jähriger Mann mit Lux. cox. cong. sin. 
und Subluxation des linken Kniegelenkes. 

54. Riedinger: 7jähriger Knabe mit Lux. cox. cong. dextra 
(supracotyloidea) und Hypoplasie der rechten Beckenhälfte 
sowie Torticollis sinist. 

55. Magnus: 4 3 /4 Jahre altes Mädchen mit Lux. cox. congen. 
dupl. und kongenitaler Luxation beider Kniegelenke nach 
vorne. Schlaffheit und abnorme Beweglichkeit der Hand-, Finger-, 
und Zehengelenke. 

56. Magnus: 2 *2 jähriger Knabe, Bruder der vorigen Patientin, 
mit denselben Fehlern. 

57. Magnus: ^jähriger Knabe, Bruder der vorigen Patienten, 
mit denselben Fehlern. 

58. Ewald: 5jähriges Mädchen mit Lux. cox. congen. 
dupl., Torticollis dextr. mit leichtem doppelseitigem Klumpfuß. 


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Ceber die Kombination der angeborenen Hüftgelenksverrenkung etc. 127 


59. Ewald: 5jähriges Kind mit Lux. cox. congen. dextr. 
and Torticollis dextr. 

Zu diesen Fällen der Literatur füge ich meine eigenen, dem 
Hoffaschen Materiale entstammenden hinzu. 

60. W. K., 1 Jahr altes männliches Kind mit Lux. cox. 
congen. sin., Streckkontrakturen beider Kniegelenke, 
kongenitalen Plattfüßen, kongenitaler Skoliose. 

Hereditäre Verhältnisse belanglos. Patient wurde rechtzeitig, an¬ 
geblich in Steißlage, geboren; die Geburt soll sehr schwer verlaufen 
sein (Extraktion an den Füßen). Fruchtwassermenge sehr gering. 

Es handelt sich um ein wohlgenährtes Kind von blasser Ge¬ 
sichtsfarbe. Beide Füße stehen in Valgusstellung. Die Kniee lassen 
sich weder aktiv noch passiv beugen, dagegen ein wenig überstrecken. 
Das linke Bein ist außenrotiert und ein wenig verkürzt, der Trochanter 
major desselben steht oberhalb der Roser-Nelatonschen Linie. Der 
linke Schenkelkopf ist nicht in der Pfanne, sondern hinter und ober¬ 
halb derselben fühlbar. Die Hüftgelenke sind bis auf eine Innen- 
rotations- und Abduktionsbeschränkung des linken Beines ohne Be¬ 
wegungsstörungen. Auch das rechte Bein steht in Außenrotation. 
Es besteht ferner eine ziemlich hochgradige Skoliose. Das Röntgen¬ 
bild ergibt keine Anomalien in der Zusammensetzung der einzelnen 
Wirbel, sondern lediglich eine linkskonvexe Krümmung des Dorso- 
lumbalteiles mit dem 10. Dorsalwirbel als Scheitelwirbel. 

61. F. N., 4jähriges Mädchen mit Lux. cox. cong. sin. und Pes 
varus sin. Hereditär nichts Besonderes. Die Mutter gibt an, in den 
ersten Schwangerschaftsmonaten ein Trauma erlitten zu haben, in¬ 
dem sie eine Treppe hinabfiel. Sonst verlief die Schwangerschaft 
normal. Auch der Geburtverlauf war normal, nur soll „furchtbar viel“ 
Fruchtwasser vorhanden gewesen sein. Das Kind wurde mit links¬ 
seitigem Klumpfuß geboren; die Hüftanomalie wurde erst bemerkt, 
als das Kind lief. Der Klumpfuß wurde von der fünften Woche an 
behandelt. Derselbe ist jetzt, bei der Vorstellung der Patientin, fast 
vollkommen normal. Die Hüftverrenkung zeigt das typische Bild 
der Luxatio iliaca. 

62. G. S., 2 *2 jähriges Mädchen. 

Kind soll eine Steißgeburt gewesen sein. Mit 11 Wochen wurde 
es wegen Schief hals operiert. 

Es besteht doppelseitige angeborene Hüftverrenkung 


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128 


Gustav Albert Wollenberg. 


(Trochanter maj. rechts 2 V 2 cm, links 2 cm oberhalb der Roser-Ne- 
latonschen Linie). Kopf steht oben und hinten von der Pfanne auf 
dem Darmbein. 

63. L. A., 2^2 jähriges Mädchen. 

Kind angeblich 8 Tage zu spät in Steißlage geboren; Geburt 
soll schwer gewesen sein. Fruchtwasser, angeblich in normaler 
Menge, 2—3 Stunden vor der Geburt abgegangen. Ein rechts¬ 
seitiger Schiefhals wurde von den Eltern zirka in der vierten 
Woche nach der Geburt bemerkt; eine Geschwulst soll am Halse 
nicht vorhanden gewesen sein. Nachträglich fiel der Mutter ein, 
daß das Kind in den ersten Tagen seines Lebens immer leise wim¬ 
merte, was sie auf den Schiefhals, der ihrer Meinung nach während 
der Geburt entstanden sei, zurückführte. Das linke Ohr soll deut¬ 
lich höher gestanden haben, als das rechte. 

Der Schiefhals wurde mit 3 x /4 Jahren operiert. In der Ver¬ 
wandtschaft des Vaters wie der Mutter sind trotz eifrigen Forschens 
der Eltern angeborene Deformitäten nicht bekannt geworden. 

Es besteht doppeiseitige angeborene Hüftverrenkung, 
deren Reposition zu Beginn des vierten Lebensjahres vorgenommen 
wurde. 

64. M. A., 2 V? jähriges Mädchen. 

Die Anamnese ergibt, daß die Mutter vor unserer Patientin 
ein totes Kind zur Welt brachte; dasselbe soll in Steiß- oder Quer¬ 
lage sich befunden haben; angeblich ziemlich viel Fruchtwasser. 

Unsere Patientin soll in Steißlage geboren sein; die Frucht¬ 
wassermenge wird als ziemlich reichlich angegeben. 

Hereditär ist nichts Besonderes nachweisbar. 

Sowie die Mutter aufstand, bemerkte sie an der rechten Hals¬ 
seite eine „eigroße“ Geschwulst. 

Das Kind zeigt eine angeborene doppelseitige Hüftluxa- 
tion, welche in der Poliklinik reponiert wird, fernereinen rechts¬ 
seitigen Schiefhals mit erheblicher Gesichtsasymmetrie; der 
Sternocleidomastoideus springt als derber, sehniger Strang vor. 

65. J. B., 3 1 /« Jahre altes Mädchen. 

In der Verwandtschaft sind sonst keinerlei Mißbildungen vor¬ 
gekommen. 

Kind angeblich in Steißlage zur Welt gekommen; sehr schwere 
Geburt. 

Es besteht linkerseits angeborene Hüftverrenkung 


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Ueber die Kombination der angeborenen Hüftgelenksverrenkung etc. 129 


(Trochanter major fast 3 cm oberhalb der Roser-N^latonschen Linie), 
ferner rechtseitiger Schiefhals. Der M. sternocleidomastoi- 
deus springt stark vor, es besteht eine erhebliche Gesichtsskoliose, 
starke Abflachung der rechten Schädelseite. 

Gewissermaßen als Uebergang von unserer ersten Gruppe zur 
zweiten möchte ich 2 Fälle hier gesondert erwähnen; ich meine die 
Fälle von Bernacchi und De Forest Willard. Beide haben 
das Gemeinsame, daß sie neben der Hüftluxation mehr oder weniger 
ausgedehnte Defekte aufweisen. Gerade für diese Defekte — im 
ersteren Falle liegen ein linkseitiger Femurdefekt, totaler doppel¬ 
seitiger Fibuladefekt, Zehen- und Metatarsaldefekte, im letzteren 
beiderseitiger Defekt resp. Hypoplasie des Femur, Patellar-, Fibula-, 
Zehen- und Fingerdefekte vor — hat man amniotische Verwach¬ 
sungen verantwortlich gemacht, eine Aetiologie, die auch, wenigstens 
in dem letzteren Falle, zutreffen mag (kongenitale Hautnarbe). In¬ 
wieweit diese amniotischen Verwachsungen nun auch für die an¬ 
geborene Hüftluxation in Betracht kommen, ist natürlich schwer zu 
entscheiden, auch sind diese Fälle zu selten, um Schlüsse allgemeiner 
Natur zuzulassen. 

Betrachten wir die übrigen in unserer zweiten Gruppe chrono¬ 
logisch aufgeführten Fälle nun in einzelnen Gruppen: 

Neben der Hüftluxation haben wir Klumpfüße in 14 Fällen 
(25, 26, 27, 28, 31, 34, 37, 38, 41, 43, 45, 49, 50, 52, davon 8mal 
ohne weitere Mißbildungen (25, 27, 28, 34, 37, 38, 45, 49), lmal 
kombiniert mit Klumphänden (26), lmal mit Plattfuß (43), 2mal mit 
Skoliose (25, 41), lmal mit Flughautbildung (31), lmal mit Radius- 
und Knieluxation (52). 

In dieselben Betrachtungen können wir die übrigen Anomalien 
der Fußstellung einbeziehen, also die Kombination der Hüftluxation 
mit Pes calcaneo-valgus (40), mit Pes valgus (60, der übrigens auch 
noch Skoliose und Kniekontrakturen aufweist). 

Was meinen Fall 61 betrifft, so ist hier sehr viel Fruchtwasser 
vorhanden gewesen, also jedenfalls in der späteren Zeit des intra¬ 
uterinen Lebens kein Anhaltspunkt für Raummangel zu finden. 

Was die Anschauung der einzelnen Autoren betrifft, so will 
ich hier nur erwähnen, daß Sa inton in seinen Fällen als Ursache 
der Hüftluxation primäre Entwicklungshemmung der Pfanne ansieht. 
Auf demselben Standpunkte stehen J. Wolff, Holtzmann, wäh- 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XV. Bd. 9 


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Gustav Albert Wollenberg. 


rend Schanz, wie schon erwähnt, in seinem Falle den gleichzeitigen 
Pes varus und valgus congenitus als ein Argument für seine An¬ 
schauung von der mechanischen Entstehung der Hüftluxation ansieht. 

Interessant ist der Fall von Sandifort, weil hier meiner Mei¬ 
nung nach der Zehendefekt des Klumpfußes auf eine Bildungs¬ 
anomalie hinweist; die Skoliose berücksichtige ich hier nicht, da ich 
nicht weiß, ob es sich um eine angeborene handelt. 

Was die kongenitalen Skoliosen betrifft, so finden wir 
dieselben 5mal, und zwar 2mal ohne weitere Deformität neben der 
Hüftluxation (44 und 51). 

Der bekannte Fall von Hirschberger betraf ein neugeborenes 
Kind mit starker Torsion der skoliotischen Wirbelsäule, ohne Bil¬ 
dungsanomalie der Wirbel. Die linke Beckenschaufel war kleiner, 
als die rechte; das luxierte Bein befand sich in starker Adduktions¬ 
kontraktur. Hirschberger faßte die gesamten Anomalien als 
intrauterine Belastungsdeformitäten auf. Vogel steht für seinen 
Fall auf demselben Boden; auch hier war eine gleichzeitige Hypo¬ 
plasie der Beckenhälfte des luxierten Schenkels vorhanden. 

Was die Kombination mit Trichterbrust (Fall 39) betrifft, so 
wird dieselbe von Go es che auf eine „angeborene“ Ursache zurück¬ 
geführt. 

Viel wichtiger für die Aetiologie sind natürlich diejenigen Fälle, 
wo wir Anhaltspunkte für eine Belastung des Oberschenkels 
selbst haben, wo also Hüft- und Kniekontrakturen, Knie¬ 
gelenksluxationen etc. vorliegen. 

Für gewöhnlich werden die Beugekontrakturen des Kniegelenkes 
als intrauterine Belastungsdeformitäten aufgefaßt, ebenso die Streck¬ 
kontrakturen; allein auf der anderen Seite muß man annehmen, daß 
auch eine fehlerhafte Haltung die Folge des Bestehens abnormer Ver¬ 
hältnisse in den Knie- und Hüftgelenken des Fötus sein kann (Hoffa). 

Wehsarg (Fall 53) gibt an, daß in seinem Falle die unteren 
Extremitäten, im Knie überstreckt, im Hüftgelenke stark flektiert, von 
den über den Unterschenkeln gekreuzten Armen festgehalten wurden. 
Bei der Entwicklung des Kindes (Zug am rechten Oberschenkel) sei 
„unter vernehmbarem Krachen eine Dislokation des oberen Endes 
des Oberschenkels, die ich als Luxation nach vorne ansehen mußte“, 
eingetreten *). 

J ) W. hält es daher für möglich, daß sein Fall ein traumatischer ist, 
eine Aetiologie, der ich nimmermehr bcipflichten kann; ich halte es für 


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Ueber die Kombination der angeborenen Hüftgelenksverrenkung etc. 131 


Mein Fall 60, der neben der linksseitigen Hüftluxation Streck - 
kontrakturen beider Kniee, beiderseitige Plattfüße und eine ange¬ 
borene Skoliose zeigt, spricht zwar für intrauterine Raumbeengung, 
denn es wird eine ungünstige Kindeslage und Fruchtwassermangel 
angegeben, allein es ist nicht recht zu verstehen, warum hier nicht 
auch auf der rechten Seite eine Hüftluxation eingetreten ist, da 
doch beide Beine sonst ganz gleiche Veränderungen zeigen, also 
anzunehmen ist, daß der Druck auf beide untere Extremitäten in 
derselben Lage gewirkt hat. 

Bei der Wichtigkeit, die den abnormen Haltungen der Ex¬ 
tremitäten des Fötus in utero für das Zustandekommen der Hüft¬ 
luxation zugemessen wird, hat man natürlich bei früh beobachteten 
Fällen sorgfältig auf etwaige Haltungsanomalien geachtet. Nun hat 
aber Holtzmann sowohl an seinem Materiale, als auch an dem von 
Grawitz, soweit sich die Haltung nach der Beschreibung rekon¬ 
struieren ließ, durchaus nicht die von Dupuytren oder Roser 
postulierte Haltung, Flexion resp. Adduktion der Extremitäten ge¬ 
funden. Von entgegengesetzten Angaben betreffend die Beinhaltung 
neugeborener Föten mit Hüftluxation erwähne ich noch die von 
Sainton, der bei seinem einen Fall (37) Flexion und Adduktion im 
Hüftgelenke fand, ferner von Cruveilhier, der an einem tot¬ 
geborenen Kinde mit doppelseitiger Hüftluxation mit Klumphänden 
und Klumpfüßen (Fall 26) Strecksteilung der Unterschenkel zu den 
Oberschenkeln fand, während die beiden Füße sich gegen den Unter¬ 
kiefer stemmten. Bar und Lamotte fanden bei ihrem Falle (33) 
Flexions- und Adduktionskontraktur an dem von der Hüftverrenkung 
betroffenen Bein. Barth (29) fand bei seinem Falle von Lux. cox. 
cong. dextr. und Genu recurvat. dextr. zugleich eine Beugekon¬ 
trakturstellung der rechten Hüfte. Bei der Mehrzahl unserer hier 
in Betracht kommenden Fälle von Genu recurvatum resp. Luxation 
des Kniegelenkes können wir uns natürlich leicht rekonstruieren, 
welche Lage der Fötus im Uterus eingenommen hat, und es ent¬ 
sprechen diese Lagen tatsächlich einer Stellung, in welcher eine 

plausibler, in derartigen Fällen (cf. Narath) eine bestehende Luxation 
oder Subluxation des Femurkopfes anzunehmen; ein starker Zug am Ober¬ 
schenkel vermag natürlich den Kopf an oder sogar eine Strecke über den 
Pfannenrand zu bringen, geht der Kopf wieder in seine fehlerhafte Lage zu¬ 
rück, so können natürlich die akustischen Phänomene, welche wir bei unseren 
Einrenkungsmanövern so oft hören, vernehmbar sein. 


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Gustav Albert Wollenberg. 


intrauterine Raumbeschränkung am ehesten eine Hiiftluxation er¬ 
zeugen müßte, nämlich Hyperflexion oder Hyperflexion und Adduktion 
im Hüftgelenke. 

Diese Argumente machen einen sehr überzeugenden Eindruck 
und sind verlockend genug, da die mechanische Theorie, wenn sie 
erwiesen wäre, uns von den großen Rätseln, welche die Theorie der 
primären Bildungsfehler umgeben, mit einem Schlage befreien würde. 

Allein es gibt zu viel Gegengründe, die mich nicht einmal an 
die eben angenommene mechanische Deutung der mit scheinbar ty¬ 
pischen Belastungsdeformitäten komplizierten Hüftluxationen glau¬ 
ben lassen. 

Den einen Grund hierfür hebt Schanz selbst hervor: „Diese 
Fälle“ (d. h. solche von Kombination der angeborenen Hüftverren¬ 
kung mit anderen intrauterinen Belastungsdeformitäten) „sind jedoch 
die Ausnahmen. Warum sie nicht die Regel darstellen, warum 
Klumpfüße, welche die deutlichsten Zeichen der allgemeinen intra¬ 
uterinen Raumbeschränkung tragen, in der Regel bei ganz normalen 
Hüften beobachtet werden, ist die mechanische Theorie außer stände, 
zu erklären.“ 

Auch Lud 1 off scheint es wunderbar, „daß bei der exponierten 
Stellung der Hüfte im Mutterleibe nicht mehr Hüftluxationen ent¬ 
stehen. Wir müssen,“ fährt er fort, „immer noch eine größere 
Nachgiebigkeit des Pfannenbodens oder der Kapsel annehmen, um 
das Ueberschreiten der physiologischen Breite begreifen zu können.“ 

Lorenz supponiert in seinem ersten Werke aus ähnlichen Er¬ 
wägungen eine gewisse Nachgiebigkeit, Plastizität des hinteren 
Pfannenrandes neben geringer Höhe desselben, wobei er besonders an 
Rhachitis denkt. 

Aus ähnlichen Gründen, besonders aber, weil der angenommene 
Uterusdruck nicht nur auf das distale Ende des Femur, sondern 
auch auf den Trochanter major wirken, also den Kopf in die Pfanne 
hineindrücken müßte, nimmt Hirsch die Wachstumsenergie des 
fötalen Femur zu Hilfe, um die Entstehung der Luxation zu erklären. 

Wir sehen also, daß die Verfechter der mechanischen Theorie 
eine gewisse krankhafte Disposition des Hüftgelenkes zur Erklärung 
heranzuziehen geneigt sind. 

Bedenkt man, daß die wenigen Fälle, welche ich in dieser Ar¬ 
beit aus unserem Materiale veröffentliche, aus einem großen Materiale 
stammen (das nahe an die Zahl 1000 reicht), bedenkt man weiter, 


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Ueber die Kombination der angeborenen Hüftgelenksverrenkung etc. 133 


aus welch einem Riesenmateriale der Literatur über Hüftverrenkung 
entnommen, die wenigen hier beigebrachten scheinbaren Belastungs¬ 
dokumente stammen, so muß selbst der begeistertste Anhänger der 
mechanischen Theorie schwankend werden. Wäre die angeborene 
Hüftverrenkung auf mechanische Kräfte zurückzuführen, sollten sich 
bei der relativen Häufigkeit des Leidens da nicht mehr Spuren der 
intrauterinen Raumbeschränkung finden lassen? Nun gibt Schanz 
an, daß er fast regelmäßig Drucklinien, welche die gegen den 
Thorax gepreßten Arme auf letzteren zurückgelassen haben sollen, 
bei Kindern mit angeborener Hüftluxation gesehen habe; dies sei 
eben ein Ausdruck der allgemeinen intrauterinen Raumbeschränkung. 
So viel ich auch bei unserem großen Materiale seit 1 */* Jahren ge¬ 
rade auf diese Drucklinie achte, so habe ich eine solche doch nicht 
zu sehen bekommen. Auch mein Chef, Herr Geheimrat H o f f a, hat 
nichts dergleichen gefunden. Ludloff will sie einmal beobachtet 
haben, während Ewald sie ebenfalls nicht gesehen hat. Auch wäre 
bei einer wirklichen Raumbeschränkung, die zur Hüftluxation führt, 
wahrscheinlich mehr zu erwarten, wie der Ausdruck einer geringen 
Anpressung der Arme an den Thorax. 

Ich habe aber bedeutend schwerer wiegende Argumente gegen 
eine mechanische Entstehung der Hüftluxation beizubringen. Ich 
habe aus der Literatur und aus eigener Beobachtung Fälle anzu¬ 
führen, welche alle Merkmale einer starken intrauterinen 
Raumbeengung aufzuweisen hatten, und zwar bei starker 
Flexion resp. Adduktion der Oberschenkel, also in einer Stel¬ 
lung, die einer mechanischen Luxierung der Hüftgelenke denkbar 
günstig war. Ich weise z. B. auf die Fälle von Genu recurvatum 
congenitum hin; da die angeborene Knieluxation resp. das Genu 
recurvatum congenitum bedeutend seltener ist als die angeborene 
Hüftluxation, müssen die Anhänger der mechanischen Theorie an¬ 
nehmen, daß bei einer Lage des Fötus, wo die Hüften maximal ge¬ 
beugt, die Kniee gestreckt sind, viel leichter eine Hüftluxation, als 
eine Knieluxation eintritt, also müßten die Fälle von Kombination 
der Knieluxation mit Hüftluxation bei weitem die überwiegen, in 
denen lediglich Knieluxationen vorhanden sind. Das ist aber nicht 
der Fall. Vielmehr kommen unter den bisher beschriebenen 137 Fällen 
von angeborener Kniegelenksluxation nur etwa 18 Fälle von kom¬ 
binierter Knie- und Hüftluxation vor. Weiter kommen hier die 
kongenitalen Knie- und H üftkontrakturen in Betracht. 


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Gustav Albert Wollenberg. 


Einige wenige Fälle mögen folgen: 

Knauer: Neugeborenes Mädchen mit doppelseitigem Plattfuß, 
doppelseitiger Luxation der Tibia nach vorne und verringerter Be¬ 
weglichkeit in den Hüftgelenken, insofern als die vollkommene 
Streckung und die Abduktion eingeschränkt ist. 

Es lag hier also sicher eine Adduktion und Flexion des Hüft¬ 
gelenkes vor, und die intrauterine Belastung müßten die Verfechter 
der mechanischen Theorie hier doch für die verschiedenen Deformi¬ 
täten verantwortlich machen 1 ). 

Wir beobachteten hier folgende Fälle: 

W. K. (Pol. Journ. Nr. 18 393), Vijähriger Knabe mit kon¬ 
genitalen Kniekontrakturen leichten Grades und mit rechtseitigem 
Torticollis. 

H. R. (PoL Journ. Nr. 12 066), 13tägiger Knabe mit an¬ 
geborenen Flexionskontrakturen beider Hüft-, Knie- und Fußgelenke. 

Besonders der letztere Fall spricht für die Theorie des Keim¬ 
fehlers ; die Mutter des Patienten leidet an Luxatio coxae congenita 
sinistra. 

Ferner führe ich hier einen von Helbing demonstrierten Fall 
unserer Poliklinik an: 

Kind H. Sch., 1 ^jähriges Mädchen mit Beuge- und Adduk¬ 
tionskontrakturen in der Hüfte, rechtwinkliger Beugung und starker 
Valgussteilung des linken Knies, Varusstellung und rechtwinkliger 
Beugekontraktur des rechten Knies. Rechtseitiger Spitzfuß mit 
kongenitaler Narbe, linkseitiger hochgradiger Klumpfuß. Eine Pa¬ 
tella ist nicht mit Sicherheit nachweisbar. 

Also auch hier handelt es sich um die Wirkung intrauteriner 
Raumbeschränkung, wahrscheinlich nach Fesselung der unteren Ex¬ 
tremitäten durch amniotische Verwachsungen (Narbe). Wie erheblich 
der Druck gewesen sein muß, ergibt die Konfiguration des Kindes; 
und doch blieben beide Hüftgelenke intakt. 

Diese wenigen Beispiele mögen genügen, obwohl ich glaube, 
daß sie sich leicht erheblich vermehren ließen. 

Als Resumö dieser meiner Betrachtungen möchte ich hier noch¬ 
mals meiner Ueberzeugung Ausdruck geben, daß ein normales 
Hüftgelenk selbst bei starker Belastung des flektierten 

0 Weitere Falle von Solmsen und Magnus übergehe ich hier, da die 
Geschichte und Natur derselben ohne weiteres mehr zur Annahme einer pri¬ 
mären Mißbildung, als einer intrauterinen Belastung zwingen. 


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Ueber die Kombination der angeborenen Hüftgelenksverrenkung etc. 135 


und adduzierten Oberschenkels gegen eine Luxation 
bis zu hohem Grade gesichert ist; wirkt eine Kraft von 
relativ früher Zeit an kontinuierlich im Sinne einer Luxierung des 
Schenkelkopfes, so mag letztere ja einmal eintreten können, obwohl 
ich den Fall für sehr selten halte. Ich werde noch einmal hierauf 
zurückkomraen; es müssen meiner Meinung nach eben ganz be¬ 
sondere Verhältnisse vorliegen, um infolge mechanischer Einwir¬ 
kungen ein Hüftgelenk zur Luxation zu bringen; diese Verhältnisse 
liegen meist im Hüftgelenke selbst, nämlich in einer primären 
Keimstörung. Nur in überaus seltenen Fällen ist eine Schwäche 
des ligamentösen Apparates zu beschuldigen; diese fiele aber 
auch unter den Begriff des kongenitalen Bildungsfehlers. Hierher 
gehören folgende Fälle: 

J. Wolff: 9^jährige Patientin mit fixierter doppelseitiger 
angeborener Hüftluxation und angeborener Luxation des linken Knie¬ 
gelenkes, willkürliche Luxation des rechten Kniegelenkes, bewegliche 
angeborene Luxation der beiden oberen Radiusgelenke; außerdem ab¬ 
norm weiter und nachgiebiger Kapsel- und Bandapparat der meisten 
Gelenke (Gruppe II, Fall 35). 

Wolff führt diese Deformitäten, auch die angeborene Hüft¬ 
luxation — meiner Meinung nach mit Recht — auf eine angeborene 
Kapselerweiterung zurück. 

Weiter möchte ich hierzu einen Fall von Drehmann und die 
3 interessanten, von Magnus veröffentlichten Fälle rechnen: 

Drehmann: 5 ,4 Jahr alter Knabe mit Lux. cox. congen. dextr. 
und abnormer Schlaffheit fast sämtlicher Gelenke. 

Die Fälle von Magnus (55—57) habe ich in der 2. Gruppe 
bereits zitiert; hinzufügen will ich hier noch, daß hereditäre Momente 
fehlten. Eine ältere Schwester der 3 ganz dasselbe Krankheitsbild 
zeigenden Geschwister war normal. Die Geburt der beiden älteren 
Patienten geschah in Steißlage, die Beine nach oben geschlagen, 
während die des letzten normal verlief, alles Momente, welche mehr 
auf einen Keimfehler, als auf Belastungsursaclie hinweisen. Magnus 
hält seine Fälle ebenfalls für „durch gemeinsame Störungen ange¬ 
borener Art“ entstanden, läßt daneben aber auch mechanische Mo¬ 
mente gelten. 

Ein weiteres disponierendes Moment hat man in einer pri¬ 
mären krankhaften Weichheit und Nachgiebigkeit des 
fötalen Knochens gesucht, worauf wir hier nicht eingehen wollen* 


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136 


Gustav Albert Wollenberg. 


da es bekannt ist, wie weit wir noch von der Lösung der Frage 
betr. die fötale Rhachitis entfernt sind. 

Als letzte Fälle unserer Gruppe haben wir jetzt noch die mit 
Torticollis kombinierten zu besprechen. 

Es ist bekannt, daß man den angeborenen Schiefhals mit den 
verschiedensten anderen Mißbildungen beobachtet hat, so mit an¬ 
geborenen Klumpfüßen, Radiusdefekt, Muskeldefekten, Polydaktylie, 
Fingerdefekten, Strabismus congen., Hasenscharte. Man hat diese 
Fälle gewöhnlich als Beweise für die Keimfehlerätiologie des 
Torticollis benützt. Auch wir haben neben unseren Fällen von 
Torticollis mit Hüftluxation auch einen mit Kniekontrakturen, den 
ich eben erwähnte, beobachtet. 

Joachimsthal gibt an, Kombinationen von Luxation mit 
Torticollis 3mal beobachtet zu haben, und zwar sowohl auf derselben 
als auch auf der entgegengesetzten Seite. 

In dem Fall von Zehn der (30) ist eine Angabe über den 
Geburtsverlauf nicht vorhanden; Verfasser hält die Affektionen für 
„ kongenitale“. 

Ebenso Hantke, dessen Fall (47) in Schädellage geboren 
wurde; Heredität nicht vorhanden, der Torticollis wurde seit der 
Geburt bemerkt. 

Während Riedinger in seinem Falle (54) die Hüftluxation, 
Beckenhypoplasie und den gleichseitigen Schiefhals als gleichwertig, 
als Folge intrauteriner Belastung ansieht, ist Kirmisson geneigt, 
in seinem Falle (42) den Torticollis als zufällig, durch ein Geburts¬ 
trauma entstanden, anzusehen. Bei meinen 4 Fällen sind schwere 
Geburten, und zwar Steißgeburten, notiert. In einem Falle (64) 
wurde bald nach der Geburt eine Geschwulst des Kopfnickers fest¬ 
gestellt. Die beiden Fälle von Ewald (58 und 59) waren eben¬ 
falls Steißgeburten; Ewald schließt aus seinen Fällen auf eine 
intra partum stattgefundene Zerreißung des durch intrauterine Be¬ 
lastung entstandenen Schiefhalses. 

Für meine Fälle möchte ich die Frage eines Zusammenhanges 
zwischen der Hüftluxation und dem Torticollis offen lassen; gleich¬ 
wohl neige ich mich hier eher der Kirmisson sehen Auffassung 
zu, wonach der Schief hals dann als von der Hüftluxation unabhängig 
anzusehen wäre. Ich gebe aber zu, daß das Zusammentreffen beider 
Affektionen ein auffallend häufiges ist. Ich nehme umso eher Ab¬ 
stand davon, hier auf diese Fragen näher einzugehen, als ich glaube, 


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lieber die Kombination der angeborenen Hüftgelenksverrenkung etc. 137 


daß der Schiefhals sich nicht im entferntesten so gut eignet, aus 
seiner Kombination mit Hüftverrenkung auf eine Belastungsätiologie 
der letzteren zu schließen, wie etwa die Knieluxationen sowie die 
Knie- und Hüftkontrakturen. Nichtsdestoweniger füge ich hier noch 
einen Fall bei, welcher mir für diese Frage nicht uninteressant 
scheint: 

Maaß: Neugeborenes, sehr kleines Mädchen; Geburt in Schädel¬ 
lage. Das Kind wies eine Myelocystocele und ein Caput obsti- 
pum mit großer, fibröser Geschwulst des Kopfnickers auf. Die 
Mutter hat eine doppelseitige Hüftluxation *). 


Ich gehe nun zu einer Gruppe von Patienten über, die ich 
in der Aufzählung des Gesamtmateriales nicht mit aufgeführt habe, 
weil es sich bei der mit der Hüftluxation gleichzeitig vorhandenen 
Krankheit nicht um eine Deformität handelt, sondern mehr um 
ein zu Deformitäten führendes Leiden nervöser Natur. Ich meine 
die Littlesche Krankheit. 

Diese Fälle beanspruchen unser Interesse natürlich von einem 
ganz anderen Standpunkt aus, als die bisher beschriebenen. Ich 
führe diese Gruppe hier also nur an, einmal, um unser Material 
vollständig wiederzugeben, zweitens wegen des hohen praktischen 
und wissenschaftlichen Interesses, das die Frage darbietet: Kann 
durch die Spasmen der Adduktoren des Oberschenkels bei der 
Lifctleschen Krankheit eine Hüftluxation entstehen, und wie ist 
dieselbe von der angeborenen Luxation sensu strictiori zu unter¬ 
scheiden ? 

Ohne auf die alten antagonistischen Theorien bezüglich der 
Hüftluxation einzugehen, will ich hier auf den einen Fall Ludloffs 
hinweisen, der eine Kombination von Littlescher Krankheit und 


*) Der Deutung, die Maaß seinem Fall gibt, kann ich mich nicht an¬ 
schließen ; er hält den Schiefhals für eine intrauterine BelastungsdeformiUit und 
glaubt, in seinem Falle Anhaltspunkte für die Annahme mütterlicher Becken- 
enge zu haben. Ich meine, hier liegt die Versuchung nahe, Bildungsstörungen 
sowohl im Sternocleidomastoideus als in der Wirbelsäule anzunehmen, vielleicht 
infolge einer erblichen Disposition zu Keim- oder Bildungsstörungen. Sei dem, 
wie ihm wolle, die Annahme mütterlicher Beckenenge bei doppelseitiger Hüft- 
kxation ist ungerechtfertigt, da Luxationsbecken meist vorzügliche Geburts¬ 
becken sind. 


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138 


Gustav Albert Wollenberg. 


Hüftluxation zeigte. Aus der röntgographisch festgestellten fehlen¬ 
den Verdickung des Pfannenbodens im Bereiche des Pfannendaches, 
aus dem Fehlen des doppelt konturierten vorderen unteren Pfannen¬ 
daches schließt Ludloff, daß hier die Luxation nach der Geburt 
entstanden sei, da durch die stetige Adduktion und Flexion der 
Kopf stetig gegen den hinteren oberen Pfannenrand gedrückt wird. 

Ich kann nun über 4 Fälle von Little und angeborener 
Luxation berichten, von denen ich aber leider nur zwei Röntgen¬ 
bilder besitze. 


Hüftluxation und Littlesche Krankheit. 

1. M. W., 3*2 Jahre altes Mädchen. 

Kind wurde im 7. Monat als Zwillingskind geboren, wog 
2*4 Pfund; es soll in Bezug auf die Haare und Nägel ganz gut 
ausgebildet gewesen sein, auch ganz kräftig geschrieen haben. Es 
mußte 9 Wochen in der Wärme wanne gehalten werden. Die Hal¬ 
tung der Arme und Beine soll in den ersten 1 */* Jahren, wo das 
Kind mit Ammenmilch ernährt wurde, annähernd normal gewesen 
sein; darauf sollen sich dann allmählich die Störungen in der Be¬ 
wegungsfähigkeit, die jetzt vorhanden sind, ausgebildet haben. 

Mäßig kräftiges Kind. Strabismus. Hochgradige Sprach¬ 
störung. Intelligenz etwas gestört. Rechter Arm annähernd normal, 
linker zeigt Beugestellung im Ellenbogengelenke, Pronationsstellung 
der Hand. Bewegungen spastisch. 

Knie in Beugestellung, Füße in Plattfußstellung. Adduktoren 
zeigen starke Spasmen und setzen Spreizbewegungen lebhaften Wider¬ 
stand entgegen. Kind kann weder gehen, noch stehen, noch sitzen. 

Ferner besteht eine doppelseitige Hüftverrenkung. 

2. E. B., 4*2 Jahre altes Mädchen. 

Siebenmonatskind, kam asphyktisch zur Welt. 2 andere Kinder, 
von denen eines vor, eines nach der Patientin geboren wurde, sind 
ganz gesund. Während der Schwangerschaft will die Mutter, die 
sonst stets gesund war, öfters ziehende Schmerzen in den Beinen 
gehabt haben. Vater vor 10 Jahren lungenleidend gewesen, sonst 
angeblich stets gesund. 

Die Störung in der Bewegungsfähigkeit und die Intelligenz¬ 
schwäche wurden von den Eltern sehr früh bemerkt. Von sonstigen 
Erkrankungen hat Patientin Masern, Varicellen und einmal einen 
nässenden Ausschlag auf dem Kopfe gehabt. 


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Ueber die Kombination der angeborenen Hüftgelenksverrenkung etc. 139 


Patientin ist ein gut genährtes Kind. Kopf auffallend groß. 
Strabismus convergens leichten Grades. Gang schwerfällig, spastisch, 
mit gebeugten Hüft- und Kniegelenken. Bei Rückenlage sind die 
Oberschenkel stark adduziert, Spreizfähigkeit äußerst gering. Dabei 
fallt die starke Spannung der Adduktoren auf, ebenso der Flexoren. 
Beiderseits Hochstand der Patella. Geringer Spitzfuß. Obere Ex¬ 
tremitäten sind schwach, aber frei von Spasmen. 

Intelligenz gering. 

Außerdem besteht eine doppelseitige Hüftgelenks Verrenkung. 

Fig. 1. 




Der Trochanter major überragt die Roser-Nelatonsche Linie links 
um 4, rechts um 5 cm. 

Das Röntgenbild (Fig. 1) wird weiter unten besprochen werden. 

3. A. Z., 5 Jahre alter Knabe, (cf. Gläßner, Die Littlesche 
Krankheit. Ztschr. f. orth. Chir. Bd. XIII, S. 554.) 

Normale Geburt im 9. Monat nach normaler Schwangerschaft. 
Kind soll an epileptischen Anfällen leiden. 

Intelligenz normal. 

Obere Extremitäten frei, untere zeigen Spasmen, links etwas 
stärker als rechts. Hochgradige ßeugekontrakturen der Kniee. 
Starke Adduktorenspannung, wodurch die Beine beim Stehen ge¬ 
kreuzt werden. Füße in Equinusstellung. Doppelseitige Hüftver¬ 
renkung. 


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Gustav Albert Wollenberg. 


4. Gr. W., 3jähriges Mädchen. 

Eltern angeblich gesund. 

Kind rechtzeitig geboren, Geburt leicht und normal. Kindes¬ 
lage unbekannt. Die Fruchtwassermenge soll „ nicht allzu reichlich“ 
gewesen sein. Das ursprünglich kräftige Kind wurde im Alter von 
3 Monaten im Kaiser Friedrich-Krankenhaus zu Berlin wegen „Aus¬ 
schlag“ behandelt. Als das Kind 1 Jahr alt war, merkten die 
Eltern die Bewegungsstörung der Beine. Patientin ist von mäßigem 
Ernährungszustand. Oberschenkel stark adduziert und etwas ein- 

Fig. 2. 




wärts rotiert. Abduktionsbewegungen aktiv und passiv sehr ein¬ 
geschränkt. Gang der Patientin spastisch. Kein Strabismus. Obere 
Extremitäten normal. 

Linkerseits besteht ein ganz geringer Trochanterhochstand. 
Die Verschieblichkeit des Schenkelkopfes ist eine äußerst geringe. 
Der letztere ist im Niveau der Pfanne fühlbar. 

Das Röntgenbild (Fig. 2) zeigt eine geringe Subluxation des 
linken Schenkelkopfes. 

Diagnose: Littlesche Krankheit. Subluxation der linken Hüfte. 

Betrachten wir nun die beiden uns hier zur Verfügung stehen¬ 
den Röntgenbilder, so erkennen wir sofort an den Konturpausen, 
daß es sich um zwei verschiedene Typen handelt. 

Fig. 1 (Fall 2) weist ein überaus hochgradiges Luxationsbecken 
auf: die Pfannendächer sind absolut flach und gehen fast unmerklich 


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Ueber die Kombination der angeborenen Hüftgelenksverrenkung etc. 141 


in die seitliche Begrenzung der Darmbeine über; der Pfannenboden 
ist verdickt. Die Schenkelköpfe stehen hoch oben auf dem Darmbein. 

Fig. 2 (Fall 4) dagegen zeigt eine geringe Subluxation der 
linken Hüfte, während die Pfanne nur geringe Anomalien gegenüber 
einer normalen auf weist. Auch die Femurköpfe zeigen kaum Ver¬ 
änderungen. Der linke Oberschenkel steht in Adduktion und Innen¬ 
rotation. 

Bei der Betrachtung dieser beiden Fälle muß man sich daran 
erinnern, daß es sich um Patienten verschiedener Altersstufen handelt 
(Fall 2 ist 1^2 Jahr älter als Fall 4), gleichwohl bin ich geneigt, 
in Fig. 1 eine richtige kongenitale Hüftluxation zu erblicken, deren 
Komplikation mit Littlescher Krankheit ich für zufällig erachte, 
in Fig. 2 dagegen glaube ich eine infantile Subluxation des einen 
Oberschenkels annehmen zu dürfen, wie Ludloff dies auf Grund 
seines Falles getan hat. Als Ursache dieser Subluxation sehe ich 
mit Ludloff die Muskelspasmen an, welche, bei paretischer Be¬ 
schaffenheit der Antagonisten, stets gleichmäßig in demselben Sinne 
wirkend, durch Adduktion, Flexion und Innenrotation den Kopf 
von der Pfanne entfernen. 

Da mir für Fall 1 und 3 keine Röntgenbilder vorliegen, muß 
ich mich einer Deutung der Fälle enthalten. 


Fasse ich nun noch einmal zum Schlüsse meiner Abhandlung 
meine Ansicht über das beigebrachte Material zusammen, so komme 
ich zu folgenden Thesen: 

1. Die Fälle von angeborener Hüftluxation, welche mit den in 
Gruppe I aufgeführten Deformitäten kombiniert sind, lassen sich bei 
Vernachlässigung der mit Spina bifida komplizierten zwar am un¬ 
gezwungensten mit der Annahme einer für alle die 
Deformitäten gleichen dunklen Ursache, des primären 
Keimfehlers erklären, absolute Beweiskraft haben sie aber wegen 
der Multiplizität der Deformitäten, welche die Beurteilung erschwert, 
meist nicht. 

2. Die Fälle der Gruppe II scheinen teilweise für intrauterine 
Belastungsmomente zu sprechen, besonders in den Fällen, bei welchen 
eine intrauterine Flexion und Adduktion im Hüftgelenke wahrscheinlich 
oder sicher bestanden hat, gleichwohl ist es plausibler, in der 
fehlerhaften Haltung der Gliedmaßen eher einen Aus- 


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Gustav Albert Wollenberg. 


druck der durch gemeinsame primäre Gelenkanomalien 
bedingten Funktionsstörung zu sehen; das in seiner Funk¬ 
tion schwer geschädigte Glied vermag sich raumbeengenden Einflüssen 
nicht mehr zu entziehen; dabei lasse ich es dahingestellt sein, ob 
ein Teil von Anomalien auf Konto der so entstehenden sekundären 
intrauterinen Belastung zu setzen ist. 

3. Es finden sich genügend Fälle, welche ihrer Konfiguration 
nach denkbar günstige Verhältnisse für eine mechani¬ 
sche intrauterine Luxierung des Hüftgelenkes darbieten* 
ohne daß es zur Luxation kommt. Dieses, sowie der Umstand, 
daß bei weitem die meisten Hüftluxationen keine Spuren 
intrauteriner Belastung darbieten, spricht für die Aetio- 
logie des primären Keimfehlers. 

4. Unsere Falle von Hüftgelenksluxation und Torticollis sprechen eher 
für ein zufälliges Zusammentreffen als für eine gemeinsame Entstehungsursache. 

5. Bei unseren Fällen von Hüftluxation und Littlescher Krankheit ist 
in einem Falle ein zufälliges Zusammentreffen, in einem anderen die Annahme 
einer sekundären Hüftgelenksluxation (also nicht einer kongenitalen sensu 
strictiori) wahrscheinlich, letztere ist von ersterer deutlich durch das Röntgen¬ 
bild zu unterscheiden. 


Kurz nachdem ich die vorliegende Arbeit in den Druck ge¬ 
geben hatte, kam mir die Ewaldsche Arbeit aus der Vulpiusschen 
Klinik in die Hände; sie behandelt dieselben Fragen, wie meine 
Arbeit, verwertet jedoch alle sich ergebenden Momente im Sinne der 
Belastungstheorie. Obwohl ich ursprünglich nicht die Absicht hatte, 
auf alle Argumente, die für die Theorie des primären Keimfehlers 
und gegen die ßelastungstheorie sprechen, näher einzugehen, kann 
ich es mir angesichts dieser Arbeit doch nicht versagen, in mög¬ 
lichster Kürze die Betrachtungen Ewalds einer Kritik zu unter¬ 
ziehen. 

1. Ewald führt zu Gunsten der Belastungstheorie die Kom¬ 
bination der Hüftluxation mit einer zweiten Anomalie an, die »ein¬ 
stimmig als meist durch eine abnorme intrauterine Belastung ent¬ 
standen angesehen“ wird. Er nennt als solche Torticollis, Pes varus, 
Genu recurvatum, Coxa vara. 

Was den Torticollis betrifft, so kann von einer »Einstimmig¬ 
keit“ in Bezug auf die Erklärung der Aetiologie nicht die Rede 
sein. Ich will hier nicht näher auf die einzelnen Theorien eingehen, 


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lieber die Kombination der angeborenen Hüftgelenksverrenkung etc. 143 


sondern nur hervorheben, daß die meisten Autoren an der Einheit¬ 
lichkeit der Aetiologie berechtigte Zweifel hegen. Die gar nicht so 
selten vorkommende Vererbung macht „die gelegentliche Ent¬ 
stehung des Leidens auf Grund einer fehlerhaften Keimanlage 
zweifellos* (Joachimsthal). Daß der Torticollis congenitus auch 
als Belastungsdeformität Vorkommen kann, ist anzunehmen. Ich muß 
speziell in Bezug auf die Kombination von Hilftluxation und Torti¬ 
collis auf den diesbezüglichen Teil meiner Arbeit verweisen. 

Auch bezüglich des Pes varus gilt dasselbe; so sicher, wie 
er als Belastungsdeformität Vorkommen kann, so sicher müssen wir 
auch an seiner Entstehung durch fehlerhafte Keimanlage festhalten, 
wenn letztere Aetiologie auch wohl die seltenere ist; anatomische 
Anomalien, eigenartige erbliche Verhältnisse und die Kombination 
mit anderen Deformitäten legen das nahe. Und wenn auch im 
Einzelfalle, besonders bei den uns interessierenden Kombinationen, 
die Entscheidung zwischen beiden Aetiologien eine schwierige, ja 
oft unmögliche sein kann, so muß man doch auch daran denken, 
daß bei einer durch primäre Gelenkanomalien verursachten Be¬ 
wegungsstörung es zu sekundären Druckerscheinungen, die wohl 
auch in einem Pes varus bestehen können, kommen kann, daß wir 
also dann mehrere Deformitäten von verschiedener Aetiologie vor 
uns haben. 

Was die Kombination der Hüftluxation mit dem Genu recur- 
vatum betrifft, so habe ich dieselbe in Bezug auf das gegenseitige 
Verhältnis in dieser Arbeit genügend berücksichtigt. 

Wenn schließlich Ewald behauptet, daß Hoffa seine Fälle 
von einseitiger Coxa vara congenita mit Hüftluxation der anderen 
Seite auf intrauterinen Raummangel zurückführt, so weiß ich nicht, 
woraus dieser Schluß gezogen wird; Hoffa sprach in seinem dies¬ 
bezüglichen Vortrag nur von kongenitalem Ursprung der Anomalien 
und steht für diese Form der angeborenen Coxa vara durchaus auf 
dem Standpunkte der Keimfehlertheorie. Gerade die in einem Falle 
nachgewiesene anatomische Anomalie des Schenkelkopfes und -halses 
ist hierfür als Beweis anzusehen. 

Diese Fälle von Kombination der Coxa vara congen. mit 
Luxatio coxae congen. habe ich aus äußeren Gründen in meiner 
Arbeit nicht angeführt; ich weise hier auf ein sehr schönes, diese 
Anomalien zeigendes Röntgenbild hin, welches in dem Atlas von 
Hoffa und Rauenbusch veröffentlicht wird. 


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144 


Gustav Albert Wollenberg. 


Wir müssen hier also zunächst feststellen, daß die Ein¬ 
stimmigkeit, mit der die oben erwähnten Deformitäten als Be¬ 
lastungsdeformitäten angesehen werden, doch wohl nicht ganz 
einwandsfrei ist. 

2. Wenn nun Ewald sagt, daß es „durch pathologisch-ana¬ 
tomische Untersuchungen, durch Tierversuche und durch klinische 
Beobachtung* wahrscheinlich gemacht werde, daß es sich bei der 
angeborenen Hüftverrenkung um eine Belastungsdeformität handle, 
so muß ich hierauf erwidern, daß die gewählten Vergleiche mit dem 
durch intrauterinen Druck entstandenen Pes varus congenitus, mit 
dem durch einseitigen Zug bedingten Pes varus paralyticus, mit der 
habituellen Skoliose und anderen Belastungsdeformitäten, ferner mit 
dem artefiziell erzeugten Chinesinnenfuß, welche beweisen, daß durch 
abnorme Belastung abnormes Knochenwachstum bedingt wird, kaum 
geeignet sind, in der Theorie der angeborenen Hüftverrenkungen 
herangezogen zu werden, denn es handelt sich hier ja nicht um die 
absolut unanfechtbare Tatsache, daß durch abnorme Belastung ab¬ 
normes Knochenwachstum hervorgerufen wird, sondern um die Frage, 
ob die angeborene Hüftverrenkung abnormer Belastung ihre 
Entstehung verdankt, oder ob der letzteren rein sekundäre Bedeutung 
zukommt, wie die Anhänger der Theorie des Keimfehlers annehmen. 
Was ferner die Tierversuche betrifft, welche Ewald erwähnt, so 
spielt er hier offenbar auf die Deutschländerschen Experimente 
an, welche uns ja aber nur beweisen, daß der normale Organismus 
tote Hohlräume, die nicht der Funktion dienen, im allgemeinen nicht 
duldet, sondern daß derselbe bestrebt ist, diese Hohlräume mit den 
ihm zu Gebote stehenden Kräften zu beseitigen. So interessant die 
Versuche Deutsch Binders sind, kann ich ihnen doch irgend eine 
beweisende Kraft für die Aetiologie der angeborenen Hüftverrenkungen 
nicht beimessen. 

Der bei dieser Gelegenheit zitierte Fall von Lorenz, bei dem 
infolge spondylitischer spastischer Paraplegie schließlich eine Luxa¬ 
tion der Schenkelköpfe verursacht wurde, kann meines Erachtens 
die Entstehung der angeborenen Hüftluxation auch nicht erklären, 
er beweist nur die Möglichkeit der Entstehung einer Hüftluxation 
bei hochgradigen pathologischen Zuständen der Hüftmuskulatur, 
welche ja bekannt ist, und für die ich sogar aus meiner Ka¬ 
suistik einen Fall vorbringe, bei welchem ich mir die Entstehung 
der Hüftluxation ähnlich erkläre (cf. Hüftluxation und Littlesche 


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Ueber die Kombination der angeborenen Hüftgelenksverrenkung etc. 145 

Krankheit). Bei den spastischen Kontrakturen liegen doch die Ver¬ 
hältnisse gewöhnlich so, daß hestimmte Muskelgruppen ihre Anta¬ 
gonisten an Kraft überwiegen, so daß schließlich, ähnlich wie bei 
gewissen Formen der paralytischen Luxationen, Verrenkungen ent¬ 
stehen können. Die Seltenheit dieser Affektionen illustriert übrigens, 
wie stark das Hüftgelenk gegen Verrenkungen gesichert ist. Davon 
abgesehen ist es aber doch unmöglich, die in den Extremitäten des 
Fötus liegenden Kräfte mit den außer ihm, in dem Druck des 
Uterus etc., gelegenen zu identifizieren! 

Auf Punkt 3 der Ewald sehen Zusammenfassung brauche ich 
hier nicht näher einzugehen; er behandelt die mechanischen Kräfte, 
welche seiner Meinung nach für das Zustandekommen der ange¬ 
borenen Hüftverrenkung in Betracht kommen. Ich sehe diese Kräfte 
mitHoffa, Vogel u. a. auch für die Manifestation der angeborenen 
Hüftverrenkung als sehr wichtige, aber als rein sekundäre an. Ihr 
Fehlen oder Vorhandensein ist dafür ausschlaggebend, ob die Hüft¬ 
gelenksverrenkung schon gleich bei der Geburt, oder erst später, 
bei eintretender Belastung, durch den Gehakt etc., manifest wird. 

Was die entwicklungsgeschichtlichen Erwägungen 
betrifft, welche Ewald gegen die Theorie eines Bildungsfehlers ins 
Feld führt, so richten sich dieselben vor allem gegen die v. Ammon- 
sehe Auffassung (Hemmungsbildung). Letzterer Autor meint, daß 
in manchen Fällen von angeborener Hüftgelenksverrenkung der Kopf 
überhaupt nie in der Pfanne gewesen sei; man könnte dann natür¬ 
lich von einer Luxation sensu strictiori überhaupt nicht sprechen. 
Diese Anschauung ist nach den Petersenschen Untersuchungen 
über die Entwicklung des Beckens und der unteren Extremität 
nicht mehr zu halten, damit ist aber doch nicht die ganze Keim¬ 
fehlertheorie über Bord zu werfen; wir lassen eben die alte 
v. Ammonsche Theorie in modifizierter Form gelten. Ich pflichte 
Wolffu. a. durchaus bei, wenn sie die Hüftluxation nicht als eine 
Hemmungsbildung, sondern als einen originären Keimfehler be¬ 
trachtet wissen wollen. Wie und auf welcher Basis derselbe entsteht, 
ist zwar für uns zunächst vollkommen dunkel; der Versuch Vogels, 
denselben durch ein „zu viel“, welches die Hüftpfanne, durch ein 
,zu wenig“, welches den Schenkelkopf bei der Differenzierung des 
Hutterblastems erhält, erklären zu wollen, scheint mir geistvoll, aber 
überflüssig; denn es baut sich sofort wieder eine hohe Wand vor 
unseren Augen auf: welcher Ursache verdankt diese ungleiche Ver- 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XV. Bd. IQ 


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Gustav Albert Wollenberg. 


teilung des Blastems ihre Entstehung? Und wir müssen bescheiden 
wieder unsere Unwissenheit bekennen. Und da die Vogel sehe 
Theorie bisher jeder Stütze durch anatomische Untersuchungen ent¬ 
behrt, wird sie wohl einstweilen keine allgemeine Verbreitung finden. 

Jedenfalls aber dürfen wir bis auf weiteres den Begriff des 
originären Bildungsfehlers nicht fallen lassen; es gibt nun einmal 
angeborene Fehler, für welche jede andere Annahme gekünstelt er¬ 
scheint. Und die Schwierigkeit, welche der Begriff „Vitium 
primae formationis“ in sich birgt, darf uns nicht verhindern, ihm 
eine Stellung in der Aetiologie der angeborenen Hüftverrenkung 
anzuweisen. 

Wenn Ewald sagt: „Für uns kommt hier nur die Frage in 
Betracht, wie man sich die große Masse der kongenitalen Luxationen 
des Hüftgelenkes erklären kann, und das geht nicht durch Anfüh¬ 
rung und Verallgemeinerung besonderer Fälle, in denen alle mög¬ 
lichen Verbildungen und Defekte vereinigt sind, und die Luxation 
gleichsam nur einen Nebenbefund darstellt,“ so lasse ich diese An¬ 
schauung durchaus gelten; meine kurzen Ausführungen über die mit 
derartigen Mißbildungen kombinierten Luxationsfälle geben meine 
Ansicht über diesen Punkt wieder; ich meine aber auf der anderen 
Seite, daß die im Verhältnis zur Häufigkeit der unkomplizierten 
Fälle von angeborener Hüftverrenkung nicht sehr zahlreichen Fälle 
von Komplikation mit „Belastungsdeformitäten* dann auch nicht zu 
sehr für die mechanische Theorie der Entstehung der „großen Masse 
der kongenitalen Luxationen des Hüftgelenkes“ verallgemeinert wer¬ 
den dürfen. 

Ich gehe jetzt auf den 5. Punkt der Ewald sehen Zusammen¬ 
fassung über: „Es ist die Tatsache beachtenswert, wie auf Röntgen¬ 
bildern nachgewiesen ist, daß 1 x /a—3 Jahre nach erfolgter Reposition 
die Pfanne und der Kopf völlig normal geworden sind, was nie der 
Fall sein würde, wenn es sich um ein Vitium primae formationis 
handelte.“ Dieser, schon von Deutschländer u. a. ausgesprochenen 
Ansicht möchte ich entgegenhalten, daß das sachkundige Auge doch 
wohl stets an gewissen Abweichungen von der Norm am Röntgen¬ 
bilde noch erkennen wird, ob eine angeborene Luxation Vorgelegen 
hat; wenigstens konnten wir dies auch an vor langer Zeit anatomisch 
reponierten Gelenken sehen. Nun ist ja bekannt, daß das angeboren 
luxierte Gelenk gewisse sekundäre Veränderungen noch nach der 
Geburt erleiden kann; diese Veränderungen sind auf die abnorme 


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Ueber die Kombination der angeborenen Hüftgelenks Verrenkung etc. 147 


Funktion zurückzuf&hren. Daß diese sekundären Veränderungen bei 
hergestellter normaler Funktion bis zu einem gewissen Grade sich 
zurückzubilden vermögen, dafür liegen in der Transformationskraft 
ausreichende Möglichkeiten. Aber auch ohne daß wir uns hier auf 
theoretische Betrachtungen einzulassen brauchen, finden wir in der 
täglichen chirurgischen Erfahrung genügende Beweise für die mäch¬ 
tigen Umgestaltungen, welche zwei miteinander in Kontakt gebrachte 
Knochen erfahren können; ich meine die Nearthrosenbildung. 
Daß dieselbe bei dem auf dem Darmbein stehenden Kopfe des kon¬ 
genital verrenkten Hüftgelenkes eine geringere Rolle spielt, als wir 
es sonst bei anderen Luxationen zu sehen bekommen, liegt daran, 
daß hier der Oberschenkel nicht senkrecht auf dem Darmbeine steht, 
und ferner daran, daß die dicke Kapsel einen innigen Kontakt nicht 
zuläßt. Gleichwohl sehen wir auch bei der unbehandelten angeborenen 
Hüftluxation eine mehr oder weniger ausgedehnte Ausbildung einer 
neuen Pfanne. Anders dagegen, wenn wir den Oberschenkel¬ 
kopf in die Pfanne stellen; findet derselbe Halt an dem oberen 
Dache der letzteren, so sind alle Bedingungen für die Bildung einer 
.Nearthrose“ (und zwar an dem ursprünglich angelegten normalen 
Pfannenort) gegeben. Ich glaube, das erklärt in ungezwungener 
Weise die Tatsache der Umgestaltung des Hüftgelenkes nach der 
Reposition der Verrenkung und tangiert die Theorie des primären 
Keimfehlers in keiner Weise. 


Literatur. 

1* Adams, Club-foot; its causes, pathology and treatment. Second Edition. 
London 1873. (Zit. nach Bessel-Hagen.) 

2. v. Ammon, Die angeborenen chirurgischen Krankheiten des Menschen. 

Berlin 1842. 

3. Bachert, Ueber einen Fall von angeborener Rectovaginalfistel mit gleich¬ 

zeitiger doppelseitiger Hüftgelenksluxation. Inaug.-Diss. Gießen 1893. 

4. Bacilieri, Ueber kongenitale Luxationen im Kniegelenk. Archiv f. Ortho¬ 

pädie etc., Bd. 3, H. 3. 

5. Bade, Kann uns die Rüntgographie Aufschluß geben über die Aetiologie 

der angeborenen Hüftverrenkung? Wiener klin. Rundschau 1900, Nr. 45 
bis 48. 

6* Bar et Lamotte, Societe obstätricale et gynäcologique de Paris 1891. 
(Zit. nach Kirmisson.) 


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Gustav Albert Wollenberg. 


7. Barth, Ein Fall von angeborener Knie- und Hüftgelenksverrenkung. Archiv 

f. klin. Chir. 1885, Bd. 81, S. 670. 

8. Bernacchi, Archivio di Orthopedia 1898, Fase. 8. (Zit. nach Haudek, 

Zeitschr. f. orthop. Chir., Bd. 4, S. 366.) 

9. Bessel-Hagen, Die Pathologie und Therapie des Klumpfußes. Heidel¬ 

berg 1889. Verl, von Otto Petters. 

10. Cautru, Annales de la Soc. obstetr. de France 1892 und Revue d’Ortho- 

pödie Nov. 1892. (Zit. nach Kirmisson.) 

11. Cruveilhier, Anatomie pathologique du corps humain. Livr. 2, p. 2. 

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12. De Forest Willard, Deformities congenital multiple arms and legs, femurs 

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14. Drehmann, Zur Aetiologie der kongenitalen Hüftluxation nebst Bemer¬ 

kungen über die unblutige Behandlung derselben nach Paci-Lorenz. Zen¬ 
trale. f. Chir. 1899, Nr. 13. 

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Zeitschr. f. Chir. Bd. 80, H. 3 und 4. 

16. Froning, Ein Fall von kongenitaler Hüftgelenksluxation bei einem acht¬ 

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18. Grawitz, Ueber die Ursachen der angeborenen Hüftgelenksverrenkung. 

Virchows Archiv 1878, Bd. 74, H. 1. 

19. Hantke, Ein Beitrag zur Aetiologie des Caput obstipuin musculare. Inaug.¬ 

Diss. Kiel 1900. 

20. Helbing, Berliner med. Gesellschaft. Sitzung vom 22. Februar 1905. 

21. Heusner, Ueber Ursachen, Geschichte und Behandlung der angeborenen 

Hüftluxation. Zeitschr. f. orthop. Chir. 1898, Bd. 5. 

22. — Ueber die angeborene Hüftluxation. Zeitschr. f. orthop. Chir. 1902, Bd. 10- 

23. Hirsch, Die Entstehung der angeborenen Hüftverrenkung. Virchows Archiv, 

Bd. 148, H. 3. 

24. Hirschberger, Beitrag zur Lehre der angeborenen Skoliosen. Zeitschr. 

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25. Hoffa, Lehrbuch der orthopädischen Chirurgie. 1905. 5. Aufl. 

26. — Die kongenitale Coxa vara. Zentralbl. f. Chir. 1905, Nr. 25, S. 677 und 

Deutsche med. Wochenschr. 1905, Nr. 32. 

27. Hoffa und Rauenbusch, Atlas der orthopädischen Chirurgie in Röntgen¬ 

bildern. F. Enke. Stuttgart 1905. 

28. Holtzmann, Die Entstehung der kongenitalen Luxationen der Hüfte und 

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1895, Bd. 140, S. 272. 

29. Joachimsthal, Geheilte angeborene Knie- und Hüftgelenksluxation. Deutsche 

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Lukas Gräfe und Sillem. S. 54. 

31. — Handbuch der orthopädischen Chirurgie. Jena 1905. Fischer. S. 426. 


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lieber die Kombination der angeborenen Hüftgelenksverrenkung etc. 149 

32. Kirmisson, Nanisme, deformations multiples du squelette etc. Revue 

d’orthopedie 1898, Nr. 4. 

33. — Lehrbuch der chirurgischen Krankheiten angeborenen Ursprungs. Ueber- 

ßetzt von Deutschländer. 1899. 

34. — Des Luxations congenitales de la hanche. Revue d’orthopedie 1894, 

S. 186. 

35. Knauer, Beitrag zu den kongenitalen Luxationen im Kniegelenk. Monatsschr. 

f. Geburtshilfe und Gynäkologie, Bd. 5, Ergänzungsheft. 

36. Kocher, Korrespondenzblatt für Schweizer Aerzte 1889. Zit. nach Hoffa- 

Blencke, Orthop. Literatur. Enke. 1905. 

37. Krönlein, Die Lehre von den Luxationen. Deutsche Chirurgie 1882. 

Lieferung 26, S. 88. 

38- Lepage et Grosse, Luxation congenitale de la hanche droite chez un nou¬ 
veau n4 atteint de malformations multiples. Revue d’orthopädie 1901, S. 257. 

39. Lorenz, Pathologie und Therapie der angeborenen Hüftverrenkung. Wien 

und Leipzig. 1895. Urban und Schwarzenberg. 

40. — Ueber die Heilung der angeborenen Hüftgelenks Verrenkung durch un¬ 

blutige Einrenkung und funktionelle Belastung. Leipzig und Wien. 1900. 
Deuticke. 

41. Lu dl off. Zur Pathogenese und Therapie der angeborenen Hüftgelenk¬ 

luxation. Jena 1902. Fischer. 

42. Maaß, Ueber den »angeborenen“ Schiefhals. Zeitschr. f. orthop. Chir. 

Bd. 9, S. 416. 

43. Hagnus, Ein Fall von multiplen kongenitalen Kontrakturen mit Muskel¬ 

defekten. Zeitschr. f. orthop. Chir., Bd. 10, H. 2. 

44. — Ueber totale kongenitale Luxation der Kniegelenke bei drei Geschwistern. 

Deutsche Zeitschr. f. Chir. 1905. 

45. Narath, Beiträge zur Therapie der Luxatio coxae congen. Wien und 

Leipzig 1903. Braumüller, 

46. Riedinger, Luxatio supracotyloidea und Hypoplasie des Beckens als 

intrauterine Belastungsdeformität (zugleich Torticollis). Archiv f. Ortho¬ 
pädie etc. 1905, S. 146. 

47. Rupprecht (zit nach Bessel-Hagen). 

48. Sainton, Etüde sur l’anatomie de la hanche chez l’enfant et sur la patho- 

genie de la luxation congenitale du femur. Revue d’orthopedie 1893, S.425. 

49. Sandifort, Animadversiones de vitiis oongenitis et de fracturis arti- 

culationis coxae. Diss. Leyden 1837. (Zit. nach v. Ammon.) 

50. Schanz, Aetiologie der angeborenen Hüftverrenkung. Zeitschr. f. orthop. 

Chir., Bd. 9, S. 359. 

51. Schede, Die angeborene Luxation des Hüftgelenkes. Ergänzungsheft 3 

der Fortschritte auf dem Gebiete der Röntgenstrahlen. Hamburg 1900. 
Lukas Gräfe und Sillem. 

52. Taylor, 18. Kongreß der Amer. Orthop. Association. Zit. nach Spitzy, 

Zeitschr. f. orthop. Chir., Bd. 14, S. 151. 

53. Teufel, Ueber einen Fall von multiplen Mißbildungen und die operative 

Behandlung der kongenitalen Hüftluxation. Deutsche Zeitschr. f. Chir. 
1889, Bd. 29, S. 340. 


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150 Gk A. Wollenberg. Ueb. d. Kombination d. angeb. Hüftgelenksverrenkung etc. 


54. Vogel, Angeborene Skoliose und Luxatio coxae congen. Zeitschr. f. orthop. 

Chir., Bd. 12, S. 421. 

55. — Zur Aetiologie und pathologischen Anatomie der Luxatio coxae congen. 

Zeitschr. f. orthop. Chir., Bd. 14, H. 1, S. 132. 

56. Voß, Invereio vesicae urin. og lux. femoris congen. Christiania 1857. (War 

mir unzugänglich!) 

57. Weh8arg, Ueber die kongenitale Subluxation des Kniegelenkes. Archiv 

f. Orthopädie etc., Bd. 3, H. 3. 

58. Wolff, Ueber einen Fall von angeborener Flughautbildung. Archiv f. 

klin. Chir. 1889, Bd. 38, S. 66. 

59. — Ueber einen Fall von „willkürlicher“ angeborener präfemoraler Knie- 

gelenksluxation nebst anderweitiger angeborener Anomalien fast sämt¬ 
licher Gelenke des Körpers. Zeitschr. f. orthop. Chir., Bd. 2, S. 23. 

60. — Die Bedeutung des Röntgenbildes für die Lehre von der angeborenen 

Hüftverrenkung. Fortschritte auf dem Gebiete der Röntgenstrahlen. 
1897/98. Bd. 1. . 

61. — Ueber die Ursachen, das Wesen und die Behandlung des Klumpfußes. 

Herausgegeben von Joachimsthal. Berlin 1903. Hirschwald. 

62. Zehn der, Ueber den muskulären Schiefhals. Diss. Berlin 1886. 


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Referate 


Hoffa und Rauenbusch, Atlas der orthopädischen Chirurgie in Röntgen¬ 
bildern. Enke. Stuttgart 1905. Lief. 1 und 2. 

Für kein Spezialgebiet der Medizin hat die große Entdeckung Röntgens 
eine größere Fülle von Gaben gebracht, wie für die Orthopädie; für keinen 
Arzt ißt es wichtiger, daß er versteht, die Vorteile, welche ihm die neue Unter¬ 
suchungsmethode gewährt, voll auszunützen, als für den Orthopäden. Nur wer 
ein Röntgenbild mit Sicherheit anzusprechen versteht, nur wer da weiß, welche 
Abweichungen von der Norm sich röntgographisch darstellen lassen, nur wer 
auf einer Röntgenplatte zu finden versteht, was pathologisch und was nicht 
pathologisch ist, nur der kann auf unserem Gebiet diagnostisch und thera¬ 
peutisch das leisten, was heute überhaupt leistbar ist. 

Daß es mit den Hilfsmitteln, sich diese Fähigkeiten zu erwerben, bis 
heute noch ziemlich schlecht bestellt war, ist bei der doch immer noch be¬ 
trächtlichen Jugend der Röntgenschen Entdeckung kein Wunder. Erst seit 
kurzem haben wir brauchbare Atlanten, welche darstellen, was man vom nor¬ 
malen Menschen auf die Röntgenplatte bringen kann. In den neueren Werken 
aus der orthopädischen Chirurgie sind Röntgenaufnahmen zwar in reichlichem 
Maße wiedergegeben, aber in verschwindend geringem Maße technisch so voll¬ 
kommen, daß der Betrachter wirklich etwas aus ihnen ersehen kann. Vor allem 
aber ist eine systematische Darstellung des ganzen Gebietes noch nicht 
einmal versucht worden. 

Hier ist eine Lücke in unserer Literatur. 

Mit Freude müssen wir es begrüßen, wenn jetzt ein Werk erscheint, 
welches diese Lücke ausfüllen will. Mit besonderer Freude werden wir dies 
Werk begrüßen, wenn es von Hoffa kommt. Wir können erwarten, daß der, 
welcher unser Spezialgebiet bisher am besten im Lehrbuch dargestellt hat, in 
diesem Atlas eine entsprechende Leistung bringen wird. 

Das Programm, welches sich die beiden Autoren gestellt haben, ist 
folgendes: es sollen die praktisch wichtigeren Kapitel der orthopädischen Chi¬ 
rurgie dargestellt werden; mit besonderer Rücksicht sollen die tuberkulösen 
Erkrankungen der Gelenke und Knochen, die Rachitis, die angeborene Hüft¬ 
verrenkung und die Coza vara bedacht werden. Es sollen aber auch sonstige 
für unsere Praxis wichtige Gelenk- und Knochenerkrankungen, z. B. chronische 
Arthritis, Knochenatrophie, Lues u. dergl., Aufnahme finden. Die Bilder sollen 
in denkbar bester Reproduktion gebracht werden, zu jedem eine kurze, das 
Wesentliche heraushebende Erklärung. 

An diesem Programm ist wohl kaum etwas zu mäkeln. In den erschie¬ 
nen Heften erscheint dasselbe fehlerlos durchgeführt. Auf Einzelheiten ein- 


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152 


Referate. 


zugehen, erscheint mir noch nicht am Platz; dazu muß der Referent erst das 
ganze Werk übersehen können. A. S c h a n z - Dresden. 

J. D. Ghiulamila (de Bucarest), Technique, valeur, indications des appa- 
reils portatifs en celluloid dans la Chirurgie orthopedique. Revue d’ortho- 
pedie 1905, Nr. 2. 

Verfasser empfiehlt die Celluloidapparate als Ersatz der Hessingseben 
Apparate, die ja nur von sehr geschickten Mechanikern angefertigt werden 
können und ausschließlich zahlungsfähigen Patienten zu gute kommen. In 
einer eingehenden, durch Abbildungen erläuterten Beschreibung der Technik 
hebt Ghiulamila den Wert des Gipsmodelles hervor, das exakt die Körper¬ 
formen wiedergeben muß und von dessen Güte die Brauchbarkeit des danach 
angefertigten Apparates abhängt. An der ursprünglichen Modellform ist nach¬ 
träglich so wenig wie möglich zu ändern. Der Wert der Celluloidapparate 
liegt in der Einfachheit ihrer Herstellung, ihrer Billigkeit und langen Haltbar¬ 
keit. Weitere Vorzüge sind, daß sie leicht, elastisch und elegant sind und 
sich gut säubern lassen. Ein anfangs lästiger Acetongeruch verschwindet, so¬ 
bald der Apparat trocken ist, ebenso fällt dann auch die Gefahr der Brenn¬ 
barkeit fort. Die Transpiration der Haut wird durch Bohrlöcher ermöglicht, 
welche die Festigkeit des Apparates nicht beeinträchtigen. Die Apparate haben 
ihre bestimmten Indikationen. Sie eignen sich besonders für Kinder. Unüber¬ 
troffen sind die Sohleneinlagen aus Celluloid. Fränkel-Berlin. 

Friedrich Dessauer und B. Wiesner, Kompendium der Röntgenographie. 
Leipzig 1905. Otto Nemnich. 

Die beiden Verfasser, die sich durch ihren früher erschienenen Leitfaden 
und die bekannten Aschaffenburger Kurse um die Popularisierung des Röntgen¬ 
verfahrens bereits große Verdienste erworben haben, geben hier eine erschöp¬ 
fende Darstellung der Röntgenographie. 

Der erste Teil behandelt nach einem Rückblick auf die Geschichte der 
Technik die physikalischen Grundlagen und das elektrotechnische Rüstzeug. 
Die Röntgenstation wird genau beschrieben, wobei die Anlagen der bekannte¬ 
sten Systeme als Beispiele angeführt werden. 

Eine äußerst sorgfältige Bearbeitung hat im zweiten Teile die photo¬ 
graphische Methode gefunden. Belehrend ist namentlich eine hierzu gehörige 
Fehlertafel. 

Der dritte Teil bringt die eigentliche Aufnahmemethodik. Durch zahl¬ 
reiche Abbildungen wird die Lagerung und Fixierung des Objekts dargestellt. 
Gerade hiervon hängt ja in erster Linie neben der richtigen Beurteilung der 
Röntgenröhre das Resultat ab. Ferner sind anatomische Skizzen zur Orientie¬ 
rung vielfach eingefügt, und eine Reihe von normalen und pathologischen 
Röntgenogrammen findet sich im Anhang zusammengestellt. 

Auf technische Streitfragen, wie auf diejenige des kleinen und großen 
Induktors, einzugehen, die vom Standpunkt der Aschaffenburger Richtung er¬ 
örtert wird, erübrigt sich hier. 

Im ganzen ist das vorliegende Buch, das sich auf einer jahrelangen, 
reichen Erfahrung der Verfasser auf baut, wegen seiner vielfachen praktischen 


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Referate. 


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Winke äußerst wertvoll und ergänzt gerade nach dieser Richtung die vorhan¬ 
denen, zum Teil vorzüglichen Lehrbücher der jetzt so wichtigen Disziplin in 
dankenswerter Weise. Frankel-Berlin. 

Deycke Pascha, Knochen Veränderungen bei Lepra nervorum im Röntgen¬ 
bilde. Fortschritte auf dem Gebiete der Röntgenstrahlen, 1905, Bd. 9, Heft 1, 

Durch eine Serie von vorzüglichen Röntgenogrammen werden die bei der 
mutilierenden Lepra nervorum vorkommenden Knochenveränderungen an Händen 
und Füßen von ihren ersten Anfängen bis zu den hochgradigsten Verunstal¬ 
tungen veranschaulicht. Die Schlüsse, die Deycke Pascha aus dieser Zu¬ 
sammenstellung zieht, die in ihrer Art wohl einzig dasteht, sind folgende: 

Den selteneren, bei der tuberösen Form der Lepra vorkommenden spe¬ 
zifisch leprösen Periostitiden steht die große Zahl der Knochen Veränderungen 
bei nervöser Lepra gegenüber, die nach des Verfassers Ansicht nicht durch 
aktive Tätigkeit der spezifischen Keime zu stände kommen und deswegen von 
ihm als passive bezeichnet werden. Nur diese Formen werden hier abgehandelt. 

Bei ihnen fehlt jede produktive Bildung. Die Vorgänge sind rein de¬ 
struktiver Natur. Die nicht seltenen totalen Einschmelzungen ganzer Knochen 
verlaufen, solange sie unkompliziert sind, stets ohne periostitische oder andere 
entzündliche Prozesse. 

Die lepröse Gelenkkontraktur macht keine knöchernen Ankylosen. 

Die lepröse Spontanfraktur zeitigt niemals die geringste Callusbildung. 

Die Ursache der schweren Zerstörungen können nach des Verfassers An¬ 
sicht nicht allein mechanische oder statische Momente sein, sondern er schul¬ 
digt eine Verminderung des Kalkgehaltes der Knochen an. Deycke Pascha 
meint, daß bei den leprösen Knochenzerstörungen der Mechanismus der ner¬ 
vösen Einwirkung auf die Kalkresorption der Knochen gestört ist, wobei er 
sich die Entkalkung durch eine Säure oder saure Salze entstanden denkt. 

F r ä n k e 1 - Berlin. 

Ernst Moser, Behandlung von Gicht und Rheumatismus mit Röntgenstrahlen. 
Fortschritte auf dem Gebiete der Röntgenstrahlen, 1905, Bd. 9, Heft 1. 

Moser hat bei gichtischen und rheumatischen Erkrankungen in den 
Röntgenbestrahlungen ein sehr wirksames Heilmittel gefunden, das nicht nur 
schmerzstillende Eigenschaften hat, sondern auch das Grundleiden bei beiden 
Krankheiten beeinflussen soll. Frankel- Berlin. 

Gustav Thomas, Operative und mechanische Chirurgie. Monatsschrift für 
Unfallheilkunde und Invalidenwesen, 1905, 12. Jahrgang, Nr. 10. 

Thomas betont den Wert der mechanischen Chirurgie, der sich der viel¬ 
beschäftigte Operateur nicht widmen kann und deren Pflege spezialistisch aus¬ 
gebildeten Aerzten, „den mechanischen Orthopäden“, zu übertragen sei. 

Frankel- Berlin. 

Hans Curschmann, Ueber regressive Knochenveränderungen bei Akro¬ 
megalie. Fortschritte auf dem Gebiete der Röntgenstrahlen, 1905, Bd. 9, 
Heft 2. 

Während bei der Akromegalie am knöchernen Skelett bisher nur hyper¬ 
trophische Zustände beobachtet worden sind, macht Curschmann auf Rück- 


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154 


Referate. 


bildungsvorgänge aufmerksam, die sich bei radiologischer Untersuchung als 
hochgradige Rarefikationen der Knochensubstanz namentlich an dem Gelenk¬ 
ende der Ulna sowie am Fußskelette geltend machten. In drei der beschrie¬ 
benen Fälle, die regressive Knochenveränderungen an ganz bestimmten Teilen 
des Skelettes aufwiesen, war die lange Dauer der Krankheit, ein Stillstand des 
hypertrophischen Prozesses und eine mehr oder weniger hochgradige Kachexie 
auffällig. In einem vierten Falle dagegen, wo noch keine Kachexie vorhanden 
war, fehlte auch die Atrophie der Knochen ganz. Hierin sieht Verfasser mit 
Recht eine Stütze der Lehre, nach welcher zwei klinisch und anatomisch zu 
trennende Stadien der Akromegalie, ein hyperplastisches und ein kachektisches, 
anzunehmen sind. Fr änkel - Berlin. 

Stieda, Ueber umschriebene Knochenverdichtungen im Bereich der Substantia 
spongiosa im Röntgenbilde. Beiträge zur klinischen Chirurgie, 1905, Bd. 45. 

In den kurzen Knochen und Epiphysen von Röhrenknochen treten manch¬ 
mal auf dem Röntgenbild umschriebene, rundliche oder ovale Schatten auf, die 
im Bereich der Substantia spongiosa liegen. Bezüglich des Auftretens und der 
Lage derselben scheint keine Gesetzmäßigkeit zu walten. Auf Sägeschnitten 
des mazerierten Knochens erweisen sie sich als scharf abgegrenzte Knochen¬ 
kerne von großer Dichtigkeit. Mikroskopisch zeigen sie das Bild des kom¬ 
pakten Knochengewebes. Praktisch wichtig sind diese Schatten insofern, als 
sie unter Umständen einen pathologischen Befund Vortäuschen können. 

W ette-Berlin. 

Grün er t, Ueber pathologische Frakturen. Deutsche Zeitschr. f. Chirurgie. 

Grunert spricht in seiner umfassenden Abhandlung über die Frakturen 
der Röhrenknochen, die auf pathologischer Grundlage beruhen, und teilt die¬ 
selben folgendermaßen ein. 

I. Knochenbrüchigkeit infolge lokaler Veränderungen des Knochen¬ 
systems 

1. durch Geschwülste 

a) Sarkom und Karzinom, 

b) Schilddrüsentumoren, 

c) Enchondrome und Cysten, 

d) Echinococcuscysten. 

2. Durch entzündliche Prozesse 

a) infektiöse Osteomyelitis, 

b) Tuberkulose der Knochen 

(Anhang Aneurysma). 

3. Syphilis. 

II. Knochenbrüchigkeit infolge einer allgemeinen Erkrankung 

1. Nervenkrankheiten 

a) Tabes dorsalis, 

b) Syringomyelie, 

c) Geisteskrankheiten. 

2. Alter. 

3. Erschöpfende chronische Krankheiten. 

4. Inaktivitätsatrophie. 


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Referate. 


155 


5. Skorbut. 

6. Rachitis und Osteomalacie. 

III. Idiopathische Knochenbrüchigkeit. VüIlers-Berlin. 

Hakenbruch, Zur Behandlung der spinalen Kinderlähmung durch Nerven- 
pfropfung. Deutsche med. Wochenschr. 1905, Nr. 25. 

Hakenbruch hat bei drei Kindern mit Peroneuslähmung nach 
spinaler Kinderlähmung den Nervus tibialis partiell auf den Nervus peroneus 
gepflanzt. Hautschnitt oberhalb der queren Kniekehlenfalte. Vom Nervus 
tibialis wird an der dem Nervus peroneus zugewandten Seite ein ca. 3—4 cm langes 
Stück in der Längsrichtung abgespalten, so daß dasselbe zentral in ungestörter 
organischer Verbindung bleibt. Dieser Strang von etwa Vs Dicke des Nervus 
tibialis wird in eine entsprechend hohe Schlitzspalte des Nervus peroneus ein¬ 
gepfropft und durch einige Nähte fixiert. 

In 2 Fällen Mißerfolg, die Hakenbruch auf eine starke Keloidbil¬ 
dung in der Hautnarbe zurückführt, die auf das Pfropfgebiet sich erstreckt und 
das Einwachsen der Tibialisfasern verhindert hat. Im 3. Fall fast ideales 
Resultat. Patient mit paralytischem Spitzfuß, Peroneuslähmung. Operation in 
der geschilderten Weise. Nach 4 Monaten die ersten Abduktionsbewegungen. 
Jetzt nach 1 */* Jahren ist der Fuß gut gebrauchsfähig, Kind steht ohne Appa¬ 
rat auf dem kranken Fuß. Direkte faradische Erregbarkeit der Peroneus- 
muskulatur. 

Hakenbruch empfiehlt, die Naht der Haut und Faszie mit der Pfropf¬ 
stelle nicht in eine Ebene zu legen wegen der Gefahr der Keloidbildung. 
Ferner soll der implantierte Nervenlappen ohne Spannung in der Schlitzwunde 
liegen. Die Fixationsnähte sollen nur das Perineurium fassen. Die Pfropfung 
soll so vor sich gehen, daß der zentrale gesunde Faserlappen in eine Schlitz¬ 
wunde des gelähmten Nerven zu liegen kommt, damit die durchschnittenen, 
gesunden Nervenfasern ihre Bahn vorgezeichnet haben. W e 11 e - Berlin. 

Mosetig-Moorhof, Therapie der Gelenktuberkulose. Wiener klin. Wochen¬ 
schrift 1904, Nr. 49. 

Nach Besprechung der verschiedenen konservativen Methoden in der Re¬ 
sektion bei der tuberkulösen Gelenkerkrankung gibt Mosetig eine Zu¬ 
sammenstellung der Endresultate der operativ abstinenten Therapie, die er in 
vier Gruppen bringt, a) Ausheilung ohne Rücklaß besonderer Deformierung 
und Funktionsstörung, meist in Fällen von reinem Kapselfungus, die unter recht 
günstige hygienische Verhältnisse gestellt wurden, b) Ausheilungen von Fungus 
articuli-oeseus, stets mit entsprechender Deformität und Funktionsstöruug; be¬ 
sonders günstigen Ausgang Ankylosenbildung, c) Fälle von Gelenktuberkulose 
mit rascher Progression und Destruktion, mit oder ohne Eiterung; diese fallen 
der mutilierenden Therapie zu. d) Die letal ausgehenden Fälle infolge von 
Verallgemeinerung der Tuberkulose oder Amyloidose. 

Die Ausheilung der Lokaltuberkulose erfolgt durch Vernarbung, bei 
ossären Herden durch Bildung einer durch Aufnahme von Kalksalzen osteoid 
werdenden Knochennarbe. Daneben gibt es nicht allzu selten eine scheinbare 
Heilung durch Abkapselung der fungösen Knochenherde durch Sklerosierung 
der Wandungen. 


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Referate. 


Die wahre Heilung der Knochentuberkulose besteht einzig und allein nur 
in der Substitution des Herdes durch osteoide Substanz und wird herbei¬ 
geführt, wenn man den oder die Tuberkelherde einzeln im Gesunden aus¬ 
schneidet und den entstandenen Defekt durch eine provisorische Plombe her¬ 
metisch ausfüllt. Daß die so verwendete Jodoformplombe wirklich von der 
Granulation nach und nach beseitigt wird und endlich ganz schwindet, sobald 
der Ersatz vollendet ist, weist Mosetig durch Kontrolle mittels Radiographie 
und durch ein zufällig gewonnenes Präparat einer 4 Wochen alten Tibiaplombe 
und aus den Resultaten des Tierexperimentes nach. 

Die rationelle, konservierende Therapie der Gelenktuberkulose soll daher 
nach Mosetig eine operativ aktive sein, wenigstens in allen Fällen von Fungus 
osseus, da sie sehr gute Resultate hat. Die Kranken erholen sich sehr rasch 
und das Krankenlager ist ein bedeutend abgekürztes. 

Die operativeBehandlung hat zu bestehen: 1. In einer sorgfältigen 
Exstirpation des gesamten lokaltuberkulösen Gewebes, sowohl in den Weich¬ 
teilen als in den Knochen. Die Gelenkkapsel soll möglichst in toto aus¬ 
geschält werden, die Auskratzung der Oberfläche ist ungenügend. Ebenso muß 
der perikapsuläre Fungus entfernt werden, die Tuberkelherde im Knochen 
müssen nach Entfernung des Gelenkknorpels einzeln im Gesunden mit Meißel 
und Hammer ausgestemmt werden. Der Epiphysenknorpel ist jedoch bei Indi¬ 
viduen, deren Skelettwachstum noch nicht vollendet ist, zu erhalten. 

2. In der sorgfältigen Ausschaltung aller durch den operativen Akt ge¬ 
setzten Gewebsdefekte, besonders der durch das Ausstemmen geschaffenen 
Knochenhöhlen durch Ausfüllung mit Jodoformplombe. Dadurch wird eine 
Ausheilung per primam ermöglicht und werden alle durch eine langdauernde 
Eiterung verursachten Uebelstände vermieden. 

Die operativen Eingriffe müssen unter aseptischen Kautelen stattfinden; 
als Fixationsverband verwendet Mosetig einen Stärkebindenverband mir 
Tapetenholzspänen. 

In der Zeit vom 1. November 1897 bis 1. November 1904 gelangten an 
der Abteilung von Mosetig im Wiener allgemeinen Krankenhause 537 Fälle 
von Gelenktuberkulose zur Aufnahme. In 27 Fällen konnte überhaupt kein 
operativer Eingriff vorgenommen werden; in 187 Fällen mußten mutilierende 
Operationen (Amputationen) ausgeführt werden. Durch Resektion mit nach¬ 
folgender Jodoformplombe wurden 371 behandelt, darunter 67 Kranke unter 
10 Jahren. Alle sind geheilt und wurden in relativ kurzer Zeit mit vollends 
vernarbten Wunden und gebrauchsfähigen Extremitäten entlassen. 

Haudek-Wien. 

Hau de k (Wien), Der Einfluß des Seeklimas auf die Ausheilung tuberkulöser 
Gelenk- und Knochenaffektionen im Kindesalter. Wiener med. Presse 1904, 
Nr. 46. 

Haudek vertritt mit Recht die Ansicht, daß ein kurzer Aufenthalt in 
einem Seehospiz für Patienten, die an Knochen- und Gelenktuberkulose leiden, 
meist nutzlos ist. Die Zahl der Heilungen ist nämlich eine bedeutend größere 
in denjenigen Heilstätten, die ihren Patienten einen unbeschränkten Aufenthalt 
gewähren, d. h. bis zur definitiven Ausheilung des Knochenprozesses und das 
ganze Jahr hindurch. Auch eine andere Forderung Haudeks, die nach ortho- 


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Referate. 


157 


pädisch- sachgemäß er Leitung solcher Hospize wird jeder gern unterschreiben, 
der es erleben mußte, daß gut entlastende und fixierende Gipsverbände in den 
Heilstätten entfernt wurden, teils um durch „originelle“ ersetzt zu werden, 
teils um den Einfluß des Seeklimas an sich zu studieren. 

Pfeiffer- Frankfurt a. M. 

Bauer, Kasuistischer Beitrag zur Lehre von der spinalen progressiven Muskel¬ 
atrophie. Diss. Mönchen 1905. 

Verfasser bespricht den pathologischen Befund eines Falles, der klinisch 
sowohl wie anatomisch das typische Bild der progressiven spinalen Muskel¬ 
atrophie darbot und der insofern von Interesse sein dürfte, als der Patient 
Georg Meltor, der ein Wanderleben als Artist führte, bei mehreren Kliniken 
und Aerzten sich vorstellte und deshalb weiteren Kreisen bekannt sein dürfte. 
Im Anschluß an diese Besprechung bringt dann Verfasser noch eine tabellarische 
Zusammenstellung aller der seit dem Jahre 1895 beschriebenen Fälle von pro¬ 
gressiver Muskelatrophie, welche zur Autopsie kamen. B1 e n c k e - Magdeburg. 

Salvendi, Ueber Littlesche Krankheit. Aerztl. Bezirksverein zu Erlangen, 
27. Mai 1905. Münchener med. Wochenschr. 1905, Nr. 27. 

Salvendi demonstriert einen typischen Fall und berichtet im Anschluß 
hieran über den jetzigen Stand dieser Erkrankung. Nach seiner Ansicht ist 
vom Standpunkt des Praktikers die Hoffasche Einteilung in drei Gruppen sehr 
richtig, da sie eine bequeme Handhabe für Prognosestellung und therapeutische 
Indikation bietet, dagegen kann er den auch aus der Hotfaschen Klinik von 
Glaeßner gemachten Vorschlag, eine gemeinsame unbekannte Noxe anzunehmen, 
die allen anderen den Boden vorbereitet, mit Rücksicht auf die ganz ver¬ 
schiedenen pathologisch-anatomischen Befunde und sichergestellte ätiologische 
Momente nicht anerkennen. Die orthopädisch-chirurgische Behandlung wird 
kurz gestreift. B1 e n c k e - Magdeburg. 

Brodnitz, Die Diagnose der Blutergelenkerkrankung. Aerztl. Verein in Frank¬ 
furt a. M. 2. Oktober 1905. Münchener med. Wochenschr. 1905, Nr. 48. 

Brodnitz stellt ein 12jähriges Mädchen vor, das an dieser Erkrankung 
leidet. Verschiedene Gelenke wurden ohne äußere Ursachen befallen. Die 
völlige Schmerzlosigkeit, die Verschlechterung des Zustandes durch die Massage, 
die auffallende Blässe des Kindes ließen an ein Blutergelenk denken, an eine 
Diagnose, die auch durch die vorgenommene Punktion bestätigt wurde. An der 
Hand dieses Falles bespricht zunächst Brodnitz die Diagnose, die doch von 
allergrößter Bedeutung für die Therapie ist, und dann auch die Therapie. 
Verf. gab in diesem Falle täglich 20—30 g Gelatine. Bl encke-Magdeburg. 

Spieler, Ueber eine eigenartige Osteopathie im Kindesalter. Zeitschr. f. Heil¬ 
kunde XXVI. Jahrg. 1905, Heft 6. 

In dem vorliegenden Falle handelt es sich um einen weder hereditär noch 
familiär nachweislich belasteten 3jährigen Knaben, bei dem sich seit seinem 
15. Lebensmonate allmählich zunehmende, schmerzhafte Verdickungen und eigen¬ 
tümliche Verkrümmungen der langen Röhrenknochen, bedeutende Auftreibungen 
der Knie- und Sprunggelenke sowie typische Trommelschlegelfinger und -zehen 


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Referate. 


entwickelt haben. Die Knochenverdickungen sind, wie das Röntgenbild zeigt, 
durch schalenartig die Extremitätenknochen umschließende Auflagerungen neu¬ 
gebildeten Knochengewebes bedingt und betreffen fast ausschließlich die Dia- 
physen, während die Gelenksauftreibungen auf Weichteil Verdickungen zurück¬ 
geführt werden müssen. Die Knochen des Stammes sowie das Gesichtsskelett 
zeigen keinerlei Veränderungen, dagegen besteht eine hochgradige Wachstums¬ 
hemmung der Schädelknochen. Verfasser kam auf Grund des Ergebnisses seiner 
differentialdiagnostischen Erwägungen zu der Ansicht, daß sich der Fall mit 
Sicherheit kaum in die gegenwärtig geltende Einteilung der Osteopathien ein- 
ordnen läßt. Mit Rücksicht auf die Kombination von Hyperostosen der Extreroi- 
tätenknochen mit ganz charakteristischen Weichteilverdickungen, Auftreibungen 
der Gelenkgegenden und Trommelschlegelfinger und -zehen will er ihn am 
ehesten der großen Gruppe der „toxigenen Osteoperiostitis ossificans“ zugewählt 
wissen, umsomehr, als auch der Befund einer Wachstumshemmung der Schädel¬ 
knochen sich mit der Diagnose vereinbaren läßt. Man kann daran denken, daß 
auch bei diesem Knaben eine hereditäre Lues dem ganzen Krankheitsbilde zu 
Grunde liegt. Blencke- Magdeburg. 

Henderson, Die Gelenkaffektionen bei Tabes dorsalis. Journal of Pathology, 
April 1905. 

Henderson hat die diesbezügliche Literatur eingehend studiert und 
kommt auf Grund dieses Studiums und seiner zahlreichen eigenen Untersuchungen 
zu dem Ergebnis, daß die wichtigsten pathologischen Veränderungen in den 
sensiblen Nerven zu suchen sind. Die Gelenkveränderungen will er durch Ver¬ 
letzungen oder lediglich durch Ueberanstrengungen hervorgerufen wissen, die 
namentlich durch die bestehende Analgesie zu stände kommen. Daß dabei auch 
noch vasomotorischen und reflektorisch-trophischen Störungen eine gewisse 
Rolle zuzuschreiben ist, glaubt Henderson annehmen zu müssen. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Braatz, Zur Frage der Entstehung der Gelenkkörper. Altonaer ärztlicher 
Verein. Sitzung vom 5. April 1905, Münchener med. Wochenschr. 1905, 
Nr. 32. 

Braatz berichtet über einen im Altonaer Krankenhaus beobachteten, 
noch nicht frei gewordenen Gelenkkörper im rechten Ellenbogen gelenk eines 
17jährigen Bäckerlehrlings, bei dem sich anamnestisch kein Trauma nachweisen 
ließ. Der Fall dürfte wohl der erste sein, bei dem vor der Operation die Dia¬ 
gnose eines noch nicht völlig von seiner Stelle gelösten Gelenkkörpers durch die 
Röntgenphotographie gestellt wurde. B1 e n c k e - Magdeburg. 


van Laak, Die Verbreitung der Osteomalacie in der Umgebung der Universität 
Gießen. Diss. Gießen 1905. 

Zur Klarlegung der Verbreitung der Osteomalacie in der Umgebung der 
Universität Gießen veröffentlicht Verfasser die in den letzten 15 Jahren in der 
dortigen Frauenklinik beobachteten Fälle von Osteomalacie. Wenn es auch 
29 an der Zahl sind, so sind es jedoch bei weitem noch nicht alle in der Um¬ 
gebung von Gießen beobachteten Fälle. B1 e n c k e - Magdeburg. 


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Referate. 


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Kersten, Ein Beitrag zur Lehre von der „Syringomyelie nach Trauma“. Dies. 
Kiel 1905. 

Verfasser teilt einen Fall von Syringomyelie mit, der angeblich durch 
ein peripheres Trauma hervorgerufen sein soll und der insofern für den Ortho¬ 
päden Interesse hat. als sich bei ihm trophische Störungen in dem einen Ell¬ 
bogen- und Schultergelenk zeigten, erhebliche Gelenkveränderungen, wie wir sie 
auch bei der Tabes so oft beobachten können. Nach des Verfassers Ansicht 
besteht kein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem im Jahre 1895 erlittenen 
Unfall und der erst seit 1900 bei dem Patienten bestehenden Syringomyelie* 

B1 en ck e - Magdeburg. 

Laqueur, Zur physikalischen Behandlung der gonorrhoischen Gelenkerkran¬ 
kungen. Berliner klin. Wochenschr. 1905, Nr. 23. 

Verfasser schildert die in der hydrotherapeutischen Anstalt der Univer¬ 
sität Berlin geübte Behandlungsmethode: Bei den leichten Fällen von mon¬ 
artikulärem Hydrops Bettruhe mit Prießnitzumschlägen. Bei schwereren Fällen 
im akuten Stadium Diebische heiße Watteverbände (Watte unter Guttapercha), 
die je 8—12 Stunden liegen bleiben. Ferner ausgedehnte Anwendung von Bier¬ 
seber Stauung, sukzessive 3—10 Stunden täglich mit sehr gutem Erfolge. Schlie߬ 
lich lokale Heißluftbäder. Sehr wichtig sind frühzeitige aktive und passive 
Bewegungen. 

Bei den chronischen Formen ist frühzeitige Massage und medikomecha- 
nische Behandlung angezeigt. Außerdem Anwendung von heißen Wattever¬ 
bänden, lokalen Heißluftbädern, Bierscher Stauung, warmen Vollbädern und 
beißen Dampfstrahlen, gefolgt von kalter Strahldusche; besonders wirksam bei 
chronischen Fällen sei die kombinierte Behandlung mit Bierscher Stauung und 
heißen Dampfstrahlen und Massage. Bei alten Versteifungen sind Bewegungen 
der Gelenke im warmen Vollbad bis 40°, sowie baineotherapeutische Behandlung 
wirksam. Wette- Berlin. 

Hirsch, Ueber die Behandlung der Arthritis gonorrhoica mit Bierscher Stauung. 
Berliner klin. Wochenschr. 1905, Nr. 39. 

Hirsch berichtet über 25 Fälle von Arthritis bezw. Polyarthritis gonor¬ 
rhoica, die mit Bierscher Stauung behandelt wurden. Die Technik weicht von der 
Bierschen Vorschrift insofern ab, daß die Binde 2mal täglich, zuerst nur wenige 
Minuten, in den nächsten Tagen bis zu einer Stunde, selten länger angelegt 
wurde. Hirsch hebt das auffällige Verschwinden der Schmerzhaftigkeit her¬ 
vor. Bezüglich der Dauer der Behandlung und des funktionellen Resultates 
kommt er zu dem Schluß, daß erstere vor Einführung der Bierschen Stauung 
eher kürzer gewesen sei. Das funktionelle Resultat sei früher gleich gut gewesen. 

Wette- Berlin. 

Gereon, Eine Vereinfachung des abnehmbaren elastischen Gipskorsetts. Deutsche 
med. Wochenschr. 1905, Nr. 45. 

Gerson hat sein Gipskorsett dahin modifiziert, daß dasselbe jetzt nur 
mehr vorne aufgeschnitten und mit elastischer Schnürung versehen wird, während 
hinten in der Mitte ein breiter Streifen Leinen oder Nesseltuch miteingegipst 
wird. Nach Fertigstellung des Korsetts wird hinten ein Keil aus dem Gips bis 


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Referate. 


auf den erwähnten Streifen herausgeschnitten, worauf sich das Korsett leicht 
auseinanderklappen läßt. Wette- Berlin. 

H o f fa, Die orthopädische Behandlung der Lähmungen. Deutsche med. Wochen- 
sehr. 1905, Nr. 30. 

Hoffa schildert den Anteil, den die Orthopädie bei der Behandlung von 
Lähmungen der Extremitäten hat. Bei der Behandlung von frischen Fällen 
gelten zwei Prinzipien. 1. Die Lähmung möglichst einzuschränken eventuell zu 
beheben, 2. Verhütung von paralytischen Kontrakturen. Erreicht wird dies durch 
Elektrisieren, Massage, gymnastische Uebungen und redressierende Manipula¬ 
tionen, warme Bäder, sowie Schienenhülsenapparate zu dem Zwecke, die Patienten 
zum Gebrauch der Extremitäten zu bringen. 

Bei alten Fällen mit vorhandenen Kontrakturen besteht die Behandlung 
in Redression mit nachfolgendem Gipsverband bezw. entsprechendem Apparat 
zur Fixation des erreichten Resultates sowie in der Verordnung geeigneter 
Stützapparate. Von Operationen kommen vorwiegend in Frage die Arthrodese 
und die Sehnentransplantationen eventuell kombiniert mit zweckmäßigenApparaten. 

Wette- Berlin. 

Lorenz, (Wien). Indikationen zu Sehnentransplantation. 77. Versammlung 
deutscher Naturforscher und Aerzte, 24.—30. September 1905. 

Lorenz ist der Ansicht, daß man jetzt allzusehr der Sehnen transplan- 
tation huldige, und daß man diese Operation auch in Fällen zur Anwendung 
bringe, in denen sie lieber unterbliebe. Nach seiner Meinung ist jede Sehnen¬ 
transplantation rationell, wenn sie eine vorhandene Störung im Gleichgewicht 
des Muskelantagonismus beseitigt oder vermindert, irrationell dagegen, wenn sie 
die Störung des Gleichgewichts nur in entgegengesetzte Richtung verlegt. Er 
führt dann eine Reihe von Beispielen an, bei denen diese Operation nicht an¬ 
gebracht ist, und nennt es geradezu einen Mißbrauch, wenn man z. B. bei 
entzündlichen Kontrakturen die Muskeln verlagert, schon im Gedanken daran, 
sie nach Beseitigung der Deformität wieder zurückzuverlagern. Wenn auch 
Lorenz in mancher Hinsicht ein wenig zu weit geht, so müssen wir ihm doch 
in vielerlei Dingen recht geben, denn es werden in der Tat in manchen Fällen 
derartige Operationen ausgeführt, wo sie keinerlei Erfolg bringen können. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Assinger, Ein neuer Apparat zur Vibrationsmassage. 77. Vers, deutscher 
Naturforscher und Aerzte zu Meran, 24.—30. September 1905. 

Der Apparat kann in seinerWirkung gut reguliert werden; er wird mit 
der einen Hand festgehalten und aufgesetzt, mit der anderen mittels Drehkurbel 
in Tätigkeit gesetzt. Die Vibration wird durch eine exzentrische, rotierende 
Scheibe hervorgerufen, die verstellbar ist. Blencke-Magdeburg. 

Ranzi, Zur Frage der Tragfähigkeit der Bunge sehen Amputationsstümpfe. 
77. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Meran, 24. bis 
30. September 1905. 

In der Eiselsbergschen Klinik wurde das Bungesche Verfahren der 
Auslöffelung des Knochenmarks bei 12 Fällen mit sehr gutem Erfolg angewendet, 
selbst bei solchen Stümpfen, die nicht primär heilten. Aus letzterem Grunde 


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Referate. 


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willRanzi auch dieses Verfahren bei solchen Fällen, bei denen man von vorn¬ 
herein auf eine primäre Heilung verzichten muß, dem Bi ersehen vorgezogen 
wissen. Die Patienten müßten möglichst früh mit einer provisorischen Gips¬ 
stelze aufstehen. Bl encke-Magdeburg. 

Finck, Eine neue Beckenstütze. Zentralblatt für Chirurgie 1905, Nr. 39. 

Verfasser erörtert zunächst die Nachteile der bisher konstruierten Becken¬ 
stützen und beschreibt dann eine von ihm angegebene, die alle diese Nachteile 
vermeidet. Dieselbe besteht aus einem Dreifuß mit zwei senkrechten und 
parallelen Hohl Zylindern, in denen die Stiele der beiden Stützplatten laufen. 
Letztere sind leicht ausgehöhlt, zum Kopfende des Kranken hin leicht ab¬ 
schüssig und von außen nach innen schräg gestellt. Auf diesen ruht das Becken 
wie in einer Mulde, das empfindliche Kreuzbein bleibt frei. Die Platten können 
nach Fertigstellung des Verbandes leicht und glatt unter demselben hervor¬ 
geholt werden. Bl encke-Magdeburg. 

Gebele. Ueber Frakturenbehandlung. Münchener med. Wochenechr. 1905, Nr. 39. 

Verfasser beschreibt den von der Münchener chirurgischen Klinik bei der 
Frakturbehandlung eingeschlagenen Weg, bei dem mobilisierende Behandlung 
und auf der anderen Seite auch Fixation auf ihre Rechnung kommen, einen 
Mittelweg, der nach des Verfassers Erfahrungen am ehesten das richtige treffen 
und für den Praktiker der gangbarste in der Frage der Frakturbehandlung sein 
dürfte. Die Gelenkversteifungen, die Muskelatrophie, die Stauungsödeme lassen 
sich am besten vermeiden durch möglichste Abkürzung der Fixationszeit der 
Fragmente. Das Röntgenbild kann für die Beurteilung einer Frakturheilung 
nur mitbestimmend, nie ausschlaggebend sein. Er rät deshalb, die Zeit der 
Fixation immer mehr abzukürzen und die funktionelle Behandlung immer mehr 
in den Vordergrund zu stellen, warnt aber bei der Frakturbehandlung eu 
schabionisieren, da doch zwischen Fraktur und Fraktur ein großer Unterschied 
besteht. Die näheren Einzelheiten müssen schon im Original nachgelesen werden, 
dessen Studium namentlich für den Praktiker von großem Wert sein dürfte. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

zur Verth, Ein Fall von progressiver spinaler Muskelatrophie. Med. Gesell¬ 
schaft in Kiel, 4. Februar 1905. — Münchener med. Wochenschr. 1905, Nr. 25. 

Nach einer Quetschung des rechten Daumens entwickelte sich eine stetig 
zunehmende Schwäche der rechten Hand, die schließlich das vollendete Bild 
einer progressiven spinalen Muskelatrophie darbot. Ergriffen waren der rechte 
Arm. desgleichen auch die Muskulatur des rechten Beckengürtels. Die schnelle 
Entwicklung findet nach Verfassers Ansicht ihre Erklärung durch das jugend¬ 
liche Alter, in dem die seltene Krankheit besonders selten ist. Erbliche Be¬ 
lastung liegt nicht vor. Bl encke-Magdeburg. 

zur Verth, Ein Fall von spastischer Halbseitenlähmung mit Gefühlsherab- 
setzung derselben Seite. Med. Gesellschaft zu Kiel, 4. Februar 1905. — 
Münchener med. Wochenschr. 1905, Nr. 25. 

Bei einem 22jährigen Matrosen, der in seiner Jugend viel an Kopf- 
ichmerzen zu leiden hatte, stellte sich eine Lähmung des linken Beines ein, 
Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XV. Bd. 11 


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Referate. 


die sich am anderen Tage auf die ganze linke Körperseite ansdehnte. An der 
gelähmten linken Hand» die in leichter Kontrakturstellung stand» hin und wieder 
Athetosebewegungen. Es handelt sich nach der Ansicht des Verfassers um eine 
Lues hereditaria, die sich im hinteren Knie der inneren Kapsel etabliert bat 
Jodkali brachte zunächst keine Besserung. Blencke- Magdeburg. 

Unverricht, Zwei Fälle von Syringomyelie. Med. Gesellschaft zu Magdeburg, 
9. März 1905. — Münchener med. Wochenschr. 1905, Nr. 25. 

Beiden ist gemeinsam die charakteristische Störung der Schmerz- und 
Temperaturempfindung. In dem einen Falle griff die Störung der Empfindung 
nach oben zu über auf das Gebiet des Trigeminus; von Muskelschwund fanden 
sich geringe Zeichen an der kranken Hand und etwas deutlichere am linken 
Beine. Die Kniereflexe waren beiderseits gesteigert. 

Der zweite Kranke zeigte mit 13 Jahren eine immer mehr zunehmende 
Verkrümmung der Wirbelsäule. Später traten entzündliche Prozesse an der 
linken Hand ein, welche zur Abstoßung von Knochen führten. In der letzten 
Zeit hat sich ganz ohne äußere Ursache eine Arthropathie des linken Schulter¬ 
gelenkes eingestellt. An den unteren Gliedmaßen fanden sich gesteigerte Re¬ 
flexe. Bl encke-Magdeburg. 

Bum, Ueber Muskelatrophie nach Gelenkverletzungen und -erkrankungen. Natur¬ 
forscher- und Aerzteversammlung in Meran, 24.—30. September 1905. 

Die Tierversuche, die Bum anstellte, sprechen für eine Inaktivitätsatrophie 
und gegen die Auffassung einer reflektorischen Muskelatrophie. Auf Grund 
seiner Versuche glaubt er den Satz aussprechen zu dürfen, daß unabhängig von 
der gesetzten Gelenkerkrankung Wucherungen der Muskelfasern, nicht selten 
Verschmälerungen der Fasern der immobilisierten Muskeln erfolgen, welchen 
die physiologische Bewegung des Gelenkes obliegt. Bl encke-Magdeburg. 

Reiß, Ein Fall von primärem Wirbelsarkom bei einem l^jährigen Mädchen. 
Diss. München 1905. 

Verfasser gibt die Krankengeschichte eines 12jährigen Mädchens mit 
primärem Wirbelsarkom wieder, bei dem alle Symptome auf die naheliegende 
Diagnose: Spondylitis dorsalis hindeuteten. Erst der Autopsie blieb es Vorbe¬ 
halten, ein primäres Sarkom der Wirbelsäule zu entdecken, eine immerhin 
seltene Erkrankung. Der makroskopische und mikroskopische Sektionsbefund 
sind eingehend beschrieben, und im Anschluß hieran führt Verfasser die bisher 
in der Literatur veröffentlichten Fälle auf, die doch keineswegs zu den alltäg¬ 
lichen zu rechnen sind. Mit dem direkten Lokalbefund die Diagnose zu stellen, 
wird immer großen Schwierigkeiten begegnen; man wird immer auch an eine 
Caries denken müssen. Für die Diagnose „Tumor“ dürften nach Reiß’ Ansicht 
von Belang sein: 1. Schmerzen im Rücken, ausstrahlend vor allem in die unteren 
Extremitäten, 2. Symptome vom Knochen selbst, 3. Symptome vom Rückenmark, 
4. trophoneurotische Störungen und 5. Versagen jeglicher Therapie, vor allen 
Dingen keine Besserung durch Veränderung der Lage. Trotzdem wird es sich 
schwerlich vermeiden lassen, jeden Irrtum bei der Stellung der Diagnose zu 
beseitigeu, da hier wie dort alle Symptome einer typischen Spondylitis vor¬ 
handen sein können. Biencke-Magdeburg. 


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Referate. 


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Fürst, Ueber Kompressionsmyelitis, ausgehend von einer Karzinommetastase 
der Dura mater spinalis. Dies. München 1905. 

Verfasser gibt die Krankengeschichte eines Falles von Kompressions¬ 
myelitis, ausgehend von einer Karzinommetastase der Dura mater spinalis wieder. 
An der Hand dieses Falles und an der Hand des Sektionsbefundes, der auch 
genau in der Arbeit wiedergegeben ist, bespricht Verfasser die Kompressions¬ 
myelitis und zieht namentlich in differentialdiagnostischer Beziehung die Caries 
der Wirbelsäule heran. Eine Reihe von Abbildungen sind der Arbeit beigegeben. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Reimers und Boye, Ein Beitrag zur Lehre von der Rhachitis. Zentral bl. 
für innere Medizin XXVI, Nr. 39. 

Verfasser nehmen die bereits von anderer Seite gemachten Versuche 
wieder auf, indem sie Hunde mit kalkarmer Nahrung fütterten und nun Unter¬ 
suchungen anstellten über die eintretenden Veränderungen. Die mikroskopische 
Untersuchung ergab eine allgemeine Osteoporose, bei der die für die Rhachitis 
charakteristische, reichliche Neubildung des osteoiden Gewebes fehlte. Dem¬ 
gegenüber stellten sie nun die Untersuchungen eines wirklich rhachitischen Hundes. 
Die durch die Knochenenden dieses Hundes geführten Längsschnitte zeigten 
makroskopisch wie mikroskopisch ein anderes Aussehen, wie aus den beigefügten 
Abbildungen ersichtlich ist. Bei der Rhachitis handelt es sich nach der Ansicht 
der Verfasser wahrscheinlich um eine in der Wachstumsperiode auftretende 
Stoffwechsel- oder Konstitutionskrankheit, die sich vornehmlich in einer mangel- 
oder fehlerhaften Verarbeitung des Phosphors oder phospborsauren Kalkes äußert. 
Wie andere Konstitutionskrankheiten, so scheint auch die Rhachitis eine starke 
Neigung zu besitzen, sich auf die Nachkommenschaft in Gestalt einer Disposition 
zu vererben. Die Frage, wann und auf welche Weise beim Menschen die 
Rhachitis ursprünglich entstanden sei, glauben Verfasser folgendermaßen beant¬ 
worten zu müssen: Bei einem bis dahin in der Aszendenz rhachitisfreien, im 
Wachstum begriffenen Individuum entsteht durch eine qualitativ ungeeignete 
Nahrung eine Rhachitis geringsten Grades, die zunächst klinisch und anatomisch 
ein ähnliches Bild darbieten könnte wie der kalkarm gefütterte Hund. Wenn 
nun durch weitere unzweckmäßige Ernährung die Störung noch verstärkt wird, 
so könnte nach Paarung derartig veränderter Individuen bei ihren Nachkommen 
schon eine Art rhachitischer Disposition auftreten. Wenn alsdann auch diese 
Nachkommen wieder unzweckmäßig ernährt werden, so könnte nach abermaliger 
Paarung etc. schließlich eine wirkliche Rhachitis entstehen. 

B1 e n c k e-Magdeburg. 

Laub, Ein Beitrag zur Frage des akuten tuberkulösen Rheumatismus. Zeitschr. 
für Tuberkulose und Heilstättenwesen VII. Bd., Heft 5, 1905. 

Verfasser hatte Gelegenheit, bei einem seiner Patienten eine Gelenk¬ 
erkrankung zu beobachten, deren eigentümlicher Verlauf ihn auf den Gedanken 
brachte, daß es sich um einen Rheumatismus tuberculosus handeln könnte, 
eine Krankheitsform, die nach des Verfassers Ansicht anscheinend nicht genügend 
gewürdigt wird, die sich aber von der klassischen Gelenktuberkulose scharf 
unterscheidet. Sie bildet in den Gelenken keine spezifischen Produkte, Fungo- 
«täten, Granulationen, Abszesse und käsige Infiltrationen, sondern es handelt 
öch ausschließlich um rein entzündliche Veränderungen. Auch in dem vor- 


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Referate. 


liegenden Falle waren die Entzündungserscheinungen sehr gering, die Schmerzen 
nicht sehr heftig, Salyzil zeigte keinerlei günstige Wirkung. Verlauf und 
Symptome entsprachen den von Poncet als charakteristische Symptome an¬ 
gegebenen. Für akuten tuberkulösen Rheumatismus sprach ferner auch noch 
der Umstand, daß die Gelenkschwellungen nach Ausbruch einer Pleuritis auf¬ 
traten, deren tuberkulöse Natur nicht zu bezweifeln war und zwar auf derselben 
Seite in einem der zunächstliegenden Gelenke. Nach Ablauf der akuten Reiz- 
■erscheinungen wurden vorsichtige Massagen vorgenommen und eine Badekur 
in-Wiesbaden empfohlen und damit ein fraglos günstiger Erfolg erzielt. Natür¬ 
lich darf bei Anwendung solcher Mittel der allgemeine Zustand nicht außer 
acht gelassen werden, und alles, was auf das Grundleiden ungünstig einwirken 
kann, soll man möglichst meiden. Bei primärem tuberkulösem Rheumatismus 
ist es angezeigt, dieselbe Kur wie bei Lungentuberkulose einzuleiten, also eine 
physikalisch-diätetische, um die Widerstandsfähigkeit des Organismus gegen die 
Infektion zu stärken. Blencke-Magdeburg. 

.Teissier und Verhoogen, Die klinischen Formen des chronischen Gelenk¬ 
rheumatismus. VIII. franz. Kongreß für innere Medizin. Lüttich, 25.—27. 
September 1905. Münchener med. Wochenschr. 1905, 44. 

Jede Form von chronischem Rheumatismus hat nach Teissiers Ansicht 
als Ausgangspunkt eine Infektion, obwohl deren Art in vielen Fällen noch nicht 
bekannt ist. Diese Infektion kann erstens auf indirekte Weise, als Tropho- 
neurose wirken, indem primär das Gift oder die Toxine auf das Zentralnerven¬ 
system und die Wurzeln im Rückenmark wirken, und zweitens direkt durch 
Wirkung der Bakteriengifte auf die Synovialis etc. Teissier unterscheidet zwei 
große Hauptgruppen, den chronischen deformierenden Rheumatismus mit seinen 
Varietäten, den progressiven polyarticulären und den partiellen Rheumatismus, 
und den chronischen infektiösen oder Pseudorheumatismus mit verschiedenartigen 
Infektionsursachen und Verlaufstypen. 

Auch Verhoogen ist der Ansicht, daß der chronische Rheumatismus 
eine Infektionskrankheit bildet, wofür verschiedenartige und je nach den Fällen 
wechselnde Ursachen vorhanden sind. Er unterscheidet vier verschiedene Haupt¬ 
typen: 1. den osteoartikulären Typus, 2. den serösen Typus, 3. den fibrösen 
Typus und 4. den Muskeltypus. Den tuberkulösen Rheumatismus erklärt Ver¬ 
hoogen für eine rein hypothetische Annahme. Blencke-Magdeburg. 

Eichmann, Über transitorische postepileptische Lähmungen. Diss. Leip¬ 
zig 1905. 

Verfasser hatte Gelegenheit, sowohl in seiner Privatpraxi9 wie auch in 
der Charite mehrere Fälle von bei idiopathischer Epilepsie auftretenden Läh¬ 
mungserscheinungen zu beobachten und zu studieren. Im Anschluß an diese 
Fälle hat Verfasser versucht, die einschlägige Literatur zusammenzustellen und 
eine Erklärung dieser postepileptischen Zustände zu versuchen. Nach seiner 
Ansicht wird durch irgend einen Reizungsvorgang im Gehirn zunächst eine 
tonische Kontraktur der gesamten Körperniuskulatur ausgelöst. Die Respiration 
steht infolge der Teilnahme der Atmungsmuskulatur an der tonischen Kontraktur 
still. Die unmittelbare Folge ist eine hochgradige cyanotische Verfärbung des 


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Referate. 


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ganzen Kopfes, die eine Folgeerscheinung der Kohlensäureüberladung und prallen 
Füllung der Venen ist, da der Rückfluß des venösen Blutes erheblich behindert 
ist Durch die plötzliche venöse Stauung werden sich Ödeme und eventuell 
auch kapilläre Hämorrhagien in mehr oder weniger hohem Grade im Bereich 
der motorischen Zentren bilden können, die in Verbindung mit der serösen 
Durchtränkung schädigend auf die Nervenelemente einwirken. Je nach dem 
Sitze dieser Veränderungen werden daher auch verschiedene, teils motorische, 
teils sensible Lähmungszustände bewirkt werden können. Freilich aber bedarf 
es der Annahme einer besonderen individuellen Anlage, um das immerhin seltene 
Hervortreten dieser Erscheinungen zu erklären. Blencke-Magdeburg. 

Grabmeister, Ein Fall von Osteomalacie. Diss. München 1905. 

Verfasser schickt eine kurze Darstellung der Anschauungen von dem 
Wesen der Osteomalacie, der pathologisch-anatomischen Verhältnisse und der 
Krankheitserscheinungen dieses Leidens im allgemeinen voraus, gibt einen ge¬ 
drängten üeberblick über die Geschichte dieser eigenartigen Erkrankung und 
führt vor allem die Fälle an, die in der älteren Literatur verzeichnet 9ind. 
Im Anschluß an diese gibt er sodann die Krankengeschichte und den Sektions¬ 
befund eines Falles wieder, der seiner Arbeit zu Grunde gelegt ist und der, 
wie Verfasser sagt, gleichsam einen Schulfall bildet. Die Sektion ergab hoch¬ 
gradige Halisterese und das für die Osteomalacie charakteristische Becken 
mit herzförmigem Beckeneingang, die überaus stark verkrümmte Wirbelsäule, 
den eingezogenen Brustkorb und alle anderen bekannten Folgezustände dieser 
Krankheit. Bl encke-Magdeburg. 

L o o s e r, Zur Kenntnis der Osteogenesis imperfecta congenita und tarda (sogen, 
idiopathische Osteopsathyrosis). Mitteilungen a. d. Grenzgebieten der Medizin 
und Chirurgie XV. Bd., Heft 1 und 2, 1905. 

Verfasser bringt die Ergebnisse der an den wegen hochgradiger Ver¬ 
krümmungen amputierten Unterschenkeln eines typischen Falles von Osteopsa¬ 
thyrosis vorgenommenen anatomischen Untersuchung, der bereits an anderer 
Stelle klinisch beschrieben wurde. Auf nähere Einzelheiten der in der aus¬ 
führlichsten Weise wiedergegebenen Untersuchungen kann ich natürlich hier 
nicht näher eingehen; ich will nur kurz einige von Loos er aufgestellte Sätze 
anführen. Das Wesen der Erkrankung besteht in einer mangelhaften Funktion 
der endostalen und periostalen Osteoblasten bei normaler Bildung derselben, 
die die mangelhafte Knochenapposition begleitende Resorption geschieht in 
normaler Weise und ist nicht gesteigert. Die Folgen der mangelhaften Knochen¬ 
apposition sind eine hochgradige Atrophie der Knochen und ein mangelhaftes 
Dickenwachstum derselben. Am feineren Bau der Knochensubstanz zeigt sich 
die mangelhafte Apposition am großen Zellreichtum der Bälkchen und an der 
körnig-krümeligen Verkalkung der Knochengrundsubstanz. Die Epiphysenknorpel 
sind zunächst normal, später treten regressive Veränderungen auf. Die an die 
Epiphysenknorpel sich anschließende Knochenbildung geschieht in normaler 
AV eise, ist aber in ihrer Intensität stark herabgesetzt. Das Knochenmark zeigt 
normales Verhalten und nur an Stellen mechanischer Reizung fibröse Umwand¬ 
lung. Die mikroskopischen Befunde rechtfertigen nach Looser die Auffassung. 


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Referate. 


daß die Osteopsathyrosis eine selbständige Krankheit ist. Für ihn kann es 
nach seinen Untersuchungen keinem Zweifel mehr unterliegen, daß die Osteo¬ 
genesis imperfecta und die Osteopsathyrosis ein und dieselbe Krankheit sind 
und sich nur durch den Zeitpunkt ihres Auftretens voneinander unterscheiden. 
Es wäre deshalb im Interesse der Einfachheit wünschenswert, die beiden mit 
einem gemeinsamen Namen zu belegen, und zwar wäre am besten nur zwischen 
einer Osteogenesis imperfecta congenita und tarda zu unterscheiden. Verfasser 
hält es für wahrscheinlich, daß die Osteogenesis imperfecta im weiteren Sinne 
eine angeborene Affektion ist, die in leichteren Fällen zu gewissen Lebensperioden 
unerkannt bleiben kann. Ueber die Ursachen der Erkrankung ist nichts Sicheres 
bekannt. 

Ein Literaturverzeichnis und eine Reihe sehr instruktiver Abbildungen 
sind der sehr interessanten Arbeit beigegeben, deren Studium wir nur aufs 
angelegentlichste empfehlen können. Bien cke* Magdeburg. 

v. Hovorka, Ueber Spontanamputationen. 77. Versammlung deutscher Natur¬ 
forscher und Aerzte zu Meran, 24.—30. September 1905. 

Erscheint in diesem Hefte der Zeitschrift. 

Bleibtreu, Ein Fall von Akromegalie (Zerstörung der Hypophysis durch 
Blutung). Münchener med. Wochenschr. 1905, Nr. 43. 

Verfasser gibt die Krankengeschichte eines Falles wieder, bei dem er im 
Anfang schwankte, ob es sich um einen reinen Riesenwuchs, eine sogenannte 
Gigantosomie handelte, oder um sehr geringe akromegalische Veränderungen. 
Er entschied sich für die Akromegalie, die auch durch die später vorgenommene 
Sektion bestätigt wurde, bei der die Hypophysis einen sehr interessanten Be¬ 
fund darbot. Auch in dem vorliegenden Falle wurde ein Trauma beschuldigt. 
Ein sicherer Beweis zwischen diesem und der Erkrankung kann vom Verfasser 
nicht erbracht werden. Blencke-Magdeburg. 

Zesas, Ueber luetische Arthropathien. Fortschritte der Medizin 1905, Nr. 26. 

Verfasser bespricht einen Fall von luetischer Arthropathie. Es handelte 
sich um einen 26jährigen Studenten mit Anschwellung des linken Kniegelenks, 
die jeglicher antirheuraatischen Therapie trotzte. Es wurde täglich eine 
1 jstündige Massage mit 4 g Ung. ein. vorgenommen. Nach den ersten zehn 
Sitzungen gingen Schwellung und Rötung zurück; nach der dreißigsten Ein¬ 
reibung waren keinerlei krankhafte Veränderungen mehr nachweisbar. 

Gerade das Resultat einer antisyphilitischen Behandlung soll nach des Ver¬ 
fassers Meinung für diese Gelenkleiden ausschlaggebend sein, die entweder unter 
dem Bilde einer einfachen Arthralgie oder einer akuten Synovitis Vorkommen 
und sich mitunter auch chronisch entwickeln können, die Erscheinungen einer 
Osteoarthropathie darbietend. Die am meisten betroffenen Gelenke sind Schulter, 
Ellenbogen, Hand und Knie. Prognostisch sind die syphilitischen Gelenkleiden 
günstig, wenn sie frühzeitig richtig aufgefaßt und spezifisch behandelt werden. 
Bei der akuten Form glaubt Zesas eine Schwellung der Synovialis mit serösem 
bezw. blutig-serösem Erguß annehmen zu müssen, bei der chronischen dazu 
noch tiefgehende Zerstörungen im Knorpel, die mit den bei der Arthritis defor- 


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Referate. 167 

mans vorhandenen Knorpelveränderungen nicht zu verwechseln sind, da Knorpel- 
auffaserungen und Knorpel Wucherungen gänzlich fehlen, und da sie außerdem 
ihren Sitz nicht am Rande, sondern in der Mitte der Gelenkfläche haben. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Schoenborn, Ueber Akromegalie. Beiträge zur pathologischen Anatomie 
und zur allgemeinen Pathologie. 7. Supplement. Festschrift für Professor 
Julius Arnold. 

Verfasser berichtet über einen Fall von Akromegalie mit Sektionsbefund, 
der einige vom typischen Befunde abweichende Besonderheiten aufweist. Die 
Sektion ergab einen Hypophysistumor. Verfasser ist der Meinung, daß auch 
angesichts der immerhin recht verschiedenartigen Befunde bei Akromegalie, 
zumal der pathologisch-anatomischen, eine möglichst vorsichtige Fassung aller 
theoretischen Schlußfolgerungen noch immer am Platze ist. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Krüger, Ueber Osteoarthropathie hypertrophiante pneumique. Naturwissen¬ 
schaftliche med. Gesellschaft zu Jena, 8. Juni 1905. Münchener med. 
Wochenschr. 1905, Nr. 35. 

Es bandelte sich um eine 52jährige Frau mit symmetrischer Vergrößerung 
der Hände und Füße mit gleichzeitiger Deformierung. Ferner war hochgradige 
Trommelschlegelform der Endglieder vorhanden, enorme Verbreiterung der 
Hand- und Fußgelenkgegenden, deutlicher Erguß in den Knie- und Ellbogen¬ 
gelenken, ohne Beschränkung der Beweglichkeit, deutliche Krepitation in Hand- 
und Fingergelenken und Kyphose der Brustwirbelsäule. Diese Veränderungen 
hatten sich im Laufe von 2 Jahren entwickelt, ohne je Beschwerden verursacht 
zu haben. Außer den periostalen Auflagerungen war auf den Röntgenbildern 
die Aenderung der inneren Knochenstruktur bemerkenswert. Die Frage der 
Aetiologie dieser Erkrankung läßt Krüger offen, jedoch ist er geneigt, in 
Uebereinstimmung mit anderen Autoren eine chronische Toxinwirkung anzu¬ 
nehmen, die in diesem Falle ausging von einer malignen Neubildung selbst, 
oder von der durch dieselbe geschädigten Lunge. Blencke-Magdeburg. 

Daser, Ueber einen Fall von Osteitis deformans (Paget). Münchener med. 
Wochenschr. 1905, Nr. 34. 

Im Anschluß an einige allgemeine Auseinandersetzungen über diese eigen¬ 
tümliche Erkrankungsform bringt Daser die Krankengeschichte einer 50jährigen 
Frau, bei der das Leiden 16 Jahre vorher mit Schmerzen im Rücken, Kreuz 
und linken Oberschenkel begann, der sich langsam krümmte. Als später auch 
das rechte Bein erkrankte, wurde ihr das Gehen unmöglich. Die Wirbelsäule, 
deren Dornfortsätze äußerst druckempfindlich waren, zeigte im Hals- und Brust¬ 
abschnitt eine bogenförmige Kyphose, im Lendenabschnitt eine leichte Lordose. 
An den Knochen der oberen Extremitäten fanden sich keine auffallenden Ver¬ 
änderungen. Nur der rechte Humerus war verdickt und druckempfindlich, die 
Exkursionsfähigkeit der rechten Schulter bedeutend eingeschränkt. Die beiden 
Oberschenkel waren beträchtlich verdickt und bildeten einen nach außen kon¬ 
vexen Bogen, wodurch eine üeberkreuzung beider Beine unterhalb der Knie¬ 
gelenke zu stände kam. Die Hüften stehen in geringer Flexion und haben, 
ebenso wie die Kniegelenke, den größten Teil ihrer freien Beweglichkeit ein- 


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Referate. 


gebüßt. Patientin kann nur sehr schlecht stehen, gehen überhaupt nicht. Die 
Röntgenbilder der Oberschenkelknochen lassen die Umwälzungen, welche durch 
den steten Ab- und Anbau in der Knochenarchitektur hervorgerufen werden, 
deutlich erkennen. Die Therapie steht auch nach des Verfassers Ansicht diesem 
schweren Leiden völlig machtlos gegenüber. Verfasser warnt dringend vor der 
Osteotomie, wenn es sich um so hochgradige Veränderungen handelt, wie sie 
diese Kranke zeigte. Blencke-Magdeburg. 

Löbus, Ueber Hemiplegie intra partum. Diss. Leipzig 1905. 

Löbus vermehrt die immerhin noch sehr geringe Kasuistik der Schwanger¬ 
schaftshemiplegie um eine neue Beobachtung. Es handelte sich um ein junges 
Mädchen, bei dem am Tage vor ihrer ersten Entbindung ganz plötzlich eine 
rechtsseitige Hemiplegie mit Aphasie eintrat und zwar nach den vorhandenen 
Symptomen zu schließen infolge von Embolie der vorderen Aeste der linken 
Arteria fossae Sylvii. Der mitgeteilte Fall stellt nach des Verfassers Ansicht 
eine weitere Illustration zu dem in den mannigfachsten Erscheinungen zum 
Ausdruck kommenden Satze dar, daß die von der Schwangerschaft abhängigen 
Aenderungen der Zirkulationen im stände sind, im Verein mit bereits bestehen¬ 
den, aber bis dahin latent gebliebenen anderen Störungen schwere Gehirn¬ 
affektionen zur Entstehung zu bringen. Blencke-Magdeburg. 

Veit, Besteht ein Zusammenhang zwischen Polydaktylie und Gehirnmißbil¬ 
dungen? Diss. Göttingen 1905. 

Verfasser sucht in der Arbeit über die Frage, ob nicht ein innerer 
Kausalnexus zwischen Polydaktylie und Gehirnmißbildungen bestehen könnte, 
in dem Sinne, daß letztere als das primäre und die Polydaktylie als das sekun¬ 
däre von jener abhängige Moment anzusehen wäre, auf Grund des Materials 
der Göttinger pathologisch-anatomischen Sammlung ein Urteil zu gewinnen. 
Er beschreibt vier Präparate, die die Kombination der Zyklopie mit Polydak¬ 
tylie aufwiesen. Verfasser kommt auf Grund seiner Studien und Untersuchungen 
zu der Ansicht, daß keine Möglichkeit vorliegt, irgendwelche innere Beziehung 
zwischen Zyklopie und gleichzeitig vorkommender Polydaktylie anzunehmen, 
wenigstens insofern nicht, als die primäre Ursache für letztere in der Mißbil¬ 
dung des Zentralnervensystems zu suchen wäre, sondern daß vielmehr im Gegen¬ 
teil zahlreiche gewichtige Gründe vorliegen, die direkt gegen die Annahme 
eines solchen Zusammenhangs sprechen. Für die sporadisch auftretenden Fälle 
von Polydaktylie will Verfasser in der Hauptsache mechanische Momente in 
Betracht gezogen wissen, eine Annahme, die insbesondere noch durch andere 
gleichzeitig am Körper auftretende Mißbildungen bestärkt wird, für die here¬ 
ditär und symmetrisch auftretenden Fälle aber haben wir nach des Verfassers 
Ansicht die letzte Ursache in der Keimeszelle selbst zu suchen, wobei wir offen 
zugestehen müssen, daß wir über deren Natur noch völlig im Dunkeln sind. 

Blencke - Magdeburg. 

Gundermann, Ueber das Verhalten der Reflexe bei Querschnittsläsionen des 
Rückenmarks an der Hand zweier Fälle von Fraktur der Halswirbelsäule. 
Diss. Leipzig 1905. 

Im Anschluß an 2 Fälle von Querschnittsläsion des Rückenmarks unter¬ 
zieht Verfasser die pathologischen Reflexerscheinungen, die bei Querläsionen 


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Referate. 


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des Rückenmarks sich häufig finden, einer Erörterung und Erklärung und be¬ 
spricht ihre diagnostische Bedeutung. In den Mittelpunkt der Abhandlung 
stellt er dabei die Jendrassi ksche Reflextheorie, deren Richtigkeit seiner Meinung 
nach durch einige Publikationen aus den letzten Jahren außer Zweifel gestellt 
ist. Gundermann kommt zu folgendem Ergebnis: Bei unkomplizierter hoher, 
traumatischer Querschnittsläsion sind die Patellarreflexe in ungefähr normaler 
Stärke erhalten. Die normalen Hautreflexe sind erloschen. Es treten die von 
Jendrassik als pathologische spinale Reflexe bezeichneten Bewegungen auf. Die 
willkürliche Entleerung von Blase und Mastdarra ist aufgehoben, doch kann 
sich bei beiden eine automatische Selbstregulierung herstellen, da ja ihr Re¬ 
flexzentrum nicht gestört ist. Bei komplizierter Querschnittsläsion kommt es 
zum Ausfall der Reflexe. Betreffs Entleerung von Blase und Mastdarm, 
sowie betreffs der pathologischen spinalen Reflexe gilt dasselbe wie bei un¬ 
komplizierter Querschnittsläsion. Der in den Krankengeschichten niedergelegte 
Befund befindet sich in sämtlichen Punkten in Uebereinstimmung damit und 
bildet eine weitere Stütze der jetzt geltenden Theorie von den normalen Re¬ 
flexen und ihren Störungen nach Läsionen des Rückenmarks. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Determann, „Intermittierendes Hinken“ eines Arms, der Zunge und der 
Beine. Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilkunde XXIX. 

Verfasser gibt die Krankengeschichte eines Falles vom sogenannten inter¬ 
mittierenden Hinken wieder, der sowohl wegen der offenbaren Seltenheit, seiner 
Vielseitigkeit, als auch wegen des Vorkommens des Sitzes an anderen Teilen des 
Körpers großes Interesse bieten dürfte. Außer dem intermittierenden Hinken 
der Beine besteht noch ein solches „Hinken“ des rechten Arms und der Zunge, 
die alle drei in ihrem Auftreten ganz gleichen Charakter zeigen. Da man doch 
nicht von intermittierendem Hinken des Armes und der Zunge sprechen kann, 
schlägt Determann vor, einen anderen Ausdruck zu wählen: intermittierende 
Muskelschwäche, intermittierendes Muskelversagen oder noch besser Dyskinesia 
oder Akinesia intermittens angiosklerotica. Determann glaubt, daß bei er¬ 
höhter Aufmerksamkeit sich gelegentlich auch an anderen Körperteilen als an den 
Beinen dieser Symptomenkomplex finden läßt; er konnte im ganzen 5 Beob¬ 
achtungen über intermittierende Armlähmung ausfindig machen. In dem vor¬ 
liegenden Falle handelte es sich um eine ausgesprochene familiäre Anlage zur 
Angiosklerose. B1 e n c k e - Magdeburg. 

Gottschalk, Beitrag zur Kenntnis der Knochen- und Knorpelgeschwülste. 
Diss. Leipzig 1905. 

An der Hand eines Falles von einem kolossalen Enchondrom des Femur 
bespricht Verfasser die Knochen- und Knorpelgeschwülste, von denen den Ortho¬ 
päden wohl in erster Linie die Exostosen interessieren dürften. 

B l e n c k e - Magdeburg. 

Seeligmüller, Zur Pathogenese der Halsmuskelkrämpfe. Verein der Aerzte 
in Halle a. S. Sitzung vom 25. Januar 1905. — Münchener med. Wochen¬ 
schrift 1905, 25. 

Es handelte sich um einen 27jährigen Eisenbahnpraktikanten, der seit 
5 Monaten an einem sehr heftigen klonischen Krampf des rechten Sternocleido- 


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Referate. 


mastoideu8 und des linken Splenius litt. Es wurde eine streng lokalisierte 
Faradisation der atrophischen und paretischen Antagonisten, später eine ebenso 
lokalisierte Massage derselben vorgenommen; daneben wurde Hyoscin. hydrobrom, 
in Lösung zu V 2 —1—2 g in 24 Stunden refracta dosi innerlich gegeben, die 
Halswirbelsäule mit 12—13 Pfund je 3 Stunden lang 2mal täglich gestreckt 
und eine allgemeine Körper- und Herzmassage ausgeübt. Schon nach 2 Tagen 
trat ein auffälliger Erfolg ein. Nach etwa 70tägiger Behandlung verhielt sich 
der Kopf meist ruhig und das Kinn wurde nur noch zeitweise nach links ge¬ 
zogen. Es bestand außerdem noch eine hochgradige Atrophie des Spatium 
interosseum primum an der linken Hand und eine weniger ausgesprochene 
Atrophie und Parese in den rechtsseitigen Schultermuskeln. Diesen auffälligen 
Symptomenkomplex vermag Vortragender nicht anders zu erklären, als durch die 
Annahme von herdförmigen Läsionen in den Nervenkernen der paretischen 
Muskeln im Halsmark, also eine Poliomyelitis adultorum subacuta, die sich auf 
das Halsmark vom Akcessoriuskern abwärts beschränkt. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Hoffa, Die orthopädische Behandlung der Lähmungen. Vorträge über 
praktische Therapie, Heft 6. 

Die orthopädische Behandlung der Lähmungen soll, neben der Anwen¬ 
dung innerer Mittel, möglichst früh beginnen,^und zwei Indikationen genügen, 

1. die Lähmung möglichst einzuschränken, eventuell vollkommen zu beheben, 

2. das Entstehen von paralytischen Kontrakturen zu verhüten. In frischen Fällen, 

speziell der spinalen Kinderlähmung, die ja am häufigsten die Ursache zu 
orthopädischen Maßnahmen abgibt, beginnt man mit elektrischer Behandlung, 
die man eventuell durch die Tenotomie der kontrakturierten Muskeln unter¬ 
stützt. Dazu gesellen sich Massage, gymnastische Uebungen, warme Bäder, 
spirituöse Abreibungen. Zur Verhütung paralytischer Kontrakturen legt man 
Schienenhülsenapparate nach Hessing an. — Bei veralteten Fällen kommen 
ebenfalls Schienenhülsenapparate zur Anwendung und außerdem operative Ma߬ 
nahmen, vor allem Arthrodesenoperationen und Sehnentransplantationen, mit 
denen man bei geeigneter Auswahl der Fälle vorzügliche Resultate erzielt. — 
Auch bei der cerebralen Kinderlähmung ist durch Sehnenverlagerung eine fast 
vollkommen normale Funktion von Hand und Vorderarm zu erreichen, und 
selbst bei spastischen Lähmungen, insbesondere der Littleschen Krankheit, ver¬ 
dankt man der Kombination von operativen Eingriffen und orthopädischen Ma߬ 
nahmen noch gute Erfolge. Nast-Kolb-Berlin. 

Flat au, Ueber einen neuen Gymnastikapparat und seine Verwendbarkeit bei 
Behandlung von Nervenleiden. Medizin. Klinik 1905, 27. 

Nach Vorauschickung einiger kurzer allgemeiner Bemerkungen über den 
Nutzen gymnastischer Uebungen im allgemeinen und bei einigen Nerven¬ 
erkrankungen beschreibt Fla tau einen von G. Müller angegebenen Apparat 
namens „Autogymnast“, der allen Wünschen gerecht werden soll. Er kann 
an jedem Orte, im Zimmer, im Freien etc. gebraucht werden, weil er nicht am 
Fußboden angeschraubt oder am Türpfosten befestigt wird. Man kann ihn über¬ 
all mit sich führen und sobald es Zeit und Gelegenheit gestattet, sich seiner 
bedienen. Die Uebungen können in einfachster Weise ausgeführt, dosiert und 


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Referate. 


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schließlich in einer Weise modifiziert werden, daß sie jedem Gelenk, jeder 
Muskelgruppe eine Betätigung gestatten. B1 e n c k e - Magdeburg. 

Immelmann, Fortschritte in der orthopädischen Behandlung. Zeitschr. f. 
diätetische und physikalische Therapie 1905/1906. Band IX. 

Die Arbeit soll dem praktischen Arzte zeigen, welchen Aufschwung die 
orthopädische Behandlung in den letzten Jahren genommen hat, und will vor 
allen Dingen des großen Einflusses gedenken, welchen die Entdeckung der Röntgen¬ 
strahlen für die Orthopädie gezeitigt hat. Die angeborene Hüftluxation, die 
Coxa vara, die Coxiti9 und die Spondylitis tuberculosa, die Gelenkkontrakturen 
und die Skoliose werden der Reihe nach in den einzelnen Abschnitten kurz und 
präzis besprochen. B1 e n c k e - Magdeburg. 

J. Lamberger, Ueber lokale Heißluftbehandlung. Wiener med. Presse 1905, 
Nr. 1 und 2. 

Verfasser bespricht ausführlich die Konstruktionsprinzipien der bei der 
Heißluftbehandlung in Verwendung stehenden Apparate und führt einen Teil 
der unangenehmen Nebenwirkungen derselben auf den Einfluß der sich ent¬ 
wickelnden Verbrennungsprodukte zurück. Durch die von ihm eingeführte 
elektrische Heizung sollen sich diese Nachteile vermeiden lassen. Im zweiten 
Teile des Aufsatzes befaßt sich Lamberger mit der Technik der lokalen 
Heißluftbehandlung. Von großer Bedeutung für die Wirksamkeit derselben 
hält er die Lagerung der erkrankten Teile, resp. der Patienten und verlangt 
die pathologische Lagerung, d. i. die Lagerung in den Zwangsstellungen, 
welche eine Extremität reflektorisch einnimmt, um das Mindestmaß von Schmerz¬ 
haftigkeit zu erleiden. Lamberger verwendet daher vorzugsweise Sturz¬ 
apparate, da diese nach der Lagerung der Kranken gerichtet werden können. 

Hau d ek - Wien. 

Anton Bum, Die Behandlung von Gelenkerkrankungen mittels Stauung. Wiener 
med. Presse 1905, Nr. 3 u. 4. 

In dem Vortrage bespricht Bum vorerst die physiologischen Wirkungen 
der passiven Hyperämie. Im allgemeinen schließt er sich den auch von anderen 
Autoren geäußerten Ansichten an. Nur bezüglich der schmerzstillenden Wirkung 
der Stauung steht Bum auf Grund seiner Tierexperimente auf dem Standpunkte, 
daß die Stauung Vermehrnng des Gelenkinhaltes verursacht, wie dies auch 
Blecher annimmt, die eine Steigerung des intraartikulären Druckes zur un¬ 
mittelbaren Folge hat, wodurch eine Distraktion der Gelenkenden und damit 
eine Verminderung ihrer Berührungsflächen erfolgt, welche die Gelenke für 
passive Bewegungen toleranter macht. 

Für eine schmerzstillende Wirkung durch Verminderung der Flächen¬ 
berührung pathologisch veränderter Gelenkenden spricht auch der prompte 
Effekt der Extension entzündeter Gelenke. Bum ist der Ansicht, daß für die 
Richtigkeit seiner Hypothese auch der Umstand spricht, daß die Methode bei 
der Arthritis deformans unwirksam ist, die durch Hyperplasien der Synovialis, 
der Knorpel und Knochen, also durch pathologische Vermehrung der Berührungs¬ 
flächen charakterisiert ist. 

Die Stauung soll bei erkrankten Gelenken frühzeitig zur Anwendung 


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Referate. 


kommen, da die schmerzstillende Wirkung derselben für die Mobilisierung der 
Gelenke und damit für die spätere Gelenkfunktion wichtige Dienste leistet. Be¬ 
sonders wertvoll ist die Stauung bei der Behandlung der Arthritis gonorrhoica, 
besonders auch bei den schweren und schwersten Formen, da es Bum durch 
diese Behandlung vielfach gelingt, die Versteifungen der Gelenke zu vermeiden. 

In günstigem Sinne werden durch die Stauung auch Gelenksteifigkeiten 
beeinflußt, indem nach Bums Erfahrungen unter dem Einflüsse der Stauung 
die sonst so gefürchteten passiven Bewegungen ertragen werden. 

Die Anzeigen für Anwendung der Stauung resümiert Bum dahin, daß 
die Arthritis gonorrhoica, der akute Gichtanfall und der akute und subakute 
Gelenkrheumatismus, vor allem wegen der schmerzstillenden Wirkung der 
Stauung, eine solche in erster Linie indizieren. Eine unterstützende Wirkung 
kommt der Methode bei jenen Formen der Gelenkerkrankungen zu, die mit 
größeren Transsudaten und Exsudaten einhergehen, also bei der serösen Synovitis, 
dem Hydrops der Gelenke, bei dem sogenannten chronischen Gelenkrheumatismus, 
mit Ausnahme der Arthritis deformans, und bei den Gelenkverletzungen. 

Die Stauung ist gegebenen Falles auch mit anderen physikalischen Heil¬ 
methoden, Massage, aktiver Hyperämie in Form von Bewegungen, Alkohol* 
Umschlägen, Heißluftbehandlung, Dampfduschen etc. zu kombinieren. Für die 
Stauung eignen sich besonders die distalen Gelenke. Zum Schlüsse erörtert Bum 
noch die Technik der einfachen Stauung mittels elastischer Binde, der er den 
Vorzug vor der jüngst von Bier empfohlenen Stauung durch Anlegung luft¬ 
verdünnender Apparate gibt. Haudek-Wien. 

Han8 Spitzy, Zur allgemeinen Technik der Nervenplastik. Wiener klin. 

Wochenschr. 1905, Nr. 3. 

Von dem Gedanken ausgehend, daß ein Wiederaufleben der Muskel¬ 
substanz und die Wiederaufnahme ihrer Arbeitsleistung durch Herstellung der 
unterbrochenen nervösen Verbindung möglich ist, sind Versuche über Nerven¬ 
plastik angestellt worden. Die Muskeln des Lähmungsbezirkes werden wieder 
belebt, indem man sie an das Leitungssystem eines benachbarten intakten 
Nerven anschließt. 

Spitzy hat nun die verschiedenen Methoden der Nervenplastik gesichtet 
und Versuche angestellt, um bei den häufigsten Lähmungstypen die topo¬ 
graphisch günstigste Methode zu ihrer Korrektur und eine entsprechende 
Technik ausfindig zu macheu. 

Spitzy nahm die Versuche an Hunden vor, und zwar zuerst die Ein¬ 
pfropfung des Nervus peroneus in den Nervus tibialis. Nach Freilegung des 
Nervus ischiadicus und des Nervus tibialis und peroneus wird der Nervus peroneus 
2 cm unter seinem Ursprung durchschnitten, der zentrale Teil zurückgeschlagen 
und in den Musculus biceps vernäht, der periphere Peroneussturapf durch 
einen Längsschlitz im Nervus tibialis, der durch Auseinanderdrängen mit einem 
spitzen Instrument angelegt wird, gezogen und mittels Längsnaht fixiert. Im 
Laufe von 4 Monaten wurde die Funktion der operierten Extremität wieder 
eine vollkommen normale. Durch elektrische Reizung der wieder bloßgelegten 
Nerven konnte der Nachweis erbracht werden, daß sich eine Leitung vom Tibialis 
ins Peroneusgebiet hergestellt hatte. 


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Referate. 


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In einem Falle wurde bei einem Hunde erst 3 Monate nach erfolgter 
Resektion eines Stückes aus dem Peroneus und nachdem sich schon ein großer 
Dekubitus ausgebildet hatte, die Implantation de9 peripheren Peroneusstumpfes 
in den Nervus tibialis vorgenommen; nach 3 Monaten war die Funktion bereits 
bedeutend gebessert. 

Aus den Tierexperimenten Spitzys und den Operationsmethoden anderer 
Autoren ergeben sich folgende Sätze bezüglich des Prinzips der Nervenplastik: 

Den Innervationsbezirk eines gelähmten Nerven kann man auf zwei Wegen 
an den Verlauf eines intakten Nerven anschließen, 

a) indem man vom intakten Nerven einen Lappen mit zentraler Basis 
abspaltet und diesen in einen Längsschlitz des gelähmten Nerven implantiert 
— Fixierung durch Längsschnitt, zentrale Implantation —, oder 

b) es wird vom gelähmten Nerven ein möglichst großer Lappen mit 
peripherer Basis abgespalten und in einen Längsschnitt des intakten Nerven 
implantiert. Wenn der gelähmte Nerv keine wichtigen sensiblen Bahnen ent¬ 
hält, so kann der ganze bahnsuchende Nerv verwendet und eventuell seitlich 
an den bahngebenden Nervenstamm angelagert werden — periphere Implantation. 

Die zentrale Implantation ist zu empfehlen, wenn in der Nähe des 
wichtigen gelähmten ein minderwertiger intakter, vorwiegend motorischer Nerv 
liegt, durch dessen Funktionsausfall man beim Mißlingen des Versuches keinen 
zu großen Schaden verursacht. Z. B. Neurotisation des Nervus facialis durch 
den Nervus accessorius, des Nervus cruralis durch den Nervus obturatorius. 

Die periphere Implantation wird an gewendet, wenn nur gleich wichtige, 
größere Nerven in der Nähe liegen und zur Bahnung herangezogen werden 
können, so z. B. bei Plastiken im Gebiete der Armnerven. 

Bis jetzt ergibt die Nervenplastik etwa 50°/° Heilungen resp. Besserungen, 
man darf daher vom intakten Nervenmaterial absolut nichts aufs Spiel setzen, 
besonders bei wichtigen Nerven. 

Spitzy empfiehlt die Einpflanzung des zu implantierenden Nerventeiles 
in einen Längsschlitz des bahngebenden Nerven und Fixierung durch Längsnaht, 
da durch Quernaht leicht Druck und Degeneration des Nerven erzeugt wird. 

Zur Vornahme der Operation empfiehlt Spitzy eine Reihe von In¬ 
strumenten, die sich ihm sehr bewährt haben. Zum Anfassen der Nerven ver¬ 
wendet er Ohrpinzetten, deren aneinandergepreßte Branchen am Ende eine kurze 
Röhre bilden; die Lichtung muß der Dicke des Nerven entsprechen. Zur An¬ 
legung des Längsschlitzes verwendet er ein kleines Neurotom mit kurzer 
schneidender Spitze; zum Anfassen der Nervenenden resp. des Perineuriums 
Hackenpinzetten mit feinsten Zähnchen. Zur Untersuchung der Funktion der 
einzelnen Nervenzweige dient eine feine sterilisierbare Nadelelektrode. Um für 
einen Nerven einen neuen Weg im übrigen Gewebe zu bahnen, verwendet 
Spitzy den Tunelleur, eine Metallröhre mit abnehmbarer stumpfer Kuppe. 

Die Indikationen zur Nervenplastik sind gegeben, wenn bei eingetretenen 
Lähmungen die Periode der Spontanregeneration vorüber ist, wenn die übrigen 
therapeutischen Maßnahmen versagt haben, wenn man der Leitungsunterbrechung 
nicht durch andere operative Eingriffe (Narbenexzision, primäre, sekundäre Naht, 
Neurolysis) beheben kann, besonders vor Vornahme einer eingreifenden Sehnen¬ 
plastik. 


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Referate. 


Ob die zentrale oder periphere Implantationsmethode zu wählen ist, 
hängt von der Topographie der Lähmung ab. 

Bei Lähmung der Armnerven kann man wegen der Wichtigkeit aller 
Nervenstämme und, da sie ausschließlich gemischte Nerven sind, nur eine 
periphere, partielle Neurotisation vornehmen. Die technische Durchführung ist 
nicht schwierig und am Oberarm in der Gefäßnervenleitfurche vorzunehmen; 
am Ellbogen und Vorderarm sind die Nerven gleichfalls leicht zugänglich. 

Für den Nervus facialis wird der Nervus accessorius vor oder nach seinem 
Durchtritt durch den Kopfnicker bezeichnet. 

Bei Peroneuslähmung wird die periphere totale oder partielle Implantation 
desselben in den Nervus tibialis ausgeführt, die umgekehrte Operation bei 
Lähmung des Nervus tibialis. 

Bei der Quadricepslähmung wird der oberflächliche Ast des Nervus 
obturatorius zur Neurotisation des Nervus cruralis verwendet und mittels des 
Tunelleurs zu demselben geleitet. Für die Funktion der Adduktoren genügt 
der den Adductor magnus versorgende tiefe Ast des Obturatorius. 

Wenn auch ein sicheres Urteil über die Erfolge dieser Operation am 
Menschen derzeit noch nicht möglich ist, so geben die Tierversuche und ander¬ 
weitige Nervenplastiken die Berechtigung zu ausgedehnteren Versuchen mit 
der Operation am Menschen; bei richtiger Technik wird die Operation gar 
nicht oder nur wenig schaden, kann aber viel nützen. Haudek-Wien. 

Dr. Hugo Nettei, Ueber eine Modifikation bei der Herstellung der Gips¬ 
hanfschiene. Wiener klin. Wochenschr. 1904, Nr. 48. 

Der zur Verwendung kommende Hanf wird mittels eines rechenartigen 
Kammes von etwaigen Verunreinigungen befreit, hierauf werden die Hanf¬ 
strähne mit einem Trikotschlauch überzogen, der vorher über das Handgelenk 
gestülpt wurde. Das eine Ende des Schlauches wird dann zugebunden und der 
vorgerichtete Gipsbrei mittels eines breiigen Trichters in den Schlauch gegossen. 
Dann wird auch das andere Ende des Schlauches zugehalten und die Schiene 
auf einem Tisch oder einer anderen festen Unterlage durchgeknetet, wodurch 
das Hanfbündel allenthalben durchtränkt wird. Dann wird die Schiene mit 
der Ulnarseite der Hand einige Male ausgestrichen und so der überschüssige 
Gips durch die Maschen des Trikots herausgepreßt; hierauf wird die Schiene 
geglättet und entsprechend breitgedrückt. 

Die Schiene wird nun auf die gut eingefettete und in die zu fixierende 
Stellung gebrachte Extremität gelegt, gut adaptiert und fest gewickelt. Nach 
1—2 Minuten, wenn die Schiene heiß wird, ist sie schon hart genug und kann 
abgenommen werden. Sie wird dann noch einige Zeit getrocknet, gepolstert 
und dauernd fixiert. 

Für feine Gipshanfschienen, die beim Erwachsenen von der Schulter bis 
zu den Fingerspitzen reichen soll, nimmt man einen Trikotschlauch von 6—8 cm 
Breite, etwas über 1 1 feinsten Gips und 1 1 heißes Wasser, dem man etwa 
eine Kinderhand voll Kochsalz zusetzt. Für die untere Extremität sind alle 
Maße um die Hälfte größer zu nehmen. 

Die Schienen sind entsprechend der Länge der Hanfsträhne höchstens 
1 m lang. Benötigt man längere Schienen, so wird ein Trikotschlauch von 


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Referate. 


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etwas mehr als der gewünschten Länge auf das Handgelenk gestülpt und über 
das mit der Hand fixierte Hanfbündel herabgestreift. Der leere Teil des 
Strumpfes wird nun aufgerollt, bis das innere Ende des Hanfbündels frei wird. 
In dieses wird das eine Ende eines zweiten Hanfbündels derart hineingelegt, 
daß zwischen beiden, ein gleichmäßiger Uebergang besteht. Während die etwas 
übereinandergreifenden Enden derselben von außen mit den Fingern oder einer 
großen Klemme festgehalten werden, wird der Rest des Strumpfes Über den 
zweiten Hanfsträhn gezogen. Hierauf wird der. Gips von beiden Seiten ein¬ 
gegossen und nun erst die Hand oder Klemme von der Mitte der Schiene ent¬ 
fernt und letztere als einfache Gipshanfschiene weiter behandelt. Auf diese 
Art kann man Schienen von der Länge bis zu 2 m verfertigen. 

Haudek-Wien. 

Haudek (Wien), Zur Technik des Gipsbettes. Zentralbl. f. Chirurgie 1905, Nr. 7. 

Haudek erreicht durch eine kleine, von ihm erfundene Modifikation 
eine raschere Anfertigung der Reklinationsgipsbetten. Diese Modifikation be¬ 
steht darin, daß er schon vor der Lagerung des Patienten auf dem Rahmen 
9—12 Longuetten aus Stärkegaze zurechtschneidet, welche die Länge und Breite 
des gewünschten Gipsbettes um 8—10 cm überragen. Diese Longuetten werden dann 
mit Gips imprägniert, in Lagen von je drei geordnet und aufgerollt. Erst wenn 
der Patient auf dem Rahmen liegt, werden sie in heißes Wasser getaucht und 
rasch hintereinander vom Kopf nach den Füßen hin aufgerollt. Auf diese 
Weise soll die Anlegung des Gipsbettes in 3—4 Minuten möglich sein. — 
Längere Zeit erfordert die in der Hof faschen Klinik übliche Technik auch 
nicht Sie beruht darauf, daß gleichfalls vorher zurechtgeschnittene breite 
Lagen von Stärkegaze in Gipsbrei getaucht und rasch dem Körper aufgelegt 
und anmodelliert werden. Pfeiffer-Frankfurt a. M. 

Haudek (Wien), Die orthopädische Behandlung von Erkrankungen des Nerven¬ 
systems. Wiener klinische Rundschau 1905, Nr. 24—25. 

Haudek schildert in Kürze die jetzt übliche orthopädische Behandlung 
aller hierfür in Betracht kommenden Erkrankungen des Nervensystems und 
weist nach, daß sich durch geschickte Kombination therapeutischer Maßregeln 
gute Erfolge erreichen lassen. Dem Fachorthopäden bringt sein Vortrag nichts 
Neues. Pfeiffer-Frankfurt a. M. 

Taendler (Berlin), Ein neues Daumenpendel, Medizinische Klinik, 1905, Nr. 30. 

Der von Taendler angegebene Apparat zur Mobilisierung versteifter 
Dauraengelenke besteht aus einem auf einem Stativ angebrachten langen Pendel, 
an dessen oberem Ende sich in einer Gabel zwei Hülsen für den rechten resp. 
linken Daumen befinden. Die übrigen Finger ruhen während der Uebung in 
einem schlittenförmigen Halter. Die Daumenhülsen, die je nach Bedarf enger 
und weiter gestellt werden können, sind an einem graduierten Exzenter be¬ 
festigt, der je nach seiner Einstellung Flexion oder Extension bewirkt. Die 
nötige Fixierung des Handgelenks besorgt ein verstellbarer Bügel, der durch 
Druck von oben ein Ausweichen des Armes verhindert. 

Pfeiffer-Frankfurt a. M. 


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Referate. 


Fl ata u (Berlin), Ein neuer Gymnastikapparat. Medizinische Klinik 1905, Nr.27. 

Fla tau gibt eine Beschreibung der Konstruktion, Wirkungsweise und 
Anwendungsart des von G. Müller angegebenen „Autogymnasten*. Dieser 
Apparat besteht aus einem breiten festen Ledergürtel, der so um den Leib ge¬ 
schnallt wird, daß er die freie Atmung nicht behindert. Durch Metallringe 
an seinen beiden Seiten laufen starke Gummischnüre, die am oberen Ende einen 
Handgriff, am unteren einen aus kräftigem Bande verfertigten Steigbügel tragen, 
in den der Fuß gesteckt wird. Durch Schnallvorrichtungen läßt sich die Länge 
der Gummischnur dem jeweiligen Bedürfnis anpassen. Die Hauptvorzüge dieser 
Vorrichtung sind, daß der Apparat überall mitgeführt werden kann, sofort ge¬ 
brauchsfähig ist und keiner Befestigung am Fußboden oder den Türpfosten be¬ 
darf. Verschiedene Uebungen, die der Apparat auszuführen gestattet, sind mit 
Hilfe von Illustrationen erläutert. Pfeiffer-Frankfurt a. M. 

Micke, Ueber Sehnenplastik. Diss. Gießen 1905. 

An der Hand von vier Fällen bespricht Verfasser in der Arbeit in Kürze 
die verschiedenen Methoden der Sehnenplastik, die wir heutzutage kennen. Die 
Resultate, welche bei diesen Fällen erzielt worden sind, müssen bei dreien als 
recht befriedigende bezeichnet werden. Auch in dem vierten Falle hat die 
Operation eine Besserung der Lähmung herbeigeführt, trotzdem hier die Ver¬ 
hältnisse für eine Sehnenüberpflanzung nicht sehr günstig lagen. In den be¬ 
treffenden Fällen handelt es sich um eine Verletzung des M. flexor poll. long. 
und des M. flexor poll. brevis, um einen Spitzfuß nach Pol. anterior, um einen 
Plattfuß nach einer fieberhaften Erkrankung und um eine Lähmung beider 
Beine (spinale Kinderlähmung). Blencke-Magdeburg. 

Hahn, Der Extensionskopfträger. Eine neue Kopfstütze zur Behandlung der 
Skoliose und spondylitischen Kyphose. Münchener med. Wochenschrift, 
1905, 30. 

Die von Hahn angegebene Kopfstütze besteht aus dem Kopfteil, einem 
dem Kopf nach Gipsmodell genau angepaßten, gut gepolsterten Halsring, aus 
der Rückenstange und aus dem sogenannten Extensionsteil. Dieser besteht in 
der Hauptsache aus einer Spiralfeder, die sich in einer Hülse in der Regel am 
Lendenteil des Korsetts befindet. Auf sie stützt sich von oben her die Rücken¬ 
stange derart auf, daß sie die Feder zusammenzudrücken sucht. Die Kraft der 
Feder ist derart bemessen, daß das Auflegen eines Gewichtes von 3 Kilo sie 
zu komprimieren beginnt. Da die Feder eine umso größere Hebekraft be¬ 
kommt, je mehr sie zusammengedrückt wird, so hat man es durch Verlänge¬ 
rung der Rückenstange in der Hand, eine beliebige Hebekraft anzuwenden, zu¬ 
mal man die Stücke der Feder von vornherein beliebig wählen kann. Verfasser 
bespricht dann noch kurz, wann der Extensionskopfträger bei der Behandlung 
der Skoliose und Spondylitis in seiner Klinik Verwendung findet. Er ist An¬ 
hänger der Korsettbehandlung und hält den Standpunkt aller derer, die eine 
erhebliche Skoliose, sei es auch eine habituelle, ohne richtig stützende, fixie¬ 
rende und extendierende Apparate behandeln zu können vorgeben, für einen 
falschen. Bei Spondylitis streckt Hahn bei schon vorhandener Gibbusbildung 
den Patienten in Narkose auf einen extra für diesen Zweck eingerichteten 


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Referate. 


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Strecktisch mit mäßiger Kraft, legt dann einen die Hüften, den Rumpf und 
Hals umfassenden Gipsverband an, der später, wenn die Wirbelsäule fest genug 
geworden ist, durch sein Extensionskorsett ersetzt wird. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Weber, Ein Fall von einseitiger Halsrippe, die zu einer unteren Plexusläh¬ 
mung geführt hatte. Rheinisch-westfälische Gesellschaft für innere Medizin 
und Nervenheilkunde. 21. Mai 1905 zu Düsseldorf. Münchener med. Wochen¬ 
schrift 1905, 83. 

Das sechzehnjährige Mädchen trat wegen zunehmender Schwäche der linken 
Hand in Behandlung. Es bestanden Schmerzen, Parästhesien, Lähmungserschei¬ 
nungen und sichtliche Abmagerung der linken Hand. Starke Atrophie der 
Interossei und des Daumen- wie auch des Kleinfingerballens, deutliche Ein¬ 
senkung im Bereiche der Flexoren am Vorderarme. Partielle Entartungsreaktion. 
Die Ursache für alle diese Erscheinungen war eine etwa 2 cm lange Halsrippe 
links. Auf der rechten Seite war am Querfortsatz des siebten Halswirbels nur 
ein ganz minimaler, etwa 3 mm langer, ovaler Fortsatz, eine ganz rudimentäre 
Rippenanlage sichtbar. Die operative Entfernung der linken Halsrippe brachte 
die erwünschte Besserung. B1 e n c k e - Magdeburg. 

Hü bene r, Ueber doppelseitige Halsrippen. Gesellschaft für Natur- und Heil¬ 
kunde zu Dresden. Sitzung vom 21. Januar 1905. Münchener med. Wochen¬ 
schrift 1905, 33. 

Der Befund wurde zufällig erhoben, da Störungen von seiten der Gefäße 
oder des Plexus nicht vorhanden waren. Der Fall ist derselbe, der von Rosen¬ 
haupt im Archiv für Kinderheilkunde XLI, 3/4 veröffentlicht ist. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Rosenhaupt, Zur Klinik der Halsrippe. Archiv f. Kinderheilkunde XLI, 3/4. 

Verfasser liefert einen weiteren kasuistischen Beitrag zum Kapitel der 
Halarippen. Es handelt sich um ein neunjähriges Mädchen, bei dem als zu¬ 
fälliger Befund eine doppelseitige Halsrippe festgestellt wurde. Es besteht bei 
dem im ganzen zarten und schwächlichen Mädchen außer einer geringgradigen 
rechtskonvexen Brustskoliose keine nachweisbare pathologische Veränderung. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Tan der Brugh, Torticollis ocularis. Nederl. Tijdschr. v. Geneeskunde I, Nr. 6. 

Es handelt sich um ein fünfeinhalbjähriges Mädchen, bei dem bereits der 
bestehenden Deformität wegen die Tenotomie des Musculus sternocleidomastoi- 
deus gemacht war. Die sich daran anschließenden Gipsverbände wurden längere 
Zeit fortgesetzt, aber ohne jeden Erfolg. Erst die Schieioperation, die Tenotomie 
des linken Rectus inf., beseitigte das Leiden sofort. 

Im Anschluß an diesen Fall kommt dann Verfasser noch eingehender auf 
die Diagnose, Differentialdiagnose und Therapie, zu sprechen. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Weidenhaupt, Luxatio atlanto-occipitalis. Diss. Bonn 1905. 

Ein kürzlich vom Verfasser beobachteter Fall von Luxatio atlanto-occi- 
pitalis, der umsomehr Interesse verdient, als er, abgesehen von der Bewegungs¬ 
beschränkung des Kopfes, ohne sonstige Schäden verlief, war die Veranlassung, 
Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XV. Bd. 12 


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Referate. 


die wenigen in der Literatur beschriebenen Fälle zu sammeln und näher zu 
beleuchten und im Anschluß hieran die betreffende Krankengeschichte wieder¬ 
zugeben. Die Röntgenaufnahme bestätigte die Diagnose und ließ erkennen, 
daß außerdem auch noch Abrißfrakturen an den Kondylen des Occiput Vorlagen. 
Der Mechanismus muß so erklärt werden, daß bei stark rückwärts flektiertem 
Kopf derselbe mit dem Kinn aufschlug. Hierdurch war der Kopf fixiert, wäh¬ 
rend der Körper mit der Wirbelsäule weiter nach abwärts und vorne strebte. 
Die Gewalt muß keine übermäßige gewesen sein, da sie schon durch die Luxa¬ 
tion oder Fraktur erschöpft wurde, ohne daß das Mark durchgequetscht wurde. 
Auffallend ist es dennoch, daß dasselbe nicht einmal komprimiert wurde. Eine 
Behandlung wurde seitens der Eltern abgelehnt. Erkundigungen haben ergeben, 
daß der Patient eine geringe Besserung in der Bewegung des Kopfes aufzu¬ 
weisen hat. B1 e n c k e • Magdeburg. 

Meyerowitz, Ueber Skoliose der Halsrippen. Beitrag zur klinischen Chi¬ 
rurgie 1905, Bd. 46. 

Verfasser spricht über den Zusammenhang zwischen Halsrippen und Sko¬ 
liose der oberen Brustwirbelsäule und vergleicht kritisch die zur Erklärung des¬ 
selben aufgestellten Theorien, die Garresche, nach der die Skoliose durch die 
Halsrippen rein mechanisch bedingt ist, und die Helbingsche, nach der die 
Skoliose als eine reflektorische anzusehen ist. Die ausführliche Erörterung dar¬ 
über eignet sich nicht zu kurzem Referat. Verfasser gelangt zu dem Schluß, 
daß die Ansicht Garres die für die meisten Fälle zutreffende sei. 

Wette- Berlin. 

Klapp, Die Mobilisierung der skoliotischen Wirbelsäule mit einer aktiven 
Methode. Münchener med. Wochenschr. 1905, Nr. 48. 

Dem Verfasser scheint manches gegen die heutzutage ausgeübte Mobili¬ 
sierungsart der skoliotischen Wirbelsäule einzuwenden zu sein. Die bisher mit 
derselben erreichten Resultate sprechen nach seiner Ansicht nicht für die Rich¬ 
tigkeit dieser passiven Methoden. Wir können von Schlangenmenschen lernen, 
die lediglich durch aktive Mobilisierung ihre Wirbelsäule so beweglich machen. 
Klapp will die heutigen «Rückenschwächlinge* mit einer höchst energischen 
wirkungsvollen Uebung der Muskulatur durch Jahre hindurch zu «Rückenspezia¬ 
listen* oder «Rückenathleten* erzogen wissen. Seiner Ansicht nach ist es leicht 
möglich, die Mobilisation der skoliotischen Wirbelsäule durch reine aktive 
Maßnahmen zu erreichen; er hat von einer solchen in kurzer Zeit weit bessere 
Erfolge gesehen, als von einer lange durchgeführten passiven Mobilisierung. 
Ausgehend von dem Gang der Vierfüßler, die selbst bei ruhigem Gehen ihrer 
Wirbelsäule mehr oder weniger starke seitliche Bewegungen geben, macht er 
den Vorschlag, die Patienten im Zimmer umherkriechen zu lassen und zwar 
nicht in sogenanntem Paßschritt, sondern im gewöhnlichen Vierfüßlerschritt, 
so daß auf der einen Seite Hand und Knie weit zurückgesetzt sind, während 
auf der anderen die Hand beim Knie steht. Durch Bewegungen des Kopfes, 
durch seitliches Herübersetzen der Extremitäten u. dergl. mehr kann man nun 
auch noch den Bogen der Wirbelsäule immer mehr und mehr krümmen. Das 
Kriechen auf allen Vieren wirkt stärker umkrümmend als das seitliche Biegen 
des Rumpfes im Stehen, weil man es dabei mit keinem feststehenden Becken 


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Referate. 


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zu tun hat. Gerade durch die Mitbewegung des Beckens kann die Wirbelsäule 
noch viel mehr gekrümmt werden. Auch die Entfaltung des Thorax ist ein 
weiterer Gewinn des Kriechens, welches nicht gering veranschlagt werden darf. 
Die Patienten kriechen zunächst *1* Stunde täglich, bringen es aber allmählich 
bis zu einer Stunde Vor- und Nachmittags. Zu Beginn jeder Kriechstunde 
erhalten sie — wie es ja wohl auch in der Bierschen Klinik nicht anders zu 
erwarten ist — als Einleitung zur Mobilisierung eine Heißluftapplikation von 
20 Minuten Dauer am ganzen Rücken an Stelle der Massage. Der betr. Hei߬ 
luftkasten kann für fünf Kinder eingerichtet werden. Mehrere Abbildungen 
sind der Arbeit, die viel des Interessanten bietet, beigegeben. — Also fort mit 
allen den schönen und teueren Redressionsapparaten! Die orthopädischen 
Turnsäle werden hinfort ein ganz anderes Bild bieten, sie werden nicht mehr 
als moderne Folterkammern erscheinen, sondern man wird in ihnen in Zukunft 
nur noch die Skoliosenkinder lustig sich tummelnd auf allen Vieren herura- 
kriechen sehen. Blencke-Magdeburg. 

Lorenz, lieber ischiadische Skoliose in Theorie und Praxis. Deutsche med. 

Wochenschr. 1905, Nr. 39. 

Lorenz gibt eine kritische Würdigung der zahlreichen über ischiadische 
Skoliose aufgestellten Theorien. Er faßt dieselben in zwei große Gruppen zu¬ 
sammen, die Gruppe der Lähmungstheorien und der mechanischen Theorien. 
An der Hand eines Schemas erörtert er die klinischen Symptome der ischiadi- 
jchen Skoliose. Das Primäre sei eine fast stets nach der kranken Seite konvexe 
Lumbalskoliose. Die bisher übliche Nomenklatur, welche die in Wirklichkeit 
kompensatorische Dorsalskoliose als das Primäre ansehe und in diesem Sinne 
von heterologer bezw. homologer Skoliose spreche, sei falsch und müsse um¬ 
gekehrt lauten. Eine primäre, nach der gesunden Seite konvexe Lumbalskoliose 
sei sehr selten und werde nur temporär eingehalten. Die Lähmungstheorien 
seien durch die Untersuchungen Erbens als abgetan anzusehen, da niemals 
eine Muskellähmung auf der kranken oder gesunden Seite nachgewiesen sei. 
Das Prinzip der mechanischen Theorien, daß die Skoliose als eine instinktive 
spastische Zwangshaltung anzusehen sei, sei richtig. Die Erklärung dafür, wie 
diese Haltung zu stände kommt und warum die Lendenskoliose fast stets konvex 
nach der kranken Seite ist, findet Lorenz in der mechanischen Entspannung 
der Lumbosakralnerven, die durch die Skoliose in dem erwähnten Sinne mit 
gleichzeitiger sekundärer Beckensenkung sowie Flexion in Knie und Hüfte am 
besten gewährleistet werde. Demzufolge müsse die Therapie im akuten Stadium 
darauf gerichtet sein, diese Haltung möglichst zu fixieren. Erst nach voll¬ 
ständigem Ablauf des akuten Stadiums dürfe die übliche mechanische Behand¬ 
lung mit Massage, Streckgymnastik etc. beginnen. Wette-Berlin. 

Hermes, Ueber einen Fall von Osteom der Wirbelsäule mit Kompression des 

Rückenmarks. Diss. Gießen 1905. 

Es handelte sich um einen 21jährigen jungen Mann, bei dem im Bereiche 
der unteren Lendenwirbelsäule eine fast spitzwinklige Lordose festgestellt wurde. 
Die unteren Extremitäten waren völlig gelähmt; die Sensibilität in ihnen war 
erloschen, hinten bis zum vierten Lendenwirbel. In beiden Beinen bestehen 


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Referate. 


Kontrakturen. Die Patellarreflexe sind kaum auslösbar. Es findet sich ferner 
Incontinentia alvi, Retentio urinae und ein großer Dekubitus am Kreuzbein. 
Die klinische Diagnose wurde auf tuberkulöse Wirbelkaries, Myelitis transversa. 
Decubitus und Cystitis gestellt. Patient starb. Das Ergebnis der Obduktion 
und der mikroskopischen Untersuchung wird vom Verfasser aufs eingehendste 
besprochen. E 9 handelte sich nicht um eine tuberkulöse Wirbelkaries, sondern 
um eine Geschwulst, die vom Dornfortsatz des zehnten Brustwirbels ausging 
und durch die der Wirbelkanal von hinten her verengt und da9 Rückenmark 
komprimiert wurde. Die mikroskopische Untersuchung ergab, daß es sich um 
ein Osteom handelte. Die merkwürdige, hochgradige, hauptsächlich lordotische 
Verkrümmung der Wirbelsäule kann nach des Verfassers Ansicht wohl kaum 
auf mechanischem Wege entstanden sein; er glaubt, daß dieselbe neuropathischer 
Natur sei. Blencke-Magdeburg. 

Tubby, Ueber Osteomyelitis der Wirbelsäule. 73. Versammlung der Brit. 
Med. Association in Leicester, Juli 1905. 

Tubby unterscheidet eine leichte und schwere Form. Bei jener handelt 
es sich nur um eine Entzündung und Verdickung des Periostes, bei dieser sind 
auch die oberflächlichen Knochenschichten beteiligt und es kommt auch Öfters 
zur Eiterung. Die ganz schweren Formen sind stets mit Meningitis und Myelitis 
kompliziert. Von 41 Fällen waren nur sechs traumatischen Ursprungs. Die 
Lumbalwirbel werden am häufigsten befallen, an zweiter Stelle stehen die 
Halswirbel und zwar erkranken öfters die Bögen als die Körper. 24 Fälle 
vereiterten von 62. Bei den leichten Fällen genügt Ruhe, später ein Stütz¬ 
apparat, bei den schwereren, die zur Eiterung kommen, muß operativ ein¬ 
gegriffen werden. B len cke-Magdeburg. 

Ehrhardt, Ueber chronische ankylosierende Wirbelsäulenentzündung. Mit¬ 
teilungen a. d. Grenzgebieten der Medizin und Chirurgie XIV, 5. 

Nach des Verfassers Ansicht gibt es außer der Spondylitis deformans 
noch einen zweiten, meist viel hochgradigeren Ankylosierungsprozeß an der 
Wirbelsäule, der ebenfalls mit ausgedehnter Knochenneubildung einhergeht, 
bei dem aber diese Knochenneubildung nicht den Stempel der Exostose, sondern 
der Synostose trägt und dies ist die chronisch ankylosierende Wirbelsäulen¬ 
versteifung. An der Hand eine9 Skeletts, das den Typus der Strümpei Ischen 
Form und gleichzeitig vielleicht auch den höchsten denkbaren Grad des Krank¬ 
heitsprozesses zeigte, stellt dann Ehrhardt die Unterschiede zwischen einer 
solchen reinen Wirbelsäulenankylose und der Spondylitis deformans fest. — Der 
Prozeß stellte sich in diesem Falle als eine syndesmogene Synostose sämtlicher 
Wirbelgelenke mit Verknöcherung der Längsbänder, der Lig. flava und partieller 
Verknöcherung der Zwischenwirbelscheiben dar. Begleitet war er von knöcherner 
Ankylose der Wirbelrippengelenke und der Hüftgelenke. An allen genannten 
Knochen war die Ankylose durch reine Synostose, ohne Exostosenbildung erfolgt, 
die Knochenform w r ar überall aufs treueste bewahrt. Bl encke-Magdeburg. 

N. Lagiewski, Ueber die chronische ankylosierende Entzündung der Wirbel¬ 
säule. (Spondylosis rhizomelica). Diss. Leipzig 1905. 

Nachdem Verfasser im ersten Teil seiner Arbeit die wichtigsten über 
diese Erkrankung erschienenen Arbeiten kurz skizziert hat, gibt er die Kranken- 


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Referate 


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geschicbte eines Falles aus dem Park*Sanatorium zu Pankow wieder, der dem 
Sfcrümpell-Marieschen Typus entspricht, anderseits aber auch dem Bechterew¬ 
schen gleicht. Nach des Verfassers Ansicht unterscheiden sich diese Fälle nur 
graduell voneinander und stellen nur vermutlich Varianten einer und derselben 
Krankheit dar, die im Anschluß an die verschiedensten Erkrankungen entstehen 
können. Am Schlüsse der Arbeit geht dann Verfasser noch des näheren auf 
die pathologische Anatomie ein, wobei er nur die Ansichten der verschiedenen 
Autoren wiedergibt, ohne etwas Neues zu bringen. Blencke-Magdeburg. 

Facompre, Beiträge zur Behandlung der tuberkulösen Wirbelsäulenerkrankung 
mit Benutzung der in der Zeit vom 1. Dezember 1895 bis zum 1. Dezem¬ 
ber 1902 in der chirurgischen Universitätsklinik in Göttingen behandelten 
116 Kranken. Diss. Göttingen 1905. 

Die vorliegende Arbeit gehört der Serie von Dissertationen an, die aus 
der Göttinger Klinik über die chirurgische Tuberkulose der einzelnen Körper¬ 
teile bereits erschienen sind, bezw. noch erscheinen. In ihrem ersten Teil sind 
rein statistische Daten über 116 Fälle von Spondylitis tuberculosa enthalten, 
auf die hier natürlich nicht näher eingegangen werden kann. Im zweiten Teil 
gibt dann Facompre die betreffenden Krankengeschichten wieder. 

Blencke-Magdeburg. 

Schilling, Schwere spondylitische Paraplegie, spontan geheilt unter Anwen¬ 
dung der Rauchfuß sehen Schwebe, die auch zur Prophylaxe des Dekubitus 
bei spondylitischen Lähmungen dient. Deutsches Archiv f. klin. Medizin. 
Bd. LXXXIV, XV. 

Verfasser berichtet über einen Fall von schwerer spondylitischer Para¬ 
plegie, die unter der Anwendung der Rauchfußschen Schwebe vollkommen 
beseitigt wurde, so daß Patient nach 27 *jähriger Krankheit wieder auf die Beine 
kam. Schilling macht auf die Schwierigkeiten der Diagnose bei beginnender 
Spondylitis aufmerksam und beschäftigt sich dann eingehend mit der Therapie 
dieses Leidens. Bei Lähmungen will er die Operation nur für die Fälle reserviert 
wissen, bei denen alles andere vergeblich versucht wurde. Auch das Calot sehe 
Redressement verwirft er. Er hofft, daß dieses „brüske, unheilstiftende Ver¬ 
fahren* bald der Geschichte angehört. Wegen der Einfachheit des Verfahrens 
zieht er den Rauchfußschen Apparat den übrigen, gleichem Zweck dienenden 
Apparaten vor, zumal er die Lordosierung der Wirbelsäule und so die Ent¬ 
lastung der auf einandergepreßten Wirbelkörper bestens besorgt und zugleich 
zur Hintanhaltung des Dekubitus eine Moderierung und Dosierung des Druckes 
des Kreuzes gegen die Unterlage, je nachdem man die Schwebe mehr oder 
weniger hochzieht, ermöglicht. Bei starkem Gibbus empfiehlt Schilling so¬ 
wohl zur Verhütung des Druckbrandes als auch zur perigibbären Reduktion 
behufs Verstärkung der Wirkung der Schwebe das bekannte graue, lufthaltige 
Pessarium. Bl encke-Magdeburg. 

Philippgon, Ueber einen Fall von Spina bifida occulta. Biologische Abt. 
des ärztl. Vereins Hamburg. 11. April 1905. Münchener med. Wochen¬ 
schrift 1905, Nr. 29. 

Bei einem 28jährigen Mädchen fand sich eine auf der hinteren Lenden¬ 
gegend durch eine Brustdrüse verdeckte Spina bifida sacrolumbalis. In der 


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Referate. 


ganzen Ausdehnung der unteren Extremitäten bestand eine partielle Empfindungs¬ 
lähmung für Schmerz und Temperatureindrücke. Die Sensibilität war nur 
normal an den äußeren Fußrändern und an der Außenseite der Hüften, wodurch 
die Grenzen des Rückenmarkabschnittes angedeutet wurden, innerhalb welcher 
ein Defekt der grauen Substanz bestand: die obere Grenze fällt zwischen das 
2. und 3. Lumbalsegment und die untere zwischen das 2. und 3. Sakral¬ 
segment. Bien cke- Magdeburg. 

Walterhöfer, Zur Kenntnis der Spina bifida im Anschluß an einen Fall von 
Myelomeningocele lumbosacralis. Diss. München 1905. 

Verfasser bespricht zunächst die Morphologie, Aetiologie, Symptomato¬ 
logie und den Verlauf dieses Leidens unter Berücksichtigung der einschlägigen 
Literatur und beschreibt dann im Anschluß an diese Schilderungen der klini¬ 
schen Erscheinungen einen Fall von Myelomeningocele lumbosacralis, der in 
der Münchener Universitäts-Kinderklinik zur Beobachtung kam. Das kleine 
Mädchen starb 13 Tage nach der Operation, obwohl die Wunde trotz erschwerter 
Nachbehandlung gut heilte, infolge von Inanition. Es kam zur Autopsie. Der 
Sektionsbefund ist der Arbeit beigegeben. Am Schluß derselben kommt dann 
Walterhöfer noch auf die Therapie zu sprechen und gibt die aus der neueren 
Literatur veröffentlichten Resultate von operierten Spina bifida-Fällen wieder 
in Form einer Tabelle, zu der er jedoch nur diejenigen Fälle verwendet hat, 
bei denen angegeben war, zu welcher Art der betreffende Fall gehörte. Von 
98 Fällen wurden 72 geheilt und 26 sind gestorben, ein Resultat, das nach des 
Verfassers Ansicht entschieden zur Operation auffordert. Die ausgiebige In¬ 
zision mit nachfolgender Exzision des Sackes soll heutzutage für den anti¬ 
septisch gebildeten Chirurgen den einzig richtigen Weg zur Behandlung der 
Spina bifida bilden. Blencke-Magdeburg. 

Bardescu, Die chirurgische Behandlung der rezidivierenden skapulohumeralen 
Luxationen. Revista de Chirurgie 1905, Heft 2. 

In den meisten Fällen von habituellen Schulterluxationen handelt es sich 
um eine übermäßige Dehnung der Kapsel, um eine teilweise Ablösung derselben 
oder um eine Ruptur. Deshalb muß auch eine Operation die Kapsel direkt 
angreifen. Die heute wohl am meisten ausgeübte Methode ist die Kapsel¬ 
faltung, mit der auch Bardescu in 2 Fällen sehr gute funktionelle Resultate 
erzielte. Bardescu empfiehlt zur Verstärkung der Kapsel noch einen benach¬ 
barten Muskel, am besten den Coracobrachialis heranzuziehen. 

B1 e n ck e- Magdeburg. 

Wilms, Arthrodese des linken Schultergelenkes bei rezidivierender Luxation. 
Medizin. Gesellschaft zu Leipzig, 27. Juni 1905. Münchener med. Wochen¬ 
schrift 1905, Nr. 33. 

Der Patient leidet an Epilepsie und hatte sich seit dem Jahre 1887 die 
Schulter 54mal luxiert. Die Reposition war meistens nur in Narkose möglich. 
Bei der Operation zum Zweck der Arthrodese zeigte sich die vordere Hälfte 
der Cavitas glenoidalis völlig zerstört. Es wurde eine totale Ankylose erzielt 
Das Resultat war sehr zufriedenstellend. Die linke Hand wurde völlig ge¬ 
brauchsfähig. B1 e n ck e - Magdeburg. 


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Referate. 


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Piper, Fractura humeri mit Verletzung des Nervus radialis. Diss. Kiel 1905. 

Nach einigen allgemeinen Erörterungen über die bei Humerusfrakturen 
vorkommenden Störungen des Nervus radialis veröffentlicht Piper vier der¬ 
artige Fälle aus der Kieler chirurgischen Klinik, von denen drei operiert wurden. 
Verfasser rät in jedem Falle zur Verhütung von Rezidiven für eine gehörige 
Isolierung und Freilegung des Nerven Sorge zu tragen. Vorzüglich hat sich 
immer die Einbettung des Nerven in eine Muskelfurche des Triceps bezw. des 
Brachialis internus bewährt. Prognostisch sind die operativ behandelten Fälle 
von Radialislähmungen nach Oberarmfraktur im allgemeinen recht günstig. Je 
kürzere Zeit nach dem Auftreten der Lähmungserscheinungen derartige Fälle 
zur Operation kommen, um so leichter und rascher erfolgt natürlich auch die 
Heilung. Aber auch länger bestehende Erkrankungen lassen von der Operation 
noch das Beste erhoffen. Blencke-Magdeburg. 

Weber, Ein Fall von habitueller Luxation der Schulter. Diss. Leip¬ 
zig 1905. 

Es handelte sich um einen Fall von habitueller Luxation der Schulter, 
die nicht weniger als 54mal ausgekugelt gewesen und wieder eingerenkt worden 
war. Gelenkkopf und Acetabulum waren hochgradig verändert. Die vordere 
Hälfte der Pfanne fehlte fast ganz und der Rest war bedeutend abgeflacht. 
Die Gelenkenden wurden angefrischt und mit Silberdraht vernäht. Wie die 
Nachuntersuchung ergab, wurde durch die Operation ein sehr zufriedenstellen¬ 
des funktionelles Resultat erzielt und die Heilung der habituellen Luxation 
somit erreicht. Im Anschluß an diesen Fall bespricht Weber die habituelle 
Schulterluxation, ihr Vorkommen, die Ansichten über die pathologischen Ver¬ 
änderungen, die ihre Wiederholung begünstigen und die von den verschiedenen 
Autoren gemachten therapeutischen Vorschläge. Blencke-Magdeburg. 

Schwellenbach, Typischer Zerrungsschmerz in der Gegend des Epicondylus 
extemus humeri. Diss. Bonn 1905. 

Verfasser bringt eine ganze Reihe von Krankengeschichten über eine Er¬ 
krankung der Ellbogengegend, deren praktisches Merkmal in einem heftig auf¬ 
tretenden Zerrungsschmerz in der Gegend des Epicondylus externus humeri 
bestand. Das Leiden ist in dem aponeurotischen Teil der Vorderarmfaszie, 
unterhalb des Epicondylus externus humeri lokalisiert und äußert sich in einer 
Schmerzhaftigkeit der diese Faszie mit sensiblen Fasern versorgenden Nerven. 
Es wird hervorgerufen in den meisten Fällen durch wiederholtes Zerren der 
Faszie. Bei einer einmaligen Ursache, einer heftigen indirekten Zerrung oder 
direkter Quetschung des Epicondylus soll es sich um eine leichte Läsion der 
fasziösen Ansätze handeln, die nun auf die fortwährenden kleinen Zerrungen 
beim Weitergebrauch der Hand eine chronische Reizung zu stunde bringt. Bei 
den durch die Art der Tätigkeit als Gewerbeerkrankung auftretenden Formen 
ist nach des Verfassers Ansicht eine Summierung kleiner Zerrungen, die doch 
einmal einen kleinen Fehlgriff, ein ungeschicktes Zufassen u. dergl. mehr in sich 
schließen, die Veranlassung. Im allgemeinen ist der Verlauf recht langwierig; 
die Hauptbedingung bei der Therapie ist absolute Ruhe des erkrankten Armes 
und weitgehendste Schonung. Blencke-Magdeburg. 


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Referate. 


Hack, Blutige Reposition veralteter und verwachsener Ellbogengelenk¬ 
luxationen. Dies. Freiburg 1905. 

An der Hand von 50 aus der Literatur zusammengestellten Fällen von 
veralteten traumatischen Ellbogengelenkluxationen, die mit Arthrotomie be 
handelt wurden und denen er noch die Krankengeschichten von zwei weiteren 
Fällen beifügt, die in der Freiburger chirurgischen Klinik in gleicher Weife 
operiert wurden, gibt Verfasser einen kurzen Ueberblick über die Geschichte 
der Behandlung dieser Luxationen, über die Repositionshindernisse und über 
den augenblicklichen Stand der Therapie, wobei er namentlich die Ansichten 
der einzelnen Gegner und Verfechter der Arthrotomie bezw. der Resektion 
aufzählt, ohne etwas wesentlich Neues zu bringen. B1 e n c k e - Magdeburg. 

Schuster, Ueber Ursache und Behandlung veralteter, irreponibler Ellbogen* 
luxationen. Diss. Leipzig 1905. 

An der Hand der Literatur und eines von Trendelenburg operierten 
Falles liefert Verfasser einen Beitrag über veraltete Luxationen im Ellbogen¬ 
gelenk. Er schickt einige allgemeine Bemerkungen über derartige Luxationen 
voraus, um sich dann eingehend mit den Repositionshindernissen zu befassen, 
und mit den von den einzelnen Autoren gemachten Erfahrungen und erzielten 
Resultaten in der Behandlung, aus denen er die Schlußfolgerung zieht, daß 
wir in jedem Falle versuchen müssen, die Luxation auf unblutigem Wege zu 
reponieren. Erst wenn der Repositionsversuch mißlungen ist, dürfen wir an 
eine Eröffnung des Gelenkes denken. Bei Kindern sollte jede Resektion unter¬ 
lassen werden; bei Erwachsenen wird eine Arthrotomie, auch wenn sie nicht 
zum Ziele führt, nicht schaden, es ist immer noch Zeit, zu resezieren. In dem 
vorliegenden Fall wurde die blutige Reposition mit temporärer Resektion des 
Olecranon gemacht. Die Nachuntersuchung ergab: unvollständige Ankylose mit 
Bewegungsfreiheit im Winkel von 20°. Sonst gute Funktion der Muskulatur. 
Bei der Beurteilung des in Bezug auf die Funktion immerhin nicht ganz voll¬ 
kommenen Resultates ist das hohe Alter des Patienten in Betracht zu ziehen. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Lübbers, Beiträge zur Behandlung der tuberkulösen Ellbogengelenkentzündung. 
Diss. Göttingen 1905. 

An der Hand von 78 Krankengeschichten von Ellbogengelenktuberkulose, 
die auch in der Arbeit wiedergegeben sind, berichtet Lübbers über die Be¬ 
handlungsmethoden, die an der Göttinger Klinik jetzt geübt werden. Braun 
steht weder auf dem Standpunkt der ausschließlich konservativen Therapie, 
noch auch huldigt er der streng radikal-operativen Methode. Er entscheidet 
von Fall zu Fall, welche Therapie am Platze ist. In allen leichteren Fällen 
und zwar vorzugsweise bei jugendlichen Individuen etwa bis zu 12 Jahren, in 
Fällen, wo noch kein Knochenherd durch Röntgenaufnahme nachzuweisen ist, 
zieht er die konservative Therapie vor; sieht er jedoch, daß er damit nicht 
auskommt, schreitet er zur Operation. Verfasser konnte über 19 konservativ 
und 30 operativ behandelte Patienten folgende Endresultate konstatieren. Von 
den 19 konservativ behandelten Patienten wurden 16 dauernd geheilt, 1 ge¬ 
bessert und 2 nicht geheilt. Was die Beweglichkeit anlangt, so wurde bei 
6 Patienten ein sehr gutes, bei 7 ein mäßiges, bei 6 ein schlechtes Resultat 


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erzielt. 7 Patienten konnten alle Arbeiten, 10 leichtere Arbeiten, 2 konnten 
keine Arbeiten verrichten. Von den 80 operativ behandelten Patienten wurden 
19 dauernd geheilt, 5 gebessert und 6 nicht geheilt. Die Beweglichkeit war 
in 5 Fällen eine gute, in 11 eine mäßige, in 11 eine schlechte. Alle Arbeiten 
konnten 7 Patienten verrichten, leichte 17, keine 3 Patienten. 

Von 64 Patienten konnte Lübbers Nachricht erhalten. 16 waren ge¬ 
storben. Von den übrigen wurde eine Dauerheilung bei 39, eine Besserung 
bei 6, keine Heilung bei 5 konstatiert. Für die Feststellung der Beweglichkeit 
kamen 47 Resultate in Betracht. Eine gute Beweglichkeit war bei 13 Patienten 
vorhanden, eine beschrankte bei 15, eine fast aufgehobene bezw. Ankylose 
bei 19. Die Funktionsfähigkeit war bei 13 Patienten eine gute, bei 27 eine 
beschränkte und bei 7 eine aufgehobene. B1 e n c k e - Magdeburg. 


Mainzer, Ein Fall von Dupuytrenscher Fingerkontraktur mit spinal-trau¬ 
matischer Aetiologie. Aerztl. Ver. in Nürnberg, 6. Juli 1905. Münchener 
med. Wochenschr. 1905, Nr. 44. 

Es handelte sich um einen 52jährigen Mann, der ein schweres Trauma 
des Schädels und der Wirbelsäule erlitten hatte, das einen psychischen 
Schwächezustand hinterlassen hatte. Etwa ein Vierteljahr nach dem Unfall 
bildete sich eine allmählich fortschreitende Dupuytrensche Fingerkontraktur der 
rechten Hand aus. Der Befund ist wahrscheinlich als Myelodelese aufzufassen. 
Verfasser faßt, da das Trauma den siebten und achten Halswirbel betraf, also 
die den Rückenmarksegmenten der Handinnervation entsprechenden Teile, die 
Fingerkontraktur als eine vom spinalen Trauma herrührende auf, zumal da die 
Empfindungsstörung auf spinale Veränderungen hinwies. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Bäärnhielm, Hygiea (schwedisch). 1905, Nr. 7. Zur operativen Behandlung 
der Dupuytrenschen Fingerkontraktur. 

Verfasser tritt für eine möglichst radikale Operation ein. Alles Narben¬ 
gewebe von der Aponeurose sowohl wie von ihren Ausläufern soll entfernt 
werden mit möglichster Schonung des normalen Binde- und Fettgewebes und 
vor allen Dingen der Sehnenscheiden. Von Ligaturen will Verfasser nichts 
wissen. Thierschsche Transplantation und Anlegen eines sterilen Verbandes, 
nachdem vorher jede Spannung des Hautlappens beseitigt ist durch senkrechte 
Inzisionen gegen die Hautecke. B1 e n c k e - Magdeburg. 


Poulsen, Ueber die Madelungsche Deformität der Hand. Langenbecks 
Archiv, Bd. 75, 2. Heft, S. 506. 

Poulsen hat zwei Fälle dieser Deformität selbst beobachtet und operiert. 
Er kommt auf Grund genauer, mit Hilfe von Röntgenbildern vorgenommener 
Untersuchungen zu dem Schluß, daß die Deformität der Hand im wesentlichen 
auf einer nach vorn konkaven Krümmung des Radius beruht. Die Deformität 
läßt sich nur durch eine Osteotomia radii ausrichten, wie er sie in zwei Fällen 
mit sehr gutem Erfolge ausgeführt hat. Nast-Kolb-Berlin. 


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Referate. 


zur Verth, Drucklähmung sämtlicher Muskeln des rechten Unterarms und 
der Hand. Med. Gesellschaft zu Kiel, 4. Februar 1905. Münchener med. 
Wochenschrift 1905, Nr. 25. 

Verletzung der Art. ulnaris an der rechten Handwurzel. Stillung der 
Blutung durch eine Gummibinde, die l 1 /* Stunden liegen blieb. Infolgedessen 
L&hmung. Die Beweglichkeit stellte sich zuerst in dem vom Medianus inner- 
vierten Gebiet wieder her, dann folgten Ulnaris und Radialis. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Schulze, Ein Fall von spontaner Subluxation der Hand nach unten (Du¬ 
puytren-Madelung scher Subluxation). Münchener med. Wochenschrift, 
1905, Nr. 30. 

Verfasser berichtet über einen Fall dieser immerhin seltenen Erkran¬ 
kung, der eine 16 Jahre alte Patientin betraf und noch einige Eigentümlich¬ 
keiten darbot insofern, daß eine auffallende Verlängerung der Ulna bestand, 
die nach des Verfassers Ansicht so zu erklären ist, daß nach vollständiger Los¬ 
lösung des distalen Ulnaendes aus seinen Gelenkverbindungen der durch die 
Handwurzelknochen geleistete physiologische Widerstand in Wegfall kam und 
das Längenwachstum sich ungehindert entfalten konnte. Außerdem bestand 
noch eine starke Cubitus valgus-Stellung des Armes, die durch die infolge der 
Verkrümmung entstandene Verkürzung des Radius hervorgerufen wurde. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Joachimsthal, Dauerresultate nach der unblutigen Einrenkung angeborener 
Hüftverrenkungen. Demonstration in der Berliner medizinischen Gesellschaft. 
Berliner klinische Wochenschrift 1905, Nr. 9. 

Demonstration von Patienten (Kindern), die wegen angeborener einseitiger 
oder doppelseitiger Hüftluxation vor mehreren Jahren mit der unblutigen Re¬ 
positionsmethode nach Lorenz behandelt worden sind. Fixation im Gipsverband 
nicht über drei Momate. Das funktionelle Resultat ist ein glänzendes, indem 
abgesehen von geringen Belästigungen keine Beschwerden mehr vorhanden 
sind. Maßstab für die Beurteilung der Heilung ist das Verschwinden des Tren- 
delenburgschen Phänomens. Solche vollkommene Heilungen erzielt Joachims¬ 
thal bei zirka 60°/®. An der Hand von Röntgenogrammen, die mehrere Jahre 
nach der Reposition angefertigt wurden, demonstriert Joachimsthal, daß 
bei Kindern auch gewisse Heilung im anatomischen Sinne zu stände komme, 
wenn auch noch jahrelang nachher eine Verzögerung der Ossifikation, Wuche¬ 
rungen, Osteophytbildungen im Grunde und am Rande der Pfanne nachzu¬ 
weisen seien. Wette- Berlin. 

Klapp, Die Ermöglichung einer genauen Kontrolle reponierter, kongenitaler 
Hüftgelenkluxationen. (Aus der kgl. chirurgischen Klinik zu Bonn: Pro¬ 
fessor Bier.) Zentralbl. f. Chirurgie 1905, Nr. 37. 

Klapp empfiehlt, ein rundes Holzbrett in denVerband mit einzugipsen, 
das genau vor das Hüftgelenk zu liegen kommt. Am nächsten Tage kann das 
Brett ausgeschnitten und durch die Lücke die kontrollierende Röntgenaufnahme 
gemacht werden. Nach der Aufnahme wird das Brettchen wieder eingesetzt 
und mit Stärkebinden zugewickelt. Vier schöne Röntgenaufnahmen illustrieren 
die Zweckmäßigkeit des Verfahrens. Nast-Kolb-Berlin. 


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Referate. 


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Budzynski, Ueber die unblutige Behandlung der kongenitalen Hüftgelenk- 
luxation. Diss. Leipzig 1905. 

An der Hand eines Falles, den N. Lesser nach der Lorenzsehen Me¬ 
thode mit gutem Erfolge behandelt hatte und auf Grund eingehender Studien 
der diesbezüglichen Literatur gibt Verfasser einen Ueberblick über den augen¬ 
blicklichen Stand der Frage der angeborenen Hüftluxation. Wenn die Arbeit auch 
für den Orthopäden nichts Neues bietet, so kann sie doch jedem praktischen 
Arzt zum Studium empfohlen werden, da 6ie in gedrängter Kürze alles das 
wiedergibt, was derselbe heutzutage über dieses Leiden wissen muß. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Adolf Lorenz und Max Reiner, Hüftgelenkresektion mit totaler Kapsel¬ 
exstirpation, nebst Bemerkungen über die Totalexstirpation des tuberkulösen 
Hüftgelenkes. Vorläufige Mitteilung. Wiener klinische Wochenschrift, 
1905, Nr. 15. 

Da in den meisten Fällen einigermaßen vorgeschrittener Coxitis fast regel¬ 
mäßig die Kapsel und die knöchernen Gelenkteile erkrankt sind, und da es 
bei der Beschaffenheit der Kapsel des Hüftgelenkes mit Hilfe der allgemein üb¬ 
lichen Resektionsmethoden fast unmöglich ist, wirklich alle erkrankten Teile 
der Synovialis zu entfernen, so führen Lorenz und Reiner die totale Kapsel¬ 
exstirpation aus. 

Lorenz und Reiner legen, um sich eine gute Zugänglichkeit sowohl 
zur vorderen als zur hinteren Wand der Kapsel zu verschaffen, einen vorderen 
und hinteren Schnitt an. Der vordere Schnitt dringt zwischen dem Muse. tens. 
fase, und dem Muse, sartorius in die Tiefe bis auf das Gelenk, ohne Muskeln 
oder Gefäße zu verletzen. Es wird dann unter leichter Beugung und Adduktion 
des Hüftgelenkes die hintere Wand des Muse, ileo psoas freigelegt und man 
dringt zwischen diesem Muskel und der Kapsel bis über den vorderen resp. 
unteren Pfannenrand, ebenso lateralwärts zwischen Muse, rectus cruris und 
Kapsel bis an den Hals vor, wobei auch die Basis des Trochanter minor frei¬ 
gelegt werden muß. Dann wird der vordere obere Quadrant der Kapsel von 
den Fasern des Glutaeus minimus isoliert, so daß die beiden vorderen Quadranten 
der Kapsel von einer Insertion zur anderen freigelegt sind. Eventuelle Durch¬ 
brüche oder sonstige Weichteilherde werden entweder sofort entfernt oder im 
Zusammenhang mit der Kapsel im Gesunden exzidiert. 

Hierauf macht man sich durch den Langenbeckschen Schnitt den hin¬ 
teren Teil der Kapsel zugänglich; der Muse. glut. magn. wird durchtrennt, der 
Muse. glut. med. abgehoben^ Bei der Präparation der Kapsel werden die beiden 
Muse, gemelli und der Muse. obt. int. durchtrennt, der Muse pyriformis kann ab¬ 
gehoben und geschont werden, der Muse, quadrat. fern, wird eingekerbt. Sind 
die beiden hinteren Quadranten freigemacht, so läßt sich der ganze, aber noch 
von der Kapsel eingeschlossene Schenkelhals frei umgreifen. 

Es wird nun die Gelenkhöhle durch Abtragung der Kapselinsertion am 
Pfannenrand, wobei jedoch der Limbus cartilagineus am Kapselschlauch ver¬ 
bleibt, eröffnet; hierauf die Kapselinsertion an der Wurzel des Halses abge¬ 
trennt. Die Kapsel bildet dann eine den Hals lose umhüllende Manschette, 
die, eventuell nach seitlicher Inzision der Kapsel und nach Luxation des Kopfes 
nach hinten (durch Innenrotation), über den Kopf abgestreift werden kann. Es 


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Referate. 


wird hierauf der Kopf sorgfältig vom Knorpelüberzug und eventuellen Herden 
gesäubert und der Pfannengrund mit einem scharfen Löffel (Acetabulotom), be¬ 
sonders der Ansatzstelle des Lig. teres entsprechend ausgehoben, worauf der 
Stumpf des Kopfes resp. Halses reponiert wird. 

Bei weiter vorgeschrittenen Fällen, in denen bereits ein Teil des Halles 
verloren gegangen ist, kann von einer Reposition keine Rede sein, und wird 
dann das ganze Gelenk exstirpiert. Zum Zwecke besserer Zugänglichkeit 
des Gelenkes werden die beiden Schnitte zu einem Lappenschnitt vereinigt ; 
der hierdurch gebildete Lappen wird samt den vom unversehrt bleibenden 
Trochanter major abgelösten Sehneninsertionen nach oben geschlagen. Hierauf 
wird in der gleichen Weise wie oben beschrieben die äußere Fläche des Kapsel¬ 
schlauches ringsum freigelegt. Mit breitem Meißel wird dann das Femur durch 
eine von der Spitze des großen zu jener des kleinen Trochanters reichende 
Osteotomia obliqua von dem Hüftgelenk abgetrennt und zur Seite geschoben, 
so daß im Zentrum der Wunde der Kapselsack mit dem aus seiner Mitte heraus¬ 
ragenden proximalen Femurstumpf von allen Seiten frei zugänglich ist. Hierauf 
wird mit breitem Hohlmeißel das Gelenk vom Pfannenboden abgetrennt und so 
das uneröffnete Gelenk samt dem intakten Kapselsack in den ein¬ 
geschlossenen Gelenkkörpern in toto exstirpiert. Durch Aneinander¬ 
lagerung der Meißelflächen am Femur und Pfannenboden wird die Bildung 
einer knöchernen Ankylose angestrebt; die Verkürzung des Beines ist hierbei 
eine geringe, da die Femurlänge von der Spitze des Trochanter major ab er¬ 
halten bleibt. 

Die Indikation zur Vornahme der Operation gibt das Auftreten unstill¬ 
barer, besonders nächtlicher Schmerzen, die das Vorhandensein eines 
intraartikulären Abszesses anzeigen. Haudek-Wien. 

Max Reiner, Das Prinzip der Individualisierung in der Behandlung der an¬ 
geborenen Hüftverrenkung. Wiener med. Wochenschrift 1904, Nr. 52. 

Die von Lorenz geübte unblutige Behandlung der angeborenen Hüft- 
luxation ergibt jetzt in einer immer steigenden Zahl von Fällen gute ana¬ 
tomische Resultate. Es ist dies die Folge einer streng individualisierenden Be¬ 
handlung, die sowohl bezüglich der Wahl der Stellung im ersten Verbände, 
als noch mehr nach der Abnahme desselben Platz zu greifen hat, da von der 
Art de9 weiteren Verfahrens die Stabilisierung der Reposition abhängig ist. 

Für die Stellung, die dem Bein im ersten Verbände zu geben ist, sind 
die anatomischen Verhältnisse maßgebend: die Form des Kopfes, die Gestalt 
der Pfannenränder, die Ausfüllung der Pfanne mit hypertrophischem Inhalte, 
der Grad der Anteversion des Schenkelhalses, der Grad des Neigungswinkels, 
Länge des Halses etc.; von Bedeutung ist auch die Form der Luxation und das 
Alter der Patienten. 

Wird der erste Verband in überstreckter Stellung angelegt, so wird 
derselbe von Lorenz schon nach vier Wochen in die indifferente Streckstel¬ 
lung übergeführt, da durch die zu lange innegehaltene Hyperextension die Ent¬ 
stehung einer Subluxation begünstigt wird. 

Nach Abnahme des ersten Verbandes, die nach 3—4 Monaten erfolgt, 
gibt die Beschaffenheit des Gelenkes die Indikation für die weitere Behandlung. 


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Referate. 


189 


Ist das Gelenk rigid, so kann der Abduktionsgrad vermindert werden, zeigt 
sich jedoch das Gelenk locker, so daß man den Kopf noch leicht verschieben 
oder die Stellung des Beines leicht ändern kann, so muß hier der frühere Ab¬ 
duktionsgrad beibehalten, eventuell sogar vermehrt werden. 

Nach den exzentrischen Einstellungen im ersten Verband sind Abwei¬ 
chungen von der normalen Stellung ziemlich häufig. So erfordert die nicht 
seltene Prominenz des Kopfes in der Leistenbeuge nach vorne, entsprechend der 
Anlehnung des Kopfes an die vordere Kapsel wand, eine Einstellung in mehr oder 
weniger prononzierter Beugung, während die komplette Transposition nach vorne 
die Depressionierung des Kopfes nötig macht. Die Einstellungen des Kopfes 
am oberen Pfannenrand erfordern eine stark negative, eventuell eine axillare 
Abduktion durch 5—8 Wochen. 

Bei hochgradiger pathologischer Anteversion des Kopfes, bei welcher sich 
der Kopf oft oberhalb des oberen Pfannenrandes einstellt, ist im zweiten Ver¬ 
bände eine starke Einwärtsrotation bei auf 60° verminderter Abduktion oder 
die axillare Abduktion bei unbeeinflußter Rollstellung notwendig. 

Eventuell sind auch noch in einem dritten oder vierten Verbände gleiche 
Maßnahmen nötig. Anderseits kann man manchmal schon nach dem ersten 
Verband die gymnastische Nachbehandlung beginnen. 

Unter Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse in der Retentions¬ 
periode und womöglich unter steter radiographischer Kontrolle läßt sich ein 
hoher Prozentsatz anatomischer Dauerheilungen erzielen. Reiner veranschlagt 
dieselben auf etwa 75 °/o, wobei nur eine konzentrische Einstellung des Kopfes 
in der reaktivierten Pfanne als solche anzusehen ist. 

Durch die Anwendung der subtrochanteren Osteotomie von Schede, 
die in 5—8% sicher indiziert ist, wird sich nach Reiners Ansicht noch eine 
Besserung der Resultate erzielen lassen. 

Für die doppelseitigen Luxationen liegen die Verhältnisse etwas un¬ 
günstiger; meist kommt es auf der einen Seite zu anatomischer Heilung, auf 
der anderen zu Transposition. Diese geringeren Erfolge führt Reiner darauf 
zurück, daß bei doppelseitiger Luxation nicht die nötige Individualisierung mög¬ 
lich ist, weil die Einstellung des einen Gelenkes in eine bestimmte Stellung in 
der Regel nicht unbeeinflußt vom anderen durchgeführt werden resp. im Ver¬ 
bände erhalten werden kann. Des ferneren ist es oft die Folge einer Asymmetrie, 
in der Entwicklung der Deformität den beiden Gelenken verschiedene Stel¬ 
lungen zu geben. H a u d e k - Wien. 

Harting, Zwei Fälle von kongenitaler Hüftgelenkluxation. Medizinische Ge¬ 
sellschaft zu Leipzig, 6. Juni 1905. Münchener med. Wochenschr. 1905, 
Nr. 32. 

Verfasser demonstriert zwei Kinder mit kongenitaler Hüftluxation in ihrem 
Gipsverband — eine einseitige und eine doppelseitige — und bespricht im An¬ 
schluß hieran die Therapie, Prognose und die HeilungsVorgänge dieses Leidens. 
Für einseitige Luxationen zieht er die Altersgrenze bis zu 6 bezw. 8 Jahren, für 
doppelseitige bis zu 5. Das frühest günstige Alter ist seiner Meinung nach 
etwa 2 Jahre. Im übrigen nimmt er denselben Standpunkt wie die meisten 
Orthopäden ein. Blencke-Magdeburg. 


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190 


Referate. 


v. Brunn, Coxa vara im Gefolge von Ostitis fibrosa. Beitr. z. klin. Chirurgie 

1905, Bd. 45. 

Verfasser schildert ausführlich einen Fall von Ostitis fibrosa bei einem 
10jährigen Mädchen, der klinisch das Bild einer exzessiven doppelseitigen Coxa 
vara bot. Das Röntgenbild zeigte, daß die Verbiegung des Schenkels weniger 
im Schenkelhals als vielmehr im subtrochanteren Teil des Femur liegt; die 
Femurknochen zeigten beiderseits starke Veränderungen, Auftreibungen und 
Verdichtungen. Mikroskopisch zeigte sich, daß das aus einer rechtsseitig aus¬ 
geführten Keilosteotomie stammende Material zumeist aus Bindegewebe bestand, 
in das Knochenbälkchen eingelagert waren. Verfasser wirft anknüpfend an 
einen ähnlichen Fall von Küster die Frage auf, ob nicht die Coxa vara in 
manchen Fällen auf eine bestehende Ostitis fibrosa zurückzuführen sei. 

Wette-Berlin. 

Hoffa, Die angeborene Coxa vara. Deutsche med. Wochenschr. 1905, Nr. 32. 

An der Hand von mehreren einschlägigen Fällen und unter Demonstration 
von röntgenographischen und mikroskopischen Bildern erörtert Verfasser die 
Aetiologie und pathologische Anatomie der kongenitalen Coxa vara, die er als 
eine typische Deformität sui generis, beruhend auf einer Störung in der nor¬ 
malen Entwicklung der Epiphysenlinie, auffaßt im Gegensatz zu anderen 
Autoren, die eine Rhachitis oder traumatische Epiphysenlösung als ursächliches 
Moment beschuldigen. Verfasser beschreibt eingehend die anatomischen Ver¬ 
änderungen eines durch doppelseitige Resektion der oberen Femurenden ge¬ 
wonnenen Präparates von einem 4jährigen Knaben. Das Röntgenbild eines 
Furnierschnittes ergibt, daß der Schenkelkopf bis auf einen kleinen Knochen- 
kem knorpelig ist. Ebenso ist der Schenkelhals und der Trochanter vollkommen 
knorpeliger Natur. Bei mikroskopischer Betrachtung zeigen die knorpeligen 
Teile das Bild des ruhenden Knorpels, die Zeichen des Wachstums fehlen voll¬ 
kommen. Dadurch unterscheide sich die fragliche Deformität schroff von einer 
rhachiti8cben Erkrankung. Ebenso läßt sich die kongenitale Coxa vara röntgeno¬ 
graphisch von der rhachitischen scharf unterscheiden. Bei ersterer zeigt das 
Röntgenbild, daß die Epiphysenlinie vertikal verläuft, daß der Schenkelhals 
fehlt oder recht- oder gar spitzwinklig am Femuransatz abgeknickt ist und 
ferner, daß am unteren Rande des Schenkelhalses keilförmige Knochenstückchen 
eingeschaltet sind. Bei der rhachitischen Coxa vara dagegen ist der Schenkel¬ 
halswinkel ein-, meist aber doppelseitig verkleinert; der Schenkelhals ist stets 
erhalten, die meist verbreiterte Epiphysenlinie verläuft schief von oben und 
außen nach unten und innen. Gegen eine traumatische Entstehung spricht der 
häufige Mangel eines solchen in der Anamnese und ferner der Umstand, daß 
die Deformität nicht selten doppelseitig und zwar ganz gleichmäßig ent¬ 
wickelt ist. We tte-Berlin. 

Schlesinger, Zur Aetiologie und pathologischen Anatomie der Coxa vara. 

Langenbecks Archiv Bd. 75, 3. Heft, S. 629. 

Bei einem Fall von Coxa vara adolescentium, in welchem die Resektion 
des oberen Femurendes vorgenommen wurde, hat Schlesinger eine genaue 
mikroskopische Untersuchung machen können. Aus dieser schließt er, daß es 
sich um eine rein traumatische Epiphysenlösung handelte. Im Anschluß daran 


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Referate. 


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hat er die veröffentlichten und anatomisch verwertbaren Resektionsfalle zu- 
sammengestellt und sucht an ihrer Hand die zwei Fragen zu beantworten: 
1. Sitz der Verbiegung bei der Coxa vara; 2. ist die Ursache der Coxa vara 
adolescentium eine Knochenkrankheit (Rhachitis, Osteomalacie) und welche Be- 
Ziehungen bestehen zur traumatischen Epiphysenlösung? Er kommt zu dem 
Schluß, daß bis jetzt in keinem Falle von Coxa vara adolescentium ein anderer 
Sitz der Verbiegung als die Epiphysenlinie nachgewiesen ist. Rhachitis oder 
Osteomalacie ist noch in keinem Falle bewiesen oder wahrscheinlich gemacht. 
Als Ursache nimmt Schlesinger ein einmaliges oder eine Reihe fortlaufender 
Traumen an, die eine Lockerung der Epiphysenlinie und dadurch ein Abrutschen 
des Kopfes herbeiführen. — Bei der Coxa vara rhachitica liegen der Locus 
minoris resistentiae und die Veränderungen im Schenkelhälse, bei gesunden 
Individuen dagegen in der Epiphysenlinie. Nast- Kolb -Berlin. 

Kölliker, Ueber Coxa valga. Münchener med. Wochenschr. 1905, Nr. 86. 

Verfasser vermehrt die wenigen Beobachtungen über Coxa valga um 
2 Fälle. Beim ersten betrug der Neigungswinkel 156°, der Richtungswinkel 
68 °, beim zweiten 156° bezw. 68°. Der zweite zeigte eine durch den großen 
Trochanter sich erstreckende Fraktur und K öl liker ist der Ansicht, daß sich 
der 76jährige Patient infolge seiner Coxa valga eine Schenkelhalsfraktur erspart 
und an ihrer Stelle nur einen Trochanterbruch sich zugezogen hatte. 

B1 e n c k e * Magdeburg. 

Harting, Zwei Fälle von Coxa vara. Medizinische Gesellschaft zu Leipzig, 
6. Juni 1905. Münchener med. Wochenschr. 1905, Nr. 32. 

In dem 1. Falle handelte es sich um eine Coxa vara traumatica. Patient 
wurde 8 Jahre vorher überfahren. Starke Außenrotation beider Beine behinderte 
Exkursionsfähigkeit in beiden Hüftgelenken, hochgradige Lendenlordose, stark 
watschelnder Gang. Das Röntgenbild zeigt beiderseits fast rechtwinkligen 
Schenkelhals und starke Deformation desselben. Eine Osteotomia subtrochan- 
terica obliqua beiderseits liefert ein sehr gutes Heilungsresultat. 

Der 2. Fall betrifft einen Soldaten, der zum Militär ausgehoben, seines 
Leidens wegen aber wieder entlassen werden mußte. Beiderseits rechtwinkliger 
Schenkelhals. Der Trochanter steht 5 bezw. 6 cm über der Roser-Nälatonschen 
Linie. B1 e n c k e - Magdeburg. 

Hesse, Ueber Schenkelhalsbrüche im jugendlichen Alter. Beiträge zur patho¬ 
logischen Anatomie und zur allgemeinen Pathologie. 7. Supplement. Fest¬ 
schrift für Prof. Julius Arnold. 

Hesse führt aus dem Würzburger Juliusspital fünf Krankengeschichten 
▼on Schenkelhalsbrüchen im jugendlichen Alter an, deren Diagnose durch 
Röntgenaufnahmen, die der Arbeit beigegeben sind, bestätigt wurde. An der 
Hand dieser Fälle geht Verfasser dann unter Berücksichtigung der einschlägigen 
Literatur auf diese Verletzung des näheren ein und fügt der Arbeit eine um¬ 
fangreiche Tabelle bei, auf der er aus der Literatur, soweit ihm diese ohne 
größere Schwierigkeit zugänglich war, 46 Fälle zusammengestellt hat von 
diagnostisch durch Röntgenphotographie oder operativen Eingriff gesicherten 
Schenkelbaisbrüchen jugendlicher Individuen im Alter von 1—18 Jahren. Von 


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Referate. 


diesen 46 wurde der genaue Sitz in eindeutiger Weise nicht festgestellt in 
4 Fällen, er befand sich im eigentlichen Schenkelhälse lOmal; alle übrigen 
32 Fälle wurden als reine oder vorwiegende traumatische Epiphysenlösungen 
aufgefaßt. Blencke - Magdeburg. 

Robert Pollatschek, Ein Fall von subkutaner Zerreißung des Musculus 
adductor longus. Wiener med. Wochenschr. 1905, Nr. 7. 

Die Verletzung wurde bei einem 53jährigen Manne konstatiert, der 
dieselbe erlitten hatte, als er einen elektrischen Straßenbahnwagen besteigen 
wollte; er stand noch mit dem rechten Bein auf dem Boden, der linke Fuß 
bereits auf dem Trittbrett, als sich der Wagen plötzlich in Bewegung setzte. 
Patient drohte umzustürzen, konnte sich jedoch noch aufrecht erhalten und 
den Wagen besteigen; hierbei hatte er einen stechenden Schmerz in der rechten 
Leiste verspürt. Seither, 3 Tage nach dem Unfälle, Schmerzen beim Gehen 
und bei allen Bewegungen im rechten Hüftgelenk. 

Bei der Untersuchung des Patienten ist freie Beweglichkeit im Hüft¬ 
gelenk nach allen Richtungen, etwas schmerzhaft; an der Medialseitc des Ober¬ 
schenkels, ca. 4 cm unterhalb der Leistenbeuge, ist ein etwa bohnengroßer 
harter Knoten mit unebener Oberfläche, der in geringem Umfange beweglich 
erscheint und auf Druck empfindlich ist, zu fühlen. Auf Druck ist der Knoten 
weder zu verkleinern noch zum Verschwinden zu bringen. Am nächsten Tage 
war die Umgebung des Knotens bläulich suffundiert, so daß die Diagnose 
auf Knochenabriß am Becken mit größter Wahrscheinlichkeit angenommen 
werden konnte. 

Bei der Operation ergibt sich, daß von der Symphyse ein etwa bohnen¬ 
großes Knochenstück losgesprengt ist, das sich etwa 4 cm unter der Abrißstelle an 
einer retrahierten Sehne haftend befindet; es zeigt sich, daß der medialste An¬ 
teil der Sehne des Musculus adductor longus, der von dem Hauptstamme des 
Muskels getrennt und als dünne, runde Sehne isoliert verlief, vom Becken ab¬ 
gerissen war und sich mit dem an ihm haftenden Knocheninsertionsstück retra- 
hiert hatte. Durch Beugung und Adduktion des Oberschenkels wurden die 
Bruchstücke einander genähert, das abgerissene Knochenstück mittels Alu¬ 
miniumbronzedraht an die Abrißstelle angenäht und in gebeugter und addu- 
zierter Stellung ein Organtinbindenverband angelegt. Nach 4 Wochen Heilung. 

Bezüglich des Entstehungsmechanisraus der Ruptur kann es sich entweder 
um eine forcierte Muskelkontraktion oder um eine Ueberdehnung des Muskels 
durch forcierte Abduktion gehandelt haben. Pollatschek nimmt in dem 
beschriebenen Falle die zweite Art des Mechanismus für die Entstehung in 
Anspruch. Durch eine äußere Kraft wurden die beiden Beine voneinander 
entfernt, also eine Abduktion erzeugt; derselben arbeitete der Patient durch 
eine reflektorische Adduktion entgegen, wodurch die Muskeln verkürzt und ge¬ 
spannt wurden; da der Wagen aber weiterfuhr, so wirkte die abduzierende 
äußere Kraft weiter und so wurde schließlich der Adductor longus zerrissen. 
Auch der Umstand, daß nur das bei der Abduktion am meisten gedehnte 
mediale Sehnenbündel abgerissen war, spricht für den angenommenen Ent¬ 
stehungsmechanismus, da bei Knochenabreißung durch reine Muskelkontraktur 
der ganze Insertionsbereich des Muskels abgerissen wird. 


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Referate. 


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Der publizierte Fall ist der einzige operierte Fall von Zerreißung des 
Adductor longus. H a u d e k - Wien. 

Reiche, Ueber abnorme paralytische Kontrakturen an der unteren Extremität 
nach spinaler Kinderlähmung. Diss. Freiburg 1905. 

Verfasser gibt die Krankengeschichten von 2 Fällen von seltenen Kon¬ 
trakturen nach spinaler Kinderlähmung wieder, die ihn zu dieser Arbeit ver¬ 
anlaßt haben. In dem einen Falle handelte es sich um eine Flexionskontraktur 
im Kniegelenk. Daneben bestand Plattfuß, der nach Art eines Spitzfußes schlaff 
herunterhing. In dem anderen Falle waren beide Füße in stark ausgeprägter 
Equinusstellung fixiert; beim Stehen, wobei Patientin gehalten werden muß, 
werden beide Kniegelenke stark nach hinten durchgedrückt, wie beim Genu 
recurvatum. Diese beiden Fälle, bei denen nach spinaler Kinderlähmung Kon¬ 
trakturen an den unteren Extremitäten entstanden, die ganz verschieden von¬ 
einander sind und besonders durch ihre merkwürdige Kombination auffallen, 
könnten nach des Verfassers Ansicht vielleicht zuerst den Anschein erwecken, 
Beweisstücke für die antagonistische Theorie zu sein, sind es aber in der Tat 
nicht, sondern sind vielmehr neue Beweisstücke für die mechanische, für die 
Volkinannsche Theorie, was nun Reiche in der Arbeit zu beweisen sucht, 
auf deren Einzelheiten ich mich natürlich nicht näher einlassen kann. Ver¬ 
fasser kommt dann noch auf einige Fälle zu sprechen, welche eine gewisse 
Aehnlichkeit mit den seinigen haben, und die von den Anhängern der ant¬ 
agonistischmechanischen Theorie angeführt sind, um ihre Ansichten zu be¬ 
weisen, und sucht deren Ansicht zu widerlegen. Seine beiden Fälle haben ihn 
zu der Ueberzeugung gebracht, daß das wichtigste Moment für die Entstehung 
paralytischer Kontrakturen und Deformitäten ist: 1. die eigene Schwere des 
gelähmten Gliedes und 2. die abnorme Belastung bei seiner Benutzung. Ver¬ 
fasser gibt zu, daß es einige Fälle gibt, bei denen der Muskelzug der Ant¬ 
agonisten wohl doch eine wichtigere Rolle spielt, namentlich dann, wenn Eigen¬ 
schwere oder abnorme Belastung einmal den Anstoß gegeben haben. Die 
mechanischen Momente spielen aber in allen Fällen die Hauptrolle und sind 
das Primäre. Am Schluß dieser lesenswerten und interessanten Arbeit geht 
dann Reiche noch mit kurzen Worten auf die Behandlung derartiger Kon¬ 
trakturen ein; er hält die Prophylaxe für die wirksamste Therapie bei para¬ 
lytischen Deformitäten. B1 e n c k e - Magdeburg. 

Helferich, Elephantiasis des linken Beines. Med. Gesellsch. in Kiel, 4. März 
1905. Münchener med. Wochenschr. 1905, Nr. 29. 

Demonstration von 2 Fällen von Elephantiasis der unteren Extremitäten, 
bei denen nach vorhergegangener Massagekur lange und breite Hautfascien- 
atreifen am Fußrücken, Unterschenkel und am Oberschenkel exstirpiert wurden. 
Das Resultat war in beiden Fällen befriedigend. Helferich hat dieses Ver¬ 
fahren schon im Jahre 1888 empfohlen. B 1 e n c k e - Magdeburg. 

Otto, Ueber eine komplette Spontanluxation des Kniegelenks nach hinten. Diss. 
Leipzig 1905. 

Es handelte sich um eine 63jährige Frau, bei der das linke Bein gegen 
das rechte um reichlich 5 cm verkürzt war. Der linke Unterschenkel war 
Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XV. Bd. 13 


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Referate. 


stark nach hinten luxiert. Die Patella lag der Gelenkfläche des Femur fest auf, 
die Gelenkflächen der Kondylen ließen sich vollkommen abtasten. Hinten be¬ 
fand sich eine Vorwölbung, bewirkt durch die oberen Enden der Unterschenkel¬ 
knochen. Die Gelenkfläche der Tibia ist deutlich abzutasten. Aktive Be¬ 
wegungen im Kniegelenk sind absolut unmöglich, passive äußerst schmerzhaft. 
Das Bein wurde amputiert. Patientin starb. Die Sektion ergab, daß es sich 
um eine typische Tuberkulose der Gelenkkapsel handelte ohne tuberkulöse 
Knochenherde und daß die bestehende Luxation durch drei Faktoren bedingt war: 
durch die erhebliche Ausdehnung der erkrankten Gelenkkapsel mit Erschlaffung 
der Ligamenta lateralia, durch die Zerstörung der Ligamenta cruciata und durch 
das Fehlen der Menisken, die unzweifelhaft durch den tuberkulösen Prozeß zer¬ 
stört waren. Der Vorgang der Luxation wird nach Ottos Ansicht ein ganz 
anderer gewesen sein, als er von Sonnenburg und König als Norm hingestellt 
wird. Die Patientin hat auf dem Röcken im Bett gelegen. Durch die große 
Ausdehnung der Kapsel und die Erschlaffung der Seitenbänder, ferner durch 
den aufgehobenen Kontakt der Gelenkenden durch das Fehlen der Menisken 
fiel der Tibiakopf vermöge seiner Schwere nach hinten; durch die Flexoren 
wurde er dann noch ein Stück auf der Rückseite des Femur in die Höhe gezogen. 
Verfasser rechnet den Fall unter die Distensionsluxationen, die ohne wesentliche 
Veränderungen der Knochenformen entstehen. Die anderen Erscheinungen, die 
bei derartigen Luxationen zur Beobachtung kommen, die Rotation der Tibia 
nach außen, der nach außen offene Winkel zwischen Tibia und Femur und die 
Knickung der Tibia in der Epiphysenlinie fehlen vollkommen. Der Grund für 
diese so atypische Luxation — Verfasser konnte keinen derartigen Fall in der 
Literatur finden — kann nur darin gesucht werden, daß der ganze Prozeß 
verhältnismäßig sehr schnell vor sich gegangen ist, vor allen Dingen, daß die 
große Ausdehnung der Kapsel sehr bald zu stände gekommen ist. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Mouchet, Genu recurvatum congenital. Archives de Mädicine des Enfants 
1905, Nr. 7. 

Bei dem Fall, den Mouchet seiner Arbeit zu Grunde gelegt hat, be¬ 
stand neben dem angeborenen Genu recurvatum auch noch eine angeborene 
Hüftluxation und ein angeborener Pes valgus. Er beschäftigt sich aber nur 
mit der ersten Deformität und gibt eine ausführliche Beschreibung des Falles. 
Die Kniescheibe hatte jeglichen Kontakt mit der Trochlea des Oberschenkels 
verloren und an ihre Stelle war die Gelenkfläche der Tibia getreten; es han¬ 
delte sich also um eine Luxation der Tibia auf das Femur. Angeborenes Genu 
recurvatum und Subluxation der Tibia nach vom auf den Oberschenkel sind 
nach des Verfassers Ansicht identisch, jenes bezeichnet mit die falsche Stellung 
und diese das anatomische Substrat. An der Hand des Falles geht dann Ver¬ 
fasser noch des näheren auf die Einzelheiten dieser Deformität ein unter Be¬ 
rücksichtigung der diesbezüglichen Literatur. Biencke-Magdeburg. 

Blencke, Spitzwinklige Kniegelenkskontraktur nach Tuberkulose. Med. Ge¬ 
sellschaft zu Magdeburg 6. April 1905. Münch, med. Wochenschr. 1905, Nr. 35. 

Der Fall ist ein neuer Beweis dafür, daß man ja recht vorsichtig bei 
der Streckung derartiger Kontrakturen sein soll. Es bestand neben der spitz- 


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Referate. 


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winkligen Flexionskontraktur eine starke Subluxationsstellung der Tibia nach 
hinten und als nun von anderer Seite das Redressement vorgenommen werden 
sollte, brach der Oberschenkel. Die Streckung der Kontraktur gelang später 
leicht innerhalb 10 Tagen mit Hilfe des bekannten Schienenhülsenapparates, 
der gerade bei derartigen Fällen geradezu Vortreffliches leistet. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Katzenstein, Ueber den Fascienapparat an der Vorderseite des Kniege¬ 
lenkes und seine praktische Bedeutung. Diss. Göttingen 1905. 

Im ersten Teil seiner Arbeit, dem anatomischen Teil, beschäftigt sich 
Verfasser eingehend mit den anatomischen Verhältnissen de9 Kniegelenks und 
in der Hauptsache mit dem Fascienapparat an der Vorderseite desselben. 
Näher auf die Einzelheiten einzugehen, würde mich zu weit führen, sie müssen 
schon im Original nachgelesen werden. Im zweiten Teil, dem praktischen Teil 
der Arbeit, bespricht Katzenstein zunächst einige Einzelheiten über die 
physiologische Wertigkeit des beschriebenen Fascienapparates und erörtert im 
Anschluß hieran kurz seine Bedeutung für gewisse pathologische Zustände, so 
z. B. für die sogen, habituelle Luxation der Patella, für die Patellafraktur, für 
das Genu recurvatum, für den Mangel der Kniescheibe u. a. m. 

B1 en ck e-Magdeburg. 

Turner, Zur Technik der Kniegelenkarthrodesen. (Aus der orthopädischen 
Klinik der kaiserlichen militärmediz. Akademie zu St. Petersburg.) Zen- 
tralbl. f. Chirurgie 1905, Nr. 24. 

Turner macht den bogenförmigen Schnitt der Weichteile nach Textor 
unter möglichster Schonung der Seitenbänder. Zur Entfernung des Knorpel¬ 
überzuges verwendet er ein Instrument, das einem „automatischen Rasiermesser“ 
ähnlich ist (Abbildung im Text), eines mit einem nach außen, das andere mit 
einem nach innen konvexen Messer. Die Patella wird vom Knorpel befreit, 
der angefrischten Oberfläche von Femur und Tibia angepaßt und hier mit Naht 
befestigt. Fixation im Gipsverband, in dem nach 3 Wochen die Konsolidation 
ausgesprochen ist. Dann Beginn der Gehversuche. Turner hat das Ver¬ 
fahren an 15 Fällen mit gutem Erfolge erprobt. N as t-K o lb - Berlin. 

Deutschländer, Zur operativen Behandlung des Genu recurvatum. Zentralbl. 
f. Chirurgie 1905, Nr. 36. 

Veranlaßt durch die wenig befriedigenden Erfolge orthopädischer Ma߬ 
nahmen bei Genu recurvatum, hat Deutschländer ein einfaches Operations- 
Verfahren angewandt, das im wesentlichen in einer superkondylären, schräg 
von vorn oben nach hinten unten gerichteten Osteotomie besteht und ihm in 
einem Falle ein sehr gutes Resultat gegeben hat. Die Krankengeschichte mit 
den Einzelheiten der Operation sowie die ausführliche anatomisch-mechanische 
Begründung des Verfahrens müssen im Original nachgelesen werden. 

Nast-Kolb - Berlin. 

Oehlecker, Resultate blutiger und unblutiger Behandlung von Patellafrakturen. 
Archiv f. klin. Chirurgie Bd. 77, Heft 3. 

Verfasser hat die von Körte im Verlauf der letzten 15 Jahre behandelten 
Falle von Patellafrakturen zusammengestellt und nachuntersucht. Es handelte 
sich um 46 direkte Frakturen und um 24 indirekte. 24 wurden unblutig be- 


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Referate. 


handelt, 11 mit subkutaner Naht und 35 mit offener. Die im Anhang kurz 
wiedergegebenen Krankengeschichten bringen nur die zur Beurteilung wichtig¬ 
sten Momente. Für die vergleichende Beurteilung der erzielten Funktion wurde 
das Treppensteigen gewählt. Als gute Resultate wurden diejenigen be¬ 
zeichnet, die die Treppe sicher ab- und aufwärts gehen konnten, ohne sich an¬ 
zufassen und ohne einen Fuß nachzuschleppen. Die unblutige Behandlung nahm 
im Durchschnitt 48 Tage in Anspruch. Bei 22 Nachuntersuchungen war das 
Resultat 13mal gut; 9 erlernten freies Treppensteigen nicht wieder; bei 5 trat 
eine Refraktur ein, bei 2 zogen sich die Bruchstücke mit der Zeit immer weiter 
auseinander. Bei der subkutanen Naht dauerte die Behandlung durchschnittlich 
58 Tage. Die Erfolge waren durchweg mäßig, abgesehen von 2 Fällen, bei 
denen die perkutane Naht nach Heusner mit sehr gutem Erfolge ausgeführt 
wurde. Von den 25 mit offener Naht behandelten Patienten wurden 23 nach¬ 
untersucht. Die Behandlung dauerte durchschnittlich 46 Tage. Alle lernten 
freies, sicheres Treppensteigen. Die offene Naht lieferte ein doppelt so gutes 
Resultat als die Behandlung mit Massage etc. Verfasser rät deshalb, das un¬ 
blutige Verfahren nur bei den Fällen anzuwenden, bei denen nur eine geringe 
Diastase vorhanden ist und bei denen der Reservestreckapparat, die seitliche 
Fascie nicht mitzerrissen ist. Ble n cke-Magdeburg. 

Wittek, Zur operativen Therapie der seitlichen Kniegelenkverkrümmungen. 
Beitr. z. klin. Chirurgie 1905, Bd. 46. 

Verfasser erörtert die Vor- und Nachteile der unblutigen Operations¬ 
methoden, speziell der Epiphyseolyse bei seitlichen Kniegelenkverkrümmungen 
und kommt zu dem Schluß, daß dieselbe zu verwerfen sei wegen der Gefahr 
der eventuell auftretenden Wachstumsstörungen. Wittek beschreibt dann das 
Operationsverfahren, das an der Grazer chirurgischen Klinik geübt wird: Schiefe, 
lineare, suprakondyläre Osteotomie des Femur mit nachfolgendem Extensions¬ 
verband nach Bardenheuer mit Zug in der Längsrichtung und Seitenzug. Der 
Extensionsverband liegt 3—4 Wochen, dann bekommen die Patienten einen 
Gipsgehverband mit Scharnieren am Knie. Die Heilung ist meist in der 8. bis 
10. Woche vollendet. Das Resultat soll in jeder Beziehung tadellos sein. Sitzt 
die Hauptkrümmung im Unterschenkel, so kann man in analoger Weise an der 
Tibia operieren, wobei die Fibula meist intakt bleiben kann. Wette - Berlin. 

Mosetig-Moorhof, Ueber Radikaloperationen bei tuberkulöser Coxitis. Wiener 
klin. Wochenschr. 1905, Nr. 20. 

Mosetig will durch die Art der Schnittführung auch am Hüftgelenke 
möglichste Zugänglichkeit schaffen. Es wird zu diesem Zwecke bei Seitenlage¬ 
rung des Patienten ohne Rücksichtnahme auf etwaige Fistelöffnungen in der 
Haut ein breiter zungenförmiger Lappen Umschnitten mit oberer Basis, dessen 
untere schmälere Rundung etwa zollbreit unterhalb der Spitze des großen 
Rollhügels zieht, während die etwas divergierenden Schenkel parallel mit der 
Faserung des großen Gesäßmuskels verlaufen, so daß bei der Vertiefung des 
Schnittes die Muskelfasern tunlichst geschont bleiben. Der große Rollhügel 
wird hierauf schräg nach oben innen abgesägt und samt der Insertion der 
Gesäßmuskeln nach aufwärts umgeklappt, wodurch das Hüftgelenk in bequemster 
Weise zugänglich gemacht wird. 


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Referate. 


197 


Kommt man nun auf kalte Abszesse, so wird deren Inhalt durch Abspülen 
mit l°;oiger Formalinlösung entfernt, die Abszeßwandungen durch Abwischen 
mit trockenen sterilen Tupfern gereinigt, sodann die Kapsel der Quere nach 
gespalten und der Kopf taxiert. Ist der Kopf mit dem Becken verwachsen, 
so wird er am Hals vom Femur abgetrennt. Nach Entfernung des Knorpel¬ 
überzuges des luxierten Kopfes wird die Ausräumung etwaiger Herde mit nach¬ 
folgender Plombierung mit Jodoform, bei ausgedehnterer Zerstörung der Hals 
in toto abgetragen. Sind Hals und Kopf schon konsumiert, so wird der Hals¬ 
stumpf von etwaigen Herden gereinigt und plombiert. Hierauf folgt die sorg¬ 
fältige Ausschneidung der Gesamtkapsel samt dem Limbus cartilagineus 
mittels Hakenpinzette und scharfer Schere; die queren Beckenmuskeln sollen 
nicht durchschnitten werden. Ist die Kapselexstirpation beendigt, so wird 
jetzt der etwa zurückgelassene pseudoankylotisch verwachsene Kopf entfernt 
und das Acetabulum sorgfältig ausgeräumt. 

Nach Ausspülung des ganzen Operationsgebietes mit Formalinlösung und 
sorgfältiger Trocknung wird das Cavum des Acetabulums mit Jodoformplomben 
ausgegossen und in die langsam erstarrende Masse das Femurende eingepflanzt. 
Fehlen Kopf und Hals, so wird die präparierte Pfanne mit Jodoforraplombe 
vollgegossen und nach Zurückklappen des muskulokutanen Lappens und Wieder- 
annähen der resezierten Trochanterspitze der Verband in Parallelstellung der 
Beine angelegt. Es erfolgt Bildung einer strammen Pseudarthrose bei geringer 
Verkürzung; es bleibt eine proximale Verschiebung aus, da die erhaltene quere 
Beckenmuskulatur die Rolle von Fixatoren übernimmt. 

Durch die Pseudarthrose wird das Gehen und Stehen nicht beeinträchtigt 
und auch das Sitzen wesentlich erleichtert, indem die Patienten hiezu das 
ganze Gesäß verwenden können. Moseti g empfiehlt dieses Verfahren besonders 
für die Fälle, bei denen die totale Entfernung des Kopfes notwendig war. An 
vier Patienten zeigt er die Resultate seiner Operationsmethode. H a u d e k-Wien. 

Dr. Anton R. v. Rüdiger Rydygier, Beitrag zur operativen Behandlung 
der habituellen Luxation der Kniescheibe nach Ali Krogius. Wiener klin. 
Wochenschr. 1905, Nr. 24. 

Rydygier berichtet über einen nach dieser Methode operierten Fall. 
Es handelte sich um eine habituelle Luxation infolge einer zwei Jahre vorher 
erlittenen Kontusion des Knies, bei welcher eine Verrenkung der Patella erfolgt 
sein soll. Bei Beugung des Knies rutscht die Patella nach außen, hierbei er¬ 
scheint der Condylus internus stärker entwickelt, wodurch eine auch bei gestrecktem 
Knie bestehende leichte Verschiebung der Patella nach außen erklärt erscheint. 

Die Operation wird nach der Vorschrift von Ali Krogius ausgeführt; 
das Bein konnte im Laufe der Nachbehandlung immer besser benützt werden. 
Nur beim starken Beugen des Kniegelenkes zeigte sich eine Andeutung des 
früheren Leidens, ohne daß es zu einer Wiederholung der Luxation kam. Den 
Grund hiefür sieht Rydygier in dem zu schmalen Zuschneiden des inneren 
brückenförmigen Lappens, der dann in den äußeren Schnitt hineintransplantiert 
wird und die Verschiebung der Kniescheibe nach innen besorgen soll. Rydygier 
gibt daher den Rat, den inneren Lappen lieber reichlich breit zuzuschneiden. 

Haudek-Wien. 


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Referate. 


J. Fels, Ein Fall von Gonitis luetica. Wiener med. Presse 1904, Nr. 49. 

Verfasser bespricht an der Hand eines einschlägigen Falles die ver¬ 
schiedenen Arten der luetischen Gelenkentzündung. Neben den Formen infolge 
erworbener Syphilis sind die Entzündungen bei hereditärer Lues von besonderem 
Interesse und auch weniger bekannt. Dieselben betreffen am häufigsten Kinder 
zwischen dem 6.—10. Lebensjahre, wo keine manifesten Zeichen von Lues mehr 
bestehen, können aber auch noch später zur Beobachtung kommen. 

In dem Falle von Fels handelte es sich um einen 29jährigen Mann, 
der angeblich immer gesund gewesen war, und seit dem 20. Lebensjahre die 
Entstehung einer sich immer weiter ausdehnenden Schwellung des Knies be¬ 
merkte, die erst schmerzlos war und nach 4 Jahren sich auch auf die Wade 
ausdehnte. Die fluktuierenden Geschwülste wurden als tuberkulöse Abszesse 
angesehen, Punktion des Kniegelenkes, sowie jede Behandlung war erfolglos 
gewesen. Seit einem Jahre an der Wade eine Fistel, aus der sich eine eitrige, 
grüngelbliche Flecken enthaltende Flüssigkeit entleert. Die Fistelöffnung besitzt 
violette, unterminierte, ausgefranste Ränder. Bei der Untersuchung machte der 
Prozeß den Eindruck eines tuberkulösen Prozesses mit Senkungsabszeß der 
Wade und tuberkulöser Fistel. Der Patient sollte sich schon einer Operation 
unterziehen, als Prof. Ziembicki mit Rücksicht auf die geringen Verdickungen 
der Tibia den Verdacht aussprach, es könne sich um vereiterte Gummen handeln. 
Eine eingeleitete Schmierkur führte zu vollkommener Heilung. 

Auf eingehendes Befragen des Vaters konnte erhoben werden, daß die 
Mutter des Patienten vor vielen Jahren an einem schweren Knochenleiden ge¬ 
litten habe, das auf Einreibung mit einer Salbe, die Schwellung im Munde und 
Speichelfluß verursacht hatte, geheilt sei. Wahrscheinlich handelte es sich hier 
um eine Gonitis im Gefolge von Lues hereditaria tarda oder eine spätere 
Infektion des Kindes durch die Eltern. 

In Fällen von chronischer Entzündung der Gelenke, besonders des 
Kniegelenks, soll man ätiologisch immer an Lues hereditaria denken, die nicht 
nur bei Kindern, sondern auch noch bei jugendlichen Erwachsenen bis zum 
30. Jahre Vorkommen kann. In zweifelhaften Fällen und wo die gewöhnliche 
Behandlung ohne Erfolg bleibt, soll eine Quecksilberkur versucht werden. 

Haud ek-Wien. 

R. Stegmann, Zur operativen Behandlung des fungösen Kniegelenks. Wiener 
med. Wochenschr. 1905, Nr. 15. 

Verfasser berichtet über ein von Gersuny (Rudolfinerhaus in Wien) seit 
längeren Jahren geübtes Operationsverfahren. Volkmannscher Querschnitt 
durch die Patella, deren Spongiosa in jedem, auch nicht suspekten Falle ex* 
cochleiert wird. Von den Enden des Querschnitts werden nach oben zwei Längs¬ 
schnitte hinzugefügt, so daß ein U-förmiger Schnitt entsteht. Obere Hälfte 
der Patella, Quadrizepssehne und Haut werden nach oben präpariert, der obere 
Recessus in toto ausgeschält. Durchtrennung der Seitenbänder, Lig. cruciata, 
Entfernung der hinteren Kapselwand. Hierauf wird am Femur in der Inser* 
tionsstelle der Lig. cruciata eingegangen und eventuell noch nach seitlicher 
Anbohrung die erkrankte Spongiosa der Kondylen mittels scharfen Löffels bis 
hoch in die Markhöhle des Femur excochleiert, so daß im unteren Drittel des 
Oberschenkels die ganze Spongiosa entfernt ist und nur die Corticalis und die 


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Referate. 


199 


Kontaktflächen der Kondylen Zurückbleiben und die Form und Länge des 
Femur wahren. 

In gleicher Weise wird die Tibia, eventuell auch die Fibula nach Ent¬ 
fernung des Enorpelüberzuges von oben her in ausgedehnter Weise excochleiert; 
die Kondylenreste des Oberschenkels werden in diese Höhle eingesetzt. Durch 
eine unterhalb der Tuberositastibiae angebohrte Oeffnungwird die Höhle drainiert. 
Die Wundflächen werden mit indifferenten Lösungen abgespült und mit Jodo¬ 
formglyzerin übergossen. Naht der Patella mittels Nähten, die durch Sehnen¬ 
überzug und Periost der Patella gelegt werden; Hautnaht. Auf eine Jodoform¬ 
plombierung wird verzichtet. Vor der Operation Anfertigung von Radiogrammen, 
die die Struktur deutlich erkennen lassen müssen. 

Die Operation gewährt eine Reihe von Vorteilen. Sie ermöglicht noch 
die Umgehung der Amputation in schweren Fällen, vermeidet durch Erhaltung 
der Corticalis und der Gelenkflächen des Femur, sowie durch teilweise Schonung 
der Epiphysenlinien die Entstehung einer größeren Verkürzung. 

Auch die Nachbehandlung und Verbandanlegung weicht von der sonst 
üblichen ab. Die Kondylen des Femur werden in die Höhle der Tibia eingesetzt 
und in dieser Stellung nach Umwicklung mit Zellstoffwatte und Binde ein 
Holzspanstärkebindenverband über die ganze Extremität und den unteren Teil 
des Rumpfes angelegt, der durch eine Holzschiene an der Außenseite ge¬ 
stützt wird. 

Der Verband, der sehr leicht ist und einen leichten Wechsel gestattet, 
soll das Gelenk nicht völlig entlasten. Die leichten Erschütterungen beim Ge¬ 
brauche des Beines — die Patienten sollen sehr bald auf die Beine gebracht 
werden —, die durch den Verband und durch das als Stütze dienende Geh¬ 
bänkchen gemildert werden, bieten einen wertvollen Reiz für die Knochen¬ 
neubildung und raschere Entstehung der Ankylose. 

Der erste Verband bleibt möglichst lange liegen. Der Verbandwechsel 
erfolgt durch Fenster im Verband. Nach 4—6 Tagen sollen die Patienten auf¬ 
stehen, nach 4—6 Wochen kann der Verband durch einen Gehapparat ersetzt 
werden. Erwachsene müssen den Stützapparat 1 Jahr, jüngere Individuen bis 
zum 21. Lebensjahr tragen; dadurch wird eine Verkürzung des Beines sicher 
vermieden. 

Die Gersunysche Behandlungsweise hat also den Vorteil, daß trotz 
weitestgehender Entfernung des Erkrankten die Operation doch konservativ 
ist, insofern sie die Kondylen und Epiphysen möglichst schont, dadurch die 
Verkürzung, die während der Operation eintritt, wesentlich vermindert und eine 
Wacbstum8störung der Extremität in jugendlichem Alter verhindert. Auch die 
Nachbehandlung gestaltet sich für die Patienten angenehmer. 

Zum Schlüsse folgen vier Krankengeschichten mit dem Befund der zur 
Kontrolle angefertigten Röntgenbilder. H a u d e k - Wien. 

v. Les8er, Ueber eine seltene Erkrankung am Knie. Med. Gesellschaft zu 
Leipzig, 24. Oktober 1905. Münch, med. Wochenschr. 1905, Nr. 48. 

An der Hand eines Falles bespricht v. Lesser den typischen Symptomen- 
komplex der Einreißung bezw. Abknickung des von der genualen Tibiaepiphyse 
nacli abwärts herabsteigenden schnabelförmigen Fortsatzes, aus dem die Tube- 


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Referate. 


rositas tibiae entsteht. Die Affektion war doppelseitig, v. Lese er rät, in den 
leichteren Fällen sich abwartend zu verhalten, da nach vollendeter Ossifikation 
die Beschwerden etc. von selbst schwinden, in schwereren Fällen empfiehlt sich 
eventuell zur Beschleunigung der Ossifikation an der Tuberositas tibiae das Ein- 
treiben eines Nagels oder Elfenbeinstiftes. Die in Frage kommende Affektion 
ist bisher nur bei Knaben von etwa 14 Jahren beobachtet worden. Nach 
v. Lessers Ansicht scheinen angeerbte und angestammte Eigentümlichkeiten 
sich hierbei geltend zu machen, wie dieselben beim Plattfuß und für die Varicen- 
bildung nachgewiesen sind, und wie dieselben auch für die Verbreitung der 
Rhachitis in auffälliger Weise in Frage kommen. B1 e n c k e - Magdeburg. 

Fr. Roskoschny, Ein Fall von angeborener, vererbter Verbildung beider 
Knie- und Ellbogengelenke. Deutsche Zeitschr. f. Chirurgie, März 1905. 

Roskoschny beschreibt einen Fall von angeborenem Genu valgum bei 
Vater und Sohn, hervorgerufen durch Keilwirkung eines vollkommen isolierten, 
mit Femur und Tibia breit artikulierenden Condylus internus von mächtiger 
Größe. Gleichzeitig besaßen Vater und Sohn an beiden Ellbogengelenken an¬ 
geborene Luxationen des Radiusköpfchens. Roskoschny nimmt an, daß dieser 
im Knie liegende isolierte Condylus medialis ätiologisch in seiner Anlage dem 
Condylu9 medialis femoris entspräche und zwar führt er ihn auf als eine 
Spaltung von embryonaler Anlage. Die Luxation des Knochens erklärt Ros¬ 
koschny mit einer Wachstumsstörung, Verkürzung resp. Verlängerung von 
Radius und Ulna. Vüllers-Berlin. 

Gaugele, Ueber entzündliche Fettgeschwülste am Knie- und Fußgelenke. 
Münch, med. Wochenschr. 1905, Nr. 30. 

Mit Bezugnahme auf die Hoffaschen und Bechersehen Arbeiten über 
entzündliche Fettgewebsbildungen im Kniegelenk berichtet Verfasser kurz über 
vier derartige Fälle, die sich an leichte Traumen angeschlossen hatten und in der 
Köhlerschen Chirurg.-orth. Privatklinik operiert wurden. Bei dreien war das 
Resultat ein sehr gutes, bei dem vierten mußte infolge auftretender schwerer 
Psychose die Behandlung unterbrochen werden, so daß leider eine teilweise Ver¬ 
steifung des Kniegelenkes zu stände kam. Der Verlauf dieser Fälle zeigte eine 
völlige Uebereinstimmung mit den Hof faschen Angaben. Des weiteren be¬ 
richtet Verfasser über zwei operierte Fälle von entzündlicher Wucherung des 
Fettgewebes am Fußgelenk bei Patienten mit Plattfußbeschwerden. Es zeigte 
sich bei denselben eine Anschwellung unter dem äußeren Knöchel, die nach des 
Verfassers noch an mehreren Fällen gemachten Erfahrungen bald diffus, bald 
umschrieben sein kann. Gaugele ist der Ansicht, daß es sich bei den Patienten 
mit Plattfußbeschwerden, deren Schmerzen selbst durch eine gute Plattfu߬ 
einlage nicht völlig behoben werden konnten, um derartige Erkrankungen 
handeln dürfe, und daß man deshalb auch diesen Patienten durch eine Opera¬ 
tion vollständige Heilung verschaffen könnte. B1 e n c k e - Magdeburg. 

Wittek, Erklärungsversuch der Entstehung der supramalleolären Längsfraktur 
der Fibula. Beiträge zur klin. Chirurgie Bd. XLVI, Heft 2. 

Wittek konnte feststellen, daß die Fibula an ihrer Hinterseite durch 
ihren Bau tatsächlich viel schwächer ist als an ihrer vorderen, und daß dies 


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Referate. 


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Ungleicheein an einer Stelle am stärksten ist, die ungefähr 4—5 Querfinger 
über der Spitze des Malleolus externus liegt. Diese Verhältnisse hält er für 
die Ursache, daß Gewalteinwirkungen, die die Fibula in ihrem unteren Teile 
treffen, die bekannte typische längsverlaufende Fraktur oder Fissur erzeugen. 
Vielleicht kommt auch nach des Verfassers Ansicht noch das Freisein von 
Muskelansätzen im unteren äußeren und hinteren Teile der Fibula dem Zu¬ 
standekommen der Fraktur an dieser Stelle ebenfalls zu gute; sie hat gegen 
Gewalteinwirkungen von außen keinen Gegenhalt durch kontraktile Substanz, 
sondern nur jenen, der sie mit Bandmassen an der Tibia hält. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Sonntag, Unterschenkelbrüche mit Bezug auf das Unfallversicherungsgesetz. 
Dissertation. Bonn 1905. 

Die über 100 Seiten starke Dissertation bringt des Interessanten genug. 
Es ist aber nicht möglich, auf alle Einzelheiten näher einzugehen, sie müssen 
schon im Original, dessen Studium wir nur empfehlen können, eingesehen 
werden. Erwähnen möchte ich nur den besonders für den Orthopäden wichtigen 
Abschnitt VIII, in dem die deforme Heilung, besonders die traumatische. Platt¬ 
fußbildung, die Gelenkaffektionen, einige üble Zufälle der Frakturen und der 
Zustand des gebrochenen Gliedes eingehend besprochen werden. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Wiesinger, Kongenitaler Defekt der Fibula. Aerztl. Verein in Hamburg. 
Sitzung vom 27. Juni 1905. Münch, med. Wochenschr. 1905, Nr. 27. 

Es handelte sich um einen 12jährigen Knaben mit ausgedehntem kon¬ 
genitalen Defekt der Fibula, der den Unterschenkel gebrochen hatte. Nach 
1 Jahr war trotz stetiger Schienenbehandlung noch keine Konsolidation ein¬ 
getreten. Wiesinger überpflanzte einen gestielten Periostknochenlappen 
von der Tibia der anderen Seite auf die gebrochene Tibia und erzielte dadurch 
ein ausgezeichnetes Resultat. Auf den Röntgenbildem zeigte es sich deutlich, 
daß Callu8bildung allein von dem transplantierten Knochen der gesunden Seite 
ausging. B1 e n c k e - Magdeburg. 

Hof mann, Die Stellung des Fußes bei fungöser Erkrankung des unteren 
Sprunggelenkes. 77. Vers, deutscher Naturforscher und Aerzte zu Meran. 
24.—30. September 1905. 

Hofmann fand bei Pronations- und Abduktionsstellungen des Fußes 
vorwiegend das Talonavikulargelenk erkrankt, bei Supinations- und Adduktions¬ 
stellungen dagegen das Gelenk zwischen Talus und Calcaneus. H o f m a n n 
injizierte erstarrende Massen in die betreffenden Gelenke und konnte sich so 
überzeugen, daß die erwähnten Stellungen den die Kapsel am meisten ent¬ 
spannenden Mittelstellungen dieser Gelenke entsprechen. Weitere Schlüsse über 
den Sitz der Erkrankung läßt dann auch noch die Form der Schwellung zu, 
auf die Hof mann des näheren eingeht. Bl encke- Magdeburg. 

Backe, Ein Beitrag zur konservativen Behandlung ausgedehnter Fußwurzel- 
karies. Dissertation. Leipzig 1905. 

Wenn Verfasser in der Ueberschrift der Arbeit von konservativer Be¬ 
handlung spricht, so will er darunter eine möglichste Schonung des gesunden 


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Referate. 


Knochens bei der Operation verstanden wissen. Er gibt, nach eingehender Be¬ 
schreibung aller typischen Operationen, die wegen Karies an den Unterschenkel- 
bezw. Fußwurzelknochen ausgeführt werden, zwei Krankengeschichten von 
Patienten wieder, bei denen im Evangelischen Diakonissen-Krankenhaus zu 
Elbing der Talus ganz und der Calcaneus in sehr ausgedehntem Maße entfernt 
wurden. In beiden Fällen wurde ein so gutes Resultat erzielt, daß sie nach 
des Verfassers Ansicht geeignet erscheinen, zu äußerst konservativem Verfahren 
bei Knochenkaries zu ermuntern. B lencke-Magdeburg-. 

Brüning, Die Resultate von Fußresektionen. Verein Freiburger Aerzte. Sitzung 
vom 22. Februar 1905. Münch, med. Wochenschr. 1905, Nr. 29. 

Jn der weitaus größten Mehrzahl der Fälle wurde wegen Tuberkulose 
reseziert. Bei Erkrankung im hinteren Abschnitt wurde nach Kocher operiert, 
bei Erkrankung der vorderen Mittelfüßknochen wurde die quere Fußresektion 
ausgeführt. An der Hand einer Reihe von projizierten Röntgenaufnahmen, die 
zum Teil 3—4 Jahre nach der Operation angefertigt wurden, zeigt Brüning 
die Ausführung der ausgedehnten Resektionen und die mit diesen erzielten 
guten Resultate. Ein Fall, in dem Talus und Calcaneus exstirpiert und nur 
eine dünne Schale von der Unterfläche des Calcaneus stehen gelassen wurde, 
dürfte besonders interessant sein, da sich im Laufe von 3 Jahren ein schöner 
knöcherner Fersenhöcker neu gebildet hatte. Blencke-Magdeburg. 

Hübener, Tuberkulose des Calcaneus und Talus. Gesellsch. f. Natur- u. Heil¬ 
kunde zu Dresden. 21. Januar 1905. Münch, med. Wochenschr. 1905, 
Nr. 33. 

Bei der 49jährigen Patientin wurde nach 2jähriger Dauer der ausge¬ 
dehnten Erkrankung die osteoplastische Fußgelenksresektion nach Wladimirow 
und Mikulicz mit ausgezeichnetem funktionellem Erfolg vorgenommen. Ohne 
Apparat kann sie stundenlange Spaziergänge machen. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Stich, Zur Anatomie und Klinik der Fußgelenkstuberkulose. Beitr. z. klin. 
Chirurgie Bd. XLV, Heft 3. 

Der sehr fleißigen Arbeit, deren Studium wir nur aufs angelegentlichste 
empfehlen können, liegen alle die Fälle von Fußgelenkstuberkulose zu Grunde, 
welche während der Jahre 1896—1903 in den Kliniken zu Rostock und Königsberg 
von Gar re klinisch beobachtet bezw. behandelt wurden. Auf die Einzelheiten 
der Arbeit näher einzugehen, würde den Rahmen eines kurzen Referates weit 
überschreiten. Kurz bezüglich der Therapie möchte ich erwähnen, daß Stich 
die Jodoformglyzerinbehandlung nur dann für geeignet hält, wenn man in der 
Lage ist, die Patienten häufiger zu kontrollieren, was wohl am exaktesten durch 
Anfertigung vergleichender Radiogramme geschieht, deren Wichtigkeit und 
Unentbehrlichkeit er für etwaige Eingriffe nicht genug hervorheben kann. Die 
Frage, wann Fußgelenkstuberkulosen eigentlich operiert werden sollen, beant¬ 
wortet er folgendermaßen: 

1. Wenn man einen nachgewiesenen Knochenherd entfernen kann, bevor 
er das Gelenk infiziert hat. 

2. Wenn bereits eine Gelenkerkrankung vorhanden ist, so kann man in 


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Referate. 


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frischen Fällen ohne Fisteln bei gutem Allgemeinbefinden und jugendlichem 
Alter des Patienten dann einen Versuch mit konservativen Methoden machen, 
wenn das Röntgenbild keine ausgedehnteren Knochenzerstörungen aufweist und 
nur ein Gelenk erkrankt ist. 

3. In allen anderen Fällen soll sofort operiert werden, sofern nicht Kontra¬ 
indikationen vorliegen. 

4. Macht das Leiden trotz konservativer Behandlung, die dauernd durch 

Röntgenbilder zu kontrollieren ist, in kurzer Zeit wesentliche Fortschritte, oder 
tritt nach längerer Zeit keine merkliche Besserung ein, so soll gleichfalls operiert 
werden. Blencke - Magdeburg. 

Helbing, Ueber den Metatarsus varus. Deutsche med. Wochenschr. 1905, 
Nr. 33. 

Verfasser beschreibt das klinische Bild und die Genese des Metatarsus 
varus. Derselbe kann angeboren oder erworben sein. Die letztere Form ist 
weit häufiger und entsteht 1. kompensatorisch bei Genu valgum und rhacbiti- 
schen Deformitäten mit nach außen offenem Knickungswinkel; er verschwindet 
hier meist nach Beseitigung der ursprünglichen Deformität; 2. traumatisch nach 
Frakturen des Metatarsus; 3. arthrogen nach entzündlichen oder chronischen 
Gelenkprozessen im I. Tarsometatarsalgelenk. Häufig tritt dabei eine Flexion 
und Varusstellung der großen Zehe ein. 

Die angeborene Form ist sehr selten. Verfasser hat 4 Fälle beobachtet. 

Die Therapie besteht in der Redression eventuell mit Tenotomie. 

W ette- Berlin. 

Joachimsthal und Cassierer, Ueber amniotische Furchen und Klumpfuß 
nebst Bemerkungen über Schädigungen peripherer Nerven durch intrauterin 
entstandene Schnürfurchen. Deutsche med. Wochenschr. 1905, Nr. 31. 

Demonstration (in der Freien Vereinigung der Chirurgen Berlins) von 
2 Fällen von Klumpfuß mit amniotischen Schnürfurchen am Unterschenkel. 
Der Klumpfuß ist mit großer Wahrscheinlichkeit auf amniotische Stränge zurück- 
zuf (ihren. 

Bei dem einen Patienten bestanden außerdem noch Schnürfurchen am 
rechten Zeigefinger und eine besonders tiefe am Oberarm. Durch letztere, 
wahrscheinlich durch Kompression, da sie gerade an der Umschlagstelle des 
N. radialis am Oberarm liegt, ist eine totale Radialislähmung erzeugt, die nur 
den Triceps freiläßt. Außerdem war an demselben Arm noch eine Lähmung 
im Handast des N. ulnaris vorhanden. Wette-Berlin. 

Hirsch, Kasuistischer Beitrag zur Aetiologie der angeborenen Fußverkrüm¬ 
mungen, speziell des Klumpfußes. Diss. München 1905. 

Verfasser gibt zunächst einen kurzen Ueberblick über die Statistik, Ana¬ 
tomie und Aetiologie der Fußverkrümmungen, speziell des Klumpfußes, und 
bespricht dann einen Fall, den er zu beobachten Gelegenheit hatte und der 
nach mancher Richtung hin sehr interessante Verhältnisse darbot. Einerseits 
ist er einer der wenigen Fälle von angeborenem Klumpfuß, die mit Spina bifida 
kombiniert sind, anderseits zeigt er das seltene Bild, daß die Beine des Kindes 
nicht im Kniegelenk gebeugt, sondern sogar zu beiderseitigem Genu recurvatum 


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Referate. 


überstreckt, im Hüftgelenk gebeugt und in dieser Stellung fixiert sind. Um 
dieses Bild zu erzeugen, gehört nach Hirschs Ansicht eine äußere Ursache, 
und als solche muß eine Raumbeengung im Uterus infolge mangelnden Frucht¬ 
wassers angesehen werden. Der innen liegende Fuß war in toto verkleinert: 
er war eben druckatrophisch. Vielleicht hat auch in diesem Falle das starke 
Schnüren mitgewirkt, den ohnehin schon großen Binnendruck im Uterus zu 
verstärken. In Bezug auf den Zusammenhang der Spina bifida mit dem Klump¬ 
fuß schließt sich Verfasser der Ansicht Volkmanns an. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Richter, Ein Beitrag zur Kenntnis der traumatischen Luxation des Fußes im 
Talokruralgelenk. Deutsche Zeitschr. für Chirurgie. April 1905. 

Richter stellt in seiner Arbeit 7 aus der Literatur gesammelte Fälle 
von Luxation des Fußes nach hinten mit einem von ihm selbst beobachteten 
Fall zusammen und spricht hauptsächlich über deren Entstehungsweise. Zum 
Zustandekommen einer derartigen Verrenkung ist entweder ein Sturz hintenüber 
mit Feststellung des Fußes oder ein ebensolcher Sturz mit untergeschlagenem 
Bein erforderlich. Eine zweite Möglichkeit dieser Verletzung ist bei einem 
Sturz nach vorn bei Hängenbleiben der Fußspitze, wobei der Fuß in starker 
Plantarflexion aufschlägt. Fraktur der Fibula besteht in der Mehrzahl der 
Fälle. Die Prognose ist im allgemeinen günstig bei rechtzeitig erfolgter Re¬ 
position. Vüllers-Berlin. 

Nobe, Zur Korrektur des kongenitalen Klumpfußes. (Aus der chirurgischen 
Abteilung des Herzog!. Krankenhauses zu Braunschweig.) Zentralbl. für 
Chirurgie 1905, Nr. 12. 

Um nach erfolgtem Redressement das Erreichte im Verband zu fixieren, 
empfiehlt Nobe den Sprengelsehen Handgriff, der darin besteht, daß man 
den modellierten Klumpfuß breit mit der Sohle auf den Tisch aufsetzt und 
den mobilen Unterschenkel gegen den fixierten Fuß als Hebel benützt. — Die 
von Sprengel angegebene Blechsohle hatte bisher den Nachteil, daß bei der 
Anlegung des Verbandes der Fuß selbstverständlich von der Tischplatte abge¬ 
hoben werden mußte. Dies sucht Nobe zu vermeiden dadurch, daß er die 
Blechplatte auf ein Stativ stellt, auf dem sie nur ganz lose und leicht abheb¬ 
bar ruht. Der Verband wird nun angelegt, indem der Fuß in die auf dem 
Stativ ruhende Blechsohle fest aufgesetzt wird. Nach Trockenwerden des Gipses 
läßt sich der Fußteil des Bänkchens leicht abheben, während die Blechsohle 
im Gipsverband bleibt. Einige instruktive Abbildungen erläutern die Einzel¬ 
heiten des Verfahrens. Nast-Kolb - Berlin. 

Muskat, Heftpflasterverbände zur Behandlung des statischen Plattfußes. 
Deutsche med. Wochenschr. 1905, Nr. 29. 

Muskat hat in unzählig vielen Fällen von Plattfuß recht gute Erfolge 
von Heftpflasterverbänden gesehen, die gerade für den Praktiker von großem 
Vorteil sind, da die Technik der Verbände eine überaus einfache ist. Von der 
Innenseite des Fußes, vom Dorsum anfangend, geht der erste Streifen über den 
Fußrücken um den Außenrand über die Fußsohle und am Innenrande des Fußes 
zur Innenseite des Unterschenkels bis hoch über die Wade hinauf. Der zweite 


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Referate. 


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Streifen wird neben dem ersten und diesen nur wenig deckend angelegt. Eine 
fast zirkuläre Tour wird nun zur Befestigung am Ende des Streifens um den 
Unterschenkel gelegt, eine zweite um die Mitte des Unterschenkels, eine dritte 
um die Gegend der Knöchel. Ueber den Verband wird eine Mullbinde ge¬ 
wickelt. Bl encke-Magdeburg. 

Klengel, Ein Beitrag zur Lehre vom normalen und pathologischen Fußsohlen¬ 
reflex. Diss. Leipzig 1901. 

In dem ersten Teil der Arbeit bringt Verfasser einiges über Hautreflexe 
im allgemeinen, bespricht dann im zweiten Teil den normalen Plantarreflex 
und kommt zum Schluß auf das Babinskische Phänomen zu sprechen. Er 
hat die hauptsächlichsten Untersuchungen über die Fußsohlenreflexe zusammen¬ 
gestellt, eigene hinzugefügt und ist auf Grund dieser zu folgenden Schlußsätzen 
gelangt: 1. Das Vorkommen des Babinskisehen Phänomens bei nervengesunden 
Individuen ist nicht sicher erwiesen. 2. Das Phänomen wurde nur beobachtet, 
wenn eine Affektion der Pyramidenbahnen vorlag. 3. Bei den sogenannten 
nicht organischen Nervenerkrankungen ist es nur unter Umständen beobachtet 
worden, wenn diese einer schweren organischen Ausschaltung der cerebralen 
Funktionen, also auch der der Pyramidenbahnen gleichkommen. 4) Die strikte 
Erklärung, warum das Phänomen gerade bei Affektionen der Pyramidenbahnen 
50 häufig auftritt und 'unter welchen Verhältnissen es dabei fehlt, ist noch 
keinem Autor gelungen. Blencke-Magdeburg. 

v. Lesser, Ueber das Schuhwerk. Medizinische Gesellschaft zu Leipzig, 24. Ok¬ 
tober 1905. Münchener med. Wochenschr. 1905, Nr. 48. 

v. Lesser sieht den Grund dafür, daß die Behandlung des Plattfußes 
seit den durch v. Meyer, Hueter, Volkmann u. a. eingeführten Grundsätzen 
nur unwesentliche Fortschritte gemacht hat, in dem Umstande, daß man für 
die sogenannte Abwicklung des Fußes sich mit den Anschauungen der älteren 
Physiologen begnügt hat, ohne den Tatsachen von der Torsion und der De- 
torsion des schreitenden Fußes Rechnung zu tragen. Lesser geht des näheren 
darauf ein, hebt sodann die Schädlichkeiten von seiten unzweckmäßigen Schuh¬ 
werks hervor und verlangt, die Anfertigung eines zweckmäßigen, gut passenden 
Stiefels nicht, wie solches auch jetzt meistens noch geschieht, dem Schuhmacher 
m überlassen. Durch rationelle, ärztlich überwachte Anfertigung des Schuh¬ 
werks wird sicherlich die Zahl und die Schwere der Plattfußbeschwerden und 
der Plattfußbildungen abnehmen. Die Hauptaufgabe des Schuhwerks ist und 
wird auch immer bleiben ein elastischer, schmerzloser und schöner Gang und 
nicht ein sogenannter eleganter, schön sitzender Stiefel. Lesser macht dann 
noch nähere Angaben, wie ein zweckmäßiger Schuh beschaffen sein muß. 

B1 e n c k e -Magdeburg. 

Richard Wolff, Ueber die Komminutivfrakturen der Handwurzel durch in¬ 
direkte Gewalt. Monatsschr. f. Unfallheilkunde und Invalidenwesen 1905, 
XII. Jahrg. Nr. 2. 

Durch indirekte Gewalt (Fall auf die dorsalflektierte Hand) entstehen 
Komminutivfrakturen, welche im wesentlichen die proximale Reihe der Hand¬ 
wurzelknochen betreffen, die Wolff durch den Namen des knöchernen Meniscus 


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206 


Referate. 


des Handgelenks zusammenfaßt. Während am häufigsten das Naviculare ge¬ 
brochen war, in den schwereren Fällen auch das Triquetrum, wurden von Ver¬ 
letzungen der distalen Knochenreihe der Handwurzel nur Abbrüche am Kopf des 
Capitatum beobachtet. Die Knochenverletzung ist von teilweise sehr ausgedehnten 
Band Zerreißungen begleitet . Als Behandlung empfiehlt W o 1 f f bei offenen Frak¬ 
turen die primäre Handgelenksresektion, bei subkutanen Frakturen ist eine feste 
Verheilung der losen Stücke zu erstreben und frühzeitig mit der Mobilisierung 
der Finger zu beginnen. Bei andauernden Schmerzen kommt die operative 
Entfernung der losen Stücke in Frage. Fränkel-Berlin. 

Liniger, Ein interessanter Fall von hysterischer Kontraktur des rechten Beines 
nach Unfall mit Heilung durch Autosuggestion. Monatsschr. f. Unfallheil¬ 
kunde und Invalidenwesen 1905, XII. Jahrg., Nr. 2. 

Bei einem 16jährigen, nervenschwachen Arbeiter war nach einem Unfall, 
der nur unbedeutende Quetschungen verursacht hatte, eine starke Klumpfu߬ 
stellung des rechten Fußes entstanden, die auf eine durch den Unfall bedingte 
Hysterie zurückgeführt werden mußte. Durch einen autosuggestiven Vorgang 
verschwand das Leiden vollkommen. Frankel-Berlin. 

Lissauer, Sekundäre Verbiegung des Unterschenkels nach Fraktur. Monats¬ 
schrift f. Unfallheilkunde und Invaliden wesen 1905, XII. Jahrg., Nr. 3. 

2’i* Jahre nach einem Unterschenkelbruch, der fest verheilt war, trat 
unter Schmerzhaftigkeit und zeitweiliger Verdickung an der Bruchstelle eine 
Ausbiegung des Unterschenkels nach hinten auf. Lissauer führt den Prozeß 
auf eine rarefizierende Ostitis (Kümmellsche Krankheit) zurück. 

Fränkel-Berlin. 

Bettmann, Ueber eine Absplitterung aus der Corticalis des rechten Fersen¬ 
beins. Monatsschr. f. Unfallheilkunde und Invalidenwesen 1905, XII. Jahrg., 
Nr. 3. 

Erst nach wiederholten Röntgenaufnahmen konnten bei einem Unfallver¬ 
letzten, der mit dem rechten Fuß nach außen umgeknickt war, die Schmerzen 
erklärt werden. Es handelte sich hier um eine Absprengung eines länglichen 
Knochensplitters aus der Kontinuität der Unterfläche des Fersenbeins direkt 
vor dem Tuber calcis, also nicht um die von Ehret beschriebene Absprengung 
des Tuber selbst. Diese Bruchform stellt einen reinen Kompressionsbruch dar. 

Durch operative Entfernung des Splitters wurde der Verletzte von seinen 
Beschwerden sofort befreit. Fränkel-Berlin. 


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XIV. 


'Aus der Königl. Universitäts-Poliklinik für orthopädische Chirurgie 

in Berlin.) 

Die infantile cerebrale Hemiplegie. 

Von 

Dr. James Fränkel, Assistenzarzt. 

Das meist „cerebrale Kinderlähmung“, richtiger „cerebrale 
Hemiplegie* oder nach Benedict und Marie „infantile spastische 
Hemiplegie* genannte Krankheitsbild hat von jeher Neurologen und 
Kinderärzte in hohem Maße interessiert. So eigenartig und scharf 
charakterisiert der Symptomenkomplex dieser Affektion erscheint, so 
mannigfaltig sind doch ihre Beziehungen zu anderen wichtigen Kapiteln 
der Neuropathologie, die, wie die cerebralen Diplegien, die spinale 
Kinderlähmung, die Apoplexie der Erwachsenen, den Vergleich nahe¬ 
legen. Unsere Kenntnisse über diese Krankheit sind noch in mancher 
Hinsicht recht lückenhaft, namentlich bezüglich der Aetiologie, 
und deshalb steht hier noch ein fruchtbares Feld der wissenschaft¬ 
lichen Forschung offen. 

Heute interessiert die cerebrale Hemiplegie den Orthopäden 
nicht minder als den Neurologen, insofern sie ihm Gelegenheit ge¬ 
geben hat, die operative Tätigkeit auch auf die spastischen Läh¬ 
mungen auszudehnen und speziell auf die hier so häufig befallene 
obere Extremität. Jedoch noch größer als das theoretische Interesse 
ist der praktische Erfolg. Wenn auch die Schwierigkeiten nicht ver¬ 
kannt werden dürfen und vor der Ueberschätzung unserer Mittel 
warnen, so haben uns doch die Erfahrungen der letzten Jahre entschieden 
weiter gebracht. Die schweren Verunstaltungen der Hand im Gefolge der 
cerebralen Hemiplegie, für die es früher eine wirksame Behandlung 
Oberhaupt nicht gab, sind jetzt einer zielbewußten operativen Therapie 
zugänglich, und es läßt sich soviel gewiß sagen, daß Besserungen 
in kosmetischer wie in funktioneller Hinsicht stets, oft 
aber geradezu ideale Resultate erzielt werden können. Auf den Wunsch 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XV. Bd. 14 


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208 


James Frankel. 


meines verehrten Chefs, Herrn Geheimrat Hoffa, dem ich für diese 
Anregung äußerst dankbar bin, habe ich das Material der Universitäts¬ 
poliklinik und der Klinik, das sich auf 60 Beobachtungen erstreckt, 
bearbeitet. 

Wenn auch den Orthopäden vorzugsweise ein therapeutisches 
Interesse leitet, so verpflichtet ihn doch die Beobachtung einer so 
großen Zahl von Fällen, dem gesamten Krankheitsbilde Aufmerksam¬ 
keit zuzuwenden und an der Lösung der noch strittigen Fragen 
nach Möglichkeit mitzuarbeiten. 

Auf Grund einer hauptsächlich ätiologisch-klinischen 
Betrachtungsweise, die meines Erachtens am besten zum Ver¬ 
ständnis der Krankheit führt, bin ich nun zu dem Schlüsse gelangt, 
daß die infantile cerebrale Hemiplegie einen Symptomen- 
komplex darstellt, dem eine vaskuläre Entstehung zu 
Grunde liegt. Soll man die Krankheit klassifizieren, so ist sie 
nach dem heutigen Stande unseres Wissens zweckmäßig der Little- 
schen Krankheit (den cerebralen Diplegien) an die Seite zu stellen, 
weswegen auch beide Affektionen meist als infantile Cerebralläh¬ 
mungen zusammengefaßt werden. 

Ich lasse zunächst die Krankengeschichten folgen, von denen 
ich insgesamt 53 zusammengestellt habe. 

1. Emilie W., jetzt 11 Jahre alt. Vom Vater wird Lues zu¬ 
gegeben. Die Geburt hat lange gedauert, doch wurde keine ärztliche 
Hilfe geleistet. Die ersten Zeichen der Erkrankung wurden bald nach 
der Geburt bemerkt, dadurch daß das Kind immer mit dem Körper 
nach der rechten Seite überfiel. Zu sprechen begann sie erst mit 
3—4 Jahren. Die ersten Gehversuche fallen auch in diese Zeit. 
Die Intelligenz entwickelte sich sehr langsam. Das Kind ist das 
fünfte. Von sechs Geschwistern leiden zwei an Hühnerbrust. Während 
die Lähmung schon bestand, hat das Kind zweimal Keuchhusten 
und einmal Masern durchgemacht. Vor unserer Behandlung mit 
Massage, Gymnastik, Bädern behandelt, aber ohne Erfolg. 

Mai 1900. Aussehen und Ernährungszustand gut. Intelligenz 
geschwächt. Leichte Sprachstörung, Körper beim Gehen etwas nach 
vorn geneigt. Rechter Fuß in Equino-varusstellung. Aktiv kann 
die fehlerhafte Stellung nicht ausgeglichen werden. Bei passiver 
Redression spannt sich der Tibialis posticus an. Adduktoren rechts 
spastisch kontrakturiert. Rechter Arm im Ellenbogen gebeugt ge- 


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Die infantile cerebrale Hemiplegie. 


209 


halten, kann volarflektiert und proniert werden. Supination nur bei 
gebeugtem Ellenbogen ausführbar (Wirkung des Biceps brachii). 

Therapie. Spaltung der Achillessehne. Vernähung des äußeren 
Zipfels mit der Sehne des Musculus peroneus longus. Reaktionslose 
Heilung. Massage, Gymnastik, Gehübungen. Nach 2 Monaten 
vollkommene Funktionsfahigkeit des Fußes. Auch die Haltung der 
rechten Hand hat sich durch orthopädische Behandlung gebessert. 

Ende 1904 teilt uns der Vater mit, daß die Gebrauchsfähig- 
keit des rechten Armes und der Hand fast normal sei. Der Gang 
sei kaum von einem normalen zu unterscheiden, Patientin trägt 
Schuh mit Einlage, kann 1 Stunde ohne Ermüdung laufen. 

2. Bernhard St., 2 Jahre alt. Mutter und Vater syphili¬ 
tisch. Ein Siebenmonatskind vorher tot geboren. Patient hatte 
Pemphigus syphiliticus, Speichelfluß, wurde mit grauer 
Salbe behandelt. Mit 1 */ 4 Jahren trat die halbseitige Lähmung 
über Nacht auf. Die Sprache war verschwunden, die ganze linke 
Seite gelähmt, inklusive Gesicht. Keine Krämpfe. 

Mai 1905. Leichte Parese der linken Extremitäten. Linker 
Arm im Ellenbogen gebeugt. Finger der Hand zur Faust geballt. 
Im Schlaf sollen die Finger sich schön strecken. Linkes Bein 
schleift bei Gehversuchen nach, ganze linke Gesichtshälfte schwächer 
entwickelt. Patellarreflexe leicht auszulösen. 

Wird mit Massage und Bädern behandelt. Bereits guter Erfolg. 

3. Paul B., 9 Jahre alt. Beide Eltern syphilitisch. Mutter 
hat zweimal abortiert. Es war der erste Partus. Frühgeburt. 
Gleich nach der Geburt Augenentzündung, 4 Wochen später Aus¬ 
schlag. Im dritten Jahre plötzlich ohne Vorboten und ohne Fieber 
Schlaganfall; Lähmung der ganzen rechten Seite, auch der Sprache. 
Keine Krämpfe. Die Lähmung der Hand und der Gang besserten 
sich nach Behandlung mit Einreibungen und Bädern. 

1901. Gang leicht hinkend, rechter Fuß in leichter Spitzfu߬ 
stellung, Muskulatur am ganzen rechten Bein schwächer als links. 
Rechter Arm und rechte Hand sehr ungeschickt. Kein Ausfall einer 
Einzelbewegung. Rechtes Facialisgebiet geschwächt. Intelligenz 
herabgesetzt. Kind lernt schwer in der Schule. Sprache schwer¬ 
fällig. Rechter Patellarreflex stärker. 

Therapie. Fortgesetzte, sorgfältige Behandlung mit Bädern, 
Massage und gymnastischen Uebungen. 


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210 


James Fränkel. 


1905. Der Zustand ist wesentlich gebessert. Die Unterschiede 
beider Körperhälften fast verschwunden. Der Gang ist gleichmäßiger 
geworden, der rechte Arm hat sich gekräftigt. 

4. Lieschen M., 9 Jahre alt. Frühgeburt (4 Wochen zu früh). 
Auch eine l 1 /« Jahre alte Schwester 4 Wochen zu früh geboren. 
Mit 1 ii Jahr Ausschlag am ganzen Körper. Lues von den 
Eltern zugegeben. Patientin wurde lange mit Sublimatbädern und 
Jodkali innerlich behandelt, wonach die Erscheinungen zurück¬ 
gegangen sind. Im Alter von 10 Monaten wurde plötzlich auf¬ 
fallende Müdigkeit und Apathie an dem Kinde bemerkt, dann 
stellten sich unaufhörliches Brechen und linksseitige Gehirnkrämpfe 
ein, die 8 Tage dauerten. Eine anfänglich über die ganze linke 
Seite ausgebreitete Lähmung ging bis auf die jetzt bestehen¬ 
den Residuen zurück. Bisherige Behandlung bestand in Heilgym¬ 
nastik, Bädern in Staßfurter Salz und Massage. Das Kind hat keine 
akute Infektionskrankheit durchgemacht. 

Sommer 1904. Als typische Zeichen für hereditäre Lues 
finden sich an den Mundwinkeln radiär gestellte Narben. Körperlich 
gut entwickeltes Kind. An dem linken unteren Augenlid bemerkt 
man zeitweise Zuckungen. Sehfähigkeit am besten bei schräger, 
nach links gewandter Kopfhaltung. Linksseitige Facialisparese, 
nicht sehr auffällig. Das Spitzen des Mundes ist unmöglich. Links¬ 
seitige Rumpfmuskulatur paretisch. Wirbelsäule im Brustteil 
nach links, im Lumbalteil nach rechts gekrümmt. Linker Arm 
5 cm kürzer als der rechte. Supination der Hand unvollständig. 
Daumen eingeschlagen. Spreitzen der Finger erschwert. Der Arm 
hängt meist im Ellenbogen leicht gebeugt herab. Ueberall jetzt 
Charakter der schlaffen Parese. Trophische Störungen in dem pa- 
retischen Gebiet. Intelligenz geschwächt. Sprache anstoßend. 

Therapie. Mehrmonatliche, 2mal tägliche Rückenmassage, 
Gymnastik und orthopädischer Turnunterricht. Massage und Be¬ 
wegungsübungen des linken Armes und der Hand. Guter Erfolg. 
Auch die Skoliose ist jetzt fast verschwunden. 

5. Hedwig P., 8*2 Jahre alt. Zweite Geburt. Vorher 

zwei Fehlgeburten. Bis zum fünften Jahr ist das Kind gesund 
gewesen. Im fünften Jahr Masern, 4 Monate später fiel auf, daß 
Patientin das rechte Bein nachschleifte und etwas später, daß sie 


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Die infantile cerebrale Hemiplegie. 


211 


den rechten Arm hängen ließ und mit der rechten Hand nicht essen 
wollte. Lähmung der rechten Gesichtshälfte. Das Kind klagte 
öfter über Kopfschmerzen. Früher bestanden Schluckstörungen, 
die jetzt verschwunden sind. Keine Krämpfe. 

Oktober 1904. Rechtes Facialisgebiet paretisch. Kon¬ 
jugierte Blicklähmung nach links. Rechtsseitiger Lagoph- 
thalmus. Nystagmus horizontalis in Endstellung. Zunge und 
Gaumensegel normal. Rechter Arm in typischer Haltung. Kein 
Ausfall einer Einzelbewegung. Gang spastisch. Leichter Spitzfuß 
rechts. Starker Fußclonus. Erhöhte Reflexe. — Nach orthopädi¬ 
scher Behandlung guter Erfolg. 

6. Charlotte P., 5 Jahre alt. Siebenmonatskind. Kopf¬ 
geburt, sehr schwer, angeblich weil Preßwehen ausblieben. Zuerst 
zwei Fehlgeburten. Ein älterer Bruder war Achtmonatskind 
(Sturzgeburt). Die Mutter behauptet, schwache Mutterbänder zu 
haben und muß immer eine Leibbinde tragen, ist sehr bleichsüchtig 
gewesen. Lues wird in Abrede gestellt. In den ersten zwei Jahren 
war das Kind geistig zurück, später entwickelte sich die Intelligenz 
normal. Die Bewegungsstörungen wurden bemerkt, als das Kind 
zu laufen anfing, mit 2 1 /« Jahren. Im Mai dieses Jahres Diph- 
theritis. Danach hat sich die Lähmung der linken Seite 
sehr verschlimmert. 

Dezember 1905. Körperlich gut entwickeltes Kind, geistig 
rege. Sprache gut. Keine Schluckstörungen. Schädel abnorm groß. 
Strabismus convergens des linken Auges. Im Gesicht leichte 
Differenz zu Ungunsten der linken Seite. Wenn Patientin 
die Zunge zeigt, steht die rechte Nasolabialfalte tiefer. Die Zunge 
weicht ein wenig nach links ab. Zähne defekt, Zeichen von Rhachitis. 
Ein Schneidezahn verdächtig auf Hutchinson. Leichter Spasmus 
der linken Rückenmuskulatur. Geringe Lordose und linkskonvexe 
statische Skoliose der Lendenwirbelsäule. Linker Arm im ganzen 
schwächer. Tricepssehnenreflex kaum different, Radiusperiost¬ 
reflex links entschieden stärker als rechts. Neigung zu Mit¬ 
bewegungen der linken Hand. Bauchdeckenreflex beiderseits 
gleich. Im linken Knie leichte Spasmen bei brüsken Bewegungen. 
Patellarreflex links eher stärker als rechts. Gang spastisch. Linker 
Fuß in Equinusstellung, schleift beim Gehen auf dem Boden. Ba- 
binski positiv, Oppenheim positiv. 


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James Fränkel. 


Therapie. Tenotomie der linken Achillessehne nach der Bayer¬ 
sehen subkutanen Methode. Patientin ist noch in Behandlung. 

7. Erna S., 9 Jahre alt. Erstes Kind. Kurz vor der Ge¬ 
burt dieses Kindes erinnert sich die Mutter ein schweres 
Bündel Holz getragen zu haben. Darauf führt sie die Krank¬ 
heit zurück. Geburt 4 Wochen zu früh und sehr schnell. 
Das Wasser war früh abgegangen. Das Kind kam cvanotisch 
zur Welt. Die Schwäche im rechten Arm und Fuß wurde sofort 
bemerkt, als das Kind Bewegungen machen sollte. Krämpfe sind 
nicht aufgetreten. Mehrere Jahre fortgesetztes Elektrisieren ohne 
sichtbaren Erfolg. Drei Geschwister gesund. 

März 1903. Rechte Kieferwinkelgegend hypertrophisch (Pseudo¬ 
hypertrophie). Rechter Mundwinkel eine Spur tiefer als 
links. Rechte Schulter etwas geneigt. Rechter Arm bleibt beim 
Heben zurück. Rechts starke Rigidität der Ellenbogenmuskeln. 
Starker Pronationsspasmus. Supination ganz ausgeschlossen. Hand 
zur Faust geballt, kann nicht geöffnet werden. Die im Handgelenk 
plantargebeugte Hand kann nicht aktiv dorsalflektiert werden. Rechter 
Arm livide verfärbt, fühlt sich kalt an und ist um 3 cm kürzer 
als der linke. Muskulatur entsprechend schwächer. Beim Faust¬ 
schluß der linken Hand ist eine Mitbewegung an der rechten 
vorhanden. Radiusperiostreflex rechts entschieden gesteigert, 
Patellarreflexe beiderseits erhöht, rechts mehr als 1 inks. 
Rechts Spitzfußstellung. Gang schleifend. Große Zehe in B a b i n s k i- 
stellung. Links dagegen normaler Fußsohlenreflex. Strümpellsches 
Tibialisphänomen rechts positiv. Intelligenz rege. Keine Sprach¬ 
störung. 

März 1903. Tenotomie der rechten Achillessehne, Gipsverband, 
später Schienenhülsenapparat. 

April 1903. Operation an der Hand. Hof fasche Pronator¬ 
plastik. Verkürzung der Fingerextensoren. Uebliche Nachbe¬ 
handlung. 

Ende 1905. Die operierte Hand steht in normaler Stellung, 
kann aktiv dorsalflektiert werden. Die Supination ist jetzt 
in geradezu vollkommener Weise ausführbar. Der Spas¬ 
mus der Ellenbogenmuskeln hat sich gelegt. Auch die Kälte 
des paretischen Armes ist geringer geworden. Muskulatur wesent¬ 
lich gekräftigt. Die vor der Operation unbrauchbare Hand 


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Die infantile cerebrale Hemiplegie. 


213 


wird zum Greifen und Spielen benutzt. Die Eltern sind über 
das schöne Resultat sehr glücklich. 

8. Paul J., jetzt 16 Jahre alt. Erstes Kind. Drei jüngere Ge¬ 
schwister gesund. Einige Tage vor der Geburt ist die 
Mutter beim Einsteigen in einen Wagen gestürzt. Früh¬ 
geburt (Ende des 8. Monats). Es mußte ca. 1 Stunde künstliche 
Atmung gemacht werden. Im 7. Monat wurde eine starke Behin¬ 
derung des rechten Armes und eine Schwäche des rechten Beines 
bemerkt. Eine fieberhafte Erkrankung ist nach Angabe des Vaters 
sicher nicht vorangegangen. Die Bewegungen des rechten Armes 
und des rechten Beines waren stets von Zuckungen begleitet. 
Der Mund war nach links verzogen, Bücken und Aufrichten 
fast unmöglich. Das Kind hat sich fortwährend verschluckt. 
Keine Taubheit. Sprechen lernte es erst im fünften Lebensjahr. 
Von Anfang an war die Sprache sehr undeutlich. Im siebenten Lebens¬ 
jahr lernte es unter großen Schwierigkeiten laufen. Seit dem ersten 
Jahr mit Massage, Elektrizität, Sonnenbädern, Salzbädern, Moor¬ 
bädern behandelt. Ohne wesentlichen Erfolg. 

1902. Guter Ernährungszustand. Intelligenz zurückgeblieben. 
Geringe Sprachstörung. Rechtsseitige Facialisparese. Rechte Hand 
in typischer Haltung, kann nicht aktiv dorsalflektiert und nur bis zur 
Hälfte supiniert werden. Rechtsseitiger Spitzfuß. Therapie. 1902. 
Subkutane Tenotomie der Achillessehne (nach Bayer). 1903. Ope¬ 
ration an der Hand. Pronatorplastik. Verkürzung des Extensor 
digitor. commun. Sorgfältige Nachbehandlung. 

Ende 1905. Der rechte Arm wird zwar noch meist gebeugt 
gehalten, die Hand aber hat sich soweit gebessert, daß sie zum 
Schreiben benutzt werden kann. Hin und wieder leichte 
Krämpfe in dem Arm, aber geringer wie früher. Der Spitzfuß ist 
ganz beseitigt. 

9. Susanne R., jetzt 10 Jahre alt. Frühgeburt (3 Wochen 
vor der normalen Zeit). Geburt sehr schwer. Das Wasser ging 
48 Stunden vorher fort. Das Kind war cyanotisch. Zweite Geburt. 
Zuerst eine Fehlgeburt im fünften Monat. Zwei Knaben erfreuen sich 
guter Gesundheit. Vor 3 Jahren (also 7 Jahre nach der Geburt des 
Kindes) ist die Mutter an einem 10 Pfund wiegenden Eier¬ 
stockkystom operiert worden. Bei dem scheinbaren Beginn 
der Krankheit war das Kind 6 Monate alt. Ohne daß eine fieber- 


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214 


James Frankel. 


hafte Erkrankung vorangegangen war, wurde es plötzlich bleich, bekam 
Zuckungen und verdrehte die Augen. Dabei fiel der Kopf häufig auf 
die rechte Schulter, und die rechte Körperhälfte war unvollkommen 
gelähmt. Die Mutter erinnert sich, daß bei dem Kinde auch das 
Gehör rechts weniger gut war und daß das rechte Auge 
ein wenig schielte. Die Sprache war undeutlich. Das 
Kind war immer müde und schlief viel. Im Laufe der Zeit 
ist eine Besserung eingetreten, namentlich wurde das Hinken des 
rechten Beines durch mehrmaligen Aufenthalt in Bex-sur-mer und 
durch alljährlichen, dreimonatlichen Gebirgsaufenthalt gebessert. 
Daneben Jod innerlich, ferner Elektrizität und Massage. Die Krämpfe 
haben sich nicht wiederholt. Die ersten Zähne bekam Patientin mit 
10 Monaten, zu sprechen begann sie mit 20 Monaten, mit l 1 /* Jahren 
lernte sie laufen, fiel dabei aber immer auf die rechte Seite. Vor 
dem siebenten Monat entwickelte sich die Intelligenz gut. Das 
Gesicht soll nicht ungleich gewesen sein. Vater gesund. 

Oktober 1904. Patientin geistig weniger regsam, körperlich 
gut entwickelt. Sie zieht den rechten Fuß nach. Rechter Fuß in 
leichter Spitzfußstellung. Rechtes Bein etwas kürzer und schwächer. 
Arm und Hand rechts im Wachstum zurückgeblieben, Muskulatur 
ebenfalls geschwächt. Typische Haltung des Armes. Pronations- und 
Flexionskontraktur der Hand. Die Benutzung der Hand und des 
rechten Armes ist wegen der schlechten Stellung vollkommen 
ausgeschlossen. Sprache etwas undeutlich. Keine Krämpfe. 

Therapie. Tenotomie der Achillessehne. An der Hand: Pronator 
teres auf den Condylus externus verpflanzt. Verkürzung des Extensor 
digitorum communis. Verlängerung der Sehne des Extensor carpi 
ulnaris. Verpflanzung des Extensor carpi radialis auf die verkürzten 
Extensoren. Gipsverband in mäßiger Beugestellung des Vorder¬ 
armes, bei Supination und Dorsalflexion im Handgelenk. Heilung 
per primain. Massage und Gymnastik. Zur Nachbehandlung ein 
Hessingapparat mit Handgelenkbügel und künstlichem Streckmuskel 
für die Hand. 

Schon nach einein halben Jahr deutlich sichtbarer 
Erfolg. Patientin kann die Hand benutzen, kann schon ganz schön 
greifen und Gegenstände festhalten. Massage und Gymnastik wer¬ 
den fleißig fortgesetzt, wobei Patientin zusehends Fortschritte macht. 

Jetzt, 1 Jahr nach der Operation schreibt die Mutter: Der 
Gang ist sehr gut, die Funktion des Beines ausgezeichnet. lieber 


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Die infantile cerebrale Hemiplegie. 


215 


die Hand ist sie sehr befriedigt. Bewegungen, die vor der Opera¬ 
tion unmöglich waren, werden ohne Schwierigkeiten ausgeführt. 
Die Kraft des Armes hat wesentlich zugenommen. 

10. Bertha W., 4 Jahre alt. Siebenmonatskind, Mutter 
leidet an engem Becken. Dritte Geburt. Zwei Kinder sind vor¬ 
her bei der Geburt gestorben (einmal Zangengeburt, das andere Mal 
Wendung bei Fußlage). Unmittelbar nach der Geburt war das Kind 
sehr cyano tisch und die Atmung schwach. Mit 7 Monaten starker 
Darmkatarrh mit Fieber, gleich danach Masern. Mit einem 
Jahre wurde bemerkt, daß der rechte Arm kraftlos war und als 
das Kind laufen lernte, daß der rechte Fuß nachgezogen wurde. 

April 1904. Schwächliches Kind, zu Erkältungen geneigt. Stra¬ 
bismus des rechten Auges nach einwärts. Rechter Arm l 1 /* cm 
kürzer als der linke. Alle Bewegungen sind ausführbar, aber weniger 
ausgiebig und unbeholfen. Tricepsreflex erhöht. Rechtes Bein 2 cm 
kürzer als das linke. Fuß in Equinovarusstellung, Gang unsicher und 
hinkend. Die Fußspitze schleift auf dem Boden. Behandelt mit 
Massage, Gymnastik, Salzbädern. Danach wesentliche Besserung. 

11. Richard B., 6 Jahre alt. Drei ältere Geschwister ge¬ 
sund, ein jüngerer Bruder leidet an englischer Krankheit. Vor dieser 
Geburt ein Abort. 0—8 Wochen vor der Geburt fiel die Mutter 
von einer Treppe herunter. Die Geburt hat lange gedauert. 
Die Nabelschnur war um den Hals geschlungen. Das Kind 
kam asphyktisch zur Welt. Keine Infektionskrankheiten. Es wurde 
frühzeitig bemerkt, daß der Junge nicht gerade sitzen konnte, beim 
Aufstützen konnte er sich nicht des linken Armes bedienen. Erst mit 
5 Jahren lernte er mit großer Mühe stehen, laufen konnte er vor 
unserer Behandlung überhaupt nicht. Als er 1 a Jahr alt war, sollen 
Krämpfe aufgetreten sein. Bisher in der Charite und in der Neu- 
mannschen Poliklinik mit Elektrizität und heißen Wasserbädern be¬ 
handelt, ohne wesentlichen Erfolg. 

Mai 1905. Linker Arm im Ellenbogen gebeugt, Hand volar¬ 
flektiert und proniert. Starker Pronationsspasmus. Die Hand 
ist zum Greifen ganz untauglich, weil die zur Faust geballten Finger 
nicht gestreckt werden können, und weil die Supination unmöglich ist. 
Muskulatur des linken Armes bedeutend schwächer als rechts. Triceps¬ 
reflex und Radiusperiostreflex links wesentlich gesteigert. Im Gesicht 


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James Fränkel. 


jetzt keine Differenz zu bemerken. Beim Versuch zu gehen links 
starke Spasmen. Das linke Bein ist auswärts rotiert. Im Knie 
leichte Beugekontraktur. Linker Fuß in Spitzfußstellung. Musku¬ 
latur atrophisch. Patellarreflex links gesteigert. Babinski und 
Oppenheim links positiv. Schluck- und Sprachstörungen fehlen. 
Intelligenz normal. 

Therapie. Durchschneidung des Pronator teres. Verkürzung 
des Extensor digitor. communis. Verpflanzung des Flexor carpi radialis 
auf die Extensoren. Tenotomie der linken Achillessehne. Sorgfältige 
Nachbehandlung. Tapotement der Muskeln in der Kniekehle. 

Ende 1905. Der überpflanzte Flexor carpi radialis hat in sehr 
deutlich sichtbarer Weise die Funktion der Fingerstrecker über¬ 
nommen. Die Finger können jetzt aktiv gestreckt wer¬ 
den. Die Hand kann alles fassen und festhalten. Auch 
der Pronationsspasmus hat sich gelegt, nur aktive Supination 
ist nicht ausführbar. Die Kraft des Armes hat zugenommen. Am 
Fuße ist die Spitzfußstellung beseitigt, die Kniespasmen sind fast 
verschwunden. Das Gehen ist jetzt ermöglicht. Das Bein befindet 
sich noch in leichter Außenrotation, was durch das Tragen eines jetzt 
verordneten Apparates noch beseitigt werden soll. 

12. Walter St., 15 Jahre alt. Vater stets gesund, starb 
durch einen Unfall. Mutter soll an Krämpfen gelitten haben, hatte 
eine Fehlgeburt, starb 1899 an Lungenentzündung. Vier Geschwister 
ebenfalls tot. Fünfte Geburt, sehr schwer, ebenso wie die 
anderen Geburten. Einige Stunden nach der Geburt ist die 
Lähmung der rechten Seite bemerkt worden. Von vorn¬ 
herein sind Krämpfe schwerster Natur aufgetreten. Im 
fünften Lebensjahr Diphtheritis. 

14. Oktober 1904. Rechte untere Extremität etwas schwächer. 
Ungleichheit des Gesichtes zu Ungunsten der rechten Ge¬ 
sichtshälfte. Rechte Hand in typischer Haltung. Halbseitige 
choreatische Zuckungen rechts. Intelligenz leicht gehemmt. 
Sprache stotternd. 

Therapie. Myotomie des M. pronator teres. Verkürzung des 
Extensor digitorum communis und des Extensor carpi radialis longus. 
Nach der Operation gute Stellung. 

Nach kürzlich eingegangener Mitteilung befindet sich Patient 
in der Epileptikeranstalt Wuhlgarten. 


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Die infantile cerebrale Hemiplegie. 


217 


13. Ilse E., 5 Jahre alt. Großmutter mütterlicherseits litt an 
Epilepsie. In die Schwangerschaft fielen schreckliche Erlebnisse. 
Die Mutter hatte daher viel Aufregung und litt unter seelischer 
Depression. Das Kind wurde als zweites geboren, ein älteres und 
ein jüngeres normal. Vor dieser Geburt ein Abort, der auf einen 
unmittelbar vorangegangenen Schreck zurückgeführt wurde. Stei߬ 
geburt. Infolge von Nabelschnurumschlingung kam das 
Kind asphyktisch zur Welt und atmete erst nach Inständigem 
Schwingen. Als das Kind ein halbes Jahr alt war, bemerkte 
die Amrae, daß es mit dem rechten Arm nicht gut 
greifen konnte. Mit l 1 /* Jahren starke Influenza. Danach 
auffallender Unterschied im Laufen und im Gebrauch des 
rechten Armes, so daß es den Anschein hatte, als ob die 
Infektionskrankheit die Ursache der Lähmung wäre. 
An die Beobachtung der Amme erinnert sich die Mutter recht 
deutlich, aber erst nachdem ich eine darauf gerichtete Frage ge¬ 
stellt hatte. Die Intelligenz entwickelte sich langsam. Patient lernte 
im 3. Lebensjahr sprechen und erst im 4. Jahre laufen. 

1903. Sprache schwerfällig, Gang spastisch und hinkend. Das 
rechte Bein wird nachgeschleppt und ist schwächer als das linke. 
Rechter Fuß in Spitzfußstellung. Große Zehe nach oben gerichtet. 
Rechter Arm im Ellenbogen gebeugt. Die Bewegungen der Hand 
sind ungeschickt. Der Daumen kann nur wenig gespreizt werden. 
Supination bis zur Hälfte möglich. Dorsalflexion der Hand lang¬ 
sam ausführbar. Leichte Parese der rechten Gesichtshälfte. Chorea- 
tische Bewegungen mit dem Kopfe. Patellarreflex 
erhöht. 

Therapie. Subcutane Tenotomie der rechten Achillessehne nach 
Bayer. Massage und Elektrisierung des rechten Armes, bis jetzt 
ununterbrochen fortgesetzt. 

Ende 1905 Ernährungszustand gut. Die Sprache hat sich ge¬ 
bessert. Scharfe Intelligenz. Rechter Fuß steht rechtwinklig. Aktive 
Dorsal- und Plantarflexion möglich. Gang besser als früher. Patient 
läuft mit Vorliebe schnell durch das Zimmer, ohne wie früher zu 
fallen. Auch der Arm hat sich gekräftigt. Die Bewegungen sind 
freier geworden. 

14. Berthold F., 6 Jahre alt. Das Jüngste unter sieben Kindern. 
Ein Abort 10 Jahre vor der Geburt. Geburt, nach normaler Sch wanger- 


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James Frankel. 


schaft, schwer, schwerer als die vorangegangenen. Mit 11 Monaten, 
als der Junge anfing zu laufen, fiel der Mutter auf, daß er mit dem 
linken Fuß lahmte. Sonst war der Junge sehr kräftig und gut 
entwickelt. Die Mutter gibt ferner an, daß er schon damals 
alles rechts gefaßt habe und den linken Arm in 
auffallender Weise schonte. Im Alter von 14 Monaten 
Scharlach und Diphtheritis mit Nierenentzündung. Danach 
konnte er die linke Hand überhaupt nicht mehr gebrau¬ 
chen, und wenn er hinfiel, fiel er immer auf die linke Seite des 
Gesichts. Das Laufen verlernte er ganz wieder, und später lief er 
auf der linken großen Zehe. Bisher war die Lähmung immer 
auf die Nierenentzündung zurückgeführt worden. 

März 1903. Kräftiger Junge, Intelligenz gut entwickelt. Keine 
Sprachstörungen. Gang hinkend. Schleift das linke Bein nach. 
Linker Fuß in Spitzfußstellung. L. Quadriceps und Wadenmusku¬ 
latur geschwächt, linker Arm in typischer Haltung. Daumen ein¬ 
geschlagen. Dorsalflexion und radiale Abduktion im Handgelenk 
beschränkt. Supination allein bis zur Hälfte möglich. Ganze 
linke Gesichts- und Schädelhälfte kleiner. Mitbewegungen 
an der linken Hand bei Bewegungen des linken Fußes und umgekehrt. 
Patellarreflex links gesteigert. 

Therapie. Bayer sehe subcutane Tenotomie der linken Achilles¬ 
sehne. Massage und Elektrizität. An der Hand will die Mutter nicht 
operieren lassen. 

Dezember 1904. Ganz plötzlich treten Gehirnkrämpfe auf, 
nur linksseitig, von 9 Stunden Dauer. 

Ende 1905. Der Gang hat sich wesentlich gebessert, die Be¬ 
wegungen der Hand sind durch fortgesetzte orthopädische Behand¬ 
lung freier geworden. 

15. Max F., jetzt 16 Jahre alt. Erster Partus. Später eine 
Frühgeburt. Zwei Geschwister sind gesund. Die Geburt war 
schwer und dauerte abnorm lange. Das Kind kam asphyk- 
tisch zur Welt, bekam gleich nach einigen Stunden Gehirn- 
krämpfe und halbseitige Lähmung. Von Anfang an ent¬ 
wickelte sich die Intelligenz sehr langsam. Die ersten verständ¬ 
lichen Worte wurden erst nach 3 1 !» Jahren gesprochen. Ob eine 
interkurrente Masernerkrankung den Zustand verschlimmert hat, ist 
nicht sicher. 


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Die infantile cerebrale Hemiplegie. 


219 


1901. Gesundes, frisches Aussehen, geistige Fähigkeiten ver¬ 
ringert. Schluckstörung. Sprache undeutlich. Reste einer 
rechtsseitigen Facialislähmung. Rechter Arm schwächer als 
der linke; die linke Hand wird auch zum Schreiben benutzt. 
Rechtes Bein kürzer, Beugemuskeln in der Kniekehle stark kontrak- 
turiert. Rechter Fuß in Equinusstellung. Halbseitige Krämpfe 
in der ganzen rechten Körperhälfte. Bisher Behandlung mit 
Elektrizität, Bädern, Massage, ohne wesentlichen Erfolg. 

Therapie. Offene Durchschneidung der Beugesehnen in der 
Kniekehle. Tenotomie der Achillessehne subcutan nach Bayer. 

Herbst 1904. Die Krämpfe bestehen noch fort und treten etwa 
alle 8 Wochen auf. Der Gang hat sich gebessert. 

16. Elisabeth Sch., 4 Jahre alt. Sechstes Kind. Sehr 
schwere Geburt. Die Nabelschnur war dreimal um den 
Hals geschlungen. Lange anhaltende Asphyxie. Mit 2 Jahren 
begann Patientin zu kränkeln, angeblich nachdem sie ein paar Stern¬ 
chen verschluckt hatte. Das Leiden wurde erst als Lungenkatarrh 
gedeutet, später wurde Nierenentzündung und Kopfwassersucht 
festgestellt. Anfangs August trat plötzlich halbseitige Läh¬ 
mung auf. Von 16 anderen Kindern, von denen 8 gestorben 
sind, aber keines ein ähnliches Leiden hatte, soll bei den meisten 
Nabelschnurumschlingung bestanden haben. 

Mai 1905. Rechter Arm im Ellenbogen gebeugt. Hand in 
typischer Stellung. Rechtes Facialisgebie t geschwächt. 
Linkskonvexe Dorsalskoliose. Rechtes Bein schwächer, 
wird ein wenig nachgeschleppt. Rechter Patellarreflex erhöht. 
Noch nicht behandelt. 

17. Curt J., 5 Jahre alt. Erstgeborenes Kind. Schwanger¬ 
schaft normal. Zangengeburt. «Der Arzt half von 3—5 Uhr 
mit der Zange.“ Gleich nach der Geburt wurde die nach innen 
gedrehte Haltung der linken Hand bemerkt. Die Zange hatte auf 
der Stirn nahe der linken Schläfe eine blutige Druckstelle verur¬ 
sacht, die erst nach einigen Tagen heilte. Eine fieberhafte Krank¬ 
heit hat nie bestanden. Sprache und Intelligenz entwickelten sich 
normal. Die Lähmung blieb unverändert. Keine Krämpfe. Ein 
jüngeres Kind normal. Eltern gesund. Die bisherige Behandlung 


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James Fränkel. 


bestand in Bewegungsmassage und elektrischer Massage. Als Patient 
1 Jahr alt war, lag er 14 Tage in Gips, doch ohne Erfolg. 

Mai 1905. Linker Arm stärker befallen als das linke Bein. 
Beide sowohl im Wachstum als in der Stärke etwas zurückgeblieben. 
Pronationsspasraus. Parese der Fingerextensoren. Die Hand kann 
weder zufassen noch Gegenstände, die man ihr gibt, festlialten. 
Mit dem linken Fuß tritt der Knabe nur auf der Spitze auf. Gang 
hinkend. Aussehen und Ernährungszustand gut. Intelligenz rege. 

Therapie. An der Hand Verkürzung des Extensor digitor. 
communis. Durchschneidung des Pronator teres. Tenotomie der 
Achillessehne. Sechswöchentliche Nachbehandlung mit Massage und 
Uebungen (namentlich Greifübungen der Hand). 

Ende 1905 schreibt uns der Vater, daß die Haltung der Hand 
normal ist und die Funktion sich wesentlich gebessert hat. Das Hinken 
ist kaum merklich. 

18. Hans M., jetzt 7 1 /* Jahre alt. Erstes Kind. Eine jüngere 
Schwester gesund, Schwangerschaft ganz normal. Zangengeburt 
und kurzdauernde Asphyxie. Nach vier Monaten wurden die 
ersten Zeichen der Krankheit in Form von Schwäche des rechten 
Armes und Beines bemerkt. Eine fieberhafte Erkrankung ist nicht 
vorangegangen. Am 2. Tage nach der Geburt sind Krämpfe auf¬ 
getreten, 6—8mal innerhalb 24 Stunden, später aber nicht mehr. 
Die Lähmung hat sich in der Folgezeit spontan etwas gebessert. 

Ostern 1903. Der 0 Jahre alte Knabe ist von blühendem 
Aussehen, mittlerer Größe und großem Fettreichtum. Sprache 
etwas verlangsamt, Artikulation aber gut. Leichter Strabis¬ 
mus convergens des rechten Auges. Geringe Differenz zu Un¬ 
gunsten der rechten Gesichtsseite, namentlich beim Oeffnen 
des Mundes. Keine Schluckstörungen. Schwäche des rechten Armes, 
typische Haltung. Beschränkt sind hauptsächlich Supination und 
Extension. Gang rechts schleppend. Leichte Spitzfußstellung. 

Therapie. Ostern 1903. Tenotomie der rechten Achillessehne. 
Oktober 1903. Hoffasche Pronatorplastik. Verkürzung des Extensor 
digitorum communis. Verpflanzung des Extensor carpi radialis auf 
die verkürzten Extensoren. Gips verband in mäßiger Strecksteilung 
des Vorderarms bei Supination und Dorsalflexion im Handgelenk. 
Heilung per primam. Nachbehandlung mit Massage und Gymnastik 
durch den Vater, der selbst Arzt ist. 


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Die infantile cerebrale Hemiplegie. 


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Ende 1904. Der Spitzfuß ist verschwunden, Supination und 
Extension der Hand wesentlich gebessert. Der Vater ist mit dem 
Resultat sehr zufrieden. 

19. Wilhelm M., jetzt 11 Jahre alt. Erstgeborenes Kind. 
Eine jüngere Schwester gesund. Hereditär nihil. Die Schwanger¬ 
schaft verlief normal. Die Geburt war schwer und hat lange 
gedauert. Es mußte die Zange gebraucht werden und es soll 
dabei ungeschickt verfahren worden sein. Die ersten Zeichen 
der Krankheit wurden bald nach der Geburt bemerkt. Beim 
Baden sah man, daß das Kind den rechten Arm und das rechte 
Bein weniger bewegte als die linken Gliedmaßen. Die Lähmung 
hat sich langsam etwas gebessert, besonders am Fuß; der Arm blieb 
immer schwerer befallen. Es bestanden früher Schluck- und Sprach¬ 
störungen. Im ersten Jahr war das Kind monatelang magenkrank, 
es konnte keine Milch vertragen. Von Infektionskrankheiten später 
Variola. Die Intelligenz entwickelte sich langsam. Vom 1. Jahr 
an wurde Patient täglich gründlich massiert und elektrisiert und 
bekam Solbäder, mit der Hand wurden Uebungen gemacht. Danach 
entschiedene Fortschritte. Eine Tenotoraie hatte wenig Erfolg. 

Ostern 1904. Körperlich gut entwickeltes Kind von frischer 
Gesichtsfarbe, geistig für sein Alter zurückgeblieben, kam aus Ge¬ 
sundheitsrücksichten erst spät in die Schule und war durch die Be¬ 
handlung sehr in Anspruch genommen. Gedächtnis recht gut. Ge- 
sichtsasvrametrie. Arm und Hand in typischer Haltung, im Längen¬ 
wachstum um einige Zentimeter zurückgeblieben. Ueblicher Bewegungs¬ 
ausfall. Sehr starke Spasmen. Gang schleppend. Starker Spitzfuß. 

Therapie. Hoffasche Pronatorplastik. Verkürzung des Ex¬ 
tensor digitorum communis. Verpflanzung des Extensor carpi radialis 
longus auf die verkürzten Extensoren. Verlängerung des Extensor carpi 
ulnaris. Gipsverband in mäßiger Streckstellung des Vorderarmes bei 
Supination und Dorsalflexion im Handgelenk. Tenotomie der Achilles¬ 
sehne. Entsprechende Nachbehandlung. 

Ende 1905. Das Resultat ist an der Hand wegen der starken 
Spasmen und wegen der geringen Energie des Patienten kein so gutes. 
Die Hand hängt noch nach der ulnaren Seite über und ist ziemlich 
kraftlos. Die Armmuskulatur hat sich sehr gekräftigt. Der Gang 
ist nur noch wenig hinkend. 


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James Frankel. 


20. Max S., jetzt 4 3 /4 Jahre alt. Erstgeborenes Kind. 
Hereditär nichts von Belang. Geburt nach normaler Schwangerschaft. 
Da die Wehen keinen Erfolg hatten, mußte die Zange angelegt 
werden. Zangenextraktion äußerst schwierig, angeblich 
wurde mit großer Gewalt gezogen. Leichte Asphyxie. Dem 
Vater ist bereits in den ersten Wochen aufgefallen, daß das Kind 
vorzugsweise die linke Hand benutzte. Mit dem weiteren Wachstum, 
im 2. und 3. Jahre, wurde das Zurückbleiben der rechten Hand nicht 
nur in der Gebrauchsfähigkeit, sondern auch in Größe und Stärke 
sehr auffällig. Die Schwäche des Fußes zeigte sich, als das Kind 
laufen lernte, mit dem Beginn des 2. Jahres. 

Die Intelligenz hat sich normal entwickelt. Der Aussprache 
fehlte die nötige Schärfe. Gegen Ende des zweiten Jahres erkrankte 
das Kind an roter Ruhr mit Krämpfen, Erbrechen und hohem Fieber. 
Die Krämpfe haben sich seitdem in Zwischenräumen von etwa Halb¬ 
jahresfrist bis zum Juli 1903 wiederholt. Seitdem sind sie ver¬ 
schwunden. Keine Schluckstörungen. Zahnentwicklung normal. Bis¬ 
herige Behandlung mit Elektrizität erfolglos. 

Befund Mai 1905. Ernährungszustand gut. Gesichtsfarbe etwas 
bleich. Rechte Extremitäten schwächer. Patient tritt rechts nur mit 
der Fußspitze auf. Der rechte Fuß steht fixiert in Spitzfußstellung 
und leichter Varusstellung. Rechter Arm und Hand unbeholfen, 
üblicher Funktionsausfall. 

Therapie. Myotomie des Pronator teres und Tenotomie des 
Biceps brachii in der Armbeuge. Verlängerung der Achillessehne. 
Verkürzung der Extensoren des Fußes, Fascienplastik am Fußrücken 
(Wollenberg). Bei der Entlassung ist aktive Supination der Hand 
gut möglich, Fuß in normaler Stellung. Kontur des Fußrückens 
normal. Narbencallus sehr gering. 

Ende 1905. Der Vater teilt uns mit, daß das Resultat sehr 
gut sei. Der Fuß ist fast normal, auch der Arm ist in der Stellung 
und funktionell sehr gebessert. 

21. Karl N., 5 Jahre alt. Vor dieser Geburt hat die Mutter 
abortiert. Erstes und einziges Kind. Mutter litt an Fluor albus. 
Vater gesund. Zangengeburt. Gleich nach der Geburt Conjunc¬ 
tivitis blenorrhoica. Mit 4 Monaten Masern. Danach trat eine 
rechtsseitige Lähmung auf. Mit 2 Jahren wurde von Professor 
Oppenheim ein Wasserkopf festgestellt. 


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Die infantile cerebrale Hemiplegie. 


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1902. Rechter Vorderarm wird meist gebeugt gehalten. Ueb- 
liche Handstellung und entsprechender Funktionsausfall. Der Daumen 
kann schlecht abduziert werden. Das rechte Bein wird im Bogen 
nach außen geschleift, rechter Fuß und rechte Hand fühlen sich kalt 
an. Parese der rechten Gesichtshälfte angedeutet. Orthopädische 
Behandlung. Besserung. 

22. Anna B., 3 Jahre alt. Eltern gesund, Zangengeburt 
(die Mutter war 31 Jahre alt). Erster und einziger Partus. Im 
0. Monat Keuchhusten mit Fieber. Im 7. Monat wurde bemerkt, 
daß Patientin mit der rechten Hand nicht zufassen konnte, und daß 
auch das rechte Bein schwächer war. Keine Krämpfe. Elektrisieren 
half wenig. 

Juli 1903. Typische Haltung des rechten Armes. Supination 
und Dorsalflexion ausgeschlossen. Rechts leichter Spitzklumpfuß. 
Therapie. Hof fasche Pronatorplastik. Verkürzung der Extensoren. 
Sorgfältige Nachbehandlung. 

Ende 1905. Rechte Hand steht im Handgelenk gestreckt, ein 
wenig ulnarwärts abduziert. Die Volar- und Dorsalflexion der Hand 
wird angedeutet. Der Arm ist nach der Operation freier geworden, 
wird nicht mehr wie vorher fest an den Rumpf gepreßt. Die Hand 
wird viel besser benutzt als früher. 

23. Bruno F., 4 3 /-i Jahre alt. Vater gesund. Mutter ist wäh¬ 
rend einer Tubarschwangerschaft gestorben. Zwei ältere Ge¬ 
schwister gesund. Schwangerschaft normal. Geburt wegen Wehen¬ 
schwäche protrahiert. Zangenanlegung. Das Leiden wird von 
dem Vater auf eine Erkältung zurückgeführt, die im 7. Monat acqui- 
riert wurde und Nierenentzündung mit hohem Fieber im Gefolge 
hatte. Es bildeten sich dabei an mehreren Stellen des Kopfes und 
auf der Brust Abszesse, die gespalten wurden. Seit dieser Zeit zog 
Patient den linken Arm gekrümmt an die Brust, und das linke Knie 
hielt er zur Brust hinaufgezogen. Mit 2 1 /* Jahren, als er anfing zu 
laufen, bemerkte der Vater, daß Patient das linke Bein nachzog 
und auf der linken Fußspitze lief. Die linke Hand wurde nicht zum 
Spielen und Greifen benutzt. 

1904. Gut genährter Knabe. Linksseitiger Pes equinus. Linker 
Arm hängt schlaff herab, ist l l j 2 cm kürzer als der rechte. Alle 
Bewegungen der Hand möglich, aber ungeschickt. Leichte chorea¬ 
tische Unruhe im ganzen Körper. Der Vater nennt ihn einen 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XV. Bd. 15 


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James Fränkel. 


„unruhigen Menschen“. Linker Facialis paretisch, Sprache gut 
entwickelt. Intelligenz rege. 

1905. Die Kraft des linken Armes und der Hand hat sich 
nach Massage und Uebungen gebessert. Der linke Fuß, an dem 
später die Achillotomie gemacht worden ist, steht in guter Stellung. 
Aktive Dorsalflexion nur wenig eingeschränkt. Gang normal. 

24. Gertrud K., 13 Jahre alt. Zweites Kind. Im 3. Monat 
der Schwangerschaft hat sich die Mutter verbrüht und dabei sehr 
erschreckt. Geburt normal. Die Erkrankung wurde gleich in 
den ersten Wochen nach der Geburt bemerkt. Als Patientin anfing 
zu greifen, bediente sie sich nur der linken Hand, und als sie laufen 
lernte, zog sie das rechte Bein immer nach und fiel fortwährend 
hin. Im 2. Jahr wurde sie bei Professor Mendel elektrisiert. In 
der orthopädischen Universitätspoliklinik wurde die rechte Achilles¬ 
sehne 2mal tenotomiert. Krämpfe sind nie aufgetreten. 

1904. Gang fast normal, rechter Unterschenkel dünner als der 
linke. Rechter Fuß noch in leichter Equinovarusstellung. Geringer 
Hohlfuß. Die große Zehe steht rechtwinklig nach oben. Rechter 
Arm 2 j /2 cm kürzer als der linke. Die Bewegungen der Hand sind 
nicht ganz frei. Das Kind ist sehr aufgeregt und empfindlich, in 
der Schule sehr begabt. 

25. Marie A., jetzt 13 ^ Jahre alt. Ein Jahr vor der Geburt 
dieses Kindes hat die Mutter abortiert. Der Vater war damals schon 
sehr leidend und ist, als das Kind iJ -4 Jahre alt war, an Tuber¬ 
kulose gestorben. Es war die 3. Geburt, wie die Schwangerschaft 
von normalem Verlauf. Die Intelligenz entwickelte sich gut. Die 
ersten Zeichen der Krankheit wurden bereits nach dem ersten 
Vierteljahr bemerkt, indem das Kind sich immer auf die rechte 
Seite legte, die die gelähmte war. Krämpfe sind nie wahrgenommen 
worden. Eine Infektionskrankheit ist der Lähmung sicher nicht vor¬ 
angegangen. Später hat das Kind einmal Scharlach gehabt. Im 
Laufe der Zeit hat sich die Lähmung etwas gebessert. Jahrelange 
Behandlung mit Elektrizität und Solbädern. 

Oktober 1903. Rechtsseitige Hemiparese. Keine Gesichts¬ 
asymmetrie. Geistige Fähigkeiten normal. Rechter Arm in typi¬ 
scher Stellung. Ueblicher Funktionsausfall. Das rechte Bein wird 
etwas nachgezogen. Wanderniere. 


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Die infantile cerebrale Hemiplegie. 


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Therapie. Pronatorplastik (Hoffa). Verkürzung des Extensor 
digitorum communis. Nachbehandlung mit Uebungen an Apparaten 
und Massage. 

Ende 1904. Der Zustand hat. sich seit der Operation wesent¬ 
lich gebessert. Mit dem Händchen fängt Patientin schon an zu 
schreiben. Der Gang ist ganz normal. 

26. I. D., 8 Jahre alt. Eltern leben. Vater lungenkrank. 
Keine Kinderkrankheiten. Die Lähmung trat nach Angabe der Mutter 
nach 8 Monaten auf. Mit 3 Jahren fing die Patientin an zu laufen. 
Der Gang war von vornherein unbeholfen. Das linke Knie konnte 
nicht vollständig gestreckt werden. Die Finger der linken Hand 
krümmten sich stets und waren in die Hohlhand eingeschlagen. 
Patientin wurde eine lange Zeit massiert und elektrisiert, ohne den 
geringsten Erfolg. 

Mittelkräftiges Mädchen im mittleren Ernährungszustand. Aktive 
Bewegungen sind im Handgelenk nicht möglich, ebensowenig können 
die Finger aktiv bewegt werden. Dagegen können passive Be¬ 
wegungen nach allen Richtungen ausgeführt werden, wobei bei der 
Extension des Handgelenkes sowie der Finger ein mäßiger Wider¬ 
stand zu überwinden ist. Im Ellbogengelenk ist aktive Beweglich¬ 
keit möglich und zwar Flexion fast vollkommen, Extension unvoll¬ 
ständig. Supination ist ganz unmöglich. 

Therapie. Verlagerung der Insertionsstelle des Pronator teres 
nach dem Condylus lateralis (Hoffa). Verkürzung des Extensor 
carpi radialis und des Extensor digitorum communis derart, daß die 
Hand in stärkster Hyperextension steht. 

Bei der Entlassung steht die Hand etwas dorsal- und ulnar¬ 
flektiert. Die Finger können fast bis zur Faust geschlossen werden. 
Nachbehandlung nicht möglich, da Patientin abreiste. Ende 1905 
keine Nachricht. 

27. Hans H., 5 Jahre alt. Vater gesund, Mutter leidet an 
Schwindel. Eine ältere Schwester gesund, ein jüngerer Bruder hat 
angeblich eine Bewegungsstörung an den Augen, nach der Beschrei¬ 
bung Nystagmus horizontalis. Das Leiden begann am Ende 
des 1. Jahres mit Krämpfen im Kopf, die sich 2—3mal wieder¬ 
holten. Ungefähr gleichzeitig bemerkte die Mutter, daß der Junge mit 
dem linken Arm nicht recht zufaßte, und als Patient anfing zu laufen, 
fiel auf, daß er das rechte Bein nachzog. Auch Schielen wurde be- 


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James Fränkel. 


merkt. Die Intelligenz, die anfangs zurückgeblieben war, hat sich 
stetig gebessert. 

Mai 1905. Nystagmus horizontalis an beiden Augen, 
rechts mehr. Rechte Gesichtshälfte kleiner als die linke, 
rechter Schädelumfang etwas vergrößert (Hydrocephalus). 
An der rechten Hand Pronationskrampf. Keine aktive Supination. 
Keine aktive Streckung im Handgelenk. Finger krampfhaft gebeugt, 
werden im Schlaf gerade ausgestreckt. Gang spastisch-ataktisch. 
Nach orthopädischer Behandlung wesentliche Besserung. 

28. Hildegard P., 4 Jahre alt. Eine ältere Schwester gesund, 
bei einer jüngeren ist der Kopf ungleich gestaltet, was sich 
schon etwas verwachsen haben soll. Schwangerschaft und Geburt 
normal. Keine ansteckende Krankheit. Das Leiden wurde von der 
Mutter bemerkt, als das Kind laufen lernte. 

Oktober 1904. Gang etwas spastisch. Rechte obere und untere 
Extremität im Wachstum etwas zurückgeblieben. Rechter 
Facialis geschwächt. Rechter Arm in typischer Haltung. Supi¬ 
nation angedeutet. Finger in den Metacarpophalangeal¬ 
gelenken überstreckt. Reflexe gesteigert. Intelligenz und 
Sprache intakt. Seit einem Jahr in der Universitätspoliklinik er¬ 
folgreich mit Massage und gymnastischen Uebungen behandelt. 

29. Günther P., jetzt 16 Jahre alt. Mutter hat an epilep¬ 
tischen Anfällen gelitten. Im 7. Monat der Schwangerschaft er¬ 
krankten 2 früher geborene Knaben an Scharlach, woran der älteste 
starb. Das griff die Mutter psychisch sehr an. Sie starb 4 1 /« Monate 
nach G.’s Geburt noch an deren Folgen. Geburt an sich normal. 
Im 2. Lebensjahr erkrankte Patient an Ruhr mit Gehirn Wasser¬ 
sucht. Nach der Genesung wurde bemerkt, daß die rechte Hand 
und der rechte Fuß nicht normal gebildet waren. Bei den etwas 
verspäteten Gehversuchen fiel der schlechte Gang auf und mit 
6—7 Jahren zeigte sich die Unbrauchbarkeit der rechten Hand 
beim Schreibunterricht. Inzwischen wurde auch Schwäche des Ge¬ 
hirns bemerkt. Von Zeit zu Zeit epileptische Krämpfe von 
5—10 Minuten Dauer. Bisher Galvanisation und Massage, Turn¬ 
unterricht in einer orthopädischen Anstalt. Für den rechten Arm 
und das Handgelenk wurde eine Lederhülse angefertigt. Da sich 
keine Besserung zeigte, suchte Patient die Klinik auf. 


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Die infantile cerebrale Hemiplegie. 


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6 . April 1902. Ziemlich kleiner, mittelmäßig genährter Knabe 
von blasser Hautfarbe. Wirbelsäule im dorsalen Teil nach rechts, 
im lumbalen nach links gekrümmt. Die Krümmungen lassen sich 
durch Druck leicht ausgleicben. Muskulatur beider rechten Extremi¬ 
täten geschwächt. Haltung des rechten Armes ganz typisch. Die 
rechte Hand kann Dicht benutzt werden, weil die einzelnen Finger 
dem Willen des Patienten nicht gehorchen. Rechtsseitige Kniebeuge¬ 
kontraktur. Beugestellung des Kniegelenks nicht auszugleichen. 
Rechter Fuß adduziert und supiniert. Aktive Pronation des Fußes 
unmöglich. Gang stark hinkend. Intelligenz herabgesetzt. Patient 
bricht viel. 

Therapie. Mai 1902. Flexor carpi radialis und Flexor carpi 
ulnaris werden mit dem Extensor digitorum communis vernäht, Gips¬ 
verband in dorsalflektierter Stellung. Die sich stark spannenden 
Beugesehnen der rechten Kniekehle werden in offener Wunde durch¬ 
schnitten. Hautnaht. Die Peroneussehnen des rechten Fußes werden 
durch Raffung verkürzt. Gipsverband bei Streckstellung des Knies 
und proniertem Fuß. Nach 8 Tagen Schmerzen an der Fußwunde. 
Verbandwechsel. Ein Teil der Wunde hat sich geöffnet, 2 Seiden¬ 
faden stoßen sich ab. Die Wunde heilt im Verlauf von 8 Tagen. 
Nach 4 Wochen Abnahme der Gipsverbände. Beginn der Massage 
und Gymnastik. Patient ist im stände, die Hand etwas dorsal zu 
flektieren. Knie völlig gestreckt. Wird mit Apparat für den Fuß 
entlassen. 

Ende 1904 Ernährungszustand und Aussehen gut, der Gebrauch 
der rechten Hand ist, wenn auch noch nicht ganz normal, so doch 
erheblich gegen früher gebessert, der rechte Fuß trägt noch den 
Apparat und wird nur noch wenig nachgezogen. Epileptische 
Krämpfe unregelmäßig, zuzeiten seltener, bald wieder schnell aufein¬ 
anderfolgend. 

30. Max H., 8 Jahre alt. Eltern angeblich gesund. Lues 
negatur. Geburt und Schwangerschaft normal. Die Mutter be¬ 
merkte, daß der Junge von vornherein viel ruhiger war als die 
1 Geschwister (3 ältere und ein jüngeres). Als er ein Jahr alt 
war, bekam er Ausschlag im Gesicht mit Fieber (Scharlach?) zu¬ 
sammen mit den älteren Kindern, die aber leichter erkrankten. Die 
Eltern sind geneigt, die Lähmung, die sich V 4 Jahr später bemerk¬ 
bar machte, auf diese Krankheit zurückzuführen. Zuerst zeigte 


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James Fränkel. 


sich, daß die linke Seite einknickte und das linke Bein nachgezogen 
wurde. Keine Krämpfe. 

März 1905. Gang spastisch. Linker Fuß in hochgradiger 
Equinovarusstellung. Linker Oberschenkel schwächer. Linke Ge¬ 
sichtsmuskulatur leicht paretisch, Strabismus conver- 
gens des linken Auges. Linkes Auge hy permetropisch. 
Leichte linkskonvexe Dorsalskoliose. Linker Arm in spastischer 
Beugekontraktur. Biceps stark gespannt. Supination der linken 
Hand unvollständig. Kein Ausfall einer Einzelbewegung. Untere 
Extremität stärker affiziert. Reflexe links stärker. 

Therapie. Am linken Fuß offene Verlängerung der Achilles¬ 
sehne , Abspaltung der äußeren Hälfte. Ueberpflanzung derselben 
auf den verkürzten Peroneus. Verkürzung der Mm. tibialis anticus 
und Extensor digitorum communis nach Hoffa. Ueberpflanzung 
des Musculus peroneus brevis auf die Extensoren. 

Ende 1905. Ausgezeichnetes Resultat. Linker Fuß in leichter 
Valgussteilung, rechtwinklig zum Unterschenkel. Plantarflexion und 
auch Dorsalflexion aktiv möglich. Adduktion und Abduktion ange¬ 
deutet. Gang sehr gut. 

31. Johann H., 17 Jahre alt. Patient erkrankte mit 2 Jahren 
an Scharlach, im Anschluß daran linksseitige Lähmung. 
Zurückgeblieben ein Klumpfuß, der das Gehen sehr erschwerte. 
Beim Eintritt in die Klinik besteht am linken Arm eine leichte 
Flexionskontraktur im Ellenbogengelenk, eine geringe Beugestellung 
im Kniegelenk. Patient tritt mit dem äußeren Fußrand auf. Keine 
Intelligenz- und Sprachstörungen. 

Therapie. Redressement des Klumpfußes. Danach tritt Patient 
mit der ganzen Fußsohle auf und der Gang ist wesentlich gebessert- 
Auch heute noch ist das Resultat das gleiche. 

32. Erwin E., 7 Jahre alt. Eltern gesund. Keine anderen 
Geburten. Schwangerschaft und Geburt normal. Mit 1 l ji Jahren 
Darmkatarrh mit starkem Fieber, Krämpfen und Erbrechen. Un¬ 
mittelbar danach wurde eine Lähmung der linken Seite bemerkt. 
Das Kind litt seit der Geburt an schwachem Magen und an Husten. 

März 1903. Die Lähmung ist hauptsächlich nur noch an der 
linken Gesichtshälfte zu erkennen, deren Muskulatur geschwächt ist. 
Rumpf und obere Extremitäten ganz verschont. Linker Fuß in Spitz- 


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fußstellung, linkes Bein 1 cm kürzer als das rechte. Sprache nicht 
verändert. Geistige Fähigkeiten etwas schwach. 

Therapie. Ende 1905 Tenotomie der Achillessehne. Gang 
jetzt ganz normal. 

33. Betty A., 16 Jahre alt. Einziges Kind. Eltern gesund. 
Bis zum 4. Lebensjahr ganz gesund. Masernerkrankung, da¬ 
nach soll allmählich das linke Bein angefangen haben zu hinken, 
und der linke Arm beugte sich im Ellenbogen; die Finger wurden 
unbeweglicher, auch im Schultergelenk trat leichte Bewegungsstörung 
ein. Beim Gehen bezw. bei Bewegungen des Armes hat Patientin, 
namentlich bei feuchter Witterung, öfter Schmerzen in den befallenen 
Gliedern. Die verschiedensten Medikamente, ferner Bäder, Elek¬ 
trizität und Massage sind angewandt worden. Seit einem Jahr soll 
sich der Zustand verschlechtert haben. 

Befund. Im Handgelenk sind aktive Bewegungen nicht mög¬ 
lich. Supination ist nicht ausführbar. Die in Flexion befindlichen 
Finger können nicht gestreckt werden. Daumen steht adduziert. Linker 
Fuß in Equinovarusstellutig. Knie leicht gebeugt. Patellarreflex er¬ 
höht. Fußclonus und Babinski positiv. Keine sensiblen Störungen. 

Therapie. Pronatorplastik. Verkürzung des Extensor digi- 
torum communis und Verkürzung des Extensor pollicis longus. Gips¬ 
schiene bei hyperextendierter Stellung. Tenotomie der linken Achilles¬ 
sehne. Uebliche Nachbehandlung. Resultat gut. 

34. Johanna F., 3 *2 Jahre alt, wurde als 6. Kind geboren, 
Geburt rechtzeitig nach normaler Schwangerschaft. Im 6. Monat, 
bevor die Lähmung erkannt wurde, hatte das Kind starken Lungen¬ 
katarrh. Die Lähmung befiel die rechte Seite und machte sich 
zuerst durch Eindrücken des Daumens in die Hohlhand bemerkbar. 
Später Masern. 

Februar 1905. Kräftiges, gut entwickeltes Kind. Sprache und 
geistige Fähigkeiten normal. Der Gang etwas hinkend, mit dem 
rechten Fuß auf der Spitze auftretend. Arm stärker befallen. Daumen 
krampfhaft in die Hohlhand eingeschlagen. 

Therapie. Verkürzung des Extensor digitorum communis und 
des Extensor pollicis longus. 

Jetzt können die Finger viel besser bewegt werden, die Beu¬ 
gung und Streckung der Hand geschieht in fast normaler Weise, 
die falsche Stellung des Daumens ist beseitigt. Ein- und Auswärts- 


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230 


James Frankel. 


drehung durch den Pronationsspasmus noch gestört. Jedenfalls aber 
ist die Besserung eklatant, und die Eltern sind mit dem Erfolg sehr 
zufrieden. 

35. Paul Sch., 1V» Jahre alt. 1. Kind im 14. Jahr der Ehe. 
Der Vater der Mutter ist an Delirium tremens gestorben. Vater 
Rheumatiker und sehr erregbar. Während der ganzen Schwanger¬ 
schaft hat die Mutter andauernd an Erbrechen gelitten. Als das 
Kind 3 Wochen alt war, Darmkatarrh, später Krampfe am ganzen 
Körper, darauf Lungenentzündung. Nach einigen Wochen Gehirn¬ 
entzündung. Als Patient danach zu sich kam, konnte er die rechte 
Seite nicht bewegen. 

Sommer 1904. Geistig rege. Von der Lähmung ist eine 
leichte rechtsseitige Facialisparese zurückgeblieben. Geringe 
Spasmen im rechten Arm, der um 2 cm verkürzt ist. Etwas er¬ 
höhte Reflexe. Greifen der Hand erschwert. Rechter Fuß in ge¬ 
ringer Calcaneo-valgusstellung. Leichte Crura rhachitica. Therapie: 
Bäder, Massage, Uebungen. 

36. Nanny V., 5 1 /* Jahre alt. Geburt normal. Patientin er¬ 
krankte mit 10 Monaten an Hirnhautentzündung, im Anschluß 
daran Lähmung des linken Armes. Später wurde ein Nachschleppen 
des linken Beines bemerkt. Befund bei der Aufnahme in die Klinik: 
Intelligenz herabgesetzt, Sprache undeutlich und erschwert. Stra¬ 
bismus. Der linke Arm wird im Ellenbogengelenk rechtwinklig 
gebeugt gehalten und an den Rumpf angedrückt. Fingerstreckung 
erschwert. Linkes Bein im Hüft- und Kniegelenk etwas gebeugt 
und nach innen rotiert. Der Fuß steht in Equinovarusstellung. 
Gang hinkend mit einer Kreisschwenkung im Hüftgelenk und sehr 
unsicher. 

Therapie. Tenotoraie der Achillessehne, Massage, Elektrizität, 
Gehübungen. Patientin geht jetzt, wie uns die Mutter kürzlich be¬ 
richtete, wesentlich sicherer und tritt mit der ganzen Fußsohle auf. 
Die Intelligenz soll sich gehoben haben. Am Arm keine Aenderung. 

37. Hans K., 3 Jahre alt. Zweiter Partus. Ein älteres Kind 
an Gehirnkrämpfen gestorben. In der ersten Zeit der Schwanger¬ 
schaft hatte die Mutter sehr starkes Erbrechen. Geburt normal. 
Mit l 3 /4 Jahren lernte der Junge laufen. Mit 2 Jahren trat plötz¬ 
lich Erbrechen und Fieber über 39 Grad auf, das 8 Tage anhielt. 


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Die infantile cerebrale Hemiplegie. 


231 


Als Patient aufstehen wollte, konnte er das rechte Bein nicht ansetzen. 
Er wird als sehr ängstlich geschildert. 

1904. Leichte Equinovarusstellung rechts. Rechtsseitiges Genu 
Talgum. Rechtes Bein geschwächt. Linkshänder. Patient klagt 
öfters über Schmerzen im Kopf. Keine Gesichtsasymmetrie. Die 
geringen Reste der Lähmung sind durch Elektrizität und Massage 
Tollständig beseitigt worden. 

38. M. E., 17 Jahre alt. Patientin stammt aus gesunder Familie 
und soll bis zum Alter von 11 Jahren gesund gewesen sein. Das 
Leiden begann mit Unwohlsein, 6 Stunden anhaltender Bewußtlosig¬ 
keit und Zuckungen am ganzen Körper. An den nächsten Tagen 
hohes Fieber bis 40 Grad. Danach entwickelte sich ganz langsam 
eine Lähmung des rechten Armes und Beines. Durch Elektrizität 
einige Besserung. In den letzten 5 Jahren, wo Patientin nicht mehr 
behandelt wurde, ist keine Aenderung eingetreten. Mittelkräftiges 
Mädchen. Gang etwas hinkend. Das rechte Bein steht beim Gehen 
in leichter Adduktionsstellung und wird im Kniegelenk stärker ge¬ 
beugt als links, damit der in leichter Equinovarusstellung befindliche 
Fuß nicht mit der Spitze am Boden schleift. Die große Zehe steht 
ira Metatarsophalangealgelenk in fast rechtwinkliger Dorsalflexion. 
Der Fuß kann nicht ganz zum rechten Winkel dorsalflektiert werden. 
Die Schultermuskulatur des rechten Armes ist kräftig. Das Ellenbogen¬ 
gelenk wird in einem Winkel von 135 Grad gebeugt gehalten. Ein 
weiteres aktives Strecken gelingt nur wenig mehr, trotzdem der Tri- 
ceps ebenso kräftig ist wie auf der linken Seite. Spasmen in der 
Beugemuskulatur. Hand typisch gestellt. Daumen adduziert. Beim 
Versuch die Hand zu strecken, erhebt sich dieselbe in Ulnarflexion 
bis zum halben rechten Winkel. Passiv läßt sich die Hand dorsal 
flektieren. Die Finger stellen sich dabei in starke Beugestellung. 
Die Hand fühlt sich kühler an als die gesunde linke und ist bläu¬ 
lichrot verfärbt. Die Eltern wollen nur an der Hand operativ bessern 
lassen. 

Therapie. Operation: Verkürzung des Extensor carpi radialis 
longus. Gipsverband in leicht dorsal- und radialflektierter Stellung 
der Hand, wobei besonders Wert darauf gelegt wird, daß auch der 
Daumen in möglichst abduzierter und alle Finger in gestreckter 
Stellung sich befinden. Während der Nachbehandlung, die in täg¬ 
lich zweimaliger Massage und Elektrizität besteht, trägt Patient 


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232 


James Fränkel. 


noch eine volare Gipsscbiene. Entlassungsbefund: Die Hand kann 
bis zum halben Rechten gebeugt und vollkommen gerade gestreckt 
werden, ebenso die Finger, die nunmehr zu allen möglichen Hantie¬ 
rungen gebraucht werden können. Auch der Daumen hat nach der 
langen Fixation in Redression nicht mehr die frühere adduzierte Stel¬ 
lung. — Hier hat eine Sehnenverkürzung für das sehr zufriedenstel¬ 
lende Resultat genügt, indem sich die geschwächten Muskeln sehr 
schnell der durch die tendinöse Fixation des Handgelenkes geschaf¬ 
fenen Stellung anpaßten. 

39. Erika W., 15 Jahre alt. Als drittes Kind geboren. Drei 
Schwestern sind körperlich und geistig gesund. Da das Kind Waise 
ist und seit dem 4. Jahre von Pflegeeltern erzogen wird, ist über 
Schwangerschaft und Geburt nichts Näheres zu eruieren. Angeblich 
war das Kind bis zum 2. Jahr völlig gesund. Es bekam dann G e- 
hirnentzündung und danach Schlaganfall, wobei die ganze linke 
Seite gelähmt war. Die Intelligenz entwickelte sich sehr langsam. 
Patientin lernte erst im 4. Jahre laufen und sprechen. Krämpfe 
sind häufiger aufgetreten. Anamnestisch ist noch bekannt, daß der 
Vater hochgradig nervös war. 

Juni 1903. Aussehen und Ernährungszustand gut. Artiku¬ 
lation mangelhaft. Linke Gesichtshälfte paretisch. Arm- und Hand¬ 
stellung ganz typisch. Supination und Dorsalflexion ausgeschlossen. 
Verkürzung um 3 cm. Linkes Bein etwas schwächer. 

Therapie. Pronatorplastik. Verkürzung des Extensor dig. 
comm. Gipsverband. Uebliche Nachbehandlung. Greifübungen. 

Ende 1904 teilt uns die Pflegemutter mit: Die Hand befindet 
sich in völlig normaler Stellung und ist sehr gut gebrauchsfähig. 

40. Heinrich T., jetzt 20 Jahre alt. Erstes Kind. Als es 
Jahr alt war, fiel ihm eine Baustange auf den Kopf, 

in der zwei spitze eiserne Nägel steckten. Diese drangen durch die 
Kopfdecke ein. Nach 3 Wochen konnte man deutlich sehen, daß 
die linke Seite bei Bewegungen zurückblieb, hauptsächlich die Hand. 
Später zeigte sich auch, daß das linke Bein gelähmt war. Keine 
späteren Krankheiten. Der Arm ist längere Zeit regelmäßig elektri¬ 
siert worden, wurde dadurch aber nicht gebessert. Gesicht und Rumpf 
waren an der Lähmung nicht beteiligt. 

Ende 1903. Typische Stellung des linken Armes und der linken 
Hand. Ueblicher Bewegungsausfall. Linker Arm im Wachstum er- 


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Die infantile cerebrale Hemiplegie. 


233 


heblich zurückgeblieben. Das linke Bein wird ein wenig, namentlich 
beim langsamen Gehen, nachgezogen und ist im ganzen schwächer. 

Therapie. Verlagerung des Pronator teres. Verkürzung des 
Extensor digitorum communis. Lange fortgesetzte sorgfältige Nach¬ 
behandlung. Galvanisation. Bei der Entlassung ist aktive Dorsal¬ 
flexion und Supination möglich. 

Februar 190(3. Die operierte Hand ist aktiv volar- und dorsal¬ 
flektierbar, auch aktive Supination ist möglich. Die Bewegungen 
sind aber dadurch behindert, daß sämtliche Sehnen sich stark retra- 
hiert haben und daher sehr gespannt sind. Um diesem Uebelstand 
abzuhelfen, ist jetzt eine Kontinuitätsresektion aus den beiden Vorder¬ 
armknochen vorgenommen worden. 

41. Wilhelm E., 27 Jahre alt. Geburt normal. Vor der Er¬ 
krankung ganz gesund. Im Alter von 2 Jahren fiel er aus dem 
zweiten Stockwerk. Danach trat sofort eine halbseitige, 
linksseitige Lähmung auf. Keine Krämpfe. 

Der linke Arm hat besonders gelitten. Er befindet sich in 
der typischen Stellung, die Kontraktur ist äußerst stark. Supination 
unmöglich. Dorsalflexion angedeutet. Gang links hinkend. Linkes 
Bein kürzer und geschwächt. Linker Facialis paretisch. Sprache 
stotternd. Kein Intelligenzdefekt. In seinem Beruf als Schreiber 
ist Patient sehr tauglich. Zu einer Operation kann er sich nicht 
entschließen. 

42. Heinrich H., 43 Jahre alt. Die Mutter hat an Krämpfen 
gelitten, der Vater ist gesund gewesen. Lues negatur. Bis zu seinem 
5. Lebensjahr war Patient angeblich gesund. Damals ist er — wie 
er sagt, vor Schreck — in den Rinnstein gefallen. Danach 
traten Krämpfe auf, und die linke Seite war vollständig 
gelähmt. 

Kleiner, schwächlicher Mann, leidet viel an Kopfschmerzen und 
ist sehr ängstlich geworden. Linker Arm und linke Hand in hoch¬ 
gradiger Kontrakturstellung. Typisches Bild. Linker Facialis 
spastisch innerviert. Gang hinkend. Linker Fuß in leichter Spitz¬ 
fußstellung. Häufige epileptische Krämpfe. Bei dem letzten 
Insult verletzte sich Patient in der linken Gesichtshälfte, auf die er 
fiel; er wurde blutüberströmt aufgefunden. 

Hier hat die Deformität, die nie behandelt worden ist, den 
Höhepunkt erreicht. Es zeigt sich das ausgeprägte Bild hoch- 


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James Fränkel. 


gradigster Kontrakturen in Ellenbogen-, Hand- und Fingergelenken 
mit schweren Wachstumstörungen und Atrophien, die das gelähmte 
Glied zu einem unbrauchbaren Appendix gemacht haben. Patient 
illustriert gleichzeitig den Ausgang der infantilen Hemiplegie 
in schwere Epilepsie. 

43. Käthe T., 3 3 /i Jahre alt. Erste Geburt, ganz normal. 
Schwangerschaft ohne Störung. Später hat die Mutter einmal abor¬ 
tiert. Keine Lues. Mit 7 Monaten — vorher wurde nichts Abnormes 
an dem Kinde bemerkt, — als Patientin die ersten Zähne bekam, traten 
Krämpfe auf von 4 Stunden Dauer. 8 Tage nachher war die ganze 
rechte Seite gelähmt. Als sie anfing zu laufen, wurde bemerkt, 
daß sie immer auf der rechten Fußspitze lief, und daß sich unwill¬ 
kürlich der rechte Arm beim Laufen beugte, indem die Hand her¬ 
unterhing. Die Krämpfe haben sich nicht wiederholt. 

Oktober 1905. Frisches, intelligentes Kind ohne Zeichen von 
englischer Krankheit. Zähne sehr gut. Beim Lachen und Zähne¬ 
fletschen steht der rechte Mundwinkel eine Spur tiefer als links. 

Rechter Arm im ganzen schwächer, geringer Spasmus, 
leichte athetotische Bewegungen der rechten Hand. Hände¬ 
druck entschieden schwächer als links. Beim Versuch, die Finger der 
rechten Hand aneinanderzubringen, Ueberstreckung in den Grund¬ 
gelenken mit Spreizung der Finger. Kein direkter Ausfall einer 
Einzelbewegung. Tricepsreflex rechts stärker als links. Radiusperiost¬ 
reflex beiderseits schwach. Rechte Hand wird geschont. Wenn Patien¬ 
tin doch etwas mit ihr tut, macht sie den Mund unwillkürlich 
dabei auf. Bauchreflex symmetrisch. Initiale Spasmen im rechten 
Kniegelenk bei Bewegungen. Rechts Pes equinus. Babinski positiv. 
Gang schleifend und nach links hinkend. November 1905. Tenotomie 
der rechten Achillessehne. Noch in Behandlung. 

44. Hans R., jetzt 16 Jahre alt. Dritte Geburt. Das älteste 
Kind hat an Zahnkrämpfen gelitten. Geburt etwas schwer, aber 
ohne Kunsthilfe. Im ersten Lebensjahr körperlich und geistig völlig 
gesund. Als Patient 1 Jahr alt wurde, bekam er Zahnkrämpfe, 
welche von Mittags 2 Uhr bis zum anderen Morgen um 6 Uhr an¬ 
hielten. Ein Arzt, der mit Chloroformnarkose die Krämpfe zu be¬ 
kämpfen versuchte, stellte linksseitige Lähmung fest. Bisher wurde 
Patient in orthopädischen Anstalten mit Arm- und Beinschienen be¬ 
handelt. 


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Die infantile cerebrale Hemiplegie. 


235 


Frühjahr 1904. Ernährungszustand gut. Sprache stotternd. 
Leichter Strabismus convergens des linken Auges. Andeutung 
einer linksseitigen Facialisschwäche und Hypoglossusparese. 
Gang ein wenig nach links hinkend. Muskulatur schwächer. Linkes 
Bein kürzer. Geringer Spitzfuß. An der linken Hand schwere Pro¬ 
nationskontraktur. Hand in rechtwinkliger Volarflexion gebeugt, kann 
nicht dorsalflektiert werden. Juni 1904 Pronatorplastik. Verlänge¬ 
rung der Flexoren der Hand. Verkürzung der Extensoren. 

Ende 1905. Aktive Pronation und Dorsalflexion gelingt nicht. 
Die Hand hat aber eine wesentlich bessere Stellung bekommen. An¬ 
gesichts der Schwere des Falls ist die kleine Besserung für den Pa¬ 
tienten schon wertvoll. Er kann sich als Gärtner gut beschäftigen. 

45. Helmuth Ö., 4 Jahre alt. Eine Schwester des Vaters 
ist nervenkrank. (Nach der Beschreibung Littlesche Krankheit.) 
Erstes Kind. Schwangerschaft und Geburt normal. Keine fieber¬ 
hafte Erkrankung. Mit 6 Monaten traten Krämpfe am ganzen 
Körper auf, die ein Arzt als Zahnkrämpfe erklärte. Dann wurde 
bemerkt, daß der rechte Arm nicht richtig gebraucht wurde, und 
später zeigte sich ein Nachschleppen des rechten Fußes. Von An¬ 
fang an fiel den Eltern auf, daß die Bewegungen des Kindes un¬ 
geschickt waren. Im Alter von 1 Jahr Phimosenoperation. 

August 1905. Rechtsseitiger Spitzfuß, rechter Arm etwas un¬ 
geschickt, kann aber alle Einzelbewegungen ausführen. Rechter 
Patellarreflex gesteigert. Deutliche Schwäche im rechten Facialis- 
gebiet. Tenotomie der Achillessehne nach Bayer. 

Ende 1905 Gang bedeutend gebessert. Fuß in guter Stellung. 

46. Karl H., 6 Jahre alt. Keine Geburtsanomalien. Mit l \* Jahr 
bemerkte die Mutter, daß das Kind den linken Arm gar nicht be¬ 
wegen konnte. Und als es anfangen sollte zu gehen, schleifte es 
immer das linke Bein nach. Keine Kinderkrankheit infektiöser Art. 
Mit 3 Jahren Krampfanfälle, die nach der Beschreibung epi¬ 
leptisch waren und bis zum 5. Jahr anhielten. Befund: Intelligenz 
und Sprache ungestört. Extremitäten der linken Seite etwas schwächer. 
Linker Arm und Bein kürzer, linke Hand deutlich kleiner. Links¬ 
seitiger Spitzfuß. 

Therapie: Massage, Elektrizität der oberen Extremitäten. Teno¬ 
tomie der Achillessehne. Gipsverband. Patient tritt jetzt mit der 
ganzen Fußsohle auf. 


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236 


James Frankel. 


47. Gertrud Pr., 8 Jahre alt. Anamnestwch ist bekannt, daß Pat. 
in den ersten Lebensmonaten an Krämpfen litt, die nach dem 1. Lebens¬ 
jahr wieder verschwanden. Im 3. Jahr wurde die Lähmung der rechten 
Seite bemerkt. Der Zustand ist seitdem unverändert geblieben. 

Befund: Gang leicht hinkend, keine Atrophie der rechten Seite. 
Typischer Befund am Arm. 

Therapie: Verkürzung des Extensor carpi radialis longus. Die 
Hand wird mittels Gipsschiene in starke Dorsalflexion gestellt. Nach 
4 Wochen Abnahme des Verbandes. Resultat: Die Hand steht in 
normaler Stellung, die Finger können besser gebeugt und gestreckt 
werden wie vorher. Die Greifkraft der Hand hat zugenommen, so 
daß Patientin jetzt einen kleineren Gegenstand festhalten kann. Auch 
die Stellung des Armes ist besser geworden. 

48. Fr. Kr., 3 Jahre alt. Mit 3 4 Jahren bemerkte der Vater, 
daß das Kind, das vorher niemals krank gewesen ist, das rechte Bein- 
chen bei den Gehversuchen nachschleppte und den Arm in rechtwink¬ 
liger Beugestellung ziemlich krampfhaft an die Brust anlegte und nur 
mit Mühe von derselben entfernen konnte. Da von der Behandlung 
mit Massage, Elektrizität und Bädern kein genügender Fortschritt 
zu sehen war, wurde das Kind in die Klinik gebracht. Typischer 
Befund der oberen Extremität. Hochgradiger Spitzfuß. 

Therapie. Tenotomie der Achillessehne. Da nach Abnahme 
des Gipsverbandes noch eine leichte Spitzfußstellung bestand, erhielt 
Patient eine Beinschiene mit Gunnnizügen, mit der er dann entlassen 
wurde und gut ging. Im übrigen wurde die frühere Behandlung 
fortgesetzt. Nach Mitteilungen des Vaters ist der Gang viel besser 
geworden. Ein Nachschleppen wird kaum mehr bemerkt. 

49. Frieda P., jetzt 9 Jahre alt. Fünftes Kind. Unmittelbar 
nach der Geburt wurde bemerkt, daß die linke Seite von Kopf bis 
Fuß gelähmt war. Das Kind war so schwach, daß es weder die 
Brust noch die Flasche ziehen konnte und durch Einflüßen der Nah¬ 
rung erhalten werden mußte. Schwangerschaft und Geburt sollen nor¬ 
mal verlaufen sein. Das Kind lernte mit 1 1 2 Jahren laufen, mit 
2 l l'i Jahren sprechen. 

1901. Intelligenz um wenigstens 2 Jahre zurück. Linker Arm 
und linkes Bein muskelschwächer, im Wachstum zurückgeblieben. 
Leichter Spitzfuß links. Linkes Facialis gebiet paretisch. 
Keine Krämpfe. Orthopädische Behandlung. 


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Die infantile cerebrale Hemiplegie. 


237 


1904. Ernährungszustand und Aussehen gut, geistige Fähig¬ 
keiten gering. Am linken Arm ist nur noch eine geringe Unge¬ 
schicklichkeit vorhanden. 

50. Janchen E., 17 Jahre alt. Rechtzeitig geboren, ist bis 
zum 12. Jahre gesund gewesen. Mit 12 1 /* Jahren bekam Patientin 
plötzlich eine Ohnmacht, woran sich eine Bewußtlosigkeit von 
6 Stunden anschloß. Eine Ursache war nicht aufzufinden. Hereditär 
nicht belastet. Keine Infektionskrankheiten. Als das Kind gehen 
sollte, bemerkten die Eltern, daß es auf der rechten Seite ge¬ 
lähmt war. 

Status. Keine Intelligenzstörung. Sprache etwas erschwert. 
Gang hinkend, das rechte Bein wird nachgezogen. Die rechte 
Beckenhälfte wird dabei etwas gehoben, so daß das rechte Bein in 
Adduktionsstellung kommt. Das rechte Bein wird beim Laufen auf¬ 
gestampft. Atrophie geringen Grades im rechten Unterschenkel. 
Läßt man den Fuß ruhig hängen, so stellt er sich in Equinovarus- 
stellung. Die große Zehe steht in leichter Dorsalflexion. Haltung 
des rechten Armes ganz typisch. Streckung im Ellenbogen nur 
etwa bis zu 25 °. Vorderarm steht proniert. Supination erschwert. 
Bei wagerechter Haltung des Armes hängt die Hand rechtwinklig 
herab, und der Daumen steht adduziert. Bei großer Kraftanstren¬ 
gung kann Patientin zwar die Hand einen Moment gerade strecken, 
sie geht dann aber gleich wieder in die hängende Stellung zurück. 

Therapie. Verkürzung des Musculus extensor carpi radialis 
longus. Stellung der Hand in Dorsal- und Radialflexion im Gips¬ 
verband. Entsprechende Nachbehandlung. Resultat: die Hand steht 
völlig gestreckt, nur noch ein wenig ulnarwärts gebeugt. Daumen 
noch etwas adduziert. Die Greifbewegung und überhaupt die Ge¬ 
brauchsfähigkeit der Hand hat sich wesentlich gebessert. 

51. T. P., 8 Jahre alt. Patientin hat ihr Leiden seit dem 
8. Lebensjahr. Nähere anamnestische Angaben fehlen. Patientin 
ist gut entwickelt und sieht blühend aus. Gang leicht hinkend. 
Das rechte Kniegelenk wird gebeugt gehalten, der vollkommenen 
Streckung leisten die Beugemuskeln in der Kniekehle Widerstand. 
Die Fußrauskeln und die Muskeln der Hüfte sind etwas schwächer 
als links, doch ist der Unterschied unbedeutend. Aktive Bewe¬ 
gungen im Schulter- und Ellenbogengelenk ungestört bis auf eine 
leichte Beschränkung in der Streckung. Läßt man den rechten 


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238 


James Frankel. 


Arm wagerecht halten, so hängt die Hand wie üblich proniert 
herab, die Grundphalangen der Finger können aktiv ein klein wenig 
gestreckt werden. Streckung und Adduktion des Daumens sind aus¬ 
führbar. Supination der Hand aufgehoben. Bei dem Versuche, die 
herabhängende Hand zu strecken, wird diese nach der Ulnarseite 
verzogen und etwas gedreht. Radiale Abduktion und Extension der 
Hand ganz ausgeschlossen. Die Streckmuskeln sind sämtlich ge¬ 
schwächt. Gar nicht wirksam sind nach der elektrischen Unter¬ 
suchung der Extensor carpi radialis longus und die Supinatoren. 

Therapie. Operation: Verkürzung des Extensor carpi radialis 
longus. Volare Gipsschiene, bei dorsal- und radialflektierter Hand 
angelegt. Nach entsprechender Nachbehandlung können die Finger 
aktiv gut gebeugt und gestreckt werden. Die Hand befindet sich 
in normaler Stellung und hat die Greiffähigkeit erlangt. — Auch 
hier hat, wie in einigen früher angeführten Fällen, die Verkürzung 
des Extensor carpi radialis longus genügt, um die Hand in Streck¬ 
steilung zu bringen. Durch die Nachbehandlung ist die noch vor¬ 
handene Kraft der nur geschwächten Muskeln gestärkt worden. 

52. Alfred F., 5 Jahre alt. Anamnese nicht zu eruieren. Gut 
entwickeltes Kind. Intelligenz mäßig. Rechte obere Extremität in 
toto schwächer. Unterarm kann aktiv gebeugt und gestreckt, aber 
nicht supiniert werden. Finger in Beugekontraktur, Daumen fest 
in die Holilhand eingeschlagen. Rechtes Bein etwas schwächer. 
Die Zehen können gut gebeugt, weniger gut gestreckt werden. 
Der innere Fußrand wird nicht aktiv gehoben. Beim Gehen berührt 
der innere Fußrand den Boden, der Fuß wird nachgeschleift. 

Therapie. Verpflanzung des Pronator teres nach Hoffa, Ver¬ 
kürzung des Extensor digitorum communis. Verpflanzung des Flexor 
carpi ulnaris und des Flexor carpi radialis auf die Extensoren. Re- 
dressierender Gipsverband. Erfolg: Die Hand steht in Mittelstel¬ 
lung, kann viel besser gestreckt werden als früher und jetzt auch 
supiniert werden. Am Fuße ist durch Massage und Gehübungen 
erhebliche Besserung erzielt worden. 

53. E. W., 13 Jahre alt. Vater starb an unbekannter Krank¬ 
heit. Mutter und Geschwister gesund. Von Kinderkrankheiten nichts 
bekannt. Als die Patientin 1 1 2 Jahr alt war, soll sie einen Schlag¬ 
anfall gehabt haben. Danach war der linke Arm und Fuß gelähmt. 
Laufen hat sie erst mit 6 Jahren gelernt. Kräftiges in gutem Ernäh- 


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Die infantile cerebrale Hemiplegie. 


239 


rungszustand befindliches Mädchen. Der linke Arm hängt schlaff her¬ 
unter. Die linke Hand steht proniert, die Finger stehen flektiert. 
Daumen in die Hohlhand eingeschlagen, Supinationsbewegungen des 
linken Unterarms fast unmöglich. Dabei äußert die Patientin Schmerzen 
und gibt an, daß sie im Ellenbogen einen Krampf verspüre. Die Finger 
können passiv nur unter Ueberwindung eines leichten Widerstandes ge¬ 
streckt werden, aktiv ist es unmöglich. Der linke Daumen kann nicht 
abduziert werden. In der Ellenbeuge spannt sich die Sehne des Biceps 
als ein kontrahierter fester Strang an. Die Haut des linken Armes 
ist bläulich verfärbt und kalt anzufühlen. Muskulatur der rechten 
Extremitäten schwächer entwickelt. Linker Fuß in leichter Equino- 
yarusstellung, aktive und passive Bewegungen nach allen Richtungen 
möglich. Muskulatur etwas atrophisch. Verkürzung des Beines um 
1 cm. Gang leicht hinkend. Linke Beckenhälfte steht tiefer. Leichte 
Skoliose. 

Therapie. Verpflanzung des Pronator teres. Durchschneidung 
des Lacertus fibrosus und der Sehne des Biceps in der Armbeuge. 
Verkürzung der Sehne des Extensor digitorum communis und des 
extensor digiti quinti derart, daß die Hand und die Finger in ex¬ 
tremer Hyperextension stehen. Gipsverband. Heilung per primam. 
Die Hand steht in starker Hyperextension, die Fingerspitzen können 
dennoch gebeugt werden, 8 Tage nach der Operation wird mit 
Bädern, vorsichtiger Massage, aktiven und passiven Bewegungen der 
Finger begonnen. Nach einer öwöchentlichen Nachbehandlung ist 
das Resultat folgendes: die Hand steht in wagerechter Stellung, die 
Finger können vollkommen gestreckt werden, außer dem Daumen, 
der nicht abduziert werden kann. Die Finger können zur Faust 
geballt werden, dabei steht die Hand in leichter Dorsalflexion, die 
Kraft ist zwar noch herabgesetzt, hat sich aber schon bedeutend ge¬ 
hoben. Der Arm kann im Ellenbogen vollkommen gestreckt werden. 
Der Krampfzustand in der Muskulatur ist vollständig verschwunden. 
Die Supination der Hand ist nahezu völlig ausführbar. Die gesamte 
Muskulatur des Ober- und Unterarms ist voluminöser geworden. 

Durch die Operation ist zunächst in kosmetischer Hinsicht ein 
guter Erfolg erzielt worden, die Hand sieht fast wie eine normale 
aus. Auch das funktionelle Resultat kann als ein sehr gutes be¬ 
zeichnet werden. Die Patientin kann Pronations- und auch Supina¬ 
tionsbewegungen ausführen. Die Krampfzustände haben vollkommen 
aufgehört. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XV. Bd. 10 


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Zahl 


240 


James Frankel. 


Tabelle I. (Betrifft 


Name 

Wie¬ 

vieltes 

Kind? 

Hereditär 

Schwangerschaft 

Emilie W. 

5. 

Vater gibt Syphilis zu. 

— 

Bernhard St. 

2. 

Vater und Mutter syphili¬ 
tisch. 

— 

Paul B. 

1 . 

Eltern syphilitisch. 

- 

Lieschen M. 

1 . 

Eltern syphilitisch. 

— 

Hedwig P. 

2. 

Verdacht auf hereditäre 
Lue8 (vor dieser Geburt 
2 Aborte). 

— 

Charlotte T. 

2. 

Verdacht auf hereditäre 
Lues (vor dieser Geburt 
2 Aborte, ein älterer 
Bruder Achtmonatskind, 
Hutchinson sehe Zahn- 
forra [?]). 


Erna S. 

1 . 

— 

Kurz vor der Geburt des 
Kindes hat die Mutter ein 
Trauma erlitten. 

Paul P. 

1 . 

— 

Einige Tage vor der Geburt 
des Kindes stürzte die 

1 Mutter. 

Susanne R. 

2. 

— 

Die Mutter hatte ein großes 
Eierstockky stom. 

Bertha W. 

3. 

— 

Die Mutter leidet an engem 
Becken (2 Kinder vor¬ 
her bei der Geburt ge¬ 
storben). 

Richard B. 

4. 


6 Wochen vor der Geburt 
erlitt die Mutter ein 
Trauma. 


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Die infantile cerebrale Hemiplegie. 


241 


die Aetiologie.) 


Gebart 

Extrauterine 

Erkrankung 

Die ersten Zeichen 
der Krankheit 
wurden bemerkt 

Aetiologie 

Etwas länger als 
normal. 

— 

Gleich nach der Ge¬ 
burt. 

Hereditäre Lues. 

— 

Pemphigus syphili¬ 
ticus. 

Mit V/a Jahren ent¬ 
stand die Hemiple¬ 
gie apoplektiform. 

Hereditäre Lues. 

Frühgeburt. 

Syphilitisches Ex¬ 
anthem. 

Im 3- Jahr trat die 
Lähmung apoplek¬ 
tiform auf. 

Hereditäre Lues. 

Frühgeburt. 

Mit 8ypbilit. Aus¬ 
schlag geboren. 

Im 10. Monat nach 
halbseitigenGehirn- 
krämpfen. 

Hereditäre Lues. 

— 

i 

Im 5. Jahre M a- 
s e rn. 

4 Monate nach der 
Masernerkrankung. 

Hereditäre Lues (?) 
-f- Masern. 

Frühgeburt 
(Siebenmonats¬ 
kind), sehr 
schwer. 

Mit 5 Jahren Diph- 
theritis, danach 
Verschlimmerung 
der Lähmung. 

Mit 2V 2 Jahren, als 
sie laufen lernte. 

Hereditäre Lues (?). 

Frühgeburt, sehr i 
schnell. As¬ 
phyxie. 

— 

Gleich nach der Ge¬ 
burt. 

Trauma der Mutter 
intra graviditatera. 

Frühgeburt. As¬ 
phyxie. 

— 

Im 7. Monat. 

Trauma der Mutter 
intra graviditatem. 

Frühgeburt, sehr 
schwer. Schwere 
Asphyxie. 


Im 6. Monat unter 
Konvulsionen. 

Intraabdominelle 
Raumbeengung in¬ 
tra graviditatem (?). 

Frühgeburt 
(Siebenmonats¬ 
kind). Asphyxie. 

Mit 7 Monat, fieber¬ 
hafter Darmka¬ 
tarrh, danach M a- 
sern. 

Mit 1 Jahr. 

Enges Becken der 
Mutter (?) -f- In¬ 
fektionskrank¬ 
heit. 

Schwere Ge¬ 
bart, Nabel¬ 
schnur um den 
Hals geschlun¬ 
gen. Asphyxie. 


Innerhalb des ersten 
Jahres. 

Trauma der Mutter 
intra graviditat. (?) 
-f- schwere Ge- 
b u r t. 


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Zahl 


242 


James Frankel. 


Wie- 

Name vieltes Hereditär 

Kind? 

12 Walter St. 5. Die Mutter litt an Epi¬ 

lepsie. 

13 Else E. 2. Die Großmutter litt an Epi¬ 

lepsie. 

14 Bertkold F. 7. — 

15 Max F. 1. — 

I 

16 Elisabeth Sch. 6. ! — 

17 Kurt J. 1 . — 

18 Hans M. 1. — 

19 Wilhelm M. 1. — 

20 1 Max S. 1. — 


21 Karl N. 

1 . — 

22 Anna B. 

1 . — 

23 Bruno F. 

3. — 


Schwangerschaft 


Die Mutter litt während 
der Schwangerschaft an 
seelischer Depression. 



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Die infantile cerebrale Hemiplegie. 


243 


Geburt 

Extrauterine 

Erkrankung 

Die ersten Zeichen 
der Krankheit 
wurden bemerkt 

Sehr schwere 
G eburt. 

— 

Gleich nach der Ge¬ 
burt. 

Steißgeburt, 
Nabelschn ur- 
umschlin- 
g u n g. As¬ 
phyxie. 

Mit 1V* Jahren In¬ 
fluenza, danach 
Verschlimme¬ 
rung der Läh¬ 
mung. 

Mit 1 2 Jahr bemerkt. 

Schwere Ge¬ 
burt. 

Mit 14 Mon. Schar¬ 
lach - Diphtberitis, 
danach Ver¬ 
schlimmerung 
der Lähmung. 

Mit 11 Monaten. 

Schwere Ge¬ 
burt Asphyxie. 


8 St. nach der Geburt 
Gehirnkrämpfe und 
halbseitige Läh¬ 
mung. 

Sehr schwere 
Geburt. 

Mit 2 7* J. Nieren¬ 
entzündung. 

Einige Monate nach 
der Nephritis plötz¬ 
liche Hemiplegie. 

Zangengeburt 
(sehr schwierig). 

— 

Gleich nach der Ge¬ 
burt. 

Zangengeburt. 

Asphyxie. 

1 

Am 2. Tage nach 
d. Geburt Krämpfe, 
mit 4 Monat. Hemi¬ 
plegie. 

Zangengeb urt 
(ungeschickte 
Zangenanle¬ 
gung). 


Bald nach der Ge¬ 
burt. 

Zangengeburt 

(ungeschickte 

Zangenanle¬ 

gung). 


Bereits in den ersten 
Wochen. 

Zangengeburt. 

Mit 4 Monat. Ma¬ 
sern. 

Nach Masern trat die 
Hemiplegie auf. 

Zangengeburt 
(Mutter alte 
Primipara). 

Im 6. Monat 
Keuchhusten. 

Im 7. Monat. 

| 

Zangengeburt. 

Im 7. Monat Nie¬ 
renentzündung. 

Nach der Nephritis. 


Aetiologie 


Schwere Geburt 
(beredit.Belastung). 

Psychisches Trauma 
der Mutter intra 
graviditatem (?) + 
schwere Geburt. 


Schwere Geburt. 


Schwere Geburt. 


Schwere Geburt (?) 
+ Nephritis. 


Zangengeburt. 


Zangengeburt. 


Zangengeburt. 


Zangengeburt. 


Zangengeburt (?) -f- 
Masern. 

Zangengeburt (?) 
Keuchhusten. 


Zangengeburt (?) + 
Nierenentzün¬ 
dung. 


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244 


James Frankel. 




Wie- 

’cö 

Name 

vieltes 



Kind? 

24 

Gertrud M. 

2. 


Hereditär 

Sch wangersch aft 

_ 

Im 3. Monat der Schwanger- 


schaft hat sich die Mutter 
verbrüht und dabei sehr 
erschreckt. 


25 


Marie A. 


3. 


Vater an Tuberkulose ge¬ 
storben. 


26 


J. D. 


Vater lungenkrank. 


27 


Hans H. 


2 . 


Mutter leidet an Schwindel. 
Ein jüngerer Bruder hat 
wie H. Nystagmus. 


28 


Hildegard P. 


2 . 


Bei einer jüngeren Schwe¬ 
ster ist der Schädel wie 
bei H. unsymmetrisch ge¬ 
staltet. 


29 


Günther P. 


3. 


Mutter epileptisch. 


Während der Schwanger¬ 
schaft starben zwei ältere 
Knaben an Scharlach, was 
die Mutter psychisch sehr 
angriff. 


30 


Max H. 


4. 


31 Johann H. ? 

32 Erwin E. 1. 


33 Betty A. J 1. 

34 Johanna F. 6. 


35 Paul Sch. 1. 


Die Mutter litt an Hyper- 
emesis gravidarum. 


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Die infantile cerebrale Hemiplegie. 


245 


Geburt 

Extrauterine 

Erkrankung 

Die ersten Zeichen 
der Krankheit 
wurden bemerkt 

Aetiologie 

' ■ ji 

— 

Gleich nach der Ge¬ 
burt. 

Psychisches Trauma 
der Mutter intra 
graviditatem (?). 

— 

— 

Im erstenVierteljahr. 

Hereditär-tuberku¬ 
löse Belastung (?). 

— 

— 

Im 8. Monat. 

Hereditär-tuberku¬ 
löse Belastung (?). 

— 

— 

Im ersten Jahr, mit 
Krämpfen begin¬ 
nend. 

Familiär. Moment (?). 

— 

— 

Als das Kind zu lau¬ 
fen anfing. 

Familiär. Moment (?). 

— 

Im 2. Jahr Dys¬ 
enterie. 

Nach der Genesung 
wurde die Lähmung 
bemerkt. 

Hereditäre Bela¬ 
stung (?), psychi¬ 
sches Trauma der 
Mutter intra gravi¬ 
ditatem (?) -f- Dys¬ 
enterie. 


(Das Kind war von 
Geburt an auf¬ 
fällig still), mit 
V* Jahr Schar¬ 
lach. 

Bald nach dem Schar¬ 
lach. 

Pränatal. Moment (?) 
+ Scharlach. 


Mit 2 Jahren Schar¬ 
lach. 

Nach dem Scharlach 
trat d.Lähmung auf. 

Scharlach (?). 

— 

Mit 1 1 /4 J. fieber¬ 
hafter Darm¬ 
katarrh. 

Danach wurde die 
Lähmung bemerkt. 

Dysenterie. 

— 

Im 4. Jahre Ma¬ 
sern. 

Nach den Masern trat 
die halbseitige Läh¬ 
mung auf. 

Masern. 


Kurz vor dem Auf¬ 
treten der Läh¬ 
mung starker Lun- 
genkatarrh. 

Im 6. Monat. 

Lungenkatarrh. 


Mit 3 Wochen 
Darmkatarrh, da¬ 
nach Lungenent¬ 
zündung. 

Danach wurde die 
Hemiplegie be¬ 
merkt. 

Trauma des Fötus in 
utero (?) + Lun¬ 
genentzündung. 


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246 


James Fränkel. 


Zahl 

Name 

Wie¬ 

vieltes 

Kind? 

Hereditär 

Schwangerschaft 

86 

Nanny V. 

o 

? 

9 

37 

Hans K. 

I 

2. 

— 

In der ersten Zeit der 
Schwangerschaft litt die 
Mutter an starkem Er¬ 
brechen. 

38 

M. E. 

i 

? 



39 

Erika W. 

3. 


— 

40 

Heinrich T. 

1 . 

i 

— 

— 

41 

Wilhelm E. 

? 

— 

— 

42 

Heinrich H. 

? 

? 

? 

43 

Käthe T. 

1. 

— 

— 

44 

Hans R. 

3. 

— 

— 

45 

Helmuth Oe. 

1 . 

— 

— 


Aetiologie. Im allgemeinen stimmt man darin überein, 
daß die Aetiologie der infantilen cerebralen Hemiplegie keine ein¬ 
heitliche ist, wenn auch das klinische Bild der Krankheit äußerst 
scharf charakterisiert zu sein scheint. Die von verschiedenen Ge¬ 
sichtspunkten ausgegangenen Bestrebungen, die Einheit der halb¬ 
seitigen cerebralen Kinderlähmung auf ätiologischer Basis zu errichten, 
sind bis jetzt ebenso ergebnislos gewesen wie Strümpells Versuch, 
der Krankheit eine einheitliche anatomische Grundlage zu geben. 


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Die infantile cerebrale Hemiplegie. 


247 


Geburt 

Extrauterine 

Erkrankung 

Die ersten Zeichen 
der Krankheit 
wurden bemerkt 

Aetiologie 

— 

Im 10. Monat Ge¬ 
hirnhautentzün¬ 
dung. 

Im Anschluß daran 
Lähmung des linken 
Armes. 

Meningitis (?). 


Mit 2 Jahren plötz¬ 
lich Erbrechen u. 
Fieber. 

Danach Lähmung. 

Encephalitis (?). 


Im 11. Jahr Un¬ 
wohlsein, Bewußt¬ 
losigkeit, Zuckun¬ 
gen am ganzen 
Körper und Fie¬ 
ber bis 40°. 

, Danach rechtsseitige 
Lähmung. 

Encephalitis (?). 

— 

Im 2. Jahr Gehirn¬ 
entzündung. 

Danach halbseitige 
Lähmung. 

Encephalitis. 


Als Pat. V 2 Jahr 
alt war, fiel ihm 
eine Baustange 
auf den Kopf. 

3 Wochen später 
halbseitige Läh- 
muug. 

Extrauterin.Trauma. 

— 

Pat. fiel im Alter 
von 2 Jahren aus 
dem 2. Stockwerk. 

Gleich danach halb¬ 
seitige Lähmung. 

Extrauterin.Trauma. 


Im 5. Jahr fiel Pat. 
vor Schreck hin. 

Danach Krämpfe u. 
Lähmung. 

Extrauterin.Trauma. 

— 

Mit 7 Mon. Zahn- 
krämpfe. 

Danach Lähmung. 

Zahnkrämpfe. 

Etwas schwer. 

Mit 1 Jahr Zahn¬ 
krämpfe. 

Danach Lähmung. 

Zahnkrämpfe. 

— 

Mit 6 Mon. Zahn¬ 
krämpfe. 

Danach Lähmung. 

Zahnkrämpfe. 


Freud, dem wir eine mustergültige Darstellung der infantilen 
Cerebrallähmung verdanken *), stellt den Satz auf, daß in der über¬ 
wiegenden Mehrheit der Fälle die Affektion extrauterin erworben wird. 
In nahezu einem Drittel der acquirierten Fälle wird nach Freud 
die Affektion auf eine Infektionskrankheit zurückgeführt, für die 
Hälfte wird ein ätiologisches Moment überhaupt nicht gefunden 

! ) Freud, Die infantile Cerebrallähmung. Wien 1897. 


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248 


James Frankel. 


und für den Rest wird die Krankheit mit Schreck und Kopf¬ 
trauma in Zusammenhang gebracht. Das Verhältnis der ex¬ 
trauterin erworbenen zu den kongenitalen Fällen — die 
letzteren erkennt Strümpell überhaupt nicht an — läßt sich nach 
einer in der Freudschen Monographie enthaltenen Tabelle berechnen. 
Danach betragen die kongenitalen Fälle, zu denen sowohl die während 
des Intrauterinlebens wie die während des Geburtsaktes entstandenen 
Fälle zu rechnen sind, 15°/o. Der Beginn der Erkrankung wird 
also von den meisten Autoren in die extrauterine Periode 
verlegt, und hier ist es wieder das erste Jahr, das nach einstimmigem 
Urteil in der Frequenz obenan steht. Da nun das Alter bei der 
Erkrankung nur als der Zeitpunkt verstanden werden kann, in dem 
die Krankheit bemerkt worden ist — damit aber braucht der wirk¬ 
liche Beginn der Affektion noch lange nicht übereinzustimmen, — 
halte ich, wie ich später noch ausführen werde, eine Einteilung in 
kongenitale und extrauterine Fälle nicht für zweckmäßig. 

Wenn wir den Zeitpunkt des Beginnes der in Rede stehenden 
Krankheit beurteilen wollen, bleibt uns in der Regel nichts anderes 
übrig, als die anamnestischen Angaben der Eltern und Angehörigen 
des Kindes zu benutzen. Ein jeder weiß, wie schwierig es ist, ge¬ 
rade über Kinder zuverlässige Daten zu erhalten, zumal wenn here¬ 
ditäre Verhältnisse berührt werden müssen. Oft liegen noch dazu 
Jahre, zuweilen Jahrzehnte hinter den ersten Zeichen der Affektion 
zurück, und dann wird auch den Eltern vielfach die Erinnerung an die 
halbvergessenen Vorkommnisse nicht leicht. Um aber ein möglichst ein¬ 
wandfreies Urteil über die eigentliche Aetiologie zu bekommen, darf es 
uns nicht genügen, zu wissen, in welchem Alter die Krankheit be¬ 
merkt worden ist, sondern wir müssen weiter zurückgehen. 
Sowohl alle hereditären und während des Intrauterin¬ 
lebens wirksamen Momente, die man als pränatale zusammen¬ 
faßt, wie auch die Störungen während des Geburtsaktes 
selbst sind zu berücksichtigen und ebenso sorgfältig müssen alle 
extrauterinen Einflüsse ins Auge gefaßt werden. Ich habe 
eine alle diese Faktoren möglichst berücksichtigende Tabelle 
nach unseren Krankengeschichten zusammengestellt. Die meisten' 
Anamnesen habe ich durch persönliche Rücksprache oder wo das 
nicht anging, durch Aussendung von Fragebogen gewonnen. Es 
war mir oft nicht leicht, zu dem gewünschten Ziele zu gelangen; 
einige wenige Fälle, wo ich die betreffenden Daten aus äußeren 


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Die infantile cerebrale Hemiplegie. 


249 


Gründen nicht erhalten konnte oder diese in den älteren Kranken¬ 
geschichten nicht mehr vorfand, sind in der Tabelle fortgeblieben. 

Aus dieser Zusammenstellung haben sich mir nun zunächst 
folgende Schlüsse ergeben: 

1. In der Mehrzahl der Fälle liegen mehrere ätiologische 
Momente vor. 

2. In der Majorität der Fälle finden sich pränatale 
Momente. 

3. Die ätiologische Bedeutung der Infektionskrankheiten 
ist eine bedingte. 

Die von mir an erster Stelle hervorgehobene Tatsache, das 
häufige Zusammentreffen mehrerer ätiologischer Faktoren hat Freud, 
ohne darauf näher einzugehen, treffend als Konkurrieren der ätiolo¬ 
gischen Momente bezeichnet. Auch W. König, einem um die Er¬ 
forschung der cerebralen Kinderlähmung sehr verdienten Autor, ist 
dieselbe Tatsache aufgefallen. Wenn Königs Unterscheidung 
zwischen eigentlich ätiologischen und prädisponierenden, bezw. eine 
Prädisposition dokumentierenden Momenten, wie er selbst zugibt, 
auch nicht streng durchgeführt werden kann, so muß ich ihm doch 
darin beistimmen, daß die zahlreichen von ihm genannten ätiologi¬ 
schen Faktoren, die auch in meinen Anamnesen fast sämtlich wieder¬ 
kehren, eine gewisse Bedeutung haben. Ich halte es aber für 
wichtiger, im einzelnen Falle den jeweiligen Wert der be¬ 
treffenden Momente zu prüfen und vor allem ihre gegen¬ 
seitigen Beziehungen, soweit es angeht, festzustellen. 

Indem ich von diesem Gesichtspunkt aus die Wertigkeit der 
ätiologischen Faktoren prüfe, beginne ich bei der hereditären 
Lues. 

Die ätiologische Bedeutung der Syphilis ist bei der 
in Rede stehenden Krankheit sehr verschieden beurteilt worden. Am 
weitesten gingen Fournier und Erlenmeyer, indem Fournier 
die „Littlesche Aetiologie“, d. h. die Frühgeburt und die schwere 
Geburt, und andrerseits Erlenmeyer die infektiöse Entstehung 
der cerebralen Kinderlähmung gegenüber der Syphilis ganz in den 
Hintergrund stellen. In unseren Fällen kommt die Syphilis wieder¬ 
holt vor. Indem ich zwischen Syphilis der Eltern und hereditärer 
Syphilis wohl unterscheide, finden sich unter unseren Beobachtungen 
4 sichere Fälle, denen sich 2 verdächtige anreihen lassen. Bei der 
Schwierigkeit, gerade nach dieser Richtung zuverlässige Daten zu er- 


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250 


James Fränkel. 


halten, glaube ich, daß die Lues auch in unseren Fällen wohl noch 
häufiger im Spiele gewesen ist. Um nun zu entscheiden, ob sie in den 
betreffenden Fällen wirklich der ausschlaggebende ätiologische 
Faktor war, müssen die jeweiligen konkurrierenden Momente berück¬ 
sichtigt werden. Werden solche vermißt, und tritt die Lähmung entweder 
gleich nach der Geburt oder bald danach apopletikform auf, so halte 
ich es für statthaft, die Lues selbst als Ursache der Krankheit an¬ 
zuschuldigen. Solche Verhältnisse aber liegen in allen unseren 
sicher erwiesenen Fällen von Lues hereditaria vor. — In 
einem der beiden anderen Fälle, die ich hier nicht verwende, trat 
die Lähmung nach einem Jahr im Gefolge von Masern auf. 
Wenn Erlen meyer die Meinung äußert, daß das Auftreten einer 
cerebralen Kinderlähmung nach einer akuten infektiösen Erkrankung 
die Manifestation einer bis dahin latent gewesenen kongenitalen 
Syphilis bedeutet, so halte ich es zwar für verkehrt, diesen Stand¬ 
punkt so zu verallgemeinern, bin aber mit Rücksicht auf noch später 
mitzuteilende Beobachtungen meinerseits in der ätiologischen Be¬ 
wertung der die Lähmung scheinbar auslösenden Infektionskrank¬ 
heiten vorsichtig. Wie in anderen Gebieten der Pathologie, glaube 
ich, daß gerade bei der hereditären Syphilis kongenitale 
Verhältnisse ihre Wirkung erst nach der Geburt äußern 
können, und daß hinzugekommene Geburtsschädlichkeiten oder 
extrauterine Einflüsse häufiger, als man denkt, nur die auslösenden 
Momente darstellen. — Das Wesen der luetischen Prädis¬ 
position ist wahrscheinlich in einer durch Gefäßerkrankung 
entstandenen hämorrhagischen Diathese zu erblicken, wofür 
auch Mraceks Beobachtung der Syphilis haeraorrhagica neonatorum 
zu sprechen scheint. 

Familiäre Momente, Alkoholismus und Phthisis in der Aszen- 
denz, sowie psycho-neurotische Heredität, namentlich Epilepsie, 
finden sich als konkurrierende Momente, bisweilen auch als einzige 
ätiologische Faktoren in unseren Anamnesen häufiger angegeben. 

Von den noch während des Fötallebens wirksamen Noxen 
spielt, wie es scheint, auch das den graviden Uterus treffende 
Trauma eine nicht unbedeutende Rolle. Es unterliegt wohl keinem 
Zweifel, daß durch intraabdominelle Raumbeengung (Beckenenge, 
großer Tumor etc.) die Entwicklung des Fötus ebenso geschädigt 
werden kann, wie durch ein Trauma, das die Mutter während der 
Schwangerschaft erleidet. Daß Traumen, die auf den graviden Uterus 


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Die infantile cerebrale Hemiplegie. 


251 


wirken, sogar direkt eine Hemiplegie erzeugen können, dafür hat 
Cotard Beispiele beigebracht. Gewisse Schädigungen, von denen 
bei Besprechung der pathologischen Anatomie noch die Rede sein 
wird, könnten mit den eben genannten Traumen in Zusammenhang 
gebracht werden. 

Auch dem psychischen Trauma während der Gravidität 
(Schreck, Aufregung der Mutter) wird eine ätiologische Bedeutung 
beigemessen. 

Besondere Aufmerksamkeit verdienen die Störungen des 
Geburtsaktes. Wenn auch die Littlesche Aetiologie, d. h. 
die Frühgeburt und die schwere Geburt, um die es sich hier han¬ 
delt, bei den cerebralen Diplegien *) eine größere Rolle spielen als 
bei den Hemiplegien, so verpflichtet mich doch das nicht seltene 
Vorkommen von Geburtsstörungen auch bei der infantilen Hemi¬ 
plegie, auf dieses Thema näher einzugehen, zumal da über die 
eigentliche Bedeutung der Littleschen Momente bis jetzt noch sehr 
wenig Zuverlässiges bekannt ist. 

Mit Recht warnt Lovett in seiner Arbeit über die cerebrale 
Kinderlähmung davor, die Bedeutung der Littleschen Aetiologie für 
die Entstehung der Krankheit zu überschätzen. 

Wenn man in diesem Punkte zu einer möglichst klaren Auf¬ 
fassung gelangen will, so kann das meines Erachtens auch hier nur 
dadurch geschehen, daß in jedem besonderen Falle alle konkur¬ 
rierenden Momente ins Auge gefaßt und ihre Wertigkeit genau 
gegeneinander abgewogen werden. Auf diese Weise komme ich 
nach meinen Beobachtungen bei der cerebralen Hemiplegie zu dem 
Schluß, daß den verschiedenen Littleschen Momenten eine 
verschiedene ätiologische Wertigkeit beizumessen ist. 
Es ist ja bekannt, daß die Frühgeburt zu dem Symptomenkomplex, den 
Hoffa Littlesche Krankheit im engeren Sinne nennt, besonders dispo¬ 
niert, während die schwere Geburt häufiger Beziehungen zur allge¬ 
meinen Starre hat. Dieses Verhältnis hat auch Gläßner in der Zu¬ 
sammenstellung aus der Hoffa sehen Klinik vorgefunden. Da diese 
Beziehungen aber für die Erklärung der Krankheitserscheinungen 
nicht ausreichen, blieb den Autoren nichts anderes übrig, als, unbe¬ 
friedigt, ihre Zuflucht zu der Annahme zu nehmen, daß tiefer ge- 


*) Gläßner, Die Littlesche Krankheit. Zeitschr. f. orthopäd. Chirurgie 
1904, Bd. 13. 


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252 


James Fränkel. 


legene noch unbekannte Ursachen bei der Littleschen Krankheit 
im Spiele stehen müßten. Wenn ich demgegenüber behaupte, daß 
man doch in gewisser Hinsicht berechtigt ist, die ätiologische Be¬ 
deutung der Littleschen Symptome etwas schärfer zu beurteilen, 
so veranlaßt mich hierzu ein nahezu gesetzmäßiges Verhalten, 
das ich bei den cerebralen Hemiplegien beobachtet habe. 

Indem ich bei der Frühgeburt beginne, stelle ich zunächst 
fest, daß die Frühgeburt, die übrigens in unseren Fällen fast immer 
mit Asphyxie verbunden war, niemals als einziges ätiolo¬ 
gisches Moment gelten konnte. Entweder war der Geburt ein 
Trauma, das die Mutter erlitten hatte, unmittelbar vorangegangen, 
oder es hatten abnorme intraabdominelle Raumverhältnisse bestan¬ 
den. In den übrigen Fällen lag gleichzeitig hereditäre Lues vor. 
Wenn man nun die eben genannten konkurrierenden Momente be¬ 
rücksichtigt, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß 
vermutlich in diesen selbst die Ursache der Frühgeburt 
zu sehen ist. Ob sie auch gleichzeitig die Hemiplegie verursacht 
haben, ist nicht mit Sicherheit zu sagen. Wahrscheinlich spielt die 
Frühgeburt nur die Rolle eines eine bereits bestehende anderweitig 
verursachte Schädigung (hämorrhagische Diathese) unterstützenden 
Faktors. Es wäre interessant, wenn diese Verhältnisse auch bei 
der Littleschen Krankheit, bei der die Frühgeburt als das häu¬ 
figste der veranlassenden Momente genannt wird (bei Gläßner in 
33,8°/o), ebenso konstant vorliegen würden. 

Wa9 die schweren Geburten anbetrifft, so gilt für einen 
Teil derselben ebenfalls das bei den Frühgeburten Gesagte, in den 
anderen Fällen darf bei dem Fehlen sonstiger konkurrierender Mo¬ 
mente entweder das Geburtstrauma selbst beschuldigt 
werden oder es muß die zuweilen die Lähmung erst später aus¬ 
lösende Infektionskrankheit als ätiologischer Faktor her¬ 
angezogen werden. 

Einen ganz eindeutigen Befund ergaben mir die Zangen¬ 
geburten. Ich halte es nicht für einen bloßen Zufall, daß hier 
durchweg konkurrierende Momente in den Anamnesen 
fehlen (siehe Tabelle I). Regelmäßig handelt es sich (mit einer 
Ausnahme) um Erstgeborene. Meist erhielt ich dazu eine ganz 
typische Anamnese, die besagte, daß sehr lange, zuweilen 
Stunden gebraucht wurden, um das Kind zu extrahieren, und 
daß dabei ungeschickt verfahren war. In der Mehzahl der 


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Die infantile cerebrale Hemiplegie. 


253 


Fälle wurde dann die Lähmung gleich nach der Geburt von den 
Eltern bemerkt. 

Hier sehe ich in dem Geburtsakt selbst und zwar in der not¬ 
wendig gewordenen Zangenapplikation die Ursache der 
Lähmung. Jede andere Erklärung scheint mir gezwungen. Auch 
finde ich es durchaus plausibel, daß die von Virchow als Ursache 
der Menningealhämorrhagie bei der Geburt gefundene Uebereinander- 
schiebung der Scheitelbeine eine direkte Wirkung der Zangen¬ 
löffel ist, noch zumal wenn viel und lange gezogen worden ist. 
Ich werde in meiner Ansicht dadurch unterstützt, daß bereits früher 
die Druckwirkung der Zange bei der Extraktion als Ursache einer 
Hemiplegie angeschuldigt worden ist (v. Monakow, v. Kahl den). 

Bezüglich der Littlesehen Aetiologie resümiere ich mich 
dahin: Die Littleschen Momente finden sich auch bei 
der cerebralen Hemiplegie und zwar häufiger, als man 
bisher glaubte. Ihre ätiologische Bedeutung ist eine ver¬ 
schiedene. Eine direkt ätiologische Rolle kann die Zangen¬ 
geburt und sonstige schwere Geburt spielen. Bei dem Rest 
der schweren Geburten und bei den Frühgeburten ist den 
konkurrierenden Faktoren die größere ätiologische Be¬ 
deutung beizumessen. — 

Das klinische Bild der cerebralen Kinderlähmung wird in den 
meisten Lehrbüchern derart geschildert, als handle es sich um eine 
fieberhafte Infektionskrankheit. Für diese Auffassung waren ins¬ 
besondere die Bestrebungen maßgebend, die die gesamte Aetiologie 
der cerebralen Kinderlähmung auf eine infektiöse Grundlage zurück¬ 
führen wollten. Die eigentliche Veranlassung hierzu gab die Strüm¬ 
pei Ische Lehre von der akuten Encephalitis. Heuzutage weiß man, 
daß diese Encephalitis, auf die ich später noch zurückkomme, sicher 
keine allgemeine Geltung hat, und daß die cerebrale Kinderlähmung 
im Gefolge von fast sämtlichen uns bekannten Infektionskrankheiten 
auftreten kann. 

Wenn es schon von vornherein in manchen Fällen berechtigt 
erscheint, das Zusammentreffen von Lähmung und Infektionskrank¬ 
heit nur für ein zufälliges zu halten, da der strikte Beweis eines 
ursächlichen Zusammenhanges doch selten geführt werden kann, so 
erscheint mir dieser Zweifel nach einer Beobachtung, die ich zu 
machen Gelegenheit hatte, durchaus berechtigt. Zunächst betone 
ich, daß in den meisten Fällen, wo ich zuverlässige Anamnesen er- 


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254 


James Fränkel. 


heben konnte, neben der Infektionskrankheit konkur¬ 
rierende Momente Vorlagen. 

Ferner veranlaßt mich folgende Erfahrung, die ätiologische 
Bedeutung der Infektionskrankheiten nicht zu überschätzen: Be¬ 
kanntlich kommt es nicht zu selten vor, daß eine völlig ausgebildete 
Lähmung nach einer beliebigen Infektionskrankheit sich wesentlich 
verschlimmert. Aber auch in solchen Fällen, wo die Eltern mir 
zunächst angegeben hatten, daß die Lähmung bei ihrem Kinde 
unmittelbar nach einer Infektionskrankheit aufgetreten sei, berich¬ 
tigten sie nach einigem Besinnen ihre erste Auskunft dahin, 
daß doch schon vor der Infektionskrankheit die eine 
Körperhälfte merklich schwächer war als die andere, was 
sich in meist besonderer Weise äußerte. Ich verweise auf die be¬ 
treffenden Krankengeschichten. Natürlich wird man derart detaillierte 
Angaben nur von Eltern erhalten können, die ihre Kinder sorgfältig 
beobachtet haben, — wenn zwar auch gerade in der Halbseitigkeit 
der Affektion ein leichtes Kriterium für ihre Erkennung liegt. 
Jedenfalls aber muß ich auf Grund der eben erwähnten Beobach¬ 
tung, die ich zu wiederholten Malen machen konnte, in der ätio¬ 
logischen Bewertung der Infektionskrankheiten zur Vor¬ 
sicht raten, umsomehr, als genau in demselben Sinne ein kürzlich 
von Neurath 1 ) publizierter Sektionsbefund beurteilt werden muß, 
den ich seines prinzipiellen Wertes wegen hier kurz wiedergebe: 

Ein bisher ganz gesunder 2 jähriger Knabe erkrankte an 
Scharlach, woran sich eine rechtsseitige Hemiplegie anschloß. Exitus. 
Die Obduktion ergab zahlreiche sklerotische Herde, namentlich in 
der motorischen Region der linken Hemisphäre. Aus der mikro¬ 
skopischen Untersuchung mußte der Schluß gezogen werden, daß 
der Beginn des Prozesses in eine frühe Epoche der fötalen Ent¬ 
wicklung zu verlegen ist. Es handelte sich also um ein schon 
lange vorher geschädigtes Gehirn, das in seinem schwächsten Teil 
(linke Hemisphäre) den Scharlachtoxinen den geringsten Widerstand 
bot. So erklärt auch Neurath die rechtsseitige Lähmung. Ohne 
Sektion aber hätte man wohl sicher dem Scharlach die alleinige 
Schuld beigemessen. 

In analoger Weise ist wahrscheinlich in gewissen Fällen, wo 


*) Neurath, Arbeit aus dem Institut für Anatomie und Physiologie 
des Zentralnervensystems zu Wien 1899, Heft 6. 


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Die infantile cerebrale Hemiplegie. 


255 


durch konkurrierende Momente (Zangengeburt, schwere Geburt etc.) 
bereits ein Locus minoris resistentiae geschaffen war, das Toxin 
der Infektionskrankheit als auslösender Faktor anzusehen, 
dem ebenso auch die Verschlimmerung einer schon vorher be¬ 
stehenden Lähmung zugeschrieben werden muß. Von dem diphthe¬ 
rischen Gifte insbesondere ist ja bekannt, daß es nicht nur auf die 
peripheren Nerven, sondern auf den ganzen Nervenapparat wirkt 
und gewisse Gebiete toxisch schädigen kann, ohne sie strukturell 
zu verändern. Natürlich ist die Wirkung der Infektionskrankheiten 
nicht immer dieselbe. Im Anschluß an Scharlach auftretende Nieren¬ 
entzündung und Endokarditis können ebenfalls als Vermittler der 
Lähmung eine Rolle spielen (Hämorrhagie, Embolie). 

Ob die schon oben genannte von Strümpell beschriebene 
Encephalitis acuta, auch Polioencephalitis genannt, als Ur¬ 
sache der cerebralen Kinderlähmung gelten kann, und in welcher 
Häufigkeit das geschehen darf, darüber fehlt uns vorläufig noch 
ein sicherer Anhalt. Daß der cerebralen Kinderlähmung in einer 
Anzahl von Fällen ein encephalitischer Prozeß zu Grunde liegt, wird 
wahrscheinlich gemacht einmal durch das Vorkommen der nicht 
eitrigen akuten Encephalitis bei Erwachsenen (Wernicke, Strüm¬ 
pell, Leichtenstern). Vor allem aber muß die Aehnlichkeit 
mit der spinalen Kinderlähmung den Gedanken nahelegen, daß es 
sich auch bei der cerebralen Affektion um einen verwandten infek¬ 
tiösen Prozeß handeln könnte. Ja die Identität beider Krankheiten, 
die sich eben dann nur als verschiedene Lokalisationen desselben 
Prozesses äußern, scheint durch jene gerade in letzter Zeit häufiger 
beobachteten Fälle nahegelegt zu werden, wo spinale und cerebrale 
Kinderlähmung in einer Familie zu derselben Zeit aufgetreten sind 
oder sogar ein Kind gleichzeitig befallen haben. Erst die Unter¬ 
suchungen von Goldscheider und Kadyi haben uns das richtige 
Verständnis der Poliomyelitis gelehrt, insofern sie zeigten, daß es sich 
hier durchaus nicht etwa um eine systematische und auf die Vorder¬ 
hornzellen sich beschränkende Erkrankung handelt, wie man vorher 
glaubte. Sie führten vielmehr den wichtigen Nachweis, daß die Aus¬ 
breitung des Krankheitsherdes genau der Gefäßverzweigung im 
Rückenmarke entspricht, daß ein Reizzustand der Gefäße 
das Primäre und die Degeneration der Vorderhornzellen 
das Sekundäre ist. Nach Goldscheiders Untersuchungen handelt 
es sich also bei der Poliomyelitis anterior acuta um eine vasku- 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XV. Bd. 17 


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James Frankel. 


läre infektiöse Erkrankung, und ich glaube, daß es nicht un¬ 
berechtigt ist, im Sinne Maries dieselbe Anschauungsweise auch auf 
die cerebrale Kinderlähmung für gewisse Fälle zu übertragen. — Der 
sichere Beweis hierfür aber kann erst durch einen entsprechenden 
Sektionsbefund geliefert werden. 

Mit der Apoplexie der Erwachsenen kann bei dem Kinde 
das Vorkommen der Hemiplegien nach Keuchhusten in Parallele 
gesetzt werden. Die mechanische, auf Gefäßzerreißung basierende 
Entstehung der Hemiplegie ist mit Rücksicht auf die beim Keuch¬ 
husten so häufig erfolgenden Blutungen ins Bindegewebe der Augen¬ 
lider, der Konjunktiven, aus Nase und Ohr, a priori wahrscheinlich 
und wird durch Sektionsbefunde sichergestellt. Daß in vereinzelten 
Fällen das Keuchhustentoxin zur Erklärung der Lähmung heran¬ 
gezogen werden muß, brauche ich nach meinen früheren Aus¬ 
führungen nicht erst zu begründen. 

Was die Entstehung der hemiplegischen Lähmung infolge von 
Zahnkrämpfen betrifft, so ist hier die Anamnese am wenigsten 
zuverlässig, da ja bekanntlich auf dem Gebiete der Dentition der 
Aberglaube eine große Rolle spielt. Häufig sind demnach die 
Krämpfe beim Zahnen (Zahnfraisen) mit einer mangelhaften Beob¬ 
achtung in Zusammenhang zu bringen; doch glaube ich, daß auch 
gelegentlich, besonders beim Durchschneiden der Eckzähne, der Blut¬ 
drang zum Hirn genügt, um eine Blutung zu erzeugen. 

Ein im extrauterinen Leben den Schädel treffendes Trauma 
kann natürlich die Hemiplegie genau so gut veranlassen wie ein 
Geburtstrauma. Ich brauche darauf nicht näher einzugehen. 

Wenn ich nunmehr mein Urteil über die Aetiologie der infan¬ 
tilen cerebralen Hemiplegie zusammenfasse, so erkenne ich zunächst 
die Mannigfaltigkeit der in Betracht kommenden Faktoren 
an. Ich stelle ferner fest, daß äußerst häufig Beziehungen aus 
der fötalen Epoche in das extrauterine Dasein hinüber¬ 
reichen und halte es deswegen auch für unrichtig, die infantilen 
Cerebrallähmungen in pränatale, Geburtslähmungen und akquirierte 
Formen einzuteilen (Sachs u. a.). Aeußerst wichtig für die ätio¬ 
logische Betrachtung scheint mir, daß die Läsionen am häufig¬ 
sten in der motorischen Zone des Gehirns liegen, in dem 
Verbreitungsgebiet der Arteria cerebri media. Hierin 
kommt eben die von der Hemiplegie der Erwachsenen her be¬ 
kannte Tatsache wieder zum Ausdruck, daß die genannte Arterie 


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Die infantile cerebrale Hemiplegie. 


257 


einen Locus minoris resistentiae für Zirkulationsstörungen darstellt. 
Indem ich weiterhin mit Rücksicht auf die Aetiologie der cere¬ 
bralen Kinderlähmung auf das große, von Charcot erkannte 
Gesetz hinweise, daß im Gehirn das Gefäßsystem die Sachlage be¬ 
herrscht und damit die Bedingungen der Erkrankung, glaube ich, 
daß sämtliche von mir genannten Faktoren, so mannig¬ 
faltig sie auch erscheinen mögen, sich doch leicht auf ein 
gemeinsames ursächliches Moment zurückführen lassen. 
Mag eine luetische oder akut entzündliche Gefäßerkrankung, eine auf 
verschiedene Weise entstandene hämorrhagische Diathese, Embolie, 
Thrombose oder traumatische Hämorrhagie Vorgelegen haben, immer 
war ein vaskuläres Moment die eigentliche Ursache und 
alle sonstigen-Erscheinungen sind sekundärer Natur. 

Auch die Befunde der pathologischen Anatomie lassen sich mit 
dieser ätiologischen Betrachtungsweise in Einklang bringen. 

Pathologische Anatomie. Die meisten Autopsien bei der 
infantilen Cerebrallähmung liegen hinter dem eigentlichen Beginn 
der Erkrankung eine Reihe von Jahren, ja oft Jahrzehnte zurück, 
und somit können sie uns nur die Kenntnis der Endveränderungen 
übermitteln. Da nun aber der gleiche anatomische Befund von den 
verschiedensten Initialläsionen herrühren kann, und andererseits eine 
bestimmte Initialläsion zu den verschiedensten Endveränderungen 
führen kann, so ist man bei der bunten Mannigfaltigkeit der Sek¬ 
tionsbefunde noch immer nicht zu einer Einigung über die anatomische 
Grundlage der cerebralen Hemiplegie gekommen, und daher gelang 
es auch nicht, von dieser Seite her für die Krankheit eine einheit¬ 
liche Basis zu schaffen. Wenn ich gleichwohl die Vermutung aus¬ 
spreche, daß auch die Ergebnisse der pathologischen Anatomie einem 
solchen Bestreben nicht hinderlich sind, so stütze ich mich hierbei, 
da mir eigene pathologisch-anatomische Untersuchungen fehlen, auf 
die in der Literatur vorhandenen Angaben und auf die Schlüsse, 
die ich aus ätiologisch-klinischen Betrachtungen auf das Wesen des 
Prozesses ganz allgemein ziehen muß. 

Zu den Endveränderungen rechnet man im allgemeinen 

1. Plaques jaunes, 

2. Cysten und Zellinfiltration, 

3. die lobäre Sklerose, 

4. die Porencephalie. 


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James Fränkel. 


Unter Plaques jaunes sind Rindennarben zu verstehen. Cotard, 
dem wir die ersten pathologisch-anatomischen Untersuchungen hier¬ 
über verdanken, sieht in diesem Befunde beim infantilen wie beim 
erwachsenen Gehirn den Endausgang von Erweichungen, die auf 
Obliteration von Arterien (Embolie oder Thrombose) zurück¬ 
zuführen sind. 

Auch Cysten und Zellinfiltration, beides im Innern des Gehirns 
gelegene Veränderungen, sind wie beim Erwachsenen Endzustände 
von Hämorrhagien oder Erweichungen. 

Die folgenden pathologischen Befunde sind besonders dem Kindes¬ 
alter eigentümlich. Die lobäre Sklerose, von der Cotard wohl 
mit Recht die Atrophie nicht besonders trennt, besteht in Volums¬ 
verringerung und Konsistenzvermehrung der Gehirnsubstanz. Ihr 
Wesen ist: Hyperplasie des Gliagewebes und Atrophie der Nerven- 
elemente. Gerade angesichts dieses Befundes, der meist einen diffuseren 
Degenerationsprozeß, sowohl neben grober lokalisierter Herdläsion 
als auch bisweilen ohne jede Herderkrankung darstellt, handelt es 
sich um die wichtige Entscheidung, ob ein primärer oder ein 
sekundärer Prozeß vorliegt. Hier hat meiner Meinung nach 
Marie die entscheidende Auskunft gegeben. Aus der Ausbreitungs¬ 
weise der Sklerose schloß nämlich Marie, daß es sich um einen 
sekundären Degenerationsprozeß handelt, dem eine primäre 
Gefäßerkrankung, also auch hier eine vaskuläre Initialläsion 
vorausgegangen ist. In einem charakteristischen Falle fanden Jen- 
drassik und Marie die ausgiebigsten und ersten Veränderungen bei 
der lobären Sklerose in der Nähe der Gefäße, indem der Ausgangs¬ 
punkt genau einem arteriellen Verbreitungsbezirk ent¬ 
sprach (Wuillamier). Welcher Art diese initiale Gefäßläsion ist, 
ob eine Embolie oder eine entzündliche Gefäßerkrankung (Marie 
und Schm au ß) Vorgelegen hat, das ist natürlich später nicht mehr 
sicher zu entscheiden. — Es muß betont werden, daß durch 
neuere Untersuchungen (Bischoff 1 ), Charles L. Dana 2 )) die 
Mariesche Lehre gestützt wird. Der Zweck dieser Arbeit verbietet 
mir, näher auf diese interessanten Verhältnisse einzugehen. Ich will 
nur noch erwähnen, daß in einem Falle Freuds die lobäre Sklerose 

h Bischoff, Zur pathologischen Anatomie der cerebralen Kinderlähmung. 
Jahrb. f. Psychiatrie u. Neurol. 1901, Bd. 20 Heft 1. 

2 ) Charles L. Dana, The Journal of nervous and mental diseases. 
Februar 1901. A case of cortical sclerosis, hemiplegy and epilepsy with autopsy 


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Die infantile cerebrale Hemiplegie. 


259 


der Endausgang einer unzweifelhaften Embolie der Arteria cerebri 
media war und daß sie in diesem Falle die Grenzen des Arterienbezirkes 
trotz langen Bestandes nicht überschritten hatte. Wenn die Aus¬ 
breitung der lobären Sklerose im kindlichen Alter eine diffusere ist, 
so sind nach Wernicke die Besonderheiten der infantilen Hirnsklerose 
gegenüber den Endveränderungen bei Erwachsenen einfach durch die 
anders gearteten Lebenseigenschaften der fötalen Gewebe zu erklären. 

Die Deutung der porencephalischen Defekte — dieselben 
teilt man jetzt nach ihrer Beziehung zu den Seitenventrikeln in wahre 
und Pseudoporencephalien ein (Weill und Gallavardin) *), — ist 
ebenfalls meist nicht leicht, weil die meisten Porencephalien aus dem 
Fötalleben stammen. König glaubt diese Defekte, unter Hinweis 
auf ihre regelmäßige Lokalisation im Gebiet der Arteria fossae Silvii, 
durch fötalen Arterienverschluß infolge von Lues hereditaria erklären 
zu können. Kund rat führt sie auf anämische Nekrosen zurück 
und die diese veranlassenden Zirkulationsstörungen auf allgemeine 
Ernährungsstörungen der Mutter, anormale Entwicklung der Placenta, 
krampfhafte Kontraktionen des Uterus und dadurch bedingte Kreis¬ 
laufstörungen. So verschieden also der Vorgang im einzelnen ist, 
immer handelt es sich aber doch, wie ich betone, auch hier 
um ein primär vaskuläres Moment. Auch die Bevorzugung 
des Gebietes der Arteria cerebri media kann zu Gunsten dieser 
Auffassung verwertet werden. Handelt es sich auch bei den Er¬ 
klärungen Kundrats vorläufig um Hypothesen, so scheinen mir 
diese doch mit Rücksicht gerade auf gewisse, früher von mir 
erwähnte ätiologische Momente 2 ), die hier wieder zur Geltung 
kommen, durchaus fruchtbar und einleuchtend. Nur kurz erwähnen 
will ich, daß Porencephalien auch im extrauterinen Leben nach 
Schädeltraumen (Hämorrhagien), entstehen können, daß andere Fälle 
mit Sicherheit auf Embolie zurückgeführt worden sind (Heubner, 
Kreuser), daß Strümpell die Porencephalien auch zu den Aus¬ 
gängen der akuten Encephalitis zählt. Wie bei der lobären Sklerose 
unterscheiden sich kongenitale und erworbene Porencephalien wieder 
nur dadurch, daß die gleichen Schädlichkeiten bei der einen während 

*) Hemiplegie ceräbrale infantile congenitale avec pseudo-porencephalie etc. 
par E. Weill et Gallavardin. Arch. de medecine des enfants 1901, IV Nr. 3. 

2 ) Vgl. auch König, Ueber die bei den cerebralen Kinderlähmungen in 
Betracht kommenden prädisponierenden und ätiologischen Momente. Berl. Ges. 
f Psych. u. Nervenkrankh. Sitzung vom 9. Mai 1898. Neur. Zentralbl. 1898. 


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James Frankel. 


der Fötalperiode, bei der anderen nach der Geburt eingewirkt haben 
(Bayer). 

Ueber die Entwicklungshemmungen herrscht noch immer 
der Zweifel, ob es sich hierbei um primär mangelhafte Anlagen oder 
um sekundäre Veränderungen handelt. So schwer, ja unmöglich es 
meistens in einer späteren Epoche ist, das Wesen der ursprünglichen 
Störung zu ergründen, so kann doch im Hinblick auf die bisher 
besprochenen Endveränderungen, die alle auf eine vaskuläre 
Initialläsion zurückgeführt werden können, die Möglichkeit 
nicht von der Hand gewiesen werden, daß es sich auch hier, viel¬ 
leicht konstant, um sekundäre Prozesse handelt, die mit fötalen 
vaskulär entzündlichen oder jedenfalls vaskulären Vorgängen in Zu¬ 
sammenhang stehen. Für unsere Auffassung spricht, daß auch bei 
der Mikrogyrie von Oppenheim und anderen eine Meningoence¬ 
phalitis oder Meningealhämorrhagie als da3 primäre Moment ange¬ 
sehen wird. — 

Was die Hirnatrophie betrifft, die meist die ganze Großhirn¬ 
hemisphäre befällt, so kann sich diese auf die entgegengesetzte Klein¬ 
hirnhemisphäre erstrecken (Turner) 1 ), ja wie Marinesco jüngst 
gezeigt hat, dehnt sich die Hemiatrophie auch auf die Basalganglien, 
die Pedunculi, die Brücke, das verlängerte Mark, das Rückenmark, ja 
sogar auf die Spinalganglien aus. Besonders wichtig ist die sekundäre 
Degeneration der Pyramidenbahnen. Auch da wo eine ausgesprochene 
Herderkrankung fehlt, hat Marinesco 2 ) jetzt gewisse Veränderungen 
der Nervenzellen vorgefunden, die dort am stärksten sind, wo auch 
die Atrophie am stärksten ist, und zwar gilt das sowohl für das 
Großhirn wie für das Kleinhirn. Von anderen gelegentlichen patho¬ 
logischen Befunden bei der infantilen cerebralen Hemiplegie sind der 
chronische Hydrocephalus, die chronische Meningitis und Meningo¬ 
encephalitis hier zu nennen. 

Nach der vorangegangenen Schilderung der pathologisch-ana¬ 
tomischen Endveränderungen kann ich mich über die Initial¬ 
läsionen kurz fassen, zumal da unsere Kenntnisse über diese noch 
recht unvollkommen sind, und ich auch bereits auf sie Bezug ge¬ 
nommen habe. Zusammenfassend bemerke ich, daß alle Arten von 
vaskulären Läsionen, wie Hämorrhagie, Embolie (Ab ercrombie), 


*) Turner, These de Paris 1856. 

2 ) Marinesco, Deutsche med. Wochenschr. 1902, Nr. 16. 


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Die infantile cerebrale Hemiplegie. 


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Thrombose (Gowers), seien sie im Fötalleben oder im Kindesalter 
entstanden, das Substrat einer spastischen Hemiplegie bilden können. 
Dasselbe gilt von der luetischen Gefäßerkrankung und von der 
Meningoencephalitis und Encephalitis. Die hämatogene Ence¬ 
phalitis kann im Verlaufe anderer Infektionskrankheiten auftreten, 
sie kann aber vielleicht auch durch dieselbe Schädlichkeit verursacht 
werden, welche die akute spinale Myelitis, die spinale Kinder¬ 
lähmung, hervorruft. Es handelt sich dann aber nicht um eine Ence¬ 
phalitis in dem ursprünglichen Sinne der Polioencephalitis Strümpells, 
sondern um eine der Poliomyelitis anterior acuta analoge 
Form, so wie diese durch die Forschungen von Pierre 
Marie, Goldscheider und Marinesco charakterisiert ist, indem 
nämlich die Beteiligung der Gefäße als das Hauptmoment 
des Krankheitsprozesses verstanden werden muß. 

Symptome und klinischer Verlauf. Die ersten Symptome, 
die nach meinen früheren Ausführungen mit dem Anfang des Krank¬ 
heitsprozesses nicht verwechselt werden dürfen, fallen in der über¬ 
wiegenden Anzahl unserer Fälle in das erste Lebensjahr. Haben 
nicht schon gleich nach der Geburt auffällige Zeichen die Aufmerk¬ 
samkeit der Eltern erregt, so wird meist in den ersten Monaten zu¬ 
nächst die Schwäche des einen Armes bemerkt, und da häufiger der 
rechte als der linke Arm der gelähmte ist (bei unseren Fällen 31mal 
rechts, 22mal links), so ist sehr oft die Linkshändigkeit das 
erste von den Eltern beobachtete Krankheitszeichen. Die 
Schwäche des gleichnamigen Beines macht sich meistens erst später 
bemerkbar, wenn das Kind zu laufen anfängt. In anderen Fällen 
gehen stürmische Initialerscheinungen, wie Krämpfe, Bewußtlosigkeit, 
Erbrechen der Lähmung unmittelbar voran, oder diese entwickelt 
sich nach einer der bekannten Infektionskrankheiten, entweder akut 
oder in schleichender Form. Ein nicht seltenes Vorkommnis ist 
es auch, daß sich nach einer solchen Infektionskrankheit eine 
leichte Lähmung, die vorher schon bestanden hatte, wesentlich ver¬ 
schlimmert. Ist ein schweres Trauma die unmittelbare Veranlassung, 
so setzt meistens sofort danach die komplette Lähmung ein. Wenn 
demnach entsprechend der verschiedenartigen Aetiologie der Krank¬ 
heit auch die ersten Erscheinungen verschiedene sind, so scheint 
jedoch die Art des klinischen Verlaufes und die Schwere der Er¬ 
krankung hierdurch nicht wesentlich beeinflußt zu werden, ja der 


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262 


Jam es Fränkel. 


ausgebildete Symptomenkomplex ist sogar ein ganz einheitlicher und 
äußerst typischer. 

In der Regel ist die obere Extremität stärker befallen als die 
untere. Seltener besteht das umgekehrte Verhältnis. 

Die Haltung der oberen Extremität ist ganz charakteristisch. 
Sie entspricht ungefähr dem Bilde einer partiellen Radialislähmung, 
das durch die Spasmen vervollständigt wird. Der Arm ist krampf¬ 
haft an den Rumpf gepreßt, der Vorderarm steht in halber oder 
völliger Pronation und ist rechtwinklig gegen den Oberarm ge¬ 
beugt. Man fühlt in der Ellenbeuge oft den spastischen Widerstand 
der Beugemuskeln. Die Hand hängt volarflektiert und ulnarwärts 
leicht abduziert herab. Der Daumen liegt der Hohlhandfläche an 
und wird von den meist flektiert gehaltenen übrigen Fingern über¬ 
deckt. Die funktionellen Störungen sind dann in einem ausgebildeten 
Falle sehr erhebliche und bestehen hauptsächlich in der Unfähigkeit, 
die Grundphalanx der Finger aktiv zu strecken, den Daumen zu 
abduzieren, die Hand zu supinieren und zu dorsalflektieren. Unter 
diesen Umständen ist die Hand, zumal da ein starker Spasmus sie 
in der falschen Stellung festhält, meist zur völligen Gebraucbsunfähig- 
keit verurteilt. Bei intendierten Bewegungen pflegt sich der Spas¬ 
mus noch zu steigern. 

Das Bein ist meist im Kniegelenk leicht gebeugt und der 
Fuß befindet sich in Spitzfuß- oder Spitzklumpfußstellung. Häufig 
ist die große Zehe rechtwinklig gegen den Metatarsus erhoben. 
Die Gangart muß spastisch-ataktisch genannt werden. 

Der Steigerung des Muskeltonus entspricht auch eine Erhöhung 
der Sehnenphänomene. Fast regelmäßig sind die Sehnenreflexe ge¬ 
steigert. Fußklonus und Babinskisches Phänomen sind häufig, aber 
nicht immer vorhanden. Die Kontrakturen, die aus der anfangs 
schlaffen Lähmung hervorgehen, können nach Intensität und Aus¬ 
breitungsform sehr verschieden sein; eben das charakterisiert die 
Kontraktur der infantilen Hemiplegie. So sind bisweilen, während 
sonst noch im Arm stärkere Spasmen bestehen, die einzelnen Finger 
in abnormen Grenzen frei beweglich, derart, daß sie in den Grund- 
und Fingergelenken weit überstreckt werden können. 

Wenn auch die geschilderten Symptome die auffälligsten sind, 
so bleibt doch die Ausbreitung der Lähmung keineswegs auf Arm 
und Bein beschränkt. In mehr als der Hälfte der Fälle fand ich 
den gleichseitigen Facialis mitbeteiligt. Die Erkennung der Fa- 


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Die infantile cerebrale Hemiplegie. 


263 


cialisparese stößt hier oft auf Schwierigkeiten, weil die Gesichts¬ 
muskulatur der gelähmten Seite zuweilen spastisch innerviert ist. 
Sehr häufig ist die Differenz der Gesichtshälften nur an einem ge¬ 
ringen Tieferstehen des einen Mundwinkels, namentlich beim Lachen 
und Weinen, zu erkennen. In vereinzelten Fällen tritt allerdings die 
Facialislähmung mehr in den Vordergrund, bisweilen sogar so weit, 
daß von der Hemiplegie überhaupt nur die Facialisparese übrig ge¬ 
blieben ist (Freud-Itie). 

Wenn es sich auch meist um den unteren Facialis handelt, so 
wird doch neuerdings darauf aufmerksam gemacht, daß auch der 
Augenast des Facialis in vielen Fällen beteiligt ist. 

Komplikationen von seiten des Auges können in Augenmuskel¬ 
lähmungen bestehen, die zuweilen einen Schluß auf den Sitz des 
Krankheitsprozesses gestatten; ferner sind homonyme laterale Hemi¬ 
anopsie, konzentrische Gesichtsfeldeinschränkung, Pupillenstarre, Ny¬ 
stagmus und auch Sehnervenatrophie in vereinzelten Fällen beobachtet 
worden. 

Während Schluckstörungen seltener vorkamen, begegneten 
wir Störungen der Sprache häufiger. Diese können einmal in 
einer verzögerten Sprachentwicklung bestehen, die der mangelhaften 
Gehirnentwicklung überhaupt entspricht, oder es handelt sich um 
eine motorische Aphasie, entstanden durch Lähmung des Brocaschen 
Zentrums. Das auch von uns beobachtete Vorkommen der Aphasie 
bei linksseitiger Lähmung ist wahrscheinlich so zu erklären, daß hier 
das Sprachzentrum in die rechte Hemisphäre verlegt werden muß 
(Senator) 1 ). Darin darf wohl ebenso wie in der wohlbekannten Tat¬ 
sache, daß die Aphasie bei der infantilen Hemiplegie selten ein 
bleibendes Symptom ist, ein Beweis dafür erblickt werden, daß im 
frühen Kindesalter die Funktion der einen Hemisphäre von der an¬ 
deren zuweilen übernommen wird. 

Erstreckt sich die Hemiplegie auch auf die Rumpfmuskulatur, 
so entsteht eine Skoliose von dem üblichen Charakter der häufiger 
nach spinaler Lähmung auftretenden paralytischen Skoliose. Die 
Konvexität der Krümmung ist meist nach der gesunden Seite ge¬ 
richtet, doch erkennt auch Lovett 2 ) an, daß Lähmungen an der 

’) Senator, Aphasie mit linkseitiger Hemiplegie bei Rechtshändigkeit. 
Charite-Annalen Bd. 28. 

2 ) Lovett, Die Mechanik der normalen Wirbelsäule und ihr Verhältnis 
zur Skoliose. 4. Kongreß der Deutschen Gesellschaft f. orth. Chir. 1905. 


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264 


James Frankel. 


rechten ßückenseite bald eine nach links, bald nach rechts gekrümmte 
Kurve verursachen können. 

Die Störungen der Sensibilität beanspruchen bei der infan¬ 
tilen Hemiplegie keine große Bedeutung. Sie kommen als Hemi- 
anästhesie vor und können sich ferner in Schmerzempfindungen 
äußern, die wahrscheinlich als sensible Reizsymptome aufzufassen 
sind. Nach neuen Untersuchungen von Gordon ist die Sensibilität 
bei den meisten Fällen in allen Qualitäten gestört, und zwar ent¬ 
spricht der Grad der Sensibilitätsstörung der Intensität der motorischen 
Ausfallserscheinung. Je länger indes die motorische Lähmung be¬ 
steht, desto geringer und undeutlicher werden die sensiblen Stö¬ 
rungen a ). Interessant ist, besonders für Chirurgen, eine Erschei¬ 
nung, die Liepmann 2 ) kürzlich als Dissoziation der oberflächlichen 
und tieferen Schmerzempfindungen bei cerebraler Hemiplegie kennen 
gelernt und beschrieben hat. Von Claparbde sind Störungen des 
stereognostischen Sinnes beobachtet worden. 

Da die cerebrale Kinderlähmung einen im Wachstum befind¬ 
lichen Organismus befallt, ist es verständlich, daß in den meisten 
Fällen trophische Störungen nicht ausbleiben. Es kommt 
sogar vor, daß die Hyperplasie nicht nur in den Vordergrund 
tritt, sondern selbst das einzige Herdsymptom bildet (W. König). 
Die Wachstumshemmung kann eine allgemeine halbseitige sein, sie 
kann aber auch einzelne Glieder besonders und auch diese wieder 
in ungleichmäßiger Weise befallen. So fand F 4 r ö 3 ), daß meist der 
Oberarm stärker im Wachstum gehemmt ist als der Vorderarm und 
an diesem wieder am meisten die Ulna und die ulnarwärts gelegenen 
Finger. Mittels des Röntgen Verfahrens wurde an den Knochen Ver¬ 
schmälerung der Corticalis und Aufhellung der Spongiosa, also eine 
trophoneuro tische Knochenatrophie nach dem Bilde der Sudeck sehen 
Knochenatrophie gefunden (Kellner, von Rutkowski). Wohl 
durchgehends ist an den gelähmten Gliedern eine Atrophie der 
Muskeln vorhanden. Das Wesen dieser cerebralen Muskel¬ 
atrophie ist erst in jüngster Zeit besser erkannt worden. Die 

*) A study o i sensations in motor paralysis of cerebral origin based upon 
thirty-five cases by A. Gordon. Journ. of Nerv, and Ment. Disease, März 1903. 

2 ) Liepmann, Neurologisches Zentralbl. 1904, Nr. 16. 

3 ) Fere, Les proportions relatives des os du bras chez les hemiplegiques 
infantiles et les degeneres. Comptes rendues des seances de la Societe de Bio¬ 
logie. Seance du 9. Janvier 1897. 


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Die infantile cerebrale Hemiplegie. 


265 


allgemein verbreitete Anschauung, daß es sich um eine Inaktivitäts¬ 
atrophie handelt, trifft hier ebensowenig zu wie bei den arthrogenen 
Atrophien. Die beste Erklärung gibt noch die Vorstellungsweise, 
die von Marin es co und Goldscheider begründet worden ist, 
und der sich jetzt Steinert 1 ) angeschlossen hat. Danach wird das 
Uebergreifen der absteigenden Degeneration von dem zentralen auf 
das periphere Neuron als ein neurophysiologischer Vorgang aufgefaßt. 
Es übt also das psychomotorische Neuron auf das periphere einen 
trophischen Einfluß aus, so daß die cerebrale Muskelatrophie durch 
die Läsion des ersten Neurons bedingt wird. Die cerebrale Muskel¬ 
atrophie kann sehr früh erscheinen, sie kann hohe Grade erreichen, 
kann auch stationär werden, ja sogar völlig zurückgehen. 

Ausgesprochene Entartungsreaktion ist nicht vorhanden, doch 
wird Herabsetzung der elektrischen Erregbarkeit und auch leichte 
qualitative Veränderung beobachtet. 

Kälte der gelähmten Extremitäten und blaurote Verfärbung 
kommt auch bei der cerebralen Hemiplegie vor, aber nicht in dem 
Grade und in der Häufigkeit wie bei der spinalen Kinderlähmung. 

Zu den charakteristischen Symptomen der infantilen Hemiplegie 
gehören weiterhin die motorischen Reizerscheinungen. Als 
solche sind zunächst die Mitbewegungen zu nennen, die in den 
verschiedensten Formen beobachtet werden. Es handelt sich bei ihnen 
um eine mangelhafte Wirkung der Hemmungsmechanismen, die nach 
der von Johannes Müller begründeten und von Westphal aus¬ 
gebauten Lehre, welche Lewandowsky kürzlich modifiziert 2 ) hat, 
einem Stillstand in der Entwicklung zugeschrieben wird. 

Eine größere Bedeutung haben die Spontanbewegungen, 
die als athetotisch-choreatische Bewegungen die gelähmten 
Glieder befallen können. Damit gehen wir zur Betrachtung des 
späteren Verlaufes der Krankheit über, in dem die Spätchorea und 
weiterhin die Epilepsie eine wichtige Rolle spielen. Durch diese 
beiden Krankheitserscheinungen wird der Symptomenkomplex der 
infantilen cerebralen Hemiplegie in ganz charakteristischer Weise 
vervollständigt.. 

Man hat drei Stadien der Krankheit unterschieden, das der 
spastischen Lähmung, das der Chorea und das der Epilepsie. Der 

*) Steinert, Cerebrale Muskelatrophie. Deutsche Zeitschr. f. Nerven- 
beilk. 1903, Nr. 24. 

2 ) Lewandowsky, Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilkde. Bd. 29 H. 3, 4, 5. 


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266 


James Fränkel. 


Ausgang der hemiplegischen Lähmung kann ein sehr verschiedener 
sein. Die Lähmung kann spontan, ganz oder fast völlig verschwinden, 
so daß bisweilen nach Jahren nur eine gewisse Ungeschicklichkeit der 
einen Hand zurückgeblieben ist. Hervorzuheben ist, daß fast durchweg 
das affizierte Bein eine schnellere und ausgiebigere Besserung zeigt 
als der Arm. Es kann aber auch die sich entwickelnde Kontraktur 
eine sehr schwere Form annehmen und in dieser stationär bleiben. 
Häufig treten nun neben der spastischen Lähmung oder nach dem Ver¬ 
schwinden derselben in den befallenen Gliedern athetotisch-choreatische 
Bewegungen auf. Von Freud und Rie wird sogar als choreatische 
Parese eine besonders charakterisierte Form der infantilen Hemiplegie 
beschrieben, wo von vornherein anstatt der halbseitigen Lähmung 
eine halbseitige Chorea besteht. Was das Intervall zwischen der 
Lähmung und dem choreatischen Stadium betrifft, so ist dies ebenso 
variabel wie der Grad der Ausbildung der Chorea. In schweren 
Fällen beherrscht diese natürlich ganz das Krankheitsbild. Gewiß 
kommen dem Orthopäden nur jene Formen zu Gesicht, in denen die 
spastische Lähmung prävaliert. Und dennoch muß es befremden, 
daß wir bei Nachuntersuchungen, die oft lange nach der ersten Be¬ 
obachtung und einer damals ausgeführten Sehnenoperation zurück¬ 
lagen, fast niemals in dem betreffenden Gliede eine post- 
hemiplegische choreatische Bewegungsstörung vorgefunden 
haben. Mit Rücksicht auf gewisse Beobachtungen von Codivilla 
und Wittek, auf die ich später noch zurückkomme, scheint die 
Möglichkeit zu bestehen, daß das Auftreten der Chorea in dem 
einer Sehnenoperation unterworfenen Gliede durch die in 
der Peripherie geschaffene Veränderung direkt ge¬ 
hemmt wird. 

Was von der Chorea gesagt wurde, gilt auch für die Epi¬ 
lepsie: auch hier ist der Zeitpunkt des Auftretens ein sehr wechsel¬ 
voller. Doch gilt als Tatsache, daß die Epilepsie noch in jedem Alter 
befürchtet werden muß. Ein sicheres Urteil über die Häufigkeit der 
Epilepsie wird dadurch erschwert, daß es unmöglich ist, die Krank¬ 
heitsfälle durch lange Zeiträume hin zu beobachten. Da aber die 
Epilepsie sicher in einem großen Prozentsatz der Fälle auftritt, so 
gewinnt hierdurch die cerebrale Hemiplegie ein besonderes Interesse. 
Der Charakter der Epilepsie entspricht zwar nicht ganz dem der 
genuinen, da die Krämpfe häufig halbseitig auftreten und dann ganz 
dem Bilde der Jacksonsclien Rindenepilepsie gleichen. Aber die 


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Die infantile cerebrale Hemiplegie. 


267 


Unterschiede gegen die genuine Epilepsie scheinen sich doch später 
zu verwischen, und in Anbetracht dieser Verhältnisse muß der Ver¬ 
such (Marie), die genuine Epilepsie durch die symptomatische Epi¬ 
lepsie bei der cerebralen Kinderlähmung zu erklären, durchaus 
beachtenswert erscheinen. 

Ebenso interessante Beziehungen zur halbseitigen Kinderlähmung 
weist die Idiotie auf. Den unermüdlichen Forschungen Königs 1 ) 
verdanken wir nach dieser Richtung wertvolle Aufschlüsse. Die psychi¬ 
sche Schädigung bei der cerebralen Hemiplegie ist ihrem Grade nach 
sehr verschieden. Es kommen alle Uebergänge von geringer geistiger 
Hemmung bis zum völligen Schwachsinn als begleitendes Symptom 
vor. Wie König feststellte, ergeben bemerkenswerterweise die Fälle 
von Idiotie ohne Lähmungserscheinungen genau dieselben ätio¬ 
logischen und prädisponierenden Momente, die für die cerebrale Hemi- 
plegie gelten. Häufig finden sich bei Idioten Spasmen und Andeu¬ 
tungen von Paresen, die die enge Zusammengehörigkeit der cerebralen 
Kinderlähmung mit der Idiotie unabweisbar erscheinen lassen. — 

Nach der bisherigen Schilderung steht die cerebrale Hemiplegie 
wohl den cerebralen Diplegien am nächsten, die Hoffa Littlesche 
Krankheit im weiteren Sinne nennt. Eine als bilaterale Hemiplegie 
beschriebene Form der allgemeinen Starre entspricht sogar direkt einer 
Verdoppelung der hemiplegischen Cerebrallähmung. Zu dieser führen 
alle Uebergänge von leichter Steigerung der Patellarreflexe auf der 
nicht gelähmten Seite, die wir öfters vorgefunden haben, bis zur ausge¬ 
bildeten Form hinüber. Bekanntlich ist für die Littlesche Krankheit 
das Ueberwiegen der Starre über die Lähmung und die stärkere 
Beteiligung der Beine charakteristisch, Unterschiede, die vielleicht 
nur auf eine andere Lokalisation des Krankheitsprozesses 
zurückzuführen sind. Einen unter diesem Gesichtspunkt beachtens¬ 
werten Befund hat F. Schultze erhoben, indem er bei Neugeborenen, 
die während des Geburtsaktes oder gleich darauf gestorben sind, die 
Blutungen nicht in der Hirnsubstanz, sondern häufiger im Rücken¬ 
mark und in der Medulla oblongata lokalisiert fand. 

Im Hinblick auf die Frequenz der hemiplegischen Formen 
und ihr Verhältnis zu den Diplegien lassen sich schwer genaue An¬ 
gaben machen. Unser Material, in dem die Hemiplegien etwas 

! ) König, Ueber cerebral bedingte Komplikationen, welche der cerebralen 
Kinderlähmung wie der einfachen Idiotie gemeinsam sind etc. Deutsche Zeitschr. 
f. Nervenheilkunde 1897, Bd. 11. 


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268 


James Fränkel. 


seltener vertreten sind als die Littlesche Krankheit, kann hierfür 
nicht maßgebend sein. Denn bei der Hemiplegie treten Kompli¬ 
kationen wie Chorea, Epilepsie und Idiotie viel häufiger als bei den 
Diplegien nicht nur überhaupt auf, sondern auch in den Vorder¬ 
grund der Erscheinungen, und dann müssen diese Fälle in Nerven- 
bezw. Kinderkliniken oder Irrenhäusern gesucht werden. 

Diagnose. In differential-diagnostischer Hinsicht bietet die 
Halbseitigkeit der Affektion ein wichtiges Kriterium. Gegenüber der 
spinalen Kinderlähmung *), an die häufig die Aehnlichkeit und die 
Art des Auftretens denken läßt, sichern der spastische, nicht degene- 
rative Charakter der Lähmung, die Steigerung der Reflexe und die 
geschilderten Komplikationen die Diagnose. Schwierig kann bisweilen 
die Beurteilung der seltenen Fälle von kombinierter spinaler und 
cerebraler Kinderlähmung sein. 

Der Entbindungslähmung, die als Monoplegie am Arme 
bisweilen ein ähnliches Bild hervorrufen kann, ist ebenfalls die schlaffe 
Degeneration der Paralyse eigentümlich. 

Von der Hemiplegie der Erwachsenen trennen die halb¬ 
seitige Kinderlähmung gewisse Merkmale, die aber im wesentlichen 
damit Zusammenhängen, daß die Lähmung bei dieser ein unfertiges 
Gehirn betroffen hat. Die geringere Beständigkeit der Kontraktur, 
die Mitbewegungen, die Häufigkeit des choreatischen Stadiums und 
der anderen Komplikationen bei der infantilen Hemiplegie wären hier 
zu nennen. Die ataktische Art der Bewegungsstörungen steht der 
mehr paretischen Form bei der Hemiplegie der Erwachsenen gegen¬ 
über. Weitere Merkmale der infantilen Hemiplegie sind die Ver¬ 
gänglichkeit der Sprachstörung und ihre relative Unabhängigkeit von 
der Linksseitigkeit der Hirnläsion, ferner die Atrophien und die 
Wachstumshemmungen. 

Trotz dieser Unterschiede ist uns doch aber die Analogie mit der 
Apoplexie der Erwachsenen sehr wertvoll; denn sie vermittelt 
ohne weiteres das Verständnis des pathologisch-physio¬ 
logischen Vorgangs. 

Prognose. Im einzelnen Falle ist die Prognose von den be¬ 
gleitenden Komplikationen (Aphasie, Hemianopsie, Idiotie u. s. w.) 
abhängig. Auch kann bei anfangs regressivem Verlauf durch das 

') Vgl. Hoffa, Spinale und cerebrale Kinderlähmung. Deutsche Klinik 
30. Lieferung. 


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Die infantile cerebrale Hemiplegie. 


269 


Hinzutreten von Athetose und Epilepsie wieder eine unmittelbare 
Verschlechterung eintreten. 

Das markanteste Symptom aber, die schweren Bewegungs¬ 
störungen der Hand und der Finger, welche früher die armen Pa¬ 
tienten zur lebenslänglichen Untätigkeit und Unselbständigkeit verur¬ 
teilten, sind heutzutage einer erfolgreichen Behandlung zugänglich. 

Therapie. Von vereinzelten Versuchen, das Leiden zentral 
anzugreifen, sehe ich hier ab, weil diese noch nicht beweiskräftig sind. 

Die Behandlung der cerebralen Hemiplegie ist vorzugsweise darauf 
gerichtet, die spastische Lähmung an den Extremitäten zu bekämpfen. 

Handelt es sich um leichtere Fälle, bei denen nur eine unbe¬ 
deutende Schwächung der einen Körperhälfte als Residuum einer 
anfangs völligen Lähmung zurückgeblieben ist, so können wir mit 
relativ einfachen orthopädischen Maßnahmen zum Ziel gelangen. Es 
genügt dann meist eine mehr wöchentliche sachgemäße Massage-, 
Gymnastik- und medikomechanische Behandlung neben leichter Gal¬ 
vanisation. Eine im Gefolge der cerebralen Kinderlähmung auftretende 
Skoliose hat der üblichen Skoliosentherapie zu unterliegen, deren Grund¬ 
sätzen — Mobilisierung der Wirbelsäule, Kräftigung der geschwächten 
Rückenmuskulatur und Verhütung einer stärkeren Ausbildung der 
Skoliose — dem besonderen Falle entsprechend Genüge geleistet wird. 

Die schwereren Bewegungsstörungen bei spastischen 
Lähmungen sind erst viel später als die schlaffen Lähmungen und 
nur mit Zögern in den Bereich der operativen Therapie einbezogen 
worden. Hier galt es viel größere Schwierigkeiten zu überwinden, 
die vor allem in der eigenartigen Kombination von Lähmung 
und Spasmus begründet sind. Dazu kommt, daß der subtilere 
Bau und der feinere Bewegungsmechanismus an der Hand 
die Schwierigkeit noch erhöht. 

Der in Betracht kommende Spasmus ist ein unberechenbarer 
Faktor, dessen Beurteilung noch dazu wegen seines Verschwindens 
in der Narkose doppelt erschwert wird, und auch der Grad der wirk¬ 
lichen Lähmung ist oft nicht gleich richtig abzuschätzen. Und doch 
ist es gerade sehr wichtig, über das Verhältnis von Spasmus und 
Lähmung zueinander, das ein sehr wechselndes sein kann, sich vorher 
genau zu orientieren, wenn anders der Zweck erreicht werden soll, 
der überhaupt mit einer Sehnenoperation erstrebt wird, nämlich die 
Gleichgewichtsstörung im Spiele des Muskelantagonismus zu be¬ 
seitigen (Lorenz). 


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270 


James Frankel. 


Ist die Lähmung bei der spastischen Hemiplegie nur eine ge¬ 
ringe, dann besteht unsere Aufgabe darin, den Spasmus desjenigen 
Muskels, der den größten Widerstand leistet, durch die Tenotomie 
aufzuheben. Spielt daneben die Lähmung eine Rolle, so gilt es, nicht 
nur den spastisch affizierten Muskel zu schwächen, sondern gleich¬ 
zeitig „den Ueberschuß an Energie durch Ueberpflanzung dem Anta¬ 
gonisten zuzuführen“ (Hoffa). Eine wichtige Errungenschaft be¬ 
deutet es, daß man versucht hat, durch Aenderung der Insertionsstelle 
bestimmter Muskeln die Kontraktur zu verringern, und gleichzeitig 
die Kraft des tonisch gespannten Muskels in eine günstigere Richtung 
zu verlegen. In dieser Absicht hat Hoffa den spastisch affizierten 
Musculus pronator teres, der in der Regel ein großes Hindernis 
darstellt, von dem Condylus internus abgetrennt und an dem Con- 
dylus externus festgenäht, so daß also aus dem Pronator nunmehr 
ein Supinator wurde. Hand in Hand mit der Sehnenverpflanzung geht 
die Sehnenverkürzung. Durch Kochs Untersuchungen wissen 
wir, daß der fettige Zerfall der Muskelsubstanz kein durchgehender 
ist. Neben der Degeneration findet reichliche Regeneration von 
neuen Fasern statt. Geben wir daher dem Muskel durch Verkürzung 
seine elastische Spannung wieder, so kann er vermöge der ihm inne¬ 
wohnenden Regenerationskraft bald wieder seine frühere Funktion 
aufnehmen. So ist es auch zu erklären, daß Hoffa verschiedene 
Male durch eine einfache Operation wie die Verkürzung des Extensor 
carpi radialis longus nicht nur eine gute Stellung, sondern auch eine 
sehr gute Funktion erreicht hatte. 

An der unteren Extremität beschränkten sich unsere Maßnahmen 
bei der cerebralen Hemiplegie meist auf die Tenotomie der Achilles¬ 
sehne, die meist nach der B ay ersehen subkutanen Methode geübt wurde. 
Wenn es nötig ist, werden die Extensoren des Fußes verkürzt (nach 
Hoffa) und die Funktion der Wadenmuskulatur wird eventuell für 
die Tätigkeit der Peroneen, des Tibialis anticus, des Tibialis posticus 
oder der Extensoren in Anspruch genommen. Ist die Spitzfußstellung 
sehr hartnäckig, wird man nach der Verbandabnahme noch einen 
Schienenhülsenapparat tragen lassen, der mit Vorfußzügeln versehen 
ist. Sind gleichzeitig fehlerhafte Rotationsstellungen des Beines aus¬ 
zugleichen, so umfaßt der Apparat auch Oberschenkel und Becken. 

Der Spasmus der Beugemuskeln in der Kniekehle wird durch 
offene Durchschneidung der Muskeln beseitigt. Genügt das nicht, 
so kann man die Beugemuskeln auf die Streckseite überpflanzen. 


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Die infantile cerebrale Hemiplegie. 


271 


An der Hand wurden die verschiedensten Eingriffe in der 
Hoffaschen Klinik ausgeführt. Dieselben finden sich in einer TabeUe 
zusammengestellt und gelangten entweder einzeln oder je nach dem be¬ 
sonderen Falle in beUebiger Kombination zur Ausführung (Tabelle H). 


Tabelle II« (Operationen an der oberen Extremität.) 


Zweck der Operation 

Operationsmethode 

Beseitigung des Prona¬ 
tionsspasmus. 

Ablösung des M. pronator teres vom Condylus int. 
humeri. 

Aktive Supination. 

H o f f a sehe Pronatorplastik. 

Periostale Verpflanzung der Sehne des Flexor carpi 
ulnaris über das Dorsum des Vorderarms auf die 
Facies volaris radii (Frankel). 

Tendinöse Fixation des 
Handgelenks in Mit¬ 
telstellung. 

Verkürzung des M. extensor carpi radialis longus. 

» v d * * ulnaris. 

, „ , „ digitorum communis. 

Aktive Dorsalflexion der 
Hand und aktive 
Streckung der Grund¬ 
glieder der Finger. 

Verpflanzung des M. flexor carpi ulnaris auf den Ex¬ 
tensor digitor. communis. 

Verpflanzung des M. flexor carpi radialis auf den Ex¬ 
tensor digitor. communis. 

Verpflanzung des M. extensor carpi radialis long. auf 
den Extensor digitor. communis. 

Beseitigung der ulnaren 
Abduktion. 

Verlängerung des M. extensor carpi ulnaris. 

Beseitigung der Adduk¬ 
tionsstellung des Dau¬ 
mens. 

Verkürzung des M. extensor pollicis longus. 

Aktive Abduktion des 
Daumens. 

Verpflanzung des M. flexor carpi radialis auf den Ex¬ 
tensor pollicis longus. 

Verpflanzung des M. flexor carpi radialis auf den Ab¬ 
ductor pollicis longus. 

Verpflanzung des halben M. extensor carpi radialis 
brevis auf den Extensor pollicis longus. 

Beseitigung der Beuge¬ 
kontraktur im Ellen¬ 
bogengelenk. 

Durchschneidung des Lacertus fibrosus. 

„ , M. biceps brachii in der Arm¬ 

beuge. 

Aktive Streckung des 
Ellenbogengelenks 
(Ersatz des Triceps 
brachii). 

Passive Verpflanzung des M. triceps auf den Deltoides 
(Hoffa). 

Aktive Elevation des 
Oberarms (Ersatz des 
Deltoides). 

Verpflanzung des M. cucullaris auf den Deltoides 
(Hoffa). 


Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XV. Bd. lg 


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272 


James Frankel. 


Ich habe vor kurzem, um die Supination herzustellen, 
den MuöcuIus flexor carpi ulnaris verwendet. Die Operation 
ist folgende: Längsschnitt auf der Ulna vom Processus styloid. ulnae 
aufwärts. Loslösung des Flexor carpi ulnaris vom Os pisiforrae, 
dessen Sehne gut mobilisiert über das Dorsum des Vorderarms ver¬ 
pflanzt und an der Facies volaris radii bei supiniertem Vorderarm 
in möglichst breiter Ausdehnung periostal vernäht wird (mit oder 
ohne seidene Sehne). Der Muskel umgreift also von außen den 
Knochen und wirkt bei seiner Kontraktion supinatorisch. Diese 
Ueberpflanzung erscheint mir deswegen geeignet, weil der M. flexor 
carpi ulnaris ein an und für sich supinatorisch wirkender Muskel 
ist, weil er bei diesen Zuständen meist sehr gut funktioniert. Hoffa 
verwendet ihn deswegen gern zur Stärkung der Fingerextensoren, 
weil er mit einer langen, kräftigen Sehne ausgestattet ist und weil 
nach seiner Abtrennung vom Os pisiforme gleichzeitig die ulnare 
Abduktion der Hand verschwindet. Verbindet man mit der Ver¬ 
pflanzung des Flexor carpi ulnaris die Verkürzung des M. extensor 
pollicis longus, was ich bisher 2mal ausführte, so ist hierfür kein 
besonderer Hautschnitt erforderlich. — 

Die größte Beachtung ist der Nachbehandlung zu schenken, 
die gerade hier von der Energie des Patienten sehr wesentlich unter¬ 
stützt wird. Bezüglich der Massage ist zu erwähnen, daß diese 
teils krampfstillend wirkt, teils die durch die Operation wieder wach¬ 
gerufene Regenerationskraft der Muskeln begünstigt. 

Was nun unsere* Resultate bei der cerebralen Hemiplegie be¬ 
trifft, so erwähne ich zunächst, daß die an der unteren Extremität 
entstandenen Deformitäten in der Regel ohne erhebliche Schwierig¬ 
keit beseitigt wurden. Die Spitzfußstellung wurde meist ganz be¬ 
hoben, und das Schwinden der Kniespasmen ermöglichte wieder eine 
freie Beweglichkeit. Nach einiger Zeit war das Hinken und die 
Kreisschwenkung im Hüftgelenk überhaupt nicht mehr auffällig und 
der Gang nahezu einwandfrei. 

Von größerem Interesse sind die Erfolge an der oberen Ex¬ 
tremität. Hier gelang es zunächst in der Regel, durch die Operation 
die Stellung der Hand derart zu verbessern, daß dieselbe 
nachher von einer normalen oft nicht mehr zu unterscheiden 
war. Durch die tendinöse Fixation war das Handgelenk in Mittel¬ 
stellung gebracht, die Finger blieben in den Grundgelenken ge¬ 
streckt, die fehlerhafte Stellung des Daumens war beseitigt. Ein 


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Die infantile cerebrale Hemiplegie. 


273 


solches kosmetisches Resultat ist gewiß schon hoch zu veran¬ 
schlagen. 

Darüber hinaus aber wurde in den meisten Fällen auch eine 
Verbesserung der Funktion erreicht. Ja sogar Bewegungen, 
die vor der Operation überhaupt unmöglich waren, konnten nach¬ 
her mühelos, bisweilen in geradezu idealer Weise ausgeführt wer¬ 
den. Es gilt dies namentlich von der aktiven Dorsalflexion 
der Hand und der Fingergrundglieder und ebenso von der 
Supinationsbewegung. Auch ist zu berücksichtigen, daß durch 
den Fortfall des Krampfes, besonders des Pronationsspasmus und 
des Krampfes der Fingerbeuger, die freie Aktion dieser Muskeln 
erst wieder richtig zur Geltung gelangte. So konnte oft die vor der 
Operation gänzlich unbrauchbare Hand zum Greifen und Festhalten, 
zum Schreiben, ja zu jeglichen Hantierungen benutzt werden. 

Daß meist auch die Bewegungen des ganzen Armes freier 
wurden, hängt einfach mit dem Verschwinden des Spasmus in der 
Ellenbeuge zusammen. 

Es muß besonders hervorgehoben werden, daß die Krampf¬ 
zustände in dem operierten Gliede nach der Operation in der 
Regel ganz verschwanden. Die krampflösende Wirkung 
der Sehnenplastik, die, wie ich erwähnt habe, auch schon aus 
früheren Beobachtungen bekannt ist, haben wir oftmals in ganz 
eklatanter Weise verfolgen können. Wenn auch eine sichere Er¬ 
klärung für diese Erscheinung noch nicht existiert, so muß doch 
wohl eine zentripetale Reizwirkung als Ursache angesehen werden. 

Ebenso bemerkenswert erscheint es mir, daß fast niemals an 
den operierten Händen Zeichen von Chorea, die als posthemiplegische 
Bewegungsstörung bei der cerebralen Hemiplegie häufig aufzutreten 
pflegen, bei Nachuntersuchungen von uns gesehen worden sind. 
Diese Beobachtung kann mit den Erfahrungen Witteks 1 ) in Ein¬ 
klang gebracht werden, wonach die Sehnenverpflanzung, und zwar 
diese in höherem Grade als die Tenotomie, ein deutliches Schwinden 
der choreatischen Unruhe zur Folge hatte. Wenn aber die Sehnen¬ 
überpflanzung krampfstillend wirkt, choreatische Unruhe 
aufhebt, und das Auftreten der posthemiplegischen Chorea 
hemmt, so eröffnet sich damit die Aussicht, dem Indika- 

*) Wittek, Die Bedeutung der Sehnentransplantation für die Behand¬ 
lung choreatischer Formen der infantilen Cerebrallähmung. Zentralblatt für 
Chirurgie 1903. 


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274 


James Frankel, 


tionsgebiet der Sehnenverpflanzungen weitere Grenzen zu 
ziehen. 

Da bei der cerebralen Hemiplegie der Lähmungstypus an der 
oberen Extremität einer Radialislähmung entspricht, ist der Gedanke 
naheliegend, auch von der neuerdings in Aufnahme gelangenden 
Nervenplastik bei diesen Zuständen Gebrauch zu machen. Spitzy 
hat, wie er mir jüngst mitteilte, diesbezügliche Versuche in die 
Wege geleitet, die Erfolg zu versprechen scheinen. 

Zum Schlüsse fasse ich die Ergebnisse meiner Arbeit in 
folgende Thesen zusammen: 

1. Für die Aetiologie der cerebralen Hemiplegie haben alle 
vaskulären Schädigungen Bedeutung, die während der Fötal¬ 
periode, während des Geburtsaktes und während des Extrauterinlebens 
zur Geltung kommen. Als solche sind zu nennen: 

a) Hereditäre Lues (hämorrhagische Diathese). 

b) Zirkulationsstörungen im Fötus (aufhereditäre, mütter¬ 
liche und insbesondere intraabdominelle Einflüsse zurückzuführen). 

c) Akut-entzünd liehe Gefäßerkrankung (Encephalitis, 
Meningitis). 

d) Hämorrhagie. 

e) Embolie. 

f) Thrombose. 

2. Pränatale Schädigungen äußern ihre Wirkung oft erst nach 
der Geburt, bezw. nach dem Hinzutreten von Geburtsstörungen oder 
extrauterinen Schädlichkeiten. 

3. Die Littleschen Momente sind für die cerebrale Hemi¬ 
plegie von größerer Bedeutung als man bisher glaubte, und zwar 
sehe ich die schwere Geburt, insbesondere die Zangengeburt 
(ungeschickte Zangenanlegung) als direkte Ursache der Hemiplegie 
an, während die Frühgeburt und ein Teil der schweren 
Geburten als Folgen pränataler Momente gedeutet werden 
müssen. Den letzteren ist dann auch die größere ätiologische Bedeu¬ 
tung beizumessen. 

4. Die akuten Infektionskrankheiten spielen bei der Ver¬ 
anlassung der cerebralen Hemiplegie in manchen Fällen nur insofern 
die auslösende Rolle, als die Toxinwirkung ein schon vorher ge¬ 
schädigtes Gehirn in der am meisten betroffenen Gegend (Prä- 


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Die infantile cerebrale Hemiplegie. 


275 


dilektionsstelle: Verbreitungsbezirk der Art. cerebri media) 
am intensivsten trifft. 

5. Aus ätiologisch-klinischen Rücksichten halte ich die cerebrale 
Hemiplegie für einen Symptomenkomplex, dem eine vasku¬ 
läre Entstehung konstant zu Grunde liegt. 

6. Auch die Befunde der pathologischen Anatomie lassen 
sich trotz der Mannigfaltigkeit der pathologisch-anatomischen End- 
Ter’änderungen mit meiner ätiologischen Betrachtungsweise in Ein¬ 
klang bringen. 

7. Die infantile cerebrale Hemiplegie steht den cerebralen 
Diplegien (Littlesche Krankheit) am nächsten. 

8. Die schweren Deformitäten der Hand nach cerebraler Hemi¬ 
plegie sind heutzutage einer erfolgreichen chirurgisch-orthopädischen 
Behandlung zugänglich, mittels deren ein gutes kosmetisches 
und funktionelles Resultat erreicht werden kann. 

9. Die Sehnenplastiken bei der cerebralen Hemiplegie haben 
gleichzeitig krampflösende Eigenschaften. Sie beseitigen ferner nicht 
nur schon vorher bestehende choreatische Unruhe, sondern hemmen 
auch nach meinen Erfahrungen das Auftreten der posthemiplegischen 
Chorea. 


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XV. 


(Aus der Professor Dr. Vulpiusschen orthopädisch-chirurgischen 
Klinik zu Heidelberg.) 

Die amniogene Entstehung des angeborenen 
Klumpfußes. 

Von 

Assistenzarzt Dr. Ewald. 

Mit 3 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Unter den vielen Ursachen, die für die Entstehung des kon¬ 
genitalen Klumpfußes verantwortlich gemacht werden, spielt nach 
dem allgemeinen Urteil für die Mehrzahl der Fälle der intrauterine 
Druck die größte Rolle. Nach dem anatomischen Knochenbau, den 
Druckschwielen und atrophischen Hautstellen, ja selbst Decubital- 
geschwüren am Fußrücken und am Malleolus externus nimmt man 
an, daß der Klumpfuß meist erst in den letzten Schwangerschafts¬ 
monaten zu stände kommt, indem die physiologisch bestehende 
Supinationsstellung durch den Druck der Uteruswand ins Patho¬ 
logische vermehrt wird. Zu dieser Auffassung muß man gelangen, 
wenn man die das Fußskelett zusammensetzenden Knochen einzeln 
nach Größe, Form und Lagebeziehung zueinander betrachtet. Wäh¬ 
rend die Größe kaum hinter der von normalen Fußknochen gleich¬ 
altriger Individuen zurücksteht, während die einzelnen Teile und 
insbesondere die Gelenkflächen, die man an den einzelnen Knochen 
unterscheiden kann, in ihrer Ausbildung kaum eine Einbuße erlitten 
haben, ist nur ihre Form und Lagebeziehung mehr oder weniger 
verändert. So wird man zu der Annahme geführt, daß die normale 
Entwicklung der Tarsalknochen schon weit vorgeschritten war, ehe 
durch eine mechanische äußere Kraft eine Mißbildung erzeugt wurde. 
Allerdings sind, wenn auch bei weitem weniger zahlreich, genug 
Fälle von Klumpfuß beschrieben worden, aus deren Form und Be¬ 
gleiterscheinungen mit Sicherheit hervorgeht, daß die Deformität zu 


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Die amniogene Entstehung des angeborenen Klumpfußes. 


277 


viel früherer Zeit entstand, so daß man also sagen kann, daß der 
Pes varus congenitus zu jeder Zeit des fötalen Lebens sich ent¬ 
wickeln kann, wenn nur einmal erst die Extremitätenstümpfe sich 
gebildet haben. (Die idiopathischen Klumpfüße wollen wir, da nicht 
zum Thema gehörig, ganz beiseite lassen.) 

Wenn wir nun weitergehen und nach den den Druck ver¬ 
ursachenden Momenten fragen, so werden zunächst Tumoren der 
Gebärmutter und der Abdominalorgane, Doppelmißbildungen, Hydro- 
cephalus u. s. w. genannt, die wir aber wegen ihrer Seltenheit außer 
acht lassen wollen. Es bleibt dann als wichtigste Entstehungsursache 
der durch zu großen Mangel an Fruchtwasser veranlaßte wirkliche 
Raummangel im Uterus übrig, der dann eben, wie schon gesagt, in 
den letzten Monaten der Schwangerschaft einfach eine mecha¬ 
nische Wachstumsstörung des Fußes bewirkt. Daher weisen auch 
diese auf solche Art entstandenen Pedes vari schon alle Uebergänge 
zum Normalen auf. Es folgt daraus, daß für die vollständige Aus¬ 
bildung des Embryos eine lange Zeit hindurch Platz gewesen sein 
muß, ehe Verhältnisse eintraten, die dem weiteren normalen Wachs¬ 
tum ein Ziel setzten, indem sie mechanisch den fötalen Geweben 
unüberwindliche Widerstände in den Weg legten. — Von Geburts¬ 
helfern und pathologischen Anatomen ist jedoch des öfteren über 
Fälle berichtet worden, in denen sich das Amnion überhaupt nicht 
von der Oberfläche des Embryos abgehoben hat, und wo darum aus 
der allgemeinen Enge des Amnions sich bedeutende Mißbildungen 
ergaben. Hier sind dann natürlich die Deformitäten außerordentlich 
zahlreich und schwer, und es kommt meist überhaupt nicht zu 
lebensfähigen Geschöpfen. Der eventuell dabei mit beobachtete 
Klumpfuß ist dann nur Teilerscheinung einer den ganzen Fötus 
betreffenden monströsen Mißbildung. Von Marchand, Winckel, 
Ahlfeld und Schwalbe sind derartige Bildungen, die eine ganze 
Anzahl von amniogenen Deformitäten in sich vereinigen, besonders 
gesammelt und beschrieben worden. 

Von weit größerem Interesse ist nun für uns die Tatsache, 
daß die Enge des Amnions zu partiellen Verwachsungen führen 
kann, die ihrerseits an den befallenen Stellen ein normales Wachs¬ 
tum des fötalen Teils verhindern oder aber bei nachträglicher Ab¬ 
sonderung des Liquor amnii durch Entfernung der zusamraenge- 
wachsenen Stellen voneinander Bänder entstehen lassen, die weiter¬ 
hin in den Entwicklungsgang des Fötus störend eingreifen. So kann 


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278 


Ewald. 


dann auch zuweilen, wenn die untere Extremität in den Prozeß 
miteinbezogen wird, ein Klumpfuß entstehen. 

Dies ist nicht häufig, und Bessel-Hagen konnte diesen Ent¬ 
stehungsmodus des kongenitalen Klumpfußes nur mit einer kleinen 
Zahl von Beobachtungen beweisen. Er führt aus seiner großen Er¬ 
fahrung nur zwei hierhergehörende Fälle an und hat nur 3 weitere 
Fälle in der ganzen Literatur gefunden. Sonst berichtet Hoffa 
noch über einen Fall, in dem neben doppelseitigem Klumpfuß auf 
der einen Seite eine starke amniotische Schnürfurche am linken 
Unterschenkel und einige Zehen- und Fingerdefekte bestanden. Bei 

der Seltenheit dieser amniogenen Ent¬ 
stehungsart ist wohl ein weiterer kasuisti¬ 
scher Beitrag gerechtfertigt und sei hier, 
soweit er für unsere Betrachtung in Frage 
kommt, mitgeteilt. 

Der 8 Monate alte Knabe, der von 
durchaus gesunden Eltern stammt, denen 
von angeborenen Anomalien in ihrer Fa¬ 
milie nichts bekannt ist, wurde nach Mit¬ 
teilung des behandelnden Arztes wegen 
Beckenenge und zu geringer Wehentätig¬ 
keit der Mutter mit Zangenhilfe zur Welt 
gebracht. Die Nabelschnur war von ge¬ 
höriger Länge und normaler Beschaffenheit 
und war nirgends umschlungen; das Kind 
war ausgetragen, aber sehr klein. 

Der linke Fuß, von derselben Größe 
wie der rechte, wird, belastet oder nicht, stark supiniert, adduziert 
und plantar flektiert gehalten. Eine Dorsalflexion gelingt kaum bis 
zum rechten Winkel, dann hindert die stark gespannte Achillessehne 
eine weitere Beugung. In seiner Haltung und Gestalt ähnelt der 
Klumpfuß durchaus denen, die in den letzten Schwangerschafts¬ 
monaten durch intrauterinen Druck entstanden sind. 

Um den linken Unterschenkel laufen mehrere feine, wei߬ 
lichgrau glänzende zirkuläre Streifen 5mal herum (s. Fig. 1), die sich 
öfter vorn und hinten kreuzen, die man aber alle einzeln, in ihrem 
linearen Verlauf um die ganze Zirkumferenz des Unterschenkels ver¬ 
folgen kann. Sie nehmen mit der Hautoberfläche dasselbe Niveau 
ein, liegen aber, wenn man durch Reiben des Unterschenkels eine 



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Die amniogene Entstehung des angeborenen Klumpfußes. 279 

aktive Hyperämie erzeugt, wonach sich die weißlichen Streifen sehr 
schön von der roten Fläche abheben, um ein Geringes unter dem 
Niveau der Oberfläche. Nach Aussage der Mutter wurden sie gleich 
nach der Geburt bemerkt, waren damals hochrot und wenig breiter 
und überragten etwas die Oberfläche. 

Der sonst normale rechte Fuß weist zugleich eine Syndak- 
tylie und Polydaktylie auf (s. Fig. 2). Die vierte Zehe hat schein¬ 
bar eine Nebenzehe, mit der sie zugleich zum 
Teil verwachsen ist. Aus dem Röntgenbild 
(s. Fig. 3) geht jedoch hervor, daß die fünfte 
Zehe verdoppelt ist; denn man sieht deutlich, 
wie das Köpfchen des fünften Metatarsalknochens 
gespalten ist, und wie von da an jede Zehe, 
die fünfte sowohl wie die überzählige, ihre 
Phalangen hat, die kaum kleiner und schmaler 
als die übrigen sind. Im übrigen ist der Knabe 
durchaus normal gebildet. Auf der Haut, ins¬ 
besondere am behaarten Kopf und an den Ex¬ 
tremitäten findet sich nichts von Narben, die 
etwa als Residuen amniotischer Verwachsungen 
einen Anhaltspunkt für die Entstehungsursache der Anomalien bieten 
könnten. — Um zunächst auf den eigentümlichen Befund am linken 
Unterschenkel einzugehen, so können wir uns die linearen, zirku¬ 
lären Streifen nicht anders entstanden denken, 
als durch länger dauernden Druck von seiten 
eines oder mehrerer Bänder, die sich um den 
Unterschenkel geschlungen haben, und deren 
chronischer Reiz eine Alteration der Epidermis 
und Cutis zur Folge hatte, die sich gleich 
nach der Geburt als leichte Schwellung und 
Rötung, später aber als streifenförmige Narbe 
dokumentierte. — Intrauterine Umschlingung 
durch bandartige Gebilde kommt aber, soweit wir bis jetzt wissen, 
nur auf zweierlei Art zu stände: entweder durch die Nabelschnur 
oder durch amniotische Stränge. 

Daß die Nabelschnur mehrmals um ein oder mehrere Kindes¬ 
teile geschlungen sein kann, liegt sehr wohl im Bereiche der Mög¬ 
lichkeit, gibt doch Ahlfeld an, daß bis neun Umschlingungen beob¬ 
achtet worden sind. Auch daß die Nabelschnurumschlingung in- 


Fig. 3. 



Fig. 2. 



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280 


Ewald. 


direkt eine Klumpfußbildung bewirken kann, wird von Hoffa als 
feststehend erklärt und von Bessel-Hagen durch einen Fall Sie¬ 
bold s bewiesen, in dem um das eine Bein, das zugleich mit Klump¬ 
fuß behaftet war, die Nabelschnur in spiralig verlaufenden Win¬ 
dungen geschlungen war. Ohne Zweifel, so sagt Bessel-Hagen, 
hatte das geringere Bewegungsvermögen der in ihrer Entwicklung 
benachteiligten Extremität zu dem Klumpfuß verholfen. 

In diesem Falle war aber das Kind totgeboren, die Ernährung 
der befallenen Extremität war gestört, und es fanden sich deutliche 
Einschnürungen; solche sieht man auch auf den Abbildungen, die 
eine Nabelschnurumschlingung, resp. ihre Wirkung zeigen: es ist 
immer eine sehr breite, mehr oder wenig flache, muldenförmige 
zirkuläre Einsenkung. Denn gewöhnlich sind die Nabelschnurgefäße 
von der W har ton sehen Sülze umgeben, und der ganze Strang ist 
spiralig gewunden und wird dadurch nur noch dicker. Jedenfalls 
war er in unserem Falle auch kein glattes Band ohne Hervor- 
ragungen, sondern hatte eine höckerige unregelmäßige Gestalt. Diese 
Tatsache würde sich bei unseren zirkulären Narben, wenn diese 
wirklich von der Nabelschnur herrühren würden, in einem unregel¬ 
mäßigen, bald schmaleren, bald breiteren Verlauf erkennen lassen. 
Statt dessen haben wir aber feine, lineare Streifen, die so aussehen, 
als ob sie vor längerer Zeit mit einem feinen Messerschnitt künstlich 
hergestellt worden seien. 

Außerdem müßte die abnorme Länge der Nabelschnur aufge¬ 
fallen sein; beträgt doch die Länge eines Bindfadens, den man ähn¬ 
lich wie die Narben 5mal um den Unterschenkel laufen läßt, über 
70 cm; und dazu müßte unbedingt noch ein größeres freies Stück ge¬ 
rechnet werden, das die notwendige Blutzirkulation gewährleistete und 
keinen Verschluß der Nabelgefäße durch Zug oder Kompression und 
damit den Tod des Kindes veranlaßte. 

Theoretisch betrachtet könnten ja aber, wie das bei Mangel 
an fötaler Bewegung Vorkommen soll, die Torsionen und auch die 
Wh ar ton sehe Sülze ganz fehlen, und wir hätten es dann mit einer 
bandartigen Nabelschnur zu tun. Auch dieses kann für unseren 
Fall nicht zutreffen, denn dann hätte der behandelnde Arzt nicht 
ausdrücklich betont, daß die Nabelschnur normal war. Außerdem 
macht aber der Befund der Zehenanomalien am rechten Fuß eine 
andere Entstehung der Streifen viel wahrscheinlicher. 

Dies ist die Syndaktylie und Polydaktylie, deren Kom- 


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Die amniogene Entstehung des angeborenen Klumpfußes. 


281 


bination ja durchaus keine Seltenheit ist. Bemerkenswert ist hier 
nur, daß gerade die überzählige Zehe an der Syndaktylie be¬ 
teiligt ist. Während * diese nach der allgemeinen Meinung durch 
Verwachsung des Amnions mit der Oberfläche des Embryos entsteht, 
kommt die Polydaktylie dadurch zu stände, daß die Fingeranlage, 
bezw. bei reichlicher Polydaktylie die ganze, noch ungegliederte 
Handanlage durch scharf einschneidende Amnionfäden gespalten wird 
(Zander u. a.). Diese Annahmen sind jetzt so allgemein gültig 
geworden, daß andere Entstehungsursachen überhaupt nicht mehr 
in Frage gezogen werden. 

Und bis auf einen Punkt, nämlich den, weshalb die Verwach¬ 
sungen und Bänder selbst entstehen, worauf eine befriedigende Ant¬ 
wort bisher noch nicht gegeben ist, ist alles außerordentlich klar 
und verständlich: schon vor Sichtbarwerden der Extremitätenknospen 
hegt das Amnion der Embryooberßäche straff an; dies dauerte bis 
in die vierte Woche hinein, in der die Gliedmaßenanlagen auftreten. 
Wenn nun ein von außen wirkender Druck dazukommt (Kümmel- 
Braun) oder wenn irgend ein Reiz (Trauma) das Ektoderm des 
Amnions oder des Fötus schädigt, so daß es an den befallenen 
Stellen zur Entzündung oder starken Zellproliferation kommt (Ahl- 
feld-Veith), so kommt es zur „epithelialen Verklebung“ und even¬ 
tuell nachfolgenden Verwachsung. Diese trifft naturgemäß die Stellen 
des Fötus am stärksten und häufigsten, die über die abgerundete 
Form des Embryos hinausragen; daher wird kaum je der breite, 
flache Rücken betroffen, umso häufiger aber der Kopf und die Ex¬ 
tremitäten, am häufigsten aber die Teile derselben, die aus den 
distalsten Stellen der Anlage sich bilden. Durch diese Verwachsung 
wird die Flächenausdehnung des verklebten Teils Aenderungen er¬ 
fahren, so daß dieser sich nur konform der betreffenden Amnion¬ 
stelle entwickeln kann. 

Demnach haben wir uns also in unserem Falle die Syndaktylie 
so vorzustellen, daß die Sonderung des vierten und fünften Fingers 
durch eine zusammenfassende Verklebung der amniotischen Ver¬ 
wachsung verhindert wurde. 

Die Entstehung der Bänder, die neben Ein- und Abschnürungen 
eine Polydaktylie bewirken können, erklärt man sich so, daß das 
Amnion bei der Bildung des Fruchtwassers sich gleichmäßig von 
der Oberfläche des Fötus abhebt, nur nicht an den Stellen, wo es 
mit dem Fötus verwachsen ist. Durch die allmähliche Vermehrung 


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282 


Ewald. 


des Liquor amnii werden sich die adhärenten Stellen voneinander 
entfernen, und so werden sich, je nach dem Grade und der Stelle 
der Verwachsung, dünne oder dicke, lange oder kurze, wenige oder 
zahlreiche Simonartsche Bänder bilden. 

In unserem Falle müssen wir die Polydaktylie uns so ent¬ 
standen denken, daß nach Anlage des Fingerwulstes an dem distalen 
Ende der linken unteren Extremitätenknospe ein scharfgespannter 
Faden über diejenige Stelle hinweglief, die die fünfte Zehe zur Aus¬ 
bildung bringen sollte. Diese Anlage fand beim weiteren Wachs¬ 
tum in dem Faden einen unüberwindlichen Widerstand und wurde 
daher gespalten, dergestalt, daß gerade das Metatarsusköpfchen sich 
in zwei Hälften teilte und von da an zwei Zehen statt einer selb¬ 
ständig distalwärts weiterwuchsen. 

Nach der oben berichteten Hypothese Zanders ist dies am 
wahrscheinlichsten und konnte von Tor nie r durch Experimente er¬ 
härtet werden. Dieser machte an Amphibienlarven Längsspaltungen 
der Phalangen. Waren nun die Finger genau in der Medianlinie 
getroffen, so wurden bei der weiteren Entwicklung die halbierten 
Phalangen zu ganzen. Allerdings handelt es sich hier um niedere 
Tiere; mit einer gewissen Berechtigung kann man aber sagen, daß 
das, was bei ihnen möglich ist, in geringerem Grade bei noch nicht 
differenziertem Keimgewebe auch möglich sein wird, so daß man 
nicht mit unbekannten Größen zu rechnen genötigt ist, wie sie bis 
heute noch Namen wie »KeimesVariation, pathologische Entwick¬ 
lungstendenzen, spezifisches Wachstum, endogene Veranlassung“ u. a. 
darstellen. Dem begründeten Einwand, daß Polydaktylie häufig ver¬ 
erbt auftrete, wird durch Ahlfelds Erklärung begegnet, daß die 
Heredität nicht nur den Keim selbst, sondern auch die die Anomalie 
bedingenden Ursachen betreffen könne. 

Und die Symmetrie der Mißbildung, wie sie, wenn auch 
nicht häufig, an beiden oberen oder unteren Extremitäten gefunden 
wird, erklären Kümmel u. a. so, daß die Punkte der einen Körper¬ 
hälfte genau so exponiert sind, wie die der anderen. Die Annahme 
einer exogenen Entstehungsweise ist demnach wegen des symmetri¬ 
schen Vorkommens nicht auszuschließen. 

Finden wir also am rechten Fuß Mißbildungen, deren amnio- 
gene Entstehung außer Zweifel steht, so haben wir auch ein Recht, 
die Streifen am linken Unterschenkel auf die Wirkung amniotischer 
Bänder zurückzuführen. Denn die einmal gebildeten Bänder können 


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Die amniogene Entstehung des angeborenen Klumpfußes. 


283 


durch weitere, manchmal gerade in diesen Fällen exzessive, Abson¬ 
derung des Amnionwassers, und durch Zerrungen, die beim Wachs¬ 
tum entstehen, oder durch Bewegungen des Fötus zerreißen, frei 
im Fruchtwasser flottieren und später sich ein- oder mehrmals um 
einen Körperteil wickeln und dadurch Einschnürungen veranlassen, 
die ihrerseits wieder eine Ernährungsstörung zur Folge haben oder 
gar das Glied völlig abschnüren können. Leider ist in unserem Fall 
bei der Geburt die Placenta auf Amnionfäden (es ist nach Schmauß 
öfter ein förmliches Strickwerk solcher Fäden beobachtet worden) 
nicht genau untersucht worden. Möglicherweise hätte sich aber auch 
gar nichts gefunden, denn nach Schwalbe kann sehr wohl eine 
Mißbildung durch Amnionanomalie zu stände gekommen sein, wäh¬ 
rend zur Zeit der Geburt nichts mehr von Fäden nachzuweisen ist. 
Und Ahlfeld sagt sogar: „So häufig die sogenannten Spontan¬ 
amputationen einzelner Extremitäten Vorkommen, so selten findet 
man noch vorhandene amniotische Rudimente.“ 

Ungewöhnlich bleibt jedoch unser Befund auf jeden Fall, und 
zwar dadurch, daß es sich hier nicht um Einschnürungen, wie 
immer von den Autoren beschrieben wird, sondern um flache zirku¬ 
läre narbige Streifen handelt. Beschrieben ist eine derartige Eigen¬ 
tümlichkeit meines Wissens noch nicht, nur findet sich bei Ammon 
auf Tafel XXXI seines großen Atlas ein Arm, der neben einer tiefen 
Einschnürung in der Mitte des Unterarms und am Handgelenk 
mehrere feine, fast zirkulär verlaufende Streifen aufweist, die den 
unsrigen nahezu gleichen, auf deren Besonderheit Ammon aber im 
Text nicht eingeht. Man muß für unsern speziellen Fall wohl an¬ 
nehmen, daß der Druck der amniotischen Schlingen erst verhältnis¬ 
mäßig spät zur Wirkung gelangt ist — die bei der Geburt beob¬ 
achtete frische Rötung der Streifen würde dafür sprechen — oder 
daß die Gewebe der unteren Extremität mächtig genug waren, schon 
früher bei weiterem Wachstum die Fäden zu sprengen, so daß es 
nicht zu Einschnürungen kam. 

Mit diesen beiden Möglichkeiten ist aber die Reihe der Kombi¬ 
nationen keineswegs erschöpft. Wieviel andere noch denkbar sind, 
zeigt sehr schön ein Fall, den Bremmenkamp beschrieben hat. 
Sein Präparat entspricht einem 4 Monate alten Fötus und weist 
einen amniotischen Strang auf, der von der Scheide des Nabelstrangs 
in einer Dicke von 1 mm ausgeht und das linke Bein in der 
Knöchelgegend nach Art einer Schlinge umgibt. Von dieser Schlinge 


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284 


Ewald. 


aus sendet er einen zweiten Faden zum rechten Bein, der dieses 
wiederum an den Knöcheln schlingenförmig umfaßt. An keiner 
Stelle der Extremitäten ist irgend etwas von einer Einwirkung dieser 
amniotischen Bänder, die ja vorläufig noch ganz lose den Extremi¬ 
täten umliegen, zu sehen, dennoch kann Bremmenkamp mit 
Recht behaupten, daß die beiden Umschlingungen, falls der Fötus 
weiter gelebt hätte, wenn nicht zur Abschnürung, so doch zur Ein¬ 
schnürung geführt haben würden. 

Es kommt also nur auf Länge, Entwicklung, Dauerhaftigkeit, 
auf Zeit und Dauer der Wirkung dieser Fäden an, und man hat 
je nach dem besonderen Verhalten Um-, Ein- oder Abschnürung 
als Resultat. Bei uns handelt es sich um einfache Umschnü¬ 
rungen, herrührend jedoch von Fäden, die genügend stark waren, 
das Bein in einer Stellung festzuhalten, die die Herausbildung eines 
Klumpfußes ermöglichte. 

Wir kommen damit zum letzten Punkt unserer Betrachtung, 
nämlich zu der Frage, wie wir uns die Entstehung des Klumpfußes 
zu denken haben. Denkbar wäre ein rein zufälliges Zusammen¬ 
treffen wohl, aber wie wir alle Symptome einer Krankheit immer 
auf eine Ursache zurückzuführen suchen, liegt es auch in unserem 
Falle nahe, das Amnion oder seine pathologischen Abkömmlinge 
wie für die anderen Anomalien auch für die Fußdeformität verant¬ 
wortlich zu machen. Steht es doch für Kümmel, Ahlfeld, 
Klaußner u. a. außer Frage, „daß die irreguläre Abhebung des 
Amnions die bei weitem größte Menge der menschlichen Mißbildungen 
überhaupt erzeugt.“ Und schon von Geoffroy St. Hilaire, 
Vater, wird die Bildung amniotischer Stränge als eine der Ursachen 
für die Entstehung des kongenitalen Klumpfußes anerkannt. Ja, 
Bessel-Hagen steht nicht an zu erklären, daß der Einfluß des 
Amnions auf die Gestaltung des Fußes entschieden einleuchtend ist 
für die Reihe derjenigen Fälle, in denen noch bestimmte Anzeichen 
auf früher vorhanden gewesene Verwachsungen des Amnions mit der 
Oberfläche des Embryos schließen lassen. Es könnten jedoch auch 
zufällig Zeichen von amniotischen Verwachsungen zusammen mit 
Pes varus Vorkommen; es wird daher erst dann die Annahme, daß 
beide Anomalien eine Ursache haben, wahrscheinlich, wenn die ana¬ 
tomischen Eigentümlichkeiten des Klumpfußes damit im Einklang 
stehen, daß er sekundär entstanden ist. 

Nun kann unser Klumpfuß alle die Forderungen erfüllen, die 


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Die amniogene Entstehung des angeborenen Klumpfußes. 


285 


Bessel-Hagen für diejenigen Klumpfüße aufgestellt hat, die in 
den letzten Monaten der Gravidität entstehen, und wir glauben uns 
keiner Täuschung hinzugeben, wenn wir ihn — angesichts des 
Nebenbefunds — als eine amniogene Bildung ansprechen. 

Suchen wir uns aber das Verhältnis zu vergegenwärtigen, 
welches der Embryo während der Schwangerschaft zum Uterus ein¬ 
genommen hat, so stoßen wir wiederum auf zwei Möglichkeiten, die 
denkbar sind: 

Die erste wird versinnbildlicht durch einen Fall eines 7monat- 
lichen Fötus, den Jensen beschreibt: von der kleinen Zehe des 
linken Fußes zieht sich ein straffer Strang zu einer Hautbrücke, die 
vom Abdomen zum rechten Oberschenkel gespannt ist. Der linke 
Fuß, der übrigens noch eine Syndaktylie von vier Zehen aufweist, 
war direkt durch dieses Band in eine starke Varo-calcaneusstellung 
gezogen. Hier hatte also der amniotische Strang direkt einge¬ 
wirkt. Zweitens kann der Unterschenkel durch Bänder an die 
Uteruswand fixiert sein, und je von der Länge und Resistenz des 
festhaltenden Bandes wird die Form und der Grad der Varushaltung 
des zugehörigen Fußes abhängen. Auch kann die Deformität in den 
ersten oder späteren Monaten der Schwangerschaft entstanden sein, 
und es wird in jedem einzelnen Falle immer die rein mechanische 
Abänderung des Wachstums und ihr Grad für die Beurteilung be¬ 
stimmend sein müssen. Die in frühester Zeit derartig entstandenen 
Klumpfüße werden, wie Bessel-Hagen einen solchen beschrieben 
hat, in ganz ungewöhnlicher Art und atypischem Bau zur Ausbildung 
gelangen, während die anderen Fälle den Charakter der gewöhn¬ 
lichen sekundär entstandenen Deformität zur Schau tragen. (Die 
monströsen Früchte, wie solche von Win ekel und Ahlfeld be¬ 
schrieben sind, die wegen amniotischer Verwachsungen und Bänder 
neben den Klumpfüßen mit Eventration der Eingeweide, Gesichts¬ 
spalten, Wolfsrachen, Encephalocelen u. a. behaftet sind, sollen hier 
nicht näher berücksichtigt werden.) 

Für unseren Fall ist am wahrscheinlichsten, daß die Amnion¬ 
schlingen, die die Veränderungen am linken Unterschenkel bewirkten, 
diesen zugleich am Uterus in einer bestimmten Lage fortdauernd 
festgehalten haben, so daß der linke Fuß immer den gleichen 
Druck von der Uteruswand her zu erleiden hatte. Aus der relativ 
vollständigen Ausbildung des Knochen- resp. Knorpelskeletts ist 
ersichtlich, daß diese Druckwirkung erst in der letzten Zeit der 


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286 


Ewald. 


Gravidität für die Entwicklung des Fußes verhängnisvoll gewor¬ 
den ist. 

Anhangsweise sei noch ein hierhergehörender Fall unserer 
Klinik kurz erwähnt, der neben einem rechtsseitigen Klumphacken¬ 
fuß die verschiedensten Folgezustände von amniotischen Verwach¬ 
sungen, nämlich Ein- und Abschnürungen aufweist. Vier Zehen des 
deformierten Fußes sind nur rudimentär vorhanden, ebenso der 
zweite und dritte Finger der rechten Hand, während vierter Finger 
und Daumen eine zirkuläre Schnürfurche zeigen. Die Grundphalangen 
der drei mittleren Finger sind häutig miteinander verwachsen. Auch 
an der linken Hand sind Ein- und Abschnürungen bemerkbar. Um 
den rechten Unterschenkel geht eine tiefe Einschnürung bis auf den 
Knochen, so daß der distal gelegene Abschnitt sowie der Fuß wegen 
mangelhaften Blutabflusses ödematös geschwollen ist und erst nach 
operativer Beseitigung der Schnürfurche die normale Blutzirkulation 
zurückerhält. — Nach der Anamnese sollen die Fäden zum Teil 
noch bei der Geburt in den Furchen gelegen haben. Da der Fall, 
namentlich wegen der therapeutischen Maßnahmen, die erforderlich 
waren, um die Zirkulationsverhältnisse und die Funktion des Fußes 
besser zu gestalten, eine eingehende Bearbeitung erfahren soll, wird 
hier auf die Krankengeschichte nicht näher eingegangen. 

Was den Befund am Fuß und Unterschenkel anlangt, so stimmt 
dieser ziemlich genau tiberein mit dem an einem Präparat aus dem 
Heidelberger pathologischen Institut, dessen Bild Schwalbe mit¬ 
teilt. Auch die von Koch, Marchand und R^dard beschriebenen 
Fälle sind Analoga unserer Beobachtung. Von Marchand wird 
übrigens noch besonders hervorgehoben, daß abgerissene amniotische 
Fäden an der Placenta fixiert vorgefunden wurden. 

Nehmen wir dazu noch die sechs zu Anfang unserer Abhand¬ 
lung erwähnten Fälle, die Bessel-Hagen und Hoffa anführen, 
und den näher berichteten Fall von Bremmenkamp, der außer¬ 
dem noch einen ähnlichen von Fürst beschriebenen mitteilt, so 
dürfte die Zahl der Fälle aus der Literatur ungefähr erschöpft sein, 
ein Zeichen, wie selten amniotische Bänder direkt oder indirekt zur 
Entstehung des Pes varus Veranlassung geben. 

Meinem verehrten Chef, Herrn Professor Vulpius, sprecheich 
zum Schluß für die gütige Ueberlassung beider Fälle meinen er¬ 
gebensten Dank aus. 


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Die araniogene Entstehung des angeborenen Klumpfußes. 


287 


Literatur. 

Ahlfeld, Lehrbuch der Geburtshilfe. 2. Aufl. 

Derselbe, Berichte und Arbeiten III, 1886 87. 

y. Ammon, Die angeborenen chirurgischen Krankheiten 1889. 

Bessel-Hagen, Die Pathologie und Therapie des Klumpfußes 1889. 
Bremmenkamp, Ueber einen Fall von amniotischen Schlingen an den Ex¬ 
tremitäten beim Fötus. Inaug.-Diss. Marburg 1889. 

Hoffa, Lehrbuch der orthopädischen Chirurgie. 4. Aufl. 

Jessen, Ein Beitrag zur pathol. Entwicklungsgeschichte. Virchows Archiv 
1868, Bd. 42. 

Klaußner, Die Mißbildungen der menschlichen Gliedmaßen 1900. 

Koch, Ueber einen Fall von amniotischer Einschnürung des Unterschenkels 
mit Klumpfuß. Deutsche med. Wochenschr. 1894, Nr. 34. 

Kümmel, Mißbildungen der Extremitäten 1895. 

Schmaus, Grundriß der pathol. Anatomie. 5. Aufl. 1899. 

Schwalbe, Die Morphologie der Mißbildungen des Menschen und der Tiere. 
I. Teil. 1905. 

Veith, Das Amnion in seinen Beziehungen zu den fötalen Mißbildungen. 
Inaug.-Diss. München 1901. 


Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XV. Bd. 19 


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XVI. 


Zur Kasuistik der angeborenen Coxa vara. 

Von 

Dr. Francke, 

Chirurg in Altenburg (S.-A.). 

Mit 3 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Erst die Röntgographie hat uns gelehrt, daß die Coxa vara 
bei Kindern doch nicht ganz so selten vorkommt, wie man bisher 
annahm. 

Abgesehen von denjenigen Fällen, die in Verbindung mit mul¬ 
tiplen Deformitäten anderer Gelenke (Kredel) angeboren auftreten, 
und den Schenkelhalsverkrümmungen im Gefolge akuter Osteomyelitis 
und tuberkulöser Coxitis wurde die Coxa vara infantum meist 
als Folge einer Rhachitis aufgefaßt oder man führte sie auf ein 
oft nur geringfügiges Trauma zurück, das eine Epiphysenlösung ver¬ 
ursacht hätte. 

Demgegenüber hat Hoffa als erster mit allem Nachdruck die 
Behauptung aufgestellt, daß es auch eine typische kongenitale 
Coxa vara gäbe. 

In der „Freien Vereinigung der Chirurgen“ in Berlin stellte er 
am 8. Mai 1905 zwei derartige Fälle vor (cf. Deutsche med. Wochen¬ 
schrift 1905, Nr. 32). 

Da er an dem einen 4jährigen Patienten die doppelseitige Re¬ 
sektion der oberen Femurenden ausgeführt hatte, war er in der Lage, 
makroskopisch und mikroskopisch die in Frage kommenden Teile zu 
untersuchen. Auf Grund dieser Befunde konnte er den Beweis er¬ 
bringen, daß es sich hier um ein kongenitales Leiden handle, 
welches einer Störung in der normalen Entwicklung der 
Epiphysenlinie seine Entstehung verdanke. 

Im folgenden gestatte ich mir nun drei einschlägige Fälle von 
Coxa vara kurz zu beschreiben, die dadurch interessant sind, daß sie 
Geschwister betreffen. 


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Zur Kasuistik der angeborenen Coxa vara. 


289 


Die Eltern der drei Kinder sind gesund, in der Familie sind 
keine sonstigen Deformitäten vorhanden. Nach Angabe der Mutter 
waren die Schwangerschaften normal und die Entbindungen leicht 
und spontan. Das älteste Kind, ein lOjähriger Knabe, ist ohne Fehl 
gebaut, bei den übrigen drei Kindern fiel den Eltern längere oder 
kürzere Zeit nach Beginn des Laufens ein leicht schwankender Gang 
auf. Die Kinder sind sonst stets gesund gewesen, lernten mit 1 Jahr 
laufen, haben nie englische Krankheit durchgemacht, noch einen Un¬ 
fall erlitten, der sie auch nur einen Tag ans Bett gefesselt hätte. 

Fall I. Walter B., 6^4 Jahr alt (siehe Fig. 1). Für sein 
Alter großer, kräftiger Knabe mit gesunden Brustorganen, ohne 


Fig. 1. 



Zeichen bestehender oder überstandener Rhacliitis. Beim Gehen leicht 
wackelnder Gang, sehr ähnlich demjenigen bei doppelseitiger kon¬ 
genitaler Hüftluxation. Trend eien burgsches Symptom vorhanden. 
Mäßige Lendenlordose. Gesäßmuskulatur gut entwickelt. Die unteren 
Extremitäten leicht adduziert, nicht außenrotiert. Bewegungen in den 
Hüften bis auf die mäßig beschränkte Abduktion frei und schmerzlos. 
Die etwas vorspringenden Trochanteren stehen rechts 3, links 2 cm 
über der Roser- N Platon sehen Linie. 

Röntgenbild: Beiderseits Pfannen anscheinend normal, 
oberer Pfannenrand nicht auffallend abgeschrägt. 


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290 


Francke. 


Rechts: Schenkelhals stark verkürzt und verkümmert, gleich¬ 
sam keilförmig in den etwas verkümmerten Kopf hineingetrieben. Epi¬ 
physenlinie ganz unregelmäßig gezackt, von oben innen nach unten 
außen verlaufend. Schenkelhalsneigungswinkel ca. 80°, so daß der 
Kopf dem Trochanter minor sehr genähert erscheint und unterhalb 
des Niveaus des Y-Knorpels steht. 

Links: Hals besser ausgebildet, einen rechten Winkel zum 
Schaft bildend. Epiphysenlinie nicht deutlich erkennbar, anscheinend 
auch unregelmäßig. 

Fall H. Grete B., 4 s /4 Jahr alt (siehe Fig. 2). Kräftiges, 
gut genährtes Mädchen ohne Spuren früherer oder jetzt bestehender 


Fig. 2. 



Rhachitis. Ausgesprochen watschelnder Gang wie bei doppelseitiger 
kongenitaler Hüftluxation, welche Diagnose auch anfangs gestellt 
war. Erhebliche kompensierende Lendenlordose, Trendelenburg 
positiv. Gesäßmuskulatur gut entwickelt. Beine leicht adduziert, 
nicht außenrotiert, Bewegungen in den Hüften bis auf die beschränkte 
Abduktion normal. Trochanteren vorspringend, rechts 3 x /2 cm, links 
2 1 /* cm über der Roser-Nelatonschen Linie. 

Röntgenbild: Beiderseits Pfannen normal, oberes Dach 
etwas schräg verlaufend. Rechts: Schenkelhals verkümmert, im 
Winkel von 90° vom Schaft abgehend. Epiphysenlinie nicht deut- 


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Zur Kasuistik der augeborenen Coxa vara. 


291 


lieh im Bilde zu erkennen, doch lassen sich trotzdem unregelmäßige, 
gleichsam zerfetzte Konturen mit kleinen inselartigen Schatten beob¬ 
achten. Verlauf nicht senkrecht, sondern schräg von oben außen nach 
unten innen. Kopf annähernd normal, an normaler Stelle. 

Links: Hals so gut wie fehlend. Epiphysenlinie verläuft 
senkrecht von oben nach unten und ist stark verbreitert, besonders 
nach unten hin. Sie ist stark gezackt, unten formen sich die Zacken 
zu unregelmäßigen selbständigen Schatteninseln, die wohl kleinen 
Knochenkernen entsprechen. Kopf annähernd normal, einen rechten 
Winkel mit dem Schaft bildend. Der letztere erscheint in der Epi¬ 
physenlinie am Kopf in die Höhe geschoben, so daß das Niveau des 
Trochanters dasjenige des Kopfes überragt. 

Fall III. Hedwig B., l 3 /4 Jahr alt (siehe Fig. 3). Kräftiges 
Kind ohne rhachitische Symptome. Derselbe Wackelgang, Lenden- 

Fig. 3. 



lordose, Beine leicht adduziert, nicht außenrotiert, Abduktion be¬ 
schränkt. Trochanteren beiderseits ca. 2 cm über der Roser- 
Nelatonschen Linie. 

Röntgenbild: Normale Pfanne, etwas schräges Dach. Rechts: 
Hals verkürzt, Epiphysenlinie verbreitert, schräg von oben außen nach 
unten innen, doch steiler als normal verlaufend. Knochenkern des 
Kopfes normal. Schenkelhalsneigungswinkel etwas über 1 R. 

Links: Hals verkümmert, schnabelförmig gegen den an¬ 
scheinend normalen Kopf zeigend, ähnlich wie in Fall I, rechte Seite. 
Epiphysenlinie winklig geknickt, in der unteren Hälfte unregelmäßige 


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292 


Francke. 


wolkige Knochenschatten. Winkel des Kopfes zum Schaft un¬ 
gefähr 1 R. 

Die Diagnose Coxa vara kann nach den Untersuchungsbefunden 
und den Röntgenbildern nicht zweifelhaft sein. 

Vergleicht man unsere Befunde mit den von Hoffa beschriebenen, 
sowie mit mannigfachen anderen, die auf Rhachitis oder Trauma zu¬ 
rückgeführt wurden, so ergibt sich ein typisches Bild. 

Der wackelnde Gang, die durch Lendenlordose charakterisierte 
Haltung, der Hochstand der Trochanteren über der Roser-Nälaton- 
linie, das Trendelenburgsche Phänomen, alles erinnert sehr an 
die kongenitale Hüftluxation. Kein Wunder, da ja bei beiden Leiden 
infolge des Hinaufrückens der Trochanteren die Wirkung der pelvi- 
trocbanteren Muskulatur in ähnlicher Weise verändert ist. 

Wenn, wie in unseren Fällen, eine auffallende Adduktions- und 
Außenrotationsstellung der Beine fehlt, wird die Diagnose ohne Hilfe 
des Röntgenbildes schwer zu stellen sein. Die Abduktion ist stets 
beschränkt. 

Im Röntgenbild erkennt man dann sofort, daß der Kopf die 
Pfanne nicht verlassen hat, aber der Winkel zwischen Kopf und 
Hals einerseits und Femurschaft anderseits ist gleich oder unter 
einem rechten Winkel. Der Hals ist verkümmert, scheint oft zu 
fehlen. Auch der Gelenkkopf ist oft mehr oder weniger defekt 
und hat sich in der Pfanne verschoben oder verdreht. Das obere 
Pfannendach ist oft nach oben abgeschrägt. 

Die Epiphysenlinie ist verbreitert, unregelmäßig gezackt, wie 
zerfetzt, oft mit unregelmäßigen, inselartigen Knochenschatten in 
den unteren Partien. 

Sie verläuft in klassischen Fällen direkt senkrecht von oben 
nach unten, jedenfalls steiler als normal. Gerade auf den vertikalen 
Verlauf der Epiphysenlinie legt Hoffa aus differentialdiagnostischen 
Gründen den größten Wert/indem er betont, daß bei der rhachitischen 
Coxa vara die Epiphysenlinie immer schief von oben außen nach unten 
innen verläuft. 

Was nun die Aetiologie betrifft, so ist der traumatische 
Ursprung mit Sicherheit auszuschließen. Ergibt schon die Anamnese 
in unseren Fällen gar keine Anhaltspunkte, so schließt das doppel¬ 
seitige Auftreten der Deformität bei drei Geschwistern den Zufall 
einer bestimmten äußeren Gewalteinwirkung wohl aus. 


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Zur Kasuistik der angeborenen Coxa vara. 


293 


Auch für Rbachitis liegen nicht die geringsten Symptome vor, 
desgleichen sind andere Erkrankungen wie Osteomyelitis, Tuber¬ 
kulose, hereditäre Lues, Osteomalacie ausgeschlossen. 

Es handelt sich eben um ein angeborenes Leiden, für 
welches in dieser Familie eine gewisse Disposition zu herrschen 
scheint. 

Dasselbe ist bei der jüngsten Patientin von 1 3 ,4 Jahren ebenso 
deutlich ausgeprägt wie bei den 4- resp. 6jährigen Geschwistern 
und demnach ziemlich stationär geblieben, so daß die Belastung 
durch das Körpergewicht nur wenig Einfluß ausgeübt zu haben 
scheint. 

Hoffa hat durch mikroskopische Untersuchung zweier Resek¬ 
tionspräparate nachgewiesen, daß „der vollkommene Mangel von 
Zeichen des Wachstums im Knorpel und Knochen charakteristisch 
für die Coxa vara congenita ist. Dadurch unterscheidet sich das 
Bild sehr deutlich von dem der rhachitischen Knochenerkrankung“. 
Ihm ist es am wahrscheinlichsten, daß „durch eine intrauterin durch¬ 
gemachte Knochenerkrankung der Knochen die Eigenschaft des Wachs¬ 
tums verloren hat“. Jedenfalls zieht er den Schluß, daß „eine ange¬ 
borene Störung in der normalen Entwicklung der Epiphysenlinie zu 
Grunde liegen muß“. 

Diese Theorie erhält nach unserer Meinung durch die oben ge¬ 
schilderten Fälle eine weitere Stütze, indem gerade in dem Verhalten 
der Epiphysenfuge die hauptsächlichsten Veränderungen sich nach- 
weisen lassen. Es wird noch wiederholter mikroskopischer Unter¬ 
suchungen an geeigneten Präparaten bedürfen, um die Frage der 
pathologischen Anatomie weiter zu lösen. 

Von einer besonderen Behandlung haben wir in unseren Fällen, 
als wenig Erfolg versprechend, abgesehen. 


Literatur. 

1. Hoffa, Die angeborene Coxa vara. Deutsche med. Wochenschr. 1905, Nr. 32. 

2. Derselbe, Lehrbuch der orthopäd. Chirurgie. 

3. Alsberg, Anatomische und klinische Betrachtungen über Coxa vara. Zeitschr. 

f. orthopäd. Chirurgie Bd. 6 S. 106 ff. 

4. Wagner, Die Coxa vara. Zeitschr. f. orthopäd. Chirurgie Bd. 8 S. 276 ff. 

Letztere beide Arbeiten mit ausführlichem Literaturverzeichnis. 


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XVII. 


Ein Fall von Scoliosis traumatica und Diabetes 
nach Blitzschlag und Trauma. 

Von 

Privatdozent Dr. V. Chlumsky in Krakau. 

Während des Sommers 1905 wurde Krakau durch einige 
Wochen fast täglich mit plötzlich einsetzendem Sturm und Gewitter 
besucht. An einem heißen Tage (3. Juli 1905) kam das Gewitter 
so außerordentlich schnell, daß die Passanten und Parkbesuoher nicht 
einmal Zeit hatten zu flüchten. Blitz auf Blitz folgten und schlugen 
in mehrere Bäume und Häuser ein. Unweit von meiner Wohnung 
trafen sie in einen alten Kastanienbaum, der zum Teil zerschmettert 
wurde. In dem Moment gingen zwei Personen vorbei (Mutter und 
Tochter) und verunglückten. 

Wie sich der ganze Vorgang abspielte, konnten sie nicht genau 
angeben. Sie wurden beide sofort ohnmächtig. Die Mutter erzählt, 
daß sie in einigen Sekunden nach dem Blitzschlag wieder erwachte 
und aufstehen wollte; da fiel aber ein starker Baumast auf sie und 
das Mädchen herunter, und sie verlor zum zweiten Male das Be¬ 
wußtsein. Die Passanten und die zugerufene Rettungsgesellschaft 
befreite die Verunglückten von den Baumzweigen, verband sie und 
transportierte sie nach Hause. Der ebetifalls unweit wohnende Haus¬ 
arzt Dr. F. Eichhorn ließ mich rufen, so daß ich die Verletzten 
schon etwa in einer Stunde nach dem Unfall zu sehen bekam. 

Die ältere Dame, etwa 35 Jahre alt, konnte schon wieder 
herumgehen. Sie erlitt nur unbedeutende Hautabschürfungen und 
Kontusionen so ziemlich auf dem ganzen Körper. 

Das Mädchen, welches etwa 11 Jahre alt war, lag totenblaß zu 
Bette und zitterte an dem ganzen Körper. Seine beiden unteren 
Extremitäten waren gelähmt, der rechte Unterschenkel etwa in der 
Mitte vollständig (beide Knochen) gebrochen, die rechte Beckenseite 
flach eingedrückt und das rechte Os ilei ebenfalls in der Mitte 
gebrochen. Außerdem bestanden zahlreiche Hautabschürfungen auf 


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Ein Fall von Scoliosis traumatica und Diabetes etc. 


295 


der linken unteren Extremität, Distorsion des linken Fußgelenkes 
und schwere Kontusionen am Rücken, doch, wie es schien, ohne 
Verletzung der tiefen und inneren Organe. Obere Extremitäten, 
Kopf und Brust waren unverletzt. Auf der rechten Beckenseite 
bestand eine Blutsuffusion, die sich über die vordere und untere 
Bauchwand bis zum Nabel und zur Mittellinie, hinten über die ganze 
Kreuzgegend und unten bis zur vorderen oberen Hälfte des rechten 
Oberschenkels ausbreitete. 

Die Untersuchung war äußerst schwierig, da sich die Verletzte 
kaum anrühren ließ. Sie schrie auch bei der vorsichtigsten Be¬ 
rührung und klagte in einem fort über die Schmerzen. Es war 
auch nicht möglich sie aufzusetzen und genau am Rücken zu unter¬ 
suchen. Deswegen haben wir hier nur einen feuchten Verband mit einer 
3°oigen Sodalösung angelegt und den gebrochenen Unterschenkel 
mit einem fixierenden, feuchten Verband versehen. Die gequetschten 
Stellen wurden teilweise trocken, teilweise feucht verbunden. Die 
feuchten Verbände wurden 3—4 mal täglich gewechselt mit Aus¬ 
nahme des Unterschenkelverbandes, den wir nur einmal täglich wech¬ 
selten. Während des Verbindens hat die Patientin etwas Urin 
gelassen. Die sofort in einer hiesigen chemischen Anstalt (Dr. Blas¬ 
berg) unternommene Untersuchung ergab nebst einzelnen roten 
Blutkörperchen 3,9 °/o Zucker. Es wurde deswegen eine antidiabe¬ 
tische Diät angeordnet, sonst aber die Kranke kräftig genährt. Die 
Temperatur stieg in den ersten zwei Tagen bis auf 38,5°, später 
durch einige Tage bewegte sie sich zwischen 37,2—38 °. Eine leichte 
Erhöhung, die 37,5 0 nicht überstieg, wurde noch durch ca. 3 Wochen 
beobachtet. Puls war ebenfalls in der ersten Zeit recht beschleu¬ 
nigt und klein: er betrug 100—130 pro Minute. Alle diese Sym¬ 
ptome besserten sich allmählich und auch die Zuckermenge wurde 
Tag für Tag geringer. Am 2. Tage nach der Verletzung betrug 
sie nur 2 °;o, am 4. Tage war es nur 1 °/o und am 6. Tage fand 
man nur unbedeutende Spuren. Seit dem 8. Tage war kein Zucker 
mehr vorhanden, deswegen wurde von der antidiabetischen Ernährung 
Abstandgenommen. Auch das Allgemeinbefinden wurde ebenfalls besser. 
Die Patientin klagte zwar sehr über die Schmerzen, die auch in der 
Ruhelage auftraten. Doch sie wurde immer ruhiger. Am 5. Tage 
nach der Verletzung wurde an dem gebrochenen Unterschenkel ein 
Gipsverband angelegt. Beide Extremitäten wurden täglich vorsichtig, 
soweit es ging, massiert und vom 6. Tage an elektrisiert. 


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296 


V. Chlumsky. 


Unter dieser Behandlung heilten die oberflächlichen Wunden, 
die alle infiziert waren und recht stark sezernierten; auch die Läh¬ 
mungen gingen langsam zurück. Zuerst zeigten sich die Zehen¬ 
bewegungen an der linken Extremität, die sich etwas rascher erholte, 
so daß sie im Verlaufe von etwa 3 Wochen eine fast vollkommene 
Beweglichkeit erzielte. Die rechte untere Extremität zeigte erst 
3 Wochen nach der Verletzung die ersten spontanen Zehen- und 
einige Tage später auch die Quadricepsbewegungen und wurde erst 
in 5 Wochen nach der Verletzung so ziemlich hergestellt. Die 
Sensibilität hat durch die Verletzung nicht gelitten. In der rechten 
Beckenseite und der nächsten Umgebung, deren Umfang schon oben 
näher bezeichnet wurde, trat zuerst eine sehr starke Schwellung ein, 
die an der lateralen Seite des Beckens direkt eine Fluktuation auf¬ 
wies. Diese Partie war schon bei einer recht vorsichtigen Berührung 
äußerst empfindlich. Auch die Massage, die ich hier vorsichtig aus¬ 
führte, wurde von der Patientin als sehr schmerzhaft empfunden. 

Durch ca. 14 Tage lag die Patientin in derselben Position, 
und nur mit der größten Mühe konnte man die Unterwäsche wech¬ 
seln. Inzwischen wurden die Verbände in entsprechenden Inter¬ 
vallen durch neue ersetzt und in der 5. Woche auch der Gipsver- 
band gespalten. An den Bruchstellen hat sich ein ziemlich fester 
Callus gebildet, der die Bruchenden in normaler Lage zusammenhielt. 
Der Gipsverband wurde aber doch durch weitere 14 Tage beibehalten, 
nur täglich eröffnet und die Extremität fleißig massiert und elektri¬ 
siert, wodurch auch die Beweglichkeit fast zur normalen Grenze ge¬ 
bracht wurde. 

Am längsten hielt die Schwellung und die Schmerzhaftigkeit 
der rechten Beckenhälfte und des Rückens an. Erst in der dritten 
Woche nach der Verletzung konnte die Patientin mit Unterstützung 
sitzen und umgebettet werden. Schon damals fiel es uns auf, daß 
sie sich stark krumm hielt, doch da die Verletzung noch ziemlich 
frisch war, betrachteten wir es als eine natürliche Folge der Ab¬ 
schwächung und der Schmerzen. 

Als aber die Patientin in der 6. Woche zu stehen probierte, 
hat sie diese schiefe Stellung beibehalten. Sie stand hauptsächlich auf 
der linken unteren Extremität, neigte stark nach links, so daß die 
rechte Beckenhälfte bedeutend hervorstand. Die Lendenwirbelsäule 
bildete einen großen Bogen nach links mit einer Entfernung von 
der Körpermittellinie von ca. 3 cm in der Bogenkonvexität und einer 


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Ein Fall von Scoliosis traumatica und Diabetes etc. 


297 


Entfernung von der Vertikalen (durch die Crena ani geführt), die 
etwa 5 cm an dieser Stelle betrug. In der unteren Brusfcparfcie 
(10.—11. Wirbel) ging die Wirbelsäule nach rechts und bildete dort 
einen zweiten Bogen mit der Konvexität nach rechts. Dieser Bogen 
war ebenso groß wie der untere. Es bestand weiter die bekannte 
hohe Schulter, kurz und gut, wir hatten hier ein Bild von einer weit 
fortgeschrittenen Skoliose. Doch eins fehlte hier, eine entsprechend 
große Rotation der Wirbel. Sie war zwar vorhanden, doch in einem 
minimalen Grade, so daß von einer Buckelbildung keine Rede sein 
konnte. Eine Verbiegung der Rippen war sicher nicht vorhanden. 

Diese Verkrümmung der Wirbelsäule ging ziemlich schnell 
ohne eine besondere Behandlung zurück, so daß in der 8. Woche 
nach der Verletzung nur eine unbedeutende Skoliose bestand, die 
stationär blieb. Aber auch diese wurde dann unter entsprechender 
Behandlung besser; heute, 3 Monate nach der Verletzung, ist an 
dem Rücken des Mädchens nur eine leichte Schwellung des rechten 
Beckens zu sehen, die Wirbelsäule ist aber vollkommen gerade. 

Der weitere Verlauf des Leidens war ein normaler. Von der 
ti. Woche an konnte die Patientin selbständig und eine Woche später 
auch ohne den Verband hinkend gehen. Die spontanen Schmerzen sind 
vollständig verschwunden und auch die Fluktuation in der rechten 
Beckengegend wurde sowie die Schwellung geringer, bis von der 
ersteren keine Spur zu finden war. Die noch zurückgebliebene 
Schwellung entspricht der ziemlich großen Callusbildung am Os ilei. 

Bei dieser Verletzung waren zwei Tatsachen besonders be¬ 
achtenswert: 1, das Auftreten von Zucker im Harn und 2. die 
merkwürdige Form von Skoliose. Zucker im Harn ist nach 
der Verletzung keine Seltenheit, doch gewöhnlich tritt er nach 
schweren Kopf- und Bauchverletzungen auf. Bei subkutanen Knochen¬ 
verletzungen wurde er nur selten bemerkt. 

In unserem Falle waren, wie es schien, innere Organe intakt. 
Die Verletzung war zwar schwer und mit großen Blutsuffusionen 
verbunden, doch für die Erklärung des Diabetes war unserer Mei¬ 
nung nach diese Ursache nicht hinreichend. Wenigstens schien es 
uns nicht verständlich, warum der Diabetes so schnell verschwand, 
da doch die Suffusionen eigentlich in den ersten Tagen stetig wuchsen 
und auch die Schwellung zunahm. 

Vielleicht wurde der Diabetes direkt durch den Blitzschlag 
oder durch den großen Schrecken während der Verletzung verursacht. 


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298 V. Chlumsky. Ein Fall von Scoliosis traumatica nach Diabetes. 

Wie erwähnt, wurde die Patientin höchst wahrscheinlich zuerst durch 
den Blitz betäubt — und erst später von den fallenden Baumästen 
getroffen. Darauf weist die Erzählung der Mutter, die etwas weiter 
von dem Baumstamme ging und während des Blitzschlages in Ohn¬ 
macht fiel. Als sie dann aufstehen wollte, wurde sie von den 
fallenden Baumzweigen zum zweiten Male zu Boden geschleudert. Beide 
Patientinnen wiesen aber keine Verletzungen auf, die man für spezi¬ 
fische Blitzschlagverletzungen betrachten könnte. Die jüngere Patientin 
hat alles vergessen, was mit ihr kurz vor und während der Verletzung 
geschah. Sie ist eine nervöse, reizbare Natur, die in den ersten 
Wochen durch jedes darauf folgende Gewitter in die höchste Auf¬ 
regung gebracht wurde. 

Vor der Verletzung wies sie keine Symptome von Diabetes 
auf. Sie wurde von einem sehr gewissenhaften Kinderarzt (Dr. Rosen¬ 
blatt) wegen Blasenkatarrh kurz vorher behandelt, und von Diabetes 
wurde keine Spur gefunden. Sie fiel auch weder durch häufiges 
Trinken noch durch häufiges Wasserlassen auf. 

Noch beachtenswerter als der so schnell verschwundene Diabetes 
war die Skoliose, die sicher in dem so großen Grade erst durch 
die Verletzung hervorgerufen wurde. Sie erinnerte an die bekannte 
Scoliosis ischiadica. Es bestand eine auffallende Verkrümmung der 
Wirbelsäule mit einer normalen Torsion ohne die Verunstaltung der 
Rippen. Mit der Heilung der Verletzung verschwand sie ebenfalls 
wie die ischiadische Skoliose nach der Heilung des Grundleidens 
ohne eine besondere antiskoliotische Behandlung. Es ist zwar mög¬ 
lich, daß ein leichter Grad der Skoliose schon auch vor der Verletzung 
bestand, wenn auch die Eltern behaupten, daß das Kind vorher 
kerzengerade war. Eine kleine Verkrümmung konnte leicht den 
Eltern entgehen; doch eine so auffallende Verbiegung, wie sie nach 
der Verletzung bestand, müßte schon von der Umgebung gesehen 
werden. Daß die Skoliose durch den Unfall aquiriert wurde, das 
bestätigt auch die ziemlich spontane Besserung derselben. Heute, 
6 Monate nach der Verletzung, ist die Wirbelsäule der Patientin 
schnurgerade. Nur die rechte Hüfte ist etwas abstehend, was durch 
den Knochencallus und eine leichte abnorme Verschiebung der Knochen¬ 
teile hervorgerufen ist. 

Diese Form der Skoliose nach Traumen wurde unseres Wissens 
noch nicht beobachtet. 


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XVIII. 

Ein neues Nabelbruchband für Kinder. 

Von 

Privatdozent Dr. V. Chlumsky in Krakau. 

Mit 1 in den Text gedruckten Abbildung. 

Die Umbilikalhernien heilen bei kleinen Kindern meistens sehr 
gut ohne Operation durch die Anwendung von entsprechenden Vor¬ 
richtungen. Wenn die Sache doch manchmal mißglückt, so liegt die 
Ursache in der Schwierigkeit der Wahl und der Mangelhaftigkeit 
dieser Vorrichtungen. Auch die große Anzahl dieser Mittel weist 
darauf hin, daß sie ihrem Zwecke oft nicht entsprechen. Ich meine 
hier besonders die vielen Bruchbänder, die gewöhnlich schlecht sitzen 
und das Vorwölben und Austreten des Bruches nicht verhindern. Unter 
solchen Umständen ist natürlich auch die Verkleinerung und die Schlie¬ 
ßung des Bruches ungemein erschwert. 

Kein Wunder, daß infolgedessen viele Aerzte die Bruchbänder 
bei den Umbilikalhernien überhaupt verwerfen und die Brüche nur mit 
Gaze oder Pflasterverbänden behandeln oder sehr zeitig zur Operation 
schreiten. Doch die Hernienverbände müssen mit einer besonderen 
Geschicklichkeit gemacht werden und — besonders die Pflasterver¬ 
bände — werden oft schlecht vertragen. 

Ich habe in den letzten Jahren mehrere Fälle von Umbilikal¬ 
hernien bei Kindern behandelt und alles mögliche mit verschiedenen 
Resultaten ausprobiert. Ich muß zugeben, daß die Pflasterverbände 
— besonders diejenigen aus dem amerikanischen Pflaster — sich als 
die besten Mittel erwiesen haben. Sie wurden gewöhnlich leicht 
vertragen und erzeugten fast keine Ekzeme. Doch die Eltern 
wünschten fast immer was anderes, da durch die Verbände das Baden 
des Kindes erschwert und auch das Anlegen des Verbandes für die 
meist sehr arme Praxis lästig war. Von der Operation wollte die 
Mehrzahl überhaupt nichts hören, und das mit Recht, da schließlich 
alle di$se Hernien mit Geduld doch ohne Operation heilen und die 


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300 V. Chlumsky. 

Kinder keiner so großen Gefahr, wie sie doch bei jeder Operation 
vorkommt, ausgesetzt sind. 

Ich wurde also gezwungen, wieder zu den Bruchbändern zu 
greifen. Da aber die Bänder fast nie ordentlich saßen — auch die 
besten nicht ausgenommen —, bemühte ich mich, irgend was aus¬ 
findig zu machen, was von dem Hauptübel — dem Abrutschen — 
befreit wäre. Zuerst suchte ich die Ursache des schlechten Sitzens 
der Bänder. Diese liegt unzweifelhaft darin, daß die Bänder am 
Körper keinen festen Halt haben. Sie werden quer über die Mitte 
des Bauches gelegt, gerade dort, wo sich die stärkste Schicht der 
Weichteile befindet, die beweglich ist und keinen stärkeren zirkulären 
Druck verträgt. Da also diese Stelle als Stützpunkt für die Bruch¬ 
bänder direkt ungeeignet ist, so muß eine andere vorteilhaftere dazu 
gewählt werden. Auf erster Stelle kommt hier die Beckengegend in 
Betracht. Sie dient oft als Stützpunkt für verschiedene Apparate 
und liegt der Nabelgegend am nächsten. Sie ist der eigentliche 
Stützpunkt der Bauchbinden, die wir auch zur Behandlung der 
großen Nabel- und Bauchbrüche an wenden und wurde von Hoffa 
für seine Nabelbruchbinde für Erwachsene als Grundlage genommen. 
Doch diese letztere sonst vorzügliche Bruchbinde ist für die Kinder un¬ 
geeignet. Sie ist zu kompliziert und auch zu teuer; außerdem ist die 
Anfertigung derselben gerade in der Kinderpraxis sehr schwer; dies 
wird wieder ein Grund von manchen technischen Fehlern und von 
weniger exaktem Funktionieren der Binde. 

Ich habe also was anderes suchen müssen und zuerst die ge¬ 
wöhnlichen entsprechend modellierten Leistenbruchbänder versucht. 
Diese Bänder richtig angepaßt sitzen gut, sind verhältnismäßig billig 
und leicht zu tragen. Auch das Anlegen und Anpassen derselben ist 
nicht allzu schwer. 

Ich habe diese Bruchbänder noch mit einer elastischen Feder 
versehen, welche durch zwei Schrauben mit der Bruchpelotte ver¬ 
bunden ist und von hier schief über die Bauchhöhle zum Nabelbruch 
verläuft. Sie ist bei den Bruchbändern für kleine Kinder etwa so 
stark wie die Federstahlbänder bei den orthopädischen Miedern; für 
ältere Kinder wird sie entsprechend stärker genommen. In der Nabel¬ 
gegend liegt sie fest der Bauchwand an und ist hier mit einer läng¬ 
lichen Spalte versehen. Hier wird eine ovale, ca. 6—8 cm im Durch¬ 
messer messende Pelotte angebracht, die sich mittels einer Schraube 
in der Spalte verschieben läßt (siehe Figur). 


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Ein neues Nabelbruchband für Kinder. 


301 


Damit ist eigentlich die ganze Sache erledigt. Das Leisten¬ 
bruchband — egal, ob es von links oder von rechts verläuft — wird 
so wie gewöhnlich angelegt und unten mit dem Schenkelband gehörig 
befestigt. Zugleich legt sich die Pelotte, deren Lage und Größe wir 
schon bei der Konstruktion des Bruchbandes entsprechend gewählt 
haben, von selbst über die Nabelöffnung und wird in dieser Lage 
unverschieblich durch den Druck der Feder an der gegebenen Stelle 
fixiert. Da die Feder den Patienten sonst nirgends drückt, wird sie 
leicht vertragen. Beim starken Pressen, Weinen, Schreien etc. gibt 
sie zwar etwas nach, doch ist die Kraft 
genügend stark, um das Austreten des 
Bruchsackes zu verhindern. Uebrigens 
kann man die Lage der Pelotte, und die 
Kraft, mit welcher sie die Bruchpforte 
verschließt, noch dadurch unterstützen, 
daß man ein Gummiband um den Bauch 
herumführt und an beiden Seiten der 
Pelotte mittels Stift befestigt. 

Die Nabelpelotte ist ganz flach und, wie gesagt, von ovaler 
Konfiguration. Sie dringt nicht wie die Knopfpelotte in die Nabel¬ 
öffnung und läßt sich nach Wunsch entweder quer oder parallel 
mit der Federachse legen, wodurch das Anpassen derselben sehr er¬ 
leichtert wird. 

Wir richten die Sache so an, daß wir zuerst ein fertiges Leisten¬ 
bruchband anpassen und zugleich die Lage und die Länge der Feder 
sowie die Form und die Größe der Pelotte bestimmen, die dann erst 
angefertigt werden. Die untere Pelotte, die beim Leistenbruchband 
zum Verschluß des Inguinalringes dient, wird gewöhnlich etwas flacher 
und breiter genommen als sonst. 

Mit diesen Bruchbändern waren die Eltern der Patienten — 
besonders diejenigen, die schon mehrere andere Behandlungssysteme 
probiert haben — recht zufrieden und auch die Endresultate sind 
bis jetzt durchwegs gut gewesen. Das Modell des Bruchbandes 
wurde beim Patentamt angemeldet 1 ). 

*) Anmerkung während der Korrektur: Dieses Bruchband habe ich jetzt 
auch bei zwei erwachsenen Patienten mit einem guten Resultat angewandt. 



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XIX. 


(Aus der chirurgisch-orthopädischen Privatklinik des Sanitätsrat 
Dr. Köhler-Zwickau i. S.) 

Ueber einen Fall veralteter Sublnxation des Os 
navicnlare am Fuß. 

Von 

Dr. med. Karl Gängele, 
leitendem Arzt der Klinik. 

Mit 3 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Isolierte Luxationen der Fußknochen sind eine seltene Ver¬ 
letzung. Während die Luxationen im Talocruralgelenk und die 
Luxationen pedis sub talo noch einen verhältnismäßig größeren Pro¬ 
zentsatz dazu stellen und auch von Luxationen der Metatarsalknochen 
eine nicht kleine Anzahl von Fällen in der Literatur bekannt ge¬ 
worden sind, sind Luxationen der kleinen Tarsalknochen nur in ganz 
geringer Zahl berichtet. 

Was speziell die Luxationen des Kahnbeins anbelangt, so dürfen 
wir nach Bähr 1 ) nur 5 der veröffentlichten Fälle als „ eigentliche“ 
oder „isolierte“ Luxationen anerkennen: Piedagnet, Walker, 
Smith, Linhart, Röschke 2 ). Dazu kommen nachHoffa 3 ) noch 
4 weitere Fälle von Pieper, Quänu, Berger und Woday. In 
dem Falle von Riegner 4 ) handelt es sich nur um Luxation im Talo- 
naviculargelenk. Gobeliewski 5 ) spricht in seinem Atlas der „Un¬ 
fallheilkunde“ allerdings von 18 Fällen von Luxationsfrakturen resp. 
Subluxationen des Os naviculare pedis aus seinem eigenen Materiale. 

*) Traumatische Luxationsformen der kleineren Fußwurzelknochen. Samm¬ 
lung klin. Vorträge Nr. 136. 

2 ) Bähr 1. c. 

3 ) Frakturen und Luxationen. Stuttgart 1904. 

4 ) Allgem. med. Zentralzeitung 1901, Nr. 53. 

s ) Unfallheilkunde. Verlag von J. F. Lehmann, München. 


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Ueber einen Fall veralteter. Subluxation des Os naviculare am Fuß. 303 


Nähere Angaben fehlen: doch betont auch Gobeliewski, daß ganz 
reine Luxationen des Kahnbeins zu den seltensten Verletzungen 
gehören. Bei dem von ihm im Röntgenbild veranschaulichten Falle 
handelt es sich mehr um eine Fraktur des genannten Knochens mit 
nur ganz geringer Subluxationsstellung. 

Die Seltenheit der Verletzung findet ihre Erklärung in der 
Festigkeit und Menge der Band verbin düngen zwischen den einzelnen 
Fußwurzelknochen. Betrachten wir ein Bänderpräparat, so sehen 
wir das Kahnbein mit Ausnahme der Tuberositas von straffen Faser¬ 
zügen bedeckt. Auf der Streckseite verlaufen 

a) das Ligamentum tibio-naviculare (ein Teil des Lig» del- 
toideum); 

b) das Ligamentum talo-naviculare dorsale; 

c) » g calcaneo-naviculare dorsale; 

d) die Ligamenta naviculari-cuneiformia dorsalia; 
auf der Hohlfußseite: 

a) das Ligamentum calcaneo-naviculare plantare; 

b) die Ligg. naviculari-cuneiformia plant. 

Die Bänder der Streck- wie Beugeseite greifen auf die mediale 
Seite über. Lateral ist das Kahnbein durch die Pars calcaneo- 
navicularis des Ligamentum bifurcatum am Calcaneus befestigt (cfr. 
Toldt, Anatomischer Atlas S. 249). Soll es zu einer Kahnbein¬ 
luxation kommen, müssen beinahe sämtliche genannten Bänder teils 
durchrissen, teils an ihrem Ansatz abgesprengt werden. 

Einen gewissen Schutz gegen eine Verschiebung des Kahn¬ 
beines bieten übrigens auch die dieses überbrückenden Sehnen und 
Muskeln. 

Aus der Lage des Kahnbeins und der Anordnung seiner 
Bänder ergibt sich auch der Mechanismus der isolierten Luxa*- 
tion. Eine »laterale 14 ist durch das benachbarte Keilbein un¬ 
möglich gemacht. Am leichtesten dürfte die Luxation nach 
oben (»dorsale 44 Kahnbeinluxation) und die nach der medialen Seite 
(»mediale 44 Luxation) erfolgen; aber auch eine »plantare 44 Verren¬ 
kung erscheint im Gegensatz zu den Behauptungen von B r o c a, 
Richet 1 ), nach welchen die plantaren Bänder des Fußes unzer¬ 
reißbar sein sollen, nicht von vornherein ausgeschlossen, nachdem 
Linhart und Piedagnet eine solche durch Sektionsbefund fest- 


l ) Bahr 1. c. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XV. Bd. 20 


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304 


Karl Gaugele. 


gestellt haben. Gobeliewski hält sie sogar nach seinen Erfah¬ 
rungen mit der medialen für die häufigste. 

Nach Bährs Anschauung ist in den bis dahin (1895) ver¬ 
öffentlichten Fällen wohl ausschließlich eine direkte Gewalteinwir¬ 
kung die Ursache der Verletzung gewesen. Eine solche wird bei 
einer Luxation des Os naviculare nach der medialen Seite z. B. in 
einem schräg auf den Fußrücken von oben lateral nach unten medial 
mit großer Kraft niederfallenden Gegenstand gegeben sein können; 
bei der plantaren Luxation kommt die ebengenannte Ursache oder 
Ueberfahren eines Wagenrades, bei der dorsalen meist ein Sturz 
auf den Fuß (Sprung vom Pferde, besonders unerwartetes Tiefer¬ 
treten bei Tragen einer schweren Last) in Frage. 

Daß es auch auf indirektem Wege, z. B., wie Linhart meint, 
durch forcierte Höhlung der Sohle zu einer Kahnbeinluxation kom¬ 
men kann, ist theoretisch wohl möglich, scheint aber bis jetzt nicht 
nachgewiesen zu sein. 

Aus der Art der einwirkenden Gewalt ist ferner leicht einzu¬ 
sehen, daß die Verletzung sich meist nicht auf das Kahnbein be¬ 
schränkt, sondern auch die umgebenden Knochen mehr oder weniger 
in Mitleidenschaft gezogen werden. 

In der Tat sind sehr häufig Frakturen teils am Kahnbein selbst, 
teils an den Keilbeinen u. s. w. beobachtet worden. 

Bekannt ist weiterhin durch die Arbeiten 1 ) von Bur nett, 
Malgaigne und Kaufmann eine beinahe typisch zu nennende Ver¬ 
bindung der Luxation im Gelenk zwischen dem Kahnbein und den 
drei Keilbeinen mit der Luxatio sub talo, wobei das Os naviculare 
am Kopfe des Talus haften bleibt. 

Daß es in einigen Fällen durch die einwirkende Gewalt doch 
zu einer isolierten Luxation (resp. Subluxation) ohne größere Ver¬ 
letzung der umgebenden Knochen kommt, dürfte nach meiner An¬ 
sicht vielleicht durch eine bereits bestehende Bänderlockerung, wie j 
sie durch schon vor dem Unfall vorhandene Plattfußstellung teilweise 
gegeben sein kann, begünstigt werden. Noch mehr dürfte aber 
diesbezüglich die mit Pes valgus verbundene Lageveränderung der 
Fußwurzelknochen in Betracht zu ziehen sein. In ausgesprochenen 
Fällen von Plattfuß (Pronationskontrakturen) tritt das Kahnbein ja 


*) Handbuch der praktischen Chirurgie von v. Bergmann, v. Bruns, 
v. Mikulicz Bd. 4. 


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Ueber einen Fall veralteter Subluxation des Os naviculare am Fuß. 305 


auch in einen geringen Grad von Subluxationsstellung, wie der Paus¬ 
abzug eines Röntgenbildes auf Fig. 1 deutlich zeigt. Es läßt sich 
leicht denken, daß es in solchen Fällen sowohl bei direkt als in¬ 
direkt einwirkender Gewalt eher zu einer Luxation kommen wird, 
während bei dem normalen, durch straffe Bänder in seiner Lage 
gehaltenen Fuß eine Fraktur wahrscheinlicher erscheint. 

Mit Bähr möchte ich noch hervorheben, daß es sich wohl 
in den allerseltensten Fällen um eine vollkommene Luxation, sondern 
vielmehr um eine Subluxation handeln dürfte, indem das Kahnbein 


Fig. 2. 



entweder mit dem Talus oder den Keilbeinen nicht ganz außer Ver¬ 
bindung getreten ist. 

In unserem Falle handelt es sich um einen heute 57 Jahre 
alten Unfallskranken, der vor 17 Jahren eine Verletzung seines 
linken Fußes erlitt. Die Krankengeschichte, welche ich den Unfalls¬ 
akten entnahm, ist folgende: 

H. M„ Geschirrführer, war damit beschäftigt, eiserne Brücken¬ 
träger von 15 m Länge abzuladen; der letzte Träger kam dabei 
ins Rutschen und fiel aus Wagenhöhe dem Patienten auf den linken 
Fußrücken. Es blutete stark aus einer mehrere Zentimeter langen 
Wunde, der ganze Fuß schwoll rasch stark an, Patient konnte keinen 
Schritt mehr gehen. Der behandelnde Arzt stellte komplizierten 


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306 


Karl Gaugele. 


Bruch der Fußwurzelknochen fest. Nach Beendigung der mehrere 
Monate währenden Kur (Verbände, Massage etc.) erhielt Patient eine 
Dauerrente von 20°/o. 

Anfangs Dezember 1905 uns zur Kontrolluntersuchung über¬ 
wiesen, bot der Mann folgenden Befund (Auszug aus dem Gut¬ 
achten) : 

Subjektive Angaben: Beim schweren Heben und Tragen 
klagt Patient über starke Schmerzen im linken Fuß; ebenso wenn 
er länger als eine Stunde gehen oder stehen muß. Er könne nur 
leichte häusliche Arbeiten verrichten. 

Objektiver Befund: Kräftig gebauter Mann von gut ent¬ 
wickelter Muskulatur. 

Linkes Bein in X-Beinstellung mittleren Grades. Ziemlich 
starke Krampfaderbildung an beiden Unterschenkeln. Beiderseits 
Knick- und Plattfußstellung, links erheblich stärker als rechts. 

Keine ödematöse Schwellung, nirgends Druckempfindlichkeit. 
Das Kahnbein ist beinahe seiner ganzen Länge nach an der medialen 
Fußseite vorgelagert, und zwar derart, daß die Keilbeinfläche des 
Kahnbeins medialwärts sieht. Der mediale Fußrand wird dadurch 
deutlich verlängert, beträgt 28 x /a cm, gegenüber 27 cm rechts. 
Zehenbewegungen sind normal ausführbar; ebenso die im Fußgelenk, 
mit Ausnahme der Dreh- und Rollbewegungen, welche stark be¬ 
hindert sind. 

Die Wadenmuskulatur ist gegenüber rechts stark abgemagert 
(Umfangsdifferenz 2 x /a cm). 

Die Leistungsfähigkeit des Beines ist eine verhältnismäßig 
gute: Patient kann auf dem kranken Bein allein stehen, mit dem¬ 
selben freihändig voran auf einen Stuhl steigen. Der Gang im 
Zimmer ist beschwerdefrei, nicht hinkend. 

Das Röntgenbild (Fig. 3) zeigt, daß drei Viertel Volurateile 
des Kahnbeines über den mittleren Fußrand hervorragen. Seine Ver¬ 
bindung mit dem Taluskopf wurde durch die Luxation aber nur 
um das laterale Drittel aufgehoben, während es mit dem 2. und 3. 
Keilbein, und dem Würfelbein vollkommen außer Kontakt getreten 
ist. Nur mit dem 1. Keilbein ist die Verbindung noch aufrecht 
erhalten. An der dem 1. Keilbein zugekehrten Gelenkfläche des 
Kahnbeins sehen wir eine kleine Infraktionslinie verlaufen, die je¬ 
doch keine Konturenveränderung bewirkt hatte. 

Das 2. Keilbein scheint ebenfalls in seiner halben Breite in- 


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Ueber einen Fall veralteter Subluxation des Os naviculare am Fuß. 307 

frakturiert gewesen zu sein; doch läßt sich das jetzt nicht mehr mit 
voller Sicherheit erkennen. Die kleinen Exostosen endlich am la¬ 
teralen Gelenkende zwischen Os cuboideum und Calcaneus dürften 
mit dem Unfall kaum einen Zusammenhang haben. 

Das beigelegte photographische Bild (Fig. 2) zeigt deutlich die 
starke Plattfußstellung des verletzten Beines; auch die Umrisse des 
medial vorgelagerten Kahnbeins 
sind bei genauem Betrachten wohl 
zu erkennen. 

Es handelt sich also in unse¬ 
rem Falle um eine veraltete, nicht 
reponierte mediale Subluxation des 
Os naviculare ohne gröbere Ver¬ 
letzungen am Kahnbein selbst oder 
an den umgebenden Knochen. 

In ätiologischer Beziehung ist 
zu bemerken, daß die Verletzung 
durch eine direkte Gewaltein¬ 
wirkung zu stände kam. Trotz des 
enormen Gewichtes des schweren 
Eisenträgers kam es aber auf¬ 
fallenderweise nur zu geringen 
anderweitigen Verletzungen, speziell 
Frakturen an den Fußwurzelkno- 
chen. Dagegen ist auch hier die Luxation keine vollkommene; 
speziell die Verbindung mit dem Taluskopf ist nur wenig gelöst. 

Die Symptome sind ziemlich ausgesprochen: 

Deutliche Vorlagerung des Kahnbeines, Abflachung des Fu߬ 
gewölbes mit Verlängerung des medialen Fußrandes. Die heutigen 
Beschwerden des Patienten bestehen hauptsächlich in leichter Er¬ 
müdbarkeit und Schmerzhaftigkeit, erstere bedingt durch eine nicht 
unerhebliche Muskelabmagerung, letztere durch die Plattfußstellung. 

Daß trotz der Deutlichkeit der Symptome die Diagnose direkt 
nach der Verletzung nicht richtig gestellt wurde, dürfte einerseits 
an der großen akuten Schwellung dieser Fälle gelegen haben, an¬ 
derseits seine Entschuldigung darin finden, daß dem Untersucher 
damals das exakteste diagnostische Hilfsmittel, die Röntgenstrahlen, 
noch nicht zu Gebote stand. Mit der Verkennung der Diagnose war 
die Unterlassung eines Repositionsversuches von selbst gegeben, der 



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308 


Karl Gaugele. 


bei den geringen anderweitigen Verletzungen wahrscheinlich geglückt 
wäre. Ich komme darauf weiter unten zurück. 

Im allgemeinen dürfte die Diagnose in ausgesprochenen Fällen 
nicht schwerfallen, da schon durch die Betastung das Fehlen des 
Kahnbeins an normaler Stelle zu konstatieren ist. Bei der * medialen * 
Luxation wird damit zugleich eine Verlängerung des medialen Fu߬ 
randes, bei der dorsalen und plantaren dagegen eine Verkürzung 
verbunden sein. Allerdings pflegt die Weichteilschwellung nach dem 
übereinstimmenden Bericht der Autoren anfänglich oft eine so hoch¬ 
gradige zu sein, daß eine sichere Diagnose geradezu unmöglich er¬ 
scheint. Eine solche erlangen wir aber heute dann immer noch 
mit Bestimmtheit mittels der Durchleuchtung mit Röntgenstrahlen. 
Letztere dürfte sich auf jeden Fall empfehlen, schon um die meist 
mitauftretenden Nebenverletzungen an Knochen und Gelenken zu 
erkennen und dementsprechend die Therapie in dieser oder jener 
Richtung zu modifizieren. 

Prognostisch ist die Verletzung immer eine schwere zu nennen; 
auch nach vollkommen geglückter Reposition wird die Heilungsdauer 
schon wegen der genannten Komplikationen immer längere Zeit in 
Anspruch nehmen und eventuell dauernde Folgen zurücklassen. 

Die Behandlung hat zunächst die Reposition des luxierten 
Kahnbeins zu erstreben. Diese dürfte bei einer bloßen Subluxation, 
bei der das Kahnbein seinen Gelenkspalt nicht vollkommen verlassen 
hat, nicht zu schwer sein, vorausgesetzt, daß die Luxation trotz der 
Weichteilschwellung sofort richtig erkannt, speziell durch die Rönt¬ 
genstrahlen festgestellt ist. So dürfte bei der „medialen“ Subluxa¬ 
tion bei einer an den Zehen und Ferse nach lateral ausgeübten 
Zugwirkung ein Druck auf das Kahnbein in der Richtung von 
medial nach lateral genügen, um normale Verhältnisse zu schaffen; 
bei der dorsalen Subluxation ein Druck in der Richtung von oben 
nach unten, bei der plantaren von unten nach oben. 

Die Reposition kann allerdings durch Frakturen am Kahnbein 
selbst oder den mit ihm artikulierenden Knochen bedeutend erschwert, 
wenn nicht unmöglich gemacht werden. 

Noch schwieriger gestalten sich die Verhältnisse bei der totalen 
Luxation, bei der das Kahnbein gänzlich aus seinen Gelenkverbin¬ 
dungen herausgetreten ist, auch wenn keine weiteren Komplikationen 
durch Frakturen an den Fußwurzelknochen gegeben sind. Nach 
den bisherigen Erfahrungen dürfte es nur schwer gelingen, das Ziel 


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Ueber einen Fall veralteter Subluxation des Os naviculare am Fuß. 309 

durch die oben angegebenen einfachen Repositionsmanöver zu er¬ 
reichen. Man wird vielmehr ohne weiteres gezwungen sein, die 
Reposition auf blutigem Wege zu erreichen zu suchen. Der Haut¬ 
schnitt ist dort anzulegen, wo man am besten die für die Reposition 
des Kahnbeins nötige Lücke herzustellen vermag: bei der dorsalen 
und plantaren Luxation am medialen Fußrand, bei der medialen an 
der entsprechenden Stelle des Fußrückens. Die Wiederherstellung 
der Kahnbeinlücke mit irgend einem geeigneten Instrument (Meißel 
oder ähnl.) dürfte durch den oben beschriebenen, an Ferse und 
Zehenballen ansetzenden, lateralwärts wirkenden Zug bestens unter¬ 
stützt werden. 

Gelingt die Reposition trotz aller Versuche nicht, kann in 
Fällen, wo durch den luxierten Knochen eine schwerere Funktions¬ 
störung gegeben erscheint, die Exstirpation angebracht sein. 

Eine weitere, nicht immer leichte Aufgabe ist es, den repo- 
nierten Knochen in seiner Stellung zu erhalten. Bähr empfiehlt 
einen geeigneten Heftpflasterverband, da derselbe eine genaue Kon¬ 
trolle zulasse. In der Tat kann man z. B. den bekannten Verband 
von Gibney als durchaus zweckmäßig betrachten. Nach Abnahme 
der Schwellung dürfte aber auch sicher ein Gipsverband seinen Dienst 
für die erste Zeit tun; späterhin kämen Massage und medikomecha- 
nische Nachbehandlung in Frage. 

In unserem Falle einer veralteten Kahnbeinluxation kann 
natürlich von einer Reposition keine Rede mehr sein. Ferner ist 
es fraglich, ob durch die Exstirpation des Kahnbeins, wie dies für 
veraltete Fälle besonders empfohlen wird, hier eine wesentliche 
Besserung erzielt werden könnte. Die hauptsächlich die Leistungs¬ 
fähigkeit des verletzten Beines herabsetzenden Momente sind die 
Muskelschwäche und die schmerzhafte Plattfußstellung; erstere dürfte 
nach so langer Zeit selbst durch eine energische Behandlung nicht 
mehr wesentlich gehoben werden können; dagegen wird letztere 
durch geeignetes Schuh werk mit Einlage gebessert werden können; 
dabei ist vor allem darauf zu achten, daß das Gewölbe des Fußes 
wieder hergestellt und besonders vorragende Punkte des luxierten 
Kahnbeins durch genügende Polsterung resp. Ausarbeitung des 
Schuhes vor Druck geschützt werden. 

Meinem Chef, Herrn Sanitätsrat Dr. Köhler, der mich bei 
der Arbeit mit seinem gütigen Rate unterstützte, möchte ich hierfür 
meinen ergebensten Dank aussprechen. 


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XX. 


Meine bei der angeborenen Luxation des Hüftgelenks 
gemachten Erfahrungen 1 ). 

Von 

Dr. Blencke, 

Spezialarzt für orthopädische Chirurgie in Magdeburg. 

Mit 15 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Meine Herren! 5 Jahre sind es nun bereits her, daß ich 
an derselben Stelle über das gleiche Thema, über die angeborene 
Hüftverrenkung und ihre Behandlung, zu Ihnen sprach. In dieser 
immerhin kurzen Spanne Zeit sind so vielerlei Verbesserungen, so 
große Umwälzungen, so mannigfache Veränderungen auf diesem Ge¬ 
biet vorgekommen, daß es mir wohl der Mühe wert erschien, einmal 
wieder einen Abend mit diesem Kapitel auszufüllen, zumal da ich auch 
in diesen 5 Jahren Gelegenheit genug fand, meine eigenen Erfahrungen 
bei dieser angeborenen Deformität an einer ganzen Anzahl von Fällen 
zu bereichern. Ist doch die 5 Jahre zurückliegende Zahl von 39 fast 
um das Vierfache gestiegen, so daß mir jetzt 154 Hüften zur Ver¬ 
fügung stehen und zwar 154 Hüften an 105 Patienten. 

An der Hand dieser Fälle möchte ich nun heute abend über 
die gemachten Erfahrungen berichten und möchte diese erläutern 
durch eine Reihe angefertigter Lichtbilder, die Ihnen klarer und deut¬ 
licher noch als die Patienten selbst beweisen werden, daß nicht nur 
eine Heilung im funktionellen Sinne, sondern auch im anatomischen 
Sinne vollkommen möglich ist. 

Die Zahl derer, die von einer Behandlung dieses Leidens nichts 
wissen wollen, nun die ist wohl zur Zeit auf das allerkleinste Minimum 
zusammengeschrumpft, ich glaube bestimmt sogar auf Null. 


*) Nach einem in der Magdeburger med. Gesellschaft am 2. November 
1905 gehaltenen Vorträge mit Demonstration von 97 Lichtbildern. 


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Meine bei d. angebor. Luxation d. Hüftgelenks gemachten Erfahrungen. 311 


Wir bekommen heute die Kinder viel frühzeitiger in die Be¬ 
handlung, und das liegt wohl vor allen Dingen daran, daß dieses Leiden 
jetzt eher erkannt wird und daß es nicht mehr, wie so häufig früher 
namentlich bei doppelseitigen Luxationen, als eine Rhachitis, als eine 
Schwäche in den Beinen angesehen wird, die sich schon von selbst 
wieder geben sollte oder die mit solchen Mitteln behandelt wurde, 
die nur dazu da waren, die Zeit zu vertrödeln und den günstigen 
Zeitpunkt vorübergehen zu lassen, in dem dem Kinde noch geholfen 
werden konnte. Wie überall, so gilt auch hier bei diesem Leiden 
als oberster Grundsatz der: Je früher, desto besser. 

Meine Herren! Ich will nun etwa nicht Ihre Geduld damit auf 
die Probe stellen, daß ich Ihnen alle die einzelnen Entstehungstheorien, 
die ihrer ja viele sind, aufzähle oder gar kritisiere, ich will auch nicht 
lange bei der pathologischen Anatomie dieses Leidens verweilen, nein, 
ich will nur alles das kurz erwähnen, was für den Praktiker wichtig 
und von Interesse ist, um dann ein wenig länger bei der Therapie 
und bei den Erfolgen dieser stehen bleiben zu können, bei Dingen 
also, die Sie ja doch hauptsächlich interessieren dürften* 

Wie Sie ja alle wissen, finden wir das Leiden öfter bei Mäd¬ 
chen als bei Knaben. Nach Hoffa wird das weibliche Geschlecht 
siebenmal häufiger von dieser Deformität befallen als das männ¬ 
liche. Unter meinen 105 Patienten befanden sich 88 weibliche, 
dagegen nur 17 männliche; es war also das Verhältnis wie 1 : 5,2, 
ein Verhältnis also, das dem obengenannten nicht ganz gleich- 
komnit. 

Daß oft mehrere Familienmitglieder mit diesem Leiden behaftet 
sind, ist Ihnen ja auch bekannt. So befanden sich z. B. unter meinen 
Fällen lmal Mutter und Tochter mit angeborener Hüftluxation, 
3mal zwei Schwestern, lmal ein Bruder und eine Schwester, lmal 
ein Bruder und zwei Schwestern, lmal zwei Schwestern und ein 
Vetter, deren Großmutter auch gehinkt haben soll, und 3mal Vettern 
bezw. Cousinen. 

In der allergrößten Mehrzahl der Fälle handelt es sich anfangs 
um Luxationen über den oberen Pfannenrand nach vorn zu, die ge¬ 
wöhnlich in eine Luxatio iliaca überzugehen pflegen; nur in ganz 
vereinzelten Fällen nicht. Auch ich kann über einen solchen Fall 
berichten, bei dem man den Kopf ganz deutlich direkt unterhalb 
der Spina ilei ant. sup. fühlte; der Kopf stand fest an dieser Stelle, 
der Gang war ein guter zu nennen und ich konnte deshalb von jedem 


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312 


Blencke. 


Eingriff absehen, zumal da ich die Patientin noch zu einer Zeit in 
Behandlung hatte, in der die wirklichen Repositionen noch weniger 
häufig vorkamen, sondern mehr sogenannte Transpositionen, auf 
die ich noch weiter unten zu sprechen kommen werde. 

Eine eigentliche Pfanne fehlt nie; sie ist nur in der Mehrzahl 
der Fälle verkümmert und flach, oft auch dreieckig und mit Fett 
bezw. Bindegewebe oder Knorpel ausgefüllt; namentlich letzterer 
kann den Pfannenboden stark verdicken. Diese eben angeführten 
Tatsachen sind auch die Ursache dafür, daß wir uns an den Röntgen¬ 
bildern nicht genau über die Tiefenverhältnisse der Pfanne orientieren 
können. Man könnte, wollte man sich lediglich auf diese verlassen, 
oft großen Täuschungen begegnen. Hoffa hat bei seinen vielen 
blutigen Operationen des öfteren schon ganz andere Verhältnisse 
der Pfanne gefunden, als er nach dem vorher aufgenommenen 
Röntgenbilde vermutet hatte. 

Genauen Aufschluß geben uns dagegen die Bilder über den 
Hochstand des Kopfes, über die Veränderungen am Schenkelkopf 
und -Hals und dergleichen mehr, keinen Aufschluß aber dagegen über 
die Ebene, in welcher sich der Kopf befindet, ob vor oder hinter 
der Pfanne. Hildebrand hat ein Verfahren angegeben, stereo¬ 
skopische Aufnahmen zu machen, durch die wir uns auch hierüber 
sehr gut orientieren können. 

Verdickt ist natürlich auch die Gelenkkapsel durch die große 
Inanspruchnahme; sie nimmt oft Sanduhrform an, namentlich bei 
älteren Kindern und gibt dann oft ein wesentliches, ja das schwie¬ 
rigste Hindernis bei den Einrenkungsversuchen ab. 

Das Ligamentum teres ist in manchen Fällen vorhanden und 
dann verlängert und verdickt, in manchen Fällen fehlt es auch 
ganz. Hoffa fand es bei 200 Fällen, die er blutig operierte, 
54mal fehlend, Lorenz bei 100 Fällen 79mal. 

Schenkelkopf und Schenkelhals zeigen natürlich auch Ver¬ 
änderungen und zwar mehren sich diese mit dem zunehmenden 
Alter. 

Auf die Veränderungen der in Frage kommenden Muskelgruppen 
und auf ähnliches will ich hier nicht mehr näher eingehen, es würde 
uns das zu weit führen. Ich gehe deshalb sogleich zu den Symptomen 
der angeborenen Hüftluxation über: 

In allen Fällen werden die Eltern zuerst wohl auf das Leiden 
aufmerksam, wenn die Kinder zu laufen anfangen; nur in einem 


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Meine bei d. angebor. Luxation d. Hüftgelenks gemachten Erfahrungen. 313 

meiner Fälle waren die Eltern eher darauf aufmerksam geworden; 
es handelte sich um ein sehr schwächliches mageres Kindchen, bei 
dem die Mutter beim Waschen eine Geschwulst auf der einen Seite 
bemerkt hatte, die durch den in die Höhe geschobenen Troch. major 
vorgetäuscht wurde. Bei einseitigen Luxationen knicken die Kinder 
auf der erkrankten Seite ein, sie hinken. Dieses typische Hinken, 
dieses typische Einknicken wird einesteils durch das Hinaufrutschen 
des Schenkelkopfes auf der Darmbeinschaufel erzeugt, zum anderen 
Teil aber auch — worauf Trendelenburg aufmerksam machte — 
durch die Veränderung der Richtung der Gesäßmuskeln, vor allem des 
Glutaeus medius und minimus, die verlängert sind und das Becken 
in seiner Lage nicht zu halten vermögen. 

Typisch und nicht zu verkennen ist ja dieser sogenannte Enten¬ 
gang, dieses Watscheln bei älteren Kindern, bei denen auf beiden 
Seiten das Leiden besteht. Bei Kindern, die eben erst anfangen zu 
laufen, ist dieser Gang nicht so deutlich erkennbar. Die Eltern so¬ 
wohl wie auch der Arzt sind dann nur allzuoft und allzuleicht ge¬ 
neigt, dieses unbedeutende Einknicken, zumal wenn es auf beiden 
Seiten stattfindet, einer leichten Schwäche in den Beinen oder einer 
bestehenden Rhachitis, bei der manchmal der Gang ein ähnlicher sein 
kann, zuzuschreiben, die mit der Zeit schon verschwinden wird. Man 
sollte sich bei dieser Diagnose nie beruhigen, sondern man sollte in 
allen den Fällen, in denen Verdacht auf Luxation vorliegen könnte, 
zu dem Hilfsmittel greifen, das uns sicher Aufschluß geben kann, 
ob es sich um eine angeborene Luxation handelt oder nicht, zu der 
Untersuchung mit Röntgenstrahlen. 

Ein weiteres Symptom ist bei einseitiger Luxation die Ver¬ 
kürzung des betreffenden Beines und das Zurückbleiben der ganzen 
Extremität auch in ihren Dickenverhältnissen. Namentlich kann 
erstere oft genug recht erhebliche Grade mit zunehmendem Alter 
annehmen, die sich beliebig verringern, bezw. vergrößern läßt durch 
Zug am Oberschenkel. Bei so erheblichen Verkürzungen stellen die 
Patienten dann den Fuß in Spitzfußstellung auf, um den Boden zu 
erreichen, und wir haben dann den typischen Zehengang vor uns. 

Wenn wir dann ferner das mit einseitiger Luxation behaftete 
Kind mit uns zugekehrtem Rücken betrachten, so sehen wir eine 
Abflachung der kranken Gesäßhälfte, einen seitlichen Vorsprung der 
Trochantergegend und ein Tieferstehen der Glutäalfalte der kranken 
Seite. Lassen wir dann weiter das gesunde Bein heben — auf dieses 


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314 


Blencke. 


Symptom, das sogenannte Trendelenburgsche Phäuomen, möchte ich 
vor allen Dingen noch aufmerksam machen —, so fällt die gesunde 
Beckenseite sofort nach unten herab, so daß also die Gesäßfalte viel 
tiefer als die der kranken Seite steht, läßt man dann die Beine wech¬ 
seln, so steht jetzt die kranke Beckenseite und. demnach auch die 
entsprechende Glutäalfalte höher als die andere. 

Im Liegen muß man dann weiter nach dem Scheukelkopf suchen; 
man verfährt hierbei genau wie bei den gewöhnlichen Hüftluxationen 
auch. Als weitere Symptome kommen dann noch hinzu das Höher¬ 
stehen des Trochanter über der Roser-Nelatonschen Linie und die 
bei größerer Verkürzung bestehende statische Skoliose, die wir durch 
Erhöhung des kranken Beines oder im Liegen ausgleichen können. 

Die Bewegungen im Gelenk sind keineswegs beschränkt, sondern 
eher noch ausgiebiger als im gesunden Gelenk, namentlich bei Rota¬ 
tionen. Faßt man den Oberschenkel mit der einen Hand und fixiert 
man das Becken mit der anderen, so kann man den Kopf auf dem 
Darmbein auf und ab schieben; macht man dann auch noch Rota¬ 
tionsbewegungen, so fühlt man oft eine Art Krepitation, die nach 
Hoffas Ansicht ein Zeichen für das Fehlen des Lig. teres abgibt. 
Bei der doppelseitigen Luxation tritt dann noch eine hochgradige 
Lordose der Lendenwirbelsäule hervor und das starke Hervortreten 
der beiden sogenannten Hüften. 

Meine Herren! Wie steht es nun mit der Behandlung dieser 
Deformität? Sollen wir dieselbe behandeln, d. h. operieren? 

Wie oft muß man die Worte hören: Es handelt sich ja nur 
um einen Schönheitsfehler, der im übrigen dem Träger dieses Leidens 
nicht hinderlich ist. Nun, meine Herren, dies gebe ich nur für ganz 
vereinzelte Fälle zu und bei diesen auch nur für die Jugend. Die 
Patienten ermüden leicht, können keine weiten Wege machen und 
vor allen Dingen wird ja die Deformität mit zunehmendem Alter 
immer schlimmer. Denken Sie nur an die schweren Adduktions¬ 
stellungen bei doppelseitiger Luxation, was für Schwierigkeiten 
machen diese beim Gehen, was für Unannehmlichkeiten bereiten sie 
den Frauen während der Menstruation, ja sie machen verheiratete 
Frauen oft genug unfähig zum Beischlaf. Schmerzen und Beschwerden 
stellen sich bei zunehmendem Alter ein, deren Ursachen nach Lorenz 
in einer traumatischen entzündlichen Reaktion aller Weichteile zu 
suchen sind, durch deren fortwährende Zerrung und Anspannung 
die Suspension des Rumpfes am oberen Femurende vermittelt wird, 


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Meine bei d. angebor. Luxation d. Hüftgelenks gemachten Erfahrungen. 315 

oder in arthritischen Prozessen, die sich viel leichter in diesen Ge¬ 
lenken als in gesunden bilden können. Unter meinen Patienten be¬ 
findet sich eine Dame, die in ihrer Jugend den flottesten Walzer trotz 
ihrer doppelseitigen Luxation tanzen konnte, die aber jetzt im Alter 
von 47 Jahren nicht mehr im stände ist, auch nur wenige Schritte 
ohne jede Hilfe zu gehen. 

Ich stehe deshalb auf dem Standpunkt, daß jede Luxation 
operiert werden muß, auch wenn sie zunächst keinerlei Beschwerden 
macht, vorausgesetzt natürlich, daß die Altersgrenze noch nicht über¬ 
schritten ist. 

Und wenn ein Mann, namens Hessing, ein Neffe jenes 
genialen Hessing, dem wir so manches auf dem Gebiete der 
Orthopädie zu verdanken haben, zu glauben scheint, daß mit dem 
Namen Hessing auch immer die Genialität verbunden sein müsse, 
und sich erdreistet, in einem Prospekt, den er in alle Welt hinaus¬ 
sendet, die Operation hinabzutun und behauptet, die Erfolge der 
operativen Eingriffe seien so geringe, die der Apparatbehandlung 
dagegen so tadellose, so muß dem hier nachdrücklichst widersprochen 
werden. Entweder sagt dieser zweite Hessing bewußt die Unwahr¬ 
heit aus Furcht, es könnten ihm Patienten verloren gehen, oder er 
hat keine Ahnung von der Literatur und gibt sich nur, wie so man¬ 
cher andere Kurpfuscher auch, den Anschein, sie zu kennen. Und 
wenn er behauptet, daß für die Operation in Wort und Schrift die 
größtmöglichste Propaganda gemacht wird, nun so fällt dieser Vor¬ 
wurf nur auf ihn zurück. Er singt in seinem Prospekt das Loblied 
der Apparatbehandlung, ohne auch nur den geringsten Beweis zu 
liefern für die Güte derselben, wir aber, wir berichten in wissen¬ 
schaftlichen Arbeiten über unsere Erfolge, ohne aber auch unsere 
Mißerfolge zu verschweigen. Ich habe mich hierbei etwas länger 
aufgehalten, weil ja der Name „Hessing“ einen guten Klang hat. 
Dieser Neffe Hessing möge hervortreten und uns durch eine Reihe 
von Röntgenserienbildern beweisen, daß er auch nur einen einzigen 
Fall von angeborener Hüftluxation mit seinen Apparaten geheilt hat. 
Leere Worte machen hier nichts, wir wollen Taten sehen und diese 
auch noch durch Röntgenbilder erhärtet. 

Vereinzelte Mißerfolge, die ja Gott sei Dank immer weniger 
werden, sollen uns nicht abhalten, diese Operation, diese Einrenkung 
vorzunehmen. Welche Operation hätte wohl keine Mißerfolge auf¬ 
zuweisen ! 


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316 


Blencke. 


Wenn wir auch, wie Narath sagt, noch nicht so weit sind, 
daß jedes Kind im repositionsfähigen Alter geheilt aus unserer Be¬ 
handlung hervorgeht, nun so sind wir doch diesem unserem Ideal 
gerade im Laufe der letzten 5 Jahre erheblich näher gerückt, wie 
Sie gleich sehen werden. 

Meine Herren! Große Gefahren sind ja mit dieser Operations¬ 
methode nicht verbunden. Gewiß, ich gebe ja zu, daß Frakturen, 
Epiphysenlösungen, Lähmungen, ja Todesfälle vorgekommen sind, 
aber sie waren — von letzteren ist nicht einmal erwiesen, ob sie 
mit der Operation in irgend einem Zusammenhang standen — ver¬ 
schwindend wenige. Ich habe bei meinen Einrenkungen nur eine 
Epiphysenlösung und zwei Peroneuslähmungen gesehen, die aber 
bald wieder vorübergingen und keine bleibenden Folgen hinterlassen 
haben. Einen Fall möchte ich nicht unerwähnt lassen, weil er ge¬ 
rade ein Magdeburger Kind betrifft. Die Hüfte wurde von Lorenz 
eingerenkt und das Bein mußte später von Herrn S. R. Möller 
exartikuliert werden. Nun das war natürlicherweise ein unglück¬ 
licher Zufall, der auch meines Wissens einzig dasteht. 

Bei einer meiner kleinen Patientinnen, die ich wegen einer 
doppelseitigen Luxation mit tadellosem Erfolg operiert hatte — am 
Gange war nicht das Geringste mehr zu sehen —, trat nach ge¬ 
raumer Zeit eine Poliomyelitis ant. auf, die beide Arme und Beine befiel, 
dann aber allmählich zurückging und nur ihre Folgen wie gewöhn¬ 
lich an dem einen Unterschenkel und Fuß zurückließ. Die Eltern 
schreiben es vielleicht — ich weiß es nicht — der Einrenkung zu; 
ich bin mir aber meiner Sache sicher, daß dies nicht der Fall ist, 
und Herr Dr. Zätsch wird diese meine Ansicht bestätigen können. 
Die Einrenkung wurde am 10. Oktober 1901 vorgenommen. Das 
Kind wurde am 14. April 1902 als vollkommen geheilt entlassen 
und erst Ende Januar 1903, also ziemlich 16 Monate nach der 
Operation, wurde Herr Dr. Zätsch zu dem Kinde gerufen und 
stellte eine Pol. ant. fest, eine Diagnose, die ich nur voll und ganz 
bestätigen konnte. 

Ich glaube, daß jene erwähnten unliebsamen Ereignisse heute 
noch viel weniger Vorkommen, weil wir jetzt die früher ausgeübte 
forcierte Extension nicht mehr in Anwendung bringen und weil wir 
über die vorgeschriebene Altersgrenze nicht mehr hinausgehen. 

Wann ist dann nun das beste Alter zur Einrenkung? 

Möglichst früh, aber auch nicht zu früh. Die Kinder müssen 


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Meine bei d. angebor. Luxation d. Hüftgelenks gemachten Erfahrungen. 317 

sich schon reinlich halten können und der Körper muß schon seine 
rundlichen Formen verloren haben und muß, wenn ich mich so aus- 
drücken darf, schon Konturen zeigen, die es ermöglichen, den Gips¬ 
verband gut anmodellieren zu können. 

Wir sollen die Kinder sofort operieren und wir sollen nicht 
erst mit palliativen Maßnahmen die Zeit vertrödeln, die doch nichts 
nützen. Derartige Apparate, Hüftbügel, Korsette u. dergl. m. pflegen 
wir nur anzuwenden, wenn die Patienten bereits das gewiesene Alter, 
in dem wir die Einrenkung nicht mehr zu machen pflegen, überschritten 
haben, oder wenn aus anderen Gründen die Operation nicht indiziert 
erscheint, oder zur Nachbehandlung von schwierigen Fällen. Wir 
wenden sie aber dann nicht an, um das bestehende Leiden durch 
sie zu heilen, sondern nur, um den Gang zu bessern, bezw. dem 
sich nur allzuleicht einstellenden Ermüdungsgefühl vorzubeugen und 
die vorhandenen Schmerzen zu lindern. 

Ich habe derartige Apparate bei 12 Hüften angewandt; 7mal 
als palliative Maßnahmen; 5mal zur Nachbehandlung. 

Warnen möchte ich vor allen Dingen vor der Verordnung einer 
hohen Sohle, wie man sie so häufig sieht und findet, denn diese nützt 
nichts nur, sondern schadet eher noch insofern, daß sie den Schenkel¬ 
kopf noch höher am Becken hinaufschiebt. Ich habe die Beobachtung 
gemacht, daß die hochgradigsten Verkürzungen gerade bei den Kindern 
zu konstatieren waren, die von Jugend auf eine hohe Sohle getragen 
hatten. 

Welche Fälle eignen sich nun für die sogenannte unblutige 
Behandlung? Alle Kinder, die das sogenannte repositionsfähige 
Alter noch nicht überschritten haben. Die gewiesene Grenze ist 
für gewöhnlich bei einseitigen Luxationen 8 Jahre, bei doppelseitigen 
6 Jahre. In manchen Fällen können wir auch diese Grenze über¬ 
schreiten; meine älteste Patientin, bei der ich noch eine wirkliche 
Reposition erzielte, war 11 Jahre. Sie sehen hier die Serie Bilder. 
(Fig. 1-3.) 

Bei einer 13jährigen bekam ich noch eine Transposition mit 
recht befriedigendem funktionellen Erfolg, allerdings auch mit einer 
leichten Peroneuslähmung, die aber in kurzer Zeit wieder zurückging. 

Bis jetzt ist es mir immer gelungen, die Hüfte einzurenken. 
Ich führe die Einrenkungsmanöver folgendermaßen aus: Bei ganz 
jungen Kindern versuche ich zunächst den Kopf über den hinteren 
Pfannenrand zu hebeln; ich beuge das betreffende Bein rechtwinklig 


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318 


Blencke. 


Fi g- 1. 



Fig. 2. 



im Hüft- und Kniegelenk, übe mit der einen Hand einen Zug in der 
Richtung des Oberschenkels aus und suche mit der anderen Hand den 
Kopf durch direkten Druck auf den Trochanter hinüberzuhebeln. Ge¬ 
lingt dies nach einigen Versuchen nicht, nun dann nehme ich die 


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Meine bei d. angebor. Luxation d. Hüftgelenks gemachten Erfahrungen. 319 


Einrenkungsmanöver vor, wie ich sie bei älteren Kindern sogleich von 
vornherein anzuwenden pflege. Jede forcierte Extension wird dabei 
vollkommen vermieden. Das Bein wird ad maximum in der Hüfte 
und im Knie gebeugt; dadurch wird der Kopf in die Pfannengegend 
gebracht. Sodann wird das Bein leicht einwärts rotiert, maximal 
abduziert und nun nach Hof fas Angabe wie ein Pumpenschwengel 
nach dem Rumpf hin und wieder zurück bewegt, indem allmählich 
immer mehr und mehr hyperextendiert wird. Diese Manöver werden 
so lange wiederholt, bis der Kopf unter deutlichem Geräusch oft nicht 

Fig. 3. 



nur für den Operateur, sondern auch für alle Umstehenden in die 
Pfanne springt. Dieses Geräusch, diese Erschütterung ist in der 
Mehrzahl der Fälle da, kann aber auch in einer ganzen Reihe Fälle — 
ungefähr in l jz — fehlen oder zum mindesten sehr abgeschwächt sein. 
Trotzdem können aber diese Fälle ausgezeichnete, ja geradezu ideale 
Resultate in kosmetischer, funktioneller und anatomischer Hinsicht 
geben, vorausgesetzt, daß man dann etwas extreme Verbandstellungen 
wählt. 

Viel schwieriger als die Reposition ist die Retention, d. h. das 
Festhalten des Kopfes in der Pfanne durch den Gipsverband. 

In der Stellung, in der der Kopf in der Pfanne stehen bleibt, 
wird der Gipsverband angelegt, der natürlich aufs genaueste der Körper¬ 
form anmodelliert wird, und den ich jetzt anders anzulegen pflege, 
Zeitschrift für orthopädische Chirurgie XV. Bd. 21 


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320 


Blencke. 


wie ich es früher tat. Früher umfaßte er nur das Becken und den 
betreffenden Oberschenkel, heute nehme ich auch noch, wie sie hier 
sehen (Fig. 4 und 5), das Knie der erkrankten Seite und den Ober¬ 
schenkel der gesunden Seite mit hinein. Dieser Aenderung, glaube 
ich, habe ich es wohl in der Hauptsache zu verdanken, daß ich unter 
den letzten 17 einseitigen Luxationen keine Transposition, geschweige 


Fig. 4. 



denn eine Reluxation mehr erlebt habe, sondern nur Repositionen in 
anatomischer Hinsicht. 

Ausgehend von dem Gedanken, daß die erkrankte Hüfte doch 
wohl nicht genügend fixiert werden könnte, wenn sie nur allein in 
den Gipsverband eingezogen werden würde, und daß sich, auch wenn 
der Verband noch so gut anmodelliert wurde, trotzdem dieser infolge 
Abmagerung des Kindes u. dergl. m. verschieben könnte, entschloß ich 
mich dazu, den Verband so anzulegen, wie es auch schon in ähnlicher 
Weise von anderer Seite geschehen war. Ein solcher Verband mußte 
die kranke Hüfte absolut fixieren und es konnte sich in einem solchen 
Verbände die Stellung, die wir einmal dem erkrankten Bein gegeben 
hatten, keineswegs wieder ändern. Daß ich bei einem solchen Verbände 
natürlich von vornherein auf die sogenannte funktionelle Belastung 
verzichten mußte, durch die doch die Umformung und Aushöhlung 


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Meine bei d. angebor. Luxation d. Hüftgelenks gemachten Erfahrungen. 321 


der Pfanne hervorgerufen werden sollte u. dergl. m. und die für die 
allermeisten Autoren die Hauptsache bei der ganzen Behandlung zu 
sein schien, war mir klar. Ich ließ die Kinder in diesem Verband 
liegen und den größten Teil des Tages sitzen. Nach 8—10 Wochen 
entfernte ich denselben und legte nun den zweiten Verband in alt¬ 
gewohnter Weise an (Fig. 6 und 7). In diesem konnten dann die 


Fig. 5. 



Patienten laufen und so kam die funktionelle Belastung doch noch 
zu ihrem Rechte. Narath macht die Verbände in derselben Weise 
und läßt die Kinder mit diesen komplizierten Verbänden laufen. Nun 
ich glaube, daß damit den Kindern nicht viel gedient ist; es wird 
doch immer, mögen die Verbände auch noch so kunstvoll ausgeführt 
sein, ein schlechtes Gehen, ein Stelzen bleiben. 

Meine Herren! Ich schalte demnach die funktionelle Belastung 
nur für den ersten Verband aus, wende sie aber bei allen folgenden 
in der ausgiebigsten Weise an, denn sie hat in der Tat ihr Gutes, 
wie mir erst neulich wieder ein Fall bewiesen hat, der irrtümlicher¬ 
weise durch ein Mißverständnis der Mutter länger im Verband ge¬ 
blieben war, wie ich es eigentlich beabsichtigt hatte. Nach Ab¬ 
nahme des Verbandes ließ die vorgenommene Röntgenuntersuchung 


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322 


Blencke. 


erkennen, daß jetzt an Stelle der früher sehr flach erscheinenden 
Pfanne ein gut ausgeprägtes Pfannendach vorhanden war. Das Re¬ 
sultat war sehr gut und dieser eine Fall bestimmte mich nun auch 
wieder dazu, in gewissen Fällen von einer kürzeren Fixations¬ 
periode abzusehen und dieselbe unter Umständen bis zu 6 Monaten 
und noch länger auszudehnen. 

Meine Herren! Auch Lorenz selbst, der ärgste Verfechter und 
Vorkämpfer für die funktionelle Belastung, sieht unter Umständen 


Fig. 6. Fig. 7. 



von dieser ab, nämlich dann, wenn er die von ihm angegebene und 
von Reiner beschriebene sogenannte axillare Stellung anwendet 
in denjenigen Fällen, wo ihm wiederholt eine Reluxation erfolgt oder 
wo eine solche zu befürchten ist. Ich habe eine derartige Stellung 
noch nicht angewendet, wohl aber eine annähernd so extreme, wie 
Sie auf der Abbildung sehen (Fig. 8 und 9). Auch in diesem Falle 
war eine Reluxation auf der einen Seite zu befürchten und dieser 
Verband ließ voraussichtlich eine solche nicht zu. 

Wann eine solche extreme Stellung anzuwenden ist, dafür lassen 
sich natürlich keine bestimmten Regeln geben; es muß eben von 
Fall zu Fall entschieden werden. Wie überall, so gilt auch bei der 


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Meine bei d. angebor. Luxation d. Hüftgelenks gemachten Erfahrungen. 323 


angeborenen Hüftluxation als 
oberster Grundsatz immer 
der: nicht schematisieren, 
sondern von Fall zu Fall ent¬ 
scheiden, welche Stellung zu 
wählen ist und mit welcher 
Stellung wir wohl am besten 
fahren werden. Nach meinen 
bisher gemachten Erfahrun¬ 
gen wird es ja immerhin die 
Minderzahl der Fälle sein und 
bleiben, in denen solche für 
die Patienten sehr unange¬ 
nehmen, extremen Stellungen 
angewendet werden müssen. 

In der Zeit, in der ich 
bei den erwähnten 17 ein¬ 
seitigen Luxationen nur wirk¬ 
liche Repositionen erzielte, 
hatte ich nicht ein gleiches 
Glück mit den doppelseitigen. 
Bei 2 Fällen erlebte ich 
beiderseits Reluxationen, so 
daß eine nochmalige Einren¬ 
kung nötig wurde. Ich nahm 
eine Hüfte nach der anderen 
vor und trotzdem erzielte ich 
bei der einen Patientin nur 
eine beiderseitige Transposi¬ 
tion. Die andere Patientin 
ist noch im Verband, ich 
glaube aber, auch in diesem 
Falle wird nicht viel anderes 
herauskommen. Schuld war 
meines Erachtens daran eine 
angeborene Kapselerschlaf¬ 
fung. Die eine kleine Patien¬ 
tin hatte überall schlaffe Ge¬ 
lenkbänder. man konnte leicht 


Fig. 8. 



Fig. 9. 



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324 


Blencke. 


die Fingernägel bis zum Handrücken bringen; auch eine Schwester 
von ihr zeigte eine gleiche Disposition; sie renkte sich schon 
wiederholt das Ellbogengelenk aus, lediglich infolge einer un¬ 
geschickten Bewegung, eines ungeschickten Zufassens u. dergl. m. 
Auch bei der zweiten Patientin lagen ähnliche Verhältnisse vor. Sie 
konnte mit ihren Extremitäten Bewegungen vornehmen, die in der 
Tat einem Schlangenmenschen alle Ehre gemacht hätten. Ob nun 
die abnormen Kapselverhältnisse allein den Grund abgegeben haben, 


Fi g. 10. 



für die angeborene Luxation, nun das vermag ich natürlich nicht zu 
entscheiden, jedenfalls werden sie schon das ihrige dazu beigetragen 
haben. Gegen solche Fälle können nach meinen Erfahrungen auch 
die bestangelegten Verbände nichts ausrichten, mag man sie auch 
noch so lange liegen lassen; bei derartigen Fällen werden wir immer 
auf ähnliche Mißerfolge, wie ich sie eben angeführt habe, zu rechnen 
haben. 

Sollen wir nun bei doppelseitigen Hüftverrenkungen beide Hüften 
in einer Sitzung reponieren oder sollen wir erst die andere Hüfte vor¬ 
nehmen, wenn die erste vollkommen geheilt ist? Nun, meine Herren, 
über diese Frage ist auch schon viel und oft debattiert worden. Ich 
habe beides versucht. Unter den 33 doppelseitigen Verrenkungen 
habe ich 21raal in einer Sitzung reponiert und 12mal in zwei 
Sitzungen, d. h. eine nach der anderen. Ich stehe jetzt auf dem 


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Meine bei d. angebor. Luxation d. Hüftgelenks gemachten Erfahrungen. 32T> 

Standpunkt, daß wir auch hier nicht uns für das eine oder für das 
andere von vornherein zu entscheiden haben. 

Sehe ich, daß nach der Einrenkung der einen Hüfte diese 
nicht sogleich wieder bei der geringsten Bewegung oder Erschütte¬ 
rung die Pfanne verläßt, daß also demnach eine ziemlich genügend 
tiefe Pfanne vorhanden ist, in der der Kopf stehen bleibt, auch 
wenn die Stellung eine nicht allzu extreme ist, nun dann gehe ich 
auch sogleich an die zweite Hüfte heran und mache die Operation 


Fig. 11. 



in einer Sitzung. Sehe ich aber, daß es sich um eine äußerst flache 
Pfanne handelt und daß der Kopf auch bei der geringsten Bewe¬ 
gung diese sogleich wieder verläßt, nun dann verschiebe ich die 
Einrenkung der zweiten Hüfte auf spätere Zeit und gipse die eine 
Hüfte in solch extremer Stellung ein, wie ich es vorhin be¬ 
schrieben habe. 

Nach Abnahme der Gipsverbände setzt sofort die Nachbehand¬ 
lung ein, die entschieden einen sehr wichtigen Faktor bei der Be¬ 
handlung ausmacht. Sie besteht in Massage und Gymnastik und 
hat vor allen Dingen den Zweck, die Hüfte wieder gut beweglich 
zu machen und die Muskulatur ordentlich zu kräftigen, denn von 
deren Restituierung hängt, die Besserung des Ganges wesentlich ab. 

Nun, meine Herren, zum Schluß noch zu den Resultaten. 


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320 


Blencke. 


Vor 5 Jahren hieß es: wenn nun auch die Transposition keine 
ideale Heilung, sondern richtig ausgedrückt, eine Reluxation ist, aber 
eine Reluxation nach vorn, so ist damit jedoch dem Patienten schon 
sehr viel gedient. Der Kopf stellt sich bei der Transposition unter¬ 
halb und etwas nach außen von der Spina ant. inf. fest, wo er ein 
Widerlager findet, das ihn daran hindert, weiter nach oben zu 
rutschen. Wir waren damals zufrieden mit einer Transposition und 
waren froh, wenn wir sie erreichten, das beweisen am besten 


Fi g. 12. 



Kümmells damalige Auslassungen. Ihm genügte es, eine Fixation 
anzustreben, durch die die abnorme Beweglichkeit aufgehoben wurde. 
Ob dabei der Kopf an die Stelle gebracht wurde, an die er ana¬ 
tomisch hingeliörte, ist nach seiner Ansicht für die spätere Funktion 
von nicht so großer Bedeutung, da das Wesentliche eben das ist, daß 
der Kopf fest steht. 

Damals standen auch die Transpositionen in dem Vordergrund, 
sie überwogen bei weitem die wirklichen Repositionen, die damals 
immer nur vereinzelt vorkamen. Seit dieser Zeit ist es wesentlich 
anders geworden. Das Verhältnis hat sich erheblich geändert und 
hat sich sehr zu Gunsten der wirklichen anatomischen Reposition 
verschoben. Heute überwiegen diese. 

Unter meinen 154 Hüften wurden 18 mit Korsett, mit Massage, 
kurz mit palliativen Maßnahmen behandelt; sie alle hatten bis auf 
eine 8jährige Patientin das repositionsfähige Alter überschritten; bei 


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Meine bei d. angebor. Luxation d. Hüftgelenks gemachten Erfahrungen. 327 


der letzteren war eine Operation — aus den anfangs bereits erwähnten 
Gründen — nicht nötig. Acht Hüften waren anderwärts blutig operiert. 
Aus den Resultaten kann ich auf die Güte der Operation und ihre 
Erfolge keine Schlüsse ziehen, da ich natürlich zumeist nur schlechte 
Fälle in Behandlung bekam, die des schlechten Resultates wegen noch 
irgend einer Behandlung bedurften oder die überhaupt mit dem Re¬ 
sultat nicht zufrieden waren. Bei vier Hüften mußte der hochgra¬ 
digen Deformität wegen — es handelte sich um Mädchen zwischen 


Fig. 13. 



25 und 30 Jahren — 2mal die Resektion des Kopfes vorgenommen 
werden, die sogenannte Pseudarthrosenoperation, und 2mal zur Be¬ 
seitigung der hochgradigen Adduktionsstellungen die subtrochantere 
Osteotomie. 12 Fälle wurden einer weiteren Behandlung nicht unter¬ 
zogen; zum allergrößten Teil handelte es sich eben um ältere Pa¬ 
tienten, denen nicht mehr zu helfen war, und nur in ganz wenigen 
Fällen wurde von den Eltern die Operation verweigert, trotzdem 
diese von meiner Seite warm empfohlen wurde. 112 Hüften wurden 
unblutig operiert, und zwar 8 von anderen Operateuren und 104 von 
mir selbst. Unter jenen 8 wurden 7 von Hoffa operiert, eine Pa¬ 
tientin war darunter mit doppelseitiger Luxation; die eine Seite re- 
luxierte und Lorenz renkte diese noch einmal ein, erhielt aber auch 
nur eine Transposition; somit haben an dem einen Kinde die beiden 
tüchtigsten auf diesem Gebiet ihre Kräfte erprobt. Eine Patientin 
wurde von Dr. Habs mit sehr gutem Resultat operiert. 


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328 


Blencke. 


Fig. 14. 



Fig. 15. 



Sehen wir also von diesen 8 Fällen ab, so fallen auf mein 
Teil 104 Hüften, die unblutig eingerenkt wurden. 7 Hüften sind 
noch augenblicklich im Verband; diese müssen, wollen wir die Re¬ 
sultate prüfen, natürlich noch in Abzug gebracht werden, so daß 
demnach 97 Hüften zu verwerten sind, bei denen die Behandlung 
vollkommen abgeschlossen ist. 


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Meine bei d. angebor. Luxation d. Hüftgelenks gemachten Erfahrungen. 329 


Bei diesen 97 Hüften wurden 31 Transpositionen erzielt und 
55 Repositionen; llmal trat eine Reluxation ein. Von diesen 
11 reluxierten Hüften wurden 6 nochmals eingerenkt und zwar 
wurde 3mal eine Transposition erzielt und 3mal eine Reposition, so 
daß sich also demnach das definitive Verhältnis folgendermaßen ge¬ 
staltet. 

Von 97 unblutig eingerenkten Hüften wurden 34 Transpositionen 
erzielt, 58 Repositionen und 5 Reluxationen, ein Verhältnis, mit dem 
man, glaube ich, ganz zufrieden sein kann, das in Prozenten ausgedrückt 
59,8 V anatomische Heilungen ergibt. Wenn wir auf dem Wege 
weiter arbeiten und die Behandlung so leiten, wie ich es auseinander¬ 
gesetzt habe, nun, dann glaube ich, werden die Resultate noch besser 
werden und die Mißerfolge immer weniger. Ganz werden wir letztere 
wohl nicht aus der Welt schaffen können, da sich eben bei manchen 
Fällen Hindernisse in den Weg stellen werden, die wir nicht, wie 
ich schon oben bei den beiden doppelseitigen Fällen erwähnte, be¬ 
seitigen können. 

N.B. Einige Platten habe ich beigefügt, die einen Beweis da¬ 
für abgeben sollen, was sich mit der unblutigen Operation bei der 
angeborenen Hüftluxation erreichen läßt. 


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XXL 


Ueber die Tuberkulose des Iliosakralgelenkes. 

(Die tuberkulöse Sakrocoxalgie.) 

Von 

Denis G. Zesas in Lausanne. 

Mit 2 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Akute und chronische Entzündungen des Iliosakralgelenkes 
werden nicht häufig beobachtet. Der Hauptgrund dürfte wohl darin 
liegen, daß dieses Gelenk eine geringe Bewegung aufweist, da ja 
nach Bardeleben die Prädisposition eines Gelenkes zu Entzün¬ 
dungen umso größer sein soll, je mehr dasselbe bewegt wird. 

Unter den chronischen Prozessen, die das Iliosakralgelenk 
ergreifen, ist die Tuberkulose die allerhäufigste Erkrankung. Es ist 
der französische Chirurg Boyer [1], der im Jahre 1814 zum ersten 
Male die Affektion ausführlicher schilderte, den „skrofulösen“ Ur¬ 
sprung des Leidens hervorhob und seine Analogie mit den „Tumeurs 
blanches“ anderer Gelenke betonte. Fünfzehn Jahre später war es 
Larrey [2], der diese Erkrankung von neuem zur Sprache brachte 
und sie unter der Bezeichnung „Sakrocoxalgie“ beschrieb. Doch 
blieb das Leiden ziemlich unbeachtet, obwohl Laugier [3], Clo- 
quet und Berard [4] (1833) sich eingehend mit ihm befaßten und 
ihm die richtige pathologische Deutung verliehen. 

Dem deutschen Chirurgen Hahn [5] gebührt das Verdienst, 
der Tuberkulose des Iliosakralgelenkes in der Pathologie der Ge¬ 
lenke eine bleibende Stellung gesichert zu haben. Seine im Jahre 
1883 in der * Allgemeinen medizinischen Zeitung“ veröffentlichte 
Arbeit ist es in der Tat, die das Interesse auf die uns hier be¬ 
schäftigende Affektion hinlenkte, wozu allerdings Cliambeyron [6] 
und Frbre [7] durch Verallgemeinerung der Hahnschen Arbeit 
wesentlich beitrugen. 

Eine Reihe beachtenswerter diesbezüglicher Arbeiten entstan¬ 
den bald darauf (Nichet [8], Giraud de Nolhac [9] u. a.) und 


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Ueber die Tuberkulose des Iliosakralgelenkes. 


331 


im Jahre 1852 erschien die erste zusammenfassende Arbeit von 
Hattute [10] unter der Leitung von Larrey, „Tun des pöres de 
la Sacrocoxalgie*, wie Naz in seiner These ihn benennt. Nach 
diesem Zeitabschnitte folgte eine Reihe von einschlägigen Veröffent¬ 
lichungen, von denen wir jene von Gurlt [12] in Deutschland, 
Crocq [13] in Belgien und Erichsen [14] in England hervor¬ 
heben. In Frankreich sind es Guöniot [15], Velpeau [16], Boi¬ 
sarie [17], Duplay [18] und Delens [19], welche sich in ein¬ 
gehenderer Weise mit der Sakrocoxalgie beschäftigten. Delens hat 
im Jahre 1872 eine bemerkenswerte Thöse d'agrögation über dieses 
Thema geliefert, eine Arbeit, die von dem sich für die Iliosakral- 
tuberkulose Interessierenden nicht unbeachtet bleiben sollte. 

Die neuere Zeit hat unsere Kenntnisse über die Pathologie 
dieses Gelenkleidens bedeutend erweitert und unser therapeutisches 
Können ihm gegenüber gefördert. DieNamenHeath [20], König[21], 
Rieder [22], Schede [23], Bo ekel [24], Delorme u. a. sind mit 
dieser Arthropathie eng verknüpft! 

Die Affektion befällt vorzugsweise Erwachsene zwischen dem 
20. und 40. Lebensjahre. Bei Kindern und älteren Personen soll 
sie selten Vorkommen. Die Beobachtungen Heater und Biggs 
an Neugeborenen, sowie jene von Gould und Mason an Indivi¬ 
duen, die das 60. Lebensjahr überschritten haben, stehen in der 
Kasuistik so ziemlich vereinzelt da. 

Bezüglich des Geschlechtes lauten die Angaben verschieden, 
nichtsdestoweniger steht es außer Zweifel, daß die Affektion bei 
weitem häufiger bei Männern als bei Frauen aufzutreten pflegt. 
Hahn ist der Ansicht, daß die Schneider, Hattute, daß Artillerie- 
und Kavalleriesoldaten vornehmlich von diesem Leiden befallen 
werden. Das rechte Iliosakralgelenk erkrankt am häufigsten, doppel¬ 
seitig ist die Arthropathie selten beobachtet worden (König). 
Meist erkrankt das zweite Gelenk sekundär von dem zuerst befallenen 
Gelenk aus. 

Herr Geheimrat Bardenheuer hatte die Freundlichkeit, uns 
2Fälle von doppelseitiger Erkrankung der Ileosakralgelenke mitzuteilen. 

I. Fall. 27jähriger Mann. Doppelseitige Tuberkulose der Syn- 
chondrose. Resektion am 27. Februar 1899. Tod am 7. März 1900. 

II. Fall. 37jähriger Mann. Doppelseitige Tuberkulose der llio- 
sakralgelenke. Resektion (Sprengelscher Schnitt) am 13. August 
1900. Tod am 2. Oktober 1900. 


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332 


Denis G. Zesas. 


Aetiologisch werden direkte oder indirekte Traumen, die auf 
das Becken oder auf die Artikulation selbst ein wirken, in ursäch¬ 
lichen Zusammenhang mit dem Gelenkleiden gebracht, auch Ueber- 
müdung und, wie erwähnt, fehlerhafte Sitzungsweise als veranlassende 
Momente bezeichnet. Panas glaubt, das weibliche Geschlecht be¬ 
treffend, daß wiederholte Schwangerschaften nicht ohne Einfluß auf 
die Entwicklung der Tuberkulose der Beckengelenke blieben, indem 
sie auf diese Artikulationen gewissermaßen traumatisch einwirken. 
„C’est en effet la symphyse sacro - iliaque qui constitue un des 
sifeges d^lection de Tartlirite tuberculeuse pendant la grossesse* 
(Walther [26]). 

Doch von all den verschiedenartigen ätiologischen Momenten 
sind es die direkten traumatischen Insulte, die eine eingehende Be- ! 
achtung verdienen. Wie überhaupt bei Gelenk- und Knochentuber- i 
kulose, so wird auch bei der Anamnese von Iliosakraltuberkulose 
recht oft ein Trauma angegeben. Es ist unzweifelhaft, daß die Er¬ 
krankung des Gelenkes sich früher oder später einer einfachen Kon¬ 
tusion der Lumbal- oder Sakralgegend anschließen kann und solchen 
Fällen gebührt auch bezüglich der Unfallsgesetzgebung besondere 
Berücksichtigung. Gerade bei solchen Patienten wird das Leiden 
nicht selten auf Hysterie zurückgeführt, wenn es nicht kurzweg als 
Simulation erklärt wird. „Wiederholt — so schreibt Rieder — 
habe ich Fälle von solchen Fehldiagnosen gesehen, ganz besonders 
erinnere ich mich eines Patienten, der jahrelang vergeblich bei 
Aerzten und Schiedsgerichten sein Recht suchte, immer aber wieder, 
meist unter dem Verdacht der Simulation, abgewiesen war; und doch 
hatte der Kranke, als er auf die chirurgische Abteilung des Ham¬ 
burger Krankenhauses kam, eine ausgesprochene Synchondrosenkaries. 
Das Gelenk wurde aufgemeißelt und Patient starb später an Tuber¬ 
kulose der inneren Organe.“ Charon [27] beschrieb eine typische 
fungös-kariöse Zerstörung des rechten Iliosakralgelenks im Anschluß 
an einen Sturz von der Leiter bei einem 7jährigen Knaben, welcher 
nach Durchbruch der tuberkulösen Abszesse im Bereich des großen 
Trochanters etwa 2 Jahre nach dem Unfall an Albuminurie starb. 
Die Sektion ergab eine ausgedehnte Karies der rechten Articulatio 
sacro-iliaca, starke fettige Degeneration der Glutäen und des Psoas 
und nur geringe amyloide Degeneration der inneren Organe. Zu¬ 
weilen ist die Tuberkulose des Iliosakralgelenks mit Spondylitis lum- 
balis tuberculosa kompliziert (Ridlon, Jones [29]). Wahrschein- 


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Ueber die Tuberkulose des Iliosakralgelenkes. 


333 


lieh ist die letztere dann meist die primäre Erkrankung, die Arti- 
culatio sacro-iliaca wird sekundär, meist durch einen Senkungsabszeß 
infiziert. 

Die Articulatio sacro-iliaca ist bekanntlich ein wahres Gelenk. 
„In diesem Gelenk verbindet sich das Os sacrum mit einem Os coxae. 
Es legen sich dabei die überknorpelten Superficies articulares beider 
Knochen aneinander und bilden ein Gelenk. Es ist falsch, wenn 
man diese Verbindung oft noch als Synchondrosis bezeichnen hört“ 
(Pansch). Somit besitzt diese Artikulation alle Bestandteile eines 
Gelenkes: knorpelüberzogene Gelenkflächen, spaltförmige Gelenkhöhle, 
die niemals fehlt und die mit Synovialhaut und Epithel ausgekleidet 
ist. Dementsprechend werden wir in pathologisch-anatomischer Hin¬ 
sicht die gleichen Formen der Tuberkulose zu erwarten haben, die 
wir bei der Tuberkulose der Gelenke im allgemeinen vorfinden. Und 
in der Tat begegnen wir hier nicht nur der trockenen Form, son¬ 
dern auch und zwar am häufigsten jenen Formen, welche als fungöse 
Gelenkentzündung bezeichnet und zuerst mit serösem oder sero-fibri¬ 
nösem, später mit eitrig-käsigem Ergüsse einhergehen. 

Die trockenen Formen, welche auch die bessere Prognose 
abgeben, sind im Iliosakralgelenke selten. Anatomopathologisch 
bieten sie das gleiche Bild der Caries sicca anderer Gelenke: ent¬ 
weder werden die oberflächlichen Gelenkknochenschichten zerstört 
oder die Zerstörung beschränkt sich auf den knorpeligen Ueberzug. 
Erichsen hat diese spezielle Form zum ersten Male an dem Ilio- 
sakralgelenk beobachtet und das betreffende Präparat in seiner im 
Jahre 1859 erschienenen Arbeit beschrieben. Hi eher gehört zweifellos 
auch jene Form von Tuberkulose, auf die Lannelongue aufmerk¬ 
sam gemacht und die bisweilen im Iliosakralgelenk beobachtet 
wird. „Les surfaces articulaires — berichtet Lannelongue — 
depourvues de cartilage ont conservä leur forme normale et les os 
ont le meme aspect que s’ils etaient simplement mac^rös; le tissu 
osseux mis ä nu, garde sa consistance, ou meme est devenu plus 
dense qu'ä Fötat normal. Sous Finfluence de Firritation inflamatoire 
provoquee par les deF lösions tuberculeuses, il se produit souvent de Fos 
nouveau sur les bords de Farticulation. (Fest ainsi que parfois les 
surfaces iliaque et sacr^e sont soudees ensemble par du tissu osseux 
sur une portion de leur etendue, alors que le reste de la cavite est 
plein de pus et de fongosite. L’ankylose peut encore etre periphe- 
rique et formee par des jetees osseuses periostiques. Mais les couches 


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334 


Denis G. Zesas. 


osseuses nouvelles n’ont pas le plus souvent pour resultat d’amener 
l’ankylose; eiles se font d'une maniöre independante sur le sacrum 
et sur Tos iliaque.“ 

Die Tuberkulose des Kreuzdarmbeingelenkes kann analog den 
sonstigen Gelenktuberkulosen teils in der Synovialis, teils im Knochen 
beginnen. Der synoviale Ursprung der Iliosakraltuberkulose scheint 
äußerst selten zu sein, finden sich doch in der Literatur nur zwei 
diesbezügliche unanfechtbare Fälle, nämlich jene Golding Birds [30] 
und Erichsens, bei welchen eine primäre Erkrankung der Syn¬ 
ovialis außer Zweifel steht. 

Der ostale Ursprung ist schon von Boy er und Hahn als der 
häufigste bezeichnet worden, „la carie commence sur la surface ente- 
rieure du sacrum“ — sagt Boy er. Die operativ behandelten Fälle, 
sowie die in der Literatur zerstreuten diesbezüglichen Autopsien 
sprechen zu Gunsten der Annahme eines primären Knochenherdes, 
so daß Naz mit vollem Recht betonen konnte: „que le döbut osseux 
röpond ä Timmense majorite des cas.“ Freilich genügen die vor¬ 
handenen Beobachtungen kaum, uns endgültig über die Frage zu 
orientieren, ob der primäre Knochenherd in dem Kreuzbein oder dem 
Darmbein am häufigsten seinen Sitz hat. Immerhin aber berechtigen 
uns die bis anhin gesammelten Erfahrungen zur Annahme, daß das 
Kreuzbein in der Regel den primären Knochenherd, der sich 
nachträglich in das Iliosakralgelenk Bahn bricht, beherbergt. „Dans mes 
cas — schreibt Deibet [31] — je crois que le sacrum a 6te le 
premier atteint. En effet, si Tos iliaque avait äte primitivement pris, 
on ne s’expliquerait pas les douleurs sciatiques qui ont marque le 
debut de l’affection, tandis que les douleurs s’expliquent aisement 
avec un foyer osseux dans le sacrum.“ Erwähnt sei noch, daß ein¬ 
zelne Autoren, unter denen Morestin, eine periartikuläre, primäre 
Entwicklung der tuberkulösen Arthropathie annehmen. „D’apres les 
observations que nous avons compulsees et d’aprös Texamen n£cro- 
psique de deux sacrocoxalgies, il nous parait probable, que tres sou¬ 
vent ces lesions sont plutöt peri-articulaires qu’articulaires. Les 
foyers tuberculeux entourent la jointure en avant, au dessous et en 
arriere.“ Es ist uns nicht gelungen, in der Kasuistik andere Fälle 
periartikulären Ursprungs, die für die Annahme Morestins unter¬ 
stützend eintreten könnten, ausfindig zu machen. Die periartikuläre 
Entstehung der Affektion scheint somit zu den seltenen Ausnahmen 
zu gehören. Viel häufiger wird die sekundäre parartikuläre Ent- 


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Ueber die Tuberkulose des Iliosakralgelenkes. 


335 


Zündung, resp. Infektion beobachtet. Nach van Hook [34] saß 
dieselbe in 61,8 °/o der Fälle an der Innenseite des Beckens und 
in 38,3 °/o an der Außenseite. 

Die weiteren anatomischen Veränderungen bestehen in zuneh¬ 
mender kariöser Zerstörung der Gelenkflächen des Darm- und Kreuz¬ 
beins, in Destruktion der Gelenkkapsel und des Bandapparates mit 
entsprechender Lockerung des Gelenks und in der allmählich fort¬ 
schreitenden Ausbreitung der tuberkulösen Exsudate resp. Abszesse 
im Becken und auf der Außenfläche des Darm- und Kreuzbeine 
(Tillmanns [36]). In besonders schweren Fällen ist das Becken 
von mehreren Fistelgängen durchsetzt, die auf Umwegen in das er¬ 
krankte Gelenk führen. Gewöhnlich stecken stets in der Tiefe 
größere und kleinere Sequester. Van Hoock hat in 24 Autopsien 
viermal das Vorhandensein von Sequestern konstatiert. Riedel 
konnte in zwei Fällen Totalnekrose der ganzen Gelenkfläche des 
Darmbeins bei Kindern im Alter von 5 und 14 Jahren beobachten. 
In dem einen Falle wurde nach Extraktion des Sequesters von der 
Glutäalgegend aus Heilung erzielt. Die Sektion des 14jährigen 
Kindes ergab, daß die ganze entsprechende Beckenhälfte vereitert 
resp. nekrotisch war; die nekrotische Beckenhälfte war von den 
umgebenden Weichteilen völlig gelöst. Gleichzeitig bestand Lösung 
der Pfannenepiphysen und Spontanluxation des Oberschenkels. 

Die bei der Tuberkulose des Iliosakralgelenkes beobachteten 
Senkungsabszesse werden in zwei Gruppen eingeteilt. In eine, die 
ihren Weg ins Innere des Beckens nimmt und in eine solche, die 
sich außerhalb desselben entwickelt. Erstere ist die häufigere 
(61,8 °/o). Die Eiteransammlung entsteht an der Vorderfläche des 
Gelenks, hebt das Periost des Darmbeins ab und folgt meistens dem 
Verlaufe des Musculus ilio-psoas durch die Lacuna musculorum, um 
dann in der Gegend seines Ansatzes auf die Vorderfläche des Ober¬ 
schenkels zu kommen, genau so, wie es bei den Senkungsabszessen 
infolge von Karies der unteren Wirbelkörper der Fall ist. Von 
diesem Wege aus kann sich der Eiter nun nach verschiedenen 
Seiten hin Bahn brechen. Er kann entweder dem Musculus ilio- 
pectineus entlang laufen und von da aus in das Hüftgelenk gelangen 
und eine Coxitis Vortäuschen (D e m o n s [39]), oder der Abszeß ge¬ 
langt in die Fossa ischio-rectalis und senkt sich von hier aus neben 
dem Rektum bis zum Anus hin, wobei nicht ausgeschlossen bleibt, 
daß er schon vorher in den Mastdarm durchbricht. Die Eiterung 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XV. Bd. 22 


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Denis G. Zesas. 


kann ferner durch das Foramen ischiadicum dringen und nun dem 
Nervus ischiadicus entlang gehen. Sie erscheint dann schließlich 
außerhalb des Beckens in der Glutäalgegend, kann aber auch noch 
weiter wandern und erst in der Kniegegend zum Vorschein gelangen. 
Daß bei einem solchen Verlaufe der Nervus ischiadicus gereizt wird 
und solche Fälle gern als hartnäckige Ischias gedeutet werden 
(Schede), ist leicht begreiflich. Eine letzte Möglichkeit besteht 
noch darin, daß der Eiter dem Samenstrang entlang wandert und 
von hier weiter auf die mit den Gefäßen und Nerven desselben 
zusammenhängenden Organe, wie Nieren, Blase etc. übergreift. In 
einem von Schede beobachteten Falle hatte sich eine Blasenfistel 
nach dem Darm hin gebildet. 

Weniger häufig bahnt sich der Eiter extrapelvikal von der 
Hinterfläche des Gelenkes aus seinen Weg (36,2 °/o van Hook). 
In diesem Falle kann er direkt nach außen durchbrechen, sodann 
aber kann er, wenn auch sehr selten, nach oben steigen und in der 
Lumbalgegend bis zur zwölften Rippe und noch höher zum Vor¬ 
schein kommen. Oder er senkt sich nach unten und der Abszeß 
macht sich dann in der Glutäalgegend bemerkbar. Nicht immer 
beschränkt sich aber der Verlauf der Abszesse auf einen der ange¬ 
führten Wege, er kann sich auf mehreren, ja sogar auf allen zu¬ 
gleich ausbreiteu, wodurch das Krankheitsbild dann natürlich ungleich 
kompliziert erscheint (v. d. Heyden [37]). Interessant ist eine 
diesbezügliche Beobachtung Schedes, wo die Eiterung durch das 
Os ileum sich verbreitet hatte und in das Hüftgelenk durchgebrochen 
war, wodurch ein Teil des Gelenkkopfes sequestriert wurde. Die so¬ 
eben angeführten Bahnen können aber auch von Abszessen ein¬ 
geschlagen werden, welche nicht vom Iliosakralgelenk ausgehen, 
sondern von den angrenzenden Knochen; es ist daher bisweilen 
nicht möglich, eine Differenzialdiagnose zwischen den Abszessen zu 
stellen und daraus bezüglich der primären Erkrankung Schlüsse zu 
ziehen. 

Das Hauptsymptom, durch welches sich die Affektion mani¬ 
festiert, ist der Schmerz. Dieser lokalisiert sich entweder in dem 
erkrankten Gelenke, oder strahlt in entferntere Körperteile aus. 
Solche Patienten klagen über Schmerzen im Leibe, an der Hüfte, 
am Trochanter, oder am Knie. Hochgradig ausstrahlende Schmer¬ 
zen sind meist ein ungünstiges Zeichen und weisen gewöhnlich auf 
eine ernstere Erkrankung des Os sacrum hin (Tillmanns). Am 


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Ueber die Tuberkulose des Iliosakralgelenkes. 


337 


häufigsten wird der Schmerz in der Lumbalgegend oder im Ver¬ 
laufe des Ischiadicus angegeben. 

Es darf daher nicht befremden, wenn die Affektion im Be¬ 
ginne häufig mit Lumbago und Ischias verwechselt und demnach 
behandelt wird. Erst vor kurzem hatten wir Gelegenheit, einen 
solchen Fall zu beobachten. Ein 39jähriges Fräulein klagte seit 
einiger Zeit über starke Schmerzen in der Kreuzgegend, die als 
Lumbago rheumatischer Natur aufgefaßt wurden. Eine in Aix les 
Bains vorgenommene Kur, die besonders in starker Massage der 
Lumbalgegend bestand, verschlimmerte das Leiden. Als wir die 
Patientin Ende Juli zu sehen bekamen, war eine teigige Schwellung 
in der Gegend des rechten Iliosakralgelenkes vorhanden mit starker 
Schmerzhaftigkeit in dieser Gegend, sowohl spontan, als bei direktem 
Druck. Die Schmerzen irradiierten nach vorn über den Leib und 
nach der erkrankten Körperhälfte bis zur Kniekehle hin; außerdem 
fieberte Patientin bisweilen Abends (37,8). Die Kranke war tuber¬ 
kulös ziemlich belastet: der Vater starb rasch an einem „Lungen¬ 
leiden“, eine Schwester der Kranken erlag einer tuberkulösen Peri¬ 
tonitis und eine andere einer Meningitis. Die vorgenoramenen intra¬ 
artikulären Jodoform-Emulsion-Einspritzungen, die uns in solchen 
Fällen in der Regel vorzügliche Dienste leisten, blieben erfolglos; 
Patientin entleerte eines Tages, nach einer mehr als 24stündigen Urin¬ 
retention, einen mit ziemlich viel Eiter und Blut gemischten Urin, 
magerte zusehends ab und Ende November starb sie unter menin- 
gitischen Erscheinungen. Die Autopsie wurde leider vom Hausarzt 
unterlassen. 

Wenn die Affektion am häufigsten zu Verwechslung mit Lum¬ 
bago und Ischias Anlaß gibt (Miller [40]), so finden wir anderseits 
in der Literatur eine Anzahl von Beobachtungen, wo die Arthro¬ 
pathie andere Leiden vortäuscht. So erfahren wir, daß bei einem 
Kranken von Collier [41] an eine Affektion des Ovariums ge¬ 
dacht und in einem anderen Falle das Gelenkleiden als eine Hüft¬ 
gelenkverstauchung aufgefaßt wurde. Wie schwierig es mitunter 
ist, eine richtige Diagnose zu stellen, beweist auch ein Fall Schedes, 
wo das dargebotene Krankheitsbild die Annahme einer Aktinomy- 
kose berechtigte. 

Differentialdiagnostisch ist es daher wünschenswert, pathogno- 
monische Zeichen der Affektion zu besitzen und in dieser Hinsicht 
scheint uns die richtige Lokalisation des Schmerzes von großer 


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Denis G. Zesas. 


Wichtigkeit. Um den Schmerz richtig in das erkrankte Gelenk zu 
lokalisieren, sind verschiedene Handgriffe vorgeschlagen worden. 
Larrey empfahl, dem Patienten, der auf einer harten Unterlage sitzt, 
zu befehlen, den Oberkörper, indem er sich auf beide Hände stützt, 
von dieser zu erheben und ihn dann plötzlich fallen zu lassen. Eine 
solche Bewegung dient „ä enfoncer le sacrum comme un coin entre 
les ilions“ und wird bei Erkrankung des Iliosakralgelenkes da¬ 
durch in diesem einen heftigen Schmerz erzeugen (Larreysches 
Symptom). Auch die Bewegung, welche man dem Darmbein mit¬ 
teilt, indem man seine Schaufel mit den Fingern ergreift, soll nach 
v. Volkmann Schmerzen im erkrankten Gelenke hervor rufen. So¬ 
dann kann man aber auch bei Seitenlage des Patienten die Becken¬ 
schaufel von hinten fassen und nach vorn schieben. Die Gelenk¬ 
flächen müssen dann ein wenig voneinander weichen und wenn das 
Gelenk Sitz der Erkrankung ist, werden die Schmerzen durch diesen 
Handgriff wesentlich erhöht. Wir pflegen zur richtigen Lokalisie¬ 
rung des Schmerzes uns folgender Prozedur zu bedienen: Indem 
der Patient auf dem Rücken liegt, werden die beiden Darmbein¬ 
schaufeln ergriffen und versucht, dieselben näher an- und weiter 
auseinander zu bringen. Eine solche Bewegung erzeugt an den 
Iliosakralgelenken eine erhebliche Belastung an zwei verschiedenen 
Gelenkflächen und beim Vorhandensein einer artikulären Entzündung 
wird sie nie verfehlen, an der affizierten Artikulation einen heftigen 
Schmerz auszulösen. Die richtige Lokalisierung des Schmerzes ist 
uns durch diesen Handgriff stets ermöglicht gewesen und dürfte 
differentialdiagnostisch in solchen Fällen nicht unbeachtet bleiben, 
umsomehr als, wie bereits erwähnt, die vom Patienten selbst ange¬ 
gebene Schmerzgegend meist nichts Charakteristisches und Konstantes 
darbietet. Anknüpfend an den Gelenkschmerz ist noch zu bemerken, 
daß derselbe beim längeren Sitzen (Johnstone) und Gehen wesent¬ 
lich gesteigert wird; in einem diesbezüglichen Falle Duplays war 
das Sitzen überhaupt unmöglich. Einzelne Beobachter teilen mit, 
daß der Schmerz beim Vorwärtsbeugen des Körpers gesteigert wird, 
andere berichten, daß die Patienten eine gewisse Erleichterung fin¬ 
den, wenn sie den Oberkörper nach hinten straffen. Am wohlsten 
fühlen sie sich in der Rückenlage, leicht auf der gesunden Seite 
ruhend. Lokalerscheinungen pflegen im Initialstadium zu fehlen; 
Schmerz bei lokalem Druck wird in dieser Periode nicht immer 
manifestiert; dieser tritt erst dann auf, wenn anderweitige Erschei- 


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Ueber die Tuberkulose des Iliosakralgelenkes. 


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nungen, wie ödematöse Schwellung der Verbindungslinie beider 
Knochen u. s. w. sich entwickelt haben. Mit der deutlichen Aus¬ 
bildung der Lokalerscheinungen werden in der Regel die spontanen 
Schmerzen geringer. Auffallend ist die Haltung solcher Patienten. 
Beim Gehen spannen sie ihre Rückenmuskulatur möglichst an, um 
das erkrankte Gelenk zu immobilisieren und zu entlasten und bieten 
daher eine, dem Anfangsstadium der Spondylitiden eigene analoge 
Haltung dar. Nach Bird sollen die Patienten noch das Gefühl 
haben, „als ob der unterste Teil des Rückens nachgeben wollte“, 
ln einigen Fällen scheint das Bein an der erkrankten Seite ver¬ 
längert zu sein. Nach Erichsen ist diese Verlängerung eine 
scheinbare, indem der Kranke die affizierte Beckenhälfte senkt und 
nach vorn drängt, wodurch die Verlängerung der Extremität vor¬ 
getäuscht wird. Auch eine Verkürzung des Beines der erkrankten 
Seite ist der Symptomatologie der Entzündung des Iliosakralgelen¬ 
kes angereiht worden, doch auch diese ist eine scheinbare und 
beruht auf einer abnormen Beckenstellung. Eine reelle Verkürzung 
der der erkrankten Beckenhälfte entsprechenden Extremität kann 
nur in den Endstadien der Affektion auftreten, wenn die Ligamente 
zerstört und das Gelenk eine Subluxationsstellung eingenommen 
hat. Delens ist der gleichen Anschauung, indem er sagt: „on ne 
saurait nier cependant que les alterations graves de Tarticulation, la 
destruction des ligaments ne puissent permettre un certain degr6 
de deplacement des surfaces articulaires.“ 

Nicht selten stellt sich leichtes Hinken ein. Der Gang des 
Kranken wird unsicher, watschelnd, weil der Patient auf den Fuß 
der affizierten Seite sich nicht stützen kann. Die Kranken stützen 
sich gewöhnlich auf das gesunde Bein, neigen ihren Körper leicht 
nach vorn, sobald sie gehen wollen, und schleppen die affizierte Ex¬ 
tremität nach. Auffallend ist es jedoch, wie in einzelnen, sogar weit 
fortgeschrittenen Fällen keine wesentlichen Veränderungen im Gehen 
wahrgenommen werden. „C’est ainsi — sagt Provendier [42] — 
qu’un des op^rös de M. Delorme n’entre ä l’höpital qu’ä la der- 
niere limite, ayant voulu continuer jusque lä son Service d’ordon- 
nance, quoiqu’il füt porteur ä la fesse d’une tumeur volumineuse; le 
raoment de 1’Operation venu, M. Delorme le fit courir devant les 
assistants, de son lit ä la salle d’op^ration.“ Bei jüngeren Individuen 
kommt es infolge der andauernden abnormen Haltung zu Verschie¬ 
bungen der Wirbelsäule, zu den sogenannten „Scolioses d’attitude“. 


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Denis G. Zesas. 


Auch Paresen und Paralysen einzelner Muskelgruppen sind beobachtet 
und auf Kompression der Nerven des Plexus sacralis zurückgeführt 
worden. Einen hierher gehörenden operativ geheilten Fall hat 
Bo ekel [43] mitgeteilt. Wenn wir dem soeben geschilderten kli¬ 
nischen Bilde noch hinzufügen, daß solche Kranke bisweilen leicht 
fiebern und daß Johnstone, Collier und Sayre auch lokale 
Temperatursteigerungen am erkrankten Gelenke beobachten konnten, 
so scheint uns der Symptomenkomplex der Affektion so ziemlich 
erschöpft. 

Differentialdiagnostisch ist es, wie bereits betont, von Wichtig¬ 
keit, sich gegen eine Verwechslung mit Ischias oder Lumbago zu 
verwahren und bei jedem hartnäckigen Ischiasfall auch die Möglich¬ 
keit einer Affektion des Iliosakralgelenkes in Erwägung zu ziehen. 
Die richtige Lokalisation des Schmerzes durch die angegebenen Pro¬ 
zeduren, eventuell durch eine Untersuchung per rectum (bei 
Frauen durch eine solche auch per vaginam), werden zur richtigen 
Diagnose verhelfen. Die zunehmende teigige Anschwellung im Be¬ 
reiche des Iliosakralgelenkes ist oft zuerst vom Mastdarm aus zu 
fühlen, weil der vordere schwächere Bandapparat dem tuberkulösen 
Exsudat eher nachgibt, als der hintere straffere (Tillmanns). Die 
Tuberkulose der Lendenwirbelsäule erzeugt mitunter ein der Ent¬ 
zündung des Iliosakralgelenkes ähnliches Krankheitsbild. Doch fehlt 
bei dieser Affektion die Schmerzhaftigkeit bei Druck auf die Proc. 
spin. oder bei Belastung vom Kopfe oder den Schultern ausgehend. 
„II ne faut pas oublier en tout cas que la coxalgie succfcde souvent 
ä un mal de Pot lombaire ou plutöt lombo-sacre'“ (Lannelongue). 
Mit der tuberkulösen Coxitis ist die Erkrankung des Iliosakral¬ 
gelenkes am häufigsten verwechselt worden. Doch auch zur Unter¬ 
scheidung dieser beiden Krankheitsprozesse besitzen wir maßgebende 
Merkmale. Die Coxitis stellt eine Krankheit der Kindheit, die Ent¬ 
zündung der Uiosakralartikulation eine Affektion der Erwachsenen 
dar. Ferner sind bei letzterem Leiden bei Feststellung des Beckens 
die Bewegungen im Hüftgelenke frei und schmerzlos, wesentlich die 
Abduktion und Rotation. Eine Differentialdiagnose zwischen den 
gonorrhoischen (Le Dentu), syphilitischen (Fournier), rheumati¬ 
schen, puerperalen und tuberkulösen Entzündungen des Iliosakral¬ 
gelenkes ist nicht immer möglich. Verhelfend kommt uns jedoch der 
Umstand entgegen, daß die tuberkulöse Entzündung das häufigste 
Leiden dieses Gelenkes darstellt, während die übrigen angedeuteten 


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Ueber die Tuberkulose des Iliosakralgelenkes. 


341 


Entzündungen seltener und akut zu stände kommen. „Für die 
Diagnose ist besonders wichtig eine sorgfältige Anamnese, der 
schleichende, schmerzhafte Verlauf, oft im Anschluß an Traumen, 
das meist relativ jugendliche Alter, die veränderte Haltung und 
Schonung der erkrankten Beckenhälfte und des betreffenden Beines“ 
(Till man ns). Zuweilen können Tumoren im Bereiche des Kreuz¬ 
beins oder Darmbeins eine Tuberkulose der Articulatio sacro-iliaca 
Vortäuschen. Hier kann die Röntgenuntersuchung entscheidend ein¬ 
tret en. 

Was den Ausgang der Tuberkulose des Iliosakralgelenkes be¬ 
trifft, so besteht dieselbe in den günstig verlaufenden Fällen in einer 
Ankylose des Gelenkes, und es zielen nach einem solchen Ergebnisse 
die Bestrebungen der orthopädischen Behandlung hin. Simon [44], 
Thomas [45] und Sayre [46] haben in dieser Richtung positive 
Erfahrungen gemacht. In Anbetracht der geringen physiologischen 
Beweglichkeit des Gelenkes ist ein solcher Ausgang ein glücklicher, 
wenigstens für das männliche Geschlecht, da ja bei Frauen eine 
Ankylose in diesem Gelenke zu einem geburtserschwerenden Momente 
heranwachsen kann. Einen lehrreichen diesbezüglichen Fall publi¬ 
zierte Aepli [47] im Korrespondenzblatt für Schweizer Aerzte. In 
den meisten Fällen aber ist der Ausgang der Aflfektion ein un¬ 
günstiger. Das Allgemeinbefinden wird teils infolge der anhaltenden 
Schmerzen und der mangelhaften Bewegung, teils wegen der lang¬ 
wierigen Eiterungen in Mitleidenschaft gezogen, die Kranken magern 
ab und sterben an Erschöpfung und Marasmus, wenn nicht mit dem 
Grundleiden zusammenhängende Komplikationen den Tod früher her¬ 
beiführen. 

Die Prognose der Aflfektion ergibt sich klar aus dem eben Ge¬ 
sagten. Obwohl eine Heilung in jedem Stadium des Leidens nicht 
ausgeschlossen bleibt, wie die Fälle von Boy er, Nelaton [48], 
Follin, Duplay [49], Barker [50], Crocq u. a. beweisen, so 
gestaltet sich die Vorhersage verschieden bei den trockenen und 
den mit Fungositäten und Abszessen einhergehenden Formen. Die 
trockenen Formen bieten im allgemeinen eine günstigere Prognose, 
sie heilen häufig rasch unter dem Einflüsse einer einfachen Behand¬ 
lung, wesentlich dem der Ruhe (94°/o), und sie sind es, die am 
häufigsten zur Ankylose des Gelenkes führen. Die mit Fungositäten 
und Eiterbildung einhergehenden Formen ergeben eine viel ernstere 
Prognose. Van Hook berechnet die Mortalität solcher nicht ope- 


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Denis G. Zesas. 


rierten Fälle auf 92 °/o und Webb kommt zu einer ähnlichen Be¬ 
rechnung, indem er von 11 in Guys Hospital beobachteten Fällen 
bloß einen einzigen in Heilung übergehen sah. Welchem Umstande 
diese Bösartigkeit der Tuberkulose des Hiosakralgelenkes zuzuschrei¬ 
ben ist, bleibt dahingestellt; es darf eben nicht übersehen werden, 
daß die Tuberkulose dieser Artikulation eine Erkrankung der Er¬ 
wachsenen darstellt und daß bei diesen die Gelenktuberkulose eine 
geringere Neigung zur Spontanheilung zeigt. Sich selbst überlassen 
führt die Affektion, wie bereits erwähnt, früher oder später zum Tode. 
Unter den Todesursachen wurden am häufigsten Meningitiden und 
Peritonitiden, weniger oft Pleuritiden (Zwicke), eitrige Perikarditiden 
(Nich et) und Lungentuberkulose verzeichnet. Bartels [51] be¬ 
schrieb 2 Fälle aus der psychiatrischen Klinik in Straßburg, in 
welchen die Tuberkulose der Articulatio sacro-iliaca auf die Dura 
mater übergegangen war und zu einer Pachymeningitis caseosa mit 
Kompression der Cauda equina geführt hatte. Einen seltenen Aus¬ 
gang der Affektion stellt die von Morrant-Barker beobachtete 
Verblutung infolge Arrosion der hypogastrischen Gefäße dar. Die 
trübe Prognose, die die Affektion im allgemeinen bietet, soll zu 
einer frühzeitig richtigen Diagnose und einer entsprechenden Be¬ 
handlung anregen, denn obwohl noch Erichsen der Ansicht war, 
daß „kein Mittel den Kranken zu retten vermöge“, so steht es fest, 
daß die moderne Therapie auch bei diesem Leiden schöne Ergebnisse 
errungen hat. 

Wie die Bekämpfung der Gelenktuberkulose im allgemeinen, 
zerfällt auch die Therapie der Tuberkulose dieses Gelenkes in eine 
konservative und operative Behandlung. Zu der konservativen The¬ 
rapie gehört in erster Linie die Ruhestellung des Gelenkes. Dies 
kann in leichten Fällen durch Bettruhe erzielt werden. Gleichzeitig 
wendet man eine Fixation des Gelenkes und eine zweckmäßige Lage¬ 
rung des Kranken in einem entsprechenden Gipsverband oder in 
einer Bonne t sehen Drahthose an. Bei fortgeschrittenen Fällen und 
bei solchen Patienten, die sich eine langdauernde Bettruhe nicht ge¬ 
statten dürfen, besitzen wir in der Immobilisation und Entlastung 
des Gelenkes ein vorzügliches Heilmittel. Unser Hauptaugenmerk 
soll dahin zielen, den Oberkörper zusammen mit dem Kreuzbein zu 
fixieren und dann die unteren Extremitäten zusammen mit dem 
Becken von diesem abzuheben. Dies wird am besten durch den 
Say re sehen Gipsverband erreicht, welcher im Hängen angelegt 


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Ueber die Tuberkulose des Iliosakralgelenkes. 


343 


wird, die Wirbelsäule und die Synchondrosen entlastet, indem er 
bewirkt, daß das Gewicht des Oberkörpers nun auf den Darmbein¬ 
schaufeln ruht. Die erzielten Resultate sind vorzügliche, dank auch 
dem Umstande, daß die Kranken dadurch nicht den nachteiligen 
Einwirkungen eines verlängerten Bettliegens ausgesetzt werden. In 
leichteren Fällen kann der Patient in einem Becken-Gehverband mit 


Gehbügel oder mit hoher Sohle unter dem 
gesunden Fuß umhergehen. Ridlon em¬ 
pfiehlt behufs Immobilisierung der Arti- 
culatio sacro-iliaca bei Bettruhe den in 
Fig. 1 u. 2 abgebildeten Apparat 1 ). Sayre 
befürwortet im Beginn der Affektion be¬ 
sonders energische Einpinselungen von Jod¬ 
tinktur und den Gebrauch sonstiger Haut¬ 
reize. Eine fernere empfehlenswerte Be¬ 
handlungsmethode besteht in den intra- 


Fig. 1. 



Fig. 2. 



artikularen Jodoformglyzerininjektionen. Wir bedienen uns der¬ 
selben seit mehreren Jahren und können gerade bei der Tuberkulose 
dieses Gelenkes ihre Anwendung nicht genügend empfehlen. Nur 
ist es erforderlich, die Einspritzung richtig in den Gelenkspalt zu 
machen und ferner darauf zu achten, daß die Injektionen der ganzen 
Gelenkspalte entlang ausgeführt werden. Faliochio [52] empfiehlt 
alle 4—6 Wochen die Trunececksche Lösung zu injizieren (Na- 

*) Die Abbildungen sind dem Ti 11 mannsehen Werke entnommen. 


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Denis G. Zesas. 


triumsulfat 15,46, Chlornatrium 16,4, Natriumphosphat 0,5, kohlen¬ 
saures Natrium 0,7, Kaliumsulfat 0,94, Aqua 80). 

Führt die konservative Behandlung zu keinem befriedigenden 
Ergebnisse, dann ist ein operatives Vorgehen ungesäumt indiziert. 
„Macht die Krankheit Fortschritte, sind Abszesse oder Fisteln vor¬ 
handen, dann empfiehlt sich am besten die Radikaloperation, d. h. 
die vollständige Entfernung des Krankheitsherdes. Kleinere Opera¬ 
tionen, wie Auskratzung, Ausmeißelung u. s. w., Jodoforminjektionen 
genügen nicht, letztere gelangen bei Fisteln und Abszessen gar nicht 
an den ursprünglichen Krankheitsherd. Solche ungenügend behandelte 
Kranke mit Fisteln und Abszessen gehen meist allmählich infolge 
dieser unzulänglichen Therapie zu Grunde. Nur bei extrapelvikalen 
Abszessen kann man durch Entleerung des Eiters und Abmeißelung 
der erkrankten Knochenpartie Heilung erzielen. Aber das sind seltene 
Ausnahmefälle, häufiger sind, wie wir sahen, Abszesse der Becken¬ 
höhle mit oder ohne Außenabszesse vorhanden und diese Fälle können 
nur durch radikale Entfernung des ganzen Krankheitsherdes, durch 
ausgedehnte Knochenresektionen besonders an der Darmbeinschaufel 
geheilt werden“ (Tillmanns). 

Nach van Hook hat Sayre zum ersten Male einen Fall von 
Tuberkulose des Iliosakralgelenkes operativ behandelt. Die Ope¬ 
ration ist auf das Jahr 1853 zurückzuführen. Es handelte sich um 
ein 2 ^jähriges Kind, das angeblich nach einem Fall einen Abszeß 
in der Lendengegend bekam. Nach vergeblicher konservativer Be¬ 
handlung machte Sayre einen 7 “10 cm langen Schnitt der Ilio- 
sakralartikulation entsprechend, entleerte den Eiter und kratzte die 
erkrankten knöchernen Bestandteile des Gelenkes aus. Die Wunde 
wurde mit Perubalsamtampons ausgefüllt und die Heilung erfolgte 
rasch. Zehn Jahre später (1863) führte Sayre eine zweite der¬ 
artige Operation aus. Auch dieses Mal handelte es sich um Tuber¬ 
kulose des Gelenkes mit Abszeßbildung. Nach Bloßlegung der Arti¬ 
kulation wurden zwei Knochenherde, der eine im Sakrum, der andere 
am Darmbein konstatiert und mittels Hammer und Meißel radikal 
entfernt. Es trat Heilung ein. Doch die operative Therapie fand 
wenig Anhänger, man begnügte sich vielmehr bei Vorhandensein von 
Abszessen das Beispiel Barkers nachzuahmen, d. h. den Abszeß 
zu spalten, ohne nach dem Knochenherd zu fanden und zu versuchen, 
ihn operativ zu entfernen. Selbst Pean ist in einem Falle nicht 
anders vorgegangen. 


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Ueber die Tuberkulose des lliosakralgelenkes. 


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Der Umstand, daß die betreffenden Patienten erst dann dem 
Chirurgen zu Gesichte kommen, wenn sie schon stark entkräftet sind, 
die Knochenherde sich beträchtlich erweitert haben und zahlreiche 
Fisteln vorliegen, ist wohl der Grund, daß dem radikalen Eingriffe 
meist ernste Bedenken entgegengebracht werden. So gebietet denn 
die Pflicht dem behandelnden Arzte, in solchen Fällen sich nicht 
allzulange auf einen event. günstigen Erfolg der konservativen Be¬ 
handlung zu vertrösten, denn da, wo diese letztere noch etwas zu 
leisten vermag, stellt die Besserung sich bald ein. 

Von einer typischen Gelenkresektion kann bei der uns hier 
beschäftigenden Affektion kaum die Rede sein. Man wird trachten, 
auf das sorgfältigste alles Erkrankte zu entfernen „bei penibelster Er¬ 
haltung des Gesunden“. 

Die Verfahren, die zur Resektion des lliosakralgelenkes in An¬ 
wendung gezogen worden, sind verschiedene. Die von Barden¬ 
heuer [53] empfohlene Methode wird in folgender Weise ausge¬ 
führt: Modifizierter Sprengelscher Schnitt; derselbe beginnt an der 
Grenze des vorderen und mittleren Drittels der Crista iliaca und ver¬ 
läuft, gleichzeitig das Labium externum der Crista iliaca abtrennend, 
nach hinten, bis zu den Processus spinosi, steigt von hier senkrecht 
nach unten bis zum Os coccygis und wendet sich nun gegen den 
Trochanter minor, ohne ihn zu erreichen. Ablösung des Periosts 
von der äußeren Fläche des Darmbeins bis zur Incisura ischiadica 
major, ebenso des Labium internum und des Periosts von der Innen¬ 
fläche. Entfernung eines Keiles aus dem oberen Rande des Os ilium, 
Durchführung einer Giglisehen Säge von dem Knochendefekt aus 
zum Foramen ischiadicum majus, Durchsägung des Darmbeins und 
Entfernung desselben dadurch, daß man einen breiten Meißel auf 
das Gelenk aufsetzt. Vom Darmbein resp. von der Darmbeinschaufel 
soll man möglichst reichlich resezieren, weil sich sonst die Gelenk¬ 
enden sehr bald zu fest wieder aneinander legen und Sekretverhal¬ 
tung veranlassen. Der Gelenkteil des Os sacrum wird mit der Gigli- 
schen Säge entfernt, tiefer greifende Herde werden vorsichtig mittels 
eines schmalen Meißels reseziert. Vernähung der cristalen und 
trochanteren Wunde. Tamponade des hinteren Teiles, Nachbehand¬ 
lung bei Bauchlage und mittels Gipshose. Die Operierten erhalten 
einen großen Gipsverband, der, bis zum Rippenbogen reichend, das 
ganze Bein der resezierten Seite und den Oberschenkel der gesunden 
Seite bis zum Knie umfaßt. Beide Beine stehen in der Hüfte in 


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Denis G. Zesas. 


leichter Abduktion. Die Nachbehandlung ist in schweren Fällen 
mühsam. Zuweilen ist die Lagerung des Kranken im permanenten 
Wasserbett zweckmäßig. 

Bardenheuer hat die Resektion des Iliosakralgelenkes wegen 
Tuberkulose in 20 Fällen ausgeführt mit 30 °/o Mortalität. Von den 

4 letzten Fällen ist keiner gestorben. In einer Beobachtung wurde 
der 23jährige Patient nach der Operation als Bäckergeselle wieder 
arbeitsfähig; das ganze Iliosakralgelenk war entfernt worden, oben 

5 cm und unten 3 cm breit. Der Patient ging mit frei beweglichem 
Hüftgelenk normal. Das Röntgenbild zeigte, daß sich der resezierte 
Teil der Darmbeinschaufel gänzlich wieder regeneriert hatte. In der 
neueren Zeit entfernt Bardenheuer stets die Darmbeinschaufel bei 
der Resektion der Articulatio sacro-iliaca; bei der früheren streifen¬ 
förmigen Resektion des Gelenks entstehen leicht Sekretverhaltungen, 
so daß Nachoperationen notwendig werden. 

In den letzten Jahren hatte Geheimrat Bardenheuer Ge¬ 
legenheit, in einer Reihe von Fällen die Resektion auszuführen. Die 
diesbezüglichen Krankengeschichten, deren Mitteilung wir der Zu¬ 
vorkommenheit Herrn Geheimrat Bardenheuers verdanken, sind 
folgende: 

Fall 1. 20jähriger Fabrikarbeiter. Vor 4 Monaten beim 
schweren Heben plötzlicher Schmerz in der linken Lumbalgegend. 
Seit 6 Wochen Geschwulst, die bei Inzision Eiter entleert. Oeff- 
nung schloß sich nicht wieder. Patient hereditär belastet, schlecht 
aussehend. Links: oberhalb der Crista ilei von der Axillarlinie zur 
Wirbelsäule verlaufender Abszeß. Zwei Fistelöffnungen. Synchon- 
drosis nicht vorgewölbt, nicht druckempfindlich. Wirbelsäule funk¬ 
tionell gut. 12. April 1899: Freilegung der Synchondrosis sacro- 
iliaca nach Spaltung des Abszesses. Wegen Schwäche Abbrechen 
der Operation. In der Folge anhaltende Sekretion. Temperatur 
Abends 40°. 11. Mai: Resektion eines großen Stückes des linken 

Kreuzbeinflügels und des linken Os ilei. Wegen Schwäche Sistieren 
der Operation. Tamponade. Extension. Längszug an beiden Beinen. 
Außen Querzug am linken Oberschenkel. Querzug am Rumpf nach 
rechts. 2. Juni: Starke Sekretion. Besseres Allgemeinbefinden. 
Temperaturen Abends: 37—38°. 3. Juni: Nachresektion bis weit 

ins Gesunde. Teilweiser Verschluß und Tamponade. Gipshose beider 
Oberschenkel in starker Abduktionsstellung. 15. Mai: Ständig hohe 
Abendtemperaturen bei starker Sekretion. Häufiger Verbandwechsel. 


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Ueber die Tuberkulose des Iliosakralgelenkes. 


347 


Nähte gelockert. Wundhöhle ganz offen. Extension am linken Bein. 
Von jetzt ab allmähliches Absinken der Temperatur und Nachlassen 
der Sekretion und allgemeine Erholung. 12. Juli: Sistieren der 
Sekretion, Verkleinerung der Höhle. Temperatur normal. Befinden 
gut. 1. August: Der Knochendefekt hat sich völlig durch Knorpel 
ersetzt. Um die sekundäre Naht der Haut machen zu können, Re¬ 
sektion eines Knochenstückes. Schluß der Wunde bis auf ein tief 
eingeführtes Drainrohr. Gipsverband in Abduktion. Allmählicher 
Schluß der Wundhöhle, unter Anfangs hoher Temperatur (39°). 
Starke Sekretion; langsame Entfernung der Drainage. Nähte halten. 
3. November geheilt entlassen. Hüftgelenk gut beweglich, Patient 
kann mit Stock längere Zeit, ohne Unterstützung einige Schritte 
gehen. Nachheriger Verlauf gut. 

Fall II. Mann, 21 Jahre alt. Tuberkulose des linken Sakro- 
iliakalgelenkes. Resektion im Januar 1899. 9. Februar 1900: Mit 
zwei kleinen, wenig sezernierenden Fisteln und gutem Allgemein¬ 
befinden ohne Beschwerden entlassen. Am 10. Dezember 1902 
Wiederaufnahme wegen Fortbestehens einer Fistel. Nachresektion 
am 23. Dezember. Fistel geht auf den neugebildeten Darmbein¬ 
kamm. Abmeißelung eines 12,5 cm breiten großen Stückes. Aus¬ 
stopfen mit Jodoformgaze. Reaktionsloser Verlauf. Sekundärnaht. — 
Heilung. — Endresultat gut. 

Fall III. 32jähriger Mann. Tuberkulose des linken Ileo- 
sakralgelenkes. — Resektion am 11. August 1898. — Geheilt 
entlassen am 28. Oktober 1898. 

Fall IV. Frau. — Resektion am 19. März 1900. Geheilt 
entlassen am 23. Juli 1900. 

Fall V. 42jährige Frau. Resect. articul. sacro-iliac. dextr. 
am 29. Mai 1903. Heilung. 

Fall VI. 26jährige Frau. Tuberkulose des rechten Sakro- 
iliakalgelenkes. Resektion am 22. Mai 1905. Tod am 25. Mai 1905. 

Fall VII. Mann. Caries des rechten Sakroiliakalgelenkes. 
Resektion März 1904. Dauernde Heilung. 

Fall VIII. 25jähriger Mann. Am 13. Juni 1900: Resektion 
der 9. und 10. Rippe wegen Caries; später auch der 6., 7. und 8. 
nebst Pleura. Vor einem Jahr wegen Abszeß Punktion in der Gegend 
des linken Ueosakralgelenkes. Seit 3 Monaten Anschwellung am 
Oberschenkel. Zbc-Abszeß unter den Adduktoren links, der sich 
ins Becken fortsetzt. Ueber dem linken Darmbeinkamm kann man 


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348 


Denis G. Zesas. 


nicht so tief eindrücken als rechts. Bewegung in dem Hüftgelenke 
nur wenig eingeschränkt. Knochen nirgends druckempfindlich, eben¬ 
falls Synchondrosen. Lungenspitzen adhärent, sonst kein Katarrh. 
Röntgenbild negativ. Retroperitoneale Freilegung des Beckens. Abszeß 
kommt nicht von oben, von den Rippen her. Wegen Herzschwäche 
Unterbrechung der Operation. Patient erholt sich. Resektion der 
Articul. sacro-iliaca links. Ueber dieser eine Fistel, aus der sich 
beim Druck Eiter entleert. Cristalschnitt unter Benützung des vor¬ 
hergegangenen Schnittes neben dem Os sacrum abwärts. Ablösung 
des Periosts samt des Hautmuskellappens vom Os ileum; schwierige 
Durchführung der G i gl i sehen Säge durchs Foramen ischiad. majus. 
Durchsägung von der Spin. il. aus. Der sakrale Teil des Os ileum 
in der Synchondrose luxiert und entfernt. Os sacrum malacisch. 
Herd scheint noch zentral im Os sacrum zu liegen. Offene Tam¬ 
ponade. 

10. August: Lappen angelegt, keine Temperatursteigeruug, am 
unteren Wundwinkel noch Fistel. Wunde an der Synchondrose ver¬ 
schmälert sich schnell. Keine Bewegungsstörungen in den Extremi¬ 
täten. Allgemeinbefinden bedeutend gehoben. Ueber der rechten 
Scapula eine hühnereigroße Schwellung nachweisbar. Auf Wunsch 
entlassen. Geringe Sekretion. Kräfte haben sich sehr gehoben. 

Schede [55] ist in anderer Weise vorgegangen. Er führt zu¬ 
nächst entlang der Crista ossis ilii, ungefähr von der Mitte be¬ 
ginnend, einen Schnitt, der bogenförmig schräg nach unten bis zur 
Spina post. sup. und eventuell bis zur inferior verläuft. Sodann löst er 
die außen an der Crista und der Darmbeinschaufel anhaftenden 
Weichteile (Glutäusursprünge) und klappt sie zurück. Nun liegt das 
hintere obere Ende des Darmbeins frei zu Tage und dieses wird, 
um zur Synchondrose zu gelangen, mit dem Meißel entfernt. Auf 
diese Weise gewinnt man eine ausgezeichnete Uebexsicht über die 
erkrankte Gelenkfläche und kann weiterhin, was noch als erkrankt 
erkannt wird, fortnehmen, sodann aber auch ohne große Schwierig¬ 
keiten die im Becken event. befindlichen Abszesse erkennen und 
entleeren. Obgleich bei der Operation eine große Anzahl Bänder 
durchtrennt und ein großer Teil des Knochens verloren worden ist, 
wird dennoch die Verbindung wieder so fest, daß die Gehfähigkeit 
keine Einbuße erleidet. Schede resezierte im wesentlichen mit dem 
Meißel, welchen Bardenheuer verwirft, weil er einmal nach Meißel¬ 
resektion Tod durch Fettembolie sah. Die Resektion des Iliosakral* 


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Ueber die Tuberkulose des lliosakralgelenkes. 


349 


gelenkes wegen Caries wurde von Schede in 26 Fällen mit 10 Hei¬ 
lungen ausgeführt. Drei konnten erheblich gebessert werden, einer 
schied aus dem Krankenhaus ungebessert und bei zweien blieb das 
Endresultat unbekannt. Dazu kommen noch zwei in seiner Vertre¬ 
tung von Rieder operierte Fälle, wovon der eine heilte, der andere 
starb. Die Mortalität beträgt 42,86 °/o. 

D eibet legt die Articulatio sacro-iliaca bald durch einen senk¬ 
rechten, bald durch einen mehr queren Schnitt frei, je nach dem 
größten Durchmesser des vorhandenen Abszesses. Der Außenabszeß 
wird gründlich entleert, dann folgt man der meist vorhandenen Fistel 
in die Tiefe und entfernt nun zuerst mit dem scharfen Löffel, dann 
mit Hammer und Meißel den kranken Knochen an der hinteren 
Fläche des Gelenks. Nun dringt man auf die Vorderfläche des Ge¬ 
lenks vor, indem man letzteres mit dem Meißel durchschlägt und 
entfernt die in der Beckenhöhle vorhandenen Krankheitsherde im 
Knochen und in den Weichteilen. 

In fortgeschrittenen Fällen empfiehlt Rieder und mit ihm 
Tillmanns einen die ganze Beckenschaufel auf der Höhe der Crista 
iliaca umkreisenden Schnitt, welcher am Ligamentum Pouparti be¬ 
ginnt und event. hinten an der Steißbeinspitze endigt. Von diesem 
Schnitt aus werden die Weichteile in genügender Ausdehnung vom 
Knochen abgelöst. Man halte sich stets möglichst am Knochen und 
vermeide an der Innenseite des Beckens die Verletzung des Bauch¬ 
fells. An der Crista iliaca erhalte man besonders am hinteren Um¬ 
fange die Ansatzstelle der Bauch- und Rückenmuskeln. Auch die 
Crista iliaca selbst soll möglichst erhalten bleiben. Nach subperi¬ 
ostaler Ablösung und Abschiebung der Weichteile wird der Knochen, 
besonders im Bereich der Darmbeinschaufel, breit mittels des Meißels 
entfernt, um die Innenabszesse und alle sonstigen Beckenräume frei 
zu legen, wohin Senkungen möglich sind. Die Abmeißelung der 
kariösen Gelenkfläche des Kreuzbeins geschieht ganz nach Bedarf, 
zuweilen genügt die Auslöffelung derselben. Bei geschwächten 
Kranken macht man die so eingreifende Operation event. zweizeitig, 
wie es besonders Rieder mit gutem Erfolge getan hat. 

Die Gesamterfahrungen der operativen Therapie erweisen sich 
als nicht ungünstig, wenn man berücksichtigt, daß in den diesbezüg¬ 
lichen Beobachtungen es sich um ausgedehnte Erkrankungen handelte, 
die eingreifenderes Vorgehen erforderten. Naz, der in seiner These 
ein kasuistisches Material von 38 operativ behandelten Fällen zu- 


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350 


Denis G. Zesas. 


sammenstellte, notiert eine Mortalität von 15,8 °/o. Von diesen 
38 Fällen wurden 16 vollkommen und 3 wahrscheinlich geheilt. 
Sechs der Operierten starben. Naz empfiehlt die Frühoperation und 
glaubt, daß mehrere vonSayre angeblich konservativ geheilte Fälle 
keine Tuberkulosen waren. Seiner Ansicht nach würden die opera¬ 
tiven Resultate noch bessere sein, wenn man sich nach dem Vor¬ 
schlag Delbets schon bei der bloßen Schwellung der Gelenkgegend 
zum Eingriffe entschlösse. 

Wir haben aus der Literatur 94 operativ behandelte Fälle zu¬ 
sammenstellen können. Von diesen wurden 36 geheilt und 18 ge¬ 
bessert, 29 endeten letal und bei den übrigen blieb das Endresultat 
unbekannt. Die funktionellen Ergebnisse der Operation gestalten 
sich nicht ungünstig. Die Resektionsflächen nähern sich im Laufe 
der Zeit einander und werden durch neugebildetes Narbengewebe so 
verbunden, daß der Beckenring an Festigkeit kaum etwas einbüßt. 
Ein frühzeitiges Einschreiten erscheint daher in allen Fällen, wo die 
konservative Behandlung nicht rasche Besserung einbringt, als indi¬ 
ziert und vollauf berechtigt. Eine Ausnahme hierzu dürften nur sehr 
heruntergekommene Kranke und solche mit Lungen- und Darmleiden 
behaftete Patienten abgeben. 


Literatur. 

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cales. Paris 1814, Bd. 3. — Derselbe, De l’ecartement des os du bassin. 
Trait6 des maladies chirurgicales. Paris 1714, Bd. 4. — 2. Larrey, De la 
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Berard, Carie des os du bassin. Paris 1833, Bd. 5. — 5. Hahn, Ueber die 
Sakrocoxalgie. Allgemeine medizinische Zeitung. Stuttgart 1833. — 6. Cham- 
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traiter? These de Paris 1833. — 8. Nich et, Gazette medicale 1840, Nr. 28. — 

9. Giraud de Nolhac, Quelles sont les signes de la sacrocoxalgie? Comment 
la distinguer de la coxalgie et comment la traiter? These de Paris 1840. — 

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Ueber die Tuberkulose des Iliosakralgelenkes. 


351 


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partielle. Presse medical 1894, Nr. 32. — 32. Derselbe, De la sacrocoxalgie 
partielle. Bull, de la soc. anatom. 1892. — 33. Delineau, Queis sont les 
signes de la sacrocoxalgie etc. These de Paris 1842. — 34. Van Hook, Tuber¬ 
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und chirurgischen Krankheiten des Beckens. Deutsche Chirurgie Lief. 62 a (mit 
ausführlichen Literaturangaben). — 37. v. d. Heyden, Ueber Resektion der 
Synchondrosis sacro-iliaca. Dissertation. Bonn 1898. — 38. Seeger, Die Er¬ 
krankungen der Articulatio sacro-iliaca. Dissertation. Berlin 1891. — 39. De* 
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der Heidelberger Chirurg. Klinik 1897 u. 1898. — 45. Thomas, Ankylose eines 
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une collection liquide de Paine de provenance obscure avec fistule rectale sus- 
sphincterienne. Progr&s medical 1876. — 50. Bark er, Tuberkulose des Ilio- 
sakralgelenks. Holmes, Chirurgie 1883. — 51. Bartels, Ueber Erkrankungen 
der Cauda equina. Mitteilgn. aus d. Grenzgebieten Bd. 11. — 52. Faliochio, 
Plusieurs cas d’osteoarthrite etc. Pratica med. 1901. — 53. Bardenheuer, 
Exarticulatio femoris im Sakroiliakalgelenk. Verhandlungen der deutschen Ge¬ 
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chondrosis sacro-iliaca wegen Tuberkulose. Zentralbl. f. Chir. 1899. — 55. Schede, 
Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XV. Bd. 23 


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352 Denis G. Zesas. Ueber die Tuberkulose des Iliosakralgelenkes. 


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80- Braunstein, Ueber Beckengeschwülste. Dissertation. Bonn 1888. 


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XXII. 

(Aus dem Pathologischen Institut in Berlin.) 

lieber kongenitale Skoliose. 

Von 

Dr. A. Perron© aus Neapel. 

Mit 9 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Die kongenitale Skoliose ist ohne Zweifel eine sehr seltene 
Mißbildung, besonders wenn man sie mit anderen derselben Natur 
vergleicht. Obwohl ihr Vorhandensein — oft von anderen wieder 
bestritten und geleugnet — bereits im Jahre 1700 von Mery 1 ) be¬ 
hauptet wurde, so kann man gleichwohl sagen, daß sie erst seit 
wenigen Jahren zum Besitztum der Pathologie gehört. 

Im Jahre 1895 fand Coville 2 ) unter 1015 Kindern im Alter 
von 1 Tag bis 3 Monaten nur einen Fall von kongenitaler Skoliose. 
Wenn wir auch wirklich diese AfFektion für sehr selten halten, so 
sind wir doch der Meinung, daß die von Coville gegebene Ziffer 
etwas zu niedrig gegriffen ist, wenn wir in Betracht ziehen, was 
Lüning und Schultheß 3 ) besonders betonen, daß nämlich die kon¬ 
genitale Skoliose nicht immer wie andere Mißbildungen derselben 
Natur in den ersten Tagen des extrauterinen Lebens sich offenbart, 
sondern oft erst später auftritt, wenn nämlich die Kinder zu 
sitzen und zu laufen anfangen. Das gilt besonders für die leichteren 
Fälle, welche hinsichtlich der Wirkung der Behandlung uns am 
meisten interessieren müssen. Die kongenitale Skoliose ist auch 
heute noch relativ wenig gekannt und studiert. So findet man selbst 
in den neueren und vollkommenen Werken von Lorenz 4 ), Kirmis- 

! ) Mery, Histoire de l'Academie des Sciences. Paris, Annee 1700. 

*) M. C oville, De la scoliose congenitale. Revue d’Orthopedie Bd. 7. 
Paris 1896. 

8 ) Lüning und Schultheß, Atlas der orthopädischen Chirurgie. 
München 1901. 

4 ) Lorenz, Pathologie und Therapie der seitlichen Rückgratverkrüm¬ 
mungen 1886. 


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354 


A. Perrone. 


son x ), Bergmann-Bruns-Mikulicz 2 ) und König 3 ) dieser Affek¬ 
tion nur wenige und nicht ausreichende Zeilen gewidmet; und man 
muß schon die neuesten und speziellen Arbeiten auf diesem Gebiet 
zur Hand nehmen, um eine wirklich eingehende Darstellung anzu¬ 
treffen, so bei Redard 1 ), Lüning und Schultheß 5 ) und Hoffa 6 ), 
welcher in seinem Lehrbuch außerdem zwei ausgezeichnete Radio¬ 
graphien gibt. Die Geschichte der kongenitalen Skoliose ist strittig 
und verwickelt, da von den einzelnen Autoren eine große Anzahl 
von Theorien zur Erklärung ihres Vorkommens aufgestellt wor¬ 
den sind. 

Den ersten Fall veröffentlichte im Jahre 1700 Mery 7 ) bei einer 
Mißgeburt, bei der neben anderen Mißbildungen auch eine Skoliose 
vorhanden war. Roy 8 ) im Jahre 1774 hinwiederum leugnete ihr 
Vorkommen und van Gescher 9 ) (1794) läßt diese Frage unent¬ 
schieden. Wenige Jahre später im Anfang des 19. Jahrhunderts 
behaupteten Fleischmann 10 ) (1810) undMeckel ll ) (1816) zum ersten 
Male die Möglichkeit des Vorkommens einer kongenitalen Skoliose bei 
Individuen, die Mißbildungen anderer Art nicht boten. Diese An¬ 
sicht fand ihre Bestätigung durch Mührig 12 ), Förster 13 ), Hohl 14 ) 


l ) Kirmisson, Tratte des maladies Chirurg, d’origine congenitale. 
Paris 1898. 

*) v. Bergmann, v. Bruns, v. Mikulicz, Handbuch der praktischen 
Chirurgie. 2. Aufl. 1902, Bd. 2, 2 S. 814. 

*) König, Lehrbuch der speziellen Chirurgie. 8. Aufl. 1905, Bd. 3 S. 88 . 

4 ) Redard, Tratte pratique de Chirurgie orthopedique. Paris 1892. 

5 ) Lüning und Schultheß, 

6 ) Hoffa, Lehrbuch der orthopädischen Chirurgie. 5. Aufl. 1905, S. 455. 

7 ) Mery, 

8 ) Roy, Comm. de scoliose. L. B. 1774. In Waiz 1 neuen Ausz. aus Diss. 
für Wundärzte Bd. 15. 

9 ) David van Gesehen, Bemerkungen über die Entstellungen des Rück¬ 
grates. Aus dem Holländischen. Göttingen 1794. 

,0 ) Fleischmann, Dissert. de vitiis congenitis circa thoracem et ab- 
domen. Erlangen 1810. 

n ) Joh. Friedr. Meckel, Handbuch der pathologischen Anatomie Bd. 2. 
Leipzig 1816. 

12 ) G. C. Mühry, De spinae dorsi distorsionibus et pede equino. Diss. 
Göttingen 1829. 

,3 ) A. Förster, Handbuch der spez. patholog. Anatomie. Leipzig 1854. 
u ) A. F. Hohl, Die Geburten mißgestalteter, kranker und toter Kinder. 
Halle 1850. 


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Ueber kongenitale Skoliose. 


355 


und Rokitansky 1 ). Walter 2 ) war der letzte, der die Existenz 
einer kongenitalen Skoliose bestritt und nur mehr eine kongenitale 
Disposition für sie anerkennen wollte. 

In den letzten 25 Jahren ist nun die Kasuistik dieser Affektion 
um eine beträchtliche Anzahl von Fällen bereichert worden, die zur 
Aufklärung der Aetiologie beigetragen haben. Unter ihnen befinden 
sich in Wirklichkeit viele, die unzulänglich und ohne wissenschaft¬ 
liche Bedeutung sind. Wenn wir eine besondere Klassifikation vor¬ 
nehmen wollten, in der Weise, daß wir die Fälle, welche eine ana¬ 
tomische Beschreibung oder Röntgenphotographien enthalten, aus 
denen die Art der Mißbildung klar und deutlich hervorgeht, von 
denen — und das sind die zahlreicheren, scheiden, welche nur eine 
einfache klinische Beschreibung bringen und die Behauptung, die 
Skoliose sei kongenital, nur durch die Erzählung der Eltern zu 
stützen vermögen, so müßte sicherlich ihre Zahl erheblich ein¬ 
geschränkt werden. 

In der Literatur besitzen wir vier Arbeiten auf diesem Gebiete, 
in denen dieser Gegenstand ausführlich behandelt wird. Die erste, 
chronologisch geordnete, stammt von Hirschberger a ), die zweite 
von Fleury 1 ), eine dritte rührt von Athanassow 5 ) her und der 
Verfasser der vierten und neuesten ist Nau 6 ). Alle diese Autoren 
geben in ihren Arbeiten eine Zusammenstellung der in der Literatur 
zerstreut vorhandenen Fälle und führen ihrerseits neue hinzu. Hin¬ 
sichtlich der Aetiologie der kongenitalen Skoliose gehen die Ansichten 
der einzelnen Autoren auseinander. Die Momente, die als ursäch¬ 
lich und als allgemein angenommen in Betracht kommen, sind: 
Ungleiche Entwicklung der beiden Hälften eines Wirbels (Fleisch¬ 
mann, Förster 7 ); zentrale nervöse Störungen (Rokitansky, 
Guerin 8 ), Redard); Hemmungsbildungen an einzelnen Wirbeln 

! ) C. Rokitansky, Handbuch der spez. pathologischen Anatomie. Wien 
1844, Bd. 2. 

*) Ph. Fr. v. Walter, System d. Chirurgie. Freiburg i. B. 1851, Bd. 5. 

3 ) Hirschberger, Beitrag zur Lehre der angeborenen Skoliosen. Zeit¬ 
schrift f. orthopäd. Chir. Bd. 7 Heft 1 S. 129. 

4 ) Fleury, Scoliose congenitale. Diss. Paris 1901. 

5 ) P. Athanassow, Ueber kongenitale Skoliose. Arch. f. Orthopädie, 
Mechanother. u. Unfallchir. 1903, Bd. 1 Heft 3 S. 353. 

6 ) P. Nau, Les scolioses congenitales. Diss. Paris 1904. 

*) A. Förster, Die Mißbildungen des Menschen. Jena 1861. 

8 ) J. Guerin, Recherches sur les difformites congenitales. Paris 1880. 


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356 


A. Perrone. 


während der fötalen Entwicklung (Meyer) 1 ); fötale Rhachitis 
(Fischer 2 ) und Vogt) 3 ). Kürze der Nabelschnur, wodurch im 
Uterus abnorme Druckverhältnisse entstehen. 

Wir sind mit dem größten Teil der neueren Autoren (Barde¬ 
leben 4 ), Barwell 5 ), Adams 6 ), Coville, Hoffa-Hirschberger, 
Athanassow, Maaß 7 ) der Ansicht, daß alle diese eben angeführ¬ 
ten Ursachen sich zu zwei Hauptgruppen vereinigen lassen. Danach 
wäre die kongenitale Skoliose einerseits als Folgezustand abnormer 
Ausbildung, sei es Vermehrung, Mangel, oder Verschmelzung ein¬ 
zelner Wirbel, anderseits als eine intrauterine Belastungsdeformität 
zu betrachten. Schließlich halten wir es für angebracht, wie Hoffa 
es tut, zu diesen beiden Hauptgruppen noch eine dritte, der wir 
lieber den Namen „Unterart“ geben möchten, hinzuzufügen. In 
diese Kategorie gehören alle die Fälle, in denen kongenitale Skoliose 
mit anderweitigen mehr oder weniger großen Defekten und Hem¬ 
mungsbildungen am Skelett und den Weichteilen verbunden ist. 
Dazu rechnen wir auch jene als Mißgeburten beschriebenen Fälle. 

Diese Art der Unterscheidung gründet sich zwar nicht auf 
wissenschaftliche Tatsachen, hat aber dennoch ihre besondere Be¬ 
deutung vom Standpunkt der Praxis, d. h. der Behandlung und noch 
mehr der Prognose. 

Gegenstand vorliegender Arbeit ist die Beschreibung dreier neuer 
und sehr interessanter Fälle von Skoliose aus dem pathologischen 
Institut der Berliner Universität, deren kongenitaler Ursprung über 
jeden Zweifel erhaben ist und bei denen wir glauben, Besonderheiten 
zu finden, die in den bisherigen Veröffentlichungen noch nicht 
beschrieben worden sind. Daraus dürften sich dann nach unserer 
Meinung wichtige praktische Schlüsse hinsichtlich der Therapie 
ziehen lassen. 


*) M ey er-Zürich, inHenle-Pfufers Zeitschr. f. rationelle Medizin 1855. 
Neue Folge. Bd. 6. 

2 ) H. Fischer, Spezielle Chirurgie. Berlin 1892. 

3 ) Vogt, Moderne Orthopädik. Berlin 1896. 

4 ) A. Bardeleben, Lehrbuch der Chirurgie. Berlin 1882, Bd. 4. 

5 ) R. Bar well, The causes and treatment of lateral curvature of the 
spine. London 1889. 

6 ) W. Adams, Lectures of curvature of the spine. London 1882. 

7 ) Maaß, Kin Fall von angeborener Skoliose. Zeitschr. f. orthopäd. Chir. 
1903, Bd. 7. 


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Ueber kongenitale Skoliose. 


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I. Präparat Nr. 1862 umfaßt Becken, Kreuzbein und die drei 
letzten Lumbalwirbel. 

Der Befund, der sich gleich aus der ersten flüchtigen Betrach¬ 
tung ergibt, ist folgender (siehe Fig. 1, 2, 3): Kleines asymmetri- 

Fig. 1. 


Fig. 2. 


sches Becken stark nach vorn und unten geneigt, besteht aus sehr 
dünnen Knochen, die an einigen Stellen vollkommen durchscheinend 
sind. Der Beckeneingang hat die Form eines Dreiecks, dessen Spitze 
von der Symphys. pub. und dessen Basis vom Sacrum gebildet wird. 
Sein antero-post. Durchmesser scheint beträchtlich verkürzt, während 
sein querer Durchmesser etwas vergrößert aussieht. 


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A. Perrone. 


Das Kreuzbein ist so stark um seine transversale Achse ge¬ 
dreht, daß es sich von vorn fast ganz dem Blicke des Beobachters 
entzieht. Dabei ist sein oberer Abschnitt stark nach vorn, der 
untere Teil erheblich nach hinten verschoben. 

Kurz, es handelt sich um ein typisch rhachitisches Becken. 

Die drei untersten vorhandenen Lendenwirbel zeigen die Er¬ 
scheinung einer sehr stark ausgesprochenen Lordose und linkskon¬ 
vexen Skoliose, welch letztere deutlich durch die synostotische Ver¬ 
bindung des Processus transv. des V. Lumbalwirbels mit dem ent¬ 
sprechenden lateralen Abschnitt des Sacrum hervorgerufen wird. 

Wenn man das Präparat von 
hinten betrachtet, bemerkt man, daß 
der Processus spinosus des V. Lenden¬ 
wirbels „bifidus“ ist und unmittelbar 
unterhalb desselben sich ein Substanz¬ 
verlust entsprechend dem obersten 
Teil des Kreuzbeins findet (Spina 
bifida sacral.). 

Betrachten wir jetzt jeden ein¬ 
zelnen Teil des Präparats etwas ein¬ 
gehender und genauer, so sehen wir: 
das Becken ist in seiner Größe und 
der Dicke seiner Knochen beträchtlich 
reduziert und stark abwärts geneigt. 
Außerdem hat es in der Richtung von 
rechts nach links eine solche Drehung ausgeführt, daß seine Spina 
iliaca ant. sup. sin. ungefähr 3 cm hinter der der anderen Seite 
zurückbleibt. 

Die beiden Darmbeinschaufeln sind unregelmäßig gestaltet, 
entfernen sich in ihrer Form von der Norm und sind außerdem 
asymmetrisch gebaut. Das rechte Darmbein ist in seinem antero-post. 
Durchmesser beträchtlich stärker entwickelt als das linke. Während 
nämlich die Entfernung der Mitte der Articulatio sacro-iliaca und 
der Mitte der Inzisur zwischen Spina il. ant. sup. und inferior rechts 
8 cm mißt, beträgt sie links kaum 7 cm. Die Innenfläche der 
rechten Fossa iliaca ist flacher als normal. Im Gegensatz hierzu 
hat die linke eine mehr konkave Gestalt. Die Verkleinerung des 
antero-post. Durchmessers des linken Darmbeines hängt also von 
seiner stärkeren Wölbung in dieser Richtung ab. Zugleich ist die 



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Ueber kongenitale Skoliose. 


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linke Darmbeinschaufel nicht überall gleichmäßig dick, sondern zeigt 
etwa im Zentrum eine erhebliche Verdünnung des Knochens, der 
hier ganz durchscheinend ist. Auf der rechten Seite nimmt die 
Crista iliaca einen annähernd normalen Verlauf, d. h. flach S-förmig, 
links dagegen sind die beiden Bogen, welche das S bilden, erheblich 
stärker ausgebaucht. Außerdem hat der ganze Darmbeinkamm eine 
etwas größere Wölbung in vertikaler Richtung. Daß die beiden 
Synchondr. sacro-iliac. in gleicher Höhe liegen, darauf möchten wir 
besonders hin weisen. 

Die normal gestalteten Acetabula lassen deutlich, besonders links, 
ihre Zusammensetzung aus drei Knochenstücken unterscheiden. Die 
Ossa iliaca zeigen von hinten betrachtet nichts Abnormes, abgesehen 
von kleinen Asymmetrien und Abweichungen von der normalen Form, 
auf die einzugehen sich wegen ihrer Geringfügigkeit nicht lohnt. 

Die beiden horizontalen Schambeinäste sind derart gerichtet, 
daß sie anstatt der normalen Rundung einen nach der Beckenhöhlung 
offenen Winkel bilden. Beiderseits ist ein Tubercul. pub. nicht vor¬ 
handen. Dagegen sieht man rechts wie links auf der oberen Fläche 
des horizontalen Schambeinastes seiner ganzen Länge nach eine 
scharfe Crista verlaufen, welche deutlicher auf der linken Seite aus¬ 
gebildet ist, wo sie an manchen Stellen eine Höhe von 2—3 mm 
erreicht und etwa entsprechend der Mitte des oberen Randes des 
Acetabulum mit einer Spitze endet. Während ihres Verlaufes (5 cm) 
wechseln Vertiefungen und Erhebungen geringen Grades miteinander 
ab, ohne daß sie aber jemals ihren scharfrandigen Charakter verlöre. 

Das Kreuzbein ist um seine transversale Achse so gedreht, daß 
sein oberer Teil, der mit dem V. Lumbalwirbel artikuliert, eine so 
starke Verschiebung nach vorn erfahren hat, daß diese Gelenkfläche 
nicht mehr nach oben, sondern direkt nach vorn gerichtet ist. 
Dagegen ist der untere Abschnitt, an den sich das Steißbein an¬ 
schließt, so erheblich nach hinten verlagert, daß bei der Betrachtung 
des Beckens von vorn, während die Tubera oss. isch. auf der Hori¬ 
zontalebene ruhen, man vom Sacrum nur den lateral, der Art. sacro- 
iliac. entsprechenden Teil und die beiden I. Sakralwirbel sieht. 

Das hängt einzig und allein nur von der Drehung des ganzen 
Kreuzbeins um seine transversale Achse ab, und ist nicht etwa durch 
eine stärkere Wölbung seiner Vorderfläche bedingt; denn diese hat 
ihre normale Wölbung in sagittaler Richtung verloren und ist fast 
gerade geworden. 


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A. Perrone. 


Wenn wir schließlich zwei Lote auf die Horizontalebene fällen, 
einmal von dem vordersten Punkte der Basis des Kreuzbeins und 
zweitens vom hintersten Punkt des Apex, so mißt die Verbindungs¬ 
linie 7 cm. Um auf der Photographie die Vorderfläche des Kreuz¬ 
beins sichtbar zu machen, hat man das Präparat um seine transversale 
Achse drehen müssen, indem man den Vorderrand der Unterlage 
um etwa 7 cm hob. Bei der Betrachtung des Kreuzbeins für sich 
allein, unabhängig von den anderen Beckenknochen, sehen wir, daß 
es die normale Form einer Pyramide besitzt und daß es sich aus fünf 
einzelnen Wirbeln zusammensetzt. Die Intervertebralscheiben sind 
zwar vollkommen verknöchert, aber doch zu unterscheiden, besonders 
die beiden obersten. Ferner hat das Sacrum noch eine weitere 
Drehung, bei der es der Rotation der Ossa iliac. gefolgt ist, von 
rechts nach links ausgeführt. Infolgedessen bleibt sein linker oberer 
Seitenrand 6—7 mm hinter dem rechten zurück. Rechts sind drei 
Foram. sacral. vorhanden, links dagegen vier; doch gehört das Oberste 
offensichtlich nicht dem Kreuzbein an, sondern wird gebildet durch 
die abnorme synostotische Verbindung zwischen dem Proc. transv. 
des V. Lumbalwirbels und dem Sacrum. Die obere Gelenkfläche 
zur Artikulation mit dem Körper des V. Lendenwirbels nimmt einen 
schrägen Verlauf, weshalb der linke Rand etwa 8 mm tiefer als 
der rechte steht. 

Auf der Rückseite sieht man sofort, daß unmittelbar unterhalb 
des Proc. spin. vertebr. lumb. V. bifidus ein trichterförmiger Substanz¬ 
verlust sich vorfindet, etwa 2 1 /2 cm hoch und in der Mitte 1,8 cm 
breit, welcher mit dem Wirbelkanal in Kommunikation steht. (Spina 
bifida sacral. occulta.) Zu beiden Seiten liegt das erste Foram. 
sacral. post. 

Der oberste Abschnitt des Kreuzbeins schiebt sich gleichsam 
keilförmig ins Becken vor. 

Die Hinterfläche ist nach oben und hinten gerichtet. Ein 
Steißbein ist nicht vorhanden. 

Beckenmaße. 

Beckeneingang: 


Conjugata anatomica . . . 

8,5 

linker schräger Durchmesser 

11 

rechter „ „ 

11 

querer Durchmesser . . . 

13,5 


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Ueber kongenitale Skoliose. 


361 


Beckenmitte: 

Gerader Durchmesser ... 11 

Spinallinie.10,7 

Beckenausgang: 

Gerader Durchmesser . . 10,5 

Querdurchmesser .... 11 

Wirbel. Die drei letzten Lumbalwirbel bilden eine auffallende 
Lordose und linkskonvexe Skoliose. Der vorderste am meisten 
vorspringende Punkt der Lordose entspricht dem unteren Rande 
des IV. Lendenwirbels, der Scheitel der Skoliose wird dargestellt 
von dem linken oberen Rande des III. Lumbalwirbels. 

V. Lendenwirbel. Die untere Fläche des Körpers dieses 
Wirbels ist in derselben Weise, wie die des Kreuzbeins, mit welcher 
sie artikuliert, schräg lateral von rechts nach links gerichtet. Die 
Zwischenwirbelscheibe zwischen den beiden Flächen trägt ihrerseits 
dazu bei, diese Abschrägung noch zu vermehren, indem sie rechts 
einige Millimeter dicker als links ist. 

Dieser Wirbel hat sich um seine vertikale Achse von links 
nach rechts entgegengesetzt zur Rotationsrichtung des ganzen Beckens 
und der zwei über ihm liegenden Wirbel gedreht. Infolgedessen 
liegt der Mittelpunkt seines Körpers nicht mehr direkt nach vorn 
gekehrt, sondern mehr der rechten Seite zugewendet; auch befindet 
sich der linke Querfortsatz weiter vorn als der rechte. 

Ebenso ist die obere Fläche dieses Wirbels abgeschrägt; ihr 
rechter Rand steht höher als der linke, und zwar besteht eine Diffe¬ 
renz von 2 cm. Da nun zwischen der linken und rechten Seiten¬ 
fläche in der Höhe nur ein Unterschied von 7—8 mm vorhanden 
ist zu Gunsten der letzteren, so ist es klar, daß ein Niveauunterschied 
von mehr als 2 cm, in diesem Punkte, zum Teil auf die ungleiche 
Ausbildung der Höhe der beiden Wirbelhälften zurückzuführen ist, 
zum Teil aber auf die Abschrägung der Gelenkfläche des Sacrum 
zu beziehen und endlich als Folge eines Dickenunterschiedes der 
Zwischenwirbelscheibe zu betrachten ist. 

Der Proc. transv. sin. des V. Lendenwirbels ist durch eine 
wirkliche Synostose mit dem entsprechenden seitlichen Abschnitt des 
Kreuzbeins verbunden. Die Art der Verbindung der beiden Knochen 
ist von vorn sehr gut zu sehen. Die Verlaufslinie der Sutur zwischen 
Apophysis transv. und Sacrum ist vorn deutlich sichtbar, desgleichen 


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A. Perrone. 


von hinten, nur im oberen Teil nicht, da sie sich hier bis zum Rande 
der Art. sacro-iliaca erstreckt. 

Dieser Querfortsatz, der den der anderen Seite bedeutend an 
Größe übertrifft, mißt in seinem größten Durchmesser 3 cm; seine 
größte Breite beträgt 2,5 cm, und ist in vertikaler Richtung ab¬ 
geplattet. Der viel kleinere Proc. transv. dext. ist 1,5 cm lang und 
1,5 cm hoch und ist in der Richtung von vorn nach hinten ab¬ 
geplattet. 

Von hinten betrachtet erscheint der Bogen dieses V. Lenden¬ 
wirbels aus zwei in der Mitte vollkommen getrennten und ungleich 
entwickelten Teilen gebildet. Die linke Hälfte ist ungefähr 1 cm 
kürzer als die rechte, und strebt mehr der Sagittalebene zu, während 
die rechte mehr nach der Frontalebene gerichtet ist. Beide tragen 
je einen kleinen Processus spinosus, die dicht nebeneinander liegen 
und nur wenig in Größe und Lage differieren. Diese beiden Dorn¬ 
fortsätze weichen nach links von der Medianlinie ab, so daß der 
äußere Rand des rechten mit dieser Linie zusammenfällt. 

Der IV. Lumbalwirbel ist im umgekehrten Sinne wie der fünfte 
gedreht, d. h. in der Richtung von vorn nach hinten und von rechts 
nach links; sein linker Querfortsatz liegt weiter zurück als der rechte. 
Gleichzeitig besteht eine Abschrägung des Wirbelkörpers, sowie eine 
starke Einsattelung der linken, und eine schwächere der rechten 
Seitenfläche. Während der rechte 3 cm hoch ist, mißt der linke 
nur 2 cm. Auch die Intervertebralscheibe zwischen dem IV. und 
V. Lendenwirbel zeigt eine Ungleichheit in ihrer Dicke zu Gunsten 
der rechten Seite. 

Die Rotation nach links und hinten, welche bereits am IV. Lum¬ 
balwirbel beginnt, ist deutlich am dritten ausgesprochen. Die Vor¬ 
derfläche seines Körpers schaut fast direkt nach links, wendet sich 
mithin der Crista iliaca dieser, d. h. der linken Seite zu, von der 
ihr nächster Punkt nur 2 cm entfernt ist. Dieser Wirbel zeigt 
ganz entgegengesetzte Charaktere als der vorhergehende, insofern 
als der linke Seitenrand hier größer ist und 3 cm mißt, während 
der kleinere rechte nur 2,3 cm hoch ist. Aber dieses Verhalten 
hindert den Wirbel nicht, die Skoliose fortzusetzen, insofern als er mit 
seinem oberen linken Rande den Scheitel der Skoliose darstellt. Das 
Foramen vertebrale dieses letzten Wirbels des Präparats, welches 
man daher von oben betrachten kann, zeigt keine besondere Ver¬ 
änderungen in seiner Form; es ist fast dreieckig. 


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Ueber kongenitale Skoliose. 


363 


Wenn wir jetzt die drei Lumbalwirbel in ihrem Verbände mit¬ 
einander betrachten, so sehen wir von vorn aus vom fünften die beiden 
Processus transv., vom dritten und vierten jedoch sind nur die auf 
der rechten Seite sichtbar, während die linken durch die Körper 
verdeckt sich dem Blicke entziehen. Denken wir uns jetzt die verti¬ 
kale Medianebene entsprechend dem Verlauf der Körpersenkrechten 
gelegt, so schneidet diese Ebene den Körper des fünften in der 
Weise, daß 2 /3 links und V 3 rechts liegen, den IV. Wirbel so, daß 
er fast ganz auf der linken Seite der Ebene liegt und rechts ein nicht 
mehr als 1 qcm umfassendes, dem unteren Abschnitt des Körpers 
entsprechendes Stück läßt. Der III. Lendenwirbel liegt nicht nur 
vollkommen links von der vertikalen Medianebene, sondern der der 
Körpersenkrechten nächstgelegene Punkt seines Körpers ist von ihr 
sogar 1 1 /2 cm entfernt. 

Zwischen den beiden Seiten des III. Wirbels besteht ein Höhen¬ 
unterschied von 3 cm. 

Bei der Betrachtung der Lendenwirbel von hinten beobachten 
wir, daß ihre Processus spin. in einer links und ein wenig nach 
hinten bogenförmig verlaufenden Linie liegen. Man kann sagen, 
daß sie an der Drehung der Wirbelkörper fast gar nicht teilgenommen 
haben. Die Wirbelbogen und Bogenepiphysen des III. und IV. Wirbels 
zeigen nur leichte Abweichungen von der Norm. 

Epikrise. In diesem Falle scheint die Skoliose, welche, nach 
den drei vorhandenen Wirbeln zu urteilen, sehr ausgeprägt war, her¬ 
vorgerufen worden zu sein durch die abnorme synostotische Ver¬ 
bindung des linken Querfortsatzes des V. Lendenwirbels mit dem 
oberen seitlichen Teil des Kreuzbeins. Diese Synostose hat den 
V. Lendenwirbel gezwungen, sich beträchtlich nach dieser Seite zu 
neigen, dadurch, daß sie einen enormen Niveauunterschied schuf 
zwischen dem oberen rechten und linken Rande, wodurch natürlich 
das Gleichgewicht der ganzen Wirbelsäule sehr erheblich gestört 
wurde, die sich dann nach der tieferen Seite hin geneigt hat. Es 
besteht für uns kein Zweifel, daß diese Synostose als kongenital 
zu stände gekommen anzusehen ist, da der ganze V. Lumbalwirbel 
Störungen fötalen Ursprungs darbietet. In dieser Weise ist das 
Ausbleiben einer Verschmelzung der beiden Wirbelbogenanlagen zu 
deuten. Außerdem bezeugt das Vorhandensein einer Spina bifida 
sacralis, daß schwere Störungen bei dem Verknöcherungsprozesse 
sicherlich vorgekommen sind. Noch eine andere Tatsache muß man 


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A. Perrone. 


in Betracht ziehen, nämlich das Nebeneinandervorkommen von kon¬ 
genitalen Mißbildungen und Rhachitis, von der wir am Becken die 
ausgesprochensten Merkmale finden. Wir glauben durchaus nicht, 
daß die Rhachitis in direktem ursächlichem Zusammenhang mit der 
Skoliose steht, es sei denn, daß man sie als fötale Rhachitis deuten 
wollte; aber das ist ein noch so unaufgeklärter und umstrittener 
Punkt, daß wir nicht meinen, auf ihm fußen und daraus sichere 
Schlüsse ziehen zu können. In Betreff der Deutung der Synostose 
behalten wir uns vor, sie in der Folge an der Hand der anderen 
Fälle zu besprechen. Zum Schluß möchten wir noch hinzuftigen, 
daß sich mit aller Wahrscheinlichkeit annehmen läßt, daß sich an 
der übrigen Wirbelsäule nichts wirklich Atypisches gefunden hat. 
Denn wir glauben nicht, daß Virchow, aus dessen Sammlung dieses 
sowie die folgenden Präparate stammen, sich so wichtige Besonder¬ 
heiten entgehen lassen hat, während er selbst die geringfügigsten 
Einzelheiten an diesen Präparaten, z. B. die Hyperostosen, welche 
sich an der Crista pubis und den Knochen, welche das Foramen 
obturatum begrenzen, finden, mit eigener Hand vermerkt hat. 

Sektionsprotokoll. Emilie Töpfer, 44 J., Nr. 7431 (1886). 

Magere kleine Leiche. Starke Braunfärbung der Bauchhaut. 
Herz klein; braun. Klappen intakt. 

In beiden Lungen starkes Emphysem und Oedem der Unter¬ 
lappen. Leichte Struma parenchymatosa. Cyanose und Schwellung 
der Larynx- und Pharynxschleimhaut. 

Diagnose: Prolapsus vaginae et uteri et partial, vesicae. Pachy- 
dermia vaginae. Elongatio permagna et Hypertrophia uteri. Fibro- 
myoma subserosum et subraucosum uteri. Peritonitis chronica: 
apostematosa, ichorosa, Nephritis interstitialis, parenchymatosa. Hydro- 
nephr. lev. 

Hepatitis parenchymat. Hyperplasis levis lienis. Hydrothorax 
dupl. Incurvatio vertebral, columnae. 

Rechtsseitige Skoliose der Brustwirbel, linksseitige der Lenden¬ 
wirbel. Gerade Verengerung des Beckens, seitliche Verbiegung der 
aufsteigenden Schambeinäste bei gleichzeitiger Dislokation nach vom 
und oben. Starke Verbreiterung der Symphyse. Leichte rhachitische 
Verkrümmung beider Oberschenkel. Multiple geheilte Fraktur der 
Rippen. Sämtliche Darmschlingen sind untereinander und mit der 
Bauchwand und Leber verwachsen, zum Teil verklebt. Abgekapselte 
faustgroße Eiterhöhlen. Das Becken wird durch ein kleinkinderkopf- 


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Ueber kongenitale Skoliose. 


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großes gestieltes Myom des Uterus ausgefüllt. Die Adnexa sind in 
dichte Bindegewebsmassen eingehüllt und nicht zu isolieren. 

Uterus enorm elargiert, erweitert und vergrößert. Orific. ext. 
leicht invertiert und prolabiert. Pachydermie der prolabierten Va¬ 
gina, die die hintere Blasenwand weit unter die Symphyse mit sich 
herabgezogen hat. Uterusschleimhaut wulstig verdickt; zwei gestielte 
Polypen und darüber ein haselnußgroßes Fibromyom auf der hin¬ 
teren Wand des Fundus. 

Wirbelsäule und Becken werden herausgenommen: 

Skoliose der oberen Lendenwirbel nach links, der Brustwirbel 
nach rechts. Geheilte Infraktionen einzelner Rippen. Hyperostose 
und Achsendrehung der aufsteigenden Schambeinäste. Starke Ver¬ 
breiterung der Symphyse. Exostosen. 

II. Präparat Nr. 2234 umfaßt die ganze Wirbelsäule (Fig. 4, 
5 und 6). 

Wenn wir das Präparat betrachten, so bemerken wir sogleich 
eine beträchtliche seitliche Verbiegung der Wirbelsäule in doppelter 
Art und zwar: erstens eine lumbale Skoliose mit nach links gerichteter 
Konvexität und eine zweite dorsale, kompensatorische, rechtskonvex 
und viel stärker als die erstere. Außerdem ist die ganze Halswirbel¬ 
säule nach links verschoben und ebenso das Kreuzbein, aber in etwas 
geringerem Grade. Die normalen antero-posterioren Krümmungen, 
Lordose in Hals- und Lendenwirbelsäule und Kyphose im Bereich 
der Brustwirbelsäule sind fast vollständig verschwunden. Die ein¬ 
zelnen Wirbelkörper mit Ausnahme derer des Halsteils, die die nor¬ 
male Lage beibehalten haben, sind von ihrer normalen Stellung 
abgewichen und zwar in der Richtung der Konvexität, während ihr 
Schlußteil an den Dorsalwirbeln nach der Konkavität, an den Lenden¬ 
wirbeln fast gerade nach hinten schaut. Wir können also sagen, 
daß sich die ganze Brustwirbelsäule nach rechts, die Lendenwirbel¬ 
säule nach links gedreht hat. Die Reihe der Dornfortsätze bildet in 
ihrem Verlauf eine einfache bogenförmige Linie, die in keinem 
Verhältnis zu der starken Torsion steht, welche die Wirbelkörper 
erlitten haben. 

Wenn wir uns die Körpersenkrechte gezogen denken, so schnei¬ 
det die Wirbelsäule diese Linie 3mal, das erste Mal beim Ueber- 
gang vom Kreuzbein in die Lendenkrümmung, ein zweites Mal an 
der Grenze zwischen dieser und der Brustkrüramung und drittens 
schließlich beim Uebergang letzterer in den Halsteil. Diese drei 


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A. Perrone. 


Kreuzungspunkte stellen die sogen. Interferenzpunkte der skoliotischen 
Wirbelsäule dar und entsprechen in ihrer Lage hier also dem V. Lum¬ 
bal-, dem XII. und II. Dorsalwirbel. Durch diese drei Punkte wird 
die Wirbelsäule in zwei Bogen geteilt, deren Scheitel in der oberen, 
d. h. der Brustkrümmung 6 cm, in der unteren, der Lendenkrüm¬ 
mung V* cm von der Körpersenkrechten entfernt liegt. Der Keil- 

Fig. 4. 




Fig. 5. 


wirbel der Brustkrümmung wird vom VII. Dorsal-, der der Lenden¬ 
krümmung vom II. Lumbalwirbel dargestellt. 

Jetzt wollen wir nacheinander genau die einzelnen Teile, welche 
die Wirbelsäule zusammensetzen, prüfen. 

Das Kreuzbein besteht aus fünf innig miteinander verschmol¬ 
zenen Stücken; jedoch sind die ursprünglichen Intervertebralscheiben 
gut zu unterscheiden. Es hat vier Foramina sacral. auf der rechten 
und fünf auf der linken Seite. Es zeigt seine beiden normalen 
Krümmungen, eine in vertikaler, die andere in transversaler Rich- 


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Ueber kongenitale Skoliose. 


367 


Fig. 6. 


tung, erstere ist deutlicher ausgesprochen als letztere. Das Sacrum 
erscheint in vertikaler Richtung mehr konkav, als das sonst bei 
dem eines männlichen Individuums der Fall zu sein pflegt. Außer¬ 
dem sind geringgradige Asymmetrien vorhanden, insofern als im 
großen und ganzen die rechte Hälfte oben etwas breiter als die 
der anderen Seite ist und der vordere Rand ihrer Gelenkfläche zur 
Artikulation mit dem Os ileum nach vorn stärker als der entsprechende 
linke vorspringt. Ferner scheint das Kreuzbein zwei Rotations¬ 
bewegungen ausgeführt zu haben, die 
um eine antero-posteriore Achse, wo¬ 
durch die Basis mehr nach rechts, die 
Spitze mehr nach links von der Median¬ 
linie gedreht wurde, eine andere um 
eine vertikale Achse in der Richtung 
von rechts nach links, so daß der am 
weitesten nach vorn liegende Teil 
seines rechten Randes um etwa 1 1 j 2 cm 
vor dem der anderen Seite sich be¬ 
findet. Das am meisten auffallende 
aber in seinem Verhalten ist die feste 
Verschmelzung zwischen seinem oberen 
lateralen Abschnitt links und dem 
Processus transv. des V. Lendenwir¬ 
bels, deren genauere Beschreibung wir 
bei Besprechung des V. Lumbalwirbels 
geben werden. Die Betrachtung von 
hinten bestätigt unsere Ausführungen 

betreffs der Rotation des Sacrum und bietet im übrigen nichts be¬ 
sonderes. — Ein Steißbein ist nicht vorhanden. 

Am V. Lendenwirbel beobachten wir, daß sein Körper um eine 
vertikale Achse gedreht erscheint, und zwar in umgekehrter Richtung 
als das Kreuzbein. Während sich nämlich letzteres von rechts nach 
links gedreht hat, ist der Körper dieses Wirbels in umgekehrter 
Richtung von links nach rechts rotiert. Infolge dessen schaut der 
Mittelpunkt seiner Vorderfläche nicht mehr unmittelbar nach vorn, 
sondern ist nach rechts gerichtet. Sein Körper ist in der Weise 
abgeschrägt, daß die Höhe seiner linken Seitenfläche (an der Stelle 
der geringsten Höhe gemessen) 2,6 cm beträgt, die der rechten 
(gemessen an der Stelle der größten Höhe) 3,4 cm ergibt. Diese 
Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XV. Bd. 24 



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A. Perrone. 


Abschrägung wird zum größten Teil durch die Stellung der oberen, 
zum geringeren durch die der unteren Fläche hervorgerufen. 

Aber was mehr an diesem Wirbel auffällt, ist das Verhalten 
seiner Querfortsätze. Der riesige 4 cm in der Länge und 2 1 ji cm 
in der Breite messende rechte hat von vorn gesehen eine schräge 
Stellung, in der Richtung von oben und hinten nach unten und 
vorn. Von einer Sonderung in drei Fortsätze (Transv. mammill. 
accessor.) ist bei ihm auch nicht mehr eine Spur zu bemerken; 
er ist vielmehr umgeformt zu einer einzigen, kompakten, gleich¬ 
mäßigen, glatten Knochenlamelle, welche, direkt nach außen gerichtet, 
oberhalb des oberen Randes der Articulatio sacro-iliaca verläuft und 
diese noch um 1 j* cm überragt. Von hinten gesehen besteht sie 
aus zwei Flächen, einer hinteren oberen, die von oben nach unten 
verläuft und also nach hinten sieht, und einer unteren, die von hinten 
und oben nach vorn und unten verlaufend nach hinten und unten 
schaut. Die beiden Flächen stoßen hinten und unten unter Bildung 
eines abgerundeten Winkels im äußeren und der eines spitzen im 
inneren Abschnitt aneinander. Der Processus transversus sin. ist 
vollkommen mit dem oberen lateralen Kreuzbeinteil verschmolzen; sie 
bilden eine einheitliche Masse, an der man nirgends auch nur eine 
Spur einer ursprünglichen Trennung entdecken kann. 

Dieser Processus transversus begrenzt seinerseits ein Foramen 
sacrale und nimmt Teil an der Bildung des Randes der Articulatio 
sacro-iliaca. Kurz, er gleicht auffallend dem normalen oberen Ab¬ 
schnitt eines Kreuzbeins; und wenn von dem Präparat nur diese 
Hälfte in Augenschein genommen würde, so müßte man diesen 
Wirbel ohne weiteres für den I. Sakralwirbel halten. Die Betrach¬ 
tung von der Rückseite bestätigt den von vorn aus erhobenen Befund. 
An dem Wirbelbogen und Bogenepiphysen des V. Lendenwirbels sind 
größere Unterschiede zwischen den beiden Hälften nicht zu bemerken. 
Es fällt nur auf, daß sich auf dem hinteren Abschnitt des linken 
Processus transversus eine Gelenkfacette findet, welche vollkommen 
einer anderen entspricht, die am Endteile des absteigenden Proc. 
articul. vert. lumb. IV. derselben Seite vorhanden ist. 

Während der V. Lendenwirbel um eine vertikale Achse im 
Sinne von links nach rechts gedreht erscheint, haben die vier übrigen 
Lendenwirbel um dieselbe Achse, aber in entgegengesetzter Richtung, 
eine Rotation ausgeführt. Und während am IV. Lumbalwirbel die 
linke Seitenfläche des Körpers fast 1V* cm tiefer steht als die rechte 


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Ueber kongenitale Skoliose. 


369 


und in höherem Grade eingesattelt ist, greift, wenn man weiter auf¬ 
steigt, nach und nach das umgekehrte Verhalten Platz, so daß der 
Unterschied in der Höhe der beiden Seitenflächen eines jeden Wirbels 
immer deutlicher wird, bis wir schließlich am II. Lendenwirbel, der 
als Keilwirbel der Lendenkrümmung zu betrachten ist, die linke Seiten¬ 
fläche 1,5 cm höher als die rechte finden. 

An der Lendenwirbelsäule kann man von vorn aus rechts die 
Processus transv. in ihrer ganzen Ausdehnung, von der Basis bis 
zur Spitze übersehen; links dagegen ist von dem Proc. transv. des 
IV. Lendenwirbels nur die Spitze, von dem des dritten etwas mehr 
und dem des zweiten wieder etwas weniger sichtbar. 

Bei Betrachtung der Wirbelsäule von der Seite springt die 
Asymmetrie in Form und Stellung der Processus transv. besonders 
am III. und VI. Wirbel ins Auge. Während die der konkaven Seite 
nach unten schauen, dünner sind und mit einer Spitze enden, sind 
die der konvexen Seite nach oben gerichtet, in der Richtung von vorn 
nach hinten abgeplattet und gleichen auffallend rudimentären Rippen. 
Der Processus transversus des III. Lendenwirbels trägt eine von 
oben und außen nach unten und innen verlaufende Furche, die mit 
einer direkt nach vorn gerichteten Gelenkfacette versehen ist. 

Von der Lendenkrümmung aus gelangen wir über den XII. Brust¬ 
wirbel zur Dorsalkrümmung, an deren Wirbeln Torsion und In¬ 
flexion weniger ausgesprochen sind. Vom XII. an bis zum VI. ein¬ 
geschlossen wenden sie den Mittelpunkt ihres Körpers nach und 
nach immer weiter nach rechts, bis sie einem Blick von vorn nur 
die linke Seitenfläche ihres Körpers, der sich in den Bogen fortsetzt, 
sowie die horizontalen, ein wenig nach vorn und unten geneigten 
Querfortsätze dieser Seite darbieten. Sie stehen durch wirkliche Ge¬ 
lenkflächen miteinander in Verbindung. Die höhere Seitenfläche der 
Wirbelkörper liegt selbstverständlich der konvexen Seite zugekehrt, 
die niedrigere auf der Seite der Konkavität. Letztere ist am VII., 
dem Keilwirbel der Brustkrümmung, in ihrer Dicke auf wenige 
Millimeter reduziert. Die Brustwirbel, vom VI. bis zum II. exkl., 
machen nach und nach eine Drehung in umgekehrter Richtung; sie 
zeigen das Bestreben, den Mittelpunkt ihres Körpers nach links zu 
wenden. Der Mittelpunkt des III., IV. und V. schaut direkt nach 
unten. Die Querfortsätze der linken Seite werden von den Wirbel¬ 
körpern verdeckt, sind also von vorn nicht zu sehen, während die 
rechts sehr deutlich hervortreten. 


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A. Perrone. 


Der II. Dorsalwirbel, d. h. der Uebergangswirbel zwischen 
Brust- und Halskrümmung ist in der Richtung von links nach rechts 
rotiert. Die ganze Halswirbelsäule ist stark nach links verschoben: 
jedoch führen die einzelnen Wirbel keine sichtliche Torsion aus und 
scheint der Mittelpunkt ihres Körpers nach vorn gerichtet. Linke 
und rechte Querfortsätze sind von vorn gleich gut sichtbar. 

Wir übergehen der Kürze halber die genaue Beschreibung der 
einzelnen Wirbel, welche die Dorsalskoliose bilden, die als ein sehr 
schönes und typisches Beispiel von erworbener Skoliose angeführt 
werden könnte. An ihr finden wir in der Tat alle die Charaktere 
ausgeprägt, welche die Autoren ihr zugeschrieben haben. 

Epikrise. In diesem Präparat, welches die ganze Wirbelsäule 
vom Atlas bis zum Sacrum ohne Veränderung in der Gesamtzahl 
der Wirbel umfaßt, betrachten wir als Ursache der vielfachen seit¬ 
lichen Verkrümmungen die vollständige Verschmelzung des linken 
Querfortsatzes des V. Lendenwirbels mit dem entsprechenden oberen 
Seitenteil des Kreuzbeins. Wenn wir jetzt dieses Präparat mit dem 
vorherigen vergleichen, so erkennen wir an beiden zwei verschieden 
weit fortgeschrittene Stadien ein und desselben embryologischen Pro¬ 
zesses, nämlich der Einbeziehung des V. Lumbalwirbels ins Kreuz¬ 
bein. Während im ersten Falle diese Erscheinung weniger aus¬ 
gesprochen ist und man an einigen Stellen (vorn wie hinten) deutlich 
die ursprüngliche Sonderung in zwei Knochen sehen kann, ist hier 
keine Spur mehr davon vorhanden, sondern man findet eine einzige 
homogene kompakte Knochenmasse, welche unbestreitbar die Massa 
lateralis des I. Sakralwirbels darstellt. 

Im ersten Fall trägt dieser Wirbel zu sehr den Charakter eines 
Lendenwirbels, als daß man ihn als I. Kreuzbeinwirbel ansprechen 
könnte, aber in diesem zweiten Falle sind wir, trotzdem wir in der 
Beschreibung aus Rücksichten der Klarheit und Einfachheit immer 
vom V. Lumbalwirbel gesprochen haben, geneigt ihn für den I. Sakral¬ 
wirbel, und zwar für einen mangelhaft ausgebildeten oder besser für 
einen lumbo-sakralen Uebergangswirbel zu halten und die Zahl der Len¬ 
denwirbel demgemäß von fünf auf vier zu reduzieren. Die Brustwirbel 
sind, wie wir aus ihren Kostalgelenkfacetten ersehen können, in der 
Zahl von zwölf vorhanden. Die ganze Wirbelsäule besteht also aus 
7 K + 12D4*4L + 6S = 29 Wirbeln. Mit aller Sicherheit glauben 
wir behaupten zu können, daß die Skoliose der Lendenwirbelsäule die 
primäre und die, wenn auch stärker ausgesprochene, der Dorsalwirbel- 


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Ueber kongenitale Skoliose. 


371 


säule nur als kompensatorisch zu betrachten ist, und zwar aus folgenden 
Gründen. Die seitliche Verkrümmung der Dorsal Wirbelsäule zeigt ab¬ 
gesehen von ganz geringfügigen Abweichungen nichts, was sie von der bei 
erworbener Skoliose unterscheiden könnte. So sind die Wirbelkörper 
nach der Seite der Konvexität, die Schlußteile der Bögen der Kon¬ 
kavität zu gerichtet. 

An der Lendenwirbelsäule dagegen bemerken wir außer der 
Verschmelzung des linken Querfortsatzes des V. Lumbalwirbels mit 
dem Seitenteil des Kreuzbeins, wodurch an den beiden Wirbelhälften 
ein beträchtlicher Höhenunterschied hervorgerufen wird, der allein 
schon zur Erklärung der Verkrümmung der Wirbelsäule genügen 
würde, daß im Gegensatz zu den Wirbelkörpern, die nach der Seite 
der Konvexität gedreht sind, ihre Bogen nicht nach der Konkavität, 
sondern fast direkt nach hinten schauen, ein Befund, den die Autoren 
für ein besonderes Charakteristikum der kongenitalen Skoliose halten. 
Und während endlich die Processus transv. der übrigen Wirbel normal 
gestaltet sind, zeigen die der Lendenwirbel Modifikationen in Rich¬ 
tung und Form, so daß sie den Eindruck rudimentärer Rippen er¬ 
wecken. 

III. Präparat A 256 A. 1886. Das Präparat umfaßt Becken, 
die vier untersten Lendenwirbel, sowie die oberen Femurenden beider¬ 
seits (Fig. 7, 8 und 9). 

Das Becken ist in der Richtung von vorn nach hinten abge¬ 
plattet; es bietet eine etwas asymmetrische Gestalt, insofern als die 
beiden Ossa ilii nicht vollkommen gleichgebaut und von derselben 
Form erscheinen. Die linke Fossa iliaca. ist mehr konkav als die 
der anderen Seite. Die rechte Darmbeinschaufel ist ungefähr in 
ihrem zentralen Abschnitt so sehr in ihrer Dicke vermindert, daß 
sie vollkommen durchscheinend ist. Das Becken ist in allen seinen 
Durchmessern verkleinert, sowohl der antero-posteriore als der trans¬ 
versale Diameter ist verkürzt. Die Schambeine sind mächtig ent¬ 
wickelt. Die Symphysis pubis hat eine Höhe von 4 cm und mißt 
1,8 cm in der Dicke. Am Rand des Foramina obturat. sind einige 
Hyperostosen zu beobachten. Der rechte dicht bei der Art. sacro-iliaca 
liegende Teil des Beckeneingangs hat einen stärker gebogenen Verlauf 
als der entsprechende linke Abschnitt. Im übrigen sind am Becken 
wichtige Anomalien nicht zu bemerken. 

Kreuzbein. Das Kreuzbein besteht aus fünf Wirbeln, die voll¬ 
ständig miteinander verschmolzen sind. Von den ursprünglichen 


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372 


A. Perrone. 


Intervertebralscfneiben ist keine mehr vorhanden; sie sind vollkommen 
verknöchert und ihr früherer Platz kaum mehr zu erkennen. Die 
Vorderfläche hat ihre normale Krümmung in vertikaler Richtung 
behalten, aber sie ist asymmetrisch und weicht insofern von der Norm 
ab, als sie die Wölbung in transversaler Richtung verloren hat. Der 
zwischen der Reihe der Foramina sacralia aut. gelegene mittlere Teil 
erscheint wie nach rechts verschoben derart, daß er als flache Her- 
vorragung längs der rechten Foram. sacral. und unmittelbar neben 
ihnen verläuft. Links sind vier Foram. vorhanden im Gegensatz zu 


Fi*. 7. 



fünf auf der rechten Seite. Das erste Foram. sacral. rechts kommt 
dadurch zu stände, daß der Proc. transv. des V. Lendenwirbels fest 
mit dem seitlichen Abschnitt des Kreuzbeins verschmolzen ist. Die 
Artikulationsfläche zwischen Sacrum und Lendenwirbelsäule ist in 
der Richtung von links nach rechts abgeschrägt. Das Steißbein 
besteht aus verschiedenen innig miteinander und dem Kreuzbein ver¬ 
schmolzenen Stücken, die scharf voneinander nicht mehr abzu¬ 
grenzen sind. 


Beckenmaße. 


Beckeneingang: 


Conjugata anatomica . . . 

9,4 

linker schräger Durchmesser 

12,5 

rechter * ,, 

13 

Querdurchmesser .... 

13,5 


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lieber kongenitale Skoliose. 


373 


Beckenmitte: 

Gerader Durchmesser . . . 10,5 

Spinallinie.11,3 

Beckenausgang: 

Gerader Durchmesser . . . 9,3 

Querdurchmesser .... 12,5 

Wirbel. Die obere mit dem IV. Lumbalwirbel artikulierende 
Fläche des V. Lendenwirbels, der ein wenig nach links gedreht er- 

Fig. 8. 



scheint, ist abgeschrägt, und zwar in umgekehrter Richtung wie die 
des Sacrum, nämlich von rechts nach links. Während die Höhe der 
rechten Seitenfläche dieses Wirbels 3 cm mißt, beträgt die der linken 
nur 2 cm. Die ganze rechte Seitenfläche des Körpers vertebr. 
lumb. V. geht unmittelbar in den oberen lateralen Abschnitt des 
Kreuzbeins über in Form eines Knochenfortsatzes, der mit dem 
Sacrum zusammen ein besonderes Foramen bildet, welches in der 
Reihe der übrigen Foram. sacral. ant. liegt. 

Während einerseits diese Knochenbrücke, welche vom V. Len¬ 
denwirbel zum Kreuzbein verläuft, den rechten Rand der oberen 
Fläche dieses Wirbels erhöht, zieht sie anderseits den ganzen Wirbel 
nach rechts herüber und bewirkt auf diese Weise, daß er sowie die 
nächstoberen Wirbel ihre mediane Lage verlassen und mehr rechts 


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374 


A. Perrone. 


als links zu liegen kommen. Vom hinteren Teil des oberen Randes 
des V. Lumbalwirbels und vom oberen inneren Rand dieser Knochen¬ 
brücke entspringt eine nach oben und außen verlaufende Apophyse, 
welche ungefähr 1 cm hoch ist und an der Stelle ihrer größten 
Breite 1 cm mißt und die wir als wirklichen Querfortsatz betrachten 
können. Der linke Proc. transv. des V, sowie die der drei folgenden 
Lendenwirbel haben nicht die normale Gestalt, insofern als an 

ihnen die Sonderung in drei Fortsätze 
(transv., mammillar. und accessor.) 
nicht wahrzunehmen ist, sondern nur 
durch ein einziges Knochenstück dar¬ 
gestellt werden, welches in der Rich¬ 
tung von vorn nach hinten abge¬ 
plattet in seiner annähernd horizon¬ 
talen Lage vollkommen einer rudi¬ 
mentären Rippe gleicht. Von den 
drei übrigen Lendenwirbeln zeigt der 
Körper des IV. eine leichte Drehung 
nach rechts und die rechte Seiten¬ 
fläche eine Einsattlung, welche deut¬ 
licher als auf der linken Seite aus¬ 
gesprochen ist; jedoch wird dadurch 
ein Unterschied in der Höhe nicht 
bedingt. Die Körper der beiden übri¬ 
gen Wirbel schauen direkt nach vorn 
und bieten keine Besonderheiten. 

Wenn wir jetzt das Präparat in der Ansicht von hinten be¬ 
trachten, so tritt die Verschiebung der ganzen Wirbelsäule vom 
Sacrum an aufwärts nach der linken Seite viel deutlicher hervor; 
desgleichen die leichte rechtskonvexe Skoliose. 

Den Scheitelpunkt dieser Skoliose bilden der obere Rand des 
V., sowie der untere des IV. Lendenwirbels. Die Reihe der Processus 
spin. stellt in ihrem Verlaufe eine leicht bogenförmig geschwungene, 
etwas nach links abweichende Linie dar. An den Wirbelbogen und 
Bogenepiphysen findet sich nichts Außergewöhnliches. 

Die vertikale Medianebene teilt die Wirbelkörper in zwei un¬ 
gleiche Hälften ( 2 /s rechts und J /s links). 

Die kürzeste Entfernung zwischen dem linken Seitenrande des 
IV. Lumbalwirbels und der linken Crista iliaca und die geringste 



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Ueber kongenitale Skoliose. 


375 


Distanz des rechten Seitenrandes des genannten Wirbels von der 
rechten Crista zeigen eine Differenz von l 1 ^ cm. Die Mittellinie 
der Körper und die der Bogen scheinen im allgemeinen in ihrer 
Richtung zusammenzufallen; nur am IV. Lendenwirbel kann man 
feststellen, daß sie einen sehr stumpfen, nach der Seite der Konvexität 
offenen Winkel miteinander bilden, 

Epikrise, Dieses Präparat, welches aus den vier untersten 
Lendenwirbeln, den Darmbeinen, Kreuz- und Steißbein besteht, 
gleicht dem vorhergehenden sehr und unterscheidet sich von ihm 
nur durch einige Besonderheiten. Während nämlich auch hier einer¬ 
seits die Skoliose hervorgerufen wird durch die Verschmelzung 
des Querfortsatzes des V. Lumbalwirbels mit dem entsprechenden 
Seitenteil des Kreuzbeins, wodurch ein Höhenunterschied von 1 cm 
zwischen den beiden Seiten dieses Wirbels hervorgebracht wird, ist 
anderseits weniger eine seitliche Verkrümmung als eine Abweichung 
der Wirbelsäule in toto nach der Seite, der Verschmelzung ein¬ 
getreten. Die ganze Wirbelsäule ist, wenn wir von seitlichen Ver¬ 
krümmungen absehen, asymmetrisch gelegen, indem sie zum größeren 
Teile rechts, zum kleineren links liegt, eine Asymmetrie, die man 
in gleicher Weise am Kreuzbein ausgesprochen findet. 

Auch hier wie im vorigen Falle gleichen die Querfortsätze 
besonders der beiden ersten Wirbel auffallend rudimentären Rippen. 
Schließlich erkennt man einen bemerkenswerten Unterschied im Ver¬ 
halten des V. Lendenwirbels selbst; während nämlich im Fall 2 der 
linke Querfortsatz vollständig mit der Massa lateralis des Kreuz¬ 
beins verschmolzen ist, ohne auch nur eine Spur seiner Zusammen¬ 
setzung aus drei gesonderten Vorsprüngen zu hinterlassen, können 
wir hier sagen, daß es der Processus costar. ist, welcher mit dem 
Kreuzbein verschmolzen ist; denn sein Processus transv. ist gut er¬ 
kennbar und von der übrigen Knochen masse deutlich abgegrenzt. 

Wir sehen also hier ein anderes Zwischenstadium der Ein¬ 
beziehung des V. Lendenwirbels in das Sacrum; auch hier kommt 
es zur Bildung eines lumbo-sakralen Uebergangswirbels, unvollkom¬ 
mener als im vorigen, aber vollständiger als im ersten Falle. 

Zwei Besonderheiten sind noch bemerkenswert, einmal eine 
andere Synostose zwischen dem absteigenden Gelenkfortsatz des 
V. Lendenwirbels und dem entsprechenden Kreuzbeinteil auf der 
rechten Seite, und die Zeichen der Rhachitis, die man deutlich am 
Becken beobachten kann. Für letzteres gilt das, was wir bei der 


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A. Perrone. 


Besprechung des ersten Falles geäußert haben, wo die Merkmale 
der Rhachitis viel erheblicher als in diesem waren. 

Im Anschluß an die Beschreibung unserer 3 Fälle wollen wir 
jetzt auf die in der Literatur vorhandenen des näheren eingehen 
und der größeren Deutlichkeit und Uebersichtlichkeit halber eine 
Unterscheidung in drei verschiedene Gruppen vornehmen. 

Die erste Gruppe umfaßt die Fälle von reiner Skoliose, die 
nicht mit anderen kongenitalen Mißbildungen vergesellschaftet sind, 
und welche deutlich und klar hervorgerufen werden a) durch ab¬ 
norme Entwicklung von Wirbeln (Vermehrung, Fehlen und Ver¬ 
schmelzung etc.) oder b) als Belastungsdeformität zu deuten sind. 

In die zweite Gruppe fallen diejenigen Fälle von kongenitaler 
Skoliose, die mit anderen kongenitalen Mißbildungen verbunden sind, 
aber deren Ursache klar ist. 

3. Skoliosen, für die ein bestimmter Grund nicht namhaft ge¬ 
macht werden kann. 

Wir beanspruchen durchaus nicht, hiemit eine neue wissen¬ 
schaftliche Einteilung gegeben zu haben, sondern wir wollen nur 
die verschiedenartigsten Fälle zu mehr oder weniger gleichartigen 
Gruppen vereinigen. 

Wir übergehen absichtlich alle Fälle von Mißgeburten, bei 
denen man neben den mannigfaltigsten und kompliziertesten Mi߬ 
bildungen meistenteils als nebensächlichen Befund eine Skoliose beob¬ 
achtet; denn wir sind der Ansicht, ein Betreten des Gebietes, welches der 
Teratologie angehört, trage nur dazu bei, die ätiologische Deutung 
zu erschweren, und führe uns immer weiter ab von der Möglichkeit 
praktischer Anwendung, welche als Endzweck zu betrachten ist, auf 
den all unser Bestreben gerichtet sein muß. 

Wenn jemand sich übrigens für derartige Fälle interessieren 
sollte, so verweisen wir nur auf die Arbeit von Willett und Wal- 
sham 1 ), ferner auf die Zusammenstellung in der Abhandlung von 
Hirschberger 2 ) und besonders auf die Dissertation von Nau 3 ), 
bei dem sogar Skelette von Schlangen und Pferden aus den ver¬ 
schiedenen Museen beschrieben werden. 

*) Willett und Wal sh am, Medico chirurgical transactions 1880, T. LXIII 

p. 257. 

2 ) Hirschberger 1. c. 

3 ) Nau 1. c. 


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Ueber kongenitale Skoliose. 


377 


I. Teil, a) 

1. Fall von Rokitansky 1 ). An der Wirbelsäule einer 
46 Jahre alten Frau sind mehrfache seitliche Krümmungen sichtbar, 
welche durch das Vorhandensein von vier überzähligen halben 
Wirbeln mit den entsprechenden Bogen und Fortsätzen hervorge¬ 
rufen sind. 

Die Sakralwirbelsäule zeigt eine linkskonvexe, die Lumbal- und 
untere Dorsalwirbelsäule eine rechtskonvexe Skoliose. Außerdem 
sind noch zwei weitere seitliche Verbiegungen zu konstatieren, die 
eine linkskonvex im Bereich des mittleren Abschnitts, eine andere 
rechtskonvex im oberen Teil der Brustwirbelsäule. Die Rippen sind 
hinsichtlich Zahl und Insertion abnorm gestaltet. 

2. Fall von Rokitansky. Das Präparat stammt von einem 
70jährigen Manne. 

Es besteht eine leichte linkskonvexe Skoliose, welche den Be¬ 
reich vom VI.—XII. Brustwirbel umfaßt; der IX. Dorsalwirbel ist 
nur zur Hälfte vorhanden, und zwar nur auf der konvexen Seite der 
Krümmung, während auf der konkaven die andere Hälfte dieses 
Wirbels fehlt. Das Kreuzbein besteht aus 4 Wirbeln. 

Drei weitere, in diese Gruppe gehörige Fälle sind von Meyer 2 ) 
veröffentlicht worden. 

1. Fall. Die Wirbelsäule, deren Dorsalabschnitt aus 10 ganzen 
und 2 halben Wirbeln besteht, macht in ihrem VerUuf zwei Ein¬ 
knickungen, von denen die eine, stärkere, durch dir Einlagerung 
eines keilförmigen Knochenstückes zwischen den XII Brust- und 
I. Lendenwirbel bedingt ist, die andere durch das \orhandensein 
nur einer Hälfte vom IX. Brustwirbel an normaler Stelle her¬ 
vorgerufen wird. Außerdem läßt sich an der Wirbelsäule eine 
spiralige Drehung sowie Verwachsungen mannigfacher Art zwischen 
Wirbelkörpern und Bögen konstatieren. 

2. Fall. Das Skelett einer Wirbelsäule, an der 13 Irustwirbel 
vorhanden sind, zeigt als besondere Veränderung in ihrem Bau eine 
erhebliche rechtskonkave Ausbiegung im Lumbalteil. Diese hat ihren 
Grund darin, daß der III. und IV. Lendenwirbel nur zur Hllfte ent¬ 
wickelt und miteinander verschmolzen sich als keilförmiges Knochen- 

*) Rokitansky 1. c. 

*) Meyer 1. c. 


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378 


A. Perrone. 


stück von links her zwischen II. und V. Lumbalwirbel einschieben. 
Nur in ganz geringer Ausdehnung berühren sich die beiden rechten 
Ränder des II. und V. Lendenwirbels. An der Wirbelsäule ist gleich¬ 
zeitig eine spiralige Drehung, sowie Verwachsungen zwischen den 
Körpern des I. und II. Brust-, und des III. und IV. Halswirbels zu 
beobachten. 

3. Fall. V. und VI. Brustwirbel sind in der Art mißbildet, 
daß sie als niedrige keilförmige Knochenstücke sich zwischen den 
IV. und VII. Thorakalwirbel einlagern, die sich beide entsprechend 
der Keilform der beiden Wirbelrudimente an ihren vorderen Rändern 
berühren. An dieser Stelle besteht eine Einknickung der Wirbel¬ 
säule. 


Drei Fälle dieser Art hat Noble Smith 1 ) veröffentlicht: 

1. Skelett einer 31jährigen Frau. Es besteht eine Verkrüm¬ 
mung des Thorax, welche durch Fehlen von 4V2 Wirbeln, sowie 
4 Rippen links und 5 rechts hervorgerufen wird. Die rechte Hälfte 
des III. Rückenwirbels fehlt, wodurch eine starke Seitenkrümmung 
nach links bedingt ist. Im ganzen sind nur 12 V* Wirbel vorhanden, 
nämlich 2 Hals-, 7 x /2 Brust- und 3 Lendenwirbel. 

2. Skele;t eines 64jährigen Mannes. 7 Halswirbel bis herab 
zum IV. Brustwirbel inkl. sind an ihrer Vorderseite miteinander 
verwachsen, desgleichen die linken Hälften des VII. Hals- und 
II. Brustwirbels — die linke Hälfte des ersten fehlt nämlich —. 
Von dieser Verwachsungsstelle entspringt ein Knochenstück, welches 
die erste Rippe darstellt. Es besteht eine rechtskonvexe Skoliose. 

3. Die Körper des III., IV. und V. Brustwirbels sind mitein¬ 
ander verwachsen; der des IV. bis auf einen kleinen Rest der linken 
Seite geschvunden. Leichte linke Dorsalskoliose. 

Daran schließt sich eine von Mouchet 2 ) mitgeteilte Beob¬ 
achtung. 

Es landelt sich um ein 2jähriges Mädchen — ausgetragen. 
8 Tage nach der Geburt bemerkte die Amme das Vorhandensein 
eines Buckels, der sich im Lauf eines Jahres langsam vergrößerte. 
Das Allg3meinbefinden des Kindes blieb ausgezeichnet. Das Röntgen- 

! ) Noble Smith, Clinical Sketches. London, September 1895. 

2 )A. Mouchet, Scoliose congenitale dorso-lombaire par piece vertebrale 
surnuimVaire. Gaz. hebdom. de med. et de chir. 19 mai 1898. 


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lieber kongenitale Skoliose. 


379 


bild gestattete die Anwesenheit eines überzähligen Wirbelstückes 
zwischen I. und II. Lumbalwirbel links festzustellen. Gleichzeitig 
ergab sich eine Verwachsung der 4., 5., 6., 7 und 8. Rippe links. 
Dadurch wurde eine linkskonvexe Dorsolumbalskoliose mit Kompen¬ 
sationskrümmung im Bereich der oberen Brustwirbelsäule hervorge¬ 
rufen. Kein Zeichen von Rhachitis. 

Dieser Fall wurde abermals im Jahre 1902 in der Zeitschrift 
für orthopädische Chirurgie Bd. 10 von Pendel publiziert. 

In diese Gruppe gehört noch ein von Hirschberger 1 ) be¬ 
schriebener Fall. 

Die vollständige Wirbelsäule mit Kreuzbein von einem Er¬ 
wachsenen macht drei seitliche Krümmungen, eine linkskonvexe im 
unteren Abschnitt der Wirbelsäule, darauf folgt eine mittlere mit 
rechts gelegener Konvexität, an die sich eine dritte, wieder links¬ 
konvexe anschließt. Diese leichten seitlichen Abweichungen von der 
Vertikallinie werden durch die Verschmelzung des II. und III. Lenden¬ 
wirbels zu einem Doppelwirbel bewirkt. Zwischen den beiden Wirbel¬ 
körpern findet sich eine deutlich ausgeprägte, vorgewulstete Narbe. 
Die beiden Processus transv. dieses Doppelwirbels liegen bedeutend 
näher zusammen als die übrigen. 

Einen sehr wichtigen und interessanten Fall dieser Art ver¬ 
danken wir Codivilla 2 ). 

Die Wirbelsäule eines 11jährigen Kindes, das keinerlei Spuren 
von Rhachitis zeigt, bietet eine doppelte Seitenkrümmung dar, eine 
linkskonvexe dorso-lumbale, und eine mit nach rechts gerichteter 
Konvexität dorsale. Der größte Radius der unteren Lendenskoliose 
beträgt 6 cm und letztere ist anscheinend nicht gedreht; die Brust¬ 
krümmung dagegen, deren Radius 9 mm mißt, hat eine Drehung 
um ihre longitudinale Achse ausgeführt. Das Becken ist nach links 
geneigt. Die Röntgenphotographie läßt an der Lendenwirbelsäule 
auf der Seite der Konkavität deutlich 5, auf der Konvexseite 6 Ge¬ 
lenkfortsätze unterscheiden. Der im Scheitel der seitlichen Ab¬ 
weichung liegende, also dem Keilwirbel der gewöhnlichen Skoliose 
entsprechende Wirbel trägt auf der einen Seite einen, auf der an¬ 
deren zwei Processus articulares. Auf anderen Röntgenbildern kann 
man sehen, daß dieses Segment auf der konvexen Seite aus zwei 

*) Hirschberger 1. c. 

*) Codivilla, Societä medic.-chir. di Bologna 1901. 


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380 


A. Perrone. 


Teilen besteht, einem oberen, wirklich keilförmigen, der sich bis zur 
Mitte der Wirbelsäule verliert und einen Gelenkfortsatz trägt, und 
einem unteren vom Aussehen eines gewöhnlichen, schiefen, skolioti- 
schen Wirbels. Außerdem bemerkt man das Vorhandensein einer 
Hypertrichose im unteren Dorsal-, dem Lumbal- und oberen Kreuz¬ 
beinabschnitt. Die an einzelnen Stellen bis zu 10—12 cm langen 
Haare richten im Gegensatz zu denen bei Spina bifida ihre Spitze 
der Peripherie zu. 

In dreifacher Hinsicht ist dieser Fall sehr interessant; einmal 
gehört er zu den wenigen Fällen von reiner kongenitaler Skoliose, bei 
denen über die Aetiologie kein Zweifel bestehen kann, ferner ist er 
einer der ersten, die mit Röntgenphotographien ausgestattet sind, 
und schließlich bietet er eine typische Hypertrichosis. 

Zum Schluß führen wir noch zwei in der Dissertation von Nau 
zitierte Fälle an. 

Calori. An der Wirbelsäule eines kleinen Mädchens, an der 
6 Lendenwirbel vorhanden sind, findet sich zwischen dem I. und 
H. Brustwirbel rechts ein halber Wirbel eingeschoben. Auf der 
rechten Seite ist ein Wirbelbogen, eine Rippe und ein Spinalnerv 
mehr als links. 

R e id. Die Wirbelsäule (stammt aus dem Museum des St. Thomas- 
Hospitals) zeigt eine rechtskonvexe Skoliose und einen Buckel. Zwischen 
Vin. und IX. Brustwirbel schiebt sich rechts ein halber Wirbel ein, 
bestehend aus Körper, Bogen und Processus transv. Diese Wirbel¬ 
hälfte trägt zwei Facies costales und stellt die Ursache der Sko¬ 
liose dar. 

b) Belastungsdeformität. 

Fall von Hirschberger. Das Präparat stammt von einem 
Kinde, bei dem man kurze Zeit nach der Geburt eine starke Ver¬ 
krümmung der Wirbelsäule, angeborene Hüftgelenksluxation, ausge¬ 
sprochene Adduktionskontraktur des rechten Beines, Lähmungen 
beider Arme und Beine bemerkte, die sich innerhalb einiger Tage 
teilweise zurückbildeten und nur an der linken unteren Extremität 
bestehen blieben. Das Präparat umfaßt Wirbelsäule, Becken, Rippen, 
Femurenden und zeigt zwei seitliche Verkrümmungen der Wirbel¬ 
säule, eine leichtere rechtskonvexe im Bereich der Hals- und obersten 
Brustwirbel und eine hochgradige Skoliose mit der Konvexität nach 


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Ueber kongenitale Skoliose. 


381 


links im Brust- und Lendenteil. Diese beiden seitlichen Abwei¬ 
chungen sind bedingt durch die ausgesprochene Abschrägung der 
Ligamenta intervertebralia des Keilwirbels (X. Brustwirbel) und 
seiner Nachbarwirbel im Bereich der unteren linkskonvexen Krüm¬ 
mung, und durch ein ähnliches, jedoch nicht so hochgradig ent¬ 
wickeltes Verhalten der Ligamenta intervertebralia des Keilwirbels 
(II. Brustwirbel) der oberen Skoliose. Außerdem ist eine starke 
Torsion der Wirbelsäule sowie eine buckelartige Vorwölbung der 
linken Seite und endlich eine starke Neigung des Beckens von rechts 
oben nach links unten vorhanden. 

An diese Publikation von Hirschberger reihen sich zwei 
Beobachtungen von Bonnaire 1 ) (1894 und 1901), in denen die 
Aetiologie sehr deutlich hervortritt. 

1. Bei einem Fötus, bei dem man äußerst ausgesprochenen Olig- 
amnios konstatierte und welcher 20 Stunden nach der Geburt starb, 
fand man alle Teile mit Ausnahme des Skeletts im Zustande voll¬ 
kommener Entwicklung. Die Wirbelsäule zeigt eine rechtskonvexe 
dorso-lumbale Skoliose. Die Wirbel erscheinen nicht um ihre verti¬ 
kale Achse gedreht; eine kompensatorische Krümmung ist nicht vor¬ 
handen. 

2. Es bandelt sich um einen Fötus mit einem großen Nabel¬ 
bruch und mit einer Deformität, bestehend in der Bildung einer 
Skoliose mit einer fehlerhaften Stellung der unteren Extremitäten 
und mit mißbildetem Becken. Im oberen Teil der Dorsalwirbelsäule 
findet sich eine rechtskonvexe Skoliose und unterhalb im Dorso- 
lumbalteil eine kompensatorische Krümmung, welche oberhalb der 
Basis des Kreuzbeins aufhört. 

Der Verfasser nimmt als ätiologisches Moment „Oligamnios“ an. 

In dieselbe Gruppe gehört ein mit Röntgenphotographie aus- 
gestatter Fall von Maaß 2 ). 

Drei Monate altes, wohlgebildetes Kind. 

Bald nach der Geburt bemerkte die Mutter, daß das Kind 
immer krumm lag. Im Alter von 2 Monaten zeigte sich eine deut¬ 
liche Krümmung des Rückgrats, verbunden mit einer stärkeren Vor- 

*) Bonnaire, Bulletins soc. obstet, de Paris 1894. — Derselbe, 
ebenda 1901. 

2 ) Maaß 1. c. 


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382 


A. Perrone. 


Wölbung der linken Rückenseite. Keine Spur von fötaler Rhachitis. 
Es besteht eine linkskonvexe totale Skoliose, die in sanfter gleich¬ 
mäßiger Biegung alle Brust-, sowie die oberen Lenden- und unteren 
Halswirbel in sich schließt und ihren Scheitel in der Höhe des 
IX. Brustwirbels hat. Verfasser glaubt aus Mangel anderer ätio¬ 
logischer Momente die Skoliose als Belastungsdeformität auffassen 
zu müssen. 

Hirschberger zitiert noch einen, wahrscheinlich als Be¬ 
lastungsdeformität zu verstehenden Fall von kongenitaler Skoliose 
von Adams a ). 

Dabei handelt es sich um eine linkskonvexe starke Verkrüm¬ 
mung der Brust- und Lendenwirbelsäule bei einem 2jährigen Kinde 
mit mißstaltetem Becken. Nach der Angabe der Eltern war diese 
Mißbildung angeboren. 

Nach der Meinung von Hirschberger sind noch 2 Fälle von 
Nivert und Casselli in diese Kategorie der als Belastungs¬ 
deformität zu deutenden Skoliosen zu zählen. 

II. Teil. 

Noble Smith 2 ). An der Wirbelsäule sind Skoliose und Spina 
bifida vorhanden. Die seitliche Verkrümmung wird durch den Mangel 
der ganzen linken Hälfte, sowohl des Körpers als der Fortsätze, des 
IX. Dorsalwirbels hervorgerufen. 

Ein ähnlicher Fall von Wyß zitiert Athanassow. 

Hernia ventral, lat. cong. 

Der Lage des XIII. Dorsalwirbels einer kindlichen Wirbelsäule 
entsprechend beobachtet man besonders deutlich in der Ansicht von 
hinten eine leichte rechtskonvexe Skoliose, bedingt durch die Form 
des XIII. Brustwirbels, dessen rechte Seite höher als die linke ist. 
Der Wirbel trägt rechts zwei Bogen, von denen der obere mit einer 
Rippe versehen ist, während auf der linken Seite nur ein Bogen mit 
Rippe vorhanden ist. Die rechte Hälfte des XII. Dorsalwirbels fehlt 
vollkommen und ruft dadurch eine Skoliose hervor, welche durch 
die ungleiche Ausbildung des XIII. Dorsalwirbels überkorrigiert wird. 

Carus 3 ) gibt die Beschreibung eines totgeborenen rhachiti- 
schen Kindes mit deformierter und skoliotischer Wirbelsäule. Die 

j ) Ad am 8 1. c. 2 ) 1. c. 

3 ) C. G. Carus, Zur Lehre der Schwangerschaft. Leipzig 1822. 


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Ueber kongenitale Skoliose. 383 

Mutter des Kindes war infolge von Rhachitis besonders klein ge¬ 
blieben. 

Ein weiterer Fall wurde von Willett und Walsham 1 ) beob¬ 
achtet. 

Eine 31 Jahre alte Frau, deren Mutter eine Verkrümmung der 
Wirbelsäule hatte, ist von Geburt an mit einer Skoliose behaftet. 
Bei der Autopsie konstatierte man im Bereich der oberen Dorsal¬ 
wirbelsäule eine Skoliose, eine ausgedehntere und leichtere kompen¬ 
satorische Krümmung im unteren Abschnitt der Dorsalwirbelsäule. 
Es fehlten 4 1 /* Brustwirbel, 5 Rippen rechts, 4 links. Die Inter¬ 
kostalräume sind abnorm breit. Das Sternum steht schief nach links 
und unten. Die Brusthöhle ist in allen Durchmessern verengert, be¬ 
sonders im sagittalen. 

Athanassow 2 ). 13jähriges Kind, bei dem eine starke rechts¬ 
konvexe lumbo-dorsale Skoliose vorhanden ist. Die Processus spinosi 
sind scheinbar in zwei Reihen angeordnet, welche einen elliptischen 
Raum einschließen — diastasierende Bogenhälften. (Aus dem Atlas 
der orthopädischen Chirurgie von Lüning und Schultheß, Mün¬ 
chen 1901.) 

Derselbe Autor beschreibt noch einen Fall, dem er ausge¬ 
zeichnete Photographien und Radiographien beifügt. 

Es besteht eine linkskonvexe Abbiegung der Wirbelsäule, an 
der das Kreuzbein teilnimmt. Weiter oben geht sie in die rechts¬ 
konvexe Dorsalkrümmung über, am Uebergang beider liegt der 
XII. Dorsalwirbel. Der Scheitel der Lendenkrümmung befindet sich 
in der Höhe des III. und IV. Lendenwirbels. 

Nach der Ansicht des Autors handelt es sich entweder um ein 
Fehlen oder eine rudimentäre Ausbildung einer Wirbelhälfte am 
III. Lumbalwirbel, abnorme Gestaltung des IV. und in geringem 
Grade des II. Möglich wäre auch eine Verschmelzung der beiden 
rechten Wirbelhälften des III. und IV. Lendenwirbels. 

Spina bifida lumbalis. 

In einem Fall von Fleury handelt es sich um ein 6jähriges 
Mädchen, das mit einer Atresia ani zur Welt kam und bei dem 
man im 8. Lebensmonate eine Verkrümmung der Wirbelsäule be¬ 
merkte. Augenblicklich hat das Kind zwischen dem X. Brust- und 
HI. Lendenwirbel eine rechtskonvexe Skoliose, welche, wie das 


>) 1. c. 2 ) 1. c. 

Zeitschrift fi'ir orthopädische Chirurgie. XV Bd. 25 


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384 


A. Perrone. 


Röntgenbild zeigt, durch das Vorhandensein eines überzähligen 
Wirbels zwischen dem XI. und XII. Dorsalwirbel hervorgerufen wird. 

Jetzt zitieren wir noch einen Fall, bei dem die Skoliose nach 
der Ansicht des Autors auf paralytische Störungen zurückzuführen ist 

Coville 1 ). Bei einem 16 Monate alten Kinde sind neben¬ 
einander eine Verbiegung der Wirbelsäule, Luxation des linken Ell¬ 
bogens nach hinten sowie Klumphand rechterseits vorhanden *— alles 
Lähmungserscheinungen. Die Skoliose ist eine zweifache, eine lum¬ 
bale linkskonvexe und eine dorsale mit nach rechts gerichteter Kon¬ 
vexität. Das Kind kann nicht aufrecht sitzen, es beugt sich nach 
vorn über und die Wirbelsäule gewährt dabei den Anblick einer 
sehr ausgesprochenen Kyphose. Das Kind ist seit der Geburt nie¬ 
mals krank gewesen. 

Schließlich finden wir in der Literatur 4 Fälle, wo sogenannte 
fötale Rhachitis mit Verkrümmung der Wirbelsäule vergesellschaftet 
war. Bei drei von ihnen, in den von A. Fischer, Stilling und 
Coville beschriebenen, handelte es sich um Skoliose, bei dem vierten 
•— von Ehrlich publiziert — war eine Kyphose der Lendenwirbel¬ 
säule und eine starke Lordose der Brustwirbelsäule vorhanden. 

III. Teil. 

Smith 2 ). An der Wirbelsäule eines 12jährigen Mädchens 
lassen sich zwei Verkrümmungen, eine im Bereich der Brustwirbel¬ 
säule nach links und eine zweite im Lendenabschnitt nach rechts, 
beobachten, beide anscheinend kompensatorisch infolge einer scharfen 
kongenitalen Einknickung im Nacken. 

Kirmisson 3 ). Bei einem 20 Monate alten Kinde besteht 
neben einem asymmetrischen Schädel eine Skoliose der Wirbelsäule 
nach der linken Seite, sowie ein Tieferstehen der rechten Rippen. 
Die rechte Thoraxhälfte ist umfangreicher als die linke. Das Kind 
starb kurze Zeit nach einer Kraniektomie. Das Gehirn ergab bei 
der Untersuchung keinerlei pathologisch-anatomische Veränderungen. 
Coville 4 ) beschreibt drei verschiedene derartige Fälle von kon¬ 
genitaler Skoliose. 

Bei dem ersten, der von Kirmisson zuerst untersucht ist, 
handelt es sich um eine linkskonvexe Lumbalskoliose bei einem 


*) 1. c. 2 ) 1. c. 3 ) 1. c. 4 ) 1. c. 


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Ueber kongenitale Skoliose. 


385 


2 Monate alten Kind, das nach der Angabe der Eltern von Geburt 
an dieser Mißbildung leidet. 

Der 2. Fall, den Coville nach einer Beobachtung von Ziems-» 
sen beschreibt, betrifft ein löjähriges Mädchen mit enormer rechts¬ 
konvexer Skoliose. Außerdem fallen Kleinheit des Schädels, Muskel¬ 
kontrakturen an den Extremitäten und das Vorhandensein eines 
Pes varus ins Auge. 

Der 3. ist der einzige Fall, den Coville bei seiner Unter-** 
suchung von 1015 Kindern im Alter von 1 Tag bis 3 Monaten fand. 

Der halbe Umfang des Thorax dieses 11 Tage alten Kindes 
mißt rechts 16, links 17 cm. Veränderungen am Skelett oder Zeichen 
von Rhachitis bestehen nicht. 

Zwei Fälle, die in diese Kategorie gehören, veröffentlicht 
Athanassow 1 ). 

1. Bei einem neugeborenen Kinde beobachtete man eine links¬ 
konvexe Totalskoliose, die anfänglich wieder verschwand, im 9. Lebens¬ 
jahre aber wiederkehrte. Später zeigte die Skoliose die Tendenz 
zum Uebergang in eine Lendenskoliose. 

2. Bei einem 18jährigen Mädchen besteht nach der Angabe 
der Mutter seit der Geburt eine leichte linkskonvexe Lumbalskoliose. 

Einen weiteren Fall teilt Guörin 2 ) mit. 

Die Wirbelsäule eines 7jährigen Knaben zeigt zwei seitliche 
Verkrümmungen, eine stärkere, linkskonvexe im Dorsolumbalteil und 
eine schwächere rechtskonvexe in dem Lumbosakralabschnitt. Außer¬ 
dem finden sich Mißbildungen am Truncus, Asymmetrie des Schädels, 
Genu valgum und endlich Lähmungen an den oberen Extremitäten. 
Diese Deformitäten bestehen nach der Erzählung der Eltern von 
Geburt an. 

Carus 3 ). Zwillinge mit deutlich ausgesprochener Skoliose bei 
gleichzeitigem Hervorstehen der rechten Scapula. Die übrigen Or¬ 
gane sind normal, abgesehen von Anomalien der Muskeln von Brust 
und Vorderarm. 

Auch von Foerster und Fleischmann existiert je eine Be¬ 
schreibung einer hierhergehörigen Skoliose. 

Foerster 4 ). Bei einem Fötus von 8 Monaten ist die Wirbel¬ 
säule stark nach links gekrümmt; die Rippen der linken Seite sind 
sehr defekt und bilden eine Spalte der Brustwand. 

l ) 1. c. 2 ) 1. c. 3 ) 1. c. 4 ) 1. c. 


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386 


A. Perrone. 


Fleischmann 1 ). Es handelt sich um eine Doppelskoliose, 
bei der die Rückenwirbel nach links, die Lendenwirbel nach rechts 
und die Halswirbel torquiert sind. 

Es gibt noch mehr derartige Fälle, so von Sayre und Busch, 
die wir aber übergehen möchten, da sie Besonderheiten nicht bieten. 

Jetzt sei es uns gestattet, das zusammenzufassen, was wir in 
den Epikrisen der einzelnen Fälle gesagt haben, und dann einige 
Betrachtungen allgemeiner Natur daran zu knüpfen. 

Bei den drei von uns beschriebenen Fällen erkennen wir also 
eine einheitliche, wenn auch verschiedengradige und allen gemein¬ 
same Ursache der Skoliose, nämlich die unvollständige und unvoll¬ 
kommene Einbeziehung des V. Lendenwirbels ins Kreuzbein, der da¬ 
durch zu einem lumbo-sakralen Uebergangswirbel wird. Es ist klar, 
daß dieser abnorme Prozeß, welcher unbestreitbar bis ins intrauterine 
Leben zurückreicht, einen beträchtlichen Höhenunterschied zwischen 
den beiden Wirbelhälften hervorrufen kann, der sich dann natur¬ 
gemäß bei dem weiteren Wachstum steigern muß. Dieser Niveau¬ 
unterschied veranlaßt selbstverständlich die Wirbelsäule, sich nach 
der tieferen Seite zu neigen und gibt auf diese Weise den Grund 
ab für die Entstehung einer Skoliose. Bei unseren 3 Fällen finden 
wir verschiedene Durchgangsstadien dieses Vorgangs der Einbe¬ 
ziehung; und während er im 1. Fall kaum angedeutet ist, da man 
hier unmöglich den V. Lenden- als I. Sakralwirbel betrachten kann, 
wird er mehr ausgesprochen im 3. Fall, wo aber doch der Proc. 
transv. des V. Lumbalwirbels noch gesondert sichtbar bleibt, und 
schließlich vollkommen im 2. Fall. 

Es ist bekannt, daß das Kreuzbein nach dem Os coccyg. der 
Teil der Wirbelsäule ist, der die meisten Anomalien in der Zahl 
seiner Wirbel zeigt, welche anstatt der normalen Zahl von fünf in 
einer Anzahl von sechs, was häufiger ist, oder vier, was seltener der 
Fall ist, vorhanden sein können. Zur Erklärung dieser Tatsache hat 
man drei besondere Theorien aufgestellt. 

Die erste sehr unklare stammt von Meckel. 

Er führt das Vorhandensein überzähliger Wirbel auf eine ge¬ 
steigerte Bildungstätigkeit bei der Entwicklung der Wirbelsäule, das 
Fehlen auf eine entsprechende Herabsetzung zurück (obscurum, per 
obscurius!). 


l ) 1. c. 


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Ueber kongenitale Skoliose. 


387 


Die zweite von Taruffi verteidigte Theorie läßt uns gleich¬ 
falls zurückgehen bis in die Zeit des embryonalen Lebens und nimmt 
eine ursprünglich abnorme Segmentierung der häutigen Wirbelsäule 
an, die also eine Ueberzahl von Segmenten bei den Individuen dar¬ 
bieten würde, die später überzählige Wirbel werden haben müssen, 
und eine Verminderung der Segmente im entgegengesetzten Falle. 

Die dritte von Regalia im Jahre 1880 aufgestellte Theorie 
gründet sich vollkommen auf die embryologische Tatsache, auf die 
Rosenberg aufmerksam gemacht hat, daß nämlich das Becken im 
Lauf seiner ontogenetischen Entwicklung keinen festen Platz hat, 
sondern langsam entlang der Wirbelsäule emporrückt, indem es nach 
und nach mit immer höher gelegenen Wirbeln in Verbindung tritt. 
So sind die Ossa coxae beim menschlichen Embryo zuerst mit dem 
26., 27., 28. Wirbel, später mit dem 25., 26., 27. in Verbindung; 
sie sind also bis zum 25. Wirbel emporgerückt und haben jeden 
Zusammenhang mit dem 28. verloren. 

Man begreift nun leicht die Veränderungen, welche diese auf¬ 
steigende Bewegung des Beckens in der anatomischen Zusammen¬ 
setzung des Kreuzbeins und der Lendenwirbelsäule herbeiführen muß. 
Id der Tat nimmt das Sacrum bei seinem Aufsteigen neue Elemente 
in sich auf, während die Lendenwirbelsäule im Gegensatz von ihren 
eigenen Bestandteilen verliert. Dieser Assimilationsprozeß kann voll¬ 
kommen sein und es entsteht dann keine Störung im Gleichgewicht 
der Wirbelsäule, sondern nur eine einfache Veränderung in der Zahl 
der Wirbel; oder aber sie kann unvollständig sein, und dann ist 
eine mehr oder weniger ausgesprochene Asymmetrie des Kreuzbeins 
die Folge, welche notwendigerweise ihre besonderen Wirkungen aut 
Becken und Wirbelsäule ausüben muß. Die Anatomen behaupten 
zwar, daß derartige Asymmetrien des Kreuzbeins Beckenabnormitäten, 
insbesondere Schiefheit bedingen, weil die beiden Synchondr. sacro- 
iliac. in verschiedener Höhe liegen; aber bei keinem von ihnen haben 
wir eine Andeutung gefunden, daß eine solche Asymmetrie die direkte 
Ursache einer Skoliose sein kann. Es sei hier besonders bemerkt, 
daß wir stets von einer primären Skoliose sprechen, und nicht von 
einer sekundären, die eine Schiefstellung des Beckens kompensieren 
soll. In unseren Fällen geht zur Evidenz hervor, daß die seitlichen 
Verkrümmungen der Wirbelsäule nichts mit der Stellung und Asym¬ 
metrie des Beckens zu tun haben; denn die beiden Synchondr. sacro- 
iliac. haben eine kaum sichtbare Niveaudiiferenz. Die wirkliche Ur- 


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388 


A. Perrone. 


Sache der Skoliose ist bei ihnen unzweifelhaft in der Abschrägung 
der Flächen des Körpers des mißbildeten Wirbels zu suchen. 

Hinsichtlich der Therapie behaupten die Autoren übereinstim¬ 
mend, daß bis jetzt darüber wenig oder gar nichts zu sagen ist. 
Das ist in der Tat wirklich so, weil es sich in der Mehrzahl der 
von ihnen beschriebenen Fälle fast stets um einen Mangel oder Ver¬ 
mehrung um eine Wirbelhälfte handelte oder um eine Verschmelzung 
von zwei oder mehreren Wirbeln. Es ist klar, daß hier einerseits 
ein chirurgischer Eingriff an den Wirbelkörpern die Festigkeit der 
Wirbelsäule beträchtlich gefährden würde, anderseits die gewöhn¬ 
lichen Mittel wie Gipskorsett, Gymnastik, Massage etc. nur sehr 
kümmerliche Resultate geben könnten, da sie selbst in günstigen 
Fällen nur bis zu einem gewissen Punkte im Sinne einer Hintan¬ 
haltung der stetigen Zunahme der Skoliose zu wirken vermögen. 

Umgekehrt kann man bei unseren Fällen unseres Erachtens 
an die Möglichkeit der Anwendung einer aussichtsvollen Therapie 
denken. Wir glauben in der Tat, daß ein chirurgischer Eingriff, 
besonders in der ersten Zeit des Lebens unternommen, wenn näm¬ 
lich die kompensatorischen Krümmungen noch nicht so zur Entwick¬ 
lung gekommen sind und die Wirbelkörper noch nicht eine stärkere 
Drehung ausgeführt haben, nicht zu gewagt sei, noch ohne Aussicht 
auf Erfolg. 

Die Operation müßte darin bestehen, die Knochenbrücke, welche 
abnormerweise unvollständig (Fall I) oder vollständig (Fall II und III) 
den Querfortsatz des V. Lumbalwirbels mit dem entsprechenden 
Seitenteil des Kreuzbeins verbindet, zu sprengen. Dabei hätte man 
nur die Absicht zu verfolgen, die Asymmetrie zu beseitigen und die 
normalen Verhältnisse der Wirbelsäule wiederherzustellen, ohne im 
geringsten ihre Festigkeit zu gefährden. Ein gutes Gipskorsett in 
der ersten Zeit, später Gymnastik, Massage, Elektrotherapie etc. 
könnten vielleicht einen ungeahnten Heilerfolg zeitigen. Die zwei 
Momente, auf welche wir noch einmal zusammenfassend hinweisen 
möchten, und die als wichtiges Ergebnis dieser Arbeit zu betrachten 
sind, lassen sich in zwei Sätze formulieren. 

I. Zu den bisher anerkannten Ursachen einer kongenitalen 
Skoliose muß man die durchaus nicht seltene Asymmetrie des Sacrum 
hinzufügen. 

II. Die Prognose solcher Fälle ist viel günstiger zu stellen als 
die der übrigen. 


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Ueber kongenitale Skoliose. 


389 


Nun möchten wir uns höflichst erlauben, Herrn Geheimerat 
Professor Orth unseren verbindlichsten Dank für die freundliche 
Ueberweisung von drei so interessanten Präparaten abzustatten. 
Gleichzeitig kommen wir der angenehmen Verpflichtung nach, 
Herrn Privatdozent Dr. Schultheß (Zürich) für das freund¬ 
liche Interesse für unsere Arbeit zu danken; ebenso Herrn Professor 
Hoffa für die Ehre, die er uns durch das Lesen unserer Arbeit 
erwiesen hat. 


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XXIII. 


Ein neues Stützkorsett 

zur Maskierung der Deformität bei Skoliotikern 
mit großem Rippenbuckel. 

Von 

Dr. Engen Kopits, 

ordinierender Arzt für orthopädische Chirurgie im Stefanie-Kinderspital 

zu Budapest. 

Mit 6 in den Text gedruckten Abbildungen. 

In der Behandlung der Skoliose befolgen wir heutzutage im 
allgemeinen jenen Behandlungsplan, welcher die Kräftigung der 
Rückenmuskulatur mit Hilfe der Massage und Gymnastik, die 
Mobilisierung des Rückgrates durch verschiedene aktive und 
passive Uebungen, sowie durch Anwendung von zu diesem Behufe 
konstruierten Apparaten, schließlich die Fixierung der durch dieses 
Vorgehen erreichten Resultate mit entsprechendem Stützapparate, 
zum Zwecke hat. Keines dieser Behaudlungsmittel ist entbehrlich, 
und derjenige, der die Skoliose nur vermöge der Gymnastik heilen 
will, begeht einen ebenso großen Fehler als derjenige, welcher zu 
demselben Zwecke nur ein Korsett allein verwendet. Wer bei der 
Behandlung der Skoliose es bloß bei dem Korsett bewenden läßt, 
schadet sogar dem Kranken mehr als er ihm nützt, denn der im 
Korsett fixierte Rumpf macht kaum irgend eine Bewegung, demzu¬ 
folge die an und für sich schon schwachen Rückenmuskeln, ihrer 
Untätigkeit halber, nur noch mehr geschwächt werden. Möge das 
Korsett den Rumpf noch so gut redressieren, wird sein Tragen 
dennoch erfolglos sein, weil der Rumpf bei dessen Nichtbenützung 
infolge der Verkrüppelung der Muskulatur sozusagen zusammenfällt 
Aber durch die Behandlung mit der Gymnastik allein wird der Er¬ 
folg auch nicht vollkommen sein, wenn nicht gleichzeitig für ent¬ 
sprechende Apparate gesorgt wird, welche das Rückgrat, soweit 


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Ein neues Stützkorsett zur Maskierung der Deformität etc. 


391 


dessen Beweglichkeit dies nur gestattet, in einer gestreckten Lage 
erhalten. 

Schon in dem Anfangsstadium der Skoliose, wenn die Verkrüm¬ 
mung des Rückgrates nur noch als eine sich oft erneuernde habi¬ 
tuelle schlechte Körperhaltung zeigt, muß neben der Kräftigung 
und Disziplinierung der Muskulatur gleichzeitig das Sitzen mit ge¬ 
krümmtem Rückgrate durch längere Zeit verhindert werden. Dies 
ergibt sich von selbst aus der Kenntnis der Entwicklungsmechanik der 
Skoliose. Wenn das heranwachsende Kind stundenlang mit ver¬ 
krümmtem Rückgrate sitzt, wirkt das auf seine noch plastibilen, ja 
sogar erweichten Wirbelknochen so nachteilig, daß die täglich nur 
kurze Zeit dauernden redressierenden Uebungen dem Uebel zu steuern 
nicht im stände sind, sondern es erfolgt trotzdem eine Anpassung 
der einzelnen Wirbel, sowie der Bänder an die aus der Veränderung 
der statischen Verhältnisse des Rückgrates entstehenden Nebenver¬ 
krümmungen, die Rippendeformitäten, mit einem Worte: die Seiten¬ 
verkrümmung des Rückgrates wird eine konstante. Dann empfehlen 
schon auch jene das Tragen des orthopädischen Korsetts, welche bis 
dahin, als eine skoliotische Körperhaltung nur noch wahrnehmbar 
wurde, gegen dessen Benützung waren. Nur daß, während damals 
das Rückgrat des Kranken passiv, oft aktiv, vollständig ausgleich¬ 
bar war und es in dieser Lage mit Hilfe des Korsetts zu er¬ 
halten war, später nach der Fixierung der Skoliose, die Aus¬ 
gleichung schon nur teilweise, je nach dem Grade der Steifigkeit 
des Rückgrates, möglich ist. Aus diesem Grunde erachte ich es für 
unbedingt notwendig, daß das Kind schon in dem Anfangsstadium 
der Skoliose, besonders aber dann, wenn die Skoliose schon einiger¬ 
maßen fixiert ist, ein Korsett tragen soll, denn in diesem Zustande 
sind die einzelnen Wirbel in ihrer pathologischen Lage infolge des 
Druckes der Körperschwere einer beständigen Umgestaltung unter¬ 
worfen. Demnach ist das Tragen des Korsetts zur Verhinderung 
der Deformitätsentwicklung, zur Vermeidung ihrer Verschlimmerung, 
sowie zur Fixierung des erreichten Erfolges durch die Behandlung 
notwendig. 

Daher ist das orthopädische Korsett das unentbehrliche 
Hilfsmittel in der Behandlung der Skoliose. 

Viele Eltern, sogar auch Aerzte, fürchten sich vor der Benützung 
des Korsetts, indem sie dafürhalten, daß es die allgemeine körper¬ 
liche Gesundheit des heranwachsenden Kindes bedroht und auf die 


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392 


Eugen Kopits. 


Entwicklung der Brustorgane störend wirkt. Dies verdanken wir 
hauptsächlich dem Umstande, daß das orthopädische Korsett den¬ 
selben Namen als der zur Verunzierung der Frauentaille dienende 
bekannte Toiletteartikel führt. Die schädliche Wirkung des letzteren 
zeigt sich hauptsächlich darin, daß es, zusammengeschnürt, die Taille 
nur um diesen Preis zu einer schlanken macht, daß es auf allen 
Punkten des Körperumfanges in der Richtung der Radien nach innen 
einen Druck ausübend, die zwischen dem Brustkörbe und dem Becken 
befindlichen Organe konzentrisch zusammenpreßt und dieselben gleich¬ 
zeitig nach abwärts teils in das Becken, teils nach oben gegen das 
Zwerchfell drückt. Das Frauenmieder läßt infolge seiner Konstruk¬ 
tion seiner Trägerin freien Spielraum zur Entfaltung dieser schäd¬ 
lichen Wirkung, indem es beliebig zusammengeschnürt werden kann. 
Es ist daher nur natürlich, daß, wenn derartig konstruierte Korsetts 
zu orthopädischen Zwecken benützt werden, dieselben von ebenso 
schädlicher Wirkung sind. Das richtige orthopädische Korsett aber 
darf in erster Linie nur bis zu einem gewissen Grade zusammen- 
schnürbar sein, soweit dies schon bei der Herstellung des Gipsab¬ 
druckes bestimmt wurde; es muß sowohl durch sein Material als 
auch durch seine Konstruktion die Zusammenschnürung des Rumpfes 
verhindern; darf weder die Organe des Unterleibes, noch den Brust¬ 
korb drücken; sein Verbleiben auf der gewünschten Stelle hingegen 
darf nicht mittels einer zu festen Zusammenschnürung gesichert 
werden. Das richtige orthopädische Korsett muß, seinem Zweck 
entsprechend, neben der Vermeidung dieser schädlichen Eigenschaften 
den Rumpf, respektive das Rückgrat soweit als nur möglich gestreckt 
und in reklinierter Stellung halten. Ein solches Korsett behindert 
weder die Entwicklung der Brustorgane, noch aber wirkt es schäd¬ 
lich auf die allgemeine körperliche Gesundheit. Unsere Erfahrungen 
lehren uns vielmehr, daß die in unserer Behandlung stehenden Kinder 
körperlich herrlich gedeihen, ohne Zweifel deshalb: weil wir neben 
dem Tragen des Korsetts die Gymnastik als ein unerläßliches Er¬ 
fordernis der Skoliosenbehandlung halten. 

Ich kann mich hier in die Beschreibung und Beurteilung der 
im Gebrauche befindlichen verschiedenen Korsetts nicht einlassen und 
will nur von demjenigen sprechen, welches von mir benützt wird 
und welches ich aus Erfahrung für zweckdienlich halte. Das ist 
das Korsett mit einem Hinterteile aus hartem Leder und einem weichen 
Vorderteile, dessen Form und Konstruktion Dollinger zu verdanken 


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Ein neues Stützkorsett zur Maskierung der Deformität etc. 


393 


ist und welches von mir in seiner Form für Skoliotiker mit großem 
Kippenbuckel zum Stützen und gleichzeitigem Maskieren der De¬ 
formität konstruiert wurde; dieses Korsett beabsichtige ich näher 
zu beschreiben. 

Wie erzeugt nun dieses orthopädische Korsett die gewünschte 
Wirkung? 

Im Anfangsstadium der Skoliose, wenn das Rückgrat zumeist 
noch ganz biegsam ist, gleicht es sich bei suspendierten Kranken 
vollkommen aus: beide Hälften des Brustkorbes werden symmetrisch, 
die Niveaudifferenz der Hüften verschwindet, mit einem Worte, es 
entsteht die normale Form des Rumpfes. In dieser Lage wird der 
Gipsabdruck des Rumpfes hergestellt, an dem Gipstorso wird ein 
solches Korsett konstruiert, dessen hinterer Teil aus hartem Leder 
ist und sich an die Taille anschmiegt, während der vordere Teil aus 
weichem, aber stärkerem Stoffe ist, und welcher vorn in der Mittel¬ 
linie durch Schnüre befestigt, die Verschiebung des rückwärtigen 
Teiles verhindert. Wenn wir ein auf diese Weise konstruiertes 
Korsett dann an den mittels Suspension korrigierten Rumpf anbringen, 
sind wir im stände, den Rumpf und damit das Rückgrat in der 
korrigierten Lage auch zu erhalten. Der mittels Suspension exten¬ 
dierte Rumpf bestrebt sich nämlich, sobald die Suspension auf hört, 
in das — der Form des Gipsabdruckes entsprechende — trichter¬ 
förmige Korsett herabzusinken; aber dadurch, daß das Korsett sich 
unten an die Hüften stützt, anderseits aber, daß es sich mit seinen 
Seitenteilen genau an den sich versenkenden Brustkorb anschmiegt, 
wird ein Zurücksinken des Rumpfes in die pathologische Lage 
verhindert. 

Die richtige Körperhaltung wird auch noch durch die Benützung 
der von Dollinger konstruierten, an die Seitenschienen des Korsetts 
angebrachten Schulterhalter gesteigert. Mit deren Hilfe werden die 
Schultern zurückgezogen und so das Vorwärtssenken verhindert, die 
Schulterblätter werden an den Rumpf angeschmiegt gehalten und 
gleichzeitig wird die Schwere der Schultern zurückgeschoben. Im 
Anfangsstadium der Skoliose kommt die Seitenverkrümmung des 
Rückgrates meist gleichzeitig mit einem runden Rücken zum Vor¬ 
schein; in solchen Fällen hört mit der Reklination des Rückgrates 
auch dessen Seitenkrümmung auf. Das besprochene Korsett kann 
daher in solchen Fällen schon dadurch, daß es das Rückgrat rekliniert 
hält, seine vollständige Wirkung erzielen. 


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394 


Eugen Kopits. 


Bei hochgradigen Skoliosen, wo die Verkrümmung des Rück¬ 
grates fixiert ist, das Rückgrat infolge der Veränderung der statischen 
Verhältnisse mehrfache Verkrümmungen bildet, ist die Kurve des 
Rückgrates wegen der zwischen den Gelenken der einzelnen Wirbel 
entwickelten Pseudoankylosen mehr oder weniger steif. Den ein¬ 
zelnen Kurven entsprechend befinden sich an dessen Konvexseite aus 
der Rotation des Rückgrates entstehende Rippenbuckel, während an 
der Konkavseite der Brustkorb eingefallen ist; in diesem Grade der 
Deformität ist der Rumpf mittels der Suspension nicht mehr voll¬ 
kommen ausgleichbar, selbst dann nicht, wenn neben der Suspension 
auch noch andere Detorsionsverfahren angewendet werden; nur das 
Rückgrat gleicht sich bis zu einem gewissen Grade aus, soweit dies 
eben dessen Biegsamkeit gestattet, die Rippenbuckel aber bleiben 
unverändert. 

Bei solchen Fällen sind auch an den Gipstorsos, den Rippen¬ 
buckeln und Vertiefungen entsprechende Unebenheiten sichtbar. Mit 
dem oben besprochenen Korsett gelingt auch jetzt die durch Sus¬ 
pension erreichte korrigierte Stellung des Rumpfes zu erhalten, worin 
die den einzelnen Kurven entsprechenden Rippenbuckel, eine gute 
Stützfläche bietend, uns behilflich sind. Die den mehrfachen Ver¬ 
krümmungen entsprechenden Rippenbuckel können wir zur exten¬ 
dierten Haltung des Rückgrates in der Weise benützen, daß wir die 
einzelnen Kurven an der Konkavseite mit Benützung der Fläche des 
über der Kurve gelegenen entgegengesetzten Rippenbuckels stützen. 
Wenn zu diesem Zwecke für den deformierten Rumpf das oben er¬ 
wähnte Lederkorsett mit hartem Hinterteile angebracht wird, muß 
dasselbe wegen der Fixierung der mittels Suspension korrigierten 
Stellung den Rumpf sowohl an der eingefallenen Konkavseite, als 
auch an der stark erhöhten Konvexseite vollkommen plastisch um¬ 
spannen. Aus der Benützung des Korsetts in dieser Weise ergeben 
sich zwei Nachteile: 

1. Indem die Platte des Korsetts sich auch an die eingefallene 
Seite des Brustkorbes vollkommen anschmiegt, verhindert sie beim 
Atmen dessen Erweiterung. 

2. Indem das Korsett den Rumpf in seiner deformierten Gestalt 
umspannt, zeigt es die Deformität auch durch die Kleider hindurch, 
oftmals auch trotz der an dem Korsett äußerlich angebrachten Mas¬ 
kierung umso auffallender. 

Im Bestreben, diesen Mängeln beim Korsett — bei hochgradigen 


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Ein neues Stützkorsett zur Maskierung der Deformität etc. 395 

Deformitäten — abzuhelfen, habe ich das Korsett folgendermaßen 
konstruiert: ich benützte die vorerwähnte Stützung des 
oberhalb der Kurve liegenden Rippenbuckels, aber nur 
mit Anwendung von so viel Fläche des Korsetts, als 
eben zur guten Stützung unbedingt erforderlich ist. 
Die an der Konkavseite der Kurve befindliche Brust¬ 
korbvertiefung jedoch habe ich unbedeckt gelassen, 

Fig. 1. 



wodurch der Erweiterung der vertieften Brustkorb¬ 
fläche freier Raum gelassen wurde. Damit aber gleich¬ 
zeitig auch die Deformität maskiert werde, habe ich die 
Brustkorbvertiefung in der Höhe des Rippenbuckels, oder 
wenigstens annähernd in dessen Höhe, mit der die eine Seite 
des Korsetts bildenden harten Lederplatte überbrückt und 
verdeckt. Ein solches Korsett (Fig. 1) zeigt von außen eine voll¬ 
kommen symmetrische Gestalt, von innen hingegen (Fig. 2), der 
Konkavseite, der Hauptverkrümmung entsprechend (nach Bedarf 
eventuell auch bei mehreren Kurven), ist es mit einer Stützfläche 


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396 


Eugen Kopits. 


(Fig. 2a) versehen, welche konform dem Negativabdrucke der unteren 
Fläche des oberhalb der Kurve liegenden Rippenbuckels sich daselbst 
sicher anpaßt und so das Herabsinken des gestreckten Rumpfes in 
das Korsett verhindert. 

Die Herstellung des Korsetts geschieht folgenderweise: Zum 
Zwecke der Vertiefung des Gipsabdruckes wird der Kranke mit ent¬ 
blößtem Rumpfe beim Kopfe mittels des bekannten Say re sehen 


Fig. 2. 



Apparates suspendiert und das Rückgrat auf diese Weise soweit 
als möglich ausgeglichen. Für die Suspension ist es maßgebend, 
daß der Kranke mit seinen Fersen den Boden kaum berühre; er 
darf nicht auf den Fußspitzen stehen, sonst verändern, infolge der 
Schwingung des Kranken die Hüften, das Rückgrat und der ganze 
Rumpf während der Herstellung des Gipsabdruckes ihre Lage, was 
sehr störend wirkt. Wenn ich zur Herstellung des Korsetts die 
gehörige Zeit habe, lasse ich die ruhige Suspension vor der Vor¬ 
nahme des Gipsabdruckes durch mehrere Tage einüben. Den nega¬ 
tiven Gipsabdruck bereite ich aus in laues Wasser getauchten 15 cm 
breiten Gipsbinden; bin besonders darauf bedacht, daß die einzelnen 
Bindentouren ohne jede Spannung sich an den Rumpf anschmiegen 
und dessen Vertiefungen nicht überbrücken sollen. Besonders genau 
müssen die Cristae ilei, die Spinae ant. sup., sowie die neben dem 
Rückgrat befindlichen Rippenbuckel modelliert werden. Binden- 


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Ein neues Stützkorsett zur Maskierung der Deformität etc. 397 


Verdrehungen, Einziehungen müssen vermieden werden, ebenso dürfen 
die Lendenteile mittels der Binden nicht schlank gedrückt werden. 
Nach der Größe des Rumpfes sind fünf bis sechs Stück Binden zur Her¬ 
stellung des Gipsabdruckes nötig. An dem noch am Rumpfe liegenden 
Modelle zeichne ich — nach der Erstarrung des Gipses — die Um¬ 
risse des Korsetts und dann schneide ich es in der Mittellinie der 
Brust über der schon früher angelegten Schnur auf. Das Modell 
muß sehr vorsichtig von dem Rumpfe herabgenommen werden, damit 

Fig. 3. 



es weder eingedrückt noch gebrochen werde. So wird der negative 
Gipsabdruck hergestellt, welcher mit Gipsbrei ausgefüllt wird. In 
dem derart gewonnenen Gipstorso bekomme ich die genaue Kopie 
des deformierten Rumpfes (Fig. 3). Großes Gewicht lege ich darauf, 
daß an dem Gipsmodelle die Cristae ilei und die Spinae aut. sup. 
besonders plastisch ausgebildet werden; ich lasse sogar — zur Ver¬ 
meidung eines Druckes von seiten des Korsetts — an deren Stelle 
Lederstücke in übereinander gelegten Schichten annageln und zwar 
in der Weise, daß deren Ränder sich in der Fläche des Gipsmodells 
in einer schiefen Ebene verlieren. An dem Gipsmodelle bestimme 
ich, wo die Kurve des Rückgrates gestützt werden und auf welche 
große Fläche des darüber liegenden Rippenbuckels die im Korsett 
unterzubringende Stützfläche (Fig. 3c) sich erstrecken soll. 


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398 


Eugen Kopits. 


Bei der Herstellung des Korsetts beginnt der Bandagist damit, 
daß er auf die zur Stützung bestimmte Fläche einen durch Feuch¬ 
tigkeit plastibil gemachten Lederlappen auflegt, den er an das Modell 
genau anschmiegt und bis zu dessen vollständiger Verhärtung auf 
dem Modell läßt. Damit diese Lederplatte unverändert bewahrt 
werde, lasse ich an ihre hintere Fläche eine dünne Stahlplatte an¬ 
nieten. Das so vorbereitete Stützblatt wird vorläufig beiseite gelegt. 
Hernach korrigiere ich das deformierte Gipsmodell derart, daß ich 

die eingefallene Seite des Rumpfes 
mit Gipsbrei so hoch, wie die 
erhöhte Seite ist, ausfülle, indem 
ich die deformierte Gestalt so¬ 
weit als möglich symmetrisch 
mache (Fig. 4). Natürlich darf 
bei einem sehr hohen, scharfen 
Rippenbuckel die hochgradige 
Erhöhung nicht vollständig nach¬ 
geahmt werden, sondern man 
muß sich mit einer geringeren 
Ausfüllung begnügen. Auch dar¬ 
auf muß Rücksicht genommen 
werden, daß die Füllung auf der 
eingefallenen Seite nur bis zur 
oberen Umrißlinie des herzustel¬ 
lenden Korsetts reichen soll, weil 
sonst das Korsett an dieser Stelle 
vom Rumpfe zu sehr wegsteht. 

Auf das derart korrigierte Modell spannt der Bandagist her¬ 
nach die dem hinteren Teile des Korsetts entsprechende Lederplatte 
auf, die auf dem Modelle wieder bis zur vollständigen Verhärtung 
gelassen wird. Sind die hinteren Lederplatten des Korsetts in dieser 
Weise hergestellt, entfernen wir von dem Gipsmodelle wieder die 
aufgelegte korrigierende Gipsschichte, indem wir dessen ursprüngliche 
deformierte Gestalt herstellen. Die schon früher hergestellte und 
beiseite gelegte, mit einer Stahlplatte versehene, zur Stützung die¬ 
nende Lederplatte wird auf die ursprüngliche Stelle des Gipsmodells 
gelegt und mit der, an dem korrigierten Modelle hergestellten, hin¬ 
teren Lederplatte des Korsetts vernietet. Dadurch bekomme ich in 
dem Korsett, an der Konkavseite der der Krümmung entsprechenden 



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Ein neues Stützkorsett zur Maskierung der Deformität etc. 


399 


Seite des Hinterteiles des Korsetts, am oberen Rande eine bank¬ 
förmig hervorstehende schiefe Fläche, welche oberhalb der dorsalen 
Krümmung des suspendierten Kranken auf die untere Fläche des 
auf der entgegengesetzten Seite befindlichen Rippenbuckels paßt. 
Diese stützt sich daselbst und verhindert das Zurücksinken des 
mittels Suspension gestreckten Rumpfes in das Korsett. Die am 
korrigierten Modell hergestellte Lederplatte (Fig. 26) hingegen zieht 


Fig. 5. 



sich hinter diesem Stützbänkchen vorbei und überbrückt ganz bis 
zur Hüfte die Vertiefung des Brustkorbes an der Konkavseite der 
Krümmung, indem dadurch die Erweiterung der eingefallenen Brust¬ 
korbhälfte ermöglicht und gleichzeitig die Deformität maskiert wird. 
Die zwei Platten des Hinterteiles des Korsetts sind in der Mittel¬ 
linie des Rumpfes durch ein 2 cm breites Leinwandband verbunden. 
Die einzelnen Platten bedecken beide Hälften des Rückens, nach oben 
zur Mitte der Schulterblätter, nach abwärts 2—3 cm über der Spitze 
der Trochanteren, nach vorn zu erstrecken sie sich bis zur vorderen 
Achsellinie, jedoch nur bis zu den Cristae ilei; von da erstrecken 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XV. Bd. 26 


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400 


Eugen Kopits. 


sie sich nach vorn bis zu den Spinae ant. sup., unter welchen sie 
schief in der Linie des unteren Randes des Korsetts hinunterlaufen. 
Ich halte es für sehr wichtig, daß das Korsett auf dem Becken eine 
gute Stütze finde; deshalb lasse ich den Beckenteil des Korsetts so 
groß hersteilen, damit er die Cristae ilei bis zu den Spinae ant. 
sup. vollständig bedecken soll (Fig. 5). Je größer die Fläche ist. 
mit der sich das Korsett an diese Stelle stützt, desto vollkommener 

Fig. 6. 



kann der Rumpf in seiner gestreckten Lage erhalten werden. Eine 
besonders große Aufmerksamkeit verwende ich auf die Ausarbeitung 
dieses Teiles des Korsetts, denn die her vorstehenden Cristae ilei 
dürfen nicht im geringsten gedrückt werden. Zu diesem Behufe 
lasse ich — wie ich bereits erwähnt habe — auf dem Gipstorso an 
die Stelle der Cristae ilei Lederstücke annageln, wodurch sich das 
aufgezogene Lederblatt gehörig wölbt. Die harten Lederplatten 
des hinteren Teiles des Korsetts werden durch an ihre Ränder an¬ 
genietete halbrunde Stahlschienen in ihrer ursprünglichen Form ge¬ 
halten. Dies ist die einzige Aufgabe der Schienen. Das Korsett 
darf weder durch die Schienen drücken, noch auch stützen. 
Diese Schienen laufen an den Rändern der Lederplatten herab, eine 


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Ein neues Stützkorsett zur Maskierung der Deformität etc. 


401 


hingegen läuft bogenförmig von dem Lendenteile nach vorn, parallel 
mit den Cristae ilei; von hier gelangt sie wieder, am Rande der Leder¬ 
platte, vor die Spinae ant. sup., von wo sie in die rings um den 
unteren Rand laufende Schiene sich schief hinzieht. Von Wichtig¬ 
keit ist es, daß auch an dieser Stelle die Schienen keinen Stützpunkt 
bilden, sondern daß das Korsett hier mit der plastisch anliegenden 
harten Lederplatte auf dem Becken liegen soll. Der hintere Teil 
des Korsetts wird durch einen mit Fischbeinstäbchen versehenen 
Vorderteil aus starker Leinwand festgehalten, welcher in der Mittel¬ 
linie zusammenschnürbar ist. Dieser Vorderteil reicht oben bis zu 
den Brustwarzen, unten aber bis zu den Spinae ant. superiores. 

Zum Anlegen des Korsetts muß der Kranke selbstverständlich 
jedesmal suspendiert werden. 

Das Korsett entspricht seiner Aufgabe dann, wenn es den 
Rumpf gestreckt hält, die Erweiterung des Brustkorbes nicht be¬ 
hindert und gleichzeitig die Deformität maskiert. In dem durch die 
Figuren veranschaulichten Falle (Fig. G) erfüllt das Korsett seine 
Aufgabe; denn die Körperhöhe des Kranken ist ohne Korsett 155,6 cm, 
in dem Korsett aber 158,7 cm. Daß auch die Deformität gleichzeitig 
mit dem Korsett maskiert werden kann, vergleichen wir zu diesem 
Zwecke Fig. 6 mit Fig. 1. 

Das Korsett ist für solche Kranke geeignet, deren Rückgrat 
seine Biegsamkeit verloren hat, sich durch Suspension nicht aus¬ 
gleicht; Kranke, die größere Rippenbuckel haben und deren defor¬ 
mierte Gestalt des Rumpfes trotz der Suspension verbleibt. Es ist 
sowohl bei Verkrümmungen mit einer Kurve oder mehreren ver¬ 
wendbar, am besten jedoch bei solchen Skoliotikern, bei denen die 
Hauptverkrümmung des Rückgrates auf den dorsalen Teil fällt und 
oberhalb dieser Verkrümmung in dem cervikalen und oberen dorsalen 
Teile in entgegengesetzter Richtung auch eine Verkrümmung sich 
befindet. Besonders zu empfehlen ist das Korsett für Er¬ 
wachsene, welche neben der gestreckten Haltung ihres 
Rückgrates zugleich auch auf die Maskierung ihrer De¬ 
formität Gewicht legen. 


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XXIV. 


(Aus der chirurgisch-orthopädischen Klinik des Herrn Geheimrats 
Prof. Dr. A. Hoffa in Berlin.) 

Zur mechanischen Behandlung der 
Hüftgelenkskontrakturen. 

Von 

Dr. Simon Silberstein, 

Assistent der Hoffaschen Klinik. 

Mit 5 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Einen rationellen Weg zur Behandlung der Hüftkontrakturen 
einzuschlagen, ist zweifellos nur dann möglich, wenn die Prinzipien, 
die den dominierenden Methoden zu Grunde liegen, richtig gewür¬ 
digt sind. Nachdem man die Einsicht in die Vorteile resp. Nach¬ 
teile derselben gewonnen hat, sind auch die Forderungen klar, die 
einer rationellen Methode gestellt werden müssen. Um dieser Auf¬ 
gabe näher zu treten, scheint mir aber unbedingt nötig, wenn auch 
kurz, der pathologischen Veränderungen, sowie der mechanischen 
Verhältnisse des Gelenkes Erwähnung zu tun. 

Wie bekannt, sind es entweder knöcherne Verwachsungen 
(relativ selten) zwischen den das Gelenk konstituierenden Knochen- 
teilen — Ankylosen, oder es sind Verwachsungen fibrösen Charak¬ 
ters, die sich auf die knorpelige, bindegewebige Umgebung des Ge¬ 
lenkes beziehen, nutritive Schrumpfungen, die auch die umgebende 
Muskulatur befallen können — Kontrakturen. Die Kontrakturen 
können sich aber auch, hervorgerufen durch die von dem kranken 
Gelenk ausgehenden Reflexe, auf spastische Verkürzung der um¬ 
gebenden Muskulatur beziehen. Die Prozesse, die sich hauptsächlich 
bei der tuberkulösen Coxitis abspielen, welche die meisten Ver¬ 
krümmungen des Hüftgelenkes liefern, verdanken ihren Ursprung der 
Erkrankung des Knochens resp. Synovialis; sie, die Coxit. tuberc., 
zeichnet sich unter allen anderen hier vorkommenden Erkrankungen 


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Zur mechanischen Behandlung der Hüftgelenkskontrakturen. 403 

wie gonorrhoischen, nach Infektionskrankheiten, deformierenden durch 
besondere Empfindlichkeit aus, durch besondere Neigung, manchmal bei 
den kleinsten mechanischen Insulten Rezidive und Verschlimmerungen 
zu zeitigen. Was die Behandlung betrifft, so unterliegen die echten Anky¬ 
losen, die durch knöcherne Verwachsung entstanden sind, den blutig ope¬ 
rativen Eingriffen, alles übrige läßt sich bei entsprechender Indikation 
in einem großen Prozentsatz der Fälle durch mechanische Behandlung 
günstig beeinflussen. Die mechanische Behandlung soll die perversen 
mechanischen Verhältnisse im Gelenke, die die Krankheit geschaffen hat, 
auf heben, im besten Falle die Funktion hersteilen und, wenn nicht 
wenigstens den konstituierenden Gelenkteilen die Gegenstellung geben, 
die am erträglichsten und nützlichsten für den Kranken sein kann, 
vorausgesetzt, daß die Zerstörung eines oder beider Gelenkenden nicht 
so weit gegangen ist, daß nach geschehener Geraderichtung eine 
Hoffnung auf Erhaltung der geschaffenen Lageverhältnisse nicht 
mehr vorhanden ist. Es werden also Fälle von großer Zerstörung 
des Kopfes resp. der Pfanne keine genügende Aussicht auf Erfolg 
einer mechanischen Behandlung haben. — Das Hüftgelenk ist be¬ 
kanntlich ein Kugelgelenk, das nach allen Richtungen die Bewegung 
gestattet. Durch diese Vorrichtung sind verschiedene Knochen¬ 
systeme miteinander verbunden: das kurze unförmliche Becken mit 
dem langen schlanken Hebel — dem Bein, das etwa die Länge des 
Beckens um das Fünffache übertrifft. Infolgedessen wird jede Ge¬ 
walt resp. Kraft, die auf den langen Hebel, das Bein, wirkt, auch 
einen dementsprechend größeren Effekt ausüben, als die auf das 
kürzere Becken wirkende. Dieser Umstand fällt schwer ins Gewicht 
bei der mechanischen Geraderichtung einer Kontraktur. Um eine 
Distraktion einer Kontraktur zu stände zu bringen, muß der Gegen¬ 
widerstand seitens des Beckens in jedem Moment der Redression 
gleichwertig der auf das Bein wirkenden Kraft sein, sonst wird 
keine Distraktion, sondern einfach eine Mitbewegung des Beckens 
zu stände kommen. Nun, da einmal das Becken einen um 
so viel kürzeren Hebelarm darstellt, so muß folglich auch die 
Kraft, die den entsprechenden Widerstand leisten könnte, um 
so viel größer sein. Wenn wir zugleich in Betracht ziehen, daß 
das Becken einen so unförmlich gebauten Körper darstellt, daß kein 
passender Applikationspunkt für die Kraft zu finden ist, so wird die 
große Schwierigkeit, die der mechanischen Behandlung von Anfang 
an entgegensteht, gleich klar sein. — Auf welche Weise man 


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404 


Simon Silberstein. 


diesem Uebelstand bei verschiedenen Methoden zu Leibe gegangen 
ist, werden wir weiter auseinandersetzen. — Was aber die Methoden 
betrifft, wie man die redressierende Kraft an dem langen Hebelarm 
ansetzt, so unterscheiden sie sich wesentlich von einander. 

Die in der Praxis gebräuchlichste Methode, die Extension nach 
Volkmann, stellt einen Typus dar, zu dem die Redression nach 
Dollinger und die vermittels der Etappen verbände zu zählen sind. 
Das Gemeinsame, was sie haben, ist die Redression ohne Narkose, 
was ihnen einen besonderen Charakter verleiht. Da es ohne Nar¬ 
kose geschehen soll, so ist somit auch schon gesagt, daß man auf 
eine langsame Dehnung der kontrakten Teile rechnet, weil ja die 
Schmerzäußerung eine gewisse Garantie gegen ein zu brüskes Ver¬ 
fahren bietet: man redressiert eben so weit es geht, bei der ersten 
Redressionsmethode steigert man nach Möglichkeit das Gewicht, bei 
der zweiten und dritten bleibt man einstweilen beim maximal erreich¬ 
baren Redressionswinkel stehen. Es erleiden die Weichteile bei den ge¬ 
nannten Methoden die minimalste Läsion, es wird nur auf die 
Dehnungsfähigkeit der versteiften Weichteile, auf das allmähliche 
Ermüden, Nachlassen der spastisch kontrahierten Muskeln gerechnet. 
In Bezug auf die Gleichmäßigkeit der Wirkung möchte ich der 
ersten Methode den Vorzug geben: die immerwährende, Tag und 
Nacht wirkende Kraft der Schwere bietet so eine ununterbrochene 
Arbeit, die der Wirkung eines ununterbrochen fallenden Wasser¬ 
tropfens auf einen Stein gleicht, der spastische Muskel erlahmt 
endlich und gibt nach, das statische Gleichgewicht der fibrös de¬ 
generierten Weichteile wird durch die fortwährende Kraft aufge¬ 
hoben. Nun aber haftet dieser Methode ein Nachteil an, der schwer 
ins Gewicht fällt. Wir haben betont, daß zur erfolgreichen Ein¬ 
wirkung der redressierenden Kraft unbedingt auch ein entsprechen¬ 
der Widerstand seitens des Beckens nötig ist. Wie wird dies bei 
Volkmann erreicht? Man legt den Kranken ins Bett, der wir¬ 
kenden Kraft stellt man einen Gegenzug vermittels einer Schleife um 
das Becken, das am oberen Bettende fixiert wird, entgegen, zugleich 
hebt man das Fußende und nützt die Schwere des Körpers auf der 
schiefen Ebene aus. Nun wissen wir ganz gut, daß die Kranken unwill¬ 
kürlich geneigt sind, der Wirkung des Gegenzuges, der sie fort¬ 
während belästigt, zu entweichen. Sie verschieben sich fortwährend, 
um sich des Druckes auf das Perineum zu entledigen, um die ganze 
Wirkung der ziehenden Kraft abzuschwächen, weil ja die Extension 


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Zur mechanischen Behandlung der Hüftgelenkskontrakturen. 405 


sich dann in der Richtung der Deformität und nicht gegen sie ein¬ 
stellt. Die Fixierung des Körpers und des gesunden Beines in 
einem Gipsbett resp. Beinlade auf einer Plattform, wie es 
Lorenz angegeben hat, ist zwar theoretisch wohl begründet, ist 
aber wohl nur für kurze Zeit zu gebrauchen; es ist für 
den Patienten sehr beschwerlich, Rumpf und gesundes Bein voll¬ 
kommen still und zugleich das kranke unter Extension zu halten 
und zwar wochenlang, wie es im Sinne der Extensionsbehandlung 
liegt. Die ungenügende Fixation des Beckens also und zugleich 
die Unmöglichkeit, die Behandlung ambulant durchzuführen, das 
sind die Schattenseiten der ersten Methode. In dieser Hinsicht ist 
die Methode von Dollinger und die der Etappenverbände von 
Wolff, durch Fink vervollkommnet, der vorigen überlegen. — Ohne 
zu redressieren, fixiert Dollinger das Becken und als Fortsetzung 
desselben, um einen langen Hebelarm zum besseren Angreifen zu 
bekommen, auch den Rumpf an seine Eisenstangen, Fink legt auch 
den Beckenrumpfverband an, setzt ihn fürs erste Mal, ohne zu re¬ 
dressieren, auf das kranke Bein fort und erst in zweiter Sitzung 
wird der Beinteil gelöst, um den Beckenrumpfverband ebenso wie 
Dollinger zur Fixation des Beckens zu benutzen; doch fehlt bei¬ 
den Methoden die automatische Gleichmäßigkeit des Gewichtszuges, 
die Redression ist folglich auf die im Bereiche der menschlichen 
Geschicklichkeit und Ausdauer möglichen Gleichmäßigkeit beschränkt 
— ein Umstand, der für manche Fälle wohl nicht von großem 
Belange ist, aber doch nicht für alle. 

Zur zweiten Gruppe gehören die Methoden, die unter Narkose 
ausgeführt werden. Man verzichtet eben auf das subjektive Emp¬ 
finden des Kranken, auf das Schmerzgefühl, das uns einigermaßen 
auch alz Zeiger dienen kann, wie hoch für jeden gegebenen Fall 
die Dehnung, die Zerrung zu treiben ist. Wohl gibt es Fälle, wo 
man dieses Zeigers gar nicht bedarf, wo es sich um rein reflekto¬ 
rischen Muskelspasmus handelt, welcher mit der tiefsten Narkose 
auch erlischt — Fälle von akuter synovialer Coxitis. In einer an¬ 
deren Reihe von Fällen ist man bei der Redression unbedingt auf 
die Zerrung und Dehnung angewiesen und da scheint eben die 
Narkose, die die Sache erleichtern soll, in bestimmten Fällen un¬ 
bedingt schadenbringend zu wirken. Nichts kann uns zur Garantie 
dienen, daß der unter unseren Händen narkotisiert daliegende Kranke 
schonend genug behandelt werden wird. Die Absicht, möglichst 


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406 


Simon Silberatein. 


viel zu erreichen, verführt oft den Arzt weiter, als er das zuerst 
selbst wollte. Hat man schon etwas erreicht, so kommt man häufig 
in Versuchung, noch weiter zu probieren, bis man endlich selbst 
halt macht: es ist genug. Ob man aber zur rechten Zeit auf hört, 
ist nicht immer klar, weil die Fälle doch außerordentlich vonein¬ 
ander verschieden sind. Auch die vorher gemachte Röntgenauf¬ 
nahme kann uns nicht immer Bescheid geben, ob nicht etwa ein 
versteckter Herd unter der Synovalis sich befindet, der bald zum 
Aufflackern kommt. Selbstverständlich hängt vieles vom Operateur 
ab, ob er geübt ist, ob er schon das Unglück gehabt hat, Zeuge 
schlechter Folgen nach übertriebener Redression zu sein. Auch 
hängt es auch von der Methode ab, der man sich bedient. Diese 
Methoden könnte man in 2 Gruppen einteilen: die der manuellen 
und der maschinellen, jede von ihnen hat ihre relativen Vorteile. 
— Die manuelle ist insofern besser, als der Operateur, indem er 
am Bein manipuliert, das unmittelbare Gefühl der Spannung der 
Weichteile, des Widerstandes hat, es läßt sich, wenn auch subjektiv, 
einigermaßen abtaxieren. Dem maschinellen Verfahren, wo die Ex¬ 
tension durch Spindel- resp. Kurbelspannung geschieht, fehlt die 
Schätzung des Widerstandes; wohl kann man sagen, es läßt sich 
nach der Spannung der Spindel resp. der Kurbel taxieren; das gibt 
ja aber keinen richtigen, genauen Begriff über die hervorgebrachte 
Spannung und die daraus resultierende Zerrung, schon aus diesem 
Grunde, daß die Hand des Operateurs, die die Spindel resp. Kurbel 
in Bewegung setzt, ihren Angriffspunkt an einem Hebel hat, der 
vielmal länger ist, als die Dicke (Querdurchschnitt) der Spindel 
resp. Kurbel. — Das Glied muß dabei nolens volens dem einmal 
durch die Drehung der Spindel resp. Kurbel vorgeschriebenen Wege 
folgen, ob nun die Weichteile so weit dehnungsfähig sind oder nicht, 
im letzten Falle müssen sie eingerissen werden. Dazu kommt noch 
der Umstand in Betracht, daß bei der Redression des extendierten 
Beines und zwar beim Senken, beim Ad- resp. Abduzieren sich 
mit der Veränderung des Winkels auch die relative Lage aller 
das Gelenk umgebenden Weich teile, Bänder, Kapseln etc., auch 
der Knochenteile verändert. — Wie verhalten sich dann die Span¬ 
nungsverhältnisse der einmal durch die Spindel- resp. Kurbel¬ 
extension gedehnten Weichteile? — alles bleibt unklar und un¬ 
bestimmt. Freilich ist das nicht immer der Fall, daß die genaue 
Orientierung von besonderer Wichtigkeit ist. — Wenn also das 


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Zur mechanischen Behandlung der Hüftgelenkskontrakturen. 407 


manuelle Verfahren vor dem maschinellen den Vorzug hat, indem 
es bessere Schätzung des Widerstandes und bessere Orientierung 
gestattet, was bei suspekten Fällen von Wichtigkeit ist, so steht es 
anderseits an Mangel an Ausdauer dem maschinellen nach. 

Bei chronischen Fällen mit ausgebildeter Schrumpfung um¬ 
gebender Teile kommt es eben darauf an, die Extension anhaltend 
gleichmäßig auszufübren und nicht nur während der Redression, 
sondern auch während des Verbandanlegens. Da erlahmt die Hand 
auch eines kräftigen Assistenten. Für solche Fälle möchte ich die 
maschinelle Redression vorziehen, es sind ja Fälle, wo der Prozeß 
längst erloschen ist, wo etwa eine genaue Individualisierung des 
Falles nicht sehr wichtig erscheint. 

Ohne darauf einzugehen, ob die Methode des manuellen mo¬ 
dellierenden Redressement besser ist, als die des manuellen for¬ 
cierten, was von unserem Standpunkte selbstverständlich ist, ohne 
darauf Gewicht zu legen, ob das maschinelle Redressement durch eine 
Kurbel oder Spindel zu stände gebracht wird, möchte ich darauf 
die Aufmerksamkeit lenken, daß keine von diesen Methoden für einen 
genügenden und bequemen Gegenwiderstand gesorgt hat. Zur Fixa¬ 
tion des Beckens, um einen Gegenwiderstand der wirkenden Kraft 
zu leisten, wird überall — horribile dictu — ein Stahlstachel ge¬ 
braucht, dessen Zweck ist, durch Druck auf das nur von Haut 
bedeckte Os pubis dem Becken einen festen unverrückbaren Halt 
zu geben. Jeder weiß aus eigener Erfahrung, was für ein lästiges 
Gefühl manchmal eine Druckstelle am Knochen hervorruft, umso¬ 
mehr ein Stahlstachel (wenn auch mit etwas Watte umhüllt) auf 
die zarte Haut der Kinder, denn um die handelt es sich am meisten. 
Es bleiben Druckzeichen, die für den ganzen Tag Vertiefungen und 
schmerzhafte Stellen zurücklassen. Dieser Stachel ist der inte¬ 
grierende Teil jeder Beckenstütze, mag sie mit einer Stützplatte oder 
einer Stützgabel versehen sein, das ist die am weitesten verbreitete. 
Es ist aber nicht die einzige Schattenseite. Die Beckenstütze erfüllt 
auch ihren Zweck nicht: der Schmerz, den der Stachel verursacht, 
ruft reflektorisch eine Lendenlordose hervor, indem der Kranke 
unbewußt Mittel aufsucht, dem Drucke zu entweichen: das Becken 
bleibt nicht ruhig, es hebt sich und wackelt zugleich bei jedem 
Versuche, die Ab- resp. Adduktion zu redressieren, weil ja die 
Fläche, die den Widerstand leisten soll, nur vom linienförmigen 
Stachel gebildet wird. Auch ist die Stützfläche für das Becken 


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408 


Simon Silberstein. 


schmal genug, um das seitliche Schwanken zu verhindern; da 
kommen zur Hilfe die Hände des Assistenten, die bald wieder keinen 
Platz finden, da sie beim Anlegen des Verbandes den Binden Platz 
schaffen müssen. Unzweifelhaft geht dabei ein großer Teil der ge¬ 
wonnenen Redression verloren und zwar infolge der mangelhaften 
Fixation des Beckens. Und doch wird man sagen: wir erzielen auch 
mit dieser Beckenstütze gute Resultate. Ja, viele Wege führen nach 
Rom, ob aber der der beste ist? Eine Abart dieser Beckenstütze 
bildet die Gochtsche, wenn auch nach demselben Prinzip gebaut 
— der Stachel bewirkt auch hier die Beckenhemmung — bietet 
aber beim Anlegen des Verbandes wesentlichen Vorzug: die Glutäal- 
und Kreuzgegend ist vollkommen zugänglich, frei, weil die Stütz¬ 
stange von oben herankommt, es ist ganz bequem möglich, die 
Glutäalgegend bis zur Rima ani zu vergipsen und anzumodel¬ 
lieren. — Einen ganz besonderen Platz nimmt die Methode der 
Ausführung der Beckenhemmung bei dem instrumenteilen kombinierten 
Redressement nach Lorenz ein. Der unheilvolle Stachel fehlt ganz, 
und wenn auch das Becken auf einer gewöhnlichen Stützplatte ruht, 
so verleiht ihm eine ganz schöne Fixation die Art und Weise, wie 
die Redression ausgeführt wird: vermittelst zweier Spindeln wird bei 
einer Adduktionskontraktur z. B. das kranke Bein gezogen und das 
gesunde gedrückt, welches dadurch bei fixiertem Kniegelenk sich an 
das Acetabulum stemmt. So eine Art physiologischer Hemmung 
wäre das denkbar Beste. Leider stößt man sogleich auf ein Hin¬ 
dernis. Recht schön, wenn es sich um eine Adduktionskontraktur 
handelt, wie wird es aber bei einer Abduktionskontraktur sein, — 
da muß der Zug am gesunden Bein und der Druck gegen das 
kranke Bein, ergo auch gegen das kranke Acetabulum angebracht 
werden. Ob ein solches Verfahren ab und zu nicht schaden w r ird ? 
Dazu werden sich nur ganz ausgeheilte Fälle, am besten nicht tuber¬ 
kulöse, sondern gonorrhoische, deformierende Coxitiden eignen. 

Aus dieser kurzen Uebersicht der momentan konkurrierenden 
Methoden läßt sich leicht der Schluß ziehen, daß jede von ihnen 
seine raison d’etre hat und keine von ihnen für alle Fälle gleich 
gut und praktisch ist. — Doch müßten wir auf Grund dieser Be¬ 
trachtung zur Kenntnis gelangen, welch ist das Gesamtbild, das uns 
zum Muster dienen soll, um eine ebenso praktische, wie allen Fällen 
entsprechende Methode auszubilden. Erstens, welcher Gruppe soll 
die von uns erwünschte Methode angehören? Ich möchte mich fest 


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Zur mechanischen Behandlung der Hüftgelenkskontrakturen. 409 

ftir die erste Gruppe aussprechen, es soll ohne Narkose geschehen. 
Denn daß die Redression ohne Narkose zu den schonendsten (in 
Beziehung zum Krankheitsprozeß) gehört, haben wir schon erörtert, 
es gibt auch andere, recht praktische Gründe, für solche zu stimmen. 
— Die Coxitis tuberculosa, die doch die meisten Kontrakturen liefert, 
ist eine so allgemein verbreitete Krankheit, daß ihre Behandlung nur 
in großen Städten (auch das nicht immer) einem Spezialisten zu¬ 
kommt, sonst ist das die Arbeit, die jeder praktische Arzt verrichten 
muß und zwar überall und bei verschiedenen Umständen: in den 
kleinsten Krankenhäusern, in den kleinsten Flecken, auf dem Lande, 
wo man vielleicht einen Kollegen zur Narkose nicht so leicht und 
zu jeder Zeit heranziehen kann, geschweige denn, daß das Herein- 
ziehen eines Kollegen die Kosten der Behandlung vergrößert, was 
bei nicht sehr bemittelten Leuten manchmal ein Hindernis zur Be¬ 
handlung abgibt. Dann sind die Leute, besonders in kleinen Flecken, 
nicht immer so leicht zu einer Narkose zu bewegen, besonders 
wenn nach ihrer Meinung keine dringende Gefahr bevorsteht und 
auf diese Weise wird oft die Zeit vergeudet, der wichtige Zeitpunkt 
unterlassen. Endlich, warum soll man die Narkose wirklich nicht 
vermeiden, wenn man sie vermeiden kann. Wenn auch die Mor¬ 
talität unter Narkose minimal ist, so trifft es jemanden doch ab 
und zu. Wohl dem vielbeschäftigten Operateur, Leiter eines großen 
Krankenhauses, wenn ihm auch ein Unglück passiert — so sprechen 
für ihn die Massen anderer gut abgelaufener Fälle und seine er¬ 
worbene Autorität. Was soll aber der praktische Arzt tun, wenn 
er Pech hat, unter seiner kleinen Praxis solch ein Unglück zu 
erleben. Also Narkose vermeiden, wo es geht. Und wenn zu¬ 
gleich das auch das schonendste Verfahren ist, desto besser. — 
Jetzt die andere Frage, wie soll die Fixation des Beckens be¬ 
sorgt werden? Die Fixation muß unbedingt flächenhaft und mög¬ 
lichst ausgiebig groß sein. Das wäre vielleicht die Fixation nach 
Dollinger oder nach Fink. Doch liegt nach Dollinger der 
Beckenrumpfverband hinten am Rücken nicht gut, nicht plastisch 
an, weil ja zwischen den Stangen, denen der Kranke auf liegt, der 
Verband vom Rücken aufgehoben wird, so daß nach Anlegung des 
ganzen Verbandes post redressionem derselbe hinten lose ist und 
darum ein Teil der Redression verloren geht. Das ist auch die 
Ursache, weswegen das Redressement der Ab- resp. Adduktions¬ 
kontrakturen nach Dollinger von keinem Erfolg ist. Außerdem 


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410 


Simon Silberstein. 


befindet sich die Stange zwischen Tuber ischii und Trochanter der 
kranken Seite und eben dort, wo es am meisten ankommt, die 
Glutäalgegend zu modellieren, wirkt sie störend und beim Heraus¬ 
ziehen hinterläßt sie ein Loch, wodurch eben die wichtigste Stelle 
— der Stützpunkt — für die Gesäßgegend geschwächt wird. Eher 
möchte ich den gut anliegenden Beckenrumpfverband nach Fink 
zur Fixation des Beckens benutzen, doch glaube ich, daß die Fixa¬ 
tion bei jeder nächsten Etappe loser wird: wir wissen ja ganz gut, 
daß kein Verband später das leisten kann, was er, frisch angelegt, 
vermag. Deshalb wäre es eben ratsam den Beckenrumpfverband 
behufs Fixation bei der Redression immer frisch zu haben; es wird 
also somit auch die Anwendung der Etappenverbände ausgeschlossen, 
und wir kommen wieder also auf den Dollingerschen Verband 
zurück, nur müssen wir eine solche Vorrichtung treffen, wo nichts 
im Wege liege, den Verband überall gleichmäßig stark und gut, 
plastisch anliegend zu machen. 

Damit wäre auch die Fixation des Beckens besprochen. Es 
erübrigt also, den letzten Punkt unseres Problems klarzulegen und 
zwar: Wie soll die Redression vollzogen werden, damit wir möglichst 
die Vorzüge der besprochenen Methoden beibehalten und deren Nach¬ 
teile nach Möglichkeit vermeiden? Das gewünschte Verfahren soll: 
1. ein maschinelles sein, um an Gleichmäßigkeit und Ausdauer nichts 
zu wünschen übrig zu lassen, 2. die redressierende Kraft soll nicht 
durch die vermittelst der Kurbel- resp. Spindeldrehung heraus¬ 
gezwungene Verlängerung der Extremität zur Geltung kommen, 
sondern nur durch ein Plus an Kraft, durch einen am kranken Bein 
applizierten Zug eines frei aufgehängten Gewichtes. Ob sich im 
gegebenen Moment das Bein verlängert resp. distrahiert, oder ob 
sich der Zug nur in potentielle Energie, in Spannung der kontrakten 
Gewebe umsetzt, um endlich, wenn die Spannung überwunden ist, 
nachzugeben, das hängt vom Zustande der umgebenden Weichteile 
ab. 3. Soll der Zug langsam und gleichmäßig anschwellen, um jede 
Zerrung zu vermeiden. 4. Der Zug soll immer in der Richtung der 
Längsachse des Beines ausgeführt werden, um das Gelenk, den 
Schenkelkopf nie zu einem Hypomochlion zu machen, das Gelenk 
soll also in jedem Moment entspannt, distrahiert sein. 5. Falls der 
Zug an und für sich nicht ausreicht, den Krümmungswinkel gerade 
zu richten, so muß die Senkung resp. Ab- und Adduktion durch eine 
dosierende maschinelle Vorrichtung geschehen, wobei immer der 


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Zur mechanischen Behandlung der Hüftgelenkskontrakturen. 411 


sub 4 erwähnte Zug in der Längsachse des Beines strenge be¬ 
halten wird. 

Da wir laut voriger Auseinandersetzung die Redression ohne 
Narkose vollführen, so ist das subjektive Abschätzen seitens des 
Arztes, wie es bei der gebräuchlichen manuellen Redression der 
Fall ist (die gewöhnlich unter Narkose geschieht), durch ein nicht 
minder zuverlässiges seitens des Kranken ersetzt: eine wirkliche 
Schinerzäußerung seitens des letzten ist für uns das beste Zeichen, 
die Redression für den gegebenen Moment nicht weiter treiben zu 
dürfen. 

Ein unter den besprochenen Bedingungen eingeleitetes Ver¬ 
fahren ist unzweifelhaft das schonendste, absolut ungefährlichste 
und zugleich wirksamste. Und wenn auch, wie es sich in der 
Praxis zeigt, in manchen Fällen ein minder schonendes Verfahren sich 
als genügend erweist, so sind ja die Fälle so verschieden und schwer 
abschätzbar, daß auch der geringste Prozentsatz mißlungener Fälle 
uns veranlassen muß, das schonendste Verfahren zu einem allge¬ 
meinen zu machen. 

Geleitet von den oben angeführten Prinzipien, bemühte ich 
mich, im Verlaufe mehrerer Jahre einen einfachen Weg zur Be¬ 
handlung der Hüftkontrakturen, speziell der Coxitis, einzuschlagen, 
was mir nach längeren Versuchen gelungen zu sein scheint. Auf 
meines Chefs, des Herrn Geheimrats Hof fas Anregung habe ich 
meinen Apparat modifiziert, um dessen Funktion, sowie Form ge¬ 
nauer gestalten zu lassen und dank der Liebenswürdigkeit, mit der 
mir das klinische Material zur Verfügung gestellt wurde, hatte ich 
Gelegenheit, auch den modifizierten Apparat in der Arbeit durch¬ 
zuprobieren und somit in seiner vollkommeneren Gestalt der Oeffent- 
lichkeit übergeben zu dürfen. Was die Beckenstütze (Fig. 1 u. 2) 
betrifft, so handelt es sich um eine ganz einfache Vorrichtung, die 
mir viele Jahre gut gedient hat, bequem, leicht transportabel und 
den aufgestellten Bedingungen vollständig genügend. Sie besteht aus 
einer Lagerungsplatte ab und Fixierstange er/, beide aus Hartholz. 
Mit seiner Hälfte liegt die erste auf dem Tisch, durch die Fixier¬ 
stange vermittels zweier Schrauben cf und noch einer dritten g am 
Tisch solid fixiert. Die Platte ist etwa 2 cm dick, etwa V 3 der 
Rückenbreite, also für Kinder etwa 10 cm breit und an seinem freien 
Ende verdünnt und abgerundet, etwa der Form des Kreuzes ähnelnd. 
Auch trägt sie auf ihrer Oberfläche eine seichte Aushöhlung. 


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412 


Simon Silberstein. 


Die Fixation auf dieser Platte geschieht ebenso wie bei Dol- 
linger durch den zuerst angelegten Rumpf beckenverband, und zwar, 
nachdem der Kranke etwa von der Achselhöhle bis zu den Fuß- 


Fig. 1. 



Becken st ätze. Die Klemme h ist auf der Lagerungsplatte ab aufgesetzt, der Stelle 
entsprechend, wo sie den Verband zu fixieren hat. 


knöcheln des kranken Beines mit Watte umhüllt ist, wird er auf die 
Platte gelegt, so daß das Kreuz am verdünnten Ende und die Schultern 
etwa am Tischrande liegen. Dann folgt ein gut an modellierter Rumpf- 

Fig. 2. 


i 


Dieselbe auseinandergenommen. 

beckenverband I m in Fig. 3, der auch die Platte miteinschließt. Vor 
dem Festwerden des Gipsverbandes wird von unten her die Klemme h auf 
die Platte aufgesetzt, wobei das verdünnte, dem Kreuzbein anliegende 



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Zur mechanischen Behandlung der Hiiftgelenkskontrakturen. 413 

Ende frei bleibt; hierdurch wird der Verband fest angezogen und 
macht zugleich mit der Platte ein unverschiebliches Ganzes aus. Ist 
der Verband trocken, so bildet er wirklich eine solide Basis, 
die bei einer ganz langsamen, allmählichen Redression einen posi¬ 
tiven, untrügerischen Erfolg auf weist. Das durch die Redression 
erhaltene Resultat läßt sich bequem durch Fortsetzung des Ver¬ 
bandes aufs kranke Bein fixieren. Der fertige Verband ist leicht von 
der Beckenstütze zu lösen: die Klemme wird heruntergenommen, 
durch beiderseitige Langschnitte und einen sie verbindenden Quer¬ 
schnitt, die mit einem starken Messer gegen das Brett, wo die 
Klemme saß, geführt werden, ist der Verband von der Platte gelöst; 
der letztere bekommt dadurch einen bis zur Kreuzgegend viereckigen 
Ausschnitt, welcher, nachdem der Kranke durch einfaches Hervor¬ 
schieben vom Brette befreit ist, durch einige zirkuläre Gipstouren 
resp. Stärkebindentouren geschlossen wird. — Die vollste Zugäng¬ 
lichkeit der Platte, die große Lagerungsfläche und die absolute Fixa¬ 
tion verleiht dem Kranken, wie auch dem Operateur die größte Be¬ 
quemlichkeit. Es läßt sich wirklich bequem, wie auf einer Werkstatt, 
der Verband anlegen und modellieren. Ich glaube damit den ge¬ 
stellten Forderungen einer vollkommenen Beckenfixation gerecht zu 
werden. 

Um die aufgestellten Bedingungen einer rationellen Redression 
durchzuführen, modifizierte ich das von mir seit längerer Zeit ge¬ 
brauchte einfache hölzerne Gestell 1 ), das jedem praktischen Arzte 
zugänglich ist, zu folgendem Apparat (Fig. 4 u. 5). — Durch einen 
Eimer 2?, zu welchem im langsamen Tempo (am besten durch Ver¬ 
bindung desselben mit der Wasserleitung resp. einer Siphonflasche) 
Wasser zufließt, wird vermittels eines Gurtes, der über eine Rolle 11 
läuft und an den Fußknöcheln des kranken Beines befestigt ist, ein 
gleichmäßig anschwellender Zug in der Richtung der Achse des 
Beines bewirkt. Durch Drehung der Kurbel in der Pfeilrichtung 
(Fig. 4) wird das langsame Senken der den Zug leitenden Rolle 
ausgeführt, was zu gebrauchen ist, wenn der einfache Zug nicht 
ausreicht, die Flexion zu verringern. Besteht zugleich eine Ad- 
resp. Abduktion, so wird, während die langsame Redression vor 
sich geht, das Tischende von einem Assistenten entsprechend ver¬ 
schoben, so daß das Becken zürn adressierenden Zug unter ge- 


*) S. Riedingers Archiv Bd. 2 Heft 3. 


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414 


Simon Silberstein. 



wünschtem Winkel zu stehen kommt, und infolgedessen die Zug¬ 
kraft eine Komponente abgibt, die auf die Ab- resp. Adduktion 
redressierend einwirkt. Ein Blick auf die eigenartige Wirkung des 
Apparates (Fig. 3) zeigt, daß er allen aufgestellten Forderungen 

Fig. 3. 


Der Extensionsapparat Kt nachträglich u ingeändert: er ist zusammenlegbar (Fig. 6) und 
mit eigener Stutze fürs gesunde Bein versehen (Fig. iS u. 6). 

entspricht, und wirkt dabei absolut schonend, unter ganz allmählich zu¬ 
nehmender Extension redressierend. Bei höheren Kontrakturen läßt 
sich der Zug nicht in der Richtung des Beines einstellen, weil 
die den Zug leitende Rolle in ihrer Einstellung durch die Höhe 
resp. Krümmung des Apparates beschränkt ist. In solchen Fällen 
ist die Zugwirkung gleich der bei der Redression nach Dollinger 


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Zur mechanischen Behandlung der Hüftgelenkskontrakturen. 415 


resp. nach Lorenz durch den Redresseur; bei beiden erwähnten 
Methoden ist die Zugrichtung von vornherein bei jeder auch leichten 
Kontraktur nicht in der Beinachse angebracht. Während aber bei 


Fig. 4. 



Extensionsapparat. Derselbe, zusammen¬ 

gelegt, transportabel. 


geringen und mittleren Kontrakturen dies als störendes Moment zu 
betrachten ist, da sich das Gelenk zu einem Hypomochlion um¬ 
wandelt, so ist dies bei hohen Kontrakturen nicht der Fall, weil bei 
der Redression der Kopf gegen die Pfanne doch nicht anstößt, 
höchstens stemmt sich der Schenkelhals gegen den Pfannenrand. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XV. Bd. 27 


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416 S. Silberstein. Zur mechan. Behandlung der Hüftgelenkskontrakturen, 

Außerdem unterliegen ja die hochgradigen Kontrakturen in der 
Regel unserer Redression am wenigsten, geschweige denn, daß man 
in solchen Fällen durch eine vorausgeschickte Tenotomie noch immer 
den Krümmungswinkel herabsetzen kann. — Indem ich meine Be¬ 
trachtungen über die methodische Redression der Hüftkontrakturen 
schließe, möchte ich eines Umstandes erwähnen: am besten gelingt 
die Redression ohne Narkose, wenn die Kontraktur für etwa zwei 
Wochen durch einen von der Achselhöhle bis an die Fußknöchel, 
in akuten Fällen inklusive den Fuß einschließenden Verband in ihrer 
pathologischen Stellung fixiert war und wenn bei partieller Re¬ 
dression nach Abnahme des Verbandes unmittelbar die nächste Re¬ 
dression folgt 1 ). 


Zum Schlüsse ist es mir eine angenehme Pflicht, meinem 
hochverehrten Chef, dem Herrn Geheimrat Hoffa, für die Anregung 
und freundliche Ueberlassung des klinischen Materials meinen innig¬ 
sten Dank auszusprechen. 


*) Sämtliche Apparate werden vom medizinischen Warenhause Berlin 
hergestellt. 


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XXV. 


Zur Messung mittels Photographie. 

Von 

W. F. J. Milatz, 

Arzt in Rotterdam. 

Mit 5 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Wenn man bestimmte Vorsorgen trifft, läßt sich die Photo¬ 
graphie vorteilhaft für die Messung eines Gegenstandes benützen. 

Man ist hierdurch zugleich im stände, ein Objekt in verschie¬ 
denen Stadien zu beurteilen und zu vergleichen. Sowohl für allge¬ 
mein technische, wie für medizinische und anthropologische Zwecke 
insbesondere kann man diese Messung anwenden. 

Es werden mehrere Methoden angegeben, um die photogra¬ 
phische Messung zu ermöglichen. Der Zweck des folgenden Auf¬ 
satzes besteht darin, die mathematischen Hauptprinzipien kurz zu 
besprechen; hauptsächlich für die Erklärung der Benützung einer 
Meßvorrichtung, welche der Einfachheit und Genauigkeit wegen eine 
Stelle neben den vielen Apparaten zur Messung vielleicht einzu¬ 
nehmen verdient. 

Wenn man die im Handel zu habenden symmetrischen photo¬ 
graphischen Objektive als genügend korrigiert betrachtet, so ist die 
Photographie mit diesen Linsen genau denselben Gesetzen unter¬ 
worfen wie die polaren Projektionen. 

Auch ist dies mit der Radiographie der Fall. 

Als Projektionspol hat man den optischen Mittelpunkt der 
Linse bezw. den Brennpunkt der radiographischen Röhre anzusehen. 

Die Gesetze der polaren Projektionen werden beschrieben bei 
der Perspektivlehre; die folgenden daraus abgeleiteten Sätze finden 
hier eine nähere Erörterung, weil sie speziell für die Messung des 
Bildes ihren Nutzen haben. 

Ihre Begründung kann man sich leicht klar machen. 

I. Alle Flächen, gerichtet durch den Pol, photographieren sich 
in ihren Schnittlinien mit der Bildplatte. 


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418 


W. F. J. Milatz. 


Derartige zugleich vertikale Ebenen bilden sich also in verti¬ 
kalen Linien ab, wenn die Visierscheibe vertikal steht. 

Fi*. 1. 



Mit Pfeilen ist in den Fig. 1 u. 2 angegeben worden, wie man verschiedene Maß« mittels dAS 
Zirkels auf dem Seitengruude mild. — Die Lini«* l.J bezieht sich auf Fig. 5. Durch zweck¬ 
mäßige Vergrößerung kann mau die Genauigkeit der Messung erhöhen. 


II. Alle Linien senkrecht auf der Visierscheibe verlaufend 
schneiden auf dem Bilde die normalen Projektionen des Poles. 


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Zur Messung mittels Photographie. 


419 


III. Die mit der Platte in paralleler Ebene befindlichen Figuren 
liefern gleichförmige Bilder mit den ursprünglichen Figuren. 

Fig. 2. 



Kennt man also in einer derartigen Fläche das Maß einer 
Linie, so kann man diese zur Messung aller anderen Linien in der¬ 
selben Fläche benützen. 

Die Größe eines quadratischen Gitternetzes z. B. ist also in 


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420 


W. F. J. Milatz. 


derartigen Fällen gegeben durch eine Seite des Quadranten. Wenn 
man nichts weiter beabsichtigt als eine Messung, braucht man also 
nicht das ganze Gitter abzubilden. Stellt man das Gitter senkrecht 
zur Scheibe, so hat man den Vorteil, daß die der Platte parallelen 
Linien des Gitters verschiedene Maßstäbe darstellen, die übrigen senk¬ 
recht zur Platte gerichteten bewirken die Einteilung. (Vergleiche die 
Seitenansicht in Fig. 1 und 2.) 

Wenn man dies z. B. für die Beurteilung der Symmetrie oder 
dergleichen wünscht, ist man im stände, in jeder beliebigen Schnitt¬ 
fläche des Gegenstandes, parallel zur Platte, sich ein Liniengitter 
zu konstruieren. 

Man hat ferner auch noch den Ort des Gegenstandes zu den 
mitabgebildeten Skalenlinien näher zu bestimmen. 

Ist man mit einer annähernden Ortsbestimmung des Gegen¬ 
standes im Raume zufrieden, dann kann man mit Zuhilfenahme be¬ 
kannter Punkte des Fußbodens die Stellung des zu messenden Teiles 
des Gegenstandes in Bezug auf die parallelen Flächen und ihre 
Skalenlinien abschätzen. 

Mittels der stereoskopischen Photographie kann man sich dies 
noch erleichtern. 

Die näher zu beschreibende Vorrichtung macht ein genaueres 
Vorgehen möglich. 

Man ist obendrein im stände, hiermit die Längenbestimmung 
von den der Platte nicht parallelen Linien vorzunehmen. Die ge¬ 
nannte Vorrichtung ist das in den verschiedenen Figuren mit AB CD 
bezeichnete Rechteck bezw. Quadrat. 

Man kann es sich selbst anfertigen, wenn man die Einteilung 
des Rechteckes auf den Fußboden oder auf eine transportable qua¬ 
dratische Tafel einträgt. 

Dieses verteilte Rechteck wird senkrecht zur Visierscheibe an¬ 
gebracht und ermöglicht es uns, alle Ortsbestimmungen der in der 
Photographie zu sehenden Punkte vorzunehmen und ihre Distanzen 
untereinander zu bestimmen. Zur Längenbestimmung einer der 
Platte nicht parallelen Linie braucht man eine Berechnung oder eine 
Konstruktion. In Fig. 3 stellt AB CD das Rechteck dar. Jede 
seiner Seiten ist mit einer Einteilung versehen, welche schematisch 
angegeben ist. Mittels dieser Einteilung läßt sich jeder Punkt einer 
Seite auf dem Bilde zurückfinden. 

Zur genauen Bestimmung eines Punktes ist es notwendig, sich 


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Zur Messung mittels Photographie. 421 

das Bild mindestens von zwei Polen aus anzusehen, bezw. zu photo¬ 
graphieren. 

Praktisch sorgt man nun dafür, daß einmal die Seite AB , das 
andere Mal die Seite BC der Visierscheibe parallel läuft, während 
in beiden Fällen die Fläche AB CD senkrecht zur Platte steht. 

Aufgabe ist nun z. B. die Länge der Linie PQ, deren beide 
Photographien gegeben sind, zu messen (Fig. 3). Zu dem Zwecke 

Fig. 3 b. 



projiziert man PQ auf AB CD. Die normalen Projektionen P* und 
Q! der Punkte P und Q befinden sich jede in den Schnittlinien der 
durch den Pol gerichteten, senkrecht auf AB CD verlaufenden Flächen, 
in welchen P und Q sich vorfinden. 

Satz I zufolge treffen auf dem Bilde diese Schnittlinien zu¬ 
sammen mit PP* und QQ*, den projektierenden Linien von P und Q. 

Diese Schnittlinien sind auch auf der Photographie bestimmt 
durch ihre Schnittpunkte E, P, G und H mit den Seiten von AB CD. 

Das nochmalige Photographieren ist notwendig, um P* und 
die sich in den Linien PP 7 und QQ 7 , also auch in EF und GH 
irgendwo befinden, zu bestimmen. 

Natürlich begegnet man im zweiten Bilde den Linien PP* und 
QQ* wieder, und diese geben hier durch Schneidung mit den nach¬ 
her eingezogenen Linien EF und GH die Punkte P* und Q* und die 
normale Projektion von PQ. Nun ist 

PQ = [/(PP'— QQ') S + P'Q' 2 - 

In der Fig. 4. läuft die Hilfslinie QfR parallel mit AD und 
P*R parallel mit AB, also ist 


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422 


W. F. J. Milatz. 


P'Q'* = P'R* + Q'R* 

und PQ = j/(PP' - QQO 2 + P'R 2 + Q'ß 2 - 

PP 4 — QQ 4 , P 4 R und Q / R sind nach Gesetz III zu bestimmen. 

Durch die Anwendung der perspektivischen Konstruktionslehre 
läßt sich auch die Länge der Linie PQ in irgend einem Maßstabe 
wiedergeben. 

Es wird genügen, hierzu auf Fig. 4 hinzu weisen, wo P"'Q 
PQ, in derselben Skala als Q 4 R durch Konstruktion aufgezeichnet, 
darstellt. (Hierzu braucht man auch Gesetz II.) 

Fig. 4. 

o 



wie das perspektivisch abgebildete Dreieck 

Wie schon hervorgehoben worden ist, ist die Messung von 
Linien, welche mit der Platte parallel sind, bedeutend einfacher. 
Man braucht hierzu hauptsächlich Gesetz III. 

Nun wird noch mit einigen Worten mitgeteilt werden, wie 
man die nötigen Skalenlinien immer zur Hand haben kann, und wo¬ 
durch die Zeichnung eines Gitters z. B. überflüssig wird. 

In Fig. 5 ist zu dem Zwecke eine Reduzierskala abgebildet. 

ln der Figur ist die bekannte Distanz IJm ihrer perspekti¬ 
vischen Abmessung an der durch die übereinstimmende Zahl der 
Teilung bestimmten Stelle zur Demonstration eingetragen. 

Jede Linie der IJ zugehörigen Fläche, parallel mit der Platte, 
wird mittels eines Zirkels und der Tafelteilung auf der Linie IK 
gemessen. 

Die wirkliche Länge von IJ, das ist die Länge des Recht¬ 
eckes der Figuren 1 und 2, beträgt 69,5 cm. 


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Zur Messung mittels Photographie. 


423 


Es sei übrigens noch bemerkt, daß man Winkel bestimmen 
kann durch die Bestimmung eines Dreiecks, welches den Winkel be¬ 
sitzt. Konturen eines Gegenstandes kann man bestimmen durch die 
Konstruktion eines eingeschriebenen Vieleckes, dessen Seiten und 
Winkel man in der beschriebenen Weise bestimmt. 

Die Distanz der Kamera zum Objekte, die Brennpunktdistanz 
der Linse u. s. w. sind hier nicht in Anmerkung gezogen. Man 
kann sie, wenn nötig, auch auf den Bildern rekonstruieren oder be¬ 
rechnen. 

Die Projektion des Poles z. B. findet man mit dem Schnitt¬ 
punkte der Linien AD und BC bezw. AB und CD . (Gesetz II.) 



Maßstab ll: 20. 

Die Methode läßt sich natürlich in verschiedenen Arten modi¬ 
fizieren. Für stereoskopische Bilder ist streng genommen die mehr¬ 
fache Aufnahme überflüssig, weil man hier extra zwei Pole hat. In 
analoger Weise kann man sie zur Messung benützen. Eine Abart 
der stereoskopischen Photographie ist die Projektion mit weiten 
untereinander entfernten Polen, während die Bildfläche im mathemati¬ 
schen Sinne für beide Aufnahmen dieselbe ist. 

Eine derartige Doppelprojektion läßt sich für Röntgographie 
auch benützen. Je nach der Art des Objektes wählt man den einen 
oder den anderen Weg. 

In analoger Weise wie für die gewöhnliche Photographie stellt 
man das Meßgestell senkrecht zur Plattenoberfläche. Die Konstruk¬ 
tionen und Berechnungen sind prinzipiell dieselben wie oben be¬ 
schrieben. 


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XXVI. 


(Aus Prof. Dr. Vulpius* orthopädisch-chirurgischer Klinik 
in Heidelberg.) 

Ueber kongenitale Osteodysplasie der Schlüsselbeine, 
der Schädeldeckknochen und des Gebisses. 

(„Angeborener Schluss elbeindefekt.“) 

Ein kasuistischer Beitrag. 

Von 

Dr. Hax H. Klar, 

bisherigem I. Assistenzarzt, Arzt für orthopädische Chirurgie in München. 

Mit 9 in den Text gedruckten Abbildungen und einem Nachtrag 
aus dem Ambulatorium für orthopädische Chirurgie des k. k. Regierungsrats 
Prof. Dr. Lorenz in Wien. 

Unter den mannigfachen Formen der angeborenen Mißbildungen 
des Skeletts, insbesondere den Defektbildungen der Knochen gibt 
es viele, zu deren Beseitigung wir therapeutisch meist nichts, oder 
nur sehr wenig unternehmen können; nichtsdestoweniger aber ist 
ihre Kenntnis wichtig und interessant, schon deswegen, damit man 
sie nicht als erworbene, etwa traumatische, gelegentlich ansieht. 
Einen solchen Fall, bei dem es sich um angeborene Knochendefekte 
bezw. mangelhafte Knochenentwicklung im Bereich des Schulter¬ 
gürtels, der Schädeldecke und der Kiefer handelt, kombiniert mit 
einer schweren kyphoskoliotischen Verkrümmung der Wirbelsäule, 
hatten wir in unserer Klinik zu beobachten Gelegenheit. Dieser 
Fall kam wegen der Skoliose schon im Jahre 1897 in die Anstalt 
und wurde im vergangenen Jahr wiederum behandelt; da bei der 
Untersuchung der teilweise Mangel der Schlüsselbeine und die 
Schädelform auffiel, so veranlaßte uns dieser Umstand, uns eingehend 
mit der einschlägigen Kasuistik und Literatur zu beschäftigen und 
nach den Ursachen der seltenen Mißbildung zu forschen. 


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Ueber kongenitale Osteodysplasie der Schlüsselbeine etc. 


425 


Die Patientin ist ein jetzt 18^ Jahre altes Mädchen; der 
Vater, der körperlich ganz normal war, starb vor einigen Jahren 
an einer Pneumonie. Die Patientin ist das dritte von 4 Kindern 
aus zweiter Ehe ihrer Eltern. Der Vater hatte in erster Ehe 
3 Kinder: 

1. eine Tochter, jetzt 32 Jahre alt, die eine Skoliose hat und 
Mutter zweier normaler Kinder ist; 

2. einen Sohn von jetzt 31 Jahren, der „dicke Kniegelenke“ und 
„einwärtsgedrehte Füße“ haben soll; 

3. eine Tochter von jetzt 29 Jahren, die stets „schwachen Rücken“ 
hatte und an „Lungenkatarrh“ leidet. 

Die Mutter hatte in erster Ehe, mit einem Epileptiker, ein 
epileptisches Kind, das im Alter von 5 Monaten starb. Die Frau 
gibt an, keinerlei Deformität aufzuweisen und nichts von angeborenen 
Deformitäten in ihrer Familie zu wissen. Die 2 Kinder, die in 
zweiter Ehe vor unserer Patientin geboren wurden, kamen im siebenten 
bis achten Schwangerschaftsmonat zur Welt und haben keinerlei Mi߬ 
bildung aufzuweisen. Das vierte, nach der Patientin geborene, Kind 
starb im Alter von 7 Wochen; es soll einen „Fehler an der Brust“ 
nach Aussage des Arztes gehabt haben; Genaueres über diesen 
„Fehler* ist nicht in Erfahrung zu bringen. Als die Mutter etwa im 
vierten Schwangerschaftsmonat mit der Patientin war, wusch sie ein¬ 
mal in knieender Stellung Möbel ab, verspürte dabei einen Schmerz 
im Leib und konnte sich danach mehrere Tage lang nicht mehr 
nach links drehen. Die Patientin wurde „um gerade 2 Monate zu 
früh“ geboren und wog bei der Geburt nur knapp 1500 g (die an¬ 
deren 2 Kinder vor der Patientin hatten 2000 — 2200 g gewogen). 
Es war wenig Fruchtwasser vorhanden. Erst am elften Lebenstag 
habe die Patientin zum ersten Male Urin und Mekonium entleert. 
Die Mutter stillte das Kind einige Wochen hindurch. Im Laufe 
des ersten Lebenshalbjahres wurde bei der Patientin schon eine 
Verkrümmung des Rückgrates bemerkt. Patientin lernte im Alter 
von 11 Monaten gehen, hat nie Verkrümmungen der Beine gehabt. 
Die Scheitelfontanelle schloß sich erst nach Ablauf des zweiten Lebens¬ 
jahres, die Stirn soll in der Mitte noch im vierten Lebensjahr „ganz 
weich“ gewesen sein. Die Zähne kamen bei der Patientin sehr spät, 
erst im zweiten Lebensjahr, zum Durchbruch, und sehr unregel¬ 
mäßig. Nur 3 Zähne seien vom definitiven Gebiß zur Zeit des 
Zahnwechsels und später durchgebrochen, und im übrigen blieb das 


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426 


Max M. Klar. 


Milchgebiß, mehr oder minder defekt, bestehen. Im zweiten Lebens¬ 
jahr soll eine Zeitlang Rachitis bestanden haben, im dritten Lebens¬ 
jahr erlitt die Patientin einen Bruch des rechten Oberschenkels. 

Fig. la. 



Die Masern iiberstand sie im Alter von 2 Jahren, Diphtherie mit 
7 Jahren. Sie soll immer ein „aufgeregtes“ Kind gewesen sein, in 
der Schule habe sie regelrechte Fortschritte gemacht. Die Skoliose 

verschlimmerte sich im Laufe der Jahre 
etwas, weshalb die Patientin wiederholt 
in der Klinik behandelt wurde. Die 
Patientin ist schmächtig entwickelt und 
grazil gebaut und hat eine Körperlänge 
von nur 134,5 cm. Bei der Untersuchung 
fällt nächst der Form der Wirbelsäule 
und des Thorax zuerst der deformierte, 
verhältnismäßig große Schädel auf. Das 
Gesicht zeigt eine leichte Asymmetrie, 
die rechte Gesichtshälfte erscheint etwas 
breiter als die linke, die Nasenspitze ist 
etwas nach rechts gerichtet. Die Tubera frontalia springen stark, 
hornartig, hervor, ebenso sind die Tubera parietalia stärker als 
normal ausgeprägt. Zwischen den Stirnbeinhöckern fällt eine tiefe, 
rinnenartige Depression auf (siehe Fig. lb), die, an der Nasen¬ 
wurzel beginnend, genau in der Mittellinie sagittal nach oben ver¬ 
läuft, ihre größte Tiefe in der Mitte der Stirn erreicht und sich 


Fig. lb. 



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Ueber kongenitale Osteodysplasie der Schlüsselbeine etc. 


427 


von da ab allmählich verflacht, bis sie in der Gegend der Sutura 
coronalis, ins Niveau der Scheitelbeine übergehend, ganz verschwindet. 
Man fühlt überall unter der Haut Knochen, ein kräftiger Mittel¬ 
finger läßt sich bequem in die Rinne einlegen. Weiter nach hinten 
zeigt der Schädel wiederum eine mediane, dem Verlauf der Sagittal- 
naht folgende, etwas flachere, aber fast zweifingerbreite Vertiefung, 
die etwa am Haarwirbel flach beginnt und bis an die Lambdanaht 
verläuft; hier erreicht die Furche ihre größte Tiefe, so daß das Os 
occipitale mit seinem unteren Teil besonders stark hervorspringt; 
der rechte Ast der Lambdanaht fühlt sich gewulstet an. Der jSchädel- 
umfang beträgt, in der Höhe der Stirnmitte gemessen, 54,5 cm; bei 
der Körpergröße von 134,5 cm ist dieser Umfang wohl als beträcht¬ 
lich zu bezeichnen. Die übrigen Schädelmaße sind: Distantia bitem- 
poralis 12,5 cm, Distantia mento-occipitalis 16,5, Distantia biparietalis 
10,0, Distantia fronto-occipitalis (von der Tiefe der Stirnvertiefung 
aus gemessen) 18,5 cm. Der Unterkiefer der Patientin ist leicht 
prognath, der Gaumen ist ziemlich hoch, zeigt leichte Spitzbogen¬ 
form. Das Gebiß weist eigenartige, höchst merkwürdige Verhält¬ 
nisse auf (s. Fig. 2 und 3); ein großer Teil des Milchgebisses 




Fig. 2. 


links 


rechts 


Oberkiefer Unterkiefer 

ist bestehen geblieben, fast alle Zähne sind mehr oder weniger 
defekt. Im Oberkiefer stehen: rechts: 1. bleibender Incisivus, 
Stummel des 2. Milchincisivus, Milchcaninus, 1. Milchmolar, Stummel 
des 1. bleibenden Molaren, 2. bleibender Molar; links: 1. und 
2. Milchincisivus, Milchcaninus, Wurzel des 1. Milchmolaren, 1. und 
2. bleibender Molar. Im Unterkiefer finden sich folgende Zähne: 
rechts: 1. und 2. Milchincisivus, Milchcaninus, 1. Milchmolar, 


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428 


Max M. Klar. 


2. Milchmolar, 1. bleibender Molar, 2. bleibender Molar im Durch¬ 
brechen; links: 1. und 2. Milchincisivus, Milchcaninus, 2. Prä¬ 
molar, 1. und 2. bleibender Molar. Wie die Röntgenaufnahmen 
beider Kiefer zeigen, sind überall in den Alveolen hinter den 
Milchzähnen Keime der definitiven Zähne vorhanden. Bei der Be¬ 
sichtigung des Körpers von vorn fällt zunächst die außerordentlich 
starke Wölbung des Thorax nach vorn, also der sehr große antero- 
posteriore und der verhältnismäßig kleine quere Durchmesser des 
Thorax auf. Das Sternum tritt stark hervor, Andeutung von Pectus 
carinatum. Der ganze Oberkörper erscheint nach links verschoben, 
der rechte Rippenbogen steht so im Becken, der linke Rippenbogen 



steht auf dem linken Beckenrand. Die linke Spina anterior superior 
steht ein wenig tiefer als die rechte; die Entfernung des Nabels 
von der rechten Spina anterior superior beträgt 14,0 cm, von der 
linken Spina 12,0 cm, von der rechten Mamilla 17 cm, von der 
linken Mamilla 19,5 cm. 

Von beiden Schlüsselbeinen sind nur je ein größeres ster- 
nales und ein kleineres akromiales Rudiment vorhanden; links ent¬ 
springt vom Manubrium sterni ein knapp 5 cm langer, zarter 
Knochen, der abgerundet und völlig frei endet; vom Akromion aus 
geht links ein etwa 2 cm langes, schmächtiges Knochenstück, das nach 
der Mitte zu ebenfalls frei, doch etwas tiefer als das äußere Rudiment, 
endet, so daß das äußere Ende des sternalen Rudiments auf dem 
inneren des akromialen „reitet“; eine Verbindung zwischen den 
beiden Stücken, die ganz frei gegeneinander verschieblich sind, ist 
nicht nachzuweisen. Rechts ist das sternale Rudiment 5 cm lang 
und endigt nach außen sehr verdünnt, konisch, spitz; dann fühlt 
der tastende Finger eine Lücke von gut 2 cm Breite und danach 


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Ueber kongenitale Osteodysplasie der Schlüsselbeine etc. 


429 


weiter nach außen ein schwer palpables, sehr zartes Knochenstück¬ 
chen von 2 1 /* cm Länge, das akromiale Rudiment, das mit dem 
Akromion nur in ganz lockerer ligamentöser Verbindung steht. Aus 
dem Krankenbericht vom Jahre 1897 geht hervor, daß damals ein 
akromiales Rudiment überhaupt noch nicht zu fühlen war, sondern 
daß ein fibröser Strang vom Ende des sternalen Rudiments zum 
Akromion führte; es ist also anzunehmen, daß hier in den letzten 
8 Lebensjahren der Patientin erst eine teilweise Ossifikation erfolgt 
ist. Das Röntgenbild der rechten Schultergegend zeigt (s. Fig. 7) 


Fig. 4. 



sehr zarte Rudimente, das akromiale, besonders dünne, Stück be¬ 
findet sich unterhalb des sternalen und ist mit dem Akromion nicht 
knöchern verbunden. 

In der Lücke zwischen den beiden mittleren Enden der Stücke 
fühlt und sieht man eine kuppenförmige Hervorwölbung, deren 
anteroposteriorer Durchmesser 8 cm, deren querer 2 cm beträgt: 
die obere Thoraxapertur mit der 1. Rippe. Die Beckenknochen 
sind durchaus regelrecht, insbesondere sind keine Anomalien an den 
Ossa pubis zu finden. Die Knochen der Extremitäten sind grazil, 
aber ganz normal bis auf die ohne wesentliche Dislokation, aber mit 
1 cm Verkürzung geheilte Fraktur des rechten Oberschenkels, die 
im dritten Lebensjahr erfolgte. 

Von hinten gesehen, bietet die Patientin folgendes Bild: Der 
Kopf ist leicht nach links geneigt; die linke Nackenschulterlinie ist 


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430 


Max M. Klar. 


tief eingebaucht, ihr unterer Schenkel steigt nach außen deutlich an. 
Rechts zeigt der untere Schenkel die oben erwähnte ausgeprägte 
Kuppe, deren Vorwölbung eine knöcherne Resistenz, die 1. Rippe, 
entspricht. Die linke Schulterhöhe bildet eine wagerechte, 3 bis 
4 Querfinger breite Ebene, die hinten von der Spina scapulae, vorn 
von den Schlüsselbeinrudimenten begrenzt wird. Die Fossa supra- 
spinata der linken Scapula ist kaum abtastbar, sie liegt offenbar 
völlig horizontal. Rechts fehlt dieses Plateau, erstlich, weil die 
rechte Scapula tiefer steht, und zweitens, weil die beschriebene Vor¬ 
wölbung vorhanden ist. Beide Scapulae erscheinen am Thorax nach 
außen abgeglitten, so daß ihre Flächen mehr nach außen als nach 
hinten schauen und die Spinae scapulae mehr nach vorn als lateral ge¬ 
richtet sind; auch dieser Befund ist links mehr ausgeprägt als rechts. 
Die Abdrängung der Scapulae ist bedingt durch eine hochgradige 
dorsale Kyphose der Wirbelsäule. Die Kuppe der Kyphose, die sich 
zwischen dem 5. und 6. Brustwirbel befindet, liegt 7 cm hinter der 
Vertebra prominens, der Winkel der Kyphose beträgt 130°. Gleich¬ 
zeitig besteht eine nach rechts konvexe Skoliose der Halswirbelsäule 
bis zum 7. Halswirbel, von diesem ab wendet sich die Dornfort¬ 
satzlinie scharf nach rechts, so daß eine hochgradige rechtskonvexe 
obere dorsale Skoliose besteht: die Scheitelhöhe dieser Krümmung 
beträgt, in der Höhe etwa des 3. Brustwirbels, 4 cm, von da ver¬ 
läuft die Linie wieder nach links und geht in der Höhe des 6. bis 
7. Brustwirbeldornfortsatzes in eine linksseitige Skoliose der übrigen 
Brustwirbelsäule über. Die Lendenwirbelsäule zeigt eine der Ky¬ 
phose entsprechende lordotische Gegenkrümmung und eine leichte 
nach rechts konvexe Skoliose. 

Der Rumpf hängt im ganzen stark nach links über, so daß 
der linke Arm frei herabpendelt, während der rechte der Seitenwand 
des Thorax fest anliegt. 

Die linke Schulter steht im ganzen etwas höher als die rechte, 
die rechte Scapula steht in höherem Grade flügelförmig ab als die 
linke; der rechte Angulus scapulae steht um 4 cm tiefer als der 
linke und ist 12 cm von der Mittellinie entfernt, der linke Schulter¬ 
blattwinkel 4 cm; die Distanz der Ränder der Scapulae beträgt 
oben 7 cm, unten 9 cm. Die Rima ani verläuft etwas schräg, von 
links oben nach rechts unten. In der Seitenansicht sieht man deut¬ 
lich die erwähnte lumbale Lordose und den fast horizontalen Ver¬ 
lauf des oberen Astes der Kyphose (s. Fig. 5). In der Vorbeuge- 


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Ueber kongenitale Osteodysplasie der Schlüsselbeine etc. 431 

haltung zeigt sich eine hochgradige linksdorsale und eine geringe 
rechtslumbale Torsion der Wirbelsäule. 

Die physiologische und elektrische Prüfung der zum Schulter¬ 
gürtel in Beziehung tretenden Muskulatur, bei deren Vornahme ich 
mich der gütigen Hilfe des Herrn 
Prof. Dr. Hoffmann erfreute, 
dem ich auch an dieser Stelle 
noch meinen ergebenen Dank ab¬ 
statte, ergibt: 

Platysma normal; 

M. sternocle idomastoi- 
des beiderseits gut, die clavicu- 
lare Portion inseriert beiderseits 
am sternalen Rudiment; 

M. deltoides beiderseits 
kräftig, doch ist eine claviculare 
Portion nicht palpabel; 

M. cucullaris beiderseits 
gut, claviculare Portion jedoch 
beiderseits nicht nachweisbar; 

M. pectoralis major beiderseits vorhanden, rechts schwächer, 
links stärker; die claviculare Portion setzt beiderseits am sternalen 
Schlüsselbeinrest an; 

die Mm. serratus, rhomboides und latissimus dorsi sind beider¬ 
seits normal. 

Bei der Drehung des Kopfes nach rechts wird das linke ster- 
nale Clavicularudiment mit der Spitze nach oben und vorn ge¬ 
richtet, bei der Drehung des Kopfes nach 
links ebenso das rechte sternale Rudiment. 

Die Schultern können aktiv von der Pa¬ 
tientin so weit nach vorn gebracht werden, 
daß ihre Entfernung voneinander noch 
knapp 10 cm beträgt, die Distanz der 
Akromien ist dabei 19 cm; bei passivem 
Annähern der beiden Schultern gegeneinander ist die geringste Ent¬ 
fernung der Schultern 5 cm, die der Akromien 12 cm (s. Fig. 6). 
Alle Bewegungen der Arme führt die Patientin in normaler Weise, 
ausgiebig und kräftig aus; beim Turnen bemerkt man keine Stö¬ 
rung, Patientin turnt z. B. in ganz normaler Weise am Barren: 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XV. Bd. 28 


Fig. 6. 



Fig. 5. 


(ÜBrni 


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432 


Max M. Klar. 


Wende, Kehre etc. Das aktive und passive Rückwärtsführen der 
Schultern ist durch die Kyphose etwas behindert. Das Röntgenbild 
der rechten Claviculagegend (Fig. 7) zeigt die beschriebenen Knochen¬ 
verhältnisse ; leider ist der 
Versuch, eine Röntgenphoto¬ 
graphie der ganzen oberen 
Thoraxhälfte aufzunehmen, 
wegen der infolge der Ky¬ 
phose mehrfach übereinander 
gelagerten Knochen wieder¬ 
holt mißlungen. 

Dies der Befund unse¬ 
rer Patientin. Um nun unse¬ 
ren Fall eingehend zu be¬ 
trachten und zu erörtern, 
müssen wir alle gleichartigen und ähnlichen bisher beschriebenen 
Fälle rekapitulieren. Es sind im ganzen 37 ähnliche Fälle in der 
Weltliteratur veröffentlicht worden. Der erste Patient mit partiellem 
Claviculadefekt wurde im Jahre 1765 von Martin beschrieben: 

Fall 1 [35] 1 ): Ein 30jähriger Mann kommt wegen eines an¬ 
geblichen Schlüsselbeinbruchs in Behandlung, da er eine Kontusion 
der einen Schulter erlitten hat. Es fällt gleich bei ihm die große 
Beweglichkeit der einen Schulterpartie auf. Die Untersuchung er¬ 
gibt: Das eine Schlüsselbein ist um ein Viertel kürzer als das 
andere, das normal ist; die Verbindung dieser verkürzten Clavicula 
mit dem Akromion fehlt und das freie Ende, das man von allen 
Seiten gut umfassen kann, ist um reichlich 2 Querfingerbreiten vom 
Akromion entfernt; vom Processus coracoides der kranken Seite 
geht ein Knochenvorsprung aus, der etwas dünner ist als das 
Schlüsselbein und in der Nähe des freien Endes der Clavicula eben¬ 
falls frei endet (Martin 1765). 

Fall 2 [53]: Sonst wohlgebauter 9jähriger Knabe. Das linke 
Schlüsselbein fehlt; an dessen Stelle fühlt man eine „sehnige kar- 
tilaginöse Masse“. Die „tendinösen Teile“ scheinen an die oberen 
Rippen angeheftet zu sein, und dadurch hat die Scapula die nötigen 
Stützpunkte an Stelle der Clavicula erhalten. Patient kann den 


*) Die in Klammern befindliche Zahl bezeichnet jedesmal die Nummer 
der betreffenden Arbeit im Literaturverzeichnis. 



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Ueber kongenitale Osteodysplasie der Schlüsselbeine etc. 


433 


linken Arm nach allen Richtungen bewegen, kann Steine werfen etc., 
scheint also das fehlende Schlüsselbein nicht zu vermissen (Stah¬ 
mann 1857). 

Fälle 3—6 inkl. [16]: 

Es handelt sich um eine Frau und um deren 3 Kinder aus 
zwei verschiedenen Ehen. Ueber den ersten, verstorbenen Ehemann 
ist nichts bekannt; der zweite Gatte konnte nicht untersucht werden. 
Ueber die Skelettverhältnisse der Eltern der Frau ist nichts zu er¬ 
fahren. Die Frau ist 56 Jahre alt, mit Ausnahme der Abnormität 
der Schlüsselbeine ohne Mißbildungen des Skeletts; zwischen Schulter 
und Regio mammaria findet sich beiderseits eine Einsenbung, die 
gegen die der Fossa supraclavicularis entsprechende Stelle sich 
etwas vertieft; die Vertiefung ist links weniger deutlich als rechts. 
Beide Schultern stehen tiefer als unter normalen Verhältnissen. Von 
beiden Claviceln ist nur ein sternales Rudiment verhanden, das auf 
der rechten Seite ist 6 cm, das linke 5 cm lang; die Entfernung 
beider Enden voneinander beträgt 15 cm. Das rechte Stück ist 
gerade gegen das Akromion gerichtet, das linke steht etwas höher, 
so daß die Verlängerung 5—6 cm über das Akromion treffen würde. 
Eine ligaraentöse Verlängerung ist nicht wahrzunehmen. Platysma 
und M. sternocleidomastoides sind normal, der Cleidomast. nimmt 
fast das ganze Schlüsselbeinrudiment beiderseits ein. Dem Delta¬ 
muskel geht jederseits die claviculare Portion ab, sie scheint aber 
vertreten zu werden durch eine am inneren Rande des Akromions 
entspringende Zacke, die von daher das Schultergelenk bedeckt. 
Der M. cucullaris ist fast ganz normal, die sonst an die Clavicula 
tretende Portion gelangt am Akromion zur Insertion. Der M. pecto- 
ralis major ist in seiner clavicularen Portion beiderseits nur etwas 
schwächer, M. subclavius ist nicht vorhanden. Bei Bewegung der 
Schultern nach vorn können die beiden Akromien bis auf 22 cm 
einander genähert werden; bei Hebung der Schultern stellen sich 
die beiden Claviculae zu ihrer früheren Richtung in einen Winkel 
von 90 °. 

[Fall 4]: Sohn der Frau aus erster Ehe: 

36jähriger Mann, 1,52 m groß; die Schultern stehen auch hier 
auffallend tief. Nur die Pars sternalis der beiden Schlüsselbeine ist 
vorhanden; die rechte mißt 6 cm, die linke 7 cm. Das freie, ab¬ 
gerundete, mit den Fingern leicht umgreifbare Ende steht rechts 


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434 


Max M. Klar. 


wenig, links mehr hervor; die Entfernung beider Enden beträgt 
16 cm. Die medialen Ränder der Scapulae divergieren von oben 
nach abwärts, am oberen Winkel beträgt ihre Entfernung vonein¬ 
ander 13 cm, am unteren 17 cm. Es besteht eine starke Ein¬ 
knickung des Sternums über dem Schwertfortsatz. (Trichterbrust! 
d. Verf.) Die beiden Schultern können nach vorn einander so weit 
genähert werden, daß die Akromien noch 26 cm voneinander ent¬ 
fernt sind. Die Leistungsfähigkeit der Arme ist, wie bei der Mutter, 
nicht gestört. Beide Mm. sternocleidomast. sind in Ursprung und 
Verlauf normal, die claviculare Portion ist aber, beiderseits von der 
sternalen getrennt, schwächer, als es die übrige Muskulatur er¬ 
warten ließe, entwickelt. Beim Heben der Schultern, wobei gleich¬ 
falls die Claviculae sich emporrichten, ist die claviculare Portion 
des M. sternocleidomast. deutlich umgreifbar; das Platysma ist 
beiderseits nachweisbar, der M. cucullaris ist bis auf die sonst an 
die Clavicula sich inserierende Partie normal. Der M. deltoides 
kann von seinem Ursprung bis an die Spitze des Akromions ver¬ 
folgt werden, dort ergibt sich rechts eine Unterbrechung, durch eine 
Längsfurche markiert, worauf ein besonderer, anscheinend an der 
Innenseite des Akromions entspringender Muskelbauch folgt; dieser 
schmiegt sich im weiteren Verlauf an den medialen Rand des Delta¬ 
muskels an, um mit ihm sich zu inserieren. Der M. pectoralis major 
ist in Verlauf und Insertion normal, durch eine sehr starke Sterno- 
kostalportion ausgezeichnet, rechts mit sehr schwacher Clavicular- 
portion. Das Kind des Mannes hat wohlgebildete Schlüsselbeine. 

[Fall 5]; Tochter der Frau (Fall 3) aus zweiter Ehe, 
22 Jahre alt. Das rechte Schlüsselbein ist in zwei fast gleich große 
Stücke geteilt. Die akromiale Hälfte, 4,5 cm messend, steht einerseits 
durch ein festes Ligament mit dem Akromion, anderseits durch einen 
längeren bandartigen Strang mit der 4 cm langen sternalen Hälfte 
in Verbindung; die letztere befindet sich anscheinend in normaler 
Articulation mit dem Manubrium sterni. Das linke Schlüsselbein 
besteht wiederum aus zwei Stücken, davon das sternale, mit dem 
Manubrium sterni gleichfalls auf gewöhnliche Weise verbunden, 
6,5 cm, das akromiale Stück 4,5 cm lang ist. Das akromiale Rudi¬ 
ment schiebt sich etwas unter das sternale und ist dort fest mit 
ihm vereinigt, ist aber nur in loser Verbindung mit dem Akromion, 
so daß es von diesem auf und ab bewegt werden kann. Ein Kind 
der Tochter hat normale Schlüsselbeine. 


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Ueber kongenitale Osteodysplasie der Schlüsselbeine etc. 


435 


[Fall 6]: Sohn der Frau (Fall 3) aus zweiter Ehe* 
14\2 Jahre alt: Körpergröße 1,34 m. Die rechte Schulter steht 
etwas höher als die linke, die durch den M. trapezius bedingte Hals¬ 
wölbung ist rechts beträchtlicher. Die 1. Rippe ist rechts fühlbar, 
links nicht. Das rechte Schlüsselbein ist 5 cm, das linke 6 cm 
lang; beide sind an ihrem freien Ende umgreifbar, das rechte etwas 
zugespitzt, das linke mehr abgerundet; das linke ist bis nahe an 
das Akromion verfolgbar, das rechte ist durch eine Pseudarthrose 
in zwei fast gleich lange Stücke geteilt, die in Winkelstellung mit¬ 
einander verbunden sind. Der M. sternocleidomast. ist beiderseits 
in Ursprung, Volumen und Insertion ganz normal; der M. cleido- 
mastoides hebt die Clavicula nach oben. Die Mm. cucullares und 
deltoidei sind bis auf die der Clavicula bestimmten Portionen, die 
fehlen, normal. Platysma vorhanden, M. pectoralis major beiderseits 
mit entwickelter Clavicularportion, die das Schlüsselbein nach vorn 
abzieht. 

Es besteht also ein höherer Grad des Defekts bei der Mutter 
und deren Sohn aus erster Ehe, ein geringerer Grad bei den Kin¬ 
dern aus zweiter Ehe. (Gegenbaur 1864.) 

Fall 7 [32 und 39]: 15jähriger Knabe, kräftig, mit rechts¬ 
seitiger Skoliose; das linke Schlüsselbein fehlt vollständig, so daß 
die linke Schulter bis zum Brustbeinrande verschoben werden kann. 
Die Portio clavicularis des M. pectoralis major fehlt, die Schlüssel¬ 
beinportion des Kopfnickers steigt in Verbindung mit der sonst an 
die Clavicula angehefteten Faserung des M. trapezius über den 
Sternalursprung des M. pectoralis major in ähnlicher Weise herab, 
wie der anormale sogenannte M. thoracicus, dessen oberes Ende 
ohnehin sehr gewöhnlich in den Kopfnicker übergeht. Das fehlende 
Schlüsselbein ist durch einen sehnigen Streifen ersetzt. Die Funk¬ 
tionen der Schulter und des Armes sind recht wenig gestört, die 
physiologischen Bewegungen und die Fixation des Schulterblattes 
werden durch Muskelkontraktionen ermöglicht, (v. Luschka 1865 
und Niemeyer 1866.) 

Fälle 8—10 inkl. [45]: 

(Fall 8): Leiche eines 52jährigen Schneiders, welcher irrsinnig 
war. Geringe Körpergröße, auffallend schwach entwickelte Extre¬ 
mitäten und flacher Thorax. Die Gesichtsfläche ist schief nach 
hinten gerichtet, der Hirnschädel groß, das Schädeldach dünnwandig, 
porös; die Gegend der Stirnbein-, Scheitelbein- und Hinterhaupt- 


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Max M. Klar. 


höcker ist wie blasig vorgetrieben, so daß die dazwischenliegenden 
Regionen der Nähte als tiefe Außenfurchen erscheinen. In dem 
Stirnbein findet sich eine offene Fontanelle zwischen beiden Seiten¬ 
hälften, erst in der Nähe der Nasenwurzel sind die beiden Stirn¬ 
beinhälften durch Naht verbunden; auch die Hinterhaupt-Schläfen¬ 
beinfontanelle ist beiderseits erhalten, die Größe der Schuppe beider 
Schläfenbeine ist fast auf die Hälfte reduziert. Zwischen dem Os 
temporale, Os parietale und dem großen Keilbeinflügel ist rechts 
ein länglicher Spalt, der Rest einer einstigen Fontanelle. In der 
Pfeilnaht findet sich ein dreieckiger Zwickelknochen von l 1 /* Zoll 
Länge und 3 /i Zoll Breite; zu beiden Seiten der fast papierblatt¬ 
dünnen Hinterhauptspitze sind fünf über silbergroschengroße, im 
Reste der Lambdanaht zahlreiche kleinere Schaltknochen. Die ganze 
Schädelbasis ist gegen die Schädelhöhle gehoben, zumeist jedoch 
das Keilbein, so daß die Unterfläche der Schädelbasis an der Synchon- 
drosis spheno-occipitalis eine Knickung zeigt. Die um die Hälfte 
zu kurzen, nach abwärts verschmälerten, an ihrer gegenseitigen 
Verbindung sehr dünnen Nasenbeine legen sich nur an das Stirn¬ 
bein, nicht aber an den Stirnfortsatz des Oberkiefers, an. Das 
Foraraen incisivum ist sehr groß, die Schilddrüse ist blutarm, von 
gewöhnlicher Größe. Die Clavicularportion des M. deltoides und 
des M. cucullaris inseriert beiderseits an einen sehnigen Streifen, 
der, vom oberen Rand des Sternums entsprungen, vor der Fossa 
glenoidalis scapulae sich befestigt, und an dessen innerem Ende 
beiderseits ein längliches, schmales, dünnes, schwach konvexes, an 
den Rändern rauhes, an den Enden etwas aufgetriebenes, am meisten 
einer Halsrippe ähnliches, 1 Zoll langes Knochenstück als Rudiment 
der Clavicula eingebettet ist. An diesem Rudiment haften beider¬ 
seits der M. cleidomastoides und die Portio clavicularis des M. pec^ 
toralis major, an dem Sehnenstreifen der sehr starke M. subclavius. 

(Fall 9): Aelteres Präparat der Wiener anatomischen Samm¬ 
lung. An diesem sind auch dieselben Fontanellen noch offen und 
die Schädelbasis eingeknickt; Zwickelknochen sind aber nicht vor¬ 
handen und das Schädeldach ist ziemlich kompakt. Die Schlüssel¬ 
beine sind denen des eben beschriebenen Falles ganz gleich, nur in 
allen Dimensionen noch kleiner. Die Nasenbeine sind um zwei 
Drittel zu kurz, dadurch erscheint die Apertura pyriformis sehr 
lang, viereckig. 

Wir haben also bei Fall 8 und 9 festzustellen: Oflfensein der 


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Ueber kongenitale Osteodysplasie der Schlüsselbeine etc. 


437 


vorderen und hinteren seitlichen Fontanellen, Kleinheit der Schläfen- 
beinschuppen und der Nasenbeine, rudimentäre, nur auf das Mittel* 
stück beschränkte Bildung der Schlüsselbeine, Gehobensein der 
Schädelbasis und Knickung des ziemlich steil abfallenden Clivus. 
Das Auffälligste ist die teilweise Substitution des Knochengewebes 
durch Bindegewebe an den Schlüsselbeinen und an mehreren Knochen 
des Schädels. 

[Fall 10]: Monstrum anencephalum, prolapsu partis hepatis per 
fissuram thoracis, intestini tenuis et crassi per fissuram abdominis 
penes umbilicum insigne. Scoliosis. Pulmo sinister unilobaris et minor. 
Clavicula sinistra rudimentaria. 

Der Körper ist 13 Zoll 5 Linien lang, mäßig genährt, blaß. 
Die weichen Decken des Schädeldachs samt der mit ihnen verschmol¬ 
zenen harten Hirnhaut auf den Schädelgrund herabgesunken und rück¬ 
wärts einer von einem Ohre zum anderen gedachten Linie bis fast 
zum Foramen occipitale magnum haarlos, bis zur Transparenz ver¬ 
dünnt und in der Gegend der hinteren Fontanelle von einem runden, 
scharfrandigen, fast talergroßen Loche durchbrochen. Links vom hin¬ 
teren Umfang dieser Lücke geht ein 6 Zoll langer Amnionstrang 
aus, der am Kopfende 13 Linien, am Placentarende 6 Zoll breit ist 
und in das Placentaramnion etwa 2 1 'j 2 Zoll vom exzentrisch gelagerten 
Nabelstrang übergeht. Das Schädeldach fast ganz fehlend, indem der 
vordere Teil der Scheitelbeine vollständig fehlt und nur über der 
Schläfenschuppe Reste vorhanden sind, die am linken Os parietale 
etwa a /g Zoll, am rechten 3 1 Zoll hoch sind und gegen das Hinter¬ 
hauptbein niedriger und niedriger werden. Von der Hinterhauptschuppe 
ist nur ein etwa 1 1 I ! 2 Zoll breiter Streifen sichtbar, der den hinteren 
üalbring des Foramen occipitale magnum bildet. Die rechte Stirn¬ 
beinhälfte ist beinahe l 3 /4 Zoll, die linke l 1 /* Zoll hoch, erstere zu¬ 
gleich etwas breiter; beide steigen fast senkrecht ohne nennenswerte 
Wölbung auf. Die Ränder der so gegebenen Lücke des Schädeldachs 
sind scharf und wellig. Das Gehirn fehlt vollkommen. Das Gesicht 
ist stark „prognatliisch“. Der Hals kurz; der Brustkorb gewölbt, 
in der Gegend des zweiten linken Interkostalraumes, 3 Linien nach 
außen vom linken Sternalrand, hängt an einem strohhalmdicken, von 
außen her kaum 1 Linie lang erscheinenden Bindegewebstiel eine 
haselnußgroße, ovale, mäßig derbe Geschwulst, die durch eine zarte, 
einer serösen Membran gleichende Hülle braunrot hindurchschimmert. 
3 /i Zoll unter dem Akromion an der Innenfläche des linken Oberarms 


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Max M. Klar. 


ein 6 Zoll langer, in der Gegend des linken Processus coracoides 
ein 5 Linien langer, strohhalmdicker, walzenförmiger, abgerundet 
endender Hautanhang. Der innere Rand des adduzierten linken 
Fußes ist bedeutend höher gestellt als der äußere. (Klumpfuß, 
d. Verf.) Die Pars sternalis der linken Clavicula ist von der Pars 
acromialis durch einen beinahe 3 Linien langen Bindegewebstrang 
geschieden. Die vorderen Knorpelenden sämtlicher echter Rippen 
der linken Seite sind ungefähr V 2 Zoll nach außen vom linken 
Sternalrand zu einem Knorpelhalbring verschmolzen, welcher die 
äußere, nur zwischen Clavicula und einem Vorsprung des ersten 
Rippenknorpels membranös unterbrochene Umrandung eines fast 
haselnußgroßen Loches bildet. Es besteht hochgradige nach rechts 
konvexe Skoliose der Brustwirbelsäule. (Scheuthauer 1871.) 

Fall 11 [25]: lßjäbriges Mädchen, noch nicht menstruiert. 
Die Mutter starb mit 26 Jahren an Lungenschwindsucht; ob bei 
dieser ein Bildungsfehler vorhanden war, ist unbekannt. Die einzige 
Schwester der Patientin starb mit 6 Jahren an fieberhafter Krankheit. 
Der Vater ist 41 Jahre alt, kräftig, hat beiderseits angeborenen 
Klumpfuß, aber ganz normale Schlüsselbeine. Patientin ist das 
noch lebende von zwei Kindern erster Ehe des Mannes, außerdem 
sind zwei Kinder zweiter Ehe vorhanden, deren Claviculae auch 
regelrecht sind; alle diese vier Kinder haben vom Vater beider¬ 
seitigen Klumpfuß geringen Grades geerbt. In der Jugend hatte 
Patientin mehrfach Drüsenschwellungen am Hals und in den Achsel¬ 
höhlen, kurze Zeit auch Spondylitis; sie ist sehr klein, Körperlänge 
1,29 m. Mittlere Intelligenz. Starke Abflachung des Thorax beider¬ 
seits von der horizontalen Mamillarlinie nach oben und Fehlen einer 
Grenze zwischen Fossa supraclavicularis und infraclavicularis. Die 
Schultern können passiv bis zur Berührung der Oberarmköpfe ein¬ 
ander genähert werden. Die Schulterblattspitzen stehen ziemlich 
weit nach hinten vor, so daß sich also zwischen diesen und dem 
Thorax eine tiefe Furche findet; die Fossa infraspinata ist sehr flach, 
es fehlt die normale Rundung. Das rechte Schlüsselbeinrudiment ist 
1,5 cm lang, 1 cm breit, nach außen spitz, lose mit dem Sternum 
verbunden und nach allen Seiten in großen Exkursionen verschieb¬ 
bar. Das linke Clavicularudiment ist 4 cm lang, am Sternalende 
0,5 cm breit, sich zuspitzend. Rechts fehlt die claviculare Portion 
des M. sternocleidomastoides, links ist diese vorhanden. Mm. deltoides 
und cucullaris sind beiderseits normal. M. pectoralis major ist beider- 


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Ueber kongenitale Osteodysplasie der Schlüsselbeine etc. 


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seits schwach, die claviculare Portion fehlt. Alle Bewegungen sind 
normal; aktiv können die Schultern so weit nach vorn gebracht 
werden, daß die Akromien 15 cm, die Oberarmköpfe 9 cm vonein¬ 
ander entfernt sind. Die Arme sinken, wenn sie belastet werden, 
stark nach abwärts. (Kappeier 1875.) 

Fall 12 [12]: löjähriges Mädchen, das älteste von acht Kindern, 
von denen sechs leben und gesund sind, zwei starben jung. Patientin 
wurde zur rechten Zeit geboren, aber der Kopf war ungewöhnlich 
flach, und nach Aussage der Großmutter streckte das Kind kurz 
nach der Geburt bei Berührung die Arme und Beine aus und öffnete 
die Augen wie ein Frosch. Patientin bekam im Alter von 3 Monaten 
schon die ersten Zähne, lief mit 9 Monaten, sprach mit 15 Monaten; 
sie war auffallend intelligent. Mit 9 Jahren traten epileptische An¬ 
fälle auf; mit 12 Jahren verlor Patientin für einige Zeit die Gebrauchs¬ 
fähigkeit der Beine und machte unwillkürliche Kreisbewegungen des 
rechten Armes. Kräftiges, gut gebautes Mädchen, ohne auffallende 
Mißbildung außer den folgenden: Am Schädel springen die Tubera 
frontalia und die Tubera parietalia auffallend stark her¬ 
vor und längs der Mittellinie des Schädels verläuft eine rinn en- 
artige Depression. Die Lippen sind dick, die Zähne sind 
stark kariös und unregelmäßig. Das akromiale Ende beider 
Schlüsselbeine fehlt. Es besteht abnorme Beweglichkeit der Schul¬ 
tern, beide Oberarmköpfe können willkürlich aneinander gebracht 
werden. (Dowse 1875.) 

Fall 13 [21a und b]: 60jährige Frau, Schultern hängend, Schulter¬ 
blätter flügelförmig abstehend, leichte Kyphose der Wirbelsäule im 
Brustteil, Thoraxumfang in der Höhe der Mamillen 71 cm. Bei der 
Untersuchung der Schlüsselbeine findet man an Stelle der akromialen 
Insertion auf beiden Seiten eine Vertiefung, die nach außen hin von 
dem nach vorwärts vorspringenden Oberarmknochen begrenzt ist, weiter 
unten vom Thorax in der Höhe der Mamillarlinie und auf der Innen¬ 
seite von der Clavicula. Diese ist rechts 5 * 2 cm lang und endigt in 
einer abgekanteten Spitze, ohne daß man einen fibrösen Strang finden 
kann, der eine Verbindung mit dem Akromion bilden könnte. Links 
ist das Schlüsselbeinrudiment 8 cm lang, mit abgerundetem Ende, 
in der Tiefe fühlt man einen fibrösen Strang, der am oberen Rand 
derCavitas glenoidalis inseriert. (Guzzoni degli Ancarani 1887.) 

Fall 14 [59]: Rachitischer, skoliotischer Knabe, keine Spur 
eines Schlüsselbeins vorhanden, auch kein akromiales Rudiment. 


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Max M. Klar, 


Trotzdem kann der Patient ein Gewicht über den Kopf heben, „ein 
Zeichen dafür, daß die Wichtigkeit der Vereinigung der Bruchenden 
bei Schlüsselbeinbruch bisher wohl überschätzt wurde“. (Walsham 
1888 .) 

Fall 15 [9]: 30jähriger Zigarrenmacher von kleiner Gestalt und 
eigentümlichem Habitus; hat eine normale Schwester, die Mutter war 
auch sehr klein. Patient konnte sich in der Jugend an allen Spielen 
beteiligen, war aber immer früher müde als seine Kameraden. In 
früher Jugend Rachitis. Der obere Thoraxabschnitt erscheint fa߬ 
förmig gewölbt, da die Grenze zwischen den Fossae supraclaviculares 
und infraclaviculares beiderseits fehlt. Auf beiden Seiten findet sich, 
mit dem Manubrium sterni artikulierend, je ein 3,5 cm langes und 
kaum 3 4 cm breites Clavicularudiment; die freien Enden sind abge¬ 
rundet und bewegen sich bei der Atmung auf und ab. Die Entfer¬ 
nung der beiden Schlüsselbeinenden beträgt 12 cm, die der Akromien 
29 cm. Die Rudimente sind so gerichtet, daß ihre Verlängerung ein 
auf dem Akromion errichtetes Lot rechts 3 cm und links 2 cm ober¬ 
halb von dessen Fußpunkt treffen würde. Eine fibröse Fortsetzung 
der Rudimente ist beiderseits nicht vorhanden. Aktiv können die 
Akromien bis auf 20 cm einander genähert werden, die Schultern 
können aktiv bis zur Berührung an die Unterkiefer herangebracht 
werden. Die Scapulae stehen flügelförmig ab, es besteht an der Wirbel¬ 
säule sehr starke dorsale Lordose mit kompensatorischer Lendenkyphose 
und eine sehr deutliche rechtsdorsale und linkslumbale Skoliose. Das 
Fettpolster ist gering, die Muskulatur schwach entwickelt. Die In¬ 
telligenz des Mannes ist gering. Die physiologische und elektrische 
Untersuchung der zum Schultergürtel in Beziehung tretenden Muskeln 
ergibt: Normal sind das Platysma myoides, M. omo-hyoides, M. rhom- 
boides und M. serratus anticus major beiderseits; die clavicularen 
Portionen fehlen beiderseits an den Mm. pectoralis major, deltoides, 
sternocleidomastoides; nicht vorhanden ist auf beiden Seiten der 
M. subclavius. In der Funktion der Arme besteht keine Störung, 
(v. d. Busse he 1890.) 

Fall 16 [57]: Anatomische Beobachtung: Individuum ohne 
Schlüsselbeine, Rudimente setzen sich am Akromion und am Sternum 
an, die Mittelstücke fehlen; eine Verbindung der Rudimente besteht 
beiderseits nicht. (Todd 1898, ref. nach Gianettasio, s. u., und Car- 
penter, s. u.) 


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Ueber kongenitale Osteodysplasie der Schlüsselbeine etc. 


441 


Fälle 17—20 inkl. [34 und 40]: 

Wesentliche Punkte: 

a) erhöhtes Wachstum des Schädels in die Breite, vergesell¬ 
schaftet mit verzögerter Ossifikation der Fontanellen; 

b) mehr oder weniger ausgesprochene Aplasie der Schlüssel¬ 
beine ; 

c) die Mißbildungen sind vererbt. 

Es handelt sich um einen Vater mit seinem Sohn und eine 
Mutter mit deren Tochter. Der Anblick des Schädels zog zuerst 
bei den Fällen die Aufmerksamkeit der Untersucher auf sich. Der 
Querdurchmesser ist in erstaunlicher Weise vergrößert; bei dem Mann 
ist der Querdurchmesser 174 mm (Mittelwert normal 159,6 mm), bei 
der Frau 171 mm (bei Frauen normaler Mittelwert 149,3 mm), und 
bei der 9 ^jährigen Tochter der Frau 157 mm. Die Stirnhöcker sind 
bei allen 4 Fällen stark ausgeprägt, zwischen den Höckern ist eine 
vertikale, tiefe, mehr oder weniger ausgeprägte Furche (Sutura meto- 
pica), die Scheitelbeinhöcker sind ebenfalls stark auspeprägt, so daß 
der Schädel die Form eines Neugeborenenschädels hat. Die Gesichter 
sind bis zu einem gewissen Grade abgeplattet, die Augenbrauenbogen 
geschwungen, Ohren stark abstehend. Bei der 47jährigen Frau ist 
das Offenbleiben der Sutura oder vielmehr Fontanella metopica so stark, 
daß man die Knochenränder fühlen kann, während bei den 3 anderen 
Fällen der Schädel hier einen membranösen Eindruck macht. Der 
Mann zeigt einen Gaumenspalt, der Knabe., sein Sohn, hat einen 
spitzbogenförmigen Gaumen. Bei der 47jährigen Frau und ihrer 
Tochter sind die Gaumen ebenfalls spitzbogenförmig gebaut. Die 
Zähne sind bei allen vier Patienten sehr mangelhaft, unregelmäßig, 
bei den beiden Erwachsenen sind alle kariös. Bei den beiden Kindern: 
der 12jährige Knabe hat sehr kleine Schneidezähne, die wie kleine 
Eckzähne geformt sind, und die Eckzähne sind schüsselförmig („cupuli- 
formes“), einige Zähne sind zerbrochen und kariös. Bei dem 9 V*jäh¬ 
rigen Mädchen sind die Zähne sehr langsam gekommen, sie hat noch 
die meisten ihrer Milchzähne, nur die mittleren unteren Schneide¬ 
zähne sind definitive Zähne; die Schneidezähne sind alle sehr zer¬ 
bröckelt. Bei dem 39jährigen Mann ist das linke Schlüsselbein bis 
auf das mittlere Drittel gut entwickelt, die rechte Clavicula zeigt in 
der Mitte eine Lücke, in die man die Finger tief eindrücken kann; 
dieses Schlüsselbein besteht also aus zwei Stücken, die wahrschein¬ 
lich durch einen fibrösen Strang miteinander verbunden sind. Bei 


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442 


Max M. Klar. 


dem 12jährigen Sohn des Mannes besteht Atrophie der inneren Hälfte 
des rechten Schlüsselbeins, das linke besteht aus zwei Stücken, die 
miteinander durch einen bindegewebigen Strang verbunden sind. Der 
Vater des Mannes ist 64 Jahre alt, lebt und ist gesund und normal, 
ebenso die Mutter; ein Jahr vor der Geburt des Patienten hatte seine 
Mutter eine Frühgeburt im 8. Monat, die sie auf einen Fall zurück¬ 
führte, das Kind lebte nur 10—12 Stunden lang. Patient hat vier 
Geschwister ohne Deformität; er selbst ist rechtzeitig geboren, Ge¬ 
burtsdauer 12 Stunden, kam asphyktisch zur Welt, Schädel war auf¬ 
fallend groß; keine Syphilis. Bekam zwei Söhne, die rechtzeitig ge¬ 
boren wurden: Die Geburt des schon erwähnten 12jährigen Knaben 
war normal, es wurde außer der, der des Vaters gleichenden, Schädel¬ 
form nichts Besonderes bemerkt. In der Mitte der Hinterhauptfonta¬ 
nelle besteht bei dem Vater eine Depression und Konsistenzvermin¬ 
derung wie vorn. Die hintere Schädelpartie ist abgeplattet und die 
Protuberantia occipitalis externa ist weniger ausgeprägt als normal; 
am Sternum besteht eine leichte Depression in der Höhe des Manu- 
briums. Der zweite Sohn des Mannes starb im Alter von 2 1 /* Jahren 
an Krämpfen. Bei diesem war die Stirnfontanelle nicht geschlossen 
und der Schädel zeigte dieselbe Deformation wie bei dem lebenden 
Knaben. 

Die 47jährige Frau ist normal geboren, mit großem Schädel. 
Unregelmäßig menstruiert seit dem 16. Jahr. Mit 25 Jahren Ver¬ 
heiratung: vier Kinder, rechtzeitig geboren; eine Tochter, die mit 
7 Jahren an Diphtherie starb, bot außer einem etwas großen Schädel 
keinen besonderen Befund. Ein normaler Knabe starb mit 7 Monaten 
an Masern; das dritte Kind ist ein kräftiger, normaler Knabe von 
11 Jahren; das vierte Kind ist die erwähnte 9V*jährige Tochter, 
die die pathologischen Veränderungen von der Mutter geerbt hat. 
Die Frau hatte keine Aborte, war nie schwer krank; ihr Vater 
starb an Altersschwäche mit 67 Jahren; die Mutter, die 20 Jahre 
hindurch infolge unbekannter Ursache gelähmt war, ist ebenso mit 
67 Jahren gestorben; Patientin selbst hatte neun normale Geschwister, 
eine Schwester hatte eine Analfistel; der Gatte war normal und ge¬ 
sund. Die Frau ist 146 cm groß; an Stelle der Schlüsselbeine hat 
sie beiderseits je ein 3 cm langes, am Sternum sitzendes Clavicula- 
rudiment, das spitz zuläuft und sich in Bindegewebe verliert; die 
Rudimente sind sehr beweglich. Die Tochter hat beiderseits ein 
5 cm langes, sich wie ein harter Knochen anfühlendes Rudiment 


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Ueber kongenitale Osteodysplasie der Schlüsselbeine etc. 443 

der Clavicula, dessen Spitze in einen bindegewebigen Strang aus- 
läuft, an dem die Muskeln ansetzen. Das Mädchen zeigt eine nach 
rechts konvexe dorsale und eine nach links konvexe lumbale Skoliose. 

Bei allen vier Patienten besteht leichtes Genu valgum; alle vier 
wußten nichts von ihrer Anomalie; nur die Frau kann schwerere 
Gegenstände nicht bis zur Wagerechten heben, sie konnte auch 
kaum ihre kleinen Kinder auf dem Arm tragen, aber einen Eimer 
Wasser kann sie weit tragen. Das Mädchen kann die Schultern 
einander gut nähern, sie kommen aber nicht vollständig zur Berüh¬ 
rung, da der Thorax zu fett ist. Die Kinder zeigen die Anomalien 
schon in geringerem Grade als die Eltern. (Pierre Marie und 
Paul Sainton 1898, sowie Pierre 1898.) 

Fall 21 [47]: 13 Jahre altes Mädchen, keine hereditäre Be¬ 
lastung. Das Kind war immer schwach, war rachitisch und lernte 
erst im Alter von 4 Jahren gehen. Kleines Mädchen, 126 cm groß. 
Der Kopf ist im Verhältnis zum Körper zu groß, doch dem Alter 
entsprechend. Tubera frontalia und parietalia stark vor¬ 
springend, stark ausgeprägte Vertiefung zwischen den Tubera 
frontalia. Fontanellen geschlossen, tiefe Einsenkungen entsprechend 
der vorderen und hinteren Fontanelle. Die Mutter gibt an, daß die 
vordere Fontanelle sich erst im 9. Jahr ganz geschlossen habe. Die 
Schultern stehen etwas tief und fallen nach vorn, die Fossae supra- 
und infraclaviculares sind nicht zu unterscheiden. Das Sternum ist 
etwas eingedrückt. (Trichterbrust! d. Verf.) An beiden Schlüssel¬ 
beinen fehlen die äußeren 2 Drittel, rechts aber setzt eine ganz 
schmale Knochenspange von 1 cm Länge die Clavicula fort und 
artikuliert mit dem Akromion. Die inneren Drittel der Schlüssel¬ 
beine stehen in guter Verbindung mit dem Sternum, endigen fibrös 
oder knorpelig. Die Scapulae sind klein, stehen flügelförmig 
ab, Fossae supraspinatae sehr klein. Die Zähne sind 
sehr kariös, der Schmelz ist unregelmäßig am Rand der oberen 
Schneidezähne, jedoch keine Zeichen von Syphilis. Muskulatur gut, 
alle Bewegungen normal. Beide Akromien können passiv miteinander 
in Berührung gebracht werden. (Schorstein 1899.) 

Fälle 22 — 27 inkl. [10]: 

(Fall 22): Schmal gebauter Mann; der Vater war sehr kräftig 
und normal gebaut, seine Mutter war schwach und hat vielleicht 
Claviculadefekte gehabt. Bei dem Mann bestehen beide Schlüssel¬ 
beine aus zwei Stücken; rechts befindet sich das Ende des akro- 


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444 


Max M. Klar. 


mialen Rudiments eine Fingerbreite tiefer als das sternale, das 
auf dem ersteren auf einer Strecke von etwa 1,5 cm „reitet“; 
beide Enden sind abgerundet; links sind die Rudimente wie rechts, 
aber das innere Ende des akromialen Stückes befindet sich nur 
1 cm unterhalb des sternalen. Beide sternale Stücke sind 7 l -* cm 
lang, beide Schultern können aktiv bis auf eine Entfernung von 
6 cm einander genähert werden. Der untere Teil des Sternums 
ist eingesunken (Trichterbrust), dieselbe Thoraxdeformität hat ein 
sonst normales Kind des Mannes. Zwei, auch sonst normale, Töchter 
haben Klumpfüße. 

(Fall 23): 8jährige Tochter des Mannes (Fall 22). Die Schlüssel¬ 
beine stellen je ein kleines Stück dar, dünn, spitz zulaufend und sich 
knorpelig anfühlend; das Röntgenbild beweist aber, daß es knöchern 
ist; das breitere Anfangsstück der Schlüsselbeinrudimente ist mit dem 
Sternum verbunden; linkes Rudiment 3,17 cm, rechtes 1,9 cm lang. 
Die Schultern fallen etwas nach unten und vorn, die Schulterblätter 
stehen flügelförmig ab. Zwischen dem Processus coracoides und dem 
Akromion finden sich beiderseits starke Bänder, die das Vorhanden¬ 
sein von akromialen Rudimenten der Schlüsselbeine Vortäuschen. Der 
M. sternocleidomast. ist beiderseits vorhanden, inseriert an den Stum¬ 
meln, die claviculare Portion des M. pectoralis major fehlt beiderseits, 
ebenso der vordere Teil des M. deltoides und die clavicularen Fasern 
des M. trapezius. Alle Bewegungen der Arme werden gut und mit 
leidlicher Kraft ausgeführt; die Schultern können aktiv aneinander 
gebracht werden. Die Patientin kann die Arme in eigenartiger 
anormaler Weise auf dem Rücken aktiv verschlingen, die Schulter¬ 
blätter können mit ihren inneren Rändern zusammengebracht werden; 
mit beiden Schultern kann Patientin die Ohren berühren. Die Pro¬ 
cessus transversales des letzten Halswirbels sind, wie das Röntgen¬ 
bild zeigt, so groß, daß man sie annähernd für Halsrippen halten 
kann. Ferner ist aktive Hyperextension der Gelenke der Finger 
gut möglich. 

(Fall 24): 14jähriger Bruder der vorigen. Das linke Schlüssel¬ 
bein ist etwas nach vorn gebogen. Das rechte Schlüsselbein besteht 
aus zwei Stücken, das sternale ist 5,7 cm, das akromiale 3,2 cm 
lang; das sternale Rudiment ist gut beweglich, „reitet“ auf dem akro¬ 
mialen; zwischen den Enden besteht eine bandartige Verbindung. 

(Fall 25): 12jährige Schwester der vorhergehenden 2 Fälle. 
Linkes Schlüsselbein normal, aber rechtes geteilt; das sternale Stück 


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Ueber kongenitale Osteodysplasie der Schlüsselbeine etc. 


445 


ist etwas über 5 cm lang, das akromiale 3 cm, das sternale Rudi¬ 
ment „reitet“, wie bei den anderen Fällen, auf dem akromialen. 
Der rechte Processus transversus des letzten Halswirbels ist so stark, 
daß man ihn für eine Halsrippe halten muß Früher sollen Klump¬ 
füße bestanden haben, die mit Erfolg behandelt wurden. 

(Fall 26): 7 Jahre alter Bruder der vorigen. Das rechte 
Schlüsselbein besteht aus zwei Stücken, das sternale ist 3 *2 cm, 
das akromiale 4 1 /» cm lang. Die Enden sind einander stark ge¬ 
nähert und durch ein Band miteinander verbunden. Geringe Beweg¬ 
lichkeit der Rudimente nach allen Richtungen, die sternale Gelenk¬ 
verbindung ist sehr locker; links besteht an der entsprechenden 
Stelle des Schlüsselbeins eine „Einknickung“, aber keine Kontinuitäts¬ 
trennung. Die Processus transversi des letzten Halswirbels sind sehr 
groß und prominent. 

(Fall 27): 19jähriger Bruder der vorigen. Beide Schlüssel¬ 
beine zeigen an denselben Stellen, wo sich bei dem Vater und den Ge¬ 
schwistern die Kontinuitätstrennungen finden, Hervorragungen bezw. 
Knickungen, wie auf der linken Seite des vorigen Falles. Am Sternum 
starke Depression, so groß, daß eine halbe normalgroße Orange darin 
Platz hat. (Trichterbrust, d. Verf.) 

Bei einem 16jährigen Sohn derselben Familie finden sich nor¬ 
male Schlüsselbeine, ebenso bei einer 5jährigen Schwester; bei dem 
Bruder waren die Processus transversi des letzten Halswirbels promi¬ 
nent. (Carpenter 1899.) 

Fälle 28 — 31 inklusive [10] x ): Bei 3 Fällen sind nur 
sternale Rudimente vorhanden von 5—7 cm Länge, beim 4. Fall sind 
auch akromiale Stücke vorhanden, in ligamentöser Verbindung mit 
dem sternalen. 

(Jenner, zit. nach Carpenter.) 

Fall 32 [17]: 54jähriger Mann. Vater starb mit 72 Jahren 
an Asthma, die Mutter im Alter von 62 Jahren an einer Uterus¬ 
blutung. Ein Bruder litt an Säuferwahnsinn, einer leidet an Herz¬ 
krankheit, ein dritter an Krämpfen, ein vierter starb an unbekannter 
Krankheit, eine Schwester endlich ist gesund und verheiratet. Patient 
ist zur rechten Zeit normal geboren. Die Fontanella bregmatica ist 


*) Leider konnten wir die Originalarbeit Jenners, in der diese 4 Fälle 
beschrieben werden, trotz angestrengten Suehens nicht finden. Sie werden da¬ 
her nur nach Carpenters [10] kurzer Erwähnung zitiert. 


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Max. M. Klar. 


nicht knöchern geschlossen, der Schädel ist groß, quadratisch, un¬ 
regelmäßig, mit vorspringenden Scheitel- und Stirnbeinhöckern und 
eingedrückten Fontanellengegenden, Prognathismus, dicker, kurzer 
Hals. Von beiden Schlüsselbeinen ist nur der sternale Teil in Ge¬ 
stalt von zwei zarten, aber breitbasig und straff befestigten Knochen¬ 
stücken vorhanden; Bewegungen der Arme sind frei und normal. Es 
besteht, bei sehr kleiner Gestalt, starke rechtskonvexe dorsale Kypho¬ 
skoliose und sehr starke Lendenlordose, Das rechte Schulterblatt 
steht flügelförmig ab. Der Thorax ist unregelmäßig geformt, die 
linke Seitenwand ist eingebogen, der antero-posteriore Thoraxdurch¬ 
messer ist größer als der quere. 

(Gianettasio 1899.) 

Fall 33 [44 u. 61]: Junger Mann, Der älteste von elf Ge¬ 
schwistern, die, ebenso wie die Mutter, gesund sind. Der Vater hat 
eine Skoliose und eine Schädelmißbildung, die der des Sohnes gleicht. 
Keine Rachitis; Lues in der Familie nicht nachzuweisen. Die Dif- 
formität des Kopfes und der Schultern fällt gleich beim ersten An¬ 
blick auf. Die Schultern fallen steil ab, der Oberarmkopf erscheint 
nach unten und innen verschoben. Fossae supra- und infraclavicu- 
lares nicht vorhanden. An Stelle der Schlüsselbeine fühlt man beider¬ 
seits nur je eine 6 cm lange, harte Spange, die in normaler Weise 
mit dem Sternum artikuliert und, nach dem Röntgenbild zu schließen, 
nur aus Knorpel besteht. Das rechte Rudiment setzt sich in einen 
derben, bindegewebigen Strang fort, der nach dem Schulterblatt zieht, 
links ist ein Strang zwar nicht fühlbar, doch sichtbar. Am Schädel 
mehrfache Anomalien: Stirn- und Scheitelbeinhöcker sind stark auf- 
getrieben, die Gegend der Hinterhauptfontanelle ist tief eingesunken, 
der rechte Schenkel der Lambdanaht tritt stark hervor. Die Nase 
zeigt eine Deviation nach rechts, die Zähne sind sehr defekt. Es 
besteht eine ziemlich starke Skoliose. Die Muskeln sind normal; 
die Funktion der Arme ist vollkommen normal, die Schultern können 
passiv vorn bis auf wenige Zentimeter einander genähert werden. 

(Sachs 1902 und Wulff 1901.) 

Fälle 34 u. 35 [50]: Die Kinder sind 7 und 3 Jahre alt. 
Die Abnormität wurde zufällig bei der Untersuchung entdeckt. Die 
Schultern sind sehr frei beweglich und lassen sich nach vorn unter 
das Kinn, bis zur Berührung untereinander, bringen; Funktion des 
Schultergelenks sonst völlig normal. Der Vater des älteren der 
beiden Kinder hatte auf beiden Seiten Schlüsselbeinbrüche erlitten, 


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Ueber kongenitale Osteodysplasie der Schlüsselbeine etc. 447 

die schlecht geheilt waren. Die linke Clavicula hatte er schon im 
Alter von 2 Jahren gebrochen. Der 3jährige Knabe zeigte noch 
weit offene Fontanellen und eine klaffende Frontalnaht, während bei 
dem 7jährigen Mädchen die Fontanellen und Nähte zwar geschlossen 
sind, aber tiefe Rinnen die früheren Spalten markieren. Die Clävi- 
culae fehlen bei beiden Kindern yollständig. 

(Sherman, 1903.) 

Fälle 36 u. 37 [42]: 

12jähriger Knabe, kommt wegen Lungenkatarrhs in Be¬ 
handlung. Größe dem Alter entsprechend, spärlicher Panniculus 
adiposus, Hautfarbe blaß, Thorax phthisisch. Die Schultern hängen 
nach vorn und unten, die Schulterblätter stehen flügelförmig ab. Die 
Fossae supraclaviculares sind auf Kosten der Foss. infracl. bedeutend 
vergrößert, und ihre untere Begrenzung wird nicht, wie normaler¬ 
weise, durch einen, im medialen Teil nach vorn, im lateralen Teil 
nach hinten convexen Bogen gebildet, sondern die untere Grenzlinie 
verläuft in einer frontalen Ebene und ist ungefähr in ihrer Mitte 
2mal rechtwinklig geknickt. Entsprechend der Knickungsstelle sieht 
man auf jeder Seite je zwei rundliche Prominenzen, die knapp unter¬ 
einander liegen. Der palpierende Finger gelangt, vom akromialen 
Claviculaende beginnend, glatt bis in die Mitte der Clavicula, fühlt 
hier die untere rundliche Prominenz, muß aber, um die Kontur der 
Clavicula weiter verfolgen zu können, über eine kleine Stufe hinauf¬ 
gleiten, deren oberster Teil durch die obere rundliche Prominenz ge¬ 
bildet wird. Von der einen Prominenz zur anderen fühlt man straffe 
Bandmassen ziehen. Die Palpation ergibt also, daß die beiden 
Claviculae aus je zwei Teilen bestehen, die, den zwei Knickungs¬ 
winkeln entsprechend, durch straffe Bandmassen gewissermaßen 
pseudarthrotisch untereinander verbunden sind. Dabei sind die Cla¬ 
viculae in ihrem ganzen Verlauf von normaler Dicke, die pseudar¬ 
throtisch miteinander verbundenen Rudimentenden erscheinen sogar 
etwas kolbig verdickt. Bei passiven Bewegungen gelingt es, das 
eine „Fragmentende“ um das andere, fixiert gehaltene, herumzu¬ 
führen. Dabei besteht nicht etwa Krepitation, sondern man fühlt 
ganz deutlich, daß zwei glatte Flächen einander berühren. Die 
Schultern können passiv bis zur Berührung zusammengebracht wer¬ 
den; die beiden Enden weichen beiderseits dabei nach oben aus. 

Der Fall wurde als pseudarthrotisch ausgeheilte, frühzeitig er¬ 
worbene Fraktur beider Claviculae gedeutet, obschon die Symmetrie 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XV. Bd. 29 


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Max M. Klar. 


der beiden Trennungslinien einige Bedenken wachrief. Als aber die 
8jährige Schwester des Patienten an ihren Schlüsselbeinen untersucht 
werden konnte und diese denselben Defekt aufwies, mit noch größerer 
Motilität, indem sie bloß durch Kreuzung der Arme die Schultern 
aneinander bringen konnte, da mußte man an angeborene Mißbildung 
denken. Auch Trauma intra partum ist ausgeschlossen; beide Kinder 
wurden leicht geboren, der Knabe in Schädel-, das Mädchen in Ge¬ 
sichtslage. 

(Preleitner, 1903.) 

Fall 38 [20]: 12jähriges Mädchen, klein, für sein Alter offen¬ 
bar sehr zurückgeblieben. Körperlänge 1,18 m, Körpergewicht nur 
17,8 kg, Rumpflänge vom 7. Halswirbel bis zum Sitz 45 cm, Beine 
54 cm lang. Die Maße und das Gewicht entsprechen denen eines 
7—8jährigen normalen Kindes. Die Schädelmaße dagegen sind dem 
Alter entsprechend: Horizontalumfang 507 mm, Kopflänge 174 mm, 
Kopf breite 147 mm. Auffallend ist am Schädel eine mediane, lineare 
Vertiefung der Stirngegend, wodurch die beiden Tubera frontalia 
stark hervortreten. Diese Vertiefung ist durch Persistenz der Stirn¬ 
naht bedingt. Von den unteren Schneidezähnen fehlt der eine mitt¬ 
lere, einer der oberen liegt, mit seiner Schneide nach oben gewandt, 
schmal und verkümmert im Zahnfleisch. Die Kuppe des sehr spitzen 
und hohen Gaumengewölbes reicht 2,5 cm über den oberen Alveolar¬ 
rand. Die Grenze der Schlüsselbeingruben fehlt, die Akromien 
springen stark hervor. Entfernung der Oberarmköpfe voneinander 
18 cm, aktiv kann sie das Kind bis zu einer Entfernung von 7 cm 
einander nähern, passiv können sie zur Berührung untereinander ge¬ 
bracht werden. Ebenso kann man die Schultern weit nach hinten 
bewegen, dabei spannen sich Hautfalten in der Schlüsselbeingegend 
unter starkem Anschwellen der Jugularvenen an. Die Schlüsselbeine 
fehlen in ihrem lateralen Teil vollständig, medial setzt sich an das 
Manubrium sterni beiderseits je ein 2 cm langer, freiendigender 
Stumpf an. Die Schulterblätter sind in Gestalt und Größe normal, 
ebenso beiderseits Processus coracoides und Ligam. coraco-acromiale, 
das sich scharfrandig absetzt. Scapulae stehen flügelförmig ab, etwas 
höher als normal befindlich. Innere Organe gesund. Hühnerbrust 
mit terrassenförmig vortretendem Brustbein und starker Abknickung 
der Rippen nahe der Knorpelknochengrenze. 

Muskeln: Pectoralis hat beiderseits schwache Clavicularpor- 
tion, setzt an den medialen Clavicularudimenten an, das vordere 


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Ueber kongenitale Osteodysplasie der Schlüsselbeine etc. 


449 


Drittel des Deltoides entspringt beiderseits vom Akromion, Sterno- 
cleidomastoides beiderseits normal, mit zwei Köpfen, Trapezius ver¬ 
läuft beiderseits nur zur Spina scapulae und zum Akromion. Keine 
Bewegungsstörungen, Arme völlig frei und sicher brauchbar. Eltern 
und Geschwister der Patientin haben wohlgeformte Schlüsselbeine 
und sind frei von Mißbildungen. (Groß, 1903.) 

Diese 38 Fälle konnten wir in der Literatur finden; sie sind 
dem unsrigen zum Teil ähnlich, zum größten Teil aber fast gleich 
geartet. Die charakteristischen Symptome sind: Mangelhaftes 
Längenwachstum des Körpers, teilweises bis voll¬ 
ständiges Fehlen der Schlüsselbeine, Störungen der 
Zahnentwickelung, spitzbogenförmiger Gaumen bis 
Gaumenspalt, Schädelmißbildung bis Persistenz der 
Schädelfontanellen, besonders der Stirnfontanelle, und 
Kyphoskoliose. 

Der Vollständigkeit halber seien hier noch einige Fälle erwähnt, 
bei denen entweder gänzlicher Defekt der Schlüsselbeine mit gleich¬ 
zeitigem Fehlen anderer Thoraxteile vorlag, oder bei denen andere 
Anomalien in der Bildung der Schlüsselbeine gefunden wurden: 
Morand [37] sezierte im Jahre 1759 ein weibliches Kind, dem 
beide Schlüsselbeine, das Sternum und die Rippenknorpel fehlen. 
Das Herz und ein Teil der Lunge waren prolabiert durch die Thorax- 
Öffnung. Das Kind hatte 20 Stunden gelebt. 

Lediberder [31] beschreibt 1835 die Leiche eines Kindes, 
das 16 Tage gelebt hat. Es fehlen auf der linken Seite das Schlüssel¬ 
bein, das Schulterblatt und der Arm. Am rechten Arm fehlen 
Radius, Metacarpale I und Daumen, sowie Os metacarpale V und 
der Kleinfinger. 

Bennet [5] fand ein an seinem äußeren Ende N/'^rmig g e “ 
spaltenes Schlüsselbein. Der eine Ast artikulierte normal, der andere, 
breitere, nach hinten verlaufende, entsprang außen vom Processus 
coracoides und besaß ein vollständiges Gelenk mit dem oberen Rand 
der Spina scapulae. Einen ähnlichen Fall berichtet Giovanni [18]. 

Spencer [54 a u. b] sah bei einem 2jährigen Mädchen mit 
allen Symptomen überstandener Rachitis am inneren Ende der 
Schlüsselbeine eine feste Masse zwischen dem Schlüsselbein und der 
ersten Rippe, die beiderseits das Schlüsselbein mit dem Sternum ver¬ 
band, die sternalen Enden der Schlüsselbeine erschienen also nach 


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Max M. Klar. 


vorwärts disloziert und verdickt« Die Deformität entwickelte sich 
im Alter von 6 Monaten. 

Heinrich Haeckel [69] endlich veröffentlichte einen Fall, 
bei dem die Schlüsselbeine eine gewisse Aehnlichkeit mit den 
Fällen 26 und 27 unserer Aufstellung (von Carpenter) zeigen: 
14jähriges Mädchen mit leichter linkskonvexer Dorsalskoliose. Mm. 
pectoralis major, pectoralis minor und serratus anticus major fehlen 
links vollständig. Die linke Scapula ist in allen Dimensionen kleiner als 
die rechte, das linke Schlüsselbein ist ein wenig stärker gebogen und 
zeigt an der Grenze des äußeren und mittleren Drittels eine Ver¬ 
dickung, ohne daß jemals eine Fraktur stattgefunden hat; das ster- 
nale Ende der 3. und 4. linken Rippe, die ein wenig tiefer als das 
Niveau der übrigen liegen, fehlt. 

Offene Stirnfontanellen (Fontanella mediofrontalis oder meto- 
pica oder glabellaris genannt), wie sie bei den beschriebenen 39 Fällen 
sogar im extrauterinen Leben noch Jahre hindurch vorhanden waren 
oder gar noch vorhanden sind, fanden unter anderen Autoren Le 
Courtois [30] 6mal bei 175 Schädeln von Föten und Kindern und 
G. Schwalbe [48a u. b] bei 7 Kinderschädeln der Straßburger 
anatomischen Sammlung, unter 11 Schädeln von Neugeborenen 3mal, 
unter 5 Schädeln von Kindern aus dem 1. Lebensmonat 2mal und 
unter 17 Kindern aus dem 2.—12. Lebensraonat lmal, und endlich 
lmal unter 13 Kinderschädeln von 1 — l 1 /* Jahren, also bei 46 Kinder¬ 
schädeln überhaupt 7mal. 

Manouvrier [33] berichtet über einen Fall von Schädel- und 
Zahnanomalien, bei dem für uns folgende Punkte interessant sind: 
Fast alle Zähne sind in den Alveolen eingeschlossen geblieben, die 
selbst unvollständig gebildet sind. Die Oberkiefer sind unvoll¬ 
ständig entwickelt und durch eine transversale Naht getrennt. 
Die Sutura metopica ist persistierend und in der Höhe der Stirn¬ 
beinhöcker befindet sich in der Mitte eine breite Fontanelle. Die 
Ossa parietalia zeigen in der Höhe der Tubera eine Verdickung. 
Zwei große Ossa Wormiensia finden sich in der Sagittalnaht, die 
Lambdanaht weist solche Zwickelknochen in ihrer ganzen Ausdeh¬ 
nung auf. 

Da diese Schädel viele Aehnlichkeiten mit den bei unseren 
Fällen beobachteten Schädelanomalien aufweisen, so ist es zu be¬ 
dauern, daß den Untersuchern nicht auch das übrige Skelett zur 
Verfügung gestanden hat; freilich wurden von diesen Autoren die 


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Ueber kongenitale Osteodysplasie der Schlüsselbeine etc. 


451 


Schädeldifformitäten nur als Anomalien und nicht als Produkte 
eines pathologischen Prozesses angesehen. 

Bei den 39 beschriebenen Fällen finden wir beiderseitige 
Schlüsselbeinmißbildung 32mal, darunter 3mal totales Fehlen, ein¬ 
seitigen partiellen Mangel der Clavicula finden wir 7mal, beider¬ 
seitige »Einknickung“ ohne eigentlichen Defekt lmal, einseitige 
Einknickung des Schlüsselbeins bei teilweisem Fehlen der anderen 
Clavicula 3mal. In 8 Fällen wird der Claviculadefekt allein be¬ 
schrieben, ohne jede begleitende Mißbildung; die beschriebene Schädel¬ 
mißbildung besteht zu gleicher Zeit — in ihren Abstufungen vom 
Hervortreten der Stirn- und Scheitelbeinhöcker bis zum Offenbleiben 
der Stirn- und Scheitelfontanelle (lmal sogar Anencephalie) — in 
15 Fällen, Störungen in der Entwicklung der Zähne werden von 
8 Patienten mit Schlüsselbeindefekt berichtet; bei 9 Fällen finden 
wir neben den anderen Mißbildungen Skoliose bezw. Kyphoskoliose, 
diese ist aber wohl häufiger vorhanden gewesen, und nur von einem 
oder dem anderen Autor übersehen bezw. als irrelevant betrachtet 
und deshalb nicht mit beschrieben worden. Einmal ist eine Exostose 
der Cavitas glenoidalis scapulae beschrieben, ein anderes Mal ein 
Knochenfortsatz am Processus coracoides (Fall 1); beide hatten die 
Richtung auf das stemale Schlüsselbeinrudiment. Trichterbrust be¬ 
stand bei 5 Patienten, leichtes Genu valgum wurde 4mal festgestellt, 
Halsrippen 3mal, angeborener Klumpfuß 2mal, lmal doppelseitig, 
lmal einseitig; der, normale Schlüsselbeine aufweisende, Vater und 
alle vier sonst ebenfalls normalen Geschwister eines Patienten hatten 
Klumpfüße (Fall 11); ebenso zwei sonst normale Töchter eines 
Patienten, ein sonst gesundes Kind desselben Mannes hatte vom Vater 
die Trichterbrust geerbt; Hühnerbrust bestand bei zwei Patienten. 
Die Muskulatur der Schlüsselbeingegend war bei vielen Fällen 
normal; das Platysma wurde stets intakt beobachtet. Die übrigen 
in Betracht kommenden Muskeln wählten an Stelle ihres Ur¬ 
sprunges oder Ansatzes am Schlüsselbein die Rudimente, eventuell 
den die Clavicula ersetzenden fibrösen Strang, oder benachbarte 
Skeletteile. Der M. sternocleidomastoides war meist normal, 
wenn auch manchmal etwas atrophisch; in einem Fall bestand 
auf der einen Seite ein Defekt der clavicularen Portion. Vom 
M. trapezius fehlte meist der an die Clavicula sich ansetzende Teil; 
war dieser doch vorhanden, so inserierte er am akromialen Rudiment, 
an dem dem Schlüsselbein entsprechenden Band, oder am Akromion 


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Max M. Klar. 


selbst. Ebenso wurde oft Mangel der clavicularen Portion des 
M. deltoides beobachtet. Der M. pectoralis major war meist voll¬ 
ständig vorhanden, wenn auch der an dem Schlüsselbein inserierende 
Teil meist atrophisch war; in einem Fall fehlte die claviculare Por¬ 
tion des Muskels ganz. Der M. subclavius, der ja eigentlich nur 
anatomischer Untersuchung zugänglich ist und dessen Vorhandensein 
durch physiologische und elektrische Prüfung nicht festzustellen ist. 
wurde von den meisten Autoren nicht beachtet: Gegenbaur nimmt 
bei seinen 4 Fällen an, daß dieser Muskel fehlt; Scheuthauer [4o] 
beschreibt bei einem seiner Fälle (Fall 8), bei dem ein mittleres, 
in einen Bandstreifen eingebettetes Rudiment der Clavicula beider¬ 
seits vorhanden war, einen sehr stark entwickelten M. subclavius; 
wir konnten den Muskel bei unserer Patientin nicht nachweisen. Die 
HereditätsVerhältnisse sind folgende: Die Claviculamißbildung bestand in 
vier Familien bei einem der Eltern und bei einem oder mehreren der 
Kinder (Fälle 3—6, 17—20, 22—27) und in einer Familie bei zwei 
Geschwistern (Fälle 36 und 37), also in fünf Familien im ganzen 
bei 16 Fällen; lmal war die Schlüsselbeinmißbildung von der Mutter 
auf drei Kinder zweier verschiedener Ehen vererbt (Gegenbaur), 
lmal vom Vater auf fünf Kinder (Carpenter), lmal vom Vater 
auf den Sohn (Marie und Sainton, Pierre) und endlich lmal von 
der Mutter auf die Tochter. Eines Patienten (Fall 33) Vater wies 
dieselbe Schädelmißbildung auf wie sein Sohn, und lmal hatte ein 
Sohn die Schädelmißbildung, während der Vater und der andere 
Sohn (Fälle 17 und 18) die Schädel- und die Schlüsselbeinmi߬ 
bildung aufwiesen. Darüber, ob die Mißbildungen vererbt sind oder 
nicht, ist bei 11 Fällen nicht die Rede, zumal da es sich bei 
einem Teil von diesen uni anatomische Präparate handelt; sicher 
nicht vererbt sind die Mißbildungen bei 5 Fällen, inklusive 
unserem Fall, nicht mit Sicherheit festzustellen war bei 2 Fällen 
(Fälle 11 und 15), ob nicht die Mutter dieselben Deformitäten ge¬ 
habt hatte. 

Bei zweien der vererbten Fälle aber wurde schon in der dritten 
Generation die Rückkehr zur normalen Entwicklung von Gegen¬ 
bau r [16] beobachtet: ein Kind des Sohnes und ein Kind der 
Tochter (Fälle 3—6) haben wohlgebildete Schlüsselbeine. Gegen- 
baur äußert sich hierüber: 

„Es hat sich so durch den Einfluß des hinsichtlich der Clavi¬ 
cula normaler beschaffenen zeugenden Teils wieder die Regel her- 


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453 


gestellt. Welche Bildung Platz gegriffen haben würde, wenn auch 
der andere der zeugenden Teile mit dem gleichen Defekte behaftet 
gewesen wäre, eine Frage, der man sich nicht leicht entschlagen 
kann, läßt sich nur vermuten. Was bis jetzt über die Erblichkeits¬ 
verhältnisse physischer wie psychischer Eigentümlichkeiten bekannt 
ist, läßt es in hohem Grade wahrscheinlich erscheinen, daß, unter 
der Voraussetzung derselben Vorbedingung für spätere Generationen, 
das zur Norm sich gestaltet haben würde, was vorher nur eine 
Ausnahme war. “ 

Wenn wir uns nun über die Aetiologie der uns heute beschäfti¬ 
genden Kombination angeborener Mißbildungen der Schlüsselbeine, 
der Schädeldeckknochen, des Gebisses und der Wirbelsäule Klarheit 
verschaffen wollen, so müssen wir uns zunächst überlegen, zu welchem 
Zeitpunkt des intrauterinen Lebens die Ursache jeder einzelnen Mi߬ 
bildung in Aktion getreten sein muß. Dazu sei uns zunächst ein 
Rückblick auf die onto- und phylogenetische Entwicklungsgeschichte 
der Clavicula gestattet. Darüber, ob das Schlüsselbein des Menschen 
ein primordialer Knochen, also knorpelig präformiert oder ein Be¬ 
legknochen sei, tobte der Streit unter den Anatomen in den Sechziger¬ 
jahren des verflossenen Jahrhunderts. Auf der einen Seite behaup¬ 
teten die Untersucher, besonders Bruch auf Grund seiner Studien 
[66 und 8], daß die menschliche Clavicula ein ohne knorpelige 
Grundlage sich entwickelnder, also sekundärer Knochen, Hautknochen 
sei: Bei einem menschlichen Fötus von 7—8 Linien Länge (also 
etwa aus der 8. Embryonalwoche) bestand die Clavicula aus einer 
winzigen Knochenscheibe von dem charakteristischen Gefüge der 
sekundären Knochenanlagen, mit strahligen Knochenkörperchen, 
ohne eine Spur von Knorpel daran. Sie war zugleich der einzige 
und erste Knochenkern im ganzen Fötus, d. h. in dem bereits ge¬ 
bildeten Primordialskelett war noch kein einziger Knochenkern auf¬ 
getreten. Bei einem Fötus aus dem 3. Monat hatte die Clavicula 
an beiden Enden, am merklichsten am vorderen Ende, eine dünne 
Knorpellage angesetzt, worin primordiale Verknöcherung mit großen 
strahlenlosen Knochenkörperchen das sekundäre Mittelstück ergänzte. 
Demgegenüber kam damals Gegenbaur [16, 64, 65, 67] durch 
seine Untersuchungen von Föten, die einzeln hier aufzuzählen zu 
weit führen würde, zu der Ansicht, daß das Schlüsselbein ein knor¬ 
pelig präformierter Knochen sei, und daß die Knorpelanlage der 
Clavicula sich nur in unwesentlichen Dingen von den Knorpeln an- 


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Max M, Klar. 


derer Knochen unterscheide. Die Wahrheit liegt, wie so häufig, in 
der Mitte: Das mittlere Stück der Clavicula ist in seiner Anlage 
Hautknochen, die sternalen und akromialen Enden sind knorpelig 
präformiert. Das Schlüsselbein hat also eine ähnliche Entwicklung 
wie der Unterkiefer, der ja auch sehr früh als Hautknochen ent¬ 
steht, mit dem aber später ossifizierende Reste des M ecke Ischen 
Knorpels verwachsen (Wiedersheim [70]). Gegenbaur selbst 
äußert sich über diesen Punkt in seinem Lehrbuch [62] jetzt fol¬ 
gendermaßen : 

*Das Schlüsselbein ist der am frühesten ossifizierende Knochen. 
Die Ossifikation ist zugleich das erste Zeichen der Anlage des 
Knochens, der nicht, wie andere, knorpelig präformiert ist. 
An einer der Mitte des späteren Skeletteiles entsprechenden Stelle 
entsteht aus indifferentem Gewebe ein Knochenkern, an dem sowohl 
nach dem Sternum als auch nach dem Akromion hin Knorpel¬ 
gewebe sich auszubilden beginnt. Dieser Knorpel bedingt das Länge¬ 
wachstum des Schlüsselbeins. Von dem in der Mitte der Anlage 
zuerst aufgetretenen Knochenstückchen aus erstreckt sich Knochen¬ 
gewebe über den Knorpel und wächst mit ihm unter zunehmender 
Dicke gleichfalls in die Länge aus, so daß dann der größte Teil 
der Clavicula äußerlich durch Knochen dargestellt ist. Dieser von 
allen anderen Knochen abweichende Entwicklungsgang leitet sich von 
den Beziehungen ab, welche die Clavicula bei niederen Wirbeltieren 
besitzt. Sie ist hei Fischen ein reiner Integumentknochen, und 
zwar einer, der sich am frühesten ausbildet. In dem Maße, als sie 
bei höheren Wirbeltieren mit anderen Skeletteilen sich beweglich 
verbindet, kommt an dem Knochen noch Knorpel zur Ausbildung, 
bei den Säugetieren sehr frühzeitig, da hier die Clavicula die relativ 
größte Beweglichkeit erhalten hat. Ihre Ausbildung geht Hand in 
Hand mit der Freiheit der Bewegungen der Vordergliedmaßen. Wo 
diese Freiheit beschränkt, und die Vordergliedmaße bloße Stütze des 
Körpers ward, ist die Clavicula rückgebildet oder kommt gar nicht 
mehr zur Entwicklung, z. B. bei vielen Raubtieren, allen Huf¬ 
tieren etc. Rudimente der Claviculae finden sich bei manchen Carni- 
voren (Katze), Nagern (Hase) u. a. tt Bei den Flugvögeln (Cari- 
naten) ist das als rein dermaler Knochen sich bildende Schlüssel¬ 
bein wohl entwickelt (Wiedersheim [60]), und zwar umso kräftiger, 
ein je besserer Flieger der Vogel ist. 

Da also gerade das Mittelstück der Clavicula, das bei fast allen 


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unserer Fälle — nur bei zweien nicht l ) — fehlt (soweit nicht totaler 
Defekt besteht), schon in der 7. Woche des embryonalen Lebens 
sich als Hautknochen bildet, so müssen wir annehmen, daß die Ur¬ 
sache der Mißbildungen, für die wir wohl, wegen der bei den Fällen 
ziemlich konstanten Kombination, ein gemeinsames, zu gleicher 
Zeit wirkendes ätiologisches Moment verantwortlich zu machen be¬ 
rechtigt sind, schon vor der 7. Embryonalwoche auf den Fötus ein¬ 
gewirkt haben muß. „Es entstehen ja überhaupt sehr viel häufiger 
Mißbildungen in früher Embryonalzeit als in späterer. Die schwersten 
Mißbildungen, die Mißbildungen, welche nicht nur ein Organ, son¬ 
dern Organsysteme oder viele Stellen der Körperfläche treffen, 
werden im allgemeinen eine frühe Entstehungszeit annehmen lassen“ 
(E. Schwalbe [49]). 

Vergegenwärtigen wir uns nun einmal die Ansichten, die die 
Autoren der sich mit der beschriebenen Kombination von Knochen¬ 
mißbildungen befassenden Arbeiten über die Aetiologie geäußert 
haben: Einige lassen die Frage nach der Ursache der Mißbildung 
unberührt. Andere nehmen hereditäre Lues an. Oft ist ja die er¬ 
erbte Syphilis für Knochendeformitäten des Schädels — infolge 
Hydrocephalus — als Aetiologie angesehen worden; aber eine solche 
Kombination von Knochenmißbildungen ist bei hereditärer Syphilis 
noch nicht beobachtet worden, es sind auch bei keinem der sämt¬ 
lichen zitierten Fälle sonstige Zeichen von Syphilis gefunden worden. 
Es wurden zwar in 8 Fällen kariöse und unregelmäßig gestellte 
Zähne beschrieben, aber die für Lues hereditaria charakteristischen 
Hutchinsonschen Zähne niemals festgestellt. Pierre Marie und 
Paul Sainton bezeichneten ihre vier, später von Pierre in seiner 
These bearbeiteten Fälle [17—20], bei deren erster Demonstration 
im Mai 1897 in der „Socidte m£dicale des Höpitaux“ in Paris und 
in ihrer ersten Veröffentlichung als „erbliche Hydrocephalie“, da 
ihnen als Neurologen besonders die Schädelform imponierte, korri- 


9 Diese 2 Fälle, die von Scheuthauer [45], bei denen nur das 
Mittelstuck entwickelt ist, nehmen morphologisch und ätiologisch überhaupt 
eine Sonderstellung ein (Fälle 8 und 9), siehe weiter unten im Text. 

Die 3 Fälle von einseitiger und der eine Fall von doppelseitiger „Ein¬ 
knickung“ (Fall 27) rechnen wir deshalb auch zu den Mißbildungen, weil wir 
annehmen, daß auch bei ihnen das Mittelstück nicht angelegt wurde, und daß 
nur die beiden Endstücke in einer späteren Embryonalperiode sich trafen und 
deform zusammenwuchsen. 


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Max M. Klar. 


gierten ihre Ansicht aber später und gaben den Fällen, die sie für 
ganz singulär hielten, den Namen „ Dysostose cl&do-cränienne here- 
ditaire“, ein Name, der die Aetiologie nicht angibt und dem ich die 
Benennung „Osteodysplasia congenita“ nachgebildet habe. Dowse[12] 
denkt noch an einen Bruch der Schlüsselbeine in utero oder unter 
der Geburt, bekennt sich aber schließlich zu der Ansicht, daß es 
sich um ein „vitium primae formationis“ handle, das dadurch viel¬ 
leicht entstanden sein könnte, daß sich die Mutter der Patientin 
während der Schwangerschaft „versehen“ habe; diese sei nämlich 
bei ländlichen Spaziergängen öfter durch Frösche, an deren Anblick 
sie nicht gewöhnt gewesen sei, heftig erschreckt worden, und das 
Kind habe bei der Geburt „einen Kopf und Augen wie ein Frosch" 
gehabt und habe froschähnliche Bewegungen mit den Extremitäten 
gemacht. Die Mehrzahl der Autoren aber, wie z. B. Schorstein. 
Gianettasio, Walsham, Scheuthauer, glauben in der sogenannten 
„fötalen Rachitis“ die Ursache für die Knochenmißbildungen ihrer 
Fälle erkannt zu haben; Schorstein war dabei mit der Tatsache 
wohl vertraut, daß die Knochen, die bei seinem und den ihm be¬ 
kannten Fällen von Gegenbaur [16] und Scheuthauer [45] 
mangelhaft entwickelt waren, Hautknochen sind (Claviculae und Ossa 
frontalia, parietalia, occipitalia, nasalia) und daß deren Bildung schon 
in der 7.—9. Fötalwoche beginnt, und deshalb verlegten er und 
Gianettasio [17] die angenommene Erkrankung des Fötus an 
„Rachitis“ schon in den 2. Fötalmonat. Man machte sich über¬ 
haupt bisher bei angeborenen Leiden im Knochensystem oft die 
Sache ziemlich leicht, insofern, als man alle bei der Geburt bemerk¬ 
baren Knochenanomalien, die mit Verdickungen in den Epiphysen 
und gehinderter oder fehlerhafter Entwicklung der Diaphysen und 
der Schädelknochen auftraten, auf Rachitis bezog; und da diese 
Prozesse im Mutterleibe entstanden waren, nannte man sie eben ein¬ 
fach „fötale Rachitis“. Nun, die Akten über die „fötale Rachitis“ 
sind nunmehr als abgeschlossen zu betrachten, und zwar in dem 
Sinne, daß es eine „fötale Rachitis“ überhaupt nicht gibt. 
Die fötale Knochenerkrankung, deren bei dem Neugeborenen oder 
Fötus vorhandene Folgen — mangels mikroskopischer Untersuchung — 
oft Anlaß zur Verwechslung mit Rachitis gegeben hat, ist die 
„Chondrodystrophia foetalis“, die von Kaufmann im Jahre 1892 [26] 
in einer ausführlichen Monographie — 13 Fälle — und von 
Stoeltzner [55a und 55b], Scholz [46], Johannesen [24] 


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und anderen in kleineren Arbeiten beschrieben worden ist; Silber¬ 
stein [51] veröffentlicht auch einen solchen Fall, bezeichnet ihn 
aber— im Jahre 1903! — noch als „fötale Rachitis“, Es handelt 
sich bei der „Chondrodystrophia foetalis“ um totgeborene oder in 
den ersten Lebenstagen oder -Wochen gestorbene Individuen, die 
folgenden Befund aufwiesen: Starke Verdickung der Epiphysen und 
Verkürzung der Diaphysen der Extremitätenknochen, Offenbleiben 
der Fontanellen, besonders auch zuweilen der Stirnfontanelle, Klein¬ 
heit der Schläfenbeinschuppen und der Nasenbeine, Gehobensein 
der Schädelbasis und Knickung und Verkürzung des 
ziemlich steil abfallenden Clivus; dieser ist sowohl in seinem 
sphenoidalen als occipitalen Anteil so sehr verkürzt, daß die ganze 
Schädelbasis zu kurz wird, und dadurch die Nasenbeine, indem ihre 
oberen Enden durch die verkümmerte Schädelbasis nicht genügend 
hinausgedrängt wurden, fast horizontal stehen und daher einen sehr 
kleinen Gesichtswinkel bilden helfen; dadurch bekommt das Gesicht 
einen kretinistischen Ausdruck, wie ja überhaupt bei den meisten 
Fällen auch der Körper kretinistischen Habitus zeigt, ein Umstand, 
der neben den gelegentlich gefundenen Schilddrüsenveränderungen 
Stoeltzner veranlaßte, die Krankheit bei gewissen Fällen auch als 
„fötales Myxödem“ zu bezeichnen. Die Verkürzung der Schädel¬ 
basis ist entstanden durch allzu rasches Knorpelwachstum an der 
Synchondrosis spheno-occipitalis und darauf folgende zu frühzeitige 
Verknöcherung dieser Synchondrose („Os tribasilare“, Virchow). 
Hier sind wohl die beiden ersten Fälle (8 und 9) von Scheut- 
hauer einzureihen und sicher der in Scheuthauers Arbeit [45] 
beschriebene, hier im Interesse der Kürze nicht näher zu zitierende 
vierte Fall, der den für „Chondrodystrophia foetalis“ charakteristi¬ 
schen Befund darbietet. Aber gerade bei diesem Fall sind die 
Schlüsselbeine hypertrophisch und nicht etwa atrophisch oder 
gar defekt, und bei allen übrigen Fällen von „Chondrodystrophia 
foetalis“ von Kaufmann u. a. ist die Clavicula immer noch am 
ehesten normal gefunden worden. Wir sind auch deshalb schon 
geneigt, Scheuthauers 2 erste Fälle (8 und 9) aus dem Rahmen 
des uns heute beschäftigenden Krankheitsbildes wegzulassen und bei 
der fötalen Chondrodystrophie einzureihen, weil bei ihnen das Mittel¬ 
stück der Clavicula, das, wie wir oben gesehen haben, als Haut¬ 
knochen angelegt wird, ausgebildet ist, während gerade die als 
knorpelig präformiert anzunehmenden sternalen und akromialen Enden 


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Max M. Klar. 


der Schlüsselbeine fehlen. Die „Chondrodystrophia foetalis“ ist, nach 
den Befunden zu schließen, eine Krankheit, die wahrscheinlich nicht 
vor dem letzten Drittel des fötalen Lebens auftritt, zu einer 
Zeit also, wo die Schlüsselbeine schon vollständig ausgebildet sind. 
Es kann bei allen den Fällen von fötaler Chondrodystrophie kein 
Zweifel sein, daß das Skelett auf normale Weise angelegt gewesen 
ist und dann erst erkrankte, während bei unseren 37 Fällen die 
fehlenden Knochenteile sicher gar nicht zur Anlage gekommen 
sind, eine Annahme, die Ca rp ent er (1. c.) ausspricht, und der wir 
beistimmen müssen. Die „Chondrodystrophia foetalis“ kann also 
nicht die Ursache der oben berichteten Mißbildungen sein. Bei einem 
ähnlichen Fall, den Johannesen [24] beschreibt, kann man zu¬ 
nächst vielleicht im Zweifel sein, ob „Chondrodystrophia* oder „Osteo- 
dysplasia congenita“ vorliegt, aber wir glauben, aus dem Umstand, 
daß die Schlüsselbeine entwickelt sind, die Folgerung ziehen zu 
müssen, daß dieser Fall in die Rubrik der fötalen Chondrodystrophie 
einzureihen ist. Es handelt sich um ein weibliches Kind, das ein 
Alter von 2 Monaten erreichte. Die Anamnese ist ohne Belang. 
An allen Knochen der Extremitäten sowie am distalen Ende der 
Schlüsselbeine sind die Epiphysen stark entwickelt; die Wirbel¬ 
säule ist sehr lang, der lumbo-dorsale Teil zeigt eine kypho- 
tische Krümmung. Die große Fontanelle ist 6x4,5 cm groß und 
etwas eingefallen. Die Sutura frontalis kann beinahe bis zur 
Nasenwurzel hin verfolgt werden. Der Hirnschädel sieht groß 
aus im Verhältnis zu dem kleinen Gesicht. Dem Tuberculum ossis 
navicularis entsprechend, sieht man eine rote Partie mit einer zen¬ 
tralen Ulzeration. Die Schlüsselbeine sind 4,5 cm lang, etwas 
stärker gekrümmt als gewöhnlich; die Gelenkenden sind etwas ver¬ 
dickt. Sie bestehen aus Knochensubstanz mit Ausnahme der Ge¬ 
lenkenden. Beide Scapulae springen stark hervor, besonders mit den 
hinteren Rändern. Dies Johannesens Fall. 

Scheuthauer, der seiner Diagnose „fötale Rachitis“ — im 
Jahre 1871 — nicht ganz sicher ist und wohl in ihr durch den Be¬ 
fund seines 3. Falles (Fall 10, s. oben), der unseren 37 Fällen ein¬ 
zureihen ist, schwankend gemacht wurde, bemerkt noch betreffs der 
Aetiologie folgendes: 

„Noch könnte mau bei der großen Rolle, welche der Darwin¬ 
schen Lehre künftig in der Erklärung von Monstrositäten zufallen 
dürfte, an eine Tierähnlichkeit denken, in dem Ganzen nur eine 


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Ueber kongenitale Osteodysplasie der Schlüsselbeine etc. 


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Mahnung an Nager und Carnivoren erblicken, deren Schlüsselbein 
ebenfalls aus einem rudimentären Mittelstück besteht.“ Dieser Deu¬ 
tung können wir uns natürlich nicht anschließen. 

Groß [20] begnügt sich damit, die Vermutung auszusprechen, 
daß sein dem unseren ziemlich analoger Fall als „ Hemmungsmi߬ 
bildung“ aufzufassen sei. Freilich, eine „Hemmung“ muß Vorge¬ 
legen haben, die die Ausbildung der fehlenden Knochenteile ver¬ 
hinderte. Aber welcher Art diese Hemmung war, das ist eben noch 
zu ergründen. Wenn wir bedenken, daß neben den Schädel- und 
Schlüsselbeindefekten 9mal Kyphoskoliose bestand, die bei einigen 
wohl angeboren war, daß ferner bei 5 Fällen Trichterbrust, bei 
zweien aber Klumpfuß zu gleicher Zeit bestand, Mißbildungen, die 
doch auf Raumbeschränkung in utero zurückgeführt werden, so 
müssen wir daran denken, daß vielleicht zu dem Zeitpunkt, wo sich 
die von der Mißbildung befallenen Knochen anlegten, also schon in 
der 7.—9. Woche, und auch später noch —, aber dann in geringerem 
Grade, der Embryo in utero abnorm beengt war. Der am 
besten als Begründung meiner Ansicht verwertbare Fall ist Scheut- 
hauers [45] 3. Fall (Fall 10): bei diesem lag außer dem Clavicula- 
defekt fast vollständige Aplasie der Schädeldeckknochen, Anen- 
cephalie, Exenteratio partialis und einseitiger Klumpfuß vor und die 
Entstehungsursache war gegeben in den breiten Amnion¬ 
strängen, die sich an dem Fötus fanden (s. oben). Wären wir 
nicht zu der Annahme berechtigt, daß bei unseren 37 Fällen die 
Beengung des Fötus in utero durch ein zu enges Amnion verursacht 
wurde? Wir müßten uns den Vorgang so denken, daß zu derZeit, 
in der die Mittelstücke der Schlüsselbeine sich hätten bilden und die 
Stirnnaht sich hätte schließen müssen, das zu enge Amnion den 
Fötus fest umschloß und durch sein festes Anliegen an der Haut 
die Bildung von Hautknochen verzögerte bezw. ganz verhinderte, 
und daß ferner im weiteren Fötalleben, nachdem das Amnion durch 
Absonderung von Fruchtwasser weiter geworden war, dieses doch 
immerhin noch so eng blieb, daß das Längenwachstum des Körpers 
und die Aufrichtung der Wirbelsäule gehemmt wurden. Zwei als 
Beweis für diese unsere Hypothese zu benützende Fälle berichten 
Marchand und E. Schwalbe [49] (S. 187 ff.): Bei dem Falle von 
Marchand (zit. nach Schwalbe) handelt es sich um einen 6- bis 
7wöchigen Embryo, der vom Amnion eng umschlossen ist und eine 
schwere, fast rechtwinklige Kyphose zeigt; und der von E. Schwalbe 


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beschriebene, infolge Enge des Amnions mißbildete Embryo bietet 
folgenden Befund: Der Fötus hat eine hochgradige Knickung in der 
Mitte des Körpers erlitten und in der unteren Hälfte eine Drehung 
um seine Körperachse von 180°. Während die Länge des ausge¬ 
streckten Fötus etwa 38 cm betragen würde, mißt er in der Stellung, 
in der er sich befindet, 13 cm in größter Ausdehnung. Das Kinn 
ruht auf der rechten Glutäalgegend, Mundöffnung und Anusöffhung 
sind nur 3 cm voneinander entfernt. Die Baucheingeweide liegen 
in einem dünnen häutigen Sack, dessen tiefste von der Leber ein¬ 
genommene Kuppe den von der Oberfläche des Kopfes entferntesten 
Punkt des Körpers darstellt. Die Wirbelsäule ist also völlig 
geknickt. Das Amnion ist im unteren Teil gut erhalten und 
schmiegt sich der Oberfläche des Fötus sehr eng an; „es 
ist klar, daß für Fruchtwasser hier kaum Raum war“. Es 
besteht ferner am Kopf Akranie und Exencephalie, Gesichtsspalte, 
teilweise Phokomelie etc.; starke amniotische Bänder zogen 
z. B. von der rechten Kopfseite zur linken Glutäalgegend. 

So können wir uns die Osteodysplasia congenita als amniogene 
Mißbildung erklären; der bei den 4 Fällen von Pierre teilweise 
bestehende Wolfsrachen und die, wie bei nur einigen Fällen, so auch 
bei dem unsrigen bestehenden spitzbogenförmigen Gaumen, die Ab¬ 
ortivform des Wolfsrachens, sind ja auch als durch das Amnion ent¬ 
standene Bildung annehmbar; kommen doch amniogene Hasenscharte 
und Wolfsrachen sicher vor! 

Es ist überhaupt immer der Umstand im Auge zu behalten, daß 
alle bei unseren Fällen mißgebildeten Knochen mit Ausnahme der 
Wirbelsäule, deren kyphoskoliotische Verkrümmung ja rein mechanisch 
zu erklären ist, sämtlich solche Knochen sind, die sich aus der Haut 
sekundär bilden, wie die Knochen der Schädeldecke, die mittleren 
Stücke der Schlüsselbeine, der Unterkiefer mit Zähnen und die Zähne 
des Oberkiefers; und so können wir die Enge des Amnions auch für 
die mangelhafte Zahnentwicklung verantwortlich machen, indem wir 
annehmen, daß das Amnion in der Zeit, in der sich die Zahnkeime 
bilden, den Kiefern noch zu fest angelegen hat. Anders, doch ge¬ 
zwungener, könnten wir uns die Störungen im Wachstum der Zähne 
bei unserem und bei den anderen Fällen als durch die allgemeine, 
ja auch das Körperwachstum hemmende Wirkung des zu engen Am¬ 
nions entstanden denken. 

Die Rachitis, die bei unserer Patientin im 2. Lebensjahr eine 


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Zeitlang bestanden haben soll, hat vielleicht die schon in den ersten 
Xiebensmonaten bemerkte, also wohl angeborene, Skoliose verschlim¬ 
mert und wohl die Thoraxform hervorgebracht — an den Extremi¬ 
tätenknochen finden sich keine Spuren einer überstandenen Ra¬ 
chitis —, kann aber die übrigen Mißbildungen samt und sonders 
nicht verursacht haben. Das von der Mutter angegebene geringe 
Trauma, durch Arbeit in knieender Körperstellung bewirkt, ist auch 
nicht als Ursache für die Kombination schwerer Knochenmißbil¬ 
dungen an den Schlüsselbeinen, der Schädeldecke, dem Gebiß, dem 
Gaumen und der Wirbelsäule aufzufassen, zumal da es sich erst im 
4. Schwangerschaftsmonat ereignet haben soll, wenn auch intra¬ 
uterine Traumen oft als Ursache von Schädelmißbildungen angesehen 
werden. 

Wir erklären uns also die Osteodysplasia congenita als 
eine amniogene Hemmungsmißbildung. 

Aber der angeborene partielle oder totale Schltisselbeindefekt 
bei sonst lebensfähigen und lebenden Individuen bietet auch noch ein 
hohes klinisches und physiologisches Interesse. Die Patienten, 
denen ein, bisher für sehr wichtig und unentbehrlich gehaltener, 
Teil des menschlichen Schultergürtels teilweise oder ganz abgeht, 
haben doch die Fähigkeit, ihre Arme gut und regelrecht zu brauchen; 
die Muskulatur besorgt bei ihnen eben den sonst der Clavicula zu¬ 
kommenden Anteil an der Arbeit der Fixation der Scapula allein. 

Und so können wir Baudon [3] nicht beipflichten, der sich 
bemüht, nachzuweisen, daß der frühzeitige Eintritt der Verknöche¬ 
rung der Clavicula seinen Grund finde in der großen Wichtigkeit 
des Schlüsselbeins, indem er von folgenden Erwägungen ausgeht: 

„Das Schlüsselbein dient als Anheftungspunkt für Fascienblätter, 
namentlich Fascia omo-clavicularis und Fascia omo-hyoidea, die das 
Zungenbein fixieren und dadurch das Saugen und Schlucken möglich 
machen, die ferner verhindern, daß beim Atmen die Luft nicht in 
die obere Brustöffnung hineindrückt, und dadurch für die Atmung 
wichtig sind — und die endlich die großen Venen offen halten und 
dadurch regelnd für die Zirkulation werden.“ 

Unter dem Namen „Osteodysplasia congenita“ verstehen 
wir also eine ziemlich konstante Kombination von Knochenmißbil¬ 
dungen folgender Art: 

1. Mangelhafte Ausbildung bezw. Anlage sämtlicher 
Belegk nochen des Schädels, so daß es bei den schwersten 


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Fällen zu deren vollständigem Defekt mit Anencephalie kommt, bei 
den mittelschweren Stirnnaht, Stirn- und Scheitelfontanellen das 
ganze Leben hindurch offen bleiben, und in den leichten Fällen 
endlich sich an den Stellen der im extrauterinen Leben manchmal 
noch einige Jahre offen gebliebenen Stirnfontanelle und der Scheitel¬ 
und Hinterhauptfontanelle Vertiefungen zwischen den vorspringenden 
Stirn- und Scheitelbeinhöckern finden; 

2. Teilweiser oder gänzlicher Mangel eines oder meist 
beider Schlüsselbeine; 

3. Mangelhafte Zahnbildung mit Persistenz eines 
Teiles des Milchgebisses; 

4. Gaumenspalte oder hoher Gaumen; 

5. Auffallend geringe Körperlänge bei großem, oben 
näher charakterisiertem Schädel; 

6. Kyphoskoliose, 

Als Aetiologie nehmen wir abnorme Enge des Am¬ 
nions an; und die Fälle, bei denen die Osteodysplasie vererbt 
wurde, erklären wir uns durch familiäres Vorkommen der Amnion¬ 
enge, keineswegs aber können wir als Ursache eine fötale Knochen¬ 
erkrankung oder gar „fehlerhafte Keimanlage“ (sogenanntes „vitium 
primae formationis“) ansehen. 


Zum Schluß erfülle ich die Pflicht, folgenden Herren für ihre 
gütige Unterstützung bei der Abfassung dieser Mitteilung und den 
Vorarbeiten zu ihr meinen ergebensten Dank auch an dieser Stelle aus¬ 
zusprechen: meinem verehrten bisherigen Chef und Lehrer, Herrn Prof. 
Dr. Vulpius, und den Herren: Prof. Dr. Port, Direktor des zahn¬ 
ärztlichen Instituts, Prof. Dr. Ho ff mann, Prof. Dr. Schwalbe, 
Prof. Dr. Göppert, sämtlich in Heidelberg, Prof. Dr. Stoeltzner 
in Halle a. S. und endlich Dr. Ottendorff, Oberarzt der Klinik. 


Literatur. 

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2. Ballantyne, Fetal bone diseases. Brit. med. journ. 1902, p. 950. 

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Max M, Klar, 


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55a. Stoeltzner, Wilhelm, Fötales Myxödem und Chondrodystrophia foe* 
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55b. Derselbe, Fetal bone diseases. Brit. med. journal 1902. 

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61. Wulff, Angeborener Defekt beider Schlüsselbeine. (Freie Ver. d. Chir. 

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62. Gegenbaur, C., Lehrbuch der Anatomie des Menschen. 7. Aufl. S. 265. 

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64. Gegenbaur, C., Ueber primäre und sekundäre Knochenbildung mit be¬ 

sonderer Beziehung auf die Lehre vom Primordialkranium. Jenaische 
Zeitschr. f. Med. und Naturwissenschaft Bd. 3 S. 54 ff. Leipzig 1867. 


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466 


Max M. Klar. 


65. Derselbe, Ueber die Bildung des Knochengewebes. Zweite Mitteilung. 

Ibidem S. 206 ff. 

66. Bruch, C., Ueber die Entwicklung des Schlüsselbeins. Ibidem S. 299 ff. 

67. Gegenbaur, C., Nachschrift zu Bruchs Mitteilung. Ibidem S. 304 ff. 

68. Stoeltzner, Wilhelm, Pathologie und Therapie der Rachitis. Berlin 

1904. 

69. Haeckel, Heinrich, Ein Fall von ausgedehntem angeborenem Defekt 

am Thorax. Virchows Arch. 1888, Bd. 113 S. 474 ff. 

70. Wiedersheim, Robert, Der Bau des Menschen als Zeugnis für seine 

Vergangenheit. Freiburg i. B. und Leipzig, 1893. 


Nachtrag. 

(Aus dem Ambulatorium für orthopädische Chirurgie ira k. k. allgemeinen 
Krankenhaus in Wien.) 

Während der Drucklegung der Arbeit hatte ich, anläßlich meiner 
Tätigkeit in dem Ambulatorium des Herrn Prof. Dr. Lorenz, Ge¬ 
legenheit, einen weiteren Fall von „angeborenem Schlüsselbeindefekt“ 
zu beobachten. Herr k. k. Regierungsrat Prof. Dr. Lorenz ge¬ 
stattete mir, über diesen Fall im Anschluß an meine Arbeit zu be¬ 
richten; für die bereitwilligst und freundlichst erteilte Erlaubnis 
sage ich Herrn Prof. Dr. Lorenz auch an dieser Stelle noch meinen 
ergebensten Dank. 

Der 10jährige Sohn eines Arztes aus Brasilien kommt zur Unter¬ 
suchung wegen einer angeborenen Deformität beider Hüftgelenke. Der 
Knabe ist zur rechten Zeit ohne Kunsthilfe geboren, die Geschwister 
des Knaben und die Eltern sind gesund und weisen keinerlei Mißbil¬ 
dungen auf. Der Vater beobachtete, daß die Stirnfontanelle des Knaben 
bis zum Ende des 4. Lebensjahres offen blieb, die Mißbildungen wurden 
beobachtet, sobald das Kind lernte, seine Extremitäten zu gebrauchen. 
Am Schädel fällt das Hervortreten der Stirn- und der Scheitel¬ 
beinhöcker auf; es sind noch sämtliche Milchzähne, in leidlich 
gutem Zustand, vorhanden. In der Mitte der Stirn sieht und tastet 
man eine flache, länglichovale Vertiefung zwischen den Stirnbein¬ 
höckern, eine ebensolche, etwas weniger flache zwischen den Scheitel¬ 
beinhöckern. Der Unterkiefer ist etwas prognath, das Kinn auffallend 
spitz, die Nasenwurzel erscheint tief eingesunken, so daß im Profil 
der Gesichtswinkel sehr tief ist. An Stelle der linken Clavicula 
tastet man ein akromiales dünnes Rudiment von etwa l 3 /4 cm Länge, 
das mit dem Akromion in ligamentärer Verbindung steht, dann fühlt 


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Ueber kongenitale Osteodysplasie der Schlüsselbeine etc. 467 

man nach einem Zwischenraum von etwa 4 — 4 l j* cm, in dem man 
die erste Rippe abtasten kann, ein sternales zartes Rudiment von 
etwa 2 1 /*—3 cm Länge; eine Bandverbindung zwischen den Rudi¬ 
menten ist nicht zu fühlen. Rechts besteht ein dem linken ganz 
gleiches, zartes, am Ende abgerundetes sternales Clavicularudiment, 
von dessen Spitze ein fibröser Strang nach dem Akromion zieht; ein 
akromiales Rudiment ist rechts weder zu fühlen noch auf dem Rönt¬ 
genbild zu sehen. (Vgl. die nach dem Röntgenbild angefertigte Zeich¬ 
nung, Fig. 8.) Das Röntgenbild zeigt eine auffallende Spaltbildung 
der Bögen der untersten Hals- und obersten Brustwirbel. 


Fig. 8. 



a Die punktierte Linie bezeichnet die fibröse Verbindung zwischen dem rechten sternalen 
Rudiment und dem Akromion; b = akromiales Rudiment links; c — sternale Rudimente; 
d = infiltrierte Bronchialdrüsen rechts (Nebenbefund). 

Der Knabe kann mit Leichtigkeit beide Schultern miteinander 
und diese mit den Ohren und dem Kinn zur Berührung bringen und 
kann die unglaublichsten Verschlingungen der Arme vornehmen; 
Funktionsstörungen der Arme und des Schultergürtels sind auch bei 
diesem Falle nicht zu bemerken. Es besteht eine leichte rechts¬ 
dorsale Skoliose und eine starke Lendenlordose; diese letztere, in 
Verbindung mit dem wackelnden Gang des Knaben, gab dem Vater 
und anderen Aerzten Veranlassung zu der Fehldiagnose einer an¬ 
geborenen Hüftluxation; in Wirklichkeit handelt es sich um beider¬ 
seitige Coxa vara congenita. Da wir die Coxa vara als eine durch 
intrauterine Raumbeengung entstandene Deformität betrachten, so 
erblicken wir in diesem Fall einen weiteren Beweis für meine Theorie, 
nach der, wie oben erwähnt, die abnorme Enge des Amnions in 
früher Embryonalzeit als die Ursache der „Osteodysplasia congenita“ 
anzusehen ist. 


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XXVII. 


Zur Nachbehandlung der tuberkulösen Coxitis. 

Von 

A. Schanz in Dresden. 

Als das Normalverfahren gilt heute unter den Orthopäden für 
die Behandlung der tuberkulösen Coxitis die konservativ-ambulante 
Behandlung. Es ist unzweifelhaft festgestellt, daß man mit dieser 
Behandlung einen sehr hohen Prozentsatz von Heilungen erreichen 
kann. Es herrscht unter den Orthopäden heute auch im großen 
und ganzen Uebereinstimmung betreffs der Grundsätze, nach welchen 
die konservativ-ambulante Behandlung durchzuführen ist. 

Unter diesen Umständen haben wir zwei Aufgaben, welche zu 
erfüllen sind, wenn die Coxitistherapie gefördert werden soll. Die 
erste Aufgabe ist die Auffindung der Indikationen für die konser¬ 
vative und für die operative Behandlung der Erkrankung. Denn es 
ist keine Frage, daß trotz der günstigen Resultate der konservativen 
Behandlung Fälle existieren, welche, für diese Methode ungeeignet, 
operativ behandelt werden müssen. Aber welches sind diese Fälle? 

Die zweite Aufgabe ist die, die konservative Behandlung so 
auszubilden, daß mit ihr nicht nur die Heilung der Entzündung er¬ 
reicht, sondern daß auch das denkbar beste funktionelle Resultat 
erzielt wird. Zur Lösung dieser zweiten Aufgabe möchte ich ver¬ 
suchen einen kleinen Beitrag zu liefern. 

Wenn wir eine tuberkulöse Coxitis (Kindesalter und 
konservative Behandlung hier überall vorausgesetzt) 
glücklich zur Ruhe gebracht haben, wenn wir den Prozeß als aus¬ 
geheilt erklären können, so ist damit unsere ärztliche Tätigkeit 
noch nicht beendet, und zwar deshalb nicht, weil zu diesem Zeit¬ 
punkte noch die Möglichkeit einer schweren Funktions¬ 
verschlechterung des zur Ausheilung gebrachten Gelenkes ge¬ 
geben ist. Am besten wird ein Beispiel die Sachlage illustrieren: 
Denken wir uns einen Fall von Hüftgelenkentzündung, bei dem wir 


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Zur Nachbehandlung der tuberkulösen Coxitis. 


469 


nach 2-, 3- oder 4jähriger Behandlung die Hüfte seit geraumer Zeit 
Yölüg schmerzfrei haben, bei der nirgends mehr Entzündungserschei- 
nungen nachweisbar sind, bei der also alle Symptome lokaler Aus¬ 
heilung des tuberkulösen Prozesses konstatiert werden können; nehmen 
wir weiter an, daß in diesem Falle die Stellung des Gelenkes die 
denkbar günstigste ist — also leichte Abduktion und leichte Flexion — 
und stellen wir uns vor, daß an dem Gelenk eine mäßige Beweg¬ 
lichkeit vorhanden ist. Nehmen wir diesen Fall aus Verband oder 
Schiene, so geht der Patient bei der angestellten Probe flott mit 
einem ganz geringen Hinken und er gibt uns an, daß er ohne Schiene 
oder Verband wesentlich leichter gehe, als mit denselben. 

Es liegt nun natürlich in solchem Falle sehr nahe, die Stütze, 
den schützenden Verband oder, was wir sonst für ein mechanisches 
Behandlungsmittel verwendet hatten, jetzt von dem Hüftgelenke 
zu entfernen und den Patienten frei auf seinem Beine umher¬ 
gehen zu lassen. Tun wir es, so erleben wir fast ausnahms¬ 
los bei einer in kürzerer oder längerer Zeit vorgenommenen 
Nachuntersuchung eine wenig erfreuliche Ueberraschung: Wir 
finden eine erhebliche Funktionsverschlechterung. Der 
Patient hinkt entschieden mehr als bei der Ablegung 
von Schiene oder Verband. Wenn wir ihn untersuchen, 
so finden wir, daß sich aus der Abduktionsstellung eine 
Adduktionsstellung gebildet hat und daß sich die Flexion 
in erheblicher Weise vermehrt hat; wir finden, daß die 
Beweglichkeit des Gelenkes teilweise oder auch ganz ver¬ 
loren gegangen ist, wir finden in nicht seltenen Fällen 
leichtere Muskelspasmen um das Gelenk herum, vor allen 
Dingen in den Adduktoren, wir finden, daß passive Be¬ 
wegungsversuche Schmerzen verursachen. 

Bei diesem Befund wird natürlich der erste Gedanke der sein, 
daß es sich um ein erneutes Aufflackern des alten Prozesses, also 
um ein Rezidiv der Coxitis handele. Und in der Tat wird die 
genauere Beobachtung in einem gewissen Prozentsatz der Fälle diesen 
Verdacht bestätigen und wird uns damit die Richtschnur für unser 
therapeutisches Verhalten geben. 

In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle aber ist die 
Stellungs- und Funktionsverschlechterung der Hüfte nicht 
auf ein Rezidiv, sondern auf einen anderen pathologischen 
Prozeß zurückzu führen. 


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470 


A. Schanz. 


Welches dieser Prozeß ist, das werden wir am leich¬ 
testen erkennen, wenn wir die Ros er-N Platon sehe Linie und 
das Röntgenbild kontrollieren. Wir werden mit deren Hilfe er¬ 
kennen können, daß zwischen der Zeit, wo wir der ausgeheilten 
Hüfte die Stütze entzogen, und der Zeit, wo wir bei der Nach¬ 
untersuchung die beschriebenen Veränderungen gefunden haben, 
ein Verbildungsprozeß in Schenkelhals und Hüftkopf gespielt 
hat. Im Schenkelhals hat dieser Prozeß eine Art Coxa- 
varabildung herbeigeführt, der Hüftkopf macht den 
Eindruck, als sei er PÜ zförmig zerdrückt. Diese letztere 
Beobachtung können wir natürlich nur in solchen Fällen machen, 
wo der Kopf nach der Erkrankung in seiner Form noch gut er¬ 
halten war. 

Es ist nun die Frage, worauf beruht dieser Deformie¬ 
rungsprozeß, den gewiß alle Kollegen, welche sich mit Coxitis- 
behandlung beschäftigen, eben so gut wie ich beobachtet haben, 
und der anderen gewiß ebenso unwillkommene Ueberraschungen be¬ 
reitet hat wie mir. 

Diese Frage werden wir am leichtesten beantworten, wenn wir 
uns einmal klar machen, woraus überhaupt die coxitische De¬ 
formität entsteht. Die erste Komponente derselben ist ohne 
Zweifel der direkt durch die Erkrankung entstehende Gelenkdefekt. 
Als zweite Komponente kommen dazu diejenigen Veränderungen, 
welche aus der Belastung der durch die Entzündung erweichten Ge- 
lenkkonstituentien resultieren. Als dritte endlich, in der Hauptsache 
sekundärer Natur und in ihrem Grad und ihrer Form bestimmt durch 
die beiden erstgenannten Komponenten, ist die Kontraktur und 
Schrumpfung der um das Gelenk gelegenen Weichteile zu nennen. 

Von diesen drei Komponenten der coxitischen Deformität kommt 
für die Fälle, welche ich genannt habe, die erste nicht in Betracht, 
denn was der Entzündungsprozeß als solcher an Defekt zu setzen 
hatte, das ist zu der Zeit, wo unsere Deformitätenbildung beginnt, 
fertig. In Betracht kommt ausschließlich die zweite Komponente 
und die dritte, soweit als sie von der zweiten bedingt wird. 

Vergegenwärtigen wir uns, daß durch die Entzündung eine 
Erweichung der knöchernen Gelenkkonstituentien, ganz besonders 
eine Erweichung des Hüftkopfes und des Schenkelhalses bedingt 
wird, daß diese Erweichung durchaus nicht mit der Ausheilung des 
Entzündungsprozesses spontan verschwindet, vergegenwärtigen wir 


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Zur Nachbehandlung der tuberkulösen Coxitis. 


471 


uns, daß durch die lange Zeit, meistens eine Reihe von Jahren, fort¬ 
gesetzte Entlastung und Fixation des Hüftgelenkes zu dieser Er¬ 
weichung noch eine Inaktionsatrophie hinzugefügt werden muß, 
so kann es für uns keinem Zweifel unterliegen, daß ein solches 
Gelenk in dem Moment, wo wir die Ausheilung konstatieren, unter 
keinen Umständen wieder seine normale Tragfähigkeit besitzen kann. 
Im Gegenteil, seine Tragfähigkeit muß weit unter der Norm 
liegen. Die unbedingte Folge davon muß sein, daß dieses Gelenk, 
wenn wir demselben eine normale Belastung zumuten, Ueberlastungs- 
sehädigungen erleidet. 

Diese Ueberlastungsschädigungen müssen nach der 
Lage der gegebenen anatomischen und mechanischen Be¬ 
dingungen in einer Verbiegung des Schenkelhalses im 
Sinne einer Coxavarabildung und in einer Zerstauchung des 
Hüftkopfes ihren prägnantesten anatomischen Ausdruck finden. 
Es müssen also diejenigen anatomischen Erscheinungen entstehen, 
welche wir als das charakteristische Substrat der oben beschriebenen 
Deformierung kennen gelernt haben. 

Mit dieser Erkenntnis erhalten wir die Richtschnur für 
Prophylaxe und Therapie dieser Fälle. 

Jene Deformierungen müssen zu vermeiden sein, wenn und 
soweit es gelingt, eine Belastung des ausgeheilten Hüftgelenkes über 
die Grenzen seiner Tragfähigkeit hinaus zu vermeiden, oder mit 
anderen Worten: sie müssen zu vermeiden sein, wenn wir das Ge¬ 
lenk nicht nach der Ausheilung des tuberkulösen Prozesses wieder 
belasten, sondern erst nachdem die Tragfähigkeit des Ge¬ 
lenkes wieder hergestellt ist. 

Ich habe versucht, diese prophylaktische Aufgabe zu erfüllen 
dadurch, daß ich die Entlastung des Hüftgelenkes nicht mit einem 
Male nach der Konstatierung der Heilung der Entzündung vollständig 
aussetze, sondern die Entlastung allmählich aufhören lasse, 
und daß ich dabei versuche, den Grad der teil weisen Entlastung 
dem Grad der Tragfähigkeit des Hüftgelenkes anzupassen, 
d. h. ich versuche die Entlastung Schritt für Schritt zu ver¬ 
mindern, in dem Tempo, in welchem sich die Tragfähigkeit des Ge¬ 
lenkes hebt. 

Zur Erfüllung dieser Aufgabe ist kaum ein anderes Hilfsmittel 
zu verwenden als eine Hüftkrücke. Wenn wir die Behandlung 
im Schienenhülsenapparat durchgeführt haben, so erhalten wir diese 


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472 


A. Schanz. 


Hüftkrücke in einfachster Weise dadurch, daß wir von dem Apparat 
den Beckenteil wegnehmen. 

Man könnte nun versuchen, mit dieser Hüftkrücke die gegebene 
Aufgabe dadurch zu erfüllen, daß man die Krücke zeitweise — etwa 
stundenweise — tragen und ablegen ließe. Das wird natürlich besser 
sein, als wenn wir die Stütze mit einem Male ganz entziehen. Aber 
wir erhalten auch so Zeiten, wo jede Stütze fehlt, und in diesen 
Zeiten kann der zu vermeidende Schaden immer noch in unerwünscht 
hohem Maße eintreten. 

Ich habe darum an der Hüftkrücke eine Vorrichtung angebracht, 
welche eine allmähliche Herabsetzung der Entlastung erlaubt, ohne 
daß die Entlastung jemals ganz aufgehoben werden muß, ehe das 
beabsichtigt ist. Die Vorrichtung besteht in einer Feder, welche in 
die Schienen der Hüftkrücke eingeschaltet ist und welche sich im 
Moment der Belastung der Krücke zusammendrückt und im Moment 
der Entlastung wieder ausdehnt. Dadurch erreiche ich es, daß 
ein Teil der Belastung von der Krücke übernommen wird, 
ein Teil derselben von der Hüfte aber getragen werden 
muß. Je nachdem wie die Kraft der Feder gewählt wird, wird das 
gegenseitige Verhältnis der Belastung verändert: ist die Feder straff 
und kräftig, so drückt sie sich nur wenig zusammen: der größte 
Teil der Belastung fällt auf die Hüftkrücke. Ist die Feder weich 
und nachgiebig, drückt sie sich mehr zusammen: der größere Teil 
der Belastung fällt auf die Hüfte. So hat man es in der Hand, 
durch die Wahl und die Einstellung der Feder einen mehr oder 
weniger großen Teil der Belastung auf das Hüftgelenk zu legen. 
Im allgemeinen reguliert sich der Mechanismus automatisch dadurch, 
daß die Feder mit der Länge des Gebrauches weicher und nach¬ 
giebiger wird und endlich dadurch, daß infolge der Wachstumsver- 
längerung des Beines sich das Tuber ischii von dem Sitzringe loshebt. 

Die Details der Konstruktion dieser „federnden Hüftkrücke“ 
sind an anderer Stelle, in der Zeitschrift für orthopädische Chirurgie 
beschrieben. 

Mit der Anwendung dieses Apparates verbinde ich in der Nach¬ 
behandlungsperiode der tuberkulösen Coxitis regelmäßig die Anwen¬ 
dung einer mäßigen Extension für die Dauer der Nachtruhe. 
Ich verfolge damit die Absicht, durch den Extensionszug, falls doch 
eine Ueberlastung im Laufe des Tages stattgefunden haben sollte, 
den dadurch bedingten Schaden zu korrigieren oder zu vermindern. 


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Zur Nachbehandlung der tuberkulösen Coxitis. 


473 


Im übrigen sind meine Maßnahmen genau dieselben, die auch 
von anderer Seite empfohlen werden, d. h. ich suche durch Massage, 
vorsichtige Gymnastik, Prießnitzumschläge, Elektrisationen u. dergl. 
das Bein zu kräftigen, hüte mich aber dabei vor allen Irritationen 
des Gelenkes. 

Seitdem ich diese Nachbehandlung übe, habe ich die Freude 
gehabt, daß in allen Fällen, wo verständige Eltern und genügend 
günstige soziale Verhältnisse meine Bestrebungen unterstützten, das 
Resultat, welches im Moment der Heilung des Entzün¬ 
dungsprozesses konstatiert wurde, zum dauerhaften 
funktionellen Endresultat erhalten werden konnte. 

Nun noch einige Worte darüber, wie wir uns zu verhalten 
haben, wenn diese prophylaktischen Maßnahmen nicht durchgeführt 
wurden und wenn es zur Ausbildung der sekundären coxi- 
tischen Deformität — so möchte ich die uns hier beschäftigende 
Verbildung nennen — gekommen ist. 

In allen den Fällen, wo die Deformität nur einigermaßen höhere 
Grade erreicht hat, ist natürlich die Korrektur derselben indiziert. 

Wenn wir unter den Maßnahmen, mit denen wir zur Korrektur 
schreiten können, Umschau halten, so wird unser Blick zuerst auf 
das Redressement fallen. Es kann keinem Zweifel unterliegen, 
daß in fast allen Fällen, wo überhaupt eine Beweglichkeit in dem 
Gelenk konstatiert werden konnte, mit Hilfe des Redressements die 
Achse des Femurschaftes in die normale Stellung zum Becken ge¬ 
bracht werden kann. Trotzdem wird es nicht zweckmäßig sein, diese 
Deformitäten durch das Redressement zu korrigieren. Wir erhalten, 
wenn wir auch den Femurschaft in die richtige Direktion bringen, 
eine Einstellung der Schenkelhalsachse noch mehr im Sinne der 
Coxa vara und wir werden infolgedessen stets auch nach gelunge¬ 
nem Redressement ein bedeutendes Hüfthinken zurückbehalten. 

Sodann aber ist nach dem Redressement eine sehr 
große Wahrscheinlichkeit der Rezidivbildung gegeben. 
Nach einer Coxitis, und besonders nach der Bildung der sekun¬ 
dären coxitischen Deformität besitzen Kopf und Pfanne niemals mehr 
die schöne kugelige Gestalt wie unter normalen Verhältnissen, es 
passen darum auch Kopf und Pfanne nicht mehr in jeder beliebigen 
Stellung des Gelenkes zueinander, sondern die deformierte Pfanne 
kann den deformierten Kopf nur in einer einzigen Stellung 
aufnehmen: in der Stellung, welche sich bei der Bildung der De- 


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474 


A. Schanz. 


formität ergeben hat. Aendern wir diese Stellung auf dem Wege 
des Redressements, so werden die gegebenen mechanischen Be¬ 
dingungen sie wieder herstellen, sowie wir den Zwangsverband weg¬ 
nehmen. Daß in der Tat das praktische Ergebnis des Redresse¬ 
ments meist ein Rezidiv ist, werden die meisten Kollegen mir aus 
ihren Erfahrungen bestätigen. 

Alle die Einwendungen, welche gegen das Redressement 
sprechen, fallen weg, wenn wir zur Korrektion der sekundären 
coxitischen Deformität die intra- oder subtrochantäre Osteo¬ 
tomie wählen. 

Diese Operationen, ihre Technik und ihre Resultate sind so 
bekannt, daß ich hier nicht weiter darauf einzugehen brauche. Ich 
will nur auf ein paar Kleinigkeiten aufmerksam machen, die sich 
bei den Operationen mir als zweckmäßig erwiesen haben. Ich 
operiere auf dem Heusn er sehen Extensionstisch, ich durchschneide 
nicht die Adduktoren, sondern stelle im Anschluß an die Operation 
zunächst die Korrekturstellung durch Extension nur soweit her, als 
sich die Adduktoren gutwillig dehnen lassen. Dann lege ich einen 
Extensionsverband an und über denselben einen Fixationsverband 
(Holz-Watteverband), welcher vom Unterschenkel bis auf den Thorax 
heraufreicht. In diesem Verband extendiere ich eine Woche lang 
so kräftig wie möglich; dann wechsle ich den Verband, entferne 
die Nähte und stelle wiederum auf dem Heusn ersehen Tisch die 
gewünschte volle Korrekturstellung her. Ich gehe dabei mit der 
Korrektur etwas über den Grad von Abduktion und Streckung, den 
ich als Endresultat der Kur haben will, hinaus: erstens einmal, weil 
bei diesen Korrektionen stets auch neben der Korrektur an der 
Osteotomiestelle ein gewisses Redressement im Hüftgelenkspalt statt¬ 
findet, und weil der Teil der Korrektur, welcher dadurch entsteht, 
wie oben ausgeführt, später wieder verloren gehen muß; sodann aber 
stelle ich etwas Ueberkorrektur ein, weil der Callus, der an der 
Osteotomiestelle entsteht, lange Zeit fort plastisch bleibt und große 
Neigung behält, durch Ueberlastung sich im Sinne der Rezidiv¬ 
bildung zu verbiegen. 

Aus Rücksicht auf diese Eigentümlichkeit des Callus muß man 
auch nach diesen Operationen eine vorzeitige Belastung des 
Beines vermeiden. Ich gebe darum den so operierten Pa¬ 
tienten ausnahmslos wieder die federnde Hüftkrücke, die 
ich in der Nachbehandlung der Coxitis verwende. Ich lasse ebenso 


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Zur Nachbehandlung der tuberkulösen Coxitis. 


475 


nach diesen Operationen nächtliche Extension anlegen. Diese Vor¬ 
sichtsmaßregeln haben sich mir recht erfolgreich erwiesen. Ich 
habe mit ihnen wesentlich bessere Dauerresultate jener Osteotomien 
erhalten als früher, wo ich die Patienten nach der Konsolidation der 
Fraktur ungestützt und ungeschützt herumgehen ließ. 

Zum Schluß möchte ich noch empfehlen, ganz dieselben Nach¬ 
behandlungsmaßregeln bei Schenkelhalsbrüchen anzuwenden. Wir 
Orthopäden haben ja so viel Gelegenheit zu sehen, wie nach diesen 
Brüchen, obgleich dieselben zuerst tadellos geheilt waren, Coxavara- 
bildungen auftreten, und wir wissen, welch außerordentlich schwere 
Funktionsstörungen dadurch erzeugt werden. Diese Coxavarabil- 
dungen sind natürlich die Folge von vorzeitiger Inanspruchnahme 
des nicht genügend gehärteten Callus und sie sind zu vermeiden wie 
die sekundären coxitischen Deformitäten und die Rezidive nach der 
Osteotomie dadurch, daß die Hüfte nur schrittweise, je nach 
dem Grade wie sie ihre Tragfähigkeit wiedergewinnt, der 
Belastung wieder zugeführt wird. 


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XXVIII. 


Technische Kleinigkeiten. 

Von 

A. Schanz in Dresden. 

Mit 4 in den Text gedruckten Abbildungen. 

1. Eine federnde Hüftkrücke. 

Bei der Behandlung von Erkrankungen des Hüftgelenkes und 
des Schenkelhalses erscheint es nicht selten angezeigt, einen Teil 
der Körperlast von der erkrankten Partie wegzunehmen, einen 
Teil aber von derselben selbst tragen zu lassen. Unsere ge¬ 
bräuchliche Technik gibt uns dafür bis heute noch kein recht brauch¬ 
bares Hilfsmittel. Alle die Hüftkrücken, welche wir in den verschie¬ 
denen Konstruktionen haben, entlasten entweder das Hüftgelenk voll¬ 
ständig oder sie bewirken überhaupt keine Entlastung desselben. Wenn 
wir mit diesen Konstruktionen die genannte Aufgabe erfüllen wollen, 
so können wir es höchstens dadurch, daß wir die Apparate zeitweise 
tragen und dann wieder den Patienten zeitweise ohne Apparat gehen 
lassen. Das ist eine Manier, die ja vielfach, z. B. in der Nachbehand¬ 
lung der C oxitis geübt wird, aber die doch als das Ideal nicht ange¬ 
sehen werden kann; denn wenn schon die Hüfte und der Schenkelhals 
nicht genügend tragfähig sind, so werden sie natürlich auch durch 
die kurzen Zeiten, in denen sie zu voller Belastung herangezogen 
werden, immerhin Schaden erleiden. 

Um dieses Bedenken auszuschalten, habe ich eine kleine Vor¬ 
richtung konstruiert, welche es erlaubt, die auf die Hüfte fal¬ 
lende Körperbelastung teilweise von dieser selbst, 
teilweise von der Hüftkrücke tragen zu lassen und welche 
gestattet, den Grad der Entlastung zu variieren und nach 
unserem Wunsch zu bestimmen. 

Die Vorrichtung besteht in einer elastischen Spiralfeder, welche 
ich mit den Schienen des Unterschenkelteiles der Hüftkrücke so ver- 


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Technische Kleinigkeiten. 


477 


binde, daß die Feder im Moment der Belastung der Krücke zusammen- 
gedrückt wird, im Moment der Entlastung sich wieder ausdehnt. Je 
nachdem wie die Kraft der Feder gewählt wird, wird bei diesem Vor¬ 
gang ein mehr oder weniger großer Teil der Belastung von der Hüfte 
auf die Schiene übernommen; man hat es demgemäß durch die Wahl 
der Feder in der Hand, das Verhältnis von Belastung und Entlastung 
beliebig zu variieren. 

Die Einzelheiten der Konstruktion (Fig. 1 u. 2) sind 
folgende: Ich pflege als Hüftkrücke den gewöhnlichen Schienenhülsen- 


Fig. 1. 



apparat zu nehmen, aus diesem aber die Unterschenkelhülse zu ent¬ 
fernen. An die Stelle der letzteren setze ich eine Spange, welche 
rückwärts über die Wade die beiden vom Knie heruntergehenden 
Seitenschienen verbindet; vorn über den Unterschenkel gehört dazu 


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478 


A. Schanz. 


ein Schnallriemen. Die Teile der Unterschenkelschienen, welche über¬ 
einander zu liegen kommen, werden so gerichtet, daß sie ausgiebig 
aneinander verschoben werden können, ohne daß eine Hemmung ein- 
tritt. An das obere Ende der vom Fußgelenk aufsteigenden Schiene 
werden zwei Backen angesetzt, in welchen die überliegende Schiene 
geführt wird. Die Schraube, welche durch den Schlitz in die unter¬ 
liegende Schiene eingesetzt ist, wird natürlich nur so weit angezogen, 
daß die beiden Schienen aufeinander verschoben werden können. Nun 
wird an die beiden Schienen je ein nach rückwärts abgehender Backen 
angesetzt. Von dem oberen dieser Backen geht ein Dorn ab und tritt 
durch den unteren, welcher eine entsprechende Oeffnung besitzt, hin¬ 
durch, so daß er dort geführt wird. Auf diesem Dorn wird eine 
Spiralfeder aufgeschoben, welche sich unterSpannung gegen die beiden 
Backen preßt. 

Wird nun diese Hüftkrücke von oben her belastet, so verschieben 
sich die beiden Unterschenkelschienen so weit übereinander, als es die 
Kraft der Feder gestattet. Wird die Belastung aufgehoben, so geht 
dieselbe Bewegung rückläufig, erzeugt durch die Wiederausdehnung 
der Feder. 

Durch entsprechende Einstellung einer solchen Hüftkrücke, 
durch die Wahl der Größe, der Elastizität und der Kraft der Feder 
hat man es in der Hand, vom Hüftgelenk und Schenkelhals einen 
beliebig großen Teil der Belastung wegzunehmen und auf die Krücke 
zu übertragen. Wenn man den Wunsch hat, das Belastungsverhältnis 
allmählich so zu verschieben, daß ein immer größerer Teil der Last 
auf das Gelenk kommt, so unterstützt uns diese Konstruktion in ziem¬ 
lich hohem Maße automatisch dadurch, daß sich unter dem Gebrauch 
die Federn erweichen und damit ohne unser Eingreifen eine Herab¬ 
setzung des Entlastungsgrades bewirken. Wo das nicht ausreicht, 
müssen wir durch Auswechslung der Federn diese Aufgabe lösen. 

2. Ein Extensionsstuhl 1 ). 

Der Apparat soll dazu dienen, bei bequemem Sitzen die 
Wirbelsäule zu extendieren. Zu diesem Zwecke habe ich an meinem 
Stuhle die Rückenlehne beweglich gemacht, im Gegensatz zum Spri- 
monsehen Extensionsstuhl, an welchem dieselbe unbeweglich steht. 

*) Der Stuhl wird von der Firma Knoke & Dreßler in Dresden nach 
meinen Angaben angefertigt. 


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Technische Kleinigkeiten. 479 

Ebenso habe ich eine bewegliche Fußstütze an dem Stuhle anbringen 
lassen. 

Als Extensionskraft ist eine über zwei Rollen geführte Gewichts¬ 
belastung gewählt. 

Der Stuhl leistet mir besonders gute Dienste bei der Skoliosen¬ 
behandlung — besonders bei der Nachbehandlung des Redressements—, 


Fig. 3. 



sowie bei entzündlichen Aftektionen der Wirbelsäule; ganz besonders 
hat er sich bewährt für Fälle von Bechterewscher Wirbelsäulen¬ 
entzündung. 

3. Der Modellierstuhl 1 ). 

Ein Modell, über welches wir einen gut passenden Hülsen¬ 
apparat arbeiten wollen, muß den betreffenden Körperabschnitt in 
der Situation wiedergeben, in welcher der Apparat zur 
Anwendung kommen soll. Wenn wir z. B. einen Gehapparat 
anfertigen wollen, so müssen wir im Modell diejenige Form des 
Beines wiedergeben, welche das Bein beim Gehen annimmt. 

*) Der Stuhl wird von der Firma Knoke & Dreßler in Dresden nach 
meinen Angaben angefertigt. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XV. Bd 31 


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480 


A. Schanz. 


Das ist eine Form, die wesentlich verschieden ist von der¬ 
jenigen Form, welche das Bein in Rückenlage besitzt. 
Noch viel mehr weicht die Form des Beines von der Gehform ab, 


Fig. 4. 



wenn wir dasselbe bei Rückenlage des Patienten erheben lassen, wie 
das geschieht, wenn wir einen Gipsmodellverband in der von Beely 
einst angegebenen und heute noch allgemein üblichen Weise anfer¬ 
tigen. Die Form, welche wir bei dieser Arbeitsmanier erhalten, ist 


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Technische Kleinigkeiten. 


481 


von der Trittform so weit verschieden, daß auch ein sehr geübter 
Gipstechniker große Mühe hat, das Modell bis zur Herstellung der 
Trittform des Beines umzuarbeiten. Natürlich kann der über das 
Modell gearbeitete Apparat nur dann als Gehapparat das denkbar 
Beste leisten, wenn diese Umarbeitung vorgenommen wird und 
gelingt. 

Viel sicherer arbeiten wir, wenn wir das Bein in der Tritt¬ 
form abgipsen. Dann erhalten wir natürlich in unserem Modell 
sofort diese Form und der über dieses Modell gearbeitete Apparat 
muß als Gehapparat tadellos funktionieren. 

Aus diesen Ueberlegungen habe ich seit längerer Zeit Modelle 
für Gehapparate so genommen, daß ich den Patienten auf einen auf 
den Operationstisch gestellten Stuhl setzte, das abzumodellierende 
Bein seitlich herunterhängen und auf die Platte des Operations¬ 
tisches oder auf einen Schemel oder dergleichen fest auftreten ließ. 

Um die Sache bequemer zu machen, habe ich mir nun für 
diesen Zweck einen besonderen Stuhl bauen lassen. 

Die Form des Stuhles zeigt unsere Abbildung genügend deut¬ 
lich. Ebenso ist der Gebrauch desselben aus der Abbildung zur 
Genüge ersichtlich. 

Die auf diesem Stuhl hergestellten Modelle — ich pflege die¬ 
selben bei leicht gebeugtem Knie zu nehmen — entsprechen den 
oben gestellten Anforderungen ebenso wie die nach diesen Modellen 
gearbeiteten Apparate, besonders ergibt sich ein erfreulicher Unter¬ 
schied im Passen des Sitzringes gegenüber den Apparaten, welche 
auf nach alter Manier gearbeiteten Modellen hergestellt sind. 


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XXIX. 


Keimfehler oder abnorme Druckwirkung? 

(Zugleich Erwiderung auf Wollenbergs Abhandlung: 

„lieber die Kombination der angeborenen Hüftgelenksverrenkung mit 
anderen angeborenen Deformitäten“) J ). 

Von 

Dr. Pani Ewald, 

Assistenzarzt der Vulpiusschen Klinik. 

Es würde eine große Monographie werden, die zu schreiben 
Berufeneren überlassen bleiben muß, wenn der Wert der verschiedenen 
Hypothesen für die Entstehung angeborener Mißbildungen gründlich 
beleuchtet werden sollte. Wer die inneren und äußeren Kräfte, 
deren Einwirkung die Deformitäten ihre Entstehung verdanken, ge¬ 
nau zergliedern und die Gründe ihres Zustandekommens erklären 
wollte, müßte nicht nur ein Biologe allerersten Ranges sein, sondern 
hätte auch — wie Johannes Müller einst sagte — neben hin¬ 
reichender Verstandesstärke und Erfahrung eine zum Allgemeinen 
strebende Phantasie nötig, die durch neue Kombinationen alle Er¬ 
scheinungen von einem höheren, verallgemeinernden Gesichtspunkt 
betrachten könnte. Nur dann wäre es möglich, eine Hypothese auf¬ 
zustellen, die der Wahrheit einigermaßen nahe kommt, und die ver¬ 
spricht, in der Folgezeit einige Frucht zu tragen. Und auch dann 
muß man sich immer noch gegenwärtig halten, daß man es nur mit 
einer Theorie zu tun hat, die ja viel Wahrscheinlichkeit für sich 
haben, aber doch nie als Lehrsatz gelten kann. Es gibt wohl kaum 
eine Hypothese, nicht nur in der Philosophie, sondern auch Physio¬ 
logie, die nicht einmal als Wahrheit in den Himmel gehoben, später 
wieder gestürzt oder doch auf das gebührende Maß zurückgebracht 
wurde. Ein Beispiel dafür ist die Abstammungslehre Darwins 
und alles, was mit ihr zusammenhängt. Von vielen bedeutenden 


*) Zeitschr. f. orthopäd. Chir. Bd. 15. 


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Keimfehler oder abnorme Druckwirkung? 


483 


Geistern (Hackel) wird sie noch heute mit orthodoxer Strenge als 
Grundlage jeder Wissenschaft angesehen, während neuere und auch 
durchaus ernste Forscher die Ueberzeugung gewonnen haben, daß 
der ganze Darwinismus tot sei und längst schon der Geschichte an¬ 
gehöre (Driesch-Fleischmann). 

Wir können aus der Tatsache des Steigens und Fallens der 
Theorien das Resultat ziehen, daß sie bis zu einem gewissen Punkte 
hin, wo eben unserer Erkenntnis ein Halt geboten wird, auf einer 
erklärbaren Basis ruhen und zwar so, daß ihnen ein gewisser Grad 
von Wahrscheinlichkeit anhaften muß. Und die Theorie wird uns 
umso wertvoller sein, je mehr Schlüsse — wissenschaftliche und 
praktische — wir aus ihr ziehen können, d. h. je mehr sie auf unser 
Wissen und Können befruchtend eingewirkt hat. Sind jetzt der 
Deszendenzlehre auch grundlegende Irrtümer nachgewiesen, so hat 
sie doch Zoologie, Entwicklungsgeschichte, Philosophie und viele 
andere Gebiete gefördert, und hat dadurch Existenzberechtigung für 
einen gewissen Abschnitt unseres Zeitalters bekommen. Damit ist 
aber nicht gesagt, daß heute so ohne weiteres mit ihren wenig er¬ 
klärten Schlag Wörtern, wie Atavismus, Variation, Anpassung, Phylo- 
und Ontogenie, spekuliert werden darf. Wie man weiß, ist von dieser 
Gepflogenheit auch die Orthopädie und speziell die Lehre von den 
Mißbildungen nicht freigeblieben, sondern derartige, vermeintlich 
feststehende Begriffe kommen allenthalben auch noch in den neuesten 
Abhandlungen zum Vorschein. 

Wie sieht es nun mit den Theorien, die über die Entstehung 
kongenitaler Mißbildung aufgestellt sind, aus, was haben sie für eine 
Grundlage, und was ist durch sie erreicht worden? 

Eine Hypothese verlegt die Ursache anormaler Entwicklung 
in den Keim des Embryos selbst, eine zweite in seine äußere Um¬ 
gebung. 

Die erste nimmt eine primäre KeimesVariation an, um 
das Auftreten der Mißbildung in einer bisher normalen Familie zu 
erklären; sie geht damit bis auf die einzelnen Geschlechtszellen und 
die befruchtete Eizelle zurück und will aus ihrem anormalen Ver¬ 
halten, respektive ihrer Entwicklungsstörung die Deformität herleiten. 
Das heißt, wohlverstanden, nur ganz im allgemeinen: denn da man 
sowohl von den normalen Geschlechtszellen als auch von den ersten 
EntwicklungsVorgängen nur wenig sicher feststehende Tatsachen 
kennt, so sind natürlich die Vorgänge atypischer Bildungen noch 


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484 


Paul Ewald. 


gänzlich in Dunkel gehüllt, und man kann sich über ihr Zustande¬ 
kommen und ihr Wesen kaum Vermutungen hingeben. Es ist eine 
echte und rechte Verzweiflungstheorie; man könnte an Stelle des 
Wortes „vitium primae formationis“ ebensogut eine Größe X setzen, 
und am besten würde man zu Werke gehen, wenn man resigniert 
sagte: „Wir wissen darüber nichts!“ 

Eine Unterabteilung von diesen Mißbildungen, deren Entstehung 
wir nicht einmal ahnen können, sind diejenigen, die schon in der 
Aszendenz vorhanden waren, die also vererbt sind. Aber was 
heißt Vererbung? Es ist, wie Schwalbe 1 ) sagt, zunächst nur die 
Erfahrungstatsache, daß die Kinder den Eltern gleichen, und es ist 
darum eine weitere Erklärung dadurch noch nicht gegeben, daß ich 
sage, dies oder jenes sei durch Vererbung zu stände gekommen. 
Uebrigens muß ja auch einmal bei den Voreltern die Mißbildung 
zum ersten Male aufgetreten sein, und wir hätten dann in der Des¬ 
zendenz nur die Kopierung des Erzeugers, also gewissermaßen die 
normale Entwicklung eines vom gewöhnlichen abweichenden Indi¬ 
viduums. Wie schwierig alle diese großen, grundlegenden Fragen 
sind, geht aus dem ungeheuren Material hervor, das Biologen, Zoo¬ 
logen und Botaniker zusammengetragen haben. Ich nenne nur 
Weißmann, Roux und Hertwig, die ein gut Teil ihrer Lebens¬ 
arbeit daran gesetzt haben, um Licht in diese schwierigen Ver¬ 
hältnisse zu bringen. Und nun sind diese hervorragenden Forscher 
kaum über die Anfänge hinaus und nicht einmal einig. Wenn wir 
also bei der Aetiologie der Deformitäten von endogener Entstehung 
sprechen, so müssen wir uns immer Vorhalten, daß dieser und ähn¬ 
liche Ausdrücke für uns bis jetzt weiter nichts als Worte sind, bei 
denen wir uns so gut wie nichts denken können. Und da jegliche 
Unterlage einer Vorstellung fehlt, können wir uns auch über das 
Zustandekommen selbst absolut kein Bild machen. Leider haben 
wir nun aber — wenigstens für diejenigen Mißbildungen, deren Ver¬ 
erbung zweifellos dasteht — bis heute keine andere „Erklärung* 
und so operieren wir mit diesem Notbehelf, indem wir die Defor¬ 
mitäten per exclusionem auf „innere“ Ursachen zurückführen, weil 
wir keine anderen Ursachen kennen. Wir erinnern uns dabei des 
Wortes von Kümmel 2 ): „das Kausalbedürfnis veranlaßt wohl jeden 

’) Schwalbe, Die Morphologie der Mißbildungen. Jena 1905. 

2 ) Kümmel, Mißbildungen der Extremitäten. Bibliotheca medica. 
Kassel 1895. 


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Keimfehler oder abnorme Druckwirkung? 


485 


zu dem Streben, das Gebiet der endogenen Mißbildungen, deren Ent¬ 
stehung wir ohne das Rechnen mit unbekannten Größen nicht be¬ 
greifen können, möglichst einzuschränken. Die endogene Entstehung 
wird, bis wir etwa ganz neue Erfahrungen gesammelt haben, not¬ 
wendig wohl nur für die exquisit vererblichen Mißbildungen ihre 
Geltung behalten müssen. Dagegen besteht für alle anderen wenig¬ 
stens theoretisch die Möglichkeit, daß die an sich normale Entwick¬ 
lung durch äußere Einflüsse gestört wurde.“ 

Was wissen wir nun aber von diesen äußeren Einflüssen? 

Bei einigen seltenen Gelegenheitsursachen liegen ja die Ver¬ 
hältnisse klar: Tumoren des Uterus und raumbeengende Geschwülste 
im Mutterleib, Uterus bicornis, Hydrocephalus und Zwillings¬ 
schwangerschaft machen wohl die partielle Beengung eines Kinds¬ 
teils, aus der dann eine Mißbildung resultiert, ohne weiteres ver¬ 
ständlich. Es darf vielleicht auch hier erwähnt werden, daß den 
Tierärzten das Vorkommen von Deformitäten eines oder mehrerer 
gleichzeitig zur Welt gekommener Jungen eine geläufige Erschei¬ 
nung ist. In jüngster Zeit hat man fernerhin über Fälle von Tuben¬ 
gravidität berichtet, bei welchen der durch Laparotomie entfernte 
Fötus Deformitäten aufwies, die hier unbedingt durch mechanische 
Einwirkungen auf den Fötus entstanden sind. 

Aber alle diese Beobachtungen, in denen eine offenkundige 
Ursache den mechanischen Druck zu stände gebracht hat, sind doch 
relative Seltenheiten im Vergleich zu den Fällen von angeborenen 
Mißbildungen, bei welchen nichts derartiges nachzuweisen ist. Bei 
diesen letzteren ist uns der letzte Grund des Zustandekommens eines 
mechanischen Drucks ebenso dunkel wie die »innere Störung“ 
der Keimentwicklung und die primäre Keiraesvariation. Wir wissen 
absolut nicht, wie das Amnion dazu kommt, einmal weniger Frucht¬ 
wasser als nötig abzusondern, mit der Oberfläche des Fötus ganz 
oder partiell zu verwachsen, überhaupt die normale Ausbildung des 
Fötus zu stören. Wir haben keine Ahnung, ob äußere Ursachen 
dieses abnorme Verhalten des Amnions bewirken können, oder ob 
andere Momente, eben die sogenannten falschen Anlagen, sich auch 
auf die abnorme Bildung und Funktion des Amnions erstrecken 
können. Ein Versuch, hier Klarheit zu schaffen, wäre rein theoretische 
Spekulation und würde mit der Darstellung der ersten Entwicklungs¬ 
verhältnisse zusammenfallen. Man würde sich also auch hier von 
vornherein auf einem äußerst unsicheren Boden bewegen. 


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486 


Paul Ewald. 


Setzen wir aber einmal die Entstehung eines mechanischen 
Druckes beiseite und nehmen diesen einfach als gegeben an, wie 
wir ihn ja wirklich oft aus der Gestaltung der Mißbildung direkt 
vom Fötus oder Neugeborenen ablesen können! Dann finden wir 
doch für viele Deformitäten eine verständliche Erklärung und haben 
wenigstens eine Basis, auf der wir weiter bauen können. Und 
sicherlich ist auch mit der Belastungstheorie in der plausiblen Deu¬ 
tung der klinischen Bilder, des pathologisch-anatomischen Befundes, 
ja, wie ich glauben möchte, auch in den therapeutischen Maßnahmen 
ein Fortschritt erreicht worden; denn die Annahme, daß Mi߬ 
bildungen oft durch einen lang andauernden Druck zu stände kom¬ 
men, konnte meines Erachtens erst den Anstoß geben zu jenen 
modernen Behandlungsmethoden, die bezwecken, durch Herstellung 
anderer Druckbedingungen ein Hineinwachsen in normale Verhält¬ 
nisse zu veranlassen. Man schafft schnell oder allmählich eine Stel¬ 
lung, die der falschen Stellung des Gliedes im Uterus gerade ent¬ 
gegengesetzt ist, und hofft alles andere von der Umbildungsfähigkeit 
der Knochen. Und in dieser Hoffnung wird man nicht getäuscht. 
Ich kann natürlich nicht behaupten, daß die Erfindung des forcierten 
oder modellierenden Redressements, der verschiedenen Behandlungs¬ 
arten durch Druck und Zug u. s. w. das Resultat einer derartigen 
bewußten Gedankenoperation war; aber zweifellos konnte überhaupt 
erst auf eine gewisse Aussicht auf Erfolg gerechnet werden, nach¬ 
dem die Vorstellung geläufig geworden war: „was einmal normal 
angelegt war, kann auch wieder normal werden.“ Der Gedanke 
dagegen, daß im Keim etwas verfehlt sei, wird anderseits kaum 
eine Freudigkeit, in diesem Sinne zu handeln und zu behandeln, 
entstehen lassen. Nun gibt es allerdings viele Mißbildungen, denen 
man von vornherein nicht die Entstehung ansieht, die aber sonst in 
jeder Beziehung identisch mit solchen sind, die wegen ihrer Haltung, 
wegen Hautveränderungen, Eindrücken und sonstigen Merkmalen ohne 
weiteres als Belastungsdeformitäten zu erkennen sind. Sollte man da 
nicht den kleinen Sprung wagen dürfen, nach dem Prinzip vom zu¬ 
reichenden Grunde auch bei jenen dieselbe Entstehungsursache anzu¬ 
nehmen? Forscht inan doch z. B. bei jeder Tabes nach der überstandenen 
Syphilis und ist geneigt, trotz negativer Anamnese und auf Lues be¬ 
züglicher Untersuchung eine solche anzunelnnen. So hat man wohl auch 
eine Berechtigung, in Fällen von Mißbildungen, wo andere Ursachen 
wie Defekte, Paralysen u. s. w. nicht direkt dagegen sprechen, wo viel- 


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Keimfehler oder abnorme Druckwirkung? 


487 


mehr auf eine einst normale Anlage alles hinweist, eine mechanische 
Ursache für die abnorme Ausbildung eines fötalen Teils anzunehmen. 
Natürlich muß da alles zwanglos in die Theorie hineinpassen, und 
es darf nicht etwa ein Moment, der Theorie zuliebe, unterdrückt 
werden. Derartige unwillkommene Momente wird ja jede Theorie 
aufzuweisen haben, und die Erklärung dafür wird dann weit her¬ 
geholt sein oder völlig ausstehen. Deswegen wird aber der Hypo¬ 
these nicht gleich das Urteil gesprochen, sondern sie wird fortbestehen, 
solange sie Frucht trägt und bis sie durch eine bessere ersetzt wird. 
So ist es auch mit der Belastungstheorie: auf wichtige Punkte, wie 
namentlich die Vererbung von Mißbildungen kann sie eine Antwort 
nicht geben, zu anderen Erscheinungen liefert sie dagegen die Grund¬ 
lage für eine einzig plausible Erklärung. 


Wenn ich nun nach diesen kurzen allgemeinen Ausführungen 
auf die Arbeit Wollenbergs, in welcher die Entstehung der an¬ 
geborenen Hüftluxation abgehandelt wird und die sich lebhaft mit 
einem von mir verfaßten Artikel*) über denselben Gegenstand be¬ 
schäftigt, eingehe, so ist leicht einzusehen, worauf ich hinaus will. 

Wir nehmen beide denselben Ausgangspunkt zu unserer Be¬ 
trachtung: die Kombination der Hüftluxation mit anderen angebo¬ 
renen Deformitäten. Und wir kommen beide zu entgegengesetzten 
Resultaten, Wollenberg zur Aetiologie des primären Keimfehlers, 
ich zur Annahme einer mechanischen, von außen her wirkenden Ur¬ 
sache. Wollenberg unterzieht die einzelnen Punkte meiner Arbeit 
einer Kritik und sucht zunächst nachzuweisen, daß die neben der 
Luxation beobachteten Deformitäten (Torticollis, Pes varus, Genu 
recurvatum, Coxa vara), von denen ich behaupte, daß sie einstimmig 
als meist (!) durch eine abnorme Belastung entstanden angesehen 
werden, absolut nicht immer als Belastungsdeformität ange¬ 
sprochen werden. Genau dasselbe dachte ich deutlich genug durch 
das Wörtchen „meist“ ausgedrückt zu haben, das in meiner Arbeit 
eine nähere Erläuterung findet. Und so kann ich dann meine Be¬ 
hauptung auch durchaus aufrecht erhalten. 

Zunächst muß einer zum Punkte „Torticollis“ gemachten Be¬ 
merkung Wollenbergs entgegengetreten werden, da sie geeignet 

*) Deutsche Zeitschr. f. Chirurg. Bd. 80. 


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488 


Paul Ewald. 


ist, falsche Vorstellungen über die Entstehung des Leidens hervor¬ 
zurufen. Er sagt nämlich: „Die gar nicht so selten vorkommende 
Vererbung macht die gelegentliche Entstehung des Leidens auf 
Grund einer fehlerhaften Keimanlage zweifellos.“ Hoffa (Lehrbuch 
V. Aufl. S. 175) kann dafür nur einen Fall anführen, und Joachims¬ 
thal l ) nicht mehr als drei weitere hinzufügen. In allen übrigen, mit 
diesen zusammen genannten Beobachtungen handelt es sich um 
mehrere Kinder derselben Frau und desselben Mannes, in 
ihnen kann also die „Vererbung“ auch ebensogut auf den Ein¬ 
fluß derselben äußeren Schädlichkeit in allen Schwangerschaften 
beruhen. Ich glaube hier, wie bei der angeborenen Hüftluxation, 
eine durchaus „zulässige“ Bemerkung zu machen, wenn ich sage, 
daß dies gemeinsame Vorkommen bei Kindern derselben Mutter 
nicht mehr zum Begriff der Vererbung im strengen Sinne ge¬ 
rechnet werden darf. (Die Prozentzahlen, die Vogel und Narrath 
angegeben hat [30—40], würden sich dann jedenfalls sehr modifi¬ 
zieren.) Ich meinerseits halte es für unzulässig, daß dieses Vor¬ 
kommen mit der eigentlichen Heredität zusammengeworfen wird, um 
dann mit zur Stütze der Keimfehlertheorie verwendet zu werden. 

Aus den Ausführungen Joachimsthals geht sonst gerade her¬ 
vor, daß es sich in den meisten Fällen von Torticollis um mecha¬ 
nische Einwirkungen handelt. Und diese gewöhnliche Ent¬ 
stehungsart kommt für uns in Betracht. 

Die auffallend häufige Kombination der Hüftluxation mit Tor¬ 
ticollis gibt Wollenberg zu, will aber trotzdem das Zusammen¬ 
treffen für ein zufälliges halten. Warum? sagt er eigentlich nicht, 
und seine Bemerkung, „daß der Schiefhals sich nicht im entfernte¬ 
sten so gut eignet, aus seiner Kombination mit Hüftverrenkung auf 
eine Belastungsätiologie der letzteren zu schließen, wie Knieluxa¬ 
tionen sowie Knie- und Hüftkontrakturen“, erfährt keine nähere Be¬ 
gründung. Ich meinerseits glaube doch, daß beide Anomalien zu 
selten, und die beobachteten Fälle von Vergesellschaftung (Wollen¬ 
berg berichtet über 13!) für eine Zufälligkeit zu häufig sind. 
Ebensogut könnte man die Vererbung, den einzigen Grund für die 
Annahme einer primären Hemmungsbildung, die auch Hoffa so 
sympathisch ist, für zufällig halten, oder man könnte gar einer ver¬ 
erbten krankhaften Beschaffenheit des Amnion, wie das Joachims- 


*) Joachimsthal, Handbuch d. orthopäd. Chir. Jena 1904. 


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Eeimfehler oder abnorme Druckwirkung? 


489 


thal und Klaußner für die Strahldefekte z. B. tun, die Schuld für 
die Entstehung beimessen. Ich möchte hier jedoch auf diese Frage 
nicht weiter eingehen. Dagegen will ich noch einmal betonen, daß 
die Luxatio coxae cong. eine exquisit hereditäre Anomalie nicht ist. 

Die fehlerhafte Keimanlage als Aetiologie des Pes varus ist 
nicht, wie Wollenberg meint, die „seltenere“, sondern geradezu 
eine Rarität. Die Fälle, bei welchen ein Knochendefekt oder fehler¬ 
hafter Muskelansatz die abnorme Stellung des Fußes bedingt, werden 
auch in der großen Beobachtungsreihe der Hoffaschen Klinik kaum 
eine nennenswerte Größe ausmachen, wie sie auch in dem sehr 
reichen Klumpfußmaterial der Vulpiusschen Klinik nur äußerst 
selten zur Beobachtung gelangen. Die Belastung ist die gewöhn¬ 
liche Entstehungsursache, dafür spricht das anatomische Bild des 
Klumpfußes, die eigentümliche Haltung der Beine und Füße gleich 
nach der Geburt, das gelegentliche Hineinpassen eines Klumpfußes 
in einen Plattfuß u. s. w., und dann auch gerade die „eigenartigen 
erblichen Verhältnisse“, von denen im Vergleich zu der Häufigkeit der 
Mißbildung so selten etwas berichtet wird, während das Vorkommen 
bei mehreren Kindern einer Familie allein in unserer Klinik gut ein 
dutzendmal beobachtet wurde: die Föten haben eben immer die 
gleichen abnormen uterinen Verhältnisse angetroffen. 

Bei dem Punkte „Genu recurvatum“ kommt Wollen¬ 
berg auf Schwierigkeiten im allgemeinen zu sprechen, die sich der 
Belastungstheorie entgegenstellen: warum kommen Belastungsdefor¬ 
mitäten (insbesondere Luxatio coxae congenita und Pes varus) nicht 
häufiger gemeinsam vor? Und wieso finden sich so selten bei Hüft- 
luxation Spuren der intrauterinen Raumbeschränkung? Ich frage 
weiter, warum ein Kind mit angeborenem Klumpfuß, der seinerseits 
Druckspuren zeigt, am ganzen übrigen Körper frei von denselben 
ist. Wollenberg findet ein schwerwiegendes Argument darin, daß 
bei Genu recurvatum und angeborener Knieluxation so wenige Hüft- 
luxationen beobachtet sind. Ich sehe nicht ein, wieso durch die ab¬ 
normen äußeren Verhältnisse im Uterus, unter denen sich ein Genu 
recurvatum bildet, notgedrungen auch das Hüftgelenk des Fötus 
betroffen werden muß. Wie ich in meiner Arbeit näher ausgeführt 
habe, braucht man sich den mechanischen Druck gar nicht so 
ungeheuer groß vorzustellen. Im Gegenteil; bei erheblichem dauern¬ 
dem Fruchtwassermangel wird es kaum zur Entwicklung lebens¬ 
fähiger Individuen kommen. Dagegen wird ein einfaches Festgehal- 


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490 


Paul Ewald. 


tenwerden des Beins in einer falschen Stellung, in unserem Falle in 
starker Adduktion und Flexion zum Abheben des Femurkopfes von 
der Pfanne genügen und damit zum abnormen Knochenwachstum 
führen. Das, was Bessel-Hagen 1 ) für den Klumpfuß anführt, kön¬ 
nen wir, mutatis mutandis, auch auf das Hüftgelenk beziehen: es 
bedarf nicht immer einer vollständigen Bewegungsunfähigkeit, um 
einen anfangs normal gebauten Fuß zu einem Pes equino-varus um¬ 
zugestalten. Es können dem Fötus bis zu einem gewissen Grade 
Bewegungen gestattet werden, und dennoch äußere Kräfte im stände 
sein, einen deformierenden Einfluß auszuüben. Der Fuß eines Fö¬ 
tus kann immerhin so wenig behindert sein, daß er die Kindesbe- 
wegungen mitmacht. Und doch wird er zum Klumpfuß werden, 
wenn er in seiner Ruhelage sich immer wieder der Uteruswand in 
Supinationsstellung anlegt, selbst wenn er nur einen überaus sanften 
Druck erleidet. In den ursächlichen Momenten des Druckes kann 
dabei natürlich eine große Mannigfaltigkeit herrschen. 

Den Schluß, daß Hoffa seine Fälle von einseitiger Coxa vara 
cong. mit Hüftluxation der anderen Seite auf intrauterinen Raum¬ 
mangel zurückführt, habe ich folgendermaßen gezogen. Im Zentral¬ 
blatt für Chir. 1905, Nr. 25, wird aus Hoffas Vortrag allerdings 
nur vom kongenitalen Ursprung der Anomalie berichtet, dagegen 
steht in seinem Lehrbuch V. Aufl. S. 618: „Coxa vara kann Vor¬ 
kommen: als angeborene Deformität (Kredel) in Verbindung mit 
multiplen schweren Deformitäten anderer Gelenke. Als Ursache 
ist intrauteriner Raummangel anzunehmen.“ Ich nahm an, 
daß diese mit aller Bestimmtheit geäußerte Behauptung auch für den 
Fall Gültigkeit hat, daß die angeborene Coxa vara mit Hüftluxa¬ 
tion der anderen Seite kombiniert ist. Auch auf Seite 603 des 
Lehrbuchs steht nur, daß die Entstehung der angeborenen Schenkel¬ 
halsverbiegung jedenfalls auf eine Erkrankung an der Stelle der Epi¬ 
physenlinie zurückzuführen sei (und nicht etwa auf ein Trauma!). 
Jedenfalls konnte ich nirgends eine Stelle finden, woraus zu ent¬ 
nehmen wäre, daß Hoffa 2 ) „auf dem Standpunkt der Keimfehler¬ 
theorie“ stehe. Wieso hiefür die anatomische Anomalie des Schenkel¬ 
kopfes und -halses als Beweis anzusehen ist, wie Wollenberg 
meint, vermag ich nicht einzusehen. Auch die Beckenbilder von 

*) Bessel-Hagen, Die Pathologie und Therapie des Klumpfußes. 
Heidelberg 1889. 

2 ) Hoffa-Rauenbusch, Atlas d. orth. Chir. in Röntgenbildern 1905. 


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Keimfehler oder abnorme Druckwirkung? 


491 


Coxa vara und dieser in Verbindung mit angeborener Hüftluxation 
der anderen Seite konstatieren wohl die Tatsache des kongenitalen 
Vorkommens, sind aber nicht geeignet, die Entstehung des Leidens 
irgendwie aufzuklären (auf die Röntgenbilder der Luxatio coxae selbst 
bin ich in meiner Arbeit genügend eingegangen). Mir spricht das 
unregelmäßige Wachstum der in Frage kommenden Knochen, so¬ 
wohl bei Coxa vara als auch bei Luxatio coxae cong., auch beim 
Betrachten dieser Bilder am meisten dafür, daß eine abnorme Be¬ 
lastung die Veranlassung dazu abgegeben hat. 

Meine Behauptung jedoch, daß alle Autoren die oben genann¬ 
ten Deformitäten meist durch eine abnorme intrauterine Belastung 
entstanden ansehen, kann ich durchaus aufrecht erhalten und daraus 
die angedeuteten Folgerungen ziehen. 

Die Tatsache des abnormen Knochenwachstums bei abnormer 
Belastung ebenso wie die Tierversuche glaubte ich mit Recht her¬ 
vorheben zu müssen, weil ich zeigen wollte, daß die starken Knochen¬ 
veränderungen, die man an Pfanne und Kopf findet, allein durch 
Abheben des Kopfes aus der Pfanne entstanden sein können, wie 
ich es ja auch für die Entstehung der kongenitalen Luxation annehme. 

Der zitierte Lorenz sehe Fall einer durch spastische Paraplegie 
hervorgerufenen Luxation der Hüften ist gerade dazu angetan, die 
Möglichkeit der Entstehung der Luxation zu beweisen, und zwar unter 
den gleichen Lageverhältnissen, wie wir sie für die uterin entstan¬ 
denen Luxationen annehmen. Den Muskelzug im Lorenzschen Fall 
mit dem Druck im Uterus bei den angeborenen Fällen zu identifi¬ 
zieren, glaube ich mit dem Hinweis auf die einander verwandten 
Bilder des Pes varus congenitus und des im späteren Leben entstan¬ 
denen Pes varus paralyticus rechtfertigen zu können. 

Dem Einwand, den ich gegen die Keimfehlertheorie wegen der 
fast völligen Wiederherstellung normaler Verhältnisse einige Zeit 
nach erfolgter Reposition erhob, begegnet Wollenberg nicht sehr 
glücklich, wenn er die Bildung des Hüftgelenks mit der Nearthrosen- 
bildung identifiziert. 

Erstens sind Nearthrosen, was Beweglichkeit und normale 
Funktion anlangt, kaum je vollkommen ausgebildete Gelenke. Zwei¬ 
tens ist alles, was das Gelenk zusammensetzt, da und braucht nicht 
erst zum Teil gebildet zu werden, wie es für den Begriff Nearthrose 
erforderlich ist. Und drittens, wenn die in Frage kommenden Teile 
in Berührung gebracht sind, so erklärt die Theorie des primären 


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Paul Ewald. 


Keimfehlers noch nicht, wie die Pfanne und der Kopf sich fast nor¬ 
mal gestalten können, während ihnen doch aus „inneren Ursachen“ 
die Möglichkeit genommen sein soll, sich normal anzulegen und zu 
bilden. Viertens betont Wollenberg, daß die „Nearthosenbildung“ 
„an dem ursprünglich angelegten normalen Pfannenort“ vor sich 
ginge. Wie kann man aber als Anhänger der Keimfehlertheorie 
von einem normalen Pfannenort reden, wenn man sich vergegen¬ 
wärtigt, daß dieser erst durch das Wachstum und die Umwandlung 
desselben Mutterblastems, aus dem auch der Femurkopf hervorgeht, 
und in dem gerade der primäre Keimfehler sitzt, gebildet wird. 

Nun sieht Wollenberg die abnormen mechanischen Kräfte für 
die Manifestation der angeborenen Hüftverrenkung als sehr wichtige an, 
hält sie aber für sekundäre. „Es müssen ganz besondere Verhält¬ 
nisse vorliegen, um infolge mechanischer Einwirkung ein Hüftgelenk 
zur Luxation zu bringen.“ So niipmt auch Hoffa zu dem Keim¬ 
fehler noch eine Kraft an, wodurch die untere Extremität des Fötus 
eine solche Stellung erhält, daß die Veränderungen an der Hüfte 
vor sich gehen und der Schenkelkopf an der Pfanne vorbeiwach¬ 
sen kann. 

Weshalb soll nun aber in die Aetiologiefrage eine Schwierig¬ 
keit hineingetragen werden, da doch die Hauptsachen, wenn auch 
nicht alles durch das klinische Bild und das Experiment direkt 
sicher gestellt ist, theoretisch als mechanisch hervorgerufen gedacht 
werden können. In der gesamten Medizin besteht die Neigung, 
sämtliche Symptome, die man vereint erfahrungsgemäß an einem 
Kranken findet, zu einem Krankheitsbild zu vereinigen und eine ge¬ 
meinsame Ursache an seinem Zustandekommen zu beschuldigen. 
Und man ist damit gut gefahren. 

Außerdem gibt Wollenberg des öftern zu, daß auch die mit 
Hüftluxation kombinierten Deformitäten wohl für intrauterine Be¬ 
lastungsmomente sprechen, hält es aber gleichwohl für „plausibler, 
in der fehlerhaften Haltung der Gliedmaßen eher einen Ausdruck 
der durch gemeinsame primäre Gelenkanomalien bedingten Funktions¬ 
störung zu sehen“. Trotzdem ihm das so plausibel scheint, muß er 
doch bekennen, daß die Theorie der primären Bildungsfehler große 
Rätsel umgeben, und daß man gar nichts von ihnen weiß. Und nun 
frage ich: Wie kann man mit einem Begriffe wirtschaften, den man 
kaum zu definieren vermag, geschweige denn, daß man sich eine Vor¬ 
stellung von seinem Zustandekommen und seinem Wirken machen kann. 


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Keimfehler oder abnorme Druckwirkung? 


493 


Nach wie vor glaube ich, daß die Annahme eines vitium pri¬ 
mae formationis uns keinen Schritt in der Erkenntnis der kongeni¬ 
talen Hüftluxation weiter bringt. Für einige wenige Fälle, wie auch 
für den idiopathischen Klumpfuß und andere Bildungsanomalien 
und teratologische Bildungen haben wir ja leider keine andere „Er¬ 
klärung“ als die durchaus unbefriedigende der fehlerhaften Keiman¬ 
lage. Dagegen glaube ich für die meisten Fälle die mechanische 
Theorie allein für die Entstehung des Leidens mit vieler Wahr¬ 
scheinlichkeit heranziehen zu dürfen, nicht aus einem Gefühl der 
Dankbarkeit, weil sie uns schon so oft geholfen hat, sondern weil 
bis jetzt keine Theorie im stände ist, alle Erscheinungen besser auf¬ 
zuklären. 


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XXX. 


Keimfehler oder abnorme Druckwirkung? 

Bemerkung zu Ewalds gleichnamigem Aufsatz. 

Von 

Dr. Gustav Albert Wollenberg, 

Assistent der Hoffaschen Klinik. 

In vorstehender Abhandlung spricht Ewald über den Wert 
theoretischer Spekulationen im allgemeinen und im besondern über 
den Wert der Theorie des endogenen Keimfehlers, sowie über 
den der abnormen Druckwirkung. Ich will zu seinen Ausfüh¬ 
rungen nur in Kürze das Wort nehmen. 

In allen Disziplinen, in welchen man sich zur Erklärung von 
Tatsachen und Erscheinungen der Theorie bedient, fordert man von 
derselben, daß sie möglichst alle Einzelheiten der dunklen Tat¬ 
sachen und Erscheinungen in ungezwungener Weise erklärt. Sobald 
eine Tatsache gegen die Theorie spricht, wird die letztere über 
Bord geworfen, und wir sind gezwungen, uns eine neue, bessere 
Theorie zu suchen. Meiner Meinung nach ist der ideelle Wert einer 
ätiologischen Theorie weniger davon abhängig, ob die Begriffe, mit 
denen sie arbeitet, für uns schwierige und dunkle sind, oder ob die 
Theorie befruchtend auf unser therapeutisches Handeln wirkt, als 
vielmehr davon, ob sie alle Einzelheiten einheitlich zu erklären ver¬ 
mag, und ob keine Tatsachen gegen sie sprechen. 

Daß bei der Aufstellung von Theorien in allen Disziplinen — 
und zwar in viel exakteren, als in der Medizin — mit Begriffen ge¬ 
arbeitet wird, welche an unser Vorstellungsvermögen hohe Anforde¬ 
rungen stellen, ist bekannt; ich weise z. B. auf die physikalische 
Theorie vom „Aetlier“, welcher den Weltenraum und die Zwischen¬ 
räume der Körperteilchen ausfüllen soll, hin; niemand kennt diesen 
„Stoff“ oder kann sich von seinen Eigenschaften eine Vorstellung 
machen, und doch ist die Aethertheorie eine allgemein anerkannte, 
da sie uns die einzelnen Erscheinungen der Optik am befriedigendsten 
erklärt. 


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Keimfehler oder abnorme Druckwirkung? 


495 


Ich hebe also hervor, daß die Schwierigkeit, welche in 
dem Begriffe einer Theorie liegt, nicht gegen den Wert 
der letzteren spricht. 

Gehen wir nun auf die beiden uns hier interessierenden Theo¬ 
rien kurz ein: 

Zunächst die Theorie des primären Keimfehlers; das Wort, 
welches diese Theorie bezeichnet, sagt uns allerdings nicht viel — 
nur, daß wir die Ursache der Mißbildung eben in der Anlage 
des Fötus selbst, nicht außerhalb desselben zu suchen haben. 
Welcher Art die Ursache ist, ob eine Anomalie des Eies oder des 
befruchtenden Sperma oder ob eine Anomalie der ersten Ent¬ 
wicklungsvorgänge des befruchteten Eies (vielleicht durch eine Er¬ 
krankung desselben) vorliegt, das wird sich, solange wir über die 
ersten Entwicklungsvorgänge und vor allem über die Pathologie 
derselben nicht orientiert sind, einstweilen unserer Kenntnis ent¬ 
ziehen. Wir kennen also weder das Wie? noch das Warum? der 
Entstehung primärer Keimfehler. 

Liegen nun zwingende Gründe vor, an diesem Begriffe trotz 
seiner Dunkelheit festzuhalten? 

Schwalbe sagt, daß wir häufig „die Mißbildung auf ,innere 1 
Ursachen per exclusionem zurückführen, weil wir keine äußeren 
Ursachen kennen, die die Veranlassung gewesen sein könnten“. Es 
gehören hierher vor allem die Fälle, bei denen eine „Erblichkeit“ 
erfahrungsmäßig häufig zu finden ist. Wenn wir auch zugeben, 
daß der Ausdruck „Vererbung“ für uns große Schwierigkeiten ent¬ 
hält, daß er lediglich „der Ausdruck einer Erfahrungstatsache“ ist, 
so haben doch klinische Erfahrungen und experimentelle Züchtungs¬ 
versuche (Hippel) die Vererbung angeborener Leiden zur Genüge 
dargetan. Ich verweise hier nur auf die Ausführungen Schwalb es, 
der genügend Fälle aus der Literatur zusammenstellt. Für der¬ 
artige Fälle und für viele teratologische Bildungen müssen wir den 
Begriff primärer Keimfehler, und damit auch Zieglers „primäre 
Keimesvariation“, also das erstmalige Auftreten einer Mißbildung 
in einer gesunden Familie, anerkennen; der letztere Begriff, der ja 
nur der Ausdruck einer Erfahrungstatsache ist, macht es auch ver¬ 
ständlich, daß eine Vererbung von angeborenen Mißbildungen nicht 
immer eintreten muß, denn ein plötzlich in einer Generation auf¬ 
tretender Fehler muß eine gewisse Labilität besitzen; er muß ebenso, 
wie er einen Anfang hatte, im Laufe der Generationen, zumal bei 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XV. Bd. 32 


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496 


Gustav Albert Wollenberg. 


der Mischung mit normalen Individuen, später oder früher, auch ein 
Ende erreichen können. Es hat also nichts Wunderbares an sich, 
wenn eine große Reihe angeborener Bildungsfehler schon in der 
nächsten Generation verschwunden ist. Beobachten wir aber bei 
einer gewissen angeborenen Erkrankung eine gewisse, nicht zu 
geringe Zahl von Vererbungen, ja, lassen sich in einzelnen Fami¬ 
lien regelrechte „ Stammbäume “ von Mißbildungen nach weisen, so 
haben wir ein Recht, von einer Vererbung des Leidens zu sprechen. 
Ich werde noch einmal auf die Vererbungsfrage zurtickkommen 
müssen. 

Auch Ewald erkennt nun offenbar einstweilen für gewisse 
Fälle (idiopathischer Klumpfuß und andere Bildungsanomalien und 
teratologische Bildungen) die Berechtigung der Theorie des pri¬ 
mären Keimfehlers an, da wir nichts Besseres dafür haben, wenn 
er sie auch für durchaus unbefriedigend hält; gleichwohl fragt er 
wenige Zeilen vorher, wie man mit einem Begriffe wirtschaften 
könne, „den man kaum definieren, geschweige denn, daß man sich 
eine Vorstellung von seinem Zustandekommen und seinem Wirken 
machen kann“? Dem gegenüber stimme ich in den bescheidenen 
Satz ein: „Die Unzulänglichkeit unseres Wissens allein ist kein 
Grund, den ganzen Begriff fallen zu lassen“ (Schmidt, diese Zeit¬ 
schrift Bd. XII). 

Was nun die Theorie der abnormen Druckwirkung be¬ 
trifft, so ist ihre Berechtigung für die Deutung vieler Fälle über 
jeden Zweifel erhaben. Aber auch die Belastungstheorie steht, wie 
Ewald selbst ausführt, auf durchaus unsicherem Boden, auch sie 
muß mit einer unbekannten Größe rechnen, denn bei der großen 
Mehrzahl der Fälle, in denen wir mechanischen Druck als Ursache 
annehmen müssen, ist uns „der letzte Grund des Zustandekommens 
eines mechanischen Druckes ebenso dunkel, wie die innere Sto¬ 
rung, der Keimentwicklung und die primäre Keimesvariation.“ 

Also, die Tiefe unserer Kenntnisse von den Bedingungen, die 
zur Entstehung einer intrauterinen Belastungsdeformität führen, ist 
nur um etwas bedeutender als die Tiefe unserer Kenntnisse von den 
Bedingungen, welche den primären Keimfehler veranlassen. 

Wir können uns hier das Wie? vorstellen; über das Warum? 
dagegen fehlt uns in den meisten Fällen jeder Anhaltspunkt. 

Beide Theorien behalten trotzdem einstweilen einen hohen 
Wert, und sie werden einstweilen wohl noch nebeneinander hergehen 


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Keimfebler oder abnorme Druckwirkung? 


497 


müssen. Warum ich mich für die angeborene Hüftluxation 
mit vielen anderen Autoren auf die Seite des „Keimfehlers“ stelle, 
habe ich in meiner Arbeit „Ueber die Kombination der angeborenen 
Hüftgelenksverrenkung mit anderen angeborenen Deformitäten“ 
(Zeitschr. f. orthop. Chir. Bd. XV. H. 1) kurz zusammengefaßt. 

Nach diesen allgemeinen Betrachtungen will ich nun auf den 
Teil der Ewaldschen Ausführungen eingehen, welcher meine Kritik 
seiner Arbeit „Zur Aetiologie der angeborenen Hüftgelenks Verren¬ 
kung“ (Deutsche Zeitschrift für Chir. Bd. 80, 1905) zurückzu¬ 
weisen sucht. 

Wenn ich mich dagegen wandte, daß Ewald sagt, Deformi¬ 
täten, wie Torticollis, Pes varus, Genu recurvatum, Coxa vara, wür¬ 
den „einstimmig als meist durch abnorme intrauterine Belastung 
entstanden angesehen“, so tat ich das, weil diese Worte — obwohl 
Ewald mit dem Wörtchen „meist“ eine Einschränkung gibt — 
leicht den Eindruck hervorrufen könnten, als sei die Aetiologie 
dieser Affektionen mit geringen Ausnahmen als eine einheitliche 
anerkannt; das gilt aber nur für die Mehrzahl der Klumpfüße und 
für das Genu recurvatum congenitum. Für den Torticollis dagegen 
und für die Coxa vara trifft dies absolut nicht zu, vielmehr finden 
wir hier noch sehr entgegengesetzte Meinungen. 

Wenngleich auch die große Menge der Klumpfüße wohl 
intrauteriner Belastung ihre Entstehung verdankt, so wollen wir 
doch nicht vergessen, daß zu den idiopathischen Klumpfüßen auch 
die zu rechnen sind, bei denen einwandsfreie hereditäre Momente 
vorliegen; und auch sonst wird mancher Klumpfuß ein idiopathischer 
sein, dem man das von außen nicht ohne weiteres ansieht; die Selten¬ 
heit der Erwähnung von Klumpfüßen mit groben anatomischen Ab¬ 
weichungen beruht sicher nicht allein auf der Seltenheit der idiopa¬ 
thischen Klumpfüße überhaupt, sondern auch auf der Seltenheit 
exakter anatomischer Untersuchungen an Klumpfußpräparaten. 

Beim Torticollis sprechen einerseits die zahlreichen Kom¬ 
binationen mit anderen angeborenen Verbildungen, für welche wir 
eine Belastungsätiologie nicht gut annehmen können, anderseits die 
Vererbung dafür, daß es sich in einer Reihe von Fällen um einen 
Keimfehler handelt. Also würde es durchaus nicht gezwungen sein, 
wenn man Kombinationen dieser Leiden mit der Hüftverrenkung 
für mehrfache Keimfehler halten würde. 

Ewald tadelt nun mein Zitat aus dem Joachimsthalschen 


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498 


Gustav Albert Wollenberg. 


Handbuche, daß „die gar nicht so selten vorkommende Vererbung 
die gelegentliche Entstehung des Leidens auf Grund einer fehler¬ 
haften Keimanlage zweifellos mache“, da die meisten der beob¬ 
achteten Fälle mehrere Kinder derselben Eltern betreffe. Ebenso 
richtet sich Ewald dagegen, daß ich seine Auffassung von der 
Erblichkeit bei der Hüftluxation als unzulässig bezeichne; er will, 
daß wir die Fälle, wo mehrere Kinder derselben Mutter dasselbe Leiden 
haben, von dem strengen Begriff der Vererbung ausschließen sollen. 

Ich gebe zu, daß es für unsere Kenntnis der noch so dunklen 
Vererbungsfrage von hohem Werte wäre, wenn die Fälle von Ver¬ 
erbung eines Leidens einer eingehenden Kritik im Sinne Ewalds 
unterzogen würden; dabei wären aber noch einzelne Punkte zu be¬ 
rücksichtigen ; vergegenwärtigen wir uns einmal die Ursachen, welche 
zu abnormer Druckwirkung auf den Fötus führen können; es sind das 

1. außerhalb des Eies und seiner Adnexe gelegene 

Ursachen (abnorme Verhältnisse des Beckens sowie des Uterus; 
Raumbeengung infolge von Tumoren oder Zwillingsschwanger¬ 
schaft etc.); ( 

2. innerhalb des Eies und seiner Adnexe gelegene 
Ursachen (a. Raumbeschränkung infolge von Anomalien einzelner 
fötaler Organe [Hydrocephalus etc.] oder infolge von Doppelmißbil¬ 
dungen. b. Raumbeschränkung infolge von Amnionanomalien [amnio¬ 
tische Adhäsionen, Fruchtwasseranomalien]). 

Die unter 1. angeführten Anomalien, soweit sie überhaupt ver¬ 
erbbar sind, können also natürlich — mit Ausnahme der Zwillings- | 
Schwangerschaften — nur durch die Mutter vererbt werden, die 
unter 2. angeführten dagegen sowohl durch den Vater wie durch 
die Mutter. Daraus folgt umgekehrt, daß bei Anomalien, die sowohl 
durch den Vater wie durch die Mutter vererbt zu werden pflegen, 
a priori die Vererbung rein äußerer abnormer mechanischer Mo- . 
mente weniger in Frage kommt; hier müßte es sich vielmehr in der f 
großen Mehrzahl der Fälle um Anomalien des Amnion handeln. (Da J 

nun das letztere, welches das Fruchtwasser zum großen Teile liefert, i 

ein fötales Organ ist, so kommen wir zum Schlüsse wieder auf eine ' 

in den Organen des Fötus gelegene vererbbare Anomalie zurück; | 

da weiter für die Vererbungsmöglichkeit erworbener Anomalien bis- | 
her noch keine sicheren Anhaltspunkte vorliegen, müßten wir diese 
Amnionanomalien wieder für „angeborene“ im engeren Sinne des ! 
Wortes halten.) 


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Keimfehler oder abnorme Druckwirkung? 


499 


Weiter ist zu bedenken, daß eine Auswahl der Fälle von Ver¬ 
erbung, wie sie Ewald fordert, sehr leicht zu Fehlschlüssen führen 
könnte, wobei die „angeborenen“ Deformitäten zu kurz kommen 
könnten; denn bei Mißbildungen oder Anomalien, welche wir nach 
dem heutigen Stande unseres Wissens für rein „angeborene“ halten 
müssen, finden wir doch auch häufig mehrere Kinder derselben 
Mutter von der Anomalie ergriffen; bei diesen würde es uns nicht 
einfallen, die von Ewald gewünschte Auslese zu treffen. Ich er¬ 
innere nur vergleichsweise an eine hereditäre Erkrankung mit be¬ 
kanntem Vererbungstypus, bei der äußere mechanische Einflüsse 
auszuschließen sind, an die Hämophilie, die man ja auch eine 
chemische Mißbildung genannt hat; bei dieser erkranken doch auch 
häufig mehrere Söhne der erblich belasteten, selber gesunden Mutter. 
Diese Verhältnisse sind bei einer Kritik des Kapitels „Vererbung“ 
wohl zu berücksichtigen. 

Daß bei der Hüftluxation die Prozentzahlen der Ver¬ 
erbungen, wenn man die von Ewald geforderte Auslese trifft, sich 
geringer stellen, als die von Vogel und Narrath berechneten, ist 
zweifellos — immerhin aber bleibt auch dann noch eine erhebliche 
Reihe von Fällen — wenigstens nach unseren Beobachtungen —, die 
unzweideutig für die auffallend häufig vorkommende Erblichkeit der 
Affektion, auch im strengen Sinne, zeugt. 

Wenn ich mich gerade beim Schiefhalse enthalten habe, 
eine bestimmte Ansicht über seine Beziehungen zur angeborenen 
Hüftluxation auszusprechen, obgleich ich mehr geneigt bin, hier 
Kirmisson beizupflichten, der den Schief hals in seinem Falle für 
einen traumatischen hält, so geschieht das aus mehreren Gründen, 
die ich absichtlich in meiner Arbeit nicht angeführt habe, da ich 
mit meinen anatomischen Untersuchungen, betreffend den Schief¬ 
hals, noch nicht abgeschlossen habe. 

Wenngleich ich, nach dem oben Gesagten, die „gelegentliche“ 
Entstehung des Schief halses auf der Basis eines Keimfehlers anerkenne, 
neige ich mich für viele, besonders die in Steißlage geborenen Fälle, 
mehr der alten Stromeyersehen Ansicht zu, daß hier das Geburts¬ 
trauma ätioligsch verantwortlich zu machen ist, und zwar: 

1. Auf Grund einer mündlichen Mitteilung meines früheren 
Chefs, des Herrn Dr. Geipel, Prosektor am Krankenhause Jo¬ 
hannstadt in Dresden, der über ein besonders großes Sektions¬ 
material an Neugeborenen und Säuglingen verfügt; Geipel beob- 


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Gustav Albert Wollenberg. 


achtete ziemlich häufig frische Einrisse in den sonst normalen M. 
stemocleidomastoideus. Freilich ist damit noch nicht erwiesen, was 
aus diesen Einrissen geworden wäre, wenn die Kinder am Leben 
geblieben wären. 

2. Auf Grund meiner anatomischen Untersuchungen an von 
uns operierten Fällen; in einigen derselben habe ich mehr oder 
minder ausgiebige Reste von Blutungen gefunden; in einem Falle, 
von einem 17 Wochen alten Kinde stammend, sogar eine enorme 
Menge intra- und extrazellulär in den Gewebsspalten liegenden Blut¬ 
pigmentes. Da nun aber auch die gelegentliche Zerreißung schon 
verkürzter Muskeln intra partum ziemlich einwandsfrei nach¬ 
gewiesen worden ist, so möchte ich meine persönlichen Erfahrungen 
noch durchaus nicht als spruchreif hinstellen. 

Als feststehend erachte ich nur, daß die Aetiologie des 
angeborenen Schiefhalses keine einheitliche ist. 

Wenn ich in meiner Kritik der Ewaldschen Arbeit sagte, daß 
der Schief hals sich nicht im entferntesten so gut eigne, aus seiner Kom¬ 
bination mit Hüftverrenkung auf eine Belastungsätiologie der letz¬ 
teren zu schließen, wie Knieluxationen, sowie Knie- und Hüftkon- 
trakturen, so glaube ich, dies im ersten Teile meiner Abhandlung 
(S. 133 und 134) hinreichend ausgefübrt zu haben; denn da die 
Anhänger der Belastungstheorie nicht nur diese Belastung, sondern 
auch eine bestimmte Beinstellung des Fötus fordern müssen, 
würden die Fälle, an denen man neben weiteren Belastungsmerkmalen 
aus der Konfiguration des Fötus eine intrauterine Haltung des Ober¬ 
schenkels in starker Flexion bezw. Adduktion rekonstruieren kann, 
erhebliches Beweismaterial für die Belastungstheorie liefern. Derartige 
Beinstellung zeigen u. a. die Kniekontrakturen und Hüftkontrakturen, 
die Knieluxationen; sie sind durch Stellungen bedingt, welche gleich¬ 
zeitig einer eventuellen Luxierung der Hüftgelenke die denkbar 
günstigsten Chancen bieten; es müßten also, da das Hüftgelenk nach 
der Belastungstheorie das einer Luxation am meisten ausgesetzte Gelenk 
ist, die angeborenen Hüft- und Kniekontrakturen sowie 
Knieluxationen nicht ausnahmsweise, sondern in der Regel mit der 
angeborenen Hüftverrenkung kombiniert sein — dann würden sie einen 
ziemlich sicheren Beweis für die Belastungsätiologie der Hüftver¬ 
renkung bilden. Daß dies nicht der Fall ist, habe ich in meiner 
Arbeit ausgeführt. 

Zu den weiteren Ausführungen Ewalds habe ich kaum noch 


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Keimfebler oder abnorme Druckwirkung? 


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etwas zu bemerken; Ewalds Mißverständnis bezüglich des Hoffa¬ 
schen Standpunktes in Betreff der Coxa vara congenita ist erklärt durch 
eine Uebertragung des früher im Hoffaschen Lehrbuche Gesagten 
auf eine spätere Arbeit, deren Resultate hauptsächlich das Produkt 
eingehender Röntgenstudien sind. Was das von Hoffa beschriebene 
anatomische Präparat von Coxä vara betrifft, so spricht es zum min¬ 
desten gegen eine mechanische Entstehung der Anomalie — ob 
eine fötale Erkrankung oder eine primäre Keimanomalie vorliegt, 
ist freilich nicht zu entscheiden. Wenn ich ein Röntgenbild aus 
dem Hoffa-Rauenbusch sehen Atlas zitierte, so geschah das 
lediglich, um einen Beleg der von uns beobachteten Anomalie zu 
geben; Schlüsse habe ich meines Wissens aus diesem Bilde nicht 
gezogen, wie ich ja überhaupt diese Kombination der Luxation mit 
Coxa vara der anderen Seite unberücksichtigt gelassen habe. 

Was schließlich meinen Hinweis auf die Nearthrosenbil- 
dung betrifft, so handelt es sich bei demselben natürlich um eine Ana¬ 
logie, nicht eine Identifizierung; ich meine, die Anführungszeichen 
bei dem Worte „Nearthrose“ drücken das deutlich genug aus. 

Das nicht minder seltsame Mißverständnis Ewalds betr. meiner 
Worte vom * ursprünglich angelegten normalen Pfannen ort“ be¬ 
dürfte eigentlich ebensowenig der Erwähnung; es versteht sich wohl 
ohne weiteres von selbst für einen Anhänger der Keimfehlertheorie, 
daß ich damit den Ort meine, wo normaliter die Differenzierung 
von Femurkopf und Pfanne eintritt, denn der Ort, wo die Pfanne 
des luxierten Hüftgelenkes sitzt, stimmt doch mit dem Pfannenorte 
eines normalen Hüftgelenkes überein. 

Ich meinte also, daß dort, wo bereits eine gewisse, wenn auch 
abnorme Pfanne vorhanden ist, infolge „funktioneller Belastung“ 
die Ausarbeitung eines brauchbaren Gelenkes nach Analogie der 
Nearthrosenbildung wohl verständlich ist, und ich sehe also nicht 
ein, warum die Resultate unserer Therapie gegen die Aetiologie des 
Keimfehlers sprechen sollten. 

Zum Schlüsse hebe ich noch einmal hervor, daß meiner Mei¬ 
nung nach besonders die Erblichkeitsverhältnisse und die häufigen 
Veränderungen am oberen Pfannendach der klinisch gesunden 
Seite direkt gegen die Belastungstheorie sprechen, während sie durch 
die Keimfehlertheorie zwanglos erklärt werden, daß also vom rein wissen¬ 
schaftlichen Standpunkt aus letztere, trotzdem sie in ihrem Wesen 
noch dunkler ist als erstere, für die Hüftluxation den Vorzug verdient. 


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XXXI, 

Die Coxa vara 

unter Zugrundelegung des Materials aus der Privatklinik des Herrn 
Geheimrat Hoffa und der kgl. Universitätspoliklinik für orthopädische 

Chirurgie zu Berlin. 

Von 

Dr. Carl Helbing, 

I. Assistenten der kgl. Universitätspoliklinik für orthopädische Chirurgie 

zu Berlin. 

Mit 81 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Von den Erkrankungen des Skelettsystems hat die Coxa vara 
in dem letzten Jahrzehnt eine eingehende und ausführliche Bearbei¬ 
tung von seiten der Chirurgen und Orthopäden erfahren. Besonders 
hat dabei die Frage nach der Aetiologie dieser eigentümlichen Knochen¬ 
verbiegung interessiert, und diese Fragestellung eine große Anzahl 
wertvoller und ausführlicher Arbeiten an den Tag gefördert. Wenn 
ich es unternehme, eine erschöpfende Darstellung dieses Krankheits¬ 
bildes zu geben, so glaube ich aus drei Gründen dazu berechtigt zu 
sein. Erstens verfüge ich über das stattliche Material von 77 klinisch 
beobachteten Fällen, dann sind mir im Laufe der letzten 3 Jahre 
mehrere durch Operationen gewonnene Präparate zu histologischen 
Untersuchungen zugänglich geworden, die einen Einblick in das 
Wesen der Coxa vara geben, und endlich hat das große Material 
auch unserem therapeutischen Handeln bestimmtere Indikationen 
gegeben. 

Die Geschichte der Coxa vara entbehrt nicht eines gewissen 
Interesses. Als eigenes und abgeschlossenes Krankheitsbild mit dem 
Nachweis klinischer Bedeutung hat es als erster Ernst Müller [136] 
aus der v. Brunsschen Klinik im Jahre 1888 beschrieben, und ihm 
gebührt deshalb auch das Verdienst, der Deformität zu der ihr in 
der Pathologie gebührenden Stellung verholfen zu haben. Die älteste 


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Die Coxa vara. 


503 


Beobachtung überhaupt stammt aus dem Jahre 1843 von Röser [157], 
der unter „Morbus coxarius 44 die Beschreibung eines Krankheitsfalles 
gab, die allerdings nur eine entfernte Aehnlichkeit mit dem Bilde einer 
Coxa vara hat. 

Als das Interesse für die Coxa vara einmal geweckt war, da 
gelang es Leuten mit historischem Sinne, auch noch eine Reihe von 
Einzelbeobachtungen aus der älteren Literatur auszugraben; ich nenne 
hier nur die Beschreibungen von Wernher [189], Zeiß [200], Ri- 
chardson [156], Fiorani [44], Monks [130] undKeetle [87], 
Aber die kritische Betrachtung dieser Fälle führte zu einer weiteren 
Ausscheidung. Wie schon erwähnt, ist aus der Röser sehen Kranken¬ 
geschichte und dem anatomischen Befunde die Diagnose einer Coxa 
vara nicht mehr aufrecht zu erhalten. Bei einem an Phthise ver¬ 
storbenen 24jährigen Manne bestand eine Ankylose des Hüftgelenks 
in hochgradiger Flexion, Adduktion und Innenrotation. Der Trochanter 
major war nach vorn gerückt. Bei der Eröffnung des Gelenks zeigte 
sich, daß der Schenkelknochen eine Drehung nach vorn erfahren hatte, 
so daß Hals und Trochanter nach vorn und innen sahen. Von einer 
Verbiegung am coxalen Ende ist hiernach gar keine Rede, und die 
Bemerkung im Protokolle * Trochanter minor stark vorspringend und 
nach hinten gerichtet, der Schenkelknochen selbst zwischen ihm und 
dem Trochanter major etwas verbogen 14 , berechtigt nur zur Annahme, 
daß eine Verbiegung im oberen Teile des Schenkelschaftes bestand. 
Nach diesem Befunde ist die Annahme einer ausgeheilten Coxitis 
mit sekundärer Kontrakturstellung viel wahrscheinlicher. 

Mit der Ausscheidung des Röserschen Falles gewinnt die Be¬ 
schreibung eines anatomischen Präparates von Wernher aus dem 
Jahre 1847 eine erhöhte Bedeutung. Hier ist zum ersten Male der 
Verbiegung des Schenkelhalses gegen den Schenkelschaft bis zum 
rechten Winkel, also der Verkleinerung des Schenkelhalswinkels, 
Erwähnung getan, und die Darstellung läßt intraartikuläre Verände¬ 
rungen am Hüftgelenk ausschließen. Ich möchte hier die Beschreibung 
des Präparates in extenso wiedergeben: 

„Die Apophysenlinien sind noch nicht völlig mit der Röhre des 
Knochens verschmolzen, der Schenkelhals steht in einem vollkommen 
rechten, selbst etwas spitzen Winkel zur Röhre des Femur. Der 
Schenkelkopf ist sehr stark herab- und nach hinten gebogen, so 
daß er nach oben und vorn gar keinen, nach unten und hinten da¬ 
gegen einen sehr bedeutenden champignonartigen Vorsprung bildet. 


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504 


Carl Helbing. 


An der überknorpelten Fläche zeigt sich keine Spur eines Knochen- 
Schliffes, der Schenkelkopf ist zwar exzentrisch auf den Schenkelhals 
gestellt, aber nicht verunstaltet.“ 

Wir haben hier also die geradezu klassische Beschreibung eines 
anatomischen Präparates von einer Coxa vara adolescentium, doch hat 
jene ohne einen begleitenden klinischen Befund nur die Bedeutung 
einer pathologischen Rarität* Das Gleiche gilt für die Mitteilung 
von Zeiß, der im Jahre 1851 folgende Darstellung von einem anato¬ 
mischen Präparate gibt: 

„Schenkelkopf eines jugendlichen Individuums. Derselbe ist 
breit gedrückt und überragt den Hals pilzförmig mit seinen Rändern. 
Er ist demselben schräg aufgesetzt, so daß die Gelenkfläche zu zwei 
Drittel nach vorn sieht. Der Hals selbst ist nach vorn convex ver¬ 
bogen und bildet mit dem Schaft einen rechten Winkel. Die Epi¬ 
physenlinie ist nach dem Kopf zu stark convex verbogen.“ 

Hier handelt es sich zweifellos um eine Schenkelhalsverbiegung, 
doch macht es die Darstellung wahrscheinlich, daß der anatomischen 
Veränderung ein Gelenkprozeß, eine Arthritis deformans zu Grunde lag. 

30 Jahre lang ist es dann wieder in der Literatur still, bis der 
Italiener Fiorani im Jahre 1881 mit einer ausführlicheren Arbeit her¬ 
vortrat, die sich diesmal mit der Aetiologie und dem klinischen Ver¬ 
lauf unserer Deformität beschäftigt. Bei 15 Patienten, mit einer Aus¬ 
nahme Kindern, die mit der Diagnose einer kongenitalen Hüftgelenks¬ 
luxation Fiorani vorgestellt wurden, beobachtet er eine Verkürzung 
eines Beines, die anfangs 1 / 2 —1 cm beträgt, im Laufe der Jahre stark 
zunimmt. Bewegungen im Hüftgelenk sind frei, ein Trauma oder 
entzündlicher Prozeß nicht vorangegangen. Der Schenkelkopf ist in 
der Pfanne, der Trochanter major dagegen in die Höhe gerückt und 
dem Darmbeinkamm genähert. Fiorani nimmt eine rhachitische 
Verbiegung des Schenkelhalses an und hat damit als erster die 
Rhachitis als ätiologisches Moment der Coxa vara hereingezogen. 

Trotz dieser Vorläufer bleibt es Müllers [135] unbestrittenes 
Verdienst, die Coxa vara adolescentium durch eine ausführliche Dar¬ 
stellung des klinischen Verlaufes zu einem besonderen Krankheitsbild 
gestempelt zu haben. Er hat den Nachweis gebracht, daß die De¬ 
formität sich von anderen Affektionen scharf abgrenzen läßt und zu¬ 
gleich eine mustergültige Beschreibung des Krankheitsbildes gegeben. 
Müller beobachtete bei 4 jugendlichen Individuen von 14—18 Jahren 
ohne besondere Veranlassung oder angeblich infolge eines vorange- 


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Die Coxa vara. 


505 


gangenen leichten Traumas Schmerzhaftigkeit einer Hüfte; der Gang 
wurde hinkend, dann kam es zu einer schnellen Ermüdbarkeit und 
einer allmählichen Verkürzung der Extremität. Unter langsamer 
Entwicklung der Symptome waren die Individuen nicht dauernd an 
das Bett gefesselt, und abgesehen von der Hüftaffektion im übrigen 
ganz gesund. Objektiv ließ sich eine Verkürzung des kranken Beines 
von 2—3 cm nachweisen. Das Bein stand leicht nach außen rotiert, 
in der Hüfte gestreckt oder leicht flektiert, beschränkt war die Be¬ 
weglichkeit der Hüfte nur im Sinne der Rotation und Abduktion. 
Da der Nachweis des Kopfes in der Pfanne in allen Fällen gelang, 
so mußte die Verkürzung des Beines darauf beruhen, „daß die Dia- 
physe an der Epiphyse in die Höhe gerückt resp. der Winkel zwischen 
Schaft und Schenkelhals ein kleinerer geworden ist.“ Durch ein Re¬ 
sektionspräparat wurde dann Müller ein genauer Einblick in die 
bestehenden Veränderungen gegeben. Der Schenkelhals sieht aus, 
als ob er durch einen Druck von oben nach abwärts abgebogen 
wäre. Die obere Begrenzungslinie des Schenkelhalses ist demgemäß 
konvex gestaltet und verlängert, umgekehrt die untere verkürzt, und 
die Knorpelgrenze des Kopfes dem Trochanter minor genähert. 

Bei der veränderten Richtung des Schenkelhalses muß der 
Schenkelkopf schon bei gerader Stellung des Beines in extremster 
Abduktionsstellung sich befinden, so daß es ohne weiteres klar ist, 
warum auch in Narkose eine Abduktion des Beines unmöglich war. 

Als Ursache der Erkrankung nimmt Müller eine Spätform 
der Rhachitis an, auf deren Basis es bei der zu großen Nachgiebig¬ 
keit und Weichheit des Knochens infolge einer relativ zu hohen Be¬ 
lastung durch das Körpergewicht zu einer Gestaltsveränderung des 
Knochens kommt. Es handelt sich nach Müller also um eine typi¬ 
sche Belastungsdeformität. 

Von weiteren Mitteilungen über unser Thema sind dann die 
meisterhaften Darstellungen Kochers [96] und Hofmeisters [74 
bis 79] zu nennen, auf die wir noch zurückzukommen haben. Durch 
sie ist das typische Krankheitsbild der Coxa vara adolescentium ge¬ 
schaffen worden. In rascher Folge haben sich dann kasuistische Be¬ 
obachtungen und ausgezeichnete Gesamtdarstellungen über das Wesen 
der Coxa vara vermehrt, von denen ich hier nur die Arbeiten von 
Alsberg [5], Wagner [187], Joachimsthal [82 u. f.], Manz 
[124], Kredel [105], Reiner [152], Küster [108], Gerstle 
[53], Sprengel [170] und Hoffa [69 u. f.] nennen möchte. Durch 


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506 


Carl Helbing. 


sie ist ganz besonders der Begriff der Coxa vara und ihre Aetiologie 
geklärt worden, und wir haben darnach verschiedene Gattungen der 
Deformität zu unterscheiden. 

Ich lasse jetzt mit Einbeziehung der Krankengeschichten der 
von Hoffa inaugurierten Arbeiten Alsbergs und Wagners unsere 
eigenen Beobachtungen folgen und will im zweiten Teil der Arbeit 
unter Verwertung der gegebenen Krankheitsfälle das Wesen, den 
Begriff, die Anatomie, das klinische Bild und die Therapie der Coxa 
vara besprechen. 

Bei der Gruppierung der Krankengeschichten möchte ich das 
von Alsberg gegebene Schema der Entstehungsursachen für die 
Coxa vara im großen ganzen beibehalten, doch sind kleine Verände¬ 
rungen durch die Erschließung neuer ätiologischer Gesichtspunkte 
notwendig geworden. 

Die Coxa vara kann also auftreten: 

A. als angeborenes Leiden, 

1. für sich ohne sonstige Deformitäten, 

2. als scheinbarer Oberschenkeldefekt, 

3. in Verbindung mit anderen angeborenen Deformitäten, 

a) als Teilerscheinung einer Luxatio congenita, 

b) in Verbindnng mit angeborenen Deformitäten anderer 
Gelenke. 

B. Als postfötal erworbenes Leiden infolge von 

1. Rhachitis, 

2. einer noch nicht sicher zu bestimmenden Erkrankung 
des Wachstumsalters, 

3. Osteomalacie, 

4. Ostitis fibrosa, 

5. Osteomyelitis, 

6. Tuberkulose, 

7. Cystenbildung und maligner cystischer Tumoren, 

8. Arthritis deformans, 

9. äußeren Gewalteinwirkungen. 

Die Coxa vara congenita für sich, ohne sonstige Deformitäten. 

Wir verfügen über Beobachtungen, bei welchen die Affektion 
einseitig und doppelseitig ist, ohne daß sonstige Deformitäten be¬ 
stehen. 


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Die Coxa vara. 


507 


A. Fälle von einseitiger angeborener Coxa vara. 

Beobachtung 1. W. K., 4 3 /4 Jahr. Anamnese ergibt, daß Pa¬ 
tient mit 1 Jahr das Laufen lernte. Außer Masern keine Infektionskrank¬ 
heit, englische Krankheit nicht durchgemacht. Als der Knabe 1 l ji Jahr 
alt war, bemerkte die Mutter bei ihm leicht watschelnden Gang. Die 
Beschwerden nahmen allmählich mit einer von der Mutter konsta¬ 
tierten Verkürzung des linken Beines zu; das Kind trat schließlich 
gar nicht mehr mit dem linken Beine auf, und das Gehen wurde 
immer mühsamer. Treppensteigen ganz unmöglich geworden. 

Gut entwickelter Knabe. Die seitliche Kontur der linken Hüft- 
gegend erscheint verbreitert. Linkes Bein 4 cm kürzer als das rechte, 
ist nur wenig nach außen rotiert, dagegen stark adduziert und in 
Streckstellung. Abduktion und Außenrotation vollkommen aufge¬ 
hoben. Links konvexe statische Lumbalskoliose, Trendelenburg- 
sches Phänomen links positiv. Keine Zeichen überstandener Rhachitis. 

Das Röntgenbild (Fig. 1) ergibt folgendes: Asymmetrie des 
Beckeneingangs derart, daß der linken oberen Beckenapertur ein 
Radius mit kleinerem Durchmesser 
entspricht. Absteigender und hori¬ 
zontaler Schambeinast verschmä¬ 
lert und verkleinert gegenüber 
der gesunden Seite. Linkes Tuber 
kleiner, ganz besonders schmal 
der aufsteigende Ast des linken 
Os ischii. Foramen obturatorium 
links kleiner. An der linken 
Beckenpfanne erscheint der dem 
Os ilii gehörende Anteil flacher 
und ist nicht so gewölbt wie auf 
der gesunden Seite. Pfannengrund ohne Abweichung. Der Kopf ist 
links bedeutend kleiner (Durchmesser 2,4 cm gegen 2,8 cm rechts) 
und viel durchlässiger, besonders in seiner unteren Hemisphäre. Seine 
obere Umrandung ist gerade, nicht konvex wie auf der gesunden Seite. 
Die Epiphysenlinie ist verbreitert, verläuft im oberen Teil vertikal, 
um sich etwa in der Mitte in einen medialen, schräg nach innen und 
einen äußeren in der Fortsetzung des oberen Teils liegenden, also 
vertikal verlaufenden Schenkel zu teilen. Zwischen beiden Schenkeln 
noch eine quere durchlässige Brücke, so daß eine kleine obere und 


Fig. 1. 



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508 


Carl Helbing. 


eine größere, tiefer gelegene Knochenabsprengung verursacht ist. Ein 
eigentlicher Schenkelhals existiert nicht. Die geschilderte Epiphysen¬ 
linie grenzt dem Schenkelschaft unmittelbar an. Die Entfernung des 
Kopfes vom lateralen Schenkelschaftkontur beträgt 5,1 cm (gegenüber 
5,4 cm auf der gesunden Seite). Auffallend ist die Verschmälerung 
des Schenkelschaftes; unterhalb des Trochanter minor beträgt die 
Dicke links 2,0, rechts 2,6 cm. Schenkelhalswinkel beträgt 80 °, 
der Winkel, den eine durch die Epiphysenlinie gelegte Gerade mit 
dem Schenkelschaft einschließt, ist = — 15° 1 ). Der höchste Punkt des 
linken Kopfes liegt noch 0,3 cm unterhalb des Y-förmigen Knorpels, 
rechts sieht er 2 mm über denselben hinaus. Dadurch ist der obere 
Teil der Pfanne leer, und die Entfernung des Kopfes vom Pfannendach 
nimmt nach außen noch zu. Trochanterkern links kleiner als rechts. 
Der Schenkelschaft ist um ca. 10° der vertikalen Körperachse ge¬ 
nähert. 

Im Februar 1904 wird die subtrochantäre Osteotomie links 
vorgenommen, und das Bein in rechtwinkliger Abduktion für 
6 Wochen durch Gips verband fixiert. Das Gehen war sofort nach 
Abnahme des Gipsverbandes möglich. Eine Nachuntersuchung 
1 Jahr später ergibt, daß noch leichtes Hinken auf dem linken 
Bein besteht. Aktive Abduktionsmöglichkeit beträgt links 45°, 
rechts 60°. Beugung des linken Oberschenkels bis zum Winkel 
von 70° möglich. Rotationsbewegungen am linken Bein frei. 
Linker Trochanter steht noch IV 2 cm oberhalb der Roser-Nelaton- 
schen Linie. Trendelenburgsches Phänomen nicht mehr positiv. 

Entfernung der Spina ant. sup. vom Malleol. ext. 
links = 57 cm, rechts 58 ^ cm. 

Entfernung des Trochanter major vom Malleol. ext. 
beiderseits 53 cm. 

Beobachtung 2. W. R., 3 Jahre alt. Patient nie krank 
gewesen, lernte mit 11 Monaten das Laufen, bald nachher wurde 
leicht watschelnder Gang auf dem rechten Bein bemerkt. Das 
Hinken steigerte sich, und der Knabe wurde uns deshalb mit der 


*) Das Minuszeichen vor dem Winkelgrade soll ausdrücken, daß die durch 
die Knorpelfuge gelegte Gerade erst in ihrer Verlängerung nach unten den 
Schenkelschaft schneidet; der <£ wird künftighin der Kürze halber als Epi¬ 
physenwinkel bezeichnet. 


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Die Coxa vara. 


509 


Diagnose einer rechtseitigen kongenitalen Hüftgelenksluxation zur 
Behandlung überwiesen. 

Kräftig gebautes Kind, rechtes Bein ist adduziert, nur minimal 
nach außen rotiert. Die Verkürzung beträgt 2 cm, dementsprechend 
steht die rechte Trochanterspitze auch 2 cm oberhalb der Roser- 
N^latonschen Linie. Trendelenburgsches Phänomen positiv. 
Abduktion rechts beschränkt, die übrigen Bewegungen in der Hüfte 
frei. Keine Zeichen von bestehender oder überstandener Rhachitis. 
Am Röntgenbilde (Fig. 2) ist das Beckendach rechts etwas flacher 
und weniger konkav, sonst keine 
Differenzen der beiden Becken¬ 
hälften. Der Kopf ist rechts 
in Abduktionsstellung gedreht, 
der obere Rand steht noch 0,4 cm 
unterhalb des Y-förmigen Knor¬ 
pels, wodurch der obere Teil 
der Pfanne leer erscheint. Der 
Kopf hat die Form eines Eies 
mit nach unten gestellter Spitze. 

Die Epiphysenlinie ist stark ver¬ 
breitert, verläuft wellenförmig in 
einer Senkrechten, zwischen ihr ein kleiner, dattelförmiger Knochen¬ 
kern eingelagert. Medialster Teil des Kopfes vom lateralen Rande 
des Schenkelschaftes 4,3 cm entfernt. Schenkelhalsspitze ist durch¬ 
lässiger als links. Der Schenkelhals selbst stark verkürzt, die Ver¬ 
kürzung betrifft besonders seinen unteren Rand. Schenkelschaft etwas 
schmäler als links, Schenkelhalswinkel 87°, Epiphysenwinkel = 10°. 
Beiderseits noch keine Trochanterepiphysenkerne. 

Beobachtung 3. C. R., 5 1 /-> Jahre alt. Mädchen aus ge¬ 
sunder Familie, selbst nie krank gewesen, hat nie an englischer 
Krankheit gelitten, mit 1 Jahr das Laufen gelernt. Linkes Bein 
steht leicht nach außen rotiert, aber sehr stark adduziert und 
bildet mit der Körpersenkrechten einen Winkel von 20°. Beugung 
bis zum rechten Winkel frei. Außenrotation leicht behindert, Ab¬ 
duktion vollkommen aufgehoben. Trendelenburgsches Phänomen 
links positiv. Linker Trochanter 2 cm oberhalb der Roser-N^laton- 
schen Linie. 

Am Röntgenbild (Fig. 3) besteht leichte Asymmetrie des Beckens 


Fig. 2. 



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510 


Carl Helbing. 


derart, daß auf der kranken Seite der oberen Beckenapertur ein klei¬ 
nerer Radius entspricht. Oberer Teil der linken Pfanne in ihrer late¬ 
ralen Partie unausgefüllt. Linker Kopf kleiner, durchlässiger als rechts. 

mehr walzenförmig gestaltet und 
in seinem frontalen Durchmesser 
verlängert. Die Epiphysenlinie 
im ganzen verbreitert, verläuft 
rein vertikal und erweitert sich 
nach unten spaltförmig. Schen¬ 
kelhals als solcher nicht vor¬ 
handen, insbesondere fehlt jede 
Andeutung einer Schenkelhals¬ 
spitze, so daß die untere Hälfte 
des Kopfes in ihrem lateralen 
Abschnitt dem Schenkelschaft fast unmittelbar aufliegt. Schenkel¬ 
halswinkel beträgt 75°, Epiphysenwinkel = — 15°. Die Dicke des 
Schenkelschaftes ist durchschnittlich um 3 mm gegenüber der ge¬ 
sunden Seite verringert. 

Beobachtung 4. H. B., 3 Jahre alt, kräftig entwickeltes 
Mädchen aus gesunder Familie, lernte mit 11 Monaten das Laufen 
und litt nicht an englischer Krankheit. Leicht watschelnder Gang 
bestand schon bei den ersten Gehversuchen. Rechtes Bein um 
1 1 j 2 cm kürzer, steht adduziert. 

Am Röntgenbild (Fig. 4) ist die ganze rechte Beckenhälfte 
etwas kleiner, das rechte Pfannendach auffallend abgeflacht und 

steiler verlaufend. Die knö¬ 
cherne Kopfepiphyse erheblich 
um ihre sagittale Achse so nach 
außen gedreht, daß der Kopf in 
starker Abduktionsstellung steht. 
Die Epiphysenlinie ist zackig, 
verbreitert, verläuft in ihrem 
oberen Teil fast vertikal und 
teilt sich dann in zwei Schenkel, 
die ein dreieckiges Stück ein¬ 
schließen. Dieses dem über- 
knorpelten Schenkelkopf noch angehörende Stück ist auf 3 mm 
dem Trochanter minor genähert. Trochanterkerne beiderseits gleich 


Fig. 4. 




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Die Coxa vara. 


511 


groß. Schenkelhalswinkel 85 °, Epiphysenwinkel 18°. Schenkelschaft 
nur um ein Geringes verschmälert. 



Beobachtung 5. K. B., 4 Jahre alt. Einziges Kind seiner 
Eltern, fing erst mit l 3 /4 Jahren an zu laufen. Ob englische Krank¬ 
heit bestand, kann nicht angegeben werden. Hat seit den ersten 
Gehversuchen immer etwas hinkenden und watschelnden Gang ge¬ 
zeigt, rechts stärker als links. Beim Gehen ermüdete das Kind 
leicht, ohne aber über Schmerzen zu klagen. Der Mutter fiel es 
auf, daß sie beim Baden die Beine 

behufs Reinigung der Innenseite Fl S- 5 - 

nicht auseinandernehmen konnte. 

Früher bestanden leichte Drüsen¬ 
anschwellungen am Halse, sonst 
soll Patient immer gesund ge¬ 
wesen sein. 

Am Röntgenbild (Fig. 5) 
zeigt sich, daß beiderseits der 
Schenkelhals winkel verkleinert ist: 
links beträgt derselbe 115°, rechts 
85°. Epiphysenwinkel links 40°, 
rechts 10°. Abgesehen von dieser 

Differenz in der Größe des Schenkelhalswinkels bestehen aber auch noch 
andere auffallende Unterschiede an beiden coxalen Femurenden, die 
es sehr wahrscheinlich machen, daß hier zwei verschiedene Krank¬ 
heitsprozesse die Coxa vara bedingt haben. 

Auf der rechten stärker deformierten Seite erscheint die ganze 
Beckenhälfte etwas kleiner, der Kopf ist in seiner Ossifikation zurück¬ 
geblieben, für die Röntgenstrahlen viel durchlässiger und kleiner. Die 
Epiphysenlinie verläuft in ihrer oberen Hälfte vertikal und gabelt sich 
dann wieder in zwei Schenkel, die ein dreieckiges Stück in sich ein¬ 
schließen. Trochanterkerne beiderseits noch nicht vorhanden. Schenkel¬ 
schaft etwas verschmälert. Links verläuft die Epiphysenlinie in einem 
Winkel von 50° zur Horizontalen (Epiphysenwinkel = 40°). Der Kopf 
ist in der Verknöcherung weiter vorwärts geschritten, die Schenkel¬ 
halsspitze sehr deutlich ausgeprägt, Schenkelschaft leicht nach außen 
konvex verbogen. 

Wir haben es hier offenbar auf der linken Seite mit einer leichten 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XV. Bd. 33 


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512 


Carl Helbing. 


Coxa vara rhachitica, rechts dagegen mit einer kongenitalen Schenkel¬ 
halsverbiegung zu tun. 

Es wurden bei dem Knaben im Mai 1904 die Tenotomie der 
Adduktoren beiderseits vorgenommen, und die Beine in rechtwink¬ 
liger Abduktion für 6 Wochen im Gipsverband fixiert. Eine Nach¬ 
untersuchung zeigte eine erhebliche Besserung des Leidens, so daß 
Patient jetzt im stände ist, die Beine bis zum Winkel von 45° beider¬ 
seits zu abduzieren. 

Beobachtung 6. Mädchen B. (cf. Helbing [61], Fall 2‘, 
4 Jahre alt. Das Röntgenbild (Fig. 6) ergibt folgendes: Schenkel¬ 
halswinkel beiderseits verklei¬ 
nert. Auf der linken Seite ist 
der Kopf wesentlich kleiner, 
sein Schatten weniger dicht, 
die Epiphysenlinie verläuft ge¬ 
nau vertikal. Ihr unterstes 
Ende teilt sich gabelförmig 
und schließt so ein kleines 
dreieckiges Stück Knoclien- 
substanz ein. Der obere Teil 
der Gelenkpfanne, die abge¬ 
flacht ist, erscheint leer. Schen¬ 
kelhals selbst stark verkürzt, 
Schenkelhalswinkel 85°, Epiphysenwinkel 10°. Auf der rechten 

Seite füllt der Kopf die Gelenkpfanne vollkommen aus. Schenkel¬ 

halsspitze stark prominent, Schenkelhalswinkel 105°, Epiphysenwinkel 
45°. Der Trochanterkern ist auf der rechten Seite etwas größer als 
auf der linken. Die Verhältnisse liegen hier ebenso wie in Fall 5. 

Beobachtung 7. C. L., 4 Jahre alt. Ein jüngerer Bruder 
der Patientin leidet an kongenitaler Hüftgelenksluxation, Patientin 
selbst lernte schon frühzeitig laufen, hinkte aber immer auf dem 
linken Beine. Beide Kinder wurden uns mit der Diagnose einer 
kongenitalen Hüftgelenksluxation zur Behandlung überwiesen. 

Kräftig gebautes Mädchen, kein Zeichen einer überstandenen 
Rhachitis, linkes Bein um ca. 3^2 cm verkürzt, steht adduziert, aber 
nicht nach außen rotiert. Links konvexe statische Lumbalskoliose. 

An dem Röntgenbild (Fig. 7) ist auf der rechten Seite der 
Schenkelhalswinkel = 125°, der Epiphysenwinkel = 65°. Der Kopf 


Fig. 6. 



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Die Coxa vara. 


513 


füllt die Pfanne vollkommen aus, die Knorpelfuge stellt eine schmale, 
scharf begrenzte Linie dar. Auf der linken Seite steht der Kopf 
durch eine Abduktionsdrehung in 
leichter Subluxation nach unten 
und läßt wieder den oberen Teil 
der Pfanne leer. Der obere Rand 
des Kopfes steht noch unterhalb 
des Y-förmigen Knorpels. Kopf 
walzenförmig, im frontalen Durch¬ 
messer ausgezogen. Das untere 
Drittel des Kopfes, das außer Kon¬ 
takt mit der Pfanne ist, zeigt 
eine starke Aufhellung. Die Epi¬ 
physenlinie verläuft vertikal, ist 
zackig und zeigt sich nach der Kopfkappe zu nicht scharf begrenzt. 
Schenkelhalswinkel beträgt 87°, Epiphysenwinkel 10°. Der etwas 
verschmälerte Schenkelschaft zeigt eine Adduktionsstellung von 10°. 

Beobachtung 8. E. B., 10 Jahre. Eltern gesund, zwei 
Schwestern der Mutter an Phthise gestorben. Im Alter von 3 Jahren 
soll Patient öfters als andere Kinder gefallen sein, ohne jedoch über 
Schmerzen zu klagen. Von da ab stellte sich allmählich bei dem 
Kinde Hinken ein. Ein Arzt stellte damals Luxation fest. Das 
Hinken nahm immer mehr zu, über Schmerzen wurde jedoch nie ge¬ 
klagt, auch bestand kein Ermüdungsgefühl. Wohl aussehender Knabe, 
Skelettsystem ziemlich gut entwickelt, Muskulatur schwach. Das linke 
Bein im ganzen atrophisch. Linkes Bein 4 cm kürzer. Die ganze 
Trochanterengegend links deutlich vorgewölbt. Besonders deutlich 
wird diese Vorwölbung beim Gehen. Der Trochanter steht, der 
Verkürzung des linken Beines entsprechend, 4 cm oberhalb der 
Roser-Nelatonschen Linie. Hinter dem linken Trochanter ist 
eine deutliche Grube, die sich beim Gehen noch mehr vertieft. 
Entfernung des Trochanter vom Malleol. ext. beiderseits 08V* cm; 
von der Spina bis zum Malleolus links 08 */*, rechts 72 l j% cm. Das 
linke Bein steht in deutlicher Adduktionskontraktur. Abduktion 
unmöglich, ohne daß das Becken sich mitbewegt. Schmerzen be¬ 
stehen nicht. Flexion rechts wie links in gleichen Exkursionen aus¬ 
führbar. Extension beschränkt. Beim Gehen bemerkt man deutlich 
ein Vor- und Rückwärtsbewegen des linken Trochanter. Links kon- 



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514 


Carl Helbing. 


vexe Lumbalskoliose. Eine Verschiebung des Femur am Darmbein 
ist nicht ausführbar. Deutliches Trendelenburgsches Phänomen 
auf dem linken Beine. 

Auf dem Röntgenbild (Fig. 8) erscheint links sowohl das Os 
pubis als auch das Os ischii atrophisch und kleiner als rechts. Das 

linke Pfannendach ist in seinen 
äußeren Partien steiler gestellt, 
der Kopf hat eine walzenför¬ 
mige Gestalt und ist in Abduk¬ 
tionsstellung so stark gedreht, 
daß die Epiphysenlinie wieder 
einen senkrechten Verlauf hat. 
Letztere zeigt auch gegenüber 
der gesunden Seite eine stärkere 
Verbreiterung. Der Schenkel¬ 
hals ist verschmälert und ver¬ 
kürzt, bildet mit dem Schenkel¬ 
schaft einen Winkel von 67°. 
Der hochgradigen Verkleinerung des Schenkelhalses entsprechend ist 
auch der Epiphysenwinkel ein negativer geworden, d. h. die durch 
die Knorpelfuge gelegte Gerade schneidet in ihrer Verlängerung 
nach unten die Achse des Schenkelschaftes und beträgt — 22°. 
Auch der Schenkelschaft ist stark verschmälert. 

Auf der rechten gesunden Seite beträgt der Schenkelhalswinkel 
125, der Epiphysenwinkel 57°. 

Es wird die schräge subtrochantere Osteotomie ausgeführt und 
ein Gipsverband unter starker Extension und Abduktion angelegt. 
Eine Woche später wird der Gipsverband durch einen Schienenhülsen¬ 
apparat ersetzt. Nach 2 Monaten wird der Apparat fortgelassen, Pa¬ 
tient geht dann auf dem nunmehr in Abduktion befindlichen Beine 
recht gut. Das Trendelenburgsche Phänomen ist nach der Ope¬ 
ration fast vollkommen verschwunden. 

Der Patient ist vollkommen beschwerdelos, die Beweglichkeit 
im Hüftgelenk eine recht gute. Während vor der Operation das 
Bein eine Verkürzung von 4 cm aufgewiesen hatte, läßt sich jetzt 
nur noch eine reelle Verkürzung von 2 cm nachweisen. Auch 1 Jahr 
später waren die Nachrichten über den Erfolg der Operation außer¬ 
ordentlich zufriedenstellend. 


Fig. 8. 



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Die Coxa vara. 


515 


Beobachtung 9. H. H., 13 Jahre 6 Monate alt, der jüngste 
von vier Geschwistern. Bemerkenswert ist, daß ein Bruder und ein 
Neffe des Patienten an kongenitaler Hüftgelenksluxation leidet. Der 
Knabe lernte sehr frühzeitig das Laufen, hatte außer Masern und 
Röteln keine Krankheit durchgemacht, insbesondere ist es sicher fest- 
gestellt, daß er nicht an englischer Krankheit litt. Schon vom 
2. Lebensjahre ab fiel den Eltern auf, daß der Patient mit dem 
linken Bein beim Gehen einknickte und hinkte, das Kind ermüdete 
sehr schnell beim Gehen, klagte aber nie über Schmerzen. All¬ 
mählich verschlimmerte sich der Zustand immer mehr, das Bein 
wurde kürzer und konnte schließlich gar nicht mehr gespreizt 
werden. Im Januar 1904 gelangte er dann in unsere Behandlung. 

Kräftig gebauter Knabe, linkes Bein um 3 cm kürzer, steht 
adduziert und kann überhaupt nicht gespreizt werden. Es besteht 
keine stärkere Außenrotation, Flexion bis zum rechten Winkel möglich. 

Das Röntgenbild (Fig. 9), das beim Knaben im Alter von 
12 Jahren aufgenommen wurde, zeigt folgende Verhältnisse: Linke 
Beckenhälfte im ganzen kleiner 
wie die rechte. Oberer Pfannen¬ 
rand ist steil und bildet mit 
einer durch das Becken geleg¬ 
ten Horizontalen einen Winkel 
von 40°, während er auf der 
gesunden Seite höchstens 10° 
beträgt. Der Kopf hat eine 
Drehung nach außen um seine 
sagittale Achse erfahren, so 
daß sein größter Durchmesser 
nicht schräg, sondern genau 
vertikal steht. Dadurch hat er sich dem Trochanter minor so ge¬ 
nähert, daß er mit seinem Schatten zum Teil zusammenfällt. Ein 
unterer Rand des Schenkelhalses existiert also gar nicht. Die obere 
Begrenzung des Schenkelhalses verläuft entsprechend der Verkleine¬ 
rung des Schenkelhalswinkels auf ca. 75° nach oben und außen und 
bildet mit der oberen Kopfkontur eine leicht konkave Linie. Die 
Trochanterspitze steht a / 2 cm oberhalb der knöchernen Pfanne und 
ist von derselben nur 2 cm entfernt. Auf der gesunden Seite beträgt 
diese Distanz das Doppelte. Trochanterkern etwas kleiner wie auf 
der gesunden Seite. Die Epiphysenlinie ist nicht mehr mit Deut- 



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516 


Carl Helbing. 


lichkeit erkennbar, so daß über die Größe des Epiphysen winkeis 
nichts Sicheres ausgesagt werden kann. Der Schenkelschaft zeigt 
keine wesentliche Verschmälerung. 

Zur Beseitigung der hochgradigen Adduktionskontraktur wurde 
die subtrochantere Osteotomie vorgenommen. Eine spätere Nach¬ 
untersuchung zeigt, daß das rechte Bein immer noch um 3 cm kürzer 
ist. Die Entfernung der Spina ant. sup. vom Malleol. ext. beträgt 
rechts 73,5 cm, links 70,5 cm. Das rechte Bein kann jetzt aktiv 
um 30° abduziert werden. 

Wenn bei der späten Beobachtungszeit auch nichts mehr 
Sicheres über die Stellung der Epiphysenlinie und ihre Form aus¬ 
gesagt werden kann, so macht doch die Anamnese (frühzeitiges Ein¬ 
setzen der Krankheitserscheinungen, Fehlen einer rhachitischen Er¬ 
krankung oder eines Traumas und endlich das Vorkommen von 
kongenitalen Hüftgelenksleiden in der Familie) es im hohen Grade 
wahrscheinlich, daß es sich auch hier um eine kongenitale Form der 
Coxa vara handelt. 

B. Fälle von doppelseitiger kongenitaler Coxa vara. 

Beobachtung 10 (cf. Helbing [61], Fall 1). 3 1 \%jähriges 

kräftiges Mädchen, das bei den ersten schon früh vorgenommenen 
Gehversuchen hinkte und nicht an englischer Krankheit gelitten hat. 
Da bei einem 1 Jahr älteren Bruder eine doppelseitige Hüftgelenks¬ 
verrenkung bestand, die mit Erfolg dem unblutigen Repositionsver¬ 
fahren unterzogen worden war, so gewinnt die Angabe der Eltern, 
daß das Kind bereits bei den ersten Gehübungen watschelte, ganz 
besondere Bedeutung. Die Eltern waren der Meinung, daß es sich 
auch bei ihm um eine angeborene Hüftgelenksverrenkung handle 
und brachten das Kind zur Behandlung in die Klinik. 

Am Röntgenbild fällt zuerst die hochgradige Verkleinerung 
des Schenkelhalswinkels beiderseits auf. Rechts beträgt derselbe 70°, 
links 90°, der Epiphysenwinkel ist b ß iderseits = 0°, d. h. eine 
durch die Knorpelfuge gelegte Gerade läuft mit der Achse des 
Schenkelschaftes parallel. Die Schenkelköpfe sind abnorm durch¬ 
lässig, langgezogen und walzenförmig gestaltet. An Stelle der nor¬ 
malen Epiphysenlinie findet sich am Ursprung des Schenkelhalses 
vom Schenkelschaft eine breite, vertikal verlaufende, nach unten sich 
noch mehr verbreiternde helle Zone. Trochanterkern beiderseits vor- 


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Die Coxa vara. 


517 


handen. Oberschenkelschaft bildet auf beiden Seiten mit der Körper¬ 
vertikalen durch Adduktionsstellung einen Winkel von 15 °. An 
der Pfanne ist der obere äußere Teil durch die Drehung der Köpfe 
um eine sagittale Achse (Abduktionsstellung des Kopfes) wieder leer. 

Beobachtung 11. E. T., 5 Jahre alt. Im Alter von 
3 1 /* Jahren begann das Kind über Schmerzen im linken Knie und 
leichte Ermüdbarkeit beim Gehen zu klagen. Vom Arzt wurde eine 
Hüftgelenksentzündung angenommen. 

Zart gebautes Mädchen. Als Zeichen überstandener Rhachitis 
leichter Rosenkranz und Pedes plano-valgi. Ziemlich erhebliche 
Lendenlordose. Beim Gehen sinkt die freie Beckenhälfte immer 
etwas herunter, die normale Furche medial und oberhalb des Tro¬ 
chanters erscheint besonders vertieft. Die seitliche Kontur der Hüft- 
gegend ist verbreitert, besonders rechts. Die Abduktion ist auf 
beiden Seiten vermindert, links beträgt die aktive Abduktionsmög¬ 
lichkeit 15°, rechts 20°, die 
Beine stehen nicht in Außen¬ 
rotation. Rotationsbewegungen 
sind bei den Hüften vollkom¬ 
men frei, ebenso die Beugun¬ 
gen. Die Lendenlordose gleicht 
sich erst bei einer Flexions¬ 
stellung beider Hüften um 
ca. 60° aus, wenn das Kind 
Rückenlage einnimmt. Rechts 
Spina ant. sup. vom Malleol. 
ext. 49,5 cm entfernt, des¬ 
gleichen links. Trochauterspitze beiderseits 5 cm über der Roser- 
Nölatonschen Linie. Bei der Beugung auf beiden Seiten Krepi- 
tieren im Hüftgelenk. 

Das Röntgenbild (Fig. 10) zeigt das Pfannendach beiderseits 
abgeflacht. Die Köpfe sind im Verhältnis zum Alter des Kindes 
in der Verknöcherung wenig vorgeschritten und noch abnorm durch¬ 
lässig. Sie stehen beiderseits unterhalb des Y-förmigen Knorpels, 
so daß der obere Teil der Pfanne leer ist, und die unteren lateralen 
Quadranten keinen Kontakt mehr mit der Pfanne besitzen. Der linke 
Kopf ist vom oberen Rande des knöchernen Pfannendachs fast 1 cm 
entfernt, seine untere laterale Hälfte liegt dem Trochanter minor 



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Carl Helbing. 


fast direkt an. Die Epiphysenlinie verläuft links vertikal und ver¬ 
breitert sich nach unten. Schenkelhalswinkel = 82 °, Epiphysen¬ 
winkel = 20°. Auf der rechten Seite beträgt der Schenkelhals¬ 
winkel nur 77 °. Der Epiphysenwinkel ist ein negativer geworden, 
d. h. die durch die Knorpelfuge gelegte Gerade schneidet in ihrer 
Verlängerung nach unten die Schenkelschaftachse und beträgt — 12 ". 
Die Epiphysenlinie verläuft ebenfalls vertikal, teilt sich jedoch nach 
oben und nach unten, so daß der Kopf in drei Teile zersprengt er¬ 
scheint, in einen medialen größten, einen unteren lateralen und 
einen oberen lateralen kleinsten Teil. Trochanterkerne beiderseits 
vorhanden. Schenkelschaft zeigt keine Verbiegung. 

Beobachtung 12. E. T., 3*/2 Jahre. Gesundes, kräftiges 
Mädchen. Zeigte schon bei den ersten Gehversuchen watschelnden 

Gang. Beine zeigen keine Außen¬ 
rotation. Abduktion stark be¬ 
hindert. Am Röntgenbild (Fig. 11) 
erscheint das Pfannendach bei¬ 
derseits abgeflacht, die obere 
Pfannenhälfte ist leer. Die 
Köpfe sind abnorm durchlässig, 
klein, erscheinen gefleckt und 
stehen 5 mm unterhalb des 
Y-förmigen Knorpels. Außer¬ 
dem sind sie durch Drehung 
um eine sagittale Achse nach 
außen in maximaler Abduktionsstellung. Die Epiphysenlinien ver¬ 
laufen vertikal, sind stark verbreitert, Trochanterkerne in Erbsen¬ 
große eben sichtbar, Schenkelhalswinkel beiderseits = 85°, Epiphysen¬ 
winkel = 25°. Femurdiaphysen ohne Verbiegung. 

Beobachtung 13. 0. H., 7 1 /* Jahre. Patient gelangte im 

Januar 1904 in unsere Behandlung. Anamnese ergibt, daß der 
Knabe mit 1 1 \i Jahren das Laufen lernte und damals ein sehr dickes, 
kräftig entwickeltes Kind war. Englische Krankheit hat er nicht 
durchgemacht. Mit 8 Monaten Keuchhusten, sonst immer gesund. 
Sobald der Knabe anfing zu laufen, bemerkte die Mutter bei ihm 
einen watschelnden Gang. Bei schnellerem Gehen sank immer die 
freie Körperhälfte herunter. Die Beine konnten schon in der frühe¬ 
sten Jugend nicht gespreizt werden, so daß die Innenseite der Ober- 



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Die Coza vara. 


519 


Schenkel von der Mutter beim Baden nicht abgetrocknet werden 
konnten. Das Gehen, das von Anfang an erschwert war, wurde in 
letzter Zeit so mühsam, daß Patient nur höchstens 10 Minuten ohne 
Ermüdungsgefühl zu gehen im stände war. Schmerzen bestanden nie- 

Mäßig kräftig gebauter, 
für sein Alter etwas kleiner 
Knabe. Es fällt sofort eine 
starke Lendenlordose auf. Beim 
Gehen ausgesprochenes Wat¬ 
scheln wie bei einer kongenitalen 
Hüftgelenksluxation. Beine zei¬ 
gen eine ganz geringe Außen- 
rotation, können aktiv bis zum 
rechten Winkel gebeugt, aber 
absolut nicht abduziert werden. 

Beiderseits ausgesprochenes Trendelenburgsches Phänomen. Von 
Rotationsbewegungen nur die Außenrotation etwas behindert. 

Das Röntgenbild (Fig. 12) zeigt keine Beckenasymmetrie. 
Pfannendach beiderseits abgeflacht, obere Hälfte der Gelenkpfanne 
nicht ausgefüllt. Kopf auf bei¬ 
den Seiten walzenförmig ge¬ 
staltet, im frontalen Durch¬ 
messer verlängert, abnorm 
durchlässig. Die Epiphysen¬ 
linien verlaufen vertikal, sind 
verbreitert, auf der rechten 
Seite teilt sich die untere Hälfte 
in zwei Schenkel, die ein drei¬ 
eckiges Knochenstück in sich 
einschließen. Der rechte Kopf 
erscheint also in zwei Teile 
zersprengt. Die Epiphysenlinien liegen unmittelbar dem Schaft an, 
so daß von einem Schenkelhals kaum etwas angedeutet ist. Tro¬ 
chanterkerne noch nicht sichtbar, Schenkelschaft nicht verbogen. 
Der Schenkelhalswinkel beträgt rechts 82°, links 70°, der Epiphysen¬ 
winkel beiderseits 20°. 

Im Januar 1904 Keilexzision aus dem coxalen Femurende auf 
beiden Seiten in der Trochantergegend. Fixation der Oberschenkel 
in rechtwinkliger Abduktion, so daß beide Beine in einer Geraden 


Fig. 13. 



Fig. 12. 



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520 


Carl Helbing. 


stehen. Abnahme des Gipsverbandes nach 6 Wochen. Heilung per 
p. i. Anlegung eines zweiten Gipsverbandes in Abduktion derart 
daß beide Beine einen Winkel von 60 0 einschließen. Nach weiteren 
4 Wochen begann der Junge zu laufen. 

Nachuntersuchung ergibt, daß Beugung, Außenrotation und 
Innenrotation in beiden Hüftgelenken vollkommen unbehindert sind. 
Aktive Abduktion bis zum rechten Winkel möglich, so daß Patient 
mit vollkommen gespreizten Beinen sitzen kann (cf. Fig. 13). Beider¬ 
seits kein Trendelenburgsches Phänomen. Trochanterspitze auf 
beiden Seiten unterhalb der Roser-N^latonschen Linie. Beide 

Beine gleich lang, Entfernung 
Flg ’ 14 ’ des Trochanter vom Malleol. ext. 

47 * 2 cm. Beckenmuskulatur gut 
entwickelt. Leichter flacher 
Rücken, da die physiologische 
Lendenlordose verringert ist 
Patient kann jetzt stundenlange 
Spaziergänge ohne Ermüdungs¬ 
gefühl unternehmen. 

Die mikroskopische Unter¬ 
suchung des exzidierten Keils 
aus der Gegend der unteren 
Trochanterspitze ergibt eine Rarefizierung der Knochenbälkchen. Das 
lymphoide Mark ist sehr spärlich entwickelt und stellenweise ganz 
durch Fettmark ersetzt. Da das untersuchte Stück noch weit von 
dem eigentlichen Krankheitsherd entfernt ist, so hat der Befund 
natürlich keine allzu große Bedeutung, wenn auch die Substitu¬ 
tion des lymphoiden Marks durch Fettmark den Schluß nahelegt, 
daß die Wachstumsenergie dieses jugendlichen Knochens eine ge¬ 
ringere ist, ähnlich wie beim Knochen eines ausgewachsenen Indi¬ 
viduums. 

Ein jetzt aufgenommenes Röntgenbild (Fig. 14) zeigt, daß die 
Operation völlig veränderte statische Verhältnisse am coxalen Femur¬ 
ende geschaffen hat. Die Gelenkpfanne ist jetzt auch in den oberen 
Teilen von den Schenkelköpfen ganz ausgefüllt. Die Epiphysen¬ 
linien verlaufen ganz horizontal, ein eigentlicher Schenbelhalswinkel 
existiert nicht mehr, da die verlängerte Längsachse des Schenkel¬ 
schafts ungefähr die Mitte des Kopfes trifft. Das coxale Femurende 
hat eine bajonettförmige Gestalt angenommen. 


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Die Coxa vara. 


521 


Beobachtung 14. R. K., 7 1 /-* Jahre. Einziges Kind seiner 
Eltern, lernte mit 1 Jahr 2 Monaten das Laufen. Außer Masern 
hat das Kind keine Krankheit durchgemacht, insbesondere nicht an 
englischer Krankheit gelitten. Am Ende des 2. Lebensjahres be¬ 
merkte die Mutter watschelnden Gang. Die Erscheinungen nahmen 
mit der Zeit zu. Später zog er die Füße beim Gehen nach. Ohne 
Schmerzen trat beim Gehen sehr schnell Ermüdungsgefühl auf, so 
daß der Junge noch mit dem 3. Lebensjahre viel getragen werden 
mußte. Im Mai 1902, im Alter yon 4 Jahren, wurde Patient unserer 
Behandlung überwiesen. Damals wurde folgender Status aufge¬ 
nommen: 

Für sein Alter zart gebauter Junge, keine Zeichen überstan¬ 
dener Rhachitis, hochgradige Lendenlordose. Beine zeigen keine 
Auswärtsrotatiou, sind dagegen so stark adduziert, daß die Kniee 
beim Gehen immer gegeneinander gerieben werden. Spreizbewegungen 
vollkommen unmöglich. Rotations- und Beugebewegungen frei. 
Trendelenburgsches Phänomen auf beiden Seiten positiv. Die 
Trochantergegend erscheint bei der Betrachtung der seitlichen Körper¬ 
kontur verbreitert. Trochanter beiderseits 3 cm über der Roser- 
Nölatonschen Linie. 

Das im Juli 1902 aufgenommene Röntgenbild (Fig. 15) zeigt 
am Becken keine Besonderheiten. 

Am rechten coxalen Femurende sieht man an der Stelle des 
Schenkelhalses eine ca. 1 cm breite, vertikal verlaufende, vollkommen 
durchlässige Zone, an die sich medialwärts ein schwacher, als 
Knochenkern des Schenkelkopfes anzusprechender Schatten anschließt. 
Der größte Durchmesser dieses Knochenkerns beträgt nur 1,6 cm. 
Er liegt exzentrisch zur Pfanne, sein höchster Punkt noch 0,8 cm 
unterhalb des Y-förmigen Knorpels. Seine untere Hälfte hat keinen 
Berührungspunkt mehr mit der Pfanne, er findet sich also in einer 
gewissen Subluxationsstellung nach unten und ist außerdem um seine 
sagittale Achse nach außen gedreht, so daß er in stärkster Abduk¬ 
tionsstellung sich befindet. Legt man bei der Bestimmung des 
Schenkelhalswinkels den Mittelpunkt des Knochenkernes vom Kopfe 
zu Grunde, so beträgt der Winkel 80°, der Epiphysenwinkel = 10 °. 
Trochanterkern noch nicht vorhanden, Schenkelschaft zeigt keine 
Verbiegung. 

Am Röntgenbild ist also bei dem 4jährigen Knaben noch gar 
nichts von einem knöchernen Schenkelhals zu sehen, an seiner Stelle 


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Carl Helbing. 


findet sich eine 1 cm breite, unregelmäßig begrenzte annähernd verti¬ 
kal verlaufende und nach unten sich verbreiternde Zone von Knorpel¬ 
substanz, die mit der Knorpelfuge zusammenfällt. 

Fast die gleichen Verhältnisse finden sich an der linken Hüfte, 
nur ist hier der Knochenschatten der Kopfepiphyse etwas dunkler 
und die Knorpelzone hat die Gestalt eines spitzwinkligen Dreiecks 
mit der Basis nach unten angenommen. Auch ist ihre Begrenzung 
noch unregelmäßiger, als auf der rechten Seite. 

Da sich der Junge nur noch mühsam fortbewegen konnte, und 
eine auch nur minimale Spreizung der Beine überhaupt nicht mög- 


Fig. 15. Fig. 16. 



lieh war, so entschloß man sich im November 1902 zur Resektion 
des coxalen Femurendes unterhalb des Trochanter auf beiden Seiten. 

Nach Freilegung des Trochanter durch einen Längsschnitt wird 
mit dem Meißel ungefähr 4 cm unterhalb der Trochanterspitze der 
Schenkelschaft quer durchtrennt, die Muskelinsertionen vom Tro¬ 
chanter mit möglichster Schonung abgetrennt und nach Eröffnung 
des Hüftgelenks und Durchtrennung des Ligamentum teres und des 
Kapselansatzes der Kopf mit Schenkelhals und Trochanter in einem 
Stück entfernt. Der Trochanter minor wird in die Gelenkpfanne 
eingestellt und die Beine in einen Winkel von 45 0 zur Körperachse 
durch Gipsverband auf 6 Wochen immobilisiert. Die Heilung er¬ 
folgte per p. i. Nachbehandlung bestand in Massage und gymnasti¬ 
schen Uebungen, insbesondere Abduktions- und Adduktionsbewegungen 
und Fixation der Beine durch Schienenhülsenapparate. Während das 
linke Bein bald gut adduziert werden konnte, leistete das rechte 
Bein den Adduktionsbewegungen großen Widerstand. Es mußte 


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Die Coxa vara. 


523 


deshalb noch im Juli 1903 zur Beseitigung der Abduttionstontrak¬ 
tion eine quere Osteotomie des Oberschenkels analog der subtrochan- 
teren Osteotomie vorgenommen werden. 

Das 2 Monate nach dieser Operation aufgenommene Röntgen¬ 
bild (Fig. 16) zeigt, daß die obere mediale Spitze des linken Schenkel¬ 
schaftes gut in der Gelenkpfanne steht und ca. 1 cm unterhalb des 
Y-förmigen Knorpels sich findet. Auf der rechten Seite ist durch 
die nachträgliche Osteotomie eine Art künstlichen Schenkelhalses ge¬ 
schaffen worden, der mit dem Schenkelschaft einen Winkel von 130° 
bildet. Das Ende hat sich hier zu einer Kugelkappe gut abgerundet 
und steht wie ein Schenkelkopf gut in der Pfanne. 

Eine spätere Nachuntersuchung ergibt folgendes: 

Beide Oberschenkel sind etwas zu kurz im Verhältnis zu der 
Körpergröße, der linke ist stärker im Wachstum zurückgeblieben 
und ca. 3 cm kürzer. Lendenlordose geringer als normal. Es be¬ 
steht eine linkskonvexe statische Lumbalskoliose. Pelvitrochantere 
Muskulatur und die des Oberschenkels gut entwickelt. Links ist 
das Trendelenburgsche Phänomen noch vorhanden, rechts nicht 
mehr. In der rechten Hüfte sind alle Bewegungen ziemlich be¬ 
schränkt. Die Abduktion ist bis zum Winkel von 15 0 möglich. In 
der linken Hüfte gelingt die aktive Spreizung bis zum Winkel von 
30°, die Beugung bis zu 17°. Rotationsbewegungen fast ganz frei. 
Auf beiden Seiten ist der höchste Punkt des Oberschenkelknochens 
in der Höhe der Ros er-Nelaton sehen Linie. Hervorzuheben ist 
noch, daß eine 1 Jahr früher vorgenommene Nachuntersuchung nur 
eine Verkürzung des linken Beines um 1 1 /s cm ergeben hat, so daß 
das Wachstum des linken Beines im letzten Jahre um l 1 /» cm zu¬ 
rückgeblieben ist. Die Gesamtkörperlänge des Jungen beträgt 1 m 7 cm. 
Abstand des Nabels von der Fußsohle 64 cm, Länge des rechten 
Beins 55 cm, des linken Beins 52 cm. 

Beschreibung des Resektionspräparates von der linken Hüfte 
(Fig. 17 und 18): Der Femurkopf hat überall einen glatten Knorpel¬ 
überzug, der Ansatzpunkt des Ligamentum teres sieht bei senkrechter 
Stellung des Schenkelschaftes nach unten und innen, der Kopf hat 
also seine Stellung zum Schaft derart verändert, daß er nach unten 
und ganz wenig nach hinten abgebogen erscheint. Seine höchste 
Wölbung sieht also nach abwärts. Abgesehen davon, daß der Kopf 
in seinem sagittalen Durchmesser etwas verringert ist und im fron¬ 
talen ausgezogen erscheint, zeigt er keine Unregelmäßigkeit. Die 


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524 


Carl Helbing. 


geringe Abbiegung des Kopfes von der frontalen Ebene nach hinten 
tritt nur bei der Betrachtung des Präparates von oben in die Er¬ 
scheinung und beträgt höchstens 10°. Der Kopf grenzt sich gegen 
den Schenkelhals an der Vorderfläche des Präparates in einer zackigen 
mit der Konkavität medialwärts gerichteten Bogenlinie ab; bei senk¬ 
rechter Stellung des Schenkelschaftes verläuft diese Linie genau 
vertikal. Der Schenkelhals hat an seiner vorderen Fläche eine Länge 
von 0,7 —1,3 cm, am längsten ist er an seiner oberen Begrenzung 
zwischen Trochanter major und Kopf. Der Uebergang zwischen 
Kopf und Schenkelhals macht sich vorn nur durch eine minimale 



Fig. 17. 


Fig. 18. 



Einsattelung bemerkbar. An der Hinterfläche des Präparates be¬ 
trägt die größte Länge des Schenkelhalses 1,6 cm. Hier zeigt der 
Schenkelhals eine stärkere Verjüngung. Die Dicke des Kopfes be¬ 
trägt in seinem sagittalen Durchmesser 3,1 cm, die des Schenkel¬ 
halses 3,7 cm. Die ganze Oberfläche des Schenkelhalses zeigt einen 
Knorpelüberzug und setzt sich dadurch äußerlich scharf ab gegen den 
Trochanter major und die Femurdiaphyse, die beide durch Muskel¬ 
ansätze eine rauhe Oberfläche haben. Durch die Kürze des Schenkel¬ 
halses und die Abbiegung des Kopfes nach unten und nach rück¬ 
wärts hat sich der Kopf dem Trochanter minor so genähert, daß 
sein Knorpelrand von der Spitze des Trochanter minor nur 6 mm 
entfernt ist. Die Spitze des Trochanter überragt bei senkrechter 
Stellung des Schenkelschaftes den höchsten Punkt des Kopfes um 
1 cm. Auf einem frontalen Durchschnitt durch das Präparat sieht 
man im Kopf einen Knoehenkern, dessen größte Länge 1,8 cm be¬ 
trägt. Die Zone, die dem Schenkelhals entspricht, ist auf dem 


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Die Coxa vara. 


525 


Durchschnitt 1 cm breit und noch vollkommen knorplig, ebenso weist 
der Trochanter major noch keinen Knochenkern auf. 

Am besten sind die Verhältnisse auf einem Röntgenbilde zu 
sehen (Fig. 19), die von einem frontalen Furnierblatte des rese¬ 
zierten Femurendes angefertigt ist. Der Knochenkern des Femur¬ 
kopfes zeigt eine von seinem Zentrum ausgehende dendritische Ver¬ 
zweigung. In dem knorpligen Schenkelhals sind an seiner unteren 
Hälfte mehrere hirsekorngroße verknöcherte Partien eingelagert. 
Der knöcherne Schenkelschaft zeigt in seinem distalen Teil noch die 
schöne Anordnung der senkrecht sich kreuzenden, in einem Winkel 
von 45° von der Corticalis entspringenden Verstärkungsbälkchen. 
Nach oben zu verwischt sich 
diese Spongiosastruktur. Die 
Corticalis zeigt an dem Winkel 
zwischen dem unteren Schenkel¬ 
halsrand und medialen Schen¬ 
kelschaft eine besondere Ver¬ 
dickung, der Ad am sehe Bo¬ 
gen ist nicht ausgebildet. 

Dieselben Verhältnisse 
zeigt das Präparat des rechten 
resezierten Femurendes. 

Zur mikroskopischen Un¬ 
tersuchung wurde das aus der 
Mitte des Präparates entnommene Furnierblatt verwendet, und nach 
seiner Entkalkung und Einbettung ein Schnitt durch das ganze Prä¬ 
parat gelegt. 

Der mikroskopische Befund ist folgender: Die Zone, welche 
der Epiphysenlinie entspricht, d. h. also im Präparate der Ueber- 
gang der knorpligen Kopfepiphyse zum Schenkelhals, stellt eine 
ganz unregelmäßig begrenzte Kurve dar. Die Knorpelzellen liegen 
hier regellos in dichten Haufen. Gruppen von solchen sind wieder 
von reichlicher Interzellularsubstanz umgeben. Die Anordnung der 
Knorpelzellen selbst zeigt an keiner Stelle eine Andeutung von 
säulenförmiger Gruppierung. Die knorplige Interzellularsubstanz über¬ 
wiegt außerordentlich an Masse und zeigt stellenweise eine faserige 
Beschaffenheit und manchmal krümliche Verkalkung. Am Rande 
der unregelmäßig begrenzten, als Epiphysenfuge zu betrachtenden 
Zone sind die Knorpelinseln häufig in osteoides Gewebe verwandelt 



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526 


Carl Helbing. 


und zeigen manchmal auch krümliche Verkalkung. Nur an ganz 
wenigen Stellen ist überhaupt großzelliger, aus seinem Ruhezustand 
erwachter Knorpel zu sehen, eine Schichtung zeigt er jedoch nicht 
Nähert man sich dem Uebergang des Schenkelhalses in den Schenkel¬ 
schaft, so ist das Knorpelgewebe gegen den Knochen keineswegs 
scharf abgegrenzt. Die Knorpelinseln dringen ganz unregelmäßig 
zwischen die Bälkchen ein, und Markräume sind ringsum von Knorpel 
umgeben. Die Knochenbälkchen sind auffallend schmal und zart, 
vielfach verästelt, an der Peripherie fehlt die sonst typische Lage 
von Osteoblasten. Im Zentrum der Knochenbälkchen finden sich 
noch eingeschlossene Knorpelreste, die manchmal krümlige Ver¬ 
kalkung aufweisen. Das Knochenmark hat, trotzdem es von einem 
kindlichen Knochen stammt, seinen lymphoiden Charakter vollständig 
verloren und ist stellenweise auffallend blutreich; in ihm finden sich 
auch freie Blutextravasate. Es stellt meist ein Maschenwerk von 
Spindelzellen und sternförmigen Zellen mit wenig Interzellularsub¬ 
stanz dar, auch sein Gehalt an Fettzellen ist recht gering. Der 
knorplige Teil des Kopfes besteht ausschließlich aus ruhendem, 
kleinzelligem Knorpel mit reichlicher Interzellularsubstanz. Der im 
Röntgenbild als Knochengewebe imponierende Schatten ist nach der 
mikroskopischen Untersuchung kein echter Knochen, sondern besteht 
aus unregelmäßig angeordneten verschieden großen Inseln, krümlig 
verkalkten Knorpelgewebes. Außerdem finden sich in der Kopf- 
epipbyse noch Inseln, die außer Blutgefäßen und Blutextravasaten 
aus fibrillärem Bindegewebe bestehen. Gegen die Peripherie dieser 
Inseln zu nimmt auch das umgebende Knorpelgewebe eine faserige 
Beschaffenheit an. Die Knochenbälkchen in der Femurdiaphyse sind 
ebenfalls zart und vielfach verästelt und treten hinter den großen 
Markräumen an Masse sehr zurück. Vorgänge von lakunärer Resorp¬ 
tion, wie sie bei der geringen Entwicklung des Knochengewebes 
zu erwarten wären, können nicht beobachtet werden. 

Wenn wir den mikroskopischen Befund nochmals zusammen¬ 
fassen, so fällt vor allem der Mangel irgendwelcher Wachstums¬ 
energie an dem Gewebe auf. Entzündliche Prozesse oder solche, 
die wir als rhachitische auffassen könnten, fehlen. Wenn auch 
heute noch nichts über den uns noch gänzlich unbekannten Krank¬ 
heitsprozeß ausgesagt werden kann, so steht doch so viel auf 
Grund der mikroskopischen Untersuchung fest, daß sowohl der 
Knorpel als auch der Knochen seine bioplastische Energie 


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Die Coxa var». 


527 


verloren hat und das Gewebe gewissermaßen in einem Ruhe¬ 
zustände verharrt, wie wir es nur bei einem vollkommen fertigen 
Knochen zu erwarten hätten. Es ist also hier nicht nur eine Ver¬ 
zögerung der Knochenbildung, sondern ein direkter Mangel jeder 
Knochenneubildung vorhanden. 

Beobachtung 15. 6jähriges Mädchen mit erheblicher Lenden¬ 
lordose, geringer Adduktionsstellung beider Beine, keine wesentliche 
Außenrotation, watschelnder Gang. Am Röntgenbilde (Fig. 20) zeigt 
das Pfannendach leichte Steilstellung derart, daß es mit einer Hori¬ 
zontalen links einen Winkel von 
35°, rechts von 25° einschließt. 

Die knöcherne Kopfepiphyse liegt 
im unteren Teil der Gelenkpfanne 
an, oberer Teil der letzteren ist 
leer, und der höchste Punkt des 
Schenkelkopfes liegt noch unter¬ 
halb des Y-förmigen Knorpels. 

Außerdem hat der Kopf eine Drehung um seine sagittale Achse nach 
außen erfahren (Abduktionsstellung), die Epiphysenlinie verläuft dadurch 
vertikal, der Epiphysenwinkel beträgt beiderseits 10°. Der untere 
Teil der linken Epiphysenfuge teilt sich wieder gabelförmig und 
schließt ein dreieckiges Stück vom knöchernen Kopf ein, das be¬ 
sonders stark aufgehellt und fleckig erscheint. Linker Schenkelhals¬ 
winkel 85°. Am rechten coxalen Femurende sind die Verhältnisse 
fast die gleichen, nur beginnt die Teilung der Epiphysenlinie schon 
im oberen Drittel, Schenkelhalswinkel 80°; Trochanterkeme beider¬ 
seits deutlich. 

Beobachtung 16. G. H., 8 Jahre alt, gesundes, kräftig 
entwickeltes Mädchen, keine Deformitäten in der Familie. Die 
Eltern bemerkten schon bei den ersten Gehversuchen einen wat¬ 
schelnden Gang des Kindes. 

Das Röntgenbild (Fig. 21) zeigt auf beiden Seiten eine hochgradige 
Verkleinerung des Schenkelhals winkeis. Rechts beträgt derselbe 76°, 
links 78 °. Der Epiphysen winkel ist ein negativer und beträgt beider¬ 
seits — 12°. Der Kopf hat auf beiden Seiten wieder eine Drehung 
um seine sagittale Achse nach außen erfahren, nur die obere Hälfte 
steht noch in der Gelenkpfanne, die untere hat mit ihr keine Be¬ 
rührungspunkte mehr. Der Schatten des unteren Teils des Gelenk- 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XV. Bd. 34 



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528 


Carl Helbing. 


kopfes ist besonders stark auf¬ 
gehellt. Die Epiphysenlinien 
verlaufen in ihrem oberen Ab¬ 
schnitt vertikal, um in ihrem 
unteren Drittel nach außen 
abzubiegen, so daß ihre Kon¬ 
kavität nach außen und oben 
sieht. Die Drehung des Kopfes 
hat eine Annäherung seines 
unteren lateralen Endes an den 
Trochanter minor bis zur Be¬ 
rührung bewirkt. Trochanter- 
spitze nur wenige Millimeter vom knöchernen Becken entfernt, steht 
2 cm höher als der höchste Punkt des Kopfes. Schenkelschaft beider¬ 
seits ohne Verbiegung. 

Beobachtung 17. A. L., 9 Jahre alt. Die Mutter bemerkte 
bei dem Mädchen vom 2. Lebensjahre ab eine zunehmende Ver¬ 
kürzung des linken Beines. Ir¬ 
gendwelche Verletzung ist bei 
dem Mädchen, dessen watscheln¬ 
der Gang bereits bei den ersten 
Gehversuchen in die Augen fiel, 
nicht vorausgegangen. Am Rönt¬ 
genbilde (Fig. 22) fällt auf der 
stärker affizierten linken Seite 
der ganz enorme Hochstand des 
Trochanters auf. Der Schenkel¬ 
hals ist hier stark verkürzt und 
bildet mit dem atrophischen 
Schenkelschaft einen Winkel von 
50 °. Der durchsichtig erscheinende Kopf ist walzenförmig gestaltet, 
eine Vertikale, als Epiphysenlinie anzusprechende, nach unten sich 
verbreiternde Spalte, die ungefähr in der Linea intertrochanterica 
verläuft, trennt den Schenkelhals vom Schenkelkopf. Epiphysen- 
winkel — 15 °. Auf der rechten Seite beträgt der Schenkelhalswinkel 
90°. Auch hier verläuft die Epiphysenlinie ganz vertikal. Epiphysen¬ 
winkel = 20 °. Die Epiphysenlinien des Trochanter major sind beider¬ 
seits deutlich. 


Fig. 22. 



Fig. 21. 



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Die Cosa vara. 


529 


Die Coxa Tara congenita als scheinbarer Oberschenkeldefekt. 

Eigene Beobachtungen über diese sicher kongenitale Form 
der Coxa vara, die wir erst durch neuere Untersuchungen von 
Reiner [152], Joachimsthal [85], Drehmann [39] und 
Franz [49] kennen gelernt haben, fehlen mir. Der Vollständigkeit 
halber möchte ich hier aber kurz die einschlägigen Fälle zitieren. 

Joachimsthal berichtet über ein 7jähriges Mädchen mit an - 
gebornem Herzfehler, bei welchem die Röntgenuntersuchung an. der 
linken Hüfte eine leichte Abbiegung am oberen Abschnitt des Femur 
und eine hochgradige Coxa vara mit einem Schenkelhalswinkel von 
80 0 erkennen läßt. Am rechten Femur fehlt der obere Teil. Ur¬ 
sprünglich wurde von Joachirasthal der Fall so gedeutet, daß die 
linksseitige Coxa vara als funktionelle Anpassung an den rechten 
Oberschenkeldefekt entstanden sein sollte. Auf Grund der neueren 
diesbezüglichen Erfahrungen muß man jedoch annehmen, daß auch 
auf der rechten Seite kein eigentlicher Defekt vorlag, sondern „daß 
es sich auch hier um eine Vorstufe der Coxa vara congenita ge¬ 
handelt hat, bei der die Diagnose auf dem Röntgenbild nur deshalb 
unmöglich war, weil der obere Abschnitt des Femur noch im knorp¬ 
ligen Zustande verharrte.“ 

Weiter hatte Reiner Gelegenheit, einen bereits von Lange 
beschriebenen Fall von Oberschenkeldefekt nach 5 Jahren nachzu¬ 
untersuchen. Neben einer Hypoplasie der rechten Becbenhälfte be¬ 
steht eine Wachstums Verkürzung des rechten Beines um 12 ! /a cm. 
Die Gelenkpfanne annähernd normal weit, der Oberschenkel zeigt 
eine Coxa vara hohen Grades, derart, daß die Verkürzung, welche 
der Oberschenkel durch die Coxa vara allein erfährt, 4 cm beträgt. 
Die Epiphysenlinie des Kopfes verläuft nicht horizontal, sondern 
nach abwärts und innen und schließt mit der horizontalen einen 
Winkel von 35—40° ein. 

Die Beschreibung eines 3. Falles verdanken wir Dreh mann, 
welcher einen Knaben mit linksseitigem Oberschenkeldefekt ö x /2 Jahre 
lang beobachten und während dieser Zeit das Wachstum des Ober¬ 
schenkels im Röntgenbilde genau studieren konnte. Im Alter von 
5 Jahren bestand bei dem Knaben eine Verkürzung des linken Beines, 
die auf eine mangelhafte Entwicklung des linken Oberschenkels zu¬ 
rückzuführen war. Das obere Femurende trat nach Art eines Tro¬ 
chanter hervor und stand mit diesem umgebogenen Ende beträcht- 


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530 


Carl Helbing. 


lieh über der Roser-Ndlatonsehen Linie. Die Beweglichkeit des 
Beines war in der Hüfte nach allen Seiten frei; man hatte den 
Eindruck, als ob eine Luxation des coxalen Femurendes auf das 
Darmbein bestünde. Ein 2 Jahre später aufgenommenes Röntgen¬ 
bild zeigt eine gute Ausbildung des Kniegelenks und der unteren 
Femurdiaphyse. Das obere Diaphysenende verjüngt sich nach oben 
zu und biegt sich nach dem Darmbeinkamm zu etwas ab. Von 
diesem abgebogenen Ende ziehen einige Stränge nach der Pfanne 
hin, in welchen wir schon das Vorhandensein von Knochensubstanz 
annehmen müssen. Nach weiteren 2 Jahren zeigen sich die Stränge 
im Röntgenbilde vollkommen verknöchert. In der Pfanne liegt jetzt 
ein deutlicher Femurkopf, an welchen sich ein schlanker Hals ansetzt. 

Betrachtet man jetzt das coxale Femurende, so sieht man eine 
hochgradige Coxa vara, bei welcher nicht nur der Schenkelhals, 
sondern auch das verkümmerte obere Femurende in die Verbiegung 
einbezogen ist. Das umgebogene Femurende entspricht nicht dem 
Trochanter, sondern einer Knickung in dem oberen Diaphysenteil des 
Femur. 

Ich möchte noch auf die am Röntgenbild deutlich sichtbare 
Pfannenveränderung hinweisen, auf die Drehmann nicht näher ein¬ 
geht. Das obere Pfannendach hat einen mehr schrägen Verlauf und 
bildet mit einer Horizontalen einen Winkel von 40 °, während es 
auf der gesunden Seite fast horizontal verläuft. 

Ein vierter von Joachimsthal beschriebener Fall führt in 
ganz analoger Weise die Beziehungen des Oberschenkeldefektes zur 
kongenitalen Coxa vara vor Augen. Auch hier konnte durch eine 
über 4 Jahre sich hinziehende Beobachtung das Wachstum des defekten 
linken Oberschenkels genau verfolgt werden. Das erste Röntgen¬ 
bild, das von dem Patienten im Alter von 4 Jahren aufgenommen 
wurde, zeigt normale Verhältnisse am rechten Femur; links verläuft 
die verkürzte Femurdiaphyse konisch und endet mit einer kleinen 
Anschwellung. Das oberste Femurende überragt die Gegend des 
Y-förmigen Knorpels um mehrere Zentimeter. Ein zweites 2 Jahre 
später aufgenommenes Röntgenbild zeigt, daß eine obere Epiphyse 
auf der Seite des Oberschenkeldefekts noch vollkommen fehlt, der 
Oberschenkel stark verkürzt ist und sein proximales, breiter gewor¬ 
denes Ende etwas nach innen abgebogen ist. 

Auf den folgenden Röntgenbildern läßt sich nun sehr schön 
die allmähliche Verknöcherung des bisher nur knorpligen oder 


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Die Coxa vara. 


531 


bindegewebigen, zwischen dem nach oben verschobenen Ende der 
Femurdiaphyse und der Hüftgelenkspfanne gelegenen Oberschenkelendes 
verfolgen. Zuerst kommt es zu einer Andeutung des Caput femoris, 
das die Pfannengegend nach unten pilzförmig überragt. Etwas 
lateralwärts davon liegt noch ein kleiner Knochenkern. Das obere 
Diaphysenende ist jetzt schärfer nach innen umgebogen, als auf dem 
früheren Bilde. Zu den beiden hier deutlich werdenden Knochen¬ 
kernen kommt auf dem nächsten Skiagramm ein dritter Knochen¬ 
kern, der zwischen der abgebogenen Femurdiaphyse und dem Caput 
femoris liegt und einen weiteren Fortschritt der Ossifikation andeutet. 
Aus den jetzt vorhandenen Knochenkernen läßt sich die spätere Ge¬ 
stalt des coxalen Femurendes mit Sicherheit Voraussagen. Wie in 
dem von Drehmann beschriebenen Falle wird eine hochgradigste 
Coxa vara mit Abbiegung der proximalen Femurdiaphyse unterhalb 
des Trochanters resultieren. 

Diese Beobachtungen werden in Bezug auf ihr weiteres Schick¬ 
sal in schöner Weise ergänzt durch den fünften von Franz be¬ 
schriebenen Fall, der einen erwachsenen Mann betrifft. Der rechte 
Oberschenkelknochen hat hier eine bedeutende Verkürzung erfahren, 
rechts hat er eine Länge von 25 cm, links von 50 cm. Die Gegend 
des Trochanter steht bedeutend vor und 2 1 /2 cm über der Roser- 
N^latonschen Linie. Abgesehen von hier weniger interessieren¬ 
den anderen angeborenen Deformitäten, läßt sich auf dem Röntgen¬ 
bild eine Hypoplasie der ganzen linken Beckenhälfte erkennen. 
Dann besteht eine hochgradige Coxa vara. Der nach außen als 
Trochanter imponierende Vorsprung ist nicht der Trochanter, son¬ 
dern die Regio subtrochanterica, die wie in dem Falle von Reiner und 
Drehmann eine starke Abbiegung erfahren hat. Endlich zeigt der 
Knochen auf dem Röntgenbild sehr viel mehr hellere Partien in der 
Struktur als auf der gesunden Seite, was den Rückschluß auf mangel¬ 
hafte Ossifikation des Knochens gestattet. 

Als letzten Fall führe ich die Beobachtung von Reiner an, 
welcher bei einer ßmonatlichen männlichen Frucht folgende Ver¬ 
änderungen an der rechten unteren Extremität feststellen konnte: 

Das rechte Bein ist um ca. ein Drittel kürzer als das linke, 
an der Verkürzung beteiligen sich Ober- und Unterschenkel, am 
Unterschenkel fehlt das Wadenbein, die Tibia zeigt etwas unterhalb 
ihrer Mitte eine Abknickung mit nach hinten offenem Winkel, 
welcher 130° beträgt. Kniegelenk normal entwickelt, hat nur 


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532 


Carl Helbing« 


kleinere Querdurchmesser. Der Femurknochen zeigt eine Kontinui- 
tatstrennung in der Regio subtrochanteriea, welche mit Pseudo¬ 
arthrose geheilt ist. Das Hüftgelenk, das im übrigen normal ent¬ 
wickelt, nur in seinen Dimensionen verjüngt ist, zeigt eine ausge¬ 
sprochen deutliche Varusstellung« 

Die Coxa vara congenita als Teilerscheinung einer 
kongenitalen Luxation. 

Beobachtung 18. W. P«, 4 Jahre alt, doppelseitige ange¬ 
borene Hüftgelenksverrenkung. 

Hochgradige Lordose der Lendenwirbelsäule, watschelnder Gang. 
Trochanteren beiderseits 6 cm oberhalb der Roser-Ndlaton sehen 
Linie, Einrenkung der beiden Hüften auf blutigem Wege. Patient 
erlag 16 Tage nach der Operation einer Influenzapneumonie, aus 
dem Leichenpräparat ergibt sich folgendes: 

Beide Schenkelköpfe stehen fest in der Pfanne, der Schenkel¬ 
halswinkel beträgt am linken Oberschenkel 105 °, am rechten 140 
der Richtungswinkel links 15°, rechts 50 °« Der linke Schenkel¬ 
hals zeigt an seinem Ursprung beginnende Abbiegung nach abwärts, 
der Kopf, abgesehen von der Verkleinerung und Verkümmerung 
eine Verlagerung nach abwärts in der Epiphysenlinie. Bei der Be¬ 
trachtung des Präparates von oben zeigt der gegenüber der anderen 
Seite um l p cm verlängerte Schenkelhals eine Verbiegung nach vorn, 
die erst in der äußeren Hälfte stärker wird. Dadurch rückt der 
Trochanter major nach außen und hinten. 

Beobachtung 19. E. J., 10 Jahre alt, doppelseitige an¬ 
geborene Hüftgelenksluxation. Am Präparat ist eine deutliche Ab¬ 
wärtsbiegung des Schenkelhalses vorhanden. Der Schenkelhalswinkel 
beträgt 100°. Der Schenkelhals verläuft zuerst gerade und ist erst 
in seinem äußeren Drittel nach hinten verbogen. Der Trochanter 
major ist flacher wie normal und erscheint nach hinten und innen 
gedrückt und steht so fast senkrecht über dem Trochanter minor. 

Beobachtung 20. Am Präparate einer linksseitigen Hüft¬ 
gelenksluxation von einem 1 ^ 2 jährigen Kinde beträgt der Schenkel¬ 
halswinkel 115°, der Trochanter major ist ebenfalls nach hinten um¬ 
gebogen und steht etwas steiler über dem Trochanter minor wie 
normal. 


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Die Coxa vara. 


533 


Beobachtung 21. G. E., 3 Jahre alt, linksseitige ange¬ 
borene Hüftgelenksluxation, Nach der Reposition für 3 Monate Fi¬ 
xation im Gipsverband, danach erscheint der Schenkelhalswinkel bis 
zum rechten Winkel verkleinert. 

Wie in dem zuletzt geschilderten Falle erwähnt Ludloff [121] 
ebenfalls 2 Fälle von einseitiger kongenitaler Hüftgelenksluxation, 
bei welchen erst nach der Reposition Verbiegung des Schenkelhalses 
eingetreten ist. Er führt diese auf den Zug der pelvitrochanteren 
Muskeln zurück und auf die längere einseitige Belastung des fixierten 
Gelenkes. Unsere Beobachtungen 18, 19 und 20 zeigen jedoch, daß 
es Fälle von kongenitaler Hüftgelenksluxation gibt, bei welchen schon 
vor einer solchen länger dauernden Belastung eine Coxa vara bestan¬ 
den hat, die als eine kongenitale Deformität aufgefaßt werden muß. 

Coxa yara congenita kombiniert mit angeborenen Deformitäten 

anderer Gelenke* 

Am bekanntesten sind die Fälle von Coxa vara, in welchen an 
der einen Hüfte eine kongenitale Hüftgelenksluxation, an der anderen 
die Schenkelhalsverbiegung besteht. Diese Fälle sind im allgemeinen 
so gedeutet worden, daß ihre Entstehung auf eine stärkere Beanspru¬ 
chung der ursprünglich gesunden Seite zurückgeführt worden ist. Es 
ist sicher, daß auf diesem Wege Schenkelhalsverbiegungen, welchen 
so eine funktionelle Bedeutung zukäme, entstehen können. Sie sind 
dann in dieselbe Kategorie der Sch enkelhals Verbiegungen unterzu¬ 
bringen, von denen wir bereits bei der Beschreibung der einseitigen 
kongenitalen Coxa vara mit rhachitischer Verbiegung der anderen 
Seite gesprochen haben (z. B. Beob. 5 u. 6). 

Albert [4] beschreibt zwei anatomische Präparate, welche die 
beachtenswerte Kombination einer Luxation der einen Hüfte mit 
Schenkelhalsverbiegung der anderen aufweisen. 

An dem einen Präparat, das von einer 33jährigen Frau stammte, 
fand sich ein nicht verkürzter, aber ganz horizontal gestellter Schenkel¬ 
hals, der in dem Sinne einer Drehung des oberen Randes nach vorn 
und unten eine Torsion aufwies. 

In dem anderen Präparate von einem 14jährigen Mädchen war 
auf der gesunden Seite der Femurhals kürzer und wagrecht gestellt, 
ohne weitere Veränderung. 

Auch Albert faßt die Veränderungen am Schenkelhals als 
Ausdruck einer stärkeren Beanspruchung des Beines auf. 


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534 


Carl Heibing. 


Dieselbe Deutung gibt Ludloff [121] einem Röntgenbilde 
von einem 17jährigen Mädchen mit angeborener einseitiger Hüft- 
luxation, bei der auf der gesunden Seite eine Coxa vara bestand. 

Ich selbst verfüge über zwei einschlägige Beobachtungen, von 
welchen 1 Fall klinisch genauer von mir untersucht werden konnte. 

Beobachtung 22. C. F., 3 Jahre alt, fing mit 1 3 /i Jahren 
zu laufen an, bei dem Kinde fiel sogleich der watschelnde ßang auf. 
Schmächtig gebautes Mädchen mit Zeichen deutlicher Rhachitis. Er¬ 
hebliche Lendenlordose. Linkes Bein etwa */* cm kürzer wie das rechte, 
bis auf eine geringe Abduktionsbehinderung vollkommen frei beweg¬ 
lich. Die linke Inguinalgegend stärker vertieft, Kopf in der Pfanne 
nicht zu fühlen, Trochanter ca. 2 1 /2 cm über der Roser-Nelaton- 

schen Linie. Das rechte Bein 
steht adduziert und nach außen 
rotiert und zeigt erhebliche Ab¬ 
duktionsbeschränkung. Trochan¬ 
ter 2 cm über der RoSer¬ 
if e lat on sehen Linie, beider¬ 
seits Trendelenburg sches 
Phänomen. 

Das Röntgenbild (Fig. 23) 
ergibt links eine typische Luxatio 
coxae subspinosa. Die Kopfepi¬ 
physe ist in ihrer Verknöche¬ 
rung stark zurückgeblieben, die 
Pfanne zeigt keine Besonderheiten, das Pfannendach ist nahezu hori¬ 
zontal gestellt. Rechterseits füllt der Schenkelkopf die Pfanne voll¬ 
kommen aus, der Schenkelhalswinkel auf 100° verkleinert, der Epi¬ 
physenwinkel beträgt 45°. Die Schenkelhalsverbiegung ist hier wohl 
auf Grund der bestehenden Rhachitis durch die stärkere Bean¬ 
spruchung des ursprünglich gesunden Beines entstanden. 

Von anderer Seite (Alsberg) [ö] wird jedoch die Ansicht 
vertreten, daß das gleichzeitige Bestehen einer Luxation auf der einen 
Seite und Coxa vara auf der anderen Seite möglicherweise eine kon¬ 
genitale Grundlage hat. Alsberg [6] hat in einem solchen Falle 
auch das Hüftgelenk, an welchem die Coxa vara bestand, nicht ganz 
normal gefunden, insofern als der Schenkelkopf die Pfanne nicht ganz 
ausfüllt, sondern vielmehr distalwärts ein leerer Pfannenteil vorhanden 


Fig. 23. 



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Die Coxa vara. 


535 


ist. Dementsprechend schien das Pfannendach weiter proximalwärts 
ausgeweitet zu sein. Dieser Befund ließe sich nach Alsberg so er¬ 
klären, daß bei der Geburt auch der rechte Schenkelkopf am oberen 
Pfannenrand gestanden hat, dann aber nicht bei den ersten Gehver¬ 
suchen luxiert ist, sondern sich vielmehr im Laufe der Jahre über 
dem Gelenkkopf an Ort und Stelle ein neues Gelenkdach gebildet 
hat. Die Subluxationsstellung hat zwar nicht zur konkreten Luxa¬ 
tion geführt, aber am proximalen Femurende ist es zu den anderen, 
bei der kongenitalen Luxation häufig sich ausbildenden Veränderungen, 
nämlich der Schenkelhalsverbiegung, gekommen. Diese Anschauung 
hat auf Grund der Beobachtungen an unseren Fällen von kongenitaler 
Coxa vara sehr viel Bestechendes, denn in fast allen Fällen fand sich 
eine solche Ausweitung des Gelenkdaches, die mit Schrägstellung ver¬ 
bunden war. 


Die Coxa vara auf rhachitischer Basis. 

Die erste Mitteilung einer rhachitischen Schenkelhalsverbiegung 
stammt, wie schon erwähnt, von Fiorani [44] aus dem Jahre 1881. 

Wir verfügen über 24 Fälle von rhachitischer Coxa vara, von 
welchen bereits drei Krankengeschichten (Beob. 5, 6 u. 22) nieder¬ 
gelegt sind. Es sollen hier die Krankengeschichten und Befunde 
am Röntgenbilde von den übrigen Patienten kurz zu Protokoll ge¬ 
geben werden. 

Beobachtung 23. W. Sch., 3 Jahre alt. Zweitjüngstes 
Kind von vier Geschwistern. Lernte mit l 3 /4 Jahren das Laufen, 
um nach */ 2 Jahre wieder mit demselben auszusetzen. Damals wurde 
ärztlicherseits englische Krankheit konstatiert. Mit 2*/4 Jahren machte 
dann der Knabe wieder seine ersten Gehversuche. Wegen des wat¬ 
schelnden Ganges und der leichten Ermüdung, die sich manchmal bis 
zu Schmerzen in der Hüfte steigert, suchte die Mutter bei uns ärzt¬ 
liche Beratung. Gut entwickelter Knabe mit Zeichen florider Rhachitis. 

Das Röntgenbild (Fig. 24) ergibt eine Verkleinerung des Schenkel¬ 
halswinkels rechts auf 105, links auf 110°. Becken ohne Besonder¬ 
heiten. Die Epiphysenlinien sind stark verbreitert, die Epiphysen¬ 
winkel betragen 50°. Schenkelhalsspitze beiderseits stark ausgeprägt, 
springt schnabelförmig nach unten und innen vor. Die Schenkelhälse 
erscheinen dicker als normal. 


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536 


Carl Helbing. 


Bei einer 3 Jahre später vorgenommenen Nachuntersuchung zeigt 
der Trochanter rechts einen Hochstand von 1 */* cm, links von */* cm 
über der Ros er-N6latonschen Linie. Dementsprechend ist das linke 
Bein 1 cm kürzer. Leichte links konvexe Lumbalskoliose. Als Zeichen 
abgelaufener Rhachitis noch deutlicher Rosenkranz und Auftreibung der 
unteren Radiusepiphyse. Linkes Bein zeigt außerdem noch eine leichte 
Adduktionskontraktur. Am jetzt aufgenommenen Röntgenbild (Fig. 25) 


Fig. 24. 


TT': _ nt 



ist der Verlauf der Epiphysenlinie ein normaler, Epiphysenwinkel be¬ 
trägt 55°. Becken und Gelenk ohne Besonderheiten. Rechts beträgt 
der Schenkelhalswinkel 120°, links 125°. 

Die Schenkelhalsverbiegung ist also hier inner¬ 
halb dreier Jahre nur mit rein antirhachitischen Ma߬ 
nahmen ohne besondere orthopädische Therapie ausgeheilt. 

Beobachtung 24. L. L., 3 Jahre, lernte erst mit 2Jahren 
das Laufen. Schwächlich gebautes, im Wachstum etwas zurückgeblie¬ 
benes Mädchen. Zeichen deut- 


Fig. 26. 


licher Rhachitis. Leicht wat¬ 
schelnder Gang. Trendelen- 
b u r g sches Phänomen positiv, 
ganz geringe Verbiegung der 
Oberschenkeldiaphysen nach vorn 
und außen. Leichte Genua valga, 
Pedes plano-valgi, geringerlinks¬ 
seitiger Torticollis. Linker Tro¬ 
chanter l ji cm oberhalb der Ro¬ 
ser -Nelatonsehen Linie. 



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Die Coxa vara. 


537 


Am Röntgenbild (Fig. 26) bilden die Epiphysenlinien mit dem 
Schenkelschaft einen Winkel von 45° und sind etwas verbreitert. 
Schenkelhalsspitze beiderseits stark nach unten und innen prominent, 
biegt sich hakenförmig um. Schenkelhalswinkel rechts 115, links 118°. 


Beobachtung 25. G. R., 5 1 /ä Jahre, hat vier Geschwister, 
von welchen zwei an englischer Krankheit gelitten haben. Das 
Mädchen hatte selbst schwere Rhachitis und machte erst im 4. Le¬ 
bensjahre die ersten Gehversuche. Von Krankheiten hat es Wind¬ 
pocken, Masern, Stickhusten, Lungenentzündung und Ziegenpeter 
durchgemacht. Vor 2 1 /* Jahren kam es zu uns in Behandlung, weil 
es eine Rückgratsverkrümmung 
und watschelnden Gang zeigte. 

Bei längerem Gehen bestehen 
Schmerzen in der Hüfte, die 
Beine, besonders das linke, kön¬ 
nen nur wenig abduziert werden, 
im übrigen sind alle anderen 
Hüftbewegungen frei. Ober¬ 
schenkel zeigen eine erhebliche 
nach vorn und außen konvexe 
Verbiegung. 

Am Röntgenbild (Fig. 27) 

ist das Pfannendach beiderseits wohlgebildet, die Köpfe sind leicht 
nach unten subluxiert und lassen den oberen Teil der Gelenkpfanne 
frei. Ihr Knochenschatten ist überall gleich dicht und nicht kleiner, 
als es dem Alter des Kindes entspricht. Die Epiphysenlinien stellen 
einen nach innen und oben konvexen Bogen dar und sind nicht 
verbreitert. Epiphysenwinkel links 45, rechts 40°. Schenkelhals¬ 
winkel links 105, rechts 98°. Trochanterkerne noch nicht vorhanden. 



Beobachtung 26. A. Sch., 3 Jahre alt. Schwächlich ge¬ 
bauter Knabe mit Zeichen deutlicher Rhachitis. Beine werden beim 
Gehen nachgezogen, und es tritt sehr schnelles Ermüdungsgefühl ein. 
Gang überhaupt sehr mühsam. Linkes Bein steht in Abduktion von 
20°, Abduktionsbewegungen beiderseits unmöglich. Oberschenkel sind 
erheblich nach außen und vorn konvex verbogen. Pedes plano- 
valgi rhach. 

Das Röntgenbild (Fig. 28) zeigt am Pfannendach beiderseits 


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538 


Carl Helbing. 


eine schrägere Stellung als es dem normalen entspricht. Der obere 
Teil der Pfanne leer. Knochenkerne des Kopfes klein, aufgehellt, 
gefleckt, zeigen zwar überall mit der Pfanne noch Kontakt, stehen 
aber mit ihren obersten Konturen noch 3—4 mm unterhalb des 
Y-förmigen Knorpels. Die Epiphysenlinien sind stark verbreitert, 

Epiphysenwinkel 45°. Die Scben- 
28 * kelhalsspitze tritt scharf nach 

einwärts vor und ist um ein 
gut Teil tiefer gelegen, als der 
tiefste Teil des Kopfes. Der 
Schenkelhals selbst scheint bei¬ 
derseits etwas verlängert. Die 
Entfernung des medialsten Teils 
des Kopfes von der Außenfläche 
des Schenkelschaftes beträgt links 
4,7, rechts 4,2 cm. Schenkel¬ 
halswinkel links 90, rechts 95°. Der rechte Schenkelhals außerdem 
nach außen leicht konvex verbogen. Noch keine Trochanterkerne 
vorhanden. 

Wegen der mangelnden Spreizfähigkeit der Beine entschloß 
man sich im Januar 1904 zu einer Keilosteotomie aus der trochan- 
teren Gegend beiderseits. 

Die Beine werden in eine Abduktionsstellung von 60° durch 
Gipsverband immobilisiert, nach 5 Wochen Abnahme des Verbandes, 

Heilung perprimam intentionem. 



Fig. 29. 


Ueber das spätere Resultat der 
Operation kann nichts Näheres 
angegeben werden, da eine 
Nachuntersuchung nicht zu er¬ 
möglichen war. 


Beobach tu ng 27. R. Sch., 
2 1 /* Jahre. Zeichen von Rha- 
chitis, vermehrte Lendenlordose, 
watschelnder Gang, Trendelen- 
burgsches Phänomen positiv. 
Beide Beine können nur bis zu einem 30° einschließenden Winkel 
passiv abduziert werden und stehen in leichter Außenrotation. Ro- 
tations- und Flexionsbewegungen frei. Beide Oberschenkel nach vorn 



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Die Coxa vara. 


539 


und außen leicht verbogen. Trochanter rechts 2 l ji , links 2 l j% cm 
über der Roser-Ne'laton sehen Linie. 

Das Röntgenbild (Fig. 29) zeigt keine Besonderheiten am Becken 
und an der Pfanne. Epiphysenwinkel beiderseits 45°, Schenkelhals¬ 
winkel links 112, rechts 115°. Trochanterkerne noch nicht vor¬ 
handen. 

Beobachtung 28. E. B., 2 l j± Jahre. Dickes, rhachitisches 
Kind, das erst jetzt Anstalten zum Laufen macht. Watschelnder 
Gang, Trendelenbur g- 
sches Phänomen beiderseits vor¬ 
handen. 

Am Röntgenbild (Fig. 30) 
zeigt die Pfanne keine Beson¬ 
derheiten, die Oberschenkel- 
diaphysen stehen in einer Ab¬ 
duktion von ca. 12°, die Köpfe 
füllen ihre Pfanne überall gleich¬ 
mäßig aus, ihr oberer Rand 
steht in der Höhe des Y-förmi- 
gen Knorpels. Epiphysenwinkel 
beiderseits 40°, Schenkelhalsspitze stark prominent, Schenkelhals¬ 
winkel links 105, rechts 112°, Oberschenkeldiaphvsen ohne Ver¬ 
biegung. 

Beobachtung 29. E. K., 3 Jahre. Schwächliches Kind. 

Am Röntgenbild (Fig. 31) ist das Pfannendach beiderseits fast 
ganz horizontal gestellt. Die gut entwickelte Kopfepiphyse füllt die 
Pfanne gleichmäßig aus, ihr oberer Rand in der Höhe des Y-förmigen 
Knorpels. Die linke Epiphysen¬ 
linie ist von gleichmäßiger 
Breite, Epiphysenwinkel 55°. 

Linker Schenkelhalswinkel 
105°. Rechts steht das Bein 
in einer Abduktion von 12° 
und außerdem in Außenrota¬ 
tion, so daß der 125° betra¬ 
gende Schenkelhalswinkel in 
Wirklichkeit wohl kleiner ist. 

Auch der mehr horizontale 


Fig. 31. 



Fig. 30. 



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540 


Carl Helbing. 


Verlauf der Epiphysenlinie (Epiphysenwinkel = 75°) ist wohl auf 
die stärkere Außenrotation des Beines zurückzuführen. 

Es ist hier nicht mit Sicherheit zu entscheiden, ob es sich 
wirklich um eine einseitige Coxa vara rhach. handelt, oder ob nur 
die Vergrößerung des Schenkelhalswinkels durch die Außenrotation 
vorgetäuscht wird. 

Beobachtung 30, F. Sch., 3 1 /* Jahre. Das kräftig ent¬ 
wickelte Mädchen lernte erst mit 2 l Jt Jahren das Laufen, watscheln¬ 
der Gang, rechts stärker als 
links, Trendelenburgscbes 
Phänomen auf beiden Seiten 
vorhanden. 

Am Röntgenbild (Fig. 32) 
steht das Pfannendach beider¬ 
seits fast horizontal. Der linke 
Schenkelkopf etwas kleiner wie 
der rechte, sein oberer Rand in 
der Höhe des Y-förmigen Knor¬ 
pels. Epiphysenlinien verbrei¬ 
tert, scharf begrenzt, Epiphysenwinkel beiderseits 70°. Schenkel¬ 
hälse erscheinen etwas verlängert, Schenkelhalsspitze nach unten 
hakenförmig abgebogen, Trochanterkerne noch nicht vorhanden, 
Schenkelhalswinkel links 110, rechts 105°. 

Beobachtung 31. Fr. R., 3 Jahre. Anamnese ergibt, daß 
das Kind außer Stickhusten keine Krankheit durchgemacht hat, aber 
erst mit 2 1 /* Jahren zu laufen anfing. Von dem behandelnden Arzt 
wurde angenommen, daß der eine Schenkelkopf nicht in der Pfanne 
saß. Schlecht entwickeltes Kind, leichte Lendenlordose, geringes 
Genu valgum rhach. dextr., Pedes plani rhach. Das Kind kann 
ohne Schmerzen und Ermüdungsgefühl längere Zeit gehen, hinkt 
jedoch auf dem rechten Bein. Abduktionsmöglichkeit rechts geringer 
wie links. Alle übrigen Bewegungen in beiden Hüften frei. Eine 
1 Jahr später vorgenommene Untersuchung zeigt, daß sich die Erschei¬ 
nungen wesentlich gebessert haben. Das rechte Bein ist jetzt noch 
1 cm kürzer als das linke, linker Trochanter in der Roser-Nelaton- 
schen Linie, rechter 1 cm oberhalb derselben. 

Am Röntgenbild (Fig. 33) erscheinen beide Schenkelköpfe gleich 
groß, die Begrenzung gegen die Epiphysenlinie ist etwas verwaschen 


Fig. 32. 



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Die Coxa vara. 


541 


und ausgezackt. Links beträgt der Epiphysenwinkel 60 °, der 
Schenkelhalswinkel 120°, Rechts ist der Epiphysenwinkel 42°, der 
Schenkelhals winkel 100°. Der rechte Schenkelhals erscheint gegen¬ 
über dem linken etwas ver¬ 
längert. Außerdem besteht noch 
eine leichte Verbiegung der 
rechten Femurdiaphyse. 

Es liegt also hier eine 
einseitige rhachitische Coxa 
vara vor. 

Beobachtung 32. A.B., 

4 Jahre. Das Mädchen begann 
mit 3 /4 Jahren zu laufen, hörte 
dann aber wieder nach l j\ Jahr 
auf, machte dann erst wieder mit 2 1 /; Jahren Gehversuche, Abgesehen 
von Keuchhusten litt das Kind nur noch an englischer Krankheit. 
Für sein Alter abnorm kleines Mädchen. Körperlänge 75 cm. Caput 
quadratum, aufgetriebener Leib, hochgradige Lendenlordose, leichte 
links konvexe Lumbalskoliose. Starke Verbiegung beider Ober¬ 
schenkel nach vorn und außen. Genu valgum beiderseits, rechts¬ 
seitiger Pes planus, linksseitiger Tarsus valgus metatarsus varus. 
Die Oberschenkel stehen in star¬ 
ker Auswärtsrotation. Abduk¬ 
tionsfähigkeit beider Hüften ca. 

25°, Innenrotation ebenfalls be¬ 
hindert, übrige Bewegungen der 
Hüfte frei. Die Lendenlordose 
gleicht sich in Rückenlage erst 
bei rechtwinkliger Beugung der 
Oberschenkel aus. Linker Tro¬ 
chanter 2, rechter Trochanter 
l 1 ^ cm oberhalb der Roser- 
Nölatonschen Linie. Linkes 
Bein ca. 1 cm kürzer. Beim Gehen watschelt das Kind sehr stark. 
Beiderseits Trendelenburgsches Phänomen positiv. 

Am Röntgenbild (Fig. 34) ist das Pfannendach beiderseits fast 
horizontal gestellt. Die Knochenkerne des Schenkelkopfes noch sehr 
klein, ihre Konturen sind aber überall gleichmäßig weit von der knö- 




Mi 



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542 


Carl Helbing. 


ehernen Pfanne entfernt. Nur ihre mediale Zirkumferenz ist scharf 
begrenzt. Nach der Epiphysenlinie zu werden sie immer durchsich¬ 
tiger, so daß sie mehr eine Mondsichelform haben. Die Epiphysen¬ 
linien erscheinen infolgedessen stark verbreitert. Der Epiphysenwinkel 
beträgt, wenn man nur den obersten Teil der sehr stark konvex ver¬ 
bogenen Femurdiapbyse bei der Messung zu Grunde legt, links 45 ö t 
rechts 55°. Der Schenkelhals ist auf beiden Seiten plump gestaltet 
zeigt keine Verjüngung und setzt sich gegen den Epiphysenknorpel 
in einer scharfen Linie ab. Die Schenkelhalswinkel betragen 95°. 
Trochanterkerne noch nicht sichtbar. 

Beobachtung 33. F. K., 4 Jahre. Lernte das Laufen erst 
mit 2^2 Jahren. Zeichen schwerer Rhachitis. Hochgradige Verbie¬ 
gung der Oberschenkel nach vorn und außen, Genu valga, Pedes 

plani, starke Lendenlordose, die 
sich in Rückenlage erst bei einer 
Flexionsstellung der Oberschenkel 
im Winkel von 120° ausgleicht 
Abduktion behindert, Innenrota¬ 
tion unmöglich, die übrigen Bewe¬ 
gungen sind frei. Trendelen- 
burgsches Phänomen positiv auf 
der rechten Seite. 

Am Röntgenbild (Fig. 35) ist 
die Pfanne gut ausgebildet, das 
knöcherne Pfannendach fast hori¬ 
zontal gestellt, die Kopfepiphyse gibt beiderseits nur einen ganz 
schwachen Schatten, dadurch erscheinen die Epiphysenlinien stark 
verbreitert. Epiphysenwinkel links 65, rechts 55°, Schenkelhals¬ 
winkel links 130, rechts 105°. Der linke Femurschaft zeigt 5 cm 
unterhalb des Trochanter eine scharfe Abknickung nach innen, offen¬ 
bar von einer rhachitischen Infraktion herrührend. 

Es handelt sich also auch hier um eine einseitige Coxa 
vara rhach. 

Beobachtung 34. J. G., 3^4 Jahre. Knabe zeigt noch 
schwere rhachitische Erscheinungen. Infraktion beider Claviculae, 
starke Lendenlordose, rhachitische Verbiegung beider Oberschenkel 
nach vorn und außen. 

Am Röntgenbild (Fig. 36) ist das Pfannendach beiderseits hori- 


Fig. 35. 



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Die Coxa vara. 


543 


zontal gestellt. Die verknöcherte Kopfepiphyse überall im gleichen 
Abstand vom Pfannenrand. Epiphysenlinien gleichmäßig und scharf 
begrenzt, der Epiphysenwinkel beiderseits 55°. Der Schenkelhals 
erscheint verlängert, bildet mit dem oberen Teil der Femurdiapbyse 
einen Winkel von 105°. Die Schenkelhalsspitze ist ganz besonders 
prominent und im Vergleich zum obe¬ 
ren medialen Teil des Schenkelhalses 
aufgehellt. Die Oberschenkeldiaphyse 
weist eine nach außen konvexe Ver¬ 
biegung auf, die in ihrem unteren 
Drittel ganz erheblich ist. Trochanter¬ 
kerne noch nicht vorhanden. 

Beobachtung 35. E. S., 

4 Jahre, schwächliches Mädchen mit 
Erscheinungen von Rhacbitis. Am 
Röntgenbild (Fig. 37) erscheint der 
Knochenkern noch verhältnismäßig 
klein, ist aber vom knöchernen Pfannen¬ 
dach überall gleich weit entfernt. Die 
Epiphysenlinien verbreitert, Epiphysenwinkel 50°. Schenkelhals plump, 
in seinem vertikalen Durchmesser vergrößert, Schenkelhalswinkel 
links 110, rechts 100°. Tro¬ 
chanterkerne noch nicht vorhan¬ 
den , oberer Teil der Femur- 
diaphyse nach außen konvex ver¬ 
bogen, links stärker als rechts. 

Beobachtung 36. H. G., 

4 1 /* Jahre. Schwer rhachitischer 
Knabe, starke Lendenlordose, 
hochgradige Genua vara, winklige 
Abknickung beider Tibien im 
oberen und unteren Abschnitt der 
Diaphyse, so daß die Unterschen¬ 
kel eine nach außen konvexe Kurvatur bilden. — Auf dem Röntgen¬ 
bild (Fig. 38) ist das knöcherne Pfannendach horizontal gestellt. 
Schenkelköpfe eiförmig, klein, die Epiphysenlinien nicht wesentlich 
verbreitert, bilden einen nach oben und innen konkaven Bogen. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XV. Bd. 35 


Fig. 37. 




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544 


Carl Helbing. 


Epiphysenwinkel links 65°, rechts 55 c . 
Die Oberschenkel stehen in leichter 
Außenrotation, so daß der Trochanter 
minor deutlich hervortritt. Knochenkerne 
des Trochanter major noch nicht vorhan¬ 
den. Schenkelhalswinkel links 110, rechts 
105°. Der untere Teil der Femurdia- 
physe ist nach außen konvex verbogen. 
Die beiden Tibien zeigen einen winkligen 
Knick nahe ihrer oberen Epiphysen und 
außerdem stehen die Beine so stark nach 
außen rotiert, daß die Fibula medialwärts 
von der Tibia auf dem Skiagramm erscheint. 

Beobach tung 37. G. K., 5^2 Jahre. Lernte mit2 1 /* Jahren 
das Laufen, hat an Masern und englischer Krankheit gelitten. Den 
Eltern fiel beim Gehen Hinken besonders auf dem linken Bein auf. 

Für sein Alter ungewöhnlich klei¬ 
nes, schwächliches Kind. Körper¬ 
länge 91 cm. Erhebliche Lenden¬ 
lordose, die sich in Rückenlage erst 
bei Beugung der Beine im Winkel 
von 120° ausgleicht. Unterschenkel 
zeigen eine stark nach außen kon¬ 
vexe Verbiegung im unteren Drittel. 
Aktive Abduktionsmöglichkeit des 
linken Beines 25, des rechten 30°. 
Links Trendelenbu r gsches Phä¬ 
nomen positiv. Trochanter steht 
links 3 cm, rechts 2 cm über 
der Roser-NtHatonsclien Linie. Linkes Bein dementsprechend 
um 1 cm kürzer. Die Verbiegung der Unterschenkel wurde durch 
Osteotomie beseitigt. 

Am Röntgenbild (Fig. 39) zeigt knöchernes Pfannendach fast 
horizontalen Verlauf, beide Schenkelköpfe überall gleich weit von 
der knöchernen Pfanne entfernt. Die schmale, scharf begrenzte Epi¬ 
physenlinie verläuft schräg, Epiphysenwinkel links 00, rechts 45°. 
Linker Schenkelhalswinkel = 98, rechter = 118°. Linker Schenkel¬ 
hals erscheint gegenüber dem rechten etwas verlängert. Trochanter- 
epiphysen beiderseits deutlich. 


Fig. 39. 



Fig. 38. 



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Die Coxa vara. 


545 


Beobachtung 38. E. K., 4*4 Jahre, lernte erst mit 
2 1 2 Jahren das Gehen, hinkte von da ab, ermüdete sehr leicht und 
klagte dann bei längerem Gehen über Schmerzen in den Hüften. 
Außer Masern keine Krankheit durchgemacht. Schwächliches Mäd¬ 
chen mit ausgesprochen rhachitischem Habitus. Rechts konvexe 
rhachitische Totalskoliose, leichte Verbiegung der Ober- und Unter¬ 
schenkel. Erhebliche Lendenlordose, Genua valga, Pedes plani. Der 
Trochanter steht rechts 2, links l 1 /* cm über der Roser-Nelaton- 
schen Linie. Die Lendenlordose gleicht sich in Rückenlage erst dann 
aus, wenn man die Beine rechtwinklig flektiert. Abduktionsmöglichkeit 
rechts 25, links 33°, sonst keine Beschränkung der Beweglichkeit 
in den Hüften. Außenrotation über das physiologische Maß hinaus 
möglich. 

Am Röntgenbild (Fig. 40) ist das knöcherne Pfannendach ganz 
horizontal, der eiförmige Kopf überall gleich weit von der Pfanne 


Fig. 40. 


Fig. 41. 




entfernt. Epiphysenlinien schmal, scharf begrenzt, verlaufen schräg 
nach innen und unten. Epiphysenwinkel links G5, rechts 45°. 
Schenkelhalswinkel links 110, rechts 105°. 

An einem zweiten 1 Jahr später aufgenoramenen Röntgenbild 
(Fig. 41) ist außer einer ganz geringen Verkleinerung des Schenkel¬ 
halswinkels (links = 120, rechts = 115°) und einer nach außen kon¬ 
vexen Verbiegung der Oberschenkeldiaphyscn nichts Besonderes zu 
bemerken. Epiphysenwinkel links 70, rechts 50°. 

Es geht daraus hervor, daß hier eine gewisse spontane Hei¬ 
lungstendenz der Schenkelhalsverbiegung besteht. Der Schenkelhals¬ 
winkel hat sich auf beiden Seiten um 10° vergrößert, der Epiphysen- 


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546 


Carl Helbing. 


winkel ist ebenfalls um 5° gewachsen, die Epiphysenlinien haben also 
einen mehr horizontalen Verlauf angenommen. 

Beobachtung 39. 0. P., 8*2 Jahre, für sein Alter ab¬ 

norm kleiner Junge, Zähne ohne Besonderheiten. Als Zeichen über¬ 
standener Rhachitis noch deutlicher Rosenkranz, leichte rechtskonvexe 

Dorsalskoliose, Oberschenkel 
nach vorn und außen verkrümmt 
Unterschenkel zeigen säbel¬ 
scheidenförmige Verkrümmung 
mit Konvexität nach vorn. 
Trendelenburgsches Phäno¬ 
men beiderseits positiv. Die 
nach der Seite etwas ausladende 
Trochanterengegend ist durch 
eine nach der Medianen zu kon¬ 
vexe Vertiefung von der Glutaal¬ 
gegend scharf begrenzt. Beim 
Gehen fällt die freie Becken¬ 
hälfte herunter. Leichte Lendenlordose. Spitze des Trochanter beider¬ 
seits l 1 /* cm oberhalb der Roser-Nelatonschen Linie. Einwärts¬ 
rotation vollkommen behindert. Geringe Abduktionshemmung. Aus¬ 
wärtsrotation über das Normale möglich, Beugebewegungen frei. 

Am Röntgenbild (Fig. 4*2) zeigt das Becken nichts Besonderes. 
Die Epipbysenlinien scharf begrenzt, Epiphysenwinkel links 70, 
rechts 80°, Schenkelhalswinkel 110 ° beiderseits. 

Trotzdem wir hier die ausgesprochenen klinischen Erscheinungen 
einer mittelschweren Coxa vara haben, sind ihre anatomischen Grund¬ 
lagen verhältnismäßig gering. 

Beobachtung 40. P. R., 12 Jahre, hat Masern durchgeraacht 
und an schwerer englischer Krankheit gelitten, so daß er erst am 
Ende des 4. Lebensjahres zu gehen anfing. Bei längerem Gehen 
noch jetzt Ermüdungsgefühl und Schmerzen in der Hüfte. Für sein 
Alter sehr kleiner Junge, leichte Verbiegung beider Oberschenkel 
nach außen, doppelseitiger Plattfuß, vermehrte Lendenlordose, Tren¬ 
del enburgsches Phänomen beiderseits angedeutet, Gang watschelnd, 
Bewegungen in beiden Hüften bis auf eine Behinderung der Abduk¬ 
tion frei. 


Fig. 42. 



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Die Coxa vara. 


547 


Am Röntgenbild (Fig. 43) 
sind die Kopfepiphysenlinien 
durch eine scharfe schräge, 
nach innen und unten konkav 
bogenförmige Linie markiert. 

Schenkelhalswinkel beiderseits 
110°, Epiphysenwinkel 55°. 

Trochanter durch eine knorpe¬ 
lige Epiphyse vom Schaft be¬ 
grenzt. 

Beobachtung 41. E. S., 6 1 j 2 Jahre. Zeichen abgelaufener 
Rhachitis. Watschelnder Gang, links Trend elenburgsches Phä¬ 
nomen deutlich, rechts nur angedeutet. 

Am Röntgenbild (Fig. 44) ist das Pfannendach horizontal ge¬ 
stellt, Kopf füllt die Pfanne 
gleichmäßig und vollkommen 
aus. Epiphysenlinie scharf be¬ 
grenzt, stellt einen nach oben 
und innen konkaven Bogen dar. 

Epiphysenwinkel links 55, rechts 
60°. Schenkelhalswinkel links 
98, rechts 105°. Beiderseits 
Trochanterkerne vorhanden, 

Oberschenkel ganz leicht nach 
außen konvex verbogen. 

Beobachtung 42. J. L., 5*/2 Jahre. Lernte erst mit 
4 8 /4 Jahren das Laufen. Vom Ende des ersten Lebensjahres ab 
Erscheinungen der Rhachitis, sehr schwere Dentition. Kräftig ge¬ 
bautes Kind, adenoide Wucherungen und hypertrophische Mandeln, 
die Beine stehen im Hüftgelenk nach außen rotiert und adduziert. 

Im Röntgenbild (Fig. 45) ist das Pfannendach horizontal gestellt. 
Die noch recht helle knöcherne Kopfepiphyse beiderseits durch eine 
verbreiterte schräg verlaufende, überall gleich breite Epiphysenlinie 
vom plumpen Schenkelhals getrennt. Epiphysenwinkel links 40, 
rechts 42°, Schenkelhalswinkel links 85, rechts 95°. Der Schenkel¬ 
hals erscheint in seinen Durchmessern verdickt, seine obere Hälfte 
ist verdichtet und gibt einen stärkeren Schatten. Links befindet sich 


Fig. 44. 



Fig. 43. 



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548 


Carl Helbing. 


Fig. 45. in der Höhe des Trochanter 

minor eine zweite Abknickung 
im Sinne der Varität, so daß 
der Schenkelhals mit dem dar¬ 
unter liegenden Schenkelschaft 
einen Winkel von nur 70° ein¬ 
schließt. Trochanterkerne bei¬ 
derseits vorhanden. 

In diesem Falle wurde ex¬ 
trakapsulär hart am Trochanter 
aus dem Schenkelhals beiderseits 
ein Keil herausgemeißelt mit nach vorn gelegener Basis. Die Be¬ 
weglichkeit der Hüften nach der Operation anfangs gering, besserte 
sich im Laufe der Jahre. 



Beobachtung 43. E. B., 4 Jahre. Lernte erst im 3. Le¬ 
bensjahre das Laufen, hat Masern, Lungenkatarrh und Rhachitis 
durchgemacht. Kräftig gebautes Mädchen, rechtes Bein verkürzt, 
statische rechtskonvexe Lumbalskoliose, beide Beine stark adduziert. 

rechtes Bein außerdem noch 
Flg ' 46 *’ nach außen rotiert. Die Ober¬ 

schenkel zeigen in ihrem obe¬ 
ren Drittel hochgradige Ver¬ 
biegung nach außen und vorn. 
Rechtsseitiges Genu valgum 
rhach., Pedes plani, Tren¬ 
delenburg sches Phänomen 
beiderseits positiv. Beide Beine 
schließen bei stärkster Abduk¬ 
tion einen Winkel von 45° ein. 
Dabei ist besonders rechts die 
Abduktion stark behindert. Passive Außenrotation vermehrt und 
soweit möglich, daß die Längsachse des Fußes noch über die Frontal- 
ebene hinaus einen nach hinten offenen Winkel von 20° mit derselben 
einschließt. Rechter Trochanter 2 cm, linker */ 2 cm über der Roser- 
Nelatonschen Linie. 

Im Röntgenbild (Fig. 46) beträgt auf der rechten Seite der 
Schenkelhalswinkel 110°, die Varusstellung des Oberschenkels wird 
durch eine zweite Abknickung unterhalb des Trochanter minor noch 



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Google 



Die Coxa vara. 


549 


vermehrt. Epiphysenwinkel 45°, links ist der Schenkelhalswinkel 
nicht verkleinert, Epiphysenwinkel 60°. 

Wir haben es also auch hier mit einer einseitigen Coxa vara 
rhach. zu tun. 

Die sogenannte Coxa vara adolescentium. 

Gerade von der Coxa vara adolescentium, die zuerst die Kennt¬ 
nis der Coxa vara übermittelt hat, verfügen wir nur über wenige 
eigene Beobachtungen, deren Krankengeschichten hier kurz wieder¬ 
gegeben werden sollen. 

Beobachtung 44. H. V., 17 Jahre, Mechanikerlehrling. Als 
Kind soll Patient öfters an Rheumatismus gelitten haben, der sich 
hauptsächlich auf beide Knie lokalisiert hat. An englischer Krankheit 
hat er sicherlich nicht gelitten. Vor einem Jahr traten zuerst 
Schmerzen in der linken Hüfte auf, die nach Einreibungen, Salizyl 
und Bettruhe schnell zurückgingen. Ganz allmählich entstand dann 
eine dem Patienten selbst auffällige Verkürzung des linken Beines. 
Beim Gehen empfindet Patient reißende Schmerzen in der Hüfte, 
Stehen auf dem linken Bein ist ihm unmöglich. Es tritt sehr schnell 
Ermüdbarkeit ein. 

Besonders kräftig gebauter junger Mann, innere Organe ohne 
Besonderheiten. Der Gang ist stark hinkend, das linke Bein steht 
adduziert, nach außen rotiert, der stark prominente Trochanter major 
überragt die Roser-Nelatonsche Linie um 2 cm. Dement¬ 
sprechend ist die Entfernung der 
Spina ant. sup. vom Malleol. ext. 
rechts 93, links 91 cm. Die 
pelvitrochantere Muskulatur links 
atrophisch, Trend elenburg- 
sches Phänomen links positiv, 

Abduktion des linken Beins völlig 
aufgehoben. Die Rotations- und 
Flexionsbewegungen frei. 

Am Röntgenbild (Fig. 47) 
ist das Pfannendach horizontal 
gestellt. Auf der linken Seite 
ist der äußerste Teil desselben mit einem sogar nach unten und 
außen verlaufenden knöchernen Sporn ausgestattet. Korrespondierend 


Fig. 47. 



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550 


Carl Helbing. 


mit dieser Stelle zeigt sich an der äußersten oberen Peripherie des 
Schenkelhalses eine kammartige Vorwölbung, durch die jeder Ab¬ 
duktionsbewegung ein knöcherner Widerstand geleistet werden muß. 
Die Epiphysenlinien nicht mehr erkennbar, Schenkelhalswinkel 120 s . 

Zur Beseitigung der Deformität wird die schräge subfcrochan- 
tere Osteotomie offen ausgeführt mit gleichzeitiger subkutaner Teno- 
tomie der Adduktoren. Unter starker Extension und Abduktion 
wird das Bein im Gipsverband fixiert und auf 7 Wochen immobili¬ 
siert. Der Erfolg der Operation ist bereits nach 2 Monaten ein 
eklatanter. Die 2 cm betragende Verkürzung des Beins ist voll¬ 
kommen ausgeglichen. Das Bein steht in einer Abduktionsstellung 
von 30 0 und kann aktiv bis 45 0 abduziert werden. Bei maximaler 
aktiver Spreizung beider Beine im Stehen schließen die Beine einen 
Winkel von 90 0 ein. 

Beobachtung 45. M. J., 20 Jahre alt, Dienstmädchen. Pa¬ 
tientin gibt an, an englischer Krankheit nicht gelitten zu haben, 
ebenso schließt sie irgend ein Trauma als Ursache ihrer jetzigen 
Erkrankung aus. Seit einem Jahre hat sich das schon längere Zeit 

bestehende Hinken auf dem rechten 
Beine vermehrt, der Gang ist da¬ 
durch immer mühsamer geworden, jetzt 
ist sie nicht mehr im stände, allein 
auf dem kranken Bein zu stehen. 
Das rechte Bein steht in starker Ad¬ 
duktion und Außenrotation. Abduk¬ 
tionsbewegungen nicht möglich, auch 
die Flexion ist in der rechten Hüfte 
nur bis zum Winkel von 90 0 aus¬ 
führbar. 

Am Röntgenbilde (Fig. 48) zeigt 
sich, wie bei der Beobachtung 44. 
das Pfannendach in seinem äußeren oberen Teil durch einen 
knöchernen Vorsprung stärker ausladend. Der Kopf hat seine 
normale Gestalt eingebüßt, erscheint im frontalen Durchmesser kom¬ 
primiert und steht nur mit den unteren zwei Dritteln des Schenkel¬ 
halses in Kontakt. Er erscheint so von der Epiphysenlinie nach 
unten abgerutscht und dabei um eine sagittale Achse nach außen 
gedreht. Das freie obere Ende des Schenkelhalses steht dem sporn- 


Fig. 48. 



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Die Coxa vara. 


551 


ähnlichen Gebilde am Pfannendach gerade gegenüber und verhindert 
so jede Abduktionsbewegung. Lateral von jenem freien Ende des 
Schenkelhalses findet sich noch an seinem oberen Rande eine zweite 
knöcherne Prominenz, durch welche die sonst geradlinige Begrenzung 
eine nach oben und außen konkave Gestalt annimmt. Schenkelhals¬ 
winkel selbst nicht besonders verkleinert = 120 °. Faßt man die 
Linie, in welcher der Schenkelkopf vom Schenkelhals abgerutscht 
erscheint, als Epiphysenlinie auf, so beträgt der Epiphysenwinkel 25 °. 
Die vorgeschlagene subtrochantere Osteotomie wurde abgelehnt. Eine 
weitere Beobachtung des Falles ist nicht möglich gewesen. 


Beobachtung 46. M. 0., 15 Jahre, Gärtner. Seit 2 Jahren 
leichte Ermüdbarkeit des linken Beines, die sich bei längerem Gehen 
zu Schmerzen steigert und hinkender Gang. Die linke untere Ex¬ 
tremität ist 4 cm kürzer, steht 
adduziert und nach außen ro- Fig * 


tiert. Abduktion stark be¬ 
schränkt, die übrigen Bewe¬ 
gungen, von einer leichten 
Behinderung der Innenrotation 
abgesehen, sind frei. 

AmRöntgenbilde(Fig.49) 
ist am Schenkelkopf selbst 
nichts Besonderes erkennbar. 
Der untere äußere Quadrant 


ist dem Trochanter minor 


genähert, linker Schenkelhalswinkel beträgt 110°, Epiphysenlinie 
nicht mehr sichtbar. Rechter Schenkelhalswinkel 130 °. 


An dieser Stelle mögen die Krankengeschichten einiger älterer 
Patienten eingefügt werden, bei welchen die Erscheinungen der 
Coxa vara erst nach der Pubertätszeit im Mannesalter auf¬ 
getreten sind, und die viel Gemeinsames in ihrer Aetiologie auf weisen. 
In allen Fällen handelt es sich um Offiziere, bei welchen die Affek¬ 
tion bemerkbar wurde, als der Dienst sie zu längerem Reiten zwang. 

Beobachtung 47. Hauptmann M., 38 Jahre. Hat als Kind an 
englischer Krankheit gelitten. Als Fähnrich machte ihm schon das 
Reiten mehr Beschwerden als anderen. Beim Stehen und Marschieren 


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552 


Carl Helbing. 


zeigten sich nie Schmerzen. Auch der Gang ist nie nachteilig beein¬ 
flußt gewesen. Erst als Hauptmann verspürte Patient eine plötzliche 
Zunahme der Schmerzen bei längerem Reiten, die sich dermaßen 
steigerten, daß das Reiten allmählich unmöglich wurde, besonders 
auf breiten Pferden. 

Kräftig gebauter muskulöser Mann. Beide Beine stehen in 
leichter Außenrotation, die beiden Trochanteren stehen ungefähr 
2 cm höher als normal. Abduktion ist nur in geringem Maße mög¬ 
lich, dabei kontrahieren sich die Adduktoren straff. 

Am Röntgenbild ist linker Schenkelhalswinkel 125, rechter 105 °. 
Trochanter minor springt stark vor, die Beine stehen also in starker 
Außenrotation. Links ist die Außenrotation stärker als rechts, so 
daß die Verkleinerung des Schenkelhals winkeis geringer erscheint, 
als sie de facto ist. 

In Narkose wurden die Adduktoren subkutan durchtrennt und 
beide Beine in größtmöglicher Abduktion auf dem Extensionstisch 
gestreckt; Fixation in dieser Stellung auf 6 Wochen. Durch Massage 
und Uebungen am Pendelapparat wurde Patient bald soweit her- 
gestellt, daß er seine Beine wie ein normaler Mensch spreizen konnte. 
Jetzt kann Patient die größten Manöver mitmachen und 16—19 Stun¬ 
den ohne die geringsten Beschwerden zu Pferde sitzen. 

Beobachtung 48. Leutnant F., 20 Jahre. Seit 2 Jahren 
Schmerzen bei längerem Reiten, während das Marschieren ohne 
irgend welche Beschwerden möglich ist. Linkes Bein um ca. 1 cm 
kürzer als das rechte. Hinken besteht nicht, doch ist die Abduktion 
beschränkt. 

Am Röntgenbild (Fig. 50) erscheint der Schenkelhals verkürzt, 
Schenkelhalswinkel 110°, der untere Teil der Kopfkappe dem Tro¬ 
chanter minor genähert. 


Beobachtung 49. Oberleutnant V., 29 Jahre. Seit einem Jahre 
Beschwerden, ähnlich den in den beiden vorangehenden Fällen ge¬ 
schilderten. Beine in leichter Adduktion und starker Außenrotation. 

Am Röntgenbild (Fig. 51) springt auf beiden Seiten der Tro¬ 
chanter minor sehr stark hervor, so daß der nach dem Röntgen¬ 
bilde 115° betragende Schenkelhalswinkel sicherlich in Wirklichkeit 
kleiner ist. 


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Die Coxa vara. 


553 


Fig. 50. 



Fig. 51. 



Coxa vara infolge von Osteomalacie. 

Ein diesbezüglich klinisch beobachteter Fall steht mir nicht 
zur Verfügung, ich möchte darum in Kürze die spärlichen Beob¬ 
achtungen aus der Literatur hier anführen. 

Beobachtung von Hofmeister [74]. 34jährige Frau, typische 
funktionelle Störungen in beiden Hüften bei fast völlig freier Außen¬ 
rotation und Flexion. Hochgradige Beschränkung der Abduktion, 
watschelnder Gang, rechter Trochanter 3, linker 2 cm oberhalb der 
Roser-Nölatonschen Linie. Dementsprechend rechtes Bein 1 cm 
kürzer. Die Lendenwirbelsäule ist stark lordotisch verkrümmt. 
Linke Darmbeinschaufel nach innen winklig eingeknickt, untere 
Thoraxapertur ruht den Darabeinschaufeln auf. Schnabelform der 
Symphyse. Die Beckenmasse wie beim osteomalacischen Becken, 
der Druck einzelner Knochen, insbesondere des Beckens, schmerzhaft. 
Bei der vaginalen Untersuchung gibt der Knochen das Gefühl der 
Eindrückbarkeit. Beckeneingang Y-förmig gestaltet. Die Affektion 
entstand im Anschluß an ein Puerperium. 

Beobachtung von Alsberg [5]. 45jährige Frau, bisher immer 
gesund gewesen, hat mehrere normale Entbindungen durchgemacht. 
Seit 4 Jahren Schmerzen und Schwäche in den unteren Extremi¬ 
täten, so daß das Gehen nur mit Hilfe eines Stockes möglich war. 
Schließlich wurde Patientin bettlägerig. Unter Zunahme der Dorsal- 


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554 


Carl Helbing. 


kyphose besserte sich der Allgemeinzustand, so daß Patientin einen 
Teil des Tages außer Bett zubringen konnte. 

Die Knochen des Rumpfes und der Extremitäten druckempfind¬ 
lich, die Rippen federn deutlich. Bei passiven Bewegungen in der 
Hüfte besteht eine Beschränkung der Abduktion und Rotation. 
Trochanteren 3 cm über der Roser-Nölatonschen Linie. Die 
Bewegungen im Hüftgelenk äußerst schmerzhaft. Patientin geht 
6 Jahre nach Beginn der Erkrankung an allmählich zunehmender 
hochgradiger Schwäche im Kollaps zu Grunde. 

Bei der Sektion findet sich an den inneren Organen, abgesehen 
von der durch die Skelettdeformitäten bewirkten Kompression der 
Lungen und Furchen an der Leberoberfläche nichts Besonderes. Die 
Knochen von kautschukähnlicher Konsistenz, überall leicht sclineid- 
bar. Ganz besonders stark ist die Beckendeformität. Die seit¬ 
lichen Beckenwandungen nach einwärts gedrängt, Symphyse springt 
schnabelförmig vor, die Darmbeinschaufeln nach innen umgerollt, 
das Kreuzbein spitzwinklig abgeknickt. Die Konsistenz der Becken¬ 
knochen so weich, daß sie leichter schneidbar sind als die umgeben¬ 
den Weichteile. Brustbein und Rippen zeigen Einknickungen, die 
Wirbel sind zusammengedrückt und schief. Durch die mikroskopische 
Untersuchung wird die Diagnose der Osteomalacie mit Sicherheit 
festgestellt. Die Untersuchung des linken coxalen Femurendes er¬ 
gab folgendes: Der ganze Knochen außerordentlich weich, durch 
leichten Fingerdruck eindrückbar. Der Knochen in seiner äußeren 
Form dadurch verändert, daß der Kopf nach unten abgerutscht er¬ 
scheint. Der Schenkelhals zeigt eine geringe nach vorn konvexe 
Verkrümmung. Schenkelhalswinkel nicht verkleinert. Der Richtungs¬ 
winkel beträgt 29 °. Auf einem Frontalschnitt ist die kompakte 
Substanz außerordentlich reduziert, die Spongiosa weitmaschig mit 
gelbem Knochenmark ausgefüllt. Das Röntgenbild zeigte ebenfalls 
die veränderten Knochenstrukturverhältnisse. Die Corticalis ist von 
faseriger Beschaffenheit und am Adam sehen Bogen leicht gewellt. 
Die Spongiosastruktur verwischt, nur wenige Lamellen noch vor¬ 
handen, die vom Adam sehen Bogen nach der oberen Kopfperipherie 
hinstreben. Die Epiphysenlinie des Kopfes hat einen abnormen 
Verlauf. 

Faßt man das Bild zusammen, so hat man einen hochgradig 
erweichten Knochen vor sich, der der Funktion, die Körperlast zu 
tragen, nicht mehr gewachsen war. Daß trotzdem der Schenkelhals 


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Die Coxa vara. 


555 


in seiner Form so wenig sich verändert zeigte, liegt wohl daran, daß 
die Patientin in ihren letzten Lebensjahren bettlägerig gewesen ist. 

Ein weiteres Präparat ist von Albert [4] beschrieben worden, 
das aus dem Wiener Museum stammt. 

Es handelte sich um eine 54 jährige Frau. Der Eingang zum 
kleinen Becken stellt ein gleichseitiges Dreieck dar, die Pfannen¬ 
ebenen sind mehr frontal eingestellt, die Schenkelhälse nicht ver¬ 
kürzt, wagrecht gestellt und nach hinten gerichtet, zu gleicher Zeit 
so torquiert, als ob der obere Rand über vorn nach unten streben 
wollte. Femurköpfe normal gestaltet. 

Die Coxa vara infolge einer fibrösen Ostitis. 

Die wenigen bisher bekannt gewordenen Fälle sind durch 
Küster [108] und durch v. Brunn [21] zur Kenntnis gelangt. 
An der Hand eines wohl als pathologische Rarität aufzufassenden 
Präparats besprach Küster ,auf dem Chirurgenkongreß 1897 die 
hochinteressante Leidensgeschichte eines 17jährigen Mädchens. 

Im Alter von 5 Jahren hatte sich dasselbe auf ganz leichte 
Traumen hin den rechten Oberschenkel mehrmals gebrochen und 
hinkte von da ab. Einige Tage bevor sie in Küsters Beobachtung 
gelangte, hatte sie sich wieder durch einen leichten Fall eine Fraktur 
des rechten Oberschenkels oberhalb der Mitte zugezogen. Außer 
dieser Fraktur fiel noch folgende Hüftdeformität auf. Das rechte 
stark verkürzte Bein zeigte Flexion, Adduktion und Innenrotation. 
Die Hüfte sprang abnorm stark vor, Trochanter erheblich höher. 
15 cm unterhalb der Spitze des Trochanter fand sich eine Ein¬ 
knickung des Knochens, die bei der Untersuchung deutliche Krepi¬ 
tation aufwies. Spitze des Trochanter 5 cm oberhalb der Roser- 
Nälatonschen Linie. Die Hüftgelenksbewegungen auch in Narkose 
eingeschränkt. Neben dem Oberschenkelbruch wurde nach dem Be¬ 
fund eine veraltete traumatische Hüftgelenksluxation nach hinten und 
oben angenommen, doch stimmten hierzu die Verbreiterung der Hüft- 
gegend und die Stellung des Trochanter major, der zu weit nach 
hinten gerückt erschien, als daß man eine Luxatio iliaca hätte an¬ 
nehmen dürfen, nicht recht zu dieser Diagnose. 

Da die Patientin am nächsten Tage plötzlich an einer frischen 
Lungenentzündung starb, hatte man Gelegenheit, einen genauen Ein¬ 
blick in die Hüftgelenksveränderungen zu gewinnen. Küster be¬ 
schreibt das interessante Präparat folgendermaßen: 


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556 


. Karl Helbing. 


„Der obere Teil des Femur ist in Form eines Hirtenstabes in 
weitem Bogen gekrümmt; zugleich ist Schenkelhals und Kopf so 
stark nach abwärts gebogen, daß beide mit dem Schaft einen sehr 
spitzen Winkel bilden und der Kopf den tiefsten Punkt, die Außen¬ 
seite des großen Rollhügels aber den höchsten Punkt der Abweichung 
einnehmen. Der Kopf ist in der Kapsel gut beweglich, nach deren 
Eröffnung zeigt er sich verkleinert, von Knorpel größtenteils ent¬ 
blößt, aber glatt. Das Ligamentum teres ist in Form eines dicken 
Stranges erhalten. Nur am hinteren Umfang des Kopfes ist noch 
ein Knorpelüberzug vorhanden, der sich auf den hinteren und oberen 
Umfang des Halses bis zum großen Trochanter und bis zum Anfang 
der stark erweiterten Kapsel in einen knorpelähnlichen Ueberzug 
fortsetzt. An der Innenseite ist der Kopf vom Halse durch eine 
tiefe Furche abgesetzt, mit welcher der Hals auf dem hinteren oberen 
Pfannenrande reitet; darüber liegt ein ebenfalls dem Halse ange- 
böriger Buckel, welcher in einer Art zweiter Gelenksfläche auf der 
äußeren Darmbeinfläche sich bewegt. Auch dieses Gelenk liegt 
innerhalb der Kapsel, doch ist dieser Teil durch eine halbmondför¬ 
mige Falte von dem übrigen Teil der Kapselhöhle abgegrenzt. Kopf 
und Hals am linken Femur sind außerordentlich fest, die obere 
Epiphysenlinie ist verschwunden . . . Der ganze rechte Oberschenkel¬ 
schaft ist von außen nach innen sehr zusammengedrückt; größte 
Breite 2 cm, größter Durchmesser von vorn nach hinten 5 cm, er 
ist von einem verdickten, speckartigen Periost überzogen.* 

Einen ganz ähnlich gelagerten zweiten Fall hat dann noch in 
jüngster Zeit v. Brunn aus der v. Brunsschen Klinik beschrieben. 

Es handelt sich um ein 10jähriges Mädchen, das im 4. Lebens¬ 
jahre nach einem Fall den rechten und * 2 Jahr später bei einem Fall 
über einen Graben den linken Oberschenkel brach. Von dem 7. Lebens¬ 
jahre ab wurde das Gehen mühsam. Mit 9 Jahren erlitt sie bei einem 
Sprung von 1 l j* m Höhe einen Bruch des rechten Unterschenkels. 

Kräftiges über ihr Alter hinaus entwickeltes Mädchen. In 
Rückenlage sind bei gerade gestelltem Becken die Beine etwa in 
der Mitte des Oberschenkels gekreuzt. Aus der hochgradigen 
Adduktionsstellung ist eine Abduktion ohne Mitbewegung des 
Beckens nicht möglich. Außenrotation in den Hüften über das 
physiologische Maß hinausgehend. Innenrotation beschränkt. Beuge- 
und Streckbewegungen ganz frei. Die Ueberstreckung ist auf der linken 
Seite bis zu einem nach hinten offenen Winkel von 65° möglich. 


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Die Coxa vara. 


557 


Beim Stehen wird die gekreuzte Stellung der Beine beibehalten. 
Dabei ist das rechte Bein stärker nach außen rotiert. Rechts be¬ 
steht ferner noch ein Genu valgorecurvatum. Doppelseitiger Pes 
valgus. Rechte Spitze des Trochanter major 1 ja cra oberhalb der 
Roser-Nölatonschen Linie. Nach unten und vorn vom Trochanter 
fühlt man am Oberschenkel eine starke Auftreibung des Knochens, die 
sich nach abwärts verjüngt, aber bis in die Mitte des Femur nach¬ 
weisbar ist. Linker Trochanter in der Höhe der Roser-Nölaton- 
schen Linie. 

Das Röntgenbild zeigt rechts den Schenkelkopf in der Pfanne. 
Der Hals ist in seiner Form und in seiner Stellung zum obersten 
Teil des Schenkelschafts nicht wesentlich verändert. Trotzdem kommt 
eine starke Verbiegung im Sinne der Coxa vara dadurch zu stände, 
daß der Schaft 3 Finger breit unterhalb der Spitze des Trochanter 
eine Abknickung in einen medialwärts offenen Winkel von 135 0 
erfährt. Die Spitze ist umgeben von einem besonders dichten 
Knochenschatten. Im Gegensatz dazu ist die äußere Hälfte des 
Oberschenkelschaftes auffallend hell. 

Links steht der Kopf auch in der Pfanne. Durch die starke 
Abduktionsstellung berührt aber nur der obere Teil des Kopfes noch 
die Pfannenfläcbe. Der Winkel zwischen Schaft und Hals ist bis 
auf einen rechten Winkel vermindert, außerdem besteht noch eine 
Verbiegung des Schenkelhalses in einem nach vorn konkaven Bogen. 
Ferner findet sich in derselben Höhe wie rechts eine Abknickung 
des Schenkelschafts in einem nach innen offenen Winkel. Die Unter¬ 
fläche des Schenkelhalses bildet so mit der Innenfläche des Schaftes 
einen Winkel von 55 °. Der linke Oberschenkel ist an der Stelle 
der Verbiegung nur halb so breit wie der rechte. 

Eine Keilexzision aus dem Knochen in der subtrochanteren 
Gegend gab Gelegenheit zur mikroskopischen Untersuchung. Ohne 
auf die Details näher einzugehen, sei nur so viel gesagt, daß die 
Hauptmasse des exzidierten Stücks aus jugendlichem, kernreichen 
und fibrillenarmen Bindegewebe bestand, in welches Knochen- 
bälkchen eingelagert waren. Die an vielen Stellen erkennbaren 
Appositions- und Resorptionsvorgänge wichen nicht von dem nor¬ 
malen Bilde ab. 

Diese eigentümliche Knochenerkrankung ist von anderer Seite 
(Bergmann, Schlange) als eine echte Knochenneubildung aufge¬ 
faßt worden, die mit cystischen Erweiterungszuständen einhergeht. 


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558 


Carl Helbing. 


Ich selbst habe Gelegenheit gehabt, 2 Fälle von cystischer 
Erkrankung im coxalen Femurende zu beobachten. 

Coxa vara infolge einer Cystenbildung und malignen cystischen 

Tumoren. 

Beobachtung 50 (cf. Hel hing [62]). Es handelte sich um 
einen 5jährigen blühend aussehenden Jungen, der, 5 Monate 
bevor er in unsere Beobachtung gelangte, über Schmerzen im 
rechten Knie im Anschluß an einen Fall klagte. Trotz des geringen 
Traumas, und ohne daß Patient bettlägerig war, schonte er von da 
ab das rechte Bein ängstlich und fing auch an, auf demselben zu 
hinken. Einen Monat später traten Schmerzen in der rechten Hüfte 
und leichte Ermüdbarkeit im rechten Bein ein. 

An der leicht atrophischen unteren Extremität, die bis auf eine 
geringe Abduktionsbehinderung der Hüfte eine vollkommen freie 
Beweglichkeit in allen Gelenken aufwies, besteht leichte Außenrotation 
der Hüfte und eine deutliche Auftreibung in der Trochantergegend. 
Rechtes Bein l ji cm kürzer als das linke. 

Das Röntgenbild (Fig. 52) bot folgenden interessanten Befund: 
Das linke coxale Femurende zeigt normale Verhältnisse. Die deut¬ 
lich sichtbare Epiphysenlinie hat 
einen nahezu horizontalen Verlauf. 
Epiphysenwinkel 70, Schenkelhals¬ 
winkel 135 °. An der rechten 
Hüfte hat der Kopf eine Drehung 
um seine sagittale Achse nach 
außen erfahren und steht so in 
starker Abduktionsstellung. Die 
Epiphysenlinie ist steiler gestellt. 
Epiphysenwinkel 45 °. Trotz der 
Abduktionsstellung des Kopfes hat 
sich sein oberer Rand nicht vom 
Pfannendach entfernt. Der Schen¬ 
kelhals selbst ist stark verkürzt, sein unterer Rand verläuft hori¬ 
zontal und bildet einen nach unten konkaven Bogen. Die Schenkel¬ 
halsspitze hat an den Trochanter minor durch die Verkürzung eine 
Annäherung bis auf 1 cm erfahren. Der obere Rand des Schenkel¬ 
halses bildet mit einer Horizontalen einen Winkel von 33 °. Auf 


Fig. 52. 



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Die Coxa vara. 


559 


der gesunden Seite beträgt er 55 °. Der oberste Teil des Femur- 
schaftes und ein kleiner Teil des angrenzenden Schenkelhalses sind 
durch eine ovoide, annähernd hühnereigroße, für die Röntgenstrablen 
durchlässige Höhle aufgetrieben. Die Corticalis der Femurdiaphyse 
ist hier bis auf wenige Millimeter verdünnt. Innerhalb der auf¬ 
gehellten Partie finden sich einige wenige, Knochenschatten gebende 
Leisten. Der Schenkelhalswinkel beträgt 115°. 

Eine damals vorgeschlagene Operation wurde von den Eltern 
abgelehnt, der Patient deshalb zur Entlastung des Beines und zur 
Verhütung einer Spontanfraktur mit einem Stützapparat entlassen. 

Bei einer zweiten Röntgenaufnahme (Fig. 53) nach 6 Wochen 
war eine deutliche Vergrößerung des Hohlraumes in allen seinen 
Durchmessern eingetreten. Das Bein hatte, obgleich es nicht be¬ 
lastet war, eine weitere Verkürzung von l 1 /» cm erfahren. Der 
Schenkelhalswinkel hatte sich auf 110° verkleinert. Zugleich be¬ 
stand Druckempfindlichkeit am Trochanter major. Die Beugebeweg¬ 
lichkeit in der Hüfte jetzt etwas beschränkt. Die schnell eintretende 
Verkürzung und die Schmerzen ließen die Eltern jetzt zu der in 
Aussicht genommenen Operation ihre Einwilligung geben. 

Bei der von mir ausgeführten Operation wurde durch Längs¬ 
schnitt an der Außenseite des Oberschenkels in Trochanterhöhe und 
Vertiefung desselben bis zum Knochen der oberste Teil des Femur¬ 
schaftes freigelegt. Es zeigte sich zunächst, daß die Verbiegung 
und Verkürzung des Schenkelhalses viel hochgradiger war, als das 
Röntgenbild vermuten ließ; so hochgradig, daß der Kopf der tumor¬ 
artig aufgetriebenen Femurdiaphyse fast dicht anlag und der Längs¬ 
schnitt nicht nur den oberen Femurschaft, sondern sofort auch den 
kurzen vorderen oberen Schenkelhalsrand und den vorderen oberen 
Teil der Kopfkappe freilegte. Der Schenkelhals zeigte in sich selbst 
keine Verbiegung, hatte überall noch knorpligen Ueberzug. Der 
Kopf ohne Form Veränderung. Da sich das Gelenk vollkommen ge¬ 
sund erwies, beschloß ich, konservativ vorzugehen und nur den 
cystischen Tumor freizulegen. An einer Stelle des Längsschnittes 
war die Corticalis des Femurschaftes derart verdünnt, daß sie mit 
Leichtigkeit mit dem Skalpell durchbrochen werden konnte. Man 
kam in eine mit hellgelber klarer Flüssigkeit gefüllte Höhle, deren 
Wandungen netzförmig angeordnete vorspringende Leisten zeigten, 
so daß man den Eindruck hatte, als ob ursprünglich eine viel- 

kammerige Höhle Vorgelegen hätte. Diese unregelmäßige Innen¬ 
zeitschrift fUr orthopädische Chirurgie. XV. Bd. 36 


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560 


Carl Helbing. 


fläche der Cyste gibt auch eine Erklärung für die am Röntgenbild 
sichtbaren feinen netzförmigen Schatten innerhalb der Höhle. Nach 
Entfernung der ganzen lateralen Wand der Cyste wurde die jetzt 
halbkuglige Höhle kurettiert, dann tamponiert, und die Weichteil¬ 
wunde bis auf den notwendigen Zugang zur Höhle geschlossen. Bei 
vollkommen fieberfreiem, günstigen Heilungsverlauf wurde die Fixa¬ 
tion im Gipsverband nach 6 Wochen durch einen Schienenhülsen¬ 
apparat ersetzt, der von dem Jungen 3 /4 Jahr lang getragen wurde. 

Die während dieser Zeit aufgenommenen Röntgenbilder (cf. Fig. 541 
zeigen, daß der ursprüngliche Hohlraum nach und nach durch 


Fig. 53. 



Fig. 54. 



soliden Knochen ersetzt wird, so daß 1 Jahr nach der Operation 
das obere Femurende auch an seiner lateralen Begrenzung Knochen¬ 
substanz auf weist. Der Schenkelhals winkel beträgt jetzt auf der 
operierten Seite 130 °, die Epiphysenlinie hat wieder eine mehr 
horizontale Stellung angenommen, Epiphysenwinkel 55 °. Der Knabe 
ist jetzt, 3 1 /* Jahre nach der Operation, noch vollkommen rezidivfrei 
geblieben. Die Beweglichkeit in der Hüfte ist vollständig normal 
geworden, die Verkürzung des Beins betrug bei der letzten Unter¬ 
suchung nur noch knapp 1 cm. 

Die bei der Operation abgetragene Cystenwand hatte eine Dicke 
von 4—11 mm und ließ eine deutliche Schichtung erkennen: die innerste 
rotbraun verfärbte Schicht zeigt eine rauhe Fläche und entspricht 
der eigentlichen Cystenwand, die intermediäre schmälste Zone läßt 
sich am besten nach ihrem Aussehen mit einer Knorpelfuge ver¬ 
gleichen, die äußere breiteste Schicht besteht aus Knorpel, in 
welchem Knochenbälkchen von verschiedener Dicke eingelassen sind. 
Entsprechend dieser makroskopischen Beschaffenheit der Cystenwand 


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Die Coxa vara. 


561 


treten auch im mikroskopischen Bilde drei verschiedene Zonen 
zu Tage. 

Die innere, die eigentliche Cystenwand bildende Lage besteht 
aus vielfach verästelten Knorpelinseln, deren Peripherie schichtweise 
verknöchert ist. Zwischen den einzelnen Vorsprüngen findet sich, 
die Lücken ausfüllend, riesenzellenhaltiges, stark vaskularisiertes und 
kernreiches Granulationsgewebe, ohne tumorartigen Charakter. Epi¬ 
theliale Bildungen als Auskleidungen der Cystenwand wurden nirgends 
gefunden. Die mittlere Schicht, die makroskopisch durchsichtig er¬ 
scheint, wird aus säulenförmig angeordneten Knorpelzellen gebildet, 
deren Grundsubstanz weiter lateralwärts einen streifigen Charakter 
annimmt. Die breiteste äußere Schicht enthält weiter nichts als 
hyalinen Knorpel im Ruhezustand. 

An Stelle der knöchernen Corticalis der oberen Femurdiaphyse 
findet sich also fast ausschließlich Knorpelgewebe, so daß die Ent¬ 
wicklung der Cyste aus einer erweichten gutartigen Knochengeschwulst 
recht wahrscheinlich wird. 

Beobachtung 51. Herr J., 28 Jahre alt, Kaufmann, brach 
beim Tanz nach einem leichten Stoß gegen das rechte Knie zusammen 
und konnte sich nach diesem Unfall nicht mehr erheben. Der hinzu¬ 
gezogene Arzt konstatierte eine Schenkelhalsfraktur. 3 /± Jahre später 
kam er in unsere Beobachtung. Es bestand damals eine Adduktion 
und Außenrotation des um ca. 5 cm verkürzten rechten Beins. Ab¬ 
duktionsbewegung vollkommen aufgehoben, die Beugung bis zum 
rechten Winkel möglich. Die Trochantergegend stärker ausladend 
und verdickt. Der Gang durch die Verkürzung und Adduktions¬ 
stellung recht mühsam und hinkend. 

Auf dem Röntgenbild (Fig. 55) ist der Schatten des Kopfes 
stark aufgehellt. An der Stelle des Schenkelhalses findet sich eine 
mehrere Millimeter breite, helle, vertikal verlaufende Zone, die an¬ 
nähernd in der Richtung der Epiphysenlinie verläuft. Trochanter 
und Schenkelschaft sind in dieser Linie nach oben disloziert, derart, 
daß die Trochanterspitze etwas höher steht als die obere Kopfkon¬ 
tur. Der Trochanter und der oberste Teil der Femurdiaphyse er¬ 
scheinen blasig aufgetrieben durch eine 3^2 cm breite und circa 
4 cm lange, absolut durchlässige Geschwulst, welche die Corticalis 
auf 2 mm verdünnt hat. Eine knöcherne Vereinigung des Kopfes 
mit dem Oberschenkelknochen ist aus dem Röntgenbilde nicht zu 


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Die Coza vara. 


563 


ganz analoge Beobachtungen gemacht. Auch Ludloff [121] de¬ 
monstrierte am 2. Orthopädenkongreß 2 Röntgenbilder von Coxa 
vara, bei welchen die Abknickung dicht unterhalb des Trochanter 
major stattgefunden hatte. Bei dem einen hatte ein Fibrosarkom, 
bei dem anderen eine Knochencyste die Stabilität des Knochens 
geschädigt. 


Die Coxa vara infolge von Osteomyelitis. 

Beobachtung 52. Herr F., 22 Jahre alt. Außer Rheuma¬ 
tismus im 14. Lebensjahr keine Krankheit bis zur Pubertätszeit 
durchgemacht. Im Anschluß an den Rheumatismus soll sich eine 
Anschwellung in der rechten Hüfte eingestellt haben, die 1 Jahr 
später aufbrach. 4 Wochen lang entleerte sich aus der Fistel 
Eiter, dann heilte sie von selbst zu. Im Januar 1905 traten dann 
wieder unter plötzlich einsetzendem hohen Fieber Schmerzen im 
rechten Knie und Hüfte ein. Die Schmerzen sind auch jetzt noch 
bei der Belastung des rechten Beins vorhanden. 

Blaß aussehender junger Mann, Muskulatur mittelkräftig ent¬ 
wickelt, an den inneren Organen nichts Besonderes. Die rechte 
Beckenhälfte steht ca. 1 cm tiefer. Beide Füße stehen nach außen 
rotiert, doch ist die Außenrotation rechts stärker. Die seitliche 
Oberschenkelkontur ist rechts mehr konvex gestaltet als links. Die 
Trochantergegend erscheint verbreitert. 15 cm unterhalb der Spina 
ant. sup. an der Außenseite des rechten Oberschenkels eine ein- 
gezogene strahlige Narbe, die mit der Unterlage verwachsen ist. 
Beide Knie werden leicht hyperextendiert gehalten. Plattfußstellung 
beiderseits. Das Gehen ist nur dadurch möglich, daß Patient sich 
mit beiden Händen auf einen Stock stützt und so das rechte Bein 
entlastet. Im unteren Drittel des linken Unterschenkels an der 
Vorderseite zwei strahlige Narben, die auf der Unterlage verschieblich 
sind. Etwas oberhalb des Fußgelenkes noch mehrere kleinere, quer 
oval gestellte scharf begrenzte Narben. Die Muskulatur des rechten 
Oberschenkels atrophisch, das rechte Bein steht in Flexion von 20 
und Adduktion von 25 °. Die Hüftgelenksgegend rechts ist in allen 
ihren Durchmessern, besonders aber im sagittalen, verbreitert, die 
Inguinalfalte vollkommen verstrichen. 

Entfernung des Trochanter major vom Malleol. ext. beiderseits 
88 cm. Entfernung der Spina ant. sup. vom Malleol. ext. rechts 


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564 


Carl Helbing. 


92,5 cm, links 95 cm. Die Beweglichkeit des Hüftgelenks ist sehr 
beschränkt, nur leichte Flexionsbewegungen im Winkel von 15° 
ohne Mitbewegung des Beckens möglich. Innenrotation und Ab¬ 
duktion vollkommen unmöglich, die Bewegung im Kniegelenk frei. 

Das Röntgenbild (Fig. 57) zeigt folgenden hochinteressanten 
Befund: Der rechte Schenkelkopf füllt die Gelenkpfanne vollkommen 
aus, eine Epiphysenlinie ist nicht mehr erkennbar. Der Schenkel¬ 


hals erscheint in allen seinen 
Durchmessern vergrößert, ist 
plump und Sitz einer fast ganz 
durchlässigen, kreisrunden Auf¬ 
treibung. Der obere Rand des 
Schenkelhalses ist nicht, wie 
normalerweise, konkav, sondern 
konvex gestaltet. Eine ganz feine, 
millimeterdünne Corticalis be¬ 
grenzt denselben scharf. Der 
Durchmesser der Höhle beträgt 
6 cm. Ungefähr in der Linea 
intertrochanterica erfährt die Ge¬ 
schwulst ihre laterale Begren¬ 
zung. Trochanter major, minor 


Fig. 57. 



und Schenkelschaft zeigen wieder normalen Knochenschatten. Der 
Schenkelhalswinkel ist bedeutend verkleinert und beträgt 110°. 

Es handelt sich hier mit größter Wahrscheinlichkeit um eine 
akute, rezidivierende Osteomyelitis im Schenkelhälse, die diesen cysti- 
schen Pseudotumor zur Entwicklung gebracht hat. 

Beobachtung 53. A. R., 3 Jahre alt. Bis zu seinem 
1. Lebensjahr gesund gewesen, gegen Ende des 2. Lebensjahres 
bildet sich eine Anschwellung an der Hinterseite des rechten Ober¬ 
schenkels, aus welcher sich seit einiger Zeit Eiter entleerte. Seit 
dieser Zeit hinkte der Knabe. 2 Monate später schloß sich die Fistel 
spontan, doch soll das Hinken noch weiter zugenommen haben. 

Gut genährtes Kind von gesundem Aussehen. Innere Organe 
ohne abnormen Befund, keine Drüsenschwellung, keine Zeichen von 
Rhachitis. An der Hinterseite des rechten Oberschenkels findet sich 
eine kleine lineare Narbe. Das rechte Bein ist stark nach auswärts 
rotiert und etwas adduziert. Abduktion und Einwärtsrotation ver- 


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Die Coxa vara. 


565 


mindert, Außenrotation in höherem Grade als normal auszuführen. 
Kopf in der Pfanne, Trochanter major 1,5 cm über der Roser- 
Nölaton sehen Linie. Rechtes Bein 2 cm kürzer als das linke. 

Am Röntgenbild ist das obere Femurende plump, verdickt, der 
Schenkelhals verkürzt, der Schenkelhalswinkel beträgt ca. 100 °. 

Bei der Operation, die in Resektion des Kopfes bestand, 
zeigt sich der Kopf herabgesunken; an der Vorderseite besteht noch 
ein kurzer rechtwinklig vom Schenkelschaft entspringender Schenkel¬ 
hals. An der Hinterseite ist er fast ganz verschwunden, so daß der 
Kopf nur durch eine seichte Furche vom Trochanter major getrennt 
ist. Der resezierte Schenkelkopf ließ weder an seiner Meißelfläche 
noch an der überknorpelten Fläche etwas Abnormes erkennen. 

Beide Fälle von akuter Osteomyelitis im oberen Teil des 
Femur haben das gemein, daß eine Beteiligung des Hüftgelenks an 
dem entzündlichen Prozeß nicht stattgefunden hat. 

Oberst [142] hat ebenfalls 3 Fälle von akuter Osteomyelitis 
gesammelt, in welchen im Verlauf der Erkrankung das obere Femur¬ 
ende eine Verbiegung im Sinne der Varität erfahren hatte. Im 
ersten bereits von Volkmann publizierten Falle wurde die Diagnose 
erst post mortem gestellt. Der Kranke wies zahlreiche Narben am 
oberen Teile des Oberschenkels auf, das Bein stand in starker Ein¬ 
wärtsrotation und Adduktion. Trochanterspitze 2 Zoll oberhalb der 
Roser-Nölatonschen Linie. 

Bei der Sektion zeigte sich der Schenkelhals, die Trochanter¬ 
gegend und die anstoßenden Partien des Femurschafts S-förmig ver¬ 
bogen, derart, daß der Ansatzpunkt des Ligamentum teres am Kopf 
2 1 /* Zoll unterhalb der Trochanterspitze sich befand. 

Schede und Stahl [166] berichten über einen 9jährigen 
Knaben, welcher an akuter Osteomyelitis des rechten Oberschenkels 
litt, und bei welcher es zu einer sekundären Vereiterung des Hüft¬ 
gelenks kam. Nach 3 Monaten wurde die Nekrotomie vorgenommen 
und von Schenkelhals und Trochanter major erweichtes Knochen¬ 
gewebe entfernt. 1V* Jahre später überragte der Trochanter die 
Roser-Nelatonsche Linie um 2 cm, das Bein stand in starker 
Adduktionsstellung und war im Hüftgelenk ankylosiert. 

Endlich beobachtete Diesterweg [37] eine ganz hochgradige 
Verbiegung der Trochantergegend und des Schenkelhalses bei einem 
13jährigen Knaben, 4 Monate nach beginnender Osteomyelitis acuta, 
die eine Verkürzung des Beines von 10 cm bewirkt hatte. 


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566 


Carl Helbiug. 


Die Coxa vara infolge yon Tuberkulose. 

Aus den Publikationen von Koenig [101], Braun [19] und 
Scharff [165] wissen wir, daß Verbiegungen des Oberschenkels 
in sagittaler Richtung nicht selten zu stände kommen bei Kindern, 
welche an Kniegelenkstuberkulose gelitten haben. Auch wir haben 
diese sagittalen, nach vorn konvexen Verbiegungen des Oberschenkels 
bei vollkommen ausgeheilter Kniegelenkstuberkulose mehrfach beob¬ 
achtet. In 2 Fällen wurde wegen knöcherner Kniegelenksankylose 
mit rechtwinkliger Flexionsstellung eine Keilresektion mit der Basis 
nach vorn vorgenommen. Trotzdem die Basis des Keils beinahe 
5 cm betrug, konnte nach Geradestellung des Beins keine Ver¬ 
kürzung konstatiert werden, so daß wir annehmen müssen, daß der 
vordere untere Teil der Oberschenkeldiaphyse ein vermehrtes Längen¬ 
wachstum erfahren hat, und so die Verbiegung entstanden ist. 

In diesen Fällen handelt es sich also um ein infolge des ent¬ 
zündlichen Reizes exzessiver gewordenes Wachstum des vorderen 
unteren Teils der Oberschenkeldiaphyse. 

Anders liegt es bei der Tuberkulose des Schenkelhalses. Hier 
wird das erweichte Knochengefüge durch die Belastung und den Zug 
umgeformt. 

Ich verfüge über vier Beobachtungen, welche alle das gemein¬ 
sam haben, daß der tuberkulöse Prozeß den Schenkelhals und die 
Trochantergegend betroffen, das Hüftgelenk selbst aber vollkommen 
freigelassen hat. 

Beobachtung 54. G. Sp., 4 Jahre. Der Knabe hat im 
Säuglingsalter an Durchfall und Krämpfen gelitten, später an Veits¬ 
tanz, seit 2 Monaten zeigte sich im Anschluß an Masern das Hinken 
auf dem linken Bein. Zart gebauter, blaß aussehender Junge. Auf 
beiden Augen an der Conjunetiva bulbi randständige Knötchen mit 
starker Injektion. Am Halse und in der Inguinalgegend beiderseits 
geschwollene Lymphdrüsen. Leichte linkskonvexe Lumbalskoliose. 
Hinkender Gang auf dem linken Bein. Deutliche Zeichen über¬ 
standener Rhachitis (Crura rliach., pedes plani, Rosenkranz). Der 
linke Oberschenkel zeigt in seinem oberen Drittel eine gleichmäßige 
Auftreibung. Sein Umfang in dieser Höhe 32^2 cm gegenüber 31 cm 
auf der gesunden Seite in derselben Höhe. Die Anschwellung bietet 
deutliche Fluktuation. Das linke Bein ist um */2 cm kürzer, die Ab¬ 
duktion in der linken Hüfte etwas behindert, alle übrigen Bewe- 


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Beobachtung 55. E. W., 5 Jahre. Einziges Kind, stammt 
von ganz gesunden Eltern. Mit 3 Jahren begann das Mädchen das 
linke Bein zu schonen, allmählich stellte sich Hinken ein, und beim 
Gehen klagt es über Schmerzen in der linken Hüfte. Später be¬ 
merkten die Eltern auch eine leichte Verkürzung des linken Beines. 

Blasses, zartes Mädchen. Muskulatur des linken Beines im 
ganzen atrophisch. Das linke Bein ist ca. 1 ll i 2 cm kürzer und steht 
in Adduktion. Der Verkürzung entsprechend Trochanterspitze 1*/* cm 
über der Ros er-Ne'latonschen Linie. Bis auf eine leichte Ab¬ 
duktionshemmung sind alle Bewegungen im Hüftgelenk frei. 

Am Röntgenbild (Fig. 59) ist auf der gesunden Seite der 


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568 


Carl Helbing. 


SchenkelhaLsvvinkel vergrößert und beträgt 155°. Es besteht also eine 
ausgesprochene Coxa valga. Der Epiphysenwinkel ist dementspre¬ 
chend ebenfalls vergrößert und beträgt 78°. 

Am linken Bein ist der Schenkelhals wiederum stark verkürzt 
und erscheint plumper. Der Kopf füllt die Pfanne vollkommen aus. 

seine untere mediale Hälfte ist 
aufgehellt und fleckig. Der 
Epiphysenwinkel beträgt 55°, 
der Schenkelhalswinkel 100°. 
Im oberen Teil der Femur- 
diaphyse findet sich eine tau¬ 
beneigroße Höhle, die im Rönt¬ 
genbild fleckige Struktur hat. 
Die Höhle reicht an der schmäl¬ 
sten Stelle des Schenkelhalses 
auf 8 mm an die Epiphysen¬ 
linie heran. Der Oberschenkel¬ 
schaft ist im Bereich der Höhle 
etwas verbreitert. — Nach schriftlicher Mitteilung hat sich das Be¬ 
finden der Patientin insofern verschlechtert, als 1 Jahr später eine 
vollkommene Steifigkeit in der Hüfte eingetreten ist, während zur 
Zeit unserer Beobachtung die Beweglichkeit der Hüfte eine gute war. 
Die Verkürzung des Beins soll nicht weiter zugenommen haben. 

Man geht hier wohl nicht fehl, wenn man annimmt, daß der 
tuberkulöse Prozeß später auch das Hüftgelenk selbst in Mitleiden¬ 
schaft gezogen hat. 

Beobachtung 56. N. L., 7 1 /* Jahre. Das dritte Kind von 
vier Geschwistern, die alle gesund sein sollen. Der Knabe lernte mit 
1 V-i Jahren das Laufen, englische Krankheit bestand nicht. Vor 
einem Jahr klagte Patient über Schmerzen im linken Hüftgelenk, zu¬ 
gleich fing er an, das Bein zu schonen und auf demselben zu hinken. 

Zarter, schwächlicher Knabe. Inguinaldrüsen beiderseits ge¬ 
schwollen. Das linke Bein ist leicht adduziert, Abduktion nur bis 
zum Winkel von 25° möglich. Alle übrigen Bewegungen in der 
Hüfte frei. Das linke Bein ist ca. 1 cm kürzer als das rechte, doch 
steht auf der rechten Seite der Trochanter ebenfalls über der Roser- 
Nelatonschen Linie. 

Am Röntgenbilde (Fig. 60) ist der Schenkelhalswinkel beider- 


Fig. 59. 



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Die Coxft vara. 


5G9 


seits verkleinert. Rechts beträgt er 115°, links 90°. Auf der 
rechten Seite ist die Epiphysenlinie scharf begrenzt, der Epiphysen¬ 
winkel = 47 °. Links fällt vor allem die starke Aufhellung der un¬ 
teren Kopfhälfte in die Augen. Schenkelhals verkürzt, Epiphysen¬ 
linie nur verschwommen und undeutlich, Epiphysenwinkel 40 °. Auch 
der Schenkelhals zeigt in seinen unteren Partien eine stärkere Auf¬ 
hellung. 

Zur Beseitigung der Adduktionsstellung auf der linken Seite 
wurde die Keilosteotomie unterhalb des Trochanter major ausgeführt 
und das Bein in stärkerer Abduktionsstellung durch Gipsverband 
fixiert. Nachdem die Wunde vollkommen p. p. i. geheilt war, zeigte 
es sich nach 8 Wochen, daß 
noch keine vollkommene Kon¬ 
solidation eingetreten war und 
die Narbe sich vorwölbte. Als 
zwecks Anfrischung der nicht 
konsolidierten Knochenwund¬ 
flächen in der alten Narbe eine 
Inzision gemacht wurde, ent¬ 
leerten sich ungefähr zwei E߬ 
löffel flockigen, dünnen Eiters, 
die Abszeßhöhle wurde kuret- 
tiert. Es zeigte sich nun, daß 
eine schmale Knochenspange die beiden Knochenenden fest mitein¬ 
ander verband. Allmählich gewann auch der von der Knochen¬ 
spange ausgehende Callus an Festigkeit, doch schloß sich die Wunde 
nicht mehr, und es bildete sich nunmehr eine Fistel aus, die typisch 
tuberkulösen Eiter entleerte. 

Die mikroskopische Untersuchung des exzidierten Teils aus 
dem Trochanter läßt nichts Besonderes erkennen; dieser negative 
Befund ist jedoch nicht weiter auffallend, da das entfernte Knochen¬ 
stück ja weit ab liegt vom eigentlichen Krankheitsherd, der sich 
am unteren Teil des Schenkelhalses etabliert hat. 

Eine zweite Röntgenaufnahme (Fig. öl) kurz vor der Ent¬ 
lassung des Patienten, bei der die Fistel immer noch offen war, 
zeigt, daß auf der rechten Seite die Coxa vara, die wohl als durch 
vermehrte Beanspruchung entstanden zu denken ist, geringer ge¬ 
worden war. Der Schenkelhalswinkel, der ursprünglich 115° be¬ 
trug, hat sich unter Bettruhe auf 120° vergrößert. Auf der linken 


Fig. 60. 



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570 


Carl Helbing. 


Seite ist der Schatten des 
Kopfes noch stärker aufgehellt, 
der Schenkelschaft scheint in 
den Trochanter und den Schen¬ 
kelhals eingekeilt, das äußere 
Ende des Trochanter hängt 
über den Schenkelschaft hinaus. 

Beobachtung 57. M.D.. 
15 Jahre. Vater der Patientin 
luetisch infiziert, Patientin hat 
erst mit 2 Jahren das Laufen 
gelernt und bald darauf über 
Schmerzen im rechten Hüftgelenk geklagt, die die Anlegung von 
Gipsverbänden notwendig machten. Im 4. Lebensjahre erhielt sie 
dann einen Schienenhülsenapparat. Von da ab stand sie dauernd 
wegen ihres „Hüftgelenksleidens“ in Behandlung. Den letzten Gips¬ 
verband erhielt sie in ihrem 10. Lebensjahre. Von Kinderkrank¬ 
heiten hat Patientin nur Diphtherie durchgemacht, außerdem hat sie 
seit ihrer frühesten Jugend an den Augen gelitten. Englische Krank¬ 
heit soll nicht bestanden haben. 

Schmächtiges, langaufgeschossenes Mädchen, Fettpolster und 
Muskulatur gering entwickelt. Alte Tracheotomienarbe. Auf der 
rechten Cunjunctiva bulbi ein randständiges Knötchen mit starker 
Injektion. Rechts konvexe Lumbal-, und links konvexe Dorsalskoliose. 
Rumpf nach links verschoben, linkes Taillendreieck verstrichen. 
Innere Organe ohne Besonderheiten, Herz und Lunge gesund. Ent¬ 
fernung der Spina ant. sup. vom Malleol. ext. links 80 1 j 2 cm, rechts 
75 cm. Rechter Trochanter steht 0 cm über der Roser-Nölaton- 
schen Linie. Rechter Oberschenkel in Adduktion von ca. 20 °. Ab¬ 
duktionsbewegungen vollkommen aufgehoben. Auch das linke Bein 
gestattet nur eine Abduktion von 25 °. Flexion und Rotation auf 
dem kranken Bein nicht wesentlich eingeschränkt. Die Patientin 
geht mit stark adduziertem, etwas auswärts rotiertem rechten Bein 
in starker Spitzfußstellung auftretend. Gang langsam und hinkend. 

Am Röntgenbild (Fig. 62) erscheint der rechte Schenkelkopf, 
der die Pfanne vollkommen ausfüllt, leicht platt gedrückt und un¬ 
regelmäßig aufgehellt. Der kurze Schenkelhals verjüngt sich medial- 
wärts stark, seine obere Begrenzung stellt eine vom Schenkelschaft 


Fig. 61. 



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Die Coxa vara. 


571 



fast senkrecht nach unten abfallende F ig- 62. 

Linie dar. Epiphysenlinie verwaschen, 
der Epiphysenwinkel beträgt 27°, der 
Schenkelhalswinkel ist ein spitzer und 
beträgt 60 °. Die Trochanterspitze 
steht 3 cm über dem oberen knöcher¬ 
nen Pfannenrand. 

Zur Beseitigung der hochgra¬ 
digen Adduktionskontraktur wird die 
Osteotomie am Uebergang des Schen¬ 
kelhalses in den Schenkelschaft vor¬ 
genommen. 

Längsschnitt medial vom vorde¬ 
ren Rande des Trochanter. Freilegung des letzteren und der Vorder¬ 
seite des Schenkelhalsrestes. Dieser wird durchmeißelt, und die 
mediale Spitze des Trochanter angefrischt. Das Bein wird dann 
auf dem Extensionstisch stark extendiert und abduziert, so daß die 
angefrischte Partie mit der Meißelfläche des Schenkelkopfes in Be¬ 
rührung tritt. Fixation im Gipsverband auf 6 Wochen. 

Die Wundheilung geht ohne Reaktion vor sich. 18 Tage nach 
der Operation öffnet sich eine Stelle der Narbe wieder, und es tritt 
ziemlich reichliche Sekretion von spezifisch tuberkulösem Aussehen 
ein. Nach 12 Wochen ist eine Konsolidation eingetreten, der Gang 
der Patientin hat sich wesentlich verbessert. Nach 16 Wochen be¬ 
steht noch immer in der Narbe die sezernierende Fistel. Außerdem 
hat sich an der Innenseite des Oberschenkels über den Adduktoren 
eine flache, das Gefühl der Fluktuation darbietende Prominenz ent¬ 
wickelt. Punktion und Aspiration von krümlichem, mit Flocken 
vermischtem Eiter. Injektion von Jodoformglyzerin. 

Der Abszeß hat sich in den letzten 5 Monaten noch öfters 
gefüllt und muß punktiert werden. Das Allgemeinbefinden der Pa¬ 
tientin ist dabei gut, das Gehen vollkommen beschwerdefrei ge¬ 
worden. 


Die Coxa vara infolge von Arthritis deformans. 

Bei der typischen Arthritis deformans scheint eine Verbiegung 
des Schenkelhalses im Sinne der Varität nicht sehr häufig zu sein, 
wenigstens steht mir keine einzige klinische Beobachtung zu Gebote. 


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572 


Carl Helbing. 


Eine Coxa vara kann bei der Arthritis deformans häufig dadurch 
vorgetäuscht werden, daß im klinischen Bilde eine Adduktionskon¬ 
traktur festgestellt wird und der Trochanter über der Roser-Nela- 
tonsehen Linie steht. Es wäre jedoch fälsch, aus diesen Befunden 
ohne weiteres auf eine Schenkelhalsverbiegung zu schließen. An 
mehreren Präparaten von hochgradiger Arthritis deformans der Hüfte 
fand ich den Schenkelhalswinkel ganz normal, ja sogar vergrößert, 
nur zeigte sich der Schenkelhals so stark verkürzt, daß der defor¬ 
mierte, pufferförmig gestaltete Kopf, der den Eindruck hervorruft, 
als ob er in den Hals hineingetrieben worden wäre, mit seinem 
obersten Rande immer noch tiefer steht als die Trochanterspitze. 
Als Beispiel einer solchen scheinbaren Coxa vara gebe ich beifol¬ 
gende Abbildungen (62 a und b) von dem oberen Femurende einer 


Fig. 62 a. 


Fig. 62 b. 




Arthritis deformans. Der Schenkelhalswinkel beträgt hier 130 °, der 
Richtungswinkel 40°. 

Ich bin jedoch auch in der Lage, aus der pathologisch-anato¬ 
mischen Sammlung von Herrn Geh.-Rat Hoffa noch über zwei 
weitere Präparate arthritisch deformierter Oberschenkel zu berichten, 
bei welchen eine Coxa vara im anatomischen Sinne vorliegt, und so 
die Alsbergschen Mitteilungen zu ergänzen. 

Präparat 1 (Fig. 63 a und b). Der Schenkelhalswinkel beträgt 
110°, der Richtungswinkel 46°. Eine Bestimmung des Epiphysen¬ 
winkels ist wegen vollkommener Verknöcherung der Epiphysenfuge 


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Die Coxa vara. 


573 


Fig. 63 a. 


Fig. 63 b. 




nicht mehr möglich. Am Präparat fällt vor allem die hochgradige 
Verkürzung des Schenkelhalses auf, durch die die Linea intertro- 
chanterica zu einer tiefen Furche umgestaltet ist, und der Trochanter 
major an den Kopf eine Annährung von 5 mm erfahren hat. Der 
Kopf selbst hat eine Drehung nach abwärts und vorn erfahren, die 
Umgebung des Ansatzpunktes des Ligamentum teres ist kegelförmig 
ausgezogen. Am vorderen oberen und vorderen unteren Quadranten 
ausgedehnte Knochenschliffbildung. Die Linea intertrochanterica ist 
steiler gestellt, der Trochanter minor hat eine mehr horizontale Rich¬ 
tung, der Trochanter major ist mit seiner oberen Spitze hakenförmig 
umgebogen. An der Vorderfläche des Schenkelhalses verläuft parallel 
mit der Linea intertrochanterica ein schmaler Knochenwulst. 


Das zweite Präparat (Fig. 04 a u. b) zeigt eine hochgradige 
Verunstaltung des Kopfes. Er ist pufferförmig abgeplattet, zeigt 
ganz unregelmäßige Oberfläche, seine Gelenkfläche sieht nach vorn 
und innen. Der Schenkelhals ist wiederum stark verkürzt, und da¬ 
durch eine Annäherung des Schenkelkopfes an den Trochanter major 
entstanden. An der Vorderfläche des Schenkelschaftes findet sich 
gegenüber der lateralen Begrenzung des Kopfes eine Exostose von 
Bohnengröße; die Linea intertrochanterica verläuft senkrecht, der 
Trochanter major sieht nach hinten und ist schwächer entwickelt 
als am normalen Präparate. Der höchste Punkt des Kopfes steht 
bei senkrecht gestelltem Schenkelschaft noch unter der Spitze des 
Trochanter major. Schenkelhalswinkel 112°, Richtungswinkel 36°. 


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574 


Carl Helbing. 


Fig. 64 b. 



Coxa yara traumatica. 

1. Schenkelhalsbrüche und Epiphysenlösungen bei jugendlichen 
Individuen, die zur Coxa vara geführt haben. 

Beobachtung 58. M. K., 13 Jahre 9 Monate. Lernte mit 
l 1 /* Jahren das Gehen, zeigte nie rhachitische Erscheinungen. Hat 
Masern durchgemacht, sonst immer gesund gewesen. Vor 27 s Jahren 
fiel Patient auf das rechte Knie, konnte aber, wenn auch unter Schmer¬ 
zen, sofort wieder weiter laufen. Nach einem Vierteljahre stellte sich 
erst Hinken auf dem rechten Beine ein, das Gehen wurde mühsamer 
und schmerzhaft. 

Kräftig gebautes Mädchen, Fettpolster ungewöhnlich stark ent¬ 
wickelt. Die rechte Beckenhälfte wird gesenkt, es besteht eine rechts 
konvexe Lumbalskoliose. Das rechte Bein ist um 4 cm kürzer ab 
das linke, der rechte Trochanter 4 cm oberhalb der Roser-Nöla- 
tonschen Linie. Entfernung der Spina ant. sup. vom Malleol. ext. 
rechts 87 cm, links 91 cm. Entfernung des Trochanter vom MalleoL 
ext. beiderseits gleich groß. 

Die Bewegungen im rechten Hüftgelenk sind bis auf die Ab¬ 
duktion, die nur bis zu einem Winkel von 15 0 ausführbar ist, voll¬ 
kommen frei. Das rechte Bein steht nicht wesentlich adduziert und 
ist leicht nach außen rotiert. 

Am Röntgenbild (Fig. 65) ist das linke coxale Femurende nor- 


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Die Coxa vara. 


575 


mal. Der Schenkelhalswinkel beträgt 128 °, der Epiphysenwinkel 
ca. 55°. 

Am rechten Bein ist der Schatten des Gelenkkopfes stark auf¬ 
gehellt, der Kopf erscheint in seinem frontalen Durchmesser ver¬ 
schmälert. Der unterste Teil der Kopfkappe hat den Kontakt mit 
der Pfanne verloren. Die Epiphysenlinie ist rechts stärker bogen¬ 
förmig wie links, der Epi¬ 
physenwinkel 35 °. Der Kopf 
hat also wieder eine Drehung 
im Sinne der Abduktion er¬ 
fahren. Der Schenkelhals ist 
verkürzt, sein proximaler Teil 
erscheint in den Kopf einge¬ 
trieben. Der obere mediale 
Rand ragt mit einem spitzen 
Vorsprung über den Kopf hin¬ 
aus. Die Trennung hat also 
auch in der Epiphysenlinie stattgefunden, und der Schenkelhals in 
Verbindung mit dem Schenkelschaft eine Dislokation nach oben er¬ 
fahren, ohne daß sich dabei der Schenkelhalswinkel verändert hat. 
Dieser ist eher vergrößert und beträgt 130 °. 

Beobachtung 59. E. G., 12 Jahre alt. Patientin fiel vor 
einem halben Jahre von einem Treppengeländer herab auf die rechte 
Seite und zog sich so eine Fraktur des rechten Schenkelhalses zu. Trotz 
sorgfältiger Behandlung ist die 
Fraktur mit sehr schlechter 
Beinstellung ausgeheilt. Das 
rechte Bein steht im Hüft¬ 
gelenk stark adduziert, etwas 
nach außen rotiert und ist um 
6 cm verkürzt. Ferner besteht 
ein Genu valgum dextrum und 
eine statische rechtskonvexe 
Lumbal- und linkskonvexe Dor¬ 
salskoliose. Abduktionsbewe¬ 
gungen im Hüftgelenk aufgehoben, Flexion bis zum rechten Winkel 
aktiv möglich. Rotationsbewegungen fast ganz frei. 

Am Röntgenbild (Fig. 66) erscheint der Kopf um eine sagittale 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XV. Bd. 37 


Hg. 66. 




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576 


Carl Helbing. 


Achse so gedreht, daß sein unteres Drittel keinen Kontakt mehr mit 
der Pfanne hat. Ein eigentlicher Schenkelhals fehlt. Die Epiphysen¬ 
linie, in welcher die Trennung stattgefunden hat, verläuft paralk 
dem Schenkelschaft, der Epiphysenwinkel ist also = 0. Der Kopf 
ruht unmittelbar dem Schenkelschaft an, und sein unterer Teil steh: 
in direkter Berührung mit dem Trochanter minor. Der Trochanter 
major ist nach oben gerückt und durch das Fehlen des Schenkel¬ 
halses dem knöchernen Becken so genähert, daß er von dem Schatten 
des Os ilei in seiner medialen Hälfte gedeckt ist. Schenkelbals- 
winkel 85 °. 

Zur Beseitigung der Deformität wird die Resektion des Schenkel¬ 
kopfes ausgeführt, die Trochanterspitze angefrischt und in die Ge 
lenkpfanne eingestellt. Gipsverband in starker Extension, Abduktion 
und Innenrotation. 

Durch die Operation ist die ursprünglich 6 cm betragende 
Verkürzung auf 2 1 /* cm vermindert worden. Der Gang ist nach 
2 v j 2 Monaten zwar noch etwas unsicher, das Gehen aber ohne Stock 
möglich. Das Bein kann abduziert werden, doch ist die Bewegung 
im Hüftgelenk infolge Schmerzhaftigkeit noch etwas eingeschränkt 

Beobachtung 60. W. L., 15 Jahre alt, Kaufmannslehrling. 
Patient fiel vor einem Jahr ca. 1 m hoch von der Leiter herab. Un¬ 
mittelbar nach der Verletzung konnte Patient gehen, so daß er den 
Unfall wenig beachtete. Nach 4 Wochen stellten sich starke Schmer¬ 
zen in der linken Hüfte ein, die schließlich so heftig wurden, daß 
Patient nicht mehr im stände war, aufzutreten. Jetzt hat Patient 
sogar bei vollkommener Ruhe in der linken Hüfte Schmerzen. 

Das linke Bein ist nur um weniges verkürzt, leicht nach außen 
rotiert, etwas stärker adduziert. Bewegungen in der Hüfte bis auf 
eine geringe Behinderung der Flexion und Abduktion frei. Trochanter 
major ca. 2 cm über der Roser-Nölatonsehen Linie. Im Verlaufe 
des N. ischiadicus typische Schmerzdruckpunkte. 

Das Röntgenbild (Fig. 67) zeigt in der Höhe der Epiphysen¬ 
linie eine Kontinuitätstrennung. Der Kopf hat eine Drehung im 
Sinne der Abduktion erfahren, so daß die Epiphysenlinie fast senk¬ 
recht verläuft, Epiphysenwinkel 20 °. Der Kopf ist stark aufgebellt 
seine untere Gelenkfläche tiberragt nach unten die Gelenkpfanne 
um 3 cm. Der Schenkelhals ist an dem Kopf vorbei nach oben 
verschoben. Während sein oberer Rand keine Abbiegung zeigt, ist 


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Die Coxa vara. 


577 


das mediale Drittel des unteren Randes abgeknickt und wie ein¬ 
gerollt, so daß die untere Schenkelhalsbegrenzung eine nach unten 
stark konkave bogenförmige Linie darstellt. Die Kopfkappe hat 
dadurch eine Annäherung von nur wenigen Millimetern an den 
Trochanter minor erfahren. Schenkelhalswinkel beträgt 120°. Die 
Trochantergegend und die obere Femurdiaphyse ist sehr stark auf¬ 
gehellt. Es wurde die Diagnose auf Epiphysenlösung mit Ver¬ 
schiebung des Kopfes nach unten hinten gestellt und die Re¬ 
sektion des oberen Femurendes in der Linea intertrochanterica von 



einem vorderen Längsschnitt aus vorgenommen. Ein Gipsverband 
fixiert auf 6 Wochen in starker Abduktion und Extension das Bein, 
so daß die angefrischte Trochanterspitze in die Gelenkpfanne ein¬ 
gestellt ist. 

Das Resektionspräparat (Fig. 68) enthält den rechten Schenkel¬ 
kopf und vom Schenkelhals die proximale Partie bis zum Trochanter 
minor. Der Schenkelkopf ist überall gleichmäßig von Knorpel über¬ 
zogen und zeigt nur in der Umgebung des Ansatzpunktes des Liga¬ 
mentum teres leichte Unebenheiten des Knorpelüberzuges. Außer¬ 
dem findet sich im vorderen oberen Quadranten eine fingerdruck¬ 
ähnliche Vertiefung. Der Kopf erscheint auf dem Schenkelhals nach 
unten abgerutscht. Eine Drehung um den vertikalen Durchmesser 
hat er nicht erfahren. 

Auf einem Frontalschnitt (siehe Fig. 68) durch die Mitte des 
Resektionspräparates ist ganz besonders schön die Abrutschung des 
Kopfes in der Epiphysenlinie sichtbar. Die Konsolidierung des 
Kopfes mit dem Schenkelhals ist nicht knöchern erfolgt, sondern 
noch größtenteils knorplig. Die Vereinigungsfläche wird präsentiert 


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578 


Carl Helbing. 


durch eine im Zickzack verlaufende ca. 3 mm breite Knorpelfuge, 
deren Knorpel im Gegensatz zu dem milchweißen Knorpelüberzug 
des Kopfes eine durchsichtige Beschaffenheit hat. In der Umgebung 
dieser Knorpelzone erscheint der Knochen blutreicher, außerdem 
finden sich einige freie Knorpelinseln, besonders im unteren Teile 
der Kopfepiphyse. Der Schenkelhals ragt an seinem oberen proxi¬ 
malen Rande mit einer Spitze frei über den Kopf hinaus. Eine 
Verbiegung des Schenkelhalses besteht nicht, nur sein unterer me¬ 
dialer Teil ist durch den herabgesunkenen Kopf mit nach unten ver¬ 
bogen, und es macht hier den Eindruck, als ob die Knochenmasse 
ineinander eingekeilt wäre. 

Besonders schön sind die geschilderten Verhältnisse an dem 
Röntgenbild zu sehen, das von einem durch die Mitte des Präpa¬ 
rates gelegten Furnierschnitt 
hergestellt worden ist (Fig. 69). 

Eine leistenartige Ver¬ 
dickung der Spongiosa verläuft 
parallel zu der zickzackförmig 
gestalteten Knorpelfuge in dem 
Schenkelkopf. Eine ähnliche 
Verdichtung der Spongiosa fin¬ 
det sich dann noch als laterale 
Begrenzung der Epiphysenlinie 
im Schenkelhals. Ganz be¬ 
sonders verdickt ist die mediale 
untere Corticalis des Schenkel¬ 
halses. Hier ist auch die regel¬ 
mäßige Spongiosazeichnung 
verwischt. Im Kopf finden 
sich in seinem unteren Abschnitte noch zwei atrophische Partien un¬ 
mittelbar unterhalb des Knorpelüberzugs, in welchen die Spongiosa- 
bälkchen stark rarifiziert sind. Auch der unterste Teil der Schenkel¬ 
halsspitze ist erweicht und strukturlos. 

Zur mikroskopischen Untersuchung wurde die Knorpelzone und 
die angrenzenden Partien des Kopfes und Schenkelhalses verwendet. 

Entsprechend der makroskopisch so unregelmäßig gestalteten 
Knorpelfuge ist auch im mikroskopischen Bilde die Breite des 
Knorpelstreifens sehr verschieden. Er zeigt keine regelmäßige An¬ 
ordnung, nirgends ist Säulenknorpel festzustellen. Die Knorpelzelleu 


Fig. 69. 



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Die Coxa vara. 


579 


liegen in größerer Anzahl in Knorpelkapseln vereinigt. Die Knorpel¬ 
grundsubstanz tritt im ganzen zurück, die benachbarten Knochen- 
bälkchen enthalten in ihren Zentren noch zahlreiche solcher Knorpel¬ 
kapseln und außerdem klumpige tief schwarz sich tingierende, an 
der Peripherie verästelte Gebilde. Mitten im Knochen finden sich 
dann kleine Knorpelinseln ohne Zusammenhang mit der Epiphysen¬ 
fuge. Die Knorpelzone ist nicht überall erhalten, stellenweise ist 
sie unterbrochen von knöchernem Gewebe, hier tritt auch osteoide 
Substanz auf. Gerade an diesen Stellen zeigt das Knochengewebe 
manchmal auch keine Struktur mehr, es ist kernlos, zertrümmert 
und umgeben von kleinen Blutextravasaten. Die benachbarten Mark¬ 
räume enthalten wenig lymphoide Elemente, auch der Gehalt an 
Fettzellen ist gering, dagegen findet sich reichliches fibrilläres Ge¬ 
webe. Auch in den Markräumen finden sich freie Blutextravasate. 

Die folgenden 11 Fälle sind ausführlich bereits von Hoffa [73] 
im Jahre 1903 veröffentlicht worden. 

Beobachtung 61. I. S., 14 Jahre alt. Patientin ist vor 
6 Wochen von einem Baum herab auf die rechte Hüfte gefallen, 
konnte sich aber noch selbst erheben und, wenn auch unter Schmer¬ 
zen, nach Hause gehen. Zu Hause schwoll das Hüftgelenk an, so 
daß das Kind acht Tage zu Bett liegen mußte; während dieser Zeit 
wurden von einem Arzte Umschläge auf die Hüfte appliziert. Eine 
weitere Behandlung fand nicht statt. Als das Kind aufstand, hatte 
dasselbe Schmerzen in der Hüfte und hinkte beim Gehen; deshalb 
wurde es in die Klinik gebracht. 

Kräftiges Mädchen. Das rechte Bein steht in leichter Ab¬ 
duktion, stark nach außen rotiert und ist um 2 cm verkürzt. Bei 
Bewegungen im Hüftgelenk fühlt man deutlich eine weiche Krepi¬ 
tation. 

Diagnose: Wegen dieser Krepitation und in Anbetracht der 
übrigen Symptome wurde die Diagnose „traumatische Epiphysen¬ 
trennung“ gestellt und die operative Entfernung des Schenkelkopfes 
vorgeschlagen. 

Operation: Das Hüftgelenk wurde mittels des Langenbeck- 
schen Schnittes freigelegt. Es zeigte sich, daß der Schenkelkopf 
völlig in der Epiphyse gelöst und der Schenkelhals an dem Kopf 
in die Höhe gerückt war. Zwischen Schenkelkopf und -hals war 
nicht einmal eine bindegewebige Verbindung eingetreten. Der 


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580 


Carl Helbing. 


Schenkelkopf wurde nun aus der Pfanne herausgewälzt und ließ 
.sich nach Durchschneidung des Lig. teres leicht herausheben. Seine 
Epiphysenfläche hatte ein glattes, glänzendes Aussehen. Der Schenkel¬ 
hals wurde in die Pfanne eingestellt. Leichte Jodoformgaze-Tam¬ 
ponade, keine Naht. Gipsverband. Glatte Heilung. Nach 4 Wochen 
Entfernung des Gipsverbandes. Beginn mit Massage und Gymnastik. 

Bei der Nachuntersuchung nach 12 Jahren äußert Patientin, 
daß sie kaum noch merkt, daß sie einmal operiert worden ist. Sie 
hat sich inzwischen verheiratet, geht und steht und verrichtet alle 
Feldarbeiten ohne jede Beschwerde. Wenn sie nicht ermüdet ist, 
ist kaum eine Spur von Hinken zu merken. Nur nach stärkerer 
Anstrengung tritt ein leichtes Hinken ein. 

Beobachtung 62. A. M., 19 Jahre. Gesundes Mädchen. 
Im Alter von 4 Jahren wurde sie beim Gehen von jemand gestoßen 
und fiel nach rückwärts zu Boden. Es war sofortige Funktions¬ 
störung des rechten Beines und Schmerzhaftigkeit der rechten Hüfte 
vorhanden, so daß Patientin nach Hause getragen werden mußte. 
Ein Gips verband wurde angelegt und blieb 4 Wochen liegen. Un¬ 
mittelbar nach Abnahme des Verbandes konstatierte der Arzt eine 
Verkürzung des rechten Beines von 4 cm; es bestand Unfähigkeit 
zu gehen. Die rechte Hüfte wölbte sich vor. Etwas später wurde 
der Patientin in der Klinik ein Extensionsverband angelegt. Besse¬ 
rung trat nicht ein, das Bein wurde immer kürzer, die Vorwölbung 
der Hüfte größer. Patientin ging zunächst mit Krücken, dann mit 
einem Stocke. Mit 15 Jahren betrug die Verkürzung 10 cm. Sie 
bekam einen hohen Schuh mit Außenschiene. Als auch jetzt kein 
Erfolg eintrat, suchte Patientin die Klinik von Hoffa auf. 

Das rechte Bein der Patientin steht in starker Adduktions¬ 
stellung und ist im ganzen verkürzt. Die Entfernung der Spina 
ilei ant. sup. vom Malleolus ext. beträgt rechts 83 cm, links 86 cm. 
Der Trochanter steht 6 cm über der Roser-Nölatonschen Linie. 
Absolute Ankylose des Hüftgelenks. Starke Lordose und Skoliose. 
Auf einem angefertigten Röntgenbilde erkennt man die Rudimente 
des Kopfes in der Pfanne. Der Trochanter major ist mit eben 
solchen Rudimenten des Schenkelhalses hoch am Darmbein in die 
Höhe gehoben. Zwischen Femur und Becken sieht man deutlich 
breitere Knochenspangen, welche das Femur am Becken fixieren. 

Auf Grund des objektiven Befundes und des Röntgenbildes 


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Die Coxa vara. 


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wurde die Diagnose auf Anyklose des Hüftgelenkes nach trauma¬ 
tischer Epiphysenlösung gestellt, die die Operation auch bestätigte. 

Bei dieser wird die zwischen dem oberen Femurende und dem 
Becken bestehende Knochenbrücke von einem Längsschnitt über dem 
Trochanter aus durchgemeißelt. Extension auf dem Sehe de sehen 
Tisch. Die Adduktoren spannen sich dabei stark an und werden teno- 
tomiert. Leichte Gazetamponade, Gipsverband in Abduktion von 40°. 

2. Februar: Nochmalige Extension, Gipsverband in Abduktion 
von 50 °. Rasche Heilung. Massage, Gymnastik. 

Die Nachuntersuchung l 1 /* Jahre später ergibt: Der Gang 
der Patientin ist ausgezeichnet, sie hinkt kaum noch. Nach ihrer 
Angabe hat sie keinerlei Beschwerden. Will Patientin etwas vom 
Boden aufheben, so beugt sie das rechte Knie und läßt das linke 
Bein nach hinten gleiten. Kniebeuge gut ausführbar. Bei einfacher 
Rückenlage erscheint das rechte Bein um 1 */* Finger breit verkürzt, 
d. h. das Becken wird auf der rechten Seite gesenkt. Die Entfer¬ 
nung der Spina ant. sup. vom Malleol. ext. beträgt links 92 cm, 
rechts 85 V* cm. Bei Spreiz- und sonstigen Bewegungen geht das 
Becken mit; nur Drehbewegungen leichter Art sind möglich. Knie- 
und Fußgelenk sind vollkommen beweglich, das ganze rechte Bein 
befindet sich in leichter Abduktionsstellung und steht etwas nach 
außen rotiert. Die Narbe ist glatt und leicht verschieblich. Patien¬ 
tin kann ohne Unterstützung auf dem rechten Bein stehen. Das 
Knie befindet sich in leichter Genu-valgum-Stellung, im übrigen ist 
die frühere Deformität sehr gut ausgeglichen. 

4 l j 2 Jahre nach der Operation schreibt Patientin, daß sie außer¬ 
ordentlich zufrieden ist mit dem Erfolg der Operation und daß ihr, 
wenn sie sich in acht nimmt, beim Gehen niemand ihr früheres 
Leiden ansieht. Sie habe keinerlei Beschwerden mehr. 

Beobachtung 63. H. S., 3 Jahre alt, glitt vor l 1 /* Jahren 
beim Spielen aus, fiel zu Boden und war nicht im stände, allein 
wieder aufzustehen. Das Kind schrie sehr und zeigte immer nach 
der rechten Hüfte. Man versuchte es aufzustellen, es wollte aber 
durchaus nicht auf das rechte Bein treten. Der sofort herbei¬ 
gerufene Arzt konstatierte eine Schenkelhalsverletzung und legte für 
mehrere Wochen einen Streckverband an. Nach Abnahme deseiben 
zeigte das Kind dieselben Symptome. I 1 /* Jahr blieb das Leiden 
stationär. 


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582 


Carl Helbing. 


Grazil gebautes Kind mit schwächlicher Muskulatur und ge¬ 
ringem Fettpolster. Das rechte Bein ist stark nach außen rotiert* 
leicht flektiert; der Unterschenkel wird gewöhnlich über den linken 
gelagert. Die rechte Spina ilei ant. sup. steht 1 cm oberhalb der 
Roser-N61atonschen Linie, aktive und passive Bewegungen sind 
fast aufgehoben; bei jedem Versuch geht das Becken mit. 

Das Röntgenbild ergibt folgenden Befund. In der Pfanne er¬ 
kennt man ein kleines Rudiment des Schenkelkopfes. Der Schenkel¬ 
hals ist mit dem Femur hoch in die Höhe gerückt am Becken. Der 
Schenkelhals ist dabei mit dem Femur ganz nach außen gedreht, so 
daß man auf die ursprüngliche Epiphysenfläche heraufzuschauen glaubt. 

Operation am 16. Oktober 1899: Nach Durchschneidung der 
Haut und der Fascie wird die Muskulatur nach oben gehebelt, die 
Kapsel durchschnitten und der Trochanter aus der Wunde heraus¬ 
gehebelt. Der Kopf bleibt fest in der Pfanne und muß nach Durch- 
meißelung des Schenkelhalses mit großer Gewaltanwendung aus der 
Pfanne herausgehebelt werden. Er ist stark deformiert und bis zur 
Größe einer kleinen Haselnuß atrophiert. Die Pfanne selbst zeigte 
keine Besonderheiten, dagegen war der Schenkelhals fast ganz ver¬ 
schwunden, der Kopf saß unmittelbar dem Trochanter auf. Die 
Trochanterspitze wird in die Pfanne gestellt, die Wunde tamponiert, 
aseptisch verbunden und ein Gipsverband angelegt in abduzierter und 
innenrotierter Stellung. Nach der Operation ist nur noch eine un¬ 
bedeutende Verkürzung vorhanden, die durch die Abduktion aus¬ 
geglichen wird. Das Kind wird mit einem Schienenhülsenapparat 
entlassen, nachdem dem Beine eine leicht flektierte Stellung gegeben 
ist, um für den Fall einer eintretenden Ankylose des Hüftgelenks dem 
Kinde das Sitzen zu ermöglichen. 

Bei einer Untersuchung nach V* Jahr stand das Bein stark 
adduziert. Es wurde eine subtrochantere Osteotomie ausgeführt; reak¬ 
tionslose Heilung. Indessen zeigte das Bein immer wieder erneute 
Neigung, sich in Adduktion zu stellen, so daß noch mehrfache un¬ 
blutige Redressements und Gipsverbände nötig waren, bis es gelang, 
das Bein dauernd in guter Stellung zu erhalten. 

Beobachtung 64. 0. P., 13 Jahre alt, ist bis auf Masern 
und Scharlach stets gesund gewesen. Im August 1898 fiel Patient 
zwölf Stufen einer steinernen Treppe hinab; er schlug mit der rechten 
Hüfte auf und verspürte daselbst sofort Schmerzen, die ihn indessen 


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Die Coxa vara. 


583 


nicht am Gehen hinderten. Allerdings hinkte er etwa 8 Tage, konnte 
aber schon nach kurzer Zeit wieder größere Fußtouren unternehmen. 
Am 5. November erlitt Patient einen neuen Unfall; er blieb bei dem 
Versuch, über eine Hecke zu springen, mit dem Fuß in der Hecke 
hängen und fiel wieder mit der rechten Hüfte auf den ziemlich harten 
Erdboden. Patient verspürte diesmal heftigere Schmerzen, er konnte 
sich noch aufrichten, aber keinen Schritt gehen. Der hinzugezogene 
Arzt diagnostizierte eine einfache Kontusion und verordnete kalte 
Waschungen und Bewegungen des Beines. Der Zustand besserte 
sich wirklich so, daß Patient 3 Tage später die Schule wieder be¬ 
suchen konnte. Beim Uebersteigen einer Bank, wobei er den rechten 
Oberschenkel stark beugen mußte, verspürte er indessen wieder starke 
Schmerzen und mußte in sein Bett getragen werden. Man verordnete 
wieder Bettruhe und Bewegungsübungen. Vom hinzugezogenen Arzte 
wurde eine beginnende Hüftgelenksentzündung diagnostiziert. 

Status: Das rechte Bein steht abduziert, nach außen rotiert. 
Die ganze Hüftgegend erscheint deformiert. Der normale Vorsprung 
des Trochanter fehlt. Die Leistenfalte rechts ist verstrichen. Das 
rechte Bein mißt von der Spina ilei ant. sup. bis zum Malleolus ext. 
85 cm, das linke 86. Der Trochanter ist nach hinten disloziert und 
steht drei Finger breit vom Tuber ossis ischii entfernt. Die Innen¬ 
rotation ist sehr eingeschränkt, bei Flexions- und Abduktionsversuchen 
geht das Becken mit. 

Das Röntgenbild zeigt, daß der Schenkelkopf in der Pfanne 
sitzt, er hat sich jedoch so gedreht, daß er mit seinem unteren 
Rande die Pfanne weit überragt. Das Femur hat sich mit dem 
Schenkelhals völlig nach außen gedreht, so daß es den Schenkel¬ 
kopf scheinbar nur mit einem kleinen Teil des vorderen Randes 
berührt. 

Operation: Resektion des Schenkelkopfes. Der Schenkelhals¬ 
stumpf wird in die Pfanne gestellt, die Wunde tamponiert, aseptisch 
verbunden und das Bein mit dem Becken in leichter Innenrotation 
und Abduktion eingegipst. 

Der Erfolg der Operation war ein sehr guter. Das rechte Bein 
steht in Mittelstellung. Pie Rotation ist beinahe in physiologischen 
Grenzen möglich, die Abduktion bis zu einem Winkel von 35°, die 
Flexion bis zur Hälfte der normalen Grenze. Der Gang ist, wenn 
Patient auf sich achtet, nahezu normal. 

Bei der Nachuntersuchung 4 Jahre später zeigt es sich, daß 


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Carl Helbing. 


Patient absolut beschwerdefrei ist. Er macht stundenlange Spazier¬ 
gänge, und fühlt sich vollkommen normal. 

Beobachtung 65. W. J., 21 Jahre alt, war mit 16 Jahres 
beim Schlittschuhlaufen zu Fall gekommen. Er mußte nach Hause 
getragen werden und erhielt von einem sofort herbeigerufenen Arzt 
einen Extensionsverband an das rechte Bein, der nach 14 Tagen 
durch einen Stärkebindenverband ersetzt wurde. Nach weiteren 
14 Tagen stand Patient auf; er konnte, wenn auch mit Schmerzen, 
gehen. Das rechte Bein soll damals l 1 /* cm zu kurz gewesen sein. 
Die Diagnose schwankte damals zwischen Hüftgelenksentzündung 
und Muskelzerrung. 

Das rechte Bein steht stark nach außen rotiert und ist um 7 cm 
kürzer als das linke; der Trochanter steht über der Roser-Nelaton- 
schen Linie, der normale Trochantervorsprung fehlt. Beim Gehen 
und Stehen wird das Becken stark nach rechts geneigt, so daß eine 
rechtskonvexe Lendenskoliose entsteht. Gang stark hinkend. Das 
rechte Bein ist sehr atrophisch. 

Das Röntgenbild ergibt einen sehr charakteristischen Befund. 
Der Schenkelkopf steht in der Pfanne und überragt wie ein großer 
Pilz den Schenkelhals. Es ist dabei so gedreht, daß sein unterer 
Rand die Pfanne etwa um */s verlassen hat. Der Schenkelhals fehlt 
fast völlig; die Distanz vom Trochanter major bis zum Pfannenboden 
ist bedeutend kürzer wie auf der gesunden Seite. Es macht den Ein¬ 
druck, als sei der Schenkelhals gebrochen und darauf eine Einkeilung 
des Schenkelhalses in den Schenkelkopf erfolgt. 

Operation: Längsschnitt auf den Trochanter, Freilegung des 
Schenkelhalsrestes nach Durchtrennung der Kapsel. Der dem Tro¬ 
chanter aufsitzende Rest des Schenkelhalses ist an seiner dem Becken 
zugekehrten Seite mit einem Knorpelüberzug bekleidet. In der alten 
Pfanne liegt der seinerzeit abgebrochene Schenkelkopf; er füllt nicht 
allein die alte Pfanne aus, sondern überragt sogar nach oben die 
Pfanne. Die freie Stelle des Kopfes, die mit dem oberen Teil des 
Schenkelhalsrestes artikuliert hatte, ist glatt geschliffen und trägt 
einen knorpligen Ueberzug. An dieser Stelle wird bei stärkster 
Außenrotation und Bewegung des Beines der Kopf völlig losgetrennt 
und nunmehr aus der Pfanne zu lösen versucht. Das gelingt nur 
stückweise. Die alte Pfanne wird nun mit dem scharfen Löffel ver¬ 
tieft und der Schenkelhalsrest hineingestellt. Tamponade der Wunde, 


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Gipsverband in Abduktionsstellung und mittlerer Rotation. Nach 
3 Wochen Verbandabnahme. Das rechte Bein steht abduziert und hat 
die Neigung zur Außenrotation. Die rechte Spina steht 2 1 /* cm tiefer 
als die linke. Die Beweglichkeit des Hüftgelenkes ist eine ausgie¬ 
bige ; das Gelenk ist schmerzlos. Das Auftreten verursacht noch Be¬ 
schwerden, trotzdem macht der Patient Gehübungen, Beginn der 
Massage. 

Nachuntersuchung nach einem J /2 Jahr ergibt, daß die Ver¬ 
kürzung des rechten Beines noch 7 cm beträgt. Um diese auszu¬ 
gleichen, wird eine schräge Osteotomie des linken Femur handbreit 
über dem Kniegelenk vorgenommen und das untere Fragment mög¬ 
lichst nach oben geschoben. Hierdurch wurde das linke Bein um 
3 cm verkürzt. 

Das Endresultat ist ein ausgezeichnetes geworden. Die operierte 
rechte Hüfte ist nach allen Richtungen hin völlig frei beweglich und 
das Bein steht völlig normal und wird beim Gehen und Stehen völlig 
normal beansprucht. Auch die operierte linke Seite ist ohne jede 
Beschwerde für den Patienten geheilt, der seinen schweren Beruf 
als Kaufmann in jeder Weise tadellos und ohne Beschwerden ver¬ 
richtet. 

Beobachtung 66. M. L., 15 Jahre alt, fiel vor */* Jahr 
auf der Eisenbahn. Sie hatte sofort starke Schmerzen im rechten 
Hüftgelenk und war nicht im stände, zu gehen oder zu stehen. 

Das rechte Bein steht in leichter Beugestellung; es mißt von 
der Spina bis zum Malleolus ext. 86 cm, das linke 89 x /*. Der Um¬ 
fang beträgt am oberen Patellarrande rechts 37, links 39 cm. Die 
rechte Beckenhälfte erscheint gegen links abgeflacht, der Trochanter 
markiert sich rechts weniger deutlich, er steht auf der rechten Seite 
2 l jt cm über der Roser-Näla ton sehen Linie. Der entsprechende 
Gelenkkopf ist mit Sicherheit an seiner normalen Stelle zu fühlen. 
Die Glutäalfalte steht rechts bedeutend tiefer. Bei Bewegungs¬ 
versuchen im Hüftgelenk geht sofort das Becken mit. Nur eine 
ganz geringe Flexion ist ausführbar. Der Gang ist hinkend unter 
Drehbewegungen des Beckens. 

Das Röntgenbild ergibt eine Fraktur in der Epiphysenlinie. 
Der Schenkelkopf hat sich in der Pfanne gedreht, so daß sein oberer 
Rand frei zu Tage tritt. An der Bruchstelle zeigt sich eine deutliche 
Absetzung zwischen Schenkelkopf und Schenkelhals. Dieser letztere 


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Carl Helbing. 


erscheint stark nach außen gedreht, ebenso wie der ganze Ober¬ 
schenkel. 

Operation am 9. Mai 1900: Längsschnitt über dem rechten Tro¬ 
chanter. Es gelingt nicht, den Kopf aus der Pfanne herauszuluxieren 
da derselbe fest mit dem Pfannenrande verwachsen ist. Der Kopf 
ist am Halsfragmente herabgerutscht und hat sich etwas nach innen 
und hinten gedreht. Der Kopf wird nun an der Frakturstelle rese¬ 
ziert und stückweise entfernt. Die Pfanne wird mit scharfem Löffel 
und Doyen sehen Bohrer ausgehöhlt, der Schenkelhals hineingestellt 
Tamponade; teilweise Naht, aseptischer Verband. Extensionsverband 
in leichter Abduktion und Innenrotation mit dorsaler Gipshanfschiene. 
Nach 4 Wochen konnte Patientin aufstehen. Massage, Gymnastik. 
Nach 6 Wochen wurde sie entlassen. 

Auf eine Nachfrage nach ihrem jetzigen Befinden gibt Patientin 
2 3 /i Jahre nach der Operation an, daß sie sehr zufrieden mit der 
Leistungsfähigkeit ihres Beines ist. Anfangs war das Bein noch 
schwach; mit der Zeit hat es sich aber so gekräftigt, daß es selbst 
bei schweren Arbeiten nicht versagt. 

Beobachtung 67. L. B., 13 Jahre alt, hat vor 1 1 /a Jahren 
dadurch einen Unfall erlitten, daß sie mit einer sich lösenden Reck¬ 
stange zu Boden fiel, und zwar auf die linke Hüfte. Sie klagte so¬ 
fort über starke Schmerzen in der linken Hüfte und war nicht im 
stände, das linke Bein auszustrecken. 

Das linke Bein erscheint verkürzt, in der Hüfte flektiert und 
dünner als das rechte; es ist nach außen rotiert. Bei Abduktions¬ 
versuchen geht die Spina mit, ebenso bewegt sich das Becken mit 
bei Flexionsversuchen. Im Sinnt* der Rotation sind nur leichte Be¬ 
wegungen möglich. Das linke Bein mißt von der Spina bis zum 
Malleolus ext. 84, das rechte 87 cm. Die Palpation ergibt wegen 
des sehr starken Panniculus adiposus keine brauchbaren Resultate. 
Beim Stehen fällt eine starke Lordose auf. Beim Gehen tritt die 
Patientin nur mit der Fußspitze des linken Beines auf, einen Teil 
seiner Verkürzung korrigiert sie durch Beckensenkung. Das Tren¬ 
del enburgsche Symptom ist vorhanden. 

Das Röntgenbild des Beckens ergibt eine zweifellose trauma¬ 
tische Epiphysenlösung. 

Es wird die subtrochuntere Osteotomie ausgeführt. 

Das linke Bein zeigt bei der Entlassung noch eine Verkürzung 


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Die Coxa vara. 


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von 1 cm; es steht in guter Position. Nach brieflicher Mitteilung 
konnte Patientin in 3 /i Jahren nach der Operation 2—3stündige Spazier¬ 
gänge machen. 

Beobachtung 68. CI. Sch., 10 Jahre alt, früher ganz ge¬ 
sund, fiel vor 1 Jahre beim Schlittschuhlaufen auf die rechte Hüfte, 
ging unter lebhaften Schmerzen nach Hause, wurde dort zu Bett ge¬ 
legt und mit Auflegen einer Eisblase auf die Hüfte behandelt. Nach 
8 Tagen verließ sie das Bett und fing an herumzugehen. Dabei be¬ 
merkten die Eltern ein gewisses Lahmen des linken Beines. Das 
Hinken wurde mit der Zeit stärker; besondere Schmerzen bestanden 
nur nach größeren Spaziergängen. 

Wegen des Hinkens wurde das Kind in die Hof fasche Klinik 
gebracht. Nun ergab sich folgender Befund. 

Das linke Bein erscheint kürzer und magerer als das rechte, 
ln der Tat ergibt die Messung von der Spina ilei ant. sup. bis zum 
Malleol. ext. eine Verkürzung von l 1 /« cm. Der Dickenunterschied 
beträgt für den Oberschenkel 2, für den Unterschenkel 1 cm. Der 
Trochanter steht links 1 cm über der Ro s er-Nöla ton sehen Linie. 
Bewegungen im Hüftgelenk frei bis auf die Abduktion, die ziemlich 
stark beschränkt ist. Beim Stehen wird die Verkürzung durch Becken¬ 
senkung ausgeglichen; kein Trendelenburgsches Phänomen; Gang 
hinkend. 

Das Röntgenbild ergibt eine deutliche Infraktion des Schenkel¬ 
halses. Etwa an der Grenze des äußeren und mittleren Drittels des 
Schenkelhalses sieht man einen deutlichen Schatten durch die obere 
Hälfte des Schenkelhalses ziehen. Es macht den Eindruck, als ob 
hier die Knochenpartien des äußeren und mittleren Drittels des 
Schenkelhalses ineinander eingekeilt seien. Der Trochanter major 
steht rechts höher als links. Das äußere Drittel des Schenkelhalses 
ist mit dem Femur stark nach außen gedreht. 

Die Behandlung mittels Massage und Gymnastik erzielte einen 
vollen Erfolg, so daß Patientin jetzt, 3 Jahre nach Entlassung aus 
der Behandlung, völlig geheilt ist. Die geringe noch bestehende 
Verkürzung des Beines wird durch Beckensenkung ausgeglichen. 

Beobachtung 69. C. L., 7 Jahre alt, zeigte schon seit 
einigen Jahren ein gewisses Lahmen auf der rechten Seite. Vor 
1 Jahre ist sie dann vom Sofa gefallen. Sie empfand sofort starke 


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Carl Helbing. 


Schmerzen in der rechten Hüfte, konnte aber allein aufstehen und 
gehen. Eine Behandlung fand nicht statt. Da das Kind stark hinkt, 
suchen die Eltern mit ihm die Poliklinik auf. 

Das rechte Bein ist leicht verkürzt und erscheint schwächer 
als das linke. Maße: Spina ilei ant. sup. bis Malleol. ext. rechts 
52, links 53 cm. Spina bis oberer Patellarrand rechts 25, links 
26 cm. Die Umfänge zeigen keine meßbaren Differenzen. Der 
Schenkelkopf ist rechts an normaler Stelle fühlbar. Der Trochanter 
steht 1 cm über der Roser-Nölatonsehen Linie. Alle Bewegungen 
im Hüftgelenk sind eingeschränkt, besonders die Abduktion und Außen¬ 
rotation. Leichtes Hinken beim Gehen. Kein Trendelenburgsches 
Phänomen. 

Das Röntgenbild ergibt eine typische Coxa vara mit Verfcikal- 
stellung der Epiphysenlinie. Dabei zeigt es sich aber deutlich, daß 
der Schenkelhals sich am Schenkelkopf in die Höhe geschoben hat. 
Es ist kein Zweifel, daß das Kind schon früher an einer Coxa vara 
gelitten hat, daß durch den Fall auf die schon erkrankte Hüfte eine 
Lockerung der Epiphyse eingetreten ist und daß sich nunmehr ent¬ 
weder direkt durch den Unfall oder erst allmählich durch die Be¬ 
lastung des Beines beim Gehen eine Verschiebung des Schenkelhalses 
gegen den Schenkelkopf ausgebildet hat. 

Die Behandlung bestand in Anlegung eines Gipsverbandes an 
dem stark extendierten und abduzierten Bein. Der Verband blieb 
6 Wochen liegen. Dann wurde für mehrere Wochen energische 
Massage und Abduktionsgymnastik getrieben. 

Der Erfolg war ein relativ guter. Das Hinken hat sich be¬ 
deutend gebessert; das Kind besucht jetzt wieder ohne Beschwerden 
die Schule. 

9 Monate später hat die Verkürzung um etwa 2 1 /* cm zuge¬ 
nommen, ebenso hat sich die Adduktion des Beines und die Außen¬ 
rotationsstellung vermehrt. Die Bewegungsfähigkeit des Hüftgelenks 
ist bedeutend mehr vermindert als bei der ersten Untersuchung. 

Als Grund der zunehmenden Deformität ergab sich eine Zu¬ 
nahme der Dislokation der Fragmente unter der Einwirkung der 
Belastung des Beines. Der Trochanter major steht jetzt bedeutend 
höher als im ersten Röntgenbild und der Schenkelhals ist vom 
Schenkelkopf völlig abgerückt. Bestand bei der ersten Unter¬ 
suchung ein Schenkelhals winkel von einem Rechten, so ist jetzt der 
Schenkelhalswinkel spitz geworden. 


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Die Coxa vara. 


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Dieser Befund ist sehr interessant und beweist ujis deutlich, 
daß trotz der Länge der Zeit nach dem Unfall noch keine feste 
Verbindung zwischen den Bruchenden stattgefunden hat, daß diese 
Verbindung vielmehr unter dem Einfluß der Belastung des Beines 
nachgegeben hat, so daß die starke Dislokation der Fragmente ein¬ 
getreten ist. 

Beobachtung 70. M. H., 14 Jahre alt, rutschte vor 11 Mo¬ 
naten mit einer Leiter auf einer Tenne aus und fiel mit der linken 
Hüfte auf den hartgestampften Lehmboden. Sie empfand in der 
Hüfte so starke Schmerzen, daß sie nicht aufstehen konnte. 

Das linke Bein erscheint abgemagert und verkürzt. Die Maße 
betragen um den Unterschenkel links 27, rechts 29 cm. Um die 
Mitte des Oberschenkels links 37, rechts 41 cm; Länge von der Spina 
ilei ant. sup. bis zum Malleolus ext. links 77, rechts 82 cm. Die 
linke Beckengegend erscheint abgeflacht. Eine Messung der beiden 
Beckenseiten ergibt links 41, rechts 43 cm Umfang. Der Schenkel¬ 
kopf ist an normaler Stelle zu fühlen. Der Trochanter steht links 
4 cm über der Roser-Nälatonschen Linie. An der Stelle des 
Schenkelhalses fühlt man eine diffuse Knochenverdickung. Die Be¬ 
wegungen im Hüftgelenk sind alle eingeschränkt, am meisten die 
Auswärtsrotation und die Abduktion. Bei ausgiebigeren Bewegungen 
geht das Becken mit. Beim Stehen wird die Verkürzung des linken 
Beines durch Beckensenkung ausgeglichen. Läßt man im Stehen die 
Beine spreizen, so fällt die Abduktionshemmung noch mehr auf, das 
linke Bein bleibt völlig zurück. Der Gang ist stark hinkend, indem 
das linke Bein fast steif gehalten wird. Beim Gehen und Stehen 
sollen in der linken Hüfte Schmerzen auftreten. 

Das Röntgenbild ergibt eine Fraktur an der Epiphysenlinie. 
Der Schenkelkopf steht in der Pfanne, er hat sich jedoch so ge¬ 
dreht, daß sein unterer Rand frei aus der Pfanne zu Tage tritt. 

Beobachtung 71. M. 0., 15 Jahre alt, fiel vor 1 Jahre 
beim Schlittschuhlaufen auf die linke Hüftgegend. Er konnte nach 
Hause gehen, litt aber 14 Tage lang an Schmerzen im linken Hüft¬ 
gelenk. Seit dieser Zeit hinkte er leicht. 

Die linke Spina ilei steht tiefer als die rechte. Das linke Bein 
ist 3 cm kürzer als das rechte. Es steht auswärts rotiert. Die Außen¬ 
seite der Beckengegend erscheint links abgeflacht, da der Trochanter 


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Carl Helbing. 


major weniger prominiert als rechts. Der linke Trochanter steht 3 cm 
über der Roser-Nelatonschen Linie: Der Gelenkkopf ist an seiner 
normalen Stelle deutlich zu fühlen. Beugung, Streckung und Adduk¬ 
tion im Hüftgelenk sind frei und schmerzlos, dagegen ist die Abduk¬ 
tion stark eingeschränkt, was besonders deutlich wird, wenn man den 
stehenden Patienten auffordert, in Spreizstellung zu gehen. Der Gang 
ist hinkend. 

Die Röntgenaufnahme des Beckens zeigt eine Trennung des 
Schenkelkopfes vom Halse. Es macht den Eindruck, als sei der 
Schenkelhals tief in den Kopf hineingetrieben. Trochanter major 
und minor stehen hoch. Die Spitze des Trochanter major überragt 
den Schenkelkopf. 

Die Therapie bestand in energischer Massage, gymnastischen 
Uebungen und Uebungen an Pendelapparaten. Es wurde dadurch 
ein so gutes funktionelles Resultat erzielt, daß von einer eingreifen¬ 
den operativen Therapie Abstand genommen werden konnte. 

2. Schenkelhalsbrüche bei Erwachsenen, die zur Coxa vara geführt 

haben. 

Beobachtung 72. E. W., 57 Jahre, rechter Schenkelhals¬ 
bruch. 

Am Röntgenbild (Fig. 70) erscheint der Kopf um eine vertikale 
Achse gedreht, so daß die Bruchfläche des Kopfes nach vorn und 
außen sieht, ferner hat er eine Drehung um eine sagittale Achse 
erfahren, wodurch der untere Kopfteil nicht mehr mit der Gelenk¬ 
pfanne artikuliert. Der Schenkelhals scheint in den Kopf einge¬ 
trieben, ist stark verkürzt, die hintere Partie des Kopfes ruht dem 
Schenkelschaft direkt auf. Letzterer hat ebenfalls eine Drehung 
nach außen erfahren und steht in einer Adduktion von 15°. Tro¬ 
chanter major und obere Femurdiaphyse stark aufgehellt. Schenkel¬ 
halswinkel 85°. 

Beobachtung 73. Frau Sch., 56 Jahre. Linkseitige Schenkel¬ 
halsfraktur pseudarthrotisch geheilt. 

Im Röntgenbild (Fig. 71) sieht man durch eine vertikale breite 
Bruchlinie den Kopf vom Schenkelhals getrennt, der Femurschaft ist 
nach oben gerückt, so daß die Trochanterspitze 2 cm über dem Pfannen¬ 
dach steht. Der Oberschenkel zeigt außerdem eine starke Rotation 


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Die Coxa vara. 


591 


Fig. 70. Fig. 71. 



nach außen und bei der starken Verkürzung des Schenkelhalses fallt 
der Schatten des Trochanter minor zum Teil mit dem Kopfschatten 
zusammen. Schenkelkopf, ebenso der oberste Teil des Femurschaftes, 
wiederum stark atrophisch und für die Röntgenstrahlen fast vollkommen 
durchlässig. Schenkelhalswinkel 75 °. 

Beobachtung 74. K. P., 52 Jahre. Linkseitige Schenkel¬ 
halsfraktur. 

Im Röntgenbild (Fig. 72) verläuft die Bruchlinie schräg nach 
innen und unten und ist stark gezackt. Der untere Teil des Kopfes 
zeigt ebenfalls noch eine Absprengung. Die Knochenatrophie im 
Trochanter ist so hochgradig, daß er in der Größe einer Pflaume 
vollkommen durchsichtig ist und cystisch erscheint. Der Schenkel¬ 
hals geht fast ganz in die breite Bruchlinie auf. Schenkelhals¬ 
winkel 85°. 

Beobachtung 75. L. J., 46 Jahre. Linkseitige Schenkel¬ 
halsfraktur. 

Die Bruchlinie verläuft im Röntgenbild (Fig. 73) in einem 
Winkel von 75° zur Horizontalen nahe dem Schenkelkopf. Letz¬ 
terer hat eine Drehung um seine sagittale Achse im Sinne der Ab¬ 
duktion erfahren. Ein eigentlicher Schenkelhals fehlt vollkommen. 
Der Trochanter minor liegt dem Schenkelkopf direkt an, der Schenkel¬ 
schaft wieder nach oben disloziert, leicht adduziert und nach außen 
rotiert. Trochanterspitze 2 cm oberhalb des Pfannendachrandes. 

Zeitschrift filr orthopädische Chirurgie. XV. Bd. 38 


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592 


Carl Helbing. 


Während der Knochen im medialen Teil des Schenkelschaftes offen¬ 
bar durch die Einkeilung des Schenkelhalses verdichtet erscheint, 
ist wiederum der Trochanter major und die laterale Partie des ober¬ 
sten Schenkelschaftes stark aufgehellt. Schenkelhalswinkel 85°. 


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Beobachtung 70. Frau Sch., 51 Jahre. Rechtseitige 
Schenkelhalsfraktur. 

Die Bruchlinie verläuft im Röntgenbild (Fig. 74) wiederum 
vertikal, der Kopf grenzt sich von der Pfanne nicht mehr ab, 
Schenkelhals anscheinend vollständig in die Bruchlinie aufgegangen, 
Trochanter minor liegt wieder dem Schenkelkopf an, Trochanter 
major und oberer Teil der Femurdiaphyse zeigt hochgradigste Auf¬ 
hellung des Knochens, Schenkelhalswinkel 90°. 

Beobachtung 77. Frau Sp., 32 Jahre. Patientin ist mit 
16 Jahren von einer Scheunentenne gefallen und zog sich eine link¬ 
seitige Schenkelhalsfraktur zu. Trotz längerer Behandlung mit Gips- 
und Extensionsverbänden konnte die Patientin erst wieder nach 3 Jahren 
mühsam an Krücken gehen. Die rechte Hüfte ist vollkommen ver¬ 
steift, das Bein steht stark nach außen adduziert und ist um 10 cm 
verkürzt. 

Am Röntgenbilde (Fig. 75) ist von der Bruchlinie nichts zu 
sehen. Der Kopf grenzt sich von der Gelenkpfanne nicht ab. Ein 
eigentlicher Schenkelhals existiert ebenfalls nicht mehr. Dagegen 
gibt die mediale Partie des Schenkelschaftes einen besonders dichten 


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Die Coxa vara. 


593 


Schatten. Trochanter wieder stark aufgehellt, seine Spitze steht 4 cm 
über dem oberen Pfannendachrand. 

Wegen der vollkommenen Hüftgelenksversteifung wird die Re¬ 
sektion des Kopfes in Aussicht genommen. 

Bei der Operation zeigt sich, daß der Kopf mit dem medialen 
Teil des Schenkelschaftes — ein eigentlicher Schenkelhals existiert 
nicht mehr — nur pseudarthrotisch durch derbe Bindegewebsmassen 
verbunden ist. Nach Durchtrennung der bindegewebigen Verwach¬ 
sungen, die sich nur an der Außenfläche der miteinander verbun- 


Fig. 74. 



denen Bruchenden finden, zeigt sich, daß die beiden Bruchflächen 
einen samtartigen Ueberzug bezitzen, der aussieht wie eine stark 
entzündete Synovialmembran. Nur mit Mühe gelingt es, den mit 
der Gelenkpfanne bindegewebig verwachsenen Gelenkkopf aus seinem 
Bette herauszuheben und zu entfernen. Die Trochanterspitze wird 
angefrischt und unter kräftiger Extension und Abduktion in die leere 
Gelenkpfanne eingestellt. Die Heilung geht per priraam intentionem 
vor sich. Der Gang ist 3 Monate nach der Operation zwar noch 
leicht hinkend, die Patientin ist aber im stände, ohne Stütze be¬ 
schwerdefrei zu gehen. Ein Röntgenbild zeigt, daß der Trochanter 
in der Gelenkpfanne einen guten Halt gefunden hat. 

Das resezierte Knochenstück (Fig. 76a) besteht aus dem stark 
deformierten Gelenkkopf und dem Schenkelhalsrest. Der Kopf selbst 
ist atrophisch, klein, im sagittalen Durchmesser platt gedrückt, hat 
seine kugelige Form verloren und trägt nur an wenigen Stellen Reste 


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594 


Carl Helbing. 


von einem Knorpelüberzug. So ist die ganze obere Fläche des Kopfes 
vom Knorpel entblößt und zeigt hier tiefe Impressionen. Am Ansatz¬ 
punkt des Ligamentum teres ist die Spongiosa so rarifiziert, daß diese 
Partie cystisch erweicht ist. Die Bruchfläche, welche die Pseudar- 
throse mit dem Schenkelschaft gebildet hat, zeigt eine leicht kon¬ 
kave Wölbung, ist eiförmig gestaltet, glatt und trägt fast überal] 
einen Knorpelüberzug, der im fixierten Präparat durchsichtig er¬ 
scheint. Auf einem frontalen Durchschnitte des Präparates siebt 
man die starke Erweichung des medialen Kopfteils ganz besonders 


Fig. 76 a. Fig. 76 b. 



schön. Der Knorpelüberzug an dem Pseudogelenk ist ca. 2 mm dick 
und an dem frontalen Schnitt an keiner Stelle unterbrochen. In dem 
unteren lateralen Abschnitt finden sich zwei Cysten, von denen die 
eine kirschkern-, die andere erbsengroß ist, und deren Wandung 
von einem Gewebe umkleidet ist, das makroskopisch wie Knorpel 
aussieht. Von einem frontalen Fournierschnitt durch den resezierten 
Schenkelkopf wird ein Röntgenbild hergestellt. Dieses (Fig. 7Gb) 
zeigt eine fast vollkommene Strukturlosigkeit und eine Aufhellung 
der Kopfkappe. Das Knochengefüge des lateralen Kopfteils und 
des medialen unteren Schenkelhalsrestes zeigt dagegen eine Verdich¬ 
tung, jedoch keine regelmäßige Struktur. Innerhalb dieser verdich¬ 
teten Zone finden sich den oben geschilderten Cysten entsprechend 
mehrere erbsen- bis kirschkerngroße vollständig aufgehellte Partien. 

Im mikroskopischen Bild zeigt die Pseudogelenkfläche eine mehr 
oder weniger breite Lage von Knorpelgewebe. Die Knorpelgrund- 


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Die Coxa vara. 


595 


Substanz zeigt eine senkrecht zur Bruchlinie stehende Faserung, 
ebenso sind die Knorpelzellen in dieser Richtung geschichtet. Sie 
liegen in größerer Zahl in kleineren Inseln zusammen. An einigen 
Stellen ist die Knorpelgrundsubstanz fast vollkommen zellenfrei, 
strukturlos und offenbar nekrotisch. Erst weiter entfernt von dieser 
Knorpelzone tritt Knochengewebe in Gestalt plumper Knochenbalken 
auf. Die von ihnen eingeschlossenen Markräume zeigen faseriges 
Bindegewebe, sind reich vaskularisiert, stellenweise mit freien Blu¬ 
tungen durchsetzt und enthalten gar kein lymphoides und sehr wenig 
Fettgewebe. Die im Präparat als Cysten imponierende Gebilde stellen 
mikroskopisch keine eigentlichen Cysten dar, sondern sind ausgefüllt 
mit einem lockeren faserigen kernarmen Gewebe, das an Schleim¬ 
gewebe erinnert. In kleineren von diesen Hohlräumen liegt nekro¬ 
tisches kernloses Knochengewebe. Es handelt sich in diesem Falle 
um eine pseudarthrotisch geheilte Schenkelhalsfraktur, die zur Coxa 
vara geführt hat. Einen ähnlich gelagerten Fall hat Kocher in 
seinem Frakturenwerk beschrieben. 


Mit Berücksichtigung der vorausgeschickten Krankengeschichten, 
von denen 77 Fälle eigene Beobachtungen darstellen und 16 Fälle 
aus der Literatur wiedergegeben sind, soll im zweiten Teil unserer 
Arbeit zuerst eine Definition der Schenkelhalsverbiegung im Sinne 
der Varitas gegeben werden; hierauf soll die Aetiologie, die Anatomie 
und das klinische Bild der Coxa vara zur Sprache gelangen und schlie߬ 
lich die Therapie eine ausführliche Darstellung erfahren. 

Begriff der Coxa vara. 

Wir verstehen bekanntlich unter Varusstellung eines Gliedes die 
Stellungsveränderung eines Knochens, bei welcher sein distaler Teil 
eine pathologische Annäherung an die Medianlinie des Körpers erfährt, 
gleichgültig, ob die Abweichung innerhalb eines Gelenkes vor sich 
geht, oder ob durch Verbiegung eines Knochens jene Annäherung 
entstanden ist. Während nun die Verhältnisse in den Gelenken, 
welche der Hauptsache nach eine einachsige Bewegung zulassen, 
einfach und klar liegen, und der Begriff des Genu varum und des 
Cubitus varus kein Mißverständnis aufkommen läßt, da die Funktion 


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596 


Carl Helbing. 


dieser Gelenke eine Adduktion in Strecksteilung nicht erlaubt, ist die 
Begriffsbestimmung einer Varusstellung des Hüftgelenks mit viel grö¬ 
ßeren Schwierigkeiten verbunden. Das Hüftgelenk erlaubt ja Adduk¬ 
tionsstellung normalerweise, und die Adduktion als solche kann uns 
deshalb nicht genügen, um von einer Coxa vara zu sprechen. Um¬ 
gekehrt braucht ein im Sinne der Annäherung des distalen Gliedes 
an die Körpermediane verbogenes coxales Femurende gar nicht in 
Adduktion zu stehen, da eine Abduktionsstellung des verbogenen 
Femur die durch die Verbiegung hervorgerufene Adduktion wieder 
kompensieren kann. Alle Autoren, die sich mit der Coxa vara ein¬ 
gehend beschäftigten, haben mit der Schwierigkeit einer passenden 
Definition zu kämpfen gehabt. 

So hat Kocher die Forderung gestellt, daß in Analogie mit 
dem Pes varus nur dann von einer Coxa vara gesprochen werden 
dürfe, wenn neben der Adduktion noch eine pathologische Streck¬ 
steilung und Außenrotation hinzukäme. Damit hat er aber gerade 
die Schwierigkeit, daß eine Varusstellung durch die normale Funk¬ 
tion des Gelenkes wieder kompensiert werden kann, nicht aus der 
Welt geschafft, und gerade die Einführung eines neuen Begriffs für 
die reine Adduktionsstellung des Hüftgelenks, der Ausdruck „Coxa 
adducta“, ist nur im stände, neue Verwirrung zu bringen. 

Mit Recht betont Alsberg, daß man den Ausdruck Coxa 
adducta für die pathologischen Stellungen des Hüftgelenks reser¬ 
vieren müsse, bei welchen durch irgendwelche Verwachsungen eine 
dauernde Adduktionsstellung des Hüftgelenks eingetreten ist, ohne 
daß die Gestalt der das Hüftgelenk bildenden Knochen dabei ver¬ 
ändert zu sein braucht. Albert [4], der sich auch eingehend mit 
der Begriffsbestimmung der Coxa vara beschäftigt, bemerkt zu den 
Ausführungen Kochers, daß jene Trias der Symptome, die Kocher 
beim Pes varus berücksichtigt, um eine analoge Trias der Coxa vara 
zu konstruieren, gar nicht für den reinen Pes varus zutriffk, sondern 
nur für den Equinovarus gilt. 

Die Adduktionsstellung in der Hüfte allein berechtigt aber 
auch wieder nicht, um von einer Coxa vara zu sprechen, wie dies 
z. B. Müller glaubt. Denn es kann sehr wohl durch eine fehler¬ 
hafte Stellung im Knie, z. B. durch ein Genu valgum, eine nur die 
Kniedeformität kompensierende Adduktionsstellung des Oberschenkels 
geschaffen werden, ohne daß man zur Annahme einer Coxa vara be¬ 
rechtigt wäre. 


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Die Coxa vara. 


597 


Ich glaube, man muß die Versuche aufgeben, die Adduktions¬ 
stellungen der Hüfte, die nur durch Stellungsveränderungen inner¬ 
halb des Gelenks bedingt sind, in das Bild der Coxa vara einzu¬ 
reihen, und muß den Ausdruck „Coxa vara* nur für die Verände¬ 
rungen am coxalen Femurende im Sinne der Varität 
reservieren. 

Damit wird die Definierung der Coxa vara wesentlich leichter. 
Es kann die Stellungsänderung bedingt sein: 

1. durch eine Verschiebung der Achsen zwischen Kopf und 
Schenkelhals, 

2. durch eine Verbiegung des Schenkelhalses, 

3. durch eine Stellungsänderung des Schenkelhalses gegen den 
Schenkelscbaft und 

4. durch eine Abknickung des Schenkelschaftes unterhalb des 
Trochanter major, aber noch im Bereiche des coxalen 
Femurendes. 

Nur in seltenen Fällen handelt es sich nur um eine der ge¬ 
nannten Stellungsveränderungen, vielmehr treten diese meist kombi¬ 
niert auf. Das Charakteristische der Coxa vara liegt aber jedenfalls 
meist in der Verbiegung des Schenkelhalses nach unten und in der 
dadurch bedingten Verkleinerung des Schenkelhalswinkels. Nach 
den Untersuchungen von Mikulicz beträgt dieser Winkel im Mittel 
125—126°, doch unterliegt derselbe je nach Alter und Geschlecht 
gewissen Schwankungen, die vom Mittelwerte im ganzen wenig ab¬ 
weichen. Ueber den Grad der durch die Schenkelhalsverbiegung be¬ 
dingten Adduktionsstellung wissen wir aber durch die Bestimmung 
des Schenkelhalswinkels noch gar nichts. Es ist deshalb der Ge¬ 
danke Alsbergs [5], ein exaktes Maß für die Größe der Varus- 
stellung einzuführen, ein recht glücklicher gewesen. Bei einer solchen 
Bestimmung konnte aber nur die Varusstellung berücksichtigt werden, 
soweit sie durch Gestaltsveränderung des proximalen Femurendes be¬ 
dingt ist. Ignoriert wird dabei die Größe der Varusstellung, die aus 
einer veränderten Stellung des Femur zur Pfanne gegeben sein kann. 

Alsberg geht von dem in Mittelstellung befindlichen Hüftgelenk 
aus. „Denkt man sich durch ein solches normales Hüftgelenk eine 
Frontalebene gelegt, so sieht man, daß das Ende des Knorpelüber¬ 
zugs am Kopfe vom knöchernen Pfannenrand resp. der Brücke des 
Limbus cartalagineus proximal und distal ungefähr gleich weit ent- 


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598 


Carl Helbing. 


fernt ist. Verbindet man nun diese beiden Knorpelendpunkte durch 
eine Linie und verlängert man diese Linie bis zum Schnittpunkt m:r 
der Oberschenkelachse, so gewinnt man einen Winkel, welcher das 
von uns gewünschte Maß darstellt. Je kleiner der Winkel, desto 
größer die Varusstellung.“ Der Mittelwert dieses von Alsberg ah 
Richtungswinkel bezeichneten Winkels beträgt 41°, ist jedoch ziem¬ 
lich großen individuellen Schwankungen unterworfen, dürfte aber selbst 
bei den Extremen des Normalen nicht unter 29° herabgehen und nicht 
über 51° steigen. Ein vergrößerter Winkel zwischen der Gelenkflächen- 
basis und Oberschenkeldiaphyse bedeutet Abduktions- oder YaJgus- 
stellung des Oberschenkels, eine Verkleinerung eine Varusstellung 
Hoffa [69] definiert den Alsbergschen Richtungswinkel insofern 
etwas anders, als er eine durch die Basis der überknorpelten Schenkel¬ 
kopffläche gelegte Ebene bei der Konstruktion des Richtungswinkels 
benützt. Für die Bestimmung im anatomischen Präparat spielt jedoch 
diese unterschiedliche Auffassung keine Rolle. 

Wenn Albert sagt, daß die Basis der überknorpelten Schenkel¬ 
kopffläche in einer unregelmäßigen Begrenzungslinie verläuft und man 
nicht ohne weiteres einen Kopfäquator durch sie legen könne, so hat 
er in mathematischem Sinne wohl recht. Albert wählt, um dieser 
Ungenauigkeit zu entgehen, deshalb die Pfanne mit ihrem Limbus, 
die nahezu eine Halbkugel bildet und deshalb eine Ebene durch den 
freien Rand des Limbus zu legen gestattet, als Ausgangspunkt seiner 
Ebene. Wenn er aber dann bei der weiteren Bestimmung der Ebene 
den Kopf in ein solche Lage zur Pfanne bringt, daß der überknor- 
pelte Teil des Kopfes in die Pfanne aufgenommen erscheint und nir¬ 
gends „erhebliche Segmente“ seiner überknorpelten Kugelfläche 
frei sind, und dann durch beide (Halbkugel der Pfanne und des Kopfes) 
eine Ebene legt, so hat er ja ebensowenig die unregelmäßige 
Begrenzungslinie des Kopfes bei seiner Bestimmung 
ausgeschaltet und seiner von ihm „Aequatorialebene 4 
genannten Fläche haftet schließlich dieselbe Unge¬ 
nauigkeit au, wie der Hoffaschen Kopfbasisebene. Bei 
der Adduktionsbestimmung benützt nun Albert nicht die mit der 
Hoffa sehen Ebene identische Aequatorialebene, sondern eine auf 
diese errichtete Senkrechte. Es ist ohne weiteres klar, daß diese 
Senkrechte mit der Schenkelschaftachse einen Winkel einschließt, der 
nur um 90° größer ist als der Alsbergsche Richtungswinkel. Es 
ist deshalb wünschenswert, daß man bei der Einfachheit, mit welchem 


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Die Coxa vara. 


599 


sich der Alsberg sehe Richtungswinkel am anatomischen Präparat 
bestimmen läßt, diesen auch künftig bei der Untersuchung von anato¬ 
mischen Präparaten beibehält. 

Ein so exaktes Maß der Alsberg sehe Richtungswinkel bei 
der Bestimmung der Varität des proximalen Femurendes am Prä¬ 
parat darstellt, so läßt er doch, wie Alsberg selbst eingesteht, so¬ 
fort ganz im Stich, wenn es gilt, auf Grund eines Röntgenbildes die 
Varität des coxalen Femurendes zu bestimmen. In den allermeisten 
Fällen hat man aber bei der Beurteilung des Grades einer Coxa vara 
nur das Röntgenbild und nicht ein anatomisches Präparat zur 
Verfügung. 

Aus diesem Grund habe ich Untersuchungen an normalen Ober¬ 
schenkelknochen von Individuen verschiedenen Alters angestellt, wie¬ 
weit es möglich ist, die Epiphysenlinien, die doch in fast allen hier in 
Betracht kommenden Röntgenbildern noch sichtbar ist, zur Bestimmung 
der Varusstellung des coxalen Femurendes heranzuziehen. Es war vor 
allen Dingen festzustellen, um wie viel die Epiphysenlinie von der 
Hoffaschen Ebene abweicht, und ob diese Abweichung eine relativ 
konstante ist und in den verschiedenen Lebensaltern bis zur Pubertäts¬ 
zeit so genau bestimmt werden kann, um durch Abrechnung doch 
den Alsberg sehen Richtungswinkel zu konstruieren oder den Als- 
bergschen Richtungswinkel durch einen Winkel zu ersetzen, der ge¬ 
bildet wird aus einer durch die Knorpelfuge gelegte Gerade einerseits 
und die Achse des Schenkelschaftes anderseits. Ich möchte für 
diesen Winkel den Namen „Epiphysenwinkel“ vorschlagen. 

Meine Untersuchungen habe ich an 11 Leichenpräparaten ange¬ 
stellt, deren Ueberlassung ich dem freundlichen Entgegenkommen des 
Herrn Geheimrat Professor Orth verdanke, und dem ich an dieser 
Stelle meinen ergebensten Dank ausdrücke. Das Alter der Leichen, 
welchen die Präparate entnommen worden sind, schwankt zwischen 
dem des Neugeborenen und dem 17. Lebensjahre. Durch das pro¬ 
ximale Femurende wurde ein frontaler Sägeschnitt gelegt, die Rich¬ 
tung der Hof faschen Ebene markiert und dann von der vorderen 
Hälfte des Präparates ein Skiagramm hergestellt. Die Linie, welche 
durch den Epiphysenknorpel gelegt wurde, wurde so konstruiert, 
daß die proximalen Endpunkte des verknöcherten Schenkelhalses 
durch eine Gerade verbunden wurden. Diese Gerade schneidet in 
ihrer Verlängerung die Achse des Femurschaftes, und der so ent¬ 
stehende Winkel ist der gewünschte Epiphysenwinkel. 


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600 


Carl Helbing. 


Präparat 1 vom Neugeborenen: 

a) Schenkelhalswinkel 136°, 

b) Alsberg scher Richtungswinkel 46°, 

c) Epiphysen winkel 54°. 

Präparat 2 ebenfalls vom Neugeborenen: 

a) Schenkelhalswinkel 137°, 

b) Alsberg scher Richtungswinkel 47°, 

c) Epiphysenwinkel 54°. 

Präparat 3, 3 Monate altes Individuum: 

a) Schenkelhalswinkel 137°, 

b) Alsbergscher Richtungswinkel 45°, 

c) Epiphysen winkel 51°. 

Präparat 4 von einem 1 Jahr 4 Monate alten Individuum: 

a) Schenkelhalswinkel 137°, 

b) Alsbergscher Richtungswinkel 42°, 

c) Epiphysen winkel 61°. 

Präparat 5 von einem 2 Jahre 5 Monate alten Kind: 

a) Schenkelhals winkel 138°, 

b) Alsbergscher Richtungswinkel 43°, 

c) Epiphysen winkel 62°. 

Präparat 6 von einem 5 Jahre alten Kinde: 

a) 126°, 

b) 39°, 

c) 60°. 

Präparat 7 von einem 6jährigen Kind; Oberschenkel durch 
Rhachitis stark nach vorn konvex verkrümmt: 

a) 124°, 

b) 48°, 

c) 67°. 

Präparat 8 von einem 8 3 /4 Jahre alten Kind: 

a) 123°, 

b) 38°, 

c) 54°. 

Präparat 9 von einem 12 Jahre alten Kind: 

a) 133°, 

b) 45°, 

c) 57°. 

Präparat 10 von einem 14 Jahre alten Kind: 

a) 135°, 


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Die Coxa vara. 


601 


b) 42°, 

c) 57°. 

Präparat 11, 17 Jahre altes Individuum: 

a) 127°, 

b) 45°, 

c) 61°. 

Sehen wir von dem Präparate 7 ab, das von einem hochgradig 
rhachitischen Individuum stammte und sehr stark nach vorn konvex 
verbogene Oberschenkel aufwies, so sind die Schwankungen, inner¬ 
halb welcher die Größe des sogenannten Epiphysen winkeis sich be¬ 
wegt, nicht sehr groß. Der kleinste Winkel beträgt 51°, der größte 
62°, der Mittelwert 57°. Die Schwankungen in der Größe des Rich¬ 
tungswinkels sind allerdings bei unseren Präparaten um 2° geringer, 
der kleinste beträgt 39, der größte 47°, als Mittel erhielt ich 43°. 
Es ist dabei aber auch zu berücksichtigen, daß die Schwankungen 
in der Größe des Schenkelhals winkeis noch viel erheblicher 
an unseren Präparaten sind. 

Wir wissen aus den Untersuchungen von Luß [120], welcher 
die Ergebnisse von Messungen an 155 Oberschenkeln niedergelegt 
hat, daß normalerweise auch beim Richtungswinkel Schwankungen 
von 25—54 0 Vorkommen können. Die Größe des Epiphysenwinkels 
wird natürlich ebenso wie die des Richtungswinkels beeinflußt von 
der Neigung, welche die seitliche Beckenwand und mit ihr die 
Pfanne gegen die senkrechte Ebene besitzt. Hat die seitliche Becken¬ 
wand einen mehr vertikalen Verlauf, so wird auch die Pfanne 
schräger gestellt sein und die steilere Stellung der Pfanne bei sonst 
normalem Oberschenkel eine Verkleinerung beider Winkel bewirken. 
Das Umgekehrte gilt natürlich für die mehr horizontal gestellte 
Pfanne. Wenn wir den Richtungswinkel von 25 0 als den kleinsten 
Winkel bezeichnen, welcher noch einem normalen coxalen Femur¬ 
ende entsprechen kann, so können wir als untersten Grenzwert für 
den Epiphysenwinkel 39° annehmen, da sich letzterer als durch¬ 
schnittlich 14° größer erwiesen hat als ersterer. In allen Fällen 
also, in welchen der Epiphysenwinkel kleiner als 39° ist, 
sind wir berechtigt, von einer Coxa vara zu sprechen. Meist 
handelt es sich aber dann schon um eine Coxa vara, wenn der Epi¬ 
physenwinkel wesentlich kleiner als 57° ist. 

Der Wert einer derartig exakten Definition der Coxa 
vara mit Hilfe des Epiphysen winkeis liegt darin, daß wir 


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602 Carl Helbing. 

aus dem Röntgenbilde schon mit Sicherheit die Diagnose stellen 
können. 

Bei den Untersuchungen Alsbergs und den meinigen an ana¬ 
tomischen Präparaten arthritisch deformierter Oberschenkel, die ganz 
den Eindruck einer Coxa vara machen, findet sich die auffallende 
Tatsache, daß trotz Verkleinerung des Schenkelhalswinkel der Rich¬ 
tungswinkel normal oder sogar größer ist. An solchen Präparaten 
zeigt die meist abgeflachte Gelenkpfanne einen der Horizontalen sich 
nähernden Verlauf; der dazu gehörige Oberschenkelkopf steht dann 
nach der von uns gegebenen Definition der Varusstellung trotz der 
Verkleinerung des Schenkelhalswinkels und trotz des hochstehenden 
Trochanter nicht in Varusstellung. Wir müssen eben festhalten, daß 
ein verkleinerter Schenkelhalswinkel kompensiert werden 
kann durch eine Stellungsänderung der Artikulations¬ 
fläche an der Pfanne. Auch der umgekehrte Fall, daß durch 
Steilstellung und eine mehr der Vertikalen sich nähernde Stellung der 
Gelenkpfanne eine Varusstellung des Oberschenkels ohne Verkleinerung 
des Schenkelhalswinkels resultieren kann, ist nach dem eben An¬ 
geführten ohne weiteres denkbar. Vergleichende Untersuchungen an 
meinen Röntgenbildern bei Coxa vara rhach. zeigen ähnliche Ver¬ 
hältnisse wie bei der Arthritis deformans. In den allermeisten Fällen 
ist der Epiphysenwinkel nicht besonders verkleinert, und trotzdem 
besteht eine deutliche Verkleinerung des Schenkelhalswinkels. In 
diesen Fällen ist trotz der Verkleinerung des Schenkelhals¬ 
winkels keine Varusstellung des Oberschenkels nach der obigen 
Definition vorhanden, und wir sind eigentlich nicht ohne weiteres 
berechtigt, in diesen Fällen von einer Coxa vara im anatomischen 
Sinne zu sprechen. 

Haben wir uns auch gewöhnt, die Verkleinerung des Schenkel¬ 
halswinkels als das wesentliche Charakteristikum der Coxa vara 
anzusehen, so ist es durchaus notwendig, daß wir uns über die kom¬ 
pensierenden Momente, die durch Stellungsveränderungen der arti¬ 
kulierenden Kopffläche oder der Artikulationsfläche der Pfanne ent¬ 
stehen, immer durchaus klar sind. Denn auch klinisch sehen wir 
z. B. bei der Arthritis deformans, die mit Verkleinerung des Schenkel¬ 
halswinkels einhergeht und bei der Coxa vara rhach. öfter keine 
erhebliche Adduktionsstellung des Oberschenkels. 


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Pie Coxa vara. 


603 


Die Aetiologie der Coxa vara. 

Wir betrachten, wie schon aus dem ersten Teil der Arbeit 
hervorgeht, die Coxa vara als ein Symptom, das bei den verschie¬ 
densten Krankheiten angeborenen und erworbenen Ursprungs in 
Erscheinung treten kann« 

Ueber die Genese der angeborenen Coxa vara, auf die Kredel 
und ich zuerst hingewiesen haben (Helbing [61]), bei dem heutigen 
Stande der Kenntnisse, die wir von diesem Leiden haben, etwas Be¬ 
stimmtes aussagen zu wollen, erscheint uns müßig. Ob der hypo¬ 
thetische Druck, den die Eihüllen auf den Fötus während der Ex- 
tremitätenentwicklung ausüben können, zur Erklärung herangezogen 
werden darf, erscheint mir recht fraglich. Gegen diese Auffassung 
spricht bis zu einem gewissen Grade die häufig konstatierte Doppel- 
seitigkeit des Leidens mit ganz symmetrischer Verbildung, ferner 
die verwandten Beziehungen zur kongenitalen Hüftgelenkluxation 
und zu dem Oberschenkeldefekt und endlich die mehrfach konsta¬ 
tierte hochinteressante Beobachtung (cf. Fall 7, 9 und 10), daß von 
zwei Geschwistern das eine an kongenitaler Hüftgelenksluxation, das 
andere an Coxa vara congenita leidet. Wir tun, wie ich glaube, 
gut, auch hier ein Vitium primae formationes anzunehmen, 
das in der postfötalen Lebensperiode seinen Ausdruck in einer gänz¬ 
lich mangelnden oder verzögerten Ossifikation des 
coxalen Femurendes findet, durch die bei eintretender Belastung 
des Beins die Möglichkeit einer Verbiegung des Schenkelhalses ge¬ 
geben wird. 

Alle anderen Formen der Coxa vara lassen sich entweder auf 
eine Einbuße der normalen Widerstandsfähigkeit des coxalen Femur¬ 
endes oder auf ein Mißverhältnis zwischen der Inanspruchnahme des 
Knochens und der Belastung zurückführen. 

Ganz einfach liegen die Verhältnisse bei den Erkrankungen, 
welche durch eine pathologische Weichheit des ganzen Skelettsystems 
ausgezeichnet sind: bei der Rhachitis und Osteomalacie. Hier ist 
die Verbiegung des Schenkelhalses, der ja gerade bei der Belastung 
durch seine schräge Verlaufsrichtung ganz besonders zu einer Ab¬ 
biegung nach unten disponiert sein muß, nur ein Analogon anderer 
uns bekannter Verbiegungen des Skeletts. 

Ebenso einleuchtend ist die Schenkelhalsverbiegung bei ent¬ 
zündlichen Erkrankungen im Schenkelhals und Schenkelkopf, die 


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604 


Carl Helbing. 


mit einer lokalen Erweichung gerade dieses Skelettsystems einher¬ 
gehen. Hierher gehören die Tuberkulose, die Cystenbildung, die 
Ostitis fibrosa und Arthritis deformans. 

Auch die nach Traumen entstehenden Schenkelhalsverbiegungen, 
gleichgültig ob die Verletzung eine Kontinuitätstrennung in der Epi¬ 
physenlinie oder im Schenkelhälse gesetzt hat, bieten in ihrer Genese 
weiter keine besonderen Schwierigkeiten. 

Erfahrungsgemäß genügen jedoch manchmal ganz leichte 
Traumen, um eine Epiphyseolyse bei Individuen vor und im Puber¬ 
tätsalter zu erzeugen. Als Beispiele will ich die eigenen Beobach¬ 
tungen 58, 62, 63, 65, 66, 68, 71 anführen. In diesen Fällen ge¬ 
nügte ein einfacher Fall auf das Knie oder auf die Hüfte, um eine 
Trennung des Kopfes in der Epiphysenlinie zu bewirken. Sehr 
häufig wird der Verletzung anfangs gar keine Bedeutung beigelegt. 
Die Verbiegung und mit ihr die Beschwerden entwickeln sich erst 
im Lauf der nächsten Zeit; die Deformität ist also in ihrer Ent¬ 
stehung so zu denken, daß durch die zu früh wieder aufgenommene 
Belastung der noch weiche Callus nachgibt. Solche Fälle haben ihr 
Analogon an einem anderen Skelettabschnitt, der Wirbelsäule, an 
welcher ebenfalls nach relativ geringem, Knochenfissuren setzenden 
Traumen nach und nach bei weiterer Belastung eine Abknickung 
der Wirbelsäule ein tritt (Kümmellsche Krankheit). 

Eine Reihe von anderen Fällen ist dadurch charakterisiert, daß 
schon vor dem Trauma eine Disposition zur Verbiegung durch 
abnorme Knochenweichheit (wie in den von Leusser [116] und 
Siebs [175] beschriebenen Fällen, die durch schwere Rhachitis 
kompliziert waren) oder überhaupt schon eine Coxa vara bestand 
(Sprengel, Hofmeister, Hoffa und Beobachtung 69). 

Da, wo bereits eine Coxa vara vorhanden ist, stellt durch die 
veränderte Richtung der Epiphysenlinie, die aus ihrer normalerweise 
fast horizontalen Richtung in eine mehr oder weniger vertikale 
übergeht, schon der normale Gehakt bis zu einem gewissen 
Grade ein Trauma dar und kann bei der häufigen Wiederholung 
der Schädigung schließlich zu einer Trennung in der Epiphysenlinie 
führen. Whitman [192] und Sprengel [176] nehmen sogar an, 
daß eine in der frühesten Jugend acquirierte traumatische Epiphysen¬ 
lösung noch im Pubertätsalter zu einer Schenkelhalsverbiegung führen 
kann. Auch wir haben beobachtet, daß nach einer Epiphyseolyse 
unter der Einwirkung der Belastung noch nach Monaten eine weitere 


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Die Coxa vara. 


605 


Verschiebung der Kopf kappe gegen den Schenkelhals stattfindet, 
und die Deformität so eine weitere Zunahme erfährt (Beobach¬ 
tung 69). 

Natürlich kann auch unter dem Einfluß destruierender Prozesse 
wie der Tuberkulose eine spontane Epiphyseolyse eintreten und so 
zur Bildung einer Coxa vara führen (Siebs). 

Weitaus größere Schwierigkeit bereitet die Deutung der sog. 
Coxa vara adolescentium. Hier ist von einigen Autoren eine ab¬ 
norme Knochenweichheit durch Spätrhachitis oder juvenile Osteo- 
malacie (Kocher) angenommen worden, auf deren Basis bei beson¬ 
derer Beanspruchung der unteren Extremitäten die Schenkelhalsver¬ 
biegung sich entwickelt. Doch ist bis jetzt diese Annahme einer 
solchen Erkrankung nur eine hypothetische, und auch der von 
Hädke [59] gegebene mikroskopische Befund eines durch Resektion 
gewonnenen Präparates von einem 17jährigen an rechtseitiger Schenkel¬ 
halsverbiegung leidenden Mannes ist nicht im stände, Spätrhachitis 
mit Sicherheit zu beweisen. Auffallend bleibt an diesem Falle, daß 
sich auch hier eine Verschiebung des Kopfes in der Epiphysenlinie 
vorfand, welche die Möglichkeit einer Epiphyseolyse nahelegt; 
nimmt man aber eine Epiphysenlösung in dem Falle Hädke s an, so 
lassen sich der am Knorpel konstatierte Befund, das Auftreten freier 
Knorpelinseln und die Bildung osteoider Substanz ohne Zuhilfenahme 
einer Rhachitis einfach aus der Heilung der Knochenwunde heraus 
erklären. Ich verweise in dieser Hinsicht nur auf den ähnlich ge¬ 
lagerten mikroskopischen Befund unserer Beobachtung von einer 
traumatischen Epiphysenlösung (Nr. 60). 

So lange man deshalb nicht mit Sicherheit die typischen 
rhachitischen Veränderungen nachweisen kann, tut man, wie ich 
glaube, gut, die hypothetische Spätrhachitis als Ursache 
der Coxa vara ganz aus dem Spiel zu lassen. 

Die Coxa vara adolescentium stellt wohl überhaupt kein ein¬ 
heitliches Krankheitsbild dar, sondern ist nur ein Symptom, 
das durch verschiedenartige Krankheitsprozesse bei gleichzeitiger Ein¬ 
wirkung derselben äußeren Schädlichkeiten bedingt sein kann. Die 
Hauptschädlichkeit ist die auf dem Oberschenkel ruhende Körperlast. 
Schon Kocher hat diesem Moment große Wichtigkeit beigelegt, 
und er bezeichnet deshalb diese Form der Coxa vara bei jungen 
Leuten, die durch ihren Beruf zu anhaltendem Stehen mit gespreiz¬ 
ten und auswärts rotierten Beinen gezwungen sind, geradezu als 


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Carl Helbing. 


eine Berufskrankheit des Wachstumsalters. Ebenso sehen Manz [124]. 
Bähr [9], Schanz [164] und Blum [12] die Coxa vara adolescentium 
als eine rein statische Deformität an, letzterer glaubt sogar, daS 
bei der Entstehung der Coxa vara die Belastung eine viel größere 
Rolle spielt, als eine gleichzeitig bestehende Knochenaffektion. Dea 
umgekehrten Standpunkt vertritt wieder Schlesinger [169], der 
dem Trauma eine große Rolle auch bei der Entstehung der Coxa 
vara adolescentium zuschreibt. Nach ihm ist der Sitz der Verbiegung 
bei der Coxa vara adolescentium immer nur in der Epiphysenlinie 
zu suchen. Die beiden von uns beobachteten Fälle (Nr. 44 und 45) 
lassen allerdings auch die Möglichkeit der Deutung einer Epiphysen¬ 
lösung zu, da der obere mediale Rand des Schenkelhalses über die 
obere Begrenzung der Kopfkappe hinausragt. Sud eck [182] ver¬ 
sucht, die Coxa vara durch eine hypothetische mangelhafte Aus¬ 
bildung eines ganz bestimmten Bälkchensystems, das dem Schenkel¬ 
hals seine besondere Festigkeit gegen Verbiegung nach hinten und 
unten verleiht, zu erklären. 

Meiner Ansicht nach ist man auf Grund unserer heutigen 
Kenntnisse zu der Annahme berechtigt, daß die Coxa vara adoles¬ 
centium einfach durch eine unverhältnismäßig große Bean¬ 
spruchung des noch im Wachstum befindlichen Knochen¬ 
gewebes, welches den erhöhten Anforderungen sich nicht gewachsen 
zeigt, ohne gleichzeitige Annahme einer Knochenerkran¬ 
kung entstehen, daß sie also als eine reine Belastungsdeformität 
aufgefaßt werden kann. Daß aber auch Schenkelhalsverbiegungen 
erst nach der Pubertätszeit bei älteren Patienten auf Grund stärkerer 
Beanspruchung der unteren Extremitäten klinisch in Erscheinung 
treten können, beweisen die Beobachtungen 47—49. 

Der Vollständigkeit halber möchte ich hier nur noch erwähnen, 
daß Fröhlich [51] in 2 von ihm bakteriologisch untersuchten 
Fällen von Coxa vara adolescentium den Staphylococcus albus züchten 
konnte, und er in Erwägung zieht, ob nicht überhaupt die Coxa 
vara adolescentium durch eine langsam und ohne Fieberbewegung 
verlaufende chronische Osteomyelitis oder Osteoarthritis osteomye- 
litica bedingt sein könnte. 

Was die Häufigkeit der verschiedenen Formen der Coxa vara 
anlangt, so ist unser Beobachtungsmaterial insofern etwas einseitig, 
als die meisten Patienten, welche in die Universitätspoliklinik für 
orthopädische Chirurgie gebracht werden, Kinder sind, und gerade 


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Die Coxa vara. 


607 


die sonst am häufigsten beobachtete Form, die Coxa vara adolescen- 
tium, mit nur ganz wenigen Fällen vertreten ist. 

Nach unserer Statistik kommen auf ca. 1Ö000 Kranke mit 
orthopädischen Leiden 77 Fälle von Coxa vara, darunter befinden 
sich 20 Fälle, deren kongenitale Natur sichergestellt ist. Von letz¬ 
teren waren 9 einseitig, 8 doppelseitig, 3 mal fand sich die Coxa 
vara als Teilerscheinung der kongenitalen Hüftgelenksluxation und 
von diesen war die Verbiegung 2 mal einseitig. Was das Geschlecht 
betrifft, so kamen bei der kongenitalen Coxa vara auf 13 Mäd¬ 
chen nur 7 Knaben. Wie bei der kongenitalen Hüftgelenksluxa¬ 
tion ist also auch bei der kongenitalen Coxa vara das weibliche 
Geschlecht stärker belastet. 

Von 24 Fällen rhachitischer Coxa vara waren 3 mit kongeni¬ 
taler Coxa vara der anderen Seite kombiniert und weiblichen Ge¬ 
schlechts. Von den Testierenden 21 Fällen betrafen 10 das männ¬ 
liche und 11 das weibliche Geschlecht; nur 3mal war die Er¬ 
krankung einseitig. 

ö Fälle gehören der Gruppe der Coxa vara adolescentium an, 
je 2 Fälle sind durch Cystenbildung im coxalen Femurende und 
durch Osteomyelitis und 4 Fälle durch Tuberkulose entstanden. 
Weitere 20 Fälle sind zur Coxa vara traumatica zu rechnen, 14mal 
waren Patienten vor und in der Pubertätszeit betroffen, die übrigen 
6 Beobachtungen stellen Schenkelhalsfrakturen bei Erwachsenen dar. 

Die Anatomie der Coxa vara. 

Die bisher untersuchten Präparate von Coxa vara beschränkten 
sich im wesentlichen auf die rhachitische, traumatische und statische 
Form. Durch die Beobachtung 44 sind wir in der Lage gewesen, 
durch Resektion des coxalen Femurendes auf beiden Seiten auch 
die kongenitale Form in ihren anatomischen Eigentümlichkeiten zu 
studieren. Indem auf die genaue Beschreibung im 1. Teil der Arbeit 
verwiesen wird, möchte ich hier nur die charakteristischen anato¬ 
mischen Merkmale der angeborenen Schenkelhalsverbiegung anführen. 

Der Sitz der Verbiegung findet sich am Uebergang des 
Schenkelhalses in den Schenkelkopf. Der Schenkelhals ist außerdem 
ganz wenig nach vorn konvex verbogen. Die nachweisbare Ver¬ 
kürzung des Schenkelhalses betrifft mehr seinen unteren Rand. Die 
AÄikulationsfläche des Kopfes ist derart verschoben, daß der Kopf 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XV. Bd. 39 


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Carl Helbing. 


zu der Pfanne in extremster Abduktionsstellung steht. Diese Ver¬ 
änderung bedingt wiederum eine Ausschaltung des unteren Teils der 
Kopfkappe von der Artikulation mit der Gelenkpfanne und eine 
stärkere Atrophie dieses Kopfteils. Der Köpf ist walzenförmig ge¬ 
staltet, sein frontaler Durchmesser verlängert, der Schenkelhals in 
zum großen Teil noch bei Kindern im 4.—5. Lebensjahre rein 
knorplig, die Epiphysenlinie stellt also eine viele Millimeter breite, 
fast den ganzen Schenkelhals ausmachende Zone dar, die einen verti¬ 
kalen Verlauf hat. Dementsprechend ist auch der normalerweise 
51 0 betragende Epiphysenwinkel außerordentlich stark verkleinert 
und schwankt zwischen — 22 0 und 20 °. Charakteristisch ist fast 
durchwegs die Anlage mehrerer verknöcherter Zentren in der Kopf¬ 
epiphyse. Ob es sich hier immer um wirklich ausgebildeten Knochen 
handelt, macht die mikroskopische Untersuchung unseres Resektions¬ 
präparates zweifelhaft. Es zeigte sich ja, daß der im Röntgenbild 
als Knochenkern imponierende Schatten nichts anderes ist als krüm- 
lich verkalkter Knorpel. 

Eine Abrutschung des Kopfes auf dem Schenkelhals 
ist nicht nachweisbar. Der Knorpelüberzug des Kopfes geht viel¬ 
mehr ganz gleichmäßig in den des Schenkelhalses über. Auch histo¬ 
logisch ist nirgends ein Befund vorhanden, der für eine Läsion des 
Knochens innerhalb der verbogenen Partie spräche. Eine Verdickung 
der Cortikalis des Schenkelschaftes findet sich an seinem unteren me¬ 
dialen Rande, da, wo er in den Schenkelhals übergeht. Endlich finden 
sich fast konstant auch Veränderungen an der Gelenkpfanne. Diese 
ist im ganzen abgeflacht, hat eine steilere Richtung und insbesondere 
ist der äußere Teil des Pfannendachs, ähnlich wie bei den kongeni¬ 
talen Subluxationen der Hüfte, flacher gestaltet. Dieser hier ge¬ 
schilderte anatomische Befund läßt sich auch bei älteren Patienten 
mit kongenitaler Coxa vara erheben, nur sind die anatomischen Ver¬ 
änderungen im ganzen noch stärker ausgesprochen. 

Viel größeren Schwankungen unterliegt die Gestaltung des 
coxalen Femurendes bei den übrigen Formen der Coxa vara. 

Bei der rhachitischen Form ist das anatomische Bild noch 
ein verhältnismäßig konstantes. Die Verbiegung sitzt auch hier meist 
am Uebergang des Schenkelhalses zum Schenkelschaft, erreicht je¬ 
doch nie sehr hohe Grade. Der kleinste Schenkelhalswinkel, welcher 
bei der rhachitischen Coxa vara bestimmt wurde, betrug 90°, die 
durchschnittliche Größe 105°. Die Epiphysenlinie verläuft im 


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Die Coxa vara. 


609 


Gegensatz zur senkrechten Stellung derselben bei der 
kongenitalen Form immer schräg von oben außen nach 
innen unten, so daß der Epiphysenwinkel meist nur um ein Ge¬ 
ringes verkleinert ist. Wir haben aber auch ganz normale Größen 
des Epiphysenwinkels gar nicht selten bei der rhachitisclien Form 
beobachtet. Es liegt dies daran, daß, wie schon erwähnt, auch hier, 
ähnlich wie bei der Arthritis deformans, eine gewisse Kompensation 
der Varusstellung des coxalen Femurendes durch Aenderung der 
Stellung der Kopfkappe zum abgebogenen Schenkelhals eintritt. Der 
Kopf nimmt eine stärkere Adduktionsstellung ein, die Epiphysenlinie 
erhält dadurch einen mehr horizontalen Verlauf. Wenn ich auch 
für diese stärkere Horizontalstellung der Knorpelfuge bei dem Mangel 
einer anatomischen Untersuchung keine sichere Erklärung geben kann, 
so scheint es mir doch am wahrscheinlichsten, daß sie bedingt ist 
durch ein vermehrtes W r achstum am unteren medialen 
Rande des Schenkelhalses, an der sog. Schenkelhals¬ 
spitze. Wir hätten hier ein Analogon zu dem stärkeren Wachs¬ 
tum, wie es beim Genu valgum au dem medialen Teil der unteren 
Femurdiaphyse stattfindet. Ebenso wie dadurch die untere Femur¬ 
epiphyse der Diaphyse schief aufgesetzt erscheint, erhält auch die 
Kopfepiphyse eine veränderte Stellung zum Schenkelhälse. Für ein 
verstärktes Wachstum des Schenkelhalses an der Schenkelhalsspitze 
spricht auch der Umstand, daß letztere auf den Röntgenbildern von 
rhachitischer Coxa vara immer ganz besonders stark prominiert und 
schnabelförmig vorsteht. 

Ein weiteres Analogon zu dem rhachitischen Genu valgum 
konnte ich dann noch an einigen Röntgenbildern von rhachitischer 
Coxa vara wahrnehmen. Ebenso wie beim Genu valgum die Com- 
pacta an der Außenseite der Femurdiaphyse verdickt ist, so sah 
ich auch des öfteren am oberen medialen Teil des Schenkelhalses 
gegenüber dem unteren Teil, der sog. Schenkelhalsspitze, eine 
Verdichtung der Knochen Substanz als Ausdruck stärkerer Bean¬ 
spruchung gerade dieses Teils vom Schenkelhals. 

Viel komplizierter sind die Gestaltsveränderungen bei der sog. 
Coxa vara adolescentium. Sitz und Form der Verbiegung können ganz 
verschieden sein. Bald ist die Deformität durch eine Abbiegung an 
dem Ansatzpunkte des Schenkelhalses am Schaft, bald durch eine 
Gestaltsveränderung an der Verbindung des Kopfes mit dem Schenkel¬ 
hals bedingt. Dazu kann eine Verbiegung des Schenkelhalses nach 


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Carl Helbing. 


vorn oder nach hinten oder eine Torsion um seine Längsachse treten. 
Hieraus resultieren wieder eine Verlängerung des Schenkelhalses an 
seinem oberen Rande und eine Verkürzung des unteren Randes, die 
so hochgradig sein kann, daß der Schenkelkopf dem Trochanter minor 
anliegt. Der Schenkelkopf weist meist einen ganz intakten Knorpel¬ 
überzug auf. Rückt derselbe stärker nach unten, so pflegt er pilz¬ 
förmig den unteren medialen Schenkelhalsrand zu überragen, und der 
untere Schenkelhalsrand zeigt eine Einrollung und besonders starke 
Verkürzung. Die Strukturverhältnisse verschieben sich natürlich 
auch infolge der veränderten Inanspruchnahme des coxalen Femur¬ 
endes. Es kommt zu einer Verdickung der medialen Wand des 
oberen Schenkelschaftes, der untere Teil des Kopfes, der statisch 
nicht mehr in Anspruch genommen wird, erleidet eine Atrophie der 
Knochenbälkchen, das Gefüge der Spongiosa wird lockerer. Umge¬ 
kehrt sklerosiert der obere Kopfteil unter der vermehrten Inanspruch¬ 
nahme. Das Sudecksche Trajektoriensystem ist, wie schon erwähnt, 
schwächer entwickelt. Durch das Herabrutschen des Kopfes kommt 
es ferner zu einer Verschiebung des Exkursionsgebiets im Hüftgelenk. 

Bei der traumatischen Coxa vara im jugendlichen Alter liegt 
die Gestaltsveränderung des coxalen Femurendes in den allermeisten 
Fällen in einer Verschiebung der Kopfepiphyse gegen den 
Schenkelhals. Von 14 Beobachtungen findet sich nur lmal eine 
Fraktur innerhalb des Schenkelhalses. Es handelt sich also fast 
immer um eine traumatische Epiphysenlösung. 

Bei der Coxa vara auf der Basis der Arthritis deformans scheint 
es, wie die Untersuchungen Alsbergs und auch die von mir er¬ 
hobenen Befunde zeigen, die Regel zu sein, daß durch eine mehr 
oder weniger starke Horizontalstellung der Kopfgelenkfläche eine 
Kompensation der durch die Abknickung des Schenkelhalses am 
Schenkelschaft bewirkten Varusstellung eintritt. Hier müssen jedoch 
immer die erheblichen Deformierungen an der Gelenkpfanne in Be¬ 
tracht gezogen werden, so daß die Bestimmung der Varusstellung 
am oberen Femurende allein überhaupt keinen Maßstab für die 
Varusstellung der Extremität abgibt. 

Das klinische Bild der Coxa Tara« . 

Das klinische Bild der kongenitalen Coxa vara ist dadurch vor 
den anderen Formen charakterisiert, daß die Krankheit schon ganz 


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Die Coxa vara. 


611 


frühzeitig in Erscheinung tritt, gewöhnlich bereits bei den ersten 
Gehversuchen. Die meist kräftigen Kinder, in der Mehrzahl Mäd¬ 
chen, zeigen ohne je über Schmerzen zu klagen, auf der affizierten 
Seite einen leicht hinkenden Gang, ähnlich wie bei der kongenitalen 
Hüftluxation. Bei doppelseitiger Affektion ist der Gang noch mehr 
charakteristisch und läßt sich von dem Gang bei der angeborenen Hüft¬ 
gelenksverrenkung überhaupt nicht unterscheiden. Daneben besteht 
dann auch eine ausgesprochene Lendenlordose. Bei jedem Schritt 
sinkt die freie Beckenhälfte herunter. Läßt man die Patienten auf 
einem Beine stehen, so bildet eine Beckenhorizontale mit der Achse 
des Beins, auf welchem die Patienten stehen, einen spitzen Winkel. 
Dieses von Trendelenburg ursprünglich für die kongenitale Hüft¬ 
gelenksluxation angegebene Symptom haben wir in keinem einzigen 
Falle vermißt. Es beruht bekanntlich darauf, daß die pelvitrochan- 
teren Muskeln durch das Hochtreten des Trochanter major eine 
veränderte Verlaufsrichtung erfahren und nicht mehr im stände sind, 
das Becken im Horizontalstand zu erhalten. Abgesehen von einer 
schnellen Ermüdbarkeit, welche die Kinder zwingt, sich noch lange 
Zeit tragen zu lassen, bestehen gar keine Schmerzen. Auch eine 
Druckempfindlichkeit der Hüftgegend ließ sich nie nachweisen. Bis 
auf die Abduktion sind alle Bewegungen frei, insbesondere ist auch 
die Innenrotation im Gegensatz zu den anderen Formen der Coxa 
vara nur wenig behindert. 

Objektiv findet sich dann noch ein Hochstand des Trochanter 
über der Roser-Nelatonschen Linie um mehrere Zentimeter. Die 
Hüftmuskulatur erscheint schwächer ausgebildet. Bei einseitiger 
Affektion tritt auch die Schwäche der Oberschenkelmuskulatur gegen¬ 
über der gesunden Seite zu Tage. Das betroffene Bein steht addu- 
ziert, eine erhebliche Außenrotation wird nur selten beobachtet. Auch 
in letzterem Punkte sowie in dem Fehlen irgendwelcher Schmerzen 
unterscheidet sich die kongenitale Form klinisch von der rhachitischen 
Coxa vara. Bei kleinen Kindern läßt sich nur schwer die kongenitale 
Coxa vara von der kongenitalen Hüftgelenksluxation unterscheiden, 
meist gibt erst das Röntgenbild eine exakte Stütze der Diagnose. 

Von Wichtigkeit ist auch der anamnestische Nachweis von an¬ 
deren kongenitalen Hüftgelenkserkrankungen in der Familie. 

Bei älteren Kindern nehmen die Erscheinungen der Schenkel¬ 
halsverbiegung rasch zu und erreichen schon bei 8—9jährigen Kin¬ 
dern ganz exzessive Grade. 


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J 


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Carl Helbing. 


Bei dem Bilde der rhachitischen Coxa vara ist vor allem zu 
betonen, daß die Krankheitserscheinungen alle keinen so bedeuten¬ 
den Grad annehmen, wie bei der kongenitalen Form. Der Hoch¬ 
stand des Trochanters überder Ros er-Nölaton sehen Linie beträgt nur 
in den seltensten Fällen mehr wie 2 cm. Ausschlaggebend für die 
Erkennung der durch Rhachitis bedingten Schenkelhalsverbiegungen 
ist im klinischen Bilde die Kombination mit anderen rhachitischen 
Deformitäten, insbesondere mit Genu valgum und Pes planus. 

Die Symptome einer Coxa vara rhach. können vorgetäuscht 
werden durch eine stärkere Verbiegung des Oberschenkelschaftes 
nach außen und vorn. Auch hier finden wir eine leichte Abduk- 
tionfcbehinderung, watschelnden Gang und sehr häufig auch das 
Trendelenburgsche Phänomen. Die Affektion ist meist doppel¬ 
seitig, kann aber auf dem einen Beine höhere Grade annehmen wie 
auf dem anderen. Unter 21 Fällen befanden sich nur 3 mit ein¬ 
seitiger Erkrankung. Die Hüftgelenke sind häufig druckempfindlich, 
und auch spontan klagen die Kinder über Schmerzen in der Hüft- 
gegend. Differentialdiagnostisch ist diese Druckempfind¬ 
lichkeit von ganz besonderer Wichtigkeit gegenüber der kongenitalen 
Form. Ferner ist im Gegensatz zur kongenitalen Coxa vara gerade bei 
der rhachitischen die Außenrotation der Oberschenkel fast immer 
sehr stark ausgeprägt. Die Abduktionsbehinderung ist dagegen 
geringer, da, wie dies schon in dem Abschnitt über Anatomie dargelegt 
wurde, das Gelenk durch stärkere Adduktionsstellung des Kopfes die 
Exkursion der Abduktion trotz der Schenkelhalsverbiegung gestattet. 

Wichtig ist auch, daß die Coxa vara rhach. spontan einer 
Besserung bezw. Heilung fähig ist, und mit der Zeit die Ver¬ 
biegung bei älteren Kindern ganz von selbst verschwinden kann, 
während sich bei der kongenitalen Form das Leiden mit zunehmen¬ 
dem Alter verschlechtert. 

Die Coxa vara rhach. wird selten vor dem ersten Lebensjahre 
beobachtet und stellt bei Kindern über 6 Jahren ein recht seltenes 
Vorkommnis dar. 

Wenden wir uns zum klinischen Bilde der Coxa vara adoles- 
centium, so setzt, wie schon der Name sagt, die Erkrankung erst 
im Pubertätsalter ein. Meist bandelt es sich um Individuen mit 
grobem Knochenbau, schlecht entwickelter Muskulatur, und häufig 
zeigt sich auch eine mangelhafte Hauternährung durch das Auftreten 
einer lividen Färbung der Hände und Füße. 


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Die Coza vara. 


613 


Der Beginn der Affektion kann verschieden sein. Entweder 
entsteht die Deformität so allmählich und langsam ohne subjektive 
Beschwerden, daß die Kranken erst durch die Funktionsstörungen 
der Hüfte auf ihr Leiden aufmerksam werden. Oder es geht der 
eigentlichen Verbiegung ein akutes Stadium voraus, welches in 
starker Schmerzhaftigkeit und hochgradiger Bewegungsbeschränkung 
der befallenen Hüfte besteht und zunächst den Verdacht einer ent¬ 
zündlichen Hüftaffektion nahelegt. Manchmal werden die Schmerzen 
und die Bewegungsbeschränkung ausgelöst durch ein ganz geringes 
Trauma oder eine stärkere körperliche Anstrengung. Dieses schmerz* 
hafte Stadium ist häufig verglichen worden mit dem Bilde des kon¬ 
trakten Plattfußes (Hofmeister [78], Kocher [96], Borchard [14], 
Bayer [11] u. a.). So sind es nach Hofmeister „heftige Schmerzen, 
verbunden mit absoluter Versteifung des Gelenks in pathologischer 
Stellung, welche beträchtlich über die durch die anatomische Um¬ 
formung der Knochen vorgeschriebene Abweichung von der Norm 
hinausgehen. Gemeinsam ist bei den Zuständen auch das zuweilen 
ganz plötzliche Einsetzen des Kontrakturstadiums im Anschluß an 
ein Trauma oder eine stärkere Anstrengung und umgekehrt, die oft 
überraschend prompte Rückbildung unter dem Einfluß absoluter Bett¬ 
ruhe und anderer geeigneter therapeutischer Maßnahmen.“ 

Meist jedoch machen sich die Beschwerden nur dann geltend, 
wenn der Patient sein coxales Femurende über dessen Leistungsfähig¬ 
keit hinaus beansprucht, und sie gehen auch in der Ruhe sofort wieder 
zurück. Zuerst machen sie sich gewöhnlich durch leichte Ermüdbar¬ 
keit beim Gehen und mäßiges Hinken bemerkbar, können sich aber 
bis zu den unerträglichsten Schmerzen steigern. 

Am erkrankten Beine findet man jetzt schon eine meßbare 
Verkürzung, die großen Schwankungen unterliegt und bis zu 7 cm 
betragen kann. Die Spitze des Trochanter ist nach oben gerückt 
und steht mehrere Zentimeter über der R oser- Nölatonsehen Linie. 
Zugleich macht sich auch eine Verbreiterung der befallenen Hüftgegend 
bemerkbar, die besonders bei der Betrachtung des Patienten von vorn 
in die Augen springt. Außerdem kann die Spitze des Trochanter 
noch eine Verbiegung nach hinten aufweisen. An Stelle der normaler¬ 
weise vorhandenen Einziehung über dem Trochanter findet sich ein 
Vorsprung und medial und oberhalb dieses Vorsprungs meist eine senk¬ 
recht verlaufende Weichteilfurche. Die Muskulatur der Gesäßgegend 
des ganzen befallenen Beines, besonders aber des Oberschenkels ist 


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Carl Helbing. 


schwächer als die der gesunden Seite. • Auch die vordere Gelenkgegend 
kann Verdickt und die Inguinalfurche verstrichen erscheinen. ' Wir 
finden dies besonders dann, wenn mit der Abknickung des Schenkel¬ 
halses noch eine Verbiegung mit der Konvexität nach vorn vorhanden 
ist. Es tritt dann in der Inguinalgegend eine Vorwölbung auf, die sich 
hart anfühlt und bei genauer Untersuchung durch ihre Lage außerhalb 
des Gelenks als der deformierte Schenkelhals erkannt werden kann. 

Von allen StellungsVeränderungen des Beines ist die konstan¬ 
teste die Adduktionsstellung. Die betroffene untere Extremität steht 
entweder parallel zur Körperachse oder derselben noch genähert. Es 
resultiert daraus immer eine Abduktionsbeschränkung, während alle 
anderen Bewegungen frei sein können. Zur Varusstellung kommt 
dann am häufigsten noch eine Auswärtsrotation des Beines hinzu, 
welche die Einwärtsrotation in verschiedener Stärke beeinflußt, manch¬ 
mal noch eine Streckstellungdes Oberschenkels mit beschränkter Beuge¬ 
beweglichkeit. Diese Trias der Symptome hat bekanntlich Kocher 
für die typische Coxa vara adolescent. aufgestellt. Durch die späteren 
Untersuchungen von Hofmeister [78] und Nasse [140] wissen 
wir jedoch, daß auch Einwärtsrotation und Flexion des Oberschenkels 
sich mit der Schenkelhalsverbiegung kombinieren kann. Nie wird das 
Trendelenburgsche Phänomen bei ausgesprochenen Fällen vermißt 
Die Verkürzung des Beines ist nur durch das Höhertreten des Tro¬ 
chanters bewirkt; mißt man die Entfernung des Trochanter major 
vom Malleol. ext. auf der kranken und gesunden Seite, so erhält 
man keine Differenz in den Längenmaßen. 

Drehmann [40] gibt bei der Coxa vara adolescent. als diffe¬ 
rentialdiagnostisches Symptom gegenüber der rhachitischen Form an, 
daß bei spitzwinkliger Beugung im Hüftgelenk der Oberschenkel sich 
von der medianen Ebene des Körpers entfernt und abduziert wird, 
also aus der Adduktionsstellung in Streckstellung bei der Beugung 
in eine Abduktionsstellung hineingebracht wird. Daß dieses Symptom 
der rhachitischen Coxa vara fehlt, liegt nach Drehmanns Ansicht 
daran, daß bei der statischen Coxa vara die Abknickung hauptsäch¬ 
lich in der Epiphysenlinie des Schenkelhalses und nicht wie bei jener 
im Trochanter liegt. In den von uns beobachteten Fällen von stati¬ 
scher Coxa vara sind wir jedoch nicht im stände gewesen, diese Be¬ 
obachtung zu bestätigen. 

Bei dem klinischen Bilde der durch Osteomalacie verursachten 
Coxa vara stellt die Schenkelhalsverbiegung nur ein im Verhältnis 


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Die Coxa vara. 


615 


zu den sonstigen Krankheitserscheinungeri in den Hintergrund tre-‘ 
tendes Symptom dar. Der Gang der osteomalacischen ist bekannt¬ 
lich aber auch, ohne daß eine Schenkelhalsverbiegung zu bestehen 
braucht, ein mühsamer. Denn das Gehen ist durch die Kleeblatt¬ 
form des Beckens und die Annäherung und Stellungsveränderung der 
beiden Hüftgelenkspfannen ohnehin erschwert, so daß die Kranken 
mit kleinen und unsicheren Schritten das Becken vorwärts schieben. 

Bei der Deformierung des coxalen Femurendes durch fibröse 
Ostitis wird das klinische Bild, wie es scheint, regelmäßig noch 
durch eine Abknickung des oberen Teils des Femurschaftes ver¬ 
ändert. Das obere Femurende ist dadurch hirtenstabförmig gekrümmt. 
In der Anamnese geben uns die auf geringe Traumen eintretenden, 
häufig sich wiederholenden Frakturen an der unteren Extremität 
eventuell einen Fingerzeig, an diese seltene Krankheit zu denken. 

Die osteomyelitische und tuberkulöse Coxa vara kann von den 
anderen Formen meist nur auf Grund der Anamnese und unter Zu¬ 
hilfenahme des Röntgenbildes unterschieden werden. Die Deformität 
erreicht hier selten einen hohen Grad. Manchmal wird die Diagnose 
durch gleichzeitig bestehende Fisteln oder Abszesse erleichtert. 

Bei dem durch Cystenbildung veranlaßten klinischen Bilde der 
Coxa vara ist zu bemerken, daß die Verkürzung der befallenen Extre¬ 
mität gewöhnlich sehr schnell zuzunehmen pflegt und leicht Spontan¬ 
frakturen auftreten. Ob es sich um eine gutartige rein cystische Neu¬ 
bildung handelt, oder ob der im Röntgenbilde sichtbaren cystischen 
Auftreibung ein maligner Tumor zu Grunde liegt, läßt sich in den 
Anfangsstadien der Neubildung nicht entscheiden (cf. Beob. 51). 
Auch ist ohne operative Autopsie wohl nicht immer eine sichere 
Abgrenzung gegen die durch Tuberkulose oder Osteomyelitis verur¬ 
sachte Einschraelzung des Knochens am coxalen Femurende möglich 
(cf. Beob. 52 u. 54). 

Außerordentlich große Schwierigkeiten bereitet die Unterscheidung 
der statischen Coxa vara von der traumatischen. Denn das klinische 
Bild der traumatischen ist ganz dasselbe wie das der Coxa vara adoles- 
cent. Wir können nur bei sorgfältigster Prüfung der Anamnese und 
genauem Studium des Röntgenbildes eventuell eine Entscheidung treffen. 
Da aber einerseits leichte Traumen häufig die ersten Erscheinungen 
der statischen Coxa vara auslösen, dieselben Traumen aber auch ge¬ 
nügen, um Epiphysenlösungen bei jugendlichen Individuen zu veran¬ 
lassen, anderseits das Röntgenbild auch bei der typischen Coxa vara 


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.Carl Helbing. 


adolescent. Abrutschungen des Kopfes zeigt, so gelingt es im einzelnen 
Falle nicht immer, mit Exaktheit eine sichere Diagnose zu stellen. 

Die Therapie der Coxa vara. 

Bei der Frage nach der Therapie der Coxa vara ist von ein¬ 
schneidender Bedeutung die Aetiologie des Leidens. Bei der kon¬ 
genitalen Form, bei der es sich um recht schwere Veränderungen 
des coxalen Femurendes handelt, wird man natürlich mit einfachen 
therapeutischen Maßnahmen im allgemeinen nicht auskommen. Um¬ 
gekehrt wissen wir aus unserem Beobachtungsmaterial, daß wohl die 
größere Anzahl der Fälle von rhachitischer Coxa vara bei geeigneter 
antirhachitischer Behandlung ohne lokales Vorgehen zur Ausheilung 
gelangt. Bei der durch Tuberkulose verursachten Coxa vara wird ein 
operativer Eingriff im ganzen zu verwerfen sein, und die Fälle von 
Cystenbildung werden wiederum nur durch Beseitigung des Krankheits¬ 
herdes therapeutisch günstig beeinflußt werden können. Wir werden 
also immer nur mit Berücksichtigung der Aetiologie des Leidens einen 
Heilplan entwerfen können. 

Klar ist auch, daß wir eine Coxa vara im entzündlichen Stadium 
anders zu behandeln haben, als eine bereits ausgebildete Form mit 
schwerer Verbiegung. 

Prophylaktische Maßnahmen sind besonders in jenen Fällen an¬ 
gezeigt, in welchen das Grundleiden einen den Knochen erweichenden 
Prozeß darstellt, also bei der Rhachitis, Osteomalacie, Arthritis de- 
formans und Tuberkulose. Hier werden wir durch Bettruhe, even¬ 
tuell Streckverbände und möglichste Schonung der erkrankten Extre¬ 
mität einer Verbiegung entgegenarbeiten können. 

Bei der Arthritis deformans muß uns besonders das Bestreben, 
der sich entwickelnden Adduktionsstellung entgegenzuarbeiten, leiten, 
und wir können den Zerstörungsprozeß durch passende Schienenhülsen¬ 
apparate mit Extensions- und Abduktionsvorrichtung aufhalten und 
die Abduktionsbewegungen durch Massage, aktive und passive Be¬ 
wegungen im Sinne der Abduktion meist recht gut erhalten. 

Das schmerzhafte Stadium des Leidens wird außerordentlich 
günstig durch Bettruhe und Extension beeinflußt, so daß meist schon 
nach mehreren Wochen die Patienten wieder schmerzfrei gehen können. 
Auch in jenen Fällen, in welchen bereits eine erheblichere Deformie¬ 
rung des coxalen Femurendes mit Verkürzung der Extremität vor- 


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Die Coxa vara. 


617 


handen ist, hat man anfangs noch den Versuch mit diesen Ma߬ 
nahmen zu machen. Fabricante [42] und Bayer [11] wollen 
sogar durch die bloße, länger durchgeführte Extension eine bestehende 
Verkürzung des Beins verringert oder beseitigt haben. Bei zwei von 
den drei von Fabricante beobachteten Patienten handelte es sich 
wohl um eine rhachitische Coxa vara, die — wie wir wissen — auch 
ohne Extensionsbehandlung einer spontanen Heilung zugänglich ist. 
Ist durch die Extension relative Schmerzfreiheit erzielt, so geht man 
zur gymnastischen Behandlung und Massage über. Besonderer Wert 
ist auf die Kräftigung der pelvitrochanteren Muskulatur zu legen. 
Diese erreicht man am besten durch zweimal täglich vorzunehmende 
Massage, durch Uebungen an Pendelapparaten, welche eine Abduktion 
in der Hüfte anstreben, und durch passive und aktive Abduktions¬ 
bewegungen, eventuell kombiniert mit Widerstandsgymnastik. Die 
Uebungen werden am besten in Rücken- und Seitenlage unter Fixa¬ 
tion des Beckens vorgenommen. Setzen wir diese Behandlung für 
längere Zeit mit eiserner Konsequenz fort, so werden wir die Genug¬ 
tuung haben, unsere Patienten nicht nur schmerzfrei gemacht, sondern 
ihnen auch die volle Gebrauchsfähigkeit des Gliedes wiedergegeben zu 
haben. 

Wenn wir mit diesen Maßnahmen nicht zum Ziel gelangen, so 
rechtfertigt sich der Versuch, die Abduktionsstellung des Beines in 
Narkose zu erzwingen und sie durch Gipsverband für einige Wochen 
festzuhalten. Oft gelingt es durch die Narkose schon allein, die 
Kontraktur der Adduktoren zu überwinden. Manchmal empfiehlt es 
sich jedoch, sie durch die subkutane Tenotomie zu beseitigen. Wir 
haben diese kleine Operation, die von Vulpius [186] zuerst vor¬ 
geschlagen wurde, in mehreren Fällen mit geradezu idealem Erfolg 
ausgeführt. 

Erst wenn die Deformierung des coxalen Femurendes so hoch¬ 
gradig ist, daß eine starke Beeinträchtigung des Gehvermögens auch 
im stationären späten Stadium resultiert, besonders aber dann, wenn 
die Affektion doppelseitig ist, kommen operative Eingriffe in Betracht. 
Bei einseitiger Erkrankung wird man sich auch bei stärkerer Bewe¬ 
gungsbeschränkung nicht ohne weiteres zu einem blutigen Eingriff 
entschließen, da die Funktion des Beins für den Gehakt immer noch 
eine gute sein kann. Anders liegt es bei doppelseitigen Erkrankungen, 
bei welchen, wie z. B. die Beobachtungen 9 u. 13 zeigen, das Gehen 
überhaupt kaum mehr möglich sein kann. 


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618 


Carl Helbing. 


Der erste, der bei der Coxa vara eine blutige Knochenoperation 
ins Auge gefaßt hat, ist Fiorani [44] gewesen.: er macht den Vor¬ 
schlag, unter Umständen die Osteotomie des Schenkelhalses zu ver¬ 
suchen oder gar durch Osteoklase der gesunden Extremität die Ver¬ 
kürzung auszugleichen. 

Dann empfahl Hofmeister [75] auf Grund theoretischer Er¬ 
wägungen, ohne selbst die Operation ausgeführt zu haben, «durch 
die Osteotomia subtrochanterica mit nachheriger Fixation des Beins 
in Abduktion und gleichzeitiger Innenrotation den Schenkelschaft zum 
Gelenkende in eine Lage zu bringen, durch welche der mechanische 
Effekt der Schenkelhalsverbiegung kompensiert wird“. Bevor diese 
Operation zur Ausführung gelangte, wandte sich Kraske [104] 
gegen diesen Vorschlag mit dem Argument, daß man durch die sub- 
trochantere Osteotomie im besten Falle die fehlerhafte Stellung des 
Beins eben nur kompensiert, aber nicht korrigiert. Das obere Ende 
des Femur, also gerade der Teil, an welchem die pelvitrochanteren 
Muskeln ihren Ansatzpunkt haben, bleibe nach wie vor in seiner 
fehlerhaften Lage zum Becken. In dem Bestreben, die Verbiegung 
des Schenkelhalses zu korrigieren, führte er die extraartikuläre keil¬ 
förmige Osteotomie am Schenkelhals aus und entfernte aus ihm einen 
Knochenkeil mit der Basis nach vorn und oben. 

Dieser Operationsmethode haftet der Nachteil an, daß durch 
die Entfernung eines Keils aus dem Schenkelhals das schon ohne¬ 
hin verkürzte Bein noch kürzer werden muß. 

Im Jahre 1896 führte dann Büdinger [26] die lineare Osteo¬ 
tomie am Schenkelhälse aus, wobei nach Abduktionsstellung des Beins 
ein nach unten sich verbreiternder Spalt entsteht, der sich durch 
Callusmasse ausfüllt. Zweck dieser Operation war der, „dem abdu- 
zierten und auswärts rotierten Schenkelhälse den Schaft in eine Stel¬ 
lung gegenüber zu stellen, wie sie dieser Lagerung entsprechen würde, 
wenn sich beide in ihrem richtigen Verhältnis befänden.“ Beide 
Operationsmethoden haben die Gefahr der Gelenkeröffnung ebenso 
wie die von Mikulicz (Henle [64]) empfohlene und ausgeführte. 
Letzterer ging so vor, daß er den knöchernen Sporn, welcher am 
oberen Rande des proximalen Teiles des Schenkelhalses sich fand 
(wie wir ihn auch in Beobachtung 44 und 45 sehen) mit dem Meißel 
resezierte und ebenso den vorn gelegenen, die Innenrotation hemmen¬ 
den Vorsprung entfernte. 

Späterhin empfahl dann Hofmeister [77] die Osteotomia 


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Die Coza vara. 


619 


intertrochanterica, indem er mit ihr die Außenrotation des Beins 
besser zu bekämpfen glaubt. Seine Durchtrennungslinie liegt noch 
oberhalb des Trochanter minor und verläuft schräg nach außen und 
oben in den Trochanter major hinein. 

Codivilla [31] hat, um die Deformität an ihrem Sitz anzu¬ 
greifen, keinen Substanzverlust dabei zu machen und die Eröffnung 
des Hüftgelenks zu vermeiden, eine bogenförmige Osteotomie in der 
Linea intertrochanterica ausgeführt, die er als Scharnierosteotomie be¬ 
zeichnet. Er glaubt, daß damit den beiden Knochenenden nur eine 
scharnierartige Verschiebung gegeneinander gestattet wird. — In 
Wirklichkeit sind diese theoretischen Ueberlegungen alle insofern 
illusorisch, als das proximale Ende in seiner Stellung überhaupt 
nicht beeinflußt werden kann. Ferner haben wir es heute gerade 
bei den operativ anzugreifeuden schweren Fällen nicht mit einer 
Deformität zu tun, die nur im Schenkelhals oder nur an dessen 
Uebergang in den Schenkelschaft ihren Sitz hat, sondern mit einer 
Kombination von Verbiegungen im ganzen coxalen Femurende, so 
daß die Scharnierosteotomie auch nicht im stände ist, die betreffende 
Deformität vollkommen auszugleichen. 

Die beiden zuletzt geschilderten Verfahren werden ja bei einiger 
Sorgfalt eine Gelenkverletzung vermeiden lassen, doch sind sie trotz 
ihrer vielleicht theoretischen Vorzüge nicht allzusehr empfehlenswert 
und wohl auch selten bisher angewendet worden, da sie, technisch 
schwierig, ohne größere Weichteilverletzungen nicht auszuführen 
sind und so einen verhältnismäßig großen Eingriff darstellen. 

Viel einfacher gestalten sich die Operationsverfahren, welche 
nicht am Schenkelhals, sondern am Schenkelschaft unterhalb des 
Trochanter major eine Kontinuitätstrennung des Knochens bewirken. 
Es können hier überhaupt nur zwei Operationsmethoden miteinander 
konkurrieren. Bei der einen von Terrier-Hennequin angegebe¬ 
nen Methode wird der Oberschenkel innerhalb des Trochanter von 
oben aus nach innen unten schräg durchmeißelt. Dieses als „schräge 
subtrochantere Osteotomie nach innen“ bezeichnete Operationsverfahren 
ist zwar technisch sehr einfach, hat aber den Nachteil, daß nach der 
Korrektur des adduzierten Beines die Berührungsflächen der durch¬ 
trennten Knochen verhältnismäßig klein sind und deshalb die Gefahr 
einer Pseudarthrosenbildung keine ganz geringe ist. 

Aus diesem Grunde bevorzugen wir die von Hoffa [71] an¬ 
gegebene Osteotomia subtrochanterica obliqua nach außen, 


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620 


Carl Helbing. 


bei der die schrägen Knochenflächen auch nach der Korrektion breitere 
Berührungsflächen besitzen. Wir haben uns von der ganz gefahrlosen 
Operation, die sogar subkutan von einem kleinen Hautschnitt aus ge¬ 
macht werden kann, in einer sehr großen Anzahl von Fällen über¬ 
zeugt. Speziell bei der Coxa vara sind wir im stände, mit ihr die 
bestehende Adduktion und Außenrotation vollkommen auszugleieher. 
besonders wenn wir sie mit der subkutanen Durchschneidung der 
Adduktoren kombinieren. Der durch die Korrektion entstehende 
Defekt in der Kontinuität des Knochens wird durch Callusmasse 
ausgefüllt, die anfangs bajonettförmige Gestalt des coxalen Femur¬ 
endes gleicht sich nach kurzer Zeit vollkommen aus. Die schräge 
subtrochantere Osteotomie nach Hoffa hat noch den besonderen 
Vorzug, daß sie bestehende Verkürzungen durch entsprechende Ex¬ 
tension des Beines auszugleichen gestattet; wir haben dadurch eine 
wirkliche Verlängerung des Beins um 3—4 cm erzielen können. 
Wird das in Abduktion fixierte Bein später bei den Gehversuchen 
adduziert, so rückt der Trochanter major tiefer, die pelvitrochantere 
Muskulatur hat wieder eine annähernd normale Verlaufsrichtung und 
die Folge ist, daß häufig auch das Trendelenbur gsche Phänomen 
verschwindet. 

Für uns ist deshalb die schräge subtrochantere Osteotomie nach 
Hoffa die fast ausschließlich geübte blutige Methode zur Be¬ 
seitigung der schwereren, durch die Coxa vara gesetzten Deformitäten. 
Bei der Wichtigkeit dieser Operationsmethode möchte ich die Technik 
an dieser Stelle so beschreiben, wie sie in der Hof faschen Klinik 
gehandhabt wird. 

Der Patient wird auf die gesunde Seite gelagert, nach gründ¬ 
licher Desinfektion der kranken Beckenhälfte, des Oberschenkels und 
besonders der Adduktorengegend führen wir 2 cm unterhalb der Spitze 
des Trochanter beginnend einen Längsschnitt von ca. 10 cm durch 
die Haut aus. Die freiliegende Fascie, die sich meist als stark ge¬ 
spannt erweist, wird nicht nur der Länge nach inzidiert, sondern auch 
quer mit der Schere zur Entspannung eingekerbt. Nach stumpfer 
Durchtrennung der Muskulatur wird das Periost mit dem Messer 
durchtrennt und mit den Weichteilen durch gekrümmte Elevatorien 
vom Knochen möglichst zirkulär abgehoben. Die Wahl der Breite 
des Meißels richtet sich nach der Dicke des Knochens, die Richtung 
der Meißelfläche nach dem Grade der Verkürzung. Bei stärkeren 
Verkürzungen wird man der Meißelfläche einen möglichst steilen 


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Die Coxa vara. 


621 


Verlauf geben müssen und etwas weiter entfernt von der Spitze des 
Trochanters den Meißel aufsetzen. Der Knochen wird dann in der 
gewünschten schrägen Richtung bis auf die letzten inneren Corticalis- 
1 ameilen durchmeißelt, der stehen gebliebene Rest durch Vermehrung 
der Adduktionsstellung des Beins stumpf eingebrochen. Bei stärkerer 
-A^dduktion wird jetzt meist noch die Tenotomie der Adduktoren not¬ 
wendig, die wir von einer kleinen Einstichöffnung aus subkutan von 
außen nach innen am besten mit einem geknöpften Tenotom ausführen. 
Damit die kleine Inzisionswunde möglichst entfernt von den Geschlechts¬ 
teilen sich befindet und vor Verunreinigung genügend geschützt bleibt, 
empfiehlt es sich, die Einstichöffnung unter Verschiebung der Haut 
nach oben auszuführen und die Weichteile an der gewünschten Stelle 
zu durchschneiden. Läßt man dann mit dem Zug an der Haut nach, 
so kommt die kleine Hautwunde 4—5 cm unterhalb der Inguinalfalte 
zu liegen. Auch jetzt ist manchmal noch nicht der Weich teil wider¬ 
stand gebrochen und eine subkutane Durchtrennung der Fascia lata 
und der an der Spina ant. sup. inserierenden Muskeln 2—3 cm unter¬ 
halb derselben notwendig. Durch manuelle oder maschinelle Trak¬ 
tionen an der zu verlängernden Extremität reißen wir die noch stehen 
gebliebenen, widerstandleistenden Weichteilreste stumpf durch. Nach¬ 
dem wir uns überzeugt haben, daß nach Korrektion des Gliedes in 
der gewünschten Stellung die beiden Knochenwunden einander gut 
berühren, verschließen wir die Weich teil wunden mit einigen tief 
greifenden Knopfnähten bis auf den unteren Wundwinkel, in welchen 
ein kleiner Tampon eingeführt wird. 

Ein aseptischer Verband sorgt dafür, daß bei der Lagerung 
des Patienten vom Operationstisch auf den Extensionstisch die Wunde 
gut abgedeckt bleibt. Während der Extension haben wir unsere Auf¬ 
merksamkeit darauf zu richten, daß das Bein, welches immer die Ten¬ 
denz hat, nach außen zu rollen, von einem Assistenten leicht nach 
einwärts gedreht gehalten wird. Wir legen dann nach guter Polste¬ 
rung des Knies einen Gips verband an, der von den Extensionslaschen 
ab das Bein, das Becken und den Rumpf bis zur unteren Thorax¬ 
apertur einbezieht und modellieren ihn gut den Oberschenkel- 
kondylen, dem Tuber ischii und den Darmbeinkämmen an. Ist 
der Verband hart geworden, so wird die Extensionslasche abge¬ 
nommen, und der Verband noch weiter durch Einbeziehung des 
Fußes in den Gipsverband ergänzt. 

Die Nachbehandlung gestaltet sich sehr einfach. Der Tampon 


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Carl Helbing. 


wird nach 24 Stunden durch ein Fenster im Gi'psverband entfernt, 
die Nähte nach 8 Tagen; der Patient kann dann im Gips verband 
herumgehen. Nimmt man nach 5—6 Wochen den Verband ab. 
können die Patienten meist sofort gehen. Man darf sich aber jetzt 
noch nicht mit der verbesserten Stellung des Beins zufrieden geben, 
sondern muß durch energische Massage und gymnastische Uebungen 
auch die Muskulatur so kräftigen, daß das funktionelle Resultat eben¬ 
falls ein vollkommenes wird. Bei hochgradigster Adduktionsstellung 
wird die Stellungsverbesserung des Beines noch zweckmäßiger durch 
die subtrochantere Keilosteotomie nach Hoffa erreicht. 

Die nachfolgenden schematischen Zeichnungen (s. nächste Seite) 
zeigen den Effekt der verschiedenen oben geschilderten Operations¬ 
methoden am besten. 

Die Resektion des Schenkelkopfes und Schenkelhalses 
kommt nur in den allerseltensten Fällen in Betracht. Wir werden 
uns zu ihr nur dann entschließen, wenn in Fällen von hochgradig¬ 
ster Coxa vara die Gebrauchsfähigkeit des Beins vollkommen auf¬ 
gehoben ist. Die Operation pflegen wir so auszuftihren, daß wir,, 
falls noch ein Teil des Schenkelhalses vorhanden ist, diesen Rest 
nach Resektion des Kopfes mit seiner angefrischten Fläche in die 
Pfanne einstellen. Ist so gut wie gar kein Schenkelhals vorhanden, 
so pflegen wir die Spitze des Trochanter durch einige Meißelschläge 
wund zu machen und abzurunden und sie dann in die Pfanne zu 
bringen. Manchmal gelingt dies erst nach Resektion eines Teils 
des Trochanters und nach ausgiebiger Durchschneidung der wider¬ 
standleistenden Weichteile. 


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Höftneister 

/ OsUotomia, intertrochanterica f 



Büdinger 

( Lineare Osteotomie) 



Codioillxi 

f Oiarnier osteotomie) 



v. Mikulicz 

(AbmeisseUmg des Schenkel- 
halsspoms) 



(Osteotomia, subtrochanLerica,. 
obtiqiuL int.) 



(Osteotomia subtrochanl 
obäquxL eocl.) 


^ 4 ? 

EofTcb 

iSubtrochontere Keilosteotomie ) 

I Loge des ejodüerten Äeüs. 

H Stellung des Femur nach, der Operation,. 
HI Coucales Femurando nach der Heitung 
bei Adductio ns Stellung des Femur. 




Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XV. Bd. 



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Carl Helbing. 


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Die Coxa vara. 


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Carl Helbing. 


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f. orth. Chir. Bd. 1. 

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182. Sud eck, Statische Schenkelhalsverbiegung nach Trauma (Coxa vara trau¬ 

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183. Derselbe, Zur Anatomie und Aetiologie der Coxa vara adolescentium. 

Zugleich ein Beitrag zu der Lehre von dem architektonischen Bau des 
koxalen Femurendes. Verhandlg. der Deutschen Ges. f. Chir. 1894, und 
Arch. f. klin. Chir. Bd. 59. 

184. Derselbe, Coxa vara. Deutsche med. Wochenschr. 1901, Nr. 12. 

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Dio Coxa vara. 


631 


192. Derselbe, Further observations on Coxa vara with particular reference 

to its aetiology and treatment. New York med. Journal 1899, 21. Jan. 

193. Derselbe, A group of usual cases. Cyst of the femur complicating bilateral 

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194. Derselbe, Further observations on depression of the neck of the femur. 

Annals of surgery 1900, February. 

195. Derselbe, A New Method of treatment for Fracture of the Neck of the 

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196. van Wijk, Historisch-kritische Uebersicht der statischen Schenkelhalsver¬ 

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198. Yvernault, Contribution a l’etude de la coxa vara. Th&se de Lyon 1903. 

199. Zehn der, Ueber Schenkelhalsverbiegung. Zentralbl. f. Chir. 1897, Nr. 9. 

200. Zeiß, Beiträge zur pathologischen Anatomie und zur Pathologie des Hüft¬ 

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Breslau 1851. 

201. Zesas, Ueber Resektion des Hüftgelenkes bei Arthritis deformans. Deutsche 

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Zentralbl. f. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir. 1904, Bd. 7. 


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XXXII. 


Ueber Hüftgelenksverrenkimgen nach Coxitis im 
Säuglingsalter. 

Von 

Dr. Fritz Wette-Berlin, 

Assistent der Hof faschen Klinik. 

Mit 3 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Auf den beiden letzten Kongressen der Deutschen Gesellschaft 
für orthopädische Chirurgie 1904 und 1905 lenkte Dreh mann 
wieder die Aufmerksamkeit auf jene Fälle von Hüftverrenkungen, die 
im Anschluß an eine akute Gelenkentzündung im Säuglingsalter auf- 
treten. Drehmann berichtete über eine Reihe von einschlägigen 
Fällen aus seiner Praxis und hob besonders hervor, daß diese 
sich in ihren klinischen Symptomen von angeborenen Hüftverren¬ 
kungen nicht unterscheiden ließen. Ich verfüge über 3 Fälle der 
Hoffaschen Klinik aus den letzten Jahren, die wegen ihrer ein¬ 
wandsfreien Anamnese und wegen der sehr instruktiven Röntgen¬ 
bilder geeignet sind, zur Kasuistik dieser relativ seltenen Deformi¬ 
tät beizutragen und die Differentialdiagnose zwischen ihr und der 
angeborenen Hüftverrenkung sicherzustellen. 

Die fraglichen Gelenkentzündungen treten meist in den ersten 
Lebenswochen auf und befallen mit Vorliebe das Hüft- und Knie¬ 
gelenk. Fast durchweg sind sie charakterisiert durch die gute ana¬ 
tomische und funktionelle Restitution des Gelenkapparates. Patho¬ 
logisch-anatomisch stellen sie sich dar als rein synoviale oder epi- 
physäre Entzündungen mit sekundärer Beteiligung des Gelenks. Die 
in ihrem Gefolge auftretenden Luxationen sind demnach nach der 
Volkmann sehen Einteilung meist als Distensionsluxationen anzu¬ 
sehen; nur in seltenen Fällen kommt eine Destruktionsluxation zu 
stände infolge hochgradiger Zerstörung der Gelenkenden. 

In der Literatur sind diese merkwürdigen Gelenkentzündungen 


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Ueber Hüftgelenksverrenkungen nach Coxitis im Säuglingsalter. 633 

— merkwürdig vor allem wegen der häufig ganz unklaren Aetio- 
logie — wohl bekannt. Im Handbuch der praktischen Chirurgie 
schreibt Hoffa bei dem Kapitel über Coxitis des ersten Kindes¬ 
alters folgendes: »Häufig sehen wir eitrige Synovitiden des Hüft¬ 
gelenks ohne jede nachweisbare Veranlassung entstehen (ohne Scharlach, 
Masern etc.), bei denen vor allem Tuberkulose und Lues mit Sicherheit 
auszuschließen sind. Unter Fieber, Schmerzen, Anschwellung und meist 
Rötung der umgebenden Weich teile vollzieht sich der Gelenkerguß, 
der dann zur Inzision vom Arzte oder zur spontanen Perforation 
führt. Der Eiter hat eine stark schleimige Beschaffenheit, die Syn¬ 
ovialmembran ist hochrot gefärbt, stark geschwollen. Der Verlauf 
ist meist ein günstiger; die Heilung erfolgt gewöhnlich ohne oder 
mit nur geringer Beweglichkeitsbeschränkung; doch kommen auch 
Luxationen vor. Destruktion des Gelenks ist selten, die Beweg¬ 
lichkeit des Gelenks dann gewöhnlich noch leidlich gut erhalten. 
Wir haben also auch hier im großen und ganzen das Bild der 
katarrhalischen Gelenkeiterungen vor uns, nur daß hier die Schmerzen 
mehr in den Vordergrund treten. Exitus letalis wurde nur bei bereits 
vorher sehr heruntergekommenen Kindern beobachtet. Am häufigsten 
sehen wir diese Coxitiden im ersten Lebensjahr, nur selten jenseits des 
vierten Lebensjahrs auftreten. Von Krause wurden in 2Fällen im Eiter 
Streptokokken vorgefunden, in den meisten Fällen stehen zuverlässige 
bakteriologische Untersuchungen noch aus. An Eingangspforten für 
Mikroorganismen fehlt es in dem frühesten Kindesalter wahrlich 
nicht; beim Zustandekommen septischer Infektionen in dieser Periode 
wird namentlich dem vom Darm aus in die Zirkulation gelangenden 
Bacterium coli in jüngster Zeit eine große Rolle zugeschrieben. Am 
wahrscheinlichsten ist es wohl, daß es sich in diesen Fällen um eine 
primär osteomyelitische Erkrankung der Femurepiphyse handelt.“ 
Aehnlich schreibt König in seinem Lehrbuch der speziellen 
Chirurgie: »Wir wollen hier noch darauf hinweisen, daß auch im 
frühesten Kindesalter eitrige Coxitiden zur Beobachtung kommen. 
Die Gefahr der eitrigen, zur Perforation kommenden Coxitis ist 
übrigens bei kleinen Kindern aus dem ersten Lebensjahr offenbar 
geringer als bei Erwachsenen. Sie heilen nicht selten selbst nach 
Perforation des Eiters mit beweglichem Gelenk aus, ein Umstand, 
der wohl dadurch erklärt werden muß, daß der Kopf noch knorpelig 
ist. Ein anderer Teil führt aber auch zu Luxation und 
kann in der Folge mit Kongenitalluxation verwechselt 


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634 


Fritz Wette. 


werden, oder er führt zu Destruktion und Verkürzung, meist aber 
auch zu beweglichem, leidlich gutem Gelenk.“ 

Bezüglich der Aetiologie dieser Gelenkentzündungen herrscht 
noch vielfach völliges Dunkel. In den Fällen freilich, wo eine 
Gonorrhoe der Mutter oder des Kindes nachgewiesen werden kann, 
wird man geneigt sein, die Gelenkentzündung auf eine gonorrhoi¬ 
sche Infektion zurückzuführen. In einzelnen Fällen ist ja auch der 
bakteriologische Nachweis hierfür erbracht worden. Anderseits gibt 
es aber eine ganze Reihe von Fällen, wo weder von Gonorrhoe, noch 
auch von Tuberkulose oder Lues die Rede sein kann. Man hat hier 
an Infektion von seiten der Nabelschnur gedacht oder von seiten 
der entzündeten mütterlichen Geburtswege oder auch an einen Ge¬ 
lenkrheumatismus, der ja nach neueren Beobachtungen (Schloßmannf 
auch schon im frühesten Kindesalter Vorkommen soll. Drehmann 
meint, daß vielfach eine Autoinfektion vom Darm aus auf dem Boden 
einer Enteritis das ursächliche Moment abgebe. Nur erhebt sich 
hier die Frage, warum denn diese Gelenkentzündungen relativ so 
selten auftreten, da doch fast jeder Säugling einmal eine leichtere 
oder schwerere Enteritis durchmacht. Derselbe Einwand gilt auch 
für viele der auf Gonorrhoe zurückgeftihrten Gelenkentzündungen. 
Warum führt die so häufige gonorrhoische Erkrankung, namentlich 
im Vergleich zu dem Verlauf der gonorrhoischen Infektionen beim 
Erwachsenen, wo eine Arthritis gonorrhoica sicher nicht zu den 
Seltenheiten gehört, beim Säugling so selten zu Gelenkentzündung? 
Sicher spielen hier eine Reihe von bisher unbekannten Momenten 
mit, deren Erkenntnis einer genauen bakteriologischen und patho¬ 
logisch-anatomischen Untersuchung eines größeren Materials Vor¬ 
behalten bleibt. 

Bezüglich der uns hier speziell interessierenden Hüftluxationen, 
die im Anschluß an Coxitis im Säuglingsalter sich ausbilden, finden 
wir bereits in der älteren Literatur vereinzelte Befunde beschrieben. 
Der erste derartige Fall, den ich in der Literatur habe auffinden 
können, ist 1842 bei v. Ammon erwähnt: »Für die Betrachtung des 
Wesens dieses Uebels (= der angeborenen Hüftluxation) ist es nicht 
ohne Einfluß, hieran sogleich noch eine Beobachtung Albers zu 
reihen. Aus derselben geht nämlich hervor, daß wirklicher Ent¬ 
zündungszustand des Hüftgelenks nebst seinen Folgen diese Luxation 
oder Ektopie des Kopfes bewirken kann. Albers beobachtete ein 
Kind, welches sogleich nach der sonst natürlichen Geburt unruhig 


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Ueber Hüftgelenksverrenkungen nach Coxitis im Säuglingsalter. 635 


war, immer schrie und Konvulsionen bekam. Die Ursache dieser 
Unruhe wurde nicht eher entdeckt, als bis am Hüftgelenk eine Ge¬ 
schwulst sichtbar wurde, welche wuchs und sich bis an die Weichen 
ausdehnte. Hier entstand ein Abszeß, welcher bei der Eröffnung 
eine Menge Eiter ergoß. Das Kind starb bald darauf an Abzehrung. 
Als man es sezierte, fand man die Pfanne sowie den Kopf und Hals 
des Schenkelbeines durch Karies zerstört.“ Einen zweiten Fall hat 
1871 Mettenheimer beschrieben. Derselbe beobachtete eine Hüft¬ 
gelenksentzündung bei einem 8wöchentlichen Knaben. Es trat Exitus 
ein und die Sektion ergab, daß der Kopf frei beweglich außerhalb 
der Pfanne lag. Arbeiten aus der neueren Zeit sind bei Drehmann 
aufgeführt. 

Die 3 Fälle, über die ich berichten kann, sind kurz folgende: 

Fall 1. L. Christa, 2 1 /* Jahre. 20. November 1905. 

Eltern und Geschwister gesund. Der fünfte Bruder ist hier 
wegen eines angeborenen Klumpfußes operiert worden. Geburt 
normal. Wenige Tage nach der Geburt erkrankte das Kind mit 
Fieber und Schmerzen in beiden Hüften und im rechten Kniegelenk. 
Hier bildeten sich nacheinander mehrere große Abszesse aus, die 
vom Arzt inzidiert wurden und eine große Menge Eiter entleerten. 
Die Krankheit zog sich über 9 Wochen hin. Während der ganzen 
Zeit hat das Kind mit hochangezogenen Knieen dagelegen. Erste 
Laufversuche am Ende des zweiten Lebensjahres. Gang von Anfang 
an hinkend. 

Kräftig entwickeltes, sonst gesundes Kind. Beiderseits in der 
Glutäalgegend sowie am rechten Knie mehrere kleine eingezogene 
Narben, von Abszeßinzisionen herrührend. Hüftgegend beiderseits 
verbreitert. Beine leicht flektiert und adduziert. Bewegungen frei 
bis auf die Abduktion, die stark behindert ist. Starke Adduktoren¬ 
spannung. Rechtes Bein etwas länger wie das linke. Hochstand 
der Trochanterspitze, rechts 2 1 ' l 2 cm, links 3 cm oberhalb der Roser- 
Nälatonschen Linie. Kopf ist bei dem stark entwickelten Kind 
nicht abzutasten. Trendelenburgsches Phänomen beiderseits vor¬ 
handen. Gang stark watschelnd. 

Das Röntgenbild (Fig. 1) zeigt links eine etwas steile und ab¬ 
geflachte, rechts aber eine wohlausgebildete Pfanne. Beiderseits zeigt 
der obere Pfannenrand leichte Osteophytbildung, der vordere Rand 
der unteren Pfannenhälfte ist doppelt konturiert. Das obere Femur- 


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Fritz Wette. 


Fi g. 1. 



ende ist nach außen gedreht und steht nach außen und oben von der 
Pfanne. Von Schenkelhals und -köpf ist nur mehr ein Rudiment 
vorhanden. 

Fall 2. M. Elfriede, 2 1 /2 Jahre. Januar 1906. 

Eltern und Geschwister gesund. Geburt leicht. Während der 
Gravidität litt die Mutter an Nierenentzündung. 4 Wochen nach 
der Geburt Erkrankung der rechten Hüfte mit Schwellung und 
starken Schmerzen. Nach einigen Tagen bildete sich ein Abszeß 
in der Glutäalgegend aus, der vom Arzte inzidiert wurde. Die Er¬ 
krankung zog sich über 4 Monate hin. Erste Laufversuche mit 
l 1 ^ Jahren. Gang auf dem rechten Beine hinkend. 

Zartes, schwächliches Kind. Rechterseits in der Glutäalgegend 
und am Trochanter major mehrere kleine weiße Narben. Rechtes 
Bein kürzer wie das linke; leichte Adduktionsstellung. Trochanter- 
spitze steht ca. 2 cm oberhalb der Roser-N^latonschen Linie. 
Gang leicht hinkend mit dem linken Bein. Bei starker Adduktion 
des rechten Beines fühlt man den Kopf außerhalb der Pfanne. 

Das Röntgenbild (Fig. 2) ist in dem Atlas der orthopädischen 
Chirurgie v. Hoffa, Rauenbusch, Lieferung 4, Tafel XXIX Fig. 43, 
bereits veröffentlicht und diesem mit gütiger Erlaubnis der Verfasser 
entnommen. Die linke Hüfte ist normal. Die rechte Pfanne ist ab¬ 
geflacht und leer. Das Dach derselben wird durch die stark vor¬ 
springende Spina iliaca ant. inf. gebildet. Die Pfanne ist sonst wohl 


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Ueber Hüftgelenksverrenkungen nach Coxitis im Säuglingsalter. 637 


Fig. 2. 



ausgebildet, der Pfannenboden nicht verdickt. Der Oberschenkel 
ist nach außen gedreht. Der Kopf liegt hinter dem Trochanter major 
und ist nach außen und oben verschoben. 

Fall 3. N. Ernst, 1 l jt Jahre. Oktober 1905. 

Eltern gesund. Normale, leichte Geburt. G Wochen nach der 
Geburt traten am ganzen Körper „Geschwüre“ auf. Links hinten 
oberhalb des Gesäßes trat ein großer Abszeß auf, der vom Arzt 
punktiert wurde und Eiter entleerte. Nach 3 Wochen Heilung. 
Mit 7 Monaten soll das Kind angeblich plötzlich die Beine hoch 
gegen den Leib heraufgezogen haben. Das rechte Bein ging wieder 
zurück, während das linke Bein in dieser gebeugten Haltung krampf¬ 
haft festgehalten wurde. Bei Bewegungsversuchen schrie das Kind. 
Erste Steh- und Gehversuche Ende des ersten Jahres. 

Schwächliches, mäßig entwickeltes Kind. Linkes Bein verkürzt, 
steht in Flexion und Adduktion. Luxation der linken Hüfte. 

Das Röntgenbild (Fig. 3) zeigt rechts ein normales Hüftgelenk. 
Linkerseits ist die Pfanne leer, aber wohl ausgebildet. Zum Ver¬ 
gleich mit der gesunden Seite ist ein Unterschied kaum wahrzu¬ 
nehmen. Insbesondere ist keine Steilheit der Pfanne oder Verdickung 


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638 


Fritz Wette. 


Fig. 3. 



des Pfannenbodens vorhanden. Der linke Oberschenkel ist etwas 
nach außen gedreht. Der Schenkelkopf steht nach außen und oben 
von der Pfanne. Kopf und Epiphysenlinie sind wohl erhalten. 

In sämtlichen 3 Fällen unterliegt es wohl keinem Zweifel, 
daß es sich primär um eine Vereiterung des Hüftgelenks gehandelt 
hat und daß die später bemerkte Luxation damit in Beziehung zu 
bringen ist. In den ersten beiden Fällen ist die Coxitis ohne nach¬ 
weisbare Veranlassung entstanden. Sowohl die Eltern als auch der 
erstbehandelnde Arzt stellen eine anderweitige Krankheit der Eltern 
oder des Säuglings in Abrede. Im dritten Falle hat ursprünglich 
anscheinend eine Furunkulose Vorgelegen. Narben waren nicht mehr 
aufzufinden. Merkwürdig ist bei diesem Fall, daß die Mutter mit 
Bestimmtheit angibt, daß die Verkürzung des linken Beines ganz 
plötzlich im 7. Monat aufgetreten sei. Es liegt die Annahme nahe, 
daß die Luxation nicht sofort im Anschluß an die Eiterung aufge¬ 
treten ist, sondern daß diese durch die Ausweitung, Distension der 
Kapsel erst die Möglichkeit dazu geschaffen hat und daß die Luxation 
dann eines Tages plötzlich durch eine brüske, für die Entstehung 
einer Luxation günstige Bewegung (in Flexion und Adduktion) des 
Oberschenkels erfolgt ist. Es muß hier noch erwähnt werden, daß 
der kleine Patient, nachdem er in der Zwischenzeit vollkommen ge- 


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Ueber Hüftgelenksverrenkungen nach Coxitis im Säuglingsalter. 639 


sund war, jetzt wieder mit einem großen Abszeß in unsere Behand¬ 
lung kam. Die Inzision entleerte viel schmutziggrauen Eiter; die 
Abszeßhöhle reichte bis auf den Knochen. Es ist nicht auszuschließen, 
daß es sich hier doch einmal um eine Tuberkulose handelt, wenn 
auch genaue Strukturbilder des Knochens keine Veränderung an dem¬ 
selben erkennen lassen. Leider wurde die bakteriologische Unter¬ 
suchung des Eiters versäumt. Interessant ist besonders der erste 
Fall, weil hier die Deformität doppelseitig aufgetreten ist. Begünstigt 
wurde hier die Luxation zweifellos dadurch, daß das Kind während 
der Dauer der Erkrankung immer mit hoch an den Leib herange¬ 
zogenen Beinen dagelegen hat. Die Behandlung war in allen Fällen 
dieselbe wie bei angeborenen Luxationen. 

Was unsere Fälle nun besonders interessant macht, sind die 
sehr instruktiven Röntgenbilder. Drehmann hebt hervor, daß die 
beschriebenen Luxationen klinisch sich von den angeborenen nicht 
unterscheiden lassen außer durch die Anamnese und eventuell vor¬ 
handene Residuen einer tiberstandenen Coxitis in Gestalt von Narben. 
Ohne den Röntgenbefund wäre allerdings die Differentialdiagnose 
aus den klinischen Symptomen nicht zu stellen. Die Annahme einer 
kongenitalen Luxation liegt auch zu nahe, besonders wenn, wie in 
unserem ersten Fall, die Deformität doppelseitig auftritt, oder wenn 
die Coxitis im Säuglingsalter nicht richtig erkannt wurde, weil es 
vielleicht gar nicht zur Eiterbildung kam oder der Eiter nicht 
perforierte. Hier kann nur das Röntgenbild Aufklärung geben. 
Das Stadium der kongenitalen Hüftluxation im Röntgenbild ist so 
weit fortgeschritten, daß die Diagnose in den meisten Fällen keine 
Schwierigkeiten macht. Betrachten wir unsere Röntgenbilder, so 
finden wir überall eine wohl ausgebildete, in den beiden ersten Fällen 
etwas flache Pfanne. Die für die kongenitale Luxation charakte¬ 
ristische Steilheit und Kleinheit der Pfanne, die starke Verdickung 
des Pfannenbodens, die wenig scharfen, knöchernen Pfannenränder, 
die Form des Y-Knorpels, die Form und Stellung der oberen Femur¬ 
enden sowie eventuell damit korrespondierende Erscheinungen auf 
der gesunden Seite, alles das sind Kennzeichen, welche die ange¬ 
borene Hüftverrenkung streng von der pathologischen abgrenzen. 
Einige Grenzfälle werden immer übrig bleiben, wo die Diagnose 
zweifelhaft bleibt. Es wäre ja auch der Fall denkbar, daß einmal 
in einem kongenital luxierten Gelenk eine Coxitis sich ausbildet. In 
der Regel aber ist man meiner Ansicht nach in der Lage, in solchen 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XV. Bd. 41 


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640 


Fritz Wette. Ueber Hüftgelenksverrenkungen etc. 


Fällen, wo Anamnese oder sonstige Zeichen einer stattgehabten Ent¬ 
zündung fehlen, aus dem Röntgenbilde die Differentialdia¬ 
gnose zwischen pathologischer, nach Coxitis im Säuglings¬ 
alter entstandener und kongenitaler Luxation mit ziem¬ 
licher Sicherheit zu stellen. 


Literatur. 

Dreh mann, Ueber Gelenkentzündungen im Säuglingsalter und ihre ätiologi¬ 
schen Beziehungen zu späteren Deformitäten. Zeitschr. f. orth. Chir. 
Vortrag, gehalten auf dem III. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für 
orthopädische Chirurgie 1904. 

Derselbe, Deformitäten nach Gelenkentzündungen im frühesten Säuglingsalter. 
Zeitschr. f. orth. Chir. 1905. Vortrag, gehalten auf dem IV. Kongreß der 
Deutschen Gesellschaft für orthopädische Chirurgie 1905. 

Bergmann, Bruns, Mikulicz, Handbuch der praktischen Chirurgie. 
König, Lehrbuch der speziellen Chirurgie. 8. Aufl. 

Schloßmann, Ueber akuten Gelenkrheumatismus und symptomatisch ähnliche 
Erkrankungen im frühen Kindesalter. Monatsschr. f. Kinderheilkunde 
1903, Bd. 1 Nr. 5. 

v. Ammon, Die angeborenen chirurgischen Krankheiten des Menschen 1842 
Mettenheimer, Hüftgelenksvereiterung im frühesten Kindesalter. Journ. f. 
Kinderheilkunde 1871, LVII S. 250. 

Hoffa und Rauenbusch, Atlas der orthopäd. Chir. in Röntgenbildern. 


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XXXIII. 


(Aus der chirurgisch-orthopädischen Abteilung der Universitäts- 
Kinderklinik Graz.) 

Aus den Grenzgebieten der Chirurgie und Neurologie. 

Von 

Dr. Hans Spitzy, 

Oberarzt der Abteilung. 

Mit 4 in den Text gedruckten Abbildungen. 

II. und III. 

Im Anschluß an die jüngst veröffentlichten Publikationen über 
den Versuch einer Anastomosenbildung zwischen N. cruralis und 
N. obturatorius *) sollen im folgenden die übrigen von mir und anderen 
Autoren wie F. Peckham 2 ), Young 3 ), Hackenbruch 4 ) aus¬ 
geführten und für unser Fach besonders wichtigen Formen der Im¬ 
plantationen im Bereiche der peripheren Nerven zur Darstellung 
kommen, wobei insbesondere auf die topographisch-anatomischen und 
technischen Einzelheiten das Hauptgewicht gelegt werden soll. Der 
klinische Verlauf während der Regenerationsperiode hat schon in einer 
früheren Arbeit 5 ) sowie in einer diesbezüglichen neueren Beobach¬ 
tung Hackenbruchs eingehende Erörterung gefunden. 

n. Die Peroneus-Tibialisplastik. 

Die häufigste Indikation zu der Anastomosenbildung zwischen 
diesen zwei Nerven ist in der isolierten Lähmung des N. peroneus 

*) Spitzy, Aus den Grenzgebieten der Chirurgie und Neurologie I. 
Zeitschr. f. orth. Chir. Bd. 14. 

*) F. Peckham, Nerve grafting. The Providence med. journal 1900, 1. 

3 ) J. Young, Transactions of the Americ. orthop. Association 1904. 

4 ) Hackenbruch, Die Behandlung der spinalen Kinderlähmung durch 
Nervenpfropfung. Deutsche med. Wochenschr. 1905, 26. 

5 ) Spitzy, Weitere Erfahrungen auf dem Gebiete der Nervenplastik. 
Zeitschr. f. orthopäd. Chir. Bd. 14. 


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642 


Hans Spitzy. 


zu suchen, die wir doch unter allen Einzellähmungen am öftesten 
zu beobachten Gelegenheit haben. Ungleich seltener haben wir es 
ja mit einer isolierten Lähmung des N. tibialis zu tun, die eine 
Anzeige für die gegengleiche Plastik abgeben würde. Der Grund 
dieser größeren Vulnerabilität des N. peroneus wurde von den ein¬ 
schlägigen Autoren in verschiedenen Eigentümlichkeiten gesucht, die 
dieser Nerv bezüglich seines Verlaufes, seiner Blutversorgung und 
seiner Anheftung an die umgebenden Gewebe aufweist. 

Nach Hof mann *) ist die Ernährung des N. peroneus eine be¬ 
deutend schlechtere, als die des N. tibialis, außerdem hat uns 
v. Aberle 2 ) gezeigt, daß der N. peroneus durch seine bindegewebige 
Anheftung größerer Ueberdehnungsgefahr ausgesetzt ist; beide Fak¬ 
toren zusammen sind wohl vereint im stände, die häufigere Verletzung 
des Wadennerven bei Streckungen zu erklären. 

Trotz dieser beiden anatomisch begründeten Erklärungen für 
das leichtere Zustandekommen einer Peroneuslähmung peripherischen 
Ursprungs, wie es z. B. bei einer gewaltsamen Streckung einer Knie¬ 
gelenkskontraktur der Fall sein kann, muß dieser Nerv auch, was 
die Placierung seiner Kerne im Zentralorgan, im Rückenmark, an¬ 
langt, irgendwie benachteiligt sein. 

Seine Wurzelkomplexe liegen vielleicht dichter gedrängt bei¬ 
sammen, sie sind nicht über so viele Segmente zerstreut, ein entzündlich 
exsudativer mykotischer Prozeß kann viel eher dieses „arrondierte* 
Gebiet völlig in seinen Zerstörungsrayon einbeziehen, als z. B. das 
Quellengebiet eines anderen Nervenstammes, das ein größeres Areal um¬ 
faßt, das in mehreren Segmenten liegt, das von einer Reihe von zu¬ 
führenden Gefäßen genährt wird, so daß eine mykotische Thrombo¬ 
sierung und der mitverlaufende exsudative Zerstörungsprozeß keine 
so durchgreifende Verheerung anrichten können. 

Aehnlich wird es sich auch mit dem Ursprung des N. peroneus 
im Rückenmark verhalten, sonst wäre es kaum zu erklären, warum 
breit einsetzende poliomyelitische Lähmungen, die oft im Beginne 
ganze Extremitäten total gelähmt erscheinen lassen, nach Abheilung 
und Vernarbung sich nicht selten bis auf eine totale Peroneuslähmung 
einschränken, die anderen Nervengebiete kommen mit leichten 

*) M. H o f m a n n , Die Gefäßverhältnisse des N. ischiadicus und ihre Be¬ 
ziehung zur Dehnungslähmung. Arch. f. klin. Chir. Bd. 69. 

2 ) R. v. Aberle, Die Peroneuslähmung bei Behandlung der Kniekon* 
tracturen. Zeitschr. f. orthop. Chir. Bd. 13. 


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Aus den Grenzgebieten der Chirurgie und Neurologie. 


643 


Paresen weg; ein andermal ist von allem Anfang an gerade dieser 
Nervenbezirk vorzugsweise betroffen, die benachbarten nur gestreift, 
höchstens der Quadriceps teilt mit dem Peroneus diese ungünstige 
Eigenschaft. 

Der Ursprung beider Nerven, des N. peroneus und des N. tibialis 
liegt, trotzdem sie im N. ischiadicus zu einem gemeinsamen Stamme 
vereinigt erscheinen, in verschiedenen Metameren des Rückenmarkes, 
und zwar so, daß die Wurzelfelder des N. peroneus der Hauptsache 
nach höher liegen als die des N. tibialis. Der N. peroneus bezieht 
das Gros seiner Fasern aus dem 4. und 5. Lumbalsegment und zum 
geringeren Teil aus dem 1. und 2. Sakralsegment, der N. tibialis 
zum geringen Teil aus dem 5. Lumbalsegment und hauptsächlich 
aus dem 1., 2. und 3. Sakralsegment. Es grenzen also die Quell¬ 
gebiete des N. peroneus nach oben an die des N. cruralis, während 
den Wurzelfeldern des N. tibialis wieder jene der Beugergruppe seg¬ 
mentär näher angeordnet sind. 

Aus diesem Verhalten erklärt sich auch teilweise die Vorliebe für 
gewisse Kombinationen, die Vergesellschaftung der Cruralislähmung 
mit der Peroneuslähmung u. s. w. 

Bei nicht seltenen Anomalien — in fast einem Drittel der Fälle 
— verlaufen beide Nerven schon von ihrem Ursprung an getrennt; 
bezeichnenderweise entsendet da der N. tibialis die Muskeläste für 
die Kniebeuger. Meist nun trennen sich beide Nerven erst oberhalb 
der Kniekehle und erscheinen so als die Endäste des N. ischiadicus, 
der schon vor ihrem Austritt die obenerwähnten Beuger und manchmal 
auch Teile des M. adductor magnus innerviert hatte. 

Die Gefäßversorgung gestaltet sich nach den Untersuchungen 
von Hofmann folgendermaßen: Die zuführenden Arterien aus der 
A. glutaea inf., der A. circumflexa fern. med. und den Aa. perforantes 
bilden vor dem Eintritt in die Nerven Anastomosenketten, die den 
Nervenstämmen folgen. Aus diesen erst entspringen die kleinen 
Nervenästchen, die sich zwischen den Nervenfasern verzweigen. 
Diese Anastomosenketten liegen im Mesoneurium und besorgen die 
Ernährungszufuhr der Nerven. 

Die Isolierung derselben vom Mesoneurium und dem umgeben¬ 
den zarten Bindegewebe ist bei Operationen dementsprechend auf das 
Mindestmaß des Notwendigen zu beschränken. 

Der N. peroneus ist,- was die Blutversorgung anbelangt, be¬ 
deutend schlechter daran als der N. tibialis. Bei getrenntem Ver- 


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644 


Hans Spitzy. 


lauf bezieht der N. tibialis ungefähr doppelt so viel Zuflüsse als der ■ 
N. peroneus. Bei gemeinsamem Verlauf im N. ischiadicus durch¬ 
ziehen die ernährenden Arterien erst den N. tibialis und treten aus 
diesem erst in den N. peroneus ein. 

Nach der Teilung des N. ischiadicus zieht der äußere Endast, 
der N. peroneus, der „external popliteal nerve“ der Engländer, an 
der inneren Seite des M. biceps nach abwärts, schlägt sich um den 
Hals der Fibula und ist gerade da straff an seine Unterlage ange¬ 
heftet, er erscheint dadurch wie eine Saite über einen Steg gespannt: 
bei einer gewaltsamen Streckung kann er der Ueberdehnung nicht 
so leicht ausweichen wie der N. tibialis, der da einfach tief in das 
weiche Kniekehlengewebe ausweichen kann. 

Hier beginnt auch die Aufsplitterung des Nervenstammes. Ein 
Teil, der N. peroneus superficialis, bleibt in der Kapsel der Waden¬ 
beinmuskeln, versorgt diese im weiteren Verlaufe, und verläßt die 
Muskelfaszie dann als Hautnerv des Fußrückens. Der zweite Ast 
tritt eng angeschmiegt an das Wadenbein unter dem Extensor com¬ 
munis in das Interstitium zwischen diesem Muskel und dem M. tibialis 
anticus. Gleichzeitig mit diesem Ast zweigt sich meist schon vom 
Hauptstamm ein Muskelast für den M. tibialis anticus ab, der mit 
dem N. peroneus profundus zusammenläuft und dann sofort in den 
M. tibialis dringt. Weiter unten trennen sich die Aeste für den j 

Extensor communis und den Extensor hallucis und auch noch ein 
zweiter Ast.für den M. tibialis anticus, so daß dieser für die Fu߬ 
funktionen so wichtige mächtige Muskel zwei Nervenzuleitungen be¬ 
sitzt. Die eine von diesen ist am Wadenbeinköpfchen leicht zugäng- J 
lieh, was bei isolierten Lähmungen dieses Muskels gelegentlich der 
Vornahme eines Neuanschlusses von Wichtigkeit wäre. 

Der Rest des N. peroneus profundus versorgt dann noch die 
kleine Fußrückenmuskulatur und endigt dann ebenfalls mit sensiblen 
Fasern in der Haut des Fußrückens. 

Die Topographie der Ausbreitung des N. tibialis gestaltet sich 
einfacher. Er zieht in der Mitte der Kniekehle abwärts, senkt sich j 
immer tiefer in diese ein, erreicht die A. poplitea und verläuft * 

nun eine Strecke mit dieser auf dem M. popliteus. Schon in der I 

Kniekehle gibt er den N. saphenus ab, der dann mit der gleich- j 
namigen Vene in der Mitte der Wade als Hautnerv nach abwärts 
zieht. Außerdem spalten sich schon hier die Aeste des M. triceps 
surae ab. Bei seinem späteren Verlaufe durch den Canalis popliteus 1 


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Aus den Grenzgebieten der Chirurgie und Neurologie. 
Fig. 1. 


G45 


X peron — 
fibula \ 
N. per. super/\ 


M. peron lonp 


M. ead. dipä 


M.peron. /reu. 
M. ejcl. ha/Zuc 



i M. peron . Ionp. 


Ast des M. üb. an/. 

W. peron .profund 
— M. üb. an/. 


versorgt er noch die tiefen Wadenmuskeln und endet dann in zwei 
Zweigen, den N. plantares, die die kleinen Muskeln und die Haut 
der Fußsohle innervieren. 

Die Stelle der Wahl für eine vorzunehmende Anastomosierung 
wird nach dem vorangegangenen die Kniekehle und ihre nächste 
Umgebung sein. Dort sind sowohl die Hauptstämme günstig nahe 
gelegen, als auch die Einzelabzweigungen für die größeren wichtigen 
Muskeln leicht zu erreichen. 

Der Operationsplan ergibt sich aus dem Gesagten wie aus der 
(Fig. 2) Anschauung der beigegebenen Bilder von selbst. Ein 
medial verlaufender Schnitt etwas oberhalb der Kniekehle legt nach 
vorsichtiger Präparierung die angezogenen Verhältnisse klar. Die 
Nn. tibialis und peroneus werden nur so weit, als es unumgäng¬ 
lich nötig ist, vom umgebenden Gewebe isoliert und nun nach schon 


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646 


Hans Spitzy. 



beschriebenen Schemen jene Plastik allsgeführt, die in dem jeweiligen 
Falle indiziert ist, bezw. die besten Chancen bietet. Es ist in diesem 
Falle sowohl eine zentrale partielle Implantation wie eine partielle 
oder totale periphere Implantation ausführbar. Bei der ersteren 
würde man, den Fall einer Peroneuslähmung angenommen, einen 
zentralen Längslappen mit zentraler Basis vom N. tibialis abspalten, 
diesen zum intakt bleibenden N. peroneus leiten, und in einen Längs¬ 
schlitz dieses Nerven mit peripher gerichtetem Querschnitt einnähen, 
die diesbezügliche Technik, die zu beobachtenden Vorschriften, wie 
sie sich im Gebrauche ausgebildet haben, habe ich bereits in einigen 
ausführlichen Arbeiten niedergelegt r ). 


J ) Spitzy, Die Bedeutung der Nervenplastik für die Orthopädie. Zeitschr. 
f. orthopäd. Chir. Bd. 13. — Derselbe, Zur allgemeinen Technik der Nerveu- 
plastik. Wiener klin. Wochenschr. 1905, 3. — Derselbe, The technique ot" 
neuroplasty. The Americ. journ. of Orthop. surgery Vol. II, 1. 


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Aus den Grenzgebieten der Chirurgie und Neurologie. 


647 


Bei der zweiten Art der Plastik, wieder den Fall einer Peroneus¬ 
lähmung supponiert, könnte man entweder den motorisch leitungs¬ 
unfähigen Peroneus ganz durchtrennen, und dessen peripheren Teil mit 
zentralwärts gerichtetem Querschnitt in einen Längsschlitz des funk¬ 
tionstüchtigen Tibialis einnähen — totale periphere Implantation — 
oder man läßt, um noch erhaltene sensible Bahnen zu schonen, noch 
einen Teil des Peroneusstammes übrig und implantiert nur einen 
Längslappen mit peripherer Basis in den N. tibialis. Einen wesent¬ 
lichen Unterschied zwischen diesen Methoden, was ihre prinzipielle 
Verwendung anlangt, könnte ich nicht angeben. Ich habe bei 
meinen Versuchen auch noch folgende Art der Anastomosierung 
versucht: ein zentral festsitzender Lappen des N. tibialis wurde mit 
einem peripher fest basierenden Lappen des peroneus vereinigt. 

Sowohl diese peripher-zentrale partielle Anastomosierung wie die 
früher beschriebenen beiden Implantationsweisen geben von Fall zu 
Fall gute Resultate. Welche gewählt wird, hängt vielfach von den 
Anschauungen ab, die der Operateur von dem Vorgang der Nerven- 
regeneration sich zurecht gemacht hat; ist derselbe ein absoluter An¬ 
hänger der zentrifugalen Regeneration, erklärt sich derselbe die Re- 
innervation nur durch Auswachsen vom Zentrum aus, so kommt für 
ihn mehr die zentrale Implantation in Frage. So Hackenbruch *), 
der im Vorjahre eine gelungene derartige zentrale Implantation 
am Chirurgenkongresse vorstellte und diesen Fall auch näher be¬ 
schrieb. Aus Gründen, die ich ebenfalls schon früher auseinander¬ 
gesetzt, ist diese Lehre von der alleinig vom Zentrum ausgehenden 
Regeneration jedoch schon durch Autoritäten ersten Ranges bedeutend 
erschüttert, außerdem ist bei der peripheren Implantation ein Hin¬ 
einwachsen vom Zentrum aus auch in hohem Grade ermöglicht, so 
daß theoretisch gegen diese Methode nichts einzuwenden ist. Daß 
sie auch praktisch gute Resultate liefert, wurde auch schon anderen 
Ortes berichtet 2 ). 

Eventuelle Bedenken, ob ein Nervenquerschnitt wohl auf ein¬ 
mal für zwei Nervengebiete zu genügen vermöge, fanden auch schon 
in ausgedehnter Weise sowohl durch den Tierversuch wie durch die 
funktionelle und histologische Prüfung ihre Erledigung. 

Nach meiner Erfahrung auf diesem Gebiete würde ich bei 
einer totalen Peroneuslähmung z. B. zur peripheren totalen Implan- 


’) 1. c. *) 1. c. 


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Hans ßpitzy. 


tation raten, bei nur teilweiser Lähmung zur zentralen partiellen 
Implantation oder zur zentral-peripheren Anastomosierung 1 ). 

Um das Ergriffenwerden der Nervennahtstelle von dem umgebenden 
Narbengewebe zu verhüten, scheide ich die Implantationsstelle immer 
mit heterogenem Material ein, am besten haben sich mir Hunde¬ 
arterien bewährt, die ich nach einer von Foramitti 2 ) gegebenen 
Vorschrift präpariere. Foramitti versuchte zur Sicherung von 
Nervennähten am Tierexperiment von Hunden gehärtete Kalbsarterien, 
mit diesen umgab er die Nahtstelle und war in der Lage, nach längerer 
Zeit am Schnitt zu zeigen, daß das Perineurium mit der Intima in 
organische Verbindung getreten war. 

Ich benützte nun die Arterien meiner Versuchshunde zu¬ 
erst bei anderen Tierversuchen und darauf auch bei den analog aus¬ 
geführten Operationen am Menschen. Die Umhüllungen heilten immer 
tadellos ein. 

Die Herstellungsweise ist folgende: Ich entnehme dem geöffneten 
Hundekörper steril die größeren Arterienstämme wie Aorta, Iliaca, Ca¬ 
rotis, Subclavia, Femoralis. Diese werden auf sterile Glasstäbchen größt¬ 
möglichsten Kalibers geschoben, „darauf in 5— 10°oiger Formalin¬ 
lösung 48 Stunden gehärtet, 29 Stunden in fließendem Wasser ge¬ 
waschen, dann durch 20 Minuten gekocht und schließlich in Alkohol 
(95°/o) aufbewahrt“. 

Vor dem Gebrauch werden sie mit der Seide in physiologischer 
Kochsalzlösung ausgekocht. Durch diese Umscheidung werden Lei¬ 
tungsunterbrechungen durchhinein- und dazwischenwachsendes Narben¬ 
gewebe verhindert. Daß bei einer isolierten Lähmung des M. tibialis 
anticus eventuell eine periphere Implantation des diesen Muskel inner¬ 
vierenden Astes in den übrigen Stamm des N. peroneus ausführbar 
wäre, geht aus dem beigegebenen Bild, das die schon früher er¬ 
örterten eigentümlichen Innervationsverhältnisse dieses Muskels illu¬ 
striert, ohne weiteres hervor. Ein Bogenschnitt längs des Peroneus- 
verlaufes am Fibulaköpfchen kann diese Stelle einem eventuellen Ein¬ 
griff zugänglich machen. Einen ähnlichen Fall hatte Young auf dem 
Kongresse für amerikanische Orthopädie (Atlantic City 1904) demon¬ 
striert. 


') 1. c. 

2 ) Foramitti, Zur Technik der Nervennaht. Arch. f. klin. Chir. Bd. 73. 


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Aus den Grenzgebieten der Chirurgie und Neurologie. 


649 


III. Die Medianus-Radialisplastik. . . 

Wie an der unteren Extremität, so sind auch an der oberen 
die Strecker des Armes, der Hand und der Finger bei Lähmungen 
gewöhnlich am meisten und in erster Linie betroffen. Sehr oft ist 
es das Gebiet des N. radialis, das eine Einbuße in seiner motorischen 
und meist auch in seiner sensiblen Sphäre erlitten hat. Lähmungen 
im Gebiete des N. radialis gehören zu den am häufigsten an den 
oberen Extremitäten vorkommenden (Bernhardt) *), sie sind nicht 
nur öftere Teilerscheinungen von kombinierten Lähmungen zentralen 
Ursprungs, wir begegnen ihnen bei den Plexuslähmungen, auch iso¬ 
lierte Radialislähmungen hat man ziemlich oft zu beobachten Ge¬ 
legenheit. Die exponierte Lage des Nerven, sein rätselhaft geringer 
Widerstand gegen Giftstoffe, ich erinnere an die Giftlähmungen mit 
Blei, Arsenik, Opium, sowie der Umstand, daß auch sonstige patho¬ 
logische Prozesse, wie Polyneuritiden mit Vorliebe und zuerst sich 
im Radialisgebiet festsetzen, machten schon immerher die Radialis¬ 
lähmungen zu den bekanntesten und best studierten. 

Wenn nun auch ein großer Teil dieser spontan wieder sich 
rückbildet, ein anderer, wie die Giftlähmungen, nur Vorläufer und 
Teilsymptome eines größeren destruktiven Prozesses sind, so bleibt 
doch noch ein großer Prozentsatz übrig, bei welchen nur ein chirur¬ 
gisches Eingreifen Hilfe zu bringen im stände ist. Gerade bei Ra¬ 
dialislähmungen sind am häufigsten primäre und sekundäre Nerven¬ 
nähte ausgeführt worden. Frische Verletzungen, Knochenbrüche, 
Kallusmassen, die den Nervdruck abquetschten, Geschwülste gaben 
die bekannten Indikationen. Ist eine Naht, eine Narbenexzision, 
eine Anfrischung der narbigen Enden und ihre darauffolgende Quer¬ 
schnittsvereinigung überhaupt möglich, so soll sie immer durchgeführt 
werden; wie viel Wert darauf gelegt wurde, beweisen die Vorschläge 
von v. Hacker 2 ) zur Mobilisierung, und in noch viel höherem Grade 
die von Bergmann 3 ) zur Resektion eines Teiles der Humerusdiaphyse, 
um die entfernten Enden wieder einander näher zu bringen. 

] ) Bernhardt, Erkrankungen der peripheren Nerven. Nothnagels Hand¬ 
buch. Wien 1895. 

2 ) v. Hacker, Ein Beitrag zur Nervennaht. Wiener klin. Wochen¬ 
schrift 1894. 

*) Zit. nach Schede, Chirurgie der peripheren Nerven. Handbuch 
Penzoldt-Stinzing. 


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650 


Hans Spitzy. 


Falls die sekundäre Nervennaht unausführbar oder resultatlos 
war, tritt erst die Frage in den Vordergrund, ob nicht durch Xeu- 
anschluß des geschädigten Gebietes an ein intaktes Nervennetz eine 
Besserung des Zustandes zu erzielen wäre. Am schwersten fällt immer 
der Ausfall der Motilität des Unterarmes, der Hand und der Finger 
in die Wagschale, und speziell Störungen des hervorragendsten Kultur¬ 
organs, der Hand, rufen, auch wenn sie nicht sehr hochgradig sind, 
schon beträchtliche Berufsbehinderung hervor. In einer großen An¬ 
zahl der Fälle wird der Kranke die Motilitätsstörungen des Armes, 
wenn sie nicht zu hochgradig sind, gern ertragen, wenn nur die 
Beweglichkeit der Hand und der Finger und damit ihre berufliche 
Gebrauchsfähigkeit wieder zu erlangen wäre. Gerade derartige Falle 
sind es, die die Indikation zur Vornahme einer Nervenplastik bieten 
und diese auch vollständig rechtfertigen. Die Bewegungen der Hand 
werden zum allergrößten Teil von den drei Hauptmuskeln des Armes 
beherrscht, dem N. medianus, radialis und ulnaris. Beugung, Streckung, 
Drehung, sowie alle Fingerbewegungen stehen unter ihrer Herrschaft. 
Am häufigsten ist es die Streckergruppe, die durch das Dazwischen¬ 
treten eines Lähmungsinsultes ins Mißverhältnis zu den Bewegungs¬ 
mechanismen gerät. Und da in der Ellenbeuge alle drei Nerven 
in technisch leicht erreichbaren topographischen Verhältnissen sich 
befinden, so ist damit auch der Ort der Wahl gegeben zur Vor¬ 
nahme einer Anastomosierung, wenn nicht ganz bestimmte Umstände 
denselben zentral- oder peripherwärts verschieben. 

Die Art der Plastik, die bei einer supponierten Radialislähmung 
in Betracht käme, wäre die einer zentralen oder peripheren Implan¬ 
tation. Ein vom N. medianus abgespaltener Lappen mit zentraler 
Basis in einen Schlitz des N. radialis implantiert, ist im stände, 
diesen zu reinnervieren. 

Diese sowohl durch den Tierversuch gestützte Tatsache, wie 
auch schon durch Operationen am Menschen erreichten Erfolge 
geben der im folgenden ausgeführten Methode den pathologisch¬ 
anatomischen, wie therapeutischen Rückhalt und damit eine unabweis- 
liche Existenzberechtigung. Die Szenerie ist topographisch-anato¬ 
misch folgendermaßen gestellt: der N. radialis, dem 5., 6., 7. und 8. 
Cervicalnerven entsprungen, begleitet die A. collateralis in das Fleisch 
des M. triceps, in einer Spirale windet er sich um den Humerus¬ 
schaft, der musculo-spiral nerve der Engländer, und taucht dann 
zwischen dem M. supinator longus und dem M. brachialis int. (Fig. 3) 


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Aus den Grenzgebieten der Chirurgie und Neurologie. 


651 


Fig. 3. 



X media/uis 
M biccps 

A . cuhUalis 
M. brach. in/. 


M. pronalos irres 


tteuyenp'uppe 


l supin . lonp 


in unserem Operationsfeld auf. Die Tricepsfasern werden hoch oben 
in der Nähe der Insertion versorgt, in der Ellenbeuge verlassen die 
Zweige für den M. supinator longus und für die radio-dorsale Gruppe 
der Vorderarmmuskulatur den Hauptstamm, die letzteren in einen Ast 
vereinigt, dessen Abgangsstelle für die Operationstechnik von höch¬ 
ster Wichtigkeit ist, denn der noch übrig bleibende Teil des N. ra- 


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652 


Hans Spitzy. 


dialis ist nur mehr sensibel, kommt also für uns nicht mehr in 
Frage. 

Der N. medianus aus dem 5., 6., 7. und 8. Cervical- und dem 
1. Brustnerven gebildet, hat die A. brachialis begleitet und liegt in 
der Ellenbeuge an ihrer ulnaren Seite, erst hier im Canalis cubitalis 
gibt er seine ersten Muskeläste für die Beugergruppe der Hand und 
der Finger ab. 

Der erste Ast ist zur Versorgung des M. pronator teres, darauf 
folgen die Abzweigungen für die radio-palmare Gruppe der Vorderarm¬ 
muskulatur. Das beigegebene Bild mag die Aufsplitterung der beiden 
Nerven in der Ellenbeuge illustrieren. 

Ueber dieser Stelle muß natürlich die Plastik vorgenommen 
werden, um den gewünschten Effekt erreichen zu können. Nach 
diesen vorausgeschickten Bemerkungen hat sich also der Operations¬ 
plan zu richten. 

Ein Schnitt medial vom unteren Ende des M. biceps legt den 
N. medianus (Fig. 4), der hier über und etwas ulnar von der Arterie 
liegt, frei; über der Abgangsstelle der Muskeläste und unter sorg¬ 
fältiger Schonung derselben wird der Stamm des Nerven auf einige 
Zentimeter isoliert. 

Ein zweiter Schnitt radial von der Bicepssehne im Sulcus cubi- 
talis externus führt nach einigem Präparieren in die Tiefe auf den 
Stamm des N. radialis. Oberhalb des Abganges der Muskeläste 
wird der Nerv ebenfalls auf einige Zentimeter isoliert und hier vor¬ 
sichtig mit einem kleinen Messerchen ein Schlitz x ) angelegt, der natür¬ 
lich streng längsverlaufend sein muß. Um den Schlitz auseinander¬ 
zuhalten, ohne den Stamm durch öfteres Anfassen einer größeren 
Läsion auszusetzen, habe ich meinem bereits erwähnten Instrumen¬ 
tarium noch zwei Ringsperrpinzetten (Schieber) beigegeben, in deren 
Ring jede Hälfte geschlossen werden kann, und die herabhängend 
durch ihr Gewicht den Schlitz offenhalten. Vom N. medianus wird 
nun ein Lappen mit zentraler Basis abgespalten, circa ein Drittel 
des Querschnittes umfassend. Das periphere Ende des Lappens 
wird vorsichtig mit einem Faden armiert, das Ende des Fadens an 
das Ohr einer Ohrsonde befestigt. Mit einem Instrument, das ich 
Tunnelleur genannt und das im wesentlichen aus einer Metallröhre 


] ) Das Instrumentarium ist zu einem Besteck vereinigt bei der Firma 
Jn8trumentenfabrik A. Broz in Graz käuflich. Publikation u. Bilder 1. c. S. 646. 


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Aus den Grenzgebieten der Chirurgie und Neurologie. 


653 


Fig. 4. 



jY. idnaris 


M. bieeps * 
A.acbital. 
N. mediamcs 


M. sup. lang. 
Verui mediana 

- JY. radia/is 


Tricepsfascie 


mit abnehmbarer stumpfer Kappe besteht, bohrt man sich subkutan 
einen möglichst günstigen Weg zum früher angelegten Schlitz. Ist 
die Kuppe des Tunnelleurs dort angelangt, so wird die Kappe ab¬ 
gezogen, die Ohrsonde durch die Röhre durchgeschoben, und mittels 
der Fadenschlinge auch der Nervenast ohne weitere Gefährdung zum 
Ort der Implantation gebracht. Nun zieht man die Röhre über den 
Nervenast hinweg heraus, löst die Ohrsonde vom Faden, den man 
gleich zur Fixation des Astes im Längsschlitz benützen kann, um 
die Operationsschädigungen auf ein Minimum zu reduzieren. Eine 
Längsnaht fixiert den Lappen mit peripher gerichtetem Querschnitt 
in den Schlitz, die Ringschieber werden losgelassen, die Nahtstelle 
zur Isolierung mit einer Arterie umnäht und darauf die Hautwunden 
geschlossen, nachdem eventuelle durchschnittene Aeste der V. mediana 
ligiert sind. 

Der Arm wird, um jede Spannung zu vermeiden, in recht- 


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654 Hans Spitzy. Aus den Grenzgebieten der Chirurgie und Neurologie. 

winkliger Stellung fixiert durch einen leichten Gipsverband bezw. 
Gipsschalen; nach 3 Wochen kann ein leichterer Apparat zur Be¬ 
kämpfung eventuell bestehender Kontrakturen zur Anwendung 
kommen. 

Diese beschriebene Operation wurde bereits mehrere Male von 
mir in dieser Weise ausgeführt, die Erfolge, die binnen kurzem publi¬ 
ziert werden sollen, berechtigen und ermutigen zu weiteren Operations¬ 
versuchen in Fällen, wo die übrigen Methoden aussichtslos sind, oder 
ein Erfolg nur durch vielfache und komplizierte Kraftübertragungen 
mittels Sehnen- und Muskelplastiken zu erreichen wäre 1 ). 

Eine eventuelle Verbindung zwischen dem N. ulnaris und X. 
medianus unterliegt keinerlei technischen Schwierigkeiten. 

Ein Längsschnitt entlang der straffen Tricepsfascie zum Con- 
dylus internus hin legt den leicht durchzufühlenden N. ulnaris in 
der Ellenbeuge frei, die Nervenzuleitung müßte durch eine zentrale 
partielle Implantation entweder vom N. medianus auf analoge Weise 
wie bei der Radialis-Medianusplastik oder auf der Rückseite des 
Armes über oder unter dem M. triceps vom N. radialis her erfolgen 
(siehe Fig. 4). 

*) Ein durch eine Medianus-Radialisplastik geheilte Radialislähmung 
wurde vom Autor auf dem 6. Kongresse der Deutschen Gesellschaft f. orthop. 
Chir. vorgestellt. 


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Referate 


Jankau, Taschenbuch für Chirurgen und Orthopäden. II. Ausgabe. Jahrgang 
1906 und 1907. Leipzig, Max Gelsdorf. 

Das Taschenbuch, welches zahlreiche praktische Notizen und Tabellen 
aus der Chirurgie, Orthopädie und Unfallheilkunde, daneben aber auch Daten 
au9 dem Gebiete der internen Medizin (Nahrungsmittel, Nährpräparate, Arznei¬ 
verordnungslehre), Anatomie und Physiologie enthält, wird sich durch seine 
Reichhaltigkeit und Brauchbarkeit viele Freunde erwerben. 

Wollenberg - Berlin. 

Wrndscheid, Der Arzt als Begutachter auf dem Gebiete der Unfall- und 
Invalidenversicherung. Erste Abteilung: Innere Erkrankungen mit be¬ 
sonderer Berücksichtigung der Unfallnervenkrankheiten. Handbuch der 
Sozialen Medizin Bd. VIII, Abt. 1. Gustav Fischer, Jena. 

Der erste Teil behandelt die Stellung des Arztes zum Unfallversicherungs¬ 
gesetz. Er enthält neben den die Gesetzgebung des In- und Auslandes be¬ 
treffenden Kapiteln die Beziehungen der Erkrankungen innerer Organe zu einem 
Unfall sowie besonders die Unfallnervenkrankheiten. Der zweite Teil beschäftigt 
sich mit dem Invalidenversicherungsgesetz. Das Buch, welches sich die Aufgabe 
setzt, für praktische Aerzte ein Wegweiser in der Methodik der Begutachtung 
zu sein, erreicht diesen seinen Zweck. Die Darstellung ist klar und fesselnd. 

Wollenberg- Berlin. 

Sudeck, Der Arzt als Begutachter auf dem Gebiete der Unfall- und Invaliden¬ 
versicherung. Zweite Abteilung: Chirurgische Erkrankungen, besonders der 
Bewegungsorgane. Handbuch der Sozialen Medizin Bd. VIII, Abt. 2. Gustav 
Fischer, Jena 1906. 

Das vorliegende Werk füllt in hervorragender Weise eine fühlbare Lücke 
der Literatur aus. Der allgemeine Teil handelt von den Erkrankungen der 
Haut und Unterhaut, den Erkrankungen der Muskulatur, des Knochensystems 
und der Gelenke. Jeder Abschnitt beschäftigt sich 1. mit der zweifelhaften 
traumatischen Aetiologie der betreffenden Krankheiten, 2. mit der Untersuchung 
der in Betracht kommenden Organe und ihrer Funktion, und 3. mit dem Einfluß 
der betreffenden Krankheiten auf die Erwerbsfähigkeit. 

Der spezielle Teil bespricht unter Einhaltung derselben Einteilung die 
Erkrankungen der Wirbelsäule (Lumbago, Spondylitis traumatica, Arthritis 
Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XV. Bd. 42 


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656 


Referate. 


ankylopoetica) der oberen Extremität und der unteren Extremität (Coxa Tara 
Genu valgum, traumatischer Plattfuß, Gewohnheitslähmung). 

Besonders hervorheben möchten wir neben der klaren Darstellung de* 
Stoffes die vorzüglichen Abbildungen, besonders die Röntgogramme. sowie er 
läuternde, teilweise auseinandergelegte, höchst instruktive Konturzeichnunges 
derselben, und bei den Extremitäten die schematischen Zeichnungen des bei der 
Inspektion und Palpation zu erhebenden Befundes. Gerade die letzteren sin" 
von größter Uebersichtlichkeit. Die Ausstattung ist eine musterhafte. 

Wollenberg - Berlin. 

Albert Mouchet (Paris), Notions de Chirurgie orthop(*dique. Verlag tod 
Henry Paulin u. Cie. 1906. 

In diesem 97 Seiten umfassenden Leitfaden hat Mouchet es in treff¬ 
licher Weise verstanden, die Grundzüge der orthopädischen Affektionen und 
ihre Therapie klar zusammengefaßt und anziehend zu schildern. — MoucheU 
Werk entsprach bei dem zunehmenden Studium der orthopädischen Chirurgit 
einem wirklichen Bedürfnis, da die französische Literatur über kurz gefaLite 
Lehrbücher der orthopädischen Chirurgie nicht verfügt. Das Buch ist reichlich 
illustriert, vorzüglich ausgestattet und wird der gebührenden Anerkennung 
nicht entbehren. Zesas- Lausanne. 

Haudek, Simulation bei chirurgischen Erkrankungen. Wiener med. Wochen¬ 
schrift 1905, 22—27. 

In der vorliegenden Arbeit befaßt sich Haudek in eingehendster Weise mit 
der Simulation bei chirurgischen Erkrankungen, und zwar behandelt er im ersten 
Teile die Simulation im allgemeinen und im zweiten Teile die Simulation an 
den einzelnen Körperteilen. Es würde den Rahmen eines kurzen Referates weit 
überschreiten, wollte ich auch nur einige Einzelheiten aus dieser sehr inter¬ 
essanten Arbeit, der wir nur die weiteste Verbreitung wünschen können, 
anführen. Das Studium dieser Abhandlung kann nur jedem Anfänger in der 
Begutachtung von Unfallkranken aufs angelegentlichste empfohlen werden, da 
er alles Wissenswerte in dieser Beziehung in derselben finden wird, aber auch 
für den Geübteren und für den, der sich schon länger mit dieser Materie 
beschäftigt, dürfte sie noch mancherlei Interessantes bieten. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Hoffa, Der Einfluß des Alters auf orthopädische Maßnahmen. Medizinische 
Woche 1906, 8. 

Hoffa tritt in diesem Aufsatz dafür ein, daß alle angeborenen Deformitäten 
möglichst bald nach der Geburt in Angriff genommen werden sollen, wobei 
natürlich immer als erster Grundsatz der berücksichtigt werden muß, daß die 
Pflege des Kindes, die Sorge für Schonung und Reinlichkeit der Haut, des 
ganzen Kindes sowohl wie des befallenen Teiles obenan steht. Je älter man 
die Kinder ohne Behandlung werden läßt, umsomehr wachsen die deformen 
Knochen und Gelenke in der falschen Wachstumsrichtung weiter und umso 
größer sind dann die Schwierigkeiten, absolut normale Verhältnisse durch die 
Behandlung zu erzielen, wenn auch zugegeben werden muß, daß sich selbst 
noch in höherem Alter recht gute Erfolge erzielen lassen. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 


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Referate. 


657 


Oscar v. Hovorka (Wien), Die Grenzen und Wechselbeziehungen zwischen 
der mechanischen Orthopädie und orthopädischen Chirurgie. Wiener 
medizinische Wochenschr. 1905, Nr. 42—44. 

Bezugnehmend auf die noch vielfach verbreitete falsche Auffassung über 
die Grenzen, den Wirkungskreis und das Wesen der heutigen modernen Ortho¬ 
pädie, sucht Verfasser in längerer Auseinandersetzung dieselben festzustellen. 
Nach einem geschichtlichen Rückblick auf das Alter der Orthopädie, welche 
er hauptsächlich als eine Schöpfung der Neuzeit ansieht, teilt er die Gesamt¬ 
orthopädie in zwei Hauptrichtungen: 1. die mechanische Orthopädie, 2. die 
orthopädische Chirurgie. Zu der ersten rechnet er 1. Massage, 2. Gymnastik, 
3. orthopädische Mechanik. Die einzelnen Disziplinen der ersten Hauptgruppe 
werden der Reihe nach hinsichtlich ihrer Entwicklung, ihres Wertes sowie der 
Indikation zu ihrer heutigen Anwendung erörtert. Hierbei gedenkt er besonders 
des hohen Aufschwungs der modernen orthopädischen Mechanik — einer Folge 
des Zusammenarbeiten von Aerzten und Mechanikern. Immerhin darf nicht 
vergessen werden, daß die orthopädische Mechanik nur ein Bruchteil der Ge¬ 
samtorthopädie bildet. Mithin hat kein auch noch so geschickter Mechaniker 
das Recht, ßich Orthopäde zu nennen, eine Bezeichnung, die nur einem ent¬ 
sprechend ausgebildeten Arzte zukommt. 

Für die zweite Hauptrichtung — die orthopädische Chirurgie — 
will v. Hovorka lieber die Bezeichnung chirurgische Orthopädie einführen. Die¬ 
selbe ist aus der allgemeinen Chirurgie hervorgegangen und hat sich im Laufe der 
Zeit von ihr losgetrennt: Sie umfaßt: 1. die orthopädische Verbandtechnik, 
2. die unblutigen, 3. die blutigen orthopädischen Operationen. Die Anwendung 
der einzelnen Mittel ist sehr zahlreich, auch sind ihre Beziehungen zueinander 
sehr mannigfaltig, da sie sich zum Teil ergänzen und ineinander übergehen. 
Als Grenzgebiete der Orthopädie bezeichnet er die Nervenheilkunde, die innere 
Medizin und die allgemeine Chirurgie. 

Die glänzenden therapeutischen Erfolge, welche die Orthopädie auf diesen 
Gebieten zu verzeichnen hat, berechtigen sie dazu, sich hier noch ein größeres 
Arbeitsfeld zugänglich zu machen. Kroll-Dresden. 

Lange, Schule und Korsett. Münchener med. Wochenschr. 1906, 13 14. 

Auf Grund seiner Untersuchungen und Beobachtungen ist Lange zu 
derselben Ansicht wie Smith und andere gekommen, daß man den kostalen 
Atmungstypus der Frau als Folge der bisherigen Tracht ansehen kann und 
daß mit der Tatsache gerechnet werden muß, daß bei jedem auch lose an¬ 
liegenden Korsett eine gewisse Hinderung der Atmung stattfindet durch Ein¬ 
pressung der unteren Brustkorbhälfte. Daß diese dem Wachstum des Körpers 
an dieser Stelle Hindernisse in den Weg legt, ist für den Verfasser klar. Das 
Ergebnis dieser Wachstumshemmung, die im übrigen nicht nur durch ein 
Korsett, sondern ebensogut auch durch in der Mitte festgebundene Rock¬ 
bänder oder einschnürende Gürtei hervorgerufen werden kann, ist die mo¬ 
derne Taille. 

Mit dieser mangelhaften Entwicklung der unteren Brustkorbhälfte sind 
natürlich auch gewisse Schädigungen für die Gesundheit des weiblichen Körpers 
verknüpft. Die Atemzüge sind oberflächlicher und die Durchlüftung der Lungen 


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Referate. 


ist daher eine ungenügende, wofür die zahllosen Störungen in der Blutbildung 
beim weiblichen Geschlecht sprechen, besonders die Chlorose. 

Eine andere Folge de9 kostalen Atmungstypus ist die Einschränkung 
der Zwerchfellsbewegung und die damit Hand in Hand gehenden Magen- uni 
Darmstörungen der Mädchen und Frauen, die Gallenstauungen und die Bildung 
von Gallensteinen. Endlich beeinflußt das Korsett die Lage der Bauchorgane, 
die sich nach unten senken und Anlaß zu der beim weiblichen Geschlecht 
häufig vorkommenden Enteroptose und zur Wanderniere geben. 

Auch die Rückenmuskeln leiden teils durch den direkten Druck de? 
Korsetts, teils infolge der durch das Korsett bedingten Inaktivität ganz außrr 
ordentlich. 

Wenn wir unsere Jugend von dem Korsett befreien wollen, dann müssen 
wir dafür sorgen, daß die geistige Erziehung der weiblichen Jugend nicht wie 
bisher auf Kosten des Körpers geschieht, dann müssen wir zu Hause gymnastische 
Uebungen machen lassen, die den Zweck haben, die Rückenmuskeln zu kräftigen, 
dann dürfen wir das Korsett nicht plötzlich weglassen, sondern immer allmählich, 
dann müssen wir eine Tracht schaffen, durch die die Schultern allein nicht 
belastet werden, sondern bei der das Gewicht derselben gleichmäßig auf 
Schultern und Hüften verteilt ist. 

Lange gibt nun am Schluß seiner Arbeit noch Ratschläge für eine derartige 
Kleidung und beschreibt in erster Linie ein Mieder und Strumpfhalter, die sich 
ihm als sehr praktisch erwiesen haben. Blencke- Magdeburg. 


R e ic h a r d, Die operative Behandlung jugendlicher Krüppel. Jahrbuch f. Kinder¬ 
heilkunde N. F. LXIII, 3. 

Verf. berichtet in einem auf der dritten Konferenz der deutschen An¬ 
stalten für Krüppelpflege gehaltenen Vortrage über seine operative Tätigkeit 
bei jugendlichen Krüppeln zu Cracau bei Magdeburg, bei denen er mit Hilfe 
der bekannten Operationsmethoden, vor allen Dingen der Arthrodesen, Sehnen¬ 
transplantationen etc. sehr gute Erfolge erzielte, lieber letztere hat er ja schon 
in verschiedenen Arbeiten, die bereits in dieser Zeitschrift referiert sind, ein 
gehender berichtet, so daß es sich wohl erübrigt, auf die einzelnen Fälle näher 
einzugehen, ln der Hauptsache handelt es sich um Kinder mit spinaler, cere¬ 
braler Lähmung und Littlescher Krankheit. Reichard stellt an wirkliche 
Krüppelanstalten zwei Bedingungen: erstens müssen sie über den ganzen Apparat 
eines chirurgischen Krankenhauses verfügen, und zweitens muß bei der Auf¬ 
nahme von Kindern, bei denen ein operatives Heilverfahren durchgeführt 
werden soll, Gewähr für genügend lange Unterbringung in der Anstalt geleistet 
werden. Diese sogenannten * Krüppelanstalten“ sollen sich mehr der Durch¬ 
führung der Heilverfahren widmen, die „Krüppelheime* dagegen mehr der 
Pflege, Erziehung und Ausbildung körperlich nicht besserungsfähiger Krüppel. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Hoeftmann (Königsberg), Postoperativer Vorfall von Baucheingeweiden. Ver¬ 
handlungen der deutschen Gesellschaft für Chirurgie. XXXIV. Kongreb. 

Bei Gelegenheit der von Madelung auf dem letzten diesjährigen Chirurgen¬ 
kongreß angeregten Diskussion über postoperativen Vorfall von Baucheingeweiden 


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Referate. 


659 


gibt Hoeftmann ein Verfahren an, durch welches man — wie er meint— dem 
Entstehen von Bauchbrüchen Vorbeugen kann. Er benutzt zwei breite Heft* 
pflasterstreifen, die beiderseits parallel zum Wundrand aufgeklebt werden. 
Dieselben sind mit einer doppelten Reihe von Schuhhaken versehen, so daß 
die eine Reihe mehr am medialen, die andere am lateralen Rande des Streifens 
sich befindet; ein Abgleiten der Streifen wird durch seitlich angebrachte Heft¬ 
pflasterstreifen, die nach hinten zu laufen, verhindert. Die mediale Reihe der 
Schuhhaken wird nach Bedeckung der Bauchwunde mit nur wenig Gaze 
mittels elastischer Gummischnur nach Art eines Schuhes geschlossen, wodurch 
eine Entspannung der Wundränder und gutes Anliegen der Wundflächen er¬ 
reicht wird. Nach Anlegung des eigentlichen Wundverbandes wird nunmehr 
über demselben die äußere Reihe der Haken vereinigt, wozu jedoch keine 
elastische Schnur genommen wird. Durch diesen Schutz glaubt Hoeftmann 
die Bauchnaht vor Zerrungen beim Husten u. s. w. zu schützen, auch gestattete 
er bei eintretender Nahteiterung die frühzeitige Entfernung der Nähte. Ent¬ 
sprechende Abbildungen illustrieren die Methode. Kroll-Dresden. 

Kenyeres, Angeborene Mißbildungen und erworbene Veränderungen in 
Röntgenbildern. Fortschritte a. d. Gebiete der Röntgenstrahlen IX, 5. 

Verf. hatte in seiner gerichtsärztlichen Praxis des öfteren Gelegenheit, 
teils angeborene, teils erworbene Veränderungen zu beobachten, die er auch 
aktinographisch aufnehmen konnte und die er in gedrängter Kürze mit den 
dazu gehörigen Röntgenbildern veröffentlicht. Es handelt sich um Fälle von 
überzähligen Daumen, um Bracbydaktylia, um Spaltbildungen der Finger und 
Zehen, um auffallend schwache Entwicklung der Ulna, um Mißbildungen und 
Defekte ähnlicher Art. B1 e n c k e - Magdeburg. 

Seil heim, Die mechanische Begründung der Haltungsveränderungen und 
Stellungsdrehungen des Kindes unter der Geburt. Zentralblatt f. Gynäko¬ 
logie, XXVIII Nr. 43. 

Das Kind paßt sich beim Geburtsakt stets dem Geburtskanal an und 
sucht stets den kleinsten Raum einzunehmen, das ist in diesem Falle die Zy¬ 
linderform etc. Die Schultern rücken dabei unter steiler Aufrichtung der 
Schlüsselbeine und Schulterblätter kopfwärts. Wichtig für uns Orthopäden ist 
folgendes. Sellmann schreibt: „Ich bin geneigt, den angeborenen Hochstand 
der Schulterblätter, die sogenannte Sprengel sehe Deformität mit diesem Her¬ 
gang (Hochrücken der Schultern) in ätiologischen Zusammenhang zu bringen. 
Wir sehen hier eine krankhafte Persitenz einer normalerweise bei der Geburt 
zu durchlaufenden Körperhaltung. Die Gründe für das Bestehenbleiben liegen 
wahrscheinlich in MuskelzerreißungeD, Verhakungen der Scapula etc. 

V ü 11er s-Berlin. 

R. Grünbaum, Weitere Beiträge zur Kasuistik der Myositis ossificans trau¬ 
matica. Wiener med. Presse 1905, Nr. 39 u. 40 

Verf. teilt die Krankengeschichten von 8 Fällen von Myositis ossificans trau¬ 
matica mit, die er in den letzten 4 Jahren beobachten konnte. Der Knochen¬ 
tumor war in allen Fällen nach einem einmaligen heftigeren Trauma unter 
starkem Bluterguß und in relativ kurzer Zeit entstanden. Bezüglich der Ent- 


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Referate. 


Stellung der Knochenneubildung in diesen Fällen steht Grünbaum au:* 
dem auch allgemein angenommenen Standpunkte, daß es sich selten um 
eine von abgerissenen Periostteilchen ausgehende Knochenneubildung han¬ 
delt, sondern daß die Osteome meist vom Muskelgewebe aus entstehen- 
Auf Grund der von verschiedenen Seiten erhobenen mikroskopischen Befunde, 
die allerdings meist von älteren Fällen herrühren, handelt es sich nicht um 
einen entzündlichen Vorgang, sondern um die Entwicklung von Neoplasmen, 
wobei eine starke Wucherung des Bindegewebes stattfindet. Von besonderer 
Bedeutung für die Entstehung dieser Knochenneubildung ist auf Grund neuerer 
Arbeiten das Vorhandensein eines stärkeren Blutergusses anzusehen. 

Das traumatische intermuskuläre Osteom ist immer gutartig und nimmt 
niemals exzessive Größe an. Als prophylaktische Maßnahme gegen die Ent 
stehung der Osteome soll man für möglichst rasche und vollkommene Resorp¬ 
tion des Blutergusses sorgen. Warme Bäder, Heißluft, Massage werden in 
frischen Fällen und auch noch nach Entwicklung der Osteome von besonderem 
therapeutischem Werte. Verursacht das Osteom Schmerzen oder bedeutende 
Funktionsstörungen, so wird die Exstirpation desselben nach den von Helfe- 
rich aufgestellten Grundsätzen indiziert sein. Haudek-Wien. 

Otto Heine, Ein Fall von Myositis ossificans traumatica. Monatsschr. für 
Unfallheilkunde und Invalidenwesen 1905, Nr. 8. 

Das Röntgenbild läßt an der Außenseite des rechten Femurs eine um¬ 
fangreiche Knochenbildung erkennen, die sich breit an den Knochen anlegt. 
Diesen Fall reiht Heine in die Gruppe der Muskelveränderungen, die primär 
vom Periost ausgehen und sekundär in die Muskulatur wuchern. 

Fr än k el-Berlin. 

Georg Müller, Zur Kasuistik der Myositis ossificans traumatica. Monatsschr. 
für Unfallheilkunde und Invalidenwesen 1905, Nr. 5. 

In dem von Müller beschriebenen Falle ließen sich zwischen dem 
Femur und den verknöcherten Muskelfibrillen, die als palpabler Knochentumor 
imponierten, keine Spuren einer knöchernen Verbindung entdecken. 

Fränkel- Berlin. 

Mahlcke, Beitrag zur Kasuistik der Lehre von den Sehnentransplantationen. 
Diss. Kiel, 1905. 

Nach einigen allgemeinen Bemerkungen über die Sehnentransplantationen 
und ihre Anwendung gibt Mahlcke die Krankengeschichten von 30 Patienten 
wieder, bei denen in den Jahren von 1899—1905 in der Kieler chirurgischen 
Klinik derartige Operationen ausgeführt wurden. Von diesen Transplantationen 
sind 2 an der oberen Extremität, 28 an der unteren ausgeführt, und zwar am 
Knie die Ueberpflanzung von Biceps und Semitendinosus 5mal, von Seruiten- 
dinosus allein 2mal, von Sartorius 2mal, vom Tensor fase. lat. lmal. Ara Fuß 
wurde die Sehne des Tib. ant. 6mal, die des Ext. hall. long. 12mal, die des 
Ext. dig. com. long. 5mal, des Tib. post. 2mal, des Flex. hall. long. 4mal, 
des Flex. dig. com. 3mal, des Peroneus long. lmal, des Peroneus brevis 2mal 
überpflanzt. 36mal wurden die Sehnen, z. T. durch Seidenzöpfe verlängert, 
subperiostal eingebettet. 


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Referate. 


661 


Die Indikation war 3mal ein Trauma. In 13 Fällen waren es schlaffe 
Lähmungen nach Pol. ant. acut. Angeborene Lähmungen gaben 4mal die 
Ursache ab und lmal Lähmung nach Exstirpation eines Neurofibroms. 3mal 
wurde wegen Lähmungen nach Gehirnentzündung, lmal nach entzündlichen 
Vorgängen und lmal nach Gelenkrheumatismus operiert. Bei 4 Fällen ist die 
Ursache der Lähmungen nicht klar. Von diesen 30 Fällen wurden 21 nach¬ 
untersucht. In allen Fällen war mindestens eine geringe Stellungsverbesserung 
erzielt, in vielen Fällen geradezu glänzende Resultate. Von den verschiedenen 
Operationsmethoden hat sich die Helfe richsche subperiostale Einpflanzung der 
Sehnenenden stets aufs beste bewährt. B1 encke-Magdeburg. 

Heusner, Beiträge zur Behandlung der Knochenbrüche. Deutsche Zeitschr. 
f. Chir. Bd. 80. 

Heusner, beschreibt eine ganze Reihe von Apparaten und Verbänden, 
die sich ihm bei der Behandlung von Knochenbrüchen recht gut bewährt haben 
und die leicht und schnell, wenn man das nötige Schienenmaterial zur Hand 
hat, mit Hilfe eines Schlossers angefertigt werden können. Da sich diese Appa¬ 
rate und Verbände auch sehr gut für die Behandlung gewisser orthopädischer 
Leiden eignen, kann die Arbeit zum Studium nur dringend empfohlen werden; 
sie wird dem Leser manche gute Anregung geben, die ihm in der Praxis zum 
Nutzen seiner Patienten nur dienlich sein kann. Blencke-Magdeburg. 

J. Käst, Ein Fall von doppelter Spontanfraktur. Wiener med. Wochenschr. 

1905, Nr. 46. 

Ein 31 Jahre alter Mann erlitt beim Umdrehen im Bette ohne jede nach¬ 
weisbare Ursache doppelte Fraktur des linken Oberschenkels. Die Beine lagen 
hierbei ganz parallel zueinander. Der Mann fühlte ein dreimaliges Krachen, 
ohne nennenswerten Schmerz; von da an konnte er das Bein nicht mehr be¬ 
wegen Vorher hatten durch 2 Tage leichte Schmerzen im Knie bestanden. 
Bei der Untersuchung des Patienten im Spital, wohin derselbe im Wagen 
sitzend, und ohne daß er über Schmerzen klagte, gebracht wurde, wird eine 
doppelte Fraktur des Oberschenkels und zwar knapp über dem Kniegelenk und 
im oberen Drittel konstatiert. Es besteht eine sehr starke Schwellung be¬ 
sonders im oberen Drittel des Oberschenkels. Aktive Bewegungen sind un¬ 
möglich ; durch passive Bewegungen, die fast völlig schmerzlos sind, läßt sich 
eine bogenförmige Knickung de9 Oberschenkels erzeugen. Keine Verbiegung 
des Beines, keine Verschiebung der Bruchstücke. Die Behandlung erfolgt in 
der üblichen Weise im Schienenverband, später im Elbogenschen Gipsver¬ 
band; die Heilung erfolgt unter mächtiger Ca 11 usbi 1 dung und nimmt 
76 Tage in Anspruch. 

Bezüglich der Aetiologie dieses Falles von Spontanfraktur vermag Ver¬ 
fasser kein sicheres Moment zu finden. Es besteht zwar eine gut kompensierte 
Insuffizienz der Semilunarklappen der Aorta, doch dürften die durch eine 
solche hervorgerufenen Ernährungsstörungen im Knochen nicht geeignet sein, die 
Widerstandskraft des Knochens so bedeutend herabzusetzen. Unter den sonstigen 
prädisponierenden Momenten konnten nur die Tabes in Betracht gezogen wer¬ 
den, da einige Symptome gefunden wurden, die den Verdacht einer Tabes 


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662 


Referate. 


rechtfertigten, trotz des jugendlichen Alters des Patienten und des Fehlen? 
einer vorausgegangenen Lues. Bei dem Patienten fanden sich abgeschwächte 
Sehnenreflexe, andeutungsweise vorhandene reflektorische Pupillenstarre; für 
Tabes sprach noch die Lokalisation der Fraktur im Oberschenkel, die auf¬ 
fallende Analgesie und die enorme Calluswucherung. Verfasser hat nun den 
Patienten 5 Jahre nach der Fraktur wieder untersucht und konnte auch da 
kein neues Symptom, das den Verdacht auf Tabes gerechtfertigt hätte, finden, 
doch läßt er immerhin noch die Möglichkeit einer solchen offen, da in manchen 
Fällen zwischen Erstsymptomen und dem Manifest werden der Tabes ein sehr 
langer Zwischenraum verstreichen kann. Haudek-Wieo. 

Kohl, Ueber eine besondere Form der Infraktion: die Faltung der Knochen- 
corticalis. Deutsche Zeitschr. f. Chir. 1905. 

Wenn auch Gurlt und Bruns bereits bei ihren experimentellen Unter¬ 
suchungen an Kinderleichen über das Zustandekommen von Infraktionen auf 
eine quere Runzelung an der Corticalschicht des Knochens auf der konkaven 
Seite der Infraktionsstelle aufmerksam gemacht haben, so hält sich Ver¬ 
fasser doch Für berechtigt, bei seinen Befunden bei 6 jugendlichen Indi¬ 
viduen im Alter von 10—16 Jahren von einer noch nicht beschriebenen typi¬ 
schen Verletzung zu sprechen. Es handelt sich dabei um eine Stauchung der 
Corticalis an der dorsalen Seite des Radius ohne Kontinuitätstrennung der 
volaren Seite des Radius, und stellt dieser Befund gleichsam eine Vorstufe der 
wirklichen Infraktion dar. Auch wurde eine Dislocatio ad axin nur einmal 
und zwar nur in geringem Grade beobachtet. Die Entstehungsweise der Ver¬ 
letzung ist dieselbe wie die einer wirklichen Infraktion. Beigegebene Röntgen¬ 
bilder erläutern den Befund. Vü 11 ers-Berlin. 

Molina-Castilla, Knochenveränderungen bei Rhachitis. Dis8. Freiburg 1905. 

Verfasser beschreibt eingehend 8 Fälle von Rhachitis und kommt auf 
Grund seiner an diesen Fällen gemachten Untersuchungen zu dem Ergebnis, 
daß nicht alle Knochen in jedem Falle gleich verändert sind. Am stärksten 
sind es die Rippen und das Femur, insbesondere dessen unteres Ende. Das 
Schädeldach zeigt meistens keine ausgeprägten rhachitischen Veränderungen. 
Verfasser gibt sodann noch eine kurze Uebersicht der Ansichten der Autoren 
der Neuzeit über die Aetiologie und pathologische Anatomie. Er kann auf 
Grund seiner Untersuchungsergebnisse Heubner und Stölzner nicht bei¬ 
pflichten und schließt sich in der Beurteilung der Gewebsveränderung an rhachi¬ 
tischen Knochen der Beurteilung von Ziegler an, der ja das Wesen der Er¬ 
krankung in einer prolipherierenden, fibrösen, osteoplastischen Peri- und End¬ 
ostitis sucht, und die enchondrale Wachstumsstörung als eine Folge dieses 
Prozesses betrachtet. Blencke-Magdeburg. 

Grißlich, Ein Fall von Osteomalacie, 6 Jahre nach doppelseitiger Kastration 
anatomisch untersucht. Diss. Freiburg 1905. 

\ erfasser berichtet über den Ausfall der Sektion eines Falles von Osteo¬ 
malacie bei einer Frau, die an Ileus gestorben und bei der 6 Jahre vor ihrem 
Tode die doppelseitige Kastration ausgefülirt war. Verfasser glaubt annehmen 


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Heferate. 


663 


zu müssen, daß dieser Zeitraum von 6 Jahren gewiß hinreichend gewesen wäre, 
um die Osteomalacie unter sonst günstigen Verhältnissen zur Heilung zu bringen. 
Allein die klinischen osteomalacischen Beschwerden bis zum Tode der Patientin 
einerseits, sowie die makroskopischen wie mikroskopischen Untersuchungen 
anderseits bestätigen deutlich, daß keine Heilung stattgefunden hatte, sondern 
daß zur Zeit des Todes der Patientin noch eine ausgebreitete osteomalacische 
Knochenerkrankung vorhanden war. B1 e n c k e - Magdeburg. 

Strauch, Ueber einen Fall von nichtpuerperaler Osteomalacie. Diss. München 
1905. 

Nach einigen allgemeinen Bemerkungen über die Osteomalacie überhaupt 
berichtet Verfasser über einen Fall von schwerer, nicht puerperaler Osteomalacie, 
der zur Sektion kam. Der darüber aufgenommene Sektionsbericht ist der Arbeit 
beigegeben. Die Aetiologie dieses Falles ist vollkommen dunkel. Die Frau war 
die Gattin eines Hauptraanns und gehörte somit den besseren Kreisen an. Ganz 
besonders merkwürdig ist, daß der betreffende Fall von doch offenbar hoch¬ 
gradiger Osteomalacie klinisch nicht diagnostiziert wurde. Die klinische Diagnose 
lautete auf hysterische Psychose. B1 e n c k e - Magdeburg. 

Spieler, Osteoperiostitis luetica und exzessives Längenwachstum der rechten 
Tibia. Gesellschaft f. innere Med. u. Kinderheilkunde zu Wien. Münch, 
med. Wochenschr. 1906, 3. 

Bei einem 12jährigen hereditär syphilitischen Kinde ist der rechte Unter¬ 
schenkel 5 cm länger und in seinem größten Umfange 3 cm dicker als der 
linke. Die rechte Tibia zeigt Säbelscheidenform und zugleich höckerige, un¬ 
regelmäßige Verdickungen und Auftreibungen. Diese deformierende luetische 
Ostitis hat große Aehnlichkeit mit der deformierenden Ostitis Pagets. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Hohlfeld, Fall von Osteogenesis imperfecta. Med. Gesellschaft zu Leipzig, 
15. Dez. 1905. Münch, med. Wochenschr. 1906, 7. 

Hohlfeld hat das Kind bereits 1 Jahr vorher vorgestellt. Damals war 
eine Fraktur der 7., 8. und 9. Rippe rechts dicht neben der Wirbelsäule nach¬ 
zuweisen. Hinzugekommen ist noch seit dieser Zeit eine Fraktur der rechten 
und linken Fibula. Die Entwicklung der Knochenkerne bewegte sich im 
Rahmen des Normalen; desgleichen ließ sich auch ein gleichmäßiges Längen¬ 
wachstum feststellen. Verfasser glaubt demnach annehmen zu dürfen, daß sich 
im Knochen andere pathologische Prozesse, als sie in der mangelhaften Tätig¬ 
keit der Osteoblasten zum Ausdruck kommen, nicht abspielen. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

G äugele, Ueber Ostitis fibrosa seu deformans. Fortschritte a. d. Gebiete der 
Röntgenstrahlen IX, 5. 

Gäugele gibt in kurzen Auszügen die Krankengeschichten der bisher 
veröffentlichten Fälle von Recklinghausenscher Knochenkrankheit wieder. 
Es sind 11 an der Zahl, denen er noch einen 12. in der Köh 1 ersehen chirur¬ 
gisch-orthopädischen Privatklinik behandelten hinzufügt, von dem 7 Röntgen¬ 
bilder beigegeben sind. Nach einer eingehenden Beschreibung dieses seltenen 
Krankheitabildes kommt er auf Grund seiner Untersuchungen, Studien und 


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664 


Referate. 


Beobachtungen zu der Ansicht, daß die Osteomalacia deform ans eine Knochen- 
erkrankung ist, die sowohl einen einzelnen Skelettteil als auch das gesamte 
Skelett befallen kann und mit einem Umbau der betroffenen Knochen einher¬ 
geht, insofern an die Stelle des Fettmarkes Fasermark tritt, die Knochensubstanz 
durch halisterischen Knochenschwund zur Resorption kommt und durch Osteoid¬ 
gewebe ersetzt wird. Als ständige Begleiterscheinungen sind zu nennen Cysten¬ 
bildung und riesenzellensarkomartige Tumoren, die aber keine echten Riesen¬ 
zellensarkome sind. Der Charakter der Krankheit ist ein verhältnismäßig 
gutartiger; das Leiden führt zwar allmählich dem Tode zu, kann jedoch viele 
Jahre lang dauern. Unsere Hauptaufgabe ist es, den Kranken das Dasein 
möglichst zu erleichtern und zu verhüten, daß sie allzu hilflos werden. Durch 
diese Forderungen wird die orthopädische Behandlung in den Vordergrund ge¬ 
rückt. Blencke-Magdeburg. 

Lissauer, Ein Fall von Ostitis fibrosa. Monatsschr. f. Unfallheilkunde und 
Invalidenwesen 1905, Nr. 2. 

In dem beschriebenen Falle traten neben heftigen Schmerzen hochgradige 
Knochenverdickungen und -Verbiegungen auf, von denen das ganze Skelettsystem 
außer den kleinen Fuß- und Handknochen, den Schädel- und Beckenknochen 
betroffen war. Der Verlauf der Krankheit erstreckte sich über 10 Jahre. Die 
mikroskopische Untersuchung ergab starken Knochenschwund mit gleichzeitiger 
Umwandlung des Knochenmarkes in faseriges Gewebe. Die Knochen waren 
außerordentlich brüchig. Im Beginne der Krankheit machte die Unterscheidung 
von der Osteomalacie Schwierigkeiten. Fränkel - Berlin. 


Millner, Multiple kartilaginäre Exostosen. Berliner med. Gesellschaft, Sitzung 
vom 21. März 1906. Münch, med. Wochenschr. 1906, 13. 

Demonstration eines Mannes mit multiplen kartilaginären Exostosen, 
dessen Extremitäten verkürzt, verkrümmt und auch teilweise stark verdickt 
waren. Die Ursache dieses hereditären Leidens ist dem Verfasser unbekannt, 
das seiner Meinung nach aber sicherlich nichts mit Rhachitis zu tun hat. 

Blencke- Magdeburg. 

Oettinger, Ueber kartilaginäre Exostosen. Diss. München 1905. 

Verfasser berichtet über 2 Fälle von kartilaginären Exostosen aus der 
Münchener chirurgischen Poliklinik und gibt im Anschluß hieran einen kurzen 
Ueberblick über dieses Krankheitsbild. Es handelte sich in beiden Fällen um 
eine langsam wachsende, knochenharte Geschwulst an dem oberen resp. unteren 
Epiphysenende der Tibia, welche in früher Jugend ohne klare Ursache ent¬ 
standen, niemals erhebliche Störungen gemacht hatte, wenigstens in dem einen 
Falle nicht, so daß auch jeder operative Eingriff unterbleiben konnte. Weniger 
harmlos stellte sich der zweite Fall dar, in welchem die von dem unteren Epi- 
physenende der rechten Tibia ausgehende Geschwulst die benachbarte Fibula 
bauchig ausgehöhlt und krummgebogen hatte, ja dieselbe zu verkleinern drohte. 
Hier war natürlich ein operativer Eingriff nötig, durch den die Exostose ent¬ 
fernt werden konnte. Die Röntgenbilder sind der Arbeit beigegeben. 

Blencke- Magdeburg. 


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Referate. 


665 


Gelinsky, Zur Behandlung der Pseudarthrosen. Beiträge zur klin. Chir. 
Bd. 48, Heft 1. 

Verfasser empfiehlt warm die von Prof. Müller-Rostock angegebene 
Methode der osteoplastischen Pseudarthrosenoperation. Die Technik ist folgende: 
Es wird ein ca. 2—3 cm breiter, 7—9 cm langer, zungenförmiger Lappen in 
der Längsachse des Gliedes geschnitten, so daß die Basis auf dem proximalen 
Ende liegt, während die Spitze des Lappens etwa 2—3 cm auf dem distalen 
Ende verläuft. Der Schnitt durchtrennt Haut und Periost bis auf den Knochen. 
Dann wird von der Spitze des Lappens her mit einem scharfen Meißel eine 
ca. 2—3 mm dünne Knochenlamelle bis zur Frakturstelle hin abgemeißelt, von 
hier bis zur Lappenbasis nur Haut und Periost von der Unterlage abgetrennt. 
Die Brucbenden werden angefrischt bezw. interponierte Teile entfernt und die 
Fragmente adaptiert. Dann wird der Hautperiostlappen durch Faltung der 
häutigen Basis nach oben verschoben, so daß der Periostknochenlappen direkt 
auf die Bruchstelle zu liegen kommt und hier fixiert. 

Die Methode ist natürlich nur anwendbar, wenn der Knochen direkt 
unter der Haut liegt, kommt also vorwiegend für Pseudarthrosen des Unter¬ 
schenkels in Frage. Von 13 so behandelten Fällen sind 12 geheilt, ein Mi߬ 
erfolg bei sehr schlechten Ernährungsverhältnissen der Haut. Verfasser berichtet 
außerdem noch über 71 verschiedenartige Fälle von Pseudarthrosen, die nach 
anderen Methoden behandelt wurden, mit Naht, Nagelung, Blutinjektion etc. 

Wette-Berlin. 

Jottkowitz, Zur Heilung der Pseudarthrosen. Deutsche med. Wochenschr. 

1905, 43. 

Jottkowitz hat mit der Anwendung der Jodtinktur bei 2 Pseudarthrosen- 
fällen die gleich günstigen Erfahrungen gemacht wie Tachard und gibt die 
diesbezüglichen Krankengeschichten wieder. Er hält diese der Bi er sehen Blut¬ 
einspritzung für überlegen, da manche Patienten zunächst von einer Blutentnahme 
nichts wissen wollen. Ferner unterliegt es keinem Zweifel, daß die Einspritzung 
von Jodtinktur technisch ungleich einfacher ist. Man braucht nichts weiter als 
eine aseptische Spritze. Der Eingriff kann überall ohne Assistenz, ohne sach¬ 
kundige Hilfe ausgeführt werden. Wenn man sogleich bei der ersten Ein¬ 
spritzung genügend Jodtinktur einspritzt — in den vorliegenden Fällen nahm 
Jottkowitz 2 bezw. 4 ccm —, so genügt schon eine einmalige Einspritzung. 
Es ist deshalb in jedem Falle zuerst als das einfachste und dabei doch außer¬ 
ordentlich wirksame Verfahren die Einspritzung von Jodtinktur zu versuchen. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Micka, Ueber die Behandlung von Pseudarthrosen. Diss. Erlangen 1905. 

Verfasser berichtet über 12 Pseudarthrosenfälle aus der Erlanger Klinik. 
Befallen waren lmal der Oberarm, je 3mal der Vorderarm, der Oberschenkel 
und Unterschenkel und 2mal die Tibia allein. lOmal ging eine einfache 
Fraktur und 2mal eine komplizierte voraus. Die Pseudarthrose bestand seit 
2 Monaten bis zu 4 Jahren. Die Behandlung gestaltete sich für die ersten 
5 Fälle unblutig, während 7 operiert wurden. Bei der unblutigen Behandlung 
wurde in 2 Fällen die subkutane Zerreißung der bindegewebigen Vereinigung 
angewandt, in 1 Falle eine Korrektion der falschen Stellung und bei 2 anderen 
genügte die Friktion der Bruchenden resp. Massage und Stauungshyperämie, 


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666 


Referate. 


um den Callus zum Wachstum anzuregen. Die Operation bestand in allen 7 
operierten Fällen in der Resektion der Knochenenden mit darauffolgender Naht. 
Die Heilungsdauer schwankte zwischen 7 Wochen und 8 Monaten. Von den 
12 Fällen konsolidierten 11, d. h. 92°/o. Ein Fall, der 8mal operiert werden 
mußte, ist noch nicht zum Abschluß gekommen. Der funktionelle Erfolg war 
bei 9 Fällen ein vollständiger. Es ergibt sich auch aus dieser kleinen Zu 
sammenstellung wieder, daß bei allen hartnäckigen Pseudarthrosen die Op*e 
ration als das am meisten Aussicht auf Erfolg bietende Verfahren anzusehen 
ist, wenn die vorher stets anzuwendenden konservativen Verfahren nicht zum 
Ziele führen. B1 e n c k e• Magdeburg. 

Voigtländer, Ueber Pseudarthrosen. Diss. Leipzig 1905. 

Verfasser gibt einen kurzen Ueberblick über die Pseudarthrosen, ihre 
Entstehung, über das Vorkommen derselben und ihre Behandlung und berichtet 
im Anschluß hieran über einen Fall von Pseudarthrose des Humerus aus der 
chirurgischen Klinik zu Leipzig, bei der der Grund zur Entstehung eine Inter¬ 
position von Muskeln war. Dieselben wurden entfernt; die Knochenenden 
wurden angefrischt und mit Draht vernäht. Es trat feste Konsolidation der 
Fraktur ein. Blencke-Magdeburg. 

Pfennigsdorf, Ueber den Zusammenhang von akuter Osteomyelitis und 
Trauma. Diss. Halle 1906. 

Von 160 Fällen von Osteomyelitis, die in der Hallenser Klinik zur Be¬ 
handlung kamen, wurde bei 66, d. h. bei 41°/o, ein Trauma als Gelegenheits¬ 
ursache erwähnt. Wenn darunter sich auch verschiedene Fälle befinden, bei 
denen die Angaben unklar oder wenig wahrscheinlich waren, so müssen nach 
des Verfassers Ansicht immerhin auch bei strenger Auslese ein Viertel der Palle 
als sicher durch Trauma ausgelöst angesehen werden. Die 66 Krankengeschichten 
werden in Kürze wiedergegeben und an der Hand dieser kommt Pfennigs¬ 
dorf zu dem Schluß, daß wohl nicht daran gezweifelt werden darf, daß das 
Trauma in vielen Fällen die akute Osteomyelitis oder das Rezidiv derselben 
auslöst bezw. die Entstehung derselben begünstigt und einleitet. Der Zusammen¬ 
hang zwischen Trauma und Erkrankung ist nur dann zuzugeben, wenn ersteres 
die erkrankten Knochen wirklich getroffen hat und der Erkrankung nicht 
länger als 2—8 Wochen voraufgegaugen ist. Blencke-Magdeburg. 

Garrd, Ueber die Indikationen zur konservativen und operativen Behandlung 
der Gelenktuberkulose. Deutsche med. Wochenschr. 1905, Nr. 47 u. 48. 

Die Verhandlungen des internationalen Chirurgenkongresses zu Brüssel 
gaben Gar re die Veranlassung seine Ansichten und Erfahrungen über die Be¬ 
handlung der Gelenktuberkulose mitzuteilen. Er übt sowohl konservative wie 
operative Methoden. Bei den konservativ behandelten Fällen wird die lokale 
Behandlung beherrscht durch Gipsverbände und Jodoforminjektionen. 

Die konservativen Behandlungen werden besonders im Kindesalter, dann 
aber auch nach dem 50. Lebensjahr zur Anwendung gezogen. Bei letzteren 
führt Gar re nicht gerne größere Resektionen aus; er amputiert, wenn die 
konservative Behandlung nicht zum Ziele führt. Der Allgemeinzustand des 


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Referate. 


667 


Patienten hat auf die Indikationsstellung insofern Einfluß, als wichtige Ver¬ 
schlechterungen desselben die konservative Methode, auch wenn dieselbe sonst 
auch indiziert wäre, ausschließen. Ebenso sind die sozialen Verhältnisse von 
Bedeutung. Schlechte soziale Verhältnisse lassen zu operativen Eingriffen 
schreiten, wo unter günstigen die konservative Behandlung noch indiziert bleibt. 

Der Lokalbefund bestimmt die Therapie insofern als schwere eitrige und 
fistulöse Tuberkulose von vornherein zur Resektion kommen, ebenso Fälle mit 
hohen Schmerzen und Fieber. Tuberkulöse Abszesse geben an sich keine Re¬ 
sektionsindikation. 

Ausdrücklich wird vor der Inzision derselben gewarnt. 

Bei Fisteln ist zu individualisieren. Wenig sezernierende sind durch 
Auskratzung oder sonstige konservative Behandlung meist zum Schließen zu 
bringen. Bei starker Sekretion ist besonders auch in Rücksicht auf die Um¬ 
gebung des Patienten sofort gründlich zu operieren. 

Das Röntgenbild läßt sich für Indikations- und Prognose¬ 
stellung nur mit großer Vorsicht verwerten. Extraartikuläre Herde 
sind vor Einbruch ins Gelenk zu entfernen und mit Jodoformplombe zu versehen. 

Die Mortalität wechselt bei Garres Material je nach dem Gelenk 
zwischen 10 und 25 °o. 

Was die einzelnen Gelenke anbetrifft, so gibt Gar re bei dem Schulter¬ 
gelenk der konservativen Methode weiten Raum, ebenso beim Hand- und beim 
Hüftgelenk, während er beim Ellbogen-, Knie- und Fußgelenk dem operativen 
Eingriff mehr Platz gibt. 

Die von ihm berichteten Resultate sind durchgehend sehr günstige. 

Ich möchte mein Referat nicht schließen, ohne auch den Herren, welche 
wie ich die konservative Methode, wenigstens für das Kindesalter, noch höher 
als Garre bewerten, die Originalarbeit zum genauen Studium zu empfehlen. 

A. Schanz-Dresden. 

Geb eie und Ebermayer, Ueber Behandlung der Gelenktuberkulose. Münchener 
med. Wochenschr. 1906, Nr. 13. 

Die Münchner chirurgische Klinik, aus der die vorliegende Arbeit stammt, 
nimmt bei der Behandlung der Gelenktuberkulose den Standpunkt ein, daß die 
zum Teil heute vertretene ultrakonservative Richtung gerade so verkehrt ist, 
wie die ultraoperative zu Anfang der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts, wie 
die Periode der Frühresektion. Sie stellt sich damit auf einen Standpunkt, auf 
dem wohl zur Zeit die allermeisten Autoren, die auf diesem Gebiete tätig sind, 
stehen. Auch in der Art der Behandlung weicht sie nicht von den allgemein 
üblichen Verfahren ab. Da die aus der Klinik stammende Statistik gezeigt hat, 
daß die Chancen der Dauerheilung bei operativer Behandlung bezw. bei der 
Resektion unzweifelhaft schlechter sind bei älteren Personen wie bei jugend¬ 
lichen, so raten die Verf. zur primären Amputation bei vorgeschrittenen Fällen, 
um so eine möglichst rasche und radikale Fortschaffung der tuberkulösen Herde 
zu bewirken. Blencke-Magdeburg. 

Zesas, Ueber Gelenkerkrankungen bei Blutern. Fortschr. d. Mediz. 1905, Nr. 11. 

Nach einer kurzen geschichtlichen Einleitung beschreibt Verfasser kurz die 
wesentlichen Merkmale der Gelenkerkrankungen bei Blutern und die pathologisch- 


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668 


Referate. 


anatomischen Befunde bei Bluterknieen, wie sie hauptsächlich von Könij? 
erhoben worden sind. Differentialdiagnostisch komme besonders die Gelenk- 
tuberkulöse in Betracht und zwar speziell die von König sogenannte Form 
des Hydrops tuberculosus fibrinosus. Von Bedeutung sei hier der Umstand, 
daß Bluterarthropathien sich erfahrungsgemäß häufig gleichzeitig an verschie¬ 
denen Gelenken manifestieren, bezw. daß verschiedene Gelenke Zeichen einrr 
abgelaufenen Erkrankung aufweisen. Ferner sei von Belang, daß die Bluter¬ 
gelenkerkrankung in ihrem Beginn akut, oft ohne nennenswerte Veranlassen^ 
auftrete, daß die Funktion anfangs intakt bleibe und Verschlimmerungen schub¬ 
weise aufträten. Die Prognose sei ernst. Die Therapie soll sich möglichst 
passiv verhalten. Bei eventuellen Deformationen könne eine schonende ortho¬ 
pädische Behandlung eingeleitet werden. Wette-Berlin. 

Buchwald, Ueber Arthropathie und trophische Störungen bei Syringomyelie. 
Diss. Leipzig 1905. 

Verfasser bespricht zunächst die Syringomyelie im allgemeinen, um dann 
sich etwas eingehender mit den bei dieser Erkrankung öfter auftretenden Arthro¬ 
pathien zu beschäftigen, und zwar tut er das letztere im Anschluß an zwei der¬ 
artige Fälle von Syringomyelie. In dem einen war das Ellenbogengelenk er¬ 
griffen, in dem anderen das Schultergelenk und die Phalangen. Bei jenem war 
trotz starker Verdickung des Gelenks die Funktionsstörung nur gering, bei 
diesem dagegen etwas mehr beeinträchtigt. Den ersten Fall rechnet Buch¬ 
wald der hypertrophischen Form zu, den zweiten der atrophischen. Der 
zweite Fall war insofern noch interessant, als man auf dem Röntgenbilde deut¬ 
lich eine Aufhellung des Knochenschattens erkennen konnte, daß es sich also 
offenbar um eine äußerlich nicht erkennbare Knochenatrophie handelte, die 
die beginnende Resorption andeutete. In beiden Fällen bestand die für die 
Syringomyelie charakteristische Skoliose. Auf die Ausführungen Buchwalds 
über die Arthropathie näher einzugehen, halte ich nicht für nötig, da sie ja 
an sich nichts Neues bringen. Zwei Abbildungen und ein 30 Arbeiten enthaltendes 
Literaturverzeichnis sind der Arbeit beigegeben. Blencke-Magdeburg. 

Feh res, Ueber einige Fälle von Gelenkerkrankungen bei Syringomyelie unter 
besonderer Berücksichtigung der Unfallfrage. Diss. Rostock 1905. 

Verfasser gibt die Krankengeschichten von 6 Fällen von Knochen- und Ge¬ 
lenkerkrankungen bei Syringomyelie wieder, von denen zwei mit Rücksicht gerade 
auf die Unfall frage einiges Interesse beanspruchen dürften. Sie illustrieren in 
prägnanter Weise die Schwierigkeiten, welche solche Fälle in praxi für die 
Beurteilung und Auslegung der sozialen Gesetzgebung bieten. Es handelt sich 
bei dieser Erkrankung wie bei so manchen anderen eben darum, daß man auf 
Grund der Kenntnis derselben gegebenenfalls an die Möglichkeit ihres Vorliegens 
denkt. Schließlich ist noch bemerkenswert, daß von den 6 vorliegenden Fällen 
4 Deformitäten der Wirbelsäule aufweisen. Blenck e-Magdeburg. 

Horn, Rheumatismus nodosus. Gesellschaft für innere Medizin und Kinder¬ 
heilkunde zu Wien. Münchner med. Wochenschr. 1906, 2. 

Im Anschluß an eine Chorea und Endokarditis hatte sich ein Rheumatis¬ 
mus nodosus entwickelt, eine äußerst seltene Erkrankung. An der Beugeseite 


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Referate. 


G69 


beider Handgelenke, an der Streckseite der Metacarpophaiangealgelenke, stets 
entlang den Sehnen, saßen zahlreiche erbsengroße, druckempfindliche, subkutane 
Knötchen diesen auf, Über welchen die Haut normal und verschieblich war. 
Ebensolche Knötchen saßen symmetrisch angeordnet an beiden Ellbogen-, Knie-, 
und Sprunggelenken, an der Hinterhauptsschuppe, über den Processus spinosi 
der Wirbelsäule etc. Einzelne Knötchen schwanden, andere frische bildeten 
sich. Sie schwinden meist spontan nach 4—Öwöchentlichem Bestände, unsere 
Therapie ist dagegen machtlos. Biencke-Magdeburg. 

Wegner, Ueber die Entstehung der freien Gelenkkörper mit besonderer Berück¬ 
sichtigung der Osteochondritis dissecans König. Diss. Leipzig 1906. 

Verfasser bringt zunächst eine Literaturzusammenstellung, wobei es ihm 
besonders darauf ankommt, klar zu legen, wie sich die verschiedenen Autoren 
die freien Gelenkkörper entstanden denken, und geht dann zu einem Fall über, 
den er zu beobachten und zu untersuchen Gelegenheit hatte. Es handelte sich 
in dem betreffenden Falle um einen flächenhaften Gelenkkörper des Kniegelenks, 
bei dem nach seiner Gestalt, seiner Konfiguration, seiner Demarkationslinie, 
sowie nach der Anamnese die Entstehung durch ein Trauma höchst unwahr¬ 
scheinlich ist. Da eine Arthritis deformans des Gelenks ebenfalls nicht vor¬ 
handen war, bleibt nach des Verfassers Ansicht nichts weiter übrig, als die 
Entstehung derselben auf die von König sogenannte Osteochondritis dissecans 
z urückzuführen. B1 e n c k e - Magdeburg. 

Kahn, Ueber intermittierendes Hinken, Diss. Leipzig 1905. 

Unter Berücksichtigung der einschlägigen Literatur gibt Kahn ein ge¬ 
naues Bild dieser Erkrankung und vermehrt dann im Anschluß hieran die 
Kasuistik um zwei weitere Fälle, die in der Poliklinik von Oppenheim beob 
achtet wurden. In dem ersten Fall ist neben der Erkrankung in beiden Unter¬ 
extremitäten auch das „intermittierende Hinken des rechten Armes“ vorhanden. 
Dazu kam als weiterer Befund eine beiderseitige Dupuytrensche Fingerkontrak¬ 
tur. In dem zweiten bestand noch eine Hemiparese. Nach Kahn ist es an¬ 
zunehmen, daß beide Krankheitserscheinungen koordinierte Symptomenkomplexe 
darstellen, also für beide eine und dieselbe Grundursache zu finden ist in einer 
obliterierenden Gefäßerkrankung. Blencke-Magdeburg, 

Neubert, Ein Fall von diffuser Sklerodermie mit Raynaudschem Sym- 
ptomenkomplex und Muskelatrophien nebst Beobachtungen über Gelenk- 
und Knochenveränderungen mit Hilfe der Röntgenstrahlen. Diss. Kiel. 1905. 

Verfasser gibt zunächst einen Ueberblick über die Geschichte, Aetiologie 
und Symptomatologie der Sklerodermie, wobei er in erster Linie nur die 
neueren Autoren berücksichtigt hat, um dann den von ihm selbst beobachteten 
Fall zu beschreiben, bei dem vor allen Dingen den Orthopäden die vorhan¬ 
denen Muskelatrophien und die Gelenk- und Knochenveränderungen interessieren 
dürften. Die Befunde der letzteren, die die vorgenommenen Röntgenaufnahmen 
ergaben, sind in der ausführlichsten Weise wiedergegeben. Aus ihnen geht 
hervor, daß die Knochen in schwerster und gleichförmiger Weise verändert 
sind, daß schwere Gelenkveränderungen in beiden Handgelenken bestehen und 


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670 


Referate. 


daß daneben auch noch Verkalkungen in fibrösen Ligamenten und Muskeln 
vorhanden sind. Auf Einzelheiten kann ich hier nicht näher eingehen, sie 
müssen schon im Original nachgelesen werden, wie denn überhaupt die Lek¬ 
türe dieser Arbeit, die sich weit über die gewöhnlichen Dissertationen erhebt, 
aufs angelegentlichste empfohlen werden kann. Eine Beurteilung der er¬ 
wähnten Veränderungen läßt dann Ne übert folgen und bespricht dann noch 
in den Schlußabschnitten der Arbeit, der fünf Röntgenbilder und ein 84 Num¬ 
mern enthaltendes Literaturverzeichnis beigegeben sind, die Pathogenese und 
die Therapie dieses Leidens. Blencke-Magdeburg. 

Henrich, Ein Fall von beginnender Akromegalie. Diss. Bonn 1906. 

Unter genauer Berücksichtigung der diesbezüglichen Literatur gibt Ver¬ 
fasser zunächst den Standpunkt der einzelnen Autoren über dieses Krankheits¬ 
bild wieder, um im Anschluß hieran auf einen Fall von beginnender Akro¬ 
megalie näher einzugehen, den er zu beobachten Gelegenheit hatte. Es war 
keine Akromegalie, die sofort als solche auf den ersten Blick erkannt werden 
konnte und die doch bei genauerer Berücksichtigung der vorhandenen Sym¬ 
ptome die Diagnose kaum zweifelhaft erscheinen ließ. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Keller mann, Behandlungsmethode der Ischias mit Injektionen von ß-Eukain. 
Med. Gesellschaft zu Kiel, 6. Mai 1901. Münch, med. Wochenschr. 1006. 
Nr. 7. 

Im ganzen wurden 15 Fälle nach dieser Methode behandelt. Es wurden 
60—100 ccm einer 0,l° oigen ß-Eukainlösung, der 0,8 ° o Kochsalz beigefügt war, 
in den Nervenstamm des Ischiadicus eingespritzt an dessen Austrittsstelle aus 
dem Foramen ischiadicum majus. In 7 Fällen genügte eine Einspritzung, in 
weiteren 7 zwei und in einem Falle mußten vier Injektionen ausgeführt werden. 
Der Erfolg war ein durchaus befriedigender. Vor allem bewährte sich diese 
Behandlungsmethode auch in chronischen Fällen. Von den drei als Mißerfolg 
aufgezeichneten Fällen war einer durch eine Coxitis und Skoliose kompliziert. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Wolff, Beitrag zur Therapie der Ischias. Diss. Leipzig 1906. 

Verfasser berichtet über 14 Fälle von Ischias, von denen im Altonaer 
Krankenhause nach der Lang eschen Empfehlung mit Eukaininjektionen zehn 
behandelt wurden, vier mit physiologischen Kochsalzlösunginjektionen. Durch 
die Injektion wurden von den zehn Patienten sieben von ihrer Ischias geheilt 
und diese Heilungen vollzogen sich ganz akut. Die übrigen vier wurden alle 
nach 2—3 Tagen geheilt. Dem Verfasser erscheint der Eukainzusatz für die 
Wirkung der Injektion bedeutungslos zu sein; es kommt vor allem darauf an. 
größere Flüssigkeitsmengen zu in jizieren. Er riet, 100—150 ccm physiologischer 
Kochsalzlösung unter möglichst großem Druck einzuspritzen und zwar an der 
Nervenaustrittsstelle perineural, damit der Nerv selbst nicht durch die Nadel¬ 
spitze verletzt wird. Bien cke-Magdeburg. 

A. H. Tubby, The Hunterian Oration on recent surgical Methods in the treat- 
ment of certain forms of Paralysis. British Medical journal, March 3, 1906. 

Nach kurzer geschichtlicher Einleitung bespricht Tubby die neueren 
operativen Eingriffe bei gewissen paralytischen Zuständen, speziell bei Polio- 


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Referate. 


671 


myelitis anterior, spastischer Spinatparalyse, ischämischer Paralyse und Verletzung 
der Nerven, und berichtet nach Beschreibung der einzelnen Methoden und der 
Technik über seine Operationen und deren Erfolge. 1. Verpflanzung des Extensor 
hallucis proprius in den Tibialis anticus und eines Teils des Extensor longus 
digitorum an das Cuneiforme internum bei einem Fall von Pes equinovalgus 
paralyt. mit Paralyse des Tibialis anticus. 2. Einpflanzung der Außensehne des 
Extensor communis digit. in den Tibialis anticus bei paralytischem Talipes valgus. 
8. Einpflanzung des Semimembranosus in den Extensor cruris bei Lähmung der 
Extensoren inklusive des Sartorius. 4. Bei teil weiser Paralyse des Extensor cruris 
Insertion der Fascia lata an die Patella. 5. Verkürzung des Sartorius bei Paralyse 
der Extensoren des Knies, der an die Patella angenäht wird. 6. Verlagerung 
des Biceps und Sartorius an die Patella bei infantiler Quadricepslähmung. Bei 
allen Fällen sehr gute Resultate. 

Dann erwähnt er 3 Fälle von wiederkehrender Luxation der Patella nach 
Parese der Extensoren, die er durch Faltung der Extensoren in ihrer ganzen 
Breite nach einem Querschnitt 1 Zoll über der Patella zur Heilung brachte und 
kommt dann zur oberen Extremität. Hier hebt er speziell die Eingriffe bei 
Erb-Duchenne scher Lähmung hervor. Er verlagerte mit gutem Erfolg beim 
Ausfall der Beugesehnen des Ellbogengelenks einen langen Streifen des Triceps 
in den Biceps, weniger Erfolg hatten die Fälle von Deltoideuslähmung, wo er 
die Clavicuiarpartie des Pectoralis major verwandte, dagegen pflanzte er mit 
gutem Erfolg bei einem Fall von Polyomyelitis ant. mit Serratuslähmung die 
untere Hälfte des Pectoralis major in diesen. 

Von seinen Nervenanastomosen und Transplantationen hebt er nach 
kurzer geschichtlicher Einleitung folgende hervor. 1. Einpflanzung des distalen 
Endes des Facialis in den Hypoglossus bei traumatischer Facialisparalyse. 
2. Bei zwei Fällen von Talipes calcaneus pflanzt er einen Teil des Nervus popli- 
teus internus in den äußeren. 3. Und umgekehrt bei Talipes equino-varus 
inseriert er den äußeren Teil des Popliteus in den inneren. Schließlich noch ein 
Fall von Lähmung der 5. und 6. Wurzel des Brachialplexus, wo er jedoch ohne 
besonderen Erfolg das äußere Nervenbündel in das mittlere pflanzt. Nach 
einigen kritischen Bemerkungen über die Erfolge dieser Methoden kommt er 
zu dem Schluß, daß bei paralytischen Affektionen, nach Fehlschlagen anderer 
Maßnahmen, Muskel- und Sehnentransplantationen und Nervenplastiken nach 
sorgfältiger Prüfung des zu entnehmenden Materials gerechtfertigt sind. 

Mosenthal -Berlin. 

\V. Voltz, Beitrag zur chirurgischen Therapie und Nachbehandlung praktisch 
wichtiger traumatischer Lähmungen. Wiener med. Presse 1905, Nr. 46. 

Voltz berichtet über 2 Fälle von Nervenverletzungen, in denen dieNerven- 
naht ausgeführt wurde. In dem einen Falle handelt es sich um eine Durch¬ 
trennung des Nervus radialis oberhalb des Condyl. extern, humeri. Operation 
2 Monate nach der Verletzung. Nach Exstirpation des Narbengewebes, in das 
die Nervenstümpfe eingebettet sind, werden diese durch die paraneurotische 
Naht vereinigt. 

Im zweiten Falle waren die Beugesehnen der Hand samt dem Nervus 
medianus und ulnaris oberhalb des Handgelenkes durchtrennt. Sehnen- und 
Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XV. Bd. 43 


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672 


Referate. 


Nervennaht 6 Tage nach der Verletzung; die Nerven wurden vernäht und nach 
der Methode von Lotheißen in Gelatine eingebettet. 

Durch die Operation konnte in beiden Fällen ein teilweiser Erfolg erzielt 
werden; eine weitere Besserung soll die Nachbehandlung mittels Massage, Gyrn 
nastik und elektrischer Behandlung anstreben. Für die Gymnastik empfiehlt 
Voltz Uebungen mit einem leichten Holzstab, die durch die Art ihrer Aus¬ 
führung eine Funktionsbesserung herbeiführen sollen. Um in dem ersten Fai.e 
(Radialislähmung) der passiven Dehnung der Streckmuskeln beim Herunter 
hängen der Hand zu begegnen, läßt Voltz in der behandlungsfreien Zeit einr 
über Unterarm und Handrücken gelegte Gipsschiene tragen, durch welche Lei 
gestreckten Fingern die Hand in starker Dorsalflexion gehalten wird. 

Hau d ek-AVien. 

Moritz, Duchenne-Erbsche Lähmung. Med. Gesellschaft zu Chenmitz. 
20. Dezember 1901. Münch, med. Wochenschr. 1906, 14. 

Die Lähmung entstand bei einem 16jährigen Patienten durch einen 
Pferdebiß in den Hals. Außer der Lähmung der Schulter- und Armmuskeln 
fand sich eine halbseitige Zwerchfelllähmung auf der Seite der Verletzung. 

Blencke-Magdeburg. 

Balakian, Beitrag zu dem Kapitel der Narkosen!ähraungen. Diss. Leipzig 1905. 

Verfasser bespricht zunächst die Aetiologie der peripheren Narkosen- 
lähmungen, speziell der Plexuslähmungen, die am häufigsten von allen anderen 
Narkosenlähmungen beobachtet werden. Auf seiner statistischen Tabelle, die 
nicht weniger als 90 derartige Fälle umfaßt, ist es ihm aufgefallen, daß fa^t alle 
weibliche erwachsene Individuen waren. Er will deshalb an die Möglichkeit 
denken, daß durch anatomische Verhältnisse weibliche Personen viel mehr 
solchen Lähmungen ausgesetzt sind als männliche. Leider fehlt ihm jegliche Mög¬ 
lichkeit, derartige Untersuchungen bezw. Experimente anzustellen. Auch den 
Narkoticis will er eine nicht zu unterschätzende Rolle bei der Entstehung zuge¬ 
messen wissen. Er geht sodann zur Betrachtung der zentralen Narkosen¬ 
lähmungen über, von denen er nur 15 Fälle zusammenstellen konnte, und 
erwähnt dann noch kurz die Aetiologie der hysterischen Narkosenlähmungen 
(7 Fälle), um dann im Anschluß hieran einen Fall mitzuteilen, den er zn 
beobachten Gelegenheit hatte, und der umso interessanter ist, als die Lähmung 
des Plexus brachialis beiderseits bestand, eine Erscheinung, die zu den gTöfiten 
Seltenheiten gehört. Am Schluß seiner sehr lesenswerten Arbeit bespricht dann 
Balakian noch die Prophylaxe, die Prognose und Therapie dieser Lähmungen. 

Blencke - Magdeburg. 

Lewandowski, Bemerkungen über die hemiplegische Kontraktur. Deutsche 
Zeitschr. f. Nervenheilkunde; 29. Bd., 18. September 1905. — Derselbe. 
Ueber die Bewegungsstörungen der infantilen cerebralen Hemiplegie und 
über die Athetose double. Ebendaselbst Bd. 29, 23. November 1905. 

Die erste Arbeit ist gleichsam die Einleitung zur zweiten; dieselbe be¬ 
schäftigt sich mit Untersuchungen bei der Hemiplegie der Erwachsenen. Le¬ 
wandowski unterzieht die von W er n i ck e und Mann bekanntgemachte Disso¬ 
ziation der hemiplegischen Lähmung und der hemiplegischen Kontraktur einer 
Prüfung. In der zweiten Arbeit sucht er die der sogenannten Athetose double 
zu Grunde liegende Bewegungsstörung zu untersuchen und zu definieren. Um 


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Referate. 


673 


iliese abgrenzen zu können, hat er 35 Fälle von anderweitigen, im Kindes¬ 
alter entstandenen cerebralen Bewegungsstörungen genauer untersucht und 
bespricht zunächst einige Punkte in der Klassifikation und in der Symptomato¬ 
logie der cerebralen infantilen Hemiplegie kurz, um dann zur Ath6tose double 
überzugehen. Von den vier Kranken, die er genauer beobachten konnte, gibt 
er die Krankengeschichten wieder und bespricht im Anschluß hieran dies Krank¬ 
heitsbild in kurzen Umrissen. B1 e n c k e - Magdeburg. 


Beintker, Zur Kasuistik der Poliomyelitis anterior acuta. Bericht über die 
vom 1. November 1898 bis zum 31. Juli 1905 in der med. Poliklinik zu 
Leipzig behandelten Fälle. Diss. Leipzig 1905. 

Im ersten Teil seiner Arbeit gibt Verfasser eine genaue Beschreibung dieses 
Krankheitsbildes sowohl in klinischer wie auch pathologisch-anatomischer Hin¬ 
sicht, bespricht die Folgen, Prognose, Aetiologie und Therapie in gesonderten 
Abschnitten, um dann im zweiten Teile 71 Krankengeschichten wiederzugeben 
von den Fällen, die in dem bezeichneten Zeitraum in der Leipziger Poliklinik 
zur Behandlung kamen. Die Ergebnisse seiner Untersuchung faßt er in folgenden 
Schlußsätzen zusammen: 

1. Die Poliomyelitis acuta scheint in gewissem Zusammenhang mit den 
Krankheiten des Verdauungstractus zu stehen. 

2. Die Knaben scheinen in dem Alter bis zu 4 Jahren weit mehr gefährdet 
zu sein als die Mädchen, welche im 5.-7. Lebensjahre das größere Kon¬ 
tingent stellen. 

3. Ist ein Bein offensichtlich befallen, so pflegt auch das andere ein Mit¬ 
befallensein zu zeigen, das sich besonders durch eine Herabsetzung der elek¬ 
trischen Erregbarkeit kennzeichnet. 

4. Für die Stellung der Prognose in Bezug auf die Wiederherstellung 
der einzelnen Muskeln gibt uns die Untersuchung mit dem konstanten Strom 
keine absolut sicheren Anhaltspunkte. 

5. Auch in den Fällen, wo der Prozeß abgelaufen zu sein scheint, ist 

manchmal durch konsequente elektrische Behandlung ein günstiges Resultat zu 
erzielen. Blencke-Magdeburg. 

Schlesinger, Pseudohypertrophia muscularis und Myxödem. Gesellschaft f. 
innere Med. u. Kinderheilkunde Wien. Münch, med. Wochenschr. 1906, 2. 

Es handelt sich um einen 10jährigen Knaben, der spät gehen lernte und 
seit einem Jahr wieder zu gehen aufgehört hat. Er zeigt eine typische Pseudo¬ 
hypertrophia muscularis mit sehr starker Entwicklung der Wadenmuskulatur. 
Auch einzelne Muskeln der Schultergürtelmuskulatur sind im Sinne einer 
Hypertrophie verändert. Dabei wies er Symptome eines nicht völlig entwickelten 
Myxödems auf, das durch eine eingeleitete Schilddrüsentherapie sehr günstig 
beeinflußt wurde, die aber auf die Muskeldystrophie einflußlos war. Auch in 
einem 2. Falle versagte diese Medizin. Es ist nach Schlesinger nicht wahr¬ 
scheinlich, daß dieselbe Ursache beide Krankheiten hervorgerufen habe. 

Blencke-Magdeburg. 


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674 


Referate. 


Kahlert, Beitrag zur Lehre von der progressiven neurotischen Muskelatrophie. 
Diss. Jena 1906. 

Verfasser gibt auf Grund diesbezüglicher literarischer Studien und einer 
eigenen Beobachtung eine genaue Schilderung des Krankheitsbildes, das sieb 
weder unter dem Schema der progressiven spinalen Muskelatrophie noch unter 
dem der Dystrophia muscularis progressiva unterbringen läßt, und das mit dem 
Namen progressive neurotische oder neurale Muskelatrophie benannt wird. In 
allen typischen Fällen wird zuerst die Muskulatur der Füße oder Hunde und 
das Peroneusgebiet befallen; die Wadenmuskulatur erkrankt meist später 
Wenn die Krankheit bis zu den Oberschenkeln fortschreitet, ergreift sie zuerst 
die Mu8culi vasti; an den Vorderarmen werden die Extensoren stärker und 
häufiger betroffen. Verfasser gibt dann die Krankengeschichte eines Falles 
wieder, den er zu beobachten Gelegenheit hatte. Es handelte sich in diesem 
Falle um ein Leiden, das schon mindestens 17 Jahre lang bestand und äußerst 
langsam fortgeschritten war. Angaben und Befund stimmten sehr gut mit dem 
klinischen Bild der progressiven neurotischen Muskelatrophie überein. Typisch 
war auch hier der Beginn in der Peronealmuskulatur der unteren Extremitäten, 
die langsame Entwicklung, das endliche Uebergreifen auf die Hände. Es war 
ein reiner Fall: keine Pupillenerseheinungen, keine Bulbäraffektion. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

G. A. Wollenberg, Der Gehverband bei Frakturen der unteren Extremität ec. 
Zeitschr. f. ärztl. Fortbildung 1905, II. Jahrg., Nr. 24 und 1906, III. Jahrg., Nr. 1. 

Die Arbeit enthält nach kurzer Darstellung der Prinzipien des Geh* 
Verbundes im wesentlichen eine Schilderung der Technik des D ol 1 in ge rseber. 
Verfahrens. Autoreferat. 

J. Lamberger, Neue elektrische Heißluftapparate. Wien.med. Presse 1905, Nr. 41. 

Den vielfachen Mängeln, die den üblichen mittels Spiritus- oder Ga>- 
heizung betriebenen Heißluftapparaten anhaften, sucht Lamberger durch dir 
Konstruktion eines Systems von Apparaten abzuhelfen, bei denen die Erwär¬ 
mung der Luft in gleichmäßiger Weise und ohne Erzeugung schädlicher Ver¬ 
brennungsgase mittels elektrischer Heizkörper erfolgt. Diese Heizkörper können 
am Boden oder seitlich unten auf Schienen in den Apparat eingeschoben und 
ausgewechselt werden, so daß man nur 1—2 Heizkörper für sämtliche Modelle 
benötigt. Die Heizkörper können mittels Steckkontakt an jede elektrische 
Leitung angeschlossen werden. Die Regulierung der Stromstärke des Heiz¬ 
körpers und der damit verbundenen stärkeren oder schwächeren Wärmeentwick¬ 
lung erfolgt durch den Umschalter, eventuell durch einen Rheostaten. Die 
Apparate, die hauptsächlich in der Form des „Sturzes“ konstruiert sind, können 
auch durch Anbringung von blauen oder weißen Glühlampen im Innern für dir 
Lichttherapie ausgenützt werden. Die Apparate werden von der Firma Jur- 
schitzka u. Schmidt in Wien angefertigt. Haudek-Wien. 

Machol, Die Anwendung der strömenden Wasserkraft in der Chirurgie und 
Orthopädie. (Ein neues System orthopädischer und mediko-mechanischer 
Apparate.) Zentralbl. f. Chir. 1906, 6. 

Das System der von Machol angegebenen Apparate ist in seinen Grund¬ 
zügen folgendes: Als Kraftquelle dient die Kraft des fließenden Wassers. Zu 


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Referate. 


675 


ihrer Dienstbarmachung wird ihre Uebertragung auf den Kolben einer Pumpe 
benutzt, und zwar bei passiven Apparaten (Redressionsapparaten) der Druck¬ 
pumpe allein, bei aktiven (mediko-mechanischen Apparaten) der Saug- und 
Druckpumpe. Er beschreibt die Wirkung an der Hand von zwei Beispielen, 
eines Skoliosen- und Ellbogengelenkapparates. Als Vorzüge seines Systems be¬ 
trachtet er zunächst die Einfachheit des Apparates, der sich überall anbringen 
und verwerten läßt, die trotzdem gegebene große und geschickte Kraftwirkung, 
die genaue Regulier- und Dosierbarkeit und die Möglichkeit, den Patienten 
auch ohne dauernde Aufsicht genau über seine Leistungen kontrollieren zu 
können, Fortschritte oder Stillstand der Funktion zahlenmäßig vor Augen zu 
haben. Verfasser wird noch des Näheren in einer ausführlichen Arbeit auf diese 
seine Apparate zu sprechen kommen. B1 e n c k e - Magdeburg. 

Hahn, Das Stangenlager. Ein einfaches Hilfsmittel zur bequemen Anlegung 
von größeren Verbänden am Hals, Rumpf, Becken und Oberschenkel. 
Münch, med. Wochenschr. 1906, 13. 

Verfasser nimmt vier eiserne mit Löchern versehene Stangen als Ständer, 
auf die man in beliebiger Höhe zwei abgerundete, glatte, womöglich vernickelte 
Stahlstangen legen kann, von denen die eine die Kreuzbeingegend, die andere 
die Schultergegend des Patienten unterstützt. Die letztere kann unter Um¬ 
ständen durch ein hohes Polsterkissen und dergl. mehr ersetzt werden. Der 
Verband kann nun bei dem frei in der Luft liegenden Patienten ohne Rück¬ 
sicht auf die unterliegenden Stangen nach Belieben angelegt werden, die nach 
Fertigstellung desselben einfach seitlich herausgezogen werden. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Hof mann, Umsetzung der Längsrichtung bei Extensions verbänden in queren 
Zug. Münch, med. Wochenschr. 1906, 6. 

Zweck dieser Extensionsart, die ohne Zeichnungen nicht leicht verständ¬ 
lich ist, soll die Vermeidung des Rollenträgers sowie sämtlicher Rollen sein. 

Die Reibungswiderstände mit eingerechnet, wird ungefähr mit der halben 
Kraft der angehängten Gewichte in der Längsrichtung extendiert Diese Im¬ 
provisation stellt nach des Verfassers Erfahrungen in der Armenpraxis eine 
Ersparnis dar, in der besseren Praxis bedeutet sie eine Schonung kostbarer 
Bettstätten. B1 en ck e-Magdeburg. 

G. A. Wollenberg, Apparat zur Einblasung chemisch reinen Sauerstoffes in 
das Körpergewebe und in Körperhöhlen. Med. Klin. 1906, Nr. 20. 

Schilderung eines neuen, in der Hof faschen Klinik verwendeten, von 
Dr. Wo 11 enb e rg-Berlin und D rager-Lübeck construierten Apparates, welcher 
die Einblasung chemisch reinen Sauerstoffes unter beliebigem Drucke gestattet. 
Der Sauerstoff wird durch Katalyse chemisch reinen Wasserstoffsuperoxyds ge¬ 
wonnen. Näheres ist aus dem Originalartikel zu ersehen. Autoreferat. 

Knapp, Funktionelle Kontraktur der Halsmuskeln. Archiv f. Psychiatrie 
Bd. 39, Heft 3. 

Verfasser schlägt vor, den tonischen Torticollis mit dem Namen Beuge¬ 
kontrakturen des Halses zu bezeichnen. Diese Beugekontrakturen sind häufig 


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Referate. 


genug beobachtet und beschrieben worden; aber auch die funktionellen Streck¬ 
kontrakturen der Halsmuskeln scheinen keine Seltenheit zu sein. Sie fallen nur 
weniger ins Auge und machen auch größere differentialdiagnostische Schwierig¬ 
keiten als jene, die sich auf den ersten Blick und schon aus der Entfernung 
diagnostizieren lassen. Verfasser hat im letzten Jahre eine größere Anzahl der¬ 
artiger Fälle beobachtet und gibt vier Krankengeschichten wieder. Anamnestisehe 
Angaben und ein zufälliges Zusammentreffen einer Reihe auch für organische 
Erkrankungen charakteristischer Symptome konnten in allen Fällen dazu ver¬ 
führen, eine organische Gehirn- bezw. Wirbelerkrankung zu diagnostizieren. E> 
ist deshalb von großer Wichtigkeit, zu wissen, daß die Nackensteifigkeit auch 
funktioneller Natur sein kann. Wir müssen sorgfältig nach weiteren Symptomen 
eines funktionellen Nervenleidens suchen, insbesondere nach neurast konischen 
und hysterischen Stigmata. Eine sichere Entscheidung läßt sich treffen, wenn 
es gelingt, bei abgelenkter Aufmerksamkeit die Kontraktur vorübergehend zu 
beseitigen oder sie durch Suggestion zum Schwinden zu bringen. Als ätiologi¬ 
sches Moment kommt am häufigsten der hysterische Genickschmerz in Betracht. 
Gelegentlich ist die Störung traumatischen Ursprungs. Psychische Ursachen 
oder neuropathische Veranlagung spielen auch gelegentlich eine Rolle. Thera¬ 
peutisch kommt ausschließlich eine suggestive Behandlung in Betracht. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Moritz, Hysterische doppelseitige Nackenmuskelkontraktur. Med. Gesellschaft 
zu Chemnitz. Sitzung vom 20. Dezember 1905. Münch, med. Wochenschr. 
1906, 14. 

Die Krankheit begann 8 Jahre vorher ohne bekannte Ursache mit anfalls¬ 
weise auftretenden Krämpfen der Nackenmuskeln, die allmählich in eine tonische 
Kontraktion der gesamten Nackenmuskulatur übergingen, durch die der Kopf seit 
Mai 1904 dauernd in Opisthotonusstellung fixiert ist. Wenn sich die 20jährige 
Patientin beobachtet weiß, nimmt die Kontraktion zu, im Schlaf verschwindet 
sie. Alle therapeutischen Maßnahmen waren völlig wirkungslos. Im übrigen 
fehlten jegliche sonstigen hysterischen Symptome. Blencke-Magdeburg. 


Nickol, Klinik der Halsrippen. Diss. Leipzig 1906. 

Verfasser hat die in der ihm zugänglichen Literatur beschriebenen Fälle 
von Halsrippen zusammengestellt, die sich durch klinische Symptome ausge¬ 
zeichnet hatten, und reiht diesen noch vier weitere Fälle an, die er in der 
medizinischen Poliklinik von Prof. Senator zu beobachten Gelegenheit hatte. 
Im Anschluß an alle diese Fälle bespricht er sodann die Symptome, die die 
Halsrippen machen können. Auffallend ist in den von ihm mitgeteilten Fällen 
vor allen Dingen der Umstand, daß immer auf derjenigen Seite, auf welcher 
die Halsrippe nachgewiesen werden konnte, eine tuberkulöse Spitzenaffektion 
sich fand, und bei doppelseitigem Bestehen derselben auch über jeden Apex 
sich katarrhalische Erscheinungen nachweisen ließen. Ob ein kausaler Zu¬ 
sammenhang besteht oder ob ein zufälliges Zusammentreffen vorliegt, was bei 
der Häufigkeit der Tuberkulose an und für sich nicht wunderbar wäre, vermag 
Verfasser nicht zu entscheiden. Bl encke-Magdeburg. 


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Referate. 


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Henry 0. Feiß, „School“ Lateral Curvature. Cleveland Medical Journal 1901. 

Von allen Ursachen der Skoliosenbildung steht die Schule an erster 
Stelle. Es sind von allen untersuchten Kindern etwa 24°/o mehr oder weniger 
skoliotisch. Verfasser beschäftigt sich weiter mit der Frage der Schulbänke 
und der Lage des Heftes beim Schreiben. Etwas Neues bringt er nicht. 

Vti Ilers-Berlin. 

Kuh, Ueber moderne Skoliosenbehandlung. Verein deutscher Aerzte in Prag. 

Sitzung vom 15. Dezember 1905. Münch, med. Wochenschr. 1906, Nr. 12. 

Kuh demonstriert die alten Streckapparate und dann die in seiner An¬ 
stalt zur Anwendung kommenden sogenannten Nachtlagerungsapparate für die 
Gipsbettenbehandlung. B1 e n c k e - Magdeburg. 

Nieny, Zur Mobilisierungsmethode der Skoliosen nach Klapp. Münch, med. 

Wochenschr. 1906, Nr. 3. 

Ausgehend von der Klapp sehen Arbeit, in der bei der Skoliosentherapie 
warm die sogenannte Kriechmethode empfohlen wird, beschreibt Nieny eine 
Uebung, die jener sehr ähnlich ist in ihrer Wirkung und die er schon sehr 
lange anwendet. Er läßt die Kinder mit einer Hand in einen von der Decke 
herabhängenden, gerade noch erreichbaren Ring greifen und mit dem anderen 
Arm in die Kniebeuge des maximal gehobenen Beins derselben Seite; außerdem 
wurde der Kopf nach dieser Seite geneigt. Dadurch wird eine sehr ausgiebige 
seitliche Krümmung der Wirbelsäule und eine hervorragende Entfaltung der 
konkaven Thoraxseite erzielt. 

Nieny geht aber nicht so weit wie Klapp, der mit Kriechen allein 
eine Skoliosenbehandlung durchführen will; er verlangt, daß schwerere Fälle 
nach erreichter möglichster Mobilisierung einer mehr individualisierenden und 
mehr direkt gegen die schon ausgebildete DifFormität gerichteten Behandlung 
bedürfen. Für diese genügt die aktive funktionelle Therapie allein nicht, da 
wird man auch die mannigfachen Apparate und Methoden zur passiven resp. 
forcierten Redression heranziehen müssen. B1 e n c k e - Magdeburg. 

Vulpius, Die Behandlung der Skoliose. Deutsche med. Wochenschr. 1905, 
Nr. 50. 

Kurze, allgemeine Uebersicht über die Skoliosenbehandlung, wie sie vom 
Verfasser geübt wird. Wette-Berlin. 

Rudolf Deschmann, Zur Behandlung der chronischen ankylosierenden 

Wirbelentzündung. Wiener med. Presse 1905, Nr. 39. 

Verfasser berichtet über einen Fall von ankylosierender Wirbelentzündung, 
bei dem von Lorenz der Versuch einer Mobilisierung unternommen worden 
war. Es handelte sich um einen 35jährigen Mann, bei dem sich eine immer 
mehr zunehmende Steifigkeit der Wirbelsäule eingestellt hatte. Es wurden 
keinerlei nervöse Symptome gefunden, der Patellarreflex war etwas gesteigert, 
der Atmungstypus normal. Alle Körpergelenke waren vollkommen frei, aktiv 
und passiv beweglich, in den Hüftgelenken keine Bewegungseinschränkung. 
Die Lendenwirbelsäule zeigt einen geradlinigen Verlauf, Brust- und Halswirbel¬ 
säule bilden einen gleichmäßig nach hinten konvexen starren Bogen (Total¬ 
kyphosen), so daß der Kopf nach vorn geneigt war; um gerade nach vom zu 


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Referate. 


sehen, maßte er Hüft- und Kniegelenke beugen. Der Rumpf war im Verlaufe 
der Jahre immer mehr zusammengesunken. Anamnestisch waren weder Infek¬ 
tionskrankheiten, noch Rheumatismus, Gicht oder Lues angegeben. 

Der Kranke zeigte den Bechterewschen Typus; die Wirbelsäule war 
vollkommen bewegungslos, nirgends druckempfindlich, die Kopfgelenke etwas 
in ihrer Beweglichkeit beschränkt; nervöse Symptome fehlten. 

Lorenz beabsichtigte die Lumbalwirbelsäule etwas zu lordosieren, um 
eine aufrechtere Haltung des Patienten zu ermöglichen; diese Möglichkeit schien 
vorhanden, da Patient bei passiven Bewegungsversuchen Schmerzen äußerte, so 
daß möglicherweise die Lendenwirbelsäule noch nicht total ankvlosiert war. 
Nach erfolgter Narkose und in Bauchlage des Patienten unterfuhr Lorenz 
die Beckengegend mit dem linken Oberarm und führte mit größter Vorsicht, 
unter Kontrolle der Lendenwirbelsäule, Hebungen und Senkungen des Beckens 
aus. Es ließ sich hierbei ein leises Knirschen vernehmen. Da die Lenden¬ 
wirbelsäule mit geringer Mühe beweglich erschien, so wurde kein weiterer 
Eingriff im Streckapparat vorgenommen, wie ursprünglich beabsichtigt war. 
Es wurde hierauf in Bauchlage des Patienten und bei leicht lordosierter Lende 
ein Gipsbett appliziert. Beim Erwachen des Patienten aus der Narkose zeigte 
sich eine totale Paraplegie der unteren Extremitäten mit Blasenlähmung, die 
auch nach der sofort vorgenommenen Auflassung der Lordosierung bestehen blieb. 

Weder die Untersuchung noch das Röntgenbild ergaben Anhaltspunkte 
für eine stattgehabte Fraktur. Das Röntgenbild zeigte hochgradige Porose 
(abnorme Durchsichtigkeit) der Wirbelsäule mit ankylosierenden Knochenbrücken. 
Im Laufe von 3 Jahren ging die Lähmung soweit zurück, daß der Patient jetzt 
wieder seinem Berufe (er ist Rechtsanwalt) nachgehen kann. Gegenwärtig be¬ 
steht kein Gibbus, keine Schmerzen, keine Parästhesien; Patient kann mit 
Stöcken herumgehen. 

Deschmann nimmt nun an, in Zusammenhalt mit einem ähnlich 
verlaufenen von Orhan Ardi publizierten Falle, daß bei der chronischen 
ankylosierenden Wirbelentzündung eine ganz hochgradige Osteoporose 
und infolge dieser eine filigranglasartige Fragilität der Wirbelknochen bestehen 
müsse, so daß es schon durch minimale Gewalteinwirkung zu partieller Fraktur 
eines Wirbelkörpers oder eines Gelenkfortsatzes kommen kann; das epidurale 
Hämatom bedingt dann die Drucklähmung des Rückenmarkes. Diese Erfah¬ 
rungen sollen davor warnen, Fälle von chronischer ankylosierender Wirbel¬ 
entzündung operativ anzugehen. Es ist einzig und allein die Behandlung mit 
Stütz- oder Lagerungsapparaten indiziert. Hau de k-Wien. 

Krause, Die chronische Steifigkeit der Wirbelsäule. Inaug.-Diss. Berlin 1 V K)5. 

Krause beweist an der Hand von 77 Fällen, von denen 31 dem v. Bech¬ 
terewschen Typus und 46 dem Strümpell-Marieschen Typus angehören, 
daß die Symptome, welche beide Autoren für ihre Krankheitsformen aufstellten, 
sich nicht scharf voneinander trennen lassen, und steht auf dem Standpunkt, 
daß beide Erkrankungen, die v. Bechterewsche wie die Strümpell-Marie¬ 
sche nur verschiedene Variationen ein und derselben Krankheit in verschiedenen 
Stadien darstellen und möchte für dieselbe die einheitliche Bezeichnung: ,Chro¬ 
nische Steifigkeit der Wirbelsäule* eingeführt haben. Vüllers-Berlin. 


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Referate. 


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Helbing, Die moderne Behandlung der tuberkulösen Spondylitis. Berliner 
klin. Wochenschr. 1905, Nr. 46. 

Schilderung der Spondylitisbehandlung, wie sie in der Hoffasehen Klinik 
geübt wird. Während des floriden Stadiums Ruhelage im Gipsbett. Später 
zur Verringerung bezw. Aufhaltung der Buckelbildung adressierendes Gips¬ 
korsett im Wullsteinschen Rahmen mit Einbeziehung des Kopfes. Nach 
der Ausheilung der Tuberkulose und bei beginnender Konsolidierung portative 
Apparate: Abnehmbare Gips- und Celluloidkorsetts mit Schnürvorrichtung oder 
Hessingkorsett mit Kopfring. Wette-Berlin. 

Ewald, Zur Aetiologie der angeborenen Hüftgelenksverrenkung. Deutsche Zeit¬ 
schrift f. Chirurgie Bd. 80. 

An der Hand von 2 Fällen von angeborener Hüftluxation, die in der Vul- 
piusschen Klinik zur Beobachtung kamen und die durch ihre Vergesellschaftung 
mit anderen, während des uterinen Lebens entstandenen Mißbildungen — 
Torticollis und Klumpfußbildung — bemerkenswert waren, bespricht Verfasser 
die bisher in der Aetiologie aufgestellten wichtigsten Theorien und kommt am 
Schluß seiner Arbeit zu folgenden Ansichten: 

Die Fälle, die bei sonst durchaus normalem Körperbau neben der Lux. 
cox. cong. eine zweite Anomalie auf weisen, die einstimmig als meist durch eine 
abnorme intrauterine Belastung entstanden angesehen werden, sprechen dafür, 
daß es sich auch bei dieser in der größten Mehrzahl der Fälle um eine Be¬ 
lastungsdeformität handelt, eine Annahme, die noch wahrscheinlicher gemacht 
wird durch pathologisch anatomische Untersuchungen, durch Tierversuche und 
durch klinische Beobachtung. Es läßt sich die abnorme Belastung nicht allein 
aus dem Fruchtwassermangel, der oft gar nicht da war, sondern aus der Form 
und Lage des Uterus im Abdomen, und anderseits aus der Lage und Haltung 
des Kindes im Uterus erklären. Gegen die Theorie eines Bildungsfehlers 
sprechen nach des Verfassers Ansicht entwicklungsgeschichtliche Erwägungen. 
Zunächst ist die Tatsache beachtenswert, daß Vk —3 Jahre nach erfolgter 
Reposition die Pfanne und der Kopf völlig normal geworden sind, was nie 
der Fall sein würde, wenn es sich um ein Vitium primae formationis handeln 
würde. Die Beweise, die die Anhänger der Bildungstheorie gegeben haben, 
beruhen nach Ewalds Ansicht auf Irrtümern, sind teils zu sehr verall¬ 
gemeinert, teils in keiner Weise zwingend, sondern lassen sich auch durch 
die Tatsachen erklären, welche die Deformität auf abnorme BelastungsVerhält¬ 
nisse zurückführen. Schließlich sind Doppelseitigkeit, Erblichkeit und das 
häufige Vorkommen beim weiblichen Geschlecht keine Beweise gegen das Zu¬ 
standekommen der Hüftluxation durch abnorme Belastung. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Frederik Mueller (Chicago),BloodlessReposition of the congenitally dislocated 
hip joint versus Arthrotomy. Journal of the American medical Asso¬ 
ciation, June 1905. 

Müller berichtet über 34 von Lorenz bei seinem Aufenthalt in Amerika 
im Jahre 1902 unblutig reponierte Hüften und deren Dauerresultate: 21 anato¬ 
mische Heilungen, 11 Transpositionen mit ausgezeichneten funktionellen Resultaten, 
zwei Patienten konnten zur Nachuntersuchung nicht herangezogen werden. Müller 


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Referate. 


bespricht dann weiter die, wie er meint, wenigen Fälle der Unmöglichkeit eintr 
unblutigen Reposition und wendet sich heftig gegen die Vertreter der blutigen 
Repositionsmethode, da dieselbe zu große Gefahren sowohl für die spater? 
Funktion wie auch für das Leben der Patienten mit sich bringe. Er ist der 
Ansicht, daß die blutige Methode in Zukunft gänzlich fallen gelassen wird, 
besonders da durch dieselbe oft mehr geschadet als genutzt wird und der 
erste Grundsatz des Arztes „Primum non nocere“ sein soll. VüIlers-Berlin. 

Muskat, Die angeborene Verrenkung im Hüftgelenk. Die ärztliche Praxis 
1905, 24. 

Die Arbeit ist für den praktischen Arzt bestimmt. Sie bringt alles, was 
dieser über diese angeborene Deformität wissen muß, wenn er seine Patienten 
vor dauerndem Schaden bewahren will. Blencke-Magdeburg. 

Hesse, Ueber eine Beobachtung von bilateraler, idiopathischer juveniler Osteo¬ 
arthritis deformans des Hüftgelenks. Mitteilungen aus den Grenzgebieten 
der Med. u. Chir. XV. Bd., 3 4. Heft, 1905. 

Es handelte sich im vorliegenden Fall um einen in früher Jugend ohne 
äußere Ursache beginnenden, eminent chronischen, schleichenden, vom 10. bis 
fast zum 30. Jahre schmerzfreien, stets fieberlosen Krankheitsprozeß symme¬ 
trischer Natur, der ausschließlich auf die beiden Hüftgelenke beschränkt blieb 
und Stellungsanomalien und Motilitätsstörungen zeigte, um einen Prozeß , der 
in den letzten 2—3 Jahren zu schmerzhaften Exazerbationen neigte, das Symptom 
des Krepitierens zeigte und nie Eiterbildung im Gelenk oder Infiltration und 
Schwartenbildung in den umgebenden Weichteilen hervorgebracht hat. Er 
führte im Laufe der Zeit anatomisch nach dem Röntgenbilde zu schweren, 
beiderseits gleichartigen, destruierenden Veränderungen im Hüftgelenk, wobei 
es zur Pfannenwanderung und Subluxation des Schenkelkopfes nach oben und 
hinten einerseits und osteochondritiseben Wucherungen der Pfanne anderseits 
gekommen ist. 

Nach Ausschluß und Durchsprechung aller differentialdiagnostisch in 
Frage kommenden Erkrankungen glaubt Verfasser mit aller Bestimmtheit an¬ 
nehmen zu müssen, daß es sich um eine juvenile Osteoarthritis deformans 
handelt. Zwei sehr deutliche Röntgenaufnahmen sind der Arbeit beigegeben. 

Blencke- Magdeburg. 

Hoffa, Die Behandlung des Malum coxae senile (Arthritis deformans des Hüft¬ 
gelenks). Die Therapie der Gegenwart 1906, 1 Heft 

Hoffa bespricht zunächst die Symptome der beginnenden Arthritis defot- 
mans, um dann auf die Behandlung näher einzugehen, die nur erfolgreich sein 
kann , wenn man die Diagnose möglichst frühzeitig stellt. Man muß zunächst 
das Gelenk entlasten, da man nur so der fortschreitenden Deformierung des 
Gelenkes entgegenarbeiten kann, und dies geschieht am besten durch einen 
gut sitzenden Schienenhülsenapparat. Je frühzeitiger der Patient sich zum 
Tragen eines derartigen Apparates entschließt, umso eher kann er die Hoffnung 
haben, daß sein Leiden zum Stillstand kommen wird. Der Apparat muß etwa 
ein Jahr lang ständig getragen werden. Daneben kommt zur Anwendung 
Massage, Gymnastik, Ileißluftbehandlung, Fangoumschläge und dergl. mehr. Die 


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Referate. 


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Fälle, die jeder Behandlung trotzen, müssen operiert werden. Hoffa hat in 
den letzten Jahren die Resektion des Schenkelkopfes fünfmal ausgeführt. Er 
läßt die Krankengeschichten folgen. Die Erfolge waren bei allen als sehr 
günstig zu bezeichnen, so daß Hoffa für schwere Fälle von Arthritis deformans 
nur diese Operation anraten kann. B1 e n c k e - Magdeburg. 

Karl Ewald, Ueber die Behandlung des Schenkelhalsbruches. Wiener klin. 

Rundschau 1905, Nr. 40. 

Beim hohen Oberschenkelbruch stellt sich gleich wie bei hoher Ober¬ 
schenkelamputation das obere Bruchstück, resp. der Stumpf in Beugung, Ab¬ 
duktion und Auswärtsrollung. Die Ursache hierfür ist der Zug des lleopsoas 
resp. der Glutäalmuskeln, für die die Wirkung der sich unterhalb der Bruch- 
resp. Amputationsstelle ansetzenden Antagonisten verloren gegangen ist. Man 
bringt daher, um eine richtige Vereinigung der beiden Bruchstücke zu er¬ 
möglichen, das distale Fragment in die Richtung des proximalen; man erreicht 
das bei Kindern in der Weise, daß man sie im Bette liegend am Fuße des 
gebrochenen Beines auf hängt, bei Erwachsenen so, daß man den Oberkörper 
dureh eine Sitzlehne aufrichtet und das Bein in Abduktion extendiert. 

Ewald findet nun, daß speziell bei den Schenkelhalsbrüchen diese Ver¬ 
hältnisse zu wenig Berücksichtigung finden. Hier kommt nach von ihm vor¬ 
genommenen Untersuchungen entsprechender Präparate der größte Teil der 
Verkürzung auf Rechnung einer Dislocatio ad axin, indem das proximale Bruch¬ 
stück sich horizontal stellt, der Schenkelhals des gebrochenen Beines steht in 
der Richtung der queren Beckenachse. Gewöhnlich erfolgt immer die Heilung, 
besonders bei den sogenannten eingekeilten Brüchen, in der Art, daß das proxi¬ 
male Fragment horizontal, das Bein aber in Parallelstellung zum anderen steht. 
Es resultiert daraus nun nicht bloß eine Verkürzung, sondern auch noch eine Ein¬ 
schränkung der Abduktion, da der Schenkelhals schon in normaler Abduktion 
angeheilt ist. Man müßte also das frakturierte Bein in stärkere Abduktion 
bringen (Morisani). 

Dieses Verfahren befolgt auch Ewald und bewerkstelligt die Einrichtung 
der Fraktur durch starke Abduktion, eventuell durch Spreizung beider Beine. 
Bei Infraktion gelingt die Korrektur in Narkose noch bis zur fünften Woche. 
Die Stellung des Beines wird bei Kindern und mageren Erwachsenen im Gips¬ 
verband festgehalten. Da die starke Spreizstellung das Gehen unmöglich macht, 
so erreicht E wald die Abduktion bei Parallelstellung der Beine dadurch, daß er die 
gesunde Beckenhälfte hebt, also in Adduktion bringt; zur ständigen Erhaltung 
dieser Abduktion wird unter das gesunde Bein eine entsprechend erhöhte Sohle 
gegeben. Um den Ausgleich der so erzielten Verlängerung durch Einknicken 
im Knie des gesunden Beines zu verhindern, muß dieses durch eine Schiene 
oder einen steifen Verband in Strecksteilung erhalten werden. 

Ewald geht nun folgendermaßen vor: Der Patient wird auf eine Becken¬ 
stütze gelegt, das gesunde Kniegelenk durch Schienen oder Extension in Ueber- 
streckung erhalten. Die Sohle des gesunden Beines stützt sich gegen die Brust 
des Gehilfen oder gegen ein unverschiebliches Wirbelstück ; infolge dieser Unter¬ 
stützung kann das gesunde Bein, wenn nun am gebrochenen Bein gezogen wird, 
nicht ausweichen. Es wird dann die Beckenhälfte des gebrochenen Beines 


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(582 


Referate. 


nachgeben, herunterrücken und so die Beckenachse zur Körperachse einen stumpfen 
Winkel bilden, das Hüftgelenk ist in Abduktion. In dieser Stellung wird unter 
Fortdauer der Extension ein Gipsverband angelegt, der nach oben bis an dir 
Rippenbogen und auf der gesunden Seite bis über die Crista ossis ilei, auf 
dem kranken Bein bis zur Mitte des Unterschenkels herabreicht. Das kranke 
Bein besitzt jetzt eine scheinbare Verlängerung von 1—8 cm, zu deren Ausgleich 
man auf der gesunden Seite eine Sohle von 1—3 cm Höhe gibt. Der Gipsverhand 
bleibt 6 Wochen, die erhöhte Sohle läßt man noch 3—6 Monate tragen. Da 
bei dicken Leuten sich ein Gipsverband schlecht an wenden läßt, so extendiert 
man bei Spreizstellung der Beine; ein Gewicht von 5 kg genügt meist. Da* 
Bett muß verbreitert werden, eventuell durch angeschobene Sessel, über deren 
Lehne die Extensionsschnüre geleitet werden. Nach 4 —8 Wochen läßt man 
die Patienten mit erhöhter Sohle auf der gesunden Seite gehen; die Patienten 
dürfen ohne diese gar nicht gehen, weil der noch weiche Callus nachgibt, wenn 
die Belastung nicht in äußerster Abduktion einwirkt. Haudek-Wien. 

Hesse, Ueber Schenkelhalsbrüche im jugendlichen Alter. Beiträge zur patholog. 

Anatomie und zur allgemeinen Pathologie 1905, 7. Suppl. 

Verfasser teilt 5 Krankengeschichten von Schenkelhalsbrüchen im jugend¬ 
lichen Alter mit, die mit einer Ausnahme erst in ausgeheiltem Zustande zur 
Behandlung bezw. Beobachtung kamen. Sämtliche Fälle waren auf ein mittel¬ 
schweres bis leichtes Trauma zurückzuführen und boten in geheiltem Zustande 
das typische Bild der Coxa vara dar, Verkürzung der Extremität mit ent¬ 
sprechendem Trochanterhochstand, Beschränkung der Abduktion und Innen¬ 
rotation. Verfasser sucht dann den Begriff der Coxa vara traumatica genauer 
zu präzisieren und weist darauf hin, daß dieselbe durchaus nicht immer auf 
eine reine Epiphysenlösung zurückzuführen sei, daß vielmehr in vielen Fällen 
die Bruchlinie von der Epiphysenlinie in den eigentlichen Schenkelhals über¬ 
springe oder überhaupt innerhalb des Schenkelhalses verlaufe. Bei der Be¬ 
urteilung des ätiologischen Moments bei der Coxa vara, traumatica könne des¬ 
halb nur das Röntgenbild oder der eventuelle Operationsbefund Aufschluß 
geben. Für das Zustandekommen der Schenkelhalsbrüche ira jugendlichen 
Alter glaubt Verfasser außer der Prädisposition, die durch das Vorhandensein 
der Epiphysenlinie bezw. des dicht neben derselben neugebildeten jungen 
Knochens gegeben ist, noch eine besondere für die Fraktur prädisponierende 
lokale oder allgemeine Schädigung des Organismus annehmen zu sollen, die 
in manchen Fällen durch die kindliche Rhachitis erklärt werden mag, in anderen 
Fällen noch unbekannt ist. Bestärkt werde er in dieser seiner Annahme durch 
gewisse klinische Symptome, wie die auffallende persistierende Atrophie der Hüft- 
und Oberschenkelmuskulutur des kranken Beines auch nach jahrelangem Ge¬ 
brauch desselben, ferner das oft beobachtete, beträchtliche Zurückbleiben des 
Fußes der kranken Seite im Wachstum, sowie die Beobachtung, daß unter 
seinen Fällen der eine ein auffallend kleiner Mensch mit schwach entwickelter 
Muskulatur, aber äußerlich grobem Knochenbau war, während ein anderer den 
als typisch für Coxa vara beschriebenen Allgemeinstatus aufwies. Zum Schluß 
gibt Verfasser eine Tabelle von 46 aus der Literatur zusammengestellten Fällen 
von Schenkelhalsbrüchen jugendlicher Individuen im Alter von 1 —18 Jahren, 


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Referate. 


683 


bei denen die Diagnose durch Röntgen- oder operativen Befund sichergestellt 
ist. Einem jeden Fall sind kurze Bemerkungen über Ursache, Befund, Behand¬ 
lung etc. beigefügt. Wette-Berlin. 

Wiesinger, Ueber Coxa vara. Aerztlicher Verein in Hamburg, 23. Jan. 1906. 
Münch, med. Wochenschr. 1906, 5. 

Wiesinger bespricht an der Hand einer großen Anzahl von Röntgen¬ 
lichtbildern den augenblicklichen Stand der Lehre von der Coxa vara. Vor¬ 
tragender demonstriert Fälle von kongenitaler und erworbener Coxa vara und 
vergleicht die echten Fälle mit den vorgetäuschten, wie man sie bei Schenkel¬ 
halsfrakturen findet. Seiner Meinung nach sind es gerade die Fortschritte in 
der Röntgentechnik gewesen, die diese Deformität immer mehr als eine echte 
Belastungsdeformität erkennen ließen. Blencke-Magdeburg. 

E. F. Gordon Tucker, Deformity of lower limbs. The British medical Journal 
Nr. 2358. March 10, 1906. 

32jähriger Hindu, mit in kurze Stümpfe verwandelten Oberschenkeln, die 
unbeweglich im Hüftgelenk festsitzen. Die Genitalfalte sitzt links über dem 
kürzeren Femur am oberen Rand der Fossa poplitea. Rechter Unterschenkel und 
Fuß ganz normal. Links fehlte das Kuboid, der 4. und 5. Metatarsus mit den 
dazu gehörigen Phalangen. Calcaneus und Talus klein aber normal. Cunei- 
forme und Metatarsus fest verschmolzen. Achillessehne ein dünner kurzer Strang, 
kaum vorhandene Wade. Bewegung im Talocruralgelenk sehr beschränkt. 
Sonst fehlt noch der linke Testikel. Mosenthal-Berlin. 

Helbing, Ueber angeborene Kniegelcnkskontrakturen. Berliner med. Gesell¬ 
schaft, 22. Febr. 1905. Berliner klin. Wochenschr. 1905, 10. 

Verfasser stellt ein l’/Vjähriges Kind vor, das in Steißlage geboren wurde, 
mit einem mit Luxation des Unterschenkels nach vorn kombinierten Genu 
recurvatum duplex, ferner ein 8 Monate altes, auch in Steißlage geborenes 
Kind mit einer Streckkontraktur beider Kniee; daneben bestanden bei diesem 
noch doppelseitiger hochgradiger Klumpfuß, ferner angeborene Hüftgelenks¬ 
luxation, ein Kreuzbeindefekt undKloakenbildung. Im dritten Falle handelte es 
sich um ein l 1 ^jähriges Kind, bei dem neben Beuge- und Adduktionskontrakturen 
in der Hüfte das linke Knie rechtwinklig gebeugt, zugleich in starker Valgus- 
stellung steht. Bei dem vierten 1‘ 2 jährigen Kinde bestanden hochgradige 
Schlottergelenke in beiden Hüften; die Kniescheiben fehlen vollkommen und 
es bestand angeborener hochgradiger Plattfuß. Es handelte sich bei diesem 
Kinde um eine bisher noch nicht beobachtete Rotationsluxation beider Kniee 
nach außen, verbunden mit Beugekontraktur. Tn allen vier Fällen konnte durch 
verschiedenes Anlegen der Beine an den Rumpf eine Stellung geschatfen werden, 
aus der bei dauernder Fixation während des intrauterinen Lebens die schlie߬ 
lich resultierende Stellungsanomalie leicht Zurückbleiben konnte. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Magnus, Ueber totale kongenitale Luxation der Kniegelenke bei drei Ge¬ 
schwistern. Deutsche Zeitschr. f. Chirurgie XXIV. 

Es handelt sich um drei Kinder aus einer Familie mit totaler Knie¬ 
luxation, bei denen sich auch noch verschiedene Komplikationen zeigten, die 


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Referate. 


in ätiologischer Hinsicht von Bedeutung sind. In dem dritten Falle bestand, 
trotzdem das Kind noch gar keine Gehversuche gemacht hatte, dennoch eine 
totale Luxation. Verfasser will deshalb die Luxation als Folge einer primären 
Kapsel- und Bänderschlaffheit betrachtet wissen. Es fanden sich auch nocii 
Luxationen im Hüftgelenk bei gleichzeitig bestehender Kapselschlaffheit in der. 
übrigen Gelenken. Daß in diesen Fällen mechanische Momente ebenfalls bei 
der Entstehung eine Rolle gespielt haben, ist für Magnus klar. Was nun 
die pathologischen Veränderungen anlangt, so boten diese in den vorliegenden 
Fällen nichts wesentlich Neues und deckten sich zum größten Teil mit den 
auch von anderer Seite gemachten Befunden. In dem einen Falle wurde 
blutig operiert. Es wurde nicht nur der Quadriceps verlängert , sondern e? 
wurde auch das Lig. cruciatum anterius verkürzt. Verfasser rät nach blutigen 
Eingriffen noch längere Zeit hindurch fixiererde Verbände, am besten Schienen¬ 
hülsenapparate zu verwenden. Blencke-Magdeburg. 

Ewald, Ueber kongenitale Luxation sowie angeborenen Defekt der Patella, 
kombiniert mit Pes varus congenitus. Archiv f. klin. Chir., Bd. 78, Heft 4. 

In der Vulpiusschen Klinik kamen zwei Geschwister zur Beobachtung und 
Behandlung, die neben doppelseitigen Klumpfüßen auch noch kongenitale Luxa¬ 
tionen der Patella zeigten. Nach des Verfassers Ansicht sind kongenitale Luxationen 
auch in den meisten Fällen intermittierend, so daß also „habituell“ und „kongenital* 
gar keine Gegensätze sind, wie es Hoffa haben will. Verfasser will deshalb 
nur zwei Gruppen von Patellaluxationen anerkennen, deren Krankheitsbild je¬ 
weilig scharf charakterisiert ist, die intra vitam erworbene Luxation und die 
kongenitale Luxation der Kniescheibe. Was die Aetiologie anlangt, so erscheint 
ihm für seine beiden Fälle jedenfalls die Annahme, daß es sich wirklich um 
mechanische Ursachen handelt, nach Lage der Dinge am plausibelsten zu sein. 
Sodann kommt Ewald auf den Defekt der Patellen zu sprechen und führt 
2 Fälle mit angeborener Kleinheit der Kniescheibe an, die im zweiten Falle 
direkt als Defekt imponierte; erst ganz allmählich, nachdem der Quadriceps 
zu funktionieren begonnen hatte, holten sie ihr Wachstum nach. Nach des 
Verfassers Ansicht sind viele Fälle von Klumpfuß von Abwesenheit der Patella 
begleitet; das Vorhandensein dieser Mißbildung kann leicht übersehen werden. 
Mit der Besserung der Funktion der Beine sieht man dann die Kniescheiben 
entstehen, während man bei der ersten Untersuchung nichts fand. Das Fehlen 
der Patella beim Erwachsenen ist nach zwei Ausführungen sicher einwandsfrei 
nachgewiesen, wenn auch ganz ungeheuer selten. Blencke-Magdeburg. 
Strauß, Zur Behandlung der Patellarfrakturen. Diss. Halle 1905. 

Verfasser bespricht die unblutigen und blutigen Behandlungsmethoden 
bei der Kniescheibenfraktur und rühmt von jenen vor allen Dingen den in der 
Hallenser Klinik vielfach angewandten, sogenannten Schmetterlingsverband. Als 
Beweis der vortrefflichen Wirksamkeit dieses und der damit erzielten Resultate 
führt er 49 Fälle von Patellarfraktur in Tabellen form kurz und übersichtlich 
an. Von diesen 49 Fällen wurden 41 mit dem erwähnten Verband behandelt; 
die Dauer erstreckte sich mit Nachbehandlung auf durchschnittlich 4—7 Wochen. 
Acht wurden mit Knochennaht behandelt, je einer mit Periostnaht, Massage und 
Streckverband. Was nun die Funktion des Knies anbetrifft, so war sie 33mal 


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Referate. 


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(davon 29 mit Schmetterlingsverbänden) eine gute zu nennen. Leidlich gut 
waren 11 Fälle, dreimal erfolgte nach der Naht völlige Ankylose, einmal nach 
Naht Exitus, doch handelt es sich hier um eine komplizierte Fraktur, die schon 
primäre Eiterung aufwies. Beide Methoden sollen sich keineswegs ausschließen. 
Es muß von Fall zu Fall individuell verfahren werden. 

B1 e n c k e * Magdeburg, 

Bark er, Ueber ungewöhnliche Ursachen des „internal derangement“ des Knie¬ 
gelenks. Brit. med. Journ. 1905, 9. Dez. 

Verfasser fand in 3 Fällen von „internal derangement“ bei völligem 
Intaktsein der Semilunarknorpel als Ursache hinter der Patella längere, lose, 
aus dichtem Bindegewebe bestehende Fortsätze, die in die Gelenkhöhle hinein¬ 
wucherten und sich leicht einklemmten. Entfernung dieser Wucherungen, deren 
Ursache Bark er in einer durch Unfall entstandenen lokalen Synovitis suchen 
zu müssen glaubt, brachten stets Heilung. B1 e n c k e - Magdeburg. 

Hoffa, Ueber die traumatische Entzündung des Kniegelenks. Berliner klin. 
Wochenschr. 1906, Nr. 1. 

Anknüpfend an das von ihm im vorigen Jahre beschriebene Krankheits¬ 
bild der fibrösen Hyperplasie des subpatellaren Fettgewebes gibt Verfasser einen 
Ueberblick über das Bild der traumatischen Arthritis genu im allgemeinen. Spe¬ 
ziell verweist Hoffa auf die leichten Fälle von traumatischer Gelenkerkrankung, 
die meist nach kleinen, wiederholten, subkutanen Traumen auftreten und vom 
Patienten wegen der geringen Beschwerden verschleppt werden. Schilderung 
des pathologisch-anatomischen Befundes. Die Diagnose im Röntgenbild wird 
unterstützt durch vorherige Sauerstoffeinblasung ins Gelenk. Therapie: Partielle 
Athrektomie mit besonderer Berücksichtigung der Zotten und Umschlagsfalten. 
Erfolg bei 43 operierten Fällen gut bis auf 2, von denen der eine in Ankylose, 
der andere mit beschränkter Beweglichkeit ausheilte. W e 11 e - Berlin. 

Carl ton P. Flint, Contusion and laceration of the Ligamenta mucosa and 
alaria and the synovial fringe of the knee-joint. 

Nach anatomischer Beschreibung der Ligamenta alaria und mucosa des 
Kniegelenks berichtet er über 4 einschlägige Fälle und deren Behandlung. 
Nach Traumen, die 5 Wochen bis 7 Monate zurücklagen und ohne Erfolg kon¬ 
servativ behandelt wurden, die die gemeinsamen Symptome von Schwellung, 
Schmerzattacken, Flüssigkeitsansammlung und Bewegungsbeschränkung auf¬ 
wiesen, schreitet er zur Operation. Der Befund war bei allen eine Veränderung der 
Ligamenta alaria und mucosa, die exzidiert wurden, teilweise mit den entzünd¬ 
lich geröteten Partien der Synovialmembrane. 3mal Diagnose Kontusion und 
Lazeration, lmal mikroskopisch Tuberkulose, die makroskopisch nicht feststell¬ 
bar war. Heilung. 

Er kommt nach diesen Erfolgen zu dem Schluß: 1. Jedes traumatische 
Knie, das nach Stägiger Behandlung noch Erguß und Schmerzen aufweist, soll 
aspiriert, bei blutigem Inhalt inzidiert werden, da die Flüssigkeit teils zu Deh¬ 
nungen und Schwächung der Ligamenta führt, teils zur Bildung von Fremd¬ 
körpern und chronischen Veränderungen Veranlassung gibt. 2. Alle Fälle von 
Trauma des Kniegelenks, die nach 4—Swöchentlicher konservativer Behandlung 


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686 


Referate. 


nicht zu definitiver Heilung führen, sollen operiert werden, und zwar sollen die 
erkrankten Partien exzidiert werden, da sonst chronische Beschwerden daraus 
entstehen. Mosenthal-Berlin. 

0 b 1 a d e n, Stauungsbehandlung bei Kniegelenkstuberkulose. Nürnberger med. 
Gesellschaft 15. Febr. 1906. Münch, med. Wochenschr. 1906, 14. 

Obladen stellt einen Patienten mit doppelseitiger Kniegelenkstuber¬ 
kulose vor, die durch eine eingeleitete Stauungsbehandlung günstig beeinflußt 
wurde. Bl encke- Magdeburg. 

Kachler, Doppelseitiger, teilweiser, kongenitaler Tibiadefekt. Fortschritte auf 
dem Gebiete der Röntgenstrahlen IX, 4. 

Verfasser vermehrt die diesbezügliche Kasuistik um einen weiteren Fall. 
Es handelte sich um ein 6 Monate altes Mädchen mit doppelseitigem teilweisen 
Tibiadefekt. B1 e n ck e - Magdeburg. 

Mouchet, Abscence congenitale du peron£. Revue mens, des Maladies de 
l’enfance 1906, Januar. 

Verfasser hatte Gelegenheit, 2 derartige Fälle zu beobachten, von denen 
der eine noch umso mehr Interesse bieten dürfte, als ihn Mouchet 5 Jahre 
hindurch beobachten konnte. Es handelte sich um einen vollständigen Defekt 
der Fibula. Die in bestimmten Intervallen vorgenomraenen Messungen ergaben, 
daß das Wachstum der deformierten Extremität zurückblieb hinter dem der 
gesunden. Während der Unterschied im Jahre 1900 zwischen beiden Seiten 
4 cm betrug, bestand im Jahre 1905 bereits ein solcher von 10 cm. Im An¬ 
schluß an diesen Fall bespricht dann Verfasser noch eingehender diese schon 
so oft beobachtete Deformität. Biencke-Magdeburg. 

Schanz, Eine typische Erkrankung der Achillessehne. Zentralbl. f. Chir. 

1905, 48. 

Schanz macht auf eine Affektion der Achillessehne aufmerksam, die er 
schon wiederholt beobachtet hat, auf eine schmerzhafte Anschwellung, um eine 
spindelförmige Verdickung der Sehne, welche sich im Anschluß an eine über¬ 
mäßige Inanspruchnahme dieser Sehne zu entwickeln pflegt. Diese Erkrankung 
ist nicht mit der Achillodynie zu verwechseln, da die Ansatzstelle der Sehne 
vollständig schmerzfrei und die Bursa vollkommen gesund ist. Erst oberhalb 
des Endstückes der Sehne beginnt die Verdickung; sie verschwindet, wo sich 
die Sehne zum Uebergang in den Muskel verbreitert. Mit einem zweckmäßig 
angelegten Heftpflasterverband kann der Patient sofort ohne Schmerzen geben. 
Verfasser schlägt für diese Affektion den Namen Tendinitis achillea trau¬ 
matica vor. Bl encke-Magdeburg. 

Drehmann, Ph'ne typische Erkrankung der Achillessehne. Zentralbl. f. Chir. 

1906. 1. 

v. Baracz, Tendinitis achillea arthritica alseine besondere Form der Achilles¬ 
sehnenerkrankung. Zentralbl. f. Chir. 1906, 1. 

Beide Verfasser nehmen Bezug auf die bereits referierte Schanz sehe 
Arbeit. Drehmann sah die von Schanz beschriebene Affektion des öfteren 


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Referate, 


687 


bei Gelenkrheumatismus, nach Influenza und am häufigsten bei Gonorrhoe, Sie 
bat ihren Sitz genau an der Stelle, wo der moderne Schuh auf hört und sie 
sehr häufig doppelseitig auftritt. Letzterer Umstand gab Drehmann Grund 
zu der Annahme, daß es sich um eine akute Tendinitis handelt, die durch einen 
äußeren Reiz bedingt ist. Die Schanz sehe Erklärung einer stärkeren Bean¬ 
spruchung der Sehne auf Dehnung scheint ihm weniger plausibel, besonders 
für die beiderseitigen Erkrankungen. 

Bei der Baraczsehen Affektion der Achillessehne, die gewöhnlich an 
Rheumatismus und Gicht leidende Männer betrifft, findet man eine mehr oder 
weniger ausgeprägte spindelförmige Verdickung der Achillessehne; die Haut 
über derselben ist gerötet und heiß anzufühlen. Oft findet man nebst der Ver¬ 
dickung mehrere flache, harte, sehr schmerzhafte Knoten. Viele der Patienten 
leiden jeden Winter an Rückfällen. Baracz betrachtet diese schmerzhafte 
Verdickung und Knotenbildung in der Sehne als eine durch Einlagerung yon 
hamsauren Salzen in der Substanz der Sehne bedingte Entzündung. Bei leichten 
Schmerzen empfiehlt Baracz Massage und Einreibungen, bei heftigerer Ent¬ 
zündung ist die Ruhigstellung der Sehne mittels Heftpflasterverband angezeigt. 
Noch stärkere Entzündung der Sehne erheischt Bettruhe mit Applikation von 
Eisbeutel oder Umschlägen und innerlichem Gebrauch von Aspirin. Verfasser 
benennt diese Achillessehnenerkrankung Tendinitis achillea arthritica. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Schultze (Duisburg), Zur Behandlung des „rebellischen“ Klumpfußes. Arch. f. 
Orthop., Mechanoth. u. Unfallchir. Bd. III, H. 2. 

Verfasser warnt vor der blutigen Operation des Klumpfußes, da dieselbe 
stets mehr oder weniger Knochendefekte setzt und empfiehlt aufs wärmste den 
von ihm konstruierten einfachen Osteoklasten. Derselbe besteht aus zwei mit 
Charnier verbundenen Brettern, die wie ein Buch auf- und zugeklappt werden 
können. Das längere Brett, durch eine Gummiplatte gepolstert, ruht auf dem 
Tisch, das kürzere, mit einem Quergriff versehen, wird wippend und drückend 
hin und her bewegt, bis der dazwischen eingeklemmte Fuß vollkommen mobili¬ 
siert ist. Beigegebene Photographien erläutern die Technik, Ein mehrere 
Wochen getragener Gips verband erhält die durch das Redressement erzielte 
Korrektur. Zur Nachbehandlung empfiehlt Verfasser einen Schienenhülsenapparat, 
der nur des Nachts angelegt wird. Bei Tage tragen die Patienten einen festen 
Schuh mit erhöhter Außenseite. Vü 11 ers-Berlin. 

Helbing, Ueber Wesen und Behandlung des Plattfußes. Berl. klin, Wochen¬ 
schrift 1905, 13. 

Die Arbeit ist für den praktischen Arzt bestimmt und will ihn bekannt 
machen mit den Symptomen, mit deren Hilfe man auch einen nicht ausgeprägten 
Plattfuß erkennen kann, was unbedingt von großer Wichtigkeit ist, da es ja 
gerade diese Fälle in erster Linie sein können, die ganz erhebliche Beschwerden 
verursachen. Die Abduktionsstellung der Ferse bei belastetem Fuße ist das erste 
und sicherste Zeichen eines beginnenden Plattfußes. Die beim Plattfuß im Knie 
und in der Hüfte auftretenden Schmerzen haben nach Helbing ihre Ursache 
in der von den Plattfußleidenden eingenommenen sogen, „habituellen Stellung“, 
bei der die Last des Körpers nicht durch Muskelaktion, sondern durch Hemmung 
Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XV. Bd. 44 


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Referate. 


von Seiten des Bandapparates und der Knochen getragen wird. Eine ausführ¬ 
liche Darstellung der Technik der Herstellung der Plattfußeinlagen nach Lange 
beschließt die sehr lesenswerte Arbeit, an deren Schluß auch noch mit kurzen 
Worten der in Frage kommenden Operationen gedacht wird. 

Biencke - Magdeburg. 

Schümann, Zur Methodik der Plattfußdiagnose. Münchener med. Wochenschr. 
1906, 2. 

Schümann empfiehlt zur Herstellung von Fußabdrücken die Anwendung 
der Berlinerblaureaktion. Glattes Schreibpapier wird mit zur Hälfte ver¬ 
dünntem Liquor fern bestrichen. Die mit ca. 6 0 oiger Ferrocyankaliumlösung 
dünn bestrichene Fußsohle wird auf den Bogen aufgesetzt und man bekommt 
ein sehr scharfes dunkelblaues Bild auf gelbem Untergrund, auf dem der 
Verlauf der Papillarlinien deutlich erkennbar ist: häufig lassen sich selbst die 
Schweißdrüsenporen als punktförmige Unterbrechungen der Cristae cutis 
erkennen. Bien cke-Magdeburg. 

Herhold, Frakturen der Mittelfußknochen. Aerztl. Verein in Hamburg. Sitzung 
vom 20. März 1906. — Münch, med. Wochenschr. 1906, 13. 

Verfasser hat mit einem zu diesem Zwecke besonders konstruierten Apparat 
Versuche am Fußskelett angestellt, das zunehmend belastet wurde, bis eine 
Fraktur eintrat. Dieselbe erfolgte beim 2., 3. und 4. Mittelfußknochen ungefähr 
bei gleicher Belastung. Der häufigste Sitz der Fraktur befand sich bei den 
Versuchen an der Grenze zwischen äußerem und mittleren Drittel am distalen 
Ende, genau also an der Stelle, wo wir ihn auch gewöhnlich beim Lebenden 
finden. Bei Einwirkung der Gewalt in vertikaler Richtung brach der Knochen 
dicht unter dem Köpfchen. Bien cke-Magdeburg. 

Lilienfeld, Die Brüche der Tuberositas ossis metatarsi V und des Processus 
posticus tali und ihre Beziehungen zum Os vesalianum und Trigonum. 
Archiv f. klin. Cliir. 78, 4. 

Lilienfeld konnte in einem Zeitraum von 47* Jahren unter 600 
Knochenbrüchen 5mal den isolierten Bruch der Tuberositas ossis metatarsi V 
nachweisen, sieben isolierte Brüche des Processus posticus tali und fünf solche 
mit dem Bruch des Calcaneus verbundene. Verfasser bespricht die Entstehung 
dieser Brüche, ihre Symptome und Behandlung und glaubt, daß eine nicht 
genügende Berücksichtigung der Tatsache, daß die erwähnten Brüche als typische 
Verletzungen Vorkommen, die Anatomen und besonders Gruberund Pfitzner 
verleitet haben, das „Trigonum“ beim Talus und die „persistierende Epiphyse* 
beim Os metatarsi V viel häufiger anzunehmen, als sie wirklich Vorkommen. 
Die Röntgenaufnahmen, das klinische Bild lassen in den meisten Fällen die 
Differentialdiagnose, ob es sich um eine Fraktur oder um ein inkonstantes 
Skelettstück handelt, sicherstellen. Verfasser ist der Ansicht, daß von den 
Pfitznersehen Fällen diejenigen, welche sogenannte „Entartungserscheinungen* 
aufweisen, als pathologische Produkte nach stattgehabter Fraktur entscheiden, 
und daß die von Gruber veröffentlichten Fälle von inkonstanten persistierenden 
Epiphysen jenseits der Pubertät als Produkte von Frakturen anzusehen sind. 
Eine Reihe Röntgenaufnahmen sind der Arbeit beigegeben. 

Blencke - Magdeburg. 


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Referate. 


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Ebbinghaus, Ein Beitrag zur Kenntnis der traumatischen Fußleiden. Die 
Verletzung des Tuberculum maius calcanei. Centralbl. f. Chirurgie 1906,15. 

Verfasser gibt die Krankengeschichten zweier Patienten wieder, die über 
heftige Schmerzen im Hacken zu klagen hatten, ohne daß auch nur eine Spur 
von Platt- oder X-Fuß vorhanden war. Der Röntgenbefund und der Verlauf 
der Fälle machten es ihm zur Sicherheit, daß die Beschwerden in dem unge¬ 
wöhnlich groß veranlagten Tuberculum maius des Calcaneus zu suchen waren, 
und weiter, daß es sich beide Male um ein und dieselbe Affektion handelte, 
um eine Fraktur desselben. Den absoluten Beweis dafür liefert nach Ebbinghaus* 
Ansicht die genaue Lokalisation des Schmerzpunktes, die röntgenographische 
Aufnahme und der Erfolg der eingeschlagenen Therapie, die in dem einen Falle 
in der operativen Entfernung, in dem anderen darin bestand, daß die in Frage 
kommende schmerzhafte Stelle hohl gelegt würde. Die betr. Fraktur wird bei 
der Entstehung niemals die Gehfähigkeit sofort aufheben; die Hauptschmerzen 
werden wohl in der Regel erst sekundär auftreten und neuritischer Natur sein, 
da die Nerven, die in unmittelbarer Nähe des Tuberculum liegen, außerordentlich 
leicht durch schwielige oder kallöse Einbettungen in Mitleidenschaft gezogen 
werden. Bl encke-Magdeburg. 

König, Apparat zur Behandlung der Fractura calcanei. — Aerztl. Verein in 
Hamburg. Sitzung vom 20. März 1906. — Münchener med. Wochenschr. 
1906, 13. 

Der Apparat gestattet die Extensionsbehandlung in Verbindung mit 
Schraubenkompression zur Verhütung des Plattfußes. B1 e n c k e - Magdeburg. 

Lauenstein, Demonstration von Röntgenbildern eines pathologisch veränderten 
Calcaneus. Biologische Abteilung des ärztl. Vereins Hamburg. Münch, 
med. Wochenschr. 1906, 7. 

Ein 22jähriger Mann war vor 3—4 Jahren beim Turnen auf die linke 
Hacke gesprungen und seitdem bestanden an dieser Stelle immer mehr zu¬ 
nehmende Schmerzen. Aeußere Veränderungen außer einer leichten Verdickung 
an Proc. post, calcanei w T aren nicht nachzuweisen. Das Röntgenbild ließ die 
normale Architektur der Spongiosa verwaschen erscheinen und wolkenartige 
Konturen erkennen, die an eine Vakuolenbildung denken ließen, eine Annahme, 
die durch die Exstirpation des Knochens bestätigt wurde, ln den Lakunen 
fanden sich kleine Blutgerinnsel, keine Spuren einer Neubildung. Histologisch 
konnte das Präparat leider nicht untersucht werden, da es durch einen unglück¬ 
lichen Zufall zu Grunde ging. B l e n c k e - Magdeburg. 

Zesas, Ueber syringomyelitische Schultergelenkverrenkungen. Deutsche Zeit¬ 
schrift f. Chirurgie. 

Während bei Tabes die Gelenkerkrankungen sich häufiger an den unteren 
Extremitäten lokalisieren, betrifft die Syringomyelie meist die Gelenke der 
oberen Extremität. Am häufigsten erkrankt das Schultergelenk, in 35 %• Die 
Veränderungen bestehen vorerst in Erweiterung und Erschlaffung der Kapsel, 
Erweiterung der Pfanne, Verkleinerung resp. Abschleifung des erweichten 


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690 


Referate. 


Kopfes, Luxation. Wichtig ist die Kenntnis dieser Erkrankung für da3 Unfall¬ 
wesen, da häufig habituelle Schulterluxation als erste Erscheinung der Syringo¬ 
myelie auftritt. Vü 11 ers-Berlin. 


Braun, Beiträge zur Behandlung der tuberkulösen Schultergelenksentzündung 
aus der Chirurg. Universitätsklinik in Göttingen. Diss. Göttingen 1905. 

Aus der Göttinger chirurg. Klinik ist schon eine ganze Reihe von Ar¬ 
beiten erschienen, die die Tuberkulose der einzelnen Gelenke behandeln. Die 
vorstehende befaßt sich mit dem Schultergelenk. Verfasser gibt zunächst ein 
ausführliches Bild dieser Erkrankung, bespricht die Therapie und berichtet dann 
im Anschluß hieran über 23 Fälle von Schultergelenkstuberkulose, die in der 
Göttinger Klinik behandelt wurden. Das Kindesalter war stark bevorzugt und 
dabei speziell das weibliche Geschlecht. Reine Caries sicca fand sich in 9 Fällen. 
Schwellung, verbunden mit deutlicher Fluktuation und Eiter, bestand in 10 Fällen. 
Fistelbildung war in 3 Fällen vorhanden; in 1 Falle nur Schwellung ohne 
Fluktuation und ohne Eiter. Die Resektion des Humeruskopfes ist 3mal aus¬ 
geführt worden. Bei 20 Patienten sind teils mehr, teils weniger zahlreiche 
Jodoformglyzerininjektionen mit wechselndem Erfolge ausgeführt worden. Die 
23 Krankengeschichten sind der Arbeit beigegeben. Blencke-Magdeburg. 

Catterina, Die Resektion des Schultergelenkes. Zentralbl. für Chirurgie 
1906, 2. 

Die vom Verfasser erdachte Methode der Resektion des Schultergelenkes 
entspricht nach seiner Meinung allen Bedingungen, die an eine Resektion über¬ 
haupt zu stellen sind. Es handelt sich dabei darum, eine temporäre Resektion 
des äußeren Drittels des Schlüsselbeines zu machen, somit den Deltoideus und 
den Nervus circumflexus vollständig zu schonen und gleichzeitig einen großen 
Raum zu gewinnen. Die von Catterina angegebene Methode, die genau be¬ 
schrieben wird, ist sehr leicht, ungefährlich und in allen Fällen anwendbar, 
besonders bei der Reduktion resp. Resektion veralteter vorderer Luxationen 
des Humerus. Die Blutung ist eine minimale. Blencke - Magdeburg. 


Hoffmann, Ueber isolierte Frakturen des Tuberculum majus humeri. Diss. 

Leipzig 1906. 

Verfasser erörtert zunächst die Aetiologie, die klinischen Symptome, die 
Prognose und die Therapie der Tuberculumfrakturen und berichtet dann über 
die im Kölner Bürgerhospital in einem Zeitraum von 2 Jahren beobachteten 
Fälle. Von diesen waren 8 mit anderweitigen Frakturen am oberen Humerus¬ 
ende kompliziert, während die übrigen 27 isoliert auftraten, und zwar teils 
mit, teils ohne Luxation des Humerus. Bei den erwähnten 8 Frakturen handelte 
es sich in 7 Fällen um eingekeilte Brüche. 2 Frakturen waren pertuberkulär, 
die übrigen 6 betrafen den chirurgischen Hals. Eine Uebersicht über die Fälle 
ist mit kurzer Angabe der Krankengeschichten in Tabellenform beigegeben. 
Am Schlüsse der Arbeit hebt dann Hoffmann die Vorzüge der von Barden¬ 
heuer angewandten Streckbehandlung hervor. Blencke-Magdeburg. 


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Referate. 


691 


Piper, Fractura hum er i mit Verletzung des N. radialis. Diss. Kiel 190S. 

Nach einigen allgemeinen Bemerkungen über die Radialislähmungen nach 
Humerusfraktur und nach Aufzählung einiger in der Literatur beschriebenen 
Fälle bringt Verfasser die Krankengeschichten von 4 Fällen von Humerusfraktur 
mit Verletzung des N. radialis. In dem ersten Falle handelte es sich wohl um 
eine weniger durch die Fraktur als durch die gleichzeitig bestehende Luxation 
bedingte Schädigung des ganzen Plexus brachialis, die durch Massage und 
Elektrizität gebessert wurde. Im zweiten Falle handelte es sich um eine direkte 
Verletzung des N. radialis, im dritten um eine Interposition des sonst unver¬ 
letzten Nerven zwischen die Knochenfragmente. Der Nerv wurde befreit, in 
Stümpfe des Triceps eingenäht, so daß er überall von Muskel umgeben war 
und nirgends dem Knochen auflag. Die Radialislähmung schwand vollkommen. 
Bei dem vierten Fall brachte die Operation nicht den gewünschten Erfolg, da 
man den N. radialis vollkommen intakt fand. B1 en ck e ♦ Magdeburg. 

Rowlands, Die Behandlung der Volkmannschen Kontraktur durch Resektion 
des Vorderarms. Lancet 1905, 21. Okt. 

Verfasser machte in einem Fall ischämischer Muskelkontraktur 4 Monate 
nach der Verletzung die Resektion beider Vorderarmknochen an verschiedenen 
Stellen, um einen sogen. Brückencallus zu erzielen. Der Erfolg der Operation 
war ein ausgezeichneter. Im Anschluß an diesen Fall gibt er eine ausführliche 
Beschreibung dieser Erkrankung, deren Ursache ja meist in zu eng angelegten 
Verbänden zu suchen ist. Bl encke-Magdeburg. 

Strohe, Verletzung des Nervus radialis mit nachfolgender Naht desselben. 
Allgem. ärztl. Verein zu Köln. 20. Nov. 1905. Münch, med. Wochenschr. 
1906, 15. 

Nach Bruch des Oberarms oberhalb des Ellbogengelenks Lähmung des 
N. radialis nach ungefähr 14 Tagen, die Radialisenden wurden genäht und die 
Knochenenden nach Resektion einer Platte des zentralen Bruchendes reponiert. 
Der Radialis war jedenfalls über einer vorspringenden Knochenkante allmählich 
durchgescheuert worden. Vollständige Wiederherstellung der Funktion. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Edmund C. Bevers, Compression of the median nerve. Brit. med. journ. 
1906, 17. Febr., 2355. 

Bei einem 18jährigen Mädchen, das vor 8 Jahren nach einem Fall von 
der Schaukel ein steiles Ellbogengelenk behielt, wurde damals schon eine Ope¬ 
ration (angeblich Cyste entfernt) ohne Erfolg gemacht. Jetzt besteht Beschrän¬ 
kung der Bewegung im Ellbogengelenk und seit 1 Jahre Schmerzen im Ver¬ 
breiterungsgebiet des Medianus; an der Stelle der alten Narbe über dem 
Condylus internus fühlt man eine auf Druck schmerzhafte Geschwulst. Bei 
der Operation findet man ein knackmandelgroßes Knochenstück frei zwischen 
der Bicepssehne und dem Pronator teres, darüber hinwegziehend der ab¬ 
geplattete, stark verbreitete Medianus direkt vor der Arteria brachialis anstatt 
an ihrer Innenseite locker mit dem Knochenstück verklebt, einige Nervenfasern 
von den Kanten des Fremdkörpers zerrissen. Exstirpation desselben, Heilung. 


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692 


Referate. 


Röntgenbild ergibt eine alte Fraktur mit Dislokation des unteren Fragmentes; 
der Fremdkörper wird als ein vollständig abgesprengtes Epiphysenstück an¬ 
gesehen. Mosenth al-Berlin. 

Gräfenberg, Die Entwicklung der Knochen, Muskeln und Nerven der Hand 
und der für die Bewegungen der Hand bestimmten Muskeln des Unterarms. 
Diss. Göttingen 1905. Anatomische Hefte von Merkel u. Bonnet, Heft 90. 

Aus der Ueberschrift geht wohl schon zur Genüge hervor, daß auf 
Einzelheiten des behandelten Themas nicht näher in einem Referat eingegangen 
werden kann. Ich muß mich lediglich darauf beschränken, das Studium dieser 
Arbeit, die die gewöhnlichen Dissertationen weit überragt und des Interessanten 
genug bietet, aufs angelegentlichste zu empfehlen. 19 Abbildungen im Text 
und ein 79 Nummern umfassendes Literaturverzeichnis sind dieser Abhandlung 
beigegeben. B1 e n c k e - Magdeburg. 

Krome, Ueber die Muskelinsertionen an der Handwurzel und die Beziehungen 
zwischen den Sehnen und dem Bandapparat des Handgelenks. Diss. 
Göttingen 1905. 

Verfasser sucht einen Teil zur Lösung der Fragen, die hier in Betracht 
kommen, beizutragen, indem er eine Anzahl von 15 Armen präparierte. Das 
Ergebnis dieser Untersuchungen hat er in /1er vorliegenden Arbeit zusammen¬ 
gestellt. Blencke-Magdeburg. 

Sauer, Die Madelungsche Deformität des Handgelenks. Beiträge zur klin. 
Chir. Bd. 48, Heft 1. 

Verfasser berichtet über 3 neue Fälle der obengenannten Deformität und 
bespricht an der Hand von Röntgenbildern eingehend das Wesen und die Ent¬ 
stehung derselben. Seine Ansichten darüber faßt er in folgenden Sätzen zu¬ 
sammen: „Die Madelungsche Deformität des Handgelenks besteht in den 
ausgesprochenen Fällen in einer vollkommenen Luxation des Carpus im Ulno¬ 
carpalgelenk und des Radius im Radioulnargelenk. Diese Luxation ist bedingt 
durch eine volare Krümmung des Radius teils an seinem distalen Ende, teils 
in der Mitte. Das Radiocarpalgelenk ist in der überwiegenden Mehrzahl der 
Fälle intakt, nur ausnahmsweise besteht in demselben eine volare Subluxations¬ 
stellung der Hand. Der letzte Grund der Erkrankung ist mit Wahrscheinlich¬ 
keit in einer rhachitischen Knochenaffektion zu suchen, die sowohl im Kindes¬ 
alter als auch zur Zeit der Pubertät zur Entwicklung der Deformität 
führen kann.“ 

Sauer empfiehlt nach einem bereits von Madelung gemachten Vor¬ 
schlag, die Deformität als Manus valga zu bezeichnen. We 11 e - Berlin. 

M. Hirsch, Beitrag zur Lehre von der isolierten, subkutanen Fraktur einzelner 
Handwurzelknochen. Wiener med. Wochenschr. 1905, Nr. 34. 

Verfasser bespricht an der Hand von 2 Fällen des Naviculare und eines 
Falles von Fraktur des Os lunatum den Entstehungsmechanismus dieser Frak¬ 
turen. Bei der Fraktur des Os naviculare, der häufigsten Verletzung der 
Carpalknochen, handelt es sich meist um eine Kompressionsfraktur. Der grazil 


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Referate. 


693 


gebaute Knochen bildet bei der Radialreflexion der Hand eine Art Puffer zwi¬ 
schen dem Radius und dem massigen Os capitatum; hierbei entsteht die Fraktur 
in der Mitte des Knochens am Halse des Os naviculare durch eine in der Rich¬ 
tung der Vorderarmachse einwirkenden Gewalt. 

Die beiden Fälle von Hirsch lassen nun einen anderen Entstehungs¬ 
mechanismus erkennen. Die Patienten waren mit der in Ulnarflexion be¬ 
findlichen Hand auf den Boden aufgefallen; in dem einen Falle war ein 
Biegungsbruch entstanden, indem das Naviculare bei fixierten Polen über 
dem Proc. styloid. radii wie ein Rohrstab übers Knie gebrochen war. Im 
zweiten Falle handelte es sich um eine Rißfraktur an der Tuberositas ossis 
navicularis, wo sich das vom Proc. styloid. radii kommende Ligam. lateral, 
radiale ansetzt. 

Nach Hirsch hat man daher drei Entstehungsmechanismen bei der 
Fraktur des Os naviculare zu unterscheiden: 1. Kompressionsfraktur bei Radial¬ 
stellungen der Hand, 2. Biegungsfraktur und 3. Rißfraktur; die beiden letzten 
entstehen bei Ulnarflexion. Die Volar- und Dorsalflexion ist ohne besonderen 
Einfluß. Die Symptome der Fraktur des Naviculare sind ganz charakteristische. 
Schwellung des Handgelenkes, starke Behinderung der Dorsalflexion, heftiger 
streng auf die Tabati&re beschränkter Druckschmerz, Ausfüllung der Tabatiere, 
Annäherung des unteren Radiusendes an die Mittelhand. Völlige Sicherheit 
bezüglich der Diagnose ergibt das Radiogramm. 

Die Fraktur ist selten extrakapsulär, meist intrakapsulär; in diesen 
letzteren Fällen kommt es meist nur zu Pseudarthrosenbildung. Als Folgen 
derselben sehen wir Versteifung der Hand, in mehr oder weniger starker 
Radialflexion der Hand, andauernden Druckschmerz in der Tabatiöre, große 
Schmerzhaftigkeit. Führt eine frühzeitig eingeleitete Behandlung mittels per¬ 
manenter Extension, späterhin mit aktiven und passiven Bewegungen, Massage, 
Bädern und Gymnastik nicht zum Ziele, so wird die operative Entfernung des 
frakturierten Knochens oder seines distalen Fragmentes durch Längsschnitt in 
der Tabatiere notwendig werden. Bei der extrakapsulären Fraktur kommt es 
zur völligen Konsolidierung mit Wiederherstellung der Funktion. 

Der 3. Fall von Hirsch betraf die seltene Fraktur des Os lunatum; 
es handelte sich hierbei um die für diese Fraktur typische keilförmige Knochen¬ 
auslösung an der proximo-ulnaren Ecke des Knochens. Die Fraktur entsteht 
bei Ulnarflexion der Hand als Kompressionsfraktur, indem dann das Lunatum 
den Puffer zwischen Radius und Handwurzel bildet. Meist kommt es aber zu 
Kapselriß und Luxation des Os lunatum. Die Diagnose ermöglicht nur das 
Radiogramm. Haudek-Wien. 

Testi, Die' Dupuytrensche Palmarfascienkontraktur und die Syringomyelie. 

Riform. med. 1905. 30. 

Testi macht auf den Zusammenhang zwischen dieser Fingerkontraktur 
und der Syringomyelie aufmerksam und erwähnt die Geschichte von drei an 
dieser Affektion leidenden Brüdern. Von dem dritten Bruder bringt er den 
Obduktionsbefund. Die Sektion ergab multiple syringomyelitische Höhlen so¬ 
wohl in der vorderen als hinteren Kommissur und gliomatöse Infiltrationen. 
Testi ist der Ansicht, daß mit dem Wachstum unserer anatomischen und 


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694 


Referate. 


physeopathologischen Kenntnisse in Bezug auf Erkrankungen des Nervensystems 
verschiedene Krankheiten, die als autochthone Formen galten, verschwinden 
und in Zukunft als Symptome ein und derselben Krankheit angesehen werden 
müssen. Blencke-Magdeburg. 

Aderholdt, Ein seltener Fall von angeborener Ankylose der Fingergelenke. 
Münch, med. Wochenschr. 1906, 8. 

Es handelte sich um einen 85jährigen Engländer, bei dem eine ange¬ 
borene Ankylose zwischen der Grund- und Mittelphalanx des 3., 4. und 5. Fingers 
an beiden Händen bestand. Wie das Röntgenbild ergab, war es eine reine 
Ankylosis ossea. Irgendwelche Störung bedingt die Ankylose für ihren Träger 
nicht. Die Entstehung ist zweifellos eine intrauterine und nach des Verfassers 
Ansicht handelt eR sich um Störungen im Keime des Embryos selbst. Ader¬ 
holdt konnte in der Literatur trotz genauer Durchforschung derselben nur 
noch einen einzigen derartigen Fall finden. Blencke-Magdeburg, 

Görl, Hand mit drei Fingern. Nürnberger med. Gesellschaft. Sitzung vom 
4. Jan. 1906. Münch, med. Wochenschr. 1906, 12. 

Görl demonstriert das Röntgenbild einer Hand mit nur drei Fingern; 
die andere Hand ist normal. Der Daumen der rechten Hand ist normal, der 
Zeige- und Mittelfinger mit den beiden dazu gehörigen Mittelhandknochen sind 
verdickt, während der 4. und 5. Finger ganz fehlen. Auch von den Hand¬ 
wurzelknochen fehlen zwei; die vorhandenen zeigen veränderte Konfiguration. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Hadelich, Angeborener doppelter Daumen, Aerztl. Verein in Nürnberg. 
Sitzung vom 21. Dez. 1905. Münch, med. Wochenschr. 1906, 13. 
Demonstration eines Mannes mit angeborenem doppelten rechten Daumen. 

B1 e n c k e - Magdeburg. 

Leitner, Ueber überzählige Finger an Hand und Fuß. Diss. München 1905. 

Nach einigen Erörterungen über die Mißbildungen und ihre Entstehung 
im allgemeinen, bespricht Verfasser die an Hand und Fuß vorkommenden 
Anomalien im speziellen, um sich dann am eingehendsten mit der Polydak¬ 
tylie zu beschäftigen. Er führt die vier bekannten Grade derselbeu an mit 
Aufzählung einer ganzen Reihe in der Literatur veröffentlichter Fälle, bespricht 
die Aetiologie und die Behandlung dieser Deformität und unterzieht dann am 
Schlüsse seiner Arbeit zwei in der jüngsten Zeit in der Erlanger chirurgischen 
Klinik beobachtete Fälle von Polydaktylie, welche die Anregung zu der vorliegen¬ 
den Arbeit gaben, einer genauen Beschreibung. In beiden Fällen waren an beiden 
Händen und beiden Füßen je 6 Finger bezw, Zehen vorhanden, die durch 
Operation abgetragen wurden. Blencke-Magdeburg. 

Groedel, Linksseitige Trommelschlegelfinger bei Aneurysma arcus aortae. 
Münch, med, Wochenschr, 1906, 6. 

Nach des Verfassers Ansicht handelte es sich bei der Entstehung der 
Trommel schlegelfinger in diesem Falle um ein mechanisches Moment {venöse 
Stauung) und gleichzeitig toxisches (verlangsamte Abfuhr der Zellstoffwechsel- 


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Referate. 


695 


Produkte)» und zwar bei einem durch verminderte arterielle Durchblutung 
unterernährten, d. h. in seiner Widerstandsfähigkeit geschwächten Gewebe» 
Ob auch dem Sympathicus ein Einfluß auf das Entstehen zuzuschreiben ist, 
läßt Verfasser dahingestellt; jedenfalls ist er der Ansicht, daß für die Bildung 
der Abnormität stets mehrere Umstände Zusammentreffen müssen, von denen 
die wichtigsten die vorher angeführten sind, B1 e n c k e * Magdeburg. 


Merkel, Adduktionskontraktur des rechten Daumens und gleichzeitige Flexiona- 
kpntraktur der vier anderen Finger der rechten Hand. Nürnberger med, 
Gesellschaft, 2. Nov. 1905. Münch, med. Wochenschr, 1906, 2. 

Es handelte sich um ein 13jähriges Mädchen, bei dem mit aller Wahr¬ 
scheinlichkeit eine bestehende Osteochondritis als Ursache dieser Reflexkontraktur 
angesehen werden muß. Merkel entschloß sich zur Entfernung der Hälfte 
des Metacarpus pollicis und Exartikulation aus dem Handgelenk. Der Befund 
des Knochens war der der Ostitis hyperplastica. J)er Erfolg war glänzend. 
Die Hand war nach dem Erwachen aus der Narkose von normaler Beweglich¬ 
keit und ist es geblieben. Merkel ist geneigt, aus verschiedenen Gründen 
den Prozeß als Lues tarda anzusehen. Blencke-Magdeburg. 


Bertram Watson (London), A case of atrophie of the phalanges of the 
hands with joint lesions, sequential to multiple tumours of the skin. 
British medical Journal Nr. 2358. 

47jähriger Mann. Anamnese bis auf überstandene Gonorrhöe belanglos. 
Nach einer Attacke von akutem Rheumatismus entwickeln sich massenhaft 
Tumoren von verschiedener Größe und myelogener Struktur in der Haut. Zu¬ 
erst über dem Hüft-, dann dem Ellbogengelenk und allmählich auf dem übrigen 
Körper, manchmal ganz plötzlich entstehend. Das Röntgenbild zeigt die 
Phalangen der Hand vollständig resorbiert, die Finger infolgedessen sehr ver¬ 
kürzt, und die unbeschädigte Haut teleskopförmig in Falten überein anderge¬ 
schoben; über beiden Handgelenken eine feste kompakte Geschwulst, Haut 
annähernd bronzefarben, die Kniee in halbgebeugter Stellung fixiert, ohne nach¬ 
weisbare Knochenveränderung, sonst ebenfalls normale Knochen und Gelenke, 
Kopfhaut verdickt und mit Warzen bedeckt. Diagnose und Erklärung wird 
schuldig geblieben. Mosenthal-Berlin. 


Reben tisch, Zur Kenntnis der Rissfrakturen der Fingerendglieder. Monatsschr. 
für Unfallheilkunde und Invalidenwesen 1905, Nr. 5. 

So wie durch plötzliche passive Beugung des Fingerendgliedes die Streck¬ 
sehne mitsamt dem als Ansatz dienenden Knochenstück abreißen kann, so kann 
auch bei starker aktiver Beugung durch plötzliche passive Streckung oder 
Ueberstreckung des Fingerendgliedes ein Abriß der Beugesehne erfolgen. In dem 
mitgeteilten Falle entsprach das abgerissene Knochenstückchen genau der An¬ 
heftungsstelle des Flexor digitorum profundus. Die Verletzung ist äußerst 
selten. Fränkel-Berlin. 


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696 


Referate. 


Selb erg, Ueber den Abriß der Streckaponeurose der Finger. Münch, med. 

Wochenschr. 1906, 15. 

Verfasser stellte die in der Literatur veröffentlichten Fälle dieser Ver¬ 
letzung zusammen und reiht diesen sechs weitere Fälle an, die er in der 
Hoffaschen Klinik zu beobachten Gelegenheit hatte. Alle Kranken waren 
mit der Endphalanx heftig auf einen Widerstand gestoßen, während sie die 
Finger kräftig extendiert hielten. Was die Behandlung anlangt, so ist Selb erg 
stets ohne Operation ausgekommen. Ein Schienchen, das in zweckmäßiger 
Weise angebracht wurde, dazu tägliche Massage ließen eine schnelle Wieder¬ 
herstellung der Funktion und Nachlassen der Schmerzen bald erkennen. Die 
Röntgenaufnahmen ließen nur in dem einen Falle eine Abrißfraktur an der 
dorsalen Basis der Endphalanx erkennen, nach Selbergs Ansicht ein Beweis 
dafür, daß diese nur in der Minderheit vorkommt. Blencke-Magdeburg. 


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Autorenverzeichnis. 

Originalarbeiten sind mit * versehen. 


A. 

Aderholdt 694. 

Assinger 160. 

B. 

Bäärnhielm 185. 

Backe 201. 

Balakian 672. 
v. Baracz 686. 

Bardescu 182. 

Barker 685. 

Bauer 157. 

Beintker 673. 

Bettmann 206. 

Bevers 691. 

Bleibtreu 166. 

Blencke 194. 310*. 

Boye (u. Reimers) 163. 
Braatz 158. 

Brandenberg 114*. 

Braun 690. 

Brodnitz 157. 
van der Brugh 177. 
Brüning 202. 
v. Brunn 190. 

Buchwald 668. 

Budzynski 187. 

Bum 171. 

Burn 162. 

C- 

Cassierer (u. Joachims¬ 
thal) 203. 

Catterina 690. 

Chlumsky 294*. 299*. 
Curschmann 153. 

D. 

Daser 167. 

Deschmann 677. 

Dessauer (u. Wiesner) 152. 
Determann 169. 
Deutschländer 195. 


Deycke Pascha 153. 
Drehmann 686. 


E. 

Ebbinghaus 689. 
Ebermayer (u. Gebele) 667. 
Ehrhardt 180. 

Eichmann 164. 

Ewald 276*. 482*. 679. 
681. 684. 


F. 

Facompie 181. 

Fehres 668. 

Feiß 677. 

Fels 198. 

Finck 161. 

Flatau 170. 176. 

Flint 685. 

Francke 288*. 

Frankel 207*. 

Fürst 163. 

6 * 

Garr£ 666. 

Gaugele 200. 302*. 663. 
Gebele 161. 

Gebele (und Ebermayer) 
667. 

Gelinsky 665. 

Gerson 159. 

Ghillini 77*. 

Ghiulamila 152. 

Görl 694. 

Gottschalk 169. 
Grabmeister 165. 
Gräfenberg 692. 

Grißlich 662. 

Groedel 694. 

Grünbaum 659. 

Grunert 154. 
Gundermann 168. 


H. 

Hack 184. 

Hadelich 694. 

Haglund 112*. 

Hahn 176. 675. 
Hakenbruch 155. 

Harting 189. 191. 

Haudek 156.175.175.656. 
Heine 660. 

Helbing 203. 502*. 679. 

683. 687. 

Helferich 193. 

Henderson 158. 

Henrick 670. 

Herhold 688. 

Hermes 179. 

Hesse 191. 680. 682. 
Heusner 661. 

Hirsch 159. 203. 692. 
Hoeftmann 658. 

Hoffa 160. 170. 190. 656. 
680. 685. 

Hoffa u. Rauenbusch 151. 
Hoffmann 690. 

Hofmann 201. 675. 
Hohlfeld 663. 

Horn 668. 

v. Hovorka 40*. 166. 657. 
Hübener 177. 202. 
Hübscher 86*. 

I. J. 

Immelmann 171. 

Jankau 655. 

Joachimsthal 186. 
Joachimsthal u. Cassierer 
203. 

Jottkowitz 665. 

K. 

Kachler 686. 

Kahlert 674. 

Kahn 669. 

Käst 661. 


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098 


Eatzenstein 195. 
Kellermann 670. 
Kenyeres 659. 

Kersten 159. • 

Klapp 178. 186. 

Klar 424*. 

Klengel 205. 

Knapp 675. 

Kohl 662. 

Kölliker 191. 

König 689. 

Kopits 89*. 391*. 

Krause 678. 

Krome 692. 

Krüger 167. 

Kuh 677. 

L« 

van Laak 158. 

Lagiewski 180. 
Lamberger 171. 674. 
Lange 657. 

Laqueur 159. 

Laub 163. 

Lauenstein 689. 
Lilienfeld 688. 

Liniger 206. 

Lissauer 206. 664. 
Leitner 694. 
v. Lesser 199. 205. 
Lewandowski 672. 

Löbus 168. 

Lorenz 160. 179. 

Lorenz u. Reiner 187. 
Loser 165. 

Lübbers 184. 

M. 

Machol 674. 

Magnus 683. 

Mahlcke 660. 

Mainzer 185. 

Mayer 100*. 

Merkel 695. 

Meyerowitz 178. 

Micka 665. 

Micke 176. 

Milatz 417*. 

Millner 664. 
Molina-Castilla 662. 
Moritz 672. 676. 

Moser 153. 

Mosetig-Moorhof 155.196. 
Mouchet 194. 656. 686. 
Mueller 679. 

Müller 660. 

Muskat 204. 680. 


Autorenverzeichnis. 


N. 

Nettei 174. 
Neubert 669. 
Nickol 676. 
Nieny 677. 
Nobe 204. 


O* 

Obladen 686. 
Oehlecker 195. 
Oettinger 664. 
Otto 193. 


P. 

Perrone 353*. 
Pfennigsdorf 666. 
PhilippBon 181. 
Piper 183. 691. 
Pollatschek 192. 
Poulsen 185. 


R. 

Ranzi 160. 

Rauenbusch (u. Hoffa) 151. 
Rebentisch 695. 

Reichard 658. 

Reiche 193. 

Reimers (u. Boye) 163. 
Reiner 188. 

Reiner (u. Lorenz) 187. 
Reiß 162. 

Richter 204. 

Rosenhaupt 177. 
Roskoschny 200. 
Rowlands 691. 
v. Rüdiger-Rydygier 197. 


S. 

Salvendi 157. 

Sauer 692. 

Schanz 468*. 476*. 686. 
Schilling 181. 
Schlesinger 190. 673. 
Schoenborn 167. 

Schulze 186. 687. 
Schümann 688. 

Schuster 184. 
Schwellenbach 183. 
Seeligmüller 169. 
Selberg 696. 

Seilheim 659. 


Silberstein, Adolf 24*. 60*. 
Silberstein, Simon 402*. 
Sonntag 201. 

Spieler 157. 663. 

Spitzy 172. 641*. 
Stegmann 198. 

Stich 202. 

Stieda 154. 

Strauch 663. 

Strohe 691. 

Sudeck 655. 


T. 

Taendler 175. 

Teissier (u. Verhoogenl 
164. 

Testi 693. 

Thomas 104*. 153. 

Tubby 180. 670. 

Tucker 683. 

Turner 195. 


U. 

Unverricht 162. 


Y. 

Veit 168. 

Verhoogen (u. Teissier) 
164. 

zur Verth 161. 161. 186. 
Voigtländer 666. 

Voltz 671. 

Vulpius 677. 


W* 

Walterhöfer 182. 

Watson 695. 

Weber 177. 183. 

Wegner 669. 
Weidenhaupt 177. 

Wette 632*. 

Wiesinger 201. 683. 
Wiesner (u. Dessauer) 152. 
Wilms 182. 

Windscheid 655. 

Wittek 196. 200. 

Wolff 205. 670. 
Wollenberg 118*. 494*. 
674. 675. 


Z. 

Zesas 1*. 36*. 166. 330*. 
667. 689. 


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Sachregister. 

Originalarbeiten sind mit * versehen. 


A. 

Achillessehne, Erkrankung der (Dreh¬ 
mann) 686. 

--(Schanz) 686. 

Achillofcotnie, plastische (Hübscher) 

86 *. 

Akromegalie (Henrich) 670. 

— (Bleibtreu) 166. 

— (Curschmann) 153. 

— (Schönborn) 167. 
Amputationsstümpfe, Bungesche 

(Ranzi) 160. 

Apparat, Gymnastik (Flatau) 170. 
Arthritis gonorrhoica (Hirsch) 159. 
Arthropathie bei Syringomyelie (Buch¬ 
wald) 668. 

— luetische (Zesas) 166. 

Atlas der orthopäd. Chir. in Röntgen- 
bildern (Hoffa u. Rauenbusch) 
151. 

B. 

Beckenstütze (Fink) 161. 

Behandlung, orthopäd. (Immelmann) 

m. 

Blutergelenkerkrankung (B r o d n i t z) 
157. 

Bruchband (Thomas) 104*. 


C. 

Calcaneus- u. Talustuberkulose (Hübe¬ 
ne r) 202. 

— pathologisch veränderter (Lauen¬ 
stein) 689. 

Celluloidapparate (Ghiulamila) 152. 
Chirurgie, mechanische u. operative 
(Thomas) 153. 

Coxa valga (K öl liker) 191. 

Coxa vara (v. Brunn) 190. 

— (Francke) 288*. 

— (Härting) 191. 


Coxa vara (Helbing) 502*. 

— (Hoffa) 190. 

— (Schlesinger) 190. 

— (Wie sing er) 683. 

Coxitis, Nachbehandlung (Schanz) 
468*. 

— Radikaioperation (Mosetig-Moor- 
hof) 196. 

D. 

Daumen, Abduktionskontraktur des 
(Merkel) 695. 

— doppelter (Hadelich) 694. 
Daumenpendel (Taendler) 175. 
Drucklähmung der Unterarmmuskeln 

(zur Verth) 186. 

Dupuytrensche Fingerkontraktur 
(Bäärnhielm) 185. 

-(Mainzer) 185. 

-u. Syringomyelie (Testi) 693. 


E. 

Elephantiasis des Beines (Helferich) 
193. 

Exostosen (Milner) 664. 

— (Oettinger) 664. 
Extensionskopfträger (Hahn) 176. 
Extensionsstuhl (Schanz) 478*. 
Extensionsverbände (Hofmann) 675. 


F. 

F ascienapparat d. Kniegelenks (Katzen¬ 
stein) 195. 

Fersenbein, Absplitterung (Bettraann) 
206. 

Fibuladefekt (Wiesinger) 201. 

— (Mouchet) 686. 

Fibulafraktur (Wittek) 200. 

Finger, Abriß der Streckaponeurose 

der (Selberg) 696. 

— Atrophie der (Watson) 695. 


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700 


Sachregister. 


Finger, überzähliger (Leitner) 694. 
Fingerendglieder, Rißfrakturen der 
(Rebentisch) 695. 

Fingergelenke, Ankylose der (Ader- 
holdt) 694. 

Fractura calcanei (König) 689. 

— humeri, Verletzung des N. radialis 
(Piper) 183. 

Fraktur einzelner Handwurzelknochen 
(Hirsch) 692. 

Frakturenbehandlung (Gebeie) 161. 
Frakturen der Tuberos. metatarsi V 
und des Process. postic. tali (Lilien¬ 
feld) 688. 

— pathologische (Grünert) 154. 
Fußgelenkstuberkulose (Stich) 202. 
Fußleiden, traumatische (Ebbinghaus) 

689. 

Fußresektionen, Resultate (Brüning) 

202 . 

Fußsohlenreflex (Klengel) 205. 
Fußverkrüramungen, Aetiologie 
(Hirsch) 203. 

Fußwurzelkaries, Behandlung (Backe) 

201 . 

G. 

Gehverband bei Frakturen (Wollen¬ 
berg) 674. 

Gelenkerkrankungen, Behandlung durch 
Stauung (Bum) 171. 

— bei Blutern (Zesas) 667. 

— bei Syringomyelie (Fehres) 668. 

— gonorrhoische (Laqueur) 159. 
Gelenkkörper, Entstehung (Braatz) 

158. 

— freie (Wegner) 669. 
Gelenkrheumatismus, chronischer 

(Teissier u. Verhoogen) 164. 
Gelenktuberkulose (M o s e t i g - M o o r- 
hof) 155. 

— Behandlung (Garr£) 666. 

-(Gebele und Ebermayer) 667. 

Genurecurvatum, Behandlg. (Deutsch- 
1 and er) 195. 

-(Mouchet) 194. 

— valgum (Ghillini) 77*. 
Geschwülste der Knochen u. Knorpel 

(Gottschalk) 169. 

Gicht u. Rheumatismus, Behandlung 
(Moser) 153. 

Gipsbett, Technik (Haudek) 175. 
Gipshanfschiene (Nettei) 174. 
Gipskorsett, abnehmbares (Gerson) 

159. 

Gonitis luetica (Fels) 198. 
Gymnastikapparat (Flatau) 176. 


H. 

Halbseitenlähmung, spastische (zur 
Verth) 161. 

Hallux valgus, angeborener (Zesas) 
36*. 

Halsmuskelkrämpfe, Pathogenese 
(Seeligmüller) 169. 

Halsrippen (Nickol) 676. 

— doppelseitige (Hübener) 177. 

— einseitige, mit Plexuslähmung 
(Weber) 177. 

— und Skoliose (Meyerowitz) 178. 

— zur Klinik der (Rosenhaupt) 
177. 

Hand mit drei Fingern (Görl) 694. 

Handwurzelfraktur (Wolff) 205. 

Hemiplegie, cerebrale (Frankel) 207*. 

— intra partum (Löbus) 168. 

Heißluftapparate, elektrische (Lam- 

berger) 674. 

Heißluftbehandlung (L amberge r) 
171. 

Hinken, intermittierendes (D e t e r- 
mann) 169. 

-(Kahn) 669. 

Hüftgelenkserkrankungen, puerperale 
(Silberstein) 60*. 

Hüftgelenkskontrakturen, Behandlung 
(Silberstein) 402*. 

Hüftgelenksresektion (Lorenz und 
Reiner) 187. 

Hüftkrücke, federnde (Schanz) 476*. 

Hüftverrenkung, angeborene (Harting) 
189. 

-(Muskat) 680. 

— — (Blencke) 310*. 

-Aetiologie (Ewald) 679. 

— — Behandlung (Budzynski) 187. 

-(Müller) 679. 

— — Kombination mit anderen De¬ 
formitäten (Wollenberg) 118*. 

— — Dauerresultate d. unblut. Repo¬ 
sition (Joachimsthal) 186. 

— — Kontrolle der Reposition (Klapp) 
186. 

— nach Coxitis (Wette) 632*. 


I. 

Iliosakralgelenk, Tuberkulose (Zesas) 
330*. 

Infraktion, besondere Form der (Kohl) 
662. 

Ischias, Behandlung (Kellermann) 
670. 

-(Wolff) 670. 


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Sachregister. 


701 


E. 

Keimfehler od. Druckwirkung? (Ewald) 
482*. 

— -(Wollenberg) 494*. 

Kellgreensche Behandlungsmethode 

(Haglund) 112*. 

Kinderlähmung, spinale, Behandlung 
mit Nervenpfropfung (Hacken¬ 
bruch) 155. 

Klumpfuß, amniogene Entstehung 
(K wald) 270*. 

— Behandlung (Nobe) 204. 

— — (Schulze) 687. 

— hysterischer (Liniger) 200. 

— u. amniot. Furchen (Joachimsthal 
und Cassierer) 203. 

Kniegelenksarthrodese, Technik (Tur¬ 
ner) 195. 

Kniegelenksentzündung, traumatische 
(Hoffa) 685. 

Kniegelenk, internal derangement(Bar¬ 
ke r) 685. 

Kniegelenkskontrakturen, angeborene 
(Helbing) 683. 

Kniegelenkskontusion (Flint) 685. 

Kniegelenksluxation, angeborene (Mag¬ 
nus) 683. 

Kniegelenkstuberkulose, Behandlung 
(Steg mann) 198. 

— Stauung bei (Obladen) 686. 

Kniegelenksverkrümmungen, Behand¬ 
lung (Wittek) 196. 

Knie- und Ellbogengelenk, Deformität 
des (Ro8koschny) 200. 

— — Fußgelenk, Fettgeschwulst (Gau¬ 
gele) 200. 

Knochenbrüche, Behandlg. der (Heus- 
ner) 661. 

Knochen, Muskeln, Nerven der Hand 
(Grafenberg) 692. 

Kompressionsmyelitis (Fürst) 163. 

Kontraktur der Halsmuskeln (Knapp) 
675. 

— des Kniegelenks (Blencke) 194. 

— der Nackenmuskeln (Moritz) 676. 

— des Beines, paralytische (Reiche) 
193. 

— hemiplegische (Lewandowsky) 
672. 

— Volkmannsche (Rowlands) 691. 

Krüppelbehandlung, operative (Rei- 

chard) 658. 

L. 

Lähmung, Duchenne-Erbsche (Moritz) 
672. 

Lähmungen, Behandlung (T u b by) 670. 


Lähmungen, Behandlung (V o 11 z) 671. 
-(Hoffa) 160. 

— transitorische postepileptische 
(Eiehmann) 164. 

Lepra nervorum, Knochenveränderun¬ 
gen (Deyke Pascha) 153. 
Littlesche Krankheit (Salvendi) 157. 
Luxatio atlanto-occipitalis (Weiden¬ 
haupt) 177. 

Luxation des Ellbogengelenks (Hack) 

184. 

-(Schuster) 184. 

— der Schulter (Weber) 183. 

— des Kniegelenks (Otto) 193. 
Luxatio scapulohumeralis (Bardescu) 

182. 

M. 

Madelungsche Deformität (PouIsen) 

185. 

-(Sauer) 692. 

Malum coxae senile (Hoffa) 680. 
Mechanische Orthopädie und orthopäd. 

Chirurgie (v. Hovorka) 657. 
Messung mittels Photographie (Milatz) 
417*. 

Metatarsus varus (Helbing) 203. 
Mißbildungen, angeborene und erwor¬ 
bene (Kenyeres) 659. 

— der Beine (Tucker) 683. 
Mittelfußknochen, Frakturen der (Her- 

hold) 688. 

Modellierstuhl (Schanz) 479*. 
Muskelatrophie nach Gelenksverletzun¬ 
gen und -Erkrankungen (Bum) 162. 

— progressive (Kahlert) 674. 

-(Bauer) 157. 

— — (zur Verth) 161. 
Muskelinsertionen an der Handwurzel 

(Krome) 692. 

Muskelzerreißung des M. adductor long. 

(Pollatscheck) 192. 

Myositis ossificans traumatica (Grün¬ 
baum) 659. 

— -(Heine) 660. 

-(Müller) 660. 


X. 

Nabelbruchband (Chlumsky) 299*. 
Narkosenlähmungen (Balakian) 672. 
Naviculare, Luxation (Gäugele) 302*. 
Nervenplastik. allgemeine Technik 
(Spitzy) 172. 

Nervensystemerkrankungen, orthopäd. 
Behandlung (Haudek) 175. 


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702 


Sachregister. 


Nervae medianus, Kompression des 
(Beyers) 691. 

— radialis, Naht des (Strohe) 691. 
Neurologie u. Chirurgie, Grenzgebiete 

(Spitzy) 641*. 

0 . 

Orthopädische Behandlung, Einfluß des 
Alters auf die (Hoffa) 656. 

— Chirurgie, Leitfad en (M o u c h e t) 656. 
Osteitis deformans (Daser) 167. 
Osteoarthritis deformans coxae (Hesse) 

680. 

Osteodysplasie, kongenitale (Klar) 
424*. 

Osteogenesis imperfecta (H o h 1 f e 1 d) 
663. 

-(L 0 08 er) 165. 

Osteomalacie (Grißlich) 662. 

— (Strauch) 663. 

— (Grabmeister) 165. 

— (v. Laak) 158. 

Osteom der Wirbelsäule (Hermes) 

179. 

Osteomyelitis d. Wirbelsäule (Tubby) 

180. 

— und Trauma (Pfennigsdorp 666. 
Osteopathie, im Kindesalter (Spieler) 

157. 

Osteoperiostitis luetica (Spieler) 663. 
Ostitis fibrosa (Gaugele) 663. 

-(Lissauer) 664. 

P. 

Patellarfrakturen, Behandlung (Oehl- 
ecker) 195. 

Patellarluxation, angeborene (Ewald) 
684. 

— Behandlg. (v. Rüdiger-Rydigier) 
19 7. 

Paraplegie, spondylitische, Heilung 
(Schilling) 181. 

Plattfuß (Muskat) 204, 

— Diagnose (Schümann) 688. 

— Wesen und Behandlung (Helbing) 
687. 

Poliomyelitis anter. (Beintker) 673. 
Polydaktylie und Gehirnmißbildungen 
(V eit) 168. 

Pseudarthrosen (Voigtländer) 666, 

— Behandlung (Gelinsky) 665. 

-(Jottkowitz) 665. 

-(Micka) 665. 

Pseudohypertrophia musc. u. Myxödem 

(Schlesinger) 673. 


q. 

Querschnittsläsionen d. Rückenmarkes 
(Gundermann) 168. 


Et. 

Rhachiti8 (Reimers u. Boye) 163. 

— Knochenveränderungen bei (Mo 
lina-Caatilla) 662. 

— Stellungs- u. Haltungsanomalie bei 
(Brandenburg) 114*. 

Rheumatismus, akuter tuberkulöser 
(Laub) 163. 

— nodosus (Horn) 668. 

Röntgenographie, Kompendium (Des¬ 
sauer u. Wiesner) 152. 


S. 

Sauerstoffeinblasung, Apparat zur 
(Wollenberg) 675. 
Schenkelhalsbruch, Behandlg. (Ewald) 
681. 

— im jugendl. Alter (Hesse) 191. 
Schiebeapparat, orthopäd. (M a y e r) 

100 *. 

Schuhwerk (v. Lesser) 205. 

Schule und Korsett (Lange) 657. 
Schulterblatt, angeborener Hochstand 
(Zesas) 1*. 

Schultergelenk, Resektion (Catterina) 
690. 

Schultergelenksentzündung, tuberku¬ 
löse (Braun) 690. 

Schultergelenks Verrenkung (W i 1 ms) 

182. 

— syringomyelitische (Zesas) 689. 
Sehnenplastik (Micke) 176. 

Sehnen transplantationen (Mahlke) 660. 

— Indikation (Lorenz) 160. 
Simulation bei Chirurg. Erkrankungen 

(Haudek) 656. 

Sklerodermie, diffuse (Neubert) 669. 
Skoliose, Behandlung (Kuh) 677. 
-(Vulpius) 677. 

— ischiadische (Lorenz) 179. 

— kongenitale (Perrone) 353*. 

— Mobilisierung (Klapp) 178. 

-(Nieny) 677. 

— Messung (Kopits) 89*. 

— Ursache (Feiß) 677. 

— traumatische, nach Blitzschlag 
(Chlumsky) 294*. 

— Stützkorsett zur Maskierung bei 
(Kopits) 390*. 


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Sachregister. 


703 


Spina bifida (Walterhöfer) 182. 

-occulta (Philippson) 181. 

Spondylitis, Behandlung (Helbing) 
679. 

Spontanamputationen (v. Hovorka) 
40*. 

Spontanfraktur d. Oberschenkels (Käst) 
061. 

Sprunggelenkstuberkulose (H o fm a n n) 

201 . 

Stangenlager (Hahn) 675. 

Subluxation der Hand (Schulze) 186. 

Syringomyelie nach Trauma (Kersten) 
159. 

— (Un verricht) 162. 

T. 

Tabes dorsalis, Gelenkaffektionen (Hen- 
derson) 158. 

Talocruralgelenk, Luxation (Richter) 
204. 

Taschenbuch f. Chirurgen u. Ortho¬ 
päden (Jankau) 655. 

Thoraxdefekte, angeborene (Silber¬ 
stein) 24*. 

Tibiadefekt, angeborener (K ac h 1 e r) 

686 . 

Torticollis ocularis (van d. Brugh) 177. 

Trommelschlegelfinger (Groedel) 694. 

Tuberculum majus humeri, Frakturen 
des (Hoffmann) 690. 

Tuberkulose d. Ellbogengelenks (Lüb- 
ber9) 184. 

— Einfluß d. Seeklimas auf Aushei¬ 
lung (Haudek) 156. 

Tuberositas tibiae, Abknickung (v. Les¬ 
se r) 199. 


ü. 

Unterschenkelbröche (Sonntag) 201. 
Unterschenkelverbiegung nach Fraktur 
(Lissauer) 206. 

Unfall- u. Invalidenversicherungskunde 
(Sudeck) 655. 

—-(W i n d 8 c h e i d) 655. 


T. 

Verdichtungen d. Substantia spongiosa 
(Stieda) 154. 

Vibrationsmassage, Apparat (A s s i n- 
ger) 160. 

Vorfall der Baucheingeweide (Hoeft¬ 
mann) 658. 


W. 

Wasserkraft, Anwendung der strömen¬ 
den (Machol) 674. 
Wirbelentzündung, ankylosierende 
(Krau8e) 678. 

-(Deschmann) 677. 

-(Ehrhardt) 180. 

-(Lagiewski) 180. 

Wirbelerkrankung, tuberkulöse (Fa- 
compre) 181. 

Wirbelsarkom, primäres (Reiß) 162. 


Z. 

Zerrungsschmerz am Epicondyl. ext. 
humeri (Schwellenbach) 183. 


Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. XV. Bd. 


45 


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