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Full text of "Zeitschrift Für Orthopädische Chirurgie Einschließlich Der Heilgymnastik Und Massage 2.1893 UC"

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ÜNIVERSITY OF CALIFORNIA 

SAN FR.\NCISCO MEDICAL CENTER 

LIBRARY 





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^ZEITSCHRIFT 

FÜR 

ORTHOPÄDISCHE CHIRURGIE 


EINSCHLIESSLICH DER 

HEILGYMNASTIK UND MASSAGE.^ 


UNTER MITWIRKUNG 

r 

VON 

Prof. J. WOLFP in Berlin, Dr. BEELY in Berlin, Prof. Dr. LORENZ in Wien, 
Privatdocent Dr. W. SCHXJLTHESS in Zürich und Dr. NEBEL in Frankfurt a.M. 

HERAUSGEGEBEN 

VON 

DR. ALBERT HOFFA, 

PRIVATDOCENTEN DER CHIRURGIE AN DER UNIVERSITÄT WÜRZBURG. 


11. BAND. 


MIT 120 IM DEN TEXT GEDRUCKTEN ABBILDUNGEN. 




STUTTGART. ■ ■ '• .'' , . . . 

VERLAG VON FERDINAND ENKE. 
1893. 





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Dnick der Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart. 


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Inhalt 


Seite 


1. Mittheilung aus der chirurgisch-orthopädischen Privatklinik des Privat- 
docenten Dr. Hoffa zu Würzburg. Zur Frage der Schräg- oder 

Steilschrift. Von Georg Burckhard. 1 

II. Ueber einen Fall von ^willkürlicher'* angeborener präfemoraler Knie¬ 
gelenksluxation nebst anderweitigen angeborenen Anomalieen fast 
sämmtlicher Gelenke des Körpers. Von Prof. Dr. Julius Wolff in 
Berlin. Mit 3 in den Text gedruckten Abbildungen.23 

III. Skoliosis capitis — Caput obliquum. Von F. Beely-Berlin. Mit 

einer in den Text gedruckten Abbildung.39 

IV. Mittheilungen aus dein orthopädischen Institute von Dr. A. Lüning 
und Dr. W. Schulthess, Privatdocenten in Zürich. 

V. Ueber eine bisher nicht beobachtete Form von partiellem Radius- 
defect. Von Oskar Schmid, prakt. Arzt. Mit 9 in den Text 

gedruckten Abbildungen.59 

V. Eine einfache Methode, die laterale Deviation und die anteroposteriore 
Krümmung der Dornfortsatzlinie zu messen. Aus der Anstalt für 
mechanische Chirurgie von Dr. F. Beely in Berlin. Von Dr. E. Kirch¬ 
hof f. Mit 8 in den Text gedruckten Abbildungen.95 

VI. Ueber Entstehung und Behandlung der seitlichen Rückgratsverkrüm¬ 
mung. Von Dr. Hermann Wolfermann, Strassburg i. E. Mit 

13 in den Text gedruckten Abbildungen.103 

VII. Mittheilungen aus dem orthopädischen Institute von Dr. A. Lüning 
und Dr. W. Schulthess, Privatdocenten in Zürich. 

IV. Aerztlicher Bericht über den Zeitraum von der Gründung des 


Instituts im September 1883 bis Ende des Jahres 1890. Er¬ 
stattet von den Anstaltsärzten. Mit 4 in den Text gedruckten 


Abbildungen.120 

VIII. Photographische Messung der Skoliose. Kurze Mittheilung von 

Dr. Rud. Oehler, Frankfurt a. M. Mit 3 Abbildungen im Text 1()9 

IX. Die Ursachen der orthopädischen Knochenmissbildung. Von Prof. 

Dr. J. A. Korteweg-Amsterdam.174 

X. Bemerkungen zu der vorstehenden Korteweg'schen Arbeit über „Die 

Ui-sachen der orthopädi.schen Knochenmissbildung“. Von Prof. Dr. 
Julius Wolff in Berlin. 180 

Referate. Mit einer in den Text gedruckten Abbildung.183 

Hermann v. Meyer f. Von Egbert Braatz.203 

XI. Ueber die Behandlung von Contracturen des Ellenbogengelenks mit 
dem „Pendelapparate“. Von Dr. med. August Westhoff, Special¬ 
arzt für Chirurgie in Münster i. Westf., ehemaliger erster Assistenz¬ 
arzt der chirurgischen Universitätsklinik in Greifswald. Mit 3 in 

den Text gedruckten Abbildungen.206 

XII. Das Gewicht des Körpers in seiner Beziehung zur Pathologie und 
Therapie des Klumpfusses. Von A. B. Judson, M. D., Orthopaedic 
Surgeon to the Out-Pationt Department of the New York Hospital. 

Mit 20 in den Text gedruckten Abbildungen.219 


Digitiz'*.i,b^ ’.O'iJgle 















IV 


Inhalt. 


Seite 


XIII. Mittheilungen aus dem orthopädischen Institute von Dr. A. Lüning 


und Dr. W. Schulthess, Privatdocenten in Zürich. 

VI. Einige Bemerkungen über Messungs verfahren und Messapparate 

für Skoliose. Von Dr. Wilh. Schulthess.229 

XIV. lieber eine Modification in der Anwendung der BarweH’schen 
Schlinge. Von Dr. F. Jessen in Hamburg. Mit 2 in den Text 
gedruckten Abbildungen.235 

XV. Ein Fall von mangelhafter Entwickelung des grossen Brustmuskels 
bei einem 11jährigen Knaben. Von Dr. N. Haymann, Privat- 
docent, Director der orthopädischen und heilgymnastischen Anstalt 

zu Moskau. Mit einer in den Text gedruckten Abbildung . . . 238 

XVI. Die Zander’sche Behandlung der Skoliosen. Von Dr. F. Bähr, 

Karlsruhe.246 

XVII. Erwiderung der WolfiTschen Bemerkungen zu meiner Arbeit über ^ 

,die Ursachen der orthopädischen !^ochenmissbildung“. Von 
Prof. Dr. J. A. Körte weg in Amsterdam. Mit 4 in den Text 

gedruckten Abbildungen.251 

XVIII. Entgegnung. Von J. Wolff.260 

XIX. Aus der Königl. Universitätspoliklinik für orthopädische Chirurgie 
zu Berlin. 

Ueber angeborene seitliche Deviationen der Fingerphalangen. 

Von Dr. G. Joachirasthal, Assistenzarzt der Poliklinik. Mit 

2 in den Text gedruckten Abbildungen.265 

Referate. Mit 4 in den Text gedruckten Abbildungen.272 

XX. Mittheilungen über die Zander sehe Mechanotherapie. Eingeleitet 

von Dr. HermannNebel .335 

Ueber die Behandlung der habituellen Skoliose mittelst mecha¬ 
nischer Gymnastik. Von Dr. Gustav Zander-Stockholm. Mit 

20 in den Text gedruckten Abbildungen.338 

XXI. Zur Klumpfussbehandlung. (Vorgetragen auf der VI. Jahresver¬ 
sammlung der amerikanisch-orthopädischen Association New York. 
September 1892.) Von Sigfred Levy-Kopenhagen. Mit 2 in 
den Text gedruckten Abbildungen.370 


XXII. Mittheilungen aus der chirurgisch-orthopädischen Privatklinik des 
Privatdocenten Dr. H o f f a zu Würzburg. 

I. Die Lnxatio caj)ituli radii congenita (angeborene Verrenkung 
des Radiusköpfchens). Von Dr. Theod. Bonnenberg, 
Volontär assi.^tent der Klinik. Mit 2 in den Text gedruckten 


Abbildungen.376 

II. Ein einfacher Apparat zur Mobilisirung des Schultergelenkes. 

Von Dr. Albert Hoffa, Privatdocent für Chirurgie. Mit 

2 in den Text gedruckten Abbildungen.410 

III. Zur orthopädischen Behandlung des Pes calcaneus paralyticus. 

Von Dr. Albert Hoffa, Privatdocent der Chirurgie. Mit 

4 in den Text gedruckten Abbildungen.415 

XXIII. Hes.sing’s Hülsen-Schienenverband. Von Dr. W. Kuby, Medicinal- 

rath und Generalarzt.419 

XXIV. Ein Ruderapparat für Skoliotische. Von F. Beely, Berlin. Mit 

6 in den Text gedruckten Abbildungen.428 


XXV. Aus der Königl. Universitätspoliklinik für oidhopädische Chirurgie 
zu Berlin. 

Ueber congenitale Fingeranomalien. Von Dr. G. Joachims¬ 
thal, Assistenzarzt der Poliklinik. Mit 4 in den Text gedruckten 


Abbildungen.441 

Referate. Mit 2 in den Text gedruckten Abbildungen.448 


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1 . 


Mittheilimg ans der cMmrgiscli-ortliopädisclien 
Privatklinik des Privatdocenten Dr. Hoffa zn 

Wnrzbnrg. 


Zur Frage der Schräg- oder Steilschrift. 

Von 

Georg Burckhard. 

In der letzten Zeit ist die Frage, ob Schrägschrift oder Steil- 
schrift für die Entwickelung resp. Haltung der Schulkinder günstiger 
sei, vom ophthalmologischen wie auch vom orthopädischen Standpunkt 
aus Gegenstand zahlreicher Abhandlungen gewesen. 

Alle einschlägigen Fragen können nur durch Messungen 
entschieden werden, die an d en Kin dern mittelst absolut 
zuverlässiger Apparate angestellt werden. 

Solcher Apparate besitzen wir zur Zeit nicht viele. Dr. Schuit¬ 
hess in Zürich vermag den Anforderungen mit seinem Skoliographen 
zu entsprechen, auch Dr. Schubert in Nürnberg scheint eine zu¬ 
verlässige Methode gefunden zu haben. 

Den besten und relativ einfachsten Apparat zur Messung der 
Schreibhaltung an Schulkindern hat Dr. Schenk in Bern angegeben. 
Er beschreibt ihn in seiner Schrift: „Zur Aetiologie der Skoliose“ 
(Berlin, Heinecke, 1885) folgendermassen: 

„Ein Untersuchungstisch, der in allen Dimensionen verstellbar 
ist, wird in die nämlichen Grössenverhältnisse gebracht, wie die 
Schulbank, an der der betreffende Schüler zu sitzen pflegt, dann 
wird der Oberkörper des Schülers entkleidet und die überall leicht 

Zeitschrift für orthopiidiscbe Chirurgie. II. Band. J 


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2 


Georg Burckhard. 


fühlbaren Endpunkte von Kopf-, Schulter- und Beckenlinie (siehe 
später, S. 3) durch kleine, über entsprechende Fixationsbänder ver¬ 
schiebbare Ringe bezeichnet. So vorbereitet setzt er sich an den 
Untersuchungstisch zum Schreiben. 

„Das Schreibheft hat als Unterlage einen grossen Bogen Papier, 
der vorn um die Tischkante herumgefalzt noch ca. 30 cm weit 
zwischen Tischplatte und ein darunter liegendes Klappstück ge¬ 
schoben wird. 

„Auf diese Unterlage legt der Schüler sein Papier, wie er es 
gewohnt ist, und schreibt eine Zeile von Anfang bis zu Ende, dann 
bleibt er ruhig in der eingenommenen Haltung. Jetzt wird ein Zirkel^ 
der so construirt ist, dass er, ob geöfihet oder geschlossen, immer 
die gleiche Länge von 50 cm beibehält, mit seinen vorn an beiden 
Schenkeln angebrachten Schnäbeln in die Kopfringe eingehängt, dann 
hinten am Stiel gehoben und nun ein Stativ so untergeschoben und 
der daran befindliche Schieber mit Transporteur so eingestellt, dass 
das hintere Ende des Zirkelstieles gerade in die beiden Hohlrinnen 
des Schiebers zu liegen kommt. 

„Auf diese Weise wird ein Rechteck gebildet, dessen Länge 
gleich ist der Länge des Zirkels, also 50 cm, und dessen Höhe an 
der Scala des Stativs abgelesen werden kann. Dabei zeigt ein am 
Ende des Zirkelstieles quer angebrachter Zeiger am Transporteur 
den Winkel, den die Kopflinie mit der Schreibfläche bildet. Will 
man nun die Horizontalprojection der Kopflinie auf die Unterlage 
zeichnen, so braucht man nur den Zirkel wegzunehmen, das Stativ, 
dessen ganze Höhe gleich ist der Zirkellänge, herunterzuklappen; so 
hat man, indem man einem angebrachten Querlineal nachzeichnet, 
den gewünschten Grundriss, dessen Mitte durch den Nullpunkt des 
Querlineals markirt ist, zu Papier gebracht. 

„In genau gleicher Weise wird auch Schulter und Beckenlinie 
auf die Unterlage projicirt; die Beckenlinie nur mit dem Unter¬ 
schied, dass dabei das Stativ hinter dem Körper aufgestellt wird. 

„So lang der Schüler am Untersuchungstisch sitzt, kann natür¬ 
lich das Stativ nicht heruntergelegt werden; es wird deshalb jeweilen 
nur dessen Standort auf der Unterlage markirt und die Horizontal¬ 
projection durch Umklappen des Stativs erst dann gezeichnet, wenn 
der Schüler den Tisch verlassen hat. 

„Da die Projection der Beckenlinie immer und die der Schulter¬ 
linie öfters hinter die Tischkante fällt, so muss zur Verlängerung 


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Zur Frage der Schräg- oder Steilschrift. 


3 


der Zeichnungsfläche nach dieser Richtung hin das erwähnte Klapp¬ 
stück aufgeschlagen und das dazwischen geschobene Stück der Unter¬ 
lage herrorgezogen und darauf gelegt werden.*^ 

Mittelst dieses Apparates kann man also bei den schreibenden 
Kindern folgende drei Linien genau feststellen: 

1. die Kopflinie, d. h. die Verbindungslinie beider Augen, 

2. die Schulterlinie, d. h. die Verbindungslinie der Acromial- 
enden der Claviculae, 

3. die Beckenlinie, d. h. die Verbindungslinie beider Spinae 
anteriores superiores ossis ilii. 

Diese drei Linien werden am Anfang und am Ende der Zeile 
aufgezeichnet. Aus einer solchen Zeichnung kann man, wie Schenk 
angibt, ersehen: 

1. ob das Kind parallel zur Tischkante sitzt oder nicht, 

2. ob es den Oberkörper gegenüber dem Becken nach links 
oder rechts verschiebt oder dreht, 

3. ob es den Kopf gegenüber dem Becken verschiebt oder 
dreht, 

4. die Grösse des Winkels zwischen rechtem, schreibendem 
Vorderarm und Beckenlinie, 

5. Drehung und Verschiebung des Schreibheftes gegenüber der 
Beckenlinie, und endlich 

6. den Winkel zwischen den Grundstrichen der Schrift und der 
Schriftzeile. 

Mit diesem Apparat hat Schenk neuerdings wieder Messungen 
an 156 Schulkindern gemacht und die dabei erhaltenen Resultate in 
der „Festschrift zu Ehren des Professor Kocher in Bern“ (Wies¬ 
baden, Bergmann, 1891) publicirt. 

Herr Dr. Hoffa hat mich veranlasst, zum Zweck der Con- 
trolle der Schenk’schen Untersuchungen die entsprechenden Mes¬ 
sungen an Würzburger Schulkindern vorzunehmen und mir zu 
diesem Behuf den Schenk’schen Apparat gütigst zur Verfügung 
gestellt. 

Unter seiner Assistenz habe ich mit zuvorkommend ertheilter 
Erlaubniss des Stadtmagistrats und der betreftenden Schulvorstände 
in fünf Schulen Messungen an Kindern im Alter von 12—14 Jahren 
vorgenoramen: 185 von diesen schrieben Schrägschrift, 60 Steil- 


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4 


Georg Burckhard. 


Schrift (letztere in einer der Würzburger Volksschulen von Herrn 
Lehrer Ruck er t eingeführt). 

Die von den betreffenden Kindern benutzten Schulbänke waren 
älteren Systems, grösstentheils noch mit Plusdistanz und Kreuz¬ 
lendenlehne. 

Die bei meiner Untersuchung gewonnenen Resultate sind 
folgende: 


L Schrägschrift 

Die nachstehende Tabelle enthält zunächst die Zahlen, die sich 
direct bei der Messung ergaben, sodann die, welche ich bei der 
späteren Berechnung erhielt; dabei bedeutet das Zeichen Minus 
eine Drehung oder Verschiebung rechts, das Zeichen Plus eine Dre¬ 
hung oder Verschiebung nach links. 

Die einzelnen Rubriken dieser Tabelle enthalten Folgendes: 

Erste Rubrik: Augenlinie, und zwar in der ersten Spalte 
die Höhe der Augenlinie über der Schreibfläche in Centimetern aus¬ 
gedrückt (H), in der zweiten Spalte den Winkel zwischen Augen¬ 
linie und Schreibfläche (cj) und in der dritten den Winkel zwischen 
der Augenlinie und der Horizontalen, also die Neigung des Kopfes (N); 
die drei ersten Spalten beziehen sich auf den Anfang, die dann fol¬ 
genden drei auf das Ende der Zeile. 

Zweite Rubrik: Schulterlinie. Die sechs Spalten dieser Rubrik 
geben das gleiche für die Schulter an, was oben in der Rubrik 
Augenlinie für die Augen angegeben wurde, ebenso wie die 

Dritte Rubrik: Beckenlinie, für das Becken am Ende der Zeile. 

Vierte Rubrik: Verschiebung des Schreibheftes, ausgedrückt 
in der Grösse des Winkels, den eine Verbindungslinie zwischen Mitte 
der Beckenlinie und Mitte der Schriftzeile mit der auf die Becken¬ 
linie gezogenen Senkrechten bildet. 

Fünfte Rubrik: Drehung des Heftes, d. h. die Grösse des 
Winkels zwischen Schriftzeile und Beckenlinie. 

Sechste Rubrik: Verschiebung des Oberkörpers, d. h. die 
Grösse des Winkels, den die Verbindungslinie zwischen den Mittel¬ 
punkten von Schulter- und Beckenlinie mit der auf letztere ge¬ 
zogenen Senkrechten bildet. 

Siebente Rubrik: Drehung des Oberkörpers, d. h. die Grösse 
des Winkels zwischen Schulter- und Beckenlinie. 


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Zur Frage der Schräg- oder Steilschrift. 


5 


Achte Rubrik: Beckendrehung; d. h. Winkel zwischen Becken¬ 
linie und Tischkante. 

Neunte Rubrik: Winkel zwischen dem rechten Vorderarm und 
der Beckenlinie. 

Zehnte Rubrik: Winkel zwischen den Grundstrichen der Buch¬ 
staben und der Zeile. 

Die Zahlen, die in Rubrik 4—10 stehen, beziehen sich alle auf 
die Verhältnisse am Ende der Zeile. 

Bemerkt muss werden, dass bei Nr. 1—54 der Winkel zwischen 
Augen- resp. Schulter- und Beckenlinie und der Horizontalen (N) 
nicht gemessen wurde, weshalb die betreflFenden Spalten frei blieben. 

Die einzelnen Messungen sind nach der Verschiebung des Schreib¬ 
heftes (Rubrik 4) angeordnet und zwar so, dass die stärkste Rechts¬ 
verschiebung (— 33 den Anfang macht, während die Tabelle mit 
der grössten Linksverschiebung (-f- 12 endet. 


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6 


Georg Burckhard. 


Tabelle 1. 




Augenlinie 

Schulterlinie 


Nr. 

Anfang 

Ende 

Anfang 

j Ende 



H 

< 

N 

H 

< 

N 

H 

< 

N 



m 

I 

46 

27 

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27,5 

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— 

34,5 

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— 

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29® 

_ 

27 

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_ 


43 

34 

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— 

33 

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_ 


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67 

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41 

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31® 

— 1 ® 

33 

31* 

+ 2 " 


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14® 

+ 12 " 

27.5 

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27® 

4-7® 

28 

27® 

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31 

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— 

29 

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26 

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31 

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— 

29 

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40 

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— 

32 

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45 

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13® 

— 

33.5 

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— 

29,5 

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— 

28 

30® 

_ 


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33 

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— 

31 

18® 

— 

26,5 

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— 

25 

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_ 


69 

30 

14® 

+ 9® 

30.5 

14® 

-• 12 ® 

29 

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4- 6 ® 

32 

32® 

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76 

19,5 

14® 

4- 7® 

20,0 

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29® 

4- 6 ® 

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37,5 

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28 

30® 

4- 5® 

28 

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40,5 

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30 

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24 

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36 

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+ 3® 

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141 

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+ 6 ® 

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30® 

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28 

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— 1 ® 


162 

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14® 

-f 11 ® 

39 

14® 

4- 9® 

29.5 

29® 

— 5® 

28,5 

29® 

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34 

32.5 

14® 

— 

30,5 

14® 

— 

26 

28® 

— 

23 

28® 



42 

38 

12 ® 

— 

37 

12 ® 

— 

31 

29® 

_ 

31,5 

29® 

_ 


48 

40 

12 ® 

— 

39 

12 ® 

— 

30 

30® 

— 

28 

30® 

_ 


86 

35.5 

14® 

4 - 12 ® 

34.5 

14® 

-4 11 ® 

30 

30® 

4-8® 

30 

30® 

+ 7" 


93 

38.5 

12 ® 

-4 7® 

1 

12 ® 

— 4® 

32,5 

29® 

4 - 2 ® 

31 

29® 

+ 5* 


160 

35 

14® 

4- 2® 

35,5 

14® 

4- 7® 

29 

31® 

4- 2® 

28.5 

31® 

+ 4* 


163 

29 

13® 

4- 8 ® 

26.5 

14® 

4- 5® 

25 

05 0 

4- 2® 

25 

25® 

-0* 


33 

26 

14® 

— 

25 

14® 

— 

25 

30® 


25.5 

30® 

_ 


40 

39 

14® 

— 

37,5 

14® 

— 

30 

31® 

_ 

30,5 

31® 

_ 


44 

40,5 

14® 

— 

40 

14® 

— 

29 

29® 

_ 

32.5 

29® 

_ 


53 

35 

12 ® 

— 

30 

12 ® 

— 

29 

26® 

— 

27 

26® 

_ 


58 

39 

14® 

4- 2® 

38 

14® 

4- 7® 

35 

31® 

4-2® 

35,5 

31® 

4- 1® 


3 

37 

15® 

— 

37.5 

15® 

— 

26 

27® 


24 

27® 



13 

34,5 

14® 

— 

33 

14® 

— 

26 

26® 

— 

26 

26® 

_ 


30 

33 

13® 

— 

32.5 

13® 

— 

25.5 

30® 

— 

24,5 

30® 

_ 


56 

32,5 

14® 

4 - 12 ® 

31 

14® 

4- 15® 

30.5 

30® 

4- 7® 

30,5 

30® 

+ 7 * 


90 

25.5 

13® 

— 8 ® 

2 <) 

13® 

• 15® 

28 

28® ' 

4- 7® 

26 

28® 

-r 7" 


91 

31.5 

13® 

4- 2® 

31 

13® 

4- IgO 

2<>,5 

29® 1 

-r 2 ® 

25 

29® 

+ 6* 


Digitized by <^ooQle 










Zur Frage der Schräg- oder Steilschrift. 


7 


Tabelle 1. 


Beckenlinie 

Verschiebung 
des Schreib¬ 
heftes 

Sj 

o 

2 *a> 

M u 

M u 
ÖCÖ 

Verschiebung 

des Ober¬ 

körpers 

Drehung des 

Oberkörpers 

Beckendrebung 

Vorderarm- 

Beckenlinie¬ 

winkel 

Gnindstrich- 

Zeilenwinkel 1 

Ende 

H 

< 

N 

— 3,5 

23® 


— 33® 

— 12® 

— 25® 

— 24® 

+ 12® 

85® 

57® 

— 8,5 

23® 

— 

— 29® 

+ 6® 

+ 23® 

- 15® 

+ 8® 

83® 

67® 

— 2,5 

20® 

— 

— 28® 

+ 22® 

— 38® 

- 18® 

+ 9® 

76® 

57® 

— 8 

22® 

— 6® 

- 27® 

0® 

— 25® 

— 33® 

+ 13® 

85® 

57® 

— 8 

20® 

+ 4» 

— 26« 

+ 1® 

— 6® 

- 12® 

+ 4® 

94® 

60® 

- *^5 

25® 

— 3® 

— 26® 

+ 15® 

— 17® 

- 16® 

+ 15® 

70® 

52® 

— 4 

20® 

- 4® 

— 26® 

— 3® 

— 26® 

— 18® 

+ 10» 

81® 

60® 

— 2 

25® 

— 7® 

— 2.5® 

+ 6® 

— 46® 

- 18® 

+ 11® 

85® 

48® 

— 0.5 

22® 

— 9® 

_ 25® 

+ 6® 

— 20® 

— 20® 

+ 8® 

85® 

43® 

“1,5 

24® 

— 4® 

— 25® 

+ 8® 

- 3® 

— 18® 

+ 7® 

73® 

51® 

— 7 

22® 

— 

— 24® 

+ 10® 

— 24® 

— 23® 

+ 4® 

34® 

65® 

— 5 

22® 

— 

— 23® 

+ 1® 

— 3® 

— 36® 

+ 2® 

89® 

61® 

0 

32® 

— 

- 23® 

+ 2® 

+ 28® 

— 18® 

+ 3® 

90® 

54® 

-2,5 

22® 

— 

-23® 

+ 10® 

— 9® 

— 9® 

— 5® 

69® 

64® 

— 2,5 

23® 

— 

— 22® 

+ 4® 

+ 6® 

— 20® 

+ 13® 

75® 

61® 

-4 

24® 

- 3® 

— 22® 

- 5® 

— 18® 

— 29® 

+ 21® 

85® 

51® 

-1 

25® 

- 5® 

— 22® 

— 4® 

— 14® 

— 21® 

+ 5® 

83® 

56® 

— 3 

23® 

- 9® 

— 21® 

- 4® 

+ 15® 

- 19® 

+ 4® 

84® 

45® 

-2 

29® 

— 5® 

— 21® 

+ 17® 

— 24® 

— 26® 

+ 16® 

56® 

58® 

— 7 

20® 

— 

— 20® 

+ 30® 

— 80® 

— 10® 

+ 2® 

73® 

51® 

— 3 

26® 

— 

— 20® 

+ 15® 

— 11® 

-20® 

+ 11® 

70® 

53® 

-3 

20® 

— 

— 20® 

+ 12® 

— 24® 

— 20® 

+ 10® 

73® 

57® 

— 0,5 

20® 

— 1® 

- 20® 

— 6® 

— 5® 

— 25® 

+ 9® 

93® 

67® 

-2 

24® 

— 5® 

— 20® 

+ 28® 

— 57® 

— 12® 

+ 8® 

80® 

48® 

+ 3 

29® 

H- 2® 

— 20® 

0® 

— 20® 

— 13» 

+ 10» 

67® 

61® 

-4,5 

24® 

- 3® 

— 19® 

+ 20® 

+ 10» 

— 10® 

+ 12® 

70® 

52» 

- 5,5 

22® 

— 7® 

— 19® 

+ 29® 

— 40® 

- 10® 

+ 8» 

46® 

44® 

-2,5 

20® 

— 

— 18® 

+ 17® 

— 23® 

— 8® 

+ 3® 

52® 

52» 

— 2 

24® 

— 

— 18® 

+ 2® 

+ 10® 

— 18® 

+ 2® 

85® 

83® 

-4 

25® 

— 

— 18® 

+ 12® 

+ 32® 

— 18® 

+ 2® 

70® 

58» 

- 1 

25® 

— 3® 

-18® 

+ 5» 

— 50® 

- 18® 

+ 1» 

74® 

54® 

— 2.5 

22® 

— 10® 

— 18® 

+ 4® 

— 16® 

— 30® 

— 2® 

93® 

54® 

- 2,5 

25® 

— 2® 

— 18® 

+ 17® 

+ 43® 

— 19® 

+ 12» 

66» 

47® 

-4,5 

22® 

+ 2® 

— 18® 

+ 21® 

— 18® 

- 16® 

— 2» 

53® 

55» 

-2,5 

22® 

— 

— 17® 

+ 20® 

— 7® 

- 17® 

+ 10» 

67® 

67® 

-1,5 

26® 

— 

— 17® 

+ 4» 

— 17® 

— 21® 

+ 4® 

80» 

50® 

-1 

20® 

— 

— 17® 

+ 8® 

+ 75® 

— 10® 

+ 7® 

70® 

56® 

— 5 

21® 

— 

— 17® 

+ 28® 

— 18" 

— 16® 

+ 8® 

74» 

58® 

+ 3 

28® 

— 5® 

— 17® 

+ 15® 

— 1® 

— 24® 

+ 5® 

83® 

49® 

-4,5 

22® 

— 

— 16® 

+ 25® 

+ 10® 

— 10» 

+ 2» 

51® 

60® 

-4 

21® 

— 

- 16® 

— 7® 

— 29® 

— 20® 

+ 12» 

84® 

53® 

-1 

25® 

— 

— 16® 

+ 27® 

— 1® 

- 10® 

+ 2® 

65® 

49® 

+ 4 

24® 

— 9® 

— 16® 

+ 9® 

+ 12» 

— 20® 

+ 17® 

82® 

49® 

— 1 

24® 

— 6® 

— 16® 

+ 10® 

— 1® 

— 25® 

+ 7® 

63® 

47® 

— 2 

22® 

— 3® 

— 16® 

- 4® 

+ 5® 

— 18® 

+ 5® 

79® 

60® 


Digitized by i^ooQle 

















8 


Georg Burckhard. 

































































Zur Frage der Schräg- oder Steilschrift. 


9 


Beckenlinie 

Verschiebung 

des Schreib¬ 

heftes 

Drehung des 

Schreibheftes 

Verschiebung 

des Ober¬ 

körpers 

Drehung des 

Oberkörpers 

Beckendrehung 

Vorderarm- 

Beckenlinie¬ 

winkel 

Grundstrich- 

Zeilenwinkel 

Ende 

H 


N 

___ 

2 

20' 

-hir 

-16® 

+ 18® 

— 21» 

— 15® 

— 5® 

58® 

58» 

— 

1 

26® 

— 

5® 

— 16® 

+ 17» 

- 9® 

0® 

+ 8» 

61» 

56® 

— 

3 

25"» 

— 

5® 

— 16® 

+ 43® 

+ 6® 


+ 8® 

58» 

48» 

— 

4 

21® 

— 

4® 

— 16® 

+ 22» 

-12® 


+11® 

56® 

53» 

— 

taa 

26» 


2® 

— 16® 

+ 16» 

+ 57» 

- 6® 

— 3® 

84» 

61® 

— 

1,5 

25« 

— 

5® 

— 16® 

+ 5® 


— 10» 

+ 7» 

77» 

57® 

— 

10 

23® 

- 

- 

— 15® 

+ 20® 

+ 4® 

+ 12® 

+ 2® 

55® 

47» 

— 

7 

21® 

- 

- 

— 15® 

+ 16® 

+ 24» 

— 8® 

— 3® 

79® 

57® 

— 

1 

16» 

- 

- 

— 15® 

+ 2® 

+ 24» 

— 17® 

+ 3® 

79» 

64® 

— 

4 

23» 

- 

- 

- 15® 

+ 8» 

+ 13» 

— 24» 

+ 1® 

72» 

75® 

— 

3 

23» 

- 

- 

— 15® 

+ 11® 

— 14® 

— 16» 

+ 3» 

73® 

66» 


0,5 

19« 

+ 

1® 

— 15® 

— 2® 


— 18® 

0® 

61® 

60® 

— 

1 

28» 

— 

2® 

— 15® 

+ 7® 

— 4® 

— 20® 

+ 5» 

86® 

52® 


0 

Km 

+ 

2® 

— 15® 

+ 22® 

— 14® 

— 22® 

+ 7» 

66® 

49® 

— 

1,5 

BM 

—- 

4® 

— 15® 

+ 30® 

- 7® 


+ 3® 

73» 

52® 


0 

KB 

— 

10® 

-15® 

+ 19» 

— 9® 

— 21® 

+ 14® 

63® 

55» 

— 

2 

24» 

— 

4® 

— 15® 

— 3® 

+ 76» 

— 11® 

0® 

80® 

59» 

— 

1.5 

HW 

- 

- 

- 14® 

+ 13® 

+ 19® 

— 9® 

+ 5® 

76® 

64® 

— 

0,5 

HW 

- 

- 

- 14® 

+ 14» 

+ 7® 

— 15® 

+ 4® 

79® 

63» 

— 

5 

HW 

- 

- 

— 14® 

- 8® 

— 2® 

- 7® 

+ 9® 

54® 

52» 

— 

3,5 

HW 

- 

- 

— 14® 

+ 16® 

— 83® 

— 12® 

— 4® 

60® 

58® 

— 

1 

22® 

— 

6 ® 

— 14® 

+ 5® 

- 32® 

— 26® 

+ 3® 

62® 

50® 

— 

3 


— 

5® 

— 14® 

+ 27® 

+ 4® 


0 ® 

63» 

57" 

— 

5.5 


— 

7® 

— 14® 

+ 26» 

+ 25® 

— 7® 

— 2 ® 

57® 

50® 

— 

1 

KW 

— 

5® 

— 14® 

— 11 ® 

-34» 

— 18® 

+ 12 ® 

87® 

65» 

— 

3 

22 ® 

- 

- 

— 13® 

+ 1 ® 

+ 15» 

— 17® 

+ 4® 

77® 

56" 

— 

3 

22 ® 

- 

- 

— 13» 

+ 21» 

— 9® 

— 4® 

— 9® 

55» 

63" 


0,5 

24» 

— 

5® 

— 13® 

- 2 ® 

+ 4» 

— 13® 

+ 3® 

90® 

40® 

— 

1 

23» 

— 

3® 

- 13® 

+ 6® 

+ 7» 

— 25® 

- 4® 

70® 

53® 

— 

4 

24» 

— 

3® 

— 13® 

+ 21® 

+ 2® 

— 8® 

- 5® 

79® 

55® 

— 

1,5 

24» 


0 ® 

— 13® 

+ 7» 

+ 35» 

— 10® 

+ 1® 

77® 

60® 

— 

0,5 

35» 

+ 

3® 

— 13® 

— 11» 

— 6® 

— 10® 

+ 25® 

48® 

64® 

— 

3 


- 

- 

— 12® 

+ 45« 

mxSm 

— 10® 

+ 14® 

74® 

75® 

— 

1,5 



0 ® 

- 12® 

+ 18» 

HCl 

— 19® 

— 1® 

46® 

52® 

— 

5,5 

29® 

— 

6 ® 

— 12® 

+ 33» 


— 9® 

+ 2® 

31® 

63® 

— 

0,5 

24» 

— 

6 ® 

- 12® 

+ 26» 

R] 

— 14® 

+ 3® 

64® 

57® 

— 

6 

22 ® 

— 

6 ® 

- 12® 

+ 20» 

- 3® 

— 12® 

— 2® 

58® 

51® 

— 

5 

21 ® 

- 

- 

— 11® 

+ 22® 

+ 26® 

-10® 

+ 2® 

53® 

53® 

— 

1 

25» 

- 

- 

— 11® 

— 5» 

+ 7® 


+ 6® 

79® 

57® 

— 

0,5 

20 ® 

- 

- 

— 11® 

+ 28» 

— 11® 

— 7® 

0 ® 

62® 

46® 


1 

22 » 

— 

9® 

— 11® 

+ 23» 

— 5® 

— 16® 

+ 2® 

66 ® 

51® 

— 

2 

20 ® 

— 

3® 

— 11® 

+ 28» 

+ 4® 

— 14® 

+ 5® 

53® 

54® 

— 

3,5 

25» 

— 

2 ® 

— 11® 

+ 27® 

+ 5» 

— 17® 

+ 4® 

62® 

59® 

— 

2 

25® 

+ 

2 ® 

- 11® 

+ 14« 

0 ® 

— 13» 

+ 8® 

68 ® 

62® 

— 

2,5 

25® 

— 

5® 

— 11® 

+ 17» 

+ 2® 

— 12® 

+ 9® 

65® 

55® 

— 

3 

28® 

— 

3® 

— 11® 

— 1» 

+ 19» 

— 9® 

+ 4® 

76® 

58® 

— 

4,5 

24» 


6 ® 

— 11® 

- 1» 

+ 17» 

— 13» 

+ 3® 

69® 

54® 


4 

24» 


■ 


+ 14» 

+ 23® 

— 9® 

— 9® 

82® 

66 ® 






































































UNIVERSITY OF CALIFORNIA 
SAN FRANCISCO MEDICAL CENTER 
LIBRARY 


EX LIBMS 































































8 


Georg Burckhard. 


Augenlinie 


Nr- Anfang Ende 

H < N H < N I H 


Schulterlinie 


Anfang 


Emni 


00 34 
111 31,5 
126 35 
164 29 
179 39 
181 41 

1 25 
11 37 

14 37 
25 34,5 
54 38 

79 30 
83 35.5 
95 28,5 
97 32 

118 37 
178 38,5 
8 39 

16 36,5 

27 37 
49 42 
75 39 

102 34 
133 37.5 

172 43 
24 31 

28 26,5 
63 45,5 
77 25,5 
82 24 
89 37 

123 28.5 

2 31 
73 18 

135 26 
140 36 
159 35,5 

17 34 
39 36.5 
41 34 
59 33 

80 31 
104 36 
107 36 
137 30.5 

173 40 

174 41,5 

15 37 


4» 0 

14" +17“ 
14" +15" 
14" + 6 " 
14" - 2" 
14" — 2" 
14" — 

14" - 

14" - 

14" — 

13" — 

12" + 7" 
14" +11" 
13" + 6" 
12" + 5" 
14" + 7" 
14" + 10" 
15" - 

13" — 

14" - 

13" — 

14“ + 5" 
14" + 6 " 
12" +14" 
14" + 1" 
14" - 

12 " — 
13" +10" 
13" + 6" 
11 " +18" 
13“ + 18" 
14" + 1" 
14" — 

13" +23" 
13" +24" 
14" + 2" 
14" + 5" 
14" — 

14" — 

14" - 

13" + 5" 
12 " + 10 " 
12 “ + 10 " 
12 " + 10 " 
13" +27" 

JOO J_ go 

14" + 9" 
14" - 


28 27" 

29 30" 

31 26" 

25.5 27" 

30 31" 

30 31" 

24 23" 

27 29" 


29.5 31" 

28 25" 

33 32" 

30.5 31" 

31 29" 

34 34" 

27 29" 

30 80" 

30 32" 

32.5 27" 

34’ 30" 

30 29" 

32 26" 

31 29" 

35.5 35" 

27.5 26" 

23 27" 

34 29" 

30 29" 

26 25" 

29 29" 

32 32" 

31 31" 

24.5 25" 

28 34" 


28 29" 

25 29" 

28 25" 

33 30" 

29 32" 

32 29" 

29.5 32" 


0" 27 

- 6 " 28 30 

+ 4" 29,5 26 

+ 4" 22 27 

+ 4" 29 31 

- 4" 29,5 31 

— 23.5 23 

— 27 29 

— 25,5 30 

— 27 26 

— 29 31 

+ 8 " 27 25 

+ 2" 35 32 

+ 6 " 29,5 31 

+ 2" 31 29 

+ 3" 33,5 34 

+ 4" 27 29 

— 29 30 

— 29 32 

— 31 27 

— 34 30 

+ 2" 31 29 

-3" 31,5 25 

+ 2" 32 29 

- 3" 35 35 

— 26 26 

— 23 27 

0 " 35 29 

+ 6 " 29,5 29 

+ 5" 21 25 

+ 3" 31,5 29 

+ 2 " 30 32 

— 30 31 

+ 4" 22 25 

+ 4" 27,5 34 

+1" 31.5 27 

- 1" 27 29 

— 24,5 29 

— 30 30 

— 25 27 

- 3" 25,5 29 

+ 3" 24 29 

+ 2" 27 25" 

0" 32 30" 

- 6 " 29 32 

+ 6 " 32 29 

+ 6 " 29 32 


Digitized by 


Google 













Zur Frage der Schräg- oder Steilschrift. 


9 


Beckenliuie 

Verschiebung 

des Schreib¬ 

heftes 

Drehung des 

Schreibheftes 

Verschiebung 

des Ober¬ 

körpers 

Drehung des 

Oberkörpers 

Beckendrehung 

Vorderami- 

Beckenlinie- 

winkel 

Grundstrich- 

Zeilenwinkel 

Ende 

H 

< 

N 

_ 

2 


+11» 

-16« 

+ 18» 

— 21» 

-15« 

— 5« 

58» 

58» 

— 

1 

26^^ 

— 

5« 

— 16« 

+ 17» 

- 9« 

0« 

+ 8» 


56» 

B 

3 

25® 

— 

5« 

— 16« 

+ 43» 

+ 6» 

— 21» 

+ 8» 

58» 

48» 

H 

4 

21» 

— 

4® 

— 16« 

+ 22» 

— 12® 

— 23» 

+ 11® 

56» 

53» 

H 

0,5 

26« 


2« 

— 16« 

+ 16» 

+ 57» 

- 6« 

— 3« 

84» 

61« 

B 

1,0 

25« 

— 

5« 

— 16« 

+ 5« 


— 10« 

+ 7» 

77» 

57» 

B 

10 

23» 

- 

- 

— 15« 

mmsm 

+ 4« 

+ 12« 

+ 2« 

55« 

47» 

— 

7 

21» 

- 

- 

— 15« 

+ 16« 

+ 24» 

— 8« 

— 3« 

79« 

57» 

— 

1 

16» 

- 

- 

— 15« 

+ 2» 

+ 24» 

-17» 

+ 3» 

79« 

64» 

— 

4 

23» 

- 

- 

- 15« 

+ 8« 

+ 13» 

— 24« 

+ 1» 

72» 

75« 

— 

3 

23» 

- 

- 

- 15« 

+ 11« 

— 14« 

— 16« 

+ 3» 

73» 

66» 


0,5 

19» 

+ 

1« 

— 15« 

— 2« 

BXEa 

— 18« 

0» 

61« 

60" 

— 

1 

28» 

— 

2« 

— 15« 

+ 7» 

— 4« 

— 20« 

+ 5» 

86« 

52« 


0 

24® 

+ 

2« 

— 15« 

+ 22« 

— 14« 

— 22« 

+ 7« 

66» 

49« 

— 

1,5 

23» 

— 

4« 

- 15« 


- 7« 

— 10« 

+ 3» 

73« 

52» 


m 

33® 

— 

10» 

— 15« 

+ 19« 

— 9« 

— 21« 

+ 14« 

63« 

55» 

— 

2 

24® 

— 

4« 

— 15« 

— 3« 

+ 76« 

— 11« 

0« 

80« 

59» 

— 

1.5 

25» 

- 

- 

- 14« 

+ 13« 

+ 19« 

— 9« 

+ 5« 

76« 

64« 

— 

0,5 

24« 

- 

- 

- 14« 

+ 14» 

+ 7» 

— 15« 

+ 4« 

79» 

63« 

— 

5 

25® 

- 

- 

— 14« 

- 8« 

— 2® 

- 7« 

+ 9« 

54® 

52» 

— 

3,5 

27® 

- 

- 

— 14« 

+ 16« 

— 83» 

-12« 

— 4« 

KB 

58« 

— 

1 

22® 

— 

6« 

— 14« 

+ 5« 

- 32» 

— 26« 

+ 3« 

62« 

50« 

— 

3 

27« 

— 

5« 

— 14« 

+ 27» 

+ 4« 

— 20« 

0« 

63» 

57" 

— 

5.5 

25» 

— 

7« 

— 14« 

+ 26» 

+ 25« 

— 7« 

— 2« 

57« 

50« 

— 

1 

31» 

— 

5« 

— 14« 

— 11« 

-34® 

— 18« 

+ 12« 

87« 

65» 

— 

3 

22» 

- 

- 

— 13» 

+ 1« 

+ 15» 

— 17« 

+ 4» 

77« 

56« 

— 

3 

22« 

- 

- 

— 13» 

+ 21» 

— 9« 

— 4« 

— 9« 

55« 

63" 

+ 

0,5 

24® 

— 

5« 

— 13« 

- 2« 

+ 4» 

— 13« 

+ 3« 


40« 

— 

1 

23» 

— 

3« 

- 13« 

+ 6» 

+ 7» 

— 25« 

- 4« 

BnB 

53« 

— 

4 

24® 

— 

3« 

— 13« 

+ 21» 

+ 2» 

— 8« 

- 5« 

79« 

55« 

— 

1,5 

24® 


0« 

— 13« 

+ 7» 

+ 35» 

— 10« 

+ 1« 

77« 

60« 

— 

0,5 

35® 


3« 

— 13« 

— 11« 

— 6« 

— 10« 

+ 25« 

48« 

64« 

—- 

3 

23® 

- 

- 

- 12« 

+ 45» 

+ 34« 


+ 14« 

74« 

75« 

— 

1,5 

26® 


0« 

- 12« 

+ 18» 

— 7« 

— 19» 

— 1« 

46« 

52« 

— 

5,5 

29» 

— 

6« 

— 12« 

+ 33» 


— 9« 

+ 2« 

31« 

63« 

— 

0,5 

24® 

— 

6« 

- 12« 

+ 26» 

+ 3« 

— 14« 

+ 3« 

64« 

57« 

— 

6 

22» 

— 

6« 

- 12« 


- 3« 

— 12« 

— 2« 

58« 

51« 

— 

5 

21» 

- 

- 

— 11« 

+ 22» 

+ 26« 


+ 2« 

53« 

53« 

— 

1 

25» 

- 

- 

— 11« 

— 5« 

+ 7« 


+ 6« 

79« 

57« 

— 

5,5 


- 

- 

— 11« 

+ 28» 

— 11« 

— 7« 

0« 

62» 

46« 

+ 

1 

22« 

— 

9« 

— 11« 

+ 23» 

— 5« 

— 16« 

+ 2« 

66» 

51« 

— 

2 


— 

3« 

— 11« 

+ 28« 

+ 4« 

— 14« 

+ 5« 

53« 

54« 

— 

3,5 

25® 

— 

2« 

— 11« 

+ 27» 

+ 5« 

— 17« 

+ 4« 

62« 

59« 

— 

2 

25» 


2« 

- 11« 

+ 14» 

0« 

— 13» 

+ 8« 

68« 

62« 

— 

2,5 

25® 

— 

5« 

— 11« 

+ 17» 

+ 2» 

— 12« 

+ 9« 

65« 

55« 

— 

3 

28« 

— 

3« 

— 11« 

- 1« 

+ 19» 

— 9« 

+ 4« 

76« 

58« 

— 

4,5 

24» 

+ 

6« 

— 11« 

— 1« 

+ 17» 

— 13» 

+ 3« 

69» 

54« 

— 

4 

24® 

- 

- 

— 10« 

+ 14» 

+ 23» 

— 9« 

— 9« 

82« 

66« 


r 






























































10 


Georg Burckhard. 




Augenlinie 

Schulterlinie 


Nr. 

Anfang 

Ende 

Anfang 

Ende 



H 

< 

N 

H 

< 

N 

H 


N 

H 

< 

N 


19 

36 

140 


37 

14» 


27,5 

27» 



29 

27» 




29 

39.5 

14« 

— 

38,5 

140 

— 

27,5 

29« 

- 

- 

28,5 

29» 

- 

- 


50 

37.5 

12« 

— 

:37 

12« 

— 

27 

30» 

- 

- 

25,5 

.30» 

- 

- 


61 

31,5 

140 

+ 12» 

129,5 

14« 

+ 10» 

32 

30« 

+ 

5« 

30 

30» 

+11» 


81 

30.5 

12« 

0« 

i28 

190 

— 2« 

27 

29» 

+ 

5« 

25,5 

29» 

+ 

2« 


103 

28,5 

13« 

+ 9» 

128 

13« 

+ 19» 

28 

25» 

+ 

4« 

26 

25« 

— 

1« 


119 

38,5 

14« 

+ 14» 

|38.5 

14» 

+ 8« 

34 

34» 

+ 

2« 

33 

34» 

+ 

2« 


128 

39 

13» 

+ 7« 

40,5 

13» 

+ 11« 

32,5 

32» 

+ 

5« 

34 

32« 

+ 

5« 


139 

39 

14« 

+ 2» 

41 

14« 

+ 3« 

34 

29» 

+ 

5« 

35 

29» 

+ 

5« 


148 

36,5 

14» 

+ 3» 

37,5 

140 

+ 5» 

32,5 

30» 

+ 

4« 

31 

30» 

+ 

5« 


167 

44,5 

14» 

+ 7» 

44 

14« 

- 2« 

29,5 

32» 

— 

3« 

32,5 

32» 

— 

2« 


175 

40 

140 

— 2« 

42.5 

14» 

+ 6» 

33,5 

34» 

+ 

1« 

33 

34» 

+ 

2« 


183 

39 

13» 

+ 0» 

38.5 

13» 

- 2« 

29 

28« 

+ 

3« 

29 

28» 

+ 

4« 


32 

33,5 

14« 

— 

33 

14» 

— 

30.5 

33» 

- 

- 

29 

33» 

- 

- 


18 

31.5 

12« 

— 

30,5 

12« 

— 

25,5 

27» 

- 

- 

24,5 

27« 

- 

- 


23 

35 

14« 

— 

38 

14» 

— 

28 


- 

- 

26,5 

30« 

- 

- 


31 

34,5 

13» 

— 

33 

13» 

— 

31 


- 

- 

30 

30» 

- 

- 


35 

30 

140 

— 

29 

14« 

— 

28 

Eiul 

- 


25 

30» 

- 

- 


37 

33,5 

12» 

— 

32.5 

12« 

— 

25,5 

27» 

- 

- 

23 

27» 

- 

- 


51 

31 

13» 

— 

31 

13» 

— 

25,5 

27« 

- 

- 

24,5 

27» 

- 

- 


68 

30 

13» 

4- 2« 

31,5 

13« 

+ 6» 

30 

30« 

+ 

5« 

29 

30» 

+ 

7« 


110 

27 

14» 

+ 16» 

22,5 

14« 

+ 18« 

26 

27» 

+ 

8« 

22 

27« 

+ 

8« 


115 

39 


-- 40 

38,5 

14» 


34.5 

32« 

— 

2'^ 

33 

32» 

— 

2^^ 


131 

41 

nS 

_ 2« 

42 

14« 

+ 7» 

32 

30» 

+ 

7« 

35 

30» 

+ 

5« 


m 

30,5 

K H 

+ 5» 

28.5 

14» 

+ 6» 

29 

29» 

+ 

9« 

25 

29» 

+ 

6« 


152 

36 

■f il 

+ 5» 

35,5 

140 

+ 10« 

28 

25» 

+ 

2^^ 

28 

25» 

+ 

1« 


158 

37.5 

14« 

+ 5» 

37,5 

14« 

+ 7» 

29 

31« 

+ 

8« 

29,5 

31» 

+ 

6« 


169 

41,5 

14» 

— 6 » 

43 

wm 

BfU 

32.5 

34» 

+ 

5« 

34 

34» 

— 

1« 


184 

22 

12» 

+ 9» 

21 

W 

+ 5« 

21 

23» 

+ 10« 

19,5 

23» 

+ 

7« 


60 

32,5 

14« 

+ 12» 

33.5 

140 

+ 9« 

30 

30» 

— 

2« 

31 

30» 


0« 


70 



+ 5» 

26.5 

12« 

+ 5« 

28 

26« 

+ 

6« 

26 

26» 

+ 

5« 

III 

146 


■rSI 

+ 4« 

23,5 

1.3« 

+ 6« 

27,5 

30» 

— 

5« 

28,5 

30» 

— 

5« 


153 


■fQ 

+ 4» 

36.5 

14« 

+ 7» 

28 

32» 

+ 

5« 

26,5 

32» 

+ 

5« 


180 


■ISI 

- 3» 

37.5 

14« 

+ 3« 

32 

33« 

+ 

3« 

30 

33» 

— 

8« 


182 

34.5 

13« 

- 2» 

355 

13« 

+ 9« 

28,5 

30» 

— 

3« 

29,5 

30» 

— 

7« 


Ei 

34,5 

12^^ 

— 

34,5 

12« 

— 

28.5 

26« 

- 

- 

26 

26» 

- 

- 



36,5 

14« 

+ 7» 

36 

14« 

+ 6 » 

28 

30» 

+ 

3« 

28,5 

30» 

+ 

4« 


92 

25.5 

11« 

_ 40 

28 

11« 

+ 4» 

26.5 

26« 

+ 

3« 

25 

26» 

+ 

8« 


108 

30,5 

13« 

+ 6 » 

29 

13« 

+ 13» 

27.5 

27« 

+ 

3« 

27,5 

27» 

+ 

8« 


120 

33.5 

14» 

+ 10» 

35,5 

14« 

+ 11» 

32 

32« 

— 

2« 

30,5 

32« 

— 

4« 


155 

40 

14» 

+ 2» 

41 

14» 

+ 4» 

31 

30« 

+ 

2« 

32 

30» 

+ 

2« 


6 

42 

14« 

— 

40 

14» 

— 

29 

34« 

- 

- 

30.5 

.34» 

- 

- 


64 

40,5 

13« 

+ 5» 

41 

13« 

+ 7» 

33 

34« 

+ 

7« 

32 

34« 

+ 

70 


74 

27.5 

12 « 

+ 10» 

29 

12« 

+ 19» 

26 

29« 

+ 

6« 

24 

29« 

+ 

6« 


88 

34 

14» 

+ 3« 

32 

14« 

Esm 

30 

30« 

+ 

9« 

29.5 

30« 

+ 10« 


96 

33,5 

13« 

+ 4» 

33 

13« 

+ 7« 

29 

27« 

+ 

8« 

31.5 

27» 

+ 

7« 


105 

34 

14« 

+ 6 « 

34 

14« 

+ 13» 

29.5 

31« 

+ 

3« 

29,5 

31» 

+ 

6« 


116 

34 

13» 

+ 4« 

35.5 

14» 

— 2« 

32 

30« 

— 

5« 

30.5 

30» 

— 

40 


Digitized by 


Google 
































Zur Frage der Schräg- oder Steilschrift. 


11 


Beckenlinie 

Verschiebung 

des Schreib¬ 

heftes 

Drehung des 

Schreibheftes 

Verschiebung 

des Ober¬ 

körpers 

Drehung des 

Oberkörpers 

Beckendrehung 

Vorderarm- 

Beckenlinie¬ 

winkel 

Grundstrich- || 

Zeilenwinkel 3 

Ende 

H 

< 

N 

-3-5 

220 

_ 

-100 

+120 

— 100 

-18« 

+ 60 

84« 

610 

— 0,5 

23» 

— 

—100 

+ 90 


— 120 

- 50 

70« 

570 

— 5,5 

24« 

— 

— 10« 

+200 

+450 

- 90 

- 30 

70« 

550 

+ 4 

24» 

— 50 

— 100 


+ 50 

— 16« 

- 30 

66« 

530 

- 1,5 

240 

- 50 

- 10« 

+ 250 

+ 30 

— 180 

+ 40 

60« 

480 

— 5 

24« 

- 50 

— 10« 

+270 

+ 30 

— 50 

— 60 

490 

570 

0 

25« 

- 80 

— 10« 

+250 

+ 10 

— 110 

- 20 

590 

730 

-2,5 

26« 

— 20 

— 10« 

+ 26« 

+ 30 

— 12« 

— 20 

480 

530 

- 5 

26« 

- 60 

— 100 

+ 50 

+ 70 

— 140 

+150 

84« 

62« 

-4,5 

25« 

__ 40 

— 10« 

+ 230 

+ 60 

— 120 

+ 20 

67« 

600 

-2,5 

27« 

+ 30 

— 100 


+ 720 

— 30 

+ 6« 

710 

570 

-0,5 

280 

+ 50 

— 100 

+ 20 

+ 70 

— 70 

+ 20 

65« 

550 

— 2 

200 

+ 40 

— 10« 

+ 190 

+ 570 

—210 

+ 80 

790 

440 

— 2,5 

2.5« 

— 

— 90 

+ 250 

-110 

+ 70 

+ 2« 

580 

56« 

- 9,5 

20« 

— 

— 80 

-j- 220 

+ 360 


— 80 

69« 

470 

-1,5 

24« 

— 

— 80 

+ 250 

+ 490 

+ 10 

_ 40 

450 

56« 

-4,5 

27« 

— 

— 80 

+ 150 

+ 70 

—1.30 

+ 160 

600 

510 

-3,5 

250 

— 

- 80 

+ 380 

— 40 


+ 2« 

430 

58« 

-3 

220 

— 

— 80 

+ 150 

+ 50 

— 60 

— 120 

550 

570 

-6 

20« 

— 

— 80 

+ 280 

+ 250 

- 20 

+ 30 

570 

590 

-4 

240 

- 50 

— 80 

+ .50 

+ 19« 

-150 

- 40 

750 

440 

-5 

240 

00 

— 80 


+ 11« 

— 90 

- 130 

450 

60« 

-2 

26« 

— 70 

— 80 

+ 7« 

+ 8« 

-130 

+ 2« 

540 

69" 

-4 

270 

— 30 

— 80 

+ 280 

+ 250 

-12« 

0« 

65« 

53" 

— 5 

22« 

~ 20 

— 80 

+11« 

+ 40 

— 28« 

+ 70 

440 

66« 

-7 

240 

- 50 

— 80 

+100 

+ 340 

— 120 

— 80 

570 

50« 

— 3 

250 

+ 20 

— 80 

+ 150 

+ 30« 


+ 11« 

690 

56» 

— 0,5 

30« 

- 40 

— 8« 

+ 70 

— 22« 

- 60 

00 

65« 

55« 

— 4 

21« 

- 20 

- 80 

+ 150 


- 110 

— 10« 

610 

550 

-2,5 

250 

— 50 

— 70 

+ 200 

+ 50 

— 60 

- 6« 

66« 

580 

— 2 

230 

— 40 

— 70 

+ 120 

- 40 

-22« 

- 50 

410 

60« 

— 5 

28« 

— 80 

70 

+ 28« 

-65« 

— 100 

+ 70 

460 

490 

-1,5 

2.30 

_ 40 

— 70 

+ 170 

— 170 

— 110 

- 1« 

46« 

70« 

-1,5 

260 

+ 20 

— 70 

+ 17« 

+ 40 

— 40 

— 2« 

540 

530 

-2 

240 

— 40 

- 70 

+ 300 


— 120 

- 1« 

46« 

440 

-5,5 

16« 

— 

— 60 

+ 16« 

— 24« 

— 16" 

- 40 

450 

570 

-2 

21« 

— 70 

— 60 

+ 40 

+ 8« 

— 90 

+ 2« 

740 

59» 

-2 

21« 


— 60 

+ 340 

+ 16« 

— 70 

— 50 

590 

51» 

-4 

220 


— 60 

+ 340 

+ 50 

-10« 


370 

55» 

-5 

290 


— 60 

+ 18« 

+ 8« 

- 50 


61« 

60» 

— 5 

230 


— 60 


+ 90 

— 10« 


680 

69« 

-3 

250 

— 

— 50 

+ 270 

+ 470 

— 20 


590 

60« 


2.50 

— 70 

- 50 

+ 110 

+ 31« 

— 120 

— 90 

670 

590 

0 


- 20 

— 50 


+ 200 

- 110 

—110 

48« 

770 

— 2 

230 

00 

— 50 

+ 6« 

+ 300 

—240 

— 20 

880 

63» 

-2 

230 

— 50 

— 50 

+ 12« 

+200 

—140 


77« 

450 


250 

— 70 

— 50 


+170 

-150 

- 50 

590 

61« 


240 

—130 

- 50 

+ 40 

+ 40 

-150 


56« 

570 


Digitized by i^ooQle 




































12 


Georg Burckhard. 



Nr. 

Augenlinie 

Schulterlinie 

Anfang 

Ende 


Ende 

H 

< 

N 

H 

< 

N 


< 

mm 

H 

< 

N 


138 

24 

14“ 

+ 12“ 

25 

14" 

— 8" 

25 

26" 

-f 

6" 

25,5 

26“ 

+ 3* 


161 

34 

14" 

+ 7" 

34 

14" 

+ 10" 

80 

.31" 

-f 

6" 

30 

31" 

+ 6" 


9 

27 

15" 

— 

25 

15" 

— 

81.5 

27“ 


_ 

25 

27" 



52 

22,5 

12" 

— 

19 

12" 

— 

22 

25" 

- 

— 

21,5 

25® 



55 

34 

15" 

+ 9" 

34 

15" 

+ 9" 

29 

30" 

-f 

9" 

80,5 

30" 

+ 7" 


65 

42 

14" 

+ 5" 

41 

14" 

1 -f 18" 

84 

28" 

-f 

2" 

33,5 

28" 

4- 2® 


124 

89,5 

14" 

+ 5" 

39,5 

14" 

+11" 

28,5 

31" 

-f 

7" 

80 

31" 

+ 8" 


130 

37 

13" 

-f 3" 

34,5 

1.3" 

-h 8" 

28 

32" 

-f 

8" 

27 

32" 

+ 10" 


132 

40 

14" 

+ 5" 

39 

14" 

-f 5" 

80.5 

33" 

-f 

5" 

30,5 

33" 

4- 5" 


142 

40,5 

14" 

+ 13" 

41.5 

14" 

-f- 7" 

82 

31" 

-f 

3" 

32 

31" 

4- 5" 


149 

88 

15" 

+ 7" 

39.5 

15" 

-f 5" 

88.5 

82" 

-f 

9" 

28,5 

32" 

+ 6* 


168 

44 

14" 

0" 

45 

14" 

+ 12" 

88 

30“ 

-1- 

3" 

85 

.30" 

+ 2" 


177 

86,5 

18" 

-f 1" 

38 

1.3" 

-f 4" 

28,5 

32" 

-f 

5" 

83 

32" 

4- 5® 


7 

28,5 

12" 

— 

28,5 

12" 

— 

24 

27" 


_ 

23 

27" 



10 

31 

13“ 

— 

82.5 

13" 

— 

27.5 

28" 

- 

_ 

25.5 

28" 

__ 


66 

86 

14" 

4- 1" 

87 

14" 

+ 5" 

80 

31" 

_ 

2" 

29,5 

31" 

— 1® 


98 

27')5 

12" 

+ 20" 

28 

12" 

+ 18" 

28,5 

29" 

-f- 

6" 

27 

29® 

+ 7" 


112 

38,5 

14" 

+ 13" 

37 

14" 

-f 8" 

80 

28" 

-f 

6" 

81,5 

28" 

4- 3® 


122 

35,5 

14" 

— 7" 

85 

14" 

- 5" 

80 

80" 


2" 

29 

30" 

— 2® 


136 

27,5 

13" 

+ 9" 

28 

18" 

+ 10" 

27 

32" 

-F 15" 

26 

32" 

+ 16" 


157 

27 

13" 

-f 4" 

28.5 

13" 

+ 10" 

28 

21" 

-1- 

9" 

23,5 

21" 

+ 7" 


161 

86 

14" 

— 3" 

82 

14" 

4- 2" 

27 

27" 

-f 

6" 

28 

27" 

+ 7" 


166 

39 

14" 

+ 2" 

40.5 

14" 

— 1" 

84,5 

80" 


5" 

85 

80" 

— 7® 


113 

39 

18" 

+ 16" 

36 

13" 

+ 23" 

31,5 

29" 

-f 

2" 

81 

29" 

— 2® 


117 

89,5 

12" 

+ 6" 

89 

12" 

-f 2" 

29,5 

82" 


2° 

82 

32" 

4- 1® 


125 

40,5 

14" 

+ 6" 

28,5 

14" 

+ 8" 

38,5 

33" 

_ 

4" 

84 

3.3" 

— 4® 


129 

45 

14" 

0" 

48,5 

14" 

+ 2" 

88 

32" 


0" 

:^.5 

32" 

— 1" 


94 

37 

12" 

+ 6" 

88 

12” 

+ 6" 

81 

31" 

-i- 

5" 

81 

81" 

+ 3" 


62 

82,5 

12" 

4- 7" 

32 

12" 

+ 3" 

27,5 

26" 

4- 

9" 

27 

26" 

+ 6" 


114 

82 

14" 

4-15" 

38,5 

14" 

+ 16" 

29 

32" 

-f 

2" 

28 

82" 

- 3" 


127 

80 

18" 

4-10" 

29.5 

18" 

+ 10" 

29 

32" 

-f 

10" 

29 

82" 

+ 10" 


143 

39,5 

14" 

4- 7" 

40 

14" 

+ 9" 

88,5 

30" 


8" 

33 

80" 

+ 5" 


176 

40 

14« 

4- 2" 

39 

14" 

+ 3" 

82 

31" 

-f 

3" 

82 

31" 

0" 

jl6.5 

46 

14" 

4- 4" 

46.5 

14" 

— 5" 

88,5 

31" 


2" 

34 

81" 

+ 2" 

: 85 

87 

12" 

4- 2" 

84,5 

12" 

+ 6" 

28 

28" 


7" 

25,5 

28" 

+ 3" 

1184 

88>5 

14" 

4-11" 

40 

14" 

+ 10" 

29 

31" 


1" 

80 

31" 

0" 


156 

22,5 

14" 

-r 19" 

21,5 

14" 

+ 19" 

22,5 

26" 

-f 

5" 

20.5 

26" 

- 2" 


144 

87 

14" 

+ 6" 

86.5 

14" 

+ 6" 

29 

26" 

-i- 

2" 

80 

26" 

+ 7" 


147 

88,5 

14" 

4- 6" 

38 

14" 

+ 6" 

25,5 

27" 

-j- 

7" 

27.5 

27" 

+ 7" 


5 

87,5 

14" 

— 

86 

14" 

— 

27 

29" 



25 

29" 

_ 


145 

85 

14" 

4- 2" 

38 

14" 

-f 8" 

28.5 

27" 

4- 

7" 

27 

27" 

+ 7" 


154 

89,5 

14" 

4- 6" 

35,5 

14" 

-f 11" 

27.5 

.31" 

4- 

4" 

80,5 

31" 

+ 4" 


72 

41 

14" 

— 2" 

89,5 

14" 

-f 8" 

82.5 

31" 

4- 

5" 

82 

81" 

+ 6" 


101 

1 

80 

14" 

4- 5" 

27 

14" 

+ 1" 

24 

27" 

4- 

5" 

25 

27" 

+ 6" 


Digitized by <^ooQle 


















Zur Frage der Schräg- oder Steüschrift. 


13 


Beckenliide 

^ • 
fl Xi 

pj 

OQ 

q) Qi 

OC OQ 

Qi Qi 

qj 

l'S 

Q o) 

Verschiebung 

des Ober¬ 

körpers 

Drehung des | 

Oberkörpers 

Beckendrehung 

Vorderarm- || 

Beckenlinie- 1 

Winkel || 

Grundstrich- 

Zeilenwinkel 

Ende 

H 

< 

N 

-5 

24« 

-4« 

_ 

5« 

+ 26« 

+ 27« 

— 14« 

+ 9« 

48« 

52« 


25« 

— 4« 

— 

5« 

4- 4« 

+ 19« 

+ 15» 

+ 3» 

67« 

75« 

-1.5 

26« 

— 

— 

4« 

+ 23« 

+ 13« 

— 14« 

— 8« 

47« 

63« 

-5 

20« 

— 

— 

4« 

+ .52« 

+ 22« 

— 12« 

— 11« 

52« 

62« 

0 

30« 

— 1« 

— 

4« 

+ 24« 

+ 9« 

-15« 

— 3« 

55« 

45« 

+ 2 

24« 

— 7« 

— 

4« 

+ 13« 

+ 42« 

- 8« 

— 9« 

80« 

51« 

-6 

25« 

— 4« 

— 

4« 

+ 36« 

+ 52« 

— 13« 

- 1« 

66« 

55« 

-5,5 

24« 

-5« 

— 

4« 

+ 17« 

+ 6.5« 

— 13« 

— 2« 

55« 

51« 

-5 

24« 

-f5« 

— 

4« 

+ 29« 

+ 62« 

— 12« 

— 2« 

55« 

58« 

-4,5 

26« 

- 7« 

— 

4« 

4-24« 

+ 64« 

— 12« 

- 6« 

65« 

68« 

-5 

23« 

— 5« 

— 

4« 

+ 21« 

+ 67« 

— 18« 

+ 7" 

53« 

55« 

0 

30« 

— 7« 

— 

4« 


+ .5« 

- 7« 

- 1« 

72« 

42« 

-1,5 

22“ 

0« 

— 

4« 

+ 14« 

+ 45« 

— 6« 

4- 4« 

72« 

61« 

-4,5 

22« 

— 

— 

3« 

+ 27« 

+ 10« 

— 8« 

— 7« 

30« 

66« 

-4,5 

20« 

— 

— 

3« 

+ 24" 

4-27« 

— 5« 

- 11« 

60« 

46« 

+ 1,5 

26« 

— 9« 

— 

3« 

+ 26« 

4-22« 

— 8« 

— 6« 

57« 

53« 

-3 

20« 

— 7« 

— 

3« 

+ 17« 

+ 26« 

— 3« 

— 7« 

66« 

53« 

-4.5 

25« 

-t-3« 

— 

3« 

+ 21« 

4-25« 

- 11« 

- 3« 

45« 

.54« 

-4.5 

22« 

— 6« 

— 

3« 

+ 2.5« 

+11« 

— 8« 

— 11« 

41« 

55« 

-6,5 

25« 

0« 

— 

3« 

+ 42« 

+ 14« 

— 21« 

- 9« 

39« 

57« 

-5,5 

19« 

-1-4« 

— 

3« 

4-21« 

+ 19« 

— 8« 

+ 6« 

53« 

57« 

— 5 1 

22« 

— 3« 

— 

3« 

+ 10« 

+ 28« 

— 16« 

— 2« 

67« 

66« 

-2 ' 

29« 

-4« 

— 

3« 

— 4« 

+ 2« 

— 8« 

+ 3« 

75« 

70« 


28« 

0« 

— 

2« 

4-40« 

+ 28« 

— 5« 

— 7« 

72« 

55« 

-6 

21« 

-5« 

— 

2« 

+ 12« 

+ 61« 

- 9« 

— 10« 

72« 

61« 

-1,5 

36« 

0« 

— 

2« 

4-17« 

— 21« 

— 1« 

+ 14« 

50« 

59« 

-2;5 

26« 

— 3« 

— 

2« 

+ 17« 

— 67« 


4- 3« 

62« 

55« 


25« 

-5« 

— 

0« 

4-10« 

+ 12« 


— 8« 

67« 

74« 

- 4,5 

20« 

+ 7« 


2« 

4-10« 

+ 24« 

— 10« 

— 7« 

63« 

45« 

-1,5 

24« 

- 2« 

+ 

2« 

4-35« 

+ 22« 

— 2« 

— 6« 

47« 

54« 

-3,5 

25« 

— 8« 

+ 

2« 

+ 34« 

+ 11« 

— 19« 

— 6« 

40« 

55« 

-2,5 

25« 

-f 5« 

+ 

2« 

4-19« 

+ .59« 

— 2« 

— 2« 

55« 

48« 

+ 1 

25« 

— 3« 

4- 

2« 

4-20« 

_23» 

— 2« 

— 5« 

.54« 

40« 

-8 

28« 

— 5« 

+ 

3« 

— 3« 

+ 23« 

— 7« 

— 4« 

61« 

49« 

— 3 

21« 

— 3« 

+- 

4« 

+ 19« 

+ 42« 

— 2« 

— 8« 

54« 

44« 

-6 

25« 

— 6« 

4- 

4« 

4-30« 

+ 36« 

0« 

— 12« 

40« 

00« 

-6.5 

18« 

— 7« 

4- 

4« 

4-38« 

+ 10« 

4- 6« 

— 10« 

35« 

55« 

2,5 

22« 

— 3« 

4- 

5« 

4-19« 

+ 54« 

— 14« 

4- 7« 

46« 

00« 

— 6 

23« 

— 7« 

4- 

6« 

4-31« 

+ 3« 

— 7« 

4- 1« 

.50« 

65« 

3,5 

25« 

— 

4- 

7« 

+ 20« 

+ 29« 

— 4« 

— 14« 

55« 

61« 

— 3 

23« 

KW 

4- 

8« 

4-22« 

+ 59« 

— 10« 

— 2« 

44« 

65« 

— 4 

15« 

KW 

4- 

8« 

4-31« 

+ 62« 

— 5« 

- 5« 

47« 

48« 

ma 

28« 

-4« 

4-10« 

4- 25« 

+ 32« 

0« 

— 12« 

58« 

55« 


25« 

-7« 

4-12« 

4-48« 

+ 30« 

+ 3« 

— 16« 

37“ 

63« 


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14 


Georg Burckhard. 


Kurz zusammengefasst ist der Inhalt der Tabelle 1 folgender: 

Vierte Rubrik — Verschiebung des Heftes: 

nach rechts (—).168 Fälle = 90,8^-« 

nach links (-f-).16 „ = 8,6^ 

Mittellage. 1 * =0,6 o 

Grenzen der Verschiebung: 


nach rechts (—). 

33» 

nach links (-[-). 

12 ^ 

mithin grösste Differenz .... 

46» 

Fünfte Rubrik — Drehung des Heftes: 


nach rechts. 

19 Fälle = 10,2 »;o 

nach links . . ‘. 

162 , = 87,7 »0 

keine Drehung. 

4 , = 2,1 > 

Grenzen der Drehung: 


nach rechts. 

12» 

nach links. 

52» 

mithin grösste Differenz .... 

64» 

Sechste Rubrik — Verschiebung des Oberkörpers: 

nach rechts. 

66 Fälle = 35,6 V 

nach links. 

117 , = 63,3 »;o 

keine Verschiebung. 

2 , = 1,1 »/o 

Grenzen der Verschiebung: 


nach rechts. 

83» 

nach links. 

76» 

mithin grösste Differenz .... 

159» 

Siebente Rubrik — Drehung des Oberkörp 

ers: 

nach rechts. 

154 Fälle = 83,2 »0 

nach links. 

27 , = 14,6 > 

keine Drehung. 

4 , = 2,2 »;o 

Grenzen der Drehung: 


nach rechts. 

36 » 

nach links. 

15» 

mithin grösste Differenz .... 

51» 

Achte Rubrik — Drehung des Beckens: 


nach rechts. 

75 Fälle = 40,6 »0 

nach links. 

102 , = 55,2 »0 

keine Drehung. 

8 , = 4,2 »,> 


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Zur Frage der Schräg- oder Steilschrifb. 


15 


Grenzen der Drehung: 

nach rechts.16 ® 

nach links.25 ® 

mithin grösste Differenz .... 41® 

Neunte Rubrik — Vorderarmbeckenliniewinkel: 

kleinster Winkel.30 ® 

grösster Winkel.93 ® 

mithin grösste Differenz .... 63® 

Zehnte Rubrik — Grundstrichzeilenwinkel: 

kleinster Winkel.40 ® 

grösster Winkel.83 ® 

mithin grösste Differenz .... 43® 

Die grössten Unterschiede der in den einzelnen Rubriken an¬ 
gegebenen Winkel sind also folgende: 

bei der Heftverschiebung ... 45 ® 

Heftdrehung .... 64 ® 

Oberkörperverschiebung 159 ® 

Oberkörperdrehung . . 51 ® 

Beckendrehung ... 41 ® 

Vorderarmbeckenwinkel . 63 ® 

Grundstrichzeilenwinkel . 43 ® 


Schenk hat nun, da sich zwischen den einzelnen Rubriken 
ein deutlicher Zusammenhang erkennen lässt, die Zahl der gemessenen 
Schüler in drei gleich grosse Gruppen getheilt und dann die Durch- 
schnittszifiFern der einzelnen Gruppen und Rubriken mit einander 
verghchen, um den Zusammenhang zwischen den einzelnen Rubriken 
noch deutlicher zu machen. 

Ich bin auch hierin seinem Vorgang gefolgt. Die bei dieser 
Zusammenstellung erhaltenen Resultate sind in Tab. 2 niedergelegt. 


Tabelle 2. 


Gruppe 

Verschie¬ 
bung des 
Heftes 

Drehuni^ 
des Heftes 

Verschie¬ 
bung des 
Oberkörpers 

Drehung 
des Ober- | 
köi*per8 

Drehung 

des 

Beckens 

Ellenbogen- 

Becken- 

wiukel 

Grund- 

strich-Zei- 

leuwinkel 

I 

19,.3" 
rechts. 

w.s» 

links. 

60,1® 

rechts. 

1‘2,3« 

rechts. 

5,9« 

links. 

70,1® 

55,7® 

11 

10,60 

rechts. 

15,5" 
links. 

6,8® 

links. 

12,1« 

rechts. 

1,2« 

links. 

63,7» 

56,7® 

111 

1,7« 

rechts. 

1 22,0» 

1 links. 

19,7® 

links. 

8,9« 

rechts. 

3,5« 

rechts. 

39,6® 

5.5,8® 


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16 


Georg Burckhard. 


Das Resultat dieser Tabelle ist folgendes: 

1. Je weniger das Heft nach rechts verschoben ist, 
desto mehr wird es nach links gedreht. 

2. Je weniger das Heft nach rechts verschoben ist, 
desto weniger wird der Oberkörper nach rechts ge¬ 
dreht. 

3. Je weniger das Heft nach rechts verschoben ist, 
desto kleiner wird der Ellenbogenbeckenwinkel. 

4. Je weniger das Heft nach rechts verschoben ist, 
desto mehr wird das Becken, das anfangs nach 
links gedreht war, nach rechts gedreht. 

5. Je weniger das Heft nach rechts verschoben ist, 
desto mehr wird der Oberkörper nach links ver¬ 
schoben. 

Ferner ist aus dieser Tabelle bezüglich der Drehung des Heftes 
zu ersehen: 

1. Je mehr das Heft nach links gedreht ist, desto 
mehr wird auch der Oberkörper nach links ver¬ 
schoben. 

2. Je mehr das Heft nach links gedreht ist, desto 
weniger wird der Oberkörper nach rechts ge¬ 
dreht. 

3. Je mehr das Heft nach links gedreht ist, desto 
weniger wird das Becken nach links gedreht. 

4. Je mehr das Heft nach links gedreht ist, desto 
kleiner wird der Ellenbogenbeckenwinkel. 

Meine Messungen ergeben also ein von dem Schenk’schen 
abweichendes Resultat insofern als nach Schenk die Körperhaltung 
bei gerader Rechtslage des Heftes besser ist als bei schräger Mittel¬ 
lage, während mein Schluss dahin geht: soll Schrägschrift ge¬ 
schrieben werden, so darf das Heft nicht genau vor der 
Mitte des Körpers liegen, sondern muss etwas nach 
rechts verschoben sein (etwa 10und es darf nicht 
genau parallel der Tischkante liegen, sondern nach 
links gedreht (etwa 15^), da bei dieser Heftlage die Körper¬ 
haltung die beste ist. 

Auf Messungen fussend, die ähnlich den meinigen ausgeführt 
wurden, hat Herr Dr. Schubert die von ihm untersuchten Fälle 
nach ihrer Gesammthaltung rubricirt; er bezeichnet die Kinder 


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Zur Frage der Schräg- oder Steilschrift. 


17 


mit horizontaler und mit ganz gering geneigter Augen- und Schulter¬ 
linie (bis zu ± ^ als solche mit guter und fast guter Haltung, 
während er alles, was ±6^ und darüber geneigt ist, schlechte Hal¬ 
tung nennt. 

Eine gleiche Zusammenstellung aus meinen Messungen (131 Fälle) 
ergibt die Tabelle 3. 

Tabelle 3. 



Fälle 
von 131 

% 

1. Augen- und Schulterlinie horizontal. 

19 

14,5 

2. Augenlinie horizontal, Schulterlinie 5*^ geneigt. 

4 

3,0 

3. Schulterlinie horizontal, Augenlinie 5® geneigt. 

7 

5,4 

4. Augen- und Schulterlinie 5® geneigt. 

5 

3,8 

Gute und fast gute Haltung. 

35 

26,2 

Folglich schlechte Haltung. 

96 

00 


Also sassen von den Schrägschrift schreibenden 
Kindern nur 26,2 gut, während 73,8ungenügende, 
d. h. schlechte Haltung hatten. 


II. Steilschrift. 

Für die Messungen an den Kindern, die Steilsclirift schrieben, 
und für die aus den Resultaten dieser Messungen zusammengestellten 
Tabellen gilt das Gleiche, was bei der Schrägschrift gesagt wurde. 

AuffaUend ist bei diesen Messungen die relativ bedeutende 
Grösse des Winkels, der die Verschiebung des Oberkörpers angibt. 
Dies ist dadurch bedingt, dass die Kinder mit aufrechter Körper¬ 
haltung sehr nahe am Tisch sassen, so dass die Projection der Schulter¬ 
linie nicht zwischen Tischkante und Beckenlinie zu liegen kam (cf. 
Schenk, A^tiologie der Skoliose, p. 6), sondern noch über die 
Beckenlinie hinausfiel. 

Die Kinder schrieben alle in der Weise, dass der Theil des Heftes, 
der gerade beschrieben wurde, genau vor der Mitte der Brust lag, was 
zur Folge hatte, dass das Heft ungefähr nach jedem dritten Wort 
verschoben wurde. 

Auch bei Tabelle 4 sind die Fälle nach der Verschiebung des 
Schreibheftes (Rubrik 4) angeordnet, und zwar beginnt sie wieder 
mit der stärksten Rechtsverschiebung. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. II. Band. 2 


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Tabelle 


18 


Georg Burckhard 

































Zur Frage der Schräg- oder SteiLschrift. 19 


l 

^ 5i rv F- 
r. r. X X 

C 

C 

Ci 

X 

o 

s s 

Ci Ci 

S 

X 

X 

o 

X 

o 

X 

X 

o 

X 

X 

Ci 

S 

X 

1 

3 
• fl 

X 

X 

X 

3 

C 


S 

© 

3 

X 

3 3 

© 

X 

3 

X 

3 

X 

X 

0 0 

so t- 
X X 


h ^ z 

= 

c 

C 

o p 

c 

9 


= 

o 

= 

© 

X 

© 

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20 


Georg Burckhard. 


Der Inhalt der Tabelle 5 ist kurz folgender: 

Vierte Rubrik — Verschiebung des Heftes: 

nach rechts.20 Fälle = 33,3 V 

nach links.33 „ = 55,0 o 

Mittellage. 7 „ = ll,7^o 

Grenzen der Verschiebung: 

nach rechts.14 ^ 

nach links.18 

mithin grösste Differenz .... 32® 

Fünfte Rubrik — Drehung des Heftes: 

nach rechts.28 Fälle = 46,7 ® o 

nach links.28 „ = 46,7 ® o 

keine Drehung. 4 „ = 6,6 ® o 

Grenzen der Drehung: 

nach rechts.10 ® 

nach links. 8 ® 

mithin grösste Differenz .... 18® 

Sechste Rubrik — Verschiebung des Oberkörpers: 

nach rechts. 7 Fälle = 11,7® ! 

nach links.49 „ = 81,7 ®;o 

keine Verschiebung. 4 „ = 6,6 ®;o 

Grenzen der Verschiebung: 

nach rechts.83® 

nach links.90 ® 

mithin grösste Differenz .... 173® 

Siebente Rubrik — Drehung des Oberkörpers: 

nach rechts.41 Fälle = 68,4 ®o 

nach links.15 „ = 25,0 

keine Drehung. 4 „ = 6,6®'^ 

Grenzen der Drehung: 

nach rechts.20 ® 

nach links.14 ® 

mithin grösste Differenz .... 34® 

Achte Rubrik — Beckendrehung: 

nach rechts.14 Fälle = 23,4 ®o 

nach links.40 „ = 66,6 ® 

keine Drehung. 6 „ = 10,0 ® 


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Zur Frage der Schräg- oder Steilschrift. 


21 


Grenzen der Drehung: 

nach rechts. 7 ^ 

nach links.11 ^ 

mithin grösste Differenz .... 18 

Neunte Rubrik — Vorderarmbeckenwinkel: 

kleinster Winkel.45 ® 

grösster Winkel.76 ® 

mithin grösste Differenz .... 31® 

Zehnte Rubrik — Grundstrichzeilen winkel: 

kleinster Winkel.84 ® 

grösster Winkel.93 ® 

mithin grösste Differenz .... 9® 

Die grössten Differenzen der Winkel in den einzelnen Rubriken 
sind also folgende: 

bei der Heftverschiebung ... 32 ® 

Heftdrehung . . . . 18 ® 

Oberkörperverschiebung 173 ® 

Oberkörperdrehung . . 34 ® 

Beckendrehung . . . 18 ® 

Vorderarmbeckenwinkel . 31 ® 

Grundstrichzeilenwinkel . 9 ® 

Theilt man nun, wie dies in Tabelle 2 für die Schrägschrift 


geschehen, auch die Fälle von Steilschrift in drei Gruppen und ver¬ 
gleicht deren Durchschnittswerthe, so ergibt sich Tabelle 5. 


Tabelle 5. 














22 


Georg Burckhard. Zur Frage der Schräg- oder Steilschrift. 


Aus dieser Tabelle lassen sich folgende Schlüsse ziehen: 

1. Je mehr das Heft nach links verschoben ist, desto 
weniger wird es nach rechts gedreht. 

2. Je mehr das Heft nach links verschoben ist, desto 
mehr wird der Oberkörper nach links verschoben. 

3. Je mehr das Heft nach links verschoben ist, desto 
weniger wird der Oberkörper nach rechts gedreht. 

4. Je mehr das Heft nach links verschoben ist, desto 
weniger wird das Becken nach rechts gedreht. 

5. Auf Ellenbogenwinkel und Grundstrichzeilenwinkel 
hat die Heftlage hier scheinbar keinen Einfluss. 

Genau gleich liegen die Verhältnisse, je mehr das 
Heft nach links gedreht wird. 

Es geht also aus diesen Messungen hervor, dass die beste 
Körperhaltung bei Steilschrift dann erreicht ist, wenn 
das Heft annähernd vor der Mitte der Brust (1,0und 
parallel z^ur Tischkante resp. Beckenlinie liegt. 

Bezüglich der Gesammthaltung bei der Steilschrift ergeben sich 
folgende Zahlen: 

Tabelle 6. 



Fälle 
von 30 


1. Augen- und Scbulterlinie horizontal. 

43 

71,7 

2- Augenlinie horizontal. Schulterlinie 5® geneigt. 

3 

5.0 

3. Schulterlinie horizontal, Augenlinie 5® geneigt. 

2 

3.3 

4. Augen- und Schulterlinie 5® geneigt. 

1 

1,6 

Gute und fast gute Haltung. 

49 

81,6 

Folglich schlechte Haltung. 

11 

18.4 


Demnach hatten von den Steilschrift schreibenden 
Kindern 81,0 *^0 gute, 18,4 ^;o schlechte Haltung. 

Der Vergleich mit der Haltung der Schrägschrift schreibenden 
Kinder (S. 0) lässt klar erkennen, dass die Steilschrift die bei weitem 
empfehlenswerthere ist. 


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II. 


lieber einen Fall von „willkürlicher“ angeborener 
präfemoraler Kniegelenkslnxation nebst anderwei¬ 
tigen angeborenen Anomalieen fast sämmtlicher 
G-elenke des Körpers. 

(Zum Theil vorffetragen auf dem 20. deutschen Cbirurffenconirre.s.s 
am 3. Aprü 1891.) 

Von 

Prof. Dr. Julius Wollf in Berlin. 

Mit 3 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Meine Herren! Bei der O^ejährigen Patientin, die ich die Ehre 
habe, Ihnen hier vorzustellen (Frieda S. aus Draheim bei Marien¬ 
burg), handelte es sich um angeborene, unter einander selir ver¬ 
schiedenartige Anomalieen fast sämmtlicher Gelenke des Körpers. 
Durch das gleichzeitige Vorhandensein dieser verschiedenen zum Theil 
schon an sich selbst überaus merkwürdigen und seltenen Anomalieen 
bei einem und demselben Individuum steht der Fall, wie die Durch¬ 
musterung der bezüglichen Literatur ergibt, als ein Unicum da. 

Die meisten Gelenke zeigen einen abnorm weiten und nach¬ 
giebigen Kapsel- und Bandapparat, derart, dass alle Bewegungs- 
excursionen in diesen Gelenken grösser sind, als im normalen Zu¬ 
stande, und dass es möglich ist, sowohl durch Zug Distractionen in 
diesen Gelenken, als auch durch passive Bewegungen allerhand 
Luxations- und Subluxationsstellungen nach den verschiedensten Rich¬ 
tungen hin zu bewirken. 

In drei Gelenken, den beiden Hüftgelenken und dem linken 
Kniegelenke, handelt es sich um fixirte angeborene Luxationen, in 


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24 


Julius Wolff. 


den beiden oberen Radiusgelenken um bewegliche angeborene Luxa¬ 
tionen, im rechten Kniegelenke um eine willkürliche Luxation. 

Die linksseitige Kniegelenksluxation ist durch die von mir 1887 
vorgenommene blutige Reposition beseitigt worden. 

Die einzelnen Gelenke sind folgendermassen beschaffen. 

Rechtes Kniegelenk. 

Hier findet sich der Zustand der „willkürlichen Luxation“ 
der Tibia nach vorn und oben. 

Die kleine Patientin ist im Stande, in jedem Moment activ 
eine Luxatio praefemoralis der Tibia zu erzeugen; sie 
vermag diese Luxation ebenso in jedem Moment activ wie¬ 
der zu reponiren. 

Passiv kann man mit derselben Leichtigkeit die Luxation so¬ 
wohl hervorbringen, als auch reponiren. 

Alles dies ist ebenso wohl möglich, wenn die Patientin steht, 
als auch, wenn sie liegt. 

Eine Functionsstörung wird durch diese willkürliche Luxation 
nicht bedingt, weil die Luxation beim Stehen und Gehen niemals 
spontan eintritt. 

Beim ruhigen Liegen tritt zuweilen, wenn die Patientin gar 
nicht daran denkt, die Luxation spontan ein. Patientin ist aber im 
Stande, wenn sie die Luxation nicht haben will, dies spontane Ein¬ 
treten durchaus zu verhüten. 

Wenn der Unterschenkel luxirt ist, während die Patientin liegt, 
so kann man ihn bis nahe zum rechten Winkel (bis ca. 95 dorsal- 
wärts flectiren. Auch kann man alsdann seitliche Inflexionen desselben 
ausüben, und zwar nach innen bis zu einem Winkel von ca. 110^ 
nach aussen dagegen nur bis ca. 170®. 

Auch bei nicht luxirtem Unterschenkel ist eine Hyperexten¬ 
sion, aber von viel geringerer Excursion, nur bis ca. 170®, und 
eine ebenfalls geringere seitliche Flexion (nach aussen bis ca. 175®, 
nach innen bis ca. 165®) möglich. 

Beim Auftreten mit nicht luxirtem Gelenk setzt das Kind den 
rechten Fuss etwas nach einwärts. 

Die anatomischen Verhältnisse der das Gelenk constituirenden 
Knochenenden des Femur und der Tibia sind durchaus normal; 
ebenso zeigt die Patella ein normales Verhalten. 


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Ueber einen Fall von „willkürl.“ angeb. präfem. Kniegelenksluxation etc. 25 


Fig. 1 zeigt den Zustand des Knies, wenn Patientin dasselbe 
willkürlich luxirt hat, von aussen gesehen; Fig. 2 (S. 26) von vorn 
gesehen; Fig. 3 zeigt den Zustand desselben Knies, nachdem die 
Patientin die Luxation willkürlich reponirt hat. 


Fig. 1. 




Linkes Kniegelenk. 

Im linken Kniegelenk bestand von der Geburt ab bis zum 
Sommer 1887 eine fixirte präfemorale Luxation. Genau also der¬ 
selbe Zustand, der rechterseits besteht, wenn die Patientin die Luxa¬ 
tion willkürlich erzeugt hat, dessen Eintreten aber hier durch den 
Willen der Patientin verhütet werden kann, bestand an der linken 
Seite andauernd und war hier vollkommen irreponibel. 


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26 


Julius WolfF. 


Die Beine Wciren mithin damals nur dann gleich lang, wenn 
das Kind an der rechten Seite die Luxation willkürlich erzeugt hatte. 
Für gewöhnlich aber, d. h. wenn die rechtsseitige Luxation reponirt 
war, bot das linke Bein eine V erlängerung von 5—6 cm dar. 
Es war dadurch eine sehr bedeutende Functionsstörung erzeugt worden. 
Da das Kind mit luxirtem rechtem Knie weder gehen wollte, noch 
auch gehörig konnte, so war ein einigermassen gleichmässiges Auf¬ 
treten nur durch Erhöhung der Stiefelsohle der verkürzten linken 
Seite um 5 ^2 cm möglich. Die Patientin half sich damals in kümmer¬ 
licher Weise nur mit Hilfe einer Krücke fort. 

Ich stellte im Mai 1887 in der Narkose fest, dass eine unblutige 
Reposition ganz unmöglich war, und dass auch 
irgend eine langsame orthopädische Behandlung der 
linksseitigen Kniegelenksaflfection nicht die geringste 
Aussicht auf Erfolg dargeboten hätte. Bei sehr 
starkem Zug rückte die Tibia, da die Weichtheile der 
Kniegelenksgegend enorm verkürzt waren, und die 
hintere Kapsel wand offenbar fest an der Vorder¬ 
fläche der Femur adhärirte, kaum um 1 cm weiter 
nach unten. 

Ich entschloss mich deshalb, behufs Beseitigung 
der durch die linksseitige Verkürzung bedingten 
schweren Gehstörung die Luxation der Tibia auf 
operativem Wege zu reponiren. 

Nachdem ich (am 17. Mai 1887) durch den 
gewöhnlichen nach unten convexen Bogenschnitt das 
Gelenk freigelegt und die Gelenkenden des Femur und der Tibia so weit 
als nöthig frei präparirt, namentlich auch die Adhärenzen der hinteren 
Kapsel wand an der vorderen Fläche des Femur abgetrennt hatte, handelte 
es sich zunächst noch darum, das durch den Quadriceps bedingte Re- 
positionshinderniss zu beseitigen. Der Quadriceps, in welchem die durch 
die Haut hindurch fast gar nicht palpabel gewesene Patella sich als ein 
ganz rudimentäres Knöchelchen vorfand, war natürlich um ebensoviel, 
als die ganze Extremität verkürzt. Um ihn nicht quer durchschneiden 
zu müssen, und doch zugleich seine Verlängerung zu erzielen, schnitt 
ich ihn in Abständen von je 1 cm abwechselnd von rechts und von 
links her zickzackförmig ein. Nachdem dies geschehen war, gelang 
es zwar, mittelst starken Zuges die Tibia unter den Femur herab¬ 
zubringen : die durch die functionelle Anpassung an die Verhältnisse 



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Ueber einen Fall von ^willkürl.“ angeb. präfem. Kniegelenksluxation etc. 27 


der Luxation bedingt gewesene Retraction der Haut und der ge- 
sammten Weichtheile der Kniegelenksgegend war aber so stark, dass 
die Tibia mit den wohl erhaltenen, aber natürlich sehr verlängerten 
Ligamenta cruciata immer noch wieder nach oben zurückfederte. Erst 
nachdem ich auch noch die Tuberositas tibiae abgemeisselt, und an 
einer etwas höheren Stelle mittelst eines Elfenbeinstiftes wieder be¬ 
festigt hatte, gelang endlich die Retention der Tibia. Mittelst zweier 
an den äusseren bezw. inneren Condylen applicirter Silberdrähte be¬ 
wirkte ich schliesslich noch eine weitere Sicherung des Verbleibens 
des Femur und der Tibia in ihrer richtigen Lage. 

Ich bemerke noch, dass die Gelenkflächen des Femur und der 
Tibia in normaler Weise überknorpelt waren; nur waren die Tibia¬ 
facetten viel weniger deutlich ausgeprägt, als im normalen Zustande. 

In der vierten Woche (am 10. Juni) wurden der Elfenbeinstift 
und die Drähte entfernt. Nach 5 Wochen war die Heilung vollendet, 
und wurde die Patientin (am 22. Juni) aus der Klinik entlassen. 

Das Resultat der Operation war, wie ich es damals der Berliner 
Chirurgen-Vereinigung zu deraonstriren vermochte, sofort, und ist, 
wie Sie sehen, auch heute noch, nachdem beinahe vier Jahre seit der 
Operation verflossen sind, ein durchaus befriedigendes. 

Die Beine sind vollkommen gleich lang. Das Kind geht 
ohne Stock oder irgend welchen Stützapparat, und vermag ziemlich 
weite Strecken hintereinander zu gehen, ohne müde zu werden. Es 
rennt mit den anderen Kindern umher, ohne dabei allzusehr auf¬ 
zufallen. Der Entengang, den Sie bei ihr bemerken, ist nicht durch 
den Zustand des operirten Kniegelenks bedingt, sondern durch die 
nachher zu besprechende angeborene beiderseitige Hüftgelenks¬ 
luxation. 

Sehr erfreulich ist es, dass das Unke Kniegelenk beweglich 
geblieben ist. Es lässt sich activ und passiv bis zu ca. 75^ beugen 
und überdies hyperextendiren, letzteres bis zu ca. 165^. 

Entsprechend dieser Möglichkeit der Hyperextension ist auch 
für gewöhnlich, d. i. beim ruhigen Stehen und beim Gehen ein ge¬ 
ringer Grad von Genu recurvatum, wodurch aber keine Functions- 
stöning bedingt wird, vorhanden. Die Recurvation ist nicht bloss 
durch die Stellung der Gelenkenden des Femur und der Tibia zu ein¬ 
ander bewirkt; vielmehr ist auch noch die Tibia selbst in der Gegend 
der Tuberositas etwas recurvirt, insofern sie hier eine leichte, nach 
vorn sehende Concavität zeigt. 


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28 


Julius Wolff. 


Die rudimentäre Patella lässt sich durch die Haut hindurch 
nicht deutlich palpiren. 

Rechtes EUenhogengelenk. 

In diesem Gelenke ist eine Hyperextension bis zu ca. 160®, eine 
seitliche Inflexion nach der Radialseite bis zu ca. 160® xmd eine seit¬ 
liche Inflexion nach der Ulnarseite bis zu ca. 170® möglich. 

Das Radiusköpfchen ist luxirt, und zwar springt es bei ruhiger 
Armhaltung stark nach der Volarseite und zugleich etwas nach aussen 
vor. Wenn man den Vorderarm hyperextendirt, so wird die Prominenz 
des Radiusköpfchens an der Volarseite noch viel erheblicher. Auch 
durch Pronation des Vorderarms wird die betr. Prominenz vermehrt. 

Die Luxation des Radiusköpfchens ist eine zwar permanente, 
aber doch nicht fixirte. Der Radius ist vielmehr gegen Humerus 
und Ulna derart beweglich, dass man passiv die bestehende Luxation 
noch auffälliger machen kann, als sie es von Natur ist, dass man 
aber auch den Radius aus dieser Stellung heraus- und in die Luxations¬ 
stellung nach hinten bringen kann. 

Die Excursion der Pronation und Supination des Vorderarms 
überschreitet ebenfalls erheblich das normale Maass. Beim Maximum 
der Supination sieht die Vola der vorgestreckten Hand nicht nach 
oben, sondern nach aussen; beim Maximum der Pronation nicht nach 
aussen, sondern nach oben und innen. 

Linkes Ellenbogengelenk. 

Die Hyperextension, die seitlichen Inflexionen, die vermehrte 
Pronation und Supination des Vorderarms sind in gleicher Weise 
vorhanden, und zeigen ziemlich genau dieselben Excursionsweiten, 
wie rechts. 

Das Radiusköpfchen ist dagegen hier mehr nach aussen, als 
nach vorn luxirt. Bei seitlicher Inflexion des Vorderarms nach der 
Ulnarseite wird die Prominenz des Radiusköpfchens noch erheblich 
vermehrt. Passiv lässt sich die Luxationsstellung des Radius be¬ 
seitigen, und an ihrer Stelle eine vollständige Luxation nach vorn, 
oder auch eine Luxation nach hinten erzeugen. 


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Ueber einen Fall von ,willkürl.‘ angeb. präfem. Kniegelenksluxation etc. 29 


Hüftgelenke. 

In beiden Hüftgelenken findet sich eine hochgradige fixirte 
Luxation, die sich in nichts von der gewöhnlichen congenitalen Hüft- 
luxation unterscheidet. Der Trochanter major steht rechts ca. 5, 
links ca. 4 cra hinter der Roser-N^laton*schen Linie. Ein Herab¬ 
ziehen des Femurkopfes bis zum Niveau der Pfanne ist unmöglich. 
Die Lendenwirbelsäule ist hochgradig lordoti.sch. 

Schultergelenke. 

Beide Oberarme lassen sich von der Cavitas glenoidea etwas 
nach abwärts distrahiren und in eine Subluxationsstellung sowohl 
nach vorn, als auch nach hinten bringen. 

Handgelenke. 

Die erste Handwurzelreihe lässt sich vom Radius um reichlich 
^/2 cm distrahiren, nach dem Dorsura subluxiren, nach der Vola aber 
vollständig luxiren. Auch nach der Ulnar- und Radialseite hin ist 
eine erhebliche Subluxation möglich, derart, dass der Unterschied 
der Subluxationsstellung nach der Radial- und derjenigen nach der 
Ulnarseite ca. 2^2 cm beträgt. 

Auch die untere Reihe der Carpalknochen lässt sich, obwohl 
in viel geringerem Grade, gegen die Metacarpalknochen subluxiren. 
Am stärksten ist die Möglichkeit der passiven Verschiebung in den Ge¬ 
lenken zwischen den Metacarpi pollicis und den Ossa multangula maj. 

Fingergelenke. 

Alle Metacarpophalangealgelenke und Interphalangealgelenke 
gestatten Distractionen bis zu V 2 complete oder fast complete 
seitliche Verschiebungen, sowohl nach der Radialseite als auch nach 
der Ulnarseite, Subluxationen nach der Volarseite und vollständige 
Luxationen nach der Dorsalseite. Bei der Subluxation der Phalangen 
nach dem Doi*sum hin lässt sich fast die ganze obere Gelenkfläche 
der Phalangen deutlich durch die Haut palpiren. 

Der Zeigefinger lässt sich derart hyperextendiren, dass man 
ihn platt auf das Dorsum manus legen kann. Nicht ganz, aber 
nahezu ebensoweit lassen sich die übrigen Finger hyperextendiren. 


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30 


Julius Wolff. 


Pussgelenke. 

In beiden Fussgelenken ist eine Subluxationsstellung sowohl 
nach vorn als nach hinten möglich. 

Zehengelenke. 

Die Zehen lassen sich in ähnlicher Weise wie die Finger dis- 
trahiren und subluxiren, bezw. vollständig luxiren. Die 2—5. Zehe 
kann man ganz platt auf das Dorsum pedis legen; an der 1. Zehe 
gelingt dies etwas weniger leicht. 

Schlüsselbeingelenk. 

Sowohl in den Sterno-, als auch in den Acromio-Clavicular- 
gelenken sind geringe Subluxationen nach den verschiedenen Rich¬ 
tungen hin möglich. 

Kiefergelenke. 

Die Kiefergelenke lassen sich nicht luxiren oder subluxiren. 
Beim Versuche, eine Subluxation zu erzeugen, klagt das Kind über 
lebhaften Schmerz. 


Meine Herren! Der vorgestellte Krankheitsfall gibt mir zu 
einer Reihe besonderer Bemerkungen Anlass. Dieselben betreffen 
zunächst die rechterseits vorhandene „willkürliche“ Kniegelenks¬ 
luxation, alsdann die linksseitige angeborene präfemorale Knie¬ 
gelenksluxation , ferner die hier geschehene operative Beseitigung 
der letzterwähnten Luxation, weiterhin den Zustand der abnorm 
grossen Beweglichkeit der meisten übrigen Gelenke des Körpers und 
endlich die Frage der Aetiologie der angeborenen fixirten Luxationen 
des Hilft- und Kniegelenkes. 

1. Die willkürliche Kniegelenksluxation. 

^ Der Zustand der willkürlichen Luxation (Luxation volontaire) 
ist zuerst von Perrin beschrieben worden. 

Es sind bisher in der Literatur von dieser Affection nur 8 Fälle 
mitgetheilt worden^). 4 Fälle — die von Portal, Huinbert et 

') Vergl. Perrin, Gaz. des H<3pit. 1859, 92. — Krön lein, Die Lehre 
von den Luxationen inBillroth-Lüeke’s Deutscher Chirurgie; Lief. 26 S. 112 Ü- 
— The Glasgow med. Journal 1882, Mai; ibid. October. 


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Ueber einen Fall von „willkürl.“ angeb. prilfem. Kniegeleuksluxution etc. 31 


Jacquier, Karpinsky und Deininger — betrafen das Hüft¬ 
gelenk der einen Seite; 2 Fälle — die von Stanley und Adams — 
beide Hüftgelenke. Ein Fall — der von A. Cooper — betraf eine 
Tänzerin, welche ihre beiden Patellae jederzeit nach Belieben nach 
aussen zu luxiren vermochte. Endlich berichtet noch Adams von 
einem Amerikaner, welcher „fast alle Gelenke“ seines Körpers will¬ 
kürlich luxiren und wieder einrenken konnte. Möglicherweise hat 
in dem letzteren Falle eine ähnliche willkürliche Kniegelenksluxation 
Vorgelegen, wie in dem unsrigen. Da aber nichts Genaueres über 
die Kniegelenke gesagt ist, so stellt die willkürliche rechtsseitige Knie¬ 
gelenksluxation unseres Falles bis jetzt in der Literatur ein ünicum dar. 

2. Die angeborene fixirte präfemorale Kniegelenksluxation. 

Die angeborenen Kniegelenksluxationen sind bekanntlich sehr 
seltene AfiFectionen ^), wenn sie auch bei weitem nicht derart grosse 
Raritäten sind, wie die willkürliche Luxation, namentlich diejenige 
des Kniegelenkes. 

Carl Müller hat einschliesslich der beiden von ihm aus der 
Benno Schmidt’schen Leipziger Universitäts-Poliklinik mitgetheilten 
Fälle bis zum Jahr 1888 23 angeborene Kniegelenksverrenkungen 
aus der Literatur zusammengestellt. Hiezu kommen noch ein von 
meinem Assistenten Herrn Dr. Joachimsthal aus meiner Klinik mit- 
getheilter Fall, ein Fall von Nissen (aus Heineke’s Beobachtung), 
ein Fall von Myers, ein Fall von Sayre und ein Fall von Phocas, 
sowie der uns hier beschäftigende Fall, zusammen 29 Fälle; von diesen 
waren 15 doppelseitig, 14 dagegen betrafen nur das Kniegelenk 
einer Seite. 

Nach Abzug eines der beiden Müller'sehen Fälle, in welchem 
es sich — bei einem todtgeborenen Mädchen — um eine Luxation 
nach hinten gehandelt hat, lag 20 Mal eine Luxatio praefemo- 
ralis vor. 

Der hier vorliegende Fall bietet noch ein besonderes Interesse 


9 Vergl. Carl Müller, Ueber congenitale Luxation im Knie. Arbeiten 
aus der chirurgischen Poliklinik zu Leipzig 1888- — J o ach i m s t h a 1, Berl. 
kiin. Wochen.schrift 1889, Nr. 42 8. 924. — Brunner, Ueber Genese, congeni¬ 
talen Mangel und rudimentäre Bildung der Patella; Virchow’s Archiv 1891, 
Bd. 124. — Hoffa, Lehrbuch der orthopädischen Chirurgie 8. .‘)b8. — Revue 
d’orthopedie 1891, Nr. 1. 


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32 


Julius Wolff. 


dar bezüglich der häufig discutirten Frage von dem Verhalten der 
Patella bei angeborener Kniegelenksluxation. 

Der Fall zeigt aufs Neue, dass, wie schon in der Joachims- 
thal’schen Mittheilung hervorgehoben wurde, der vollständige Mangel 
der Patella bei angeborener Kniegelenksluxation viel seltener sein 
dürfte, als gewöhnlich angenommen wird. 

Nur ein einziges Mal, in einem Falle, den Carl Müller mit- 
getheilt hat, konnte der vollständige Mangel der Patella thatsächlich 
anatomisch nachgewiesen werden. 

In 3 Fällen, die von Barwell, Krönlein und (aus meiner 
Beobachtung) von Joachimsthal mitgetheilt wurden, konnte nach 
der Geburt eine Patella nicht gefunden werden, während es später 
gelang, dieselbe als kleines Körperchen zu entdecken. In 4 Fällen 
(v. Ammon, Heinecke, Maas, B. Schmidt) konnte in vivo das 
Vorhandensein einer Patella nicht constatirt werden. Es handelte 
sich aber jedes Mal um sehr junge Kinder (ein neugeborenes, ein 
5 Wochen, ein 14 Wochen und ein 1Jahre altes), und es ist da¬ 
her sehr wohl möglich, dass in diesen Fällen die Patella vorhanden 
war und nur wegen ihrer sehr rudimentären Entwickelung nicht 
wahrgenommen wurde. In einem von Tarnier mitgetheilten 
Falle wurde die rudimentäre Bildung der Patella anatomisch fest¬ 
gestellt. 

Dem Tarnier sehen Falle von anatomisch nachgewiesener rudi¬ 
mentärer Entwickelung der Patella reiht sich der hier vorliegende an. 

Die operative Behandlung der angeborenen präfemoraleu 
Tibialuxation. 

Die angeborene Tibialuxation, an sich schon, wie wir gesehen 
haben, selten genug, ist noch sehr viel seltener bisher bei Leben¬ 
den zur Beobachtung gekommen. Schon allein unter den 12 Fällen 
doppelseitiger Luxation, die Müller zusammengestellt hat, handelte 
es sich (3 Mal um todte Früchte. Da überdies auch die bei Leben¬ 
den bisher beobachteten Fälle meistens sehr junge Kinder be¬ 
trafen, bei welchen man die Behandlung vorläufig weiter hinaus 
schieben zu müssen geglaubt hat, so ist die Frage, wie die con¬ 
genitale Kniegelenksluxation behandelt werden soll, bisher noch 
äusserst wenig zur Erörterung gekommen. 

In 4 der mitgetheilten Fälle (Richardson und Porter, Gha- 


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Ueber einen Fall von ^willkürl.“ angeb. präfem. Kniegelenksluxation etc. 33 


telain, du Bord und Benno Schmidt) soll durch orthopädische 
Behandlung die Beseitigung der Luxation gelungen sein. 

In dem von mir beobachteten Falle ") ist spontan im Laufe 
des 1. Lebensjahrs eine nicht unwesentliche Besserung eingetreten. 

Hoffa^) empfiehlt in seinem Lehrbuche, bei der congenitalen 
Knieluxation unblutige Repositionsversuche vorzunehmen, und im Falle 
des Misslingens derselben möglichst stark redressirende Gypsverbände 
und nachfolgend Schienenhülsenapparate zu verwenden. 

Eine eventuell operative Behandlung der Luxation ist bisher 
überhaupt von keiner Seite in Erwägung gezogen worden. 

Unter solchen Umständen gewinnen die für unsern Fall 
durch die Untersuchung in der Narkose und durch den Befund bei 
der Operation festgestellte Aussichtslosigkeit einer rein orthopädischen 
Behandlung, ferner der Umstand, dass hier zuerst, und bis jetzt hier 
allein unter den Fällen angeborener Knieluxation eine operative Be¬ 
handlung eingeschlagen worden ist, und endlich auch der in diesem 
Falle erzielte vortreffliche Erfolg der operativen Behandlung ein 
besonderes Interesse. 

Die in diesem Falle gewonnenen Erfahrungen sind aber nicht 
bloss von Belang für zukünftig zur Beobachtung kommende analoge 
Fälle von angeborener Knieluxation, sondern auch für die viel dis- 
cutirte Frage der Behandlung der im geraden Gegensatz zu der 
Seltenheit ,der angeborenen Knieluxation so ausserordentlich häufig 
vorkommenden angeborenen Hüftluxation. 

Da mein Fall bereits 1887 operirt worden ist, so darf ich auf 
Grund desselben den Anspruch erheben, hier zum ersten Male bei 
der angeborenen Luxation eines der grossen Körpergelenke genau 
nach denselben Principien vorgegangen zu sein, welche später A. Hoffa 
für die angeborene Hüftluxation mit Recht als massgebend fest¬ 
gestellt hat. 

Wie es Hoffa für die Hüftluxation nachgewiesen hat, so war 
auch in meinem Falle bei der Knieluxation die durch die functioneile 
Anpassung an die Luxationsstellung bedingte Verkürzung der 
Weichtheile das Haupthinderniss der Reposition. Hier, wie dort 
aber ergab es sich, dass durch Ueberwündung dieses Hindernisses, 
namentlich mittelst weit ausgedehnter Befreiung der Gelenkenden 

*) Vergl. Müller, 1. c. 

*) Vergl. Joachimsthal, 1. c. 

Vergl. Hoffa, 1. c. S. 512. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. II. Baud 3 


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34 


Julius Wolff. 


von allen adhärirenden Weichtheilen und durch Fixation der Gelenk¬ 
enden in ihrer richtigen Lage ein vorzüglicher Erfolg erzielt werden 
kann, insofern wir auf solche Weise nahezu den normalen Zustand 
wieder herzustellen vermögen. 

Es darf somit zur Bestätigung der Richtigkeit der Hoffa'schen 
Principien für die Operation der angeborenen Hüftluxation auch auf 
unsem Fall von Knieluxation verwiesen, und demgemäss auf s Neue 
ausgesprochen werden, dass bei der angeborenen Hüftluxation das 
Hoffa’sche Verfahren das einzig rationelle ist, und dass weder die 
Resection des Schenkelkopfs, noch die Aufrichtung eines Knochen¬ 
firstes als Barriere gegen das Aufsteigen des Schenkelkopfes nach 
König, jemals mit dem Hoffa’schen Verfahren werden concurriren 
können. 

4. Die angeborene abnorme Weite des Kapsel- und Band¬ 
apparates der Gelenke. 

Die Literatur kennt bisher nur eine durch krankhafte Zu¬ 
stände, und zwar durch Zustände zwiefacher Art erzeugte Erweiterung 
des Kapsel- und Bandapparates der Gelenke. Entweder handelt es 
sich um Erschlaffungen und Atoiiieen des betreffenden Apparates bei 
paralytischen Zuständen der Extremität, welcher die betreffenden 
Gelenke angehören. Eine solche Gelenksschlaffheit kommt nament¬ 
lich unter Mitwirkung der Schwere der herabhängenden oberen Ex¬ 
tremität bei Paralyse dieser Extremität am Schultergelenk zur Be¬ 
obachtung, und führt hier bekanntlich zu der dauernden, aber nicht 
fixirten Subluxationsstellung des Humerus nach unten, die man als 
„perpendiculäre Schulterluxation nach unten“ beschrieben hat. 

Zweitens kommt die Erweiterung des Kapsel- und Bandapparats 
der Gelenke als Folge von hydropischen Ansammlungen, die lange 
Zeit hindurch in einem Gelenke bestanden haben, vor, und wird hier 
als Gelenksdistention bezw. Distentionsluxation im Sinne v. V o 1 k- 
mann’s bezeichnet. 


’) Vergl. meine Arbeit über einen Fall von Schultergelenksarthrodese. 
wosell)st ich auf die Unrichtigkeit der Bezeichnung der paralytischen Gelenks- 
schlaftheit als ^perpendicuUirer Luxation nach unten“ hingewiesen habe, indem 
ich betonte, dass es zur Veiwirrung führt, wenn man die nicht fixirten und 
zugleich paralytischen Luxalionsstellungen als „Luxationen“ bezeichnet. Berl. 
klinische Wochenschrift 18s6, Nr. 52. 


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Ueber einen Fall von «willkürl.“ angeb. präfem. Kniegelenksluxation etc. 35 


Was die letztere Art der Gelenkserweiterung betrifft, so haben 
mir meine Erfahrungen über die Folgen hydropischer Ansammlungen 
im Kniegelenke Folgendes gezeigt. Der Hydarthros genu führt nur 
bei gleichzeitigen Lähmungszuständen, also wenn es sich um Arthro- 
pathia tabidorum oder sonstige neuropathische Gelenkserkrankung 
handelt, zur dauernden Gelenksdistention, während hydropische Er¬ 
güsse in das Kniegelenk, wenn sie selbst sehr bedeutend sind und 
lange bestanden haben, bei nicht zugleich paralytischer Extremität 
nach ihrer Beseitigung jedesmal die Möglichkeit der Restitution eines 
straffen Gelenkes gewähren. 

Von der bis hierher erörterten pathologischen Erweiterung des 
Kapsel- und Bandapparats muss die angeborene Erweiterung des¬ 
selben, wie wir sie in unserem Falle beobachten, durchaus unterschieden 
werden. Diese angeborene Erweiterung führt im Unterschiede zu der 
durch Paralyse oder hydropische Ansammlungen bedingten zu gar 
keinen oder wenigstens zu keinen wesentlichen Functionsstörungen der 
Gelenke; ja, sie scheint im Gegentheil bei gehöriger Uebung Kraft¬ 
leistungen der Gelenke zu ermöglichen, die unser Staunen erregen. 
Denn vermuthlich handelt es sich bei den sogenannten „Schlangen¬ 
menschen“, welche ihre Gelenke in verschiedenster Art zu subluxiren 
vermögen, um nichts anderes, als um das, was sich uns in unserem 
Falle an der grossen Mehrzahl der Gelenke darbietet. 

Es wäre zu wünschen, dass der vorliegende Fall zu weiterer 
und genauerer Erörterung der hier nur angedeuteten Verhältnisse, 
also namentlich zur Erörterung der Verschiedenheiten der pathologi¬ 
schen und der einfach angeborenen Gelenkserweiterung, und dass er 
weiterhin auch Anlass gibt zu einer überhaupt eingehenderen Er¬ 
forschung der angeborenen Gelenkanomalieen, als eine solche bisher 
in der Literatur vorliegt. Selbst die grossen bisher vorliegenden 
Werke über angeborene Missbildungen behandeln durchweg die an¬ 
geborenen Gelenkanomalieen in einer überaus stiefmütterlichen Art^). 


*) Ich möchte im Anschluss an das oben Gesagte hier beiläufig erwähnen, 
dass ich in den letztvergangenen Jahren zwei das Gegenstück des vorliegenden 
Falles darstellende Fälle angeborener Gelenkanomalieen zu beobachten Gelegen¬ 
heit hatte, deren Publication ich mir für später Vorbehalte. Es handelte sich 
um angeborene Ankylosen sämmtlicher grossen Gelenke. Den einen der 
beiden Fälle habe ich ebenfalls im Jahre 1887 der Freien Vereinigung der 
Chirurgen Berlins vorgestellt. 

In der Literatur habe ich bisher vergeblich nach analogen Fällen an- 


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3G 


Julius Wolff. 


5. Die Aetiologie der angeborenen Luxation des Hüft- und 
des Kniegelenkes. 

Unser Krankheitsfall ist in hervorragender Weise dazu geeignet, 
bei Erörterung der viel discutirten Frage nach den Ursachen der 
angeborenen Hüftluxation in Betracht gezogen zu werden. 

Unter den zahlreichen bisher aufgestellten Theorieen der Ent¬ 
stehung der congenitalen Hüftluxation finden heutigen Tages fast 
ausschliesslich nur noch entweder diejenigen bei den Chirurgen An¬ 
klang, welche das Leiden von einer gepressten Lage des Fötus im 
Mutterleib bei geringer Menge des Fruchtwassers und Adductions- 
stellung des Schenkels herleiten, oder diejenigen, welche dasselbe auf 
abnorme Kleinheit der Pfanne infolge einer frühzeitigen Verknöche¬ 
rung des y-förmigen Knorpels in der Pfanne oder infolge ungenügen¬ 
der Production knochenbildender Substanz von Seiten dieses Knorpels 
zurückführen. Für unsem Fall dürfen wir wohl mit Bestimmtheit 
sagen, dass diese heutigen Tages allein geläufigen Anschauungen 
über die Entstehung des Leidens hier nicht zutreffend sind. 

Es hiesse oflTenbar den thatsächlichen Verhältnissen Zwang an- 
thun, wollte man in unserem Falle die congenitale Hüftluxation nicht 
mit der in den meisten anderen Gelenken des Körpers vorhandenen 
abnormen Erweiterung des Kapsel- und Bandapparats in Zusammen¬ 
hang bringen. 

Es ist für unsern Fall kaum eine andere Erklärung denkbar, 
als dass die Kapselerweiterung das Primäre gewesen ist, und dass 
sie es war, die zu der nachträglich fixirt gewordenen Luxation ge¬ 
führt hat. 

Wir müssen also für unsern Fall auf eine Erklärung zurück¬ 
greifen, die der alten und heutigen Tages gänzlich vergessenen An¬ 
schauung von Sedillot und Ernst Stromeyer nahe kommt, nach 
welcher die angeborene Hüftluxation durch eine Erweichung und Er- 
schlaflung des ligamentösen Gelenkapparats hervorgerufen sein sollte. 
Wenn wir uns auch der Stromeyer’schen Auffassung von der „Atonie, 
Erschlaffung und Erweichung“ des betr. Apparates nicht anschliessen 

geborener Ankylosen der deutlichen grossen Körpergelenke gesucht. Möglicher¬ 
weise hat dies seinen Grund darin, dass thatsächlich solclie Fälle nicht zur Be¬ 
obachtung gelangt sind. Für wahrscheinlicher aber halte ich es, dass man die 
wirklich vorgekommenen Fälle bisher zu wenig beachtet und besprochen hat. 

b Vergl. Krnst Stromeyer, Ueber Atonie fibröser Gewebe und deren 
Rückbildung. Inaug.-Dissert. Würzburg ls40. 


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Ueber einen Fall von „willkürl.“ angeb. präfem. Kniegelenksluxation etc. 37 


können, so ist es doch zweifellos, dass in unserem Falle die hier vor¬ 
handen gewesene angeborene abnorme Erweiterung dieses Appa¬ 
rats die AfFection hervorgerufen hat. 

Es geht also unter allen Umständen aus den Verhältnissen 
unseres Falles hervor, dass man in der Kleinheit der Pfanne nicht 
unter allen Umständen die Ursache des Leidens zu suchen hat, dass 
vielmehr die Kleinheit der Pfanne, mag dieselbe nach Dollinger 
mit frühzeitiger Verknöcherung des y-förmigen Knorpels einhergehen, 
oder nach Grawitz mit ungenügender Knochenproduction seitens 
dieses Knorpels, ebenso gut auch die blosse Folge der Luxation, 
die Folge des Functionsmangels der unausgefüllt bleibenden Pfanne 
sein kann. 

Ebenso geht aus den klaren Verhältnissen unseres lediglich durch 
die Erweiterung des Kapselapparats bedingten Falles hervor, dass 
die Annahme einer gepressten Lage des Fötus im Uterus als Ursache 
der congenitalen Luxation keineswegs die allgemeine Bedeutung 
beanspruchen kann, die ihr von vielen ihrer Vertreter zugeschrieben 
worden ist. 

Für die Entstehung der angeborenen Knieluxation unseres 
Falles gelten nun aber genau dieselben Gesichtspunkte, wie für die 
Hüftluxation. 

Noch mehr als am Hüftgelenk ist es am Kniegelenk in die 
Augen springend, dass, wenn das eine Kniegelenk die Erscheinungen 
der willkürlichen, das andere die der fixirten Luxation darbietet, die 
die willkürliche Luxation erzeugende Kapselerweiterung auch das 
Primäre bei der fixirten Luxation gewesen sein muss. 

Man hat auch für die congenitale Knieluxation die Theorie 
geltend zu machen gesucht^), dass bei hochgradigem Mangel des 
Fruchtwassers der Uterusdruck die Dislocation bewerkstelligt. Es 
wurde für diese Theorie der Umstand betont, dass in fast allen zur 
Beobachtung kommenden Fällen die betr. Kinder mit über die Schulter 
geschlagenen, an den Leib gedrückten gestreckten Beinen zur Welt 
kamen, und dass diese Stellung längere Zeit nach der Geburt, so 
lange die Extremitäten sich selbst überlassen blieben, beibehalten 
wurde. 

Unser Fall, in dem so offenkundig eine ganz andere Ursache 
der Knieluxation vorliegt, nämlich die abnorme Kapselerweiterung, 


') Vergl. Brunner, 1. c. S. 364. 


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38 J- Wolff. üeb. einen Fall v. „willkürl.“ angeb. präfem. Kniegelenksluxation etc. 

zeigt, dass man wohl auch hier wieder Ursache und Wirkung mit ein¬ 
ander verwechselt hat, und dass demnach die Lage, in welcher Kinder 
mit angeborener Knieluxation im Uterus und unmittelbar nach der 
Geburt sich befinden, vielmehr lediglich als die Folge der Luxation 
zu betrachten ist. 

Wie weit die aus unserem Falle zu ziehende Lehre, dass eine 
angeborene abnorme Weite des Kapsel- und Band¬ 
apparates eines Gelenkes unter Umständen das ursächliche 
Moment einer angeborenen Luxation sein kann, für die Fälle 
von angeborener Luxation einer Verallgemeinerung fähig ist, 
dies festzustellen, wird weiteren Beobachtungen und Untersuchungen 
Vorbehalten bleiben müssen. 


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III. 


Skoliosis capitis — Caput obliquum. 

Von 

F. Beely-Berliii. 

Mit einer in den Text gedruckten Abbildung. 

Bereits seit einer Reihe von Jahren ist mir bei manchen Patienten, 
die wegen anderer Deformitäten in meine Behandlung kamen, eine 
eigenthümliche typische Asymmetrie des Kopfes aufgefallen, so dass 
ich mich veranlasst fühlte, hin und wieder Aufzeichnungen darüber 
zu machen. Geringe Grade dieser Asymmetrie sind nicht immer 
leicht zu erkennen oder Anderen, z. B. den Eltern der Patienten zu 
demonstriren, besonders dann nicht, wenn dichtes Haar den Kopf 
bedeckt. Am sichersten kann man sich von ihrem Vorhandensein 
überzeugen, wenn man den Patienten so vor sich hinstellt oder legt, 
dass man den Kopf direct von oben her, ohne zunächst vom Gesicht 
mehr als die Stirn zu sehen, betrachtet und ihn dann so einstellt, dass 
die Pfeilnaht in die Verlängerung der Medianebene des Beschauers 
fällt. Man erhält dann den Eindruck, als ob die eine Hälfte des 
Himschädels gegen die andere in antero-posteriorer Richtung ver¬ 
schoben sei oder vielleicht besser gesagt, als ob der Kopf in 
der Richtung des einen schrägen Durchmessers zusammengedrückt 
wäre. Das eine Tuber frontale tritt gegen das andere mehr 
oder weniger zurück, die Hinterhauptgegend derselben Seite weiter 
nach hinten vor. Die beiden schrägen Durchmesser — von dem 
am meisten vorspringenden Punkt des einen Stirnhöckers bis zu 
dem am meisten vorspringenden Punkt der entgegengesetzten Hinter¬ 
hauptgegend und zwischen entsprechenden Punkten der anderen 
Seite gemessen — können erhebliche Differenzen, bis zu 3,5 cm 
zeigen. Die höchste Convexität des Kopfes verläuft nicht mehr in 


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40 


F. Beely. 


sagittaler Richtung, sondeni in der des grösseren schrägen Durch¬ 
messers. Die beiden Ohren befinden sich nicht in derselben Frontal¬ 
ebene, sondern das eine weiter nach vorne, das andere weiter nach 
hinten. Verfolgt man die Medianlinie des Kopfes weiter nach vom, 
so dass man zunächst die Nase, dann auch die Wangen zu Gesicht 
bekommt, so erkennt man, dass sich die Asymmetrie auch auf das 
Gesicht erstreckt, dass auch der dem zurücktretenden Tuber frontale 
entsprechende Backenknochen weiter zurücktritt. Betrachtet man 
das Gesicht von vorn, so lassen sich auch hier Differenzen auf beiden 
Seiten erkennen, es handelt sich aber meistens um Unterschiede, die 
durch einfache Messungen — wenigstens bei Kindern — nicht nach¬ 
zuweisen sind. Die Asymmetrie des Gesichts ist fast immer relativ 
geringer als die des Schädels, so dass man sich mit dem Nachweis 
des Vorhandenseins der Schädelasymmetrie begnügen kann. 

Den Geburtshelfern ist diese Asymmetrie des Kopfes wohl be¬ 
kannt, wir finden sie z. B. in dem Lehrbuch der Geburtshülfe von 
0. Spiegelberg (1878) erwähnt. 

Nachdem derselbe die verschiedenen Formveränderungen beschrieben, 
die der Schädel während der Geburt erleidet, fährt er (S. 150) fort: „Diese 
Form Veränderungen des Schädels gleichen sich aber bald nach der Geburt 
wieder aus, und nur höchst selten persistirt die eine oder andere noch nach 
acht Tagen und darüber. Dagegen existirt eine wirklich angeborene, bleibende 
Schiefheit des Schädels, indem die linke Seite nach hinten und oben verschoben 
ist und besonders die linke Hälfte des Hinterhauptes stärker hervortritt und 
stärker gewölbt erscheint, so dass die Entfernung der Hinterhauptshöcker vom 
Scheitelhöcker links kleiner ist als rechts; Stadfeldt, der diese Asymmetrie 
zuerst beschrieben, führt sie auf den physiologischen und congenitalen wellen¬ 
förmigen Verlauf der Schädelachse zurück. Durch die oben erwähnten Ein¬ 
wirkungen des Geburtsdruckes (die erste Schädellage schiebt ja das linke 
Scheitelbein häufig nach vorn) wird diese Asymmetrie meist aufgehoben, bildet 
sich aber in kurzer Zeit nach der Geburt wieder aus.“ 


Auch in den chirurgischen Handbüchern und Zeitschriften 
(Witzei, „Beiträge zur Kenntniss der secundären Veränderungen 
beim musculären Schief halse.“ Deutsche Zeitschr. f. Chir. XVUI) 
finden wir dieselbe erwähnt und zum Theil eingehend gewürdigt-, 
aber nur in Verbindung mit Torticollis, und hier wird die Schädel- 
und Gesichtsasyinmetrie als Folge der schiefen Stellung des Kopfes 
aufgefasst. Sie wird als Skoliosis capitis bezeichnet. Es lässt sich 
gegen diese Bezeichnung nichts einwenden, nur muss man sich klar 
darüber sein, dass die Skoliosis capitis weder mit einer schiefen 


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Skoliosis capitis — Caput obliquum. 


41 


Haltung des Kopfes noch mit der Skoliose der Wirbelsäule etwas zu 
thun zu haben braucht, sonst würde man besser thun, diese Asym¬ 
metrie des Kopfes als Caput obliquum, Schrägkopf, zu bezeichnen 
und den Ausdruck Skoliosis capitis nur für diejenigen Veränderungen 
zu reserviren, von denen nachgewiesen ist, dass sie wirklich Folge 
und nicht nur zufällige Complicationen der schiefen Kopfstellung bei 
Torticollis sind. 

Ebenso verhält es sich mit den orthopädischen Lehrbüchern, 
und es ist dies leicht erklärlich, da die Skoliosis capitis oder das 
Caput obliquum an sich nie Gegenstand der Behandlung wird. 

So sagt Schreiber in seiner ,Allgemeinen und speciellen orthopädischen 
Chirurgie“ (IXXX): Ob die Ursachen des Torticollis fötale oder partuale sind 
etc., stet^ setzt derselbe mit der Zeit Veränderungen der Gewebe, Verkürzungen 
der Fascien und Bänder, und bei länger bestehendem Caput obstipum fehlt 
selten eine gewisse Asymmetrie der Gesichtshälften, die Nelaton, 
Eulenburg und Andere auf eine geringere Entwickelung von Gefässen und 
Nerven auf der Seite der Concavität bezogen, während sie z. B. Dieffenbach 
durch den Zug des verkürzten Muskels erklären wollte und W i t z e 1 dieselbe 
auf die Spannung der Weichtheile, besonders des Muskels, der gesunden Seite 
und dessen fonnbestimmenden Einfluss auf den wachsenden Schädel zurückführt. 

Hoffa, der in seinem „Lehrbuch der orthopädischen Chirurgie“ (1891) 
das Caput obstipum sehr ausführlich behandelt, sucht die Theorien verschiedener 
Autoren wie Witzei, Falkenberg, Nicoladoni und Bouvier zu ver¬ 
einigen, soweit dieselben sich gegenseitig nicht ausschliessen. Er gibt zunächst 
den Erklärungsversuch Witze Fs in folgender Weise wieder: „Beim Caput 
obstipum findet im Gleichgewicht der Muskelgruppen am Hals eine Störung in 
der Weise statt, dass die Muskeln der concaven Seite weniger gespannt sind 
als an der convexen und als Folge davon die Musculatur der convexen Seite 
den wachsenden Hirnschädel stärker gegen die Wirbelsäule andrückt, wodurch 
sein Breitenwachsthum gehemmt wird. Zugleich zieht sie die entsprechende 
Gesichtshälfte nach der anderen Seite hinüber. Ist dann, wie meist, noch eine 
Röckwärtsbeugung des Kopfes vorhanden, so erfolgt gleichzeitig ein vom Kinn 
aus wirkender Zug, der den Gesichtsschädel nach unten und hinten gegen die 
Wirbelsäule andrängt.“ 

Hiermit, meint Hoffa, lassen sich alle Verhältnisse genügend erklären, 
wenn man mit Falkenberg annimmt, dass der stärkere Muskelzug auf der 
convexen Seite dadurch zu Stande kommen kann, dass der Schiefhalsige die 
Muskeln der gesunden Seite fortwährend anstrengen muss, um den Kopf im 
Gleichgewicht zu halten, der sich in Folge seiner Schwere immer zu senken 
strebt. Gleichzeitig lässt er aber noch die Ansicht N i c o 1 a d o n i’s gelten, wo¬ 
nach die Last des Schädels selbst eine Rolle spielt. Nicoladoni nimmt an, 
dass die Ursache der Gesichtsasymmetrie an die Epiphysenfugen des Os basilare 
zu verlegen sei. Indem die Last des Schädels an der kranken Seite vorzüglich 
auf den Keilbeinkörper, die Pars basilaris und den Gelenktheil des Hinter- 


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42 


F. Beely. 


hauptbeins ein wirkt, sollen diese Theile sich weniger entwickeln und mehr 
gegen das Schädelinnere hingedrängt werden. An der gesunden Seit^ aber 
soll der Keilbeinköi-per und das Os basilare zugleich mit dem Processus ptery- 
goideus, dem Hammerbein und dem Oberkiefer einen prävalirenden Wachs- 
thumsschub von hinten nach vom empfangen, und dadurch soll es zur Gesichts¬ 
asymmetrie und der Verschiebung des Unterkiefers kommen. 

Mit Hilfe der B o u v i e r’schen Theorie, wonach die Ursache der Schädel¬ 
asymmetrie die Folge einer schlechten Ernährung der kranken Seite und diese 
wiederum die Folge der Compression oder mangelhaften Entwickelung der grossen 
Gefässe, namentlich der Carotis der kranken Seite sei, glaubt er die Atrophie 
der asymmetrischen Theile erklären zu können. 

Er fügt dann aber hinzu, „dass er diejenigen Schädelasymmetrien, die 
bei dem angeborenen Torticollis alsbald nach der Geburt beobachtet werden, 
für entstanden hält durch den Druck der Beckenwand gegen die weichen 
Schädelknochen bei längerem Verweilen dieser letzteren im Becken während 
der letzten Monate der Schwangerschaft. Dieselbe Ursache, die die Verkürzung 
des Kopfnickers herbeiführt, führt dann auch zur As 3 rmmetrie des Schädels. 
Es dürften hierher namentlich die Fälle gehören, bei denen die Asymmetrie 
des Himschädels ausgesprochener ist, als die des Gesichts. Krummacher 
hat kürzlich ein solches Caput obstipum congenitum beschrieben, bei dem die 
Veränderung am Hiraschädel unmittelbar nach der Geburt bedeutend stärker 
ausgeprägt war als am Gesichtsschädel, und ist also die oben ausgesprochene 
Ansicht auch anatomisch gestützt.“ 

Da bisher wenig nach dieser Richtung hin genau beobachtetes 
Material vorliegt — H'offa gibt leider die Zahl seiner diesbezüg¬ 
lichen Fälle nicht an — dürfte es vielleicht nicht überflüssig er¬ 
scheinen, zunächst die von mir gesammelten Beobachtungen kurz 
anzuführen. Ich schliesse dabei auch diejenigen Fälle nicht aus, 
die Herr Dr. Krummacher in seiner Arbeit „Zur Aetiologie 
der Schädelasymmetrie beim angeborenen Schiefhalse“ 
(Inaug.-Diss. Berlin 1889) verwerthet hat. 

1. Rudolph P—. 6. Juni 1887 — geboren 7. März 1887; erstes Kind: 
Entbindung schwer und langdauernd; 27 Stunden, Beckenendlage, wahrschein¬ 
lich durch Extraction beendet. (Drei später geborene Mädchen sollen nach An¬ 
gabe der Mutter ganz wohlgebildet sein.) Sofort nach der Geburt fiel den 
Eltern auf, dass Gesicht und Kopf asymmetrisch seien, später wurde auch eine 
schiefe Haltung des Kopfes bemerkt. Die linke Schulter war stets hochgezogen, 
der Kopf und die linke Schulter lagen immer zusammen, die linke Achselhöhle 
erschien tiefer als die rechte. 

Befund: Gesicht asymmetrisch, die linke Gesichtshälfte anscheinend 
kleiner, die linke Kopfhälfte anscheinend nach hinten verschoben, linke Stim- 
hälfte flacher, linke Hinterhauptshälfte stärker hervortretend. Der linke 
Stemocleidomastoideus so stark gespannt, dass eine Myotomie anscheinend nicht 
zu vermeiden, dieselbe wird jedoch für spätere Zeit in Aussicht genommen. 


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Skoliosis capitis — Caput obliquum. 


43 


Einstweilen wird eine Pappcravatte angelegt und den Eltern gezeigt, 
in welcher Weise täglich Dehnungen des Kopfnickers durch gleichzeitiges 
Ziehen an Kopf und Schultern versucht werden sollen. 

6. August 1887. Bedeutende Besserung, so dass die Myotomie nicht 
mehr nothwendig erscheint; es ist kaum noch ein Untei-schied in der Spannung 
der Stemocleidomastoidei nachzuweisen. 

Linker schräger Durchmesser des Kopfs (rechts vorn nach links hinten) 14,5 cm. 
Rechter „ « (links „ „ rechts „ ) 12,8 cm. 

27. Januar 1888. Die Asymmetrie des Gesichts soll nach Angabe der 
Eltern geringer geworden sein. 

Befund am 31. August 1888. (Von Herrn Dr. Krumm ach er in meiner 
Gegenwart aufgenommen). Gesunder, munterer Knabe, für sein Alter gut ent¬ 
wickelt. Nach Angabe der Mutter haben die Deformitäten abgenommen. 

Bei aufrechter Stellung leichte, linksconvexe Abweichung im oberen 
Theil der Wirbelsäule. Die rechte Scapula steht etwas tiefer als die linke 
(circa 1,5 cm), ebenso steht das rechte Acromion etwas tiefer. 

Rotation des Kopfes nach rechts noch etwas behindert; der Kopf wird 
meist nach links geneigt getragen und so rotirt, dass das rechte Ohr etwms 
nach vom steht. Differenz hinsichtlich der Kopfnicker nicht nachweisbar. 
Schädel im Ganzen brachycephal. Der Kopf im Verhältniss zum frontalen wie 
sagittalen Durchmesser auffallend hoch, im rechten schrägen Durchmesser auf¬ 
fallend abgeflacht, dagegen springen das rechte Tuber frontale und die linke 
Hinterhauptgegend stark her\"or; in dem sie verbindenden linken schrägen 
Durchmesser verläuft die höchste Convexität des Schädels. 

Die Verbindungslinien der beiden Augen- und Mundwinkel treffen sich in 
der linken Verlängerung. Es macht den Eindmck, als sei die linke Gesichts¬ 
hälfte etwas kleiner als die rechte, flach und nach hinten gedrängt. So steht 
die Unke Backe etw'as zurück; das Unke Ohr ist kleiner und liegt dem Kopf 
mehr an. Die Medianlinie des Gesichts bildet einen nach rechts convexen 
Bogen. 


M a a 8 s e (mit dem Tasterzirkel genommen). 


Linker schräger Durchmesser.16,25 cm. 

Rechter , „ .14,00 , 

Längsdurchmesser des Unken Ohrs.5,00 „ 

„ , rechten „ .5,30 « 

Linker äusserer Augenwinkel zum Unken Mundwinkel \ ^ ^ 

Rechter „ „ „ rechten , I ' ^ 

Sagittaler Durchmesser: 

a) in der Horizontalen.15,5 (15,0) „ 

b) bis zur Protuberanz.16,0 „ 

Querer Durchmesser.14.0 „ 

Vom Kinn bis zum entferntesten Punkte des Hinter¬ 
haupts: links.17,5 „ 

rechts.17,0 , 


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44 


F. Beely. 


Die Schneidezilhne des Oberkiefers stehen etwa 0,5 cm vor denen des 
Unterkiefers. 

Differenz zwischen der Entfernung von der Mitte der Schneidezähne bis 
zum äusseren Augenwinkel nicht nachweisbar. 

Mitte der Schneidezähne zum Ohr links . . . 9,75 cm. 

„ « « , « rechts . . . 9,00 „ 

Linker äusserer Augenwinkel zum linken Ohr \ ^ 

, „ » « rechten „ J ’ 

Befund am 21. März 1892. Das linke Schulterblatt von der Mittel¬ 
linie weiter entfernt als das rechte, letzteres zugleich etwas tiefer stehend. Die 
Schulterblatthaltung scheint nicht abhängig von der Wirbelsäule zu sein, letztere 
ist beweglich und zeigt unbestimmte leichte Abweichungen, aber keine fixirte 
Skoliose, die Rippenwinkel sind beiderseits gleich, für kurze Zeit kann Patieot 
eine bessere Haltung annehmen, kehrt aber bald wieder in die schlechtere zu¬ 
rück, wobei sich der Kopf nach rechts dreht. Kopf und Gesicht noch asym¬ 


metrisch. 

Maass e. 

Linker schräger Durchmesser.17,5 cm. 

Rechter „ „ .15,5 „ 

Längsdurchmesser des linken Ohrs.5,25 „ 

, » rechten „ .6,00 , 

Linker äusserer Augenwinkel zum linken Mundwinkel \ ^ ^ 

Rechter „ » rechten „ I ’ " 

Sagittaler Durchmesser: 

a) in der Horizontalen.16,0 „ 

b) bis zur Protuberanz.17,0 „ 

Querer Durchmesser ..15,0 „ 

Vom Kinn bis zum weitesten Punkte des Hinterhaupts: 

links .20,0 „ 

rechts.18,0 „ 

Die Schneidezähne des Oberkiefers stehen etwa 0,5 cm. vor denen des 
Unterkiefers. 

Mitte der Schneidezähne zum Ohr links . . . . . 10,75 cm. 

« ^ « rechts.10,00 , 


2. Franz A—. 7. Nov. 1887. IV 2 Jahr. Schwangerschaft normal, Ent¬ 
bindung 14 Tage vor dem berechneten Termin, nach einer Anstrengung von 
Seiten der Mutter; ohne Kunsthilfe. Der in seiner Form unregelmässige Kopf 
wurde stets links geneigt gehalten. 

Befund: Beide Kopfliälften wie an einander verschoben, vorbeigedrückt, 
das Gesicht entsprechend verändert, die rechte Stirnhälfte und rechte Gesichts¬ 
hälfte treten Aveiter vor. Der linke Kopfnicker ist bei keiner Bewegung des 
Kopfes stärker vorspringend oder gespannt zu fühlen. Am Skelet Zeichen von 
Rhachitis. Im linken Kniegelenk mitunter ein eigenthümliches Knacken wahr¬ 
zunehmen. Patient führt den rechten Fuss nach dem Mund, den linken nicht. 


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Skoliosis capitis — Caput obliquum. 


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Die Wirbelsäule ' scheint sich in der Regio lunibalis leichter nach rechts als 
nach links zu biegen. 

3. Alfred L.—, geboren 5. Februar 1888. Der Vater mit Pes varus 
cong. dext. behaftet. Sofort nach der Geburt — ohne Kunsthilfe — linksseitiger 
Klurapfuss constatirt. Die Deformität, die recht hochgradig ist, liegt haupt¬ 
sächlich in den Fusswurzelgelenken. Der Metatarsus relativ lang und schmal. 
Knabe sehr zart. 

8. Februar 1888. Einfache Filzstahlschiene an der Aussenseito des Fusses. 

13. Februar 1888. Klumpfussschiene: eiserne Sandale mit Aussenschiene, 
die bis zum Hüftgelenk reicht, Ober- und Unterschenkeltheil winklig verbunden. 
Täglich manuelles Redressement und Massage, zuerst von der AVärterin, dann 
vom Vater ausgeführt. 

23. Juni 1888. Es wird Asymmetrie des Kopfes constatirt. Die Kopf¬ 
hälften erscheinen seitlich aneinander verschoben wie bei Caput obstii)uni cong. 
die rechte Hälfte nach hinten, die linke nach vom. 

Befund am 4. Februar 1889 (mit Herrn Dr. Krummacher zusammen 
aufgenommen); Gesicht ohne messbare Asymmetrie. Bei Rückenlage erscheint 
die rechte Schläfengegend breiter. Hals auffallend kurz; um denselben eine 
ziemlich tiefe Falte, die besonders an der vorderen Seite früher Intertrigo und 
Ekzem veranlasste. Kopf im Ganzen hoch und kurz, brachycephal. 

Die rechte Kopfhälfte ist anscheinend bei Betrachtung von oben nach 
hinten verschoben, die linke nach vorn. Der grösste Umfang des Kopfes be¬ 


trägt 47,5 cm. 

Linker schräger Durchmesser.14,5 cm. 

Rechter „ „ .15,5 „ 

Vom Kinn bis zum entferntesten Punkte 

des Hinterhaupts.18,0 „ 

Gerader Durchmesser.14,75 „ 


4. Alice J. — 25. Juni 1888. 1 Jahr. Zangengeburt zu normaler Zeit. 
Seit November 1887, als Patientin etwa 4 Monat alt, wurde bemerkt, dass der 
Rücken nicht normal, den Kopf hat Patientin immer etwas schief gehalten. 

Befund: Kopf asymmetrisch, linke Kopf- und Gesichtshälfte nach hinten 
verschoben, der rechte schräge Durchmesser kürzer. Linke Gesichtshälfte ab¬ 
geplattet. Kopf nach links geneigt , keine Contractur des Kopfnickei*s nach¬ 
weisbar. Linksconvexe Dorsal-, rechtsconvexe Cervical-Skoliose, Rotation bei 
ersterer erheblich. 

5. Robert W.— 7. August 1888. 4 Jahre. Als Patient ein halbes Jahr 
alt war, w'urde Schieflialtung des Kopfes bemerkt, derselbe wmr nach rechts 
geneigt, die rechte Schulter stand höher. Patient ist linkshändig. 

Befund: Kopf asymmetrisch. Ungleiche Spannung der Sternocleido- 
mastoidei nicht nachzuweisen. Rechtsconvexe Ceiwical-Skoliose, unterhalb 
compensatorische Abweichungen, die aber nicht fixirt sind und bei der sehr be¬ 
weglichen Wirbelsäule wechseln. 


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F. Beely. 


6. Walther Sch. — 8. September 1888. 4 Jahre. Entbindung schwer 
aber ohne Zange. Starke Blutung. Patient lernte spät laufen, 14 Monate alt, 
war stets stark. 

Befund: Rechte Hälfte des Thorax vorn stärker vortretend (halbseitige 
Hühnerbrust). Kopf asymmetrisch, rechtes Tuber frontale stärker vortretend. 
Rechter schräger Durchmesser 15,75 cm, linker schräger Durchmesser 17,*25 cm. 

7. Robert R. — 28. November 1889. 3 Jahre. Mutter des Patienten 
an Tuberculose gestorben. Der Vater glaubt, dass der Knabe den Kopf stets 
etwas schief gehalten hat. Patient litt öfter an Abscessen an verschiedenen 
Stellen des Körpers; seit mehr als 1 Jahr Abscesse an der rechten Seite des 
Halses; kleine Knochenstückchen sind mit dem Eiter entleert worden. 

Befund: Kopf stark nach links geneigt, linksconvexe Dorsal-Skoliose 
ohne Gegenkrümmung in der Reg. lumbalis, Contractur des linken Sternocleido- 
mastoideus. Kopf asymmetrisch, der linke schräge Durchmesser 18,75 cm, der 
rechte 10,50 cm. 

Diagnose: Spondylitis cervicalis. 

8. Karl B. — 17. Dezember 1800. Geboren 14. November 1890. Mutter 
29 Jahre. Drittes Kind, die beiden anderen gesund. Entbindung ohne Kunst¬ 
hilfe; Kopflage. 

Befund: Kopf asymmetrisch, anscheinend in der Richtung des linken 
schrägen Durchmessers zusammengedrückt. Lähmung des linken Facialis, das 
linke Auge offen, die linke Naso-iabialfalte weniger stark ausgeprägt. Ober¬ 
arme fest am Thorax anliegend, iin Ellenbogengelenk spitzwinklig flectirt, 
Hände fest geschlossen, beide Daumen eingeschlagen, senkrecht zur Längsachse 
der Hand: Finger und besonders die Daumen nicht vollständig zu strecken. 
Beine in den Kniegelenken h} 7 )erextendirt, in gestreckter Stellung Brust und 
Bauch anliegend, mit Mühe im Hüftgelenk bis zum rechten Winkel zu extendiren. 

Bei stärkeren Extensionsversuchen bemerkt man, dass die Oberschenkel 
stark nach aussen rotirt sind, die Kniekehlen nach der Medianebene hinsehen. 
Patellae nicht zu fühlen, können aber trotzdem vorhanden sein, da die Sehne 
des Quadriceps stark gespannt und hierdurch die Untei-suchung ei-schweid ist. 
Werden die Kniekehlen nach hinten gedreht, so sehen die Mall. ext. direct 
nach vom, der Unterschenkel ist also nach innen gedreht. Beiderseits Klump- 
fussbildung, links stärker als rechts. Die medianen Fussränder liegen direct 
den Tibiae an, deren untere Enden nur undeutlich zu fühlen sind. Bei normaler 
Stellung derKniee sind die Füsse direct nach hinten gerichtet. Hernia inguinalis 
externa dextra (scrotalis). (S. die Abbildung.) 

9. Max W. — 5. Januar 1891. 14 Wochen alt; achtes Kind, Zangengeburt: 
asphyktisch, erholte sich nur langsam. Der linke Arm soll auf dem Rücken 
gelegen haben, die linke Schulter gegen die linke Unterkieferhälfte angedrückt 
gewiesen sein. Hier soll man eine etwas eingedrückte Stelle bemerkt haben. 

Befund: Der linke Arm hängt schlaff herab, der ganze Arm ist im 
Sinne der Pronation gedreht. Die Hand wird activ bewegt, der Vorderarm 
aber im Ellenbogengelenk nicht flectirt, der Oberarm im Schultergelenk gar 


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Skoliosis capitis — Caput obliquum. 


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nicht bewegt. Passiv alle Bewegungen ausführbar, nur etwas behindert, z. B. 
Flexion im Ellenbogengelenk nicht vollständig möglich. 

Kopf asymmetrisch, im Sinne des rechten schrägen Durchmessers zu¬ 
sammengedrückt. 

10. Hermann L. — 24. April 1891. 5 Monat. Entbindung leicht. 

Patient wog 8V« Pfund; viel Fruchtwasser. Während der Gravidität konnte 
die Mutter immer nur auf einer Seite liegen. 

Befund: Caput obstipum, linker Kopfhicker massig contrahirt; Hals 
auffallend kurz, Gesichtshälften ungleich, Kopf auffallend asymmetrisch, linker 
schräger Durchmesser 15,5 cm, rechter schräger Durchmesser 12,0 cm. Rechts¬ 



convexe Cervical-, linksconvexe Dorsal-Skoliose mit deutlich ausgesprochener 
Rotation. Patient legt den linken Arm gewöhnlich an den Kopf, hält den Arm 
dabei gebeugt. 

Therapie: Pappcravatte, manuelles Redressement, Rückenlage mit 
niedrig liegendem Kopf. 

28. Juni 1891. Patient stirbt an Erschöpfung durch Darmkatarrh, Kopf¬ 
haltung nach Angabe der Mutter bereits gebessert. 

11. Else P. — 22. Mai 1891. \U Jahr alt. Zweites Kind, das erste gesund. 
In der ersten Hälfte der Schwangerschaft war der Mutter ihr starker Leib auf¬ 
gefallen. Geburt in Beckenendlage, aber ohne Kunsthilfe. 

Befund: In der Mitte der Stirn ein c. 1,5 cm breites rothes Mal, von 
den Augenbrauen bis zur Haargrenze reichend, ein ähnliches Mal über dem 
Os occipitis, am oberen Rande desselben, ein drittes an der hinteren Grenze 
des Haarwuchses, über dem Atlanto-occipitalgelenk. 

Contractur des rechten Kopfnickers (das rechte Ohrläppchen soll zuerst 


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F. Beely. 


umgeschlagen gewesen sein, die rechte Schulter lag stets dicht am Kopf); Kopf 
und Gesicht as>Tnmetrisch, zusammengedrückt im Sinne des linken schrägen 
Durchmessers. 

Grosser Querdurchmesser 11,50 cm, Längsdurchmesser (Stirn-Hinterhaupt) 
13,0 cm, rechter schräger Durchmesser 14,0 cm, linker schräger Durchmesser, 
12,75 cm. Umfang 41 cm. 

Therapie: Pappcravatte, manuelles Redressement, Rückenlage mit tief¬ 
liegendem Kopf. 

18. Juni 1891. Hals gebessert, dagegen ist der Mutter aufgefallen, dass 
beim Sitzen der Rücken des Kindes asymmetrisch ist. Es w'ird linksconvexe 
Cervical-, rechtsconvexe Dorsolumbal-Skoliose constatirt. 

12. Gertrud M. — 21. Juli 1891. 7 Wochen. Erstes Kind. Geburt 
langdauernd, aber ohne Kunsthilfe. 

B e f u n d: Contractur des linken Stemocleidomastoideus; Skoliosis dorsalis 
dextro-convexa. Gesicht und Kopf asymmetrisch. 


Schräger linker Durchmesser .... 14,40 cm. 

„ rechter „ .... 12.80 „ 

Gerader Durchmesser .14,00 

Umfang . 43,00 „ 


Therapie: Pappcravatte, Rückenlage mit tiefliegendem Kopf. 

13. Otto E. — geboren 22. Dezember 1888. Sechstes Kind, Entbindung 
leicht. Als Patient etwa Jahr alt war, bemerkte die Mutter, dass der Rücken 
des Kindes asymmetrisch sei. Bei der von mir vorgenommenen Untersuchung 
fand ich eine linksconvexe Dorsolumbal-Skoliose mässigen Grades und nicht 
unbeträchtliche Asymmetrie des Gesichts und Koj^fs. Durch täglich wieder¬ 
holtes manuelles Redressement wurde die Skoliose bis auf kaum bemerkbare 
Spuren beseitigt, auch die Asymmetrie des Kopfes sollte nach der Ansicht der 
Mutter abgenomraen haben, eine am 8. April 1892 vorgenommene Messung 
constatirte jedoch noch eine bedeutende Differenz der schrägen Durchmesser. 
Rechter schräger Durchmesser 15,5 cm, linker schräger Durchmesser 17,25 cm. 

Weitere Nachfragen ergaben, das.s von 8 Kindern, deren Geburt stets 
leicht erfolgt war, fünf normale Kopfformen hatten, drei (darunter der Patient) 
asjrmm et rische Köi^fe. Bei allen drei w^ar stets der rechte schräge Durchmesser 
der kürzere. Die beiden anderen waren: 

14. Heinrich E. — 10 Wochen alt, achtes Kind; Kopf und Gesichts¬ 
asymmetrie. Rechter schräger Durchmesser 11,5 cm, linker schräger Durch¬ 
messer 18.5 cm, Längsdurchmesser der rechten Ohrmuschel 4,75 cm, der 
linken 4,5 cm. 

15. Fritz E. — 6 Jahre. Viertes Kind, Kopf-und Gesichts-Asymmetrie: 
rechter schräger Durchmesser 16,5 cm, linker 17,25 cm. (Der Vater glaubte 
die eigenthümliche Kopfform dadurch erklären zu können, dass die Kinder in 


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Skoliosis capitis — caput obliquum. 


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der ersten Zeit nach der Geburt den Kopf im Bett stets so drehten, dass 
derselbe auf der flachen Hinterhauptshälfte lag. 

16. Günther G. — 24. Oktober 1890. 1 Jahr. Zangengeburt. Als 

Patient % Jahr alt war und zu sitzen anfing, bemerkte die Mutter, dass der 
Rücken des Kindes asymmetrisch sei. 

Befund: Rechtsconvexe Dorsal-Skoliose, Rotation erheblich, durch 
Händedruck nicht mehr auszugleichen. 

Therapie: Filz-Stahl-Corset. 

8. April 1892. Es wird Kopf- und Gesichtsasymmetrie constatirt. Rechter 
schräger Durchmesser 16,0 cm, linker schräger Durchmesser 16,75 cm. 

17. Leopold A. — 13. April 1892. Geboren am 17. April 1890, 
drittes Kind, Entbindung leicht. Als Patient zu laufen anfing, bemerkten die 
Eltern eine abnorme Stellung des linken Beins. 

Befund: Kopf- und Gesichtsasymmetrie, letztere jedoch sehr gering; 
rechter schräger Durchmesser 15,0 cm, linker schräger Durchmesser 16,0 cm. 
— Hemia umbilicalis. Das reclite Bein lässt sich im Kniegelenk nicht voll¬ 
ständig strecken, nicht durchdrücken, links Genu valgum. Längsachse des 
Ober- und Unterschenkels bilden einen Winkel von ungefiihr 1.50 Es fehlt 
jedoch die bei Genu valgum sonst gewöhnliche Hyperextensionsstellung. Zeichen 
von Rhachitis an den Extremitäten in der Nähe der Gelenke und an den 
Rippen. 

Diesen Krankengeschichten mögen noch einige hinzugefügt 
werden, die zwar streng genommen nicht hierher gehören, die aber 
doch einiges Interesse beanspruchen mit Rücksicht auf die Frage 
nach dem Zusammenhang zwischen Scoliosis capitis und Torticollis. 

18. Elisabeth S. — 29. Juni 1887. 11 Wochen. Geburt langdauemd, 
Abend bis Nachmittag, aber ohne Kunsthilfe. Das eine Auge soll etwas gedrückt 
gewesen sein, da Kopf und Hand zusammenlagen. Seit Patientin aufgerichtet 
wird, wird Schiefhaltung des Kopfes bemerkt. 

Befund: Caput obstipum; Contractur des rechten Sternocleido- 
mastoideus. 

Therapie. Täglich mehrmals wiederholte Dehnung des verkürzten 
Kopfnickers durch Zug am Kopf. 

10. März 1892. Patientin trägt den Kopf gern noch etwas nach rechts 
geneigt. Keine messbare Asymmetrie des Kopfes, an dem die Tubera parietalia 
stark vorapringen. Gesicht in kaum bemerkbarem Grade asymmetrisch; die 
Verbindungslinien der Augen- und Mundwinkel convergiren nach rechts, eine 
messbare Differenz der Entfernungen zwischen Mundwinkel und äusserem 
Augenwinkel ist jedoch nicht vorhanden. Die Medianlinie des Gesichts er¬ 
scheint in kaum bemerkbarem Grade nach links convex. 

19. Margarethe W. — 31. August 1888. 12 Jahre. Als Patientin 
2 V 4 Jahre alt war, fiel sie auf ebener Erde hin ohne sich erhebliche Ver- 

Zeitechrift für orthopädische Ghirargie. II. Band. 4 


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F. Beely. 


letzungen zuzuziehen. Nach dem Fall waren die rechten Extremitäten gelähmt; 
ob Facialialähmung bestanden, ist nicht zu ermitteln. Unter entsprechender 
Behandlung verlor sich die Lähmung an der unteren Extremität bald, an der 
oberen bestand sie längere Zeit. 

Befund: An den Extremitäten lassen sich nur noch geringe Unterschiede 
nachweisen. Kopf etwas nach rechts geneigt, das rechte Ohr steht etwas 
weiter nach hinten, als das linke. Der rechte Stemocleidomastoideus, und 
zwar die Stemalportion, ist contrahirt; Carotidenpuls beiderseits fühlbar; rechts¬ 
convexe hohe Dorsal-, geringe linksconvexe corapensatorische Lumbal-SkoUose. 

Unterkiefer auffallend klein; seine Schneidezähne 1,0 cm hinter denen 
des Oberkiefers. Der harte Gaumen vorn hoch gewölbt; Oberkiefer schmal, 
Nasenlöcher etwas klein. Septum narium etwas unregelmässig; der untere 
Rand des knoi-peligen Theils überschreitet die Mittellinie nach links. 

Der Raum zwischen den beiden mittleren oberen Schneidezähnen ent¬ 
spricht demjenigen zwischen dem 1 . und 2. linken unteren, so dass der Unter¬ 
kiefer nach rechts verzogen erscheint. Die Mittellinie des Gesichts bildet einen 
nach rechts convexen Bogen, jedoch nur im unteren Drittheil; somit scheint 
dieser Eindruck hauptsächlich durch die Verschiebung des Unterkiefers bedingt 
zu sein. Verdeckt man die untere Hälfte des Gesichts incl. Nasenspitze, so 
überschreitet — auch für das Augenmaass — die Asymmetrie des Gesichts nicht 
die physiologischen Grenzen. Der Schädel zeigt keine für das Gefühl nach¬ 
weisbare Asymmetrie, noch weniger ist eine solche durch Messungen zu er¬ 
mitteln. 

Entfernung vom Kinn zum Angulus niandibulae links: 7,25 rechts 7,0 cm. 

, von der Incisur zum äusseren Augen¬ 
winkel .„ 7,20 , 7,20 , 

, vom Antitragus zum äusseren Augen¬ 
winkel .„ 7,00 , 7,00 , 

(Aus Dr. Krummachers Dissertation.) 

20. Bertha Th. — 12. Februar 1889. 15 Jahre. Zangengeburt, Caput 
obstipum, einige Wochen nach der Geburt bemerkt. Contractur des linken 
Stemocleidomastoideus; im sechsten Jahr wmrde Patientin operirt. 

Befund: Keine messbare Asymmetrie des Gesichts, kaum bemerkbare 
Asymmetrie des Schädels. Hinterkopf etwas stark vortretend. Linker Steraocleido- 
mastoideus verkürzt, das Gesicht steht noch schief. Rumpf auf dem Becken 
nach links verschoben, linksconvexe Total-Skoliose, massige Rotation. Linke 
untere Extremität c. 2,0 cm. kürzer. 

Therapie: Subcutane Durchtrennung des linken Kopfnickers, Papp- 
cravatte, Corset, Suspension. 

Die hier angeführten Krankengeschichten sind zwar sehr lücken¬ 
haft, trotzdem ich sie, so weit es mir möglich war, noch nachträglich 
ergänzt habe, sie können keinen Anspruch auf Vollständigkeit machen, 
es sind Bemerkungen, wie man sie in der Eile während der Sprech¬ 
stunden hinwirft, nicht mit der Absicht einer späteren wissenschaft- 


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Skoliosis capitis — caput obliquum. 


51 


liehen Verwerthung oder Veröffentlichung, sondern nur, um für den 
Fall, dass der Patient wieder einmal vorgestellt werden sollte, sich 
das hauptsächlichste Ergebniss der ersten Untersuchung in das Ge- 
dächtniss zurückrufen zu können. Trotzdem, glaube ich, genügen 
sie, um etwas Licht auf einige bisher noch nicht aufgeklärte Punkte 
zu werfen und vielleicht auch, um in mancher Hinsicht zu weiterer 
Forschung anzuregen. 

Man wird wohl kaum einem Widerspruch begegnen, wenn 
man die oben angeführten Fälle von Skoliosis capitis (Caput obliquum, 
Schiefkopf) — Fall 1 bis 17 — zu den secundär angeborenen 
Deformitäten zählt, die man auch als intrauterine Belastungs¬ 
deformitäten bezeichnet hat. Wie gerade die Skoliosis capitis 
zu Stande kommen mag, darüber lassen sich einstweilen nur Hypo¬ 
thesen aufstellen, einen Fingerzeig gibt vielleicht der Umstand, dass 
die Eltern der Kinder mitunter ohne besondere Nachfrage darauf 
aufmerksam machten, dass die eine Schulter hochgezogen erschien, 
Schulter und Kopf oder Arm und Kopf in der ersten Zeit nach der 
Geburt immer zusammenlagen, der Kopf des Kindes im Bett stets 
Neigung hatte sich zu drehen — Fall 1, 10, 11 und 12 — so dass 
man darauf hingeführt wird, anzunehmen, es sei die Deformität so 
entstanden, dass der nach einer Seite gedrehte Kopf zwischen Schulter 
(oder Arm) einerseits und Uteruswand andererseits im Sinne des 
einen schrägen Durchmessers zusammengedrückt wurde. Vielleicht 
kann der Druck der Uteruswand noch unterstützt und beeinflusst 
worden sein durch die Becken Wandung, wie Hoffa annimmt, oder 
durch die Leber , wie Schmidt (Centralbl. f. Chir. Nr. 30 S. 570. 
1890) glaubt, der im Uebrigen die von ihm beschriebene Deformität 
in dieser Weise erklärt. 

Auch Petersen („Ueber den angeborenen musculären Schief¬ 
hals.“ Zeitschr. f. orthop. Chir. Heft I, S. 113) erwähnt ausdrücklich 
bei der Beschreibung eines Falles: „Vor dem rechten Ohr in der 
Speicheldrüsengegend eine Vertiefung, die sich über den Kieferwinkel 
nach dem Halse zu erstreckte. In diese Vertiefung passte die 
rechte Schulter genau hinein. Durch die Schulter waren die Weich- 
theile etwas nach vorn gedrängt, so dass die rechte Backe etwas 
hervortrat, dicker war als die hnke.“ 

Mit dieser Annahme steht auch der Umstand in Einklang, dass 
das Caput obhquum sich so oft zusammenfindet mit anderen intra¬ 
uterinen Belastungsdeformitäten: Unter 17 Fällen 


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52 


F. Beely. 


mit Torticollis siebenmal, und zwar mit nachweisbarer 
Contractur des Sternocleidomastoideus 4 mal (Fall 1, 10, 11, 12; 
in Fall 11 ausserdem mit Teleangiektasien); 

ohne (zur Zeit der Untersuchung) nachweisbare Contractur des 
Kopfnickers dreimal (Fall 2, 4, 5); — Fall 7 muss ausgeschieden 
werden, da es nicht sicher ist, wie weit das Caput obstipum von der 
Spondylitis und den Abscedirungen beeinflusst wurde —; 

mit Pes-varo-equinus zweimal (Fall 3 und 8); — in Fall 8 
ausserdem mit Facialisparese und Extensions- oder Flexionscontrac- 
turen fast sämmtlicher Gelenke der Extremitäten sowie Hemia scro- 
talis —; 

mit Genu valgum sin. und geringer Flexionscontractur des 
rechten Kniegelenks einmal (Fall 17); 

mit geringer Bewegungsstörung der linken unteren Ex¬ 
tremität, besonders des Kniegelenks einmal (Fall 2); 

mit PronationsStellung des linken Arms und Lähmung der 
Oberarm- und Schultermusculatur einmal (Fall 9); 

mit ungleicher Grösse der Ohren zweimal (Fall 1 und 14); 
mit halbseitiger Deformität des Thorax einmal (Fall 6, wo¬ 
bei es aber zweifelhaft ist, ob diese Deformität angeboren); 

mit Skoliose siebenmal (Fall 1, Pat. 1^2 Jahr, Fall 4, Pat. 
1 Jahr, Fall 5, Pat. 4 Jahr, Fall 10, Pat. 5 Monate, Fall 11, Pat. 
^4 Jahr, Fall 13, Pat. Jahr, Fall 16, Pat. ^/4 Jahr; Fall 7, bei 
dem auch Skoliose vorhanden ist, kann der Spondylitis wegen nicht 
mitgezählt werden). 

Hier wird man einwenden können, dass es sich um extrauterine, 
im Anschluss an das Caput obstipum entstandene Skoliosen handeln 
kann, und ich muss dies für einzelne Fälle, z. B. 5, wo Patient 
4 Jahre alt war, als er zur Untersuchung kam, ohne weiteres zu¬ 
geben, bei den übrigen möchte ich aber die intrauterine Entstehung 
der Skoliose für sehr wahrscheinlich, bei einigen, z. B. Fall 13 
und 16, für ziemlich sicher halten, da hier die Skoliosen sehr früh 
bemerkt wurden, z. B. sobald die Kinder anfingen zu sitzen und 
ausserdem in Fall 13 und 16 gar kein Torticollis vorhanden war. 

Ganz ohne Complication ist eigentlich nur ein Fall (15), bei 
6 und 7 ist es ungewiss, ob es sich um angeborene Complicationen 
handelt, ebenso, wie bereits erwähnt, bei einigen Fällen von 
Skoliose. 

Hieraus aber ein procentualisches Verhältniss berechnen zu 


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Skoliosis capitis — caput obliquum. 


53 


wollen, wäre sicher falsch, ganz abgesehen davon, dass die geringe 
Anzahl der Fälle dieses schon verbietet, denn es wurden mir die 
Patienten von ihren Eltern fast immer nur anderer Leiden wegen 
zugeführt, die Skoliosis capitis war denselben entweder überhaupt 
entgangen oder hatte doch nicht den Wunsch in ihnen rege gemacht, 
therapeutisch dagegen Vorgehen zu lassen. Man wird aber anderer¬ 
seits kaum fehlgehen, wenn man annimmt, dass sie eine relativ 
häufige, vielleicht die häufigste Complication anderer intrauteriner 
Belastungsdeformitäten ist und vielleicht die häufigste intrauterine 
Belastungsdeformität überhaupt. 

Es erscheint dies auch leicht erklärlich, da der Kopf, der umfang¬ 
reichste und am wenigsten elastisch nachgiebige Theil des kindlichen 
Körpers, am leichtesten und ehesten die Spuren intrauteriner, durch 
Raummangel bedingter Belastung zeigen muss, es werden aber wahr¬ 
scheinlich die Folgen der intrauterinen Belastung sich nicht immer 
in der oben beschriebenen Form des Caput obliquum äussern, sie 
können wohl ebenso gut auch als vollkommen symmetrische Kopfbil¬ 
dungen auftreten, z. B. als stark ausgeprägte brachycephale oder 
dolichocephale Formen. 

Von den 17 oben angeführten Fällen betrafen 14 Kinder männ¬ 
lichen, 3 Kinder weiblichen Geschlechts; das männliche Geschlecht 
scheint also bedeutend zu überwiegen, ein Resultat, das bei einer 
durch Raummangel bedingten Belastungsdeformität von vornherein 
zu erwarten ist. 

Zweimal ist bemerkt, dass die Mutter Erstgebärende war, in 
8 Fällen war sie Mehrgebärende (Fall 14 das 8. Kind), keine dies¬ 
bezügliche Bemerkung findet sich in 7 Fällen. Bei 8 Kindern der¬ 
selben Mutter hatten 3 (Knaben) Caput obliquum, die übrigen 5 
(2 Knaben und 3 Mädchen) normale Kopfform. 

Die Entbindungen wurden als schwer, langdauemd oder in 
irgend einer Beziehung abnorm angegeben in 8 Fällen, darunter sind 
zwei Beckenendlagen (Fall 1 und 11), drei Zangengeburten (Fall 4, 9 
und 16), als leicht und normal in 7 Fällen, in 3 fehlen bezüg¬ 
liche Angaben. 

Eine gegen die Skoliosis capitis gerichtete Therapie ist in 
keinem Falle eingeleitet worden, was die Prognose anbelangt, so 
findet man hierüber bei den verschiedenen Autoren direct wider¬ 
sprechende Angaben. Bei den meisten und auch bei Hoffa können 
wir lesen, „dass nach Wiederherstellung des Gleichgewichts des Schädels 


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54 


F. Beely. 


durch unsere Therapie die Schädelasymmetrie wieder rückgängig ge¬ 
macht werden kann.“ Dagegen nennt Spiegelberg (a. a. 0.) die 
Asymmetrie eine „bleibende“, wenn er auch über seine Beobachtungszeit 
keine näheren Angaben macht, und nach Golding-Bird’s Erfah¬ 
rungen (Congenital Wry Neck. Guy’s Hosp. Rep. 1890. XLVII. 
Centralbl. für Chir. Nr. 47 S. 915. 1891) wird trotz erfolgreicher 

Operation die Gesichtsatrophie selbst nach vielen Jahren nicht rück¬ 
gängig. Ich selbst habe in keinem Fall ein völliges Verschwinden 
oder auch nur eine erhebliche messbare Abnahme der Deformität 
nachweisen können, und selbst wo die Eltern glaubten, dass der 
Kopf vollkommen symmetrisch geworden sei oder die Deformität 
erheblich geringer, habe ich mich leicht von dem Irrthum der Eltern 
überzeugen können. Nun erstrecken sich meine Beobachtungen 
allerdings nicht über eine sehr lange Reihe von Jahren und über 
eine grosse Zahl von Fällen, und ich will keineswegs behaupten, dass 
eine Abnahme unmöglich sei; in Bezug auf die Weichtheile des 
Gesichts ist sie mir sogar wahrscheinlich, und eine relative Ab¬ 
nahme, auch in Bezug auf das Kopfskelet, aber zum mindesten glaube 
ich behaupten zu dürfen, dass sie so schnell, wie man allgemein 
annimmt, nicht erfolgt. — Um hierüber Klarheit zu erlangen, bedarf 
es jedenfalls noch genauer langandauernder Beobachtungen. Wer 
die Skoliosis capitis als Folgeerscheinung der Contractur des Kopf¬ 
nickers auffasst, mag er das Zustandekommen derselben erklären wie 
er will, wird leicht dazu verführt, eine allmähliche Abnahme oder 
ein vollständiges Verschwinden dieser secundären Symptome anzu¬ 
nehmen, sobald die primäre Ursache gehoben wird. 

Auffallend ist die Beobachtung von M. Schmid (Centralbl. f. 
Chir. Nr. 30 S. 570. 1890), bei dessen Patientin nach 7 Monaten 

nicht nur die schiefe Stellung des Kopfes ganz verschwunden, sondern 
auch von der erheblichen Vertiefung im Kopfskelet keine Spur mehr 
zu bemerken war. 

Unter allen Complicationen der Skoliosis capitis interessirt am 
meisten die mit Torticollis. Ich will hier vorweg bemerken, dass ich 
die Ansicht Petersen's über die intrauterine Entstehung der Ver¬ 
kürzung des Sternocleidomastoideus wenigstens für die meisten 
Fälle für die wahrscheinlichste halte, und ich glaube, dass auch die 
von mir angeführten Fälle Material zur Unterstützung dieser Ansicht 
enthalten, ich beabsichtige jedoch, nicht auf diesen Punkt hier näher 
einzugehen. Unter 10 Fällen (Fall 7 als unsicher ausgeschieden) 


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Skoliosis capitis — caput obliquum. 


55 


ist TorticoUis siebenmal vorhanden; viermal, und zwar dreimal links, 
einmal rechts, mit Contractur des Kopfnickers, dreimal ohne (zur 
Zeit der Untersuchung) nachweisbare Contractur. 

Ich hebe hervor, zur Zeit der Untersuchung nicht nachweis¬ 
baren Contractur, denn es wäre ja möglich, dass ein geringer Grad 
von Verkürzung bei der Geburt vorhanden gewesen ist, sich nachher 
aber wieder ausgeglichen hat. Dagegen ist bei 9 Fällen keine Spur 
von TorticoUis trotz ausgesprochener Skoliosis capitis vorhanden. 

Ich glaube, dass diese Fälle, unter denen sich 15 neu hinzu¬ 
gekommene befinden, zur Unterstützung der Ansicht dienen können, 
zu der Krummacher in seiner Dissertation gekommen ist: „dass 
ein Theil der bis jetzt als ,secundär‘ betrachteten Symptome des 
Caput obstipum cong. in Wirklichkeit primär, d. h. durch dieselbe 
Ursache wie das Caput obstipum selber, bedingt sind; hierzu würden in 
erster Linie zu rechnen sein die Asymmetrie am Himschädel, während 
für die Verhältnisse am Gesichtsschädel eingehendere Untersuchungen 
abgewartet werden müssen.“ Hierfür spricht u. A. auch der Umstand, 
dass das Caput obliquum fast unverändert bestehen bleibt, wenn 
auch das Caput obstipum schon Jahre lang beseitigt ist. Es ist 
dies übrigens eine Ansicht, zu der auch M. Schmidt auf Grund 
seiner Beobachtung ganz unabhängig von Krummacher ge¬ 
kommen. 

Umgekehrt aber darf man nun nicht etwa schliessen, dass bei 
congenitaler Contractur des Sternocleidomastoideus jedesmal auch 
Skoliosis capitis vorhanden sein muss. Fall 18 spricht dagegen. 
Ich habe diesen Fall jetzt wieder untersucht, weil ich glaubte, ich 
könnte vielleicht bei der ersten Untersuchung etwas übersehen haben, 
und habe mich wieder vergewissert, dass keine messbare Asymmetrie 
des Kopfes vorhanden ist, nur eine leichte Asymmetrie des Gesichts. 
Hoffa scheint mir daher zu weit zu gehen, wenn er als Criterium 
des congenitalen TorticoUis unbedingt Skoliosis capitis verlangt, 
d. h. Asymmetrie des Hirnschädels. 

Dass man selbst nach Jahre lang bestehendem Caput obstipum 
einen voUständig symmetrischen Hirnschädel finden kann, beweisen 
FaU 19 und 20, von denen der erste ein 12jähriges Mädchen mit para¬ 
lytischem, der zweite ein 15jähriges' mit congenitalem TorticoUis 
betrifft. 

HinsichtUcb der Therapie und Prognose des congenitalen Torti- 
collis scheint es mir nicht unwesentlich, darauf hinzuweisen, dass 


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56 


F. Beely. 


mit Ausnahme von einem Fall (Fall 19, 15jähriges Mädchen) nie zur 
Myotomie geschritten zu werden brauchte. Die Behandlung bestand 
in sanftem Streichen und Dehnen des verkürzten Kopfnickers durch 
Zug am Kopf und Gegenzug an der Schulter der kranken Seite, 
täglich einigemal von den Eltern wiederholt, entweder allein oder in 
Verbindung mit einer Pappcravatte und in einzelnen Fällen mit 
Rückenlage bei tief liegendem Kopf, so dass das Gewicht des Kopfes 
andauernd etwas extendirt. In allen Fällen, die ich wiedergesehen 
habe, konnte Heilung oder wenigstens bedeutende Besserung mit 
Aussicht auf sichere Heilung festgestellt werden. Nun ist es ja be¬ 
kannt, dass leichte Fälle von Torticollis spontan heilen können, 
andere wieder der Therapie sehr hartnäckigen Widerstand leisten, 
in den von mir beobachteten Fällen schien der Grad der Verkürzung 
nur insofern einen Einfluss auf die Therapie auszuüben als die Deh¬ 
nung bei stärkerer Verkürzung etwas mehr Zeit in Anspruch nahm. 

Auch M. Schmidt war überrascht, als er nach 7 Monaten 
seine Patientin wiedersah und die versprochene Myotomie überflüssig 
fand. Mir war es zuerst ebenso ergangen. Ich würde dies nicht 
besonders hervorheben, da wahrscheinlich auch andere dieselbe Er¬ 
fahrung gemacht haben, wenn nicht Hoffa in seinem Lehrbuch 
S. 212 sagte: „Bekommen wir die Kinder mit musculärem Schief hals 
bald nach der Geburt in Behandlung, so massiren wir die kranke 
Halsseite vorsichtig und redressiren die Deformität täglich mehrere 
Male. Die Eltern werden in diesen Maassnahmen instruirt und führen 
sie später selbst aus. Wir lagern dabei das Kind in einem Phelps- 
schen Stehbett, indem wir den Kopf mit einer Glisson’schen Schlinge 
in der Weise extendiren, dass wir durch seitliches Einhängen des 
Bügels den Kopf in seiner richtigen oder auch wohl etwas über- 
corrigirten Haltung fixiren und gleichzeitig die Schulter der kranken 
Seite durch einen Bindestreifen nach abwärts ziehen. Eine 4 bis 
6 Wochen lang in dieser Weise fortgesetzte Behandlung hat uns 
ausnahmslos jede Deformität beseitigen lassen.“ Das ist gewiss richtig, 
aber das Phelps*sche Stehbett scheint doch in vielen Fällen nicht 
absolut nothwendig zu sein, eine Pappcravatte ist einfacher, und selbst 
diese ist, wie M. Schmidts Fall zeigt, mitunter zu entbehren. Den 
einfachsten Weg für jeden Fall zu bestimmen, darin besteht die 
Kunst des Arztes. 

Woher mag es aber kommen, dass in manchen Fällen so wenig 
zur Heilung erforderlich ist, während in anderen ausgedehnte Durch- 


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Skoliosia capitis — Caput obliquum. 


57 


trennung der Muskeln absolut nothwendig erscheint? Der Zeitpunkt 
allein, in dem die Kinder zur Behandlung kommen, kann doch kaum 
der Grund sein. Ich glaube folgende Annahme ist vielleicht nicht 
ohne innere Wahrscheinlichkeit: In den meisten der von mir be¬ 
obachteten Fälle war die Entbindung ohne Kunsthilfe erfolgt, in 
keinem habe ich ein Hämatom des Kopfnickers nachweisen können, 
auch M. Schmidt nicht in seinem Fall, der in dieser Hinsicht viel 
einwandfreier ist als meine Fälle. Ein Hämatom setzt immer eine 
sehr starke Dehnung des Muskels voraus, und in vielen Fällen wird 
diese starke Dehnung zugleich auch eine langdauemde, mitunter 
vielleicht Stunden lang anhaltende sein. Nun ist der Kopfnicker, 
wie sonst kaum ein anderer Muskel, in seinem ganzen Verlauf von 
einer festen, fibrösen Scheide umgeben, und seine Dehnung wird 
daher eine starke Compression der Muskelsubstanz und diese Com- 
pression Ischämie zur Folge haben. Er befindet sich also unter 
ähnlichen Verhältnissen wie die Muskeln einer Extremität bei einem 
zu fest angelegten circularen Verband. Zwar nicht für sehr lange 
Zeit, aber vielleicht doch hinreichend lange, um degenerative secundäre 
Processe zur Folge zu haben, die einen grösseren oder geringeren 
Theil der Muskelfibrillen zu vernichten im Stande sind. Es würde 
sich also in einer Anzahl von Fällen, und dieses würden die schwer 
zu heilenden sein, nicht nur um eine angeborene Verkürzung des 
Kopfnickers sondern auch um eine ischämische Contractur (Leser) 
handeln, während in einem anderen Theil, der, wie wir gesehen, bei 
sehr einfachen Mitteln oder auch spontan zur Heilung kommt, nur 
die angeborene Verkürzung des sonst normalen Muskels vorliegt. 

Je schwerer und langsamer die Entbindung erfolgt, und be¬ 
sonders wenn Kunsthilfe dabei nothwendig ist, desto eher wird man 
eine Complication durch ischämische Contractur erwarten dürfen, je 
leichter die Entbindung, je weniger der verkürzte Kopfnicker dabei 
andauernder Dehnung ausgesetzt ist, desto leichter wird später der 
Torticollis zu beseitigen sein. 

Fassen wir zum Schluss das Ergebniss dieser Betrachtung noch 
einmal kurz zusammen, so haben wir in dem Caput obliquum eine 
wohl charakterisirte secundär angeborene Belastungsdeformität des 
Gehirn- und Gesichtsschädels, die sich häufig vereinigt findet mit 
anderen Deformitäten derselben Gattung, mit Torticollis, Skoliose, 
Pes varo-equinus, Genu valgum etc., die aber auch allein vorkommt, 
die häufiger bei Kindern männlichen als weiblichen Geschlecht« be- 


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F. Beely. Skoliosis capitis — Caput obliquum. 


obachtet wird, die an sich wohl nie Gegenstand ärztlicher Behand¬ 
lung werden dürfte und insofern für den Arzt nur geringes Interesse 
hat, die nur wenig Neigung zu spontaner Heilung zeigt, deren Kennt- 
niss aber nicht ganz ohne Werth ist, da ihr Vorhandensein unter 
Umständen bei der Entscheidung ins Gewicht fallen kann, ob eine 
Deformität als secundär angeborene Belastungsdeformität aufzufassen 
ist oder nicht. 


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IV. 


Mittheilnngen aus dem orthopädischen Institute von 
Dt. A. Lüning und Dr. W. Schulthess, Privat- 
docenten in Zürich. 

V. 

Ueber eine bisher nicht beobachtete Form von partieilem 

Radiusdefect. 

Von 

Oskar Schmid, prakt. Arzt. 

Mit 9 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Unter den congenitalen Defecten und Missbildungen der Knochen 
sind eine Anzahl Radiusdefecte beschrieben. Alle diese Beschreibungen 
lehren, dass der totale Radiusdefect ein mehr oder weniger typisches 
Bild zeigt. Abgesehen von angeborenen Missbildungen anderer Theile 
des Körpers, welche in den meisten Fällen den Radiusdefect begleiten, 
finden wir immer den Humerus, die Ulna, das Handgelenk, die Hand 
der betreffenden oberen Extremität von der Norm abweichend. Der 
Humerus ist gewöhnlich verkürzt, ebenso die Ulna, welche in der 
Regel noch verkrümmt ist. Die Handwurzelknochen sind nicht voll¬ 
zählig vorhanden, oder sind auch unter sich verwachsen. Die Hand 
steht in sogen. Kluraphandstellung. Gew’öhnlich fehlen ein oder 
mehrere Finger, fast regelmässig der Daumen. — Die Flexion im 
Ellenbogengelenk ist meistens beschränkt, ebenso die Bewegungen 
im Handgelenk. 

Bis jetzt sind in der Literatur, wie ich in der hiesigen Biblio¬ 
thek gefunden habe, nur 6 Fälle mit partiellem Radiusdefect be- 


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60 


Oskar Schmid. 


schrieben. In 5 derselben war auf der einen Seite totaler, auf der 
anderen partieller Defect. Und in allen 6 Fällen handelt es sich um 
das Fehlen des unteren Theiles des Radius. 

Mit totalem Defect habe ich 45 Fälle finden können. 

Nur 3 Fälle (Gruber, Ehrlich und Geissendörfer) in 
der ganzen Literatur zeigen neben Radiusdefect 5 wohlgebildete 
Finger. Kein einziger wurde mir bekannt, bei dem die Hand nicht 
mehr oder weniger in Klumphandstellung steht. 

Durch die Güte des Herrn Dr. W. Schulthess bin ich in 
der Lage, über 2 Fälle \) von partiellem Radiusdefect referiren zu 
können, zu denen ich in der Literatur kein Analogon gefunden habe. 

Der Defect in unseren beiden Fällen sitzt nämlich im oberen 
Theile des Radius, während das vorhandene Stück eine Strecke weit 
mit der Ulna verwachsen, trotzdem aber deutlich von dieser zu unter¬ 
scheiden ist. Beide haben 5 wohlausgebildete Finger und bei einem 
wie beim andern kann die Hand in Ausbildung und Stellung als 
normal bezeichnet werden. 

Die eben genannten Eigenschaften finden sich nicht bei den 
schon beschriebenen Fällen von partiellem Radiusdefect, wir glauben 
deshalb, dass die nähere Beschreibung derselben für die Kenntniss 
der in Frage stehenden Missbildung ein Interesse habe. Der Be¬ 
schreibung schicken wir eine kurze Uebersicht der Literatur voraus. 

Ein gutes Literaturverzeichnis bis 1865 hat Wenzel Gruber, 
bis 1878 Herschel und bis 1890 Geissendörfer gegeben-). 
Ferner citirt Burckhardt 5 in den obigen Verzeichnissen nicht 
angegebene Fälle. 

Da aber jedem dieser Autoren einige Fälle entgangen zu sein 
scheinen, so sehe ich mich veranlasst, die Casuistik noch einmal 
aufzuführen: 

1. Petit (Memoires de Tacademie royale des Sciences 1733. Ausg. 
1737, S. 137). 

Beidseitiger Defect. Neugeborenes Kind. Sonst wohl¬ 
gebildet. 


9 Der erste wurde von Schulthess selbst entdeckt, auf den zweiten 
wurde er durch Herrn Dr. Fritz, Assistenten der medicinischen Universitäts- 
Poliklinik aufmerksam gemacht. 

') Siehe das folgende Literaturverzeichniss. 


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üeber eine bisher nicht beobachtete Fonn von partiellem Radiusdefect. 61 


2. Friderici (Monstrum humanum rarissimum Lipsiae 1737). 

Beidseitiger Defect. Todter höchst monströser Fötus. 

3. Wiede mann (lieber ein missgestaltetes Kind. Beiträge für die 

Zergliederungskunst vonlsenflamm und Rosenmüller, 1800, B. I). 
Rechtsseitiger Defect. Todtgeborenes Kind. 

4. Fleischmann (Leichenöffnungen, Erlangen 1815, S. 259). 

Beidseitiger Defect. 8monatiger Fötus. Mit noch ander¬ 
weitigen Missbildungen. 

5. Meckel (Meckels Archiv für Anatomie und Philosophie. Be¬ 

schreibung einer merkwürdigen Missgeburt, 1826, S. 36). 
Rechtsseitiger Defect mit Rudiment links. Reife weib¬ 
liche Früchte. Mit noch anderen Missbildungen. 

6. Cruveilhier, resp. Monod et Cruveilhier (Bulletins de la soci^te 

anatomique de Paris, ann. 3. 1828 und Anatomie pathologique 
du corps humain, 1829 35, Tome I, Livraison 2). 

Referirt in Guolt, Beiträge zur vergleichenden Anatomie der 
Gelenkkrankheiten 1853, S. 353. 

Linksseitiger Defect mit rechtsseitigem Rudiment. 
Männlicher Fötus. Noch andere Missbildungen. 

7. Manec (Bulletins de la societe anatomique de Paris, ann. 3. 1828). 

Defect. 

8. Ledibeider (Bulletins de la socit^te anatomique de Paris, ann. 

10. 1835, S. 2, Nr. 6). 

Rechtsseitiger Defect. Todtes, 60 Tage altes Kind. Fehlen 
der linken Clavicula, Scapula und der linken Oberextremität. 

9. Pustet et Giraldös (Bulletins de la soci^tä anatomique de Paris, 

ann. 12. 1837, S. 167). 

Beidseitiger Defect. Fötus von 6^2 Monaten. Klumphände. 
Fehlen der Daumen und noch andere Missbildungen. 

10. V. Wiebers (Nonnulla de prima formatione cohibita. Diss.-inaug. 

Berlin 1838). 

Rechtsseitiger Defect. Reife Frucht. Klumpfüsse. 


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62 


Oskar Schmid. 


11—17. Otto (Monstrorum sescentorum descriptio anatomica, 1841^ 
Nr. 234—240). 

1. (Nr. 234, Taf. XVI, Fig. 8 und 9). 

Doppelseitiger Defect. Weiblicher Fötus; ungefähr aus 
dem 7. Schwangerschaftsmonate. Noch anderweitige Missbildungen. 

2. (Nr. 235, Taf. XVII, Fig. 1 und 2). 

Doppelseitiger Defect. 8 Monate alter Knabe. Noch 
andere Missbildungen. 

3. (Nr. 236, Taf. XVI, Fig. 11 und 12). 

Doppelseitiger Defect. Fast ausgetragener Knabe. Noch 
andere Missbildungen. 

4. (Nr. 237). 

Linksseitiger Defect. Männlicher Fötus von 8 Monaten. 
Contractur der rechten Hand und noch andere Missbildungen. 

5. (Nr. 238). 

Doppelseitiger Defect. Ausgetragener Knabe. Noch andere 
Missbildungen. 

6. (Nr. 239). 

Doppelseitiger Defect. 8monatlicher männlicher Fötus. 
Linker Daumen rudimentär. Noch andere Missbildungen. 

7. (Nr. 240, Taf. XVII, Fig. 3). 

Linksseitiger Defect. Männlicher Fötus von 7 Monaten. 
Verkürzung der rechten oberen Extremität. Klumphand. Rudi¬ 
mentärer Daumen. 

18—19. Davaine (Comptes rendus de la societe de biologie, 1850, 
p. 39, Tome II). 

1. Linksseitiger Defect. Fötus von 7 Monaten. Klumphand. 
Fehlen des Daumens. Linker Humerus länger als der rechte. Linke 
Ulna kürzer und voluminöser als die rechte. Noch anderweitige 
Missbildungen. 

2. Doppelseitiger Defect. Fötus von 7 Monaten. Klump¬ 
hände. Fehlen der Daumen. Die Ulna verdickt. Noch anderweitige 
Missbildungen. 

20. Roger et Honel (L’Union medicale, 1851, Nr. 140, referirt in 
Gurlt, Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Gelenkkrank¬ 
heiten, 1853, S. 351). 


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Ueber eine bisher nicht beobachtete Form von partiellem Radiusdefect. 63 


Doppelseitiger Defect. Reifes Kind. Klumphände, beider¬ 
seits fehlte der Daumen. Im übrigen fast ganz wohlgebildet. 

21. Silvester (A contribution to the Science of teratology. Med. 

Times and Gazette, 1857, S. 648). 

Radiusmangel rechts. Links oben ist ein Rudiment des 
Radius unter der Gestalt eines kleinen knorpeligen Knötchens vor¬ 
handen. 

22. Förster (Die Missbildungen des Menschen nebst Atlas, Taf. XII, 

Fig. 24 und 25). 

Doppelseitiger Defect. Fötus von 8 Monaten. Noch andere 
Missbildungen. 

23. Wagner (Anatomische Untersuchung eines Monstrum pero- 

brachium. Würzburger medic. Zeitschrift, B. III, 1862; referirt 
von Burckhardt, Inaug.-Dissertation, Zürich 1890). 
Doppelseitiger Defect. 7monatiger Fötus. Klumphand¬ 
stellung, rechts 2 Finger, links 1 Finger. Die Ulna unter der Mitte 
wie infracturirt, etwa wie ein rhachitischer Knochen. Contractur in 
beiden Ellenbogengelenken. 

24. Voigt (Beitrag zur Casuistik des congenitalen Radiusdefectes. 

WagneFs Archiv für Heilkunde, Jahrg. IV, 1863, B. 4, S. 26). 
Linksseitiger Defect. Ausgetragener, bald nach der Geburt 
gestorbener Knabe. Klumphände und Klumpfüsse. An der rechten 
Hand nur verkümmerter, links ganz fehlender Daumen. Rechts 
Luxation des Radius nach hinten, oben und aussen. Die Beweglich¬ 
keit im Elleubogengelenk beträgt nur etwa 50 

Asymmetrische Bildung des Schädels und Gehirns. Rechte 
Thoraxhälfte gewölbter als die linke. Die Ulna ist besonders in 
ihrer oberen Hälfte stark verdickt. Dem Defect des Radius ent¬ 
sprechend fehlt die Cavitas sigmoidea. Cartilago triangularis fehlt 
ganz. Links wie rechts fehlten Os naviculare und Os multangulum 
majus, links der Metacarpus und die Phalangen des Daumens, wäh¬ 
rend diese rechts rudimentär vorhanden waren. 

An den Seitensträngen des Rückenmarks fand sich rechts zellige 
Erweichung. Beiderseits waren Art. radialis und N. radialis nur 
mangelhaft entwickelt. 


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64 


Oskar Schmid. 


25. Stricker (Virchow*s Archiv, B. 31, 1864). 

Doppelseitiger Defect. 16 Wochen altes Mädchen. Obere 
Extremitäten verkürzt. Hände in Klumphandstellung. Daumen fehlt 
beiderseits. Die übrigen Finger verhältnissmässig lang. 

26. Gruber (lieber congenitalen Radiusmangel. Virchow's Archiv, 

1865, B. 32, S. 211). 

Beidseitiger Defect. 35 Tage altes Mädchen. Klumphände, 
sonst keine Missbildungen, ausgenommen Hufeisenniere. 5 wohl¬ 
gebildete Finger. Extension, besonders aber die Flexion im EUen- 
bogengelenk beschränkt. Die Ulna ist in ihrem oberen Ende 
unverhältnissmässig dick, verjüngt sich nach unten. Das untere Ende 
ist stumpf, kegelförmig und articulirt mit dem Os lunatum und tri- 
quetrura. Meniscus vorhanden, welcher sich anheftet an den Proc. 
styloides und an dem Knorpel für das Os lunatum. Nur Os naviculare 
fehlt. Alle Metacarpusknochen vorhanden. 

27. Swaagmann (Virchow*s Archiv, B. 33, 1865). 

Totaler rechtsseitiger Defect, links Radiusrudiment. 
E^umphände. Der Daumen fehlt auf beiden Seiten. Neugeborenes 
Kind. 

28—29. Dornseiff (Zur Aetiologie der congenitalen Luxationen des 
Hand- und Fussgelenkes. Diss. inaug.. Giessen 1866). 

1. Rechtsseitiger Defect und linksseitiges Rudiment. 
Fast ausgetragener Fötus. Keine Abnormität angegeben. Rechts 
fehlt der Daumen, links ist derselbe rudimentär. 

2. Doppelseitiger Defect. Mit angeborener Luxation fast 
aller grösseren Gelenke. 

30. Larrey (Phocom^lie thoracique unilaterale gauche. Gazette des 

Hopitaux, 1870, Nr. 92; referirt in Canstatt's Jahresbericht für 
1870, B. I, S. 297). 

Beidseitiger Defect. 25 Jahre alter Mann. Wirbelsäule und 
linker Thorax verschoben. Linke Mandibula in der Entwickelung 
zurückgeblieben. Fehlen des Daumens. 

31. Cal es (Transactions of the pathologic Society of London, XX, 

S. 417). 


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üeber eine bisher nicht beobachtete Form von partiellem Radiusdefect. 65 


Rechtsseitiger Defect. 20 Jahre altes Individuum. Linke 
Scapula rudimentär. Fehlen des rechten und linken Daumens, linker 
Vorderam stark verkürzt. Contractur der Finger. 

32—33. Schnelle (üeber angeborenen Defect von Radius und Ulna. 
Diss. inaug., Göttingen 1875). 

1. Rechtsseitiger Defect. 21jähriges Mädchen. Die Hand 
steht in Radialflexion und der Daumen fehlt. Keine Abnormitäten. 

2. Linksseitiger Defect. Smonatlicher weiblicher Fötus. 
Winkelstellung der Hand und Fehlen des Daumens. Daneben doppel¬ 
seitige Hasenscharte und Wolfsrachen. 

34. Kaczander (üeber angeborenen Radiusmangel. Virchow’s 

Archiv, B. 71, J. 1877, S. 409). 

Linksseitiger Defect. Fast reifer, todtgeborener Knabe. 
Hand in Winkelstellung und Fehlen des Daumens. Verkürzung des 
Vorderarms. Mangelhafte Beweglichkeit im Ellenbogengelenk. Hasen¬ 
scharte und Defect im Septum ventriculorum. Fehlen des rechten 
Daumens. 

35. Herschel (Beitrag zur Casuistik und Theorie des congenitalen 

Radiusdefectes. Diss. inaug., Kiel 1878). 

Rechtsseitiger Radiusdefect. 12 Jahre altes Kind. Torsions¬ 
krümmung der Hand, so dass die dorsale Fläche radialwärts, die 
volare ulnarwärts schaut. Klumphand. Daumen fehlt. Active Flexion 
und Extension im Ellenbogengelenk möglich, im Handgelenk be¬ 
schränkt, besonders die Extension. Bewegungen der Finger treten 
nur in beschränktem Maasse ein. Die Gebrauchsfähigkeit der Hand 
beschränkt sich auf das Halten von Gegenständen. Die rechte Ober¬ 
extremität ist weniger entwickelt als die linke. Ulna rechts stark 
verkürzt. Art. radialis nicht deutlich nachweisbar. 

Rechtsseitige Hasenscharte. Caput obstipum sinistrum. Ueber- 
greifen der Sclera auf die Cornea des linken Auges. Kleine Haut- 
excrescenzen vor dem linken Tragus. 

36. Nicolaysen (Schmidt's Jahrbücher, p. 122, 1882, B. 196. — 

Norsk. Mag., 3. R., XII, 4, 1879; referirt von Burkhardt). 
Beidseitiger Defect. 11 Wochen altes Kind. Klumphand. 
Fehlen der Daumen c und der dazu gehörigen Metacarpalknochen. Der 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. II. Band. 5 


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66 


Oskar Schmid. 


Metacarpus II stark verlängert. Ulnae verkrümmt. Die rechte Ulna 
subluxirt. Vorderarm kürzer als normal. 

37. Parker (Transactions of the pathologic. Society of London^ 
XXXUI, 1882; referirt in der Diss. inaug. von Geissendörfer. 
München 1890). 

Doppelseitiger Defect. Fötus. Links Fehlen des Daumens 
und Zeigefingers mit ihren Carpal- und Metacarpalknochen, rechts 
nur des Daumens. 

38—41. Shattok (Transactions of the pathol. society of London« 
XXXIII, 1882; referirt von Geissendörfer). 

1. Rechtsseitiger Defect. Beinahe vollkommen ausgetragener 
Fötus. Daumen fehlt, ausserdem das Os naviculare und Os multangulum 
majus. Links ist der Radius vorhanden aber ungewöhnlich kurz. 

2. Linksseitiger Defect. Nicht ausgetragene Frucht. Auf 
beiden Seiten dieselben Missbildungen der Hand wie im ersten Falle. 

3. Beidseitiger Defect. Fötus von etwa 6 Monaten. Es 
fehlen Daumen und Zeigefinger auf beiden Seiten. 

4. Beidseitiger Defect. Ausgetragener Fötus. Daumen und 
Zeigefinger ganz unentwickelt. 

42. Hilde mann (Beitrag zur Casuistik der angeborenen Hemmungs¬ 
bildungen der Extremitäten. Inaug.-Diss., Kiel 1882; referirt 
von Burckhard’t). 

Rechtsseitiger Defect. 12 Wochen alter Knabe. Der Arm 
verkürzt. Klumphandstellung. An Stelle des Daumens nur ein 
bohnengrosser Fleisch willst. Das Metacarpale I und die dazugehörigen 
Phalangen fehlen. Ulna am obern Ende verdickt. 

43—44. Ehrlich (Untersuchungen über die congenitalen Defecte 
und Hemmungsbildungen der Extremitäten. Virchow’s Archiv, 
1885, B. 100, S. 107). 

1. Linksseitiger Radiusdefect. Weiblicher Fötus. Links 
Klumphandstellung. Die Hand hat nur 2 Finger, den kleinen und 
den Ringfinger. Der Carpus besteht aus einem einzigen Knorpel¬ 
stück. Das linke Os Humeri ist nur 2 cm lang, während das rechte 
Gern misst. Clavicula beiderseits verdoppelt. 


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Ueber eine bisher nicht beobachtete Form von partiellem Radiusdefect. 67 


2. Rechtsseitiger partieller Radiusdefect. 6 Monate alter, 
weiblicher Fötus. Der rechte Vorderarm ist um die Hälfte kürzer 
als der linke, steht in Flexionsstellung, die Hand in Kluniphand- 
stellung. Die Finger sind vollzählig. Vom Radius ist das obere 
Ende circa 2 cm lang vorhanden. 

Partieller Defect der rechten Tibia und Klumpfuss rechts. 

45. V. Muralt (beschrieben in der Inaug.-Diss. von Burckhardt, 
Zürich 1890). 

Linksseitiger Defect bei einem lV-2 Jahre alten gut ent¬ 
wickelten Knaben. Beide oberen Extremitäten weisen DiflFormi- 
täten auf. 

Der rechte Vorderam zeigt zwischen den Handwurzelknochen 
und dem Ende des Vorderarmknochens eine verdickte Zone von 2 cm 
Länge. Die Hand ist parallel mit ihrer Längsaxe radialwärts ver¬ 
schoben. Der Metacarpus des Daumens ist verdickt und verkümmert 
und hat keine Gelenkverbindung mit dem Carpalknochen, sondern 
ist nur ligamentös mit dem Rand der Hand verbunden. Der Radius 
ist vollständig, aber dünner und schmächtiger als normal. Die Hand¬ 
wurzelknochen stehen auf der radialen Seite höher als auf der 
ulnaren. 

Die linke obere Extremität zeigt einen total verkümmerten 
Vorderarm, derselbe ist 3cm kürzer als der rechte. Radius fehlt 
ganz. Die Hand sitzt dem Vorderarm im rechten Winkel radial¬ 
wärts auf. Bandapparat im Ellenbogengelenk straff. Daselbst Flexion 
und Extension normal. Die Ulna ist im unteren Drittel radialwärts 
abgeknickt und torquirt. Eine Folge dieser Torsion ist, das die Vola 
manus nach oben und innen gerichtet ist. 

Die Vola manus zeigt weder eine Vertiefung noch Falten¬ 
bildung. Der Daumen besitzt keinen Metacarpus, ist klein und an 
der Hand nur durch eine dünne Hautverbindung befestigt. 

Keine Zeichen überstandener Rhachitis. 

4G. Geissendörfer (Zur Casuistik des congenitalen Radiusdefectes. 

Inaug.-Diss., München 1890). 

Beidseitiger Radiusdefect. 10 Wochen altes Kind weib¬ 
lichen Geschlechtes, gestorben an allgemeiner Ernährungsstörung. 
Beide Arme sind stark adducirt und flectirt. Die Hände in Klump¬ 
handstellung, zeigen beiderseits 5 gut entwickelte Finger. Links ist 


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68 


Oskar Schmid. 


der Arm länger und die Hand grösser als rechts. Flexion und Ex¬ 
tension in allen Gelenken beider Extremitäten beschränkt. Die 
Gelenksflächen sind flach, und im Ellenbogengelenk ist die Kapsel 
klein und straflf. Beiderseits ist das untere Humerusende verdickt 
und nur die Trochlea vorhanden. Die Ulnae sind kurz und verdickt 
und im unteren Dritttheil nach hinten gekrümmt. Die Köpfchen sind 
viel stärker als in der Regel und besitzen auf der radialen Seite 
eine Gelenkfläche, welche links mit dem Os triquetrum und einem 
Theil des Os lunatum articulirt, rechts nur mit dem Os triquetrum. 
Meniscus beiderseits vorhanden. Handwurzelknochen, Metacarpal¬ 
knochen und Phalangen sind vollzählig und normal. 

Beiderseits anomale Muskellagerung. Die Art. radialis fehlt 
rechts ganz und links ist sie rudimentär. Der N. radialis ist 
beiderseits dünner und endigt früher als normal. 

Andere Abnormitäten und Missbildungen: Zwischen dem Knorpel 
und dem knöchernen Theil der 2. und 3. Rippe fehlt rechts und 
links ein Stück. Pes planus sinister. Grosse Hufeisenniere im kleinen 
Becken. 

Diesen Fällen reihen sich nun die unserigen an, von welchen 
der erste durch Dr. W. Schulthess in der ärztlichen Gesellschaft 
in Zürich vorgestellt wurde, und der bei Burckhardt bereits 
citirt ist. 

47. M. F. (Taf. I). 

Anamnese. Die Mutter, eine kräftige, gesunde Frau, hatte 
an der rechten Hand einen doppelten Daumen, sonst keine Difformi- 
täten. Von ihren 5 Geschwistern waren alle normal gebaut. Sie hat 
zweimal geboren. Vor 10 Jahren einen gesunden Knaben, welcher 
an jeder Hand 6 Finger und zwar beiderseits den kleinen Finger 
doppelt zur Welt brachte. Andere Diflbrmitäten oder Defecte hatte 
er nicht. Ferner vor 14 Jahren unsere Patientin. Diese wurde zur 
normalen Zeit geboren. An dem Neugeborenen fiel den Eltern so¬ 
fort ein überzähliger Daumen an der rechten Hand auf. Derselbe 
wurde in den ersten Wochen des Lebens von einem Arzte ab¬ 
getragen. Der jetzt vorhandene Defect des Radius wurde hingegen 
erst später der Functionsstörungen wegen wahrgenommen. Die 
Schwangerschaft war normal verlaufen. Von mechanischen Ver¬ 
letzungen während derselben durch Stoss, Schlag, Fall gibt die Mutter 
nichts an. 


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üeber eine bisher nicht beobachtete Form von partiellem Radiusdefect. 69 


Status. Ein gracil gebautes, etwas anämisches, für sein Alter 
ziemlich grosses Kind (Fig. 1). Ausser der zu beschreibenden Dif- 
formität ist das Kind vollkommen gesund. Wenn das Mädchen (wie 
in Fig. 1) beide Arme schlaflF herunter hängen lässt, dann ist die 


Fig. 1. 



Volarseite der linken Hand direct nach innen und* der Daumen nach 
vom gerichtet, während die Volarfläche der rechten Hand direct nach 
hinten und der Daumen nach innen gewendet ist. Ferner ist der 
rechte Unterarm stark abducirt, so dass er in dieser Stellung einen 
deutlich nach aussen offenen Winkel mit dem Oberarm bildet. Der 
rechte Arm erscheint in seiner Gesammtheit magerer als der linke. 


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70 


Oskar Sclimid. 


Auch die Musculatur des rechten Schultergürtels ist von einer ge¬ 
ringeren Entwickelung. Der rechte Pectoralis ist unbedingt dünner 
als der linke (s. die nachfolgenden Maasse). Auch die Gegend des 
Deltoides zeigt rechts eine schwächere Entwickelung. Der rechte 
Proc. coracoides ist leichter zu sehen als der linke. Zwischen jenem 
und dem Humerus besteht rechts eine deutliche Furche, links nicht. 
Die rechte Clavicula erscheint länger als die linke, zeigt aber nicht 
etwa eine geringere Biegung, im Gegentheil ist der äussere Theil 
derselben etwas stärker nach oben gewölbt als links. Die rechte 
Schulter erscheint länger und ist etwas zurückgestellt. 

Am Unterarm fällt neben der schon erwähnten Abduction noch 
auf, dass über dem oberen Dritttheil die Musculatur weniger vor¬ 
springt als auf der anderen Seite, wodurch im Verein mit einer 
Abbiegung nach der Radialseite eine Einziehung an der Grenze des 
oberen und mittleren Dritttheils zu Stande kommt (s. Fig. 1). Beide 
Ei*scheinungen deuten auf den in der Tiefe vorhandenen Defect. 

Bei näherem Zusehen bemerkt man, dass das oberste Dritttheil 
des Radius fehlt. Es lässt sich dieser Knochen nur bis etwas über 
die Mitte seiner Länge längs der Ulna durchfühlen. Unten ist der¬ 
selbe mit der Ulna verwachsen. Der Radius zeigt unten normale 
Dicke, verjüngt sich aber nach oben. Das obere Ende ist spitz und 
leicht abzutasten. Die rechte Ulna ist kürzer als die linke und 
ist im oberen Dritttheil deutlich verdickt. Sie scheint zu verlaufen, 
wie sie unter normalen Verhältnissen bei Pronationsstellung ver¬ 
laufen würde, nur lässt die Stellung des Handgelenks eine leichte 
Torsion derselben nach innen vermuthen. Etwa 1 ^/2 cm unterhalb 
des Condyl. humeri ext. fühlt man, besonders leicht bei flectirtem 
Unterarm, auf der äusseren Fläche der Ulna eine stark erbsen¬ 
grosse Prominenz. Diese liegt ungefähr an der Stelle, wo das 
Radiusköpfchen liegen sollte. Das Olecranon ist beiderseits gleich 
entwickelt. Die Eminentia capitata humeri springt vor und ist ver- 
grössert. 

Bei activer Dorsalflexion der Hand fühlt man deutlich, dass 
von diesem Punkte Muskeln entspringen. Bei leichter Flexion im 
Ellenbogengelenk fällt auf, dass der Supinator longus nicht soweit 
emporsteigt wie linkerseits, ferner, dass bei Flexion unter Wider¬ 
stand der Biceps abgeflacht erscheint, während er links stark nach 
innen vorspringt. Die Sehne dieses Muskels senkt sich mit ihrem 
kräftigeren Theile vor dem Ellenbogengelenk in die Tiefe und setzt 


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Ueber eine bisher nicht beobachtete Form von partiellem Radiusdefect. 71 


sich an der äusseren Seite der ülna, nahe der Stelle wo der Radius 
aufhört, an. Der schwächere Theil der Sehne umfasst die auf der 
Ulna liegende Musculatur. Im ganzen ist der Biceps unverhältniss- 
raässig schwach entwickelt, während die Brachialis gut ausgebildet ist. 

Die Flexion ist am rechten Arm vollständiger möglich als am 
linken, dabei ist selbstverständlich die Volarseite der Hand nach vom 
und in einem Winkel von 45® nach innen gestellt (s. Fig. 2). Es 


Fig. 2. 



sind in dieser Stellung geringe Rotationen (Pronation und Supination) 
möglich (vergl. Fig 2 u. 3). Die Extension ist etwas beschränkt. 
Die Hand muss bei völliger Normalität des Handgelenks in Pronations¬ 
ankylose gehalten werden. Es sind zwar geringe Seitwärtsbewegungen 
(Rotationen) der Ulna auf dem Humerus möglich, dieselben verlaufen 
aber selbstverständlich mit einer leichten Seitwärtsbewegung der 
Ulna, welche sich nach Art der Sattelgelenke auf der Rolle des 
Humerus bewegt. Es macht aber den Eindruck, als ob dieselben 
theilweise durch Abhebung der Ulna vom Humerus entstünden. 
Die Pronationsbewegung wird durch eine Rotation des ganzen Arms 
im Schultergelenk unterstützt. Um die mangelhaften Supinations- 


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72 


Oskar Schmid. 


bewegungen zu unterstützen, existirt eine ausserordentliche Beweglich¬ 
keit in den Carpo-Metacarpalgelenken. 

Die rechte Hand ist bedeutend schlanker als die linke (s. Fig. 1 
bis 3). Die Finger sind kürzer und das Handgelenk schmächtiger, 
nur fällt auf, dass die radiale Seite verhältnissmässig starker aus¬ 
gebildet ist. 

Auffallend ist auch, dass der Metacarpus des Daumens sich 
mehr von der Hand entfernen kann als auf der gesunden Seite 


Fig. 3. 



(s. Fig. 3). Die deutlichste Veränderung findet sich an dem Metacarpal¬ 
gelenk. Dieses ist stark verdickt, während die davorliegende erste 
Phalanx des Daumens sehr schmächtig ist. An der inneren Seite 
des Gelenks ist eine deutliche längs gestellte Narbe und Schwiele 
vorhanden. Unter dieser Stelle scheint ein Schleimbeutel zu liegen, 
und ein kleiner, harter, kaum apfelkerngrosser Körper (Knorpel), 
wahrscheinlich ein Ueberrest der ersten Phalanx des amputirten 
Daumens. Dieser Körper lässt sich an der Innenseite des Gelenks her¬ 
umschieben. Betrachtet man den Daumen von seiner Dorsalseite her, 
so weicht er in gestreckter Stellung nach dem Dorsum und gegen 


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üeber eine bisher nicht beobachtete Form von partiellem Radiusdefect. 


73 


den Zeigefinger hin ab. In der Ruhe ist die Abweichung ge¬ 
ringer. 

Wird die Hand flach auf den Tisch gelegt, so geht die Ab¬ 
weichung nach oben, während die vordere Phalanx wieder seitwärts 
und volarwärts abgebogen ist. Die vordere Phalanx ist zudem etwas 
gedreht und zwar in dem Sinne, als ob sie an der Fingerspitze ge¬ 
fasst und volarwärts gedreht worden wäre (s. Fig. 4). Die Gelenke 
des Daumens besitzen so wenig Festigkeit, dass die Spitze des Daumens 


Fig. 4. 



bei unveränderter Handstellung bequem um mindestens 180 ^ gedreht 
werden kann. 

Der rechte Handteller ist normal und zeigt den gewöhnlichen 
Typus der Hautfaltung. Eine gewisse Abweichung davon weist nur 
die Gegend hinter dem Gelenkkopf des Metacarpus des Daumens 
auf, woselbst eine starke quer hinter dem Kopf herumgehende Falte 
zu sehen ist (s. Fig. 4). Eine weitere Abweichung findet sich auf 
der Volarseite in der Faltung der Finger (s. Fig. 4, 5, 6 u. 7). 
Die Falte, die dem Metacarpophalangealgelenk entspricht, immer ab¬ 
gerechnet, hat der kleine Finger statt 2, 3 Hautfalten, wovon die 


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74 


Oskar Sclimid. 


mittlere auf der mittleren Phalanx liegt. Am 4. Finger ist die 1. und 
2. Falte normal vorhanden, die letztere etwas stark eingeschnitten. 
Fast auf der Mitte der 3. Phalanx findet sich aber noch eine 3. Falte. 
Auf dem Mittelfinger sind neben den normalen Gelenksfalten eine 
schwach angedeutete 3. Falte auf der mittleren und eine etwas 
deutlichere 4. auf der 3. Phalanx vorhanden. Am Zeigefinger ist 
ausser den normalen Falten noch eine 3. tief eingeschnittene auf 
der Mitte der mittleren Phalanx. Der geringen Ausbildung des 


Fig. 5. 



Daumens entspricht eine mangelhafte Faltung, es findet sich nur eine 
dem Fingergelenk entsprechende Falte. 

Auch an der linken Hand ist die Faltung der Finger nicht 
ganz normal. Der 4. Finger zeigt neben den 2 normalen Falten 
eine 3. auf der mittleren Phalanx, während die einzelnen Furchen 
der vorderen Falte etwas verzogen sind. Auch der Mittelfinger hat 
eine dritte, allerdings schwache Falte auf dem Mittelgliede. Der 
kleine Finger, der Zeigefinger und der Daumen zeigen normale 
Faltung. 

Die Kraft des rechten Arms und der rechten Hand ist viel 


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Ueber eine bisher nicht beobachtete Form von partiellem Radiusdefect. 75 


geringer als links. Im Schreiben und beim Ausüben der häuslichen 
Arbeiten ist das Mädchen durch den Defect nicht sonderlich ge¬ 
hindert. 

Zur genaueren Beurtheilung der Dimensionsverhältnisse zwischen 
der rechten und linken Schulter und Oberextremität wurden folgende 
vergleichende Maasse genommen: 

Fig. 6. 



Linke Hand. Schematische Darstellnng der Hantfaltung an der Volarseite der Finger. 

Proc. Spinös, des 2. Brustwirbels bis zur äussersten Schulter¬ 
peripherie: 

r. 16,8, 1. 16,6 cm. 

Durchmesser vom Proc. coracoides bis zum prominentesten 
Punkt der Spina scapulae: 

r. 8, 1. 8,4 cm. 

Angulus scapulae bis Acromialende: 

r. 15,2, 1. 15,6 cm. 


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76 


Oskar Schmid. 


Acromialende bis Ausgangspunkt der Spina an der Basis: 

r. 10, 1. 10,6 cm. 

Länge der Clavicula: 

r. 12,5, 1. 12 cm. 

Mit dem Tasterzirkel gemessen hat der Rand des Pectoralis 
einen Durchmesser: 

r. 0,7, 1. 1,1 cm. 

Fig. 7. 



Rechte Hand. Schematische Darstellung der Hautfaltung in der Volarseite der Finger. 

Circuraferenz der Mitte des Oberarms: 

r. 18 Vg, 1. 19 Vs cm. 

Länge des Humerus, gemessen bei hängendem Arm und Flexion 
im Ellenbogengelenk. 

Acromion bis Condyl. ext.: 

r. 25,4, 1. 26,2 cm. 

Acromion bis Olecranon: 

r. 28,3, 1. 29,3 cm. 


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lieber eine bisher nicht beobachtete Form von partiellem Radiusdefect. 77 


Durchmesser vom Condyl. humeri ext. bis Condyl. humer. int.: 
r. 4,9, 1. 5,2 cm. 

Circumferenz des Vorderarms über die Plica cubitalis: 
r. 17, 1. 18,2 cm. 

Circumferenz 3 cm oberhalb des Handgelenks an der dünnsten 
Stelle des Vorderarms: 

r. 12,7, 1. 14 cm. 

Länge der Ulna vom oberen Rande des Olecranon bis zur 
Spitze des Proc. styloides: 

Maassbandmessung: 

r. 19,4, 1. 21,5 cm. 

Zirkelmessung: 

r. 19,9, 1. 21,5 cm. 

Länge des Radius, rechts Messung von der Stelle unterhalb 
des Condyl. ext. humeri bis zum vorderen Radiusende unter Ausser- 
achtlassung des Defectes: 

r. 18,1, 1. 19,8 cm. 

Querdurchmesser von Radius plus Ulna direct oberhalb des 
Handgelenks: 

r. 4,0, 1. 4,5 cm. 

Querdurchmesser der flach aufgelegten Hand in der Höhe der 
Metacarpophalangealgelenke: 

r. 5,7, 1. 6,0 cm. 


Länge der Phalangen bei vollständiger Flexion derselben: 



I. Phalanx 

II. Phalanx 

III. Phalanx 

Fingerlange 


r. 

1. 

r. 

1. 

r. 

1. 

r. 

1. 

Kleine Finger 

4 cm 

4,1 cm 

2,3 cm 

2,5 cm 

2 cm 

2,1 cm 

8,3 cm 

8,7 cm 

Ringfinger .... 

4,9 . 

4,9 , 

3,1 , 

3,1 . 

2,3 . 

2,3 , 

10,3 , 

10,3 . 

Mittelfinger . . . 

5,2 . 

5,3 , 

3,3 . 

3,4 , 

2,6 . 

2,3 . 

11,0 , 

11,0 , 

Zeigefinger . . . 

4,8 . 

4,9 . 

2,8 , 

o 

CO 

2,1 . 

2,3 . 

9,7 , 

10,2 . 

Daumen .... 

4,1 , 

3,7 . 

2,8 . 

3,0 . 

“* H 


6,9 , 

6,7 . 


48. Th. B. 1). 

5 Jahre alt. Der Knabe ist das zweitjüngste von 4 Kindern. 
Die Eltern imd Geschwister sind gesund. In der ganzen Familie 

*) Da uns der Knabe nicht die zur Untersuchung erforderliche Zeit zur 
^Disposition stand, so sind wir nicht in der Lage, die Beschreibung in der er- 
^nschten Ausführlichkeit wieder zu geben wie bei der M. F. 


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78 


Oskar Schmicl. 


sind ausser bei dem Kleinen keine Diflformitäten bekannt. Während 
die Mutter mit dem Knaben schwanger ging, fiel sie ungefähr in 
der Mitte der Schwangerschaftszeit eine Treppe hinunter. Sie gibt 
aber an, dass ihr Wohlbefinden durch diesen Fall absolut nicht gestört 
worden sei. Der Knabe wurde 6 Wochen zu früh geboren. Die 
Geburt verlief normal. Der Knabe leidet seit der Geburt sehr oft an 
Diarrhoe. Der Defect fiel erst dann auf, als er 4 Jahre alt beim 


Fig. 8. 



Ballspiel den Ball mit der Rückenfiäche der Hand auffing und an¬ 
gab, er könne nicht anders. 

Status. Ein magerer, für sein Alter sehr kleiner Knabe 
(s. Fig. 8 u. 9). Zeigt geringen Grad von Pectus carinatum und massige 
Verdickung der Rippenenden. Die Schädelform ist etwas rhachitisch. 
Die verknöcherte Kranznaht ist gut zu fühlen. An beiden Seiten 
des Halses hat er harte, geschwollene Lymphdrüsen. Die rechte 
Schulter erscheint von vom gesehen von gleicher Configuration wie 
die linke. Die Musculatur auf dem Schulterblatt ist rechts gleich 
kräftig wie links. Auf beiden Seiten ist der Deltoides gut ent¬ 
wickelt. Der Pectoralis ist links etwas kräftiger als rechts. Bei 


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Ueber eine bisher nicht beobachtete Form von partiellem Radiusdefect. 79 


hängenden Armen erscheint der rechte etwas dünner, besonders aber 
kürzer als der linke; ferner fällt auf, dass der rechte Unterarm 
im Ellenbogengelenk eine Abknickung nach aussen zeigt und dass 
die Innenfläche der rechten Hand stets nach hinten gewendet ist 
(s. Fig. 8). In die Augen springend ist auch, dass der Muskelwulst 
direct unter dem Condyl. ext. humeri, den ein normaler Arm an dieser 
Stelle aufweist, rechts fehlt, während er am linken Arm stark aus- 


Fig. 9. 



gesprochen ist. Betastet man die Stelle, wo der Muskelwulst fehlt, 
so sucht man daselbst umsonst das Radiusköpfchen. Verfolgt man 
den Radius des rechten Arms von unten nach oben, so kann man 
denselben leicht durchfühlen bis ca. 2 cm unterhalb des Ellenbogen¬ 
gelenks, hier sinkt der Finger bei Druck ein. Das unterste Ende 
des Radius ist normal configurirt, 2^2 cm über dem Handgelenk 
zeigt er eine schwache, aber immerhin deutliche Biegung mit der 
Convexität nach dem Dorsum. Das obere Ende ist stumpf und etwas 
dünner als der Radius des anderen Armes auf derselben Höhe. Von 
diesem Ende scheint an der inneren Seite eine Kante oder Sehne 
auszugehen, die gegen den äusseren Theil des Ellenbogengelenks hin 


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80 


Oskar Schmid. 


verläuft. Die rechte Ulna springt mit ihrem unteren Ende vor, 
wenn sich die Hand in extremer Supinationsstellung befindet. Oben 
fühlt man besonders leicht bei flectirtem Arm direct unter dem 
Condyl. ext. humeri, in der Höhe, in der sich sonst das RÄdiusköpfchen 
befindet, eine knopfförmige Prominenz auf der Ulna sitzen. 

Die Eminentia capitala humeri scheint etwas verdickt zu sein 
und direct in Musculatur überzugehen; ob eine zapfenförmige Ver¬ 
längerung derselben vorhanden ist, kann nicht mit Sicherheit con- 
statirt werden. 

Die Flexion im Ellenbogengelenk ist möglich bis zu einem 
Winkel von ca. 33^, die Extension bis zu ca. 180®. Von einer 
Ueberstreckung, wie sie sonst normal vorzukommen pflegt, ist keine 
Spur vorhanden. 

Bei Flexion des Arms, bei welcher selbstverständlich die Hand 
nach oben gewendet bleibt, findet ein starkes Abweichen des Unter¬ 
arms aus der im Anfang der Bewegung innegehaltenen Drehebene 
statt. Zu gleicher Zeit wird gegen den Schluss dieser Bewegung 
eine Rotation des Unterarms im Sinne der Supination bemerkbar 
(s. Fig. 9). 

Das rechte Handgelenk ist schmächtiger als das linke. Die 
rechte Hand steht in vollständiger Pronationsankylose. Drehungen 
sind nur insoweit möglich, als sich die Ulna im Humerusgelenk seit¬ 
wärts bewegen kann. Flexion und Extension der Hand sind in 
normaler Ausdehnung da. 

Die rechte Hand ist nur wenig schwächer gebaut als die linke. 
Die Handwurzelknochen sind scheinbar vollzählig vorhanden. Die 
Mittelhandknochen und die Finger sind vollzählig und gut entwickelt. 
Der Daumen und der Daumenballen sind normal, ebenso die Faltung 
der Handteller. 

Der linke Arm ist äusserlich vollkommen normal configurirt. 
An den Bewegungen des Unterarms fällt auf, dass die Supination 
nicht vollständig möglich ist. Dieselbe lässt sich auch mit Gewalt 
nicht in dem Umfange erzielen wie bei einem normalen Arm, während 
die Pronation vollständig zu Stande kommt. Ferner lässt sich der 
Arm flectiren, aber nur bis zu einem Winkel von ca. 40®. Die 
Hyperextension ist möglich bis zu einem Winkel von 191 ®. Die 
Ursache der mangelhaften Supination des Unterarms finden wir in 
einer Subluxation des oberen Radiusendes, welches bei der Extension 
die Eminentia capitata humeri nach vom überspringt. Das Gelenk 


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Ueber eine bisher nicht beobachtete Form von partiellem Radiusdefect. 81 

muss als Schlottergelenk taxirt werden. Die Rotationen des Vorder¬ 
arms geschehen nicht nur durch Rotationen des Radius im Radio- 
Cubitalgelenk, sondern auch durch ein Heraustreten des oberen 
Radiusendes aus diesem Gelenke. Wird das obere Ende des Radius 
festgehalten, so ist auch die Pronation nur halb möglich. Der Schluss 
der Bewegung, im Umfang von mindestens 45®, erfolgt erst dann, 
wenn der Radius losgelassen wird. 

Das Handgelenk und die Hand sind vollständig normal. 

An der rechten und linken Oberextremität wurden folgende 
vergleichende Maasse genommen: 

Circumferenz der Mitte des Oberarms: 

r. 12,5, 1. 13 cm. 

Länge des Humerus. Acromion bis Olecranon: 
r. 18, 1. 19 cm. 

Querdurchmesser vom Condyl. humeri ext. bis int. 
r. 3,7, 1. 3,8 cm. 

Circumferenz des Vorderarms über der Plica cubitalis: 
r. 12,2, 1. 13,5 cm. 

Circumferenz oberhalb des Handgelenks an der dünnsten Stelle 
des Vorderarms: 

r. 9,5, 1. 10 cm. 

Länge der Ulna vom oberen Rande des Olecranon bis zur 
Spitze des Proc. styloides: 

r. 12,6, 1. 13,5 cm. 

Breite des Handgelenks: 

r. 2,9, 1. 3,2 cm. 

Breite der Hand in der Höhe der Metacarpophalangealgelenke: 
r. 4,1, 1. 4,3 cm. 

Umfang der Hand über den Metacarpophalangealgelenken des 
2.—5. Fingers: 

r. 10,3, 1. 10,8 cm. 

Länge der Hand von der Handgelenksfalte bis zur Spitze des 
Mittelfingers: 

r. 10,8, 1. 10,8 cm. 

Wie unsre Casuistik ergibt, so ist die Gesammtzahl der bis 
jetzt beobachteten Fälle von Radiusdefect und Rudiment 48, die 
unseren mitgerechnet. — Der nachfolgenden Aufzählung der ver¬ 
schiedenen Formen müssen wir vorausschicken, dass beim selben 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. II, Baud. 0 


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Oekar Schtnid. 


Individuum links und rechts hie und da verschiedene Formen unserer 
Missbildung vorgekommen sind. Dasselbe Individuum erscheint des¬ 
halb öfters zweimal in der Aufzählung. Die 48 Fälle würden 
96 Arme repräsentiren; da jedoch beim Fall Man ec nichts Bestimmtes 
angegeben ist, so haben wir nur mit 94 Armen zu rechnen. Unsere 
47 in Rechnung kommenden Fälle weisen nur 65 Arme mit totalem 
Radiusdefect auf, 8 mit partiellem und 21 normale. Die Totaldefecte 
vertheilen sich wiederum derart, dass 42 auf 21 Individuen mit 
doppelseitigem Defect kommen, 18 auf ebenso viele Individuen, bei 
denen einer der Arme normal ist, und 5 auf Individuen, bei welchen 
auf der anderen Seite ein partieller Defect gefunden wurde. Die 
8 Fälle von partiellem Defect vertheilen sich auf 5 Individuen, welche 
am anderen Arm einen Totaldefect hatten, und auf 3, bei denen 
der 2. Arm normal war. Demnach kam ein normaler Arm bei den 
in Frage stehenden Individuen 21mal vor, und zwar 18mal neben 
Totaldefect und 3mal neben partiellem. 

Von den betroffenen Individuen waren die meisten und zwar 
21 noch nicht ausgetragene Früchte; ausgetragene Kinder 12, in 6Fällen 
(Lediberder, Stricker, Gruber, Nicolaysen, Hildemann und 
Geissendörfer) erreichten die Kinder nur ein Alter von 5 — 16 Wochen, 
ohne dass die Todesursache angegeben ist, und in 8 Fällen (Manec, 
Larroy, Colles, Schnelle, Herschel, von Muralt und die unse- 
rigen) befanden sich dieselben zur Zeit der Publication in einem Alter 
von 1—25 Jahren. Bei einem Fall, demjenigen von Silvester, ist das 
Alter nicht angegeben. Leider finden wir nur bei 28 Fällen das 
Geschlecht angeführt, von diesen gehören 15 dem männlichen und 
13 dem weiblichen Geschlechte an. 

Totaler Mangel des Radius wurde beschrieben 21 mal beid¬ 
seitig und 23mal einseitig, und zwar fallen von den letzteren 12 Fälle 
auf die rechte und 11 auf die linke Extremität. Auf welcher Seite 
im Fall Man ec der Defect war, ist nicht erwähnt. 

Ungefähr in der Hälfte der Fälle fand sich also die Abnormität 
auf beiden Seiten, während die andere Hälfte sich gleichmässig auf 
die rechte und linke Extremität vertheilt. 

Während schon 45 Fälle mit totalem Radiusdefect, ich zähle 
denjenigen von Man ec mit, bekannt sind, kennt man bis heute nur 
8 Fälle mit Radius-Rudiment. 

Und zwar bei: 

1. Meckel. Am linken Arm, in Gestalt eines 2^2 Linien 


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Ueber eine bisher nicht beobachtete Form von partiellem Radiusdefect. 83 


langen, stumpf zugespitzten, das obere Radiusende repräsentirenden 
Stückes, bei dem Monstrum mit Etadiusmangel rechts. 

2. Cruveilhier. Am rechten Arm, in Gestalt eines das 
oberste Sechstel des Radius repräsentirenden Stückes, bei einem 
monströsen Fötus mit Radiusmangel links. 

3. Silvester. Am linken Arm, in der Gestalt eines kleinen 
knorpeligen Knötchens, das neben dem oberen Ende der Ulna sitzt, 
bei einem Individuum mit Radiusmangel rechts. 

4. Swaagmann. Am linken Arm, als ein kleines Knorpel¬ 
stückchen, das die Stelle des Radiusköpfchens einnimmt, bei einem 
Individuum mit Radiusmangel rechts. 

5. Dornseiff. Am linken Arm, neben dem oberen Ende 
der Ulna als ein erbsengrosses Knorpelstück, bei dem Fall mit 
Radiusdefect rechts. 

6. Ehrlich. Am rechten Arm, in Gestalt eines 2 cm langen 
Stückes, das obere Ende des Radius darstellend, bei einem sechs¬ 
monatigen Fötus. 

7. und 8. Unsere beiden Fälle: 1. M. F. Am rechten Arm, 
in Gestalt eines die unteren zwei Dritttheile des Radius repräsen¬ 
tirenden Stückes, welches sich nach oben succesive verjüngt. 2. Th. B. 
Am rechten Arm. Auch da ist der untere Theil des Radius vor¬ 
handen, und es fehlt das oberste Ende, ungefähr ein Viertel des 
Ganzen. 

Von diesen 8 Fällen fehlt in 6 das untere Stück des Radius, 
und nur in den unserigen ist gerade das untere vorhanden, während 
das obere fehlt In 5 Fällen finden wir auf der anderen Seite totalen 
Radiusdefect und nur in 3 (Ehrlich und dem unserigen) ist der 
Radius der anderen Seite vollständig vorhanden. 

Bei totalem Radiusmangel fehlt in 45 Fällen 35mal der Daumen, 
d. h. beide Phalangen sammt zugehörigem Os metacarpi; in 5 Fällen 
wurde der Daumen rudimentär beobachtet (Otto Nr. 16 und 17, 
Hildemann, wo er nur in einem Muskelwulst angedeutet ist, von 
Muralt und Shallok 41). Auch hier fehlt meist der Metacarpal¬ 
knochen. Nur in 2 Fällen (Gruber und Geissendörfer) war 
ein gut entwickelter Daumen vorhanden. 

In den 8 Fällen mit Radiusrudiment fehlt der Daumen 4mal; 
bei Dornseiff ist er rudimentär; bei Ehrlich und den unsrigen 
beiden Fällen ist derselbe in vollkommener Ausbildung nachweisbar. 


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84 


Oskar Schmid. 


bei dem einen von den unsrigen besteht neben dem Daumen noch 
ein zweiter rudimentärer. 

Das Gewöhnliche war demnach, dass die Hände keinen Daumen 
hatten; aber auch noch weniger als 4 Finger sind beobachtet worden. 

Fälle mit nur 3 Fingern haben beschrieben: Lediberder 
(welche?), Presl at (welche?), Parker (links^ Mittel-, Ring- und Ohr¬ 
finger), Shattok Nr. 40 (beiderseits, Mittel-, Ring- und Ohr¬ 
finger). 

Fälle mit nur 2 Fingern haben beschrieben: Wiebers (Ring- 
und Ohrfinger), Wagner rechts (welche?) und Ehrlich Nr. 43 
(Ring- und Ohrfinger). 

Fälle mit nur 1 Finger haben beschrieben: Otto Nr. 11 (beider¬ 
seits der Ohrfinger) und Wagner links (welcher?). 

Bei den Fällen mit Radiusrudiment hatte nur der von Silvester 
weniger als 4 Finger; es waren nur der Mittel- und Ohrfinger vor¬ 
handen. 

Fälle mit 5 gut entwickelten Fingern haben beschrieben: 
Gruber, Geissendörfer. Ehrlich, und dazu gehört auch unser 
Th. B. Es sind im Ganzen 4 Fälle. 

Mit Polydaktylie glänzt unsere M. F. allein. Und zwar 
hatte sie gerade den Finger doppelt, der bei Radiusdefect und Rudi¬ 
ment gewöhnlich fehlt, den Daumen. 

Durchweg treflFen wir Klumphandstellung an, eine Aus¬ 
nahme machen nur unsere beiden Fälle. 

Die Ulna war in der Regel verkürzt und fast durchweg bald 
nach aussen, bald nach innen verkrümmt und bei Roger und Honel, 
Herschel und Geissendörfer war sie in der Gesammtheit, bei 
Wiedemann, Davain Nr. 18 und 19, Voigt, Gruber und 
Hildemann und in den unseren am oberen Ende verdickt. 

Von allen secirten Fällen waren nur in 2 (Ehrlich und Geissen¬ 
dörfer) die Handwurzelknochen vollzählig vorhanden (im ersteren 
waren dieselben unter sich verwachsen). Bei Gruber fehlte nur 
das Os naviculare, in allen übrigen Fällen dagegen mindestens das 
Os naviculare und das Os multangulum majus. 

Einen Meniscus im Handgelenk haben nur Gruber, Herschel 
und Geissendörfer gefunden. 

Sämmtliche Gelenke, besonders das Hand- und Ellenbogen¬ 
gelenk der betreffenden Extremität, waren meist derart beschaflFen, 
dass sie fast durchweg eine verminderte Beweglichkeit bedingten. 


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Heber eine bisher nicht beobachtete Form von partiellem Radiusdefect. 85 


Gewöhnlich war die mit Radiusdefect oder Rudiment behaftete 
Extremität auch weniger entwickelt. Die Muskeln waren schwächer, 
oft fehlten welche, besonders am Vorderarm. Dem anomalen Skelette 
entsprechend sah man immer eine anomale Anordnung der Mus- 
culatur, indem die sich sonst an den Radius ansetzenden Muskeln 
hier einen anderen Insertionspunkt wählen mussten, gewöhnlich an 
der Ulna, andererseits die vom Radius entspringenden zum Theil 
fehlten (Petit, Prestat, Wiebers, Roger und Honel, Voigt, 
Gruher, Kaczander, Ehrlich und Geissendörfer). 

Schwächer als normal wurde die Art. radialis gefunden von 
Otto, Voigt, Gruber, Kaczander, Herschel, Ehrlich und 
Geissendörfer (links), gänzlich fehlte sie in den Fällen Otto 
Nr. 239, Schnelle und G eissendörfer (rechts). 

Mit wenigen Ausnahmen (Petit, Roger und Honel, Gruber 
und Schnelle Nr. 32) weisen die Fälle mit Radiusdefect noch sonstige 
Abnormitäten auf, weichein einigen einseitigen Fällen (Voigt,Coles, 
Kaczander, Shattok und von Muralt) Vorderarm und Hand der 
anderen Seite betreffen und sich als Anomalieen derselben zeigen, wie 
wir dieselben als den Radiusdefect begleitende bereits oben ge¬ 
schildert haben. Wir sehen nämlich bei den oben angegebenen 
Fällen mit einseitigem Radiusdefect Imal (Voigt) Klumphand, 3 Mal 
(Coles, Kaczander und Shattok Nr. 39), Fehlen des Daumens, 
2mal (Voigt und von Muralt) Rudiment des Daumens der anderen 
Seite, ohne dass daselbst der Radius gefehlt hätte oder rudimentär 
gewesen wäre. 

In 2 Fällen (Voigt und unserem Th. B.) fand sich indessen 
auf der dem Defect entgegengesetzten Seite eine Anomalie, die das 
Radiusrudiment nirgends begleitet. Hier war das Köpfchen des 
sonst scheinbar intacten Radius subluxirt. Dabei war im Fall Voigt 
die Anordnung der Vorderarramuskeln fast ebenso anomal wie auf 
der anderen mit dem totalen Defect behafteten Seite. 

In der Mehrzahl der Fälle handelte es sich dagegen um Bil¬ 
dungsfehler ausser dem Gebiet der oberen Extremitäten, deren Zahl 
eine erhebliche, deren Art eine sehr mannigfaltige ist; als da sind: 
Wolfsrachen, Hasenscharte, Perforation des Septum ventriculorum 
cordis, Atresien bes. des Anus, Difformitäten der unteren Extremi¬ 
täten, Difformitäten des Knochensystems u. s. w. 

Eine gute Zusammenstellung der den Radiusdefect begleitenden 
Missbildungen findet man bei Herschel S. 33. 


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86 


Oskar Schmid. 


Demnach ergibt sich als typisches Bild unserer Anomalie ge¬ 
mäss der soeben durchgeführten Analyse der Casuistik etwa folgendes: 

1. Todtgeborenes, oder doch bald nach der Geburt gestorbenes 
Kind. 

2. Totaler Mangel des Radius. 

3. Geringe Entwickelung der betreffenden Extremität. 

4. Klumphandstellung. 

5. Fehlen des Daumens. 

6. Fehlen einiger Handwurzelknochen (Os naviculare und Os 
multangulum majus). 

7. Verkürzung, Verkrümmung und Verdickung der Ulna. 

8. Verminderte Beweglichkeit in den Gelenken der betreffenden 
Extremität. 

9. Missbildungen verschiedener anderer analoger Naturkörper- 
theile. 

Wir bezeichnen dieses anatomische Bild als typisch, insofern 
als die dasselbe zusammensetzenden Erscheinungen der grossen Mehr¬ 
zahl der 48 Fälle unserer Casuistik zukommen. Nun ist aber eine Minder¬ 
zahl von Fällen da, die in Einzelheiten von diesem typischen Bilde ab¬ 
weichen. Mit Bezug hierauf lassen sich folgende Variationen aufstellen: 

I. Rudiment des Radius, a) Repr'äsentirend den oberen Ab¬ 
schnitt des Radius mit den oben angegebenen Begleiterscheinungen, 
b) Repräsentirend den unteren Abschnitt des Radius mit normaler 
Handstellung und Fingerzahl, im übrigen dieselben Begleiterschei¬ 
nungen wie oben. 

II. Der Daumen, welcher wie erwähnt bei den typischen FäUen 
mangelt, ist vollkommen gut ausgebildet (Gruber, Geissendörfer, 
Ehrlich Nr. 44 und Th. B.), oder wenigstens rudimentär vor¬ 
handen (Otto Nr. 16, 17, Dornseiff, Shattok 41, Hildemann 
und V. Mur alt), dabei kann der Defect des Radius ein totaler oder 
ein partieller sein. 

lU. Polydaktylie mit partiellem Defect (M. F. Nr. 47). 

IV. Fehlen mehrerer Finger. Es fehlt nicht nur der Daumen, 
sondern ausserdem noch der Zeigefinger (Parker, Shattok, Ledi- 
berder (?) und Prestat (?); Zeigefinger und Mittelfinger (Silvester, 
Wiebers, Ehrlich und Wagner (?); Zeigefinger, Mittelfinger und 
Ringfinger, so dass nur noch der kleine Finger (Ohrfinger) vorhanden 
ist (Otto Nr. 11 beiderseitig und Wagner links). 

V. Während wir die typischen Fälle mit noch anderweitigen 


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Ueber eine bisher nicht beobachtete Form von partiellem Radiusdefect. 87 


Bildungsanomalieen behaftet fanden, sind in der Literatur 4 Fälle 
{Petit, Rogerund Honel, Gruber und Schnelle) niedergelegt, deren 
sonstige körperliche Entwickelung absolut keinen weiteren Mangel, 
abgesehen von Radiusdefect, entdecken Hess. 

Nachdem wir im Vorhergehenden eine allgemeine Uebersicht 
und Classification unserer Bildungsanomalie nach der in der Literatur 
vorhandenen Casuistik gegeben haben, betrachten wir es nunmehr 
als Aufgabe, unsere beiden Fälle, als noch nicht beschriebene, einem 
Vergleiche mit den bereits publicirten zu unterwerfen, einem Ver¬ 
gleiche, welcher uns Gelegenheit bieten wird, auch der ätiologischen 
Seite der Defectbildung näher zu treten. Es wird daraus hervorgehen, 
dass unsere beiden Fälle einige wichtige Abweichungen von den bis 
jetzt beschriebenen zeigen, welche auf manche bis jetzt dunkel ge¬ 
bliebenen und der Erklärung harrenden Punkte des anatomischen 
Bildes unserer Anomalie nicht unwillkommene Streiflichter werfen 
dürften. 

Unsere beiden Fälle gehören in die Kategorie der Radiusrudi- 
mente und zwar in die Abtheilung, in welcher das Rudiment den 
unteren Abschnitt des Radius repräsentirt und die Hand sich in 
normaler Stellung befindet. Diese Form ist bis jetzt noch nicht 
beschrieben worden. 

Ferner zeichnen sich unsere Fälle noch aus: durch das Alter 
der Individuen, durch das Verwachsensein des Radiusrudimentes mit 
der Ulna, durch 5 wohlgebildete Finger; die M. F. durch Polydaktylie 
und durch eine längere rechte Clavicula; Th. B. durch Subluxation 
des 1. Radiusköpfchens. 

Auffallend muss es erscheinen, dass eine so überwiegende Mehr¬ 
zahl der Fälle theils todt zur Welt kam und davon nur 12 ausge¬ 
tragen, theils das Alter von wenigen Wochen nicht überlebte. Nach 
der Ansicht von Voigt können coraplicatorisch sich vorfindende 
anderweitige DifFormitäten für diese Thatsache nicht verantwortlich 
gemacht werden, weil sie an sich gänzliche Lebensunfähigkeit nicht 
bedingen. In dieser absoluten Form freilich möchte ich die Ansicht 
von Voigt nicht unterstützen, da sich denn doch nach Her sch eTs 
Zusammenstellung DiflFormitäten finden, Atresia ani, Defectus septi 
ventriculorum cordis, Palatum fissum, welche das Leben der Neu¬ 
geborenen ausserordentlich in Frage stellen. Wo aber solche com- 
plicatorische Diffbrmitäten als Todesursache in keiner Weise herbei- 


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Oskar Schmid. 


gezogen werden können, dürfte wohl einzig in der Annahme einer 
gleichzeitig vorhandenen allgemeinen Lebensschwäche für diese Kurz¬ 
lebigkeit eine Erklärung zu finden sein, mag nun diese Lebens¬ 
schwäche, wie von anderer Seite hervorgehoben wurde, in einer 
mangelhaften Entwickelung der nervösen Centralorgane ihrerseits be¬ 
gründet sein oder nicht. 

Wie bei den meisten früher beschriebenen Fällen mit Radius- 
defect oder Rudiment, so ergibt auch die Anamnese der unsrigen 
absolut keinen Anhaltspunkt, der die Entstehungsursache ihrer 
Anomalie vermuthen liesse. 

Weder bei dem einen noch bei dem andern Fall sind ähnliche 
Missbildungen in der Familie vorgekommen; bei beiden ist der Ge¬ 
sundheitszustand der Eltern gut; beide Mütter waren zur Zeit, als 
sie mit unseren Patienten schwanger gingen, nicht mehr sehr jung. 
Mechanische Verletzungen der Schwangeren durch Stoss, Schlag, 
Fall, sowie psychische AflFecte waren nicht zu eruiren. Dem jetzigen 
Zustande nach lässt sich bei keinem der beiden Patienten annehmen, 
dass schwere fötale Rhachitis vorhanden war. 

Sind demnach unsere Forschungen nach den primären Ur¬ 
sachen des Radiusdefectes als einer Entwickelungsstörung, soweit 
es die sonst bei Entwickelungsstörungen nachgewiesenen oder auch 
nur angenommenen Ursachen anbetrifft, so gut als resultatlos, so 
finden wir dagegen, dass Herschel in Bezug auf die Erklärung der 
speciellen Form des Defectes einen sehr guten Wurf gethan habe, 
indem er zuerst die Gesetzmässigkeit dieser Form auf die Archi- 
pterygealtheorie von Gegenbaur zurückführte, die Archipterygeal- 
theorie (Urflossentheorie), welche das Skelett der oberen Extremität 
aller Wirbelthierklassen über den Fischen, als eine fortlaufende Ent¬ 
wickelungsreihe aus den Vorderflossen auffasst. Nach dieser Theorie 
zerfällt die obere Extremität in eine Stammreihe und in 4 Strahlen. 

Zu der Stammreihe gehören: 

1. Humerus. 

2. Ulna. 

3. 2 Carpalstücke, der Metacarpus und die Phalangen des 
V. Fingers. 

Dem ersten Strahl entsprechen: 

1. Radius. 

2. Os naviculare und Os multangulum majus. 

3. Der Metacarpus und die Phalangen des Daumens. 


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Ueber eine bisher nicht beobachtete Form von partiellem Radiusdefect. 89 


Den übrigen Strahlen entsprechen: 
1. Zeigefinger 


2 . 

3. 


Mittelfinger 

Ringfinger 


mit den dazu gehörigen Metacarpal- und Carpal¬ 
knochen. 


Der Meniscus im Handgelenk ist als untergeordneter Theil des 
I. Strahles und dem Radius zugehörig zu betrachten. 

Herschel stellt folgende zwei Sätze auf: 

1. Alle bisher beobachteten Fälle von congenitalem Radius¬ 
defect sind bei Anwendung der 6egenbauer’schen Archipterygeal- 
theorie als Reduction des ersten Strahles aufzufassen und als solche 
in ihren typischen Grundeigenschaften verständlich. 

2. Alle bisher beschriebenen Fälle mit Existenz der distalen 
Abschnitte des ersten Strahles sind mit einiger Wahrscheinlichkeit 
nicht als Fälle von reinem Radiusdefect anzusehen, sondern lassen 
die Deutung einer Coalescenz (Verschmelzung) des Radius mit der 
Ulna zu. 

Diese Theorie macht leicht verständlich, einmal, warum in der 
grossen Mehrzahl der Fälle von Radiusdefect zugleich der Daumen, 
das Os naviculare und das Os multangulum majus fehlt, sie gehören 
nämlich als integrirende Skelettbestandtheile zum ersten Strahl, ferner 
erklärt sie in den Fällen (Gruber, Hildemann, von Muralt, 
Geissendörfer und in den unsrigen) durch ihren zweiten Satz die 
Verdickung der Ulna und macht das Vorhandensein eines mehr oder 
weniger vollkommenen Daumens begreiflich. 

Mit dieser Coalescenztheorie würden sich auch unsere Fälle am 
ungezwungensten erklären lassen. Wir nehmen an, dass in der 
Embryonalzeit neben den Phalangen, dem Metacarpal- und den Carpal¬ 
knochen ein vollständiger Radius bestanden hat, dass aber später 
durch irgend welche Umstände, wahrscheinlich nervöse, eine im 
oberen Theil vollständige, im unteren unvollständige Verschmelzung 
mit der Ulna eingetreten ist. Dafür spricht auch sehr deutlich die 
knopfförmige Prominenz der Ulna an ihrem oberen Ende, auf der 
radialen Seite, gerade wo das Radiusköpfchen liegen sollte. 

Nach unserer Ansicht Hesse sich noch eine bei anderweitigen 
[Missbildungen schon wiederholt verwerthete Theorie geltend machen: 
Der obere Diaphysenkem des Radius ist durch irgend eine örtliche 
Erkrankung, vielleicht durch eine Entzündung, fortgepflanzt von den 
Eihäuten, in seinem Wachsthum beschränkt worden, oder es hat diese 


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Oskar Schmid. 


im oberen Abschnitt zu einer Verschmelzung des Radius mit der 
Ulna, im untern zu Ankylosenbildung geführt. 

Wir glauben nicht, dass diese Theorie für unsere Fälle zutrifft. 
Einmal müsste, wenn die Entzündung von den Eihäuten fortgepflanzt 
worden wäre, auf dem betreffenden Arme eine Narbe zu sehen sein; 
ferner spricht im Fall Th. B. die Subluxation des Radiusköpfchens 
der anderen Seite dagegen. Diese ist nach Voigt eine Folge der 
anomalen Anordnung der Musculatur. Der Radius entbehrte näm¬ 
lich im Falle Voigt an seinem oberen Ende sämmtlicher Muskel¬ 
ansätze, der Extensor carpi ulnaris fehlte ganz, die Gelenkfläche 
war abgeflacht, und die Bänder waren erschlafft. 

Das Alles ist nur durch eine correlate Entwickelungsstörung 
im Centralnervensystem (Hirn- und Rückenmark) erklärlich, welche 
Entwickelungsstörung von der der andern Seite nur gradweise ver¬ 
schieden ist. 

Abgesehen von der Entstehungsursache liefern unsere Fälle 
noch eine Reihe von interessanten Beobachtungen in Bezug auf den 
Einfluss der Function und Bewegung, auf die Entwickelung und 
Stellung der Skeletttheile, insbesondere der Gelenke. 

In beiden Fällen, besonders aber im Fall M. F., sehen wir als 
eclatanten Unterschied gegenüber links die Verkürzung und schmächtige 
Entwickelung der ganzen rechten Extremität; mitbetroffen ist sogar 
die Musculatur des Schultergürtels. Von den Knochentheilen haben 
wir mit Bestimmtheit festgestellt, dass bei der M. F. die Clavicula 
der kranken Seite länger ist, während sämmtliche Knochen der Ex¬ 
tremität verkürzt und verschmächtigt sind. Die geringere Entwicke¬ 
lung der Musculatur lässt sich wenigstens zum Theil durch die ge¬ 
ringere Gebrauchsfähigkeit der rechten Hand erklären, besonders gilt 
das für die Pectoralmuskeln. Da die Hand sich in einer Stellung 
befindet, in welcher das Heranziehen von Gegenständen an den Körper 
erschwert ist, so Hesse sich bei den genannten Muskeln in erster 
Linie eine geringe Entwickelung infolge geringerer Arbeit annehmen. 
Aehnliches gilt vom Biceps, dessen Function als Supinator wegfallt, 
während allerdings die flectirende und hebende Wirkung zur Ver¬ 
wendung kommt. Nicht in demselben Maasse kann das Gesagte von 
der Flexorenmusculatur gelten, welche ebenfalls geringer entwickelt 
ist als am normalen Arm. Auffallend ist auch die äusserst geringe 
Entwickelung des Daumenballens (s. Fig. 4 und 6). Wir sind natür¬ 
lich nicht im Stande zu entscheiden, ob hier einzelne Muskeln fehlen. 


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Ueber eine bisher nicht beobachtete Form von partiellem Radiusdefect. 91 


oder ob nur geringe Entwickelung im allgemeinen die Ursache 
dieser Erscheinung ist. Wird schon bei Betrachtung der Musculatur 
in uns der Verdacht rege, es möchten noch andere Einflüsse als nur 
geringere Gebrauchsfähigkeit der einzelnen Theile das richtige Wachs¬ 
thum der Extremität aufgehalten haben, so drängt sich uns derselbe 
noch mehr auf bei Betrachtung der starken Längendifferenzen der 
Knochen. Es ist das um so auffälliger, als wir an der rechten Clavi- 
cula eine Verlängerung entdeckt haben. Auf diesen Punkt werden 
wir später zurückkommen. Wir möchten nun die Ansicht aussprechen, 
dass die geringere Entwickelung sowohl der Knochen als der Muskeln 
an der difformen Extremität Ernährungsstörungen zuzuschreiben sei, 
deren Ursache nicht mechanischer Natur, sondern im nervösen Central¬ 
organ zu suchen ist. 

Die Verlängerung der Clavicula wäre schwieriger zu erklären, 
wenn wir nicht eine analoge Beobachtung kennen würden. Bei einem 
Falle von Defect des Pectoralis major, demonstrirt 1888, in der Ge¬ 
sellschaft der Aerzte in Zürich durch Dr. W. Schulthess, con- 
statirte dieser ebenfalls eine Verlängerung der Clavicula auf der Seite 
des Defectes. Die Clavicula verlief in jenem Falle allerdings mehr 
gestreckt als auf der nicht afficirten Seite, auf welcher sie die S-Form 
deutlicher aufwies. Schulthess hat die Erklärung für die Ver¬ 
längerung und Streckung in dem geringen Muskeldruck auf der 
Defectseite gesucht. Uns dieser Annahme anschliessend, möchten wir 
auch in unserem Fall den geringen Muskeldruck der geschwächten 
Extremität für die angegebene Thatsache verantwortlich machen, ob¬ 
wohl uns hier die Verminderung der Biegung fehlt. 

Wie auf unseren Bildern deutlich zu sehen ist, so steht in 
beiden Fällen der Unterarm in abducirter Stellung. Diese schreiben 
wir dem Muskelzuge zu. Der Stützpunkt, welchen der Unterarm 
vermittelst des Radiusköpfchens am Humerus gewinnt, fehlt, und da¬ 
durch wird die Abductionsstellung, in der sich die Ulna normaler 
Weise schon befindet, noch etwas vermehrt. 

Eine der auffallendsten Erscheinungen in unseren beiden Fällen 
ist die Stellung der Hand. Diese unterscheidet sich von vornherein 
von derjenigen der früher beschriebenen Fälle, weil sie mehr oder 
weniger der Norm entspricht; es fehlt die sogenannte Klumphand¬ 
stellung. Diese lässt sich allerdings nur insofern mit der Klump- 
fussstellung vergleichen, als die Hand eine derartige Stellungsverände- 


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92 


Oskar Schmid. 


rung erlitten hat, dass ihre Volarfläche nach innen gewendet wird und 
ihre Finger ebenfalls eine Richtung nach innen erhalten analog der 
Richtung der Zehen bei hochgradigem Klumpfuss. Eine Vergleichung 
ist aber deshalb nicht gut zulässig, weil für eine analoge Verändenmg 
am Fuss, wie wir sie beim Radiusdefect an der Hand finden, die 
Tibia fehlen müsste. Zudem lässt die anatomische Verschiedenheit 
der beiden Gelenke einen Vergleich ebenfalls nicht zu. 

Die so bezeichnete Stellung kann natürlich nur dann Vorkommen, 
wenn das untere Radiusende entweder fehlt, oder in seiner Queraxe 
schief zur Längsaxe des Vorderarms gestellt ist. In diesen beiden 
Fällen wird sich die Hand dem Muskelzuge folgend schief nach innen 
stellen. Dass der Muskelzug dabei eine wesentliche Rolle spielt, 
scheint uns selbstverständlich. Auch nach der Casuistik sind ja nur 
dann Kluraphände beobachtet, wenn dem Muskelzuge Gelegenheit 
gegeben wurde, seine Thätigkeit in dieser pathologischen Richtung 
geltend zu machen. Schiefstellung der unteren Gelenkfläche des 
Radius findet sich bei dem Falle Voigt. Da ist offenbar der an 
seinem oberen Ende subluxirte Radius durch den Muskelzug nach 
oben dislocirt worden, die Folge davon war Schiefstellung des Carpo- 
Radialgelenkes und dann Kluraphandstellung. Die Dislocation des 
Radius konnte im Falle Voigt um so eher geschehen, als die Muskeln, 
welche von seinem oberen Ende ausgehen, fehlten. 

Kommen wir auf das Verhalten des Vorderarms zurück, so 
müssen wir hier unentschieden lassen, wieweit die uns als Pronations¬ 
stellung imponirende Haltung der rechten Hand von der Torsion der 
Ulna abhängt, und wieweit dieselbe durch die Stellung des mit 
der Ulna knöchern vereinigten Radius zu erklären sei. 

Ein weiterer interessanter Punkt liegt in der eigenthümlichen 
Beweglichkeit der Ulna auf dem Humerus. Während jener sonst 
nur eine Charnierbewegung mit leichter Seitenverschiebung (Schraube) 
im Verlaufe der Flexion und eine kaum nennenswerthe Rotation zu¬ 
kommt, so finden wir hier, dass die Ulna schon bei geringer Flexions¬ 
stellung sich ziemlich ergiebig rotirt, gewissermassen Supination und 
Pronation auszuführen im Stande ist, indem sie sich am Humerus 
in einer Ebene bewegt, welche auf ihrer normalen Bewegungsebene 
ungefähr senkrecht steht. Es ist das für die mangelnde Supination 
und Pronation, ein Ersatz, welchen der tägliche Gebrauch mit seinem 
Zwang durch das Mittel der Muskelbewegung geschaffen hat. Einem 
ähnlichen Zweck dient die eigenthümliche Fähigkeit der Hand, die 


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üeber eine bisher nicht beobachtete Form von partiellem Radiusdefect. 93 


Metacarpusköpfchen ausserordentlich stark aneinander zu verschieben. 
Die Hand gewinnt dadurch die Möglichkeit, sich in eine Ebene zu 
stellen, welche einer stärkeren Supination entspricht als diejenige 
darstellt, welche ihr durch die Stellung des Unterarms zukommt. 
Sie gestattet also dem Kinde, den Kleinfingerballen auf einer hori¬ 
zontalen Fläche aufzulegen, während die Radialseite sich über diese 
Ebene erhebt, eine Bewegung, welcher die normale Hand gesunder 
Menschen in weit geringerem Grade fähig ist. 

Daumen. Die im Status beschriebene eigenthümliche Stellung 
des rechten Daumens beim Fall M. F. bedarf ebenfalls noch einer 
Erklärung. Bei platt aufgelegter Hand und platt aufgelegtem Daumen¬ 
ballen steigt die hintere Phalanx des Daumens in die Höhe. Sie 
verhält sich demnach zu dem zugehörigen Metacarpus ähnlich wie 
der Unterschenkel zum Oberschenkel bei bestehendem Genu valgum. 
Die vordere Phalanx kehrt wieder auf die Verlängerung der Axe 
des Metacarpus zurück und ist wie schon oben gesagt, nach der 
Vola hin gedreht, mit anderen Worten, der Daumen sieht so aus, 
als hätte er dem überzähligen Platz machen wollen. 

Es ist uns unmöglich, hier die Betheiligung der Anlage des 
Gelenks von derjenigen der Muskelaction zu trennen. Allerdings 
unterliegt es keinem Zweifel, dass das Metacarpo-phalangeal-Gelenk 
nicht normal gebaut ist; besonders scheinen an der Innenfläche die 
sonst vorhandenen Hemmungen zu fehlen. Wie die Torsion der 
vorderen Phalanx zu Stande gekommen ist, können wir ebenfalls 
nicht mit Sicherheit bestimmen. 

Aus dem Status geht endlich noch heiwor, dass die Hautfaltung 
der Finger auf der Volarseite eine abnorme ist, und zwar ira Sinne 
der Vermehrung der Falten (s. Fig. 4, 5, 6 und 7). Dieselbe hat 
rechts 3 Finger, links hauptsächlich 2 Finger betroffen. Da bei dem 
Fall Th. B. die Faltung aber normal ist, so sind wir versucht, die¬ 
selbe eher mit der Polydaktylie, als mit unserer Defectbildung in 
Zusammenhang zu bringen, umsomehr als uns in den bisherigen Ver¬ 
öffentlichungen absolut kein casuistisches Material zur Disposition steht. 

Ob und wie weit das Handgelenk von Defecten betroffen ist, 
entzieht sich unserer Beurtheilung, und es fällt damit ein wesent¬ 
liches Moment für die entwickelungsgeschichtliche Würdigung unserer 
Fälle weg. 

Eine der auffallendsten Erscheinungen an einem 
unserer Fälle ist die Polydaktylie. Der überzählige Daumen, 


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94 0. Schmid. Ueber eine bisher nicht beobachtete Form v. part. Radiusdefect. 


glauben wir, steht in durchaus keinem Zusammenhang mit der Miss¬ 
bildung. Er ist mehrfach in der Familie beobachtet und es kommt 
uns nur als ein allerdings merkwürdiger Zufall vor, dass dasselbe 
Individuum einerseits einen Defect, andererseits eine Verdoppelung 
und zudem noch innerhalb ein und desselben entwickelungsgeschichtlich 
zusammengehörigen Theiles aufweist. Jedenfalls deutet die Poly¬ 
daktylie in unserem Falle darauf hin, dass man diesen Fall nicht als 
aus einer Reduction des ersten Strahles nach der Archipterygeal- 
theorie von Gegenbaur hervorgegangen auffassen darf. 

Zum Schlüsse erübrigt mir noch, Herrn Dr. W. Schulthess, 
Privatdozent an der Universität Zürich, für die Anregung zu meiner 
Arbeit und für die Unterstützung bei ihrer Ausführung meinen 
innigsten Dank auszusprechen. Ebenso danke ich Herrn Docent 
Dr. H. Müller, Director der hiesigen medicinischen Poliklinik, für 
die Ueberlassung des zweiten Falles zur Publication bestens. 


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V. 


Eine einfache Methode, die laterale Deviation nnd 
die anteroposteriore Erünimnng der Domfortsatz¬ 
linie zn messen. 

Aus der Anstalt für mechanische Chirurgie von Dr. F. Beely 

in Berlin. 

Von 

Dr. E. Kirchhoff. 

Mit 8 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Während wir hei allen Messungen von schwereren Skoliosen 
neben der Messung der lateralen Deviation und der anteroposterioren 
(kypho-lordotischen) Krümmung der Domfortsatzlinie unbedingt auch 
die jedesmalige Rotation der Wirbelsäule bestimmen müssen, da diese 
die Richtung der Dorafortsatzlinie sehr wesentlich beeinflusst, so 
zwar, dass diese Linie von einer im Anfangsstadium der Skoliose 
stark seitlich abgewichenen durch die zunehmende Rotation wieder 
zu einer mehr oder weniger geraden werden kann (scheinbare Besse¬ 
rungen, in der That aber Verschlimmerungen der Skoliosen), kommen 
wir bei den leichteren Skoliosenformen mit den beiden ersten Messungen 
vollkommen aus. Bei ihnen überschreitet die Rotation das physio¬ 
logische Maass nicht allzusehr, und die erhaltenen Werthe geben 
uns daher fast genau die thatsächlichen Veränderungen an. Dass 
wir aber andererseits diese beiden Messungen gebrauchen, ist ohne 
weiteres ersichtlich, da ja jede Wirbelsäule sowohl in frontaler als 
auch in sagittaler Richtung Verbiegungen aufweist; wie wichtig 
ausserdem gerade die Bestimmung der anteroposterioren Krümmung 
für die Prognose ist, geht aus den Beobachtungen S taffe Ts her- 

*) Dr. F. Staffel, Die menschlichen Haltungstypen und ihre Beziehungen 
zu den Rückgratsverkrümmungen. Wiesbaden, Bergmann 1889. 


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96 


E. Kirchhoff. 


vor, der darauf aufmerksam gemacht hat, dass die C-förmigen 
Skoliosen, welche sich auf der Basis des „rundenRückens bilden, 
eine günstige, die S-förmigen, auf der Basis des „flachen“ Rückens 
entstehenden, dagegen eine ungünstige Prognose haben. 

Die Messung der anteroposterioren Krümmung ist daher bei 
jedem Patienten, der an einer Rumpfdeformität leidet, von grosser 
Wichtigkeit. 

Nun können wir selbstverständlich nur Messungen gebrauchen, 
welche uns richtige Werthe geben, und solche zu erhalten ist bei 
der Messung der Domfortsatzlinie immer mit gewissen Schwierig¬ 
keiten verknüpft, handelt es sich doch um eine sehr bewegliche Linie, 
welche willkürlich verändert werden kann und dadurch innerhalb 
weniger Minuten erheblichen Schwankungen unterworfen ist. 

Für genaue Messungen können also nur solche Methoden in 
Betracht kommen, welche möglichst einfach sind und schnell zum 
Ziele führen. Jede Methode, bei welcher der Patient lange still 
stehen muss, ist ungenau. Der zweite Vortheil, den eine einfache 
Messmethode naturgemäss mit sich bringt, dass sie es auch dem viel¬ 
beschäftigten praktischen Arzt ermöglicht, regelmässige Messungen 
vorzunehmen, ist daneben selbstverständlich von grosser Bedeutung. 
Kommen doch gerade die leichteren Skoliosen in der grossen Mehr¬ 
zahl der Fälle in die Hände des praktischen Arztes! Hat derselbe 
nun eine einfache Messmethode zur Hand, die es ihm gestattet, jede 
Veränderung im Laufe der Beobachtungszeit durch Messen nachzu¬ 
weisen, so wird er viel eher im Stande sein, seine Maassnahmen zu 
treffen. Hat er eine in den ersten Anfangsstadien befindliche Skoliose 
in Behandlung genommen und sieht er, dass dieselbe trotz Massirens, 
Turnens, Elektrisirens, oder was sonst vorgenommen wird, sich zu¬ 
sehends verschlechtert, so wird er, bevor es zu spät ist, den ganzen 
Apparat, der den schwereren Formen gegenüber angezeigt erscheint, 
in Anwendung ziehen oder bei Zeiten seinen Patienten specialistischer 
Obhut anvertrauen können. 

Nun giebt es freilich schon eine ganze Menge Vorrichtungen und 
Methoden, um Skoliosen, und insbesondere um die laterale Deviation 
und die anteroposteriore Krümmung zu messen, aber der Umstand, 
dass keine einzige allgemeine Verbreitung gefunden hat, spricht wohl 
dafür, dass keine so recht den allgemeinen praktischen Ansprüchen 
genügte. Und in der That sind die einen zu umfangreich und viel 
zu theuer, die anderen zu ungenau oder doch noch zu complicirt. 


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Einf. Meth., d. lat. Deviat. u. d. anterop. Krümmung d. Domfortsatzl. z. messen. 9 7 



Fig. 2. 


10 


So dürfte es denn vielleicht manchem willkommen sein, wenn 
er mit einem sehr einfachen und relativ recht genauen Verfahren, 
welches von Beely'seit längerer Zeit angewendet wird, und welches 
jeder praktische Arzt in seiner auch noch 
so sehr besuchten Sprechstunde an wenden 
kann, bekannt gemacht wird. 

Der ganze Apparat, der zum Messen 
nöthig ist, besteht aus einem an einem 
Halsband befestigten und mit einem ver¬ 
schiebbaren und an jeder beliebigen Stelle 
feststellbaren Loth versehenen Centi- 
metermaass, aus einem kleinen Winkel¬ 
eisen (s. Fig. 1), einem kurzen Maassstab und einem Gummistempel 
zur Anfertigung eines Liniensystems zum Einzeichnen der Kurven. 
In welcher Weise letzteres angeordnet ist, zeigt uns Figur 2, welche 
einen Abdruck des Gummistempels wiedergibt. Die 
Entfernungen von 0—10—20—30—40—50—60 be¬ 
tragen je 1 cm, und ebenso sind die Abschnitte der 
Querlinien, welche durch die Mittellinie halbirt wer¬ 
den, je 1 cm lang. Das Halsband wird am Halse 
des bis zu den Hüften entkleideten und mit dem 
Rücken dem Untersuchenden zugewandten Patienten 
mittelst einer Schnalle (s. Fig. 3 u. 4) in der Weise 
befestigt, dass die kleine Messingplatte^ welche zum 
Einklemmen des Maassbandes dient, in der Höhe 
des 7. Halswirbels liegt. Die Dicke des Halsbandes 
beträgt an dieser Stelle genau 1 cm, und das Centi- 
metermaass ist so befestigt, dass es, vermittelst des 
kleinen Winkeleisens senkrecht zur Messingplatte gehalten fs. Fig. 5), 
durch seine Zahlen 2, 3, 4, 5 etc. jedesmal die entsprechende Ent¬ 
fernung vom 7. Halswirbel in Centimetern angibt. 

Bevor wir mit dem Messen selbst beginnen, lassen wir das 
Kind eine kleine Weile stehen, bis wir sehen, dass es sich nicht 
mehr unter Anspannung der verschiedenen Muskeln gerade zu halten 
versucht, sondern in Folge von Ermüdung die Schultern fallen lässt 
und der Wirbelsäule die Haltung gibt, welche sie gewöhnlich hat, 
und die sich, wenn wir schnell messen, nicht mehr wesentlich ver¬ 
ändert. 

Sehen wir uns jetzt das von der Höhe des 7. Halswirbels herab- 

ZeiUcbrift für orthopädlscbe Cbirurgie. II. Band. 7 


20 - 


50 - 




30 - 


60 . 


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98 


E. Kirchhoff. 


fallende Gentimetermaass an, so werden wir in der Mehrzahl der 
Fälle finden, dass es in der oberen Regio dorsalis dem Rücken an- 


Fig. 3. Fig. 4. Fig. 5. 



liegt, dann aber frei hängt (vergl. Fig. 3). Ist das der Fall, so ver¬ 
schieben wir das Lothgewicht in der Weise, dass seine Spitze in der 


Fig. 6. 



Höhe des Anfangs der Crena clunium steht. Mei¬ 
stens wird es dabei mehr oder weniger nach der 
einen Seite abweichen. Beide Werthe, also die Ent¬ 
fernung des Anfangs der Crena clunium vom 7. Hals¬ 
wirbel und ihre laterale Abweichung von der Loth- 
linie, notiren wir uns. Zum besseren Verständniss 
nehmen wir gleich einen bestimmten Fall an; die 
Lothspitze zeigt auf 48,5 und weicht um 2 cm 
(mit dem kleinen Messstab gemessen) nach rechts 
von der Crena clunium ab, wir markiren demnach 
den Punkt a (s. Fig. 6) und schreiben der besseren 
Controlle halber 48,5/2,0 daneben. Nun sehen wir, 
wie weit von oben ab Loth- und Domfortsatzlinie 


sich decken; den ersten Punkt, wo die Dorafortsatzlinie nach rechts 
abweicht, hier 13 cm von oben entfernt, notiren wir mit 13 (Punkt 6). 
Der zweite Interferenzpunkt, wo beide Linien sich wieder schneiden, 


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Einf. Meth., d. lat.Deviai u. d. anterop. Krümmung d.Domfortsatzl. z. messen. 99 


liegt in unserem Fall 30 cm von oben entfernt und wird dement¬ 
sprechend vermerkt (Punkt c). Nun haben wir nur noch die grösste 
Entfernung der Domfortsatzlinie von der Lothlinie in dem Abschnitt bc 
zu messen, wofür wir hier im Punkte d, 20 cm von oben entfernt, 
2 cm finden, und können dann die Curve xbdca ziehen, welche un¬ 
gefähr dem Verlauf der Dornfortsatzlinie entspricht. 

Stösst das Lothgewicht, bevor es bis zur Crena clunium hinunter¬ 
geschoben ist, an den Körper, wir nehmen an in der Höhe der letzten 
Lumbalwirbel, so schieben wir es nur so weit hinabi dass seine Spitze 
den Körper eben leicht berührt und legen das Ende des Centimeter- 
maasses so 'dem Körper an, dass es genau in der Richtung des oberen 
Abschnittes, also in der sagitalen Lothebene liegt, worauf die ein¬ 
zelnen Punkte wie vorhin bestimmt werden. Würden wir das Loth¬ 
gewicht, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, ob das Centimetermaass 
dem unteren Körperabschnitt anliegt, wie vorhin der Höhe der Crena 
clunium entsprechend verschieben und dann die Werthe bestimmen, 
so könnten wir nie sicher sein, ob das oben in der Regio dorsalis 
und unten in der Regio lumbalis dem Körper anliegende Centimeter¬ 
maass wirklich der Lothlinie entspricht und erhielten dadurch eventuell 
ungenaue Messungen. Haben wir es mit Patienten zu thun, die 
sehr unruhig stehen, so dass das frei herabhängende Loth fortwährend 
etwas hin- und herpendelt, so empfiehlt es sich, den der Höhe des 
Anfangs der Crena clunium entsprechenden Punkt der Lothlinie zu 
fixiren. Bei sehr hohlem Rücken kann man den Patienten sich 
etwas nach vom beugen lassen, um die richtige Lage des Centimeter- 
maasses bestimmen zu können. 

Die Werthe, welche wir bei diesen Messungen erhalten, sind 
für alle Bedürfnisse vollkommen ausreichend, wenn auch bei jeder 
Messung ein durch das bis jetzt beschriebene Verfahren begründeter 
kleiner Fehler gemacht wurde. Die Bestimmung der Punkte a, b, 
c und d wäre nämlich nur dann richtig, wenn sie alle sowohl wie 
der als Aufhängungspunkt des Lothes gedachte 7. Halswirbel in ein 
und derselben Lothebene lägen. Das ist aber nicht der Fall, da 
der Rücken gekrümmt ist. Der Abschnitt bx der Lothlinie ist z. B. 
kürzer als der von uns gemessene Abschnitt des auf dem Rücken 
aufliegenden Centimetermaasses zwischen b und dem hinter x liegen¬ 
den 7. Halswirbel, der Werth 13 ist etwas zu hoch. Wir haben 
also für alle die Punkte cf, b, c und d bezüglich ihrer Entfernung 
vom Aufhängungspunkt des Lothes etwas zu hohe Werthe erhalten. 


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100 


E. Kirchhoff. 


Einmal wird dieser Fehler aber zum grossen Theil durch die Be¬ 
festigungsart des Centimetermaasses ausgeglichen, indem dasselbe 
so eingeklemmt ist, dass erst der zweite Theilstrich der Höhe des 
7. Halswirbels entspricht, wodurch die scheinbar zu hohen Zahlen 
je um 1 cm an Werth verlieren, und zweitens wird ein und derselbe 
Fehler bei allen Messungen in gleicher Weise gemacht und ist in 
Folge dessen weniger bedeutungsvoll. Wer ihn indessen vermeiden 
will, kann ohne weitere Schwierigkeit absolut genaue Werthe er¬ 
halten; er hat nur vermittelst des kleinen Winkeleisens den Auf¬ 
hängungspunkt des Lothes so weit vom Körper weg zu verlegen, 
dass das Centimetermaass in seiner ganzen in Betracht kommenden 
Länge frei herabhängt. Zu diesem Zweck wird es über das Winkel¬ 
eisen gelegt und vermittelst desselben in der entsprechenden Ent¬ 
fernung vom Körper gehalten (s. Fig. 5). Da der Winkel des Eisens 
ein rechter ist, muss man nur darauf achten, dass das Bandmaass 
überall den beiden Eisenplättchen anliegt, dass der kurze horizontale 
Schenkel des Centimetermaasses senkrecht zur Lothlinie steht, um 
einen genau in der Höhe des 7. Halswirbels befindlichen neuen Aus¬ 
gangspunkt zu erhalten. Die nothwendigen Werthe für die einzelnen 
Punkte 0/ c und d erhält man nun dadurch, dass man von der 
in der Höhe des betreffenden Punktes befindlichen Zahl des Centi¬ 
metermaasses die die Länge des kurzen horizontalen Schenkels an¬ 
gebende Zahl abzieht. 

In ganz analoger Weise wie die laterale wird die anteroposteriore 
Krümmung gemessen. Wir nehmen auch hier wieder ein bestimmtes 
Beispiel. Das herabhängende Loth steht bei 48 dem Anfang der Crena 
clunium gegenüber und zwar in sagittaler Richtung 3 cm von ihr 
entfernt, was wir mit dem Punkt a (48/3) in Figur 7 notiren. Das 
Centimetermaass liegt von oben bis zum Theilstrich 15 dem Rücken 
an und hängt erst von hier ab frei herab; wir vermerken demnach 
den Punkt b mit 15. Um das Loth in seiner ganzen Länge frei 
herabhängen zu lassen, müssen wir den Aufhängungspunkt von der 
Messingplatte fort, nach uns zu, verlegen, was in der vorhin ge¬ 
schilderten Weise vermittelst des kleinen Winkeleisens geschieht; 
4 cm genügen in unserem Fall, um das Loth so weit vom Körper 
711 entfernen, dass es den Rücken in b nur noch eben tangirt. Der 
Punkt c wird also mit 4 notirt. Jetzt bestimmen wir noch den am 
weitesten von der Lothlinie entfernten Punkt der Domfortsatzlinie, 
den wir in d (34/7) finden, und zeichnen dann wieder die durch die 



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Einf. Meth., d.lat.Deviat. u. d. anterop. Krümmung d.Domfortsatzl. z. messen. 101 


Punkte ebda bestimmte Curve, welche nun dieses Mal der antero- 
posterioren E^rümmung der Wirbelsäule entspricht. 

Wie bei der Bestimmung der lateralen Deviation müssen wir 
auch bei der Bestimmung der anteroposterioren Krümmung die Mög¬ 
lichkeit vorsehen, dass das Loth den Körper berührt, bevor es bis 
zur Höhe der Crena clunium verschoben ist. Wir nehmen an, dieses 
geschehe im Punkte e (53) der Figur 8. Die Punkte c, b und d 
können wir ebenso wie vorhin bestimmen, nur beim Punkt a (Anfang 
der Crena clunium) gestaltet sich die Messung anders, weil dieses 


Fig. 7. 


0 

10 

20 

30 

40 

50 


c ♦ 



00 


Fig. 8. 



Mal das von b aus frei herabhängende Loth vor den Anfang der 
Crena clunium fällt; wir müssen das Winkeleisen zu Hülfe nehmen 
und den Aufhängungspunkt des Lothes so weit vom Körper weg 
verlegen, dass die Lothspitze in der Höhe des Anfangs der Crena 
clunium eben den Körper berührt (s. Fig. 5). Der neue Aufhängungs¬ 
punkt ist D, und nun können wir die Lage des Punktes a leicht 
aus den Werthe aD (= der durch die Lothspitze bezeichneten Zahl 
weniger De = 57) und DA (= DC — AC — 2) bestimmen. Der 
Punkt a wird also mit 57/2 bezeichnet. Für die Praxis dürfte es 
indessen vollkommen genügen, wenn man die Linie de so weit über 
e hinaus verlängert, bis sie eine durch y (die Entfernung Ay ist 
leicht vom Centimetermaass abzulesen) zu den Querlinien parallel ge¬ 
zogene Linie triffib. 

Auch bei allen Messungen der anteroposterioren Krümmungen 
haben wir wieder den bereits oben besprochenen kleinen Fehler ge¬ 
macht; selbstverständlich gilt auch hier alles dort Gesagte. Nun 
kommt aber eventuell noch eine andere kleine Ungenauigkeit hin- 


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102 


E. Kirchhoff. Einfache Methode etc. 


zu, auf welche wir aufmerksam machen müssen. Wir haben den 
Punkt d (s. Fig. 7 u. 8) stets vom Bandmaass aus bestimmt, ohne 
darauf Rücksicht zu nehmen, ob er überhaupt in der durch das 
Bandmaass gelegten sagittalen Ebene liegt, haben also, wenn das 
nicht der Fall ist, einen etwas zu hohen Werth erhalten. Aber 
auch dieser Fehler ist so unerheblich, dass man ihn imberücksichtigt 
lassen kann, im übrigen ist er für jeden, der ihn vermeiden will, 
leicht zu umgehen. 

Das ganze Verfahren ist sehr viel einfacher als seine umständliche 
Beschreibung; jeder^ der es einmal praktisch versucht, wird ohne 
Schwierigkeiten damit fertig werden, wenn er auch naturgemäss die 
genügende Gewandtheit, um schnelle Messungen herzustellen, erst durch 
eine gewisse Uebung erhält. Wem zum Zeichnen der Curven die 
von uns angegebenen Punkte nicht genügen, der kann ohne grosse 
Umstände noch jeden beliebigen anderen Punkt bestimmen und wird 
dadurch eine um so grössere Genauigkeit erzielen. 

Schliesslich sei noch als weiterer Vortheil der Methode der 
Umstand erwähnt, dass die Aufzeichnungen so wenig Raum fort¬ 
nehmen, dass man sie bequem bei jedem Krankenjoumal am Rande 
beifügen kann. 


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VI. 


Ueber Entstebmig und Behandlung der seitlichen 
Rückgratsverkrünunnng. 

Im Aoschluss an die gleichbetitelte im Jahre 1890 im Verlage von 

Ferdinand Enke in Stuttgart erschienene Broschüre. 

Von 

Dr. Hermann Wolfermann, Strassburg i. E. 

Mit 13 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Unter Hinsicht auf die Resultate, die ich mittelst des von mir 
construirten und in die Praxis eingeführten portativen Detorsions- 
apparates erzielt habe, hat sich meine Auffassung über die die De¬ 
formität bedingenden mechanischen Vorgänge gefestigt und in weiter¬ 
schreitendem Sinne vertieft. Wenn ich auch zugeben muss, dass die 
von mir empfohlene Behandlungsmethode nicht allen Anforderungen 
gerecht wurde, so hatte ich doch die Ueberzeugung gewonnen, durch 
dieses Verfahren die bisher üblichen auf schwachen Grundlagen 
fassenden Behandlungsarten der habituellen Skoliose beseitigen und 
durch eine rationelle ersetzen zu können. Es sei mir gestattet, in 
Folgendem den Standpunkt, den ich heute in dieser wichtigen, das 
Interesse der Fachleute immer noch in hohem Grade beanspruchenden 
Frage einnehme, zu veröffentlichen. 

Dass sich nur bei richtiger Würdigung der in Frage kommenden 
mechanischen Vorgänge eine Therapie mit Aussicht auf Erfolg ein¬ 
leiten lässt, liegt auf der Hand. Mit Skoliosenbehandlung sollte sich 
überhaupt Niemand befassen, der die nöthige Schulung nicht besitzt, 
denn es werden da oft Fehler gemacht, die später nicht mehr zu 
verbessern sind, wie dies die tägliche Erfahrung lehrt. Ich wähle 
den Ausdruck Behandlung absichtlich, weil das oft gebräuchliche 


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104 


Hermann Wolfermann. 


Wort Heilung mir zum mindesten gewagt erscheint. In prophy¬ 
laktischer Hinsicht nichts versäumen, die ersten Anzeichen einer be¬ 
ginnenden Deviation rechtzeitig aus der sogen, schlechten Haltung 
erkennen und mit geeigneten Mitteln bekämpfen, dahin sei unser 
ganzes Streben gerichtet. 

In vorgeschrittenen Stadien befindliche Verkrümmungen 
können wir wohl verbessern, da die Dehnung im Zustande der Con- 
tractur sich befindender Muskeln und Bänder eine Aufrichtung bis zu 
einem gewissen Grade zulässt, heilen jedoch können wir sie nicht 

Wenn auch ich die habituelle Skoliose als eine theilweise Be¬ 
lastungsdeformität auffasse, so bleiben doch die in oben erwähnter 
Arbeit enthaltenen Auslassungen, was die Torsion der skoliotischen 
Wirbelsäule betrifft, in ihrem ganzen Umfange aufrecht erhalten, 
denn ich könnte mir nicht vorstellen, wie die Schwerkraft allein eine 
Drehung um die Längsachse der Säule bewirken sollte, wenn nicht 
zu dieser Kraft sich noch eine direct horizontal wirkende hinzugesellte. 

Es ist also eine Kräftecombination, welche die seitliche Aus¬ 
biegung der Säule, mitsammt deren Drehung um die Längsachse, 
mit consecutiver Thoraxdeformirung, den Rippenbuckel, die Ver¬ 
schiebung des Brustbeines etc. zuwege bringt. 

Ich muss bei dieser Gelegenheit bemerken, dass das Experiment 
der Compression einer künstlichen Wirbelsäule in der Richtung der 
Längsachse, wobei nebst der entstehenden seitlichen Ausbiegung der 
Vorgang der Drehung um die Längsachse demonstrirt werden soll, 
falsch ist, wie wir aus dem Folgenden ersehen werden, wo es sich 
um die Gesetze der Statik handelt, die wir nach der graphischen 
Methode wiedergeben möchten. 

Denn, dass wir der letzteren zur Erklärung der Vorgänge der 
seitlichen Ausbiegung und der damit zusammenhängenden patho¬ 
logischen Veränderungen der in Mitleidenschaft gezogenen Theile un¬ 
fehlbar bedürfen, wird nicht zu bestreiten sein, da es heute wohl kaum 
noch Jemand geben dürfte, der einen anderen Standpunkt als den, dass 
der Erscheinung der seitlichen Rückgratsverkrümmung rein mechanische 
Momente zu Grunde lägen, vertreten möchte. 

Wie schon in früheren Abhandlungen betont, ist als feststehend 
anzunehmen, dass nur ein weiches Knochengerüste in Verbindung 
mit schlaffer Musculatur unter der andauernden abnormen Belastung 
sich biegen und seine ursprüngliche Form einbüssen, resp. die nor¬ 
male Weiterbildung verhindern wird. 


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lieber Entstehung u. Behandl. der seitl. Rückgrateverkrümmungen. 105 

Was die sonstigen ätiologischen Momente anbelangt, verweise 
ich auf die vorzüglichen Erklärungen in Hoffa's Lehrbuch der ortho¬ 
pädischen Chirurgie. 

Die zum Verständniss der mechanischen Vorgänge nothwendige 
Beweisführung lässt sich in Kurzem etwa in folgenden allgemein ver¬ 
ständlichen Sätzen der graphischen Statik zusammenfassen. 

Wird z. B. ein prismatischer Körper in der Richtung seiner 
Achse belastet, d. h. gezogen oder gedrückt, so vertheilt sich die 
Spannung gleichmässig über den ganzen Querschnitt des Prismas, 
und man könnte sich denselben als aus einem 
Bündel paralleler Fäden bestehend vorstellen. Fig. 1. 

Hieraus geht klar hervor, dass ausser dieser 
Spannung in der Richtung der Achse keine 
andere Beanspruchung des Materials existiren 
kann. 

Wird hingegen ein prismatischer Körper 
durch zwei in gleicher Richtung, aber in ent¬ 
gegengesetztem Sinne wirkende Kräfte bean¬ 
sprucht, so entstehen in der Trennungsfläche 
sogen. Schubspannungen; auch diese Schubspan¬ 
nungen vertheilen sich gleichmässig auf die ganze 
Trennungsfläche. Wirkt nun in einem bestimmten 
Querschnitt des oben erwähnten prismatischen 
Körpers auch eine solche Schubspannung, so kann 
die Maximalspannung nicht mehr parallel zur Achse gerichtet sein, 
wird vielmehr abgelenkt werden in die Diagonale des Parallelo¬ 
gramms, das wir aus der Zug- und Druckspannung einerseits, aus der 
hinzutretenden Schubspannung andererseits herstellen können. 

Fig. 2. 





Wird nun irgend ein prismatischer Körper an einem Ende fest¬ 
gehalten und am anderen Ende durch eine Kraft senkrecht zur Rich¬ 
tung der Achse des Körpers angegriflfen, so wird er sich biegen. Dieses 
Biegen kann aber nur dadurch entstehen, dass jeder der Querschnitte 


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106 


Hermann Wolfermann. 


des Körpers, welche Querschnitte früher alle parallel waren, sich um 
einen sehr kleinen Winkel dreht. Zwischen zwei solchen benach¬ 
barten Querschnitten aa und bb sind daher die Fasern des Körpers 
einestheils verlängert, anderntheils verkürzt worden. Diese Ver¬ 
längerungen und Verkürzungen der Fasern entsprechen natürlicher¬ 
weise Zug- und Druckspannungen, welche der gekrümmten Achse BA 
parallel wirken. 

Diese Spannungen sind aber nicht die einzigen, welche in einem 
in besprochener Weise angegriffenen Körper auftreten, denn die 
Kraft 4> sucht noch jeden Querschnitt über den nächstliegenden weg- 

Fig. 4. Fig. 5. 




zuschieben; hierdurch entstehen Schubspannungen, welche sich mit 
den oben erwähnten Biegungsspannungen zusammensetzen und da¬ 
durch die Richtimg der Maximalspannungen bedingen, und zwar wird 
die Richtung dieser Maximalspannungen da, wo die Biegungs¬ 
spannungen vorwiegen, sehr wenig von der Richtung der Achse ab¬ 
weichen, also z. B. bei der Befestigungsstelle des Körpers; am anderen 
Ende hingegen sind die Biegungsspannungen schwächer; die Schub¬ 
spannungen, welche bei dieser Belastungsweise, wenn alle Quer¬ 
schnitte gleich gross, constant sind, haben das Uebergewicht, daher 
nehmen die Maximalspannungen eine Richtung von ungefähr 45 ^ 
gegen die Achse des Körpers an. 

Bestimmt man nun in verschiedenen Querschnitten eines solchen 
Körpers die Richtung der Maximalspannungen und zeichnet die ein- 
hüUende Curve dieser Richtungen, so entstehen Linien, wie sie neben- 
skizzirte Figur zeigt. In diesen Linien wird daher das Material des 


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Leber Entstehung u. Behandl. der seitl. Rückgratsverkrümmungen. 107 

Körpers am meisten beansprucht, und man könnte sich das Material 
als in diesen Linien concentrirt denken; alsdann würde man einen 
gitterformigen Körper erhalten, welcher denselben Widerstand bietet, 
wie ein voller Körper. 

Wirkt nun die Kraft 4> statt senkrecht nach einer beliebigen 
Richtung zur Achse des Körpers, so ist sofort klar, dass der Verlauf 
oben erwähnter Linien ein anderer sein muss. 

Wirkt sie z. B. vorwiegend ziehend, wie in nebenstehender 
Figur, so werden die Curven der Maximalinanspruchnahme steiler 
sein, d. h. keine so grosse Abweichung von der Richtung der Achse 


Fig. 6. Fig. 7. 



zeigen, weil hier die Schubspannungen, welche durch die horizontale 
Componente H der E^raft 4> entstehen, verschwinden gegen die 
Längenspannungen der verticalen Componente V und der gleich¬ 
gerichteten Biegungsspannungen ersterer. 

Denkt man sich daher der Reihe nach die Kraft 4> nach ver¬ 
schiedenen Richtungen wirkend, so wird man jedesmal einen anderen 
Verlauf der Linien erhalten. 

Ist der Körper nicht prismatisch, sondern nach einer beliebigen 
Form gebogen, so ändert sich an der Sache nichts; es werden nur 
die verschiedenen Spannungen je nach der Stelle verschieden hervor¬ 
treten; z. B. bei nebenskizzirtem Körper werden die Schubspannungen 
in der Partie abc vorwiegen und daher die Richtung der Maximal¬ 
spannung stark von der Richtung der Achse ab weichen, während 


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108 


Hermann Wolfermann. 


im senkrechten Theile ab de die Schubspannungen gegen die Druck- 
und Biegungsspannungen verschwinden, die Richtung der Maximal¬ 
inanspruchnahme daher vorwiegend eine zur Achse parallele Richtung 
nehmen. 

Aus diesen Darstellungen haben wir für die gröberen Er¬ 
scheinungen einer seitlichen Krümmung eine einigermassen deut¬ 
liche Erklärung, so dass es überflüssig erscheint, nach einer anderen 
für diese Vorgänge suchen zu müssen. 

Es bleibt uns nur noch übrig die Erscheinung der Torsion 
oder der Drehung um die Längsachse der Säule. 

Dass die Wirbelkörper nicht einfach zur Seite geschoben sind, 
ersieht man daraus, dass die zur Sagittalebene senkrecht stehende 
vordere Berührungsebene eine Drehung erfahren hat. Diese Drehung 
ist nur auf ein horizontal wirkendes Kräftesystem zurückzuführen, 
das sich aus folgenden Componenten zusammensetzt: 

a) in der Horizontalebene: senkrecht zur Frontalebene und senk¬ 
recht zur Sagittalebene, diese letztere jedenfalls drehend; 

b) in der Verticalebene die Schwerkraft. 

Wer sich für erschöpfende mathematische Beweisführung, so¬ 
weit dieselbe möglich, interessirt, findet diese in der eingangs citirten 
Arbeit; jedoch muss ich mich in Kürze noch mit der Thoraxdefor- 
mirung befassen, da unser Augenmerk in therapeutischer Beziehung 
ja hauptsächlich auf letztere gerichtet ist, weil sich dem Redresse¬ 
ment in vorgeschrittenen Fällen oft genug unüberwindliche Hinder¬ 
nisse entgegenstellen. 

Wie bereits gesagt, ist die Missstaltung eine derartige, dass 
dieselbe nicht lediglich als Folge einseitiger Belastung aufgefasst 
werden darf. Es müssen hier direct horizontale Kräfte wirken, die 
mit der Schwerkraft zusammen eine Resultante liefern, die obige 
Deformität bewirkt. 

Die Querfortsätze der Wirbelkörper bilden gewissermassen die 
Strebebalken der Rippen, oder umgekehrt, die Rippen sind die Strebe¬ 
balken der Wirbelkörper, welche die Säule in einer gewissen Krüm¬ 
mung erhalten, aber auch ein Ausweichen aus der Sagittalebene ver¬ 
hindern sollen. Sobald nun der Druck der Rippen zu beiden Seiten 
gleich stark ist, kann der Einfluss der Schwerkraft nur dahin gehen, 
die Krümmung in der Sagittalebene umzugestalten. Anders ist es, 
wenn zu einer Seite ein Ueberschuss von Druck vorhanden ist. 

Wenn der Druck längs der Rippen zu beiden Seiten gleich ist. 


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lieber Entstehung u. Behandl. der seitl. Rückgrats Verkrümmungen. 109 

SO kann ein solcher Ueberschuss nur von ungleicher Neigung der 
Ansatzenden gegen den Horizont herrühren. Denn ist die eine 
Neigung a, die andere ß, so ist die horizontale Componente das eine 
Mal A, das andere Mal A' nach dem Parallelogramm der Kräfte. 


Fig. 8. 



Wie wir aus der Fig. 1 ersehen, ist, wenn a <C ß 

h > //'. 

Es wirkt dann also links die Kraft h — h! mehr als rechts. 

Nehmen wir an, AMÄ' sei der Winkel der Querfortsätze (Fig. 9), 
und bezeichnen wir A—A' mit w, so können wir u zerlegen in eine 
Kraft senkrecht MA und eine in der Richtung J/iV, also in r und s. 

Die Kraft r sucht den Wirbelkörper um M zu drehen, mit 
einem Momente A M r. 

Da aber der Wirbelkörper wohl drehbar, zu gleicher Zeit je¬ 
doch nicht fixirt ist, so bewirkt die Kraft r nicht nur eine Drehung, 
sondern auch eine Verschiebung aus der Sagittalebene. 


Fig. 9. 

M 



Die Kraft s, deren AngriflPspunkt wir nach dem bekannten 
mechanischen Gesetze: Man darf den AngriflFspunkt einer Kraft in 

der Richtung verschieben, nach M verlegen können, wirkt in M senk¬ 
recht zur Sagittalebene und in horizontaler Richtung in derselben. 



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110 


Hermann Wolfermann. 


Dieser Ueberschuss u hat also im Gefolge: 

1. eine Drehung um M und eine Verschiebung des Wirbel¬ 
körpers nach rechts; 

2. eine Verschiebung von M nach rechts und nach vom. 

Wirkt der Ueberschuss u nicht senkrecht zur Sagittalebene, so 

gibt es immerhin eine Componente derselben in dieser Richtung. 

Die andere Componente wirkt dann in der Richtung der 
Sagittalebene. 

Durch diese Kräftewirkung wird die rechtsseitige Rippe ge¬ 
drückt und zwar in einem Maasse, dass die Krümmung derselben 
zu-, die Rippensehne (Gerade, welche die Endpunkte verbindet) also 
abnimmt. 

Dieser Druck wird aber auch seine Rückwirkung auf den 
Wirbelkörper selbst haben, der wie die Rippe ebenfalls noch im 
Wachsthum begriffen ist. Es wird eine unausbleibliche Folge sein, 
dass, wenn wir uns die verticale Medianebene des Wirbels in ihrer 
gedrehten und verschobenen Stellung denken, der rechte Querfort¬ 
satz mit ihr einen kleineren Winkel bilden wird, als der linke, so 
dass der erstere eine mehr sagittale Richtung besitzen muss. 

Bei dieser Darstellung habe ich das Bild einer rechtsseitigen 
Dorsal- und linksseitigen Lumbalskoliose vor Augen gehabt. 

Die wirklichen Verhältnisse entsprechen obigen Darstellungen 
in der That. 

Ich musste auch diese mechanischen Vorgänge ins Gedächtniss 
zurückrufen, weil bei der Construction einer Vorrichtung, die den 
Zweck erfüllen soll, diesen abnormen Druckverhältnissen entgegen¬ 
zuwirken, hauptsächlich mit den zuletzt angeführten Kräften gerechnet 
werden musste. 

Wenn man unter der Dislocirung der Wirbelsäule, die wir 
Skoliose nennen, es nur mit einer rein seitlichen Ausbiegung der 
Säule mit der entsprechenden Thoraxverschiebung zu thun hätte, so 
würde sich die Behandlung zu einer höchst einfachen gestalten in 
dem Falle einer rechts- oder einer linksseitigen Totalskoliose. In 
solchem Falle würde ein entsprechender Seitendruck die Asymmetrie 
aufheben. 

Dies ist aber der seltenere Fall, dass eine einfache Curve be¬ 
seitigt werden soll, und würde, wie gesagt, diese Erscheinung der 
Behandlung keinerlei Schwierigkeiten bereiten. 

Die Mehrzahl der Fälle jedoch weicht von dieser einfachsten 


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üeber Entstehung u. Behandl. der seitl. Rückgratsverkiümmungen. lU 

Form ab und bietet das Bild einer doppelten oder auch dreifachen 
Abweichung der Rückencurve aus der Sagittalebene. Dazu gesellt 
sich gleich von Anfang an die Erscheinung des sogen. Rippen¬ 
buckels, eines grösseren hinteren und eines kleineren vorderen der 
entgegengesetzten Thoraxseite, als Folge der Drehung um die Längs¬ 
achse der Säule, wie dies vorhin beschrieben wurde. 

Um auf die gebogene und gedrehte Wirbelsäule wirken zu 
können, ist vor allen Dingen dahin zu streben, den in einer Rich¬ 
tung constant vergrösserten Diagonaldurchmesser des Thorax zu ver¬ 
kleinern, und auf diese Weise die Störung der Symmetrie zu verringern, 
oder ganz zu beseitigen. Dass man zu diesem Resultate nicht durch 
Anwendung von Seitendruck gelangt, ist unschwer zu erkennen, ja 
man würde auf diese Weise die Deformität noch vergrössem, weil 
durch solchen Druck der Rippenwinkel ein noch kleinerer würde, da 
die Querfortsätze der convexen Seite noch mehr in die sagittale Stellung, 
d. h. nach rückwärts gedrängt würden. Dies wäre falsch. Ich be¬ 
finde mich in dieser Hinsicht mit anderen Forschem vollständig im 
Einklang. Folgerichtig wird es sich also darum handeln, der seit¬ 
lichen Ausbiegung, sowohl als der Drehung, gleichzeitig zu begeg¬ 
nen, und dies geschieht im Grunde genommen auf höchst einfache 
Art, indem man durch Druck auf die höchste Wölbung des 
hinteren Rippenbuckels eine Drehung der Rippen nach vornen be¬ 
werkstelligt, welche Drehung naturgemäss einen Druck auf die ent¬ 
sprechenden Wirbelkörper zur Folge hat (durch die Vereinigung 
der Rippenköpfe mit den Wirbelkörpera in den Articulationes costo- 
vertobrales), wodurch die dislocirten Wirbel der Medianebene wieder 
genähert, oder in dieselbe eingeschoben werden sollen. 

Um diesen Vorgang zu erzeugen, bedarf es natürlicherweise 
einer lebendigen Kraft, welche eine möglichst constante sein muss, 
weil es nicht anders denkbar ist, als einer durch ein combinirtes 
Kräftesystem entstehenden oder entstandenen Deformität mit eben¬ 
solchen und zwar constant wirkenden Kräften zu begegnen. 

Wie der Druck auf den vorderen Rippenbuckel, am sogen. 
Rippenbogen ausgeführt wird, werde ich nachher bei der Beschrei¬ 
bung des Apparates, dessen ich mich seit längerer Zeit bereits be¬ 
diene, zeigen. 

Wenn auch zugegeben werden kann, dass periodische Bear¬ 
beitung des Thorax, geschehe solche nun im Detorsionsrahmen, oder 
im sogen. Skoliosebarren oder sonstwie, mit der Zeit eine Besserung 


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112 


Hermann Wolfermann. 


durch die früher erwähnte Dehnung von Muskeln und Bändern, die 
im Zustande der Contractur waren, erreicht werden kann (ich ver¬ 
zichte wiederholt auf den Ausdruck Heilung), die Neigung aber, in 
perverser Stellung zu verharren, beim Patienten eine anhaltende ist 
und diese Neigung, besonders während mehrstündigen Sitzens in der 
Schule nur durch in unserem Sinne thätige Gegenkräfte bekämpft 
werden kann, dann ist entschieden einer Vorrichtung der Vorzug 
einzuräumen, welche die Wirbelsäule in gewissem Sinne 
fixirt, beständig der Torsion entgegenarbeitet und die 
Compression auf der concaven Seite aufhebt. Gleich¬ 
zeitig wird jede freie, ungünstig wirkende Rotation des 
Oberkörpers gegenüber dem Becken unausführbar. 

Einzelne dieser nothwendigsten Bedingungen wurden durch den 
von mir im Jahre 1887 angegebenen Detorsions-Apparat, 
welcher mit einer einzigen Drehachse in der Medianebene gelegen, 
versehen war, erfüllt. 

Zwei Uebelstände jedoch veranlassten mich, den Apparat dahin 
umzugestalten, dass 1. die Schultern derart fixirt werden, dass sie 
mit dem Becken (dieses als Basis betrachtet) in frontaler Richtung 
stehen, was mit einer Drehachse nicht auszuführen gewesen. 2. Die 
Brustseite des Thorax von jeder circulären Einschnürung 
oder ümgürtung zu befreien. 

Diese Umgestaltung ist also nicht als eine Verbesserung in 
dem Sinne aufzufassen, als ob der ursprünglichen Construction grobe 
Fehler anhafteten, sondern ist zu betrachten als ein Ergebniss weiter¬ 
schreitender Erkenntniss des äusserst complicirten Vorganges bei der 
Skoliosenentwickelung. 

Dass es möglich ist, auch ohne Einschliessung der vorderen 
Thoraxhälfte mit der nöthigen Kraftentwickelung auf die Abnormi¬ 
täten des Thorax corrigirend einzuwirken, wird die nun folgende 
Beschreibung meines reconstruirten Apparates darthun. 

Ich bediene mich zur Entfaltung der nothwendigen Kräfte, wie 
bei dem ersten Apparate, spiralförmig gewundener Federn, welche 
zu beiden Seiten der das Becken umfassenden imprägnirten Filzcein- 
ture verlaufend, auf zwei Drehachsen, welche die gedachte Me¬ 
dianebene zwischen sich fassen, einwirken. Die in jede der beiden 
Drehachsen eingefügten Pelotten, die in beliebiger Höhe, immer an 
der Stelle der grössten Ausbiegung fixirt werden können, wirken 
dabei mit einer Kraft, die von der Stärke der angewandten Spiral- 


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üeber Entstehung u. Behandl. der seitl. Rückgratsverkrümmungen. 113 


Fig. 11. 


federn abhängig ist, auf die zu bearbeitenden Theile, und zwar 
greifen sie, wie aus der Abbildung ersichtlich und wie dies bei der 
Construction des Apparates nicht anders gedacht werden kann, zu¬ 
erst an der prominentesten Stelle an, drängen die entsprechenden 
Theile nach vorwärts, zu gleicher Zeit die Seiten Verschiebung des 
Thorax beseitigend. 

Das vordere Ende der Pelotten 
reicht gerade bis in die Axillar¬ 
linie. Wie aus Fig. 1 und 2 er¬ 
sichtlich, sind diese Pelotten ver¬ 
stellbar. Unsere Figur zeigt die 
Pelotten in einer Einstellung, wie 
sie bei rechtsseitiger Dorsal- und 
linksseitiger Lumbalskoliose ge¬ 
braucht wird. 

Bei linksseitiger Dorsal- und 
rechtsseitiger Lumbalskoliose müsste 
die obere Pelotte zur linken, die 
untere zur rechten Seite gesetzt 
werden; 4 n diesen Fällen sind ge¬ 
wöhnlich beide Federn in Thätig- 
keit. Bei rechts- oder linksseitiger 
Dorsalskoliose, mit noch geradem 
Lendenabschnitt, ist nur die obere 
Pelotte in Thätigkeit, während die 
untere fixirt wird, aber auch in 
gleiche Höhe mit der wirkenden gebracht werden kann. Ebenso 
würde man verfahren im Falle einer rechts- oder linksseitigen Total¬ 
skoliose, wo nur eine Pelotte in Thätigkeit wäre. 

Bei primärer Lendenskoliose, wo das eine Taillendreieck ein 
stumpferes geworden, oder ganz verstrichen ist, würde die Pelotte 
auf der Seite der Convexität wirken, während die andere in die 
Concavität zu liegen käme, Raum genug zwischen dieser und der 
Pelotte lassend. 

Dies sind die Fälle, in welchen der Apparat mit Erfolg An¬ 
wendung finden kann. 

Die Benützung von nur einer Federkraft, oder von beiden zu¬ 
gleich, hängt somit ganz vom gegebenen Fall ab und muss deren 

Zeitflcbrift für orthopädische Chirurgie. II. Baud. g 



Deutsches Reichs-Patent: a. 


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114 


Hermann Wolfermann. 


Anwendung dem behandelnden Arzte überlassen werden. Zurecht¬ 
kommen wird mit dieser Anordnung ein Jeder. 

Zum richtigen Verständniss der Construktion meines Apparates 
sei es mir gestattet, diese in ihren Einzelheiten zu erklären. 

Als Grundlage für den wirksamen Theil des Apparates dient 
eine das Becken allseitig exact umschliessende, aus imprägnirtem Filz 
geformte Ceinture a, zur Festigung von einem Metallstreifen m eingefasst. 

Der Mitte der Rückseite der Ceinture entsprechend, ist eine 
Führung i befestigt, in welche ein Rückengestänge b eingefügt ist, 
in der Medianebene verlaufend. 

Das obere Ende dieses Gestänges trägt zwei Schulterhalter r, 
die in Chamieren sich bewegend, durch eine horizontal (von einem 
Schulterhalter zum anderen in frontaler Richtung) ausgespannte Spiral¬ 
feder l' beständig in die Höhe gedrängt werden, p' ist ein Fixirungs- 
klämmerchen, durch welches diese Feder ausser Thätigkeit gesetzt 
werden kann, wie dies beim Anlegen des Apparates wünschenswerth 
ist. Ein leichter Druck auf einen der Schulterhalter lässt diese 
Fixirungseinrichtung von selbst nach abwärts gleiten und es beginnt 
sofort durch Zusammenziehung der Feder die erwähnte Hebung, um 
eine in sagittaler Richtung verlaufende Drehachse. 

Was soll mit dieser Vorrichtung erreicht werden? 

Wenn man sich vorstellt, dass mittelst der Pelotten h ein con- 
stanter Druck auf die höchsten Rippen Wölbungen ausgeübt wird, 
welcher Druck die Wirbelsäule, die im Zustande der Aufwickelung, 
oder der Torsion sich befindet, wiederum abwickeln soll, so ist klar, 
dass bei einer eintretenden Verlängerung der Säule deren Endpunkte 
sich von einander entfernen werden; oder mit anderen Worten, beim 
Kürzerwerden der Linie der grössten Krümmung ist es geboten, dass 
die Schulterhalter der eintretenden Verlängerung sich anpassen, auf 
der Seite der Concavität als Stütze dienend. Man könnte vermuthen. 
die Schwerkraft würde die Spannung der Feder aufheben. Es werden 
allerdings die Schulterhalter infolge der Belastung wieder nach ab¬ 
wärts gedrückt, doch nur bis zu gewissem Grade, so dass die an¬ 
haltende Thätigkeit der Feder gesichert ist. 

Es stehen hinteres Beckentheil und Schulterhalter in frontaler 
Richtung parallel. 

Die Wirbelsäule wird vermöge dieser Einrichtung gewisser- 
massen fixirt, kann also nicht nach der einen oder der anderen Seite 
ab weichen. 


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Ueber Entstehung u. Bebandl. der seitl. Rückgrats Verkrümmungen. 115 

Dieser Zwang für die Säule, in deren oberem Abschnitt in der 
Sagittalebene verharren zu müssen, ist erforderlich, um auf die da¬ 
runterliegenden skoliotisch ausgebogenen Theile einwirken zu können. 

Man erhöht hierdurch die Stabilität und hat gesorgt, dass der 
Schwerpunkt in seiner Lage möglichst nahe der Verticalen durch 
den Unterstützungspunkt liegt, e sind die Fühnmgshülsen für die 
Drehachsen d. 

Mit seinem unteren Ende gleitet das Rückengestänge b in der 
Führung i, in welcher Führung eine Drehung um die Längsachse 
wegen des Vierkants s nicht stattfinden kann, n ist eine Verschluss- 
schraubenmutter. 

h eine spiralförmig gewundene Druckfeder, welche das Rücken¬ 
gestänge in die Höhe drängt. 

Bei der Zusammenstellung des Apparates hat man darauf Be¬ 
dacht zu nehmen, dass die Distanz von der Achselhöhle zum Becken¬ 
kamme gerade so gross bemessen werde, als diese der Wirklichkeit 
bei aufrechter Haltung des Patienten entspricht (nicht in Streckung). 
Würde diese Distanz zu lange bemessen, so könnten beim in die 
Höhedrängen der Schulterhalter durch Druck auf den Plexus axillaris 
die bekannten Störungen auftreten, die aber bei exacter Arbeit nie¬ 
mals in die Erscheinung treten werden. 

f sind Drehhebel, in welche die Spiralfedern l mit dem einen 
freien Ende eingehängt werden, während das andere Ende seinen 
Stützpunkt in den Knöpfen o findet. 

q ist ein mit Löchern r versehenes Metallplättchen, gegen 
welches die Drehhebel durch die Klammern p fixirt werden können. 

Bei eingesteckten Klammem sind die Federn l ausser Thätig- 
keit und die Pelotten h stehen nach rückwärts, ohne zu drücken, 
was bei der An- und Ablegung des Apparates zu beachten ist. 

A sind die Pelotten, die an die Drehachsen d in beliebiger Höhe 
angeschraubt werden können. 

u stellt Metallrippen dar, x Schlaufen am hinteren Pelottenende 
zur Vereinigung mit der Rippe, z ist eine Fixirungsschraube am 
vorderen Pelottenende. 

w sind Löcher in den Führungshülsen e mit dem Zweck, die 
au den Drehachsen angebrachten Pelotten nach Bedürfniss in be¬ 
liebiger Stellung mittelst kleinen Schrauben zu fixiren, also ausser 
Thätigkeit zu setzen. 

Mit Ausnahme des Rückengestänges, der Drehachsen und der 


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116 


Hermann Wolfermann. 


Führungshülsen letzterer, die aus Stahl gefertigt sind, sind sämmt- 
liebe Metallbestandtheile aus Aluminium gearbeitet; die Beckenceinture 
aus imprägnirtem Filz, so dass das Gewicht eines derartigen Appa¬ 
rates je nach der Grösse desselben zwischen 600—1500 g variirt. 


Fig. 12. 



Fig. 12 zeigt uns den Apparat am Patienten angelegt mit aus¬ 
gehobenen, an Fäden herabhängenden Klammem; die horizontal auf 
der Ceinture verlaufenden Federn, deren Spannung nach Bedürfniss 
geregelt werden kann auf eine Drehkraft, die dem Gewichte von 
2—8 kg entspricht, sind jetzt in Thätigkeit, und wirken in be¬ 
schriebener Weise langsam aber stetig auf die entsprechenden 
Stellen. 


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üeber Entstehung u. Behandl. der seitl. Rückgrats Verkrümmungen. 117 


Der Tropfen höhlt den Stein aus; warum sollte man nicht einer 
langsam gelinden, dafür aber continuirlich wirkenden Kraftentfaltung, 
einem Redressement forcö gegenüber den Vorzug einräumen? ja, ich 
nehme keinen Anstand, das letztere geradezu zu verwerfen, weil mit 
unseren Auffassungen, die die Entstehung der seitlichen Rückgrats- 
Verkrümmung betreffen, nicht im Einklang stehend und den mecha¬ 
nischen Principien zuwider laufend. 

So wie ich bemüht war, eine Kräftecombination zu finden, die 
im Stande wäre, Rückgrats-Verkrümmungen mit Erfolg zu behandeln, 
lag es auch in meiner Absicht, dies in einer den Patienten schonen¬ 
den, wenig belästigenden Weise auszuführen, und habe ich dies er¬ 
reicht 

1. durch möglichst geringe nicht in Frage kommende Gewichts¬ 
verhältnisse, und 

2. durch vollständige Freigabe der vorderen Thoraxhälfte. 

Es werden somit auch die bisherigen Gegner portativer Appa¬ 
rate, die eine Besserung oder Beseitigung des Leidens ausschliesslich 
in der Heilgymnastik suchten, zu der Ueberzeugung gelangen, dass 
die Mechanik auch für den Mediciner ein wissenswerthes Fach bilden 
kann, dessen Studium uns befähigt, mit Erfolg zu arbeiten und uns 
die Genugthuung verschafft, manchen sonst gesunden Menschen, der 
langsam aber sicher gänzlicher Verkrüppelung anheim fiele, von 
dieser Missstaltung und den damit zusammenhängenden Beschwerden 
errettet zu haben. 

Fig. 13 zeigt uns die Vorderseite des mit dem Apparate ver¬ 
sehenen Patienten. Was da zu sehen ist, ist eigentlich wenig. Mit 
Ausnahme der Vorderseite der Beckenceinture, an welcher man die 
Verschluss Vorrichtung erkennt, und der unter den Achselhöhlen her¬ 
vortretenden Schulterhalter, bemerken wir nur einen elastischen, 5 cm 
breiten Bandstreifen f, der von einer Vorderkante der Pelotte zur 
anderen hinzieht; die Befestigung dieses Bandes geschieht in den 
Knöpfchen o. 

In diesen elastischen Bandstreifen ist eine runde, 6—7 cm 
breite, mässig convex gepolsterte, verschiebbare Pelotte eingeschaltet. 

Diese Pelotte nun hat den Zweck, auf den vorderen Rippen¬ 
buckel, wenn ein solcher vorhanden ist, zu drücken. Wie stark 
dieser Druck sein darf, hängt natürlicherweise vom betreffenden Fall 
ab; z. B. bei stark entwickelter, rechtsseitiger Dorsal- und links¬ 
seitiger Lumbalskoliose, mit stark vergrössertem rechten, von rechts 


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118 


Hermann Wolfermann. 


und hinten nach links und vomen verlaufendem Diagonaldurchmesser, 
darf die Anspannung schon eine etwas beträchtliche sein, auch wenn 
beide Pelotten in Thätigkeit sind. 

Ist die eine der Pelotten fixirt, dann kann die Spannung um 


Fig. 13. 



weniges erhöht werden, weil ja die Federwirkung dadurch noch 
unterstützt wird. In den Fällen, wo der vordere Rippenbuckel noch 
nicht bemerkbar, kann auch diese eingeschaltete Pelotte wegfallen 
und einfach der Bandstreifen vornüber von einem Pelottenknopfe 
zum anderen hinziehen. 

Eine Norm für den Gebrauch oder Nichtgebrauch dieser vor- 


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Ueber Entstehung u. Behandl. der seitl. Rückgratsverkrümmungen. 119 


deren Druckpelotte gibt es nicht; hier entscheidet die Eigenartigkeit 
des Falles. 

Wo aber die ersten Anzeichen eines vorderen Rippenbuckels 
in die Erscheinung treten, ist die Einschaltung dieser Pelotte indicirt, 
mögen nun beide hinteren Pelotten in Thätigkeit, oder eine derselben 
fixirt sein. 

Zum Schlüsse noch einige Worte über die die Behandlung 
unterstützenden, uns zu Gebote stehenden Hilfsmittel. 

Gymnastische Uebungen sollten täglich ausgeführt werden, da 
es sich in der Mehrzahl der Fälle um Kräftigung und stärkere Ent¬ 
wickelung einer ohnehin schlaffen Musculatur handelt. 

Diese Uebungen sind so einzurichten, dass die Muskeln zu beiden 
Seiten der Symmetrieebene gleichmässig zur Arbeit herangezogen 
werden. 

Man erreicht dies durch die sogen. Freiübungen, Stabübungen 
oder den Gebrauch zweckdienlicher Geräthe. Als solches möchte ich 
nach meinen Erfahrungen den sogen. Ruderapparat, den ich in meinen 
Tumcursen regelmässig anwende, besonders hervorheben. 

Es wird damit den sich sonst einstellenden Muskelcontracturen 
und Bänderverkürzungen entgegengearbeitet. Zur zeitweiligen Ent¬ 
lastung bediene ich mich der Suspension am Kopfe mit Unterstützung 
unter den Schultern, sowie der schiefen Ebene. 

Indem wir aber bei der Behandlung nicht allein eine mangel¬ 
haft entwickelte schlaffe Musculatur, sondern was weit schwerwiegen¬ 
der ist, ein weiches Knochengerüste zu berücksichtigen haben, so ist 
die Benützung eines portativen Apparates, der in statischer 
Hinsicht den gestellten Anforderungen gerecht wird, un¬ 
erlässlich, und jeder bleibende Erfolg ohne Zuhilfenahme eines 
solchen absolut undenkbar. 


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VII. 


Mittheilungen aus dem orthopädisclien Institute von 
Dr. A. Lüning und Dr. W. Schultliess, Privat- 
docenten in Zürich. 

IV. 

Aerztlicher Bericht Ober den Zeitraum von der Gründung des 
Instituts im September 1883 bis Ende des Jahres 1890. 

Erstattet 

Ton den Anstaltsärzten. 

Mit 4 in den Text gedruckten Abbildungen. 

(Schluss.) 

II. Spondylitis. 

75 Fälle. 

Die im Zeitraum des Berichtes zur Beobachtung und theilweise 
zur Behandlung gelangten Fälle betrafen 40mal das weibliche und 
35mal das männliche Geschlecht. 

Das 1. Altersdecennium ist mit 31 (16 männlichen, 15 weib¬ 
lichen), das 2. mit 24 (10 männlichen, 14 weiblichen), das 3. mit 12 
(6 männlichen, 6 weiblichen), das 4. mit 5 (3 männlichen, 2 weib¬ 
lichen), das 5. mit 1 (weiblich) Fällen vertreten. Dazu kommen 
noch 2 Frauen von 67 und 74 Jahren. 

Dem Wohnorte nach recrutiren sich 46 Fälle aus dem Canton 
Zürich, 2 aus Zug, 6 aus St. Gallen, 4 aus Graubündten, 4 aus 
dem Aargau, 7 aus dem Thurgau, l jeweilen aus Appenzell, Luzern, 
Tessin, Unterwalden und 1 aus Italien. 


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Aerztl. Bericht über den Zeitraum von der Gründung des Instituts etc. 121 

Von der Gesammtzahl traten nur 48 Fälle für kürzere oder 
längere Zeit resp. wiederholt in unsere Behandlung. Während das 
Skoliosenmaterial unseres Institutes grösstentheils den besser situirten 
Kreisen entstammte, gehörten die Spondylitiden, wenigstens was die 
frischeren und einer methodischen Behandlung bedürftigen Fälle 
betrifft, meist der ärmeren und ungebildeten Klasse an. Es erklärt 
sich dieses Verhältniss einmal aus der wenigstens scheinbaren Leich¬ 
tigkeit, die Behandlung nicht allzuschwerer Fälle von Spondylitis, 
wenn sie einmal instituirt ist, in guten häuslichen Verhältnissen 
durchzuführen, der Abneigung, für eine zum Voraus nicht wohl be¬ 
stimmbare Zeit sich in fremde Pflege zu begeben, der Langwierig¬ 
keit des Leidens, die einer consequenten und gleichmässigen Behand¬ 
lung immer gefährlich sein wird und zu anderweitigen Experimenten 
verleitet, der Concurrenz anderer Heilanstalten u. s. w. 

Andererseits ist es gerade bei der bedürftigeren Patientenklasse 
schwer und oft unmöglich, eine auch nur den dringendsten An¬ 
forderungen gerechte Behandlung lange genug durchzuführen. Zu 
Hause geht dies meist gar nicht an, und einen längern Aufenthalt 
im Institute verbieten die in einer Privatanstalt unausweichlichen 
grösseren Kosten. 

Unter diesen Umständen gestaltet sich die Sayre’sche Me¬ 
thode zu einer wichtigen Errungenschaft, insofern sie eine viel 
grössere Ausdehnung der ambulanten Praxis gestattet; allerdings 
sahen wir uns mehrfach aus socialen Gründen zu ihrer Anwendung 
gezwungen, wo wir unter andern Verhältnissen zunächst von ihr 
abgesehen hätten. 

Die Stadien der Erkrankung, in denen sich unsere Pa¬ 
tienten präsentirten, waren in der weitaus überwiegenden Mehrheit 
der Fälle schon fortgeschrittenere. Nur in 6 Fällen war keine Spur 
eines Gibbus zu entdecken, in allen übrigen war derselbe schon 
andeutungsweise oder mehr oder weniger ausgebildet vorhanden. In 
einem Falle von Spondylitis der untern Halswirbel (Nr. 95) bestand 
eine hochgradige Lordose der Halswirbelsäule, die zu Erstickungs¬ 
anfällen geführt hatte (ohne Abscess), in einem andern eine Total¬ 
kyphose nach abgelaufener Spondylitis der Lendenwirbelsäule (Nr. 399), 
Als abgelaufene Fälle, d. h. ohne Spur von Druck- oder Belastungs¬ 
empfindlichkeit der gibbösen Wirbel erwiesen sich 19, während 47 
mehr oder weniger ausgeprägte Symptome von Schmerzhaftigkeit 
der betroffenen Wirbel zeigten. Unter diesen befanden sich nur 


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A. Lüning und W. Schulthess. 


wenige Fälle ganz frischer Erkrankung, meist Kinder in den ersten 
Lebensjahren betreffend. 

Abgesehen von 4 Fällen, von denen genauere Notizen hierüber 
fehlen, localisirte sich der tuberculöse Process 
lOmal in der Halswirbelsäule, 

1 „ „ „ Hals- und Brustwirbelsäule, 

34 „ „ „ Brustwirbelsäule, 

4 „ „ „ Brust- und Lendenwirbelsäule, 

21 „ „ „ Lendenwirbelsäule, 

1 „ „ den untersten Lenden- und obersten Kreuzbein¬ 

wirbeln. 

Die Häufigkeitsscala würde also mit der von Billroth und Mohr 
gefundenen übereinstimmen. In einer Anzahl von Fällen, die wegen 
der verhältnissmässigen Unsicherheit der Diagnose nicht näher pra- 
cisirt werden kann, schien mehr als ein Wirbel an der Erkrankung 
betheiligt zu sein; in einem Falle (Nr. 081), der jetzt der Ausheilung 
entgegengeht, war ein älterer, nicht mehr empfindlicher Gibbus der 
mittleren Brustwirbelsäule durch einige normale Wirbel von einem 
neueren, noch schmerzhaften der obersten Brustwirbel getrennt. 

Ueber das Verhältniss der Altersscala zur Locali- 
sation gibt folgende Tabelle Aufschluss: 


Alter 

1 

Hals- 

Wirbel 

Brust¬ 

wirbel 

Lenden¬ 

wirbel 

Summa 

2— 5 Jahre 

5 

6 

5 

16 

5-10 „ 

2 

9 

4 

15 

10-20 , 

2 

12 

7 

21 

20—30 . 

1 

5 

4 

10 

30—80 , 

1 

4 

3 

8 

Total 1 

11 

36 

23 

70 


In der vorstehenden Tabelle sind die Mischfälle (z. B. Brust- 
und Lendenwirbel) je weilen zu dem höher gelegenen Wirbelabschnitt 
gezogen. Es ergibt sich aus derselben ein ziemlich gleichmässiges 
Verhalten der Localisation auf allen Altersstufen mit deutlichem 
Vorwiegen der Spond. dorsalis. Eine Ausnahme macht die Cervical- 
Spondylitis, von der die Hälfte aller Fälle im ersten halben Decen- 


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Aerztl. Bericht über den Zeitraum von der Gründung des Institute etc. 123 


nium und */S in den ersten 10 Lebensjahren zur Beobachtung kamen. 
Der einzige beobachtete Fall von Spond. cerv. von über 30 Jahren 
war traumatischen Ursprungs. Diese Thatsache ist eine längst beob¬ 
achtete und feststehende; ein gegentheiliges Verhalten der Lenden¬ 
wirbelsäule im kindlichen Alter geht dagegen aus unserer Zusammen¬ 
stellung nicht hervor. — Weitergehende Schlüsse aus einer so 
zufällig zusammengekommenen und relativ kleinen Statistik zu ziehen, 
dürfte wohl nicht am Platze sein. 

Unter den ätiologischen Momenten, soweit wir die¬ 
selben eruiren konnten, spielt natürlich die Heredität der Tuber- 
culose eine Hauptrolle, die sich bei einer bedeutenden Anzahl unserer 
Patienten nachweisen Hess. Da unser Material wegen seiner topo¬ 
graphischen Ausdehnung eine persönliche Anschauung der ein¬ 
schlägigen Verhältnisse meist nicht gestattete, unterlassen wir die 
Aufstellung einer Procentziffer, die sich jedenfalls ziemlich hoch be¬ 
laufen würde. Zu bemerken wäre noch, dass wir einige Fälle aus 
für die Lungentuberculose ziemlich immunen Berggegenden (z. B. 
Davos, Engadin, Bergell) erhielten. Ferner schliesst sich die Wirbel¬ 
erkrankung bei zwei erwachsenen Männern unmittelbar an schwere 
Verletzungen der Wirbelsäule an. Der eine davon (Nr. 92), 
ein herculisch gebauter 36jähriger Mann, war bei der Probe¬ 
belastung einer Brücke mit dieser zugleich eingestürzt und hatte 
ausser einer Beckenfractur eine Verletzung (Fissur?) des 2. Lenden¬ 
wirbels erlitten, der andere (Nr. 346), ein 28jähriger Eisenbahn¬ 
angestellter, war zwischen zwei Puffer gerathen und bot zunächst 
alle Symptome einer Eingeweide-Ruptur, nach deren Rückgang sich 
erst eine Läsion des 1. Lendenwirbels deutlicher erkennen Hess. Ob 
diese Erkrankungen, die beide in Heilung ausgingen — im erstem 
Falle erst nach mehr als Jahresfrist und unter leichter Gibbus- 
Bildung — unter das Bild der tuberculösen Spondylitis sich ein¬ 
reihen lassen, ist zu bezweifeln, immerhin aber nicht mit Sicherheit 
auszuschliessen. 

Wenn wir auch nicht der Ansicht der bekannten amerikanischen 
Autoren beipflichten, dass der Ausgang von Verletzungen ein sehr 
häufiger sei (nach Taylor in über der Hälfte der Fälle), so ver¬ 
fügen wir andererseits über einige Beobachtungen, in denen die un¬ 
zweifelhaft tuberculöse Erkrankung der Wirbel direct an schwerere 
Traumen anschloss. Dies Verhalten hat ja nach unseren Kennt¬ 
nissen über experimentelle Erzeugung von Gelenktuberculose nichts 


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124 


A. Lüning und W. Schulthess. 


Auffälliges mehr. So war z. B. bei Nr. 44 Sturz von einem Wagen 
aufs Pflaster mit schwerer Kopfwunde, bei Nr. 88 Sturz von ca. 
10 Fuss Höbe auf die Füsse mit Belastung der Ausgangspunkt 
des Leidens. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle ist dagegen 
ein schwereres Trauma mit Sicherheit nicht vorausgegangen. 

Von Complicationen haben wir verhältnissmässig wenig zu 
berichten, da Fälle mit anderweitigen tuberculösen Organerkrankungen 
naturgemäss weniger in orthopädische Behandlung treten, resp. sich 
für letztere nicht eignen; einige solcher Fälle mussten bei späterem 
Auftreten solcher Complicationen in Spital- resp. Privatbehandlung 
übernommen werden. So bestand in einem Falle (Nr. 11) neben 
der bereits abgelaufenen Spondylitis, die ausnahmsweise mit leichter 
Gymnastik behandelt wurde, eine latente Ostitis des Caput tibiae und 
eines Capit. radii. Nach 3monatlicher Kur, welche die vorher auf¬ 
fallend schlechte und mühselige Haltung wesentlich verbessert hatte, 
zwang das Auftreten einer tuberculösen Gonitis zum Aussetzen der 
orthopädischen Behandlung. Patient starb 8 Jahre später. 

Für die Gestaltung der Therapie sind natürlich Complicationen 
von Seiten der Brustorgane von Wichtigkeit. Unsere beiden 
ältesten Patienten, Frauen von 74 und 67 Jahren litten an chroni¬ 
scher Bronchitis, und es konnte deshalb weder an eine Behandlung 
in Horizontallage, noch mit Sayre'schem Corset gedacht werden. 
Beide erhielten einfache Stützapparate, die ihnen das Verlassen de^ 
Bettes ermöglichten und ihre Beschwerden wesentlich erleichterten; 
beide sind indessen nach 1 resp. \2 Jahr ihren Lungenleiden erlegen. 
— Bei einem 11jährigen Knaben (Nr. 54) mit schwerer noch frischer 
Spondylitis des 8. Brustwirbels bestand ebenfalls eine hartnäckige 
Bronchitis. Hier trat nach ömonatlicher Gypscorsetbehandlung voll¬ 
ständige Ausheilung beider Affectionen ein. — Ein 20jähriges, sehr 
abgemagertes Mädchen mit linksseitigem Spitzenkatarrh (Nr. 316) er¬ 
holte sich ausgezeichnet im inamovibeln Gypscorset bei gleichzeitigem 
mehrmonatlichem Bergaufenthalt; leider entstand aber nach 5monat- 
lichem Tragen des Corsets ein Iliacalabscess und musste Patientin 
aus äusseren Gründen in ihr heimatliches Spital versetzt werden. — 
Bei einem Fall, der in dauernde Heilung ausging (Nr. 78), wurde 
eine intercurrente Nephritis beobachtet, ebenso Imal Chorea (Nr. 155). 

Von directen Folgeerscheinungen des Kranklieitsprocesses wur¬ 
den Abscesse 7mal notirt und zwar Imal in der seitlichen Hals¬ 
gegend bei Cervicalspondylitis (Nr. 263), 6mal als liliacal- resp. 


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Aerztl. Bericht über den Zeitraum von der Gründung des Instituts etc. 125 


Psoasabscesse bei AfFection der Brust- oder Lendenwirbel. Noch 
secemirende Fisteln am Halse zeigte ferner ein Fall von alter Hals- 
wirbelcaries (Nr. 139). Bei der schon betonten Zusammensetzung 
unseres Materials ist eine Procentberechnung natürlich nicht zulässig; 
ohne Zweifel müsste sich die Procentzahl bedeutend höher stellen, 
wenn die Beobachtungen sich über die ganze Krankheitsdauer er¬ 
streckten. — Bei den abgelaufenen Fällen wurden mehrfach geheilte 
Fisteln constatirt. Nur ein Fall (3jUhriges Mädchen, Nr. 89) bot 
schon bei der ersten Untersuchung Abscess und Psoascontractur, 
bei den übrigen 6 entwickelte sich die Eiterung erst im Verlaufe 
der Behandlung resp. Beobachtung. Das ersterwähnte Kind, das in 
ärmlichen Verhältnissen und entfernt von Zürich auf dem Lande bloss 
mit Horizontallage behandelt wurde, konnte erst nach beinahe Jahres¬ 
frist, gelegentlich einer Consultationsreise, wieder gesehen werden; 
es hatte sich ein massig starker, nicht mehr empfindlicher Lenden- 
gibbus entwickelt, der grosse Abscess aber war spurlos und ohne 
Perforation nach aussen verschwunden. — Die Resorption resp. Ein¬ 
kapselung mit Schrumpfung der Senkungsabscesse wird zwar neuer¬ 
dings in Abrede gestellt und vorstehende Beobachtung ist als zu 
discontinuirlich nicht einwandsfrei; indessen erlaubte ein analoger 
Fall, der in der Privatpraxis über 3 Jahre lang ständig und genau 
verfolgt wurde, das Entstehen und langsame Wiederverschwinden 
eines mächtigen Iliacalabscesses ohne Perforation nach innen oder 
aussen bis zur völligen und seit 2 Jahren andauernden Ausheilung 
zu verfolgen. Die Perforation in ein inneres Organ entgeht der 
klinischen Beobachtung wohl kaum; so konnte in einem unten zu 
besprechenden Falle (Nr. 682) von Pfannencaries nach Resectio coxae 
die Perforation des subiliacalen Beckenabscesses in den Darm an den 
periodischen Eiterabgängen mit evidenter Verkleinerung des Abscesses 
mit Sicherheit, in einem anderen Falle von dorsaler Spondylitis 
(Privatpraxis) der Durchbruch ins Nierenbecken klinisch und mikro¬ 
skopisch mit grösster Wahrscheinlichkeit festgestellt werden. 

Abgesehen von den häufig notirten neuralgischen Erscheinungen 
am Rumpfe und in den Extremitäten, die in einem Falle sogar draussen 
zur Verwechslung mit Ischias geführt hatten, sind schwerere Erschei¬ 
nungen von Seite der Medulla in unserem Beobachtungsmaterial 
wenig vertreten. Ein Fall (3jähriges Mädchen Nr. 117) mit schwerer 
Spondylitis der untersten Halswirbel und consecutiver completer Para¬ 
lyse der Beine, vorübergehend auch der Sphinkteren und Parese der 


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A. Lüning und W. Schulthess. 


Arme wurde durch Extension, Massage und Elektricität während 
3monatlichem Aufenthalt in der Anstalt so weit hergestellt, dass zu 
Hause dann völliger Rückgang der Paralysen erfolgte; die bereits 
bestandene ungewöhnlich starke Lordose blieb dagegen unverändert. 
2 grössere Mädchen (Nr. 192 und 474) von je 14 Jahren mit meh¬ 
rere Jahre altem dorsalem Gibbus und früher bestandener Paralyse 
kamen wegen Spasmen und Contracturen der Unterextremitäten, die 
im ersten Falle zur Spitzfussstellung geführt hatten, vorübergehend 
in unsere Behandlung. Endlich musste ein während 6 Monaten 
poliklinisch mit Gypscorsets behandelter Sjähriger Knabe (Nr. 271) 
wegen auftretendem Psoasabscess und beginnender Paralyse ins 
heimathliche Cantonsspital instradirt werden, da die Aufnahme ins 
Institut aus äusseren Gründen nicht möglich war. 

Von weiteren concomitirenden Erscheinungen ist noch zu be¬ 
richten, dass ein 4jähriges Mädchen (Nr. 95) aus dem Canton Grau- 
bündten mit starker spondylitischer Lordose der untersten Halswirbel 
zu Hause Erstickungsanfälle zeigte, nachdem bis dahin die 
abnorme Kopfhaltung (auch vom Arzte!) als Unart taxirt und dis- 
ciplinarisch behandelt worden war. Wir konnten als Ursache der 
Dyspnöe keinen Abscess auffinden, mussten vielmehr dieselbe in der 
starken Lordose, eventuell auch einer vorübergehenden Schwellung 
der prävertebralen Weichtheile erblicken. Während der sofort ein¬ 
geleiteten Extensionsbehandlung im Institut verschwand die Dyspnöe 
gänzlich und traten auch keine Anfälle mehr auf. Die Extension 
wurde zu Hause fortgesetzt, später ein Minervaapparat getragen und 
vollständige Heilung erzielt, von der wir uns später selbst überzeugen 
konnten. Ein uns nur in der Sprechstunde vorgestellter 7jähriger 
Junge (Nr. 647), dessen Spondylitis dors. seit 3^2 Jahren bestand 
und im wesentlichen abgelaufen war, klagte hauptsächlich über Be¬ 
schwerden beim Essen und Dyspnöe, die sichtlich durch Zunahme 
des Gibbus bedingt waren. 

Die Diagnose bot uns in keinem unserer Fälle nennenswerthe 
Schwierigkeiten; Täuschungen und Irrthümem ist man dagegen auch 
bei wachsender Erfahrung in der Bestimmung des jeweiligen Stadiums 
der Erkrankung ausgesetzt. Leider ist die doch relativ häufige Af- 
fection bei manchen Aerzten noch nicht genügend bekannt und in 
ihrer Tragweite von anderweitigen Verkrümmungen des Körpers 
unterschieden. So erklärt es sich, dass uns ab und zu solche Kinder 
zum „Turnen“ zugeschickt werden, deren unsicherer Gang und 


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Aerztl. Bericht über den Zeitraum von der Gründung des Instituts etc. 127 

schmerzhaft fixirte Wirbelsäule auch ohne den selten fehlenden Gibbus 
die Spondylitis verrathen würden. Gänzliches Fehlen des Gibbus 
wurde nur in 6 Fällen gesehen; 2 davon betrafen die Halswirbel¬ 
säule, die auch im Verlaufe der in beiden Fällen (Nr. 237 und 263) 
länger anhaltenden Erkrankung sich nicht weiter deformirte; viel¬ 
leicht war die Localisation mehr eine articuläre, immerhin führte 
aber der erstere zu einem Senkungsabscess. Die übrigen 4 Fälle 
betreflFen erwachsene weibliche Individuen (Nr. 267, 554, 643 und 
649), von denen nur der erste (Lendenwirbel) bis zu Ende beobachtet 
ist. — In einem zuerst nicht ganz klaren Falle (Nr. 18), dem von 
ärztlicher Seite, als vermeintlichem „Rheumatismus“, heisse Bäder 
verordnet waren, welche die Schmerzen aber jeweilen auf das hef¬ 
tigste steigerten, konnte das bekannte Experiment mit dem heissen 
Schwamm zur prompten Localisation der Diagnose verwerthet werden. 

Die von uns angewandte Behandlung weicht in keiner Weise 
von der für dieses Leiden jetzt allgemein adoptirten und üblichen 
ab, und wir sind an Hand unserer Erfahrungen keineswegs im Falle, 
hiefür neue Gesichtspunkte aufzustellen. Leider waren wir aus den 
schon oben erwähnten Gründen mehrfach gezwungen, die Behand¬ 
lung poliklinisch und oft auf weite Distanzen in Fällen durchzu¬ 
führen, für die nach unserer Ansicht der Eintritt in die Anstalt ge¬ 
boten war, wenn es die Verhältnisse gestattet hätten. 

Von den 10 Halswirbelspondylitiden (s. Tabelle oben) 
wurden nur 5 Fälle von uns behandelt; 4 davon in der Anstalt, 
1 poliklinisch. Von den übrigen wurden 2 in dürftigen Verhält¬ 
nissen lebende Kinder mit Paraplegie (Nr. 47) und zahlreichen Fisteln 
am Halse, profuser Eiterung und Allgeraeintuberculose (Nr. 139) bei 
der ersten Consultation in Spitalbehandlung verwiesen. Ein 2jähriges 
Kind (Nr. 641) wurde nach unseren Anweisungen vom Hausarzt be¬ 
handelt, ebenso ein ca. 25jähriger Mann (Nr. 468), 2 weitere in der 
Hauptsache abgelaufene Fälle mit starker Deformität bloss consultativ 
gesehen. 

Die 5 von uns persönlich behandelten Fälle sind sämmtlich ge¬ 
heilt, 3 davon, die wir von Anfang an behandelten, ohne (Nr. 237) 
oder mit ganz unbedeutender (Nr. 142, 263) Deformität. 2 ältere 
Fälle, die schon mit bedeutender lordotischer Verbiegung eintraten, 
wurden wenigstens von der compliehrenden Paralyse (Nr. 117) und 
bis zur SuflFocation sich steigernden Dyspnöe (Nr. 95) befreit. Das 
souveräne Mittel bestand in allen Fällen in der Gewichtsextension, 


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A. Lüning und W. Schulthess. 


die immer zuerst in der seit Volkmann üblichen Weise im Bette 
applicirt wurde. Erst nachdem die Kopfbewegungen freier und 
schmerzlos geworden, wird Aufstehen gestattet und tags über ein 
Minervaapparat (Rückenkopfstange mit Beckengurt, Achsel trägem 
und Kinnhinterhauptsgurt) getragen, Nachis die Gewichtsextension 
fortgesetzt. In noch späterem Stadium und bei erwachsenen Pa¬ 
tienten haben wir uns bei Tage mit dem Tragen einer von uns ge¬ 
nau modellirten, nach oben und unten stark ausladenden Cravatte 
aus poroplastischem Filz oder Gyps begnügt. Bei einem 2 V^jährigen 
Mädchen (Nr. 263) entstand in diesem späten Stadium bei schon 
fast völlig wieder beweglicher Wirbelsäule ein Senkungsabscess vor 
dem M. sternocl., der auf antiseptische Incision und Auslöffelung in 
kurzer Zeit ausheilte. 

Von den 64 übrigen Fällen dorsaler und lumbaler Wirbel¬ 
erkrankung sind 43 in Behandlung getreten, 26 poliklinisch, 17 
wurden für kürzere oder längere Zeit, viele davon wiederholt, in die 
Anstalt aufgenommen, meist zur Anfertigung von Corsets oder ander¬ 
weitiger Stützapparate. 

Unter den nicht in Behandlung getretenen Fällen befinden sich 
eine grössere Anzahl veralteter, abgelaufener Fälle, an denen 
nichts mehr zu ändern war, mit den bekannten Buckelbildungen und 
secundären Deformationen des Rumpfes. Verschiedene davon waren 
während der ganzen, zum Theil vieljährigen Dauer des Leidens nie 
zu Bette gelegen! Wiederum andere, meist entfernter Wohnende, 
die sich nicht zu einem Aufenthalte im Institute entschliessen konnten, 
wurden mit Rathschlägen zu eigenen oder zu Händen der Hausärzte 
entlassen und haben sich, der Weisung entgegen, nicht mehr vor- 
gestelit. Einige stellten sich bloss zur Vornahme von Controll- 
messungen vor; einigen wenigen mit schweren Complicationen, die 
voraussichtlich einem längeren Krankenlager entgegengingen, wurde 
Aufnahme ins Spital angerathen, hauptsächlich der geringeren Kosten 
wegen. 

Wo immer möglich, suchten wir in frischen Fällen mit 
noch vorhandener stärkerer Schmerzhaftigkeit mindestens 1—2 Mo¬ 
nate zuerst die Horizontallage auf gut gepolsterter Matratze inne¬ 
halten zu lassen; dies geschah namentlich ausnahmslos bei den ins 
Institut aufgenommenen derartigen Patienten. Als schmerzstillendes 
Mittel von prompter Wirkung wurde daneben in einigen FäUen für 
kürzere Zeit der Chapman’sche Eisbeutel angewandt, der 


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Aerztl. Bericht über den Zeitraum von der Gründung des Instituts etc. 129 

eine sorgfältige Lagerung und gute Beaufsichtigung verlangt, bei 
Erwachsenen und grosseren Kindern sich aber ausnahmslos gut durch¬ 
führen liess. Bei Erkrankungen der höher gelegenen Wirbelsäulen¬ 
abschnitte wurde Gewichtsextension am Kopfe hinzugefügt, wo 
die letztere keine Wirkung mehr versprach, mehr auf constantes 
Innehalten der Horizontallage als gerade auf energische Reclination 
Werth gelegt. Stärkerem Hervortreten des Gibbus wurde durch 
local applicirte Kissen, bei unruhigen oder kleineren Kindern durch 
an einer Bandage befestigte Rolle, seltener durch die Rauchfuss- 
sche Schwebelage entgegengearbeitet. Die in neuerer Zeit von 
Phelps, Nönchen, Lorenz u. A. empfohlenen Steh- resp. 
Reclinationsbetten anzuwenden, fanden wir während des Zeit¬ 
raumes des Berichtes keine Gelegenheit; immerhin wurde dem zu 
Grunde liegenden Princip der Verbringung an frische Luft durch 
Benützung der zur Verfügung stehenden grossen Balkons (im Bette 
oder auf Matratze) möglichste Rechnung getragen, sowie die Er¬ 
nährung durch Kephircuren u. dergl. unterstützt. In demselben 
Rahmen bewegten sich unsere Rathschläge für die zu Hause behan¬ 
delten Kranken; leider fehlte es dort häufig an Verständniss und 
consequenter Durchführung dieser scheinbar einfachen Massnahmen. 

In einigen wenigen Fällen (Nr. 267, 673) genügten die letz¬ 
teren zur Herbeiführung der Heilung. Bei einigen kleinen (bis zu 
2 Jahren Nr. 13) und schwer zu fixirenden Kindern, oder wo nur 
polikhnische Behandlung möglich war, schon früher, sonst aber prin- 
cipiell erst nach Nachlass der localen Schmerzhaftigkeit, wurde zur 
Anlegung portativer Apparate übergegangen. Die Hauptrolle 
spielte dabei das so einfach und leicht anzufertigende Sayre'sche 
Gypscorset. Auf 31 damit behandelte Patienten kommen zu¬ 
sammen ca. 90 solche Corsets; die höchste auf einen einzelnen ent¬ 
fallende Zahl beträgt 10 (Nr. 44). Bei der Anlegung haben wir 
uns von jeher von den jetzt allgemein adoptirten Grundsätzen leiten 
lassen: Mässige Suspension, niemals über das subjective Wohlbe¬ 
finden hinaus, bei fixirtem Becken; allgemeine leichte Wattepolste¬ 
rung über Tricotschlauch bei inamoviblem, Filzpolsterung (angenäht) 
nur des Gibbus und der Spinae ant. sup. bei abnehmbarem Corset; 
geräumiges Magenpolster; Kopfstange für die Erkrankungen ober¬ 
halb der mittleren Brustwirbel; möglichst leichte Verbände, Ver¬ 
stärkung bei grösseren Individuen mit Schusterspahn oder gelochten 
Blechstreifen. Nach dem Trocknen werden die Ränder ausgeschnitten, 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. II. Band. 9 


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A. Lüning und W. Schulthess. 


der Tricotschlauch über dieselben gezogen und mit einer Wasserglas¬ 
binde fixirt. Die Patienten befanden sich ausnahmslos sehr wohl in 
diesen Verbänden und erholten sich zum Theil prächtig; nur in 
einem Falle (Nr. 87) wurde das Corset in den ersten Tagen von den 
allzu ängstlichen Eltern entfernt, denen der veränderte Respirations¬ 
modus Besorgniss einflösste. Decubitus von nennenswerther Bedeu¬ 
tung trat nur einmal bei einer sehr mageren, der Phthise verdächtigen 
Person (Nr. 816) über dem Gibbus ein, da Patient unserer Controlle 
entzogen war, was eine kurze Unterbrechung dieser Behandlung be¬ 
dingte. 2mal wurde das Corset aus Wasserglas hergestellt: bei 
einem 2jährigen Kinde (Nr. 18), um der Durchnässung besser zu 
begegnen, und bei einem 15jährigen Mädchen (Nr. 317), wo ein 
möglichst leichter Verband erwünscht war. Sonst eignet sich das 
Material weniger für diese Technik, da es bei seinem langsameren 
Erstarren (trotz übergelegtem Gypsverband) leicht Falten bildet und 
nicht über Tricot applicirt werden kann. Den poroplastischen 
Filz haben wir bei Spondylitis niemals verwendet; die Anlegung 
gestaltet sich complicirter, weniger schonend, und die fertigen Corset« 
deformiren sich leichter, sind dicker, heisser und unangenehmer zu 
tragen, als die von uns ebenfalls abnehmbar gestalteten Gypscorsets. 

In frischeren Fällen haben wir grundsätzlich auf die Ab nehm¬ 
bar k eit der Corsets verzichtet. Wenn auch darunter die Haut¬ 
pflege vorübergehend leidet, so sind wir der Ansicht, dass die häu¬ 
figen Manipulationen mit der Wirbelsäule, die vielfache Wiederholung 
der Suspension beim An- und Ausziehen des Corsets, einen schäd¬ 
lichen Reiz für die kranke Knochenpartie bilden. Ausserdem ist 
man in der ambulanten Praxis nicht sicher, dass die Corsets an¬ 
haltend und consequent getragen werden, wenn sie beliebig entfernt 
werden können. Nur ausnahmsweise (Nr. 222), wenn wir den Pa¬ 
tienten dauernd in der Anstalt behalten konnten und z. B. die Con- 
trolle eines Abscesses ein häufigeres Nachsehen erheischt, haben wir 
das Corset abnehmbar gemacht, alsdann aber ohne Suspension an¬ 
gefertigt und in Horizontallage entfernt und angelegt. Der all¬ 
fällige Nothmast dagegen wurde abnehmbar gemacht, da er im 
Bette zu sehr genirt und für die Nacht durch Gevfichtsextension 
ersetzt wurde. 

Die Corsets wurden alle 2—3 Monate erneuert und bei dieser 
Gelegenheit die Patienten einige Tage gebadet und im Bette liegen 
gelassen, hie und da auch für längere Zeit dazwischen wieder Bett- 


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Aerztl. Bericht über den Zeitraum von der Gründung des Instituts etc. 131 


läge angeordnet, wenn der Gibbus sich zu vergrössern drohte, oder 
die Patienten den Oberkörper zu sehr reclinirten, was das Sayre- 
sche Corset, auch wenn man es hinten weit hinunter reichen lässt, 
nicht immer verhindert; andere Apparate allerdings noch weniger, 
z. B. der Taylor’sche. 

Mit dem Aufhören des schmerzhaften Stadiums beginnt für den 
Orthopäden die Aufgabe, ein Fortschreiten der Deformität 
unter dem Einflüsse der Belastung zu verhindern und 
die Wiederausbildung einer möglichst fehlerfreien und aufrechten 
Haltung während der nun sich einstellenden oder bereits ihrem Ab¬ 
schlüsse nahen coinpensirenden Krümmungen zu begünstigen. Hiezu 
haben wir meistens das abnehmbare Gypscorset verwendet, 
das bei einiger üebung und Erfahrung so leicht und elegant direct 
auf dem Körper gefertigt werden kann, dass es den in neuester Zeit 
empfohlenen Holzcorsets kaum nachsteht, welch letztere in ihrer 
Herstellung für den Arzt viel zeitraubender sind und eines eigenen 
Arbeiters bedürfen. Allerdings sind letztere dauerhafter und eignen 
sich somit eher für Erwachsene; unsere abnehmbaren Gypscorsets 
von der Dicke eines starken Pappdeckels halten bei einiger Schonung 
3—4 Monate und werden bei den meist noch im Wachsthum be¬ 
findlichen Individuen, um die es sich hier handelt, ohnehin zweck¬ 
mässiger Weise nach dieser Frist erneuert. 

Aber nicht bloss der übermässigen Buckelbildung und ihren 
Consequenzen für die Haltung gilt es in dieser Periode zu steuern. 
In nicht seltenen Fällen gesellte sich zu der ersteren eine Inflexion 
der Wirbelsäule nach der Seite, die zum Theil sehr auffällig 
war; bei einem Patienten (Nr. 92) war die seitliche Abknickung so 
bedeutend, dass derselbe, ein kräftiger Mann, ohne die untergestützte 
Krücke nicht stehen konnte. In 9 Fällen (Nr. 11, 87, 92, 114, 
128, 130, 157, 275, 633) bestand diese Complication. Sie mag zum 
Theil auf ungleichmässiger Zerstörung der Wirbelkörper beruhen, 
ist aber in der Mehrzahl der Fälle nur eine Folge der Muskel¬ 
schwäche und der unsicheren Haltung vor Consolidation der compen- 
sirenden Krümmungen. Mitunter entwickelt sie sich auch erst nach 
vollständigem Ablauf der Krankheit (Nr. 11, 130, 275). — Die Be¬ 
handlung dieser Complication ist eine verhältnissmässig dankbare. 
Mit Ausnahme von 3 Fällen, die nicht in Behandlung getreten sind, 
haben wir in allen übrigen Beseitigung der Seitenkrümmung bei 
Ausheilung der Spondylitis zu verzeichnen. In 2 Fällen (Nr. 11 


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132 


A. Lüning und W. Schulthess. 


und 130), die längst abgelaufen waren, wurde leichte Gymnastik 
verordnet, bei den anderen je nach dem Stadium des Processes in- 
amovible oder abnehmbare Gypsverbände, resp. Stoflfcorsets und andere 
Portativapparate zur Wiederaufrichtung der Wirbelsäule benutzt. 
Grössere technische Schwierigkeiten bot letztere nur bei Nr. 92, wo 
die Deformität eine so hochgradige und die Contractur eine so starre 
war, dass sie sich anfangs auch in der Suspension nicht beseitigen 
Hess und nach Nachlass derselben die stärksten Verbände zerbrach 
(Patient war ein herculisch gebauter Mann). Erst die Verstärkung 
der Gypscorsets mit Zinkschienen und eine mehr allmähliche Correction 
führte dann zum Ziele, das nach Anlegung von 4 Verbänden nach 
ca. 8 Monaten gänzlich erreicht wurde. 

Einmal (Nr. 399) wurde eine Totalkyphose nach Spondylitis 
lumb. bei einem 9jährigen Jungen Gegenstand der Behandlung (eben¬ 
falls Sayre). 

Seltener (7mal) haben wir den Taylor’schen Apparat ge¬ 
braucht. Mit Ausnahme von Nr. 299, einer 74jährigen Frau mit 
Bronchitis, die ein circuläres Corset nicht ertragen hätte und nicht 
im Bette gehalten werden durfte, geschah dies immer erst in der 
späteren Periode der Behandlung. Die Gründe waren 2mal (Nr. 18 
und 67) rein äussere, ebenso in einem dritten (Nr. 222), weil Patient 
in seine weitentfernte Heimat entlassen werden musste; bei 2 Kindern 
(Nr. 44 und 114), die eine lange Zeit Gypscorsets getragen, wurde 
damit abgewechselt, um die Brust nicht allzulange circulär zu beengen. 
Bei einem ferneren, im Tessin wohnenden Kinde wurde (Nr. 633), 
nachdem die Seitenbiegung durch ein abnehmbares Gypscorset ge¬ 
hoben war, ein Taylor'scher Apparat mit Kopfmast angelegt, um 
die zur Zunahme neigende Buckelbildung energischer bekämpfen zu 
können. Bei einem unbemittelten, ebenfalls sehr entfernt wohnenden 
Jungen endlich (Nr. 370) wurde ein einfacher Tutor ohne Gelenk 
mitgegeben. — 

8 Fälle, und zwar mit einer Ausnahme nur solche, bei denen 
das Wirbelleiden unserer Ansicht nach gänzlich abgelaufen war, er¬ 
hielten sogen. Stoffcorsets, ähnlich den von uns sehr vielfach zur 
Nachbehandlung bei Skoliosecuren verwendeten. Solche Corsets aus 
starkem Drillich werden unter unserer Controlle und nach rationellem 
Schnitt (System Dr. W. Schulthess) exact auf den Körper ge¬ 
arbeitet und seitlich und hinten mit einer Anzahl (4—6) Stahlstreifen 
versteift, die von uns selbst in ungehärtetem Zustande am leicht 


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Aerztl. Bericht über den Zeitraum von der Giündung des Instituts etc. 133 

suspendirten Körper dressirt und nach erfolgter genauer Anpassung 
gehärtet und aufgenäht werden. Das Corset wird hinten, bei stärkerer 
Deformität auch vorn geschnürt; es besitzt vorn die von SchuIt¬ 
hess angegebenen Athmungsschlitze behufs Ermöglichung costaler 
Respiration, drückt nicht auf den Magen wie die gewöhnlichen 
Damencorsets und stützt dabei den Rücken in ausreichender Weise; 
man kann mit ihm (bei Skoliosen!) Verlängerungen des Körpers 
um einige Centimeter fixiren, ohne Hüftbügel und Achselkrücken. 

Die oben erwähnte Ausnahme betrifft eine (Nr. 602) 67jährige 
Dame mit ausgebildetem, aber noch empfindlichem Gibbus, der wegen 
Bronchitis kein starres Corset angelegt werden durfte und doch das 
Aufstehen ermöglicht werden musste. Alle übrigen waren abge¬ 
laufene Spondylitiden schwerster Art und zwar 3 Knaben von 8 bis 
10 Jahren (Nr. 44, 155, 612), 2 Mädchen von 12 bis 15 Jahren 
(Nr. 275 und 474) und eine 28jährige Frau (Nr. 681), alle mit 
starker Gibbusbildung und ausgebildeten compensirenden Krümmungen, 
die, nachdem sie Jahre lang (1 Fall 6 Jahre!) Portativapparate ge¬ 
tragen, nicht auf einmal ohne Stütze gelassen werden konnten. Das 
gilt namentlich bei den noch schulpflichtigen Kindern. Bei diesen, 
wenigstens den Knaben, wird nach einiger Zeit das Corset nur noch 
für die Schulstunden angelegt. Bei einzelnen Fällen, die diese Art 
von Unterstützung von früher getragenen Apparaten her gewohnt 
waren und nicht glaubten entbehren zu können, wurden Achsel¬ 
krücken hinzugefügt; wo immer möglich vermeiden wir diese, den 
unschönen Hochstand der Schultern befördernde Beigabe. Nur in 
einem Falle (Nr. 155), einem äusserst elenden und muskelschwachen 
Knaben mit hochgradigster Deformation des Rumpfes nach Spondy¬ 
litis des 8. Brustwirbels wurden behufs Erzielung einer stärkeren 
Extension die Längsschienen auf gleichfalls ins Corset eingenähte 
Hüftbügel und Beckengurte aufgestützt. — In einem letzten Falle 
(Nr. 345) hatte die Patientin, eine 35jährige Dame, mit vor vielen 
Jahren durchgemachter Spondylitis der unteren Brustwirbelsäule, 
nachdem sie schon lange gewöhnliche Corsets getragen, das Bedürf- 
niss nach stärkerer Unterstützung ihres Rückens und wurde ihr durch 
ein nach diesen Principien gefertigtes Corset entsprochen. — 

Ueber die Behandlung der bei unseren Fällen beobachteten 
Complicationen ist schon oben kurz berichtet; es erübrigt nur 
noch eine Bemerkung über diejenige der Senkungsabscesse. 
Von den 7 vorgekommenen Fällen (1 am Halse, 6 Psoasabscesse) 


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134 


A. Lüning und W. Schulthess. 


wurden 2 bloss bei Consultationen entdeckt, aber nicht behandelt; 
die 5 übrigen sind während unserer Behandlung aufgetreten. In 
einem Falle der 1. Categorie wurde 1 Jahr später spontane Rück¬ 
bildung des Abscesses (vielleicht durch Perforation in den Dann? 
s. o.) constatirt. Von den letzteren waren 4 in poliklinischer Be¬ 
handlung mit inamovibeln Gypscorsets, 1 stationärer Insasse unserer 
Anstalt. Bei letzterem (Nr. 222), einem 7jährigen Knaben aus Grau- 
bündten, der fast 2 Jahre bei uns zubrachte, entwickelte sich der 
Abscess erst, als der kleine Gibbus (letzter Brust- und 1. Lenden¬ 
wirbel) schon unempfindlich geworden, Patient mit amovibeln Corsets 
behandelt wurde und seine Entlassung bevorstand. Da der Abscess 
sehr langsam herunterrückte, aber Schmerzen und leichtes Fieber 
verursachte und das Allgemeinbefinden zu leiden anfing, wurde aus¬ 
nahmsweise zu einer activeren Therapie gegriffen, der Abscess in 
Narkose von einem Querschnitt oberhalb des Lig. Poup. aufgesucht, 
so weit als möglich aufwärts ausgeschabt, ohne Ausspülung drainirt 
und antiseptisch verbunden. Die Secretion wurde bald gering und 
nach einer nochmaligen Ausschabung der fungös gewordenen Fistel 
einige Wochen später konnte der Kleine, 2 ^2 Monate nach der Ope¬ 
ration, mit minimal eiternder Fistel in seine Heimat entlassen werden, 
wo sich letztere bald schloss und Patient sich vollends erholte. 
Mehrere Monate später öfihete sich die Fistel nochmals und stiess 
einen bohnengrossen tuberculösen Sequester aus; seither ist die Hei¬ 
lung perfect geblieben, wie wir uns wiederholt überzeugen konnten. 
— Ausserdem hatten wir nur bei einem Senkungsabscesse am Halse 
(Nr. 263 s. o.) Veranlassung zu operativem Eingreifen, das von 
rascher Heilung gefolgt war. 2 weitere Fälle von Psoasabscess, der 
eine mit beginnender Paraplegie (Nr. 271), der andere mit beginnen¬ 
der Lungentuberculose (Nr. 316) complicirt, konnten aus äusseren 
Gründen nicht für längere Zeit sich bei uns aufnehmen lassen und 
mussten deshalb an ihre heimatlichen Cantonsspitäler gewiesen wer¬ 
den. Bei einem 7jährigen Mädchen (Nr. 381), bei dem nach halb¬ 
jähriger poliklinischer Behandlung mit inamovibeln Gypscorsets ein 
Ueolurabalabscess entstanden war und die mittlerweile (anfangs 1889) 
in Aufnahme gekommene und in der Privatpraxis mehrfach erprobte 
Injection mit Jodoformemulsion proponirt wurde, gelang es leider 
nicht, die Mutter von der Nothwendigkeit dieses Eingriffes zu über¬ 
zeugen und sie zur Aufnahme des Kindes in die Anstalt zu bewegen; 
dasselbe wurde vielmehr ganz der Behandlung entzogen. — 


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Aerztl. Bericht über den Zeitraum von der Gründung des Instituts etc. 135 

Was die Behandlungsresultate betrifft, so kommt natür¬ 
lich zunächst dasjenige quoad vitam in Betracht. Von unseren 
75 Fällen haben wir nur 5 Todesfälle nachträglich in Erfahrung 
gebracht. 2 davon betreffen alte Frauen von 67 und 74 Jahren mit 
chronischer Bronchitis, 2 weitere Knaben, deren Spondylitis ausge¬ 
heilt war, die aber, mehrere Jahre später, anderen tuberculösen 
Leiden erlagen ^). Einzelne weitere Todesfälle mögen uns bei der 
räumlichen Zerstreutheit unseres Materials nicht bekannt geworden 
sein; wir haben die für die Aufstellung einer procentualischen Mor¬ 
talitätsziffer nöthig gewesene Rundfrage schon deshalb unter¬ 
lassen, weil unser Material ein einseitiges und für diesen Zweck nicht 
geeignet ist. Während die vorhandenen Hospitalstatistiken, wenn sie 
nicht gleichzeitig ein grosses poliklinisches Material umfassen, eine 
zu hohe Mortalitätsziffer ergeben, leiden die Statistiken der Ortho¬ 
päden am entgegengesetzten Fehler, da ihnen die schweren Spital¬ 
fälle abgehen. Nicht so leicht irgendwo wie gerade bei dieser oft 
so langwierigen Affection spielen ferner die socialen Verhältnisse eine 
Rolle; in denen sich die Patienten befinden. 

Um dennoch über unser Material eine ziffermässige Rechen¬ 
schaft abzulegen, gruppirt sich dieses folgendermassen: 

Gestorben.5 

Längst abgelaufene, nicht mehr behandelte Fälle . 8 

Geheilt entlassen.25 

Gebessert entlassen.13 

Ungeheilt entlassen (Abscesse).3 

Gar nicht oder vorübergehend behandelte Fälle, von 

denen weitere Nachricht ausbheb.21 

Total 75 

Davon im Ganzen behandelt: 48. 

Abgesehen von dem für den Arzt in erster Linie massgebenden 
Gesichtspunkte der Erhaltung des Lebens und der Wiederherstellung 
der Gesundheit und Arbeitsfähigkeit verlangt nun aber das Laien¬ 
publikum, jedoch auch noch einzelne Aerzte, und zwar namentlich 
vom Orthopäden, eine weitere Leistung, die^ Erhaltung der natür- 
hchen Form der Wirbelsäule, wo nicht gar eine Correction 


*) Dazu kommt noch ein von uns wegen Paraplegie ins Kantonsspital 
Zürich gewiesener ISjähriger Knabe, den wir nicht behandelt haben. 


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136 


A. Lüning und W. Schulthess. 


der bereits eingetretenen Krümmung derselben. Unsere Erfahrungen 
hierüber decken sich durchaus mit der jetzt glücklicherweise wenig¬ 
stens unter den Fachleuten verbreiteten Anschauung, dass eine Ver¬ 
hütung hochgradigerer Verkrümmung allerdings bei frühzeitiger und 
sehr lange fortgesetzter Behandlung und Controlle möglich und zu 
erstreben ist, nicht aber eine Correctur des bereits eingetretenen 
Gibbus. Neuere Untersuchungen und auch unsere, in den ersten 
Jahren des Berichtzeitraumes mit dem Bleidraht abgenommenen 
Curvenzeichnungen, später an einer grösseren Anzahl von Patienten 
längere Zeit durchgeführten Masszeichnungen mit dem Schulthess- 
schen Apparate ergaben unzweifelhaft, dass es uns in diesem Stadium, 
abgesehen von der Schaffung günstigerer Ausheilungsbedingungen 
durch Entlastung, nur noch gelingt, die Ausbildung der compensiren- 
den Krümmungen in functionell und kosmetisch günstiger Weise zu 
beeinflussen (das gilt in erster Linie von der Lateralflexion s. o.), 
dass aber der Winkel des Gibbus dadurch in keiner Weise beein¬ 
flusst wird, ja, dass es uns in einzelnen Fällen trotz langer und 
consequenter Behandlung nicht einmal gelingt, die Zunahme des 
Gibbus aufzuhalten. 

Eine frühzeitige und nicht zu früh ambulante Behandlung der 
Spondylitis leistet nach unserer Erfahrung auch in kosmetischer Be¬ 
ziehung das meiste, und es ist nur zu wünschen, dass dieser Grund¬ 
satz bei Collegen und Publicum noch allgemeineren Eingang finden 
möge, als dies bisher geschehen. — 

m. Capat obstipnm. 

6 FäUe. 

Hiervon fällt zunächst ein Fall (Nr. 385, 12jähriger Junge) 
ausser Betracht, bei dem sich die schiefe Haltung des Kopfes als 
ein Residuum einer kürzlich durchgemachten Polyarthritis heraus¬ 
stellte und auf Verabreichung von Natr. salicyl. ohne weitere ortho¬ 
pädische Massnahmen verschwand. 

Die übrigen 5 Fälle betreffen sämmtlich angeborenen muscu- 
lären Schiefhals, 2mal linker-, 3mal rechterseits. Das Alter der 
Patienten variirte von 5 Wochen bis zu 20 Jahren; 3 waren männ¬ 
lichen, 2 weiblichen Geschlechts. 

In 3 Fällen wurde die Tenotomie des verkürzten Muskels aus¬ 
geführt und zwar sowohl des sternalen als cleidalen Ansatzes; immer 


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Aerztl. Bericht über den Zeitraum von der Gründung des Instituts etc. 137 

die subcutane, bei Kindern in Narkose. Seit der Empfehlung des 
offenen Sehnenschnittes durch Volkmann u. A. sind uns nur 
2 raittelschwere Fälle bei Mädchen (Nr. 444 und 617) von 7 und 
12 Jahren zur Operation zugekommen, bei denen ohnehin die ein¬ 
fache Tenotomie ein genügend befriedigendes Resultat versprach und 
auch erzielte; ausserdem wurde Seitens der Eltern das grösste Ge¬ 
wicht auf Vermeidung einer grösseren Narbe gelegt. Nach reactions- 
losem Wundverlauf wurde vom 3.—4. Tage an Extension am Kopfe 
(im Bette) mit schiefgestelltem Bügel für ca. 14 Tage angewandt, 
hierauf zu activen und passiven redressirenden Bewegungen des 
Kopfes, später auch allgemeiner Rückengjmnastik übergegangen, da 
die Haltung bei diesem Leiden ja immer eine schlechte ist und bei 
älteren Kindern Hals- und Dorsalskoliosen nicht fehlen. Dazwischen 
Lagerung auf der schiefen Ebene mit Gewichtszug an der Hand 
(Esmarch-Petersen). Extension während der Nacht und Gym¬ 
nastik wurde auch zu Hause noch mindestens ^2 Jahr fortgesetzt. 
Im einen der beiden Fälle wurde in der ersten Zeit auch noch eine 
Ledercravatte getragen. Das Resultat war bei beiden Mädchen ein 
sehr erfreuliches und nach Ablauf der Behandlungszeit die DifFor- 
mität bis auf die in diesem Alter schon recht deutliche Asymmetrie 
des Gesichtes, die ja oft nach der Correction der Haltung mehr auf¬ 
fallt, beseitigt. 

Sehr ausgesprochen war diese Asymmetrie bei unserem 3. Ope- 
rirten, einem schon 20 Jahre alten kräftigen Burschen aus Tirol 
mit starker Nacken- und Brustskoliose, der leider nur kurze Zeit 
sich bei uns aufhalten konnte. Bei der ohne Narkose (Nr. 20, im 
Jahre 1883) vorgenommenen Tenotomie spannten sich nach Trennung 
der beiden Insertionen weitere Stränge nach aussen (Platysma, Fascie), 
die ebenfalls vorsichtig von demselben Einstichspunkte aus mit dem 
Tenotom umgangen und durchschnitten wurden. In solchem Falle 
würde heutzutage wohl die offene Aufsuchung vorzuziehen und auch 
von radicalerem Erfolge sein. Immerhin wurde ein erheblicher Theil 
der sehr auffälligen (linksseitigen) Deformität corrigirt; während vor 
der Operation die Distanz vom 

linken Proc. mast, bis Insert, stem. m. sternocl. 12,0 cm 

und rechten „ „ „ „ « n « 15,5 „ 

betrug, ergab die Messung nach der Operation 

vom linken Proc. mast, bis Insert, stern. m. sternocl. 12,5 cm 

„ rechten , „ „ , , „ „ 14,0 „ 


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A. Lüning und W. Schulthess. 


Sehr ausgesprochen war bei diesem Patienten, entsprechend 
seinem Alter von 20 Jahren, die Asymmetrie des Gesichtes, wofür 
folgende vergleichende Maasse angeführt sein mögen: 

Es betrug die Distanz von 

Spitze des Tragus bis Nasenspitze .... links 14,3 cm 

rechts 16,0 „ 

„ „ äusseren Augenwinkel links 8,5 „ 

rechts 9,0 „ 

„ „ „ „ Mundwinkel .... links 11,0 ,, 

rechts 12,0 „ 

Mitte der Augenbraue bis Spina ment. ext. links 13,5 „ 

rechts 14,0 „ 

Eine regelrechte Nachbehandlung konnte leider nur kurze Zeit 
durchgeführt werden, da Patient in seine entfernte Heimath abreisen 
musste; bei der Starrheit seiner Nackenskoliose wären jedenfalls 
Jahre erforderlich gewesen, um eine ordentliche Correction zu er¬ 
reichen; Patient begnügte sich von vornherein mit der durch die 
Operation erreichten und wurde mit einer links etwas höheren Cra- 
vatte aus poroplastischem Filz entlassen. 

In einem weiteren Falle (Nr. 235, 5 Wochen alter Knabe) be¬ 
stand das bekannte Kopfnickerhämatom, das wir, nebenbei bemerkt, 
ausserdem wiederholt poliklinisch und in der Privatpraxis zu beob¬ 
achten Gelegenheit hatten, ohne dass es im Verlaufe zur Contractur 
des Muskels führte. Bei dem betreffenden Kleinen, der mittelst Zange 
entbunden worden, bestand schon bei der ersten Untersuchung, 
5 Wochen p. part., neben dem spindelförmigen harten Hämatom ini 
rechten Kopfnicker bereits eine deutliche Contractur des Muskels, 
ebenso in einem zweiten (Privatpraxis, ebenfalls Zangengeburt). Die 
Behandlung bestand in Massage des Hämatoms und fleissigen pas¬ 
siven Bewegungen durch die Mutter; während unserer Beobachtung 
nahm die Contractur nicht zu; leider ist uns der Fall später aus den 
Augen gekommen. 

Ein letzter Fall (Nr. 129) stammt aus der Privatpraxis von 
Dr. W. Schulthess und wurde sodann poliklinisch vom Institute 
behandelt resp. controUirt. Da derselbe klinisch durchaus den vor¬ 
stehend erwähnten gleich war und durch einen Zufall zur Section 
führte, so war es uns möglich, den heute wieder lebhaft discutirten 
und von Petersen mit Erfolg verfochtenen congenitalen Ursprung 
des musculären Schiefhalses wenigstens in unserem Falle über allen 


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Aerztl. Bericht über den Zeitraum von der Gründung des Instituts etc. 139 


Zweifel sicher zu stellen. Eine kurze Notiz ohne Abbildung des in 
unseren Händen befindlichen Präparates wurde von uns bereits publi- 
cirt (Lüning, Corresp.-Bl. f. Schweizer Aerzte 1888 Nr. 1); die 
wichtigsten Daten daraus mögen hier nochmals folgen. 

Emil Schn. (Nr. 129) wurde im August 1885 durch einen re- 
nommirten Geburtshelfer mit der Zange entbunden. Congenitale 
AflFectionen oder Defecte in der Familie nicht vorhanden, Geschwister 
scrophulös, ein älterer Bruder wird wegen Genu valg. rhachit. gleich¬ 
zeitig von uns behandelt. — 5 Wochen p. part. constatirte der da¬ 
mals consultirte Dr. W. Schulthess einen taubeneigrossen knorpel¬ 
harten Tumor in der Mitte des rechten M. sternocleidomastoideus, 
Gesichtsasymmetrie und deutliche Contracturstellung. Während der 
später von uns eingeleiteten Behandlung, die in Manipulationen und 
Massage seitens der Mutter bestand, bildeten sich scrophulöse Drüsen¬ 
tumoren zu beiden Seiten des Halses, die links zur Abscedirung 
führten. Von der fistulös gewordenen Incisionswunde aus acquirirte 
der Knabe im 5. Lebensmonate, wahrscheinlich von seinem gleich¬ 
zeitig an habituellem Gesichtserysipel leidenden Vater, ein Wander¬ 
erysipel, dem er erlag. 

Bei der am 22. December 1885, 24 Stunden p. m. vorge¬ 
nommenen Section ergab sich uns nun ein sehr auffallender und un¬ 
erwarteter Befund. Nach Blosslegung der Mm. sternocleidom. fällt 
zunächst auf, dass die rechte Clavicularportion stark nach hinten und 
innen gerichtet ist. Bei Drehung des Kopfes nach links spannt sich 
besonders die Clavicularportion, während die Sternalportion sich ent¬ 
spannt. Bei Beugung des Kopfes nach der linken Seite spannen 
sich beide Portionen gleichmässig. Der spindelförmige Tumor im 
Muskel, welch letzterer nirgends Verwachsungen mit der Nachbar¬ 
schaft oder entzündliche Veränderungen zeigt, ist verschwunden, da¬ 
gegen zeigt sich der rechte Kopfnicker um reichlich 2 cm kürzer 
als der linke; ausserdem ist der rechte Cleidomastoideus total 
sehnig, kreuzt sich mit dem Sternomastoideus und hat einen distinc- 
ten Ansatz am Process. mast., der viel deutlicher von der anderen 
Portion separirt ist, als links, wo die gewöhnlichen Verhältnisse 
vorliegen. 

Die Abbildungen (Fig. 1 u. 2) stellen die Ansicht von vom und 
von hinten dar und sind nach dem frischen Präparate gezeichnet. 
Dasselbe wurde, um die Differenz möglichst exact zu illustriren, so 
gewonnen, dass die unteren Insertionen im Zusammenhang mit dem 


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140 


A. Lüning und W. Schulthess. 


oberen Ende des Manubr. stemi und den Stemalenden der Schlüssel¬ 
beine herausgenommen und die oberen Insertionen subperiostal mit 
dem Raspatorium von den Process. mastoid. gelöst wurden. 

Eine mikroskopische Untersuchung des sehnigen M. cleidomastoi- 
deus ist bis jetzt nicht gemacht worden, um das instructive und 
seltene Präparat nicht zu zerstören. Er mag in seinem Innern ein¬ 
zelne Muskelbündel bergen; makroskopisch sieht er völhg wie eine 
Sehne aus, allerdings ohne deren Glanz; schwiehge oder narbige 


Fig. 1. 



Ansicht von vorn. 


Stellen, Inscriptionen oder irgend welche Andeutungen einer früheren 
Rupturstelle sind nicht aufzufinden. 

Der Umstand, dass im vorliegenden Falle der klinische Befund 
am Lebenden sich auch nicht im Geringsten von dem bei anderen 
Torticollisfällen mit Hämatom im ersten Kindesalter unterscheiden 
Hess, während das Sectionsresultat zweifellos für intrauterine Ent¬ 
stehung der Contractur spricht, lässt mit Recht vermuthen, dass der¬ 
gleichen Befunde noch häufiger wären, wenn die Gelegenheit zu 
Sectionen nicht so äusserst selten sich böte; die in neuester Zeit 
auch aus anatomischen Gründen empfohlenen offenen Durchschnei¬ 
dungen lassen natürlich nicht entfernt so genaue Ver¬ 
gleiche zu. Der dem unseren ähnlichste Fall in der Literatur 


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Aerztl. Bericht über den Zeitraum von der Gründung des Instituts etc. 141 

ist der ebenfalls durch die Section im ersten Lebensalter constatirte 
von Heusinger. 

Was die Verallgemeinerung der nach solchen Befunden unbe¬ 
streitbaren Thatsache einer congenitalen Herkunft des Schiefhalses 
durch Petersen betrifft, so bietet unser Material ausser dem ja 
auch sonst genugsam bekannten Vorkommen von Hämatomen ohne 
Contractur keine weiteren Anhaltspunkte für diese Anschauung^). 


Fig. 2. 



Ansicht von hinten. 


Jedenfalls widerspricht es ihr nicht und kann nicht einseitig zu 
Gunsten der Sromeye raschen Theorie verwerthet werden, wenn wir 
zum Schlüsse noch recapituliren, dass von unseren 5 Fällen 3 durch 
Zange und 1 durch Wendung entbunden wurden, während nur 1 ohne 
Kunsthilfe blieb. — 

*) In der Privatpraxis hatten wir Gelegenheit, bei 2 Kindern, einem 
Knaben und einem Mädchen, ein Hämatom im Sternocleidom. zu beobachten, 
und zwar während der ersten Lebenswochen, ohne dass sich später ein Caput 
obstip. ausgebildet hätte. In einem weiteren Falle wurde im Kinderspital 
ebenfalls in den ersten Wochen des Lebens bei einem Knaben ein Hämatom 
festgestellt. Derselbe Knabe hat jetzt (im Alter von 10 Jahren) auf der Seite 
des Hämatoms nicht nur keinen verkürzten, sondern einen geringer entwickelten 
Muskel. Dr. W. Schulthess. 


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142 


A. Lüning und W. Scbulthess. 


IT. Nicht arthrogene Contractnren nnd Paralysen. 

38 Fälle. 

Von diesen entfallen 17 auf das weibliche, 21 auf das männ¬ 
liche Geschlecht. 12 Patienten standen im Alter von 1—5 Jahren, 
12 in demjenigen von 5—10 Jahren, 9 in dem von 10—20 Jahren, 
5 darüber. 

Das Haupteontingent zu dieser Rubrik stellte die essentielle 
Kinderlähmung, 21 Fälle. Von diesen suchten 15 wegen para¬ 
lytischer Fussdeformitäten, meist Pes equinus, unseren Rath. 
Die übrigen G Fälle sind 

Nr. 9. Sjähriges Mädchen. Paralyse und Atrophie des rechten 
Muse, deltoides, Residuum einer ausgedehnteren Lähmung. Nicht 
in Behandlung getreten. 

Nr. 76. Sjähriger Knabe. Totale Paralyse beider Unterschenkel. 
Die Oberschenkelmusculatur functionirt zum Theil. Neuer Stütz¬ 
apparat. 

Nr. 134. Sjähriger Knabe. Paralys. ess. und Atrophie des 
linken Beins mit Genu valgum. Apparat angerathen. 

Nr. 171. lOjähriges Mädchen. Ess. Paralyse des rechten Beines. 
Beginnende Skoliose. Nicht in Behandlung getreten. 

Nr. 575. P/.'jähriges Mädchen. Paral. ess. des rechten Beines, 
vor ^2 Jahr eingetreten. Seither leichte Besserung, keine Contrac- 
turen. Rathschläge an den Hausarzt (Electricität und Massage). 

Nr. 679. Sjähriges Mädchen. Isolirte essent. Paralyse der Mm. 
quadric. femor. beiderseits. Wurde durch Electricität und Massage 
in der Anstalt bedeutend gebessert. 

Unter den 15 paralytischen Fussdeformitäten waren 2mal beide 
Füsse betroffen (Nr. 481, 516), 3 Fälle wurden bloss consultativ gesehen. 
Bei allen bestand entweder Pes equinus oder equino-varus mit Vor¬ 
wiegen der Spitzfussstellung; bloss bei einem einzigen war der Be¬ 
fund ein wesentlich verschiedener. 

Nr. 485. 12jäliriger Knabe. Pes equino-var. paralyt. excavatus. 
Der Fuss steht in leichter, passiv bis zum rechten Winkel redressir- 
barer Plantarflexion und mit leichter Andeutung von Supination. 
Starke Hohlfussbildung durch Abknickung im Tarsus, ähnlich wie 
bei Pes calcaneus paralyt. Beim Versuch, diese Deformität zu be¬ 
seitigen, starke Anspannung der Fascia plantaris. Dieselbe wird 


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Aerztl. Bericht über den Zeitraum von der Gründung des Instituts etc. 143 


tenotomirt und unter bestmöglichem Redressement ein Wasserglas¬ 
schuh angelegt, mit dem Patient herumgeht. Der Plan, durch succesiv 
gesteigertes Redressement und langes Tragen von Qehverbänden, das 
Fussskelett für die spätere Anlegung einer Ledersandale umzuformen, 
wurde leider durch die Ungeduld der unverständigen Mutter vereitelt, 
die den Knaben zu früh der Behandlung entzog. 

Ausser dieser Tenotomie der Fascia plantaris wurde in 4 wei¬ 
teren Fällen (Nr. 56, 140, 538, 586) die Tenotomie der Achilles¬ 
sehne ausgeführt. Wir suchen im allgemeinen die Sehnendurch¬ 
schneidung wenigstens bei jüngeren Kindern beim paralytischen 
Spitzfuss zu umgehen, da dem Redressement durch Verbände und 
Manipulationen meist keine bedeutenden Widerstände entgegenstehen, 
nehmen sie aber in solchen Fällen vor, wo dadurch eine entschiedene 
Abkürzung der Behandlung und namentlich eine frühere Ermög¬ 
lichung des Gehactes erzielt werden kann. Auch wenn schon üeber- 
streckung des Kniegelenkes besteht oder in Folge des Redressements 
im Fussgelenke droht, halten wir die Tenotomie für angezeigt. 

Sowohl nach vorausgegangener Tenotomie, als ohne solche, 
wurde in der Regel ein erster redressirender Verband aus Gyps an¬ 
gelegt, bei der zweiten Categorie in Narkose. Nach ca. 14tägigem Liegen 
desselben ist es fast ausnahmslos leicht, den gewünschten Grad von 
Correction zu erreichen und zu fixiren. Dies geschieht in besonders 
widerspenstigen Fällen nochmals durch Gyps; gewöhnlich wird ein 
bis über die Wade reichender Wasserglasstiefel angelegt und der¬ 
selbe bis zum Festwerden durch übergelegte Gypsbinden garantirt. 
Ein darüber gefertigter leichter Schuh ermöglicht sodann das Herum¬ 
gehen im Freien. Ist auf diese Weise eine leichte passive Dorsal¬ 
flexion ohne erheblichen Widerstand erreicht, so erhalten die Patienten 
entweder in leichteren Fällen einen einfachen Schienenstiefel oder 
einen Lederhülsenverband mit Stahlsohle für den Fuss, und Seiten¬ 
schienen, die bei der häufigen Neigung zu Ueberstreckung im Knie 
über dasselbe hinauf geleitet werden. Dazu nach Bedürfniss ent¬ 
weder elastischen Zug an der Fussspitze zur Dorsalflexion oder einen 
Anschlag am Fussgelenk, der die Plantarflexion verhindert. 

Selbstverständlich wurde, namentlich in frischeren Fällen und 
wo dies bisher noch nicht geschehen war, Massage und Electricität 
mit herangezogen und methodische Dehnung der verkürzten Muskeln 
durch Manipulationen vorgenommen. Ein Fall (Nr. 46) leichterer 
Natur wurde einzig auf diese Weise für die Anlegung des Hülsen- 


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A. Lüning und W. Schulthess. 


Schienenapparates vorbereitet, ein anderer (Nr. 7) mit leichter Atro¬ 
phie und unbedeutendem Spitzfuss besuchte ausserdem die ortho¬ 
pädische Turnstunde behufs methodischer Gehübungen, ein dritter 
(Nr. 390) erhielt nach Absolvirung einer Cur mit Massage und 
Electricität einen Schienenschuh und eine Fussbewegungsmaschine 
zur Uebung der activen Dorsalflexion mit nach Hause. Im Ganzen 
erhielten 6 Patienten (Nr. 41, 29, 46, 140, 390, 538) Scarpa’sche 
Schuhe mit Seitenschienen, 3 (56, 586, 703) Lederhülsenschienen¬ 
apparate, 1 (Nr. 481) mit doppelseitigem Spitzfuss rechts Schienen¬ 
schuh und links Hülsenapparat. Immer wurde im Princip festge¬ 
halten, dass die Correction vor der Anlegung dieser Bandagen ge¬ 
sichert und durch dieselben nur erhalten werden musste. — 

Ein Fall von allgemeiner leichter Atrophie des rechten Beines 
bei einem 2jährigen Mädchen (Nr. 519) gehört vielleicht eher zu 
Luxat. fern. cong. Das Bein ist um 1 cm verkürzt, der rechte Ober¬ 
schenkel um 7 mm, die Wade um 5 mm dünner. Hie und da leichtes 
Hinken, keine Coxitis, keine sicheren Zeichen von Luxat. cong. 
Massage und Electricität, zu Hause angewendet, ohne sichtlichen 
Erfolg. Status 2^/2 Jahre später derselbe. 

Zu den Spitzfüssen gehört endlich noch ein solcher (Nr. 71) 
infolge 6 Jahre alter apoplektischer Paralyse bei einem älteren 
Herrn. Es wurde Schienstiefel mit elastischem Zug empfohlen. — 
Eine abgeschlossene weitere Gruppe bilden 9 Fälle von con¬ 
genitaler spastischer Paralyse (Nr. 101, 116, 149, 184, 193, 
294, 448, 599, 614), sämmtlich Kinder im Alter von 1V 2 —IO Jahren. 
4 Mädchen und 5 Knaben. Mit einer Ausnahme (Nr. 599) handelte 
es sich immer um das typische Bild, meist der rein spinalen und 
auf die unteren Extremitäten beschränkten spastischen Gliederstarre 
mit Adductionsstarre und Einwärtsrotation der Oberschenkel, leichter 
Flexionsstarre der Kniegelenke und Plantarflexionsstarre der Fuss- 
gelenke, die in den Fällen, wo das Gehen überhaupt erlernt wurde, 
was nur bei zweien nicht der Fall war, zu dem bekannten steifen 
Zehengang mit emporgezogenen Fersen, gekreuzten und sich reiben¬ 
den Knieen geführt hatte. Als wichtigstes ätiologisches Moment 
wurde bei 7 Fällen mit Bestimmtheit Frühgeburt (einmal künstliche) 
angegeben. Die Intelligenz war in 2 Fällen bedeutend, in 3 anderen 
weniger stark reducirt, bei den übrigen vollkommen intact. 2 Fälle 
zeigten Strabismus, 3 Betheiligung der oberen Extremitäten, wenn 
auch immer in weit geringerem Masse, als der unteren. Bei 


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Aerztl. Bericht über den Zeitraum von der Gründung des Instituts etc. 145 

3 Patienten war die AflFection auf eine ünterextremität beschränkt 
(Nr. 149, 294, 599). 

Bei der Unheilbarkeit der zu Grunde liegenden spinalen resp. 
cerebralen Läsionen kann es sich nur darum handeln, den Kindern 
einen selbständigen, wenn auch immer unsicher und tappig bleiben¬ 
den Gehact zu verschaflPen, resp. denselben zu bessern und den Schul¬ 
besuch zu ermöglichen. Soweit wir die Kleinen nicht für längere 
Zeit bei uns aufnehmen und selbst behandeln konnten, wurden die 
Mütter in der Vornahme der nöthigen Manipulationen und der Mas¬ 
sage unterrichtet und dieselben angewiesen, diese Massnahmen Jahre 
lang fortzusetzen, um wenigstens einer Zunahme der Contracturen 
entgegenzuarbeiten. Einige dieser Kinder haben wir, zum Theil lange 
Zeit, in der Anstalt gehabt und mit constantem Strom, Faradisation 
der nicht contrahirten Muskeln, Massage, systematischer Dehnung 
der spastischen Muskelgruppen durch passive Bewegungen, active 
Bewegungen, Gehübungen behandelt. Trotz aller Ausdauer waren 
die Resultate bescheidene, immerhin waren entschiedene Besserungen 
zu constatiren. Ein Gjähriges Mädchen (Nr. 101), das unsicher ging 
und sehr viel hinstürzte, lernte wenigstens soviel gehen, dass es 
regelmässig die Schule besuchen konnte, ein 1 Vs jähriger Junge 
(Nr. 184), der nur stehen konnte und auch starke Spasmen der 
Fingerflexoren und Ellbogenbeuger aufwies, wurde in letzterer Be¬ 
ziehung erheblich gebessert, lernte Gegenstände ergreifen und fest- 
halten und wurde auch im Gehen soweit gefördert, dass er jetzt 
selbständig und ohne zu kreuzen geht. Leider zeigten gerade diese 
beiden Fälle gleichzeitig schwere rhachitische Skoliosen, die von der 
Behandlung unbeeinflusst blieben und sich später zu Hause ver¬ 
schlimmerten. — Auch bei 2 poliklinisch behandelten Fällen (116, 
614) wurde eine leichte Besserung des Ganges erzielt. — 

Bei den ausgebildeten, doppelseitigen Fällen haben wir auf 
Schienenapparate, elastische Züge etc. von vornherein verzichtet, da 
dieselben die Spasmen geradezu hervorrufen. Ein Sjähriger Knabe 
(Nr. 149), schon in früher Jugend ohne Erfolg tenotomirt und noch 
im 8. Jahre mit deutlich spastischem Gang, musste 6 Jahre später 
(1891) wegen Pes equino-varus von uns tenotomirt werden; der 
spastische Charakter der Paralyse hatte sich im Laufe der Jahre 
wesentlich verringert, nur im Knie bestand noch etwas Flexionsstarre 
und im Hüftgelenk Beschränkung der Aussenrotation, die durch 
Massage und passive Bewegungen fast völlig behoben wurden. Patient 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. II. Band. JQ 


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A. Lüning und W. Schulthess. 


geht jetzt sehr gut mit Hülsenschienenapparat, ebenso ein 2j*ähriger 
Junge mit ebenfalls bloss einseitiger AflFection (Nr. 599), bei dem 
der spastische Charakter weniger ausgesprochen war und das erste 
Redressement durch Gypsverband geschah. In beiden Fällen wird 
im Apparate die Ferse durch das Hessing*sehe Bändchen nach unten 
extendirt. 

2 Fälle (193, 448), Knaben von 8 und 10 Jahren, mit vermin¬ 
derter Intelligenz imd ausser Stande zu gehen, treten nicht in Be¬ 
handlung. 

Von auf die obere Extremität beschränkten Contracturen kamen 
zur Beobachtung: 

Nr. 98. 3jähriges Mädchen. Traumatische Biceps-Contractur 
nach Fract. cond. int. hum. Durch passive Bewegung geheilt. 

Nr. 99. 62jährige Frau. Schlecht geheilte Radius-Fractur, 
10 Wochen alt. Contractur der Fingerflexoren. Massage, Elektricität 
Manipulationen, Schiene. Erheblich gebessert. 

Nr. 120. 13jähriges Mädchen. Contractur des rechten Schulter¬ 
gelenks (Caries sicca?). Besserung durch Gymnastik. 

Endlich wurden noch ein Spasmus des N. accessor. und eine 
Parese des rechten Muse, serrat. beobachtet, die beide nicht in Be¬ 
handlung traten. 


y. Congenitale Luxationen und Defecte. 

7 FäUe. 

Sämmtliche Fälle betreffen Luxat. femor. congenita und aus¬ 
schliesslich weibliche Patienten. Das Alter war in 4 Fällen 2—3 
Jahre, in 2 7 und 10, in 1 30 Jahre. Das Leiden bestand 3mal 
rechts (Nr. 63, 159, 327), Imal links (Nr. 244) und war in 3 Fällen 
doppelseitig (Nr. 332, 563, 578). 

Unter diesen letztem waren zunächst 2 Kinder, die zur Dia¬ 
gnose vorgestellt wurden, da der watschelnde Gang auffiel. Zu thera¬ 
peutischen Massregeln gaben sie keinen Anlass, da das Leiden auf 
beiden Seiten gleichmässig entwickelt und die Schenkelköpfe nicht 
erheblich abnorm beweglich waren. Wir empfehlen in solchen Fällen 
nur Schonung und Controlle. 

Bei einer erwachsenen, gleichzeitig mit hochgradiger Skoliose 
behafteten Dame, deren Gang sich verschlechtert hatte und mühsam 


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Aerztl. Bericht über den Zeitraum von der Gründung des Instituts etc. 147 

geworden war, da die Schenkelköpfe sich stark nach oben verschoben, 
haben wir versucht, durch ein Corset mit Hüftpelotten Erleichterung 
zu verschaflFen, was aber nicht gelang. 

Von den 4 einseitigen Fällen traten 3 in Behandlung, und er¬ 
hielt ein lOjähriges Mädchen mit 6 cm betragender Verkürzung 
(Nr. 63) einen Tutor mit Pelotte über dem Trochanter, die sich 
gegen eine Achselkrücke stützte. Sie ging damit besser und zeigte 
nach 1 jährigem Tragen geringere Verschiebung des Trochanters beim 
Gehen und Reduction der Verkürzung auf 5 cm. 

Ein 2jähriges Mädchen (Nr. 244) mit 2 cm Verkürzung, wurde 
zunächst 2 Monate mit Gewichtsextension behandelt, bis sich die 
Differenz durch leichten Zug ausgleichen liess, dann erhielt es eine 
Taylor *sche Extensionsschiene, mit der es bald zu gehen lernte, und 
nach Gmonatlichem Aufenthalte im Institut entlassen wurde; Nachts 
wurde die Gewichtsextension fortgesetzt. Ein Jahr später zeigte es 
2 cm Verkürzung ohne, 1 cm mit Extension, keine merkliche Atro¬ 
phie. Da die Kleine auch ohne Apparat gut ging, wurde derselbe 
alsdann, wohl zu früh und gegen unsern Rath, weggelassen. 

Ein 3jähriges Mädchen (Nr. 159) endlich mit 2 cm Verkürzung, 
das bereits ein von anderer Seite verordnetes Corset mit Hüftpelotte 
und Achselkrücke trug, bei dem eine übermässige compensirende 
Skoliose sich zu entwickeln drohte, erhielt zuerst von uns ein ab¬ 
nehmbares Wasserglascorset, das auch den Trochanter pelottenartig 
fixirte. Trotzdem war 4 Jahre später die Verkürzung auf 3,5 cm 
fortgeschritten. Da wir mittlprweile in Stand gesetzt waren, die 
Hessing’schen Schienenhülsenapparate hier anfertigen zu lassen, er¬ 
hielt Pat. nun einen solchen Apparat, den sie seither trägt und 
der vollkommen befriedigt. Auch in einigen andern Fällen, die nicht 
mehr in den Zeitraum des Berichtes fallen, haben wir seither den 
Hessing'sehen Apparat verwendet, und können ihn als den weitaus 
leistungsfähigsten für dieses Leiden aufs Beste empfehlen. 

VI. Hüftgelenke. 

10 Fälle. 

Mit Ausnahme einer Erwachsenen sämmtlich Kinder unter 
10 Jahren, darunter 2 Knaben. 

In allen Fällen handelte es sich um tuberculöse Coxitis, 
meist der Anfangsstadien, bloss bei 2 um Destructions-Luxation, die 


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A. Lüning und W. Schulthess. 


beide resecirt wurden. 6 Fälle wurden consultativ behandelt, davon 
1 ins Cantonsspital empfohlen, bei den übrigen meist Gewichtsexten¬ 
sion zu Hause angerathen. 

3mal wurde die Resection des Hüftgelenks ausgeführt: 

Nr. 88. Gjähriges Mädchen. Seit 2 Jahren abgelaufene Coxitis 
mit vernarbter Fistel. Schmerzlose Ankylose in Luxationsstellung, 
rechtwinkliger Flexion des Hüftgelenks, starker Adduction und Ein¬ 
wärtsrotation. Geht stark hinkend mit Stock. Die Trochanterspitze 
überragt um 3,5 cm die Roser-N^laton’sche Linie. Verkürzung (von 
Spina ant. sup. — mall. ext. gern.) 6,5 cm, starke Atrophie. Resectio 
coxae. Der stark destruirte Schenkelkopf findet sich mit dem hintern 
Pfannenrande fibrös ankylosirt, das Gelenk verödet. Decapitation 
mit Erhaltung des grossen Trochanters. Heilung p. pr. bis auf die 
einige Wochen leicht secemirende Drainfistel (Secretstauung durch 
den Trochanter). Gewichtsextension mit starker Abduction, zu Hause 
noch fortgesetzt. Definitive Verkürzung 2,5 cm, geht und läuft 
flink ohne Stock. 

Nr. 135. lOjähriges Mädchen, Coxitis tuberculosa, einige Monate 
in der Anstalt mit Extension behandelt. Wegen Abscedirung, Fieber 
und zunehmender Schmerzhaftigkeit Resectio coxae mit Entfernung 
des grossen Trochanters, Auslöffelung der erkrankten Pfanne und 
der bis zur Mitte der Diaphyse erkrankten Markhöhle. Heilung (zu 
Hause) erst nach langwieriger, jahrelanger Eiterung (Perforation ins 
Rectum) und wiederholten Auslöffelungen. Dank der sorgfältigen 
Nachbehandlung durch die Eltern mit Gewichtsextension bloss 1V* cm 
Verkürzung. Hat sich jetzt vollkommen erholt und geht kaum 
hinkend. 

Nr. 682. 4jähriger Knabe. Spitzwinklige schmerzhafte Anky¬ 
lose im Hüftgelenk, Trochanter die R. N.*sche Linie überragend. 
Kein Fieber, keine Abscesse nachweisbar. Der Kleine ist ausser 
Stande, zu gehen, und liegt seit Jahren mit flectirten Knien und 
Hüftgelenken. Bei der Resection findet sich der zu einem pilzförmigen 
Stummel destruirte Kopf in der Pfanne, letztere perforirt; es entleert 
sich ein grosser Abscess von der Innenseite der Pfanne, der nach 
Entfernung eines grossen Theils der letztem und Absägung des 
grossen Trochanters durch die Wunde drainirt wird. Rascher reactions- 
loser Heilung der Wunde folgt später eine nochmalige Ansammlung 
des Abscesses in der Fossa iliaca int., der sich dann durch Perforation 
in den Darm entleert, und (zu Hause) unter Perforation in der 


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Aerztl. Bericht über den Zeitraum von der Gründung des Institute etc. 149 

Lumbalgegend nach aussen schliesslich völlig ausheilt Der bis da¬ 
hin in Gewichtsextension gehaltene Kleine erholt sich dann rasch 
und erhält eine Taylor’sche Schiene, mit der er bald flink läuft 
und die er zur Zeit (1 Jahr später) noch trägt. Verkürzung 1 cm. 

Endlich bleibt noch ein 7jähriges Mädchen zu erwähnen, dessen 
Coxitis peracut im unmittelbaren Anschluss an Morbilli auftrat, später 
aber ganz den Verlauf einer chronisch-tuberculösen erhielt. Sie 
wurde mit Extension, Gypsverbänden, zuletzt ambulant mit Hessing*s 
(von ihm selbst angefertigtem) Schienenhülsenapparat behandelt. Die 
R^section ist umgangen, das Resultat Ankylose in vollständig correcter 
Stellung ohne Verkürzung. 


Yn. Kniegelenk. 

21 Fälle. 

15 Patienten dieser Kategorie litten an Genu valg. rhachit. 
und zwar mit einer Ausnahme (Nr. 264) an doppelseitigem; ihr 
Alter schwankte zwischen 1^2 und 5 Jahren. Die Behandlung ge¬ 
schah meistens poliklinisch, mehrere der Fälle waren sehr leichter 
Natur imd wurden, wenn es sich um ganz kleine Kinder handelte, 
lediglich durch gegen die Rhachitis gerichtete Therapie (Soolbäder, 
Phosphoremulsion etc.), verbunden mit leichter Massage der Beine 
geheilt. Einige wurden überhaupt nur zur Abnahme von Controll- 
zeichnungen vorgestellt. 

Bei grossem Kindern und in schwerem Fällen wurde Redresse¬ 
ment in Narkose und Gypsverband angewandt und die Verbände bis 
zur Erreichung genügender Correction erneuert; das Gehen mit den¬ 
selben gestatten wir nicht; nach Wegfall der Verbände wurden für 
’ die ersten Gehversuche und die Nacht noch einige Zeit leichte 
Gypsschienen mit Flanellbinden angewickelt. 

Einmal (Nr. 136) geschah die Behandlung mittelst des elasti¬ 
schen Heftpflasterzuges an der Innenseite (Länderer), der Verband 
erfordert aber viel mehr üeberwachung und eignet sich somit weniger 
für die poliklinische Praxis. 

Ein schon 6jähriges, mit starken rhachitischen Verkrümmungen 
(darunter Skoliose) behaftetes Mädchen (Nr. 546) erhielt eine (doppel¬ 
seitige) Genu valg. — Maschine mit durch Schraube regulirbaren 
Kniegelenken. 


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A. Lüning und W. Schulthess. 


In einem sehr widerspenstigen Falle (Nr. 55. 8 ^/ 2 jähriger Knabe) 
wurde beiderseits das Brisement forc^ nach Delore ausgeführt. 
Leider musste die Nachbehandlung poliklinisch geschehen, wurde 
von den in dürftigen Verhältnissen lebenden Eltern nicht richtig ge- 
handhabt und konnte von uns nicht genügend controllirt werden, so 
dass das Resultat nicht den Bemühungen entsprach. 

Ein eigenthümlicher und nicht ganz aufgeklärter Befund er¬ 
gab sich bei einem 2jährigen rhachitischen Knaben (Nr. 264), näm¬ 
lich ein (einseitiges) hochgradiges Genu valgum, das durch seitliches 
Schlottern nach aussen einer bedeutenden Steigerung fähig war, so 
dass Ober- und Unterschenkel mit ihren Aussenflächen nahezu recht¬ 
winklig gegen einander standen. Bei genauerer Abtastung des 
Gelenkes in stark flectirter Stellung fiel eine im Vergleich zur ge¬ 
sunden Seite sehr zurückgebliebene Entwickelung des Condyl. ext. 
femoris, sowie abnorme Kleinheit der Patella auf. Es dürfte sich, 
da die Anamnese negativ ist, um einen congenitalen Defect handeln. 
Durch lineare supracondyläre Osteotomie wurde Correction erzielt, 
jedoch muss der Knabe wegen des seitlichen Schlottems einen Tutor 
mit Kniekappe tragen. 

Bei dem einzigen statischen Genu valgum unserer Beobachtung, 
einem beginnenden rechtsseitigen bei einem 18jährigen Lehrling, 
genügte redressirender Gypsverband und nachherige Massage zur 
Beseitigung (Nr. 374). 

Die restirenden 5 Fälle betreffen Flexionscontracturen, resp. 
-ankylosen des Kniegelenkes. 

Nr. 463. Ojähriges Mädchen. Gonitis chron. tuberc. Nach ver¬ 
geblicher Application von Massage, Jod, Gypsverbänden ungeheilt 
aus der Behandlung weggenommen (poliklinisch). 

Nr. 507. Contractur nach acutem Gelenkrheumatismus zurück¬ 
geblieben. Ziemliche Atrophie des Ober- und Unterschenkels. Durch 
Elektricität, Massage und Bewegung gebessert. 

In 2 Fällen von rechtwinkliger Flexionsankylose des Knies 
nach abgelaufener tuberculöser Gonitis haben wir die Resection des 
Kniegelenkes ausgeführt. 

Nr. 297. 20jähriger Mann, hat in der Kindheit Gonitis durch¬ 
gemacht. Rechtwinklige Ankyl. genu spuria mit sehr starker 
Atrophie und Verkürzung des Beines. Kann nur mit Sitzstelze müh¬ 
sam gehen. Ty})ische Resection mit vorderem Querschnitte, Erhal¬ 
tung der Patella, Abtragung möglichst flacher Scheiben von den 


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Aerztl. Bericht über den Zeitraum von der Gründung des Instituts etc. 151 

Gelenkenden, oflFene Tenotomie der Flexorensehnen, bis die Streckung 
gelingt. Knochennaht, Naht des Lig. patell. Heilung per prim. 
Trägt dann 1 Jahr Gyps-, resp. Wasserglashülsen bis zur Erzielung 
knöcherner Ankylose. Verkürzung 8 cm (wurde vor der Operation 
auf 10 cm veranschlagt), geht jetzt sehr gut mit hoher Sohle ohne 
Stock. 

Nr. 561. 12jähriger Knabe. Rechtwinklige knöcherne Anky¬ 
lose nach ausgeheilter Caries genu mit Fistelbildung in der Wade. 
Geht mit Krücken. Bei der Kesection erweist sich die Ankylose als 
durch knöcherne Verwachsung der Patella bedingt; nach Absprengung 
derselben, die erhalten wird, gelingt indessen die Streckung der stark 
nach hinten abgewichenen Tibia erst nach Anfrischung der Gelenk¬ 
enden ziemlich schwer. Heilung der Operationswunde p. pr., da¬ 
gegen bricht die Wadenfistel nochmals auf und entleert nach längerer 
Eiterung einen kleinen (alten) Sequester. Resultat: Verkürzung 3 cm, 
leichte Valgusstellung, knöcherne Ankylose noch nicht völlig er¬ 
reicht. Patient geht zur Zeit noch sehi: gut und ohne Stock, mit 
einer abnehmbaren Wasserglashülse. 

Bei einer älteren Dame endlich, mit Ankyl. angul. genu und 
hochgradigster Verkürzung des ganz atrophischen und unbrauchbaren 
Beines wurde, da nur die Amp. fern, in Frage kommen konnte, aber 
nicht acceptirt wurde, eine Sitzstelze beschafft. — 


VIII, Bhachitis. Bhachitisehe Curvaturen. 

23 Fälle. 

Bei 2 Kindern von 1 Jahr bestand allgemeine Rhachitis ohne 
Curvaturen, ebenso bei einem 4^2jährigen Knaben zurückgebliebene 
Entwickelung nach Rhachitis. Es wurden dem entsprechend bloss 
Rathschläge für die Allgemeinbehandlung ertheilt (Phosphor, Sool- 
bäder, Diät etc.). 15mal (9 Mädchen, 6 Knaben) waren die unteren 
Extremitäten Sitz der Verkrümmung und zwar immer doppelseitig; 
13mal hauptsächlich die Unterschenkel, 2mal Unter- und Ober¬ 
schenkel, fast alle waren Kinder von IV 2 —3^2 Jahren. 

Bei 5 der letzteren waren die Verkrümmungen nicht der Art 
und nicht so erheblich, um orthopädisches Eingreifen erforderlich 
zu machen. Wir begnügten uns hier mit Behandlung des Allgemein¬ 
zustandes und periodischen ControUzeichnungen der Profile, die in 


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A. Lüning und W. Schulthess. 


lange genug verfolgten Fällen die bekannte spontane Streckung der 
Curvaturen harmloserer Art ergaben. In keinem der Fälle musste 
im Verlaufe zu Schienen oder Verbänden gegriffen werden, ein fer¬ 
nerer, der bereits eine nicht mehr passende Schiene trug, wurde 
ebenfalls davon dispensirt und bloss controllirt. 

Ein 2jähriges Mädchen (Nr. 21) mit noch florider Rhachitis 
und leicht federnder Curvatur der Unterschenkel wurde in Narkose 
manuell redressirt und eingegypst. Unter gleichzeitiger Allgemein¬ 
behandlung waren nach 10 Wochen die Beine soweit gerade, dass 
die Kleine ohne Schiene entlassen werden konnte, bei fortgesetzter 
Controlle. Sonst wurden nachgiebige Curvaturen der Unterschenkel 
namentlich bei Kindern, die noch nicht gehen konnten, mit Gyps- 
tricotschienen behandelt. Bei gleichzeitiger stärkerer Verkrümmung 
auch der Oberschenkel wurde ein Doppelapparat mit Beckengurt und 
gegliederter Aussenschiene angewandt, gegen welche die Scheitel der 
Curvaturen mit Bändern angezogen werden (Nr. 567 2jährige8 Mäd¬ 
chen, noch in Behandlung), 

In denjenigen Fällen, wo es sich um die bekannte säbelscheiden¬ 
förmige Abplattung der Tibia mit Knickung über die vordere Kante 
und starker Torsion des unteren Drittheils handelte, haben wir, 
wenigstens bei älteren Kindern mit schon festen Knochen ausnahms¬ 
los, aber auch bei solchen unter 2 Jahren, wenn die Abknickung 
sehr ausgesprochen war, die Osteotomie angerathen, als das schonend- 
ste, wirksamste und kürzeste Verfahren. Einigemal wurde vorher 
das (manuelle) Brisement versucht; zufällig gelang dasselbe in keinem 
der Fälle. 

Es wurden im Ganzen 6 Osteotomien an 3 Patienten verrichtet 
(Nr. 27, 61, 137), von denen der erstere grösseres Interesse bietet. 

Nr. 27. lljähriges Mädchen, bis vor kurzem in Australien lebend, 
und dort ohne Behandlung gewesen. Die rhachitisch verkrümmten 
Ober- und Unterschenkel bilden zusammen ein enormes Genu varum 
mit so starker Torsion, dass die beiden Füsse vollständig nach innen 
gegen einander sehen. Gang infolge dessen sehr mühselig, da Beine 
und Füsse sich kreuzen. Besonders schlecht geht Treppensteigen. 

Lineare Osteotomie des Caput tibiae als des Hauptsitzes der 
Torsion erst links, dann rechts mit 3wöchentlichem Intervall und so¬ 
fort angelegtem Gypsverband. Heilung unter Jodoformschorf. Nach 
8 Wochen Gehübungen. Die Eltern sind mit dem Resultat so zu¬ 
frieden, dass sie auf die für später in Aussicht genommene Osteo- 


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Aerztl. Bericht Über den Zeitraum von der Gründung des Instituts etc. 153 

tomie der Oberschenkel verzichten. Einige Schwierigkeiten bereitet 
dem Kinde das Erlernen des ungewohnten Gehactes mit nach vom 
sehenden Füssen. Circa 2 Jahre später gelegentlich einer Consul- 
tationsreise in seiner Heimat gesehen, zeigt das Mädchen einen 
sicheren imd ausdauernden, wenn auch infolge der noch bestehenden 
Curvatur der Oberschenkel unschönen Gang und läuft flink treppauf 
und treppab. 

Die übrigen beiden doppelseitigen Osteotomien (Nr. 61, 137) 
betreffen 2- und 3jährige Mädchen und wurden beide an der oberen 
Grenze des unteren Drittels der Unterschenkel lineär ausgeführt. 
Das erreichte kosmetische und functioneile Resultat war bei beiden 
sehr ^t und weitere Behandlung mit Schienen oder Apparaten nicht 
mehr erforderlich. 

In 2 weiteren Fällen (Nr. 73 und 709), wo nur die Osteotomie 
in Frage kommen konnte und angerathen wurde, konnten sich die 
allzu ängstlichen Eltern nicht dazu entschliessen. Es ist merkwürdig, 
wie bereitwillig manche Leute sind, ihre Lieblinge den Plagen und 
Martern einer langwierigen und im Resultate mindestens unvoll¬ 
kommeneren Maschinenbehandlung auszusetzen und wie zaghaft sie 
vor dem schmerzlosen und prompt wirkenden, heutzutage total un¬ 
gefährlichen operativen Eingriffe zurückschrecken. — Auch in einem 
3. Falle (Nr. 608 1V«jähriger Knabe), bei dem die (manuelle) Osteo- 
clase versucht worden, aber sich als unausführbar erwiesen hatte, 
wurde die schon ertheilte Einwilligung zur Osteotomie wieder zurück¬ 
gezogen. — 

Die 5 restirenden Fälle dieser Gruppe betreffen rhachitische 
Deformitäten des Thorax. 2mal rhachitische Hühnerbrust (Nr. 153, 
391), 2mal rhachitische Rippen Verkrümmungen (Nr. 291, 205), Imal 
asymmetrische Trichterbrust (Nr. 208). Von der Behandlung mit 
Apparaten wurde hier vollständig abgesehen, gewöhnlich eine ge¬ 
eignete Gymnastik empfohlen und zum Theil auch in der Anstalt 
durchgeführt, leider gewöhnlich nicht lange genug. Bei dem (9jäh- 
ligen) Mädchen mit Trichterbrust, das gegen 4 Jahre die orthopädische 
Turnstunde besuchte, ist die erreichte Besserung bei Vergleichung 
der genommenen Abgüsse evident. 


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A. Lüning und W. Schulthess. 


IX. Klumpfuss und Plattfass. 

21 FäUe. 

Davon entfallen 11 auf die Kategorie des Klumpfusses und 
zwar ausschliesslich des congenitalen; die paralytischen Spitz- 
und Klumpfüsse sind sub IV. besprochen. Dem Alter nach mit 
einer Ausnahme (Nr. 708. 14jähriger Knabe) zwischen 14 Tagen 
und 6 Jahren sich haltend, dem Geschlechte nach 9mal männhch 
und 2mal weiblich, waren unsere Fälle 3mal einseitig, alle übrigen 
doppelseitig. 

5 Fälle kamen schon in den ersten Lebensmonaten zur Behand¬ 
lung, welche wir, was heute kaum mehr ausdrücklich gesagt zu 
werden brauchte, wenn nicht immer noch gelegentlich dagegen ver- 
stossen würde, so früh als möglich, schon in den ersten Lebens¬ 
wochen beginnen. 

Ein Fall (Nr. 78) war so unbedeutend, dass die zu Hause be¬ 
reits eingeleitete Schienenbehandlung durch Manipulationen ersetzt 
werden konnte; ein zweiter (14 Tage alter Knabe), der dadurch 
interessant war, dass die Aussenseite des rechtsseitigen Pes varus 
eine congenitale geheilte Drucknarbe aufwies, im übrigen ebenfalls 
ein leichterer Fall, wurde mit Guttaperchaschienchen und Heftpflaster 
zur Heilung gebracht. In allen übrigen Fällen bei ganz kleinen 
Kindern wurde die von Dr. Schulthess angegebene Schiene zur 
Anwendung gebracht. 

Bei der Construction waren folgende Gesichtspunkte mass¬ 
gebend : 

Zurückführung des Klumpfusses von der fehlerhaften in eine der 
normalen möglichst naheliegende Stellung und ein mechanischer 
Zwang, diese Stellung möglichst lange beizubehalten oder möglichst 
oft einzunehmen, das sind in kurzen Worten die heute geltenden 
Principien der unblutigen Klumpfussbehandlung; also Redressement 
und Fixation. 

Sämmtliche Methoden sind Modificationen dieser Principien. 

Entweder redressirt man einmal und fixirt die Stellung für längere 
Zeit, schliesst somit die Function gänzlich aus. Oder man redressirt 
in Etappen und verfährt in gleicher Weise mit der Fixation. Oder 
endlich man redressirt öfter, z. B. täglich und fixirt jeweilen nach 
der Manipulation. So verfährt die Schienenbehandlung, als deren 


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Aerztl. Bericht über den Zeitraum von der Gründung des Instituts etc, 155 

bester Repräsentant für den Klumpfuss des Neugeborenen unstreitig 
diejenige aus plastischem Filz genannt werden muss, welche aller¬ 
dings eben so gut aus massig starkem Draht hergestellt werden kann, 
der hernach mit Flanell umwickelt werden muss. Eine ähnliche 
Schiene hat Beely angegeben. 

Alle die beim Neugeborenen anzuwendenden Schienen sind aber 
nur zur Fixation des Fusses in einer Stellung bestimmt, einer Stel¬ 
lung, in welche er durch die Hand gebracht worden ist. Nur die 
bei älteren Klumpfüssigen angewendeten Maschinen ahmen dem 

Fig. 3. 


d a c 



Mechanismus theilweise des Redressements, theilweise der normalen 
Chamierbewegung im Fussgelenk bis zu einem gewissen Grade nach. 
Ersteres geschieht durch verstellbare Sohlen, letzteres durch die ge¬ 
wöhnlichen Chamiergelenke der Seitenschienen. 

Die Schulthess’sche Schiene für Neugeborene hat den dop¬ 
pelten Zweck, selbst zu redressiren und die redressirte Stellung bis 
zu einem gewissen Grade zu fixiren. Soll aber eine Schiene redres¬ 
siren, so ist das erste Erfordemiss, welches sie zu erfüllen hat, das, 
dass sie sich der ursprünglichen Stellung des deformirten Theiles 
möglichst genau anpasse. Sie muss also selbst „klumpfüssig“ sein. 
In zweiter Linie muss verlangt werden, dass sie sich dem Gang des 
Fusses während des Redressements anzuschmiegen im Stande sei 
(s. Fig. 3 und 4). 

Beistehende Abbildungen zeigen, in welcher Weise die Schiene 
diese beiden Forderungen erfüllt. Sie besteht aus einem Schuh, 


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A. Lüning und W. Schulthess. 


besser gesagt geränderter Sohle aus Blech, mit weichem Leder über¬ 
zogen und einer Unterschenkelinnenschiene, die ebenfalls aus Blech 
hergestellt und innen etwas gepolstert und mit Leder überzogen ist. 

Die Sohle trägt auf ihrer unteren Fläche 2 Haken zur Be¬ 
festigung der Binden, mit welchen das Füsschen auf der Sohle fixirt 
wird (s. Fig. 4 h und Aj). 

Die nothwendige Verbindung von Sohle und Schiene wird 
durch 2 Oesen vermittelt (s. Fig. 3 und 4 a und 6), welche am 
unteren Ende der vorderen, bezw. hinteren Kante der Schiene so an- 


Fig. 4. 



e b 


gebracht sind, dass ihre Verbindungslinie nach Anlegung des Appa¬ 
rates das Fussgelenk schief von hinten unten nach oben und vom 
durchschneidet. Beide Oesen sind quer zur Richtung des Unter¬ 
schenkels gestellt. In diesen Oesen bewegen sich 2 Drähte, deren 
einer von der Ferse (s. Fig. 3 und 4 e), der andere von einer dem 
Ballen der grossen Zehe entsprechenden Stelle der Blechsohle aus¬ 
geht (s. Fig. 3 und 4 c). Die beiden Oeseü (a und b) werden so 
die Dreh- und Stützpunkte für die Bewegungen der Sohle. Der 
vordere der genannten Drähte (c) muss selbstverständlich länger sein 
wie der hintere (e), weil der vordere Theil des Fussrandes bei der 
Drehung auch einen weiteren Weg zu beschreiben hat. Diese eben 
angegebene Construction der Verbindung der beiden Schienenstücke 
bringt es mit sich, dass die Sohle in 2 Hauptpositionen zur Schiene 
gestellt werden kann, welche in den beistehenden Bildern dargestellt 
sind. In der ersten (s. Fig. 3) steht die Fläche der Sohle annähernd 
parallel zur Unterschenkelaxe, sie ist fast vollständig nach innen 


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Aerztl. Bericht über den Zeitraum von der Gründung des Instituts etc. 157 


gewendet, dabei auch nach innen gesenkt, entsprechend der Stellung, 
welche die Sohle eines schweren Klumpfusses zum Unterschenkel 
einnimmt. In der 2. Position (s. Fig. 4) ist die Sohle, wie bei einem 
normalen Fuss, rechtwinklig zur ünterschenkelaxe gestellt. Die 
UeberfÜhrung von der 1. in die 2. Position geschieht einfach da¬ 
durch, dass die Kleinzehenecke der Sohle, woselbst die Oese g an¬ 
gebracht ist, der oberen Ecke an der Schiene, woselbst ebenfalls 
eine Oese (/*) angebracht ist, genähert wird. Das kann in praxi 
durch einen leichten Gummizug geschehen (s. Fig. 4 ?'). Zwischen 
diesen beiden Hauptpositionen durchläuft die Sohle eine Reihe von 
Stellungen, welche man als eine Reihe verschiedener, stets leichter 
werdender Klumpfussstellungen bezeichnen möchte. 

Zur Erleichterung der Anpassung an verschiedene Formen sind 
überdies die Verbindungsdrähte c und e besonders gestaltet. Der 
vordere Draht c articulirt mit der Oese a ebenfalls vermittelst einer 
ovalen länglichen Oese (s. Fig. 3 und 4 rf). Durch Einschieben und 
Ausziehen kann die Stellung der Sohle entsprechend geändert, d. h. 
der letzteren mehr oder weniger Einwärtsneigung mitgetheilt werden. 
Der hintere Draht {e) hat eine gewisse Länge (ca. 2 cm) und ist 
an seinem Ende etwas umgebogen, so dass er nicht ohne Anwendung 
einer gewissen Gewalt oder nur in bestimmter Stellung aus der 
Oese (6) herausgezogen werden kann. 

Die Schiene ist demnach im Stande, sich an den Klumpfuss 
anzupassen, sowohl in seiner ursprünglichen, als in jeder in beliebigem 
Grade redressirten Stellung, mit anderen Worten, der Redressements¬ 
bewegung zu folgen. 

Die Schiene wird nun in folgender Weise angewendet: Zuerst 
muss das Füsschen mit Flanellbindentouren auf die Blechsohle fixirt 
werden. Dadurch soll schon ein Redressement des Fusses in sich 
selbst stattfinden, soll die Sohle abgeplattet und der Fuss gestreckt 
werden, woraus von selbst die Abduction des Vorderfusses resultirt. 
Alsdann folgt die Fixation der in erwähnter Weise mit der Blech¬ 
sohle verbundenen Unterschenkelschiene, ebenfalls vermittelst Um¬ 
wickeln des Beinchens mit schmaler Flanellbinde. Im Beginn der 
Behandlung genügt dieses Vorgehen für einen hochgradigen Klump¬ 
fuss vollständig. Ist er noch einer geringen Dorsalflexion fähig, so 
wirkt diese vermittelst der Schiene als Redressement. Ist die Be¬ 
handlung dagegen etwas vorgerückt, oder der Fall ein mittlerer 
oder leichter, so wird gleich noch die Oese an der Kleinzehenecke 


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A. Lüning und W. Schulthess. 


(^) mit derjenigen am oberen Ende der Unterschenkelschiene {f) 
vermittelst eines Gummizuges verbunden. Dadurch wird die Stellung 
der Schiene und des Fusses, wie sie in Fig. 2 dargestellt ist, herbei¬ 
geführt oder wenigstens angestrebt, so dass eine Kraft beständig 
redressirend wirkt. Man thut aber gut, nur einen geringen Zug an¬ 
zuwenden und überhaupt mit der Anwendung des Guramizuges so 
lange zu warten, bis sich der Fuss selbst mit Leichtigkeit redressiren 
lässt, denn selbstverständlich besteht zwischen dem Redressement 
des Fusses in sich selbst und in der Stellungsverbesserung des 
letzteren gegen den Unterschenkel eine Art Wechselwirkung. Forcirt 
man die erstgenannte Phase, so wird die letztgenannte weniger ge¬ 
lingen, und umgekehrt. In der Trennung dieser beiden Phasen im 
Redressement scheint übrigens ein Vortlieil für den Patienten zu 
liegen. Die mit dieser Schiene behandelten Klumpfüsschen bekommen 
rasch eine schöne breite, relativ lange Sohle, welche nicht, wie das 
bei vielen anderen Behandlungsmethoden der Fall ist, den Behand¬ 
lungscharakter an sich tragen. Wir legen zudem Werth darauf, 
dass die Schiene täglich 1—2mal gewechselt wird, wobei 10—15 Mi¬ 
nuten lang manuelle Redressementsbewegungen gemacht und Unter¬ 
schenkel und Fuss massirt werden müssen. 

Die Schiene hat den Vortheil, dass sie die Bewegung im Fuss- 
gelenk zulässt, dieselbe jedoch in eine corrigirte Bahn lenkt, sie 
lässt sich leicht appliciren und abnehmen. Sie ist auch sehr einfach 
herziistellen. Jeder Spengler kann sie machen, wenn man ihm die 
nothwendigen Muster in Papier ausschneidet. 

Selbstverständlich umgeht man mittelst dieser Schiene bei 
schwereren Klumpfüssen einen Gehapparat nicht, der von dem 
Patienten, wenn er zu gehen anfängt, eine Zeitlang getragen wer¬ 
den muss. 

Wenn die FLxirung des Füsschens Schwierigkeiten macht, haben 
wir die Schiene noch nach Beely’s Vorgang mit einer Oberschenkel¬ 
platte versehen, welche sich bei flectirtera Knie oberhalb desselben 
anpasst und nun für eine sichere Befestigung des Füsschens einen 
Gegendruck liefert. Fenier haben wir beim Fortschreiten der Heilung, 
um die Dorsalflexion des Fusses ausgiebig zu Stande zu bringen, 
die oben beschriebene Schiene mit einer einfachen Flexionsschiene 
aus Blech vertauscht. Letztere wurde ebenfalls mit Oberschenkel¬ 
platte versehen. Der Fuss wird dabei ebenfalls vermittelst Gummi¬ 
zug redressirt. 


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Aerztl. Bericht über den Zeitraum von der Gründung des Instituts etc. 15(> 

Wo wir nicht in der Lage waren, wie in der Privatpraxis, die 
Anlegung und Wirkung dieser kleinen Apparate selbst zu controlliren^ 
haben wir die Mutter oder Pflegerin sammt dem Kinde für einige 
Zeit in die Anstalt aufgenommen und dort die Application der Schiene 
eingeübt; nach erfolgter Entlassung müssen die Kinder natürlich von 
Zeit zu Zeit wieder gebracht und dem Wachsthum der Füsse ent¬ 
sprechend mit grösseren Schienen versehen werden, was bei der 
Einfachheit des Apparates nicht mit wesentlichen Unkosten ver¬ 
bunden ist. 

Wir sind mit der Wirkung und dem Erfolge dieser Klumpfuss- 
behandlung Neugeborener so zufrieden, dass wir sie seither aus¬ 
nahmslos anwenden. Bei gehöriger und consequenter Durchführung 
können die Kinder soweit gebracht werden, dass ein einfacher 
Schienenschuh genügt, wenn sie das Gehen erlernt haben. Ist noch 
eine Tendenz zur Adduction des Vorderfusses, Plantarflexion oder 
Einwärtsrotation des Beines vorhanden, so erhalten die Patienten 
einen Schienenhülsenverband, in welchem so behandelte Füsschen 
leicht redressirt erhalten werden können. Verstärkung der Leder¬ 
sandale über der Aussenseite des Taluskopfes in der unten zu er¬ 
wähnenden Weise, Anschlag am Fussgelenk, Fersenzug, Hüftgelenk 
und Beckengurt besorgen dann noch jeweilen die im einzelnen Falle 
gewünschten Correctionen, resp. die Erhaltung derselben. 

Bei älteren, schon gehenden Kindern haben wir ebenfalls stets 
das Princip beobachtet, den zuletzt erwähnten und in diesem Stadium 
vorzüglich wirkenden Hülsenapparat erst dann zu verordnen, wenn 
die betreffenden Füsse sich leicht passiv in völlig corrigirte Stellung 
bringen Hessen. Dies war nur bei einem Patienten der Fall (Nr. 708 
14jähriger Knabe), der früher schon anderwärts behandelt worden 
war und Neigung zu Recidiv zeigte, das denn auch durch Tragen 
eines Schienenhülsenapparates abgewendet wurde. 

Die übrigen 5 Fälle standen im Alter von 1 V 2 —8 Jahren und 
hatten alle schon anderwärts Curversuche durchgemacht, bestehend 
in Tenotomien, Gypsverbänden, Schienenstiefeln etc. 

Davon scheidet zunächst ein öjähriger, auswärts wohnender 
Knabe (Nr. 512) aus, der nicht in Behandlung trat. 

Was die allgemeinen Gesichtspunkte sind, die unser Handeln 
leiteten, so sind wir ebensowenig Gegner der Tenotomie, als beim 
paralytischen Klumpfuss (s. o.). Zufällig waren 3 von unseren 4 zu 
besprechenden Fällen schon früher von anderen Aerzten tenotomirt 


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A. Lüning und W. Schulthess. 


worden (Nr. 357, 466, 664), und obschon sich wieder Plantarfleiion 
eingestellt hatte, so gelang die Beseitigung derselben ebenso wie bei 
dem nicht tenotomirten (Nr. 375) im Verlaufe der Behandlung mit 
redressirenden Contentivverbänden ohne Wiederholung des Eingriffes. 
Da wir es meist vorziehen, das Redressement des Fusses in sich 
selbst, d. h. der Adduction und Supination, zuerst vorzunehmen, da 
dies bekanntlich bei noch bestehender Spannung der Achillessehne 
besser gelingt, so haben wir in allen Fällen die alte Erfahrung be¬ 
stätigen können, dass, wenn auch nicht primär, so doch nach 2- bis 
Swöchentlichem Liegen der Extremität im Gypsverbande die Besei¬ 
tigung der Plantarflexion in nicht zu schweren Fällen beim 2. resp. 
3. Verbandwechsel in befriedigendem Maasse ohne Tenotomie gelingt. 
Das Gleiche gilt natürlich auch von den anderen dem Redressement 
entgegenstehenden Widerständen, soweit sie nicht knöcherner Natur 
sind; es spielt diese Thatsache jedenfalls auch beim Etappenverbande 
eine wichtige Rolle, den wir, beiläufig bemerkt, nur versuchsweise 
verwendet haben; in der Regel zogen wir völlige Erneuerung der 
Verbände in kurzen Intervallen vor. 

Der erste Verband war durchgehends ein Gypsverband über 
dünner Flanellbindenpolsterung in Narkose in bekannter Weise unter 
Mitwirkung von 2 Assistenten angelegt, von denen der eine der 
Auswärtsdrehung des Fusses widersteht, während der andere den 
Fuss aufrichtet, abducirt und pronirt und dem der Operateur nach 
rascher Anlegung des Verbandes mit kräftigem Händedruck nach¬ 
hilft. Ohne gerade absichtlich Infractionen und Bänderzerreissungen 
zu intendiren, wird doch das Redressement so weit als möglich ge¬ 
trieben und in I4tägigen Intervallen wiederholt. Sobald es gelingt, 
die Sohle gehörig zu entfalten und in rechtwinklige Stellung zum 
Unterschenkel zu bringen, wird bei den folgenden Redressements, 
jetzt ohne Narkose, ein dünner Wasserglasverband angelegt, der 
unter provisorisch übergelegtem Gypsverband erstarrt. Nach Ab¬ 
nahme des letzteren werden allfällig noch nöthige Correcturen durch 
Keilausschnitte angebracht, der Fusstheil des Verbandes durch Schuster¬ 
spahn und Magnesit verstärkt, darüber ein leichter Schuh gefertigt 
und die Kleinen nun laufen gelassen. Alle 6—8 Wochen wird der 
Verband nun erneuert, und wenn nöthig, noch mehr redressirt. Nach 
^/ 2 —1 jähriger Fortsetzung dieser Behandlung sind auch schwere 
Fälle soweit gefördert, dass die Deformität ohne besonderen Zwang 
sich ausgleichen lässt und nunmehr ein Hülsenschienenverband an- 


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Aerztl. Bericht über den Zeitraum von der Gründung des Instituts etc. 161 

gelegt werden kann. Derselbe besteht aus einer Sandale aus ge¬ 
walktem Leder mit starker Metallsohle und einem in eine Coulisse 
der Aussenschiene einzuschiebenden zungenförmigen flachen Bolzen, 
der die Sandale nach ihrer Schnürung gegen die sonst gerne auf¬ 
tretende Ausbiegung und Deformation in der Gegend über der Aussen- 
seite des Caput tali sichert und den Fuss auf die Sohle niederdrückt. 
Dazu kommt der bekannte Fersenzug nach Hessing’s Muster, an 
dem mit den beiden ünterschenkelschienen articulirenden Fussgelenk 
nach Umständen eine Hemmung für die Plantarflexion, seltener ela¬ 
stischer Zug zur Dorsalflexion. Wo keine Einwärtsrotation zu be¬ 
kämpfen ist, endigt der Apparat unter dem Knie; sonst, also in den 
meisten Fällen, besorgt eine zu einem Hüftcharniergelenk mit Becken¬ 
gurt hinaufgeleitete und entsprechend gedrehte Aussenschiene die 
Bekämpfung der Rotation nach innen, die ja mit den Contentivver¬ 
bänden nur unvollkommen gelingt, wenn diese wenigstens zum Gehen 
benutzt und nicht bei flectirtem Knie angelegt werden können. Die 
Beseitigung dieser Einwärtsrotation ist meist die Hauptaufgabe des 
zuletzt zur Anwendung kommenden Apparates. Hieran mögen sich 
einige kiuze Notizen über die behandelten Fälle dieser Categorie 
anschliessen. 

Nr. 375. 2 ^2 jähriger Knabe, mittelschwerer doppelseitiger Klump- 
fuss, links stärker ausgesprochen, geht vollständig auf den Aussen- 
rändem der stark einwärts gestellten Füsse. Nach wiederholter Ap¬ 
plication von Gjpsverbänden in Narkose mit Wasserglasstiefeln ent¬ 
lassen, erkrankt derselbe leider zu Hause an Masern und stirbt. 

Nr. 466. 1^2 jähriger Knabe, vor 1 Jahre vom Hausarzte beid¬ 
seitig an der Achillessehne tenotomirt, Behandlung mit Verbänden 
nicht geglückt. Doppelseitiger schwerer Klumpfuss, kann ohne Unter¬ 
stützung nicht gehen, tritt lediglich mit dem Aussenrande der Füsse 
auf; besonders der rechte Fuss ist stark adducirt, supinirt und plan- 
tarflectirt. Sehr derbe Knochen. Wird über 1 Jahr in oben ge¬ 
schilderter Weise mit Verbänden behandelt und erhält dann, da noch 
Einwärtsrotation besteht, den besprochenen Schienenapparat, den er 
jetzt noch trägt, obschon er auch ohne denselben gut und flink, mit 
voller Sohle auftretend, gehen kann, da rechts noch etwas Einwärts¬ 
rotation besteht. 

Nr. 664. 4jähriger Knabe. Angeborener mittelschwerer rechts¬ 
seitiger Klumpfuss, im 1. Lebensjahre zu Hause mit Gypsverbänden, 
später mit Tenotomie der Achillessehne und Schienenschuh behandelt. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. II. Band. 


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A, Lüning und W. Schulthess. 


Recidiv. Adduction und Rotation nach innen besonders ausgesprochen^ 
weniger die Plantarflexion. Erhält von vornherein Gehverbände, 
später Schienenapparat mit Beckengurt, in dem der Fuss völlig re- 
dressirt steht; Patient ist noch in Behandlung. 

Bei einem Falle endlich war die Deformität auf einer Seite 
wenigstens so schwer, dass dort, um die Curzeit des in Italien 
wohnenden Knaben nicht allzusehr zu verlängern, operativ einge¬ 
schritten wurde, während die gleichzeitige Behandlung des anderen, 
weniger schwer deformirten Fusses mit Verbänden wie bei den obigen 
Fällen durchgeführt wurde. 

Nr. 357. 7jähriger Knabe von rhachitischem Knochenbau, vor 
Jahren in Italien tenotomirt und mit Schienenapparaten behandelt, 
die längst nicht mehr passen. Sehr schwerer rechtsseitiger Klump- 
fuss mit scharfer Abknickung des Vorderfusses in der Chop ari¬ 
schen Gelenklinie und starker Prominenz der Aussenseite des Talus¬ 
kopfes, der dem Redressementsversuch einen knöchernen Widerstand 
entgegensetzt. Links ist die Klumpfussstellung etwas weniger aus¬ 
gesprochen und leichter redressirbar. Der Kleine kann ohne Unter¬ 
stützung nur wenige Schritte gehen und benutzt die Aussenseiten 
der nach innen gestellten Füsse als Gehfläche. 

6. Juni 1888. Resection des Taluskopfes rechts und Tenotomie 
der Achillessehne, Naht der Wunde, Gypsverband, in dem die Wunde 
ohne Verbandwechsel reactionslos heilt. Der linkerseits ebenfalls 
beabsichtigt gewesene operative Eingriff unterbleibt, da sich bei der 
1. Operation eine so beängstigende Pulsfrequenz (200 pro Minute: 
früherer Hjdrocephalus?) während der Chloroformnarkose eingestellt 
hatte, dass die Operation schnellstens zu Ende geführt werden musste, 
und wir eine Wiederholung der Narkose gerne vermieden, zumal 
die alleinige Behandlung mit Verbänden links auf weniger grosse 
Hindernisse stiess. Während rechts durch die Operation der Fuss 
sofort nach Heilung der Wunde normale Stellung erhielt und in 
derselben durch einen Wasserglasstiefel erhalten wurde, hatte die 
Correction des linken Fusses ohne Operation erst mit Ende des 
Jahres und auch da noch nicht vollständig dasselbe Resultat gezeitigt. 
Im Januar 1889 wurde ein doppelter Schienenhülsenapparat angelegt 
und Patient im Februar damit entlassen. Er geht und läuft damit 
gewandt und sicher und ist namentlich die Stellung des operirten 
Fusses eine sehr befriedigende geworden. — 

Die 10 zur Beobachtung gekommenen Plattfüsse repräsentiren 


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Aerztl. Bericht über den Zeitraum von der Gründung des Instituts etc. 1(33 


allerdings nicht die Summe unserer Erfahrungen, da mehrere unserer 
skoliotischen Patientinnen mit Plattfüssen behaftet waren und natür¬ 
lich auch gleichzeitig in dieser Hinsicht behandelt wurden. Diese 
Fälle sind hier nicht besonders erwähnt, da sie kein eigenes Interesse 
bieten; auch unter den lediglich wegen Plattfuss Behandelten finden 
sich keine sehr schweren Fälle. 

Ein ISjähriger Knabe mit Pes valg. träum, nach Fibulafractur 
erhielt einen S«hienenstiefel (Aussenschiene mit elastischem Quer¬ 
zug über den Malleolen), den er nach 1 ^( 2 jährigem Tragen geheilt 
ablegen konnte. 

Eine ältere Frau (Nr. 613) mit chronischem Rheumatismus 
beider Hand-, Finger- und Fusswurzelgelenke mit hochgradiger Platt- 
fussstellung wurde einige Wochen in der Anstalt massirt und hydro- 
pathisch behandelt und dann mit Schienenschuhen versehen. Unter 
Fortsetzung der Massage zu Hause trat bedeutende Besserung ein. 

Von den 8 übrig bleibenden Fällen waren 2 Kinder mit Pes 
plan, rhachit. (Nr. 479 und 183), von denen das erstere zu Hause 
massirt wurde und Plattfussschuhe erhielt. Das 2., ein 2jähriges 
Mädchen, wurde längere Zeit in der Anstalt massirt, electrisirt und 
ebenfalls mit Plattfussschuh bedeutend gebessert entlassen. 

Bei den 6 anderen Fällen handelte es sich immer um den 
statischen Plattfuss (doppelseitig), 3mal bei Knaben, alle leichterer 
Natur, 2mal bei Jünglingen mit spastischem Charakter (Pes valg. 
infl ) und Imal bei einem älteren Herrn, der ebenfalls bedeutendere 
Beschwerden hatte. 

Wir sind bei den schmerzhaften Plattfüssen ohne redressirende 
Verbände ausgekommen, da unsere Fälle keine sehr schweren Con- 
tracturen zeigten. Nach 14tägiger Ruhe, hydropathischen Ein Wicke¬ 
lungen, täglich 2maliger Massage, war die Schmerzhaftigkeit soweit 
beseitigt, dass die Füsse passiv supinirt werden konnten. Dann 
wurde der Plattfussschuh angelegt, noch einige Wochen Schonung 
empfohlen und die Massage ebensolange fortgesetzt. Wir sind bis¬ 
her in allen so behandelten Fällen binnen Monatsfrist im Stande 
gewesen, die Patienten wieder ohne Beschwerden und ohne Recidive 
derselben ihrem Berufe nachgehen zu lassen; Curversuche im Sinne 
einer Wiederherstellung der normalen Fussform haben wir keine zu 
machen Gelegenheit gehabt, soweit dies nicht in allmählicher Weise 
durch das Tragen unseres Schuhes geschieht. 

Der von uns verwendete Plattfussschuh lehnt sich an die Idee 


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A. Lüning und W. Schulthess. 


H. V. Meyer's an und hat sich aus dessen Schuh mit excentrischer 
Fersenvertiefung, den wir ebenfalls versucht haben, entwickelt. Die 
mit starkem, unnachgiebigem Gelenk versehene Sohle theilt dem 
Fusse durch Erhöhung des Innenrandes um ca. ^/2 cm eine Supina¬ 
tionsstellung im ChoparFschen Gelenke mit, die sich so sicherer 
erzielen lässt, als mit der excentrischen Fersenstellung. An Stelle 
der letzteren wird der Absatz mit der die Ferse gut umfassenden 
starken Fersenkappe etwas nach innen gerückt; der Absatz ist massig 
hoch, breit und lang, so dass er nach vorne bis gegen das Chopart- 
sche Gelenk hinreicht, wie v. Meyer dies empfohlen hat; durch 
diese Construction wird dem Calcaneus ein Impuls zur Verlagerung 
nach innen gegeben und gleichzeitig der Plaiitarflexion des Tarsus 
entgegengewirkt. 

Nach unseren Erfahrungen gehen Plattfüssige mit diesen Schuhen 
nach kurzer Angewöhnung, einzelne sofort, besser als mit den ge¬ 
bräuchlichen Einlagen und Schienenstiefeln, und haben wir die Be¬ 
schwerden sowohl bei spastischen als veralteten Fällen darin dauernd 
schwinden sehen ^). 


X. Chirurgica. 

92 Fälle. 

Ausser den in den vorstehenden Abschnitten aufgeführten Fällen 
orthopädischer Natur, welche zu operativen Eingriffen Veranlassung 
boten, haben eine Anzahl chirurgisch Kranker in unserer Anstalt Be¬ 
handlung und Pflege gefunden, soweit sich dies mit dem vorwiegend 
orthopädischen Charakter derselben vereinbaren liess. Zum Theil 
waren es (25) Patienten, welche sich behufs Operationen oder Be¬ 
handlungsmethoden, die sich zu Hause nicht gut durchführen Hessen 
(Massage, Electricität, Bäder etc.), direct an die Anstalt wandten, 
zum grösseren Theil (67) Privatpatienten von Dr. Lüning, die dort, 
meist zur Vornahme kleinerer Operationen, Aufnahme fanden. 

Selbstverständlich verfügt die Anstalt über alle zur Durch¬ 
führung einer regelrechten Antisepsis erforderlichen Hilfsmittel; 
neuerdings, seit Erweiterung des Institutes, auch über ein eigenes, 
ausschliesslich diesem Zwecke reservirtes Operationszimmer; ausser- 


Diese Schuhe werden stets von Herrn Schulthess, Schuhmacher, 
Rennweg, Zürich angefertigt. 


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Aerztl. Bericht über den Zeitraum von der Gründung des Instituts etc. 165 

dem ist eine etagenweise Trennung der chirurgischen oder vorüber¬ 
gehend sich auf haltenden Patienten von den Wohnräumen der ortho¬ 
pädischen Pensionäre durchgeführt, um den letzteren ein ungestörtes 
familiäres Zusammenleben zu sichern. 

Dank der, seit 1884 ausschliesslich zur Anwendung gekommenen 
Sublimatantisepsis ist in der Anstalt seit ihrem Bestehen kein einziger 
Fall von Wundinfection vorgekommen. 

Von den 92 Patienten waren 38 männlichen, 54 weiblichen 
Geschlechtes; 17 waren Kinder unter 14 Jahren. 

Hievon waren 26 Fälle nicht operativer Natur. Darunter be¬ 
finden sich zunächst eine Anzahl Fracturen (humeri, olecrani, 2 radii, 
tibiae), Fissuren (2 capit. humeri) und Gelenkentzündungen (Hand-, 
Ellbogengelenk, Sacrocoxitis), die mit Verbänden, Massage etc. be¬ 
handelt wurden. Einige Bruchleidende und Amputirte wurden mit 
Bruchbändern und Prothesen versehen. Von den übrigen, meist ge¬ 
ringfügigeren chirurgischen Leiden, welche Wundnähte, Incisionen, 
Verbände, Massage u. dergl. erforderten, seien nur noch 2 trauma¬ 
tische Lähmungen erwähnt, von denen die eine, eine bereits im Rück¬ 
gang begrüBFene Parese des rechten Armes infolge Halswirbelfractur, 
nicht in dauernde Behandlung trat, während die zweite eine inter¬ 
essante Illustration der langen Heilungszeit traumatischer Paralysen 
bildet. 

Nr. 540. 15jähriger Knabe. Erlitt durch Ergreifen einer Leiter¬ 
sprosse während eines Sturzes eine heftige Zerrung des rechten 
Plexus brachialis; ausserdem Fract. metacarp. Complete Lähmung 
aller Muskeln des Schultergelenkes und Oberarmes nach ca. 3 Mo¬ 
naten, als Patient in unsere Behandlung kommt, unverändert. Starke 
Atrophie des M. deltoides, beginnendes Schlottergelenk. Um der 
Ausbildung desselben zu wehren, wird ein Stützapparat verordnet, 
hierauf 2mal, jeweilen 8 Wochen mit 2monatlichem Intervall, con- 
stanter Strom auf die Nerven, faradischer auf die Muskeln und Mas¬ 
sage applicirt. Bei Entlassung aus der Behandlung, ca. ^/4 Jahre 
nach der Verletzung, etwelche, aber geringe Besserung, M. triceps 
und biceps reagiren auf den faradischen Strom, der M. deltoides 
spurweise. Trotzdem unsererseits die Prognose nicht absolut un¬ 
günstig gestellt wird, erhält Patient als invalide eine grosse Ver¬ 
sicherungssumme ausbezahlt. Ein Jahr später, während dessen wir 
den Patienten nicht mehr gesehen, stellt Patient sich uns wieder vor 
mit fast völliger Wiederherstellung der ausgefallenen Muskelfunctionen; 


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A. Lüning und W. Schulthess. 


am meisten benachtheiligt ist noch die Auswärtsrotation im Schulter¬ 
gelenk, auch die active Streckung im Ellbogengelenk gelingt nicht 
vollständig. Patient, der links schreiben gelernt hat, und Zeichner 
geworden ist, schreibt und zeichnet wieder rechts. Schlottergelenk 
verschwunden. — 

Von kleinen unblutigen Eingriffen sind noch zu erwähnen 2 Ex¬ 
tractionen von Fremdkörpern aus dem Gehörgang bei Kindern, 2 Re¬ 
positionen von Schulterluxationen, 1 unblutige Dehnung des N. ischia- 
dicus wegen Ischias, letztere ohne Erfolg. Ferner wurden eine 
Anzahl tuberculöser Localaffectionen (Ulcera, kalte Abscesse, Lymph- 
drüsenfistein, Spina ventosa etc.) mit dem scharfen Löffel oder Jodo- 
forminjectionen behandelt, Ganglien subcutan discidirt, eingewachsene 
Nägel extrahirt etc. 

Von erheblicheren operativen Eingriffen sind folgende 
vorgekommen: 

1. Multiple Atherome der Kopfschwarte. Exstirpation. Geheilt. 

2. Ulcerirtes Lipom der Kopfhaut. Exstirpation. Geheilt. 

3. Riesenzellensarkom der Squama oss. petrosi. Trepanation. 
Ungeheilt mit Recidiv entlassen. 

4. Epithelialcarcinom des Gesichtes. Exstirpation. Geheilt. 

5. Naevus hyperplast. der Nasenspitze bei einem 9 Monate 
alten Knaben. Rhinoplastik aus der Stirnhaut. Geheilt ^). 

6. Traumatisches Ectropium der Unterlippe. Cheiloplastik. 
Geheilt. 

7. Carcinom der Apertur des Gehörganges und des knorpeligen 
Gehörganges. Exstirpation. Geheilt ^). 

8. Carcinoma recid. der Ohrmuschel und Halsdrüsen nach Am¬ 
putation der ersteren (nicht Nr. 7). Exstirpation. Ungeheilt mit 
Recidiv entlassen. 

9. Naev. pigment. der Wange. Exstirpation. Geheilt. 

10. —11. Tonsillotomien. Geheilt. 

12.—14. Exstirpation von Lymphomen des Halses. Geheilt. 

15. 16. Struma cystica. Enucleation. Geheilt. 

17. Actinomycose des Halszellengewebes (Recidivoperation). 
Geheilt. 

18. Caries sterni et costae 1. Resectio. Geheilt. 


0 S. Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte 1884, Nr. 9. 
2) S. ibidem 1888, Nr. 1. 


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Aerztl. Bericht über den Zeitraum von der Gründung des Instituts etc. 167 


19. Empyem nach Pneumonie. Resectio costae. Geheilt. 

20. Carcinom der Mamma. Amputation. Geheilt. 

21. Carcinom der Mamma und Achseldrüsen. Exstirpation. 
Geheilt. 

22. Carcin. recid. (Nr. 21). Exstirpation. Geheilt. 

23. Ascites (causa?). Punction. Gebessert. 

24. Irreponible Schenkelhernie. Radicaloperation. Geheilt. 

25. Fissura ani. Paquelin. Geheilt. 

26. Conglutinatio lab. minor. cong. Lösung. Geheilt. 

27. —29. Kolpoperineorhaphien wegen veralteten Dammrissen 
und Prolaps. Geheilt. 

30. Freilegung und Dehnung des N. medianus wegen ver- 
mutheten Fremdkörpers (Nadel nicht gefunden). Geheilt. 

31. —32. Amputation des Zeigefingers wegen Trauma. Geheilt. 

33. Exarticulation des Zeigefingers wegen Caries. Geheilt. 

34. Lipoma intermusc. des Daumenballens. Exstirpation. Geheilt. 

35. —36. Nekrosenextractionen von Dauraenphalangen nach Pa- 
naiütien. 

37. Fungus der Streckseime des Zeigefingers. Exstirpation. 
Geheilt. 

38. Sehnennaht der Strecksehne des Mittelfingers wegen Trauma. 
Geheilt. 

39. Fungus sämmtlicher Strecksehnen des Handrückens. Ex¬ 
stirpation. Geheilt. 

40. Complicirte Fractur einer alten, mit Schlottergelenk ge¬ 
heilten Resectio genu nach Sturz, zum 2. Male. Amp. femoris. 
Geheilt. 

41. Nekrotomie nach Osteomyelitis femoris. Gebessert. 

42. Lipoma fibromat. intermusc. surae. Exstirpation. Geheilt. 

43. Caries malleol. ext. Resectio. Geheilt. 

44. Caries malleol. ext. et tali. Partielle Resection des Fuss- 
gelenkes. Nach Heilung Erkrankung an Meningitis tuberc. und exitus. 

45. Caries sicca calcanei et tali. Amp. nach Syme. Geheilt. 

46. Exostosis subungue hallucis. Exstirpation. Geheilt. 

Nr. 44 ist der einzige Todesfall, den vdr in unserer Anstalt 
seit deren Bestehen zu beklagen haben. Nach prompter Heilung 
des operativen Eingriffes entwickelten sich nach und nach die Sym¬ 
ptome einer tuberculösen Hirnhautentzündung, der das Kind 2 Mo¬ 
nate nach der Operation erlag. 


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168 


A. Lüning und W. Schulthess. Aerztl. Bericht etc. 


XI. Andere nicht orthopädische Leiden. 

24 FäUe. 

Zur Vornahme gymnastischer, electrischer oder Massagecuren 
besuchten ferner eine Anzahl Patienten unsere Anstalt, deren Leiden 
weder orthopädischer noch chirurgischer Natur waren. Auf diese 
Fälle, die kein weiteres Interesse bieten, wird hier nicht näher ein¬ 
gegangen und nur bemerkt, dass in 8 Fällen schlechte Entwickelung, 
besonders des Thorax bei Kindern, in den übrigen nervöse Störungen 
wie Enuresis nocturna, Neuritis und Neuralgien, Tabes dors. (Sus¬ 
pension !) u. dergl., die Indication zur Behandlung geben. 


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VIII. 


PhotograpMsclie Messung der Skoliose. 

Kurze Mittheilung 

von 

Dr. Rud. Oehler, Frankfurt a. M. 

Mit 3 Abbildungen im Text. 

Ausser den vorzüglichen aber recht theuren Apparaten, die 
Schulthess und Zander zur Messung der Skoliose angegeben 
haben, benützen wohl die meisten Orthopäden lange schon die Photo¬ 
graphie, um von dem Stande einer Rückenverkrümmung ein genaues 
objectives Bild zu bekommen. Hat doch die Photographie gegen¬ 
über den genannten Apparaten den grossen Vorth eil, dass sie ein 
ganz exactes Bild von der momentanen Haltung des Patienten giebt, 
dass sie dem Patienten erlaubt, bei der Aufnahme ganz frei und un¬ 
gezwungen dazustehen, und dass sie weniger ermüdet, da sie zur 
einzelnen Aufnahme kaum halb so viel Secunden erfordert, wie die 
genannten Apparate Minuten. Trotz dieser Vorzüge kann die Photo¬ 
graphie die Messapparate nicht ersetzen 1., weil der Apparat Zahlen 
giebt, welche den Grad der Verbiegung einer Skoliose in Zahlen aus- 
zndrücken erlauben; 2. weil der Apparat Profile nicht nur in den 
senkrechten, sondern auch in den wagrechten Ebenen, d. h. Hori- 
zontalprojectionen liefert. 

Wo man daher Horizontalprojectionen haben will, da reicht 
die Photographie nicht aus; dagegen möchte ich zeigen, dass der 
andere Vortheil der Apparate, den Grad einer Verbiegung in Zahlen 
anzugeben, auch mittelst der Photographie erreicht werden kann. 

Beiliegendes Bild zeigt die photographische Aufnahme eines 
kleinen skoliotischen Patienten. Dicht vor dem Patienten steht ein 


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170 


Rud. Oehler. 



Fig. 1. 


Rahmen, auf dem in gleichen Abständen von 2,5 cm senkrechte und 
wagrechte Schnüre gespannt sind. Das so gebildete Netzwerk proji- 
cirt sich auf dem Bild des Kindes und erlaubt die seitliche Aus¬ 
biegung der Wirbelsäule, den Ver¬ 
lauf der Körpercontouren, die Höhe 
der Schulterblätter u. s. w. in Centi- 
metern abzulesen. Man sieht z. B., 
das Kind ist 46 Theilstriche, d. h. 115 cm 
gross; das rechte Akromion steht 
21,25 cm höher als die Darmbeinschau¬ 
feln; das linke steht 1 cm tiefer als das 
rechte; die Ausbiegung der Wirbelsäule 
an den Dornfortsätzen gemessen er¬ 
reicht die stärkste Abweichung nach 
links im Lendentheil 6 cm über der 
Höhe der Darmbeinschaufeln, die stärkste 
Ausbiegung nach rechts liegt 5 cm 
höher. Beide Ausbiegungen entfernen 
sich nur 1,5 resp. 1,75 cm von der 
Mittellinie u. s. w. 

Wenn hier die Linien des Netzes 
direct als Maass für den Körper ge¬ 
nommen werden, so bedarf das einer 
kleinen Rechtfertigung. Es ist klar, 
dass das Netz nur dann ein genaues 
Maass giebt, wenn es hart dem Körper 
anliegt. Ist zwischen Netz und Körper 
eine gewisse Distanz, so verlangen die 
oben gegebenen Zahlen eine kleine 
Correctur. Sei s die zu messende 
Strecke am Körper, v das am Netz 
abgelesene Maass ^), d die Distanz zwischen Netz und Körper, D die 
Distanz vom photographischen Apparat zum Netz, dann ist 

d \ d. + D 


= v(l + jy) = v. 


Je kleiner der Zwischenraum zwischen Körper imd Netz im 
Vergleiche zur Entfernung des Netzes vom Apparat, um so exacter 


*) s und r vom Mittelpunkt des Bildes gerechnet. 


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Photographische Messung der Skoliose. 


171 


das Maass. In dem vorliegenden Falle waren D — 3,50 m; (/ = 0,10m; 
daher sind die oben gegebenen Zahlen mit 1,028 zu multipliciren. 
Man macht, wenn man diese Correctur nicht anbringt, auf 10 cm 
einen Fehler von 2—3 mm. 


Fig. 2. 



Fig.3. 



Wenngleich dies ein belangloser Fehler ist, so kann man auch 
diesen durch einen kleinen photographischen Kunstgriff ganz elimi- 
niren. Man kann nämlich die Distanz zwischen Netz und Körper 
gleich Null machen, indem man das Netz durch den Körper legt, 
d. h. nicht in Wirklichkeit sondern in effigie. Zu dem Ende macht 


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172 


Rud. Oehler. 


man eine Aufnahme des Patienten allein ohne Netz; dann eine zweite 
Aufnahme vom Netz allein, ohne den Patienten und sorgt nur da¬ 
für, dass das Netz genau an die Stelle placirt wird, wo vorher der 
Patient gestanden hat. So erhält man zwei Negative, welche man 
nach einander auf dasselbe Papier copirt, was ganz exact und ohne 
Schwierigkeit zu machen ist, wenn man nur am Hintergrund irgend 
ein paar scharfe contourirte Linien (einen Stuhl, ein Fensterkreuz, 
eine Stange) hat, welche zur Orientirung beim üebereinandercopiren 
dienen. Die so gefertigten Bilder enthalten scharf und deutlich das 
Netzwerk und den Patienten. Sie sind auf den ersten Blick von 
den gewöhnlichen Bildern, die Netz und Körper in einer Aufnahme 
geben, nicht zu unterscheiden. In diesen, wie ich sagen will, in- 
direct gemessenen Bildern sind die Maasse genau, wenn nur der 
Rahmen mit dem Netz exact an der Stelle aufgenommen ist, wo der 
Patient stand, und wofern sie richtig über einander copirt sind. 
Beides ist wie gesagt, leicht zu ermöglichen. Nun ist klar, dass ein 
einziges Negativ genügt, um für unzählige Aufnahmen von Patienten 
das richtige Maass abzugeben, wenn man nur immer in gleicher 
Entfernung vom Apparat und mit demselben Hintergrund photo- 
graphirt. Durch gewisse Vorrichtungen am Apparat wäre es auch 
möglich, sich vom Hintergrund unabhängig zu machen, ja auch das 
Netzwerk Hesse sich nach Art der Mikrometervorrichtung mancher 
Mikroskope dem Apparat selbst einverleiben — doch wozu? Die 
einfachsten Verfahren sind meist die besten, und so möchte ich em¬ 
pfehlen, etwaige Versuche mit directer Aufnahme von Netz und 
Patient in einer Zeit zu machen. Mit Lupe und Nonius kann 
man sehr exacte Maasse von solchen Photographien ablesen, die 
man, wenn höchste Genauigkeit verlangt wird, in oben angedeuteter 
Weise corrigirt. 

Ich empfehle diese Art der photographischen Messung, weil 
sie ganz leistungsfähig ist und besonders weil sie für den Patienten 
sehr bequem ist. 


Zum Schluss einige Bemerkungen über die beigegebenen Abbildungen. 
Fig. 1 erhellt aus dem im Text Gesagten. Fig. 2 und 3 sind zwei Aufnahmen 
eines Knaben mit normaler Wirbelsäule, dem durch eine Unterlage unter dem 
rechten Fuss eine statische Skoliose gemacht wurde. Man sieht bei Fig. 3, dass 
die Unterlage 1,5 cm hoch ist. Dem entsprechend steht das Becken schief und 
ist die Wirbelsäule nach links ausgebogen. Die Acromien stehen bei Fig. 3 exact 


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Photograpliische Messung der Skoliose. 


173 


gleich hoch, nur ist in Schulterhöhe der Oberkörper um 5 cm nach links ver¬ 
schoben. Fig. 2 zeigt dieselben Verhältnisse, doch ist hier infolge von Ermü¬ 
dung die Ungleichheit schlecht, d. h. übercorrigirt, indem das linke Acromion 
Va cm höher steht als das rechte. 

Fig. 3 ist durch directe Aufnahme von Netz und Köri^er gewonnen, bei 
Fig. 1 und 2 wurden Netz und Körper einzeln aufgenommen und dann über¬ 
einander copirt. 


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IX. 


Die Ursaclien der orthopädisclien Knochen- 
misshildnng. 

Von 

Prof. Dr. J. A. Korteweg- Amsterdam. 

Im Jahre 1883 habe ich in einem holländischen Aufsatze kritisch 
die Frage referirt, wie die orthopädischen Kräfte den Knochen um¬ 
bilden ^). 

Nach und nach habe ich bemerkt, dass die Meinung, welche 
ich damals als die Wolffsche auseinander setzte, nicht ganz mit 
seiner „Transformationstheorie“ übereinenstimmt. Im Gegen- 
theil, ein principieller Unterschied wurde mir allmählich klar. Jetzt, 
da ich nach Durchlesung der letzten Wolffsehen Arbeit^) nicht 
umhin kann, meine Ansicht für die bessere zu halten, glaube ich 
mich verpflichtet, diesem Unterschied weiteren Ausdruck zu geben. 

Wolff stellt seine Transformationslehre der Volkmann’schen 
Drucktheorie gegenüber. Es sei nicht richtig, dass vermehrter Druck, 
z. B. am Genu valgiim im Condylus externus, Knochenschwund zur 
Folge habe. Man finde gerade die Spongiosabälkchen des Condylus 
externus etwa doppelt so dick als die der medialen Seite. Trotz 
ihrer bestechenden Eigenschaften sei die Drucktheorie in allen ihren 
Punkten unrichtig. „Sie entspricht weder der mathematischen Be¬ 
trachtung, noch den anatomischen, noch auch den klinischen That- 
sachen.“ 

Meine Ansicht, dass Wolff sich da, wo er die mathemati¬ 
schen Voraussetzungen auf die klinischen Bedingungen überträgt, 


b Nederlandsch Tydschrift voor Geueeskunde 1883. 
Archiv für klinische Chirurgie Bd. 42 Heft 2. 


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Die Ursachen der orthopädischen Knochenniissbildung. 


175 


mehrere Ungenauigkeiten schuldig macht, will ich der Kürze halber 
nicht weiter verfolgen. Polemisch möchte ich mich darauf be¬ 
schränken, zu erinnern, wie sehr die Transformationslehre einem 
grossen Worte ähnelt. Ohne jede Zusammenkettung werden doch 
äussere Form wie innerer Bau fortwährend als der Ausdruck der 
,Function“ betrachtet, als die functioneile und physio¬ 
logische Anpassung an äussere Bedingungen angemerkt. 

„Wie also der Klumpfuss nichts anderes darstellt als die functio¬ 
neile Anpassung des Fusses an die ihrerseits in den einzelnen Fällen 
den allerverschiedensten Ursachen entstammende Einwärtskehrung 
des Fusses, resp. der gesammten Extremität, und wie die Skoliose 
als functionelle Anpassung des Rumpfskeletts an die zusammenge¬ 
hockte Rumpfhaltung des Kranken aufzufassen ist, so bedeutet das 
Genu valgum nichts anderes als die functionelle Anpassung der 
Knochen und Weichgebilde der Extremität an die häufig wiederholte 
Auswärtsstellung des Unterschenkels“ ^). 

Weder in diesen Zeilen, noch irgendwo sonst vernehmen wir, 
auf welche Weise Wolff sich vorstellt, dass die „functionelle 
Anpassung“ ihre Wirkung entfalten und am Ende Form und 
Bau umändem kann. Und dass der Begriff der functioneilen 
Anpassung doch zu geräumig ist um genau zu sein, das wird 
wohl am besten vor Augen gelegt, wenn man liest, zu welchen un¬ 
wissenschaftlichen Folgerungen die Transformationslebre schon ge¬ 
führt hat: 

„Wir*) haben durch unsere (d. w. s. die Wolffsche) Auf¬ 
fassung und Deutung der Skoliose zugleich die bisher noch un¬ 
beantwortete Frage nach dem Grunde der Entstehung der Torsions¬ 
erscheinungen .... auf die einfachste Art und Weise beantwortet: 
In der Torsion skoliotischer Thoraxringe sehen wir den Ausdruck 
der functioneilen Veränderung des Brustkorbs. Sie ist eine 
physiologische und also die beste Form, die die Natur bei 
der veränderten statischen Inanspruchnahme ihnen geben konnte.“ 

Dies ist wirklich die ganze, so einfache Erklärung. Leider 
nur, dass die Leute, welche an dieser „physiologischen“ Krank¬ 
heit leiden, alle mit dieser „besten“ Form ihrer Buckel so schlecht 
zufrieden sind. 

*) Deutsche mecl. Wochenschrift 18^9, S. 1019. 

*) Joachimsthal, Zur Pathologie und Therapie der Skoliose. Inau¬ 
guraldissertation. Berlin 1887, S. 17. 


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176 


J. A. Körte weg. 


Es sei mir in den folgenden Zeilen erlaubt, kurz auseinander¬ 
zusetzen , wie meines Erachtens die schönen Thatsachen, welche 
Wolff über den inneren Knochenbau zu Tage förderte, recht wohl 
mit der alten Volkmann'schen Drucktheorie in üebereinstimmung 
gebracht werden können. 

Jedes Organ bedarf einer normalen Function zu seiner ge¬ 
bührenden Ernährung. Wenn eine Kniegelenksentzündung den kräf¬ 
tigen Quadriceps zur Ruhe nöthigt, sind nach kurzen Monaten nur 
noch wenige degenerirte Muskelfasern zurück zu finden. 

Die Frage, auf welche Weise die Function eines Organes der 
Ernährung nützlich ist, hat in groben Zügen gewiss eine genügende 
Antwort gefunden. Z. B. ist für die Speicheldrüsen erwiesen, dass 
jede Function mit einer reflectorischen Blutwallung zusammengeht. 
Dadurch werden nothwendig alle Elemente der Submaxillardrüse mit 
frischen Ernährungssäften durchströmt und also die Neuerung und 
die Vermehrung des Drüsengewebes erleichtert und ermöglicht. Aber 
auch jener trophischen Nerven kann man entbehren, wenn man sieh 
erklären will, wie der functionirende Muskel, z. B. der Biceps, 
durch fortgesetzte Uebung in wenigen Wochen zu doppeltem Um¬ 
fange anschwillt. Jede Contraction wird doch nicht blos das venöse 
Blut, sondern auch die stagnirende Lymphe und Gewebeflüssigkeit 
mit Kraft austreiben, so vollständig als ohne kräftige Contraction 
wohl niemals geschieht. Im nächsten Augenblick werden sich die 
entleerten Bahnen leichter als je mit frischem Plasma anfüllen. 
Natürlich, dass diese forcirte Ernährung dem Muskelgewebe zu Gute 
kommt. 

In den blutarmen Organen, welche, wie z. B. die Bänder für 
ihre Ernährung nahezu ganz auf die passive Fortbewegung der Lymphe 
angewiesen sind, wird der Vortheil einer functionellen Beschleunigung 
des Plasraastromes nocli desto grösser sein. So kann man sich vor¬ 
stellen, wie nur Bänder, w'elche kräftig fimctioniren, genügend er¬ 
nährt werden; wie jedes Band, das seiner Zeit nicht kräftig gedelint 
wird, schnell seiner Elasticität verlustig wird und bald der Atrophie 
anheimfällt; wie sich im Körper nur da kräftige Bänder vorfinden, 
wo es dessen bedarf. Genügt doch schon eine sechs wöchentliche 
Eingypsung, um das Wackeln eines Gelenkes hervorzurufen. 

Dieselben Verhältnisse wird man auch im Knochengewebe 
erwarten dürfen. Wenn man einen Röhrenknochen zu biegen ver¬ 
sucht, wird das Knochengewebe der einen Seite zusammengepresst. 


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Die Ursachen der orthopädischen Knochenmissbildung. 


177 


das der anderen Seite gedehnt, während irgendwo in der Knochen¬ 
achse die moleculäre Spannung keine Aenderung erfährt. Dasselbe 
wird geschehen, wenn der Röhrenknochen functionirt, denn die Kraft, 
womit bei der Function eine Umbiegung erstrebt wird, ist mit der 
Elasticität des Knochengewebes sehr wohl vergleichbar. Der Femur 
z. B. wird beim Stehen auf einem Beine mit einer Kraft zusammen¬ 
gedrückt, welche derjenigen ähnelt, die unsere ganze Körperschwere 
auf einen skeletirten Femur auszuüben vermag. An den Stellen 
nun, wo der intraossale Druck während der Function geändert wird, 
d. w. 8. an den peripheren Theilen des Röhrenknochens wird die 
Lymphbewegung beschleunigt, indem im Centrum des Knochens 
keine functionelle Fortbewegung möglich ist. So ist es erklärlich, 
dass eben wie bei den Muskeln und Bändern so auch zur Erhaltung 
des Knochengewebes die Function nothwendig ist, mit anderen 
Worten, dass gerade in den Richtungen, worin drückende oder 
ziehende Kräfte im Knochengewebe sich ausbreiten, die Knochen- 
bälkchen sich anbilden und erhalten. Der innere Knochenbau, dessen 
architektonischer Werth von Meyer und Wolff gelehrt und be¬ 
tont wurde, findet also eine ganz rationelle Erklärung. 

Will man die Einwirkung der Function auf Form und Bau 
des Organes mit dem Namen „Transformationskraft“ bezeichnen, 
mir recht. Ich möchte indess hervorheben, dass diese Transformations¬ 
kraft dann nichts von der geheimnissvollen Wolff sehen Kraft an sich 
hat, aber dass in der Abwechselung der inneren Spannung, durch 
äusseren Druck oder äusseren Zug veranlasst, die ganz einfache Ur¬ 
sache gefunden wird, wodurch die Gewebe sich umbilden und ver¬ 
mehren. 

Und welche grossen Folgerungen die richtige Deutung dieser 
Transformationskraft sofort mit sich bringt, wird uns klar, wenn 
wir in dem neuen Lichte die Einwirkung eines permanenten 
Druckes oder einer permanenten Dehnung einer näheren Be¬ 
trachtung unterwerfen. Solcher permanenter Druck (oder Dehnung) 
beschleunigt doch die Fortbewegung der Lymphe gar nicht, ist 
darum der Ernährung unnütz, ja bringt dieser nur Schaden, weil 
in permanent zusammengepresste (gedehnte) Organe gar keine frische 
Lymphe eintreten kann. 

Die deletäre Wirkung einer permanenten Dehnung auf die 
Festigkeit des Bandapparates findet in der orthopädischen Therapie 
manche wohlbekannte Anwendung, wird dagegen für das Kniegelenk 

ZoitHchrift für orthopädische Chirurj?ie. II. B.^nd. 12 


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178 


J. A. Koi’teweg. 


bei der Distraction einer kranken Hüfte oder eines Schenkelbruches 
mit gutem Rechte gefürchtet. 

Und so erklärt es sich auch ganz von selbst, dass Knochen, 
die von einem permanenten Drucke misshandelt werden, statt wie 
bei gehöriger Function fester zu werden, im Gegentheil erweichen 
und auf die Dauer dem Drucke nachgeben ^). Die Volkmann’sche 
Drucktheorie mit ihren schönen Erklärungen, die sie für die ver¬ 
schiedensten orthopädischen Krankheiten zu geben vermöchte, von 
Wolff als streitig mit dem normalen Knochenbau zurückgewiesen, 
kommt also als unmittelbare Folgerung unserer mehr genauen Be¬ 
trachtung der normalen Knochenfunction wieder zu ihrem alten Rechte. 

Aber es ergiebt sich noch mehr. Nehmen wir das Genu valgum 
nochmals zum Beispiel. 

Das von der permanenten Einwirkung der Körperschwere 
malträtirte Kniegelenk leidet in seinem Knochengewebe*) eben wie 
in seinen Bändern. Die letzteren, am meisten das mediale Band, 
gehen ihrer normalen Elasticität verlustig. Das Gelenk schlottert 
Der Condylus extemus wird am meisten krank, am meisten erweicht 
und giebt dem Drucke förmlich nach. Indess ist der ganze Knochen 
so weich, dass man mit wenig Kraft, ohne den Femur zu zerbrechen, 
in einer einzigen Sitzung ein ausgiebiges Redressement erlangen kann. 

Wenn aber der Kranke sich zu mehr normaler Function seiner 
Beine berathen lässt und diese wiederum nur als Geh-, nicht mehr 
als Stehorgane benützt, dann sieht man öfters nach und nach eine 
spontane Genesung eintreten. Von nun an werden Knochen wie 
Bänder von der Function gestärkt, die meist benützten Theile werden 
am besten ernährt, am meisten gekräftigt. Nach wenigen Jahren ist 
nur noch eine leichte Andeutung der Krankheit nachweisbar. 

Wie im Allgemeinen beim Körperwachsthum immer diejenigen 
Theile, welche am meisten benützt werden, auch am besten wachsen, 
so darf man gewiss auch beim geraden Wachsen der krummen Beine 
die Function ein Wort mitreden lassen. An der concaven Seite 


*) Tn wieweit fliese Erweichung hauptsächlich oder nur in der Epiphysen- 
linie und deren Nähe beim wachsenden Knochen stattfindet, oder ob es in den 
leichteren Fällen sich mehr um eine Venninderung des Wachsthums als um 
eine wirkliche Erweichung handelt, dies alles ist bei der obenst^henden Be¬ 
trachtung Nebensache. 

') Die Frage der Spätrhachitis lasse ich hier ebenso der Einfachheit 
halber ganz bei Seite. 


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Die Ursachen der orthopädischen Knochenmisabildung. 171> 

functionirt der Knochen am meisten, und so findet die physiologische 
Neigung der Röhrenknochen gerade zu wachsen (man bedenke die 
spontane Genesung der rhachitischen Säbelbeine) eine unerwartete Er- 
klänmg. Dass wir dasselbe beim leichten Genu valgum beobachten, 
sei dieses mehr rhachitischer oder mehr statischer Natur, wird uns 
dann gewiss nicht wundem. 

Anders verhält sich die Sache, wenn der Kranke mit Genu 
valgum dem guten Rath nicht folgt, aber die Misshandlung seiner 
Kniegelenke so lange nur möglich fortsetzt. Indess wird auch er 
am Ende, von den vielen Beschwerden belästigt, sich doch genöthigt 
finden, seine gewöhnlichen Beschäftigungen fahren zu lassen. Von 
diesem Augenblick geht er nur so viel, als er eben ohne Schmerzen 
gehen kann; von diesem selben Augenblick aber lässt er Knochen 
und Bänder in guter Weise wirklich functioniren. Von dieser 
Function werden die verschiedenen Theile des Gelenkes aufs neue 
gestärkt, die Beschwerden werden immer geringer, die Function mit 
ihrer stärkenden Wirkung immer ausgiebiger. Wird ein solches 
Genu valgum nach längerer Zeit der Entstellung halber operirt, dann 
staunt man über die Festigkeit der Knochen, über die colossale 
Entwickelung der Bänder. Gerade die lateralen Condyli und die 
medialen Bänder, also diejenigen Theile, die im ersten Stadium des 
Genu valgum nachgegeben haben, findet man jetzt, weil sie am 
kräftigsten functionirten, der statischen Verhältnisse halber viel kräf¬ 
tiger als normal, ganz ausserordentlich fest und dicht geworden. 
Dies ist das alte, consolidirte, zuweilen in jeder Hinsicht ganz 
sufficiente Genu valgum, welches Wolff mit grossem Unrecht mit 
dem schmerzhaften, in Entstehung begriffenen, wackelnden Genu 
valgum zusammenwirft. 

Wenn es mir erlaubt ist, meine Meinung noch einmal ganz 
kurz zusammenzufassen, dann möchte ich betonen, dass Knochen¬ 
function, d. w. s. eine den Knochen stärkende Verwendung, 
nicht von einem permanenten Druck oder Zug eingeleitet wird, 
sondern eine Abwechselung der inneren Spannung, die Folge einer 
sich fortwährend ab ändern den äusseren Kraft, voraussetzt; dass 
solche gebührende Function die normale innere Architektur entwickelt 
und unterhält, dagegen ein permanenter Druck oder Zug, wie 
Volk mann uns gelehrt hat, nur Schaden bringt und die ortho¬ 
pädischen Missbildungen veranlasst. 


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X. 


Bemerkungen zu der vorstellenden Eorteweg’scken 
Arbeit über „Die Ursachen der orthopädischen 
Enochenmissbildung“. 

Von 

Prof. Dr. Julius Wolff in Berlin. 

Wenn ich den Sinn der vorstehenden Körte weg* sehen Arbeit 
richtig verstanden habe, so liat der Autor wohl auf Folgendes 
hinauskommen wollen: 

„Durch die Function eines Gewebes oder Organes, namentlich 
der Knochen und Bänder, werde die Zufuhr einer genügenden Menge 
von Emährungsmaterial zu diesem Gewebe bewirkt. Eine solche 
Zufuhr sei die Vorbedingung der Entwickelung und des Fortbestandes 
der normalen inneren Structur des betreffenden Gewebes. 

Sobald aber ein permanenter Druck oder Zug auf die Knochen 
ausgeübt werde, so fehle es an einer sich fortwährend abändernden 
äusseren Kraft und der ihr entsprechenden Abwechselung der inneren 
Spannung. Dadurch werde die Fortbewegung der Emährungsflüssig- 
keit bezw. das Eintreten neuer Ernährungsflüssigkeit gehindert. Die 
Folge einer solchen Behinderung sei die Erweichung und der Schwund 
des permanent gedrückten oder gezerrten Gewebes, und dieser Schwund 
führe zur Entstehung der Deformität. Damit komme die von mir 
widerlegte Theorie des Knochenschwundes durch Druck und der 
Knochenanbildung durch Druckentlastung wieder zu ihrem Rechte. 

Hierzu möchte ich mir einige Bemerkungen erlauben. 

Was den ersten Theil dieser Körteweg'schen Anschauung be- 
trifl't, die Abhängigkeit der normalen Structurverhältnisse von dem 
Quantum der zugefülirteii Eriiährungsflüssigkeit, so handelt es sich 


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Bemerkungen zu der vorstehenden Korteweg’schen Arbeit etc. jgl 


bei dieser Anschauung, mit welcher Körte weg eine neue Entdeckung 
gemacht zu haben glaubt, um eine längst und viel discutirte, und be¬ 
reits 1881 von W. Roux in endgültiger Weise widerlegte Hypo¬ 
these. 

Es ist mithin überflüssig, auf diesen Punkt, über den sich 
Körte weg durch Lectüre der ausführlichen Auseinandersetzungen 
Roux's (Kampf der Theile im Organismus S. 137—164) Aufklä¬ 
rung verschaffen, und bezüglich dessen er sich alsdann mit Roux 
abzufinden versuchen möge, ausführlicher einzugehen. 

Es genügt, hier nur die folgenden Worte Roux's anzuführen: 

„Es widerspricht allen Thatsachen, wenn man eine passive Er¬ 
nährung der Theile allein abhängig von der Nahrungszufuhr statuiren 
will. Die Ernährung findet im Gegentheil unter qualitativer und 
quantitativer Auswahl Seitens der ernährten Theile statt, und die 
Blutzufuhr wird von der Verbrauchsstelle entsprechend dem Be¬ 
darf regulirt. Die functioneile Hyperämie, wo sie stattfindet, ist 
keinesfalls die Ursache der functioneilen Hypertrophie, sondern sie 
darf nur als eine günstige, vielleicht nicht einmal immer unerläss¬ 
liche nothwendige Vorbedingung derselben angesehen werden.“ 

Ich komme zum zweiten Theile der Korteweg'schen Ausein¬ 
andersetzungen, zu seiner Meinung, dass bei permanentem Druck oder 
Zug das Ausbleiben der Abwechselung der inneren Spannung im Knochen 
zum Schwunde der Knochensubstanz führt. Körte weg ist, wie man 
aus seinen Darlegungen ersieht, zu dieser Meinung gelangt ohne Ver- 
ständniss der Culmann'schen Entdeckung der mathematischen Be¬ 
deutung der inneren Knochenarchitektur, ohne Verständniss des auf 
dieser Entdeckung begründeten „Gesetzes der Transformation der 
Knochen“, so wie der Lehre vom „trophischen Reize der Function“ und 
der Lehre von der „functioneilen Knochengestalt“, 'ohne Verständniss 
der Krahnzeichnung der Mathematiker, welche uns in unerbittlichen 
Zahlenwerthen auf klärt über die Art, Oertlichkeit und Grösse der 
durch die äusseren Kräfte im Knochen hervorgebrachten Druck-, 
Zug- und Schubspannungen, ohne Verständniss endlich der vollen 
Üebereinstimmung der architektonischen Verhältnisse der Fracturen-, 
Rhachitis- und Deformitätenpräparate mit jenen Berechnungen der 
Mathematiker. 

Ich würde es unter solchen Umständen nicht der Mühe für 
werth erachtet haben, über die Korteweg'schen Auseinandersetzungen 
auch nur ein einziges Wort zu verlieren, wenn Korteweg seinen 


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182 J- Wolff. Bemerkungen über die vorstehende Korteweg’sche Arbeit etc. 

Erörterungen nicht auch noch einen fast persönlichen Angriff auf 
meinen Assistenten Herrn Dr. Joachimsthal hinzugefügt hätte. 

Er nennt JoachimsthaTs Darlegung meiner Auffassung der 
Torsion der skoliotischen Thoraxringe als einer functionellen An¬ 
passung an die fehlerhafte Haltung und Inanspruchnahme des Thorax 
eine „unwissenschaftliche“ Folgerung der Transformationslehre. 

Es ist ganz gewiss nicht JoachimsthaTs, sondern lediglich 
Körteweg’s Schuld, wenn letzterer es nicht zu begreifen vermag, 
dass bei den Deformitäten nur die statische Inanspruchnahme der 
Knochen pathologisch ist, die Form dagegen eine für diese patho¬ 
logische Inanspruchnahme zweckmässige, den zweckdienlichen 
Widerstand gegen die veränderte Richtung der Druck-, Zug- und 
Schubspannungen ermöglichende, also zwar eine abnorme, aber doch 
nicht direct pathologische Bildung darstellt. 

Wenn Korteweg sich entschlösse, in Zukunft besser, als er 
es bisher gethan hat, sich in das Studium der Lehre von der func¬ 
tionellen Anpassung zu vertiefen, und eigene Arbeit auf diesem 
Gebiete hinzuzufügen, so würde er sich damit erst das Recht er¬ 
werben, sich ernsthaft an der Discussion über „die Ursachen der 
orthopädischen Knochenmissbildung“ zu betheiligen. Dann würde 
er es aber auch gewiss vermeiden, Dinge niederzuschreiben, die eine 
so energische Abweisung, wie die hier vorliegende, provociren. 


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Referate 


Mit einer in den Text gedruckten Abbildung. 

Dr. C. Hübscher, lieber Bewegungsfelder am menschlichen Körper (aus der 

Basler chirurg. Klinik. In den Beiträgen zur klin. Chirurgie. Mitth. a. d. 

chir. Kliniken v. Tübingen, Heidelberg. Rev. v. Bruns. VIII. Bd. 26). 

Bewegungsfelder nennt der Verf. die Excursionsgebiete der in einem 
Gelenk möglichen Bewegungen, analog den Bezeichnungen G e s i c h t s f e 1 d und 
Blickfeld. Letzteres ist geradezu das beste Beispiel eines Bewegungsfeldes. 
Es wird hier vermittelst des Perimeters aufgenommen und zwar in der Art, 
dass eine Schriftprobe oder ein Licht so lange peripherwärts verschoben wird, 
bis der Patient denselben mit den Drehungen des Auges nicht mehr zu folgen 
im Stande ist, oder in der Weise, dass die Reflexbilder eines vor dem Patienten 
aufgestellten Lichtes, welche auf Cornea und Linse entstehen, vom Beobachter 
zum Visiren und Einstellen benutzt werden. 

Wie beim Auge die Bestimmung der Form des Blickfeldes wichtige An¬ 
haltspunkte zur Beurtheilung des Zustandes der Augenmuskeln liefert, so hielt 
es Verf. für möglich, dass der orthopädischen Diagnostik aus der Bestimmung 
der Form des Bewegungsfeldes ein Nutzen erwachse. 

Zur Aufnahme des Bewegungsfeldes, z. B. des Hüftgelenks, welches schon 
durch Albert an der Leiche vermittelst eines Kugelnetzes von Metallstäben 
aufgenommen wurde, bedient sich der Verf. des von ihm angegebenen zwei¬ 
achsigen Winkelmasses (Beiträge z. klin. Chirurgie, 4. Bd., 2. Heft). Der Arbeit 
sind die Zeichnungen der Bewegungsfelder eines nonnalen und congenital 
luxirten Hüftgelenks beigegeben. 

Auch für die Kopfbewegungen einschliesslich derjenigen der Halswirbel¬ 
säule hat Hübscher das Bewegungsfeld bestimmt. Er bediente sich hiezu einer 
neuen von ihm erfundenen Methode. Auf die Stirn des Patienten wird mittelst 
eines Gummibandes eine grosse Convexlinse befestigt, welche die zur Aufnahme 
nöthigen Reflexbilder liefert, wie beim Auge Cornea und Linse. Auch hierfür 
sind die Aufnahmen zweier Brillen (normal und pathologisch) beigegeben. 

Aber auch die Drehungen der Wirbelsäule hat Hübscher mit seiner 
Methode zu prüfen versucht. Nun wird die Convexlinse successive auf den ver¬ 
schiedenen Domfortsätzen der Wirbel befestigt und das Perimeter am Rücken 
des Patienten aufgestellt. Mit vollem Recht legt Hübscher ein grosses 
Gewicht auf die frühzeitige Diagnose der Scoliose, bei welcher eben (wie schon 


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184 


Referate. 


von Lorenz besonders betont. Ref.) die Beschränkung^ der Beweglichkeit der 
Wirbelsäule nach einer Seite öfters das einzige deutlich nachweisbare Symptom 
bildet. (Wir möchten aber davor warnen, dieses Verhalten als relative Insuf- 
ficienz der entsprechenden Muskeln zu bezeichnen, um nicht ein Missverständniss 
in Bezug auf Aetiologie hervorzurufen. D. Ref.) 

Hübscher erhielt bei diesen Aufnahmen, deren Resultate nun auf einem 
Quadrainetze aufgetragen werden, der nach oben zunehmenden Drehfähigkeit 
der Wirbelsäule entsprechend 2 divergente Curven. 

Ohne Zweifel hat Hübscher damit eine Methode in die Diagnostik der 
Bewegungsfähigkeit eingeführt, welche die Aufmerksamkeit der Orthopäden in 
hohem Masse verdient. Selbstverständlich wird es aber stets schwierig sein., das 
Gelenk in die Mitte des supponirten Kugelnetzsystems zu bringen und noch 
mehr dasselbe darin zu erhalten. In welcher Weise der Verf. für die Wirbel¬ 
säule dieser Forderung gerecht geworden ist, geht aus der Mittheilung nicht 
hervor, doch wird sich zweifelsohne hier die Aufgabe sehr schwierig gestalten, 
da jede Drehung auch die Sagittal- und Frontalkrümmungen in erheblicher 
Weise beeinflusst. Immerhin liefern die beiden beigegebenen Zeichnungen den 
Beweis, dass die angegebene Methode ein Resultat gibt, das von dem theoretisch 
zu erwai-tenden kaum erheblich abweicht. 

Wilhelm Schulthess-Zürich. 


L. Heusner, lieber die Behandlung der Wirbelcaries (Deutsche med. Wochen- 

schr. 1892, Nr. 10, S. 209 f.). 

Zur Behandlung der Wirbelcaries construirte Heusner folgenden Ap¬ 
parat: Das Stützmieder besteht aus weichem Filz, in 3—4facher Lage fest um¬ 
wickelt mit gestärkten Gazebinden. Zwischen diesen Lagen handbreite Streifen 
von einem Rohrgeflecht, wodurch dem Gerüst Festigkeit, Leichtigkeit und 
Schmiegsamkeit gegeben wird. Bei schmalen Hüften wird über die Cristae ilei 
und bis vor die Spinae antt. supp, ein kleinfingerdicker Gummischlauch auf die 
Filzunterlage gelegt und beim Wickeln der Bindentouren bis zum gleichen Niveau 
fest in die Weichtheile eingedrückt. Zur Entlastung der Wirbelsäule werden 
gepolsterte Achselstücke aus leichten Eisen- und Stahlstäben in die Touren 
eingeschlossen. Zur Streckung des Rückens können über den Geflechtplatten 
4 federnde Stahlstäbchen eingeschaltet werden. Der Kopfhalter besteht aus 
einem dem Hinterhaupt und Unterkiefer genau angepassten und gepolsterten 
eisernen Kragen, der hinten unter der Polsterung ein Chamier zum Oefihen hat 
und vom durch ein Lederriemchen geschlossen wird. Den Kragen trägt eine 
am hinteren Pole angenietete Stahlschiene, die frei über das Korsett hinabläuft 
und sich unten in 2 Stäbe gabelt. Die unteren Enden der Gabel sind mittelst 
Gummizügen an den Achselstützen aufgehängt, und zwar von der rechten Gabel 
zur linken Achselstütze und vice versa. So ruht der Kopf wie auf einer Feder¬ 
waage, deren Tragfähigkeit durch die Spannung der Gummizöge willkürlich 
regulii-t werden kann. Da das Kinn stets hoch ist, so werden die morschen 
Wirbelkörper entlastet. Die Erfolge, welche Heusner mit dieser Construction 
erzielte, sind nach seiner Angabe vorzügliche. 

Hoff a-Wörzburg. 


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Referate. 


185 


M. Schede, üeber die blutige Reposition veralteter Luxationen (Langenbecks 

Arch. f. Chirurg. Bd. 43, S. 351 ff.). 

In dem sehr bemerkenswerthen Aufsatz theilt Schede seine Erfahrungen 
mit, die er bei der blutigen Reposition veralteter Luxationen gemacht hat. Es 
ist ihm gelungen, eine ideale Heilung mit mehr oder weniger vollstilndiger 
Erhaltung der Beweglichkeit ohne Resection zu erzielen in 4 Fällen von tuber- 
culöser und 1 Fall von tabischer Vereiterung des Hüftgelenkes, Imal bei tuber- 
culöser Vereiterung des Schultergelenkes, Imal bei veralteter Schultergelenks¬ 
luxation, Imal bei solcher des Radius. Eine vorübergehende Eiterung, ohne 
das Endresultat wesentlich zu beeinflussen, trat einmal ein nach der Reposition 
einer angeborenen Luxation der Schulter. Schliesslich hat Schede 4mal 
mit absolut günstigem Erfolg die Hoff a’sche Operation der angeborenen Hüft- 
g’elenksluxation ausgeführt. Namentlich über diese letztere Thatsache kann der 
Referent nur seiner Freude Ausdruck geben. Es ist dies die erste öffentliche 
Bestätigung seiner eigenen Erfahrungen; von weiteren günstigen Resultaten ist 
ihm persönlich Mittheilung gemacht worden. Diese Fälle werden wohl später 
noch veröffentlicht werden. Hoffa-Würzburg. 

E. Müller, Die Therapie der Skoliose (Med. Corresp.-Blatt des württemb. ärztl. 

Landesvereines, Bd. 62, Nr. 10 und 11). 

Zur Correctur des skoliotischen Thorax hat Müller folgenden Apparat 
construirt (s. umstehende Fig.). Der Patient wird mittelst eines um das Becken 
kreuzweise geschlungenen Riemens an dem hölzernen Rahmen so befestigd^, dass die 
Mittellinie des Körpers vor die senkrechte eiserne Stange AB zw stehen kommt. 
Da der hölzerne Rahmen in der Höhe nicht verschieblich ist, so werden kleinere 
Patienten auf Holzklötzchen von 10 oder 5 cm Höhe gestellt, bis sie die Höhe 
erreicht haben, dass die Spina il. den horizontalen Schenkel des Rahmens etwas 
überragt Der Querdurchmesser des Beckens muss mit dem letzteren parallel 
sein. — An der senkrechten runden Eisenstange sind zwei horizontale Stahl- 
stangen angebracht; beide sind in der Höhe verschiebbar und um die senkrechte 
Stange als Achse drehbar. Die obere Stahlstange (CH) trägt nach vorne (gegen 
den Patienten) eine gepolsterte Platte, gegen welche die Schultern des Patienten 
mittelst zweier Riemchen befestigt werden; nach hinten zu befindet sich eine 
Schraube, mit der die Stange an der senkrechten Eisenstange unverrückbar 
festgeschraubt werden kann. 

Die untere Stange (JR) kann wie die obere in beliebiger Höhe fest¬ 
gehalten werden, bleibt aber dabei um die senkrechte Stange drehbar. Auf 
der zur rechten Seite des Patienten (eine rechtsconvexe Dorsalskoliose voraus¬ 
gesetzt) gelegenen Seite der Stange befindet sich an ihr verschiebbar eine ovale 
Pelotte (P ), die in einem Gelenk mit senkrechter Achse drehbar ist. Diese 
Pelotte wird so eingestellt, dass sie auf den hinteren Rippenbuckel zu liegen 
kommt. Die Pelotte kann in dieser Einstellung fest geschraubt werden. — 
Gegenüber der ersten senkrechten Eisenstange ist eine zweite (C D ), ebenfalls 
runde, angebracht, in einer solchen Entfernung, dass der Patient bequem 
zwischen den beiden Platz hat; sie befindet sich also der vorderen Mittellinie 
des Patienten gegenüber. An ihr befindet sich ebenfalls eine in beliebiger Höhe 


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Referate. 


feststellbare und um die senkrechte Achse drehbare Stahlstange (MN), an 
welcher auf der der linken Seite des Patienten entsprechenden Hälfte wieder 
eine Pelotte (P*) angebracht ist, die wie die Pelotte (P) nach rechts und links 



verschiebbar und um eine senkrechte Achse drehbar ist, und ausserdem noch 
vor- und rückwärts, also in der Richtung gegen den Patienten geschoben werden 
kann. Diese Pelotte wird auf den vorderen Rippenbuckel aufgelegt, und durch 
3 Schrauben in ihrer Lage festgestellt. Von der linken Hälfte der Stange (CrH) 
geht nun zu der ebenfalls linken Hälfte der Stange {MN) ein durch ein Chamier 


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Referate. 


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mit beiden verbundenes Stahlstängchen (Q ), welches die Aufgabe bat, die Be¬ 
wegung der einen Stange auf die andere zu übertragen. 

An dem rechten Ende der Stange (JK) ist eine Schnur befestigt, welche 
nach der Wand des Zimmers, gegen welche der Patient sieht, geht, und dort 
über eine Rolle läuft; an dieser Schnur können beliebige Gewichte angebracht 
werden. Wenn dieser Gewichtszug wirkt, so wird die hintere Pelotte gegen den 
hinteren Rippenbuckel und gleichzeitig, da durch die Rückwärtebewegung der 
linken Hälfte der Stange (JK) die linke Hälfte der Stange {MN) gegen den 
Patienten zu bewegt wird, auch die Pelotte (P^) gegen den vorderen Rippen¬ 
buckel angedrückt. Die beiden Pelotten bewegen sich also gegen einander, den 
langen Durchmesser des Thorax verkleinernd. 

Die Grösse der Excursion der vorderen Pelotte kann man dadurch regu- 
liren, dass das Stängchen (Q) an beliebigen Stellen der Stange befestigt 

werden kann; je näher dem Drehpunkt der Stange die Befestigung stattfindet, 
um so kleiner ist natürlich die Excursion der Pelotte. Die vordere Pelotte 
muss aber eine kleinere Excursion machen und damit einen geringeren Druck 
ausüben, weil der vordere Rippenbuckel viel leichter nachgibt als der hintere, 
und bei zu starkem Druck eine nachtheilige Beengung von Herz und Lunge 
stattfinden könnte. 

üeber dem Apparat ist noch eine Suspensionsvorrichtung angebracht, um 
auch erforderlichen Falls eine Extension auf die Wirbelsäule einwirken lassen 
zu können. — Müller ist mit diesem Apparat sehr zufrieden. Der Vortheil 
desselben scheint ihm hauptsächlich der zu sein, dass durch den Gewichtszug. 
der uns ja von dem Zugverband von den Extremitäten her sympathisch ist, eine 
sehr genaue Dosirung der angewandten Gewalt stattfinden kann; dann ist der 
Thorax nicht unnachgiebig eingespannt; bei tiefen Inspirationen kann sich auch 
der comprimirte Durchmesser erweitern, wie man am Auf- und Abgehen des 
Gewichtes sehen kann. Ferner kann man die Stelle, welche gedrückt werden 
soll, sehr genau bestimmen, und ist der zu drückende Punkt einmal bestimmt, 
so bleibt die Pelotte auch während der ganzen Anwendung des Apparates ruhig 
liegen; es ist dadurch möglich, die Gewalt ganz genau in der Richtung des 
vergrösserten Durchmessers wirken zu lassen. — Die Wirkung des Apparates 
ist eine sehr starke; je nach der Grösse des Patienten, der Stärke des Buckels, 
der Nachgiebigkeit der Rippen werden Gewichte von 7—18 Pfund angehängt, 
und infolge des langen Hebelarms summirt. sich das Gewicht, mittelst dessen 
der Thorax comprimirt wird, auf 20 — 50 Pfund. Die Wirkung ist eine ganz 
allmählich sich steigernde; je länger dieselbe andauert, um so mehr nähern sich 
die Pelotten einander und wird der vorher kürzere diagonale Durchmesser zum 
längeren. — Durch dieses allmähliche Zunehmen der Compression wird auch 
eine länger dauernde Anwendung des Apparates — bis zu 20 Minuten — ohne 
Beschwerden ertragen; sobald die Kranken es wünschen, werden sie aus dem¬ 
selben herausgenommen. — Dass die Anwendung, zumal im Anfang, eine vor¬ 
sichtige sein muss, versteht sich von selbst; ebenso dass, solange ein Kranker 
eingespannt ist, stets Jemand in der Nähe sein muss, der den Kranken aus 
seiner Lage befreien kann; das Anlegen des Apparates besorgt stets der Arzt selbst. 

Von der kurzen Arbeit Müllers ist schliesslich auch ein eigener Mess¬ 
apparat für Skoliosen beschrieben. Hoffa. 


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Referate. 


L. Heuener, üeber einen Stützapparat bei Lähmung des N. radialis (Deutsche 
med. Wochenschr. 1892, Nr. 6 S. 115). 

Für einen Patienten, der infolge Stichverletzung an der Aussenseite des 
linken Oberarms eine völb’ge Lähmung der Hand- und Fingerstrecker und auch 
eine Gebrauchsschädigung der Beuger davontrug, insofern als Patient die Finger 
der betreffenden Hand nur schliessen kann, nachdem die Handwurzel in Exten¬ 
sionsstellung gebracht und die Finger in die Höhe gehoben sind, construirte 
Heusner folgenden Apparat: Eine auf der Beugeseite durch eine Stahlspange 
verstärkte Lederkapsel umfasst Vorderarm und Hand bis zu den Fingerwurzeln 
und hält das Handgelenk so in leichter Streckstellung; der Metacarpus des 
Daumens bleibt fast ganz frei. Auf dem Rücken der Kapsel vier Gummischnüre, 
die, an den Basalgelenken unter Kulissen durchgeführt, in breitere Gummi¬ 
bändchen auslaufen, welche die Basalglieder der vier Finger umfassen; dadurch 
werden die Finger in Strecksteilung gehalten, aus welcher sie willkürlich und 
einzeln in die Beugstellung gebracht werden können. — Patient trägt diesen 
Apparat über V« Jahr, ohne dass besondere Reparaturen nöthig gewesen wären. 
Kr ist im Stande, feine leichte und auch schwerere Gegenstände sicher zu fassen 
und festzuhalten. Hoffa-Wüi’zburg. 

Hosenfeld, Ueber portative Holzverbände (Münch, med. Wochenschr. 1892). 

Kurze Darstellung der heute gebräuchlichen portativen Holzverbände. 
Rosenfeld hat versucht, auch die Hessing’schen Lederhülsen durch Holz- 
hülsen zu ersetzen. Hoffa-Würzburg. 

H. Ti mm er. Supramalleolaire Osteotomie biy een Geval van Pes valgus (Ned. 
Tiydsch. voor Geneen. 1892, I. Theil). 

Tim m er hat, wie die Figuren zeigen, bei einem schweren Fall von Platt- 
fuss durch die Trendelenburg’sche Operation ein sehr gutes Resultat erreicht. 
Im Anschluss an den mitgetheilten Fall, werden noch die gleich günstigen Er¬ 
fahrungen von Trendelenburg und Willy Meyer angeführt. 

H o ff a-Würzburg. 

Karl Basch, Ueber sogenannte Flughautbildung beim Menschen (Separate 
abdruck aus „Zeitschrift für Heilkunde“ 1891, Bd. 12). 

Basch beschreibt drei Fälle der zuerst, von Julius Wolff an der 
unteren Extremität beobachteten und als Flughaut bezeichneten eigenthümlichen 
Missbildung. In dem ersten Fall bestand bei einem im Alter von 5 Wochen 
gestorbenen Kinde neben der in Rede stehenden Abnormität Hasenscharte, 
Wolfsrachen und ähnlich wie in dem Wolffschen Falle beiderseitige Klump- 
fussbildung, Zehendefect — es waren jederseits nur vier Zehen vorhanden — 
und Anomalie in der Stellung derselben. Am linken Fusse waren die Zehen 
so angeordnet, dass je zwei nach der medialen und zwei nach der lateralen 
Seite gerichtet waren, wodurch eine geringe mediane Einschnürung entstand, 
die sich aber auf den Metatarsus nicht fortsetzt«. Zwischen dem Ober- und 
Unterschenkel war beiderseits der Länge nach eine Hautduplicatur ausgespannt, 
die der Kniekehle in Form eines Dreiecks aufgesetzt erschien. Man tastete 


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Referate. 


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längs der Basis dieser dreieckigen Hautduplicatur einen straff gespannten 
Sehnenstrang, der sich aus den Flexoren des Unterschenkels zusammensetzte 
und mit der ebenfalls angespannten Achillessehne bis zum Calcaneus berabzog. 
Die Oberschenkelknochen sowie die das Kniegelenk formirenden Antheile der 
Tibia und Fibula zeigten keine Neubildung; die Patellae waren beiderseits er¬ 
halten. Das Kniegelenk war rechts bis zu einem Winkel von 100°, links bis 
zu ca. 130° streckbar, die Flexion war beiderseits bis zur Berührung der Unter- 
fläxjhe des Oberschenkels mit der des Unterschenkels möglich. 

Bei der anatomischen Präparation zeigte sich rechts ein angeborener 
Mangel des langen Kopfs des M. biceps femoris; der M. semitendinosus und 
semimembranosus gingen zwar regelmässig vom Sitzhöcker ab, übersprangen 
aber ihre normale Insertionsstelle an der Tuberositas tibiae und vereinigten sich 
zusammen mit dem M. triceps snrae in der Höhe des unteren Dritttheils des 
Unterschenkels in Form einer breiten sehnigen Verbindung, die an der Innen¬ 
seite der Achillessehne zu dieser hinzutrat. Der mediale Kopf des M. gas- 
trocnemius war nicht vorhanden. Durch das Fehlen des langen Kopfes des 
Biceps und das Auseinanderweiclien der Beuger des Unterschenkels erschien der 
Hüftnerv in dem grösseren Theil seines Verlaufs freigelegt. An der linken 
unteren Extremität fehlte gleichfalls der lange Kopf des Biceps. Während so¬ 
dann der M. semitendinosus sich auch auf dieser Seite mit der Achillessehne in 
ihrem unteren Drittel vereinigte, an dieselbe aber mehr von unten und hinten 
her hervortrat, inserirte der M. semitendinosus mit dem grössten Theil seiner 
Muskelmasse nindsehnig an der normalen Stelle, während sich daneben ein 
anderer Muskeltheil fächerförmig abfaserte und in die Fascie der Waden- 
rausculatur überging. Die Mm. plantares longi fehlten an beiden Seiten. 

Die beiden weiteren Fälle von Flughautbildung fanden sich unter den 
Präparaten des Prager pathologischen Museums. Bei dem ersten bestand bei 
einem Omonatlichen Fötus die Abnormität neben Situs viscerum inversus und 
zahlreichen anderen Missbildungen. Es handelte sich uni eine Flughautbildung 
geringen Grades zwischen Ober- und Unterschenkel der rechten Seite. Bei der 
Präparation konnte keinerlei Abnormität in der Verlaufsanordnung der Beuger 
des Unterschenkels ermittelt werden. f]s bestand als Ursache der Contractur 
nur eine Verkürzung der Musculatur an der Innenseite des Oberschenkels, eine 
„Hypoplasie“ des M. gracilis, M. semitendinosus und M. semimembranosus, ohne 
dass ihre normale Form und Anlage dadurch gestört worden wären. An der 
Verkürzung nahm der Hüftnerv insofern Antheil, als er sich nicht entlang den 
Beugern der Kniekehle anlegte, sondern schon von der unteren Hälfte des 
Oberschenkels freigelegt, in der Kniekehle hinter die Beuger zu liegen kam und 
im freien Rande der Hautduplicatur zum Unterschenkel herabzog. 

Bei dem Ömonatlichen Fötus, den Basch noch beschreibt, handelte es 
sich neben einer Fissura abdominalis, infolge welcher es zur fast vollständigen 
Eventration der Baucheingeweide gekommen war, und hochgradiger rechtsseitiger 
Klumpfussbildung um eine Flughautbildung am rechten Knie. Die Flexions- 
contractur betrug beinahe einen rechten Winkel. Hier fand sich eine auffällig 
mächtige Entwickelung des M. sartorius und des M. gracilis. Die Verlaufs¬ 
richtung der beiden Muskeln war dabei eine regelrechte, was auch bezüglich 


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Referate. 


aller Beuger des Unterschenkels galt. Der M. gracilis, semitendinosus und 
semimembranosus schienen verkürzt, ebenso der Hüftnerv, der wie in den frü¬ 
heren Fällen stark gegen den freien Rand der Flughaut vorgedrängt war. 

Wegen dieses Verhaltens der Nerven ist demselben bei event. operativen 
Eingriffen besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Joachimsthal-Berlin. 

A. Lücke, Die späteren Schicksale des stationär gewordenen Plattfusses 

(Deutsche Zeitschrift für Chirurgie, Bd. 34, S. 1 — 11). 

Aus der reichen Erfahrung L ü c k e’s heben wir Folgendes hervor. Selbst 
mit sehr ausgebildeten Plattfüssen können Patienten jeder Anstrengung im 
Gehen sowohl auf ebenem Boden als auch auf bergigem Terrain gewachsen 
sein. Es sind das solche Patienten, deren Unterschenkelmuskeln gut aus¬ 
gebildet sind. 

Bei dem sich entwickelnden Plattfuss besteht oft eine hochgradige 
Schmerzhaftigkeit beim Gehen, ohne dass man schon, besonders in der Ruhe¬ 
lage, eine Deformität bemerken kann. Diese Schmerzen hängen zum Theil wohl 
von den osteoporotischen Veränderungen ab, welche am oberen Knochen des 
sich bildenden Plattfusses statthaben. 

Bei den weniger hochgradigen Plattfüssen ist doch stets eine deutliche 
Venenzuckung — die Folge von Circulationsstörungen — vorhanden. Ebenso 
verlaufen die Zehen an solchen Füssen lang gestreckt. 

Die häufigste Ursache der Plattfussrecidive, d. h. des Wiederaufbretens 
von Schmerzen bei bereits stationär gewordenen Plattfüssen ist ein den Platt¬ 
fuss treffendes Trauma. Die Diagnose wird dann wohl öfters fälschlicherweise 
auf eine traumatische Ostitis gestellt. Anlegung eines gegen den Plattfuss ge¬ 
richteten Schienenverbands führt dann meist rasch die Heilung herbei. Es gibt 
aber auch incurable Fälle dieser Art. Es handelt sich dann stets um sehr 
ausgebildete Plattfüsse, und es ist allen diesen Fällen gemeinsam, dass die Spitze 
des Malleolus extemus gegen die Aussenfläche des Hackenfortsatzes des Cal- 
caneus anstösst. 

Auch abnorme einseitige Belastung eines Plattfusses bei Erkrankung des 
andern kann ein Plattfussrecidiv im obigen Sinne hervorrufen. Weiter sind als 
Ursachen des Plattfussrecidivs Varicenbildung und durch verschiedene Einwir¬ 
kungen hervorgerufene allgemeine Muskelschwäche und sich schnell entwickelnde 
Fettleibigkeit zu beschuldigen. 

Das wesentlichste Symptom des Plattfussrecidivs ist die Sclimerzhaftig- 
keit. Der Schmerz selbst kann localisirt werden in die Zehen, in die Fuss- 
wurzelknochen. besonders an die Grenze der hinteren Reihe, in den Calcaneus, 
an die Spitze des Malleolus extemus. Dieser Schmerz wird in der Regel als 
ein rheumatischer gedeutet. Man muss dann die Patienten im Stehen unter¬ 
suchen und wird dann leicht die Stellungsanomalien und die Varicenbildung, 
öfters • auch Thrombosenbildung (auch in den tiefen Wadenvenen!) erkennen. 
Die Schmerzen verschwinden bei Behandlung mittelst Massage und Elektricität, 
werden dagegen stärker beim Gebrauche warmer Bäder. In seltenen Fällen 
entwickeln sich förmliche Neuralgien, die meist dem Verlaufe des Nervus pero¬ 
neus folgen. Die Heilung des Recidivplattfusses, verbunden mit Einwirkung der 


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Referate. 


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Elektricitilt beseitigt in vielen Fällen diese Neuralgie; in anderen Fällen ent¬ 
wickeln sich aus derselben alle Formen der Hysterie. Hoffa-Würzburg. 

Albert Zeller, Zur Behandlung des Plattfusses (Med. Correspondenzblatt des 

Württemb. ärztl. Landesvereins, 22. December 1891, Ö. 297). 

Zeller berichtet über zwei Fälle von schmerzhaftem Plattfuss, die er 
mit Erfolg nach Trendelenburg behandelte. Die beiden Kranken sind vor 
1 Jahr und 9 resp. 7 Monaten operirt. Die Höhlung der Sohle, die, wie auch 
aus den der Arbeit beigegebenen Pelmatogrammen hervorgeht, nach der Opera¬ 
tion sehr ausgesprochen war, ist zwar mit der Zeit wieder etwas flacher ge¬ 
worden; doch sind die Schmerzen nicht wiedergekehrt. 

Helferich, Die Behandlung deform geheilter Knoohenbrüche (Münch, med. 

Wochenschr. 1892, Nr. 12). 

Helferich der sich, was di«* Behandlung deform festgewachsener 
Knochenbrüche betrifft, auf ein Material von 30 Kranken stützt, die in der Zeit 
vom October 1885 bis Ostern 1891 in die Greifswalder Klinik wegen fehlerhaft 
geheilter Fracturen aufgenommen wurde, erläutert in der vorliegenden Arbeit 
an einzelnen Beispielen das in diesen Fällen eingeschlagene Verfahren. Da fast 
stets die fehlerhafte Heilung dadurch herbeigeführt war, dass die betreffenden 
Patienten von ihren Aerzten sofort Gipsverbände erhielten, die nachher wochen¬ 
lang liegen blieben, so nimmt Helferich Gelegenheit bei frischen Knochen¬ 
brüchen vor der Anlegung von Gipsverbänden zu warnen. Er empfiehlt für die 
ersten 8 Tage Schienenverbände; bei den Diaphysenbrüchen folgt dann der 
erste Gipsverband, gepolstert, wenn nöthig in Narkose, nach sorgfältiger Repo¬ 
sition. Jedenfalls wird derselbe aber nach weiteren 8 Tagen wieder entfernt, 
um die Stellung der Fragmente zu controlliren, und durch einen neuen weniger 
gepolsterten, wenn nöthig wieder in Narkose ersetzt. Dieser zweite Verband 
bleibt nur in der Regel 2—3 Wochen liegen. 

Am einfachsten ist es in der Regel, wenn es sich darum handelt, deform 
tixirte Diaphysenbrüche des Unterschenkels dessen mittlerem Theil angehörend 
zu bessern. Von fünf derartigen Fällen der Greifswalder Klinik bespricht 
Helferich zwei eingehender. Im ersten gelang es, den rhachitischen Ver¬ 
krümmungen des Unterschenkels analoge Verbildungen nach einer vor einem 
halben Jahre erlittenen Fractur bei einem 50jährigen Patienten mittelst des 
R i z z o 1 i'schen Osteoklasten wieder zu fracturiren und in wesentlich gebesserter 
Stellung zur Heilung zu bringen. Bei dem zweiten analogen Fall wurde zu¬ 
nächst die Fibula an ihrer Bruchstelle durch Incision freigelegt und durch- 
meisselt, worauf die Tibia mittelst des Osteoklasten fracturirt wurde. Auch 
hier resultii-te eine annähernd normale Stellung mit verminderter Verkürzung 
und guter Gehfahigkeit. 

Grössere Anforderungen an die Geschicklichkeit und chirurgische Er¬ 
fahrung erfordern die deform fixirten Oberschenkelbrüche, ln zwei der mitge- 
theilten Fälle vermochte Helferich durch die Osteoklase, in dem dritten durch 
die Osteotomie an der alten Bruchstelle mit nachfolgendem Extensionsverband 
die Winkelstellung zu beseitigen und die Verkürzung wesentlich zu bessern. 


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Referate. 


In einer besonderen Gruppe bespricht Helferich dann noch die deform 
,geheilten“ Gelenkfractiiren, indem er des Genaueren auf einige Fälle eingeht, 
die das Fussgelenk und die Fractur der Knöchel betreffen. Bei zwei Kranken 
mit Valgussteilung der Füsse nach Knöchelbrüchen wurden im ersten Fall die 
beiderseitigen Fracturen mit dem Rizzoli'schen Osteoklasten mobilisirt und 
die Füsse in Varusstellung zur Heilung gebracht, während bei dem zweiten 
Patienten die Operation in der Weise stattfand, dass Tibia und Fibula nach 
subperiostaler Blosslegung dicht oberhalb der Malleolen angenieisselt wurden, 
und der völUge Bruch an diesen Stellen nach Versorgung der Wunden durch 
den Rizzoli hergestellt wurde. Bei frühzeitigen Bewegungen im Fussgelenk 
erfolgte auch hier gute Heilung. Bei einem dritten Kranken endlich war durch 
Sturz vom Wagen und Ueberfahren ein t^'iuscher Knöchelbruch zu Stande ge¬ 
kommen, der mit bedeutender Deformität zur Heilung gelangte, so dass der 
Kranke sich nur mit Hilfe zweier Krücken fortzubewegen im Stande war. Die 
Fractur war in typischer Weise im Bereich des inneren und etwa 4 cm ober¬ 
halb des äusseren Knöchels nachzuweisen. Die Valgussteilung des Fusses war 
sehr beträchtlich (ungefähr 150®). Hier wurde zunächst die Fibula an der 
Fracturstelle nach subiieriostaler Freilegung durchmeisselt; bei der Freilegung 
des inneren Malleolus erwies sich die abgerissene Knöchelspitze nur binde¬ 
gewebig fixirt und stark dislocirt. Nach Durchschneidung der Verwachsungen 
und Anwendung des Rizzoli zur Mobilisirung wurde die völlige Reposition 
ermöglicht. Unter Anwendung von Massage, activen und passiven Bewegungen 
schon von der vieHen Woche an, erfolgte die vollständige Wiederherstellung. 

Joachimsthal - Berhn. 

Max Schede, Uebei* die nachträgliche Beseitigung starker Verkürzung der 

Knochen als Folge schlecht geheilter Fracturen (Arch. f. klin. Chir., Bd. 83, 

S. 346, Festschrift, Herrn Thiersch gewidmet). 

ln dem von Schede mitgetheilten Falle gelang es, bei einer mehr als 
6 Monate alten, völlig consoUdirten, aber mit einer Verkürzung von 10cm 
geheilten Oberschenkelfractur durch Osteotomie und Gewichtsbehandlung die 
Verkürzung auf IV 2 —2 cm zu reduciren. Nur ein kleiner Theil der Verkür¬ 
zung, etwa 1 cm, war durch eine massige Verkrümmung der Oberschenkel- 
diaphyse nach aussen, der ganze Rest durch ein hochgradiges Uebereinander- 
schieben der Fragmente bedingt. Es hatte ein Schenkelbnich etwa der Mitte 
des Oberschenkels Vorgelegen; das obere Fragment lag in der gewöhnlichen 
Weise vor dem unteren, seine untere Spitze war gut 20 cm von dem oberen 
Ende des unteren Fragments entfernt. Unmittelbar nach dem Eingriff, der in 
einer ausgiebigen Freilegung der sehr langen Bruchlinie und in einem Durch- 
meisseln der festen Verschmelzungen, welche die beiden Knochen mit einander 
verbanden, bestand, liess sich durch sehr starken Händezug das Bein bereits 
um 3 cm verlängern. Da die Weichtheile bei dem zum Theil stumpfen Lösen 
von unebenen mit Osteophyten besetzten Knochen nicht unerheblich gequetscht 
waren, so wagte Schede nicht eine partielle prima intentio anzustreben und 
stopfte die ganze Wundhöhle mit Jodoformgaze aus; dann wurde ein Exten¬ 
sionsverband angelegt und zunächst ein Gewicht von 20 Pfd, angehängt, das 


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Referate. 


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später auf 25 Pfd. gesteigert wurde. Allerdings erfolgte nach wiederholter 
Ausstossung kleiner Sequester aus der fistulös gewordenen Wunde die definitive 
Heilung erst ein Jahr nach der Operation, doch gelang die Kur glänzend in 
Bezug auf die Beseitigung der Verkürzung, indem der Kranke ohne Stock und 
selbst ohne Sohlenerhöhung leicht und ohne zu hinken sich fortzubewegen im 
Stande war. Joachimsthal-Berlin. 


Guston Sardon, Traitement des cals vicieux avec chevauchement par Tosteo- 

toinie oblique (Paris, G. Steinheil 1891). 

Die vorliegende Arbeit enthält einen Bericht über fünf wegen fehlerhaft 
mit Verkürzung geheilter Oberschenkelbrüche ausgeführter schräger Osteo¬ 
tomien. 

Es handelte sich zunächst um einen 11jährigen Knaben mit einer seit 
10 Monaten bestehenden Luxatio iliaca und einem fehlerhaft consolidirten Bruch 
unterhalb der Trochanteren. Von der bestehenden Verkürzung des Beins um 
5\'2 cm entfielen 2V* cni a-uf die Luxation, 3 cm auf die Verschiebung der Bruch¬ 
stücke an einander. Da es zur Bildung einer sehr guten Nearthrose gekommen 
war, so verzichtete man auf die Beseitigung der Verrenkung und vollführte eine 
schräge Osteotomie des Femur in der Richtung von unten medialwärts nach 
oben und lateralwärts. Das freie Ende des oberen Fragments wurde mittelst 
einer aus der Wunde herausgeleiteten und an der Schiene befestigten Silber- 
drahtschlinge in der gewünschten Lage erhalten. Unter der Einwirkung der 
eingeleiteten Extensionsbehandlung trat das erstrebte Resultat ein; die geringe 
noch bestehende Verkürzung wurde durch eine erhöhte Sohle ausgeglichen. 

Bei dem zweiten Patienten, einem 12jährigen Kinde, der infolge eines 
Bruchs vor 4 Monaten eine den Gang sehr erschwerende Verkrümmung des 
oberen Femurabschnittes und eine Verkürzung des Beins um 3 cm acquirirt 
hatte, gelang es zwar durch die Osteotomie schräg von aussen unten nach innen 
oben und durch IV 2 Monate fortgesetzte F^xtensionsbehandlung die Deformität 
zu beseitigen. Dieselbe kehrte jedoch beim Gebrauch des Gliedes wieder. 
S a r d o n knüpft hieran die Mahnung, Kinder nach der Osteotomie nicht vor 1V 2 , 
Erwachsene nicht vor 3 Monaten auftreten zu lassen. 

3. Im Anschluss an eine complicirte Fractur vor 11 Monaten war bei 
einem 29jährigen Patienten eine Verkürzung des Oberschenkels um 11 cm zu 
Stande gekommen. Hier gelang es, nach der schrägen Osteotomie und der Ent¬ 
fernung mehrerer Sequester, die zur Fistelbildung geführt hatten, die Verkürzung 
bis auf 3 cm zu verringern. 

Die vierte Osteotomie wurde bei einem 59jährigen vor 9 Monaten ver¬ 
unglückten Kranken vollführt. Die beiden Fragmente bildeten hier einen nach 
innen offenen Winkel von 135® in der Mitte des Oberschenkels. Die sehr 
schräge Osteotomie wurde in der Verlängerung des inneren Randes des unteren 
Fragments direct ausgeführt, so dass ein Theil des alten oberen Fragments in Ver¬ 
bindung mit dem neuen unteren Bruchstück blieb. Trotz langdauemder Eiterung 
wurde ein gutes Resultat erzielt und die Verkürzung von 7 cm bis IV 2 cm 
ausgeglichen. 

In dem sechsten Fall endlich gelang es, bei einem ISjährigen Knaben mit 
Zeitochrlft für orthopädlBcbe Chirurgie. II. Band. X3 


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194 


Referate. 


einer 2 Monate alten fehlerhaft geheilten Fractur des Feraur an die Stelle der 
Verkürzung des Beines um b'/i cm eine Verlängerung desselben um V'j t-m 
gegenüber der gesunden Seite zu erzielen. Joachimsthal-Berlin. 

Ed. Schwartz, Deux cas d’osteotomic sous-trochanterienne pour des ankyloses 

vicieuses de la hanche (Revue d’orthopedie 1892, Nr. 1 S. 46). 

Schwartz berichtet über die erfolgreiche Ausführung der Osteotomia 
subtrochanterica in zwei Fällen von Hüftgelenksankylose. Im ersten Fall stiind 
bei einem O'/a.lährigen Knaben im Anschluss an eine Coxitis das linke Bein in 
überrechtwinkliger Flexion, starker Adduction und Aussenrotation, derart, das« 
cs dem Kranken selbst mit der Fussspitze nicht möglich war, den Boden zu 
berühren. Die Verkürzung, die bei dieser pathologischen Stellung ungefähr 
12 cm betrug, wurde durch die Operation, die linear ausgeführt wurde, auf 
5—6 cm verringert und der Patient in den Stand gesetzt, ohne Krücken und 
Stock mit Hilfe eines Beckens und linke Extremität einschliessenden Apparates 
sich fortzubewegen. Im zweiten Fall war bei einem 27jährigcn Kranken im 
Anschluss an eine gonorrhoische Gelenkentzündung eine Ankylose in leichU^r 
Flexions- und starker Adductionsstellung mit einer scheinbaren Verkürzung des 
Gliedes um 5—6 cm zu Stande gekommen. Um die starke Adductionsstellung 
besser zu corrigiren, vollführte Schwartz hier eine keilförmige Osteotomia 
subtrochanterica, wobei die etwa 2 cm hohe Basis des Keils nach aussen ge. 
richtet war. An Stelle der scheinbaren Verkürzung kam es infolge der Ah- 
ductionsstellung, die nun erreicht wurde, zu einer scheinbaren Verlängerung des 
Gliedes um 2—5 cm und zu einem sehr guten functioneilen Resultat. 

Joachimsthal' Berlin. 

Kümmell, Beitrag zum Ersatz von Sehnendefecten (Ibid. S. 280). 

Kümmell berichtet über eine subciitane Zerreissung der Sehne des 
Extensor pollicis longus. Der kräftige gesunde Patient fühlte beim Zügeln zweier 
junger Pferde, während diese zur Seite sprangen, einen starken Ruck und einen 
lebhaften bald vorübergehenden Schmerz, der sich durch den ganzen linken 
Arm verbreitete. Eine leichte Schwellung in der Gegend des linken Hand¬ 
gelenks hinderte nicht die Bewegungstahigkeit der Hand. Einige Stunden später 
entglitt ein Sattel, den der Kranke vom Haken nehmen wollte, seiner Hand, 
wobei ein furchtbar heftiger, jäher Schmerz im linken Arm auftrat. Der 
Daumen hing von dieser Zeit ab schlaff herab und konnte weder abducirt noch 
extendirt werden, ln diesem Zustand kam Patient 3 Wochen später in K fi m- 
melTs Behandlung. Der ulnare Rand der Tabatiere war nicht sichtbar, dagegen 
fühlte man in der Gegend der Mitt<‘ des Metacarpus pollicis das kolbig ver¬ 
dickte periphere Sehnenende. Nach Eröffnung der Sehnenscheide fand Kümmell 
die Sehne etwa 3 cm peripher vom Muskel durchrissen , äusserlich aber von 
vollkommen normaler Beschaffenheit und Derbheit. Da die Vei*8uche, durch 
forcirte Hyperextension, durch sehr starkes Anziehen der Sehnen sowie durch 
Einkerbung derselben die Enden an einander zu bringen, misslangen, vielmehr 
noch eine Diastase von ca. 8 cm bestehen blieb, so verband Kümmell nach 
dem Vorgänge von Gluck die getrennten Sehiienenden durch mehrere zusammen- 


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Referate. 


195 


gedrehte dicke Seidenfäden, vereinigte darüber die Wunde durch die Naht und 
verband die Hand in möglichster Hyperextension. Der Patient ist bei der Vor¬ 
stellung, 4 Monate nach der Operation, im Stande seinen Daumen wieder wie 
früher zu gebrauchen. Kümmell glaubt ebenso wie Gluck, dass der künst¬ 
liche Ersatz die Richtschnur bildet, die das neue Bindegewebe versetzt, gleich¬ 
sam das Gerüst und Spalier, welches von neuen lebenden Geweben durchwachsen 
wird. Joachimsthal-Berlin. 

Eduard Regnier, Zur operativen Behandlung des Genu valgum (Arch. f. 
kUn. Chir. 1892, Bd. 43, S. 378). 

Regnier berichtet über die in der Grazer chirurgischen Klinik des 
Prof. Wölfl er wegen Genu valgum vorgenommenen operativen Eingriffe. Bei 
der Aufmeisselung der Tibia mit gleichzeitiger Osteotomie der Fibula nach 
Schede, die 7mal zur Ausführung kam, bemühte er sich, da Schede’s Empfeh¬ 
lung der Durchtrennung des Wadenbeins von einem 2—3 cm langen, dicht 
unterhalb des Fibulaköpfchens beginnenden Hautschnitt aus, nach Einsicht in 
die anatomischen Verhältnisse die Verletzung des Peroneus nicht mit Sicher¬ 
heit ausschliessen, eine diesen Nerven nicht gefährdende Schnittführung zur 
Osteotomie der Fibula zu finden. Die Höhe der typischen Durchmeisselungs- 
stelle der Tibia unterhalb der Tuberositas tibiae auf die Fibula übertragen, 
triflÜi gerade die Ausbreitungsstelle des Nerven in seine Aeste, einen Ast, welcher 
quer über die Fibula zum Tibialis anticus und Extensor digitorum communis 
verläuft, ferner den Nervus peroneus profundus und N. p. superficialis; da die 
beiden letzteren noch eine Strecke weit an der Vorderfläche der Fibula ver¬ 
laufen, muss von jeder tieferen Stelle zur Durchmeisselung des Knochens Ab¬ 
stand genommen werden, diese vielmehr, da der Raum zwischen Fibulaköpfchen 
und Nervenausbreitung im Durchschnitt eine Länge von 3 cm besitzt, höchstens 
2 cm unterhalb des Fibulaköpfchens ausgeführt werden. Nach genauer Ab¬ 
fassung des Fibulaköpfchens bei gebeugtem Kniegelenk führte Regnier daher 
knapp unter demselben einen an der oberen Kante der Fibula verlaufenden 
1 7« cm langen sofort auf den Knochen dringenden Längsschnitt und durchtrennt 
hierauf in der Mitte desselben von der inneren Kante der Fibula aus quer den 
Knochen. Die Infrangirung der möglicherweise noch bestehenden Knochenlamelle 
hat zur Vermeidung einer Zerrung, Anspiessung oder Interposition des Nerven- 
stammes in der Richtung der Abduktion zu geschehen. Bei der Nachbehandlung 
bevorzugt Regnier das langsame Redressement mittelst des Mikulicz’schen 
Verbandes nach vorgenommener Osteotomie. In einem der von Regnier mit¬ 
geteilten Fälle traten Lähmungserscheinungen am 36. Tage post operationera, 
bedingt durch eine Kompression des Peroneus durch Callusraassen, auf. Der 
den Callusmassen fast adhärente Nerv wurde aus denselben herauspräparirt und 
durch einen zwischengelegten Jodoformgazestreifen an einem neuerlichen Ein¬ 
wachsen gehindert, wonach Rückgang der Lähmungserscheinungen eintrat. 

Regnier tritt bei der Behandlung des Genu valgum entschieden für 
die Macewen’sche Operation ein, die im Verlauf von 3 Jahren an 13 Kranken 
17mal ausgeführt wurde. Gegenüber der von Hahn empfohlenen Vornahme 
eines zweiten Schnitts an der Aussenseib* des Oberschenkels sieht Regnier 
keinen Orund von Macewen’s Originalmethode abzugehen. Auch nach dieser 


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196 


Referate. 


Operation geschieht die Correction vom 8.—10. Tage an allmählig mittelst des 
MikulicZusehen Verfahrens. Ist die Consolidation eingetreten, so wird mit 
Gehversuchen und passiven Bewegungen im Kniegelenk sofort begonnen, ln 
keinem der Fälle sah Regnier eine hochgradige Bajonettstellung ein treten, 
was er auf die Art der Nachbehandlung zurückführt. Die Behandlungsdauer 
biß zur Entlassung betrug im Mittel 88 Tage. Die Kranken verliessen alle 
ohne Stütze die Anstalt. Die Bewegungsfähigkeit im Kniegelenk erreichte einen 
Winkel von 60”. 12 Patienten befanden sich im Alter von 15—24 Jahren; ein 

Patient, bei dem es sich um einen im Anschluss an ein Trauma entstandenen 
arthritischen Process handelte, war 37 Jahre alt. Der bei dem Letzteren durch 
die Operation erreichte Erfolg war kein befriedigender, da einerseits ein mäch¬ 
tiger hypertrophischer Gallus am Orte der Osteotomie auftrat, andererseits 
schon nach den ersten Gehübungen die Zeichen eines Recidivs bemerkbar wurden. 
Veranlassung dazu, die Correction der Deformität nach der Macewen'schen 
Osteotomie allmählig in der erwähnten Weise vorzunehmen, gab zuerst ein 
Fall schwerer Peroneuslähmung, der infolge eines sofortigen Redressements nach 
der Operation auftrat, offenbar durch den intensiven Druck des corrigirenden 
Verbandes bedingt. Joachimsthal-Berlin. 

Villeneuve, Luxation sous-pubienne de la hanche gauche irreductible par 
les moyens ordinaires. Tentative infructueuse de r^duction par la methode 
sanglante. Osteotomie intra-trochantärienne. Guerison dans une bonne 
Position. Observation recueillie par le Dr. Melchior Robert. (Revue 
d’orthopedie 1892 Mai, Nr. 3 S. 161.) 

Ein 48jähriger Patient gelangte mit einer Luxatio subpubica 62 Tage 
nach der Verletzung in Villeneuve’s Behandlung. Nach angeblichen Ver¬ 
suchen einer unblutigen Reposition legte Villeneuve durch einen verticalen 
20 cm langen Schnitt über Spin. ant. sup. und inf. den Schenkelkopf frei und 
führte einen Haken um den Schenkelhals, um mit dieser Hülfe durch geeignete 
Manipulationen den Kopf zu reponiren. Da alle diese Versuche nicht zum Ziel 
führten und die Pfanne mit dem Finger nicht zu erreichen war, so entschloss 
sich Villeneuve zur Ausführung einer Osteotomie im untern Drittel des 
Trochanter, wonach das Bein mit Leichtigkeit in die gerade Stellung überführt 
werden konnte. Der Wundverlauf war aseptisch und der Zustand des Patienten 
nach der Heilung ein verhältnissmässig günstiger. Das Bein war in der Hüfte 
leicht flektirt, um 4 cm verkürzt und die Flexion auf einen Winkel von 80® 
beschränkt; nur im Freien bedurfte der Kranke beim Gehen noch eines Stocks. 

Joachimsthal-Berlin. 

Phocas, Contribution ä Tetude du genu valgura infantile (Revue d'orthopedie 
1891, VI). 

Unter Mittheilung einer Reihe von Krankengeschichten berichtet Phocas 
über die von ihm bevorzugten Methoden der Behandlung des Genu valg. infant. 
Bei leichten Fällen erzielte er Heilung durch orthopädische Apparate (Lagerung 
des Patienten mit Heine's Kissen und elastischem Zugverband). Diese ortho¬ 
pädische Behandlung ist nur dann indicirt, wenn Patient wochenlang liegen 
kann. Ist dies nicht möglich, dann manuelle Osteoklasie nach Tillaux: ebenso 


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Referat«. 


197 


bei höheren Graden und bei Patienten über 7 Jahr. Bei ganz schweren Formen, 
bei älteren Kindern und in jenen Füllen, wo Osteoklasie versagte, operirt 
Phocas unter 8treng^ter Antiseptik nach Maeewen. Kr verzichtet daV)ei auf 
Esmarch'sche Binde, da ohne diese die venöse Blutung geringer (!) sei, im 
Uebrigen befolgt er genau Maeewens Vorschriften. — Nachbehandlung mit 
Gypsverband oder permanenter Extension. — 

Bezüglich der Aetiologie des Leidens nimmt Phocas als Hauptmoment 
Rhachitis an, dann auch Heredität; in seinen Füllen das Leiden meist bilateral, 
und zeigte die Tibia die Hauptkrümmung. Tausch-München. 

H. Martin, Du traitement orthopedique des genoux cagneux (Revue d’ortlio- 
pedie 1892, IL). 

Auf Sayre's Ausspruch fussend „dass alle Operationen bei Kniever* 
krümmungen mehr oder weniger geführlich (!) seien und vermieden werden 
könnten“, beschreibt Martin sein Verfahren bei den verschiedenen Graden des 
Genu valgum (und varum). Bei leichten Formen begnügt er sich mit Massage, 
Bädern, diätetischer Kräftigung des Kindes und Einlage einer Plattfuss.sohle 
aus Filz, Kork oder Gummi. Reicht dies nicht aus, und ist der Malleolar¬ 
abstand mehr als 4 cm, bedient Martin sich einer Art TupperFscher Schiene 
oder um progressiv die Deformität zu redressiren, einer VeneTschen Schiene 
(s. Abb.), die aus zwei, einer vorderen und hinteren, durch seitliche Verbindun¬ 
gen fixirten Eisenstäben von der Länge und Form des Beines besteht. Die 
Schienen wirken nach manueller Correction der Deformität durch drei mittelst 
Knöpfen an den Schienen befestigte elastische Gurte (bei gen. valg. 2 äussere, 
1 innere). Abbildungen illustriren die Wirkungsweise sehr anschaulich. Von 
55 Fällen wurden 45 vollständig geheilt, 5 sind noch in Behandlung, die übrigen 
entzogen sich derselben. Behandlungsdauer 6 Monate bis 2 Jahr. 

Ta lisch-München. 

Bradford, ün cas de pied bot congenital chez une femme de 35 ans (Revue 

d’orthopedie 1892). 

Ausgezeichneter Behandlungserfolg an einem hocligradigen, schwer zu 
redre.ssirenden Klumpfuss bei einer 3äjährigen Frau. Da manuelle Redre.ssions- 
versuche unmöglich und die Deformität so hochgradig war, dass bei einem 
Resectionsvei*such aus dem Tarsus ein sehr grosser Keil hätte entfernt werden 
müssen, entschloss sich Bradford nach Phelps’scher Durchschneidung der 
betreffenden Weichtheile mittelst eines expre.ss construirten Apparates, der eine 
enorme Kraftentfaltung ermöglichte, einen Redressionsversuch zu machen. Dieser 
Versuch gelang vollständig, und war die Redressionswirkung so stark, dass die 
Haut am innern Fussrand einen Zoll breit tief einriss und weit klaffte, während 
der Fuss aus der Varu.s- in eine Valgusstellung übergeführt war. (Die Achilles¬ 
sehne wurde erst 14 Tage später durchtrennt.) Fixirender antiseptischer Ver¬ 
band. 3 Wochen nach der Operation erhält Patient eine Taylor sehe Schiene. — 
Fussstellung vorzüglich, so da.ss Patient ein Jahr nach der Operation ohne 
irgend welchen Apparat gehen kann; gegen eine etwaige Uebercorrection und 
zur Unterstützung des Fussgelenks trägt sie vorsichtshalber einen leichten 
Schienenschuh. — Der Redressionsapparat, der nur für solche alte und schwere 


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198 


Referate. 


Fälle bestimmt ist, besteht aus einer langen Eisenstange; an dem einen Ende 
befindet sich ein querer Handgriff, an dem andern Ende ist ein Drehhaken, 
bestimmt den Astragalus zu umgreifen, und eine Platte für die Befestigung 
des Vorderfusses angebracht (cf. die Abbildungen). Tausch-München. 

Ludwig Frankel, lieber die Behandlung der Ankylosen des Ellenbogen¬ 
gelenks (Inaug.-Dissert. Berlin 1892). 

Fränkel berichtet Über ein von Julius Wolffin vier Fällen geübtes 
Verfahren der Behandlung der Ellenbogengelenksankylosen, das diesem zweimal 
ausgezeichnete Resultate ergab, während in den beiden andern Fällen aus 
äusseren Gründen der Erfolg ausblieb. Es handelt sich im Wesentlichen um 
eine Durchschneidung aller hindernden Stränge in offener Wunde; an dem 
narkotisirten Patienten wird zunächst ein nach den Verhältnissen des einzelnen 
Falles modificirter im Allgemeinen aber längsgerichteter, wie zur Resection 
geeigneter Schnitt durch die Haut gemacht. Sodann wird der Vorderarm 
gegen den Oberarm in das Maximum derjenigen Excursion, welche am meisten 
gehindert ist, also fast immer in das Maximum der Flexion gestellt und nun 
systematisch die Durchtrennung jedes einzelnen sich anspannenden Stranges 
ausgeführt, indem man dabei schichtweise in die Tiefe vordringt von dem sub- 
cutanen und fascialen Gewebe bis zu der (gegebenen Falls) verkürzten und 
geschrumpften Gelenkkapsel mit ihren Verstärkungsbändem, ja selbst, wenn es 
sein muss über diese hinaus bis in die Gelenkhöhle, so dass auch eventuell 
synoviale oder sonstige Knochenbrücken unter dem Messer fallen. Ist dies ge¬ 
schehen, und ergibt die nunmehr vorgenommene passive Bewegung des Gelenks 
vollkommen freie Beweglichkeit, so wird die Hautwunde durch die Naht ge¬ 
schlossen, und nachdem sie verheilt, was bei aseptischem Verlauf etwa am 
10. Tage eintritt, eine energische Nachbehandlung bestehend in Massage, 
activen und passiven Bewegungen, verbunden mit Faradisation der Muskeln ein¬ 
geleitet, wenn nicht -wie in dem ersten von Fränkel mitgetheilten Fall schon 
jetzt die Function des Gelenks eine passiv und activ vollkommen normale ist. 
In Bezug auf die einzelnen Krankengeschichten muss auf das Original verwiesen 
werden. Joachimsthal-Berlin. 

Carl Lauenstein, Bemerkungen zu der Beurtheilung und Behandlung von 

Verletzungsfolgen vom Gesichtspunkte der Unfallversicherung, sowie zum 

Capitel der Simulation (Deutsche medicinische Wochenschrift 1892, Nr. 15 
S. 323). 

Unter Hinweis auf geeignete Fälle erwägt Lauenstein die Nachtheile, 
die bei der Beurtheilung resp. Behandlung von Verletzungsfolgen durch den 
liäufigen Wechsel der begutachtenden resp. behandelnden Aerzte entsteht, und 
weist auf die Vortheile hin, welche die neuerdings in Anregung gebrachten 
sogenannten „Unfallkrankenhäuser“ bieten werden, in denen der Verletzte von 
der ersten Untersuchung und Behandlung an stets unter einheitlicher Beur¬ 
theilung bis zur definitiven Beendigung des Heilverfahrens steht. Besonders 
lehrreich in dieser Beziehung ist ein von Lauenstein ausführlich besprochener 
Fall, einen 39jährigeii Aibeiter betreffend, der im Seemannskrankenhaus wegen 
Verletzungen, die ihm durch einen Betriebsunfall zugefügt worden waren, in 


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Referate. 


199 


Behandlung stand. Neben einer Reihe von Quetschungen an Rumpf und Extre¬ 
mitäten fand .sich eine schwere complicirte Verrenkung des Ellenbogengelenks. 
Aus.ser weitgehenden Weichtheilzerreissungen (Zerreissung der Kapsel- und Band¬ 
apparate) bestand eine Schriigfractur des Condylus intenius humeri. Die Gelenk- 
enden waren an einander verschoben, und ihre Verbindung derartig gelockert, 
dass, um der Bildung eines Schlottergelenks voraubeugen, das Radiusköpfchen 
durch eine Drahtnaht an den Proc. cubitalis befestigt wurde, welche reactions- 
lo8 einheiltc, so dass bei der Entlas.siing aus dem Hospitale, welche auf den 
Wunsch des Verletzten vor völlig beendeter Heilung der Weichtheilverletzungen 
erfolgte, der Vorderarm rechtwinklig in dem gute Festigkeit zeigenden Kllen- 
bogengelenk stand. Der Verletzte, welcher zunächst die Vollrente bezog, wurde 
nun nacheinander von 4 Aerzten behandelt und begutachtet, und sein Arm 
in durchaus unangebrachter Weise einer consequent fortgesetzten Behandlung 
durch Gymnastik unterworfen, die der durch die Drahtnaht erreichten Festig¬ 
keit des Ellenbogengelenks direct entgegengearbeitete und statt Nutzen nur 
Schaden anrichtete, indem sie ein Wackelgelenk hervorrief, das den Arm weniger 
brauchbar erscheinen lie.ss als die erstrebte feste unbewegliche V^erbindung der 
Knochen des Ellenbogen. Die Erwerbsfähigkeit des Kranken, der neben .seinem 
kraft- und machtlosen Arm noch einen Hernie bei dem Unfall acquirirt batte, 
wurde schliesslich noch auf 607« abgeschätzt, trotzdem er so gut wie völlig un¬ 
fähig zu der körperlichen, angestrengten Arbeit war, tlurch die er früher sein 
Brot verdiente. 

Lauenstein bespricht bei dieser Gelegenheit auch seinen Standpunkt 
in der Frage der Radicaloperation der durch Betriebsunfall herbeigeführten 
Brüche. Trotz der gro.s.sen Sicherheit, die die Massregeln der modernen Asep.sis 
und Antisepsis bieten, isL da selbst die allergünstigsten Statistiken der neuesten 
Zeit über die Radicaloperationen noch immer 1—87« Todesfälle aufweisen, 
diese Operation nicht für ein absolut gefahrloser Kingrift zu erklären, und da 
überdies sich in 15—20, ja selbst 25 7« Fälle Recidive einstellen, so kann 
e.s sich um die Operation solcher Hernien nur handeln, wenn sie die Träger 
derselben, nachdem man sie mit den Au.^^sichten dieser Operation vertraut ge¬ 
macht. ausdrücklich wünschen. 

Was die Simulation anbetritft, so empfiehlt Lauenstein geeigneten 
Falls die Benützung der Chloroformnarkose und besonders des Excitations- 
stadiums derselben, da gerade derjenige Zustand, in dem das Bewusstsein des 
Chloroformirten bereits getrübt ist, wo aber die Sensibilität noch besteht, und 
die motorischen Organe noch innervirt werden, uns die Möglichkeit gibt, Reflex¬ 
bewegungen herbeizuführen und Glieder auf ihre active und willkürliche Beweg¬ 
lichkeit zu prüfen. Joachiiiisthal-Berlin. 

Soharffs Schreibschule (Hiiwald'sche Buchhandlung, 0. Hollesen-Flensburg). 

Bei der ungemein grossen praktischen Bedeutung der Steilschrift für dit; 
Prophylaxe der Wirbelsäulenverkrümmungen möchten wir den Aerzten dringend 
empfehlen, das Ihrige für die Verbreitung der Steilschrift zu thun. Da es 
nun ganz ausserordentlich viel darauf ankommt, die Steilschrift wirklich ordent¬ 
lich zu lehren, so möchten wir die Collegen bitten als sehr praktisches Hülfs- 
mittel hierzu den Lehrern und Schülern die Scharffsche Schreibschule zu 


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Referate. 


2<H) 

empfehlen. Dieselbe besteht aus methodisch geordneten Heften, welche die 
senkrechte Schreibschrift sicher und schnell erlernen lassen. Die Regeln, welche 
die schreibenden Kinder bei Ausübung der Schreibschrift befolgen sollen, sind 
nach Schubert-Nürnberg folgende: 

1. Die Mitte der Zeile liegt genau vor der Körpermitte, die Zeile 
selbst ist gleichlaufend mit dem Pultrand. 

2. Das Abschreiben aus nebenliegendem Heft muss unterbleiben. 

8. Beide Unterarme ruhen zu */3 auf dem Pult, in gleicher Richtunjj; 
gegen die Mitte der Zeile, so dass beide Hände gleichweit vom 
Körper entfernt sind. Die Ellenbogen stehen beiderseits etwa hand¬ 
breit vom Körper ab. 

4. Die hohle Hand ist nach links gerichtet. Die 8 Schreibtinger sind 
leicht gebeugt (nicht geknickt). Die Federspitze muss 3 cm über 
die Spitze des Zeigefingers vorragen, das obere Griffelende ist gegen 
den Ellenbogen gerichtet. Die Hand stützt sich auf die Kuppe des 
kleinen Fingers. 

5. Die Grundstriche entstehen durch leichte Beugung der 3 Schreib¬ 
finger, so dass die Federspitze gegen die Mitte der Brn^t bewegt 
wird. Durch starke Beugung der b'inger entstehen Lnksschiefe 
Gimndstriche. 

b. Im Verlauf der Zeile ist der Arm wiederholt nach rechts zu 
rücken. Nach 2 — 3 Zeilen muss das Heft nach oben geschoben 
werden. 

7, Bei Bänken mit Minusdistance ist Rücklehnung beim Schreiben zu 
fordern. 

8. Die Verbindungslinie sowohl der Schultern als auch der Augen 
muss während des Schreibens genau wagerecht gerichtet bleiben, 
der Oberkörper darf sich nicht vornüber beugen, die Brust nicht 
an den Pultrand gestützt werden. Der Kopf sei leicht gebeugt, 
der Abstand der Augen von der Schrift betrage 30 — 35 cm. Die 
Beine dürfen nicht über einander geschlagen werden, die Füsse 
ruhen auf dem hierfür bestimmten Fus.sbrett. 

H 0 f f a -W ürzburg. 

F. Schenk, „Simplex“, Neuer Schreibtisch für Schule und Haus (Biel, Albert 
Schule). 

Wir möchten die von Schenk construirte Schulbank den Collegen bestens 
empfehlen. Für Schrägschrift schreibende Kinder ist sie wohl die zweckmässigste 
Bank, die wir zur Zeit besitzen. Die Preise der Schultische variiren zwischen 
40-100 Fr. Ho ff a-Würzburg. 

H. Wind 1er, Preisverzeichniss der Fabrik chirurgischer Instrumente und 
Bandagen. 1^92. 

Der neue Windler'.sche Catalog zeugt von dem Bestreben des bekannten 
Bandagisten den modernen Anforderungen bei der Construction orthopädischer 


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Referate. 


201 


Apparate gerecht zu werden. Nur mit dem Anfertigen orthopädischer Corsette 
nach einfacher Maassangabe können wir uns nicht einverstanden erklären. 

H 0 f f a - W ürzbu rg. 

Fröhlich, üeber künstliche Gliedmassen und orthopädische Apparate aus 
Celluloid und Aluminium. Therapeutische Monatshefte 1892 (März S. 125). 
Das von Fröhlich beschriebene, von dem Fabrikanten Franz Bingler 
in Ludwigshafen a. Rh. praktisch geübte Verfahren zur Herstellung künstlicher 
Gliedmassen und Apparate gestaltet sich folgendermaassen: 

Das genau abgenommene Gyps- oder Holzmodell wird von einer Spindel¬ 
vorrichtung aufgenommen, die sich über kochendem Wasser befindet; an einer 
entsprechenden Nahtstelle wird alsdann eine abgepasste Celluloidplatte ange¬ 
bracht. Durch Umdrehen der Spindelkurbel kommt nun das Modell mit der 
Platte in das siedende Wasser, wobei das erweichte Material mit Gurt und Zange 
unter sorgfältiger Beobachtung der Erhöhungen und Vertiefungen an das Modell 
genau adaptirt wird. Nach festgestellter Form wird zum Schutz gegen Feuers¬ 
gefahr und Erhaltung des Gestells eigens präparirte Porzellanglasur dreimal in 
30—36 Stunden auf beide Flächen des Celluloids aufgestrichen. Der nothwendige 
Beschlag und die Chamiere werden aus Aluminium gefertigt, so dass sich die 
Apparate durch eine besonders grosse Leichtigkeit auszeichnen; eine vollständige 
untere Extremität für eine Person mit stärkstem Gewicht wiegt z. B. —2 kg, 
ein Corsett gegen Rückgratsverkrümmungen je nach Alter und Körperform des 
Patienten 250—700 gr. Auch können einmal gebrauchte Apparate z. B. Cor- 
setts bei entsprechender Abänderung des Gypsmodells durch wiederholte Mani¬ 
pulationen der ev. veränderten Körperform wieder angepasst werden. 

Jo achi ms thal-Berlin. 

Oscar de Fischer, Breve trattato del massagio e della ginnastica medica 
con ispeciale riguordo alP ortopedia e ginnastica. Trieste 1890. 
Fischer bespricht zunächst die Indicationen für die Massage, die nach 
seinen Angaben in Italien erst relativ spät und wesentlich durch die Bemühungen 
von Pagliani (1882) und Volpe (1889) Eingang gefunden hat. Auch bei 
frischen Fracturen weiss Fischer über gute Resultate unter Anwendung von 
Massage zu berichten. Das zweite Kapitel des Buches ist der Besprechung der 
Heilgymnastik gewidmet, wobei Fischer besonders lobend der Widerstands¬ 
bewegungen, sowie der medico-mechanischen Institute gedenkt, ohne jedoch auch 
die übrigen heilgymnastischen Hebungen und Apparate zu vernachlässigen, die 
zum Theil durch Abbildungen veranschaulicht werden. Bei der Besprechung 
der einzelnen orthopädischen Erkrankungen und ihrer Behandlung verweilt 
Fischer besonders bei der Skoliose, bei der er die Anwendung der nach 
Sayre’scher Manier hergestellten Holzmieder empfiehlt. 

Joachims thal-Berlin. 

Leopold Ewer, Cursus der Massage mit Einschluss der Heilgynmastik. Berlin. 
Mit 101 Abb. im Texte. Berlin 1892. H. Kornfeld. 

Das vorliegende Büchlein hat der Verf. seinen Schülern gewidmet. Herr 
Ewer unterrichtet nämlich, wie aus seiner Vorrede erhellt, Laien beiderlei 


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202 


Referate. 


Geschlechtes in Massage und Gymnastik und scheint an seinen Zöglingen viel 
Freude zu erleben. Denn während der acht Jahre seines erzieherischen Wirkens 
ist ihm, wie er schreibt, ,niemals von den vielen Aerzten, welche diese Per¬ 
sonen beschäftigen, die geringste Klage bekannt geworden.“ 

Wir treten seit Jahren in Wort und Schrift gegen die Laienmassage auf, 
weil diese, nach unserer und zahlreicher CoDegen Erfahrung, viel irreparablen 
Schaden für die Blanken im Gefolge hat und im besten Falle geeignet ist, die 
Mechanotberapie in den Augen des Publikums zu diskreditiren. Herr Ewer 
steht auf anderem Standpunkte; er schreibt sogar Bücher für diese jüngste 
Classe der Kui-pfuscher und wird daher sicherlich nicht verlangen, dass an ein 
solches Buch die wissenschaftlich-kritische Sonde angelegt werde. Nur sollte 
er sich hüten, in dem für Laien geschriebenen Buche Worte stehen zu lassen, 
welche diesen Standpunkt empfindlich zu erschüttern geeignet sind. Er schreibt 
(S. 47): ,Da spricht man von Misserfolgen der Massage, vmndert sich, dass das 
Pfuscherthum unter den Masseuren emporwuchert, und bedenkt nicht, dass hier, 
wie in den meisten derartigen Fällen, die Aerzte selbst der überwiegendste 
Theil der Schuld tritft.“ Ganz unsere Ansicht, Herr College Ewer; glauben 
Sie aber nicht, dass dieses Emporwuchem des Unkrautes , Pfuscherthum“ sehr 
erklärlich ist, wenn man dasselbe mit solcher Hingebung pflegt, wie Sie? Wer 
Massage-Curse für Laien abhält, züchtet Kurpfuscher. Der Arzt soll und darf sich 
nicht darauf beschränken, Laienmasseure zu überwachen, er muss die Massage 
selbst ausüben, nachdem er sie erlernt hat, will er seinen Patienten Nutzen bringen. 

Das „Werk“ theilt sich in einen populär-anatomischen und einen mechano- 
therapeutisch-populären Abschnitt, über welch letzteren uns einige wenige Worte 
vergönnt sein mögen. Nach cui*sorischer Mittheilung der Geschichte der Massage 
und eingehender Besprechung der Technik derselben, ein Kapitel, welches durch 
bessere Holzschnitte wesentlich gewonnen hätte, gelangte der Verf. zu dem 
wichtigsten Theile jedes Lehrbuches der Mechanotberapie, zur „Physiologischen 
Wirkung der Massage“. Wir sind weit entfernt, von jedem Autor eines Massage- 
Buches zu verlangen, dass er eigene Arbeiten auf dem so lange brach gelegenen 
•Felde der Physiologie der mechanischen Heilmethode aufzuweisen habe. Allein 
in einem die Jahrzahl 1892 tragenden Buche sich noch immer mit den gewiss 
ausgezeichneten, zum Theil sogar grundlegenden Arbeiten MosengeiPs zu 
begnügen, ohne der zahlreichen, im letzten Decennium zu Tage gefÖrdei*ten 
physiologischen Thatsachen auch nur mit einem Worte zu gedenken, ist selbst 
für ein Werk unthunlich, welches a priori sich jedes wissenschaftlichen Werthes 
entkleidet hat. Wie sollen denn die Schüler z. B. den Abschnitt „Erkrankungen 
der Nerven“ verstehen, wenn im allgemeinen Theil vom Einflüsse des direct^n 
Druckes auf den der Hand zugänglichen Nerv nicht die Rede ist? 

Alles in Allem genommen, das Ewer’sche Buch mag seinen Schülern 
eine angenehme Erinnerung an den Lehrcurs bleiben; wir perhorresciren solche 
Schüler und damit solche Bücher. Bum-Wien. 


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Hennann v. Meyer f. 


Wir erfüllen nur eine dringende Pflicht der Dankbarkeit, 
wenn wir in diesen Blättern des grossen Forschers gedenken, 
dessen Arbeiten auch für die Orthopädie vielfach von grund¬ 
legender Bedeutung sind. 

Hermann v. Meyer starb am 21. Juli *) in seiner Vater¬ 
stadt Frankfurt a. M. 

Er gehört zu jenen reichbegabten Schülern Johannes 
Müller's, welche mit hellem Blick und unermüdlicher Arbeits¬ 
kraft uns Deutschen eine medicinische Wissenschaft sozusagen 
erst geschaffen haben. Seine wissenschaftliche Thätigkeit um¬ 
spannt mehr als ein halbes Jahrhundert und er konnte 1886 
zum 500jährigen Jubiläum der Universität Heidelberg der Alma 
Ruperto-Carolina seine Huldigung in einer Denkschrift dar¬ 
bringen „am Schlüsse seines hundertsten Semesters seit seinem 
Abgänge von Heidelberg“. 

Eine besonders hervortretende Eigenschaft v. Meyer's 
war das Bestreben, die Forschungsgegenstände nicht nur für 
sich allein, sondern stets in ihrem Zusammenhang mit dem 
Ganzen aufzufassen. „Ich erkannte,“ sagteer*), „dass die ein¬ 
zelnen Doctrinen der anatomisch-physiologischen Fächer zwar 

*) Geboren ist H. v. Meyer am IG. August 1815. Er 8111 ( 61*16 
von 1833—36 in Heidelberg, dann ein .Jahr in Berlin, wo er 1837, am 
2. December, proraovirt wurde. In Bezug auf die näheren biographischen 
und literarischen Angaben sei hier auf den Nekrolog von C. Weigert, 
Deutsche med. Wochenschrift Nr. 40, und von K. Barde leben, Ana¬ 
tomischer Anzeiger 1892, Nr. 19, verwiesen. ’ 

Handschriftliche Aufzeichnungen. 


Zeitschrift für orthop.ädlsche Chirurgie. II. Band. 14 


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204 


Egbert Braatz. 


anscheinend sehr verschiedetien Inhalt haben, dass sie aber 
doch nur Zweige eines gemeinsamen Stammes sind, welche nur 
in ihrer Vereinigung das richtige Bild des ganzen Baumes 
geben, welches Bild wiederum nothwendig ist, um den einzelnen 
Zweig in seiner Eigenart und in seinen Wechselbeziehungen 
zu den anderen Zweigen zu verstehen.“ So hielt er es nicht 
nur mit den einzelnen Wissenszweigen, sondern auch bei der 
Erforschung von Einzelerscheinungen. Unter dieser höheren 
Betrachtungsweise nahm selbst der scheinbar starre, unver¬ 
änderliche Knochen des menschlichen Skelettes Leben an und 
es offenbarte sich seinem sinnenden Auge in der Spongiosa, 
ein Bau von einer constructiven Feinheit und Zartheit, die uns 
noch jetzt entzückt. Wie systematisch v. Meyer arbeitete und 
wie wenig diese grösste seiner Entdeckungen eine zufällige war, 
geht schon daraus hervor, dass sie die nähere Bezeichnung 
trägt: ,Zehnter Beitrag zur Mechanik des menschlichen Knochen¬ 
gerüstes.“ So wurde er der Begründer der physiologischen 
Methode in der Forschung und dem Lehrvortrag der Anatomie. 
Es kann für die nachfolgenden Generationen nicht genug daran 
erinnert werden, dass Hermann v. Meyer es war, dem wir 
das Verständniss für die innere Knochenarchitectonik ver¬ 
danken. Schon diese einzige geistige That würde hinreichen, 
ihm unsterbliches Verdienst zu sichern. Aber ein Blick auf 
die lange Reihe von Arbeiten von orthopädischem Interesse 
(c. 40), die uns hier zunächst angehen und welche kaum den 
dritten Theil seiner so vielseitigen, rein anatomischen, histo¬ 
logischen und pathologisch-anatomischen Abhandlungen bilden, 
zeigt uns, welche wichtigen Aufschlüsse, welche Anregungen wir 
ihm verdanken. Seine Arbeiten über Beckenneigung, Mechanik 
der Gelenke, Skoliose etc. sind auch für Chirurgie, Orthopädie, 
Geburtshülfe von grösster Bedeutung geworden. Sind auch 
nicht in allen Punkten seine Ansichten zu herrschenden ge¬ 
worden und ist manche der von ihm behandelten Fragen wegen 
ihrer Schwierigkeit auch heute noch nicht endgültig aufgeklärt, 
so ist nicht zu vergessen, dass er selbst fern war der Meinung, 
als hätte er ein starr in sich abgeschlossenes, entwickelungs¬ 
unfähiges Lehrgebäude geschaffen: „Meine Meinung war dabei 


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Hermann v. Meyer t- 


205 


keinesweges eine vollständig abgeschlossene Lehre zu geben, 
ich wünschte nur einen vorläufigen Abschluss hinzustellen, 
welcher als Grundlage für weitere Forschungen in der gleichen 
Richtung dienen könne; wie ich selbst bis in die neueste Zeit 
viele Ergänzungen und Verbesserungen, theils in Aufsätzen, 
theils in Monographien veröffentlicht habe.“ 

Hermann v. Meyer hat nicht nur vom Katheder, nicht 
allein in Fachjoumalen für das einmal von ihm als richtig Er¬ 
kannte gewirkt, er suchte auch durch populäre Aufsätze ana¬ 
tomischen Inhalts, über Gymnastik, über die richtige Schuh¬ 
form u. a. auf das Laienpublikum aufklärend und belehrend 
zu wirken und ist in seinem ausdauernden Ankämpfen gegen 
althergebrachte üble und verkehrte Gewohnheiten nicht ohne 
Erfolg gewesen. So ist er sowohl auf rein wissenschaftlichem 
Gebiet forschend vorangegangen und zugleich in praktischer 
Hinsicht vielen Menschen, auch der kommenden Jahrhunderte, 
zum wahren Wohlthäter geworden. Wie gern und freundlich 
hat er auch Belehrung und Rath ertheilt, wenn er darum ge¬ 
beten wurde, wie dies der Schreiber dieser Zeilen selbst er¬ 
fahren hat. 

Frankfurt hat uns so manchen um Wissenschaft und Kunst 
hochverdienten Mann geschenkt: Auch Hermann v. Meyer 
gereicht seiner Vaterstadt zum Ruhm und zur Zierde. 

Möchte ihm die Nachwelt eine treue und dankbare Er¬ 
innerung bewahren. 

Egbert Braatz. 


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lieber die Behandlung von Contracturen des Ellen¬ 
bogengelenks mit dem „Pendelapparate“*). 

Von 

Dr. med. August WesthoflF, 

in Münster i. Westf., ehemaliger erster Assistenzarzt der chirurgischen 
Universitätsklinik in Greifswald. 

Mit 3 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Die Behandlung von Gelenkcontracturen der oberen Extremität 
hat eine wesentliche Förderung erfahren durch die glückliche Idee 
Krukenberg’s, durch die Schwingungen eines activ in Bewegung 
gesetzten Pendels die mangelnden Bewegungen passiv zu unterstützen 
und ausgiebiger zu machen. 

Kruken bei*g benützt einen langen unten beschwerten Hebel¬ 
arm als Pendel, das, mit dem peripheren Theile des zu mobilisirenden 
Gelenkes fest verbunden, durch seine Schwingungsexcursionen die 
Erweiterung der ungenügenden Beweglichkeitsgrenzen forcirt. 

Dies Princip löst er technich in folgender Weise: Bei Con¬ 
tracturen der Fingergelenke verbindet er eine metallene Röhre von 
Fingerform, die mit dem unten beschwerten Pendel unbeweglich 
verbunden ist, durch ein über den Handrücken verlaufendes elastisches 
Band mit einer das Handgelenk umfassenden Ledermanschette. 

Bei Contracturen des Handgelenkes legt er an Hand und Vor¬ 
derarm je eine knapp anliegende Gypsmanschette, welche durch zwei 
seitlich eingelegte Stahlschienen unter einander verbunden sind; die 
letzteren sind mit einem Charnier in der Handgelenkgegend ver¬ 
sehen ; in dem äusseren dieser Charniere wird eine unten beschwerte 
Stahlstange au den peripheren Schienentheil fest angeschraubt. 

*) Der Apparat ist gesetzlich geschützt. 


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lieber die Behandlung von Contracturen des Ellenbogengelenks etc. 207 


So folgt der jedesmalige periphere Gelenktheil den Schwingungs¬ 
einwirkungen des Pendels, während der centrale Gelenktheil activ 
ftxirt bleibt. 

Die intensive Bedeutung dieses Princips des schwingenden 
Hebelarms zur Beseitigung von Beweglichkeitshindemissen an Gelenken 
ist klar: denn zu den activen Bewegungen, die nothwendig sind, um 
das Pendel in Schwingungen zu setzen und zu erhalten, summirt 
sich bei jeder Schwingung die Ausschlagskraft des Pendels, den zu 
mobilisirenden Gelenktheil über die Grenze der activen Beweglichkeit 
hinausdrängend. Ausser der beständigen Uebung der bewegenden 
Musculatur werden contrahirte und geschrumpfte Gelenkbänder und 
Kapseltheile mechanisch gedehnt, ja sogar pathologisch veränderte 
knöcherne Gelenktheile allmählich in der Weise formirt, dass sie 
dem auf sie einwirkenden Muskelzuge wieder folgen können. 

Ich habe als Assistenzarzt der Greifswalder chirurgischen 
Klinik sehr schöne Erfolge nach Anwendung des Krukenberg- 
schen Apparates bei schweren Hand- und Fingergelenkcontracturen 
beobachtet und war deshalb der Versuch naheliegend, auch für 
EUenbogencontracturen einen ähnlichen Apparat zu construiren, der 
die bisher so mühevolle und im allgemeinen so wenig erfolgreiche 
Behandlung von Contracturen des Ellenbogens erleichterte und ver¬ 
besserte. 

Kruken herg’s Princip lässt sich nicht ohne weiteres gleich 
zweckmässig auf den Ellenbogen übertragen; denn die physiologischen 
und physikalischen Momente bei Bewegungen der Hand- und Finger¬ 
gelenke sind so verschieden von denen beim Ellenbogengelenk be¬ 
deutungsvollen, dass bei Anwendung des schwingenden Pendels die 
Berücksichtigung neuer Gesichtspunkte wesentliche Modificationen in 
der Anordnung und Gestaltung eines zweckentsprechenden Apparates 
bedingt. 

Auf folgende Weise glaube ich nun das Princip des schwingen¬ 
den Pendels brauchbar auf das Ellenbogengelenk übertragen zu 
haben (s. Fig. 1). 

Eine innen gepolsterte Halbhohlrinne von Blech nimmt den 
Unterarm auf; ein die Rinne aussen bedeckender Lederbezug, der 
durch Schnürriemen oben zusammengezogen wird, ergänzt dieselbe 
zu einer festanschliessenden Manschette (a). An ihrer Unterseite 
trägt dieselbe in der Medianlinie verlaufend eine Stahlstange, die 
nach einer leichten Bogenbildung unter dem olecranon sich um 


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208 


August Westhoff. 


Unterarmlänge nach hinten fortsetzt; im Bereiche dieser Fortsetzung 
— Leitstange — ist ein Laufgewicht (i) angebracht, welches dazu 
dient, das Eigengewicht des Unterarms zu compensiren, denselben 
also ohne active Muskelanstrengung des Patienten in der Schwebe 
zu halten, wie einen Balken einer im Gleichgewicht befindlichen 
Wage. 

Fig. 1. 



Von der Leitstange des Laufgewichtes gehen seitlich neben 
dem Ellenbogen her ein Paar Riemen (c) zur Vorderarmmanschette, 
wodurch eine bessere Fixation des Apparates um das als zu be¬ 
wegenden Mittelpunkt geltende Ellenbogengelenk erzielt wird. 

Von der Mitte der Stahlstange (also unterhalb des Ellenbogren- 
gelenks) hängt in einem Chamiergelenk eine zweite Stahlstange (rf) 
von ungefähr 1 Meter Länge herab, welche unten das pendelnde 
Gewicht (e) trägt; diese Pendelstange lässt sich zum Unterarm in 


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lieber die Behandlung von Contracturen des Ellenbogengelenks etc. 


jedem beliebigen Winkel feststellen durch Anschrauben an einen 
Halbkreis (/), der unter der ersten Stahlstange befestigt, das Char- 
nier der Pendelstange in weiterem Abstande umkreist. Das Pendel¬ 
gewicht ist an seiner Stange verschiebbar, wodurch eine zweckent¬ 
sprechende Regulirung seiner Ausschlagsintensität ermöglicht wird. 

Es ist leicht ersichtlich, dass die Wirkung des schwingenden 
Pendels in dieser Anordnung in vollem Masse auf das Ellenbogen¬ 
gelenk zur Geltung kommt; die activen Bewegungen, wodurch das 
Pendel in Schwingung versetzt und erhalten wird, werden constant 
und je nach der Energie der Patienten effectvoll unterstützt und 
forcirt im Sinne der Beugung und Streckung durch die Ausschlag¬ 
kraft des schwingenden Pendels. 

Um so efifectvoller erachte ich diese Wirkungsweise des Pendels, 
als es vermöge der Anordnung des Compensationsgewichtes auf den 
seiner Eigenschwere entlasteten Unterarm wirken kann. Die 
bekannte Thatsache, dass die active und passive Beweglichkeit bei 
bestehender Contractur eines Gelenks im Bade ausgiebiger wird, ist 
wohl zum grössten Theil durch den Fortfall der eigenen Schwere 
der zu bewegenden Gliedmassen zu erklären. Unter ähnliche Be¬ 
dingungen stellt der Apparat das Ellenbogengelenk, wo das in ent¬ 
sprechender Entfernung vom Ellenbogen fixirte Laufgewicht der 
Schwere des Unterarms sowie der Belastung durch den Apparat 
selbst entgegen wirkt, so dass der Unterarm ohne active Muskel- 
nnstrengung gleichsam in der Schwebe ruht. 

Von der intensiven Bedeutung dieser Aequilibrirung des Unter¬ 
armes kann man sich leicht überzeugen, wenn man den Apparat am 
eigenen (gesunden) Arm zunächst ohne Pendelgewicht (e) und ohne 
Laufgewicht (6) anbringen lässt. Will man den so belasteten Unter¬ 
arm in der zum Oberarm rechtwinkligen (Mittel-)Stellung erhalten, 
so ist eine ziemliche active Muskelthätigkeit erforderlich; wird nun 
■das Laufgewicht in entsprechender Entfernung angebracht, so mangelt 
jedes Gefühl der Anstrengung und der Belastung, wie wenn der 
Unterarm auf einer Unterlage aufruhe, so dass man selbst nach dem 
Gefühl genau die Stelle angeben kann, wo das Laufgewicht befestigt 
sein muss, um seinen Zweck der Aequilibrirung des Unterarmes zu 
erfüllen. 

Von besonderer Wichtigkeit wird diese Aequilibrirung, wenn 
mit passiven Bewegungen eines (aus irgend einem Grunde) in Con¬ 
tractur stehenden Gelenkes erst begonnen wird, z. B. nach frischen 


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210 


August Westhoff. 


Resectionen oder eiiigerenktea Luxationen, wo ja die vielleicht mini¬ 
malen Bewegungen mit intensiven Schmerzen verbunden sind. Hier 
kommt es besonders darauf an, das Gelenk unter solche Bedingungen 
zu setzen, dass die zunächst leichten Pendelschwingungen möglichst 
schonend einwirken. Wäre von dem Pendel auch noch die Schwere 
des Unterarms zu überwinden, so gehörte zu dem gleichen Eflfect in 
den Bewegungsexcursionen eine bedeutend grössere Ausschlagkraft 
des Pendels; das Verfahren würde also eingreifender, roher; während 
der Apparat so möglichst schonende und schmerzlose Einwirkung 
der Pendelschwingungen gestattet. 

Die Construction des Apparates, vor allem die Möglichkeit, die 
Pendelstange durch Anschrauben an den Halbkreis in beliebigem 
Winkel zum Unterarm fixiren zu können, ermöglicht seine univer¬ 
selle Anwendbarkeit bei allen Contracturstellungen des Ellenbogen¬ 
gelenkes jeglichen Winkelgrades; sowohl bei spitz- als auch stumpf¬ 
winkligen Contractureu gelingt es in gleicher Weise den Unterarm 
unter Aufhebung seiner Schwere den Pendelschwingungen folgen zu 
lassen; es ist also nicht etwa für jede Art von Contracturstellung 
ein eigener Apparat erforderlich, sondern derselbe Apparat leistet 
für alle Contracturstellungen denselben Eflfect, nach entsprechender 
(je nach dem Winkel der Contractur verschiedener) Anordnung des 
Laufgewichtes und der Pendelstange. 

Um die verschiedene Anwendungsweise des Apparates genauer 
zu analysiren, nehmen wir zuerst eine rechtwinklige Contractur des 
Ellenbogens an von minimaler activer Beweglichkeit. Man legt 
praktisch dann am besten den Apparat vorläufig ohne Lauf- und 
Pendelgewicht an, indem der Unterarm in der Ledermanschette fest¬ 
geschnürt wird, so zwar, dass die Spitze des olecranon über dem 
Aufhängepunkt der Pendelstange zu liegen kommt. 

Diese Situation wird durch Befestigung der beiden von der 
Leitstange aus seitlich neben dem Ellenbogen her zur Unterarm¬ 
manschette verlaufenden Riemen gesichert. Bei vertikal herab¬ 
hängendem Oberarm wird nun der durch den Apparat beschwerte- 
Unterarm durch Muskelanstrengung in dem mittleren Beugungsgrade 
erhalten; man fühlt es an dem gespannten M. biceps. Wird nun auf 
der nach hinten vorspringenden Leitstange das Laufgewicht in ent¬ 
sprechender Entfernung befestigt, so ist der Unterarm entlastet; der 
biceps ist erschlafft. Nun wird die Pendelstange, welche bis dahin 
in ihrem Halbkreis beweglich war, vertikal herabhängend durch 


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Ueber die Behandlung von Contracturen des Ellenbogengelenks etc. 211 


Andrehen der Schraube fixirt, so dass sie also die Verlängerung der 
Oberarmaxe und mit dem Unterarm ungefähr einen rechten Winkel 
bildet. Leichte active Thätigkeit der Beuger und Strecker genügt 
jetzt, um bei fixirtem Oberarm das Pendel in Schwingungen zu 
setzen und zu erhalten; jede 
Schwingungsexcursion der letz¬ 
teren forcirt die Erweiterung der 
Beweglichkeitsgrenzen im Sinne 
der Beugung und Streckung. 

Nach gleichem Principe hat 
die Anlegung und Einstellung 
des Apparates bei spitzwinkliger 
(s. Fig. 2) oder stumpfwinkliger 
Contractur (s. Fig. 3) zu ge¬ 
schehen, das Bild des zur Thätig¬ 
keit eingestellten Apparates ist 
allerdings in diesen Fällen ein 
anderes, da das Laufgewicht 
einen entsprechenden anderen 
Platz bekommt und der Unter¬ 
arm dann in einem grösseren 
(Fig. 2) resp. kleineren (Fig. 3) 

Winkel zu der principiell als 
Verlängerung der Oberarmaxe 
vertikal in dem Halbkreis fixir- 
ten Pendelstange steht. 

Ist schon eine leidliche 
Excursionsweite der Beweglich¬ 
keit im Ellenbogengelenke er¬ 
zielt, so ermöglicht der Apparat 
die weitere Beugung oder Streck¬ 
ung jede für sich isolirt zu for- 
ciren, imd zwar nun nicht mehr 
als Pendelwirkung allein bei feststehendem Oberarm, sondern als 
Schwung- oder Schleuderwirkung unter Mitbewegung 
des Oberarmes. Will man z. B. weitere Beugung besonders be- 
^nstigen, so legt man den Apparat in dem activ grösstmöglichen 
Beugungsgrade des Unterarms an, d. h. unter der diesem Beugungs- 
^ade entsprechenden Localisation des Entspannungsgewichtes und 



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212 


August Westhoft'. 


Fixirung der vertikal herabhängenden Pendelstange (Fig. 2). Wird 
nun der Oberarm ruckartig (wie zum Schwung) nach vorn bewegt, 
so schwingt das in seiner Verlängerung hängende Pendel mit; hört 
nun plötzlich die Bewegung des Oberarmes nach vom auf, so wirkt 


Fig. 3. 



das dem Trägheitsgesetze fol¬ 
gende Pendel in seiner weite¬ 
ren Bewegung intensiv im Sinne 
weiteren Beugung des Unter¬ 
armes. 

Umgekehrt forcirt man die 
Streckung durch Schwingungen 
des Oberarmes nach hinten bei 
in grösstmöglicher Streckstellung 
eingestelltem Apparat (Fig. 3). 
Die ganze mannigfache Anwen¬ 
dungsweise des Apparates ist 
zugleich sehr geeignet auf die 
Unterarmbeuger und Strecker 
kräftigend einzuwirken, ein be¬ 
sonders bei sogen, paralytischen 
Contracturen nicht zu imter- 
schätzender Factor, der um so 
wirksamer sein kann, als ja der 
Oberarm, an dem sich das 
Muskelspiel vollzieht, bei der 
Construction des Apparates völlig 
frei bleibt. 

Die Anwendung des Appa¬ 
rates und seine Anpassung an 
die gegebenen Verhältnisse ist 
in der That eine sehr einfache 
und ergibt sich meist von selbst. 
Die Patienten lernen bald allein 


damit umgehen, und da sie sehen, wie ohne Beschwerde fleissige Uebung 
die Beweglichkeit des Gelenkes zusehends fördert, so freuen sie sich 
auf so leichte Weise selbst an ihrer Wiederherstellung arbeiten zu 
können; wie langwierig und für den Arzt wie Patienten oft gleich 
unangenehm, und wie wenig erfolgreich ist dagegen die ausserdem 
noch sehr schmerzhafte bisherige Behandlung von Ellenbogencon- 


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Ueber die Behandlung von Contracturen des Ellenbogengelenks etc. 213 


tracturen mit täglicher Massage und passiven Bewegungen ? Mit 
Schrecken sehen die Patienten diesem täglichen Acte entgegen, und 
ist derselbe je nach der Intelligenz und Willensstärke des Patienten 
mit mehr oder weniger Widerstand überstanden, so wird meist das 
schmerzende Glied für den Rest des Tages in ängstlicher Ruhestel¬ 
lung belassen oder aber selbst willige Patienten täuschen sich selbst 
über den Fortschritt der Beweglichkeit bei ihren activen Uebungen, 
indem sie bei Eintritt der Hemmung und des Schmerzes unwillkür¬ 
lich das kranke Glied ruhig stellen, dagegen durch Inanspruchnahme 
des Schultergelenks eine scheinbar grössere Exkursionsweite im 
Ellenbogengelenk produciren. Von kurzen Sitzungen täglich, wo¬ 
mit die Anwendung des Apparates begonnen wurde, brachten es die 
Mehrzahl meiner Patienten dahin, 7—8 Stunden täglich damit zu 
arbeiten, so dass sie sogar bei ihren Spaziergängen im Garten gleich- 
mässig mit ihren Schritten unverdrossen ihre Pendel- oder Schwung¬ 
bewegung übten, ohne dass irgend welche Reizungszustände am 
Gelenk beobachtet wurden. 

Als passende Objecte für die Behandlung mit meinem Apparat 
sehe ich alle Arten von Contracturen an, bei denen wenigstens ein 
geringer (vielleicht nur in Narkose erkennbarer) Grad von Beweg¬ 
lichkeit vorhanden ist. Denn nur dann ist es möglich, dass die 
Ausschlagskraft des schwingenden Pendels bewegend auf den Unter¬ 
arm und damit auf das Ellenbogengelenk wirkt; ist dagegen völlig 
feste, knöcherne Ankylose vorhanden, so dass Unter- und Oberarm 
ein starr mit einander verbundenes winkliges Hebelpaar bilden, so 
überträgt sich die Kraft des Pendels durch die Schwung- oder 
Schleuderwirkung wohl auf das Schultergelenk, der Ellenbogen 
jedoch wird nicht beeinflusst. Für solche Fälle völlig knöcherner 
Ankylose tritt der Apparat erst in sein Recht nach stattgehabter 
Re.section des Gelenkes; und hat dann allerdings ein aussichtsvolles, 
dankbares Gebiet seiner Wirksamkeit. Der erste Fall, den ich als 
Assistenzarzt der chirurgischen Universitätsklinik zu Greifswald mit 
meinem Apparate zu behandeln Gelegenheit nahm, betraf ein rese- 
cirtes Gelenk; der günstige Erfolg berechtigte zu weiteren Versuchen. 
Es handelte sich um einen 14jährigen Schüler Willy Hase, der am 
12. März 1891 in die Klinik aufgenommen wurde mit einer compli- 
cirten, septisch inficirten Luxation beider Vorderarmknochen nach 
hinten-aussen, seit 8 Tagen bestehend; die Trochlea des Humerus 
lag zum Theil in der äusseren Wunde frei; Umgebung phlegmonös. 


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214 


August Westhoff. 


Kein Repositionsversuch; sofortige Drainage der Gelenkgegend und 
feuchte Verbände brachten die septische Entzündung zum Rückgänge. 
Dann wurden die zum Theil nekrotischen Gelenkenden der Unter¬ 
armknochen und der Humerus resecirt: Jodoform-Tamponade; secun- 
däre Naht der Weiebtheile; glatte Wundheilung. Nachdem eine 
lange Nachbehandlung (tägliche Massage, passive Bewegungen, 
Bäder, Elektricität) für die Beweglichkeit wenig erfolgreich ge¬ 
wesen, wurde der Apparat versucht. Der intelligente und auf 
seine Wiederherstellung bedachte Patient lernte sehr bald damit um¬ 
gehen und übte fleissig; der Fortschritt in der Beweglichkeit war 
überraschend, so dass der Knabe nach 5 Wochen bei seiner Ent¬ 
lassung bereits bis zu einer activen Bewegungsweite von 90^ ge¬ 
kommen war ^). 

Nach diesem günstigen Erfolge nahm ich weitere Fälle in 
orthopädische Behandlung mit meinem Apparat, wie sie das Material 
der Klinik gerade bot. Meist waren es Contracturen nach älteren 
Verletzungen, nach immobilisirenden Verbänden u. s. w. Zwei Ap¬ 
parate waren seitdem in der Klinik in täglichem Gebrauch; frische 
Verletzungen am Ellenbogen, besonders Luxationen, konnten bei 
dem stark wechselnden Material der Klinik meist nicht bis zur 
vollendeten orthopädischen Nachbehandlung in der Klinik behalten 
werden; solche Fälle wurden dann der Poliklinik überwiesen, wo 
ihnen Gelegenheit gegeben wurde, täglich einen Apparat zur Ver¬ 
fügung zu haben. Die Resultate der Behandlung sind natürlich je 
nach der Art der stattgehabten Verletzung, nach der bereits be¬ 
stehenden Deformität des Gelenkes, nach dem Alter der Contractur, 
nach der Dauer der Behandlungszeit, verschieden; jedenfalls über¬ 
traf der Erfolg der Behandlung mit dem Apparat in der grossen 
Mehrzahl der Fälle bedeutend die bisherigen Resultate. Manche 
Fälle von Contractur nach älteren Verletzungen kamen eben als das 
Resultat der Behandlung mit Massage, passiven Bewegungen u. s. w. 
in meine Behandlung; unter dem Einflüsse des Apparates liess sich 
auch bei ihnen die Beweglichkeit noch bedeutend bessern. Es sei 
mir gestattet, kurz die Fälle zu erwähnen, welche ich in der dortigen 
Klinik behandelte, nur um zu zeigen, in welch weiter Ausdehnung 


0 Herr Professor Helferich demonstrirte diesen Fall in der Sitzung 
des Greifswalder medicinischen Vereins als ,vorzüglichen“ Erfolg der Behand¬ 
lung mit dem Pendelappai-ate. 


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üeber die Behandlung von Contracturen des Ellenbogengelenks etc. 215 


der Apparat in der Orthopädie des Ellenbogengelenks Anwendung 
finden kann. 

Meinem verehrten früheren Chef, Herrn Prof. Dr. Helfe rieh, 
sei für die gütige Ueberweisuug des Materials auch an dieser Stelle 
herzlicher Dank gewidmet. 

1. Buse, Agnes, 15 Jahre, aufgenommen 2. Mai 1891. 
Contractur des linken Ellenbogengelenkes nach ungünstig geheilter 
T-Fractur des unteren Humerusendes; minimale Beweglichkeit; ge¬ 
bessert. Behandlung frühzeitig unterbrochen. 

2. Becker, Carl, 16 Jahre, aufgenommen 5. Mai 1891. 
Necrosii humeri sin. (unteres Ende). Contractur des Ellenbogen¬ 
gelenkes. Sequestrotomie; nachher orthopädische Behandlung. Ge¬ 
bessert. 

8. Peter, Wilhelm, 36 Jahre, aufgenommen 12. Juni 1891. 
Contractur des Ellenbogens nach Maschinenverletzung der linken 
Hand, mit folgender schwerer Phlegmone des Armes; vielfache lange 
Incisionen. Bei der Entlassung am 8. October 1892 active Beweg¬ 
lichkeit von 1 R. 

4. Strege, Richard, 10 Jahre, aufgenommen 8. August 1891 
mit Gelenkfractur am unteren Humerusende und ischämischer Läh¬ 
mung von Unterarm und Hand nach strangulirendem Gypsverband. 
Ellenbogen activ unbeweweglich; bei der Entlassung 16. December 
Beweglichkeit von 1 R. 

5. Rätz, Carl, 29 Jahre, aufgenommen 9. August 1891. 
Phlegmone manus et antibrachii dext. Gangraena digitorum. Aus¬ 
giebigste Incisionen; Amputation mehrerer Finger; nachher Trans¬ 
plantationen auf grössere Hautdefecte. Contractur des Ellenbogens. 
Bei der Entlassung am 21. October 1891 Beweglichkeit des Ellen¬ 
bogens fast normal: an der Streckung fehlen bei Supination der Hand 
ungefähr 10®. 

6. Kahle, Alfred, 6 Jahre, aufgenommen 1. September 1891 
mit Gelenkfractur am unteren Humerusende und ischämischer Läh¬ 
mung des Unterarmes und der Hand nach strangulirendem Gyps¬ 
verband; Ellenbogen unbeweglich; bei der Entlassung beweglich 

um 1 R. 

7. Fourestier, Ernst, 11 Jahre, aufgenommen 25. September 
1891. Fractura complic. antibrachii dext. Verbandsteifigkeit des 
Ellenbogens. Gebessert der Poliklinik zur weiteren orthopädischen 
Behandlung überwiesen. 


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216 


August Westhort'. 


8. Blunck, Robert, 34 Jahre, aufgenominen 24. October 1891. 
Contractur des Ellenbogens nach Phlegmone manus dext. et anti- 
brachii mit Nekrose der Sehnen der Muse, palmaris long. Gebessert. 

9. Wende, Carl, 15 Jahre, aufgenommen 26. October 1891. 
Contractur des Ellenbogens nach Fractur der Ulnae (oberes Drittel) 
und Luxatio capituli radii unter. Gebessert. 

10. Fahrendorf, Wilh., aufgenommen 2. November 1891. 
Steifigkeit des Ellenbogens nach Luxatio antibrachii poster. com- 
pleta; am Ende der Behandlung normale Beweglichkeit. 

Die folgenden Fälle beweisen, dass die Anwendung meines 
Apparates zur frühzeitigen orthopädischen Nachbehandlung selbst 
operirter Gelenke indicirt ist; sogleich nach Heilung der äusseren 
Wunde wurde der Apparat angelegt; in keinem Falle haben etwa 
Reizungszustände des Gelenkes eine Unterbrechung der orthopädischen 
Uebungen erfordert. Die stetigen leichten Pendelschwingungen sind 
für ein frisch operirtes Gelenk schonender und schmerzloser als 
manuelle passive Bewegungen, weil der Patient die Intensität der 
Schwingungen selbst regulirt und der „entlastete“ Unterarm diesen 
Einwirkungen leichter folgen kann. 

11. Westphal, Herrn., 13 Jahre, aufgenomraen 16. Mai 1891 
mit Luxatio cubiti nach hinten-aussen. Mehrere auswärts ge¬ 
machte Repositionsversuchc waren erfolglos; auch in der Klinik 
gelang die Reposition nicht, so dass Herr Prof. Helferich sich zur 
operativen Reposition entschloss. Es ergab sich hierbei eine Inter¬ 
position von Kapseltheilen, sowie des zerrissenen Muse, brachialis int. 
Nach Hebung dieses Hindernisses gelang die Reposition leicht; 
primäre Naht; guter Heilungsverlauf. Nachdem die äussere Wunde 
geheilt war, wurde sogleich mit Bewegungen im Apparate begonnen, 
die an Dauer und Intensität allmählich verstärkt wurden. Bei der 
Entlassung am 18. Juli 1891 blieb die active Flexion nur noch um 
5®, die active Extension um 15'^ hinter der normalen zurück, passiv 
war beides bis zum normalen auszugleichen. 

12. Henning, F erd in., 18 Jahre, Knecht, aufgenommen 
18. März 1891 mit einer alten nicht reponirten Luxatio capituli 
radii dext., bedeutende Behinderung der Flexion und Supination, Re- 
sectio capituli radii. Nach normalem Wundverlauf Behandlung mit 
dem Apparat. Bei der Entlassung am 25. April 1891 vollkom¬ 
mene Supination; Flexion bis 50'^. 

13. Wilken, Wilhelm, 23 Jahre, Schiffszimmermann, auf- 


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Ueber die Behandlung von Contracturen des Ellenbogengelenks etc. 217 

genommen 26. April 1891. Durch Sturz aus der Schiffstakelage 
auf Deck zog er sich folgende Verletzungen zu: Luxatio cubiti sin. 
poster; Fractura capituli radii sin; Fractura radii typica lateris utri- 
usque. Sofortige Reposition der Luxation; Schienen verband; normale 
Heilung der Radiusbrüche; das abgebrochene Radiusköpfchen ergab 
nachher ein bedeutendes Bewegungshinderniss für den Ellenbogen, 
daher Resectio capituli radii. Nach Wundheilung Nachbehandlung 
mit dem Apparate. Bei der Entlassung am 19. Juni 1891 Flexion 
im Ellenbogen bis Extension bis 150^; Pro- und Supination um 
90® möglich. 

14. Krieger, Heinrich, 24 Jahre, aufgenommen 1. Juli 1891, 
mit Fractura radii typ. dext.: Luxatio ulnae (unteres Ende) dorsal. 
Im späteren Heilungsverlauf Resection des Capitulum radii und des 
unteren Endes des ulna aus orthopädischen Gründen. Nachbehand¬ 
lung mit dem Apparat. Entlassung am 18. September 1891. Flexion 
fast normal. Extention in Pronationsstellung bis 170®; Supination 
noch behindert. 

15. Artel, Johann, 36 Jahre, aufgenommen 16. Juli 1891. 
Luxatio capituli radii sin. anter. inveterata; Fractura ulnae. Resec¬ 
tion des Radiusköpfchens; Apparatbehandlung. Bei der Entlassung 
am 18. August 1891 fast keine Bewegungsstörung mehr. 

16. Poraht, Adolf, 30 Jahre, aufgenommen 28. October 1891, 
mit beginnender Tuberculose des Radio-humeral-Gelenks nach Trauma; 
starke Schmerzhaftigkeit und Behinderung der Beweglichkeit. Bei 
der vorgenommenen operativen Eröffnung des Gelenks ergab sich 
eine circumscripte tuberculöse Erkrankung der Gelenkkapsel; Resec¬ 
tion des Capitulum radii. Exstirpation der erkrankten Kapselpartien 
weit im Gesunden. Nach Wundheilung: Apparatbehandlung. Bei 
der Entlassung: Streckung bis 150®, Beugung bis 60® activ ohne 
Schmerzen möglich. Ellenbogengegend auf Druck nicht schmerzhaft. 

Fall 16 bildet insofern eine Ausnahme, als ich im allgemeinen 
frische entzündliche Contracturen des Gelenks natürlich nicht mit 
Bewegungsübungen, also auch nicht mit dem Apparate behandelt 
wissen will; hier ist neben localer Behandlung Ruhe des Gelenks 
angebracht, bis das entzündliche Stadium völlig abgelaufen ist: für 
die dann zurückbleibenden Bewegungsstörungen tritt allerdings der 
Apparat in seine Kraft. In unserem letzten Falle konnten wir mit 
Grund annehmen, den circumscripten Krankheitsherd total entfernt 
zu haben. Der gute Wundverlauf, die völlige Schmerzlosigkeit auf 


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218 August WesthofF. Ueber die ßehandluog von Contracturen etc. 


Druck rechtfertigte den frühzeitigen Versuch die Beweglichkeit des 
Gelenks zu fördern. 

Ein weiterer Fall befindet sich gegenwärtig in meiner Behand¬ 
lung. Ein achtjähriger Knabe fiel vor sieben Wochen vom Tisch; 
starke Schmerzhaftigkeit, Schwellung des Ellenbogengelenks. Therapie: 
Lagerung des Armes in Mitella; Einreibung der Ellenbogengegend. 
Als ich die Behandlung vor drei Wochen übernahm, war das Status 
folgender: Der linke Ellenbogen steht in Beugung von c. 135®; 
Unterarm in Mitte zwischen Pronation und Supination; Beweglich¬ 
keit des Ellenbogengelenks activ = 0®, passiv unter Schmerzen nur 
5® möglich. Pronation und Supination passiv in halber Ausdehnung 
möglich. Die Gegend der Epicondylus ext. humeri fühlt sich knöchern 
verdickt an und ist auf Druck sowohl von aussen als auch von der 
Beugeseite her schmerzhaft; Capitulum radii normal und nicht 
schmerzhaft. Es handelte sich um einen Epicondylenbruch, der unter 
ungünstiger Verlagerung des Bruchstückes nach vorn consolidirt war. 
Trotz der Schmerzhaftigkeit des Gelenks bei passiven Bewegungen 
wurde der Apparat gut ertragen; die active Beweglichkeit hat bis 
jetzt um 35® zugeiiommen. 

Ich hoffe, dass mein Pendelapparat eine nützliche Bereicherung 
der bisher noch recht mangelhaften Therapie von Ellenbogensteifig¬ 
keiten bilden wird, nicht allein für Kliniken und orthopädische In¬ 
stitute, sondern auch für den praktischen Arzt, der nicht eben auf 
dem resignirten Standpunkte steht, dass nach den erheblicheren Ver¬ 
letzungen der Ellenbogengegend ein „steifer Arm“ doch zurückzu¬ 
bleiben pflegt. 


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XII. 


Das Grewicht des Körpers in seiner Beziehung zur 
Pathologie und Therapie des Klnmpfusses. 

<Telesen vor »The American Orthopaedic Association‘^. New York, 
September 21. 1892. 

Von , 

A. B. Judsoii, M. D. 

Orthopaedic Surgeon to tlie Out-Patient Department of the New York 

Hospital. 

Mit 20 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Meine Herren! Ich möchte Ihnen einige Gedanken in Bezug 
auf die Behandlung des Talipes equino-varus vortragen. 

Um mit dem angeborenen Klumpfuss anzufangen, müssen wir 
uns vergegenwärtigen, dass ein grosser Unterschied zwischen einem 
liegenden und einem gehenden Kinde besteht. So lange das Kind 
noch getragen wird, fallen die Complicationen, die durch das Ge¬ 
wicht des auf den verunstalteten Fuss fallenden Körpers veranlasst 
werden, fort. Diese ersten zwölf Monate sind für uns die wich¬ 
tigste Periode, weil während dieser Zeit die Einwirkung auf den 
Fuss eine derartige sein muss, dass, wenn das Kind zu gehen anfängt, 
schon eine einfache Schiene mit massigem Drucke genügt, um das 
Körpergewicht aus einer verunstaltenden in eine corrigirende Kraft 
umzuwandeln. Während dieser Monate der Ruhe, wo das Körper¬ 
gewicht noch nicht in Betracht kommt, die Gewebe weich und nach¬ 
giebig sind und der Fuss fast um das Doppelte wächst, können wir 
mit Bestimmtheit einen Erfolg unserer Behandlung erwarten, voraus- 

9 Ins Deutsche übersetzt von Dr. A. Lilienfeld, chirurgischer Assi¬ 
stenzarzt am Elisabeth-Krankenhaus in Berlin. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. II. Band. 15 


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220 


A. B. Judson. 


gesetzt, dass wir genügende Zeit und genaue Befolgung von Einzel¬ 
heiten der Sache widmen. 

Der Apparat, welchen ich zur Correction, bevor das Kind zu 
gehen anfängt, anwende, ist eine einfache Haltschiene, die wie ein 
Hebel wirkt mit dem einen Druckpunkte an der Aussenseite des 
Fusses und Knöchels bei A (Fig. 1—4 incl.) und den beiden andern 
Druckpunkten an der Innenseite des Unterschenkels bei B und am 
inneren Rande des Fusses bei C, Ich möchte betonen, dass wir es 
hier mit einem Hebel zu thun haben, weil wir im Bewusstsein der 
Anwendung eines Hebels mit seinen gegebenen drei Stützpunkten 
den Apparat wirksamer gestalten können, als wenn wir ihn im All¬ 
gemeinen nur zu dem Zwecke einer Verbesserung der Gestalt des 
Fusses angewendet wissen wollen. 

Ich nehme zunächst eine kleine Schiene aus Messingblech und 
brauche zur Anfertigung nur einige einfache Werkzeuge. Der Vor- 


Fig. 1. Fig. 2. Fig. 3. Fig. 4. 



theil der eigenen Anfertigung liegt zweifellos darin, dass man 
dann genau weiss, wo der Fehler liegt, wenn der Apparat nicht 
ordentlich functionirt. Zwei gekrümmte Platten B und C (Fig. B 
und 4) werden an eine Schiene D genietet und dadurch die zwei 
Punkte des Gegendruckes geschaffen. Der Druckpunkt selbst wird 
durch eine dritte Platte A hergestellt, welche an der Aussenseite dea 
Fusses und Knöchels angebracht und hier befestigt wird durch einen 
Heftpflasterstreifen, der das Glied und die Schiene, welche die bei¬ 
den Platten B und C verbindet, umfasst. Die Platten werden mit 
Flanell gepolstert, der leicht mit Nadel und Faden erneuert werden 
kann. Diese Schienen sind so billig und leicht angefertigt, dass es 
eine Kleinigkeit ist, neue und grössere herzustellen, indem man 
schwereres Metall für die Schiene anwendet, wenn das Kind älter 
wird. Im Allgemeinen werden drei verschiedene Grössen genügen. 

Der Rand der Scheiben muss etwas umgebogen werden, um 
dem dünnen Messing mehr Festigkeit zu verleihen und die Haut vor 


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Das Gewicht des Körpers in seiner Beziehung zur Pathologie etc. 221 


der sonst scharfen Kante zu schützen. Eventuell würden auch Platten 
aus Blech, leichte Eisen- oder Stahlschienen dieselben Dienste leisten. 

Die Schiene wird mit drei Heftpflasterstreifen angelegt. Der 
obere und untere Streifen F und G (Fig. 4) dienen nur der Befestigung 
des Apparats amFusse und Unterschenkel, während der mittlere Streifen 
E durch straffes Anziehen über der Platte, indem man von Zeit zu 
Zeit die Schiene gerade richtet, die Deformität allmählich und ohne 
Gew'altanwendung ausgleicht. Bei jeder Wiederanlegung wird die 
Schiene ein klein wenig gerader als der Fuss selbst gerichtet. 
Dieses kann man leicht mit der Hand selbst ausführen, und dann 
wird der mittlere Heftpflasterstreifen über dem Schild so straff an¬ 
gezogen, dass die Form des Fusses derjenigen der Schiene entspricht. 
Nach einigen Tagen muss die Schiene noch etwas gerader gerichtet 
und wieder so fest angelegt werden, dass eine merkliche Correction 
stattfindet. Die Schiene wird zu Anfang der Behandlung stark ge¬ 
bogen (krumm) angelegt, wie in Fig. 3 und 4, und wird dann von 
Zeit zu Zeit gerader gerichtet, um wenn die Deformität corrigirt 
und der Patient grösser geworden ist, durch eine längere ersetzt zu 
werden. Alle 1—2 Wochen soll die Schiene auf einige Tage weg¬ 
gelassen werden, damit während dieser Zeit die Mutter in vorge¬ 
schriebener Weise passive corrigirende Bewegungen mit dem Fusse 
macht. Diese Bewegungen sind sehr wichtig, da Fälle bekannt sind, 
in denen Pes varus und equinus lediglich durch diese Manipulationen 
der Mutter geheilt worden sind. 

Durch diese einfache Behandlungsweise, in systematischer Weise 
ohne Hast, Gewalt oder Schmerz ausgeführt, wird man stets, abge- 
gesehen von einigen Ausnahmefällen, die Varusstellung des Fusses 
in eine Valgussteilung bringen können. Zugleich wird durch diese 
Manipulationen, indem man der Schiene zeitweise eine antero-posteriore 
Richtung gibt, die Achillessehne verlängert, bis der Fuss fast nor¬ 
mal oder wenigstens rechtwinklig steht. Fig. 3 und 4 zeigen un¬ 
gefähr die Form der Schiene zu Anfang der Behandlung, Fig. 5 
und G, wenn die Varusstellung corrigirt ist, und Fig. 7 und 8, wenn 
die letztere in die Valgusstellung umgewandelt ist. Diese Valgus- 
stellung des Fusses wird nicht beibehalten werden, wenn man ihn 
sich selbst überlässt, kann aber ohne Kraftanwendung in eine solche 
zurückgebracht werden. Wenn aber in dieser corrigirten Stellung 
das Kind zu laufen anfängt, muss ein anderes Stadium der Behand¬ 
lung eingeleitet werden. 


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222 


A. B. Judson. 


Sobald das Kind läuft, tritt eine neue Schwierigkeit auf. Jetzt 
würde das auf den zarten und missgestalteten Fuss fallende Körper¬ 
gewicht, ohne die nöthige Direction, unsere Bemühungen vereiteln. 
Wir wollen hier kurz die mechanischen Verhältnisse des mensch¬ 
lichen Fusses betrachten. Zunächst fällt das Körpergewicht, welches 
sich beim Yierfüssler auf die vier Extremitäten vertheilt, beim 
Menschen nur auf zwei. Die geringe Grundfläche, welche die Füsse 
einnehmen und ihr leichter Bau scheinen der Aufgabe nicht gewachsen 
zu sein, die über ihnen hochragende Gestalt, ähnlich einer auf ihrer 
Spitze ruhenden Pyramide, in genügender Weise zu unterstützen, 
was noch in verstärktem Maasse gilt, w^enn das Bewegungsmoment 
hinzukommt. Geradezu staunenerregend muss uns die Ausdauer des 
Fusses erscheinen, wenn auf längere Zeit noch fremde Gewichte ein- 

Fig. 5. Fig. 6. 




wirken, wie bei den Lastträgern der wilden Völker oder beim Fuss- 
ßoldaten auf dem Marsche. Es ist daher natürlich, dass die Füsse 
den mannigfaltigsten Uebeln, wie eingewachsenen Nägeln, Hallux 
valgus, Plattfuss u. s. w. ausgesetzt sind. Nur muss man sich 
wundern, dass sie nicht schon bald, nachdem das Laufen anfängt, 
untauglich werden, oder wenigstens später, wenn das Alter und die 
üppige Lebensw'eise die Fettansammlung begünstigen. Der Gour- 
mand Lavarin behauptete, dass unter den Schöpfungswerken der 
Entwurf des Fusses augenscheinlich missglückt sei. Doch wenn 
man das ungeheuere Gewicht in Betracht zieht, das vom Fusse ge¬ 
tragen wird, so ist es klar, dass nur der von der Natur in so voll¬ 
kommener Weise eingerichtete Aufbau desselben eine so vorzügliche 
Function ermöglicht und dass man bei dem künstlichen Wiederauf¬ 
bau desto vorsichtiger sein soll. 

Wir sehen also, wie schwierig die Correction des Klumpfusses 
auf mechanischem Wege, während der Patient herumgeht, ist, doch 


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Das Gewicht des Körpers in seiner Beziehung zur Pathologie etc. 223 


werden wir durch die Beobachtung ermuthigt, dass es beim Pes 
varus eine wichtige Grenzlinie zwischen der Deformität und der 
Norm gibt. Wird der Fuss nun in der Weise, wie wir gleich an¬ 
geben werden, richtig in Bezug auf diese Grenzlinie gehalten, so 
wird er durch jeden Schritt in die Valgusstellung gedrängt, und das 
Gewicht des Kindes unterstützt uns noch in der gegebenen Richtung, 
also entgegengesetzt der Varusstelhmg. Das Kind stampft gewisser- 
maassen seinen Fuss gerade. Wenn dagegen der Fuss auch nur 
ganz minimal von dieser Grenzlinie nach der verkehrten Seite hin 
abweicht, so wird er durch jeden Schritt wie durch einen Schlag 
immer in die Varusstellung hineingetrieben. 

Zur Illustration des Gesagten diene die auf dem Ulnarrande 
aufliegeude Hand. Auch hierbei besteht eine bestimmte Grenzlinie 
zwischen Suppination und Pronation. Wird die Hand auch nur um 
ein Geringes pronirt, so wird jeder hinzutretende Druck die Pro¬ 
nation vermehren, welche der Valgusstellung des Fusses entspricht. 
Dagegen bei der geringsten Suppination wird jeder vermehrte Druck 
diese vergrössern, entsprechend der Varusstellung des Fusses. 

Wenn wir diesen Gedanken bei der Anfertigung der Schiene, 
die während des Gehens getragen wird, im Auge behalten, so können 
wir das Gewicht des Körpers als einen unterstützenden Factor uns 
zu Nutzen machen. Dieselbe muss von einem Instrumentenmacher 
und zwar aus Stahl angefertigt werden. Zunächst soll sie Avie ein 
Hebel wirken, jedoch nicht um die Deformität durch directe Gewalt 
auszugleichen, wie in der oben beschriebenen Haltschiene, sondern 
um den Fuss in der richtigen Lage zu der angegebenen Grenzlinie 
fest zu halten, so dass der Fuss durch das Gewicht des Körpers 
gerade gerichtet wird. 

Die Schiene besteht, wie gewöhnlich, aus dem Schenkel¬ 
riemen II (Fig. 9 und 10), dem Fussstück I und dem Schaft J, die 
fest zusammengenietet werden. Auf ein bewegliches Gelenk am 
Knöchel verzichten wir, da ein solches die Hebel Wirkung beein¬ 
trächtigen würde und hier keinen Zweck hätte. Am besten ver¬ 
wendet man weichen Stahl, um leichter Veränderungen vorzunehmen 
und, wenn man in der Correction vorwärts kommt, Kiemen und 
Schnallen eher verschieben zu können. Die Schiene wird, wie in 
Fig. 14, an der Innenseite des Beines angelegt. Der obere Theil 
der Schiene verursacht einen Gegendruck an der Innenseite des 
Beines, hat aber in vernachlässigten Fällen noch eine andere wich- 




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224 


A. B. Judson. 


tige Function zu erfüllen, die darin besteht, dass ein Stahlreifen 
um den hinteren Theil des Schenkels geht, an welchem zwei Schnallen 
angebracht sind, die der Befestigung eines Gurtes K (Fig. 9) dienen, 
welcher an der vorderen Seite des Schenkels liegt. Der Stahlstreifen 
darf keinen Druck auf das Bein ausüben, da er einzig für die 
Schnallen vorhanden ist. Dagegen thut uns der vordere Gurt, der 
gepolstert sein muss, wichtige Dienste in den Fällen, in denen ver¬ 
säumt wurde, die Varusstellung, bevor das Gehen anfängt, zu corri- 
giren. Derselbe überträgt einen Theil des Körpergewichts von der 
vorderen Fläche der Fusssohle, wo dasselbe der Correction hinder¬ 



lich ist, auf den oberen Theil der vorderen Fläche des Beines, wo 
es für die Behandlung unwesentlich ist. Dass der so übertragene 
Gewichtsausdruck erheblich ist, wird durch die an dieser Stelle 
auftretende Callus- und Schleimbeutelbildung, welche der Gurt ver¬ 
ursacht, bewiesen. Diese mechanische Wirkung gleicht derjenigen 
der in Fig. 11 abgebildeten Schiene zur Behandlung der Lähmung 
der Wadenmuskulatur mit nachfolgendem Pes calcaneus. 

Der obere Theil der Schiene muss ferner auch von folgenden 
Gesichtspunkten aus betrachtet werden. In vernachlässigten Fällen 
werden wir die Schiene so stellen, dass sie einen Winkel von 15^ 
bis 20^ oder mehr mit einer zum Fussstück senkrecht gezogenen 
Linie bildet wie in Fig. 9. Obgleich durch diese Stellung die Correc¬ 
tion des Pes equinus hinausgeschoben wird, so können wir doch hier¬ 
durch auf die Varusstellung einwirken, und sobald die Equinusstellung 
gehoben werden soll, können wir allmählich wieder zu der senkrechten 
Lage der Schiene übergehen wie in Fig. 10, oder sogar noch über 


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Das Gewicht des Körpers in seiner Beziehung zur Pathologie etc. 225 


^iese hinaus, so dass das Körpergewicht mehr auf den vorderen 
Theil der Fusssohle fallt, und dadurch die Achillessehne gedehnt 
wird. Die verticale Richtung der Schiene wie in Fig. 10 kann so¬ 
fort bei den Patienten angewendet werden, wo die Correction vor 
dem Anfang des Gehens stattgefunden hat. 

Wir wollen jetzt zu der Betrachtung des Fussstückes über¬ 
gehen, welches aus Stahlblech angefertigt wird. 

Dasselbe hat die gewöhnliche Sohle L Fig. 13 und Seiten¬ 
stück M Fig. 10. Die Hülse für den Haken wird durch ein Leder¬ 
stück N Fig. 13 gebildet, welches den Haken nach hinten umgreift 


Fig. 13. Fig. 14. 



und bis zu dem Sporn 0 Fig. 13 reicht, der von dem hinteren Theil 
des äusseren Randes der Sohle nach oben hin sich erstreckt. Wenn 
wir wieder die oben beschriebenen vernachlässigten Fälle im Auge 
behalten, wo der Apparat als Hebel zur gewaltsamen Correction der 
Varusstellung wirken soll, so wird der Gegendruck am inneren 
Rande des Fusses und am oberen Theil der Innenseite des Unter¬ 
schenkels angebracht, während der Druck selbst bewirkt wird durch 
einen oder mehrere Riemen, die am Fussstück und am Schienenstück 
befestigt werden. Ein Riemen ist in Fig. 13 und 14 bei P abge¬ 
bildet. Dieser reicht aus in den Fällen, wo die Varusstellung 
schon vor dem Beginn des Laufens corrigirt worden ist. In den 
Fällen, wo noch während des Gehens die Varusstellung beseitigt 
werden muss, müssen zwei oder drei Riemen hinzugefügt werden 
wie in Fig. 9, die theilweise um Fuss, Schenkel und Knöchel herum¬ 
gehen und so angebracht werden, dass sie am wirksamsten der 


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22G 


A. B. Judson. 


Varusstellung entgegenarbeiten und den Fuss in möglichst günstiger 
Stellung gegenüber dem Körpergewicht halten. Diese Theile des 
Apparats können bei besonders schwierigen Fällen öfters umgestellt 
werden. Als vorzügliches Hilfsmittel zur Anwendung eines continuir- 
lichen Druckes kann man einen Heftpflasterstreifen Q Fig. 14 be¬ 
nutzen, der an ein Lederstück B befestigt wird und zum Theil den 
Fuss und Knöchel umgreift, in zwei Enden sich theilend. Das Leder¬ 
stück wird am inneren Rande der Schiene festgeschnallt. Hierdurch 
wird nicht nur der Druck gesteigert, sondern die Ferse wird auf 
der Sohle des Fussstückes festgehalten und der Fuss nach aussen 



rotirt, so dass bei dieser Stellung das Körpergewicht eher ein corri- 
girender als verunstaltender Factor wird. Das Seitenstück am Fuss 
kann auch in vorher vernachlässigten Fällen ein Oehr aus Messing¬ 
blech tragen, S Fig. 13 und 14, welches über das erste metatarso- 
phalang. Gelenk umgebogen wird, um zu verhindern, dass der innere 
Rand des Fusses über den Rand des Seitenstückes hinausschlüptt. 
Das Fussstück wird mit Heftpflaster in verschiedenen Lagen belegt, 
um das Rosten zu verhindern und mit einem Stück Leder, welches 
an der Sohle und am Sporn durch kupferne Nieten befestigt wird 
wie in Fig. 10. In der Praxis erfordern diese Einzelheiten ebenso 
viel Aufmerksamkeit wie die allgemeinen Grundsätze der Behand¬ 
lung. Die Schiene wird über dem Strumpf angelegt, indem der 
Riemen B durch ein Loch in demselben geht, und wurd durch Hose 
und Schuh bedeckt. 


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Das Gewicht des Körpers in seiner Beziehung zur Pathologie etc. 227 

Wir gehen zu dem oberen Theil der Schiene über. Derselbe 
läuft oben schwach schmäler zu und besteht aus weichem Stahl, der 
in vorher vernachlässigten Fällen, wie in Fig. 12, etwas gebogen 
angelegt wird, doch nicht ganz so stark wie der Fuss selbst, nach¬ 
dem man diesem mit der Hand die beste Stellung gegeben hat. Die 
verschiedenen Riemen werden dann wie in Fig. 9 befestigt und 
täglich fester angezogen, bis die Hebel Wirkung die Varusstellung 
einigermassen corrigirt hat. Dabei wird die Schiene selbst allmälich 
gerade gebogen bis zur vollständigen Correction des Varus. Jetzt 
wird die Schiene von Zeit zu Zeit, wie in Fig. 17 nach der Valgus- 
stellung hin gebogen, bis der Fuss die Stellung angenommen hat 
wie in Fig. 18. Diese Manipulationen würden nicht nothwendig 
sein, wenn der Varus in Valgus übergeführt worden wäre, schon 
bevor das Kind zu laufen anfängt. In sehr vernachlässigten Fällen 
^vird es besser sein, um den Nachtheil des Körpergewichtes aus¬ 
zuschalten, den Patienten liegen zu lassen, oder eine hohe Sohle 
am gesunden Fuss und eine Krücke benutzen zu lassen, bis die 
Varusstellung sich erheblich gebessert hat. In den Fällen, wo das 
Kind schon älter ist, sollte auch auf die häusliche Unterweisung in 
der Haltung des Fusses besonders auch beim Gehen Gewicht gelegt 
werden. 

Sobald der Fuss die Valgusstellung erlangt hat, entweder dann, 
wenn das Kind zu laufen anfängt, oder in vernachlässigten Fällen 
später, wird Folgendes beobachtet: Es steht jetzt der äussere Rand 
des Fussstückes höher als der innere, wie in Fig. 19 und 20, und 
dadurch wird derselbe Erfolg erzielt, wie wenn man am äusseren 
Rande des Schuhes die Sohle erhöht. Hierdurch werden wir in 
unseren Bemühungen, den Fuss möglichst günstig gegenüber dem 
Körpergewicht zu stellen, erheblich unterstützt. 

Die Schiene zum Gehen, wie sie oben beschrieben worden ist, 
dient also hauptsächlich zur Correction der Varusstellung, die durch 
die Gewohnheit auf dem äusseren Fussrande zu gehen mehr oder 
weniger verschlimmert worden ist. Eigentlich sollten solche Fälle 
gar nicht Vorkommen, man sieht sie aber in der That sehr häufig, 
eben in den Fällen, die nicht vor dem Gehen behandelt worden 
sind, wo eine Correction noch leicht vorzunehmen gewesen wäre. Wenn 
die Varusstellung stets, bevor das Kind zu laufen anfängt, corrigirt 
würde, dann wäre der einzige Zweck der Schiene wie in Fig. 19 
und 20, den Fuss in leichter Valgussteilung zu halten, so dass das 


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•228 


A. B. Judson. Das Gewicht des Körpers etc. 


Körpergewicht selbst während des Wachsthums des Kindes den Fuss 
normal gestaltet. Nach drei- bis vierjähriger Behandlung und Er¬ 
neuerung der Schiene, mit dem Grösserwerden des Kindes, wird man 
die nächsten zwei bis drei Jahre jede weitere Behandlung unterlassen 
können. Der Patient muss jedoch von Zeit zu Zeit beobachtet 
werden, und wenn der Fuss im Wachsen wieder Neigung zeigt, in 
die ursprüngliche Varusstellung zurückzukehren, so muss man wieder 
^ine entsprechende Schiene zum Gehen auf zwei bis drei weitere 
Jahre anlegen. Ist der Fuss ausgewachsen, so wird er nach dieser 


Fig. 19. Fig. 20. 



Behandlung allen Anforderungen eines congenital normalen Fusses 
entsprechen. 

Obgleich wir in der vorangehenden Beschreibung hauptsächlich 
den congenitalen Klumpfuss im Auge gehabt haben, so sind doch 
die Ansichten, die wir in Bezug auf den Einfluss des Körpergewichts 
geäussert haben, auch auf den paralytischen Klumpfuss anwendbar. 
Hierbei ist im frühen Stadium, bevor der Fuss seine Biegsamkeit 
verloren hat, eine einfache Gehschiene wie in Fig. 19 und 20 ge¬ 
nügend, um dem Gewicht des Körpers die nötige Richtung zu geben. 
Zu einer späteren Zeit, wenn dies vernachlässigt worden ist, so dass 
der Fuss die Varusstellung angenommen hat und wenig biegsam 
ist, wird eine eingehendere Behandlung mit mehreren Riemen und 
Heftpflasterstreifen erforderlich sein, um den Fuss so zu stellen, dass 
das Gewicht des Körpers einen corrigirenden und keinen verunstal¬ 
tenden Einfluss ausübt. 


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XIII. 


Mittheilungen aus dem orthopädischen Institute von 
Dt. A. Lüning und Dr. W. Schulthess, Privat- 
docenten in Zürich. 

VI. 

Einige Bemerkungen Uber Messungsverfahren und Messapparate 

für Skoliose. 

Von 

Dr. Wilh. Schaltliess. 

In jüngster Zeit sind verschiedene neue Messungsverfahren und 
Messapparate für Skoliose beschrieben worden. Müller^) construirte 
einen Messapparat, Kirchhoff*) hat eine einfache Methode ange¬ 
geben, um die laterale Deviation und die anteroposteriore Krümmung 
der Dornfortsatzlinie zu messen, Oehler^) machte Mittheilungen 
über eine Verbesserung der photographischen Aufnahme. 

Alle diese Neuerungen verdanken ihre Entstehung dem Be¬ 
streben, die bisherigen Messungsmethoden und Apparate zu verein- 
faclien. Als Gründe dafür werden einerseits der hohe Preis der 
Messapparate, ihre Grösse, andererseits die Messungszeit angeführt. 
Bevor ich nochmals auf die Messungen mit meinem Apparate zu¬ 
rückkomme ^), auf welchen von den genannten Autoren ebenfalls Bezug 


Medicin. Correspondenzblatt des württemb. ilrztl. Landesvereins Bd. 52 
Jsr. 11, 30. April 1892. Die Therapie der Skoliose. 

Diese Zeitschr. Bd. 2 Heft 1 u. 2 S. 95. 

Diese Zeitschr. Bd. 2 Heft 1 u. 2 S. 169. 

S. die Beschreibung des Apparates in dem Centralblatt für orthopä¬ 
dische Chirurgie 1885, Nr. 4. 


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Wilh. Schulthess. 


genommen wird, seien mir einige Worte über diese neueren Apparate 
und Methoden gestattet. 

Müller hat einen Apparat construirt, der aus einem Rahmen 
besteht, der auf einem Stativ hinter dem Patienten aufgestellt wird. 
In diesem Rahmen kann ein quer gestelltes Lineal auf- und abwärts 
geschoben werden. Dieses wiederum trägt einen in der Richtung 
verschiebbaren Reiter. Dieser Reiter ist durchbohrt und in die 
in der Richtung von vorn nach hinten liegende Bohrung ist ein 
Metallstäbchen eingefügt, das in derselben Richtung verschiebbar ist. 
Nun sind an der senkrechten Richtung am Rahmen, in der queren 
Richtung am verschiebbaren Lineal und in der Tiefenrichtung an 
dem in die Bohrung des Reiters eingefügten Stäbchen Centimeter- 
scalen angebracht. Auf diese Weise ist es möglich, die Lage aller 
mit dem Stäbchen erreichbaren Punkte durch 3 Zahlen zu be¬ 
stimmen. 

Der Patient wird vor dem Messrahmen vermittelst eine»? 
Beckengrats fixirt, während sein Kopf in eine gewöhnliche Kopf¬ 
halfter gelegt wird, die über dem Patienten am Messrahmen be¬ 
festigt ist. Dadurch, dass nun dieser Messrahmen an seiner untern 
Seite eine Art Stiel trägt, der um eine am Stativ befestigte Achse 
drehbar ist, kann er den eventuellen Seitenschwankungen des 
Patienten bis zu einem gewissen Grade folgen, d. h. der Patient 
nimmt den Rahmen mit. 

Mit dem Apparat lässt sich demnach die relative Lage ein¬ 
zelner Punkte im Raume, ihre Höhe, seitliche Verschiebung und 
Tiefe (in anteroposteriorer Richtung) bestimmen und es ist durch 
Aufnahme vieler Punkte möglich, sich ein Bild der Verkrümmung 
zu construiren, selbstverständlich wird aber die Herstellung eines 
brauchbaren Bildes die Aufnahme relativ vieler Punkte, somit eine 
relativ lange Zeit erfordern. 

Die Einstellung des Patienten scheint uns verschiedene Fehler¬ 
quellen zu bergen. Er muss so eingestellt werden, dass die Mitte 
des Beckens vor der Mitte des Messrahmens steht. Sein Kopf wird 
in die senkrecht über ihm angebrachte Halfter gebracht. Allerdings 
nimmt er den Rahmen theilweise mit, aber eine theilweise Correctur 
Stellung ist für viele Fälle unvermeidlich. 

Wenn wir also diese Art der Becken- und Kopffixation als eine 
Fehlerquelle bezeichnen müssen, so liegt eine fernere darin, dass 
keinerlei Sicherheit gegen Drehungen geboten ist, mit andern Worten» 


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Einige Bemerkungen über Messungsverfahren u. Me8sapi)arate f. Skoliose. 231 


man liat keine Garantie dafür, dass der Patient jedesmal gleich in 
den AjDparat eingestellt wurde, so dass seine Frontal ebene, bezw. die 
Frontalebene seines Beckens dem Messrahmen parallel steht. Un¬ 
statthaft halten wir es auch, das skoliotische Kind am Kopfe zu 
fixiren. Gerade die Stellung des Kopfes ist es, welche unter Um¬ 
ständen auf die Haltung der ganzen Wirbelsäule einwirkt. Die 
Schiefstellung des Rahmens aber mit den eventuellen Schwankungen 
muss nothwendigerweise dazu führen, dass die für die Messung nöthige 
Orientirung nach Horizontal- und Verticalrichtung verloren geht. 

Wir können uns die Leistungen des Apparats nur als un¬ 
genügende vorstellen. Ausserdem sehen wir uns aber veranlasst, 
darauf hinzuweisen, dass dieser Apparat in seinem Haupttheile dem 
Messrahmen mit seiner Einrichtung vollständig dem unsrigen nach¬ 
gebildet ist. Vielmehr der Mü Herrsche Messrahmen ist der 
Schulthess’sche ohne die Zeichnungsvorrichtung. Das wird jeder 
Unbefangene zugeben, der entweder die obige Darstellung oder die 
Mülle r'sche im Original aufmerksam mit der Beschreibung unseres 
Apparats vergleicht. 

Wenn es sich also um das Erfindungsrecht handeln würde, 
müssten wir dieses dem Autor vollständig bestreiten und für uns in 
Anspruch nehmen. Er hat nur einen Theil unseres Apparats weg¬ 
gelassen. Der Mülle r’sche Apparat repräsentirt das erste Entwick¬ 
lungsstadium des unsrigen. Wir können demnach kaum zugebeu, 
dass er den Apparat als eine Modification des unsrigen beschreibt. 
Von Müller selbst hinzugefügt ist nur der Kopfhalfter, die andere 
weitaus unexactere Art der Beckenfixation und die Pendelung des 
Messrahmens, also eine andere Fixationseinrichtung für den Patienten. 
Dass der Apparat weniger leistet als der unsrige, wird vom Autor 
selbst zugegeben, allerdings ist er auch viel billiger. 

Die in dieser Zeitschrift von Kirchhoff beschriebene Beely- 
sche Messungsmethode scheint hauptsächlich für praktische Aerzte 
bestimmt. Es wird dabei aber dem Messenden bereits ein gutes 
Quantum specialistischen Wissens zugemuthet. Man verlangt von 
ihm, dass er schwerere von leichteren Skoliosen unterscheide. Das 
Verfahren beschäftigt sich nur mit der seitlichen Deviation und der 
physiologischen Krümmung, berücksichtigt aber nicht die Torsion. 
Wenn Kirchhoff hervorhebt, dass bei beginnenden Skoliosen die 
Torsion keine bedeutende Rolle spiele, so ist das doch nur für eine 
beschränkte Anzahl von Fällen richtig, besonders nicht für alle be- 


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Wilh. Schul tbess. 


ginnenden, d. h. nur für diejenigen, bei welchen die Torsion bei 
Vorwärtsbeugung vollständig verschwindet. Aber gerade für die 
Untersuchung der dem praktischen Arzte zukommenden Fälle ist die 
Berücksichtigung der Torsion eine unerlässliche Bedingung. 

Wenn wir also noch keinen Einspruch dagegen erheben 
möchten, dass es eine Anzahl von Fällen gibt, in denen das Beely- 
sche Messungsverfahren genügt, wenn wir ferner noch die genannte 
Messungsmethode für den ihr zugewiesenen Zweck als eine sehr 
einfache, praktische und den Apparat als einen billigen 
anerkennen möchten, so müssen wir auf der andern Seite bezweifeln, 
ob dieses Verfahren den praktischen Aerzten zur Untersuchung Sko- 
liotischer oder gar zur Controlle einer häuslichen Behandlung 
empfohlen werden dürfe. Zum letzteren Zweck ist nach unserer Er¬ 
fahrung der beste und exacteste Apparat gerade gut genug. 
Ja, die Behandlungscontrolle gehört beinahe noch mehr in die Hand 
des Specialisten als die Behandlung selbst. Mindestens müsste dem 
Apparate ein zweiter zur Messung der Torsion beigegeben werden. 
(Vergl. noch die Beschreibung des vom Verf. construirten Nivellirtrapezes 
dieser Zeitschr. Bd. I, Heft 4, welches den Grad der Torsion fest¬ 
zustellen gestattet.) Der praktische Arzt ist so wie so nicht sehr 
geneigt, den Erörterungen des Orthopäden allzuviel Gewicht beizu¬ 
legen. Gibt man ihm aber einen Apparat in die Hand, der ihn 
über den Zustand seines Klienten nur unvollständig belehrt, auf 
dessen Resultate er jedoch fussen zu können glaubt, so 
erschwert man dadurch den Standpunkt der Orthopäden gegenüber 
den Aerzten. 

Sehr brauchbar wäre aber der besprochene Apparat gewiss z. B. 
für Massenuntersuchungen, wobei es sich um Ausschaltung der Skolio- 
tischen und nur um Feststellung der Haltungstypen mit ihren 
Seitendeviationen handeln würde. Von diesem Standpunkte aus 
möchten wir die Methode Beely’s als eine sehr praktische be- 
grüssen. 

Oe hl er hat gezeigt, dass man durch Mitphotographiren eines 
Fadennetzes oder durch nachträgliche Aufnahme eines Fadennetzes, 
welches genau an die Stelle des vorher photographirten Patienten 
gestellt würde, die Photographie mit geringen Fehlerquellen zur Mes¬ 
sung benutzen kann, sofern es sich um das Ablesen von Distanzen 
handelt, welche in einer bestimmten verticalen Ebene oder wie das 
bei der Skoliose der Fall ist, zwischen wenig von einer solchen ab- 


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Einige Bemerkungen über Messungsverfahren u. Messapparate f. Skoliose. 23o 


weichenden Punkten liegen. Er hat damit einen Weg betreten, der 
zu ähnlichen Zwecken auch schon benutzt wurde, z. B. von Braune 
und Fischer bei ihren Untersuchungen über die Bewegungen des 
Kniegelenks am Lebenden. Wir suchen auch die Bedeutung der 
Methode für den medicinischen Forscher hauptsächlich in der An¬ 
wendung in der Bewegungsphysiologie. In zweiter Linie kann die 
Methode jedenfalls sehr gute Dienste leisten in der Feststellung der 
Bewegungsgrenzen einzelner Gelenke, Extremitätenverkrümmung u. s. w. 
Ob hingegen der Verf. gut daran gethan hat, als Beispiel für das 
Verfahren die Messung der Skoliotischen zu wählen, erscheint uns 
sehr fraglich. Ohne Zweifel wird man hie und da gerne auch von 
der Photographie Gebrauch machen, als Hilfsmethode zur Herstcd- 
lung einer Krankengeschichte, aber sie ist von durchaus untergeord¬ 
neter Bedeutung. 

Es hat viel Arbeit und Mühe gekostet, das ärztliche Publicum 
davon zu überzeugen, dass es bei der Skoliose nicht genüge, die 
Seitenabweichungen zu berücksichtigen, sondern dass gerade zur 
Unterscheidung einzelner Formen, für Diagnose, Prognose und Be¬ 
handlung das Verhalten der Torsion äusserst wichtige Anhaltspunkte 
gäbe. Wenn diese Ansicht heute wohl Gemeingut der Aerzte ge¬ 
nannt werden darf, warum soll man bei Besprechung an und für 
sich sehr hübscher und zu bestimmten Zwecken sehr brauchbarer 
Methoden immer wieder eine Auffassung befürworten, welche zur 
Vernachlässigung des mit schwerer Mühe Errungenen verleitet? 


Zura Schlüsse möchten wir uns noch erlauben, auf die An¬ 
wendung unseres Messapparates zurückzukommen, der neben dem 
Zander’schen an verschiedenen Orten empfohlen ist. 

Oefters findet man dabei Angaben über die Messungszeit. 
Wenn wir dieselbe früher als 15—20 Minuten angegeben haben, 
so betraf dies die ganze Untersuchung von A—Z mit der Feststel¬ 
lung aller wichtigen Angaben. Die Messungszeit selbst, d. h. die 
Zeit während welcher der Patient im Apparate stehen muss, die 
Zeit, zur Vollendung der vollständigen Masszeichnung beträgt 3 bis 
4 Minnten. In dieser Zeit sind die 3 der früheren Beschreibung 
beigegebenen Projectionszeichnungen fertig. 

Was nun den immer wieder angefochtenen Preis, sowohl des 
Zander'schen als meines Apparats anbetrifft, so ist derselbe allerdings 


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234 Willi. Scliulthess. Einige Bemerkungen über Measungsverfahren etc. 


hoch, aber in Anbetracht des häufigen Gebrauchs des Apparats und 
der Unentbehrlichkeit eines Messinstruments für eine Anstalt nicht 
zu hoch. Gibt doch ein Zahntechniker für seinen Operationsstuhl 
mehr aus, was würden seine Klienten sagen, wenn er auf einmal 
einen gewöhnlichen Stuhl, — der zur Xotli für diesen Zweck 
ja auch genügt — in Anwendung zöge. Ein orthopädisches In¬ 
stitut kann ohne ein geeignetes Messinstrument heutzutage nicht 
mehr concurriren. Die Pathologie der Skoliose bedarf noch sehr 
vieler exacter Beobachtungen. Die Orthopäden haben das Lernen 
in dieser Richtung noch sehr nöthig und sie sollten bestrebt sein, 
dass man von ihnen in der Skoliosentherapie nicht ferner sagen 
kann: Sie wissen nicht, was sie thun. 


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XIV. 


lieber eine Modiöcation in der Anwendung der 
Barwell’scben Schlinge. 

Von 

Dr. F, Jessen in Hamburg. 

Mit 2 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Wenngleich in allen Fällen von Skoliose mit ausgesprochenem 
Rippenbuckel die Anwendung der Barweirschen Schlinge mit Recht 
als unzuträglich erklärt ist, da durch den von der Schlinge aus¬ 
geübten Druck der Thorax nur noch mehr in seinem frontalen Durch¬ 
messer comprimirt wird, und damit der Rippenbuckel nur verstärkt 
wird, so ist doch die Lagerung auf der Barweirschen Schlinge für 
alle Skoliosen ohne Complication ein nicht zu entbehrendes, vorzüg¬ 
lich wirkendes Unterstützungsmittel der Behandlung. 

Allein ein jeder, welcher die Patienten, während dieselben in 
der Schlinge liegen, genau beobachtet, wird die Bemerkung machen, 
dass dieselben sehr bald eine ihnen möglichst bequeme Stellung ein¬ 
nehmen und mit dem Rücken sich an die diesem entsprechende Seite 
der Schlinge anlehnen. Dadurch aber wird die Richtung des Druckes, 
den die Schlinge ausübt, verschoben, indem er nicht mehr direct 
frontal die Wirbelsäule umkrümmt, sondern mehr in einer Richtung 
zur Geltung kommt, welche von hinten unten nach vorne oben geht. 

Von einer ähnlichen Betrachtung ausgehend hat bereits Nö neben 
angegeben, dass die Kinder in ein Säckchen aus festem Stoff gelegt 
werden sollen, welches derart an der Schlinge befestigt wird, dass 
die Lagerung der Patienten keine Veränderung erleiden kann. Ich 
hatte bereits, ehe ich von der Nönchen'schen Vorschrift Kenntniss 
bekam, eine andere Anordnung getroffen, welche jenen Uebelstand 
vortrefflich vermeidet und mir den Vorzug vor der Nönchen’schen 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. II. Band. Iß 


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F. Jessen. 


Vorschrift zu haben scheint, dass der Gebrauch der Schlinge sich 
durch ihre Anwendung nicht complicirter gestaltet als früher. 

An dem der Schlinge als Unterlage dienenden Brette befinden 
sich in der horizontalen Mittellinie zwei Einschnitte, welche bis auf 
ca. 5 cm von dem Mittelpunkte des Brettes geführt sind und an 
ihrer Seite eine mit Nummern versehene Scala besitzen. Diese Ein¬ 
schnitte dienen als Führung für je eine Eisenstange, an derem cen- 

Fig. 1. 



tralen Ende sich ein in rechtwinkliger Dreiecksform geschnittener 
Holzklotz befindet. Die beiden Holzklötze können in der Führungs¬ 
spalte, je nach der Dicke des Körpers des Patienten, der Mitte ge¬ 
nähert oder von derselben entfernt werden und an dem richtigen 
Punkte in dem Führungseinschnitt durch eine Schraube festgestellt 
werden. Die Stützen der Schlinge sind in der Mitte in der Breite 
der Schlinge ausgefräst, so dass die Schlinge sich nicht seitwärts ver¬ 
schieben kann. Sie selbst kann durch Schnallen beliebig verkürzt 
oder verlängert werden. 

Man braucht also nur bei der ersten Anwendung der Schlinge 
je nach Lage des Falles zunächst die Schlinge anzuziehen, um das 
richtige Maass der Umkrümmung zu erreichen, und dann die Holz¬ 
klötze soweit vorzuschieben, dass der Rumpf selbstverständlich ohne 
irgend eine Compression genau in senkrechter Lage über dem Brette 


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Ueber eine Modification in der Anwendung der Barweirschen Schlinge. 237 


fbdrt wird, um den Apparat dauernd für den Gebrauch des betr. 
Patienten fertig zu haben. Je nach Bedarf, bei event. Besserung 
oder Verschlechterung, lässt sich die Stellung dann ohne Mühe 
ändern. 


Fig. 2. 



Braucht man dieselbe Schlinge z. B. in einer Anstalt für 
mehrere Patienten, so hat sich jeder derselben die Nummer der 
Schlingenspannung und die Nummer der Scala an den Führungs¬ 
einschnitten, welche die für ihn bestimmte Stellung bewirken, zu 
merken, um dann immer in genau derselben Weise gelagert zu 
werden. 

Der ganze Apparat kann beliebig auf jede Uebungsbank, auf 
ein Sopha, oder ins Bett gestellt werden. 


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XV. 


Ein Fall von mangelhafter Entwickelung des grossen 
Brustmnskels bei einem lljährigen Knaben. 

(Mitgetheilt in der Sitzung der physisch-medicinischen Gesellschaft 
zu Moskau den 11. Mai 1892.) 

Von 

Dr. N. Haymann, 

Privatdocent, Director der orthopädischen und heilgymnastischen Anstalt 

zu Moskau. 

Mit 1 in den Text gedruckten Abbildung. 

Der Brustkorb des Menschen entwickelt sich, wie bekannt, in 
verschiedenen Richtungen. In den ersten Lebensjahren vergrössert 
er sich hauptsächlich in der Sagitalrichtung, in der Altersperiode 
nimmt die Entwickelung in der Frontalrichtung das üebergewicht. 
Diese Verhältnisse hängen höchstwahrscheinlich von der Lage der 
Verknöcherungsebene der Rippen ab. Liegt diese Verknöcherungs- 
ebene mehr im frontalen Durchmesser, so wächst der Brustkorb in 
der Sagitalrichtung und umgekehrt. Dieser Umstand macht es er¬ 
klärlich, dass, wenn Bedingungen einer ungleichzeitigen oder nicht 
zeitgemässen Verschiebung des Brustkorbes eintreten, auch das 
Wachsen oder die Vergrösserung des letzteren unregelmässig oder 
asymmetrisch wird. Durch das genannte Verhältniss wird auch leicht 
erklärlich die Entwickelung eines skoliotischen Buckels, einer kypho- 
tischen und sogenannten Hühnerbrust. Die eingesunkene Brust (pec- 
tus excavatura) wird durch die unregelmässige, mangelhafte Ent¬ 
wickelung des Brustbeins bedingt, als Folge der nicht entsprechenden 
Anheftung der Rippenknorpel und unregelmässigen Wachsens der 
Rippen; daher erreicht sie auch ihren höchsten Grad in der Jüng- 
liugsperiode, d. h. zu einer Zeit, wo die Entwickelung in der Fron- 


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Ein Fall von mangelhafter Entwickelung des grossen Brustmuskels etc. 239 

talrichtung die Oberhand nimmt. Bei der Rhachitis stört schon 
leicht eine unbedeutende mechanische Wirkung die Form des Brust¬ 
korbes, die weichen Knochen sind leichter der Veränderung zugäng¬ 
lich und dadurch wird die Regelmässigkeit ihres Wachsens gestört. 
Nur dadurch werden jene höchst verschiedenartigen Formen der 
rhachitischen Veränderungen erklärlich, welche im weiteren Verlaufe 
der Entwickelung entweder sich verbessern, oder, in anderen, schein¬ 
bar gleichartigen Fällen, fortwährend schlimmer werden. Es wird 
jetzt fast von allen Orthopäden anerkannt, dass die Veränderungen 
in der Statik des Skelets mehr oder weniger auf das Wachsen der 
Wirbel und des Brustbeins zurQckwirken und somit diese oder jene 
Unregelmässigkeit in der Entwickelung der Brust hervorrufen. Der 
Einfluss des Muskelzuges auf die Form und Regelmässigkeit in 
der Entwickelung des Wirbel- und des Brustkorbes wird noch ent¬ 
fernt nicht allgemein anerkannt. Es gibt sogar Autoritäten, welche, 
wie z. B. Hueter, denselben vollständig verneinen. Für Aerzte, die 
sich praktisch mit der Entwickelung der Muskeln durch Gymnastik 
beschäftigen, unterliegt es auch nicht dem kleinsten Zweifel, dass 
die regelmässige Entwickelung und Stärkung der Brust und Wirbel¬ 
säulemuskeln einen Einfluss auch auf die regelmässige Entwicke¬ 
lung des Brustkorbes hat und zur Beseitigung der Seitenkrüm¬ 
mungen der Wirbelsäule dient. — Im gegebenen Falle, wo es sich 
um eine unregelmässige Entwickelung des grossen und höchst wahr¬ 
scheinlich auch des kleinen Brustmuskels handelt, finden wir den, 
wie ich glaube, genügenden und sichtbaren Beweis für die Richtig¬ 
keit der Annahme, dass der Muskelzug einen Einfluss auf die 
Entwickelungsform des Brustkorbes ausübt. 

N. P., Schüler der Realschule, wurde mir von einem Collegen 
zugeschickt, als ein Fall einer unregelmässigen Entwickelung des 
Brustkorbes, der eine orthopädische Therapie nothwendig macht. 
Die Abflachung des Brustkorbes rechterseits wurde als Folge irgend 
eines Brustleidens — Bronchitis, Pleuritis etc. — erklärt. Aus den 
Angaben sowohl des Knaben selbst, als auch seiner Eltern konnte 
man aber keine Anhaltspunkte für eine derartige Voraussetzung er¬ 
reichen. Obwohl der Knabe in seiner früheren Kindheit hustete, so 
war der Husten doch massig und dauerte nicht lange. Weder an 
Keuchhusten, noch an Seitenschmerzen war der Knabe, sowie auch 
seine Geschwister, jemals krank, überstand auch überhaupt, ausser 
Masern, keine mehr oder weniger ernste Krankheit. Erbliche Be- 


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N. Haymann. 


lastung ist nicht zu constatiren. Vater und Mutter yoUkommen 
gesund, haben auch keine Fehler der Entwickelung. 

Die oberflächliche (äussere) Betrachtung des Brustkorbes von 
vom lenkt unsere Aufmerksamkeit auf die der Qrösse und Form 
nach verschiedenen grossen Brustmuskeln beiderseits. Links hat dieser 


Fig. 1. 



Muskel seine gewöhnliche Form, sein äusserer Rand reicht zum 
Rumpf hemnter unter einem sehr spitzen Winkel (Fig. la). Rechts 
aber erscheint der Muskel weniger breit, während seine obere 
Portion sehr scharf markirt ist. Der Muskelbauch ist dicker als 
normal, sein äusserer Rand reicht nach unten zum Rumpf fast unter 
einem rechten Winkel herab (a). Bei der Palpation zeigt die Rippen¬ 
portion des Bmstmuskels linkerseits keine Abweichungen, ihre Dicke 
ist normal, rechts fühlt sie sich gar nicht durch und es scheint, als 


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Ein Fall von mangelhafter Entwickelung des grossen Brustmuskels etc. 241 

ob die Rippen bloss von der Haut bedeckt seien, keine Verdickungen, 
keine Stränge und dgl. sind vorhanden, die Brust stellt sich auch 
als etwas eingesunken, mangelhaft entwickelt vor. Die Axillargruben 
(Fig. 1) sind scharf umschrieben beiderseits, der Form nach aber 
die eine der andern nicht ähnlich. Rechts hat sie mehr die Form eines 
Dreiecks, statt, wie gewöhnlich, eines Rhombus; sie sieht mehr nach 
vorne oben, und der ganze rechte Vorderarm stellt sich als wie nach 
aussenhin gedreht dar. Der M. deltoideus ist rechts mehr entwickelt, 
der Latissimus dorsi, wenn auch nicht stärker entwickelt, so doch 
zweifellos mehr gespannt. Zwischen den Antagonisten keine Har¬ 
monie: im Qegentheil eine Disharmonie. Der Brustumfang bei abso¬ 
luter Ruhe 65 cm. Der Durchmesser von vorn nach hinten links 
oben, auf der Höhe der zweiten Rippe mit abgezogenen Schulter¬ 
blättern — IIV*» niedriger, an der Warze 13 cm; rechts an den¬ 
selben Stellen oben 10^/4, unten 11^/4; dem Aussehen nach ist der 
Brustkorb vom rechts wie abgeflacht, und ist diese Erscheinung in 
den oberen Theilen deutlicher ausgesprochen, als in den untem. 
Die rechte Hälfte erinnert an diejenige Hälfte einer skoliotischen 
Brust, welche hinten dem skoliotischen Buckel entspricht. In dem 
hinteren Theile gehen die Rippen von den Wirbeln vollkommen sym¬ 
metrisch ab, und das Rückgrat selbst stellt sich nicht gekrümmt vor. 

Die respiratorischen Functionen des Brustkorbes sind normal. 
Die Erweiterung und Hebung der Rippen beiderseits gleichmässig. 
Die Athmungscapacität der Lungen nach dem Spirometer 2300 ccm. 
Capacität höher als normal. — In den Bewegungen der Extremi¬ 
täten, sowohl der rechten, als der linken, ist bei der oberflächlichen 
Beobachtung nichts Anormales zu bemerken. Alle Bewegungen 
werden regelmässig und symmetrisch ausgeführt; der Knabe ist nicht 
linkshändig. Er spielt mit gehöriger Fertigkeit den Ball, schleudert 
mit Genauigkeit, leistet kräftigen Widerstand. Seine Bewegungen 
sind stets zweckmässig. Er schreibt, haut, hobelt. Bei fast allen 
diesen Arbeiten aber wird vom Knaben behauptet, dass der rechte 
Arm öfter schwächer wird und leichter ermüdet. Bei intensiver, 
nicht anhaltender Arbeit, wo nicht nur der Vorderarm allein in An¬ 
spruch genommen wird (hobeln), wird der rechte Arm bald müde, 
so dass er sehr oft mit der linken Hand zu hobeln anfängt, — wie 
er überhaupt irgend etwas mit der linken Hand lieber andrückt, 
befestigt, bearbeitet. Die aufmerksame Untersuchung ergibt, dass 
alle Bewegungen, welche eine Supination des Armes erfordern, nicht 


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N. Haymann. 


ganz vollständig ausgeführt werden. Das Niederlassen der Schulter 
ist rechts viel schwächer. So kann er mit der linken Hand mit 
einer Kraft mehr als 30 kg heben, rechts aber überwindet seine Kraft 
auch keine 2 kg. Eine Last von 3 kg über eine Blockrolle mit der 
rechten Hand nach innen zu drehen, — wobei auch der Vorderarm 
eine Supinatio ausübt, — gelingt nur mit grosser Mühe, während 
er mit der linken Hand leicht 4 kg überwindet. Ein Schlag mit 
dem rechten Ellenbogengelenk bei einer Drehung der Schulter nach 
innen ist kaum fühlbar, während mit der linken Hand derselbe Schlag 
mit genügender Wucht geführt wird. Die Beugung des Vorderarms 
bei fixirtem Schultergelenk wird normal ausgeführt mit gewöhnlicher 
Productivität, während rechts dieselbe Bewegung höchst schwach 
geschieht, und das Resultat nichtig ist. Bei langedauernder Be¬ 
wegung wird die Schulter mit grosser Mühe in der nothwendigen 
Spannung erhalten. Kurz, wenn man den Knaben eine Reihe von 
üebungen machen lässt, so vollführt er sie entweder gar nicht, 
oder die ganze Arbeit fällt der linken Extremität zu. Die Schultern 
werden nicht durch normale, sondern durch compensatorische Kräfte 
in ihrer Lage erhalten. Und infolge dessen ist der M. deltoideus 
rechts mehr entwickelt, und eben dadurch ist auch mehr ent¬ 
wickelt und stärker gespannt der rechte Latissimus dorsi. Die 
Brust- und Schlüsselbeinportion des M. pector. major ist unter dem 
Einflüsse der ihnen zu Theil werdenden grösseren Arbeitsleistung, 
auch verdickt, der Bauch des Muskels erscheint rund, — aber 
niedriger. Vollständiger Mangel der Muskelschichte. Der M. pecto- 
rahs minor ist nicht durchzufühlen. — Das ist also das Bild, welches 
wir bei unseren Knaben sehen. Was ist das, fragt es sich, für eine 
Abnormität? Wir haben es hier zweifellos mit einem Mangel der 
Rippenportion des grossen Brustmuskels und mit einer unvollstän¬ 
digen Entwickelung, vielleicht aber auch vollständige Abwesenheit 
des kleinen Brustrauskels zu thun. Dass diese Erscheinung keine 
erworbene, dafür spricht die Anamnese, namenthch die vollkommene 
Abwesenheit irgend welcher Erkrankungen in der vorhergegangenen 
Lebensperiode, die im Stande wären, eine partielle oder vollständige 
Atrophie des genannten Muskels herbeizuführen, weder Typhus, noch 
Diphtheritis, noch irgend welche Erscheinungen eines abgelaufenen 
Leidens des Centralnervensystems. Sollte man endlich auch ge¬ 
neigt sein, zugeben zu wollen, dass in der Anamnese die möglichen 
Ursachen zufälligerweise vom Patienten selbst und seiner Umgebung 


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Ein Fall von mangelhafter Entwickelung des grossen Brustmuskels etc. 243 


unbeachtet blieben, so stimmten auch alsdann die gegebenen Er¬ 
scheinungen viel zu wenig mit der gewöhnlichen Auffassung einer 
Atrophie. Die mangelhafte Entwickelung der Brustwarze, die ab¬ 
weichende Form der Axillargrube, das Fehlen von Spuren eines 
früher dagewesenen Muskels, das Fehlen von Narbengewebe resp. 
Strängen u. dgl., die Thatsache, dass an der Brustwand bloss eine Haut¬ 
schicht fühlbar ist und zugleich die verdickte hypertrophirte Schlüssel¬ 
beinportion desselben Muskels und der höchst schroflFe Uebergang vom 
dicken Muskelbauch zum vollständigen Mangel einer Muskelschicht, — 
alles das passt nicht für die Vorstellung einer anfänglichen Muskel¬ 
atrophie und führt uns zu der Ueberzeugung, dass hier eine an¬ 
geborene Anomalie vorliegt: eine Anomalie der Entwickelung des 
grossen Brustmuskels, das Fehlen seiner Rippenportion. 

Muskelanomalien sind überhaupt selten beim Lebenden zu er¬ 
kennen. Die Anomalie ist in unserem Falle zu den seltenen Erschei¬ 
nungen zu zählen. Unser verehrter Vorsitzender, Professor Zernoff, 
der mehr als 20 Jahre die Anatomie studirt, sah noch nie einen solchen 
Fall. Die Lehrbücher der Anatomie, die ich zu Rathe zog, äussem 
sich dahin, dass die Brustmuskel nicht selten in ihrer Form von der 
Norm abweichen. Die meisten Abweichungen sind in der Nähe 
ihrer Anheftung, wo sie mit anderen Muskeln verschmelzen. Das 
Fehlen aber seiner Rippenportion hält Henle^) für eine seltenere 
Anomalie im Vergleiche zum Fehlen der Clavicular- und Sternalpor¬ 
tion. In dem speciellen Werke von L. Testut^), welches nur die 
Muskelanomalien zum Gegenstände seiner Bearbeitung hat, werden 
folgende 8 Typen von Anomalien des grossen Brustmuskels be¬ 
schrieben: 1. seine Verschmelzung mit dem Deltoideus; 2. seine Ver¬ 
schmelzung mit dem Pectoralis maj. der anderen Seite; 3. seine Ver¬ 
bindung mit dem M. rectus abdom.; 4. seine Verbindung mit dem 
M. biceps brachii; 5. die Zertheilung der Clavicular- und CostaJ- 
portionen in Form besonderer Muskeln; 6. die Zertheilung des Muskels 
selbst in zwei übereinander liegende Schichten; 7. Anomalie der 
Anheftung und Entwickelung der Clavicularportion und 8. das Fehlen 
der stemalen oder costalen Portion. Unser Fall gehört zur letzten 
Categorie. Testut bringt nur 18 Fälle zusammen, die er in der 
Literatur herausfinden konnte, — somit wäre unser Fall der 19., — 


0 He nie, Handbuch der Muskellehre des Menschen. 2. Aufl. 1871, S. 88. 
*) L. Testut, Les anomalies musculaires chez Thomme. Paris 1884. S. 33. 


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244 


N. Haymann. 


während Fälle von Fehlen der Rippenportion nur die Zahl 5 er¬ 
reichen. Der Fall Piovanardi, der Fall Berger bei einem 28jäh- 
rigen Manne: Fehlen der Rippen- und Brustportion mit Vergrösse- 
rung der Clavicularportion, — 1 Fall, der sehr nah dem unserigen 
zu stehen kommt. — Quai ns: Fehlen der Rippenportion. 2 Fälle 
von Kyrtt: Fehlen der Stemalrippenportion, an der Leiche beob¬ 
achtet und unser Fall. 

Das Wesen und die Pathogenese der Muskelanomalien be¬ 
sprechend, macht Testut die Bemerkung, dass jede Abweichung in 
Form und Entwickelung beim Menschen sich wie bei einigen Thieren 
auch normaliter vorfindet: was beim Menschen als Abweichung von 
der Norm erscheint, bildet bei einigen Thieren den normalen Zu¬ 
stand. Testut bemüht sich dadurch, den Beweis zu liefern, dass 
die Anordnung und Entwickelung der Muskelschicht in enger Ab¬ 
hängigkeit von den speciellen Aufgaben sich befindet, welche die 
Natur diesem Muskel zur Erfüllung bestimmt hat. Durch diese Frage 
angeregt, wandte ich mich an die Zoologen unserer Universität und. 
dank der Freundlichkeit des hochgeehrten Professor Tichomyrow, 
erhielt ich von ihm folgende, obwohl kurz gefasste, Auskunft. „Die 
Homologie des Muse, pector. maj. bei den niederen Klassen der 
Säugethiere wird durch zwei Umstände erschwert. 1. Zerfällt dieser 
Muskel manchmal in mehrere besondere Muskeln, und sodann ist in 
einigen Fällen anzunehmen: a) M. pectoralis major, b) M. pectoralis 
abdominalis, c) M. pectoralis minor und d) M. pectoralis quartus. 
Letzterer erscheint manchmal — selbst bei den Fledermäusen — als 
blosser Unterhautsmuskel. — 2. Bildet der Musculus pectoralis major 
ein Ganzes mit dem Musculus pectoralis minor. — Was die, dem 
Menschen am nächsten stehenden, Affen betrifft, so ist hier Folgendes 
zu bemerken. Bei den anthropomorphen Affen — Gorilla, Schim¬ 
panse, Orang-Utang — hat der Pectoralis major denselben Anfang 
und dieselbe Anheftungsstelle, wie beim Menschen; aber beim Orang- 
Utang fehlt, nach Bisch off, die Clavicularportion. Bei vielen Affeo 
der alten Welt, die zum Genus macaccus und Cereophitecus gehören, 
fehlt nicht nur die claviculäre, sondern auch die Rippenportion, d. h. 
es fehlt der Theil des Muskels, der von den Rippen seinen Anfang 
nimmt (unser Fall). Es ist nicht zu verkennen, dass, je complicirter 
die Aufgabe, die der Muskel zu erfüllen hat, stets desto dauerhafter und 
verschiedener auch sein anatomischer Bau sein muss. Bei den Vögeln, 
welche grosse Widerstände mit den oberen Extremitäten beim Fluge 


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Ein Fall von mangelhafter Entwickelung des grossen Brustmuskels etc. 245 

zu überwinden haben und bei denen die Schulter bei diesen Bewegungen 
verschiedene Lagen einnehmen muss, erreicht auch die Entwickelung 
des Musculus pectoralis major ihren höchsten Grad. Bei anderen 
Thieren hingegen, bei denen das Schultergelenk nicht sehr stark 
befestigt zu sein braucht, aber eine grössere Beweglichkeit erfordert, 
nämlich hinsichtlich der Raschheit und Geläufigkeit, ist der Musculus 
pectoralis weniger entwickelt: so bei Pferden, Hunden.“ — 

Zum Schlüsse muss ich noch bemerken, dass unser Fall noch 
einmal den Beweis liefert, dass die Entwickelung und die Kraft der 
Muskelschicht einen Einfluss auf die Form und Entwickelung des Brust¬ 
korbes ausübt, und dass die altbekannte Wahrheit, dass die Natur, im 
Falle irgend eines Fehlers im Körper des Menschen durch Entwicke¬ 
lung anderer Theile diesen Fehler zu corrigiren bestrebt ist, durch 
Theile nämlich, die verbessernd und compensirend die Function des 
fehlenden resp. mangelhaft entwickelten Organs ersetzen, — dass 
diese Wahrheit auch in unserem Falle ihre Bestätigung findet. 


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XVI. 


Die Zander’sche Behandlung der Skoliosen. 

Von 

Dr. F. Bähr, Karlsruhe. 

Man ist heute grösstentheils von der Einseitigkeit in der Be¬ 
handlung der Skoliose durch orthopädische Apparate allein, Corsets, 
Bandagen etc. zurückgekommen, und selbst Erfinder irgend eines 
alleinseligmachenden Apparates haben sich dazu entschlossen, die 
Gymnastik mit in die Therapie aufzunehmen. Mag auch noch be¬ 
züglich der Aetiologie, des primum agens, für das Zustandekommen 
der Verkrümmung mancher Meinungsunterschied vorhanden sein, so¬ 
viel steht fest, dass sich die combinirte Behandlung mittelst Redressi- 
rungsvorrichtung und Gymnastik als durchweg rationell erwiesen hat. 
Die strengste Durchführung dieses Principes finden wir momentan 
bei der Zander’schen Methode, welche in gleichem Umfange ortho¬ 
pädische Apparate, — abgesehen von tragbaren Stützapparaten —, und 
Gymnastik verwendet. Dr. Zander steht übrigens ganz und voll 
auf dem Standpunkt der Torsion und zwar mit entschiedener Be¬ 
rechtigung. Denn nehmen wir auch an, die neuesten Ausführungen 
Nicoladonis wären unumstösslich in einzelnen Momenten, so lässt 
sich die Torsion trotz aller beigebrachten Beweismittel nicht aus der 
Welt schaffen. Denn wie sollten jene Missverhältnisse zwischen 
biacromialem —, von dem gelegentlichen Vorhängen einer Schulter 
sehe ich natürlich ab —, und bispinalem Durchmesser in Gestalt 
einer Drehung des Thoraxgerüstes zum Becken zu Stande kommen, 
deren Veranlassung nicht in der Lendenwirbelsäule liegt, wenn nicht 
eine Torsion in den einzelnen Theilen des ganzen Gefüges möglich 
wäre. Es wäre interessant, diese Verhältnisse, welche in der Ent¬ 
stehung einer Skoliose so mannigfache Veränderungen bieten, ein¬ 
mal des Genaueren zu verfolgen. 


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Die Zander’sche Behandlung der Skoliosen. 


247 


Die Rüstkammer der Zander sehen Skoliosentherapie enthält 
1. orthopädische Lagerungs(Redressirungs-)Apparate, 2. orthopä¬ 
dische Uebungsapparate und endlich 3. eine Reihe activer und pas¬ 
siver Bewegungsapparate. Den ersten Zweck erfüllen die vier K- 
Apparate. Beim ersten derselben, dem Seitenhangapparat, liegt der 
Patient mit der Höhe der Convexität (meist einer dorsalen Krüm¬ 
mung) auf einem gepolsterten Querbalken in etwas aufwärtsgekehrter 
Lage, während die Hände durch Eingreifen in zwei oberhalb an¬ 
gebrachte Leitern den Körper festhalten und durch eine unterhalb 
des Querbalkens befindliche, unter verschiedenen Winkeln einzu¬ 
stellende Ebene der untere Theil des Rumpfes geneigt und so gleich¬ 
zeitig eine Streckung der Wirbelsäule vorgenommen werden kann, 
seitliche Suspension. Der zweite, der Seitendruckapparat, fast durch¬ 
weg bei Lumbalskohosen benützt, hat eine Kopfstütze und eine 
Ebene, auf welcher der Körper von unten bis zur Höhe des Darm¬ 
beinkammes aufliegt. Zwischen Kopf und Darmbeinkamm befindet 
sich, der Entfernung des höchsten Punktes der Lumbalskoliose von 
diesem entsprechend, die Seitendruckpelotte, auf welcher der Patient 
ebenfalls in etwas aufwärtsgekehrter Lage ruht, um so zu gleicher 
Zeit die Torsion zu beeinflussen. Die Ebene ist gegen die Pelotte 
wieder in verschiedenen Winkeln einzustellen, um auf die Stellung 
des Beckens zur Lendenwirbelsäule corrigirend einzuwirken. Nach 
Wegnahme der Seitendruckpelotte wird derselbe auch für Total- 
skoHosen angewendet. Der Körper liegt dann mit Kopf und Becken 
unterstützt auf der der Krümmung entgegengesetzten Seite, so dass 
dieselbe durch die Schwere nach der Concavität zu übercorrigirt 
wird. Der dritte, Brustkorbdreher genannte Apparat trägt den Pa¬ 
tienten auf einer leicht geneigten Ebene durch zwei Achselriemen 
oder vermittelst eines Kopfhalters; ausserdem hat er eine Rücken- 
und eine Brustpelotte, welche, auf die stärkste Prominenz des Rippen¬ 
buckels angelegt, den zu grossen Diagonaldurchmesser zu verkleinern 
streben und gleichzeitig eine torquirende Wirkung auf die Wirbel¬ 
säule ausüben sollen. Der vierte Lagerungsapparat, der Redressi- 
rungsstuhl, ist eine Combination von schiefem Sitz und Seitendruck 
zur Correction einer lumbodorsalen Skoliose. 

Orthopädische Uebungsapparate in engerem Sinne existiren bis 
jetzt zwei: der erste, höchst sinnreich construirt, stellt eine Verbin¬ 
dung von schiefem Sitz und einer die Dorsalkrümraung corrigii'enden 
Armbewegung dar. Der zweite dient zum Rückenstrecken in Bauch- 


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248 


F. Bähr. 


läge oder Aufwärtsbeugen in Seitenlage, wobei der Körper vom 
Darmbeinkamme abwärts auf einer gepolsterten Unterlage ruht mit 
Fixation an den Füssen ^). 

Neben diesen einem specielleren Zwecke dienenden Apparaten 
werden aus der Reihe der anderen Zander’schen Gymnastikapparate 
noch eine Anzahl corrigirender Arm-, Bein- und Rumpfbewegungen 
angewendet. Die wichtigsten sind: A1 = Arm seitwärts senken, 
A2 = Armheben, Schulterheben, A3 = Armsenken und -beugen 
(vorwärts), A 5 = Zusammenführen der Arme (horizontal), A 6 = Seit¬ 
wärtsführen der Arme (horizontal), B1 = Hüftbeugen, B 2 = Hüft¬ 
strecken, B3b = Hüftheben, B4 = Hüftkniestrecken, C1 = in Rumpf 
seitwärts führen, C2 = sitzend Rumpfaufrichten, 03 = in Rumpf 
seitwärts beugen, liegend, 04 = Rumpfaufrichten, langsitzend, 05 
= Rumpfaufrichten stehend, 06 = Rumpfseitwärtsbeugen sitzend, 
07 = Rumpfdrehen bei fixirtem Becken, 08 = Beckendrehen bei 
fixirtem Schultergürtel, 010 = Nackenspannen, Kopf nach rück- imd 
seitwärts beugen, Dl = Rumpfbalanciren, E6 = Brustweitung, E7 
= passive Rumpfdrehung, E8 = Beckenhebung in Seitenlage, G4 
= Rumpfhackung, als Rückenklopfung, 15 = Rückenstreichung. 

Das oben erwähnte Princip der Oombination von Redressirungs- 
apparat und Gymnastik wird in der Weise von Zander durchgeführt, 
dass jeweils der Mobilisirung der Wirbelsäule durch einen ortho¬ 
pädischen Lagerungsapparat eine entsprechende active oder passive 
Bewegung folgt, welche die durch den Redressirungsapparat bewirkte 
Oorrection durch Muskelaction aufrecht zu erhalten und anzuerziehen 
versucht. Nehmen wir z. B. an, wir hätten durch den Seitenhang¬ 
apparat Kl eine rechtsdorsale Krümmung übercorrigirt und die Ver¬ 
bindungen auf der concaven Seite derselben gelockert, so werden 
wir weiterhin eine Arm- oder Rumpfbewegung anordnen, z. B. A3 
N4 rechts Zug, N6 links Streckhalten oder 06 nach rechts (Rumpf¬ 
beugen nach rechts), welche die Muskeln auf der convexen Seite in 
Thätigkeit versetzt, auf der concaven dehnt. Es würde zu weit führen, 
hier die Verwendung aller in Frage kommenden Apparate durchzu- 

*) Zu diesen, den L-Apparaten sind neuerdings noch gekommen: L3 
= Becken seitlich führen, L4 = Becken vorwärts, rückwärts führen, L5 = Lenden¬ 
rückenseitenbeugen (Biegung des Lenden- oder des ganzen Rückens nach der 
der Krümmung entgegengesetzten Seite) imd L 6 = Rückgrat geraderichten 
(Dehnung und Streckung des Rückens in sitzender Haltung, wobei mit dem Kopf 
ein Hebel mit verschiebbarem Gewicht gehoben werden muss). 


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Die Zander'sche Behandlung der Skoliosen. 


24^ 


sprechen, es genüge die Bemerkung, dass der Einfluss der Muskel- 
thätigkeit auf die Correction der fehlerhaften Haltung im Zand er¬ 
sehen System eine grosse Rolle spielt, wie in der schwedischen 
Heilgymnastik überhaupt. 


Bei den Uebungen werden in ausgedehnter Weise der schiefe 
Sitz und die hohe Sohle angewendet. Dr. Zander hat zu diesem 
Zwecke einen besonderen Untersuchungsstuhl angegeben, um das 
jeweils nothwendige Maass für dieses Correctionsmittel der lumbalen 
Krümmung zu bestimmen. Die Anwendung der Apparate in der 
Skoliosenbehandlung geschieht im übrigen natürlich nach den von 
Dr. Zander als allgemein gültig für seine Methode aufgestellten 
Regeln. 

Sehr wichtig für eine rationelle Zander sehe Behandlung sind 
die Zander’schen Messapparate, welche alle übrigen derartigen Con- 
structionen an Brauchbarkeit weitaus übertreffen. Der wichtigere 
von den zweien ist der sogen. Rumpfmessapparat. Er hat eine Cen- 
trirungsvorrichtung zur Fixation des Beckens, ein Kopfgestell, um 
die Lage des Kopfes zu bestimmen und zu flxiren, drei Höhenskalen,^ 
zwei seitliche und eine hintere, mit Millimetereintheilung und die an 
diesen verschiebbaren Excenterskalen, welche horizontal verlaufen 
und in verschiedenen Höhen an die zu bestimmenden Punkte her- 
angeführt werden können. Damit werden gemessen: die Grösse, der 
Kopfstand, die Domfortsatzlinie, ihre Krümmungen in frontaler und 
sagittaler Ebene, der Schulterstand, die Schulterblätter, resp. ihr 
oberer xmd unterer Winkel, die Spinae ant. sup. und die Taillen¬ 
dreiecke. Die gefundenen Maasse werden in einer besonderen Tabelle 
eingetragen und auf einem Schema wird an Händen desselben ein 
anschauliches, übersichtliches Bild von der Gestaltung des Rumpfes 
entworfen. Der zweite Messapparat, der Querschnittsmesser, gibt 
uns in jeder beliebigen Höhe ein ganz genaues Bild von dem Um¬ 
fang des Thorax und dessen Abweichungen von dem normalen. Die 
beiden Messbilder zusammen geben uns einen vorzüglichen Aufschluss 
über den Grad der Verkrümmung, eine richtige Handhabe für die 
exacte Receptirung, besonders für richtige Anwendung der ortho¬ 
pädischen Apparate, für die Höhe und Lage des anzuwendenden 
Druckes und bei wiederholten Messungen eine Anschauung von dem 
Fortschritte unserer Therapie. Es ist dies entschieden die sicherste 


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250 


F. Bähr. Die Zander sehe Behandlung der Skoliosen. 


Methode, den jeweiligen Stand der Verkrümmung sich zu vergegen¬ 
wärtigen. Man hat vielfach an dem hohen Preise dieser Apparate 
Anstoss genommen, indes bei der gediegenen Herstellung und vor¬ 
züglichen Brauchbarkeit darf dieser Umstand nicht zu schwer ins 
Gewicht fallen. Wer sich eine ungefähre Vorstellung von der 
Zander’schen Skoliosentherapie machen will, den muss ich auf die 
mit vorzüglichen Abbildungen ausgestattete dritte Auflage seiner 
Apparatbeschreibung hinweisen, besser wird ihn allerdings der ge¬ 
legentliche Einblick in ein medico-mechanisches Institut orientiren. 

Einiges noch über die Resultate der Zander sehen Behandlung. 
Dieselbe hat allenthalben gute Erfolge zu verzeichnen, doch ist dar¬ 
über bis heute eine ausgedehntere Publication noch nicht erschienen. 
Was meine eigene Erfahrung betrifft, habe ich wohl Stillstand der 
Verkrümmung, aber nie einen evidenten Rückschritt beobachten 
können, so lange die Behandlung eine streng durchgeführte von 
seiten des Patienten war. Ich möchte auf den letzten Punkt einen 
gewissen Nachdruck legen. Während eines Jahres hatte ich zwei 
Schwestern in Behandlung, die eine mit einer leichten Dorsalis sini- 
stra, die andere mit einer vorgeschrittenen Lumbodorsalis, die erstere 
ein muskelschwaches, in seiner Haltung sehr nachlässiges Individuum, 
die zweite ein frisches, energisches Mädchen. Es gelang mir nicht, 
die erstere von ihrer kleinen Krümmung zu befreien, während die 
zweite unter der Behandlung recht nette Fortschritte machte. Es 
ist dies auch ein trefflicher Beleg für den Zander’schen Satz: 

„Wir können die Skoliotischen nicht mit Gewalt ge¬ 
rade machen, wir können sie nur zwingen, gerade zu 
wachsen.“ 


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XVII. 


Erwiderung der WoUTsclien Bemerkungen zu meiner 
Arbeit über „die Ursachen der orthopädischen 
Enochenmissbildung‘‘. 

Von 

Prof. Dt. J. A. Korteweg in Amsterdam. 

Mit 4 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Bei dieser Erwiderung will ich mich mehr, als Wolff es 
versucht hat, an die Sache halten. Seine nebensächlichen, persön¬ 
lichen AngriflFe zeigen doch eine Heftigkeit, welche jedenfalls nicht 
in dem Ton meiner Arbeit ihre Erklärung findet. Ist die Vermuthung 
richtig, dass nur die Schwäche der Transformationslehre daran 
Schuld ist, dann ist gewiss eine weitere Anfechtung jener Lehre die 
beste Entgegnung. 

Aber voraus bedarf eine einzelne Bemerkung Wo 1 f Ts, welche 
nicht persönlich war, einer kurzen Erwähnung. 

W. Roux sollte bereits 1881 endgültig die Hypothese wider¬ 
legt haben, dass die Structurverhältnisse von dem Quantum der 
zugeföhrten ErnährungsflOssigkeit abhängig seien. Diese, von Wolff 
vorgebrachte, endgültige Widerlegung wird mit einem Citate 
Roux begründet, worin iin Gegentheil gerade diese Abhängigkeit 
zugestanden wird. Nur will Roux die Ernähioing der Theile nicht 
von der Nahrungszufuhr allein abhängig wissen. Die functioneile 
Hyperämie sei nur eine günstige, indess oftmals nothwendige 
Vorbedingung zur functionellen Hypertrophie ^). 


') Das Citat lautet wörtlich: 

.Es widerspricht allen Thatsachen, wenn man eine passive Ernährung 
<ler Theile allein abhängig von der Nahrungszufuhr statuiren will. Die Er- 

Zeitscbrift für orthopädische Chirurgie. I[. Band. 


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252 


J. A. Korteweg. 


In Widerspruch mit Wolff’s Behauptung wird dann auch 
von den heutigen Pathologen (ebenso wie von Roux) noch immer 
grossen Werth gelegt auf das Quantum der zugefllhrten Emährungs- 
flUssigkeit. 

So z. B liest man in Ziegler, Lehrbuch der speciellen path. 
Anatomie 1887, 2. Theil S. 209: 

„Die Verlängerung eines Knochens bei Anwesenheit eines Ent¬ 
zündungsherdes in der Diaphyse ist wahrscheinlich dahin zu erklären, 
dass der Reizzustand und der damit verbundene Congestions- 
zustand nicht nur eine stärkere osteoplastische Thätigkeit des Periostes 
und des Markes, sondern auch eine verstärkte Knorpelwucherung in 
der Knorpelfuge, unter Umständen auch in dem Gelenkknorpel und 
weiterhin eine raschere und ausgiebigere endochondrale Ossification 
anregt. Ist auch der benachbarte Knochen mitbetheiligt, 
ohne selbst einen Entzündungsherd zu enthalten, so darf man 
vielleicht annehmen, dass die veränderten Ernährungsver¬ 
hältnisse sich nicht nur auf den einen Knochen, sondern 
auf die ganze Extremität erstrecken.“ 

Wenn man im 1. Theil dieses Lehrbuches (S. 131) ganz all¬ 
gemein erwähnt findet, dass häufig wiederkehrende Circula- 
tions- und Ernährungsstörungen, die zum Theil den Entzündungs¬ 
processen zugezählt werden, als Urs ach e der eintretenden Hypertrophie 
anzusehen sind, dann wird man mir gewiss glauben, wenn ich 
versichere, dass ich gar nicht „mit dieser Anschauung eine neue 
Entdeckung gemacht zu haben glaube“ (Wolff *s Bemerkungen S. 181). 

Vielleicht ist in dieser Hinsicht nur zu betonen, dass die Fort¬ 
bewegung des Gewebeplasmas, welche durch jede Massage und jede 
gehörige Knochen- und Bänderfunction sehr kräftig befördert wird, 
der Ernährung der Zelle mehr nützt, als die kräftigste Blutwalluog. 
Vielleicht dass gerade in der Beschleunigung der plasmatischen Cir- 
culation, welche jede Muskel-, Knochen- und Bänderfunction ver¬ 
gesellschaftet, die wirkliche Ursache der functionellen Hypertrophie 
zu suchen ist. 


nilbrung findet im Gegentheil unter qualitativer und quantitativer Auswahl 
seitens der ernährten Theile statt, und die Blutzufuhr wird von der Verbrauchs¬ 
stelle entsprechend dem Bedarf regulirt. Die functionelle Hyperämie, wo sie 
stattfindet, ist keinesfalls die Ursache der functionellen Hypertrophie, sondern 
sie darf nur als eine günstige, vielleicht nicht einmal immer un¬ 
erlässlich nothwendige Vorbedingung derselben angesehen werden.* 


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Erwiderung der WolflPschen Bemerkungen zu meiner Arbeit etc. 253 


Ebenso wie Wolff in dieser Angelegenheit sich nur zu sehr 
übereilt hat, wurde von ihm „die Krahnzeichnung der Mathematiker, 
welche uns in unerbittlichen Zahlen werthen aufklärt über die Art, 
Oertlichkeit und Grösse der durch die äusseren Kräfte im Knochen 
hervorgebrachten Druck-, Zug- und Schubspannungen“ ganz missver¬ 
standen und hat er seitdem in unerbittlicher Weise auf dieses Miss- 


verständniss weiter durchgejagt. 
Diese meine Behauptung näher zu 
begründen, wird man mir gewiss 
zugestehen, wenn man bedenkt, 
dass Wolff aus dieser Krahnzeich¬ 
nung die Waffe geschmiedet hat, 
womit er bei seinem Versuch, die 
Volkmann’sche Theorie zu be¬ 
siegen, so schrecklich herumblitzte, 
dass vielleicht Einzelne dadurch 
geblendet wurden. 

Wird der bei CD eingemauerte 
Krahn bei AB belastet, dann wer¬ 
den durch diese Belastung inner¬ 
halb des Krahnes Spannungen ent¬ 
wickelt, welche in Richtung und 
Grösse an der Hand der Statica 
undElasticitätslehre berechnet wer¬ 
den können. 

Ohne genauere Analyse ist es 
aber schon bei einfacher Be¬ 


Fig. 1. 



trachtung klar, dass der Krahn an der concaven Seite zusammen¬ 
gepresst wird, dagegen die Belastung an der anderen Seite seine 
Theile zu dehnen strebt, d,tv. s.: an der concaven Seite kommen 
hauptsächlich Druckspannungen, an der convexen Seite Zugspannungen 
zur Entwickelung. Die mathematische Analyse lehrt, dass die Rich¬ 
tungen der in jedem materiellen Theilchen wirksamen maximalen Druck¬ 
spannung und Zugspannung durch Curven angegeben werden können 
(dieCulm'ann'schenDruck-undZugcurven). InCulmann’s Krahnfigur 
sind diese Curven angegeben. Die Curven der maximalen Druckspannung 
nähern sich einander bei D, die der maximalen Zugspannung bei C. 

Betrachtet man diese, in der Zeichnung auch dem Laien schon 
verständlichen Curven etwas genauer, dann ist es klar, dass 1 qcm 


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254 


J. A. Korteweg. 


z. B. bei H von grösseren Kräften zusamniengepresst wird, als ein 
qcm bei P und dass ein qcm bei G grösserem Zug zu widerstehen 
hat als ein qcm bei Q, So wird es gewiss durch blosse Betrach¬ 
tung auch verständlich, dass in jedem Querschnitte die Spannung 
von einem Punkte zum anderen fortwährend wechselt und so z. B. die 
Druckspannung bei H beträchtlich grösser ist, als die Druckspannung 
in dem nahe, aber mehr innerseits gelegenen Punkte H^. 

Will man den Maximaldruck (resp. Zug) in einem bestimmten 
Punkte in Zahlen bezeichnen, dann berechnet man, wie viel kg per 
qcm auf eine, zu der Richtung der Maximalspannung senkrecht 
gestellte, kleine Fläche drücken (resp. ziehen) sollten, um die durch 
diese Fläche wirksame Elasticitätskraft zu ersetzen. 

So hat Culmann berechnet, dass derjenige Punkt, welcher in 
dem Querschnitt CD den grössten Druck zu tragen hat, mit 163,6 kg 
gedrückt wird. 


Für den Querschnitt 

II findet 

er 

diese Maximalpressung = 116,6 kg 

»» 1» 

’ß 

UI 


n 


r = 100,0 „ 

m n 

n 

IV 

1» 

m 

n 

„ = 71,Ü , 

n n 

yt 

V 



n 

. = 51,0 . 

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VI 


V 

j» 

= 25.0 . 

H J» 

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VII 

jt 

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1* 

. '*17 . 

1» n 


VIII 


n 


. = 3,0 . 

1» »» 

Punkt F 




n 

. = 0,0 


dies alles in der Voraussetzung, dass der Krahn einem menschlichen 
Femur in Form und Grösse ähnelt und die Belastung bei AB^ also 
dem Acetabulum gegenüber, in gleichmässiger Vertheilung = 30 kg 
angebracht ist. 

Dies ist die Culmann’sche Vorstellung und Berechnung. 

Wolff aber meint, dass Culmann berechnet diat: „dass der 
Querschnitt I, bei CZ), mit 163,3 kg belastet ist, der Querschnitt Hl, 
etwa auf mittlere Höhe des Krahnes, nur noch mit 100 kg“ etc. ^). 

Wie grundfalsch diese Wolff’sche Vorstellung ist (Culmann 
hat daran gar keine Schuld) ist leicht nachzuweisen, wenn man sich 
denkt, dass der Krahn in CP auf einer Wage befestigt sei und ge¬ 
wogen würde. Die bei AB aufruhenden 30 kg würden dann hier 
ungeändert zu Geltung kommen, nur 30 kg wägen und also ist der 
Querschnitt CD gar nicht mit 163,3 kg, aber nur mit 30 kg be- 

*) Langenbeck’g Archiv Bd. 42 S. 311. 


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Krwideriing der WolfTschen Bemerkungen zu meiner Arbeit ete, 255 


lastet. Der Punkt D wird zwar mit 163,3 kg auf die Wage nieder¬ 
gepresst, aber der Punkt C wird mit nahezu ebengrosser Kraft in 
die Richtung nach oben aufgezogen (Zugspannung). Die positiven 
und negativen Druckspannungen zusammen betragen im Querschnitt 
C wie in jedem Horizontalschnitt, genau 30 kg *). 

Man verzeihe mir diese Weitläufigkeit, aber es bedurfte derer, 
damit es klar würde, >vie schlecht Wolff alle diese Mathematik ver¬ 
standen hat. Nicht in der Absicht eines persönlichen Angriffes, aber 
nur in der Absicht, verständlich zu machen, dass Wolff wirklich 
gemeint hat, was er weiter behauptet, habe ich diesen Fehler so 
genau zergliedert. 

Verfolgen wir doch seine Auseinandersetzung weiter, so lesen 
wir: ,dass der Querschnitt VIII, welcher nahe dem oberen Ende des 
Krahnes und in nächster Nähe der Stelle gelegen ist, an der die 
Last auf dem Krahne ruht, nur noch mit einem Gewicht von 3 kg 
gedrückt wird, und dass es sogar an der Spitze des Krahnes, bei 
einen idealen Punkt gibt, an welchem der Belastungswerth gleich 
Null ist. Wir sehen also, wenn wir die aus der Krahnzeichnung 
sich ergebenden Verhältnisse auf den Knochen übertragen, dass da, 
wohin Hueter beim Genu valgum die gesammte Wirkung der Be¬ 
lastung gelegt hat, an den Facetten der Femurcondylen und 
an der Knorpeloberfläche der Tibia diese Druckwirkung 
th atsächlich nahezu gleich Null ist, und dass sie auch da, 
wohin sie die meisten anderen Autoren verlegten, am Epiphysen¬ 
knorpel, noch eine so überaus geringfügige ist, dass sie, gegenüber 
den in der Diaphysenmitte der Knochen sich geltend machenden 
mächtigen Wirkungen der Druckabänderungen kaum noch überhaupt 
in Betracht kommen kann.“ 


Man denke sich den Hebebalken DCE = 10 X C'/>) auf der 
Wage AB befestigt durch die zwei Pfeiler CC^ und D Ist der Hebebalken 
in K mit 1 kg belastet, dann ist der Druck in r, “ H kg, der Zug in D\ = 10 kg- 


D c 






40 C^rat > ^ 

A.- 

Dl 


Y // 


B 


E 


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256 


J. A. Korteweg. 


Wolff will also auf Folgendes hinauskommen: 

Culmann lehrt, dass die 30 kg, welche bei AB dem Krahne 
aufruhen, bei CD mit 163,3 kg drücken, etwas mehr nach der Ge¬ 
lenkfläche hin mit 100 kg, weiter nach oben, nach einander mit 
71,6, 51,6, 25,0, beim Querschnitt VIII nur noch mit 3, ja ganz 
am Ende der Hüftgelenkfläche, wollen wir sagen an der idealen 
Hüftgelenkfläche, gar nicht mehr drücken. Und wenn wir jetzt die 
„aus der Erahnzeichnung sich ergebenden Verhältnisseauf das 
Kniegelenk übertragen, dann sehen wir (Wolff), dass auch da „an 
den Facetten der Femurcondylen und an der Knorpeloberfläche 
der Tibia“ (gewiss ebenso wie an dem Punkte dem idealen 
Hüftgelenke) „diese Druckwirkung thatsächlich nahezu gleich 
Null ist.“ 

Aber bitte doch, warum nicht ganz und gar gleich Null? 
Dann würde der ganze Körper über das Kniegelenk schweben und 
dann wäre Volkmann ja gewiss fehl gegangen, als er die Ursache 
der orthopädischen Missbildungen in einen Druck verlegt hat, welcher 
gar nicht einmal besteht, wie uns die Krahnzeichnung der Mathe¬ 
matiker lehrt, „welche uns in unerbittlichen Zahlenwerthen auf klärt 
über die Art, Oertlichkeit und Grösse der durch die äusseren 
Kräfte im Knochen hervorgebrachten Druck-, Zug- und Schubspan¬ 
nungen“ etc. 

Ich will die Behauptung Wolff’s, dass das Kniegelenk „nahezu^ 
in denselben statischen Verhältnissen verkehrt wie der Punkt i^, 
welcher bei der Krahnberechnung als unbelastet angenommen wurde, 
nicht weiter widerlegen. Gewiss, es bedarf dessen nicht und es 
ist schon jedem klar, dass die Waffe, womit Wolff die Druck¬ 
theorie bekämpfte, eine blecherne war. Sie machte ja auch zu 
viel Lärm. 

Nur kurz möchte ich noch auseinandersetzen, das§ die stati¬ 
schen Verhältnisse, wie solche durch die Krahnzeichnung näher auf¬ 
geklärt würden, ganz gut mit den Volkmann’schen Voraussetzungen 
zusammenstimmen. 

Denken wir uns den Erahn weiter nach unten, bogenförmig, 
in der Form des Femurs, zum Kniegelenk hin, verlängert, so, dass 
die Mitte der platten Endfläche sich senkrecht unter der Mitte der 
Belastungsstelle beflndet, der Krahn also, einmal aufgerichtet, gar 
nicht einer Einmauerung bedarf. 

Die Belastung, welche gleichmässig bei AB drückt, wird jetzt 


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Erwiderung der Woltfsehen Bemerkungen zu meiner Arbeit etc. 257 

bei KL so drücken, dass linker und rechter Theil jeder die Hälfte 
der Belastung zu tragen haben. Würde doch der Punkt M allein die 
Belastung noch tragen können, der Erahn habe die Form, welche 
man will. Der Punkt M muss also der Angriffspunkt der Resul¬ 
tante aller 'm KL wirksamen Kräfte sein. 

hi CD mögen grössere Druck- und Zugspannungen bis 163,3 kg 
zur Entwickelung gebracht werden, diese lassen die Kniegelenk¬ 
fläche, denn diese wird durch KL bezeichnet, unberührt. Innerer 
und äusserer Condylus haben also jeder die Hälfte der Belastung zu 
tragen, so lange die Schwerlinie die Mitte des Kniegelenkes durch- 


Fig. 3. 



schneidet und, wie Mikulicz uns gelehrt hat, ist ungefähr dies das 
normale Verhältniss. 

Denken wir uns jetzt ein Genu varum. In unserer Figur wird 
dann KL den Fuss bezeichnen und CD das Kniegelenk. Bis in der 
Nähe des unteren Femurendes geltet Culmann’s Berechnung nahezu 
ungeändert. Der innere Condylus wird also nicht gleichmässig, im 
Ganzen mit bloss 15 kg zusammengedrückt werden, aber z. B. der 
Punkt D wird per jeden Quadratcentimeter mit einer Kraft von ungefähr 
160 kg zusammengepresst. Bei C und Umgebung werden nahezu gleiche 
Zugspannungen ausgeübt, welche natürlich alle durch das Ligamen¬ 
tum laterale übernommen werden. Man sieht: dies ist ganz den 
Volk man n’schen statischen Voraussetzungen gemäss. Die recht ver- 


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258 


J. A. Korteweg. 


standene mathematische Berechnung widerspricht hier so wenig wie- 
je die gesunde Vernunft. 

Beim Genu valgum wird die Sache noch schwieriger. Im Grossen 
und Ganzen sind aber die Verhältnisse wie folgt. Bei CD (Fig. 3> 
finden sich grössere Zug- und Druckspannungen vor; bei EF ist 
die Kraftvertheilung gleichmässig und nahezu eben dieselbe wie oben 
(Fig. 2) und auch hier bei KL. Im Kniegelenk GH sind die Ver¬ 
hältnisse die umgekehrten wie bei CD^ die Zugseite (die convexe) 
ist hier bei //, die Druckseite (die concave) bei G. Dia Grösse der 
Kräfte wird sehr gut mit denen des Genu varum vergleichbar sein 
(bis 160 kg per Quadratcentimeter), also nahezu gleiche Kräiie, als 
diejenige, welche die Diaphyse eines normalen Femurs per Quadrat¬ 
centimeter belasten. 

Wir finden also statische Verhältnisse, wie Volk mann solche 
schon lehrte: kräftiger Druck am Condylus externus, kräftiger Zug 
am Ligamentum mediale. 

Am Ende dieses Nachtrages bitte ich Wolff meine Bemer¬ 
kungen einem befreundeten Mechaniker vorzulegen und vorläufig 
nicht mehr über ein „Recht“ zu reden, welches wohl der Eine, 
nicht der Andere haben sollte, „sich ernsthaft an der Discussion über 
die Ursachen der orthopädischen Knochenmissbildung zu betheiligen“. 
Ich gestehe gern, dass, ungeachtet aller Fehler, Wolff doch noch 
Recht behält, über diese Sache mitzureden, ja Niemand dazu so 
grosses Recht hat wie er, weil Niemand sich um die Erklärung der 
inneren Knochenstructur so grossen Verdienst erworben hat, wie er 
und Meyer. Aber so lange ich mich ernsthaft an der Discussion 
betheilige, habe auch ich mein Recht. 

Die Anerkennung dieses Rechtes wird mich gerade von Wolff 
seines grossen Verdienstes wegen besonders freuen und gewiss nicht 
Vorbehalten, aber ebenso öffentlich wie er seine Bemerkungen ge¬ 
macht hat, zugestanden werden, sobald es Wolff gelungen ist, 
etwas Ernsthaftes in meinen obenstehenden Bemerkungen zu ent¬ 
decken. Und dass dies nicht lange währen wird, davon bin ich überzeugt. 
Die Ursachen der orthopädischen Missbildungen dünken mir dafür 
zu klar, die Fehler Wolff’s zu grob zu sein. 

Anmerkung bei der Correctur. Seitdem ist „das Gesetz der 
Transformation der Knochen“ von Julius Wolff erschienen. Icli 
finde hier S. 8d u. f. denselben Fehler wieder, nämlich, dass Wolff die Cul- 
m a n n’schen Berechnungen für das obere Ende des Femurs kritiklos, ohne 


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Erwiderung der \Volrt‘‘schen Bemerkungen zu meiner Arbeit etc. 259 


Analyse der ganz anderen statischen Verhältnisse, auf das untere Femurende 
eines Genu valgum überträgt. Auch in dieser Arbeit liest man: „Wirsehen 
also, wenn wir die aus der Krahnzeichnung sich ergebenden Verhältnisse auf 
den Knochen übertragen, dass da, wohin Hueter beim Genu valgum die 
gesammte Wirkung der Belastung gelegt hat, an den Facetten der Femurcon- 
dylen und an der Knorpeloberfläche der Tibia, diese Druckwirkung thatsächlich 
gleich Null“ ist“ (S. 87). In diesem Satz gipfelt Wo 1 ff’s Widerlegung der 
Volkmann’schen Drucktheorie. In diesem Satz gipfelt, meiner Ansicht nach, 
Wo 1 ff’s Trugschluss. 


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XVIII. 


Entgegnung. 

Von 

J. Wolff. 

Die Abfertigung, welche im vorigen Hefte dieser Zeitschrift 
Herrn Korteweg durch mich zu Theil geworden ist, hat auf den¬ 
selben eine sehr üble Wirkung ausgeübt. 

Unter Benutzung von Ausdrücken, wie „schreckliches ümher- 
blitzen“, „Lärm machen“, „blecherne Waffen“, u. dergl. m., glaubt 
er, seiner ersten, von mir gebührend gekennzeichneten Mittheilung 
über die „Ursachen der orthopädischen Knochenmissbildung* eine 
zweite hinzufügen zu müssen, die noch tief unter dem Niveau jener 
ersten steht. 

In dieser neuen Mittheilung gibt es nach Herrn Korteweg’s 
mathematischen Vorstellungen keinen Unterschied mehr zwischen 
einem Punkt, einer Fläche und einem Körper. Mit kühnem Sprunge 
macht der Autor aus dem „idealen Punkte“ des Oberschenkelähn¬ 
lichen Krahns, in welchem, wie dies aus Culmann's Zeichnung er¬ 
sichtlich ist, die durch die Spannungstrajectorien dargestellten Druck- 
uiid Zugspannungen auf Null herabgesimken sind, eine ideale „Fläche“, 
und aus dieser sogar ein „ideales Hüftgelenk“, über welchem „der 
Körper schwebt“. 

Während er sich auf solche Weise bezüglich seiner mathe- 
mathischen Anschauungen legitimirt, behauptet er zugleich, Cul- 
mann's mathematische Auseinandersetzungen seien von mir miss¬ 
verstanden worden, und ich habe aus diesem Grunde »grobe mathe¬ 
matische Fehler“ gemacht. 

In einer im Jahre 1870inVircho w’s Archiv erschienenen Arbeit 
wurden von mir die genaueren Verhältnisse der Zug- und Drucklinien, 
soweit deren Kenntniss für das Verständniss des Knochenbaus er- 


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Entgegnung. 


261 


forderlich ist, erörtert. Der Entdecker der mathematischen Bedeu¬ 
tung der inneren Knochenarchitectur, Cu 1 mann selbst, hat mich 
bei diesen Erörterungen unterstützt bezw. dieselben durch eigene 
Bemerkungen vervollständigt. Derselbe gab zugleich die ausdrück¬ 
liche Erklärung ab, dass „meine Schlussfolgerungen aus den Verhält¬ 
nissen des Krahns auf diejenigen des Knochens ihm wie aus der Seele 
gesprochen erscheinen“ (vergl. Virchow’s Archiv Bd. 50 S. 418). 

Ich zeigte in jener Arbeit, dass die Druck-, Zug- und Schub¬ 
spannungen in einem Erahn bezw. einem Krahnähnlichen Knochen 
von Punkt zu Punkt wechseln. Es wurde zugleich dargelegt, 
in welcher Weise die Grösse jener Spannungen für jeden Punkt eines 
beliebigen Längs- oder Querschnittes des Krahns berechnet wird. Es 
wurde nachgewiesen, dass die Zug- und Drucklinien des Culmann- 
schen Oberschenkelähulichen Krahns ihren Maximalwerth an der 
Peripherie des untersten, von der Stelle der Belastung des Krahns 
am weitesten entlegenen Querschnitts (des Querschnittes I der Krahn- 
zeichnung) haben, und dass der Werth der Curven sowohl nach oben, 
gegen die Belastungsstelle hin, als auch nach innen, gegen die Achse 
hin, immer geringer wird. 

Der Kürze halber wurde dabei der, auch von Culmann bei der 
Durchsicht meines Manuskriptes gebilligte, Ausdruck gebraucht, 
dass der Querschnitt I, als der einzige, auf welchem die Druck¬ 
spannung an der Peripherie der Druckseite bei einer Krahnbelastung 
mit 30 kg bis auf die Höhe von 163,3 kg steigt, „mit 163,3 kg 
belastet ist“. Dass damit etwa ein auf allen Punkten des 
Querschnitts gleichmässig lastender Druck von 163,3 kg ge¬ 
meint sei, das konnte Niemand, der für meine Darlegung des überall 
von Punkt zu Punkt wechselnden Drucks, Zugs und Schubs auch 
nur das nothdürftigste Verständniss hatte, annehmen. Ich hätte 
ebenso gut den Querschnitt I als denjenigen bezeichnen können, in 
welchem ein Zug von 163,3 kg wirkt, weil einzig und allein in 
ihm es eine Stelle gibt, an welcher die Zugspannung diese Höhe 
erreicht. Ich hätte endlich auch denselben Querschnitt durch das 
Verhältniss derjenigen rings um seinen Mittelpunkt gelegenen Punkte 
kennzeichnen können, in welchen gar kein Druck und Zug, dagegen 
das Maximum der Schubspannung sich geltend macht. 

Es war eben ein so kurzer Ausdruck, wie der erwähnte, er¬ 
forderlich, weil unmöglich jedesmal, wenn von dem Querschnitt I — 
bezw. von irgend einem anderen Querschnitt — die Rede war, die 


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262 


Wolif. 


verschiedenen Druck-, Zug- und Schubspannungen, die sich in allen 
einzelnen Punkten des betreflFenden Querschnittes geltend machen, 
wiederholt werden konnten. 

Herr Korteweg weiss nicht das Geringste von dieser 
meiner Arbeit. Er würde sonst unmöglich die elementarsten, 
in dieser Arbeit ausführlich mitgetheilten, die Druck- und Zuglinien 
betreffenden Verhältnisse mit einer Weitschweifigkeit erörtert haben, 
welche zur Genüge zeigt, dass er diese seine Darlegung als eine 
für den Leser gänzlich neue angesehen hat. Er würde ferner es 
sonst unmöglich versucht haben, aus dem erwähnten, der Kürze halber 
erforderlich gewesenen und für jeden auch nur einigermassen 
Eingeweihten verständlichen und unzweideutigen Ausdruck eine — 
lediglich in seiner Phantasie bestehende — Differenz zwischen C u 1- 
mann und mir herleiten zu wollen. Er würde endlich mir nicht in 
geradezu kaum glaublicher Weise die Meinung unterzuschieben ge¬ 
wagt haben, als könnte die an der Peripherie der Druckseite vor¬ 
handene Druckspannung von 103,3 kg sich bemerklich machen, wenn 
man den Krahn miisammt seiner Belastung auf die Wagschale 
bringt. 

Bezüglich der grossartigen Idee, auf der Wagschale Ge¬ 
naueres über die im Innern des Krahns durch die Belastung her¬ 
vorgerufenen Spannungen feststellen zu wollen, darf Herr Korteweg 
die volle Priorität für sich in Anspruch nehmen. Die Idee wird 
sicherlich bei allen Mathematikern Körteweg's Namen zu der 
grössesten Berühmtheit bringen. 

Ganz dieser Idee und der übrigen mathematischen Begriffe des 
Herrn Korteweg würdig ist seine abenteuerliche schematische Zeich¬ 
nung der Vertheilung der Kräfte bei einem Genu valgum, über welche 
ich mich nach dem Vorangegangenen aller weiterer Bemerkungen 
enthalten zu dürfen glaube. 

Herr Korteweg hat sich nun eingebildet, dass aus seinen 
wunderlichen „mathematischen“ Auseinandersetzungen die „Schwäche 
der Transformationslehre“ hervorleuchten werde, und dass nunmehr 
Jedermann mit ihm annehmen müsse, der Schwund des Knochen¬ 
gewebes werde nicht, wie es das Transformationsgesetz lehrt, durch 
Aufhebung oder Verringerung der Druck- und Zugspannungen an 
den dem Schwunde anheimfallenden Knochenstellen bewirkt, sondern 
durch „das Fehlen einer sich fortwährend abändernden äusseren Kraft 
und die dadurcli behinderte Fortbewegung der Ernährungsflüssigkeit“. 


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Entgegnung. 


268 


Solcher Einbildung gegenüber, die mir zugleich die Möglich¬ 
keit einer Belehrung des Herrn Korteweg ganz auszuschliessen 
scheint, wird es fast als überflüssig erscheinen, wenn ich Herrn 
Korteweg die Versicherung gebe, dass die Transformationslehre nicht 
nur durch mathematische Beweise, sondern auch auf anatomischem 
und klinischem Wege sicher begründet ist, und dass diese Lehre wohl 
auch bereits allseitig, ausser durch ihn allein, acceptirt worden ist. 

Ich habe noch zu bemerken, dass ebenso, wie bezüglich der 
Zug- und Drucklinien, auch bezüglich der »functionellen Hyperämie“ 
Herr Korteweg seiner Phantasie freien Lauf gelassen hat. 

Durch mein Citiren der Worte Roux*s, nach welchen die „func¬ 
tioneile Hyperämie, wo sie stattfindet, keinesfalls die Ursache der 
fiinctionellen Hypertrophie ist,“ nach welchen dieselbe vielmehr „nur 
als eine günstige, vielleicht nicht einmal immer unerlässlich noth- 
wendige Vorbedingung derselben angesehen werden muss“, hatte ich 
selbstverständlich mich dieser Roux'schen Anschauung ganz und gar 
angeschlossen. Dass ich damit die functioneile Hyperämie als gänz¬ 
lich ausser Betracht kommend angesehen haben soll, das kann wiederum 
Niemand, ausser Herrn Korteweg allein, angenommen haben. 

Sein Versuch, mich in Differenz mit Roux zu bringen, ist 
mithin ganz ebenso verunglückt, wie es seine ähnlichen, eine ver¬ 
meintliche Differenz zwischen Culmann und mir betreffenden Be¬ 
mühungen sind. 

Zu meinem Bedauern habe ich, wie man sieht, den sehnlichen 
Wunsch des Herrn Korteweg, dass in seinen Bemerkungen irgend 
etwas „Ernsthaftes“ von mir entdeckt werden möchte, nicht zu er¬ 
füllen vermocht. Um dies Ziel zu erreichen, hätte Herr Korteweg, 
ehe er seine Erwiderung niederschrieb, zum Allermindesten den Ent¬ 
schluss gefasst haben müssen, sich den Unterschied von Punkt, Fläche 
und Körper klar zu machen. 


Nachschrift während der Correctur. 

In dem von Herrn Korteweg in seiner „Anmerkung bei der 
Correctur“ citirten Satze aus meinem „Gesetz der Transformation der 

Knochen“ (S. 87) heisst es wörtlich: ^-dass da, wohin Hueter 

beim Genu valgum die gesammte Wirkung der Belastung gelegt hat, 
an den Facetten der Femiircondylen und an der Knorpeloberfläche 


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264 


J. WolfF. Entgegnung. 


der Tibia, diese Wirkung thatsächlich nahezu gleich Null 
ist etc.“ 

Korteweg hat aus diesem Satze geflissentlich dasjenige Wort, 
auf welches es für die vorliegende Erörterung ganz besonders an¬ 
kommt, das Wort „nahezu“ fortgelassen. Er denkt, auf solche Weise 
den Leser glauben machen zu können, dass ich, ebenso, wie er selbst, 
einen Punkt und eine Fläche mit einander verwechselt habe. 

Man ersieht aus diesem Verfahren des Herrn Korteweg, dass 
derselbe unaufhaltsam daran arbeitet, seine Aeusserungen über 
die Knochenmissbildungen in einem für ihn immer noch ungünstiger 
werdenden Lichte erscheinen zu lassen. 


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XIX. 


Aus der Eönigl. Umversitätspolikliuik für ortho¬ 
pädische Chirurgie zu Berlin. 


Ueber angeborene seitliche Deviationen der Fingerphalangen. 

Zum Theil vorgetragen in der Berliner medicinischen 
Gesellschaft am 7. December 1892. 

Von 

Dr. G. Joachimsthal^ 

Assistenzarzt der Poliklinik. 

Mit 2 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Angeregt durch die Publication eines Falles von angeborener 
seitlicher Deviation der beiden Daumenendphalangen, die 
Herzog^) bei einem 10^2 Jahre alten Knaben beobachtete, berichte 
ich über zwei in der Kgl. Universitäts-Poliklinik für orthopädische 
Chirurgie zur Beobachtung gekommene analoge Fälle dieser Ver¬ 
bildung. Die betr. beiden Fälle sind dadurch noch besonders be- 
merkenswerth, dass sie Mutter und Sohn betreffen, und dass 
die gleiche Deformität auch noch bei zwei andern Gliedern 
derselben Familie vorhanden ist. Die Combination der frag¬ 
lichen Missbildung bei dem einen Träger derselben mit einem an¬ 
geborenen Klumpfuss dürfte auch für die Frage von der Entstehung 
dieses Uebels nicht ohne Interesse sein. Die Fingerverbildung ist 
bei dem Sohn ausgesprochener als bei der Mutter, hat also in der 
Descendenz zugenommen. 

*) W. Herzog, Die angeborenen Deviationen der Fingerphalangen 
(Klinodactylie). Münch, med. Wochenschr. 1892, Nr. 20 S. 123. 


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266 


G. Joachimsthal. 


1. Die Mutter, eine 41 Jahre alte sonst körperlich gut entwickelte 
Patientin, stammt aus gesunder Familie. Die Eltern sowie drei Ge¬ 
schwister sind wohlgebildet. Dagegen ist ein Vatersschwestersohn 
mit einem linksseitigen angeborenen Klumpfuss behaftet; ein Kind 
ihrer einen Schwester zeigt dieselben Deviationen der beiden Daumen¬ 
endphalangen wie sie selbst und ihr Sohn^ während ein zweites 
Kind derselben Schwester rechts die gleiche Deformität aufweist 
und an der linken Seite einen überzähligen Finger besitzt. Bei der 
Betrachtung der Hände unsrer Patientin zeigt sich eine links starker 
als rechts in die Augen fallende Abweichung der beiden Daumend- 


Fig-1- 


% ? % 


\: 




jt .* ■ 

■ • ■ ■■ 


glieder nach der ulnaren Seite. Der Winkel, in dem die beiden 
Phalangen in dem Zwischengelenk in gestrecktem Zustande zusammen- 
stossen, beträgt an der ulnaren Seite links ca. 150, rechts ungefähr 
160 Grad. Die Bewegungen der beiden Glieder sind in dem Inter- 
phalangealgelenk vollkommen frei; dabei verschwindet ähnlich wie 
bei einem Genu valgum die Deformität in der Beugehaltung. Be¬ 
sonders in der Flexionsstellung constatirt man an der radialen Seite 
des Capitulum der 1. Phalanx eine stärkere Prominenz. Die Deformität 
lässt sich durch Druck auf die ulnare Seite des Nagelgliedes mit 
einigem Kraftaufwand ohne besondere Schmerzen fast völlig aus- 
gleichen (s. Fig. 1). 

2. Der 10jährige Sohn dieser Patientin ist neben zwei gut 
entwickelten Geschwistern das Zweitälteste Kind. Ob bei seiner 
Geburt die Fruchtwassermenge abnorm gering war, ist nicht zu 


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lieber angeborene seitb'che Deviationen der Fingerphalangen. 267 


eruiren. Die Untersuchung des Knaben ergab zunächst das Vor¬ 
handensein eines rechtsseitigen angeborenen Klumpfusses. Neben 
starker Adduction der Fussspitze zeigte sich hier eine sehr erhebliche 
Supinationsstellung, so dass der kleine Patient direct mit dem Dorsum 
pedis auftrat, wofür auch die hier befindlichen Druckschwielen Zeug- 
niss ablegten. An beiden Händen liegen, nur in verstärktem Maasse, 
dieselben Formfehler vor, wie bei der Mutter. Die beiden Phalangen 
bilden hier einen ulnarwärts offenen Winkel von links ca. 120, rechts 
ungefähr 130 Grad. Auch hier fehlen directe Functionsstörungen, 
auch hier verschwindet die Deviation bei der Beugung und imponirt 


Fig. 2. 



die stärkere Prominenz des radialen Theils des Capitulum der 1. Pha¬ 
lanx. Bei stärkerem Kraftaufwand gelingt es auch hier, durch Finger¬ 
druck die Deformität vorübergehend auszugleichen. 

Die angeborenen Gelenksanomalien an den Fingern gehören 
nach dem übereinstimmenden Urtheil aller Autoren, die den Gegen¬ 
stand überhaupt berührt haben; in Deutschland meines Wissens ausser 
Herzog nur Vogt — zu den seltensten congenitalen Affectionen. 
Annandale *) und nach ihm Fort ^), welch letzterer den Fingergelenks- 


0 V 0 g t, Die chirurgischen Krankheiten der oberen Extremitäten. Deutsche 
Chirurgie 1881, Lieferung 64 S. 25. 

Ch. Annandale, The malforinations, diseases and injuries of the 
fingere and toes. Edinburgh 1865, S. 65. 

*) J. A. F 0 r t, Des difformites congenitales et acquises des doigts et des 
moyens dy rem^dier. Th^se. Paris 1869, S. 60. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. II. Bsud. 28 


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268 


G. Joachimsthal. 


deviationen noch die grösste Aufmerksamkeit geschenkt und sie mit 
einem besondern Namen, dem der Klinodaktylie (von xXtveiv und 
SdxroXo(;) belegt hat, scheiden sie, je nachdem die Verschiebung der 
distalen Phalanx nach der Vola, dem Dorsum oder nach der radialen 
oder ulnaren Seite stattfindet; in palmare, dorsale und laterale. 
Einen Fall der ersteren Art hat der Instrumentenmacher Mathieu bei 
einem jungen Manne gesehen. Beiderseits stand hier der Ringfinger 
in fixirter mittlerer Flexionsstellung. Ueber dorsale Abweichungen 
der Phalangen, bei der diese in Hyperextensionsstellung sich finden, 
und die Unmöglichkeit besteht, eine Beugung in den betreffenden 
Gelenken auszuführen, berichten Chaussier^) undBörard^). Was 
endlich die lateralen Verschiebungen anlangt, zu denen auch unsere 
Fälle gehören, so unterscheiden sich dieselben so wesentlich von den 
beiden bisher erwähnten Gruppen, dass es wohl rathsam erscheint, 
sie künftig durch eine strengere Scheidung von ihnen abzusondern. 
Die volaren und dorsalen Deviationen der Phalangen stellen näm¬ 
lich nichts anderes als congenitale Luxationen oder Subluxationen 
dar, die in ihrer äusseren Erscheinung am meisten Aehnlichkeit mit 
den angeborenen Luxationen im Kniegelenk darbieten. Auch hier 
handelt es sich, wie ich dies im Jahre 1889 an einem Fall von 
präfemoraler Luxation der Tibia zu demonstriren in der Lage 
war^), um fixirte falsche Stellungen des Gelenks, hier meist in 
Hyperexteusion. Dagegen bestehen bei den seitlichen Deviationen 
der Finger keinerlei Verschiebungen der Phalangen gegen 
einander, sondern lediglich congenitale Verbildungen der 
Gelenkenden, die keine Aufhebung des Contacts der Articulations- 
flächen und daher auch keine Störung der Beweglichkeit be¬ 
dingen. 

Auch Fälle dieser Art existiren nur äusserst spärlich in der 
Literatur. Einer derselben stammt von Robert^). Er betraf ein 
(»jähriges Mädchen, bei der die 3. Phalanx im stumpfen Winkel 


*) Cf. J. A. Fort, 1. c. 

Malgaigne, Le^ons d’orthopedie publiees par Mm. Guyon et 
Panas 1862. 

•) Dict. de med. en 30 vol., t. XVIII ort. Main p. 514. 

Joachimsthal, Vorstellung zweier Fälle von congenitalen Luxa¬ 
tionen im Kniegelenk. Berl. klin. Wochenschr. 1889, Nr. 42 S. 429. 

Alph. Robert, Des vices congenitaux de conformation des articula- 
tions. Paris 1851, These, p. 103. 


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Ueber angeborene seitliche Deviationen der Fingerphalangen. 269 


nach aussen abwich. Durch die Haut konnte man eine schwächere 
Entwickelung des Condylus externus am unteren Ende der 2. Pha¬ 
lanx constatiren, während der innere Condylus stärker hervortrat. 
Eine analoge Verbildung besass Professor Trousseau^). Bei 
ihm waren die Endglieder beider Ringfinger stark nach innen 
abgewichen. Annandale*) sah an beiden Händen eines Pa¬ 
tienten, dessen Oheim ähnliche Deviationen aufwies, laterale Ab¬ 
weichungen der Finger. Endlich hat, wie schon erwähnt, Herzog 
eine angeborene fast rechtwinkelige Deviation der Nagelphalangen 
beider Daumen im Interphalangealgelenk nach der ulnaren Seite 
gesehen, ohne Drehung oder Luxation des abgewichenen Endgliedes, 
und ohne dass dadurch die Bewegungsfähigkeit im Gelenk beein¬ 
trächtigt worden wäre. Dabei konnte er wie Robert deutlich 
eine stärkere Entwickelung des radialen Theils des Capitulum der 
1. Phalanx und ein Hervortreten über den ulnaren Theil con¬ 
statiren. 

Diesen Fällen reihen sich als Analoga der Herzog'schen unsere 
beiden eignen Beobachtungen an, die mit diesem fast in allen Einzel¬ 
heiten übereinstimmen. 

Sahen wir vorher in den congenitalen Luxationen der Tibia 
eine den dorsalen und volaren Fingerdeviationen vergleichbare Ver¬ 
bildung, so bietet auch für die seitlichen Abweichungen der Pha¬ 
langen, bei denen, wie wir constatirten, die freie Beweglichkeit des 
Gelenks in keiner Weise leidet, eine AflFection des Kniegelenks, fast 
immer allerdings extrauterinen Ursprungs, das Genu valgum resp. varum 
ein passendes Vergleichsobject. Es wird sich daher empfehlen, für 
die vorliegende Fingeranomalie den Namen Digitus resp. Pollex 
valgus, und bei Abweichung nach der radialen Seite varus ein¬ 
zuführen. 

Was unseren eigenen Beobachtungen noch besonderes Interesse 
verleiht, ist das mehrfache Vorkommen der gleichen Ano¬ 
malie in derselben Familie sowie die Combination der Ver¬ 
bildung bei dem einen Träger derselben mit einem angeborenen 
Klumpfuss, wie ein solcher auch bei einem Vatersschwestersohn der 
Mutter aufgetreten war. Die ungezwungenste Erklärung für das 
Vorkommen der Missbildungen in den verschiedenen Seitenlinien gibt 


*) Cf. J. A. Fort, 1. c. 
0 1. c. 


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270 


G. Joachimsthal. 


wohl die Annahme, dass durch eine Alteration der Keimanlage von 
einem gemeinschaftlichen Vorfahren die Neigung zu derartigen Miss¬ 
bildungen vererbt worden ist. Man hat in der Aetiologie speciell 
des Klumpfusses dem Mangel an Fruchtwasser, infolge dessen sich 
die Uteruswand zu eng an den Fötus anschliesst, eine hervorragende 
Rolle zugeschrieben und, zumal nachdem es so hervorragenden For¬ 
schern wie Volkmann gelungen war, an der Haut des Klump¬ 
fusses Druckschwielen nachzuweisen, auf diesem Wege die Ent¬ 
stehung der meisten KlumpfÜsse genügend erklärt zu haben geglaubt. 
Gerade die Combination der Fussdeformität mit anderweitigen Ver¬ 
bildungen, deren Entstehung auf gleiche Weise nicht zu erklären 
ist, sollte uns daran erinnern, dass es gerade auf diesem Gebiete 
unseres Wissens gewisse dunkle Punkte gibt, die zu erklären uns 
vor der Hand unmöglich ist, und bei denen wir daher das Igno- 
ramus besser zugestehen, als dass wir nicht genügende Hypothesen 
verfechten. 

Was die Behandlung betrifft, so wurde bei dem Knaben der 
Klumpfuss von mir nach der Tenotomie der Achillessehne durch 
den Wolf fischen Etappenverband redressirt. Die aus cosmetischen 
Gründen vorgeschlagene Beseitigung der Deviationen der Daumen¬ 
endphalangen wurde mit Rücksicht auf die geringen Functionsstörungen 
abgelehnt. Herzog hat in seinem Fall rechts nach erfolgloser 
Durchschneiduiig des Ligamentum laterale auf der ulnaren Seite die 
schräge Resection des Capitulum der 1. Phalanx ausgeführt. Das 
Resultat dieses Eingriffes war aber nicht sehr befriedigend, denn 
einmal behielt die 2. Phalanx noch die Neigung, nach der Seite ab¬ 
zuweichen, ausserdem war die Bewegung im Interphalangealgelenk 
keine gute und der Gebrauch des Daumens mit Beschwerden ver¬ 
bunden. Aus diesen Gründen wurde links ein Keil aus der 1. Pha¬ 
lanx mit der Basis nach der radialen Seite zu herausgenommen und 
damit ein zufriedenstellendes Resultat erzielt. Mit Rücksicht auf 
die an andern Gelenken namentlich beim Genu valgum gemachten 
Erfahrungen ist an Stelle dieses Operationsverfahrens die Anwendung 
redressirender Verbände nach den Grundsätzen der „functionellen 
Orthopädie“ zu bevorzugen. Wir sahen oben, dass es bei einigem 


*) Wolff, Das Gesetz der Transformation der Knochen. Berlin 1892, 
S. 140. — G. Joachimsthal, Lineare oder keilförmige Osteotomie. Berl. 
klin. Wochenschr. 1892, Nr. 34 S. 849. 


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lieber angeborene seitliche Deviationen der Fingerphalangen. 271 


Kraftaufwand in unsern Fällen möglich ist, durch Fingerdruck die 
Deformität vorübergehend auszugleichen. Gelingt es nur durch einen 
Verband, diese normale Stellung dauernd innezuhalten, so erzeugt 
die Transformationskraft, d. i. die Kraft der Natur, welche die An¬ 
passung der äusseren Form und der inneren Architectur der Knochen 
an jedwede Abänderung der statischen Inanspruchnahme bewirkt, 
ganz von selbst, ohne jedes weitere Zuthun unsererseits, die normale 
Knochenform. 


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Referate 


Mit 4 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Bericht über die erste jährliche Yereinigangr der Italienischen ortho¬ 
pädischen Gesellschaft, gehalten zn Mailand Tom 20.—22. April 1892 *). 

Sitzung vom 20. April. 

Nota (Turin). Ueber die rationelle Behandlung der angeborenen 

Hüftgelenks-Luxation nach der Methode von Paci. 

Nota spricht über eine von ihm 1887 versuchte Modification der opera¬ 
tiven Methode von Margary, zum Zwecke der Erhaltung einer stärkeren 
Fixation des partiell resecirten Femurkopfes, und um eine allzugrosse Ver¬ 
kürzung des operirten Gliedes zu vermeiden. Die Operation von Nota, die 
in der Resection eines Stückes des Ligamentum rotundum, das, so lange es vor 
handen ist, gewöhnlich bedeutend verlängert ist, bestand, scheiterte an der 
Unfügsamkeit der kleinen Patientin. Nach dem Erscheinen der ersten Arbeit 
von Paci (1888) übte Nota die Methode dieses Autors in 12 Fällen aus, von 
denen 5 doppeltseitig und 7 einseitig waren; d. h. die Operation wurde von 
Paci 18mal ausgeführt, llmal mit gutem, Imal mit partiellem, 4mal mit 
negativem und 2nial mit zweifelhaftem Erfolg. 

Nota schliesst einige Betrachtungen an über die Ursachen, welche die 
Dauer der Reposition des Femurkopfes verringern können, oder sogar die 
Wiederkehr der Luxation oder Subluxation begünstigen, und über die Mittel, 
welche man anwenden muss, um diesen Unannehmlichkeiten abzuhelfen. 

Diese Ursachen beruhen entweder auf den anatomischen Verhältnissen 
der Gegend oder auf der mangelhaften Anwendung der Methode, sei es wäh¬ 
rend der Operation selbst, sei es während der folgenden Behandlung. 

*) Die Italien, orthopäd. Gesellschaft, welche am 20. December 1891 zu 
Mailand gegründet wurde, hatte beschlossen, ihre erste jährliche Versammlung 
im April des laufenden Jahres in Mailand abzuhalten, unter Ernennung des 
Professors A. Gamba zum Präsidenten, des Dr. Panzeri und Professors 
Bajardi zu Vicepräsidenten, des Dr. Bernacchi zum Secretär und Agustoni 
zum öconomischen Verwalter. Die Sitzungen, an denen zahlreiche Collegen 
theilnahmen, fanden statt in dem Institute per Rachitici unter dem Vorsitz des 
Dr. Panzeri. 


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Referate. 


273 


Die erste anatomische Ursache besteht in der Missgestaltung des Beckens 
(platt oder schräg), welches mit einer engen Pfannenhöhle, einem rudimentären 
Pfannenrande, einem fast vertical stehenden Darmbeinkamm behaftet ist. Durch 
diesen letzteren Umstand sieht man, wie der Femurkopf unter dem Einfluss der 
Muskelwirkung leichter nach oben schlüpfen kann, in die Fossa iliaca ext. 
Um diesem Uebelstand entgegenzuarbeiten, wendet man nach der Methode von 
Paci einen immobilisirenden Apparat und eine Gewichtsextension an, während 
der Patient zu Bett liegt. Sobald der Patient geht, bedient sich Nota eines 
Apparats, der aus zwei dreieckigen kopfförmigen Metallplatten besteht, die 
durch einen elastischen Zug mit einander verbunden sind und die grossen 
Trochanteren umschliessen. Die von Nota Operirten tragen diesen Apparat 
Jahre lang. 

Zugleich muss man eine starke Aussenrotation des Gliedes unterhalten. 
Auch die Neigung der Axe des Femurhalses, welche in den Fällen von ange¬ 
borener Luxation bis auf 90 ® sich verringern kann, muss berücksichtigt werden. 
Der Kopf, welcher sich unter den gleichen Verhältnissen befindet, könnte an 
seine alte Stelle gerückt werden, wenn man dies nicht durch starke Extension 
des Gliedes, das in dem immobilisirenden Apparat in Abduction gehalten wird, 
verhindert. 

Die Verkürzung der periarticulären Gewebe, besonders der Muskeln, 
wird während der Reduction selbst überwunden werden durch Zerreissungen in 
den Muskeln oder Sehnen. Um den Erfolg der Operation zu sichern, empfiehlt 
Nota, sehr vorsichtig bei der Reduction vorzugehen und eventuell zum zweiten- 
mal zu operiren, wenn der Erfolg kein vollständiger ist. 

Gewichtszug des Nachts, Corsetts, Krücken müssen lange Zeit angewendet 
werden, selbst wenn der endgültige Erfolg gesichert erscheint. Zu gleicher 
Zeit Massage, Elektricität, Douchen u. s. w. 

Zum Schluss berichtet Nota über einen Fall von einem 7jährigen Kind, 
wo in der ersten Zeit der Femurkopf während der Extension nach oben und 
hinten rückte, und er das Bein dann in Flexion, Abduction und Aussenrotation 
fixirte. Nach 23 Tagen vollendete er die Operation zunächst mit vorzüglichem 
Erfolge. 

Paci (Pisa) glaubt auch diese Ursachen, welche, allerdings in sehr 
seltenen Fällen, den Erfolg der Methode, deren 4 Zeiten mit grosser Vorsicht 
ausgeführt werden müssen, verhindern können. Er selbst hat in einem Falle 
eine Epiphysentrennung des Femurkopfes erlebt. Er glaubt, dass die Operation 
in 2 Zeiten, von Nota vorgeschlagen, in manchen Fällen von Nutzen sein 
könnte, und will dieselbe versuchen. 

Panzeri (Mailand) ist nicht ganz überzeugt von der Wirksamkeit dieser 
Operation, aus physiopathologischen Gründen und auch aus eigener Erfahrung. 
Er glaubt, dass es manchmal möglich sein wird, einen augenblicklichen Erfolg 
eher als mit der Extension zu erzielen, aber er glaubt nicht, dass man den 
nach unten und vom verlegten Femurkopf dort wird fixiren können, weil er 
daselbst die Bedingungen nicht erfüllt sieht, die zur Bildung einer Nearthrose 
nothwendig sind, d. h. ein starkes Trauma, Riss der Gewebe und die Bewegungen 
im Gelenk, die das Glied braucht. Jedoch nach dem, was Nota und Paci 


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274 


Referate. 


berichtet haben, wird er diese Methode eingehender würdigen, obgleich die 
geringe Erfahrung, die er bis jetzt darüber hat, nicht ermuthigend ist. 

Nota fügt hinzu, dass er Fälle hat, die seit 2 Jahren operirt sind, wo 
das Resultat stets gut ist, doch tragen seine Operirten einen Apparat und sie 
gehen mit dem Bein in starker Aussenrotation. Was die Nearthrose anbetrifft, 
so glaubt er, dass während der Reduction im Acetabulum und in dem peri- 
articulären Gewebe Einrisse und vielleicht auch intra-articuläre Ergüsse ent¬ 
stehen. 

J* a c i sagt dasselbe aus. Nach seiner Meinung stellt sich die Nearthrose 
stets früher oder später ein. Man kann die Neai-throsenbildung nach der Art 
von Lannelongue unterstützen, jedoch glaubt er, zum Theil infolge seiner 
experimentellen Arbeiten, zum Theil nach der Untersuchung seiner zahlreichen 
operirten Fälle, dass seine Methode, energisch angewandt und mit aufmerksamer 
Nachbehandlung, vollständig genügt. Einige seiner Fälle zeigen noch nach 
mehreren Jahren vorzügliche Resultate. 

Panzeri glaubt immer noch, dass nur die Muskeln gedehnt oder auch 
zerrissen würden und nicht die Gelenkkapsel. 

Bajardi (Florenz) macht aufmerksam auf die grosse Rolle, die bei der 
Nearthrosenbildung die Bew’egung des luxirten Endes spielt, was in den Fällen 
von congenitaler Luxation, die nach der Methode von Paci behandelt wird, 
vernachlässigt wird. 

Paci betont den bei seiner Methode entstehenden peri- und endo-arti- 
culären Reiz. Er fügt hinzu, dass, abgesehen von dem, was man während der 
Reduction und um sich dieselbe zu sichern, macht, er den Operirten (im Bett, 
3 Monate) erlaubt, sich zu setzen und frei zu bewegen. Augenblicklich wendet 
er seine Methode bei einem Kranken des Instituts an (Luxatio iliaca anterior). 

G. Rossi (Mailand). Ueber die Einathmung von comprimirter 

Luft bei der Behandlung der Skoliose. 

Nach einigen Worten über die Aetiologie und pathologische Anatomie 
der Skoliose spricht Rossi über die Behandlung im allgemeinen und im be¬ 
sonderen über die Methoden der vertebralen Detorsion, wie sie von Hoffa und 
Lorenz vorgeschlagen sind. Kein Autor, sagt er, dachte daran, direct auf 
die Seitenwand von innen nach aussen einzuwirken. Wenn man die Gelenk¬ 
verbindungen der Rippen mit den Wirbeln und die physiologische Function 
derselben und der Thoraxwand während der Respirationsbewegungen prüft, 
wird man verstehen, mit welcher Kraft man auf die Wirbelsäule und vor allem 
auf ihre Rotation einwirken kann. Wenn man bei der seitlichen Compression 
die Beweglichkeit der einen Thoraxwand verhindert und w^ährend der Suspension 
den Druck auf die Wirbelsäule ausschaltet, so wirkt die dilatatorische Kraft 
des Thorax während der forcirten Inspirationen energisch auf die costo-verte- 
bralen Gelenkverbindungen und auf die Querfortsätze der anderen Seite und 
die Rotationsbewegung der Rippen selbst wird einen starken directen Druck 
auf die erwähnten Fortsätze und somit eine Rotation der Wirbel bewirken. 
Rossi lässt die Skoliosenkranken während der Suspension langsame und tiefe 
.\thembewegimgen mit einem Apparat von Waldenburg machen. 


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Referate. 


275 


D. Giordano (Bologna), lieber einen veralteten Fall von Luxation 
der Cartilago semilunaris mit Gelenkmaus. 

Giornani hat die Ansicht der Autoren über die Aetiologie der beweg¬ 
lichen Gelenkkörper und über die Luxation der Cartilagines semilunares ge¬ 
prüft. Er stützt sich auf die Ansicht von Marsh und Riedel, dass die 
beweglichen traumatischen Körper sich primär bilden können. Er erwähnt die 
Literatur über die Luxation der Cartilagines seniilunares; bemerkt, dass manch¬ 
mal die Diagnose unsicher sein kann dadurch, dass der Riss oder die Los¬ 
trennung eines Meniscus Veranlassung zu einem beweglichen Körper geben 
kann. Die einzig rationelle Behandlung ist die operative mit Entfernung des 
beweglichen Körpers oder des Meniscus, oder auch mit Naht des Meniscus. 

Zum Schluss berichtet er über einen eigenen Fall, wo eine traumatische 
Luxation eines Meniscus complicirt war mit Abreissung eines Stückes des¬ 
selben; — Abtragung des freien Körpers und Naht des grössten Theiles des 
Meniscus; — Heilung. 

Bernacchi (Mailand). Beitrag zur Casuistik der congenitalen 
Deformitäten der Extremitäten. 

Bernacchi berichtet über die Beobachtungen von 10 Jahren, die in 
dem alnstituto de Rachitici“ und in der orthopädischen Abtheilung der Poli¬ 
klinik zu Mailand gemacht worden sind. 

Panzeri. Unter 1917 Fällen von congenitalen Gliederdeforraitäten 
waren 66 primäre Deformitäten, 1851 intrauterine. Unter den ersteren war 
47mal die obere Extremität, 19mal die untere betheiligt. Unter den secundären 
Deformitäten befanden sich: 2 congenitale Luxationen des Radius, 4 der Hand, 
1039 des Femur, 1 der Kniescheibe; 4 manus valgae, 2varae; 812 Klumpfüsse, 
von denen 320 varo-equinus, 212 planus-valgus, 86 varus, 61 talo-valgus, 
2 equinus, 51 Variationen von varo*valgus, valgo-equinus u. s. w. 

Bernacchi lässt eine eingehende Beschreibung von mehreren seltenen 
Fällen folgen (s. ,Betti** du Congres, welche nächstens erscheinen werden); be¬ 
tont die Häufigkeit der congenitalen Hüftgelenkluxationen: 1039 Fälle, von 
denen 172 männliche und 867 weibliche, u. s. w. 

Pugliesi (Lodi). Seltener Fall von congenitaler Anomalie der 
Extremitäten. 

Es handelt sich um einen von jenen Fällen, die in der Perotologie unter 
dem Namen Perodactylie (Otto, Curveilhier, Meniere) beschrieben sind, 
und welcher die Deformität nicht nur an den Füssen, sondern auch an den 
Händen und zwar ganz symmetrisch zeigte. 

Sitzung vom 21. April. 

Panzeri (Mailand). Ueber die operative Behandlung der Hüft¬ 
gelenkslux ati on. 

Panzeri stellt einige von ihm operirte Fälle vor. In einem der Fälle 
handelte es sich um eine doppelte schwere, sehr schmerzhafte Luxation; die 


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Referate. 


einfache Operation nach Margary ergab ein befriedigendes Resultat. Die 
Operirte ist mit festen Gelenkverbindungen und ausgedehnter Bewegungsfahig- 
keit versehen. — In einem anderen sehr schweren Falle übte Panzeri die 
osteoplastische Resection des oberen Femurendes aus, d. h. des Kopfes, des 
Halses und des grossen Trochanter; adaptirte das neue Femurende dem Ace- 
tabulum. Gutes Resultat. 

Panzeri erkennt an, dass man bei Erwachsenen selbst nach Resection 
grosser Knochentheile nur schwer das Femurende zurückhalten kann infolge 
der Verkürzung der Muskeln und des periarticulären Gewebes. 

Oliva glaubt nicht, dass man sie für gewöhnlich nach der Methode 
von Margary operiren soll, weil dabei das Hinken bleibt. Bei einem Jungen 
von 14 Jahren eröffnete er 1888 das Hüftgelenk, resecirte die Kapsel und re- 
ponirte mit Sorgfalt den Kopf, indem er ihn mit einer Metallnaht zu &dren 
suchte; aber die Luxation kehrte wieder, als man das Bein extendirte. Darauf 
resecirte er den Kopf. Seitdem glaubt er, dass man im wesentlichen den 
Widerstand der weichen Gewebe überwinden muss und acceptirte die Methode 
von Hoffa, welche er bei einem jungen Mädchen von 13 Jahren, das eine sehr 
schwere Luxation darbot, ausübte. 

Diese Methode hält Oliva, wenn sie auf das kindliche Alter beschränkt 
wird, für die rationellste und praktischste. 

Er kann noch nicht Schltisafolgerungen aus den Fällen ziehen, die er 
nach der Methode von Paci operirt hat. A priori glaubt er nicht, dass diese 
Methode gute Resultate geben wird, besonders nicht in alten Fällen. Jedoch 
da sie unschädlich und leicht ist, würde er rathen, sie bei Kindern zu ver¬ 
suchen, um dann, wenn sie misslingen sollte, die operative Behandlung nach- 
folgen zu lassen. 

Im Januar 1892 führte er von neuem die Operation nach Hoffa bei 
einem 12jährigen Mädchen aus. Die Luxation war nicht sehr schwer; die Re¬ 
position gelang nach Resection der Knorpelschicht des Kopfes. Das Resultat 
ist noch kein definitves, 

Panzeri fasst die Discussion in den folgenden allgemeinen Sätzen zu¬ 
sammen : 

In der ei*sten Periode (bis zum 3. Jahre) muss man die Operation von 
Paci und seine nachfolgende Behandlung versuchen. Von 3 — 12 — 14 Jahren 
müsste man zur Operation nach Hoffa rathen. In den veralteten Fällen sind 
die Operationen im allgemeinen wenig günstig, besonders in den einseitigen 
Fällen; dagegen kann man in den doppelseitigen noch gute Resultate durch 
die Resection des Femurkopfes und durch die osteoplastischen Resectionen 
erzielen. 

Schliesslich schlägt Panzeri vor, als Tagesordnung für die 2. jährliche 
Versammlung noch zu setzen „die operative Behandlung der congenitalen 
Hüftgelenksluxation, im besonderen nach der Methode von Paci“. 

Zuffi (Mailand). Ueber die Indicationen und über die Technik 

des „Redressement force“. 

Zuffi berichtet über zahlreiche Fälle, die in dem „Institute per Rachitici* 
in Mailand operirt sind, besonders über die Indication zu dieser Operation in 


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Referate. 


277 


den Fällen von „Genu valgum Adolescentium'^ und ihre vorzüglichen Resultate. 
Er lässt einen Fall von doppelseitigem Redressement bei einem Knaben von 
17 Jahren folgen. 

Oliva (Turin). Ueber die blutigen Operationen, ausgeführt im „In¬ 
stitute per Rachitici“ zu Turin, zur Correction der rhachi- 

tischen Deformitäten der unteren Extremitäten. 

Es handelt sich um 239 Osteotomien, von denen 138 am Femur (19 dia- 
physäre und 119 supracondylome), 81 an der Tibia, 10 an der Tibia und Fibula 
ausgeführt worden sind. Auf 98 rhachitische Kranke kommen 43 männliche 
und 55 weibliche; mittleres Alter 8 Jahre. 

Die Fälle sind im besonderen: 110 genu valgum, 49 genu varum, 27mal 
Verkrümmungen der Tibia, lOmal des Femur. 

Einige sehr schwere Fälle werden von Oliva eingehend beschrieben. 

Einigemal incidirte er bei der Osteotomia supracondylica die Weichtheile 
an der Aussenseite. In einem schweren Fall von doppeltem Genu varum 
führte er die keilförmige Osteotomie der Fibula und die lineare der Tibia aus. 
Er wendet nach der Operation entweder einen Gipsverband an, oder eine 
Schiene nach Mac Ewen, oder eine permanente Gewichtsextension. 

Bei Kindern nach der Operation von Mac Ewen zieht er den Apparat 
des Letzteren vor, welcher eine vollständige Correction in einer Sitzung ge¬ 
stattet. Jedoch ist die Form des Schenkels eine bessere nach der Application 
der Gewichte, welche Methode Oliva bei den Erwachsenen und schweren Fällen 
an wendet, die nach Mac Ewen operirt sind. Er extendirt 18—20 Tage, um 
dann die Osteotomie der Tibia und einen immobilisirenden Apparat folgen zu 
lassen. Im allgemeinen sind hierbei die Resultate vorzüglich. 

Motta (Turin) glaubt auch, dass die Gestalt des Femur nach der Ge¬ 
wichtsextension eine bessere sei. 

Bajardi (Florenz) berichtet über seine Resultate in der Behandlung des 
Genu valgum, des Genu varum, der Diaphysenverkrümmungen und des deformen 
Callus, d. h. über 23 Osteotoiniae supracondyl. des Femur, 12 lineare und 
19 keilförmige der Tibia, 22 Osteoclasien und 7 lineare Osteotomien der Fibula, 
3 manuelle Osteoclasien und 1 Osteotomia linearis diaphys. des Femur, 7 Ostco- 
clasien, von denen 6 manuelle, am Femur wegen Callus deform. 

Panzeri übt seit 1879 nach der Osteotomie des Femur die Gewichts¬ 
extension aus, die man indess genau überwachen muss. Er hat immer die 
typische Incision nach Mac Ewen ausgeführt; manchmal hatte er vorüber¬ 
gehende Peroneuslähmung. Er operirt selten ganz junge Kinder und hat nur 
äusserst selten nach voraufgehender Osteotomie der Tibia auch die der Fibula 
folgen lassen. 

Oliva glaubt, dass die Osteotomie der Fibula nur in ganz besonderen 
Fällen auszuführen sei und dann nur nach einem bestimmten Alter. 

Motta fügt hinzu, dass er gute Resultate, besonders bei Kindern, nach 
der Methode des „Etappenverbandes“ von Wolff gehabt hat. 

Oliva, von Secchi befragt, gibt an, dass er, trotz seiner Abneigung 
gegen diese Methode, doch 70—80 „Redressements forces“ gemacht hat, und 


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278 


Referate. 


zwar bei Genu valgum von Kindern unter 6 Jahren und ohne Diaphjsen- 
verkrümmungen. 

Er fügt eine interessante Studie über die Rhachitis in Turin hinzu. Von 
1887—1891 untersuchte er 902 rhachitische Kranke, von denen ungefähr 421 
noch krank waren. Er hat ein häufigeres Vorkommen der Rhachitis zu gewissen 
Jahreszeiten nach der Topographie der Rhachitis in Turin nachweisen können. 
Seine Beobachtungen sind durch topograpliische Tabellen und durch klinische 
Curven illustrirt. 

Panzeri schlägt vor, indem er sich lobend über die Arbeit von Oliva 
ausspricht, in der 2. jährlichen Versammlung die Topographie der Rhachitis in 
den italienischen Städten, wo Mitglieder der Gesellschaft wohnen, zu behandeln. 

Bajardi. Beitrag zum Studium (klinisch und anatomisch) der an¬ 
geborenen Gliederdeformitäten, welche in dem pedriatischen 
Institut zu Florenz beobachtet sind. 

Beschreibung von 5 Fällen von schweren congenitalen Gliederdeformitäteu. 
(Ausführlich veröffentlicht in dem Bericht des Congresses.) 

Panzeri, Motta, Nota, Oliva fügen einige Worte hinzu über 
einige seltene Fälle von congenitalen Deformitäten, die sie beobachtet haben. 

Rota (Bergamo). Ueber die Osteotomia Instrumentalis mit dem 
Apparat von Robin. 

Rota berichtet über seine 50 Fälle. Betont die vollständige Narkose 
und räth dazu, die Compression des Gliedes zu wiederholen, wenn ein erster 
Versuch des Hebels misslingen sollte. Nach der Operation Gewichtsextension. 
Das Alter der Patienten und die vordere epiphysäre Krümmung des Femur sind 
Contraindicationen für die Operation, die 2. durch die Unregelmässigkeit di^ 
Stützpunktes. 

Rota hat nie grössere Ecchymosen, auch nicht in den Fällen bis zu 
24 Jahren, gehabt. 

Motta (Turin). Bericht über die chi rurgi sch-orthopädische Ab¬ 
theilung der allgemeinen Poliklinik zu Turin. 

Motta berichtet über 1394 Fälle, beobachtet während 34 Monaten, von 
denen 1284 rein orthopädisch sind. Er tlieilt sie ein in: llö Fälle von Rhachitis. 
7 Deformitäten des Rumpfes, der Lippen, der Ohrmuschel u. s. w.; 33 Caput 
obstipiim; 194 Kyphosen, von denen 163 tuberculös und 31 rhachitisch: 18 runde 
Schultern!, von denen 1 rhachitisch, 1 neuralgisch, 1 syphilitisch; 68 Sko¬ 
liosen; 9 Hühnerbrust!; 45 Gelenkdeformitäten infolge von allgemeinen 
Gelenkerkrankuiigen; 11 Deformitäten der oberen Extremität; 5 Deformitäten 
der Hand; 1 überzähliger Finger; 112 congenitale Hüftgelenksluxationen; 
6 andere Luxationen; 200 Genu valgum et varum; 49 rhachytische Diaphysen- 
verkrümmungen; 3 deformer Callus; 42 Deformitäten beruhend auf Störungen 
des Nervensystems; 161 Klumpfüsse; 62 Plattfüsse; 15 Hallux valgiis und Klauen¬ 
stellung; 21 Fälle, w'O die Diagnose unbestimmt war. 

Nach einigen allgemeinen Bemerkungen spricht Motta über die vor- 


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Referate. 


279 


genommenen Curen, speciell beim Caput obstipum, bei der Kyphose (Lorenz, 
Hoffa, Beely), congenitalen Hüftgelenksluxation, rhachitischen Deformitäten 
der unteren Extremitäten u. s. w. 

Die in der Poliklinik ausgeführten Operationen betrugen 211, von denen 
19 nach Phelps, 27 nach Paci, 5 Arthrodesen, 1 orthopädische Ellenbogen- 
resection, 29 lineare Osteotomien, 44 Operationen nach Lorenz (pes. plan.) 
u. 8. w. 

Nach Bemerkungen von Secchi, Bernacchi und Panzeri wird 
Motta beauftragt, in der nächsten jährlichen Versammlung der Gesellschaft 
über die moderne Behandlung der Skoliose zu referiren. 


Sitzung vom 22. April. 

Sala (Mailand), lieber die keilförmige Osteotomie nach Volkmann 

bei der Behandlung der Ankylosen der Hüfte. 

Beschreibt die directen bekannten operativen Methoden. Sala spricht 
im besonderen über die keilfönnige Osteotomia subtrochanterica, über die 
M e i s 8 e 1 resection! und über die Osteotomia linearis obliqua der Femurdiaphyse. 
Er stellt einige vorzügliche Resultate vor, die nach dieser Weise von Panzeri 
operirt worden sind. 

Oliva bemerkt, dass die tuberculösen Ankylosen der Hüfte selten 
knöcherne sind, so dass man nach der Methode von Lorenz gute Resultate 
erzielen kann. Bei ärmeren Kranken zieht er die Osteotomia subtrochanterica, 
bei reichen die Meisselresection mit ihrer nachfolgenden langen Nachbehandlung 
vor. In den Fällen von doppelseitiger Ankylose erkennt er, je nachdem sie zu¬ 
gestanden wird, die Nützlichkeit der Osteotomie auf der einen und der Re¬ 
section auf der anderen Seite an. 

Panzeri betont die A^orzüge der Osteotomia subtrochanterica in den 
Fällen von wirklicher knöcherner Ankylose. 

Oliva berührt beiläufig die Frage des Zeitpunktes, wo man, nach 
Heilung der ursprünglichen Krankheit, einschreiten soll oder kann, und bemerkt, 
dass die Wahl der Operation abhängt von der Stellung des Gliedes. 

Panzeri glaubt, obgleich es schwierig ist, allgemeine Grundsätze in 
Bezug auf den operativen Eingriff bei tuberculösen Ankylosen festzusetzen, dass 
man zunächst eine gründliche Untersuchung des Patienten in Chloroformnarkose 
vornehmen und, wenn es gelingt, das Redressement force machen sollte. Wenn 
die fibrösen Gewebe dies nicht gestatten, so ist die Methode von Lorenz am 
Platze. Sollte die Krankheit noch nicht gänzlich ausgeheilt sein, so muss man 
abwarten. Ist die Ankylose knöchern, so ist die Meisselresection vorzu¬ 
nehmen. 

Secchi fasst in Bezug auf den Eingriff die Gelenkerkrankung und die 
nachfolgende Deformität ins Auge. Ist die Erkrankung, für gewöhnlich tuber- 
culös, acut, — radicaler Eingriff mit nachfolgender orthopädischer Behandlung. 
In den Fällen von traumatischer Deformität oder wenn dieselbe auf puerperalen 
Störungen beruht, ist ein möglichst frühzeitiger Eingriff angezeigt. 


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280 


Referate. 


Porta (Mailand). Besonderheiten in der Behandlung der Spon¬ 
dylitis. 

Porta zeigt, dass die Behandlung der Spondylitis nur dann rationell 
ist und befriedigende Resultate ergibt, wenn sie sich gründet auf die verschie¬ 
denen Störungen an den Knochen, Ligamenten, Meningen und am Rückenmark 
selbst während der einzelnen Perioden der Krankheit. Er lässt einen kritischen 
Ueberblick über die verschiedenen Behandlungsmethoden folgen, indem er ver¬ 
sucht, die Bettruhe, die Gewichtsextension, das Corsett und die chirurgischen 
Eingriffe auf bestimmte Indicationen zurückzuführen. 

Zum Schluss beschreibt er die orthopädische Behandlung während der 
Periode der Wiederherstellung, ihre Indicationen, ihre Dauer u. s. w. 

Agustoni (Mailand). Die Massage in der Orthopädie. 

Agustoni specificirt den physiologischen Act der Massage und schliesst 
daraus auf die allgemeinen, therapeutischen Indicationen, besonders in Bezug 
auf die praktische Orthopädie, d. h. auf die congenitalen und rhachitischen De¬ 
formitäten, auf die Abweichungen des Rückgrates, auf die Gelenksteifigkeiten, 
auf die Contracturen, Pseudoarthrosen, deformen Gallus u. s. w. 

Brunelli (Mailand). Die verschiedenen operativen Behandlungen 

des Klumpfusses. 

Kritische Beschreibung der verschiedenen Behandlungs- und Operations¬ 
methoden, wie sie heute im allgemeinen und im speciellen im ,Institutezu 
Mailand ausgeübt werden, mit Einschluss der in Narkose nach Lorenz aus¬ 
geführten Operationen des Pes planus. Vorstellung von Abbildungen von nach 
Phelps Operiiien mit befriedigenden Resultaten. 

Beschreibung eines Schuhes für Plattfüsse, wie er im Institute ge¬ 
braucht wird. 

Motta bemerkt, dass er vorzügliche Resultate auch functionell zunächst 
von den nach Phelps Operirten gehabt hat, ebenfalls mit dem ,Etappen¬ 
verband“ nach Wolff, selbst in sehr schwierigen Fällen. 

Oliva berichtet die Operationen nach Poncet und Bayer (1891 und 
1892) und sagt in Bezug auf die operative Behandlung des Pes equinus para- 
lyticus, dass er manchmal zum Zwecke der Verlängerung der verkürzten 
Achillessehne im Zickzack incidirt hat, indem er darauf die Immobilisation in 
nicht vollständige Correction folgen lässt. 

Er hat auch die Operation nach Gibney wegen Talipes ausgeführt, mit 
sehr gutem augenblicklichem Resultat. Der definitive Erfolg ist ihm unbekannt. 

Zum Schluss berichtet Oliva über einen Fall von Naht des 
durch eine alte Fractur getrennten Olecranons und über einen 
Fall von Resection am Sprunggelenk wegen Pes valgus trau- 
maticus (keilförmige Resection des Gelenkendes der Tibia und Osteotomia 
linearis supramalleolaris der Fibula). 


Die Sitzungen sind zu Ende. 

Die 2. Versammlung wird zu Turin stattfinden: Gamba, Ehrenpräsident. 


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Referate. 


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Panzeri, Präsident. Oliva und Nota, Vicepräsidenten. Motta, Secretär 
und Agustino, ökonomischer Verwalter. Motta. 

Neuere Arbeiten Uber die Steilschrift. 

Referent: Georg Burckhard-Würzburg. 

A) Alois Jos. Ruckert, Die Steilschrift des deutschen und lateinischen Alpha¬ 
betes und der ZiÖern. Würzburg, Staudinger 1892. 142 S. 

Verf. erwähnt in der Einleitung die verschiedenen Schädlichkeiten, die 
das Schreiben überhaupt auf den sich entwickelnden Organismus der Kinder 
auBübt, sowie die in Würzburg über diesen Punkt gemachten Untersuchungen 
und deren Resultate. Diese Schädlichkeiten werden gemindert durch Einführung 
der Steilschrifb, da bei dieser die Körperhaltung unwillkürlich eine bessere ist 
als bei der Schrägschrift. Gleichzeitig gibt Verf. einen neuen Lehrgang zur 
Erlernung der Steilschrift an, speciell zur Erlernung derselben im Uebergang 
von der Schrägschrift. Sodann stellt er Regeln auf über Lage des Heftes, über 
Pult und Sitze, über Arm-, Rumpf, Kopf-, Hand- und Federhaltung, sowie über 
Gröjäse der Buchstaben und das Verhältniss der einzelnen Theile derselben 
unter einander. Ferner spricht er eingehend über Schnellschreibübungen und 
Taktschreibübungen und deren Werth. Daran schliessen sich Bemerkungen über 
Vorübungen an für die einzelnen Buchstabentheile. 

Im zweiten Theile (S. 51—129) gibt Verf. eine detailirte Beschreibung 
über Theorie und Praxis beim Lehren und Erlernen der einzelnen Buchstaben 
(die Anordnung der Buchstaben ist dabei die, dass mit den einfachen begonnen 
wird, und dann die anderen, je nach dem Grade der Schwierigkeit, folgen, und 
zwar sowohl für das deutsche als auch das lateinische Alphabet), sowie eine 
kurze Anleitung zum Gebrauche der von ihm angegebenen „Lemhefte für die 
Steilschrift“. 

Zum Schluss erwähnt Verf. noch zwei von ihm erfundene Schreibgeräthe. 

Das erste ist ein sog. „Buchhalter“. Derselbe hat den Zweck, das Ab¬ 
schreiben aus einem neben dem Schüler liegenden Buch oder einer Vorlage 
zu vermeiden; denn dadurch, dass der Schüler beim Abschreiben den Kopf und 
in Folge des.sen auch den Körper nach links dreht, leidet nicht nur die gute 
Körperhaltung, sondern werden auch die Augen angestrengt. Die Benützung 
des Buchhalters erfolgt in der Weise, dass derselbe vor dem Schüler an der 
Bank befestigt und das Buch hineingeklemmt wird; nun steht er so vor dem 
Schreibenden, dass ein einziger Augenaufschlag genügt, um die Vorlage zu er¬ 
blicken. 

Das andere Schreibegeräth, an dem auch der Buchhalter angebracht 
werden kann, ist ein „Schreibebrett“. Bei der Construction desselben ging Verf. 
von dem Gedanken aus, dass alles Schreiben auf einer horizontalen Fläche ver¬ 
werflich sei. Deshalb ist das Schreibebrett so construirt, dass es auf den Tisch 
gestellt in einem Winkel von 5—30® geneigt werden kann. Ein grosser Vor¬ 
zug dieses Apparates ist, dass man ihn, sobald er nicht mehr benutzt wird, 
Zusammenlegen kann und seine Aufbewahrung keine Schwierigkeit macht. 

Der Zweck beider Apparate ist nach des Verf. eigener Angabe der, „die 


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282 


Referate. 


Steilschrift zu unterstützen, die Sehkraft zu unterhalten resp. zu schonen, sowie 
die Schüler vor Rückgratsverkrümmungen zu schützen.“ 

Ich habe mich durch persönliche Anschauung von dem praktischen Nutzen 
dieser beiden Apparate überzeugt und kann dieselben sowohl für den Schul¬ 
gebrauch als auch für das Haus mit bestem Gewissen empfehlen; der Preis 
derselben ist ein sehr massiger. 

B) E. Bayr, Steile Lateinschrift. 3. Aufl. Wien, Richter, 1892. 175 S. 

Verf., der speciell für die steile Lateinschrift eintritt, gibt nach einem 
genauen und ausführlichen Verzeichniss aller von 1853 an über die Frage der 
Steilschrift erschienenen Abhandlungen 1. eine Zusammenstellung der Ansichten 
verschiedener Ophthalmologen und Orthopäden über die Schädlichkeiten der 
durch die Schrägschrift herbeigeführten schlechten Körperhaltung und die zur 
Minderung dieser Schädlichkeiten gemachten Vorschläge und Gutachten der 
verschiedenen Aerzte. 

2. Berichte von Lehrern und Lehrerinnen Wiener Schulen über die mit 
Einführung der Steilschrift erzielten Erfolge und über den von ihnen beob¬ 
achteten Nutzen derselben. 

3. Beschlüsse und Verfügungen einzelner Regierungen uud Commissionen 
betreffs Einführung der Steilschrift, sowie auch die Gutachten und ürtheile ver¬ 
schiedener Zeitungen. 

Er stellt dann selbst genaue Regeln auf über Körperhaltung und Heft¬ 
lage bei der Steilschrift und tritt zum Schluss warm ein für die allgemeine 
Verbreitung der lateinischen Schrift, im Gegensatz zur deutschen. 

Ein Anhang enthält Schriftproben von Steilschrift Schreibenden und Vor¬ 
lagen für die Steilschrift, sowie Photographien schräg und steil schreibender 
Schulkinder. 

C) Die vom ärztlichen Bezirksverein München zur Prüfung des Einflusses der 

Steil- und Schiefschrift gewählte Commission kommt nach ihrem in Nr. 28 

der Münchener medicinischen Wochenschrift veröfientlichten Bericht auf 

Grund von Messungsergebnissen zu folgenden, die Steilschrift begünstigen¬ 
den, Resultaten: 

1. Bei Steilschrift sitzen weniger Schüler augenfällig schief als bei Schräg¬ 
schrift (Verhältniss 5:7); absolut gerade sitzen bei Steilschrift gegen Schräg¬ 
schrift 25,4^0 gegeii 11,4 7« • 

2. Bei der Steilschrift zeigt die 2. Classe eine erheblich bessere Körper¬ 
haltung als die 1.; bei der Schrägschrift tritt diese Besserung in der Körper¬ 
haltung in den höheren Classen nicht ein. 

3. Bei der Steilschrift zeigen nicht nur beträchtlich mehr Schüler gerade 
Kopfhaltung, als bei Schrägschrift, nämlich 3mal so viel, sondern es ist auch 
die Neigung des Kopfes zur Seite eine beträchtlich geringere als bei Schräg¬ 
schrift (Verhältniss 8:13). Schiefe Kopfhaltung bedingt aber in gleichem 
Verhältniss Vorwärtsneigung des Kopfes und damit Annäherung des Auges an 
die Schrift. 

4. Bei der Schrägschrift beträgt die Entfernung zwischen Auge und Schrift 
bezw. Federspitze durchschnittlich 5,6 cm weniger als bei Steilschrift. 


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Referate. 


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5. Die durch ihr gegenseitiges Verhalten besonders ungünstigen Körper- 
und Kopfstellungen werden vorwiegend bei der Schrägschrift getroflPen. 

Die Untersuchungen sollen noch weiter fortgesetzt werden. 


C. Hasse, Die Ungleichheiten der beiden Hälften des menschlichen Beckens. 

(Aus der anatomischen Anstalt zu Breslau.) Archiv für Anatomie und 

Physiologie. Anatomische Abtheilung 1891. 

C. Hasse, Spolia anatomica. (Aus der anatomischen Anstalt zu Breslau.) 

Archiv für Anatomie und Physiologie. Anatomische Abtheilung 1891. 

Hasse hat schon früher (die Formen des menschlichen Körpers und die 
Formveränderungen bei der Athmung. Jena 1888 — 1890) die Ungleichheiten 
der beiden Körperhälften beschrieben und nachgewiesen, dass dieselben in be¬ 
stimmter Beziehung zu dem seitlichen Ausweichen der Wirbelsäule stehen. Er 
weist auf die Künstler hin, welche theilweise diese Ungleichheiten schon längst 
l^ekannt haben und verurtheilt diejenigen Anatomen, welche den Satz aufstellen, 
dass beide Hälften des Körpers gleich gebaut seien, besonders wenn sie das in 
einem für Künstler bestimmten Werke thun. 

Die Ungleichheiten sind nur bei dem erwachsenen Menschen klar und 
deutlich, lassen sich dagegen bei Kindern und Thieren nicht nachweisen. Ihre 
Ursache ist unbekannt. 

Hasse citirt Isen flamm und Rosenmüller, die schon im Jahre 
1800 ausgesprochen haben, dass „die Ungleichheiten und Unregelmässigkeiten 
der Beckenhöhle ebenso individuell sind, wie die der Himschalenhöhle.“ In 
der späteren Literatur finden sich zwar öfters Bemerkungen über verkommende 
Ungleichheiten der beiden Beckenhälften, jedoch sind sie vereinzelt und unzu¬ 
sammenhängend (s. das Original). 

Zur Prüfung der Verhältnisse wählte Hasse das Becken eines wohl- 
g-ebauten 42jährigen Mannes. 

An der unversehrten Leiche wurde in Bauchlage eine mässige Abweichung 
der Wirbelsäule nach rechts constatirt. In der Rückenlage das relative Tiefer¬ 
stehen und das stärkere Vorragen der Spin. ant. super, des Darmbeins. 

Hasse schliesst daraus, dass auch intra vitam im aufrechten Stehen die 
rechte Spina um ebenso viel nach vom über die linke heiTorgeragt haben würde 
und erwähnt, dass auch weitere Untersuchungen (bei Lebenden oder bei Todten? 
der Ref.) gezeigt, dass bei Menschen mit normaler rechtsseitiger Krümmung 
der Wirbelsäule die rechte Körperhälfte weiter vorsteht als die linke. 

Behufs weiterer Untersuchung wurde das Becken sorgfältig unter Scho¬ 
nung der Bänder herausgeschnitten und in einem eigens hiezu construirten 
Apparat aufgehängt und zwar unter Berücksichtigung der zuerst gefundenen 
Stellungsveränderungen an den Spinae. Ueber die genaue Einstellung in Be¬ 
ziehung auf die Beckenneigung spricht sich Hasse nicht aus. Es folgen nun 
3 photographische Aufnahmen, von vorn, von rechts und von links, welche mit 
aller wünschbaren Vorsicht und mit Zuhilfenahme eines Messgitters vollzogen 
wurden. Der Fixationsapparat gestattete eine genaue Drehung des Objects um 
je 90®. An den sehr schönen Abbildungen, welche in der Hälfte der natür- 
Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. II. Band. |9 


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284 


Referate. 


liehen Grösse hergestellt sind, lassen sich nun eine Reihe von Asymmetrien fest¬ 
stellen. Besonders auffällig ist in der Ansicht von vorne die Verbreitemng 
des vorderen Kreuzbeinflügels, der Höherstand der linken Darmbeinschaufel und 
die Verlängerung der linken Beckenhälfte, wenn man als Maass eine Linie vom 
linken Sitzhöcker zum obersten Punkte der Darmbeinschaufel annimmt. 

Hasse gibt ferner an, dass, je geringer der Unterschied in dem Stande 
der beiden Darmbeinstacheln, desto geringer der Grad der normalen Skoliose 
sei. Aus der Stellung der Querfortsätze der unteren Lendenwirbel und der 
Stellung und Gestalt des Kreuzbeins schliesst Hasse auf eine Rechtsneigung 
der Wirbelsäule, welche einen tieferen Stand der rechten Beckenbälfte zur Folge 
hat, der sich aber in den oberen Theilen derselben mehr wie in den unteren 
geltend macht. Auch die rechte Hüflpfanne steht tiefer. Die Beckenachse ist 
in ihrem oberen Theile stärker nach aufwärts links und hinten gekrümmt, wie 
im unteren. 

An der Wirbelsäule erkennt man (soweit sie sich eben überblicken lässt 
vom 4. Lendenwirbel an!) eine Drehung, so dass die rechte Hälfte nach vom 
vorgeschoben ist. Aber auch das Becken ist im selben Sinne nach links ge¬ 
dreht. Dabei ist der linke Beckenknochen schlanker, höher, der rechte ge¬ 
drungener, die Schaufel etwas übergeneigt, breiter. Die rechte Beckenbälfte 
ist weiter wie die linke. 

In den Spolia anatomica beschreibt Hasse die Eigenthümlichkeiten eines 
weiblichen Beckens. 

Hier fand Verf. umgekehrte Verhältnisse. Die linke Spina ilei ragte vor 
und stand tiefer. Die Wirbelsäule war nach links abgewichen. 

Hasse stellt nun folgende Sätze auf: 

,Die Ungleichheiten der beiden Beckenhälften lassen sich auf 3 Erschei¬ 
nungen zurückführen: 

1. Die Seitwärtsneigung der Wirbelsäule (Skoliose). 

2. Die Drehung der Wirbelsäule um die Längsachse (Spiraldrehung). 

3. Das Ueberwiegen der rechten Hälfte an Masse. 

Bei der Seitwäiisneigung der Wirbelsäule nach rechts ist die Lenden¬ 
wirbelsäule nach links gedreht, umgekehrt dagegen nach rechts, wenn die 
Wirbelsäule seitliche Neigung nach links zeigt. 

In welchem Sinne auch immer die Wirbelsäule seitwärts geneigt und ge¬ 
dreht ist, in der Regel überwiegt die rechte Beckenhälfte an Masse und Aus¬ 
dehnung. 

Welche Ursache, oder welche Ursachen diese allmählich im Laufe der 
körperlichen Entwickelung nach der Geburt des Menschen zu Tage tretenden 
Grunderscheinungen haben, ist unbekannt.“ 

In dem vorliegenden Falle nun führte nach Hasse die Linksneigung der 
Wirbelsäule und Becken zu ähnlichen Veränderungen in der Stellung, Lage und 
Grösse der Beckenschaufeln im umgekehrten Sinne wie im erst beschriebenen 
Falle. Dagegen wahrt die trotzdem vorhandene stärkere Entwickelung der 
rechten Beckenhälfte dem Becken gewisse Eigenschaften, die auch bei dem 
männlichen Becken vorhanden waren. 

Uebergehend zu der Aetiologie der Skoliosen, ei*wähnt H a s s e am Schlüsse 


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Referate. 


285 


seiner Arbeit, dass die habituelle Skoliose stets mit einer Drehung der Wirbel¬ 
säule im entgegengesetzten Sinne verknüpft hat, wie das bei der physiologischen 
Skoliose der Fall sei. „Je stärker die Seitwärtsneigung, desto stärker 
dabei die Drehung.“ 

Hierzu seien dem Referenten einige Bemerkungen gestattet: Es ist in 
der Arbeit von Hasse anfänglich gesprochen von einer Abweichung der Wirbel¬ 
säule nach rechts und später von einer physiologischen Skoliose nach rechts. 
Dabei ist ohne Zweifel die Convexität der Wirbelsäule nach rechts gerichtet im 
oberen Theil. Später spricht Verf. von einer Rechts n e i g u n g der Wirbelsäule 
und von der damit verknüpften Linksdrehung. Umgekehrt bei dem zweiten 
Falle, dem weiblichen Becken. 

Nun ist aber bei Rechtsneigung die Convexität nicht nach rechts, sondern 
sehr wahrscheinlich nach links gerichtet und es kann durch den Gebrauch dieser 
beiden Ausdrücke ein Missverständniss nicht entstehen. Die von Hasse be¬ 
schriebene Drehung der Wirbelsäule: bei Rechtsneigung nach links, bei Links¬ 
neigung nach rechts ist also eine im orthopädischen Sinne widersinnige 
Drehung, wenn man Rechtsneigung als Skoliose nach rechts auffassen würde. 
Gewöhnlich findet die Drehung im Sinne der Convexität statt, d. h. bei Aus¬ 
biegung der Wirbelsäule nach rechts ebenfalls nach rechts. Jedoch ist anzu¬ 
nehmen, dass bei der Neigung nach einer Seite eine Convexität nach der anderen 
entstehe und damit die von Hasse beschriebene auch bei Skoliose im gleichen 
Sinne beobachtete Drehung, wenn auch diese sich bei den wohlbekannten Seit¬ 
wärtsneigungen nur im unteren Theile der Wirbelsäule geltend macht. Die 
imponirenden Seitenabweichungen müssen in den beiden Fällen höher oben ge¬ 
legene Gegenkrüramungen gewesen sein. In diesem Falle stimmen die Beob¬ 
achtungen Hasse’s vollständig mit bisherigen Beobachtungen überein und wir 
zweifeln nicht daran, dass der Begriff Neigung in diesem Falle streng auf¬ 
zufassen sei, dagegen nicht mit Ausbiegung nach . . . übersetzt werden dürfe. 

Selbstverständlich haben die vorliegenden Untersuchungen Hasse’s für 
(len Orthopäden ein ungemeines Interesse und werden bei Beurtheilung besonders 
der tief gelegenen Skoliosen und Totalskoliosen zu berücksichtigen sein. 

In Bezug auf die Aufstellung der beiden Becken im Sinne der Becken¬ 
neigung möchte Referent nun die letzteren als zu stark gewählt bezeichnen 
und hofft in nächster Zeit Gelegenheit zu haben, nach Messungen am Lebenden 
den Beweis dafür zu erbringen. Es erscheint ferner etwas fraglich, ob man 
die auf einem ebenen Tisch an der Leiche gefundenen Stellwagen direct auf 
den Lebenden übertragen dürfe. Wilhelm Schulthess-Zürich. 

Lorenz, Operative Therapie der angeborenen Hüftverrenkung. (Centralblatt 

für Chirurgie 1892, Nr. .31.) 

Lorenz hat einen Fall von angeborener doppelseitiger Hüftluxation 
(Tjähriges Mädchen) nach der Methode von Hoffa operirt; hatte dabei aber 
sehr grosse Schwierigkeiten, den Kopf nach abwärts zu ziehen und in die 
Pfanne zu bringen; der Wnndverlauf war ungünstig und schliesslich trat Re- 
cidiv ein. 

Lorenz war nach dieser Erfahrung überzeugt, dass die pelviotrochanteren 
Muskeln nicht das Haupthinderniss der Reduction seien. Die weitere Unter- 


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Referate. 


Buchung von Kindern mit angeborener Hüftluxation ergab auch, da^s die am 
Tuber iscbii inserirenden Muskeln (Semimembr., Semitend., Biceps fern ); ferner 
die Adductoren und die von der Spina entspringenden Muskeln (Sartor., Tensor 
fasciae, Rectus) bei Zug in der Längsrichtung wie scharf gespannte Saiten sich 
anfühlten, während die Gesässmuskeln auch bei stärkstem Zug schlaflP blieben. 
Damit stimmt die Ueberlegung überein, dass wenn der Kopf in die Höhe rückt, 
sich die Muskeln am meisten verkürzen müssen, deren Insertionspunkte sich 
einander nähern; also diejenigen Muskeln, welche der Längsrichtung des Femurs 
parallel gehen; je grösser der Winkel ist, den ein Muskel mit der Achse des 
Femur macht, um so geringer ist seine Verkürzung; bei rechtem Winkel muss 
sogar eine Verlängerung stattfinden (Quadratus femoris); ebenso ist es der Fall 
beim Ileopsoas, beim Pyriformis, Obturator intern. Gemelli, Obturator extern. 

Lorenz entwarf daher folgenden Operationsplan: Das Wesen der Ope¬ 
ration besteht darin, dass der Kopf der Pfanne gegenüber gestellt wird (Re- 
duction), bevor die Pfanne gebildet und der Kopf reponirt wird. Die Roduction 
soll durch theils subcutane, theils offene Myotomien der Tuber-, Spinamuskeln 
und der Adductoren in der Gegend ihrer oberen Insertion ermöglicht werden: 
die pelviotrochanteren Muskeln sollten intact bleiben; das Gelenk wird von 
vorne eröffnet, um von hier aus Pfannenbildung und Reposition vorzunehmen. 

4 Fälle wurden so operirt (darunter ein ISjähriges Mädchen); in einem 
Falle (5j übriges Mädchen) gelang die Reposition ohne Eröffnung des Gelenks. 
Lorenz würde darin, wenn dies auch sonst bei kleinen Kindern gelingt, eine 
wesentliche Vereinfachung der Operation erblicken. 

Müll er-Stuttgart. 

Karewski, Die operative Behandlung der angeborenen und anderer Hüft¬ 
gelenks Verrenkungen. (Centralblatt für Chirurgie 1892, Nr. 36.) 

Karewski sieht die Ursache für die Unmöglichkeit, eine angeborene 
Hüftluxation zu reponiren, weder in der Verkürzung der pelviotrochanteren 
(Hoffa), noch in der der Spina- und Tubermuskeln (Lorenz), sondern in 
der Missgestalt der Gelenkpfanne und des Gelenkkopfes. Dass die Muskeln 
nicht die Ursache sind, sieht Karewski durch den Umstand bewiesen, dass 
es wenigstens bei jüngeren Kindern möglich ist, durch Zug am Bein die Ver¬ 
kürzung auszugleichen, also Pfanne und Kopf einander gegenüberzustellen; bei 
längerem Bestehen tritt allerdings Schrumpfung der der Schenkelachse parallel 
verlaufenden Muskeln ein, so dass sich Karewski in zwei Fällen genöthigt 
sah, die betreffenden Muskeln zu durchschneiden. — Karewski fand in keinem 
Falle von angeborener Verrenkung eine auch nur annähernd normale Pfanne; 
der Schenkelkopf war auch pathologisch gestaltet, so dass wohl die Gelenk¬ 
enden einander gegenübergestellt werden konnten, aber kein Ineinandergreifen 
der Theile sich erzielen liess. 

Die Pfanne war nur als eine flache Dalle angedeutet: der Limbus carti- 
lagineus spannte sich als festes Band platt aus und beschränkte den ohnehin 
engen Raum noch mehr. — Der Schenkelkopf hatte eine kegelförmige Gestalt 
und setzt sich rechtwinklig an den Schenkelhals an. — Die Gelenkkapsel war 
nach oben von der Pfanne abnorm ausgedehnt, der untere Theil abnorm fest. 


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Referate. 


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Die Pfanne musste daher bei der Operation für die Aufnahme des Kopfes 
mit Hohlnieisseln erweitert werden. Zweckmässig war dabei, den Limbus car- 
tilagineus einzuschneiden und ihn dadurch für die Aufnahme des Kopfes zu 
entfalten; er umfasst dann den letzteren so, dass er einen Widerstand gegen 
das Hinaufrücken desselben bildet. Genügte dieser Schutz nicht, so wurde 
durch Einschlagen von Nägeln in den Pfannenrand für 6—8 Tage ein künst¬ 
licher Wall geschaffen. 

Der Operation ist eine Extensionsbehandlung vorauszuschicken; in einem 
Falle von angeborener Luxation, wo jene nicht genügte, um den Kopf der 
Pfanne gegenüberzustellen, durchschnitt K a r e w s k i die Muskeln. 

Karewski hat auf diese Weise 5 Fälle von angeborener Hüftluxation 
operirt; ein Fall war doppelseitig, die anderen einseitig; in allen Fällen blieb 
der Kopf zunächst an seiner Stelle: der Gang wurde gebessert; die gleiche 
Länge der Beine wurde nie erreicht wegen des Fehlens des Halses und der 
rechtwinkligen Stellung des Kopfes zum Schaft. — Das spätere Resultat war 
um so besser, je länger die orthopädische Nachbehandlung dauerte. 

In 2 Fällen, wo nur 3 Monate lang Apparate getragen wurden, rutschte 
der Schenkel wieder in die Höhe; in 2 jetzt noch lebenden Fällen, die zweck¬ 
mässig nachbehandelt wurden, ist der Gang fast wie bei Gesunden. 

Karewski hat, bevor er die angeborenen Luxationen in Angriff nahm, 
Fälle von pathologischer Luxation operirt; es sind jetzt im ganzen 9. Die 
8 paralytischen Luxationen waren sämmtlich Luxatio infra pubica; bei allen 
gelang die Reposition; alle erhielten frei bewegliche Gelenke und bei keinem 
trat ein Recidiv ein; bei der Luxatio infra pubica wirkt nach der Reposition 
der Gehact dem Entstehen eines Recidivs entgegen. 

Als Ergebniss seiner Beobachtungen betrachtet Karewski, dass die 
blutige Reposition des verrenkten Schenkelknochens, sei es aus welcher Ursache 
die Luxation entstand, immer da berechtigt ist, wo andere Massnahmen nicht 
zura Ziele führen. Müller- Stuttgart. 

Hoffa, Zur operativen Behandlung der angeborenen Hüftgelenksverrenkung. 

(Centralblatt für Cliirurgie 1892, Nr. 45.) 

Hoffa wendet sich gegen die beiden vorstehenden Arbeiten. — Lorenz 
gegenüber betont er, dass er die Schrumpfung der Längsmusculatur durchaus 
nicht übersehen habe; er mache im Gegentheil in seinem Lehrbuch der ortho- 
jiädischen Chirurgie ausdrücklich darauf aufmerksam; bei kleinen Kindern ge¬ 
linge es, durch allmähliche Dehnung die Weichtheile zu verlängeren, bei älteren 
werde die Spannung besser durch Tenotomie in der Kniekehle beseitigt; ebenso 
müssen bei älteren Individuen die Fascia lata und die von der Spina herab¬ 
ziehenden Muskeln durchtrennt werden; ob offen oder subcutan ist Geschmacks¬ 
sache ; Hoffa zieht vor, zu sehen, was er durchschneidet. 

Die Reposition ohne Eröffnung des Gelenks vorzunehmen, wie Lorenz 
vorschlägt, hat Hoffa an mehreren Kindern früher versucht, aber ohne 
Erfolg. 

Karewski gegenüber weist Hoffa den Vorwurf zurück, als ob er die 
Veränderungen des Skelets zu wenig berücksichtigt habe; er verweist auf 


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Referate. 


seine früheren Publicationen, in denen er die betreflFenden pathologischen Ver¬ 
änderungen und die Bildung der neuen Pfanne ausführlich beschreibt. 

Durch die beiden Arbeiten von Lorenz und Karewski sieht sich 
Hoffa nicht veranlasst, von seiner Methode, die er jetzt 24mal ausgeführt 
hat, und deren Resultate er später dem Chirurgencongress vorführen will, ab¬ 
zuweichen. 

Hoffa betont nochmals, dass möglichst fiühzeitig operirt werden solle. 

Müller- Stuttgart. 

H. Eisenhart, Beiträge zur Aetiologie der puerperalen Osteomalacie. Deutsch. 

Archiv f. klin. Medicin 1892, Bd. XI, IX S. 156. 

Ebenso wie Fehling, gelangt auch Eisenhart dazu, als Grundleiden 
bei der Osteomalacie einen pathologischen Zustand der Ovarien anzunehmen. 
Als Art dieser Anomalie nimmt Eisenhart mit Rücksicht auf die grosse Fer¬ 
tilität Osteomalacischer (auch nach Ausbruch der Krankheit, auf das häufigere 
Vorkommen von Zwillingsschwangerschaften, auf diesbezügliche, wiederholte Be¬ 
funde an exstirpirten Ovarien, auf die aus dem Einfluss der ovariellen Thätig- 
keit [Follikelwachsthum] auf die Blutvertheilung im kleinen Becken resultirende 
Hyperämie in demselben u. a. m.) eine pathologisch erhöhte Thätigkeit der 
Eierstöcke, eine Hyperproductivität derselben an. Diese das physiologische 
Maass überschreitende Functionirung der Ovarien hat selbstverständlich eine 
beträchtliche Steigerung des physiologischen Efiects derselben zur Folge: einen 
an Extensität und Dauer ausserordentlich vermehrten Zufluss von Blut zu den 
Weichtheilen und den Knochen des Beckens. 

Die zweite Thatsache, die sich aus Eisenhartes Untersuchungen ergibt, 
ist: dass die Osteomalacie mit einer Blutalteration verbunden ist, welche (neben 
einer Verminderung des Hämoglobingehalts) in einer Abnahme der Alkalescenz 
desselben besteht. Das so vei-änderte Blut vermag dann lösend auf die Kalk¬ 
salze des Knochens einzuwirken und theils durch seine chemische Reaction, 
theils durch die Schnelligkeit seiner Strömung und die grosse Ausbreitung seiner 
Angrifisfläche die bekannten Veränderungen zunächst am Becken hervorzu¬ 
bringen. G. Joachimsthal-Berlin. 

Rudolf Volkmann, Ueber die Regeneration des quergestreiften Muskelgewebes 

beim Menschen und Säugethier. Beiträge zur pathologischen Anatomie 

von Ziegler. Bd. XII. 

Bei dem grossen Interesse, das die im Titel angegebene Frage für den 
Orthopäden besitzt, der ja die offene Muskeldurchschneidung so oft auszuführen 
Gelegenheit hat, dürfte es angezeigt erscheinen, die Resultate mitzutheilen, die 
R. Volk mann bei einer ausgezeichneten experimentellen Untersuchung ge¬ 
wonnen hat. 

Die Regeneration des quergestreiften Muskelgewebes geht immer von den 
Kernen der alten Fasern aus. Die Neubildung der jungen Elemente kann in 
oder ohne directen Zusammenhang mit den alten Fasern vor sich gehen. Geht 
die Regeneration ohne directen Zusammenhang vor sich, so gleicht die Rege¬ 
neration im allgemeinen dem embryonalen Typ^s der Muskelfaserbildung. 


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Referate. 


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Findet sie im Zusammenhang mit der alten Muskelfaser statt, so entspricht sie 
dem seit Neumann als Knospenbildung bezeichneten Vorgang. In beiden 
Fällen stellt ausnahmslos die Wucherung der Muskelkeme und des diese Kerne 
umgebenden Protoplasmas den Anfang des Regenerationsprocesses dar, während 
die Bildung von Muskelknospen durch directes Auswachsen der contractilen 
Substanz nicht nachzuweisen ist. Deshalb bilden aber die beiden Arten der 
Muskelwiederbildung keine Gegensätze, sondern sie sind nur verschiedene Er¬ 
scheinungsformen desselben Princips. Beide können auch gleichzeitig neben¬ 
einander Vorkommen imd ausserdem gibt es üebergangsformen zwischen beiden, 
ln allen neugebildeten Elementen ist frühzeitig in dem Protoplasma eine feine 
fibrilläre Streifung erkennbar, während die Querstreifung in der Regel sehr viel 
später deutlich zum Vorschein kommt. 

Die Muskelregeneration nach dem embryonalen Typus findet sich haupt¬ 
sächlich nach solchen Schädigungen, welche vorzugsweise die contractile Sub¬ 
stanz getroffen haben z. B. nach Erfrierungen. Die Muskelregeneration nach 
I)urchschneidungen der Muskeln kommt dagegen vorzugsweise auf dem Wege 
der Knospenbildung zu Stande. 

Transplantirte Muskelstücke bleiben niemals lebensfähig, sondern sterben 
ausnahmslos sofort ab und werden später resorbirt. An ihre Stelle tritt eine 
Narbe, die, wie jede andere Muskelnarbe partielle Muscularisation zeigt. 

Prachtvolle Photogramme und Zeichnungen erläutern den Text, dessen 
Studium grosse Anregung gewährt. Hoffa-Würzburg. 

Hans Virchow, Demonstration des Muskelmannes Maul.... S.-A. aus der 

Berliner klin. Wochenschrift 1892, Nr. 28. 

Virchow hebt bei der Demonstration in erster Linie hervor, dass der 
Demonstrii-te einige Anomalien darbietet, hauptsächlich eine erhebliche Ver¬ 
kürzung des rechten Beins, durch eine früher erlittene Fractur, mit consecutiver 
Skoliose, die durch Ausgleichung der Verkürzung fast verschwindet. Die un¬ 
gewöhnliche Muskelentwickelung soll in diesem Falle ererbt (Vater, Grossvater, 
Urgrossvater) sein. Besonders stark ist Thorax-, Schulter- und Armmusculatur. 
Eine Untersuchung der Kraft einzelner Muskeln hat Virchow nicht versucht, 
weil er dieselbe der synergischen Thätigkeit anderer Muskeln wegen als zu 
schwierig hält. 

In Bezug auf synergische Thätigkeit hat Virchow beobachtet, dass der 
Mann beim Emporstemmen einer Last den Oberkörper zurückbringt, er leitet 
davon die Entstehung der relativ starken Lordose her. 

Ferner: Bei belastetem Arm bleibt die Scapula während der Senkung 
des Arms, wenn die horizontale Haltung nahezu erreich ist, mit dem Oberarm 
fixirt, bis zur vollständigen Senkung in senkrechte Ruhelage. Erst dann kehrt 
die hierdurch während der Senkung rückwärts und medianwärts verlagerte 
Scapula zu ihrer Ruhelage zurück. Virchow sucht die Bedeutung dieser 
(nicht nur hier, sondern auch bei anderen Menschen zu beobachtenden Ref.) 
Erscheinung darin, dass der Arm durch die Fixation am Abgleiten an der 
Pfanne verhindert werde. Dieses Abgleiten könne jedoch besonders leicht bei 
horizontaler Armhaltung stattfinden. 


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/ 


Referate. 


Die starke Muskelentwickelung hindert theilweise die Beweglichkeit, 
dass z. B. der teres major das Anlegen des Arms an den Rumpf unmöglich 
macht. 

Zum Studium der Anatomie am Lebenden eignen sich besonder der 
Rücken und das Ellenbogengelenk. 

Der Mittheilung ist eine mit dem Virchow’schen Rückenzeichner aul¬ 
genommene Rückenkurve beigegeben. Vortragender erwähnte bei der Demon¬ 
stration die unverhältnissmässig starke Lendenlordose. Nach der Rücken¬ 
kurve zu urtheilen würde man jedoch in erster Linie die Brustkyphose 
ungemein übertrieben finden, in weit höherem Grade als die Lendenlordose.. 
Der unterste Theil der Curve steht verhältnissmässig steil, was auf eine relativ 
geringe Beckenneigung schliessen lässt. Zur Erklärung der starken Rücklage¬ 
rung der oberen Lenden- und unteren Brustwirbelsäule könnte auch die Bein¬ 
verkürzung rechts beigezogen werden, üebrigens gibt es Athleten mit absolut 
flachem Verlauf der Armfortsatzlinie, wie sich Ref. in einem Falle überzeugen 
konnte. Wilhelm Schulthess-Zürich, 


Leopold Ewer, Einige Bemerkungen über den chronischen Muskelrheuma¬ 
tismus. Berliner Klinik, October 1892, Heft 52. 

Ewer gibt einen kurzen historischen üeberblick der Anschauungen, die 
man zu den verschiedenen Zeiten über das Wesen des Muskelrheumatismus ge¬ 
habt hat, und stellt dabei fest, dass vom zweiten Drittel dieses Jahrhunderts 
an das Interesse, das die Aerzte vordem dieser Affection in hohem Grade zu¬ 
gewandt hatten, erheblich nachgelassen hat. 

Indessen kann auch er selbst — was Definition und Aetiologie der Krank¬ 
heit anbetrifft — dem Altbekannten nichts Neues hinzufügen. • 

Ewer versteht unter Rheumatismus «alle schmerzhaften Afifectionen der 
Muskeln und der dazu gehörigen Sehnen, welche durch Erkältung oder durch 
nicht zu ergründende Ursachen, die man in die Atmosphäre verlegt, entstan¬ 
den sind“. 

Neben der allgemeinen Erkältungsiirsache stellt er noch als ätiologische 
Momente hin: fortgesetzten Druck auf ein und dieselbe Stelle des Muskels 
(als Beispiel: der Knopf eines üniformmantels während eines Feldzuges), ferner 
Uebernnstrengung einzelner Muskeln oder Muskelgruppen; die Ermüdungsproducte 
üben nach E w'e r’s Ansicht, falls sie nicht genügend früh durch die abführende 
öefässe fortgeschaflft werden, einen derartigen Reiz auf die Gewebe aus, dass 
eine chronische Entzündung entsteht. 

Vor allem glaubt der Verfasser für die rechtzeitige Diagnose ein wich¬ 
tiges Merkmal gefunden zu haben. Er behauptet nämlich, dass Jahre bevor, ehe 
der Patient von den eigentlichen rheumatischen Schmerzen befallen wird, der 
exact untersuchende Arzt objectiv durch die Palpation Veränderungen im Muskel, 
,Geschwülste“ oder «Geschwulstbildungen“, wie er sie nennt, nachw^eisen und 
damit die Frühdiagnose auf chronischen Rheumatismus stellen kann. Dafür, dass 
die betreffende Person von ihrem Krankheitszustand jetzt noch nichts empfindet, 
weiss Ewer folgende Erklärung zu geben: Durch die sich beim Rheumatismus 
?m Innern des Muskels oder im Perimysium externum abspielende Entzündung 


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Referate. 


291 


findet eine Wucherung des interstitiellen Bindegewebes oder des Perimysium 
externum statt, die sich als kleine erbsen- und linsengrosse Knötchen durch die 
Palpation feststellen lässt. Diese Knötchen wachsen allmählich an Zahl und 
Grösse auf Kosten des arbeitsfähigen Muskels weiter, ohne vorläufig spontan 
Schmerz zu verursachen (der Schmerz entsteht durch Druck auf die sensiblen 
Neiwenendigungen); bei Druck auf dieselben hat indessen der Patient schon 
das Gefühl des Schmerzes. So spüren die Kranken die ersten Jahre überhaupt 
den Druckschmerz, den die Geschwülste auf die Nervenendigungen ausüben, 
nicht, da infolge der geringen Zahl oder Kleinheit der Geschwülste die Nerven¬ 
endigungen in dem weichen und nachgiebigen Muskelgewebe Raum genug 
finden, dem Druck auszuweichen. Nehmen aber mit der Zeit die Anschw'ellungen 
an Zahl und Grösse zu, oder tritt ein Umstand ein, der zeitweilig dasselbe 
bewirkt, dehnen sie sich nämlich durch Aufnahme von Feuchtigkeit aus (aus 
der Luft oder aus dem Blut, die sich dem Gewebe mitgetheilt hat?) und hat 
dabei der Muskel durch Abnahme seiner elastischen Fasern schon au Nach¬ 
giebigkeit verloren, so ist kein Raum zum Ausweichen für die Nervenendigungen 
mehr vorhanden, und der Druck auf dieselben kommt dem Patienten als 
Schmerz zum Bewusstsein durch die von Zeit zu Zeit sich einstellende Aus¬ 
dehnung der ,Geschwülste“; durch Aufnahme von Feuchtigkeit erklärt Ewer 
zugleich das attaquenmässige Auftreten der rheumatischen Schmerzen. Ferner 
sieht er in der Abnahme der elastischen Muskelfasern durch Wucherung des 
interstitiellen Bindegewebes die herabgesetzte Arbeitsfähigkeit der erkrankten 
Muskeln erklärt. Zum Schluss glaubt Ewer noch auf seine besondere ünter- 
suchungsmethode erkrankter Muskel aufmerksam machen zu müssen. 

In der Behandlung mittelst Massage und Heilgymnastik bringt der Verf. 
nichts Neues, da bekanntlich seit Jahren alle Mechanotherapeuten gerade den 
Muskelrheumatisinus als für ganz besonders zugänglich für diese Behandlungs¬ 
methode halten. Auch die gleichzeitige Empfehlung heisser Bäder mit oder 
ohne Zusatz ist allgemein bekannt. Benedix-Berlin. 

P. Redard, Resultats eloignes de la eure des Absces froids par les injections 

d’huile Jodolbrm^e. Gazette raedicale de Paris, 20. Aug. 1892. 

Redard empfiehlt nach seinen Erfahrungen sehr die Jodoforminjections- 
behandlung der kalten Abscesse. Von 30 bedeutenden, kalten Abscessen, von 
denen 20 ,d’origine osseusse“ waren (12 bei Spondylitis), hat er durch die Jodo- 
formölinjection 28 völlig geheilt, 2mal Besserung erzielt. Injicirt wird unter 
allen aseptischen Cautelen eine sterilisirte Jodoformöllösuug (1 :101), nachdem die 
Abscesshöhle punktirt und dann mit einer Lösung von Naphthol ^ 10,0, Aqu. 
destill. q. s. u. s. 100,0, 90®/o Alkohol 5,0, solange ausgewaschen worden ist, 
bis der ablaufenden Waschflüssigkeit kein Eiter mehr beigemischt ist. Nach¬ 
theile hat Redard von dieser Behandlung nie gesehen. Hoffa-Würzburg. 

Georg Engler, Stuttgart. Fabrication des Arm- und Bruststärkers, Patent 

Largiader. 

Wir nehmen gern die Gelegenheit wahr, den Largiad^r’schen Arm- und 
Bruststärker an dieser Stelle den Collegen zu em23fehlen, nachdem wir ihn 
durch Jahre hindurch an unserer Klinik mit Erfolg verwendet haben. 

H 0 f f a - W ürzburg. 


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292 


Referate. 


Rosenfeld, lieber portative Holzverbände. Münch, med. Woch. 1892. 

Rosenfeld schildert ausführlich die Technik der portativen Holzver¬ 
bände (vorzügliche Holzbinden zu denselben liefert der Tischler Slawitiaski. 
Wien, N. Wassergasse 13) und theilt mit, dass er mit Erfolg versucht hat die 
Hülsen zu Schienenhülsenapparaten auch aus Holz darzustellen. 

H 0 f f a -W ürzburg. 

0. Joachiinsthal, Lineare oder keilförmige Osteotomie. Berlin, klin. Wochen¬ 
schrift 1892, Nr. 34. 

Joachimsthal spricht sich für die absolute Durchführung der linearen 
Osteotomie bei rhachitischen Verkrümmungen aus, speciell bei denjenigen des 
Unterschenkels, und verwirft gänzlich die keilförmige Osteotomie, welcher er 
eine wohl etwas überschätzte Gebräuchlichkeit supponirt. Die Vortheile lägen 
in der einfachen Ausführung der Operation, sowie in dem Umstande, dass 
die lineare Osteotomie das verkrümmte Glied um ein Beträchtliches verlängert, 
während die keilfömiige dasselbe verkürzt. Zur Stütze der principiellen Bedeutung 
und Vorzüglichkeit der bisher »rein empirisch“ ausgeführten linearen Osteotomie 
führt Joachimsthal des Weiteren das Wolffsche Transformationsgesetz an, 
indem er mit Wolff annimmt, dfiss man nicht direct die Form des Knochens 
abzuändern hat, sondern zunächst nur die Function, und damit erst indirect 
die sich stets der Function von selbst anpassende Form. 

Ob man nun sich diesem Princip anschliesst oder nicht, jedenfalls ver¬ 
dient JoachimsthaTs Vorschlag, die lineare Osteotomie zu bevorzugen, volle 
Zustimmung. Rosenfel d-Nümberg. 

B. Sachs, New-York, Die Hirnlähmungen der Kinder. Samml. klin. Vorträge 
V. Volkmann. Nr. 46 u. 47. Neue Folge. Leipzig 1892. 

Unter dem Namen „infantile Himlähmung* beschreibt Sachs ein genau 
charakterisirtes, bis jetzt jedoch nicht genügend studirtes Krankheitsbild, 
welches wegen seiner Folgezustände für den Orthopäden von grosser Wichtig¬ 
keit und Interesse ist. Die Häufigkeit dieser „infantilen Himlähmung* ist keine 
geringe. Sachs selbst verfügt über 225 Fälle, Tornsend fand in dem 
Krankenmaterial des Hospital for Ruptured and Crippled in einem Jahre 
91 Fälle infantiler Hirulähmung neben 142 Fällen infantiler Spinallähmung. 

Aetiologisch theilt Sachs die Himlähmung in drei Gruppen: 1. in die 
vor der Geburt entstandene; 2. Lähmung infolge von Geburtstraumen; 3. acute 
oder acquirirte Lähmungen. Das Krankheitsbild gestaltet sich bei allen dreien 
klar und einheitlich: Bei Kindeim im zartesten Alter, von der Geburt an bis 
zum 10. Lebensjahr, aber meist in den ersten Lebensjahren tritt eine spastische 
Lähmung auf, welche sich am häufigsten als Hemiplegie entwickelt, sehr oft 
aber auch als doppelte Hemiplegie (Diplegie) oder Paraplegie auftritt. Diese 
Lähmungsformen fallen sofort durch die mehr oder weniger ausgeprägte Rigidität 
der gelähmten Muskeln auf, durch die Neigung zu Contracturen und durch die 
Erhöhung sämmtliclier Reflexe. Als Begleiterscheinungen finden sich Bewegungs¬ 
störungen aller Art, ataktische, athetoide und choreatische, vor allem aber ist 
die Epilepsie ein fast constantes Symptom. Sensibilitätsstörungen fehlen ganz 


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Referate. 


293 


oder sind nur sehr schwach, die elektrischen Reactionen sind meist völlig 
normal. Am auffälligsten unter allen Symptomen sind die nach der Lähmung 
sich einstellenden Contracturen. Dieselben sind in 75®/o aller Fälle vorhanden, 
und in 95^0 intrauterin entstandenen und congenitalen Lähmungen. Der 
Grad der Contractur ist ein ausserordentlich schwankender. Am stärksten sind 
gewöhnlich befallen die Flexoren und Pronatoren des Armes, die Flexoren am 
Schenkel und am Bein. Bei Diplegie und Paraplegie hndet man noch ausser¬ 
dem sehr häufig eine Contractur der Schenkeladductoren. Bei diesen beiden 
Formen sind die Beine im Kniegelenk stark gebeugt und fest aneinander¬ 
gepresst, der Fuss steht in Equinus- oder Equinovarusstellung. Ist die obere 
Extremität betheiligt, so steht der Arm dem Rumpf fest anliegend, im Ellbogen 
flectirt, die Hand ebenfalls in Beugestellung, die Finger fest eingedrückt. 

Im Gegensatz zur spinalen Kinderlähmung, wo die Atrophie der gelähmten 
Theile in den Vordergrund tritt, spielt sie bei der cerebralen nur eine unter¬ 
geordnete Rolle. Allerdings erleiden auch hier die gelähmten Theile eine gewisse 
Atrophie, namentlich bei Di- und Paraplegie, doch nie im ausgedehnten Maasse. 

Pathologisch-anatomisch spielen verschiedene Processe eine Rolle: Poren- 
cephalie, meningeale Hämorrhagien, Embolie, Thrombose. Dagegen steht nach 
Ansicht von Sachs die von Strümpell angenommene Poliencephalitis 
noch in Frage, da noch keine sicheren klinischen Beweise vorliegen. 

In der Therapie der infantilen Himlähmung fällt dem Orthopäden eine 
umfangreiche Aufgabe in der Behandlung der Contracturen und Bewegungs¬ 
störungen zu und hat Sachs von weitgehenden Tenotomien in Verbindung mit 
gut redressirenden Apparaten, selbst in verzweifelten Fällen, gute Erfolge ge¬ 
sehen. Namentlich rühmt er den Nutzen einer von Gibney construirten Eisen¬ 
hand zur Ruhigstellung bei athetoiden Bewegungen. Rosen fei d-Nürnberg. 

R. W. Lovett, The surgical aspect of the paralysis of new-bom children. Bost. 

Med. and Surg. Joum. 7. July 1892. 

Lovett weist auf eine, noch wenig gekannte, Lähmungsform neugeborener 
Kinder hin, welche infolge eines Traumas bei der Geburt häufiger zu ent¬ 
stehen scheint. Die Lähmung betriflPt den Arm, ist manchmal mit Facialis- 
lähmung combinirt, und ist hervorgerufen durch Verletzung des Plexus brachialis, 
durch zu starken Zug am Kopfe bei Zangengeburten, kommt aber auch manch¬ 
mal bei spontanen Geburten vor, bei welchen durch den Geburtsmechanismus 
ein starker Druck oder Zug auf den Plexus brachialis ein wirkt. Der Arm der 
Kinder hängt vollkommen schlaff herunter und sind gar keine Bewegungen des¬ 
selben zu beobachten. Das Leiden verschwindet manchmal von selbst, meist 
bleibt eine dauernde Lähmung zurück, wie Lovett an der Hand von 10 be¬ 
obachteten Fällen beweist. Therapeutisch ist neben der fortgesetzten Anwendung 
von Elektricität eine Bandage nach Velpeau zu empfehlen. 

Rosenfeld - Nürnberg. 

Charles Roersch, Contribution ä Tetude de Tarthrodese. Revue de Chirurgie 

1892, Nr. 6. 

Roersch bezeichnet, entgegen der bisher üblichen Nomenclatur, mit dem 
Namen der Arthrodese jegliche Gelenksoperation, die den Zweck verfolgt, eine 


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Referate. 


knöcherne Ankylose zu erzielen, gleichgültig, ob dieselbe an einem sonst ge¬ 
sunden Gelenk, dem durch Muskelthätigkeit nicht die zur Function nöthige 
Stellung und Festigkeit gegeben werden kann, vorgenommen wird, oder ob an 
einem kranken Gelenk der Fixation eine mehr oder minder ausgedehnte Resection 
vorausgeht. Die von Roer sch gewünschte Ausdehnung des Begriffs der Arthrodese 
dürfte wohl kaum Verbreitung finden; wäre sie doch nur dazu angethan, durch¬ 
aus nicht zusammengehörige Dinge unter einer Bezeichnung zu vereinen. 
Arthrodesen in Roersch’s Sinne hat v. Winiwarter nach dem vorliegenden 
Berichte an 10 Patienten vorgenommen, doch handelt es sich bei 4 von den 
Kranken um eine wegen Arthritis deformans des Kniegelenks vorgenommene 
Resection, bei der nach Entfernung der Gelenkenden Femur und Tibia durch 
Silberdrähte etc. vereinigt wurden. Nur an den restirenden 6 Patienten, die alle 
an Folgezuständen der spinalen Kinderlähmung litten, kam es zur Ausführung 
von Arthrodesen im bisher üblichen Sinne des Wortes. 

In dem ersten Fall wurde bei einem 10jährigen Knaben an beiden Knie- 
und Fussgelenken die Arthrodese in der Weise geübt, dass nach Anfrischung 
der Gelenkenden diese durch Silberdrähte vereinigt wurden. Kurze Zeit nach 
der Heilung erlag das Kind einer Diphtherie. Bei der Section erwiesen sich 
beide Kniegelenke durch einen fibrösen, zum Theil schon verknöcherten Gallus 
vereinigt, während an dem die Fussgelenke ersetzenden Gallus bisher keinerlei 
Ossificationsvorgänge bemerkbar waren. 

Der zweite Fall betraf ein Gjähriges Mädchen, dem beide Kniegelenke 
ankylosirt wurden. Nach 3 Monaten war vollständige Heilung eingetreten, 
doch erlitt die Patientin beim Fall aus dem Bett complicirte Fracturen an bei¬ 
den Kniegelenken, den Bruch des Gallus, denen sie erlag. 

Bei der 3. Kranken, einem 14jährigen Mädchen, kam die Arthrodese iui 
Sprunggelenk sowie in den Gelenken zwischen Talus und Naviculare und 
zwischen Galcaneus und Guboides mit Erfolg zur Ausführung. 

In dem 4. Fall entfernte v. Winiwarter bei einem 12V*jährigen Knaben 
mit Schlottergelenk im linken Knie und gleichzeitiger Genu valgum-Stellung. 
um auch das Genu valgum zu beseitigen, bei der Anfrischung des Femur mehr 
an der Innen- als an der Aussenseite. Den nach Entfernung der Ligamenta 
cruciata und der Semilunarknorpel zwischen den angefrischten Gelenkenden 
bleibenden Zwischenraum füllte er mit Knorpel- und Knochenstückchen und 
zum Theil mit Glaswolle. Die beiden Knochen wurden alsdann mit Stahl¬ 
klammern an einander gefügt, während die durchschnittene Patella vernäht und 
an die Tibia genagelt wurde. 5 Wochen später wurden die Klammern ent¬ 
fernt; 2 Monate nach der Operation war das Kniegelenk vollkommen ankylo¬ 
sirt. Auch bei der Arthrodese der Articulatio talo-equalis und talo-navicularis 
füllte V. Winiwarter den Gelenkraum mit Holzwolle und vernähte die Haut¬ 
wunde vollkommen darüber. In dem letztem Gelenk trat vollkommene Anky¬ 
lose ein, während das Sprunggelenk in geringem Grade beweglich blieb. 

Alsdann gab ein 20jährige8 Mädchen mit spinaler Kinderlähmung des 
linken Arms Veranlassung zu einer Arthrodese des Handgelenks, die in der 
Weise geübt wurde, dass von einem Schnitt an der Innen- und einem solchen 
an der Aussenseite die Gelenk enden der Vorderarm knochen angefrischt und 
durch Klammem zusammengehalten wurden. Obgleich diese Klammern fest 


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Referate. 


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einheilten , trat dennoch keine Ankylose ein. v. Winiwarter legte infolge 
dessen wieder das Gelenk frei und füllte die Gelenkhöhle mit Glaswolle, um 
darüber die Haut vollkommen zu vernähen. Die Entstehung einer Fistel gab 
Anlass zu einem dritten Eingriffe, bei der ein Theil der Glaswolle und die bei 
der ersten Operation verwendeten Klammem wieder entfernt und das Gelenk 
durch einen vom Radius bis in den 3. Metacarpus hineingetriebenen Stift fixirt 
wurde. Obgleich auch dieser nach 14 Tagen entfernt werden musste, trat doch 
dieses Mal vollkommene Consolidation ein. v. W iniwarter beabsichtigt später 
noch die allein noch functionsfähige Musculatur des Index mit den Sehnen des 
Daumens in Communication zu setzen. 

In dem 6. Fall handelt es sich um ein löjähriges Mädchen. Bei der 
Arthrodese des linken Kniegelenks fixirte v. Winiwarter Femur und Tibia 
mittelst zweier schief eingetriebener Elfenbeinstifte, die reactionslos einheilten. 
Am Fuss vollföhrte man eine temporäre Resection des Malleolus exteraus, 
frischte dann die Gelenkfläche der Tibia sowie die obere und seitliche Partie 
des Taluskörpers an, reponirt den äusseren Knöchel und fixirt denselben mittelst 
eines Elfenbeinstifts, der durch den Talus bis in den Calcaneus hinein vordrang. 
Nach 5 Wochen wurde der Stift entfernt, die Fixation des Gelenks war eine 
vollkommene. G. Joachimsthal-Berlin. 

Egbert Braatz, Thomas’sche Schiene aus Draht und Wasserglasbinden. 

Deutsche medic. Wochenschr. 1892, Nr. 42 S. 958. 

Braatz stellt sich die sonst theure und nur vom Instrumentenmacher zu 
verfertigende Thoraas'sche Schiene in folgender einfacher Weise her: 

Aus einem ca. 3 mm starken Draht wird ein Ring gebogen, welcher 
oben den Oberschenkel parallel der Inguinalfalte umkreist. Dann misst Braatz 
an einem Telegraphendraht (ca. 6 mm stark) die Länge der äusseren und in¬ 
neren Schiene ab, wobei, damit der Fuss nicht den Boden berührt, nach unten 
4 cm nach oben soviel als noch zum Um biegen nöthig ist, hinzugerechnet wird. 
Braatz biegt darauf die Schlinge entsprechend zurecht, schlägt die glühend 
gemachten Enden flach, glüht sie abermals, damit sie nicht brechen und biegt 
sie von innen nach aussen an vorher bezeichneten Stellen um den Ring. Jetzt 
legt er auf den Ring der Länge nach einige Schichten von weichen Gazebinden, 
die vorher in Wasserglas getränkt und fest ausgedrückt sind, und umwickelt 
ihn so lange circulär, bis er ca. 2—3 cm dick geworden ist. Dabei verbindet 
er namentlich sorglUltig die Winkel, wo die Seitendrähte mit dem Ringe Zu¬ 
sammentreffen. Nachdem auch noch die innere und äussere Schiene fest mit 
der Wasserglasbinde umwickelt worden sind, wird der Apparat auf etwa 2 bis 
3 Tage zum Trocknen aufgehängt und vor dem Anlegen noch mit einigen 
Lagen einer weichen Gazebinde umwickelt. 

Der Apparat erstarrt dann zu einer homartig festen Masse und ist nicht 
nur gut passend, sondern auch ungemein haltbar. 

G. Joachimsthal -Berlin. 

Wilhelm Kammler, Die in der chirurgischen Universitäts-Klinik zu Greifs¬ 
wald vom 1. October 1885 bis 1. April 1891 zur Behandlung gelangten 


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Referate. 


Fälle von ungünstig geheilten Fracturen. Inaug.-Dissert. Greifswald 18S1. 

50 in der Greifswalder Klinik zur Behandlung gelangte Fälle theilt 

Kammler in 3 Gruppen. 

Von den ersten 15 Fällen, bei welchen die Fractur mit bedeutender Dis¬ 
location dei* Fragmente zur Heilung gelangt war, bebafen nur 3 Fälle die 
obere, 10 die untere Extremität, ein Fall die Patella und einer die Clavicula. 
Bei den 3 Fällen der oberen Extremität handelte es sich um eine durch die 
Dislocation der Fragmente hervorgerufene, völlige Steifigkeit im Ellenbogen¬ 
gelenk. Es wurde hier die Resection des Humerus, in einem Falle auch noch 
die des Radiusköpfchens vorgenommen. Die Functionsfähigkeit war bei der 
Entlassung eine leidliche. Bei den 10 die untere Extremität betreffenden Fällen, 
von denen 2 auf den Oberschenkel, 8 auf den Unterschenkel entfielen, wurde 
auf operativem Wege (Osteotomie und Osteoklasie) ein gutes Resultat in Stel¬ 
lung und Function erzielt. Die die Patella und Clavicula betreÖenden Fälle 
gelangten ebenfalls auf operativem Wege, der eine durch Abmeisselung eines 
Knochenfragments, der andere durch Resection, zu einem guten Resultat. 

Bei den folgenden 26 Fällen (12 an der oberen, 14 an der unteren Ex¬ 
tremität), in denen es entweder in der gesetzmässigen Zeit nicht zur Heilung 
oder zwar zur Heilung, aber mit bedeutender Störung in der Function des 
Gliedes gekommen war, wurde durch Verbände, Massage, Bewegungen, Elek- 
tricität eine Besserung, theilweise sogar vollständige Wiederherstellung der 
Function des Gliedes erzielt, mit Ausnahme einiger Schenkelhalsbrüche, bei 
denen ein sehr wesentlicher Erfolg durch die eingeleitete Therapie nicht zu 
verzeichnen war. 

9 zur Behandlung gelangte Pseudarthrosen, von denen 4 die obere, 5 die 
untere Extremität betrafen, zeigten bis auf einen Fall ebenfalls ein günstiges 
Resultat in der Heilung. 5 Fälle wurden auf operativem Wege durch Frei¬ 
legung der Bruchenden, Anfrischung derselben mit nachfolgender Silberdraht¬ 
naht, in einem Falle mit Nagelung zur völligen Consolidation mit mehr oder 
weniger Verkürzung gebracht. In einem Falle wurden die Bruchenden mit 
Stahlnägeln, welche durch die unverletzte Haut geschlagen wurden, an einander 
fixirt und ein ebenso günstiges Resultat erzielt. 2 Fälle wurden mit elastischer 
Compression und Percussion der Bruchstelle behandelt. Ein auf die gleiche 
Weise behandelter Fall von Pseudarthrosis tibiae zeigte keinen wesentlichen 
Erfolg. . Hof fa-Würzburg. 


M. Schede, Ein neuer Apparat zur Behandlung der Skoliose. Deutsche med. 

Wochenschrift 1892, Nr, 12. 

Unter obigem Titel veröffentlicht derVerf. die Beschreibung eines neuen 
Detorsionsapparates, welcher schon deshalb ernste Beachtung verdient, weil die 
mit demselben erreichten Resultate besser zu sein scheinen als die mit bis¬ 
herigen Behandlungsmethoden gewonnenen. 

Wenn Verf. eingangs erklärt, da.ss erst aus allerneuester Zeit die Ver¬ 
suche datiren, durch mehr oder weniger active Detorsion auf den Thorax ein¬ 
zuwirken, so wird dieser Zeitraum aber doch eine grössere Anzahl von .Jahi*en 
umfassen dürfen, während welcher diese Versuche wohl mit Recht als sehr zahl- 


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Referate. 


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reiche bezeichnet werden müssen (Benno Schmidt, Zanders Diagonaldruck- 
apparat, Bühring’scher, BeeJy’scher Lagerungsapparat, Nyrop’scher Portativ¬ 
apparat, Wolfermann’sches Corset), während allerdings die Combinatiun der 
Detorsion mit Extension jüngeren Datums ist. Dieselbe ist wohl zuerst in 
rationeller, der Schede’schen sehr ähnlichen Weise von Hoffa eingefülut 
worden. 

In ei*8ter Linie unterscheidet sich das Verfahren Schede’s durch die 
Einführung des Heftpflasters von den bisherigen Detoi-sionsmethoden. Dasselbe 
wird, die vorspringenden Partien breit fassend vermittelst des Apparates zur 
Gewichtsdetorsion verwendet. (Wie Ref. einer privaten Mittheilung entnimmt, 
hat Hoffa bereits das Heftpflaster in dieser Weise angewendet, die Methode 
der schwer zu vermeidenden Unbequemlichkeiten wegen aber wieder fallen 
lassen.) 

Der Apparat besteht aus einem aus Gasröhren gefertigten Gestell, an 
dessen einer Seite eine ebenfalls aus starkem Rohr gefertigte Säule emporsteigt. 
Diese dient zur Fixation verschiedener Vorrichtungen, in erster Linie eines 
eisernen, horizontal gestellten, in der Höhe verschiebbaren Rings. In diesen 
können wiederum eine Anzahl von Rollen- und Pelottenträgern in verticaler 
Richtung eingesteckt werden. Zu diesem Behüte ist der Ring in regelmässigen 
Abständen senkrecht durchbohrt Die Rollen sind an den oberen Enden von 
Stäben befestigt, mit etwas Auslage nach aussen. Die Pelotten sind in hori¬ 
zontaler Richtung verschiebbar, so dass al.so die Pelotte in jeder wünschbaren 
Höhe und Stellung fixirt werden kann. Höher oben trägt die Säule eine 
hölzerne Handhabe, ebenfalls verschiebbar. 

Ferner trägt die Säule an einer verschiebbaren Hülse eine Handhabe, 
d. h. einen quer gestellten, hölzernen Hebel. Das obere Ende der Säule endlich 
ist umgebogen und zur Befestigung einer Glisson’schen Schwebe eingerichtet. 

Zur Fixation des Beckens befindet sich an dem ersterwähnten stuhl- 
formigen Gestell eine Vorrichtung, bestehend aus zwei in horizontaler Richtung 
gegen einander verschiebbaren gepolsterten Platten. 

Die Anwendung des Apparates geschieht nun in der Weis»*, dass der 
Patient von unten her in den Ring hineinkriecht und in der Schwebe leicht 
suspendirt wird. Seine Hände fassen die Handhabe bei ausgestreckten Armen, 
das Becken wird durch Zusammenschieben der gepolsterten Platten gegen 
Rotation gesichert. Endlich werden die Schultern durch eine geeignete Stütze, 
die ebenfalls an dem horizontalen Ringe befestigt ist, mit Riemen festgestellt. 

Die Heftpflasterstreifen, die in bedeutender Breite (ca. 20 cm) auf dem 
Rippenbuckel eingeklebt werden und vom in eine abgestumpfte Spitze endigen, 
werden nun mit Drahthaken mit einer Schnur in Verbindung gebracht, die 
über die in geeignete Stellung gebrachten Rollen geführt und mit Gewichten 
belastet wird. Das Gewicht schwankt zwischen IV 2 und 5 k. 

Die Stellung des Rollenträgers muss so gewählt werden, dass die exten- 
dirende Schnur in einer Richtung wirkt, die von einer an den Thorax gezogenen 
frontalen Tangente nach innen abweicht. 

Die erwähnten Pelotten dienen dazu, der event. durch die Detorsion her¬ 
vorgebrachten allzustarken Verschiebung ein Hinderniss entgogenzustellen, 
so dass die Detorsion mehr im Sinne der Umbildung der Rippen wirkt. 


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Referate. 


Das Interessanteste in der Mittheilung Schede’s sind nun die erreichten 
Resultate, welche die bisherigen Leistungen der Therapie auf dem Gebiete der 
Skoliosenbehandlung unbedingt übertreffen. Insbesondere ist die von Schede 
hervorgehobene bedeutende Beeinflussung des Rippenbuckels beinahe neu zu 
nennen. 

Leider konnten der Abhandlung, und das wird vom Autor selbst bedauert, 
keine Abbildungen oder Masswegsbilder beigegeben werden, welche die erreichten 
Resultate illustriren, und geeignet wären, die. skeptische Stimmung gegen die 
Skoliosentherapie auf ein gebührendes Mass zu reduciren. Ferner ist auch die 
Anzahl der behandelten Fälle eine geringe. Immerhin sind einzelne der mit- 
getheilten Resultate (z. B. fast völliges Verschwinden eines Rijjpen- 
buckels bei einem 16jährigen Mädchen) so eklatante, dass wohl an der 
Wirksamkeit der Methode nicht gezweifelt werden kann. (In dem Vortrage 
über die Methode demonstrirte Schede eine Anzahl von Curven mit dem 
Be ely'sehen Stäbchencystometer.) 

Ref., der Gelegenheit hatte, die Methode Schede's an einem dem be¬ 
schriebenen nachgebildeten Apparate im orthopäd. Institute in Zürich zu 
prüfen, zögert nicht, zu bestätigen, da.«s die momentane redressirende Wirkung 
des Apparates eine bedeutende ist und die Lorenz’sche Methode der Detorsion 
unbedingt übertrifft. Dass jedoch die Mitwirkung des Heftpflasters eine be¬ 
deutende Unbequemlichkeit schafif und für ein gangbares Institut auch nur 
mit grösserem Zeitaufwande durchzuführen ist, muss ebenfalls zugestanden 
werden. 

Genaue Messungen der Resultate werden dem Schede'schen Verfahren 
die Prognose bestimmen, die, wie wir hoffen, etwas günstiger lauten wird als 
diejenige vieler anderer Versuche. Wilhelm Schulthess-Zürich. 


Peter Wisser, Untersuchungen über die Beschaffenheit der Wirbelsäule bei 

Schulkindern (Dissert. Würzburg). 

In genannter Dissertation sind die Re.sultate einer Untersuchung von 
515 Schulkindern in Bezug auf Wirbelsäulendeviation niedergelegt. Die Unter¬ 
suchungen wurden vom Autor unter der Leitung von Riedinger ausgeführt. 

Verf. beginnt mit einem kurzen Rückblick auf die verschiedenen An¬ 
sichten über die Entstehung der sogen, habituellen Skoliose, der „häufigsten* 
Skoliosenform. Wenn er dabei die Roser-Volkmann’sche Belastungstheorie 
als die heute weitverbreitetste erklärt, muss man ihm wohl beipflichten. 
Wenn er ferner erklärt, dass ähnliche Untersuchungen wie die vorliegende 
noch fast gar nicht gemacht worden seien, so ist das allerdings insofern richtig, 
als die bisherigen derartigen Erhebungen mit wenigen Ausnahmen nicht 
in die Detaillirung der einzelnen Formen eingetreten waren. 

Die 515 Schulkinder gehörten einer fünfklassigen Schule an, und standen 
im Alter von 7—11 Jahren. 292 Knaben, 223 Mädchen. Der Umstand, dass 
die betreffende Schule eine Badeeinrichtung enthielt, erleichterte die Gelegen¬ 
heit zur Untersuchung, welche am nackten Körper (Badehose) bei schlaffer und 
strammer Haltung vorgenommen wurde. Mit Farbstift wurden die Domfort¬ 
sätze bezeichnet und vermittelst des Pendels die Deviation beurtheilt. In ein- 


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/.einen Fällen ^urde das Gehen, das Strecken und Bewegen der Wirbelsäule 
zur Untersuchung benutzt. 

Da sich ergab, dass diejenige Haltungsform der W. S. mit Convexität 
nach rechts im Brusttheil, nach links im Lendentheil weitaus die häußgste 
sei, so bezeichnete Verf. diese als typisch, die umgekehrte dorsal links¬ 
convex, lumbal rechtsconvex als atypisch. Daneben figurirt total links und 
total rechts, dreifach geschlängelt (mit je zwei Formen, mittlere Convexität 
rechts und mittlere Convexität links). Die wirklich deutlichen Skoliosen wurden 
unter einer Rubrik pathologisch zusammengelässt. 

Um über das Resultat der Untersuchungen sich ein deutliches Bild zu 
machen, ist es nöthig das Original mit den Tabellen nachzulesen. (Es wäre 
übrigens wünschenswerth, dass der Verf. eine Bearbeitung dieser Untei’suchungen 
mit den Detailangaben, Tabellen und Curven in dieser Zeitschrift veröffent¬ 
lichen würde.) Wir heben hier nur einige der wichtigsten Punkte hervor. 

Es ergab sich aus den Tabellen und daraus construirten Curven: Schon 
beim Beginne der Schule (7. Schuljahr) findet man einen starken Procentsatz 
von Verkrümmungen überhaupt, darunter auch die sogen, typische Form. (38,47o 
der Gesammtzahl der nicht pathologischen Fälle.) Auffallend ist durchweg die 
starke Zahl der Normalen, welche in den einzelnen Klassen von 36,2—57,67o 
schwankt, ferner das Ueberwiegen der ,Verkrümmungen Überhaupt“ und 
der typischen Krümmungen insbesondere bei den Knaben gegenüber 
den Mädchen. 

Die „Verkrümmungen überhaupt“ erreichen die höchste Höhe bei den 
Knaben am Ende des dritten, bei den Mädchen am Ende des vierten Schul¬ 
jahres. 

In den Schlussfolgerungen des Verf. vermissen wir ein energisches Ein¬ 
stehen für das erste und vornehmste Resultat dieser Untersuchungen, 
nämlich dafür, dass sich daraus mit unzweifelhafter Sicherheit ergeben hat, dass 
die habituellen Haltungen, besonders die sogen, typische Form, nur zum geringen 
Theil vom Sehulbesuch beeinflusst werden. Denn wenn wir beim Beginn der 
Schulzeit (d. h. Ende des ersten Schuljahres) bereits einen Procentsatz von 
31<160 Knaben, 33,9 bei den Mädchen finden und dieser alsdann auf 
40 bezw. 49®/o innerhalb 2—3 Jahren steigt, zudem bei den Knaben mehr steigt 
als bei den Mädchen, so lässt sich daraus nicht Material gegen die Schule 
schmieden, sondern es müssen, wie der Autor allerdings selbst, aber wie uns 
scheint, allzu schüchtern zugibt, andere Factoren mitwirken. Aber noch ein 
anderes ebenso interessantes Resultat haben die Untersuchungen zu Tage ge¬ 
fördert: Die pathologischen Fälle nehmen mit der Klassenhöhe 
nicht zu. 

Allerdings muss dabei in Betraeht gezogen werden, dass eben in das 
Alter, in welchem die meisten Skoliosen zur Beobachtung gelangen, die Sta¬ 
tistik nicht hineinreicht, jedoch erlaubt diese Thatsache den Schluss, dass sich 
zwischen den wirklichen Skoliosen und den in der Untersuchungsreihe bezeich- 
neten Verkrümmungen eine Kluft befindet, deren Ueberbrückung durch Zwischen¬ 
formen erst das Material an die Hand geben könnte oder über die Frage der 
Entstehung der habituellen Skoliosen ein Urtheil zu fällen. (Auch durch die 
Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. II. Band. 20 


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Referate. 


Schenk'schen Untersuchungen ist das nicht möglich geworden, denn der 
Schenk'sche Satz: ,Die jedem Kinde eigene Schreibhaltnng bildet die gewöhn- 
liehe Veranlassung zur Entwicklung einer Skoliose*, ist unter Umständen ein 
Trugschluss. Ohne Zweifel lautet für viele Fälle der Satz so: Die jedem 
Kinde eigenen anatomischen Eigenthümlichkeiten bilden dieVer- 
anlassung zur Entwicklung einer Skoliose und einer dieser ent¬ 
sprechenden Schreibstellung. Der Ref.) 

Der Autor ist demnach geneigt, ,andern Factoren als der Belastung 
allein“ einen Einfluss auf die Entstehung der sogen, habituellen Skoliose ein¬ 
zuräumen. Er denkt hierbei an Veränderungen in den Knochen, Vererbung 
und Aehnliches. 

Gewiss sind Untersuchungen wie die vorliegenden, wenn sie auch sehr 
viel Mähe kosten, in hohem Grade zu begrüssen. Sie haben zur Ausfüllung 
einer bedenklichen Lücke in der Pathologie und Aetiologie der Skoliose bei- 
zutragen. 

Ebenso wünschenswerth ist es dagegen, wenn sich künftige Beobachter 
einer etwas genaueren Methode bedienen, so dass auch der Grad der Ver¬ 
krümmung angegeben werden kann. (Vielleicht würde sich hierzu das Beely- 
Kirchh off sehe Verfahren eignen?) Ebenso sollte die Torsion berücksichtigt 
werden. Vielleicht würde sich dadurch die Zahl der Normalen etwas ver¬ 
kleinern, die Zahl der total Skoliosen aber etwas vergrössem. 

Wilhelm Schulthess-Zürich. 

P. Redard, De la Skoliose dans ses raporta avec le pied plat. Gazette medical 

de Paris. 1892. 6. August. 

L. Heusner, Beitrag zur Behandlung der Skoliose. Langenbeck’s Archiv f. 

Chir. Bd, 44, Heft 4. 

Redard macht auf das oftmalige Zusammentreffen von Skoliose und 
Plattfiissen aufmerksam. Namentlich findet sich häufig bei primärer Lenden¬ 
skoliose ein Plattfuss auf der Seite, welcher der Convexität der Lendenkrüm¬ 
mung entspricht. Die Folge des Plattfusses ist eine Verkürzung der betreffenden 
Extremität, daher die Skoliose. Heilung des Plattfusses führt meist auch zur 
Heilung der Skoliose. 

Auch Heusner betont die häufige Coincidenz von Plattfuss und Skoliose. 
Von 283 plattfüssigen Kranken die er untersuchte, hatten 59 7® Skoliose. Um¬ 
gekehrt fand sich auch bei der Hälfte aller Skoliotiden Plattfuss, eine Beobach¬ 
tung, die Bernhard Roth schon 1889 veröffentlicht hat. 

Heusner beschreibt ferner einen neuen Lagerungsapparat für skoliotische 
Patienten. Wie die Fig. 1 zeigt, handelt es sich um eine als Lagerungsbrett 
eingerichtete, schiefe Ebene, welche mit einer Glisson’schen Schlinge zur Längs 
extension und einem System von vier gepolsterten Gurten für seitlichen Correc- 
tionszug ausgerüstet ist. Die Gurte kommen mit dem hintern Ende an einem 
Längsschlitz in der Mitte des Brettes hervor, hinter welchem sie an einer runden 
Eisenstange verschieblich befestigt sind; ihre vorderen Enden laufen in Hanf- 
schnüre aus, welche schwere Sandsäcke tragen und über die zu beiden Seiten 
der Bretter eingeschobenen Eisengeländer hinübergeleitet werden. Die Wirkung^- 


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Schema (Fig. 2). Der Apparat gleicht 
dee dem Bühring’schen Lagerungs- 


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Referate. 


apparate und hinsichtlich der wirksamen Gewichtszüge dem Fischer-Beely- 
schen Skoliosenbarren, vermeidet aber die active Inanspruchnahme der Rücken- 
muskulatiir und verbindet mit der seitlichen Gewichtscorrection die Längs- 
extension auf der schiefen Ebene, die um so kräftiger ausfällt, je schräger die 
Extensionsbügel nach abwärts über die Seitengeländer gelegt werden. Die 
Kinder sollen 1—2 Stunden täglich auf dem Apparat zubringen und dabei 
möglichst laut auswendig lernen, damit die Athmung angeregt und die Aus¬ 
dehnung der Brust nach der nicht belasteten Seite befördert wird. 

Nachdem ich den beschriebenen Apparat aus eigener Erfahrung kennen 
gelernt habe, kann ich denselben den Collegen bestens empfehlen. 

H o f f a -W ürzburg. 


Messner, üeber Asymmetrie (halbseitige Atrophie) de^ Thorax und Contrac- 

turcn der Wirbelsäule nach Kinderlähmung (paralytische Skoliosen). 

Centralbl. f. Chir. 1892, Nr. 44, S. 897. 

Messner beobachtete bei einem 12 Jahre alten Mädchen, das im Alter 
von */< Jahren eine spinale Kinderlähmung der ganzen rechten Seite mit baldigem 
Rückgang der paralytischen Erscheinungen durchgeinacht hatte und nach den 
Angaben der Eltern seit dem 7. Lebensjahre anfing schief zu werden, bei der 
Untersuchung des Rückens neben einer hochgradigen Skoliose im Dorsaltheil 
nach links und einer sehr starken Lordose im Lendentheile der Wirbelsäule eine 
auffällige Asymmetrie des Thorax. Es machte den Eindruck, als ob die ganze 
rechte Seite des Thorax in der Entwickelung zurückgeblieben wäre, und an- 
gestellte Messungen bestätigten dies in der That, indem alle Maasse, die Messner 
von der Mittellinie des Rückens nach der Mittellinie der Brust (Sternallinie) 
nahm, um 'ß —IV 2 cm auf der rechten Seite gegenüber der linken zurück¬ 
blieben. Deutlicher noch als am Thorax w^ar die AsjTnmetrie im Gesicht, in¬ 
dem hier ebenso wie am Schädel die rechte Seite überall kleinere Mansse zeigte 
als die linke. Auch der rechte Arm und das rechte Bein zeigten, wenngleich 
Lähmungserscheinungen nicht mehr bestanden, eine geringe Atrophie. Am 
Rücken war die elektrische Erregbarkeit sämmtlicher Muskeln sow^ohl gegenüber 
dem constanten als dem faradischen Strom ganz wesentlich herabgesetzt. 

Messner nahm keinen Anstand, die vorliegende Skoliose in Zusammen¬ 
hang mit der überstandenen Kinderlähmung zu bringen. Auf Grund von Be¬ 
obachtungen, die er im Anschluss an diesen Fall sammelte, erlangte er, dass die 
Kinderlähmung, ebenso wie sie bei der Entstehung von Contracturen an Hand 
und Fuss eine grosse Rolle spielt, auch bei der Bildung von Contracturen der 
Wirbelsäule, bei der Skoliose, ätiologisch mehr berücksichtigt werde. Es ge¬ 
lang Messner nämlich, unter 15G Fällen von Skoliose, die er in den letzten 
2 Jahren daraufhin untersuchte, 8 Fälle als sicher paralytischen Ursprungs 
nachzuweisen; ausser der Anamnese sicherte das Vorhandensein von Contrac¬ 
turen oder Wachsthumsstörungen an Arm oder Fuss die Diagnose. 

Messner constatirte dabei, dass die paralytische Skoliose, eine Erschei¬ 
nung, die sie mit der statischen gemeinsam hat, sich erst spät oder gar nicht 
fixirt. Die relativ grosse Beweglichkeit der verkrümmten Wirbelsäule ist wohl 
auf eine Bänder- und Kapseldehnung der Gelenke zurückzuführen. Am deut- 


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308 


lichsten zeigte sich diese Erscheinung an einem ausserordentlich schweren Fall 
von Kinderlähmung, bei welchem beide Beine und die Rückenmuskulatur fast 
vollständig gelähmt waren, so dass das 4jährige Kind nie gehen gelernt hatte 
und nur unsicher sitzen konnte, wobei mehr die natürlichen Hemmungen als 
die Muskeln mitwirkten. Bei diesem Kinde hatte sich neben einer starken 
Lordose der Lendenwirbelsäule eine sehr hochgradige Skoliose (im Brusttheil 
nach rechts convex, im Lendentheil nach links convex) ausgebildet, die bei 
Suspension am Kopf sich ganz und gar ausglich, so dass der Thorax, bei 
welchem sich in zusammengesunkenem Zustande die einzelnen Rippen ganz 
übereinander geschoben hatten, bei der verticalen Suspension eine ganz andere 
Form annahm. Selbst bei diesem ungemein schweren Fall hatte sich trotz 
jahrelangen Bestehens kein Rippenbuckel ausgebildet, wie überhaupt von einer 
Torsion der Wirbelsäule nichts nachzuweisen war. Messner hält dieses Fehlen 
des Rippenbuckels, das er in allen seinen Fällen constatirte, für eine charakte¬ 
ristische Erscheinung der paralytischen Skoliose. 

Was die Ausbiegung der Wirbelsäule anlangt, so konnte Messner in 

7 Fällen eine gewisse üebereinstimmung in Beziehung auf die Richtung des 
Bogens constatiren. Die Convexität des Bogens war nämlich immer nach der 
gesunden Seite gerichtet, während die gelähmten resp. paretischen Muskeln 
immer auf der concaven Seite der ausgebogenen Wirbelsäule lagen. In Fall 8, 
dem schon oben angeführten sehr schweren Fall, waren beide Beine und der 
ganze Rücken gleichmässig gelähmt; hier hatte sich eine im Brusttheil nach 
rechts, im Lendentheil nach links convexe Skoliose ausgebildet. 6mal betraf 
die Lähmung die rechte Seite des Thorax, und in allen 6 Fällen w^ar der Bogen 
der Wirbelsäule im Brusttheil nach links convex, linal war die linke Thorax¬ 
seite die gelähmte, und hier war die Convexität de.s Bogens nach rechts ge¬ 
richtet. 

In der Therapie der paralytischen Skoliose spielt gewiss die Prophylaxe 
eine grosse Rolle. Ebenso wie sich an den Extremitäten die Ausbildung einer 
Contractur nach Kinderlähmung verhindern lässt, dürfte dies w'ohl auch bei 
der paralytischen Skoliose der Fall sein. Für den Anfang empfiehlt sich 
Elektricität, Massage u. dergl. m. 

Bei der ausgebildeten Skoliose hat die Therapie zweierlei Indicationen 
zu erfüllen, erstens die in sich zusammengesunkene bewegliche Wirbelsäule auf¬ 
zurichten und aufrecht zu erhalten, was am zweckmässigsten durch leichte, in 
verticaler Suspension angelegte, abnehmbare Corsets geschieht, und zweitens die 
Muskeln, welche die Wirbelsäule in ihrer geraden Stellung erhalten sollen, zu 
kräftigen. Hier empfehlen sich regelmässige gymnastische Uebungen, Massage, 
Elektricität, Duschen, kalte Abreibungen und reizende Einreibungen der ge¬ 
schwächten Rückenmuskeln. Bei dieser Behandlung hat Messner von den 

8 Fällen bei 3 vollständige Heilung erreicht, bei 4 wesentliche Besserung er¬ 
zielt. G. Joachim8thal-Berlin. 

E. Remak, lieber Ischias scoliotica. Deutsche med. Wochenachr. 1892, Nr. 27 
S. 626. 

Es handelt sich bei der von Remak gemachten Beobachtung um einen 
typischen Fall von rechtsseitiger Ischias mit einer permanenten Skoliose der 


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Referate. 


Lendenwirbel mit der Concavität nach der kranken rechten Seite nnd einer 
geringeren Skoliose der Brustwirbel in entgegengesetzter Richtung. Nach 
Brissand und Laniy würde in diesem Falle eine spasmodische rechtsseitige 
Ischias mit Betheiligung des Plexus lumbalis vorliegen. Da Lähmungserschei¬ 
nungen nicht bestanden, die linke Seite sich als ganz gesund erwies, so konnte 
es allerdings keinem Zweifel unterworfen werden, dass hier die Stellungs¬ 
anomalie in der That auf einer reflectorischen oder instinctiven Anspannung 
der gleichseitigen rechtsseitigen Lendenmuskeln beruhte. Da jedoch ausser der 
Lendenskoliose keinerlei sonstige spastische Symptome bestanden, so erschien 
esRemak wiederum nicht gerechtfertigt, in diesem Fall nur wegen der homo¬ 
logen Skoliose eine besondere spasmodische Form der Ischias anzunehmen. 

Es wird durch Remak’s Fall bestätigt, was für die altemirende Skoliose 
des früheren schon nachgewiesen wurde (cf. diese Zeitschr. Bd. I, p. 326), dass 
auch ohne spastische Symptome der Ischias selbst bei dieser wenn auch seltener 
als die nach Charcot pathognomonische gekreuzte Skoliose, die auch von 
Gussenbauer in einem Falle beschriebene homologe Skoliose eintritt. Die 
Richtung der Deformität hängt nach Remak viel mehr noch als von ver¬ 
schiedenen Localisationen der dem Symptomencomplex der Ischias zu Grunde 
liegenden Entzündungsprocesse und als von der Betheiligung bestimmter sen¬ 
sibler Anastomosen von individuellen Verhältnissen des Einzelfalls ab, indem 
nach verschiedenen Methoden die mechanischen Bedingungen von den Kranken 
ausfindig gemacht werden, unter w’elchen das schmerzhafte Glied von dem 
Körpergewicht einigermassen entlastet wird. In dem vorliegenden Fall glaubt 
Remak die sogen, anomale (homologe) Skoliosenstellung bei rechtseitiger 
Ischias wesentlich dadurch bedingt, dass der Patient als Former mit nach rechts 
geneigtem Oberkörper in gebückter Stellung unter Schmerzen zu arbeiten ge¬ 
zwungen war und auch nach Aussetzen der Arbeit, wozu er schliesslich genöthigt 
wurde, die für diese günstigste habituelle Stellung instinctiv beibehielt. 

H. Higier, Fünf Fälle von Ischias scoliotica. Deutsche medic. Wochensclir. 
1892, Nr. 27 S. 627. 

Drei Fälle von homologer Ischias scoliotica, ein solcher von gekreuzter 
Skoliose und ein Fall, bei dem binnen S'/i Wochen eine alterairende Skoliose 
vorhanden w'ar, die einen von dem Remak'schen Fall etwas differenten Cha¬ 
rakter trug und später in eine permanent gekreuzte Skoliose überging. 

H 0 f f a -W ürzburg. 

Johannes Bolten, Ueber den angeborenen Hochstand des einen Schulter¬ 
blattes (SprengeFsclie Deformität). Mittheilungen der chirurgisch- 
orthopädischen Privatklinik des Privatdocenten Dr. A. Hoffa in Würz¬ 
burg. München, J. F. Lehmann 1892, S. 57. 

Bolten beobachtete in Hoffa’s Klinik die von Sprengel zuerst 
beschriebene Deformität der angeborenen Verschiebung des Schulterblattes nach 
oben (cf. diese Zeitschr. I, S. 476), die darnach auch von Kölliker, Schlange, 
Per man und Beely gesehen wurde, bei einem 37* Jahre alten Knaben. Die 
linke Scapula stand hier um etwa SVa cm höher als die rechte. Die Spina 


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305 


«capulae befand sich in gleicher Höhe mit dem Proc. spinosus des 7. Hals- 
•wirbels. Der Muse, cucullaris der linken Seite sprang scharf hervor, so dass 
■der Hals links verkürzt und voluminöser erschien. Am oberen medialen Winkel 
der linken Scapula hatte man wie in den K ö 11 i k e r’schen Fällen bei der Pal¬ 
pation das Gefühl, als ob eine Exostose hakenförmig nach vom bis fast zur 
•Clavicula verliefe. Die Bewegungen des Armes waren bis auf die Elevation über 
■die Horizontalebene unbehindert. Links bestand ausserdem totaler Radiusdefect, 
infolgedessen typische Talipomanus sinistra. Die rechte obere Extremität war 
normal bis auf eine rudimentäre Entwicklung des Daumens. Eine ganz auffällige 
Veränderung zeigt die Schädelform. Die linke Schädelhälfte war gegen die 
rechte quasi nach hinten verschoben, so dass es schien, als ob der Schädel im 
rechten schrägen Durchmesser zusammengedrückt wäre resp. einer besonderen 
Zugwirkung von rechts vorne nach links hinten nachgegeben hätte. Bei der 
Geburt des Kindes hatte die Hebamme sofort auf die auffallend geringe Frucht¬ 
wassermenge aufmerksam gemacht. Nach derselben lag der linke Arm dicht 
am Rücken an, als ob er dort festgebunden wäre. Durch Ausfühmng anfangs 
passiver, später auch activer Bewegungen wurde der linke Arm allmählich 
beweglicher. 

Da Hoffa auf Grund der Kölliker’schen Beobachtungen die Exostose 
in ursächlichem Zusammenhang mit dem Hochstand des linken Schulterblattes 
bringen zu müssen glaubte, beschloss er die operative Entfernung derselben. 
Der auf den vermuthlichen oberen Schulterblattrand geführte Schnitt, der 
genau entsprechend dem Rande des Cucullaris verlief, traf zum grössten Er¬ 
staunen des Operateurs nun nicht den oberen Schulterblattrand, sondern die 
Spina Scapulae. Eine Exostose war gar nicht vorhanden. Das, was als solche 
imponirt hatte, war vielmehr der obere Schulterblattrand, der am vorderen Rande 
des Cucullaris verlief und thatsächlich fast die Clavicula erreichte. Die Scapula 
liess sich nach der bisher ausgeführten einfachen Incision nicht nach unten ver¬ 
schieben. Es wurden deshalb von dem vorhandenen Schnitt aus alle Muskeln, 
■die sich dem Herabziehen der Scapula in den Weg stellten, olfen durchschnitten. 
Nach der reactionslosen Heilung der Wunde erhielt der Patient ein Skoliosen- 
<;orset. Durch einen an diesem vorne und hinten befestigten, über die linke 
Schulter verlaufenden elastischen Zug wurde die Scapula einer dauernden 
Druckwirkung nach unten ausgesetzt, die auch sehr bald zu einer entschiedenen 
Besserung des Zustandes führte. G. Joachimsthal-Berlin. 


A. Schmucker, Ueber die Auslösung von Schmerzempfindungen durch Sum¬ 
mation sich zeitlich folgender Beize bei Compressionsmyelitis. Inaug.- 
Dissert. Würzburg 1892. 

Angeregt durch die Untersuchungen Naunyn’s, welcher nachwfies, dass 
bei Erkrankungen des Rückenmarks vor allem bei Tabes dorsalis durch die 
Summation sich zeitlich folgender sensibler Hautreize Schmerz ausgelöst werden 
kann, hat Schmucker Versuche bei Compressionsmyelitis an vier Fällen an¬ 
gestellt. Mit Ausnahme eines Falles gelang es auch, durch wiederholten Reiz 
(Inductionsschläge, Berührung mit Sondenknopf, stumpfen Draht, Nadelstich 
200—400mal in der Minute) nach einer längeren oder kürzeren Latenz Schmerzen 


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Referate. 


an den betreffenden Körperstellen (zwischen den Zehen, Fingern etc.) auszulösen. 
Im Gegensatz zu Naunyn fand jedoch Schmucker, dass zwischen Latenzzeit 
und Intensität des Reizes eine gewisse Beziehung statthat, dass nämlich die 
Steigerung der Intensität des Reizes die Latenzzeit abkürzt. 

Rosenfeld - Nürnberg. 

H. Chiari, Die Aetiologie und Genese der sogenannten Spondylolisthesis 
lumbo-sacralis. Eine pathologisch-anatomische Studie. Zeitschr. f. Heil¬ 
kunde XIII 1892, S. 199. 

Chiari definirt den BegrüF der Spondylolisthesis lumbo-sacralis dahin, 
dass er darunter eine allmählich unter Einwirkung der Rumpflast entstehende 
Verschiebung des letzten Lendenwirbels, sei es in toto, sei es mit seiner vor¬ 
deren Hälfte, über die Basis des Kreuzbeins nach vorne versteht. Er will auf 
diese Weise einerseits den Gegensatz zwischen der Spondylolisthesis und der 
acuten, durch ein intensives Trauma plötzlich erzeugten Luxation besonders 
aussprechen, indem ja die Spondylolisthesis einen ganz allmählich vor sich 
gehenden Gleitungsprocess, also einen chronischen Luxationsvorgang gegenüber 
der acuten traumatischen Luxation darstellt, andererseits hervorheben, dass es 
Fälle unzweifelhafter Spondylolisthesis gibt, in denen ein allmähliches Gleiten des 
letzten Lendenwirbels in toto stattfand. 

Was die Aetiologie und Genese der Spondylolisthesis anbetrifit, so müssen 
nach Chiari die Ursachen als sehr verschiedenartig gedacht werden. 

Es geht nicht an, alle Fälle auf ein und dasselbe ätiologische Moment 
zurückzuführen, vielmehr müssen eine ganze Reihe von Ursachen für die Spon¬ 
dylolisthesis zugegeben werden. Bei Gegenwart eines oder des andern ursäch¬ 
lichen Moments bedarf es dann erst immer noch besonderer Verhältnisse und 
namentlich der entsprechenden Druckwirkung seitens der Rumpflast, damit die 
Olisthesis wirklich zu Stande kommt. 

Indem Chiari alle Momente, welche im Stande sind, die Festigkeit der 
Verbindung zwischen dem letzten Lendenwirbel und dem Kreuzbein zu alteriren 
oder eine Verlängerung des letzten Lendenwirbels selbst herbeizuführen, berück¬ 
sichtigt, nimmt er folgende Gruppirung der überhaupt denkbaren Ursachen für 
die Spondylolisthesis lumbo-sacralis vor. 

Erste Kategorie. 

Abnorme Verhältnisse im Bereiche der lumbo-sacralen Gelenksfortsätze, 
wodurch der ganze letzte Lendenwirbel zum Gleiten nach vorne gebracht wird 
und zwar: 

1. Entwicklungsanoinalien derselben; 

2. krankhafte Zerstörung derselben; 

3. Fraktur derselben; 

4. Luxation im Bereiche der ursprünglich normal gebildeten lumbo- 
sacralen Gelenksfortsätze. 

Zweite Kategorie. 

Abnorme Verhältnisse, durch welche der letzte Lendenwirbel infolge der 
auf ihn von oben her bei aufrechter Stellung des Körpers wirkenden Rumpflast 


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zur Verlängerung gebracht wird, so dass seine vordere Hälfte nach vorne ver¬ 
schoben wird und zwar: 

1. Entwicklungsanomalien des Bogens des letzten Lendenwirbels; 

2. krankhafte Erweichung resp. Zerstörung desselben; 

.3. Fraktur desselben; 

4. Gestaltsveränderungen des früher normal gewesenen letzten Lenden¬ 
wirbels aus übermässiger Belastung desselben durch die Ruinpflast. 

An der Hand dieser aprioristischen Gruppirung der ätiologischen Momente 
für die Spondylolisthesis erwägt nun Chiari, was für Anhaltspunkte aus der 
pathologischen Osteologie der Wirbelsäule überhaupt und der Anatomie der 
Spondylolisthesis im Speciellen für die einzelnen genannten Ursachen gewonnen 
werden können, wobei neben der eingehenden Berücksichtigung der bezüglichen 
ausgedehnten Literatur die Beschreibung einer Reihe neuer Fälle seines 
Museums gibt, die gerade im Hinblick auf die Aetiologie und Genese der 
Olisthesis besonderes Interesse bieten. 

Was die erste Kategorie von ursächlichen Momenten für das Entstehen 
der Spondylolisthesis betrifft, so müssen zwei Gruppen derselben, nämlich die 
Entwicklungsanomalien der lumbo-sacralen Gelenksfortsätze und die Frakturen 
derselben als zu Recht bestehend anerkannt werden und verdienen volle Beachtung, 
während die beiden andern Gruppen, die krankhafte Zerstörung der Gelenks- 
fortsUtze und die Luxation im Bereiche der ursprünglich normal gebildeten 
Gelenksfortsätze als bisher nicht erwiesen zu betrachten sind und nach Chiari 
auch kaum erwiesen werden dürften. 

Was die zweite Kategorie anbetrifft, so sind die Entwicklungsanomalien 
des Bogens des letzten Lendenwirbels in der Aetiologie der Spondylolisthesis 
vollkommen, besonders durch N e u g e b a u e r’s Untersuchungen, sicher gestellt 
und spielen in derselben eine besonders wichtige Holle. Die Spondylolysis inter- 
articularis congenita im Bereich des letzten Lendenwirbels setzt hier, insofern 
der Bogen kein knöchernes Continuum darstellt, sondern in den Portiones 
interarticulares von Bandmasse unterbrochen ist, eine Prädisposition zur Ent¬ 
stehung der Spondylolisthesis, die dann unter der Einwirkung besonderer Ver¬ 
hältnisse, etwa durch eine übermässige Belastung der Wirbelsäule oder durch 
ein Trauma, entsteht, indem plötzlich stärkere Dehnungen der Bandmassen 
resp. Zerreissungen derselben gesetzt werden. Freilich wird es selbst bei nicht sehr 
weit gediehenen Fällen von Spondylolisthesis mitunter recht schwierig werden, 
zu entscheiden, ob eine in der Portio interarticularis des letzten Lendenwirbels 
vorfindliche Spondylolysis interarticularis die Bedeutung einer congenitalen oder 
frakturären Continuitätstrennung besitzt. 

Fälle von Spondylolisthesis, die auf krankhafte Erweichung resp. Zer¬ 
störung der Wirbelknochen zurückzuführen wären, sind bis jetzt nicht gesehen 
worden, dagegen ist es wahrscheinlich, wenn auch bisher nicht sicher erwiesen, 
dass die Spondylolisthesis aus Fraktur der Portio interarticularis des letzten 
Lendenwirbels infolge eines dieselbe treffenden Traumas entstehen könne. Was 
schliesslich die Möglichkeit der Entstehung von Spondylolisthesis aus Gestalts¬ 
veränderungen des früher normal gewesenen letzten Lendenwirbels infolge von 
übermässiger Belastung desselben durch abnorme Steigerung der Rumpflast an- 
langt, auf die Arbuthnot Lane hingewiesen hat, so mag es wohl in der 


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Referate. 


That eine so entstandene Sx)ondyloli8the8i8 lombosacralis geben, doch i8t die 
Druckformation sicher nicht, wie L a n e dies aussprach, die einzige Ursache 
für dieselbe. 

Eine Entscheidung darüber, in welche ätiologische Gruppe ein specieller 
Fall von Spondylolisthesis lumbo-sacralis gehört, ist oft sehr schwierig, ja mit¬ 
unter überhaupt nicht mehr möglich, wenn nämlich hochgradige secundäre 
Veränderungen eingetreten sind. Immerhin aber wird man einerseits per 
exclusionem, andererseits mit Heranziehung aller sonstigen, namentlich der 
anamnestischen Daten die Zahl der für den betreffenden Fall überhaupt annehm¬ 
baren Ursachen in zweckdienlicher Weise einzuengen vermögen und so der rich¬ 
tigen Lösung näher kommen , als wenn man von vornherein der Anschauung 
huldigt, dass die Spondylolisthesis lumbo-sacralis stets nur aus ein und der¬ 
selben Ursache sich entwickeln könne. G. Joachimsthal-Berlin. 


Kuno Pescatore, üeber die Endergebnisse der Resectionen des Ellbogen¬ 
gelenkes. Inaug.'Diss. Berlin 1892. 

Pescatore hat die Endergebnisse einer Reihe von Resectionen des 
Ellenbogengelenkes, die in den letzten 12 Jahren in der Bardeleben'schen 
Klinik ausgeführt wurden, zu ermitteln versucht. Es gaben dabei 24mal Tuber- 
culose des Ellenbogengelenkes, 7mal Traumen, Imal Ankylose die Indication 
zur Resection. 6mal wurde die totale, 19mal die partielle Resection vorge¬ 
nommen, 2mal wurden 2 partielle, 2mal 3 partielle, sowie je Imal 2 totale, 
eine partielle und eine totale, 2 partielle und eine totale. 

Pescatore zählt, der GurlUschen Eintheilung in 5 Kategonen fol¬ 
gend, 2 ausgezeichnete, 10 gute, 2 mittel massige, 4 schlechte, 4 unbrauchbare 
Resultate; 3mal waren Arnjiutationen erforderlich, in 7 Fällen konnte noch 
nicht von einem Endre.sultat gesprochen werden. Von den 25 »Endresultaten* 
sind 1 zwölf, 1 neun, 4 acht, 3 sieben, 3 sechs, 5 vier. 4 zwei, sowie 1 ein 
Jahr alt. 

Die functioneilen Resultate der typischen Resectionen waren durchschnitt¬ 
lich schlechter, die partiellen besser wie mittelinässig. Dagegen wurde die 
Araputatio humeri nur nach geschilderten Resectionen nöthig. Nach partieller 
Resection traten ferner 13, nach totaler nur ein Recidiv ein. 

Neun nachgewiesene Complicationen mit Lungentuberculose kamen vor; 
in 2 Fällen liess es sich feststellen, dass dieselbe erst nach der Openition und 
zwar in ganz acuter Weise entstanden war. 

Das arithmetische Mittel der Bewegungsexcursionen betrug in den von 
Pescatore ermittelten Fällen 70,5 Grad, totale Ankylosen kamen in zwei 
Fällen nach partieller Resection vor. Schlotterverbindungen sind neun zu ver¬ 
zeichnen, sechs nach totalen, drei nach partiellen Resectionen. ln einem Falle 
trat Schlottervcrbindung ein, nachdem nur eine Stelle an der Ulna und solche 
an den Coudylen des Humerus ausgelöffelt waren. Die Beweglichkeit von Hand 
und Fingern hatte in vier Fällen gelitten, unnatürliche Stellungen der Hand 
wurden in zwei Fällen beobachtet. Zwei Patienten haben Beweglichkeits¬ 
beschränkung im Schultergelcnk; bei zwei andern hing die Schulter herab. 

Deutlichere nervöse Störungen irgend welcher Art (neuralgisclie Be- 


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Referate. 


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schwerden, vasomotorische und secretorische Erscheinungen) fanden sich in 
sechs Fällen. J o ach im sthal-Berlin. 

Urasaburo Kosima, üeber den Verlauf und Ausgang der tuberculösen Er¬ 
krankung des Ellenbogengelenks. Deutsche Zeitschr. f. Chir. Bd. 35 S. 65. 

Das Kosima's Arbeit zu Grunde liegende Material besteht aus 137 
innerhalb eines Zeitraums von 15 Jahren in der chirurgischen Klinik zu Göt¬ 
tingen behandelten Fällen von Ellenbogengelenkstuberculose, über deren End¬ 
resultat sich Kosima, soweit dies möglich war, theils durch eigene Unter¬ 
suchung, theils brieflich Anhaltspunkte zu verschaffen suchte. Kosima theilt 
die gesammelten Fälle, je nachdem von einer eingreifenderen oder weniger ein¬ 
leitenden Behandlungsmethode Gebrauch gemacht worden war, in zwei Gruppen. 
In der einen Gruppe figurirt die Behandlung mit Gypsverbänden, ferner die 
Injection von JodoIbrmglycerin, die Incision von Abscessen, das Auskratzen 
tuberculöser Granulationen sowie endlich die partielle Resection, worunter 
Kosima diejenige Operation versteht, bei welcher das Gelenk ausgiebig ge¬ 
öffnet wurde, um die Entfernung der Heerde im Knochen oder den erkrankten 
Theil der Synovialis vorzunehmen, ohne jedoch dabei wie bei der typischen 
Resection die Knochenenden abzntragen. Als eingreifendere Behandlungsmetho¬ 
den vereint Kosima alsdann die Amputation und ty[»ische Resection in der 
zweiten Gruppe. 

Jodoforniinjectionen wurden nur für 2 Kranke gebraucht, beide Male 
ohne Erfolg; Gypsverbände sind ebenfalls nur 2mal verwendet worden. Die 
eine so behandelte Kranke ist ohne Besserung entlassen und bald an Lungen- 
tuberculose gestorben, der zweite hierhergehörige Patient, der nach einer In¬ 
cision einen Gypsverband erhielt, wurde zwar etwas gebessert entlassen, starb 
jedoch ein Jahr später ebenfalls an Lungentuberculose. Mit Incision von Ab¬ 
scessen , Auskratzungen und partiellen Resectionen wurden 17 Patienten be¬ 
handelt, so dass also 21 Patienten (15 ®/o) der ersten Gruppe angehören. Mit 
eingreifenderen Methoden behandelt wurden dagegen 116 (85 7«)- Amputatio 
humeri wurde dabei 8mal vorgenommen und zwar weniger des hohen Alters 
der Patienten wegen als hauptsächlich wegen der ausgedehnten Zerstörung des 
Gelenks und der vorgeschrittenen Tuberculose der inneren Organe. Darunter 
ist in 7 Fällen primär und in einem Fall secundär nach der Resection, die 
nicht zum gewünschten Ziele geführt hatte, amputirt worden. Resecirt wurde 
lOSmal und zwar 94mal nach v. Langenbeck und 14mal nach König. 

Was die Endresultate sowohl bei den eingreifenden als den weniger ein¬ 
greifend operativ behandelten Fällen betrifft, so trat vollkommene Heilung mit 
mehr oder weniger Beweglichkeit ein in 48 Fällen, unvollkommene Heilung 
mit zurückbleibender kleiner Fistel und beschränkter Gebrauchstahigkeit in 
8 Fällen; durch Amputation geheilt wurden 6 Fälle, gestorben waren zur Zeit 
von Kosima's Nachforschungen 38, unbekannt 34 Patienten. Diese Fälle ver¬ 
theilen sich derart auf beide oben unterschiedene Gruppen, dass von den we¬ 
niger eingreifend behandelten Kranken vollkommen geheilt wurden 31 ^/o, un¬ 
vollkommen 7,5 61,57o in der Zwischenzeit starben, während von den 

Patienten der zweiten Gruppe 547o vollkommen, 87o unvollkommen geheilt 
und 38 7o gestorben waren. 


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Referate. 


In Bezug auf die Frage, wie die operirten Arme sich in Bezug auf die 
Function und Gebrauchsfähigkeit verhielten, betrachtet auch hierKosima die 
Functionsresultate neben einander, je nachdem die Behandlungsmethode ver¬ 
schieden war. Von 45 durch Resection geheilten Kranken war bei 27 (60%) 
Heilung mit mehr oder weniger Beweglichkeit, bei 15(33%) Heilung mit Anky¬ 
lose und bei 3 (7%) Heilung mit Schlottergelenk eingetreten, während von 4 
mit den weniger eingreifenden Methoden Behandelte bei 3 (75 7'^) Heilung mit 
mehr oder weniger Beweglichkeit, bei 1 (25 %) Heilung mit Ankylose zu Stande 
gekommen w’ar. Schliesslich ergibt eine Uebersicht über die nach v. Langen- 
beck und König resecirten Kranken, dass von den nach v. Langenbeck 
Operirten 60 7« vollkommen, 197o unvollkommen geheilt und 317o gestorben 
waren, 'während von den nach König Resecirten 38,5 7« vollkommen, 7,57® 
unvollkommen geheilt und 54 7® gestorben waren. In Bezug auf die Function 
des operirten Arms war Heilung mit mehr weniger Beweglichkeit eingetreten 
bei 62,57® der nach v. Langenbeck und 407® der nach Kö n i g behandelten 
Kranken, Heilung mit Ankylose bei 30 7® der nach v. Langenbeck, bei 607« 
der nach König Operirten und Schlottergelenk bei 7,57® der nach v. Langen¬ 
beck, bei 07® der nach König Resecirten. Nach dieser Zusammenstellung 
scheinen durcli die König’sche Methode viel mehr Ankylosen zu Stande ge¬ 
kommen zu sein als nach dem v. Langenbeck’schen Verfahren; doch ist die 
Zahl der mit der Abmoisslungsmethode behandelten Kranken zu klein, um die 
richtige Entscheidung dieser Frage zu ermöglichen. 

Joachimsthal - Berlin. 


Hermann Krukenberg, Beugecontractur der Finger infolge von Deviation 
der Strecksehnen. Jahrbücher der Hamburgischen Staatskrankenanstalten. 
II. Jahrgang 1890. 

Krukenberg theilt die Krankengeschichte eines 24ijährigen Schuh¬ 
machers mit, der an einer Beugecontractur der Finger der rechten Eand litt. 
Bei genauerer Untersuchung der betreffenden Hand zeigten sich alle in Frage 
kommenden Gewebe, deren Contractur oder Insufticienz die Contractur hätte 
erzeugen können, intact. Dagegen fand sich, dass am 2. bis 5. Finger die stark 
hervorspringenden Strecksehnen vom Capitulum metacarpi nach der ulnaren 
Seite hin abgewichen waren, so dass sie nicht mehr auf der Höhe des als Rolle 
dienenden Capitulum, sondern in der ulnarwärts von demselben gelegenen 
Furche zwischen den einzelnen Capitula verliefen. Ara 5. Finger zeigt« sich 
die Sehne nach der Ulnarseite, nach dem Kleinfingerballen zu, stark dislocirt. 
Die Beugecontraction ist nur einfach als Folge der veränderten Zugrichtung 
der Strecksehnen zu erklären. Brachte man diese in ihre normale Lage, so 
konnte der Patient die Finger gut strecken. Eine Operation, die wegen eines 
gleichzeitigen Herzfehlers des Patienten unterlassen wurde, hätte demnach die 
Fixation der Sehne an ihrer normalen Stelle durch Einraeisseln von Läng?- 
furchen in die Capitula metacarpi erstreben müssen. 

Die Ursache der Affection liegt nach Krukenberg in der abnormen 
Lockerung des Bindegewebes, durch welches die Strecksehnen auf den Capitulis 
der Metacarpi hxirt werden. Eine solche Lockerung des Bindegewebes scheint 


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Referate. 


311 


sich im Anschluss an den acuten und chronischen Gelenkrheumatismus ent¬ 
wickeln zu können. Der Patient Krukenberg’s hatte an letzterer Krankheit 
g’elitten. H o f f a - Wtirzbu rg. 

Wahncan, Die Behandlung alter Knie- und Hüftgelenkscontracturen mit oflenen 
Sehnen- nnd Muskeldurchschneidungen. Jahrbücher der Hamburger Staats¬ 
krankenanstalten. II. Jahrgang 1890. 

Empfehlung der offenen Durschschneidung aller geschrumpften Weich- 
theile bei der Behandlung von Gelenkscontracturen mit nachfolgender Heilung 
unter dem Schede’schen Blutschorf. Die Resultate, die in 8 mitgetheilten 
Fällen erzielt wurden, sind ausnahmslos sehr gute und kann die Methode auch 
nach den Erfahrungen des Ref. und denen von Lorenz nur empfohlen werden. 

H 0 f f a - W ürzburg. 

A. Dubrueil, Section des tendons fl^chisseui-s de Tindex, sutures des bouts 
peripheriques avec le tendon du mödius; succ^s. Revue d’orthopedie 
1892, Nr. 6 S. 413. 

Nach einer Durchsebneidung der beiden Sehnen des oberflächlichen und 
tiefen Beugers des Zeigefingers in der Hohlhand etwas oberhalb der Articulatio 
metacarpO'phalangea machte Dubrueil am 5. Tage nach dem Unfall den Ver¬ 
such, die beiderseitigen Stümpfe aufzusuchen und eventuell durch die Naht zu 
vereinen. Da sich die centralen Enden der durchtrennten Sehnen jedoch trotz 
vieler Mühe nicht auffinden liessen, so entschloss sich Dubrueil dazu, die 
peripheren Stümpfe leicht anzufrischen und alsdann mit Hilfe zweier Catgut¬ 
nähte an die Sehne des oberflächlichen Beugers des Mittelfingers zu befestigen. 
Der Kranke beugte danach zunächst die beiden letzten Phalangen des Zeige¬ 
fingers stets gleichzeitig mit dem Mittelfinger, später soll er die volle Beweg¬ 
lichkeit des Index und auch die Möglichkeit, denselben unabhängig von dem 
Mittelfinger zu beugen, wiedererlangt haben. Joachimsthal -Berlin. 

Erb, üeber einen Fall von angebojenem Defect zweier Finger der linken 
Hand. Verhandl. des naturhistorisch-medicinischen Vereins zu Heidel¬ 
berg 1892, S. 438. 

Erb fand bei einem 60jährigen von allen sonstigen Missbildungen freien 
Maurer an der linken Hand nur drei Finger, die der Patient wie jeder gesunde 
Mensch gebrauchen konnte. Dem äusseren Anschein nach handelte es sich hier 
um ein Fehlen des Zeige- und kleinen Fingers. Die beiden restirenden Finger 
entsprechen in Form, Grösse und Stellung ziemlich genau dem Mittel- und 
Ringfinger der rechten Hand. Soweit dies durch die Untersuchung am Leben¬ 
den, mit Bezug auf Nervenverbreitung, Muskel- und Sehnenansätze und Function, 
besonders mit Hilfe des faradischen Stroms festgestellt werden konnte, schien 
die Auffassung dass die drei Finger Daumen, Zeige- und Mittelfinger seien, die 
richtige zu sein. 

Erb verweist dabei auf eine von Wen zel-Gruber publicirten Fall, in 
dem ebenfalls nur drei Finger an der linken Hand gefunden wurden, die auf 
Grund der anatomischen Zergliederung als Daumen, Zeige- und kleinen Finger 
zu deuten waren. Joachimsthal -Berlin. 


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312 


Referate. 


V. Röchet, Nouveau procede de greffe tendineux dans les cas de sectiou 

ancienne des tendons flöchisseurs des doigts. Gaz. hebdom. 1891, Nr. 2o. 

p. 293; Lyon med. Journ. 1891, Nr. 43 p. 575. 

In einem Falle von veralteter Durchtrennung der beiden Flexoren des 
rechten Zeigefingers mit einer Entfernung der beiden Stümpfe um 6 cm von 
einander hat Röchet ein eigenartiges Verfahren der Sehnenplastik geübt 
Nachdem er am Zeigefinger durch einen longitudinalen Schnitt die Insertions¬ 
stelle des tiefen Beugers an der 3. Phalanx blossgelegt hatte, durchtrennte er 
diese Sehne dort, wo sie durch die Spalte des hochliegenden Beugers hindurch¬ 
tritt. Zur Hohlhandwunde zurückgekehrt suchte Röchet sich nun den peri¬ 
pheren Stumpf des tiefen Beugers, befreite ihn von seinen Verbindungen mit 
dem Flexor sublimis, und zog alsdann die an der Insertionsstelle freie Sehne 
in ihrer Scheide nach oben in die Hohlhandwunde. Das untere Ende derselben 
nähte er nunmehr an den peripheren Stumpf des Flexor sublimis, während er 
das obere an das centrale Ende derselben Sehne und der Sehne des M. flexor 
profundus selbst befestigte. Endlich vernähte er den an der 3. Phalanx stehen 
gebliebenen Rest des Flexor digiti profundus an die Spaltränder, die hier zum 
Durchti’itt der Sehne des tiefen Beugers in dem oberflächlichen Beuger vor 
handen sind. Die Nähte wurden mit Seide ausgeführt, nach vorheriger An¬ 
frischung der durchschnittenen Sehne. Nach gutem Wund verlauf war das 
Resultat ein vorzügliches, indem nicht nur die 2., sondern auch die 3. Phalanx, 
letztere allerdings nicht über einen sehr stumpfen Winkel hinaus, gebeugt 
werden konnte. Joachimsthal-Berlin. 

W. Herz og, lieber angeborene Deviationen der Fingerphalangen (Klinodactylie). 

Münch, med. Wochenschr. 1892, Nr. 20 S. 344. 

Herzog hat in einem Fall von angeborener doppelseitiger Deviation 
der Daumenendphalangen nach der ulnaren Seite zunächst am rechten Daumen 
von einem Längssschnitt auf der ulnaren Seite des Ligamentum laterale des 
Interphalangealgelenkes durchschnitten. Da hierdurch eine Correction der 
Stellung nicht zu erreichen war, wurde durch einen Längsschnitt an der radialen 
Seite des Gelenkes und Durchschneidung des Ligamentum laterale an dieser 
Seite das Gelenk weit eröffnet und hierauf eine schräge Resection des Capitulum 
der 1. Phalanx ausgeführt, wobei der Knorpel ganz entfernt wurde, und auf 
der radialen Seite ein Stück Knochen wegfiel. Da jedoch das Resultat auf 
dieser Seite nicht ganz befriedigend ivar, indem eine grosse Neigung zur 
Deviation noch fortbestand, und ausserdem die Bewegungen im Interphalangeal- 
gelenk beschrankt blieben, w’ählte Herzog am linken Daumen eine andere 
Operationsmethode, indem er von einer Längsincision an der radialen Seite der 
1. Phalanx aus susperiostal einen Keil mit radialer Basis entfernte, und zwar 
dicht oberhalb des Interphalangealgelenkes unter Schonung desselben. Nach 
Fracturirung der übrig gebliebenen, ulnarwärts gelegenen Knochenlamellen liess 
sich die Stellung ziemlich ausgleichen. Die Nachbehandlung bestand in Schienen¬ 
verbänden und später noch Consolidation der Knochenfractur in Massage sowie 
activen und passiven Bewegungen der Daiimengelenke. Das Resultat war hier¬ 
nach ein nahezu vollkommenes, indem keine Neigung zur Deviation bestand. 


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Referate. 


313 


und da das Gelenk hier intact blieb, die Beweglichkeit normal und die Gebrauchs¬ 
fähigkeit eine gute wurde. H o ffa-Würzburg. 

Oscar Eollmann, Die Behandlung des federnden Fingers. Münch, med. 
Wochenschr. 1892, Nr. 32. 

Eollmann führt in dem mitgetheilten Falle die Entstehung des Phä¬ 
nomens des federnden Fingers auf ein Trauma zurück und zwar das Entkorken 
eines Mineralwasserkruges, dessen Eork maschinell zu fest eingetrieben war. 
Beim Einschrauben des Eorkziehers übte dessen eiserner Bügel einen starken 
Druck auf dieVola manus aus und beim Entkorken erfolgte ein starker Rück- 
stoss, so dass in der Hohlhand sogleich ein brennender Schmerz wahrgenommen 
wurde. Nach einigen Tagen entwickelten sich an dem ersten Interphanlangeal- 
gelenk des Mittelfingers die Erscheinungen des Fedems. In der Hohlhand liess 
sich dabei in der Gegend der Condyli des Mittelfingers eine leichte Verdickung 
nachweisen, welche beim Spiele der Sehne als dieser und der Sehnenscheide 
angehörig erkannt wurde. Genau auf die verdickte Stelle in der Hohlhand 
wurde eine mit Leinraull umwickelte planconvexe Bleiplatte mit ihrer convexen 
Seite, welche an der Innenseite eines starken ledernen Handschuhs eingenähi 
war, applicirt und dieser Druck noch durch Bin den touren verstärkt. Bei dieser 
Behandlung, die nach Eollmann nur alle 2 Tage, und in diesen Tagen nur 
6—8 Stunden durchgeführt werden darf, trat vollständige Heilung ein. 

H o f f a -Würzburg. 

Adolf Lorenz, lieber die mechanische Behandlung der Coxitis und der fun- 
gösen Gelenkserkrankungen der unteren Extremität überhaupt. (Wiener 
Elinik 1892, Nr. 10 u. 11.) 

Eine neue Arbeit von Lorenz wird in Fachkreisen stets mit Freuden 
begrüsst. Diesen Erfolg verdient auch seine neueste Monographie, in der er 
eines der bisher undankbarsten Eapitel, die Therapie der Coxitis, behandelt. 
Ausgehend von dem richtigen Standpunkt, dass gerade arme Patienten das 
grösste Contingent aller orthopädischen Eranken bilden, wendet Lorenz das 
Augenmerk hauptsächlich darauf, dass die zweckmässigsten Mittel auch zugleich 
die einfachsten sind, und dass jeder Arzt diese einfachen Mittel auch auf 
kurzem Wege selbst herzustellen in den Stand gesetzt wird, falls er über 
etwas mechanische Geschicklichkeit verfügt; denn der Arzt soll kein „Apparato- 
therapeut“ sein, er soll seinen Patienten keine complicirten und theure Apparate 
verschreiben, die dieselben in die Hände des Bandagisten liefern, sondern er 
soll selbst mit der „chirurgischen Hand“ unterstützt durch die ihm zur 
Verfügung stehenden mechanischen Hilfsmittel seine Kranken heilen. 

Lorenz hegt, gestützt auf vielfache Erfahrung, die Ueberzeugung dass 
eine frühzeitige mechanische Behandlung, welche gleich bei den ersten Sym¬ 
ptomen der tuberculösen Gelenkerkrankungen einsetzt, den Verlauf derselben 
wesentlich modificiren und günstig beeinflussen, ja dieselben häufig sogar cou- 
piren kann. Stillung der Schmerzen, um dem Patienten ungestörten Schlaf 
zu verschaffen, Ermöglichung des Aufenthaltes in frischer Luft, sei es in 
Horizontallage oder mit der Möglichkeit selbständiger Bewegung im Freien, das 


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Referate. 


sind die Hauptaufgaben der mechanischen Therapie der fungösen Gelenk¬ 
erkrankungen, erst dann kann die Erkrankung durch Hebung der Ernährung' 
und Besserung des Allgeraeinzustandes günstig beeinflusst werden. 

Die Coxitis gilt als die schmerzhafteste aller tuberculösen Gelenk¬ 
erkrankungen, und zwar treten diese Schmerzen hauptsächlich bei Nacht ein. 
weil die namentlich im Beginn der Coxitis vorhandenen reflectorischen Muskel¬ 
spasmen, welche während des Wachens das Gelenk fixiren, sich im tiefen 
Schlafe lösen, wodurch die Schmerzen entstehen. Zum Beweise hierfür ver¬ 
mochte Lorenz durch locale Cocainanästhesie im Gelenk diese Spasmen zu be¬ 
seitigen. Als beste Methode, die Schmerzen zu stillen, ist nun die Fixirung des 
Gelenkes durch mechanische Mittel zu betrachten, dann verschwinden auch die 
Reflexspasmen. 

Den Anschauungen der amerikanischen Collegen, dass die Spasmen die 
Zerstörung des Gelenkes herbeiführen, kann Lorenz nicht l^eistimmen, weil 
er beobachtet hat, dass der starre Spasmus sich nur bei beginnender Coxitis 
vorfindet, w’o die Gelenktheile noch intact und fest sind. Er ist auch kein 
Anhänger der bisher üblichen reinen Extensionsmethode, die ihm als alleiniges 
Fixationsmittel nicht ausreicht, ausserdem den Patienten an das Bett fesselt 
sehr umständlich ist, bei Heftpflasteranwendung, leicht Ekzem und Excoriationen 
hervon*uft und fortwährende Nachhilfe und Beaufsichtigung verlangt. So ver¬ 
dammt er auch die zum Theil noch bestehende »Ankylophobie“, da er als 
weitere Aufgabe der mechanischen Therapie es ansieht, in jenen Fällen, wo 
meist wegen zu spät eingeleiteter Behandlung eine restitutio ad integrum nicht 
erzielt werden kann, sondern eine Zerstörung der Gelenktheile entsteht darüber 
zu wachen, dass das Gelenk in einer zweckmässigen Stellung ankylosire. Je 
fester die Ankylose, um so besser functionire das Bein. Aus diesem Grunde 
verzichtet er auch auf die Ermöglichung freier Beweglichkeit während der 
Fixation. 

In ausführlicher Weise bespricht Lorenz, wie den Indicationen der 
Fixation und Entlastung durch die üblichen mechanischen Vorrichtungen ent¬ 
sprochen wird, wobei er die Methode von P h e 1 p s (Patient wird mittelst Gyps- 
verband auf einem nach seinen Körpercontouren geschnittenen, gepolsterten 
Brett befestigt, der kranke Fuss ist dabei an das untere Ende angezogen) als 
einfaches und sinnreiches Mittel die gewünschten Indicationen zu erfüllen, lobt. 
Die Extensionsschienen (Davis, Taylor etc.) wendet Verfasser nicht an, weil 
sie nur einen gewissen Grad von Fixation erzielen. Die durch mechanische 
Fixation des Gelenkes wirkenden Schienen von Thomas, Phelps, die 
LovetPsche Hüftkrücke entsprechen den an sie gestellten Forderungen, haben 
aber mehr oder weniger Nachtheile, auch benöthigen sie Krückengebrauch, so 
dass die einfache und sichere Methode des Verfassers mit Freude begrüsst wird. 

Die Fixirung geschieht zunächst unter Belastung der spastischen Con- 
tracturstellung, vermeidet also im floriden Stadium jedes Redressement, um so 
mehr da die primäre pathologische Stellung des Beines die wünschenswerthe 
Haltung bei Ausheilung mit Gelenkzerstörung repräsentirt. Nur bei hoch¬ 
gradiger Deformität corrigirt Lorenz, wobei er sich häufig der lokalen Nar- 
cose mittelst intraarticu'.ärer Cocaininjcction bedient. Als Mittel zur Fixation 
dient ihm das Coxitisbett, welches aus Gipsbinden in ähnlicher Weise wie das 


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Referate. 


315 


SpOndylitisbett des Verfassers hergestellt wird. Nachdem das Bett getrocknet und 
gepolstert ist, wird Patient mit straffen Binden darauf befestigt. Nach Ver¬ 
minderung der Spasmen und Beseitigung der Schmerzen erfolgt die Stellungs- 
correctur, falls solche nöthig, durch eine neue Application des Coxitisbettes in 
verbesserter Stellung, Bei hochgradigen perversen Beinstellungen wird das 
Coxitisbett mit orthopädischer Extension combinirt. — Nach der Stellungs- 
correctur Anlegung eines Gehapparates in Form eines inamoviblen Gipsver- 
bajides oder einer nach Modell gearbeiteten abnehmbaren Holz- oder Celluloid¬ 
hülse. Letztere dienen auch zur Nachbehandlung, da eine längere Fortdauer 
der Fixation von grösster Wichtigkeit ist. Für Herstellung aller dieser mecha¬ 
nischen Verbandmittel werden die genauesten Vorschriften mitgetheilt. 

Die Behandlungsprincipien bei Erkrankung des Knies- und Sprunggelenkes 
sind au fond dieselben, nur bietet ihre Ausführung geringere Schwierigkeit; 
auch für diese Erkrankungen werden genaue, schätzenswerthe Vorschriften 
gegeben. 

Was die operative Behandlung der Coxitis anlangt, so beschränkt sich 
Lorenz auf event. zu wiederholende Function von Abscessen mit nachfolgender 
Salicylauswaschung; nur bei drohendem Spontandurchbruch mit Schmerzen und 
Fieber spaltet er den Abscess breit, kratzt die Abscesshöhle aus und drainirt. 
{Sollten die jetzt verbreiteten, allseitig günstig beurtheilten Jodoforminjectionen 
dem Verfasser so werthlos erscheinen, dass er dieselben gar nicht erwähnt? lief.) 

T a u s c h • München. 

Zur Lehre der Torticollis spastica. Sammelreferat von Dr. Hoffa*Würzburg. 

In den letzten Jahren ist, angeregt durch Noble Smith in London, 
wiederholt die Resection des Nervus accessorius zur Behandlung der Torticollis 
spastica ausgeführt worden. Die neueren einschlägigen Arbeiten sind folgende: 

1. Noble Smith, Spasmodic wry*neck and other spasmodic movemente of the 

head, face and neck. London 1891. 

2. L. H. Petit, Traiteraent du Torticollis spasmodique par le resection du nerf 

spinal. Revue d’orthopedie Nr. 4, 1891. 

3. Atkin, Sheffield Medico Chirurgical Society, 25. Febr. 1892. The Lancet, 

19. März 1892. 

4. Ch. A. Powers, Resection of the posterior Brauches of the first three Cer- 

vical Nerves for Spasmodic Wry neck. The New-York medical Journal 

5. März 1892. 

5. W. Keen, A New Operation for spasmodic Wryneck. Annals of Surgery. 

Januar 1891. 

6- A. Pearce Gould, A Gase of spasmodic Torticollis treated by Avulsion of 
the central End of the spinal accessory nerve. The Lancet, 18. Juni 1892. 

7. Noble Smith, Spasmodic Torticollis and others spasmodic movements of the 

Head. The Lancet, 18. Juni 1892. 

8. Edmund Owen, Spasmodic Wryneck, treated by resection of the spinal 

accessory nerve. The Lancet, 18. Juni 1892. 

9. Major u. Mr. J. Appleyard, Spasmotic Torticollis. Excision of a piece 

of right spinal accessory nerve. The Lancet, 18. Juni 1892. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. II. Baud. 21 


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Referate. 


Die Resection des Nervus accessorius zur Heilung einer Torticollis spastica 
ist zuei-st von Bujalski (1834), dann von M. Campbell de Morgan ausge- 
führt worden. Seitdem wurde sie mehrfach gemacht. Petit konnte in seiner 
im Juli 1891 erschienenen Arbeit schon 24 Fälle zusammenstellen. Wir können 
diesen noch 3 Fälle von Gould, 3 nepe Fälle von Noble Smith und je einen 
Fall von Atkin, Owen, Major und Appleyard, Powers und Keen hinzu¬ 
fügen. Wir hätten demnach bis jetzt über 35 Fälle zu verfügen. Von den 
24 Fällen von Petit war in 18 ein wesentlicher Erfolg erzielt worden (11 voll¬ 
ständige Heilungen, 7 wesentlicho Besserungen). Von den 11 von uns noch 
hinzugefügten Fällen war das Resultat bezüglich der Heilung des Krampfes 
gut in dem 1 Fall von Noble Smith — die beiden andern waren bei der 
Publication noch nicht lange Zeit genug beobachtet, ebenso zwei Fälle von 
Gould, ferner gut in den Fällen von Atkin, Power’s, 1 Fall von Gould, 
Owen, Major und Appleyard. In dem Falle von Keen ist ein leichtes 
Recidiv eingetreten, wahrscheinlich wohl, weil nicht alle Nervenfasern durch¬ 
schnitten worden waren. Wir hätten demnach von den 35 Fällen in mindestens 
24 Fällen ein gutes Resultat zu verzeichnen. 

Zur Ausführung der Resection des Accessorius kann man am vorderen 
oder hinteren Rand des Stemocleidomastoideus einschneiden oder nach Keen 
den Trapezius quer durchtrennen. Am besten geht man wohl am vorderen 
Rand des Stemocleidomastoideus ein. Owen räth dabei einen recht langen 
Schnitt von der Spitze des Warzenfortsatzes herab zu machen, weil der Nerv 
erst in bedeutender Tiefe in den Muskel eintritt und man letzteren daher gut 
umzudrehen in der Lage sein muss. Die Eintrittsstelle des Nerven in den 
Muskel entspricht etwa dem Kieferwinkel. Gould machte in einem Falle 
unwillkürlich die Nervenausreissung, wie sie Thiersch empfohlen hat. Viel¬ 
leicht ist diese Neurexairesis des Accessorius besser auszuführen als die Resec¬ 
tion, weil man so leichter alle Nervenverzweigungen entfernen kann. 

Durch die Operation entsteht natürlich eine Lähmung des Kopfnickers, 
Die Heilung des Krampfes erfolgt aber in der Regel nicht unmittelbar nach 
der Operation, indem meist auch nach Lähmung des Stemocleidomastoideus 
und des Trapezius von den übrigen Drehmuskeln des Kopfes noch ein leichter 
Krampf des Kopfes hervorgebracht wird. Diese „secundären“ krampfartigen 
Bewegungen vermindern sich allmählich, um dann meist ganz zu verschwinden. 
Sollte dies nicht der Fall sein, so kann man nach Keen auch noch die hinteren 
Aeste der Cervicalnerven durchschneiden. Um nach der Operation einen voll¬ 
ständigen Erfolg zu erzielen, muss man noch Monate nach derselben einen 
Stützapparat für den Kopf tragen lassen und die contracturirten Muskeln 
energisch massiren. 

A. Poncet, De rallongemeiit d’un tendon divise, avec ecartement plus ou 
moins considerable de ses deux bouts par des incisions en zigzag prati- 
quees sur ses bords. — Allongement en accordeon. Gaz. hebdomad. de 
medecine et de Chirurgie 1891, Nr. 48 S. 575. 

Ein lOjähriger Landmann hatte sich durch einen Sensenhieb eine quere 
Wunde an der hinteren ünterschenkelfläche mit vollständiger Durchtrennung 
der Achillessehne ungefähr 3 cm oberhalb ihrer Insertion zugezogen. Bei recht- 


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Referate. 


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’^inkliger Stellung des Fusses zum Unterschenkel waren die beiden Selinen- 
enden ungefähr 3 cm von einander entfernt. Da die Stümpfe nur bei stärkster 
Plantarflexion des Fusses mit einander in Contact zu bringen waren und Poncet 
ein Durchschneiden der Fäden fürchten musste, so vollführte er an dem oberen 
Stumpf zwei zickzack förmige Einschnitte bis über die Mitte der Sehne. Es 
resultirt daraus eine, beträchtliche Verlängerung, so dass nun die Sehnenenden 
bequem mit einander durch zwei Seidennähte vereinigt werden konnten. Nach 
aseptischem Verlauf war diis Resultat ein vollkommenes. 

H 0 f f a - Würzburg. 

Rudolf T emesväry, Ueber intrauterine ünterschenkelbrüche. Wiener medic. 

Wochenschr. 1892, Nr. 33/34. 

Temesväry constatirte bei einem 12 Tage alten Zwillingskinde intra¬ 
uterin entstandene Fracturen beider Unterschenkel an symmetrischen Stellen. 
An der Grenze zwischen unterem und mittlerem Drittel war hier an der inneren 
Fläche beiderseits ein nach innen und abwärts gerichteter, fast haselnussgrosser 
stumpfer, knöcherner Höcker zu fühlen, der nach innen und nach oben mit 
glattem Rande in den übrigen Theil des Schienbeins überging und über dessen 
Spitze je eine weisse narbige Einziehung sichtbar war. An der Aussenseite der 
Unterschenkel, ca. 1 */« cm tiefer als die erwähnten Höcker, waren ebenfalls 
massig heiTorragende bohnengrosse knöcherne Erhebungen nachzuweisen. Beide 
Schienbeine zeigten sich stark verdickt und erschienen in der Sagittalrichtung 
zu.samraengedrückt, in der Querrichtung dagegen ausgebreiteter. Beide Unter¬ 
schenkel w^aren nur je 7 cm lang und so um ein Beträchtliches (ca. 5 cm) kürzer 
als gewöhnlich. Die Füsse waren subluxirt; der äussere Rand stand 1*/* cm 
höher als der innere. Den untersten Punkt bildete beiderseits der Talus. Die 
Knie befanden sich in Valgusstellung. Sonstige Entwicklungsfehler, auch Fibu- 
lardefecte, waren nicht vorhanden. 

In der Literatur ist ausser dem mitgetheilten nur noch ein Fall doppel 
seitiger intiauteriner Unterschenkelfracturen mitgetheilt. 

H 0 f f a - W ürzburg. 

Max Sperling, Ueber die Aetiologie der sogen, intrauterinen Fracturen an 

den Extremitäten im besonderen der Unterschenkelknochen. Zeitschr. f. 

Geburtshilfe und Gynäkologie 1892, Bd. 24 S. 225. 

Sperling gelangt auf Grund ausführlicher Betrachtungen zu der Schluss¬ 
folgerung, dass derartige solitäre Knickungen an den Extremitätenknochen, wie 
sie in der Literatur besonders bei Gurlt, Ithen und H. Braun als intrauterine 
Fracturen zusaiumengestellt sind, nicht als solche, d. h. ,intrauterine Continui- 
tätstrennungen von Extremitätenknocheu, entstanden meistens durch Einwirken 
einer stumpfen Gewalt auf den Unterleib oder durch Uteruscontractionen“ an¬ 
zusehen sind, sondern dass vielmehr ihre Entstehung auf eine viel frühere Zeit, 
d. h. auf den ersten bis zweiten Monat des embryonalen Lebens zu verlegen 
ist, dass sie keinerlei Beziehung zu irgend einem Trauma haben, sondern vor¬ 
aussichtlich ihre Entstehung irgend w'elchen pathologischen, mechanischen Ein¬ 
wirkungen des erkrankten Amnions, besonders amniotischen Verw'achsungen 


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Referate. 


Falten und Strängen zu verdanken haben; dass der Ausdruck ,intrauterine 
Fractur“ dagegen nur auf meist multiple Continuitätstrennungen Anwendung 
finden könne, deren mittelbare oder unmittelbare Ursachen eine Allgemein¬ 
erkrankung des fötalen Knochensystems (sogen, fötale Rhachitis, Osteogenesis 
imperfecta, Lues u. dergl.) ist. Der Vorgang bei allgemeiner Knochenerkran* 
kung könnte dann wohl dem im extrauterinen Leben bei den sogen. Spontan- 
fracturen vorkoramenden analog sein. Joachimsthal-Berlin. 

J. Hennequin, Osteotomie des os longs. Revue de Chirurgie 1892, Nr. 9 p. 765. 

Hennequin empfiehlt zur Behandlung der ünterschenkelfractur, deren 
Fragmente Neigung zur Verschiebung nebeneinander zeigen, die permanente 
Extension, für deren Anwendung er einen eigenen Apparat beschreibt. Den¬ 
selben Apparat benutzt er auch nach der schrägen Osteotomie der Unterschenkel¬ 
knochen, die er nach fehlerhaft mit Verkürzung geheilten Fracturen dieser 
Knochen ausführt. Die Arbeit enthält einen Bericht über vier Osteotomien am 
Unterschenkel wegen schlecht consolidirter Knochenbrüche und zwei Pseudar- 
throsenoperationen. Joachimsthal - Berlin. 

Feodor Korseh, Ueber die Behandlung der Untei*schenkelbrüche im Ümher- 

gehen. Charite-Annalen 1892, II S. 439. 

Kor sch hat seit IV 2 Jahren die in die chirurgische Klinik der Charite 
zur Aufnahme gelangten Patienten mit Unterschenkel- und Knöchelbrüchen im 
wesentlichen nach den von Krause gegebenen Vorschriften behandelt und da¬ 
bei gute Resultate erzielt. Die Anlegung des Gipsverbandes geschieht ohne jede 
Polsterung und wird dann vorgenommen, wenn Kor sch eine weitere Schwel¬ 
lung der Weichtheile ausschliessen zu können glaubt. Korsch wechselt die 
Verbände alle 14 Tage, um durch Massage und passive Bewegungen der Atro¬ 
phie der Muskeln und der Steifigkeit der Gelenke vorzubeugen. 

Complicirte Untcrschenkelbrüche und einfache directe Brüche mit Quet¬ 
schung und Abschürfung der Haut bieten keinen Hinderungsgrund für den am¬ 
bulatorischen Gipsverband. Hier muss man unter Umständen etwas länger mit 
dem Anlegen desselben warten. Bei einfachen Durchstechungsfracturen wird in 
geeigneten Fällen die Vereinigung der Hautwunde vorgenommen, in anderen 
schwerer complicirten wird unter Tamponade abgewartet, bis Verminderung 
der Secretion erfolgt ist, und nun der Verband ohne Fenster angelegt. Ist 
trotz des aufgelegten Jodoformgazebausches eine Durchfeuchtung des Gipses 
eingetreten, so wird der Verband erneueid. Bei Quetschungen und Abschür¬ 
fungen der Haut. bezw. Bildung von Blasen, wird nach Abtragung der letzteren 
und Rasieren des ganzen Unterschenkels der antiseptische Apparat in Bewe¬ 
gung gesetzt, und der Gipsverband über die mit Höllensteinlösung und Bis- 
mutbum subnitricum behandelten und mit einer dünneren Salbencompresse be¬ 
deckten exeoriirten Stellen angelegt. 

Knöchelbrüche mit Sf>rung in das Fussgelenk und Bluterguss in dasselbe 
werden, nachdem eine genaue Reposition meist in Narkose vorgenommen, und 
eine weitere Anschwellung des auf einer Watson’schen Schiene gelagerten Gliedes 
nicht mehr zu befürchten ist, 2—4 Tage massirt und durch elastische Binden 


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Referate. 


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comprimirt. In extremster Vainisstellung und dorsalflectirter Stellung des Fusses 
wird dann der ambulatorische Verband am 5.—7. Tage angelegt. Je stärker 
die Anschwellung war, um so häuhgere Verbandwechsel sind erforderlich, die 
jedesmal zum Massiren benutzt werden. Einfache Knöchelbrüche hat Korsch 
24 Stunden nach dem Unfall eingegipst; in einem solchen Falle hat er nach 
24 Tagen eine vollkommene Heilung gesehen. G. Jo ach i ms thal* Berlin. 


H. Nebel, Heilgymnastik und Massage im grauen Alterthum, speciell bei den 

Chinesen (Arch. f. klin. Chir. Bd. 44 Heft 1). 

Nebel hat sich der grossen Mühe unterzogen, den Unwalu-heiten in den 
bekannten Lehr- und Handbüchern der Mechanotherapie, soweit dieselben die 
Geschichte dieser Doctrin behandeln, nachzugehen und zumal die von Daily 
aufgestellte, von anderen — wie Reibmayr, Schreiber, Hühnerfaut etc.— 
nacbgeschriebene Behauptung, der Begründer der schwedischen Heilgymnastik, 
P. H. Ling, sei nichts mehr und nichts weniger als ein Plagiator des alten chine¬ 
sischen „Cong-fou“ gewesen, zum mindesten aber durch dieses Buch zur Aufhellung 
seines Systems angeregt worden, zu entkräften. Zu diesem Zwecke theilt uns 
der Verf. den wesentlichen Inhalt des „Congfou“, welchem er in Amiot’s 
Uebersetzung in der Strassburger Bibliothek aufgefunden hat, wie einige recht 
anschauliche Bilder aus diesem Werke mit und weist nach, dass es beim Cong- 
fou lediglich darauf hinauskommt, eine bestimmte Stellung einzunehmen und 
einige Zeit zu bewahren, um dann nach einer der vielen, im Buche eingehend 
besprochenen Arten zu athmen. 

Nebel unterzieht sich weiter der Mühe, die physiologischen Auseinander¬ 
setzungen des alten, wenn auch nicht, wie die deutschen Autoren behaupten, 
,ältesten* chinesischen Buches zu reproduciren, im Beginnen, bei welchem wir 
dem eifrigen Autor hier nicht begleiten können. Der Beweis, den Nebel zur 
Ehrenrettung Ling’s erbringen wollte, ist ihm voll und ganz gelungen. 

Bum-Wien. 

Arno Ido Maggiora (Modena), Untersuchungen über die Wirkung der 

Massage auf die Muskeln des Menschen. Archiv für Hygiene 1892, XV 

S. 141. 

M a g g i o r a hat in dem Laboratorium des Prof. M o s s o unter Benutzung 
der Methoden dieses Forschers für das Studium der Muskelarbeit und der Er¬ 
müdung eine Reihe von Untersuchungen über die Wirkung der Massage auf 
die Muskeln des Menschen unter verschiedenen physiologischen Bedingungen 
angestellt. Aus seinen Experimenten gehen, kurz zusammengesetzt, folgende 
Thatsachen hervor: 

1. Die Massage, auf einen ruhenden Muskel angew’^andt, vermehrt dessen 
Resistenz, modificirt die Ermüdungscurve, indem sie das Erscheinen derselben 
verspätet. 

2. Die wohlthätige Wirkung der Massage ist innerhalb gewisser Grenzen 
ihrer Dauer proportional; wenn diese Grenzen überschritten werden, dann er¬ 
hält man auch bei Fortsetzung der Massage keine weitere Vermehrung der 
mechanischen Arbeit. 




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Referate. 


8. Die Massage 'kann die Anhäufung der Ermüdungsstoffe im Mnskel, 
die durch Ausführung von zu schnell aufeinander folgenden Arbeiten entsteht, 
verhindern. 

4. Die verschiedenen Massagemanöver wirken in verschiedener Weise 
auf die Arbeitsfähigkeit des Muskels, das Reiben und die Schläge erweisen 
sich als nicht so wirksam, wie das Kneten und die gemischte Massage. 

5. In dem durch das Fasten geschwächten Muskel kann die Resistenz- 
fähigkeit durch die Massage beträchtlich gebessert werden. 

6. Die Massage übt auf einen Muskel, der durch irgend eine Ursache, 
welche wie lange Märsche, excessive psychische Arbeit, im Fieberanfall, auf 
das ganze Muskelsystem einwirkt, geschwächt ist, eine erholende Wirkung aus, 
so dass die normale Quantität mechanische Arbeit wieder hergestellt wird. 

7. Die wohlthätige Wirkung der Massage auf die Erscheinungen der 

Contraction und der Muskelarbeit hört auf, wenn sie auf einen Muskel ohne 
freien Blutzutritt angewendet wird. G. Joachimsthal-Berlin. 

P. Bruns, Die Luxation der Semilunarknorpel des Kniegelenkes. Beiträge 
zur klinischen Chirurgie 1892, IX S. 435. 

Bruns hatte in 4 Fällen Gelegenheit, die Diagnose der Luxation der 
Semilunarknorpel des Kniegelenkes durch die Operation zu bestätigen. Mit 
Einschluss dieser eigenen Fälle stellt er 43 Beobachtungen der genannten Ver¬ 
letzung zusammen, von denen 6 an Präparaten, 37 bei Operationen an Leben¬ 
den durch die Autopsie sicher gestellt wurden. 

In Bruns 4 Fällen handelte es sich 3mal um Luxation des inneren, 
Imal um eine solche des äusseren Semilunarknorpels. Die Ursache der Ver¬ 
schiebungen war in allen Fällen in Abreissungen und Zerreissungen am vor¬ 
deren Ende der Meniscen begründet. 2mal war die vordere Haftstelle aus¬ 
gerissen, Imal das vordere Ende von seiner Raiidverbindung losgetrennt und 
mit winkliger Knickung der Fragmente wieder verwachsen. In allen Fällen 
handelte es sich um veraltete bezw. habituelle Luxationen, welche tlieils durch 
andauernde Functionsstörung, theils durch häußge Anfälle von Einklemmung 
zur Arbeitsunfähigkeit geführt hatten. In allen Fällen wurde die partielle 
Exstirpation des Meniscus ausgeführt und völlige Heilung erzielt, so dass die 
Beweglichkeit und Functionsfähigkeit des Gelenkes sich wieder vollständig her¬ 
stellte. G. Joachimsthal-Berlin. 

P. Buchheim (Leipzig), Die Bedeutung der Erschütterungen und daa Ver- 
hältniss derselben zu den übrigen Handgriffen der Massage. (Deutsche 
Ztschr. f. Chir. Bd. 34. — Festschrift, Herrn Prof. Dr. C. Thiersch 
gewidmet.) 

Anknüpfend an Hasebrock’s bekannte Versuche mit den Zand er¬ 
sehen Erschütterungsapparaten, hat Verf. mit dem Ewer’schen, nach Art der 
amerikanischen Bohrmaschine construirten „Concussor“, welchem er mehrere 
neue Ansätze beifügte, an 129 Kranken den Einfluss der localen Erschütterungen 
und Fibrationen geprüft und „in nahezu allen Fällen die symptomatischen Be¬ 
schwerden beseitigt oder wenigstens auf kurze Zeit gebessert.* Die Fälle be- 


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Referate. 


321 


trafen 15 Herzkrankheiten (genauere Diagnosen fehlen), 22 Neuralgien, ferner 
Kehlkopf-, Rachen- und Nasenkrankheiten, chronische Lymphdrüsenschwellung, 
Icterus, Gallensteinkolik, Magen- und Leberkrankheiten, Lähmungen, Epilepsie, 
Ilehim- und Rückenmarkserschütterung, Chorea, functionelle Neurosen, sowie 
einige chirurgische Erkrankungen (Callusabnormitäten, Contusionen und Distor¬ 
sionen etc.), endlich Ohrensausen, Trommelfellverwachsung und — Kropf (!). 

Ohne in die Details der Casuistik einzugehen, begnügt sich Verf. damit, 
den Ewer’schen Apparat als Surrogat der Zander’schen Maschinen dem Prak¬ 
tiker zu empfehlen. 

Interessanter als dieser meritorische Theil der Arbeit sind B u chh eim’s 
einleitende Bemerkungen über Wesen und Bedeutung der Massage im All¬ 
gemeinen und die physiologischen Leistungen der einzelnen Handgriffe. Seine 
Definition des Begriffes der Massage: „Massage ist der Gesammtbegriff aller 
der zu Heilzwecken ausgeübten Handgriffe, welche ohne Wollen des Patienten 
auf mechanischem Wege die Gewebe des Körpers beeinflussen, indem sie mehr 
oder weniger kurz dauernde Veränderungen in derselben hervoibringen* kann 
man ohne weiteres gelten lassen, zumal durch dieselbe die Erschütterungen 
der Massage, und nicht — wie Nebel hartnäckig verlangt — der Heilgymna¬ 
stik angereiht werden. 

Von ganz besonderem Interesse sind uns die für den Mechanotherapeuten 
überaus werthvollen technischen Bemerkungen des Verf., welche zeigen, dass 
Buch heim nicht nur bei Etfleurage, Fiction und Petrissage, sondern auch 
bei Tapotement und Vibration auf correcte manuelle Massage trotz der 
Anwendung des Concussors für Erschütterungsbewegungen mit Recht den 
grössten Werth legt. Bum-Wien. 

K. Hasebrock, Mittheilungen aus dem Hamburger Medico-mechanischen 

Institut vom Jahre 1891. Hamburg 1892. 

Die Mittheilungen eröffnet Hasebrock mit einem Aufsatz: Zur Wür¬ 
digung der Zander’schen Apparate für die active Bewegung der 
chwedisehen Heilgymnastik. Es veranlasst ihn dazu der Umstand, dass 
das eigentliche Princip der Z an de Eschen Apparate, was sie leisten wollen 
und sollen, noch immer zu wenig bekannt ist. Von den physiologischen Er¬ 
wägungen ausgehend, dass die Arbeitsleistung des Muskels innerhalb der ein¬ 
zelnen Bewegung keine constante ist, sondern im Beginne der Bewegung an¬ 
schwillt, und nach Erreichung eines gewissen Höhepunktes wieder abschwillt, 
darf auch der dem Muskel gesetzte Widerstand kein gleichmässiger sein, son¬ 
dern muss an- und abschwellen. Dass das Heer der Gymnasten und Masseure, 
denen man diese Manipulationen meist überlässt, nicht sehr geeignet ist, hier 
das Richtige zu treffen, muss man Hasebrock zugeben, ebenso, dass ein 
grosser Theil der gebräuchlichen Apparate mit einfachem Reibungswiderstand 
der physiologischen Forderung nicht entspricht. Zander hat nun in seinen 
Apparaten fast ausschliesslich den belasteten Hebel verwandt, der allerdings der 
genannten Forderung mathematisch vollkommen nachkommt. Durch Ueber- 
tragung des Widerstands in parallel zu den natürlichen Hebelarmen stehende 
Ebenen repräsentiren denn auch die Zander’schen Apparate ein gewisses 
technisches Ideal. 


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322 


Referate. 


Dieser Besprechung schliessen sich die Erfahrungen Hasebrock’s über 
die gymnastische Behandlung der habituellen Rückgrats Verkrüm¬ 
mungen an. Hasebrock wendet sich speciell gegen die von Lorenz in dieser 
Hinsicht geübte Kritik und gegen den Skepticismus, den man überhaupt der 
schwedischen Heilgymnastik in dieser Frage entgegenbringt. Er vertritt den 
wohl anzuerkennenden Standpunkt, dass auch bei der gynmastischen Behand¬ 
lung stets das Mobilisiren und Umkrümmen der Wirbelsäule zuerst stattzufinden 
hat, und dass erst weiterhin die Appellation an die Muskulatur in Betracht 
kommt, und zwar dies nur insofern, als dieselbe sich allmählich der redressirten 
Stellung anpassen und diese erhalten soll. Diesem Gedankengang kann die 
Berechtigung nicht versagt werden, doch würden vielleicht Hasebrock’s Resul¬ 
tate noch besser sein, wenn er nicht grundsätzlich von portativen Apparaten ala 
Unterstützung der gymnastischen Therapie absähe. Die Mobilisirung der Wirbel¬ 
säule erfolgt mittelst der Zanderapparate und sucht Hasebrock den Efiect 
des forcirten Redressement durch die Coiisequenz der Widerholung zu erreichen. 
— Aus der Uebersicht über 54 behandelte Skoliosen geht hervor, dass im all¬ 
gemeinen befriedigende Resultate erzielt wurden: namentlich die lumbalen Sko¬ 
liosen zeigen eine theilweise recht erhebliche Besserung. Fast gar nicht wurden 
dagegen die dorsalen Skoliosen durch die Gymnastik beeinfiusst, während die 
S-förmigen etwa die Mitte halten. Man darf Hasebrock zustimmen, wenn er 
glaubt, auf die schwedische Heilgymnastik als einen Factor hinweisen zu müssen, 
mit welchem man immerhin rechnen könne, wenn die Erfolge auch nicht 
ideale sind. 

Besucht wurde das Institut im Jahre 1891 von 595 Personen, darunter 
von 154 wegen chirurgischer Leiden. Unter diesen befinden sich auch 65 Fälle 
von Functionsstörungen nach Verletzungen bei Angehörigen der Berufsgenossen¬ 
schaften, Leider ist hier keine genauere Statistik angegeben, doch glaubt 
Hasebrock behaupten zu können, dass auch hier sich die ZandeFschen Appa¬ 
rate bewährt haben. Rosen feid-Nürnberg. 


G. Schütz. Erster Jahresbericht (1891) der Heimstätte für Verletzte zu Nieder¬ 
schönhausen bei Berlin. Berlin 1892. 

Der Jahresbericht der Niederschönhausener Heimstätte gibt ein anschau¬ 
liches Bild der recht erfreulichen Erfolge dieser Errungenschaft des Unfallver¬ 
sicherungsgesetzes, sowie der ZandeFschen Apparate. Die Heimstätte, ui-sprüng- 
lich für 50 Betten angelegt, hat bereits nach Jahresfrist Raum für 80—85 Pfleglinge 
und ist mit 37 ZandeFschen Originalapparaten ausgestattet. Das Hauptgebäude 
enthält ausser den Wohn- und Schlafräumen den grossen Apparateraum mit 
Massageraum, ein ärztliches Untersuchungszimmer, Wohnungen für 2 Assistenz¬ 
ärzte, 2 Masseure. Ein dritter Masseur wohnt im Pavillon, der im December 
1891 als Erweiterungsbau geschaffen wurde. 

Der Gang der Behandlung ist, dass in Abtheilungen von 12—16 Mann 
an den Apparaten geübt wird, jeder Patient erhält im Uebungsraum sein ,Re- 
cept“. Im Anschluss an die genau überwachten Uebungen wird die Massage 
und manuelle Gymnastik ausgeführt, eventuell die nothwendige elektrische Be¬ 
handlung vorgenommen. Nach Beendigung ruhen die Pfleglinge, doch wird für 


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Referate. 


323 


eine leichte Beschäftigung, die zur Unterstützung der Kur oft recht nothwendig 
ist, nach Kräften Sorge getragen; eine Bestrebung, die ihren Abschluss finden 
wird in der für die nächste Zeit geplanten Errichtung einer Beschäftigungs¬ 
und Arbeitsabtheilung. 

Die von anderer Seite bis zu 33 7« beobachtete Häufigkeit der Simulation 
kann Schütz nicht bestätigen: unter 269 im Jahre 1891 Entlassenen befanden 
sich nur 19, d. h. 7 Simulanten. Dagegen wurde sehr häufig gefunden, dass 
die Pfleglinge die Klagen über vorhandene Krankheitssyinptome stark über¬ 
treiben. 

^ Die Frequenz der Heimstätte betrug 1891 322 Verletzte mit 18155 Be¬ 
handlungstagen, das Alter der Pfleglinge schwankte zwischen 17 und 69 Jahren, 
der Durchschnitt berechnete sich auf 43 Jahre. Unter den Verletzungen nehmen 
Knochenbrüche mit 187 Fällen den ersten Rang ein (70®/o)» es folgen Contusionen 
mit 34, Weichtheilwunden mit 28, Verrenkungen mit 14, Verstauchung mit 4 
und Gehirnerschütterung mit 2 Fällen. 

Die Aufnahme der Verletzten erfolgte relativ spät, durchschnittlich erst 
im 14. Monat nach der Verletzung, gleichwohl beweisen die Erfolge die Nöth- 
wendigkeit derartiger Anstalten. Fast ein Drittel war nach der Entlassung ganz 
oder nahezu erwerbsfähig, die Herabsetzung der Erwerbsunfähigkeit betrug in 
Procent der Rente ausgedrückt 40,9 ®/o. Die am Schlüsse des Beliebtes an¬ 
geführten Krankengeschichten geben bemerkenswerthe Details über die Einzel¬ 
heiten der Erfolge. Rosen fei d-Nürnberg. 

P. Redard, Traite pratique de Chirurgie orthopedique. Avec 771 tigures dans 

le texte. Paris. Octave Doin. 1892. 

In verhältnissmässig kui*zer Zeit ist eine Reihe umfangreicher orthopädi¬ 
scher Lehrbücher erschienen, in Deutschland die allgemeine und specielle 
orthopädische Chirurgie von A. Schreiber (1888, 344 Seiten, 388 Abbil¬ 
dungen) und das Lehrbuch der orthopädischen Chirurgie von A. Hoffa 
0891, 748 Seiten, 555 Abbildungen), in Amerika The treatise on ortho- 
pedic Surgery von E. H. Bradford und R. W. Lovett (1890, 783 Seiten, 
789 Abbildungen) und zuletzt in Frankreich Traite pratique de Chirurgie 
orthopädique von P. Redard (1892, 1047 Seiten, 771 Abbildungen). 

Jedes dieser mit grossem Fleiss und Sachverständniss ausgearbeiteten 
Werke besitzt seine Vorzüge, sie ergänzen sich gegenseitig, so dass man.in 
seiner Bibliothek keines derselben missen möchte. Die Lehrbücher von Hoffa 
und Bradford und Lovett spiegeln mehr die Individualität der Verfasser 
wieder, Schreiber und Redard lassen dagegen neben der eigenen die An¬ 
sicht fremder Autoren in ausgedehnterem Maasse zur Geltung kommen, sie bieten 
dem Leser ein umfangreicheres Material und geben ihm dadurch Gelegenheit 
selbst zu wählen und zu bestimmen. Wer sich dieser Mühe gern enthält, wird 
Hoffa oder Bradford und Lovett vorziehen. Hoffa’s Buch eignet sich da¬ 
her auch besser für den Studirenden. Das Lehrbuch von Bradford und Lovett 
zeichnet sich vor allen anderen durch die sorgsame und eingehende Behandlung 
der chronischen Gelenkkrankheiten aus, das Hoffa's dadurch, dass er 
auch die Lehre von den Prothesen hinzugefögt hat. 


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Referate. 


Redard hat sein Buch Frau Furtado-Heine gewidmet, in dankbarer 
Anerkennung der Verdienste, die diese edle Frau sich durch Gründung gross¬ 
artiger Wohlthätigkeitsanstalten erworben hat. Ihr verdankt es der Verf., dass 
er Gelegenheit hatte, seine Studien über orthopädische Chirurgie an einem zaiil- 
reichen Krankenmaterial zu machen. Die Resultate dieser Studien und der 
praktischen Prüfung verschiedener Behandlungsmethoden hat er in seiner Arbeit 
niedergelegt. 

Bevor Redard an die Ausarbeitung seines umfangreichen Werkes ging, 
hat er aber nicht nur in der Literatur des ln- und Auslandes, sondern auch 
auf ausgedehnten Reisen überall Umschau gehalten, hat fast alle wichtigeren 
orthopädischen Anstalten der alten und neuen Welt aus eigener Anschauung 
kennen gelernt, ist mit den Leitern deraelben in persönlichen Verkehr getreten. 
Bei seiner grossen Objectivität, bei seinem gesunden kritischen Sinn, hat dadurch 
sein Unheil einen um so grösseren Werth. Redard hat als Material ungefähr 
in derselben Weise und in demselben Umfang bearbeitet wie Schreiber und 
Hoffa, die chronischen Gelenkkrankheiten dagegen nicht so ausführlich be¬ 
handelt wie Bradford und Lovett, sondern nur in ihren Folgezuständen, 
ebenso die Rhachitis. Die Lehre von den Prothesen hat er ganz fortgelassen, 
auf die Massage geht er nur kurz im speciellen Tlieil ein. Er hat, wie Hoffa, 
die Bezeichnung Chirurgie orthopedique gewählt, um damit daraufhinzu¬ 
weisen, welch wichtige Rolle die Chirurgie in der Orthopädie spielt. 

Nach einer kurzen geschichtlichen Uebersicht, w'obei er für seine Lands¬ 
leute bei verschiedenen Gelegenheiten die Priorität zu wahren sucht, folgt der 
allgemeine Theil: Definition, Aetiologie, Eintheilung — angeborene und er¬ 
worbene Deformitäten — Diagnose, Prognose, orthopädische Apparate und 
Maschinen, chirurgische Operationen. Im speciellen Theil finden wir bespro¬ 
chen: Torticollis, Kypliose (einschliesslich der Pott’schen Kyphose), Lordose, 
Skoliose, wobei besonderes Gewicht auf die Skoliose en rapport avec l’obstruc- 
tion nasale gelegt wird, ferner Deformitäten des Thorax, der oberen Extremi¬ 
täten mit einer kurzen Beschreibung der operativen Beseitigung der Synovitis 
und einer ausführlichen der congenitalen Luxationen. Bei den Deformitäten 
der unteren Extremität wird in einem besonderen Kapitel die Osteite deformante 
syphilitique behandelt. Sehr instructive Abbildungen veranschaulichen die Ent¬ 
stehung des angel)orenen Klump- und Plattfusses durch intrauterine Lagerung. 
Es folgen schliesslich die Deformitäten, die durch Erkrankungen des Nerven¬ 
systems bedingt werden, die Deformitäten im Gefolge von Fracturen und Luxa¬ 
tionen, die Contracturen und Ankylosen. 

Wie gegen jede Eintheilung, lässt sich auch gegen diese Manches ein¬ 
wenden, keine kann vollkommen sein; es liegt dies nun einmal in der eigen- 
thümlichen Stellung der Orthopädie, deren Gebiet kein fest zu begrenzendes ist. 
Es hat dies aber für den praktischen Gebrauch des Buches keinen Nachtheil, 
da ein sorgsam ausgeführtes, vollständiges Inhaltsverzeichniss das AutÜnden der 
einzelnen Abschnitte ungemein erleichtert. 

Ganz besonders muss die gleichmässige Berücksichtigung der Literatur 
aller Länder, besonders auch Deutschlands, hervorgehoben werden. Die ausser¬ 
ordentliche Literaturkenntniss des Verf. offenbart sich bei jeder Gelegenheit, 


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Referate. 


325 


dabei hat er es geschickt vermieden, mit alten, nicht mehr gültigen Theorien 
den Leser zu ermüden. 

Den Schluss bildet eine reichhaltige, augenscheinlich ziemlich vollstän¬ 
dige Bibliographie (S. 945—1026), sehr übersichtlich geordnet, so dass es 
ausserordentlich leicht ist, sich hier in kurzer Zeit zurechtzufinden. 

Wer orthopädische Fragen bearbeiten will, wird das Buch kaum entbehren 
können, jedem, der sich eingehender mit der Orthopädie beschäftigt, kann es 
aufs wärmste empfohlen werden. Beely. 

F. Dornblüth, Die Gesundheitspflege der Schuljugend. Für Eltern und Erzieher 
dargestellt. Rostock, Deutsche Verlagsanstalt, 1892. 

Ernst Brücke, Wie behütet man Leben und Gesundheit seiner Kinder? 4. Auf¬ 
lage. Wien und Leipzig, W. Braumüller, 1892. 

H. Schusny, lieber Schulhygiene in Ungarn. 2. .Auflage. Leipzig, Alfred 
Langkammer, 1892. 

H. Cohn, Lehrbuch der Hygiene des Auges. Wien und Leipzig, Urban und 
Schwarzenberg, 1891. 

Wir referiren die vier im Titel genannten Schriften zusammen, weil sie 
in gleichem Sinne die Hygiene des Kindesalters, namentlich aber auch die der 
Schulzeit behandeln. Jedes einzelne der Werke ist als sehr willkommener Bei¬ 
trag zu der behandelten Frage zu betrachten und kann gar nicht genug auf 
die Nothwendigkeit hingewiesen werden, dass sie von möglichst zahlreichen 
Aerzten gelesen werden. 

Dornblüth bringt in den vier Abschnitten seines Buches — Vor der 
Schule — Die Kinder der unteren Schulstufe — Die Kinder der mittleren Schul¬ 
stufe — Die Jugend auf der oberen Schulstufe, eine ausführliche Schilderung 
aller einschlägigen Verhältnisse. In klarer, allgemein verständlicher Darstellung 
bespricht er alle Schädlichkeiten, welchen die Kinder in und ausser der Schule 
ausgesetzt sein können und gibt viele gute Rathschläge, diese Schädlichkeiten 
zu meiden. Das Buch kann allen Eltern und Erziehern empfohlen werden, wird 
aber, wie gesagt, auch den Aerzten wegen der vielen guten Winke, die es ent¬ 
hält, nur Nutzen bringen können. 

Ein geradezu elastisches Buch ist das des berühmten Physiologen 
Brücke. Der Verfasser bringt uns in demselben in formvollendeter Weise 
die werthvollsten Anleitungen über die Pflege und Ernährung des Kindes vom 
Säuglingsalter an, über zweckmässige Einrichtung der Wohnung, über Ab¬ 
härtung, Kleidung, Leibesübungen. Weitere Capitel behandeln die Vergiftungen 
und deren Verhütung und die Lehre der ansteckenden Krankheiten. Das Buch, 
das bereits in 4. AuHage, diesmal aber noch mit besonderer Liebe bearbeitet, 
vorliegt, braucht nicht viele Empfehlungen auf den Weg, es spricht für sich 
selbst. Möchte es die weiteste Verbreitung finden! 

Schusny beschränkt sich in seiner kurzen aber inhaltsreichen Schrift 
auf das Gebiet der Schulhygiene. Er behandelt zunächst den objectiven Theil 
derselben, die Schulbauten und die Anforderungen von Luft, Licht und zweck¬ 
mässigen Schulbänken. Den Haupttheil der Broschüre widmet er dann dem 
subjectiven Theile, dem Unterricht und den Folgen desselben. Nachdem er 


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Referate. 


zunächst die üeberbürdungsfrage gestreift hat — die nach seiner Ansicht otl 
der Schule, vielleicht aber noch öfter den Eltern zur Last fällt — kommt er 
auf die Krankheiten, welche für die Schule von besonderer Wichtigkeit sind, 
die Myopie und Skoliose, deren Ursachen und Verhütung, sowie auf die In- 
fectionskrankheiten zu sprechen. Des Weiteren behandelt er das Turnen und 
die übrigen Leibesübungen der Jugend, Schwimmen und Schlittschuhlaufen. 
Er ist ferner für die Schulausflüge und die Einrichtung von Feriencolonien. 
Auch diese Schrift möge in allen betheiligten Kreisen recht gründlich studirt 
werden. 

Last, but not least haben wir das Buch von Hermann Cohn, des 
bekannten Schulhygienikers zu besprechen. Es ist dies eine Musterleistung in 
jeder Beziehung. Nicht allein* der Inhalt des Buches ist auf das Sorgfältigste 
und mit ausserordentlich grossem Fleisse und sehr viel Geschick bearbeitet, 
sondern auch die äussere Ausstattung ist eine ganz vorzügliche, die beste w’ohl, 
die bisher in einem Buche deutschen Lesern vorgeführt worden ist. Den Ver¬ 
legern dafür alle Anerkennung. Möchte ihr Beispiel recht viel Nachahmung 
finden. Was nun den Inhalt des Buches betrifft, so hat der Verfasser in dem¬ 
selben einen ersten Versuch gemacht, ein Lehrbuch der Hygiene des Auges zu 
schreiben. Wir können mit gutem Gewissen sagen, dass dieser Versuch durch¬ 
aus geglückt ist und möchten mit dem Verfasser wünschen, dass das Werk 
dazu beitragen möge, das edelste Organ des Körpers vor einer Reihe von 
Erkrankungen zu bewahren, von denen dasselbe nicht befallen zu werden 
braucht. Die einzelnen Capitel des Buches behandeln die Blennorrhoe, Scrophu- 
lose, Trachom, Pocken, Uebersichtigkeit und Schielen, Kurzsichtigkeit, Onanie, 
Syphilis, Trinken und Rauchen, Blendung, Berufskrankheiten, Verletzungen, 
Blutsverwandtschaft und Farbenblindheit. 

Uns interessirt aus diesen Capiteln hier hauptsächlich das der Kurz¬ 
sichtigkeit, indem an der betreffenden Stelle die Lehre der Subsellien ausführ¬ 
lich erörtert ist. Ferner finden sich die für die Körperhaltung ebenfalls so 
wichtigen Fragen der Beleuchtung und der Handschrift und aller einschlägigen 
Verhältnisse allen modernen Anschauungen entsprechend auf das Klarste ent¬ 
wickelt. Hervorheben wollen wir, dass der Verfasser die Steilschrift auf das 
Wärmste befürwortet. 

Wir wünschen dem Buche die weiteste Verbreitung und hoflen, dass es 
nicht nur von allen Aerzten, die mit den behandelten Fragen zu thun haben, 
gelesen wird, sondern dass es ebenso auch Eingang findet bei den zuständigen 
Behörden, den Schulmännern, Erziehern und Technikern. 

H 0 f f a - Würzburg. 

Georg Müller, Die Widerstandsgyranastik für Schule und Haus. Leipzig, 
C. L. Hirschfeld, 1892. 

Das vorliegende Büchlein soll eine Anleitung zur Erhaltung und Kräfti¬ 
gung der Gesundheit bieten dadurch, dass es die gymnastischen Hebungen als 
Widerstandsbewegungen auszuführen lehrt. Das Buch ist also für das Volk ge¬ 
schrieben, nicht für den Arzt. Wir bezweifeln, ob das Bestreben des Verfassers, 
die Widerstandsgymnastik allgeraeinverständlich für Jedermann darzustellen, viel 
Nutzen stiften wird, fürchten vielmehr, dass es das Pfuscherthum wieder ausser- 


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Referate. 


327 


ordentlich begünstigen wird. Selbst für den geschulten Arzt ist es oft schwer, 
die Kraft des Widerstandes richtig zu bemessen, wie viel mehr wird da von 
den Laien gesündigt werden. Unseres Emchtens nach sollte bei der üeber- 
handnahme der sogenannten Orthopäden und Gymnasten Alles vermieden werden, 
was diese Pfuscher grossziehen hilft. Erst sollten einmal die Aerzte die Gym¬ 
nastik studiren und sich zu eigen machen, dann wäre es immer noch Zeit 
genug, sich direct an das Publicum zu wenden. 

Was den Inhalt des Büchleins betrifft, so sind die einzelnen üebungen 
durch Figuren illustrirt. Dabei hat der Verfasser aber leider wieder auf die 
unsinnigen alten Ausdrücke, wie Flügel — Bein — links seitwärts — liegend etc. 
xurückgegriffen. Unseres Erachtens nach werden diese Ausdrücke ausserordent¬ 
lich viel zweckmässiger ersetzt durch die Ausdrücke, wie sie bei den gewöhn¬ 
lichen militärischen Üebungen gebräuchlich sind. Wenn schon Üebungen vor¬ 
genommen werden sollen, so sollen sie nach militärischem Commando ausgeführt 
werden. Was soll sich der Laie unter Flügel-spreiz bogen-stehend vorstellen? 
Commandirt man ihm aber „Hüften fasst, Beine seitwärts stellt, Rumpf rück¬ 
wärts beugt“, so weiss Jedermann, was er zu thun hat. 

Wir hoffen, dass der Verfasser unsere Ansicht nicht verübeln wird. Wir 
können nicht anerkennen, dass das Bedürfniss nach einer solchen Anleitung besteht. 
Was uns fehlt, das ist ein für den Arzt geschriebenes Buch, bei dem aber nicht 
die einzelnen üebungen geschildert werden, sondern bei dem beschrieben wird, 
welche Muskelgruppen bei den verschiedenen Üebungen in Anspruch genommen 
werden und wie sich die einzelnen Muskeln selbst in Angriff nehmen lassen. 
Ein guter Anfang ist in dieser Beziehung durch das gleich zu besprechende 
Buch von Hughes gemacht worden. Hoffa-Würzburg. 

J. Rossbach, Lehrbuch der physikalischen Heilmethoden für Aerzte und 

Studirende. Zweite vermehrte Auflage. Berlin, August Hirschwald, 1892. 

Das Werk hat für den Orthopäden insofern Interesse, als im letzten 
Theil Heilgymnastik und Massage behandelt werden. In kurzen, klaren Zügen 
verbreitet sich der Verfasser über die einzelnen Methoden des Turnens und der 
Heilgymnastik, von denen er so vieles bespricht, dass der praktische Arzt seine 
Auswahl treffen kann. Bei seiner Abhandlung über Massage wird dem prak¬ 
tischen Arzte besonders das Capitel über therapeutische Anwendung willkommen 
sein. Ein weiterer Vorzug ist die ausgedehnte Angabe der einschlägigen 
Literatur. Bonnenberg -W ürzburg. 

H. Hughes, Lehrbuch der Athmungsgyranastik. Wiesbaden, Verlag von J. 

F. Bergmann, 1893. 

Das vorliegende Buch bestrebt sich, die Athmungsgymnastik — die bis¬ 
herigen Vorschriften von Oertel und Zander ergänzend — wissenschaftlich 
zu begründen und zu verwerthen. Wir können dem Bestreben des Verfassers 
nur Anerkennung zollen und halten mit dem Buch eine Lücke in der Literatur 
für ausgefüllt. Demgemäss wünschen wir dem Buch eine recht weite Ver¬ 
breitung. Vor allen Dingen begrüssen wir es freudigst, dass der Verfasser 
nicht nur die einzelnen Üebungen beschreibt, sondern dass er dabei stets auch 


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Referate. 


Recheoschaft ablegt von der Thätigkeit der an diesen Uebungen betheiligien 
Mnskeln, dass er ferner die Nomenclatur der Uebnngen recht einfach gestaltet 
und die Uebungen selbst gut illustrirt hat. 

Der Stoff ist in der Weise bearbeitet, dass zunächst die Stellung und 
Haltung des Körpers, dann das Verhalten der oberen Luftwege bei der Respi¬ 
ration beschrieben werden. Dann folgt eine Analyse der einzelnen Körper^ 
bewegpingen beim kräftigen Athemholen, ein Capitel über das halbseitig» 
Athmen, über besondere Athmungsweisen, über die manuelle Unterstützung und 
instrumenteile Unterstützung bei den Athemübungen. Schliesslich wird aus¬ 
führlich die Wirkung und Anwendung der Athemübungen und ihre Verord¬ 
nungsweise beschrieben. Einige Receptproben geben das Muster ab, in welcher 
Weise der Verfasser die verschiedenen Uebungen bei den verschiedenen Er¬ 
krankungen angewendet wissen wül. 

Alles in Allem können wir das Buch nur empfehlen. Bei kritischer An¬ 
wendung im Sinne des Verfassers werden die Athemübungen sicher vielen 
Patienten ausserordentlich heilbringend sein. Ho ff a-Würzburg. 

Beiträge zur Chirurgie. Festschrift gewidmet Theodor Billroth von 
seinen Schülern. Stuttgart, Verlag von Ferdinand Enke, 1892. 

Wir möchten die Leser dieser Zeitschrift auf die Festschrift aufmerksam 
machen, die Theodor Billroth, dem ja die Orthopädie so manchen Fort¬ 
schritt verdankt, von seinen Schülern zur Feier seiner 25jährigen Thätigkeit als 


Fig. 3. Fig. 4. 



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Referate. 


329 


Professor der Chirurgie an der Wiener Hochschule gewidmet worden ist. 
Specielles Interesse haben für uns die Arbeit von Max Scheimpflug: Zur 
chirurgischen Behandlung tuberculöser Ellenbogenerkrankungen im Kindesalter, 
die an anderer Stelle referirt ist, und die Arbeit von Heinrich Thausing: 
Die Therapie der Coxitis tuberculosa an der Klinik Billroth’s. Wir erfahren aus 
dieser Arbeit, daasBillroth ein grosser Freund der conservativen Coxitis* 
Behandlung ist und dass er die ambulatorische Gypshosenbehandlung der 
Extensionsbehandlung im allgemeinen vorzieht. Die Technik des Gypsverbandes 
wird genau beschrieben. Der Gypsverband wird angelegt mit Hülfe des 
v. Hacker’schen Stützapparates (Wiener klin. Wochenschrift 1889 Nr. 14). 
Ein nach der Angabe v. E i s e 1 s b e r g’s in den Gypsverband mit eingegypster 
Querriegel zwischen den Beinen, der aus einem durch Gypstouren verstärkten 
Brettchen aus weichem Holze besteht (Fig. 3, 4), macht den Verband wesentlich 
fester und das Heben des Patienten z. B. auf die Bettschüssel viel bequemer. 
Die Resection ist erst im äussersten Nothfall indicirt, wenn profuse Secret- 
absonderung, wachsender Kräfteverfall, nicht durch anderweitige tuberculöse 
Processe in anderen Organen bedingte, allabendliche Temperatursteigerungen 
und Beckenabscesse vorhanden sind. Erst der Befund bei der Operation ent¬ 
scheidet, wie viel resecirt werden muss. Hoffa-Würzburg. 

E. Albert, Diagnostik der chirurgischen Krankheiten. Wien, Verlag von 

Alfred Hölder, 1893. 

Ein Referat und eine Empfehlung der anerkannt vorzüglichen und jetzt 
bereits in 6. verbesserter Auflage erschienenen Chirurgischen Diagnostik ist 
auch an dieser Stelle angezeigt, da es auch die Differentialdiagnostik ortho¬ 
pädischer Leiden einschliesst. So behandelt gleich das erste Capitel die ab¬ 
normen Kopfhaltungen und die ihnen zu Grunde liegenden Krankheiten. 
Andere Capitel aber erörtern die Gelenkserkrankungen, die Spondylitis und 
schliesslich die Skoliose. Beherzigenswerth ist, was Albert bei der Diagnose 
der Skoliose sagt: »Auf dem Gebiete der seitlichen Rückgrats Verbiegungen wird 
von den Aerzten heute noch vielfach gesündigt. Einerseits werden beginnende 
Skoliosen verkannt, andererseits wird eine geringe seitliche Abweichung leicht 
genommen und die frivole Tröstung (!) ausgesprochen, das werde sich schon 
von selbst ergeben. Die Doctoren sollten da von den Müttern 
lernen, und zwar sowohl das Sehen, als auch die B esorgniss.“ 

Wir wünschen, dass das Albert’sche Buch von recht vielen Aerzten 
gründlich studirt. werden wird. Hoffa-Würzburg. 

Alfred Levertin, Dr. G. Zander’s medico-meclianische Gymnastik. Stock¬ 
holm 1892. 

Levertin, der langjährige Assistent Zander’s, hat sich der dankens- 
werthen Aufgabe unterzogen, in dem vorliegenden, mit dem Bildniss Zanders 
geschmückten und mit zahlreichen Abbildungen der Zander’schen Apparate 
versehenen Büchlein die Zander sehe Methode einem weiteren ärztlichen Publi¬ 
cum zugänglich zu machen. Der Verfasser behandelt der Reihe n^ich zunächst 
die Theorie der Zander’schen Gymnastik, dann deren technische Ausführung, 


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330 


Referate. 


die Erschütterung als Bewegung in der raedico-mechanischen Gymnastik cur, die 
Wirkungsart der mechanischen Heilgymnastik, die diätetische und die Ent¬ 
wickelungsgymnastik nach der Zander sehen Methode und schliesslich die An¬ 
wendung der Methode bei krankhaften Affectionem Ein besonderes Capitel ist 
der Skoliosenbehandlung gewidmet, ein anderes der Bedeutung der medico- 
mechanischen Institute für die Berufsgenossenschaften, insbesondere für die 
Nachbehandlung Verletzter. 

Möchte das Buch eine recht weite Verbreitung finden und der Zander*- 
schen Methode die verdiente ausgedehnte Anwendung erreichen helfen. 

H 0 f f a - Würzburg. 

C. Kaufmann, Handbuch der Unfallverletzungen mit Berücksichtigung der 
deutschen, österreichischen und schweizerischen Unfallpraxis. Für Aerzte, 
Versicherungsbeamte und Juristen. Stuttgart, Verlag von Ferdinand 
Enke, 1893. 

Das vorliegende Buch Kaufmannes hilft entschieden einem dringenden 
Bedürfniss ab und bürgt schon der gediegene Name des Autors für einen guten 
Inhalt. In der That findet man in dem Buche alle einschlägigen Verhältnisse 
äusserst klar und ausführlich beschrieben, so dass die Aerzte, welche eine Un¬ 
fallverletzung zu begutachten haben, einen in jeder Beziehung guten Rathgeber 
an dem Buche finden. Es finden sich zunächst alle für die ärztliche Thätigkeit 
in Betracht kommenden Bestimmungen der Unfall Versicherungsgesetze im 
Deutschen Reiche und in Oesterreich und der Haftpflichtgesetze in der Schweiz 
dargestellt. Dann werden vom Kopf bis zu den Zehen herab die einzelnen 
Unfallverletzungen mit besonderer Berücksichtigung ihrer Heilungsdauer und 
ihrer Folgen für die Erwerbsfähigkeit besprochen. Den Schluss des Werks 
bildet das Capitel der traumatischen Neurosen. 

Das einzige, was dem Buche noch fehlt, was aber nicht dem Autor zur 
Last zu legen ist, sondern der bisher noch mangelhaften Literatur, ist, dass 
die Schätzungen von Unfallfolgen in relativ sehr geringer Zahl angegeben 
sind. Gerade hierin sucht der Praktiker aber gern einen Anhaltspunkt. Eine 
Abhilfe wird hier erst möglich sein, wenn die Versicherungsbehörden ihre Ent¬ 
scheidungen den Aerzten übersichtlicher und vollständiger als bisher zugäng¬ 
lich machen. 

Wir sind überzeugt, dass sich das Buch Kaufmannes in den einschlä¬ 
gigen Kreisen rasch die gebührende Anerkennung erwerben wird. Dem Verfasser 
hat die Ausarbeitung desselben jedenfalls grosse Mühe und Arbeit bereitet. 

Ho ff a-Würzburg. 

Max S c h e i m p f 1 u g , Die exspectative und initiative Behandlung chirurgischer 
Tubercnlose im Erzherzogin Maria Theresia-Seehospize von 1888—1891. 
Stuttgart 1892. 

Verfasser gibt in seiner Abhandlung eine übersichtliche, nach den ein¬ 
zelnen Localisationen geordnete Zusammenstellung der in dem seiner Leitung 
unterstellt gewesenen Hospize zur Behandlung gekommenen Tuberculosen, 
illustrirt durch zahlreiche Krankengeschichten. Von allen Fällen wurde die 
^lehrzahl operativ behandelt, da eben die meisten in vorgeschrittenem Zustande 


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Keferate. 


;33l 


zur Aufnahme kamen; nur verhältnissmässig wenige heilten bei exspectativer 
Behandlung. Nach Jodoformglycerininjectionen sah Verfasser eher Verschlimme¬ 
rung, denn Besserung. Ueber die erzielten Erfolge belehrt am besten die dem 
Werke beigefügte Statistik, wonach von 495 Fällen 365 (73,74 ®/o) geheilt, 112 
(22,63 °/o) gebessert wurden und 18 (3,68 ®/o) starben. 

Bonn enb erg-Würzburg. 

Carl Werner, Die Massage und Heilgymnastik. Anwendung, Technik und 
Wirkung. Für Aerzte und Laien. Berlin SW., Hugo Steinitz, 1892. 

Wir können uns damit begnügen, einzelne Stellen aus dem Buche selbst 
anzulTihren. In dem Vorwort sagt Verfasser, dass auch diese Auflage „allen 
denen, welche die Massage erlernen wollen, ein praktischer und kurz gefasster 
Lehrer und Führer“ sein soll. Seite 75 sagt dann Verhisser: „Ks ist gerade bei 
dieser Behandlungsmethode die grösste Gefahr darin zu suchen, dass sie leicht 
in die Hände von Laien rällt, sogenannter Streichmänner und -Frauen, die 
irrationell verfahrend und schematisirend, ohne die ärztliche Vorbildung, nicht 
im Stande sind, eine Prognose zu stellen, alles über einen Leisten streichen 
und kneten, und dabei das grösste Unheil anrichten.“ — Wir sind sehr 
erstaunt, dass Verfasser nach dieser Auslassung dennoch ein 
Buch über Massage, wie er selbst .sagt, für Laien schreibt, durch das 
dem Curpfnscherthum Thür und Thor geöffnet wird. 

B 0 n n e n b er g - Würzburg. 

Julius Wolff, Das Gesetz der Transformation der Knochen. Berlin, Verlag 
von A. Hirschwald, 1892. 

Das vorliegende Werk hat den Zweck, diis von dem Verfasser auf- 
gestellte „Gesetz der Transformation der Knochen“ und die auf diesem Ge¬ 
setze fassenden Lehren von der „functionellen Knochengestalt“ und von der 
^Transformations-Kraft“ in möglichst erschöpfender Weise inatheinatisch, 
anatomisch und klinisch zu begründen. Das Werk hat zugleich den Zweck, 
die aus dem Gesetze der Transformation der Knochen für die Knochenlehre, 
für viele andere Gebiete der medicinischen Wis.sensehaften und für gewisse 
Fragen der allgemeinen Naturansehauung herzuleitenden Schlussfolgerungen 
einer eingehenden Betrachtung zu unterziehen. 

Julius Wolff ist mit der Herausgabe dieses Werkes ein seltenes Glück 
zu Theil geworden. Ks ist ihm vergönnt gewesen, in demselben nach vieler 
.Jahre Arbeit das Gebäude fertig zu stellen, zu dem er den Grundstein .schon 
im Jahre 1870 gelegt hat. In unausgesetztem, emsigen Fleis.s hat er Stein für 
Stein zu dem Gebäude herbeigetragen, und wenn dasselbe jetzt vollendet da¬ 
steht, so kann der Baumeister .sein Werk mit gei*echteni Stolze betrachten. 
Wie aber ein schönes Haus die ganze Stadt ziert, so ist auch das Wölfi sche 
Werk eine Zierde deutscher Wissenschaft und deutscher Gründlichkeit zu 
nennen, und können wir daher nicht nur dem Verfasser zur Vollendung des 
Werkes gratuliren, sondern auch uns selbst, dass uns dieses Werk beschert 
wurde. Julius Wolff hat sich mit dem.selben ein unvergängliches Denkmal 
gesetzt. 

Zeitschrift für orthopfulische Cblrnr^ie. II. It.iiul. 22 


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332 


Referate. 


Skizziren wir nun den reichen Inhalt des Werkes, das durch 12 wunder¬ 
volle Tafeln und eine auch sonst prachtvolle Ausstattung den guten Kern auch 
in einer schönen Schale darbietet, so liehandelt der erste Abschnitt den Begriff 
des Gesetzes von der Transformation der Knochen. Es ist unter diesem Gesetze 
der Transformation der Knochen dasjenige Gesetz zu verstehen, nach welchem 
im Gefolge primärer Abänderungen der Form und Inanspruchnahme, oder auch 
bloss der Inanspruchnahme der Knochen, bestimmte, nach mathematischen 
Regeln eintretende Umwandlungen der äusseren Form der betreffenden Knochen 
sich vollziehen. 

Das Verständniss des 'Pransformationsgesetzes ist nur möglich auf Grund 
einer genauen Kenntniss gewisser Verhältnisse der normalen inneren Knochen- 
architectur und namentlich auf Grund der Kenntniss der von dem Züricher 
Mathematiker Culmann entdeckten mathematischen Bedeutung dieser Archi- 
tectur. Demgemäss behandelt der zweite Abschnitt des Werkes nach Voraus¬ 
schickung der Geschichte der Entdeckung der inneren Knochenarchitectur. zu¬ 
nächst die Architectur des menschlichen coxalen Femurendes als der für die 
Darlegung der Verhältnisse geeignetsten Körperstelle. Alsdann wird die Be¬ 
deutung der Spannungstrajectorien der graphischen Statur auseinandergesetzt 
und hierauf unter Herbeiziehung der Cu 1 mann’schen Berechnungen für den 
oberschenkelähnlichen Krahn, die mathematische Bedeutung der inneren Archi¬ 
tectur der Knochen erläutert. Das Studium dieses Abschnittes ist dringend zu 
empfehlen. Ohne eine genaue Kenntniss desselben ist ein Verständniss des 
Transformationsprocesses unmöglich. 

Nur durch ein Missveiständniss dieses Theiles konnte Körte weg zu 
seinen in diesem Hefte unserer Zeitschrift niedergelegten Angriffen gegen die 
Lehre Wolffs kommen. Wir müssen Julius Wolff entschieden beistimmen, 
dass Körte weg nur durch eine ganz irrthümliche und falsche Deutung des 
Inhalts der Wolff sehen Arbeit über die Drucktheorie zu seinen Ausführungen 
veranlasst werden konnte. Korteweg hat sich durch den Ausdruck von der 
Belastung der Querschnitte irre führen lassen. Dieser Ausdruck könnte ja auch 
zu Irrthiimern Veranlassung geben, hätte Julius Wolff nicht ausführlich 
erörtert, aus welcher Ursache er ihn gebrauchte. Hätte Julius Wolff nicht 
von der Belastung des Querschnittes gesprochen, sondern etwa von dem ,speci- 
fischen Druck und Zug“, der an den einzelnen Punkten des Querschnittes 
herrscht, so hätte ihn auch wohl Korteweg verstanden. Wir bedauern ausser¬ 
ordentlich, dass gleich der erste Anlauf gegen das Transformationsgesetz in so 
irrthümlicher Weise unternommen wurde und fordern um so mehr zu einem 
gründlichen Studium desselben auf. 

Der dritte Abschnitt des Werks behandelt die Transformationen der 
inneren Architectur und der äusseren Gestalt der Knochen. Es 
werden hier diejenigen Abänderungen der Form und Architectur ins Auge ge¬ 
fasst, welche eintreten, wenn die Knochen, sei es eines jugendlichen oder eines 
ausgewachsenen Individuums, unter Verhältnissen functioniren, welche 
von der Norm ab weichen. Demgemäss werden besprochen: 1. die Trans¬ 
formationen der inneren Architectur der Knochen bei pathologischen 
^^törungen der äusseren Knochenform, 2. die secundären Um 
Wandlungen der äusseren Knochenform bei primär pathologischen 


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Referate. 


333 


Veränderungen dieser Form, 3. die Umwandlungen der Architectur 
und der Form der Knochen bei pathologischen Störungen der sta¬ 
tischen Inanspruchnahme der Knochen und 4. die Umwandlungen 
<ler Form und Architectur der Knochen bei absichtlich herbeigeführten 
Abänderungen dieser Inanspruchnahme. 

Auf die allgemeine Betrachtung der Transformationen führt Julius 
Wolff alsdann den speciellen Nachweis der betreffenden Transformationen an 
pathologischen und experimentell gewonnenen Knochenpräparaten, sowie an 
klinischen Befunden. Schliesslich folgt dann die Erörterung der Theorie des 
Entstehens jener Transformationen, sowie die Betrachtung der histiologischen 
Vorgänge bei den Knochentransformationen. 

Der vierte Abschnitt des Werkes behandelt die Lehre von derfunc- 
tionellen Knochengestalt. Zuerst werden die bisherigen Anschauungen 
über die Ursachen der Knochenformen aufgeführt, daen folgt die Kritik dieser 
Anschauungen mit besonderer Berücksichtigung der „Drucktheorie“, die mathe¬ 
matisch, anatomisch und klinisch widerlegt wird. Schliesslich begründet der 
Verfasser seine Theorie von der „functioneilen* Knochengestalt, indem er den 
Beweis auch wieder auf mathematischem, anatomischem und klinischem Wege 
beibringt. Bekanntlich behauptet diese Lehre von der functionellen Gestalt der 
Knochen, dass diese letztere einzig und allein bestimmt wird durch die statische 
InJinspruchnahme, für welche der Knochen bestimmt ist, oder, was dasselbe ist, 
durch seine Function. Nur die statische Brauchbarkeit und Nothwendigkeit,' 
oder das statische üeberflüssigsein entscheiden über die Existenz und Oertlich- 
keit jedes einzelnen Knochenpartikelchens und demgemäss auch über die ge- 
sammte Knochenform. Apposition, Inteqmsition, Schrumpfung, Massenschwund, 
Expansion und Resor^ition — also alle diejenigen Dinge, durch welche die 
Form der Knochen verändert werden kann —, sind nichts als die verschiedenen 
P^inzelvorgänge. mittelst welcher zu verschiedenen Lebenszeiten und an den 
verschiedenen Oertlichkeiten, unter normalen Verhältnissen und bei patholo¬ 
gischen Veränderungen der statischen Inanspruchnahme, die alle diese Vorgänge 
beherrschende Activität und functionelle Anpassungsfähigkeit der 
Tela ossea in die Erscheinung tritt. „Es ist der Geist, der sich den Körper 
baut.“ Durch dies auch von Roux für seine Lehre vom „Kampf der Theile 
im Organismus“ herbeigezogene Wort Schiller's wird das Ergebniss der 
Julius Wolff sehen Untersuchungen über die Ursachen und die Bedeutung der 
Knochenformen und über die Irrthümlichkeit der früheren Erklärungsversuche 
dieser Formen in treffender Weise gekennzeichnet. 

Der fünfte und sechste Abschnitt, die für den Orthopäden besonders 
werthvolle und zu beherzigen sind, lehren die „Transformationskraft“ 
und ihre Verwendung als therapeutische Kraft kennen und ziehen 
d ie Schlussfolgerungen aus dem Gesetze der Transformation der 
Knochen. 

Es ist unmöglich, im Rahmen eines Referates den reichen Inhalt dieser 
Abschnitte wiederzugeben. Wir heben nur hervor, dass Jeder, der Orthopädie 
treibt, dieselben lesen und sich zu eigen machen muss. Wir finden neben den 
Schlussfolgerungen aus dem Transformationsgesetze für die Lehre vom normalen 
Knochenwachsthum, für die Lehre von der Heilung der Knochenbrüche, für die 


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334 


Referate. 


Lehre der Rhachitis, eine dem Transformationsgesetz entsprechende neue Ein- 
theilung der Deformitäten, wir finden ferner die Pathogenese dee Klumpfusses, 
des Genu valgum und der Skoliose erörtert, wir finden die Forderungen, die 
das Transformationsgesetz für die Behandlung der Deformitäten verlangt und 
finden schliesslich eine neue Lehre, die ’der afuöctionellen Orthopädie*, 
begründet. 

Weiterhin sind angeschlossen Schlussfolgerungen aus dem Gesetze der 
Transformation der Kiiochengewebe für die Verhältnisse anderer Gewebe des 
Organismus, für die Structur der Pflanzen und die Frage nach den Trans¬ 
formationen dieser Structur, für die Lehre vom Stoffwechsel, von der Entzündung 
und Regeneration. 

Philosophische Betrachtungen, welche sich als Schlussfolgerungen aus 
dem Transformationsgesetz ergeben, und zwar die teleologische Naturauffassung 
im Lichte des Transformationsgesetzes, die Bedeutung dieses letzteren für die 
Theorie der Mechanik, für die Lehre von der „Organprojection* und für die 
Descendenzlehre, bilden den Schluss des Werkes. 

Möge dasselbe fruchtbringend auf unsere Wissenschaft wirken und möchte 
der Verlä’sser desselben die wohlverdiente Anerkennung für dasselbe in reichstem 
Maasse finden. 

Erwähnen wollen wir noch, dass die Herausgabe des stattlichen Werkes 
durch die Königlich Preussische Academie der Wissenschaften erfolgt ist. 

H 0 ff a - Würzburg. 


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XX. 


Mittheilnngen über die Zander’scbe Mecbanotberapie. 

Eingeleitet von 

Dr. Hermann Nebel. 

Im Nachstehenden gebe ich, in freier Uebersetzung, einen von 
Dr. Gustav Zander vor der allgemeinen Aerzteversammlung in 
üpsala 1889 gehaltenen Vortrag wieder, der bei uns nicht, wie er 
es verdient hätte, bekannt geworden ist. Die Arbeit möchte als 
Einleitung dienen für eine Reihe von Mittheilungen über die von 
dem genialen Stockholmer Arzte ersonnene und stetig weiter aus¬ 
gebildete Mechanotherapie von Seiten seiner Schüler, resp. von Ver¬ 
tretern der Z a n d e raschen mechanischen Behandlungsmethode, welche 
nirgends so rasche und stetig voranschreitende Verbreitung gefunden 
hat, wie bei uns in Deutschland. Obwohl sich gerade hier zunächst 
verschiedene Massage-Schriftsteller mit oberflächlich absprechenden 
Urtheilen und kaum begreiflicher Animosität bemüht hatten, der neuen 
Methode den Weg zu verlegen, haben wir ja bereits 18 „medico- 
mechanische Zand er-Institute“ in Deutschland: 

2 in Baden-Baden, das erste im Grossherzogi. Friedrichs- 
Bad, als erste derartige Anstalt in Deutschland, 1884 
eingerichtet, das zweite im Kaiserin Augusta-Bad wird 
dieses Frühjahr eröfihet; 

1 in Hamburg seit 1886; 

1 „ Berlin seit 1887; 

1 „ Nieder-Schönhausen bei Berlin (Arbeiterheim) seit 1889; 

1 „ Karlsruhe seit 1887; 

1 „ Breslau seit 1888; 

1 „ Mannheim seit 1888; 

*) Der Vortrag ist gedruckt im Nordiskt medicinskt Arkiv Bd. 21 Nr. 22. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. IL Band. 28 


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336 


Hermann Nebel. 


1 in Frankfurt a. M. seit 1889; 

1 « Dresden seit 1889; 

1 „ Würzburg seit 1889; 

1 , Leipzig seit 1891; 

1 „ Wildbad seit 1892; 

1 „ Stuttgart seit 1892; 

1 „ Wiesbaden seit 1892; 

1 „ in Bochum seit 1892, vorzugsweise für Nachbehand¬ 
lung von Unfallsverletzten von der Knappschafts- 
Berufsgenossenschaft eingerichtet; 

1 „ Aachen seit 1893; 

1 „ Königshütte seit 1893; 

dazu kommen noch 4 mit einer kleineren Anzahl Zander'scher 
Apparate versehene Heilanstalten: 

Dr. Friedrich's Anstalt in Pforzheim seit 1887; 

Krüche’s sogen, physikalische Heilanstalt in München seit 1890; 

Dr. Ammann's orthopädisches Institut in München seit 
1891, und 

cand. med. Nycander’s gymnastisches Institut in Elberfeld 
seit 1892. 

In Schweden existiren ausser dem grossen, vonDr. 6. Zander 
selbst seit 1865 eingerichteten und geleiteten Stockholmer medico- 
mechanischen Institut noch 7 kleinere derartige Anstalten, nämlich 
1 zweite in Stockholm seit 1881 und 1 dritte daselbst seit 1884, 
1 in Gothenburg und kleinere in Upsala, Oerebro, Norrköping, Hjulsta. 

Norwegen hat 1 medico-mechanisches Z a n d e r - Institut in 
Christiania seit 1885. 

Dänemark hat 1 medico-mechanisches Zand er-Institut in 
Kopenhagen seit 1889. 

Finnland hat 2 Zander -Institute, 1 in Helsingfors und 1 in 
Abo seit 1877. 

Russland hat 2 Z a nd er - Institute, 1 in St. Petersburg und 
1 in Moskau seit 1877. 

England hat nur 1 medico-mechanisches Institut in London 
seit 1881. 

Oesterreich-Ungarn hat 2 Z a n d e r - Institute, in Budapest seit 
1883, in Wien seit 1889. 

Die Schweiz hat 1 Zand er-Institut in Ragaz-Pfäfers seit 1893. 

In Frankreich existirt bis jetzt keine derartige Anstalt! 


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Mittheilungen über die Zander'sche Mechanotherapie. 


337 


Nord-Amerika hat bereits 4 medico-mechanische Zander- 
Institute: 2 in Baltimore seit 1889, 1 in New York seit 1890, 1 in 
St. Louis seit 1892. In der Einrichtung begriffen sind Chicago, 
Boston, St. Francisco. 

Süd-Amerika hat 1 Zander-Institut in Buenos-Aires 
seit 1884. 

Wir haben also 22 grössere und kleinere Zand er-Institute 
in Deutschland, während in allen andern Ländern zusammen bis 
jetzt nur 23 derartige Heilanstalten existiren. 

Der im folgenden wiedergegebene Vortrag von Dr. Zander 
gibt vor allem eine wohl Vielen willkommene Beschreibung seines 
bewährten Rumpf-Haltungs-Messapparates und seines Gebrauches, 
sowie auch seines noch kaum bekannt gewordenen vorzüglichen In¬ 
strumentes für Rumpf-Querschnitts-Messungen. 

Da der Vortrag, abgesehen von der Besprechung seiner Lage¬ 
rungsapparate, nicht in die Details der von Dr. Zander ausgebil¬ 
deten Skoliosentherapie eingeht, sondern nur, im Anschlüsse an 
die Erörterung interessanter und wichtiger Präliminarfragen, kurz 
die Grundzüge der Behandlung darlegt, so will ich versuchen, 
meinem verehrten Lehrer mit einer ausführlicheren Darstellung 
s'ämmtlicher von ihm als Bekämpfungsmittel der Skoliose ange¬ 
gebenen Bewegungen und mechanischen Einwirkungen zu folgen. 

MittheUungen aus den verschiedenen medico-mechanischen 
Zander-Instituten werden sich hoffentlich bald anreihen. Zu¬ 
nächst dürften wohl Berichte über eine grosse Summe von Rumpf¬ 
messungen, sowie über die Resultate der Behandlung von Haltungs¬ 
fehlern zu erwarten sein; weiterhin gewiss auch Aufsätze über andere 


Der Messapparat ist von mir bei verschiedenen Gelegenheiten, aber 
nie ausführlicher, besprochen worden. Daher mag es auch kommen, dass 
Schulthess in seiner Aufzählung und Rubricirung der verschiedenen Mess¬ 
vorrichtungen für Skoliotische (Centralblatt für orthopädische Chirurgie 1887) 
dem Zand er sehen Apparate gar wenig gerecht zu werden wusste, obwohl 
derselbe, bei grösserer Einfachheit und Solidität, doch durchaus Alles zu messen 
ermögheht, was der von Schulthess erfundene und als non plus ultra hin¬ 
gestellte Mess- und Zeichnungsapparat ermöglicht. 

üebertroffen wird der Zander’sche Rumpfmessungsapparat, meiner An¬ 
sicht nach, nur von einem neuerdings von Dr. v. Heinleth construirten, im 
Hamburger Krankenhau.se aufgestellten Apparate, der eine Combination eines 
veränderten Zand ersehen Rumpf-Haltungs-Messapparates mit einem Umfangs- 
Zeichenapparate darstellt. 


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338 


Gustav Zander. 


mechano-therapeutdsclie Kapitel, wie die Behandlung der Kreislaufs¬ 
störungen, der Rheumatiker, der Neurastheniker, der Folgezustande 
nach Verletzungen u. a. m. 


lieber die Behandlung der habituellen Skoliose mittelst 
mechanischer Gymnastik. 

Von 

Dr. Oastav Zander-Stockholm. 

Mit 20 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Die Skoliosenbehandlung, deren Ausbildung und Vervoll¬ 
kommnung mich jetzt unentwegt beschäftigt, ist erst seit 1882 eine 
Specialität des bereits 1865 von mir errichteten und bis heute ge¬ 
leiteten medico-mechanischen Institutes in Stockholm geworden. 

Erst nachdem es mir gelungen war, einen zuverlässigen Rumpf- 
Messungsapparat herzustellen, konnte ich der Skoliosenbehandlung 
Geschmack abgewinnen. Denn es schien mir eine conditio sine 
qua non eines wirklich wissenschaftlichen therapeutischen 
Vorgehens gegen jenes Leiden zu sein, dass man sich im 
Besitze eines Instrumentes befinde, vermittelst dessen 
man Körperhaltung und Form bestimmen könnte, ohne zu 
viel Umstände, damit es regelmässig zur Anwendung kommen könnte, 
und mit möglichster Genauigkeit, so dass sich die Wirkung ver¬ 
schiedener Bewegungen erkennen und das Resultat der Gesammt- 
behandlung zuverlässig darstellen lasse. 

Keine der bisherigen Untersuchungs- und Controllirungs- 
methoden gab mir sicheren und klaren Aufschluss über ein mecha¬ 
nisches Moment, dessen Kenntniss mir unerlässlich erschien, um 
jeden speciellen Fall richtig aufzufassen und die Behandlung in- 
dividualisiren zu können. Ich meine die Gesammthaltung des 
Patienten, wenn wir ihn aufgefordert haben, ungezwungen da¬ 
zustehen. Er nimmt dann nämlich unwillkürlich eine seiner Gleich¬ 
gewichtslage entsprechende Haltung ein, welche das Product der 
vorliegenden anatomischen Beschaffenheit des Rückgrates sammt 
Brustkorb, sowie des Tonus und der Elasticität der Muskeln und 
Bänder ist. 


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Ueber die Behandl. der habituellen Skoliose mittelst mech. Gymnastik. 339 

Ich werde im folgenden noch näher auf die Bedeutung dieser 
Haltung zu sprechen kommen. 

Die Unzufriedenheit mit den geläufigen üntersuchungsmethoden, 
welche keine genügende ControUe der Behandlung ermöglichen und 
die somit bestehende Unsicherheit derselben machten mich miss- 
muthig, und es gab eine Zeit, da ich ernstlich mit mir zu Rathe 
ging, ob ich die Behandlung skoliotischer Patienten nicht lieber ab¬ 
lehnen sollte, bis mir nach mehreren unbefriedigenden Versuchen 
die Idee des in Fig. 1 abgebildeten Messapparates kam. 

Als er fertiggestellt war, verging noch eine gewisse Zeit, ehe 
ich die nöthige Uebung und Erfahrung in seiner Anwendung 
erworben hatte, ohne welche die Ausführung wirklich 
brauchbarer Messungen natürlich nicht möglich ist. 

Als ich dann aber — ebenso wie später meine Schüler — 
die beruhigende Ueberzeugung gewonnen hatte, dass sich mit dem 
Apparate leicht und zuverlässig arbeiten lasse, und dass derselbe 
sich als Controllirungsmittel der Wirkung einer gewissen Behandlung 
bewährt, da fühlte ich festen Boden unter meinen Füssen und ging 
mit Eifer daran, zu untersuchen, inwieweit meine mechanische Gym¬ 
nastik sich mächtig erweise, einem Uebel zu steuern, welches, sich 
selbst überlassen, zu einer furchtbaren Verkrüppelung des mensch¬ 
lichen Körpers führen kann, und bei den Verhältnissen, unter welchen 
zumal die weibliche Jugend heutigen Tages aufwächst und sich ent¬ 
wickelt, immer allgemeiner zu werden droht. 

Die nähere Betrachtung des Messapparates wird darthun, dass 


*) Die ärztlichen Leiter der medico-mechanischen Institute in Gothenburg, 
Helsingfors, Kopenhagen, Baden-Baden, Hamburg, Berlin, Frankfurt a. M., 
Dresden, Karlsruhe, Leipzig, Wiesbaden, Buenos*Aires, New York, Baltimore, 
bedienen sich des Messapparates wie ich, wohl täglich. Auch Professor Phelps 
in New York und Dr. Nönchen in Düsseldorf haben den Apparat für ihre 
orthopädischen Institute angeschafft. Sie alle können Auskunft darüber geben, 
ob der Rumpf-Messungsapparat ihnen eine verlässliche Hilfe ist oder ob sie von 
seiner Anwendung absehen möchten. Der Preis ist leider sehr hoch. Aber da 
er ein Apparat von grossen Dimensionen ist, welcher die äusserste Genauigkeit 
bei der Herstellung verlangt, und da er nicht fabrikmässig herzustellen ist, so 
lässt er sich kaum billiger beschaflfen. Uebrigens dürfte der Preis kaum ein 
Hindemiss sein für einen Arzt, resp. eine Anstalt, welche die verantwortungs¬ 
volle Aufgabe haben, jährlich 50 oder mehr skoliotische Patienten zu behandeln. 
Der Apparat wird von Göransson’s mechanischer Werkstatt in Stockholm, 
Grefmagnigatan 13, zum Preise von 1000 Mark geliefert. 


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340 


Gustav Zander. 


er uns ermögliclit, die Lage je 
fläche eines über der Fussplatte 

Fig. 1. 



vertikale Ebene, in welcher sii 


3 beliebigen Punktes an der Ober¬ 
und zwischen den beiden um den¬ 
selben drehbaren Stangen bh (siehe 
Fig. 1) beflndlichen Objectes mit 
mathematischer Genauigkeit zu be¬ 
stimmen, indem wir seine Höhe 
über der Fussplatte und seine Lage 
zur Centrumslinie des Apparates 
mathematisch genau bestimmen 
können. Die beiden vertikalen 
Stangen bb sind nämlich mit einer 
Centimeter- und Millimeterskala 
versehen; ich nenne sie Höhen¬ 
skala, weil an ihnen die Höhen¬ 
lage des zu bestimmenden Punktes 
über der Fussplatte abzulesen ist. 
An beiden Höhenskalen sind eben¬ 
falls mit Centimetereintheilung ver¬ 
sehene Querstäbe cc derart ange¬ 
bracht, dass man sie sowohl in 
vertikaler als auch in horizontaler 
Richtung verschieben kann, letz¬ 
teres so, dass die beiderseitigen 
Querstäbe sich immer in demselben, 
die Centrumslinie des Apparates 
schneidenden V ertikalplane, in 
welchem die Höhenskalen einge¬ 
stellt sind, bewegen. Die Quer¬ 
stäbe cc nenne ich Excenterskalen, 
da wir an denselben die Excentri- 
cität, d. h. den Abstand des zu 
bestimmenden Punktes von der 
Centrumslinie des Apparates, ab¬ 
lesen. Da nun das ganze System 
von Messstangen in jedem belie¬ 
bigen Durchmesser der Fussplatte 
eingestellt werden kann und die 
die Excenterskalen bewegen, durch 


die ringsum an der Fussplatte angebrachte Gradeintheilung genau 


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lieber die Behandl. der habituellen Skoliose mittelst mech. Gymnastik. 341 

in ihrer Lage bestimmt werden kann, so ist die Lage jedes Punktes 
auf der Oberfläche eines innerhalb des Apparates befindlichen Körpers 
leicht festzustellen. 

Angenommen wir fänden den Punkt auf einem Radius, welcher 
mit der medianen Sagittallinie im rechten hinteren Quadranten einen 
von 37® bildet und sich 113 cm über der Fussplatte und 6,2 cm 
von der Centrumslinie des Apparates befindet, so kann man mittelst 
dieser Angaben die Lage des Punktes auf dem Papier leicht fixiren. 
Fig. 2 zeigt seioe Lage auf der 
Horizontalebene; ab repräsentirt 
die mediane Frontallinie, cd die 
mediane Sagittallinie. Der Ra¬ 
dius ef bildet einen cj von 37 ® 
gegen die mediane Sagittallinie 

und Punkt q auf derselben ist 

^ Ä 

6,2 cm vom Mittelpunkt ent- ^ 

femt; also ist g der zu be¬ 
stimmende Punkt. 

Mittelst der Lothe gi und 
gh findet man seine Entfernung 
von der Mitte des frontalen und 
von der Mitte des sagittalen 
Durchmessers, d. h. seinen seit¬ 
lichen und seinen Rückabstand vom Centrum des Apparates, d. h. 
des Durchschneidungspunktes beider Durchmesser. 

In Fig. 3 Frontalbild ist g der zu bestimmende Punkt und 
gi seine seitliche Entfernung von der Centrumslinie; im Sagittalbilde 
B ist gh die rückwärtige Entfernung des Punktes vom Centrum. 

Man kann die Entfernung gi und gh auch durch Berechnung 
erhalten; gi ist nämlich der Sinus des Winkels efd multiplicirt 
mit dem Radius fg^ und gh ist der Cosinus von efd multiplicirt 
mit demselben Radius. 

Eine kleine Vorrichtung, die ich Doppelmesser nenne, 
Fig. Id, überhebt uns jedoch der Mühe, die Lage des Punktes durch 
Construction oder Berechnung festzustellen. Der Doppelmesser lässt 
uns den frontalen und den sagittalen Abstand des fraglichen Punktes 
vom Centrum direct ablesen. Er besteht aus einer rechtwinklig am 
centralen Ende einer der Excenterskalen befestigten Querskala, die 
einen seitwärts verschiebbaren Zeiger trägt. Ist dieser auf den zu 



Fig. 2. 
C 


h 


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342 


Gustav Zander. * 


bestimmenden Punkt eingestellt, so liest man dessen seitliche Ent¬ 
fernung von der sagittalen Medianlinie auf der Querskala und den 
Abstand nach vor- oder rückwärts von der frontalen Medianlinie 
auf der Excenterskala ab. 

Der Rumpf-Messungsapparat ist mit einer Centrirungsvor- 
richtung versehen, bestehend aus einem Paare gepolsterter Gabeln, 


Fig. 3. 



welche in Höhe der Trochanteren das Becken umfassen, um das¬ 
selbe mittelst einer rechts- und linksläufigen Schraube in die Mitte 
des Apparates zu stellen. 

Zur Messung der Eopfabweichung vom Centrum dient das 
Eopfgestell (Fig. 1 f ), womit auch die ganze Eörperlänge be¬ 
stimmt wird. 

Ich nehme gewöhnlich, wie die Rumpfmessungsbilder in 
Fig. 3^ im Frontalschnitt, B in Sagittalprojection zeigen, eine 
Anzahl von Punkten in der Frontalfiäche des Eörpers, und zwar 


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TJeber die Behandl. der habituellen Skoliose mittelst mech. Gymnastik. 343 


so viele, dass man durch ihre Verbindung ein Diagramm erhält, 
welches die HauptzUge der Conturen des Körpers in dieser Fläche 
ergibt; ferner die Abweichungen der Rückgratslinie sowohl in der 
frontalen als in der Sagittalansicht, und schliesslich die Haltung des 
Kopfes und der Acromialwinkel. Dies reicht gewöhnlich aus, um 
die Eigenthümlichkeiten der einzelnen Fälle erkennen zu lassen, 
soweit ihre Kenntniss für die Entwerfung eines Behandlungsplanes 
und die Controllirung seines Erfolges erforderlich ist. 

Will man den Mechanismus der Skoliose näher studiren, so 
kann man die Messung leicht weiter ausdehnen, wie dies Dr. Nebel 
seit einer Reihe von Jahren regelmässig gethan hat. 

Seine Messbilder zeigen auch noch im Frontal- wie im Sagittal- 
plan die inneren Schulterblattlinien, die Lage der Spinae anteriores 
superiores pelvis und 4—6 Eintragungen im Horizontalplane, welche 
über Rotation resp. Torsion des Rumpfes Aufschluss geben. 

Während des Messens diktirt man einem Gehilfen resp. einer 
Gehilfin die in ein vorbereitetes Schema einzutragenden Ziffern, 
wonach das Rumpfmessungsbild dann in beliebiger Grösse zu 
zeichnen ist. 

Vor dem Messen hat man natürlich auf der Haut des Patienten 
mit Tuschepinsel die Rückgratslinie vom 7. Halswirbel bis zur Rima 
natium, die Acromialwinkel (den Winkel, welchen das Acromion 
hinten auf der Schulterhöhe mit der Spina scapulae bildet) und 
wenn man will, auch den inneren oberen und unteren Schulterblatt¬ 
winkel, sowie die Spinae anteriores superiores pelvis anzuzeichnen. 
Die Röcke werden mittelst eines in Höhe der Trochanteren fest 
angelegten Riemens festgehalten. Zur Schonung des Schamgefühls 
lässt man die Mädchen ein die vordere Seite des Rumpfes ver- 
hüUendes Tuch um den Hals binden. Die Schuhe werden ausge¬ 
zogen, wenn die Absätze nicht gleich hoch oder nicht mehr ge¬ 
rade sind. 

So vorbereitet steigt der Patient auf den Apparat. Die Hüften 
werden mittelst der Centrirungsvorrichtung fixirt und das Kopf¬ 
gestell bis zu loser Berührung auf den Kopf herabgelassen, nach¬ 
dem wir den Patienten gebeten haben, natürlich und ungezwungen 
zu stehen, nicht etwa sich zu strecken. Eine gestreckte Haltung 
4—5 Minuten hindurch — so lange dauert die Messung in 
Händen eines geübten Arztes — einzuhalten, würde nämlich den 
meisten Patienten nicht gelingen; sie würden während der Messung 


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344 


Gustav Zander. 


zusammensinken, und die zuerst gemessenen Punkte zeigten eine 
bessere Haltung als die später gemessenen. Auch ist es nicht die 
Paradehaltung, welche man ja nur einige Minuten lang einhalten 
kann, sondern die zwanglose, gewohnheitsmässige Körperhaltxmg, 
auf die es uns ankommt. 

Jeder Mensch aber hat eine gewisse Haltung, die er 
unbewusst, habituell einnimmt und längere Zeit hindurch 
einzuhalten vermag, weil sich bei derselben der Mechanismus 
des Rückens in seiner Gleichgewichtslage befindet und die Rücken¬ 
muskeln am wenigsten angestrengt werden. Diese Haltung ist ein 
Product einerseits statischer Momente, nämlich der vorliegendeo 
anatomischen Form der Rückgratstheile, andererseits dynamischer 
Momente, nämlich der Spannkraft und Elasticität der Muskeln. 
Gerade von dieser Haltung aber, sozusagen der Gleichgewichtslage, 
wollen wir ein Bild haben, das als Ausgangspunkt für die Behand¬ 
lung zu dienen hat. Denn unsere Aufgabe ist, die vorliegende 
abnorme Gleichgewichtslage in eine normale, die schiefe 
Haltung in eine möglichst gerade zu verwandeln. Aufge¬ 
fordert, ungezwungen zu stehen, nimmt der Patient instinctmässig 
seine natürliche Gleichgewichtslage ein und kann dann während der 
Messung so stille stehen, wie nöthig ist. Die eine oder andere im- 
freiwillige Bewegung kann wohl Vorkommen, aber der Körper federt 
sogleich in die Gleichgewichtslage zurück, so dass diese unfreiwilligen 
Bewegungen den im Messen geübten Arzt nicht irre machen. Jeden¬ 
falls erkennt er dadurch etwa in das Messprotokoll und in die Auf¬ 
zeichnung kommende Fehler leicht als solche. 

Die thunlichst rasch auszuführende Messung geht nun so vor 
sich, dass man die Seitenplättchen des Kopfgestelles vorsichtig, ohne 
den Kopf aus der ihm etwa eigenen schiefen Stellung heraus¬ 
zudrücken, links und rechts heranschiebt, die den Abstand von der 
Mittellinie angebenden Ziffern abliest und diktirt. Dann misst man 
durch vorsichtiges Heranschieben der Excenterskalen links, rechts, 
hinten die Lage einer grösseren oder kleineren Anzahl von Punkten, 
deren Verbindung auf dem mit Maasseintheilung in bestimmtem 
Grössenverhältnisse versehenen Zeichenpapier die Seitenlinien des 
Rumpfes, die Rückgratslinie (in Frontal- und in Sagittalansicht), 
die Schulterstellung, die Lage der Schulterblätter (im Frontal-, 
Sagittal- und Horizontalplane), der Spinae a. s. pelvis, sowie etwaige 
Torsionsveränderungen (im Horizontalplane) zur Darstellung bringt. 


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Ueber die Behandl. der habituellen Skoliose mittelst mech. Gymnastik. 345 

Während des Messens der Seitenlinien hält sich der zu Mes¬ 
sende mit beiden, im Ellenbogengelenke rechtwinklig gebogenen, bis 
zur Schulterhöhe vorwärts hoch gehaltenen Armen an einem vor 
dem Messapparate herabhängenden Querstabe. Während des Messens 
der Rückgratslinie stützt Patient die Brust gegen die Brustplatte 
(Fig. Igr). 

Will man auch noch, um den Grad der Verdrehung des 


Fig. 4. 



Brustkastens beurtheilen zu können, ein Querschnittsbild haben, 
z. B. in der Höhe der grössten Deviation des Rückgrates, so braucht 
man nur die Excenterskalen auf die gewünschte Höhe zu stellen, 
misst Frontal- und Sagittaldiameter des Körpers und nachher so 
viele Diagonaldiameter, wie man wünscht, z. B. einen für jeden 
15. Grad. 

Die gemessenen Punkte werden auf einem bereit gehaltenen, 
mit entsprechender Eintheilung versehenen Papiere eingezeichnet, 
verbunden und die Querschnittscontur ist fertig (Fig. 4). 

Nun habe ich mir aber einen besonderen, für diesen Zweck 
bequemeren und sichereren Messapparat construirt (Fig. 5). Sein 
Mechanismus wird auf der Planzeichnung (Fig. 6) veranschaulicht. 
32 bewegliche Stahlstangen sind wie Radien um 4 verschiedene 
Mittelpunkte geordnet, so dass ihre mit Holzknöpfen versehenen 
inneren Enden, wenn sie gleich weit zurückgezogen werden, einen 


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Gustav Zander. 


ovalen Ring bilden, ungefähr dem ovalen Querschnitt des Brustkastens 
entsprechend. Mittelst kleiner Bleigewichte (Fig. 5a) werden diese 
Messstangen gegen ihre respectiven Mittelpunkte vorgeschoben und 
stossen dann mit ihren Holzknöpfen gegen den Körper, welcher 
sich in der centralen Oeffnung des Apparates befindet; sie bilden 


Fig. 5. 



also zusammen einen Ring, welcher genau die Conturen der Durch¬ 
schnittsfläche des Brustkastens in der gewählten Höhe wiedergibt 
(Fig. 5). Auf 12,5 cm Abstand von den Holzknöpfen hat jede Mess¬ 
stange eine nach oben gerichtete kleine Stahlspitze. Wenn zwischen 
die Druckplatten (Fig. 5 b) Segmente aus Papierringen gelegt werden 
und man diese gegen die Stahlspitzen drückt, so erhält man auf den 
Papierringen eine vergrösserte Kopie des Ringes, welcher von den Holz¬ 
knöpfen gebildet wird. Die beiden Papiere werden abgenommen und 
auf ein Schema gelegt, auf welchem die Richtungslinien der Mess¬ 
stangen aufgezeichnet sind. Die durch die Stahlspitzen verursachten 


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üeber die Behandl. der habituellen Skoliose mittelst mech. Gymnastik. 347 


Löcher werden alsdann 12,5 cm nach innen auf ein anderes Papier 
projicirt, am besten auf durchscheinendes Pergamentpapier, so dass 
man die Richtungslinien verfolgen kann. Verbindet man die proji- 
cirten Punkte durch Linien, so erhält man ein Diagramm, welches 
die Querschnittsconturen in natürlicher Grösse wiedergibt. Die Mess- 


Fig. 6. 



fläche ist in zwei Hälften getheilt, welche auseinander geschoben 
werden, bevor der Patient in die centrale Oeffnung tritt. Die Mess¬ 
stangen werden unterdessen durch einen besonderen Mechanismus 
(Fig. hcc) zurückgezogen und festgehalten, bis der zu Messende ent¬ 
sprechend eingestellt ist. Dann lässt man sie los gegen den Körper, 
klappt während tiefer Ein- oder Ausathmung schnell die vorerst 
hochgestellten Papiere gegen die Stahlspitzen herunter, stellt sie 


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348 


Gustav Zander. 


wieder hoch, und die Messung ist fertig. Sie dauert kaum eine halbe 
Minute. Will man mehrere Conturen in verschiedener Höhe oder 
zuerst während der Aus-, sodann während der Einathmung unmittel¬ 
bar hinter einander messen, so braucht man nur die bei dem ersten 
und zweiten Niederklappen der Papiere eingestochenen Punkte durch 
Bleistiftkreuze oder Striche zu markiren. 

Fig. 7 zeigt 3 nach einander gemessene Conturen, um darzu- 
thun, welche Rückenmuskeln sich zusammenziehen, wenn der eine 
Arm unter Belastung ausgestreckt wird. Die punktirte Linie zeigt 


Fig. 7. 



den Querschnitt des Brustkastens, wenn die Arme an die Handgriffe 
gelehnt schlaff herabhängen, wie auf Fig. 5 zu sehen ist. Die schraffirte 
Linie ist gemessen während der rechte, die ausgezogene fette Linie 
während der linke Arm mit 3 kg belastet gestreckt gehalten wurde. 
Die langen Rückenmuskeln der entgegengesetzten Seite sind dabei 
zusammengezogen, wie bei a resp. b zu ersehen ist. 

Der Querschnittsmesser ist nicht nur bei der Behandlung Skolio- 
tischer von Nutzen, sondern auch in anderen Fällen, wo es von 
Interesse ist, die Entwickelung oder Symmetrie des Brustkastens 
zu constatiren, wie z. B. bei Herz- und Lungenkrankheiten. 

Mit Hilfe und unter Leitung der besprochenen Untersuchungs¬ 
und Controllinstrumente hat sich die in meinem Institute angewandte 
Behandlung der seitlichen Rückgrats Verkrümmungen ausgebildet. 
Einen eingehenden Bericht über dieselbe kann ich hier nicht geben; 


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Ueber die Behandl. der habituellen Skoliose mittelst mech. Gymnastik. 349 

ich will nur die Grundzüge der Behandlung anführen und einige 
wichtige Apparate demonstriren. 

Ich schicke Einiges über das Wesen und die Ursache der 
habituellen Skoliose voraus. Dr. Lorenz in Wien, dessen jüngst 
erschienene Arbeit über die Skoliose sicherlich bis jetzt die beste 
ist, besonders die Kapitel über die pathologische Anatomie und 
Pathogenese der Skoliose, gibt uns folgende Definition: „Die habi¬ 
tuelle Skoliose ist die durch Bänder- und Knochenveränderungen 
fixirte und consolidirte habituelle skoliotische Haltung“ *). 

Ich halte es für richtiger, zu sagen: „die mehr oder we¬ 
niger fixirte skoliotische Haltung“, sonst wäre ja die Thätigkeit 
des Orthopäden gegenüber der Skoliose eine gar zu beschränkte, 
beinahe hoöhungslose. 

Uebrigens zeigt Lorenz auch an einer anderen Stelle seines 
Buches, dass dies eigentlich seine Meinung ist. Denn weshalb 
sollten wir jene lateralen Rückgratskrümmungen, welche der Patient 
selbstthätig noch theilweise oder sogar vollständig auszugleichen 
vermag, wenn auch nur mit Anstrengung und für eine kleine 
Weile, nicht Skoliosen nennen? Diese beiden Gruppen sind doch 
bestimmte pathologische Zustände, welche bestimmte therapeutische 
Massregeln zu ihrer üeberwindung erfordern und uns viel Arbeit 
verursachen können. Die skoliotische Haltung ist im Anfänge physio¬ 
logisch und wird allmählich pathologisch; letzteres aber erst, wenn 
sie zur üblen Gewohnheit geworden ist, d. h. wenn sie der Patient 
einnimmt, sobald er nicht seine Aufmerksamkeit darauf richtet, sich 
gerade zu halten. Wir können sicher sein, dass in solchem Falle 
unsymmetrische Veränderungen in den constituirenden Theilen des 
Rückgrats eingetreten sind. Will man daher unter dem Begriffe 
„Skoliose“ das ganze hierhin gehörende Material, mit dem der 
Orthopäde arbeitet, zusammenfassen, so muss man sagen: „Die 
habituelle Skoliose ist die zur Gewohnheit gewordene skoliotische 
Haltung“. Aber was ist die Ursache derselben? Nach meiner An¬ 
sicht das für einen im Wachsthum begriffenen Organismus unsinnig 
lange Stillesitzen, welches durch die an die Schulbildung gestellten 
übertriebenen Ansprüche gefordert wird. Es ist nicht meine Auf- 


*) Pathologie und Therapie der seitlichen Rückgratverkrümmungen von 
Dr. A. Lorenz. 

*) 1. c. S. 75. 


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350 


Gustav Zander. 


gäbe, zu erörtern, ob und von welchem Standpunkte diese Ansprüche 
berechtigt sind; aber als Specialarzt in Orthopädie und Heilgymnastik, 
der jährlich wohl 100 schwache und übermässig angestrengte Mäd¬ 
chen zu behandeln hat, sind mir die Folgen dieses Missverhältnisses 
zwischen der verlangten Arbeit und derjenigen, welche ohne Schaden 
für die physische Entwickelung geleistet werden kann, wohl bekannt. 
Warum besitzen wir nicht auch Mädchenschulen, in denen die in¬ 
tellektuelle Ausbildung, welche ja doch einer reiferen Altersperiode 
angehört, der physischen Entwickelungsarbeit mehr Zeit und Ruhe 
lassen könnte? Die kostbaren Jahre des Wachsthums würden dann 
nicht unter einem sorglosen Beiseitesetzen gerade der ihnen ge¬ 
hörenden Aufgabe der Ausbildung eines gesunden, starken und ab¬ 
gehärteten Körpers verstreichen. Dann könnte man auch dem 
schweren üebel, mit welchem wir uns hier beschäftigen, eine Grenze 
setzen, indem ihm vielfach vorzubeugen und in der Mehrzahl ge¬ 
linderer Fälle Heilung möglich wäre, während die einmal in ein 
gewisses Stadium gekommene skoliotische Verbiegung allen An¬ 
strengungen und Mitteln der Wissenschaft Trotz bietet. 

Die skoliotische Haltung ist also, wie gesagt, zuerst physio¬ 
logisch, d. h. das Rückgrat nimmt die mit seiner normalen Con- 
struction vereinbarten Krümmungen und Drehungen an. Diese Ab¬ 
weichungen aber sind die Folge davon, dass die activen Elemente, 
die Muskeln besonders, bei vieler Arbeit im Sitzen ermüden und 
erschlaffen; hierzu kommt, dass das gewöhnliche Missverhältniss 
zwischen der Höhe des Tisches und des Stuhles, sowie die unzu¬ 
reichende Breite des Tisches die Schulkinder geradezu zwingt, den 
Rücken seitlich zu krümmen. Sie thun dies erfahrungsgemäss meist 
nach links, um für den schreibenden, rechten Arm mehr Freiheit 
und Platz zu haben. Wenn nun die physiologischen Grenzen fiir 
die Beweglichkeit der Gelenke erreicht sind und die als active Liga¬ 
mente dienenden Muskeln unthätig bleiben, so sind es nicht länger 
die Wirbelkörper, welche allein das Körpergewicht tragen, sondern 
auch die ligamentösen Partien und diejenigen knöchernen, welche 
physiologisch die Ausdehnung der Bewegung über eine gewisse 
Grenze hinaus hemmen. Das Körpergewicht hängt jetzt gleichsam auf 
diesen hemmenden Theilen, und da während der Schulzeit dies fast 
täglich stundenlang der Fall ist, so darf man sich nicht wundem, 
dass die nicht zu solchem Zwecke construirten Theile allmählich 
nachgeben, einerseits der Compression, andererseits der Dehnung 


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Ueber die Behandl. der habituellen Skoliose mittelst mech. Gymnastik. 351 

und Lockerung unterliegend. Dazu kommt, dass der Druck, welcher 
auf den Wirbelkörpem lastet, bei schiefer Haltung umsomehr auf 
die concavseitigen Hälften der Wirbelkörper verlegt wird, je mehr 
und je öfter die Wirbel aus der Mittellinie des Körpers abweichen. 
Daher die zunehmende keilförmige Missgestaltung der Wirbelkörper. 
Es schädigen aber selbst unbedeutende Veränderungen der das 
Rückgrat constituirenden Theile den ganzen Mechanismus, denn sie 
erschweren und vereiteln die Aufgabe der Muskeln, das Rückgrat 
gerade zu erhalten. Zudem beirren sie den Patienten in seiner 
Auffassung von der geraden Haltung. 

Die Skoliose braucht daher nur einen gewissen noch geringen 
Grad erreicht zu haben, um doch schon eine stets wachsende Ten¬ 
denz zur Verschlimmerung zu zeigen. Sich selbst überlassen, nimmt 
sie oft mit erschreckender Schnelligkeit zu, und nicht selten darf 
man sich glücklich schätzen, wenn es nach Aufnahme der Behand¬ 
lung nur gelingt, sie in ihrer weiteren Entwickelung aufzuhalten. 
Doch auch die Fälle, welche noch Aussicht auf Besserung zeigen, 
stellen die Geduld des Orthopäden auf eine harte Probe, besonders 
wenn, wie es gewöhnlich der Fall ist, während 7—8 Stunden Still- 
resp. Schiefsitzens in der Schule und bei den Schularbeiten im 
Hause niedergerissen wird, was in der meist auf eine Stunde täg¬ 
lich beschränkten mechanisch-gymnastischen Behandlung aufgebaut 
werden kann. Der Streit ist eben ein zu ungleicher. Dennoch 
habe ich Resultate erzielt selbst in Fällen, wo ich daran verzweifeln 
wollte, und ich hege die üeberzeugung, dass weit mehr zu erzielen 
wäre, wenn es gelänge, die Zeit der Behandlung in ein richtiges 
Verhältniss zu den zu überwindenden Schwierigkeiten zu bringen, — 
ja dass nicht so viele schwere habituelle Skoliosen aufkommen könn¬ 
ten, wenn der Kampf gegen die Schiefhaltung nicht gar so oft zu 
spät eingeleitet würde. 

Ich meine nicht, dass die Behandlung im ganzen länger 
dauern müsste; eher kürzer, weil concentrirter. Denn bei recht¬ 
zeitig eingeleiteter, beharrlich durchgeführter Behandlung würden 
sich wohl grössere Resultate in kürzerer Zeit gewinnen lassen. 
Nachher könnte dann eine weniger Zeit in Anspruch nehmende, 
mehr auf allgemeine Kräftigung abzielende conservirende, gym¬ 
nastische Behandlung eintreten. Eine Stunde Gymnastik täglich 
bliebe freilich nöthig, solange die schädigenden Einflüsse einwirken, 
d. h. während der ganzen Schulzeit, damit Rückfälle vermieden werden. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. II. Band. 24 


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Gustav Zander. 


Eine concentrirte Behandlung, wie ich sie mir gedacht habe, 
kann nur durch Einrichtung von orthopädischen Instituten zu Stande 
kommen, wo alle Patienten Pensionäre wären, und wo alles darauf 
abzielte, dieselben den ganzen Tag unter corrigirenden Einflüssen 
zu halten. Der nothwendige Schulunterricht müsste dabei so statt¬ 
finden, dass er die Hauptaufgabe der Anstalt nicht beeinträchtigen 
würde. Ich bin überzeugt, dass 6 Monate in einer solchen Anstalt 
mehr ausrichten würden, als 2 Jahre der gewöhnlichen ambulanten 
Behandlung, d. h. eine Stunde Gymnastik täglich während des Win¬ 
ters und vielleicht gar keine im Sommer. Was nun die jetzt in 
meinem Institute übliche Behandlung betrifit, so ist das leitende 
Princip dabei, den Patienten während der Gymnastikstunde unter 
so anhaltende und kräftig corrigirende Einflüsse wie thunlich zu 
bringen. Den frühzeitig eintretenden und beständig zunehmenden 
asymmetrischen Veränderungen in den inactiven Theilen des Rück¬ 
grates muss vorgebeugt oder entgegengearbeitet werden. 

Alle diese Veränderungen zusammen bilden gleichsam eine 
schiefe Ebene, auf welche die Körperschwere fortwährend wirkt, 
und deren Neigung beständig vermehrt wird. Man muss darnach 
streben, die umgekehrte Neigung der Ebene zu bewirken, so dass 
die entgegengesetzten Druckwirkungen auf die beiden Hälften der 
Wirbel und der Intervertebralknorpel zu Stande kommen. Hier¬ 
durch soll die gleichmässige Biegsamkeit des Rückgrates nach beiden 
Seiten wiederhergestellt und der Neigung, den Rücken beständig 
nach derselben Seite zu beugen, entgegengearbeitet werden. 

Diesen — den statischen Theil der Behandlung, — wobei der 
Patient sich passiv verhält, kann man auf verschiedene Weise er¬ 
reichen. Es ist aber unerlässlich, auch die Muskelthätigkeit zur 
Correcturarbeit heranzuziehen. Wir wissen ja, wie leicht Spannung 
und Elasticität der Muskeln verändert wird, wenn ihre Insertions¬ 
punkte längere Zeit hindurch einander genähert oder weiter von 
einander entfernt werden. Sitzt man längere Zeit mit gekrümmtem 
Rücken, so ist es schwer, ihn auf einmal wieder zu strecken, und 
zwar um so schwerer, je schwächer die Muskeln sind. Diese müssen 
daher geübt und gestärkt werden, nicht nur, um zu der Umgestal¬ 
tung der inactiven Theile beizutragen, sondern auch, um selbst in 
lebenskräftigem Zustande zu bleiben. Solange die Rückgrats Verkrüm¬ 
mung starr, fixirt ist, vermögen die Muskeln natürlich nicht zu ihrer 
Ausgleichung beizutragen. Aber sobald die Skoliose wieder etwas 


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üeber die Behänd!, der habituellen Skoliose mittelst mecb. Gymnastik. 353 


beweglicher geworden ist, haben die Muskeln eine wichtige Aufgabe, 
nämlich die Krümmungen solange wie möglich gestreckt zu halten 
und dadurch zur Wiederherstellung der normalen Druckverhältnisse 
auf die missgestalteten Wirbel beizutragen. 

Der statische und dynamische Theil der Behandlung 
müssen Hand in Hand gehen; sie ergänzen einander, und keiner 
von ihnen führt allein zum Ziele. 

Nach diesem Grundsätze ist man auch im gymnastisch-ortho¬ 
pädischen Institute in Stockholm verfahren. Der Unterschied zwi¬ 
schen der dort gehandhabten Behandlung und der meinigen liegt 
hauptsächlich darin, dass im orthopädischen Institute Bandagen und 
Corsette als statische Mittel angewendet werden, während bei mir 
sogen. Lagerungsapparate im Gebrauch sind. Die wichtigsten demon- 
strire ich Ihnen hier. 

Der erste, der Seitenhangapparat (Kl), ist nach einem von 
Dr. A. Lorenz zuerst angegebenen Verfahren construirt. Lorenz 
empfahl zum Seitenhang ein Gestell, ungefähr wie ein gewöhnlicher 
Bock, mit verstellbarem Tragbalken. Ueber diesem hing der Patient, 
etwa wie ein Mantel über einer Stuhllehne hängt, so zwar, dass die 
Convexität der Rückgratsverkrümmung auf dem Tragbalken ruhte. 

Ich versuchte das Verfahren, es schien mir jedoch so gewalt¬ 
sam und gewagt, dass ich es nicht adoptiren mochte, sondern mir 
dafür den in Fig. 8 dargestellten Apparat anfertigen liess. Ich wende 
denselben an zur Gradrichtung resp. zur Umkrümmung von dorsalen 
und lumbo-dorsalen Krümmungen. 

Ist der Patient z. B. mit einer linksconvexen Totalskoliose 
behaftet, so legt er sich, nachdem die bewegliche Ebene horizontal 
gestellt ist, auf die linke Seite, so dass die Höhe der Convexität der 
Krümmung auf dem gepolsterten Querbalken (a) aufliegt. Mit der 
rechten Hand fasst er in die verstellbare Leiter (i), während die 
linke Hand sich auf eine der unteren Querstangen (c) stützt. Der 
Patient liegt nicht völlig auf der Seite, sondern mit der Brust etwas 
nach oben gedreht, so dass der Druck in der Richtung der linken 
Brustkastendiagonale wirkt. Sodann wird die bewegliche Ebene {d) 
schräg abwärts gestellt, anfangs schwach, später stärker, doch nicht 
über 45®. Der Patient bleibt so 5—10 Minuten liegen und macht 
unmittelbar darauf gymnastische Bewegungen, welche dieselbe Cor- 
recturhaltung des Rückens hervorrufen sollen, wie der Lagerungs¬ 
apparat, d. h. in dem angenomnenen Falle Rumpfbiegen nach links. 


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Gustav Zander. 



Der hierzu dienende Apparat C6 wird stets so gestellt, dass 
die Biegung auch an der richtigen Stelle vor sich geht. Eine bei 
links-convexer. Dorsalskoliose etwa vorhandene rech ts-convexe Gegen¬ 
krümmung im Lendentheile wird durch entsprechenden Schrägsitz 
ausgeglichen, so dass sie an der Beugung nach links nicht participirt 
Auch gewisse Armbewegungen veranlassen eine Biegung des Rück¬ 
grates im Dorsaltheil. 


Erhebe ich z. B. den mit einer Hantel belasteten rechten 
Arm, so ziehen sich, wie aus Fig. 7 zu ersehen ist, die Seitenbeuger 
auf der linken Seite zusammen und beugen den Dorsaltheil nach rechts. 
Ziehe ich an einem belasteten Stricke mit dem linken Arm abwärts, 
so resultirt dieselbe Wirkung. Diese beiden Armbewegungen können 
auch vortheilhaft combinirt werden. 

Schliesslich erhält Patient eine ableitende Fussübung oder 
passive Bewegung. Darauf wird er angewiesen, 5 Minuten zu 
ruhen oder auch auf dem Correcturstuhle iC4 (Schrägsitz mit Seit¬ 
stütze) zu sitzen (Fig. 9). 

In der nächsten Lagerungs- und üebungsgruppe würden wir 


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Ueber die Bebandl. der habituellen Skoliose mittelst mech. Gymnastik. 355 



bei Vorhandensein einer Lendenkrümraung diese aogreifen und zwar 
vermittelst des Seitendruckapparates K2 Fig. 10. Der Patient legt 
sich mit der Convexität der Lendenkrümmung gegen das Polster a, 
welches nach Bedarf in verticaler und auch horizontaler Richtung 
verstellbar ist. Der Kopf 
wird von dem Polster b ge- 
tragen. Auf der gepolsterten 
Ebene c ruhen das Becken 
und die Beine; auch hier ist 
die Lage eine mit dem Leib 
etwas nach oben gewendete. 

Wird eine Lumbalkrüm¬ 
mung ohne Behandlung ge¬ 
lassen, so bildet sich all¬ 
mählich eine compensirende 
lumbo - sacrale Krümmung 
nach der entgegengesetzten 
Seite aus. Der obere Schenkel 
dieser Verkrümmung zeigt sich 
als eine „Infraktion“ des 
Rückgrates gegen das Becken. 

Um auf diese einwirken zu 
können, muss man die Con¬ 
vexität des Lendenrückens 
gegen das Polster a stützen 
und das Becken mit den Bei¬ 
nen wie einen Hebel anwen¬ 
den , indem man dasselbe 
gegen das Rückgrat zurecht¬ 
dreht. Zu diesem Zwecke 
habe ich die Ebene, auf wel¬ 
cher die Beine ruhen, beweglich gemacht, so dass sie im Winkel 
gegen die Horizontale verstellt werden kann. Ich habe bestimmt 
beobachtet, dass die Lendenkrümmungen der Behandlung keinen so 
hartnäckigen Widerstand mehr leisten, seitdem ich diesen Apparat 
anwende. Ich bin überzeugt, dass man ohne denselben nichts gegen 
eine starre Lendenkrümmung ausrichten kann; doch muss seine Wir¬ 
kung in der Zwischenzeit durch eine hohe Sohle oder einen schrägen 
Sitz unterstützt werden. 


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356 


Gustav Zander. 


Nachdem der Patient 5 Minuten auf diesem Apparate gelegen 
hat, erhält er wieder active Bewegungen, welche den Zweck haben. 


Fig. 10. 



die ausgleichende Wirkung auf die Lendenkrümraung zu verstärken 
und zu unterhalten. 

In der dritten Uebungsgruppe wenden wir uns gegen die spiral¬ 
förmige Verdrehung des Rückgrates und des Brustkastens, welche 
die Skoliose in ihren schwereren Formen gewöhnlich begleitet. Dies 


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üeber die Behandl. der habituellen Skoliose mittelst mecb. Gymnastik. 357 

ist dasjenige Symptom der Skoliose, welches am meisten entstellt, 
am bedrohlichsten für die Gesundheit ist, und der Behandlung am 
meisten trotzt. 


Fig. 11. 



Es kann natürlich nur im Beginne, ehe die anatomischen Ver¬ 
änderungen eine grössere Entwickelung erlangt haben, wirksam be¬ 
kämpft, d. h. an der weiteren Ausbildung verhindert, sogar noch 
etwas reducirt werden. 

Der Apparat, welchen ich mir zur Bekämpfung dieses Sym- 
ptomes erdacht habe, ist der sogen. Brustkorbdreher {KS Fig. 11). 


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358 


Gustav Zander. 


Das Schema (Fig. 12) zeigt seine Wirkung; a ist ein Durchschnitt 
des Brustkastens, welcher sowohl nach hinten eine Ausbuchtung, 
den RUckenbuckel (bei i), wie auch einen auf der entgegengesetzten 



Seite nach vom, den Bmstbuckel (bei c), aufweist. Es ist einleuchtend, 
dass, wenn man eine kräftig drehende Wirkung auf den Brustkorb 
haben will, es nicht genügt, nur auf den Rückenhöcker zu drücken, 
sondern man muss den Brustkorb wie mit 2 Händen umfassen, von 
denen die eine nach vom drückt, die andere nach hinten. Nach 


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lieber die Behandl. der habituellen Skoliose mittelst mech. Gymnastik. 359 

diesem Schema ist nun mein Apparat construirt. Sein Mechanismus 
besteht aus einem System paralleler Hebel, welche sich um 2 Achsen 
drehen und mit einander so verbunden sind, dass der Parallelismus 
beständig gewahrt bleibt. Die beiden vertikalen Stangen d und e 
tragen Pelotten mit doppelten Gliedern, sodass sie sich genau der 
Oberfläche anpassen können, gegen welche sie drücken. 

Wenn die horizontalen Hebel mittelst eines angehängten Ge¬ 
wichts f um ihre Achsen gedreht werden, so wird die eine Pelotte 
nach oben, die andere nach unten gedrückt, aber beide Pelotten 
nähern sich auch einander und verursachen somit nicht nur eine 
Drehung, sondern auch ein Zusammendrücken des Brustkorbs in der 
Richtung der verlängerten Diagonale, denn die auf die Pelotte wirkende 
Kraft kann in zwei Componenten zerlegt werden, eine in der Rich¬ 
tung der Tangente drehend wirkende, und eine, die in diagonaler 
Richtung drückt. Dadurch wird auch die zurückgewichene rechte 
Brustkorbhälfte gezwungen, sich auszudehnen. Mit Hilfe meiner 
Rumpfmessbilder kann ich leicht bestimmen, wie die Pelotten an¬ 
geordnet werden sollen und wie hoch das Fussbrett (a) gestellt 
werden muss, damit die Rückenpelotte gegen den hinteren Rücken¬ 
höcker drückt. Der Patient legt sich auf die schräge Ebene i, die 
Arme über die in die richtige Lage gebrachten Achselgabeln, die 
Pelotten werden geordnet, das Gewicht angehängt und das Fussbrett 
weggenommen. So liegt der Patient 10 Minuten, bisweilen zweimal 
während der üebungsstunde, und unmittelbar darauf erhält er active 
Drehungsbewegungen oder solche, die auf die Krümmungen aus¬ 
gleichend wirken. 

Der Brustkorbdreher wird nicht nur bei dorsalen, sondern auch 
bei Lendenkrümmungen angewendet; auch in solchen Fällen, welche 
keine ausgesprochene Verdrehung des Rückgrates zeigen. Er wirkt 
nämlich nicht nur antirotatorisch, sondern auch ausgleichend auf die 
seitlichen Verkrümmungen. 

In dieser Weise wird die Behandlung während der gymnastischen 
üebungsstunde fortgesetzt, in der 4—5 Gruppen von je 3 Hebungen 
durchgenommen werden können. Es sind nicht viele Minuten während 
dieser Stunde, in denen der Patient nicht unter einem corrigirenden 
Einflüsse steht. 

Wo es nöthig erscheint, zu Hause und in der Schule mit sta¬ 
tischen Mitteln nachzuhelfen, wende ich zur Herstellung des Schräg¬ 
sitzes am liebsten ein kleines flaches Polster an, welches der Patient 


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360 


Gustav Zander. 


unter den Kleidern trägt und welches, sobald er sitzt, die Lenden¬ 
krümmung gerade richtet. In schwereren Fällen nimmt er einen 
Brustkorbdreher mit nach Hause und liegt täglich stundenlang dar¬ 
auf, wobei er nachher stets einige vorher eingeübte active Correctur- 
bewegungen zu machen hat. 

Wir wollen jetzt einen Blick auf die erzielten Resultate werfen. 


Fig. 13. 



Ich schicke zunächst ein paar Fälle voraus, in welchen die Behand¬ 
lung sich darauf beschränken musste, einer Verschlimmerung des 
Leidens vorzubeugen. 

Das Mädchen A. F., geboren 1875 (Fig. 13), begann im 
October 1887 bei mir mit den üebungen, nachdem es 4 Jahre 
hindurch in einem anderen Institute behandelt worden war. Es 
handelte sich damals, wie die schwarze Contur ausweist, um eine 
doppelseitige starre Skoliose. Eine während zweier Winter durcb- 
geführte, durch Anwendung eines Brustkorbdrehers (KS) im Hause 


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lieber die Behandl. der habituellen Skoliose mittelst mech. Gymnastik. 361 

unterstützte Institutsbehandlung ergab zum Schlüsse das schraffirte 
Bild. Die Behandlung im medico-mechanischen Institut sowohl wie die 
häuslichen Uebungen waren oft unterbrochen worden. Die Summe 
der Deviationen beider Krümmungen war im Beginn 35 mm und 
beträgt jetzt 30 mm. 

Ein anderer Fall: V. D., geboren 1872 (Fig. 14), begann die 



20 10 0 10 20 


Uebungen bei mir im September 1885 gegen eine starre linksseitige 
Lumbalskoliose von 21 mm Deviation; dabei bestand Rotation der 
Lendenwirbel. Vorher war sie 2 Jahre lang in einem anderen Insti¬ 
tute manuell behandelt worden, aber im letzten Winter ohne jede 
Behandlung geblieben. Während der zwei folgenden Winter hielt ich 
sie im status quo bis Mai 1887; das schwarze Messbild zeigt 22 mm 
Deviation. 

Das gleichzeitig genommene Querschnittsbild zeigt Fig. 4 
B. 345. Auch während des Sommers 1887 erlitt die Behandlung 


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362 


Gustav Zander. 


wieder eine Unterbrechung, und ich fand bei der nächsten Messung 
im September (Fig. 14 punktirte Linie) eine Vergrösserung der De¬ 
viation von 13 mm; eine Verschlimmerung, die auch im Querschnitts¬ 
messbilde Fig. 15 (schwarze Contur) zum Ausdruck kommt. Ein com- 
pensirender dorsaler Bogen war in der Ausbildung begriflFen. Während 
der folgenden zwei Winter gelang es, das Verlorene wieder zu ge¬ 
winnen, wie aus den eingezeichneten, im Februar 1889 erhaltenen, 
schraffirten Längs- und Querschnittsmessbildern ersichtlich ist. Die 
Patientin machte dann fleissig häuslichen Gebrauch vom Brustkorb¬ 
dreher (Apparat A3), wonach eine weitere Querschnittsmessung im 


Fig. 15. 



Mai eine deutliche aus der punktirten Linie erhellende Verbesse¬ 
rung ergab. Also hatte die Schiefheit während dieser 4 Jahre, bei 
einem Längenwachsthum von 3,5 cm, nicht zugenommen, und eine 
rasch entwickelte, bedeutende Verschlimmerung war vollständig be¬ 
seitigt worden. 

In den folgenden 3 Fällen (Fig. 16, 17, 18) waren die Rück¬ 
gratsverkrümmungen so starr, dass ich eine erhebliche Besserung nicht 
zu versprechen wagte. 

H. A., geboren 1873 (Fig. 16, schwarze Contur), begann im Sep¬ 
tember 1888 mit den Hebungen; die seit mehreren Jahren manifeste 
Lendenskoliose war ohne Behandlung zu einer Deviation von 36 mm 
gediehen. Die Verkrümmung nahm jedoch allmählich ab und war im 
April auf 18 mm (schraffirte Contur) zurückgebracht. 

A. P., geboren 1874 (Fig. 17, schwarze Linie), trat im October 


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Ueber die Bebandl. der babituellen Skoliose mittelst mech. Gymnastik. 363 

1888 in meine Behandlung mit einer starren rechts-convexen Lumbal¬ 
krümmung von 27 mm Deviation im Scheitel. Im Januar war die¬ 
selbe auf 9 mm und im März 1889 auf 7 mm zurückgegangen 
(schraffirte Linie). 

E. L., geboren 1876 (Fig. 18), mit vorher nicht behandelter, 
rasch entwickelter Totalskoliose, war so wenig wie die beiden vorher- 



20 JO U 10 20 


gehenden Patientinnen im Stande, eine geradere Haltung anzunehmen. 
Die Behandlung führte aber wider Erwarten schnell zu einer Ab¬ 
nahme der Verkrümmung von 24 auf 12 mm und wurde in wei¬ 
teren 6 Monaten bis auf 5 mm Deviation zurückgebracht; eine Ab¬ 
weichung, die fast in normalen Grenzen sich bewegt. 

Bei den folgenden 3 Patienten handelt es sich um leichtere 
Formen von Schiefheit, die ihre Trägerinnen noch für kurze Zeit 
selbst ausgleichen konnten, um aber schleunigst in die habituelle 
schiefe Haltung zurück zu fallen. Anatomische Veränderungen müssen 


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364 


Gustav Zander. 


auch hier schon in der Ausbildung begriffen, aber noch nicht so ein¬ 
gewurzelt und consolidirt gewesen sein, wie in den obigen Fallen^ 
so dass die Behandlung schneller zum Ziele führen konnte. 

M. B. (Fig. 19), geboren 1875, begann die gegen ihre links¬ 
convexe Totalskoliose mit 26 mm Deviation gerichtete Behandlung 
im Februar 1888. Vier Wochen später ergab die Messung eine 


Fig. 17. 



Abnahme bis auf 15 mm; im schraffirten Bilde vom Mai des fol¬ 
genden Jahres beträgt die Abweichung von der Mittellinie nur 
noch 6 mm. 

Der in Fig. 3 S. 342 dargestellte Fall verdient eine besondere 
Hervorhebung. E. S., geboren 1876, hatte während des Winters 
1887—1888 unter meiner Behandlung eine Besserung ihrer links¬ 
convexen Totalverkrümmung von 21 auf 6 mm erzielt. Während 
des folgenden Sommers ging dieser Erfolg wieder verloren. Messung im 
Herbste 1889 (Fig. 3, punktirte Linie) ergab eine Deviation von 20 mm. 


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lieber die Behandl. der habituellen Skoliose mittelst mech. Gymnastik. 365 

Die Mutter glaubte indessen auf die weitere Institutsbehandlung 
verzichten zu können, weil in der von der Tochter besuchten Schule 
eine besondere Turnstunde für diejenigen Schülerinnen eingerichtet 
war; welche aus Rücksichten ihrer Gesundheit von der gewöhnlichen 
Schulgymnastik keinen Gebrauch machen durften. Die schlechte 
Haltung ihrer Tochter würde — wie die Mutter meinte — in diesem 


Fig. 18. 



20 10 0 10 20 


unter Leitung der Turnlehrerin stattfindenden Cursus gehörig berück¬ 
sichtigt tmd behandelt. Glücklicherweise sandte die Mutter das Kind 
jeden zweiten Monat zur controllireoden Messung zu mir. Die erste 
Messung im November zeigte keine Verbesserung der Schiefheit; die 
folgende im Februar ergab sogar eine beträchtliche Zunahme der Ver¬ 
krümmung, welche jetzt 37 mm Deviation im Scheitel des Bogens auf¬ 
wies (Fig. 3 schwarz ausgezogenes Bild). Die nun wieder eingeleitete 
Behandlung in meinem Institute brachte die Schiefheit in kaum 7 Wo¬ 
chen auf 10 mm Abweichung im Messbilde zurück (schraffirtes Bild). 


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3G6 


Gastav Zander. 


Ich führe diesen Fall an, um anlässlich desselben 
Protest dagegen zu erheben, dass skoliotische Kinder 
einem gymnastisdien Schulcursus unter Leitung eines ge¬ 
wöhnlichen „Gymnasten“ überwiesen werden. Es ist thöricht 
zu erwarten, dass solche Leute, denen alle Mittel fehlen, sich eine ge¬ 
naue objective Auffassung des ihnen anvertrauten Falles zu verschaffen, 


Fig. 19. 



und denen die Hilfsmittel zu einer wirklich zweckmässigen Behand¬ 
lung* abgehen, Erfolge erzielen können, wo oft dem Arzte im ortho¬ 
pädischen Institute mit allen möglichen der Diagnose, Behandlung 
und Controlle dienenden Mitteln enge Grenzen gezogen sind. Wenn 
sie es nichts desto weniger übernehmen, so beweisen sie nur, dass sie 
keine Ahnung von den Schwierigkeiten haben, welche die Behandlung 
einer Skoliose bietet. Man sollte doch das oft recht verwickelte 
Problem, ein krummes Rückgrat gerade zu machen, ebenso 
wenig als andere Aufgaben imLeben, Personen anvertrauen, 


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üeber die Behandl. der habituellen Skoliose mittelst mech. Gymnastik. 367 

welche die noth wendigsten Voraussetzungen nicht erfüllen^). 
Ist es nicht verkehrt, eine hauptsächlich mechanische Aufgabe 
Jemandem zur Lösung zu geben, welcher keinen Sinn für Mechanik 
und keine Ahnung von mechanischer Auffassung besitzt? Ich habe 
doch wahrlich viel Zeit dafauf verwandt, die Mechanik in den Dienst 
der Heilkunde zu stellen und muss heute noch viel Zeit und Nach¬ 
denken darauf verwenden, wenn es sich darum handelt, eine gewisse 
Bewegung so anzuordnen, dass sie den gerade gewollten Effect und 
nichts anderes bewirkt. 

Skoliotische können überdies nicht von einer Person allein ohne 
Gehilfen und ad hoc construirte Apparate behandelt werden. 

Geschieht es dennoch, so bedeutet es im besten Falle Zeit¬ 
verlust; aber gewöhnlich auch eine nicht wieder einzubringende Ver- 
säuraniss der rechten Zeit, in der das üebel noch mit sicherer Aus¬ 
sicht auf Erfolg bekämpft werden kann. 

Noch gegen einen anderen, von Qymnasten genährten, 
ja sogar von Aerzten getheilten Wahn muss ich hier an¬ 
kämpfen, dass nämlich gegen Schiefheit leichteren Grades 
nur symmetrische, allgemein stärkende Bewegungen an¬ 
zuwenden seien. Diese Auffassung findet ihre theoretische Wider¬ 
legung in dem, was ich über die Entwickelung der Skoliose, über die 
schon so früh eintretenden Veränderungen in den activen und in- 
activen Theilen des Rückgrates und über die natürliche Tendenz der 
Skoliose zur Verschlimmerung, im obigen gesagt habe. Aber auch 
die Erfahrung stützt die Theorie. 

Es ist natürlich, dass man, nachdem die möglichste Besserung 
der Skoliose erreicht ist, schliesslich zu einer symmetrischen Behand¬ 
lung übergehen kann; jedoch ist dabei grosse Vorsicht am Platze, 
damit das erzielte Resultat nicht wieder verloren gehe. Im folgenden 
Falle war dieses eingetreten. 

S. F., geboren 1873, wurde 1887—1888 wegen einer links¬ 
seitigen Totalskoliose von 24 mm Deviation behandelt; letztere war 
im Mai 1888 auf 6 mm zurückgebildet. Als die Patientin im fol¬ 
genden Herbst sich wieder vorstellte, schien sie vollständig gerade 

Anm. des Uebersetzers. Ein frommer Wunsch, angesichts der 
nicht nur bei Laien, sondern bei nur zu vielen Aerzten noch herrschenden An¬ 
schauung, als könne man die Behandlung mittelst Gymnastik und Massage 
unbedenklich ebenso gut sogenannten Gymnasten und Masseuren als den be¬ 
treffenden Specialärzten anvertrauen! 

ZeitBcbrirt für orthopädische Chirurgie. II. Band. 25 


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368 


Gustav Zander. 


zu sein. Im Messbilde jedoch zeigte die Dornenlinie drei flache 
Krümmungen von höchstens 5 mm Tiefe (schwarze Linie). 

Dieselben konnten nicht als Symptome anatomischer Verän¬ 
derungen der Wirbelsäule gedeutet werden, sondern ich nahm an, 
dass sie auf Storungen im Tonus der semispinalen und rotatorischen 


Fig. 20. 



Rückenmuskeln zurückzuführen seien und verordnete symmetrische 
roborirende Bewegungen. 

Nach ungefähr 2 Monaten zeigte das Messbild (schraffirte Linie) 
diese seichten Krümmungen nicht mehr, und die im Sagittalschnitt 
ersichtliche, weniger kyphotische Haltung sprach für die erzielte 
Stärkung der Rückenmuskulatur. 

Aber die initiale links-convexe Totalskoliose war wieder vor¬ 
handen; die symmetrischen Bewegungen hatten also ihr Wieder¬ 
erscheinen nicht zu hindern vermocht. 

Es ist nichts Ungewöhnliches, dass Aerzte in Unterschätzung 


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üeber die Behandl. der habituellen Skoliose mittelst mech. Gymnastik. 369 

der Gefahr die beginnende Skoliose ohne Behandlung lassen und die 
Eltern mit den Worten in Sicherheit wiegen, „dass es von selbst ver¬ 
wüchse.Ich glaube nicht, dass dies der Fall ist. Das streitet zu 
sehr gegen die Natur der Skoliose. Wenigstens darf man eine solche 
Behauptung auf nichts anderes als zuverlässige Messungen stützen. 

Es sind erst wenige Tage verflossen, seit ich die Rückgrats¬ 
verkrümmung eines Mädchens mass, welche der Arzt für so un¬ 
bedeutend erklärt hatte, dass man sich nicht darum zu kümmern 
brauche. 

Ich musste jedoch die üeberzeugung aussprechen, dass eine 
zweijährige Behandlung nöthig sei, um einer schwereren Form der 
Skoliose vorzubeugen. 

Es gibt ja vereinzelte Fälle, die nicht behandelt wurden und 
dennoch auf einer gewissen Entwickelungsstufe stehen blieben, be¬ 
sonders wenn ihr Träger nicht genöthigt war, lange still zu sitzen. 
Da solche Fälle aber unter gewissen ungünstigen Verhältnissen sich 
rasch zum Schlimmem entwickeln können, so ist es nicht angenehm, 
die Verantwortung dafür zu tragen, eine Gelegenheit zur Abwehr 
des üebels versäumt zu haben. 


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XXL 


Znr Elumpfiissbehandliing. 

(Vorgetragen auf der VI. Jahresversammlung der amerikanisch¬ 
orthopädischen Association New York. September 1892.) 

Von 

Sigfred Levy-Kopenhagen. 

Mit 2 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Meine Herren! — Der ausserordentlich grosse Reichthum an 
Methoden, Apparaten, Bandagen, Handgriffen und operativen Ein¬ 
griffen, welcher bei der Behandlung des Pes varus congenitus em¬ 
pfohlen wird oder zu Gebote steht, könnte von dem nicht Ein¬ 
geweihten so gedeutet werden, dass die Behandlung dieser Deformität 
noch im Unsichem schwebe, indem ihr die erforderliche wissen¬ 
schaftliche und empirische Grundlage fehlt. Aber diejenigen, welche 
sich stetig mit der Behandlung der Deformitäten beschäftigen und 
welche mit dem Wesen der hier besprochenen Affection vertraut 
sind, hegen keinen Zweifel, dass die vielen Methoden weniger ein 
Ausdruck der Unsicherheit, als vielmehr der eigenartigen Schwierig¬ 
keiten sind, welche die Behandlung des Pes varus zu überwinden 
hat, und die in erster Linie aus individuellen Eigenthümlichkeiten 
bei jedem einzelnen Fall herrühren. Auch hat wohl die individuelle 
Vorliebe des einzelnen Orthopäden für eine bestimmte Methode oder 
einen bestimmten Apparat einen nicht geringen Antheil an dem 
genannten üeberflusse, welcher nur irrthümlich als ein Zeichen all¬ 
gemeiner, principieller Unsicherheit aufgefasst werden kann. — Ist 
es ja doch nicht nur sicher, dass der nicht complicirte, angeborene 
Varus geheilt werden kann, und dass dieses ohne Einschränkung der 
Fall ist, wenn derselbe consequenter Behandlung vor dem Abschlüsse 


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Zur Klumpfussbebandlung. 


371 


des epiphysären Wachsthums unterworfen werden kann; sondern es ist 
auch unverkennbar, dass wir dieses Kosultat nur vermittelst Behand- 
lungsprincipien erreichen, die sehr gut, sowohl durch Erfahrung als 
durch Deduction, fundirt sind, und die eine für uns alle gemein¬ 
schaftliche Richtschnur bilden, wie verschieden auch die Methoden 
oder Mittel sein mögen, welche der Einzelne anwendet, um diese 
Principien zur Ausführung zu bringen. 

Dieses gilt in erster Linie betreffs des Verfahrens, welches 
jetzt allgemein für die Fälle adoptirt ist, welche bald nach der Ge¬ 
burt zur Behandlung kommen, die sogen. * amerikanische“ oder 
Sayre'sche Lehre, die darauf hinausläuft, dass der angeborene Varus 
so frühzeitig wie möglich behandelt werden soll. Wenn man heut 
zu Tage im allgemeinen darüber einig ist, dass mit den corrigiren- 
den Manipulationen so früh wie es nur angeht zu beginnen ist, und 
dass so viel wie möglich durch dieselben ausgerichtet werden muss, 
so geschieht dieses nicht nur, weil die mannigfachsten directen Be¬ 
obachtungen, von den verschiedensten Chirurgen gesammelt, uns 
davon überzeugt haben, dass dieses Verfahren einen grossen Antheil 
an den guten Resultaten hat, sondern auch, weil unsere besseren 
Kenntnisse über die Genese und die ganze Pathologie des congeni¬ 
talen IGumpfusses uns Waffen leisten, die Richtigkeit dieser Be¬ 
handlungsmaxime gegen die Chirurgie früherer Zeiten, welche ja in 
dieser Beziehung anderen Regeln folgte, zu behaupten. 

Eben dasselbe gilt betreffs der Principien, welche in der Be¬ 
handlung des Varus in späteren Lebensaltern befolgt werden. Man 
kann in diesen Fällen, gemäss seinen Erfahrungen oder wohl auch 
seiner Vorliebe, entweder Brisements mit der Hand oder mit einem 
der vielen Apparate vornehmen, oder der „Etappeverbindung“, den 
subcutanen Ueberschneidungen oder der „offenen Incision“ den Vor¬ 
zug geben, — die Norm der Behandlung bleibt in allen Fällen eine 
und dieselbe: 1. bringe die Skelettheile in die normale Position zu 
einander, 2. halte sie in dieser Position fest, und 3. lasse sie in 
dieser Position fungiren. — Auch hinsichtlich dieser Fälle bestätigt 
sich die Richtigkeit unserer Behandlungsprincipien nicht nur zufolge 
directer Beobachtung, sondern auch zufolge allgemeiner wissenschaft¬ 
licher Raisonnements. 

In letzterer Beziehung ist die Orthopädie der Jetztzeit auf 
das „Transformationsgesetz“ Julius Wolff's hingewiesen, welches 
ja lehrt: dass die Deformitäten als eine Anpassung der Skelet- 


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372 


Sigfred Levy. 


theile an die pathologisch veränderten statischen Verhältnisse auf¬ 
zufassen sind, dass die Function der primär deformirende Factor ist, 
und dass es deshalb bei der Behandlung darauf ankommt, eine 
möglichst normale Function (in der möglichst normalen Position) zu 
erzielen. 

Fühlt man sich von der Richtigkeit der soeben genannten 
dreidoppelten Behandlungsregel überzeugt, und erkennt man die Be¬ 
deutung der festen Grund¬ 
lage, die das Transforma- 
tionsgesetz auf vielen Punc- 
ten der Orthopädie und 
der orthopädischen Be¬ 
handlung gewährt, muss 
man auch darnach trach¬ 
ten, seine Behandlung mit 
jenen Regeln und diesem 
Gesetze in Uebereinstim- 
mung zu bringen und nur 
diejenigen Behandlungs¬ 
weisen wählen, die alle 
Ansprüche in dieser Rich¬ 
tung vollkommen erfüllen; 
während die Methoden, 
welche die consequente 
Durchführung der ange¬ 
gebenen Principien verhin¬ 
dern, zu verwerfen oder 
demgemäss zu modificiren 
sind. Von diesem Gesichtspunkte aus müssen künftig alle Methoden 
ohne Ausnahme erwogen und gewürdigt werden. 

Es ist nicht die Absicht, hier sämmtliche vorgeschlagenen Be¬ 
handlungsweisen des angeborenen Klumpfusses einer von diesem 
Gesichtspunkte ausgehenden kritischen Probe zu unterwerfen. Es 
soll einstweilen nur eine derselben mit diesem Massstabe gemessen 
werden, um als eine Illustration der voranstehenden Betrachtungen 
zu dienen. Und wir wählen dazu die inamovible (feste) Ban¬ 
dage, von der ja vielseitig ein sehr ausgedehnter Gebrauch ge¬ 
macht wird. 

Wenn es uns gelungen ist, einen Varus momentan zu redres- 


Fig. 1. 



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Zur Klumpfussbehandlung. 


373 


siren, d. h. die erste der oben erwähnten dreidoppelten Regel zu er¬ 
füllen, kann die unabnehmbare (feste) Bandage aus Gips oder einem 
andern plastischen Stoffe uns dazu helfen, der zweiten der genannten 
Forderungen nachzukommen, i. e. den Fuss in der corrigirten Stellung 
festzuhalten. Dies lässt sich nicht bestreiten. Aber der dritten 
Forderung gegenüber, betreffs der normalen Function, lässt uns die 
inamovible Bandage völlig im Stich. Sie hemmt ja in wesentlichem 
Maasse die Function, indem sie nicht 
nur das Talocruralgelenk, sondern auch 
die davor liegenden kleineren Gelenke 
unbeweglich hält, und gleichzeitig wird 
der ganze Apparat, der bei der Bewegung 
dieser Gelenke fungirt — Muskeln, Liga¬ 
mente, Gefässe, Nerven u. s. w. bis hin¬ 
auf zu den betreffenden Bewegungs- 
centren — ausser Function gesetzt. Und 
dies nicht Tage und Wochen hindurch, 
sondern Monate, ja sogar Jahre lang. 

Wenn die „Transformation“ des defor- 
mirten Fussskelettes nicht nur durch 
normale Position bedingt wird, sondern 
auch, was ich nicht bezweifle, durch 
normale Function hervorgerufen wird, 
dann ist die anhaltende langwierige Im¬ 
mobilisation durch eine feste Bandage 
ein Bünderniss für die Transformirung 
des EJumpfusses, umsomehr da die Im¬ 
mobilisation einen untrennbaren Begleiter in der (Inactivitäts-) Atrophie 
hat, und zwar in diesen Fällen eine Vermehrung der Atrophie, die 
sich hier stets vor der Behandlung vorfindet. Und nach dem Auf¬ 
hören der langen Immobilisation muss lange und energisch, oft ver¬ 
gebens, gegen diese Hinderung normaler Function gekämpft werden. 
Hierzu kommt noch die eingreifende Wirkung, welche die feste Ban¬ 
dage durch die Compression der Gewebe, die sie einschliesst, ausübt. 
Falls Belege für die bedeutenden, manchmal deletären Folgen lang¬ 
wieriger Compression in Verbindung mit Immobilisation erforderlich 
wären, so würden die eben nicht erfreulichen Erfahrungen bei der 
Entfernung der sogen. Dauerverbände, sogar bei unbedeutenden 
chinurgischen Läsionen uns oft genug solche geben. Aber die Beob- 



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374 


Sigfred Levy. 


achtung des steifen, pastösen, mageren, atrophischen Varus, der nur 
4—5 Wochen, geschweige denn 3 Monate in einer inamoviblen Ban¬ 
dage gelegen hat, spricht deutlich genug in dieser Richtung. 

Diese Betrachtungen führen uns zu der Schlussfolgerung, dass 
die anhaltende Iramobilisation durch feste Bandage in der Behandlung 
des Klumpfusses unzweckmässig ist und dass die contentive Wirkung, 
die sie unbestritten leistet und die uns nöthig ist, anderweitig her- 
vorgeschafFt werden muss. 

Da ich seit Jahren, lange bevor mir das Transformationsgesetz 
theoretische Argumente gab, ausschliesslich geleitet von den Be¬ 
obachtungen der geschilderten Folgen der langen Immobilisation, 
namentlich hinsichtlich der Zunahme der Atrophie, die Anwendung 
der inamoviblen Bandage immer mehr beschränkt habe, wurde es 
mir eine natürliche Aufgabe, eine Contentivbandage herzustellen, die 
den corrigirten Klumpfuss in situ festzuhalten vermochte, ohne die 
Uebelstände der Immobilisation mit sich zu führen. Und das Traus- 
formationsgesetz musste natürlich die Ansprüche auf eine solche 
Bandagirung in hohem Grade accentuiren. Vermeintlich ist die Auf¬ 
gabe durch beifolgende Schiene in zweckdienlicher W^eise gelöst 
worden. 

Dieselbe besteht, wie aus den Figuren zu ersehen, aus zwei 
Stücken, deren Zusammensetzung genau in den Plan des Talocrural- 
gelenkes fallen muss: eine leichte Doppelschiene für Anticrus und 
eine plattenförmige Schiene mit umgebogenen Kanten für den Fuss. 
Die letztere, die genau nach dem Fusse abgepasst werden muss, darf 
nicht länger als bis zur Basis der Zehen reichen; sie ist mit zwei 
Riemen versehen, welche zwischen der Platte und der Umbiegung 
durch die Schiene geführt werden: ein hinterer Riemen, welcher von 
der äusseren Seite des Fusses auf die Taluspartie wirkt, und ein 
vorderer Riemen, der von der inneren Seite her den Vorfuss nach 
aussen zieht; ausserdem befinden sich ganz vorne zwei Elastiques, 
die nach Kreuzung auf dem Fussrücken an die Cruralschiene be¬ 
festigt werden. — Diese Schiene vermag mit nicht unbedeutender 
Kraft contentiv auf den corrigirten Varus zu wirken in allen drei 
Deviationsrichtungen: der hintere, auf die Taluspartie wirkende Zug, 
wirkt gegen die Deviation in Supinationsrichtung, der vordere gegen die 
Adduction und die zwei Kreuzbänder gegen die Plantarflexion. Zudem 
beeinträchtigt die Schiene nicht die Function, indem das Gehen (ein¬ 
schliesslich die Abwicklung des Fusses) auf normale Weise vor sich 


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Zur Klumplussbehandlung. 


375 


gehen kann, wenn nöthig in Ueberzugsstiefeln. Endlich können wir, 
so oft wir wünschen, die Schiene entfernen, um Verbände, Mani¬ 
pulationen, Massage, Waschungen etc. vorzunehmen. 


Ob nun diese kleine Schiene ebenso brauchbar von Ihnen als 
von mir befunden werden wird, oder ob sie wie so viele andere 
Klumpfussbandagen darauf hingewiesen sein soll, wesentlich vom 
Urheber und einzelnen seiner Freunde benutzt zu werden, das kann 
ich natürlich nicht abmachen. Mehr Vertrauen hege ich hinsicht¬ 
lich Ihrer Zustimmung an die hier vorgebrachte Anschauung, dass 
Immobilisation und Transformation zwei Dinge sind, welche sich 
nicht gut vertragen. 


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XXll. 


Mittheilimgen ans der chimrgiscli-orthopädisGhen 
Privatklinik des Privatdocenten Dr. Hoffa zn 

Würzbnrg. 

I. 

Die Luxatio capituli radii congenita (angeborene Verrenkung 
des Radiusköpfchens). 

Von 

Dr. Theod. Bonnenberg, 

Volontilrassistent der Klinik. 

Mit 2 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Vor einiger Zeit gelangte in der Klinik des Herrn Dr. Hoffa 
in Würzburg ein Fall von angeborener Luxation des Radiusköpfchens 
zur Beobachtung und Behandlung, der manches von Interesse dar¬ 
bot, so dass es angebracht erscheint, denselben zu veröfiFentlichen. 
Herr Dr. Hoffa war so freundlich, mir die Beschreibung des Falles 
zu überlassen, wofür ich ihm auch an dieser Stelle meinen Dank 
aussprechen möchte. 

Bei der 20 Jahre alten S. M. aus Darmstadt findet sich eine 
Luxation des rechten Radiusköpfchens nach vorn. Bei der ersten 
Betrachtung fällt gleich die fehlerhafte Haltung des rechten Armes 
auf. Derselbe erscheint kürzer und schwächer, besonders im Vorderarm, 
als der linke (Fig. 1). Der rechte Oberarm ist 29 cm lang, die Länge 
des Vorderarmes beträgt 21 cm, ebenso hat Ulna, wie auch Radius 
gleichfalls eine Länge von 21 cm, die Länge der Hand ist 15 cm. 
Der Umfang des Armes beträgt an der Achselhöhle 23 cm, am 
Ellenbogengelenk 20 cm, am oberen Drittel des Vorderarms 18,5 cm. 


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Die Luxatio capituli radii congenita etc. 377 

am unteren Drittel 14 cm. Der Vorderarm steht in Supinations¬ 
stellung, die Hand hängt dabei in dorsalflektirter Stellung herab. 
Während der Radius einen annähernd normalen Verlauf zeigt, ist 
die Ulna in ihrem unteren Verlaufe entschieden spiralig gewunden 
und, entsprechend der Grenze des oberen und mittleren Drittels, 
convexer gestaltet, als normal. Das Ellenbogengelenk kann nicht 

Fig. 1. 


vollständig gestreckt werden, sondern nur bis zu einem Winkel von 
155 ®. In der Strecksteilung fühlt man deutlich den Epicondyl. 
intern, humeri, die Spitze des Olecranon und den Epicond, externus 
humeri. Letzterer liegt in gleicher Höhe mit dem Epicond, intern. 
Etwa 1 cm. über dem Epicondyl. extern, fühlt man an der vorderen 
Fläche des Humerus etwas nach aussen einen Knochenvorsprung. 
Der Condyl. extern, fühlt sich bei der Palpation entschieden platter 
an, als normal und liegt etwa 2 cm vom Rande des Olecranon ent¬ 
fernt. Der Kopf des Radius ist in der Ellenbeuge deutlich zu fühlen; 


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Theod. Bonnenberg. 


bei Pro- und Supinationsbewegungen gleitet er unter dem pal- 
pirenden Finger hin und her. Macht man eine Flexionsbewegung 
mit dem Arm, so gleitet das Capitulum radii an der vorderen Seite 
des Humerus hinauf und stellt sich gegen den oben erwähnten Vor¬ 
sprung. Bei spitzwinkeliger Flexion kann man an dieser Stelle, 
6 cm über der Spitze des Olecrauon das Capitulum radii als kuge¬ 
lige Geschwulst hervortreten lassen. Bei Beuge- und Streckbewe¬ 
gungen fühlt man, namentlich wenn man die Hand dabei zu pro- 
niren versucht, deutlich, wie das Capitulum auf einer rauhen Fläche 
des Humerus nach vorne, gegen die Ellenbeuge hin, hin und her 
gleitet. Die Pronation der Hand ist nicht möglich, während man 
den Radius und die Ulna in dem unteren Radio-ulnar-Gelenke gegen 
einander verschieben kann. Das untere Ende der Ulna springt bei 
der supinirten und dorsalflektirten Stellung der Hand stark nach der 
Volarseite des Armes hervor. Ueber dem Vorsprung hat sich ein 
accessorischer Schleimbeutel gebildet, wahrscheinlich durch den Druck 
des gleich zu beschreibenden Apparates. 

Die Patientin hatte in ihrer Heimat einen von Herrn Dr. Kraus 
in Darmstadt construirten Apparat getragen, welcher das Radius¬ 
köpfchen fixiren und die Drehung der Ulna heben sollte. Der Apparat 
selbst besteht im wesentlichen aus einem stark 1 cm dicken Brette, 
welches für den gebeugten Arm spitzwinkelig geschnitten von der Mitte 
des Oberarmes bis zur Mitte des Vorderarmes reicht. Zur Aufnahme 
des Ellenbogens selbst ist auf der äusseren Seite des Winkels eine 
eiserne Kappe und an den beiden Enden des Brettes je ein inneres 
Eisenblech angebracht, zwischen welche nun der Arm durch zwei am 
oberen und unteren Ende in der Höhe der Eisenbleche befestigte 
Schnürvorrichtungen aus Leder befestigt werden kann. Von dem 
oberen Theile des Brettes und zwar von seiner äusseren Kante steigt 
ein etwas gebogener Eisenstab zur Schulterhöhe empor, über der 
er in einer Schnalle endigt. Oberhalb der Ellenbogenkappe ist 
aussen mittelst einer Führung ein starker eiserner Bügel angebracht, 
welcher an seinem über den Arm hinübergreifenden freien Ende eine 
durch eine Schraubvorrichtung verstellbare Pelotte trägt, die das 
Radiusköpfchen fixiren soll. Um nun der Drehung der Ulna ent¬ 
gegenzuwirken, wird der Vorderarm oberhalb des Handgelenkes von 
der ulnaren Seite her zur Hälfte von einem Eisenbande umfasst 
welches an der dorsalen Seite eine erst nach aussen, dann nach 
oben gebogene ca. 20 cm lange Eisenstange trägt. Ein am Ende 


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Die Luxatio capituli radii congenita etc. 


379 


dieser Stande befestigter Riemen kann nun in die oben erwähnte 
Schnalle eingeschnallt werden und wirkt dadurch auf den Vorderarm 
drehend, im Sinne der Pronation. 

Da der Apparat theils durch seine Schwere, theils durch Druck 
die Patientin belästigte, ferner eine Besserung durch diesen Apparat 
voraussichtlich erst nach sehr langer Zeit erzielt werden konnte, 
entschloss sich die Patientin, sich operiren zu lassen. 

Am 20. Oktober 1892 wurde in Chloroformnarkose von Herrn 
Dr. Hoffa und mir die Operation vorgenommen. 

Es wird zunächst ein etwa 6 cm langer Hautschnitt an der 
Aussenseite des Ellenbogengelenkes über den Condylus extemus 
humeri, parallel der Längsaxe des Armes gemacht. Darauf wird 
die Gelenkkapsel eröffnet. Es ergibt sich nun folgender Befund: 
die ganze äussere Hälfte des unteren Humerusendes ist in einem 
leicht concav nach der Ellenbeuge verlaufenden Bogen abgeschrägt, 
so dass keine deutliche Abgrenzung zwischen der Erainentia capitata 
und dem für gewöhnlich nicht überknorpelten Theile der Epiphyse 
besteht. Beide Theile gehen vielmehr in einander über, so dass sich 
der Knorpelüberzug der Eminentia capitata noch etwa 2 cm höher 
hinauf erstreckt, als normal, bis zu dem oben erwähnten Knochen¬ 
vorsprung. Die äussere Kante des unteren Humerusendes erscheint 
dabei erheblich verdünnt, so dass sie gewissermassen eine Leiste 
bildet. In der abgeschrägten unteren Humeruspartie liegt über der 
Eminentia capitata das Radiusköpfchen. Dasselbe ist vollständig 
mit einer fibrösen Kapsel überzogen, welche rings um das Collum 
befestigt und durch eine Bandmasse mit der äusseren Partie der 
Gelenkkapsel verbunden ist. Die Kapsel wird über dem Köpfchen 
gespalten und, nachdem das Periost gelöst worden, ein 2 cm langes 
Stück des Radius mit der Stichsäge entfernt. Da sich diese Ver¬ 
kürzung indess noch nicht als hinreichend erweist, wird noch etwa 
1 cm mit der Luer’schen Hohlmeisseizange entfernt, die Schnitt¬ 
fläche hohl geglättet und der Radius unter die Eminentia capitata 
humeri verpasst. Zum Schlüsse wird noch die Kapsel, welche das 
Capitulum radii überzog, mit der Scheere entfernt. Es ist jetzt 
Beugung und Streckung im Ellenbogengelenke vollständig ungehin¬ 
dert ermöglicht, nicht aber Pro- und Supination. Es wird daher 
über dem Processus styloideus ulnae ein etwa 4 cm langer Ein¬ 
schnitt gemacht und nach Ablösung des Periostes ein 3,5 cm langes 
Stück vom unteren Ende der Ulna mittelst der Säge entfernt. Hier- 


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Theod. Bonnenberg. 


durch wird auch Pro- und Supination in vollem Umfange möglich. 
Die beiden Wunden werden hierauf mit Jodoformgaze austamponirt 
und der Arm gegen eine innere Schiene in Streckstellung anban- 
dagirt. Am 23. und 28. October Verbandwechsel, bei welchem der 
Arm in Beugestellung festgestellt wird. 

Nachdem die Wunden verheilt sind, wird gegen Mitte No¬ 
vember mit Bewegungen angefangen. Zugleich wird der Arm täg¬ 
lich massirt und elektrisirt. 

Da jedoch noch eine spiralige Drehung des Radius vorhanden 
ist, wird am 30. November auf der Grenze zwischen mittlerem und 
unterem Drittel die Osteotomie in Chloroformnarkose vorgenommen. 
Nachdem ein etwa 2 cm langer Schnitt parallel der Längsaxe auf 
den Radius gemacht ist, wird dieser mittelst Meissei und Hammer 
quer durchtrennt. Der Arm wird sodann in die richtige Stellung 
gebracht und, ohne dass die Wunde vernäht wird, verbunden. 

Am 7. Deceraber wird der Verband zum ersten Male gewech¬ 
selt. Die Wunde granulirt gut; es hat sich reichlicher Callus an 
der Durchtrennungsstelle gebildet. Der Vorderarm wird gegen eine 
volare und dorsale Schiene anbandagirt. 

Am 13. December zweiter Verbandwechsel; die Wunde ist am 
Verheilen. Heftpflasterverband; Feststellung mittelst Schienen, wie 
bisher. 

Am 20. Deceraber wird die Patientin entlassen. Der Arm 
steht in richtiger Stellung. An der Stelle der Durchraeisselung ist 
noch reichlicher Callus vorhanden. Activ ist Beugung und Streckung 
vollständig möglich; Pronation und Supination sind activ noch nicht 
möglich, passiv jedoch vollständig frei ausführbar. 

Wie weit die Besserung bis jetzt vorgeschritten ist, lässt sich 
am besten aus einem-Briefe ersehen, den die Patientin am 17. Ja¬ 
nuar 1893 an Herrn Dr. Hoffa richtete. Sie schreibt: 

„Hochgeehrter Herr Doctor! Beinahe 4 Wochen sind seit 
meiner Rückkehr verflossen und ich habe Ihnen noch keine Nach¬ 
richt zukommen lassen. Doch möge es mir zur Entschuldigung 
dienen, dass ich Ihnen zugleich Bestimmtes über den Erfolg des 
Massirens mittheilen wollte. 

Durch tägliches Massiren ist die Anschwellung am Vorderarm 
viel kleiner geworden, und der Arm hat sich bedeutend gekräftigt, 
so dass ich leichte Arbeiten damit verrichten kann. Ausserdem 
mache ich täglich eine bestimmte Zeit üebungen, Drehen, Beugen u. s. w. 


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Die Luxatio capituli radii congenita etc. 


381 


Anfangs stellte ich mich sehr ungeschickt zu Allem an, doch jetzt 
geht es schon viel besser; und hoflFe ich mit Geduld und festem 
Willen wenn auch nicht Alles, so doch das Meiste mit der Zeit 
rechts lernen zu können.“ 

Am 4. März 1893 consfcatirte Herr Dr. Kraus in Darmstadt 
folgenden Befund: Der rechte Arm wurde massirt vom 24. De- 
cember bis 24. Februar. 

Seit 3 Wochen wird der rechte Arm zum Schreiben be¬ 
nutzt. Mit der rechten Hand werden gröbere Sachen genäht, 
Patientin kann jetzt rechts abspülen und abstauben. Sie wäscht 
sich aber noch links, weil die active Beugung rechts nur wenig über 
90® möglich und noch Schwäche im ganzen Arm, besonders im 
rechten Vorderarm besteht. Passiv ist Beugung im rechten Ellen¬ 
bogengelenk bis zum spitzen Winkel möglich. 

Stat. praes.: Der Radius endigt über dem Condyl. exter. in 
der Ellenbeuge; 2 cm von dem distalen Ende des Proc. styloid. 
radii beginnt eine Callusmasse, welche ca. 5 cra lang und 5 cm 
breit ist. Auf der Höhe des Gallus befindet sich eine Incisions- 
narbe. Incisionsnarben ferner über Condyl. extern, und über Proc. 
styloid. ulnae. 

Bedeutende Schwäche des rechten Armes im Vergleich zum 
linken. 

Mitte Oberarm rechts 22, links 20^2 cm. 

Dickste Stelle Vorderarm rechts 20^1, links 23^4 cm. 

Pronation und Supination ist rechts bei freier Armhebung nicht 
möglich, in geringerem Grade bei Unterstützung durch die linke 
Hand. 

Umstehende Fig. 2 erläutert den Status besser als Worte. 
Sie wurde anfangs März 1893 aufgenommen und zeigt den guten 
Erfolg der Operation. 

Beschreibung des bei der Operation gewonnenen Präparates. 
Das vom oberen Ende des Radius entfernte Stück misst in der 
Länge 2 cm, der Durchmesser beträgt am Capitulum 15 mm, am 
Collum 13 mm, so dass also kaum eine Abgrenzung zwischen den 
beiden möglich ist. Das Capitulum, überhaupt nur mangelhaft ent¬ 
wickelt, macht vollständig den Eindruck eines infantilen; eine eigent¬ 
liche Cavitas glenoidalis ist nicht vorhanden, lediglich eine unregel¬ 
mässige, seichte Einsenkung von etwa 4 mm Durchmesser, nimmt 
die Höhe des Köpfchens ein. Knorpelüberzug fehlt dem Köpfchen, 


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Theod. Bonnenberg. 


bis auf eine nicht ganz 1 cm im Durchmesser haltende Stelle an 
dem hinteren Umfange desselben, mit welcher der Radiuskopf auf 
der Vorderfläche des Humerus aufschleifte. 

Das vom unteren Ende der Ulna entfernte StQck misst etwa 
3,5 cm in der Länge, an seinem oberen Theile 8 mm, am Köpfchen, 
von vom gesehen, 15 mm, von der Seite gesehen 10 mm im Durch- 


Fig. 2. 



messer, der Processus styloideus wieder 8 mm und 5 mm in der 
Länge. Es ist also der Processus styloideus bedeutend verdickt und 
macht das ganze Stück den Eindmck eines länglichen, cylindrischen 
Knochens, dem an einer Seite eine höckerige Exostose (das Capi- 
tulum) aufsitzt. An diesem Knochenstücke beflndet sich nur ein 
etwa 3 mm im Durchmesser haltender Knorpelüberzug auf der Spitze 
des Processus styloideus. 


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Die Luxatio capituli radii congenita etc. 


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Im Anschlüsse an diesen Fall sei es mir gestattet, eine Zu¬ 
sammenstellung der bis jetzt in der Litteratur als angeborene Luxa¬ 
tionen des Radiusköpfchens beschriebenen Fälle zu bringen und zu 
besprechen. 


Casnistik der congenitalen Lnxationen des Radinsköpfchens. 
Doppelseitige congenitale Luxationen des Radiusköpfoliens. 

A. Nach aussen. 

Von doppelseitigen Luxationen des Radiusköpfchens nach aussen 
habe ich keinen Fall in der Litteratur verzeichnet gefunden. 

B. Nach hinten. 

1. Fall von Dupuytren. (Meli eher, Gurlt II, Malgaigne.) 

Derselbe betrifft eine an der Leiche gefundene doppelseitige 

Luxation des Radius nach hinten und wurde im Jahre 1830 Du¬ 
puytren von Loir gezeigt. Auf jeder Seite überstieg der Radius¬ 
kopf das untere Ende des Humerus um mindestens einen Zoll. 

2. Fall von Dupuytren. (Malgaigne.) 

Derselbe ist nach Malgaigne in den mündlichen Vorträgen 
Dupuytren's niedergelegt. Ein junges Mädchen von 14 Jahren 
stellte sich im Jahre 1817 im Hotel Dieu mit einer vollständigen 
Luxation beider Radiis nach hinten vor. Nach Angabe der Ver¬ 
wandten soll die Deformität im Alter von 7 Jahren erschienen sein 
und sollen zu gleicher Zeit die Enden aller langen Knochen ange¬ 
schwollen sein. Am rechten Arme liess die runzelige und unebene 
Ulna auf eine schlecht geheilte Fractur schliessen, auch gab das 
Mädchen an, dass es auf diesem Arme zwei Verdrehungen erlitten 
habe. Am linken Arme fehlte der untere Theil der Ulna, ohne dass 
an den allgemeinen Bedeckungen die Spur von einer Narbe vor¬ 
handen war. 

3. Fall von Servier. (Gaz. hebd. 2. Sär. IX (XIX) 14. April 
1872, ref. in Schmitt’s Jahrbüchern.) 

Servier beobachtete eine doppelseitige congenitale Luxation 
der Knie- und Ellenbogengelenke bei einem 21jährigen Soldaten. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. II. Band. 26 


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Theod. Bonnenberg. 


An der rechten oberen Extremität war die Supination nicht möglich, 
die Pronation auf den achten Theil eines Kreises beschrankt; der 
Vorderarm war nach aussen verschoben. Die Epitrochlea machte 
einen sehr bedeutenden Vorsprung. Der Epicondylus fehlte, das 
Köpfchen des Radius sprang nach hinten hervor und nahm den nor¬ 
malen Platz des Epicondylus ein. Wenn man den Arm beugte, 
stellte sich das Radiusköpfchen über das untere Ende des Humerus; 
der Radius war durch Ligamente, scheinbar das Lig. annulare, fest¬ 
gehalten. An der linken oberen Extremität war die Deformität noch 
bedeutender. Das Radiusköpfchen stand ganz hinter der unteren 
Humerusepiphyse. Bei Rotationsbewegungen des Vorderarmes machte 
das Radiusköpfchen einen Weg von 3 cm um den Epicondylus herum. 

4. Fall von Humphrey. (Angef. in Treatise on Dislocations 
by Lewis A. Stimson.) 

Der Fall betraf die Leiche einer erwachsenen Person, deren 
Vorgeschichte nicht zu erlangen war. Das untere Ende der linken 
Ulna fehlte, augenscheinlich in Folge mangelhafter Entwickelung; 
die rechte Ulna war fest mit dem Humerus, beinahe im rechten 
Winkel, ankylosirt und war 8 Zoll lang; das untere Ende war gut 
gebildet und stand wie gewöhnlich in gleicher Höhe mit dem Ra¬ 
dius. Der Radius war ebenfalls 8 Zoll lang, sein Köpfchen war 
aufwärts verlagert und lag gegenüber dem Vordertheile der Leiste, 
welche vom äusseren Condylus zum Schafte aufsteigt (,against the 
forepart of the ridge that ascends from the outer condyle to the 
shaft“). Der Radius war etwas unregelmässig in seiner Gestalt, und 
seine ausserordentliche Länge war in seinem Schafte entwickelt, 
nicht in seinem Halse, wie in mehreren anderen Fällen berichtet 
wurde. Die Trochlea des Humerus war unvollkommen. 

5. Fall von Allen. (Angef. bei Stimson.) 

Das Präparat war der Leiche eines älteren Mannes ohne Ge¬ 
schichte entnommen. Beide Ellenbogen waren betroffen; Flexion 
war normal, Extension nur bis zum rechten Winkel möglich; die 
Rotation war vollständig verloren gegangen imd standen die Glieder 
in Pronationsstellung dauernd fest. Beide Radii waren rückwärts 
verlagert, jedoch wurde nur der linke Ellenbogen genauer beschrieben. 
Die Veränderungen betrafen die Form des unteren Humerusendes 
und des Radius. Der Radius kreuzte die Vorderseite der Ulna an 


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Die Luxatio capituli radii congenita etc. 


385 


ihrem oberen Ende und war dortselbst in einer Ausdehnung Ton 
etwa 3 Zoll durch knöcherne Verwachsung mit ihr verbunden. Unter¬ 
halb dieser Stelle war der Schaft des Radius sehr dick geworden. 
Der Hals des Radius war 1 Zoll lang, so dass das Köpfchen nach 
oben, hinter den Humerus getrieben war, an die innere Seite des 
Olecranon. Ausserdem war der Condyl. extern, hum. abnorm nach 
ab- und auswärts gewachsen, und zwar wurde die Ausdehnung dieser 
Vergrösserung auf Zoll geschätzt. Die Oberfläche der Trochlea 
war verunstaltet, hauptsächlich durch Verlust des grössten Theiles 
des inneren Randes. Die Fovea supratrochlearis posterior war so 
weit ausgefüllt, dass die Wand zwischen ihr und der Fov. supra- 
trochl. anter. V» Zoll dick war. Der Schaft der Ulna war dünn; 
ihr unteres Ende war normal und stand in normalem Verhalten zum 
Radius. 

6. Fall von Phillips. (Angef. bei Stimson.) 

Phillips’ Patientin war ein gut entwickeltes Mädchen von 
17 Jahren. Das Köpfchen jedes Radius bildete eine deutliche Her- 
vorragimg hinter dem Condylus externus humeri. Das Ellenbogen¬ 
gelenk konnte völlig gestreckt werden; die Beugung war bis fast 
zur normalen Grenze möglich, jedoch nur, wenn die Hand in halber 
Pronationsstellung stand. Diese Bewegung wurde hauptsächlich 
durch den Supinator zu Stande gebracht; der Biceps erschien zum 
grössten Theile atrophisch. Das Radiusköpfchen konnte in geringer 
Ausdehnung rotirt werden. Die verschiedenen Hervorragungen des 
Ellenbogengelenkes sowohl als auch das Radiusköpfchen selbst waren 
vollständig entwickelt. Die Mutter behauptete, dass die Deformität 
schon unmittelbar nach der Geburt des Mädchens bemerkt worden sei. 

7. Fall von Heele. (Angef. bei Stimson.) 

Heele’s Patient war ein choreatischer Knabe, 8 Jahre alt, mit 
schlaffen Gelenken und sehr langsam von Verstand. Der linke Ra¬ 
dius wurde durch jede geringfügige Bewegung verlagert und war 
für gewöhnlich nicht an seiner Stelle; er konnte indess leicht repo- 
nirt werden durch Beugung im Ellenbogengelenke oder durch Druck 
auf den Biiochen, in jeder Stellung des Gliedes. Der rechte Radius 
war theilweise dislocirt und nicht zu reduciren; ungefähr ^/s des 
Köpfchens blieb in Berührung mit dem Humerus. Beide Ver¬ 
renkungen hatten rückwärts und aufwärts statt. Beide Condylen 


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Theod. Bonnenberg. 


erschienen dünn. Alle Bewegungen waren möglich, nur die Rotation 
war schlaflF, besonders die Supination. Die Verlagerungen wurden 
bereits kurze Zeit nach der Geburt bemerkt. 

8. Fall von Dr. Leo Herskovitz. (Wiener medicinische 
Presse 1888 Nr. 7.) 

Der Betreffende (Sanitätssoldat) soll stets gesund gewesen sein, 
bis auf den Zustand seiner Ellenbogen und eine verminderte Beweg¬ 
lichkeit beider Vorderarme, was nach Angabe der Mutter seit der 
Geburt bestehen soll. Fall auf die Hände wurde verneint. 

Die Vorderarme waren gegen die Oberarme radialwärts ab- 
ducirt und standen in Viertelbeugestellung, die Hände in mittlerer 
Pronation. 

„Geradezu frappant ist die Hinterseite, sowie die seitliche An¬ 
sicht des Gelenkes. lieber dem Condylus extemus sieht man late¬ 
ral wärts (3 cm) neben dem Olecranon eine ungefähr wallnussgrosse, 
rundliche Hervorwölbung, welche jene Furche ausfüllt, die man am 
normalen Gelenke zwischen dem oberen Ansätze der Supinatoren 
einerseits, dem Olecranon, der Tricepssehne und den Vorderarra- 
streckem andererseits verlaufen sieht; eine kleinere Furche bemerkt 
man dagegen nach aussen von der Protuberanz. Der Muskelansatz 
der Beuger und Supinatoren erscheint bei genauerer Inspection ab¬ 
geflachter, sein äusserer Contour weniger convex.“ 

Bei der Palpation fand sich die Stelle des Radiusköpfchens 
verlassen, die Muskeln dortselbst leichter eindrückbar, die Eminentia 
capitata war undeutlich, von geringerer Wölbung. Die Protuberanz 
an der Hinterseite des Gelenkes stellte sich als das stark verdickte 
Kadiusköpfchen mit Delle heraus, auf dem nach hinten und oben 
verschobenen Halse des Radius aufsitzend; das Ligamentum annulare 
war nicht zu fühlen. Bei Drehung des Vorderarmes im Sinne der 
Pronation (die Supination war aufgehoben) bewegte sich die Hervor¬ 
wölbung sichtbar und fühlbar mit. Der Arm konnte aus seiner 
Viertelbeugestellung nicht gestreckt werden, die Beugung war jedoch 
bis auf einen geringen Unterschied wie normal ausführbar. Die 
Pronation war bis über die Hälfte des normalen möglich, die Supi¬ 
nation vollständig aufgehoben. Die Ab- und Adduction der Hände 
war beschränkt. 

Beide Arme boten einen übereinstimmenden Befund dar. 


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Die Luxatio capituli radii congenita etc. 


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C. Nach vorne. 

9. Fall von Dr. A. Mitscherlich. (Archiv für klinische 
Chirurgie von Langenbeck [6. Bd.] 1865.) 

Bei einem 6jährigen Mädchen, bei dem 3 Jahre vorher die 
Tenotomie der Achillessehne zur Heilung gleichzeitig vorhandener, 
angeborener, beiderseitiger Klumpfüsse gemacht worden war, er¬ 
schienen die oberen Extremitäten im Verhältnisse zum übrigen 
Körper etwas verkürzt und abgemagert, vorzüglich die Extensoren 
zumal der linken Seite. Hand und Fingergelenke befanden sich in 
schwacher Beugung und liessen sich nur mit Mühe passiv gerade 
strecken. An den Ellenbogengelenken war der Breitendurchmesser 
verkleinert, der Querdurchmesser dagegen grösser als normal. 

Das Capitulum radii war vor der äusseren Hälfte des Pro¬ 
cessus coronoideus zu fühlen und Hess sich nicht an seine normale 
Stelle zurückführen. Auf beiden Seiten war die Extension bis zur 
vollständigen Streckung möglich, die Flexion rechts bis zu einem 
Winkel von 70 Unks bis zu einem solchen von 100 ® ausführbar. 
Die Hände standen beiderseits fast in vollständiger Supination und 
konnten aus dieser Stellung nur in unbedeutendem Grade in Pro¬ 
nation übergeführt werden. Die Sensibilität und elektrische Erreg¬ 
barkeit auf beiden Seiten normal, dagegen die Temperatur, nament¬ 
lich links, erniedrigt. 

Auf die dringenden Bitten der Mutter entschloss sich Geheim¬ 
rath Langenbeck zur Resection des linken, als des unbrauchbarsten 
Ellenbogengelenkes. Nach einigen Wochen starb die Kranke, und 
konnte so auch das rechte Gelenke präparirt werden. Die Gestalt 
der unteren Humerusepiphyse erschien bei oberflächHcher Betrachtung 
unbedeutend verändert, da nur der Condylus externus ein wenig 
abgeflacht, der Condylus internus aber, sowie der Sinus maximus in 
der normalen Weise vorhanden waren. Die Formveränderungen 
bezogen sich hauptsächlich auf die Gelenkflächen, die Trochlea und 
die Rotula. Betrachtete man die Epiphysen des Oberarms von hinten, 
80 bemerkte man nur die Trochlea, welche, in normaler Weise vom 
Sinus maximus entspringend, den ganzen Raum mit ihrer stark 
concaven Fläche einnahm. Erst wenn man die Epiphyse von unten 
betrachtete, sah man am tiefsten Punkte der Aussenseite eine Crista 
entspringen, welche in gebogener Richtung, mit der Concavität nach 


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Theod. Bonnenberg. 


aussen, nach vom und soweit nach innen verlief, dass sie zuletzt 
nur noch einen 1 Linie breiten Raum fQr die Gelenkfläche des 
Proc. coronoideus frei liess. 

Dagegen wurde fast der ganze äussere Theil der vorderen 
Seite der Humerusepiphyse durch die beinahe kreisrunde Gelenkfläche 
für den Radius ausgefüllt, so dass nicht nur die Vertiefungen der 
Fossa anterior minor gänzlich, sondern auch die der Fossa anterior 
major fast vollständig verschwanden, wobei von letzterer ausserdem 
noch ein erheblicher Theil durch die oben erwähnte Crista einge¬ 
nommen wurde. 

Die Form der Gelenkfläche der Ulna erschien fast völlig normal, 
nur war ihr unterer Theil etwas breiter, als er sein sollte, um die 
zu grosse Gelenkfläche am Humerus ausfüllen zu können. Der obere 
Theil des Radius stand, der anormalen Lage der Rotula entsprechend, 
etwas höher, als in der Norm, seine obere Gelenkfläche zeigte eine 
unregelmässig convexe Gestalt, so dass ihr grösserer hinterer Theil 
bei der Extensionsstellung des Vorderarmes mit der oben beschrie¬ 
benen Rotula artikuliren konnte. Eine Cavitas sigmoidea minor fehlte 
gänzlich, da der Radius mit der Ulna nicht artikulirte, indem sich 
das Capitulum des ersteren gerade vor der äusseren Hälfte des Proc. 
coronoideus befand und über diese hervorragte. Die Knochensubstanz 
der Epiphysen, wie der knorpelige Ueberzug waren vollständig 
normal, indem sich in letzterem nirgends Schwund oder selbst 
Erosionen auffinden Hessen; er erschien glatt und glänzend. Ebenso 
zeigte auch die Kapsel keine Veränderungen, nur schien sie wegen 
der Höherstellung des Radius an ihrer äusseren Seite etwas weniger 
tief als gewöhnHch hinabzureichen. Was den Bandapparat betrifft, 
so wurde das Capitulum radii in seiner abnormen Stellung dmch 
ein festes Ligament fixirt, welches theils vom Proc. coronoideus, theils 
in schräger Richtung vom Condylus extemus zu seinem capitulum 
hinüberging, und dasselbe in ähnlicher Weise wie das Ligamentum 
annulare umschloss. Die Ligamenta lateralia waren in der normalen 
Weise vorhanden, nur hatte das extemum auch gleichzeitig noch 
einen Ansatzpunkt an der äusseren Seite der Ulna, unterhalb des 
Processus coronoideus; ebenso setzte sich das Ligamentum cubiti 
anticum mit seinem äusseren Theile an Stelle des entsprechenden 
Theiles des Processus coronoideus an das Capitulum radii fest, 
während das Ligamentum cubiti posticum den normalen Verlauf hatte. 
Die Ansatzpunkte der Muskeln boten nichts Bemerkenswerthes dar. 


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Die Luxatio capituli radii congenita etc. 


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10. Fall von Leisrink. (Archiv für deutsche Chirurgie, Bd. 11.) 

Der 18 Jahre alte Buchbinder Theodor Spatz soll angeblich 
scheintodt geboren und durch energisches Rütteln an den Armen 
nebst anderen Manipulationen zum Leben erweckt worden sein. 
Damals wurde eine Deformität der Arme nicht bemerkt; erst im 
dritten Lebensjahre bemerkten die Eltern ein eigenthOmliches Aus¬ 
sehen des oberen Theiles des Unterarmes und zugleich, dass das 
Kind nicht im Stande war, die Hände in normaler Weise gegen den 
Vorderarm zu drehen. Weiter bemerkte der Kranke von seinem 
neunten Lebensjahre an, dass, wenn er den linken Arm stark beugte, 
ein Knacken hörbar wurde und dann eine Streckung des Armes 
nicht möglich war. Reposition dieser häufig auftretenden Luxation 
erfolgte Anfangs durch ärztliche Hülfe, später besorgte der Kranke 
dieselbe selbst, indem er einfach gegen die stark hervorragenden 
Knochen drückte. Vor 5 Nächten war damals wieder einmal mit 
dem bekannten Geräusch das Ellenbogengelenk luxirt und vermochte 
der Kranke nicht dasselbe, wie sonst, zu reponiren. 

Bei der Untersuchung zeigte sich ein elender, abgemagerter 
Körper, lang aufgeschossen, mit Pectus carinatum. Das linke Ellen¬ 
bogengelenk zeigte deutlich die Stellung der nach hinten luxirten 
Ulna. Man fühlte das Olecranon und konnte es zum Theil umgreifen. 
In der Chloroformnarkose gelang die Reposition leicht bei Druck 
auf das Olecranon mit gleichzeitigem Zuge am Vorderarm in der 
Richtung der Stellung desselben bei der Luxation. 

Als man nun die beiden Arme mit einander verglich, bemerkte 
man an ihnen ein eigenthümliches Aussehen. „Die Grube zwischen 
Supinator longus imd Sehne des Biceps war durch einen Gegenstand 
angefüllt in dem Maasse, dass an Stelle der Grube eine deutliche Vor- 
ragung sich fand. Dagegen präsentirte sich die Stelle, wo das Radius¬ 
köpfchen sitzen sollte, als Vertiefung. Die Vorragung war gebildet 
durch das Capitulum radii, welches ganz frei zwischen Biceps-Sehne 
und Supinator longus stand. Man war im Stande, das Köpfchen zu 
dreiviertel zu umgreifen, und konnte ebenfalls deutlich die Gelenkfläche 
tasten. An beiden Armen war das geschilderte Verhältniss dasselbe.“ 

Was die Beweglichkeit der Arme anlangt, so war Extension 
und Flexion beinahe ganz normal, Supination und Pronation im 
hohen Grade gehindert und nur zur Hälfte der normalen Ausdehnung 
möglich. „Uebrigens war der Supinator longus entschieden schwach 
und atrophisch.“ 


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Theod. Bonnenberg. 


11. Fall von Dr. A. Machenhauer. (Centralblatt für Chirurgie 
von Bergmann, König und Richter. XIX. Jahrgang, 1892, Nr. 13.) 

Bei dem 12 Jahre alten, sonst gesunden und kräftigen K. F. 
von Grünberg bildeten die beiden Vorderarme bei vollkommener 
Streckung und Supination mit den Oberarmen einen nach aussen 
offenen, stumpfen Winkel von 165 Dabei war eine bedeutende 
Hyperextension des Vorderarmes möglich. Direct unterhalb des 
lateralen Epicondylus des Humerus war eine auffallende 8 cm lange, 
6 cm breite und beinahe 2 cm hohe Hervorwölbung bemerkbar. Die 
normale Furche zwischen Supinator longus und Biceps war mehr 
ausgefüllt und querer gerichtet. Dagegen befand sich an der nor¬ 
malen Stelle des Capitulum radii eine Vertiefung. Beim Betasten 
der eben genannten Hervorwölbung war mit grosser Deutlichkeit 
rechts wie links das Radiusköpfchen grossentheils zu umgreifen, 
dessen Pfanne zu tasten und leer war. Nach hinten war ebenso 
die Eminentia capitata humeri, jedoch undeutlicher zu sehen. Das 
Radiusköpfchen stand rechts nur um 1 cm, links 1,5 cm tiefer, als 
die Spitze des Olecranon, war mithin beträchtlich in die Höhe ge¬ 
rückt und artikulirte bei Beugung des Vorderarms, wie Rotationen 
des Radius — Pronation und Supination der Hand — rechts direct 
unter der Fossa radialis auf dem oberen vorderen Umfange des 
Capitulum humeri, links entsprechend tiefer. Die Flexion des Vorder¬ 
armes war nur bis zu einem Winkel von ca. 80 ® möglich, die Ex¬ 
tension dagegen war vollkommen, sogar, wie erwähnt, eine gewisse 
Hyperextension möglich. Supination wie Pronation waren ganz 
ungehindert. Schmerzen und Beschwerden waren gar keine vor¬ 
handen, überhaupt hatte weder der Knabe noch seine Eltern eine 
Ahnung von der vorhandenen Abnormität. Ebenfalls war durchaus 
nichts über die Entstehung der beiderseitigen Luxation zu eruiren. 
Die Geburt verlief in Kopflage ganz spontan. Ebenso vermögen 
sich die Eltern nicht zu entsinnen, dass der Junge in den ersten 
Lebensjahren jemals unvorsichtig an den Armen in die Höhe gezogen 
worden wäre, oder sich je über irgend welche Beschwerden beklagt hätte. 

12. Fall von R. Adams. (R. Adams in Dublin Joum. of 

med. sc. Vol. XVH, citirt in Gurlt; Beiträge zur vergleichenden 
pathologischen Anatomie der Gelenkkrankheiten, 1853. 1. Fall 

bei Gurlt.) 

Bei einem etwa 11jährigen Mädchen bestand eine ganz gleiche 


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Die Luxatio capituli radii congenita etc. 


391 


Deformität des Ellenbogens auf beiden Seiten; und zwar nahm der 
Radius keine bestimmte Stellung zum Humerus ein, konnte vielmehr 
gefühlt werden, wie er entweder nach vorne oder nach hinten in der 
Ausdehnung eines Zolles rückte, je nachdem er in Pronation oder 
in Supination sich befand. Diese Bewegungen bestanden nicht in 
einer einfachen Drehung des Radius um seine Längsachse, sondern 
in wirklichen Ortsveränderungen des oberen Endes des Radius an 
dem Condyl. ext. humeri. Die Bewegungen des Ellenbogengelenkes 
waren vollkommen frei, mit Ausnahme der Extension. Das Mädchen 
starb an Scarlatina und fanden sich nachher beide Ellenbogen¬ 
gelenke in gleicher Weise missgestaltet. Das Capitulum radii war 
gross und in seinem oberen Theile ungewöhnlich ausgehöhlt; die 
Fossa sigmoidea minor war ebenfalls grösser, als gewöhnlich dem 
Radius entsprechend. Das Capitulum humeri fehlte nach aussen hin, 
als ob ein Segment davon abgeschnitten worden wäre; das Capitulum 
radii ragte über dasselbe hervor; die äussere Hälfte des unteren Endes 
des Humerus hatte dadurch in gewissem Maasse das Aussehen der 
Condylen des Oberschenkels in verkleinertem Maassstabe. — Die 
Fossa sigmoidea major zeigte die gewöhnliche Aushöhlung von oben 
nach unten, war aber um die Hälfte kleiner als gewöhnlich; statt 
in ihrer seitlichen Ausdehnung convex zu sein, war sie im Gegen- 
theil ausgehöhlt, so dass sie im Stande war, die innere Hälfte der 
Gelenkfläche des Humerus, welche nicht mehr das Aussehen der 
Trochlea hatte, aufzunehmen. Diese letztere war sehr schmal und 
von vorne nach hinten und seitlich convex, und zu der beschriebenen 
Fossa sigmoidea major passend. Der Processus coronoideus fehlte 
vorne, so dass das missgestaltete Gelenk, von der Flexionsseite be¬ 
trachtet, eine auffallende Aehnlichkeit mit dem Kniegelenke (in ver¬ 
kleinertem Maassstabe), von der Seite der Kniekehle aus gesehen, 
zeigte. Es waren auch wirklich fibröse Ligg. cruciata im Inneren 
des Gelenkes vorhanden; alle ligamentösen Fasern um das Gelenk 
herum waren gelb, obgleich ungewöhnlich stark. — Da das Gelenk 
zwischen Humerus und Radius eine sehr ungewöhnliche Beweglich¬ 
keit besessen hatte, waren die Ligamente lang und schlaff, und es 
war kein regelmässiges Lig. coronarium vorhanden, sondern nur ein 
deutliches Kapselband, welches das Capitulum radii umgab und es 
mit dem Capitulum humeri verband. Diese fast vollkommene Kapsel 
war länger, weiter und stärker, als sie gewöhnlich ist. Das Lig. 
coronarium des Radiuskopfes bildete einen viel grösseren Theil eines 


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392 


Theod. Bonnenberg. 


Kreises, war viel stärker als gewöhnlich, und seine Fasern ver¬ 
schmolzen mit den verlängerten, äusseren, seiÜichen und Eapsel- 
bandfasem. Es war also nicht die Länge der Fasern des Lig. coro- 
narium, welche bei der Pronation dem Radiuskopfe so weit rück¬ 
wärts zu gehen gestattete. 


Einseitige congenitale Luxationen des Radiusköpfcliens. 

A. Nach aussen. 

13. Fall von R. Adams. (In Dublin Journ. of med. und 
Vol. XVII, 1840, angeführt bei Malgaigne und Gurlt, Anmerk.) 

Ein Schneider von 27 Jahren hatte Bildungsfehler an ver¬ 
schiedenen Gelenken. Der rechte Radiuskopf bildete an dem äusseren 
Theile über und etwas hinter dem äusseren Condylus einen Vor¬ 
sprung. Die Pro- und Supination war erhalten, der Arm konnte 
aber weder gestreckt noch gebeugt werden. 

14. Fall von Deville. (Bulletin de la Soc. anat. 1849, p. 153, 
bei Gurlt 6. Fall.) 

Bei einem Greise von gutem Körperbau, jedoch mit einer Un¬ 
regelmässigkeit des rechten Vorderarms, fand man den letzteren, 
mit dem linken verglichen, viel kürzer, jedoch fast ebenso umfang¬ 
reich und auf seinem Uluarrande sehr concav. Die Bewegungen der 
Flexion, Extension, Pronation und Supination waren Vorhanden, und 
selbst leichter, als im linken Ellenbogengelenke vorzunehmen. Beide 
Arme und Hände hatten ein gleiches Volum; keine Spur von Narben 
fand sich an dem missgestalteten Gliede. Bei der Section fanden 
sich die Weichtheile normal. Der Humerus und sein unteres Ende 
waren gesund, bis auf das Capitulum, das, ohne seinen Platz ver¬ 
ändert zu haben, etwas atrophirt, glatt und ohne Knorpelüberzug 
war. Der Radius war normal, nur zeigte er eine starke Krümmung 
mit der Convexität nach aussen. Der Kopf desselben, der um mehr 
als 1 Zoll über seiner gewöhnlichen Stellung gelegen war, hob die 
Muse, radiales und den Supinator longus, von denen er bedeckt und 
durch eine schlaffe Synovialkapsel getrennt war, empor. Die kleine 
und wenig missgestaltete Gelenkfläche des Radiusköpfchens war ohne 
jeden Knorpelüberzug; sie zeigte einige geringe Rauhigkeiten, an 
welche sich Bandfasern inserirten. Die Ulna fehlte zum grossen 


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Die Luxatio capituli radii coDgenita etc. 


393 


Theile; nur ein Theil der unteren und die ganze obere normal ge¬ 
bildete Epiphyse waren vorhanden. Sie artikulirte wie im normalen 
Zustande mit der Trochlea des Humerus, und ging nach unten in 
einen Rest der Diaphyse über; zwischen den beiden Knochenresten 
fand sich ein dicker, fibröser Strang, an welchen sich das Lig. in- 
terosseum und die Muskeln, welche ihre Insertion an der Ulna haben, 
befestigten. Der Radius war folgendermassen befestigt: das obere 
Ende des Radius war durch ein dickes, glattes Band an seinem 
Platze gehalten; dasselbe inserirte sich an dem Processus coronoideus 
ulnae und an einer Knochenbildung, welche die Stelle der Fossa 
sigmoidea minor einnahm, und stieg von da nach oben und aussen 
zwischen dem Radius, hinter der Tuberositas desselben, welche es 
nicht berührte, und dem Capitulum humeri hinauf, nahm die Form 
des letzteren an und bewegte sich auf demselben vermittelst einer 
neugebildeten Synovialhöhle, welche mit der gewöhnlichen der Ulna 
zusammenhing. Nachdem dieses Band die innere Fläche des Collum 
radii erreicht hatte, spaltete es sich in mehrere Theile; einer der¬ 
selben umgab das Collum radii, wie das normale Lig. annulare, ein 
anderer inserirte sich direct an den inneren Theil der Gelenkfiäche 
des Kopfes; noch andere inserirten sich an die schon oben angeführ¬ 
ten Rauhigkeiten jener Gelenkfiäche. 

15. Fall von Senftleben. (Archiv für pathologische Anatomie 
und Physiologie und für klinische Medicin von Rudolf Virchow, 
45. Bd., 1869.) 

Bei einem sonst gesunden und kräftigen 21jährigen Hausknechte 
aus Hamburg wurde, gelegentlich der Aushebung der Militärpflichtigen, 
eine Missbildung des linken Vorderarmes gefunden. Dieselbe bestand 
in erheblicher Verkürzung, erzeugt durch eine vollkommene Luxation 
des Capitulum radii nach aussen und oben bei gleichzeitigem Mangel 
des mittleren Theiles der Ulna in einer Ausdehnung von 6 Zoll. 
An Stelle des grösseren Theiles der Diaphyse war nur ein ligamen- 
töser, durchaus weicher Strang zu fühlen und erschien dement¬ 
sprechend die Ulnarseite des Vorderarms concav eingebogen. Der 
Kopf des Radius stand 2 Zoll über der Gelenkfiäche des Humerus 
und liess sich, namentlich in pronirter Stellung, unter der Haut isolirt 
fühlen und umgreifen. Die tellerförmige Gelenkfiäche war scheinbar 
ganz normal gebildet, trotzdem die Luxation intrauterin (?) zu Stande 
kam. Das obere und untere Ende der Ulna waren ebenfalls ganz 


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394 


Theod. Bonnenberg. 


normal gebildet; namentlich das Olecranon, sowie die Fossa sig- 
moidea hatte normale Gestalt und Dimensionen, so dass auch spontan 
völlige Flexion und Extension des Vorderarmes möglich war. Pro- 
und Supination waren, obschon die Ulna keine feste Stütze gab, 
dennoch fast ganz ausgiebig, spontan ausführbar. Die Musculatur 
war nicht schlechter entwickelt, als an einem normalen linken Gliede. 
Hand und Handgelenk waren ebenfalls ein wenig schmächtiger, 
aber normal gebildet und vollkommen functionsfähig. Die beiden 
Oberarme waren durchaus gleich stark entwickelt. Die vergleichende 
Messung der beiden Vorderarme ergab: 


Länge des Radius . . . . 

» der Ulna. 

Oberes Ende der Ulna . . 

Unteres Stück. 

Ligamentöser Zwischentheil . 
Umfang des Handgelenks über 
dem Proc. styloid. radii 


rechts 10 Zoll, links 8 Zoll, 
« 10 „ „ 6 „ 



7 . .6 


B. nach hinten. 

16. Fall von R. Adams. (R. Adams in Dublin Joum. of 
med. sc. Vol. XVH. 1840. bei Gurlt, 3. Fall.) 

Die Luxation nach hinten und oben betrifft den linken Radius¬ 
kopf. Der Condyl. extern, humeri war vorhanden, jedoch fand sich 
vom an demselben kein Capitulum für die Aufnahme des Radius¬ 
köpfchens, noch irgend eine Spur davon, dass ein solches je vor¬ 
handen war. Der Processus coronoideus und die Fossa sigmoidea 
major waren ungewöhnlich gross und breit, und erstreckten sich fast 
ganz und gar längs des unteren Endes des Humerus hin, welches 
in eine einzige Trochlea, grösser als normal, umgewandelt war. Das 
Tuberc. radii war bedeutend vergrössert, und legte sich an die Fossa 
sigmoidea minor an, während das Collum radii etwas nach hinten 
gerichtet und doppelt so lang, als normal, war, und statt nur bis 
zur Höhe der Fossa sigmoidea minor zu reichen, sich so weit nach 
oben erstreckte, dass es nahezu die Höhe der Spitze des Olecranon 
erreichte. Die Carpalenden des Radius und der Ulna befanden sich 
indess in ihrer normalen Lage, in gleicher Höhe mit einander. Der 
Radiuskopf, welcher niemals gehörig entwickelt gewesen zu sein 


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Die Luxatio capituli radii congenita etc. 


395 


schien, lag hinter dem Condylus externus humeri. Die beiden Vorder¬ 
armknochen verliefen so nahe an einander, dass kaum ein Spatium 
interosseum vorhanden war. — Bei der Betrachtung des Präparates 
liess sich schliessen, dass das Gelenk meist in halber Beugung und 
der Vorderarm in starker Pronation sich befand, und dass die Su¬ 
pination fast unmöglich war. (Präp. d. Mus. of the R. C. S. Ireland.) 

17. Fall von R. Adams. (An derselben Stelle; bei Gurlt 
4. Fall.) 

Die Vorderarmknochen standen in sehr schiefer Stellung zu ein¬ 
ander. Während die Carpalenden beider Knochen auf gleicher Höhe 
standen, war das Collum radii nach oben verlängert, und der Radius¬ 
kopf stark nach hinten verlagert, hinter und unter dem Condylus 
externus humeri gelegen und erreichte beinahe die Höhe des Ole- 
cranon. Der Processus coronoideus und die Fossa sigmoidea major 
waren stark vergrössert. In dem Gelenke hatte sich ein cariöser 
Process entsponnen. (Präp. in Guys Hosp. Mus.) 

18 und 19. 2 Fälle von Cruveilhiei*. (Cruveilhier, Anat. 
pathol. avec planches. Livrais. 9 und Traite d’Anat. path. genär, 
T. I, bei Gurlt 5. Fall.) 

ln 2 Fällen war (rechts) das Collum radii verlängert, nach 
aussen gewendet, und hinter dem unteren Ende des Humerus ge¬ 
legen, über das es weit nach oben hinausragte. Der convexe und 
oblonge, mit einer dünnen Knorpelschicht bedeckte Radiuskopf be¬ 
fand sich in einer Art fibrösen Kapsel, die wahrscheinlich auf Kosten 
des Ligamentum laterale externum und des Ligamentum annulare radii 
gebildet war. Von der Tuberositas radii war nur eine Spur vor¬ 
handen, die Fossa sigmoidea rainor fehlte ganz. Trotz der Ver¬ 
längerung des Radius nach oben waren die unteren Gelenkenden der 
beiden Vorderarmknochen in gleicher Höhe. Der Arm befand sich 
in halber Pronation und Flexion, die Supination war unmöglich, die 
Extension unvollständig. 

20. 21. 22 und 23. 2 Fälle von Sandifort, 1 von Dubois 

und 1 von Verne ui 1. (Malgaigne, Verrenkungen. 1850.) 

Sämmtliche Luxationen wurden an der Leiche gefunden, be¬ 
trafen einen einzigen Arm und hatten nach hinten statt. Der Radius¬ 
kopf überstieg die Höhe der Rotula mehr oder weniger, in Dubois* 


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396 


Theod. Bonnenberg. 


Fall betrug die Verlängerung 5 Linien, zugleich war der Radius¬ 
kopf aber missgestaltet und geschwunden. Der Vorderarm stand in 
Pronation, Radius und Ulna waren in ihrem oberen Theile, wo sie 
sich berührten, mit einander verwachsen. 

Gurlt beschreibt einen Fall von Sandifort (9); nach ihm 
findet die Luxation nach innen statt. „Am rechten Ellenbogen¬ 
gelenke ist der Radius nach innen luxirt, und mit seinem Körper 
so über die Ulna nach innen geschlagen, dass die Hand nicht supi- 
nirt werden konnte; beide Knochen sind fast in ihrem ganzen oberen 
Dritttheile mit einander verwachsen, wobei der Körper des Radius 
vom Collum radii abwärts sehr dick geworden ist. Das abgeflachte 
Collum radii befindet sich auf dem vorderen Theile der Ulna; das 
sehr verkleinerte Capitulum ist nach der vorderen Seite des Ole- 
cranon und der ganzen äusseren Seite des Knochens hingewendet, 
und berührt kaum einen kleinen Theil des Humerus, weshalb statt 
des Capitulum desselben nur eine kleine Hervorragung noch vor¬ 
handen ist. Die Gelenkfläche der Ulna, welche fast allein mit dem 
Humerus articulirt, ist sehr weit geworden; an dem Humerus ist 
bloss eine etwas missgestaltete, sehr grosse Trochlea sichtbar.“ 

24. Fall von Pye-Smith. (Lancet, 1883, angef. in Trea- 
tise on dislocations by Lewis A. Stimson, 1888.) 

Der Bericht von Pye-Smith's Fall ist sehr kurz. Bei einer 
Frau war das Köpfchen des linken Radius nach hinten verlagert. 
Sie gehörte einer Familie von 11 Personen an, von denen 8 irgend¬ 
welche Abnormitäten an den Gelenken hatten; ein Bruder hatte eine 
ähnliche Luxation am rechten Radius. Ihr Vater, Grossvater, Onkel 
und Vettern hatten verschiedene Difformitäten, Klumpfüsse etc. 

25. Fall von Bessel-Hagen. (Ueber Knochen- und Gelenk¬ 
anomalien, insbesondere bei partiellem Riesenwuchs und bei mul¬ 
tiplen cartilaginären Exostosen in v. Langenbeck*s Archiv Bd. XLI.) 

Es handelte sich hier um einen Fall von partiellem, ange¬ 
borenem Riesenwuchs. Die über das normale Maass hinausgehende 
Entwickelung betraf im Wesentlichen nur die Oberextremitäten und 
den Schultergürtel, doch nicht alle zu dem Aufbau der rechts¬ 
seitigen Extremität vereinigten Theile in gleicher Weise. Während 
am linken Arm die Ulna 2,5 cm länger als der Radius war, waren 
rechts beide Knochen von nahezu gleicher Länge; ja die Ulna war 


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Die Luxatio capituli radii congenita etc. 


397 


sogar noch etwas kürzer als der Radius. In Folge dessen stand 
auch das abgerundete, nach hinten verlagerte Radiusköpfchen in 
gleicher Höhe mit der Spitze des Olecranon. Es bildete hinter dem 
Condylus externus humeri einen etwa haselnussgrossen Vorsprung, 
dessen leichte Verschieblichkeit auf eine ziemlich beträchtliche Locke¬ 
rung des Bandapparates schliessen liess. Die Stellung des Vorder¬ 
arms im Ellenbogengelenke konnte eine ziemlich gestreckte sein, und 
nur im Sinne der Supination erschien die Bewegung eingeschränkt. 
Während der Beugung und Streckung wanderte das obere Radius¬ 
ende ähnlich der Ulna um den Gelenktheil des Humerus herum, so 
dass dieser in der Beugestellung senkrecht auf dem Radius sass. 
Die Bewegung war aber keine glatte, sondern Unebenheiten auf den 
aneinander sich reibenden Knochenflächen riefen ein knirschendes 
Gefühl hervor. Von besonderem Interesse erschienen die That- 
sachen, dass Oberarm und Vorderarm nicht einen lateralwärts offenen 
Winkel einschlossen, wie gewöhnlich bei Dislocationen des Radius¬ 
köpfchens, und dass am Condylus externus humeri eine Wachs¬ 
thumshypertrophie vorhanden war, so dass der äussere Epicondylus 
etwa 1 cm weiter abwärts reichte, als in der Norm. 

26. Fall von Bessel-Hagen. (Loco citato.) 

Luxation des rechten Radiusköpfchens bei einem 14^/2jährigen 
Mädchen, das an multiplen cartilaginären Exostosen und vielfachen 
Wachsthumshemmungen litt. Der rechte Arm war kürzer und 
dünner als der linke und stand in halb pronirter, halb flectirter 
Stellung. Im oberen Drittel betrug der Umfang rechts 17,5 cm, 
links 19 cm, dicht oberhalb des Handgelenkes rechts 13,5 cm, links 
15 cm. Es war besonders die Ulna im Wachsthum zurückge¬ 
blieben. Es war dadurch die Hand in eine Abweichung nach der 
Ulnarseite hineingetrieben und das Radiusköpfchen nach hinten luxirt 
worden. Die rechte Ulna war ca. 7,5 cm. kürzer als die linke, und 
blieb das periphere Ende trotz der Verschiebung des Radiusköpf¬ 
chens noch 3,5 cm vom Carpalskelet entfernt. Die Adductionsstel- 
lung der Hand liess sich nur bis zur vollständigen Streckung aus- 
gleichen, während die Ulnarflexion in weiterem Umfange als 
gewöhnlich ausgeführt werden konnte. An der Radialseite des Hand¬ 
gelenks trat die Schwellung, durch welche sonst der Processus sty- 
loides sich kennzeichnet, kaum merkbar hervor; an der Dinarseite 
fehlte er vollständig. Am Vorderarm entsprach einer leichten, mit 


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Theod. Bonnenberg. 


der Convexität nach der Dorsal- und Radialseite gerichteten, Krüm¬ 
mung des Radius eine Auswölbung der deckenden Weichtheile. ln 
der Gegend des Ellenbogengelenkes „fand sich seitlich vom Ole- 
cranon eine Hauterhebung, welche, den Vorsprung des Epicondylus 
externus humeri verdeckend, in der Form eines Kegels weit hervor¬ 
ragte und in sich wie einen halbkugeligen Knochentumor das nach 
hinten luxirte Radiusköpfchen barg.“ Die Dislocation des Radius¬ 
köpfchens zusammen mit der ziemlich festen Anheftung an die be¬ 
nachbarten Knochentheile war ebenso einer vollständigen Streckung 
des Ellenbogengelenkes, wie einer vollständigen Beugung und fast 
in gleichem Grade einer vollen Pronation wie Supination hinderlich. 
Am meisten jedoch war Extension und Supination beeinträchtigt. 
Bei allen Bewegungen fühlte man deutliches Crepitiren. 

27. Fall von Bessel-Hagen. (Loco citato.) 

Bei einem 50jährigen Mann, Onkel des vorhin erwähnten Mäd¬ 
chens, der ebenfalls an multiplen Exostosen und Wachsthumshem¬ 
mungen litt, fand sich eine Luxation des linken Radiusköpfchens. 
Am linken Arme mass die Ulna nicht mehr als 14,5 cm, während 
der Radius 19,5 cm hatte. Dieser Fehler wurde noch dadurch ver¬ 
stärkt, dass die Ulna nach der Dorsalseite hin ausgebogen war. 
Auch in diesem Falle stand die Hand dauernd in Adductionsstellung. 
Das Radiusköpfchen war stark nach hinten und oben verlagert. Die 
Verbindung des Radiusköpfchens mit den benachbarten Knochen war 
mehr gelockert und so seine Beweglichkeit eine grössere. Bei Ro¬ 
tation des Armes im Sinne einer Pronationsbewegung sah man das 
Radiusköpfchen seinen gewohnten Sitz verlassen und aussen um den 
Condylus externus humeri herum nach vorne wandern und bei der 
Supination auf'demselben Wege wieder zurückgehen. Nur die Ex¬ 
tension des Armes ist behindert und lässt sich nicht vollständig aus¬ 
führen; alle andern Bewegungen sind in ausgiebiger und freier 
Weise ausführbar. Die pathologische Stellung des Vorderarmes 
machte sich nur in einer mässigen Beugung des Ellenbogens be¬ 
merkbar. Das Radiusköpfchen war abgerundet, stellenweise rauh 
und höckerig anzufülilen. 


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Die Luxatio capituli radii congenita etc. 


399 


C. Nach vorne. 

28. Fall von R. W. Smith (in Dublin quarterly Journ. of 
medic. sc. Vol. X, 1850, bei Gurlt 7. Fall). 

Bei einem etwa 40j‘ährigen Weibe, welches gleichzeitig angeborene 
Luxationen des Hand- und Kniegelenkes hatte, fand man den Vorderarm 
in einem rechten Winkel gebeugt. Derselbe konnte darüber hinaus 
nicht gebeugt werden. Streckung war bis zu einem leicht stumpfen 
Winkel möglich. Er stand gewöhnlich in halbgebeugter Stellung, 
die Hand zwischen Pro- und Supination; jedoch konnte keine dieser 
Bewegungen vollständig ausgeführt werden. Am unteren Ende des 
Humerus fand sich weder eine Spur einer Trochlea noch eines Capi- 
tulums. Statt derselben war eine tiefe Grube oder Aushöhlung vor¬ 
handen, in welche die Fossa sigmoidea major aufgenommen wurde, 
so dass, wenn der Vorderarm in einem rechten Winkel gebeugt war, 
der Processus coronoideus gegen die vordere Seite des Humerus 
stiess. Die Extension wurde sogleich dadurch gehindert, dass das 
Olecranon mit der hinteren Seite des Humerus in Berührung kam. 
Der Condylus extemus humeri war viel grösser als gewöhnlich, nach 
vorne gekrümmt und vorne tief ausgehöhlt, so dass er mit der Fossa 
sigmoidea minor, die ebenfalls vergrössert war, eine Gelenkhöhle 
bildete, welche den bedeutend von der normalen Form abweichenden 
Radiuskopf aufnahm. Derselbe glich in seiner Form dem Durch¬ 
schnitte einer Kugel, deren innerer Theil gleichsam vertikal abge¬ 
schnitten war, so dass er eine fast flache Oberfläche der veränderten 
Fossa sigmoidea minor darbot. Der Rest des Radiuskopfes hatte 
eine kreisförmige Gestalt und rollte in der schon erwähnten Aus¬ 
höhlung des Humerus während der Supination, welche in viel 
grösserem Umfange ausgeführt werden konnte, als die Pronation. 
Beide Bewegungen waren indessen sehr beschränkt, weil das untere 
Ende des Radius, statt mit einer concaven Fläche mit der Ulna zu 
artikuliren, an dieser Stelle beinahe flach war. Das obere Ende 
der Ulna war so gedreht, dass die überknorpelte Fläche der Fossa 
sigmoidea major nach innen gerichtet war. Das Collum radii war 
nicht vorhanden, indem der Radiuskopf fast direct von der Diaphyse 
des Knochens ausging. Die Ligamenta lateralia externa und interna 
waren vorhanden, verliefen jedoch fast horizontal; das erstere hatte 
nach aussen einen fast queren Verlauf, um sich an einem ausser- 

Zeltschrlft für orthopädische Chirurgie. II. Band. 27 


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400 Theod. Bonnenberg. 

ordentlich dünnen, breiten und unvollkommenen Lig. coronar. zu 
befestigen. 

29. Fall von R. W. Smith (Dublin quarterly Joum. of medic. 
1852, February Nr. XXV, bei Gurlt Fall 8). 

Bei einem Manne fand sich der Vorderarm rechtwinklig ge¬ 
beugt, die Hand in der Stellung zwischen Pro- und Supination. 
Der Vorderarm konnte leicht extendirt, jedoch nicht über einen 
rechten Winkel gebeugt werden, da der vordere Rand des unteren 
Endes des Humerus gegen das Collum radii stiess. Pro- und Supi¬ 
nation waren nicht vollständig möglich, jedoch letztere in höherem 
Grade ausführbar. — Bei der Section fand sich kein Capitulum am 
Humerus und eine nur sehr unvollkommen gebildete Trochlea, die 
von dem Condylus extemus durch eine breite, tiefe, kugelige Ge¬ 
lenkhöhle getrennt war, deren Oberfläche glatt und wie Elfenbein 
polirt war. Sie war besonders auf Kosten des Condylus extemus 
gebildet, welcher sehr stark vorragte, nach innen und vorne ge¬ 
krümmt und verlängert war, bei halber Flexion des Gelenkes unter 
die Höhe des Olecranon herabstieg, und den Condylus internus um 
wenigstens ^/4 Zoll überragte. Der lange oder vertikale Durchmesser 
der genannten Höhle betrug IV^Zoll; sie nahm den ebenfalls wie 
polirten, jedoch missgestalteten Radiuskopf auf, welcher mittelst einer 
unregelmässig abgeflachten Oberfläche der Fossa sigmoidea minor an¬ 
lag. Beide Vorderarmknochen waren oben von gleicher Länge, je¬ 
doch endigte die Ulna 1 Zoll oberhalb des Handgelenkes; von ihrem 
atrophischen unteren Ende ging eine starke ligamentöse Verbindung 
nach unten, zu dem unteren Ende des Radius und zu dem Os tri- 
quetrum. 

30. Fall von Jo pp ich (Beitrag zur Kenntniss der angeborenen 
Luxationen des Capitulum radii. Inaugural-Dissertation, Greifs¬ 
wald 1888). 

Bei dem 15 Jahre alten Patienten, der sich wegen einer 
lupösen Erkrankung in das kgl. üniversitätskrankenhaus zu Greifs¬ 
wald aufnehmen liess, wurde zufällig die Entdeckung gemacht, dass 
beide Ellenbogengelenke krankhafte Zustände zeigten, auf welche 
indess der Patient keinerlei Gewicht gelegt hatte. Während am 
rechten Arm die Diagnose auf einen tuberculösen Process gestellt 
wurde, fand sich am linken Arm eine Luxation des Radiusköpfchens. 


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Die Luxatio capituli radii congenita etc. 


401 


An der Vorderfläche des linken Unterarms zeigte sich auf der ra¬ 
dialen Seite eine von der Grenze des mittleren und oberen Drittels 
bis in die Ellenbeuge reichende Hervorwölbung, welche zum Theil 
vom oberen Ende des Radius, zum Theil von der Musculatur gebildet 
wurde. Man konnte leicht einen grossen Theil des Umfanges, sowie 
auch einen kleinen Theil der Gelenkfläche des Radiusköpfchens ab¬ 
tasten. Dasselbe lag ungefähr in der Mitte der Verbindungslinie 
beider Epicondyli humeri, jedoch mehr nach vorn, wo es genau dem 
Olecranon entsprechend fühl- und sichtbar deutlich hervorragte. Es 
bedeckte anscheinend den äusseren Theil des Processus coronoideus 
und lag in der Gegend der Fossa supratrochlearis anterior dem 
Humerus auf. Es erschien etwas vergrössert, ohne jedoch eine Dif- 
formität aufzuweisen. Von der deutlich zu fühlenden Tuberositas 
radii liess sich die Bicepssehne über den Rand des Capitulum hin 
verfolgen. An der Innenseite der Bicepssehne sah man die Arteria 
brachialis pulsiren und konnte man dieselbe leicht gegen den Knochen¬ 
vorsprung comprimiren. 

An der Aussenseite des stark pronirten Armes sah man an 
der normalen Stelle des Radiusköpfchens eine seichte Einsenkung, 
welche sich, spitz zulaufend, einige Centimeter nach unten erstreckte. 
Nach oben wurde diese Einsenkung scharf durch das untere Humerus¬ 
ende begrenzt, an dem jedoch keine Difformität nachzuweisen war. 
Hielt der Patient beide Arme vor sich gestreckt, die Vorderarme 
in Mittelstellung zwischen Pronation und Supination, so erschien der 
linke Arm in der Ellenbogengegend stumpfwinklig geknickt und lag 
der Scheitel des Winkels, welcher mit dem prominenten Radius¬ 
köpfchen zusammenfiel, nach innen. Der Breitendurchmesser des 
Ellenbogengelenkes erschien verkleinert, der Querdurchmesser ver¬ 
grössert. Patient vermochte seinen Arm selbständig zu strecken 
und zu beugen, und näherte sich das Radiusköpfchen bei letzterer 
Bewegung etwas seiner normalen Stelle, indem es sich dicht an und 
über den Epicondylus externus humeri stellte. Sowohl in Streck- 
wie Beugestellung war activ und passiv Pronation und Supination 
vollständig frei möglich. Bei den Bewegungen, die glatt von statten 
gingen, war irgend ein Geräusch nicht zu vernehmen. Weder am 
Radius noch an der Ulna war irgend eine Callusbildung nachzu¬ 
weisen. 


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402 


Theod. Bonnenberg. 


Znsammenfassendes Urtheil. 

Was zunächst die Aetiologie der angeborenen Luxationen des 
Radiusköpfchens anbetriflFt, so gelten hier alle die Momente, die über¬ 
haupt für irgend eine angeborene Luxation in Betracht kommen 
können. Es sind im Laufe der Zeiten eine Menge von Theorien 
und Ansichten über die Entstehung solcher Deformitäten aufgestellt 
worden. Karl Spoerri bringt in seiner Arbeit über congenitale 
Luxationen des Kniegelenkes eine ausführliche Zusammenstellung 
dieser Ansichten. Danach: 

1. vererben sich angeborene Verrenkungen (Paletta,Schreger, 
Dupuytren, Robert, Bouvier, Krönlein). 

2. Congenitale Luxationen entstehen im frühesten Entwickelungs¬ 
stadium des Fötus, sie sind ein Vitium primae formationis, eine Ver¬ 
irrung des Nisus formativus (Malgaigne), ein Fehler des ersten 
Keims (Dupuytren etc.). 

3. Die Entstehung derselben fällt in die Zeit der Spaltbildung, 
welche die Bildung der Gelenke einleitet und die an einer anormalen 
Stelle oder unter anormalen Verhältnissen stattfinden kann (Lewys, 
Sayr, Hueter). 

4. Oder es fällt die Entstehung in das DiflFerenzirungsstadium 
der ursprünglich continuirlichen Skeletanlage, wobei die Keime 
beider Gelenkenden nicht auf einander zu-, sondern an einander vorbei¬ 
wachsen (Volkmann). 

5. Die congenitale Luxation ist das Resultat einer Bildungs¬ 
oder Entwickelungshemmung (Schreger, Dupuytren, Paletta, 
V. Ammon, Robert, Sedillot, Krönlein). 

6. Sie ist die Folge einer Gelenkkrankheit, z. B. Hydropsie, 
Fungus etc. (Hippokrates, Paletta, Paris, J. L. Petit, 
Dupuytren etc.). 

7. Sie hat ihre Ursache in der Erweichung und Erschlaffung 
der Kapsel und des Bandapparates (Melicher, Sedillot, Stro- 
meyer etc.). 

8. Sie ist zurückzuführen auf eine Erkrankung oder Störung 
des Gehirns, des Rückenmarks oder von Nerven, die zu Muskel- 
retractionen, Paresen, Paralysen, Atrophie, Störung des Gleichgewichts 
von Muskelgruppen, sowie zu Convulsionen des Fötus geführt haben 


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Die Luxatio capituli radii congenita etc. 


403 


(Chaussier, Gudrin, Melicher, Adam, Canochaii,VerneuiI, 
Reclius, Kirmison, Delpech, Robert, Rudolphi etc.). 

9. Auch Fehler des Gehirns und Rückenmarks, sowie mangel¬ 
hafte Entwickelung dieser Theile kann Ursache der congenitalen 
Luxation sein. 

10. Dieselbe wird hervorgerufen durch Druck auf die Extremi¬ 
täten des Fötus bei engem Uterus und bei geringer Menge Frucht¬ 
wasser, bei schlechter Haltung und Lage der Frucht (Hippokrates, 
Cruveilhier). 

11. Ferner wird ein Trauma, das während der Schwanger¬ 
schaft den Leib der graviden Frau trifft, als Ursache angesehen. 

12. Heftige Gemüthsaffecte der Schwangeren sollen eine an¬ 
geborene Verrenkung hervorrufen können. 

13. Einige waren der Ansicht, dass es überhaupt keine eigent¬ 
liche Luxatio congenita gebe, indem diese immer erst während des 
Geburtsactes entstehe, bei engem Becken, bei Steisslage, durch die 
Hebamme, den Geburtshelfer und seine Instrumente (Daily, Chelius, 
D'Outrepont). 

14. Endlich waren noch Einige der Meinung, dass eine un¬ 
mittelbar der Geburt sich anschliessende Parese oder Paralyse diese 
Deformität bewirken könne (J. L. Petit, Verneuil etc.). 

Ich habe geglaubt, auf die Aetiologie näher eingehen zu müssen, 
weil meiner Ansicht nach gerade in dem Vorhandensein eines ätio¬ 
logischen Momentes der Beweis für eine angeborene Luxation ge¬ 
geben ist. Mit anderen Worten, wenn kein Anhaltspunkt für die 
Annahme gegeben ist, dass die Luxation im späteren Leben zu 
Stande gekommen sei, dagegen mit Wahrscheinlichkeit oder gar 
Sicherheit aus den Symptomen und Complicationen auf Vorgänge 
geschlossen werden kann, die sich entweder schon vor der Geburt 
abspielten oder doch schon vor der Geburt begründet waren, so kann 
man die Luxation mit Recht als eine angeborene betrachten. Ganz 
über alle Zweifel erhaben wären ja doch nur die Fälle, welche schon 
gleich während oder sofort nach der Geburt von ärztlicher Seite 
beobachtet wurden. Deren sind aber bis jetzt eben keine mitgetheilt 
worden. Es würden sich daran die Fälle anschliessen, in denen von 
glaubwürdiger Seite, Eltern etc. bezeugt wird, dass die Missbildung 
gleich nach der Geburt oder in früher Jugend beobachtet worden, 
soweit keine Symptome uns zwingen, diese Luxation als im späteren 




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404 


Theod. Bonnenberg. 


Leben entstandene zu betrachten. In den Fällen von Phillips (6), 
Heele (7) und Herskovitz (8) wurde von der Mutter angegeben, 
dass die Deformität seit der Geburt bestanden. In dem Falle von 
Leisrink (10) wurde sie zurückgeführt auf Rütteln des schein- 
todten Kindes an den Armen, fiel jedoch erst im dritten Lebens¬ 
jahre auf. 

Mit ziemlicher Sicherheit dürfen wir dann wohl diejenigen 
Luxationen als angeborene betrachten, welche gleichzeitig mit anderen 
Deformitäten, mit Wachsthumshemmungen, oder aber vererbt Vor¬ 
kommen. Von letzteren ist ein schöner Fall mitgetheilt, der zweite von 
Bessel-Hagen (26), welcher ein Mädchen betrifft, dessen Onkel 
(Vatersbruder) eine gleiche Missbildung zeigt (27). Ausserdem leidet 
der Vater des Mädchens, sowie vier Kinder des Onkels, wie das Mäd¬ 
chen selbst an multiplen Exostosen und verschiedenen Wachsthums- 
hemmuugen. Eine gewisse Vererblichkeit kann auch in dem Falle 
von Pye-Smith (24) angenommen werden, in dem es sich um eine 
Frau handelt, welche einer Familie von 11 Personen angehört, von 
denen 8 an Gelenkanomalien litten, darunter ein Bruder mit einer 
ähnlichen Radiusluxation (wurde nicht näher beschrieben), und Vater, 
Grossvater etc. verschiedene Abnormitäten aufwiesen. 

In Verbindung mit anderen Deformitäten sind der Fall von 
Servier (3), in dem noch eine doppelseitige Kniegelenksluxation 
vorhanden war, der Fall von Mitscherlich (9), wo Klumpfüsse be¬ 
standen und der Fall von R. W. Smith (28), in dem gleichzeitig an¬ 
geborene Luxationen der Knie- und Handgelenke vorhanden waren. 
Ebenso gehören auch hierher die Fälle von Bessel-Hagen (25, 
26, 27). Des weiteren sind vier Fälle angegeben, in denen die 
Luxation des Radiusköpfchens auf eine mangelhafte Entwickelung 
der ülna zurückzuführen ist, die Fälle von Humphrey (4), De- 
ville (14), Senftleben (15) und R. W. Smith (29). Nicht ein 
Zurückbleiben im Wachsthum, sondern theilweisen Riesenwuchs finden 
wir in dem ersten Falle von Bessel-Hagen (25). 

In den vorliegenden Fällen finden wir eine so grosse Ver¬ 
schiedenheit der Symptome, dass es kaum möglich erscheint, irgend¬ 
welche als charakteristisch für eine angeborene Luxation anzunehmen. 
Von manchen wird die Doppelseitigkeit der Luxation, wenn sie als 
solche auftritt, angesehen. Diese findet sich aber nur in 12 von 
31 Fällen; auch sind Fälle beobachtet worden, in denen gleiche 
Luxationen beider Radii in späterem Lebensalter zu Stande kamen. 


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Die Luxatio capituli radü congenita etc. 


405 


So hat Max Bartels (Archiv für klin. Chirurgie Bd. XVI.) einen 
Fall von habitueller Luxation der beiden Radü beschrieben, in dem 
bei Streckung und Pronation die Luxation erfolgte, bei nachfolgender 
Beugung und Supination sich jedoch von selbst wieder einrichtete. 
Diese Deformität war dadurch entstanden, dass der Patient als 
schwächlicher Knabe von 10 Jahren angehalten wurde. Tag für Tag 
eine schwere Karre zu schieben. — Dann wird die grössere Be¬ 
weglichkeit angeführt als Symptom der angeborenen Luxation, gegen¬ 
über der traumatischen. Jedoch auch dem glaube ich widersprechen 
zu müssen, denn einerseits finden wir bei verschiedenen, angeborenen 
Luxationen erhebliche Einschränkungen der Bewegungen, anderer¬ 
seits hatte ich vor Kurzem Gelegenheit, einen Strafgefangenen der 
Strafanstalt zu Werden, der an einer veralteten Luxation des linken 
Radiusköpfchens litt, durch Vermittelung des Anstaltsarztes, meines 
Schwagers, Dr. Hieking, zu untersuchen. Der Betreffende gab an, 
im Jahre 1877 durch Maschinengewalt einen dreifachen (?) Bruch des 
linken Vorderarmes erlitten zu haben; jedoch Hess sich keine darauf 
zurückzuführende Veränderung mehr nachweisen. Dagegen fiel gleich 
eine Deformität des linken Ellenbogengelenkes auf. Dasselbe er¬ 
schien in der Richtung von vorne nach hinten verdickt, nach 
den Seiten weniger breit, als normal. An der Aussenseite des Ge¬ 
lenkes sah man unter dem Epicondylus externus humeri eine seichte 
Grube. Bei der Palpation ergibt sich, dass das Capitulum radü 
nicht an seiner normalen Stelle steht, man kann vielmehr mit dem 
Finger etwas unter die Gelenkfläche des Epicond. ext. hum. eindringen. 
Das Capitulum radü fühlt man in der Ellenbeuge, vor dem Gelenk¬ 
theile des Humerus und nach der Ulna zu abgewichen. Besonders 
bei Pro- und Supinationsbewegungen fühlt man dasselbe deutlich 
an der angegebenen Stelle sich bewegen. Die Pro- und Supination 
des Armes ist völlig frei ausführbar; die Streckung des Armes ist 
nicht vollständig mögUch, ebenso die Beugung, doch lässt sich letztere 
noch fast bis zur normalen ausführen, wenn man einen Druck von 
vom oben innen auf das Radiusköpfchen ausübt, da dasselbe als¬ 
dann zum Theile wieder unter den Epicond, extern, hinunterwandert. 
Der betreffende Gefangene ist durch diese Luxation gar nicht in der 
Ausübung seines Gewerbes — er wird in der Schlosserei beschäftigt — 
verhindert und kann sämmtliche Bewegungen, so weit sie möglich, 
leicht und sicher ausführen. 

Betrachten wir dagegen die Fälle von angeborener Luxation, 


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406 


Theod. Bonnenberg. 


SO finden wir nur in den Fällen von Servier (3 — ein Arm), Phil¬ 
lips (6), Heele (7), Machenhauer (11), Adams (12), Deville (14), 
Senftleben (15), Bessel-Hagen (25, 27) und Joppich (30) eine 
grössere Beweglichkeit, Davon entfallen auf die Luxationen nach 
hinten doppelseitige 2, einseitige 3; nach aussen 2 einseitige und 
nach vorne 2 doppelseitige und 1 einseitige. In allen anderen Fällen 
sind die Bewegungen mehr oder weniger behindert. In 8 Fällen 
(8, 16, 18, 19, 26, 27, 28, 29) stand der Vorderarm dauernd theils 
leicht, theils bis zum rechten Winkel gebeugt und konnte in den 
Fällen mit Luxation nach hinten nicht weiter gestreckt, bei Luxa¬ 
tion nach vorn nicht weiter gebeugt werden; in letzteren Fällen war 
auch die Beugestellung die grösste. Ferner finden wir bei Luxation 
nach hinten lOmal die Hand mehr weniger in Pronationsstellung 
stehen, während umgekehrt bei Luxation nach vom 4mal die Hand 
in Supinationsstellung stand, wobei meist hier zugleich die Pronation, 
dort die Supination beschränkt oder aufgehoben war. In den Fällen, 
wo wir grosse Beweglichkeit finden, sehen wir, dass dieselbe zum 
grossen Theil auf Schlafiheit oder Länge der Bänder, die das Eadius- 
köpfchen halten, beruht, so dass das Köpfchen bei Bewegungen seinen 
Platz verlassen kann; in den Fällen von Servier (3), Adams (12), 
Bessel-Hagen (25, 27), Joppich (30) ist ausdrücklich angegeben, 
dass das Köpfchen sich so verhielt. 

Was nun die Form der Luxation anbetrifflt, bei welcher wir 
die grösste Beweglichkeit finden, so ist dies die Luxation des Radius¬ 
köpfchens nach aussen, indem in 3 Fällen 2mal fast normale Be¬ 
weglichkeit vorhanden ist; bei Luxationen nach hinten oder vorne 
ist das Verhältniss das gleiche, indem bei 20 nach hinten 5mal, bei 
8 nach vorne 2mal grössere Beweglichkeit angetrofien wurde. 

Während normaler Weise die Ulna den Radius an Länge über¬ 
trifft, finden wir bei vielen Luxationen des Radius eine Verlängerung 
desselben, so dass seine Länge die der Ulna erreicht oder sogar über¬ 
trifft (in unserem FaU, 1, 4, 5, 15, 16, 17, 18, 19, 25, 26, 27), in 
letzterem Falle um 5 cm. Während in vielen Fällen das Collum 
radii verlängert war, gibt Humphry (4) ausdrücklich an, dass die 
Verlängerung den Schaft des Radius betraf. 

ln 5 Fällen (5, 20—23) ist angegeben, dass die Ulna mit 
dem Radius verwachsen sei. Diese Fälle fanden sich sämmtlich an 
Leichen und werden wohl durch Traumen, mit gleichzeitigem 
Bruche beider Vorderarmknochen und Verheilung in fehlerhafter 


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Die Liixatio capituli radii congenita etc. 


407 


Stellung entstanden und nicht zu den congenitalen Luxationen zu 
zählen sein. 

In weiteren 4 Fällen (2 linker Arm, 14, 15, 29) fehlte ein 
Theil der Ulna, 3mal das untere Ende, Imal der mittlere Theil, 
ohne dass irgend eine Narbe oder sonstiges Zeichen einer Ver¬ 
letzung zu finden gewesen wäre. In 3 Fällen (14, 15) finden wir 
trotzdem fast völlige Bewegungsfreiheit. 

Die Stellung der Hand ist nur in wenigen Fällen berücksich¬ 
tigt. In unserem Falle stand dieselbe dorsalflectirt. In 2 Fällen 
von Bessel-Hagen (26, 27) stand sie in Adductionsstellung und 
liess sich diese nur bis zur vollständigen Streckung ausgleichen, 
während die Ulnai*flexion in weiterem Umfange als normal möglich 
war. Herskovitz (8) gibt ferner an, dass in seinem Falle Ab- 
und Adduction der Hände beschränkt war, worauf er besonderes 
Gewicht gelegt wissen will. 

Eine genauere Beschreibung der in Frage kommenden Gelenk¬ 
theile finden wir in den Fällen von Mitscherlich (9, Section), 
Adams (12, Section), Deville (14, Section), Smith (29, Section), 
sowie in unserem Falle; dann kürzere Angaben bei Cruveilhier 
(18, 19), Bessel-Hagen (26, Operation) und Smith (28, Section). 
Unter diesen sind 5 Fälle (9, 12, 28, 29 und unser Fall) Luxa¬ 
tionen nach vorne, 3 Fälle (18, 19, 26) nach hinten und 1 Fall (14) 
nach aussen. Allen Fällen gemeinsam ist die mangelhafte Aus¬ 
bildung des Gelenktheils des Humerus, besonders des äusseren 
Theiles, speciell Mangel eines eigentlichen Capitulum humeri. In 
den Fällen von Luxatio capituli radii nach vorne finden wir, dass 
der Condylus extemus vorne in grösserer Ausdehnung ausgehöhlt 
ist, zur Aufnahme des Capituli radii. In unserem und in den Fällen 
von Smith (28, 29) ist zugleich der Condylus externus nach vorne 
gekrümmt. Das Capitulum radii wurde immer missstaltet gefunden; 
kugelig abgeschliffen in 2 Fällen (26 und 28), convex 3mal (9, 
18, 19). Am auffallendsten ist es wohl in unserem Falle, da es 
vollständig in der Entwickelung zurückgeblieben, die Form eines 
infantilen zeigt. In unserem Falle fehlte der Knorpelüberzug bis 
auf eine kleine Stelle am hinteren Umfange des Köpfchens, in einem 
Falle (14) fehlte er vollständig, in einem Falle (26) war er an 
vielen Stellen geschwunden. Ein interessantes Verhalten zeigt der 
Bandapparat, indem wiederholt eine Art Kapsel, die das Capitulum 
radii überzog, beobachtet wurde. So in unserem Falle, wo das 


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408 


Theod. Bonnenberg. 


Capitulum vollständig von einer solchen fibrösen Kapsel überzogen 
war, dann in den Fällen von Cruveilhier (18, 19), in denen sich 
der Radiuskopf „in einer Art fibröser Kapsel befand“, dann in dem 
Falle von Bessel-Hagen (26), in welchem „dem äussersten Ende 
des Knochens das dislocirte und stark verzerrte Ligamentum annu- 
lare wie eine schief übergezogene Kappe, zum Theil durch fibröse 
Stränge mit ihm verbunden, aufsass“. 

Von weiterem Interesse war in unserem Falle das Verhalten 
der unteren Enden der Ulna und des Radius. Pronation war nicht 
möglich, wogegen man die beiden Knochen in ihrer unteren Ver¬ 
bindung gegen einander verschieben konnte. Es stellte sich dann 
heraus, dass am unteren Theile gar keine Gelenkverbindung zwi¬ 
schen Radius und Ulna bestanden hatte, dagegen der Processus 
styloideus Ulnae in geringer Ausdehnung, wahrscheinlich mit dem 
Os pisiforme, gelenkig verbunden war. Ein ähnliches Verhalten 
der unteren Articulatio radio-ulnaris finden wir noch in dem Falle 
von Smith (28), in welchem sowohl Pronation als auch Supination 
sehr beschränkt war, „weil das untere Ende des Radius, statt mit 
einer concaven Fläche mit der Ulna zu articuliren, an dieser Stelle 
beinahe fiach war.“ 

Was die Therapie der angeborenen Luxatio capituli radii an¬ 
belangt, so wurde schon im Jahre 1865 von v. Langenbeck in dem 
von Mitscherlich (9) beschriebenen Falle die Resection des einen 
(linken) ganzen Ellenbogengelenkes vorgenommen. Ein Erfolg 
konnte indess nicht beobachtet werden, da die Patientin einige 
Wochen nach der Operation starb. Bessel-Hagen dagegen 
führte in einem Falle (26) eine einfache Resection des Radiusköpf¬ 
chens mit bestem Erfolge aus. Sofort nach der Operation konnte 
der zuvor halb flectirte Arm vollkommen gestreckt werden. Durch 
methodische, energisch ausgeführte Bewegungen wurde in kurzem 
auch die Möglichkeit einer vollen Supination erzielt. Nachdem be¬ 
reits mehr als ein volles Jahr seit der Operation verflossen war, 
war das Mädchen im Stande, den Arm vollständig zu strecken und 
zu beugen, ebenso auch vollständig zu supiniren und zu proniren. 
Die Knochen glitten leicht und glatt auf einander hin, die Empfind¬ 
lichkeit war geschwunden, die Arbeitskraft dagegen bedeutend ver¬ 
stärkt. Auch in unserem Falle, in welchem der Resection des Ca¬ 
pitulum radii, wegen der vorhin erwähnten Unregelmässigkeit im 
unteren Radio-Ulnar-Gelenke, die Resection des unteren Ulnarendes 


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Die Luxatio capituli radii congenita etc. 


409 


folgen musste, kann das Resultat, wie aus der obigen Beschreibung 
ersichtlich, ein gutes genannt werden. 

Wir können daher die Prognose der congenitalen Luxatio ca¬ 
pituli radii wohl als eine gute bezeichnen, da in vielen Fällen an 
sich schon eine genügende Beweglichkeit und Brauchbarkeit des 
Armes besteht, in schwereren Fällen indess durch den vonBessel- 
Hagen und Hoffa eingeschlagenen Weg der einfachen Resection 
des Capituli radii mit nachfolgender Massagebehandlung und Gym¬ 
nastik, die Möglichkeit einer erheblichen Besserung des Leidens, ja 
vollständigerer Heilung zu hoffen ist. 


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410 


Albert Hoffa. 


II. 

Ein einfacher Apparat zur Mobiiisirung des Schultergelenkes'). 

Von 

Dr. Albert Hoffa, 

Privatdocent für Chirurgie. 

Mit 2 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Steifigkeiten des Schultergelenkes sind dem Chirurgen relati? 
häufig vorkommende Affectionen. Der Grund der Gelenksrigiditat 
kann ein mehrfacher sein. Einmal sind die knöchernen Gelenkenden 
durch zwischengelagertes fibröses Knorpel- oder Knochengewebe oder 
übergelagertes Knochengewebe mit einander innig verwachsen. Dann 
haben wir es zu thun mit wirklichen Ankylosen des Schultergelenks. 
Solche Ankylosen können dann in der Regel nur auf blutigem Wege 
behandelt werden. Zweitens kann die Gelenksteifigkeit bedingt sein 
durch eine Schrumpfung der articulären oder periarticulären Weich- 
theile. Dann haben wir es zu thun mit einer Gelenkscontractur, und 
diese Gelenkscontracturen sind einer orthopädischen Behandlung wohl 
zugänglich. 

Die Schwere des Armes imd die Anatomie des Gelenkes be¬ 
dingen es, dass sich die Schultergelenkscontracturen fast durchgehends 
als Adductionscontracturen darstellen. Der Arm liegt dem Leib an 
und kann nur durch Vermittelung der Scapula, d. h. durch Drehimg 
derselben etwas erhoben werden. Je länger die Contractur besteht, 
um so hochgradiger wird die Functionsstörung. Zu derselben ge¬ 
sellt sich dann noch eine Deformität der Schulter, indem in Folge 
der begleitenden Atrophie der periarticulären Muskeln, namentlich 
des Deltoides, die Skelettheile auffallend hervorspringen. 

Die Prognose der Schultergelenkscontracturen ist unter der 
modernen Behandlungsweise eine relativ günstige geworden. Die 
Behandlung sucht die bei einer Contractur ja niemals völlig erloschene 

*) Der Apparat wurde in der physicalisch-medicinischen GeselUchafl zu 
Würzburg, erste Sitzung 1893, demonstrirt. 


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Ein einfacher Apparat zur Mobilisining des Schultergelenkes. 411 


Beweglichkeit in möglichst erheblichem Grade zu vermehren und 
schlägt dazu etwa drei verschiedene Wege ein. 

Der erste Weg ist der der gewaltsamen Dehnung der contrac- 
turirten Weichtheile in der Narkose. Ich bin kein Freund dieser 
Methode. Abgesehen davon, dass sich das Verfahren gerade am 
Schultergelenk nicht leicht ausführen lässt, und dass man bei dem¬ 
selben sehr wohl eine Fractur in dem oberen Theile des Humerus 
erleben kann, setzt das Brisement force stets neue Gewebszerreis- 
sungen und Blutungen; es verursacht dem Patienten heftige Schmerzen 
und erfordert eine überaus sorgfältige Nachbehandlung, wenn nicht 
der alte Zustand wieder eintreten soll. 

Der zweite Weg ist der der Dehnung der contracturirten 
Weichtheile durch permanente Extension derselben. Man legt am 
Arm einen Heftpflasterextensionsverband an, fixirt mit Heftpflaster¬ 
streifen die Scapula und lässt nun das extendirende Gewicht zunächst 
in der Richtung der Deformität wirken, um dann mehr und mehr 
zur Norm überzugehen. Diese Behandlungsmethode erfordert sehr 
lange Zeit und fesselt den Patienten ausserdem an das Bett. 

Drittens hat man die Mobilisirung des Schultergelenkes durch 
Anwendung des elastischen Zuges zu erreichen gesucht. Diese 
Methode ist besonders von Reibmayr ausgebildet worden. Der¬ 
selbe construirte einen besonderen Apparat, dessen Gestalt und Wir¬ 
kungsweise aus der Abbildung, die ich mir herumzugeben erlaube, 
ohne Weiteres erhellt. 

Dieser Reibmayr’sche Apparat wirkt in leichteren Fällen ganz 
gut; in schwereren Fällen ist die Scapula nicht genügend fixirt, und 
der Zug am Oberarm so schmerzhaft für den Patienten, dass man 
den Apparat immer nur für ganz kurze Zeit anlegen kann. Jeden¬ 
falls hat der Apparat den Vortheil, dass die Patienten mit ihm auf¬ 
sein können. 

Bei den immerhin zahlreichen einschlägigen Fällen, die ich 
zu behandeln habe, machte sich mir das Bedürfniss geltend, einen 
besseren Apparat zur Mobilisirung des Schultergelenkes zur Hand 
zu haben. Ein solcher Apparat muss meiner Ansicht nach folgen¬ 
den Anforderungen entsprechen. Er muss erstens verwendbar sein, 
ohne die Patienten ans Bett zu fesseln, und darf bei seiner Wirkung, 
die selbstverständlich eine prompte sein muss, den Patienten nicht 
allzuviel Schmerzen verursachen. Man muss ferner im Stande 
sein, den Apparat ohne Belästigung für den Patienten längere 


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412 


Albert Hoffa. 


Zeit in Verwendung zu lassen, und schliesslich muss der Apparat 
eine exacte Fixation der Scapula gestatten, denn sonst dehnt sich 
nicht die Contractur, sondern der Arm hebt sich unter Drehung der 
Scapula. 

Ich möchte mir nun erlauben. Ihnen einen derartigen einfachen 
Apparat zu demonstriren, der mir recht gute Dienste geleistet hat, 
und den ich desshalb empfehlen zu können glaube. 


Fig. 1. 



Ich habe als bewegendes Agens die sog. Nürnberger Scheere 
genommen, deren günstige Wirkung mir von der Beseitigung von 
Adductionscontracturen der Hüftgelenke her, bei deren Behandlung 
sie zuerst von Busch in Bonn verwendet wurde, bekannt war. Um 
diese Nürnberger Scheere für das Schultergelenk verwendbar zu 
machen, construirte ich den Apparat, den ich mir hier Ihnen vor¬ 
zuzeigen erlaube. 

Der Apparat (Fig. 1) besteht zunächst aus zwei durch einen 
runden eisernen Stab verbimdenen Bügeln, welche die Stütze des 
Apparates am Rumpfe bilden. Der untere Bügel greift über den 
Darmbeinkämmen an und wird durch einen den Oberschenkel der 
gesunden Seite umgreifenden Riemen (t) befestigt. Der obere Bügel, 
gewissermassen eine Krücke (i), besteht aus zwei nach der Contour 
des Körpers geformten eisernen, mit einander verbundenen Stäben. 


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Ein einfacher Apparat zur Mobilisirung des Schultergelenkes. 413 


Dieselben umgreifen die Achsel und biegen sich nach hinten oben 
um, indem sie bis etwa zur Spina scapulae verlaufen. Diese Stäbe 
fixiren die Scapula, indem sie ein Ausweichen der Spitze der Scapula 
nach aussen verhindern. Die Fixation der Scapula wird dadurch 
noch sicherer, dass ein breiter Riemen (o) von den Enden der 


Fig. 2. 



Bügel über die Höhe der Schulter verläuft und dieselbe herab¬ 
drückt, während ein anderer schmaler Riemen (c) von dem einen 
Ende des Bügels ausgehend, den Thorax von der gesunden Achsel¬ 
höhle her umfasst und am andern Ende des Bügels angeknöpft wird. 
Beide Bügel werden gut gepolstert. 

An dem die beiden Enden des Bügels verbindenden Eisen¬ 
stabe (a) ist nun, durch eine Schraube in beliebiger Höhe fest¬ 
stellbar, die Nürnberger Scheere (d, d, rf, d) scharnierartig befestigt. 


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414 


Albert Hoffa. 


Man versteht bekanntlich unter einer Nürnberger Scheere vier durch 
Scharniere verbundene gleichlange Stäbe. Drückt man die Scheere 
von zwei gegenüberliegenden Polen her zusammen, so entfernen sich 
die beiden andern Pole um ebendieselbe Distanz. Bringt man als 
treibendes Agens der Scheere eine Schraube in Anwendung, so kann man 
durch langsames Annähern zweier Pole die gegenüberliegenden von 
einander entfernen und dabei eine ziemlich beträchtliche Kraft an¬ 
wenden. Die Pole der Scheere, die in unserem Falle von einander 
entfernt werden sollen, sind nun der an dem eisernen Stabe (a) befind¬ 
liche, die Scheere mit der Rumpfstütze verbindende und der diesem 
gegenüberliegende; letzterer trägt eine Pelotte (Ä) für den Oberarm. 
Die Schraube der Scheere (c) ist durch einen Riemen (/) an der Achsel¬ 
krücke befestigt, um nach Anlegung des Apparates die Kraft eine auf¬ 
steigende sein zu lassen. Ohne diesen Riemen verschiebt sich die Ober- 
armpelotte leicht etwas nach der Hand zu. Um die Oberarmpelotte in 
jeder Stellung am Oberarm, bald nach unten, bald mehr von der 
Seite her ihn stützend, festhalten zu können, verläuft das betreffende 
Scharnier an seinem unteren Theile als Sector {g). Ein ebensolcher 
Sector ist dann natürlich am gegenüberliegenden Pole nothwendig. 

Lege ich nun den Apparat an (Fig. 2) und drehe die Schraube 
von rechts nach links, so sehen Sie, hebt die Scheere den Oberarm 
langsam, aber stetig in die Abductionsstellung in die Höhe. Gleich¬ 
zeitig ist die Scapula fixirt, und daher ist die Bewegung nur da¬ 
durch möglich, dass die contracturirten Weichtheile gedehnt werden. 
Man kann die erreichte Abductionsstellung nach Belieben fixiren und 
kann so die Dehnung der Weichtheile ganz langsam und ohne zu 
grosse Schmerzen für den Patienten bewirken und nach kurzer Zeit 
den gewünschten rechten Winkel erzielen. 

Selbstverständlich empfehle ich den Apparat nicht als alleiniges 
Hilfsmittel der Therapie, sondern ich verwende neben demselben 
noch unsere sonstigen Hilfsmittel, von denen ich hier nur die Massage 
und Gymnastik als ganz besonders wirksam hervorheben möchte. 


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Zur orthopädischen Behandlung des Pes calcaneus paralyticus. 415 


III. 

Zur orthopädischen Behandlung des Pes calcaneus paralyticus. 

Von 

Dr. Albert Hoffa, 

Privatdocent der Chirurgie. 

Mit 4 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Die orthopädische Behandlung des paralytischen Hackenfusses 
fand bisher entweder mittelst des Gypsverbandes oder sogen. Hacken- 
fussschuhe statt. Letztere sind verschiedenfach empfohlen worden. 
In meinem Lehrbuche der orthopädischen Chirurgie habe ich in 
Fig. 99 den Hackenfussschuh von v. Volkmann, der dem Sayre's 
durchaus gleicht, und in Fig. 517 den Apparat von Judson ab¬ 
gebildet. 

Diese Apparate entsprechen aber nicht allen Anforderungen, 
die man bei einer rationellen Behandlung des Hackenfusses stellen 
muss. Neben Anwendung der Massage, Gymnastik und Elektricität 
zur Wiederherstellung der Muskelkraft muss ein rationeller Hacken- 
fussapparat so gestaltet sein, dass er die richtigen statischen Ver¬ 
hältnisse des Fusses und der unteren Extremität überhaupt wieder¬ 
herstellt und die völlige Function des Fusses unter dieser wieder 
normalen statischen Inanspruchnahme desselben gestattet. 

In den letzten Jahren hatte ich mehrere einschlägige Fälle zu 
behandeln. Nach vielen Versuchen hat sich mir schliesslich ein 
ganz einfaches Verfahren auf das Beste bewährt, das sich allmählich 
ausbildete, während mich der Vater einer kleinen Patientin, Herr 
J. Connemann von hier, bei meinen Bemühungen erfolgreich unter¬ 
stützte. 

Der einfache Apparat, den ich empfehlen möchte, ist folgen- 
dermassen gestattet: Der Fuss wird in eine Hessing'sche Lederhülse 
mit Fussblech und Seitenschienen gefasst, wie ich sie in meinem 
Lehrbuche der orthopädischen Chirurgie beschrieben und in ihren 
einzelnen Theilen in Fig. 49 und 55 abgebildet habe. Selbstver¬ 
ständlich wird dieser Fusstheit über einem Gypsmodell gearbeitet. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. II. Band. 28 


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416 


Albert Hoffa. 


Die stark gebauten Seitenschienen des Fusstheiles tragen dem Fuss- 
gelenk entsprechend Scharniere, welche zur Verbindung des Fuss¬ 
theiles mit dem Unterschenkeltheile dienen. Dieser besteht einfach 
aus zwei Seitenschienen, die unterhalb des Kniegelenkes durch einen 
gepolsterten Bügel und einen Riemen verbunden sind 


Fig. 1. 



Die Behandlung besteht nun darin, dass nach der täglich vor¬ 
genommenen Massage und Elektrisirung der Apparat angelegt wird. 
Der Fuss wird zu dem Zweck in der Hülse eingeschnürt und der 
Knieriemen befestigt. Nun drängt man den Fuss in Spitzfussstellung, 
und während er in dieser steht, legt man ein mit elastischen 
Gurten versehenes starkes Band um den unteren Theil des Unter¬ 
schenkels und die äussere Seitenschiene unterhalb des Scharniers 
herum, so zwar, dass beim Anziehen der Gurte der untere Theil 
des Unterschenkels gegen die äussere Seitenschiene an- und von 
der inneren Seitenschiene abgedrängt wird (Fig. 1). Klemmt man 


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Zur orthopädischen Behandlung des Pes calcaneus paralyticus. 417 


den einen Gurt etwas in das Scharnier ein, so ist das Band unver¬ 
rückbar fixirt und der Fuss der dauernden elastischen Redression 
unterworfen. 


Fig. 2. 



So einfach die Wirkung dieses Bandes ist, so wichtig ist das¬ 
selbe zur Herstellung der richtigen statischen Verhältnisse. Hat 



man einen hochgradigen Pes calcaneus vor sich und bringt den Fuss 
in eine rechtwinklige Stellung, so sieht man sofort, wie die Achse 
des Fusses von der des Unterschenkels abweicht. Der Fuss erscheint 


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418 Hoffa. Zur orthopäd. Behandlung des Pes calcaneus paralyticos. 

gegen den Unterschenkel in Valgusstellung verschoben. Diese Val- 
gnsstellung des Fusses beseitigt das Band, und damit kann man beim 
längeren Tragen des Apparates auch die äusseren Formen des Fusses 

wieder in schönster Weise zum Vorschein 
bringen. Vorzüglich bildet sich der beim 
Hackenfuss so mangelhaft entwickelte 
äussere Malleolus wieder vollständig aus. 
und das Fussgewölbe stellt sich wieder 
her. Mehr als Worte illustriren wohl 
beistehende Abbildungen (Fig. 2 u. 3) 
die guten Resultate der Behandlung. Sie 
stammen von meiner Patientin, Angela 
Gonnemann, und sind genau nach den 
Photographien von Herrn Maler Schöner 
gezeichnet worden. Sie stellen den 
Fuss vor und nach zweijähriger Behand¬ 
lung dar. 

Will man den Fuss zunächst in 
Spitzfussstellung halten, so kann man 
an dem Apparat noch einen Gummi- 
gastrocnemius, wie am Volkmann’schen 
Schuh, anbringen. Will man nur die 
Plantarflexion des Fusses, nicht aber die 
Dorsalflexion des Fusses gestatten, so 
kann man an den Scharnieren eine einfache Hemmung — einen 
Zapfen an der Unterschenkelschiene und einen entsprechenden Stift 
an der äussem Fussschiene (Fig. 4) — verwenden. 



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XXIII. 


Hessing’s Hülsen-Scliieiieiiverband. 

Von 

Dr. W. Knby, 

Medicinalrath und Generalarzt. 

In Nr. 8 des Münchener ärztlichen Intelligenzblattes des Jahres 
1879 habe ich einen Verband und Apparat beschrieben, welcher 
ermöglicht, mit einem frischen Bruch oder mit anderweitig erkrankten 
Knochen und Gelenken der unteren Extremitäten umherzugehen. Ich 
bezeichnete als unschätzbar, dass derartige Kranke, die bis dahin 
monatelang unter unvermeidlichen Qualen in mühsamer Rückenlage 
im Bette zubringen mussten ^ bald nach Anlegung des Apparates 
umher gehen können, und dann ihre Heilung spazierengehend, 
selbst arbeitend, abwarten, welche — unter dem Genüsse der freien 
Luft, dadurch bedingter besserer Esslust, normaler vegetativer Ver¬ 
richtungen und besserer Blutbereitungen, Aufheiterung und Zer¬ 
streuung — rascher und sicherer erfolgt, als in der opulentesten 
und best gelüfteten Krankenstube, während das von der alten Me¬ 
thode geforderte, fortwährende Liegen auf dem Lager hinreicht, 
heiteren Menschen das Leben zu verleiden und nervöse Personen 
krank zu machen. 

Trotz dieser wannen, auf Beobachtung dreier frischer Knochen¬ 
brüche und zahlreicher chronischer Gelenk- und Knochenerkrankungen 
gestützten Empfehlung fand die Methode wenig Nachahmung bei 
den Collegen, wohl aus dem Grund, weil die technische Bearbeitung 
der Materialien, aus welchen die Apparate bestehen, der grossen 
Mehrzahl der Aerzte ungeläufig ist; ein anderer Theil derselben hält 
es von vornherein für Unsinn, Leute mit gebrochenen Gliedmassen 
umhergehen zu lassen. Ich habe daher den schon von Anderen aus¬ 
gesprochenen Wunsch nach Errichtung von Werkstätten in unmittel- 


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420 


W. Kuby. 


barer Nähe chirurgischer oder orthopädischer Kliniken an mass¬ 
gebender Stelle zu befürworten mir erlaubt; für die Gegner aus 
theoretischen Gründen theile ich unten das Verzeichniss der von 
Hessing behandelten Fälle mit, aus welchen ersichtlich ist, dass 
bis zum Ende des Jahres 1891 

1 Schenkelhalsbruch, 

19 Oberschenkelbrüche, 

44 Unterschenkelbrüche, 

1 Bruch der Kniescheibe, 

11 Knöchelluxationen 

ambulant behandelt wurden. Zwei Fälle kamen erst, nachdem sich 
Pseudarthrose gebildet hatte, in die Anstalt. 

Einen Fall von Schenkelhalsbruch bei einer 75jährigen Dame 
und einen Fall von Zerschmetterung der Unterschenkelknochen mit 
enormer Zerfetzung der Weichtheile (zu welchem ich eigentlich be¬ 
hufs Amputation von einem CoUegen beigezogen wurde) habe ich 
in dem Apparat mit gutem Erfolg auswärts behandelt. 

Nicht alle Fälle verliefen so brillant, wie die sub 9, 10 und 11 
meines eingangs benannten Artikels bezeichneten, aber in der grössten 
Mehrzahl der nicht complicirten Fälle konnten die Verletzten bald 
nach Anlegung und Erhärtung des Verbandes und Fertigstellung des 
Apparates umhergehen und manche ihrer gewohnten Beschäftigung 
nachgehen oder nach Hause zurückkehren, woselbst die Consolidirung 
und Heilung regelmässig verlief. In keinem Falle aber trat Ver¬ 
kürzung oder Verkrümmung oder sonst ein Unfall ein. 

Dank der fortwährend wie spielend wirkenden Extension kam 
die leidige Resection hervorstehender Knochenenden nie in Frage. 
Inactivitäts-Atrophie blieb nur in seltenen Fällen zurück, und dann 
nur in geringerem Maass. 


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Hessing’a Hülsen-Schienenverband. 


421 


Verzeichniss 

der von Friedrich Hessing in Göggingen behandelten frischen 
Knochenbrüche und frischen Luxationen an den unteren Extremitäten. 


Eintritt 


u 

< 

Heimath 

Art der Verletzung 

1875. 

7. Aug. 

Prinz V. H. Sch. 

16 

1 

Aussee. 

Bruch der Tibia und 
Fibula (s. S. 21 des 
, Hülsenschienenver¬ 
bandes“). 

1876. 

4. Mai. 

M. 

— 

Augsburg 1. d. W. 

Complicirter Ober¬ 
schenkelbruch. 

1877. 

4. Mai. 

H., Andreas, 
Schmiedgeselle. 

26 

Erlinghofen. 

Bruch der ünter- 
schenkelknochen 
(s. S. 21 des „Hülsen¬ 
schienenverban¬ 
des“). 

1878. 

27. Aug. 

St., Pali er. 

38 

Augsburg. 

Oberschenkelbruch 
(s. S. 20 1. c.) 

1879. 

7. Aug. 

B., Anna, Leder¬ 
händlerstochter. 

19 

Donauwörth. 

Oberschenkelbruch; 
entlassen 8. August 
1879. 

* 

2. Sept. 

Pf., kgl. bayrischer 
Secondelieutenant. 

30 

München. 

Bruch der Tibia und 
Fibula, complicirt. 

9 

October. 

N., Fabrikarbeiter. 

— 

— 

Unterschenkelbruch. 

1880. 

Sept. 

N., Taglöhner. 

— 

Oberhausen. 

ünterschenkelbruch. 

1881. 

Januar. 

M., Milchmannskind. 

6 

Göggingen. 

Oberschenkelbruch. 

9 

Mai. 

Kr., Kind. 

— 

Göggingen. 

Bruch des Waden¬ 
beins. 

9 

Juli. 

M. 

— 

Göggingen. 

Bruch des Waden¬ 
beins. 

9 

Septemb. 

L., Schäffler. 

— 

Bergheim. 

Knöchelbruch. 

9 

Septemb. 

K., Rottmeister. 

— 

Bergheim. 

Schenkelhalsbruch. 

9 

Septemb. 

G. 

— 

Göggingen. 

Knöchelbruch. 


1883. 

V. B., Fräulein. 

1 

— 

— 

Bruch der Tibia und 
Fibula. 


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422 


W. Eubj. 


Eintritt 

Namen 

1 

, < 

Heimath 

Art der Verletzung 

1883. 

7. Febr. 

V. Cr. 

— 

1 Frühstockheim. 

Unterschenkelbruch; 
entlassen 13. März, 

> 

März. 

V. C. 

50 

Rudenhausen. 

Unterschenkelbruch; 
entlassen 13. März. 

» 

October. 

K., Thomas. 

— 

Gersthofen. 

Splitterbruch beider 
Knochen dicht über 
dem Knöchel. 

1884. 

5. Januar. 

B., Kaufmannssohn. 


Augsburg. 

Unterschenkelbruch; 
entlassen 10. Januar. 


Februar. 

R. 

50 

Göggingen. 

1 

Unterschenkelbruch; 
complicirter Splitter¬ 
bruch durch fallen¬ 
den Baum. 

« 

10. April. 

H., Otto, Fabrikant. 

36 

Greiz. 

Complicirter Unter¬ 
schenkelbruch; kam 
mit Pseudarthrose. 
Von Volkmann 
geschickt; entlassen 
29. Mai. 


Juni. 

N., Forstgehilfe. 

30 

Wellenburg. 

Knöchelluxation. 


Septemb. 

L., Lieutenant. 

30 

— 

Bruch oberhalb des 
Knöchels. 

V 

Novemb. 

M., Regierungs¬ 
assessor. 

50 

Augsburg. 

Knöchelluxation. 

n 

4. Dec. 

M., Marie. 


Regensburg. 

Complicirter Bruch 
der T5bia und Fibula 
nahe den Knöcheln; 
entlassen 20. Februar 
1885. 

1885. 

März. 

Sch. 

— 

Göggingen. 

Untei-schenkelbruch. 

1» 

April. 

K., Taglöhnersfrau. 

60 

Dinkelsbühl. 

Bruch der Tibia und 
Fibula. 


Mai. 

L., Frau. 

— 

Leutershofen. 

Knöchelbruch. 

yi 

19. Juni. 

H. 

— 

Augsburg. 

Oberschenkel bruch; 
entlassen 24. Juni. 

n 

Juni. 

V., Seiler. 

— 

— 

Bruch der Tibia und 
Fibula. 

1886. 

Januar. 

Sch., Buchhändlers¬ 
frau. 1 

— 

- 

Unterschenkelbruch. 


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Google 







Hessing's HQisen-SchienenTerband. 


423 


Eintritt 

1 

Namen 

1 J9IIV 

Heimath 

Art der Verletzung 

1886. 4. März. 

W., Ziegeleibesitzer. 

— 

Inningen. 

Bruch der Tibia und 
Fibula; entlassen 

6. März. 

„ April. 

T. 

— 

Göggingen. 

Oberschenkelbruch. 

^ Juli. 

L. 

— 

Augsburg. 

Knöchelluxation. 

, Juli. 

W. 

— 

Augsburg. 

» 

Juli. 

R. 

— 

Augsburg. 

1» 

, 4. Nov. 

R. 

— 

Diedorf. 

Oberschenkelbruch; 
entlassen G.Novemb. 

1887. Februar. 

R., Heinrich. 

' 7 

Landsberg. 

ünterschenkelbruch; 
entlassen Mai. 

„ Februar. 

M., Fabrikant. 

30 

Hannstetten. 

Bruch der Tibia und 
Fibula nahe den 
Knöcheln. 

^ 11. Juli. 

V. Sch., Lieutenant. 

27 

Ulm. 

Complicirter Unter¬ 
schenkelbruch ; ent¬ 
lassen 15. December. 

„ Decemb. 

Z., Privatier. 

70 

Augsburg. 

Oberschenkelbruch. 

^ 28. Dec. 

W., Magazinier. 

— 

Augsburg. 

Unterschenkelbruch; 
entlassen 4. Januar 
1888. 

1889. Januar. 

G., Wirth. 

— 

Radiqundis. 

Knöchelbruch. 

, April. 

H., Bankier. 

- 

Augsburg. 

Knöchelluxation. 

„ 30. März, 

W., Schreiner. 

- 

Weiden. 

Wadenbeinbruch; 
entlassen 31. März. 

y, März. 

V. W. 

45 

Kutzerow 

(Pommern). 

Oberschenkelbruch. 

, 16. Nov. 

St., Ingenieur. 

30 

Augsburg. 

Bruch der Tibia und 
Fibula; entlassen 

1. December. 

« April. 

M., Student. 

22 

Augsburg. 

Knöchelluxation. 

^ October. 

W., Färbermeister. 

40 

Göggingen. 

Bruch oberhalb des 
Knöchels. 

, October. 

Z., AVagner. 

— 

Göggingen. 

Oberschenkelbruch. 


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424 


W. Kuby. 


Eintritt 

Namen 

u 

3 

< 

Heimath 

Art der Verletzung 

1889. October. 

St. 

— 

— 

Unterschenkelbruch. 

j, Decemb. 

Sch., Amalie. 

— 

Waldmünchen. 

Oberschenkelbruch- 

1890. 4. Januar. 

S., Leopold. 

— 

Oberhausen. 

Knöchelluxation; 
entlassen 21. Januar. 

„ 26. Jan. 

B., Peter, Monteur. 

— 

Duisburg. 

ünterschenkelbruch; 
entlassen 2. Februar. 

, März. 

N., Livreebedienter. 

— 

Augsburg. 

Knöchelluxation. 

. 31. Mai. 

G., Zuschneider. 

— 

Augsburg. 

ünterschenkelbruch 
nahe am Knöchel; 
entlassen 1. Juni. 

, August. 

0., Xaver. 

- 

Augsburg 1. d.W. 

Bruch der Knie¬ 
scheibe. 

1891. 26. Jan. 

R., Emil, Gutsbe¬ 
sitzer. 

36 

Langweid. 

Bruch des Unter¬ 
schenkels nahe den 
Knöcheln; entlassen 
6. Februar. 

„ 3. März. 

R., Schreinermeister. 

— 

Augsburg. 

ünterschenkelbruch; 
entlassen 6. Februar. 

, April. 

M., Premierlieuten. 

— 

Lütteritz. 

Oberschenkelbruch. 

„ 24. April. 

Dr. M. 

36 

Berlin. 

Oberschenkelbmch, 
lag 9 Monate bei 
Bergmann; Elfen¬ 
beinstift vergebens; 
entlassen 28. Mai. 

, 21. Mai. 

H., Bierbrauer. 

35 

Augsburg. 

Bruch des Ober¬ 
schenkels; entlassen 
6. Juni. 

, Mai. 

H., Maurer. 

40 

Kriegshaber. 

Complicirter Unter¬ 
schenkelbruch, ge¬ 
splittert 

^ Mai. 

BL, Bauer. 

28 

Ingolstadt 

Bruch der Tibia und 
Fibula; entlassen 
gleich nach Anlegung 
des Apparates. 

^ 6. Juli. 

i 

L., Banquier. 

i 1 

45 

Augsburg. 

Bruch des Ober¬ 
schenkels an dem 
einen, und des Unter¬ 
schenkels am ande¬ 
ren Bein; entlassen 
7. September. 


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Hessing’s Hülsen-Schienenverbaiid. 


425 


Eintritt 

! 

Namen 

u 

S 

< 

Heimath 

Art der Verletzung 

1 

1891. 13. Juni. 

R., Bauer. 

— 

Agawany. 

1 

Oberschenkelbruch; 
entlassen 20. Juni. 


18. Juli. 

G., Restaurateurs¬ 
frau. 

40 

Augsburg. 

Splitterbruch am 
Unterschenkel; ent¬ 
lassen 3. August. 


2. Juli. 

R., Kaufmanns¬ 
kind. 

7 

Augsburg. 

Oberschenkelbruch; 
entlassen 7. Juli. 

» 

3. Sept. 

M., Bildhauer. 

— 

München. 

ünterschenkelbruch; 
entlassen 5. Sept. 


Novemb. 

K., Ziegler. 

— 

Augsburg. 

Knöchelluxation. 


9. Nov. 

T., Austräger. 

70 

Sch epp ach. 

Bruch der Tibia und 
Fibula; entlassen 
21. November. 


3. Dec. 

M., Johann. 

45 

Augsburg. 

Knöchelluxation. 

* 

Novemb. 

Sch., Kind. 

4 

Augsburg 1. d. W. 

Oberschenkelbruch. 

1* 

Decemb. 

Br., Feldwebelskind. 

6 

Augsburg. 

Oberschenkelbruch. 


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426 


W. Ettby. Hessing’s Hfllsen-SchieneiiTerband. 


Zusammenstelluiig 


der in den Jahren 1889—1892 in der orthopädischen Anstalt Yon 
Friedrich Hessing in Göggingen behandelten Missstaltungen des 
menschlichen Körpers. 



1889 


1891 

1892 

Zahl der Betten. 

120 

183 

183 

183 

Zahl der Kranken: 





a) aus dem Vorjahre verblieben . . • \ 

186') 

48 

41 

50 

b) neuer Zugang./ 

127 

142 

166 

Heimath: a) Stadt Augsburg. 

27 

13 

19 

16 

b) das übrige Bayern. 

35 

20 

24 

34 

c) die übrigen deutschen Staaten . . 

93 

76 

71 

82 

d) Oesterreich. 

11 

9 

12 

12 

e) Ausland. 

19 

9 

16 

21 

Geschlecht der Kranken: a) männlich .... 

100 

65 

79 

79 

b) weiblich .... 

86 

62 

63 

81 

Alter: von 1— 5 Jahren. 

17 

9 

10 

17 

, 6-10. 

35 

22 

22 

•22 

. 11-15 , . 

38 

20 

25 

41 

, 16—20 , . 

21 

11 

18 

22 

, 21-30 , . 

19 

16 

12 

12 

, 31-40 , . 

16 

13 

19 

16 

, 41-50 . . 

20 

17 

22 

23 

, 51-60 „ . 

9 

5 

2 

5 

Über 60 , . 

3 

4 

2 

4 

Nichtnotirt. 

8 

10 

11 

4 

Formen der Erkrankungen. 





I. Frische Knochenbrüche und Luxationen 

16 

5 

16 

4 

II. Missstaltungen im Gefolge von Knochen¬ 



j 


brüchen und Ausrenkungen. 

9 

4 

2 

3 

III. Künstliche Glieder. 

4 

8 

8 

4 

IV. Hängebauch und Eventrationen .... 

— 

3 

— 

1 

V. Gicht: a) Verunstaltende Gicht .... 

8 

_ 

1 

1 

b) Podagra. 

1 

— , 


— 


*) Die Kranken sind nur einmal im Zugang aufgefasst, auch wenn sie 
Jahre hinter einander zur Erneuerung oder Abänderung ihrer Apparate wieder¬ 
kehren; nur im Jahre 1889 wurden alle in der Anstalt Behandelten numerirt 
Die poliklinisch und die auswärts Behandelten sind in das Verzeichniss 
nicht aufgenoinmen. 


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Hessing’s Hülaen-Schienenverband. 


427 



1889 

1890 

1891 

1892 

VI. Englische Krankheit. 

VII. Missstaltungen der Wirbelsäule: 

a) Verbiegung nach vorne (Lordosis): 

1 

— 

1 

1 

1. der Halswirbelsäule. 

— 

1 

— 

— 

2. der Lendenwirbel, liegendes Becken 

6 

3 

2 

1 

b) Rückwärtsverkrümmung (Kyphosis) 

15 

7 

8 

10 

c) Seitliche Rückgratsverbiegung (Skoliosis) 

27 

19 

19 

24 

d) Andere Erkrankungen der Wirbelsäule 
VIII. Verbiegung der unteren Extremitäten: 

1 

2 

5 

7 

a) Bäckerbein (Genu valgum) .... 

1 

— 

— 

— 

b) Säbel- oder Sichelbein. Reiterbein . 
IX. Fusscontracturen: 





a) Spitzfuss. 

4 

1 

2 

2 

b) Hackenfuss. 

— 

— 

— 

1 

c) Klumpfuss. 

3 

4 

3 

2 

d) Plattfass. 

1 

2 

— 

4 

e) Hohlfuss. 

— 

1 

— 

— 

f) Missstaltung der Zehen. 

X. Entzündung, Gelenksteifigkeit und Gelenk¬ 
verwachsung: 
a) Im Hüftgelenk: 

1 

2 



1. Entzündung. 

27 

8 

12 

28 

2. Contractur und Ankylose . . . 

3. Verkürzung und Wachsthumshem¬ 

4 

3 

1 

6 

mung nach Resection. 

6 

1 

1 

2 

b) im Kniegelenk. 

8 

8 

1 

9 

c) im Ellenbogengelenk .... 

1 

0 

0 

1 

d) in den Fussgelenken. 

XI. Angeborene Ausrenkung: 

0 

1 

5 

5 

a) im Hüftgelenk . 

b) Neigung zu Ausrenkungen im Schul- 

3 

5 

5 

14 

tergelenk. 

— 

— 

— 

1 

XII. Schiefhals . . . . ,. 

1 

— 

— 

— 

XTII. Kinderlähmung. 

20 

9 

7 

7 

XIV. a) Rückenmarkserkrankungen. 

13 

14 

11 

10 

b) Neuralgieen. 

XV. Verschiedene Gehirnerkrankungen mit Läh- 




1 

mungserscheinungen. 

7 

6 

9 

10 

XVI. Krampfzustände. 

1 

— 

— 

1 

XVII. Verschiedenes. 

3 

10 

20 

4 


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XXIV. 


Ein ßnderapparat für Skoliotisclie. 

Von 

F. Beely, Berlin. 

Mit 6 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Ziemlich allgemein dürfte bei der Behandlung der Skoliose 
sowohl die alleinige Anwendung der Gymnastik wie die ausschliess¬ 
liche Benutzung tragbarer Apparate verlassen sein, und wenigstens 
in der Theorie die combinirte Behandlung als die allein zweckent¬ 
sprechende zugestanden werden. Dagegen wird die Frage, welcher 
Theil der Behandlung unter Umständen entbehrt werden kann, welcher 
der wichtigere ist, weniger auf üebereinstimmung bei den Ortho¬ 
päden rechnen dürfen. Für schwere Skoliosen wird zwar fast Jeder 
zugeben, dass im wesentlichen nur die Behandlung mit portativen 
Apparaten in Frage kommen kann, bei leichten Fällen oder wo es 
sich gar nur um schwache Wirbelsäulen, um sogen. ^Haltungs- 
anomalien“ handelt, werden noch Manche geneigt sein, jeden por¬ 
tativen Apparat, jedes Corset zu verwerfen und nur die Gymnastik 
als berechtigt anzuerkennen. Ich stehe auf dem entgegengesetzten 
Standpunkt, ich halte einen Stützapparat, der selbstverständlich dem 
Grade des Leidens angepasst sein muss und nicht schablonenmässig 
verschrieben werden darf, für die erste und wichtigste Forderung, 
daneben kann und soll Gymnastik (die Massage inbegriffen) ange¬ 
wendet werden, soweit die Verhältnisse es gestatten. 

Eine eingehendere Begründung dieser meiner Ansicht ist nicht 
Zweck dieser Zeilen, ich hielt es aber für angezeigt, sie hier vor¬ 
auszuschicken, um durch die Beschreibung und Empfehlung eines 
neuen Turnapparates nicht in den Verdacht zu kommen, Anhänger 
der ausschliesslich gymnastischen Behandlungsmethode zu sein. 


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Ein Ruderapparat für Skoliotischc. 


429 


Durch die gymnastischen Uebungen bezwecken wir zweierlei: 
Erstens soll die skoliotische Wirbelsäule beweglich gemacht, die 
seitlichen Ausbiegungen sollen durch Zug und Druck ausgeglichen 
oder selbst in entgegengesetzte verwandelt werden. Hierzu dienen 
besonders die passiven Uebungen, bei denen die damit verbundene 
Muskelthätigkeit nicht beabsichtigt, sondern unvermeidlich ist. Zwei¬ 
tens sollen die Muskeln gekräftigt werden, und zwar hauptsächlich 
die Rumpfmuskulatur, deren Uebermüdung und Erschlaffung Manche 
bei der Entstehung der Skoliose als alleinige Ursache betrachten, 
Andere wenigstens eine grosse Rolle spielen lassen. Uebungen dieser 
Art kann man active nennen. 

Ganz reine Uebungen der einen oder anderen Art gibt es nur 
wenige, und eine Combination beider ist ja auch nicht unerwünscht. 
Bei der Auswahl geeigneter activer Uebungen wird man sich vor 
allem von dem Grundsatz leiten lassen müssen, alle Uebungen zu 
vermeiden, die eine, wenn auch nur vorübergehende Zunahme der 
skoliotischen Ausbiegung verursachen können, und nur solche Uebungen 
wählen, die entweder gleichzeitig die Skoliose verringern oder sie 
gar nicht beeinflussen. 

Es ist nun nicht immer leicht, solche Uebungen in hinreichender 
Zahl zu finden, und viele, die man auf den ersten Blick für unbe¬ 
denklich zu halten geneigt ist, sind es ganz und gar nicht. Zu den 
Uebungen letzterer Art gehören vor allem die Freiübungen. Schon 
das einfache Hinstellen der Patienten in eine der militärischen ähn¬ 
liche Grundstellung ist keine unbedenkliche Uebung. Jedem, der 
vielfach Gelegenheit hat, skoliotische Patienten mit sehr beweglichen 
Wirbelsäulen zu untersuchen, wird es aufgefallen sein, dass in manchen 
Fällen die seitliche Ausbiegung besonders deutlich hervortritt, wenn 
man die Patienten auf fordert, gerade zu stehen und sie durch An¬ 
spannung ihrer Rückenmuskeln dieser Aufforderung nachzukommen 
suchen. Verlangt man dann von ihnen, dass sie ihre gewöhnliche 
Haltung einnehmen, sich „so krumm hinstellen sollen, wie sie gern 
stehen“, so sieht man die Rückenmuskeln erschlaffen und die Dorn¬ 
fortsätze eine seitlich viel weniger ausgebogene Linie beschreiben. 
Gewöhnlich tritt dafür im Dorsaltheil eine stärkere Ausprägung der 
physiologischen Kyphose auf. Es ist dies auch leicht erklärlich, 
da eine gleichzeitige Anspannung sämmtlicher Rückenmuskeln einen 
vermehrten Druck auf die Wirbelsäule in der Richtung ihrer Längs¬ 
achse ausüben muss, der dieselbe zu verkürzen strebt. Jede der- 




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430 


F. Beely. 


artige Verkürzung der Wirbelsäule ist aber nothwendigerweise ver¬ 
bunden mit einer Zunahme ihrer Krümmungen, sowohl physiologischer 
wie pathologischer. 

Nun ist es aber bekannt, dass der Mensch im Stande ist, sich 
willkürlich zu verlängern, ein Erwachsener nach einiger Uebung mit 
Leichtigkeit um 1—2 cm; es lässt sich dies leicht nachweisen, wenn 
man sich an eine Wand stellt, so dass das Hinterhaupt die Wand 
berührt und nun den Kopf an der Wand in die Höhe zu schieben 
sucht, oder noch genauer, wenn man ein Buch mit einer seiner 
Schnittflächen auf den Kopf stellt, während die anstossende Schnitt¬ 
fläche der Wand anliegt und nun das Buch an der Wand in die 
Höhe schiebt. 

Man wird dabei finden, dass die Verlängerung hauptsächlich 
auf Kosten des Lumbaltheils der Wirbelsäule geschieht, dass die 
physiologische Lordose sich verringert, und dass es weniger die 
Rückenmuskeln sind, die in Anspruch genommen werden, als viel¬ 
mehr— neben anderen — die Bauchmuskeln. Man hat dabei aber auch 
die Empfindung, dass diese anscheinend einfache Uebung nicht ganz 
leicht ist, und dass sie nicht Jeder und besonders nicht Kinder schnell 
begreifen werden. — Gibt man den Hebenden noch Hanteln oder 
Stäbe in die Hände, lässt man sie im Stehen Freiübungen ausführen, 
so ist es für sie noch schwieriger, gleichzeitig auf ihre Körper¬ 
haltung zu achten, und in vielen Fällen werden sicher die seitlichen 
Ausbiegungen der Wirbelsäule während dieser Hebungen nicht ver¬ 
mindert, sondern vermehrt. Nun kann man allerdings einwenden, 
dass der Vortheil, der den Patienten aus der durch die Hebungen 
erzielten Kräftigung der Musculatur erwächst, diesen Nachtheil 
mehr als ausgleicht, so dass die gymnastischen Hebungen dieser 
Art doch von Nutzen sind, und es mag dieses hin und wieder für 
einen oder den anderen Fall zutrefiPen, sicher aber nicht für alle 
Fälle und sicher nicht für Skoliosen, die Neigung zu Verschlimme¬ 
rung zeigen. 

Bei genauer Controlle, d. h. wenn man jede Uebung des Pa¬ 
tienten genau überwachen kann, lässt sich ja mancher Fehler ver¬ 
meiden, aber dazu bedarf man eines so zahlreichen Hilfspersonals, 
dass dadurch die Hebungen viel zu kostspielig und nur Wenigen 
zugänglich werden. 

Was von dieser Uebung gilt, gilt auch von manchen anderen, 
besonders einseitigen. Ich habe daher bei meinen turnenden Pa- 


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Ein Ruderapparat für Skoliotische. 


431 


tienten auf Freiübungen im Stehen ganz verzichtet und lasse, wo 
eine grössere Anzahl von ihnen zu gleicher Zeit turnen soll, Uebungen 
mit Hanteln, Stäben oder auch mit dem Bruststärker von Largiader 
nur in Rückenlage vornehmen, und die Patienten sonst nur an Ge- 
räthen turnen. 

Dabei stellte sich sehr bald das Bedürfniss nach einem Turn¬ 
apparat ein, der im Nothfall im Stande ist, alle anderen, mit Aus¬ 
nahme der Apparate für passive Uebungen, zu ersetzen, und zwar 
sollte dieser Apparat es besonders solchen Patienten, die aus irgend 
welchen Gründen nicht regelmässig einen orthopädischen Turnsaal be¬ 
suchen können, ermöglichen, zu Hause täglich die nothwendigen 
Uebungen vorzunehmen, ohne genaue Beaufsichtigung von Seiten 
des Arztes oder einer zweiten Person. 

Ein solcher Apparat muss verschiedenen Anforderungen ent¬ 
sprechen: 1. Er muss, wenn irgend möglich, zur Kräftigung der 
gesammten Körpermuskulatur, hauptsächlich aber der Rumpf- (Bauch- 
und Rücken-)Muskulatur dienen, d. h. alle Muskeln müssen in 
Thätigkeit versetzt werden; 2. seitliche Abweichungen der Wirbel¬ 
säule dürfen unter keinen Umständen eine wenn auch nur vorüber¬ 
gehende Zunahme erleiden, sie müssen entweder unbeeinflusst bleiben 
oder verringert werden; 3. die Uebungen müssen nach kurzer Unter¬ 
weisung von Seiten des Arztes leicht und gefahrlos für den Patienten 
ausführbar sein; 4. die Uebungen müssen Widerstandsbewegungen 
und so beschaffen sein, dass eine grössere Anzahl von Bewegungen 
hintereinander ausgeführt werden kann bis zu mässigem Ermüdungs¬ 
gefühl der Patienten, und dass man es in der Hand hat, den Wider¬ 
stand beliebig zu steigern, so dass bei grösserer Uebung und Zu¬ 
nahme der Kräfte der Patienten nicht allzuviel Zeit in Anspruch 
genommen wird; 5. sie müssen von grösseren und kleineren Patienten 
an demselben Apparat ausgeführt werden können; 6. der Apparat 
muss dauerhaft und einfach in seiner Construction sein, so dass die 
Aufstellung desselben, sowie die von Zeit zu Zeit nothwendigen 
Veränderungen auch von einem Laien ohne besondere Vorkenntnisse 
ausgeführt werden können. 

Diesen Anforderungen glaube ich zum grössten Theil gerecht 
geworden zu sein; leider ist aber dabei der Apparat so umfangreich 
und auch theuer geworden, dass dadurch seine Anwendung in Privat¬ 
wohnungen erschwert wird. Dagegen hat er mir bei täglicher Be¬ 
nutzung seit zwei Jahren auf dem Turnsaal so gute Dienste geleistet 

Zeitschrift für orthopädiHche Chirurgie. II. Band. 29 


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432 


F. Beely. 


und sich in jeder Hinsicht so bewährt, dass ich ihn nicht mehr 
entbehren möchte, und dass mir daher eine genaue Beschreibung 
desselben gerechtfertigt erscheint. 

Ich ging bei der Construction des Apparates von der Idee aus, 
dass die Ruderbewegung meinen Absichten am meisten entsprechen 
dürfte, und hatte auch ursprünglich einen Zimmerruderapparat in 
Anwendung gezogen. Daher stammtauch die Bezeichnung „Ruder¬ 
apparat“. 

Die Ruderbewegung ist von allen Turnübungen diejenige, die 
die gesammte Körpermuskulatur, auch die Rückenmuskeln, am aus- | 

gedehntesten, dabei aber symmetrisch in Thätigkeit versetzt. Sie [ 

hat aber einige für den hier beabsichtigten Zweck. nicht unwesent- i 
liehe Mängel. ' 

Erstens wird die Muskulatur an der vorderen Seite des Rumpfs [ 
nur in geringem Grade in Anspruch genommen, sodann ist das starke i 
Vorbeugen des Körpers nicht unter allen Umständen gleichgültig für 
die seitlichen Ausbiegungen der Wirbelsäule. 

Beugt man den Rumpf nach vorn und wird diese Bewegung 
nicht ausschliesslich im Hüftgelenk ausgeführt, so spannen sich dabei 
die Weichtheile — Muskeln und Bindegewebe — zu beiden Seiten 
der Domfortsätze und verhindern durch ihren symmetrischen Druck 
auf die Querfortsätze und Rippen ein seitliches Ausbiegen der I 

Wirbelsäule, ja geringe Grade seitlicher Ausbiegung können sogar 
bei dieser Bewegung ausgeglichen werden, trotzdem zu gleicher Zeit I 

eine stärkere Belastung, ein stärkeres Zusammenpressen der AVirbel- ^ 

körper stattfindet. Dies wird aber nur so lange der Fall sein, als i 

die Spannung, d. h. die Kraft, welche die Wirbelkörper nach der 
Mittellinie zurückzuführen und dort festzuhalten bestrebt ist, grösser 
ist als die Kraft, die beim Vorbeugen die Wirbelkörper mehr zu¬ 
sammen- und, bei bereits vorhandener seitlicher Abweichung, seit¬ 
lich herausdrückt. Je stärker ausgeprägt eine Skoliose ist, desto | 

mehr wird die Neigung der Wirbelkörper zunehmen, beim Vorbeugen J 

seitlich abzuweichen; die Spannung der Weichtheile des Rückens 
hat aber bald ihren Höhepunkt erreicht, bei einem gewissen Grade 
der Skoliose wird daher beim Vorbeugen die Skoliose nicht mehr 
ab-, sondern zunehmeii. 

Dies muss unter allen Umständen vermieden werden, und es 
kann dies geschehen trotz Beibehaltung eines mässigen Vorbeugens, 
wenn zugleich mit der Anspannung der Weichtheile des Rückens, i 


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Ein Ruderapparat für Skoliotische. 


433 


besonders der Muskeln, eine Streckung der Wirbelsäule verbunden 
ist oder wenigstens kein Zusammen pressen der Wirbelkörper statt¬ 
findet. Dann kann die Spannung der Rückenmuskeln ihre aus¬ 
gleichende Thätigkeit auf die skoliotische Ausbiegung der Wirbel¬ 
säule unbeeinträchtigt ausüben, ganz abgesehen davon, dass schon 
die Streckung, die Verlängerung der Wirbelsäule allein in diesem 
Sinne wirkt. 

Sodann bedurfte die Art des Sitzens bei dem sogen, amerika¬ 
nischen Ruderapparat einer kleinen Aenderung, da sie durch den 
allzu niedrigen Sitz auf die Dauer unbequem war. Die sitzende 
Stellung wurde jedoch beibehalten, weil sie einer stehenden oder 
liegenden gegenüber verschiedene Vortheile darbot: das Becken wird 
bei ihr durch die unteren Extremitäten besser gegen Bewegungen 
um seine vertikale Achse geschützt, der Oberkörper kann eine gegen 
die Horizontalebene nach vorn wie nach hinten geneigte Stellung 
einnehmen, der Hebende braucht auf seine Körperhaltung weniger 
Sorgfalt zu verwenden und kann leicht, wenn er das Bedürfniss 
dazu fühlt, einen Augenblick ausruhen und die Hebungen dann sofort 
wieder aufnehmen. 

Nach mannigfachen Versuchen und Abänderungen ging aus 
dem einfachen Zimmerruderapparat schliesslich der in Fig. 1 dar¬ 
gestellte „Ruderapparat für Skoliotische“ hervor. 

Der Hebende sitzt in einem länglich-viereckigen Kasten auf 
einem in der Längsrichtung des Kastens beweglichen Sitzbrett, die 
Füsse stemmt er gegen ein verstellbares, aber während der Hebung 
befestigtes, schräg stehendes Fussbrett, wobei die Fussspitzen unter 
eine gepolsterte Leiste geschoben werden, so dass der Patient sich 
unter Anspannung der Dorsalflexoren des Fusses auch gegenüber 
einem Zug festhalten kann, der ihn von dem Fussbrett zu entfernen 
trachtet. Am oberen Ende des Kastens, hinter dem Sitzbrett, drehen 
sich um eine sie verbindende horizontale Achse zwei parallel stehende 
Stangen — eiserne, in gleichmässigen Abständen durchlochte Röh¬ 
ren —, die mit eisernen Kugeln armirt sind und in der Nähe 
ihrer oberen freien Enden einen horizontalen hölzernen Stab tragen. 
Die Kugeln sowie dieser Stab können in beliebiger Höhe durch 
Bolzen befestigt werden. 

Die Höhe, in der der Stab festgestellt wird, wird dadurch 
bestimmt, dass der Patient ihn gerade noch erreichen und mit den 
Händen erfassen kann, wenn er auf dem Sitzbrett Platz genommen 


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434 


F. Beely. 



hat und die Arme nach oben ausstreckt. Die Kugeln dienen zur 
Regulirung des Widerstandes. 

Von dieser mittleren Stellung aus (Fig. 1) kann sich der 
Uebende nun, unter stetem Festhalten der mit ausgestreckten Armen 
ergriflFenen Stange, nach vom beugen, in „Vorbeuge“, bis durch 

Fig. 1. 


eine hinter der Achse angebrachte Hemmung eine weitere Bewegung 
verhindert wird, und ebenso nach hinten, in „Rückbeuge“, bis auch 
hierbei die Hemmung eintritt. 

Die Vorbeuge muss so viel als möglich im Hüftgelenk aus¬ 
geführt werden, mit fest durchgedrückten Knieen, ebenso das Auf¬ 
richten aus derselben; während der Rückbeuge muss sich der Patient 
mit den Fussspitzen an der gepolsterten Fussleiste festhalten. Sämmt- 
liche Bewegungen müssen langsam und geräuschlos ausgeführt 
werden, so dass kein Aufschlagen der Stangen bei der Hemmung 
stattfindet. Beugt sich der Uebende aus der MittelsteUung, wobei 
angenommen wird, dass der Handgriff B (Fig. 2) und die Hüft- 


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Ein Ruderapparat ftLr Skoliotische. 


435 


gelenke A sich senkrecht über der Drehungsachse C der parallelen 
Stangen befinden sollen, nach vom, so beschreibt der mit den Händen 
festgehaltene Stab B den Kreisbogen BE mit dem Radius BC um C 
als Mittelpunkt, der Oberkörper mit den ausgestreckten Händen des 
liebenden dagegen würde den kleineren Kreisbogen BE' mit dem 
Radius B A um das Hüftgelenk A als Mittelpunkt beschreiben, wenn 
der liebende die horizontale Stange nicht festhielte. Es muss sich 


Fig. 2. 



daher bei der Vorbeuge der Körper des Hebenden um AE — AE' 
= EE' verlängern oder er wird, wenn er dieses nicht kann, von 
dem Sitzbrett etwas abgehoben. 

In Wirklichkeit würde die Differenz noch bedeutend grösser 
als EE sein, da die Bewegung des Körpers nicht allein im Hüft¬ 
gelenk stattfindet, sondern auch zwischen den Wirbelkörpern, wobei 
die Wirbelsäule sich zugleich verkürzt. Um daher ein stärkeres 
Abheben des Hebenden von seinem Sitz zu vermeiden und ihm auch 
den Beginn der Hebungen, der gewöhnlich aus der Vorbeuge statt¬ 
findet, zu erleichtern, lässt man ihn seinen Sitz so nehmen, dass das 
Hüftgelenk sich etwas vor der Achse C befindet (vergl. Fig. 1). 

Aus demselben Grunde, wie bei der Vorbeuge, findet auch bei 
der Rückbeuge eine Streckung des Körpers und zwar um AD — AD' 
= D D' statt, und wenn der Körper dieser Verlängerung nicht nach- 


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436 


F. Beely. 


geben kann, wird er von dem Fussbrett abgezogen. Mittelst der 
Fussspitzen muss der Uebende sich dann an der Fussleiste festhalten. 

Dadurch, dass der Uebende seinen Sitz etwas vor der Dreh¬ 
achse der beiden parallelen Stangen einnimmt, der Punkt A also 
links von der Linie BC liegt (Fig. 2), wird in Wirklichkeit die 
Verlängerung grösser werden als DD\ es hat dies aber nichts zu 
sagen, da der Körper bei der zurückgebeugten Stellung, die f^t 
zur horizontalen Lage wird, sich schon von selbst eher verlängert 
als verkürzt. 

Der Körper ist also am wenigsten gestreckt, nur gerade auf¬ 
gerichtet in der Mittelstellung, er wird gestreckt bei der Vorbeuge 
und Rückbeuge, Verbiegungen der Wirbelsäule werden also in beiden 
Stellungen entweder ganz oder theilweise ausgeglichen, soweit sie 
sich unterhalb des Schultergürtels befinden. 

Während der Patient sich aus der Mittelstellung in die Vor¬ 
beugestellung begibt, muss er dem Gewicht der eisernen Kugeln 
Widerstand leisten, und zwar um so mehr, je mehr er sich der 
Hemmung nähert, umgekehrt nimmt der zu überwindende Wider¬ 
stand ab, wenn er aus der extremsten Vorbeugestellung zur Mittel¬ 
stellung zurückkehrt. Dasselbe gilt für die Ausführung der Rückbeuge. 

Die Muskeln haben also ihre grösste Kraft zu entfalten, sie 
werden am intensivsten in Thätigkeit versetzt, wenn der Körper am 
stärksten gestreckt ist, sie sind ganz ausser Thätigkeit, sie ruhen 
aus, wenn der Körper durch die Mittelstellung hindurchgeht. 

Das Resultat ihrer Thätigkeit kann also nie eine Verkürzung 
der Wirbelsäule, eine Zunahme der Skoliose sein. 

Beim Uebergang aus der Mittelstellung in die Vorbeuge und 
zurück zur Mittelstellung werden diejenigen Muskeln in Anspruch 
genommen, deren Zugrichtung hinter den Querachsen sämmtlicher 
Gelenke liegt, sie wirken als Streckn^uskeln; beim Uebergang aus 
der Mittelstellung in die Rückbeuge und zurück zur Mittelstellung 
dagegen diejenigen Muskeln, deren Zugrichtung vor den frontalen 
Achsen der Gelenke liegt, sie wirken als Beugemuskeln. Eine Aus¬ 
nahme machen nur die Armmuskeln, soweit dieselben beim Fest¬ 
halten mittelst der Hände betheiligt sind. 

Hat der Patient die ganze Uebung ein Mal gemacht, so sind 
mit alleiniger Ausnahme der Gesichtsmuskeln fast sämmtliche Körper¬ 
muskeln in Thätigkeit getreten, denn auch die Halsmuskulatur wird, 
allerdings nur in geringem Grade, zur Fixirung des Kopfes beansprucht. 


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Ein Ruderapparat für Skoliotische. 


437 


Am Rumpf sind es bei dem Uebergang aus der Mittelstellung 
in die Vorbeuge und zurück die Rückenmuskeln, die sich besonders 
stark spannen, und diese Spannung erhöht die redressirende Wir¬ 
kung der mit der Vorbeuge verbundenen Streckung, da durch sie 
auf die stärker hervortretenden Theile des Rückens ein stärkerer 
Druck ausgeübt wird. Die corrigirende Wirkung auf die Wirbel¬ 
säule wird also bedeutender sein als bei einfacher Streckung der 
Wirbelsäule um ein gleich grosses Stück, beispielsweise bei Suspension. 

Beim Uebergang aus der Mittelstellung in die Rückbeuge und 
umgekehrt sind es wesentlich die Bauchmuskeln, in denen der Uebende 
zuerst die ihm ungewohnte Anstrengung verspürt. Da die Wirbel¬ 
säule dabei aber zugleich gestreckt wird, können sie — wie oben 
erwähnt — eine Zunahme der Skoliose nicht herbeiführen. Ihre 
Kräftigung wird aber zur besseren aufrechten Haltung des Hebenden 
wesentlich beitragen, da sie es sind, die beim Aufrichten, bei der 
willkürlichen Verlängerung des Körpers, eine nicht unwesentliche 
RoUe spielen. 

Dass man, wie bei allen Hebungen so auch hier, vorsichtig 
anfangen und langsam, den Kräften des Hebenden entsprechend, 
steigen muss, bedarf keiner besonderen Erwähnung. 

Da das Aufstellen und die Bedienung eines selbst so einfachen 
Apparates, wie der beschriebene, manchem Patienten besondere 
Schwierigkeit gemacht hat und nicht immer ohne wiederholte Anfrage 
geglückt ist, lasse ich hier noch eine genaue Anweisung zur Auf¬ 
stellung folgen. 

Wenn der Apparat zur Benutzung aufgestellt werden soll, steckt man 
zuerst die Stahlstange a (Fig. 8) in die am Kopfende des Apparate angebrachte 
Hülse h. Diese Stange verhindert das Kippen des Apparates bei der Ausfüh¬ 
rung der Rückbeuge. Sodann führt man die beiden durchlochten Stangen A 
(Fig. 4) so durch die Hülsen dass die letzteren die in Fig. 4 gezeichnete 
Stellung erhalten. Das Bewegungscentrum C muss unterhalb der Hülsen liegen, 
und diese mit ihrer oberen, den Namen F. Beely tragenden Seite von unten 
der Hemmungsstange D anliegen, wenn die durchlochten Stangen Ä die in 
Fig. 4 angegebene Stellung einnehmen und der Turnende sich nach vom beugt. 
Es müssen unterhalb der Hülsen, bei E, die zwischen den Nummern 10 und 11, 
oberhalb derselben, bei F, die zwischen den Nummern 20 und 21 liegenden 
Löcher zum Vorschein kommen. Durch die correspondirenden Löcher der Hülsen 
und Stangen werden Bolzen gesteckt. Es ist nothwendig, diese Bolzen festzu¬ 
binden, indem man eine Schnur durch den Ring des Bolzens zieht und sie um 
die Hülse und um das vorstehende Ende des Bolzens schlingt und festknüpft. 
Bei der in Fig. 4 angegebenen Stellung der Stangen ist es besser, die Bolzen 


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F. Beely. 


von unten nach oben durchzustecken, weil sonst die Ringe derselben unter Um¬ 
ständen durch die Hemmungsstange D verbogen werden können. 

Von den dem Apparate beigegebenen vier Kugeln bringt man auf jeder 
der beiden Stangen A (Fig. 4) je eine in Stellung G, die andere in Stellung G\ 
an, die ersteren zunächst oberhalb der zwischen den Nummern 1 und 2 die 
letzteren oberhalb der zwischen den Nummern 23 und 24 befindlichen Löcher. 
Die Kugeln müssen stets auf beiden Seiten gleich hoch stehen, sie werden durch 
Bolzen am Heruntersinken verhindert; die Reibung genügt, um diese Bolzen 
festzuhalten, man braucht sie also nicht anzubinden. 



Nunmehr schiebt man das Sitzbrett dd (Fig. 3) von unten nach oben in 
die am Kasten angebrachte Führung ein, bis es mit den kleinen Eisenstangen e 
an dem Lager der Drehungsachse C anstösst. Der Uebende nimmt so auf 
dem Sitzbrett Platz, dass ein vom Rücken herabhängendes Loth den oberen 
Rand des Sitzbrettes trefien würde. 

Das Fussbrett II (Fig. 4 und 5) wird in den der Grösse des Lebenden 
entsprechenden Einschnitt geschoben. Die Fussspitzen werden unter das Brett¬ 
chen J (Fig. 5) gesteckt, die Fusssohlen müssen, wie in Fig. 5 angegeben, dem 
Brett II anliegen, die Beine vollständig gestreckt, die Kniee durchgedrückt 
werden. 

Man lässt, wenn es nothwendig ist, den Lebenden auf dem Sitzbrett 
etwas herunterrücken, dagegen nicht höher hinauf als oben angegeben. 

Mit dem im Fussende des Kastens angeschraubten Riemen K (Fig. 4) 
befestigt man das Fussbrett, wie es in Fig. 4 angedeutet ist. 

Um die Höhe zu bestimmen, in welcher die horizontale hölzerne Stange 
für die Hände anzubringen ist, lässt man den Lebenden mit gerade aufgerich¬ 
tetem Oberkörper Platz nehmen, die Füsse unter die Fussleiste J (Fig. 5) 


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Ein Ruderapparat für Skoliotische. 


439 


stecken, die Arme senkrecht nach oben strecken (Fig. 1). Die hölzerne Stange 
(der Handgriff) wird dann an den beiden durchlochten Stangen so weit nach 
oben geschoben, dass der Uebende sie, ohne sich vom Sitze zu erheben, bei 

Fig. 4. 



völlig gestreckten Armen und Rücken noch erfassen kann, und in dieser Höhe 
befestigt. Die Befestigung geschieht in der in Fig. 6 angedeuteten Weise mit 
Hilfe von Bolzen, die aber durch eine Schnur, am besten durch eine elastische 
Schlinge, besonders festgehalten werden müssen. 


Fig. 5. Fig. 6. 



Jetzt lässt man den Uebenden sich aus der Mittelstellung, wie sie in 
Fig. 1 angegeben ist, nach vorn beugen. Die Beine bleiben dabei gestreckt, 
die Kniee durchgedrückt, mit den Füssen stemmt er sich gegen das Fussbrett H 
(Fig. 4 und 5); dann lässt man ihn die Bewegnng nach rückwärts ausführen, 
wobei er sich mit stark dorsalflectirten Füssen an dem Brettchen J (Fig. 5) 
festhält. Sind alle hierbei in Thätigkeit tretenden Muskeln hinreichend an- 


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F. Beelj. Ein Ruderapparat für Skoliotische. 


gespannt, so müssen sich die Stangen A fast unhörbar auf die Hemmung D 
(Fig. 4) auflegen. 

Man lässt diese Vor- und Rückbeuge wiederholen, so oft die Kräfte des 
liebenden es ohne Anstrengung gestatten, zunächst 10—15mal, dann steigt man 
allmählich bis zu etwa 30 Bewegungen, die aber von 1 oder 2 Ruhepausen, 
während deren der üebende sitzen bleibt, unterbrochen werden. Nehmen die 
Kräfte zu, so stellt man die Kugeln G (Fig. 4) auf beiden Seiten allmählich 
gleichmässig höher, bis man mit ihnen bei den Hülsen B (Fig. 4) angelangt 
ist, dann kann man sie entfernen, um nun mit den Kugeln Gj — ebenfalls 
auf beiden Seiten gleichmässig — hinaufzurücken. Der zu überwindende Wider¬ 
stand wird dadurch grösser. Ist man mit den Kugeln G beim Handgriff an¬ 
gekommen, so bringt man beiderseits eine zweite Kugel oberhalb des Hand¬ 
griffs an und rückt mit der ersteren in die Ausgangsstellung oberhalb der 
Hülse B zurück, um von hier aus wieder zu steigen. Schliesslich können je 
zwei Kugeln oberhalb des Handgriffs auf die Stangen A gesteckt werden. 

(Der Apparat kann bezogen werden durch A. Buczilowsky — 
W. Berlin, Köthenerstrasse 17 — zum Preise von 150 Mark.) 


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XXV. 


Aus der Königl. Universitätspoliklinik für ortho¬ 
pädische Ghirnrgie zu Berlin. 

lieber congenitale Fingeranomalien. 

Von 

Dr. G. Joachimstlial, 

Assistenzarzt der Poliklinik. 

Mit 4 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Unter den angeborenen Bildungsfeblern der Hand gehören die 
seitlichen Deviationen der Fingerphalangen, wie ich dies im ver¬ 
flossenen Jahre im Anschluss an zwei Beobachtungen von beider¬ 
seitigen Abweichungen der Daumenendglieder nach der ulnaren Seite 
nachgewiesen habe ^), zu den sehr seltenen Vorkommnissen. Es dürfte 
daher nicht ohne Werth sein, weitere Fälle dieser Verbildung, und 
zwar zunächst eine Beobachtung mitzutheilen, die gewissermassen 
das Gegenstück meiner früheren Fälle darstellt, indem beiderseits die 
Daumenendglieder eine Abweichung nach der radialen Seite aufweisen. 

In der Familie des 8jährigen Trägers der Deformität sind nie¬ 
mals Missbildungen zur Beobachtung gelangt. Sofort nach der Ge¬ 
burt des Knaben, der als zweiter Zwilling zur Welt kam, während 
der erste, im übrigen wohlgebildete Sprössling intra partum abstarb, 
entdeckte man an dem volaren und radialen Antheil des distalen 
Abschnitts der ersten Daumenphalanx kleine Hautanhänge nach Art 


') 6. Joachi.msthal, lieber angeborene seitliche Deviationen der 
Fingerphalangen. Verhandlungen der Berliner raedicinischen Gesellschaft 1892, 
I S. 268; Zeitschrift für orthopädische Chirurgie Bd. 2 Heft 3 S. 265; Annales 
d’orthopedie 1893, Nr. 3 S. 96. 


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442 


G. Joachimsthal. 


rudimentärer Finger, deren Befestigung an der Hand eine so lockere 
war, dass sie sofort mit geringer Mühe durch einen Scheerenschnitt 
des Arztes entfernt werden konnten. Als Ueberbleibsel dieser Bil¬ 
dungen erkennt man an beiden Händen noch an der bezeichneten 
Stelle des ersten Daumengliedes kleine Hervorragungen. Beider¬ 
seits weicht nun bei dem Knaben, der frei von sonstigen Defor¬ 
mitäten ist, die zweite Phalanx von der geraden Richtung 
zur ersten ab, derart, dass sie mit der Grundphalanx 


Fig. 1. 



an dem Radialrande der Hand einen Winkel links von 
160® (s. Fig. 1), rechts einen solchen von 165® bildet. Die 
active Beweglichkeit der Interphalangealgelenke ist normal, passiv 
lässt sich das Gelenk beiderseits bis zu einem Winkel von ca. 20^ 
überstrecken. An dem Capitulum der ersten Phalanx ist an der 
ulnaren Seite eine stärkere Prominenz zu constatiren. 

Durch die in diesem Fall constatirte Combination der radialen 
Deviation der Daumenendphalangen mit einer durch frühzeitige Ope¬ 
ration beseitigten Polydactjlie, bei der die überzähligen Finger je¬ 
doch nur in ganz rudimentärer Form entwickelt waren und blosse 
Hautanhänge darsteilten, gewinnt die in Rede stehende Verbildung 
den Charakter einer Theilerscheinung anderweitiger Anomalien der 
Hand. Sie bildet so gewissermassen den üebergang von den für 
sich bestehenden reinen seitlichen Deviationen der dabei beweglichen 


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lieber congeoitale FiDgeranomalien. 


443 


Phalangen, wie sie meine beiden früheren Beobachtungen und die 
im Anschluss an dieselben aus der Literatur citirten Fälle charakteri- 
siren, zu solchen, in denen bei ausgesprochenen anderweitigen Form¬ 
fehlern der Hand, so bei ausgebildeter Polydactylie, bei Ectrodactylie 
und bei congenitalen Hypertrophien der Finger neben dem eigent¬ 
lichen Bildungsfehler noch Verschiebungen ganzer Finger oder ein¬ 
zelner Theile derselben zum Theil als Ausdruck der Anpassungs¬ 
bestrebungen der Natur an die veränderten Lageverhältnisse ein¬ 
getreten sind. Fälle dieser Art sind u. a. von Curling^), Gruber*), 
Annandale^), neuerdings von Renard^) beschrieben worden. Auch 
für diese Gruppe bin ich in der Lage, durch die folgende Mitthei¬ 
lung ein auch in sonstiger Beziehung höchst interessantes Beispiel 
zu geben. Die ulnare Deviation der zweiten Daumenphalanx war 
hier combinirt mit einer Ectro- und Brachydactylie. Sie trug wesent¬ 
lich dazu bei, trotz der Abnormität der Bildung die Function der 
Hand noch zu einer leidlichen zu gestalten. 

Die 7 Jahre alte, geistig gut entwickelte Patientin stammt aus 
gesunder Familie. Ihre inneren Organe sind gesund. Der übrige 
Körper ist wohlgebildet, nur die linke und rechte Hand, sowie der 
linke Fuss zeigen eigenartige Missbildungen. Der linke Fuss, der 
mit einer zwei- und drei dreigliedrigen Zehen ausgestattet ist, steht in 
extremster Valgussteilung derart, dass die Achse des Fusses, statt 
in die Verlängerung der ünterschenkelachse zu fallen, mit dieser 
im rechten Winkel zusammenstösst, und die kleine Patientin, deren 
linkes Bein noch ausserdem 8 cm kürzer als das gesunde ist, direct 
auf dem Malleolus internus auftritt. An der rechten Hand finden 
sich drei dreigliedrige Finger, die noch dazu durch Syndactylie mit 
einander verschmolzen sind. Besonderes Interesse beansprucht die 
Configuration der linken Hand. An die kurze Handwurzel, die hier 
auf die normalen Vorderarmknochen folgt, schliessen sich zwei Meta¬ 
carpalknochen, die ihrerseits wieder mit zwei zweigliedrigen Fingern 
articuliren. Die beiden Ossa metacarpi sind je 3 cm lang und der- 


*) Med. chir. Transact. 1845, vol. XXVIII p. 357. 

*) Grub er, Zur Duplicität des Daumens. Oesterreich. Zeitschr. für 
praktische Heilkunde 1865, Nr. 37. 

Annandale, The inalformations diseases and injuries of the fingers 
and toes. Edinburgh 1865, S. 5 ff. 

*) M. F. Renard, Note sur deux cas de polydactylie. Annales d’ortho- 
pedie 1892, Nr. 18. 


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444 


G. Joachimsthal. 


artig mit der Handwurzel gelenkig verbunden, dass sie ausser Flexions¬ 
und Extensions- noch Ab- und Adductionsbewegungen gegen ein¬ 
ander auszuführen im Stande sind. Beide Mittelhandknochen verbindet 
eine schwimmhautartige Commissur, welche bei der Abduction, die 
bis zu einem Winkel von ca. 40® ausführbar ist, sich anspannt. 
(Fig. 2 zeigt die Hand in extremster Abductionsstellung.) lieber 
das Maass der durch die Abduction herbeigeführten Spannung kann 
die Hautfalte noch durch eine Hyperextensionsbewegung, die im 
oberen Gelenk zwischen Handwurzel und Metacarpus ulnaris zu 
Stande kommt, gedehnt werden. Der Eintritt in diese Hyper¬ 



extensionsstellung, möglich wohl nur durch einen Subluxationsvor¬ 
gang in dem betreffenden Gelenk, erfolgt ebenso wie die Rück¬ 
kehr in die normale Position mit einem fühlbaren Schnappen. An 
die beiden Metacarpi schliessen sich die beiden Finger, deren radial- 
wärts gelegenen wir als den Daumen beanspruchen müssen. Er besitzt 
zwei 1^2 cm lange Glieder, deren vorderes mit einem sehr breiten 
Nagel ausgestattet ist. Die zweite Phalanx weicht hier wiederum 
von der geraden Richtung zur ersten ulnarwärts ab, und 
zwar in einem Winkel, der, an dem Ulnarrande des Dau¬ 
mens gemessen, etwa 130® beträgt. Auch hier prominirt in 
der Flexionsstellung der radiale Antheil des Capitulum der ersten 
Phalanx über den ulnaren. Der dem zweiten Metacarpus sich an¬ 
schliessende Finger zeigt zwei in der Grösse beträchtlich verschie¬ 
dene Glieder; das erste ist 3 cm lang und macht den Eindruck, als 
ob es aus der Verschmelzung von zwei Phalangen entstanden wäre, 
das zweite ist 1 ^2 cm lang und trägt einen normalen Nagel. Es 


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lieber congenitale Fingeranomalien. 


445 


steht gewöhnlich in leichter Flexion zum ersten, kann jedoch ebenso 
wie dieses selbst activ und passiv in den normalen Excursionen be¬ 
wegt werden. 

Obwohl die Möglichkeit einer Opposition beider Glieder mangelt, 
vermag die kleine Patientin dennoch mit grossem Geschick ihre Hand 
sowohl zum Schreiben als zum Nähen, Sticken und ande¬ 
ren Verrichtungen zu benutzen, wobei die ulnare Abweichung 
der Daumenphalanx das Erfassen und Festhalten der Gegenstände 
wesentlich erleichtert (s. Fig. 3). 

Die hier mitgetheilte Beobachtung steht am nächsten derjenigen 


Fig. 3. 



Form der Ectrodactylie, die zu der Bezeichnung „Pince de homard“ 
Anlass gegeben hat, da bei ihr die aus Daumen und Kleinfinger 
bestehende Hand in ihrer zangenartigen Gestaltung einer Krebs- 
scheere gleicht. Meist wie in dem von Annandale beschriebenen 
und abgebildeten Falle, der als Paradigma dieser Form der Hand¬ 
verbildung in eine Anzahl anderer Werke übergegangen ist, sind 
die Metacarpalknochen noch theilweise erhalten und dabei vielfach 
den Bewegungen der Finger hinderlich. Dem gänzlichen Fehlen 
dieser Knochen, sowie der relativ grossen Beweglichkeit der beiden 
vorhandenen Ossa metacarpi, endlich auch der ulnaren Abweichung 
des Daumenendgliedes hat unsere Patientin es zu danken, dass ihre 
verbildete Hand in höherem Grade als eine Pince de homard zur 
Ausführung menschlicher Verrichtungen brauchbar geworden ist. Be¬ 
merkenswerth ist weiterhin an der Hand unserer kleinen Patientin 
das Fehlen eines Gliedes an dem ulnaren Finger, zumal sich Fälle 
von congenitaler Brachydactylie nur in wenigen Beispielen in der 

*) Annandale, 1. c. p. 12. 


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446 


G. Joachimsthal. 


Literatur auffinden lassen. Kellie^) berichtet von einer Familie, 
in der seit 10 Generationen nur der Daumen vollständig gebildet 
war, während an den übrigen Fingern entweder zwei oder wenig¬ 
stens eine Phalange fehlten. Eigenthümlich war dabei, dass sich 
diese Missbildung nur bei den weiblichen Gliedern der Familie fort- 
pfianzt. Fort*) stellt 6 Fälle von Brachydactylie zusammen. Andere 


Fig. 4. 



Beobachtungen liegen den Mittheilungen vonGruber*), Fränkel*) 
und SchwegeP) zu Grunde. 

*) Vergl. V. Ammon, Die angeborenen chirurgischen Krankheiten des 
Menschen. Berlin 1842, S. 96. 

*) J. A. Fort, Des difformites congenitales et acquises des doigts et 
des moyens d’y remedier These. Paris 1869, S. 58. 

’) W. Grub er, Beobachtung des Defects der Mittelphalangen an allen 
Fingern und Zehen am Lebenden beobachtet. Oesterreich. Zeitschrift für prak¬ 
tische Heilkunde 1865, Nr. 43. 

Frankel, Fhn Fall von erblicher Deformität. Berl. klin. Wochenschr. 
1870, Nr. 35. 

Schwegel, Die Entwickelungsgeschichte der Knochen des Stammes 
und der Extremitäten. Sitzungsber. der Kaiserl. Akademie der Wissenschaften. 
Wien 1858, S. 31. 


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Ueber congenitale Fingeranomalien. 


447 


Der Fall bietet ausserdem einen interessanten Beitrag zur Frage 
der Linkshändigkeit; denn bei der ganz mangelhaftigen Ausbildung 
der rechten Hand ist die linke trotz der eigenen unvollständigen 
Gonformation in vermehrte Thätigkeit getreten und bat es zu einer 
für ihren Bau höchst wunderbaren Leistungsfähigkeit gebracht. Ent¬ 
gegen den mannigfachen zur Erklärung der Linkshändigkeit einzelner 
Menschen aufgestellten Theorien zeigt diese Erscheinung wiederum, 
dass einzig und allein vermehrte Thätigkeit und stärkere Uebung 
das für die stärkere Kraft und Fähigkeit bestimmende Moment 
sein kann. 

Endlich berichte ich noch kurz über einen dritten Fall von 
angeborener Daumenverbildung bei einem 13jährigen Knaben, der 
wegen einer linksseitigen Coxitis in unsere Behandlung eintrat. Es 
bestand hier eine Verdoppelung der ersten linken Daumenphalanz. 
Beide Knochen, die mit gesonderten Gelenkflächen der ersten Phalanx 
articulirten, waren durch eine nach vorne zu breiter werdende Haut¬ 
falte verbunden. Das Doppelglied, dessen beide Phalangen in einem 
Winkel von ca. 45 ® divergirend und passiv gegen einander bewegt 
werden konnten, trug zwei wohlausgebildete Nägel (s. Fig. 4). Nach 
Ausführung der Exarticulation der radialwärts gelegenen Phalange 
durch Herrn Professor Wolff resultirte hier wiederum ein Zustand 
von seitlicher Deviation des restirenden Antheils nach der 
ulnaren Seite in einem Winkel von ca. 140®, der jedoch der Func¬ 
tion des Gliedes in keiner Weise hinderlich war. 


*) Vergl. L. W. Liersch, Die linke Hand. Berlin 1893, S. 12. 


Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. II. Band. 


30 


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Referate 


Mit 2 in den Text gedruckten Abbildungen. 

E. Stuckert, üeber angeborene spastische Gliederstarre und spastische Con- 
tracturen. Inaugural-Diss. Berlin 1892. 

Stuckert berichtet über 7 Fälle angeborener spastischer Contracturen, 
die er sämmtlich unter die spastische Gliederstarre subsumirt mit eingehea* 
dem Studium der vorliegenden Litteratur. Ob Stuckert’s Fälle, vor allem 
der zur Section gekommene Fall I, sämmtlich als angeborene spastische Glieder¬ 
starre aufzufassen sind, dürfte anzuzweifeln sein. Referent möchte Fall I 
und II Stuckert’s eher als angeborene Himlähmung betrachten. Damit wäre 
auch der mit den bisherigen Anschauungen der pathologischen Anatomie der 
angeborenen Gliederstarre nicht recht übereinstimmende Sectionsbefund leichter 
erklärt als mit der aus diesem einen Fall heraus begründeten Ansicht, dass 
die angeborene Gliederstarre keine primär spinale, sondern cerebrale Erkran¬ 
kung sei. Rosenfeld-Nümberg. 

Th. Gelpke, Wie soll unsere Schuljugend schreiben? schräg oder steil? Ein 
Beitrag zur Steilschrifbfrage. Karlsruhe 1892. 

Der um die Steilschriftfrage verdiente Verfasser wendet sich scharf gegen 
die Berlin-Rembold’schen Einwürfe und tritt mit Schubert mit grösster 
Entschiedenheit für die gerade Medianlage ein. Er weist darauf hin, da® 
diese allein die Controlle der stets richtigen Heftlage nicht nur für die Schule, 
sondern — was weit wichtiger ist — auch für das Haus gibt. Da nun bei 
gerader Mittellage nach den Untersuchungen Sch über t’s nur steil geschrieben 
werden kann, so erhellt die NothWendigkeit der Steilschrift von selbst. Und 
umgekehrt erzwingen wir mit der Steilschrift die gerade Mittellage des Heftes 
und damit gleichzeitig die bestmögliche hygienische Haltung des Körpers. 
Sodann legt Gelpke auch warme Worte ein für die Abschaffung der Current- 
schrift und Durchführung der Lateinschrift. 

Das anziehend geschriebene Werkchen verdient allgemein gelesen zu 
werden. Rosenfeld-Nümberg. 

H. Tausch, Ueber Belastungsdeformitäten und ihre Behandlung. Münch, 
medic. Wochenschr. 1893, Nr. 5. 

Tausch weist darauf hin, dass die verdienstvollen Arbeiten von Ju¬ 
lius Wolff und vor allem das von Wolff entwickelte Gesetz der Trans- 


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Referate. 


449 


formation der Knochen in ihrer Wichtigkeit für die Pathologie und Therapie 
der Belastungsdeformitäten, zu denen Tausch Scoliose, Gtenu valgum und 
varum. Klump- und Plattfuss rechnet, gegenüber den noch immer viel ver- 
theidigten V olkmann-Hüter’schen Theorien nicht die verdiente allgemeine 
Anerkennung gefunden haben. Die für die Therapie von Wolff aus den 
theoretischen Erwägungen gefolgerten praktischen Maassnahmen, vor allem den 
Wolff'sehen Etappenverband in der Behandlung des Genu varum und valgum. 


Fig. 1. 



kann Tausch voll und ganz aus seinen eigenen Erfahrungen heraus‘begut¬ 
achten. Der Etappenverband bei den Kniedeformitäten hat Tausch bei seinen 
sämmtlichen Patienten in wenigen Wochen vollkommene Heilung ohne einen 
Rückfall erzielen lassen. Allerdings war keiner der Patienten über 8 Jahre 
alt. Als Material nimmt Tausch durch Pappeinlagen verstärkte Wasserglas¬ 
binden. Er legt den ersten Verband ohne Correction an und macht dann nach 
der Erhärtung jeden dritten Tag die betreffenden Keilausschnitte. Zum Zweck 
der Erhaltung der durch den Keilausschnitt neu gewonnenen Correction ver¬ 
wendet Tausch bis zur Erhärtung der neu angelegten Binden eine im um¬ 
gekehrten Sinne des Osteoklasten wirkende, mit breiten Pelotten aufliegende 
Schiene, welche die Kniegelenke mittelst Lederriemen stramm anzieht. Damit 
die Verbandhülsen nicht hinunterrutschen und am Fussrücken einen Druck 


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450 


Referate. 


ausüben, legt Tausch als unterste Schichte des ganzen Etappenverbandes 
2 seitliche Heftpflasterstreifen, die später oben und unten noch eingeschlagen 
werden. 

Auch für den Elumpfnss bestätigt Tausch die Vorzüge des Etappen¬ 
verbandes. Er legt denselben erst an, wenn vorher eine ausgiebige Correction 
der Deformität (entweder nach König über ein Holzstück oder mittelst des 
Bradford’schen Hebels) erzielt worden ist. Von der Phelps'chen Operation 
ist Tausch wieder abgekommen. Den ersten Gipsverband ersetzt Verfasser 
nach 8 Tagen durch einen Wasserglasverband; dann folgen von 3 zu 3 Tagen 
die Keilausschnitte. Die letzte Phase des Verbandes wird 2—3 Monate unter 
einem Schnürstiefel getragen. 

Was endlich die Scoliose anlangt, so glaubt Tausch, dass das Trans¬ 
formationsgesetz für das Verständniss der Verhältnisse der sich entwickelnden 
Scoliose Nutzen gebracht hat, dass die Abschrägung der Wirbelkörper erfolgt 
als Anpassung an die veränderte statische Inanspruchnahme. 

Die allseitig anerkannte laterale Deviation ist nach der Ansicht Tausch's 
merkwürdig wenig für Prophylaxe und Therapie beachtet worden. Es existiren 
allerdings eine Unmenge von Modellen zu Schulbänken, welche die Möglich¬ 
keit gewähren, richtig zu sitzen, allein kein einziges, welches hiezu zwingt. 
An der Hand vieler Versuche hat nun Tausch einen Schreibstuhl construirt, der 
die Haltung des Kindes sicher zu beeinflussen im Stande ist. 

Der Stuhl ist an seinen Vorderfüssen mit je 2 Hülsen versehen, in welche 
sich zwei in der Höhe der Sitzfläche rechtwinkelig abgebogene Eisenrohre ein- 
schieben lassen. Diese Rohre besitzen verschieb- und feststellbare Hülsen mit 
Oesen, in welche die Pultplatte eingehängt wird. Tischplatte und Verstellbar¬ 
keit sind von dem Schenk’schen Pult acceptirt. Die Correction der Sitz¬ 
haltung erfolgt mittelst elastischem spiralen Bindenzügel nach Lorenz, genau, 
wie es Lorenz für die Technik des Detorsionscorsettes in Nr. 1 dieser Zeit¬ 
schrift angegeben. 

Tausch hat namentlich bei beginnenden Scoliosen durch diesen Stuhl 
bei eingehender allgemeiner Gymnastik und Massage Gutes erzielt. Bei Sco¬ 
liosen höheren Grades schickt er die Mobilisirung der Wirbelsäule voraus. 
Von Corsetten ist Tausch etwas abgekommen, am meisten ist er noch mit 
der Wirkung der Detorsionscorsetten und den Lorenz'sehen Seitenzugcorsetten 
zufrieden gewesen. Rosenfeld-Nürnberg. 

E. Lövinson, Die Frühdiagnose der habituellen Scoliose. AerztL Rundschau 

1893, Nr. 9. 

Die für den praktischen Arzt geschriebenen Ausführungen heben die 
NothWendigkeit exacter Untersuchungen hervor, die Bedeutung der frühzeitigen 
Diagnose für die Prognose und bringen die wesentlichen Gesichtspunkte bei 
der Untersuchung, ohne wesentlich Neues hinzuzufügen. 

Rosenfeld - Nürnberg. 

Schukelt (Schmiedeberg), Ueber die Behandlung der Kniegelenkscontracturen 

mittelst Gewichtszug. Aerztl. Praktiker. 1892, Nr. 50. 

Für veraltete Kniegelenkscontracturen, in welchen längere Zeit fort¬ 
gesetzte Anwendung bekannter Kniestreckmaschinen, sowie Streckungsversudie 


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Referate. 


451 


in der Narcose nicht zum Ziele führten, hat Verfasser einen Apparat construirt, 
der den permanenten Gewichtszug nach Schede in bequemer Form dar¬ 
stellt und von Windler in Berlin zu beziehen ist. Als Vorzug rühmt Ver¬ 
fasser das Freibleiben der Extremität für andere therapeutische Maassnahmeu. 

R 0 s e n f e 1 d - Nürnberg. 

E. O. Samt er, Ueber die Bedeutung der osteoplastischen Resection des Fusses 
nach Wladimirow-Mikulicz als orthopädischer Operation. 

Die bis vor Kurzem meist als möglichst conservirender Eingriff vorge¬ 
nommene osteoplastische Resection des Fusses nach Wladimirow-Mikulicz 
ist neuerdings von Mikulicz und Samt er als orthopädische Operation aus¬ 
geführt worden in je einem Fall — Fälle, in welchen neben Deformitäten 
des Fusses Verkürzung der Extremität bestand. Es kam demnach nicht bloss 
darauf an, eine brauchbare Gehfläche zu schaffen, sondern auch das Bein mög¬ 
lichst zu verlängern. Zur Zeit der Operation waren die Bruns’schen Fälle 
noch nicht bekannt. 

Der erste Fall betraf eine 16jährige Patientin mit Pes calcaneus nach 
einer Fussgelenksentzündung, nachdem eine Osteotomie in der Höhe des Sprung¬ 
gelenkes nicht zum Ziel geführt hatte. Es wurde ein Horizontal schnitt um die 
halbe hintere Circumferenz des Unterschenkels dicht über den Malleolen ge¬ 
führt, von den Endpunkten ein Steigbügelschnitt quer durch die Ferse — beide 
Schnitte bis auf den Knochen. Dann wurde Calcaneus und Talus in der Rich¬ 
tung des Steigbügelschnittes durchgesägt, ebenso die Malleolen entsprechend 
dem Horizontalschnitt. Nach Durchtrennung der unnachgiebigen Dorsalsehnen 
lassen sich die Sägeflächen in typischer Weise adaptiren. Knochennaht mit 
Silberdraht. Es erfolgte, wenn auch langsam, eine vollkommene Consolidation; 
die durch die Operation geschaffene Verlängerung des Beines betrug 7 cm. 
Patientin konnte schon 5 Monate nach der Operation mittelst ihres Schuhes das 
Bein gut belasten und ohne Stock gehen. 

Der 2. (von Samt er) operirte Fall betraf einen 22jährigen Mann mit 
Pes varus paralyticus. Es war der Operation 14 Tage vorher wegen Schlotter¬ 
gelenkes das Kniegelenk resecirt worden. Die Operation selbst unterschied 
sich von dem ersten Fall nur durch die vollständige Exstirpation des im Sinne 
der Klumpfussstellung dislocirten Talus. Die erreichte Verlängerung betrug 
11 cm; die Function war V/a Jahre nach der Operation eine sehr zufrieden¬ 
stellende. Rosenfeld - Nürnberg. 

R. H. Sayre, The Treatment of neglected cases of Rotatory lateral Curvature 
of the Spine. 18. März 1893. New York med. Journal. 

Lebhafte Empfehlung des Gypscorsetts. Hoffa-Würzburg. 

Dr. Albert Hoffa, Die ambulante Behandlung der tuberculösen Hüftgelenks¬ 
entzündung mittelst portativer Apparate. (Kiel und Leipzig. Lipsius 
und Tischer 1893.) 

H 0 f f a ’s neueste Arbeit, die wiederum ein Zeugniss von dem immensen 
Fleiss des Verfassers abgibt, beschäftigt sich mit dem dankbaren Thema der 


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452 


Referate. 


mechanischen ambulanten Behandlung der Coxitis. — Nach der , Sturm- und 
Drangperiode*, in der alle Coxitisfllle resecirt wurden, „in ein ruhigeres Fahr¬ 
wasser eingelenkt*, steht jetzt die Chirurgie gegenüber den Gelenktoberculosen 
überhaupt auf einem möglichst conservativen Standpunkt. Liefert schon die 
Behandlung mit Jodoforminjectionen bei ausgeprägter Erkrankung überraschende 
Resultate, so erhofft Verfasser noch bessere Erfolge von der auf alle begin¬ 
nenden Gelenktuberculosen ausgedehnten localen Therapie durch Combina- 
tion von Injectionen mit der mechanischen Behandlung. — Da vollständige 
Ruhe des Gelenkes, das Femhalten jedes Reizes ihm eine unerlässliche Forde¬ 
rung erscheint, so handelt es sich darum, die Gelenke zu immobilisiren 
und zu entlasten, in weiterer Feme auch permanent zu extendiren. 

Allerdings wird durch die Extension direct keine Distraction der Gelenk¬ 
enden erzeugt, aber dieselbe wirkt an und für sich schon als gute Fixation, 
wenn sie in richtiger Weise angewendet wird, und worauf Hoffa das Haupt¬ 
gewicht legt, antispasmodisch durch specifische Beeinflussung der reflectori- 
schen Muskelspasmen, welche eine gegenseitige Pressung der Gelenkflächen be¬ 
dingen. Ferner ist auch die orthopädische Heilwirkung der Extensionsbehand¬ 
lung nicht zu unterschätzen. Diese Momente bestimmen Hoffa, auf der 
Anwendung der Extension neben Immobilisation und Fixation des Gelenkes zu 
bestehen. 

Selbstverständlich sollen diese therapeutischen Maassregeln in ambu¬ 
lanter Weise vorgenommen werden, um den Patienten Aufenthalt und Be¬ 
wegung in frischer Luft zu ermöglichen, da ja die allgemeine hygienische Be¬ 
handlung ebenso wichtig ist als die locale des erkrankten Gelenkes. Daher 
liegt der Schwerpunkt einer rationellen Therapie der Coxitis in der Anwendung 
richtig wirkender portativer Apparate. 

In eingehenderer Weise, als es Lorenz in seiner jüngsten Arbeit gethan, 
bespricht Hoffa die Bestrebungen und Erfolge der einzelnen bisher ange¬ 
wendeten ambulanten Behandlungsmethoden, die er nach Ländern geordnet 
hat, um auf diese Weise zugleich ein anschauliches Bild von dem jeweiligen 
Stande der Coxitistherapie in den verschiedenen Ländern zu entwickeln. — 
Ein längerer Aufenthalt in Amerika, der „Wiege“ der ambulanten Coxitis- 
behandlung, gab Hoffa Gelegenheit, neben der Anwendungsweise verschiedener 
Apparate auch zugleich ihre Heilerfolge zu controlliren. Hierbei gefiel ihm 
neben vorzüglichen Resultaten der Behandlung mit der Phelps’schen Schiene, 
die leider etwas complicirt, schwer und theuer, die einfachere und billige 
Schiene von Thomas in der Lovett'sehen Abänderung, da sie neben einer 
exacten Fixation und Entlastung auch richtige Extension ermöglicht und zu¬ 
gleich Adductions- und Flexionsstellung zu reguliren vermag. Hoffa hat diese 
Thomas-Lovett’sche Schiene noch vielfach verbessert, wofür er genaue 
Beschreibung und Abbildungen liefert, so dass er sie jetzt auf das wärmste 
empfehlen kann. Sie ist zugleich auch für den Patienten ungemein bequemer 
als die allerdings noch einfachere Methode von Lorenz. Als das Allervoll¬ 
kommenste jedoch gelten Hoffa die Schienenliülsenapparate nach Hessing. 
Im Gegensatz zu B i 11 r o t h, der sich unlängst absprechend über sie geäussert 
hatte, hebt Hoffa die grosse Leistungsfähigkeit dieser Apparate hervor, welche, 
wie überall, so auch für die ambulante Coxitisbehandlung allen Ansprüchen 


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Referate. 


453 


vollauf gerecht zu werden vermögen. Mit der grösstmöglichen Bequemlichkeit 
verbinden sie die absolute Sicherheit der Fixation, genügende Entlastung und 
Extenaion, ohne die Beweglichkeit eines anderen als des Hüftgelenkes zu be¬ 
schränken. Wo nicht Bedenken wegen des immerhin hohen Eostenpreises die 
Anschaffung ausschliessen, räth Hoffa unbedingt dazu und kommt, um die 
weitere Verbreitung zu ermöglichen, auch hier wieder zu der Forderung, dass 
neben orthopädischen Polikliniken mechanische Werkstätten, wie eine an seiner 
Klinik besteht, zu errichten seien, wo derartige vollkommene Apparate herzu¬ 
stellen gelehrt wird. 

Nachdem Verfasser noch die vorzügliche (von Referent bereits bespro¬ 
chene) Arbeit von Lorenz ausführlich kritisirt und den Nachweis gebracht hat, 
um wie viel sicherer und besser die Resultate der jetzigen Coxitisbehandlung 
gegenüber den früheren Erfolgen sind, stellt er die berechtigte Forderung auf, 
dass es die Pflicht eines jeden Arztes ist, seinen Coxitis-Patienten die Wohl- 
thaten dieser rationellen ambulanten Behandlung zukommen zu lassen. Ver« 
fasser gibt hierfür am Schlüsse seiner Arbeit noch für die einzelnen Stadien 
und Complicationen der Coxitis eingehende und schätzenswerthe Voi-schriften 
in gewohnter klarer und übersichtlicher Weise an. T a u s c h - München. 

J. Meller, Ein Fall von angeborener Spaltbildung der Hände und Füsse. 

Berliner klin. Wochenschr. 1893, Nr. 10 S. 232. 

Meller beobachtete bei einem 23jährigen Taubstummen eine mit Syn- 
dactylie und Ectrodactylie combinirte Spaltbildung an beiden Händen und 
Füssen. Beiderseits fehlt an der Hand der Mittelfinger und der demselben ent¬ 
sprechende Mittelhandknochen; an beiden Füssen fehlen die drei mittleren 
Zehen und die drei entsprechenden Mittelfussknochen. Da eine häutige Ueber- 
brückung zwischen 2. und 4. Mittelhandknochen, resp. 1. und 5. Mittelfass¬ 
knochen nicht vorhanden ist, entsteht ein Spaltraum, der an den Händen durch 
die Mittelhand hindurch bis zur Handwurzel, an den Füssen durch den Mittel- 
fuss hindurch bis zur Fusswurzel reicht. Die die Spalte begrenzenden Meta- 
carpal- resp. Metatarsalknochen stehen an ihrer Basis spitzwinklig zu einander; 
Patient ist im Stande, an der Hand durch Abduction und Adduction beider 
Theile die Spalte willkürlich zu vergrössem und zu verkleinern; am Fuss sind 
die Metatarsalknochen spitzwinklig mit einander verwachsen und deshalb un¬ 
beweglich. Die Endglieder der kleinen Zehen sind hakenförmig nach innen 
verbogen. An der linken Hand ist ausserdem der Daumen im Verlaufe der 
gleichen Phalanx mit dem Zeigefinger und an der rechten Hand der kleine 
Finger theilweise mit dem Ringfinger verwachsen. Die Beweglichkeit der Finger 
und Hände, der Zehen und des Fusses ist völlig normal. Patient kann schreiben, 
stricken, nähen, auch zeigt sein Gang trotz der Deformität der Füsse kaum 
etwas Auffälliges. G. Joachimsthal-Berlin. 

Melde, Anatomische Untersuchung eines Kindes mit beiderseitigem Defect der 

Tibia und Polydactylie an Händen und Füssen. Inaugural-Dissertation. 

Marburg 1892. 

Melde bringt die ausführliche Beschreibung eines Kindes mit Abnormi¬ 
täten an allen vier Extremitäten; da das Kind bald starb, hatte er Gelegenheit, 
eine genaue anatomische Untersuchung vorzunehmen. 


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454 


Referate. 


An den Unterschenkeln fäUt besonders anf, dass nnr ein Knochen, and 
zwar die Fibula, vorhanden ist. Oben articulirt sie mit dem Condylos extemns, 
unten mit dem Talus. Der innere Knöchel fehlt demgemäss. An fänf aas- 
gebildeten und einem rudimentären Metatarsus sitzen rechts 7 Zehen, 1 und 3 
etwas kürzer als die übrigen. 3 am rudimentären Metatarsus und 1 erweisen 
sich bei näherer Betrachtung als die überzähligen. Zwischen ihnen liegt also 
die der grossen Zehe entsprechende. Alle Zehen ausser 1 haben 3 Phalangen. 
Links sind 7 Metatarsi vorhanden^ 1 und 3 schwächer. Daran schliessen sich 
7 Zehen, ebenfalls 1 und 3 kleiner und nur aus 2 Phalangen bestehend, wäh¬ 
rend die anderen wieder aus je 3 bestehen. Durch Betrachtung der Muskel¬ 
ansätze ergibt sich, dass auf beiden Seiten eine mehr und weniger vollständige 
Dreitheilung des Hallux vorliegt. Bei der Präparation der Muskeln und Nerven 
ergaben sich auch allerlei Abweichungen. 

Die Arme zeigen zunächst am Humerus einen Emochenvorsprung zwi¬ 
schen den beiden Condylen auf der Volarseite^ welcher die Beugung des Vorder¬ 
arms bei etwa iVs R- hemmt. Weiter sind die Daumen ebenfalls getheilt, 
jedoch so, dass die getrennten Knochen, doppelte Metacarpi und wieder je 
3 Phalangen durch eine Art Schwimmhaut zusammengehalten sind. Die Muskel- 
anordnung weist, wie an den Unterschenkeln, Unregelmässigkeiten auf. 

In der Literatur konnte Melde 13 Fälle von Tibiadefect auffinden, und 
zwar 8 partielle, darunter 6 mit der Anlage an normaler Stelle und 2 mit ver¬ 
lagerter Tibia nach der Aussenseite, totale 5. 

Die Aetiologie ist ganz unklar. Hier und da gefundene Einschnürungen 
durch das Amnion weisen darauf hin, dass dieses vielleicht durch Raumbeengung 
Schuld trägt an der Entwickelungshemmung. Möhring-Würzburg. 

Spörri, Ueber die congenitale Luxation des Kniegelenks. Inaugural-Disser- 

tation. Zürich. 

Die angeborene Kniegelenksverrenkung ist die seltenste von allen an¬ 
geborenen Verrenkungen. Auf 97 andere kommt erst eine solche. Sie kann 
einseitig und doppelseitig, total und partiell sein. 

Verf. hat 52 Fälle aus der Literatur zusammengestellt, denen er 2 ans 
der Klinik von Krönlein hinzufügen konnte. 34 davon sind einseitig, 20 
doppelseitig, bei 46 ist die Dislocation nach vom. 

Die Ursache scheint die Lagerung des Kindes im Uterus und ein ab¬ 
normer Druck zu sein. Bei einem der Fälle Spörri’s war Spina bifida mit 
Paralyse der Beine vorhanden, wodurch sicher die Entstehung begünstigt wird. 

Symptomatik und Diagnose bieten nichts Besonderes. 

Die Prognose ist bei einseitiger Luxation günstig, während die doppel¬ 
seitige meist bei lebensunfähigen oder sonst verkrüppelten Kindern vorkommt, 
also kaum Veranlassung zu therapeutischen Massnahmen bietet. 

Die Behandlung hat in Redression, Fixirung, Gymnastik und Massage zu 
bestehen. Möhring-W ürzburg. 

Redard, Sur une deformation rare du poignet. Extrait des Archives gene¬ 
rales de medicine. December 1892. 

Zu den wenigen bekannten Fällen von abnormem Wachsthum der unteren 
Enden der Vorderarmknochen fügt Redard einen neuen. Ein gesundes, sonst 


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Referate. 


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vohlgebaates l^jähriges Mädchen bemerkte nach einem Falle auf das linke 
Handgelenk, dass allmählich beide Handgelenke dicker wurden. Zugleich traten 
bei gewissen Bewegungen Schmerzen auf, welche sie schliesslich arbeitsunfähig 
machten. Die Untersuchung ergab abnorme Grösse der unteren Enden des 
Radius und der Ulna, welche zu einer Subluxation der Hand, zu einer Art 
Bajonnetstellung nach der Yolarseite, geführt hat. Bewegungen sind schmerz¬ 
haft, besonder Rollen im Handgelenk. Ausserdem treten anfallsweise nicht 
bestimmt localisirte Schmerzen auf, wobei die Deformität zunimmt. 

Das elektrische Verhalten der Muskeln, sowie die HautsensibilitAt ist 
normal. 

Die Behandlung bestand in Ruhigstellung, schwacher Galvanisirung der 
Muskeln und möglichster Reduction und Fixirung in der erreichten Stellung. 
Innerlich wurde bei heftigen Schmerzanföllen einige Male Methylen-ChlorÜr 
gegeben. 

Der Erfolg war Stillstand des abnormen Wachsthums und Auf hören der 
Schmerzen, so dass Patientin wieder leichte Arbeit verrichten konnte. 

Ein Ueberblick Über die wenigen Fälle dieser Art ergibt, dass das Leiden 
das jugendliche Alter zur Zeit des Hauptknochenwachsthums bis zum 24. Jahre 
etwa befällt. 8mal war das weibliche, 4mal das männliche Geschlecht betroffen. 

Eine directe Ursache ist nicht aufzufinden. Als Gelegenheitsursache 
kann berufsmässige Ueberanstrengung des Handgelenkes gelten. Es ist Muskel¬ 
wirkung, Nervenerkrankung, chronische Knochenentzündung, Spätrachitis als 
Ursache genannt worden. Verf. ist dagegen der Ansicht, dass eine Wachs¬ 
thums- und Functionsstörung der Epiphysenknorpel am Vorderarm vorliegt, 
welcher auf oft wiederholte Reize hin hypertrophirt. 

Die Diagnose begegnet keinen Schwierigkeiten. 

Die Prognose ist insofern günstig, als zur Zeit des Aufhörens des Knochen¬ 
wachsthums auch dies krankhafte Wachsthum auf hört und höhere Grade der 
Deformität höchst selten erreicht werden. 

Ruhigstellung wirkt günstig ein, geschickt angebrachte Bandagen können 
eine Besserung der Deformität bewirken. In Fällen heftiger Schmerzen oder 
excessiver Missstaltung kommt die Osteotomie oder Resection in Frage. 

M ö h r i n g - Würzburg. 


R e d a r d, Contribution ä l’etude des contractures congenitales. Congres fran^ais 

de Chirurgie. Paris 1892. 

Re dar d hatte Gelegenheit, 2 Fälle von angeborenen Contracturen zu 
beobachten, ln der Literatur sind im ganzen nur 7 Fälle ähnlicher Art er¬ 
wähnt. Der eine Fall Redard’s ist besonders interessant, da er von der Ge¬ 
burt bis zum 4. Lebensjahre behandelt wurde und ein sehr gutes Resultat er¬ 
zielt worden ist. Nach der Geburt (Steisslage) machte das Kind den Eindruck 
einer Holzpuppe, so unbeweglich war es fast in allen Gelenken. Die Gelenke 
an Armen und Beinen waren theils in Streckstellung, theils leicht gebeugt 
fixirt, die Finger krallenförmig zusammengezogen. Die Füsse standen beiderseits 
in Equinovarusstellung. Einige Gelenke sind in ganz geringem Maasse beweg¬ 
lich. Alle übrigen Functionen des Körpers sind ungestört. 


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456 


Referate. 


Unter 4 Jahre lang fortgesetzter manueller Redression, passiven Bewe¬ 
gungen, Massage, Elektrisiren, dazwischen Tenotomie der Achillessehnen ist 
erreicht worden, dass die Hauptgelenke mobil geworden sind. Das Kind kann 
ohne Beschwerden gehen und seine Händchen gut gebrauchen. Einzelne Muskel¬ 
partien sind trotz aller Behandlung atrophirt. 

Das andere Kind, mit 7Vs Jahren zur Beobachtung gelangt, leidet an 
Contracturen der Beine. Bei doppelseitiger Equinovarusstellung der sehr atro¬ 
phischen Beine bestehen Beugecontracturen im Knie- und Hüftgelenk. Gehen 
und Stehen ist natürlich unmöglich. Da die Muskeln nur theilweise entartet 
sind, so hofft Verf. durch entsprechende Behandlung auch hier Besserung zu 
erzielen. 

Nach diesen Beobachtungen glaubt Re dar d annehmen zu dürfen, dass 
die Ursache der Erkrankung in den Muskeln zu suchen ist und weder das 
Nervensystem noch die Gelenke selbst anzuschuldigen sind. Durch fehlerhafte 
Haltung im Uterus bilden sich wie auch sonst die Contracturen aus. Dass die 
Gelenke nicht ankylotisch sind, zeigt der Erfolg der Behandlung — höchstens 
sind einige Deformitäten der Gelenktheile vorhanden. 

M ö h r i n g - Würzburg. 


H. Timm er. Een geval van Luxatio congenita van het kniegewricht. — 

Weekblad van het Nederlandsch Tijdschrift voor Geneeskunde 1892, Nr. 21. 

Timmer beschreibt einen Fall von Luxatio congenita im Kniegelenke, 
den er bei einem Mädchen von 15 Tagen zu beobachten Gelegenheit hatte. 
Das kranke Beinchen konnte nicht flectirt werden, in der Kniekehle sah man 
den Femur prominiren, und konnte man die Condylen fühlen, wie an der Vorder¬ 
seite den Tibiakopf und die bewegliche Patella. Am rechten Kniegelenke waren 
in geringerem Maasse die gleichen Abweichungen vorhanden. Der rechte Fuss 
war ein ty^jischer Pes valgo-calcaneus. 

Es sind schon 29 Fälle von diesen Luxationen beschrieben; dieser Fall 
ist also der 30. Die Ursache sucht Timmer in abnormer Lagerung in utero. 

Der Partus war normal. Es war viel Fruchtwasser abgegangen, als das 
Kind in der Scheitellage mit gegen die Brust aufgeschlagenen Beinchen ge¬ 
boren wurde. 

Wahrscheinlich waren die Beinchen während der letzten Monate der 
Schwangerschaft so gelagert und durch permanenten Druck der Uteruswand 
die Deformität entstanden. 

Timmer trat denn auch der Meinung Wolf Ts entgegen, dass die Ur¬ 
sache von dergleichen Luxationen in primärer Kapselerweiterung zu suchen sein 
sollte — es gibt wahrscheinlich Fälle, die hieraus entstanden sind, aber man 
kann nicht alle Fälle hieraus erklären. Weiter hebt Timmer noch hervor, 
dass der Name Luxatio genu eigentlich nicht genau ist, und meint, dass es 
besser sein sollte, in diesen Fällen von Genu recurvatum congenitum zu sprechen. 
Die Therapie bestand in manuellem Redressement; ein Contentivverband war 
nicht nöthig, und nach 2 Monaten war die Deformität schon grösstentheils auf¬ 
gehoben. 

C. B. T i 1 a n u 8 - Amsterdam. 


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Referate. 


457 


AIbers, Ein Fall von Polydactylie. Berliner klin. Wochenschrift 1893, Nr. 10 
S. 230. 

Alb er 8* Patient, ein 22jähriger Arbeiter, zeigte an jeder Hand sechs 
Finger, und zwar an der linken Seite zunächst zwei völlig ausgebildete Daumen, 
einen stärker entwickelten ulnaren und einen schwächeren radialen. Beide 
sassen unter einem Winkel von 70® divergirend an einem gemeinsamen, sehr 
kräftig entwickelten Metacarpus fest, welcher ein breites, dachförmig ab¬ 
geschrägtes Köpfchen und etwa die zweifache Dicke des entsprechenden Knochens 
der rechten Hand hatte. Jeder Daumen bestand aus zwei Phalangen, der ulnare 
hatte einen breiten flachen, der radiale einen schmäleren und stärker gewölbten 
Nagel; beide Daumen waren von gleicher Länge und in der Weise um ihre 
Längsachse rotirt, dass der ulnare mehr als normal von seiner Streckseite dem 
Dorsum der Hand zuwandte, der radiale mehr von seiner Beugeseite der Vola 
zukehrte. Die Interphalangealgelenke konnten activ und passiv gebeugt und 
gestreckt werden. In den Metacarpo-Phalangealgelenken waren passiv ausser 
Flexion und Extension noch Adductionsbewegungen in dem Sinne möglich, dass 
die einander zugekehrten Seiten beider Daumen sich berührten. Activ war diese 
Bewegung, an der sich beide Daumen gleichmässig betheiligten, nicht ausführ¬ 
bar, die active Beweglichkeit der Metacarpo-Phalangealgelenke beschränkte sich 
vielmehr auf Beugung und Streckung, die stets nur gemeinsam möglich war, — 
wurde der eine Daumen fixirt, so gelangen diese Bewegungen mit dem anderen 
nicht. Bei der Arbeit wurde gewöhnlich der kräftige ulnare Daumen gebraucht, 
welcher beim Greifen ausschliesslich zur Action kam. Dabei hinderte häufig 
der radiale, indem derselbe beabsichtigte Bewegungen durch Anstossen hinderte. 

An der rechten Hand war der Daumen im Interphalangealgelenk recht¬ 
winklig gebeugt; das Nagelglied war dabei so um seine Längsachse gedreht, 
dass die Nagelseite sich fast ganz dem Dorsum der Hand zuwandte. Activ 
konnte diese Stellung nicht geändert werden, passiv gelang die Streckung bis 
zu einem Winkel von ca. 120®. Beugung und Streckung des Daumens waren 
sonst passiv wie activ nur im Metacarpo-Phalangealgelenk ausführbar. Ausser 
dieser Abnormität des Daumens hatte Patient an der rechten Hand noch einen 
sechsten dreigliedrigen Finger, der zwischen Daumen und Zeigefinger eingeschaltet 
war. Das Gelenk zwischen Nagel- und Mittelglied war an diesem Finger, der 
in seiner Grösse etwas hinter dem fünften zurückblieb, nur sehr wenig, das 
folgende etwas ausgiebiger beweglich. Die Grundphalanx war mit einem 
ca. 2 cm langen Metacai-pus durch ein Gelenk verbunden, welches hinsichtlich 
seiner freien Beweglichkeit durchaus den Metacarpo-Phalangealgelenken der 
dreigliedrigen Finger glich. Dieser Metacarpus liess sich in den Weichtheilen 
leicht hin- und herdrehen und hing mit der Handwurzel nicht fest zusammen. 
Activ konnte dieser Finger gar nicht bewegt werden, scheinbare Bewegungen 
wurden ihm nur mitgetheilt durch Verziehen der Weichtheile beim Oeffnen 
und Schliessen der Hand, bei Adduction und Abduction des Daumens u. dgl. 
Dieser überzählige Finger war dem Patienten bei jeder Bewegung hinderlich; 
er wurde daher an seiner Basis wie bei einer typischen Fingerexarticulation 
mittelst Ovalärschnitt Umschnitten und dann mit seinem Metacarpus aus den 
zwischen Daumen und Zeigefinger gelegenen W^eichtheilen der Mittelhand aus- 
gelöst. An der linken Hand wurde der radiale Daumen nahe am Metacai’po- 


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Referate. 


Phalangealgelenke amputirt; die Amputation wurde gewählt, um die Eröffnung 
des Metacarpalgelenkes zu umgehen, dessen Yerhältniss zu beiden Daumen 
nicht latent war, und um den anderen Daumen die seitliche Stutze nicht gänz¬ 
lich zu nehmen. Die Function der Hände ist nach diesen Operationen eine 
erheblich bessere geworden. G. Joachimsthal-Berlin. 

Felix Opfer, Ueber einen Fall von totalem Defect der oberen Extremitäten. 

Deutsche medic. Wochenschr. 1892, Nr. 48 S. 1085. 

Opfer beobachtete bei einem 14 Jahre alten Kinde einen angeborenen 
Mangel der oberen Extremitäten. Statt dieser findet sich an der 
linken Schulter nur ein kleiner Stumpf von etwa 5 cm Länge mit einem feinen 
röhrenförmigen Knochen in seinem Inneren, während die rechte Schulter fast 
vollkommen abgerundet ist und in der Mitte der Wölbung ein kleines Grübchen 
trägt. Schulterblätter und Schlüsselbeine sind beiderseits vollkommen vorhanden 
und lassen keine Abweichung von der Norm erkennen; die Schulterblattmuskeln, 
ebenso der Pectoralis major und minor und Latissimus dorsi sind vollständig 
ausgebildet. 

Am Thorax ist eine ganz enorme Verkrümmung der Wirbelsäule be- 
merkenswerth; es handelt sich um eine Kyphoskoliose nach der rechten Seite 
allerhöchsten Grades. Das Becken wie die unteren Extremitäten sind normal 
gebildet; durch die dauernde Uebung der letzteren hat sich sogar eine fast 
übermässige Beweglichkeit in den Hüfb- und Kniegelenken, sowie eine sehr 
kräftige Musculatur entwickelt. 

Recht interessant ist das Verhalten der Zehen, indem sie nicht nur alle 
erheblich länger als gewöhnlich sind, sondern die grossen Zehen allmählich die 
Fähigkeit einer geringen Oppositionsstellung erlangt haben. 

Durch dauernde Uebung hat die Patientin gelernt, ihre Fusse zu allen 
Verrichtungen des täglichen Lebens wie zu gewissen Kunstleistungen zu ge¬ 
brauchen. Sie vermag nicht nur beim Essen mit den Zehen Löffel, Gabel und 
Messer zu halten, sie kann auch feine Nadeln einfädeln, sticken, schreiben, 
eine Violine spielen u. dgl. m. Trotz des Mangels der oberen Extremitäten 
fühlt sie sich also ebenso wenig benachtheiligt wie andere normal entwickelte 
Kinder. G. Jo ach imsthal-Berlin. 

Eugen Tschudi, Ein Fall von angeborener vollständiger Verwachsung aller 

fünf Finger. Deutsche Zeitschr. f. Chir. 1893, Bd. 35 S. 567. 

Tschudi beobachtete bei einem 4 Monate alten Kinde neben Spalt¬ 
bildung der Uvula und cu bischer Schädelbildung vollständige Verschmelzung 
sämmtlicher Finger an beiden Händen und zwar so, dass die vier dreigliedrigen 
Finger eine einzige Platte bildeten, während der mit derselben in seiner ganzen 
Länge verwachsene Daumen sich wenigstens durch eine oberflächliche Haut¬ 
furche von den übrigen Fingern abgrenzte. Die Nägel aller fünf Finger waren 
an beiden Händen zu einer Hornmasse verschmolzen, welche entsprechend dem 
Daumen und dem kleinen Finger eine Einsenkung zeigte, so dass sich die 
Nägel dieser beiden Finger dadurch abgrenzten. Beide Hände waren um ihre 
volare Fläche gekrümmt, ähnlich wie die des Geburtshelfers bei Einführung der 
ganzen Hand. Eine Beweglichkeit der Fingergelenke war nicht vorhanden. 


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Referate. 


459 


Sämmtliche Zehen beider Füsse waren bis zu der Spitze schwimmfassartig 
mit einander verwachsen, im übrigen gut ausgebildet und mässig beweglich. 

Zunächst wurde an der linken Hand der Daumen von seiner Spitze bis 
znm Metacarpophalangealgelenk durch einen durch die ganze Dicke der Hand¬ 
platte gehenden Schnitt abgetrennt, dann wurden die volaren und dorsalen 
Hautwundränder am Daumen sowohl als an der Handplatte beweglich gemacht. 
So gelang es, dieselben an der Radialseite des Zeigefingers vollständig durch 
die Naht zu vereinigen; auch am Daumen war dies zum Theil möglich; einzig 
an der Basis blieb ein über fünfcentimesstückgrosser Defect, auf den ein von 
der Rückfläche des Daumens entnommener kleiner Hautlappen transplantirt 
wurde. Dasselbe Verfahren wurde an der rechten Hand geübt. Da hier die 
Naht der Hautwundränder am Daumen nicht möglich war, wurde die Wund¬ 
fläche durch Transplantationen nach Thier sch geschlossen. Es erschien da¬ 
nach noch in hohem Grade wönschenswerth, durch Loslösung auch des kleinen 
Fingers eine weitere Verbesserung der Gebrauchsfähigkeit der Hand herbeizu¬ 
führen. Zu diesem Behufe wurde auf der Dorsalscite der Hand, zunächst links, 
später auch rechts, ein der Länge des kleinen Fingers und dessen doppelter 
Breite entsprechender Hautlappen Umschnitten und bis zu der dem Radialrande 
des kleinen Fingers entsprechenden Linie hin losgelöst. Dann wurde der kleine 
Finger selbst, dessen Knochen vollständig ausgebildet und nicht mit den anderen 
Fingern verwachsen waren, bis zum Metacarpophalangealgelenk hin abgetrennt. 
Den Hautlappen schlug man dann um den Radialrand des kleinen Fingers 
herum, vernähte ihn mit dem volaren Wundrande und deckte die Wundfläche 
an der Handplatte durch Thiersch’sche Transplantationen. Bei der Entlassung 
benutzte Patientin rechts die Klammer zwischen kleinem Finger und Handplatte 
zum Fassen kleiner Gegenstände, während sie links im Stande war, einen ihr 
vorgehaltenen Bleistift zwischen Daumen und Handplatte zu fassen und längere 
Zeit festzuhalten. Hoffa-Würzburg. 


Alfred W. Hughes, Die Drehbewegungen der menschlichen Wirbelsäule und 

die sogenannten Musculi rotatores. Archiv für Anat. u. Physiol. 1892, 

S. 265 Heft III u. IV. 

Unter Berücksichtigung ier Beobachtungen E. H. Weber’s und des 
Physiologen Volkmann über die Drehbeweglichkeit der einzelnen Wirbel¬ 
säulenabschnitte erschien es Hughes wünschenswerth, neue Messungen und 
zwar am Cadaver anzustellen, und dieselben, was bisher noch nicht geschehen 
war, auf die einzelnen Wirbel auszudehnen. Benutzt wurde einmal die Wirbel¬ 
säule eines frischen Cadavers (40jähriger Mann), die von den Rippen, welche 
in einer Entfernung von 5 cm von der Wirbelsäule abgesägt wurden, freigemacht 
wurde. Nach sicherer Fixirung des Beckens durch Schrauben, und nachdem in 
die Längsachse der Halswirbelsäule locker ein Metallstab eingebracht war, wurde 
die Wirbelsäule in horizontaler Richtung ausgespannt erhalten, so dass ihre Lage 
möglichst der mittleren Haltung bei aufrechter Stellung des Körpers entsprach. 
Durch den ersten Brustwirbel wurde senkrecht zu der Längsachse ein starker 
Stahlstab hindurchgetrieben, an dessen Ende starke Fäden angebracht waren, 
welche durch Oesen am Fussboden liefen und es gestatteten, die Wirbelsäule 




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Referate. 


in den extremen Drehetellungen zu fixiren. Die Drehung wurde mit den Händen 
80 kräftig wie möglich ausgefährt. Durch jeden Wirbelkörper ward nun eine 
leichte Hohlnadel in frontaler Ebene senkrecht zur Längsachse hindurch getrieben, 
und an jeder eine Pappscheibe sicher befestigt. An jeder Pappscheibe befand 
sich wiederum ein Senkelfaden, welcher natürlich bei jeder Drehung der Wirbel¬ 
säule seine verticale Lage beibehielt und somit gestattete, den Drehungswinkel 
zu messen, wobei aUerdings eine kleine Ungenauigkeit dadurch entsteht, dass 
nicht alle Sagittalachsen der Wirbel horizontal liegen. Die zweite zu den 
Me8.sungen verwandte Wirbelsäule, die noch mit dem Hinterhaupt versehen war, 
stammte von einem 20jährigen muskelkräftigen Selbstmörder. Hier wurde der 
Metallstab quer durch das Os occipitis hindurchgesteckt. 

Es ergab sich zunächst eine grosse Verschiedenheit der Drehbeweglichkeit 
an beiden Cadavem. Während bei der Wirbelsäule des älteren Mannes die 
Gesammtdrehung von Rücken- und Lendentheil 63,25 ® betrug, erreichte sie bei 
der Wirbelsäule des jungen Mannes die Höhe von 99,8®, trotzdem die Drehung 
mit annähernd gleicher Kraft ausgeführt wurde. Aber bei beiden Messungen 
zeigte sich in gleicher Weise, dass die Drehung der Lendenwirbel gegen einander 
verschwindend gering war, während sie bei den Rückenwirbeln ziemlich hohe 
Werthe zeigte. In beiden Fällen zeigten ferner die unteren Brustwirbel eine 
geringere Drehung als die oberen, und ebenso ergab sich, dass in der Mitte 
der Brustwirbelsäule eine relativ sehr grosse Drehung in Erscheinung trat. Die 
grösste Beweglichkeit in Beziehung auf Drehung zeigte die Halswirbelsäule, die 
leider nur bei der Wirbelsäule des jungen Mannes gemessen werden konnte. 
Die Drehung des Atlas zum Epistropheus erreichte einen Werth von 105,7®. 
Ausserdem war auch die Drehung des 5. zum 6. Halswirbel eine sehr beträcht¬ 
liche; sie erreichte die Höhe von 33,8®. 

Im Grossen und Ganzen stimmen Hughes’ Befunde mit denen 
E. H. Weber’s und Volkmann’s überein, die sie theilweise vervollständigen, 
und ergeben folgende Resultate: 

Die nonnale Lendenwirbelsäule besitzt keine Drehbeweglichkeit. Die 
Werthmaasse sind so verschwindend kleine, dass sie für die Erscheinungen 
während des Lebens nicht in Betracht gezogen werden können. 

Die Brustwirbel dagegen sind bei normalen Verhältnissen gegen einander 
drehbar, und zwar kann die Brustwirbelsäule als Ganzes eine Drehung aus¬ 
führen, welche mindestens die Hälfte eines rechten Winkels beträgt, vielleicht 
in vielen Fällen diese Grösse noch übertrifFt. Die unteren Rückenwirbel zeigen 
eine geringere Drehung als die oberen. 

Durch besonders grosse Drehfähigkeit zeichnet sich die normale Hals¬ 
wirbelsäule aus. 

In dem zweiten Theil seiner Arbeit weist Hughes nach, dass die 
sogenannten Musculi rotatores am Lendentheil gar nichts zur Drehung beizn- 
tragen vermögen. Dies ist nur im Rückentheile der Wirbelsäule möglich, wo 
sie theilweise fast senkrecht zur Drehachse liegen, und auch am Halstbeile, da 
hier eine in transversaler Richtung wirkende Componente vorhanden ist. Die 
Wirkung dieser Muskeln besteht also im Lendentheil in einer reinen Extension, 
im Rückentheil in einer reinen Rotation und am Halstheil in einer Rotation 
combinirt mit einer Seitwärtsbeugung. Die Muskeln verdienen den Namen 


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Referate. 


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Rotatores also nicht in allen ihren Theilen. Aber auch für den Hals- und 
Rückentheil empfiehlt sich diese functionelle Bezeichnung schon deshalb nicht, 
weil die Drehung wesentlich von anderen Muskeln besorgt wird, die beträcht¬ 
lich stärker sind und weiter von der Drehungsachse entfernt liegen, als diese 
relativ sehr schwachen Muskeln, für die Hughes als zusammenhängendes 
System den Namen Submultifidus in Vorschlag bringt. 

G. Joachimsthal-Berlin. 

N. A. Ssokolow, Zur operativen Behandlung veralteter Luxationen im Ell¬ 
bogengelenk. St. Petersburger medic. Wochenschr. 1892, Nr. 11. 

In den von Ssokolow mitgetheilten Fällen führte Tiling die Arthro- 
tomie des Ellbogengelenks 7 Monate. 4 Monate, 2 Monate und 7 Wochen nach 
der Luxation aus. Fast in allen Fällen erfolgte die Reposition leicht nach 
Entfernung der gleichzeitig abgebrochenen Knochenstücke und nach Befreiung 
der Gelenkenden von den Narbenmassen, doch gelang es in 2 Fällen nur dank 
einer temporären Naht, die luxirten Knochen in noiinaler Stellung zu erhalten; 
einmal musste man sogar die Arthrotomie wiederholen, da es nach der ersten 
Operation wieder zur Luxation gekommen war. In einem Falle erzielte man 
die besten Resultate, und auch in den Übrigen Fällen mehr weniger genügende 
Bewegungsexcursionen statt der fast vollständigen Unbeweglichkeit vor der 
Operation. Ho ffa-Würzburg. 

Phocas, De l’orteil en marteau. Gaz. des höpitaux 1892, Nr. 114 p. 1073. 

Phocas führte bei einem 12jährigen Mädchen zur Beseitigung der 
Flexionscontractur der 2. Phalanx der 2. Zehe, die starke Beschwerden ver¬ 
ursachte, nach erfolgloser Schienenbehandlung mit günstigem Resultat einen 
operativen Eingriff aus. Er entfernte ein kleines dorsales Hautstück, ent¬ 
sprechend der Verbindungsstelle der 1. und 2. Phalanx, exstirpirte den darunter 
befindlichen Schleimbeutel, ebenso ein kleines Stück der Extensorensehne, die 
hier eine knorpelharte Verdickung aufwies, und resecirte alsdann ein keil¬ 
förmiges, mit der Basis dem Dorsum zu gerichtetes Stück aus beiden das Ge¬ 
lenk zusammensetzenden Knochen. Das Gelenk wurde ankylotisch, und die 
Beschwerden verschwanden. Ho ffa-Würzburg. 

Eirmisson, Resection orthop4dique de la hanche pour luxation iliaque ancienne. 

Bull, de la Society de chir. 1892, p. 208. 

Der 19jährige Patient, über den Kirmisson berichtet, litt an einer seit 
4 Jahren bestehenden Luxatio iliaca. Das Bein stand in Flexion und Adduction. 
Die Verkürzung betrug in liegender Stellung 6 cm, vermehrte sich jedoch, wenn 
der Kranke sich auf das luxirte Glied zu stützen versuchte, indem dann der 
Kopf gegen die Crista ilei hinaufrückte, bis mindestens 15 cm, wobei der Kranke 
sich nur durch Flexion der gesunden Seite aufrecht zu halten vermochte. Bei 
der Eröffnung des Gelenks fand Kirmisson vor und hinter dem grossen 
Trochanter zwei knöcherne Hervorragungen, von denen er die hintere mit dem 
Osteotom entfernte, während er die vordere, die dem Femurkopf entsprach, in 
die von dem sie ausfüllenden fibrösen Gewebe befreite Pfanne reponirte. Das 


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Referate. 


Resultat war, trotzdem der Verlauf nicht ganz aseptisch war, ein zufneden- 
stellendes. Die Verkürzung von 6 cm bestand allerdings noch fort, doch war 
die anormale Stellung des Beins corrigirt und die Neigung des Kopfes, gegen 
die Crista ilei aufzusteigen, beseitigt. 8 Monate nach der Operation war der 
Patient mit Hilfe einer erhöhten Sohle im Stande, frei herumzugehen. 

H 0 f f a-Würzburg. 

Michel Gangolphe, Nouveile minerve plätr^e. Lyon medical 1892, Nr. 7 p. 215. 

Gangolphe empfiehlt für die Behandlung der Cervicalspondylitis eine 
aus Gypsschienen hergestellte Minerva. Zwei aus mehrfach über einander ge¬ 
schichteten grobmaschigen Tarlatanstreifen hergestellte Gypsschienen werden in 
Form eines T verbunden. Der horizontale Antheil desselben zeigt vom einen 
geraden, hinten einen wenigstens in der Mitte leicht concaven Rand. Vom 
befindet sich beiderseits in gleicher Entfernung von der Mittellinie ein Aus¬ 
schnitt für das Ohr, und zwar sind der vordere und hintere Rand dieses Aus¬ 
schnitts verlängert und bilden hier kleine Hervorragungen, die für den Arcus 
zygomaticus und Processus mastoideus bestimmt sind. Die horizontale Schiene 
wird mit ihrer Mitte auf die Stirn oberhalb der Augenbrauen aufgelegt, ihre 
beiden Enden kreuzen sich im Nacken und gehen von hier auf die Brust, wo 
sie sich abermals kreuzen, bis sie in der Gegend der falschen Rippen ihr Ende 
erreichen. Der verticale Streifen geht von dem vorderen Rande des horizon¬ 
talen direct nach hinten, zieht in der Gegend des Nackens zwischen beiden 
Enden der horizontalen Binde hindurch, tritt in den Interscapularraum und 
endet in der Gegend der Spinae posteriores superiores. Seine Länge betragt 
bei Erwachsenen im Durchschnitt 1 m, die des horizontalen Antheils ungefähr 
180 cm. Die Breite wechselt ebenfalls zweckmässig für beide Theile der Minerva. 
8 cm in der Mitte, 12 cm an den Enden genügen für die horizontale Binde, 
die verticale hat in der Gegend des Nackens zweckmässig eine Breite von 10, 
weiter unten eine solche von 15 cm. G. Joachimsthal-Berlin. 

Maximilian Sternberg, üeber Behandlung und Diagnose der Osteomalacie. 

Wien. klin. Wochenschr. 1892, Nr. 44—45 S. 634. 

Sternberg berichtet über 3 Fälle von puerperaler, einen solchen von 
seniler Osteomalacie, in denen bis zum Beginn der Phosphorbehandlung die 
Krankheit progressiv zugenommen hatte. Bald nach der Verabreichung des 
Medicaments (0,05:50 Ol. jecor. aselli täglich einen Kaffeelöffel) trat erheb¬ 
liche Besserung ein, die in den beiden ersten schwersten Fällen zur vollstän¬ 
digen Heilung führte. Bei der dritten Kranken trat Besserung ein; nachdem 
die Phosphorbehandlung jedoch durch einfachen Leberthran ersetzt worden war, 
ging diese wieder verloren; nach abermaliger Verabreichung des Phosphors sah 
Sternberg wieder prompte und entschiedene Besserang. Bei der vierten 
Kranken mit seniler Osteomalacie machte die Krankheit Monate lang Fort¬ 
schritte, ging dann unter Phosphorbehandlung ebenso stetig wieder zurück. 
Bei der ersten Patientin trat bei einer neuerlichen Gravidität nur ein geringer 
Nachschub ein, der die Frau nicht einmal in ihren häuslichen Arbeiten hinderte. 

G« Joachimsthal-Berlin. 


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Referate. 


463 


E. Vincent, Contribution ä la Chirurgie rachidienne. Du drainage dans le 
mal de Pott. Revue de Chirurgie 1892, Nr. 4 p. 273. 

Vincent beschreibt in der vorliegenden Arbeit das von ihm in der Be¬ 
handlung der abscedirenden Brust- und Lendenwirbelspondylitis geübte Ver¬ 
fahren, um die Producte des tuberculösen Processes nach aussen zu befördern. 
Das Vorgehen ist verschieden, je nachdem eine stärkere Kyphose besteht oder 
nicht. Im ersteren Fall wird zum Zweck der Einleitung der prävertebralen oder 
prämedullären Drainage zunächst ein 8—10 cm langer Schnitt längs des Aussen- 
randes der im Sulcus paraspinosus gelegenen Musculatur durch die Haut geführt. 
Auf diesen Längsschnitt folgt in der Ausdehnung von etwa 5 cm ein Querschnitt 
im Verlauf desjenigen Zwischenrippenraums, der dem am meisten prominirenden 
Theil des Gibbus entspricht. Es folgt, falls sich dieses als nothwendig erweist, 
die Resection einer oder mehrerer Rippen, die Durchtrennung der Intercostal- 
musculatur und die Verdrängung des Brustfells. Nachdem dies beiderseits ge¬ 
schehen, wird unter der Leitung des Fingers ein Drain durch den Erkrankungs- 
heerd, der unter Zerstörung der Wirbelkörper zum Einknicken der Wirbelsäule 
Veranlassung gegeben hat, geführt. Im zweiten Fall, in dem eine stärkere 
Kyphose noch nicht eingetreten, der tuberculöse Process also noch zu keinem 
stärkeren Zusammensinken der Wirbelkörper geführt hat, muss zum Zweck der 
Drainage in dem Wirbelkör|)er selbst ein Kanal zur Aufnahme des Abflussrohrs 
angelegt werden. Die Operation wird in der gleichen Weise wie diejenige zum 
Zweck der prävertebralen Drainage begonnen. Nach Verdrängung der Pleura 
dringt man, den fungösen Massen folgend, mit der Sonde in den Wirbelkörper, 
in den mit Hilfe des scharfen Löffels zum Zweck der Aufnahme des auf der 
anderen Seite hinauszuleitenden Drains ein Weg gebohrt wird. 

Vincent hält die Ausführung dieser Operation für nicht allzu schwierig. 
Die Verletzung des Rückenmarks, der Gefä.sse und der in der Nachbarschaft 
der Wirbelsäule gelegenen lebenswichtigen Organe lä^st sich vermeiden, zumal 
bei der Wirbelcaries Verdickungen der Meningen, der Bänder der Wirbelsäule 
und Schwartenbildungen an dem parietalen Blatt der Pleura eintreten, die einen 
Schutz für die Nachbarschaft bieten, wie er unter anderen Verhältnissen, so 
bei Fracturen und Luxationen nicht besteht. Durch den Versuch an der Leiche 
eines 75jährigen Mannes hat Vincent überdies durch Ausführung der verte¬ 
bralen Trepanation in Höbe des 5. und 6. Brustwirbels den Nachweis zu er¬ 
bringen vermocht, dass die genannte Operation selbst unter normalen Ver¬ 
hältnissen ohne Neben Verletzungen ausführbar ist. Vincent stellt weitere 
Publicationen über sein Verfahren in Aussicht. G. J o ach im sthal-Berlin. 

E. Kirmiss on, Compte rendu du Service chirurgical et orthopcdique des 
Enfants-Assistes du 1®** decembre 1891 au decembre 1892. Revue 
d’orthopedie 1893, Nr. 1 p. 1. 

Kirmisson berichtet in der vorliegenden Arbeit über das 3. Jahr des 
Bestehens der orthopädisch-chirurgischen Poliklinik am Höpital des Enfants- 
Assistes. Die Frequenz derselben ist gegen das voraufgegangene Jahr von 
677 Neuaufnahmen auf 730 gestiegen, so dass also, wie auch ein Vergleich mit 
den beiden fiüheren Berichten des Verf. ergibt, diese von Kirmisson begrün- 

Zeltschrlft für orthopädische Chirurgie. II. Baud. 


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464 


Referate. 


dete Institution, von dessen vortrefflichen Einrichtungen sich Referent persön¬ 
lich zu überzeugen Gelegenheit hatte, mehr und mehr Aufnahme in Paris findet. 

Auch in diesem Jahre war die Anzahl der Skoliotischen eine verhält- 
nissmässig grosse. Unter den 141 an Rückgratsverkrummungen leidenden 
Patienten waren 109 Mädchen und 32 Knaben. 90mal lag eine primäre Dorsal¬ 
skoliose, 64mal nach rechts, 26mal nach links convex vor. 20mal war eine 
primäre Lumbalskoliose vorhanden; ihre Richtung war 15mal nach links und 
nur 5mal nach rechts. 8 Skoliosen betrafen die gesamte Wirbelsäule. Ihre 
Convexität richtete sich 7mal nach links, Imal nach rechts. In 13 Fällen war 
Eirmisson in der Lage hereditäre Veranlagung nachzuweisen. In dem einen 
Fall von Skoliose bestand gleichzeitig eine spinale Kinderlähmung an den 
unteren Extremitäten, 24mal war gleichzeitig Plattfuss, 5mal Genu valgum, 
Imal ein Genu recurvatum nachweisbar. 

Torticollis kam 9mal zur Beobachtung, nur in 2 Fällen handelte es sich 
um den angeborenen Schief hals, bei einem derselben wurde im Alter von 

11 Jahren die offene Durchschneidung des Stemo-cleido-mastoideus vollführt. 

Unter 44 Fällen von Pes equinus oder equinovarus waren 32 congenitaler, 

12 paralytischer Natur, 21 waren doppelseitig. Meist kam Kirmisson mit 
dem Redressement eventuell nach vorausgegangener Tenotomie der Achilles¬ 
sehne zum Ziel, 17mal an 11 Patienten wurde die Pbelps'sche Operation in 
Anwendung gezogen; die Resultate waren im allgemeinen sehr zufriedenstellende. 

Plattfuss kam 28mal, rhachitische Verkrümmungen der Unterschenkel 
(eine lineare Osteotomie) 33mal, Genu valgum 35mal zur Beobachtung. Bei 
letzterem wurde 4mal das Redressement, Imal die manuelle Osteoclasie und 
3mal die supracondyläre Osteotomie in Anwendung gezogen. 

Unter 19 Fällen von congenitaler Hüftluxation, die stets das weibliche 
Geschlecht betraf, waren 6 doppelseitige. Kirmisson hat in seinem Hospital 
im verflossenen Jahre die Hoffa’sche Operation 6raal vollführt. Leider erfolgte 
bei einer Patientin, einem 12jährigen Mädchen mit doppelseitiger Verbildung, 
nach der Operation der linken Seite, bei der sich der Reposition beträchtliche 
Widerstände entgegensetzten und bei dem Versuche der Pfannenbildung eine 
Splitterfractur entstand, nach 24 Stunden der Tod an Peritonitis. Kirmisson 
schreibt die Schuld an'dem unglücklichen Ausfall dem für die Operation schon 
zu weit vorgeschrittenen Alter des Kindes zu. 

Coxitis war 4Imal Gegenstand der Behandlung, 23mal beim weiblichen, 
18mal beim männlichen Geschlecht, 24mal links-, IGraal rechts-, Imal doppel¬ 
seitig. Spondylitis wurde bei 42 Patienten und zwar in gleicher Zahl bei beiden 
Geschlechtern constatirt. 5mal sass das Uehel in der Cervicalregion, 17mal im 
Dorsal-, 8mal im Dorsolumbal- und 8mal im Lumbaltheil der Wirbelsäule; 3mal 
waren Abscesse vorhanden. 

Die restirenden Fälle sind Gelenktuberculosen, Missbildungen u. dgl. m. 
In der Ambulanz wurden im Laufe des Jahres 97 Operationen, sämmtlich ohne 
üblen Zufall vollführt. Gleichzeitig wurden im Hospital 108 chirurgisch-ortho¬ 
pädische Operationen ausgeführt ; ausser dem oben erwähnten Todesfall bei 
einem nach H o f f a operirten Mädchen erfolgte nur noch der Tod hei einem 
Kinde nach der Osteotomie der Tibia infolge einer Maserninfection. 

G. Joachimsthal-Berlin. 


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Referate. 


465 


Pierre Delhet, Des luxations anciennes et irreductibles de T^paule. Archives 

generales de medecine. 1893 janvier, fevrier, p. 10. 

Bei einer seit 3 Monaten bestehenden Luxatio subcoracoidea sah sich 
Delhet nach vergeblichen Repositionsversuchen genöthigt, den 33jährigen 
Patienten einem operativen Eingriff zu unterziehen. Durch einen 10 cm langen 
Schnitt längs des hinteren Randes des Deltoideus vermochte sich Delhet zwar 
die Pfanne genügend zugänglich zu machen, doch gelang es nicht an die vordere 
Fläche des Humeruskopfes zu gelangen, so dass Delhet sich genöthigt sah 
noch einen Schnitt zwischen Pectoralis und Deltoideus hinzuzufügen. Auch 
nach Beseitigung der an der Vorderfläche befindlichen Adhäsionen gelang die 
Reduction nicht, und nach langen vergeblichen Versuchen blieb nichts übrig, 
als die Resection auszuführen, die noch ein befriedigendes Resultat ergab. 
Nach Delhet ist auf Grund dieser Erfahrung und nach dem Studium des 
anatomischen Präparats von nicht reponirten Schulterluxationen die Eröflhiung 
des Gelenks stets an der vorderen und äusseren Seite vorzunehmen. Zunächst 
iat nach Entfernung etwaiger Fragmente, Durchtrennung der Adhäsionen und 
Befreiung der Pfanne von dem hineingewucherten Gewebe die Reduction zu 
versuchen. Gelingt dieselbe nicht ohne Anwendung grosser Gewalt, so ist die 
Resection am Platze. Die Warnung vor zu forcirten Repositionsversuchen nach 
der Arthrotomie ist um so berechtigter, als D e 1 h e t’s Literaturnachforschungen 
ergaben, dass die functioneilen Resultate nach der blutigen Reposition und der 
Refraction durchaus nicht so sehr verschieden sind. Unter 34 Fällen von Re* 
section zählt Delhet 5, unter 28 blutigen Reductionen 3 Todesfälle; die Mor¬ 
talität ist also etwas grösser nach der Resection, wobei allerdings, ebenso wie 
bei dem Vergleich der functionellen Ergebnisse, die Thatsache in Betracht zu 
ziehen ist, dass die die Resection erfordernden Fälle die schwereren sind, und 
dass vor der Resection fast immer die Unmöglichkeit der Reduction sich er¬ 
geben hat. Die nach Abzug der 3 Todesfälle restirenden 25 Repositionen er¬ 
gaben 12 befriedigende und zwar 6 gute und 6 genügende Resultate, Imal 
blieb eine Neigung zur Luxation bestehen, 4mal war das Resultat sehr massig, 
Imal entstand bei den Repositionsmanövem eine Humerusfractur, die trotz der 
Knochennaht zur Pseudarthrose führte, 4mal wurde nachträglich die Resection 
nothwendig, und 3mal war das Resultat unbekannt. Zählt man von den 34 Re- 
sectionen die 5 Todesfälle ab, so bleiben 29 Fälle, welche ihrerseits 13 ge¬ 
nügende, 5 mittelmässige, 2 ganz schlechte und 9 unbekannte Resultate ergaben. 
Die Warnung vor zu gewaltsamen Reductionsversuchen nach der Arthrotomie 
ist zumal nach dem Ergebnisse dieser Statistik wohl berechtigt. 

G. Joachimsthal-Berlin. 

Guermonprez, Traitement operatoire de certaines ankyloses du poignet. 

Gaz. des höpitaux 1892, Nr. 102 p. 963. 

Guermonprez hat in einem Falle von Ankylose der Articulatio radio- 
ulnaris inferior nach einer schweren Fractur im unteren Theil des rechten 
Vorderarms bei einem 26jährigen Patienten 1 Jahr nach der Verletzung durch 
subperiostale Resection des äusserst druckempfindlichen unteren Ulnarendes in 
einer Ausdehnung von 57* ci“ wieder die Möglichkeit der Ausführung von 
Pro- und Supinationsbewegungen geschafft. 


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466 


Referate. 


In einem zweiten Falle hat er bei einem 16jährigen Knaben nach einer 
Maschinenverletzung, um einer Ankylose im unteren Radio-Ülnargelenk vorzu¬ 
beugen, prophylactisch 6 cm vom distalen Ende der Ulna resecirt. Der Erfolg 
war auch hier der erhoffte. G. Joachimsthal-Berlin. 

Langes, Beitrag zur Prophylaxe und Therapie des Schreibkrampfes. Mün¬ 
chener medicinische Wochenschrift 1893, Nr. 9. 

Durch einfach verändertes Fassen des Federhalters haben sich cand. med. 
Langes und sein Bruder vom Schreibkrampf befreit. Der Halter ruht statt 
zwischen Daumen und Zeigefinger hier zwischen Zeige- und Mittelfinger. Die 
drei letzten Finger sind ziemlich stark gekrümmt und bilden die Stütze der 
Hand, der Zeigefinger ist mehr gestreckt. Die feineren Schreibebewegungen 
finden mehr im Handgelenk als in den Fingergelenken selbst statt. Dieser kleine 
Kunstgriff ist vorkommenden Falles des Versuches wohl werth, und sein Erfolg 
ist sehr wohl erklärlich, da der Federhalter fast ohne Muskelwirkung fixirt ist. 
Man gewöhnt sich rasch an die angegebene Haltung und schreibt bald ebenso 
wie gewöhnlich. Mo bring-Würzburg. 

Stöcker, Ein Beitrag zur Lösung der Schulbankfrage. Münchener medi¬ 
cinische Wochenschrift 1893, Nr. 7. 

Eine Schulbank, welche allen hygienischen Ansprüchen und auch denen 
der Billigkeit genügt, haben die Herren Romminger und Stetterin Tauber¬ 
bischofsheim, frühere Lehrer, jetzt Besitzer einer Dampfschreinerei und Schul¬ 
bankfabrik, erdacht. Im ganzen ist sie einfach und solid gearbeitet und richtig 
gebaut, und ihre zweckmässige Eigenthümlichkeit beruht in der Einrichtung 
des Sitzes. Jedes Kind hat sein eigenes Sitztheil. Dies ist in der Mitte längs 
gespalten und durch einen an der Unterfläche befestigten Hanfgurt wieder ver¬ 
einigt. Beim Aufstehen schiebt nun das Kind ohne weiteres mit der Rückseite 
seiner Beine den Sitz so zusammen, dass er sich dachförmig aufstellt. Die erst 
vorhandene Minusdistanz von 2 cm wird so zu einer Plusdistanz von 12 cm, 
so dass das Kind bequem stehen kann. Beim Niedersetzen legt sich der Sitz 
ebenso von selbst wieder nieder. Die Ausführung ist dauerhaft, und der ein¬ 
fache Mechanismus functionirt geräuschlos und sicher. 

M ö h r i n g - Würzburg. 

C. Hübscher, Geleimte Cellulose, ein Ersatz für den Walltuch sehen Holz¬ 
leimverband. Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte 1892, Nr. 23. 

In der geleimten Cellulose (bezogen aus der Cellulosefabrik Simonius 
in Kehlheim; nicht zu verwechseln mit dem von Lorenz neuerdings ebenfalls 
zu Verbänden benutzten Celluloid) scheint Hübscher zu den bisher für er¬ 
härtende Verbände verwandten Stoffen einen ausgezeichneten weiteren hinzu¬ 
gefügt zu haben. Die papierdünnen, leicht zu schneidenden, in feuchtem Zu¬ 
stande schmiegsamen Celluloseplatten werden, einander etwas deckend, auf dem 
Gipsmodell getrocknet und dann geleimt, zwei Schichten über einander. Nach 
vollständigem Trocknen wird der Verband oder Apparat aufgeschnitten, mit 
Trikot überzogen und mit entsprechendem Verschluss versehen. Etwaige Schienen 


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Referate. 


467 


u. 8. w. lassen sich sehr gut an zwischen beide Schichten geleimten Eisenblech¬ 
platten anbringen. Diese Verbände oder Apparate sind leicht herzustellen, von 
geringem Gewicht, elastisch, dabei aber äusserst widerstandsfähig und elegant. 

Möhring-W ürzburg. 

A. Bum, Zur physiologischen Wirkung der Massage auf den Stoffwechsel. 
Wiener med. Club. — Sitzung vom 14. December 1892. 

Vortragender wurde zu seinen Untersuchungen durch die Erfahrung ver¬ 
anlasst, dass Individuen, welche allgemeiner Körpermassage durch längere Zeit 
unterworfen werden, nicht selten erhebliche Steigerung ihrer Diurese melden. 
Zunächst nahm Bum umfassende Versuche an grösseren Hunden im Laboratorium 
des Professors v. Basch vor und konnte bedeutende Steigerung der Ham- 
absonderung während der Massage constatiren, als deren Ursache die Expres¬ 
sion der in den grossen Muskellagem befindlichen Stoffe („Ermüdungsstoffe“) 
erkannt wurde. — Im Sommer d. J. setzte Bum seine Untersuchungen über 
diesen Gegenstand an der Klinik Nothnagels fort, indem er durch 20 Tage 
an zwei Personen (einer an Ischias leidenden 42jährigen Frau und einem 
28jährigen, mit Darmatonie geführten Manne) in längeren und kürzeren Inter¬ 
vallen allgemeine Körperraassage ausführte, wobei der Muskelknetung und -Be¬ 
wegung besondere Beachtung geschenkt wurde. Der Ham der im Stoffwechsel¬ 
gleichgewichte befindlichen Patienten wurde sorgfältig gesammelt und — be¬ 
hufs Studiums der durch die Massage gesetzten Veränderungen — im Labora¬ 
torium Jo lies qualitativ und quantitativ analysirt. 

Die bisherigen Ergebnisse dieser in graphischer Darstellung vorgeführten 
Versuche, welche keineswegs als abgeschlossen zu betrachten sind, waren: 
Steigerung der Diurese an den Massagetagen, im allgemeinen Erhöhung der 
Harastoffausscheidung theils während der Massage, theils in unmittelbarem An¬ 
schlüsse an dieselbe. Chloride und Phosphate scheinen nicht alterirt zu werden. 

Redner hebt die Uebereinstimmung der Resultate dieser demnächst fort¬ 
zusetzenden Versuche (bezüglich der Diurese) am (gesunden) Menschen mit seinen 
Thierversuchen hervor, vorläufig ohne denselben praktische Bedeutung beizu¬ 
messen. 

Rud. Fick, Ueber die Arbeitsleistung der auf die Fussgelenke wirkenden 
Muskeln. — Habilitationsschrift. — Aus der Festschrift von Kölliker 
vom anatomischen Institut Würzburg. 

Ausgehend von dem Satze der Muskelphysiologie, dass das Product aus 
Spannung und der vom Endpunkte des Muskels zurückgelegten Wegstrecke allein 
ein exactes Maass für die von einem Muskel bei einer bestimmten Bewegung 
geleistete Arbeit gibt, unternahm es der Verf., ähnlich wie früher E. Eick, 
(A. Eugen Fick und E. Weber, Anatom.-mechan. Studie über die Schulter¬ 
muskeln. Würzburger Verh. N. F. 1877, Bd. 12), für das Schultergelenk, die 
Verkürzung der einzelnen Fussmuskeln unter verschiedenen Stellungen, bei ein¬ 
fachen und combinirten Bewegungen des Fusses zu prüfen. 

Die Feststellung der Verkürzung gestattet bei zweigelenkigen Muskeln, 
wenn sie für beide Gelenke für sich geprüft wird, einen directen Schluss auf 
die Betheiligung des Muskels bei der Bewegung jedes einzelnen derselben. 


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468 


Referate. 


Zieht man aber ausser der experimentell bestimmten Verkürzung noch 
die Spannung bei, mit andern Worten den grössten Querschnitt des Muskels, 
der, gleiche Erregung vorausgesetzt, der Spannung proportional ist, so ist man 
in den Stand gesetzt, noch die Leistung verschiedener Muskeln mit einander 
vergleichen zu können. 

Verf. hat uns dadurch, wie das wohl bisher noch nie geschehen ist, einen 
ausserordentlich schätzenswerthen und klaren Einblick in die Muskelmechanik 
des Fusses eröffnet. 

Die Untersuchungsmethode war folgende: Ein möglichst noi*maler Fuss 
und Unterschenkel wird in der Weise praparirt, dass die Muskeln des Unter¬ 
schenkels sämmtlich so abgetragen werden, dass die Sehne um 20 cm die von 
den Ligamenten (Ligam. laciniatum bezw. Retinae, tendin peron. Ligmt. cruc.) 
gebildeten Kanäle überragte. Die Haut wurde bis an die Zehen abgetragen. 
Eine Oese wurde am oberen Ende des Knochens, der Mitte der Muskelansätze 
entsprechend, eingeschlagen. Ein Faden am Sehnenstumpfe befestigt, durch die 
Oese und über eine in gleicher Höhe aufgestellte Rolle geführt, an seinem 
Ende mit einem Gewichte beschwert, hinter dem eine senkrechte Millimeter¬ 
scala aufgestellt wurde, gestattete bei den vorgenommenen Bewegungen die 
Grösse der Excursion des Sehnenstumpfes, somit der für die Bewegung noth- 
wendigen Muskelverkürzung zu bestimmen. Bei jedem Muskel wurden 10 Mes¬ 
sungen vorgenommen, im ganzen über 1200 Messungen. 

Nach einander prüfte noch Fick in dieser Weise die Verkürzung der 
einzelnen Muskeln bei Bewegungen in den verschiedenen Fussgelenken wie folgt: 

L Im Beugestreckgelenk (oberes Fussgelenk, Articul. talocrural.). 

(Die Fixirung der übrigen Gelenke erfolgte hierbei durch Eintreiben eines 
Nagels durch das untere Fussgelenk und Aufnageln des Vorderfusses und 
Calcaneus auf ein Brettchen.) 

II. Im Pro-Supinationsgelenk (unteres Sprunggelenk, Artic. talocalcanea 
und talonavicularis). 

(Vordere Gelenke auf ein Brettchen genagelt, oberes Sprunggelenk durch 
einen Nagel fixirt.) 

III. Im Chopart’schen Gelenk (Artic. medio-tarsea, mittleres Fussgelenk, 
talo-scaphoidea und calcaneo-cuboidea). 

Oberes und unteres Sprunggelenk fixirt durch Nagel, vorderer Theil auf 
einem Brettchen festgeheftet. 

IV. Im combinirten Pronations-Supinationsgelenk zusammen. (Chopart 
plus unteres Sprunggelenk.) 

(Die Fixation der übrigen Gelenke erfolgte in gleicher Weise wie bisher.) 

V. In den Zehengelenken. 

(Fuss im übrigen Theil fixirt.) 

VI. Bei Freiheit sämmtlicher Gelenke. 

Diese Methode wurde bei 3 Präparaten durchgefuhrt. Bei einem dieser 
Präparate wurde zudem Gewicht und grösster Querschnitt des Muskels bestimmt 
und mit der letzteren Bestimmung die Möglichkeit gewonnen, nicht nur das 
eine Moment der Arbeitsleistung des Muskels, die Verkürzung, sondern auch 
noch das andere, die Spannung, in die Berechnung einzuziehen, so dass es 


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J 


Referate. 


469 


möglich war, ein annähernd richtiges Bild für die Arbeitsleistung der einzelnen 
Muskeln in Zahlen wiederzugeben. 

Schon diese Mannigfaltigkeit der Prüfungen macht es dem Referenten 
unmöglich, die Resultate in wenigen Worten wiederzugeben. Die Lectüre der 
interessanten und an Ueberraschungen reichen Arbeit muss aber jedem, der sich 
mit Fussdeformitäten beschäftigt, empfohlen werden. Für die Pathologie des 
Klumpfusses und Plattfusses findet man hier sehr schätzenswerthe Aufklärungen. 

Der Zusammenstellung der Hauptergebnisse des Verf. entnehme ich noch 
folgende Angaben. 

Der Gastrocnemius ist ein sehr kräftiger Strecker des oberen Sprung¬ 
gelenks und Supinator des unteren Sprunggelenks. Der Soleus ist der kräf¬ 
tigste aller Fussmuskeln, er steht obenan unter den Streckern und Supinatoren 
des Fusses, dem fibularen Kopf fällt der grössere Antheil zu. 

Der Flexor digitor. commun. long. ist einer der schwächsten in Bezug 
auf seine Gesammtarbeit, Hauptwirkung Beugung der Zehen, nächste Wirkung 
Supination des unteren Sprunggelenks. Der Tibialis posticus gehört zu den 
schwächeren Muskeln; ganz überwiegend ist aber seine Wirkung auf die Supi¬ 
nation des Fusses im Talo-calcaneusgelenk, wo er gleich nach den dicken Waden¬ 
muskeln kommt und dabei fast halb so viel Arbeit leisten kann wie der Gastro¬ 
cnemius. 

Flexor halluc. longus. Hauptwirkung Zehenbewegung, nächstdem Fuss- 
streckung, Supination im Talo-calcaneusgelenk, sehr schwache Supination im 
queren Tarsalgelenk. 

Peroneus long. Hauptpronator des Fusses. 

Peroneus brevis, zweitschwächster Muskel, pronirt aber kräftig im unteren 
Sprunggelenk, bedeutend schwächer im queren Tarsalgelenk, sehr schwach im 
oberen Sprunggelenk. 

Peroneus tertius war bei dem vorliegenden Präparat (wahrscheinlich 
individuell) sehr gering entwickelt, dementsprechend geringe Wirkung auf die 
beiden Sprunggelenke. 

Extensor digitor. commun. long. Die Zehengelenke stellen nicht sein 
Hauptarbeitsfeld dar, sondern er leistet fast die doppelte Arbeit als Flexor 
pedis und arbeitet als Pronator im unteren Sprunggelenk fast ebenso viel wie 
an den Zehen. Er pronirt noch stark in der Artic. mediotarsea. 

Extensor hall. long. ist in erster Linie Fussbeuger, in zweiter Linie Strecker 
der grossen Zehe. Auf das untere Sprunggelenk wirkt er pronirend, auf das 
quere Tarsalgelenk supinirend. 

Tibialis anticus ist der stärkste Muskel nach dem Triceps surae. Von 
der Normalstellung aus kann er im oberen Sprunggelenk und queren Tarsal¬ 
gelenk proniren und supiniren. 

Einige Bemerkungen über die Beziehungen der üntersuchungsresultate 
zur Pathologie und Therapie und ein geschichtliches Schlusswort bilden den 
Abschluss der Arbeit. 

Im letzteren wird namentlich betont, dass die exacten Untersuchungen 
auf dem Gebiete der Muskelphysiologie zu den seltenen Erscheinungen gehören 
und die Unzulänglichkeit der meisten bisher geübten Methoden dargethan. 

Wilhelm Schulthess-Zürich. 


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470 


Referate. 


L. W. Liersch, Die linke Hand. Eine physiologische und medicinisch-prak- 
tische Abhandlung für Aerzte, Pädagogen, Berufsgenossenschaften und 
Versicherungsanstalten. Berlin 1893. 

Liersch sucht in dieser Monographie einen Zusammenhang zu con- 
struiren zwischen der Rechtshändigkeit des Menschen und einer Reihe von 
üebeln, so den Rückgratsverkrümmungen, Fehlern der Augen, Stuhl Verstopfung, 
Stauungen in den Gefässen des Unterleibs u. dergl. m. Ohne die Berechtigung 
einer gewissen Priorität der rechten Hand zu bestreiten, versucht Liersch 
durch die vorliegende Schrift auf Zweihändigkeit — Amphidexterität — hinzu¬ 
wirken, die er besonders bei Neigung zu den oben erwähnten üebeln zu er¬ 
streben räth. Auch die ünfallverhältnisse werden mit eingeflochten, um auch 
in dieser Beziehung darauf hinzuweisen, welchen Werth die linke Hand für 
den Arbeiter wie für alle Berufsarten hat und wie bedeutend ihr Verlust, ja 
nur ihre theilweise Schädigung sich im Leben geltend macht. 

Dr. G. Joachimsthal-Berlin. 

P. Lesshaft, Grundlagen der theoretischen Anatomie. I. Theil. Leipzig. 
J. C. Hinrich’sche Buchhandlung, 1892. 

Das interessante Werk Lesshaft’s hat auch für uns einen grossen 
Werth, indem es uns gediegene Aufschlüsse über den Bau der Knochen und 
Gelenke, über die mechanischen Bedingungen der Muskelthätigkeit, sowie über 
den Schwerpunkt des menschlichen Körpers bietet. Das Studium desselben 
kann deshalb nur empfohlen werden. Hoffa-Würzburg. 

Medicinische Märchen von Philander. Stuttgart. Verlag von Levy & Müller. 

Die Lectüre der Philander’schen Märchen, deren erstes gleich ein 
„orthopädisches Märchen aus dem Lande der Pharaonen“ ist, hat uns grossen 
Genuss bereitet und hoften wir, dass recht zahlreiche Collegen sich in ihren Musse- 
stunden den gleichen Genuss bereiten werden. Hof fa-Würzburg. 

Heather Bigg. A Short Manuel of orthopaedy. Part. I. The Deformities and 
Deficiencies of the Head and Neck. London. J. & A. Churchill, 1892. 
Das vorliegende Heft, das den ersten Theil eines neuen Werkes des be¬ 
kannten Verfassers darstellt, behandelt nicht nur die Deformitäten, sondern 
auch alle möglichen Fehler des Kopfes und Halses. So finden wir den Hydro- 
cephalus und Mikrocephalus, die Atherome, die Encephalocelen, Exostosen etc. 
beschrieben. Ein abschliessendes Urtheil kann erst nach Vollendung des Werkes 
gegeben werden. H o f fa - Würzburg. 

F. Valetti, Storia della Giastica, Milano, Ulrico Hoepli 1893. 

Kurze Uebersicht über die Entwickelung der Gymnastik von ihren An¬ 
fängen an bis auf unsere Zeit und ihre Einführung in den verschiedenen Län¬ 
dern Europas. H off a-Würzburg. 

J. Brousses, Manuel technique de Massage. Paris. G. Mason, 1893. 

Kurze Anleitung zur Technik der Massage in recht übersichtlicher Weise. 

Hof fa-Würzburg. 


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Referate. 


471 


Max Dolega, Die Massage, ihre Technik und Anwendung in der praktischen 

Medicin. Leipzig, Verlag von Naumann. 1893. 

Ein verdienstvolles Büchlein, das in 116 Seiten die Massage wirklich 
wissenschaftlich behandelt und an dem wir nur auszusetzen haben, dass die 
beschriebene Technik der Massage unseren Anforderungen nicht entspricht. 
.Wir werden demnächst unsere eigenen Anschauungen über die Massagetechnik 
erscheinen lassen. So kurz das Buch auch ist, halten wir es doch für eines 
der besten in unserer deutschen Litteratur. Ho ff a-Würzburg. 

H. A. Ramdobr, Die Heilgymnastik, gemeinverständlich dargestellt. Leipzig, 

Verlag von J. Weber. 1893. 

Verfasser hat es verstanden, das Wesen der Heilgymnastik allgemein- 
verständlich darzustellen und namentlich die Ausführung der verschiedenen Metho¬ 
den der Heilgymnastik klar zu schildern. Die Aerzte können viel aus dem 
Buche lernen, und da es auch die Laien nur über die Methode belehrt, ihnen 
dagegen an das Herz legt, nicht auf eigene Faust hin Gymnastik zu treiben, 
sondern nur unter sachverständiger Leitung eines Arztes, so wünschen wir dem 
Buche eine recht weite Verbreitung. Hoffa-Würzburg. 

G. Müller, Die schlechte Haltung der Kinder und deren Verhütung. Verlag 

von A. Hirschwald. 1893. 

Wenn das Buch auch nichts Neues bringt, so ist es doch ganz gut ge¬ 
schrieben und mag Aerzten und Eltern betreffender Kinder immer wieder aufs 
neue einschärfen, schon die beginnenden Scoliosen rationell behandeln zu 
lassen. H o f f a - Würzburg. 

Arndt, Biologische Studien. I. Das biologische Grundgesetz. 

Alles Leben ist Bewegung, und von aussen kommende Reize sind die 
treibende Kraft. Dieser Satz wird in der Einleitung zu den ,biologischen Stu¬ 
dien“ des Näheren erörtert und der Beweis dafür erbracht. Die Art der Wir¬ 
kung aller Reize lässt sich ausdrücken in folgendem Gesetz, welches Arndt 
denmach als das biologische Grundgesetz bezeichnet: ,Schwache Reize fachen 
die Lebensthätigkeit an, mittelstarke beschleunigen, fördern sie, starke hemmen 
und stärkste heben sie auf.“ Es macht natürlich für die Anwendbarkeit dieses 
Gesetzes keinen Unterschied, wenn, wie das in vielen Fällen ist, nicht die 
Reizgrösse, sondern die Widerstandsfähigkeit des gereizten Organismus wechselt, 
80 dass ein und derselbe Reiz für das eine Individuum ein schwacher ist, wäh¬ 
rend er für ein anderes minder widerstandsfähiges schon einen mittelstarken 
bis stärksten bedeutet. 

An acht Beispielen verschiedener Lebensformen wird die Richtigkeit des 
biologischen Grundgesetzes bewiesen. Am einfachsten und bekanntesten ist das 
Verhalten der Elementarorganismen. Alle, welche Bewegung zeigen, werden 
bei allmählich gesteigerter Erwärmung erst immer lebendiger, bis sie jedoch 
schliesslich gelähmt werden, endlich ganz zu Grunde gehen. Ebenso ist es bei 
chemischen Reizen. Weiter erklärt das biologische Grundgesetz die Thatsachen, 
dass manche Vogelarten partielle Hypertrophien ihres Gefieders, z. B. Hauben, 


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472 


Referate. 


zeigen, ihre Nachkommen aber an denselben Stellen kahl sind, dass Riesen 
häufig Zwerge in folgenden Generationen hervorbringen, dass ganz schwarz 
gefärbte Thiere oft von z. B. grauen Vorfahren die Zwischenstufe zu ganz 
weissem Nachwuchs bilden, dahin, dass alle diese Thiere erst infolge von für 
sie mittelstarken Reizen die erwähnten Hyptertrophien der Federn (Hauben), 
des allgemeinen Wachsthums (Riesen) und des Pigments (SchwarzfUrbung) 
zeigen, während derselbe Reiz für eine geschwächte Nachkommenschaft, als zu 
stark, zur Hypotrophie, Verkümmerung führt, also entsprechend partielle 
Kahlheit, Zwergwuchs, Pigmentlosigkeit zur Folge hat. In der Heilkunde finden 
wir das biologische Grundgesetz einmal im Pflüger’schen Zuckungsgesetz 
wieder, dann in der Wirkung von Medicamenten, welche in schwachen Dosen 
anregend, in stärkeren lähmend, ja tödtlich wirken können, wobei als prak¬ 
tisch zu beiücksichtigen die sehr verschiedene Widerstandsfähigkeit des ge¬ 
sunden und kranken Organismus hervorgehoben wird. Die Wirkung der 
Massage, des Hypnotismus, der Suggestion, der Elektro-Klimato- und Balneo¬ 
therapie unterliegt ebenfalls dem biologischen Grundgesetz. 

Orthopädisch interessant ist die Anwendung des biologischen Grund¬ 
gesetzes auf die Entstehung von Platt- und Klurapfuss. Das Wesen des Platt- 
und Klumpfusses ist ein übermässiges, bezw. zu geringes Wachsthum der 
inneren Theile des Fusses. (Die hier entwickelten Theorien beziehen sich doch 
wohl nur auf den angeborenen Platt- und Klumpfuss.) 

Bei den betreffenden Individuen soll sich meist auch entsprechend Platt¬ 
oder Klumphand in allerdings geringem Grade finden. Dadurch wird auf das 
Centralnervensystem hingewiesen als den Ausgangspunkt des die Paratrophie 
verschuldenden Reizes. Dass nun gerade die Radial- und die Tibialseite der 
Extremitäten von den betreffenden Reizen so beeinflusst werden, erklärt sich 
nach der Archipterygiumtheorie von Gegenbaur, welche der Ulna und 
Fibula die Stelle des Stammes zuweist, an welchem die anderen Knochentheile 
nur Seitenstrahlen, Aeste sind, und als solche geringere Widerstandsfähigkeit 
besitzen. Bei für diese Theile also verhältnissmässig mittelstarken Reizen 
werden sie hypertrophiren, es entsteht Plattfuss und Platthand, bei stärksten 
Reizen werden sie atrophiren, es entsteht Klumpfuss und Klumphand. 

Endlich wird noch angeführt, dass auch die Wärmebildung im Körper, 
sowie die Reaction der Psyche auf Reize, z. B. alle Affecte, dem biologischen 
Grundsatz unterliegt. Dass psychische Erregungen bis zu den hochgradigsten 
Aufregungszuständen, endlich aber zu Lähmung und Tod führen können, ist 
ja allgemein bekannt. 

Dem eigenen Lesen der interessanten Abhandlung muss es überlassen 
bleiben, sich von der Beweiskraft der angeführten Beispiele zu überzeugen. 
Sicher ist, dass uns das biologische Grundgesetz \nele bisher unbegreifliche 
Lebensvorgänge verstehen lässt. Somit möge hierin die Anregung gegeben 
sein, zur Anwendung des Gesetzes auch auf andere Gebiete der Lebensthätig- 
keit, und besonders in der Entwickelungsgeschichte der Lebewesen dürfte das 
biologische Grundgesetz überall aufklärend wirken. In Einzelheiten, z. B. der 
Theorie von der Entstehung der Bacterien im thierischen Körper aus den sog. 
Protoplasmakörperchen, kleinsten, besonders differenzirten Protoplasmatheilchen 


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Referate. 


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innerhalb der thierischen Zelle, wird Arndt freilich manchen Widerspruch 
erfahren. Möhring-W ürzburg. 

L. Empfenzeder, München, Instrumentenmacher. Eine neue Verbandscheere. 

Die Scheere eignet sich vorzüglich zum Aufschneiden von Contentiv- 
verbänden und ist in der That die beste derartige Scheere, die ich bis jetzt 
kenne. Beim Gebrauch der Scheere ist Folgendes zu beachten: Erstens ist die 
Schnittfläche der Scheerenblätter fleissig einzuölen; zweitens soll bei fest an¬ 
liegenden Verbänden die Schnittlinie nicht über Gelenke und Knochen, sondern 
möglichst über Weichtheile verlegt werden, um Druck zu vermeiden. 

H 0 f f a - W ürzburg. 

C. Boegle, Die Entstehung und Verhütung der Fussabnormitäten auf Grund 
einer neuen Auffassung des Baues und der Bewegungen des normalen 
Fusses. München 1893. Verlag von J. F. Lehmann. 

Eine hochinteressante Arbeit, deren gi*ündliches Studium jedem sich mit 
der Orthopädie beschäftigenden Arzte dringend an das Herz gelegt werden 
muss. Der Inhalt der Schrift schliesst sich eng an B o e g 1 e’s vor einigen Jahren 
veröffentlichte Abhandlung ^lieber den Mechanismus des menschlichen Ganges 
und die Beziehungen zwischen Form und Bewegung* an und führt zu höchst 
wichtigen Schlussfolgerungen. 

Es ist unmöglich im kurzen Referat den reichen Inhalt des Buches wieder¬ 
zugeben. Wir wollen letzteren nur dadurch charakterisiren, dass wir die 
einzelnen behandelten Kapitel anführen. Nach einem Vorwort und einer Ein- 
theilung folgen sich die Kapitel: Fussgelenke, Combination der Bewegungen 
von zwei und mehr Gelenken, Antagonistentheorie, Muskelfunctionen, Muskel¬ 
functionen beim Stehen und Gehen, Umw'andlung der Fussform des Neugeborenen 
in die gleiche der Erwachsenen, Plattfussbildung, Ursache und Verlauf 
der häufigsten Fonnen von Plattfussbildung, die übrigen Fussdeformitäten, zur 
Behandlung des Anfangsstadiums des erw^orbenen Plattfusses und Schlussfolge¬ 
rungen. 

Wie man sieht, ist das Thema sehr eingehend behandelt und kann nur 
nochmals dem Buche ein recht eifriges Studium und eine weite Verbreitung 
gewünscht werden. Hoffa-Würzburg. 


Nekrologe. 

A. G. Drachmann, Professor, Dr. med. hon., ist am 2. Juli 1892, 82 Jahre 
alt, gestorben. 

Drachmann war eine lange Reihe von Jahren ein viel beschäftigter 
Orthopäd zu Kopenhagen, Besitzer verschiedener „orthopädischer Institute“. 
Er w^ar der erste dänische Arzt, der die Orthopädie als Specialität trieb und 
hat sich auf viele Weise um die dänische Orthopädie verdient gemacht, nicht 
am wenigsten durch seine Bestrebungen, die Bandagisten (in der Person des 
verstorbenen Nyrop) hinter die richtigen Grenzen zu weisen. Er war bis 
zu seinen letzten Lebensjahren ein eifriger und unermüdlicher Verfasser auf 


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Referate. 


allen Gebieten der Orthopädie, einschliesslich Schulhygiene, Mädchentumen 
u. 8. w.; hat auch vielerlei selbständige Untersuchungen, z. B. über Kyrto- 
metrie, Fhosphaturie bei Spondylitis u. a. m. vorgenommen. Deutschen Lesern 
wird wohl Drachmann am besten durch seine Abhandlung: Ueber Skoliosis 
in d. Berl. klin. Wocbenschr. (1885) bekannt sein, welche eine grosse Skoliose¬ 
statistik enthält. Leider bringt letztere, begründet durch die Mängel des Ma¬ 
terials, nicht zuverlässige Mittheilungen über die statistischen Verhältnisse der 
Skoliose in Dänemark. Sigfred Levy. 

E. Ipsen, Professor, Dr. med., Leibarzt des dänischen Kronprinzen, Comman- 
deur des Dannebrogordens, Inhaber eines „gymnastisch-orthopädischen 
Instituts*, Privatdocent der Orthopädie, ist den 29. September 1892 ge¬ 
storben, 48 Jahre alt. 

Ipsen umfasste seine Specialität mit grossem Interesse; seine Art der 
Behandlung von Spondylitis cervicalis (mittelst Kinn- und Hinterhauptstützen, 
die an der Gipsjacke befestigt wurden) werden von Schede auf dem Berliner 
Congresse demonstrirt und besprochen. Sigfred Levy. 


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