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Full text of "Zeitschrift Für Orthopädische Chirurgie Einschließlich Der Heilgymnastik Und Massage 3.1894 UC"

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UNIVERSITY OF CALIFORNIA 
SAN FRANCISCO MEDICAL CENTER 
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ZEITSCHRIFT 

FÜR 

ORTHOPÄDISCHE CHIRURGIE 

EINSCHLIESSLICH DER 

HEILGYMNASTIK UND MASSAGE. 


UNTER MITWIRKUNG 

VON 

Prof. J. WOLFF in Berlin, Dr. BEELY in Berlin, Prof. Dr. LORENZ in Wien, 
Privatdocent Dr. W. SCHULTHESS in Zürich und Dr. NEBEL in Frankfurt a. M. 

HERAUSGEGEBEN 

VON 

DR- ALBERT HOFFA, 

PRIVATDOCENTEN DER CHIRURGIE AN DER UNIVERSITÄT WÜRZBURG. 

III. BAND. 


MIT 158 IN DEN TEXT GEDRÜCKTEN ABBILDUNGEN. 


STUTTGART. 

VERLAG VON FERDINAND ENKE. 

1894. 




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Druck der Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart. 



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Inhalt 


Seite 


I. Ueber einen Leimverband mit Einlagen von Rohrgeflecht. Von 
Dr. Urban, erstem Assistenten der chirurgischen Klinik zu Leipzig 1 

II. Ueber die Behandlung von Schenkrlhalsfracturen im Stehbett. Von 

Dr. Messner in München. (Mit 4 in den Text gedruckten Ab¬ 
bildungen) . 4 

III. Dynamometer „Sylomer“, Apparat für Kraftmessung isolirter Muskel¬ 

gruppen. Von Dr. Michael Barsow, Director des orthopädischen 
und heilgymnastischen Institute zu Moskau. (Mit 6 in den Text 
gedruckten Abbildungen). 9 

IV. Rechteseitiger Schief hals. — Offene Durchschneidung. Heilung. Von 

Dr. Cessare Ghillini in Bologna. (Mit 2 in den Text gedruckten 
Abbildungen). 18 

V. Ein neuer Skoliose-Apparat von G. Gerlitz in Graz. Von Dr. F. Walser, 
Universitäts-Docent und Arzt der orthopädischen Privatheilanstalt 
in Graz. (Mit 7 in den Text gedruckten Abbildungen) .... 22 

VI. Analyse einiger chirurgischer Irrthümer in der jüngsten Vergangen¬ 
heit und Gegenwart. Von Louis Bauer M. I)., Professor der 
Chirurgie an dem St. Louis College of Phys. and Surg. etc. etc. . 31 

VII. Werthvolle Verbesserung von unheilbaren Klumpfüssen durch eine 

bis dahin nicht verwerthete Operation. Von Louis Bauer M. D., 
Professor der Chirurgie an dem St. Louis College of Phys. and 
Surg. etc. etc. (Mit 3 in den Text gedruckten Abbildungen) . . 40 

VIII. Die Behandlung der Pott’schen Wirbelerkrankung. Vorgetragen auf 
dem allgemeinen medicinischen Congress zu Washington im Sep¬ 
tember 1893. Von A. B. Judson M. D., orthopädischer Chirurg 

der Poliklinik des New York Hospital.45 


IX. Einige praktische Punkte bei der Behandlung der tuberculösen 
Hüftgelenkserkrankung. Vorgetragen auf dem allgemeinen ameri¬ 
kanischen Congress zu Washington im September 1893. Von 
A. B. Jud son M. D., orthopädischer Chirurg der Poliklinik des 
New York Hospital. (Mit 13 in den Text gedruckten Abbildungen) 49 
Referate. (Mit 2 in den Text gedruckten Abbildungen).63 

X. Aus der Heidelberger chirurgischen Universitätsklinik des Herrn 
Geheimrath Prof. Dr. Czerny. 

Erster Jahresbericht der Ambulanz für orthopädische Chirurgie. 

Von Dr. Oscar Vulpius, Privatdocenten der Chirurgie und Assi¬ 
stenten der Klinik.' . . 101 

XI. Aus der chirurgischen Abtheilung des hauptstädtischen allgemeinen 
Krankenhauses St. Johann zu Budapest (Director Dr. Ludvik). 

Ein Fall von Genu valgum höchsten Grades mit completer 
Luxation der Kniescheiben nach aussen. Tenotomie des Biceps, 


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IV 


Inhalt. 


Seite 


lineare Osteotomie nach Mac Ewen, keilförmige Excision der Tibia 
mit linearer Durchmeisselung der Fibula beiderseits. Heilung. Von 
Dr. Nicolaus Ostermayer -Budapest, Assistenzarzt. (Mit 4 Ab¬ 
bildungen im Text).119 

XII. Ueber die abnorme Rotation der unteren Extremitäten und ihre 
Behandlung mittelst Rotationsbändern. Von Dr. C. B. Tilanus, 
Privatdocenten für Chirurgie und Assistenten an der orthopädischen 
Poliklinik in Amsterdam. (Mit 1 in den Text gedruckten Abbildung) 136 

XIII. Aus der Königl. Universitätspoliklinik für orthopädische Chirurgie 
zu Berlin. 

Ueber den angeborenen totalen Defect des Schienbeins. (Nach 
einem am 8. Januar 1894 in der Freien Vereinigung der Chirurgen 
Berlins gehaltenen Vortrage.) VonDr. G. Joachimsthal, Assistenz¬ 
arzt der Poliklinik. (Mit 4 in den Text gedruckten Abbildungen) 140 

XIV. Mittheilung aus der chirurgisch-orthopädischen Privatklinik des 
Privatdocenten Dr. A. Hoffa zu Würzburg. 

Ueber die Architektur rhacliitischer Knochen. Ein Beitrag zum 
WolflTschen Transformationsgesetz. Von Dr. Alfred Graf. (Mit 
14 in den Text gedruckten Abbildungen).174 

XV. Der hydraulische Druck, eine häufige Durchgangsphase der Coxitis 
und seine Verwerthung in der Behandlung derselben. Von Louis 
Bauer M. D., M. R. C. S. von England und Professor der Chirurgie 
an dem St. Louis College of Physicians and Surgeons.197 

XVI. Ueber den Beckenring an orthopädischen Apparaten und Anleitung 

zur Anfertigung des Hessing'schen Corsets. Von Dr. Wilhelm 
Wagner-Metz. (Mit 8 in den Text gedruckten Abbildungen) . . 201 

Referate. (Mit 4 in den Text gedruckten Abbildungen).211 

XVII. Studien über die Ausdehnungsfähigkeit des menschlichen Fusses. 

Von I)r. G olebiewsk i-Berlin. (Mit 57 in den Text gedruckten 
Abbildungen).243 

XVIII. Aus der chirurgischen Abtheilung des St. Vincenz-Hospitals zu 
Duisburg. 

Beitrag zur Behandlung des Klumpfusses. Von Dr. med. Ferd. 
Schultze, Spezialarzt für Chirurgie. (Mit 10 in den Text gedruckten 
Abbildungen).306 

XIX. Arbeitsschulen für Verkrüppelte. Von Dr. Reinhardt-Natvig- 

Christiania. (Mit 3 in den Text gedruckten Abbildungen) . . . 325 

XX. Aus dem medico-mecbanischen Zander-Institut Hannover. 

Ein Beitrag zur Lehre vom Schreibkrampf. Von Dr. Ferdinand 
Bähr. (Mit 2 Figuren).337 

XXI. Ueber die Ursachen der Muskelermüdung, nach fremden und eigenen 
Untersuchungen. Von Dr. Adolf Brandis, Arzt in Baden-Baden. 

(Mit 12 in den Text gedruckten Abbildungen).366 

XXII. Ueber eine neue Schiene gegen X-Bein. Vortrag, gehalten in der 
66. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte, Section 23 
(Chirurgie), am 25. September 1894. Von Dr. Ludwig Heusner- 
Barmen, Oberarzt am städtischen Krankenhaus. (Mit 1 Abbildung 


im Text).387 

Referate. (Mit 1 in den Text gedruckten Abbildung).390 

Namenregister für die Referate von Band I bis Band III.439 

Sachregister für die Referate von Band I bis Band III.445 


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I. 


Ueber einen Leimverband mit Einlagen von Rohr¬ 
geflecht. 

Von 

Dr. Urban, 

erstem Assistenten der chirurgischen Klinik zu Leipzig. 

Seit ungefähr 4 Jahren ist in der chirurgischen Klinik zu Leipzig 
ein erhärtender Verband im Gebrauche, der wohl kaum anderwärts 
in derselben Form angewandt wird, wegen seiner Eigenschaften aber 
besonders zu orthopädischen Zwecken eine weitere Verbreitung ver¬ 
dient. Ich gebe deshalb hier kurz unser Verfahren wieder, das sich 
nach den für die erhärtenden Verbände geltenden Regeln variiren lässt. 

Das Wesentliche am Verbände ist ein Rohrgeflecht und Leim. 
Wir wenden drei Arten von Rohrmatten an: zwei Sorten Kreuz¬ 
geflecht, ein weitmaschiges und ein enges, und ein drittes Geflecht, 
in dem die Rohrstäbchen in der Hauptsache in der Längsrichtung 
an einander gereiht sind. Die Kreuzgeflechte sind geschmeidiger 
und allseitig biegsamer, als die dritte Art. Bezogen wird das Ma¬ 
terial von der Rohrwaarenfabrik: A. Ehrich in Leipzig, Dufourstr. 15. 
Die Herstellung des Verbandes ist ähnlich, wie bei allen Kapsel¬ 
verbänden mit verstärkenden Einlagen. 

Als Unterlage dient an den Extremitäten die Trikotstrumpf¬ 
binde, sonst gewöhnliche Mull- oder Flanellbinde. Als porösen Stoff 
zur Aufnahme des Leimes verwenden wir Mullbinden. Der Leim 
(zwei Gewichtstheile Wasser, ein Gewichtstbeil guter Tischlerleim) 
wird im Wasserbade gekocht. Die Rohrmatten werden vorher, nach 
der Configuration des Körpertheiles, in schmäleren oder breiteren 
Streifen von der Länge des Verbandes zurechtgeschnitten und in 
heisses Wasser gelegt, damit sie recht geschmeidig werden. Ist in 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. III. Band. 1 


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Urban. 


dieser Weise alles vorbereitet, so wird die erste Lage Mull — Ein¬ 
wickelung des Körpertheiles mit einer einfachen Lage einer Mull¬ 
binde von entsprechender Breite — auf die Strumpfbinde aufgewickelt 
und dieselbe mittelst eines Borstenpinsels mit Leim getränkt. Es 
ist darauf zu achten, dass der Leim beim Aufträgen nicht zu heiss 
ist. Auf die erste folgt die zweite Lage Mull, die in derselben 
Weise mit Leim getränkt wird. Darauf folgt die Einlage des Rohr- 
geflechtes, die mittlerweile in heissem Wasser genügend geschmeidig 
geworden. Die Rohrmatten werden vor dem Auflegen ebenfalls mit 
Leim getränkt, indem man sie langsam durch den flüssigen Leim 
hindurchzieht oder, wenn die Einlage zu umfangreich ist, sie gründ¬ 
lich mit Leim bepinselt. Auf die Einlagen folgen wiederum zwei 
Lagen Mullbinde, von denen jede für sich nach dem Anlegen in 
der oben angegebenen Weise mit Leim getränkt wird. Damit ist 
der Verband vollendet. 

Nach 12 Stunden ist er soweit getrocknet, dass die Kapsel 
nach der Abnahme ihre Form bewahrt. Sie wird in der gewohnten 
Weise gespalten und eingefasst. Die Anwendung geschieht nach 
denselben Indicationen, wie die des Wasserglasverbandes. Um die 
Art der Verwendung der Einlagen zu illustriren, führe ich folgende 
zwei Verbände an: 

1. Eine Kapsel für das Bein zur Ruhigstellung des Knie¬ 
gelenkes. Hier verwenden wir in der Regel drei Streifen Rohr¬ 
matten, einen auf die Hinterfläche, einen auf die Innenfläche, einen 
auf die Aussenfläche. Die Breite wechselt nach dem Umfange des 
Beines. Es muss ein kleiner Zwischenraum zwischen den an ein¬ 
ander grenzenden Rändern der drei Streifen sein, um den Verband 
biegsamer zu gestalten. Entsprechend der Schienbeinkante bleibt 
ein breiterer Zwischenraum von ungefähr 2 cm, einmal weil in der 
Regel der Verband hier gespalten wird, zweitens zur sicheren Ver¬ 
meidung jeglichen Druckes, wenn auch diese Gefahr bei dem so 
geschmeidigen Material ausserordentlich gering ist. 

2. Eine Kapsel zur Ruhigstellung des Hüftgelenkes: der Ver¬ 
band beginnt unmittelbar oberhalb der Knöchel und reicht bis zur 
Höhe des Processus ensiformis sterni. Es finden ebenfalls drei Streifen 
Matte Anwendung. Die beiden Einlagen auf der Innen- und Hinter¬ 
fläche des Beines sind dieselben wie vorhin angegeben. Die äussere 
Einlage reicht jedoch bis zum oberen Ende des Verbandes. Am 
oberen Theile derselben schliessen sich oberhalb der Spitze des 


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Heber einen Leimverband mit Einlagen von Rohrgeflecht. 


3 


Trochanter major beginnend nach beiden Seiten 15—30 cm breite 
Fortsätze an, die bestimmt sind, einen soliden Beckengurt zu bilden, 
der eine umschliesst die vordere, der andere die hintere Fläche des 
Beckens und Unterleibes. Sie müssen so lang sein, dass sich ihre 
Enden auf der entgegengesetzten Seite annähernd berühren. Auf¬ 
geschnitten wird die Kapsel in der Höhe des Rumpfes an der ge¬ 
sunden Seite, am Beine am bequemsten auf der Innenseite. 

Diese kurzen Angaben genügen, um unser Verfahren zu er¬ 
läutern. Vor dem Gipsverbande hat? er die Vorzüge der Leichtig¬ 
keit, grösseren Biegsamkeit und Geschmeidigkeit mit dem Wasser- 
glasverbande gemein. Die Matteneinlage gibt ihm seinen Vorzug 
vor dem einfachen Leim- und Wasserglasverbande: Bei derselben 
Leichtigkeit und Geschmeidigkeit grössere Festigkeit und Dauer¬ 
haftigkeit. 


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II. 


Ueber die Behandlung von Schenkelhalsfractnren 
im Stehbett 1 ). 

Von 

Dr. Messner in München. 

Mit 4 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Obgleich gerade in den letzten Jahren von verschiedenen Seiten 
Schienenapparate angegeben worden sind, mit welchen Patienten mit 
Oberschenkel- und Schenkelhalsfracturen ausserhalb des Bettes be¬ 
handelt werden können, so ist doch wohl die Mehrzahl der deut¬ 
schen Chirurgen bei den genannten Afiectionen der alten Methode 
der permanenten Gewichtsextension treu geblieben und meiner An¬ 
sicht nach mit Recht; denn die Resultate dieser Behandlungsmethode 
sind so gut, dass man mit ihnen wohl zufrieden sein kann. Ein 
Nachtheil haftet dieser Methode jedoch an: die Kranken sind ge¬ 
zwungen, längere Zeit horizontal im Bett zu liegen und da 
man es namentlich bei den Schenkelhalsfracturen meist mit alten 
Leuten zu thun hat, die das Bettliegen schlecht ertragen, so ent¬ 
wickeln sich bei diesen Kranken leicht Lungenhypostasen und hypo¬ 
statische Pneumonien, wir verlieren immer einen gewissen Procentsatz 
dieser Kranken an den genannten Affectionen. Um diesem Uebel- 
stand abzuhelfen, bin ich auf den Gedanken gekommen, diese Pa¬ 
tienten nicht in horizontaler, sondern in einer zur horizontalen mehr 
oder weniger geneigten Ebene, die sich unter Umständen mehr der 
verticalen nähert, zu extendiren. Zu diesem Zweck construirte ich 
ein Bett, dessen Matratze sammt Heberahmen, der fest auf die Ma- 


*) Vorgetragen auf dem XXII. Congress der Gesellschaft für Chirurgie 
in Berlin am 14. April 1893. 


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Ueber die Behandlung von Schenkelhalsfracturen im Stehbett. 


5 



tratze geschnallt ist, sich in Angeln dreht, die an der Langseite des 
Bettgestells angebracht sind, so dass die Matratze an ihrem Kopf- 














6 


Messner. 


den höchst einfachen Mechanismus des Stehbetts. Durch eine Eisen¬ 
stange, die am Kopfende an der unteren Fläche der Matratze ange¬ 
bracht ist und als Sperrapparat wirkt, lässt sich die Matratze in jeder 
beliebigen mehr oder weniger geneigten Ebene bis fast zur verti- 
calen fixiren. Das Hauptaugenmerk war nun darauf zu richten, zu 


Fig. 3. 



verhindern, dass der Kranke nach abwärts gleitet. Dies suchte ich 
zu verhindern 1. durch einen abnehmbaren schmalen, sattelförmigen, 
gut gepolsterten Pflock, auf welchem der Patient reitet. Dieser 
Pflock, welcher in der Mitte des Heberahmens durch das Defäca- 
tionsloch und die Matratze geht, ruht in einer eisernen Hülse an 
der unteren Seite der Matratze und kann ganz leicht abgeschraubt 
werden. Der zweite Fixationspunkt, welcher verhindern soll, dass 


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Ueber die Behandlung von Schenkelhalsfracturen im Stehbett. 7 

der Patient nach abwärts gleitet, ist ein verstellbares Trittbrett, 
welches am Fussende des Heberahmens angebracht ist und gegen 
welches sich der Kranke mit dem gesunden Bein anstemmt und so 
den Druck auf den Pflock vermindert. Bei stark verticaler Steigung 
der Matratze kann der Patient auf diesem Trittbrett ganz gut 

Fig. 4. 



stehen. Für das kranke Bein ist eine liolle zur Gewichtsextension 
angebracht. Ferner sind rechts und links am Heberahmen Hand¬ 
griffe angebracht, gegen welche der Patient sich mit den Händen 
stützen kann. Will man noch mehr thun, um den Kranken zu be¬ 
festigen, dass er nicht nach abwärts rutscht, so kann man von oben, 
vom Kopfende her, verstellbare Gurte anbringen, welche den Pa¬ 
tienten unter den Armen fassen. Auch eine Gewichtsextension am 
Kopf mit Glisson'schen Schlingen ist ganz einfach anzubringen. 

Auf Bild Nr. 1 (Fig. 1) sehen Sie die Matratze in horizontaler Lage 
und da unterscheidet sich das Bett wenig von einem ganz gewöhn- 


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Messner. Ueber die Behandlung von Schenkelhalsfracturen etc. 


liehen Bett. In horizontaler Lage wird der Kranke zuerst auf 
die Matratze gelegt, und in dieser Lage wird der Extensionsverband 
angelegt, während der Kranke den Pflock zwischen den Beinen hat 
und sich mit dem gesunden Bein gegen das Trittbrett stützt und 
mit beiden Händen an dem Handgriff hält. Ein einziger Wärter 
vermag nun ganz leicht, am Kopfende stehend, die Matratze aufzu¬ 
richten und die Sperrstange in einer Mittellage einzustellen, während 
das Fussende der Matratze sich nach dem Boden zu senkt (Fig. 2—4). 
Es ist gar nicht nothwendig dem Bett eine sehr geneigte, etwa nahezu 
verticale Lage wie bei Fig. 4 zu geben, obgleich dies natürlich ganz 
leicht möglich ist. Eine Mittellage zwischen horizontaler und verti- 
caler wird meistens genügen. Auch braucht der Kranke nicht 
immer dieselbe Lage einzunehmen. Die Matratze kann ganz leicht 
einmal mehr horizontal und dann wieder mehr vertical gestellt wer¬ 
den. Zur Defacation wird der Kranke in horizontaler Lage mit 
dem Volkmann’schen Heberahmen, auf welchem er ja liegt, nach¬ 
dem der Pflock zwischen den Beinen herausgeschraubt worden ist, 
in die Höhe genommen. 

Meine Herren! Ich glaube, dass dieses einfache verstellbare 
Bett auch für die Behandlung von anderen Krankheiten zu empfehlen 
ist, bei welcher die Patienten gezwungen sind, gestreckt zu liegen. 
So dürften z. B. manche Fällen von Coxitis oder Spondylitis, 
namentlich der Halswirbelsäule durch Extensionsbehandlung den Pa¬ 
tienten erträglicher gemacht werden, wenn sie sich bald mehr in 
horizontaler, bald mehr in verticaler Lage befinden. Ich habe dar¬ 
über noch keine Erfahrung; allein die Idee scheint mir einleuchtend, 
und ich möchte Ihnen daher das Verfahren zur Prüfung vorlegen. 


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III. 


Dynamometer „Sylomer“, Apparat für Kraffcmessnng 
isolirter Muskelgruppen. 

Von 

Dr. Michael Barsow, 

Director des orthopädischen und heilgymnastischen Instituts zu Moskau. 

Mit 6 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Die Nothwendigkeit einer möglichst genauen Kraftmessung iso¬ 
lirter Muskelgruppen ist schon längst in verschiedenen Specialitäten 
der Medicin erforderlich. Es ist selbstverständlich, dass die in letzter 
Zeit sich so rapid entwickelnde Orthopädie vorzugsweise vor anderen 
Specialitäten oft mit der Muskelthätigkeit zu rechnen hat. — Das 
Bedürfniss, ein Gewichtszeichen der Thätigkeit einer gewissen Muskel- 
gruppe in Ziffern zu ermitteln, führte zur Einrichtung einiger Dy¬ 
namometer, deren Anzahl aber gering ist, und taugen dieselben nur 
zur Kraftmessung irgend einer einzelnen Bewegung, z. B. Hand¬ 
druck, Faustschlag, allgemeine Körperkraft u. s. w. — Nach mehr¬ 
jährigen Experimenten und Beobachtungen ist es uns gelungen, einen 
derartigen Apparat herzustellen, weicher ein Gewichtszeichen der 
Thätigkeit von 42 Muskelgruppen des Menschen zeigt und somit die 
Muskelcurven (ebenso wie die Temperatur oder andere Messungscurven) 
aufzuzeichnen uns die Möglichkeit giebt. Die durch Anwendung 
dieses Apparates erzielten Resultate sind von Wichtigkeit, indem sie 
als Controlle bei der orthopädischen und heilgymnastischen Therapie 
dienen, sowie auch ein reichliches und bis jetzt noch ganz unbe¬ 
rührtes Material in der anthropometrischen Statistik geben können. 

Der Apparat besteht aus einem an der Wand befestigten Stahl¬ 
hebel mit zwei freien Hebelarmen (wie aus beifolgender Zeich¬ 
nung Fig. 1 ersichtlich). Auf den Hebelarmen al, ar befinden sich 


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10 


Michael Barsow. 


an beiden Seiten 4 Kraftanlegepunkte k x — k 4 in bestimmtem Ab¬ 
stande von der Achse ax. In diesen Punkten durchbohren Stahl¬ 
stifte den Hebel vertical. Auf den Stahlstiften befinden sich doppelte 
Haken AA, von denen eine recht starke (Contrebass-)Saite herunterhängt. 
Die Saite vom linken Hebelarme S x biegt um einen Block B, der in 
jeder beliebigen Höhe unter jedem der Anlegepunkte befestigt werden 
kann. Nachdem die Saite S L den Block B passirt, richtet sie 
sich vertical zur Wand zum zu messenden Körpertheile. Von den 
Anlegepunkten des rechten Hebelarmes ar hängt die Saite S 2 ebenso 

Fig. 1. 


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herunter, nicht aber vom Hebel selbst, sondern von einer an den 
Hebel angehängten Springbalance (Besmer) Sp mit Scala. Diese 
Saite umbiegt unter der Springbalance einen Block b und hebt sich 
längs der Wand zu einer Rolle r mit einem Griff g und einem Zahn¬ 
rad z mit schrägen Zähnen (damit die Rückbewegung der Rolle beim 
Saitenaufrollen verhindert wird). — Durch das Drehen des Griffes g 
kann man die Saite S 2 auf die Rolle aufrollen und dabei die Feder 
der Springbalance möglichst ausdehnen; die Schwankung des Hebels 
auf der Achse ist sehr unbedeutend und übersteigt nicht 1 cm, da 
unter seinen Enden von beiden Seiten kleine, aber starke Krohn- 
steine sich befinden (A*rs, krs), die eine weitere Bewegung nach unten 
nicht zulassen. Ueber dem Griff haben wir einen elektrischen Läu¬ 
ter l; unter dem Griffe einen Knopf kn; in der Mitte des Appa¬ 
rats ein kleines Element E. Wenn der linke Hebelarm al bis 


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Dynamometer „Sylomer*, Apparat für Kraftmessung etc. 


11 


zu seinem Krohnsteine angezogen ist und man zugleich den Knopf 
drückt, so klingt der Läuter so lange, bis der linke Hebelarm sich 
vom Krohnsteine hebt. Bei Kraftmessung wird das Object in einer 
bestimmten Entfernung vom Sylomer in einen besonderen Apparat 
placirt (siehe weiter). Die linke Saite S x wird mittelst einer weichen 
Oese zu einem bestimmten Körpertheile, dessen Arbeit den linken 
Hebelarm zum Krohnsteine anzieht und ihn mit diesem in Contact 
erhält, befestigt; der Messende drückt gleichzeitig den Knopf des 
Läuters und rollt vorsichtig durch Drehen des Griffes g die rechte 
Saite S 2 auf die Rolle auf, indem er die ganze Zeit die Ausdehnung 
der Springbalance beobachtet. Wenn die Ausdehnung der Spring¬ 
balance die contrahirende Musculatur übertrifft, so hebt sich der 
linke Hebel vom linken Krohnsteine, das Läuten hört auf, und der 
Messende hat in diesem Moment die Ziffer der Scala an der Spring¬ 
balance zu bemerken. Die Anlegepunkte auf dem linken und rechten 
Hebelarme können nach Wunsch näher oder weiter von der Achse 
verlegt werden und haben wir somit die Möglichkeit, durch unbe¬ 
deutende Ausdehnung der Springbalance beim längeren rechten 
Hebelarme eine bedeutende Muskelkraft zu überwinden, wenn der 
Anlegepunkt des linken Hebels zur Achse nahe liegt. — Nach dieser 
Messung hängt man an die linke Saite eine Waagschaale und legt 
darauf so viel Gewichte, bis der rechte Hebel, der an seinen Krohn- 
stein durch die ausgedehnte Springbalance angezogen ist, sich von 
ihm eben hebt. Auf diese Weise erhalten wir das Gewichtszeichen der 
gemessenen Muskelgruppe. Es versteht sich, dass die Richtigkeit 
der Springbalance dabei nichts zu schaffen hat, da das Wiegen jedes¬ 
mal gleich nach der Messung der Muskelkraft geschehen kann. 

Somit erscheint der „Sylomer“ nach dem Princip seiner Ein¬ 
richtung sehr einfach. Viel complicirter ist aber der sitzliegende 
Apparat, welcher dazu dient (Fig. 2), dem zu messenden Körper¬ 
theile diese oder jene bestimmte Lage zu geben. Er besteht 
(Fig. 2, 3) aus einem Sessel (Taburet) mit einer Lehne, die nach 
Wunsch aufgehoben werden kann, für sitzende Lagen und mit 
schrägen Tischen (Fig. 2 T, T) für verschiedene Messungslagen 
oberer Extremitäten. Für liegende Lagen kann über dem Sessel 
ein breites Brett horizontal befestigt werden, wie aus der Zeichnung 
zu ersehen ist (Fig 3, b — b ); im Sessel, sowie auch in der Lehne, 
in den Tischen und auch im horizontalen Brette sind mehrere Oeflf- 
nungen für die bei den Messungen fixirenden Riemen durchgebohrt. 


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Michael Barsow. 


Zur genauen und bequemen Fixirung des zu Messenden ist der 
Sessel, die Lehne etc. weich gepolstert und mit Tuch bezogen. Eine 
genaue Stellung und Fixirung in einer streng bedingten und be¬ 
stimmten Lage der verschiedenen Körpertheile hat bei der Messung 
die wichtigste Bedeutung, und kann deren Nichtberücksichtigung bei 
der Messung bedeutende Zahlenfehler aufweisen 1 ). Bei den sitzen¬ 
den Lagen stellt man diesen Apparat mit seinen Enden a a (Fig. 2, 3) 
unter den Sylomer an die Wand gestützt. Bei solcher Stellung des 
Sitzapparats kann man folgende Muskelgruppen messen: Flexor es 


Fig. 2. 



und Extensores des Kopfes, Abductores des Kopfes, Flexores und 
Extensores des Körpers (trunci), Abductores des Körpers, Abductores 
und Adductores brachii; Flexores und Extensores antibrachii, Flexores 
und Extensores carpi. — Wenn wir von oben das Brett auf legen 
(Fig. 3, b,b), bekommen wir statt des Sitz- einen Liegeapparat, 
welcher zur Messung anderer Muskelgruppen, hauptsächlich unterer 
Extremitäten dient. Zu diesem Zwecke wird der Apparat längs der 
Wand in einiger Entfernung von derselben hingestellt und an die¬ 
selbe durch zwei unten befestigte Streifen c,c (Fig. 3) gestützt. In 
dieser Stellung kann man Adductores, Abductores, Flexores und Ex¬ 
tensores femoris, Flexores und Extensores cruris, Flexores und Ex¬ 
tensores pedis messen. In derselben liegenden Stellung kann man 
auch die Hebung und Senkung des Armes (humeri) messen, aber 
man stützt dann den Apparat an die Wand wie im ersten Falle. 


*) Beim Gebrauche des Sylomers hat der Messende eine specielle Tabelle 
für verschiedene bestimmte Messungslagen zu gebrauchen. 


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Dynamometer „Sylomer“, Apparat für Kraftmessung etc. 


13 


Der „Sylomer“ kann recht genaue Ziffern zeigen; nur muss 
man zur Ermittelung derselben einige Erfahrung haben und folgende 
Hauptregeln beobachten: der zu messende Körpertheil muss im Ap¬ 
parat oberhalb des Gelenkes fest angeriemt werden; die den linken 
Block umbiegende und den linken Hebel mit dem zu messenden Körper- 
theile verbindende Saite S x muss zuletzt unter rechtem Winkel horizontal 
gerichtet sein; die Oese muss den zu messenden Theil kräftig fixiren und 
darf nicht abgleiten; die Lage der Oese muss anatomisch genau bestimmt 
werden. Dabei soll nur der zu Messende mittelst der linken Saite S i den 


Fig. 3. 



linken Hebel al an seinen Krohnstein recht fest anziehen; der Mes¬ 
sende drückt gleichzeitig den Knopf und bringt dadurch den Läuter 
zum Klingen, dreht vorsichtig den Griff g und beobachtet aufmerksam 
die Ziffer an der Scala, welche die Springbalance im Momente des 
Aufhörens des Läutens erweist. Nach jeder vollzogenen Messung 1 ) 
bemerkt der Messende mit Bleistift auf Tabelle A (das untere Ende 
abgeschnitten) in Rubrik II die Ziffern (1—4) der Kraftanlegepunkte, 
welche auf dem linken und rechten Hebelarme notirt sind, und in 
Rubrik HI die Ziffer, welche die Springbalance an ihrer Scala ge¬ 
zeigt hat. Die Wiegung, deren Ziffer in Rubrik IV bemerkt wird, 
repräsentirt den Muskelpass des Gemessenen und kann zu jeder Zeit 
später in Abwesenheit des Objects vorgeführt werden. 

Bei einer gewissen Erfahrung kann die Messung von 40 Muskel¬ 
gruppen etwa 2 Stunden dauern. 

0 Es ist erwünscht, dass der zu Messende durch einen Beobachter con- 
trollirt sei, um Aenderungen an der einmal angenommenen Lage nicht zuzu¬ 
lassen; ohne diese Vorsicht kann die Messung Fehler von mehreren Pfund er¬ 
weisen. 


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14 


Michael Barsow. 


Tabelle A. 



I 

II 

III 

IV 

Nr. 

Muskelgruppen 

Hebe 

links 

[arme 

rechte 

Ziffer 
an der 
Spring¬ 
balance 

Gewicht. 

Russische 

Pfund 

1 

Flex. capit. 

2 

2 

16 

16 

2 

Extens. capit. 

2 

2 

23 

23 

3 

Abduct. capit. 

2 

2 

15 

15 

4 

Flexor, trunci. 

2 

4 

27 V» 

46 

5 

Extensores trunci. 

2 

4 

3272 

53 

6 

Abductores trunci. 

1 

4 

19, 19 

42'/» 

7 

Levat. brach, dextr. 

2 

4 

14 

23 

8 

Depress. brach, dextr. . . . 

2 

4 

17 

28 

9 

Adduct. brach, dextr. 

2 

4 

13 

2172 

10 

Abduct. brach, dextr. 

2 

4 

9 

15 

11 

Levat. brach, sin. 

2 

4 

127* 

21 

12 

Depress. brach, sin. 

2 

4 

157* 

257* 

13 

Adduct. brach, sin. 

2 

4 

13 

217* 

14 

Abduct. brach, sin. 

2 

4 

87* 

14 

15 

Flex. antebr. dextr. 

1 

3 

107* 

22 

16 

Extens. antebr. dextr. 

1 

3 

9 

— 

17 

Flexor, antebr. sin. 

1 

3 

974 

— 

18 

Extens. antebr. sin. 

1 

3 

— 

— 

19 

Flexor, carpi dextr. 

1 

3 

— 

— 

20 

Extens. carpi dextr. 

und so weiter, bis 42 Muskel¬ 
gruppen. 

1 

3 




Die in Rubrik IV Tabelle A bezeichneten Ziffern können in 
Form einer Curve aufgezeichnet werden, indem sie rechts und links 
von der mittleren Verticallinie aufgetragen sind; dabei werden die 
Ziffern der mittleren Sagittalbewegungen, d. h. Fiexores und Exten- 
sores capitis, sowie auch trunci, von beiden Seiten, damit die Symmetrie 
und Asymmetrie der Curven ersichtlicher wäre, bemerkt. 

Die 3 Curventafein (Fig. 4—6) zeigen recht klar die Muskel¬ 
entwickelung der Objecte. 

Wir hoffen mit der Zeit ein reichliches Material für ver¬ 
gleichende Beurtheilung der Muskelentwickelung für Alter, Ge¬ 
schlecht, Profession, sowie auch pathologische Abweichungen von 


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iOO<WnMB07ö?Ob3bö5734514&4Z42393b33302724ttia 13*2 9 6 3 3 6 9 12 1318*1*4 2730333639-124.'i4ft5154376065707380839093«0 


Dynamometer „Sylomer“, Apparat für Kraftmessung etc. 


15 


Fi g. 4 



der Norm vorzulegen. — Wir sind augenblicklich mit der Einrichtung 
der Messungsanwendung für Pronation, Supination, Kaumusculatur 


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IDO95% 8580 75 70 63 60573451484542393633302724-2118 1512 9 6 3 3 6 9 1243 1821*4273033363942454851545760 637075808590931D0 


16 


Michael Barsow. 


Fi g. 5. 



und Fingerb eweg ung beschäftigt. — Jedem, der Genaueres über die 
Anwendung t des „Sylomers“ erfahren möchte, werden wir mit Ver- 


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1D095<>0&b8Q7Z70bZ60!i734MB43'l2M3b333027iM?M15Vi 9 6 3 3 6 9 i215182124 C73033363942434ö313437606370?380839093tW 


Dynamometer ,Sylomer Ä , Apparat für Kraftmessung etc. 17 

Fig. 6. 



gnügen das Nöthige mittheilen, ohne materielle Zwecke dadurch zu 
verfolgen. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. III. Band. 2 


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IV. 


Rechtseitiger Schiefhals. — Offene Dnrchschneidung. 

Heilung. 

Von 

Dr. Cessare Ghillini in Bologna. 

Mit 2 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Augenblicklich sind die Verhandlungen und Meinungen der 
orthopädischen Chirurgen betreffs des Zeitpunktes der Entwicke¬ 
lung des Schiefhalses sehr lebhaft. 

Ist der typische Schief hals angeboren oder erworben ? Es 
gibt in der Literatur klinische Beobachtungen und pathologisch¬ 
anatomische Untersuchungen von Bedeutung, sowohl für die an¬ 
geborene als für die erworbene Deformität. 

Für den ersten Fall sind diejenige von Petersen, Dieffen- 
bach, Saint-Germain, Owen, Jeannel, Mainhard, Schmidt, 
Schulthess, Zehnder, Heussinger, Lüning, Harda, Dotteau, 
Bradford, Vorck, Bruns, Hoffa, Lorenz, Goldin-Bird, Schaf¬ 
fer, Osler, Parker; für den zweiten diejenigen von: Stromeyer, 
Tabry, Henoch, Hoffa, Witmann, Depaul, Witzei, Volk¬ 
mann, Vollert, Busch, Fischer, Tillaux, Spencer, D’Arey, 
Power, Eiseisberg, von grossem Werthe. 

Die Diagnose in dem von mir untersuchten Falle ist zweifel¬ 
haft, weil ich bei demselben Thatsachen constatirte, die für beide 
Formen sprechen. 

Derselbe betrifft ein junges Mädchen von 10 Jahren, Annita 
Dondi von Sala Bolognese. Eine Frühgeburt mit Steisslage. Die 
Geburt erfolgte jedoch ohne künstliche Beihilfe. Eine Woche nach 
der Geburt des Kindes bemerkte die Mutter desselben — eine in¬ 
telligente Frau — an der rechten Seite des Halses desselben, in 


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Rechtseitiger Schief hals. — Offene Durchschneidung. — Heilung. 19 

der Gegend des Kopfnickers, eine Geschwulst wie ein dicker Strang, 
dJfe trotz aller angewandten Mittel nicht weichen wollte. Später 
bemerkte sie, dass der Kopf des Kindes sich ein wenig nach der 
rechten Schulter neigte, und dass das Kinn leicht nach der linken 
Seite gedreht war. Anfänglich bemerkte die Mutter keine Schädel¬ 
asymmetrie, erst nach 4—5 Monaten fand sie, dass die rechte Hälfte 
des Schädels kleiner war, als die linke. 

Bei der am 24. Januar vorgenommenen objectiven Unter¬ 
suchung fand ich die Neigung des Kopfes nach der rechten 
Schulter, so dass das rechte Ohrläppchen sehr tief stand, etwa 
4 cm von der Nackenschulterlinie entfernt; die Drehung des Kinns 
nach links; eine bedeutende Kopf- und Gesichtsasymmetrie mit be¬ 
deutender Schädelatrophie, der rechte Stirnknochen eingedrückt, die 
Knochen der Seitenwände und des rechten Hinterkopfes abgeflacht. 
Der obere Gesichtstheil war nach links, der rechte Mundwinkel und 
Nasenflügel nach unten gezogen. 

In der Grösse der Hände und Füsse fand ich keinen bemerk- 
lichen Unterschied, die rechte Hand schien eher etwas mehr aus¬ 
gebildet. 

Die Krümmungen der Wirbelsäule waren unbedeutend. Man 
bemerkte eine leichte, linksconvexe Dorsocervicalskoliose und eine 
rechtsconvexe Lumbalskoliose. 

Ist die Diagnose sicher bezüglich der Natur der Krankheit — 
nutritive Schrumpfung, — so ist sie um so schwieriger, wenn es 
sich darum handelt, den Zeitpunkt der Entwickelung derselben zu 
bestimmen, weil für den angeborenen Schiefhals sowohl der Mangel 
einer schweren Geburt, als auch die Hemiatrophie, welche mehr in 
dem Gehirnschädel als in dem Gesichtsschädel ausgesprochen war y 
sprechen. Dagegen sprechen das Nichtvorhandensein der Asymmetrie 
sofort nach der Geburt, die einige Tage nach derselben beobachtete 
Geschwulst und der Mangel jeder anderen Deformität und der Erb¬ 
lichkeit. 

Den 24. Januar vollzog ich die Operation. Ich legte das Skal¬ 
pell etwa 2 cm über der Clavicula am innern Rande der Portio 
sternalis an, führte dasselbe nach oben gegen die Clavicularportion 
und machte einen Einschnitt von 4 cm Länge, durchschnitt das 
Platysma myodes, nachher die Sterno- und Clavicularstränge des 
Kopfnickers. Nachdem ich mich überzeugt hatte, dass kein anderes 
Gewebe sich der Redression entgegensetzte, nähte ich die Wunde 


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20 


Cessare Ghillini. 


mit Seide. Nach aseptischer Behandlung der Wunde verband ich 
dieselbe mit Stärkebinden. 

Das Kind wurde hierauf auf ein Bett mit schiefer Ebene ge¬ 
legt, ich legte demselben einen Extensionsapparat mit Kopfschwinge 
an, an welche ich ein Oewicht von 3 Kilo anbrachte, während die 
Gegenextension durch das Eigengewicht des Körpers ausgeübt wurde. 


Fig. 1. 




Fig. 2. 


Zwölf Tage nach der Operation entfernte ich die Nadeln, die 
Wunde war vollständig geheilt. Den 22. Februar stand das Kind 
zum erstenmal vom Bett auf, ich legte demselben eine nach einem 
Gipsmodell gefertigte Cravatte zur Redressirung des Kopfes an. 
Diese von mir gefertigte Cravatte entsprach vollkommen dem Zwecke 
und wird dieselbe der Gegenstand einer späteren Besprechung 
sein. Jeden Tag machte ich die Massage- und Suspensionsübungen, 
des Nachts legte ich den v. Volkmann’schen Apparat an. Zur 


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Rechtseitiger Schief hals. — Offene Durchschneidung. — Heilung. 21 


Correction der Skoliose liess ich das Kind einen Metallcorset- 
panzer tragen. 

Nach 3 Monaten wurde die oben erwähnte Cravatte abgenom¬ 
men, die Suspensionen während der Nacht nach 2 Monaten auf¬ 
gehoben. Wie aus den beigefügten Bildern (Fig. 1 und 2) zu sehen 
ist, hält die Correction nach 4 Monaten völlig Stand. Die Atrophie 
des Gesichtes hat abgenommen, diejenige des Schädels jedoch nicht. 
Die Skoliose ist gänzlich verschwunden. 


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V. 


Ein nener Skoliose-Apparat von Gr. Gerlitz in Graz. 

Von 

Dr. F. Walser, 

Universitäts-Docent und Arzt der orthopädischen Privatheilanstalt in Graz. 

Mit 7 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Es erscheint von vornherein etwas gewagt, der Unzahl von 
bestehenden Skoliosen-, Lordosen- und Kyphosen-Apparaten wieder 
einen neuen zuzugesellen, ohne den Vorwurf einer Ueb er Schätzung 
der Wirksamkeit desselben oder des ungerechtfertigten Optimismus 
auf sich zu laden; wenn ich dies dennoch unternehme, so leitet mich 
hiebei einerseits der jedem Fachcollegen gewiss begreifliche Drang, 
der Masse Skoliotischer, die in unsere Behandlung kommen, mög¬ 
lichste Erleichterung zu verschaffen, andererseits aber die Erfahrung 
über die Wirksamkeit des in Rede stehenden Apparates, mit dem 
wir bereits mehrfache dauernd controlirte Erfolge erzielt haben, über 
die wir früher nicht verfügten. 

Die Versuche mit dem Apparate wurden bereits vor mehr als 
einem Jahre begonnen und haben seit dieser Zeit sehr günstige 
Resultate ergeben, wie die in der hiesigen orthopädischen Anstalt vor¬ 
liegenden photographischen Aufnahmen der Patienten zu Beginn und 
in späteren Stadien der Behandlung genau zeigen; vorwiegend waren 
es vorgeschrittene Skoliotische (2. und 3. Grades), welche mit dem 
Gerlitz’schen Apparate behandelt wurden. * 

Einen wohlthuenden Eindruck auf den behandelnden Arzt macht 
auch die Erklärung der Patienten, dass ihnen der Apparat nicht nur 
nicht drückend und lästig, sondern wahrhaft erleichternd und an¬ 
genehm wirke. 

Lassen wir nun dem Erfinder das Wort („Tragbarer Dreh-, 


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Ein neuer Skoliose-Apparat von G. Gerlitz in Graz. 


23 


Stütz- und Seitendruckapparat gegen seitliche Rückgratverkrüm¬ 
mungen, eine Neuheit auf dem Gebiete der Orthopädie, von Gottlieb 
Gerlitz etc., im Selbstverläge, Graz 1892 Ä ), bevor wir weitere An¬ 
merkungen machen: 

Die Zusammensetzung des Apparates erscheint allerdings auf 
den ersten Anblick etwas complicirt, ist aber im Grunde genommen 



höchst einfach. Blicken wir, um uns davon zu überzeugen, auf 
Fig. 1, 2 und 3, welche eine der Erfindung gemäss hergestellte Vor¬ 
richtung in Vorder-, Seiten- und Rückansicht zeigen. Wir sehen 
da zunächst einen, das Becken um¬ 
spannenden , mit Watte und Leder 
ausgepolsterten Stahlgürtel (Becken¬ 
gürtel), der mit A bezeichnet ist und 
um das Becken mittelst einer Schnalle 
befestigt wird. An der Rückseite 
dieses Beckengürtels befindet sich, wie 
Fig. 3 zeigt, ein in der Mitte desselben 
aufgenietetes Lager aus Stahl (a)*), 
an welchem ein als Drehachse dienen¬ 
der Bolzen (i) senkrecht eingesteckt 
ist. Dieser Bolzen, der zur Drehung 
des Beckens nöthig ist, wird durch 

eine Schraubenmutter im Lager festgehalten und gleichzeitig durch 
Anziehen dieser Mutter mehr oder weniger an der Drehung gehindert. 



') Die in Klammern gestellten Buchstaben entsprechen denjenigen auf 
den Abbildungen. 


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24 


F. Walser. 


Der Bolzen trägt senkrecht eine hufeisenförmig gebogene 
Schiene (auf der Fig. mit B bezeichnet), welche genau am Röcken 
anliegt und eine stählerne, gepolsterte Achselstütze bekannter Art 
(C) trägt, deren Endriemen c man über die Achseln legt und die an 
Knöpfen (6 l ) des Rückenständers (eben jener hufeisenförmig ge¬ 
bogenen Schiene B) Befestigung findet. Ist auch der obere Verlauf 
dieses Rückenständers nicht neu, so doch seine Befestigung im Lager 
mittelst einer am unteren Ende der Schiene angenieteten Achse aus 
Stahl. Diese zur Befestigung in das am Beckengürtel befindliche 
Lager (a) dienende Achse aus Stahl hält den Rückenständer senk¬ 
recht und gestattet die später zu erwähnende wichtige Drehung. 

Je nach der Richtung, in welcher die Wirbelsäule verdreht 
ist, ist einige Centimeter rechts oder links vom Lager (a) ein Hebel D 
aus federndem Stahl derart aufgenietet, dass er in schräger Richtung 
gegen den Brustkorb nach vorn ansteigt und am Körper anliegt. 
Unweit dieses Hebels und gleichfalls vom Beckengürtel (aus dem 
Charnier e) aufsteigend, befindet sich eine Druckfeder E , welche in 
ihrem oberen Theil senkrecht emporstrebt und einen kräftigen Druck 
nach vorn ausübt. 

Am oberen Ende dieser bis zur Rippenverkrümmung sich 
erstreckenden, weil dort erst in ihr eigentliches Wirkungsbereich 
gelangenden Druckfeder ist ein Schlitz eingefeilt, in welchem eine 
der Convexität der Rippen angepasste, gut gepolsterte, mittelst 
Schrauben befestigte und verstellbare Pelotte ( F) angebracht ist, 
deren Druck gegen den Körper vermittelst einer, an dem unteren 
Ende der Feder, nahe ihrem Charnier ( e ) angebrachten Stellschraube 
(< e l ) geregelt zu werden vermag. Beiläufig in halber Höhe des Rücken¬ 
ständers B ist an demselben eine Stahlschiene ff (Fig. 3) angebracht, 
an deren hinterem Ende, je nach der vorhandenen Verkrümmung 
links oder rechts ein dem Körper angepasster und mit einem Charnier 
(ff 1) versehener, beim Anlegen nach rückwärts drehbarer Bogen aus 
Stahl G sich befindet, der um den Körper herum greift und vorn, 
die Brust erreichend, ein oder mehrere aufwärts stehende, mit Oesen 
(ff 2) versehene (Fig. 1—4) Säulchen (ff 3) (Fig. 1—4) trägt, welche 
zur Aufnahme des Gurtes H (Fig. 1—5) bestimmt sind. Diese Partie 
des Bogens G steht etwas vom Körper ab. Der oberhalb des Stahl¬ 
bogens G am Rückenständer B und zwar ebenfalls entsprechend den 
Körperverhältnissen links oder rechts befestigte breite, starke, 
elastische Gurt läuft also unter dem rechten oder linken Theil des 


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Ein neuer Skoliose-Apparat von 6. Gerlitz in Graz. 


25 


Rückenständers hindurch und über die an der Druckfeder E befestigte 
Pelotte F hindurch, wodurch deren Druck nach vorn gesteigert wird. 
Von dort zieht er, um den an dieser Stelle eingedrückten 
Thorax nicht zu berühren, über die senkrechten Säulchen 
(g 3) durch deren lederne Oesen (g 2), so zwar, dass er über 
ein oder mehrere der Säulchen zu liegen kommt. Diese Säulchen 
sind, wie schon vorhin erwähnt ward, an dem hier ebenfalls von der 
Brust abstehenden Stahlbogen G befestigt. Darauf geht der Gurt 
durch eine der Brust sich anschmiegende Pelotte I, (Fig. 1 und 4), 
die mit einer Oese i versehen und verschiebbar ist. Mittelst des 
Endriemens h wird er dann vorn an einem Knopf des Hebels D 
fixirt, um dadurch — und wir betonen das besonders — neben 
der erwähnten Druck Verstärkung nach hinten zu die so wichtige, 
ausgiebige, continuirliche, bisher durch kein orthopädisches 
portatives Mittel in solch leichter und bequemer Form zu 
erreichende Zurückdrehung der Wirbelsäule zu bewirken. 
Dass durch diese Verbindung des Gurtes H mit dem Hebel D die 
Rechts- oder Linksdrehung des Beckens und zugleich die Drehung 
des Brustkastens in umgekehrter Richtung bewirkt und auf diesem 
Wege die Rückdrehung und Aufrichtung des verdrehten und seitlich 
geneigten Oberkörpers ermöglicht wird, ist augenfällig, und verdient 
dieser Umstand, der eine Eigenthümlichkeit am fraglichen Apparat 
darstellt, die besondere Beachtung aller Interessenten. 

Mittelst des Gurtes H wird aber auch, wie wir schon andeuteten, 
die Wirkung der Druckfeder E sowie der Pelotte F sehr bedeutend 
gesteigert und die der Brust anliegende, verschiebbare Pelotte / 
nach rückwärts gedrückt. 

Die erörterte Verbindung der genannten Theile erlaubt eine 
dauernde, durch keinen Gegendruck geschwächte Zurückdrehung der 
Wirbelsäule in ihre normale Lage und eine wirksame Zurückdrängung 
und Abflachung der diagonalen Verkrümmungen. Dass sich die 
Basis des Hebels gerade auf der ihr zugewiesenen Stelle befindet, 
ist sehr wichtig. Dadurch bleibt der Beckengurt wagerecht am 
Körper liegen. 

Wir wollen hier noch einigen Einschaltungen Raum geben. 

1. Ist ein besonders starkes Drücken des Rückenbuckels nach 
vorn erwünscht resp. nöthig, so muss der Gurt über alle Säulchen laufen; 
begehrt man mehr einen aufrichtenden, seitlichen Druck, so bleiben 
ein oder mehr der rückwärtigen Säulchen durch den Gurt unbenutzt. 


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26 


F. Walser. 


2. Befindet sich auf der Brust keine oder nur eine minimale 
Erhöhung, so benöthigt man eines längeren Hebels, und die Brust- 
pelotte kann dann ganz entfallen. 

3. Liegt keine Drehung der Wirbelsäule yor, sondern handelt 
es sich nur um Ausbuckelungen der Rippen, so fixirt man durch 
die Schraube am Lager die Achse überhaupt, ja es kann sogar die 
entgegengesetzte Drehung von vornherein gewählt werden, wozu man 
aber nur selten sich zu entschlossen Anlass finden wird. 

Gehen wir nun weiter. 

Liegen bedeutendere Verkrümmungen im Lendentheile vor, so 
placirt man am Rückenständer B und zwar unterhalb des Stahl¬ 
bogens G noch eine zweite Druckfeder K (Fig. 3 u. 5), die sich 
um ein Charnier k dreht, eine entsprechende Pelotte L besitzt und 
an ihrem, der Brust zugekehrten Ende mittelst eines Knopfes an 
einem zweiten Endriemen h 1 (Fig. 4) des Gurtes H (Fig. 4) Be¬ 
festigung findet. 

Man biegt diese Feder nach dem Grade der Körpererhöhung 
mehr oder weniger in dem für die Pelotte bestimmten Punkte nach 
vorn hin, damit sie dem Körper näher kommt. 

Andererseits kann man diese Feder aber auch mit einer solchen, 
die senkrecht vom Beckengurt ausgeht, eintauschen, sowie die Feder, 
mit der Pelotte F auf der entgegengesetzten Seite, und läuft dann 
der Hebel über dieselbe, dergestalt den Druck verstärkend. Aller¬ 
dings erleidet die Drehung der Wirbelsäule dabei Beeinträchtigung. 

Da sich die Formen und Dimensionen der einzelnen Theile 
des Apparates begreiflicherweise dem vorhandenen Grade der Ver¬ 
krümmung anzupassen haben, so ist die Vorrichtung nicht schablonen¬ 
haft in Massen herstellbar, sondern erheischt Einzelanfertigung nach 
dem Maasse des Patienten, das am Leibe direct genommen, aber 
auch mittelst eines Gipsmodelles geboten werden kann. 

Will man die Vorrichtung anlegen, so ist zunächst der Stahl¬ 
bogen G in seinem Charnier g 1 zurückzuschlagen, der Achselträger C, 
durch welchen die Arme gestützt werden, wird unter die Achsel¬ 
höhlen eingeschoben, die Bänder desselben bringt man über die 
Achseln und befestigt ihren Endriemen c (Fig. 3) an den Knöpfen b l 
(Fig. 5) des Rückenständers B . Darnach findet der Beckengürtel 
um die Hüften seinen Platz, wodurch bereits eine zunächst freilich 
noch nicht gar erhebliche stützende und auch theilweise aufrichtende 
Wirkung des Rückenständers sich ergibt. Erhöht wird dieser vor- 


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Ein neuer Skoliose-Apparat von G. Gerlitz in Graz. 


27 


theilhafte Einfluss nun durch die Druckfeder E , welche durch ihre 
Pelotte den betreffenden Rückentheil nach vorn und gleichzeitig auch 
zur Seite drängt, womit sich eben die geforderte Drehung der Wirbel¬ 
säule theilweise ergibt, denn der Rückenständer ist ja, wie wir 
Yorhin zeigten, sammt dem oberen Theil des Apparates im Becken¬ 
gürtel drehbar. 

Ausserordentliche Erhöhung erfährt die Drehung aber durch 
den Gurt H und den schrägen Hebel D, wobei der Stahlbogen in 
Gemeinschaft mit dem Gurte und dem Hebel auf den hinteren Rippen- 



buckel und die ihm diagonal entgegengesetzte Brusterhöhung den 
benöthigten, durch keinerlei Gegenwirkung gehemmten Druck aus¬ 
übt und somit füglich die erwünschte Abflachung bewirkt, die freie 
Entwickelung der eingefallenen Brustseite und der ihr 
diagonal entgegengestellten eingefallenen Rücken¬ 
partie vollkommen gewährleistet. Der Gurt bewirkt 
auch in Verbindung mit dem schrägen Hebel D gleich¬ 
zeitig das Emporrichten des seitwärts hängenden Brust- 
theils. 

Als natürliche Folgewirkung der Rückdrehung und 
Aufrichtung der Wirbelsäule stellt sich dann auch eine 
bessere Kopfhaltung ein, was wohl zu beachten ist. 
Dabei leistet der Stahlbogen nicht nur die geradezu unschätzbaren 
Dienste, dass er den abgeflachten Brusttheil vor jedem Drucke 
schützt, er bewirkt auch durch den Druck des Gurtes auf die vorderen 
Säulchen ein ungemein genaues Anliegen des Rückenständers an den 
Körper. 


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28 


F. Walser. 


Der geschilderte Apparat hat den unschätzbaren Vortheil, dass 
er nur mit denjenigen Körpertheilen in Berührung kommt, welche 
gedrückt oder gestützt werden sollen; er vermag sowohl bei Tage 
und unter Kleidern als während des Schlafes getragen zu werden, 
und man hat es durch Verstellung der Schraube im Lager a und 
durch Benutzung der verschiedenen Löcher der Endriemen in der 
Hand, seine Wirkung zu steigern oder gleichmässig zu erhalten. 

Es lässt sich demnach im ganzen sagen, dass der Gerlitz’sche 
Apparat nur jene Körpertheile tangirt, welche direct einer Stütze 
oder Druckes oder Zuges benöthigen, ohne den Körper in so un¬ 
angenehmer Weise einzuhüllen, wie dies von den theilweise schon 
wieder verlassenen Corsets geschieht, dass er, an Gewicht leicht, 
dem Körper sehr gut anliegend gemacht werden und unter den 
Kleidern getragen werden kann, daher auch dessen Belassung über 
Nacht seitens der Patienten auf keine Schwierigkeiten stösst; da¬ 
durch entfallen auch weitere Lagerungsapparate. Der Druck der 
Pelotten, sowie die Drehung der Wirbelsäule kann beliebig gesteigert 
oder vermindert und fixirt werden, und speciell die Torsion wird in 
sehr exacter Weise bewirkt, wobei hervorzuheben wäre, dass der 
„Gurt“ sehr günstig mit seinen Endpunkten nicht direct am Körper, 
sondern am Rückenständer und dem festen Hebel (auch einem 
Theile des Stützapparates) fixirt ist, ohne dabei eine eventuell zu¬ 
sammendrückende, die Wirbelsäule verkürzende Wirksamkeit auszu¬ 
üben ; der Beckengurt, die Armstützen, der feste Hebel geben genug 
Anheftungspunkte für den Gurt, und überdies hängen unsere Pa¬ 
tienten oft und viel in der Schwebe und gehen in der Kunde'schen 
Gehmaschine, was auf die Wirbelsäule gewiss höchst zweckmässig 
wirkt. So ist der Gurt eine ganz verwendbare Verstärkung für 
den Pelottendruck, ein guter Aufrichter des hängenden Thorax und 
ein hervorragendes Torsionsmittel. 

Der junge Mann, welcher in Fig. 6 abgebildet ist, zeigt gewiss 
eine hochgradige Skoliose, welche von der Hals- bis zur Lenden¬ 
wirbelsäule reicht, ein vollständiges Doppel-S zeigt, und doch ist 
dessen Figur nach erster Anlegung des Apparates, wie die Zeich¬ 
nungen 4 und 5 ergeben, wesentlich besser, gar nicht zu reden von 
der Gestalt, wie sie das Photogramm 7 nach dreimonatlichem Tragen 
des Apparates aufweist. 

Seit den ersten Versuchen mit dem Apparate bis heute haben 
wir dieselbe günstige Erfahrung über die Verlässlichkeit der Wirkung 


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Ein neuer Skoliose-Apparat von G. Gerlitz in Graz. 


29 


des Gerlitz’schen Apparates in mehr als 30 Fällen gemacht, ohne 
eine einzige unangenehme Miterscheinung zu erleben. 

Ich kann hierbei nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, dass 
eine ziemlich grosse Zahl von Patienten mit dem Apparate Gerlitz 
behandelt wurden, welche ausserhalb Graz leben und ausser dem 
Apparate keine andere Correctur für ihr Uebel benutzen können; 
auch in diesen Fällen hat der Apparat bis jetzt nie im Stiche ge¬ 
lassen, wenn andererseits auch unbedingt zugegeben werden muss, 
dass eine systematische orthopädische Behandlung, wie wohl in allen 



Fällen von Skoliose, die Wirksamkeit des Gerlitz’schen Apparates 
auf das Wesentlichste fördert und ergänzt. 

Mögen die Ansichten darüber noch vielfach auseinander gehen, 
ob eine Heilung Skoliotischer bloss auf dem Wege einer zweck¬ 
mässigen manuellen Orthopädie zu erreichen, oder ob dasselbe auch 
eine Apparatotherapie allein erreichen lässt, ich glaube, der alte 
Satz: „in medio virtus“ findet hier wirklich sinngemässe Anwendung 
und wird ja auch von den hervorragendsten Fachgenossen nachdrück¬ 
lich vertreten. 

Wenn wir aber zur Behandlung derartiger Verkrümmungen 
ausser der rein orthopädischen Behandlung noch eines portativen 
Apparates bedürfen, dann ist es wohl begreiflich, jenen zu wählen, 
der bei mindestens gleicher Verlässlichkeit andererseits auch die 
geringsten Uebelstände an sich trägt. 

Man kann Niemandem zumuthen, solch ein Mieder oder Corset, 
oder anderen Stützapparat aus Vergnügen zu tragen; wenn eine 
solche Nothwendigkeit aber einmal besteht, wird weder Arzt noch 


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30 F. Walser. Ein neuer Skoliose-Apparat von G. Gerlitz in Graz. 

Leidender Vorrichtungen wählen, die entweder durch verschiedene 
Riemen und Schienen infolge starken Druckes den Kreislauf, wenig¬ 
stens einzelner Körpertheile, hemmen oder geradezu Druckusuren er¬ 
zeugen, im Falle zu geringen Druckes aber in ihrer Wirkung völlig 
illusorisch sind; oder Apparate, die durch engen Anschluss an den 
ganzen Brustkorb bei langem Tragen (und das ist wohl ausnahmslos 
nothwendig) nicht nur einen üblen Einfluss auf die Hautthätigkeit, 
sondern häufig genug auch auf die Thätigkeit der gesammten Brust¬ 
organe ausüben, oder Apparate, welche nicht im Stande sind, eine 
entsprechende Suspension der Wirbelsäule mit der so nothwendigen 
Retorsion derselben zu verbinden. 

All die berührten Uebelstände, denen noch eine ganze Reihe 
hinzugefügt werden könnte, besitzt der Gerlitz’sche Apparat nicht, 
und deshalb glaube ich ihn mit gutem Gewissen der Prüfung und 
Beurtheilung der Herren Fachcollegen empfehlen zu dürfen. 

Ist daran etwas zu verbessern oder hält er eine vorurtheilslose 
Erprobung nicht aus, so wird dies nicht zum Nachtheile des nach 
unserer bisherigen Erfahrung wirklich wohlthätigen und vorzüg¬ 
lichen Apparates geschehen, sondern zum Vortheile für eine Unzahl 
von Leidenden, und wir werden neidlos das Bessere dem Guten 
gegenüber stellen; unsere Aufgabe, Hilfe zu bringen, wo Dur immer 
thunlich, wird nur allmählich gelöst werden; aber auf diesem Wege 
nach Erreichung des Möglichsten wird sicherlich dem besprochenen 
Gerlitz'schen portativen Skoliosen-Apparate ein hervorragender Platz 
zuerkannt werden. 


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VI. 


Analyse einiger chirurgischer Irrthümer in der 
jüngsten Vergangenheit und Gegenwart. 

Von 

Louis Bauer M. D., 

M. R. C. Sarg.: England, Professor der Chirurgie an dem St. Louis 
College of Phys. and Surg. etc. etc. 

Vor etwa fünfzig Jahren machte sich in der medicinischen 
Presse ein dem heutigen ähnliches Streben bemerkbar, die bei weitem 
grössere Zahl chronischer Entzündungsprocesse aus einer gemein¬ 
samen Entstehungsquelle herzuleiten. Damals diente die Scrophulose 
als Sündenbock, dem alle pathogene Verantwortlichkeit aufgebürdet 
wurde; heute ist dieselbe Rolle der Tuberculose zugewiesen. Für 
die Scrophulose hatte man sehr annehmbare Beweisgründe erdacht. 
In Uebereinstimmung mit moderner Zeitrichtung legte man ihre 
Prämissen in die socialen, politisch-ökonomischen Zustände der Volks¬ 
massen jener Periode, die natürlich eine mangelhafte Gesundheits¬ 
pflege bedeuteten. Mit der Annahme einer solchen Voraussetzung 
war natürlich eine unerschöpfliche Quelle plausibler Folgerungen 
geschaffen, gegen welche kaum ein Widerspruch erhoben werden 
konnte. So erklärte man sich die allgemeine Verbreitung der Scro¬ 
phulose durch die unteren Volksschichten. Sie galt als der unver¬ 
meidliche Ausdruck des Pauperismus und des Proletariats. Auch in 
die Paläste liess sie sich mit Vernachlässigung rationeller Hygiene 
verlegen, denn sie setzte ungenügende oder zweckwidrige Ernährung 
und theilweise Zurückhaltung von Auswurfsstoffen in der Säftemasse, 
mithin eine krankhafte Hämatose, Blutarmuth oder zweckwidrige 
Beimischungen voraus. 

Ein solches Material liess sich selbstverständlich nicht zu Aus- 




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32 


Louis Bauer. 


besserungen oder zum Ersatz verlorener organischer Stoffe zweck¬ 
mässig verwenden, daher die verzögerten und imvollkommenen 
Heilungen. Welche geniale Verwendung einfacher Drtisenschwel- 
lungen der Sus scrofa hat man im Laufe der Zeit gefunden! 

Solches waren die Lehren jener Zeit, welche sich überall geltend 
machten: bei Consultationen, auf dem Katheder, am Krankenbette, 
in klinischen Erklärungen, in wissenschaftlichen Schriften und Unter¬ 
haltungen. 

Dem Publicum gegenüber dienten sie als Entschuldigung ver¬ 
zögerter oder verfehlter Kuren. 

Jene humoralpathologischen Lehren erhielten sich lange Zeit 
ungeschwächt, waren dem ärztlichen Stande tief eingeprägt, einfach 
unentbehrlich geworden! 

Niemand wagte auch nur an ihrer Wahrheit zu zweifeln, denn 
jeder Zweifel wurde als Unwissenheit interpretirt oder als Anmassung 
zurückgewiesen. Mit einem Worte sie waren zum Dogma geworden. 

In diesem Entwickelungsstadium der Lehre von der Scrophulose 
verliess ich (im Jahre 1853) Europa und fand dieselbe Lehre in der¬ 
selben Auffassung hier in den Vereinigten Staaten vor. Es bedarf 
wohl kaum der Versicherung, dass ich als gläubiger Schüler Rust’s 
jene Ansichten ohne Vorbehalt theilte. Sehr bald entstanden jedoch 
bei mir ernste Zweifel in Bezug auf ihre Wahrheit. Tägliche Be¬ 
obachtungen in dem neuen Wirkungskreise lehrten mich sehr bald, 
dass die ökonomisch-hygienischen Verhältnisse unter den arbeitenden 
Volksclassen der Vereinigten Staaten ungleich besser seien als jene 
im alten Vaterlande. 

Nichtsdestoweniger waren die durchschnittlichen Erkrankungs¬ 
formen und deren Behandlung dieselben, die ich in der alten Heimath 
und in England angetroffen hatte. Mir schien es ein unlöslicher 
Widerspruch, dass ungleiche Krankheitsbedingungen dennoch die¬ 
selben pathologischen Erzeugnisse hervorbringen sollten! In Aus¬ 
übung einer orthopädischen Praxis, damals noch ein uncultivirter 
Zweig der Chirurgie auf der westlichen Hemisphäre, häufte sich sehr 
bald ein ansehnliches klinisches Material in meinen Händen. Darunter 
befanden sich eine Menge Muskelcontracturen, theils die Residuen 
abgelaufener Gelenkkrankheiten, theils noch im activen Zusammen¬ 
hänge mit denselben. Die Frage erfolgreicher Behandlung trat somit 
scharf in den Vordergrund. Das Brisement force und eventuell die 
Myotenotomie mit nachfolgender Extension und Massage konnten 


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Analyse einiger Chirurg. Irrthümer in der jüngsten Vergangenheit etc. 33 

gegen die erste Classe mit Erfolg in Anwendung gebracht werden. 
Die Behandlung jener Fälle aber, in denen die Arthritis mit ihren 
pathologischen Erzeugnissen noch fortbestand, erschien mir als ein 
gordischer Knoten, dessen Lösung ich kaum hoffen durfte, obschon 
der Erfolg meiner ärztlichen Bestrebungen zum Theil davon abhängen 
musste. Die mir von der wundärztlichen Kunst jener Zeit gebotenen 
Hilfsmittel: kräftigende Diät, rationelle Gesundheitspflege, Ableitungs¬ 
methode, mit Einschluss von Moxa und GlUheisen, und ranziges 
Fischöl hatten mich und Andere zu oft im Stich gelassen, um ihnen 
neues Vertrauen zu schenken. 

Es blieb mir also keine Wahl, als dieselben Mittel in Gebrauch 
zu ziehen, die mir bei der ersten Classe von Fällen erwünschte 
Dienste geleistet hatten. Zunächst also die operative Correction der 
Deformität, dann absolute Ruhe des noch entzündeten Gelenks durch 
Schienen, erhärtende Verbände oder specielle Apparate! In dazu 
geeigneten Fällen machte ich von der Empfehlung meines Freundes 
John Gay (London) Gebrauch: die Gelenke frei zu öffnen, ihren 
kranken Inhalt zu entfernen, entweder durch Auswaschen oder Aus¬ 
löffelung oder beides. Zu Resectionen habe ich nur selten Ver¬ 
anlassung gehabt. 

Ich muss wahrheitsgetreu gestehen, dass sich meine Erwartung 
nur selten zu entscheidendem Erfolge erhob. Um so angenehmer 
war ich in den meisten Fällen durch sofortige Besserung überrascht. 
Der Entzündungsschmerz minderte sich gegen Druck, die intensiven 
Reflexkrämpfe, welche die Kranken ihrer nächtlichen Ruhe beraubten, 
verschwanden gänzlich, und die örtlichen und allgemeinen Zustände 
besserten sich so, dass man von da an die Heilung datiren konnte. 
Und dieselben günstigen Erfolge wiederholten sich so oft und traten 
so entscheidend in einer Reihe von Fällen ein, dass sich mein Ver¬ 
trauen in die Heilerfolge absoluter Ruhe entzündeter Gelenke in 
einem solchen Maasse befestigte, um jede andere Behandlungsweise 
aufzugeben. 

Die so behandelten Arthritiden sind im Laufe der Jahre zu 
einer sehr bedeutenden Zahl angewachsen, und habe ich nur wenige 
Rückfälle beobachtet. Die Logik dieses Verfahrens übte natürlich 
ihren legitimen Einfluss aus. Die in Anwendung gebrachten Mittel 
konnten nur eine locale Wirkung ausüben, ihr Erfolg nur die 
Entfernung örtlicher Schwierigkeiten bedeuten. 

Die Gelenkskrankheiten sind daher zumeist „örtlichen“ Ur- 

Zeitscbrlft für orthopädische Chirurgie. III. Band. 3 


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34 


Louis Bauer. 


sprungs und frei von der angenommenen (institutionellen Compli- 
cation mit Scrophulose. 

Da die Heilung wesentlich durch verbesserte Stellung und 
Fixirung der compromittirten Gelenke erlangt wurde, so folgt daraus 
der unwiderlegliche Beweis, „dass die unzulässige Bewegung und 
Missstellung der störende Factor an der Krankheit sind“, die ganze 
Procedur beruht daher auf dem alten Rath: „cessante causa, cessat 
effectus.“ 

Von da an hielt ich mich für verpflichtet, die scrophulose Ent¬ 
stehungstheorie der Gelenkskrankheiten mit Wort und Schrift zu 
bekämpfen. Dass ich in meinen reformatorischen Bestrebungen auf 
Widerstand stosse, hatte ich vorausgesehen, nicht aber, dass man 
meine Beweggründe verdächtigen würde. Dennoch war die Discussion 
der Frage eine Quelle geistiger und humoristischer Unterhaltung und 
Fortbildung. Ein directer Widerspruch wurde eigentlich nie ver¬ 
sucht, und die Logik der vorgelegten Thatsachen fand wenigstens bei 
einigen williges Gehör. 

In den sechziger Jahren wurde die Entstehungsfrage chronischer 
Arthritiden in der New Yorker Akademie der Medicin verhandelt. 
Prof. Post leitete die Verhandlungen mit den Thesen ein: 

1. dass alle Gelenkskrankheiten aus scrophulöser Kachexie 
hervorgehen und ihre Unterhaltungsursache finden; 

2. dass sich diese vorzugsweise in der Coxitis bewahrheiten, und 

3. dass Davis* Extensionsapparat die wahre Panacee der 
letzteren sei. 

Die damaligen Führer der Chirurgie in New York sprachen sich 
ohne Ausnahme in demselben Sinne aus. Prof. Raphael glaubte, 
dass seine eigene Constitution mit 200 Pfund Gewicht sich doch 
nicht unter solche Ansichten einrahmen lasse, obschon er Jahrelang 
an sogenannter scrophulöser Coxitis und deren Folgen gelitten habe. 

Von dem Präsidenten um meine Ansichten befragt, wies ich 
auf den logischen Widerspruch der These hin: dass eine consti¬ 
tutioneile Krankheit sich doch nicht durch eine Gewichtsextension 
von 3—4 Pfund heilen lasse; wenn aber ein solch triviales Instru¬ 
ment eine solche Heilung bewirke, so sei damit der klare Beweis 
geliefert, dass die Krankheit nur „örtlicher* Natur sein könne. Der 
hierauf folgende Antrag auf Schluss der Debatte drückte in 
bezeichnender Weise die Ansicht der Versammlung aus. 

Um fast dieselbe Zeit wurde ich von Prof. Gross mit einer 


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Analyse einiger Chirurg. Irrthümer in der jüngsten Vergangenheit etc. 35 


Einladung beehrt, seiner Klinik in Philadelphia beizuwohnen. Ich 
fand nicht nur eine sehr zahlreiche, zum Theil aus älteren Aerzten 
bestehende Versammlung im Amphitheater des Jefferson Medical 
College vor, sondern auch ein reiches klinisches Material, welches 
der Scrophulose seine muthmassliche Entstehung verdankte. Aus 
dieser Zusammensetzung wurde es mir sofort klar, dass Prof. Gross 
es darauf abgesehen hatte, die schwebende Controverse zum Austrag 
zu bringen. 

Nach einer dahinzielenden Einleitung und erschöpfenden Dar¬ 
stellung aller Beweisgründe schritt er zur Eröffnung einiger Drüsen- 
abscesse und fragte mich, ob der noch der Lanzette anhaftende nicht 
„scrophulöser“ Eiter sei? Nachdem Herr Gross seine Kriegsvor- 
räthe erschöpft hatte, gab derselbe mir das Wort. Ich unterdrückte 
meinen wohlbegrtindeten Unwillen, mir als Gast eine Controverse auf¬ 
zuzwingen, und sich dazu seinen eigenen Zuhörerkreis zu versammeln, um 
die erwartete Niederlage eines wissenschaftlichen Gegners zu bezeugen. 

Da Herr Gross den Eiter als thatsächlichen Beweis seiner 
scrophulösen Ueberzeugung verwandt hatte, so benutzte ich dasselbe 
Material und erbat mir von ihm Aufschluss über die speciellen 
scrophulösen Eigenthümlichkeiten desselben. Jedoch auch er blieb 
die Antwort schuldig! Sein Schweigen war die wirksamste Wider¬ 
legung seiner eigenen Theorie. 

Eine andere Scene von grosser wissenschaftlicher Tragweite 
ereignete sich in Wien. Im Jahre 1866 auf der Rückreise von Italien 
begriffen, verweilte ich dort auf kurze Zeit und war der Gegen¬ 
stand der liebenswürdigsten Gastfreundschaft von Fachgenossen, die 
noch heute bei mir Gegenstand dankbarer Erinnerungen ist. Prof, 
v. Dumreicher führte mich bei der Gesellschaft Wiener Aerzte 
ein, über welche der ehrwürdige Prof. v. Rokitansky präsidirte. 
Nachdem ich der Gesellschaft vorgestellt und mir pro tempore die 
Rechte eines Mitgliedes zugestanden waren, folgte ich der dringenden 
Einladung einiger Freunde, meine anti-scrophulösen Ansichten aus¬ 
zusprechen. Ich hatte jedoch kaum den Gegenstand berührt, als 
Prof. v. Skoda sich von seinem Sitze erhob und durch Haltung und 
Geberde seinen Widerspruch und Unwillen ausdrückte. 

Diesem Intermezzo gegenüber blieb mir keine andere Wahl, als 
entweder mich schweigend zu fügen oder aber mich auf den Vor¬ 
sitzenden zu berufen. Ich entschied mich schnell für das letztere, 
nachdem ich Herrn v. Skoda um 5 Minuten Duldung ersucht hatte. 


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36 


Louis Bauer. 


Darauf legte ich dem Präsidenten die Frage vor, die Niemand zu 
beantworten fähiger und berufener sei als er: „ob er jemals eine 
pathologische Anatomie der Scrophelkrankheit angetroffen habe? 0 
Die prompte Verneinung dieser Frage hatte die gewünschte Wirkung 
auf die Versammlung, der sich selbst Herr v. Skoda nicht entziehen 
konnte. Ich würde nicht jetzt noch auf jene Scene hingewiesen 
haben, wenn sie nicht den besten Beweis lieferte, wie tief sich der 
Irrthum selbst bei den begabtesten Männern unseres Standes ein¬ 
gedrängt hatte. 

Sonderbar, was der eifrigsten Propaganda misslang, wurde 
durch die Entdeckung des Bacillus tuberculosis mit einem Schlage 
bewirkt. Die Scrophulose ist der Geschichte überwiesen; sie ist 
ohne motivirte Tagesordnung beseitigt, und an ihre Stelle ist die 
Tuberculose getreten. Derartige Decorationsverwandlungen sind auf 
der Bühne der Medicin nicht ohne Vorbilder. War doch seiner Zeit 
die Lanzette der Stab Mosis für die entzündete Menschheit — heute 
ist sie es weniger, als sie es sein sollte. Vor langer Zeit wurde 
die Tuberculose der Scrophulose unter der Voraussetzung angehängt, 
eine Form derselben zu sein. Heute ist sie von der ersteren spurlos 
verdrängt, und der Tuberculose werden alle Eigenschaften beigelegt, 
die man einst der Scrophulose zuschrieb. 

Diese Methode mag sehr bequem sein, aber den Forderungen 
der Wissenschaft entspricht sie nicht. Denn was man ehemals von 
der Scrophulose behauptete, war damals ebenso wahr oder ebenso 
irrthümlich als es heute ist. Ihre jüngste Explosion stimmt ge¬ 
nau mit meinen Ansichten tiberein; von meiner Seite dürfte daher 
ein Widerspruch nicht zu erwarten sein. Aber für die Anhänger 
der Scrophulose ist kein Ersatz denkbar, der sich nicht genau auf 
dieselbe Quelle des Ursprungs zurückführen lässt. Und die Tuber¬ 
culose entspricht diesen Bedingungen nur theilweise und deshalb in 
einem sehr unvollkommenen Grade. Die erbliche Uebertragung der 
ersteren war untrennbar von ihrer humoralpathologischen Existenz. 
Bis jetzt hat man auch nicht „einen einzigen“ zuverlässigen 
Beweis erblicher Tuberculose erbracht, und diese negative Thatsache 
verhindert jedenfalls die angenommene Verbreitung der Krankheit. 
Die Infection durch den Bacillus tuberculosis geschieht vorzugsweise 
durch directe Uebertragung, ausserdem durch atmosphärische Ver¬ 
mittelung. Die erste setzt Contact voraus, und der letzteren legen 
competente Beobachter nur geringen Antheil bei. 


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Analyse einiger chirarg. Jrrthümer in der jüngsten Vergangenheit etc. 37 


Die Erfahrungen in dem Bromptonhospital in London für 
Phthisiker bestätigen diese Anschauung. Zu diesen Beschränkungen 
der Krankheitsausbreitung kommt noch die experimentell festgestellte 
Thatsache, dass selbst die directe Infection mit sorgfältig gepflegter 
Cultur des Bacillus noch traumatischer Einwirkungen bedarf, um 
Colonien der Parasiten hervorzurufen. Wenn demnach der Krank¬ 
heitsverbreitung sehr bedeutsame Hindernisse in den Weg treten, 
so scheint mir die Annahme ihrer Häufigkeit von Seiten einiger 
medicinischer Schriftsteller ziemlich grundlos zu sein. Nachdem der 
Tuberkelbacillus als „ausschliesslicher“ Beweis der Diagnose 
anerkannt und den sonstigen morphologischen Erscheinungen — 
Miliartuberkeln, Riesenzellen, fungoide Hypertrophien des Zell¬ 
gewebes, Verkäsung des Infiltrationsmateriales u. dergl. nur ein 
Wahrscheinhchkeitswerth beigelegt worden ist, — so muss eine 
jede diagnostische Aufstellung zurückgewiesen werden, die nicht 
auf dem Nachweis des Bacillus beruht. 

So lange sich noch andere Ursachen für das Bestehen chroni¬ 
scher Entzündungen der Gelenke nachweisen lassen, ist die rein 
speculative Auffassung eine ungehörige. 

Auf wie seichtem Boden die Diagnose tuberculöser Arthri¬ 
tiden beruhen muss, ergibt sich aus der Thatsache, dass ein grosser 
Theil derselben noch nicht so weit vorgeschritten ist, um den Bacillus 
zugänglich zu machen, und dass seine Gegenwart sich überhaupt 
nur in seltenen Fällen nachweisen lässt! Die örtliche Behandlung 
muthmasslicher Gelenkstuberculose ist in den Anfangsstadien ebenso 
effectiv, wie sie sich in der nunmehr als abgethan zu betrachtenden 
Scrophulose bewährt hat. 

Während des letzten deutschen Chirurgencongresses haben 
einige seiner Mitglieder das bestehende Vertrauen in diese Behand¬ 
lungsmethode als mindestens übertrieben zu erschüttern versucht, 
und glaube ich gern, dass sie nicht den gewünschten Erfolg erlangt 
hatten. Nach meinem bescheidenen Dafürhalten trifft ihr Vorwurf 
nur die Mittel und nicht die Methode. Ich habe in jedem meiner 
Fälle durch absolute Ruhe afficirter Gelenke in bestimmten Stel¬ 
lungen des Gliedes ohne Ausnahme Erleichterung und in der weitaus 
grössten Mehrzahl dieser Fälle fortschreitende Besserung und eventuell 
Heilung auftreten sehen. Aber solche Resultate lassen sich nicht 
durch Extension, nicht in jedem Falle ohne Durchschneidung 
reflectorisch verkürzter Muskeln erreichen, weil sie die 


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38 


Louis Bauer. 


absolute Ruhe nicht zulassen. Ich könnte eine nicht geringe Zahl 
von Beweisfällen vorlegen, die nicht nur den Werth der Extension 
in Zweifel ziehen, sondern dieselbe als höchst gefährlich erscheinen 
lassen, indem selbst bei nahezu abgelaufenen Fällen die Entzündung 
aufs neue angefacht wurde. Diejenigen, welche über die Experi¬ 
mente Hoffa’s nachgedacht und deren Bedeutung erkannt haben, 
werden den pathogenetischen Einfluss der Reflexion zugestehen und 
ihre Beseitigung als Heilungsmoment ausnutzen. 

So lange man also mit örtlichen, zumeist mechanischen Mitteln 
ausreicht, eine grosse Zahl von Arthritiden zur Besserung zu bringen, 
ist die Annahme örtlicher Entstehungsursachen ein logischer 
Zwang. Jedenfalls hat die noch unbeantwortete Frage nach den 
Unterhaltungsursachen chronischer — entzündlicher — Gelenks¬ 
krankheiten viel dazu beigetragen, sie in constitutioneilen Schwierig¬ 
keiten zu suchen. Wenn man sich aber die Thatsache vergegen¬ 
wärtigt: dass die bei weitem grössere Zahl jener Fälle sich während 
der Kindheit ereignet, wo die Gelenke sich noch im Entwickelungs¬ 
zustande befinden, wo, wegen Unkenntniss der umgebenden Ge¬ 
fahren, die Kinder leichter traumatischen Verletzungen preisgegeben 
sind, die sich nur selten unter den elterlichen Augen ereignen und 
so rasch vergessen sind, als der Schmerz nachlässt; wenn man ferner 
erwägt, wie an sich leichte Verletzungen, wenn ohne Schonung 
gelassen, sich allmählich verschlimmern, dann wird man zu der 
Annahme gedrängt, dass anatomische Prädisposition und Urtheils- 
mangel einerseits und Unglücksfälle andererseits während des Kindes¬ 
alters die Krankheiten der Gelenke einleiten. 

Der beste Beweis für die Richtigkeit dieser Auffassung ist der 
Erfolg ihrer örtlichen Behandlung, die eben nichts mehr bewerk¬ 
stelligt, als die absolute Ruhe des erkrankten Gelenkes. Die nächste 
Wirkung der Ruhe ist keine andere, als die Einstellung nachthei¬ 
liger Bewegung, und entspricht mithin der vorhin ausgesprochenen 
logischen Maxime cessante causa, cessat effectus. 

Mir ist es entschieden unmöglich gewesen, das von anderen 
Beobachtern aufgestellte Uebergewicht der Gelenkstuberculose über 
andere Krankheiten zu erkennen. Die versuchte Ausschliessung trau¬ 
matischer Einflüsse als Krankheitsursache muss ich als verfehlt be¬ 
zeichnen. 

Dö 11 i n ger's Behauptung, dass jedes Trauma auf Gelenke nur 
dann Entzündung hervorruft, wenn es auf einen durch Tuberkel- 


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Analyse einiger Chirurg. Irrthümer in der jüngsten Vergangenheit etc. 39 


infection vorbereiteten Boden falle, und dass Knochenbrüche von 
Gelenktheilen, Dislocationen und Distorsionen nur dann ohne Ent¬ 
zündung abliefen, wenn keine Tuberculose vorliege, bedarf keiner 
Widerlegung. 

Niemand kann die Existenz der Tuberculose noch ihre Unheil¬ 
barkeit bezweifeln; als constitutioneile Krankheit ist sie multiloculär, 
und wenn von einem Orte entfernt, kehrt sie entweder wieder da¬ 
hin zurück oder aber sucht sich neue Niederlassungsorte. Andere 
constitutionelle Arthritiden verschwinden gewöhnlich mit Beseitigung 
ihrer Erreger. Wenn dagegen sich eine Gelenksentzündung an einer 
Stelle entwickelt, festsetzt und abläuft, so kann sie nur als ein ört¬ 
liches Leiden aufgefasst werden. Bei einigem Fleiss wird man dann 
auch die örtlichen Krankheitserreger entdecken können. Für den 
Erfolg der Behandlung ist es daher von höchster Bedeutung, dass 
man sich ohne vorgefasste Meinung einer klaren Diagnose ver¬ 
sichert. 


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VII. 


Werthvolle Verbesserung von unheilbaren Klump- 
füssen durch eine bis dahin nicht verwerthete 

Operation. 

Von 

Louis Bauer M. D., 

Professor der Chirurgie an dem St. Louis College of Pbys. and Surg. 

M. R. C. S. England etc. 

Mit 3 in den Text gedruckten Abbildungen. 

In der Behandlung von Klumpfüssen habe ich durchschnittlich 
befriedigende Heilerfolge erzielt. Selbstverständlich wurden sie bei 
jungen Individuen und leichteren Fällen schneller erlangt und um¬ 
gekehrt. Auch reichten die leichteren Heilmittel gewöhnlich hin, 
die Herstellung zu erwirken. Dagegen habe ich in alten und in- 
veterirten Fällen von Equino-varus entschiedene Misserfolge zu ver¬ 
zeichnen, obschon ich auf deren Behandlung grössere Aufmerksamkeit 
und Beharrlichkeit verwandt hatte. Allerdings habe ich Vermuthung, 
aber keine klare Einsicht von den Hindernissen der Herstellung 
normaler Formen und Bewegung gewonnen. Um die letztere zu 
erlangen, habe ich geeignete Fälle in Behandlung genommen, die 
widerständigen Gewebe subcutan durchschnitten, die gewaltsame Re- 
duction der Tarsalknochen in Narkose mit Hilfe des Redressions¬ 
apparates wiederholt unternommen, dann täglich mehrmals Massage und 
Faradisation folgen lassen, und in einem Falle diese Behandlung 
drei Jahre fortgesetzt, ohne jedoch fehlerlose Resultate zu erzielen. 
Der letztgenannte congenitale Fall betraf einen Landarbeiter von 
27 Jahren. Während seine Beschäftigung ohne Unterbrechung die 
Deformität verschlimmert hatte, war nichts geschehen, um sie zu 
mildern (Fig. 1). Mit Beihilfe meiner Assistenten und klinischen 
Zuhörer wurde ihm eine ununterbrochene Aufmerksamkeit zu Theil. 


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Werthvolle Verbesserung von unheilbaren Klumpfüssen etc. 


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Das Endresultat war allerdings eine Form Verbesserung, die sich 
aber nur durch mechanische Mittel erhalten liess, und beim Ge¬ 
brauche der betreffenden Extremität so grosse Empfindlichkeit 
verursachte, dass der Nutzen unzähliger Bemühungen sehr zweifel- 


Fig. 1. 



halt erscheint. Ich würde mich in der That nicht wundern, wenn 
der Kranke seitdem alle mechanische Einschränkung seines Fusses 
bei Seite gelegt und die Rückkehr der alten Deformität begünstigt 
hätte, um sich schmerzfrei zu machen. Eine ähnliche Erfahrung 
habe ich mit dem Equino-varus-Fuss eines 12jährigen Mädchens 
gemacht (Fig. 2). Seit jener Zeit habe ich den Muth verloren, mich 
an ähnliche orthopädische Unternehmungen zu wagen, ohne die 


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Louis Bauer. 


Hoffnung einer endlichen Lösung des Räthsels aufzugeben. Das Ge¬ 
schenk eines werthvollen Präparats von einem ärztlichen Freunde 
in Toronto hat mir dazu den Schlüssel geliefert, und mich zugleich 
in die angenehme Lage versetzt, das beste Mittel in Vorschlag 
zu bringen, die Deformität zu entfernen, ohne den Ge- 

Fig. 2. Fig. 3. 




brauch des Gliedes zu beeinträch¬ 
tigen. Das Präparat besteht in dem 
Skelet eines Unterschenkels mit 
dem zugehörigen Fusse, der letztere 
mit allen Merkmalen eines hoch¬ 
gradigen Equino-varus versehen. 
Ohne Zweifel ist es einer er¬ 
wachsenen, wahrscheinlich 
weiblichen Person entnommen, denn 
die Epiphyseneinrichtung ist ver¬ 
schwunden , und die einzelnen 
Knochen bieten leichtere Formen 


dar. Der Fall ist ohne Zweifel 
congenitalen Ursprungs, denn die betheiligten Tarsalknochen sind 
alle in ihren resp. Formen so verändert, wie es sich nur durch langen 
Bestand der Deformität erklären lässt. 

Sorgfältige Prüfung des Skelets (Fig. 3) ergeben die folgenden 
Einzelheiten: 

1. Die Tarsalknochen sind alle so in ihrer Form verändert, um 
bei genauer Berührung einen extremen Pes equino-varus dar- 
zustellem 


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Werth volle Verbesserung von unheilbaren Klumpfüssen etc. 


43 


2. Die Equinusstellung ist durch rechtwinklige Drehung 
des Astragalus um die Achsenlinie des Fussgelenks erfolgt. 

3. Nur der hintere Theil des Sprungbeins steht mit der Tibia 
und zwar mittelst einer kleinen aber ebenen Fläche in Berührung. 

4. Die correspondirenden abgeflachten Gelenkflächen zwischen 
Tibia und Astragalus machen Beweglichkeit problematisch. 

5. Die obere Gelenkfläche des Astragalus ist verflacht, uneben 
und ohne Knorpeldecke. 

6. Eine gewaltsame Reduction des Astragalus in seine normale 
Stellung zur Tibia, dessen Möglichkeit ernstem Zweifel unterliegt, 
konnte keine Herstellung des Tibia-Tarsalgelenks erwirken und im 
günstigsten Falle Anlass zu Schmerzhaftigkeit jeder versuchten Be¬ 
wegung geben. 

7. Durch die Drehung ist der Astragalus in fast vertikaler 
Stellung erhalten, die nicht nur das Bein verlängert, sondern 
Anlass zu einer nach unten gerichteten Tuberosität gibt, welche das 
Stehen, Auftreten und Gehen ohne Beschwerden ermöglicht. 

8. Die callöse Hautdecke der Tuberosität schützt den Kranken 
gegen Entzündung und Druckgeschwüre. 

9. An der Formation der Tuberosität nimmt der ebenfalls senk¬ 
recht stehende Calcaneus entsprechenden Antheil. 

10. Die Navicular- und Cuboidknochen sind an die innere 
Seitenfläche des Astragalus und Calcaneus hinauf gedrängt. 

11. Durch die Ortsveränderung jenes Fusswurzelknochens ist 
nicht nur das Chopart’sche Gelenk aufgehoben, sondern eine neue 
und lose Gelenkverbindung geschaffen, die nicht allein eine fast 
rechtwinklige Knickung zulässt, sondern auch jene eigenthümliche 
Drehungssupination des vorderen Fusstheiles herbeiführt, welche den 
äusseren Fussrand zur Sohle und den Fussrücken zur äusseren und 
bisweilen vorderen Fläche umsetzt. 

12. Der Rest der Fussknochen ist nur unbedeutend beeinflusst 
und würde dem Redressement keine erheblichen Hindernisse in den 
Weg legen. 

Die Frage, ob eine so hochgradige Deformität mit den bekannten 
Mitteln gehoben werden könne, muss mit einem entschiedenen „Nein* 
beantwortet werden. Selbst die gelungene Reduction würde den 
Fuss in einem gebrauchlosen Zustande zurück lassen und daher ver¬ 
werflich sein. Ohne Zweifel haben ähnliche, vielleicht dieselben 
Schwierigkeiten meine Versuche in so schwer compromittirten Klump- 


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44 Louis Bauer. Werth volle Verbesserung von unheilbaren Klumpfüssen etc. 

füssen scheitern lassen. Sie haben sich mir als Noli me tangere 
erwiesen, und ich habe daher keine Neigung, die Efficiens der ortho¬ 
pädischen Chirurgie von neuem an ihnen zu versuchen. Um die 
krüppelhafte Entstellung zu beseitigen, ohne die Brauchbarkeit 
des Beines zu schädigen, gibt es nur das Mittel einer modificirten 
Chopart'schen Operation, welche die erworbene senkrechte Stellung 
des Astragalus und Calcaneus unberührt lässt, den vorderen Theil 
des Fusses entfernt und den Verlust durch künstliche Mittel ersetzt. 
Eine solche Operation kann ohne Gefahr ausgefübrt und ihre wohl- 
thätigen Ergebnisse in sehr kurzer Zeit verwirklicht werden. Denn 
die sehr begründeten Einwendungen gegen die Chopart'sche Ope¬ 
ration — die Contraction des Gastrocnemius, die Extensionsstellung 
des Stumpfs und die Beschädigung desselben durch seinen Gebrauch 
im Gange — finden keinen Raum bei inveterirten Klumpfüssen. 
Bei diesen trägt die excessive Extensionsstellung des Astragalus 
und Calcaneus dazu bei, einen zuverlässigen Stumpf neben einer 
wünschenswertlien Verlängerung des Gliedes zu sichern. 


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VIII. 


Die Behandlung der Pott’schen Wirbelerkranknng. 

Yorgetragen 

auf dem allgemeinen medicinischen Gongress zu Washington 
im September 1893. 

Von 

A. B. Judson M. D., 

orthopädischer Chirurg der Poliklinik des New York Hospital. 

Obgleich die Caries eines jeden Theiles der Wirbelsäule immer¬ 
hin eine schwere Erkrankung darstellt, so müssen wir doch den Um¬ 
stand in Betracht ziehen, dass es dabei sehr viel darauf ankommt, 
welche Gegend der Wirbelsäule betheiligt ist. Im mittleren dorsalen 
Theile ist die Erkrankung wohl die schwerste, welche die Knochen 
des wachsenden Kindes, mit Ausnahme von maligner Erkrankung, 
ergreifen kann. Hier ist gewöhnlich die Zerstörung so ausgedehnt 
und die Deformität so gross, weil das Verhältnis der afficirten 
Knochen zu einander mechanisch möglichst ungünstig liegt. Weiter 
nach unten sind die Wirbelkörper so gross, dass schon ein erheb¬ 
licher Substanzverlust dazu gehört, um den Verlust ihrer gegen¬ 
seitigen Unterstützung herbeizuführen, während weiter nach oben 
die Wirbelkörper, obgleich klein, weniger Gewicht zu tragen haben. 
In dem zwischenliegenden Theile bewegen sich die Knochen fort¬ 
während bei jeder Respiration und machen auch bei der Flexion, 
Rotation u. s. w. der Wirbelsäule viel grössere Excursionen als die 
übrigen Körper. Sie sind ferner durch ihre Lage in der Mitte der 
Säule viel grösseren Anstrengungen ausgesetzt. Ich glaube, wir 
müssen alle darin übereinstimmen, dass in diesem mittleren und 
oberen dorsalen Theile die Pott’sche Erkrankung am längsten dauert, 
bis eine Consolidation stattfindet. 


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46 


A. B. Judson. 


Wir haben hierbei eine vorzügliche Illustration der Thatsache, 
dass die Heilung der articulären Ostitis durch ungünstige mecha¬ 
nische Momente sehr in die Länge gezogen wird. Ebenso wie die 
Gelenke der oberen Extremitäten, die dem Druck der Fortbewegung 
nicht ausgesetzt sind, sich leicht erholen, während die der unteren 
Extremitäten, die durch die Hitze und die Last des Tages beschwert 
werden, nur nach längerer, ausgedehnter Zerstörung heilen, so ist 
auch die Gelenkerkrankung im cervicalen Theil der Wirbelsäule leichter 
zu heilen, während im mittleren und oberen dorsalen Theile wir nur 
nach langem Kampfe über die Erkrankung den Sieg davontragen. 

Wie können wir nun am besten die Natur bei der Heilung 
dieses Uebels, das seinen Sitz an so schwieriger Stelle der Wirbel¬ 
säule hat, unterstützen? Dieselben allgemeinen Regeln gelten hier 
wie bei der Behandlung der articulären Ostitis der unteren Extremi¬ 
täten. Wir können die Erkrankung nicht durch eine Operation oder 
durch ein anderes Verfahren unterbrechen, aber wir können mit Zu¬ 
versicht den Stillstand der Zerstörung erwarten und müssen nach 
besten Kräften den Anfang der Wiederherstellung fördern. Was 
können wir also thun, um die afficirten Wirbel in die günstigste 
Lage zu bringen und um die Widerstandskräfte und die reparativen 
Vorgänge des Körpersystems aufs höchste zu spannen? Wie bei 
jeder Gelenkerkrankung wollen wir auch hier 1. den Knochen davor 
schützen, Gewicht oder Erschütterung aushalten zu müssen, 2. jede 
Bewegung des afficirten Gelenks ausschliessen, weil wir annehmen, 
dass der Ausschluss dieser beiden Functionen, des Gewichttragens 
und der Bewegung, ein wesentliches Moment bei der Behandlung ist. 

Es ist nicht rathsam, den Patienten während der langen Dauer 
der Erkrankung zu Bette liegen zu lassen. Bei der Behandlung der 
Hüfterkrankung legen wir, wenn ich mich so ausdrücken darf, das 
kranke Bein ins Bett, während der Patient dabei herumgeht. Ein ähn¬ 
liches Verfahren bei der Po tfsehen Erkrankung ist nicht gut möglich. 
Da der Patient auf sein muss und mehr oder weniger sich activ 
bewegt, so nehmen wir meiner Meinung nach am besten unsere Zu¬ 
flucht zur Anwendung eines Hebels, der einen Druck in der Nähe 
des hinteren spitzen Winkels, und zwar von hinten nach vorne, aus¬ 
übt, und einen Gegendruck von vorne nach hinten an zwei Stellen, 
die oberhalb und unterhalb des Sitzes der Erkrankung gelegen sind. 
Diese Vorrichtung entlastet in gewissem Sinne die erkrankten Ge¬ 
lenke von dem Körpergewicht während der Patient herumgeht, in- 


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Die Behandlung der Pott’schen Wirbelerkrankung. 


47 


dem der so angewandte antero-posteriore Druck einen Theil des 
Gewichtes und der Erschütterung, die das Gehen uud Stehen mit 
sich bringen, von den erkrankten Wirbelkörpern auf die Processus 
überträgt, die gesund bleiben. Wir haben also 1. so weit dies durch¬ 
führbar ist, schädlichen Druck von den erkrankten Geweben abge¬ 
halten, und 2. haben wir einen möglichst wirksamen Apparat an¬ 
gewandt, um die Bewegung der betheiligten Gelenke zu verhindern. 

Ein Jeder, der praktische Erfahrung hat, wird mir zugeben, 
dass ein derartig wirksamer Druck, wie oben beschrieben, gute 
Folgen haben muss. Er wird zwar nicht sofort den Krankheits- 
process auf halten und eine Narbenbildung des cariösen Knochens 
veranlassen, denn dies wird später die natürliche Reaction bewirken, 
aber die Natur wird desto eher ihre reparativen Vorgänge eintreten 
lassen, wenn unsere mechanischen Mittel den Schmerz beseitigen und 
die Schwäche und Angst durch das Gefühl der Kraft ersetzen. Eine 
gut angebrachte Stütze führt sofort eine Erleichterung herbei, welche 
sich in dem Gesicht und der Haltung des Patienten wiederspiegelt. 
Thatsächlich wird auch ein Gefühl der Sicherheit und der Be¬ 
quemlichkeit durch den Gebrauch eines Corsets, wie es jetzt aus 
den verschiedensten Materialien angefertigt wird, herbeigeführt. Ich 
will auf die Mängel dieser Art Apparate hier nicht eingehen. Die 
Billigkeit der Panzerhemden (Jackets) und ihre leichte Beschaffung 
und Anwendung machen sie für viele Patienten, die sonst gar keine 
mechanische Stütze haben würden, sehr brauchbar. Wir müssen 
aber festhalten, dass wir, wenn es irgendwie ausführbar ist, dem 
Patienten den Vortheil des gut angebrachten antero-posterioren 
Druckes stets zukommen lassen müssen. 

Immerhin ist jedoch selbst der vorzüglich angebrachte antero- 
posteriore Druck nicht im Stande, stets die erwünschte Stütze zu 
geben, weil dabei die Hebel Wirkung eine mangelhafte ist. An der 
Wirbelsäule haben wir keinen solchen langen knöchernen Hebelarm, 
wie wir ihn zum Beispiel bei der Fixation des Kniegelenks be¬ 
sitzen. Es besteht vielmehr eine Aufeinanderfolge von unregel¬ 
mässigen Knochen, die mit einander beweglich sind, so dass dadurch 
der Versuch, die Beweglichkeit zu verhindern oder die Säule durch 
Druck von hinten nach vorne und Gegendruck von vorne nach hinten 
zu unterstützen, misslingt, weil eben der Druck von vorne nach 
hinten, wenigstens zum Theil, bewirken wird, dass die einzelnen 
Theile der Wirbelsäule oberhalb und unterhalb des Gibbus nach rück- 


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48 A. B. Judson. Die Behandlung der Pott’schen Wirbelerkrankung. 

wärts gebogen werden. Jedoch geht uns dieser Druck durchaus 
nicht verloren, indem er schliesslich die Gestalt des Rumpfes ver¬ 
bessert, was man deutlich bei Patienten, die in dieser Weise be¬ 
handelt worden sind, wahrnehmen kann. 

Der von uns angewandte Apparat ist sehr einfach und besteht 
aus zwei aufrechten, parallelen Stangen, die unten durch einen 
Beckenring mit einander verbunden sind und nach oben zu diver- 
giren, um dann sich über die Höhe beider Schultern zu krümmen. 
Der Druck von vorne nach hinten wird bewirkt durch zwei Pelotten, 
die in einer Ebene mit dem Gibbus an den aufrechten Stangen be¬ 
festigt werden und zu beiden Seiten der Medianlinie angebracht 
sind. Der Gegendruck von vorne nach hinten wird unten bewirkt 
durch einen Riemen, der von dem Becken von dem einen bis zum 
anderen Ende des Beckenrings läuft, oben dagegen durch-Riemen, 
die beiderseits von dem oberen Ende der aufrechten Stange unter 
der Achsel laufen, um wieder an der aufrechten festgeschnallt zu 
werden. Bei diesem Apparat ist es wesentlich, dass für alle metal¬ 
lenen Theile nur weicher Stahl angewandt wird, denn nur bei diesem 
Material kann der Chirurg den Grad und die Richtung des Druckes 
der wechselnden Gestalt anpassen und der wachsenden Widerstand¬ 
kraft der Haut gegenüber dem Drucke Rechnung tragen. Wir 
müssen der Haut unsere besondere Aufmerksamkeit schenken und 
den Druck allmählich so steigern, bis die Grenze des Erträglichen 
erreicht wird. v 

Durch peinliche Beobachtung der Details wird ein so construirter 
Apparat mit Sicherheit bequem und wirksam gemacht werden können. 
Die allgemeine Stütze des Panzerhemdes (Jacket) kann man sich 
verschaffen, indem man dem oben beschriebenen einfachen Hebel 
noch Schürzen u. s. w. zufügt, welche das Gefühl der Festigkeit und 
Sicherheit erhöhen, ohne dem Hauptzweck des Apparats, dem des 
antero-posterioren Druckes, hinderlich zu sein. 

Man weiss in der That nicht, wo man anfangen und wo man 
auf hören soll bei der Betrachtung der vielen Details, welche diese 
Art der Behandlung erfordert. Zum Schlüsse will ich noch be¬ 
merken, dass Reinlichkeit und Billigkeit dadurch gefördert werden, 
dass man die Stahltheile unpolirt lässt und sie mit einer Lage von 
Heftpflaster bedeckt, das man mit Streifen von Flanell oder Seiden¬ 
stoff umwickelt und so oft als nöthig erneuern kann. 


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IX. 


Einige praktische Punkte hei der Behandlung der 
tuberculösen Hüftgelenkserkrankung'). 

Yorgetragen auf dein allgemeinen amerikanischen Congress zu 
Washington im September 1893. 

Von 

A. B. Judson M. D., 

orthopädischer Chirurg der Poliklinik des New York Hospital. 

Mit 13 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Man kann die Hüftgelenkserkrankung als eine semi-maligne 
bezeichnen wegen ihrer langen Dauer und destructiven Eigenschaft, 
doch ist dieselbe fast niemals tödtlich. In jeder grösseren Gemeinde 
gibt es viele gesunde und active Erwachsene, welche die Spuren 
dieser Erkrankung als Narben und Verunstaltung an sich tragen, 
ohne meistens einer angemessenen Behandlung unterzogen worden 
zu sein. In allen Stadien der Erkrankung wird man mit Ausnahme 
von denjenigen Fällen, die in Bezug auf ihre Umgebung besonders 
ungünstig liegen, Voraussagen können, dass über kurz oder lang 
die natürlichen Kräfte sich wieder sammeln werden, und dass an 
Stelle der Destruction eine Wiederherstellung treten werde. 

Wenn wir zur Behandlung übergehen, müssen wir uns klar 
machen, dass die Neigung zur Destruction und die Hartnäckigkeit 
bei dieser Erkrankung meistens die Folge von ungünstigen mecha¬ 
nischen Verhältnissen in der Umgebung des Heerdes sind. Ein ent¬ 
sprechender Vergleich mit der oberen Extremität lässt sich nicht an- 


*) Uebersetzt von Dr. Alfred Lilienfeld, Assistenzarzt am Elisabeth- 
Krankenhaus in Berlin. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. III. Band. 4 


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50 


A. B. Judson. 


stellen, weil hier der Knochenherd sich in der Regel früh zurück¬ 
bildet, dadurch dass die oberen Extremitäten bei der Anstrengung 
der Fortbewegung nicht betheiligt sind. Wir müssen also vor allem 
die verderblichen mechanischen Verhältnisse der Umgebung aus¬ 
schalten. Dadurch halten wir jedes Trauma fern von dem afficirten 
Theile und kräftigen das Allgemeinbefinden, um damit der „Natur¬ 
heilung“ Vorschub zu leisten. 

Die drei angeführten Fälle beweisen den Erfolg der mechani¬ 
schen Behandlung auch bei den ungünstigsten Verhältnissen. 

Fall 1. 

Ein Cjähriger Knabe zeigte einen mächtigen Abscess und 
alle gewöhnlichen Symptome des letzten Stadiums der Erkrankung, 
die schon seit 19 Monaten in der rechten Hüfte bestand. Die 
Resection der Hüfte war von einem Chirurgen vorgeschlagen worden. 
Der Abscess öffnete sich schon am ersten Tage, bevor die Behand¬ 
lung eingeleitet werden konnte. Das Allgemeinbefinden des Kindes 
war schlecht. Das Bein stand stark adducirt und flectirt und die 
geringste Bewegung des Gelenks verursachte heftige Schmerzens- 
äusserungen. Am 6. Tage nach der Untersuchung wurde die mecha¬ 
nische Behandlung eingeleitet. Der Schmerz wurde sofort geringer. 
Der Knabe konnte sofort ausser Bett sich aufhalten und war während 
der ganzen Dauer der Behandlung, die 2^2 Jahre währte, fast jeden 
Tag ausserhalb des Hauses. Das afficirte Gelenk erhielt den Vor¬ 
theil der Fixation oder eines vernünftigen Grades von Immobilisation 
und wurde vollständig von dem traumatischen Einfluss der Fort¬ 
bewegung geschützt. 

Die Adductionsstellung des Beines verlor sich allmählich und 
ohne Schmerzen, indem der Patient unter dem Schutze des Appa¬ 
rates mit dem kranken Beine umherging, und die Flexion wurde 
so lange corrigirt, bis das Bein eine zur Fortbewegung günstige 
Stellung einnahm. Mit dem Apparate beschäftigte sich der Knabe 
ganz wie andere Kinder seines Alters, indem der reparative Vorgang an 
Stelle der Verwüstungen der Krankheit trat. Der oben erwähnte Abscess 
hatte noch andere im Gefolge in unregelmässigen Zwischenräumen, 
die entweder incidirt wurden oder spontan aufbrachen. In einer Zeit 
waren neun Fisteln vorhanden,, die alle auf kranken Knochen führten. 
Fünf von diesen Oeffnungen lagen in einer Linie an der Aussenseite der 


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Einige prakt. Punkte bei der Behdlg. der tuberc. Hüftgelenkserkrankung. 51 


Hüfte, die von dem Trochanter fast bis zur Mitte des Oberschenkels 
reichte (Fig. 1). Die Lage dieser Fisteln, von denen aus einer ein 
Sequester extrahirt wurde, und das Verwachsensein der restirenden 
Narben mit dem Knochen beweisen, dass ein grosser Theil des 
Femurschaftes mit an dem destructiven Process betheiligt war. Der 


Fig. 1. Fig. 2. 



Zustand des Patienten 6 Monate nach Schluss der Behandlung ist 
in Fig. 1 und 2 dargestellt. Das Bein steht gut, weder abducirt noch 
adducirt, nur ein wenig flectirt, um dem Patienten das bequeme 
Sitzen zu ermöglichen, jedoch nicht derart, um die graziöse Fort¬ 
bewegung irgendwie zu stören. Er hat einen festen Gang, läuft 
schnell und benutzt keinen Stock. Es besteht praktisch keine 
„scheinbare“ Verkürzung, wie sie der Adduction und Flexion zu¬ 
kommt. Die „reelle“ Verkürzung ist ca. I 3 /* cm (Inch), die theils 
auf Veränderungen im Femurhals und -Kopf zu schieben ist, aber 


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52 


A. B. Judson. 


im wesentlichen dem Umstande zu verdanken ist, dass das Skelet 
des afficirten Gliedes kleiner ist als dasjenige der gesunden Seite, 

wie der Unterschied in den Umrissen der 
Füsse in Fig. 3 dies deutlich zeigt. Es 
ist eben das Wachsthum des kranken 
Beines zurückgeblieben, während die Ent¬ 
wickelung des gesunden infolge von Ueber- 
anstrengung eine übermässige geworden 
ist. Die Lage der Fisteln wird in den 
Figuren gezeigt. Die Narben sind ein¬ 
gezogen und mit den tiefen Fascien und 
dem Knochen verwachsen. Sie sind ent¬ 
sprechend ihrer Entstehung numerirt. 

Die Fig. 1, 2, 4, 5, 7 und 8 sind nach Photographien an¬ 
gefertigt. 

Fall 2. 

Es handelt sich um ein 3jähriges Mädchen, dessen Mutter, Gross- 
mutter und drei Onkel und Tanten von Vaters Seite an Lungen- 
tuberculose gestorben sind. (In den Fällen 1 und 3 war anamnestisch 
nichts nachweisbar.) Die Erkrankung des rechten Hüftgelenks hatte 
etwas über 1 Jahr schon bestanden. Eine Behandlung hatte statt¬ 
gefunden durch einen nicht abnehmbaren Gipsverband, Krücken 
(Wheel-crutch) und einen portativen Apparat, der eine Gelenk¬ 
verbindung am Knie hatte, aber nicht zur Extension eingerichtet 
war. Als ich das Kind zuerst sah, hatte es eine ausgesprochene 
Adductions- und Flexionsstellung, die für ein vorgeschrittenes 
Stadium der Erkrankung sprachen. Sie hatte seit einigen Wochen 
die heftigsten Schmerzen, die der Abscessbildung vorangehen, und wie 
sie wahrscheinlich durch Eiterverhaltung in der Spongiosa des Knochens 
hervorgerufen werden. 

Bald nach der Anwendung mechanischer Behandlung besserte 
sich die Stellung des Gliedes, die Adduction wurde durch Abduction 
ersetzt und die Flexion erheblich corrigirt. Der Schmerz liess nach, 
wahrscheinlich als Folge des Durchbruches des Eiters durch die 
Corticalis des Knochens. 5 Monate nach Beginn der Behandlung 
wurde der Eiter durch Incision aus den Weichtheilen entleert und 
in den folgenden 18 Monaten entstanden fünf weitere Fisteln, zum 
Theil spontan, zum Theil durch Incision. Ihre Lage und Reihen¬ 
folge sind in den Fig. 4 und 5 gezeigt, die den Zustand des 





Einige prakt. Punkte bei der Behdlg. der tuberc. Htiftgelenkserkrankung. 53 

Kindes 8 Monate nach Schluss der Behandlung darstellen. Die 
Narben sind mit dem Periost und den tiefen Fascien verwachsen. 


Fig. 4. Fig. 5. 



Die Gesundheit des Kindes ist eine vorzügliche, und es geht und 
läuft ohne irgend welche Unterstützung. Die Stellung des Femur 
ist günstig, sowohl zum Gehen als auch 
zum Sitzen, es besteht keine Abduction oder 
Adduction und nur ein geringer Grad von 
Flexion. Die reelle Verkürzung beträgt 
ca. 1 cm ( l /4 Incb). Die Umrisse der Füsse 
gibt Fig. 6 wieder. Wenn das Kind vor¬ 
sichtig geht, ist es schwer irgend welchen 
Defect zu sehen, obgleich die Bewegung 
im Hüftgelenk selbst so gering ist, um 
sehr wenig Nutzen für das Gehen zu bringen. 

Das Kind macht sich beim Gehen unwill¬ 
kürlich die Biegsamkeit des Lendentheiles der Wirbelsäule und die 
unverminderte Beweglichkeit des gesunden Hüftgelenks zu Nutzen. 



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A. B. Judson. 


Schnelles Gehen und Laufen verursachen Hinken, ohne dadurch 
das Kind von den gewöhnlichen Beschäftigungen der Jugend aus- 
zuschliessen. 


Fall 3. 

Ein 7jähriger Knabe hatte seit 4 Jahren ein krankes Hüft¬ 
gelenk rechts. Sein Vater war Instrumentenmacher, und der Knabe 
hatte die sorgfältigsten Apparate getragen, deren Hauptfehler in 
der zu leichten Construction der Schienen bestand, so dass die Exten¬ 
sion ungenügend war und die Ausschaltung des Körpergewichts auf 
das kranke Glied beim Stehen und Gehen nicht genügend war. 

Es waren die gewöhnlichen Zeichen eines vorgeschrittenen 
Stadiums vorhanden und bei Beginn der Behandlung bestand ein 
Abscess, der dem Durchbruch nahe war. Eine Verbesserung der 
Stellung des Beines machte sich bald bemerkbar. Nach einiger Zeit 
entstanden vier Fisteln spontan oder, wenn es nöthig war, durch 
Incision veranlasst. Der Fall verlief günstig und die Dauer der Be¬ 
handlung war 4 l /2 Jahre, vielleicht länger als nöthig infolge der 
übermässigen Vorsicht und Aengstlichkeit des Vaters. Die Fig. 7 
und 8 zeigen den Zustand des Knaben 18 Monate nachdem jedwede 
Behandlung aufgehört hatte. Die Narben 2 und 4 sind mit dem 
Knochen verwachsen. Der Knabe macht lange Spaziergänge zur 
Schule und zurück, ist ein guter Schlittschuhläufer, und geht und 
läuft sehr schnell, obgleich die Beweglichkeit im Hüftgelenk selbst 
vollständig fehlt. Einen Stock gebraucht er nie. Bei vorsichtigem 
Gehen ist kein Defect im Gange vorhanden. Die reelle Verkürzung 
beträgt etwas mehr als 1 cm ( l js Inch). Die Umrisse seiner Füsse 
sind in Fig. 9 zu sehen. Die Stellung des Beines ist gut, es be¬ 
steht ein geringer Grad von Flexion, gerade genug um das Sitzen 
zu erleichtern, ohne die graziöse Fortbewegung zu stören. Weder 
Abduction noch Adduction sind vorhanden. 

Seitdem diese Fälle veröffentlicht sind, haben die Patienten 
eine ungetrübte Gesundheit und Activität beibehalten, doch zwei 
davon haben die unten beschriebene Symmetrie eingebüsst. Der 
Oberschenkel steht wieder etwas flectirt und adducirt, zwar nicht 
genug um die Fortbewegungsfähigkeit zu beeinträchtigen, aber doch 
so, dass ein Defect im Gange entstanden ist. Dies ist offenbar die 
Folge der Unfähigkeit den vorgeschriebenen natürlichen Rhythmus 
beim Gehen beizubehalten. Der dritte Patient, der Medicin studiren 


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Einige prakt. Punkte bei der Behdlg. der tuberc. Hüftgelenkserkrankung. 55 

will, konnte die Wichtigkeit der rhythmischen Bewegung ver¬ 
stehen und würdigen, so dass er die beschriebene Symmetrie bei¬ 
behalten hat. 

Diese Fälle werden nicht vorgeführt, um die Resultate der 


Fig. 7. Fig. 8. 



mechanischen Behandlung in frühzeitigen und günstigen Fällen zu 
veranschaulichen, sondern um zu zeigen, was das Resultat bei den 
schwersten Fällen im vorgeschrittenen Stadium sein sollte, voraus¬ 
gesetzt, dass man von intelligenten und sorgsamen Eltern unter¬ 
stützt wird. Bei günstigen Verhältnissen dagegen, und wenn die Be¬ 
handlung beim ersten Zeichen eines vorhandenen Krankheitsherdes 


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56 


A. B. Judson. 


begonnen wird, müsste der Erfolg ein derartiger sein und ist auch 
thatsächlich manchmal ein solcher, dass es selbst bei genauer Unter¬ 
suchung und Messung schwer ist, irgend eine Asymmetrie oder 
sonstige Spur der Erkrankung zu erkennen. 

Dieselben allgemeinen Regeln und Grundsätze der Behandlung 
gelten sowohl für die frühzeitigen wie für die verzweifelten und 
weit vorgeschrittenen Fälle. Die Behandlung sollte vor allem 
folgende vier Punkte im Auge behalten: 1. Erhaltung der all¬ 
gemeinen Gesundheit während der ganzen Behandlung. 2. Verhinde¬ 
rung jeder Bewegung im Gelenk wäh¬ 
rend des acuten Stadiums. 3. Aus¬ 
schaltung des Körpergewichtes von dem 
Gelenk in allen Stadien und 4. Vor¬ 
sorge für endgültige Symmetrie und 
gute Fortbewegungsfähigkeit. 

Das, was wir zuerst berücksich¬ 
tigen müssen, ist das Allgemeinbefinden 
des Patienten. Auf dessen Güte verlassen 
wir uns bei dem Fehlen jeder specifi- 
schen Medication und operativer Ein¬ 
griffe, damit die Natur den progressiven 
zerstörenden Process in einen progressiven 
reparativen umwandelt. Kann ein Hüft- 
kranker besser ausgerüstet sein, als wenn er nach einem schmerz¬ 
losen Schlaf ausser Bett und angekleidet den Tag verbringt mit 
seinen Schulfreunden und Spielgenossen, während sein Appetit und 
seine Respiration angeregt werden durch die glücklichen Stunden, die 
er in der frischen Luft und im Sonnenschein ausgenutzt hat? Mit 
einer angemessenen mechanischen Ausrüstung wird der Patient, auch 
aus freien Stücken nicht, keine Stunde des Wachens im Bette zu¬ 
bringen. 

Zweitens kann die Verhinderung der Bewegung im Gelenk 
selbst durch die Extension bewirkt werden, besonders in den Stadien, 
wo die letztere schon durch die Schmerzhaftigkeit des Gelenks und 
die Angst, welche die Patienten vor jeder Berührung desselben haben, 
indicirt ist. Die absolute Immobilisation scheitert an den mecha¬ 
nischen Verhältnissen des Hüftgelenks, doch ist die Fixation oder ein 
vernünftiger Grad von Immobilisation leicht zu bewerkstelligen und 
nicht schwer dauernd zu erhalten. 



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Einige prakt. Punkte bei der Behdlg. der tuberc. Hüftgelenkserkrankung. 57 


Drittens kann der Patient, wenn er mit dem Hiiftapparat aus¬ 
gerüstet ist, beim Stehen und Gehen das Gelenk mit seinem Körper¬ 
gewicht nicht belasten, da die Ferse den Boden nicht berührt und 
der Patient auf dem perinealen Gurt sitzt, der wie der Krückenkopf 
in der Achselhöhle wirkt. Ausserdem trägt er am gesunden Fuss 
eine erhöhte Sohle, um die künstliche Verlängerung, die die Schiene 
der kranken Seite gibt, auszugleichen. Es klingt phantastisch, aber 
der Kranke sitzt gewissermassen während des Gehens, indem er ab¬ 
wechselnd auf dem gesunden Fuss steht und auf der perinealen 
Stütze sitzt. Ein erwachsener Patient sagte mir, dass er, wenn er 
müde ist, im Stehen sich ausruht, indem er irgendwo sich anlehnt 
und zugleich auf der Hüftschiene sitzt. Früher glaubte man, es 
wäre unmöglich für einen Patienten eine Zeitlang zu gehen und 
dabei nur mit einem Fuss den Boden zu berühren. Jedoch mit dem 
Hüftapparat laufen Kinder Jahre lang umher und stützen sich nur 
auf das gesunde Bein, während das kranke in ein pendelndes Glied, 
wie etwa der Arm, verwandelt wird. Das Resultat ist ein sofor¬ 
tiges Nachlassen der drohenden Symptome und die Förderung der 
W iederh erstellung. 

Viertens kann der Patient, während er die Hüftschiene trägt, 
dahin unterrichtet und gedrillt werden, dass er den „falschen Tact“ 
seiner Schritte, welcher hauptsächlich die Ursache der Deformität 
und des Hinkens der Hüftkranken ist, aufgibt und zu dem natür¬ 
lichen Rhythmus der menschlichen Fortbewegung zurückkehrt, bei 
welchem beide Füsse gleichen Tact halten. Wenn der Patient in 
dieser Weise gewohnheitsmässig geht, wird man ihm kaum das 
Hinken anmerken und die Deformität wird corrigirt werden, weil 
das adducirte Bein allmählich ohne bewusste Anstrengung von Seiten 
des Patienten aus der Adductions- in die Abductionsstellung übergehen 
wird. Zugleich wird aus demselben Grunde eine verminderte Flexion 
sich einstellen, weil das Bein sich von selbst diejenige Stellung 
geben wird, welche es braucht, um seine Hälfte der Arbeit bei 
der Fortbewegung zu verrichten. Es wird eben hierzu gezwungen 
durch den natürlichen Rhythmus oder das „Tacthalten“ während des 
Gehens. 

Einige Worte über den Apparat und seine Anwendung möchte 
ich hier sagen. Der Schienentheil ist aus Stahl gefertigt, der ziem¬ 
lich hart sein kann, da er beim Gebrauch nicht gebogen zu werden 
braucht. Er besteht aus dem aufrechten Stück und dem Becken- 


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A. B. Judson. 


ring, wie in Fig. 10. Das aufrechte Stück (Fig. 11) reicht von 
der Erde bis zu einem Punkte, der in der Mitte zwischen Darm¬ 
beinkamm und Trochanter major liegt. Dasselbe ist flach und kehrt 
die Breite nach der Seite zu, während die Dicke von vorne nach 
hinten sich richtet, so dass die Stärke des Metalls in der Richtung 
der Spannung liegt, wenn die Last des Körpers auf der Schiene 


Fig. 11. 



ruht. Es besteht aus der Schiene und einem Kasten, wobei die 
erstere durch eine Zahnstange in der letzteren auf und ab bewegt 
werden kann und an irgend einem Punkte durch eine geeignete 
Vorrichtung festgehalten werden kann. Der Kasten ist am Becken¬ 
ring befestigt, und die Schiene endigt unten am Fussstück, welches 
mit Leder überzogen ist und zwei lederne Riemen besitzt. Die 
hohe Sohle für den gesunden Fuss wird am besten aus leichtem Holz 


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Einige prakt. Punkte bei der Behdlg. der tuberc. Hüftgelenkserkrankung. 59 

gefertigt und an der Stiefelsohle wie in Fig. 12 befestigt. Sie thut 
dieselben Dienste wie die bei weitem theuerere Korksohle. Das 
Kniestück besteht aus weichem Stahl und ist regulirungsfähig, so 
dass es dem betreffenden Beine leicht angepasst werden kann. Bei 
grossen Patienten, die eine längere Aufrechte brauchen, wird die Schiene 
selbst verlängert und nicht der Kasten, wie dies in Fig. 10 und 11 
geschehen ist. Am unteren Ende des Oberschenkels und des Unter¬ 
schenkels wird durch einen Gurt das Bein an die Schiene an- 


Fig. 12. 



geschnallt. Der Beckenring, Fig. 10 und 13, aus Stahl ist fast semi- 
circulär und wird mit Leder oder Filz überzogen. Der Befestigungs¬ 
winkel an der Aufrechten ist regulirungsfähig und die Befestigung ge¬ 
schieht durch einen Schraubenbolzen. Das Beckenstück besitzt noch 
einen perinealen gepolsterten Gurt. Von der Mitte des Oberschenkels 
läuft auf jeder Seite ein 4—6 cm breiter Heftpflasterstreifen nach 
abwärts, der in einer Schnalle endigt. Das Pflaster wird geschützt 
durch eine Gamasche aus Nesseltuch, die mit Oeffnungen zum 
Schnüren versehen ist. 

Um die Extension des Beines auszuführen, werden die Riemen 
des Fussstückes mit den Heftpflasterstreifen festgeschnallt, der 
perineale Gurt wird am Beckenring geknüpft und die Zahnstange 
wird in der Richtung nach dem Fusse zu durch einen Schlüssel in 
Bewegung gesetzt. Vernünftigen Patienten kann man den Schlüssel 


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A. B. Judson. 


überlassen, damit sie, so lange eine Indication dafür vorhanden ist, 
je nach Bedarf die Extension selbst für das schmerzhafte Gelenk 
ausüben können. Man glaubte zuerst, dass eine so ausgeübte Exten¬ 
sion den Druck der schmerzhaften 


Fig. 13. 



Gelenkflächen aufhebe, aber ich 
glaube doch, dass man ihren guten 
Einfluss darin suchen muss, dass 
die Extension den Patienten in 
seinen Bestrebungen, in den be¬ 
wussten und unbewussten (spontan 
und durch Reflex), jede Bewegung 
des Gelenks zu verhindern, unter¬ 
stützt; dass sie also eine Fixation 
oder einen gewissen Grad von 
Immobilisation herbeiführt. Das 
Kniestück arbeitet nach derselben 
Richtung, indem es die Bewegung 
im Kniegelenk und damit zugleich 
im Hüftgelenk verhindert. Es gibt 
wirklich keinen betrübenderen An¬ 
blick als einen Patienten in den 
acuten Stadien der Hüftgelenks¬ 
erkrankung und keinen einfacheren 
und sichereren Modus operandi 
in der Chirurgie, um Hilfe zu 
leisten, als durch diese Anwen¬ 
dung der Extension. Man darf auch 
nicht übersehen, dass eine so aus¬ 
geübte Extension uns den Vortheil 
sichert, der von der Gegenwir¬ 
kung der periarticulären Muskeln 
ausgeht. 

Der Apparat soll auch bei 
Vorhandensein von Abscessen und 


grosser Deformität angelegt werden, wie in den besonders schweren 
oben beschriebenen Fällen, selbst wenn dabei wegen der Adduction 
des Beines das Beckenstück quer über die Brust verläuft. Auch 
wird es zu Anfang manchmal nöthig sein, den perinealen Gurt zu 
verlängern oder ihn auch am Perineum der gesunden Seite hinzu- 


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Einige prakt. Punkte bei der Behdlg. der tuberc. Hüftgelenkserkrankung. 61 


führen. Jedoch mit der nöthigen Vorsicht und Zartheit wird man 
stets den Apparat so herrichten können, dass eine geringe und langsam 
wachsende Extension ausgeübt wird. Eine augenblickliche Linderung 
des Schmerzes geht der baldigen Correction der Deformität voraus, so 
dass nach einigen Tagen die wiederhergestellte Symmetrie der Figur 
des Patienten ihn den Apparat bequem und gut sitzend tragen lässt. 
Der Beckenring kann dann wieder an seinen richtigen Platz in der Mitte 
zwischen Spina anterior superior und dem Os pubis gebracht werden 
und hier bleiben, wenn der perineale Gurt die richtige Länge hat. 
Ein in dieser Weise behandelter bettlägeriger Kranke kommt bald 
wieder infolge seines guten Schlafes zu Kräften und nach kurzer 
Zeit verlässt er sein Bett freiwillig, um mit seinem Apparat ohne 
Krücken, nur auf den perinealen Gurt gestützt, Gehversuche zu 
machen. Eine hohe Sohle wird am Stiefel des gesunden Fusses be¬ 
festigt, und ein Schultergurt, Fig. 13, überträgt das Gewicht der 
Schiene auf die entgegengesetzte Schulter. Dabei wird er unter¬ 
richtet, möglichst bald und durch tägliche Uebung beim Gehen Schritt 
zu halten. Er wird dann nicht mehr im Krankenhause oder zu 
Hause besucht, sondern kommt als ambulanter Patient zur Poli¬ 
klinik. 

Der so beschriebene Apparat muss bei Tag und bei Nacht 
getragen werden. Er extendirt das Bein und schützt das Gelenk 
vor den Traumen des Gehens. Das letztere ist in allen Stadien 
der Erkrankung nothwendig, aber die Extension ist während einer 
langen Zeit der Behandlung nicht erforderlich und dann braucht der 
Patient nur eine perineale Stütze oder eine solche am Os ischii, um 
zu verhindern, dass das kranke Bein den Boden berührt. Damit 
fallen dann auch die Heftpflasterstreifen und die übrigen Extensions¬ 
vorrichtungen der Schiene weg. Man braucht die einfache Schiene 
wie sie in Fig. 13 angegeben ist, anstatt derjenigen in Fig. 10 und 11. 
Eine Veränderung in der Länge der Schiene und eine Regulirung 
des Kniestücks können leicht bewerkstelligt werden. Die Heftpflaster- 
streifen werden vom Beine und die Riemen vom Fussstück entfernt, 
aber im übrigen wird der Apparat angeschnallt und getragen, als 
ob er eine Extensionsschiene wäre, obgleich er durch diese Verein¬ 
fachung im wesentlichen eine Krücke mit dem Stützpunkt am Os 
ischii darstellt und infolge dessen auch Nachts, wie jede andere 
Krücke, entfernt werden muss. 

Zum Schluss möchte ich noch bemerken, dass der Apparat in 


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62 A. B. Judson. Einige prakt. Punkte bei d. Behdlg. d. tuberc. Hüftgelenksentzdg. 

dieser Weise als Krücke eingerichtet, auch noch bei anderen Affec- 
tionen ausser Hüftgelenkserkrankungen gute Dienste leisten kann. 
Bei allgemeiner Anerkennung seiner Einfachheit und Bequemlich¬ 
keit könnte er stets da angewendet werden, wo eine Erkrankung 
oder Verletzung der unteren Extremität vorliegt und man den 
Patienten umhergehen lassen will, ohne das betreffende Glied zu 
gebrauchen. 


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Referate. 

Mit 2 in den Text gedruckten Abbildungen. 


Neuere Mitthellongen über Ischias scoliotica. 

Von Dr. P. Möhring, Assistenzarzt an der Privatklinik von Dr. Hoffa, 

Würzburg. 

1. Higier, Fünf Fälle von Ischias scoliotica. Deutsche medicinische Wochen¬ 

schrift 1892, Nr. 27 u. 28. 

2. Remak, Ein Fall von Ischias scoliotica. Deutsche medicinische Wochen¬ 

schrift 1892, Nr. 27. 

3. Bruneili, La scoliosi nelle neuralgie sciatiche. Arcliivio di Orthopedia 

1891, p. 141. 

4. Kypke-Burchardi, Ueber Ischias und die dabei zuweilen auftretende 

Skoliose. Inauguraldissertation. Erlangen 1892. 
ö. Fischer und Schönwald, Ueber Ischias scoliotica. Wiener medicinische 
Wochenschrift 1893, Nr. 16-21. 

6. 0. E. Olsson, Est fall af Ischias scoliotica fran Kongl. Serafimerlasarettets 

kirurgiska klinik (Hygiea 1892, December). Ref. Centralbl. für klin. 
Med. 1893, 5. August. 

7. Mann, Ueber das Vorkommen motorischer Störungen bei der Ischias mit 

Einschluss der ischiadischen Wirbelsäulenverkrümmungen. 

Seit zuerst Gussenbauer 1878 in kurzen Zügen, dann Albert 1886 
genauer die mit Skoliose complicirte Ischias, die „Ischias scoliotica“ beschrieben 
hatten, sind von allen Seiten zahlreiche Mittheilungen über diesen Gegenstand 
gefolgt. Dabei aber hat sich das anfänglich ganz typisch und durchsichtig 
erscheinende Bild so wechselbar erwiesen, dass das Leiden, je genauer es be¬ 
obachtet wurde, desto verschiedeneren Deutungen unterworfen wurde. Doch 
ist es bisher keiner der aufgestellten Theorien gelungen, sich allgemeine An¬ 
erkennung zu verschaffen. Es lohnt sich daher, an der Hand der letzten ein¬ 
schlägigen Arbeiten einen üeberblick über den Stand dieser Frage zu geben. 

Den ersten Beobachtern stellte sich die Ischias scoliotica dar als eine 
mit der Convexität nach der kranken Seite gerichtete Skoliose der Lenden¬ 
wirbelsäule. Der ganze Rumpf ist dabei nach der gesunden Seite hin ver¬ 
lagert, der Rippenbogen hier dem Darmbeinkamm genähert. Dabei ist der 
Oberkörper etwas nach vorn geneigt. Das kranke Bein steht dem Boden mit 
der ganzen Sohle auf, ohne jedoch einen festen Druck auszuüben. Der obere 


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64 


Referate. 


Tkeil der Wirbelsäule ist mehr oder weniger compensatorisch nach der der Lenden¬ 
krümmung entgegengesetzten Seite gebogen. Diese Haltung wurde also als 
patkognomonisch für Ischias scoliotica angesehen, wozu die Gleichförmigkeit 
d*^r ersten Fälle zu berechtigen schien. Die Annahme, dass diese Haltung das 
Resultat der möglichsten Entlastungsbestrebung des kranken Beines sei, schien 
das Phänomen genügend zu erklären. 

Bald jedoch wurden abweichende Fälle beobachtet; solche mit gerade 
entgegengesetzter Krümmung. Man bezeichnete nun die oben beschriebene als 
„gekreuzte oder heterologe“ Skoliose, die entgegengesetzte, also mit der Lenden- 
convexität nach der gesunden Seite gerichtete, als „homologe“. Dazu kam ein 
Fall, welcher willkürlich die Seite der Krümmung wechseln konnte, ferner ein 
Fall, bei dem sich während der Schmerzattaque die gewöhnlich heterologe 
Skoliose in eine homologe umkrümmte, endlich Fälle mit totaler Skoliose bald 
nach der gesunden, bald nach der kranken Seite. 

So hätten wir jetzt fünf Formen der Ischias scoliotica. Damit begann 
die Speculation in Erklärungsversuchen. Man kann sagen, dass fast jeder Be¬ 
obachter eine eigene Deutung für seine Fälle fand. Beim Durchgehen der nun 
zu besprechenden Arbeiten werden wir mit den wesentlichsten Hypothesen be¬ 
kannt werden. 

Higier beschreibt fünf Fälle von Ischias scoliotica und führt kurz die 
bis dahin gemachten Beobachtungen und Hypothesen zur Erklärung der Skoliose 
auf. Nur einmal unter seinen fünf Fällen entsprach die Skoliose dem „typischen“ 
Bilde, drei waren homologe Skoliosen, und in einem, bereits oben angedeuteten, 
ganz merkwürdigen Falle krümmte sich die Lendenwirbelsäule, für gewöhn¬ 
lich krankseitigconvex, bei den Schmerzattaquen unwillkürlich um nach der 
andern Seite. 

Die Ischias hatte bei den einen wochen-, bei anderen jahrelang bestanden, 
theilweise mit grossen Pausen. Wann die Verkrümmung begonnen hatte, 
konnten die Patienten nicht sicher angeben. Nur der Patient mit der unwill¬ 
kürlich alternirenden Skoliose konnte sich gleich von Anfang an nicht gerade 
halten. Uebrigens ist darauf zu achten, dass nur zwei der fünf Patienten eine 
reine typische Ischias hatten, während die anderen mehr über Schmerzen und 
Parästhesien im Kreuz, am Gesäss oder in der Leistengegend klagten. In einem 
Falle strahlten die Schmerzen sogar bis zum Hinterhaupt aus. 

ln Suspension verschwand die Skoliose in zwei Fällen, einmal blieb sie 
unbeeinflusst, und zweimal ist keine Angabe darüber gemacht. 

Unter den von Higier aus der Literatur erwähnten Fällen bietet nur 
einer, den Remak veröffentlicht hat, besonderesinteresse. Dessen Patient war 
nämlich im Stande, seine Skoliose willkürlich in eine rechts- oder linksconvexe 
zu verwandeln, indem er, mit den Armen sich aufstützend, die Wirbelsäule 
ganz allmählich herumdrehte. In beiden Haltungen konnte der Patient ohne 
besondere Beschwerden gleich gut gehen. 

Ausser der einfachen, bereits Eingangs erwähnten Erklärung von Charcot 
und Babinsky, dass die Skoliose die Folge der Entlastungsbestrebung des 
kranken Beines sei, und zwar nur anftrete bei besDnders dazu disponirten Per¬ 
sonen, finden wir hier noch folgende Theorien erwähnt. Brissaud, welcher 
bezüglich der gekreuzten Skoliose im allgemeinen der Ansicht der eben genannten 


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Referate. 


65 


Autoren ist, erklärt die homologe Skoliose, welche er zuerst beobachtete, durch 
Muskelspasmen, welche zuweilen bei Ischias Vorkommen sollen. 

Nicoladoni verlegte die Erkrankung mehr central und nahm an, dass 
es möglich sei, den kranken Theilen des Rückenmarkes und der Cauda equina 
durch Neigen der Wirbelsäule mehr Platz zu verschaffen. 

Schüdel und Kocher verwarfen alle diese Erklärungen und glaubten 
die Deutung gefunden zu haben in der Annahme, dass besonders die Ansätze 
des M. sacrolumbalis schmerzhaft seien und infolge dessen der Muskel unfähig 
sei, sich zu contrahiren. Bei Contraction würden die sensibeln Nerven im Muskel 
gedrückt, sowie auch bei jeder passiven Bewegung. Deshalb suche der Patient 
diesen Muskel im Zustande passiver Dehnung zu halten, wobei er am besten 
vor activer und passiver Bewegung geschützt sei. Der Plexus lumbalis war fast 
stets betheiligt. War der Plexus lumbalis nicht mit erkrankt, so hat Schüdel 
durch Auffinden einer vom Plexus sacralis zum Plexus lumbalis gehenden Nerven- 
anastomose, welche ihr Ende im M. sacrolumbalis hat, die Möglichkeit dar- 
gethan, dass auch so der M. sacrolumbalis in Mitleidenschaft gezogen wird. 

Valentini fand jedoch bei einem typischen Falle keine Schmerzhaftig¬ 
keit der Musculatur am Rücken und schliesst sich deshalb der Babinsky- 
Charcot’schen Ansicht an. 

Remak macht mit Rücksicht auf seinen willkürlich alternirenden Fall 
die Annahme, dass der Patient instinctiv irgend eine für ihn möglichst schmerz¬ 
lindernde Haltung ausfindig mache. 

Higier kann unter keiner dieser Theorien alle seine Fälle unterbringen. 
Er glaubt vielmehr, dass bei der Verschiedenheit der anatomischen Formen der 
Ischias und der ätiologischen Momente von Ischias und Skoliose eine Erklärung 
für alle überhaupt nicht erwartet werden könnte. 

Die therapeutischen Erfolge Higier’s sind zweimal fast völlige Heilung 
von Ischias und Skoliose mittelst Elektricität, Bädern, Points du feu, hypnoti¬ 
scher Suggestion, Antineuralgicis, und zwar sind dies die Patienten mit typischer 
Ischias. Zweimal wurden nur die Schmerzen, nicht die Skoliose beeinflusst, und 
ein Fall wurde nicht behandelt. 

Der Fall, den Remak in der zweiten zu besprechenden Arbeit mittheilt, 
gehört unter die Gruppe der homologen Skoliosen, convex nach der gesunden 
Seite. Der Patient, der schon die dritte Ischias durchgemacht, früher aber 
nichts von Schiefheit bemerkte, hat diesmal noch bei schon heftigen Schmerzen 
gearbeitet, und zwar als Former bei nach der kranken Seite und vorwärts ge¬ 
beugter Haltung. Bei Suspension wurde die Skoliose eher stärker, wahrschein¬ 
lich durch reflectorische Muskelspannungen. Remak ist überzeugt, dass diese 
Haltung für die Arbeit dieses Patienten die bequemste war und sich durch die 
Gewohnheit fixirt hat. Durch galvanische Behandlung ist in sieben Wochen 
Ischias und Skoliose beseitigt worden. 

Bruneili liefert ausführliche Krankengeschichten von fünf Fällen, welche 
eine auffallende Aehnlichkeit unter einander darboten. Alle hatten eine typische 
Ischias. Nach übereinstimmender Angabe haben die Patienten, um den Schmerz 
zu lindern, sich nach der gesunden Seite hin geneigt und vermieden, sich auf 
das kranke Bein zu stützen. So entstand bei allen fünf das Bild der gekreuzten 
Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. III. Band. 5 


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G6 


Referate. 


Skoliose. Nachdem sie längere Zeit schief gegangen waren, konnten sie sieb 
schliesslich überhaupt nicht mehr gerade richten. 

Brunelli betrachtet die Entstehung der Verkrümmung durch Muskelzug 
für erwiesen. Der Kranke biegt seine Wirbelsäule, um den Schmerz zu lindern 
und das kranke Bein zu entlasten. Selbst einen geringen Schmerz wird er, 
wenn er kann, zu vermeiden suchen. Im Anfang kann die Verkrümmung durch 
Ausschaltung der MuskelwirkuDg, z. B. im Liegen, ausgeglichen werden. Das 
Fixirtwerden der Krümmung erklärt Brunelli nach Art der Entstehung von 
Contracturen überhaupt, indem bei dauernd genäherten Ansatzpunkten die Mus¬ 
keln und Bänder sich nutritiv verkürzen, anderseits die gedehnten atrophischen 
Zuständen verfallen. 

Es muss zugegeben werden, dass für die beschriebenen Fälle diese Er¬ 
klärung ganz befriedigend erscheint. 

Die Behandlung konnte Brunelli nur in einem Falle durchführen, und 
er erreichte hier durch Massage und unblutige Dehnung in verhältnissmässig 
kurzer Zeit Heilung von Ischias und Skoliose. 

Kypke-Burchardi beschreibt in seiner Dissertation drei Fälle von 
Ischias, von denen einer mit Skoliose einherging. Es war eine sogen, typische, 
heterologe Skoliose. Kypke-Burchardi zieht zur Erklärung der Skoliose bei 
Ischias überhaupt die Erkrankung centraler gelegener Theile, des Plexus sacralis 
und der Wurzeln herbei. Die Wirbelsäule soll sich krümmen, um in dem Wirbel¬ 
kanal den geschwellten Theilen mehr Raum zu schaffen, also ungefähr die 
Nicol ad oni’sche Vorstellung. Wenn Verfasser weiter sagt, dass diese Haltung 
fixirt würde * durch den Zug der von den erkrankten Nerven innervirten Muskeln 
(sacrolumbalis und longissimus dorsi), d. h. durch Contractur der Muskel auf 
der kranken oder durch Paralyse derselben auf der gesunden resp. Antagonismus 
auf der entgegengesetzten Seite“, so beruht dies wohl auf einer unrichtigen Vor¬ 
stellung von der Wirkung des Erector trunci. Gleich darauf lesen wir aller¬ 
dings wieder, dass es sich im vorliegenden Falle gehandelt habe um eine Wurzel¬ 
ischias mit charakteristischer Skoliose und zwar ohne Betheiligung der betref¬ 
fenden Muskeln, also mit einer Skoliose, deren Convexität nach der kranken 
Seite gerichtet ist. Sonach scheint es heissen zu sollen, dass ohne Muskel¬ 
betheiligung eine heterologe, mit Betheiligung derselben und zwar in spastischem 
Sinne, eine homologe entsteht. 

Mit gutem Erfolge wurde Massage und Elektricität angewandt. 

Fischer und Schönwald suchten an Fällen aus der Literatur und 
eigenen Beobachtungen den Beweis zu erbringen, dass sich alle Fälle von Ischias 
scoliotica auf gleiche Weise erklären lassen. Sie nehmen an, dass ohne Bethei¬ 
ligung des Plexus iumbalis die Entstehung einer Skoliose überhaupt nicht möglich 
sei. Sind nun die hinteren Aeste des Plexus Iumbalis, die den M. sacrolumbalis 
versorgen, erkrankt, so ist infolge der Unthätigkeit des krankseitigen Sacro¬ 
lumbalis die heterologe Skoliose die Folge. Bei alleinigem Befallensein jedoch 
der anderen kurzen Aeste (N. ileo-hypogastricus, ileo-inguinalis und genito- 
femoralis) sucht der Patient durch Annähern des Rippenbogens an den Darmbein¬ 
kamm die schmerzenden Nerven vor Druck zu bewahren. Das kann er thun, 
da ja sein M. sacrolumbalis intaet ist. Ueberwiegt jedoch bald die Erkrankung 
dieser, bald jener Nerven, so schwankt auch das Bild der Skoliose. Auch die 


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Referate. 


67 


oben erwähnten Fälle der willkürlich und unwillkürlich ulternirenden Skoliose 
fügen sich nach Ansicht der Verfasser ihrer Theorie zwanglos. Bei dem will¬ 
kürlich alternirenden, nehmen sie an, war der Sacrolumbalis schon wieder etwas 
functionsfähig und führte bei in den vorderen kurzen Aesten auftretenden 
Schmerzen eine homologe Skoliose herbei. Bald aber ermüdet der Muskel 
wieder, und die heterologe gewohnte Stellung ist wieder da. Der sogen, unwill¬ 
kürlich alternirende Fall hat bei blossem Ergriffensein der vorderen Aeste eben¬ 
falls bei Schmerzattaquen die Wirbelsäule umgekrümmt, um die Schmerzen zu 
lindem. 

Therapeutisch schlagen die Verfasser vor, da Kocher bei seinen blutigen 
Ischiadicusdehnungen auch eine Femwirkung auf den Plexus lumbalis erzielte, 
dasselbe zu versuchen durch Dehnung des Ramus iliacus vom N. ileo-hypogastricus. 
Dies ist eine wenig eingreifende und leicht auszuführende Operation von dem 
gewünschten Effect, wie das Leichenexperiment bewies. 

Lehrreich ist der Fall von Olsson. Patient erkrankte nach einer lange 
bestehenden rechtsseitigen Ischias auch noch linksseitig, und bald danach trat 
eine Skoliose auf und zwar eine linksconvexe. Bei rechter Seitenlage verschwindet 
die Skoliose, beim Aufrechtstehen treten Schmerzen auf. Der erste Verdacht 
auf ein cerebrales Leiden hat sich nicht bestätigt, sondern es bestand thatsäch- 
lich eine doppelseitige Neuralgie des Ischiadicus. Verfasser schliesst sich nach 
einer kritischen Würdigung der bekannten Hypothesen der Kocher-Schüdel- 
schen an. 

Mann hat sich besonders die motorischen Störungen bei einer grossen 
Reihe von Ischiasfällen zum Gegenstand der Nachforschung gewählt. Dabei 
ist er auch auf die Skoliose gestossen. Unter 27 Ischiasfällen hat er 19mal 
Paresen und zwar meist der Unterschenkelbeuger beobachtet. Er kommt zu 
dem Schluss, dass die Ischias in vielen Fällen keine einfache Neuralgie ist, 
sondern eine mit Erkrankung motorischer Fasern complicirte Nervenerkrankung, 
eine Neuritis ischiadica“. Oft ist die Neuritis nicht auf das Gebiet des Plexus 
sacralis beschränkt, sondern greift auf den Plexus lumbalis über. 

Unter seinen Fällen hat Mann sechs mit Skoliose complicirte. Davon 
konnte er zwei ganz genau beobachten. 

Das Ergebniss seiner Ueberlegungen und Untersuchungen ist, dass die 
Skoliose sich durch die Annahme einer Parese zwanglos erklären lasse. Paretisch 
wird zunächst der Erector trunci der kranken Seite, womit die Krümmung nach 
der kranken Seite und zugleich die Vorwärtsneigung des ganzen Rumpfes be¬ 
gründet ist. Bei den Fällen der homologen Skoliose nimmt Mann ein beider¬ 
seitiges Erkranken der Muskeläste des Plexus lumbalis an mit einem Ueber- 
wiegen der Parese des der neuralgischen Seite entgegengesetzten M. sacrolumbalis. 
Der mitgetheilte Fall von Olsson scheint eine directe Bestätigung der Mann- 
schen Theorie zu enthalten. 

Gegen die Kocher-Schüdel’sche Erklärung wendet sich Mann, da der 
Versuch, die Skoliose auszugleichen, in seinen Fällen nicht schmerzhaft war^ 
was jene als charakteristisch und Beweis für ihre Ansicht aufführten. 

Die Möglichkeit, dass die homologe Skoliose auch einmal durch einen 
Spasmus der neuralgischen Seite hervorgerufen werden könnte, will Mann nicht 
leugnen. Im allgemeinen kann er sich jedoch nicht der Brissaud’schen Ansicht 


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68 


Referate. 


anschliessen, dass die Ursache der homologen Skoliose ein Spasmus sei, da er 
in seinen Fällen nie spastische Erscheinungen gesehen hat. Ebenso kann die 
Brissaud’sche Vorstellung von der einfachen Entlastung des kranken Beines 
nicht zu Recht bestehen bleiben, da die Entlastung eines Beines eine ganz 
andere Haltung bedingt. Im Fall von Mann war ausserdem die Belastung gar 
nicht schmerzhaft. 

Der nächstliegende Schluss aus diesen vielfältigen Beobachtungen und 
einander feindlichen Theorien dürfte sein, dass es wohl nicht möglich sein wird, 
für so verschiedenartige Krankheitsbilder eine überall zutreffende Erklärung zu 
finden. Aber unschwer wird man bei genauestem Zerlegen jedes Krankheits¬ 
bildes unter den vielen eine Erklärung als befriedigend herausfinden können. 
Den Vorzug der Ungezwungenheit und Wahrscheinlichkeit besitzt die Mann’sche 
Hypothese, mit welcher sich die von Fischer-Schönwald in ihren Grund- 
zügen deckt. Wie andere Muskeln im Gebiete der neuralgisch afficirten Nerven ist 
auch der M. sacrolumbalis paretisch, woraus die heterologe Skoliose sich erklärt. 
Darin stimmen die eben genannten Forscher überein, nur wegen der homologen 
weichen sie wieder von einander ab. 

Wir hätten noch einen Ueberblick über die therapeutischen Massnahmen 
und Erfolge hinzuzufügen. Alles, was man überhaupt gegen Ischias anwendet, 
ist als versucht angegeben. Die Skoliose wurde nicht behandelt; sie verschwand 
in fast allen Fällen, in denen die Ischias vertrieben wurde, mit ihr von selbst. 
Die Haupterfolge gegen die Ischias sind dem galvanischen Strom und vor allem 
der mechanischen Behandlung zuzuschreiben. Letztere besteht in Massage der 
Muskeln des erkrankten Gliedes und des Nerven, wo er nur zugänglich ist. un¬ 
blutiger Dehnung und entsprechender Gymnastik. Im äussersten Falle ist wohl 
auch die blutige Dehnung berechtigt, welche Kocher wiederholt ausgeführt 
hat, stets mit Erfolg, wenn er auch einigemale erst Monate nach der Operation 
eintrat. Ob die kleinere, von Fischer und Schönwald vorgeschlagene Ope¬ 
ration der Dehnung des Ramus iliacus, des N. ileo-hypogastricus und durch diesen 
des ganzen Plexus lumbalis, einen Erfolg verspricht, darüber lässt sich ein Ur- 
theil nicht fällen. 


H. Schlange, Ueber Hochstand der Scapula. Archiv für klinische Chirurgie 

1893, Bd. 46. 

Dies seltene Leiden hat Schlange zweimal beobachtet. Der eine Fall 
betraf ein 14jähriges Mädchen. Die rechte Scapula steht 5 cm höher als die 
linke, die Spina scapulae in der Höhe des 7. Halswirbels. Sonst sind Knochen 
und Muskeln nicht verändert, die Gebrauchsfähigkeit des Armes unbeeinträchtigt. 
Die Wirbelsäule zeigt eine rechts-convexe Skoliose im Hals und oberen Brust- 
theil. Das Gesicht ist symmetrisch. 

Der andere Fall wurde zufällig bei einem 30jährigen Arbeiter gefunden; 
er gleicht vollkommen dem ersterwähnten, nur ist hier das Gesicht deutlich 
asymmetrisch. Schlange hält die Asymmetrie nicht für secundär infolge der 
schiefen Haltung des Kopfes, sondern für eine mit der Verkürzung des Trape- 
zius und dem Hochstand des halben Schultergürtels parallel gehende congenitale 
Entwickelungsstörung. 


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Referate. 


69 


Ursachen konnte Schlange nicht finden, in der Literatur ist einige 
Male die Angabe gemacht, dass die Kinder nach der Geburt den Arm der 
deformirten Seite nach hinten umgeschlagen gehalten hätten. 

Therapeutisch vorzugehen liegt natürlich gar kein Grund vor. 

M ü h r i n g - Würzburg. 

Hasse und Dehner, Unsere Truppen in körperlicher Beziehung. Archiv für 

Anatomie und Physiologie 1893, S. 249 ff. 

An über 5000 Soldaten vorgenommene Messungen, vor allem Ver¬ 
gleichungen der Länge der Arme und Beine und etwaiger Differenzen, ausser¬ 
dem der Verhältnisse dieser Längen zu der Körperlänge, der Schwankungen 
dieser Zahlen und Feststellung von Mittelzahlen haben überaus interessante Er¬ 
gebnisse gehabt. 

Als Messapparat ist der beim Militär zur Feststellung der Körpergrösse 
übliche verwandt worden, an den nur noch Stäbe zur Messung der Beine ange¬ 
bracht worden waren. 

Die Lehre von der Symmetrie des menschlichen Körpers hat sich als 
Hirngespinnst erwiesen. Speciell haben ungleiche Beinlängen 68 °/°» wovon 
52 °/o links das längere Bein haben. Noch grösser ist der Procentsatz bei den 
Armen, wo 82°/o ungleich sind, und davon 7 5 °/o rechts länger. Linkshänder 
zeigten mit einer einzigen Ausnahme alle längeren linken Arm. Demnach ist 
der Schluss, dass die grössere Armlänge eine functioneile Hypertrophie ist, ge¬ 
rechtfertigt. 

Unter einander stehen die Arm- und Beindifferenzen in gar keinem Zu¬ 
sammenhang. Dagegen zeigt die physiologische Skoliose insofern eine Be¬ 
ziehung zu der Längendifferenz der Beine, als stets rechtsskoliotische Menschen 
längeres linkes Bein haben. 

Die Grösse der Beindifferenzen ist im Durchschnitt 1 cm, Maximum 2 cm, 
der Armdifferenzen ebenfalls durchschnittlich 1 cm, Maximum sogar 3 cm. 

Bezüglich des Verhältnisses der Körpertheile zu einander hat sich her- 
ausgestellt, dass grössere Leute durchschnittlich verhältnissmässig längere Beine 
und kürzeren Rumpf bei grösserem Gewicht haben, was bei kleinen Leuten 
gerade umgekehrt ist. 

Für die Schwankungen der Maasse der verschiedenen Theile und bei den 
verschiedenen Gruppen, grossen und kleinen Leuten haben sich bestimmte Ge¬ 
setze noch nicht aufstellen lassen. Jedoch ist als wichtig anzuerkennen die 
Feststellung yon Durchschnittszahlen. Bei einer Körperlänge von 167 cm sind 
dies folgende Zahlen: Beinlängen 87 cm, Verhältnis der Bein- zur Körperlänge 
V* (der Körperlänge) -f* 5 cm, Unterschenkellängen 46 cm, Armlänge rechts 
77 cm, links 76 cm, Brustumfang 85 cm, Oberschenkelumfang 50 cm, Waden¬ 
umfang 35 cm, Körpergewicht 63 kg. 

Für alle Grössen gültig sind ferner folgende Proportionen: Bein- zur 
Körperlänge = 1:2, Brustumfang zur Körperlänge 1 : 2, Brustumfang zur Bein¬ 
länge 1:1. 

Schliesslich theilen Verfasser noch als Erfahrungsgrundsatz mit, dass 
schön gebaute Leute überwiegend Linksskoliose haben, während bei den übrigen 
Rechtsskoliose überwiegt. 


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70 


Referate. 


Die Asymmetrie bildet sich erst im Leben durch die Belastung und den 
einseitigen Gebrauch aus, indem Föten, Kinder, ebenso wie auch vierfüssige 
Thiere, noch symmetrisch sind. Möhring-Würzburg. 

S. Müller, Periostale Aplasie mit Osteopsathyrosis unter dem Bilde der so¬ 
genannten fötalen Rhachitis. Münchener medic. Abhandlungen, II. Reihe, 

7. Heft. 

Der Begriff der congenitalen Rhachitis ist überhaupt noch nicht scharf 
präcisirt, da die Krankheit selten und noch seltener genau untersucht ist. Es 
scheint aber, dass man sie nicht mit der gewöhnlichen Rhachitis zusammen¬ 
werfen darf. Sicher sind aber manche Fälle abzutrennen, welche zwar äusser- 
lich das Bild der Rhachitis darbieten, aber mikroskopisch ganz andere Knochen¬ 
erkrankungen erkennen lassen. Ein solcher Fall ist in vorliegender Arbeit 
genau besprochen. 

Er betraf ein Zwillingskind; der andere Zwilling ist ganz gesund, ebenso 
die Eltern. Patient selbst, nicht völlig ausgetragen, zeigt hauptsächlich Ab¬ 
normitäten am Skelet, ganz weichen Schädel und stark verkrümmte Extremi¬ 
täten, welche theilweise fracturirt sind, während an anderen Stellen Callus 
vorhanden ist. Verdickt- sind die Diaphysen, hierin abweichend von der echten 
Rhachitis. Ebenfalls sind die Rippenknorpelansätze nicht wesentlich verdickt. 

Trotz guter Pflege ging das Kind 42 Tage alt zu Grunde. Klinisch und 
pathologisch-makroskopisch wurde die Krankheit als congenitale Rhachitis be¬ 
zeichnet. 

Es geht jedoch nicht an, für alle ähnlichen Fälle nur diesen Namen bei¬ 
zubehalten, da schon bei der Durchsicht der Literatur sich deutlich drei ver¬ 
schiedene Gruppen unterscheiden lassen, eine congenitale, eine intrauterin ab¬ 
gelaufene und eine „sogenannte“ fötale Rhachitis. Die erste ist eine wirkliche 
Rhachitis, die zweite Gruppe umfasst Fälle, deren Erklärung noch nicht ganz 
feststeht, während unter dem Namen der „sogenannten“ fötalen Rhachitis die 
Krankheitsformen begriffen werden sollen, welche nur äusRerlich sich als 
Rhachitis präsentiren, sich aber mikroskopisch als eine Krankheit für sich er¬ 
weisen. 

Von allen Theilen des Skelets des vorliegenden Falles wurden Schnitte 
gemacht und mikroskopisch untersucht. Das Bemerkenswerthe an fast allen 
Präparaten war ein meist völliges Fehlen von periostalem Knochen, dagegen 
manchmal vermehrter endochondraler Knochenbildung. Dagegen fehlte überall 
völlig das für Rhachitis charakteristische Verhalten der Knorpelzellen in den 
Epiphysenlinien, sowie die Unregelmässigkeit der hyperplastischen Zone und der 
Verknöcherungsschicht. Während bei der Rhachitis Knocheneinschmelzung das 
hervorstechende Symptom ist, liegt hier theilweise eine recht energische Thätig- 
keit der knochenbildenden Zellen vor, theilweise nur eine Verspätung. Da die 
Schädelknochen hauptsächlich der periostalen Thätigkeit ihre Entstehung ver¬ 
danken, so fällt an ihnen der Process besonders auf, es ist scheinbar Cranio- 
tabes vorhanden. Infolge des Mangels an periostalem Knochen bildet sich das 
Symptom grosser Brüchigkeit, der Osteopsathyrosis, aus. 

In der Literatur sind nur wenige entsprechende Fälle verzeichnet. Die 
meisten sind nicht genügend mikroskopisch untersucht worden. 


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Referate. 


71 


Die Kenntniss der Aetiologie beschränkt sich auf einmalige Beobachtung 
der Erblichkeit und einmaligen Incest zwischen Bruder und Schwester. Viel¬ 
leicht liegt nach V i r c h o w eine Erkrankung der Placenta vor. 

M ö h r i n g - Würzburg. 

C. von Heinleth, Ein neuer Skoliosen- und Körpermessapparat „Thoraco- 

meter“. Langenbeck’s Archiv Bd. 46, Heft 2. 

Heinleth zollt dem Zand er'sehen Rumpfmessapparat vor allen 
anderen das ihm gebührende Lob, doch genügt ihm dieser, sowie die drei 
besseren Querschnittsmesser von Zander, Schenk und Schulthess noch 
nicht. Vielmehr erßtrebte er eine gleichzeitige Messung beliebig vieler Quer¬ 
schnitte in möglichst kurzer Zeit, also unabhängig von allen, selbst den Athem- 
bewegungen. 

Der Apparat entspricht im grossen Ganzen dem Zander’schen Rumpf¬ 
messapparat. Doch sind auch für die eigentliche „Zan d er-Messung“ eine 
Reihe Aenderungen angebracht, z. B. Verbesserung der Beckenfixation und vor 
allem eine Vorrichtung, welche es ermöglicht, auch in Suspension zu messen. 
Dies ist für die Controlle der Erfolge mittelst forcirtem Redressement von Be¬ 
deutung. 

Die Hauptsache ist die Vorrichtung zu den Querschnittsmessungen. An 
rings um das Object drehbaren Rahmen sind horizontale Stäbe nach oben und 
unten verschieblich angebracht, welche als Hebel durch leichten Gewichtszug 
mit einem Andröllchen gegen den Körper angepresst werden. Beim Drehen 
der Rahmen wird automatisch ein oben auf einer Rolle befindlicher langer 
Papierstreifen an jedem der kleinen Hebel vorübergeführt, und auf ihm werden 
die Bewegungen dieser Hebel wieder durch Hebelvorrichtung aufgeschrieben. 
Von den Kurven auf diesen Streifen werden dann durch eine einfache Ueber- 
tragung in Schemas die Querschnittsbilder hergestellt. So viel Hebel man 
schreiben lässt, so viel Querschnittsbilder erhält man gleichzeitig. 

Bei fest gestelltem Rahmen und Herabführen eines Hebels an einer be¬ 
liebigen Stelle des Körpers erhält man die Zeichnung einer Profilansicht des 
Körpers. 

Verfasser empfiehlt seinen Apparat, dessen Hauptvorzüge bei einwands¬ 
freien Bildern Schnelligkeit der Messung und einfache Handhabung sind, nicht 
nur dem Orthopäden, sondern auch dem Physiologen zur Feststellung der nor¬ 
malen Stellung, Athmungsexcursionen u. s. w., für anthropologische Studien, 
um Rassevariationen zu bestimmen, dem inneren Kliniker zur bildlichen Dar¬ 
stellung der zahlreichen ihm vorkommenden Körperformanomalien bei Lungen- 
affectionen, Herzleiden/ selbst AfFectionen des Centralnervensystems, z. B. der 
Erb 'sehen progressiven Muskelatrophie. Möhring-Wü rzburg. 

E. H. Bradford and E. G. Brackett, Treatment of lateral curvature by 

means of pressure correction. Boston Medical and Surgical Journal of 

May II, 1893. 

Bei der Behandlung der Skoliose soll man weder einseitig allein auf 
Muskelübungen vertrauen noch bloss die Correctur der Deformität mittelst 


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72 


Referate. 


starken Druckes vornehmen. Vielmehr hat jede Methode ihr eigenes Feld, and 
für schlimme Fälle gehört die letztere. Hierbei kann man wieder unterscheiden 
'^wischen zwei Behandlungsarten; nämlich Fixiren von ausgleichbarer Skoliose 
in möglichst corrigirter Stellung durch Gipscorsets u. s. w. und Corrigiren durch 
Druck, allmählich gesteigert. Den von H o f f a zuerst zu letzterem Zwecke an¬ 
gegebenen, von Schede modificirten Redressionsapparat haben Verfasser mit 
wieder veränderter Einrichtung als vorzüglich wirksam befunden. Der Druck, 
der meist vertragen wird, ist viel grösser, als man von vornherein anuehmen sollte. 

Der beschriebene Apparat gestattet Extension, Fixation von Becken und 
Schultern und Druck auf die Deformität. Er besteht aus einem stählernen 
Rahmen, auf dem Stahlblöcke beliebig verschiebbar sind. Zwei untere Blöcke 
tragen Pelotten zur Beckenfixation, zwei obere lassen die Schultern von zwei 
Seiten zusammenpressen. Die Druckpelotten werden von zwei Stahlreifen ge¬ 
tragen, welche den Patienten, ebenfalls nach oben und unten verstellbar, um¬ 
greifen. Die Druckpelotten sind an den Stahlreifen ringsum verschieblich und 
werden durch Schrauben angepresst. 

Der Apparat wird verwandt zur Anlegung von Gipscorsets in corrigirter 
Stellung oder zur Correctur direct, täglich etwa eine halbe Stunde lang. Die 
Gipscorsets werden angelegt in allmählich immer mehr corrigirter Stellung. 
Im allgemeinen wird der starke, aber kurz dauernde Druck des Apparates 
besser ertragen als der geringe, dauernde des Gipscorsets. 

Damit man, wo das längere Stehen unzuträglich sein sollte, den Apparat 
auch am liegenden Patienten anw ? enden kann, haben Verfasser einen Rahmen 
mit festem Stoff überspannt angegeben, auf dem der Patient liegt. Beim An¬ 
legen des Gipscorsets wickelt man den Stoff mit in das Corset hinein, indem 
man ihn oben und unten einfach abschneidet. 

Für diese Behandlung eignen sich natürlich nicht alle Fälle gleich gut. 
Bei leichten genügt manuelle Redression, ganz rigide taugen nicht mehr dazu. 
Schlimme Fälle bedürfen, um noch einen Erfolg zu erzielen, des Aufenthalts 
in einer Anstalt. Mit Gymnastik ist zu beginnen nach erreichter Correctur. 

Fünf angeführte Beispiele belegen die Leistungsfähigkeit des Apparates, 
welche w T ir ja von dem vorzüglichen H o ff a’schen Redressionsrahmen her kenneD. 

M ö h r i n g - Würzbu rg. 


R. Sayre, The necessity of thorough examination in suspected Potts disease. 

New England Medical Monthly for April 1893. 

Sayre hat mehrere Fälle beobachtet, welche zunächst täuschend das 
Bild von Pott’scher Krankheit boten, sich aber bei genauerer Untersuchung 
als ganz etwas anderes herausstellten. Es waren vier Patienten, welche alle 
schon längere Zeit auch von berühmten Aerzten als an Spondylitis erkrankt 
behandelt w r aren, Sayre selbst hat sich bei einigen erst täuschen lassen. Bei 
der Erfolglosigkeit der Behandlung schöpfte er Verdacht, untersuchte die Ge¬ 
nitalien (es handelte sich um lauter weibliche Patienten in mittlerem Alter) 
und fand dreimal Retroflexio uteri, einmal nebst einem verlagerten und ver- 
grösserten Ovarium. In allen drei Fällen führte die Reposition zu dauerndem 
Verschwinden aller Beschwerden. Einmal fanden sich bei Anteflexio Cervical- 


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Referate. 


73 


stenose und auf beiden Seiten sehr zarte Ovarien. Auch hier besserte sich das 
Befinden der Patienten sichtlich bei Faradisation des Rückens und Abdomens 
durch Sondirung u. s. w., während noch nach Jahren sich nicht der mindeste 
Fortschritt der angeblichen Spondylitis zeigte. 

Sayre will deshalb besonders auf die Nothwendigkeit genauester Unter¬ 
suchung hinweisen, weil einerseits manche Spondylitis nicht erkannt und Rheuma¬ 
tismen, Neuralgien, Indigestion behandelt wird, während es hier umgekehrt der 
Fall war. 

Mühlenbrock, Ueber den Einfluss der einseitigen congenitalen oder erworbenen 

Hüftgelenksluxation auf das knöcherne Becken. Inauguraldissertation. 

Würzburg 1892. 

Neben der für die congenitale Luxation typischen Lordose und dem wat¬ 
schelnden Gange wird die Deformation des Beckens meist nicht berücksichtigt, 
wohl weil sie nie so bedeutend ist, dass sie bei einer Geburt Kunsthilfe bedingt. 
Doch ist der Mechanismus des Zustandekommens der typischen Veränderung 
nicht uninteressant. 

Nach einer Besprechung der Ansichten der Autoren über die Aetiologie 
der Luxation selbst, beschreibt Mühlenbrock die Beckenform wie folgt: Die 
Darmbeine stehen steiler als normal infolge des Druckes des Schenkelkopfes 
und des Zuges vom Ileopsoas. Das Tuber ischii ist aufwärts gezogen durch 
die nach dem Trochanter ziehenden Muskeln. Der absteigende Schambein- und 
aufsteigende Sitzbeinast sind in der Entwickelung zurückgeblieben. Die Scham¬ 
beinfuge steht gewöhnlich nach der Seite der Luxation hinüber gedrängt. Die 
Linea arcuata, die Grenze zwischen grossem und kleinem Becken, ist mehr oder 
weniger verwischt. Durch die angeführten Veränderungen ist die Beckenhälfte 
der luxirten Seite weiter als die andere. Im einzelnen sind die Formen aber 
doch sehr wechselnd, je nachdem das Becken einem jungen oder alten Indivi¬ 
duum gehört, ob die Luxation angeboren oder erworben war, und ob die 
Beine gebraucht waren oder nicht. Beim Fötus sind kaum Asymmetrien zu 
finden. Was etwa doch asymmetrisch ist, dürfte Folge derselben Ursache wie 
die Luxation selbst sein. Beim Kind, solange es liegt, findet sich bloss eine 
Atrophie der luxirten Seite. Erst beim Sitzen und Gehen macht dann die 
ungleich massige Belastung ihren deformirenden Einfluss geltend. Vor der Be¬ 
nutzung der Beine ist das Becken auf der luxirten Seite gleichmäßig verengt, 
nur asymmetrisch, nicht verschoben, nachdem das Individuum gegangen ist, wird 
das Becken ein schräg verschobenes. 

Bei der erworbenen Luxation liegen die Verhältnisse ganz ebenso, nur 
dass man von einem nicht schon von Anfang an deformirten (im Sinne der 
Atrophie) Becken auszugehen hat. Die Veränderungen werden dieselben wie 
bei der angeborenen Luxation, desto ausgeprägter, je jünger das Individuum ist. 
Line Ankylose der Articulatio sacroiliaca ist öfter auf der stärker belasteten 
Beckenseite beobachtet worden. 

Der Einfluss der besprochenen Beckendeformität auf Geburt und Puerperium 
^t gleich Null zu achten. Verfasser hat zw T ei Fälle beobachtet, bei denen die 
Geburten glatt von statten gingen. Die Veränderungen sind ja auch so gering, 
dass sie am Lebenden kaum festzustellen sind. Möhring-Würzburg. 


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74 


Referate. 


K. Guide, Ueber die Talusexstirpation beim Klumpfuss und ihre Erfolge. Bei¬ 
träge zur klinischen Chirurgie Bd. X, Heft 2. 

Die schwersten Fälle von Klumpfuss bei älteren Individuen trotzen jeder 
orthopädischen Behandlung und müssen einer Operation unterliegen. Das Aus¬ 
schneiden von Keilen aus dem lateralen Theile des Fussskelettes hat sich nicht 
bewährt, dagegen hat die Exstirpatio tali das Feld behauptet, welcher nur in 
der Phelps’schen Operation ein Concurrent entstanden ist. Letztere dürfte an 
sich als die weniger verstümmelnde vorzuziehen sein, doch erfordert sie, um 
wirklich zu gutem Erfolge zu führen, mindestens ein Jahr dauernde sorgfältige 
Nachbehandlung. Darin liegt der Vortheil der Talusexstirpation. 

Verfasser berichtet über 19 Talusexstirpationen an 15 Patienten. Der 
Erfolg war überall befriedigend nach einer Beobachtungsdauer von mindestens 
9 Monaten, längstens 5 Jahren. Nach ihrem Zustande, nach dem Gebrauch des 
Fusses ohne Apparat theilt Verfasser die Operirten in 3 Gruppen; 4 Patienten, 
darunter 2 mit doppelseitigem Klumpfuss, gehen wie Gesunde, 5 gehen 6 Stunden 
lang ohne wesentliche Ermüdung, 3 davon plantigrad, d. h. mit der ganzen 
Sohle, 2 auf dem äusseren Fussrand und drittens, die 6 letzten gehen 2—3 Stun¬ 
den, 5 davon auf dem äusseren Fussrand. 

Die Technik ist kurz folgende: Schnitt ähnlich dem Pirogoffsehen. 
Nach Durchtrennung der Weichtheile mit Schonung der Sehnen wird die Kapsel 
in der ganzen Länge gespalten; Kapsel- und Bänderinsertionen mit dem Re- 
sectionsmesser abgelöst, Collum und Caput tali freigelegt, Lg. talonaviculare 
durchtrennt. In möglichster Supinationsstellung des Fusses werden die übrigen 
sich spannenden Bänder durchschnitten. Mittelst Elevatorium wird der Talus 
dann herausgehebelt, und die noch stehenden Verbindungen werden vollends 
gelöst. Es kann nöthig werden, von der Innenfläche des Malleolus externus eine 
Schicht abzumeisseln. Die Wunde wird vernäht und ein Gipsverband angelegt. 
Der Gips verband wird 6—8 Wochen lang erneuert, dann wird ein gewöhnlicher 
Schnürschuh getragen. 

Als Gesichtspunkte, nach denen die Resultate bei der Klumpfussbehand- 
lung beurtheilt werden müssen, stellt Verfasser auf: 1. wie weit die Sohle zum 
Auftreten benutzt wird, 2. in welchem Adductionswinkel der Fuss steht, doch 
ist das Verhältniss des Winkels zur Gebrauchsfähigkeit kein direct proportionales, 
3. die Verkürzung des Fusses. welche meist weniger auf die Operation als auf 
den Klumpfuss selbst zurückzuführen ist, 4. die secundäre Mobilisirung des 
Lisf rank’schen Gelenkes, da das Sprunggelenk fast stets verödet, und 5. das 
Zurückbleiben eines Hohlfusses, der sich manchmal wohl infolge des Hinauf¬ 
rückens vom Kahnbein und der Verkürzung des inneren Fussrandes gar nicht 
bessert. Möhring-Würzburg. 


J. G. Gohl, Die Endresultate der Behandlung mittelst Exstirpatio tali bei den 
verschiedenen Formen des Klumpfusses. 

Nach einer Besprechung der verschiedenen Methoden der Exstirpatio tali. 
welche theils mittelst Hautschnittes an der Aussenseite, theils an der Innenseite 
oder mit der Eröffnung des Gelenkes, wie bei der Sy me’schen Amputation vor¬ 
genommen worden ist, berichtet Gohl über 9 Fälle aus der Klinik von Tilanus 


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Referate. 


75 


in Amsterdam. Darunter sind 2 angeborene, 5 erworbene paralytische und 
2 erworbene cicatricielle Klumpfüsse. 

Bei den beiden angeborenen, im Alter von 6 und 25 Jahren, letzterer bis 
dahin gar nicht, ersterer gleich nach der Geburt zweimal nach Phelps operirt, 
waren die Resultate gut, bis auf einen Fuss bei dem älteren Individuum, welcher 
necrotisch wurde und bis an die Spitzen der Malleolen resecirt werden musste. 
Patient konnte doch schliesslich ohne Krücken gehen. Die Ursache der Necrose 
war, dass, um die Redression zu ermöglichen, noch Keile vom Calcaneus und 
Cuboid herausgeschnitten werden mussten. 

Die 5 paralytischen sind nach der Exstirpatio tali alle in gute Stellung 
gebracht worden, theilweise sogar mit ziemlicher Beweglichkeit im Sprunggelenk. 

Die beiden cicatriciellen Klumpfüsse, einer nach Phlegmasia alba dolens, 
einer nach Ulcerationen entstanden, wurden ebenfalls mit gutem Erfolge operirt, 
doch starben beide noch während der Behandlung, der eine an Gehirnhämor- 
rhagien, der andere an Influenza. 

An den operirten Gelenken hatte sich die Tibia, wie zu erwarten, auf 
den Calcaneus gestellt, theilweise war der Raum des fehlenden Talus mit festem 
Bindegewebe erfüllt. 

In einigen Schlussbemerkungen hebt Verfasser die Raschheit des Erfolges, 
die Entbehrlichkeit der Nachbehandlung als Vortheile, besonders gegenüber der 
Phelps’schen Operation hervor. Das gute Resultat ist wesentlich mitbedingt 
durch das Erhaltenbleiben der Malleolen, welche eine gute Stütze abgeben. 
Die Sektionsbefunde haben gezeigt, dass das übrige Fussskelett kaum seine 
Formation verändert. Möhring-Würzburg. 

F. A. Schmidt, Die Leibesübungen. Plin Grundriss der Physiologie des Turnens. 

Verfasser scheidet alle Leibesübungen in zwei grosse Gruppen nach der 
Verschiedenheit ihrer Wirkungen, abgesehen von der auf den einzelnen Muskel, 
auf das Nervensystem, den Willen, Athmung, Kreislauf und Stoffwechsel. Für 
eine zweckmässige Auswahl der Uebungen je nach dem Alter und der augen¬ 
blicklichen körperlichen und geistigen Disposition des Turnenden ist die Kennt¬ 
nis dieser Verschiedenheit des Einflusses unabweisbar nothwendig. 

Die zwei Gruppen sind : 1. Kraft- und Geschicklichkeitsübungen, 2. Schnellig- 
keits- und Dauerübungen. Ihr wesentlicher Unterschied besteht darin, dass bei 
der ersten Gruppe eine beschränkte Muskelpartie aus der Ruhe zur Höhe ihrer 
Kraftleistung fortschreitet, um dann wieder zur Ruhe zurückzukehren, während 
die zweite Gruppe Leistungen enthält, welche eine endlose Reihe rhythmischer 
gleicher Bewegungen auf grössere Muskelmassen vertheilt, darstellen. 

Es ist nicht schwierig, nach diesen Grundsätzen die physiologische Wir¬ 
kung der Uebungen auf Athmung, Herz und Stoffwechsel und Nervensystem 
abzuleiten. So wird, um ein Beispiel anzuführen, eine Kraftleistung eines kräf¬ 
tigen Impulses seitens des Nervensystems bedürfen, die Ausführung der Leistung 
aber eher den Muskel ermüden, als ein Einfluss auf Herzthätigkeit und den 
Stoffwechsel im ganzen hervorgebracht werden kann. Umgekehrt müssen die 
mehr automatischen Dauerbewegungen grösserer Muskelgruppen bald zu ver¬ 
mehrter Herzthätigkeit und allgemein vergrössertem Stoffwechsel führen. Letz- 


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76 


Referate. 


teres Bedürfniss hat das sich entwickelnde Kind, die mehr coordinatorischen 
Willensübungen der ersten Gruppe gehören dem Erwachsenen zu. 

Jeder, der Gymnastik irgend welcher Art treibt, wird das Büchlein mit 
grossem Nutzen für seine Uebenden lesen; hier mehr auf Einzelheiten einzugehen, 
würde den Rahmen eines Referates überschreiten. Für den weniger physio¬ 
logisch Gebildeten, dem das Verständnis der entwickelten Ansichten hier und 
da doch schwer fallen dürfte, werden angehängt.e tabellarische Uebersichten 
über den Uebungswerth der Leibesübungen und über die für die verschie¬ 
denen Lebensalter zweckmässigsten Leibesübungen die richtige Auswahl gewiss 
wesentlich erleichtern. Möhring-Würzburg. 


J. E. Goldthwait, The forcible Straiglitening of angular deformities of the 

knee by means of Special Mechanical Appliances. 

Man hat vier Methoden zur Streckung des Knies bei Beugecontracturen, 
1. den allmählichen Zug, 2. die gewaltsame Streckung, 3. die Osteotomie, 4. die 
Resection. 

Die erste Methode ist geeignet für acute Fülle, 3. und 4. für knöcherne 
Ankylosen, während das Gebiet der gewaltsamen Streckung die Fälle von 
fibrösen Verwachsungen nach Ablauf des acuten Stadiums umfasst. Bei länger 
bestehenden Fällen genügt meist die Kraft des Armes nicht mehr; für solche 
Fälle werden besondere Instrumente benutzt. Verfasser beschreibt das von 
Bradford angegebene Instrument, mittelst dessen 6 aufgeführte Fälle erfolg¬ 
reich behandelt wurden. 

Da meist ausser der Beugung eine Rückwärtssubluxation der Tibia besteht, 
so muss der Streckapparat dementsprechend construirt sein: An zwei seitlichen 
Schienen ist eine Kniekappe befestigt an Riemen, und an einem Bügel, der 
rückwärts den Unterschenkel umgreift, ist eine Pelotte, welche mittelst Schraube 
gerade von hinten gegen den Kopf der Tibia angepresst wird. Dadurch wird 
erst die Subluxation beseitigt und nachher die Beugung. Eine Verbesserung 
dieses Apparates besteht darin, dass die Schraube vorn angebracht ist und durch 
einen Gurt den Unterschenkel nach vorn führt, und dass dieser Theil verschieb¬ 
lich ist, so dass das Instrument für grosse und kleine Patienten verwandt 
werden kann. 

Bei den C beschriebenen Fällen verschiedensten Alters und Bestehens der 
Deformität war der Erfolg überall ein voller. Nach wenigen Wochen konnten 
die Patienten mit einer Thomas’schen Schiene entlassen werden, welche sie 
auch bald ablegten. Bei tadelloser äusserer Form ist manchmal sogar etwas 
Beweglichkeit vorhanden. Da natürlich jede Gefahr, wie bei einer Operation, 
ausgeschlossen ist, so steht die Vorzüglichkeit dieser Methode über allem Zweifel. 

M ö h r i n g - W ürzburg. 


A. Zuffi, Indicazione e tecnica del Radrizzamento forzato manuale. 

Es handelt sich um eine Empfehlung des forcirten manuellen Redresse¬ 
ments bei Genu valgum. Das Leiden ist in der Statistik der Mailänder Anstalt 
mit dem ausserordentlich hohen Procentsatz von 21 vertreten. 


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Referate. 


77 


Verfasser zieht eine Parallele zwischen den verschiedenen Methoden der 
Redression. Die Osteotomie, zwar sonst vorzüglich, ist doch immerhin nicht 
ungefährlich und auch nicht überall ausführbar. Blosse Apparatbehandlung 
dauert zu lange und ist ebenfalls oft nicht durchzuführen. Die empfohlene 
Behandlung dagegen weist den Vortheil leichter Ausführbarkeit auf, man bedarf 
keines besondern Instrumentariums, sie ist gefahrlos und sicher im Erfolg. Da¬ 
bei ist eine Nachbehandlung ziemlich überflüssig. Die Grenzen der Anwendbar¬ 
keit sind gegeben unten durch das Verschwinden einer etwa vorhandenen 
Rhachitis, um Recidive auszuschliessen, also etwa mit dem 3. Jahre, nach oben 
durch die Verknöcherung der Epiphysenlinien, da in diesen die Trennung vor 
sich gehen soll. Ueber 18 Jahren läuft man die Gefahr, das Lg. laterale externum 
zu zerreissen. Hier muss dann die Osteotomie in ihr Recht treten. Bei sehr 
starker Verkrümmung der Ober- und Unterschenkel gibt die Osteotomie eben¬ 
falls bessere Resultate. 

Aetiologisch beschuldigt Verfasser zwei Momente, eine Dyskrasie, welche 
zu Knochenweichheit führt, und mechanische Schädlichkeiten, welche die 
Dyskrasie im Kniegelenk zum Ausdruck kommen lassen, besonders vieles 
Stehen. 

Verschiedene Einwürfe gegen die Methode werden zurückgewiesen, ins¬ 
besondere dass eine Fractura supracondyloidea entstehen könnte. In diesem 
Falle, der sich ausserdem bei genügender Sorgfalt vermeiden lässt, hat man 
immer noch den Vortheil einer gewissermassen subcutanen Osteotomie. Das 
Lg. laterale externum ist bei 800 Fällen nie zerrissen; Lähmungen des N. ischia- 
dico-popliteus extemus kann man ebenfalls verhüten, wenn man erst bei tiefster 
Narcose beginnt; etwaige Lähmungen werden nämlich höchstens durch Blutungen 
hervorgerufen, welche bei Spannung der Muskelfibrillen durch deren Zerreissung 
entstehen. Uebrigens sind die Paralysen rasch bei entsprechender Behandlung 
beseitigt. 

Recidive sind sehr selten. 

Für einen guten Erfolg ist die Ausführung sehr wichtig. Die Armkraft 
genügt stet«, Apparate sind also überflüssig. Wenn die Armkraft nicht genügt, 
so ist der Fall eben der Osteotomie zu überweisen. 

Der Patient wird auf einen starken Tisch gelegt, die zu redressirende 
Seite nach oben, das andere Bein in Hüfte und Knie gebeugt. Das betreffende 
Bein liegt auf einem Block mit etwas erhöhtem Rande, die Kante genau am 
Condylus internus femoris. Ein Assistent steht auf der Vorderseite des Patienten, 
fasst mit der einen Hand den Darmbeinkamm, mit der andern das gebeugte 
Bein und fixirt so das Becken. Ein zweiter Assistent, der am besten etwas 
erhöht steht, drückt auf den Grossen Trochanter und den Condylus externus 
femoris und gibt so den Gegenhalt ab gegen die Kraft des Operateurs und ver¬ 
hütet eine Einwirkung auf das Hüftgelenk. Der Operateur selbst hat eine Hand 
an der Wade, die andere über den Malleolen. Letztere soll die Kraft reguliren 
und das Bein im Knie gestreckt erhalten. Bei gebeugtem Kniegelenk ist der 
Zusammenhang des Hebelarms gebrochen, und die Kraft wirkt nicht mehr allein 
auf die Knochen, sondern auch auf die Weichtheile. Dann also drückt man 
den Unterschenkel nach unten mit langsam und gleichmässig gesteigerter Kraft, 
indem man jedes ruckweise Vorgehen vermeidet. Ein eigentlnimliches Krachen 


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78 


Referate. 


zeigt die Trennung der Epiphysenlinie an. Zweckmässig führt man zunächst 
etwas Uebercorrectur herbei. Man redressirt beide Beine in einer Sitzung. 
Nach der Correctur wird ein Gipsverband angelegt. 

M ö h r i n g - W ürzburg. 

G. Drehmann, Die ambulante Behandlung der tuberculösen Entzündung des 
Knie- und Fussgelenkes mittelst portativer Apparate. Inauguraldisser¬ 
tation. Würzburg 1893. 

Nachdem alle anderen Behandlungsmethoden der Gelenktuberculose mehr 
oder weniger sich als unzulänglich erwiesen hatten, ist mit der Ausbildung 
der mechanisch-orthopädischen Behandlung ein grosser Fortschritt gemacht 
worden. Wie sich zuerst bei der Spondylitis gezeigt hat, heilt die Knochen- 
tuberculose relativ häutig aus bei der Behandlung mittelst führender und ex- 
tendirender Verbände. Diese Erfahrung hat man auf die Behandlung der 
Gelenktuberculose mit vielem Glück übertragen. Es lässt sich durch Apparate, 
welche dem Patienten das Gehen bequem gestatten, eine vollständige Fixation, 
Extension und Entlastung des erkrankten Gelenkes erreichen. Dies sind die 
Bedingungen, unter denen die Gelenktuberculose ausheilt. Die auf die Besse¬ 
rung des Allgemeinbefindens gerichteten Bestrebungen, ein Hauptfactor bei der 
Behandlung der Tuberculose überhaupt, werden durch die Möglichkeit des 
Umhergehens ausserordentlich unterstützt. Hoffa hat gezeigt, wie diese For¬ 
derungen bei der Coxitis erfüllt werden können. Für das Knie- und Fussgelenk 
liegen die Verhältnisse einfacher. Nach kritischer Durchmusterung der besonders 
von Amerikanern angegebenen ziemlich verschiedenartigen Schienen kommt Ver- 
fasser zu dem Resultat, dass die einfache Thomas’sche Schiene, an der eine 
Spannlasche am Fuss zur Extension nach H* SS ing’schem System angebracht 
ist. und ausserdem zur besseren Fixation noch ein Gipsverband am Knie, in voll¬ 
kommenster Weise allen Anforderungen entspricht. Die Leistungsfähigkeit dieser 
so verwandten Schiene wird belegt mit einem Fall von Kniegelenkstuberculose, 
welcher in der verhältnissmässig kurzen Zeit von etwa */* Jahr nahezu zur Aus¬ 
heilung gebracht wurde, nachdem sein anscheinend desolater Zustand ihm bei¬ 
nahe das Bein durch Amputation gekostet hatte. 

Entlastung und Fixation beim Fussgelenk zu erreichen, ist einfach, 
schwierig dagegen die Extension. Doch kann man davon hier überhaupt ab- 
sehen, da die reflectorischen Muskelspasmen, welche zu beseitigen der Haupt¬ 
zweck der Extension ist, hier sehr gering sind. Verfasser empfiehlt als das 
bequemste das Verfahren von Lorenz mittelst einfachen Gips- oder Holzleim¬ 
verbandes, wozu unter Umständen zur vollständigen Entlastung noch eine 
Schiene mit Kniegelenk treten kann, auf welcher sich der Patient mit den Sitz¬ 
knorren stützt. 

Da sich als locale medicamentöse Therapie der Gelenktuberkulose lnjec- 
tionen von Jodoformemulsionen am besten bewährt haben, so verbindet man 
diese zweckmässig mit der mechanischen Therapie. 

Die Apparate müssen, um jede Gefahr eines Recidivs auszuschliessen, so 
lange getragen werden, bis vorsichtige Gehversuche ohne Schmerzen ausgefiihrt 
werden können. Danach muss jedoch das Gelenk noch ein Jahr lang fixirt 
werden. Möhring-Würzburg. 


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Referate. 


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A. Lorenz, Ueber Osteoclase und das modellirende Redressement der Knie- 

gelenkscontracturen und des Genu valgum. Wiener Klinik 1893, Heft 6 und 7. 

Sowohl dem operativen Verfahren als auch den subcutanen Methoden der 
Correctur von Deformitäten der unteren Extremität weist Lorenz ihr Gebiet 
zu. Wenn er einerseits der Operation einen ziemlich weiten Spielraum lässt, 
so verlangt er doch für alle geeigneten Fälle das unblutige Verfahren, als das 
sehonendste und, was besonders bei kosmetischen Operationen hervorzuheben 
ist, das ungefährliche. Diese Forderung ist namentlich berechtigt, seit uns vor¬ 
treffliche Apparate in den Stand setzen, die Osteoclase mit genauester Bestim¬ 
mung des Ortes auszuführen und besonders ein allmähliches Redressement in 
einer Sitzung so auszuführen, dass nur die Bänder gedehnt werden, aber weder 
Weichtheile noch Knochen dabei zersprengt werden. Dies Verfahren bezeichnet 
Lorenz als „modellirendes, intraarticuläres Redressement“. 

Der von Lorenz zu diesem Zwecke angegebene Apparat besteht aus 
einem Fixationstheil und einem Redressionstheil. Der Fixationstheil wird von 
zwei länglichen festen Hohlplatten gebildet, welche gegen einander geschraubt 
werden können und den zu fixirenden centralen Theil, den Oberschenkel, zwi¬ 
schen sich fassen. Der Redressionstheil ist eine Riemenschlinge, welche um 
das Glied, unterhalb dej* Stelle, an der das Redressement geschehen soll, herum¬ 
gelegt wird und durch eine Hebelschraube nach der einen Seite gezogen wird. 
Alle diese Theile sind ordentlich gepolstert, wo sie auf die Haut zu liegen 
kommen. 

Mittelst dieses Apparates kann man die Osteoclase an jeder gewünschten 
Stelle ausführen. Doch ist diese nur für den flexiblen und plastischen Knochen 
von Personen bis zum 20. Jahr am Platze. Später muss die Osteotomie vor- 
genommen werden. Aber Lorenz will auch die Osteoclase sehr beschränkt 
wissen, da durch das „modellirende Redressement“ mindestens dasselbe ohne 
jede Verletzung geleistet wird. Besonders sind es Kniegelenkscontracturen und 
das Genu valgum, welche sich nur durch Dehnung der Weichtheile redressiren 
lassen. Das Resultat wird im Gipsverband fixirt. 

Weiterhin verwendet Lorenz seinen Apparat zur Fixirung des Unter¬ 
schenkels beim Redressiren von Klumpfuss. 

Damit der Patient immer in Rückenlage bleiben kann, lässt sich der 
Apparat so anbringen, dass man den Zug seitlich und in senkrechter Richtung 
ausüben kann. Möhring-Würzburg. 

F. Schlichter, Behandlung des angeborenen Klumpfusses. Wiener klinische 

Wochenschrift 1893, Nr. 40. 

Nach den bisherigen Erfahrungen wird die Behandlung des angeborenen 
Klumpfusses mittelst starrer Verbände in den ersten Monaten ziemlich allgemein 
widerrathen, da unter den Verbänden stets Decubitus und Zellgewebsentzündungen 
entständen. Erst nach dem ersten Halbjahr liessen sich diese Nachtheile ver¬ 
meiden und solle man mit dieser Behandlung beginnen. Schlichter hat jedoch 
mit Recht angenommen, dass man bei sofortigem energischen Eingreifen weit 
bessere Resultate erzielen würde, und hat es gewagt, gleich in den ersten 
Lebenswochen Gipsverbände anzulegen, und zwar nach vorausgeschickter 


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80 


Referate. 


Tenotomie der Achillessehne in den eisten 10 Tagen. In 12 Fällen gelang es 
ihm durch peinliche Sorgfalt beim Anlegen und der Revision der Gipsverbände 
unangenehme Störungen bis auf einzelne leichte Ekzeme und Epidermis- 
abhebungen fernzuhalten. 4 Tage nach der Tenotomie wird der erste Verband 
angelegt und bleibt 4 Tage liegen. Nach eintägiger Pause, während welcher alle 
2 Stunden manuelles Redressement vorzunehmen ist, wird ein zweiter Gipsverband 
angelegt, welcher nun 8 Tage liegen bleibt. Wieder wird 1 Tag pausirt, und der 
dritte Gipsverband kann dann 14 Tage liegen bleiben. Jetzt ist die Correctur 
schon vollkommen, doch legt Schlichter nach 2—3 Tagen Intervall vorsichts¬ 
halber nochmals einen länger liegenden Verband an. Der Verband braucht 
nur zwei Drittel des Unterschenkels zu umfassen. 

Recidive hat Schlichter nicht beobachtet. Möhring-Würzburg. 

A. Gleich, Beiträge zur operativen Plattfussbehandlung. Archiv für klinische 
Chirurgie 1893, Bd. 46. 

In schweren Fällen ist ein operativer Eingriff berechtigt. 

Von den zahlreichen Methoden haben sich nur die Keilresection Ogston's 
aus der Gegend des Talonaviculargelenks und Trendelenbur g’s supra- 
malleoläre Osteotomie erhalten. Das Princip letzterer Operation hat Verfasser 
mit Erfolg auf den Calcaneus übertragen. Mittelst eines Hautschnittes, ähnlich 
dem Pirogoffsehen Bügelschnitte, macht er sich den Calcaneus zugänglich. 
Vorausgegangen ist die Tenotomie der Achillessehne. Der Calcaneus wird dann 
von unten vorn nach hinten oben schräg durchsägt. Das hintere, die Tuberositas 
tragende Ende wird nach unten und vorn verschoben. Dadurch wird der 
Winkel, den die Achse des Calcaneus mit dem Boden bildet, und der beim 
Plattfuss verloren gegangen ist, wieder hergestellt. Schneidet man aus dem 
Calcaneus von unten einen Keil mit der Basis nach unten heraus und klappt 
das hintere Ende herum, so erreicht man ebenfalls dasselbe; hierzu kann man 
unter Umständen noch eine Verschiebung wie oben hinzufügen. Nachdem so 
richtige statische Verhältnisse hergestellt sind, sorgt die Transformationskruft 
für Umbildung des Fussskelets auch in den übrigen Theilen. 

Zweimal ist die hier vorgeschlagene Operation bisher ausgeführt worden, 
und die Resultate sind durchaus zufriedenstellend, sowohl hinsichtlich der Form 
des Fusses, als der Beseitigung der Beschwerden. M Öhr ing* Würzburg. 

F. Beely, Beitrag zur mechanischen Behandlung des Plattfusses (Pes planus 
und Pes valgus). 

Beely weist zunächst darauf hin, dass man unterscheiden muss zwischen 
Pes planus und Pes valgus. Wohl jeder Pes planus, der zur Behandlung kommt, 
ist mit einem grösseren oder geringeren Grad von Pes valgus verbunden, aber 
nicht jeder Pes valgus zugleich Pes planus. Der Pes planus findet sich nicht 
selten bei pathologisch ausgebildetem Hohlfuss. Die Bezeiclmung „platter Fuss“ 
für Pes planus und „Plattfuss“ für Pes valgus, wie Lorenz vorgeschlagen 
hat, scheint daher nicht glücklich gewählt, man könnte für Pes valgus vielleicht 
eher „Knickfuss“ sagen, wie ja auch das Genu valgum „Knickbein“ genannt 
wird. Will man den „platten Fuss“ ohne Valgität noch als besondere Unter* 


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Referate. 


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art abtrennen, so hätte man drei Formen zu unterscheiden: Pes planus, den 
platten Fuss, Pes plano-valgus, den Plattfuss und Pes valgus, den Knickfuss. 

Schwere Fälle von Plattfuss, welche die Patienten unfähig zum Gehen 
und Stehen machten, hat Beely mit Schienenhülsenapparaten behandelt. Mit 
diesen kann man, wenn man sie bis zum oberen Ende des Oberschenkels führt, 
den Fuss vom Körpergewicht vollständig entlasten und den Patienten wenigstens 
unter allen Umständen die Möglichkeit sichern, zu gehen. Meistens jedoch 
genügen Apparate, die Fuss und Unterschenkel umfassen. Sonst ist Beely 
immer ausgekommen mit: Plattfusseinlagen, Schiefstellung des Absatzes, d. h. 
Erhöhung an der inneren oder Erniedrigung an der äusseren Seite, und Ver¬ 
schiebung des Absatzes nach innen und vorn, d. h. Verbreiterung des Absatzes 
an der inneren und vorderen Seite, Verschmälerung an der äusseren und 
hinteren Seite. 

Die Plattfusseinlagen müssen aus festem, widerstandsfähigem Material 
bestehen, sich der Fusssohlenfläche genau anschmiegen und mindestens von der 
Ferse bis zu den Metatarsalköpfchen reichen. Je nach dem Grade des Leidens, 
dem Alter und Körpergewicht des Patienten benutzt man Leder, Kork 
oder Metall zu ihrer Herstellung. Sie sind angezeigt beim Pes planus und 
plano-valgus, dagegen nicht nothwendig beim reinen Pes valgus. Sie wirken 
theils entlastend durch Vertheilung des Druckes des Körpergewichts auf eine 
grössere Fläche, theils als schiefe Ebene. 

Als schiefe Ebene wirkt auch die Erniedrigung des Absatzes an der 
äusseren Seite. Es wird dadurch der Unterstützungspunkt des Calcaneus median- 
wärts verschoben. Am gesunden Fuss würde der Calcaneus in Adductions- 
stellung gebracht werden, am Pes plano-valgus oder valgus wird der abducirte 
Calcaneus nur in ganz leichten Fällen in adducirte oder senkrechte Lage über¬ 
geführt werden können, in jedem Fall aber wird diejenige Componente des 
Körpergewichts, welche abducirend auf den Calcaneus wirkt, verkleinert, die 
deformirende Kraft des Körpergewichts also verringert, es werden günstigere 
statische Verhältnisse hergestellt. 

Die Benutzung des auf der äusseren Seite niedrigeren Absatzes ist an¬ 
gezeigt bei Abductionsstellung des Calcaneus, also bei Pes plano-valgus und 
Pes valgus, sie wäre überflüssig beim reinen Pes planus. 

In ähnlicher Weise wie die schiefe Ebene ändert die Verschiebung des 
Absatzes nach innen und vorn die statischen Verhältnisse. Diejenigen Com- 
ponenten des Körpergewichts, die den Calcaneus in Plantarflexion und Abduction 
drängen, werden verkleinert, und zwar wirkt die Verbreiterung nach vom auf 
die plantarflectirende Componente, ist also bei einem Pes planus und plano- 
valgus anzuwenden, die Verbreiterung nach innen auf die abducirende Com¬ 
ponente, sie kommt also mehr bei Pes plano-valgus und valgus in Frage. 

Ist der Letztere mit pathologischem Hohlfuss, mit vermehrter Dorsal¬ 
flexion des Calcaneus verbunden, so würde eine Verschiebung des Absatzes nach 
vom contraindicirt sein. 

Betrachtet man den Absatz als eine Fortsetzung des Calcaneus in 
functionellem Sinne, so werden durch die Verschiebung desselben nach vorn 
und innen die statischen Verhältnisse in ähnlicher Weise beeinflusst, wie 
durch die von Gleich bei Pes plano-valgus empfohlene Operation. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. III. Band. ß 


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Referate. 


Seitdem Beely auf die Form des Absatzes grösseres Gewicht legt, ist 
es ihm viel häufiger als früher gelungen, seinen Patienten sofort Erleichterung 
zu verschaffen, und wiederholt hat er gesehen, wie Patienten, die ohne Erfolg 
gut gearbeitete Plattfusseinlagen trugen, sofort fast oder ganz schmerzlos auf- 
treten konnten, wenn nur der Absatz nach den oben angegebenen Grundsätzen 
geändert wurde. 


v. Eiseisberg, Zur Therapie der Verkürzung nach Unterschenkelfractur. 

Wien. klin. Wochenschr. 1893, Nr. 14 S. 251. 

Nachdem in neuerer Zeit vielfach die elastische Wirkung der Gummi¬ 
drains zum continuirlichen Redressement in Combination mit Gipsscharnir- 
verbänden (so z. B. von Mikulicz für das Genu valgum) angewendet wurde, 
hat v. Eiseisberg nun versucht, dieselbe auch zur Distraction von Fracturen, 
bei welchen die Fragmente der Länge nach verschoben sind, zu benützen und 
damit dem Patienten ein Redressement in Narcose zu ersparen. 

Veranlassung dazu bot eine supramalleoläre einfache Fractur bei einem 
18jährigen Burschen, welche in gewöhnlicher Weise mittelst eines Gipsverbandes 
behandelt war, und wobei sich nach Abnahme des Verbandes nach der vierten 
Woche eine Verkürzung von 3—5 cm zeigte, die durch starken Zug am Fuss 
auf die Hälfte reducirt werden konnte. Es wurde in möglichst extendirter 
Stellung ein Gipsverband von den Zehen bis fast unter das Tuber ossis ischii 
(um ein Hinaufgleiten des oberen Stückes an der Haut zu vermeiden) angelegt. 
Am folgenden Tage wurde in der Höhe der Fracturstelle der Gips circular 
durchschnitten und hierauf einige Korkstöpsel von ca. 1 cm Breite in den 
Gipsspalt eingelegt. Um jedoch die dadurch auf die Fragmente ausgeübte 
Distraction permanent wirken zu lassen, brachte v. Eiseisberg den perma¬ 
nenten Zug eines gespannten Gummidrains mit Hilfe eines Apparates in Ver¬ 
wendung. 

Zwei 20 cm lange Eisenschienen waren an einem seitlichen Falze der 
Länge nach an einander verschieblich. Jede derselben trug oben und unten 
je einen fest mit ihr verbundenen Fortsatz. Der obere stellt einen einfach ab* 
gebogenen Haken, der untere eine flügelartige, mit ihrer Fläche senkrecht zur 
Längsachse der Schienen gestellte Eisenplatte von etwa 6 cm Fläche dar. An 
den von einander gekehrten Flächen waren diese Flügelfortsätze rauh und am 
Rande etwas eingebogen, um besser am Gipse zu halten. Die beiden Schienen 
Hessen sich leicht so an einander verschieben, dass sich die quergestellten 
Platten berührten. Bei dieser Stellung wurde nun rechts und links je ein 
solcher Apparat in die durch die Incision gewonnene und durch Druck gerade 
zum Klaffen gebrachte Gipsspalte eingelegt. Es wurden darauf die beiden nach 
oben zu fahrenden Haken durch ein Drain verbunden. In demselben Maasse, 
als die elastische Wirkung des Drains diese beiden Haken einander zu nähern 
trachtete, wurden die beiden Platten von einander gedrückt und damit der 
Gipsspalt continuirlich erweitert. Das Resultat, das mit dem Apparat in diesem 
wie in zwei anderen Fällen von Unterschenkelfractur erreicht wurde, war ein 
sehr befriedigendes. 

Dr. G. Joachimsthal-Berlin. 


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Referate. 


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Etienne Rollet, Deux cas de difformitäs des doigts. Revue d’orthopedie 
1893, Nr. 3, p. 183. 

In dem ersten der beiden von Rollet mitgetheilten Fälle fand sich bei 
einem 17jahrigen tunesischen Neger beiderseits an der Ulnarseite der Hand ein 
überzähliger dreigliedriger Finger. Derselbe sass, 5 cm lang, an der Grenze 
des mittleren und unteren Drittels des 5. Metacarpalknochens, konnte aber 
activ weder gebeugt noch gestreckt werden. Am Fuss war beiderseits ein durch 
Weichtheile verbundener Doppeldaumen mit doppelten Nägeln und Phalangen 
und einer geringen Bifurcation an der Spitze vorhanden. Linkerseits sass 
ausserdem noch eine überzählige Zehe an der Aussenseite des Fueses. Ein 
Onkel des Negers sowie seine fünf Kinder zeigten die gleichen Abnormitäten. 
Ein noch interessanteres Beispiel für die Neigung der angeborenen Finger- und 
Zehenanomalien zur weiteren Vererbung bietet Rollet’s zweite Beobachtung. 
Hier fanden sich bei ungefähr zwanzig Gliedern derselben Familie überzählige 
Finger und Zehen. Dr. G. Joachimsthal-Berlin. 

0. Israel, Demonstration von Präparaten. Berlin, klin. Wochenschr. 1893, 

Nr. 19, S. 454. 

Israel demonstrirte der Berliner medicinischen Gesellschaft das Prä¬ 
parat einer skoliotischen Wirbelsäulenverkrümmung, die dadurch besonders be- 
merkenswerth erscheint, dass sie als die Ursache einer Verlagerung der linken 
Niere anzusehen ist. Die Wirbelsäule zeigt eine starke Abweichung des Lenden- 
und unteren Brusttheils mit der Convexität nach links. Während die rechte 
Niere in relativ normaler Lage sich in ihrer gewöhnlichen Höhe befindet, liegt 
die linke auf der Darmbeinschaufel und ragt noch in einer Breite von etwa 
2 cm in den Eingang des kleinen Beckens hinab. Die renalen Gefässe haben 
ihren Ursprung an der gewöhnlichen SteUe. In der verlagerten Niere hatte 
sich eine mit Perinephritis combinirte Pyonephrose entwickelt. Bei dem in 
einem Krankenhause gemachten Versuch, die als Geschwulst auf der Becken¬ 
schaufel imponirende dislocirte Niere zu entfernen, entstand ein widernatür¬ 
licher After, worauf die Patientin an Entkräftung zu Grunde ging. 

Dr. G. Joachimsthal-Berlin. 

Carl Bayer, Zur Aetiologie des Pes calcaneus. Prager medic. Wochenschr. 

1893, Nr. 16, S. 187. 

Bayer theilt zwei ätiologisch von dem bisherigen Schemen wesentlich 
abweichende Fälle von Pes calcaneus mit, die den Schluss zulassen, dass es 
ausser dem angeborenen paralytischen und durch entzündliche Processe des 
Sprunggelenks und der benachbarten Knochen zu Stande gekommenen Hacken- 
fuss noch eine vierte Gruppe gibt. Diese ist dadurch charakterisirt, dass an 
einem bis dahin vollkommen gesunden, in specie nicht gelähmten Fusse infolge 
schmerzhafter Affectionen der Fersenplanta (Phlegmone [1. Fall] oder Fremd¬ 
körper [2. Fall]) der Fuss durch längere Zeit in der für den Pes calcaneus 
eigentümlichen Stellung activ erhalten und zum Gehen benützt wird, wobei 
genau so wie bei den paralytischen Formen der Fuss mit einem Theile der 
Hacke aufgesetzt wird, „der nicht zur Gehfläche gehört“, wie Volkmann 


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Referate. 


sich ausdrückt — „sondern der etwas über derselben nach der Insertion der 
Achillessehne hinanfliegt“, und in dieser fehlerhaften Stellung sich allmählich 
fbrirt. Der Fuss ist zunächst dorsalflectirt, nach und nach senkt sich die Fuss- 
spitze — wohl durch Wirkung der Plantarflexoren. Der Fuss bleibt ferner im 
Wachsthum zurück, die einander genäherten Insertionen verkürzen sich bleibend, 
die gedehnten Wadenmuskeln atrophiren. Endlich kommt es auch im Skelett, 
namentlich im Calcaneus, zu dauernden Deformationen als Folge der veränderten 
Belastung. Dr. G. Joachimsthal-Berlin. 

Tapp er t, Zur Behandlung des Klumpfusses. Münchener med. Wochenschr. 

1893, Nr. 18 S. 342. 

Tappert hat innerhalb von 40 Jahren Über 450 angeborene Klump- 
füsse in Behandlung gehabt. Nur einmal kam es unter diesem Beobachtungs¬ 
material vor, dass eine Mutter zweimal Klumpfusskinder zur Welt gebracht 
und einmal, dass eine mit Klumpfuss behaftete Mutter ein Kind mit einem 
Klumpfus8 geboren hatte. 

Nach Tappert’s Erfahrung sind in nahezu allen Fällen von einiger- 
maassen hochgradigem angeborenem Klumpfuss drei Sehnenschnitte nothwendig, 
nämlich an der Achillessehne, der Aponeurosis plantaris und an dem Muse, 
tibialis anticus. Nach diesen Tenotomien, die Tappert in der Reihenfolge 
vomimmt, dass er zuerst die Sehne des Tibialis anticus, einige Tage später die 
Aponeurosis plantaris und wieder einige Tage später die Achillessehne durch¬ 
trennt, erweist sich manchmal noch die gesonderte Durchschneidung des Gross¬ 
zehenstreckers und in seltenen Fällen auch die des Tibialis posticus als noth¬ 
wendig. Dann schliesst sich ein Gipsverband mit Zuhilfenahme von Papp¬ 
stücken für die Sohle und die Aussenseite des Unterschenkels an, dem nach 
5—8 Tagen ein zweiter, und so ein dritter, ja selbst vierter, später aber viel 
seltenerer folgt. In dem ersten und zweiten Lebensjahr vertauscht Tappert 
den Gipsverband schon nach 6—8 Wochen mit einem Klumpfussstiefel, den er 
ein Jahr hindurch Tag und Nacht tragen lässt nur mit kurzen Unterbrechungen 
für Massage etc. 

Bei paralytischem Klumpfuss erwiesen sich die Tenotomien meist als 
unnöthig. Dr. G. Joachimsthal-Berlin. 

Adolf Bonzelius, Ein Fall von Polydactylie. Inaug.-Diss. Berlin 1893. 

Bonzelius gibt die anatomische Beschreibung eines am Tage nach der 
Geburt gestorbenen Kindes. Die rechte Hand hatte 7 Finger, darunter 2 häutig 
verbundene Daumen, die linke Hand 8 Finger, darunter ebenfalls 2 in Syn- 
dactylie stehende Daumen. Der rechte Fuss besass 6 Zehen, darunter 2 grosse, 
von denen die erste rechtwinklig abstand. Unter den 7 Zehen des linken 
Fusses waren ebenfalls 2 parallel gestellte grosse Zehen. An der rechten Hand 
nimmt Bonzelius, namentlich nach dem Verhalten des Extensor digitoram 
communis, 2 Zeigefinger an, ebenso nach dem Verhalten des Extensor digitorum 
communis, des Extensor indicis proprius, der sich in der Höhe der ersten Pha¬ 
lanx in 2 Endsehnen für den dritten und vierten Finger theilt, sowie des ge¬ 
meinsamen, gablig getheilten Os metacarpi linkerseits 2 Zeigefinger, ausserdem 


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Referate. 


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schliesst Bonzelius hier nach dem Verhalten des Extensor digitorum com¬ 
munis, speciell desjenigen Theils dieses Muskels, welcher, durch ein besonderes 
Fach des Ligamentum carpi transversum hindurchgehend, den Namen Extensor 
digiti minimi proprius führt und hier den siebenten und achten Finger ver¬ 
sorgt, auf die Existenz zweier Kleinfinger. Am rechten Fuss ist noch als be¬ 
sonders interessant zu betonen, dass die erste grosse Zehe durch die Wirkung 
des Flexor hallucis longus und brevis, sowie durch die Eigenart ihrer Gelenk¬ 
verbindung im Stande ist, eine regelrechte Greifbewegung auszuführen. Der 
linke Fuss zeigt ausser den beiden grossen 2 kleine Zehen. 

Dr. G. Jo ach i ms thal-Berlin. 


Ed. Schwartz, Du traitement du pied plat valgus douloureux inv6t4r6 par 

la tarsectomie cun&forme interne. Revue d’orthopedie 1893, Nr. 4, S. 241. 

Schwartz’s Verfahren, das er in drei Fällen von hartnäckigem schmerz¬ 
haftem Plattfuss mit Erfolg zur Ausführung gebracht hat, besteht in der Fort- 
nahme eines Keils aus dem inneren Fussskelett in der Gegend der Articulatio 
talo-navicularis. Die Basis des Keils ist nach innen gerichtet, die Spitze des¬ 
selben reicht bis zum Os cuboides. Nach der Entfernung des Keils, der fast 
stets aus dem ganzen Os naviculare und der vorderen Gelenkfläche des Talus 
besteht, werden die Knochenschnittflächen mit Silberdraht vereinigt. Um neben 
der Beseitigung der Valgusstellung auch für die gehörige Fusswölbung zu 
sorgen, wird der Keil breiter an der unteren als an der oberen Fläche des 
Fusses angelegt. Dr. G. Joachimsthal -Berlin. 

A. Neck er, Ueber den schnellenden Finger. Beiträge zur klinischen Chirurgie. 
1893. X 2. S. 469. 

Necker theilt aus der Bruns'sehen Klinik einen Fall von schnellendem 
Finger bei einer 52jährigen Patientin mit, der Gelegenheit zur anatomischen 
Untersuchung gab. Afficirt waren seit etwa 15 Jahren der rechte, seit etwa 
6 Jahren der linke Mittelfinger gewesen. Nachdem am rechten Finger durch 
einen, genau in der Mittellinie verlaufenden, Haut und Sehnenscheide durch¬ 
trennenden Schnitt die Sehne Slossgelegt war, zeigte sich direct in der Gabel, 
welche die Sehne des M. flexor digit. subl. im Bereich der ersten Phalanx 
bildet, eine spindelförmige Anschwellung der Sehne, welche bei einer Länge 
von 1 cm in ihrer grössten Breite doppelt so breit ist, als die Sehne im übrigen 
Verlauf. Schneidet man die Sublimissehne peripher ab, so sieht man an der 
Profundussehne eine ganz ähnliche Anschwellung. Die Sehnenscheide zeigt 
keine Veränderung. Links ist an der Sublimissehne ein flacher Knoten, welcher 
mehrere Millimeter peripher von der unter dem Verstärkungsband gelegenen 
Partie der Sehne beginnt und gegen die Gablung hin wieder abnimmt. An 
der Profundussehne ist an derselben Stelle wie rechts eine leichte Verdickung 
zu sehen. Die mikroskopische Untersuchung eines aus dem Knoten entnom¬ 
menen Stückes ergab eine einfache hypertrophische Wucherung des interfasci- 
culären Bindegewebes. Dr. G. Joachimsthal -Berlin. 


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Referate. 


P. Bruns, Ueber den Gehverband bei Fracturen und Operationen an den 

unteren Extremitäten, nebst Beschreibung einer neuen Geh- und 

Lagerungsschiene. Beiträge zur klinischen Chirurgie 1893. X 2, S. 499. 

Bruns hat eine Schiene zur Anwendung bei Fracturen und Operationen 
an den unteren Extremitäten construirt, die möglichst einfach und zugleich 
möglichst allgemein anwendbar ist. Sie ist als Geh- und Lagerungsschiene zu 
verwenden und passt für beide Körperseiten und die verschiedenen Körper¬ 
grössen (abgesehen von den Kindern). 

Die wesentlichen Bestandtheile sind zwei seitliche Schienen, ein Sitzring 
und ein Steigbügel. Die Schienen sind Mannesmann’sche Stahlröhren ohne 
Naht, die sich ebenso durch ihre Tragfähigkeit wie durch ihre Leichtigkeit 
auszeichnen, so dass die Schiene im ganzen nur ein Gewicht von wenig mehr 
als 1 kg besitzt. Behufs beliebiger Verlängerung und Verkürzung der Schiene 
befinden sich in dem unteren Theil der Röhre zwei durch den Steigbügel ver¬ 
bundene Eisendrähte, welche aus- und eingeschoben und mit Stellschrauben 
festgestellt werden können. An den oberen Enden der Stahlrohre ist mit einer 
winkligen Abknickung der Sitzring angebracht, der sich in ziemlich weitem 
Spielraum erweitern und verengern lässt. Das Glied ruht in der Schiene mit 
seinem hinteren Umfang auf einigen breiten Leinwandstreifen, welche mittelst 
einfacher federnder Klemmen an den Seitenschienen befestigt werden; am vor¬ 
deren Gliedumfang geschieht die Fixirung durch einige schmale Gurte mit 
Bändern. 

Wird die Schiene zum Gehen benutzt, so wird der Steigbügel so ge¬ 
stellt, dass er von der Fusssohle etwas absteht. Der Fuss wird dann mit einer 
Spannlasche gegen den Steigbügel fixirt. Soll Extension ausgeübt werden, so 
geschieht dies mittelst Heftpflasterstreifen auf der Haut, die durch Bänder oder 
Gummiröhren gegen den Steigbügel angezogen werden und so einen perma¬ 
nenten Zug sichern. 

Wird die Schiene zur Lagerung des Gliedes im Bett benutzt, so wird an 
den Steigbügel das Fussbrett gesteckt, an welchem eine T-Stütze, die Exten¬ 
sionsrolle für den Gewichtszug und ein Querbalken zur Suspension des Fusses 
angebracht werden kann. Letzteres geschieht mittelst Heftpflasterstreifen am 
inneren und äusseren Fussrand, die den Fuss suspendiren, so dass die Gegend 
der Ferse und Achillessehne vollkommen vom Druck verschont wird — eine 
Einrichtung, die sich nach Bruns vielfach bei Brüchen am unteren Ende des 
Unterschenkels bewährt hat. 

Bruns hat die Schiene angewandt bei 6 Fracturen des Unterschenkels. 
3 Fracturen in der Mitte des Oberschenkels, einer Fractur des Schenkelhalses 
und einer Pseudarthrose des Oberschenkels; in 3 Fällen waren die Fracturen 
complicirt. Die Schiene wird bei Unterschenkelbrüchen am zweiten oder dritten, 
zuweilen erst am sechsten bis achten Tage, sobald die Anschwellung der Bruch¬ 
stelle ihre Höhe erreicht hat, über einem nach den Angaben von Korsch 
(cf. Deutsche Zeitschr. f. orthopädische Chir. II 3, S. 318) gefertigten aber leich¬ 
teren Gipsverbande angelegt. Meist können dann die Patienten schon am ersten 
Tage umhergehen. 

Bei Schrägbrüchen des Oberschenkels mit Verkürzung und namentlich 
solchen in der oberen Hälfte des Femur bleiben die Patienten zunächst 


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Referate. 


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zwei Wochen in Heftpflasterextension mit starker Belastung in der Schiene 
liegen. 

Auch in 4 Fällen von Resectionen und Arthrectomien des Kniegelenks, 
in 4 Fällen von einseitiger und 3 von doppelseitiger Osteotomie des Femur 
wegen Genu valgum und in 1 Fall von Pseudarthrosenoperation am Ober¬ 
schenkel wurde die Nachbehandlung fast ganz im Gehverband durchgeführt, 
selbst die doppelseitige Osteotomie des Oberschenkels verlangte nur eine 
Htägige Bettruhe. Dr. G. Joachimstha 1-Berlin. 

Stöcker, Ein Beitrag zur Lösung der Schulbankfrage. Münchener medic. 

Wochenschrift 1893, Nr. 7 S. 125. 

Stöcker lenkt die Aufmerksamkeit auf eine von Ramminger und 
Stetter in Tauberbischofsheim unter dem Namen „Columbus“ in den Handel 
gebrachte Schulbank, von der er glaubt, dass sie die glückliche Lösung der 
Schulbankfrage darstelle. Sie unterscheidet sich von den Schulbänken anderer 
Systeme nur durch die Construction des Sitzes. 

Das Sitzbrett, jeweils einen Einzelsitz für einen Schüler bildend, ist auf 
eine Minusdistanz von 2—3 cm construirt. Es ist der Länge nach in der Mitte 
in zwei Platten getheilt, welche durch einen mit durchgehenden Eisenschienen 
befestigten und extra stark gewobenen Hanfgurt unter sich derart verbunden 
sind, dass dadurch eine winklige Knickung des Sitzes nach oben durch dach¬ 
artiges Zusammenschieben derselben ermöglicht wird. Die Verbindung durch 
Hanfgurte wurde deshalb gewählt, weil Charniere sich schnell abnützen und auch 
stets Geräusche verursachen würden. Die hintere Platte des Sitzes dagegen ist 
mit eigens für diesen Zweck construirten Chamieren und Mutterschrauben an 
die Bank befestigt. Erhebt sich nun der Schüler von seinem Sitz, so schiebt 
er durch die einfache Streckbewegung seiner Ober- und Unterschenkel ohne 
weiteres Hinzuthun seinerseits, ja ohne dass er sich dessen überhaupt bewusst 
wird, spielend den doppeltbeweglichen Sitz zurück, so dass derselbe sich dach¬ 
förmig aufstellt. Der Schüler gewinnt so einen Abstand vom Tisch von 12 cm, 
d. h. die bisherige Minusdistanz von 2 cm wird in eine Plusdistanz von 12 cm 
verwandelt. Beim Niedersetzen nimmt das Sitzbrett, durch sein Eigengewicht 
selbetthätig vorgleitend, wiederum ohne das Zuthun des Schülers die frühere 
Ruhelage wieder ein und verwandelt so die Plusdistanz wieder in eine Minus¬ 
distanz. Dr. G. Joachimsthal-Berlin. 

0. Hübscher, Geleimte Cellulose, ein Ersatz für den Wal tue h’schen Holzleim¬ 
verband. Correspondenzbl. f. Schweizer Aerzte 1892, XXII, Nr. 23. 

Hübscher hat an Stelle der Waltuch’schen Holzverbände portative 
Apparate in Gebrauch gezogen, die aus Cellulose verfertigt werden, dem auf 
chemischem Wege durch Behandeln mit Lauge unter hohem Dampfdruck her¬ 
gestellten, sehr hygroskopischen und in feuchtem Zustande vollständig form¬ 
baren Holzstoff. Ersetzt man nämlich den durch die Behandlung ausgezogenen 
Pflanzenleim durch thierischen Leim, so erhält man ein künstliches Holz, das, 
so lange es feucht ist, sich jeder beliebigen Form anschmiegt und nach dem 
Trocknen diese Form unabänderlich beibehält. 


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Referate. 


Die Cellulose wird nach dem Gipsmodell bei röhrenförmigen Verbänden, 
Schienenhülsen, Stützapparaten, Prothesen aus einem Stück zugeschnitten, bei 
Miedern sind 3—4 Stück (1 Rückenblatt, 2 Seitenblätter und 1 Brustblatt) nöthig. 
Dieselben werden in feuchtem Zustande dem Modell aufgelegt und mittelst einer 
Gazebinde befestigt. Nach dem Trocknen werden die Platten, die nun voll¬ 
ständig die Form der Unterlage angenommen haben, abgehoben, auf beiden 
Seiten mit Kölnerleim bestrichen und dann sofort wieder auf das Gipsmodell 
aufgelegt, wobei die Ränder über einander geleimt werden. Entweder sofort 
oder besser nach dem Trocknen der ersten Schicht wird eine zweite dünnere 
Lage Cellulose aufgeleimt. Nach dem vollständigen Trocknen schneidet man 
den Verband auf, nimmt ihn vom Modell ab und beleimt ihn innen und aussen 
mit Gaze, Tricot oder Baumwollenflanell. Eine weitere Vervollkommnung bildet 
das Lochen und Lackiren der Apparate. 

Die Herstellung der Verbände ist nach Hübscher eine sehr einfache, 
dieselben sind leicht, elastisch und äusserst widerstandsfähig. 

Dr. G. Joachimsthal-Berlin. 


Reginald H. Sayre, Spondylitis of the second cervical vertebra with report 
of cases and instruments for treatment. Transactions of the ameriean 
ortbopedic association, 1892. 

Die Spondylitis des II. Halswirbels ist sehr selten, wird oft mit echter 
Torticollis verwechselt: bei Torticollis jedoch steht das Gesicht aufwärts, Kopf 
nach hinten und der Hals gedreht, bei Spondylitis ist der Kopf scharf nach 
einer Seite gedreht, Hals nach vorn gebeugt, das Kinn auf die Brust gesenkt. 
Die compensatorische Dorsalskoliose ist bei beiden dieselbe. Die Patienten 
nehmen eine aufrechte Haltung ein, unterstützen den Kopf mit den Händen. 
In einem der aufgeführten Fälle bestand heftige Dyspnoe, Schlucken und 
Sprechen ist sehr gehindert. Plötzlicher Exitus kann erfolgen durch Bersten 
eines Abscesses, Bruch des Processus odontoideus, Riss des Ligamentum trans- 
versum, Compression der Medulla. Diese Zufälle können auch bei der Correc- 
tion der Deformität eintreten, weshalb äusserste Vorsicht nöthig ist. 

Die Therapie besteht in dem Anlegen eines Apparates, derselbe besteht 
aus zwei gepolsterten Stahlschienen, die hinten zu beiden Seiten der Wirbel¬ 
säule in die Höhe laufen und im Bogen über die Schultern gehen. Am Becken 
sind sie durch ein Querband befestigt. In der Höhe des ersten Brustwirbels 
ist an den beiden Schienen zwischen ihnen ein mit Gelenk versehener Stab 
befestigt, der das Kopfstück mit ähnlichem Gelenk trägt. Der Stab kann durch 
Zahn und Schlüssel verlängert werden. Das Kopfstück besteht aus einem ge¬ 
polsterten Bandeisen, das die Basis des Kopfes umgreift und sich über beide- 
Ohren nach vorn wendet. Von den Enden gehen Lederriemen über die Stirn, 
an diesen sind andere Riemen zum Halten des Kinns befestigt. 

Bis zur Fertigstellung des Apparates legt Verfasser eine Art Gipstricot- 
schiene an, die helmartig den Kopf, Schultern und Hals in halber Circumferenz 
bedeckt und in möglichst corrigirter Stellung angelegt wird. 

Bei zwei auf diese Art behandelten Fällen schwanden die bedrohlichen. 
Symptome rasch. Dreh mann-Würzburg. 


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Referate. 


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Herbert L. Burell, A contribution to the anatomy of congenital equino-varus. 

Annals of surgery, March 1893. 

Verfasser beschreibt ein Präparat von einem frühgeborenen Kind, das 
3 Stunden nach der Geburt starb. Dasselbe zeigt links Klumpfuss, rechts nor¬ 
malen Fu88. Manuell konnte die vordere Partie des Klumpfusses corrigirt 
werden, während die Ferse nach innen gerichtet blieb. Beim Versuch der 
Correction spannt sich die Achillessehne, ferner die hinter dem Malleolus intern, 
gelegenen Muskeln. Ebenso spannt sich die Haut über den Muskeln stark an. 

Bei der Präparation zeigt sich die Haut an der Innenseite adhärenter 
als normal. Der Talus ist klein mit kurzem Hals. Die Achse zeigt Concavität 
nach innen. Am normalen Fuss zeigt die Gelenkfläche des Talus mit der Tibia 
drei Facetten, hier sind nur zwei Facetten, eine für das untere Tibiaende, die 
zweite für den Malleolus internus. Die zur Articulation mit der Fibula bestimmte 
Gelenkfläche ist mit Bindegewebe bedeckt. Die Gelenkfläche mit dem Navi- 
culare deutlich verkleinert. Lig. intraarticulare zwischen Talus und Calcaneus 
rudimentär. 

Die obere Gelenkfläche des Calcaneus ist schräg nach innen und auf¬ 
wärts. Der Calcaneus selbst an der Aussenseite dicker als innen, ausser¬ 
dem klein. Dreh mann-Würzburg. 

Henry Ling Taylor, Osteitis deformans (Paget) with report of two cases. 

Medical record, January 21, 1893. 

Osteitis deformans ist eine chronische Erkrankung des vorgeschrittenen 
Alters, welche das Knochensystem befällt und sich durch Schmerzen, Hyper¬ 
trophie und Verbiegung charakterisirt. Die Knochen des Angesichts, der Hände 
und Füsse werden fast nie ergriffen. Die Gelenke bleiben frei, es kommt nie 
zur Eiterung. 

Die genauere Kenntniss verdanken wir Paget, der zuerst 1876 in der 
Lancet die Krankheit in klinischer und differentialdiagnostischer Beziehung 
darstellte. Czerny braucht denselben Namen, jedoch für einen anderen Process. 

Thibierge fügte zu Paget’s Fällen noch einige hinzu und veröffent¬ 
licht im ganzen 43, darunter waren 21 Männer und 22 Frauen, das Durchschnitts¬ 
alter ist 51 Jahr. Ein Fall begann mit dem 30., einer mit dem 28. Jahr, wenige 
erst nach dem 65. In ganz vereinzelten Fällen Hess sich Heredität nachweisen. 
Syphilis, Tuberculose, Gicht, Rheumatismus war immer auszuschliessen. 

Der Krankheitsprocess ist ein ausserordentlich langsamer. Das erste 
Symptom ist oft dumpfer Schmerz in den befallenen Knochen, oder eine Ver¬ 
breiterung des Kopfes, die einen grösseren Hut erfordert. Ferner kann die 
wachsende Verkrümmung der Wirbelsäule, der Tibia das einzig bemerkbare 
Symptom sein. Am häufigsten wird die Tibia befallen, dann Femur, Clavicula, 
Wirbelsäule, am seltensten die Hirnschale. Meist lässt sich Symmetrie nach¬ 
weisen. 

Die Knochensubstanz zeigt eine Mischung von rareficirender Ostitis, mit 
weiten, an den Enden zerfallenen Ha versuchen Kanälen, und bypertrophirender 
Ostitis mit Verengerung der Kanäle und Bildung neuer Lamellen. Die Gefässe 
der Ha versuchen Kanäle sind nicht erweitert. Das Mark ist mehr oder weniger 
afficirt. 


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Referate. 


Die befallenen Knochen erleiden eine allmähliche Verdickung und Ver¬ 
längerung, die Oberfläche ist oft uneben. Zugleich werden die Knochen weicher 
und biegen sich je nach dem überliegenden Gewicht ganz charakteristisch. Der 
Femur und die Tibia biegen sich nach vorn und aussen, so dass die Kniee be¬ 
trächtlich von einander entfernt werden. Die Trochanteren stehen über der 
Nelaton’schen Linie, weil der Schenkelhals sich biegt. Die Wirbelsäule ist 
vorwärts gebogen, hauptsächlich in den oberen Partien. Der Kopf ruht auf der 
Brust, die Schultern sinken nach vorn, die Intercostalräume werden enger. Die 
ganze Erscheinung des Patienten ist verändert: die Körperlänge vermindert, 
Rumpf und Beine kurz, während die Arme die ursprüngliche Länge behalten 
und bis zu den Knieen herabreichen. Die Patienten erhalten etwas Affen¬ 
artiges. 

Die Differentialdiagnose hat zu berücksichtigen die Verdickungen und 
Verkrümmungen der Knochen, das Alter der Patienten, das Freisein der Ge¬ 
lenke, Fehlen von Eiterung. 

Von den zwei vom Verfasser aufgeführten Fällen betraf der erste einen 
60jährigen Rechtsanwalt, der ganz typische Symptome der Knochenveränderung 
zeigte. Sonst Hess sich ausser Atheromatose der Gefässe und Spuren von Eiweiss 
im Urin nichts Abnormes nach weisen. Der zweite Fall betraf eine bejahrte 
Dame, bei der sich allmählich eine Verbiegung des rechten Femur, eine enorme 
Verbreiterung des Beckens und ziemliche linksconvexe Dorsalskoliose entwickelte. 

Drehmann -W ürzburg. 


Joel E. Goldthwait, Forcible correction of angular deformities of the knee, 

with a report of cases. Boston medical and surgical Journal of Sept. 7, 1893. 

Zur gewaltsamen Streckung der winkligen Kniegelenkscontractur beschreibt 
Verfasser einen bereits von Bradford angegebenen und von ihm verbesserten 
Apparat, der im wesentlichen besteht aus einem den Unterschenkel umfassenden 
Schienenpaare, das unter der Sohle in einen Hebelarm ausläuft. Den Stütz¬ 
punkt findet der Apparat auf den Condylen des Femur. Ausserdem ist noch 
ein durch eine Schraube anziehbarer Ledergurt angebracht, um die Condylen 
der subluxirten Tibia zu umfassen. 

Zur gewaltsamen Streckung eignen sich keine acuten Entzündungen mit 
Muskelspasmen, auch keine knöchernen Ankylosen, sondern nur die Contracturen 
nach alten, ausgeheilten Processen, gleichviel welchen Ursprungs. 

Die Anwendung des Apparates geschieht in Narkose. Die Subluxation 
der Tibia wird entweder durch Durchschneidung der Flexorensehnen behoben 
oder durch allmähliche Dehnung derselben. Das Gelenk wird dann 1 oder 
2 Wochen mittelst Gipsverband fixirt, dann 6 Monate bis 1 Jahr eine Thomas’sche 
Knieschiene getragen. 

Die Anwendung des Apparates ist eine leichte, die Gefahren gering. Nur 
bei starker Narbencontraction der Weichtheile muss die Redression allmählich 
in mehreren Sitzungen bewerkstelligt werden, um die Gefässe und Nerven der 
Fossa poplitea nicht zu zerreissen. 

Verfasser führt 5 Fälle an, bei denen er gute Resultate mit bewegUchen 
Gelenken erzielte. Dreh mann-Würzburg. 


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Referate. 


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H. Augustus Wilson, Suturning the tendo Achillis in the eorrection of de- 
formities of the feet. The international medical magazine, August 1893. 
Um bei der Correction von Fussdeformitäten auch in functioneller Be¬ 
ziehung bessere Resultate zu erzielen, schlägt Verfasser vor, die subcutane 
Durchschneidung der Achillessehne zu verlassen, da die Vereinigung der beiden 
Enden oft eine ungenügende wird, oder dieselben Adhäsionen mit den um¬ 
liegenden Weichtheilen eingehen. Die Sehne ist blosszulegen und nach der 
von W. W. Keen und unabhängig von diesen von W. Anderson zur Behand¬ 
lung von Sehnenverkürzungen bei Fingercontracturen angegebenen Weise zu 
durchtrennen. Die Sehne wird in der Mittellinie der Länge nach gespalten, 
auf die Enden des Schnittes je ein senkrechter Querschnitt gesetzt, der oben 
und unten von dem Längsschnitt nach verschiedenen Seiten geht. Die so er¬ 
haltenen Sehnenhälften werden an einander, so weit es nöthig, verschoben und 
durch einige Nähte fixirt. Dreh mann-Würzburg. 

Joel E. Goldthwait, Joint lesions due to disease of the spinal cord, with a 
report of two cases. Transactions of the american orthopedic associa- 
tion, 1892. 

Verfasser entwickelt in kurzen Worten die historische Entwickelung 
der Lehre von der sogen. Charcot’schen Arthropathia tabidorum und führt, 
da die Erkrankung für den Orthopäden hauptsächlich differentialdiagnostisch 
von Bedeutung ist, 2 Fälle aus seiner Praxis an. 

Den ersten Fall führt er auf eine primäre Erkrankung der nervösen 
Centra zurück und zwar nach den begleitenden Symptomen auf Tabes dorsalis. 
Es entwickelte sich an beiden Hüftgelenken nach einander eine eigenthümliche 
Anomalie, die in einer Verkürzung der Extremität, Verdickung der Trochanteren 
und einer starken Verschieblichkeit des Femur auf dem Becken resultirte. Ferner 
konnte an der Innenseite des Ileum vom Rectum aus eine starke, anscheinend 
knöcherne Schwellung entdeckt werden. Der ganze Process entwickelte sich 
ohne nachweisbare äussere Ursache und ohne jede Schmerzhaftigkeit. 

Der zweite Fall entwickelte sich im Anschluss an eine 2 Jahre vorher 
acquirirte Wirbelfractur in der oberen Dorsalregion, und zwar entstand an dem 
linken Hüftgelenk eine ganz ähnliche Anomalie wie im ersten Falle. Zur Zeit 
der Untersuchung konnte constatirt werden Incontinentia urinae und Fehlen 
de9 Kniepbänomens links. Dieser Fall ist nach Verfassers Ansicht der von 
den bis jetzt veröffentlichten erste nach einer directen Verletzung des Rücken¬ 
marks entstandene Fall. 

Die Diagnose ist stets schwer und hat zu berücksichtigen das Fehlen 
jeder Schmerzen und Muskelspasmen und das gleichzeitige Vorhandensein einer 
Rückenmarksaffection. 

Von der Therapie ist wenig zu erwarten. Sie hat in Stützapparaten, 
Massage und Elektricität zu bestehen. Drehmann - Würzburg. 

Cesare Ghillini, Casi di chirurgia orthopedica. Comunicazione alla Societä 
Medico-Chirurgica di Bologna nella seduta scientifica de 24 Marzo 1893. 
Verfasser führt 5 Fälle seiner orthopädischen Praxis an in Bezug auf 
Therapie und Erfolge. In 2 Fällen von Genu valgum machte er das Redresse- 


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Referate. 


ment force nach Tillaux. Der erste betraf ein 20 Monate altes Kind mit 
linkem Genu valgum, der andere ein 4\ajähriges mit doppelseitigem, welches 
er in einer Sitzung beiderseits operirte. ln beiden Fällen legte er eine äussere 
Schiene an und liess die Kinder nach 1 Monat mit fixirendem Verband gehen. 
Nach 3 Monaten nahm er diesen ab und erreichte gute Resultate. 

In einem Falle von starker Narbencontractur der 3 letzten Finger der 
linken Hand in Folge Verbrennung machte Verfasser nach Durchschneidung 
des Narbengewebes und Streckung der Finger in den entstandenen Defect 
Transplantationen nach Thiersch, und zwar sofort am kleinen Finger, 5 Tage 
später an den übrigen. Es zeigte sich, dass die ersten gut anheilten, die zweiten 
nicht. Die Retention bewirkte er durch eine Holzschiene in der Palma manus 
und liess den Defect per granulationem heilen. Nach 3 Monaten begann er 
mit Massage und erhielt gutes Resultat. 

In einem weiteren Falle machte er bei einem 3jährigen Kinde wegen 
Verkrümmung des Unterschenkels die lineare Osteotomie der Tibia, schliesslich 
wandte er bei einem 6jährigen Kinde mit Klumpfuss die P h e 1 p s’sche Operation 
an. Auch bei diesen Fällen waren die Resultate gut. 

Drehmann-W ürzburg. 

F. S c h e n k, Deformitäten durch Narbencontractur und ihre Behandlung. Inaug.- 

Diss. Erlangen 1893. 

Verfasser stellt die Entstehungsarten der Deformitäten durch Narben¬ 
contractur zusammen und bespricht die am häufigsten vorkommenden: die 
Narbencontractur der Finger und des Halses nach schwereren Verbrennungen. 
Leichtere Fälle sind mit Massage und Bädern zu behandeln, für schwerere eignet 
sich nur das operative Verfahren, und zwar sind die nach Durchschneidung der 
Narbenmassen entstehenden Defecte an der Hand durch gestielte Lappen aus 
der Brusthaut zu bedecken; ferner in die Defecte, die am Hals nach der 
Narbendurchtrennung entstehen, nach dem Vorgänge Hackers gestielte Lappen 
aus dem in elevirter Stellung fixirten Oberarm einzuheilen. Nur wo gestielte 
Lappen nicht zu überpflanzen sind, hat man Reverdin’sche Transplantationen 
zu machen; dieselben geben oft schlechte Resultate. 

Um die Narbencontracturen überhaupt zu vermeiden, sind die angegebenen 
Methoden bereits im Granulationsstadium der Wunden in Anwendung zu 
bringen. Drehmann-Würzburg. 

F. Beely, Ueber die Grenzen der Orthopädie. Klinisches Jahrbuch IV. 

Vergleicht man die Ansichten der verschiedenen Autoren in den ver¬ 
schiedenen Ländern über die Definition des Begriffes ,Orthopädie*, so findet 
man, dass eine grosse Meinungsverschiedenheit herrscht. Eine kurze und doch 
genaue, alles umfassende Definition zu geben ist schwer, wenn nicht unmöglich. 
Beely sieht gemäss der bisherigen Entwickelung der Orthopädie mit Heine 
in der mechanischen Behandlung die Seele der Orthopädie, mit ihr steht sie, 
mit ihr fällt sie. Diese mechanische Behandlung muss der orthopädische Arzt 
selbst in die Hand nehmen und nicht Laien überlassen. Aus der Schwierigkeit, 
die Grenze zwischen Chirurgie und Orthopädie zu ziehen, ist nach Hoff äs 


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Referate. 


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Vorgang der Begriff der orthopädischen Chirurgie entstanden. Beely schlägt 
vor, diesen Begriff in mechanische Chirurgie umzuwandeln. Die allgemeine 
Chirurgie würde dann in mechanische und operative Chirurgie zerfallen. 

Eine solche Trennung müsste, wenigstens an den grösseren Universitäten, 
auch auf die Lehrkräfte ausgedehnt werden, was eine grössere Werthschätzung 
und bessere Ausbildung des mechanischen Theils der Chirurgie zur Folge haben 
würde. Dem angehenden Arzte ist dann Gelegenheit geboten, sich in der 
Orthopädie besser auszubilden, die Zahl der nöthigen operativen Eingriffe muss 
sich bedeutend vermindern, wenn vom behandelnden Arzte zur rechten Zeit 
eine sachverständige mechanische Behandlung eingeleitet wird. 

Drehmann - Würzburg. 

Dr. C. Hübscher, Symmetrische Einschränkung des Blickfeldes bei Torticollis. 

Beiträge zur klinischen Chirurgie, 1893. 

Bei einem mit Schiefhals behafteten Menschen stehen die Blicklinien 
beim Sehen in die Ferne senkrecht zur Frontalebene des Körpers, nicht des 
Kopfes. Patient schielt nach der der Drehung des Kopfes entgegengesetzten 
Seite. Torticolliswinkel = relativer Schielwinkel. 

Um nun zu sehen, ob diese oft Jahre lang dauernde falsche Stellung 
der Augen nicht Einfluss auf die Beweglichkeit der Bulbi überhaupt habe, 
nahm Verfasser in 2 Fällen, deren Aetiologie gänzlich verschieden ist, Blick¬ 
felder am Perimeter bei reponirtem Kopf auf. Er fand bei beiden symmetrische 
Einschränkung der Blickfelder, und zwar bei linksseitiger Torticollis nach rechts, 
bei rechtsseitiger nach links. Ob diese symmetrische Insufficienz nach Heilung 
des Schiefhalses irgend welche Nachtheile hat, kann Verfasser nicht beantworten. 
Es ist jedoch wahrscheinlich, dass die Patienten auch nach Heilung den Kopf 
drehen, um ihren schwachen Augenmuskeln zu Hilfe zu kommen, ähnlich wie 
bei Torticollis oculaire, wo eine primäre Parese oder Paralyse einzelner Augen¬ 
muskeln Schiefhaltung des Kopfes bedingen. Drehmann-Würzburg. 

Walther Kemke, Ueber angeborenen Defect der Fibula. Inaug.-Diss. Königs¬ 
berg 1893. 

Verfasser berichtet über eine Missbildung des rechten Unterschenkels und 
FuBses bei einem neugeborenen Knaben: Die Tibia ist in der Mitte in einem 
nach hinten offenen Winkel von 165° schräg abgebogen. Die Haut darüber 
ist 1,5 cm lang eingezogen und bläulich verfärbt. Der Knochen an der 
Stelle nicht verdickt. Die Tibia ist Vj 2 cm kürzer als die linke bis zum 
Malleolus gemessen, die Entfernung vom Malleolus ist zur Sohle rechts 1 cm 
geringer als links. Die Fibula fehlt ganz. Der Fuss steht in stärkster Pronations¬ 
stellung, lässt sich mit Mühe in normale Stellung zurückbringen. Die Achilles¬ 
sehne spannt sich dabei sehr an. Ein Metakarpalknochen mit Zehe fehlt. 

Im Anschluss an diesen Fall stellt Verfasser 40 Fälle aus der Litteratur 
zusammen, bei diesen fehlte 27mal die Fibula ganz, 6mal der obere, 6mal 
der untere Theil, einmal der mittlere. 9mal war der Defect beiderseitig, 13mal 
rechtsseitig, llmal linksseitig, 7mal Seite unbekannt. Meist war der Defect 
von Zehen mit dem Defect der Fibula verbunden: 12mal fehlte 1 Zehe, 8mal 2, 


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Referate. 


4mal 3, 2mal 4, lmal der ganze Fuss. 20mal war der Defect mit Ver¬ 
biegung der Tibia combinirt. Ferner ist der Defect meist combinirt mit 
Verkürzung der ganzen Extremität, die meist im weiteren Verlaufe zunimmt, 
so betrug in Verfassers Falle die Verkürzung Vj% Jahr nach der Geburt 5 cm 
gegen 27 « cm früher. 

Die Folge des Fibuladefectes ist eine bedeutende Verlagerung des Fusses 
nach aussen. Die Therapie muss sich gegen die fehlerhafte Stellung und gegen 
die Verkürzung richten. Die Correctur der Stellung erfordert die Achillotomie 
und Anlegung fixirender Verbände. Zur Ausgleichung der Verkürzung ist die 
Wladimiroff-Mikulicz’sche osteoplastische Operation auszuführen, oder eine 
passende Prothese zu verordnen. Drehmann-Würzburg. 


G. Schütz, Zweiter Jahresbericht (1892) über die Thätigkeit der Heimstätte 

für Verletzte zu Nieder-Schönhausen bei Berlin. 

Das zweite Jahr der Thätigkeit der Heimstätte zeigt eine erfreuliche 
Entwickelung. Die Zahl der behandelten Verletzten stieg aufs Doppelte — 
625 gegen 322 — im ersten Jahre. Das Personal wurde um 1 Assistenzarzt und 
1 Masseur vermehrt. Die Norddeutsche Berufsgenossenschaft im Verein mit der 
Müllerei'Berufsgenossenschaft erbauten eine Baracke mit 25 Betten auf dem 
Terrain der Heimstätte. Zu den 27 Berufsgenossenschaften im ersten Jahre 
kamen 19 hinzu. 

Der vorliegende Bericht schildert noch einmal die gesamte Einrichtung, 
den täglichen Arbeitsgang und den Gang der Behandlung. Auf das Abfassen 
von Krankengeschichten wird grosse Sorgfalt verwendet. Um möglichst unan¬ 
fechtbare Gutachten über den Grad der Erwerbsfähigkeit zu liefern, wurde eine 
Entlassungscommission eingerichtet, bestehend aus Aerzten der Anstalt und 
Vertretern der Genossenschaften. 

Hand in Hand mit der mechanischen Behandlung geht eine kräftige 
Verköstigung, bei mehr als drei Viertel der Verletzten stieg das Körpergewicht 
durchschnittlich um 6,7 Pfund. 

Die tägliche Belegung der Heimstätte bewegte sich in den Grenzen von 
50—106. Die behandelten Verletzungen waren: 

1. Kochenbrüche 270 (darunter 199 einfache, 71 coinplicirte). 

2. Verrenkungen 23. 

3. Verstauchungen 8. 

4. Contusionen 94. 

5. Weichtheilwunden 103. 

6. Anderweitige Verletzungen 30. 

Traumatische Neurose wurde 28mal, Simulation 26mal constatirt. 

Die Aufnahme in die Heimstätte fand frühestens im 2., spätestens im 
73. Monat nach der Verletzung statt, durchschnittlich im 12. Die Dauer der 
Behandlung schwankte zwischen 2 und 199 Tagen. Von 533 Entlassenen war 
der jüngste 13 Jahr, der älteste 72, 134 hatten bereits das 50. Jahr überschritten. 

Die Erfolge waren im allgemeinen zufriedenstellend. Ein Viertel der 
Verletzten waren bei der Entlassung ganz oder annähernd erwerbsfähig. 

Drehmann-Würzburg. 


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Referate. 


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E. Lövinson, Bemerkungen über habituelle Skoliose. Mittheilungen aus dem 
Berliner medico-mechanischen Institut. I. 

Verfasser legt den Hauptwerth auf eine Frühdiagnose der habituellen 
Skoliose; je* zeitiger ein Fall zur Behandlung kommt, um so grösser sind die 
Aussichten auf Erfolg der therapeutischen Massnahmen. Im Anschluss daran 
gibt er einige praktische Winke zur Untersuchung von Skoliosen. Um der 
Frage der Häufigkeit der verschiedenen Formen näher zu treten, und zugleich 
dabei über gleichmässiges Material zu verfügen, zog er 355 Mädchen in Betracht 
und fand darunter 171 linkslumbalen Ursprungs, 95 rechtsdorsalen, 53 links¬ 
dorsalen, 36 rechtslumbalen. Untersuchungen über das Verhältniss des Lebens¬ 
alters zu den verschiedenen Formen führten zu keinen Resultaten. Bei 21 Ge¬ 
schwisterpaaren fand er eine deutliche Uebereinstimmung in der Form der 
Skoliose. Seine Behandlungsweise besteht lediglich in der Anwendung Zander¬ 
scher Apparate, er sucht eine möglichst gute Haltung anzugewöhnen und die 
Beweglichkeit der Wirbelsäule zu bessern. Es ist klar, dass sich für diese 
Behandlungsweise nur verhältnissmässig leichte Fälle eignen, bei einigermassen 
schweren wird nichts ausser einer geringen Besserung der Haltung zu erreichen sein. 

Zum Schluss berichtet Verfasser über 12 Fälle, deren Massbilder vor und 
nach der Behandlung ganz glänzende Erfolge zeigen, fügt dabei hinzu, dass 
so gute Resultate nur in ganz ausnahmsweise günstigen Fällen von einer kürzer 
als 1 Vierteljahr dauernden Behandlung zu erwarten sind. In manchen Fällen 
ist schon ein Stillstand des Processes als Erfolg zu bezeichnen. Verfasser ver¬ 
wirft Geradehalter und Stützcorsette im Anfangsstadium als schädlich. 

Die Therapie ist nicht eher zu unterbrechen, so lange nicht die letzten 
Massbilder einen deutlichen Rückgang oder Stillstand zeigen. Alle 3 Monate 
soll eine Controllmessung stattfinden. Drehmann-Würzburg. 

Dr. Labusen, Abhärtungskuren im Hause. Kurze Anleitung für Wasserfreunde 
zur rationellen Wasseranwendung. 

Verfasser schildert, wie überall, sei es in der Kirche, sei es im Wirths- 
haus, auf das Menschengeschlecht das Verderben in Gestalt von Bacillen, Plas¬ 
modien und ähnlichem lauert und wie der Mensch durch die Unzweckmässig¬ 
keit seiner Kleidung und Lebensweise dem Unheil in die Arme geht. Um sich 
zu wappnen zum Kampfe, muss der Mensch seinen Körper widerstandsfähig 
machen gegen die Unbilden, dies geschieht am besten durch die verschiedene 
Anwendungsweise des Wassers, als Abwaschungen, Uebergiessungen, Abreibungen, 
Abklatschungen, Wickelungen, Douchen, Bäder, deren specielle Technik Ver¬ 
fasser näher beschreibt. Zum Schluss räth er Jedem, wenn ihm sein Körper 
nicht widerstandsfähig genug erscheint, an, eine gut geleitete Wasserheilanstalt 
aufzusuchen, wozu der Winter naturgemäss die geeignetste Jahreszeit ist. 

Dreh mann-Würzburg. 

II. Bericht der vom ärztlichen Bezirksverein München zur Prüfung des Ein¬ 
flusses der Steil- und Schrägschrift (Schiefschrift) gewählten Commission. 
(Münchener medic. Wochenschrift 1893, Nr. 13 u. ff.) 

Vorliegender Bericht bringt uns die Untersuchungsresultate des Jahres 
1892. Zur Untersuchung kamen in demselben sechs Volksschulen wie im Vorjahre, 


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Referate. 


es wurde jedoch die dritte Klasse mit einbezogen. Es wurden fast, durch¬ 
schnittlich dieselben Zahlen gewonnen wie im Vorjahre, eine vergleichende Zu¬ 
sammenstellung kann erst nach 7 Jahre fortgesetzter Untersuchung wesent¬ 
liche Resultate geben. 

Die Untersuchung der Wirbelsäule führte zu denselben Ergebnissen wie 
1891; ebenso die Augenuntersuchung. Der Unterschied der Sehschärfe zwischen 
beiden Schreibmethoden war kein erheblicher. Was die Refraction anlangt, so 
steigerte sich die Anzahl der Myopen von 3,14 °/° in der ersten Klasse zu 8,2 °/« 
in der dritten. In den steilschreibenden Schulen fanden sich durchschnittlich 
4,8 °/o, in den schrägschreibenden dagegen 5,8 °/o kurzsichtige. Kopf- und Körper¬ 
haltung waren bei Steilschrift weit bessere als bei Schrägschrift; sogen, doppelte 
Schiefhaltung fand sich fast ausnahmslos bei Schrägschrift, besonders in der 
ersten Klasse, die gleich beim Eintritt in die Schule steil schreiben lernte, war 
die Körperhaltung eine ganz überwiegend bessere als in der ersten schräg 
schreibenden Klasse. 

Die Arbeitsdistanz betrug bei Steilschrift 27,9, bei Schrägschrift 24,6 cm, 
demnach eine Differenz von 3,3 cm zu Gunsten der Steilschrift. Bei den kleineren 
Schülern der ersten und zweiten Klasse war die Differenz zu Gunsten der Steil¬ 
schrift noch eine grössere (5,6 cm). Die kürzeste Arbeitsdistanz zeigten Schüler 
mit doppelten Schiefhaltungen, die, wie erwähnt, am häufigsten bei Schräg¬ 
schrift Vorkommen. 

Die Untersuchungen der Körperhaltung können deshalb keinen Anspruch 
auf absolute Genauigkeit machen, indem es sich zeigte, dass zu Anfang bessere 
Resultate gewonnen wurden als nach einer Stunde, und das Interesse und die 
Energie des Lehrers von grösstem Einfluss auf die Schreibhaltung der Schüler ist. 

Im allgemeinen fanden sich die Untersuchungsergebnisse des Vorjahrs 
bestätigt. Die Commission beschloss, ihre Untersuchungen im Jahre 1893 fort¬ 
zusetzen. Drehmann-Würzburg. 


Dr. E. Ritzmann, Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte 1893, Nr. 19. 

Verfasser theilt die Resultate der in den Züricher Schulen mit Steil¬ 
schrift gemachten Versuche mit. Vorher bespricht er die Geschichte und den 
jetzigen Stand der Steilschriftfrage. Zur Untersuchung kamen 378 Schräg- und 
250 Steilschreiber, wobei es sich zeigte, dass die Schrägschreiber keine be¬ 
stimmte Heftlage repräsentiren. In Bezug auf die Annäherung der Augen an 
die Schrift Hess sich kein Unterschied zu Gunsten der Steilschrift finden, in 
ezug auf Asymmetrie der Körperhaltung zeigte sich jedoch ein wesentlich 
besseres Resultat für die Steilschreiber, von Schrägschreibern sassen 8 °/° v0 ^' 
kommen symmetrisch, von Steilschreibern 39 °/o. Bei den Untersuchungen über 
den Einfluss der Heftlage kamen in Betracht: Steilschrift mit gerader Mittel¬ 
lage, Schrägschrift mit gerader Rechtslage und Schrägschrift mit schräger Mittel¬ 
lage des Heftes. Es zeigte sich bei Schrägschreibern mit gerader Rechtslage 
bedeutend grössere Arbeitsdistanz als bei den anderen beiden Methoden. Diesen 
Unterschied führt Verfasser auf das jetzt geltende Verhältniss zwischen Tisch¬ 
höhe und Ellenbogenhöhe zurück, welche die in Mittellage Schreibenden zur 
Vorbeugung und Annäherung der Augen zwingt. Um nun die Einführung der 


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Referate. 


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Steilschrift nicht nur von orthopädischer, sondern auch von augenärztlicher 
Seite za rechtfertigen, muss eine Schulbank mit höherer Tischlage eingeführt 
werden. Ist diese Bedingung erfüllt, so ist gegen die Einführung der Steil¬ 
schrift kein Einwand begründet. Drehmann-Würzburg. 

Dr. Roman Thomaszewski, Schweissfuss und Plattfuss. Wiener medicinische 

Presse Nr. 32 — 36. 

Auf das häufige Zusammentreffen von Schweissfuss und Plattfuss ist in 
neuerer Zeit von verschiedener Seite hingewiesen w’orden. Um der Ursache 
dieses Zusammentreffens näher zu treten, hat Verfasser 189 einschlagliche Fälle 
aus den Krankenjournalen v. Lesse Fs aus den Jahren 1882—1892 zusammen¬ 
gestellt und findet, dass eine Gruppe von Plattfüssen, bei der Rhachitis, er¬ 
littene Traumen, atrophische Zustände der unteren Extremitäten als ursächliches 
Moment nicht in Betracht kommen, mit Schweissfüssen und Varicenbildung 
combinirt ist, oder dass früher dabei Schweissfüsse bestanden haben. Stets war 
der Schweissfuss das frühere Leiden. 

Verfasser sieht in der varicösen Entartung der Venen die Ursache des 
Schweissfusses; immer lässt sich beim sogen, spontanen Schweissfuss diese 
Varicenbildung, wenn auch zuweilen geringfügig, nachweisen. An den Schweiss¬ 
fuss schlieäst sich in dem reiferen Alter, bei den Frauen früher, aber nicht so 
häufig wie bei Männern, die Plattfussbildung an. Die Art der Beschäftigung, 
welche oft hohe Ansprüche an die unteren Extremitäten stellt, wirkt befördernd 
auf die Bildung. Die varicöse Veränderung der Muskelvenen führt zu einer 
Atrophie der Unterschenkel- und Sohlenmusculatur, wie sie beim sogen, spon¬ 
tanen Plattfuss gefunden wird. Die abnorme Schweissbildung hört beim Weibe 
früher auf, als beim Mann, weil die Varicen sich unter dem Einfluss der 
Schwangerschaft rascher entwickeln und schneller zu atrophischen Zuständen 
oder elephantiastischer Entartung der Haut führen. Je nach Geschlecht, Alter 
und Beruf findet man Schweissfuss und Plattfuss zusammen, oder ersteren und 
letzteren allein. D re li m an n - Würzburg. 

Dr. Adolph Schmitt, Die Fascienscheiden und ihre Beziehungen zu Senkungs- 

abscessen. Eine anatomisch-klinische Studie. München 1893. 

Um den Zusammenhang der sogen. Bindegewebsspalten, welche für die 
Diagnose der Bahnen der Senkungsabscesse eine so wichtige Bedeutung haben, 
möglichst genau darstellen zu können, gibt Verfasser gegenüber den bis jetzt 
geübten unzweckmässigen Methoden der Luft-, Wasser- oder Leiminjectionen 
eine von Prof. Rüdinger zur Injection anatomischer Präparate angewandte 
Methode an. Die Injectionsmasse besteht aus 1 1 Spiritus (96 °/o) auf 700 g 
Colophonium und 600 g Weizenmehl, wozu etwas Zinnober zur Färbung zu- 
gethan wird. Diese Masse hat den Vortheil, dass sie kalt gebraucht wird, dass 
sie leicht und in jeder beliebigen Consistenz hergestellt werden kann, und 
dass sie durch Durchsickerung des Alkohols durch die Gewebe und Verdunstung 
desselben sich sehr rasch zu dem gewünschten Tumor ausbildet. Mit dieser 
Lösung wurden an 55 Leichen 100 Injectionsversuche gemacht und die Spalt¬ 
räume am Kopf, Hals und Becken dargestellt. Die Ergebnisse der einzelnen 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. III. Band. 7 


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Referate. 


Versuche müssen in der ausgezeichneten Originalarbeit nachgesehen werden. 
Beigegehen sind der Arbeit zwei erläuternde Tafeln. 

Drehmann-Würzburg. 

N.-J. Bourlaux, De l’intervention sanglante dans la luxation congenitale de la 
lianche. These, Bordeaux 1893. 

Verfasser gibt, nach einer genauen Angabe der pathologischen Anatomie 
der congenitalen Hüftgelenksluxationen, eine Uebersicht der Behandlungsmethoden. 
Darunter beschreibt er einen neuen Apparat von Dr. Gendron (Bordeaux). 
Dieser besteht aus einem Beckengürtel, der eine oberhalb des Trochanter 
gegen das Darmbein drückende und mit Schraube stellbare Pelotte trägt, und 
einer Schienenhülse für das Bein. Darauf schildert er die vor Hoffa geübten 
blutigen Eingriffe, welche nur schwache oder mittelmässige Resultate lieferten. 
Nun geht er zur Beschreibung der Hoffa’schen Operation über und zu ihrer 
Modification von Lorenz; ferner wird die von K i r m i s s o n angegebene Modi¬ 
fication besprochen. Kirmisson macht einen gebogenen Schnitt, welcher 
von der Spina ossis ilei ant. sup. zum Trochanter und von hier in der Rich¬ 
tung der Diaphyse des Femur verläuft. Er glaubt so die Vortheile der Incisione- 
methoden der beiden vorher genannten zu vereinigen. Die Pfanne wurd mit 
dem Hohlmeissel erweitert. Die Ansicht Hoffa’s, dass die Gegend der Pfanne 
bei Kindern mit Hüftluxation die dickste sei, theilt Kirmisson nicht und be¬ 
hauptet, dass Hoffa an der Stelle des oberen knöchernen Randes der Pfanne 
die neue Pfanne bilde. (Diese Behauptung ist unrichtig und die von Sa in ton 
an normalen (!) Kinderbecken angestellten Untersuchungen sind natürlich nicht 
verwerthbar.) Schliesslich wird das Verfahren von Broca erwähnt, welcher auch 
den Langenb eck’schen Schnitt benutzt, ihn jedoch weiter nach vom verlegt, 
um von ihm auch zugleich die Muskeln an der Vorderseite zu durchschneiden. 
und welcher die Wunde mit Etappennaht vernäht. 

Nachdem Verfasser noch die Prognose und Indieationen (Alter von 2 bi> 
10 Jahren, vollständige Gesundheit des Kindes) besprochen hat, geht er zur 
Aufführung verschiedener Krankengeschichten über. Zuerst werden einige vor 
Hoffa mit Resection operirte Fälle angeführt, darauf einige von Hoffa selbst 
operirte, zum Schluss 7 von Kirmisson und 1 von Denuce operirter Fall. 

Unter den Fällen von Kirmisson findet sich ein Todesfall, bei dem eine 
Beckenfractur und eine Hämorrhagie aus der Obturatoria gefunden wurde. 

Dreh mann -W ürzburg. 

C.-G. Ratchoursky, Contribution ä Petude du traitement operatoire du pied 
bot paralitique (equin-varus fixe et ballotant). These, Paris 1893. 
Verfasser gibt nach einer Darstellung der pathologischen Anatomie eine 
Kritik der verschiedenen operativen Behandlungsweisen des paralytischen Klump- 
fusses. Um die Bildung des Klumpfusses überhaupt zu vermeiden ist bei 
spinaler Kinderlähmung möglichst bald mne Behandlung mit Massage und 
Elektricität einzuleiten. Sind Contracturen vorhanden, so genügt die Tenotomie 
der Achillessehne und redressirende Verbände. Sind Knoehendefonnitäten aus¬ 
gebildet, so gibt die Phelps'sche Operation gute Resultate. Diese ist der 


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Referate. 


99 

Exstirpatio tali als conservative Methode vorzuziehen; die Exstirpatio tali ist nur 
auf hochgradige veraltete Fälle zu beschränken. 

Bei schlotternden Klumpfussen mit Lähmung sämmtlicher Muskeln reichen 
die angegebenen Methoden nicht aus, es sind Recidive zu fürchten. Hier ist 
nur die Arthrodese im Talo-crural-Gelenk eventuell auch im Chopart’schen 
Gelenk am Platze. 

Zum Schluss werden Fälle angeführt, 9mal wurde die Exstirpation des Talus 
mit gutem Erfolg gemacht, 3mal die Phelps’sche Operation, in einem Falle 
wurde der Talus, das Cuboid und Naviculare und die andere Hälfte des Calcaneus, 
in einem weiteren der Talus und das Cuboid entfernt. 8 Fälle von schlotterndem 
Klumpfuss wurden durch Arthrodese geheilt. Drehmann-Würzburg. 

A. Hoffa, Technik der Massage. 

Im ersten allgemeinen Theile werden die fünf Grundhandgrifte der 
Massage ihrer physiologischen Wirkung und ihrer Ausführung nach besprochen. 
Wir sehen hier, dass es nothwendig ist, um in kürzester Zeit und damit in der 
für den Arzt und Patienten angenehmsten Weise den gewünschten Effect der 
Massage zu erreichen, sich genau an die anatomischen Verhältnisse des 
massirten Theiles zu erinnern, gewissermaassen also eine anatomische Me¬ 
thode der Massage, besonders des Streichens und Knetens auszuführen. 
Gerade hierdurch bildet die vorliegende Massagetechnik einen wesentlichen 
Gegensatz zu den in der sonstigen umfangreichen Literatur über Massage nieder¬ 
gelegten Principien. Gerade hierdurch aber wird es auch ersichtlich, dass zur 
Ausübung der Massage nur allein die Aerzte berufen sind. Die Laienmassage 
ist und kann nichts anderes sein als Pfuschwerk und ist demnach ihr Verbot 
mit allen Mitteln anzustreben. 

An den allgemeinen Theil schliesst sich eine kurze Darstellung der activen 
und passiven Bewegungen und der schwedischen Heilgymnastik an, welche meist 
mit der Massage verbunden werden müssen. 

Der specielle Theil zeigt uns die Anwendung der einzelnen Handgriffe 
an allen Körpertheilen. Zunächst wird die Muskelmassage der Extremitäten 
und des Rückens und die Halsmassage abgehandelt. Zur Erleichterung der Auf¬ 
findung der einzelnen Muskel gruppen sind Abbildungen beigegeben, in welchen 
der Weg, den die Finger beim Streichen und Kneten zu machen haben, mit ver¬ 
schiedenen Farben eingezeicbnet ist. So soll es jedem Arzt ermöglicht werden, 
sich in der betreffenden Technik einzuüben. Der Muskelmassage folgt die Technik 
der Gelenkinassage, an jedem einzelnen Gelenk eingehend besprochen. Danach 
wird die Massage des Bauches, die allgemeine Körpermassage, die Massage des 
Auges und die Thure Brandt’sche Methode der Massage in der Gynäkologie 
abgehandelt.' 

Die Indicationen, welche sich im allgemeinen direct aus der physio¬ 
logischen Wirkung der Massage ergeben, sind bei den einzelnen Theilen immer 
kurz erwähnt. Einige ausführlichere Worte sind zum Schluss noch der 
Massage bei frischen Knochenbrüchen, bei Neuralgieen, Muskelrheumatismen 
und der Massage im Dienst der Orthopädie gewidmet. 

Den dem Büchlein vom Verfasser mitgegebenen Wunsch, dass es dazu 
beitragen mögo, die Massage als gleichartiges Glied in die Reihe der ärzt' 


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100 


Referate. 


liehen Wissenschaften eintreten zu lassen und ihr die immer noch vielfach 
fehlende Werthschätzung bei Aerzten einzutragen, und dadurch dem Pfuscher¬ 


thum der Laienmassage mehr und 
dieser Stelle nur wiederholen. 


Fi g. 1. 



mehr Abbruch zu thun, können wir an 
M ö h r i ng-Würzburg. 


Fig. 2. 



.1. Diehl, Apparat für Widerstands¬ 
bewegungen. 

Die Construction des Apparates 
geht wohl ohne weiteres aus den Abbil¬ 
dungen (Fig. 1 u. 2) hervor. Beigegebene 
Tafeln erläutern die einzelnen Hebungen. 

Diehl beabsichtigt mittelst des 
Apparates die Widerstandsgymnastik zu 
einem Gemeingut der Menschheit zu 
machen. Wir kennen den Apparat schon 
langer und können ihn zu dem ge¬ 
nannten Zweck nur bestens empfehlen. 

H o f f a - Würzburg. 





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X. 


Aus der Heidelberger chirurgischen Universitäts¬ 
klinik des Herrn Geheimrath Prof. Dr. Czerny. 

Erster Jahresbericht der Ambulanz für orthopädische Chirurgie. 

Von 

Dr. Oscar Yulpius, 

Privatdocenten der Chirurgie und Assistenten der Klinik. 

Die grosse Menge des der hiesigen chirurgischen Universitäts¬ 
ambulanz fortwährend zuströmenden Krankenmaterials Hess eine Ab¬ 
sonderung der in das Gebiet der orthopädischen Chirurgie gehören¬ 
den Fälle um so wünschenswerther erscheinen, da gerade diese Leiden 
einer besonders mühsamen und zeitraubenden Behandlung bedürfen. 
Aus dieser Erwägung entsprang die Gründung der hiesigen Am¬ 
bulanz für orthopädische Chirurgie, eine Neuschaffung, die in jüng¬ 
ster Zeit von vielen Seiten als wünschenswerth oder selbst noth- 
wendig bezeichnet, aber bisher nur an sehr wenigen Universitäts- 
khniken verwirklicht worden ist. 

Nachdem die nöthigen Vorbereitungen getroffen waren, konnte 
das Institut mit dem Jahre 1893 eröffnet werden. Als Sprechstunde 
wurde die Zeit von 11—1 Uhr zunächst an 2 Wochentagen, Diens¬ 
tag und Freitag, festgesetzt, die Nachmittagsstunden aller Wochen¬ 
tage waren für die Skoliosenbehandlung bestimmt. Ein Rund¬ 
schreiben benachrichtigte die Aerzte der näheren und weiteren Um¬ 
gebung Heidelbergs von der neuen Einrichtung. 

Nachdem diese letztere nunmehr das erste Jahr ihres Be¬ 
stehens hinter sich hat, erscheint es nicht unzweckmässig, die Arbeit 
dieser Anfangszeit übersichtlich darzustellen, über die zur Beobach- 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. III. Band. 3 


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102 


Oscar Vulpius. 


tung gekommenen Fälle zusammenfassend zu berichten, und die Art 
der Behandlung in Kürze zu skizziren. Es besteht bei dem Schreiber 
dieses, dem Herr Geheimrath Czerny die Besorgung der Ambulanz 
gütigst anvertraute, die Absicht, alljährlich über die in der Anstalt 
entfaltete Thätigkeit und hoffentlich über deren gedeihliche Ent¬ 
wickelung Bericht zu erstatten. 

Das Material der Ambulanz für orthopädische Chirurgie sammelte 
sich einmal aus Patienten, die von Aerzten der Stadt oder Umgegend 
direct an dieselbe gewiesen wurden, zum grösseren Theil jedoch 
waren es solche, die von der allgemeinen Ambulanz ausgeschieden 
und in die Specialambulanz gebracht wurden, endlich schickten die 
anderen klinischen und poliklinischen Universitätsinstitute gelegent¬ 
lich Kranke, die sich dort orthopädischer oder auch anderer Leiden 
wegen eingefunden hatten. Die Patienten wurden dann entweder 
in mehr weniger regelmässige Behandlung genommen oder in die 
Klinik eingewiesen, wenn andauernde Bettruhe, fortwährende ge¬ 
nauere Beobachtung oder grössere operative Eingriffe sich als nöthig 
erwiesen. Patienten, die zwar täglicher ärztlicher Behandlung, aber 
keines Spitalaufenthaltes bedurften, besonders Skoliotische, wurden 
in einer Pension oder einer Familie in der Stadt untergebracht. 

Im Ganzen passirten die Ambulanz während des ersten Jahres 
322 Kranke, die Vertheilung derselben auf die einzelnen Monate 
ergibt sich aus folgender Tabelle: 


Januar 20 
Februar 37 
März 33 
April 27 


Mai 34 
Juni 28 
Juli 23 
August 29 


September 17 
October 40 
November 18 
December 10 


Die Abnahme der Frequenz während der letzten Wintermonate 
entspricht ziemlich dem Betrieb der chirurgischen Klinik überhaupt, 
der ein ähnliches An- und Abschwellen erkennen lässt. Da dem 
Wesen der Erkrankung entsprechend die Mehrzahl der Patienten 
sich zum Zweck der Controle oder einer fortgesetzten Behandlung 
wiederholt einfand, so belief sich die Gesammtsumme der ärztlichen 
Consultationen auf ca. 3500. Der Vollständigkeit halber sei hier 
schon erwähnt, dass im Verlauf des Jahres beinahe 3000 Massage¬ 
sitzungen stattfanden, dass ferner während der Ambulanzstunden 
250 Gypsverbände angelegt und etwa eben so viele orthopädische 
Apparate hergestellt wurden. 


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Erster Jahresbericht der Ambulanz für orthopädische Chirurgie. 103 


Der Besprechung der einzelnen, zur Beobachtung gekommenen 
Krankheitsgruppen soll vorausgeschickt werden, dass erstere sich 
auf die therapeutischen Resultate nicht erstreckt, weil die Behand¬ 
lungsdauer häufig eine noch zu kurze ist, um ein abschliessendes 
Urtheil zu gestatten, ferner da erst eine grössere Reihe von Beobach¬ 
tungen und Erfolgen auf die Güte der angewendeten Methoden zu 
schliessen berechtigt. Es möge gestattet sein, später erst diese 
Lücke des Berichtes in zusammenfassender Darstellung zu ergänzen. 


Skoliosen. 

Da der Krankenbestand der orthopädischen Ambulanz sich 
zumeist aus Spitalpatienten, also fast durchweg aus Angehörigen 
unterer Bevölkerungsklassen rekrutirte, so kamen begreiflicherweise 
meist mehrere Formen von Rückgratsverkrümmungen zur Beob¬ 
achtung. 

Leider war es gerade diesen besonders langdauernder Behand¬ 
lung bedürfenden Kranken aus äusseren Gründen häufig nicht mög¬ 
lich, sich längere Zeit hier aufzuhalten. Immerhin konnten von den 
81 die Ambulanz aufsuchenden Skoliotischen 57 sich der hernach 
zu skizzirenden Kur für längere oder kürzere Zeit unterziehen. 

Der Versuch, die verschiedenen Formen der Skoliose in über¬ 
sichtlicher Weise zu gruppiren, stösst bekanntlich stets bei dem einen 
oder anderen Fall auf Schwierigkeit deswegen namentlich, weil bei 
mehrfacher Krümmung die Feststellung des primären Bogens nicht 
immer sicher möglich ist. Die Trennung wurde der stärksten Ver¬ 
krümmung, d. i. der Scheitelhöhe des Bogens entsprechend durch¬ 
geführt, oder es wurde, wenn die Dorsal- und Lumbalkrümmung 
gleichgross erschien, die Seite, nach welcher die Wirbelsäule in toto 
geneigt resp. nach welcher der Rumpf verschoben erschien, als mass¬ 
gebend für die Auffassung der Skoliose angenommen. Einige wenige 
Fälle endlich hatten eine primär cervicale Krümmung. Runder 
Rücken wurde wiederholt in ausgesprochenem Maasse beobachtet, 
aber stets war dabei eine wenn auch geringgradige seitliche Ab¬ 
weichung zu constatiren. 

Das nun folgende genaue Register der Fälle, entsprechend der 
Nummerirung unseres Hauptbuches, wird nur deswegen mitgetheilt, 
um späterhin auf einzelne Fälle verweisen zu können. 


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104 


Oscar Vulpius. 


Lumbalskoliosen 


Linksconvex 


Männlich 4 
Weiblich 16 


{ Männlich 4 
Weiblich 18 
Summa 22 

Rechtsconvex 


Männlich 0 
Weiblich 2 



Summa 20 

Summa 2 


Linksconvex: 


Männlich 

Weiblich 


Nr. 3 

Nr. 13 

Nr. 145 

, 76 

, 42 

* 162 

, 255 

„ 46 — Rhachitisch 

* 

00 

o 

, 294 

00 

*5 

, 185 


„ 99 

. 245 


, ioi 

. 246 — Rhachitisch 


„ 128 — Statisch 

„ 251 — Rhachitisch 


„ 136 — Paralytisch 

, 297 


Rechtsconvex: 



Weiblich 

Nr. 200 



■ 319 



t-v i i i Männlich 11 

Dorsalskoliosen ^ 

l Weiblich 33 


Summa 44 

Linkscon 

f Männlich 3 D , , ( Männlich 8 

,eS i Weiblich 7 j W.iblich 26 


Summa 10 

Summa 34 


Linksconvex: 



Männlich 

Weiblich 

Nr. 

98 — Rhachitisch Nr. 

53 — Rhachitisch 


175 

301 


97 

111 

119 

134 — Rhachitisch 

138 

267 


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Erster Jahresbericht der Ambulanz für orthopädische Chirurgie. 105 


Rechtsconvex: 

Männlich Weiblich 


Nr. 2 


Nr. 8 

Nr. 

147 

. 18 


, 9 

n 

150 

, 58 — 

Rhachitisch 

. 20 

» 

171 

, 70 


. 23 

n 

189 

. 158 


. 26 

n 

191 

, 173 — 

Syringomyelitisch 

„ 56 — Rhachitisch 

n 

197 

, 280 


■ 61 

n 

230 

. 322 


, 79 — Pleuritis 

n 

260 



, 80 

n 

276 



, 86 

* 

287 



. 88 

n 

293 



, 124 

n 

295 



„ 139 — Rhachitisch 

» 

321 


Cervicalskol 

( Männlich 1 

10Seü \ Weiblich 2 





Summa 3 




Rechtsconvex: 

Männlich Weiblich 

Nr. 262 — Caput obstipum Nr. 27 — Caput obstipum 

, 252 


Totalskoliosen 


f Männlich 5 
\ Weiblich 7 
Summa 12 


Rechtsconvex: 


Männlich 

Nr. 208 


Weiblich 
Nr. 14 
. 77 


Linksconvex: 


Männlich 

Nr. 24 — Ischias 
* 168 — Ischias 
„ 222 — Ischias 
, 244 


Weiblich 

Nr. 81 — Statisch 
, 172 
. 198 
, 226 

„ 227 — Osteomalacie 


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106 


Oscar Vulpius. 


Hinsichtlich ihrer Aetiologie boten besonderes Interesse 
3 Fälle von Scoliosis ischiadica, ferner eine rechtsconvexe Dorsal¬ 
skoliose höchsten Grades, die sich im Verlauf einer Syringomyelie 
rasch entwickelte. Einmal musste die bei einer alten Frau auf¬ 
tretende schwere linksconvexe Totalskoliose auf osteomalacische Ver¬ 
änderungen bezogen werden, einmal endlich zeigte sich eine sehr 
beträchtliche Lumbalskoliose im Anschluss an spinale Kinderlähmung 
der Rückenmuskulatur. 

In einem Falle spielte eine vorausgegangene Pleuritis eine 
ätiologisch bedeutsame Rolle, llmal hatte Rhachitis die augen¬ 
scheinliche Veranlassung für die Verkrümmung abgegeben, welch 
letztere lmal eine rechtsconvexe Totalskoliose, 3mal eine rechts¬ 
convexe, 4mal eine linksconvexe Dorsalskoliose, 3mal eine links¬ 
convexe Lumbalskoliose darstellte. 

Für je eine linksconvexe Totalskoliose und Lumbalskoliose 
liessen sich statische Momente, spinale Parese des linken Beines 
resp. Beugecontractur nach einer Kniegelenksresection als Ursache 
nachweisen. 

Von jeder Skoliose wurde zur Ermöglichung wissenschaftlicher 
Verwerthung des Materials sowohl als auch behufs späterer Controle 
eine Krankengeschichte angefertigt, in der jeweils folgende Angaben 
sich finden: 

Bild der Rückenfläche. 

1. Kopfstellung, 

2. Nackenschulterlinie, 

3. Schulterstand, 

4. Verlauf der Spinallinie und ihre Beziehung zu der Ver¬ 
bindungslinie zwischen Vertebra prominens und Rima am, 

5. Scheitelhöhe der Krümmungen, 

6. Torsionswülste, 

7. Stellung der Scapulae, 

8. Distanz der Anguli scapulae von der Mittellinie, 

9. Lage der Lothlinie von der Vertebra prominens, 

10. Taillendreiecke, Hüften. 

Bild der Rumpfvorderfläche. 

1. Schulterstand, 

2. Rumpfverschiebung, 

3. Hüften (Beinlänge), 


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Erster Jahresbericht der Ambulanz für orthopädische Chirurgie. 107 


4. Entfernung zwischen Clavicula bis Warze, 

5. „ „ Warze bis Nabel, 

6. * „ Spin. ant. sup. bis Warze, 

7. n n n ft 9 n Nabel, 

8. p jf Brustwarze und hinterer Mittellinie 

(Verbindungslinie zwischen Vert. prom. und Rima ani). 

Ferner wurde das Verhalten bei Suspension geprüft. Zu Be¬ 
ginn der Behandlung wurden Zeichnungen der Rückencontouren an¬ 
gefertigt und durch monatliche Wiederholung der Messung die Mög¬ 
lichkeit der Vergleichung gegeben. Die Kurven, von denen im Lauf 
des Jahres bereits mehr als 200 entstanden, wurden mit einem In¬ 
strument hergestellt, das im Princip dem Beely’schen Apparat ent¬ 
spricht. 

Die Behandlung der Skoliosen wurde stets während der Nach- 
mittagsstunden vorgenommen, über deren Ausfüllung kurz berichtet 
werden soll. 

Allgemeine Verwendung fand die Suspension in Verbindung 
mit einem elastischen Detorsionsgurt, der zugleich bei der an die 
Suspension sich anschliessenden Gymnastik im Lorenz’schen Gestell 
benutzt wurde. Ueber Grund und Art der an letzterem vor¬ 
genommenen Aenderungen kann wohl nach genügender Erprobung 
im nächsten Jahr Rechenschaft gegeben werden. 

Patienten mit deutlich ausgeprägter Torsion wurden der Ge¬ 
wichtsbelastung im Fisch er- Beely’schen Skoliosenbarren unter¬ 
zogen, dessen Wirkung bei richtiger Vertheilung und Angriffsrichtung 
der Züge eine unverkennbare ist. Regelmässige tiefe Athmung be¬ 
günstigt die Ausdehnung der druckentlasteten Brustkorbhälfte. 

Der Mobilisirung der pseudoankylosirten Wirbelgelenke diente 
der Lorenz’sche Wolm, dessen Gebrauch durch den kundigen Arzt 
eben so viel Nutzen bringt als er zu schaden im Stande ist, wenn 
der Rumpf falsch gelagert und nicht genau in der Richtung des 
grösseren Diagonaldurchmessers comprimirt wird. Zu ähnlichem 
Zweck wurde täglich eine Extension und Detorsion am Beely- 
schen Streckrahmen vorgenommen. 

Für active Gymnastik bewährte sich der von Beely con- 
struirte Kugelapparat, der ausser der Inanspruchnahme fast aller 
Gelenke eine intensive Streckung der Wirbelsäule bewirkt, dessen 
einziger Nachtheil der beträchtliche, zum Ueben erforderliche 
Raum ist. 


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108 


Oscar Vulpius. 


Auch ein von Mager in Hof heim hergestellter Steigeapparat 
wurde regelmässig benutzt, da die hierbei entstehende und alter- 
nirende statische Skoliose gewiss nicht ohne Einfluss auf die Mobili- 
sirung massig fixirter Verkrümmungen ist. Der von dem gleichen 
Fabrikanten herrührende und vielerorts anzutreffende Widerstands¬ 
apparat bot zu mehrfach variirten und theilweise mit Atmungs¬ 
gymnastik verbundenen Uebungen Gelegenheit. Eine von Nürnberg 
der Klinik zugeschickte Kopfschwebe eignete sich durch ein daran 
befestigtes Kugelgelenk als Rundlauf, wobei Krümmungen der Wirbel¬ 
säule nach allen Richtungen hin zu Stande kommen. Die Ruhe¬ 
pausen wurden durch Lagerung auf der schiefen Ebene in Ver¬ 
bindung mit Kopfextension und Detorsion mittelst verstellbarer Pe- 
lotten nützlich ausgefüllt. 

Täglich wurde die Rückenmassage ausgeführt und im Anschluss 
daran active Senkung und Hebung des Rumpfes in Rücken-, Brust- 
und beiden Seitenlagen auf dem Massagetisch. Schliesslich wurden 
noch jeweils einige Minuten Frei- und Stabübungen vorgenommen. 

Was die so verschieden beantwortete Corsettfrage anlangt, so 
gingen wir in der Weise vor, dass bei leichten Formen von einer 
beengenden und die Muskulatur gewiss schädigenden Feststellung 
des Thorax gänzlich abgesehen und das Hauptgewicht auf Re¬ 
dressement und Gymnastik gelegt wurde. Bei schweren Skoliosen 
begann die Corsettbehandlung erst dann, wenn eine Mobilisirung der 
Wirbelsäule bis zu einem gewissen Grade gelungen und damit die 
Möglichkeit einer nützlichen Correctur der Körperform durch ein 
festes Mieder gegeben war. War dieser Zeitpunkt gekommen, so 
wurde* unter Suspension bei Beckenverschiebung, insofern eine Seiten¬ 
verschiebung oder Neigung des Rumpfes vorhanden war, ein Gips- 
corsett angefertigt, das alsbald wieder abgenommen und ausgegossen 
wurde. An dem so gewonnenen Modell wurden nun die nöthigen 
Correcturen vorgenommen, um eine detorquirende Wirkung zu er¬ 
zielen. Zugleich wurden die Taillendreiecke egalisirt, um den Rumpf 
wieder in die Mittellage zurück zu führen; es wurden ferner für 
Brüste, Magen und Hüftbeinkämme die erforderlichen Gipsauflage¬ 
rungen angebracht. 

Ueber das so corrigirte Modell wurde nunmehr das Corsett ge¬ 
formt, das nach Hübscher’s Angabe aus Cellulose und Leinwand 
hergestellt wird. Nach und nach gemachte Erfahrungen vervoll- 
kommneten die Technik, so dass jetzt Form und Haltbarkeit der 


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Erster Jahresbericht der Ambulanz für orthopädische Chirurgie. 109 

Mieder wenig zu wünschen übrig lässt. Sie zeichnen sich durch 
ihre Leichtigkeit, Haltbarkeit und vor Allem durch ihren stetig 
corrigirenden Einfluss wesentlich vor dem Gipscorsett aus. Es wurden 
in diesem Jahr etwa 60 solcher Mieder angefertigt. 

In einer Anzahl von Fällen kam ferner noch ein Lagerungs¬ 
apparat nach Lorenz zur Verwendung, der nach dem gleichen, 
aber noch stärker detorquirten Modell gearbeitet, in seiner Wirkung 
durch einen schräg verlaufenden, beliebig stark zu spannenden 
elastischen Gurt unterstützt wurde. Die 22 Patienten, die derartige 
„Nachtschienen“ erhielten, lernten rasch die ganze Nacht in dem 
Apparat ohne Störung schlafen. Einmal veranlasste eine primäre 
Cervicalskoliose (ohne Caput obstipum) die Anwendung eines Gips¬ 
bettes mit Kopfextension. 


Spondylitis. 

Es kamen im Ganzen 47 Patienten wegen Wirbelentzündung 
in Behandlung. Ueber den Sitz der Erkrankung gibt die folgende 
Tabelle Aufschluss: 



Männlich 

Weiblich 

Summa 

Cervical . . 

. . 4 

7 

11 

Dorsal . . 

. . 0 

14 

23 

Lumbal . . 

. . 9 

4 

13 


22 

25 

47 


Bei mehreren und zwar zumeist erwachsenen Patienten war 
ein Trauma die Ursache der Erkrankung, wiederholt liess eine ver¬ 
schieden hochgradige Lungenaffection oder anderweitige tuberculöse 
Leiden an der Art der Spondylitis keinen Zweifel aufkommen. 

Einen noch weniger ausgeprägten Gibbus zeigten 23 Patienten 
im Bereich der Brustwirbel, 5 weitere in demjenigen der Lenden¬ 
wirbelsäule. Abscesse oder Fisteln fanden sich 15mal, sie machten 
bei 6 Fällen operative Eingriffe nöthig. Einmal brach ein Senkungs- 
abscess in das Nierenbecken durch und kam dann allmälig zur 
Ausheilung. 

Abgesehen von neuralgischen Beschwerden, bestanden bei 
7 Patienten schwerere myelitische Affectionen. In 2 Fällen von 
Malum suboccipitale kam eine halbseitige Lungenatrophie zur Be¬ 
obachtung. 


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110 


Oscar Yulpius. 


Die Behandlung bestand in einer consequent durchgeführten 
Ruhigstellung der Wirbelsäule in einem Lorenz’schen Reclinations- 
gipsbett, das sich stets vorzüglich bewährte. War der Process im 
obersten Theil der Brustwirbelsäule oder an den Halswirbeln locali- 
sirt, so wurde mittelst eines Jurymast eine permanente Extension 
zu der Fixation hinzugefügt. 6mal wurden solche Lagerungs¬ 
apparate bei cervicaler Spondylitis, 15mal bei dorsalem, 4mal bei 
lumbalem Sitz der Erkrankung angefertigt und den Patienten nach 
Hause mitgegeben. War dann die Schmerzhaftigkeit völlig ver¬ 
schwunden, so wurde das Aufstehen mit einem Stützcorsett erlaubt, 
das ganz in gleicher Weise hergestellt wurde, wie es oben für 
Skoliotische beschrieben ist. Der Gibbus wurde durch ein eingelegtes 
Polsterkissen vor Druck geschützt. War die Halswirbelsäule er¬ 
krankt gewesen, so diente eine ebenfalls aus Cellulose fabricirte 
Modellcravatte zum fixirenden Schutz der in Ausheilung begriffenen 
Wirbel. 

Drei Patienten, welche mit einem ausgeheilten Gibbus sich 
vorstellten, wurden wegen dieser die Heilung bedingenden Defor¬ 
mität nicht in Behandlung genommen, zwei derselben erhielten 
Mieder, welche das Schwächegefühl im Rücken zu beseitigen ver¬ 
mochten. 

Kyphose. 

Da wir den runden Rücken sowie die durch Spondylitis er¬ 
zeugten Gibbositäten an anderer Stelle aufgeführt haben, bleiben nur 
die auf rhachitischer Basis entstandenen Kyphosen zu erwähnen übrig. 
Wir sahen nur 5 Kinder zwischen 10 Monaten und 1 ] /2 Jahren, 
bei denen als Folge florider Rhachitis die in Rede stehende De¬ 
formität in auffallendem Maasse vorhanden war. Neben allgemeiner 
antirhachitischer Behandlung wurde bei 3 Kindern ein in mässiger 
Reclination angemodeltes Gipsbett angewendet. 

Hieran schliesst sich eine hochgradige Alterskyphose, bei 
welcher wegen starker Schmerzen Massage versucht wurde. 

Caput obstipum. 

Unter den sieben beobachteten Fällen — der bei cervicaler 
Spondylitis wiederholt gesehene Schiefhals bleibt hier ausser Be¬ 
tracht — waren zwei nicht congenital. Bei dem einen war eine 


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Erster Jahresbericht der Ambulanz für orthopädische Chirurgie. Ul 

Syringomyelie das ätiologische Moment, bei dem anderen Narbenzug 
nach Verbrennung. Durch Excision der Narben und eine Lappen¬ 
plastik in der Klinik wurde der Kopf gerade gerichtet, das Resultat 
durch eine Cellulosecravatte gesichert. 

Die 5 restirenden congenitalen Schiefhälse waren sämmtlich 
linksseitig, 2 betrafen weibliche, 3 männliche Individuen. Einmal 
fand sich bei einem 8 Monate alten Kind (Steisslage) ein nuss¬ 
grosses derbes Hämatom in dem anscheinend gut entwickelten Muskel. 
Durch Lagerung in einem Gipsbett mit Jurymastextension wurde 
versucht, dem Schrumpfungsprocess entgegenzuarbeiten. Dreimal 
wurde die subcutane, einmal die offene Tenotomie ausgeführt. In 
dem letzterwähnten Fall wurde dem Patienten eine übercorrigirende 
Cravatte nach eingetretener Heilung mitgegeben. 

Ein 15jähriges Mädchen kam wegen schwerer descendirender 
Skoliose einige Zeit hindurch zur Behandlung, bei ihr war auch die 
Gesichtsasymmetrie eine sehr hochgradige. 


Essentielle Kinderlähmung. 

Die 20 hierhergehörigen Fälle gliedern sich in folgende Formen: 

a) Einfache Spinalparalyse.21 

b) Congenitale spastische Spinalparalyse . 2 

c) Infantile spastische Hemiplegie ... 2 

d) Cerebrale spastische Paraparese ... 1 

20 


Diese Patienten wurden tkeilweise der Ambulanz von der 
Nervenstation der medicinischen Klinik zugeschickt, andere in letz¬ 
terer electrischer Untersuchung unterzogen. Für diese doppelte 
Unterstützung sage ich an dieser Stelle Herrn Professor Dr. Hoff¬ 
man n besten Dank. 

Die zwei unter b) rubricirten Fälle boten das classische Bild 
des auch als „congenitale Gliederstarre“ bezeichneten Symptomen- 
complexes, die beiden unter c) aufgeführten Fälle besassen spastische 
Contracturen in einem Arm und dem gleichseitigen Bein. Massage, 
passive und active Bewegungen bewirkten nur geringe Besserung. 

Von den 22 übrigen Fällen betraf einer die Rückenmuskulatur, 
einer Vorderarm- und Handmuskeln, alle übrigen eine oder beide 
untere Extremitäten. Ausser mehr weniger beträchtlicher Wachs- 


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112 


Oscar Vulpius. 


thumshemmung, schlotternden Höft- und Sprunggelenken kamen als 
Folgezustände zur Beobachtung 6 Contracturen des Hüftgelenks, 

4 des Kniegelenks, 2 Skoliosen, die eine als statische Totalskoliose, 
die andere als directer Effect der halbseitigen Röckenmuskelparese, 
ferner 5 Klumpfüsse, 4 Plattfüsse, 6 Spitzfösse, 1 Hackenfuss, 
1 Hohlfuss. 

Zur Beseitigung dieser Deformitäten wurden llmal Teno- 
tomien gemacht, 2 an der Achillessehne, 3 an der Plantaraponeu- 
rose des Fusses, 4 an den Sehnen der Kniekehle, 2 im Bereich 
des Hüftgelenks. Redressirende Gipsverbände wurden 8mal angelegt. 
Die Arthrodesenoperation wurde 2mal am Sprunggelenk, lmal am 
Kniegelenk ausgeführt. Zur Verhütung eines Recidivs der corri- 
girten Deformitäten wurden 12mal Schienenstiefel angefertigt, in 

5 Fällen sorgten Schienenhülsenapparate für eine das paretische 
Glied ersetzende Unterstützung des Körpers. 


Genu valgum. 

Das Genu valgum wurde im ganzen 29mal beobachtet. Die 
beigegebene Tabelle gestattet einen raschen Ueberblick über die 
Aetiologie sowohl, als über die Zahl der mit den verschiedenen 
Formen der Krankheit behafteten Patienten. 

Doppelseitig Rechts Links Summa 

Statische Form 6 4 — 16 

Rhachitische Form 4 3 2 13 

lOmal 7 2 29 

Es befanden sich unter dieser Anzahl leichtere Grade der De¬ 
formität, als auch solche mit einer Malleolendistanz bis zu 30 cm. 

Schwere Formen Erwachsener wurden der Klinik überwiesen, 
wo 4mal die Osteotomia supracondylica am Femur, lmal die In- 
fraction mit dem Robin’schen Osteoklast ausgeführt wurde. Betraf 
die Deformität jugendliche Individuen, war anzunehmen, dass die 
Knochen bei noch nicht lange bestehender Verkrümmung weich seien, 
so wurde der Lorenz’sche Osteoredresseur verwendet, mit dem 
man in der That häufig in einer Sitzung zum Ziele kommt. 

Nachtheile dieses Verfahrens ergaben sich bei dem 16mal er¬ 
folgten Gebrauch des neuen Wiener Apparates nicht, wenn für rich- 


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Erster Jahresbericht der Ambulanz für orthopädische Chirurgie. H3 


tigen Schutz der Weichtheile und exacte Application des Gips¬ 
verbandes gesorgt wurde. 

Bei kleinen Kindern genügte häufig ein manuelles Redresse¬ 
ment mit nachfolgendem Gipsverband zur Correctur. Nach Ab¬ 
nahme des letzteren, der etwa 5—6 Wochen getragen wurde, wurde 
das erreichte Resultat durch Schienenapparate gesichert, die am 
Stiefel und Oberschenkel fixirt, das Kniegelenk mittelst einer Leder¬ 
kappe nach aussen drängen. Zugleich stellten Massage und Gym¬ 
nastik die Beweglichkeit des Gelenkes wieder her. 


Genu varum. 

Da diese Deformität keineswegs ein so exactes Pendant zum 
Genu valgum darstellt, als es die Bezeichnung vermuthen lässt, da 
wir es hier vielmehr nur mit dem gelegentlichen Symptom einer 
rhachitischen Knochenverbiegung zu thun haben, so werden die hier¬ 
hergehörigen Fälle unter letzterem Kapitel ihre Stelle finden; er¬ 
wähnt soll hier nur werden, dass dreimal bei Genu valgum der 
einen Seite eine congruente Varumform andererseits gesehen wurde. 


Pes vams, 

Es wurden im ganzen 52 Klumpfüsse beobachtet und be¬ 
handelt, 6 derselben waren erworbene, die übrigen 46 congenitale. 
In der ersterwähnten kleinen Gruppe war eine Kinderlähmung 5mal 
als ätiologisches Moment nachzuweisen, im 6. Fall war die Fuss- 
deformität nach einer Unterschenkelfractur entstanden. 

Aus der folgenden übersichtlichen Rubricirung der congenitalen 
Klumpfüsse ist zu ersehen, wie überwiegend häufiger das männliche 
Geschlecht betroffen ist, und dass bei einseitiger Deformität dieselbe 
meist am linken Fuss localisirt war. Zu erwähnen ist noch, dass 
bei einem der Klumpfüssigen am anderen Bein eine congenitale Beuge- 
contractur des Kniegelenks bestanden hatte, wegen welcher früher 
auswärts die Amputatio cruris ausgeführt worden war, dass ein 
zweiter ausgedehnte Syndactylien beider Hände und amniotische 
Einschnürungsfurchen aufwies, dass ein dritter ein mikrocephaler 
Zwilling war. 


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114 


Oscar Vulpius. 


Congenitaler j männl. 42 
Klumpfuss j weibl. 4 
Summa 46 


Pat. mit einseit. Klumpfuss 
18 

links rechts 
16 2 


Pat. mit beiders. Klumpfuss 

14 

männl. weibl. 

12 2 


Die Behandlung der Deformität richtete sich nach dem Alter 
des Patienten, welch letzteres zwischen 4 Wochen und 30 Jahren 
schwankte. Bei Kindern bis zu Jahre wurden Bindenwicklungen 
verordnet, die Mutter mit der Anlegung derselben, sowie der öfters 
gegebenen Nachtschienchen vertraut gemacht. Etwa noch im 
Verein mit täglich wiederholten redressirenden Manipulationen kam 
man bis zum Beginne der Gehversuche zum Ziele. War dieser 
letztere Terrain am Anfang, der Behandlung schon nahe bevorstehend 
oder überschritten, so musste die Therapie eine energischere, die 
Correctur eine raschere sein. Es wurde der Fuss in Narkose und 
fast ausnahmslos in einer Sitzung durch allmäliges Modellement 
umgeformt und in der Normalstellung durch einen exact liegenden 
Gipsverband festgehalten. Bildete die verkürzte Achillessehne ein 
beträchtliches Hinderniss, so wurde sie zuerst subcutan durchtrennt, 
im ganzen lOmal, dann nach einigen Tagen erst das Modellir- 
verfahren angewendet und der Gipsverband applicirt. Mit letzterem 
gingen die Patienten durchschnittlich 8—10 Wochen, dann wurde 
derselbe durch einen Stiefel ersetzt, der mittelst einer oder zweier 
Schienen und schiefer Sohle die Pronation des Fusses sicherte. 


Pes valgus. 

Von den 38 Plattfüssen waren 4 paralytischen, alle anderen 
statischen Ursprungs. 18 Füsse zeigten spastische Abductions- 
contractur. 

Gegen diese Spasmen erwies sich die — 13mal angewendete — 
Cocaininjection in das Talonaviculargelenk als vorzügliches Mittel. 
Der Fuss konnte nach wenigen Minuten in Supination übergeführt 
werden, ohne dass der Patient Schmerzen verspürte. Mit einem in 
dieser Stellung und mit möglichster Sohlenaushöhlung angelegten 


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Erster Jahresbericht der Ambulanz für orthopädische Chirurgie. U5 


Gipsverband gingen die Patienten, um dann nach etwa 3—4 Wochen 
zur Nachbehandlung den gleichen Stiefel zu erhalten, wie die von 
Spasmen von Anfang an freien Kranken. Der Stiefel, nach Meyer¬ 
schein Princip gearbeitet, mit gut gewölbter Stahlsohle versehen, 
wurde in seiner Wirkung bei schweren Fällen mit einer entsprechend 
abgebogenen Innen- oder Aussenschiene verstärkt. 

Pes equinus. 

Abgesehen von spastischen Spitzfüssen und dem Pes equinus, 
der dem Klumpfuss in verschieden hohem Grade zukommt, hatten 
wir diese Deformität 8mal zu behandeln Gelegenheit. Nur in zwei 
Fällen war die Verkürzung der Achillessehne nicht Folge einer 
Poliomyelitis, einmal hatte sich dieselbe nach einer leichten Ver¬ 
letzung der Fusssohle allmälig eingestellt, das zweite Mal handelte 
es sich um eine schwere Hysterie, bei der im Verlauf eines Jahres 
sich eine Atrophie des Beines und der Spitzfuss entwickelte. 

Die Tenotomie wurde 3mal ausgeführt, der Fuss nach einigen 
Tagen im Gipsverband und später in einem Stiefel mit Unter- 
schenkelschiene fixirt, dessen Charniere eine Hemmung auf der 
Unterseite hatten. Die Hebung der Fussspitze wurde durch elastische 
Züge befördert. 

Pes calcaneus. 

Bei dem einzigen Fall dieser Art lag eine spinale Kinder¬ 
lähmung vor. Es gelang, das Gelenk in Narkose zu redressiren 
und in richtige Stellung einzugipsen. Möglichst bald wurde dann 
ein Stiefel mit Hemmungscharnier beschafft und die Muskulatur der 
Massage unterworfen. 

Pes excavatus. 

In einem Fall war die Deformität durch Kinderlähmung, in 
einem zweiten ohne bekannte Ursache zu Stande gekommen. Nach 
jeweiliger Durchtrennung der Plantaraponeurose war die Streckung 
des Fusses in Narkose möglich. 

Rhachitische Verbiegungen. 

In den über Skoliose , Kyphose, Genu valgum und varum 
handelnden Abschnitten waren die rhachitischen Formen bereits er- 


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116 


Oscar Vulpius. 


wähnt, es müssen die restirenden Verbiegungen anderer Knochen 
auf rhachitischer Basis noch nachgetragen werden, die in der Mehr¬ 
zahl der Fälle bei Kindern, häufig bei noch florider Rhachitis zur 
Beobachtung kamen. 

Tibiae varae.18 

Femora vara.5 

Schenkelhalsverbiegungen . . 4 

Radii vari.2 

Ulna vara.1 

Pectus carinatum .... 3 

Abgesehen von den antirhachitischen Massnahmen war eine die 
Deformität direct angreifende Therapie nur einmal angewendet, es 
wurde ein sehr hochgradiges Femur varum mit dem Lorenz’schen 
Apparat osteoklasirt. 


Gelenkentzündungen und Folgezustände. 

Die ambulante Behandlung von Gelenkentzündungen wurde 
bei 20 Fällen durchgeführt, wovon 14 das Hüftgelenk betrafen, 
während die übrigen 6 sich gleichmässig auf Knie-, Sprung- und 
Ellbogengelenk vertheilten. 

Fixation und Entlastung des kranken Gelenkes wurde ange¬ 
strebt und dementsprechend verfahren. 

Bei Coxitis wurde — bei vorhandenen Spasmen in Narkose — 
ein Gipsverband angelegt, der das leicht abducirte Bein von der 
Wade aufwärts, den Rumpf bis zur Mitte des Thorax in sich schloss. 
Ein im Verband befestigter Gehbügel besorgte die Entlastung. 

In dieser Weise wurden die Patienten bis zum völligen Ver¬ 
schwinden aller entzündlichen Erscheinungen behandelt und später 
noch zum Schutz des Gelenkes eine abnehmbare Cellulosehülse an¬ 
gemodelt, welche die Ankylose in guter Stellung sicherte. 

Von 5 wegen in schlechter Position ausgeheilter Coxitis sich vor¬ 
stellenden Kranken begaben sich 3 in Behandlung. Bei zweien 
wurde mittelst Brisement in Narkose die Stellung corrigirt und nun¬ 
mehr im Gipsvei'band Ankylose erstrebt. Im dritten Falle handelte 
es sich um eine alte entzündliche Luxation, wo durch eine Hülse der 
Trochanter möglichst fixirt und damit die Gehbeschwerden gebessert 
wurden. 


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Erster Jahresbericht der Ambulanz für orthopädische Chirurgie* 117 


Am Kniegelenk fanden sich 6mal Residuen früherer Entzündung, 
5mal Beugecontractur, darunter 2mal nach einer vor Jahren aus- 
geführten Resection. In 2 Fällen gelang die Dehnung der fibrösen 
Ankylose, in den 3 übrigen wurde die supracondyläre Osteoklase 
mit dem Lorenz’schen Apparat ausgeführt und die Streckstellung 
mit Gipsverband, dann durch eine Cellulosehülse gesichert. 

Bei einem Patienten mit gonorrhoischer Streckankylose wurde 
das Brisement force in Narkose gemacht und weiterhin Massage 
und Gymnastik angewendet. 

Fracturen und Luxationen. 

Während der letzten Monate des Jahres wurden die mit Frac¬ 
turen und Luxationen behafteten Patienten zum Zweck der Nach¬ 
behandlung mit Massage, Gymnastik u. dgl. von der allgemeinen 
chirurgischen Poliklinik der orthopädischen Ambulanz überwiesen. 

Von Fracturen kamen zur Behandlung: 

Ein Fall von Wirbelsäulenfractur mit Parese der Beine und von 
Blase und Mastdarm. Der Patient wurde mit einem Sttitzcorsett 
entlassen. 

1 Fractura colli Chirurg, humeri. 

4 Condylenfracturen des Humerus mit Betheiligung des Gelenkes. 

2 Olecranonfracturen. 

3 Radiusfracturen. 

1 Pseudarthrose der Tibia. Der Patient erhielt eine Unter¬ 
schenkelhülse mit Entlastungsbügel. 

Luxationen wurden folgende aufgenommen:* 

Ein Patient mit Verrenkung der Halswirbelsäule erhielt eine 
Gipscravatte. 

3 Verrenkungen des Ellbogengelenkes. 

2 Verrenkungen des Schultergelenkes, darunter eine habituelle. 
Letzterer Patient erhielt einen Cellulosetutor. 

Angeborene Hüftluxationen fanden sich bei drei Kindern, nur 
eines derselben kam zur Operation, die nach Lorenz ausgeführt 
wurde. 

Varia. 

1 Omarthritis chronica. Massage. 

1 Schwäche des Beines nach früherer Resectio pedis. Htilsen- 
apparat mit Entlastungsbügel. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. III. Band. 9 


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118 Oscar Vulpius. Erster Jahresbericht der Ambulanz für orthop. Chirurgie. 


1 Elephantiasis cruris bei einem Kind. Massage. Binden¬ 
wicklung. 

4 Syndactylieen. 

1 Mikrocephalus (mit Klumpfuss). 

1 Hydrocephalus (mit spastischen Erscheinungen). 


Fügen wir all dem Angeführten noch hinzu, dass durch An¬ 
fertigung von Gips- und Gelatineabgüssen interessanter Deformi¬ 
täten der Grundstock einer Sammlung gebildet wurde, so scheint 
der Jahresbericht nunmehr zum Abschluss gelangt zu sein. 

Ich kann die Zusammenstellung nicht beschliessen, ehe ich 
noch Herrn Geheimerath Czerny meinen aufrichtigen Dank sage 
für seine Bemühungen bei der Gründung des neuen Instituts und für 
die stete Sorgfalt, mit welcher er die Entwickelung desselben zu 
fördern bestrebt war. 


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XI. 


Aus der chirurgischen Abtheilung des haupt¬ 
städtischen allgemeinen Krankenhauses St. Johann 
zu Budapest (Director Dr. Ludvik). 


Ein Fall von Genu valgum höchsten Grades mit compieter 
Luxation der Kniescheiben nach aussen. Tenotomie des Biceps, 
lineare Osteotomie nach Mac Ewen, keilförmige Excision der 
Tibia mit linearer Durchmeisselung der Fibula beiderseits. 

Heilung. 

Von 

Dr. Nicolaas Ostermayer-Budapest, 

Assistenzarzt. 

Mit 4 Abbildungen im Text. 

Das Genu valgum ist wohl zu den häufigen Verkrümmungen 
der unteren Extremitäten zu rechnen, und doch gehören dessen 
excessive Entwickelungsformen, wie sie auch der zu beschreibende 
Pall darbot, zu den Seltenheiten. Nicht allein die Grösse der Ein¬ 
knickung ist es, die in solchen Fällen den Beobachter überrascht; 
nicht minder nehmen uns Wunder deren Folgen, die nicht nur am 
Kniegelenke selbst als dem direct betroffenen, sondern auch an den 
übrigen Gelenken der Extremität zu Tage treten. Stellungsanomalien 
im Fuss- und Hüftgelenk, welche als compensatorische aufzufassen 
seien, Veränderungen im Muskel- und Bänderapparat und acces- 
sorische, ungewöhnliche Verkrümmungen der Diaphysen der Ober¬ 
und Unterschenkelknochen, alle insgesammt in höherem Grade ent¬ 
wickelt, verleihen dem Fall ein seltsames Gepräge. Dass nun eine 
so vielfach difforme Extremität, um sie der Norm wenigstens nahe- 


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120 


Nicolaus Osterniayer. 


zuführen, ebenso vielfache Angriffspunkte für den Chirurgen ab¬ 
gibt, ist leicht begreiflich. Das typische Schema reicht nicht aus; 
wir müssen uns die bekannten Verfahren dem vorliegenden Fall 
anpassend zu einem Operationsplan combiniren, dabei aber noch 
immer auf Eingriffe vorbereitet sein, die sich im Laufe der Opera¬ 
tion ausserhalb des Rahmens des Projectes unerwartet ergeben. 

Um den von mir behandelten Fall klinisch und in operativer 
Beziehung vorführen zu können, erlaube ich mir dessen ausführ¬ 
liche Krankengeschichte saramt Behandlung in Nachfolgendem zu 
geben und werde am Schlüsse einige epikritische Bemerkungen daran 
knüpfen. 

Ignaz Stuller, 26jähriger Kutscher, wurde am 26. November 
1892 auf die chirurgische Abtheilung des hauptstädtischen allgemeinen 
Krankenhauses St. Johann zu Budapest aufgenommen. Der Kranke 
gibt an, bis zu seinem 15. Lebensjahre gesund gewesen zu sein. 
Weder Eltern noch Geschwister zeigen ähnliche Difformität der 
Beine. Seit seinem 15.—16. Jahre bemerkte er, dass seine Beine 
krumm wurden, und es steigerte sich andauernd diese Verkrümmung. 
Bis vor 3 Monaten war er fortwährend im Dienst, war aber mehr mit 
der Aufsicht im Hause als mit Arbeiten beschäftigt. Zu dieser Zeit 
steigerten sich die Schmerzen, die übrigens seit Beginn der Krank¬ 
heit in mässigem Grade immer vorhanden waren, beim Stehen und 
Gehen derartig, dass er aus dem Dienste trat und sich in oben¬ 
genanntes Krankenhaus zur Aufnahme meldete. 

Status praesens. Der niedrig gebaute, gut genährte 
Kranke zeigt in der oberen Körperhälfte gut entwickelte Musculatur 
und ausser den Beinen normal entwickeltes kräftiges Skelet. Der 
Brustkorb ist sogar im Verhältniss zum Skelet der unteren Körper¬ 
hälfte sehr gross und breit. Der Schädel zeigt keine Zeichen über¬ 
standener Rhachitis. Am Scheitel eine kindshandtellergrosse, glatte 
Narbe mit ebenso grosser, flacher Depression des Schädeldaches. 
(Stammt angeblich von einem Hufschlag her.) Erscheinungen von 
Hirnerschütterung und Lähmung fehlten angeblich damals. 

Befund an den unteren Extremitäten: 

Befiehlt man dem Kranken möglichst gerade zu stehen, so 
kostet es ihn nicht wenig Mühe, die auf Abbildung 1 ersichtliche 
Stellung unter Zuhilfenahme eines Stockes einzunehraen. Hier stehen 
die Beine neben einander, sonst stehen sie hinter einander und zwar 
das linke hinter dem rechten. Beim Gehen greift der Kranke 


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Ein Fall von Genu valgum höchsten Grades etc. 


121 


immer mit dem rechten Bein aus, das linke, das mehr difforme, 
schleift und dreht er nach. Stehen und Gehen, beides ist dem 
Kranken sehr beschwerlich, so dass er sich zumeist im Bett aufhält. 
Er kann überhaupt nur mit Hilfe des Stockes umhergehen. — Die 
Valgität ist eine sehr hoch¬ 
gradige. Ganz enorm er¬ 
scheint sie, wenn sich der 
Kranke auf den Rücken 
legt und die Oberschenkel 
neben einander lagert (Ab¬ 
bildung 2). Die Knickung 
ist doch keine rein seit¬ 
liche, sondern eine latero- 
posteriore, was man daran 
leicht erkennt, dass der 
Unterschenkel in starker 
Rotationsstellung nach 
aussen sich befindet. Die 
Capitnla der Wadenbeine 
sind ganz hinten in der 
Kniekehle zu tasten, wäh¬ 
rend die vordere Tibial- 
kante lateralwärts, die me¬ 
diale aber vorne an Stelle 
der vorderen zu fühlen ist. 

Nach dem Stande des 
Fibularköpfchens geur- 
theilt hat also eine Drehung 
um 90° stattgefunden, wo¬ 
durch die Unterschenkel¬ 
knochen aus der normalen, 
frontalen Ebene in eine 
sagittale gewandert sind. 

Auffallend sind die Contouren der Kniegelenksgegend, die 
zwei seitliche Protuberanzen zeigt: eine mediale, höher stehende, den 
vergrösserten nach innen-unten vorragenden Condylus internus, und 
eine laterale, tiefer stehende, die Patella. Der Condylus erscheint um 
das Doppelte verlängert und springt stark nach innen-unten vor. 
Die Patella ist total an die Aussenfläche des Condylus externus ver- 


Fig. 1. 



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122 


Nicolaus Ostermayer. 


schoben und liegt dieser beweglich auf. Bei der Flexion rutscht 
sie etwas tiefer, wandert aber nicht im Geringsten medialwärts. 
Die Quadricepssehne sammt dem Lig. patellae proprium sind über 
die Aussenseite des Gelenkes gespannt. In Streckstellung und beim 


Fig. 2. 



Versuch der Valgität entgegenzuarbeiten spannt sich stark die vor¬ 
springende Bicepssehne. 

Die Oberschenkelknochen sind schmächtig und zeigen eine 
spiralige Verbiegung von oben-aussen-hinten nach vorne-unten 
und innen; von hier setzt sie sich fort auf die Schienbeine von 
innen-oben-hinten nach vorne-unten und aussen. Diese Ver- 


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Ein Fall von Genu valgum höchsten Grades etc. 


123 


krümmung ist besonders deutlich auf der linken Extremität zu 
sehen, welche überhaupt difformer ist als die rechte. So wie der 
Condylus internus erscheint auch die demselben entsprechende 
mediale Hälfte der oberen Tibiaepiphyse auffallend verlängert. Die 
Spina tibiae springt beiderseits in ungewöhnlicher Weise vor. Beim 
Beugen verschwindet die Difformität (Valgität), und es bleibt 
nur die auswärts rotirte Stellung der Unterschenkel zurück. — 
Beiderseitige Klumpfüsse, stärker links. Das innere Kniegelenks¬ 
band weist einen hohen Grad von Schlaffheit, durch übermässige 
Dehnung entstanden, sowohl in Streck- als auch in Beugestellung 
vor. — An beiden Extremitäten ist die Musculatur stark atrophisch, 
besonders der Quadriceps. 

An der Innenseite des rechten Kniegelenkes eine handflächen¬ 
grosse, weisse, glatte Narbe, die durch das Aneinanderreiben der 
Kniee beim Gehen entstanden war. Die Hose wurde hier beinahe 
wöchentlich löcherig. 

Zur Beseitigung der Difformität habe ich am 10. December 
1892 an der anämisirten, stärker diflformen linken Extremität folgende 
Operationen in Narkose ausgeführt. Zunächst subcutane Tenotomie 
des Biceps, hernach lineare, supracondyläre Osteotomie des Femur 
nach Mac Ewen und zum Schluss lineare Durchmeisselung der Fi¬ 
bula mit keilförmiger Osteoektomie an der Tibia. Sofortiges 
Redressement. Drainage der Wunde, Naht, Jodoformgaze-Wattever¬ 
band. Die Extremität wird in corrigirter Stellung auf eine zu diesem 
Zweck separat gepolsterte (um das Zustandekommen von Genu 
hyperextensum, das bei unrichtiger Lagerung nach Osteotomien an 
der Tibia vorzukommen pflegt, zu vermeiden) Volkmann’sche 
Schiene gelagert, an die Aussenseite eine von der Sohle bis an die 
Crista ilei reichende unbiegsame Schiene angebracht und mit Gips¬ 
binden an die Schienen festgebunden. — Abendtemperatur am 
Operationstage 37,2 0 C. 

18. December. Fensterung des starren Verbandes über der 
Tibialwunde. Entfernung der Drainröhren und der Nähte. Wunde 
bis an die Drainöflfnungen per primam geheilt. — Die Temperatur 
hat bis zum 18. December als Maximum 37,6 °C. erreicht. 

23. December. Operation des rechten Beines in derselben 
Weise, wie des linken. (Subcutane Tenotomie des Biceps, Osteo¬ 
tomie des Femur nach Mac Ewen und lineare Durchmeisselung 
der Fibula sammt Osteoektomie der Tibia.) Sofortiges Redressement. 


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124 Nicolaus Ostermayer. 

Wund Versorgung und Verband wie links. Abendtemperatur am 
Operationstage 37,0 0 C. 

25. December. Abnahme der Gipshülse am linken Beine, 
straffere Fixation durch neue Gipsbinden. Höchste Temperatur 
37,7 °C. 

1893. 1. Januar. Fensterung rechts. Entfernung der Drains 
und der Nähte. Wunde bis auf die Drainöffnungen geheilt. Nor¬ 
male Temperaturen. 

8. Januar. Abnahme der Gipshülse am rechten Beine und 
strafferes Anlegen einer neuen. Normale Temperaturen. 

10. Januar. Entfernung des Verbandes links. Heilung sämmt- 
licher Wunden. Ober- und Unterschenkelknochen perfect conso- 
lidirt. Die Extremität hat die corrigirte Stellung beibehalten. Parese 
der vom linken Peronealnerven versorgten Muskeln. 

13. Januar. Anlegen einer Kniekappe aus Gipsbinden wegen 
Schlaffheit der inneren Gelenksbänder. 

22. Januar. Entfernung des Verbandes am rechten Bein. Alle 
Wunden, bis auf den Einschnitt, der zum Zwecke der Mac 
Ewen’schen Operation am Oberschenkel gemacht wurde und der 
an einer linsengrossen Fläche granulirt, per primam geheilt. — Dif- 
formität gänzlich beseitigt. — Schlaffheit des inneren Gelenksbandes, 
massige seitliche Beweglichkeit. 

23. Januar. Anlegen von Kniekappen aus Gipsbinden mit 
doppelten seitlichen Stahlcharnieren, um das Schlottern der Ge¬ 
lenke zu verhindern, mit vorderem und hinterem Ausschnitt, um 
Beugung und Streckung zu ermöglichen. 

29. Januar. Der Kranke macht mit Hilfe von Krücken Geh¬ 
versuche. Peronealparese besteht noch links. 

23. Februar. Während der verflossenen Zeit hat es der 
Kranke, der mit Krücken zu gehen begann, so weit gebracht, dass er 
auf zwei Stöcke gestützt zu gehen vermag. Er behauptet, die 
Beine im Knie- und Hüftgelenke ohne Schmerzen und Schwierig¬ 
keiten zu bewegen, was früher nicht der Fall war. Er kann 
besser auf die Sohlen auftreten. Ist mit dem Gehact sehr zufrieden. 

24. Februar. Abnahme des Charnierverbandes. Die Knie¬ 
gelenke schlottern weniger. Die corrigirte Stellung ist erhalten. 
Der Kranke geht mit Hilfe von Krücken und Stöcken herum. Das 
stärker difform gewesene linke Knie knickt infolge der noch bestehenden 
Bänderschlaffheit beim Auftreten oft ein, während das rechte stramm 


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Ein Fall von Genu valgum höchsten Grades etc. 125 

ohne einzuknicken aufgesetzt wird. — Peronealparese bedeutend 
gebessert. 

Am 5. April verliess der Kranke mit einer abnehmbaren, gut 
gefutterten Kniekappe aus Leder mit eingelegten leichten Stahl- 
chamieren am linken Knie unter nicht enden wollenden Danksagungen 
die Abtheilung. Er stützte sich auf einen leichten Spazierstock und 
ging recht flott über die Stiegen herunter. 

Es muss zugegeben werden, dass so hochgradige Fälle von 
doppelseitigem Genu valgum, wie der eben geschilderte, wohl nur 
äusserst selten zur Beobachtung gekommen sein dürften. Man braucht 
nur die Abbildung 2, die den Kranken in liegender Stellung dar¬ 
stellt, anzuseben, um sich von dem colossalen Grade der Difformität 
zu überzeugen. Wie das Bild beweist, wird von beiden Unter¬ 
schenkeln ein stark stumpfer Winkel gebildet; die Divergenz der¬ 
selben ist eine ganz enorme. Im Aufrechtstehen (Abbildung 1) er¬ 
scheint die Knickung, wenngleich excessiv, doch massiger als im 
Liegen. Die Ursache dessen liegt in der starken Auswärtsdrehung 
im Hüftgelenke. Beseitigt man aber diese, indem man die normale 
Lage des Schenkelkopfes durch Einwärtsdrehen herstellt, was nur 
in liegender Stellung möglich ist, so tritt die Knickung in ihrer 
wahren Grösse zu Gesicht. Mit so stark divergenten Unterschenkeln 
ist weder das Stehen noch Gehen möglich bei normal situirten Hüft¬ 
gelenken, warum auch der Kranke die starke Auswärtsrotation zu 
Hilfe zieht. Liegt der Kranke mit nach auswärts gedrehten Extremi¬ 
täten auf dem Rücken, was bei ihm die Regel ist, so berühren beide 
Extremitäten nur mit den äusseren seitlichen Partieen der Ferse 
die Unterlage, indem sie sich der Knickung im Knie und der 
Aussenrotation im Hüftgelenke entsprechend von jener winkelig 
abheben und die Knickung aus der frontalen in die sagittale Ebene 
übergeht; der Knickungswinkel ist ein bedeutender. Dass sowohl das 
Stehen als auch Gehen mit so difformen Extremitäten neben der 
Schmerzhaftigkeit ausserordentlich schwierig sich gestaltet, lässt sich 
leicht denken. Der Kranke liegt auch zumeist im Bette. 

Wenn wir nun auf die Einzelheiten eingehen, die den Fall 
zu einem gar seltenen qualificiren, so müssen wir vor allem der 
completen permanenten Luxation beider Kniescheiben nach aussen 
gedenken. Fälle von Luxation der Kniescheiben bei hochgradigem 
Genu valgum sind wohl von einigen Autoren beschrieben und zum 
Theil auch abgebildet worden (Michaelis, Uhde, Ravoth, 


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126 


Nicolaus Ostermayer. 


König, Seehling, Ohrloff, Hüter, Mikulicz, Albert, 
Middeldorpff), jeder betont deren Seltenheit. W enn wir noch hin¬ 
zunehmen, dass ein Theil der beschriebenen Kniescheibenverrenkungen 
nicht lateralwärts stattgefunden hat, sondern die Kniescheibe in 
einer anderen Richtung dislocirt war, wie z. B. im Ravoth’schen 
Falle nach oben, so vermindert sich die Zahl der einschlägigen Fälle. 
Der Umstand, dass die grösste Anzahl der beschriebenen äusseren 
Lateralluxationen nur incomplet oder complet, jedoch intermittirend 
war (nur bei Flexion vorhanden, während bei Streckung die Patella 
an die normale Stelle gleitet), wie bei Albert, Middeldorpff 
(Fall 13) und Anderen, während in unserem Falle eine complete 
und permanente Verrenkung vorlag, steigert noch weiter dessen 
Seltenheit. Wenn man den Angaben des ganz verständigen 
Kranken Glauben schenkt, der behauptet, dass er vor seinem 
15. Jahre ganz gerade Beine mit einer an der richtigen Stelle ge¬ 
lagerten Kniescheibe besass, und dass die Dislocation letzterer all¬ 
mählich mit zunehmender Krümmung der Beine entstanden war, 
wenn man weiter das Fehlen der bei angeborenen Kniescheiben¬ 
verrenkungen vorkommenden Veränderungen der Gelenkenden und 
der Patella berücksichtigt, so reiht sich dieser Fall jenen ganz ver¬ 
einzelten Fällen an, wo die Patellarluxation als secundäre Erschei¬ 
nung bei Genu valgum und nicht als Ursache dieser Difformität 
angesehen wird. Er ist daher einer der seltensten Fälle von ac- 
quirirter Verrenkung der Patella, im Gegensätze zu den angeborenen, 
für die man die meisten bisher beobachteten Kniescheibenverren¬ 
kungen bei Genu valgum ansieht. Uebrigens ist der Streit, ob die 
Kniescheibenluxation bei Genu valgum als Ursache oder als Folge 
dieser Difformität anzusehen ist, bisher noch nicht endgültig ent¬ 
schieden. 

Nicht weniger interessant sind die Formverhältnisse der Ober¬ 
und Unterschenkelknochen, indem sie ausser den typischen Ver¬ 
krümmungen noch ganz besondere Abweichungen der Gestalt vom 
Normalen darbieten. Seit den grundlegenden Untersuchungen Miku¬ 
licz’ steht es fest, dass das Genu valgum Halberwachsener theils 
auf einer Verkrümmung des Femur an seinem unteren diaphysären 
Endstück nach innen, theils auf einer gleichen Verbiegung des 
oberen Diaphysenabschnittes der Tibia beruht. Das Verhältniss, in 
welchem sich die Verkrümmung auf Femur und Tibia vertheilt, 
bietet jedoch grosse Differenzen; bald liegt der grössere Theil der 


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Ein Fall von Genu valgum höchsten Grades etc. 


127 


Verkrümmung im Femur, bald in der Tibia. In unserem Falle waren 
beide Knochen an dieser typischen Verkrümmung betheiligt; die 
Verbiegung nach innen war an beiden eine bedeutende, die der 
Tibia übertraf jene des Femur. Die Verkrümmung aber, die ich 
hier als anomal hervorheben will, betraf den ganzen Schaft beider 
Knochen und nahm erstere in sich auf. Die Verbiegung habe ich 
in der Krankengeschichte als spiralige bezeichnet und glaube damit 
das Ding richtig bezeichnet zu haben, denn Ober- und Unter¬ 
schenkel haben in der Continuität in Wirklichkeit eine einfache 
gestreckte Spiraltour gebildet. Dieser Verkrümmung, deren Ent¬ 
stehung auf rhachitische Erweichung der Diaphysen zurückzuführen ist, 
kommt ein compensatorischer Charakter zu, wie schon Mikulicz für 
die Verkrümmungen der Unterschenkelknochen an ihrem unteren Ende 
noch im Bereich der Diaphyse nach innen (mit der Convexität nach 
aussen) bei einem seiner untersuchten Fälle annahm. Dass die Ab¬ 
bildungen, um diese Verhältnisse ersichtlich zu machen, nicht das 
Gewünschte leisten, ist leicht erklärlich, da an denselben nur ebene 
Flächen und nicht Niveaudifferenzen in der frontalen Fläche dar¬ 
gestellt werden können. 

Fassen wir nun ins Auge jene Abweichungen an Knochen und 
Gelenken der unteren Extremität, die in Combination mit dem hoch¬ 
gradigen Genu valgum in unserem Falle bestehen, so dürfen wir 
die deutlich ausgeprägte Klumpfussstellung beiderseits nicht uner¬ 
wähnt lassen. Abbildung 3 lässt sie klar hervortreten. Der Pes 
varus ist bei Genu valgum nach Mikulicz und Schede als com- 
pensatorische Stellungsanomalie zu deuten und wird durch das Genu 
valgum direct verursacht, indem der Kranke bei schräger Stellung 
des Unterschenkels den Boden nur dadurch mit der ganzen Fuss- 
sohle berühren kann, dass er eine forcirte Supinationsstellung in 
den Fussgelenken einhält. Dem Klumpfuss bei Genu valgum liegt 
in der Regel nach Mikulicz keine Veränderung der Knochen zu 
Grunde, es ist nur eine habituelle Stellungsanomalie, welche sich 
in der Regel leicht mit Händekraft reduciren lässt, indem nur die 
an einer Seite geschrumpften Gelenkbänder und Kapselpartien Wider¬ 
stand leisten. In unserem Falle hatte ebenfalls die Valgität der 
Kniee eine habituelle Klumpfussstellung eingeleitet, welche aber 
infolge der durch den rhachitischen Process bedingten Weichheit 
der Fusswurzelknochen mit dem Fortschreiten dieser das gesammte 
Skelet der unteren Extremität betreffenden Knochenerkrankung 


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128 


Nicolaus Ostermayer. 


stationär und durch Händedruck uncorrigirbar geworden ist und 
zwar aus dem Grunde, weil durch die constant innegehabte 
Klumpfussstellung die rhachitisch erweichten Fusswurzelknochen 
Formveränderungen erfuhren, woraus dann ein auf rhachitischer 
Grundlage durch abnorme Muskelaction entstandener Klumpfuss 
resultirte. 

Die prävalirende Verlängerung des Condylus internus, die 
hochgradige Schlaffheit und die infolge von Dehnung zu Stande 
gekommene Längenzunahme des inneren Seitenbandes, die bedeutende 
Verkürzung der Bicepssehne u. s. f., Erscheinungen, welche bei 
hochgradigem Genu valgum Vorkommen, lassen sich sämmtlich in 
unserem Falle in hohem Maasse entwickelt nachweisen. 

Wenden wir unsere Aufmerksamkeit der operativen Seite des 
Falles zu. Zuvor sei es mir jedoch gestattet einige allgemeine Be¬ 
merkungen voranzuschicken. 

Von den blutigen Operationen, welche zur Heilung des Genu 
valgum in Anwendung kamen, stehen heut zu Tage nur drei als die 
rationellsten und erfolgreichsten bezüglich Function und kosmetischen 
Effect in allgemeinem Gebrauch: die subcutane, lineare, supracon- 
dyläre Osteotomie des Femur nach Mac Ewen, die keilförmige 
Excision der Tibia mit linearer Durchmeisselung der Fibula nach 
Schede und die subcutane lineare Osteotomie der Tibia nach 
Billrot h. Alle drei Verfahren wurden von ihren Erfindern und Nach¬ 
folgern als verlässliche, sichere Heilmittel des Genu valgum hingestellt. 
Betrachten wir jedoch deren Resultate, so finden wir, dass sie 
keineswegs gleich sind. Die entschieden besten und meisten Er¬ 
folge hat die Mac Ewen’sche, weniger gute und zahlreiche die 
übrigen zwei Methoden aufzuweisen. Prüfen wir die Ursache dieser 
Verschiedenheit, so finden wir sie in dem Umstande, dass diese 
Operationsarten jede einzelne für sich genommen für sämmtliche 
Fälle von Genu valgum ohne Rücksicht auf deren anatomisch ver¬ 
schiedenes Verhalten ganz schablonenmässig angewendet wurden. Man 
hat schematisirt, man hat gearbeitet ohne Auswahl der für die einzelnen 
Methoden geeigneten Fälle, mit einem Worte ohne zu individuali- 
siren. Und wie leicht fällt die Indicationsstellung für das eine oder 
das andere Verfahren, wie leicht sind die passenden Fälle für die 
einzelnen Operationsarten auszuwählen, wenn man die von Miku¬ 
licz bei Genu valgum gefundenen anatomischen Verhältnisse be¬ 
rücksichtigt. Mikulicz hat nämlich durch Messungen festgestellt, 


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Ein Fall von Genu valgum höchsten Grades etc. 


129 


dass sowohl Femur (unteres Diaphysenende) als Tibia (oberes Dia- 
physenende) sich an der Difformität betheiligen; er hat aber auch 
durch Bestimmung des Kniebasiswinkels gefunden, dass das Ver- 
hältniss, in welchem sich die Verkrümmung auf Femur und Tibia 
vertheilt, grosse Differenzen vorweist, indem der grössere Theil der 
Verkrümmung bald im Femur, bald in der Tibia liegt und so die 
Stelle für den chirurgischen Eingriff geradezu bestimmt. Er selbst 
hat schon die praktische Bedeutung der Bestimmung des Kniebasis¬ 
winkels, d. i. der Feststellung, ob Tibia oder Femur den Haupt- 
antheil der Verkrümmung trägt, erfasst und hervorgehoben, doch 
scheint dies keine Berücksichtigung gefunden zu haben, wofür das 
schablonenmässige Gebahren und die daraus hervorgehenden Resul¬ 
tate der erwähnten Verfahren sprechen. Hätte man sich an die 
von Mikulicz gefundenen anatomischen Thatsachen gehalten 
und sie zur Grundlage des einzuschlagenden OperationsVerfahrens 
gemacht, so wäre es nicht geschehen, dass man die Unterschenkel¬ 
knochen dort durchmeisselte, wo das Femur den wesentlichen An- 
theil der Verkrümmung trug, und umgekehrt hätte man das Femur 
nicht dort durchschnitten, wo die Tibia an der Verkrümmung schuld 
war. Es wären die vielen Bajonettstellungen und Recidive, so 
auch die schlechten functioneilen Erfolge nicht eingetreten, besonders 
nach Osteotomien an den Unterschenkelknochen — man hätte nicht 
über die Verschiedenheit der Resultate zu klagen gehabt. Warum 
waren die Resultate der Mac Ewen’schen Operation so glänzend 
und warum hat man gerade nach Osteotomien am Unterschenkel 
viele Misserfolge gehabt? Die Beantwortung der ersten Frage führt 
uns unwillkührlich auch zur Erklärung der zweiten. Es ist be¬ 
wiesen, dass in den meisten Fällen von Genu valgum das Femur 
den Hauptantheil an der Verkrümmung trägt; nun osteotomirte 
Mac Ewen beinahe ausnahmslos in seinen Fällen das Femur allein, 
die günstigen Resultate sind daher erklärlich; ebenso begreiflich 
sind aus diesem Grunde die Misserfolge jener Chirurgen, die ohne 
Unterschied in allen Fällen die Unterschenkelknochen durchschnitten, 
wo doch die letzteren die Difformität seltener bedingen. Nun gibt es 
aber Fälle, in welchen Femur und Tibia in gleichem oder nahezu 
gleich hohem Grade an der Difformität betheiligt sind und die 
natürliche Schlussfolgerung aus dem vorhin Gesagten, die Inangriff¬ 
nahme beider Knochen, ganz selbstverständlich erfordert, wenn wir 
auf ein möglichst vollkommenes, auf anatomische Thatsachen basirtes 


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130 


Nicolaus Ostermayer. 


und durch die gegenwärtig in Gebrauch stehenden Verfahren er¬ 
reichbares Resultat Anspruch erheben. 

Mit dieser Abschweifung in die Kritik der blutig-operativen 
Methoden wollte ich nur darauf hinweisen, wie wichtig es für den 
Erfolg ist, die durch Mikulicz gewonnenen anatomischen Befunde 
beim Genu valgum zur Richtschnur bei der Wahl der Methode zu 
nehmen; denn nur bei Berücksichtigung dieser werden wir im Stande 
sein, bei der Verschiedenheit der Fälle für jeden einzelnen die 
richtige Wahl zu treffen und so nach dem jetzigen Stande der 
Therapie die möglichst besten Resultate zu erreichen. 

Kehren wir zu unserem Fall zurück. Der einfache Anblick 
hat mich — ohne Messungen auszuführen — dessen belehrt, dass 
beide Knochen an der Diflformität wesentlich theilnehmen, das 
Femur jedoch nicht in dem excessiven Maasse, als die Tibia; ich 
habe deshalb beide Knochen osteotomirt, die Tibia jedoch nach 
einer radicaleren Methode. Da die enorme Verkürzung der Biceps- 
sehne und starke Anspannung derselben bei Versuchen der Gerade¬ 
streckung der Extremität mich überzeugt haben, dass ich ohne 
Durchschneidung derselben mit den Osteotomien allein nicht zum 
gewünschten Ziele gelangen werde, habe ich die Tenotomie den 
Knochenoperationen vorausgeschickt. 

Mehrfache Osteotomien bei Genu valgum sind im ganzen 
wohl selten ausgeführt worden. Mac Ewen hat unter 810 Fällen, 
die er nach seiner Methode operirte, nur fünfmal die Schede'sche 
Operation mit seinem Verfahren combinirt. Auch die Durchschnei¬ 
dung der Bicepssehne ist von ihm in einem Falle an einer Extremität 
ausgeführt worden in Combination mit seiner Methode. Seitdem 
dürften sich derartige Fälle vermehrt haben. 

Von den operativen Details des von mir behandelten Falles 
wäre Folgendes zu erwähnen. In einer Sitzung wurde nur ein 
Bein operirt. Als Einleitung wurde die subcutane Tenotomie der 
Bicepssehne vorsichtig ausgeführt, worauf sofort die Valgität ge¬ 
ringer wurde. Hierauf folgte die Mac Ewen’sche lineare Osteo¬ 
tomie des Femur, die bei der Schlankheit, bei dem geringen fron¬ 
talen Durchmesser des Knochens leicht und rasch vor sich ging; 
weitere Abnahme der Diflformität, es blieb nur noch der Theil der 
Verkrümmung übrig, den die Tibia trug, dieser war aber hochgradig, 
warum auch die keilförmige Excision mit linearer Durchmeisselung 
der Fibula ausgeführt wurde. Letztere ging voran und wurde nach 


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Ein Fall von Genu valgum höchsten Grades etc. 


131 


der Schede’schen Vorschrift ausgeführt, während die Osteoektomie 
in Bezug auf den Hautschnitt von jener abwich, indem ich über 
der Tibia einen abgerundeten Lappen mit oberer Basis bis auf den 
Knochen ausschnitt und jenen dann als Hautperiostlappen mit dem 
Raspatorium abhob und mit scharfen Haken nach aufwärts ziehen 
liess. Hierdurch wurde eine ausgezeichnete Uebersichtlichkeit erzielt 
und eine bequeme Zugänglichkeit zu den Seitenflächen der Tibia 
geschaffen, von welcher ich mit dem Raspatorium das Periost in der 
ganzen Peripherie ablöste. Auf diese W eise konnte ich ohne wesent¬ 
liche Quetschung und Zerrung der Weichtheile an der ganzen 
Peripherie des Knochens mit dem Meissei mit Leichtigkeit arbeiten, 
was beim einfachen Längsschnitt nach Schede doch nicht so voll¬ 
kommen gelingen dürfte. Die Grösse des Keils wurde mit der 
Meisseiecke an der Vorder- und Seitenfläche vorgezeichnet und mit 
medialer Basis in einem Stück durch die ganze Tibia heraus¬ 
geschnitten, was nur durch präcises Arbeiten mit einem so vorzüg¬ 
lichen Instrument, wie ich es besass, möglich war. Coaptation der 
Schnittflächen, die glatt, wie mit einem Messer geschnitten, aus¬ 
sahen und genau an einander passten, Drainage und Naht des 
Hautperiostlappens in Einem mit Seidenknopfnähten. Jodoformgaze- 
Watteverband, Lagerung und Fixation mit Gipsbinden an eine 
Volkmann'sche und an eine Seitenschiene. 

Einen analogen Lappenschnitt hat schonM ay er bei seiner bogen¬ 
förmigen Osteotomie der Tibia benutzt. Ich habe ihn noch in einem 
Falle von Genu varum duplex angewandt, wo ich auch die Keilexcision 
mit Durchbrechung der Fibula ausführte, und kann ihn aus dar- 
gethanen Gründen bestens empfehlen. Die Mac Ewen’sche Ope¬ 
ration habe ich darum der Durchschneidung der Unterschenkel¬ 
knochen vorangeschickt, damit mir der Hebel zum Durchbrechen 
des Femur erhalten bleibt. — Dass unter aseptischen Cautelen 
operirt wurde, beweist am besten der ideale Wundverlauf, indem 
sich nicht einmal subfebrile Temperaturen zeigten. 

Was nun das erzielte Resultat anlangt, so werden wir Kosmetik 
und Function besonders zu betrachten haben. Den kosmetischen 
Effect demonstrirten am besten die Abbildungen 3 u. 4. Dass man 
die übrigen Difformitäten der Extremitätenknochen durch die aus¬ 
geführten Operationen nicht weiter beeinflussen konnte, ist ja klar. 
Den Klumpfuss wollte ich nachher operativ beseitigen, doch war 
der Kranke durch die Beseitigung der Knickbeine allein so zu- 


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132 


Nicolaus Ostermayer. 


friedengestellt, dass er sich nm die schiefe Stellung, welche ihm 
keine namhaften Störungen verursachte, nicht weiter kümmerte und 
jeden Eingriff für überflüssig ansah. — In functioneller Beziehung 
ist durch die Operation folgende Umgestaltung der Verhältnisse ge* 

schaffen worden. Der 
Kranke ist im Stande auf¬ 
recht auf geraden Beinen 
zu stehen und normalweise 
zu schreiten; freilich auf 
längere Dauer nur unter 
Zuhilfenahme eines leich¬ 
ten Spazierstockes, was 
früher mit den verunstal¬ 
teten Extremitäten unmög¬ 
lich war. Früher lag der 
Kranke zumeist im Bette 
und mied sorgfältig den 
Aufenthalt ausser dem¬ 
selben, da er beim Gehen 
und Stehen grosse Schmer¬ 
zen in den Beinen hatte. 
Es kann im Kniegelenke 
Streckung und Beugung 
ohne Schmerzen und bei¬ 
nahe in normaler Ex- 
cursionsgrösse ausgeführt 
werden, was früher nicht 
möglich war. Die inneren 
Gelenkbänder sind noch 
immer, wenngleich nicht 
in dem hohen Maasse wie 
früher, schlaff; es kann 
daher der Unterschenkel 
beiderseits bei gestrecktem Knie in Abductionsstellung gebracht 
werden, links stärker als rechts. Das linke Knie knickt auch oft 
beim Gehen ein, was rechts absolut nicht geschieht. Legt man 
aber eine Kniekappe mit Charnieren an, so geht der Kranke mit 
dem linken Bein gerade so correct, wie mit dem rechten. Die 
Lage der Kniescheiben ist durch die Operation nur wenig beeinflusst 


Fj g. 3. 



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Ein Fall von Genu valgum höchsten Grades etc. 


133 


worden, sie wanderten nur um Geringes nach innen. Die laterale 
Deviation ist daher noch vorhanden, hindert aber nicht die Be¬ 
wegungen im Kniegelenk. Die Dislocation der Kniescheiben hat 
übrigens keinen bedeutenden Einfluss auf die Leistungsfähigkeit der 
Beine, was am besten der 
Fall Uhde’s beweist, wo 
bei einer 21jährigen Puella 
publica Genu valgum mit 
lateraler Luxation der Pa¬ 
tella beiderseits vorhanden 
war, und die Kranke trotz¬ 
dem 7 Jahre lang Tänzerin 
an einem Theater war und 
auch jetzt noch anhaltend 
und gut tanzen und ohne 
Beschwerden Treppen hin¬ 
auf und herab steigen 
kann. — Die Musculatur 
blieb atrophisch, wenn 
gleich sich ihr Zustand 
durch Massage und Elektri- 
cität bedeutend besserte. 

Es kann behauptet 
werden, dass durch die 
Operation im allgemeinen 
alles erreicht wurde, was 
bei dieser enormen Ver¬ 
unstaltung der Extremi¬ 
täten und bei der durch 
diese hervorgerufenen 
Functionsstörung über¬ 
haupt erreichbar war. Was 
durch die Operation ge¬ 
leistet wurde, wird wohl der am besten zu beurtheilen wissen, 
der den Kranken vor und nach derselben sah. Von einem Gehen 
und Stehen im gewöhnlichen Sinne des Wortes war keine Rede; 
mühsam und mit schmerzhaft verzogenem Gesicht schleppte der 
Kranke sich mit Hilfe von Stöcken schleichend, den Stamm bald 
nach rechts bald nach links drehend, die Extremitäten immer 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. III. Band. 10 



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Nicolaus Ostermayer. 


nur um ein Geringes am Boden fortschleifend fort, wenn er auf¬ 
gefordert wurde einige Schritte zu machen. Dabei verbogen sich 
die Extremitäten in der entsetzlichsten Weise. — Das rechte Bein 
hat durch die Operation in jeder Beziehung mehr gewonnen als das 
linke, es ist nahezu der Norm zugeführt worden, es war aber auch 
nicht so difform wie das linke. Die Peronealparese, auf deren 
Vorkommen nach der Schede’schen Operation neuerdings Regnier 
aufmerksam macht und mit genauer Angabe der Einschnittstelle 
zu grosser Vorsicht bei der Durchmeisselung der Fibula mahnt, 
besserte sich zwar bedeutend, hat aber am linken Bein keineswegs 
zur Besserung der Function beigetragen. Es lässt sich jedoch nicht 
leugnen, dass auch am linken Bein das Mögliche erreicht wurde. 
Die Schlaffheit des Bandapparates am selben dürfte sich durch 
längeres Tragen der mit Charnieren versehenen Kniekappe hoffent¬ 
lich auch vermindern. 

Es dürfte nicht ohne Interesse sein, zum Schlüsse noch zu 
bemerken, dass während die Femora an den durchschnittenen Stellen 
mit geringer Verschiebung des oberen Schnittendes nach vorne und 
fühlbarer Stufenbildung unter massiger, meist seitlicher und hinten 
sich ausbreitender Callusbildung heilten, die Consolidation der Schien¬ 
beine ohne die geringste Dislocation und ohtfe geringsten äusseren 
Callus mit einfacher Knochennarbe erfolgte, so dass beide Knochen 
weder bei Besichtigung noch beim Betasten in ihren Contouren die 
geringste Abweichung von der Norm gezeigt haben. 

Es sei mir gestattet, an diesem Orte meinem hochverehrten 
Chef, Herrn Director-Primarius Dr. Ludvik, für die liberale Ueber- 
lassung des Falles meinem ergebensten Dank Ausdruck zu geben. 


Literatur. 

Michaelis, Deutsche Klinik 1854, Nr. 5 S. 53. 

Uh de, E. W. F., Beiträge chirurgischen Inhalts. Deutsche Klinik 1857, Nr. 13 
S. 124. 

Ravoth, Die congenitale Dislocation der Patella nach oben. Deutsche Klinik 
1857, Nr. 4 S. 29. 

König, Lehrbuch der speciellen Chirurgie. 3. Aufl. Bd. 3. 

Schling, Th., Ueber angeborene Kniescheibenverrenkungen. Inaugural-Disser- 
tation. Würzburg 1885. 


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Ein Fall von Genu valgum höchsten Grades etc. 135 

Ohr 1 off, W., Ueber congenitale Patellarluxationen mit hochgradigem Genu 
valgum. Inaugural-Dissertation. Würzburg 1886. 

Mikulicz, Die seitlichen Verkrümmungen am Knie und deren Heilungs¬ 
methoden. v. Langenbeck’s Archiv Bd. 23 S. 561. 

Albert, E., Lehrbuch der Chirurgie und Operationalehre. 3. Aufl. 1885, Bd. 4. 

Middeldorpf, Zur Therapie und Casuistik des Genu valgum et varum. 
Deutsche Zeitschrift für Chirurgie 1886, Bd. 24 S. 192 (Fall 24 und 25 
von Maas op.)* 

Schede, Berliner klinische Wochenschrift 1876, Bd. 13 S. 52. Verhandlungen 
der deutschen Gesellschaft für Chirurgie XI. Congr. 1882, I S. 58 und 
VI. Congr. I S. 49 u. 67. 

Mac Ewen, Die Osteotomie mit Rücksicht auf Aetiologie und Pathologie von 
Genu valgum und varum u. s. w. Deutsch von Dr. Richard Wittels¬ 
höf er. Stuttgart 1881. — Lancet 1880, Vol. II p. 450. On the results 
of antiseptic Osteotomie for genu valgum varum and other osseous de- 
formities of the lower limb. Lancet 27. Sept. 1884. 

Billroth, siehe Mikulicz. 

Mayer, A., Verh. der phys.-med. Ges. zu Würzburg 1852, III S. 9. — Beitrag 
zur Osteotomie. Illustrirte med. Zeitung Bd. 2. München 1852, S. 18 u. 24. 

Regnier, Zur operativen Behandlung des Genu valgum. v. Langenbcck’s 
Archiv für Chir. 1892, Bd. 49. 


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XII. 


Ueber die abnorme Rotation der unteren Extremitäten 
und ihre Behandlung mittelst Rotationsbändern. 

Von 

Dr. C. B. Tilanus, 

Privatdocenten für Chirurgie und Assistenten an der orthopädischen 
Poliklinik in Amsterdam. 

Mit 1 in den Text gedruckten Abbildung. 

Eine gar nicht so seltene Deformität bei Kindern ist die ab¬ 
norme Rotation der untern Extremitäten. Stehen normaliter die 
Füsse parallel oder höchstens etwas nach aussen, so werden sie 
dann und wann einer abnormen Rotation der Beine zufolge nach 
innen gedreht und machen einen Winkel von 90°, oder sie stehen 
nach aussen in einem Winkel bis zu 180°. Dabei ist bemerkens- 
werth, dass die abnorme Rotation nach innen nahezu ausschliesslich 
durch eine Torsion des Unterschenkels verursacht wird, während die 
Kniegelenke ihren normalen Stand beibehalten. Sitzt das Kind und 
sind dabei dessen Kniee im rechten Winkel gebeugt, so persistirt 
die Einwärtsdrehung der Füsse. 

Die abnorme Rotation nach aussen wird indessen verursacht 
durch eine Torsion der Oberschenkel: die Kniee sind dabei nach 
aussen gekehrt. Sitzt ein Kind, von dieser Krankheit heimgesucht, 
auf einem Stuhle in der oben beschriebenen Stellung, dann sieht 
man die Deformität nicht mehr, sie wird compensirt mittelst Ein¬ 
wärtsdrehung der Oberschenkel im Hüftgelenke. Das sind wenigstens 
die Verhältnisse, die ich in den zahlreichen von mir beobachteten 
Fällen gefunden habe. Nur bleibt es in soweit noch unentschieden, 
in welchen Theilen der Ober- und Unterschenkelknochen die Ursache 
der Entstellung zu suchen ist. Die Einwärtsdrehungen, die, wie 


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Ueber die abnorme Rotation der unteren Extremitäten etc. 137 


wir bemerkt haben, aus einer Torsion der Unterschenkel entstehen, 
können z. B. im Unterschenkel selbst, in der Tibia und Fibula, 
aber auch im Fuss oder im Fussgelenke ihre Ursache finden, und es 
scheint mir wirklich, dass beide Verhältnisse Vorkommen. Die be¬ 
kannte Einwärtsrotation beim Pes varus wird z. B. jedenfalls theil- 
weise aus der Deformität des Fusses entstehen, während meine 
Messungen dargethan haben, dass in den übrigen Fällen der Unter¬ 
schenkel selbst torquirt ist, die Achse des Talo-crural-Gelenkes einen 
Winkel macht mit der des Kniegelenkes. Die Auswärtsdrehungen 
entstehen entweder aus der Torsion des Femurschaftes, oder aus 
einer Knickung des Halses. Ich habe es versucht, festzustellen, 
welche von beiden Ursachen in den meisten Fällen diese Wirkung 
hervorbringt, und habe dazu die Stelle aufgesucht, die der Trochanter 
in der Roser-Nölaton’schen Linie einnahm; und wenn es auch 
nicht leicht war, durch den immer ziemlich dicken Panniculus adi- 
posus hindurch festzustellen, ob die nebenbei ziemlich breite Tro¬ 
chanterspitze etwas mehr nach vorn oder nach hinten stand, schien 
es mir doch, dass der Grund der Abweichung in einer abnormen 
Stellung des Femurhalses gewöhnlich nicht zu suchen war, so dass 
wirklich eine Achsendrehung des Femur schliesslich als Durchschnitts¬ 
ursache gelten muss. A priori war es indessen nicht unwahrschein¬ 
lich, dass gerade die Stellung des Femurhalses hier die erste Rolle 
spiele, da Abweichungen von dieser Stellung der Art, dass der 
normale Winkel, den der Hals mit dem Schaft macht, ein spitzer 
geworden ist, nicht so selten sind, wie es schon E. Müller, 
Hoffa u. a. betont haben. 

Die ätiologischen Momente der Deformität müssen in den ver¬ 
schiedenen Fällen in verschiedenen Gründen gesucht werden. Eins 
der bedeutendsten ätiologischen Momente ist der Klumpfuss, d. h. 
beinahe alle Klumpfüssa gehen bekanntlich Hand in Hand mit ziem¬ 
lich bedeutender Einwärtsrotation. Eine andere Ursache ist die 
Rhachitis. Ausser Rotation nach innen begegnen wir dabei indessen 
auch der Rotation nach aussen. Die Prognose dieser Form ist gün¬ 
stiger als die der eben genannten und mittelst einer zweckmässigen 
Behandlung gelingt uns die Heilung in ziemlich kurzer Zeit. 

Als andere Ursachen sind noch zu nennen die Coxitis, schlecht 
geheilte Fracturen des Collum und Corpus femoris u. dergl. Diese 
Formen wollen wir hier indessen nicht weiter besprechen. 

Die Bedeutung der abnormen Rotation der unteren Extremi- 


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138 


C. B. Tilanus. 


täten darf in der Praxis nicht unterschätzt werden. In erster Stelle 
ist die Deformität, welche dieselbe verursacht, eine Sache von grosser 
Bedeutung und für die Eltern der kleinen Patienten öfters der Anlass, 
ärztliche Hilfe zu suchen. Ausserdem behindert die Deformität 
öfters das Gehen. Die Kinder, mit abnormer Innenrotation behaftet, 
stossen dabei jeden Augenblick die Zehen des einen Fusses gegen 
den Malleolus internus des anderen, ja sie 
fallen dadurch häufig über ihre eigenen Füsse. 
Die mit abnormen Aussenrotationen sind meist 
in noch traurigerer Lage, und wenn der 
Winkel, den die Füsse zusammen machen, 
zu 180° angewachsen ist, können sie bei¬ 
nahe gar nicht mehr gehen, da die Stütz¬ 
fläche, welche die Füsse im normalen Zu¬ 
stande bieten, in dieser Stellung bedeutend 
verkleinert wird. 

Insbesondere um die Innenrotation bei 
dem Klumpfuss zu bessern, hat man schon 
versucht, durch Apparate diese Deformität zu 
heilen. So hat Doyle einen Apparat vor¬ 
geschlagen, der aus einem Beckengürtel be¬ 
steht, mit dem seitlich zwei Spiralen verbunden 
sind, die an der Aussenseite der Glieder angelegt werden und vorn 
unten an der Sohle des Schuhes befestigt sind. 

An der hiesigen orthopädischen Poliklinik werden zu diesem 
Zwecke die sogen, completen Bügel mit Beckenbügel angewandt. 
Diese bestehen aus einem metallenen, gut bekleideten Beckengürtel, 
an dem an beiden Seiten ein Doppelcharnier (für Flexion und Ab- 
duction) angebracht ist, welches einen Beinbügel trägt mit längerer 
Aussenstange und kürzerer Innenstange, zusammen verbunden mittelst 
Bogen und im Kniegelenk beweglich. Das untere Ende ist beweg¬ 
lich mit dem Schuhe mittelst Fussbügel verbunden. Dieser Fuss- 
bügel ist mit einer Platte in der Sohle so befestigt, dass der nach 
innen rotirte Fuss gezwungen wird, sich nach aussen zu stellen. 

Dieser Bügel wird wie der Apparat Doyle’s insbesondere 
beim Klumpfuss benutzt. Für die rhachitischen Formen der abnormen 
Rotation aber ist dieser Apparat nicht zweckmässig. Ausser mittelst 
antirhachitischer Medicamente (Phosphor) heilt man diese besser mittelst 
der von mir schon seit längerer Zeit angewandten Rotationsbänder. 



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Ueber die abnorme Rotation der unteren Extremitäten etc. 139 


Diese bestehen aus einem ledernen Gurt, für die Innenrotation 
hinten, für die Aussenrotation vorne mit zwei Schnallen versehen, 
an denen elastische Bänder fest gemacht werden können, die in einer 
Spirale dem Beine umgelegt werden und unten mit der Sohle des 
Schuhes verbunden sind. Natürlich werden die Bänder in umge¬ 
kehrtem Sinne angelegt, je nachdem sie eine Innen- oder eine Aussen¬ 
rotation heilen sollen. Unten werden die Bänder an der Sohle von 
aussen festgemacht, wenn der Fuss Neigung zur Varusstellung hat, 
von innen, wenn eine Valgusstellung sich zu entwickeln droht. Oefters 
muss man dabei selbst periodisch wechseln. 

Diese Bänder können auch benutzt werden combinirt mit 
Bügeln unter dem Knie. Der Beckengurt wird dann in der näm¬ 
lichen Weise gemacht, wie bei der oben beschriebenen Form, die 
Bänder werden aber, nachdem sie in einer Spirale um den Schenkel 
herum gelegt sind, an einem Knöpfchen, das seitlich am Bügel sitzt, 
festgemacht. 

Die guten Erfolge der Anwendung der Rotationsbänder sieht 
man direct eintreten, d. h. die abnorme Rotation wird im Augen¬ 
blicke aufgehoben, die Gehbeschwerden verschwinden, wenn auch 
vorläufig mittelst erzwungener Rotation im Hüftgelenke. Allmählich 
verschwindet auch die Deformität selber, zumal wenn auch andere 
zweckmässige Hilfsmittel (Phosphor bei Rhachitis) angewandt werden, 
und die Patienten können auch ohne Bänder ihre Glieder in nor¬ 
maler Stellung halten. 

In einer Menge von Fällen wurden diese Bänder von mir mit 
Erfolg benutzt, und ich glaube, dass auch andere zufrieden sein 
werden, wenn sie in dergleichen Fällen sich derselben bedienen. 
Der Apparat ist ausserdem nicht theuer und daher leicht zu ver¬ 
suchen. Ich meinte daher, keine unnütze Arbeit zu verrichten, 
wenn ich dieses Verfahren beschrieben habe, während es meines 
Erachtens ausserdem von Bedeutung war, auf die abnorme Rotation 
aufmerksam zu machen, die ausser beim Klunipfuss in der Lite¬ 
ratur noch kaum besprochen worden ist. 


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XIII. 


Ans der Königl. Umversitätspoliklinik für ortho¬ 
pädische Chirurgie zu Berlin. 

Ueber den angeborenen totalen Defect des Schienbeins. 

(Nach einem am 8. Januar 1894 in der Freien Vereinigung der 
Chirurgen Berlins gehaltenen Vortrage.) 

Von 

Dr. G. Joachimsthal, 

Assistenzarzt der Poliklinik. 

Mit 4 in den Text gedruckten Abbildungen. 

In Anbetracht der Seltenheit der angeborenen Defecte der 
Tibia dürfte die Veröffentlichung eines Falles von congenitalem Fehlen 
dieses Knochens in seiner ganzen Länge nicht ohne Interesse sein, 
umsomehr als das bei dieser Missbildung auf operativem Wege er¬ 
reichte Resultat ein recht bemerkenswerthes ist. Der Mittheilung 
dieser Beobachtung bin ich in der Lage, die Beschreibung eines 
Präparates der gleichen Missbildung hinzuzufügen. Auf die Schilde¬ 
rung der beiden Beobachtungen mag eine eingehendere Darlegung 
der genaueren Verhältnisse dieser merkwürdigen Anomalie folgen. 

1 . 

Es handelt sich in dem ersten Fall, der dem Material der 
Universitäts-Poliklinik für orthopädische Chirurgie entstammt und 
mir von Herrn Prof. J. Wolff gütigst zur Publication überlassen 
wurde, um ein beim Eintritt in die Behandlung 1 Jahr und 
2 Monate altes Mädchen, das zweite Kind gesunder Eltern. 
Von irgendwelchen in der Familie beobachteten Missbildungen war 
nichts zu ermitteln. Im übrigen durchaus wohlgebildet zeigte die 


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Ueber den angeborenen totalen Defect des Schienbeins. 141 

Kleine, ein kräftiges Kind mit stark entwickeltem Panniculus adi- 
posus und frischer Gesichtsfarbe, von Geburt an eine sehr auffallende 
Anomalie der rechten unteren Extremität. Es hielt hier mit Vor¬ 
liebe den Unterschenkel zum Oberschenkel in starker Flexion und 
gleichzeitiger Adduction der¬ 
art, dass der in Klumpfuss- 
stellung befindliche Fuss zwi¬ 
schen beide Oberschenkel zu 
liegen kam (Fig. 1). Der 
Oberschenkel selbst erschien 
normal, nur ergab ein Ver¬ 
gleich mit der gesunden 
Seite, dass die Entfernung 
vom Trochanter zum Condylus 
extemus um 1 cm verkürzt 
war. Die Condylen des Femur, 
zwischen denen die Patella 
nachweisbar war, traten nun, 
und zwar besonders der innere, 
sehr deutlich nach unten her¬ 
vor, zumal sich, wie dies 
schon die Inspection, noch 
sicherer aber die Palpation 
ergab, die untere Gelenk¬ 
fläche des Femur frei und 
ohne Verbindung mit knöcher¬ 
nen Theilen erwies. An der 
äusseren und hinteren Seite 
des Condylus externus fiel 
ein Vorsprung auf, der bei 
Bewegungen des Unterschenkels in geringen Excursionen seine 
Lage änderte und sich nach unten hin in den einzigen, den ver¬ 
kürzten und äusserst dünnen Unterschenkel bildenden Knochen fort¬ 
setzte, um in einer Prominenz zu enden, die nach ihrer Lage an 
der Aussenseite des Fusses nur der Malleolus externus sein konnte. 
Oberhalb des Vorsprungs an der Aussenseite des Kniegelenks, der 
sich somit als das nach hinten und oben getretene Capitulum fibulae 
herausstellte, war die Haut in dem Umfange eines Markstückes 
narbig verändert und eingezogeu. Auch bei genauester Untersuchung 


Fig. 1. 



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142 


G. Joachimsthal. 


liess sich neben der Fibula, die sich um 2 1 /* cm gegenüber der 
linken verkürzt erwies, dieselbe dagegen an Dicke beträchtlich über¬ 
traf, kein anderer knöcherner Theil in den Weichtheilen des Unter¬ 
schenkels ausfindig machen. Die kleine Patientin vermochte den 


Fig. 2. 



Unterschenkel zum Oberschenkel in massiger Ausdehnung zu be¬ 
wegen ; versuchte man passiv die Streckung, so kam man nicht über 
den rechten Winkel hinaus, wobei sich die Flexoren des Unter¬ 
schenkels straff unter der Haut anspannten. Dagegen war die Beu¬ 
gung des Unterschenkels bis zur Berührung mit dem Oberschenkel 
möglich. Der Fuss stand in hochgradiger Equinovarusstellung, derart, 


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Ueber den angeborenen totalen Defect des Schienbeins. 


143 


dass die Planta pedis fast nach oben gerichtet erschien, und der 
Malleolus externus den Fuss nach unten überragte. An dem sonst 
normalen Fuss zeigte sich ein Defect der grossen Zehe und des dazu¬ 
gehörigen Metatarsalknochens. 

Herrn Prof. Wolff's Operationsplan ging nun dahin, die nach 
oben und aussen verschobene Fibula in die Fossa intercondyloidea 
femoris zu überführen und nach Streckung des Unterschenkels und 
Correction der Klumpfussstellung den Versuch zu machen, ob das 
Wadenbein, das ja schon ap und für sich verdickt erschien, nicht 
die Function des fehlenden Unterschenkelknochens mit übernehmen 
würde. Die subcutane Tenotomie der Flexoren des Unterschenkels 
erwies sich in dieser Hinsicht als erfolglos. Es wurde daher Ende 
Mai vorigen Jahres durch einen Schnitt, der, von der erwähnten 
Hauteinziehung beginnend, quer über das Kniegelenk verlief, dieses 
eröffnet, zunächst das Capitulum fibulae aus der Gelenkverbindung, 
die sich an der Stelle seines ungewöhnlichen Sitzes etablirt hatte, 
losgelöst, in die Fossa intercondyloidea überführt, und die Kapsel über 
demselben vernäht. Ligamenta cruciata sowie Semilunarknorpel 
wurden nicht gefunden. Auch nach diesem Eingriff, bei dem absicht¬ 
lich, um die vorhandene Verkürzung nicht noch zu vermehren, keine 
knöchernen Theile von den Gelenkenden entfernt wurden, war eine 
vollkommene Streckung des Unterschenkels nicht möglich ; dieselbe 
gelang jedoch nach der Heilung der Wunde durch Etappenverbände, 
so dass die Patientin, nachdem noch die Tenotomie der Achilles¬ 
sehne und das Redressement des Klumpfusses vollführt war, im 
September mit einem portativen Gypsverband derart in ihre Heimath 
entlassen werden konnte, dass die Schenkel in einer Richtung standen, 
und die bis dahin gemachten Gehversuche die Hoffnung berechtigt 
erscheinen Hessen, dass das Kind in kurzer Zeit mit Benutzung der 
kranken Extremität-ohne Stütze würde gehen können. Diese Hoff¬ 
nung ist in Erfüllung gegangen. Mit einem erhöhten Stiefel, der 
die damals vorhandene Verkürzung des rechten Beines von 3 cm 
ausglich, ist die Kleine bis zu ihrer Anfang Januar nach BerUn 
erfolgten Rückkehr munter umhergelaufen. Bei dem nunmehr er¬ 
folgten Wechsel des Gypsverbandes constatirten wir die vollkommene 
Streckung des Unterschenkels; doch war die Befestigung des Fibula¬ 
kopfs an seinem neuen Standort eine noch ziemlich lockere, so 
dass er die Neigung besass, nach den Seiten und besonders nach 
seinem alten Standort am Condylus externus auszuweichen. Der 


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144 


G. Joachimsthal. 


Unterschenkel konnte in geringen Grenzen bewegt werden, doch war 
das Kind gerade wegen der Neigung des Wadenbeinkopfes die Fossa 
condyloidea zu verlassen, noch nicht im Stande, ohne Verband zu 
gehen. Die Verkürzung der Extremität hatte gegenüber der gesunden 
Seite seit der Zeit der Entlassung um 1 cm zugenommen. Der 
Gypsverband, der dieses Mal, da das Redressement des Klumpfusses 
als vollkommen sich ergab, den Fuss freilassen konnte (Fig. 2), setzt 
unsere Patientin mit ihrem erhöhten Stiefel wieder in den Stand, 
auch die rechte Extremität ungehindert zur Fortbewegung zu be¬ 
nutzen. 


II. 

Das in der Sammlung der hiesigen Universitäts-Frauenklinik 
befindliche, mir von Herrn Geh. Medicinalrath Prof. Dr. Olshausen 
in freundlicher Weise für diese Arbeit zur Verfügung gestellte 
Spirituspräparat von angeborenem Defect der Tibia entstammt einem 
am 3. Tage nach der Geburt verstorbenen, von einer 14jährigen 
Primipara geborenen Knaben. Es besteht aus dem seiner Weich- 
theile entkleideten, nur noch durch Bänder zusammengehaltenen 
Ober- und Unterschenkel der rechten Seite, sowie aus dem noch 
vollkommen mit Haut bedeckten Fuss. An dem Femur ist die obere 
Epiphyse abgetrennt. 

Der Oberschenkelknochen zeigt normale Verhältnisse, sein 
Mittelstück ist etwas nach vorn gekrümmt, das distale Ende zeigt 
zwei in ihren unteren und vorderen Gegenden überknorpelte Con- 
dylen. Hinten sind beide durch eine tiefe nicht überknorpelte Fossa 
poplitea getrennt. In der Fossa patellaris liegt eine noch mit einigen 
Bänderresten in Verbindung stehende, 1,4 cm breite und 1,7 cm 
lange Kniescheibe. An der Aussenseite des Condylus externus findet 
sich eine Gelenkfläche für den einzig vorhandenen, an dem Präparat 
leicht flectirten Unterschenkelknochen, die Fibula. Diese Gelenk¬ 
fläche hat von oben nach unten eine Ausdehnung von 1,6 cm, von 
vorn nach hinten ist sie 0.9 cm breit und reicht hier bis zur hin¬ 
teren Grenze des Condylus externus, während sie von der unteren 
Umwandung desselben 0,4 cm entfernt bleibt. 

Die Fibula ist 6,4 cm lang und zeigt einen geraden Verlauf. 
Ihr mittlerer Abschnitt ist sehr dünn, während die beiden Endtheile 
anschwellen. DieDiaphyse bietet einen vorderen und hinteren scharfen 
Rand, durch die zwei seitliche Knochenflächen gebildet werden. Nach 


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Ueber den angeborenen totalen Defect des Schienbeins. 145 

oben und unten zu rundet sich der Knochen ab. Die obere Gelenk¬ 
fläche, von deren Umrandung zur entsprechenden Articulationsfläche 
des Femur eine vollkommen geschlossene Gelenkkapsel sich erstreckt, 
zeigt eine schräg von oben aussen nach unten innen abfallende Gestalt. 

Der Fuss steht in höchstgradiger Varusstellung, so dass der 
Malleolus externus den tiefsten Punkt bildet, und die Planta direct 
nach oben schaut. Auch die Ferse ist stark in die Höhe gezogen. 
Der Fuss besitzt 5 normale Zehen. 


Die angeborenen Tibiadefecte gehören allerdings zu den seltenen 
Missbildungen, sind aber immerhin nicht so selten, wie man dies 
bisher in Deutschland angenommen hat. Burckhardt 1 ), dem wir 
in der letzten Zeit die ausführlichste Darstellung der congenitalen 
Knochendefecte am Vorderarm und Unterschenkel verdanken, war 
nur 10 Fälle totalen und 6 solche partiellen Fehlens des Schien¬ 
beins zu sammeln im Stande. Nach seiner Zusammenstellung sind 
in Deutschland noch zwei weitere Fälle und zwar partiellen Tibia- 
defects von Thiele 2 ) und Melde 3 ) publicirt worden. Leider ist 
den deutschen Autoren die diesbezügliche ausländische Literatur voll¬ 
kommen entgangen, mit deren Berücksichtigung es mir gelang, die 
Zahl der bisherigen Beobachtungen bei Ausschluss zweier von Burck¬ 
hardt mitgezählter Fälle (von Meyersohn und Förster), bei denen 
der Tibiadefect gegenüber den sonstigen Verbildungen der Extremi¬ 
tät wesentlich zurücktritt, mit den beiden eigenen Beobachtungen 
auf 39, die an 31 Individuen constatirt wurden, zu erhöhen. Ich 
habe die Casuistik am Schluss meiner Arbeit zusammengestellt, und 
beschränke mich daher hier darauf, die Verbildung im grossen und 
ganzen zu skizziren, sowie im Anschluss daran einige besonders 
interessante Punkte zu erörtern, einmal wie die Entstehung der 
Anomalie zu denken ist, weiterhin was aus der Affection im weiteren 


*) Louis Burckhardt, Beiträge zur Diagnostik und Therapie der 
congenitalen Knochendefecte an Vorderarm und Unterschenkel. Jahrbuch für 
Kinderheilkunde. Neue Folge. 1890, XXXI S. 375. 

*) Franz Thiele, Ein Fall von angeborenem Defect der rechten Tibia. 
Inaug.-Diss. Greifswald 1890. 

*) Richard Melde, Anatomische Untersuchung eines Kindes mit beider¬ 
seitigem Defect der Tibia und Polydactylie an Händen und Füssen. Inaug.- 
Diss. Marburg 1892. 


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146 


G. Joachimsthal. 


Verlaufe der Wachsthumsjahre wird, wenn man sie einfach sich selbst 
überlässt, und endlich die therapeutischen Massnahmen zu be¬ 
sprechen, die bisher bei den Tibiadefecten in Anwendung gezogen 
wurden. 

Bei den 31 Individuen der Casuistik ist die Affection 23mal 
einseitig, 8mal doppelseitig vorhanden; 17 sind männlichen, 8 weib¬ 
lichen Geschlechts, bei 6 existiren in dieser Hinsicht keine Angaben. 
Fünfmal handelt es sich um nicht ausgetragene Früchte, 11 Patienten 
stehen zur Zeit des Eintritts in ärztliche Beobachtung im ersten, 
5 im zweiten, einer im dritten Lebensjahr, ein Patient ist zur Zeit 
der Untersuchung 10, zwei 12, einer 13 1 / 2 , einer 15 Jahre alt, in vier 
Fällen endlich ist das Alter nicht vermerkt. Unter 17 Fällen ein¬ 
seitigen Tibiadefects, in denen der Sitz der Anomalie bezeichnet ist, 
war 14mal die rechte und nur 3mal die linke Seite befallen. 

Das Bild des totalen wie partiellen Tibiadefects ist, falls man 
von dem von Bauer (3) *) beschriebenen Falle absieht, in dem gleich¬ 
zeitig die Fibula vollkommen mangelt, ein so typisch sich gleich¬ 
bleibendes, dass ich in Bezug auf die äusseren Ercheinungen der 
Deformität auf die beiden eigenen Beobachtungen verweisen kann, 
und dass die von den einzelnen Autoren gegebenen Abbildungen in 
geradezu verblüffender Weise mit einander übereinstimmen. 

Der Oberschenkel erscheint in einer Anzahl von Fällen voll¬ 
kommen normal. Häufig steht er etwas nach aussen rotirt. Meist 
ist derselbe in geringem Grade gegenüber der gesunden Seite ver¬ 
kürzt, nur bei Reverdin (12) besteht die Verlängerung und zwar 
um 3 cm auf der kranken Seite. Bei Burckhardt’s Patienten (25) 
bestehen Veränderungen am oberen Femurende wie am Becken. An 
Stelle eines Trochanters lässt sich hier eine kolbenförmige Knochen- 
contour durchfühlen, die den Eindruck eines rundlich verdickten 
Endes des Femurschaftes macht; die Gelenkverbindung des Ober¬ 
schenkelendes mit dem Becken ist direct nach unten und aussen 
von der Spina anterior superior, die Pfannengegend als leere Grube 
deutlich zu fühlen. Die ganze Beckenseite ist dabei in der Ent¬ 
wickelung zurückgeblieben. 

Häufiger finden sich Veränderungen des unteren Femurendes 
vermerkt. Meist ist die Fossa condyloidea nur schwach ausgebildet 


*) Die eingeklammerten Zahlen beziehen sich auf die am Schluss der 
Arbeit angefügte Casuistik. 


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Ueber den angeborenen totalen Defect des Schienbeins. 


147 


[Dreibholz (4), Melde (29) u. A.] oder fehlt ganz [Erlich (13), 
Medini (22)], wobei die Condylen ein mehr plumpes Aussehen ge¬ 
winnen, oder das untere Oberschenkelende besitzt eine conische 
[Reverdin (12)] oder knopfförmige [Burckhardt (25)] Gestalt. Bei 
Hildemann’s Patienten (10) spaltet sich das Os femoris ungefähr 
in der Mitte des Oberschenkels in zwei seitliche Hälften, welche 
auseinanderweichen und auf diese Weise sich wie zwei Schenkel 
eines Dreiecks zu einander verhalten. Die Condylen sind also nicht 
wie in der Norm zusammengewachsen, sondern stehen in einer 
ziemlich beträchtlichen Entfernung von einander, und zwar der eine 
schräg nach unten und innen, der andere schräg nach unten und 
aussen. Zwischen beiden Condylen liegt, von der Haut und dem 
Unterhautzellgewebe bedeckt, ein sehr straffes Ligament, welches 
einen nach unten concaven Bogen bildet. An der hinteren Seite 
des Condylus externus ist dann der einzige Unterschenkelknochen, 
die Fibula, eingelenkt. Erlich (13) sah bei seiner Patientin mit 
doppelseitigem Mangel der Tibia an jedem Oberschenkel einen nach 
aus- und abwärts gerichteten, fast senkrecht gestellten Zapfen, an 
den sich die Mm. Gracilis, Sartorius, Semitendinosus und Semimera- 
branosus inserirten. Erlich nimmt an, dass diese Knochenzapfen 
auf den Oberschenkel verlagerte, d. h. heterotop entwickelte Tibiae 
darstellen. 

Die Patella fehlt bei 7 Patienten lOmal [Bauer (3), Parker (11), 
Erlich (13), Young (21), Medini (22), Melde (29)]. Ist sie 
bei totalem Tibiadefect vorhanden, so zieht ihr Ligament, falls ein 
solches besteht, zur Fibula oder findet in der Kniegelenkskapsel seine 
Insertionsstelle. Fehlt das Ligament, so rückt die Patella bei Con- 
tractionen des Quadriceps in die Höhe. 

Fast in allen Fällen bestehen Flexionscontracturen im Knie¬ 
gelenk. Für gewöhnlich ist eine Luxation der Fibula nach hinten 
eingetreten und zwar hier wieder meist gleichzeitig an die Aussen- 
seite des Condylus externus, wo sich in einzelnen Fällen eine völlige 
Nearthrose ausgebildet hat. Die Verbindung der Fibula ist meist 
eine sehr lockere und gestattet seitliche wie Rotationsbewegungen, 
oder man vermag wie bei Albert (5) den Wadenbeinkopf an der 
Aussenseite des Condylus externus wie eine Stange auf und ab zu 
bewegen. Fast stets fehlen die Ligamenta cruciata und Semilunar¬ 
knorpel. Alle Autoren ausser Billroth (2), der dies besonders her¬ 
vorhebt, geben das Wadenbein zumal in seinem oberen und unteren 




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148 


G. Joachimstlial. 


Abschnitt als gegenüber der Norm verdickt, gleichzeitig aber ver¬ 
kürzt an. Mehrmals verlief die Fibula nicht gerade, sondern convex 
nach aussen [Craig (6), Erlich (13), Rnppold (17), Burck- 
hardt (25). Thiele (26), Melde (29)], in anderen Fällen wiederum 
[Pauly (7), Thümmel (15)] mit einer Biegung nach hinten und 
innen; bei Schrakamp (18) bestand eine durch eine intrauterine 
Fractur bedingte Knickung der Fibula. 

Ist der Tibiadefect kein totaler, so handelt es sich entweder, 
wie bei Thiele (26), um ein haselnussgrosses aus hyalinem Knorpel 
bestehendes Rudiment innerhalb der Kapsel, oder es zieht, wie bei 
Melde (29), von der Kniegelenkskapsel in der Gegend des Condylus 
internus zur oberen Fläche des Talus ein fibröser Strang, der be¬ 
sonders in seinem Beginn die pyramidenförmige Gestalt des oberen 
Endes einer Tibia zeigt und den sonst von der Tibia entspringenden 
Muskeln zur Ursprungsstelle dient. Ein anderes Mal ist der vor¬ 
handene Theil der Tibia grösser und schon bei der klinischen Unter¬ 
suchung nachweisbar. Er repräsentirt dann das obere Tibiaende in 
Form einer Pyramide und articulirfc mit dem Femur in normaler 
Weise. Bei Craig (6), Albert (8), Rappold (17), Young (21) 
endet das vorhandene obere Schienbeindrittel scharf unter der Haut, 
welche an dieser Stelle eine warzenartige Erhebung, resp. narben¬ 
artige Einziehung zeigt. Erlich (14) beschreibt einen sechsmonat¬ 
lichen Foetus mit partiellem Tibiadefect, bei dem der vorhandene 
obere Theil des Schienbeins eine Pyramide darstellt, deren Basis 
mit dem Femur articulirt, deren Spitze distal frei auf der Oberfläche 
des Unterschenkels hervorragt. Die so an der Hautoberfläche zu 
Tage getretene Spitze ist mit einem langen membranösen Faden 
• besetzt und ragt direct nach vorn und aussen hervor, so dass es den 
Eindruck macht, als ob ein spitziges Fracturstück der Tibia durch 
die Haut vorgetrieben wäre. Nur einmal in der Beobachtung von 
Parona(9) handelt es sich nicht um Fehlen des unteren Antheils 
des Schienbeins, sondern es besteht linkerseits ein Mangel des oberen 
Schienbeindrittels, während rechterseits die Tibia bis auf den unteren 
Antheil und einen Theil des mittleren Drittels fehlt. 

Die Fusshaltung ist stets die eines Varus und zwar meist be¬ 
trächtlichen Grades. In einer Anzahl von Fällen ist die Zahl der 
Zehen die normale. Bei Otto (1), Albert (8), Young (21), 
Schrakamp (18) und Bessel-Hagen (24) fehlt die grosse Zehe, 
bei Bauer (3), Albert (8) und Motta (27) ist die Zahl der 


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Ueber den angeborenen totalen Defect des Schienbeins. 


149 


Zehen auf drei reducirt. Parker (11) sah beiderseits sechs Zehen, 
von denen jedoch keine die Eigenschaft der grossen Zehe besass, 
Melde (29) beiderseits sieben Zehen, eine Anomalie, wie er glaubt, 
bedingt durch eine links vollständige, rechts weniger vollständige 
Dreitheilung des Hallux. Bei Parona's (9) und Medini’s (22) 
Patienten trug jeder Fuss acht Zehen, und zwar sassen bei dem ersteren 
die überzähligen drei Zehen an dem inneren Fussrande. Endlich sind 
in Dreibholz’s (4) Beobachtung rechts sieben, links acht Zehen 
constatirt; hier waren an dem einen Fuss neben einer anderen Zehe 
die Halluces doppelt, an dem andern sogar vierfach angelegt. 
Gleichzeitige Verbildungen, meist Defectbildungen an den oberen 
Extremitäten, werden in einer Anzahl von Beobachtungen mitgetheilt, 
in anderen bestand gleichzeitig Polydactylie und Syndactylie an den 
Händen der betreffenden Patienten, sowie eine Anzahl anderweitiger 
Anomalieen. 

Es ist endlich noch erwähnenswerth, dass ähnliche narbige 
Veränderungen, wie sie die Haut unserer kleinen Patientin oberhalb 
des Fibulakopfs zeigt, auch in den Beschreibungen von Thiele (26), 
Motta (27) und Busachi (28) wiederkehren, bei Motta’s Kranken 
fand sich eine ähnliche Veränderung der Haut auch in der Gegend 
des Malleolus externus. 

In Bezug auf die Pathogenese und Aetiologie der in Rede 
stehenden Anomalie muss zunächst bemerkt werden, dass bei sämmt- 
lichen bisher vorliegenden Beobachtungen das Vorkommen von Miss¬ 
bildungen bei den Eltern und Geschwistern in Abrede gestellt wird, 
wie es ja überhaupt zu den merkwürdigsten Erscheinungen gehört, 
dass bei den Defectbildungen die Heredität in so geringer Weise 
sich bemerkbar macht, während wir dieses bei den Doppelmiss¬ 
bildungen in so ausgedehntem Maasse finden *). Von einigen Autoren 
wird dem jugendlichen Alter der Eltern eine Bedeutung für die Ent¬ 
stehung der Anomalie zugeschrieben, wofür die Thatsache zu ver- 
werthen wäre, dass in unserer zweiten eigenen Beobachtung die Mutter 
des Trägers der Deformität erst das 14. Lebensjahr erreicht hatte. 

*) Neuerdings berichtet A. H. Tubby (A case of „lobster*claw“ deformity 
of the feet and partial suppression of the fingers, with remarkable hereditary 
history. Lancet 17. Februar 1894, S. 396) über den überaus ungewöhnlichen 
Fall einer Vererbung von Defectbildungen an Händen und Füssen durch vier 
Generationen hindurch. Die Anomalien waren bei den jüngeren Gliedern der 
Familie stärker ausgeprägt als bei der älteren. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. III. Band. H 


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150 


G. Joachimsthal. 


Man kann wohl a priori behaupten, dass es nicht angebracht 
sein kann, in dem Defect der Tibia einen primären Bildungsfehler 
sehen zu wollen. Es wäre sonst nicht begreiflich, wie in der 
überwiegenden Mehrzahl der Fälle die Condylen des Femur und 
auch der Talus eine so normale Entwickelung hätten einschlagen 
können. Wie auch das Vorkommen fibröser Stränge von der Ge¬ 
stalt des Schienbeins an Stelle des fehlenden Knochens, der in der 
Beobachtung von Dreibholz vollständig aus hyaliner Knorpel¬ 
masse besteht, es darthun, hat früher eine Tibia in der Anlage 
bestanden, und ist deren Schwund erst später, nachdem bereits das 
Knie- und Fussgelenk angelegt war, zu Stande gekommen. Dass 
hierbei das Amnion in der Weise wirkte, dass es durch Raum¬ 
beengung der Weiterentwickelung der Tibia hinderlich wurde, wird 
wahrscheinlich aus dem Vorhandensein der oben erwähnten Narben, 
ferner aus der Beobachtung Erlich’s (14), in der an der Spitze des 
vorhandenen Tibiarudiments ein langer membranöser Faden hängt, 
wohl ein Ueberbleibsel der Verwachsung des Amnion mit der Tibia, 
endlich aus einem von Hildemann (10) berichteten Falle, in dem 
einmal das untere Femurende gespalten ist; ausserdem verläuft 
hier um die linke Hand herum eine offenbar durch Einschnü¬ 
rung entstandene Furche, und fehlt am vierten Finger die dritte 
Phalanx. 

Ich kann es nach dem Gesagten nicht als richtig zugeben, wenn 
Burckhardt und mit ihm eine Reihe anderer Autoren eine Abhängig¬ 
keit der Defectbildungen der Tibia von den nach der Gegenbauer¬ 
sehen Archipterygialtheorie festgestellten Strahleneinheiten als er¬ 
wiesen erachten. Wie bekannt, betrachtet Gegen bauer als den Stamm 
des Archipterygiums der unteren Extremität die laterale Reihe ihrer 
Skeletttheile, so dass derselbe durch den Femurknochen, die Fibula, 
zwei Tarsalknochen und die fünfte Zehe zusammengesetzt wird. An 
diese einzelnen Glieder des Archipterygiums setzen sich die übrigen 
Skeletttheile als Seitenzweige oder Strahlen an. Der erste Strahl 
beginnt mit der Tibia, in das Skelett der grossen Zehe auslaufend, 
im Tarsus beginnend läuft der zweite, dritte und vierte Strahl in 
die betreffenden Zehen aus. Wenn Burckhardt u. A. annehmen, 
dass wir es bei dem Fehlen des Schienbeins mit einer Defectbildung 
des ersten Nebenstrahles zu thun haben, so spricht dafür allerdings 
das in einer Reihe von Beobachtungen wiederkehrende Fehlen der 
grossen Zehe und des dazu gehörigen Metatarsalknochens als der 


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Ueber den angeborenen totalen Defeet des Schienbeins. 


151 


Ausläufer des ersten Nebenstrahles. Abgesehen davon jedoch, dass dieses 
Verhältniss durchaus nicht constant ist, sind sogar im Gegensatz 
dazu in einer Anzahl von Fällen, die ich oben zusammengestellt 
habe, Verdoppelungen gerade am Hallux beschrieben. Es besteht 
überdies, wie schon gesagt, an Stelle des fehlenden Unterschenkel¬ 
knochens meist ein diesen repräsentirender fibröser Strang, der in 
einer Beobachtung von Parona sogar, auf die wir bei den therapeuti¬ 
schen Maassnahmen noch zu sprechen kommen, nach einem ge¬ 
lungenen operativen Eingriff, der das betreffende Kind in den Stand 
setzte, seine Beine selbständig zu benutzen, die Fähigkeit, noch nach¬ 
träglich zu verknöchern, zeigte. Dass auch die Polydactylie bei Tibia- 
defecten unter dem Einfluss des Amnion zu Stande gekommen sein 
kann, wird wahrscheinlich, wenn wir mit Marchand 1 ) annehmen, 
dass ein zu enges Amnion die Extremitätenstummel zu der Zeit, wo 
die Zehen zur Ausbildung kommen, fest an den Körper gepresst und 
die einzelnen Anlagekeime auseinander gedrängt hat, so dass z. B. 
die ursprünglich einfache Anlage für die grosse Zehe durch den an¬ 
haltenden Druck in drei Theile getrennt wurde. 

In Bezug auf die Frage, was aus der Missbildung im weiteren 
Verlaufe der Jahre wird, wenn sie einfach sich selbst überlassen 
bleibt, bieten uns diejenigen Fälle der Casuistik, die in dem zweiten 
Lebensdecennium zur Beobachtung kamen, Aufklärung Am meisten 
Interesse beansprucht in dieser Hinsicht der von Burckhardt (25) 
mitgetheilte Fall, dessen Abbildungen ich an dieser Stelle wieder¬ 
gebe. Fig. 3 zeigt den Kranken im Alter von 8 Wochen, Fig. 4 
im Alter von 12 Jahren. Das starke Zurückbleiben in der Ent¬ 
wickelung nicht nur des Unterschenkels, sondern auch des Ober¬ 
schenkels und Fusses geht aus denselben ohne weiteres hervor. 
Aehnlich liegen auch die Verhältnisse bei Pauly's (7) Kranken, der 
zur Zeit der Beobachtung das 15. Lebensjahr erreicht hatte. Der 
Unterschenkel war hier auf der kranken Seite um 17 cm kürzer als 
auf der gesunden und hing in schlotternder Verbindung als störendes 
Anhängsel an dem Oberschenkel. 

Es leitet uns dieser Punkt direct auf die Frage der Therapie 
über, indem er uns den Gedanken nahe legt: was können wir thun, 
und sind wir im Stande, derartige Wachsthumsstörungen aufzu¬ 
halten? Eine Reihe von Autoren haben, selbst wenn sie die Kranken 


>) Cf. Melde, 1. c. 


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152 


6. Joachimsthal. 


in frühester Kindheit in Beobachtung bekamen, einzig und allein 
die Exarticulation resp. Amputation des Unterschenkels für zweck¬ 


entsprechend gehalten und auch zur 
Ausführung gebracht; im späteren 
Kindesalter wurden die Patienten 
zuweilen dem Arzte vom Banda¬ 
gisten zur Entfernung des Unter¬ 
schenkels überwiesen, weil es un- 


Fig. 3. 



Fig. 4. 



möglich erschien, vor derselben eine geeignete Prothese anzu¬ 
fertigen. 

Der erste, der zu einer mehr conservativen Behandlungsmethode 
griff, war Albert (5). Bei dem 9 Monate alten Kinde durchtrennte 


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Ueber den angeborenen totalen Defect des Schienbeins. 


153 


er quer unterhalb der Patella die Weichtheile, resecirte die Wan¬ 
dungen der Fossa intercondyloidea, so dass eine mit der Spitze nach 
oben sehende keilförmige Grube entstand, deren Wandungen zum 
Theil knorplig, zum Theil aber spongiös knöchern waren. Er 
frischte dann das obere Ende der Tibia ebenso keilförmig an (die 
Spitze des Keiles war Knorpel), nahm eine gerade Ahle und bohrte 
das Femur in den Condylen durch, nachdem die Fibulaspitze in die 
Nische der Fossa intercondyloidea eingesetzt war. Durch den Bohr¬ 
kanal wurde alsdann ein Silberdraht durchgesteckt, der die Fibula 
in ihrer Nische festhielt. Die Vereinigung erfolgte knöchern in 
einem geringen stumpfen Winkel; doch ist über das weitere Schick¬ 
sal der Patientin leider nichts bekannt geworden. 

In ähnlicher Weise wie Albert sind weiterhin Motta (27), 
Busachi (28) und Helferich (26) vorgegangen. Motta's Patient 
war zur Zeit der Operation 7 Monate alt, der Tibiadefect war ein voll¬ 
kommener. Der Eingriff, der sich von dem Albert'sehen nur da¬ 
durch unterschied, dass die Silberdrahtbefestigung unterblieb, führte 
nicht zur Ankylose; der Erfolg war der, dass der Kranke nach Ab¬ 
lauf eines halben Jahres bei einer Beweglichkeit des Kniegelenks 
von ca. 30° mit Hilfe eines Schienenapparates, der den Fuss, um 
die noch bestehende Verkürzung von 4 cm auszugleichen, in Plantar¬ 
flexion fixirte, die ersten Gehversuche machte. 

Busachi, der ein 10 Monate altes Kind in ähnlicher Weise 
operirte, gab nach der Heilung einen leichten Filzverband, der das 
Glied in corrigirter Stellung erhielt und so die Patientin in den 
Stand setzte, sich auf den Beinen zu halten. Auch hier war keine 
knöcherne Vereinigung eingetreten. 

Genau wie Albert verfuhr Helferich (cf. Thiele) bei 
einem 1 x /* Jahre alten Knaben; die Publication ist hier jedoch wenige 
Tage nach der Operation erfolgt so dass über das weitere Schicksal 
des Patienten nichts bekannt ist. 

Endlich vollführte Parona (9) bei einem 20 Monate alten 
Knaben beiderseits die Resection des oberen Fibular- und unteren 
Femurendes und sicherte die erzielte Streckstellung zunächst durch 
Wasserglasverbände, die später durch Schienenapparate ersetzt wurden. 
Auch hier kam es nicht zur Ankylose, so dass das Kind in ge¬ 
wissen Grenzen die Fähigkeit, den Unterschenkel zu beugen und zu 
strecken, behielt; dennoch war das Resultat ein sehr befriedigendes, 
indem der Knabe in den Stand gesetzt war, den ganzen Tag ohne 


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154 


G. Joachimsthal. 


Unterstützung umher zu gehen. Parona constatirte ausserdem die 
wunderbare Thatsache, dass schon wenige Wochen nach dem Ein¬ 
griff die vorhandenen Schienbeinantheile sich zu vergrössem anfingen, 
indem es, wie er glaubt, unter dem Reiz der Function zu einer Ver¬ 
knöcherung der fibrösen, die fehlenden Knochentheile repräsentirenden 
Stränge kam. 

Die Erfahrung, dass in den meisten Fällen nach der Im¬ 
plantation der Fibula in die Fossa intercondyloidea trotz der An¬ 
frischung und event. Fixation der Gelenkenden eine Ankylose nicht 
erzielt wurde, und dass trotzdem der functioneile Erfolg ein be¬ 
friedigender war, liess schon mit Rücksicht auf die bereits bestehende 
Verkürzung den Versuch gerechtfertigt erscheinen, auf die An¬ 
frischung zu verzichten und nach Einfügung des Wadenbeinkopfs 
in die Fossa intercondyloidea abzuwarten, ob sich vielleicht im Laufe 
der Zeit hier ein neues Gelenk herausbilden würde. Ob dieses in der 
That der Fall sein wird, bleibt abzuwarten; es wird ebenso der 
weiteren Beobachtung überlassen bleiben müssen, ob nicht, worüber 
bisher absolut keine Erfahrungen vorliegen, auch trotz des Eingriffs 
erheblichere Wachsthumsstörungen an der verbildeten Extremität ein- 
treten werden, wofür allerdings der Umstand spricht, dass schon 
jetzt, 7 Monate nach der Operation, das kranke Glied gegenüber 
dem gesunden um einen weiteren Centimeter im Wachsthum zurück¬ 
geblieben ist. 

Dass die Fibula der kranken Seite, die ja schon an und für 
sich gegenüber der Norm verdickt erscheint, wohl im Stande sein 
dürfte, im Laufe der Zeit für den fehlenden Unterschenkelknochen 
mit einzutreten, lehrt die Analogie mit einem von Roux 1 ) schon kurz 
beschriebenen und von Prof. Wolff 2 ) in seinem Werk über das 
Gesetz der Transformation der Knochen abgebildeten Präparat von 
Pseudarthrose der Tibia. Die Fibula hat sich hier entsprechend 
dem Umstande, dass sie functionell an die Stelle der Tibia getreten 
ist, um das 6—Sfache des normalen Querdurchschnitts verdickt und 
ist ausserdem um 2 l ji cm länger als die Tibia geworden. Ein ähn¬ 
liches Eintreten des Wadenbeins für die fehlende Tibia dürfen wir 
demnach vielleicht auch in dem vorliegenden Falle erwarten. 

*) Wilhelm Roux, Der Kampf der Theile im Organismus. Leipzig 
1331, S. 14 u. 15. 

2 ) Julius Wolff, Das Gesetz der Transformation der Knochen. Berlin 
1892, S. 52 und Tafel VII Fig. 49. 


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Ueber den angeborenen totalen Defeet des Schienbeins. 


155 


Das Redressement der die Tibiadefecte stets begleitenden Klump- 
fussstellung ist mit oder ohne Durchschneidung der Achillessehne 
überall da, wo es versucht wurde, auch gelungen. 

C a 8 u i s t i k. 

1. Otto 1 ). 

(1850.) 

Ein ungefähr dem 6. Monat entsprechender Fötus männlichen Geschlechts, 
sonst wohlgeformt, zeigt Missbildungen an den vier Extremitäten. Die rechte 
Hand besitzt nur zwei Finger, durch eine bis zum Carpus reichende Spalte 
getrennt. An der linken Hand findet sich eine gleiche Spalte, die zwei 
kürzere mit einander verschmolzene innere Finger von einem äusseren trennt. 
Die linke untere Extremität ist verkürzt und zeigt einen hochgradigen Klump- 
fuss, ebenso die rechte; hier ist zugleich das Kniegelenk flectirt, es fehlt die 
grosse Zehe, die beiden nächsten Zehen sind durch Syndactylie zur Hälfte ver¬ 
schmolzen. Es fehlt die Fibula (?) mit ihrer Muskulatur. Wie Burckhardt 
nach weist, handelt es sich in dem Otto’schen Falle mit grösster Wahrschein¬ 
lichkeit nicht um einen Fibula-, sondern Tibiadefect. Die Richtigkeit dieser 
Annahme beweist ein Blick auf die Otto’sche Abbildung, die ein den sonst 
beschriebenen totalen Tibiadefecten durchaus analoges Aussehen zeigt. 

2. Billroth 2 ). 

(1861.) 

Das rechte Bein eines neugeborenen Kindes männlichen Geschlechts ist 
im Knie flectirt und lässt sich nicht vollständig extendiren. Der Fuss derselben 
Seite steht in der Stellung eines Pes varus höchsten Grades, der Malleolus 
extemus ragt abnorm hervor. Die Tibia fehlt; auch bei der anatomischen 
Untersuchung des im Alter von 14 Tagen verstorbenen Kindes ist keine Spur 
einer Andeutung oder rudimentären Entwickelung dieses Knochens vorhanden. 
Die Fibula ist durchaus nicht stärker entwickelt als an der anderen Extremität; 
das obere leicht nach hinten luxirte Ende zeigt eine kleine Gelenkfläche 
zur Articulation mit dem Femur. Die Patella hat nach unten zu, etwa der 
Tuberositas tibiae entsprechend, einen dreieckigen Fortsatz mit einer dem 
Gelenk anliegenden Knorpelfläche; es fehlt ein eigentliches Ligam. patellae. 
Die Form der Condylen des Oberschenkels ist genau wie an dem andern, in 
Bezug auf das Kniegelenk durchaus normalen Femur. Die Muskeln an der 
Innenseite des Oberschenkels nehmen ihre Insertion anstatt an der Tibia an 
der Kniegelenkskapsel und an der Fascie des Unterschenkels. Der M. flexor 
halluc. long. fehlt ganz, ebenso der M. tibialis anticus; die Mm. tibialis posticus 

*) Otto, Monstrorum sexcentorum descriptio anatomica. Tübingen 1850, 
Nr. 257. 

*) Th. Billroth, Ueber einige durch Knochendefecte bedingte Ver¬ 
krümmungen des Fusses. Arch. f. klin. Chir. 1861, I S. 252. 


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G. Joachimstkal. 


und flexor digit. commun. longus entspringen nur von der Fascia cruris, die 
übrigen Muskeln theils von den Fascien, theils von der Fibula. Die Knie¬ 
gelenkskapsel erscheint durchaus normal, nur fehlt das Ligam. lateral, int.; an 
der Stelle, wo die Ligg. cruciata sitzen sollten, befinden sich einige stärker 
hervorspringende Synovialfalten, die jedoch nicht gekreuzt, sondern parallel 
von oben nach unten verlaufen. Der linke Fuss zeigt die Stellung eines Pes 
calcaneo-välgus. Defecte der Knochen sind hier nicht vorhanden. 

3« Bauer 1 ). 

(1870.) 

Bei einem 10jährigen Knaben mangelt der rechte Unterschenkel, das 
Rudiment eines Fusses steht direct mit dem Oberschenkel in Verbindung. Die 
untere Epiphyse des rechten Femur ist flacher und breiter; die Condylen sind 
nur schwach entwickelt. Die Gelenkfläche stellt eine mässig convexe Fläche 
dar, von der Fossa intercondyloidea ist kaum eine Andeutung vorhanden. 
Patella und Ligamentum patellare fehlen. Am Fusse mangeln Calcaneus und 
Astragalus und vielleicht noch andere Tarsalknochen. Der Mittelfuss besteht 
nur aus drei Knochen und ebenso fehlen die vierte und fünfte Zehe. Von den 
den Unterschenkel bewegenden Muskeln tritt der Gracilis allein hervor, und 
zwar zieht dieser an den inneren Fussrand. Dem Fusse wird dadurch eine fast 
rechtwinkelige und so stark adducirte Stellung angewiesen, dass bei einander 
genäherten Schenkeln alle Zehen das linke Kniegelenk berühren. Die Rudi¬ 
mente der übrigen Muskeln inseriren sich in der Gelenkkapsel des Knies. 

An der linken Extremität fehlt die Fibula ganz, dagegen findet sich eine 
kaum zwei Dritttheile der entsprechenden normalen Länge messende Tibia mit 
einem ähnlich dem rechten missgestalteten Fusse; dieser zeigt bei verschiedener 
Gestalt und Stellung ganz dieselben anatomischen Defecte; die grosse Zehe 
hat dagegen drei Phalangen und sieht ihrer bedeutenden Länge wegen einem 
Finger ähnlicher. Der Fuss nimmt eine diagonale Stellung ein, die Ferse ist 
nach vorn und innen gerichtet, die Zehen gehen nach aussen und hinten. 
Rechts gelang nach der Durchschneidung der Sehnen die Graderichtung des 
Fusses, links musste dieser entfernt werden. Die Prothesen, die Bauer 
verfertigen liess, befähigten den Knaben zur sicheren und leichten Fort¬ 
bewegung. 

4. Dreibholz 2 ). 

(1873.) 

An einer völlig ausgetragenen Frucht sind die oberen wie unteren 
Extremitäten nur halb so lang als in der Norm. An der rechten Hand finden 
sich acht mehr oder weniger durch Schwimmhäute verbundene Finger, indem 


J ) Louis Bauer, Handbuch der orthopädischen Chirurgie. Uebersetzt 
von B. L. Sc har lau. Berlin 1870, S. 70. 

2 ) Dreibholz, Beschreibung einer sogenannten Phocomele. Inaug.- 
Diss. Berlin 1873. 


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Ueber den angeborenen totalen Defect des Schienbeins. 157 

nur Zeige* und kleiner Finger einfach, die übrigen doppelt vorhanden sind. 
An der linken Hand bestehen sieben Finger mit geringen Verwachsungen; 
die doppelten Finger sind hier der Daumen und Zeigefinger. Der Fuss steht 
beiderseits in Equinovarusstellung. Am rechten Fuss finden sich sieben Zehen, 
die ebenfalls durch Schwimmhäute mehr oder weniger verbunden sind; Mittel¬ 
zehe und Hallux sind doppelt. Am linken Fuss sind acht nur an der Basis 
verwachsene Zehen vorhanden. Die Zergliederung ergibt, dass der äusserlich 
scheinbar doppelte Hallux nur einfach angelegt ist. Die anatomische Präpa¬ 
ration der linken unteren Extremität zeigt den Condylus internus femoris klein, 
von dem nach aussen hin stetig an Breite zunehmenden Condylus extemus 
durch eine äusserst seichte Fossa getrennt. Die Tibia, vollständig aus hyaliner 
Knorpelmasse bestehend, gleicht im medianen Durchschnitt einem unregel¬ 
mässigen Trapez mit der langen Seite nach innen. Die Ligamenta cruciata sind 
vorhanden, die Fibrocartilagines nur häutige dünne Blättchen. Die Fibula ist sehr 
kräftig und normal verknöchert. Das sehr stark entwickelte Köpfchen bildet 
eine Gelenkgrube für den Condylus internus femoris. Die Patella ist vorhanden. 
Die Tibia steht nur mit der inneren seitlichen Gelenkfläche des Talus in Con- 
tact, die Fibula articulirt mit Talus und Calcaneus. Von Metatarsalknochen 
sind sieben vorhanden. Die beiden äusseren verschmelzen mit einander zu 
einem gemeinsamen Köpfchen für die kleine Zehe. Die Frucht zeigt ausser¬ 
dem noch männlichen Hermaphroditismus, Paraspadie und Labium fissum. 

5. Albert ] ). 

(1877.) 

Bei Albertus 9 Monate altem Mädchen stand der rechte Fuss in sehr 
mässiger Varusstellung. Den Unterschenkel, der vollkommen normal aussah, 
konnte man im Knie gegen den Oberschenkel nach einwärts und auswärts ab¬ 
knicken ; drängte man ihn in seiner Achse aufwärts, so liess er sich eine Strecke 
vorschieben, und dabei fühlte der Finger an der Aussenseite des Condyl. later, 
einen dem Unterschenkel angehörigen knöchernen Vorsprung sich bewegen, der 
weiter abwärts verfolgt, sich als das obere Ende der Fibula erwies, die also 
an der Aussenseite des lateralen Schenkeicondy len wie eine Stange auf- und 
abwärts bewegt werden konnte. Die Tibia fehlte vollkommen, das ganze 
Knochengerüste des Unterschenkels bestand aus der Fibula. Die Patella war 
gut ausgebildet. Albert trennte unterhalb der Kniescheibe die Weichtheile 
quer durch, resecirte die Wandungen der Fossa intercondyloidea, frischte das 
obere Ende der Fibula keilförmig an, nahm dann eine gerade Ahle und bohrte 
das Femur in den Condylen durch, nachdem die Fibulaspitze in die Nische der 
Fossa intercondyloidea eingesetzt war. Durch den Bohrkanal wurde ein Silber¬ 
draht geführt, der die Fibula in ihrer Nische festhielt. Es erfolgte knöcherne 
Vereinigung in einem geringen stumpfen Beugewinkel. 


*) E. Albert, Implantation der Fibula in die Fossa intercondyloidea 
femoris bei angeborenem Defect der ganzen Tibia. Wien. med. Presse 1877, 
Nr. 4, S. 111. 


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G. Joachimsthal. 


6. Craig 1 ). 

(1878.) 

Es handelt sich um ein männliches 12 Stunden nach der Geburt gestor¬ 
benes Kind. Die Patella ist vorhanden, der Fuss in Yarusstellung. Die Anzahl 
der Zehen ist die normale. Die Fibula, die besonders in ihrem unteren Ab¬ 
schnitt dicker als normal ist, zeigt in ihren oberen zwei Dritteln einen normalen 
Yerlauf, weiter nach unten ist sie nach einwärts gekrümmt. Der obere Ab¬ 
schnitt der Tibia ist normal. Unterhalb der Tuberositas convergiren die drei 
Flächen des Knochens und endigen in einer Spitze unter der Haut, die an dieser 
Stelle eine warzenartige Erhebung zeigt. Die Fibula besitzt an der oberen 
Fläche eine schmale Gelenkfläche, die von dem äusseren Femurcondylus durch 
einen Semilunarknorpel getrennt ist. Ausserdem besitzt die Fibula eine zweite 
schmale Gelenkfläche, die mit einer viel breiteren an der hinteren Partie der 
Aussenseite der Tuberositas tibiae articulirt. Dieses Gelenk communicirt mit 
dem Kniegelenk. Beide Unterschenkelknochen sind durch eine feste Membrana 
interossea verbunden, die von dem vorhandenen Tibiatheil sich zur ganzen 
Länge der Fibula erstreckt. 

7. Pauly 2 ). 

(1879.) 

Dem 15jährigen Patienten hängt rechterseits der Unterschenkel erheb¬ 
lich kürzer als der linke (rechts 23, links 40 cm) im stumpfen Winkel vom 
normalen Oberschenkel herab, nach innen gekrümmt und in schlotteriger Ge¬ 
lenkverbindung mit dem Femur. An diesen verkürzten Unterschenkel schliesst 
sich in ganz excessiver Klumpfussstellung, ein völlig ausgebildeter, jedoch kleiner 
Fuss. Die Patella ist vorhanden. Yon der Tibia ist nur die obere Epiphyse 
als eine kaum 2 Zoll lange Knochenpyramide nachweisbar. Die Fibula, beson¬ 
ders der äussere Knöchel, ist sehr verdickt. Der Knabe kann activ den Unter¬ 
schenkel beugen und in geringem Grade strecken. Beim Beugen gleitet derselbe 
auf den Femurcondylen etwas nach hinten, bei passiven Bewegungen kann man 
ihn auf dem Femur in der Horizontallinie hin- und herschieben. Bei der Am¬ 
putation des Unterschenkels zeigt sich, dass der sehr verdickte Fibulakopf das 
Kniegelenk mitbildet und mit einer convexen Gelenkfläche articulirt, die am 
hinteren Theile des Condylus extemus nach aussen, oben und hinten aufsteigt. 
Das Tibiarudiment stellt eine Pyramide dar, deren Basis die Gelenkfläche ist. 
Die Spitze sieht nach aussen und unten. Sämmtliche Muskeln sind erhalten; 
es inseriren am Condyl. extern, der Tibiaepiphyse der Extensor communis, die 
Tibiales und der Soleus, am Condylus intern, nur ein verkümmerter Kopf des 
Triceps. 


J ) William Craig, Notes on a rare congenital malformation of the 
leg, with an anatomical-description by Johnson Symington. Journ. of anatomy 
und physiology Vol. XII, 1878, S. 419. 

2 ) Pauly, Ein Fall von Klumpfuss durch Mangel der Diaphyse und 
der unteren Epiphyse der Tibia. Arch. f. klin. Chir. 1879, XXIY, S. 529. 


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Ueber den angeborenen totalen Defect des Schienbeins. 


159 


8. Albert J ). 

(1880.) 

An einem Spirituspräparat der Wiener geburtshülfliehen Klinik fehlte 
linkerseits die Tibia gänzlich, während rechts das obere Ende des Schienbeins 
in Form eines nach unten spitzen Kegels vorhanden war. Rechts fanden sich 
vier, links nur drei Zehen. Die Füsse standen gleichmässig in der Stellung 
eines Yarus von mittlerem Grade, wobei überdies der äussere Knöchel beider¬ 
seits eine ungemein starke Prominenz bildete. 

Bei der anatomischen Untersuchung zeigte rechterseits der Ober¬ 
schenkel vollkommen normale Verhältnisse der Knochen und sämmtlicher Weich- 
theile. Am Unterschenkel war nur die obere Hälfte der Tibia vorhanden. Das 
untere Ende des Stumpfes ragte wie ein dünner Zapfen, mit einer nabelförmig 
gefalteten Haut überzogen, frei heraus. Das Kniegelenk zeigte durchaus nor¬ 
male Verhältnisse, und war eine Communication mit dem Fibulargelenk nicht 
nachzuweisen. Sowohl das obere wie das untere Fibularende war aufgetrieben. 
Der M. tibial. post, und der Flexor halluc. long. fehlten gänzlich, der Flexor 
digit. war vorhanden, ebenso die vordere Muskulatur. Es entsprangen vom 
oberen Fibularende und zugleich von der Hinterfläche des Tibiarudimentes ein 
Extens. digitor. commun. für die letzten zwei Zehen, ein Extens. halluc. für 
die ersten zwei Zehen und noch weiter medialwärts ein Tibialis anticus. Am 
Fusse hatten der Talus und Calcaneus je eine vordere Gelenkfläche; beide 
articulirten hier mit einem einzigen, einem dickeren Naviculare ähnlich ge¬ 
stalteten und die Insertion des M. tibial. ant. tragenden Mittelfussknochen. 
Dieser selbst articulirte vorn lateralwärts mit den zwei letzten der vorhandenen 
vier Zehen; vom medialwärts war er mit dem einzigen vorhandenen Keilbein 
in gelenkiger Verbindung. An dieses letztere setzten sich die ersten zwei 
Metatarsen an. Die kurze Muskulatur des Hallux und der letzten Zehe war 
vorhanden. 

Linkerseits verschmolz der Sartorius an seinem unteren Ende mit dem 
Gracilis, und beide legten sich mit ihrer gemeinschaftlichen Sehne an den 
medialen Rand der Patella an und verloren sich in eine sehnige Masse, welche 
vom unteren Ende der Patella zur Mitte der unteren Gelenkfläche des Femur 
verlief und auch die Sehne des Semimembranosus aufnahm, während der 
Semitendinosus sich in dem aponeurotischen Ueberzug vor der Patella verlor. 
Das untere Femurende besass keine Fossa patellaris und keine Fossa inter- 
condyloidea; seine Gelenkfläche stellte die halbe Mantelfläche eines quer ge¬ 
stellten Cylinders dar; die Patella selbst war klein, elliptisch geformt, die 
Gelenkhöhle ohne Menisken und nach unten blind geschlossen. Die Fibula, 
stark entwickelt, trug kein oberes Gelenk, ihr oberes Ende verlor sich nach 
hinten subluxirt in Bandmassen. Der Fuss besass nur drei mit je drei Pha¬ 
langen versehene Zehen. Von der Muskulatur war vorhanden ein langer und 
ein kurzer Zehenstrecker und ein Zehenbeuger mit einer Caro quadrata, weiter 

*) E. Albert, Zwei seltene Fälle von angeborenen Missbildungen an den 
Gliedmassen. Wien. med. Blätter 1880, Nr. 26, S. 679. 


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160 


G. Joachimsthal. 


ein ausserordentlich mächtiger, von der Fibula entspringender dorsaler, vom 
in der Fusswurzel inserirter Tibialis, ferner zwei sehr schlanke Peronei, endlich 
ein ziemlich starker, zweiköpfiger, eine mächtige Achillessehne tragender Waden¬ 
muskel. Das Naviculare, das Cuboideum und die drei Keilbeine waren durch einen 
einzigen Knochen substituirt, der nach vorn zu mit den drei Metatarsen 
articulirte und die Insertion des M. tibialis trug. 

9. Francesco Parona 1 ). 

(1880.) 

Bei einem 20 Monate alten Knaben constatirte Parona Missbildungen 
an den beiden Händen und den Unterextremitäten. Es bestand vollkommene 
Syndaktylie aller Finger. Die Oberschenkel waren beide etwas gegen die Norm 
verkürzt, sonst normal. An beiden Unterschenkeln bestand ein Defect der Tibia, 
und zwar fehlte rechts dieser Knochen bis auf den unteren Antheil und einen 
Theil des mittleren Drittels. Ebenso war keine Patella vorhanden. Linkerseits 
war die Kniescheibe nachweisbar und nur ein Mangel des oberen Schienbein¬ 
drittels vorliegend. Der Unterschenkel war stark flectirt, es war nicht möglich, 
das Bein zu extendiren. Dagegen war die Beweglichkeit nach innen eine sehr 
ausgedehnte. Das obere Ende der Fibula war an die Aussenseite des Condylus 
externus subluxirt, das Wadenbein selbst nach rückwärts gekrümmt. Jeder 
Fuss besass 8 Zehen, die unvollkommen ausgebildet und mit einander ver¬ 
wachsen waren. Es bestand beiderseits ein geringer Grad von Pes varus. 
Parona vollführte zunächst rechts, 20 Tage darauf links die Resection des 
unteren Femoralendes und des Capitulum fibulae, adaptirte die Knochen und 
sicherte die erzielte Geradstellung zunächst durch einen gefensterten Wasser¬ 
glasverband, der nach der Heilung durch Schienenverbände ersetzt wurde. Es 
kam nicht zur Ankylose, indem das Kind in gewissen Grenzen den Unter¬ 
schenkel zu beugen und zu strecken vermochte; dagegen war die seitliche Beweg¬ 
lichkeit durch straffe, zwischen Fibula und Femur sich erstreckende Stränge 
ausgeschlossen. Das functioneile Resultat war ein sehr gutes, indem der Knabe 
den ganzen Tag selbständig herumzulaufen vermochte; ausserdem constatirte 
Parona schon wenige Wochen nach dem Eingriff die wunderbare Thatsache, 
dass die Schienbeinantheile sich zu vergrössern anfingen, indem es, wie er glaubt, 
unter dem Reiz der Function zu einer Verknöcherung der fibrösen, die fehlenden 
Knochentheile repräsentirenden Stränge kam. 

10. Hlldemann 2 ). 

(1882.) 

Bei einem 12 Jahre alten Knaben spaltet sich ungefähr in der Mitte des 
linken Oberschenkels das Os femoris in zwei seitliche Hälften, welche aus einander 

*) Francesco Parona, Deformitä congenita agli arti inferiori corretta 
mediante la resezione delle articolazioni dei ginocchi. Giornale della R. Aca- 
demia di medicina di Torino 1880. 

2 ) Anton Hildemann, Beitrag zur Casuistik der angeborenen Hemmungs¬ 
bildungen der Extremitäten. Inaug.-Diss. Kiel 1882. 


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Ueber den angeborenen totalen Defect des Schienbeins. 161 

weichen und auf diese Weise sich wie zwei Schenkel eines Dreiecks zu einander 
verhalten. Die Condylen sind also nicht wie in der Norm zusammengewachsen, 
sondern stehen in einer ziemlich beträchtlichen Enfernung von einander, und 
zwar der eine schräg nach unten und innen, der andere schräg nach unten und 
aussen. Der innere ist, analog dem Verhalten am normalen Knie, etwas länger. 
Zwischen beiden Condylen liegt, von der Haut und dem Unterhautzellgewebe 
bedeckt, ein sehr straffes Ligament, welches einen nach unten concaven Bogen 
bildet. Nach oben kann man dasselbe noch eine Strecke weit verfolgen, bis es 
durch die Muskulatur hindurch nicht mehr deutlich zu fahlen ist. An der hinteren 
Seite des Condyl. ext. ist nun der Unterschenkel eingelenkt; anstatt aber nach 
unten zu gehen, geht derselbe nach innen und etwas nach oben, indem er mit 
seiner inneren Seite der hinteren Fläche des Oberschenkels anliegt und in einer 
ziemlich beträchtlichen Ausdehnung mit demselben durch eine gemeinsame Haut 
verbunden ist. Es lässt sich im Unterschenkel nur ein Knochen mit Deutlich¬ 
keit fühlen, welcher aller Wahrscheinlichkeit nach die Fibula ist, weil derselbe 
sich an den Condyl. ext. ansetzt und nur der Malleol. ext. vorhanden zu sein 
scheint. Vielleicht ist jedoch eine rudimentäre Tibia da. Der Fuss hat in 
hohem Grade die Stellung eines Pes varus. Um die linke Hand des Patienten 
verläuft eine offenbar durch Einschnürung entstandene Furche, ausserdem fehlt 
am 4. Finger die 3. Phalanx. Die Fibula wurde aus ihrer Verbindung mit dem 
Condyl. ext. gelöst. 

11. Robert William Parker 1 ). 

(1882.) 

Parker’s 2jähriger Patient zeigt beiderseits ein Fehlen des Radius und 
des Daumens beim Vorhandensein von 5 dreigliederigen Fingern. An beiden 
Unterextremitäten besteht genau die gleiche Verbildung. Das Hüftgelenk er¬ 
scheint wohlgebildet, das untere Femurende hat seine Gestalt verändert und ist 
weniger breit als normal. Patella und Tibia fehlen vollkommen. Die Fibula ist 
kürzer als in der Norm; ihr oberes Ende ist mit dem Condylus extemus verbunden, 
das untere Ende endet als Malleolus externus und articulirt in regelrechter 
Weise mit dem Astragalus. Der Fuss steht in Klumpfussstellung und besitzt 
6 Zehen und 6 Metatarsalknochen. Keine von den Zehen an beiden Füssen 
besitzt jedoch die Eigenschaften der grossen Zehe. Der Tarsus scheint normal 
zu sein. 

12. Jaques L. Reverdln 2 ). 

(1885.) 

Bei Reverdins 137* Jahre alter Patientin erscheint der rechte Ober¬ 
schenkel normal, nicht so der Unterschenkel; derselbe ist in ein Anhängsel 


*) Robert William Parker, Congenital absence of radius from each 
arm with defective carpus and hand. Congenital absence of tibia from each 
leg., with supernumerary and irregulär toes. Transactions of the patholog. 
Society of London. Vol. XXXIII, 1882, S. 238. 

*) Jacques L. Reverdin, Malformation congenitale de la jambe droite. 
Revue medicale de la Suisse Romande, 1885, S. 592. 


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G. Joachimsthal. 


162 

umgewandelt, das im rechten Winkel der hinteren Fläche des Oberschenkels 
angefügt ist, derart, dass sich das Kind auf einer Stelze fortbewegen muss. 
Der Bandagist, dem die Patientin zur Anfertigung eines künstlichen Beines 
überwiesen wurde, erklärt, dass er dazu nur nach Amputation des Unterschenkels 
im Stande sei. Eine genauere Untersuchung des Oberschenkels ergibt, dass 
derselbe länger als auf der gesunden Seite ist, indem die Entfernung vom 
Trochanter zum Condylus externus um 3 cm ditferirt. Der Oberschenkel endet 
mit einem ein wenig conischen Stumpf, den die Patella bedeckt. 6 cm ober¬ 
halb des unteren Endes des Femur, und zwar an der Hinter- und Aussenseite, 
ist die schlaffe Gelenkverbindung mit dem verbildeten Unterschenkel. Dieser 
ist schlank und weist nur einen Knochen auf, der mit einem scharf hervor- 
tretenden Malleolus externus endet. Der Fuss steht in sehr ausgesprochener 
Varusstellung, er besitzt 5 normale Zehen. Die Tibia misst linkerseits 36 cm, 
die rechte Fibula 26 cm. Im Ruhezustände ist der Unterschenkel rechtwinklig 
zum Oberschenkel gestellt und adducirt; dabei vermag das Kind die Flexion 
in beliebigem Grade zu vermehren, ohne die Extension weiter bewirken zu 
können; es vermag ausserdem den schlotterigen Unterschenkel nach innen und 
aussen zu schaukeln. Bei der Exarticulation der Fibula fand sich eine Syno¬ 
vialis mit Synovia und eine Gelenkkapsel. Ein Ligamentum patellae wurde 
nicht gefunden. 

Die Fibula erweist sich als verdickt, etwas nach innen gekrümmt und 
beträchtlich von aussen nach innen gewunden. Die Muskeln des Unterschenkels 
entsprangen zum Theil an einer fibrösen, dem oberen Theil der Fibula anliegenden 
Masse. Der Plantaris longus fehlte. Die Patientin erhielt nach der Heilung ein 
künstliches Bein. 


13. Erlich 1 ). 

(1885.) 

Bei einem 8 Monate alt gewordenen Mädchen, das von einer 13jährigen 
I-para geboren wurde, besteht ein doppelseitiger Mangel der Tibia. An jedem 
Oberschenkel geht ein nach aus- und abwärts, auch etwas nach vorn ge¬ 
richteter, fast senkrecht gestellter Zapfen hervor, welcher mit Weichtheilen, 
namentlich mit ganz intacter Haut, bekleidet ist. Die Unterschenkel finden 
sich in starker Flexions- und Adductionsstellung, der Fuss in ausgesprochener 
Varusstellung. Links sind nur 4 Zehen vorhanden, während recht« alle 5 
existiren. Bei der Zergliederung des linken Beines zeigt das proximale Ende 
des Femurknochens nichts Abnormes, dagegen ist 6ein distales Endstück un¬ 
gewöhnlich missgestaltet. Etwa 3 cm oberhalb der distalen Partie findet sich 
der erwähnte Knochenauswuchs, der mit seiner ungefähr 4 cm breiten Basis an 
der medialen Seite des Femurknochens aufsitzt. Derselbe hat die Form eines 
Conus, dessen Basaltheil von vorn nach hinten abgeplattet, dessen Spitze an¬ 
geschwollen und abgerundet ist. Der Conus ist 5 cm hoch. Die distale Epi¬ 
physe des Femur ist auch etwas abgerundet und hat keine Condylen. Obwohl 


J ) N. Erlich, Untersuchungen über die congenitalen Defect- und Hem- 
mungsbildungen der Extremitäten. Virchow's Archiv, 100, 1885, S. 126. 


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lieber den angeborenen totalen Defect des Schienbeins. 163 

das Epiphysenende etwas stärker ist als ein einzelner Condylus, so ist es doch 
im Verhältniss zur Länge des Femur schwach entwickelt, ebenso fehlt die Fossa 
intercondyloidea. Die Patella mangelt vollständig. Am Unterschenkel fehlt die 
Tibia gänzlich. Die Fibula, die für das Alter des Kindes sehr kräftig, dabei 
mehr drehrund als dreikantig ist, liegt mehr vorn und medial, anstatt hinten 
und lateral. Der Verlauf derselben ist nicht ganz gerade, gegen die Mitte 
wird sie lateralwärts convex. Das proximale Ende articulirt mit dem Femur 
und ist ebenso wie das distale Ende, das den Malleolus extemus darstellt, 
etwa von dem Umfang eines Tibiakopfes. Das von Femur und Fibula ge¬ 
bildete Gelenk hat nur eine einfache, nicht doppelt gebogene Gelenkfläche 
an jedem der articulirenden Knochen, so dass der überknorpelten, nach unten 
und hinten gelegenen, schwach convexen Gelenkfläche am Femurknochen 
eine flache Concavität an der Fibula entspricht; zwischen beiden befindet sich 
ein Meniscus. Von Bändern sind das Lig. capsulare und die Ligg. alaria vor¬ 
handen. Die Ligg. cruciata fehlen, anstatt derer ist ein Lig. posticum gebildet. 
Der Sartorius inserirt an der hinteren Fläche des obengenannten conusartigen 
Knochenvorsprungs, nahe dem Femurknochen, die Insertion des Gracilis liegt 
neben derjenigen des Sartorius und verschmilzt mit derselben wie unter 
normalen Verhältnissen. An der hinteren und unteren Fläche des Knochen¬ 
auswuchses inserirt der Semitendinosus und Semimembranosus. Am Unter¬ 
schenkel nimmt der Tibialis anticus theilweise von der medialen Partie des 
Fibulakopfes, theilweise aus einer fibrösen Fascie, die vom Knochenauswuchs 
heruntergeht, seinen Ursprung und verläuft dann längs der Muskelmasse an 
der medialen Seite der Fibula. Der Extensor digit. commun. entspringt an der 
vorderen Fläche des Fibulakopfes und fächerförmig aus der vorderen Kante 
der Fibula. Der Verlauf des Extensor halluc. long. ist normal. Der M. tibialis 
postic. entspringt als sehr starker Muskel von dem oberen medialen Theil der 
Fibula. Der Flexor digit. commun. longus und Flexor halluc. longus fehlen 
vollständig. Die Fussmuskeln zeigen keine besonderen Abnormitäten. 

Erlich nimmt an, dass die erwähnten Knochenzapfen auf den Ober¬ 
schenkel verlagerte, d. h. heterotop entwickelte Tibiae darstellen. Es spricht nach 
Erlich hierfür einmal die Anordnung der Muskeln an jedem der Zapfen, ganz 
besonders aber der Umstand, dass sich der Sartorius und Gracilis, Semitendinosus 
und Semimembranosus an denselben inseriren, anstatt an den Unterschenkel¬ 
knochen zu gelangen. Erlich nimmt nach Gegenbauer’s Theorie an, dass 
der dem Stamm des Archipterygiums angereihte Strahl, welcher die Tibia dar¬ 
stellen sollte, zu hoch angelegt wurde und deshalb in seinem Wachsthum 
zurückblieb. 


14. Erlich 1 ). 

(1885.) 

Bei einem ungefähr ßmonatlichen Fötus bestand ausser einem Defect 
der distalen Epiphyse des Radius rechterseits mit Klumphand ein partieller 
Defect der rechten Tibia. Das rechte Bein ist flectirt im Kniegelenk und kürzer 


Erlich 1. c. S. 113. 


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164 


G. Joachimsthal. 


als das linke. Das Köpfchen der Fibula ragt sehr stark hervor, als ob es 
luxirt wäre. Der Schaft wie das Köpfchen der Fibula sind sehr stark entwickelt, 
von der Tibia ist nur der obere Theil vorhanden. Das Rudiment der Tibia 
stellt eine Pyramide dar, deren Basis mit dem Femur articulirt, deren Spitze 
frei auf der Oberfläche des Unterschenkels hervorragt. Dieses Tibiastück ist 
2 cm lang. Die an der Oberfläche der äusseren Haut frei zu Tage tretende 
Spitze ist 0,5 cm lang, mit einem membranösen Faden besetzt und ragt direct 
nach vom und aussen, so dass es den Eindruck macht, als ob ein spitziges Fractur- 
stück der Tibia durch die Haut vorgetrieben wäre. Die Patella ist vorhanden, 
der Fuss in ausgesprochener Varusstellung. Die Muskulatur nimmt theilweise 
vom Tibiarudiment, grösstentheils aber von der Fibula ihren Ursprung. Alle 
Zehen sind intact. 


15. Thflmmel 1 ). 

(1886). 

ThümmeTs Beobachtung betrifft einen 3jährigen Knaben mit einer De¬ 
formität des rechten Beins. Der Unterschenkel ist stark flectirt. Vom und 
unten am äusseren Condylus femoris liegt ein leichter Vorsprung, der bei 
Bewegungen des Unterschenkels um den äusseren Condylus herumgleitet und 
sich an die Aussenseite desselben stellt. Der Vorsprung erweist sich als das 
Capitulum des Wadenbeins, welch letzteres der einzige Knochen des verkürzten 
und dünnen Unterschenkels ist. Der Fuss steht in excessiver Supination. 

Die Streckung des Unterschenkels gelingt nicht über die rechtwinklige 
Stellung hinaus, die Rotationsbewegungen im Kniegelenk, sowie Adduction und 
Abduction sind abnorm ausgiebig. Die Patella ist vorhanden. 

Bei der Exarticulation im Kniegelenk zeigten die Condylen des Femur 
keine auffallende, von der Norm abweichende Gestaltung. Die Fibula articulirt 
mit dem Condylus ext. Der Semitendinosus und Semimembranosus enden vorn 
in der Gelenkkapsel; ebendahin gehen die Sehnen des Gracilis und Sartorius. 
Zwischen den Condylen des Femur und der Fibula liegt eine Knorpelscheibe, 
die zum Theil mit einer Knorpelfläche der Fibula direct in Contact tritt und 
zum Theil nur durch eine Synovialmembran vom Fibulaknorpel getrennt ist 
und von Thümmel als abnorm gestalteter Meniscus aufgefasst wird. Die Fibula 
erweist sich nach unten als ziemlich dick, ihre Diaphyse ist ein wenig nach innen 
und hinten gebogen. In Verbindung mit der Fibula stehen mittelst Band¬ 
apparat Talus und Calcaneus, nur die äussere Seite des Talus und die ent¬ 
sprechende innere der Fibula ist überknorpelt. Die Musculatur der Fibula ist 
normal, die übrigen Muskeln entspringen zum Theil von dem Capitulum fibulae, 
zum Theil von der Fascia cruris; es fehlen der Flexor hallucis und Plan¬ 
taris longus. 


*) Thümmel, Ein Full von congenitalem Defect der ganzen Tibia. 
Inaug.-Dis8. Halle 1886. 


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Ueber den angeborenen totalen Defect des Schienbeins. 


165 


16. Horrocks 1 ). 

(1886.) 

Horrocks beschreibt einen verbildeten Fötus, der ausser einer Gaumen¬ 
spalte Defectbildungen an den beiden oberen Extremitäten und an der rechten 
Unterextremität aufweist. Links fehlen Hand und Vorderarm, rechts die 
Finger bis auf den Daumen und den kleinen Finger. Sonst existirt von dem 
Handskelet nur das Trapezbein, das zwischen dem Radius und der ersten 
Daumenphalanx liegt, während der kleine Finger durch Bandmassen direct mit 
der Ulna in Verbindung steht. An dem rechten Bein mangelt die Tibia; sie ist 
ersetzt durch einen Strang fibrösen Gewebes. Der Unterschenkel ist stark 
flectirt und adducirt, der Fuss in Klumpfussstellung, die Fibula articulirt mit 
der Aussen- und Hinterseite des Femur. Die Patella ist vorhanden. An ihren 
oberen Rand tritt der Quadriceps in normaler Weise, während das Lig. patellae 
fehlt und durch fibröse Züge ersetzt ist, die das untere Ende der Patella an 
die untere Gelenkfläche des Femur befestigen. Der Sartorius tritt an den inneren 
Uondylus. Semitendinosus und Semimembranosus ziehen unter dem Condylus 
internus hindurch nach oben zur Fascia oberhalb der Patella. Alle Unter¬ 
schenkelmuskeln sind vorhanden r die normaler Weise von der Tibia entspringen¬ 
den sind auf einen sehr engen Raum zusammengedrängt und kürzer als normal. 
Die linke Unterextremität ist wohlgebildet. 

17. Rappold 2 ). 

(1887.) 

Rapp old demonstrirt die Photographie eines Knaben mit Defect des 
unteren Drittels der Tibia und Klumpfuss. Die Fibula ist etwas gekrümmt, 
das untere Ende der Tibia liegt unter einer nabelförmigen Vertiefung der Haut. 
Da der Kranke das verkrüppelte Bein spiralig bis zur Brust zu erheben pflegte, 
und die grosse Zehe tiefer als normal stand und beweglich articulirt war, so 
machte das Gebilde den Eindruck einer dritten Hand. Gleichzeitig war Hypo¬ 
spadie vorhanden. Durch einen festen Verband nach vorausgeschickten Teno- 
tomien wurde das Bein wieder functionstüchtig gemacht. 

18. T. Schrakamp’). 

(1887.) 

Die bei dem 10 Tage alten, nicht ganz ausgetragenen Mädchen am meisten 
in die Augen fallende pathologische Affection sind die Missbildungen der beiden 

’) Horrocks, Malformed foetus. Transactions of the obstetrical Society 
of London. Vol. XXVH, 1886, S. 131. 

*) Rappold, Ueber eigenartige Verkrüppelung des Fusses, nothwendig 
durch eine Hemmungsbildung herbeigeführt. Tagebl. der 60. Versammlung 
deutscher Naturforscher und Aerzte. Wiesbaden 1887, S. 297. 

’) Schrakamp, Casuistische Beiträge zur Lehre von den Extremitäten¬ 
missbildungen. Medic. Correspondenzbl. d. Württemb. ärztl. Landesvereins. LVII, 
1887, Nr. 30, S. 233, 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. III. Baud. \9 


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166 


G. Joachimßthal. 


Unterschenkel. Bei beiden fehlt bis auf einen sehr geringen, an das obere 
Ende der Fibula bindegewebig und etwas beweglich angehefteten Rest die 
Tibia. Bei beiden ist ferner die Fibula und der Tibiarest nicht in normaler 
Weise gelenkig mit dem Femur verbunden, sondern steht, allseitig in geringem 
Grade beweglich, nicht in die normale Stellung reponirbar, an der hinteren 
Seite desselben oberhalb der Fossa intercondyloidea. An der rechten Fibula 
findet sich ausserdem eine intrauterine Fractur ungefähr 3 cm oberhalb der 
unteren Epiphysenlinie. Die beiden Stücke stehen zu einander in einem Winkel 
von etwa 45° und sind nicht knöchern verheilt, sondern stark federnd binde¬ 
gewebig mit einander ziemlich fest verbunden, so dass ein Redressement nicht 
möglich ist. Ad maximum können die Stücke in einen Winkel von 60° ge¬ 
bracht werden. Der linke Unterschenkel ist nicht fracturirt, so dass nicht mit 
dem unteren Ende der Fibula, sondern mit der inneren Seite derselben eine 
Pseudoarticulation besteht. An beiden Füssen fehlen ferner die grossen Zehen 
und die entsprechenden Metatarsalknochen. Die Unterschenkel und Füsse sind 
passiv wenig, activ gar nicht gegen ihre entsprechenden Anschlussglieder be¬ 
weglich. Eine weitere Missbildung zeigt endlich die linke Hand. Es fehlen 
an ihr der Zeige- und Mittelfinger, sowie der dem ersteren entsprechende Meta¬ 
carpalknochen. Der Metacarpus des Mittelfingers ist mit dem des 4. Fingers 
verschmolzen, wie aus der Breite desselben, sowie aus einer deutlich fühlbaren, 
auf dem Rücken desselben verlaufenden Rinne zu erkennen ist. 

19. n. 20. W. H. White and H« Baker 1 ). 

(1888.) 

Mittheilung zweier Fälle von Tibiadefect, die bei Bus achi citirt werden. 
Leider war mir die Originalmittheilung nicht zugänglich. 

21. James ¥• Yonng 2 ). 

(1888.) 

Ein 3 Monate alter, sonst gut entwickelter Knabe zeigt nur an beiden 
unteren Extremitäten Verbildungen. Rechterseits ist der Oberschenkel von 
normaler Länge, die Patella vorhanden, Hüft- und Kniegelenk wohlgebildet. 
Die Fibula ist ungewöhnlich stark entwickelt, während von der Tibia nur der 
obere Antheil vorhanden ist. Dieser hat die Form einer Pyramide und ist un¬ 
gefähr 1 Zoll lang. Die Basis articulirt mit dem Femur, während das untere 
Ende vorn und auswärts prominirt. Die Haut ist über der Spitze elevirt und 
in der Mitte nabelförmig gestaltet. Der mit nur 4 Zehen versehene Fuss steht 
in höchstgradiger Varusstellung. Linkerseits ist die Länge des Femur die 


*) W. H. White and H. Baker, Case of congenital deformity of femora, 
absence of tibiae and malformation of the feet and hands. Clin. Soc. Transact. 
XXI, 1888, S. 295. 

2 ) James K. Young, Double congenital deformity of the tibia. The 
Americ. Joum. of the Medical Sciences. Vol. XCV, 1888, S. 145. 


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Ueber den angeborenen totalen Defect des Schienbeins. 167 

normale, doch die untere Gelenkfläche desselben mangelhaft entwickelt. Patella 
und Tibia fehlen hier gänzlich. Das Wadenbein ist wiederum sehr kräftig, 
das Knie steht in Flexion und der Wadenbeinkopf ist nach hinten in die Fossa 
poplitea luxirt. Auch an dieser Seite steht der Fuss in hochgradiger Klump- 
fussstellung und besitzt nur 4 Zehen. 

22. Luigi Medini , ). 

(1888.) 

Leider ist die vorliegende Arbeit nur ein nach dem Tode des Autors 
veröffentlichtes Fragment und gibt über die von dem Verfasser vorgenommene 
Behandlung keinen genügenden Aufschluss. Die Patientin, die Medini während 
eines Zeitraumes von 5 Jahren unter Augen hatte, war bei der ersten Unter¬ 
suchung 10 Monate alt. Es handelte sich hier um eine Verbildung der linken 
Unterextremität. Der Oberschenkel war etwas verkürzt, es fehlten die Fossa 
condyloidea und die Patella; die Fibula, die den einzigen Unterschenkelknochen 
darstellte, war ein wenig auf den Condylus ext. femoris subluxirt, der Fuss 
stand in Varusstellung. Der Fuss besass 8 Zehen, indem am inneren Fussrande 
3 überzählige Zehen sassen. Medini entfernte die überzähligen Ziehen, re- 
dressirte den Fuss und verordnete Schienenapparate. 

28. John Shaw M.’Laren 2 ). 

(1889.) 

Shaw M.’Laren beschreibt ein durch Amputation oberhalb der Condylen 
von einem 2jährigen Knaben gewonnenes Präparat von angeborenem Fehlen 
der Tibia. An Stelle der Tibia fand sich ein fibröser Strang, der dem Tibialis 
posticus und Popliteus zum Ursprung diente und mit der Fibula durch eine 
Art von Membrana interossea in Verbindung stand, die an der gewöhnlichen 
Stelle durch einen Zweig der Arteria tibialis durchbohrt wurde. Das Fibula¬ 
köpfchen zeigte nach vorn zu eine kleine Gelenkfläche zur Articulation mit 
dem Condylus externus, war aber von diesem durch zwischenliegendes Binde¬ 
gewebe etwas getrennt. Die Patella war vorhanden; ihre Spitze war nach 
aus- und rückwärts gerichtet. Der Fuss stand in ausgesprochener Equinovarus- 
stellung. 

24. Bessel-Hagen 8 ). 

(1889.) 

Das von Beseel erwähnte Präparat einer partiellen Defectbildung der 
Tibia rührt von einem cölosomen Monstrum aus dem 7. Schwangerschaftsmonate 
her. Der in hochgradiger Varusstellung befindliche Fuss besitzt nur 4 Zehen 


*) Luigi Medini, Un caso di mancanza congenita della tibia. Bullet, 
delle scienze med. di Bologna. Serie VI, Vol. XXII, 1888, S. 145. 

2 ) John Shaw M.’Laren, A case of congenital absence of the tibia. 
The Joum. of Anatomy and Physiology. Vol. XXIII, 1889, S. 598. 

*) Bessel-Hagen, Die Pathologie und Therapie des Klumpfusees. Heidel¬ 
berg 1889, S. 29. 


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168 


G. Joachimsthal. 


und zeigt nebenher zwischen den beiden mittleren eine partielle Syndaktylie. 
Der Musculus tibialis posticus fehlt ganz. Da die grosse Zehe fortgefallen ist, 
haben die Endsehnen seiner langen Muskeln an anderen Stellen ihre Insertion 
erhalten, diejenige des M. flexor hallucis longus sogar an der Unterfläche des 
Calcaneus. 


25. Bnrckhardt (y. Muralt) 1 ). 

(1890.) 

Bei der Untersuchung des Knaben im Alter von 8 Wochen erweist sich 
das linke Bein kleiner als das rechte. Es ist so fleetirt, dass die Wadengegend 
an der Hinterfläche des Oberschenkels anliegt, und die Ferse an der Analfalte. 
Dabei steht der Fuss so in Varusstellung, dass die Fusssohle direct nach oben 
schaut. Die Bewegungen im linken Hüftgelenk sind alle ausführbar, aber in 
beschränktem Maasse. Das linke Hüftgelenk ist jedenfalls nicht normal ge¬ 
bildet. Der linke Darmbeinkamm hat viel rundere Contouren, und es lässt sich 
unterhalb desselben gegen den Schenkelkopf nicht die normale Einsenkung 
fühlen; im Gegentheil ist die Partie voller, die Musculatur derber; an der 
Aussenseit* fühlt man keinen deutlichen Trochanter, sondern es ist, als ob man 
auf das runde obere Ende des Schenkelkopfes käme, das sich dicker anfühlt 
als rechts. Der Schaft des Oberschenkels ist kürzer als rechts und endet nicht 
in ein Condylenpaar, das gut ausgebildet ist, sondern das untere Ende ist nur 
wenig dicker als der Schaft und besitzt eine knorpelbedeckte Rolle, die in der 
Mitte eine seichte Furche zeigt, in der Richtung von innen unten schräg nach 
aussen oben laufend, so dass die dem Condylus internus entsprechende Pro¬ 
minenz fast direct nach oben sieht. Am Unterschenkel, dessen Muskeln derb 
sind, lässt sich von einer Tibia nichts nachweisen, sondern man fühlt nur einen 
Knochen an der Aussenseite, der mit dem rudimentären Condylus externus 
articulirt, andererseits einen kräftigen Malleolus externus bildet und mit- dem 
Talus in normaler Weise zu articuliren scheint. Der Verlauf der Fibula ist 
ziemlich gerade, mit leichter Convexität nach aussen. Der Fuss ist gut ent¬ 
wickelt und in seiner musculären Thätigkeit normal. Die Differenz der Ent¬ 
fernung des Condyl. ext. femoris zur Spina ant. sup. bei gestrecktem Hüftgelenk 
beträgt 2,4 cm zu Ungunsten der linken Seite, die Differenz in der Länge der 
Fibula 1,4 cm zu Ungunsten der linken Seite. 

Bei der Untersuchung des Patienten im Alter von 12 Jahren erweist sich 
die linke untere Extremität vollständig in der Entwickelung zurückgeblieben. 
Der linke Oberschenkel stellt einen ziemlich dünnen, nach unten kegelförmig 
sich verengenden Stumpf dar, an dessem vorderen unteren Ende ein rudi¬ 
mentärer Unterschenkel durch Weichtheilverbindung angehängt ist. Die Unter¬ 
suchung des Hüftgelenks lässt an Stelle eines Trochanters eine kolbenförmige 


! ) Louis Burckhardt, Beiträge zur Diagnostik und Therapie der con¬ 
genitalen Knochendefecte an Vorderarm und Unterschenkel. Jahrb. f. Kinder¬ 
heilkunde. Neue Folge. XXXI. S. 375. — Willi, v. Muralt: Totaler an¬ 
geborener Mangel der Tibia. Correspondenzblatt f. Schweizer Aerzte 1880. 
Jahrg. X, S. 724. 


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Ueber den angeborenen totalen Defect des Schienbeins. 169 

Knochencontour durchfühlen. Nirgends ist ein eigentlich vorspringender Höcker, 
der etwa dem Trochanter entsprechen könnte, zu entdecken, sondern das Ganze 
fühlt sich wie ein rundlich verdicktes Ende des Femurschaftes an. Die Gelenk¬ 
verbindung des Oberschenkelendes mit dem Becken ist direct nach unten und 
aussen von der Spina ant. sup. zu fühlen, die Pfannengegend als leere Grube 
deutlich palpabel. Die linke Beckenseite ist in der Entwickelung zurückgeblieben. 
Der Oberschenkel endet nach unten in einer ziemlich abgerundeten, kleinen 
knopfförmigen Anschwellung, welche der Epiphyse entspricht. Dieselbe ist 
unregelmässig, etwa gänseeigross, und lassen sich an derselben am unteren 
äusseren und oberen inneren Ende kleine, durch eine deutliche Rinne getrennte 
Hervorragungen erkennen, welche den Condylen entsprechen. Der Unterseite 
des Oberschenkels ist in ihrem unteren Viertel der rudimentäre Unterschenkel 
angefügt, und zwar reicht die Verbindung nach vorn nicht bis zur Epiphyse 
des Oberschenkels, sondern die Anfügung des Unterschenkels beginnt schon vor 
derselben, indem die Epiphyse selbst ganz frei hervorragt, und somit die 
Bildung eines Kniegelenks höchst unwahrscheinlich ist. Der Winkel, bis zu 
welchem sich der Unterschenkel extendiren lässt, ist ein rechter. Nach vorn 
aussen, vom Vereinigungspunkt von Unterschenkel und Oberschenkel fühlt man 
die etwa kastaniengrosse Patella unter der Haut leicht durch. Am rudimentären 
Unterschenkel lässt sich im ganzen Verlauf nur ein einziger Röhrenknochen 
durchfühlen, der sich nach unten verjüngt und daselbst mit einem zugespitzt 
pyramidenförmigen Ende unter der Haut prominirt, um so mehr, als das ganz 
atrophische Füsschen in der denkbar hochgradigsten Supination und Adduction 
an den Unterschenkel sich ansetzt. Die Differenz beträgt für die Länge vom 
Trochanter zum Condylus ext. 9,5, vom Condylus ext. bis Malleolus ext. 13 cm 
zu Ungunsten der linken Seite. Rechtsseitig besteht Kryptorchismus. 

26. Thiele 1 ). 

(1890.) 

Der l 1 /* Jahre alte Knabe sitzt so, dass nicht nur der rechte Ober¬ 
schenkel, sondern auch der Unterschenkel*spitzwinklig gebeugt sind und mit der 
äusseren Seite, der Fuss mit dem Rücken der Unterlage vollständig aufliegen. 
Der Unterschenkel ist im Vergleich zu der linken Seite geringer entwickelt und 
nach aussen convex gekrümmt. An der Aussenseite des ebenfalls stark hervor¬ 
tretenden Femurendes befindet sich eine etwa 1 cm lange, eingezogene, mit 
der Haut verschiebliche Narbe. Die Patella liegt an normaler Stelle. Am 
Unterschenkel ist nur die Fibula zu fühlen. Sie erscheint im Ganzen, besonders 
aber am oberen Ende, welches mit dem Condylus ext. femoris articulirt, etwas 
verdickt. Die Verbindung zwischen Fibula und Femur ist derart, dass das 
obere Ende der Fibula mehr seitlich, an der Aussenseite des Condylus externus 
anliegt und an dieser Stelle sowohl nach oben und unten, wie auch nach innen 
und aussen stark verschiebbar ist. Activ ist im Kniegelenk ausgiebige Beugung 


*) Franz Thiele, Ein Fall von angeborenem Defect der rechten Tibia. 
Inaug.-Diss. Greifswald 1890. 


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170 


G. Joachimsthal. 


möglich, welche passiv sogar bis zum vollständigen Contact von Ober- und 
Unterschenkel zu bringen ist. Die Streckung ist nur bis um ein Geringes über 
die rechtwinklige Stellung möglich, dabei spannen sich die Sehnen im Knie¬ 
gelenk sichtbar an. Der Fuss steht in ausgesprochener Stellung eines Pes 
varo-equinus. 

Bei der von Helfe rieh nach Albert vorgenommenen Operation ergibt 
sich in der Kapsel ein Rudiment der Tibia, das aus hyalinem Knorpel besteht 
und die Grösse und Form einer halben Haselnuss sowie oben eine rundliche, 
von vom nach hinten convexe Gelenkfläche besitzt. Ebenfalls mit der Gelenk¬ 
kapsel in Verbindung ist zwischen dieses Rudiment und den Condylus intern, 
femoris eine biconcave, etwa 3 mm dicke Scheibe eingelagert, welche auf die 
Gelenkfläche des Rudiments passt und aus Knorpel besteht, offenbar der ver¬ 
kümmerte Semilunarknorpel. An dem Tibiarudiment inseriren die Mm. semi- 
tendinosus und semimembranosus. Das Rudiment der Tibia wird bei der 
Operation, die sonst genau nach dem Vorgänge von Albert vollführt wurde, 
herausgelöst; die Epiphysenlinie am Femur wie an der Fibula wird dabei 
geschont. Die Publication des Falles ist 8 Tage nach der Operation erfolgt, 
gibt also über den Erfolg derselben keinen Aufschluss. 

27. Mario Motta ’). 

(1890.) 

Motta’s Patient, ein 7 Monate alter Knabe, zeigte eine Verbildung des 
rechten Beines. Der Oberschenkel ist um 2 cm gegenüber der gesunden Seite 
verkürzt und nach aussen rotirt. Die Patella ist vorhanden, die Tibia fehlt, 
das Capitulum fibulae steht unterhalb des Condylus ext. femoris nach rück¬ 
wärts von demselben. In der Gegend dos Condylus externus, ebenso am 
Malleolus externus ist die Haut narbenartig eingezogen. Der Fuss steht in 
extremster Varusstellung und besitzt nur 3 Metatarsi und 3 Zehen, nach Motta’s 
Annahme die 2., 4. und 5. Zehe. Eine Extension des im rechten Winkel zum 
Oberschenkel stehenden Unterschenkels erweist sich als unmöglich. 

Nach vorausgegangener Achillotenotomie schreitet Motta zur Albert- 
sehen Operation. Nach einem queren Hautschnitt vom Condylus externus zum Con¬ 
dylus internus und Durchtrennung des von oben innen nach unten aussen ziehenden 
dünnen Ligam. patellae treten die Condyli femoris zu Tage. Die 3 cm breite, 
von vorn nach hinten 1 cm lange und 2 cm tiefe Fossa condyloidea ist durch 
die Patella bedeckt. Die Ligg. cruciata fehlen. Das Capitulum fibulae liegt 
dem inneren und hinteren Theil des Condylus externus an, 4 cm oberhalb der 
unteren Fläche desselben. Da ohne bedeutende Fortnahme von Knochen die 
Ueberführung des Capitulum fibulae in die Fossa condyloidea nicht möglich 
gewesen wäre, so hielt es Motta für besser, am Condylus externus selbst am 
Aussenrande der Fossa condyloidea eine 7 a cm tiefe und 2 cm breite Vertiefung 
zu schaffen und in diese das keilförmig zugespitzte Fibularende zu implantiren. 


') Mario Motta, Un caso di mancanza congenita della tibia. Archivio 
di ortopedia 1890. 


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Ueber den angeborenen totalen Defect des Schienbeins. 171 

woselbst es durch eine Catgutnaht befestigt wurde. Es war danach eine 
Streckung des Beines möglich. Nach Ablauf eines halben Jahres war der 
Kranke bei einer Beweglichkeit des Knies um 30° mit Hilfe eines Schienen¬ 
apparates, der den Fuss, um die noch um 4 cm verkürzte Extremität zu ver¬ 
längern, in Plantarflexion fixirte, im Stande, die ersten Gehversuche zu machen. 
Weitere Fortschritte sind zu erwarten. 

28. T. Busachi *). 

(1891.) 

Am linken Unterschenkel der 10 Monate alten Patientin bestand eine 
nach aussen convexe Verkrümmung. Beide Oberschenkel waren gleich lang. 
Rechts constatirte Busachi das vollständige Fehlen der Tibia, dagegen war 
die Fibula, besonders in ihrem oberen Abschnitt, sehr verdickt. Oberhalb des 
letzteren, der an die Aussen- und Rückseite des Condylus externus luxirt war,' 
fand sich eine narbige Einziehung der Haut. Die Fibula war gegenüber der 
rechten Seite um 1 cm verkürzt, die Patella und ihr Ligament, das am Capi- 
tulum flbulae einen Insertionspunkt fand, vorhanden. Die Verbindung zwischen 
Fibula und Condylus externus war eine sehr lockere. Das Kind vermochte das 
Knie in geringen Grenzen zu flectiren und zu extendiren, passiv war ausserdem 
eine seitliche Beweglichkeit und die Möglichkeit der Rotation des Unterschenkels 
vorhanden. Der Fuss war nach innen luxirt und längs des Innenrandes der 
Fibula nach oben verschoben derart, dass der Malleolus externus und das Ende 
des 5. Metatarsus in einer horizontalen Ebene standen und die tiefsten Punkte 
des Gliedes bildeten. Der Fuss war gegenüber dem linken kleiner, aber ohne 
Defecte, er liess sich mit Leichtigkeit in die normale Stellung überführen. 

Busachi vollführte zunächst nach der Tenotomie der Achillessehne das 
Redressement des Fusses. Alsdann eröffnete er durch einen Transversalschnitt 
nach Durchtrennung des Ligam. patellae das Kniegelenk. Die Ligg. cruciata 
und Zwischenknorpel fehlten. Busachi durch trennte alsdann die den Fibula¬ 
kopf an den Condylus externus fixirenden Stränge, schnitt das Capsulum keil¬ 
förmig zurecht und implantirte es in die mit einem Resectionsmesser zurecht¬ 
geschnittene Fossa condyloidea. Es erfolgte Prima intentio, doch blieb die 
knöcherne Vereinigung aus. Busachi gab einen Filzverband, der den Unter¬ 
schenkel in gestreckter Stellung erhielt und das Kind so in den Stand setzte, 
sich auf den Beinen zu halten. 


29. Melde 2 ). 

(1892.) 

Melde hatte Gelegenheit zur anatomischen Untersuchung eines im Alter 
von 10 Monaten gestorbenen weiblichen Kindes mit beiderseitigem Tibiadefect. 

*) T. Busachi, Un caso di mancanza congenita della tibia, con speciale 
riguardo alla sua cura. Giomale della R. Academia di medicina di Torino 
1886, Nr. 9—12; Archivio di ortopedia 1891. 

*) Richard Melde, Anatomische Untersuchung eines Kindes mit beider¬ 
seitigem Defect der Tibia und Polydaktylie an Händen und Füssen. Inaug.-Diss. 
Marburg 1892. 


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172 


6. Joachimsthal. 


Da eine halbkreisförmige Krümmung beider Fibulae bestand, waren vorher 
diese Knochen durch Brisement forcä in ihrer Mitte gebrochen; eine starke 
Streckung war aber nicht möglich gewesen, weil die Füsse und Zehen anämisch 
wurden und die Haut an der Innenseite zu platzen drohte. 

Der Condylus internus springt stark medianwärts vor. Die Fossa inter- 
condyloidea ist nur schwach angedeutet. Ueber die Condylen hin zieht eine derbe 
Kapsel, welche von den Extensoren des Oberschenkels gebildet wird. Statt der 
Ligg. cruciata besteht nur ein Band mit parallel gerichteten Faserzügen. Die 
Semilunarknorpel sind ausgebildet, eine Patella nicht nachweisbar. Der einzige 
Unterschenkelknochen besitzt oben ein sehr dickes Capitulum und ist hier mit dem 
unteren Ende des Femur an der Aussen- und Hinterseite des Condylus extemus 
gelenkig verbunden. Ein zweiter Unterschenkelknochen fehlt, indessen zieht von 
der Unterfläche der derben Kapsel in der Gegend des umfangreichen Condylus 
internus gegenüber der die Ligg. cruciata vertretenden Faserzüge zur oberen Fläche 
des Talus ein fester Strang, welcher besonders in seinem Beginn, wo er sich wie 
Knorpel anfühlt, ungefähr die pyramidenförmige Gestalt des oberen Endes einer 
Tibia zeigt. Während sich dieser Strang, der ein Rudiment der Tibia dar¬ 
stellt, oben von rechts nach links verbreitert, verschmächtigt er sich in seiner 
Mitte, um sich unten von vorn nach hinten zu verbreitern. An die Fusswurzel- 
knochen des rechten Fuases reihen sich 5 knöcherne Metatarsalknochen an. 
Zwischen dem 1. und 2. Metatarsus befindet sich ein rundlicher Strang, welcher 
einem 6. Metatarsus entsprechen würde. An den Metatarsen sitzen im Ganzen 
7 Zehen. Die 3. und besonders die 1. Zehe treten an Länge etwas hinter den 
benachbarten zurück, so dass es den Eindruck macht, als ob die ebengenannten 
Zehen die anormalen seien. Diese Annahme wird bestätigt, wenn man die Art 
und Weise betrachtet, wie die 7 Zehen mit dem Mittelfuss in Verbindung stehen. 
Die 4 äusseren Zehen nämlich sitzen den 4 äusseren knöchernen Metatarsal¬ 
knochen an. Darauf folgt die 3., etwas verkümmerte Zehe, welche dem oben 
erwähnten rundlichen Strang aufsitzt. Mit dem 1. knöchernen Metatarsus steht 
in directer Verbindung eine Zehe, welche ihrer Grösse nach mit den 4 äusseren 
Zehen übereinstimmt. Seitlich sitzt dem Gelenk zwischen dem 1. Metatarsus 
und der sich daran schliessenden Grundphalanx der zuletzt beschriebenen Zehen 
eine 7., viel kleinere an. 

Der linke Fuss verhält sich insofern anders, als an die Reihe der Fuss- 
wurzelknochen 7 knöcherne Metatarsalknochen sich anschiiessen. Der 2. und der 
4.—7. Metatarsus stimmen in Form und Grösse mit einander überein. Der 
1. und 3. Metatarsus hingegen treten an Dicke hinter den übrigen zurück. An 
diese 7 Metatarsalknochen reihen sich 7 Zehen an, welche, was ihre Grösse und 
Form betrifft, denen des rechten Fusses gleichen. An dem letzteren besitzen 
alle Zehen, ausser der ersten, welche zweigliedrig ist, je 3 Phalangen. Links 
bestehen die 1. und -3. Zehe aus je 2, die übrigen aus je 3 Phalangen. Der 
Extensor und Flexor hallucis longus inseriren an der 2. Zehe, und so nimmt 
Melde ebenso wie aus dem sonstigen oben geschilderten Verhalten der Zehen 
an, dass es sich um eine links vollständige, rechts weniger vollständige Drei- 
theilung des Hallux handle, in der Weise, dass die beiden Nebfenhalluces zu 
beiden Seiten des Haupthallux angelegt sind. 

An der Musculatur beider Oberschenkel ist auffällig, dass zunächst mehrere 


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Ueber den angeborenen totalen Defect des Schienbeins. 


173 


überzählige Muskeln vorhanden sind. Eine abgesprengte Partie des Sartorius 
verläuft beiderseits quer über den oberen Theil beider Oberschenkel. Ferner zieht 
beiderseits vom Ansatz des Adductor longus zum Condylus internus ein anormaler 
Muskel. Links verläuft ausserdem, von dem Tuber ossis isehii entspringend, zur 
Achillessehne ein langer, rundlicher Muskel. Der Quadriceps femoris bildet an 
seiner Insertion eine ausgedehnte Kapsel, welche das untere Femurende umzieht. 
An dem Tibiarudiment inseriren von Oberschenkelmuskeln der Semitendinosus 
und zum Theil der Sartorius. Die normal ganz oder theilweise von der Tibia ent¬ 
springenden Muskeln gehen zum Theil von der erwähnten Kapsel aus (Tibialis 
anticus), zum Theil von dem Tibiarudiment (Flexor digitorum longus), zum 
Theil fehlen die Tibiaursprünge oder sind auf die Fibula übergegangen (Ex¬ 
tensor digitorum communis, Tibialis posticus). Von der Unterfläche der derben 
Kapsel geht ausserdem beiderseits noch ein besonderer Flexor der 7. Zehe aus. 
Die Fibulamusculatur verhält sich im Grossen und Ganzen normal. 

Was die oberen Extremitäten betrifft, so ist zunächst zwischen den beiden 
Condylen des Humerus ein abnormer Knochenvorsprung vorhanden; das Liga¬ 
mentum interosseum ist theilweise verknöchert und die distalen Enden der 
Unterarmknochen sind schaufelförmig verbreitert. Beiderseits fehlt der Daumen 
mit dem Daumenballen. Statt desselben finden sich an beiden Händen je 
2 dreigliedrige Finger, welche rechts vollständig, links bis auf einen Einschnitt 
zwischen den Nägeln verwachsen sind. Jeder einzelne besitzt seinen eigenen 
Metacarpus. Die übrigen Finger verhalten sich normal, 


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XIV. 


Mitteilung aus der cliirurgisch-orthopädischen 
Privatklinik des Privatdocenten Dr. A. Hoffa zu 

Würzburg. 

lieber die Architektur rhachitischer Knochen. 

Ein Beitrag zum Wolff'schen Transformationsgesetz. 

Von 

Dr. Alfred Graf. 

Mit 14 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Die Untersuchungen über Rhachitis sind von jeher, ebenso wie 
die über Heilung von Fracturen eine Lieblingsbeschäftigung sowohl 
der Pathologen, als ganz besonders der Chirurgen gewesen. Dank 
der eingehenden Forschungen, vor allem von Kassowitz, sind wir 
über die histologischen Details bei der rhachitischen Erkrankung 
der Knochen vorzüglich orientirt; aber die Deformitäten, die wir 
im Anschluss an die Rhachitis entstehen sehen und die wir als Be¬ 
lastungsdeformitäten bezeichnen wollen, werden von den meisten, 
besonders den neueren Autoren, kaum erwähnt. Nur zwei ältere 
französische Forscher, du Verney und Guörin, sowie von den 
deutschen Rudolf Virchow haben dieselben, sowie das Verhalten 
von Corticalis und Spongiosa auf dem Durchschnitt schon vortreff¬ 
lich beschrieben. Sie haben auch alle diese stets in derselben typi¬ 
schen Art und Weise wiederkehrenden Veränderungen zu erklären 
versucht. Lange Zeit hat gerade die von Virchow gegebene Er¬ 
klärung, auf die wir unten zurückkommen werden, als die allgemein 
richtige gegolten, wenn auch berechtigte Einwände gegen sie er¬ 
hoben werden konnten. 


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lieber die Architektur rkachitischer Knochen. 


175 


Erst Julius Wolff ist es gelungen, eine in allen Theilen 
befriedigende Erklärung zu geben, und zwar mit Hilfe des von ihm 
so genannten Transformationsgesetzes. 

Es sei gestattet, im Folgenden kurz an die Grundzüge dieses 
Gesetzes zu erinnern. Schon lange hatte die eigenthümliche Structur 
der Spongiosa des oberen Theiles des Femur die Aufmerksamkeit 
der Forscher erregt und vor allen hatte H. v. Meyer (1867) eine 
genaue Beschreibung derselben gegeben. Wenn es auch klar war, 
dass diese typische Architekturanordnung keine Spielerei der Natur 
sein konnte, sondern dass die kühn geschwungenen Knochenbälkchen 
nach bestimmten Gesetzen aufgebaut sein müssten, so scheiterte doch 
zunächst jeder Versuch einer richtigen Würdigung dieses Verlaufes. 

Erst die grossartige Entdeckung des Züricher Mathematikers 
Culmann, dass die Spongiosabälkchen in den Richtungen 
der Zug- und Drucklinien der graphischen Statik auf¬ 
gebaut sind, hat uns zu dem Verständnisse der Bedeutung der 
inneren Architektur und der äusseren Gestaltung der Knochen geführt. 

Hermann v. Meyer und Julius Wolff haben die Ent¬ 
deckung Culmann’s weiter ausgebaut. Letzterer namentlich machte 
auf die Thatsache aufmerksam, dass die Bälkchen senkrecht auf 
einander und auf der Oberfläche des Knochens stehen; dass die von 
ihnen gebildeten Winkel also rechte sind und die zwischen ihnen 
liegenden Räume Quadrate bezw. Rechtecke. Er zeigte ferner, dass 
auf Schnitten, die durch die „ neutrale Faserschicht“ eines gekrümm¬ 
ten Knochens gehen, d. i. durch diejenige Schicht, welche mitten 
zwischen der Druckseite und der Zugseite des betreffenden Knochens 
liegt, und in welcher mithin weder Druck noch Zug stattfindet, die 
Spongiosa eine „neutrale Anordnung“ von senkrecht, der 
Axe parallel aufsteigenden und horizontalen, einander 
quadratisch durchkreuzenden Bälkchen darbietet. Ebenso 
wies er nach, dass in der wandständigen Spongiosaschicht der Femur- 
diaphyse die Bälkchen in einem der Wölbung der Spongiosabälkchen 
des coxalen Femurendes entgegengesetzten Sinne gewölbt sind, und 
dass auch dies Verhalten den Gesetzen der graphischen Statik 
entspricht. 

Wolff lieferte ferner den Nachweis, dass im Gefolge sämmt- 
licher aus beliebigem äusseren oder inneren Anlass entstehenden 
pathologischen Veränderungen der äusseren Form resp. der Be¬ 
lastung der Knochen gewisse Umwandlungen der inneren Architektur 


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Alfred Graf. 


17o 


dieser Knochen vor sich gehen, und dass in gleichartigen Fällen 
jedesmal dieselbe Form der Umwandlung wiederkehrt. Er zeigte 
zugleich, dass diese Umwandlung in directer Beziehung zur Wieder¬ 
herstellung der Function des pathologisch veränderten Knochens 
steht, dass sie demgemäss jedesmal im Sinne der von der graphi¬ 
schen Statik construirten Linien geschehe, und dass mithin die 
Architektur pathologisch veränderter und trotzdem wieder functio- 
nirender Knochen ganz ebenso, wie diejenige normal gestalteter 
Knochen, unter dem Zwange mathematischer Regeln stehe. Dass 
aber die Spongiosabälkchen normaler Knochen in der Richtung der 
genannten Curven verlaufen, ist um so weniger zu bezweifeln, als 
die am Knochen sich ergebenden Verhältnisse grösstentheils mathe¬ 
matisch vorausbestimmt werden konnten. 

Es ist ja von vornherein klar, dass ein in seiner äusseren 
Form veränderter Knochen eine Aenderung der Belastung, d. h. der 
Inanspruchnahme seiner einzelnen Theile erfahren wird, dass wir 
mithin die Druck- und Zugcurven in anderen Richtungen zu suchen 
haben werden. Es werden Spongiosabälkchen, die in der Richtung 
dieser neuen Curven liegen, erhalten bleibeto, eventuell einer functio- 
nellen Hypertrophie unterliegen, d. h. sich den an sie gestellten 
gesteigerten Ansprüchen anpassen. Andere Bälkchen, die jetzt statisch 
werthlos geworden sind, gehen zu Grunde; an ihrer Stelle bilden 
sich Hohlräume, während wiederum früher vorhanden gewesene 
Hohlräume von neugebildeten Bälkchen durchzogen werden. Kurz, 
wir sehen die ganze Architektur der Spongiosa in der Richtung 
neuer Trajectoriensysteme angeordnet. 

Fassen wir ferner die Corticalis als zusaramengedrängte Spon¬ 
giosa auf, so wird es sofort einleuchtend, dass auch diese augen¬ 
scheinlich compakte Substanz sich in derselben typischen Weise ver¬ 
ändern wird, wie die frei entfaltete Spongiosa. 

Die Angaben Wolffs sind bisher nur ganz vereinzelt durch 
Nachprüfungen controllirt worden. Bei dem grossen Interesse, das 
sie beanspruchen, falls sie sich bestätigen sollten, ist dies nur zu 
bedauern. 

Ich bin daher gern der Aufforderung des Herrn Privatdocenten 
Dr. Hoffa gefolgt, die in seinem Besitze befindlichen Präparate 
rhachitischer Knochen auf die Wahrheit der Julius Wolffsehen 
Behauptungen hin zu prüfen, und erlaube mir, im Folgenden die 
diesbezüglichen Resultate bekannt zu geben. 


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Ueber die Architektur rhachitischer Knochen. 


177 


Zu diesem Zwecke wurden durch rhachitisch verbogene Knochen 
der unteren Extremität nach dem Vorgänge von J. Wolff Serien- 
fournierschnitte gelegt; theils in sagittaler, theils in frontaler Rich¬ 
tung; die Fournierblätter, deren Dicke an keiner Stelle mehr als 
2,5—3 mm beträgt, wurden dem Knochen möglichst parallel seiner 
gekrümmten Axe entnommen. 

Zunächst wurden die Sagittalschnitte von zwei Femur- und 
einem Tibiapräparat untersucht, und lasse ich die Beschreibung der¬ 
selben folgen. 


I. Sagittalschnitte. 

A. Verkrümmung der Diaphyse des Femur. 

Rechtes, ca. 42 cm langes Femur eines Erwachsenen (Fig. 2). 
Der Scheitel der mässigen Verkrümmung liegt am unteren Ende des 
oberen Diaphysendrittels, nahe der Mitte des Knochens. Ausser der 
charakteristischen kolbigen Verdickung der beiden Condylen zeigt 
das Präparat äusserlich keine Besonderheiten. 

Es wurden vier Fournierblätter in sagittaler Richtung dem 
Knochen entnommen. 

1. Betrachten wir zunächst den am weitesten medial gelegenen 
Schnitt und zwar von der medialen Seite (Fig. 1). Derselbe geht 
oben durch die laterale Seite des Caput femoris, unten durch das 
mediale Stück des Condylus internus; von einer Markhöhle ist nur 
im unteren Theil der Diaphyse etwas zu sehen; dieser Hohlraum 
beginnt etwa 2 1 /* cm unterhalb des Krümmungsscheitels und reicht 
12 cm nach unten. An der Stelle der grössten Verkrümmung selbst 
ist die Markhöhle durch neugebildete Spongiosa vollständig ausge¬ 
füllt, die nichts von einem freien Raum mehr erkennen lässt. Nur 
im oberen Drittel, einer Gegend, die etwa dem Collum entspricht, 
lichtet sich die Spongiosa ein wenig, so dass man einen spindel¬ 
förmigen, nur von einigen meist horizontal verlaufenden Bälkchen 
durchzogenen Raum differenziren kann — ein letzter, spärlicher Rest 
der Markhöhle. 

Ebenso auffallend ist das Verhalten der Corticalis. 

Am Krümmungsscheitel zeigt die Corticalis der convexen Seite 
eine Verdünnung ihrer Wand auf 2 mm, während die der concaven 
Seite an dieser Stelle eine Breite von 7 mm aufweist, ihre grösste 


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178 


Alfred Graf. 



Fi*. 1. Breite, 13 mm, aber 

erst 8 cm unterhalb 
dieser Stelle erreicht, 
um sich gegen die 
Epiphyse hin zu ver¬ 
jüngen; die Convex- 
Corticalis hingegen, 
die sich nach oben 
und unten von ihrer 
dünnsten Stelle all¬ 
mählich verdickt, 
übersteigt eine Breite 
von 4 mm nicht. 

Von der genann¬ 
ten 13 mm breiten 
Stelle der Concav- 
Corticalis ziehen 
Spongiosabälkchen, 
die breit an der Kno¬ 
chenwand entsprin¬ 
gen, aufsteigend zur 
convexen Seite hin¬ 
über. In der Mitte 
zwischen Concav- und 
Convexwand spalten 
sie sich in zwei Züge, 
die wie die geboge¬ 
nen Branchen einer 
Zange den genannten 
spindelförmigen 
Raum umschliessen, 
um oberhalb dessel¬ 
ben zu convergiren. 

Die Krümmungs¬ 
stelle selbst ist in 
einer Länge von 5 cm 
von Bälkchen über¬ 
brückt, die grade von oben nach unten ziehen, eine höher ge¬ 
legene mit einer tieferen Stelle der Convex-Corticalis [verbindend, 


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Ueber die Architektur rhachitischer Knochen. 


179 


Fig. 2. 




Mj 


und am Krümmungsscheitel selbst eine Breite von ca. 1*/* cm auf¬ 
weisen; die der Knochen wand zunächst gelegenen sind am kürzesten, 
ca. 1 cm lang, die sich mehr der Mitte des Knochens nähernden am 
längsten, ca 5 cm. Durch das spitz¬ 
winkelige Auftreffen dieser Bälkchen auf 
die zuerst beschriebenen wird eine obere 
dreieckige Begrenzung der Markhöhle 
geschaffen, die im unteren Theil der 
Diaphyse von der fächerartig angeord¬ 
neten, nach unten convergirenden Spon¬ 
giosa dargestellt wird. 

2. Der folgende Schnitt, welcher 
etwa der Mitte des Knochens entspricht, 
zeigt zunächst eine Vergrösserung des 
Markhöhlenrestes im oberen Drittel; die 
Bildung desselben beginnt bereits 1 cm 
oberhalb des Krümmungsscheitels; an 
diesem selbst ist die Markhöhle durch 
Spongiosabalken, die von der concaven 
zur convexen Wand aufsteigen, vollständig 
obstruirt. Auch hier haben wir eine 
Verdünnung der Convex- Corticalis auf 
3 mm, eine Verdickung der Concav-Corti- 
calis auf 7 mm an der Krümmungsstelle, 
auf 10 mm 8 cm unterhalb derselben. 

3. Dieser Schnitt geht oben durch 
die Spitze des Trochanter major, unten 
durch die Mitte der Fossa intercondyloidea. 

Die Spongiosa ist im oberen Theile noch 
mehr rareficirt, die Markhöhle noch mehr 
frei geworden, ja sie ist nur durch wenige 
Spongiosazüge von der unteren getrennt. 

Diese Bälkchen reichen, von der con¬ 
caven Seite aufsteigend, bis an die con¬ 
vexe Seite hinüber, wo sie in einer Länge von ca. 4 cm an der 
Stelle der grössten Verkrümmung inseriren — nicht das kleinste 
Lumen einer Markhöhle ist hier breigeblieben. Die Maasse der 
Corticalis betragen an den bekannten Stellen: convex: 4 mm, 
concav: 6 resp. 9 mm. 




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180 


Alfred Graf. 


4. An unserem letzten Schnitt ist die Architektur in sehr 
hübscherWeise zu erkennen, wie sie J. Wolff für diejenigen Ver¬ 
krümmungen beschrieben hat, die nicht genau die Mitte der Diaphyse 
betreffen. Kreissegmente, die nach der concaven Seite offene Bögen 
darstellen, reichen bis an die Corticalis der convexen Seite heran, 
um dann theils an der Convex-, theils an der Concav-Corticalis 
parallel mit dem äusseren Contour des Knochens nach oben zu ver¬ 
laufen und oberhalb der Markhöhle, deren Grösse jetzt wieder ab¬ 
genommen hat, zu convergiren. Die dreieckige Begrenzung der 
unteren Markhöhle wird hergestellt durch das Auftreffen der Kreis¬ 
bögen auf die Convex-Corticalis. 

Die Maasse der Corticalis sind: convex: 6 mm, concav: 6mm. 


B. Verkrümmung der Diaphyse des Femur. 

Rechtes, ca. 45 cm langes Femur eines Erwachsenen, ohne 
Besonderheiten der äusseren Form (Fig. 3). Der Scheitel 
der unbedeutenden Verkrümmung liegt wiederum im unteren Theile 
des oberen Diaphysendrittels. Vier Sagittalschnitte (Fig. 4). 

1. Beginnen wir wieder von der medialen Seite, so bietet sich 
uns ein wesentlich anderes Bild wie bei dem ersten Präparat. Wir 
haben zwei deutliche Markhöhlen; die obere gibt der unteren an 
Grösse kaum etwas nach, nur ist sie hie und da von einigen Spon¬ 
giosazügen durchquert. Etwas unterhalb des Krümmungsscheitels 
— wenn man überhaupt von einem solchen hier sprechen kann — 
ist die Trennung der Markhöhlen bewerkstelligt, and zwar durch 
Bälkchen, welche von der concaven zur convexen Seite aufsteigen; 
hierdurch ist die Markhöhle in einer Ausdehnung von 3 cm voll¬ 
ständig verlegt. Die Corticalis verhält sich an den bekannten Stellen 
wie folgt: convex 4 mm, concav 8 1 /* mm. Die Markhöhle hat 
auch hier nach oben und unten eine dreieckige Begrenzung. 

2. und 3. Die beiden folgenden Schnitte zeigen uns die frei 
entfaltete Markhöhle ohne Unterbrechung; die Spongiosa existirt nur 
an der Corticalis derselben Seite, ohne die Markhöhle zu durch¬ 
ziehen. 

Die Maasse der Corticalis sind: 

2. convex 5 mm, concav 7 1 2 mm. 

3. „ 5 mm, „ G 1 2 mm. 


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f 


Ueber die Architektur rhachitischer Knochen. 181 

4. Auch der folgende Schnitt, der schon die Corticalis der 
lateralen Seite gestreift hat, zeigt fast dasselbe Verhalten; nur an 


Fig. 3. 


Fig. 4. 


der der Obstructionsstelle des ersten Schnittes entsprechenden Stelle 
hat sich die Spongiosa der Concav-Corticalis mehr in das Lumen 


Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. III. Band. 


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Alfred Graf. 


der Markhöhle hineingedrängt, ohne jedoch dasselbe zu verlegen. 
Bemerkenswerth ist ferner das Verhalten der Corticalis, die so¬ 
wohl an der convexen wie an der concaven Seite eine Breite von 
5 mm zeigt. 


G. Verkrümmung der Diaphysenmitte der Tibia. 

Rechte, ca. 28 cm lange Tibia eines nicht erwachsenen Indi¬ 
viduums (Fig. 5). Der Scheitel dieser ziemlich hochgradigen Ver¬ 
krümmung liegt im unteren Theile des mittleren Drittels, und zwar 
ist dieselbe mit der Convexität nach vom und aussen gerichtet. Der 
ganze Knochen erscheint an dieser Stelle plattgedrückt; sein fron¬ 
taler Durchmesser beträgt an der convexen Seite kaum mehr als 1 cm, 
an der Concavität ca. 1 J / 2 . Dem Knochen wurden zwei Fournier- 
schnitte in sagittaler Richtung entnommen. 

1. und 2. Betrachten wir wieder zunächst den am weitesten 
medial gelegenen Schnitt so sehen wir auch hier an der Krümmungs¬ 
stelle keine Spur einer Markhöhle; sie ist durch Spongiosa vollständig 
verlegt. Gerade an diesem Präparat ist wieder die schon vorher 
erwähnte, von Wolff beschriebene Architektur nachzuweisen: Die 
nach der concaven Seite offenen Bögen, die bis zur völligen Ob- 
struction des Markkanals bis an die convexe Seite hinüberreichen; 
sie sind am grössten an der convexen Seite, an der concaven am 
kleinsten und verlaufen hier parallel mit dem Contour des Knochens. 
Auch der zweite Schnitt zeigt dasselbe Verhalten, doch hat an bei¬ 
den die Deutlichkeit der Architektur durch das „Zusammengedrängt¬ 
sein“ der Spongiosa gelitten. Das klarste Bild gibt uns die laterale 
Knochenwand des Präparates (Fig. 6), der leider kein Fournierblatt 
mehr entnommen werden konnte. 

Eigenthümlich erscheint auf den ersten Blick das Verhalten 
der Corticalis. Im Gegensatz zu den vorhin beschriebenen Präpa¬ 
raten ist die Convex-Corticalis hier der Concav-Corticalis gegenüber 
verdickt. Doch diese Verdickung ist nur eine scheinbare, denn bei 
näherer Betrachtung entdecken wir, dass in der vermeintlichen Corti¬ 
calis zwei Schichten bestehen; eine innere, gelblich erscheinende, 
die durch einzelne, wenn auch oberflächliche Lücken sich als Spon¬ 
giosa kundgibt, und eine elfenbeinweisse, glänzende äussere, welche 
die eigentliche Corticalis darstellt. Dass dem so ist und dass diese 


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Ueber die Architektur rhachitischer Knochen. 


183 


Schichten in der gedachten Weise aufzufassen sind, zeigt unsere 
Abbildung. Wir sehen einen deutlich hervorspringenden Bogen, 


Fig. 6. 



einen der äussersten, bis an die angebliche Corticalis herangehen; 
2 cm unterhalb kommt ein gleich gekrümmtes Bogenstück wieder 


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184 


Alfred Graf. 


aus dieser Corticalis heraus; die Kuppe dieses Kreissegmentes, denn 
einem solchen gehören die Bogenstücke offenbar an, ist uns ver¬ 
borgen geblieben, da die Spongiosa hier eng, corticalisähnlich zu¬ 
sammengedrängt ist. — Noch deutlicher wird die Differenzirung 
beider Schichten, wenn wir die Schnitte gegen das Licht halten: 
Die gelbliche Spongiosa erscheint dunkel, bräunlich gegen die fast 
vollständig weisse eigentliche Corticalis. 

Nehmen wir unter Berücksichtigung dieses Punktes die Mes¬ 
sung der Corticalis vor, so ergibt sich Folgendes: 

I. Blatt (medial) convex 3 mm, concav 6 mm. 

II. „ (Mitte) „ 3 mm, „ 5 mm. 

III. Laterale Wand „ 4 mm, * 4 mm. 

Ein kurzes Resume des bis jetzt Gefundenen sowie die Würdi¬ 
gung der für das Transformationsgesetz beweisenden Thatsachen 
sei mir im Folgenden gestattet. 

Zunächst constatiren wir bei allen Schnitten einen mehr oder 
minder grossen Dickenunterschied zwischen Convex- und Concav- 
Corticalis; wir fanden stets eine Verdünnung der convexen, eine 
Verdickung der concaven Knochen wand, die erhebliche Grade er¬ 
reichen konnte. Am deutlichsten ausgeprägt und am grössten war 
der Unterschied an den medial gelegenen Schnitten (2 mm bis 7 mm), 
je mehr wir uns der lateralen Seite des Knochens näherten, desto 
geringer wurde der Unterschied (4 mm bis 6 mm), bis wir schliess¬ 
lich beide gleich fanden. Diese Unterschiede hängen ab vom Grade 
der Krümmung und der Belastung, oder, um mit Wolff zu reden, 
von der primären Veränderung der äusseren Form und der infolge 
hiervon veränderten Inanspruchnahme des Knochens, von dem ver¬ 
änderten trophischen Reiz der Function. Die Verdickung ist weiter 
nichts als der Ausdruck der erhöhten Belastung und Pressung, die 
Verdünnung der convexen Seite, das Resultat der hier wirkenden 
Zerrung, zeigt uns die geringe Gefährdung derselben; hier hält die 
Spongiosa, die der concaven Seite aufsitzt, der Belastung das Gleich¬ 
gewicht. 

Die Bildung dieser Spongiosa suchte man auf verschiedene 
Weise zu erklären, ebenso die hierdurch bedingte Verdrängung der 
Markhöhle. 

Nach du Verney sollte sieh die concave Wand der convexen 
nähern, die Verdrängung der Markhöhle theils durch dieses Vor- 


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Ueber die Architektur rhachitischer Knochen. 


185 


rücken der concaven Wand, theils durch sich stauende Ernährungs¬ 
säfte bedingt sein. 

Yirchow führte den Vorgang auf Infractionen des weichen 
Knochens zurück und sah die Spongiosa als Callusbildung an. 

Wären diese Erklärungen zutreffend, so müssten die Durch¬ 
messer von der concaven zur convexen Seite verkürzt sein; dieses 
ist jedoch nicht der Fall, wie Wolff nachwies, vielmehr ist der¬ 
selbe verlängert, gegenüber den Durchmessern höher und tiefer ge¬ 
legener, weniger verengter Stellen. Wir können dies nur bestätigen; 
wir finden an unseren Präparaten folgende Maasse: 

Erstes Präparat 

erster Schnitt (Krümmungsstelle) 3,5 cm, 

3 cm unterhalb 3,0 „ 

3 * oberhalb 2,8 „ 

zweiter Schnitt (Krümmungsstelle) 3,5 „ 

3 cm unterhalb 3,2 „ 

3 „ oberhalb 3,0 „ 

Also Differenzen von 3—7 mm. 

Zweites Präparat Differenzen 1 — 1,5 mm. 

Drittes Präparat „ 2—3 „ 

Wenn auch in einzelnen Fällen die Unterschiede kaum mess¬ 
bare sind, so wurde eine Verkleinerung des Durchmessers doch nie 
constatirt; es kann sich also die concave Wand der convexen nicht 
genähert haben; dieses ist aber nöthig, wenn die Erklärungen 
du Verney's und Virchow’s zu Recht bestehen sollen. Hierzu 
kommt noch, dass die Infractionen rhachitischer Knochen nicht so 
häufig Vorkommen, wie dies für die Erklärung Virchow's nöthig ist. 

Das Transformationsgesetz fasst diese Veränderung der Wände 
als eine „functioneile Neubildung“ auf, d. h. als ein Produkt der 
Anpassung des Knochens an die veränderte Inanspruchnahme. Mit 
dieser Erklärung entfernt Wolff sich weit von allen früheren Deu¬ 
tungen anderer Autoren, die wohl alle annahmen, dass diese Ver¬ 
änderungen ein directes Product der rhachitischen Erkrankung seien. 

Nach Wolff nun treten am rhachitischen Knochen zwei Pro- 
cesse neben einander gleichzeitig auf und bestehen eine Zeit lang 
neben einander: der specifische Krankheits- und der Transformations- 
process. 

Beide treten gleichzeitig auf, denn der rhachitisch erkrankte 




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186 


Alfred Graf. 


Knochen functionirt während der Krankheit (im Gegensatz zu dem 
fracturirten Knochen, bei dem die Transformation erst nach voll¬ 
endeter Consolidation eintritt, da der gebrochene Knochen nicht 
functionirt), sie bestehen neben einander während des oft lange 
dauernden floriden Stadiums. Aber was wir an unseren Präparaten 
sehen, das ist sclerosirter Knochen, das ist keine Rhachitis mehr, 
das ist einzig und allein ein Transformationsproduct, zu dem die 
Rhachitis nur das ätiologische Moment abgegeben hat. 

Durch diese Bildungen sahen wir die Markhöhle verdrängt, 
verengt oder ganz verschlossen. Stets sahen wir dieselbe nach der 
convexen Seite verlagert und dann entweder durch Spongiosa oder 
durch compacten Knochen bis auf ein kleines Lumen oder ganz 
verschlossen; nach oben und unten fanden wir sie dreieckig begrenzt. 

Im Folgenden wird die Architektur an Frontalschnitten von 
Femur, Tibia und Genu valgum betrachtet werden. 


n. Frontalschnitte. 

A. Verkrümmung der Diaphyse des Femur. 

Rechtes, ca. 45 cm langes Femur eines Erwachsenen (Fig. 7). 
Die Krümmung ist mit der Convexität nach vorne gerichtet; an der 
hinteren Seite treffen wir die Linea aspera im ganzen Verlauf der 
Diaphyse als scharfkantige Crista an. Der Scheitel dieser ziemlich 
hochgradigen Verkrümmung liegt im oberen Theile des mittleren 
Drittels des Knochens und zwar beträgt, wenn die hintere Seite des 
Caput und Trochanter major einerseits, und die der beiden Condylen 
andererseits der Unterlage aufliegen, die Entfernung der concaven 
Seite von derselben am Krtimmungsscheitel ca. 4 cm, die der con¬ 
vexen Seite ca. 7,5 cm; mithin haben wir eine Dicke des Knochens 
von 3,5 cm, gegen 3,2 cm 4 cm unterhalb und 3 cm 3 cm oberhalb 
dieser Stelle; also wiederum den längsten Durchmesser an der Krüm¬ 
mungsstelle. Vier Frontalschnitte. 

Erster Schnitt. Das Blatt ist gleichmässig gesägt und be¬ 
trägt seine Dicke 2,5 mm; es ist der hinteren Knochenwand ent¬ 
nommen. Abstand des Krümmungsscheitels von der Unterlage, wenn 
Condylen, Trochanter major und Caput dieselbe berühren, ca. 4 cm. 
An diesem Blatt ist von einer Markhöhle nichts zu sehen; das ganze 


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Ueber die Architektur rhachitischer Knochen. 


187 


Mittelstück wird in einer Länge von 17 cm durch vollständig com¬ 
pacten, elfenbeinartig weissglänzenden Knochen repräsentirt; nur ein 
in der Mitte verlaufender gelblicher Streif zeugt von der ehemaligen 
Spongiosa, die hier einst die Markhöhle 
ausfüllte. Ober- und unterhalb dieser Fig. 7. 

Stelle ist der ganze Knochen von Spon¬ 
giosa vollständig durchzogen. 

Zweiter Schnitt. Dieses Blatt 
(Krümmungsabstand 4,3 cm) zeigt ein 
wesentlich anderes Verhalten (Fig. 8). 

Wir können hier deutlich eine mediale 
und laterale Knochen wand unterscheiden; 
beide sind getrennt durch einen 14 cm 
langen und 0,5 cm breiten Raum, der 
von kräftiger Spongiosa ausgefüllt ist. 

An der Krümmungsstelle beträgt die 
Breite des Schnittes 24 mm, die der late¬ 
ralen Seite 10 mm, der medialen 8 mm. 

Nach oben und unten nehmen die diver- 
girenden Knochenwände an Breite ab, 
der Raum zwischen ihnen ist von typisch 
angeordneter Spongiosa ausgefüllt. Nur 
im oberen Theil ist 7 cm oberhalb des 
Verkrümmungsscheitels ein 2 cm langer 
spindelförmiger Raum vollständig frei- 



Es sei noch einer Besonderheit 
der Spongiosa der unteren Epiphyse 
gedacht (Fig. 9). Von der Mitte der 
Fossa intercondyloidea zieht eine Reihe 
dicht zusammengedrängter Spongiosa¬ 
blättchen gegen die Mitte der Epiphysen¬ 
narbe des Condylus externus; dicht unter¬ 
halb derselben knicken sie sich unter einem stumpfen Winkel 
ab, um horizontal gegen die Epiphysenwand zu verlaufen und die¬ 
selbe rechtwinkelig zu treffen. Augenscheinlich ist diese Anord¬ 
nung der Spongiosa der Ausdruck einer erhöhten Inanspruchnahme 
des Condylus externus. 


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188 


Alfred Graf. 


Dritter Schnitt. Krümmungsabstand 4,2 cm. Dieses Blatt 
zeigt ungefähr dasselbe Verhalten; die Spongiosa des Mittelstückes 


Fig. 8. 



ist nicht so fest gefügt wie die des vorigen Blattes. Im oberen 
Drittel zeigt der spindelförmige Raum eine Länge von 3 cm gegen 


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Ueber die Architektur rhachitischer Knochen. 


189 


2 cm im vorhin beschriebenen Blatte. In der unteren Epiphyse am 
Condylus externus haben wir ebenfalls die zur Narbe ziehenden 


Fi g. 9. 



Spongiosabälkchen, doch fehlt ihre Fortsetzung zur Epiphysenwand. 
Die Breite des Schnittes an dem Verbiegungsscheitel beträgt 23 mm, 


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190 


Alfred Graf. 


die der lateralen Knochenwand 10 mm, die der medialen 7 mm, 
bleibt also für den von Spongiosa ausgefQllten Raum 6 mm. 

Vierter Schnitt. Krümmungsabstand 4,4 cm. Am Krüm¬ 
mungsscheitel selbst beträgt die Breite des Schnittes 22 mm, dar¬ 
gestellt durch compacten Knochen, der sich etwa 2 cm von dieser 
Stelle nach oben und unten erstreckt; nur in der Mitte ist ein dunkler 
tingirter Streifen zu sehen, der einige oberflächliche Lücken auf¬ 
weist. Die Breite dieses Streifens beträgt 6 mm, auf die laterale 
Knochenwand kommen 9, auf die mediale 7 mm. Im Uebrigen ist 
der ganze Markraum von festgefügter Spongiosa ausgefüllt, auch 
der im vorigen Schnitt noch 3 cm lange Raum ist fast vollständig 
obstruirt. 


B. Verkrümmung der Tibia. 

(Neutrale Fasernschicht.) 

Linke, ca. 28 cm lange Tibia eines noch nicht erwachsenen 
Individuums (Fig. 10). Der Knochen ist zunächst nach der medialen 
Seite verbogen, und zwar in seinem oberen und mittleren Drittel. 
Dann wendet er sich lateralwärts, wobei zugleich eine erhebliche 
Verkrümmung eintritt, die mit der Convexität nach vorne und etwas 
lateralwärts gerichtet ist. Der Scheitelpunkt der convexen Seite ist, 
wenn oberes und unteres Gelenkende die Unterlage berühren, von 
derselben ca. 5 cm entfernt, der der concaven Seite ca. 2,8 cm, bleibt 
also für den Knochen eine Breite von 2,2 cm. 

Das Präparat ist durch einen frontalen, von der lateralen zur 
medialen Seite mitten zwischen Convexität und Concavität hindurch¬ 
gehenden Schnitt in zwei gleiche Hälften zerlegt; wir haben mithin 
die neutrale Faserschicht getroffen. 

Auch hier bei dem pathologisch verbogenen Knochen haben 
wir wie bei normal geformten die typische neutrale Anordnung der 
Spongiosa, und zeigen beide Hälften hierin dasselbe Verhalten. 
Fournierblätter konnten denselben nicht entnommen werden. 

Betrachten wir die hintere Hälfte (Fig. 11), so sehen wir, wie fast 
der ganze Knochen von allerdings sehr zarter Spongiosa ausgefüllt ist 
Nur oberhalb und unterhalb der Verbiegungsstelle, die in einer Aus¬ 
dehnung von 7 cm von Spongiosa erfüllt ist, ist die Markhöhle in 
einer Länge von 3 bezw. 5 cm frei. Gerade an der Verbiegungs- 


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Ueber die Architektur rhachitischer Knochen. 


191 



mit einander und mit der Contour des Knochens verbunden durch 
feine, senkrecht auf ihnen stehende Querbälkchen. Zu bemerken 


stelle ist die neutrale Faseranordnung sehr deutlich zu sehen. Wie 
in Reih und Qlied aufgestellt verlaufen hier die Längsfasem parallel 

Fig. 11. 


Fig. 10. 


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192 


Alfred Graf. 


ist noch die excentrische Lage des Markhöhlenrestes am unteren 
Gelenkende; die Spongiosa reicht an der medialen Seite ca. 2 cm 
höher hinauf als an der lateralen. 


C. Femur und Tibia eines Genu valgum. 

1. Linkes, ca. 40 cm langes Femur (Fig. 12). Caput und Spitze 
des Trochanter major liegen in einer Ebene, die parallel ist einer 
Verbindungsebene zwischen Condylus externus und internus. Der 
Knochen ist in seinem oberen Drittel nach aussen und vorn erheb¬ 
lich verbogen. Errichtet man an der Aussenseite des Condylus in¬ 
ternus auf der Verbindungslinie beider Condylen eine Senkrechte, 
so trifft dieselbe die Foveola des Caput femoris. Der Abstand der 
nach der medialen Seite schauenden Concavitat von dieser Senk¬ 
rechten beträgt an der Stelle der grössten Verkrümmung ca. 7 cm. 
Berühren Caput und Trochanter major einer- und die beiden Con¬ 
dylen andererseits die Unterlage, so beträgt der Abstand der nach 
unten sehenden Concavitat von derselben ca. 4 cm. Die Linea aspera 
femoris, welche hier wiederum in eine scharfkantige Crista umge¬ 
wandelt ist, verläuft in der Diaphysenmitte durchaus nicht parallel 
der gekrümmten Axe des Knochens, sondern steht senkrecht auf 
einer Verbindung der beiden Condylen; es macht den Eindruck, als 
ob sie der Krümmung des Knochens nicht gefolgt wäre und ihren 
alten Platz behauptet hätte. 

Erster Schnitt. Auch an diesem Blatt (Fig. 13), das der hin¬ 
teren Knochenwand entnommen ist, sehen wir das Mittelstück von fest¬ 
gefügter Spongiosa ausgefüllt. Oberhalb und unterhalb dieser 7 bis 
8 cm langen Stelle ist die Markhöhle in Gestalt eines spindel¬ 
förmigen 2 cm langen resp. dreieckigen, ca. 8 cm langen Raumes 
frei. Sonst auch hier überall Spongiosa. An der Spongiosa des 
unteren Diaphysenendes können wir zwei Schichten unterscheiden: 
die seitlich dunkler gefärbten und die hellere mittlere, die wohl als 
Ausfüllungsmasse anzusehen ist. Es reicht nun die Schicht der 
lateralen Seite bis zur Mitte der Epiphysennarbe, die der medialen 
bleibt ca. 1 cm davon entfernt. Mithin fällt der grössere Theil der 
Ausfüllungsmasse der medialen Seite zu, was also einer excentri¬ 
schen, nach medial verschobenen Lage der Markhöhle gleichkommt. 


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Ueber die Arohitektur rhachitischer Knochen. 


193 


Ausserdem haben wir eine Verdickung der lateralen Wand an der 
Krümmungsstelle auf 11 mm, eine Verdünnung der medialen auf 7 mm. 

Fig. 12. 



Zweiter Schnitt. Auch dieses Blatt zeigt ein ähnliches 
Verhalten. An der Krümmungsstelle sowie oberhalb und unterhalb 


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194 


Alfred Graf. 


davon ist die Markhöhle vollständig durch kräftige Spongiosa ver¬ 
legt. Die vorbeschriebenen Räume, der dreieckige und der spindel¬ 
förmige, sind verkürzt und verschmälert. Breite der lateralen Wand 
10 mm, der medialen 6 mm. 

Dritter Schnitt. Das nun folgende Blatt, das der vorderen 
Knochenwand zunächst liegt, zeigt nirgends auch den geringsten 
Rest einer Markhöhle. Bis ca. 16 cm oberhalb des unteren Gelenk¬ 
endes finden wir nichts als sehr starke Spongiosabälkchen, die an 
einzelnen Stellen zu vollständig compactem Knochen zusammen¬ 
gedrängt sind. Im unteren Drittel der Diaphyse und in der unteren 
Epiphyse haben wir bedeutend zartere Bälkchen, die aber ebenfalls 
den Markraum vollständig verlegt haben. Die Breite der lateralen 
Wand beträgt 9 mm, die der medialen 5 mm. 

Eigenthümlich ist das Verhalten der Höhe der unteren Epi¬ 
physen : 



Condylus 

internus 

C ondylus 

extern us 


2 cm von 
der Mitte 
entfernt 

Knochen¬ 

rand 

2 cm von 
der Mitte 
entfernt 

Knochen¬ 

rand 

Erster Schnitt . . 

26 mm 

26 mm 

26 mm 

33 mm 

Zweiter Schnitt 

24 . 

27 , 

24 „ 

33 , 

Dritter Schnitt . . 
gegen erstes Prä¬ 

22 . 

23 . 

24 „ 

30 , 

parat .... 

27 . 

32 , 

25 „ 

29 , 


2. Linke, ca. 34 cm lange Tibia (Fig. 12). Der Knochen ist in 
der Diaphysenmitte um 2 cm nach der medialen Seite verbogen. Die 
Concavität sieht nach der lateralen Seite. Zwei Frontalschnitte. 

Erster Schnitt. An diesem der hinteren Knochenwand 
nahe gelegenen Blatt (Fig. 14) ist die Markhöhle in Gestalt eines 
kleinen Dreieckes in dem unteren Theil der Diaphyse frei, sonst ist 
dieselbe überall von zarter Spongiosa ausgefüllt. In der Mitte der 
Diaphyse ist an der Stelle, wo der Knochen nach der medialen 
Seite verbogen ist, die Spongiosa enger zusammengedrängt. Die 


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Die soeben beschriebenen Frontal¬ 
schnitte sind dazu angethan, die yon uns 
bei der Besprechung der Sagittalschnitte 
aufgestellten Behauptungen zu bestätigen. 

Wir fanden den Markraum durch 
spongiösen oder compacten Knochen aus- 
gefüllt; compact, je mehr wir uns der 
Knochenwand näherten, spongiös, wenn 
der Schnitt mehr der Mitte entsprach. 

Die gelblichen Streifen, die wir an den 
der Knochen wand entnommenen Blättern 
constatiren konnten, stellen natürlich nur 
zusammengedrängte Spongiosa dar, die 
da, wo wir mehr oder weniger ober¬ 
flächliche Lücken sahen, bestrebt ist, 
sich freier zu entfalten, indem die Kno¬ 
chenplättchen divergiren. Als solche 
Plättchen haben wir uns die Knochen- 
bälkchen vorzustellen; denn was wir be¬ 
schrieben und auf den Fournierblättern 
zur Anschauung brachten, war immer 
nur eine oder sehr wenige Schichten von 
Spongiosa; nach aussen von beiden 
Schnittflächen haben wir uns die Bälk- 
chen in Plättchen fortgesetzt zu denken. 

Der öfter, auch bei den Sagittal- 
schnitten, beschriebene spindelförmige 
Baum scheint constant zu sein, denn 
auch Wolff beschreibt seine oblonge 
Gestalt. Ebenso fanden wir auch hier die dreieckige Begrenzung 
der Markhöhle und constatirten ihre excentrische, medial verschobene 
Lage in der Nähe des unteren Gelenkendes. 


Ueber die Architektur rhachitiecher Knochen. 195 


Breite der lateralen Knochenwand beträgt 13 cm, oberhalb des 
unteren Gelenkendes 9 mm, die der medialen 4 mm. 


Zweiter Schnitt. Zeigt genau 
dasselbe Verhalten wie der erste Schnitt. 


Fig. 14. 


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196 Alfred Graf. Ueber die Architektur rhachitischer Knochen. 


An der Tibia beschrieben wir die neutrale Faseranordnung der 
neugebildeten Ausfüllungsmasse. Wir sehen, die Transformations¬ 
kraft kehrt sich nicht daran, ob der Knochen erkrankt ist oder 
nicht; der pathologisch veränderte Knochen weist ebensogut eine 
typische Spongiosa auf, wie der gesunde. Sehen wir nicht auch, 
wie bei Fracturen die neugebildete Spongiosa unentwegt auf ihrer 
Bahn durch die Dicke der Knochennarbe weiter schreitet, ohne Ab¬ 
lenkungen zu erfahren? Das ist das Bestreben der Bälkchen, sich 
in der Richtung der Druck- und Zugcurven aufzubauen, nur da vor¬ 
handen zu sein, wo sie nöthig sind, das ist ein Zeichen der Spar¬ 
samkeit im Naturhaushalt: mit möglichst geringem Material die 
grösstmöglichste Festigkeit zu erzielen. 

Wenn es Zweifel noch an der Richtigkeit der Wolffsehen 
Theorie gab, die neutrale Anordnung der Bälkchen, wo Druck und 
Zug in einander übergehen, auch in pathologisch veränderten Knochen, 
musste sie heben. 

Wir sahen ferner die functionelle Hypertrophie der lateralen 
Druckwand, die Verdünnung der medialen Zugwand. Besonders deut¬ 
lich ausgeprägt war dieses an unserem Präparat von Genu valgum, 
wo wir an der Tibia sowohl wie am Femur Differenzen von 4 und 
5 mm fanden. 

Bemerkenswerth sind noch die Maasse der unteren Epiphyse 
vom Femur des Genu valgum. Wir constatirten eine Vergrösserung 
des Condylus externus gegenüber dem Condylus internus, während 
wir am normalen Knochen das umgekehrte Verhalten finden. Es 
hat hier offenbar der Condylus externus auf den veränderten trophi- 
schen Reiz der Function mit Hypertrophie geantwortet. Die oberen 
Epiphysen der Tibia finden wir vollständig gleich. 

Unsere im Vorstehenden mitgetheilten Befunde bestätigen voll 
und ganz die von Julius Wolff aufgestellten Behauptungen, und 
wollen wir hoffen und wünschen, dass dieses für Theorie und Therapie 
so hochwichtige Gesetz immer weiter ausgebaut werde. 


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XV. 


Der hydraulische Druck, eine häufige Durchgangs* 
phase der Coxitis und seine Verwerthung in der 
Behandlung derselben. 

Von 

Louis Bauer M. D.*), 

M. R. C. 8. von England und Professor der Chirurgie an dem St. Louis 
College of Physicians and Surgeons. 

Den physiologischen Lehrsatz, dass die Festigkeit des Hüft¬ 
gelenkes durch den atmosphärischen Druck bedingt sei, verdanken 
wir zunächst den sinnigen Versuchen der Gebrüder Weber. Bonnet 
und andere haben sie wiederholt und sind zu denselben Folgerungen 
gelangt. Nur Bar well hat für den atmosphärischen Druck Cohäsions- 
kraft zwischen den correspondirenden Gelenkflächen substituirt, ohne 
Nachahmer für seine Ansicht gefunden zu haben. Eine sich con- 
stant wiederholende Nebenerscheinung bei den Versuchen forcirter 
Einspritzungen in das Gelenk, scheint von den meisten übersehen 
zu sein. Nur von Bonnet wurde sie in ihrer Bedeutung gewürdigt 
und praktisch verwerthet. Um den Erfolg des Experimentes zu 
sichern, ist es nöthig das Object durch Amputation des Schenkels 
und Entfernung der Stumpfmuskeln vorzubereiten. Eine erfolg¬ 
reiche Injection bringt zuerst Flexion des Femur, und dann seine 
Abduction mit Eversion hervor. Dieselbe Stellung des Schenkels 
zeigt sich häufig als eine regelmässige Phase in gewissen Formen 
der Coxitis, nur dass sie mit anscheinender Verlängerung und be- 

*) Indem ich die Aufsätze des für die Einführung der Orthopädie in 
Amerika hochverdienten Herrn Collegen Bauer hier zum Abdrucke bringe, 
bemerke ich, dass ich für den Inhalt der Arbeiten keinerlei Verantwortung 
trage. Hoffa. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. III. Band. 24 


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198 


Louis Bauer. 


schränkter Bewegung der kranken Extremität combinirt ist. Es 
lag sehr nahe, in der Analogie der Stellungen dieselbe Ursache, 
nämlich den Druck eingeschlossener Flüssigkeiten auf den noch 
beweglichen Gelenkkopf zu erkennen, wie es Bonnet gethan und 
gelehrt hat. Soweit mir die Literatur der Coxitis zugänglich ge¬ 
wesen ist, haben seine Zeitgenossen sowohl, wie die nachfolgenden 
Generationen Bonnet’s Arbeiten entweder ignorirt oder zurück¬ 
gewiesen. Die gleichen Experimente und fleissige klinische Be¬ 
obachtungen geeigneter Krankheitsfälle haben mich indessen von 
der Richtigkeit seiner Ansichten überzeugt. Ich habe sie deshalb 
zu den eigenen gemacht, sie in meinen klinischen Vorträgen und 
Schriften vertreten, und in der Behandlung geeigneter Fälle von 
Coxitis, mit Erfolg verwandt. Dass ich mit diesen Ansichten ziem¬ 
lich allein stehe, ist kein Grund sie aufzugeben. Im Gegentheil, 
ich fühle mich versucht, die Arena zu betreten und sie gegen un¬ 
gleich begabtere Gegner zu vertheidigen. Wenn daher unser ge-» 
schätzter Freund, Dr. Phelps von New-York (New-York med. 
record 1893, Juli 15), in seinem werthvollen Artikel über Coxitis, 
die deutschen Chirurgen für den muthmasslichen Irrthum Bonnet's 
verantwortlich macht, so hat er die höfliche Zurechtweisung seitens 
des Herrn Prof. F. Koenig 1 ) allerdings verdient. Denn soweit 
mir bekannt, haben sich die deutschen Chirurgen eines solchen 
(fraglichen) Irrthums nicht schuldig gemacht. Zu jener Zeit be¬ 
herrschte in Deutschland die Theorie Rust’s das Feld. Die Ver- 
grösserung des Gelenkkopfes war die acceptirte Erklärung für die 
„scheinbare“ Verlängerung des Femur und die spontane Dislocation 
galt als Ursache seiner Verkürzung. Als gelehriger Schüler Rust’s 
folgte ich seinen Ansichten. Erst nachdem ich mir ein eigenes Be¬ 
obachtungsfeld, eine Privatklinik geschaffen, gelang es mir, mich 
von den werthlosen Annahmen Rust’s frei zu machen. Von da ab 
datiren sich die eigenen Forschungen. Sie führten mich auf die 
verdienstlichen Arbeiten Bonnet’s zurück, die ich in wiederholten 
Versuchen und genaueren klinischen Beobachtungen als thatsächlich 
und beweisend erkannte. Von da ab habe ich sie in meinen Schriften, 
Vorlesungen und in meiner Klinik befürwortet und auch praktisch 
ausgenützt. Ich würde mich auch mit dem sapienti sat begnügen, 
wenn ich nicht in den Bemerkungen der Herren Phelps und 


*) Centralblatt für Chirurgie Nr. 52. Leipzig 1893. 


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Der hydraulische Druck, eine häufige Durchgangsphase der Coxitis etc. 199 

Koenig eine so unverdiente Geringschätzung jener Ansichten 
Bonnet's und gewissennassen eine Herausforderung ihrer Vertheidiger 
erblickt hätte. Koenig sieht in der Abductions-, Eversions- und 
Flexionsstellung des betroffenen Femur nichts anderes als das Be¬ 
streben des Kranken sich gegen Schmerz zu bewahren und die Un¬ 
bequemlichkeiten der Lage thunlichst zu verringern. Nun ist es 
aber dem sorgfältigen Beobachter, namentlich der Nachtparoxysmen 
nur zu wohl bekannt, dass gerade jene eigenartige Stellung die 
schmerzlichste Periode der Coxitis ausmacht, und zwar aus erkenn¬ 
baren Ursachen. Denn, während der hydraulische Druck die Ex¬ 
tremität in jener Stellung beinah feststellt, stören die Reflexkrämpfe 
der Adductoren, besonders während der Nacht, ihre Ruhe, indem 
sie dieselben in die Adductionsstellung zu ziehen versuchen. In 
diesem Dualismus, in dem gegensätzlichen Kampfe zweier Krank- 
heitsfactoren, ist die fast unerträgliche Schmerzhaftigkeit des un¬ 
glücklichen Zustandes begründet. Wer jenen Wechsel zwischen dem 
Entzündungsschmerz und der Reflexneurose beobachtet, jenen eigen- 
thümlichen Schrei des gepeinigten Kranken gehört und die krank¬ 
haften Vibrationen der erregten Muskelfasern mit eigener Hand 
wahrgenommen hat, der kann sich nicht mit dem Gedanken be¬ 
freunden, dass sich der Kranke jene Stellung selbst angeeignet habe. 
Ebenso wenig annehmbar erscheint ihm die Volition des Kranken 
als Erklärung des Stellungswechsels des afficirten Gliedes aus der 
Abduction und anscheinende Verlängerung in Adduction und Ver¬ 
kürzung. Denn einmal ist der Wechsel nicht so ausführbar für den 
Kranken wie Koenig annimmt, demnächst würde kaum ein Be¬ 
dürfnis des Kranken vorliegen, sich eine Stellung der Bequemlich¬ 
keit halber anzueignen und sie dann gegen eine andere zu ver¬ 
tauschen, und endlich commentirt die unverkennbare Contractur der 
Adductoren und des Tensor vaginae femoris die neue Stellung als 
eine erzwungene, die sich nur mittelst Durchschneidung abändern 
lässt. Ein solcher Stellungswechsel ist nur denkbar und möglich, 
wenn der hydraulische Druck durch spontanen Durchbruch der im 
Gelenk vorhandenen Flüssigkeit oder durch den Troicart entfernt ist. 
Der Entfernung der Flüssigkeit folgt eine grosse Schmerzerleichte¬ 
rung, die sich aus früheren Bemerkungen leicht erklären lässt. Es 
sind dies die positiven Ergebnisse, welche mich die Ansichten 
Bonnet's zu den eigenen machen Hessen, und die ja jeder Chirurg 
auf ihren praktischen Werth selbst prüfen kann. Natürlich sind 


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200 


Louis Bauer, Der hydraulische Druck etc. 


die physischen Zustände des Hüftgelenkes in Gesundheit und Krank¬ 
heit wesentlich verschieden. Es bedarf nur eines Bruchtheiles der 
Flüssigkeit bei Coxitis, um denselben Effect in bezug auf Stellung 
des Femur hervorzurufen, weil die Capsel ihre Dehnbarkeit durch 
pathologische Veränderungen eingebüsst hat. Dies zeigt sich am 
Kniegelenk in zutreffender Weise. Das gesunde Kniegelenk bedarf 
der Injection einiger Unzen Flüssigkeit, um seine Stellung zu be¬ 
einflussen. Und im Hydrarthros werden zuweilen zwölf und noch 
mehr Unzen Synovialflüssigkeit angetroffen, ohne seine physiologische 
Stellung und Beweglichkeit zu ändern. Wogegen bei acuter Gon¬ 
arthritis wenige Unzen das Gelenk in Flexion stellen und seine 
Streckung wenigstens erschweren, wenn nicht ganz verhindern. Dass 
ähnliche Zustände auch in entzündeten Hüftgelenken bestehen, würde 
sich kaum ableugnen lassen. Eventuell kann die Paracentese des 
Gelenkes als unumstösslicher Beweis herangezogen werden. Es 
bedarf keiner weiteren Ausführung, dass nicht jede Coxitis von 
Gelenkexsudation begleitet ist, und dann die scheinbare Verlänge¬ 
rungsperiode fortfällt. Doch bin ich fest überzeugt, dass Synovitis 
und Cellulitis des runden Ligamentes die bei weitem häufigsten 
Formen der Coxitis sind, trotz gegentheiliger Ansichten. Denn die 
tuberculöse Form ist bekanntlich der Heilung unzugänglich. Folg¬ 
lich müssen die zahlreichen Heilungen der Coxitis als Gegenbeweis 
einer tuberculösen Entzündung angenommen werden. 

Der Troicar, die Immobilisirung des betreffenden Gelenkes in 
guter Stellung und die Durchschneidung contrahirter Muskeln haben 
sich in meiner Praxis fast in jedem Falle bewährt, so dass ich 
diesen Mitteln das vollste Vertrauen in ihre Zuverlässigkeit schenke. 
Wenn dem so ist, so ist auch damit der logische Beweis geliefert, 
dass die meisten Fälle von Coxitis örtlich waren, traumatischen 
Ursprungs, und dass nicht constitutionelle Einflüsse den Fortschritt 
der Krankheit bedingen, sondern der unverständige Gebrauch des 
kranken Gelenkes, und die später hinzutretenden Reflexkrämpfe sind 
als solche Factoren in Anspruch zu nehmen. Ich hoffe, dass die 
von mir befolgte Behandlungsmethode der Coxitis gründlich und 
vorurtheilsfrei geprüft und dadurch eine Frage endlich erledigt werde, 
die eine gar lange Zeit der Discussion unterlegen hat. 


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XVI. 


Ueber den Beckenring an orthopädischen Apparaten 
und Anleitung zur Anfertigung des Hessing’schen 

Corsets. 

Von 

Dr. Wilhelm Wagner-Metz. 

Mit 8 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Wenn das orthopädische Corset als Geradhalter, oder als Stütz- 
und zugleich Correctionsapparat seinen Zweck erfüllen soll, dann 
ist vor allem erforderlich, dass die Basis des Corsets, das Funda¬ 
ment, absolut fest, verlässig und am Körper unverschiebbar ist. 
Diese Basis bildet an den gebräuchlichen Corseten der Becken- 
theil (Beckenring, Beckengürtel, Hüftgürtel). Als conditio sine qua 
non muss für die Anfertigung des Beckentheiles die Forderung 
gelten, dass derselbe so beschaffen ist, dass er beim angelegten Corset 
weder durch willkürliche, noch unwillkürliche Körperbewegungen, 
noch auch durch Druck- und Zugkräfte, von andern Theilen des 
Corsets ausgeübt, aus seiner gegebenen Lage gebracht werden kann. 
Diese Forderung dürfte als etwas Leichtverständliches kaum Wider¬ 
spruch erfahren; ich will mich deshalb hier nicht lange mit dem 
Beweise aufhalten, zumal die Begründung des Postulats im Verlaufe 
der Abhandlung sich von selbst ergibt. Nur über die Art und 
Weise, wie man in der Praxis dieser Forderung gerecht zu werden 
versucht, will ich mich etwas ausführlicher verbreiten. 

Betrachten wir zuvor, ganz theoretisch, den Bau des mensch¬ 
lichen Skelets und stellen uns die Aufgabe, vom Skelet aus mit 
einem Apparate die Wirbelsäule, resp. den Oberkörper zu stützen 
oder zu extendiren, so könnte auch der ungeübte Baumeister nicht 
in Zweifel gerathen, welchen Theil er als Fundament für den Apparat 


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202 


Wilhelm Wagner. 


wählen sollte: das Becken, speciell der Beckenkamm, bietet eine 
so excellente Basis für den Aufbau, dass sich niemand des Vor- 
theils begeben würde, das Gerüste auf den Beckenkamm zu stützen. 
Viel schwieriger als am Skelet würde die Lösung der Aufgabe am 
menschlichen Körper werden, wo die Reliefs des Beckenkammes 
durch mehr oder weniger aufgelegte Weichtheile grossentheils ver¬ 
wischt sind. Zu diesen technischen Schwierigkeiten kommen für 
den Arzt und Orthopäden noch Bedenken schwerwiegender Art: die 
Frage, ob ein Apparat, der über dem Beckenkamm aufruht, ohne 
Schädigung der Gewebe längere Zeit getragen werden kann. Die 
Schwierigkeiten der Herstellung und Befürchtungen letzterer Art 
gaben wohl in erster Linie den Anlass, dass der Orthopäde auf die 
natürlichste und verlässigste Stelle verzichtete und eine andere Ge¬ 
gend für den Aufbau seines Apparates aufsuchte: die regio supra- 
trochanterica. Sie bildet beiderseits eine vom Beckenkamm nach 
unten und aussen convex verlaufende Fläche, auf welcher der Becken- 
theil eines Corsets mehr oder weniger sicheren Halt finden konnte. 
Es ist ein Irrthum, wenn Lehrbücher schreiben und wenn fast allent¬ 
halben die Ansicht acceptirt ist, dass das orthopädische Corset sich 
auf das Becken stütze; es liegt ebenso wenig auf dem Becken, wie 
eine einfache Stirnbinde auf dem Kopfe liegt. Mit grösserem Rechte 
könnte behauptet werden, das Corset stütze sich auf oder über den 
Trochanter; denkt man sich diesen weg, wie nach Exarticulation des 
Beines im Hüftgelenke, so sinkt bei allen gebräuchlichen Corseten 
der Halt am Becken fast auf Null herab. 

Sehen wir genauer zu, auf welche Weise die Corsete ihren 
Halt in der Beckengegend finden, so müssen wir in Bezug auf die 
Fassung im grossen Ganzen zwei Gruppen von Apparaten unter¬ 
scheiden: Repräsentant der ersten Gruppe ist das Gipscorset; es 
umfasst das Becken in breiter Ausdehnung vom Trochanter bis zu 
der Crista il. aufwärts, ohne jedoch auf letzterer aufzusitzen. Durch 
den grossen, flächenhaften Einschluss des Beckens, überhaupt des 
Rumpfes, ringsum ist für die Basis ein ziemlicher Halt gewonnen, 
und es ist meiner Meinung nach das nach solchem System gebaute 
Corset, besonders bei passendem Material, wie Holz, Celluloid etc., 
der zweiten Gattung caeteris paribus vorzuziehen. Die zweite Gruppe 
benutzt als Beckengürtel einen einfachen, gut gepolsterten Stahlring. 
Wollte man die Stelle bezeichnen, an welcher dieser Ring dem Becken 
anliegt, so ist eine präcise Beantwortung nicht möglich; man kann 


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Ueber den Beckenring an orthopädischen Apparaten etc. 


203 


nur sagen, dass der Ring zwischen Crista und Trochanter gewöhn¬ 
lich in der Höhe der Spin. ant. sup. oder dicht darüber liegt. Statt 
eines einfachen Ringes dient an manchen Corseten eine handbreite 
und breitere Umfassung. Als eigene Gruppe ist diese Art nicht 
aufzufassen. Sie bildet ein Mittelglied zwischen 1 und 2, nicht 
allein in Bezug auf Construction, sondern auch auf Verlässigkeit. 

Die Kraft nun, welche vor allem geeignet ist, den Beckentheil 
des Apparates aus seiner gegebenen Lage zu bringen und damit 
seinen Zweck illusorisch zu machen, ist der Druck, den der Ober¬ 
körper direct oder durch Vermittelung des Schultergürtels ausübt, 
eine direct vertical wirkende Kraft*). Prüft man, ob die gebräuch¬ 
lichen Corsete diesem Druck Widerstand leisten, ohne verschoben 
zu werden, so kann man zugeben, dass dies beim normalen, eben- 
massigen, namentlich aber beim schön entwickelten weiblichen Becken, 
vorzüglich bei Körperruhe, ziemlich exact der Fall ist. Ganz anders 
jedoch liegen die Verhältnisse am sehr jugendlichen oder mehr 
weniger skoliotischen Körper. Die beim normalen Becken convexen 
seitlichen Conturen werden hier ein- oder doppelseitig fast zur Ge¬ 
raden, ja bei starker seitlicher Verschiebung des Oberkörpers fast 
etwas concav. Da der Halt des Corsets am Becken durch die Con- 
vexität der äussern Beckenfläche bedingt ist, so ist hier von exacter 
Furirung nicht mehr die Rede. Kommen zu dieser mangelhaften 
Verlässigkeit noch absichtliche verschiebende Bewegungen eines un¬ 
geduldigen Patienten, so ist die Befestigung des Corsets am Becken 
schon mehr als fraglich. Diese Mängel sind nicht etwa theoretisch 
construirt; wer sich die Mühe gibt, das Skelet sich schlecht halten¬ 
der oder bereits skoliotischer Kinder während des Tragens eines 
Corsets zu controlliren, wird sich schnell von der Unzuverlässigkeit 
des Beckengürtels überzeugen; spielend verändert meist das Kind 
die Lage des Ringes, so dass er bald unter, bald über, oder beider¬ 
seits verschieden zur Spina ant. sup. steht; misst man in der Axillar¬ 
linie beiderseits den Abstand vom Beckenring und Crist. il., so hat 
man fast immer kleine Differenzen. Wir haben dann folgendes Bild: 
Am Corsete selbst ist der Abstand von Beckengürtel und Achsel¬ 
stütze beiderseits vollständig gleich; das Skelet unter diesem Corset 
steht ungleich. Ist die eine Hüfte stark prominirend, die andere 
dementsprechend eingezogen, so haben stark gebaute Corsete mit 


*) Von anderen verschiebenden Kräften soll hier abgesehen werden. 


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204 


Wilhelm Wagner. 


breiter Umfassung des Beckens nicht selten die Wirkung, dass sie 
den Oberkörper direct nach der Seite abdrängen. Bei solcher Un¬ 
zuverlässigkeit des Apparates kann man eine Besserung ausgebildeter 
oder Verhütung sich bildender Verkrümmungen mit Sicherheit keines¬ 
wegs erwarten. An Versuchen, diesen schwachen Punkt des Becken- 
theils auszubessern, hat es nicht gefehlt, aber alle angebrachten 
Vorrichtungen, wie Kappen, Zügel etc., die, vom Becktenring aus¬ 
gehend, den Beckenkamm umfassen, haben keine wesentliche Aende- 
rung herbeigeführt. In der Beurtheilung der Wirksamkeit solcher 
Corsete scheint Hoffa mit mir gleicher Meinung zu sein; während 
er in seinem vorzüglichen Lehrbuch über orthopädische Chirurgie 
die genaue Technik der Herstellung von Corseten der ersten Gruppe, 
von Gips, Holz-Wasserglascorsets etc., beschreibt, bringt er von den 
hunderten Corseten, die im Laufe der Jahre nach dem 2. Typus ge¬ 
fertigt wurden, auch nicht eine einzige Abbildung oder Empfehlung. 
Eine Sonderstellung zu allen diesen besprochenen orthopädischen 
Apparaten nimmt das Hessing’sche Corset ein, von dem Hoffa 
sagt: „es verdiene allen andersartigen Vorrichtungen vorgezogen zu 
werden*. Hessing baut sein Corset nicht über den das Becken 
aussen überdeckenden Weichtheilen, resp. dem Trochanter auf,, son¬ 
dern er stützt es unverrückbar und unverschiebbar auf den Becken¬ 
kamm. Das ist der principielle Unterschied andern Apparaten gegen¬ 
über. Man könnte das Hessin g’sehe Corset mit Centnerlast beschweren, 
ein Abrutschen vom Becken wäre ein Ding der Unmöglichkeit. Dabei 
ist der Beckengürtel in technisch so vollendeter Weise gebildet und 
angepasst, dass auch jede anders als vertical wirkende Kraft keine 
Verschiebung veranlassen kann. Nur dem Umstand, dass der Becken¬ 
gürtel mit mathematischer Genauigkeit seinem bestimmten Platze 
anliegen bleibt, ist es zu danken, dass der stählerne, so gut wie gar 
nicht unterpolsterte Gürtel die darunter liegenden Weichtheile und 
Knochen nicht incommodirt. Beklagenswerth erscheint es nun, dass 
die Anwendung des Hessing’schen Corsets bei der Unfähigkeit der 
Aerzte und Orthopäden, die nicht gerade grossen technischen Schwierig¬ 
keiten der Herstellung zu überwinden, eine so seltene ist. Ich habe 
in den letzten zwei Jahren gegen vierzig Corsete nach Hessing 
selbständig ohne jede Beihilfe bis in die Details (vom Stoffmieder 
abgesehen) angefertigt, und dürfte deshalb im Stande sein, über die 
Technik und deren Schwierigkeiten ein richtiges Urtheil abzugeben. 
An die Spitze der Beschreibung möchte ich stellen, dass ich es für 


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Ueber den Beckenring an orthopädischen Apparaten etc. 


205 


möglich halte, dass jeder Arzt, der Interesse für Orthopädie hat und 
von Natur aus in Handfertigkeiten Geschick und Vorliebe für solche 
Arbeiten hat, im Stande ist, den Hessing'sehen Hüftbtigel schmie¬ 
den und die Verbindung der einzelnen Theile richtig ausführen zu 
lernen; in diesen beiden Punkten liegt die Schwierigkeit der An¬ 
fertigung. Es sei mir gestattet, die Anfertigung in allen Details zu 
beschreiben f wenn ich dabei selbstverständliche Einzelheiten aus¬ 
führlicher erwähne, so bitte ich, diese Weitschweifigkeit mit meinem 
Wunsche zu entschuldigen, Anfängern und Neulingen in diesen tech¬ 
nischen Fächern Anleitung zu geben. Wie aus der kurzen Be- 


Fig. 1. 



Schreibung des Hessing'schen Corsetes im Hoffaschen Lehrbuche 
zu ersehen, besteht das Corset aus einem eng anliegenden Stoffmieder 
mit sehr gut sitzendem Taillenschluss, und aus den Stahlschienen, 
die in das Stoffcorset eingearbeitet sind. Die Beschreibung Hoffa's 
dortselbst ist aber wohl zu kurz, um leicht darnach arbeiten zu 
können. 

Wie aus Fig. 1 zu ersehen, beginnt der Hüftbügel an der vor¬ 
deren Bauch wand, direct über dem Poupart'schen Band, zwischen 
mittlerem und äusserem Drittel desselben, steigt von hier nach oben 
gegen die Spin. ant. sup. des Beckenkammes und umgeht die Spina, 
ohne sie zu berühren; zwischen Bügel und Spin, bleibt eine Distanz 
von 2—3 und mehr Centimeter. Der Bügel biegt hier stumpf¬ 
winklig etwas um und verläuft dann fast parallel mit dem Darm¬ 
beinkamm, demselben sich so nähernd, dass derselbe in der mitt¬ 
leren und hinteren Axillarlinie sehr spitzwinklig geschnitten wird. 
So kommt der Bügel allmählich an die äussere Seite des Becken- 


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206 


Wilhelm Wagner. 


kammes, dem er bis zur Spin. post. 8. folgt, um hier beinahe recht¬ 
winklig nach unten umzubiegen und handbreit über dem Sitzknorren 
zu enden (Fig. 2). Der vordere absteigende Ast ist meiner Meinung 
nach im Hoffa’schen Lehrbuch zu lang gezeichnet; er scheint das 
Lig. Pouparti zu überschreiten und müsste dann Störungen beim 
Gehen verursachen. Den hintern absteigenden Ast lässt Hoffa an 

der betreffenden Stelle seines 
Lehrbuches direct hinter dem 
Trochanter nach abwärts stei¬ 
gen. Ich habe dies anfangs 
auch gethan, finde es aber 
praktischer, ihn weiter me- 
dianwärts absteigen zu lassen. 
Uebrigens ist Hoffa auch 
selbst neuerdings dieser An¬ 
sicht geworden. Er hat der¬ 
selben in seiner Abhandlung 
über die ambulante Behand¬ 
lung der tuberculösen Hüft¬ 
gelenksentzündung (V erlag 

von Lipsius und Fischer in 
Kiel, 1893) und in seiner 
Arbeit „Weitere Beiträge 
zur Orthopädie a (Münchener med. Wochenschr. 1893) Ausdruck ge¬ 
geben. Er beschreibt in beiden Arbeiten die Form des Becken¬ 
gürtels genau so, wie ich sie auch anfertige. In welcher Weise die 
Anfertigung der einzelnen Schienen selbst statthat, beschreibt Hoffa 
dagegen nicht und gebe ich daher hier eine genaue Schilderung 
meines Vorgehens. 

Bei der Herstellung des Beckengürtels verfahre ich folgender- 
massen: Ich überdecke die eine Beckenhälfte mit einem Bogen Pa¬ 
pier und zeichne darauf den Verlauf des Weges, dem der zu ferti¬ 
gende Bügel folgen soll. Ich erhalte so ungefähr folgende Linie (Fig. 4). 
(Um die Lage des Bügels zur Spin. ant. sup. anzudeuten, ist die 
Spin, punktirt eingezeichnet.) Nach dieser Figur schmiede ich mir 
den Stahl, d. h. ich erwärme ein entsprechend langes Stück Band¬ 
stahl etwas über Rothgluth (bequem im Amerikanerofen oder auch 
sonst im Küchenheerd) und bringe durch einige Hammerschläge über 
einem kleinen Ambos in passendem Abstand x und y und zwischen 


Fig. 2. 



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Ueber den Beckenring an orthopädischen Apparaten etc. 


207 


x und y, in der Nähe von x, die leichte Concavbiegung an. Der 
Stahl hat bei einem Corset für ein 15jähriges Mädchen ungefähr 


Fig. 3. 



Die starke, theils punctirte, theils ausgezogene Linie soll die Lage des Beckenringes zum 
Darmbeinkamme fllostriren. 


eine Breite von schwach 1 v \2 cm, eine Dicke von 3 mm. Ist der 
Stahl erkaltet oder fast erkaltet (handwarm), so beginnt das An- 
passen an den Körper, das schwierigste bei der ganzen Anfertigung. 


Das Biegen von Bandstahl (Dres- 
ßiren) kann mit Hammer und 
Ambos, in manchen Fällen viel be¬ 
quemer und leichter mittelst sog. 
Dressirzangen oder -Schlüssel, 
vorgenommen werden, wie sie 
die Abbildung darstellt (Fig. 5). 


Fig. 4. 



Fig. 5. 



An einem Schema will ich die Technik erläutern (Fig. 6): Wollen 
wir den Stab s über die Fläche f durch Schlüssel dressiren, so lege ich 
Stab s auf den Anfang von f auf, es wird dann a b auf b x fest 
aufliegen, in b t muss der Stahl gebogen werden; ich biege also mit 
den Schlüsseln, indem ich die beiden Schlüssel genau an b x ein¬ 
setze; so fortschreitend liegt der Stahl bald bis Punkt c x an u. 8. w. 


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308 


Wilhelm Wagner. 


Hauptsache ist, dass die Schlüssel genau an dem Punkte eingesetzt 
werden, wo Stab und Fläche nicht mehr exact einander berühren. 

Mit diesem Schema ist meiner Meinung nach für den Anfänger 
die Technik genügend erklärt; wer an einem Skelet oder an einem 
beliebigen Gegenstand sich einigemal im Dres- 
fig- 6- siren von weicherem Material (Schmiedeeisen) 



geübt, dem wird es bald gelingen, auch am 
Körper den härteren Stahl richtig zu dressiren. 
Vielleicht ist es noch nothwendig, zu er¬ 
wähnen, dass der beim Schmieden geglühte 
Stahl nicht rasch abgekühlt werden darf, da¬ 
durch würde Stahl glashart und beim Biegen 


springen. 

Ich habe es praktisch gefunden, beim Hüftbügel folgender- 
massen zu verfahren: Ich dressire zuerst den hinteren absteigenden 
Ast, dann den horizontalen von der Spin. post, bis zur hinteren 
Axillarlinie. Dabei hat man nur darauf zu achten, dass der Bügel 
mit seiner flachen Seite exact der Haut anliegt. In der hinteren 
Axillarlinie beginnt, wie oben gezeigt und wie aus der Abbildung 3 
zu ersehen, der Bügel sich auf den Beckenkamm aufzulegen. Da¬ 
mit der Bügel hier und in der Fortsetzung nicht mit der Kante auf 
dem Kamme verläuft, drehe ich die (den Hoffa’schen Abbildungen 
nicht entsprechend) beinahe vertical stehende Flachseite des Bügels 
mit der Dressirzange so, dass dieselbe mehr oder weniger horizontal 
aufliegt. Die Fortsetzung des Dressirens macht dann keine beson¬ 
deren Schwierigkeiten. In der weiteren Bearbeitung des Bügels 
bringt man zum späteren Anbringen von 
Knöpfen und Armstützen eine ganze Reihe 
von Gewinden an. (Anleitung dazu kann jeder 
Schlosser in 5 Minuten geben.) Es folgt dann 
das Einnähen des Stahlbügels in den Stoff 
(Fig. 7). Der Stahl wird mit dünnem Leder durch 
Kleister (am besten mit Wiener Pappe) so unterlegt, dass das Leder 
den Stahl um 2—3 mm am Rande überragt; alsdann wird die äussere 
Seite des Bügels mit Corsetstoff tiberkleistert, der am Rande um¬ 
gebogen, etwas eingefalzt und an der unteren Lederseite festgeklebt 
wird. Ueber dem angelegten Stoffcorset wird alsdann der so vor¬ 
bereitete Bügel angepasst, die Contouren aufgezeichnet und alsdann 
im Falz eingenäht. Nach Art der Hüftbügel werden alsdann zwei 



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Ueber den Beckenring an orthopädischen Apparaten etc. 


209 


elastische Rückenspangen eingenäht, sowie die Knöpfe am Hüftbügel 
angebracht und beide Hüftbügel durch Bauch- und Rückenriemen 
noch fester mit einander verbunden (Fig. 1 u. 2). Jetzt nehmen 
die Bügel den Platz ein, den sie dauernd behalten sollen. Nun erst 
darf man daran denken, die Armstützen anzubringen. Fig. 8 zeigt 
besser als eine Beschreibung das 
Wesentliche. Hessing benutzt Fig. 8. 

statt der einen breiten Seiten¬ 
spange zwei schmälere. Ich habe 
die Aenderung aus Arbeits- 
erspamiss angebracht und sehe 
im allgemeinen keinen Nach¬ 
theil davon. Die Armstützen 
werden an ihrem unteren Ende 
im Feuer so umgebogen, dass 
sie möglichst exact auf dem 
Hüftbügel anliegen. Fehlt es 
hier an Genauigkeit, so wird 
beim Zusammenschrauben der 
Hüftbügel aus seiner früheren 
Lage herausgedrängt und das bis 
dahin gut sitzende Corset passt 
auf einmal gar nicht mehr. 

Die Armstützen werden 
bei möglichst guter Körperhal¬ 
tung angepasst und, nachdem die Contouren auf das Corset auf¬ 
gezeichnet und mit zwei Schrauben auf dem Bügel befestigt sind, 
mit Drill eingenäht. 

Ich bin damit mit der Beschreibung der Anfertigung des Ge¬ 
rippes eines Hessing’schen Corsets zu Ende. Auf die Beschreibung 
anderer am Gerippe angebrachter Vorrichtungen will ich mich hier 
nicht einlassen, die Hessing'schen Apparate sind bei ihrer Voll¬ 
kommenheit so individuell verschieden, dass eine einigermassen rich¬ 
tige Skizzirung von Details kaum möglich ist. Zudem besteht das 
Wesentliche und principiell Neue nicht in diesen Einzelheiten, son¬ 
dern in der absolut exacten und musterhaften Fassung des Beckens: 
diese ist so vollkommen und lässt jede andere Art in Bezug auf 
Sicherheit so weit hinter sich zurück, dass es kein ungerechtes Ver¬ 
langen wäre, wenn ich sage, ein gutes orthopädisches Corset müsste 



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210 Wilhelm Wagner. Ueber den Beckenring an orthopäd. Apparaten etc. 

als Grundlage den H e s s i n g'schen Hüftbügel haben. Am Corset 
bliebe dann immer noch Raum genug, brauchbare Detailvorrichtungen 
jeder Art anzubringen. 

Ob ich wohl mit dieser kurzen Abhandlung dazu beitragen 
werde, den einen oder andern Collegen zu Versuchen zur Herstellung 
eines Hessing*sehen Corsets anzuregen? Ich weiss es selbst und 
gebe mich darin keiner Täuschung hin, dass man einen Hüftbügel 
nicht auf dem Papier schmieden lernt. Aber solange es für den 
Studenten und Arzt auf der Universität unmöglich ist, sich in diesen 
technischen Sachen auch nur einigermassen zu unterrichten, wird der 
kleine Beitrag vielleicht doch dem einen oder andern nützen können. 
Es lag in der Natur der Sache, die Nothwendigkeit solcher tech¬ 
nischen Arbeiten durch die Mangelhaftigkeit der gebräuchlichen 
orthopädischen Corsets und durch die Vorzüglichkeit des Hessing- 
schen Apparates zu begründen. 


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Referate 


Mit 4 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Albert Hoffa, Weitere Mittheilungen über die operative Behandlung der 
angeborenen Hüftgelenksverrenkungen. Vortrag mit Demonstration ope- 
rirter Fälle, gehalten am 1. Sitzungstage des 22. deutschen Chirurgen- 
congresses am 13. April 1893. Münchener medicinische Wochenschrift 
1893, Nr. 18. 

Hoffa berichtet in dem vorliegenden Vortrag über die weiteren Erfah¬ 
rungen, die er in Bezug auf seine Operation der angeborenen Hüftgelenksver¬ 
renkungen gewonnen hat, sowie über deren Erfolge. 

In seinen Erörterungen gedenkt er zunächst des Verhaltens der Gelenk¬ 
pfanne, die er, entgegen der Ansicht, dass die Pfanne in der Mehrzahl der Fälle 
nicht vorhanden ist, bei den 26 bisher ausgeführten Operationen jedesmal ge¬ 
funden hat, ebenso wie die anderen Kollegen, die die Operation nachmachten, 
stets ihr Vorhandensein, wenn auch in mangelhafter Entwickelung, constatirt 
haben. Um bessere Anhaltspunkte über das Verhalten der Pfanne zu gewinnen, 
hat Hoffa im Verein mit seinem Schüler Dr. Valette aus Genf sämmtliche 
bisher in der Literatur beschriebene Präparate von angeborenen Hüftgelenks¬ 
verrenkungen analysirt. Hoffa konnte insgesammt 111 Präparate verwerthen, 
104mal war die Pfanne vorhanden, nur 7mal, und zwar ausschliesslich bei Er¬ 
wachsenen, fehlte sie oder war nur angedeutet. Sicher ist demnach eine wenn 
auch flache Pfanne in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle zu finden; wenn 
sie nicht vorhanden sein sollte, kann sie sicher ohne zu grosse Mühe an der 
annährend normalen Stelle gebildet werden. Um den Kopf sicher zu fixiren, 
ist nach Hoffa die Neubildung der Pfanne, d. h. die Vertiefung der alten 
Pfanne, unbedingt nothwendig, da sonst, selbst bei leicht reponirbarem Kopf, 
ein theilweiser Misserfolg zu erwarten ist, indem der Kopf zu weit nach vorn 
und oben rutscht, um sich hier unterhalb des Darrabeinstachels einzustellen. 

Dem Einwand, dass das Becken an dem betreffenden Theile, wo die Pfanne 
neugebildet werden soll, vielleicht nicht die gehörige Dicke besitze, tritt Hoffa 
einmal mit seinen Erfahrungen entgegen, indem er niemals, trotzdem er bei 
der Pfannenvertiefung lieber zu viel als zu wenig thut, die geringsten Schwierig¬ 
keiten gefunden hat. Ausserdem zeigt Hoffa an Präparaten, dass bei der 
angeborenen Hüftgelenksverrenkung die Gegend der alten Pfanne geradezu die 
dickste Partie am ganzen Becken ist. 


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212 


Referate. 


Hoffa, der früher die Ansicht ausgesprochen hat, dass infolge der 
zunehmenden Weichtheilverkürzung sein Operationsverfahren an ein bestimmtes 
Alter gebunden sei, und gerathen hatte, über 10 Jahre alte Kinder nicht mehr 
zu operiren, empfiehlt dies Vorgehen im wesentlichen auch noch in der vor¬ 
liegenden Arbeit. Doch hat er neuerdings es gelernt, die Operation ausnahms¬ 
weise auch einmal bei älteren Patienten vorzunehmen; nur ist hierbei eine 
sehr ausgedehnte Durchschneidung der verkürzten Weichtheile nothwendig. 

Um die Erfolge der Operation zunächst bei doppelseitiger Luxation zu 
zeigen, demonstrirt Hoffa abermals die schon vor 3 Jahren dem Chirurgen- 
congress gezeigte, auf beiden Seiten operirte Patientin. Die entstellende Lor¬ 
dose ist vollständig verschwunden und der watschelnde Gang nahezu völlig; 
beseitigt. Die Beweglichkeit der Gelenke ist eine ausgezeichnete. Bei zwei 
Kindern mit einseitiger Luxation, die Hoffa, als sie 5 und l 1 /« Jahr alt 
waren, vor 3 und vor 1 Jahr operirt hat, lässt der Gang, abgesehen von der 
Andeutung eines Hinkens, nichts zu wünschen übrig. Die Gelenke sind völlig’ 
fest und in ihren Bewegungen kaum beschränkt. 

Schliesslich glaubt Hoffa durch die bei der Operation der angeborenen 
Hüftluxation gewonnenen Erfahrungen eine Erklärung für den Umstand gefunden 
zu haben, dass wir bei dieser Deformität auf dem unblutigen orthopädischen 
Wege keine guten Resultate erzielen. Die Schuld an diesem Misserfolge trägt 
nach Hoffa das Lig. teres. Denn in allen den Fällen, in denen es vorhanden 
ist, fand Hoffa es bedeutend hypertrophirt und ein langes breites Band dar¬ 
stellend. Gelingt es nun auch, den verrenkten Schenkelkopf durch einen ortho¬ 
pädischen Apparat oder durch die Extensionsbehandlung bis in das Niveau der 
alten Pfanne herabzuziehen, so kann sich der Schenkelkopf doch hier kein 
richtiges neues Gelenk bilden, weil sich das Lig. teres zwischen ihn und das 
Becken einklemmen wird, und weil dadurch der zur Bildung einer Nearthrose 
unbedingt nothwendige directe Contact der Gelenkenden verhindert wird. 

G. Joachimsthal-Berlin. 

E. Kirmisson, Contribution ä l’etude de l’operation d’Hoffa dans la luxation 
congenitale de la hanche bas6e sur six observations personelles. Revue 
d’orthopedie 1893 Mai, Nr. 3 p. 209. 

Kirmisson hat nach der Veröffentlichung des Hoffa’schen Verfahrens 
der blutigen Behandlung angeborener Hüftgelenks Verrenkungen sich bemüht, 
dasselbe zu üben und dazu im ganzen in 6 Fällen Gelegenheit gehabt. Die 
vorliegende Arbeit enthält die Mittheilung der dabei gesammelten Erfahrungen 
und verdient schon deshalb eine eingehendere Besprechung, weil sie die erste 
ist, die über eine grössere Anzahl derartiger Operationen eine genauere Sta¬ 
tistik gibt. 

Zum erstenmal übte Kirmisson die Operation bei einem 11jährigen 
Mädchen mit doppelseitiger Luxation. Es bestand eine starke Lendenlordose, 
die Spitze des grossen Trochanter stand beiderseits 6 cm über der Roser- 
Nelaton’schen Linie. Am 5. October 1891 wurde linkerseits die Operation nach 
der Hoffa’schen Vorschrift vollführt. Es fand sich nach Eröffnung der Gelenk¬ 
kapsel keine Spur des Lig. teres, der Kopf war verdünnt und sasa an einem 
langen Schenkelhals, der mit dem übrigen Femur einen sehr stumpfen Winkel 


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Referate. 


213 


bildete. Nach Aushöhlung der Pfanne war es trotz aller Tractionen am Bein 
nicht eher möglich, den Kopf zu reponiren, als bis ein Theil des Kopfes resecirt, 
und so der lange, durch den Schenkelhals gebildete Hebelarm etwas verkürzt 
war. Kapsel, Musculatur und Haut wurden einzeln vernäht und ein Drain 
eingelegt. 

Die Folgen des Eingriffs waren sehr beängstigende, die Temperatur hob 
sich auf 40°, eine abundante Eiterung etablirte sich, so dass Kirmisson sich 
veranlasst sah, alle Nähte zu entfernen und die Wunde wiederholt mit Carbol- 
lösungen auszuspülen. Eine Betheiligung der Niere liess sich aus einem starken 
Gehalt des Urins an Eiweiss erschliessen. Nach langer Eiterung war das Kind 
endlich am 15. April 1892 mit einer Fistel im Stande, an Krücken und unter 
den grössten Schwierigkeiten Gehübungen zu beginnen. Ein während des langen 
Liegens entstandener Pes equinus erforderte ein Redressement in Narkose und 
die Anlegung eines Verbandes. Endlich schloss sich die Fistel und der Gang 
wurde leichter. Zur Zeit der Veröffentlichung besitzt das operirte Hüftgelenk 
nur eine ganz gewisse Beweglichkeit. Das Bein steht gerade in der Mitte 
zwischen Ab- und Adduction. Der Gang wird beträchtlich erschwert durch das 
Bestehen der Luxation auf der andern Seite, auf welcher das Bein flectirt und 
adducirt ist. Kirmisson beabsichtigt hier, um beide Glieder parallel zu stellen, 
die Osteotomia subtrochanterica vorzunehmen. 

Der zweite Fall betraf einen 6jährigen Knaben mit rechtseitiger Hüft- 
luxation. Der rechte Trochanter stand 4 cm über der Roser-Nelaton’schen Linie, 
das Hinken war sehr ausgesprochen. Die Operation wurde am 29. Februar 1892 
ausgeführt. Wiederum fehlte das Lig. teres, der Schenkelhals war sehr kurz, 
der Schenkelkopf wohlgebildet. Beim Vertiefen der Pfanne fand Kirmisson 
den y-fÖrmigen Knorpel, ein Beweis gegen die Hypothese, die die Hüftver¬ 
renkung als eine Folge der frühzeitigen Verknöcherung dieses Knorpels hin¬ 
stellt. Bei der Aushöhlung des Pfannengrundes entstand eine vollständige Per¬ 
foration, ja es glitt ein kleiner Knochensplitter durch die Oeffnung ins Becken, 
ohne dass es gelungen wäre, denselben wieder zu entfernen. Doch blieb dieser 
Zwischenfall ohne weiteren Nachtheil. Die Reposition war leicht ausführbar. 
Kirmisson beschränkte sich danach auf die Sutur der Haut und die Einlegung 
eines Drains. Nur am dritten Tage hob sich die Temperatur vorübergehend 
auf 39,2, der Kopf blieb in der reponirten Stellung. Schon am 21. März 
konnten leichte Bewegungen versucht werden. Zur Zeit der Publication, 
13 Monate nach der Operation, besteht noch eine Verkürzung des Beins um 
1 cm, der Kranke hinkt noch ein wenig, doch ist der Kopf in der Pfanne und 
die Beweglichkeit des Gelenks fast die normale. 

Es folgt ein 9jähriges Mädchen mit einer rechtseitigen angeborenen Hüft¬ 
verrenkung und einer Verkürzung des rechten Beines um 6 cm. Bei der Operation 
am 7. März 1892 ergibt sich ein abgeplatteter Gelenkkopf, ein Fehlen des Lig. 
teres. Die Pfanne wird bei der Aushöhlung wieder durchbohrt wie im vorher¬ 
gehenden Falle, doch gelingt die Retention des reponirten Kopfes schwerer. 
Nur die Haut wurde vernäht. Der Wund verlauf war ein günstiger, schon am 
4. April war die Wunde total verheilt, so dass am 20. Juli Gehübungen gemacht 
werden konnten. Das ursprünglich in Bezug auf die Verlängerung des Beins 
erreichte Resultat verschlechterte sich wieder etwas, so dass bei einer Unter- 
Zeitschrlft für orthopädische Chirurgie. III. Band. 25 


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214 


Referate. 


suchung im April 1893 eine Verkürzung um 4 cm gegenüber der gesunden 
Seite bestand. Ein leichtes Hinken war bemerkbar, das Kind machte den Ein¬ 
druck, als ob es an einer mit Verkürzung ausgeheilten Coxitis leide. 

Ein 5 V* Jahre altes Mädchen mit den Erscheinungen der doppelseitigen 
angeborenen Hüftluxation (links stärker ausgesprochen als rechts; links steht 
der Trochanter 27a, rechts 17* cm über der Roser-Nelaton’schen Linie) wird in 
Kirmisson’s Abwesenheit von Broca auf der linken Seite, von Kirmisson 
selbst auf der rechten Seite am 7. November 1892 operirt. Der Kopf ist hier 
normal, das Lig. teres fehlt. Die Pfanne ist verdeckt durch die hinteren Ansatz¬ 
stellen der Kapsel, die mit dem Messer gelöst werden. Die Pfanne ist hier nur 
durch eine geringe Depression angedeutet. Durch Aushöhlen dieser Stelle wird 
eine Pfanne gebildet und dabei wieder eine Perforation des Beckens erzielt 
Auch hier wurde nur die Haut vernäht und ein Drain eingelegt. Die Wunde 
war am 25. November total verheilt. Der Kopf blieb in der Pfanne, während 
sich linkerseits die Verrenkung wieder hergestellt hatte. 

Die fünfte Patientin ist ein 372 Jahre altes Mädchen mit rechtseitiger 
congenitaler Hüftluxation (der Trochanter steht 2 cm über der Roser-N61aton- 
schen Linie). Bei der Operation am 23. November 1892 ergab sich ein nor¬ 
maler Gelenkkopf, die Pfanne abgeplattet, das Lig. teres fehlend. 

Beim Vertiefen der Fossa eotyloidea entfernte Kirmisson die Reste des 
y-fÖrmigen Knorpels und durchbohrte wiederum den Pfannengrund. Die Repo¬ 
sition gelingt leicht und wird durch drei Suturen am obem Theile der Kapsel zu 
sichern versucht. Sonst wurde nur die Haut vernäht. Auch hier war nur in 
dem ersten Falle, in dem ebenfalls tiefe Nähte angelegt waren, der Verlauf ein 
fieberhafter. Am 6. April 1893 bestand noch eine kleine Fistel. Das Glied 
war in guter Stellung, das Gelenk beweglich. 

Kirmisson warnt auf Grund der Erfahrungen in dem ersten und fünften 
Falle davor, diese Nähte anzulegen. Den Hautschnitt hat er bei den beiden 
letzten Operationen so modificirt, dass dieser einen nach hinten convexen Bogen 
bildet, dessen oberer Antheil von der Spina anterior superior zum grossen Trochan¬ 
ter verläuft, während der untere Abschnitt vom grossen Trochanter an dem 
Verlauf der Femurdiaphyse folgt. Kirmisson glaubt so die Vortheile der von 
Hoffa ursprünglich empfohlenen und der von Lorenz angegebenen Schnitt¬ 
führung zu combiniren. 

In einem wesentlichen Punkte differirt Kirmisson mit Hoffa, nämlich 
in Bezug auf die Dicke der Cavitas glenoidea des Kindes. Kirmisson glaubt, 
dass ebenso wie beim Erwachsenen auch beim Kinde der Pfannengrund die 
dünnste Partie des Beckens darstelle. Doch sieht er in der Perforation des 
Pfannengrundes, die er absichtlich herbeiführt, bei aseptischem Verlauf keinerlei 
Nachtheil, sondern die Möglichkeit, den Kopf sicherer zu fixiren. Kirmisson 
hat bei seinem Vorgehen jedoch auch einen Todesfall zu beklagen. 

Es handelte sich um ein 12(jähriges Mädchen mit doppelseitiger Hüft¬ 
luxation (der Trochanter steht rechts 5, links 6 cm über der Roser-Nelaton’schen 
Linie). Bei der Operation auf der linken Seite ergibt sich ein sehr kurzer 
Schenkelhals, ein Kopf von sehr unregelmässiger, etwas conischer Gestalt und 
ein Fehlen des Lig. teres. Eine Gelenkpfanne ist nicht vorhanden, ihre Stelle 
ist nur durch eine geringe Depression angedeutet. Mit Meissei und Zange wird 


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Referate. 


215 


eine Pfanne gebildet, doch gelingt selbst nach Durchschneidung der vorderen 
Muskeln die Reposition nur unvollkommen, da der Kopf die Neigung zeigt, 
eher auf den oberen Pfannenrand als in die neue Pfanne zu treten. Schon kurz 
nach der langen und schwierigen Operation war die Patientin sehr geschwächt, 
am nächsten Tage ging sie unter den Zeichen der Peritonitis zu Grunde. Die 
Section ergab eine Splitterfractur des Beckens und eine Zerreissung der Arteria 
obturatoria mit Bildung eines grossen Blutextravasats an der ganzen vorderen 
Circumferenz des Beckens. Das mit Auflagerungen versehene Peritoneum war 
im übrigen unverletzt. 

Kirmisson schreibt den ungünstigen Verlauf vorzugsweise dem relativ 
hohen Alter der Patientin zu. Die Bildung der Pfanne wäre nach seiner An¬ 
sicht vortheilhafter und gefahrloser mit dem Trepan ausgeführt worden. 

G. Joachimsthal-Berlin. 


M. Bilhaut, Luxation congenitale de la hanche. Tentatives de reduction par 
la mäthode de Paci. Insucces. — Operation de Hoffa. — Reduction. — 
Guerison par premiere intention. — Annales d’orthopedie 1898, Nr. 1 p. 3. 
Bilhaut operirte einen 10jährigen Knaben mit linkseitiger congenitaler 
Hüftluxation und Höhenstand des Trochanter um 4 cm nach Hoffa’s Vor¬ 
schriften. Der Kopf war annährend normal, das Lig. teres fehlte, die Gelenk¬ 
pfanne war mässig tief, aber an den Rändern durch eine dicke Kapsel verengt. 
Die Reposition und Retention des Kopfes gelangen leicht. Der Verlauf war 
vollkommen fieberlos, die Heilung erfolgte per primam. Zur Zeit der Veröffent¬ 
lichung kann über ein definitives Resultat noch kein Urtheil gefällt werden. 

G. Joachimsthal-Berlin. • 


Rudolf Volkmann, Ueber die blutige Reposition veralteter traumatischer 
Hüftluxationen. Aus der chirurgischen Universitätsklinik Marburg. Deutsche 
Zeitschrift für Chirurgie 1893, S. 373 ff. 

Verfasser zeigt an einem von Küster erfolgreich operirten Falle von 
veralteter traumatischer Hüftluxation, dass die blutige Reposition dem wenn 
auch einfacheren und weniger schweren Eingriffe der Resection vorzuziehen ist. 
Es handelte sich um einen 9jährigen Knaben mit 7 Wochen alter Luxation, 
bei welchem analog der Hoff a’schen Operation der angeborenen Hüftverrenkung 
nach Durchschneidung der sich spannenden Weichtheile und Vertiefung der 
Pfanne die Reposition gelang. Es fand sich in diesem Falle ein neugebildetes 
Lig. teres, kürzer und dicker als das normale. Das functioneile Resultat war 
bei einer Untersuchung nach a /4 Jahren ein ideales. Zu Gunsten der blutigen 
Reposition gegenüber der Resection sprechen die guten Resultate der analogen 
Ho ff a’schen Operation. 

Der sonderbare Fund eines neugebildeten Lig. teres veranlasste ferner 
Verfasser, Hunden auf aseptischem Wege Hüftluxation mit Exstirpation des Lig. 
teres beizubringen. Bei den später vorgenommenen Obductionen zeigten sich 
die verschiedenen Entwickelungsstufen eines Lig. teres. 

Drehmann -W ürzburg. 


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216 


Referate. 


Helfer ich. Weitere Mittheilungen über die Operation der winkeligen Knie- 
gelenksankylose and die bogenförmige Resection des Kniegelenke« über¬ 
haupt. Langenbecks Archiv, Bd. XLVI Heft 3. 

Die vorliegende Arbeit gibt uns an der Hand von 30 Krankengeschichten 
eine genaue Schilderung der Erfahrungen, welche der Verfasser über seine auf 
dem 10. Chirurgencongress angegebene Operation der bogenförmigen Resection 
bei winkeliger Kniegelenksankylose bisher gewonnen hat- 

Für die technische Ausführung des Verfahrens selbst, weiches in aus¬ 
gedehnter, offener Durchschneidung der sich spannenden Fascie und Sahnen in der 
Kniekehle und in darauffolgender Resection eines nur kleinen, bogen¬ 
förmig ausgesägten Keiles mit Herstellung einer convexen Sägefläche am 
Femur und einer concaven an der Tibia besteht, gibt Helferich einige neue 
practische Winke, indem er zur Herstellung der Sägeflächen statt der früher 
verwandten Stichsäge die Bogensäge empfiehlt, weiche die Ausführung der 
Operation auch dem weniger Geübten gestatte. Ferner solle man stets durch 
Visiren seitens eines am Fassende des Operationstisches stehenden Gehülfen 
den horizontalen Stand der Säge constatiren lassen, damit man keine schiefe 
Ebene erhalte. 

Besonderes Gewicht legt der Verfasser auch auf die Schonung der 
Intermediärknorpel bei im Wachsthum begriffenen Patienten, da gerade 
in der Möglichkeit, diese möglichst unverletzt zu lassen, ein grosser Vorzug’ 
gegenüber dem bisher üblichen Operationsverfahren gelegen ist. Zu diesem 
Zweck wurde in der ersten Mittheilung geraten, den bogenförmigen Keil ganz 
am untersten Femurende zu bilden und sich durch flache Meisseischläge an der 
Oberfläche des Knochens von der Abwesenheit, resp. vom Vorhandensein der 
Knorpelfuge zu überzeugen, da solche oberflächlichen Verletzungen der Knorpel¬ 
fuge keinen Schaden brächten. Aas dem gleichen Grunde wird jetzt der Rath 
beigefügt, von der Tibia nur eine dünne Scheibe abzusägen: die Bogenfläche 
selbst könne etwas flacher sein, als die entsprechende convexe des Femur. 

Bei Ausführung der Tenotomie der Bicepssehne solle man sich vor Ver¬ 
letzung des Nervus peronaeus hüten. 

Bei der zur Erzielung völliger Geradestellung nöthigen gewaltsamen 
Dehnung der Theile der Kniekehle hat sich in mehreren Fällen ein Verschluss 
oder eine hochgradige Verengerung der Arteria poplitea ergeben. 
Um dies zu vermeiden, ist der vom besten Erfolge begleitete Versuch gemacht 
worden, die Geradestellung nicht auf einmal zu erzwingen, sondern auf mehrere 
Sitzungen zu vertheilen, ein zweifelloser Vorzug, den kein anderes blutiges 
Operationsverfahren gestattet. 

Auch die übrigen Vortheile, welche das H e 1 f er i ch’sehe Verfahren bei 
der Operation der winkeligen Kniegelenksankylose gegenüber der früheren keil¬ 
förmigen, sogen, orthopädischen Operation bietet, treten klar zu Tage: sie 
bestehen in dem geringen Verlust an Knochensubstanz und dement¬ 
sprechend in einer geringen resultirenden Verkürzung, ferner in der 
Möglichkeit, den Intermediärknorpel zu schonen. Drittens werden 
durch die bogenförmige Absägung breite Kn och entfachen geschaffen, welche die 
Fixation der Knochenenden ohne Schwierigkeit ausfuhrenlassen. Dieselbe 
wird durch zwei seitlich durch das fibröse Gewebe gelegte Catgutfäden gesichert. 


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Referate. 


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Diese Vorzüge seines Verfahrens bei Flexionsankylose des Kniegelenkes 
Teranlassten nun den Verfasser, seiner schon in der ersten Veröffentlichung 
kund gegebenen Absicht gemäss, dasselbe auch bei der Knie res ec tion über¬ 
haupt in Anwendung zu bringen. Bezüglich der hierbei zu beobachtenden 
Methode der Ausführung ist nur noch zu erwähnen, dass bei Tuberkulose natür¬ 
lich die Kapsel exstirpirt werden, event. bestehende Knochenheerde aufs Sorg¬ 
fältigste versorgt werden müssen. Im zweiten Monat nach der Operation wird 
der Patient entlassen, muss aber noch mindestens 1 Jahr lang immobilisirende 
Verbände tragen. 

Die auf die Resection bezüglichen Krankengeschichten berichten über 
je 2 Fälle von Arthrodese und Arthritis deforraans, 8 Fälle rein synovialer Ge¬ 
lenktuberkulose und 11 Fälle von Kniegelenkstuberkulose mit Knochenheerden. 

Die günstigen Resultate der verzeichneten Fälle lassen uns dem Wunsch 
Helferich’s beistimmen, dass sein Operationsverfahren nicht nur bei der 
Flexionsankylose verwandt werde, sondern das typische für die Fälle der 
Kniegelenksresection werden möge. Die durch die Einführung der Bogen¬ 
säge erheblich erleichterte Technik der Operation wird mit dazu beitragen, ihr 
viele Anhänger zu erwerben. Zenker-Würzburg. 

Lustig, Zur Frage nach den Endresultaten der Kniegelenksresection bei Kin¬ 
dern. Inaugural-Dissertation, Freiburg 1893. 

Lustig stellt sich die Aufgabe, eine kritische Zusammenstellung der 
verschiedenen Ansichten zu geben, welche über die gefürchteten Folgeerschei¬ 
nungen der Kniegelenksresection, nämlich die Störung des Längenwachs¬ 
thums und die Bildung einer Flexionsankylose, bestehen. 

Bei Besprechung der Verkürzungen erwähnt er die bekannten Theorien 
von König und von Volkmann. Willemers etwas gezwungene Erklärung, 
dass die durch Flexion bedingte Ernährungsstörung Anlass zu einer Atrophie 
geben könne, verwirft er. Ueber Wolfl’s Ansicht, dass es sich bei den Stö¬ 
rungen des Längenwachsthums um nervöse Einflüsse handele, nämlich entweder 
um ein directes Uebergreifen der Entzündung vom Gelenk auf die nächsten 
Nerven oder um eine Art Reflexneurose, wie auch Charcot meint, erscheint 
dem Verfasser bei dem bisherigen Stand der Forschung über trophische Nerven¬ 
einflüsse ein endgültiges Urteil noch nicht möglich. 

Das gesteigerte Längenwachsthum will er ebenfalls nicht auf ner¬ 
vöse Einflüsse, sondern vielmehr auf die Wirkung reactiver Entzündung in 
der Umgebung tuberkulöser Heerde bezogen wissen, welche, nicht stark 
genug, um die Fortpflanzung und Bildungsfähigkeit der Osteoblasten zu zer¬ 
stören, gelegentlich geradezu einen Anstoss zu stärkerer Gewebsproduction gebe. 

Bei der Betrachtung der verschiedenen Theorien über die Entstehung 
der Winkelstellungen kommt Lustig zu folgendem Schluss: Die König- 
Paschen’sche Drucktheorie hat wenig für sich; die Hoffa’sche Ansicht, dass 
der Muskelzug der Flexoren die Schuld trägt, ist wohl oft, doch nicht immer 
gültig; in vielen Fällen bleibt nur die Annahme übrig, dass die Knorpel¬ 
fugen, deren Intactbleiben gerade für das fernere Längenwachs¬ 
thum so wichtig ist, durch unregelmässige Knochenapposition 
Stellungsanomalien herbeiführen. 


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Referate. 


Helferich, Weitere Mittheilungen über die Operation der winkeligen Knie¬ 
gelenksankylose und die bogenförmige Resection des Kniegelenkes über¬ 
haupt. Langenbeck's Archiv, Bd. XLVI Heft 3. 

Die vorliegende Arbeit gibt uns an der Hand von 30 Krankengeschichten 
eine genaue Schilderung der Erfahrungen, welche der Verfasser über seine auf 
dem 19. Chirurgencongress angegebene Operation der bogenförmigen Resection 
bei winkeliger Kniegelenksankylose bisher gewonnen hat. 

Für die technische Ausführung des Verfahrens selbst, welches in aus¬ 
gedehnter, offener Durchschneidung der sich spannenden Fascie und Sehnen in der 
Kniekehle und in darauffolgender Resection eines nur kleinen, bogen¬ 
förmig ausgesägten Keiles mit Herstellung einer convexen Sägefläche am 
Femur und einer concaven an der Tibia besteht, gibt Helferich einige neue 
practische Winke, indem er zur Herstellung der Sägeflächen statt der früher 
verwandten Stichsäge die Bogensäge empfiehlt, welche die Ausführung der 
Operation auch dem weniger Geübten gestatte. Ferner solle man stets durch 
Visiren seitens eines am Fussende des Operationstisches stehenden Geholfen 
den horizontalen Stand der Säge constatiren lassen, damit man keine schiefe 
Ebene erhalte. 

Besonderes Gewicht legt der Verfasser auch auf die Schonung der 
Intermediärknorpel bei im Wachsthum begriffenen Patienten, da gerade 
in der Möglichkeit, diese möglichst unverletzt zu lassen, ein grosser Vorzug 
gegenüber dem bisher üblichen Operationsverfahren gelegen ist. Zu diesem 
Zweck wurde in der ersten Mittheilung geraten, den bogenförmigen Keil ganz 
am untersten Femurende zu bilden und sich durch flache Meisseischläge an der 
Oberfläche des Knochens von der Abwesenheit, resp. vom Vorhandensein der 
Knorpelfuge zu überzeugen, da solche oberflächlichen Verletzungen der Knorpel¬ 
fuge keinen Schaden brächten. Aus dem gleichen Grunde wird jetzt der Rath 
beigefügt, von der Tibia nur eine dünne Scheibe abzusägen; die Bogenfläche 
selbst könne etwas flacher sein, als die entsprechende convexe des Femur. 

Bei Ausführung der Tenotomie der Bicepsseline solle man sich vor Ver¬ 
letzung des Nervus peronaeus hüten. 

Bei der zur Erzielung völliger Geradestellung nöthigen gewaltsamen 
Dehnung der Theile der Kniekehle hat sich in mehreren Fällen ein Verschluss 
oder eine hochgradige Verengerung der Arteria poplitea ergeben. 
Um dies zu vermeiden, ist der vom besten Erfolge begleitete Versuch gemacht 
worden, die Geradestellung nicht auf einmal zu erzwungen, sondern auf mehrere 
Sitzungen zu vertheilen, ein zweifelloser Vorzug, den kein anderes blutiges 
Operationsverfahren gestattet. 

Auch die übrigen Vortheile, welche das Helferich’sche Verfahren bei 
der Operation der w-inkeligen Kniegelenksankylose gegenüber der früheren keil¬ 
förmigen, sogen, orthopädischen Operation bietet, treten klar zu Tage; sie 
bestehen in dem geringen Verlust an Knochen Substanz und dement¬ 
sprechend in einer geringen resu 1 tirenden Verkürzung, ferner in der 
Möglichkeit, den Intermediärknorpel zu schonen. Drittens werden 
durch die bogenförmige Absägung breite Knochenflächen geschaffen, welche die 
Fixation der Knochenenden ohne Sch wierigkeit ausführen lassen. Dieselbe 
wird durch zwei seitlich durch das fibröse Gew r ebe gelegte Catgutfäden gesichert. 


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Referate. 


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Diese Vorzüge seines Verfahrens bei Flexionsankylose des Kniegelenkes 
veranlassten nun den Verfasser, seiner schon in der ersten Veröffentlichung 
kund gegebenen Absicht gemäss, dasselbe auch bei der Knieresection über¬ 
haupt in Anwendung zu bringen. Bezüglich der hierbei zu beobachtenden 
Methode der Ausführung ist nur noch zu erwähnen, dass bei Tuberkulose natür¬ 
lich die Kapsel exstirpirt werden, event. bestehende Knochenheerde aufs Sorg¬ 
fältigste versorgt werden müssen. Im zweiten Monat nach der Operation wird 
der Patient entlassen, muss aber noch mindestens 1 Jahr lang immobilisirende 
Verbände tragen. 

Die auf die Resection bezüglichen Krankengeschichten berichten über 
je 2 Fälle von Arthrodese und Arthritis deformans, 8 Fälle rein synovialer Ge¬ 
lenktuberkulose und 11 Fälle von Kniegelenkstuberkulose mit Knochenheerden. 

Die günstigen Resultate der verzeichneten Fälle lassen uns dem Wunsch 
Helferich’s beistimmen, dass sein Operationsverfahren nicht nur bei der 
Flexionsankylose verwandt werde, sondern das typische für die Fälle der 
Kniegelenksresection werden möge. Die durch die Einführung der Bogen¬ 
säge erheblich erleichterte Technik der Operation wird mit dazu beitragen, ihr 
viele Anhänger zu erwerben. Zenker-Würzburg. 

Lustig, Zur Frage nach den Endresultaten der Kniegelenksresection bei Kin¬ 
dern. Inaugural-Dissertation, Freiburg 1893. 

Lustig stellt sich die Aufgabe, eine kritische Zusammenstellung der 
verschiedenen Ansichten zu geben, welche über die gefürchteten Folgeerschei¬ 
nungen der Kniegelenksresection, nämlich die Störung des Längenwachs¬ 
thums und die Bildung einer Flexionsankylose, bestehen. 

Bei Besprechung der Verkürzungen erwähnt er die bekannten Theorien 
von König und von Volkmann. Willemers etwas gezwungene Erklärung, 
dass die durch Flexion bedingte Ernährungsstörung Anlass zu einer Atrophie 
geben könne, verwirft er. Ueber Wolf Fs Ansicht, dass es sich bei den Stö¬ 
rungen des Längenwachsthums um nervöse Einflüsse handele, nämlich entweder 
um ein directes Uebergreifen der Entzündung vom Gelenk auf die nächsten 
Nerven oder um eine Art Reflexneurose, wie auch Charcot meint, erscheint 
dem Verfasser bei dem bisherigen Stand der Forschung über trophische Nerven¬ 
einflüsse ein endgültiges Urteil noch nicht möglich. 

Das gesteigerte Längenwachsthum will er ebenfalls nicht auf ner¬ 
vöse Einflüsse, sondern vielmehr auf die Wirkung reactiver Entzündung in 
der Umgebung tuberkulöser Heerde bezogen wissen, welche, nicht stark 
genug, um die Fortpflanzung und Bildungsfähigkeit der Osteoblasten zu zer¬ 
stören, gelegentlich geradezu einen Anstoss zu stärkerer Gewebsproduction gebe. 

Bei der Betrachtung der verschiedenen Theorien über die Entstehung 
der Winkelstellungen kommt Lustig zu folgendem Schluss: Die König- 
Paschen'sche Drucktheorie hat wenig für sich; die Hoffa’sche Ansicht, dass 
der Muskelzug der Flexoren die Schuld trägt, ist wohl oft, doch nicht immer 
gültig; in vielen Fällen bleibt nur die Annahme übrig, dass die Knorpel¬ 
fugen, deren Intactbleiben gerade für das fernere Längenwachs¬ 
thum so wichtig ist, durch unregelmässige Knochenapposition 
Stellungsanomalien h er bei führen. 


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Referate. 


Den naheliegenden Einwand, dass bei Annahme der letzten Theorie die 
Stellungsanomalien sich doch nicht so überwiegend im Sinne der Flexion ans¬ 
bilden würden, begegnet er durch einen sehr bedeutungsvollen Befund, den er 
bei Untersuchung der Knieknorpelfugen eines 7jährigen Kindes erhoben hat. 
An der Tibia verläuft nämlich die Knorpelfuge ziemlich ohne Biegung bis an 
die vordere Wand, und erst unmittelbar an der Wandfläche sendet sie einen 
Fortsatz nach unten. Dieser Fortsatz wird leichter intact bleiben können, 
wie die übrige Fuge und dadurch zu einseitigem Wachsthum Anlass geben 
können. 

Nach unserer Ansicht wird die letztere Theorie ferner auch noch durch 
die Thatsache unterstützt, dass sich die Flexionsankylosen nach Kniegelenks- 
resection relativ viel häufiger bei im Wachsthum begriffenen, wie bei erwachsenen 
Patienten ausbilden. Auch ein von Nikoladoni 1886 beschriebener Fall mit 
erheblicher Wachsthumshemmung und Flexionsstellung im Kniegelenk nach 
einem im 7. Lebensjahr erlittenen Trauma dieser Gegend ohne irgendwelche 
tuberkulöse Erkrankung ist geeignet, dieser Theorie zur Stütze zu dienen. 

Z enk er-Würzburg. 

Alfred Daniel, Zur Therapie des Klumpfusses. Nach Erfahrungen in der 

chirurgischen Klinik zu Greifswald. Inaugural-Dissertation, Greifswald 1893. 

Daniel gibt eine Uebersicht über die in dem letzten Decennium in der 
Greifswalder chirurgischen Klinik behandelten Klumpfussfälle. Eine besondere 
Aufmerksamkeit hat er dabei denjenigen Fällen zugewandt, bei welchen ein 
blutiger Eingriff zur Correction der Deformität für nöthig befunden wurde. So 
wurde in 15 Fällen die Exstirpatio tali vorgenommen. Es handelte sich immer 
um angeborenen Klumpfuss bei jugendlichen Individuen, und zwar im Alter 
von 14 Tagen bis zu 12 Jahren. Sämmtliche Patienten hatten hochgradige 
Missbildungen und waren bereits längere Zeit in conservativer orthopädischer 
Behandlung gewesen, ehe die operative Beseitigung der falschen Stellung ver¬ 
sucht wurde. Wegen traumatischen Klumpfusses wurde bei 2 Erwachsenen die 
Talusexstirpation vorgenommen. Die Tarsectomie oder keilförmige Osteotomie 
der Fusswurzel wurde in 4 Fällen bei Kindern von 5—7 Jahren ausgeführt. 
Dazu kommt noch ein Fall, wo bei einem Mann von 29 Jahren wegen hoch¬ 
gradiger traumatischer Klumpfüssigkeit die Osteotomie oberhalb der Malleolen 
vorgenommen wurde. Das Resultat dieser Operation war kein dauernd zufrieden¬ 
stellendes. Daniel glaubt, dass bei allen diesen Fällen einen wesentlichen 
Einfluss auf das Resultat zunächst das Alter, weiterhin die nachfolgende ortho¬ 
pädische Behandlung ausübt. Da letztere in den meisten Fällen durch die 
Indolenz der Angehörigen unmöglich gemacht wurde, so traten auch theilweise 
schon nach 2 Jahren Recidive der alten gewohnten Stellung ein. Einigermassen 
zufriedenstellend war das Endresultat der Operationen überhaupt nur bei 3 Indi¬ 
viduen zwischen 12 und 13 Jahren, während alle jüngeren Individuen einen 
mangelhaft functionirenden Fuss, zum Theil vollständige Recidive behielten. 
Die Phelps'sche Operation, in 3 Fällen angewendet, erzielte die besten Resul¬ 
tate von allen operativen blutigen Eingriffen. Die schliessliche Fussstellung war 
nach der im Alter von 1, 6 und 16 Jahren vollzogenen Operation eine völlig 
regelrechte. Leidlich gute Resultate ergab auch die in 2 Fällen nach vorher- 


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Referate. 


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gehendem Redressement bei paralytischem Klumpfuss ausgeführte Arthrodese 
im Talocruralgelenk. In einem dieser Fälle wurde gleichzeitig die Exarticulation 
des Fusses nach Chopart gemacht. Weiterhin ist erwähnenswerth die von 
Daniel mitgetheilte Heilung eines durch Narbenschrumpfung infolge Verbren¬ 
nung hochgradig verschlimmerten angeborenen Klumpfusses durch Discision 
der Planta mit nachfolgender Transplantation nach Thier sch. 

In den letzten 8 Jahren wurde nur sehr selten (7mal) ein operativer 
blutiger Eingriff bei der Behandlung des Klumpfusses in der Greifswalder 
chirurgischen Klinik nöthig. In den meisten Fällen konnte man nach ortho¬ 
pädischen Grundsätzen verfahren, eventuell wurde eine Tenotomie zu Hilfe genom¬ 
men. Die Behandlung wurde schon bei wenige Wochen alten Kindern begonnen 
und bestand in täglichen Manipulationen im Sinne des Redressements, Einwick¬ 
lungen des Fusses in korrigirter Stellung, leichten Papp- oder Spahnschienen und 
fixirenden Verbänden. Die Resultate waren, wie dies aus den 22 beigefügten 
Krankengeschichten hervorgeht, durchaus gute. G. Joachimsthal-Berlin. 


K. Guide, Ueber die Talusexstirpation beim Klumpfuss und ihre Erfolge. 

Beiträge zur klinischen Chirurgie 1893, X. 2, S. 369. 

Guide stellt aus der Bruns’schen Klinik 19 Fälle von Talusexstirpatiön, 
die bis zum Jahre 1890 an 15 Individuen wegen Klumpfuss ausgeführt wurden, 
und bei denen eine genaue Nachuntersuchung möglich war, zusammen. Der 
Zeitraum der Beobachtung betrug im Minimum 9 Monate, im Maximum 5 Jahre. 
Die Nachbehandlung wurde nach der Operation durchschnittlich 6—8 Wochen 
mit Gipsverband durchgeführt. Von da ab blieben die Patienten ohne alle 
orthopädische Kur und bekamen nur gewöhnliche Schnürstiefel mit erhöhter Sohle. 

Was die Gebrauchsfähigkeit des Fusses nach der Operation anlangt, so 
ergaben sich nach Guide folgende 3 Gruppen: 

1. Vier Individuen, davon 2 mit doppelseitiger Talusexstirpation, konnten 
den ganzen Tag gehen und springen, ohne irgend welche Beschwerde, ver¬ 
hielten sich also in dieser Beziehung vollständig wie Gesunde. Bei allen 4 war 
die Stellung des Fusses plantigrad; der Abductionswinkel schwankte in diesen 
Fällen zwischen 34 und 40°. 

2. Weitere 5 Operirte konnten einen Weg von etwa 6 Stunden ohne 
besondere Mühe zurücklegen und ohne dabei eine besondere Ermüdung oder 
Schmerzen im Fuss zu bekommen. Unter diesen befand sich einer mit doppel¬ 
seitiger Talusexstirpation. In 3 Fällen war die Stellung des Fusses plantigrad, 
in den übrigen geschah das Auftreten des Fusses noch auf dem äusseren Fuss- 
rand. Der Abductionswinkel betrug zwischen 30 und 40°. 

3. Die letzten 6 Operirten konnten einen Weg s von 2—3 Stunden ohne 
besondere Mühe zurücklegen. Bei diesen war die Stellung des Fusses in 2 Fällen 
plantigrad, in den 5 anderen geschah das Auftreten auf dem äusseren Fuss- 
rand. Der Abductionswinkel schwankte zwischen 20 und 45°. 

Guide glaubt, trotzdem nur in 11 Fällen die Patienten mit der vollen 
Sohle auftraten, dennoch die Operation selbst bei Kindern armer Leute, bei 
denen eine consequente orthopädische Nachbehandlung ausgeschlossen ist, recht- 
fertigen zu können. G. Joachimsthal-Berlin. 


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220 


Referate. 


Joseph Schwörer, Ueber den congenitalen Defect der Fibula. Inaugural- 

Dissertation, Freiburg 1893. 

Verfasser berichtet über einen Fall von congenitalem Fibuladefect, der in 
der Freiburger Klinik zufällig zur Beobachtung kam: er betrifft einen 17jährigen 
Mann, dessen rechter Unterschenkel stark verkürzt ist. Von der Fibula ist nur 
das Köpfchen zu fühlen. Die Längendifferenz der Extremität, die sich nur auf 
den Unterschenkel erstreckt, soll seit der Geburt ungefähr dieselbe geblieben 
sein. Der Fuss ist nach aussen an der Tibia in die Höhe gerückt, diese fehler¬ 
hafte Stellung hat sich erst beim Laufen ausgebildet. Patient geht auf dem 
untern Ende der Tibia, das sich kolbig verdickt hat und mit lederartiger Haut 
überzogen ist, unter der sich ein Schleimbeutel mit festen Concreraenten befindet. 
Von den Zehen sind vorhanden die erste und die zweite und dritte, die 
letzteren durch Syndactylie verbunden; auch die 3 äusseren Metatarsen fehlen. 
Der Tarsus ist zum unförmlichen Klumpen verschmolzen, an dem einzelne 
Knochen palpatorisch nicht zu erkennen sind. Supinations- und Pronations¬ 
bewegung ist unmöglich, Beuge- und Streckbewegung ausführbar. Die Muskeln 
und Nerven sind vorhanden und normal erregbar. Seit dem 10. Jahr trägt 
Patient einen Schuh mit Prothese. 

Um der Frage der Aetiologie des Fibuladefectes, über welche grosse 
Meinungsverschiedenheit herrscht, näherzutreten, stellt Verfasser 82 Fälle aus 
der Literatur zusammen, unter denen 63mal totaler Defect vorhanden war. 
Meist waren Zehendefecte vorhanden, stets fehlten laterale Zehen, niemals der 
Hallux. Bei dem selten beobachteten Tibiadefect fehlen stets mediale Zehen, 
der Hallux oder die zweite Zehe oder beide zugleich. Es ist demnach die 
Gegenbaur’sche Archipterygiumtheorie, welche bei der Bildung der Extremität 
die Fibula als Hauptstrahl ansieht, zu verlassen gegenüber der Theorie von 
Wiedersheim und Goldmann, nach der die Strahlen, die den Unterschenkel 
bilden, vollständig coordinirt sind. 

Dreh mann-Würzburg. 


Köttnitz, Ueber Beckenendlagen. Vol kmann’sche Vorträge. December 1893. 

Nach einigen Bemerkungen über die Frequenz und Aetiologie der Becken¬ 
endlagen spricht Köttnitz über das häufige Zusammentreffen von Beckenendlagen 
und Caput obstipum. Er weist nach, dass bei leichten spontanen Geburten Läsionen 
und Hämatome des Sternocleido-mastoideus Vorkommen können, die Caput 
obstipum im Gefolge haben. Diese Hämatome sind entgegen der Ansicht Küst- 
ner’s nicht unbedenklich und der folgende Schiefhals bedarf oft einer lang¬ 
wierigen Behandlung, wie an 5 Fällen dargelegt wird. Verfasser wendet sich 
ferner gegen Petersen, welcher nur einen angeborenen Schiefhals annimmt 
und die intra partum erfolgte Zerreissung des Sternocleido-mastoideus ätio¬ 
logisch nicht anerkennt. Die Schlussfolgerung lautet, dass das Caput obstipum 
entweder direct bei der Geburt, jedenfalls durch intrauterine Einflüsse verur¬ 
sacht, oder erst post partum, anscheinend durch Muskelläsionen während des 
Geburtsactes bewirkt, zur Beobachtung kommt, ausserdem dass Schädelasym¬ 
metrie und Schief hals angeboren sich darstellen können. 

Drehman n-Würzburg. 


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Referate. 


221 


Hermann Strauss, Ueber einen Fall von Oligodactylie. Berliner klinische 

Wochenschrift Nr. 43 b, S. 1057. 

Die rechte Hand des 27jährigen Patienten war vollständig normal ge¬ 
bildet, die linke Hand war in toto kleiner und zeigte nur 3 Finger, einen 
Daumen, einen Mittelfinger und einen ulnarwärts gelegenen Finger. Der Daumen 
war richtig gebildet, doch bestand eine häutige Verwachsung zwischen seiner 
Grundphalanx und derjenigen des Mittelfingers. Dieser und der ulnarwärts 
gelegene Finger waren in allen Phalangen häutig verbunden. Die Mittelhand 
bestand aus 3 Metacarpalknochen, und bezüglich der Handwurzel wurden, soweit 
ein palpatorischer Befund zu erheben war, ausser dem Os pisiforme 2 Hand¬ 
wurzelknochen vermuthet. Der linke Vorderarm war schmäler und kürzer als 
der rechte. Thenar und Hypothenar waren entwickelt, der Thenar stärker als 
der Hypothenar. Die Flexion der Finger war vollständig möglich, eine völlige 
Extension dagegen war durch die Hautbrücken gehemmt. 

Der Patient ging an Phthisis pulmonum zu Grunde, und so war Strauss 
in der Lage, eine Zergliederung der linken Hand vorzunehmen. Den interes¬ 
santesten Befund boten hier unstreitig die Knochentheile: 

Die radialwärts gelegenen Fingerknochen waren aus der Form des Meta¬ 
carpalknochens und den 2 Phalangen als zum Daumen gehörig zu erkennen. 
Die beiden andern Finger zeigten die normale Phalangenzahl. Die Handwurzel 
zeigte sich als aus 3 compacten Knochen bestehend. Das Os pisiforme war 
übermässig gross. Dann war ein Knochen vorhanden, der sich alsbald als aus 
2 synchondrotisch verbundenen Knochen bestehend erwies. Es war das Os 
scaphoideum und das Os multangulum majus. Der andere Knochen war ein 
Conglomerat, entstanden durch Verschmelzung einer ganzen Reihe sonst getrennter 
einzelner Knochen; deutlich zu erkennen waren von diesen besonders das Os 
lunatum und Os triquetrum. 

Der mittlere Finger entspricht nach W a 1 d e y e r’s Ansicht dem Mittel¬ 
finger, und zwar nimmt Waldeyer aus dem Vorhandensein einer Gelenkfacette 
an der dem Multang. minus entsprechenden Partie des grossen Mittelhand¬ 
knochens sowie einer zweiten Facette am radialen Rand der Metacarpalbasis 
des mittleren Fingers an, dass hier ein rudimentärer Knochen gesessen haben 
muss, welcher dem Zeigefinger entsprochen haben würde. Der ulnarwärts ge¬ 
legene Finger dürfte als der vierte Finger angesehen werden, während sich am 
Ende des übermässig grossen Os pisiforme ein kleiner Knochenvorsprung zeigt, 
der vielleicht als Rudiment eines fünften Fingers anzusprechen sein dürfte. 

G. Joachimsthal-Berlin. 

Messner, Ueber das sogen. Dörangement interne der Gelenke. Berliner Klinik 

1893, November, Heft 65. 

Nach Messner versteht man unter Derangement interne der Gelenke 
Störungen in der Function derselben, die meist durch ein Trauma hervorgerufen 
worden sind, über deren pathologisch-anatomische Grundlage man sich aber im 
einzelnen Falle nicht im Klaren ist, so dass man sie keiner der gewöhnlichen 
Rubriken der Gelenkaffectionen, wie z. B. Contusion, Distorsion, Luxation oder 
Subluxation etc. zuweisen kann. Es muss unser Bestreben sein, in jedem ein¬ 
zelnen Fall zu bestimmen, worin der Grund der Störung beruht, um darnach 


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222 


Referate. 


unser therapeutisches Handeln einrichten zu können, und in der That ist es 
auch diesen Bemühungen innerhalb der letzten zwei Jahrzehnte gelungen, zwei 
Gruppen von Gelenkaffectionen aus dem Sammelbegriff des Dörangement interne 
auszuscheiden und die eine als Luxation oder Abreissung der Semilunarknorpel 
des Kniegelenks, die andere als Kapseleinklemmung der Gelenke besser und 
präciser zu bezeichnen. 

Was die Luxation eines Semilunarknorpels anbetrifft, so war Messner 
in der Lage, dieselbe ausser bei einem 23jährigen Circusakrobaten auch an sich 
selbst zu beobachten. Die Affection trat bei Messner folgendennassen ein: 
Im Begriff, sich zu entkleiden, um zu Bett zu gehen, stiess er an ein kleines 
Tischchen, so dass es umzufallen drohte. Um dasselbe zu halten, machte 
Messner sehr rasch eine kräftige Drehbewegung „Rechtsum“, wobei das ganze 
Körpergewicht auf dem rechten, leicht flectirten Bein ruhte. Dabei verwickelte 
sich der Stiefelabsatz derart in den Bodenteppich, dass der Fuss vollständig 
festgestellt wurde, und der Unterschenkel die Bewegung nicht mitmachen konnte. 
Die ganze Rotation erfolgte daher im Kniegelenk. Messner fühlte nun plötz¬ 
lich einen furchtbaren Schmerz im Knie an der Gelenkspalte median von der 
Patella und stürzte, wie vom Schlage getroffen, zusammen. Das Gelenk war 
leicht flectirt und vollständig fixirt. Messner sah und fühlte, nachdem das 
Bein entkleidet war, an der Gelenkspalte zwischen innerem Rand der Patella und 
dem Lig. lat. int. einen abnormen bleistiftdicken Wulst, der sich knorpelhart 
anfühlte. Er nahm das Knie zwischen beide Hände und drückte mit dem 
Daumenballen der linken Hand fest auf die prominente Stelle. Plötzlich ver¬ 
schwand hierbei der Wulst unter der Hand im Innern des Gelenks, und eben 
so plötzlich hörte der Schmerz auf, und die Bewegungen im Gelenk wurden 
wieder frei. Messner hat seitdem nie mehr etwas im Gelenk verspürt, wie 
er auch vorher niemals etwas an dem Gelenk zu klagen hatte. Er glaubt 
daher, dass es sich um ein stärkeres Vortreten und um eine Einklemmung des 
Randes des inneren Meniscus infolge von Zerreissung des vorderen Haftbandes 
gehandelt habe. Daher erkläre sich auch die Leichtigkeit, mit der die Repo¬ 
sition gelang. Der Diagnose „Kapselfalteneinklemmung“ fehlt leider bis jetzt 
die Unterlage eines pathologisch-anatomischen Beweises. Doch sind wir im 
Stande, auf diese Weise eine Anzahl von Gelenkverletzungen zu erklären, deren 
Zustandekommen uns sonst noch vollkommen unklar ist. So glaubt Messner 
die Verletzungen am Vorderarm kleiner Kinder, die Goyrand auf eine Sub¬ 
luxation der Cartilago triangularis zurückführte, auf eine Kapselfalteneinklem¬ 
mung beziehen zu können. 

Messner hat im ganzen 12 Fälle von Derangement interne der Gelenke 
beobachtet, von welchen 7 das Kniegelenk, 3 das Ellbogengelenk, je 1 das Hüft¬ 
gelenk und Handgelenk betrafen. G. Joachimsthal-Berlin. 

Leser, Zur Schlaffheit des Gelenkapparates, insbesondere der Gelenke der 

unteren Extremität (Kniegelenk). Berliner Klinik. Januar 1894. 

Bei häufigen Untersuchungen Unfallverletzter fand Verfasser oft Be¬ 
schwerden, welche mit den geringfügigen objectiv nachweisbaren Veränderungen 
nicht harmonirten, und welche leicht als Simulation aufgefasst werden. Er 
führt diese Erscheinungen auf eine abnorme Schlaffheit des Gelenkapparates 


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Referate. 


223 


zurück. Am häufigsten ist das Kniegelenk bei Erkrankungen der unteren 
Extremität befallen. 

Aetiologisch kommen in Betracht: Verletzungen der Gelenke selbst, 
■wie Distorsionen, Contusionen, Zerreissungen des Band- und Kapselapparates, 
ferner Gelenkerkrankungen, die durch Erguss in die Gelenkhöhle die Kapsel 
ausdehnen, und wobei es bei längerer Dauer der Erkrankung zur Atrophie der 
Streckmuskulatur kommt, schliesslich die Behandlung von Erkrankungen der 
Extremität; hierbei spielt eine Hauptrolle die permanente Extension. 

Die anatomischen Veränderungen sind nicht besonders präcise, sie 
resultiren in Elasticitätsverlust, Verdickung der Kapsel, Diastase der Kapseltheile. 

Die klinischen Erscheinungen sind: Abnorme seitliche Bewegungs¬ 
fähigkeit, Schmerzen, rasche Ermüdbarkeit, Unsicherheit beim Stehen und 
Gehen, Schwere des Beins. 

Die Prognose ist ohne therapeutische Eingriffe schlecht, die Schlaff¬ 
heit verliert sich spontan nie, es bleibt eine Functionsbeschränkung. 

Was die Therapie betrifft, so ist sie zunächst eine prophylaktische: 
Alle Distorsionen und Contusionen sind einer umsichtigen Behandlung zu unter¬ 
werfen: Lagerung auf eine Schiene und Compression, Priessnitz, Massage. 
Schwindet der Erguss innerhalb 10 Tagen nicht, so ist die Punction vorzu¬ 
nehmen, darauf baldigst passive und active Bewegungen. Bei Anwendung der 
permanenten Extension ist das Kniegelenk vor Anlegung der Heftpflasterstreifen 
durch einen Gipsverband zu schützen. 

Die beste erfolgreichste Therapie der Kapselschlaffheit selbst bildet 
der active Gebrauch des Gelenkes, wobei die Stellung der Gelenkenden in nor¬ 
maler Lage garantirt sein muss. Zu diesem Zwecke verwendet Verfasser einen 
Hülsenapparat; derselbe umfasst Ober- und Unterschenkel mit Lederhülsen, welche 
durch seitliche Schienen mit dem Kniegelenk entsprechenden Chamiergelenken 
unter einander verbunden sind. Der Apparat wird durch einen Riemen, der 
über die Schulter der gesunden Seite läuft, in seiner Lage fixirt. 

Drehmann - Würzburg. 

Cesare Ghillini, Experimentelle Untersuchungen über die mechanische 

Reizung des Epiphysenknorpels. Langenbeck’s Archiv XLVI. 4. 

Verfasser pflanzte im Wachsthum begriffenen, 2—3Monate alten Kaninchen 
auf vollkommen aseptischem Wege auf der inneren Seite des oberen Epiphysen¬ 
knorpels der Tibia Elfenbeinnägel etw r a */* cm tief ein und untersuchte die 
Knochen 18 Tage, 2, 3, 5, 8 Monate nach der Operation, um die Wichtigkeit 
des Epipbysenknorpels bei der Entwickelung der Gelenkdeformitäten zu be¬ 
weisen. Diese mechanischen Reize hatten zur Folge Zurückhaltung der Ent¬ 
wickelung des operirten Knochens, ferner Gelenkdeformitäten mit folgenden 
Deformitäten der Diaphyse, welche Verfasser gegen das Transformationsgesetz 
von Wolff zu Gunsten der Hueter-Volkinann’schen Drucktheorie verwerthet. 

Drehmann-Würzburg. 

Brohl, Beseitigung der narbigen Syndactylie mittels Thiersch’scher Trans¬ 
plantationen. Deutsche medicinische Wochenschrift 1893, Nr. 36 S. 866. 

Brohl’s 3 Jahre alter Patient, der sich durch Heisswasser eine Ver¬ 
brennung des rechten Armes und fast der ganzen rechten Hand, besonders 


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224 


Referate. 


des Handrückens, zugezogen hatte, trat ein Jahr darauf wegen Syndactylie und 
Narbencontractur des Mittel-, Ring- und Kleinfingers der rechten Hand in Be¬ 
handlung. Die Contractur war so stark, dass die Spitzen seiner Finger nicht 
über 1 cm weit von der Hohlhandfläche entfernt werden konnten, die Syndactylie 
erstreckte sich fast bis zur Mitte der Nagelglieder. Brohl löste die Narbe der 
Hohlhand in der von Busch angegebenen Weise und suchte den Defect durch 
einige Nähte und einen Entspannungsschnitt am Kleinfingerballen zu verkleinern. 
Nachdem die Hohlhandwunde auch ohne die zunächst beabsichtigte Deckung 
des Defect» durch einen gestielten Hautlappen von der Brust mit Hinterlassung 
einer schmalen Narbe verheilt war, trennte Brohl nach Beseitigung der Syn¬ 
dactylie die Verwachsungen durch Längsschnitte und legte auf die beiden 
Wundflächen vom rechten Oberarm entnommene Hautläppchen, so dass die 
Mitte eines solchen Läppchens in den Trennungswinkel der Finger zu liegen 
kam, während seine beiden Enden die Enden der beiden einander zugekehrten 
Wundflächen deckten. Die Läppchen heilten in ihrer ganzen Ausdehnung an. 
Nach vollendeter Wundheilung war die Syndactylie beseitigt. Die Finger 
konnten vollkommen gestreckt werden. Beim Beugen blieb nur noch der Klein- 
finger zurück, ein Zustand, der sich im weiteren Verlauf noch weiter besserte, 
während im übrigen das erreichte Resultat constant blieb. 

G. Joachimsthal-Berlin. 


Hans Daxenberger, Heber einen Fall von chronischer Compression des Hals¬ 
markes. Inaugural-Dissertation, Erlangen 1893. 

Die Arbeit berichtet über einen Fall von chronischer Rückenmarksläsion, 
der in der Erlanger Klinik 10 Jahre beobachtet wurde. Es handelte sich um 
einen jungen, vorher gesunden Mann, der an Schwäche beider Beine und des 
rechten Armes erkrankte, dabei niemals Schmerzen im Hinterkopf und Nacken 
zeigte. Der Fall erreichte innerhalb der ersten 6 Jahre seine höchste Ausdeh¬ 
nung, blieb 4 Jahre stationär und kam an Atheminsufficienz zum Exitus. Nach 
dem Status praesens verschiedener Jahrgänge, den Verfasser genau anführt, 
wird als klinische Diagnose, da gegen chronische Myelitis die ausgesprochene 
Halbseitigkeit der Symptome sprach, eine gliomatöse Affection mit Syringo¬ 
myelie im rechten Halsmark angenommen. 

Der überraschende Sectionsbefund, der ebenfalls ausführlich angegeben 
wird, ergab eine geheilte alte Caries des ersten Brustwirbels und eine dadurch 
bedingte chronische Compression des’IIalsinarks, hauptsächlich der rechten Seite, 
zwischen letztem Hals- und erstem Brustwirbel. Daran schloss sich eine auf- 
steigende secundäre Degeneration der Kleinhirnseitenstrangbahnen und der 
Goll’schen Stränge und eine absteigende Degeneration der Pyramidenbahnen, 
wie sie regelmässig beobachtet wird. Ausserdem war noch eine überaus seltene 
absteigende Degeneration in den Hintersträngen vorhanden, diese betraf erstens 
einen Bezirk in den B u r d a c h'schen Strängen an der Grenze zwischen diesem 
und dem Goll’schen; zweitens einen schmalen Bezirk in den GolTschen 
Strängen zu beiden Seiten der hinteren Incisur; die letztere Degeneration kt 
bisher noch nicht sicher bekannt gewesen. 

Dreh mann-Würzburg. 


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Referate. 


225 


Friedeberg, Ein Beitrag zur Symptomatologie der acuten Rückenmarks- 
compression. Inaugural-Dissertation, Strassburg 1898. 

Jäger, Ein Beitrag zur chirurgischen Behandlung von acuten Rückenmarks- 
quetechungen. Inaugural-Dissertation, Strassburg 1893. 

Unter Zugrundelegung eines Falles von acuter transversaler Rückenmarks- 
compression der Strassburger medicinischen Klinik untersuchte Friedeberg 
auf Anregen von N a u n y n, in wieweit der Symptomencomplex davon abhängig 
ist, ob bei solchen acuten Verletzungen die Querschnittstrennung eine totale 
ist oder nicht, insbesondere wie sich hierbei die Reflexe verhalten. Er sucht 
gegenüber der Ansicht, dass sich bei acut entstandenen totalen Transversalläsionen 
des Rückenmarks eine Erhöhung der Reflexe in den unteren Extremitäten zeigt, 
die Ansicht Bastian’s zu beweisen, nach welcher bei totalen transversalen 
Cervicalläsionen die Reflexe weit eher erlöschen als gesteigert sind. Ferner 
nimmt Ba stian an, dass der Schwund der Reflexe auf Unterdrückung der Gross¬ 
und Kleinhirnthätigkeit zurückzufiihren ist, und dass speciell die graue Sub¬ 
stanz die reflexleitende ist. Verfasser führt mit dem eigenen 31 Fälle von acuter 
Rückenmarkscompre8sion an und kommt zu dem Resultat, dass die Ansicht 
B a 81 i a n’s die richtige ist, ferner, dass das Verschwinden der Reflexe diagnostisch 
und prognostisch wichtig ist, da es durch Läsion der grauen Substanz einen 
irreparablen Schaden für das Mark anzeigt. 

An der Hand desselben Falles der Strassburger Klinik und unter An¬ 
ziehung von 47 einschlägigen Fällen aus der Literatur bringt Jäger einen 
Beitrag zur chirurgischen Behandlung der Rückenmarksquetschungen. Er kommt 
zu den Schlussfolgerungen, dass in allen Fällen, wo auf Grund der Symptome 
eine schwere Läsion der Marksubstanz anzunehmen ist, eine Operation nicht 
nur aussichtslos, sondern auch gefährlich ist, da sie den tödtlichen Ausgang 
beschleunigt. Nur bei Fracturen der unteren Brust- und Lendenwirbel könnte 
man, falls das Leben längere Zeit erhalten bleibt, und der Allgemeinzustand 
ein befriedigender ist, eine Operation wagen, wenn in den ersten 9 Wochen 
nach der Verletzung Lähmungen der Blase und des Mastdarms nicht spontan 
zurückgegangen sind. Ebenso wird man bei Fracturen mit nur theilweiser Ver¬ 
letzung des Markes eine Operation wagen, wenn im Verlauf von 8 Wochen die 
Lähmungserscheinungen, besonders die der Blase und des Mastdarms, noch nicht 
spontan zurückgegangen sind. Hier kann entweder ein schädlicher Druck be¬ 
seitigt werden oder eine Regeneration der verletzten Theile beschleunigt werden. 

Drehmann - Würzburg. 


Ernst Hoff mann, Ein Beitrag zur Lehre von der spinalen und primär myo- 
pathischen progressiven Muskelatrophie. Inaugural-Dissertation, Bonn 1893. 
Die Arbeit beginnt mit einem geschichtlichen Ueberblick über die Ent¬ 
wickelung der Lehre von der progressiven Muskelatrophie. Der Symptomen- 
complex wurde zuerst von französischen Forschern, insbesondere von Duchenne, 
Aran, Cruveilhier, als eine Krankheit sui generis erkannt. Während Cru- 
veilhier sich für die neuropathische Natur der Erkrankung entschied, traten 
Aran und Duch enne für die myopathische Entstehungsweise des Leidens 
ein. Ein Umschwung zu Gunsten des centralen Ursprungs der Erkrankung 


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226 


* Referate. 


wurde 1869 durch die Charcot’sche Theorie herbeigefiihrt, nach welcher die 
grossen Ganglienzellen der grauen Vorderhörner des Rückenmarkes als die 
trophischen Centren der willkürlichen Musculatur zu betrachten sind, so dass in 
den Alterationen dieser Ganglienzellen die Ursache der Muskelerkrankung zu 
erblicken sei. Dagegen veröffentlichte Lichtheim im Jahre 1878 einen Fall, 
bei welchem trotz hochgradiger, ausgebreiteter Muskelatrophie keinerlei Ver¬ 
änderungen im Rückenmark und an den peripheren Nerven angetroffen wurden. 
Infolge dieser Veröffentlichung wandte man sich wieder mit erhöhtem Eifer 
dem Gegenstände zu, und die Arbeiten von Troisier, Pick, Charcot, 
Gombault, Schultze und Erb führten zur sicheren Charakterisirung der 
spinalen Form der progressiven Muskelatrophie, für welche Erb den Namen 
„Amyotrophia spinalis progressiva (type Duchenne-Aran)‘ vorschlug. Erb 
kommt das grosse Verdienst zu, eine klinische Trennung der progressiven 
Muskelatrophie vorgenommen zu haben, indem er der spinalen Form die übrigen 
Formen unter dem Sammelnamen „Dystrophia muscularis progressiva“ gegen¬ 
überstellte. Letztere begreift nach Erb in sich die .Dystrophia musc. progr. 
infantum“ und die „Dystrophia musc. progr. juvenum et adultorum (juvenile 
Form).“ Erstere zerfällt wiederum in die 1. hypertrophische Form, a) mit 
Pseudohypertrophie, b) mit wahrer Hypertrophie; und 2. atrophische Form, 
a) mit primärer Gesichtsbetheiligung, b) ohne Gesichtsbetheiligung. 

Hierauf beschreibt Verfasser 2 einschlägige Fälle, die er in der Klinik 
des Herrn Professor Mendel beobachtet hat. Beim 2. Falle konnte er ein 
Stück des atrophischen M. cucullaris excidiren. Die mikroskopische Unter¬ 
suchung ergab hochgradigen Schwund der Muskelfasern, welche in Fett und 
Bindegewebe eingelagert waren. Die Verfettung hatte auch innerhalb der 
Muskelfasern, die zum grossen Theil als homogene schollenartige Gebilde von 
verschiedener Grösse und Dicke erschienen, Platz gegriffen. Nur sehr wenige 
Fasern zeigten eine einigermassen deutliche, stellenweise verwaschene Quer¬ 
streifung. Stellenweise waren die Fasern sowohl in ihrer Quer- als auch ganz 
besonders in ihrer Längsrichtung zerstückelt und zerrissen, an anderen wechselten 
wiederum dünnere mit dickeren Stellen ab. Die Kerne waren theilweise enorm 
vermehrt. Beim 1. Fall, der einen 59jährigen Metalldrechsler betrifft, hält 
Verfasser die Diagnose Amyotrophia spinalis für wahrscheinlich, obgleich auch 
einige Symptome für eine primäre Myopathie sprechen. Der Fall bietet ein 
Krankheitsbild, das gleichsam in der Mitte zwischen beiden Arten der progres¬ 
siven Muskelatrophie steht. Den 2. Fall (48jähriger Mann) erklärt Verfasser 
nach dem klinischen und mikroskopischen Befund für ein primäres Muskelleiden 
und ordnet ihn der Gruppe „Dystrophia muscularis progressiva juvenum et 
adultorum“ des Er buchen Eintheilungsschemas unter. 

Para die 8-Würzburg. 

A. Chipault, Etudes de Chirurgie medullaire. Paris. Felix Alcan. 1893. 

Nach einem historischen Theil bespricht Verfasser ausführlich und er¬ 
schöpfend den heutigen Stand der Rückenmarkschirurgie. Er schildert zunächst 
die Technik der sogen. Lamnectomie; es wird beschrieben die Blosslegung der 
Wirbelbogen, die Eröffnung des Wirbelkanals, die Bildung eines osteoplastischen 
Lappens nach Urban, Eröffnung der Dura. Darauf geht er über zur Technik 


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Referate. 


227 


der Operationsmethoden, welche die Blosslegung der Wirbelkörper, der vorderen 
Seite des Rückenmarks und die Drainage der Wirbelkörper bezwecken. Nach 
kurzen Bemerkungen über Antisepsis, Narcose und Complicationen werden die 
Indicationen der chirurgischen Eingriffe an der Hand einer überaus zahlreichen 
Menge von Krankheitsfällen genau präcisirt. 

Zunächst werden die Fracturen und Luxationen besprochen, hier ist die 
Operation indicirt bei Fracturen der Wirbelbögen gleichviel welchen Niveaus, 
bei Wirbelfracturen im Bereich der Cauda equina, bei frischen oder veralteten 
Fracturen ohne schwere Rückenmarksläsionen. 

Indicirt ist ferner das operative Verfahren bei Verletzungen durch Schuss- 
und Stichwaffen. Bei Spondylitis bilden die Intensität der Lähmungserschei¬ 
nungen und Aussichtslosigkeit einer orthopädischen Behandlung die Indication. 
Eine kurze Besprechung erhalten die intra- und extramedullären Tumoren, 
Hämorrhagien, Meningitis u. a. Drehmann-Würzburg. 

Nägeli, Therapie von Neuralgien und Neurosen durch Handgriffe. Basel. 

Carl Salmann. 1894. 

Unter diesem Titel bringt Verfasser eine neue Behandlungsmethode von 
nervösen Störungen, bestehend in einer Reihe von Handgriffen, welche modi- 
ficirend und umstimmend auf Circulation und Innervation einwirken und da¬ 
durch gestörte Nerventhätigkeit wieder ins Gleichgewicht bringen sollen. Ver¬ 
fasser macht sofort Front gegen eventuelle Vorwürfe der SuggestionsWirkung 
der Handgriffe und versucht physiologische Erklärungen seiner Handgriffe zu 
geben. Verfasser hat mit dieser Methode bereits über tausend Kranke behan¬ 
delt und verspricht bei einer Grosszahl von Kranken sofortige Linderung und 
Heilung. Auf die Technik der Handgriffe näher einzugehen, verbietet die Kürze 
eines Referats. Wir wollen nur bemerken, dass uns die Methode nicht fähig 
erscheint, die gerade bei diesen Erkrankungen erprobten Methoden der Massage 
und Heilgymnastik zu ersetzen. Drehmann-Würzburg. 

Bum, Mechanotherapie (Massage und Gymnastik). Therapeutisches Lexikon, 

2. Auflage. Urban & Schwarzenberg, Wien. 

Der Artikel bringt in gedrängter Form eine erschöpfende übersichtliche 
Darstellung der Mechanotherapie. Es wird zunächst die Technik der Massage, 
die in einigen Punkten allerdings nicht ganz unseren Anforderungen entspricht, 
dargestellt, ferner die physiologischen Wirkungen und allgemeinen Anzeigen 
und Gegenanzeigen der Massage besprochen. Es folgt dann eine klare Darstellung 
der Heilgymnastik mit Bemerkungen über die physiologische Wirkung und Indi¬ 
cationen. Den Schluss bilden kurze, jedoch werthvolle specielle Bemerkungen 
über die Anwendungsweise der Mechanotherapie bei den einzelnen Krankheits¬ 
formen. Drehm ann-Würzburg. 

Krukenberg, Die Behandlung von Gelenksteifigkeiten mittelst meiner Pendel¬ 
apparate. Deutsche medicinische Wochenschrift Nr. 52, 1893. 

Krukenberg hat das glückliche Princip der Behandlung von Gelenk¬ 
steifigkeiten mittelst Pendelapparaten, wie er es vor 2 Jahren in dieser Zeitschrift 
zur Behandlung von Steifigkeiten der Finger beschrieben hat, mit vielem Geschick 


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Referate. 


zur Behandlung anderer Gelenke verwerthet. Er hat eine Reihe von Apparaten 
construirt, welche er genau beschreibt. Die construirten Apparate dienen 1. zur 
Fussgelenksbeugung und -Streckung, 2. zur Ausführung von Pronation und 
Supination und zugleich zu Abduction und Adduction im Fussgelenk, 3. zur 
Ausführung von Drehbewegungen im Hüftgelenk, 4. zur Kniebeugung und 
-Streckung, 5. zur Beugung und Streckung des Ellenbogengelenks. Ein 6. Apparat 
gestattet durch geniale Combination mehrfache Verwendung. Derselbe dient 
zur Beförderung von Kniebeugung und Hüftbeugung, von Schulter- und Ellen¬ 
bogenstreckung, von Pro* und Supinationsbewegungen und endlich von Rota¬ 
tionen im Schultergelenk. Ein 7. Apparat dient zur Hüftstreckung, ein 8. zur 
Ausführung von Abductionen im Hüftgelenk. Schliesslich ist auch zur Behand¬ 
lung von Skoliosen das Princip des Pendels verwerthet worden. Der Apparat 
stellt einen schiefen Sitz mit Pendel vor. Derselbe ist auch gegen habituelle 
Obstipation verwendbar. 

(Das Princip ist, wie ich schon bemerkte, ein glückliches, und es sind 
die Apparate zu empfehlen. Es sei mir jedoch gestattet, auf einige allerdings 
geringfügige Mängel, die mir aufgefallen sind, hinzuweisen. Bei einigen Appa¬ 
raten erscheint der centrale Theil des Gelenkes nicht genügend fixirt, ausser¬ 
dem ist das Pendel bei den Hüftgelenksapparaten, da man davon den Muskel¬ 
widerstand des Beines abziehen muss, wegen der Kürze zu unwirksam. Dazu 
kommen schliesslich noch einige Mängel der technischen Ausführung, die sehr 
bald Reparaturen an den sonst ausgezeichnet gearbeiteten Apparaten er¬ 
heischen. Ref.) Dreh mann-Würzburg. 

L. Pernice, Ein Beugeverband bei Ellbogengelenkcontracturen. Centralblatt 

für Chirurgie 1893, Nr. 46 S. 993. 

Ein Heftpflasterstreifen liegt schräg über dem Rücken des Patienten, 
ungefähr von der 12. Rippe der gesunden Seite anfangend bis zur Schulter¬ 
höhe der kranken Seite, woselbst er in einer Oese endigt; dicht hinter dieser 
Oese ist der Streifen durch einen andern, der den ersten kreuzt, gegen seitliche 
Verschiebungen geschützt; beide sind an der. Kreuzungsstelle durch ein paar 
Nadelstiche an einander genäht. Um Handgelenk und Mittelhand wird, um 
ein Einschnüren des Heftpflasters zu vermeiden, ein Verband aus appretirter 
Gaze angelegt in der Form und Ausdehnung eines sogen, halben Daumenhand¬ 
schuhes, und nachdem dieser erhärtet ist, über einen auf der volaren Seite in 
der Längsrichtung des Armes befestigten Pflasterstreifen einige circulare Heft¬ 
pflastertouren derartig angelegt, dass der Längsstreifen an einer möglichst 
distalen Stelle des Vorderarmes frei bleibt, um unter ihm hindurch ein Leinen¬ 
bändchen ziehen zu können. Zwischen diesem und einem andern durch die 
Oese des Schulterstreifens gezogenen Bändchen wird nun ein Gummiring (zu¬ 
sammengenähter Drainschlauch oder ein Ring, wie er vielfach zum Zusammen¬ 
halten der Stangen eines Regenschirms benutzt wird und bei jedem Bandagisten 
zu haben ist) ausgespannt, der je nach seiner Stärke und seinem Spannungs¬ 
grad mehr oder weniger als beugende Kraft wirkt. 

Auf diese Weise ist es möglich, dass die Angehörigen der Patienten mit 
Ellbogengelenkcontracturen je nach Anordnung des Arztes den Arm stunden¬ 
lang frei lassen und dann wieder durch Befestigung und Anziehen der Leinen- 


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Referate. 


229 


bänder, ohne selbst dem Patienten Schmerzen zufügen zu müssen, die Beuge¬ 
bewegung veranlassen können. Die Wirkung des Gummizugs tritt erst ein, 
wenn die Kraft des Triceps brachii erlahmt ist. Durch häufiges Abwechseln 
der Wirkung dieses Verbandes mit dem Tragen einer grösseren Last, die Streck¬ 
bewegungen erzielt, werden die passiven Bewegungen im Ellbogengelenk auf 
einfache Weise ohne viele Mühe bewerkstelligt. 

In modificirter Weise wird sich dieser Verband auch für das Kniegelenk 
eignen. G. Joachimsthal-Berlin. 

Georg Keferstein, Beiträge zur Casuistik der ischämischen Muskellähmungen 

und Contracturen. Inaugural-Dissertation, Göttingen 1892. 

Die ischämischen Muskellähmungen und Contracturen, deren Krankheits- 
bild durch v. Volkmann in so ausgezeichnet klarer und präciser Weise be¬ 
schrieben wurde, finden sich in der deutschen und fremden Literatur in auf¬ 
fallend geringer Anzahl erwähnt. Verfasser hat 14 in der Literatur zerstreute 
Fälle gesammelt, zu denen er noch 7 Beobachtungen aus der Göttinger chirurgi¬ 
schen Klinik hinzugefügt. Sämmtliche Fälle beziehen sich auf Fracturen der 
oberen Extremität, die theils mit Gipsverbänden (12 Fälle), theils mit Schienen¬ 
verbänden (8 Fälle) behandelt wurden. Der schollige Zerfall der Vorderarm¬ 
flexoren mit darauf folgender bindegewebiger Degeneration muss in allen diesen 
Fällen den die arterielle Blutzufuhr behindernden Verbänden zugeschrieben 
werden, obwohl letztere, soweit es sich beurtheilen Hess, mit Sorgfalt angelegt 
waren. »Grober Leichtsinn oder gänzliche Unwissenheit“ seien nicht, wie 
Länderer behauptet, die nöthigen Vorbedingungen, um durch Anlegung eines 
Gipsverbandes Schaden zu stiften. 

Einen glänzenden Beleg für die Behauptung v. Volkmann’s, dass 
die Flexionscontractur durch Circulationsbehinderung bedingt werde, bildet der 
von Peters beschriebene Fall. Bei demselben trat die Ischämie infolge von 
Verlegung der A. brachialis ein, nachdem die Fractur unter einem gewöhn¬ 
lichen Lister’schen Verbände geheilt war. Die Arterie war entsprechend der 
Bruchstelle in einen fadendünnen Strang verwandelt. 

Bei 9 Fällen findet Verfasser trophische Störungen in Gestalt von Blasen¬ 
bildungen an Hand und Vorderarm, sowie Sensibilitätsstörungen, zwei von früheren 
Autoren nicht erwähnte Symptome, die zur Vervollständigung des typischen 
Krankheitsbildes der ischämischen Muskelcontractur und Muskellähmung heran¬ 
gezogen werden müssen. 

Vollständige Heilung wurde nur in einem einzigen ziemlich schweren 
Falle der Göttinger Klinik erreicht. Verfasser glaubt, dass in allen Fällen, wo 
nicht zu viele Muskelpartien durch ischämische Entzündung zu Grunde ge¬ 
gangen sind, durch äusserst energische Streckung von Hand und Finger, und 
dauernd (ein Jahr und länger) fortgesetzte Massage Heilung erzielt werden könne. 

Verfasser schliesst sich der Helferich’schen Behandlungsweise frischer 
Knochenbrüche an. Paradies-Würzburg. 

Fröhlich, Ueber Schiefwuchs (Scolio9ts). Münchener medicinische Wochen* 

schrift 1893, Nr. 44. 

Verfasser fand bei seinen häufigen Untersuchungen von militärpflichtigen 
jungen Leuten in einer überaus grossen Anzahl von Fällen Ungleichheit der 
Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. III. Band. 


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Referate. 


Beinlängen mit gleichzeitig bestehender Lendenkrümmung und Dorsalkrümmung 
der Wirbelsäule. Er glaubt nun in dem über die Aetiologie der Skoliose 
wogenden Streite obgesiegt zu haben, indem er den Satz aufstellt: Für die 
allermeisten Skoliosen ist ererbte Ungleichheit der Beinlängen 
der Ausgangspunkt. Dafür spricht ihm der Umstand, dass er bei Gleich¬ 
heit der Beinlängen bei Rekruten niemals eine Skoliose fand. Für die Heredität 
der Ungleichheit der Beinlängen spricht ihm der Umstand, dass meist das linke 
befallen ist, und die Gewohnheit der Menschen, die Körperlast meist auf das 
linke Bein zu übertragen. 

Er leugnet jede habituelle Skoliose, ferner dass durch schlechte Haltung 
auf unzweckmä88igen Schulbänken eine Wirbelsäulenkrümmung entstehen kann. 
Ausserdem wirft er den Orthopäden vor, durch Unterlassung der Untersuchung 
der Beinlängen die Aetiologie verkannt zu haben und räth ihnen aufs Wärmste 
an, künftig eine genauere Untersuchung vorzunehmen. 

(Verfasser gibt leider nicht an, mit welchem Apparat die Messungen 
vorgenommen wurden, ausserdem sind wohl die einseitigen Untersuchungen an 
20jährigen Männern für die Aetiologie der äkoliose kaum verwerthbar. Wie 
erklärt Verfasser die Totalskoliose und die primäre Dorsalskoliose? und ferner 
die habituelle Skoliose bei vollständiger Gleichheit der Beine, wie man sie in 
orthopädischen Kliniken durch genaue Messungen festgestellt hat? Schliesslich 
ist auf Complication der Skoliose mit einseitigem Plattfuss und daraus folgender 
Verkürzung der Extremität bereits von verschiedenen Autoren hingewiesen. 
Referent.) Drehmann-Würzburg. 

Ernst Gieseking, Die Körperhaltung und ihre Folgen bei den Schulkindern. 
In ihrem Zusammenhänge mit der Schriftfrage. Pädagogische Abhand¬ 
lungen. Heft XII. Bielefeld, Helmich’s Buchhandlung. 

Verfasser führt aus, dass die Rückgratsverkrümmungen und die Kurz¬ 
sichtigkeit nicht nur allein durch die Unzweckmässigkeit der Schulbänke, als 
durch zu frühes und zu anhaltendes Nahesehen und durch die seit Anfang dieses 
Jahrhunderts eingeführte Schiefschrift bedingt sei. Es ist deshalb der Gebrauch 
der Fibel möglichst einzuschränken und eine gerade Mittellage des Heftes, aus 
der sich von selbst die Steilschrift ergibt, einzuführen. 

D r eh mann-Würzburg. 

Weigel, Apparatus for recording the curve of rotation in scoliosis. American 
Medico-Surgical Bulletin, Nov. 1893. 

Der Apparat beruht darauf, dass eine Rolle, welche quer über den 
Rücken des auf dem Bauch liegenden Patienten, und zwar im rechten Winkel 
zum Verlauf der Wirbelsäule geführt wird, die durchlaufenen Erhöhungen und 
Vertiefungen auf eine über dem Patienten angebrachte Tafel aufzeichnet. Die 
so erhaltene Curve soll den Grad der Rotation der Wirbelkörper zum Aus¬ 
druck bringen. Die Anwendung des Apparates ist sehr einfach. Die Curven 
werden aber leicht ungleich ausfallen, sobald man den Patienten nicht genau 
in dieselbe Lage gebracht hat, die er bei der Aufnahme früherer Curven ein¬ 
genommen hat. Zenker-Würzburg. 


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Referate. 


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Solger, Ueber die Architectur der Stützsubstanzen. Leipzig, 
G. Thieme 1892. 

Solger stellt sich die Aufgabe, die Beziehungen der Structurelemente 
der Intercellularsubstanzen des Bindegewebes zu den mechanisch wirkenden 
Gewalten (Zug und Druck) zu ergründen und dabei das Verhalten der Zellen 
im Auge zu behalten. 

1. Functionelle Structur des fibrösen Gewebes. Nach ^is 
bildet sich Überall, wo das Bindegewebe einer dauernden Zugwirkung aus- 
gesetzt ist, ein fibröses Band, dessen Faserrichtung mit der Zugrichtung 
zusammenfällt. Auf anhaltenden Druck bildet sich eine Platte von ge¬ 
schichtetem Bau, deren Fasern in senkrecht zur Druckwirkung stehen¬ 
den Ebenen verlaufen. 

Nach Roux entspricht die bindegewebige Structur der von ihm unter¬ 
suchten Schwanzflosse des Delphins allen functioneilen Beanspruchungen, er 
vergleicht ihren Bau der Vollkommenheit des menschlichen Knochens. Jeder 
specifische functionelle Reiz soll auch eine trophische Wirkung besitzen. Zur 
Fibrillenbildung sei eine von aussen her erzeugte Zugwirkung nöthig. So findet 
sich demnach im fibrösen Gewebe eine in den Zellen und in der Zwischen¬ 
substanz zum Ausdruck kommende, scharf ausgeprägte functionelle Structur. 

2. Beim Knorpel ist es die chondrinhaltige Zwischensubstanz, 
welche ihm die charakteristische Federkraft verleiht; es ist daher 
nicht auffällig, wenn die Fibrillen in verschiedenen Winkeln zur Oberfläche 
verlaufen. Sollten sie eine functionelle Hauptrolle spielen, so müssten sie 
parallel zur Oberfläche verlaufen. 

Die typische Stellung der Knorpelzellen in den Epiphysen ist nicht mit 
der Anordnung der Spongiosa des Knochens auf eine Stufe zu stellen. Solger 
macht die Divergenz dieser Zellen von einem im Innern der Epiphyse gelegenen 
Keimcentrum abhängig. 

An den Epiphysen sind die der ossificirenden Schicht der- 
Diaphyse am nächsten gelegenen Schichten des Epiphysenknor¬ 
pels die weichesten. Diese Partien lassen* sich auch am leichtesten zu¬ 
sammendrücken. Mikroskopisch zeigt sich eine faserige Zerklüftung der longi¬ 
tudinalen Balken der Intercellularsubstanz. Eine Epiphysentrennung wird 
daher in diesen Schichten vor sich gehen; dass diese unter den genannten Ver¬ 
hältnissen nicht häufiger vorkommt, liegt daran, dass die perichondrale Knochen¬ 
kruste wie eine Zwinge den Hals der knorpeligen Epiphyse umfasst. 

3. Hinsichtlich des Knochens wirft Solger die Frage auf, ob der 
feinere Bau des Knochengewebes, d. h. die Lagerung der Fibrillen und Zellen 
auch eine der iugwirkung entsprechende Anordnung zeigt, wie wir das beim 
Bindegewebe gesehen haben, und kommt zu dem Schluss, dass die in’starre 
Zwischensubstanz eingeschlossenen Fibrillen, sowie die Achsen der 
Knochenkörperchen sich unabhängig vom Zug in den verschiedenen 
Richtungen durchkreuzen. 

Bis zur Vollendung des Wachsthums zeigen Diaphyse und Epiphyse in 
der Architectur der Knochenbälkchen verschiedene Verhältnisse; obwohl beide 
doch in gleicher Weise vom Druck und Zug in Anspruch genommen werden, 
besitzt nur die Diaphyse die typische Architectur. Solger meint, man dürfe 


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232 


Referate. 


die Anordnung der Knochenbälkchen nicht allein aus der Belastung causal ab- 
leiten. Zenker-Würzburg. 

Tb. Gluck, Die Bedeutung der functionellen Anpassung für die Orthopädie. 

Berliner klinische Wochenschrift 1894, Nr. 7- 

Verfasser demonstrirt an verschiedenen Patienten mit erworbenen De- 
fecten und Lähmungen von Gliedmassen vicariirende Leistungen von Muskel¬ 
gruppen als Ausdruck functioneller Anpassung an neue Verhältnisse. So stellt 
er z. B. einen 8jährigen Knaben vor, der nach hoher Oberschenkelamputation 
mit grosser Gewandtheit den einbeinigen Sprunggang ausführt, auf dem einen 
Bein beliebig lange steht, Lasten trägt, kurzum sein verlorenes Bein in keiner 
Weise vermisst. Einen völligen Gegensatz zu diesem Falle bietet ein 9jähriger 
Knabe, welcher im Alter von 10 Monaten infolge von spinaler Kinderparalyse 
eine Lähmung beider unteren Extremitäten erlitt. Er benutzt ausschliesslich 
die Arme als Stützorgane und Gehwerkzeuge, indem er dabei den Ballast seiner 
gelähmten Extremitäten in mehrfach variirter Weise mitschleppt. Von einem 
dritten Patienten mit Lähmung beider oberen Extremitäten, Atrophie des 
rechten Beines mit Contractur im Hüft- und Kniegelenk infolge von spinaler 
Kinderlähmung wird, um beim Gehakt ein Vornüberstürzen zu vermeiden, ein 
sehr coraplicirtes Balancement des Rumpfes ausgeführt, da die Benutzung eines 
Stockes von Seiten der unbrauchbaren oberen Extremitäten ausgeschlossen ist. 
Die gesteigerte Beweglichkeit dieser Fälle beruht nach Ansicht des Verfassers 
nicht auf Abweichungen von der Norm und besonderer Geschicklichkeit, son¬ 
dern auf Verringerung von Bandhemmungen, Steigerung der bewegenden Kräfte 
und Verminderung der Widerstände der Antagonisten. 

Die Beispiele von functioneller Anpassung bei congenitalem Mangel oder 
erworbenen Defecten von Gliedmassen dürfen, wie Verfasser sagt, keine medi- 
cinischen Curiosa bleiben. Es sei eine ernster Ueberlegung werthe ärztliche 
Aufgabe, für jeden einzelnen Fall neben der sonstigen Behandlung mit dem 
gewohnten Heilapparat die möglichen Combinationen und Bedingungen für eine 
functionelle Anpassung wissenschaftlich zu construiren, um solche unglückliche 
Individuen selbständiger, unabhängiger und dem Kampf ums Dasein gegenüber 
gewappneter hinzustellen, als dies bisher der Fall sein konnte. 

Es würde sich also darum handeln, durch orthopädische Inanspruch¬ 
nahme und Uebung die Energie und Leistungsfähigkeit der vicariirenden Func¬ 
tionen im individuellen Falle zur Entfaltung zu bringen und in grösstmög- 
licher Vollkommenheit auszubilden. Paradies-Würzburg. 

Schede, Ein verbesserter Skoliosenapparat. Demonstration auf dem Chirurgen- 

Congress 1893. 

Der Schede’sche Apparat, welcher hauptsächlich eine ergiebige 
Detorsion bezweckt, hat einige Verbesserungen erfahren, welche an dem 
Princip der Wirkung nichts ändern. Ich kann mich daher bezüglich des 
letzteren, sowie der genauen Beschreibung des Apparates auf das im II. Band 
Heft 3 dieser Zeitschrift erschienene Referat des ersten Schede’schen Skoliosen¬ 
apparates beziehen. Die jetzigen Verbesserungen (siehe Fig. 1) betreffen das Ge¬ 
stell des Apparates, sowie den Ring für die Pelotten, welcher zum Oeffnen 


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234 


Referate. 


eingerichtet ist und eine leichtere Verschiebung der Pelotten gestattet, eine 
Vereinfachung, welche bei dem ohnehin etwas complicirten Verfahren der Ein¬ 
spannung sehr erwünscht scheinen muss. 

Die wichtigste Neuerung besteht in Construction eines Rahmens für 
den Schultergürtel, welcher eine Mitverschiebung des letzteren bei Aus¬ 
führung der Detorsion, sowie ein Abweichen des Oberkörpers in lateraler Rich¬ 
tung verhindert. 

Die mit dem Apparat erzielten Kurerfolge scheinen im ganzen die grossen 
Erwartungen, welche zuerst an seine Wirkung geknüpft wurden, erfüllt zu 
haben, wenn auch, wie der Verfasser bemerkt, „bei einzelnen Fällen sehr viel 
Geduld und Consequenz nöthig war, bis etwas Wesentliches erreicht war 4 . 

Zen k er-Würzburg. 


Dr. Popper’s orthopädischer Rückengurt wird von der Bandagen¬ 
fabrik J. Schwarz in Mainz zur Prophylaxis der Skoliose warm empfohlen. 
Derselbe besitzt keine wesentlichen Vorzüge vor den bisher gebräuchlichen 
Geradehaltem, kann aber dadurch, dass er auch zur Behandlung schon be¬ 
stehender Skoliosen und Kyphoskoliosen anempfohlen wird, direct Schaden 
bringen. Dass die reclamehafte Anpreisung dieser nichts Neues darstellenden 
Vorrichtung durch die häufige Bezugnahme auf den obengenannten Erfinder 
mit dem Schein der Wissenschaftlichkeit umgeben wird, erscheint uns als nicht 
würdig. Zenker-Würzburg. 

Royal Whitman, Observations on Pott’s Disease. New York Medical Journal, 

October 1898. 

John Schapps, Recumbency in the Treatment of Pott’s Disease. New York 

Medical Journal, October 1898. 

I. Whitman knüpft an eine erfolgreiche Behandlung der Spondylitis 
folgende Bedingungen. Da es sich um eine tuberculöse Erkrankung handelt, 
muss erstens das Allgemeinbefinden günstig beeinflusst werden, zweitens muss 
für eine richtige Körperhaltung gesorgt und etwaige Schmerzen beseitigt werden, 
der Entstehung einer Deformität soll man zuvorzukommen suchen. 
Um dies Ziel zu erreichen, ist erforderlich: 

1. dass man die Function und die Verhältnisse der verschiedenen Theile 
der Wirbelsäule kennt, damit man die ersten Symptome der Krankheit erkennen 
lernt, denn die Diagnose sollte und kann auch vor dem Auftreten der Knochen¬ 
deformität gestellt werden. Leider kommen zwar die meisten Patienten erst 
ihrer Deformität wegen in ärztliche Behandlung. 

2. Kenntniss der für bestimmte erkrankte Regionen charakteristischen 
Deformitäten und Complicationen, da je nach dem befallenen Abschnitt be¬ 
deutende Unterschiede in der Form bestanden. 

3. Kenntniss der anatomischen Basis der Deformität und derjenigen Um¬ 
stände, welche ihre Entstehung begünstigt. 

Endlich stellt er noch die Anforderung, dass man 

4. die Dauer und die Ausdehnung der Krankheit in Verbindung mit den 
Verhältnissen des Patienten selbst und seiner Umgebung zu beurtheilen wisse. 


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Referate. 


235 


um die Behandlung dementsprechend einzurichten, so dass deren völlige Durch¬ 
führung auch möglich ist. 

Die Deformitäten theilt Whitman in essentielle und nicht essen¬ 
tielle. Die ersteren sind direct durch den Krankheitsprocess verursacht und 
bestehen in Knochenzerstörungen und Wachsthumsheramungen. Sie haben Nei¬ 
gung, eine rechtwinkelige Abknickung der Wirbelsäule zu bilden, und zwar 
hauptsächlich, wenn die Krankheit in der Mitte der Wirbelsäule liegt, weniger 
wenn sie oben oder unten ihren Sitz hat. Zu den letzteren, welche anfangs 
nur symptomatisch sind, unbehandelt geblieben permanent werden können, 
rechnet er die compensatorischen Verbiegungen der Wirbelsäule, die aus Muskel¬ 
spasmen entstandenen Deformitäten, z. B. den Schief hals bei Erkrankung der 
Cervicalportion, ferner die Contracturen im Gefolge von Abscessen. Hierzu 
gehört auch die Entstehung der Hühnerbrust. 

Whitman beschreibt ferner an der Hand von schematischen Zeichnungen 
die verschiedenen Formen der Wirbelsäulenverkrümmungen, je nach 
der befallenen Region und bespricht die Prognose des Leidens. Das Malum 
vertebrale suboccipitale pflegt acut zu verlaufen und zu Abscessen zu neigen. 
Günstiger ist dagegen die Prognose für die mittlere Halsregion, da in dieser 
überhaupt nur geringe Beweglichkeit besteht. In der oberen und mittleren 
Brustwirbelsäule findet starke Verkrümmung statt, die Gesammtdeformität ist 
aber wegen der ausgleichenden Lordose gering. Hierbei finden sich häufig 
Lähmungserscheinungen. Bei der Therapie ist auf Ruhigstellung der Arme zu 
achten. In der Mitte der Columna vertebralis bildet sich der typische Gibbus 
aus. In den tieferen Abschnitten bilden Psoasabscesse eine häufige Compli- 
cation. Abscesse werden am besten aspirirt und darauf antituberculöse Mittel 
injicirt. 

Zur Therapie übergehend hält Whitman die horizontale Lage für eine 
letzte Hilfe, welche im ganzen nur zeitweise bestimmter Erscheinungen wegen 
angewandt werden sollte. Indicirt ist sie: 1. in der frühen Kindheit, 2. bei Er¬ 
krankung der oberen Halsregion, 3. der oberen und mittleren Rückenregion, 
wenn andere Behandlungsweisen erfolglos waren, 4. wenn der Körper wegen 
Psoasabscessen nicht gerade gestreckt werden kann, 5. bei sehr acuten Fällen 
und beginnenden Lähmungen, 6. nach Radicaloperationen von Abscessen. Am 
geeignetsten erscheint ihm dazu der Bradford’sche Rahmen, auf welchem die 
Kinder ordentlich fixirt werden sollen. 

Eine Therapie, welche den an eine rationelle Behandlung zu stellenden 
Anforderungen entspricht, ohne den Patienten ans Bett zu fesseln, verdient den 
Vorzug. Gipscorsets und Geradehalter eventuell mit Jurymast werden hierbei 
von Whitman als empfehlenswerth genannt. Für Mal vertebral sous-occipital 
genügt ein Jurymast meist nicht. 

II. Schapps spricht die Ansicht aus, dass bei der Spondylitis während 
des Processes der Knochenzerstörung die der afficirten Stelle benachbarten 
Knochenpartien erweicht würden. Darin sei ein Schutz gegen die Wirkung 
äusserer Gewalt zu sehen, andererseits trage dieser Umstand aber mit dazu 
bei, die Entstehung einer Deformität zu begünstigen. Er erörtert alsdann die 
Grenzen der Anwendbarkeit der portativen Apparate, dieselben sollen im ganzen 
nur in subacuten und in Heilung begriffenen Fällen verwandt werden. Für 


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236 


Referate. 


alle übrigen Fälle empfiehlt er die horizontale Rückenlage, zu deren Ausfüh¬ 
rung er einen dem Bradford’schen ähnlichen Rahmen verwendet. Er macht 
verschiedene Vorschläge zur bequemeren Handhabung desselben. 

Z e n k e r-Würzburg. 


Monatsschrift für Unfallheilkunde mit besonderer Berücksichtigung der 

Mechanotherapie. Herausgegeben von Dr. Blasius, Dr. Schütz und 

Dr. Thiem. Exped.: Berlin S.W., Königgrätzerstrasse Nr. 4L 

Unter der Ueberschrift „Was wir wollen“ verkündet die neue Zeitschrift 
ihr Programm. Sie will sich ganz in den Dienst des Unfallgesetzes und der 
aus diesem Gesetz erwachsenden Aufgaben stellen, indem sie in ihren Spalten 
der Besprechung aller darauf bezüglichen Fragen Raum geben wird. Ein solches 
Unternehmen muss als im höchsten Grade zeitgemäss bezeichnet werden, da 
besonders bezüglich der Nachbehandlung Unfallverletzter, sowie bezüglich der 
Begutachtung der zurückgebliebenen Erwerbsbeschränkungen häufig die differen¬ 
testen Ansichten zum Ausdruck kommen. Die Hefte enthalten Originalartikel, 
wichtige Entscheidungen der Versicherungsämter, Besprechungen, Vereinsnach¬ 
richten und Aufzählungen der neu erschienenen einschlägigen Literatur. Unter 
den Mitarbeitern der neuen Zeitschrift findet sich eine grosse Anzahl hervor¬ 
ragender ärztlicher Autoritäten. Ueber einige Aufsätze der vorliegenden ersten 
3 Hefte sei im folgenden berichtet: 

Heft 1. Blasius, Werth der Photographie für die Begutachtung Un¬ 
fallverletzter. 

Blasius sieht in der Photographie ein sehr brauchbares Hilfsmittel für 
den genannten Zweck. Um in der Tiefe liegende pathologische Veränderungen 
auf der Haut zur Darstellung zu bringen, räth er die Anwendung von chinesi¬ 
scher Tusche und von Zahlen an, welche mit einem Gummistempel auf die 
Haut gedruckt werden können. 

Schütz, Zur medico-mechanischen Behandlung von Verletzungen. 

Schütz bespricht zuerst die Hilfsmittel der Zander’schen mechanischen 
Heilgymnastik. Als erste und wichtigste Gruppe führt er die Apparate für 
active Widerstandsbewegungen an. Ihr Vortheil beruht darauf, dass 
erstens der zu überwindende Widerstand mittelst Gewichtshebels genau nach 
Bedarf dosirt werden kann, dass zweitens in Berücksichtigung des Schwann* 
sehen Gesetzes der Widerstand der wechselnden Kraftentwickelung des Muskels 
genau angepasst ist. Die Apparate für passive Bewegungen werden durch 
maschinellen Motor getrieben. Der gleichmässige Gang dieser Apparate gibt 
dem Patienten das Gefühl der Sicherheit, so dass er seine Muskeln nicht an¬ 
spannt. Dieser Umstand sichert eine ausgedehntere Uebung der Gelenkbeweg¬ 
lichkeit. Eine Fesselung des Uebenden an den Apparat durch Riemen findet 
nicht statt. Drittens werden die Apparate zur Ausführung mechanischer 
Einwirkungen genannt und besonders der Erschütterungsapparat gelobt 
Sie sollen aber die manuelle Massage nur unterstützen, nicht ersetzen. Zu den 
Indicationen für Anwendung der einzelnen Apparate übergehend, empfiehlt er 
zur Wiederherstellung der Muskelfunctionen besonders active Widerstands- 


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Referate. 


237 


bewegungen und Massage, für Gelenksteifigkeiten passive und active Bewegungen, 
bei Sehnenscheidenentzündungen im narbigen Stadium, Infiltraten und Extra¬ 
vasaten, sowie Narbencontracturen der Haut Erschütterungen und Tapotement 
nebst passiven Bewegungen. 

Müller, Eine einfache Methode, simulirte Schmerzen zu diagnosticiren. 

Dieselbe baut sich auf der aus der Physiologie bekannten Thatsache auf, 
dass Berührungen zweier Punkte der Haut innerhalb eines Tastkreises nur als 
eine Berührung empfunden werden. Müller berührt also zuerst die Haut in 
einer dem Durchmesser des Tastkreises entsprechenden Entfernung von dem 
als schmerzhaft angegebenen Punkt, berührt alsdann, ohne dass dies nun dem 
Patienten zum Bewusstsein kommen kann, die schmerzende Stelle selbst. Werden 
nun bei langsam verstärktem Druck auf die letztere keine Schmerzen ge- 
äussert, so sind die geschilderten Schmerzen simulirte gewesen. 

Heft 2. Krukenberg, Einige Bemerkungen zur Nachbehandlung Un¬ 
fallverletzter. 

Krukenberg findet die oft späte Einleitung, resp. häufige Unterbrechung 
der Nachbehandlung Unfallverletzter schädlich. Bis die Formalitäten für die 
Aufnahme in ein medico-mechanisches Institut geregelt sind, vergehen oft mehrere 
Wochen, während welcher sich der Zustand des nicht in ärztlicher Behandlung 
sich befindenden Patienten verschlechtert. Die Berufsgenossenschaften sollten 
sich von folgenden Gesichtspunkten leiten lassen. 

Ist ein Kranker absolut arbeitsunfähig, so soll er zur Nachbehandlung 
unter allen Umständen in eine Anstalt untergebracht werden. Ist er aber im 
Stande, einige Arbeit zu thun, so soll er ambulant behandelt werden, da die 
Arbeit selbst als ein wichtiger Heilfactor zu betrachten ist, und zwar entweder 
in einem Institut, oder von dem bisher behandelnden Arzt. 

Für den letzteren gibt Krukenberg praktische Anweisungen, wie er 
die theueren medico-mechanischen Apparate durch einfache Mittel ersetzen 
kann. Als solche werden für passive Bewegungen der elastische Zug mit einer 
Gummibinde, für Widerstandsbewegungen der Apparat von Diehl anempfohlen; 
ausserdem ist auf rationell ausgeführte Massage besonderes Gewicht zu legen. 
Bei den meist weniger veralteten Fällen, welche sich für die ambulante Be¬ 
handlung eignen, würde der praktische Arzt mit diesen einfachen Mitteln zum 
Ziel kommen. 

Blasius. Aerztliches Gutachten. 

Dasselbe soll als Muster für eine zweckentsprechende Ausfüllung der 
Formulare für Gutachten in Unfallsachen dienen. 

Heft 3. Thiem, Hygrom der Sehnenscheide des Extensor digitorum com¬ 
munis; irrthümlich für Ulnarislähmung angesehen. 

Patient hatte bei der Arbeit plötzlich krampfartigen Schmerz in der 
Kleinfingerseite des rechten Vorderarmes verspürt, der von den Fingern nach 
dem Ellbogen ausstrahlte und Ring- und kleinen Finger gebeugt zusammenzog. 
Die Unhaltbarkeit der auf diesen Befund hin zuerst gestellten Diagnose einer 
traumatischen Ulnarislähmung wird in längerer Ausführung dargethan. Es 


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238 


RefeÄte. 


zeigte sich nach Abschwellung der Hand, dass es sich um ein- Hygrom des 
Extens. digit. commun. handele. Die Möglichkeit, dass dieses Hygrom durch 
Anstrengung bei der Arbeit entstanden sei, müsse zugegeben werden. Eine in 
ihren Anfängen vielleicht schon vorhanden gewesene Sehnenscheidenentzündung 
könne durch Anstrengung plötzlich in ein acutes Stadium getreten sein, aus 
welchem sich dann der chronische Zustand, das sogen. Hygrom, entwickelt habe. 
Therapie bestand in mechanischer und elektrischer Behandlung. Nach beendeter 
Behandlung gebührt dem Verletzten nach Thiem’s Ansicht eine Rente von 
22% = Verringerung der Gebrauchsfähigkeit der Hand um ein Drittel, da an¬ 
erkannt werden muss, dass bei schwerer Arbeit Beschwerden, resp. Recidiv ein- 
treten kann. 

Bähr, Modernste Meclianotherapie. 

Bähr wendet sich gegen die Hönig’schen Apparate, welche einer be¬ 
stimmten Arbeitsleistung (Sägen, Bohren, Schaufeln etc.) entsprechen. Er er¬ 
blickt in der Anwendung derselben gegenüber den bewährten Zand er sehen 
Apparaten einen Rückschritt. Zenker-Würzburg. 


Frank, Grundriss der Chirurgie für Studirende und Aerzte. I. Theil. Die 

Allgemeine Chirurgie. Stuttgart, F. Enke, 1893. 

Es erscheint fast wie ein Widerspruch, wenn man bei dem grossen Reich¬ 
thum des medicinischen Büchermarktes an vorzüglichen Lehrbüchern der Chirurgie 
behauptet, dass ein neu erscheinendes einem vielfach fühlbar gewordenen Be¬ 
dürfnisse abhelfe. Dennoch kann diese Behauptung mit Recht in Bezug auf 
das vorliegende Frank’sche Lehrbuch aufgestellt werden, da bisher der Studi¬ 
rende, für welchen in erster Linie der * Grundriss“ als Repetitorium gedacht ist, 
entweder auf das Studium der grossen, meist ausgezeichneten Lehrbücher an¬ 
gewiesen war, welche aber ihres bedeutenden Umfanges und reichen, alle Einzel¬ 
heiten eingehend berücksichtigenden Inhaltes wegen mehr zur Durcharbeitung 
einzelner Kapitel sich eignen als zum zusammenhängenden geordneten Studium 
des gesammten Gebietes der Chirurgie. Dem letzteren Zwecke sollten einige 
in den letzten Jahren erschienene Compendien dienen, welchen es aber nicht 
immer glückte, den goldenen Mittelweg zwischen der breiten Darstellung der 
grossen Lehrbücher und der gedrängten, des inneren Zusammenhanges ent¬ 
behrenden Kürze der Examensrepetitorien zu finden. 

Frank hat sich nun die dankenswerthe Aufgabe gestellt, durch sein 
Lehrbuch den Studirenden in den Stand zu setzen, „die in der Klinik auf¬ 
genommenen Eindrücke zu ordnen, den organischen Zusammenhang der ein¬ 
zelnen Bilder, welche dort an ihm vorüberziehen, sich zurecht zu legen und die 
innere Einheit unter den verschiedenartigen Erscheinungsformen heraus zu 
erkennen“. Er hofft dadurch, den Leser zum chirurgischen Denken an¬ 
zuleiten. 

Zur Erfüllung seines Zweckes hat er dem ätiologischen, sowie dem patho¬ 
logisch-anatomischen Momente in der allgemeinen Chirurgie besondere Berück¬ 
sichtigung zu Theil werden lassen. 

Das Kapitel über Mikroorganismen, welches den Leser in gedrängter 


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Referate. 


239 


Kürze, dabei unter Berücksichtigung aller wichtigen Factoren in dieses schwierige 
Gebiet einführt, sowie die Beschreibung der Wundbehandlung, sind nach Form 
der Darstellung und Inhalt als ganz besonders beachtenswerth zu bezeichnen. 
In dem letzteren Kapitel lässt übrigens der Verfasser bei Besprechung der Her* 
Stellung aseptischer Nähseide die einfache und sichere, sowie für die Haltbar* 
keit des Nähmaterials sehr zuträgliche Sterilisation desselben im strömenden 
Wasserdampf unerwähnt. 

Wir sind überzeugt, dass das Frank’sche Lehrbuch sich bald einer 
grossen Beliebtheit unter Studirenden und Aerzten erfreuen wird. 

Z e n k e r-Würzburg. 


L. Wagner (Nürnberg), Tumapparat für Widerstandsbewegungen und zum 
Strecken der Wirbelsäule. 

Die Construction und Handhabung des Apparates geht wohl ohne weiteres 
aus den Abbildungen (Fig. 2, 3 u. 4) hervor. Hinzuzufügen ist nur, dass der 


Fig. 4. 



Kopfhalter (Fig. 2) bei g in einem Kugelgelenk getragen ist, das allen Be¬ 
wegungen nach der Seite hin folgt. Es werden dadurch die Excursionen der 


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240 


Referate. 


Wirbelsäule, speciell im Halstheile, geringer und wird in der Beschränkung 
der forcirten Bewegung das Möglichste geleistet, von dem gewährleisteten Ge¬ 
fühl einer gewissen Sicherheit für den Behandelnden abgesehen. Angenehm 
ist auch die an den einzelnen Riemen angebrachte Numerirung der Löcher, die 
es gestattet, die einmal ausprobirte Stellung des Apparates für den einzelnen 
Kopf sofort wieder zu gewinnen. 

Wir kennen den Apparat schon länger und können ihn als zweckmässig 
empfehlen. Er ist bei G. Stützei in Nürnberg zu haben. 

Rosenfeld-Nümberg. 

Frederik Treves, Handbuch der chirurgischen Operationslehre für praktische 

Chirurgen und Studirende. Aus dem Englischen übersetzt von R.Teusch er. 

Mit 422 Abbildungen, in 4 Bänden. Jena, Verlag von Hermann 

Costenoble. 

Das vorliegende Handbuch des bekannten englischen Chirurgen Treves, 
das vonTeuscher vortrefflich übersetzt ist, verdient auch in Deutschland weit 
verbreitet zu werden. Die einzelnen Operationen sind klar und exact beschrieben, 
namentlich auch unter genauer Berücksichtigung der anatomischen Verhältnisse. 
Wir vermissen manche deutsche Operationsmethoden, lernen dafür aber Methoden 
kennen, die in England und America mit Erfolg geübt werden, bei uns aber 
zum Theil wenig oder gar nicht bekannt sind. Uns interessirt hier, dass 
Treves auch die orthopädischen Operationen, die Osteotomie im allgemeinen, 
ferner ihre Anwendung bei fehlerhaften Stellungen und Ankylosen der Gelenke, 
beim Genu valgum, die Operationen beim Klump- und Plattfuss, die Tenotomien 
und Myotomien genau beschreibt. In jedem Abschnitt sind Anweisungen zur 
Vorbereitung und über die Nachbehandlung gegeben; ebenso ist in jedem Ab¬ 
schnitt der Werth der einzelnen Operationsmethoden mit einander verglichen 
worden. 

Die Anschaffung des Buches empfiehlt sich daher namentlich auch für 
Aerzte, die sich neben allgemeiner auch mit chirurgischer Praxis befassen. 

Hoff a-Würzburg. 

F. Karewski, Die chirurgischen Krankheiten des Kindesalters. Mit B25 in den 

Text gedruckten Abbildungen. Verlag von F. Enke, Stuttgart 1894. 

In dem uns vorliegenden stattlichen, von F. Enke vorzüglich ausgestatteten 
Bande (780 Seiten) hat Karewski eine in unserer deutschen chirurgischen 
Literatur erst wieder bestehende Lücke glänzend ausgefüllt. Er hat uns die 
chirurgischen Krankheiten des Kindesalters geschildert so wie es nur einem 
praktisch vielfach erfahrenen und daneben ausserordentlich fleissigen Autor 
möglich war. Wir sind erstaunt, welche Fülle von Material in dem relativ 
knappen Raume zusammengedrängt worden ist. Dies ist nur dadurch möglich 
gewesen, dass Verfasser theoretischen Speculationen geschickt aus dem Wege 
gegangen, dass er uns dagegen ausführlich das bringt, was für die Praxis 
wissenswerth ist. Mag man auch hier und da einige Lücken finden — so sind 
z. B. die Laryngotomie und die Kehlkopfgeschwülste des Kindes gar nicht 
erwähnt — im grossen und ganzen hat Karewski das Material vollständig be- 


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Referate. 


241 


handelt, und die Grappirung des Materiales ist eine recht geschickte. Nach 
einer kurzen Einleitung über den Begriff der chirurgischen Krankheiten des 
Kindesalters wird die Untersuchung des Kindes, die Narkose, die Operations¬ 
technik besprochen. Dann folgt ein Kapitel über die acuten Wundinfections- 
krankheiten, ein ferneres über die Infection einzelner Gewebe durch den Eiter- 
coccua und andere Mikroorganismen (Mischinfectionen), über die Infections- 
krankheiten mit chronischem Verlauf (Bluterkrankheit, Actinomykose, Syphilis, 
Tuberculose), Über die Verletzungen, die angeborenen Missbildungen, über die 
Störungen des Wachsthums und der Entwickelung und über die Geschwülste. 
Ein Schlusskapitel endlich, betitelt „Varia“, behandelt die verschiedenen Darm- 
affectionen und die Steinkrankheit der Kinder. So hat der Verfasser alles 
Wissenswerthe untergebracht. Die Literatur ist bis auf die neueste Zeit aus¬ 
giebig verwerthet. Ich glaube, wir können stolz auf dieses Buch sein und dem 
Verfasser zur Vollendung desselben nur Glück wünschen. Möchte es eine recht 
weite Verbreitung finden! Hoffa-Würzburg. 


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XVII. 


Studien über die Ausdehnungsfähigkeit des mensch- 

lieben Fusses. 

Von 

Dr. Golebiewski-Berlin. 

Mit 57 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Einleitung. 

Der kunstvolle architektonische Bau des menschlichen Fusses, 
die eigenartige Gestalt seines Gewölbes, die Verbindung seiner 
Knochen mit den Bändern und Muskeln, stellen ihn als einen federn¬ 
den Stütz- und Tragapparat für den menschlichen Körper dar, der 
die Fähigkeit besitzen muss, den Schwankungen der auf ihn ein¬ 
wirkenden Lasten nachzugeben und sich auszudehnen. 

Wenn wir unseren unbekleideten Fuss auf den Boden setzen, 
dann sehen wir, dass er seine Gestalt verändert, er an Länge und 
Breite zunimmt. Wir sehen, wie sich das Gewölbe senkt, die Fuss- 
sohle sich abplattet, der Fussrücken von seiner Convexität einbüsst, 
die Mittelfussknochen und Zehen sich nach vorne und fächerförmig 
nach den Seiten vorschieben, also mit anderen Worten, wir sehen 
den Fuss sich ausdehnen. 

Diese specielle Eigenschaft des Fusses darf mit dem Namen 
Ausdehnungsfähigkeit bezeichnet werden. 

Es gibt eine active und eine passive Ausdehnungsfähigkeit. 

Die active Ausdehnungsfähigkeit kommt im ruhenden Zu¬ 
stande lediglich durch unseren Willen, durch willkürliche 
Muskelaction zu Stande. Ziehen wir unseren Fuss aus tiefer 
Plantarflexion in starke Dorsalflexion, dann wird er im Gew'ölbe 
flacher, er wird länger und breiter. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. III. Band. 17 


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244 


Golebiewski. 


Die passive Ausdehnungsfähigkeit vollzieht sich beim Stehen 
und Gehen unter dem Einfluss der Körperschwere. 

Diese passive, beim Stehen und Gehen zu Stande kommende 
Ausdehnungsfähigkeit des Fusses ist es nun, die ich mir zum Gegen¬ 
stand meiner Studien gemacht habe. 

Um zu wissen, wie und unter welchen Bedingungen der 
menschliche Fuss sich beim Stehen und Gehen ausdehnt, war es 
nöthig von einer Stellung im Ruhezustände des Fusses auszugehen. 
Ich wählte zu diesem Zwecke den hängenden Fuss, so wie er 
sich darbietet, wenn man auf einem erhöhten Stuhl sitzt, ohne dass 
der Fuss den Boden berührt. 

Die zweite Stellung war die Standstellung, beim aufrechten 
Stehen, die dritte die Schrittstellung. 

Es lag die Frage nahe, zu untersuchen, ob, wie weit und wie 
der Fuss sich bei fortgesetzter Belastung des Körpers ausdehnt. 

Ich setzte also meine Untersuchungen an demselben Indivi¬ 
duum unter Belastung seines Körpers mit 40 kg fort; dadurch ent¬ 
standen zu den drei vorhin erwähnten Stellungen noch zwei, Stand 
mit 40 kg Belastung und Schritt mit 40 kg Belastung. 

Als Versuchsperson wählte ich einen 29 jährigen Kutscher, 
dessen Ftisse durch Schuhwerk noch sehr wenig verdorben waren, 
die sich durch ein hohes Gewölbe und eine sehr regelmässige Anord¬ 
nung der Zehen auszeichneten. Die Füsse sowohl als auch die 
Beine waren völlig unverletzt und noch nie von einer Krankheit 
befallen worden. Der Mann war gut ernährt, normal gebaut, gesund, 
etwa 1,60 m gross und ca. 63 kg schwer. 

Wie stets bei solchen Versuchen, so sind auch hier die Resul¬ 
tate nicht mit mathematischer Genauigkeit ausgefallen, was bei den 
grossen Anstrengungen, welche diese Versuche machten, sehr natür¬ 
lich ist. Es finden sich daher zum Theil an demselben Fuss in 
den homogenen Versuchen, zum Theil auch an beiden Füssen ver¬ 
schiedene, ganz bedeutende Abweichungen. Diese Abweichungen 
ohne weiteres für Fehler erklären zu wollen, wäre unrichtig, viel¬ 
mehr kommt es darauf an, das richtige Verständniss und die richtige 
Erklärung für die Abweichungen zu finden. 

Dieses richtige Verständniss wird aber erst möglich, wenn 
man sich mit Hilfe eines guten, mit seinen Bändern wohl erhaltenen 
Fussskelets, an einem anatomisch richtig gebauten Fuss eines leben¬ 
den Individuums die Mechanik des Fusses klar macht. Dann wird 


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Studien über die Ausdehnungsfähigkeit des menschlichen Fusses. 245 


man auch die in den Resultaten meiner Fussstudien vorkommenden 
Abweichungen begreifen. 

In derselben Weise bin auch ich verfahren, und es sei daher 
gestattet, zunächst einen kurzen Ueberblick über die Fussmechanik, 
wie sie in den von mir gewählten fünf Stellungen zum Ausdruck 
kommt, vorauszuschicken. 

Wenn ich hier die Bänder und Muskeln unvollständig behandelt 
habe, so hat dies seinen Grund lediglich in der Nothwendigkeit 
der Beschränkung, sie werden da berücksichtigt, wo es besonders 
nöthig ist. 

Dass ich bei Behandlung meiner Arbeit den Fuss isolirt be¬ 
sprochen habe, ohne dass ich mindestens die ganze untere Extremität 
in die Betrachtung mit hineingezogen habe, wird man mir auch 
nicht zum Vorwurf machen können in Anbetracht der meinem Thema 
zu Grunde liegenden Absicht, nur die Ausdehnungsfähigkeit des 
Fusses als solche zu behandeln. 


Fussmechanik. 

Bei senkrecht herabhängenden Beinen stehen die Füsse in 
Plantarflexion. Man kann diese Plantarflexion noch genauer charak- 
terisiren durch die Bezeichnung Equinovarus-Stellung. Die Er¬ 
klärung für diese Stellung ist folgende: Denkt man sich den Fuss 
an seinem Unterschenkel als einen doppelarmigen Hebel mit einem 
langen vorderen und ganz kurzem hinteren Arm, so wird der vordere 
Arm dem Gesetz der Schwere zufolge herabsinken müssen. Die Varus- ~ 
oder Supinationsstellung erklärt sich einerseits aus der höheren 
Lage der unteren Gelenkfläche der Tibia auf der medianwärts 
höheren Gelenkfläche der Talusrolle, ihrer straffen Verbindung am 
Mall, internus mit dem Lig. deltoides und andererseits auch aus dem 
Umstande, dass das Lig. deltoides vom vorderen Rande des Mall, 
internus Faserzüge an die mediane Seite und zwar etwas nach oben 
zu, an das Os naviculare entsendet. Diese Stellung der Tibia ist 
eine Aussenrotation um ihre Längsachse, der zufolge ihre mediane j 
Seite höher als die laterale liegen muss. Es muss daher auch der / 
Mall, internus höher als der externus liegen. Da nun die Talus- ■ 


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Golebiewski. 


rolle hinten ohnehin schon am schmälsten ist, wird man auch er« 
warten, dass diese hintere Partie der Talusrolle in der Hangstellung 
von der unteren Gelenkfläche der Tibia bedeckt sein muss, und eine 
durch die Prominenz beider Malleolen gehende Achse wird etwas 
schräg von oben vorne nach hinten unten gehen müssen. Lateral- 
wärts liegt also die untere Gelenkfläche der Tibia unter dem Niveau 
der Talusrolle. 

s Fus8 und Unterschenkel bilden einen stumpfen Winkel und 
zwar ist der Winkel an der inneren Fussseite nicht so gross als 
an der äusseren. 

Beim Sitzen auf einem erhöhten Stuhl ist diese Equinovarus- 
Stellung ebenso ausgeprägt, wenn auch die Winkel etwas kleiner 
sind. Nach meinen in dieser Stellung, bei Arbeitern im Alter von 
30—40 Jahren vorgenommenen Messungen, beträgt im Durchschnitt 
der Winkel am inneren Fussrande etwa 105°, am äusseren 110°. 

Wird nun zum Aufstehen vom Stuhl der Fuss mit der ge¬ 
wohnten Auswärtsstellung auf den Boden gesetzt, dann geschieht 
dies unter Dorsalflexion des Fusses und Innenrotation der Tibia, bei 
welcher sie ihre laterale Seite und Gelenkfläche auf das Niveau der 
Talusrolle heraufzieht und vielleicht noch etwas darüber hinaus. Der 
Mall, externus wird jetzt etwas nach vorne, der internus etwas 
zurtickgehen müssen. Richtet sich nun der Mensch auf, so dass er 
gerade steht und der Fuss mit dem Unterschenkel einen rechten 
Winkel bildet, dann macht die Tibia wieder eine kleine Aussen- 
rotation, wobei der Mall, internus wieder etwas nach vorne, der 
externus zurückgehen muss. 

Haben sich die Fussknochen schon beim Aufsetzen des Fusses 
auf den Boden gesenkt, dann senken sie sich jetzt um so mehr. 
Der Vorgang ist folgender: 

Durch die Einnahme der aufrechten Stellung wird bei der 
Aussenrotation der Tibia ein starker Druck auf die laterale, tiefer 
gelegene Seite der Talusrolle ausgeübt. Der Talus senkt sich. Er. 
kann das aber nur in der Weise, dass er mit seiner Längsachse um 
einen an seinem hinteren Ende gelegenen Punkt einen kleinen Kreis¬ 
bogen schlägt; er macht aber auch zufolge des auf seine laterale 
Seite ausgeübten Druckes gleichzeitig eine Aussenrotation. Diese 
beiden Bewegungen, Senkung und Aussenrotation, werden auf das Os 
naviculare übertragen, sie kommen aber bei diesem noch anders zur 
Ausführung wegen der stark convexen Beschaffenheit des Taluskopfes. 


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Studien über die Ausdehnungsfähigkeit des menschlichen Fusses. 247 

Das Os naviculare senkt sich nicht nur in seiner Totalität, 
sondern es neigt sich auch mit seinem oberen Rande nach vorne 
und unten, es wird ferner nach vorne durch die vis a tergo gedrängt 
und nach aussen rotirt, so dass seine Tuberositas sich von der 
Grundfläche etwas heben muss. 

Die gleiche Tendenz der Bewegungen, wenn auch schon in 
anderer Weise, offenbart sich auch bei den drei Keilbeinen. Sie 
senken sich, werden nach vorne gedrängt und zwar, vermöge der 
strahlenförmigen Anordnung ihrer Längsachsen, gleichfalls strahlen¬ 
förmig oder fächerförmig, und schliesslich erfolgt auch bei ihnen eine 
Aussenrotation, und zwar so, dass das erste Keilbein mit dem Os 
naviculare am inneren Fussrande verhältnissmässig am meisten nach 
oben und das dritte Keilbein mit seiner lateralen Gelenkfläche relativ 
am meisten nach unten torquirt wird. 

Dass die Wirkung der Aussenrotation in den drei Keilbeinen 
auch auf einen Druck und Schub nach aussen hinausgehen muss, wird 
bei Betrachtung des Fussskelets sehr bald erklärlich werden. 

Denn die Aussenrotation der drei Keilbeine bewirkt, dass das 
dritte Keilbein, welches die Rotation gleichzeitig mit dem Würfelbein 
macht, dieses auf die mit ihm artikulirende Gelenkfläche drückt. 

Eigenthümlich ist nun die Stellung des zweiten Keilbeins zu 
seiner Artikulation am zweiten Metatarsus, welch letzterer so zwischen 
dem ersten und dritten Keilbein sitzt, dass er auch seitlich nicht nur 
mit diesen beiden Knochen, sondern auch mit dem ersten und dritten 
Metatarsus artikulirt. Bei der Aussenrotation der drei Keilbeine 
wird auch dem zweiten Metatarsus diese Bewegung mitgetheilt, in 
welcher er noch vom ersten und dritten Metatarsus wesentlich unter¬ 
stützt wird. 

Bevor wir nun weiter auf die Bewegungen der Metatarsen 
eingehen, muss noch der Calcaneus mit dem Os cuboideum in Be¬ 
tracht gezogen werden. 

Infolge des lateralwärts auf die Talusrolle fallenden Schwer¬ 
punktes, der Senkung und Aussenrotation des Talus, wird der im 
Hang ziemlich weit geöffnete Sinus tarsi verkleinert. Der Calcaneus 
dreht sich gleichfalls ein wenig um seine Längsachse nach aussen, 
theilt dem Os cuboideum dieselbe Bewegung mit und schiebt dieses 
auch ein wenig nach vorne. Da ferner gleichzeitig eine Senkung 
beider Knochen in der Articulatio calcaneo-cuboidea eingetreten ist, 
ist es immer leicht möglich, dass der Calcaneus mit seiner hinteren 


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Golebiewski. 


Tuberositas noch etwas weiter nach hinten geht. Die nach aussen 
convexe Gestalt und seine Stellung hat aber auch zur Folge, dass bei 
der am meisten vorne zum Ausdruck kommenden Aussenrotation 
der Calcaneus hinten sich etwas nach innen bewegt. 

Die Metatarsalknochen verhalten sich bei allen den Be¬ 
wegungen ihrer benachbarten Fusswurzelknochen ganz analog wie 
diese, doch kommen bei ihnen noch einige eigenartige Bewegungen 
zum Ausdruck. 

Der bereits relativ stark nach innen abgehende erste Meta¬ 
tarsus, dessen Längsachse mit der des ersten Keilbeins einen nach 
innen offenen stumpfen Winkel bildet, kann bei dem Schub nach 
vorne trotz seiner Aussenrotation keine andere Richtung als die 
nach innen einnehmen. Aehnlich liegen die Verhältnisse beim 
zweiten Metatarsus, auch er muss noch beim Drang nach vorne nach 
dem Innenrand abweichen. Auch die Längsachsen des dritten Keil¬ 
beins und dritten Metatarsus stehen stumpfwinkelig zu einander, 
aber die Spitze dieses geht trotz der ihm von hinten gegebenen 
Richtung nicht nach dem Innenrande, einmal, weil er in der zweiten 
vorderen Hälfte eine nach aussen abgehende concave Krümmung 
zeigt, dann, weil auch die mediane Gelenkfläche des mit ihm hinten 
artikulirenden zweiten Metatarsus ihn an der Richtung nach innen 
durch seitlichen Druck hindert. Es muss also der dritte Meta¬ 
tarsus, wenn nicht gerade nach aussen direct, so doch ziemlich in 
gerader Richtung mit dem dritten Keilbein nach vorne gehen. 

Beim vierten und fünften Metatarsus, die auch mit ihren 
hinteren Gelenkflächen zum Würfelbein stumpfwinkelig stehen, bei 
denen also gleichfalls die Richtung nach dem Innenrande zu erwarten 
wäre, kommt bereits eine sehr deutliche Aussenrichtung zu Stande, 
einmal wegen der lateralwärts concaven Verbiegung beider Knochen, 
dann wegen des seitlichen Druckes vom dritten bezw. vierten Meta¬ 
tarsus, schliesslich infolge der vom Würfelbein gegebenen Richtung. 

Die Vorwärtsbewegung der Metatarsen pflegt am stärksten am 
ersten einzutreten, von da ab bis zum fünften allmählich abzu¬ 
nehmen. Indessen sind auch Ausnahmen nicht selten, wo auch bei 
den letzten Metatarsen eine starke Vorwärtsbewegung eintritt. 

Die Senkung und Aussenrotation der Fussknochen haben nun 
zur Folge, dass am Aussenrande des Fusses der Calcaneus, das Os 
cuboideum und der Metatarsus V an der Tuberositas und dem Capitulum 
den Boden berühren. Auch der vierte Metatarsus steht lateralwärts 


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Studien über die Ausdehnungsfähigkeit des menschlichen Fusses. 249 

bereits so tief, dass seine unter ihm verlaufenden Weichtheile in 
der Regel bereits den Boden berühren, so dass medianwärts hier 
schon eine Grenze des Fussgewölbes vorhanden ist. 

Vorne berühren die Metatarsalköpfchen alle den Boden und 
die Tuberositas calcanei, sowie der ganze Theil seines Körpers, soweit 
er auch am Innenrande unten reicht, stehen auf der Grundfläche. 

Da die Zehen den Bewegungen ihrer Metatarsen mehr oder 
weniger folgen, brauchen sie hier nicht noch besonders erwähnt zu 
werden, um so weniger, als sie beim Stehen überhaupt nur eine 
untergeordnete Rolle spielen. 

Die Bänder werden vermöge ihrer Elasticität durch die Ein¬ 
wirkung der Schwere, des Druckes und der Zugbewegungen gedehnt. 

Die Muskeln befinden sich in einem Tonus, der jedenfalls 
direct proportional zu dem auf sie ausgeübten Reiz stärker oder 
schwächer sein kann. 

Diese beschriebene Aussenrotation des Fusses bezw. seiner 
Knochen vollzieht sich sehr rasch in dem Moment, wo der Mensch die 
aufrechte Stellung in der angegebenen Weise eingenommen hat. 
Eine geringe Körperschwankung, eine leichte Bewegung im Knie, 
eine geringe Rotation der Tibia in entgegengesetzter Richtung, ein 
Muskelreiz genügt, um an verschiedenen Stellen des Fusses andere, 
von den beschriebenen abweichende Bewegungen hervorzurufen. 

Es bleibt noch übrig einige Bemerkungen über die Malleolen 
anzuführen. 

Man unterscheidet an beiden Malleolen einen vorderen und 
einen hinteren Rand. Der Mall, internus hat eine vordere, etwas 
tiefer gehende Spitze an seinem vorderen Rand, von der vorzugs¬ 
weise das Lig. deltoides abgeht, und eine hintere Spitze. Der Mall, 
externus hat am vorderen Rande zwei kleine spitzenförmige Vor¬ 
sprünge, einen oberen, welcher am nächsten dem vorderen lateralen 
Rande der Tibia liegt und dort durch das straffe Lig. tibio-fibulare 
anticum verbunden ist, und einen tieferen, der mit dem Lig. fibulo- 
' tarsale anticum, das an den hinteren Rand des Sinus tarsi geht, ver¬ 
bunden ist. Der hintere Rand des Mall, externus hat eine mehr halb¬ 
kreisförmige Gestalt, der Rand ist auf seiner inneren Seite etwas ver¬ 
schärft. Dagegen hat der Mall, externus eine deutlich nach unten 
gerichtete Spitze, von der auch das Lig. fibulo-calcaneum schleifen¬ 
förmig abgeht und so in ein oberes und unteres Band zerfällt. Das 
obere geht mehr von der Mitte und hinteren Seite der Malleolus- 


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Golebiewski. 


spitze und zwar von aussen und inserirt am Calcaneus mehr vorne, 
das untere Band kommt von der Innenfläche der Spitze des Malleolus 
und zwar mehr von der vorderen Seite der Spitze und inserirt neben 
dem oberen Bändchen am Calcaneus, aber hinter dem ersten. Wäh¬ 
rend nun im Hang bei der Plantarflexion die vorderen Ränder der 
Malleolen mit ihren Spitzen mehr nach oben gerichtet sind, müssen 
die hinteren nach unten gerichtet sein. Auch die unterste Spitze 
des Mall, externus ist im Hang etwas nach oben gerichtet. 

Die vorderen Bänder des Sprunggelenks werden im Hang ge¬ 
spannt, während sich die hinteren in deutlicher Entspannung befinden. 
Man wird auch finden, dass der ganze hintere Rand des Mall, externus 
von dem Talus etwas absteht. 

Wichtig ist hier noch zu erwähnen, dass der Mall, externus bei 
tiefer Plantarflexion nicht nur unter dem Niveau der Talusrolle, sondern 
überhaupt zum grossen Theil hinter dieser liegt. 

Beim aufrechten Stehen bilden Unterschenkel und Fuss 
nahezu einen rechten Winkel. Die Spitzen der Malleolen haben ihre 
Stellung verändert, so dass sich die beiden spitzenfbrmigen Vor¬ 
sprünge des Mall, externus gesenkt haben, wobei freilich der hintere 
Rand sich erst heben musste, am Mall, internus hob sich auch der 
hintere Rand und stellte sich mit dem vorderen senkrecht, so dass 
auch seine beiden Spitzen nach unten gerichtet werden. 

Während nun, wie vorhin angedeutet, durch die Lage des 
Mall, externus nach hinten, im Hang beide Malleolen die Talusrolle 
in seinem schmälsten Durchmesser umgriffen, muss der Durchmesser 
jetzt im Stand ein grösserer sein. 

In der Schrittstellung steht der Fuss in Dorsalflexion, er 
bildet somit mit dem Unterschenkel einen spitzen Winkel und zwar 
von etwa 75—80 °. Die Körperlast, welche im Stand von beiden Füssen 
gleichmässig getragen war, bekommt jetzt vorzugsweise der eine, 
vorn stehende Fuss zu überwinden; das nach hinten gestreckte andere 
Bein stützt den Körper mit den Zehendreiecken, die zur Grund¬ 
linie die vom ersten Metatarsus bis zum fünften gezogene, durch 
die fünf Gelenkköpfchen gehende Linie, zu Spitzen die fünf Zehen* 
spitzen haben; es ist das eine federnde Stütze, die, je nachdem der 
Körper bei seiner nach vorne und etwas medianwärts geneigten 
Haltung sich einrichtet, um das richtige Gleichgewicht und für den 
vorne stehenden Fuss die Schwerlinie zu finden, bald das eine, bald 
das andere Zehendreieck eintreten lässt. 


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Studien über die Ausdehnungsfähigkeit des menschlichen Fusses. 251 

Die Tibia macht bei der Schrittstellung eine Innenrotation und 
bedeckt im Sprunggelenk mit ihrer unteren Gelenkfläche zumeist die 
vordere untere Partie der Talusrolle und auch die mittlere obere, 
so dass der im Hang bedeckte Theil hier frei und der unbedeckte hier 
bedeckt wird. Die Achillessehne geht in der Richtung der Tibia von 
unten aussen nach oben innen ab und hebt den Calcaneus an seiner 
hinteren Tuberositas etwas vom Boden ab. 

Es ist klar, dass die Schwerlinie des Körpers jetzt mehr auf 
das Fussgewölbe, etwas medianwärts und zwar wohl meist nach 
dem Taluskopf zu fällt. Das hat nun zur Folge, dass der Talus¬ 
kopf sich senkt, wobei er wieder mit seiner Längsachse einen kleinen 
Kreisbogen um einen an seinem hinteren Ende befindlichen Mittel¬ 
punkt schlägt, und dass er auch eine Innenrotation macht. 

Diese Bewegungen werden auch auf das Os naviculare über¬ 
tragen. Vermöge der Convexität des Taluskopfes wird das Kahn¬ 
bein nach vorne geschoben, nach innen rotirt und zur 
Senkung gezwungen. Das ohnehin schon vorne spitzwinkelig 
znm Boden stehende Os naviculare wird durch die nunmehr beim 
Schritt eintretende Senkung, infolge der Bewegung des Taluskopfes 
noch spitzwinkeliger gestellt, indem sein oberer Rand sich noch mehr 
nach vorne und unten neigt, seine medianwärts nach unten ragende 
Tuberositas wird noch tiefer herabtorquirt, während sein lateralwärts 
und hinten, dem Os cuboideum und dem Sinus tarsi zugerichteter 
Rand sich hierbei heben muss. 

Diese Bewegungsformen werden auch auf die drei Keilbeine 
übertragen. Sie senken sich alle in ähnlicher Weise wie das Kahn¬ 
bein, sie werden nach vorne geschoben und nach innen torquirt, und 
zwar wird der mediane Rand des ersten Keilbeins ähnlich wie die 
Tuberositas ossis navicularis durch die Innenrotation tiefer gestellt. 
War bei der Aussenrotation im Stand vom ersten Keilbein ein seit¬ 
licher Druck bis nach dem dritten Keilbein, von da schliesslich zum 
Würfelbein eingetreten, so kommt hier bei der im Schritt zu Stande 
kommenden Innenrotation der Seitendruck vom dritten Keilbein, 
der von diesem auf das zweite, vom zweiten auf das erste Keil¬ 
bein übertragen wird. Verstärkt wird diese Druckwirkung des 
dritten Keilbeins noch durch den vom Os cuboideum auf dieses aus¬ 
geübten Druck. Ist nun der mediane Rand des ersten Keilbeins 
im Sinne der Innenrotation nach unten torquirt, so wird der lateral¬ 
wärts gerichtete Rand des dritten Keilbeins in der Richtung nach oben 


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Golebiewski. 


torquirt werden müssen. Dass diese Rotation nach oben immerhin 
nur eine beschränkte sein kann, wird bei der eigenartigen Ver¬ 
bindung und Stellung der Fusswurzelknochen zu einander sehr 
bald klar. 

War der Sinus tarsi im Stand enger geworden, so erweitert 
er sich wieder etwas beim Schritt. 

Der Calcaneus erhält vorne seinen Druck medianwärts, mehr 
nach dem vorderen Theil des Sustentaculum zu. Während er also 
im Stand in Supination gebracht wurde, kommt er jetzt in Pronation. 
Da die Achillessehne die hintere Tuberositas nicht nur etwas hebt, 
sondern auch deutlich medianwärts zieht, muss sich an der vorderen, 
mit dem Os cuboideum artikulirenden Gelenkfläche die Neigung be¬ 
merkbar machen, nach aussen abzugehen. Diese Bewegung erhält 
aber eine Einschränkung durch die Senkung des Calcaneus an seiner 
vorderen Gelenkfläche und durch die Innenrotation, welche um die 
Längsachse des Calcaneus eintritt. Dreht sich aber der Calcaneus 
nach innen, so muss sein äusserer Rand sich etwas anheben. 

Die vorne am Calcaneus eingetretene Senkung hat noth- 
wendigerweise eine Druck- und Schubwirkung auf das Os cuboideum 
zur Folge. Die medianwärts gerichtete Innenrotation, welche vom 
Calcaneus auch auf das Wtirfelbein übertragen wird, erhält noch 
seine Verstärkung durch die vom dritten Keilbein nach diesem be¬ 
stehende ligamentöse Verbindung, eine Zugwirkung übrigens, die 
beim Stand im umgekehrten Sinne vor sich gehen musste. 

Aehnlich wie das Fersenbein, wird sich auch das Würfelbein 
mit dem äusseren Rande ein wenig nach oben drehen und den 
medianwärts gelegenen Rand senken. 

Infolge der durch Innenrotation eingetretenen Senkung der 
medianen Seite des Os naviculare und Os cuneiforme I wird auch 
die Senkung des ersten Metatarsus mit Innenrotation eintreten müssen. 
Der erste Metatarsus wird aber auch nach vorne geschoben und 
die Richtung, welche er hier einnehmen muss, kann nur nach innen, 
d. h. medianwärts sein; sie kommt von der schräg nach unten und 
innen gerichteten Längsachse des Talus durch das Os naviculare, 
trifft zuerst das zweite Os cuneiforme durch dessen hintere und 
innere Spitze, trifft dann die vordere Spitze des ersten Keilbeins 
und schliesslich den ersten Metatarsus in seiner hinteren Gelenkfläche 
lateralwärts. Wird daher der erste Metatarsus schon dadurch nach 
innen geschoben, so wird ihm diese Richtung um so mehr an- 


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Studien über die Ausdehnungsfähigkeit des menschlichen Fusses. 253 

gewiesen durch seine Innenrotation und durch den bei seiner Innen¬ 
rotation seitlich vom zweiten Metatarsus ausgeübten Druck. 

Der zweite Metatarsus würde infolge des an seiner hinteren 
Gelenkfläche vom zweiten Keilbein ausgeübten Druckes viel weniger 
die Richtung nach dem inneren Fussrande einnehmen, da die vom 
Talus kommende Achse durch das Os naviculare und cuneiforme II 
derart geht, dass die Gelenkfläche des zweiten Metatarsus die des 
zweiten Keilbeins am meisten von der inneren Seite drückt. Das 
würde aber dem zweiten Metatarsus eine Richtung nach aussen an¬ 
weisen, die jedoch nicht zu Stande kommt, da bei der Innenrotation 
ebenfalls auf den zweiten Metatarsus von lateralwärts ein Druck 
ausgeübt wird. Der zweite Metatarsus muss daher auch seine Rich¬ 
tung nach innen nehmen. Bei dem Druck nämlich, den der Cal- 
caneus auf das Os cuboideum ausübt, finden wir eine Achse, die 
durch den Calcaneus von aussen nach innen geht, das Os cuboideum 
in derselben Richtung von hinten durchschneidet und das dritte Keil¬ 
bein von der hinteren äusseren nach der vorderen inneren Kante 
durchzieht. Hier gerade artikulirt das dritte Keilbein mit dem 
hinteren Ende des zweiten Metatarsus und bringt diesen in die Rich¬ 
tung nach dem inneren Fussrande. 

Die Achsen des dritten Metatarsus und dritten Keilbeins bilden 
einen raedianwärts offenen, sehr grossen, stumpfen Winkel. Bei der 
Innenrotation und dem vom Würfelbein ausgeübten Druck lässt sich 
annehmen, dass der stumpfe Winkel sich einem gestreckten nähert, 
und der dritte Metatarsus so bereits die Neigung zeigt, etwas nach 
aussen abzugehen, wozu er schliesslich noch durch seine vorne und 
lateralwärts vorhandene concave Krümmung besonders prädisponirt 
zu sein scheint. 

Beim vierten und fünften Metatarsus geht die Bewegung 
deutlich auswärts vor sich. Sie stehen zum Würfelbein in einem 
medianwärts stumpfen Winkel. Das Wtirfelbein bekommt an seiner 
mit dem Fersenbein artikulirenden Fläche den Druck vom Fersen¬ 
bein am meisten medianwärts, es treibt unter Innenrotation die 
beiden letzten Metatarsen nach aussen, welche Richtung noch 
verstärkt wird durch die starken, lateralwärts concaven Krümmungen. 
Mit der Bestimmung der Richtungen, welche die Metatarsen nehmen, 
ist auch gleichzeitig der Schub nach vorne angedeutet worden. 
Es bleibt hierbei nur noch übrig die dritte Bewegung, die Senkung 
der Metatarsen zu erwähnen. 


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Golebiewski. 


Die Senkung des inneren Fussrandes, die durch die Schwere und 
die Innenrotation eintritt, äussert sich am äusseren Fussrande gleich¬ 
falls in Senkung und Innenrotatiop, nur mit dem Unterschiede, dass 
hier der äussere Fussrand etwas angehoben wird. Allein bei der 
Senkung des inneren Fussrandes wird ausserdem noch durch den 
Schub nach vorne die Höhe des inneren Fussrandes nach vorne 
geschoben. 

Die Innenrotation am äusseren Fussrande geht gewissermassen 
walzenförmig vor sich. Calcaneus, Os cuboideum und Metatarsus V 
walzen sich medianwärts und der benachbarte Metatarsus IV wird, 
wenn er im Stand noch nicht den Boden berührte, ihn jetzt er¬ 
reichen, der Metatarsus III demselben erheblich näher gebracht. 

An den Malleolen hat die Schrittstellung beiderseits eine 
Senkung zur Folge. Diese Senkung ist auf das Herabgleiten der 
Tibia auf der Talusrolle zurückzuftihren und nicht als eigentliche 
Senkung im Sinne des Gesetzes der Schwere aufzufassen. Es muss 
aber auch hier ganz besonders die Gestalt der Malleolen be¬ 
achtet werden. Es ist klar, dass bei der in der Schrittstellung er¬ 
folgten Neigung der Unterschenkel die vorderen Ränder der Malleolen 
sich mit ihren Spitzen senken, die hinteren sich heben müssen. Da 
die unterste Spitze des Mall, externus jetzt mehr nach hinten liegt, 
musste auch sie sich bei der Schrittstellung anheben. Die Tibia dreht 
bei der Innenrotation in der Schrittstellung die Fibula mit, so dass 
auch diese eine Innenrotation macht. Man darf wohl annehmen, dass 
vorne das Lig. tibio-fibulare die Fibula zieht und hinten der hintere 
laterale Rand der Tibia an die Fibula drückt. Aber bei dieser 
Innenrotation und Neigung wird die Fibula mit dem Mall, externus 
nur so weit mitgehen, als das Lig. talo-fibulare posticum und fibulo- 
calcaneum es zulassen und bei fortgesetzter Dorsalflexion wird der 
Mall, externus an seinem hinteren Rande sowohl nach hinten gedreht 
als auch nach unten gezogen und wird erstere Bewegung jedenfalls 
zuletzt eintreten, so dass der Mall, externus in einem kleinen Kreis¬ 
bogen nach unten und dann nach hinten geht. Dies ist aber 
für die Fibula eine kleine Aussenrotation, bei der jedenfalls zum 
Schluss noch ein kleines Ansteigen an dem hinteren Rande ein¬ 
treten wird. Ein zweites Hinderniss findet der Mall, externus an 
der Talusrolle selbst, die sich an ihrem lateralen Rande etwa von 
der Mitte ab recht deutlich lateralwärts abbiegt. 

Bei weiter Dorsalflexion umgreifen die Malleolen die Talus- 


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Studien über die Ausdehnungsfähigkeit des menschlichen Fusses. 255 

rolle von vorne, wo der Durchmesser bereits etwas kleiner geworden 
ist; ist der Mall, externus aber schon etwas zurückgegangen, dann 
kann der Durchmesser auch ein grösserer sein. 

Auch hier gilt dasselbe, was ich vom Stand gesagt habe, dass 
die hier geschilderten Stellungen der Knochen unter bestimmten 
Bewegungen, Voraussetzungen und Bedingungen erfolgen. Auch 
hier wird durch eine geringe Schwankung eine grosse Aenderung 
in der Stellung der Fussknochen zu einander herbeigeführt werden 
müssen. 

Die Bänder werden besonders am vorderen Theil des Fusses 
zu einer um so grösseren Ausdehnung gezwungen werden, je 
grösser die auf den Fuss bei der Schrittstellung ein wirkende 
Schwere ist. 

Dass die Fussmuskeln sich hier in einem gesteigerten Tonus 
befinden müssen, besonders am inneren Fussrande, wird leicht be¬ 
greiflich sein. 

Die Zehen, denen im Stand die Aufgabe zufällt, höchstens 
die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts des Körpers zu unter¬ 
stützen, werden beim Gehen diese Aufgabe in weit höherem Maasse 
erfüllen und beim Abstossen des Fusses vom Boden noch besonders 
thätig eintreten müssen. 


Das Fassgewölbe. 

Die Fähigkeit des Fusses sich auszudehnen, obwohl durch die 
Körperschwere hervorgerufen, beruht auf der Elasticität und Con- 
tractilität des Fussgewölbes. Die elastische Eigenschaft besitzt das 
Fussgewölbe allein vermöge der Verbindung seines architektonischen 
Baues durch die Bandapparate, die Contractilität durch die Muskeln, 
obwohl die Muskeln allein auch beide Eigenschaften be¬ 
sitzen. 

Im ruhenden Zustande vermag auch ein recht stark aus¬ 
gebildeter Plattfuss, der eine deutliche Convexität unter der Fuss- 
sohle besitzt, durch willkürliche Anspannung der Muskeln sich activ 
zu verkürzen und wieder auszudehnen. Im ersteren Falle krümmt 
er sich so, dass statt der Convexität eine Concavität sich an der 
Fusssohle bildet, die an das Vorhandensein eines Gewölbes erinnert. 

Obwohl die Gestalt des Fussgewölbes bei dem Einzelindivi¬ 
duum im allgemeinen dieselbe in den verschiedenen Bewegungen 


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Golebiew8ki. 


ausgenommen im Hang bleibt, kann sie doch im besonderen nicht 
allein in den verschiedenen Bewegungsstadien, sondern auch bei einem 
bestimmten Bewegungsact, unter dem Einfluss der Schwere und der 
Körperschwankungen, jeden Moment in seinen einzelnen Theilen 
verändert werden. — 

Es soll hier keineswegs meine Aufgabe sein, bei Behandlung 
des Fussgewölbes die verschiedenen, über dieses Thema abgefassten 
Theorien heranzuziehen. Es darf aber nicht unterbleiben, eine 
kurze anatomisch-physiologische Beschaffenheit des Fussgewölbes 
hier anzuführen, wie sie in den fünf von mir gewählten Stellungen 
zum Ausdruck kommt. 

Unter Fussgewölbe ist die zu einem Hohlraum angeordnete 
Gruppirung der Fussknochen zu verstehen. 

Der Hohlraum unter dem Fuss ist der Ausdruck des Fuss¬ 
gewölbes selbst, so dass man von der Beschaffenheit des Hohlraumes 
stets einen Schluss auf die Beschaffenheit des Fussgewölbes 
ziehen kann. 

Denkt man sich unter einem guten Fussskelet, dessen Bänder 
möglichst erhalten sind, eine Grundfläche, was am besten dadurch 
geschieht, dass man das Skelet auf einen Tisch stellt, dann wird 
man finden, dass die Tuberositas calcanei die hintere und die fünf 
Metatarsalköpfchen die vordere Grenze des Fussgewölbes bilden, 
während seitlich keine Grenzen existiren. Am inneren Fussrande 
sehen wir eine höhere und längere, d. h. grössere Eingangsöflhung 
und am äusseren Rande eine kleinere Ausgangsöflfnung. Der Ein¬ 
gang zum inneren Fussgewölbe ist zum Theil etwas verdeckt durch 
die herabhängende Tuberositas ossis navicularis und auch durch den 
medianen Rand des Os cuneiforme primum. Die Tuberositas calcanei 
bildet die hintere Grenze für beide Gewölbebogen, und man kann sich 
bei Betrachtung des inneren Gewölbebogens der Meinung nicht ver¬ 
wehren, dass zu seiner Vervollständigung ein Theil fehlt, nämlich 
vom Taluskörper bezw. Sustentaculum calcanei bis nach hinten, so 
dass dieser Hohlraum ausgefüllt sein müsste und der innere Gewölbe¬ 
bogen in der Fortsetzung seiner Linie, 1. Metatarsus, Os cunei¬ 
forme I, Os naviculare, Caput tali, seinen richtigen Abschluss fände. 
An dem von seinen Weichtheilen bekleideten Fuss ist die fehlende 
Partie ausgefüllt, ebenso aussen der grosse Winkel, der gebildet wird, 
von der Tuberositas metatarsi V, dem Os cuboideum und äusserem 
Rande des Os calcanei. 


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Studien über die Ausdehnungsfähigkeit des menschlichen Fusses. 257 

Auch der Zugang zum äusseren Gewölbebogen ist etwas ver¬ 
deckt durch die herabhängende Tuberositas metatarsi V und auch 
durch den unteren Rand des Os cuboideum. 

Die dorsale Fläche des Fussgewölbes lässt als höchsten Punkt 
des Gewölbes die Spitze der Articulation zwischen Taluskopf und 
Os naviculare erkennen, während an der volaren Fläche die Ver¬ 
hältnisse wesentlich anders liegen, wie gleich gezeigt werden soll. 

Die Gruppirung der tiefer liegenden Knochen an der äusseren 
Seite, vierter und fünfter Metatarsus, Os cuboideum, äusserer Rand 
des Calcaneus, lassen deutlich ein tiefer liegendes und flaches Ge¬ 
wölbe nebpn dem höheren erkennen, das sich an dieses mit dem 
Os naviculare, Os cuneiforme III und Metatarsus III anlegt. 

Betrachten wir die Reihe der Knochen am inneren Fussrande, 
dann finden wir, dass der zweite Metatarsus etwas höher liegt als 
der erste, und dass auch das zweite Keilbein bei der bogenförmigen 
Anordnung der drei Keilbeine am höchsten liegt. Das dritte Keil¬ 
bein und der dritte Metatarsus liegen schon tiefer als die ersten 
gleichnamigen Knochen. 

Auf der volaren Fläche des Gewölbes liegt unzweifelhaft das 
zweite Keilbein von allen Knochen am höchsten. Seine eigentümliche 
Gestalt und Lage sprechen dafür, dass hier für die Rotations¬ 
bewegungen des Fusses der Mittelpunkt zu suchen ist. Ist also in 
der Articulatio talo-navicularis der Ausgangspunkt für die Fuss- 
bewegungen zu suchen, so bildet das zweite Keilbein Hemmungs¬ 
punkt und Rotationscentrum. 

Aehnlich wie die lateralen Ränder der Metatarsen nach unten 
und aussen gerichtet sind, stehen auch die medianen Vorsprünge der 
Fusswurzelknochen, wenn auch diese Richtung nach aussen bei der 
Tuberositas ossis navicularis nicht so deutlich ausgeprägt sein kann. 

Dem Boden am nächsten liegt der Aussenrand des fünften 
Metatarsus, des Os cuboideum und des Calcaneus, auch der Aussen¬ 
rand des vierten Metatarsus liegt dem Boden sehr nahe. 

Denken wir uns nun den mit seinen Weichtheilen bekleideten 
Fuss eines lebenden erwachsenen Individuums in der Hangstellung, 
wie er ganz leicht den Boden berührt, dann finden wir als hintere 
Grenze des Fussgewölbes den Calcaneus, als vordere die Metatarsal- 
köpfchen. Seitlich finden wir am inneren Rande eine verhältniss- 
mässig hohe Eingangsöffnung und am äusseren Rande eine niedrigere 
und kleinere Ausgangsöffnung. 


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258 


Golebiewski. 


Oft sieht man, dass die Höhe am inneren Fussrande noch über¬ 
troffen wird von einer Höhe, welche man von dem zweiten Keil¬ 
bein zur Grundfläche sich gezogen denkt. Man sieht da bei gut 
gebauten Füssen im Verlauf des zweiten Metatarsus eine kleine 
seichte Furche, die sich am Gapitulum, also an der vorderen Grenze 
des Gewölbes, verliert. 

Im allgemeinen erscheint das Gewölbe im Hang im Verhältniss 
zur Länge etwas flach. 

Im aufrechten Stehen, nach erfolgter Aussenrotation, liegen die 
Verhältnisse vollständig anders. 

Am Aussenrande des Fusses ist das Gewölbe lateral^ärts durch 
die Senkung geschlossen. Der äussere Rand des Calcaneus, des Os 
cuboideum, des Metatarsus V und meistens auch des Metatarsus IV 
haben sich soweit gesenkt, dass die sie umkleidenden Weichtheile 
auf dem Boden fest aufliegen. Aber auch die Länge des Gewölbes 
am Innenrande musste sich verkürzen. 

Ziehen wir auf der Grundfläche die Grenze des Gewölbes, so 
bekommen wir eine Figur, die mit einem Trapez Aehnlichkeit hat; 
die um die Ecken gezogene Curve würde ihrer Form nach sich 
einem Halbkreis nähern. Das von der Fusssohle gebildete Dach 
des Gewölbes ist verhältnissmässig sehr concav — das Negativ 
convex. 

Tritt nun der Fuss durch Veränderung seiner Stellung in 
Innenrotation, d. h. in Schrittstellung, dann wird der laterale Rand 
sich heben und der mediane sich noch mehr senken. Calcaneus, 
Os cuboideum, Metatarsus V und IV drehen sich walzenförmig nach 
innen, so dass der letztgenannte Mittelfussknochen mit seinen Weich- 
theilen noch mehr den Boden berührt. Die äussere Grenze des 
Gewölbes wird somit noch mehr nach innen verschoben. Da sich 
nun die innere Seite der Tuberositas calcanei und der Grosszehen¬ 
ballen einander nähern, muss auch die Länge des Gewölbes am 
Innenrande sich verkürzen. Diese Verkürzung kann jedoch ver¬ 
eitelt werden durch die relativ am weitesten stattfindende Aus¬ 
dehnung des Innnenrandes bei der Schrittstellung. Die äussere 
Grenzlinie ist eine Curve, wie sie im Verlaufe dieser Abhandlung 
noch deutlich gezeigt wird. 

Die Kuppel des Gewölbes ist hier mehr abgeflacht, die Höhe 
am Innenrande nach vorne verschoben und niedriger geworden. 

Wenn es gelingt vom Fussgewölbe in den drei verschiedenen 


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Studien über die Ausdehnungsfähigkeit des menschlichen Fusses. 259 


Stellungen gute plastische Abdrücke zu bekommen, dann wird man 
nicht nur das Hanggewölbe, sondern auch das Standgewölbe vom 
Schrittgewölbe unterscheiden können. 

Da das Gewölbe unter dem Einfluss der Belastung des Körpers 
seine Gestalt verändert, liegt die Frage nahe, ob und wie bei weiterer 
Belastung auch eine weitere Veränderung des Gewölbes vor sich 
geht. Diese Frage kann nicht beantwortet werden, bevor der Ein¬ 
fluss der Belastung nicht noch einer genaueren Erörterung unter¬ 
zogen worden ist, sie kommt daher noch an anderer Stelle zur 
Besprechung. 

Es erübrigt noch einige Worte über den Zweck und die Auf¬ 
gabe des Fussgewölbes hinzuzufügen. 

Denken wir uns den Menschen in der aufrechten Stellung, bei 
welcher die eine Componente der Schwerlinie durch die Tibia auf 
die laterale Seite der Talusrolle fällt, dann bildet der vordere Theil 
des Fussgewölbes für den Unterschenkel einen aus fünf Theilen zu¬ 
sammengesetzten, radiär verlaufenden Strebepfeiler, der die Aufgabe 
hat, den menschlichen Körper beim Vornüberneigen vom Fallen zu 
bewahren und die Körperschwankungen zu äquilibriren. 

Im Schritt fällt dem Fussgewölbe dieselbe Aufgabe zu, aber 
in weit höherem Maasse, weil hier der Schwerpunkt von der Talus¬ 
rolle direct nach der Kuppel des Gewölbes am Innenrande über¬ 
tragen wird. Die Inanspruchnahme des Fussgewölbes beim Schritt 
ist daher auch eine weit höhere als im Stand. Hier hat das Fuss¬ 
gewölbe nicht allein die Körperschwankungen zu äquilibriren, sondern 
es bildet vermöge seiner Elasticität einen federnden Apparat mit 
Hilfe dessen das Gehen erleichtert und der schwere Körper vor 
Erschütterungen bewahrt wird; das Gewölbe trägt hier den Körper. 

In beiden Stellungen werden die Bänder gedehnt, am meisten 
im Schritt an der inneren Seite; der Muskeltonus ist in beiden 
Stellungen vorhanden, wird jedoch am Innenrande beim Schritt ganz 
wesentlich gesteigert. — 

Es erübrigt hier noch die kurze Bemerkung anzuführen, dass 
der Einfluss der Rotationsbewegungen der Tibia und ihrer Stellungs¬ 
veränderungen auf die jedesmalige Gestaltsveränderung des Fuss¬ 
gewölbes sich bei den beiden Malleolen gleichfalls Geltung zu ver¬ 
schaffen weiss, da diese doch die Aussen- und Innenrotation und die 
hiermit eintretenden Veränderungen des Fussgewölbes zum Austrag 
zu bringen helfen. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. III. Band. 13 


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260 


Golebiewski. 


Fig. 1. 
b 



CL 


Erster Versuche 

Die hierzu ge¬ 
hörigen Figg. I und 2 
stellen die Umriss¬ 
linien der Füsse der 
von mir benutzten 
Versuchsperson dar. 

Die Figuren ent- 
standen folgender- 
massen: Bevor der 
Versuch gemacht 
wurde, markirte ich 
mir an beiden Füssen 
mit ganz feinen 
Punkten Jodtinctur 
folgende Stellen: 

1. Tuberositas cal- 
canei, etwa in der 
Mitte der Inser¬ 
tion der Achilles¬ 
sehne = a. 

2. Spitzen der fünf 
Zehen =b,c,d,e,f. 

3. Erstes Metatarso- 

phalangeaige- 
lenk, Prominenz 
= h. 

4. Fünftes Meta- 
tarsophalangeal- 
gelenk, Promi¬ 
nenz = g. 

5. Tuberositas ossis 
navicularis = Je. 

6. Tuberositas ossis 
metatarsi V = k 

7. Malleolus inter¬ 
nus , Prominenz. 
= m. 


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Stadien Aber die Ausdehnungsfähigkeit des menschlichen Fusses. 261 


8. Malleolas exter- 
nus, Prominenz 
= l. 

Da die Punkte 
an beiden Füssen 
nicht genau an den 
correspondirenden 
Stellen getroffen 
waren, sind die Re¬ 
sultate , namentlich 
an den Malleolen, 
nicht ganz gleich- 
massig ausgefallen. 
Zudem waren auch 
nicht beide Füsse 
gleich. Der rechte 
war grösser und star¬ 
ker entwickelt, hatte 
auch ein höheres 
Gewölbe. Als wei¬ 
tere Fehlergrenze ist 
der Umstand her- 
yorzuheben, dass die 
Projection der Mal¬ 
leolen auf den ent¬ 
sprechenden Umriss¬ 
linien gezeichnet 
wurde. Denn that- 
sächlich fallt die Pro¬ 
jection des Mall, ex¬ 
tern. etwas ausser¬ 
halb, die desinternus 
etwas innerhalb der 
Projectionslinie des 
Fusses. Weitere 
Fehlergrenzen kom¬ 
men noch nachträg¬ 
lich zur Besprechung. 


Fig. 2. 

b 



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262 


Golebiewski. 


Nachdem die mit Jodtinctur markirten Punkte genügend ein¬ 
getrocknet waren, wurde die Versuchsperson auf einen erhöhten 
Stuhl mit drehbarer Platte gesetzt. Es wurde zuerst der linke 
Fuss, dann der rechte benutzt. Unter dem Fuss war auf dem 
Boden ein Blatt gutes Papier fixirt und gut ausgespannt. Der 
hängende Fuss wurde zunächst ganz leicht in mässiger Aussenstellung 
auf das Papier gesetzt. Mit einem eigens hierzu verfertigten In¬ 
strument, in dem ein Zeichenstift senkrecht verlief, wurde die Um¬ 
risslinie des Fusses schwarz gezogen und wurden auf der Umriss¬ 
linie die markirten Punkte mit derselben Farbe*) 1 ) abgesteckt. 

Der Fuss befand sich in Plantarflexion mit ganz leichter Supi¬ 
nationsstellung. 

Hierauf stand der Mann auf, aber ohne dass der Fuss von der 
Stelle rückte. Umrisslinie und Punkte wurden mit blauer 2 ) Farbe 
bezeichnet. 

Es erfolgte jetzt die Schrittstellung, bei welcher der Fuss 
unverrückt stehen blieb, nur dass das Knie sich beugte und der 
andere Fuss etwas zurückgesetzt wurde. Der Mann hielt sich mit 
beiden Händen nur so viel, dass er ruhig stehen konnte. Umriss¬ 
linie und Punkte wurden roth 8 ) gezeichnet. 

Bei der nunmehr wieder eingenommenen Standstellung, wo 
Fuss und Unterschenkel nahezu einen rechten Winkel bildeten, 
wurden dem Manne 40 kg um die Schultern gehängt und zwar 
20 kg um jede Schulter. Die Zeichnung erfolgte mit grüner 4 ) Farbe. 
Mit derselben Belastung nahm der Mann auch die letzte Stellung 
(Schritt) ein und wurden Linie und Punkte gelb 5 ) gezeichnet. 

Das Resultat macht sich nun in zwei Hauptzügen bemerkbar. 
Einmal findet man eine deutliche Ausdehnung des Fusses in Länge 
und Breite, dann aber auch eine ebenso deutliche Verschiebung 


*) Die farbige Bezeichnung der fünf Stellungen konnte hier nicht aus¬ 
geführt werden. Statt dessen mussten ftir die fünf Stellungen fünf verschiedene 
Linien gewählt werden und zwar: 

*) für die Hangstellung (schwarz) eine starke Linie, 

*) für die Standstellung (blau) - . eine weniger starke, 

*) für die Schrittstellung (roth) _ eine schwache, 

4 ) für Stand mit 40 kg Belastung (grün)_feine lange, 

neben ganz kurzen, 

5 ) für Schritt mit 40 kg Belastung (gelb)_feine, gleich- 

massig lange Linien. 


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Stadien über die Ausdehnungsfähigkeit des menschlichen Fusses. 263 

sämmtlicher markirten Punkte, trotzdem der Fuss sich nicht ver¬ 
rückte. 

Um die Resultate besser übersehen zu können, sind die markirten 
Punkte durch Linien mit einander verbunden worden und zwar 
jedesmal mit den entsprechenden Farben bezw. Veränderungen. Auf 
die Zahlenergebnisse will ich nicht näher eingehen, es mag jedem 
Einzelnen überlassen bleiben, die Tabellen I und II zu studiren. 


Tabelle I. 

Längendurchmesser x ). 


Hang. 

ab 250,0 

ac 241,5 

ad 236,0 

a e 227,0 

af 213,5 

Stand. 

ab 256,0 

ac 246,5 

ad 239,0 

ae 231,0 

af 219,0 

Schritt. 

ab 262,0 

ac 249,5 

ad 241,0 

ae 233,0 

af 221,5 

Stand mit 40 kg Belastung 

ab 260,5 

ac 248,5 

ad 241,5 

ae 232,0 

af 221,0 

Schritt mit 40 kg Belastung 

Breitendu 

ab 263,01 

rchmess 

| a e 251,0 | a d 243,0 J 

er. Knöcheldri 

| ae 234,0 | af 223,5 

eieck. 

Hang. 

gh 98,5 

ik 74,0 



al 54,0 

Stand. 

gh 104,5 

• k 78,0 

Im 71,5 

am 66,5 

al 64,0 

Schritt. 

| g h 106,0 

ik 81,0 

Im 73,0 

am 75,5 

al 68,0 

Stand mit 40 kg Belastung 

gh 106,0 

ik 79,0 

Im 70,0 

a m 67,0 

al 66,5 

Schritt mit 40 kg Belastung 

gh 108,0 

ik 81,0 

Im 73,0 

am 72,0 

al 70,0 


Tabelle II. 


Längendurchmesser. 


Hang. 

ab 254,5 

ac 243,5 

a d 235,5 

ae 227,5 

af 221,5 

Stand. 

ab 259,5 

ac 245,0 

ad 237,5 

ae 229,5 

af 229,5 

Schritt. 

ab 262,0 

ac 246,5 

ad 239,0 

ae 231,5 

af 224,0 

Stand mit 40 kg Belastung 

ab 263,5 

ac 248,5 

ad 240,0 

ae 232,5 

af 225,5 

Schritt mit 40 kg Belastung 

ab 264,0 

ac 249,0 

ad 240,0 

ae 233,0 

af 226,0 


J ) Die Zahlen verstehen sich hier, wie in den übrigen Tabellen, in Millimetern. 


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264 


Golebiewski. 


Breitendurchmesser. Knöcheldreieck. 


Hang. 

gh 99,5 

%k 74,0 

Im 68,0 

am 66,0 

al 60,5 

Stand . 

gh 103,5 

ik 78,0 

Im 71,5 

am 70,0 

al 64,5 

Schritt. 

gh 105,5 

ik 79,5 

Im 75,0 

am 76,0 

al 70,0 

Stand mit 40 kg Belastung 

gh 107,0 

ik 84,0 

Im 75,0 

am 72,5 

al 69,5 

Schritt mit 40 kg Belastung 

gh 109,0 

ik 82,5 

Im 76,5 

am 77,0 

al 71,5 


Im besonderen möchte ich noch folgendes bemerken: 

Die relativ grösste Ausdehnung ist in der gewöhnlichen Stand¬ 
stellung zu Tage getreten. 

Sieht man beim linken Fuss von der eigentümlichen und 
starken Ausdehnung an der vierten und fünften Zehe ab, dann kann 
man sagen, dass die grösste Ausdehnung an der ersten Zehe ein¬ 
getreten ist, und dass sie von da ab bis zur fünften Zehe allmählich 
abnahm. Deutlicher ist dieses Bild noch in der Schrittstellung ge¬ 
worden. 

Die Riehtungslinien der ersten Zehe fallen in allen vier Stel¬ 
lungen medianwärts, bei der zweiten Zehe ist diese Richtung am 
linken Fuss noch angedeutet, am rechten nicht mehr deutlich genug. 

An der dritten Zehe fallen die Linien alle mehr oder weniger 
zusammen. 

Bei der vierten und noch mehr bei der fünften Zehe fallen 
die Linien alle ausserhalb der ersten Hanglinie. 

Während Punkt g (fünftes Metatarsophalangealgelenk) stark 
nach aussen gedrängt wird, sich aber nur unbedeutend nach vorne 
verschiebt, geht Punkt h fast gar nicht weiter medianwärts, wohl 
aber ganz deutlich nach vorne, relativ am meisten in den Schritt¬ 
stellungen. Ganz analog ist das Verhalten bei der Linie ki. 

Auch Punkt a an der Tuberositas calcanei hat sich verschoben 
und zwar stets medianwärts, am meisten in den Schrittstellungen. 
Der Punkt a ist aber auch nach hinten und wieder etwas nach 
vorne gegangen. 

Die rothen *) und gelben 2 ) Schrittlinien sind am äusseren Rande 
des linken Fusses ganz deutlich innerhalb der blauen Standlinie ge- 

*) u - 2 ) Siehe Note 3 und 5 auf S. 262. 


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Studien über die Ausdehnungsfähigkeit des menschlichen Fusses. 265 

fallen, während sie am inneren Fussrande am weitesten median- 
wärts liegen. 

Am rechten Fass (Fig. 2) ist diese Thatsache nicht so genau 
ausgefallen durch das Dazwischentreten der belasteten Standlinie. 

Bei Stand mit 40 kg Belastung hat am linken Fuss keine 
weitere Ausdehnung stattgefunden, vielmehr sind die Werthe hier 
alle kleiner als in der Schrittstellung. 

Bei Schritt mit 40 kg Belastung ist eine zwar geringe, aber 
xloch ganz deutliche Zunahme eingetreten. 

Am rechten Fuss (Fig. 2) ist schon bei Stand mit 40 kg Belastung 
«ine recht deutliche Vergrösserung eingetreten, die bei Schritt mit 
40 kg Belastung noch übertroffen wird. Wenn man aber hier von 
den Zahlenergebnissen etwas absieht und die Figuren alle genauer 
betrachtet, so findet man doch, dass sie, von der Schrittstellung an, 
alle mehr oder weniger zusammenfallen. 

Die Bemerkung darf hier nicht unterlassen werden, dass das 
Aufzeichnen jeder Umrisslinie und Abstecken der betreffenden 
Punkte kaum 3 Minuten für jede Stellung dauerte. 

Die Ergebnisse an den Malleolen sind nicht derart, dass aus 
ihnen in allen Fällen Schlüsse sollten gezogen werden können. 
Vielleicht wären die Resultate anders ausgefallen, wenn die Punkte 
besser gewählt worden wären. 

Wir sehen in den Schrittstellungen den Punkt tn jedesmal apa 
weitesten nach vorne gehen. 

Bei der gewöhnlichen Standstellung ist die Aussenrotation am 
rechten Fuss erkennbar, nicht so am linken, dasselbe gilt von der 
belasteten Standlinie. 

Ich möchte nur noch die Verbindungslinie ml besprechen, also 
von einem Malleolus zum anderen. An den in den einzelnen Stel¬ 
lungen gewonnenen Resultaten sieht man, dass sie ungleich gewählt 
waren, aber auch, dass sie wohl, besonders am Mall, extern., mehr 
nach hinten zu gelegen haben, jedenfalls da, wo eine Bewegung am 
meisten zu Tage trat. 

So ist im Stand eine deutliche Zunahme der Linie ml ein¬ 
getreten, die sich im Schritt noch steigerte. Wahrscheinlich wäre 
sie bei grösserer Dorsalflexion wieder anders ausgefallen. 

Bei Stand mit 40 kg Belastung aber ist eine deutliche Ver¬ 
kürzung der Linie eingetreten, während bei Schritt mit 40 kg Be¬ 
lastung eine geringe Vergrösserung sich wieder bemerkbar machte. 


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266 


Golebiew8ki. 


Nachträglich muss ich noch bemerken, dass sämmtliche Punkte 
an einem Lotheisen genau senkrecht abgesteckt wurden. 


Zweiter Versuch. 

Die Fusssohlenabdrücke auf Russpapier *) in den fünf Stellungen, mit 
der Projectionslinie 2 ). 

Da mir die Bedeutung der Projectionslinie bei den Fusssohlen- 
abdrücken von meinen pathologischen Fussstudien bekannt war, 
und ich daher wusste, dass, je nach der Stellung des Fusses, die 
Auftrittsfläche seiner Sohle sich jedesmal in einer anderen Lage zur 
Projectionslinie befindet, kam es mir bei diesem Versuch darauf 
an, zu ermitteln, wie die Sohlenabdrücke in den fünf von mir ge¬ 
wählten Stellungen sich zu ihrer jedesmaligen Projectionslinie ver¬ 
halten. Das Resultat ergibt sich aus der Betrachtung der hierher 
gehörenden Figuren. Fig. 3 u. 4 zeigen uns die Sohlenabdrücke der 
Hangstellung. Vorausgeschickt muss werden, dass durch das Auf¬ 
setzen der Füsse die Supinationsstellung der Pronation sich näherte. 

Die Abbildungen zeigen, dass die Füsse verhältnissmässig schmal 
und spitz erscheinen. Das schwarze Feld in der Mitte entspricht 
dem Fussgewölbe, wie es sich im Hang darbietet, mit der früher 
schon angedeuteten vorderen und hinteren Grenze und dem Fehlen 
der seitlichen Grenzen. 

Für die nächstfolgende Standstellung wurde natürlich ein 
frisches Russpapier genommen. 

Fig. 5 u. 6 unterscheiden sich schon ganz wesentlich von 
den vorigen Figuren. 

Die Auftrittsfläche der Fusssohle und die Projectionslinie sind 
länger und breiter geworden. Wir haben hier die ganze Auf¬ 
trittsfläche vor Augen, so, dass vorne die ganze Fussspitze mit den 


J ) o. *) Die Fu8S8ohIenabdrücke auf Russpapier pflegt man im allgemeinen 
nur in pathologischen Fällen, so z. B. bei Plattfüssen, zu machen. Ich mache 
diese Abdrücke immer mit der Projectionslinie des Fusses, weil diese erst das 
Bild vervollständigt und näheren Aufschluss über die Grösse des Plattfusses, 
besonders bei Beginn desselben giebt. Welche Bedeutung die Projectionslinie 
hier bei meinen Fussstudien hat, soll gleich gezeigt werden. 

Diese hierher gehörigen Abbildungen sind nach den Photogrammen der 
Originalabdrücke angefertigt. 


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Studien über die Ausdehnungsfähigkeit des menschlichen Fusses. 267 


Zehen, seitlich am äusseren Rande eine ziemlich breite Fläche und 
hinten am Calcaneus gleichfalls eine verhältnissmässig grosse Partie 
sich abgedrückt hat. Am Innenrande finden wir eine ziemlich grosse 
schwarze Partie, welche von der Fusssohle nicht betreten wurde, 
die also dem Gewölbe entspricht. Wenn wir uns die so entstandene 


Fig. 3. Fig. 4. 



Figur genauer ansehen, dann finden wir mehr oder weniger die Form 
eines Trapezes am Gewölbe heraus. Das Fussgewölbe ist hier seitlich 
begrenzt, und wenn wir an dieser seitlichen Grenze eine gerade Linie 
anlegen, so, dass sie hinten die Mitte des Calcaneus schneidet, dann 
wird, bei genügender Verlängerung nach vorne, diese Linie zwischen 
die dritte und vierte Zehe fallen. Der ganze äussere Fussrand, 
sowie der hintere Rand des Calcaneus liegen der Projectionslinie 
nahe, während medianwärts die Auftrittsfläche des Calcaneus sich 


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268 


Golebiewski. 


deutlich von ihrer Projection entfernt. Das weitere ergibt sich durch 
Vergleich mit der folgenden Figur, der Schrittstellung, Fig.7u.8. 
Wenn wir durch die Zehenbreite, bezw. vom ersten bis zum fünften 
Metatarsophalangealgelenk eine gerade Linie ziehen — genannte 
Punkte dürften sich leicht finden lassen — und letzteren Punkt durch 


Fig. 5. Fig. 6. 



eine Linie mit dem Mittelpunkt der hinteren Auftrittsfläche des 
Calcaneus verbinden, und zwar sowohl hier bei der Schrittfigur als 
auch bei der vorigen Standfigur, so wird der so entstandene Winkel 
am fünften Metatarsophalangealgelenk im Schritt kleiner sein, als 
er im Stand war. Verfolgt man dieses Bild weiter, dann findet 
man auch, dass der Calcaneus deutlich medianwärts gegangen ist. 
Bei genauerer Betrachtung sieht man hier auch eine grössere Aus¬ 
nutzung der Zehen als im Stand. Der ganze äussere Rand der 


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Studien über die Ausdehnungsfähigkeit des menschlichen Fusses. 269 

Auftrittsfläche zeigt das Bestreben, sich von seiner Projection zu 
entfernen, was hinten am Calcaneus noch viel deutlicher zum Aus¬ 
druck kommt, wo er im Begriff war, sich vom Boden abzuwickeln. 
Medianwärts nähert sich der Calcaneus seiner Projection. Die Auf¬ 
trittsfläche am äusseren Fussrande ist breiter geworden, die Ver- 

Fig. 7. Fig. 8. 


bindungslinie von der Mitte der Calcaneusauftrittsfläche schneidet 
hier bereits die dritte Zehe. Die unbetretene Fläche unter der Fuss- 
sohle, welche dem Gewölbe entspricht, zeigt eine wesentlich kleinere 
und ganz andere Figur, deren äussere Grenzllinie eine deutliche 
Curve darstellt. Man sieht schliesslich an diesen Figuren ganz ge¬ 
nau, dass eine Pronation eingetreten ist, und dass eine Annäherung 
von der Tuberositas des Calcaneus hinten zu der Prominenz des 
ersten Metatarsophalangealgelenks stattgefunden hat. 


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270 


Golebiew8ki. 



der Fuss unverrückt in seiner Lage verblieb, während er hier nach jedem 
Auftreten abgehoben wurde, dann ausruhen und schliesslich auf jeder 
beliebigen Stelle die ihm zugewiesene Position einnehmen konnte. 

Ueber die folgenden, bei der Belastung des Körpers mit 40 kg 
gewonnenen Figuren, lässt sich nichts Neues mehr sagen, als was 
schon bei den gewöhnlichen Stand- und Schrittfiguren gesagt worden 
ist. Die Aehnlichkeit der homogenen Figuren ist unverkennbar. 

J ) S. 261 und 262. 


Die Procedur eines solchen Versuches war immer eine sehr 
kurze, so dass eine Ermüdung des Fusses nicht eintreten konnte. 

Vergegenwärtigt man sich hier die Resultate des ersten Ver¬ 
suches x ), dann wird man eine deutliche Uebereinstimmung nicht leugnen 
können, und das ist hier um so wichtiger, weil im ersten Versuch 


Fig. 9. 


Fig. 10. 


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Studien Über die Ausdehnungsfähigkeit des menschlichen Fusses. 271 

Ueber die Grössen Verhältnisse der Auftrittsflächen gegenüber 
denen bei der gewöhnlichen Stand- und Schrittstellung möchte ich 
nichts erwähnen, da die Auftrittsflächen keine zuverlässigen Mess¬ 
punkte bieten. Dennoch wird jeder, der sich hier aus Interesse 
dieser Mühe unterziehen sollte und nachzumessen, doch finden, dass 

Fig. 11. Fig. 12. 


die bei den folgenden Versuchen noch zu besprechenden Resultate 
durch diese^Messungen mindestens andeutungsweise bestätigt werden. 

Dritter Versuch. 

Die Modellirung der Füsse der Versuchsperson in den fünf 
Stellungen in Gips« 

Dieser Versuch, der nahezu einen ganzen Tag in Anspruch 
nahm, war überaus anstrengend, besonders für die Versuchsperson. 


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272 


Golebiewski. 


Zu einer Hauptbedingung wurde u. a. dem Manne gemacht, den 
Fuss ruhig zu halten und insbesondere jedes Zehenspiel, sowie jed¬ 
wede Körperschwankung zu vermeiden, eine Aufforderung, welche 
er nach allen Richtungen zu erfüllen bestrebt war, der er jedoch 
nicht immer Folge leisten konnte. Daher auch in den Resultaten 
einzelne Abweichungen von der Regel. Die Modellirung eines 
Fusses, die Abnahme der Form nicht gerechnet, dauerte mit dem 
Trocknen und Festwerden des Gipses ca. 15 Minuten. 

Dass mir die Modellirung der Füsse in den fünf Stellungen 
von einander abweichende Formen liefern würde, war das erste 
Resultat dieser Arbeit, das ich mit aller Bestimmtheit erwarten 
durfte. Hier kam es mir aber auch darauf an, ganz genaue 
Messungen vornehmen zu können. Zu diesem Zwecke markirte ich 
mir vor der Modellirung an beiden Füssen eine Anzahl Punkte ganz 
fein mit Jodtinctur, liess die Punkte gehörig eintrocknen und be¬ 
klebte sie nachher mit kleinen Scheibchen fest klebenden Heft¬ 
pflasters von 5 mm Durchmesser, die ich schliesslich noch zur 
besseren Haltbarkeit mit Collodium bestrich, jedoch so, dass weder 
Form noch Grösse der Heftpflasterscheibchen wesentlich verändert 
wurden. 

So konnte ich mit Ruhe die Arbeit beginnen, da ich sicher 
war, dass die Mühen nicht umsonst sein würden. Fiel nun wirk¬ 
lich durch das Modelliren, und zwar beim Abnehmen der Form vom 
Fuss ein Heftpflästerchen herunter, was mir zweimal passirte, so 
zeigte mir das feine Jodtincturpünktchen genau die Stelle, wo das 
Pflaster gesessen hatte, es konnte daher mit derselben Genauigkeit 
ein anderes Scheibchen von derselben Grösse wieder angeklebt 
werden. 

Meine Erwartungen haben sich alle insofern zu meiner vollsten 
Zufriedenheit erfüllt, als ich in sämmtlichen Modellen die Heft¬ 
pflästerchen wieder fand. 

Die Messungen konnten sogar bis auf 1 ji mm Differenz an 
den Fussmodellen vorgenommen werden. Die Resultate sind auf 
den graphischen Tafeln sowohl in Linien, als auch in Zahlen genau 
angegeben. 

Die markirten Punkte waren folgende: 

Tuberositas calcanei, Mitte = a. 

Spitzen der 5 Zehen, 1 = 6, 2 = c, 3 = rf, 4 = e, 5 = f. 

Erstes Metatarsophalangealgelenk = h. 


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Studien über die Ausdehnungsfähigkeit des menschlichen Fasses. 273 

Fünftes Metatarsophalangealgelenk = g. 

Tuberositas ossis navicularis = a. 

Höchster Punkt am inneren Bande des Fussgewölbes = ß. 

Tuberositas ossis metatarsi Y. = 7 . 

Malleolus internus, Prominenz = m. 

Controllpunkt unter dem Malleolus internus = m\ 

Malleolus externus, Prominenz = l. 

Controllpunkt unter dem Malleolus externus = V. 

Die Bezeichnung der Tuberositas des Eahnbeins und des fünften 
Metatarsus, sowie der Höhe am inneren Fussrande mit griechischen 
Buchstaben rechtfertigt sich dadurch, dass auch unter der Fusssohle 
einige Punkte mit griechischen Buchstaben bezeichnet wurden. Es 
handelte sich an der Fusssohle um folgende Punkte: 

Auftrittsstelle unter dem Grosszehenballen, zu erkennen an der 
ringförmigen Anordnung der Hornhaut = 8 . 

Auftrittspunkt unter dem Kleinzehenballen, gleichfalls zu er¬ 
kennen an der ringförmigen Gestalt der Hornhaut = 7 ). 

An der vorderen Grenze des Gewölbes und zwar an der Grenze 
der Längsfurche unter dem zweiten Metatarsus, also zwischen 8 und 7 ], 
näher an 8 = s. 

An der äusseren vorderen Grenze des Gewölbes, in der Nähe 
von 7 ] = C. 

An der hinteren äusseren Grenze der Auftrittsfläche = fl*. 

Medianwärts an der vorderen Spitze des Calcaneus, der hinteren 
Grenze des Fussgewölbes = t. 

Alle an den Füssen markirten und an den Gipsmodellen zum 
Vorschein gelangten Punkte sind nachträglich noch für diese Arbeit 
schwarz bezeichnet worden. 

Um nun die Formveränderungen des Fusses in den einzelnen 
Stellungen darstellen zu können, sind die Gipsmodelle unter den¬ 
selben Bedingungen, denselben Entfernungen und Brennwinkeln 
photographirt worden. Der Kürze wegen sind für diese Publication 
zur Ansicht der medianen Fussseite stets der rechte, der lateralen 
der linke Fuss gewählt worden. 

Für die Vorderansicht sämmtlicher Stellungen wurden die 
linken Füsse gewählt. 

Es sei nunmehr gestattet, die in den einzelnen Stellungen zum 
Ausdruck gelangten Formveränderungen kurz zu besprechen. 

Fig. 13 a u. b zeigt den hängenden Fuss. Er zeichnet sich aus 


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274 


Golebiewski. 


durch die hohe und grössere Eingangsöffnung am inneren und durch 
die kleinere Ausgangsöffnung am äusseren Fussrande. Die Zehen 
stehen hoch, der Fussrücken hat eine sehr deutliche Convexität. 

Fig. 13. 



Die Auftrittsflächen an dem Gross- und Kleinzehenballen sind relativ- 
klein. Die Equinovarusstellung ist wenig ausgeprägt, jedenfalls, weil 
die Versuchsperson die Fussspitze im ganzen doch etwas zu hoch 
gehalten hatte. 

Fig. 14. 



a b 


Die die Standstellung darstellenden Fig. 14a u. b zeigen auf 
den ersten Blick die bedeutende Veränderung. Beide Fussränder 
haben sich gesenkt, der Fuss ist wesentlich länger geworden, der 
Fussrücken hat einen grossen Theil seiner Convexität eingebüsst, 
der Unterschenkel steht nahezu senkrecht zum Fuss, die Zehen be¬ 
rühren bereits den Boden, sie haben sich gesenkt und gestreckt 
Man erkennt auch deutlich die Grenze der inneren Auftrittsfläche. 


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Studien über die Ausdehnungsfähigkeit des menschlichen Fusses. 275 




Einer besonderen Beachtung werth ist hier die Stellung der 
markirten Punkte. Zunächst sieht man, dass sie sich alle gesenkt 
haben. Gemäss der Verlängerung des Fusses sind sie aber auch 


Fig. 15. 


a b 

nach vorne verschoben. Der Punkt am Mall, internus steht zu seinem 
Gontrollpunkt mehr senkrecht. Am Mall, externus hingegen scheint 
sich der markirte Punkt sogar noch etwas mehr nach hinten zu- 

Fig. 16. 


a b 

rückgezogen zu haben, wahrscheinlich infolge der Aussenrotation 
der Fibula. 

Die Schrittstellung, Fig. 15 a u. b, zeigt uns den Fuss in ge¬ 
ringer Dorsalflexion, der Unterschenkel steht zum Fuss in einem 
spitzen Winkel. Die Punkte sind hier noch deutlicher vorwärts 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. III. Bend. 19 


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276 


Golebiewski. 




gegangen, der Höhepunkt ß *) am inneren Fussrande steht etwas mehr 
zurück, vielleicht infolge der hier eingetretenen Rotation und weil 
die Tuberositas ossis navicularis nach vorne geschoben ist. 

Fig. 17. 


a b 

Am äusseren Fussrande sieht man nicht, dass sich die Punkte 
gegenüber der Standstellung gehoben haben. 

Die beigegebenen Figuren, Stand mit 40 kg Belastung, Fig. 16a u. b 
und Schritt mit 40 kg Belastung, Fig. 17a u. b, unterscheiden 

Fig. 18. 


sich sehr wenig oder gar nicht von den homogenen Stand- und 
Schrittfiguren. Nur sieht man hier noch etwas deutlicher die Ab- 

0 Am inneren Fussrande ist der obere Punkt, am Os naviculare der 
Punkt a, der untere Punkt ß; am äusseren Rande an der Tuberositas ossis 
metatarsi V der Punkt *f. 


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Stadien über die Ausdehnungsfähigkeit des menschlichen Fusses. 277 

flachung des Fusses am inneren Gewölberande beim Schritt, sowie 
die in derselben Stellung zum Ausdruck gelangte Hebung des äusseren 
Fussrandes. 

Misst man die Fusslänge am Innenrande bei beiden Stand¬ 
füssen, dann findet man, dass der mit 40 kg belastete Fass kürzer 
geworden ist, während sich am äusseren Bande eher eine kleine 
Verlängerung bemerkbar gemacht zu haben scheint. Hier sieht man 
aber, dass das Bild zu Täuschungen Veranlassung giebt; die Ergeb¬ 
nisse der graphischen Tafeln bringen diese Verhältnisse genauer 
und richtiger. Dasselbe gilt von den Bildern der Schrittstellungen. 
Interessant ist hier noch das Aussehen der beiden Falten unter der 
grossen Zehe. Dieselben sind bei Schritt mit 40 kg Belastung viel 
kleiner, die grosse Zehe steht viel mehr auf dem Boden, es scheint, 
als wäre hier eine Contraction vor sich gegangen; der Grosszehen¬ 
ballen steht hier tiefer und ist mehr abgeplattet. 

Die hier beigelegte Fig. 18 soll nur dazu dienen, eine Vorder¬ 
ansicht der Füsse in den fünf Stellungen zu geben. Einer Erklä¬ 
rung bedarf es hier nicht. 


Die Erklärung der graphischen Tafeln. 

Die Messungen sind an den modellirten Füssen durchweg mit 
einem hierzu besonders angefertigten Tasterzirkel gemacht worden. 
Nur die Umfangmaasse um beide Malleolen (Fussgelenk) wurden 
mit dem Bandmaass genommen. 

Somit handelt es sich hier meistens um Durchmesserwerthe, 
und es ist aus diesem Grunde auch natürlich, dass diese Werthe 
kleiner ausfielen, als beim ersten Versuch. 

Da die Resultate beider Füsse nicht ganz übereinstimmen, und 
der rechte Fuss auch grösser und etwas stärker entwickelt war als 
der linke, empfiehlt es sich, hier die Resultate jeden Fusses ge¬ 
sondert zu besprechen. Die Gleichheit der Resultate wird beim 
rechten Fuss erwähnt werden. 


Der linke Fuss. 

Fig. 19 zeigt die graphische Darstellung der Messwerthe des 
linken Fusses in etwa x \i natürlicher Grösse. 


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278 


Golebiewski, 


Tabelle III. 




I 

II 

III 

IV 

V 




342,0 

254,0 

253,0 

251,0 

257,0 

ab 



233,0 

245,5 

246,5 

242,5 

246,0 

ae 

Längen* 1 







durch- ) 

measer 

228,0 

239,5 

240,0 

237,5 

239,0 

ad 



218,0 

229,0 

231,0 

229,0 

230,5 

ae 



209,5 

221,5 

219,0 

218,0 

218,5 


Erster t 
Breiten- J 
durchm. 1 

100,0 

103,0 

103,0 

101,0 

106,0 

hg 

Zweiter J 
Breiten- { 
durchm. 1 

84,0 

85,5 

‘84,0 

82,5 

83,0 

ay 

Erste 1 
innere \ 
Mittelhöhe. 1 

53,0 

48,0 

>7,0 

48,0 

47,0 

aG 

Zweite j 
innere \ 
Mittelhöhe. 1 

31,5 

25,5 

25,0 

27,0 

25,0 

ßo 

Dritte j 
(äussere) \ 
Mittelhöhe. ( 

32,0 

15,0 

12,5 

12,0 

16,0 

yG 

Gewölbe- 1 
breite. | 

84,0 

45,0 

42,0 

42,0 

40,0 

G Br 

Gewölbe- 1 
länge. I 

95,0 

j73,0 

62,0 

67,0 

64 

GL 

Mall.ext. 


83,0 

76,0 

74,0 

72,0 

74,0 

eG 

Mall.ext' 

© 

-C 

y 

XB 

■e 

71.5 

11.5 

64.0 

12,0 

62.5 

11.5 

61,0 

11,0 

62.5 

11.5 

e* G 

Mallint. 

a 

2 

96,5 

92,0 

90,5 

90,5 

92,0 

mG 

Mall.int' 


85,0 

11,5 

80.5 

12.5 

79,5 

11,0 

81,0 

9,6 

82,5 

9,5 

tn ' G 

Mall.- 

Durch- 

mesaer 

.1 

75,0 

76,0 

75,0 

74,0 

75,0 

D 

Umf. de« 1 
Fussgel. j 

262,0 

266,0 

265,0 

262,0 

265,0 

ü 

Vom Calc.j 
bis Mall. J 
ext. | 

80,5 

1 

79,5| 

77,5 

76,6 

82,0 

Ce 

Vom Calc.l 
bis Mall. J 
int. 1 

86,0 

89,5 

91,0 

85,0 

95,0 

Cm 

Vom Calc.j 
zur v 

Grundfl. | 

36,0 

32,5 

36,0 

; 

30,0 

i 

30,5 

CG 


Fig. 19. 






19 


Erkliraftg *« Tabelle 111- 

Hang. 

Stand. 

Schritt. 

Stand mit 40 kg Belaitua# 
Schritt mit 40 kg Belast^ 



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Studien über die Ausdehnungsfähigkeit des menschlichen Fusses. 279 

Was zunächst die fünf Längendurchmesser betrifft, gemessen 
von der Tuberositas calcanei (a) bis zu den Spitzen der fünf Zehen, 
so bemerken wir an den Standlinien eine ganz deutliche Zunahme 
gegenüber den starken Hanglinien. Auch die beiden Breitendurch¬ 
messer hg und ay haben zugenommen. Für die Schrittstellung hätte 
man jedenfalls in allen fünf Längendurchmessern eine Vergrösserung 
erwartet, statt dessen sieht man, dass die Schrittlinie sogar bei der 
ersten Zehe, dann auch bei der fünften eine kleine Verkürzung er¬ 
fahren hat. Für den fünften Längendurchmesser gibt es nur die 
Erklärung, dass die fünfte Zehe zufällig hochgehalten wurde. Zum 
Theil gilt dies auch von der ersten Zehe; hier jedoch kommt noch 
der wichtige Umstand in Betracht, dass der Calcaneus bei der Schritt¬ 
stellung verhältnissmässig hoch an seiner Tuberositas gestanden hat 
(vergl. Nr. 21, Schritt), er somit auch in demselben Verhältniss 
nach dem Innenrande des Fusses abgehen musste. Dass dies der 
Fall gewesen sein muss, lässt sich auch aus der starken Verkürzung 
der Gewölbelänge am Innenrande annehmen (vergl. Nr. 12, Schritt). 
Es hat hier somit eine winklige Annäherung der Spitze der ersten Zehe 
und der Tuberositas calcanei stattgefunden, wodurch die Verkürzung 
des ersten Längendurchmessers bei der Schrittstellung erklärlich wird. 

Der erste Breitendurchmesser blieb im Schritt unverändert 
der Standstellung gegenüber, der zweite hat sich etwas verkürzt, 
was sehr wohl erklärlich ist, da an dieser Stelle der Mittelpunkt 
gedacht werden muss, um welchen die winklige Annäherung der 
Fussspitze und des Calcaneus vor sich gegangen ist. 

Bei Stand mit 40 kg Belastung sind, wie aus den ent¬ 
sprechenden Linien und Zahlen ersichtlich, sämmtliche Werthe zu¬ 
rückgegangen, sogar hinter die Werthe der gewöhnlichen Standlinien. 

Auch bei den Breitendurchmessern hatte die Belastung des 
Körpers mit 40 kg eine Verkürzung zur Folge. 

Bei Schritt mit 40 kg Belastung ist eine ganz wesent¬ 
liche Verlängerung in der Richtung der ersten Zehe bei dem Längen¬ 
durchmesser eingetreten. Hier ist jedenfalls die erste Zehe sehr 
gestreckt und ausgenutzt worden, während sich die Höhe an der 
Tuberositas calcanei (vergl. Nr. 21, Schritt mit 40 kg Belastung) 
diesmal gar nicht vom Boden abhob, sondern sogar noch im Ver¬ 
hältniss zu Stand und Schritt herabging und die Gewölbelänge am 
Innenrande des Fusses (vergl. Nr. 12, Schritt mit 40 kg Belastung) 
hier noch deutlich der gewöhnlichen Schrittstellung gegenüber zunahm. 


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280 


GolebiewekL 


Bei den vier übrigen Zehen sind die Werthe in der belasteten 
Schrittstellung alle, wenn auch nur minimal, so doch deutlich hinter 
die Werthe der gewöhnlichen Schrittstellung zurückgegangen. 

Dass hier eine Yergrösserung des ersten Breitendurchmessers 
eintreten würde, war wohl nach dem Resultat des ersten Längen¬ 
durchmessers anzunehmen. Der zweite Breitendurchmesser ist etwas 
kürzer geworden, als in der gewöhnlichen Schrittstellung. 

Die Höhen in der Mitte des Fusses, zu dessen beiden Seiten 
gemessen, verhalten sich hier genau den Stellungsveränderungen 
des Fusses, sowie den Längenmaassen entsprechend. 

Die erste Mittelhöhe, a G, von der Tuberositas des Kahnbeins 
bis zur Grundfläche, ist durch die allgemeine Senkung der Fuss- 
knochen im Stand deutlich kleiner geworden, im Schritt ist die 
weitere Verkleinerung eine sehr geringe, bei Stand mit 40 kg Be¬ 
lastung erfolgte eine ganz geringe Zunahme der Höhe und eine 
ebenso geringe Abnahme wiederum bei Schritt mit 40 kg Belastung. 
Ganz analog, nur noch etwas deutlicher, sind die Werthe der zweiten 
inneren Mittelhöhe, ß <7, von dem inneren Rande des Fussgewölbes 
zur Grundfläche. Bemerkenswerth ist das deutliche Ansteigen der 
Höhe, ß(7, bei Stand mit 40 kg Belastung. 

Die äussere Mittelhöhe, ?£?, von der Tuberositas ossis meta- 
tarsi Y zur Grundfläche, nimmt im Stand ab. Das musste ein¬ 
treten. Der Umstand aber, dass diese Höhe im Schritt noch geringer 
wurde, deutet auf eine grössere Belastung des äusseren Fussrandes. 
Damit wird nun wohl gleichfalls die Verkürzung des ersten Längen¬ 
durchmessers im Schritt Zusammenhängen. Bei Stand mit 40 kg 
Belastung sinkt die Höhe unter die gewöhnliche Standhöhe, sie steigt 
wieder bei Schritt mit 40 kg Belastung ganz deutlich. 

Als Maass für die Breite des Gewölbes in der Hangstellung 
wählte ich hier, um nicht das Unendlichkeitszeichen, das hier am 
Platze wäre, anzuwenden und um einen Werth zum Vergleich vor 
Augen zu haben, den zweiten Breitendurchmesser, von der Tube¬ 
rositas ossis navicularis zu der des fünften Metatarsus. Dieser Werth 
hat sich natürlich im Stand durch die Senkung des äusseren Fuss¬ 
randes verkleinert, beim Schritt erfolgte eine weitere Verkleinerung 
der Linie, bei Stand mit 40 kg Belastung ist der Werth entschieden 
kleiner als bei der gewöhnlichen Standstellung. Dass eine weitere 
Verkürzung der Linie bei Schritt mit 40 kg Belastung eintrat, ist 
leicht erklärlich durch die Innenrotation. Analog verhalten sich 


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Studien über die Ausdehnungsfähigkeit des menschlichen Fusses. 281 

die Werthe, welche die Länge des Gewölbes, am inneren Fuss- 
rande gemessen, betreffen. Wir sehen im Stand eine deutliche 
Verkürzung, eine weitere Verkürzung im Schritt, eine Zunahme bei 
Stand mit 40 kg Belastung, und wieder eine Abnahme bei Schritt 
mit 40 kg Belastung. 

Man wird erwarten, dass mit der allgemeinen Senkung der Fuss- 
knochen bei der Einnahme der Standstellung auch die Malleolen sich 
senken müssen. Hier ist nun Verschiedenes zu beachten. Zunächst 
haben wir gefunden, dass die grösste Senkung des Fusses in seiner 
Mitte vor sich gegangen ist und zwar nicht da, wo das Gewölbe am 
höchsten steht, an seinem inneren Rande, sondern am äusseren. Es 
mag dies seinen guten Grund haben. Denn am inneren Rande 
stehen sehr breite Gelenkflächen an einander, wodurch schon ein 
sehr tiefes Herabsinken an dieser Seite unmöglich gemacht wird; 
ausserdem ist hier die Anzahl der Knochen eine grössere, sie sind 
schliesslich wesentlich stärker, als dies alles am äusseren Fussrande 
der Fall ist; endlich muss auch die straffe Verbindung der Muskeln 
und Bänder am Innenrande in Betracht gezogen werden. Wenn nun 
beim Uebergang vom Hang zum Stand die Malleolen ihre unteren 
Spitzen nach unten gerichtet haben, so dass die beiden Unterschenkel¬ 
knochen schliesslich nahezu im rechten Winkel zum Fuss stehen ; 
wird durch den Druck auf die laterale Seite der Talusrolle auch 
die vordere Gelenkfläche des Calcaneus herabgehen müssen. Diese 
Senkung ist aber eine verhältnissmässig geringe, im Verhältniss zum 
Mittelfuss an seinen Höhen. Zieht man nun hierzu noch die Aussen- 
rotation des Calcaneus in Betracht und den Umstand, dass bei der 
seitlichen, lateralen Neigung der Talusrolle der Mall, extern, sehr 
gut an ihr noch etwas tiefer herabgleiten kann, dann wird man 
begreifen, warum hier der Mall, intern, nicht so tief hinabgegangen 
ist, als der externus. 

In der Schrittstellung senken sich die vorderen Ränder der 
Malleolen. Es ist hierbei sehr wohl möglich, dass auch der Mall, 
intern, trotz seiner Innenrotation im allgemeinen noch tiefer als 
im Stand stehen kann, um so mehr, da er auf der vorderen Fläche 
der Talusrolle herabgleitet. In diesem Falle sind beide Malleolen 
durch Senkung etwas tiefer gekommen. 

Bei Stand mit 40 kg Belastung erfolgte durch die Aussen- 
rotation eine weitere Senkung des Mall, extern.; auch der internus 
ist tiefer gesunken, als er es in der gewöhnlichen Standstellung 


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282 


Golebiewski. 


war. Das ist erklärlich, um so mehr, wenn man bedenkt, dass auch 
die äussere Mittelhöhe, y ff, relativ am meisten nach unten gegangen 
ist, jedenfalls noch tiefer, als in der gewöhnlichen Standstellung. 
Bei Schritt mit 40 kg Belastung liegen die Verhältnisse ähnlich, 
wie bei der gewöhnlichen Schrittstellung. 

Sehr interessant ist das Ergebniss an den Controllpunkteu. 
Die sich zwischen ihnen und den Malleolenpunkten ergebenden 
Differenzwerthe sind nur minimal und doch glaube ich, dass sie einer 
Beachtung werth sind. Hiernach hat sich nämlich am Mall, extern, 
der auf diesem angegebene Punkt e von seinem Controllpunkt e* in 
der Standstellung um l j% mm entfernt, während man das Gegentbeil 
doch erwarten dürfte. Sehen wir vollständig von der minimalen 
Entfernung ab und fragen wir uns, ob das möglich ist, so muss 
man diese Frage bejahen. Wenn im Hang der äussere Rand des 
Calcaneus sich der Spitze seines Mall, extern, sehr nähert, was freilich 
an eine Pronation erinnern würde, dann kann, durch die Aussen- 
rotation des Calcaneus im Stand, trotz der Senkung der ganzen 
Höhe am Mall, extern., eine Entfernung von diesem und dem äusseren 
Rande des Calcaneus bis zu einer gewissen Grenze wohl eintreten, 
um so mehr, da der im Hang ziemlich tiefe Mall, extern, im Stand 
noch von der Tibia an der Talusrolle hinaufgezogen wird. 

Im Schritt macht nun der Calcaneus eine Innenrotation; hier 
können sich die Punkte e und e* sehr wohl nähern. Aber auch ihre 
Annäherung bei Stand mit 40 kg Belastung lässt sich erklären da¬ 
durch, dass hierbei eine Neigung der Fibula lateralwärts von oben 
her eintreten kann, wodurch eine Annäherung von e und e' sehr 
leicht möglich ist. Bei Schritt mit 40 kg Belastung blieb die Ent¬ 
fernung dieselbe, wie sie bei der gewöhnlichen Schrittstellung ge¬ 
funden wurde. Dass sich die Punkte m und m' in der Standstellung 
entfernen, lässt sich durch die Aussenrotation der Tibia und geringe 
laterale Neigung derselben erklären, ihre Annäherung bei der Schritt¬ 
stellung darf zurückgeftihrt werden auf die Neigung des vorderen 
Randes des Mall, intern, nach unten, bezw. auf die mediane Neigung 
der Tibia überhaupt. Die weitere Annäherung von m und m' bei 
Stand mit 40 kg Belastung lässt sich mit der Aussenrotation des 
Calcaneus in Zusammenhang bringen, die Annäherung bei Schritt 
mit 40 kg Belastung wiederum mit der medianen Neigung der Tibia 
von oben her. 

Es ist klar, dass es sich hierbei nur um Annahmen handelt, 


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Studien über die Ausdehnungsfähigkeit des menschlichen Fusses. 283 

denen zu Folge die eigentümliche Entfernung und Annäherung der 
Controllpunkte mit ihren Malleolenpunkten vor sich gegangen sein 
kann. Ich wüsste aber nicht, wie man sonst anders diese That- 
sachen erklären könnte. Man darf natürlich nicht vergessen, dass 
eine leichte Körperschwankung andere Resultate hervorrufen kann. 
Aber es ist wichtig, wenn man dann nachweisen kann, nach welcher 
Richtung diese Körperschwankung vor sich gegangen ist. Zudem 
werden auch die Ergebnisse leicht anders ausfallen, wenn Malleolen- 
und Controllpunkte etwas anders gewählt sind. 

Da die Malleolen im Hang die schmälste Fläche der Talus¬ 
rolle umfassen und im Stand eine grössere Fläche umgriffen wird, 
ist es leicht erklärlich, dass Durchmesser und Umfang des Fuss- 
gelenks im Stand zunehmen. Der Durchmesser ist hier von dem 
Messpunkt des einen Malleolus zu dem des anderen genommen. 
Der vordere Durchmesser der Talusrolle dürfte noch etwas grösser 
sein als der mittlere. Aber bei der Schrittstellung hebt sich der 
hintere Rand des Mall, extern, von der Taluswand deutlich ab. Liegt 
nun der Messpunkt auf dem Mall, extern, näher dem vorderen Rande, 
dann kann der Durchmesser schon kleiner ausfallen, als er im Stand 
war. Da nun im Schritt auch der Mall, extern, an seiner Talus- 
wand etwas herabgleitet, kann hier auch der Umfang etwas geringer 
ausfallen, um so mehr dann, je mehr der Calcaneus sich hinten vom 
Boden abhebt, ein Umstand, der hier wohl der Erwägung werth ist. 
Dass die Werthe hier bei Stand mit 40 kg Belastung abgenommen 
haben, mag wohl mit der tiefsten Senkung des Mall, extern, in dieser 
Stellung Zusammenhängen (vergl. Nr. 13 eG y Stand mit 40 kg Be¬ 
lastung). 

Bei Schritt mit 40 kg Belastung ist eine Veränderung gegen¬ 
über der gewöhnlichen Schrittstellung nicht eingetreten. 

Man würde erwarten, dass die Entfernung des Punktes e auf 
dem Mall, extern, von dem Punkte a auf der Tuberositas calcanei 
noch im Stand zunehmen könnte, da Punkt a doch etwas median- 
wärts abgeht. Wenn hier nun trotzdem eine Verkleinerung des 
Werthes erfolgt ist, so wird diese jedenfalls mit der Aussenrotation 
der Tibia und Fibula Zusammenhängen, um so mehr, da am Mall, 
intern, eine Entfernung des Punktes m von a stattgefunden hat. Da 
hier nun aber in der Schrittstellung eine leichte Schwankung mit 
stärkerer Belastung des äusseren Fussrandes vor sich gegangen sein 
muss (vergl. Nr. 10, Schritt, und Nr. 1, Schritt), ist es auch begreiflich, 


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284 


Golebiewski. 


warum hier m sich noch mehr von a entfernt, e diesem Punkte sich 
noch mehr genähert hat. Die Aussenrotation war bei Stand mit 40 kg 
Belastung wohl zum Ausdruck gekommen, es scheint aber, als wenn 
der Mall, intern, hier auf der Talusrolle etwas zurückgegangen wäre. 

Bei Schritt mit 40 kg Belastung ist die Innenrotation der Tibia 
und ihr Vorwärtsgleiten sehr deutlich zum Ausdruck gekommen, da¬ 
her. eine Entfernung von m und e von dem Punkte a an der Tuber- 
ositas calcanei. 

Dass dieser Punkt a sich im Stand senkt und im Schritt hebt, 
ist auch hier eingetreten. 


Der rechte Fuss. 

Der rechte Fuss war wesentlich länger als der linke, sein 
Gewölbe war höher, er war überhaupt auch kräftiger entwickelt 
Die an dem Gipsmodell gewonnenen Resultate waren folgende: 

Bei den Längendurchmessern sehen wir durchweg die deutliche 
Zunahme vom Hang zum Stand. Bei der Schrittstellung ist, mit 
Ausnahme von der dritten Zehe, noch eine weitere Zunahme der Werthe 
erfolgt. Die Abnahme der Werthe bei Stand mit 40 kg Belastung 
ist hier nicht durchgehends ausgeprägt, vielmehr sehen wir an dem 
ersten Längendurchmesser sogar eine geringe Zunahme der gewöhn¬ 
lichen Standstellung gegenüber. Indessen ist die Verkürzung an anderen 
Stellen doch angedeutet. Wenn man die fünf Gipsmodelle des rechten 
Fusses neben einander stellt, dann findet man, ebenso wie beim linken 
Fuss, dass der mit 40 kg belastete rechte Fuss entschieden kleiner 
als die anderen Ftisse, mit Ausnahme des Hangfusses, ist. Ganz ähn¬ 
lich sieht man es auch bei dem Schrittfuss mit 40 kg Belastung, 
nur dass hier dieser Fuss nur kleiner aussieht, als der der gewöhn¬ 
lichen Schrittstellung. Am auffallendsten tritt dies zu Tage, 
wenn man die Fussmodelle so neben einander stellt, dass sie mit 
den Fersen alle gleichmässig in einer geraden Linie stehen. Dass 
nun trotzdem sämmtliche Längendurchmesser bei Schritt mit 40 kg 
Belastung eine auffallende Zunahme den übrigen Stellungen gegen¬ 
über, den genauen Messungen zufolge, erfahren haben, ist eine That- 
sache, welche wohl mit der Anordnung der Messpunkte in Zusammen¬ 
hang gebracht werden kann, dann aber auch mit der Haltung der 
Zehen. Jedenfalls spielen hier auch die RotationsVorgänge innerhalb 
der Fussknochen zu einander eine sehr wichtige Rolle, und muss 


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Stadien Uber die Ausdehnungsfähigkeit des menschlichen Fasses. 285 


Tabelle IV. 




I 

II 

in 

IV 





248,5 

256,0 

257,5 

257,5 

260,0 

ab 

Längen 


239,5 

245,0 

245,5 

244,5 

ttf.6 

ae 

durch« 

messer. 

• 

231,0 

237,0 

236.5 

257,0 

240,0 

ad 



221,0 

227,0 

227,0 

225,0 

230,0 

ae 



216,5 

218,5 

220,0 

217,5 

220,5 

af 

Enter 

Breiten* 

durchm 

1 

1 

100,5 

104,5 

105,0 

104,0 

105,0 

gh 

Zweiter 

Breiten* 

durchm 

.1 

82,0 

82.5 

81,0 

81,5 

81,5 

ay 

Erste | 
Innere > 
Mittelhöhe J 

63,5 

55,5 

56,0 

54,0 

54,0 

aO 

Zweite 1 
innere 
Mittelhöhe J 

81,5 

24,5 

25,0 

23,5 

24,0 

ßO 

Dritte | 
äussere \ 
Mlttelhöhe. 


21,5 

17,0 

22.0 

21,5 

yG 

Gewölbe- J 
breite. | 

82,0 

i 

45,0 

45,0 

43,0 

46,0 

G Br 

Gewölbe- 1 
länge. | 

^ 93,0 

1 

80.0 

70,0 

70,0 

67,0 

GL 

Mal l.ext. 


' 82,5 

74,5 

70,0 

73,0 

70,0 

eG 

Mal l.ext' 

s 

u 

dt. 

c 

72,5 

10,0 

63,0 

11,5 

59,0 

11,0 

63,0 

10,0 

58,0 

12,0 

e*G 

Malhint. 

5 

u 

96,0 

90,0 

91,5 

92,0 

92,0 

m G 

MaUlnt' 


86.5 

9,5 

80,0 

10,0 

80,5 

11,0 

81,0 

11,0 

83,0 

9,0 

i 

m'G 

Man.- 

Durch¬ 
messer. ! 

74,0 

75,0 

74,5 

76,0 

75,0 

D 

Ümf. des | 
^ussgel. ^ 

260,0 

263,0 

265,0 

265,0 

267,0 

U 

Vom Calc.l 
bi* MaU. 
ext. 1 

1 

73,5 

71,0 

72,5 

70,5 

72,0 

Ce 

Vom Calc.l 
bU Mall, 
int. 1 

81,5 

86,0 

8 6,0 

84,5 

89,0 

Cm 

Vom Calc.l 
zur 

Grundfh ' 

45,0 

40,5 

42,5 

40,5 

i 

41,5 

CG 


Fig. 20. 



_ 

- - 

;g/| _ 


Erklärung n Tabelle IT. 


I Hang. 

II Stand. 

III Schritt. 

IV Stand mit 40 kg Belastung. 
V Schritt mit 40 kg Belastung. 


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28G 


Golebiewski. 


wohl aus diesen Zahlen der Schluss gezogen werden, dass hier eine 
weitere Ausdehnung des Fusses noch eingetreten war, dass aber 
andererseits sich bereits eine Verkürzung des Fusses entwickelte, 
welche durch die Längendurchmesser noch nicht festzustellen war. 
Thatsächlich kommt hier ja auch nur eine Verkürzung in Betracht, 
die der gewöhnlichen Schrittstellung gegenüber allein sichtbar ist*). 

Ueber die Breitendurchmesser lässt sich nichts Besonderes 
sagen. Sie verändern sich ganz wenig, aber auch den einzelnen 
Stellungen entsprechend. 

Die Höhen sind nicht ganz richtig ausgefallen. Jedenfalls 
hätte man ein deutlicheres Steigen und Fallen der äusseren im Ver¬ 
hältnis zu den inneren Höhen bei der Stand- bezw. Schrittstellung 
erwartet. Man darf aber auch nicht einen allzu genauen Massstab an die 
Resultate der einzelnen Stellungen legen, denn jede Stellung ist doch 
schliesslich als ein für sich allein zu betrachtender Bewegungsact anzu¬ 
sehen. Auch das Maass der Gewölbebreite entsprach in den einzelnen 
Stellungen nicht ganz den Erwartungen, wohingegen die Werthe der 
Gewölbelänge wohl sämmtlich als correct bezeichnet werden dürfen. 

Die Ergebnisse an den Malleolen sind hier auch dieselben, wie 
am linken Fuss. Auch die Resultate an den Controllpunkten sind ganz 
analog denen des linken Fusses, so dass eine Wiederholung dessen, 
was hierüber am linken Fuss gesagt worden ist, überflüssig sein dürfte. 

Auch bei den Malleolendurchmessern ist hier dasselbe Er¬ 
gebnis wie links, nur dass bei Stand mit 40 kg Belastung nicht 
eine weitere Verminderung eingetreten war. 

Hingegen sind die Umfangmaasse hier etwas anders ausgefallen 
insofern, als in den Schrittstellungen eine deutliche Zunahme, bei 
Stand mit 40 kg Belastung keine Abnahme mehr erfolgte. 

Die Rotationsbewegungen der Malleolen sind hier sehr gut 
zum Ausdruck gekommen. 

Bei Stand finden wir die Aussenrotation durch das Vorschreiten 
des Punktes m und Zurücktreten des Punktes e angedeutet. Das Vor¬ 
dringen des Punktes e in der Schrittstellung spricht für eine Innen¬ 
rotation, bei Stand mit 40 kg Belastung scheint die Aussenrotation 
unter Zurückgleiten des Mall, intern, vor sich gegangen zu sein, 
während bei Schritt mit 40 kg Belastung wiederum die Innenrotation 
deutlicher zum Ausdruck gekommen ist. 

*) Jedenfalls befand sich der Fuss hier schon an der Grenze seiner Aus¬ 
dehnungsfähigkeit. 


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Studien über die Ausdehnungsfähigkeit des menschlichen Fusses. 287 


Die Höhe an der Tuberositas calcanei ist hier auch in den 
vier Stellungen gesunken, sie hob sich in beiden Schrittstellungen 
wieder ein wenig an. — 

Die aus diesen graphisch dargestellten Ergebnissen zu ziehenden 
Schlussfolgerungen gehen dahin, dass sich die in der Fussmechanik 
angegebenen Bewegungen in dem von mir angedeuteten Sinne in 
den einzelnen Stellungen vollziehen, und dass auch leichte Gleich¬ 
gewichtsstörungen, wie Körperschwankungen, dann auch Haut- und 
Muskelreize im Stande sind, eine andere Bewegungsrichtung her¬ 
vorzurufen. 

Am wichtigsten waren hier für mich die Ergebnisse bei der 
Belastung des Körpers mit 40 kg. Die deutliche Verkürzung am 
linken Fuss bei Stand und Schritt mit 40 kg Belastung lässt nur 
die eine Erklärung zu: die Muskelcont.raction. Die Belastung 
der Schultern mit 40 kg wird ja zum grossen Theil schon vom Ober¬ 
körper anfgefangen, aber doch wirkt die Schwere schliesslich auf den 
Fuss, und sie wirkt hier nicht anders als wie ein reflectorischer Reiz, 
der die motorischen Fasern der Fussmuskeln zur Contraction bringt. 
Wenn wir uns nun die präparirten Fussmuskeln an der Sohle an- 
sehen, dann werden wir auch bald begreifen, warum der so belastete 
Fuss sich nicht nur in seiner Länge, sondern auch in seiner Breite 
contrahirte. Da der rechte Fuss diese Erscheinungen nicht so deutlich 
zeigte, machte ich noch weitere Versuche auch an anderen Personen. 

Das Ergebniss des einen Versuches, bei welchem es sich um 
einen gesunden, 30jährigen Mann von 1,63 m Grösse und 60 kg 
Schwere handelte, ist in beifolgender Tabelle V niedergelegt. 

Beide Füsse waren nicht gleich gebaut. Der linke war ein 
wenig länger und hatte ein flacheres Gewölbe. Dennoch konnten 
seine Längendurchmesser noch mehr ausgedehnt werden, als die 
des rechten, besser gewölbten Fusses. Auch war die Senkung der 
Höhen am Innenrande linkerseits eine grössere als rechterseits; um¬ 
gekehrt verhielten sich hingegen die äusseren Höhen. 

Als ich nun den Mann auf einem Fuss stehen liess, war im 
linken Fuss eine deutliche Weiterausdehnung, im rechten dagegen 
eine Verkürzung erfolgt. Hierbei waren an seinem Innenrande sogar 
die Höhen hinaufgegangen, während sich die äussere Höhe senkte, 
dasselbe trat mit den Höhen der Malleolen ein, ja auch Umfang 
und Durchmesser nehmen hier ab. Im linken Fuss hingegen ist 
die Ausdehnung bis zum Schluss constant geblieben. 


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Die Bezeichnungen sind hier genau so gewählt worden, wie an den Gipsmodellen. — Werthe in Centimetem. 


288 


Golebiewski. 



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Tabelle V. 

., Tapezierer, 30 Jahre alt, 1,63 m gross, 60 kg schwer, völlig gesund, Beine unverletzt. 













Studien Über die Ausdehnungsfülligkeit des menschlichen Fusses. 289 

Nun liess ich den Mann wieder auf beiden Füssen stehen und 
belastete seine Schultern mit 30 kg. Hier traten an beiden Füssen 
deutliche Ausdehnungen ein; am linken Fuss war jedoch die Aus¬ 
dehnung nicht mehr so ausgesprochen als am rechten. Als ich nun 
den Körper mit noch 10 kg mehr belastete, also im ganzen mit 
40 kg, sah ich ganz deutlich, wie der Mann sich anstrengen musste, 
die Last auszuhalten. Vermöge seiner Profession war er nicht 
daran gewöhnt, Lasten zu tragen. Das Resultat war eine deutliche 
Verkürzung, die an beiden Füssen eintrat, deren Wirkung man auch 
an den Malleolen sehen konnte. 

Hieraus lässt sich also der Schluss ziehen, dass der mensch¬ 
liche Fuss bis dahin sich ausdehnt, als der Körper Lasten zu tragen 
gewohnt ist. Wird die Grenze überschritten, dann arbeiten die 
Muskeln des Fusses seinen elastischen Bänderzügen antagonistisch ent¬ 
gegen, der Muskeltonus geht in stärkere Contraction über. Die That- 
sache, dass der linke Fuss, als er allein die Körperlast trug, sich 
weiter ausdehnte, während beim rechten in diesem Falle bereits 
Contraction eintrat, kann doch nur dafür sprechen, dass der linke 
Fuss mehr geübt war, Lasten zu ertragen. 


Controllprobe. 

Nach den bisher gewonnenen Resultaten legte ich mir nun 
die Frage vor: 

Wenn es richtig ist, dass der Fuss sich in den einzelnen 
Stellungen ausdehnt, wie werden sich die Linien zu einander ver¬ 
halten, welche ich mir gezogen denke von dem Punkte a an der 
Tuberositas calcanei zu den gewählten Punkten an beiden Fuss- 
rändern a, ß, h und 7 ? 

Durch Ausführung dieser Idee bekam ich Gebilde, wie sie 
in den Figg. 21—40 dargestellt sind. Die Messresultate befinden 
sich auf Tabelle VI und VII. Vor allen Dingen muss ich voraus¬ 
schicken, dass es sich nicht um geometrische Figuren handelt, wie 
sie hier auf den Abbildungen aussehen, sondern um Raumfiguren. 
Das Resultat war nun ein anderes, als ich zu Anfang erwartet hatte. 
Thatsächlich zeigt die Tabelle VI deutliche Vergrösserungen, stellen¬ 
weise auch Verkleinerungen der einzelnen Linien, man würde aber einem 
Irrthum verfallen* wollte man diese Vergrösserungen alle lediglich 
auf Ausdehnung zurückführen. Nur die Vergrösserung der Ver- 


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290 


Golebiewski. 


bindungslinie ah darf der Ausdehnung des Fusses am Innenrande 
zugeschrieben werden. Allein auch diese hier in Frage stehende 
Ausdehnung beruht lediglich auf den Rotationsbewegungen der 

Fig. 21. Innere Seite *). 



Fig. 22. Aeussere Seite. 



Fig. 23. I. S. *). 


a 



Fig. 25. I. S. 


cc 



Knochen, welchem Umstand auch ganz allein die Linien a a, aA, 
«ß und ßA, sowie auch 07 und 7 g ihre Yergrösserung verdanken. 
Auf die detaillirte Beschreibung der einzelnen Linien und die Be¬ 
sprechung ihrer Werthe kann daher auch verzichtet werden. Ein ein¬ 
gehenderes Studium der Tabelle VI und YII wird uns alles in der 

*) Die Figg. 21— 30 beziehen sich auf den linken Fuss, 31—40 auf den rechten. 

*) I. S, = Innere Seite. — 8 ) Ä. S, == Aeussere Seite. 


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Studien Aber die Ausdehnungsfähigkeit des menschlichen Fusses. 291 

Fussmechanik und in den graphischen Tafeln Gesagte im allgemeinen 
bestätigen. Hier ist aber noch ein wichtiger Umstand in Betracht 
zu ziehen. Das ist die deutliche Veränderlichkeit der Winkel. 


Fig. 26. L S. 




Fig. 28. Ä. S. 






Fig. 29. I. S. 



Hierdurch werden wir auf die RotationsVorgänge im Fuss ge¬ 
bracht, die uns erst dann begreiflicher werden, wenn wir uns den 
Winkel aah als einen Raumwinkel denken, dessen Schenkel sich 
nicht nur in einer Ebene, sondern auch, je nach den Verhältnissen, 
bald nach der einen Fussseite, bald nach der anderen bewegen 
können. Stellen wir uns nun vor, wie der Fuss im Schritt sich 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. III. Band. 20 


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292 


öolebiewski. 


medianwärts, im Stand lateralwärts neigt, wie in den einzelnen 
Stellungen die Tuberositas calcanei sich bewegt, einmal im Ver- 


Fig. 31. I. S. 



Fig. 32. Ä. S. 



Fig. 83. I. S. 
cc 



Fig. 34. Ä. S. 



hältniss zur Tuberositas ossis navicularis, zur Höhe am inneren Ge¬ 
wölberande, dann zum ersten Metatarsophalangealgelenk, andererseits 
zum fünften Metatarsophalangealgelenk, dann wird man die Veränder¬ 
lichkeit der Linien und Winkel an dieser Controllprobe leichter verstehen. 


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Studien über die Ausdehnungsfähigkeit des menschlichen Fusses. 293 

Der Erwähnung werth ist noch folgende Thatsache. Wenn 
man sich nämlich die Gipsmodelle der Stand- und Schritfcftisse da- 


Fig. 36. Ä. S. 



a 


Fig. 38. Ä. S. 



-9 

Fig. 39. I. S. 


er 



Fig. 40. Ä. S. 



neben stellt, so dass man die Vorderansicht der Fussmodelle vor Augen 
hat, dann sieht mau, dass der am Os naviculare liegende Con- 
trollpunkt beim Stand schräg aufliegt, während er sich beim Schritt 
vielmehr senkrecht und nach unten gedreht hat. 


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294 


Golebiewski. 


Schliesslich ist noch von besonderer Wichtigkeit der Winkel 
an a, der an ß, die Linie aß, und die Veränderlichkeit am äusseren 
Fussrande. 

Tabelle VI. 

Innen. 


Linker Fuss 
Rechter „ 

a a 

121,0 

107,5 



rxh 


Ꭰ

73,0 

79,0 

«p 

23,5 

32,0 

ah 


Hang 



125,0 

109,0 

«p 

|Ba;; 

t lIi 

73,0 

88,0 

ß/. 

75,0 

83,0 

aß 


ah 

- IJfl 

Stand 



124,0 

110,0 

aß 

BCTil 

rxh 

71,5 

87,0 

ß;. 


aß 

23,0 

30,0 

ah 

* 33 

FR 

Schritt 



123,0 

108,0 

«ß 


rxfl 


Ꭰ

73,0 

83,0 

aß ! 

20,5 

29,0 

ah 


Stand mit 
40 kg Be¬ 
lastung 

Linker Fuss 
Rechter , 

n a 

125,0 

107,5 

aß 

B M3 

rxh 


ßA 


aß 

23,0 

29,2 

ah 


Schritt 
mit 40 kg 
Belastung 


Tabelle VII. 

Aussen. 


Linker Fuss . . 
Rechter „ . . 


115,0 

108,0 

19 

66,0 

71,0 

ag 

181,5 

178,0 

Hang 

Linker Fuss . . 
Rechter B . . 

□ 

115,0 

109,5 



<*9 

185,5 

182,0 

Stand 

Linker Fuss . . 
Rechter „ . . 

«T 





184,0 

182,0 

Schritt 

Linker Fuss . . 
Rechter * . . 

a T 

114,0 

110,0 

T 9 

m 

<*9 

183.5 

181.5 

Stand mit 40 kg 
Belastung 

Linker Fuss . . 
Rechter „ . . 

a T 

115,0 

109,5 

T 9 

70,0 

70,5 

*9 

185,0 

180,5 

Schritt mit 40 kg 
Belastung 


Vierter Versuch. 

Die Fusssohle. 

Die Frage liegt nun nahe, ob und wie weit sich die Fuss¬ 
sohle an der Ausdehnung des ganzen Fusses betheiligt. Man dürfte 
doch erwarten, dass, wenn der Fuss im Stande ist, sich soweit in 


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Studien über die Ausdehnungsfähigkeit des menschlichen Fusses. 295 


Länge auszudehnen, dass sich die Fusssohle hieran betheiligen 
müsste. Dieses traf jedoch hier nicht ganz zu. 

Beifolgende Abbildungen, Fig. 41 u. 42, stellen die Fusssohle 
rechts vom hängenden, links vom stehenden linken Fuss dar, wie 
sie von den Gipsmodellen photographirt wurden. Die hier sicht- 


Fig. 42. Fig. 41. 



baren Punkte sind die schon eingangs des dritten Versuches er¬ 
wähnten Messpunkte. Durch Verbindung derselben sind nun die 
Figuren 43 bis 52 entstanden, Figuren, die auch durchaus keine 
geometrischen, sondern Raumfiguren sind. Denn man muss sich 
eben die Sohle des Hangfusses vorstellen, wie dieselbe nur aus 
concaven und convexen Flächen besteht. Nun steht ja der 
Fuss in den letzten vier Stellungen auf dem Boden und drückt 
die Fusssohle mit den vorhin erwähnten concaven und convexen 
Flächen, wo sie auftritt, platt, aber es bewegen sich doch die 


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Google 




296 


GolebiewBki. 


Grenzpunkte s, t und theilweise auch 6- mehr oder weniger im 
Baume; die Linie 3t ist und bleibt in allen Stellungen eine Luftlinie. 

Auf die Beschreibung der Fusssohle in den einzelnen Stel¬ 
lungen kann verzichtet werden. Hier handelt es sich lediglich um 
die Frage, dehnt sich die Fusssohle mit dem Fuss aus oder nicht. 


Fig. 44. Rechts. Fig. 43. Links. 

cT 



Schon zu Anfang dieses Kapitels wies ich darauf hin, dass 
meine an diesen Versuch geknüpften Voraussetzungen nicht ganz 
zutrafen. 

Die hierhergehörige Tabelle VIII zeigt uns die in diesem 
Versuch gewonnenen Resultate. 

Hiernach sehen wir, dass nur die Luftlinie 8i links, bei Schritt 
40 kg Belastung, die Fähigkeit zeigte, sich erheblich auszudehnen« 
Die Punkte S und i gingen wirklich deutlich auseinander, eine 
Thatsache, die mit der Gesammtausdehnung des ersten Längen¬ 
durchmessers in dieser Stellung wohl zusammenhängt. Hier ist die 
Haut aber auch weich und wird zum Auftreten nicht benutzt. Der 
rechte Fuss lieferte dieses auffallende Ergebniss nicht. 


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Stadien über die Ausdehnungsfähigkeit des menschlichen Fusses. 297 

An den anderen Linien ist aber das Resultat merkwürdig. 
Am rechten Fass erfolgte fast durchgehends in allen Linien der 
Standfiguren eine geringe Abnahme oder gar keine Veränderung, 
eine geringe, aber auch nur stellenweise Zunahme im Schritt, eine 
sehr deutliche Abnahme in Stand mit 40 kg Belastung und dem 

Fig. 46. Rechts. Fig. 45. Links. 





c 


gegenüber eine geringe Zunahme bei Schritt mit 40 kg Belastung. 
Am linken Fuss hingegen sind meistens in der Standstellung 
geringe, aber deutliche Vergrösserungen eingetreten, aber nur in 
der Standstellung, bei weiterer Inanspruchnahme des Fusses in der 
Schrittstellung kamen schon deutliche Abnahmen zum Vorschein, 
die noch deutlicher wurden bei Stand mit 40 kg Belastung und die 
nur stellenweise, bei Schritt mit 40 kg Belastung, eine Zunahme er¬ 
fuhren. Leider waren die Messpunkte wohl nicht glücklich genug 
gewählt. Vielleicht wäre es möglich gewesen, sich bessere Regeln bei 
Aufstellung der Resultate zu bilden. Vielleicht hätte man be¬ 
stimmter sagen können, auf welcher Seite des Fusses die Ausdeh¬ 
nung in den einzelnen Stellungen am meisten erfolgte. 


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x 



298 


Golebiewiki. 


Jedenfalls darf man behaupten, dass die Fnsssohle wohl fähig 
ist, sich an der Gesammtausdehnung des Fusses zu betheiligen, dass 
sie es aber durchschnittlich nur innerhalb minimaler Grenzen thut, 
wahrscheinlich am meisten an der weichen, unbetretenen Partie des 
inneren Fussrandes, am wenigsten an der betretenen, starken Horn¬ 
hautpartie der äusseren Seite. 


Fig. 48. Rechts. 


Fig. 47. Links. 




Da wir aber gesehen haben, dass wir hier meist kleinere 
Werth e bekommen haben, muss man sagen, dass die Fusssohle in¬ 
folge des sich in ihr concentrirenden Reizes, eher geneigt ist, sich 
zu contrahiren, eine Erscheinung, die man natürlich nur als secun- 
däre ansehen kann. 

Nicht unerwähnt darf hier auch bleiben, dass die unter der 
Fusssohle bei Stand mit 40 kg Belastung entstandenen Figuren sich 
deutlich verkleinert haben. 

Interessant sind die Veränderungen der Winkel in den hierher 
gehörigen Figuren. Einmal sprechen sie deutlich för die Rotations¬ 
bewegungen im Fuss, dann kann man auch an dem Winkel Set 


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Studien Über die Ausdehnungsfähigkeit des menschlichen Fusses. 291> 



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300 


Qolebiewski. 


eine gewisse Uebereinstimmnng mit den Theorien über die Fass¬ 
mechanik ersehen. Wenn wir nun finden, dass dieser Winkel in 
der Schrittstellung am linken Fuss nicht kleiner geworden ist, dann 
ist es wohl nöthig, noch einmal darauf hinzu weisen, dass der Fass 
hier einer momentanen Schwankung unterworfen war, bei der eine 
geringe Aussenrotation der Tibia und eine deutliche Senkung 
des äusseren Fussrandes eingetreten war. Eine ganz gleiche geringe 
Schwankung war auch bei Schritt mit 40 kg Belastung am rechten 
Fuss eingetreten, daher auch hier die Zunahme des Winkels 8 st. 


Tabelle VIII. 



Hang 

Stand 

Schritt 

Stand mit 
40 kg Be¬ 
lastung 

Schritt mit 
40 kg Be¬ 
lastung 

Rechter Fuss . . 
Linker * . . 

s8 


s8 


so 


SO 


E 8 

30,5 

36,0 

Rechter Fuss . . 
Linker „ . . 

SY) 

42,0 

43,0 

SY) 

42,0 

46,0 

SY) 

40,8 

46,0 

SY) 


SY) 

42,0 

43,0 

Rechter Fuss . . 
Linker „ . . 

*c 

30,0 

40,0 

»t 

29,5 

42,0 

•c 

28,0 

39,5 




30,0 

39,0 

Rechter Fuss . . 
Linker * . . 

s 0“ 

52,0 

66,5 

s3 

52,0 

66,0 

s3 

53,0 

63,0 

s3 


8 3- 

54,0 

66,0 

Rechter Fuss . . 
Linker „ . . 

e t 

79,5 

40,0 

s t 

79,5 

88,0 

Et 

81,5 

87,0 

s t 

79,5 

89,0 

61 

81,0 

90,5 

Rechter Fuss . . 
Linker „ . . 

$Y) 

61,0 

68,0 

8y) 

61,5 

71,0 

8 Y) 


8 Y) 

62,0 

68,0 

8y) 

61,0 

73,0 

Rechter Fuss . . 
Linker „ . . 


22,0 

20,5 

■nC 

20.5 

21.5 




21,0 

22,0 

•nC 

21.5 

22.5 

Rechter Fuss . . 
Linker „ . . 

C* 

38,0 

41,5 

c* 

38,0 

40,0 


m 

:«• 

37,0 

41,0 

c* 

40,0 

41,5 

Rechter Fuss . . 
Linker „ . . 

3t 

39,0 

39,5 

3t 

40,0 

39,0 

3t 


3t 

39,0 

41,0 

3t 

39.5 

40.5 

Rechter Fuss . . 
Linker , . . 

8 t 

107.5 

111.5 

8t 

106,0 

110,5 

8t 


8t 


8t 



Digitized by 























Stadien über die Ausdehnungsfähigkeit des menschlichen Fusses. 301 


Fünfter Versuch. 

Das Fus8gew51be. 

Nachdem die Mechanik des Fnssgewölbes schon vorher er¬ 
örtert worden war, bleibt hier nur noch übrig, Einiges über die 
diesen Gegenstand betreffenden Versuche zu erwähnen. 

Wir wissen, dass das Gewölbe einen Hohlraum bildet, welcher 
sich sowohl in den verschiedenen Stellungen des Fusses, als auch 
aus verschiedenen Ursachen, in seinen Einzelstellungen sehr leicht 


Fig. 53. Hang. 



verändern kann. Dies würde um so mehr eintreten müssen, je 
empfindlicher die Fusssohle ist. 

Es war mir nun wichtig, plastische Abgüsse des Hohlraumes 
des Fnssgewölbes in den fünf Stellungen zu bekommen, und zwar 
wollte ich die Naturprodukte haben. Dies konnte ich nur dadurch 
erreichen, dass ich mir den Hohlraum des Fusses mit Gips ausgoss. 
Die Arbeit war recht mühevoll. Denn an den äussersten Grenzen 
zerbrach beim Stand und Schritt die zarte Gipswand, und wenn ich 
denselben Versuch wiederholte, dann fiel das Bild, trotz derselben 
Stellung, meistens etwas anders aus. Die brauchbarsten Modelle 
suchte ich mir aus, um sie für meine Studien zu verwenden. 

Ich sah bald ein, dass ich auf eine völlige Richtigkeit ver¬ 
zichten musste, besonders trat beim Abgiessen des Schrittgewölbes 
stets eine leichte Supination des Fusses ein, da das Kitzeln der 
warmen Gipsmasse am inneren Fussrande diese incorrecte Bewegung 
jedesmal hervorrief. Nur am rechten Fuss war diese Schwankung 
nicht eingetreten, dafür machte sich aber bald eine andere Un¬ 
genauigkeit bemerkbar. 


Digitized by v^.ooQLe 









302 


GolebiewskL 


Vor der Modellirung markirie ich mir verschiedene Punkte 
des Fassgewölbes nnd beklebte sie mit Heftpflasterscheibchen von 
5 mm Durchmesser. 


Fig. 54. Stand. 



Fig. 55. Schritt 



Fig. 56. Stand mit 40 kg Belastung. 



Die so gewonnenen Abgüsse sind Negative. Zur Ansicht habe 
ich hier die Abbildungen beigefügt, wie sie nach den Photograinmen 
angefertigt sind, auf deren Beschreibung ich jedoch verzichten muss, 
da sie sich hierzu viel weniger eignen, als die plastischen Modelle; 


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Studien über die Ausdehnungsfähigkeit des menschlichen Fusses. 303 


nur will ich erwähnen, dass die Aufnahmen von der Rückseite ge* 
macht worden sind. 

Die Markirungen hatten hier nicht den Zweck als Messpunkte 
zu dienen, sondern kam es mir darauf an, für die Längsprofile 


Fig. 57. Schritt mit 40 kg Belastung. 



Curven zu ziehen, welche durch die markirten Punkte gehen sollten. 
Da nun aber die Wahl der Punkte auch hier nicht günstig genug 
war und ausserdem diese Punkte nicht in der gewünschten Weise 
sich auf den plastischen Modellen wiederfanden, musste ich auch 
hier darauf verzichten, die Curven in den Längsprofilen zu ziehen 1 ). 


Schluss. 

Wenn nun auch sowohl innerhalb eines einzelnen, als auch in 
den verschiedenen Versuchen Ungenauigkeiten und Abweichungen 
von den Regeln vorgekommen sind, so lässt sich doch nicht ver¬ 
kennen, dass sich aus allen Resultaten Schlüsse ziehen lassen, welche 
die Normen der bei der Ausdehnung zu Tage tretenden physiologi¬ 
schen Vorgänge des menschlichen Fusses bestimmen. 

So bin ich zu folgenden Schlüssen gelangt: 

1. Der menschliche Fuss hat die Fähigkeit sich in Länge und 
Breite auszudehnen. 

2. Es gibt eine active und eine passive Ausdehnungsfähig¬ 
keit des menschlichen Fusses, erstere kommt im ruhenden Zustande 

*) Da die Versuchsperson inzwischen wegen zweifachen Todtschlages 
verurtheilt und intemirt worden ist, war es mir nicht möglich, die Studien 
über das Fussgewölbe an denselben Füssen fortzusetzen. Ich muss sie daher 
auf eine spätere Zeit verschieben. 


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304 


Golebiewski. 


durch willkürliche Muskelaction zu Stande, letztere wird beim Stehen 
und Gehen unter dem Einfluss der Körperschwere hervorgerufeo. 

3. Die Ausdehnung des Fusses geht unter Rotationsbewegungen 
der Fussknochen vor sich, und zwar kommt ausser der allgemeinen 
Senkung der Fussknochen beim Stehen und Gehen, auch ein 
Schub nach vorne und eine Aussenrotation beim Stand, eine 
Innenrotation beim Schritt zu Stande. Bei der Aussenrotation 
hebt sich der innere, senkt sich der äussere, bei der Innenrotation 
senkt sich der innere, hebt sich der äussere Fussrand. 

4. Die Rotationsbewegungen der einzelnen Knochen des Fusses 
erfolgen unter bestimmten Bedingungen, welche gegeben sind in 
der Art ihrer Gestaltung, ihrer Gelenkflächen und Verbindungen 
unter einander und in der Art und Weise, wie die Körperschwere 
als reflectorischer Reiz auf sie einwirkt und die Bewegungsrichtungen 
bestimmt. 

5. Die gute Beschaffenheit und Höhe des Fussgewölbes ist 
nicht allein von entscheidender Wichtigkeit für die Ausdehnungs¬ 
fähigkeit des Fusses, sondern auch seine durch gute Entwickelung 
und Uebung erlernte und erlangte Tragfähigkeit. 

Ein Fuss mit gutem und hohem Gewölbe dehnt sich nur dann 
besser als ein Fuss mit weniger gutem und niederem Gewölbe aus, 
wenn er kräftiger entwickelt und besser geübt ist. 

6. Der Fuss trägt nicht nur die Last des eigenen Körpers, 
sondern er kann auch noch bis zu einer gewissen Grenze weitere 
Lasten trägen, d. h. die Ausdehnungsfähigkeit des Fusses findet 
nicht seine Greäsen in der eigenen Körperschwere, sondern auch 
darüber hinaus, mdoch ist die Grenze da zu ziehen, bis wohin die er¬ 
lernte Gewohnheit Wid Uebung geht. Eine wesentliche Einschränkung 
kann die Grenze der Ausdehnungsfähigkeit in der Zeit erfahren, so 
dass selbst längerem Stehen auf beiden, noch mehr auf einem Fuss, 
zur Muskelcontractiqn und Verkleinerung des Fusses führen kann. 

7. Die Fussmuskeln befinden sich beim Stand, noch mehr 
beim Schritt, wo def «ine Fuss die Hauptlast trägt, im Zustande 
der tonischen Erregung. Jfrer Tonus kann sich bis zu einer gewissen 
Grenze, auch bei weiterer Belastung des Körpers, steigern, er geht 
aber in deutliche Contraction über bei einer für den Körper unge¬ 
wohnten, daher zu schweren Belastung, der Fuss wird dabei kleiner. 
Von dieser Grenze ab dehnen sich die Fussmuskeln nicht mehr mit 
den Bändern aus, sondern arbeiten diesen antagonistisch entgegen. 


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Stadien über die Ausdehnungsfähigkeit des menschlichen Fusses. 305 


8. Eine plötzliche, allzuschwere Belastung des Körpers bezw. 
Fusses hat leicht eine traumatische Einwirkung zur Folge, so z. B, 
eine Zerreissung von Bändern und Muskeln am Innenrande des 
Fusses. 

9. Die Fusssohle betheiligt sich nur in minimalen Grenzen an 
der Ausdehnung des Fusses, am wenigsten die starke, mit Horn- 
hautschichten bekleidete, betretene Fusssohlenfläche, relativ am 
meisten die weiche, unbetretene Partie der Fusssohle am Innen¬ 
rande. Um so leichter treten aber an der Fusssohle beim Stehen 
und Gehen secundäre Contractionserscheinungen zu Tage. 

10. Die Ausdehnung des Fusses hat eine Formveränderung 
desselben zur Folge. 

11. An der Ausdehnung des Fusses betheiligt sich auch das 
Sprunggelenk, so dass den Stellungen entsprechend Durchmesser 
(von der Prominenz des einen Malleolus zu der des anderen) und 
Umfang des Sprunggelenks zu- und abnehmen können. 

Für gewöhnlich sind die Werthe beim Stand grösser, bei leichter 
Schrittstellung noch grösser als im Hang. Bei starker Schritt¬ 
stellung, d. h. bei tieferer Dorsalflexion, können die Werthe wieder 
etwas kleiner ausfallen. 


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XVIII. 


Ans der chirurgischen Abtheilnng des St. Vincenz- 
Hospitals zu Duisburg. 


Beitrag zur Behandlung des Klumpfusses. 

Von 

Dr. med. Ferd. Schnitze, 

Spezialarzt für Chirurgie. 

Mit 10 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Die Behandlung des Klumpfusses war im Laufe der Jahre 
manchen Wandlungen unterworfen. Es erstrecken sich die einzelnen 
Behandlungsmethoden auf drei Perioden, von denen die erste als 
mechanisch-orthopädische bezeichnet werden kann. Die zweite 
Periode beginnt mit Einführung der Antiseptik und zeichnet sich 
durch die Vielseitigkeit der operativen Eingriffe aus. Es gibt kaum 
-ein anderes pathologisches Object, welches in dieser Periode so viele 
Operationsmethoden zeitigte, als der Pes equinovarus. Diese Viel¬ 
seitigkeit legt ein genügendes Zeugniss ab von der Unzulänglich¬ 
keit der einzelnen Methoden. Somit konnte es nicht Wunder neh¬ 
men, wenn man von diesem Verfahren abging, um auf bessere 
Weise zum Ziele zu gelangen. Dies wurde dann thatsächlich er¬ 
reicht in der sich allmählich entwickelnden dritten Periode, welche 
die rein orthopädische genannt werden dürfte, charakterisirt durch 
das allmähliche oder forcirte Redressement. Diese orthopädische 
Behandlungsmethode des Klumpfusses, welche ihre berufensten Ver¬ 
treter in König und Wolff findet, hat sich im Laufe der Zeit 
eine grosse Anzahl von Freunden erworben. Durch die Publication 
vorzüglichster Resultate ist der schlagendste Beweis geliefert wor- 


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Beitrag zur Behandlung des Elumpfusses. 


307 


den, dass, abgesehen von eventuellen Tenotomien, ohne operativen 
Eingriff die denkbar beste Correctur des Elumpfusses erreicht 
werden kapn. Diese Thatsachen bestimmten die Methode. Die 
sämmtlichen Klumpfüsse, welche meiner Abtheilung überwiesen 
wurden, sind nach der von König angegebenen Methode behandelt 
worden und zwar mit bestem Resultate. 18 Fälle kamen im Laufe 
von ca. 2 Jahren zur Behandlung, gewiss eine verhältnissmässig 
grosse Anzahl. Es handelt sich hier nur um congenitale Klumpfüsse 
mit Ausnahme eines Falles von essentieller Paralyse. 

Die einzelnen Fälle lasse ich in gedrängter Kürze folgen, um 
dann an Hand der einschlägigen Literatur, sowie eigener Beobach¬ 
tungen, die unblutige gewaltsame Beseitigung des Elumpfusses einer 
eingehenden Besprechung verdientermaassen zu würdigen. 

1. Maria K., 9 Monate, aus Duisburg. Pes equin. var. sin.; 

aufgenommen am 11. October 1890, geheilt entlassen am 1. August 
1891. 4 Sitzungen, 2mal Narcose. Tenotomie der Achillessehne. 

Am 6. December 1891 Tod au Diphtherie. — Mutter hat doppel¬ 
seitige Klumpfüsse. 

2. Friedhelm M., 5 Jahre, aus Duisburg, aufgenommen 12. No¬ 
vember 1890, geheilt entlassen 7. Juli 1891. Ped. equin. vari. 
3 Sitzungen in Narcose. Beiderseits Tenotomie der Achillessehne. 
(Die älteste Schwester hat ebenfalls doppelseitige Klumpfüsse.) Mit 
Roser’s Schuh entlassen. 

3. Ernst J., 9 Monate, aus Duisburg, aufgenoramen 19. März 
1891. Ped. equin. vari. Tenotomie der Achillessehne. 4 Sitzungen, 
3mal Narcose. Geheilt entlassen 4. December 1891. Wegen Ro¬ 
tation, besonders des rechten Fusses, Schienenapparat. 

4. Heinrich H., 6 Jahre, aus Meiderich, aufgenommen 14. Oc¬ 
tober 1891, geheilt entlassen 5. April 1892. Pes equin. var. sin. 
5 Sitzungen, 4mal Narcose. Mit Roser’s Schuh entlassen. 

5. Carl L., 24 Jahre, Schneider aus Duisburg, aufgenommen 

6. Januar 1892, geheilt entlassen 1. Juni 1892. Ped. equin. vari. 
Keine Tenotomie. Mit Roser’s Schuh entlassen. 

6. Gertrud V., 4 Monate, aus Uerdingen, aufgenommen 26. Oc¬ 

tober 1892. Ped. equin. vari. Tenotomie der Achillessehne. Ge¬ 
heilt entlassen 7. September 1893. 15. October nach Aussage der 

Mutter an Krämpfen gestorben. 

7. Philipp H., 4 Jahre, aus Cleve, aufgenommen 14. Juli 1892, 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. III. Baud. 21 


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308 


Ferd. Schnitze. 


geheilt entlassen 6 . Februar 1893. Ped. equin. vari. 3 Sitzungen 
in Narcose, Tenotomie der Achillessehne. 

8 . Erna V., 2 Monate, aus Duisburg, aufgenommen 26. Juli 

1892, geheilt entlassen 1 . December 1892. Pes equin. var. Teno¬ 
tomie. 1 Sitzung. 

9. Heinrich Sch., 20 Jahre, aus Bruckhausen, aufgenommen 
1 . November 1892, geheilt entlassen 17. Juni 1893. Ped. equin. vari. 
3 Sitzungen in Narcose. Tenotomie. 

10. Fritz H., 5 Jahre, aus Duisburg, aufgenommen 20. Februar 

1893, geheilt entlassen 17. Juni 1893 mit Roser’s Schuh. Pes 
equin. var. sin. 2 Sitzungen in Narcose. 7. September Tod an 
Diphtherie. 

11. Georg W., 4 Jahre, Niederbaierland bei Rotterdam, auf¬ 
genommen 30. Januar 1892, geheilt entlassen 15. Juli 1892. Pes 
equin. var. sin. 3 Sitzungen in Narcose. Tenotomie. Mit Roser’s 
Schuh entlassen. 

12 . Martha M., 16 Jahre, Duisburg, aufgenommen 25. April 
1891, geheilt entlassen 12 . Januar 1892. Ped. equin. vari. Teno¬ 
tomie. Mit Roser’s Schuh entlassen. 

13. Bernhard F., 15 Jahre, Duisburg, aufgenommen 6 . Oc- 
tober 1891, geheilt entlassen 15. Mai 1892. Ped. equin. vari. 

3 Sitzungen. Tenotomie. Vereiterung der Schleimbeutel. Sequestro- 
tomie. Recidiv. 

14. Willy D., 6 Jahre, Ruhrort, aufgenommen 30. October 

1891, geheilt entlassen 25. Juli 1892. Ped. equin. vari. Tenotomie. 

4 Sitzungen. 

15. Luise D., 3 Jahre, aus Wesel, aufgenommen 22. Juli 

1892, geheilt entlassen 6. December 1892. Pes equin. var. sin. 
Tenotomie. 3 Sitzungen. 

16. Heinrich D., 5 Jahre, aus Ruhrort, aufgenommen 1. März 
1892, geheilt entlassen 5. Juli 1892. Pes equin. var. dextr. Teno¬ 
tomie. 2 Sitzungen. Mit Roser’s Schuh entlassen. 

17. Franz H., 30 Jahre, Olpe i. W., aufgenommen 18. October 

1892, geheilt entlassen 15. Mai 1893. Pes equin. var. dextr. 

4 Sitzungen. Tenotomie. 

18. Franz J., 2 Jahre, Recklinghausen, aufgenommen 16. März 

1893, geheilt entlassen 3. Juli 1893. Pes equin. var. dextr. 

3 Sitzungen. Tenotomie. 


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Beitrag zur Behandlung des Klumpfusses. 


309 


Wie aus vorstehenden Krankengeschichten zu ersehen ist, kam 
durchweg das Verfahren zur Anwendung, welches König auf dem 
Chirurgencongress 1890 unter dem Titel: „Die unblutige gewalt¬ 
same Beseitigung des Klumpfusses 0 empfohlen hat. Die Methode 
ist kurz folgende: 

In zwei Acten ausgeführt, wird zunächst die Adductionsstellung 
beseitigt, nachdem vorher die Plantaraponeurose und die Achilles¬ 
sehne durchschnitten. Die Extremität wird auf die Aussenseite ge¬ 
bracht, Knie und Unterschenkel gut fixirt und die convexe Partie 
des Klumpfusses auf die hohe Kante eines gepolsterten dreieckigen 
Klotzes gesetzt. Der Operateur umgreift mit der einen Hand den 
Vorderfuss, mit der andern das Fussgelenk sammt dem Calcaneus 
und lässt seine Körperschwere auf beide Theile gleichmässig wirken. 
Nach Beseitigung der Adduction folgt in Rückenlage unter Fest¬ 
stellung des Knies die gewaltsame Ueberführung des Fusses in die 
Dorsalflexion und Abduction. Vermittelst einer appretirten Binde 
wird das gewonnene Resultat fixirt. Unter Umständen genügt eine 
Sitzung, oft sind 2, 3, 4 Sitzungen nöthig. Zur Nachbehandlung 
wird die von C. Roser angegebene Hufeisenschiene benutzt, neben 
activen und passiven Bewegungen. Dies ist in kurzen Zügen die 
bekannte von König angegebene Methode. 

In einigen Aenderungen und Zusätzen, welche sich im Laufe 
der Zeit herausgebildet haben, glaube ich nun besondere Vortheile 
für die Correctur des Klumpfusses zu erblicken. Zunächst halte ich 
die Tenotomie zweckmässiger erst dann ausgeführt, wenn bereits eine 
Beseitigung der Adduction erfolgt ist. Graser hebt auf dem 
Chirurgencongress 1888 in seiner Mittheilung über Klumpfuss- 
behandlung ebenfalls hervor, dass er die Tenotomie zum Beginn 
der Behandlung principiell verwerfe, da man sich dadurch des 
Widerstandes für die Correction der Supinations- und Adductions¬ 
stellung beraubt. Man arbeitet am zweiarmigen Hebel, der eine 
Hebelarm wird durch den Vorderfuss, der andere durch den Hinter- 
fuss (Talus, Calcaneus, Crus) präsentirt. Es liegt nun absolut kein 
Grund vor, durch eine Tenotomie den centralen Hebelarm zu ver¬ 
kürzen, wie thatsächlich durch die Tenotomie geschieht. Wohl ist 
es von wesentlichem Vortheil, die Verbindung des Calcaneus mit 
dem Unterschenkel nicht zu unterbrechen, so lange es sich noch 
um Beseitigung der Adduction handelt, weil wir durch Conservirung 
des langen Hebelarms zweifellos leichter zu arbeiten im Stande sind. 


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310 


Ferd. Schultze. 


Es bedarf dann der Calcaneus von Seiten des Operateurs keiner be¬ 
sonderen Fixation. Lasse ich die Gewalt auf den kurzen Hebel 
einwirken, unter entsprechender Fixation des centralen langen Hebel¬ 
arms, so vollzieht sich die Correctur der Adductionsstellung in der 
glattesten Weise. Unter diesen Verhältnissen ist ein besonderes 
Augenmerk auf den Calcaneus nicht zu richten. 

Im zweiten Act handelt es sich um die Beseitigung der Supi¬ 
nation und der Dorsalflexion, und um die Ueberführung des Fusses 
in die Abductionsstellung. König erzwingt dieselbe dadurch, dass 
er das Sprunggelenk umfasst und kräftig den Vorderfuss zurück¬ 
biegt. Für das Kindesalter und die Pubertät reicht diese Methode 
aus, bei Erwachsenen jedoch kommt man dabei nicht zum Ziel. 
Die Tenotomie wird auch hier nicht zuerst vorgenommen, sondern 
es handelt sich zuvorderst um die Beseitigung der Supination. Bei 
Erwachsenen stehen hier bedeutende Widerstände entgegen, welche 
auch bei der grössten Kraftleistung durch kräftiges Zurückbiegen 
des Vorderfusses nicht zu überwinden sind. Ich habe dann in 
folgender Weise die Correctur fortgesetzt. Der Operateur fixirt mit 
der einen Hand das Fussgelenk und sucht mit der anderen den 
Vorderfuss in die Abductionsstellung überzuführen. In dieser Stellung 
erfährt der Operateur durch den Assistenten eine Unterstützung 
dadurch, dass Letzterer mit allmählich steigender Kraft sich gegen 
die Fusssohle stemmt und zwar in der Richtung des den Vorder¬ 
fuss fixirenden Armes des Operateurs. Durch einen zweiten Assi¬ 
stenten wird das Kniegelenk des sich in Rückenlage befindenden 
Patienten fest gegen die Unterlage gedrückt. Auf diese Weise geht 
die Entfaltung des ganzen Fusses in fast vollendeter Weise vor 
sich. Der Spitzfuss wird unter Umständen sogar vollkommen be¬ 
seitigt. Eine Tenotomie erfolgt erst dann, wenn der Fuss wohl¬ 
geformt erscheint und es sich darum handelt, einen Rest Spitzfuss 
zu corrigiren. Bei einem 24jährigen Patienten mit doppelseitigem 
Klumpfuss habe ich die Tenotomie nicht ausgeführt, beide Füsse, 
wie aus der Figur zu ersehen ist, haben eine vollendete Form. 
Ausserdem, was mir sehr wesentlich erscheint, verfügt Patient über 
einen vorzüglichen Gang, so dass man kaum etwas Pathologisches 
beobachten kann. Mein Bestreben, bei diesen alten Fällen die 
Tenotomie möglichst weit hinauszuschieben, geht von dem Gedanken 
aus, die vorhandenen Widerstände möglichst auszunutzen, und dieses 
erreiche ich einzig und allein durch möglichste Conservirung der 


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Beitrag zur Behandlung des Klumpfusses. 


311 


Achillessehne. Um die bekannte Buckelbildung des Dorsum pedis 
zu vermeiden, ist es geboten, nicht eher die Supinationscorrectur 
vorzunehmen, als bis die Adduction vollständig beseitigt ist. 

Bei kleinen Kindern ist das eben erwähnte Verfahren nicht 
am Platze. Die Tenotomie beseitigt hier die Spitzfussstellung, 
nachdem Adduction und Supination corrigirt worden ist. Lässt 
man hier bei Schonung der Achillessehne eine weitere Correctur 
erfolgen, so gibt der Calcaneus nicht nach, er bleibt in situ und 
das Fussgewölbe wird auf diese Art und Weise zerstört. 

Von ganz besonderer Wichtigkeit für die Erhaltung des Re¬ 
sultates ist der nach jedem Redressement angelegte Verband. Der¬ 
selbe muss nach dem Vorschlag von Heineke mit einem möglichst 
dicken Wattepolster angelegt werden. Die eigentliche Fixation des 
durch das Redressement erzielten Resultates findet erst nach An¬ 
lage des Gipsverbandes statt. Dies manuell auszuführen, ist mit 
den grössten Schwierigkeiten verbunden^und wird immer nur un¬ 
vollkommen erreicht. Deshalb habe ich mich nach Art des Hahn- 
schen Eisenbügels eines kreuzweise genagelten Fussbrettes bedient. 
Ein mit einem Wattekissen versehenes Brett, eine Hand breit 
länger als der Fuss, liegt direct der Wattepolsterung der Fusssohle 
auf, letztere nach beiden Seiten 3—4 cm überragend. Ein zweites ist 
in Höhe des Metatarsus rechtwinklig aufgenagelt, oder vorher mit einer 
Gipsbinde besonders fixirt. Die Anlage des Gipsverbandes erfolgt nun 
unter Befestigung dieses kreuzförmigen Brettes. Ein seitlicher Druck 
ist durch die Breite des Fussbrettes vollkommen ausgeschlossen. 
Die Vortheile des Kreuzbrettes erlange ich dadurch, dass die medial 
gelegene Spitze des Querbrettes mit der rechten, bezw. linken Hand 
gefasst wird, indem zugleich der ganze Unterarm des Operateurs 
dem Querbrett aufliegt. Das Kniegelenk, sowie der Unterschenkel, 
muss auch bei der Manipulation in gestreckter Stellung fest ge¬ 
halten werden, um durch eine Drehung nach aussen spielend den 
Fuss in Abduction überzuführen. Der Schwerpunkt dieser Mani¬ 
pulation liegt in der vorschriftsmässigen, festen Anlage der er¬ 
wähnten Handhabe. Das Fussbrett muss genau der Sohle auf¬ 
liegen und so durch den Gipsverband befestigt sein, dass eine 
Verschiebung nicht eintreten kann. Nach etwa 14 Tagen folgt 
diesem zweiten Act der letzte, zur Beseitigung des unter Umständen 
noch vorhandenen Spitzfusses durch die Tenotomie der Achilles¬ 
sehne. Trotz letzterer hat meist noch ein kleines Redressement 


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312 


Ferd. Schnitze. 


zu erfolgen, um dem Fuss die normale Stellung zu geben, ln 
rechtwinkliger Stellung geht alsdann die Anlage eines portativen 
Verbandes vor sich. Zu diesem Zwecke habe ich mich immer des 
auch von König und Wolff empfohlenen Wasserglasverbandes be¬ 
dient, mit Einlegung einer rechtwinkligen Wasserglas-Filzschiene 
auf der inneren Seite. Auch hier wird wiederum das mit Wattekissen 
gepolsterte Holzkreuz dem Wasserglas verband aufgelegt, vermittelst 
Gipsbinde befestigt und dann die Correctur in der oben erwähnten 
Weise vollzogen. Nach 4—5 Tagen ist der Verband hart, durch das 
Fussbrett ist zugleich eine glatte Sohle geschaffen und die Patienten 
vermögen mit solchem Verbände Wochen und Monate umherzugehen. 
Zweckmässig angefertigte Schuhe, deren Schnürlöcher bis zur Fuss- 
spitze verlaufen, dienen als Fussbekleidung. Eine Revision ist 
meist nach 6—8 Wochen vorzunehmen. War das Resultat nicht 
vollkommen, so erfolgt nochmals eine Correctur im letzten Sinne. 
Wenn kein Decubitus den Heilungsprocess stört, können die Patienten 
gewöhnlich nach 6—8 Wochen umhergehen und sind nach Ablauf 
eines halben Jahres so weit, dass ein Recidiv nicht mehr zu be¬ 
fürchten ist. Vorsichtshalber werden die Patienten alsdann mit 
einer Klumpfussschiene (C. Roser) entlassen. 

Meine Beobachtungen sprechen entschieden zu Gunsten des im 
Vorstehenden ausführlich geschilderten unblutigen Verfahrens. Mit 
Ausnahme eines einzigen Falles ist allenthalben nach den letzten 
Controlluntersuchungen eine Heilung mit gutem Resultat zu con- 
statiren. 

Vier Gruppen, von denen jede in der Behandlung mehr oder 
minder ihre Eigenthümlichkeit hat, sind zu unterscheiden. Be¬ 
züglich der ersten Gruppe — Kinder im ersten Lebensjahre — 
ist schon vielfach die Frage aufgeworfen worden, ob eine Behandlung 
sofort oder im Laufe oder nach Ablauf des ersten Jahres beginnen 
soll. Nach meiner Ansicht soll man den Zeitpunkt der Behandlung 
möglichst früh fixiren, obschon ja nicht zu bezweifeln ist, dass auch 
bei späterer Behandlung ein vollkommenes Resultat erzielt wird. Auf 
jeden Fall erscheint es zweckmässig, die Füsse bis zur Zeit, in der 
die Kinder den ersten Gebrauch davon zu machen pflegen, thunlichst 
zu corrigiren. Dasjenige, was selbst beim schwächlichsten Kinde 
schon in frühester Jugend vorgenommen werden kann, ist eine 
frühzeitige vom Arzt vorgeschriebene, manuelle Behandlung des 
Fusses. Selbstredend spielt hier die Energie und Intelligenz der 


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Beitrag zur Behandlung des Klumpfasses. 


313 


Mutter eine sehr grosse Bolle. Die Behandlung besteht darin, dass 
man bei Fixation des Hinterfusses den Vorderfuss in die Abduction 
hineinzubringen bemüht ist. Nothwendig ist es meistens, dies Ver¬ 
fahren noch durch Einwicklung des Fusses unter Application einer 
Aussenschiene zu unterstützen. Wird auf diese Art und Weise 
keine Correctur erzielt, so hat man vermittelst fester Verbände die 
Behandlung fortzusetzen. Die Tenotomie ist bei kleinen Kindern 
eine Nothwendigkeit. Aber auch hier wird man zweckmässig erst 
die Adduction beseitigen. Würde man dann die Tenotomie unter¬ 
lassen, so läuft man bekanntermaassen leicht Gefahr, das ganze 
Fussgewölbe zu zerstören, ein Defect, welcher sich schwerlich 
wieder beseitigen lassen wird. Die Correcturen bei den Kindern 
im ersten Lebensjahr waren vollkommen zu nennen. Ein ^jähriges, 
in der Ambulanz behandeltes Kind ging nach Aussage der Eltern 
an Krämpfen zu Grunde. Die Correctur war unter Schienenverband 
bereits vollständig erledigt. 

Die zweite Gruppe umfasst die Kinder vom 2.—10. Lebensjahr. 
In vielen Fällen genügte die Tenotomie und nachfolgendes Redresse¬ 
ment. Von dem portativen Verband in corrigirter Stellung wurde 
auch hier ausgiebiger Gebrauch gemacht. Es ist eine bekannte 
Thatsache, dass Patienten in diesem Alter dem Arzt vielfach die 
grössten Schwierigkeiten bereiten, bevor eine völlige Correctur er¬ 
zielt ist. Den Grund hierfür sucht man einerseits in der hoch¬ 
gradigen Elasticität der jugendlichen Knochen, andererseits in der 
kurzen Handhabe, welche der Kinderfuss zu präsentiren pflegt. An 
dieser Stelle möchte ich es nicht unterlassen, auf die nicht hoch¬ 
gradigen, nur geschweiften Pedes equinovari hinzuweisen, welche 
sich durch besondere Hartnäckigkeit auszeichnen. Hat man auch 
unter starker Uebercorrectur den Fuss fixirt, so wird man nichts 
destoweniger bei der nächsten Revision unter genauer Betrachtung 
der Fusssohle noch immer eine leichte Schwingung constatiren 
können. Es bedarf unter solchen Verhältnissen eines wiederholten 
energischen Redressements in Narcose, um eine absolute Beseitigung 
der fehlerhaften Stellung zu erwirken. Auch pflegen die während 
der ersten Lebensjahre vielfach dick und plump geformten Füsschen 
bei der Anlage eines Contentivverbandes nicht das günstigste Object 
abzugeben. Bekanntermaassen schlüpfen die Kleinen nach Erhärtung 
des Verbandes einfach aus dem Gipsstiefel heraus. Um dies mit 
einiger Sicherheit zu verhindern, habe ich den Gips verband auf 


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314 


Ferd. Schnitze. 


folgende Weise angelegt. Eine Unterpolsterung ist nicht wünschens¬ 
wert!^ zumal man in der Lage sein soll, den Fuss leicht in die 
normale Stellung überzuführen. Es wird, nachdem eine Einwick¬ 
lung mit einer angefeuchteten Gazebinde erfolgt, eine Gipstour an¬ 
gelegt. In dieser dünnen Form lässt man unter Correctur den 
Gipsverband erstarren und legt dann zur Verstärkung noch ver¬ 
schiedene Touren an. Auf diese Art und Weise schmiegt sich der 
Verband exact der Körperform an und beseitigt dadurch oben er¬ 
wähnte Missstände. Es ist selbstverständlich, dass die Patienten 
vorschriftsmässig zu revidiren sind, ebenso ist es einleuchtend, dass 


Fig. 2. 


Fig. 1. 


Fall 2. Fried heim M. 5 Jahre. 
Gezeichnet 
12. November 1890. 



Fall 2. Correctur. 
Photographische Aufnahme vom 
1. December 1893. 



unter diesen Verhältnissen keine ausgedehnten Manipulationen vor¬ 
ausgeschickt werden dürfen. Im allgemeinen wurde auch bei dieser 
zweiten Gruppe ein gutes Resultat erzielt. Zwei Kinder (Fall 1 
und 10) gingen an Diphtherie zu Grunde, nachdem die Anomalien 
völlig beseitigt waren. Die Gelenkexcursionen hatten bei der jüngst 
gemachten Revision nur einen geringen, stellenweise kaum merk¬ 
lichen Ausfall zu verzeichnen. Eine Anlage zum Recidiv wurde in 
keinem Falle beobachtet. 

Nur eine Abnormität bedarf noch einer besonderen Erwähnung. 
Es ist dies die häufig beobachtete Rotation nach innen. Diese war 
bei einem kleinen 2jährigen Patienten so hochgradig, dass durch 
wiederholte Uebercorrecturen nichts erreicht wurde. Unter solchen 
Verhältnissen ist man auf einen Stützapparat, wodurch im Laufe 


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Beitrag zur Behandlung des Klumpfusses. 


315 


der Zeit die Correctur gewonnen wird, angewiesen. Unter den von 
verschiedenen Autoren angegebenen Apparaten scheint mir der von 
Hoffa angegebene zweckentsprechend zu sein. 

Die dritte Gruppe — vom 10.—20. Jahr — gibt uns zu 
keinerlei besonderen Bemerkungen Veranlassung. In der Ausfüh¬ 
rung des Redressement kommen schon zum Theil diejenigen Regeln 
zur Anwendung, welche wir bei Erwachsenen als absolut unerläss- 


Fig. 3. 



Fall 12. Martha M. 16 Jahre. 
Gezeichnet 25. April 1891. 


Fig. 4. 



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Fall 12. Correctur. 
Photographische Aufnahme 
1. December 1893. 


lieh erachten, da sich hier unter Umständen schon sehr grosse 
Widerstände geltend machen. Einen Misserfolg hat diese Gruppe 
zu verzeichnen. Es handelt sich um einen 15jährigen Knaben, 
welcher beiderseits eine Vereiterung der Schleimbeutel acquirirte 
und im Anschluss daran eine Sequesterbildung des Metatarsus 
(Fall 3). Infolge dieses Umstandes wurde einerseits die Behand¬ 
lung sehr in die Länge gezogen, andererseits blieb eine bedeutende 
Functionsstörung des Fussgelenkes zurück. Mit völliger Correctur 
wurde Patient entlassen. Die Stellung ist jedoch keine normale 
geblieben, und scheint mir ein Recidiv im Anzuge zu sein. Trotz 
wiederholter dringender Aufforderungen will sich Patient einer 
weiteren Behandlung nicht unterziehen. Diesem Misserfolg gegen¬ 
über repräsentirt ein jetzt 18jähriges Mädchen (Fall 12) die denk- 




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316 


Ferd. Schultse. 


bar beste Correctur. Eine gute Beweglichkeit des Gelenkes ist 
vorhanden, so dass eine fast normale Abwickelung des Fasses statt¬ 
findet. Es ist beim Gehen nicht im entferntesten sichtbar, dass 
hier früher hochgradige pathologische Verhältnisse bestanden haben. 
Patientin legt Wegestrecken von mehreren Stunden ohne geringste 
Beschwerden zurück. 

Trotz des vorgeschrittenen Alters habe ich es unternommen, 
auch jenseits des 20. Lebensjahres die Beseitigung der Klumpfüsse 
auf unblutigem Wege durchzuführen. Ich bestreite nicht, dass mit 
zunehmendem Alter die Schwierigkeiten wachsen und beim ersten 
Redressement den Eindruck machen, als habe man unüberwindliche 
Verhältnisse vor sich. Durch rasch folgende seitliche Bewegungen 
des Vorderfusses kann man sich unter Umständen die Verhältnisse 
günstig präpariren. Nur durch Ausdauer und immer wiederholten 
Versuch gelangt man hier zum Ziel. Schon bei der zweiten und 
dritten Sitzung stellen sich die Verhältnisse günstiger dar, und meist 
geht die Aufrichtung des Fusses nach Ueberwindung der ersten 
Schwierigkeiten anstandslos vor sich. Die Hauptsache bleibt immer 
das vorschriftsmässige, allmählich ansteigende, energische Redresse¬ 
ment mit Hilfe mehrerer Assistenten. Die Erhaltung der Achilles¬ 
sehne, sowie das kreuzförmige Brett kommen hier sehr zur Geltung. 

Die Resultate der vierten Gruppe — 20.—30. Jahr — sind in 
Anbetracht des Alters besonders gute zu nennen. Ueber einen 
normalen Gang werden diese Patienten selbstredend niemals ver¬ 
fügen, der Charakter des Unbeholfenen, Tappigen wird bald mehr, 
bald weniger ausgeprägt sein. Es hängt dies zum grössten Theil 
von der mangelhaften Beweglichkeit des Fussgelenks ab. Aus 
diesem Grunde erscheint mir eine zweckmässige medico-mechanische 
Nachbehandlung von grösster Bedeutung. Einen verhältnissmässig 
tadellosen Gang hat ein 24jähriger Patient mit beiderseitigem Pes 
equino var. aufzuweisen, ausgezeichnet durch Elasticität und Aus¬ 
dauer. Bei dem 20- und 30jährigen ist der Gang bei weitem nicht 
so gut und würde hier oben genannte Nachbehandlung meiner An¬ 
sicht nach von Nutzen sein. Die Stellung und Form der Füsse 
entspricht einer vollständigen Correctur. Im ältesten Falle war es 
nothwendig, den fibromatös entarteten Schleimbeutel zu exstirpiren, 
in allen anderen Fällen trat eine völlige Schrumpfung ein. 

Nach diesen kurzen Erörterungen ist man wohl berechtigt, 
die Prognose als eine absolut .günstige hinzustellen. Von grösster 


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Beitrag zur Behandlung des Klumpfusses. 


317 


Wichtigkeit erscheint es mir, einer noch vielfach beim Publiknm 
verbreiteten Ansicht über die Unheilbarkeit des Klumpfusses ent¬ 
gegenzutreten, und zwar wird diese Aufgabe wesentlich dem Arzte 
Zufällen, welcher dies ohne Zweifel mit aller Energie durchführen 
wird. Gerade hier am Niederrhein scheint das Publikum, wenigstens 
was Klumpfüsse anbelangt, einen sehr conservativen Charakter be¬ 
wahrt zu haben. Nach meinen Erfahrungen stehe ich nicht an, das 

Fig. 5. 



Fall 5. Carl L. 24 Jahre. 
Gezeichnet 6. Januar 1899. 


Fig. 6. 



Fall 5. Correctur. 
Aufnahme 15. November 1892. 


unblutige Verfahren nach König aufs wärmste zu empfehlen und 
dasselbe in bestimmten Altersgrenzen bis zum 30. Lebensjahr für 
die einzig statthafte Methode zu erklären. Es ist allerdings keine 
Frage, dass man auf operativem Wege ebenfalls gute Resultate 
erzielen kann. Die operativen Methoden, welche nach dem heutigen 
Stand der Wissenschaft noch in Betracht kommen würden, sind die 
Durchschneidung der Weichtheile nach Phelps, die Talusexstir¬ 
pation und keilförmige Osteotomie. In der neuen chirurgischen 
Aera sind diese Verfahren viel geübt und ausgebaut und auf Grund 
der günstigen Resultate warm empfohlen worden. Im allgemeinen 


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318 


Ferd. Schultze. 


trägt das Publikum zunächst Bedenken gegen jeden operativen Ein¬ 
griff, und wenn dieser zu umgehen ist, wird dies unter allen Ver¬ 
hältnissen bestimmt geschehen. Vom ärztlichen Standpunkte aus 
ist der operative Eingriff deswegen zu verwerfen, weil ein Verfahren 
uns offen steht, wodurch die denkbar besten Resultate anerkannter- 
maassen erreicht wurden. 

Je früher die Fülle zur Behandlung kommen, desto besser die 

Fig. 7. 


Fig. 8. 


Fall 17. Franz H. 30 Jahre. Fall 17. Correctur. 

Aufnahme 18. October 1892. Autoahme 13. April 1893. 

Resultate. Im ersten Lebensjahr spielt der Zeitpunkt nicht die 
Rolle, wie später. Von Jahr zu Jahr werden selbstredend die Ver¬ 
hältnisse quoad functionem ungünstiger. Unter allen Umständen 
ist eine energische Nachbehandlung, bestehend in Massage des 
Unterschenkels und Mobilisation des Fussgelenkes nothwendig. Es 
ist keine Frage, dass dadurch das Resultat noch bedeutend gewinnt 
und besonders noch unterstützt wird durch ausgiebige Benutzung 
geeigneter Zanderapparate. So ist einer der zweckmässigsten B. 12 
nach Zander: das Fusskreisen. Bei den vielen noch in Aussicht 
stehenden älteren Klumpfüssen werde ich noch Gelegenheit finden, 
nach dieser Methode zu arbeiten und nicht verfehlen, darüber an 
geeigneter Stelle Bericht zu erstatten. 


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Beitrag zur Behandlung des Klumpfusses. 


319 


Die Frage bis zu welchem Alter soll man das gewaltsame 
Redressement ausführen, dürfte wohl dahin beantwortet werden, 
dass nach vorliegenden Erfahrungen bis zum 30. Lebensjahre keine 
Hindernisse irn Wege gestanden haben. Wohl ist immer wieder bei 
jedem alten Klumpfuss mir derselbe Gedanke gekommen, dass man 
in diesem oder jenem Falle die Widerstände zu überwinden nicht 
im Stande sei. Wenn man auch beim ersten Redressement keinen 
sonderlichen Erfolg zu verzeichnen hat, so wird doch beim zweiten 
jedesmal die Thatsache sich bestätigen, dass die enormen Wider¬ 
stände schon bedeutend abgeschwächt worden sind. Die Vorzüge 


Fig. 9. 



Fig. 10. 



Fall 9. Correctur. 
Aufnahme 1. August 1893. 


des Redressement force sind von sachkundigster Seite (König, 
Wolff) mit Nachdruck betont worden. Nichts destoweniger gibt 
es noch eine Anzahl Chirurgen, welche das Verfahren übergehen 
und der operativen Methode den Vorzug geben. Besonders seit sich 
das Phelps’sche Verfahren in Deutschland Eingang verschafft hat, 
ist man vielfach zu dieser Methode übergegangen, welche zur Zeit 
durch Wolff eine sehr scharfe Kritik erfuhr. Bestreiten lässt sich 
jedoch nicht, dass man auf diesem Wege zum Ziele gelangen kann, 
auch mit den vorzüglichsten Resultaten. Ich habe zur Zeit, als 
Assistent der Jenenser Universitätsklinik, mehrfach Gelegenheit ge¬ 
habt, nach der Phelps’schen Methode operirte Fälle, welche vor. 
meinem verehrten Chef, Herrn Hofrath Riedel, operirt wurden, zu 
beobachten. Der Erfolg ist schlagend, durch eine Schnittführung 
mit folgendem 6wöcbentlichen Dauerverband war die Correctur voll¬ 
ständig. Eine Nachbehandlung ist selbstredend auch in diesen 


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320 


Ferd. Schultze. 


Fällen in geeigneter Weise unbedingt nothwendig. Das, was durch 
späteren Zerfall unangenehm berühren kann, ist die, entsprechend 
der Articulatio Chopart., senkrecht gelegene Narbe, welche sich auf 
die Fusssohle erstreckt. Die von Bessel-Hagen modificirte, hori¬ 
zontale Schnittführung ist somit als eine Verbesserung der Phelps- 
schen Methode aufzufassen. Von der Volkmann’schen Klinik aus 
wurde durch v. Büngener die Operationsmethode nach Phelps 
zur Zeit auf das wärmste empfohlen (Centralblatt Nr. 24, 1889). 
Die gemachten Erfahrungen erstrecken sich auf 21 Operationen bei 
Individuen im Alter von 4 Monaten bis zu 14 Jahren. Nach be¬ 
endigter Wundbehandlung — in der sechsten Woche — erfolgt die 
orthopädische Nachbehandlung mit Gipsverbänden, Scarpa’schen 
Schienenstiefel, welche 1—l 1 /* Jahre ausgeführt, vor Recidiv sichert. 
Der Eingriff an sich ist schwerer Natur, weil bei dieser Gelegen¬ 
heit nicht selten die Gelenke weit klaffend eröffnet werden. Wenn 
auch die Gefahren der Infection durch vorschriftsmassiges Verfahren 
sehr in den Hintergrund gedrängt werden können, so wird es doch 
nicht abzustreiten sein, dass eine Methode unter allen Verhältnissen 
den Vorzug verdient, welche die Gefahren ausschliesst. Besonders 
dann wird man in der Wahl der Methode sehr bald zu Gunsten 
des Redressement sich entscheiden, wenn neben Vermeidung der 
Infection die Correctur in vollkommenstem Maasse in derselben Zeit, 
wenn nicht schon früher zu erreichen ist. Ich gebe zu, dass eine 
häufigere Narcose Anwendung finden muss, letztere jedoch vollauf 
die Gefahren einer event. Infection bei dem operativen Verfahren 
aufwiegt. Insofern stimme ich mit v. Büngener völlig überein, 
dass ich, im Falle es sich um die Wahl eines operativen Eingriffs 
beim Klumpfuss handelt, der Phelps’schen Operation den Vorzug 
geben werde. 

Von den übrigen angegebenen Operationsmethoden dürften die 
Talusexstirpation und die Osteotomia cuneiformis unter Umständen 
in Betracht kommen. Beide Methoden führen eine Verstümmelung 
des Fusses herbei. Die Talusexstirpation (Holmes, Vogt, Alier, 
Boeckel, Ried, Reverdin, Bogdanik), wie sie zur Zeit viel¬ 
fach von Chirurgen auf Vorschlag von Lund angenommen, ist wohl 
durchweg und mit Recht in den Hintergrund getreten. Dieselbe 
geht von dem Princip aus, den beim Klumpfuss am meisten defor¬ 
msten Knochen zu entfernen. Dadurch ist allerdings ein Resultat 
noch nicht erreicht, sondern die Correctur muss immer nachfolgen. 


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Beitrag zur Behandlung des Elumpfusses. 


321 


Es hat somit die Talusexstirpation lediglich die Bedeutung der das 
Redressement erleichternden Continuitätstrennung (Wolff). Die 
Methode bedingt aber den Ausfall eines Knochens. Die Folge davon 
ist, dass das Gelenk zerstört wird, resp. ein neues zwischen Unter¬ 
schenkel und Calcaneus geschaffen wird. Ferner resultirt eine Ver¬ 
kürzung, sowie ein Tiefstand der Malleolen, somit eine Verbreite¬ 
rung der Fussgelenkgegend. Um letzteres zu beseitigen, haben 
König-Riedel zur Zeit bei Resection des Fussgelenks die Ver¬ 
lagerung der Malleolen angegeben, so dass dadurch die Missstände — 
Tiefstand und Verbreiterung der Malleolen — ziemlich aufgehoben 
werden. Wenn man auf diese Methode der Talusexstirpation an¬ 
gewiesen wäre, würde man mit Nutzen letzterem Gesichtspunkte 
Rechnung tragen dürfen. Es ist keine Frage, dass durch die Talus¬ 
exstirpation schon manches relativ schöne Resultat erreicht worden 
ist, auf der anderen Seite hat sich» auch manches Recidiv nicht 
unterdrücken lassen. Die Operation an sich, sowie die dadurch be¬ 
dingten Nachtheile geben eine Contraindication, von der Methode 
Gebrauch zu machen, da durch das Redressement alle diese Uebel- 
stände vermieden werden. 

Die zweite in Betracht kommende Operation, die Osteotomia 
cuneiformis (Hahn, Rüdygier) wird ebenfalls einen Substanz- 
verlnst herbeiführen, mithin eine bedeutende Verkürzung des Fusses. 
Eine Indication für diese findet man vielleicht nur im höheren 
Lebensalter, jenseits des 30. Lebensjahres, ferner bei einer abso¬ 
luten Ankylosirung aller Gelenke. 

Uebersieht man noch kurz die drei erwähnten operativen 
Methoden, so muss man in erster Linie erwähnen, dass aus obigen 
kurz erwähnten Gründen ein Substanzverlust bei der Correctur des 
Klumpfusses nicht wünschenswerth erscheint. Mithin ist den das 
Skelet angreifenden operativen Methoden ein ganz beschränkter 
Indicationskreis anzuweisen. Günstiger liegen die Verhältnisse bei 
der Phelps’schen Operation. Jedenfalls haben die Amerikaner dem 
Operateur dadurch ein Verfahren an die Hand gegeben, wodurch 
er sehr bald die Correctur, wenn auch nicht direct die absolute, zu 
erreichen im Stande ist. Uebertroffen wird diese Methode ohne 
Frage durch das Redressement force, insofern, als der operative 
Eingriff ausfällt, die Dauer der Behandlung nicht längere Zeit be¬ 
ansprucht, und die Erfolge in keiner Weise nachstehen, wenn nicht 
bessere genannt werden können. 


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322 


Ferd. Schnitze. 


Das Verfahren, vermittelst Klumpfassmaschinen naeh Jahr und 
Tag die normale Fussstellung zu erreichen, wie von den ver¬ 
schiedensten Autoren und jüngst von L e v y empfohlen wurde, wollen 
wir hier nicht weiter erörtern. Man wird auch auf diese Weise 
zum Ziel kommen, doch fallen die längere Zeitdauer und die damit 
verbundenen Unbequemlichkeiten sehr in die Wagschale. An dieser 
Stelle soll jedoch ein Apparat nicht unerwähnt bleiben, welchen 
Newton M. Schaffer auf dem internationalen Congress 1890 
demonstrirte. Es dient derselbe dazu, unsere Hand zu ersetzen. 
Schaffer gibt an, dass er vermittelst seines Apparates unter Um¬ 
ständen die Reduction der Deformität in einer Sitzung zur Aus¬ 
führung bringe. Es würde sich vielleicht lohnen, die Anwendung 
dieses Instrumentes aufzunehmen, ohne jedoch auf das manuelle 
Redressement völlig Verzicht zu leisten. Die Verwendung dieser 
Maschine erscheint nur insofern nicht zweckentsprechend, als man 
mit verschiedenen Grössen würde arbeiten müssen. Jedenfalls ist 
die Construction, soweit sich aus der Abbildung ersehen lässt, 
allen anderen bisher bekannten Redressionsvorrichtungen (Thomas, 
ßradfort) vorzuziehen und wird nach der Schilderung von Schaffer 
das Redressement wesentlich unterstützen. 

Nach diesen kurzen Erörterungen gelange ich zum Schluss 
zu folgendem Resume: 

I. Die unblutige, gewaltsame Beseitigung des Klumpfusses 
nach König ist allen anderen Methoden vorzuziehen. 

II. Jeder Klumpfuss kann bis zum 30. Lebensjahre manuell 
redressirt werden. 

III. Die Tenotomie der Achillessehne soll erst vorgenommen 
werden, nachdem der Fuss in die Abductionsstellung 
überführt worden ist. 

IV. Das typische Redressement unter Beistand mehrerer 
Assistenten ist von wesentlichem Vortheil, ebenso 

V. die Application des kreuzförmigen Brettes. 

VI. Der portative Wasserglasverband ist nothwendig. 

VII. Die operativen Methoden kommen erst dann in Frage, 
wenn man auf unblutigem Wege nicht zum Ziele gelangt. 


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Beitrag zur Behandlung des Klumpfusses. 


323 


Nachtrage 

Nach Abschluss dieser Arbeit erschien in dieser Zeitschrift 
{1898, Bd. 3 Heft 1) ein Aufsatz: Ä Werthvolle Verbesserung von 
unheilbaren Klumpfüssen durch eine bis dahin nicht verwerthete 
Operation“ von Louis Bauer-St, Louis. 

Er erwähnt zwei Patienten im Alter von 27 resp. 12 Jahren. 
Auf Grund entschiedener Misserfolge, welche Bauer bei diesen 
beiden Patienten zu verzeichnen hatte, glaubt er die Frage, ob eine 
so hochgradige Deformität mit den bekannten Mitteln gehoben 
werden könne, mit einem entschiedenen „Nein“ beantworten zu 
müssen. Bauer spricht sich ferner dahin aus, dass selbst die ge¬ 
lungene Reduction den Fuss in einem gebrauchlosen Zustande zu¬ 
rücklassen werde und daher verwerflich sei. 

Bezüglich der Therapie macht Bauer folgenden Vorschlag: 
„Um die krtippelhafte Entstellung zu beseitigen, ohne die Brauch¬ 
barkeit des Beines zu schädigen, gibt es nur das Mittel einer modi- 
ficirten Chopart’schen Operation, welche die erworbene senkrechte 
Stellung des Astragalus und Calcaneus unberührt lässt, den vorderen 
Theil des Fusses entfernt und den Verlust durch künstliche Mittel 
ersetzt. 

Wenn auch Bauer in den genannten Fällen auf Grund 
unüberwindlicher Schwierigkeiten Misserfolge zu verzeichnen hatte, 
so kann ich doch darin noch nicht die Berechtigung finden, ein 
Verfahren über Bord za werfen, welches allgemeine Anerkennung 
gefunden hat. Die Fälle von Bauer entziehen sich meiner Beur- 
theilung, da keine Krankengeschichten beigefügt wurden. Weder das 
12. noch das 27. Lebensjahr gibt für mich eine Contraindication für 
die orthopädische Behandlung des Klumpfusses resp. für die Correctur 
durch das Redressement force. — Ohne Frage sind die Hindernisse, 
welche sich einer Correctur entgegenstellen, gross und steigen mit 
dem Alter, jedoch sind dieselben nicht so unendlich, als dass sie 
nicht überwunden würden. 

Die zahlreich in der Literatur mitgetheilten Fälle beweisen 
zur Genüge, dass die orthopädische Methode einstweilen die herr¬ 
schende bleiben wird. Bis jetzt hat sich noch nicht die Noth- 
wendigkeit herausgestellt, nach dem Bauer’schen Vorschlag zu 
arbeiten. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. IU. Band. 22 


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324 Ferd. Schnitze. Beitrag zur Behandlung des Klumpfnsses. 

Der „Cliopart* wird in der ganzen Klumpfusstherapie nie¬ 
mals seinen Indicationenkreis finden. 

In den Fällen, welche nach Bauer nicht mehr zu redressiren 
waren, kam entweder die Durchschneidung nach Phelps oder 
die keilförmige Osteotomie in Frage. Sollte es sich um Synchon- 
drose oder Synostose gehandelt haben, so konnte nur letztere Methode 
zum Ziele führen. 

Der Vorwurf, dass die gelungene Reduction den Fuss in ge¬ 
brauchlosem Zustande zurücklasse, wird ohne Frage allgemein einem 
entschiedenen Widerspruch begegnen. Ein nicht einmal eingehendes 
Studium der Literatur wird Bauer zweifellos zu der Ueberzeugung 
bringen, dass die functionellen Resultate beim corrigirten Klump¬ 
fass den daran geknüpften Hoffnungen voll und ganz entsprechen. 


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XIX. 


Arbeitsschulen für Verkrüppelte. 

Von 

Dr. Reinhardt-Natvig-Christiania. 

Mit 3 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Die sogen. Arbeitsschulen für Verkrüppelte und die in Ver¬ 
bindung damit stehende Thätigkeit haben in Dänemark ihren ur¬ 
sprünglichen Ausgangspunkt, haben sich aber später nach den übrigen 
skandinavischen Ländern und nach Finnland verbreitet. Die Arbeits¬ 
schulen sind also ein specifisch nordisches Unternehmen und dürften 
deswegen, als dem deutschen Lesekreise der Zeitschrift weniger be¬ 
kannt, vielleicht ein wenig Interesse erwecken. 

Die Gemüthskranken, Taubstummen und Blinden haben seit 
langer Zeit ihre milden Stiftungen gehabt; sie sind als die Adoptiv¬ 
kinder des Staates betrachtet worden, als Individuen, die in jeder 
Hinsicht sowohl auf die Hilfe der Oeffentlichkeit als auf die der 
Privatleute Anspruch hatten. Die Verkrüppelten aber hatte man, 
merkwürdig genug, vergessen. 

Der erste, der vor etwas über 20 Jahren die Initiative dazu 
ergriff, die Verhältnisse und die sociale Stellung der Verkrüppelten 
zu verbessern, war der dänische Pfarrer Hans Knudsen. Die 
nächste Ursache dazu war ein ganz alltägliches Ereigniss, das doch 
zu dieser philanthropischen Thätigkeit den Anstoss gab, die jetzt den 
ganzen Norden umspannt. Der Pfarrer Knudsen sah eines Tages 
auf einer Strasse Copenhagens ein arm angezogenes, bleiches kleines 
Kind, ein Mädchen, das an einer schlechten Krücke vorbei hinkte. 
Dieser kleine Zufall brachte ihn dazu, sich mit Lust und Liebe 
auf die Arbeit für die Verkrüppelten seines Heimathlandes zu 


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326 


Reinhard t-Natvig. 


werfen, und dadurch war die Campagne eröffnet worden, die 
später so schöne Ergebnisse gebracht hat. Die erste Frucht der 
unermüdlichen Arbeit des Pfarrers K n u d s e n wurde der den 
21. October 1872 in Copenhagen gestiftete „Verein, der sich 
verkrüppelter und verstümmelter Kinder annimmt.* Der 
Verein gewann sogleich Anschluss, indem er schon im ersten 
Jahre seines Bestehens 103 Mitglieder aufweisen konnte, davon 
9 fürs Leben. Nicht weniger als 41 verkrüppelte Kinder er¬ 
hielten in diesem Probejahre die erforderliche Hilfe. Der Vor¬ 
stand des Vereins führt an, dass alle die Kinder, die während 
dieser Zeit unterstützt wurden, unter die sociale Klasse gehörten, 
die zu viel besitzt, um die Armenpflege zu ersuchen und zu er¬ 
halten, aber zu wenig, um einem verkrüppelten Kinde, was es als 
solches nöthig hat, zu geben. Da das Clientei schnell stieg, wurde 
es schon am 1. October 1873 nothwendig, eine Poliklinik mit 
zwei wöchentlichen Consultationstagen zu eröffnen. Die Poliklinik 
wurde anfänglich vom praktizirenden Arzte Barfod geleitet. Eine 
Menge deformirter Kinder strömten zu der gestifteten Klinik, um 
Hilfe zu erhalten. 

Erwachsene Verkrüppelte kamen auch mit ihren Ansprüchen, 
die der Verein zufriedenstellen musste. Auf der Klinik wurde die 
ärztliche Hilfe umsonst gegeben, sowie auch Bandagen aus den 
Mitteln des Vereins angeschaflft wurden. Hiermit war einem Mangel 
zum Theil abgeholfen; man erkannte aber bald, dass der Verein, 
wenn die Hilfe völlig wirksam sein sollte, auch für den Unterricht 
seiner Adoptivkinder sorgen und sie selbst für ihr Brod zu arbeiten 
lehren musste. Deswegen wurde 1875 eine Schule für Gelähmte 
und Einhändige gestiftet. Hier war eine neue und schwierige Auf¬ 
gabe, die die Erfindungsgabe und die Geduld der Lehrer und 
Lehrerinnen auf manche strenge Probe stellte. Jeder deformirte 
Schüler war ein Studium. Man konnte nicht die Anlage und die 
Lust des Einzelnen allein berücksichtigen, sondern das Haupthindernis 
lag selbstverständlich in der Art und dem Grade der Gebrechlich¬ 
keit. Jeder neue Arbeitszweig, der als Unterrichtsfach aufgenommen 
wurde, verlangte nicht nur das gewöhnliche, sondern in der Regel 
ein specielles und eigenthümlich eingerichtetes Werkzeug, um theil- 
weise die Anwendung des verlorenen oder deformirten,Gliedes zu 
ersetzen. Der Verein konnte schon nach einem 10jährigen Bestehen 
auf eine schöne Thätigkeit zurückblicken. Nicht weniger als 


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Arbeitsschulen für Verkrüppelte. 


327 


840 Kinder und 88 erwachsene Verkrüppelte waren während dieser 
Zeit angenommen und allen war geholfen worden. Die Klinik und 
die Schule waren bisher an verschiedenen Stellen thätig gewesen. 
Im Jahre 1886 gingen diese zwei Glieder der Wirksamkeit des 
Vereins in einander über, indem sie dasselbe Local bezogen. Dies 
war für die Mitwirkung von grosser Bedeutung. In der Klinik 
werden nicht nur ärztliche Hilfe und Bandagen umsonst erhalten, 
sondern es wird auch für die nöthige Reparation derselben gesorgt. 
Die Deformirten sind deswegen dazu verpflichtet, in gewissen 
Zwischenräumen vor den Aerzten der Klinik zu erscheinen. Welche 
grossartige Wirksamkeit im Dienste der Menschenliebe hier ent¬ 
faltet wird, davon kann man eine Idee erhalten, wenn es berichtet 
wird, dass im Jahre 1890 nicht weniger als 300 Gipscorsette an¬ 
gelegt wurden. Einige Zahlen aus der Statistik und der Oekonomie 
des Vereins für 1893 entnommen, zeigen dasselbe. In den 21 Jahren, 
in denen der Verein damals gewirkt hatte, ist 4313 Patienten ge¬ 
holfen worden. Von diesen standen 1451 Kinder und 692 erwachsene 
Personen noch immer in Behandlung. Die Wirksamkeit des Vereins 
in den ersten 19 Jahren zeigt eine Statistik auf, die ich mir an¬ 
zuführen erlaube, da die Schule von Copenhagen als Senior unter 
den übrigen das reichste Material aufzuweisen hat. Von 3469 De¬ 


formirten waren: 

Scoliosis.19,5 °/o 

Hernia.17,8 °/o 

Spondylitis.13,4 °/o 

Curvatura rachitica.8,3 °/o 

Osteo-arthritis.6,9 °/o 

Paralysis.6,3 °/o 

Araputatio.4,9 °/o 

Pes varus.6,4 °/o 

Luxatio coxae congenita.4,4 °/o 

Pes valgus.3,5 °/o 

Resectio.. 3,lJ*/o 

Varices. 2,5 °/o 

Aliae deformitates congenitae et acquisitae 4,8 °/o. 


Als würdig, um die Hilfe des Vereins zu gemessen, wird jeder 
dänische Deformirte angesehen, der durch seine eigene Hilfe oder 
die der Versorger nicht das Vermögen hat, die Ausgaben zu be¬ 
streiten, um die Hilfsmittel zu beschaffen und zu erhalten, die die 


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328 


Reinhardt-Natrig. 


Deformität verlangt, oder der auf keine andere Weise sich selbst 
zu helfen lernen kann. Keiner, der selbst dazn Geld genug hat, 
um sich die Hilfe anzu6chaffen, oder der vom öffentlichen Armen¬ 
wesen unterstützt wird, wird angenommen. 

Der Verein nahm sich ursprünglich nur der Kinder an, und 
während der 9 ersten Jahre des Bestehens hörte die Hilfe auf, wenn 
die Person 18 Jahre alt war. Seit 1880 hat der Verein, von der 
Regierung und vom Reichstag aufgefordert, seine Thätigkeit auf 
alle Alter ausgedehnt. 

In der Schule wird eine rastlose Wirksamkeit entfaltet. Es 
wird in den verschiedensten Fächern unterrichtet, als Handarbeit, 
Nähen, Bürstenbinderei, Korbflechten, Holzschneidekunst, Schuster¬ 
arbeit u. s. w., ganz nach dem Vermögen und den Anlagen des 
Einzelnen. Wenn die Schüler einmal gelernt haben, eine gute Arbeit 
zu machen, hilft ihnen auch der Verein eine passende Anstellung 
zu finden. Es ist selbstverständlich, dass, wenngleich der Wille 
gut ist, es gelähmten und einhändigen Individuen auf dem Arbeits¬ 
markte an dem Vermögen fehlen wird, mit Arbeitern zu concurriren, 
die im Besitze des vollen Gebrauches ihrer Glieder sind. Wenn 
gleich die Verkrüppelten eine ebenso gute Arbeit liefern könnten, 
würden sie nicht mit derselben Geschwindigkeit arbeiten können, 
und der Ausgang würde in diesem Falle unter denselben Bedin¬ 
gungen nicht schwer vorauszusehen sein. Diese Anschauungsweise 
gab den Anstoss, sogen. Arbeitsstuben zu stiften. Da die Auf¬ 
gabe des Vereins, genau genommen, gelöst ist, wenn der Schüler 
in seiner Arbeit ausgelernt hat, sucht man die Stuben ohne ver¬ 
mehrte Belastung für das Budget des Vereins zu betreiben. Der 
Verein versieht hier seine ausgelernten Schüler, die sich würdig und 
dürftig zeigen, mit Arbeitsmaterialien und Arbeit und übernimmt 
gleichfalls Verkauf und Absatz in der Weise, dass der ganze Arbeits¬ 
verdienst den Deformirten zu gute kommt. Eine feste Kundschaft 
sucht man deswegen diesen Arbeitsstuben zu gewinnen um den 
Verkauf der verfertigten Gegenstände zu erleichtern. Der Absatz 
von Arbeiten aus den Stuben repräsentirte 1893 im ganzen 11967 Kr. 
Das Lehrerpersonal der Arbeitsstuben waren selbst — 6 Ver¬ 
krüppelte! Auch ein Internat ist in Gang gesetzt worden, theils 
für diejenigen der Schüler, die anderswo keine Heimath finden können, 
theils für solche Verkrüppelte bestimmt, die aus den Provinzen 
kommen, um ihre Bandagen untersucht und ausgebessert zu er- 


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Arbeitsschulen für Verkrüppelte. 


329 


halten. Der Fremde, der znm erstenmal diese Schule für Deformirte 
besucht, wird sie nicht leicht vergessen. Man erstaunt darüber, dass 
diese defecten Glieder wirklich die schönen und soliden Sachen aus¬ 
geführt haben, die vorgezeigt werden. Man wird kaum den eigenen 
Augen trauen, wenn man zu einem jungen Manne geführt wird, 
der im Begriff ist, mit den Lippen und Zähnen Bürsten zu machen. 
Er war an beiden Armen complet gelähmt. Eine doppelseitige 
Klumpfussoperation hatte ihm soweit geholfen, dass er einigermassen 
gehen konnte. Es war rührend, die Freude bei der Arbeit zu 
sehen, die sowohl er als mehrere seiner Kameraden an den Tag 
legten. Deswegen ist es auch nicht ungewöhnlich, dass die Schüler 
darum ersuchen, ihre Arbeit über die bestimmte Zeit verlängern zu 
dürfen. Sowohl von Seiten der Oeffentlichkeit als der Privatleute 
ist eine grossartige Freigebigkeit bewiesen. Die Staatseisenbahnen, 
die Dampfschiff- und Pferdebahngesellschaften haben den Schülern 
freie Beförderung gegeben. Die Hospitäler haben denjenigen, 
•die dessen benöthigen, Krankenbetten, Operation, Kur und Pflege 
dargeboten. Die Apotheker haben gratis Medicamente, die Bade¬ 
anstalten Billette u. s. w. in reichlichem Maasse gegeben. Privatleute 
haben in verschiedenen Schulfächern unterrichtet und durch gratis 
Landaufenthalt, Unterhaltungslecttire, Weihnachtsfeste u. dergl. 
die traurige Existenz der Verkrüppelten ein wenig zu erleichtern 
gesucht. Eine wichtige — und gewiss nicht die leichteste und am 
mindesten verantwortliche — Arbeit wird von den zwei Aerzten 
des Vereins mit Assistenten geleistet, eine Arbeit, die auch als Opfer 
auf den Altar der Menschenliebe niedergelegt wird. Als Aerzte 
fungiren jetzt die Herren Sigfr. Levy und P. Panum. 

Der im Jahre 1884 in Copenhagen abgehaltene ärztliche Con- 
gress gab den Anstoss dazu, dass diese Thätigkeit auch in den be¬ 
nachbarten Ländern Ausbreitung fand. Die fremden Aerzte hatten 
hier dazu Gelegenheit, nicht nur die ausgestellten Arbeiten, sondern 
auch die Deformirten selbst während der Ausführung ihrer Arbeit 
zu sehen. Die Sache selbst erweckte die ungetheilte Sympathie und 
das Interesse der ausländischen Collegen. Nach seiner Heimkehr 
suchte der Schwede, Dr. med. Carlander, auch das Interesse für 
die Errichtung einer ähnlichen Schule in Gothen bürg zu er¬ 
wecken, eine Aufforderung, die lebhaftes Entgegenkommen fand. 
Vorläufig wurde ein Comite zur Bearbeitung des Planes gebildet. 
Von diesem ging an das Publikum eine Aufforderung zur Unter- 


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330 


Reinhardt-Natvig. 


Stützung des Unternehmens aus. Die Haltung der Presse sowie 
auch eine von Generaldirector Wieselgren verfasste Broschüre 
trug mächtig dazu bei, das Interesse des Publikums zu erwecken; 
gleichfalls eine Ausstellung von Arbeiten aus der Schule zu Copen- 
hagen. Das Resultat war, dass dort am 18. März 1885 ein ähn¬ 
licher Verein gestiftet wurde. Dieser hat später, mit den Traditionen 
des Vereins zu Copenhagen vor Augen, gearbeitet. 

Den 8. April 1885 wurde in Karlskrona eine ähnliche Schule 
mit 6 deformirten Mädchen als Schüler eröffnet. 

Helsingborg folgte im Jahre 1887 dem Beispiel. Auf den 
ausgelegten Listen wurden mit einmal 4700 Kr. gezeichnet. Schon 
nach dem 4jährigen Bestehen des Vereins hatte die Schule ihr eigenes 
Gebäude. Die Sparkasse Helsingborgs bewilligte unter sehr 
billigen Bedingungen eine Anleihe zum Hausbau von 30000 Kr. 
Die Stadt schenkte den Bauplatz mit einem so grossen Areal, dass 
man einen Park anlegen konnte. Auch von Seiten der Oeffentlichkeit 
trafen bedeutende Beiträge ein. In Finnland wurde im Jahre 1890 
ein ähnlicher Verein in Helsingfors gestiftet. Ein Comite von 
Damen setzte sich hier an die Spitze des Unternehmens. 

Die ersten Geldbeiträge suchte man durch eine Ringeinsamm¬ 
lung herbeizuschaffen. 

Stockholm kam im März 1891 nach. Dr. med. A. Wide 
ergriff hier die Initiative. Schon 1882 hatte Director O. E. Borg mit 
Hilfe seiner Tochter einen Handarbeitskursus für ein paar verkrüppelte 
Mädchen angefangen; die Unternehmung aber musste doch gegen 
das Ende 1883 aus Mangel an Unterstützung aufgegeben werden. 
Dr. med. Wide schlossen sich mehrere interessirte Damen und 
Herren an, und bald erschien in den Hauptstadtzeitungen ein von 
dem Oberstatthalter und vielen angesehenen Herren erlassener Auf¬ 
ruf zur Bildung eines Vereins. Die in Gang gesetzte Einsammlung 
brachte über 22 000 Kr. ein. Auch hier wurde eine Ausstellung 
mit reichlichen Sendungen aus Copenhagen, Gothenburg, Karlskrona 
und Helsingborg veranstaltet. Der Verein würde sogleich mit einem 
Aasstellungslocal gratis unterstützt. Ein Künstler schenkte zur Ver¬ 
losung eine Sculptur, und eine von dem vereinten Chore der ärzt¬ 
lichen Gesellschaft und des Medicinervereins abgehaltene Matinee 
brachte 2000 Kr. ein. 

Was Norwegen betrifft, hat sich die Sache etwas anders 
gestellt. Den 1. Februar 1892 wurde in Christiania von 2 Damen, 


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Arbeitsschulen für Verkrüppelte. 


331 


Fräulein Fleischer, eine ähnliche Schule gestiftet. Das private 
Gepräge, das dem Unternehmen schon hierdurch bei seiner Geburt 
zu Theil wurde, hat gewiss dazu beigetragen, dass sich das Werk 
unter so günstigen Bedingungen wie in unseren Nachbarländern nicht 
entwickelt hat, wo sowohl Geld als auch interessirte Freunde der 
Deformirten zur Unterstützung bereit standen. Es ist in dieser Hin- 
sicht illustrirend, dass in dem ersten Jahre der Schule von den 
19 verkrüppelten Schülern derselben 11 umsonst aufgenommen 
wurden. Während der verlaufenen Zeit haben sich doch die Aus¬ 
sichten für die Zukunft in hohem Grade verbessert und die Sache 
der Verkrüppelten ist in raschem Wachsthum begriffen. Das 
Parlament Norwegens hat zu Freiplätzen für unbemittelte Ver¬ 
krüppelte einen Beitrag bewilligt, und grössere Summen sind der 
Schule von öffentlichen Institutionen bewilligt; gleichfalls ist im 
letzten Jahre von der Commune Christianias umsonst ein geräumiges 
Schullocal zur Verfügung gestellt worden. Völlig wirksam wird die 
Thätigkeit erst dann werden, wenn die Schule mit einer orthopädischen 
Klinik, wie bei mehreren der ausländischen Schulen, verbunden wer¬ 
den kann. Eine Statistik über Deformirte in Norwegen haben wir 
noch nicht. In Finnland wurde die Zahl der Deformirten im 
Jahre 1889 auf 8000 calculirt. 

Seitdem die Schule zu Christiania gestiftet wurde, ist sie von 
31 Schülern besucht worden. 

Von diesen waren: 

4 congenitale Selbstamputationen, 

1 congenitaler doppelseitiger Radiusdefect, 

8 Amputationen nach Unglücksfällen, 

7 Hemiplegien, 

4 infantile Paralysen, 

1 in hohem Grade deformirte Rachitica, 

1 Phocom&ie biabdominal-Hemimelie bi-thoracique, 

5 aus anderen Ursachen Deformirte. 

Diese sind in: Bürstenbinderei, Poliren, Stricken, Nähen, 
Flechten von Rohrsitzen, Weben von Bettdecken und Handtüchern, 
Häkeln, Stickerei, Porzellanmalerei, Holzschneidekunst, Vergoldung 
und mehreren Handwerken unterrichtet worden. 

Die Consequenzen einer solchen Schulwirksamkeit sind ein¬ 
leuchtend. Sie gibt der bürgerlichen Gesellschaft einige, jeden- 
• falls zum Theil arbeitsleistende Individuen zurück. Sie hebt das 


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832 


Reinhardt-Natvig. 


Selbstbewusstsein und die moralische Potenz dieser Unglücklichen. 
Der Arzt, der sich unter den gegebenen Verhältnissen mit diesen 
Deformirten beschäftigt, wird auch bei Vielen einen sonderbaren Um¬ 
schwung ihres ganzen psychischen Lebens constatiren können durch 
den Einfluss des erwachenden Selbstbewusstseins und durch die 
Erkenntniss, dass auch sie arbeiten und nützliche Mitglieder der 
Gesellschaft werden können. Die Schulwirksamkeit tritt ferner dem 
öffentlichen Armen wesen stützend entgegen, obgleich es nicht die 
Meinung der Schule ist, dasselbe zu substituiren. Dass die Sache 
auch bei uns in weiteren Kreisen Aufmerksamkeit erweckt hat, geht 
daraus hervor, dass am 9. März 1893 in Christiania „ein Ver¬ 
ein zur Unterstützung armer Verkrüppelter“ gestiftet wurde. 
Dieser wirkt als ein ganz selbstthätiges Glied neben der Schule. 
Ein Kreis angesehener Damen und Herren, unter denen viele 
Aerzte, sind die Stifter des Vereins. Die zwei Aerzte der Schule 
bilden das Bindeglied zwischen dieser und dem Verein, und der 
eine fungirt vorläufig als Vizedirector in dem Vorstande des 
Vereins. 

Die Aufgabe des Vereins geht aus den zwei ersten Para¬ 
graphen der Statuten hervor. 

§ 1. Das Ziel des Vereins ist: bedürftigen Verkrüppelten 
zu helfen und sie zu unterstützen, sich selbst helfen zu können. 

§ 2. In dieser Absicht sucht der Verein ihnen dazu zu helfen: 
a) Unterrichtung in praktischen für sie passenden Thätigkeiten zu 
erhalten, entweder in Schulen, die zu diesem Zwecke eingerichtet 
sind oder bei Privatleuten; b) während der Unterrichtszeit die noth- 
wendige ärztliche Hilfe, Medicamente, künstliche Glieder, Schuh¬ 
werk zu deformirten Füssen u. dergl. zu schaffen; c) nach voll¬ 
brachter Lehrzeit eine passende Anstellung zu finden und Werk¬ 
zeug, geeignete Arbeitsmaterialien etc. gekauft zu erhalten. 

Unter den Schülern werde ich drei näher erwähnen, theils 
wegen der Art der Deformität, theils wegen des Erfolges, den die 
Arbeit der Schule mit ihnen aufzuweisen hat. 

Der Mann, dessen Bild wir hiermit geben, konnte bis zu 
seinem 29. Jahre gar nichts ausrichten. Höchstens bestand seine 
Arbeit darin, nebst einem anderen kranken Kameraden Vögelchen 
zu fangen. Er wurde in die Schule aufgenoramen und durch seine 
Intelligenz und Energie im Verlaufe eines Jahres zu einem gant 
tüchtigen Bürstenbinder ausgebildet. Er arbeitet jetzt selbständig • 


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Arbeitsschulen für Verkrüppelte. 


333 



Interesse dar als Typus eines doppelseitigen, congenitalen 
Radinsdefectes. Auch ihm fehlt, wie in der Mehrzahl der 
Fälle, der Daumen mit dem entsprechenden Metacarpusknochen. 
Wahrscheinlich sind auch Os multangulum majus und naviculare 


A. D., 31 Jahre. 


in seiner Heimath und schickt seine Bürsten zu der Schule, die ihm 
den Verkauf besorgt. In medicinischer Hinsicht bietet er einiges 


Kg. 1. 


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334 


Reinhardt-Natvig. 


defect. Die Ulna ist verdickt, abgeknickt und S-förmig tor- 
quirt. Gleichfalls ist bei ihm das Os humeri einwärts und abwärts 
subluxirt. 


Fig. 2. 


A. F., 17 Jahre. 



Das oben abgebildete, junge Mädchen arbeitet noch immer in 
der Schule. Sie ist ein Beispiel eines secundären congenitalen' De- 
fectes, indem sie mit einer doppelseitigen, sogen. Selbstamputation 
der beiden Vorderarme behaftet ist Diese Deformität entsteht 


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Arbeitfischulen für Verkrüppelte. 


335 


durch ein Abschnüren des Gliedes vermittelst accidenteller Strang- 
bildungen von den fötalen Membranen ausgehend. 


Fi g- 8. 



S. L., 17 Jahre. 


L. Guinard führt Nabelschnurschlingen als ein ähnliches 
ursächliches Moment an. Man hätte nicht eben glauben sollen, 
dass ein Individuum, dem es an beiden Händen fehlt, recht viel aus- 


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336 


Reinhard t-Natvig. Arbeitsschulen für Verkrüppelte. 


richten könnte. Sie ist dennoch jetzt als eine ganz tüchtige Kunst- 
weberin ausgebildet worden, die mit Geschicklichkeit ihren Web¬ 
stuhl behandelt. Sie hat selbst die Schürze gewebt, die sie auf der 
Photographie trägt. 

Die dritte ist die früher genannte Phocomelie. Was sie 
mit der Zeit ausrichten kann, ist schwer zu. sagen, da sie eben in 
die Schule aufgenommen ist. Während weniger Monate hat sie 
doch Blonden zu häkeln gelernt, womit sie gegenwärtig beschäftigt 
ist. Die Häkelnadel führt sie mit dem Munde. Ihre Handschrift, 
ist durchaus nicht im wahren Sinne eine „Handschrift*, sie führt 
nämlich auch ihre Feder mit dem Munde. 


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XX. 


Ans dem medico-mechanischen Zander-Institut 
Hannover. 

Ein Beitrag zur Lehre vom Schreibk’rampf. 

Von 

Dr. Ferdinand Bähr. 

Mit 2 Figuren. 

Für die Allgemeinheit der hier in Frage kommenden Stö¬ 
rungen sind eine Reihe von Bezeichnungen aufgestellt worden, welche 
bald lediglich der äusseren Erscheinungsweise Rechnung tragen, 
bald eine pathologische Deutung darstellen sollen: Functionelle 
Muskelkrämpfe und Lähmungen (Duchenne), Coordina- 
torische Beschäftigungsneurosen (Benedict), Dyskinesie 
professionnelle (Jaecoud), Paralysie anapeiratique (Ham- 
mond), Contracture par abus fonctionnel (Woillez), Nev- 
rose professionnelle (Neftel), Dynamische Dyskinesen 
mit den Unterabtheilungen functioneller Anästhesie, Hyp er- 
ästhesie, Akinese, Hyperkinese, Ataxie (Chambard). 
Für die Hand speciell bestehen die Bezeichnungen: Schreibkrampf, 
Schreiblähmung, Mogigraphie (Hirsch), eoordinatorischer 
Händekrampf (Rosenthal). Hoffa handelt den „Grapho- 
spasmus“ unter den „spastischen Fingercontracturen ab, 
Oppenheim unter Beschäftigungskrämpfe. Der letzte Autor 
behandelt in seinem Lehrbuch der Nervenkrankheiten gesondert 
davon die Arbeitsparesen. Er will eine strenge Unterscheidung 
zwischen Beschäftigungskrämpfen und Arbeitsparesen durchgeführt 
wissen, ohne irgendwie stichhaltige Kriterien hierfür anzugeben. Es 


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338 


Ferdinand Bähr. 


wird theoretisch und praktisch grosse Schwierigkeiten haben, dieser 
Anforderung gerecht zu werden. 

Die Trommlerlähmung kennzeichnet sich durch eine Läh¬ 
mung des Flexor pollicis longus; das ist eine Arbeitsparese. Der 
„Schreibkrampf“ äussert sich in einzelnen Fällen dadurch, dass 
eine Insufficienz des Flexor pollicis longus beim Schreiben sich 
geltend macht; das ist ein Beschäftigungskrampf. Worin liegt 
hier ein wesentlicher Unterschied? Wahrscheinlich nur darin, dass 
in dem ersten Falle theoretisch ein peripheres Leiden, im zweiten 
eine Störung des Coordinationscentrums supponirt wird. Die Atrophie 
wird in einzelnen Fällen der ersten Kategorie ebenso in den Hinter¬ 
grund treten, wie sie in gleicher Weise bei Fällen der zweiten 
Kategorie vorhanden sein kann. 

Fast alle oben erwähnten Bezeichnungen machen gewisse Vor¬ 
aussetzungen, welche im einzelnen Falle nicht zutreffend sein können. 

So erweckt die Bezeichnung „Schreibkrampf“ ohne weiteres 
die Vorstellung, es handle sich immer um einen „Krampf“, und 
man hat unter diesen Begriff ohne Bedenken Formen gestellt, welche 
paralytischer oder sensibler Art waren. Am besten von den 
früheren Bezeichnungen gewählt scheint mir unter solchen Um¬ 
ständen die Bezeichnung „Dyskinesie professionnelle“, für den 
„Schreibkrampf“ speciell Mogigraphie (vom Adverb. |xdYe<j = mit 
Mühe, kaum). Wollten wir allen Factoren ebenso wie der patho¬ 
logischen Grundlage, den einzelnen Formen, resp. der Allgemeinheit 
derselben, der theilweisen Unkenntniss, sowie der Aetiologie gerecht 
werden, so wäre wohl der Sammelbegriff „professionelle Motili¬ 
tätsstörungen“ der zweckmässigste, weil er keinerlei unbegründete 
Voraussetzungen in sich schliesst. Der Ausdruck gibt an, dass 
Motilitätsstörungen bei Ausübung einer gewissen Profession auf- 
treten. Wenn auch das Wort „Profession“ etwas verallgemeinernd 
ist, insofern eine gewisse Beschäftigung wie Schreiben z. B. noch 
nicht eine berufliche Thätigkeit als Schreiber voraussetzt, so tritt 
doch die fragliche Störung beim Schreiber von Beruf leichter und 
häufiger auf. 

Der jetzt am häufigsten gebrauchte Sammelnamen „Coor- 
dinatorische Beschäftigungsneurosen“ involvirt a priori ge¬ 
wisse Bedingungen, welche in vielen Fällen zweifellos fehlen. Die 
darin liegende supponirte centrale Störung der Coordination 
ist einstweilen eine Hypothese, welche zudem nicht einmal für alle 


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Ein Beitrag zur Lehre vom Schreibkrampf. 


339 


Fälle herangezogen werden kann. „Neurose“ nimmt eine Störung 
des nervösen Apparates an, eine Annahme, welche für manchen be¬ 
schriebenen Fall ungültig ist. Der Begriff „professionelle Mo¬ 
tilitätsstörungen“ sagt nur, dass bei Ausübung einer 
Profession (= B eschäftigung) Störungen der Motilität 
eintreten können, gleichviel ob dieselben sich in Spasmus, 
Tremor, Paralyse äussern, gleichviel welcher speciellen ana¬ 
tomischen Grundlage sie ihre Entstehung verdanken, gleichviel 
unter welchen näheren äusseren Bedingungen sie zu Stande kommen. 
Hierbei wird nicht das einer einzelnen Form von den vielen an¬ 
haftende Zeichen zum Charakteristicum der ganzen Gruppe gemacht. 

Nur eine bestimmte Voraussetzung sei gemacht: wir rechnen 
hierher nur solche Fälle, in welchen die Störung mit der speciellen 
professionellen Hantier ung in gewissem unverkennbarem Zusammen¬ 
hang steht. So müssen wir selbstverständlich eine „Beschäftigungs¬ 
neurose“, wie sie Zenker beschrieben hat, Fuss- und Unter¬ 
schenkelparese bei Kartoffelfeldarbeitern, bedingt durch 
einen in der hockenden Stellung stattfindenden Druck auf die 
Nerven, als nicht hierher gehörig betrachten. 

Unter dem Sammelbegriff professionelle Motilitäts¬ 
störungen sind bequem Unterabtheilungen zu machen, mag man 
nun von der Erscheinungsweise, welche die einzelne Form kenn¬ 
zeichnet, ausgehen, also eine mehr symptomatologische Ein- 
theilung vorziehen, mag man diese auf p atholog isch en Befunden 
aufbauen, deren wir hoffentlich mit der Zeit mehr gewinnen werden, 
oder mag man die Klassification der einzelnen Profession anpassen, 
also in gewissem Sinne nach ätiologischen Momenten Vorgehen. 
Es wäre also nach dem bisherigen Usus eine spastische, eine 
tremorartige 1 ), eine paralytische, eine sensible Form der 
professionellen Motilitätsstörungen aufzustellen, oder man klassi- 
ficirt auf bestimmten pathologisch-anatomischen Grundlagen, unter¬ 
scheidet u. A. eine myopathische, eine neuropathische etc. 
Form oder man spricht von einer professionellen Motilitätsstörung 
der Schreiber, der Schuster, der Telegraphisten etc. 


*) Dass man auch bei dieser Art der Klassification nebensächlichen Mo¬ 
menten den Ausschlag gibt, zeigt Wide, welcher die Pro- und Supinations- 
störungen zu den tremorartigen rechnet, weil die Schrift eine zittrige ist. Und 
doch kann diese zittrige Schrift der Ausdruck einer spastischen Form sein. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. III. Band. 23 


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340 


Ferdinand Bähr. 


Ohne Zwang könnte man hier selbst den professionellen 
Nystagmus der Bergleute einreihen, der wohl, namentlich bei den 
Häuern, auf eine Ueberanstrengung der Elevatoren zurückzuföhren 
ist und bei der Arbeit eine besondere, nur diesem Berufe eigene 
Thätigkeit der Augen erfordert, also in engem Zusammenhang mit 
der beruflichen Hantierung steht 1 ). 

Als Ausgang für die nachfolgenden Erwägungen sei hier eine 
Krankengeschichte mitgeteilt. 

Herr G., 35 Jahre alt, Beamter, consultirte mich am 11. April 
1894. Seit mehreren Jahren hatte er Müdigkeit, zunehmende Un¬ 
sicherheit beim Schreiben wohl verspürt, diese Erscheinungen aber 
nicht angeschlagen. Die Störung hatte allmählich soweit zugenommen, 
dass ihm das Unterzeichnen seines Namens nicht mehr möglich 
war. Er hatte anscheinend nicht übermässig viel geschrieben, aber 
viel in schlechter Federhaltung. Anfangs konnte er die Störung 
noch beeinflussen, wenn er den rechten Arm mit dem linken fixirte. 
Vor einem Vierteljahre hatte er ärztliche Hilfe nachgesucht. Völ¬ 
lige Abstinenz, Anwendung des galvanischen Stromes, Massagen, 
Douchen etc. hatten keinerlei Besserung herbeigeführt. Patient kam 
dann zu mir, weil er ein besonderes Vertrauen auf die Zander’schen 
Apparate setzte und auch Einiges über solche Behandlung gelesen 
hatte. 

Die erste Untersuchung ergab keinerlei Resultat. Patient war 
ein sehr gesunder Mann, ohne jegliche Antecedentien, ohne irgend 
welche nervöse Erscheinungen. Die Muskulatur des rechten 
Vorderarmes war gut entwickelt, es bestanden keine Veränderungen 
der mechanischen oder elektrischen Erregbarkeit. Druckpunkte 
konnte ich nicht nachweisen. Beim Schreiben, resp. beim Versuch, 

*) 1. „Der Nystagmus ist eine durch Ueberanstrengung entstandene 
Parese des Muskeltonus der Heber des Auges, wodurch bei der fortgesetzten 
Inanspruchnahme die Innervation nur in verlangsamter Weise stossweise erfolgt. 

2. Hervorgerufen wird derselbe nur durch Ueberanstrengung der Ele¬ 
vatoren, wie sie namentlich die Hauerarbeit durch dauerndes Erheben und 
Fixiren des Blickes nach oben bedingt. 

3. Begünstigt wird sein Auftreten durch Mangel der Beleuchtung, Seh- 
defecte, Insufficienz der Interni, mit der dadurch schwerer ermöglichten Asso¬ 
ciation der Augenbewegungen, und durch allgemeine Schwächezustände der 
Constitution. * 

A. Nieden, Der Nystagmus der Bergleute. Wiesbaden 1894. 
Ref. nach A. Moll, Centralblatt für Augenheilkunde 1894, April. 


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Ein Beitrag zur Lehre vom Schreibkrampf. 


341 


wurde der Vorderarm in Pronationssfcellung gezogen, und nur mit 
einiger Anstrengung konnte ich denselben in der erforderlichen 
Mittelstellung zwischen Pro- und Supination festhalten. Es stellte 
sich eine tonische Contraction der Pronatoren ein. Diese, von dem 
Patienten als Umkippen bezeichnete Erscheinung trat auch bei anderen 
ähnlichen Actionen ein, welche ein bestimmtes moderirtes Zusammen¬ 
wirken von Pro- und Supinatoren erforderten, so beim Versuch ein 
Opernglas zu halten oder ein Glas an den Mund zu führen. 

Nach manchem therapeutischen Misserfolg, nach dem nega¬ 
tiven Resultat der Untersuchung bezüglich einer nachweisbaren Ver¬ 
änderung erklärte ich dem Patienten, dass ich wohl versuchsweise 
die Behandlung aufnehmen wolle, einen Erfolg aber nicht in Aus¬ 
sicht stellen könne, — was ich, nebenbei gesagt, in jedem Falle 
zu thun pflege. Die Behandlung bestand in Massage, Fingerübungen 
(activ), sowie einigen Armübungen an den Zander’scheu Apparaten, 
namentlich ausgiebigen Pro- und Supinationsbewegungen. Nebenher 
betheiligte sich Patient noch an den Uebungen eines Turnvereins. 
Für den Anfang sollte er gar nicht oder nur mit dem Bleistift 
schreiben. 

Ich konnte mich nicht entschliessen, nach berühmten Mustern 
alle Muskeln des Armes, die Knochen, die Nerven bis zu ihren Aus¬ 
trittsstellen, die Plexus, die Ganglien, das Rückenmark, das Gehirn noch 
mit zu massiren, ich beschränkte mich auf den Vorderarm. Bei 
der dritten Sitzung entdeckte ich zufällig — ich hatte immer einen 
gewissen Verdacht, dass das Uebel am Ende doch in den Pro- oder 
Supinationsmuskeln zu suchen sei — eine weiche, schmerzhafte An¬ 
schwellung von etwa Zehnpfennigstückgrösse an der Insertion des 
Supinator brevis am Radius. Von da ab wurden fleissig kräftige 
Frictionen auf dieser Stelle gemacht. Nach einiger Zeit konnte 
Patient das Glas wieder mit der rechten Hand an den Mund führen, 
auch seinen Namen mit der Stahlfeder wieder schreiben. In der 
Zwischenzeit hatte er sich des Gänsekieles bedient mit den be¬ 
kannten Cautelen, möglichst dicker, leichter Halter etc. Am 31. Mai 
übergab mir Patient die beigelegte Schriftprobe. An derselben ist 
noch eine gewisse Klecksigkeit zu sehen, neben der Schwierigkeit, die 
Buchstaben unten zu verbinden. Mit der Besserung der Schrift 
nahm die Schmerzhaftigkeit an der erwähnten Stelle ebenso wie die 
Anschwellung ab. Am 9. Juni war die Besserung soweit vorge¬ 
schritten, dass Patient mit meiner Zustimmung die Behandlung einst- 


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342 


Ferdinand Bähr. 


weilen aufgab. Eine zweite, im ganzen wesentlich flüssigere 
Schriftprobe stammt vom 21. Juni. Patient wird zu Hause massirt 
und macht Fingerübungen mit Benützung von Gummibändern etc. 

Schriftprobe 1. 



$4. V’ 9h, 


Nach einer weiteren Mittheilung vom 4. Juli macht die Besserung 
langsame Fortschritte. 

In diesem Falle wurde also eine schwere Form der Schreib¬ 
störung durch eine siebenwöchentliche Behandlung ganz wesentlich 
gebessert, ich sage ausdrücklich nicht: geheilt. 


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Ein Beitrag zur Lehre vom Schreibkrampf. 


343 


Auf Grund des Befundes, unterstützt durch den therapeutischen 
Erfolg, stellte ich die Diagnose: My opathischer Graphospas- 

Schriftprobe 2. 

Aryl 





mus, Schreibkrampf, beruhend auf einer Affection des 
Supinator brevis. 


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344 


Ferdinand Bähr. 


Nach der vorliegenden Art der Störung, welche ihre Ursache 
in mangelhafter Wirkung der Pro- und Supinatoren hatte, wenn ich 
so sagen darf, in einer Hyperkinese der Pronatoren und einer 
Akinese des Supinator brevis, gab ich dem Patienten den Ratb, 
beim Schreiben folgendermassen zu verfahren. Der Zweck der 
Schreibart musste zu erreichen suchen, die Pro- und Supinations¬ 
bewegungen möglichst auszuschliessen. Bei vielen Leuten findet, 
um die gerade Linie zu erreichen, beim Wandern der Feder vom 
Innen- zum Aussenrand neben einer leichten Flexion des Hand¬ 
gelenkes in einzelnen Absätzen eine leichte Pronation statt. Meist 
muss während des Schreibactes überhaupt eine beständige Contraction 
des Supinator brevis stattfinden, um die Hand vor dem Umfallen 
nach der Daumenseite zu bewahren. In dem Versuche, die Rolle 
der einzelnen Muskeln für das Schreiben klarzulegen, erwähnt 
Erlenmeyer den Supinator brevis nicht, und doch ist die Bedeutung 
desselben auch für die dort als normal geschilderte Schreibweise 
eine hervorragende, da die labile Spitze der Feder als eine genü¬ 
gende Stütze gegen das Umsinken der Hand in Pronationsstellung, bis 
der Unterarm mit der ganzen Beugefläche aufliegt, nicht angesehen 
werden kann. Gerade bei des Schreibens ungewohnten Leuten habe 
ich beim Schreiben unzweckmässige Pro- und Supinationsbewe¬ 
gungen gesehen. Die leichten Pronationsbewegungen welche beim 
Seitwärtsführen stattfinden, sollten möglichst vermieden werden, 
dadurch, dass Patient aus der Schulter schrieb, d. h. den ganzen 
Arm nach aussen führte, wobei eine gewisse Mittellage zwischen 
Pro- und Supination erforderlich ist. Daneben sollte möglichst steil 
geschrieben werden, wobei die einzelnen Striche gross, durch aus¬ 
giebige Beugungen und Streckungen der einzelnen Fingergelenke 
bewirkt wurden. 

Nach meiner Meinung ist es verfehlt, eine bestimmte Schreib¬ 
weise verallgemeinern zu wollen als die zweckmässigste. So redet 
Gowers der Schreibart aus dem Schultergelenk das Wort. 
Auch bei dieser wird die Störung auftreten. Die Ursache für die 
Entstehung ist weniger in einer mehr oder weniger schlechten An¬ 
gewohnheit, als im Schreiben überhaupt zu suchen. Bei dem Streben, 
die Störung des Schreibactes zu verhindern, kann höchstens der ganz 
allgemeine Grundsatz aufgestellt werden, die Schreibweise, bei welcher 
die Störung auftritt, durch eine andere zu ersetzen. Inwiefern dieselbe 
als eine bessere zu gestalten ist, soll später erörtert werden. Jeden- 


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Ein Beitrag zur Lehre vom Schreibkrampf. 


345 


falls aber muss immer und immer wieder gefordert werden, dass 
man die einzelne Form ganz genau studirt. 

Im Anschluss an den eben geschilderten Fall wollen wir gleich 
die Zweckmässigkeit eines Apparates erörtern. Es sind deren 
viele angegeben, es werden täglich neue erfunden, angepriesen und 
auch verkauft, weil die Patienten in der Sorge um ihre Existenz 
in der Regel zu allem Zuflucht nehmen, was in berechtigten oder 
unberechtigten therapeutischen Zusammenhang mit ihrem Leiden 
gebracht wird. Und da erfahrungsgemäss Abhandlungen des vor¬ 
liegenden Inhaltes auch von Laien gelesen werden, so sei von vorn¬ 
herein bemerkt, dass es zwecklos ist, sich einen beliebigen 
Apparat, mag derselbe noch so genial (?) construirt sein, verschreiben 
zu lassen, die Apparate sind überhaupt in der weitaus 
grössten Zahl der Fälle werthlos. So werden sie in der Regel 
dem Neurastheniker so gut wie gar nichts nützen. In den übrigen 
Fällen muss, ebenso wie natürlich in den eben erwähnten, der 
Apparat einen ganz bestimmten, der einzelnen Form der Störung 
entsprechenden Zweck erfüllen. Um dies klar zu legen, greife ich 
am besten auf mein Beispiel zurück. Wir hätten, da der Versuch 
mit Gummibinde nicht gelingen wollte, einen Apparat construiren 
müssen, welcher die Pronationskrämpfe unmöglich macht. Das hat 
technisch einige Schwierigkeiten und ist praktisch das Tragen eines 
solchen Apparates schwer möglich. Es soll damit nicht gesagt sein, 
dass ein passender Apparat nach allerhand Versuchen nicht doch 
herzustellen wäre. Mit diesem Apparate hätten wir nun wohl das 
Schreiben ermöglicht, aber das Uebel nicht beseitigt. Hätte die 
schädliche Ursache, das Schreiben fortgedauert, so hätte die Stö¬ 
rung innerhalb gewisser Grenzen trotz des Apparates Fortschritte 
gemacht. 

Wer je Veranlassung nimmt, das Tragen eines Apparates an¬ 
zuordnen, der möge den Patienten nicht zu einer unnützen Ausgabe 
veranlassen und die Auswahl so treffen, dass sie dem Zweck einiger- 
massen nahe kommt. Wenn man auch einzelnen Apparaten, wie 
dem Nussbaum’schen Bracelet, Heilerfolge nachrühmt, eine 
causale Behandlung wird in dem Tragen eines Apparates nicht 
liegen, allenfalls wird er eine gewisse Erleichterung beim Schreiben 
gewähren. Warum durch einen Apparat bisweilen Heileflfecte erzielt 
werden, das wird sich aus dem Nachstehenden wohl ersehen lassen. 
Für ganz verkehrt halte ich Vorschläge wie den folgenden: t Den 


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346 


Ferdinand Bähr. 


Schreibkrämpfler kann man während der Kur mit dem Nuss¬ 
bau m’s che n Bracelet, welches die Antagonisten der erkrankten 
Muskeln anstrengt, schreiben lassen.“ (Reibmayr.) Mit so ober¬ 
flächlichen Rathschlägen leistet man Niemanden einen Dienst, und 
sie würden darum besser unterlassen. Wer sich aber je einen Apparat 
anschaffen will, der schenke den Anpreisungen von Laien keinen 
Glauben und wende sich an einen sachverständigen Arzt. 

Man hat bislang fast durchweg angenommen, dass diese Art 
der Motilitätsstörungen am häufigsten sei bei Hantierungen, welche 
das Zusammenwirken mehrerer Muskeln in exacter Weise er¬ 
fordern, wie z. B. beim Schreiben. Bei letzterem namentlich mass 
man offenbar auch der meist gleichzeitigen geistigen Thätigkeit eine 
gewisse Rolle bei, wie das mehrfach citirte Beispiel von dem Kaufmann 
zeigt, welcher wohl abschreiben konnte, aber sofort Störungen zeigte, 
wenn er eigene geistige Arbeit durch die Schrift zum Ausdruck 
bringen sollte. Für die Erklärung dieses Falles fehlen genügende 
Grundlagen. Jüngst beschriebene Formen der professionellen Mo¬ 
tilitätsstörungen weisen jedoch mit Evidenz darauf hin, dass die 
Präcision im Zusammenwirken der Muskeln nicht der wesentliche 
Moment ist, wie beim Schreiben, welches durch lange Uebung im 
einzelnen Fall erworben wird. Denn während man früher im grossen 
und ganzen solche Störungen nur bei feineren Hantierungen beob¬ 
achtet hat, werden sie neuerdings auch bei Beschäftigungen von 
relativ geringer Coordination beobachtet, wenn sie berufs¬ 
mässig betrieben werden. So entsteht der „Telephonisten¬ 
krampf“ durch Anlegen und Halten der Hörmuscheln. Beim 
Telegraphiren in vorschriftsmässiger Weise ruht das Endglied 
des Zeigefingers auf der Taste, während Daumen einerseits, Mittel¬ 
finger, oft auch noch Ringfinger, andererseits den Träger derselben 
festhalten, offenbar wesentlich zur Unterstützung des Zeigefingers. 
Der Druck wird durch den Zeigefinger, sowie geringe Beuge- und 
Streckbewegungen im Handgelenk bewerkstelligt. Der Vorderarm 
steht zum Oberarm etwa rechtwinkelig und ist während des Tele- 
graphirens nicht unterstützt. Der Spitzenpas der Tänzerin 
erfordert lediglich eine forcirte Action der betreffenden Muskeln y 
daher die Volumszunahme der Wadenmuskeln bei Solotänzerinnen. 
Beim Nähkrampf wird meist der Finger am stärksten befallen, 
welcher den Fingerhut trägt, einen gewissen Druck auszuüben hat. 
Beim Melken wird der „Strich“ durch Andrücken des Daumens 


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Ein Beitrag zur Lehre vom Schreibkrampf. 


347 


gegen den Zeigefinger (oder auch einen grösseren Theil der Hand) 
ausgequetscht. Ein interessantes Beispiel von professionellem 
Spasmus hat Gaborian mitgetheilt. Eine „Garde-barriere“ gab 
beim Herannahen des Zuges das Signal, wobei sie den Arm hori¬ 
zontal nach aussen strecken musste. Eines Tages konnte sie den 
Arm nicht mehr zu diesem Zweck erheben. Der Arm war sonst 
normal beweglich, sobald sie ihn aber zu abduciren versuchte, traten 
Krämpfe ein. 

Aus einzelnen dieser Beispiele geht klar hervor, dass auch 
Hantierungen getroffen werden, welche geringe geistige Thätigkeit, 
fast gar keine Uebung erfordern, nicht mühselig erlernt, erworben 
werden müssen, welche im Vergleich zum Schreiben ein ganz 
minimales Maas von Coordinationsvermögen erfordern. 
Was allen Fällen eigen ist, ist der Umstand, dass die wesentlich 
arbeitenden Muskeln, oft auch deren Antagonisten für die ent¬ 
sprechende Hantierung sich andauernd in einem gewissen Con- 
tractionszustand befinden müssen, oder dass dieser, wenn er 
kein andauernder ist, in gleicher Grösse immer und immer 
wiederkehrt. Dies Moment trifft auch für einzelne Formen der 
„Arbeitsparesen“ zu, bei denen man im Nachweis objectiver 
Veränderungen (atrophische Lähmung etc.) anscheinend glücklicher 
war. Von allen Anforderungen, welche an einen Muskel gestellt 
werden, ist dies die grösste. Ein Muskel wird auf die Dauer weit 
weniger ermüdet, wenn Contractionsmaximum mit völliger 
Erschlaffung abwechselt. Bei dem erst erwähnten Verhalten 
mag die zu Tage tretende Leistung eine relativ geringe sein, wie 
z. B. beim Halten der Feder. Beim gewöhnlichen Schreiben be¬ 
darf es so eines fortgesetzten Druckes seitens des Daumens, einer 
Contraction des Flexor pollicis longus von annähernd gleichem Grade. 
Der Vorderarm muss in einer gewissen Mittelstellung erhalten wer¬ 
den, damit er nicht nach der Radialseite zu umfällt, es finden bei 
vielen Menschen in kleinen Absätzen leichte allmähliche Pronations¬ 
bewegungen statt, dazu sind gewisse Contractionszustände 
geringerer Ausdehnung der Pro- und Supinatoren nothwendig 
in einzelnen L agen von ganz bestimmtem, immerwieder 
gleichem Masse. 

Ob nicht für einen so arbeitenden Muskel andere Bedingungen 
in Frage kommen, darüber wissen wir so gut wie gar nichts. Die 
einzige diesbezügliche physiologische Untersuchung sagt uns nur, 


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Ferdinand Bähr. 


dass auch für untermaxi male Reize die gleichen Gesetze ge¬ 
funden werden bezüglich der Ermüdungskurve (geradliniges Ab¬ 
nehmen); aber „die absolute Grösse der Ermüdungsdifferenz 
zweier successiver Zuckungen ist merkwürdigerweise 
hier bedeutender als bei maximalen Reizen“. (Tiegel cf. 
Hermann, Handbuch der Physiologie.) 

Wir wissen, dass jeder Muskel entsprechend seiner Arbeits¬ 
leistung zunimmt, hypertrophisch wird. Obwohl nun solche Muskeln 
gewiss viel Arbeit leisten, wenn man dieselbe summirt, so kommt 
doch dies physiologische Gesetz nicht zur Geltung, sofern es sich 
nicht um ganz grobe Hantierungen oder eigentliche Kraftleistungen 
handelt, wie beim Erheben des Körpers auf die Zehenspitzen bei 
der Tänzerin. 

Es finden unter solchen Umständen gewisse Dauercon- 
tractionszustände statt, welche vielleicht für den Muskel nach¬ 
theilig sind, weil sie seinen Stoffwechsel, seine Lüftung nicht in 
gleicher Weise ermöglichen, wie der Wechsel zwischen völliger 
Contraction und völliger Erschlaffung. Es muss da, gerade in Be¬ 
zug auf das Ergebnis des Tiegel’schen Versuches die Frage auf¬ 
geworfen werden, ob nicht Ernährungsstörungen zu Grunde 
liegen, deren speciellere Kenntniss wir heute noch nicht besitzen, 
welche für unsere bislang angewandten Untersuchungsmethoden ein 
greifbares Resultat nicht liefern. In unserem oben geschilderten 
Krankheitsfall wäre es unmöglich, die Veränderung, abgesehen von 
der Palpation, durch anderweitige klinische Symptome nachzuweisen. 
Dass aber auch der Nachweis durch die Palpation bei so wenig 
sich manifestirenden Veränderungen auf Schwierigkeiten stösst, be¬ 
weist die Krankengeschichte. Ich kann wohl nach mehrjähriger 
vielseitiger Ausführung der Massage einige Fertigkeit im Nachweis 
solcher Veränderungen für mich in Anspruch nehmen, und doch ist 
mir dieselbe in vorliegendem Falle wiederholt entgangen. Wenn 
wir keine localen Veränderungen nachweisen können, so darf das 
bei den vielen damit verknüpften Schwierigkeiten noch lange nicht 
als ein Beweis dafür angesehen werden, dass sie nicht existiren. 
Bei solcher Argumentation wäre es für manches Kapitel der Nerven- 
pathologie heute schlecht bestellt. 

Wenn man genaue Anamnese erhebt, so wird man finden, 
dass in vielen Fällen dem Vorhandensein einer deutlichen Störung 
oft Jahre lang ein gewisses Gefühl der Ermüdung, eine leichte 


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Ein Beitrag zur Lehre vom Schreibkrampf. 


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dumpfe Schmerzhaftigkeit vorausging, dass die Störung mit einer 
gewissen Unsicherheit in der Federführung kenntlich wird, dass 
dann einzelne ungewollte Muskelcontractionen mit unterlaufen 
oder auch ein Erlahmen eintritt, dass die Contractionen häufiger 
werden und schliesslich das typische Bild entsteht, nachdem Jahre, 
bisweilen Jahrzehnte Anzeichen bestanden haben, welche auf eine 
gewisse Schwäche, mangelhafte Action der Muskeln für 
die bezüglichen und analoge Hantierungen hinweisen. Es ist mir 
ein Fall erinnerlich, in welchem sich bei einem Berufsschreiber 
leichte Ermüdbarkeit, Schmerzhaftigkeit zeigten im Anschluss an 
eine Verstauchung des rechten Handgelenkes, lange ehe die aus¬ 
gesprochenen Zeichen des Schreibkrampfes vorhanden waren. 

Die ersten Anfänge werden nicht gewürdigt, weil sie 
für den Patienten noch keine ernsteren Störungen bedingen, vor 
allem noch kein Hinderniss für die Ausübung des Berufes in sich 
schliessen. Leider trifft man es nur zu häufig, dass auch intelli¬ 
gente Leute diese Anzeichen mit unbegreiflicher Indolenz ignoriren. 
Würde man aber den Frühformen die nöthige Sorgfalt zuwenden, 
so wären die Aussichten auf dauernde Wiederherstellung zweifellos 
günstiger. Während meiner Studienzeit hatte ich ein Semester, 
in welchem ich täglich durchschnittlich zehn Stunden im Colleg zu¬ 
brachte. Mehrere Vorlesungen, welche mir werthvoll waren, steno- 
graphirte ich nach, um sie zu Hause auszuarbeiten. Nachdem eine 
Zeit lang eine leichte Müdigkeit im rechten Vorderarm vorausgegangen 
war, stellten sich vereinzelte Beugungen des Daumenendgliedes ein. 
Dieselben nahmen mehr zu und traten bisweilen auch im linken 
Daumen auf. Dabei bemerkte ich allerdings, dass ich den linken 
Daumen beim Schreiben meist in derselben Lage zu halten pflegte, 
wie den rechten. Mit Vermeiden vielen Schreibens hörte die Stö¬ 
rung auf. Nach Jahren, als ich viel massirte, dabei namentlich den 
Daumen gebrauchte, kam die Störung gelegentlich wohl wieder, 
ging aber auch wieder zurück. Sie konnte aber nach einem arbeit¬ 
samen Tage sogar in der Ruhe auftreten. 

Die Zeit der Entstehung der Störung fällt in die Zeit der 
angestrengtesten beruflichen Thätigkeit. Sie fällt dementsprechend 
bislang beim Schreibkrampf in der Regel in die dritte und vierte 
Dekade (Poore, Berger, Gowers). Fällt aber die berufliche 
Anstrengung in ein früheres Alter, so sehen wir die Störung früher 
auftreten. So hat Wide „Beschäftigungsneurosen“ bei Tele- 


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Ferdinand Bahr. 


phonistinnen beschrieben, deren Entstehung um das 20. Jahr 
fällt. Wide erwähnt auch einen Fall von Klavierspielkrampf 
im 15. Lebensjahre. In einzelnen Fällen tritt die Störung in 
höherem Alter auf, wenn die Schrift physiologischer Weise zittrig 
wird, und zumeist eine gewisse Unsicherheit früher schon vorhanden 
war. Dass die Störung beim männlichen Geschlecht häufiger ist, 
ist nur dem Umstande zuzuschreiben, dass bisher die Männer durch 
die berufliche Thätigkeit eher Gelegenheit zur Erwerbung der Stö¬ 
rung hatten. Mit der Zunahme weiblicher entsprechender Be- 
rufsthätigkeit wird der relative Prozentsatz für das weibliche Ge¬ 
schlecht höher werden, ja bei einer eventuellen gleichmässigen Yer- 
theilung der Berufe wird Letzteres voraussichtlich in höherem Masse 
participiren. Wide hat unter 16 „Beschäftigungsneurosen“ 
10 weibliche Patienten veröffentlicht. 

Wie gewisse Allgemeinzustände, ebenso wie specielle Ver¬ 
anlassungen eine Prädisposition abgeben, ist bekannt. Der letzt¬ 
erwähnte Autor betont eine locale Disposition, so z. B. unge¬ 
eignete Handbildung für das Klavierspiel. 

Man hat theilweise die Stahlfeder beschuldigt, für das Ent¬ 
stehen der Mogigraphie eine Rolle zu spielen, fielen doch gerade die 
ersten eingehenderen Mittheilungen in die Zeit kurz nach Einführung 
der Stahlfeder. Nach meiner Ansicht mit Recht. Der Grund, dass 
Mogigraphie auch zur Zeit des Gänsekiels beobachtet wurde, dass 
auch Leute, welche nachher noch ihr Leben lang mit Gänsekiel 
schrieben, ebenfalls von der Affection befallen wurden, kann doch 
nicht dagegen angeführt werden, dass die Stahlfeder nicht in er¬ 
höhtem Grade für die Entstehung mitwirke. Chronischer Alkoholis¬ 
mus kann auch beim Weintrinker auftreten, es ist nicht unbedingt 
erforderlich, dass Schnaps getrunken wird. Bei manchen anderen 
Formen wird die specialisirende, einseitige, wenig Ab¬ 
wechselung bietende Berufsthätigkeit, wie sie das heutige 
Leben mit sich bringt und in der Zukunft noch mehr fordern wird, 
neben der Zunahme der neurasthenischen Krankheitsformen 
schwer ins Gewicht fallen. Auch die sportsmässige Ueber- 
treibung einzelner Liebhabereien wird manches Opfer heischen. 
Die Zahl der professionellen Motilitätsstörungen wird voraussichtlich 
fernerhin um ein Erkleckliches wachsen. Für die Mogigraphie und 
deren Häufigerwerden muss eine weitere Ursache in dem Zu¬ 
nehmen schriftlicher Arbeit, in dem stärker und stärker werdenden 


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Ein Beitrag zur Lehre vom Schreibkrampf. 


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papierenen Bureaukratismus gesucht werden. Vor Jahr¬ 
zehnten wurde relativ viel weniger geschrieben als heute. 

Die Stahlfeder erfordert zum Schreiben, besonders zur Aus¬ 
führung der scharfen Ecken weit feinere Muskelactionen als der 
Gänsekiel. Natürlich muss der Gänsekiel ein gut präparirter sein. 
Auch gibt es Leute, welche mit der Stahlfeder immer besser 
schreiben, als mit dem Gänsekiel. Es ist darum auch nichts Ausser¬ 
ordentliches, wenn einmal ein Patient sagt, er schreibe mit dem 
Gänsekiel schlechter. Sehr oft aber können „Schreibkrämpfler* 
(ein herrliches Wort, dessen intellectueller Urheber mir unbekannt 
ist) noch mit dem Gänsekiel schreiben, wenn ihnen dies mit der 
Stahlfeder unmöglich geworden ist. Jede Schreibart, welche ver¬ 
mehrte Anstrengung in der Ausführung, grössere Aufmerksamkeit 
nothwendig macht, disponirt in höherem Masse zu der Störung, 
ebenso eine jede Hantirung, bei welcher die oben erwähnten Mo¬ 
mente in Frage kommen. Der Schönschreiber acquirirt aus dieser 
Ursache die Mogigraphie leichter. 

Der Bleistift erfordert viel weniger Exactheit bei seiner 
Anwendung als die Feder. Die Bleistiftschrift ist in ihren einzelnen 
Buchstaben auch weniger ausgeprägt, weniger scharf. Ich sehe den 
Grund für die relative Immunität der Stenographen nicht 
wie Gowers darin, dass die Stenographen aus der Schulter schreiben 
— das ist unrichtig —, sondern in dem überwiegenden Gebrauch 
des Bleistiftes. Schlechte Haltung beim Schreiben, Gebrauch spitziger 
Federn, kurze Schreibinstrumente, welche das Halten erschweren, 
werden die Entstehung fordern. Ebenso werden kleine Schreib¬ 
flächen, Niveaudifferenzen der Schreibfläche und der Unterlage des 
Vorderarmes wirken. 

Wird die Schrift flüchtig, so schwinden die scharfen Biegungen 
mehr und mehr, die Buchstaben werden abgerundet, ihre charak¬ 
teristische Form geht verloren, weshalb alle Leute mit flüchtiger 
Schrift undeutlich schreiben. 

Wie steht es nun mit den pathologischen Befunden bei 
den fraglichen Motilitätsstörungen? Schon seit längerer Zeit hat 
man in einzelnen Fällen periphere Veränderungen nachgewiesen. 
Wenn man alle zusammen stellt, dürfte sich gegenüber den übrigen 
negativen Untersuchungsergebnissen eine stattliche Zahl ergeben. 
Es seien hier nur einzelne Namen angeführt: Drachmann, Fried¬ 
berg, Froriep, Henschen, Kleen, Meyer, Nebel, Reib- 


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Ferdinand ßähr. 


mayr, Remak, Rossander, Runge, Wide, Zander etc. 
Allen denjenigen, welche neuerdings die Entdeckung peripherer 
Veränderungen für sich oder jüngere Autoren in Anspruch nehmen 
möchten, empfehle ich Froriep’s Abhandlung über die rheu¬ 
matische Schwiele 1843 zur eingehenden Lectüre. Dort wird 
auch unter den therapeutischen Mitteln angeführt, dass sich die 
Weg Schaffung solcher Veränderungen durch Reiben, 
Kneten, Klopfen empfehle; es ist da noch keine Rede von einer 
Massagekunst, aber wenn ich die Ausführungen einzelner heutiger 
Autoren damit vergleiche, welche aus gewissen Gründen bald centri- 
petal, bald centrifugal beim Schreibkrampf massiren, so finde ich, 
dass die Quintessenz der ganzen Massagetherapie bei solchen Ver¬ 
änderungen inFroriep's Bemerkung enthalten ist. Die Posterioren 
haben also keine Ursache, sich um das Recht der Priorität zu 
streiten. 

Ich will auf alle Beobachtungen über periphere Befunde nicht 
eingehen, ich erwähne nur, dass man Veränderungen am 
Periost, in der Muskulatur, an den Sehnen, an den 
Nerven etc. gefunden hat, deren mechanische Beeinflussung (Druck) 
bisweilen den Spasmus hervorrief, deren Beseitigung in den meisten 
Fällen einen günstigen Effect, wenn nicht gar eine volle Heilung 
bewirkte. Eine gewisse Prädilectionsstelle für die Locali- 
sation solcher Veränderungen geben die Oberarmcondylen ab, — 
Nebel sagt, dass „fast in der Hälfte der Fälle Druckempfindlich¬ 
keit am Condylus internus oder externus gefunden werde“, — wie 
überhaupt die sogenannte „rheumatische Myositis“ sich mit 
Vorliebe an den Ursprüngen und Ansätzen der Muskeln localisirt. 
Jeder, der sich mit der mechanischen Behandlung von Schreibkrampf 
und ähnlichen Störungen beschäftigt hat, wird Beispiele peripherer 
Befunde besitzen. Aus meiner persönlichen Erfahrung sei hier nur 
noch ein Fall von Klavierspielerkrampf erwähnt mit einer In¬ 
filtration im Daumenballen, deren Beseitigung von heilender 
Wirkung war. Warum dies nicht immer der Fall, warum die 
Heilung auch unter solchen Umständen ausbleiben kann, darauf 
werden wir unten noch zurückkommen. Im übrigen enthält die 
Massageliteratur so viele diesbezügliche Beobachtungen, dass ich 
wohl darauf verzichten kann, weitere Beispiele hierfür beizubringen. 

Gerade die myopathische Form der Schreibstörung ist für 
einige Fälle unzweifelhaft nachgewiesen. Und für diese Form darf 


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Ein Beitrag zur Lehre vom Schreibkrampf. 


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es uns nicht wundern, wenn die Störung auftritt, ohne dass ver- 
hältnissmässig viel geschrieben wurde. Hier bedingt die locale Er¬ 
krankung, deren Bedeutung für die Function des Muskels wir noch 
nicht so recht ermessen können, eine weit grössere Anstrengung 
beim Schreiben. Wenn ein schmerzhaftes Gelenk bewegt wird, so 
stellt sich binnen Kurzem Tremor ein. Müssen wir längere Zeit 
ein Instrument halten in ganz bestimmter Lage, wie z. B. bei 
chirurgischer Assistenz, so stellt sich erst eine Ermüdung ein, und 
jeder weiss, dass selbst ungewollte Bewegungen mit unterlaufen 
können. Soll da schon eine Störung des Coordinationscen- 
trums mitwirken? 

In unserem Falle hatten wir eine greifbare Veränderung im 
Supinator brevis, welcher den eigentlichen Supinationsmuskel dar¬ 
stellt. Wir haben oben schon auf die Bedeutung dieses Muskels beim 
Schreibact hingewiesen. Bei der Schreibart, welche der Patient zeigte, 
findet bei dem Wandern vom Innen- zum Aussenrand eine beständige 
annähernd gleichmässige Innervation oder eine solche in einem be¬ 
stimmten proportionalen Verhältniss der Pro- und Supinatoren statt. 
Durch die Veränderung ist der Supinator zum Theil insufficient 
geworden. Durch Jahre lange Uebung sind die Muskeln gewöhnt, 
auf jegliche Innervation prompt zu reagiren. Das Schreiben wird 
mit der Zeit fast eine automatische Bewegung wie das Gehen. Um die 
Schreibstörung auszugleichen, findet ein plus von Innervation statt. 
In unserem Falle wird der Supinator brevis um so weniger zu 
reagiren vermögen zu Gunsten der Pronatoren. Dass eine Aenderung 
des elektrischen Verhaltens des Muskels zu erkennen wäre 
bei einem chronischen Process von so geringer Ausdehnung, darf 
man wohl nicht erwarten. Es ist neben der krankhaft veränderten 
Stelle noch Muskelsubstanz genug vorhanden, um die Störung zu 
verdecken. Aenderungen des elektrischen Verhaltens werden auch 
bei den sogenannten rheumatischen Myositen, deren pathologisch¬ 
anatomischen Charakter wir noch nicht kennen, bei mässiger Aus¬ 
breitung nicht gefunden. Dass die Motilitätsstörung bei gröberen 
Hantierungen nicht zur Geltung kommt, hat wohl darin seine 
Ursache, dass dazu einestheils eine so exacte bestimmte Innervations¬ 
grösse nicht erforderlich ist, andererseits keine Contraction von so 
bestimmtem Masse. DerMuskel hat nicht sein Contraction s- 
vermögen verloren, er hat nur die Feinheit ein¬ 
zelner Contractionszustände eingebüsst. In dem Ver- 


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Ferdinand Bähr. 


halten von Pro- und Supinatoren tritt, je grösser der Innervations¬ 
impuls ist, desto leichter die Störung ein, desto stärker kommt die 
verminderte Erregbarkeit des einen Muskels gegenüber der durch 
die Störung fortgesetzt erhöhten des Antagonisten zur Geltung. Bei 
einer genauen Wage genügt ein minimales Gewicht, um einen Aus¬ 
schlag der einen Schale zu bewirken. Es gibt wohl Fälle, in wel¬ 
chen die Alterirung des Gleichgewichtes (Dzondi, Meyer, 
Haupt, Poore, Zaradelli, Wide) eine Veranlassung für die 
Störung abgibt. 

Diese Erklärung kann aber nur für einen beschränkten Theil 
herangezogen werden, sagen wir für die antagonalen Formen 
der Motilitätsstörung. Es gibt Fälle, in welchen greifbare 
Veränderungen nicht nachgewiesen werden können, wohl auch nicht 
vorhanden sind, in denen ein solch gegenseitiges Verhalten der An¬ 
tagonisten nicht ersichtlich ist. Das sind vorwiegend diejenigen, 
welche sich auf nervöser Grundlage entwickeln. Sie zeichnen sich 
fast durchweg dadurch aus, dass ungewollte Contractionen bald 
tonischer, bald klonischer Art auf treten; relativ selten ist hier 
die Ermüdungsform. Nicht in allen ist jedoch eine nervöse 
Allgemeinstörung vorhanden. Hierbei werden die Muskeln befallen, 
welche andauernd in Action sind, wie die oben erwähnte, den Ver¬ 
fasser selbst betreffende Beobachtung zeigt. Hier hat die fortge¬ 
setzte Thätigkeit, vielleicht mit irgend einer feineren Veränderung 
des Muskels dazu geführt, dass derselbe eine erhöhte Reizbar¬ 
keit besitzt; es gehört eine relativ geringe Innervationsgrösse dazu, 
den Muskel zur Contraction zu bringen. Der Muskel reagirt 
auf jeden Innervationsimpuls, welche die bestimmte 
Contractionsgrösse von ihm verlangt, durch eine über¬ 
mässige, auch maximale Contraction oder einen Tetanus. 
Bei der Ermüdungsform reagirt der Muskel in gleicher 
Weise mangelhaft oder gar nicht auf den Innervations¬ 
impuls. Für die Form der Flexorenkrämpfe, wie sie bei der Schreib¬ 
störung in den Muskeln auftreten, welche durch einen gewissen 
Druck der Finger die Feder festhalten, kann von einer Störung der 
Coordination überhaupt nicht die Rede sein. So könnte man, wenn 
man den Sitz in das Centrum verlegen wollte, bei dem Flexoren¬ 
krampf des Daumens z. B. allerhöchstens eine erhöhte Irritabilität 
des entsprechenden motorischen Centrums annehmen. Wenn die 
Mittheilungen darüber auch sehr spärlich sind, so ist aber doch von 


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Ein Beitrag zur Lehre vom Schreibkrampf. 


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einzelnen Autoren eine Erhöhung der indirecten Erregbarkeit 
gefunden worden, so u. A. von Eulenburg, Poore. Diese erhöhte 
Erregbarkeit der befallenen Muskeln spielt schon längst eine Rolle 
in der Erklärung der Erscheinung. Sie wird gleichsam durch Jahre 
lange Debung erworben, durch die unmässige Thätigkeit abnorm 
gesteigert. Dass wir sie nicht immer nachweisen können, ist kein 
triftiger Grund, ihre Annahme zu leugnen. Sie kann vielleicht mit 
unseren jetzigen Hilfsmitteln überhaupt nicht nachgewiesen werden. 
Vielleicht liegt in dem Tiegel’schen Untersuchungsergebniss der 
Ausgangspunkt für weitere Erklärungsversuche. 

Erb, der einzig mir bekannt gewordene Nervenpathologe unter 
den Jetzigen, welcher nicht einseitig die centrale Störung betont, 
sagt darüber Folgendes: „Es können nämlich auch periphere Stö¬ 
rungen einen ähnlichen Einfluss auf das Schreiben und ähnliche 
Beschäftigungen haben; sind einzelne periphere Nerven und Mus¬ 
keln stärker erregbar, so wird Krampf eintreten; sind sie schwächer 
erregbar oder gelähmt, so wird der Ausfall ihrer Contraction eben¬ 
falls zu einer Störung der geordneten Bewegungen führen —, immer 
vorausgesetzt, dass, wie dies ja nicht anders möglich ist — die 
Stärke der motorischen Erregung für die gesammten Muskelgruppen 
in bestimmten Verhältnissen die gleiche bleibt.“ 

Wir wollen hier die centrale Entstehung nicht von der Hand 
weisen, es ist aber eine auffallende Thatsache, dass gerade bei cen¬ 
tralen Affectionen, Tabes etc. die charakteristischen Formen der 
Mogigraphie in den Hintergrund treten. Manche Fälle sind nach- 
gewiesenermassen peripheren Ursprungs, und wir müssen einer 
Behauptung wie die folgende: „Am unwahrscheinlichsten ist es, dass 
es sich um eine periphere Affection handelt, dagegen spricht das 

völlig negative Ergebniss jeder (?) Untersuchung —-und 

wohl auch die Fruchtlosigkeit der therapeutischen Massnahmen“ 
die Berechtigung absprechen (vergl. Hirt: Pathologie und Therapie 
der Nervenkrankheiten; Hirt will den Sitz in die Hirnrinde legen). 
Nach meiner Ansicht wird man in erster Linie auf eine periphere 
Localisation Gewicht legen müssen. Die Störung der Coordination 
halte ich, wenn sie überhaupt besteht, für etwas Secundäres. 
Denn gerade die lange dauernde Beschränkung auf bestimmte Mani¬ 
pulationen, auf einen bestimmten Muskel, wie z. B. den Flexor 
pollicis longus, spricht nicht zu Gunsten einer centralen Ursache. 
Derartige Störungen auf centraler Grundlage sind doch wohl eine 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. III. Band. 24 


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Ferdinand Bähr. 


Seltenheit, wie denn Krämpfe einzelner Muskeln überhaupt zu den 
Raritäten gehören. Warum bleibt diese angebliche Coordinations- 
störung Jahre lang auf einen einzigen Muskel beschränkt? Es ist 
ja unter diesen Umständen überhaupt keine Coordinationsstörung. 
Soll gerade diesem einen Muskel das Coordinationsvermögen ab¬ 
handen gekommen sein und nur für diese einzige Contraction von 
bestimmter Grösse? Der Paralytiker mit seiner Rindenaffection zeigt 
nicht die typische Form des Graphospasmus. Eine Coordinations¬ 
störung müsste sich meines Erachtens immer da geltend machen, 
wo der betreffende Muskel in Thätigkeit tritt. Das trifft aber nur 
bei den sehr vorgeschrittenen und auch hier wieder nur in einzelnen 
Fällen zu. Sonst tritt die Störung nur auf, wenn von dem Muskel 
eine gewisse Contractionsgrösse verlangt wird; für diese ist er in- 
sufficient geworden, er setzt an Stelle derselben eine maximale oder 
eine minimale oder er reagirt gar nicht. 

Ein gewisser Uebergang zu den pathologischen Verhältnissen 
liegt in normalen Grenzen. Bei dem Violinspieler treten die Con- 
tractionen der Fingermuskeln an der linken Hand infolge jahrelanger 
Uebungen mit grosser Leichtigkeit ein. Wir können keine Er¬ 
höhung der indirecten Erregbarkeit nachweisen und doch liegt die 
Reizschwelle seiner hierfür wirkenden Muskeln niederer als beim 
ungeübten, welcher grösserer Willens-(Innervations-)impulse bedarf, 
um die Finger isoliert in Action setzen zu können. Gerade der 
letztere aber ermüdet rasch, macht nach kurzer Dauer allerhand 
ungewohnte Bewegungen, falsche Griffe. So kommt auch bei dieser 
Form des Violinspielerkrampfes weniger das coordinirte Zusammen¬ 
wirken einzelner Finger, vielmehr deren Selbständigkeit in der 
Einzelwirkung in Betracht. 

Erst wenn die Störung lange bestanden hat, wenn das Cen¬ 
trum immer eine verkehrte Reaction erzielt, dann wird es Missgriffe 
machen, das aber nur in den extremen Fällen. Die Anschauung, 
dass die Coordinationsstörung etwas Secundäres sei, ver¬ 
tritt u. A. Rosenthal. 

Die Störung wird fast durchweg durch eine periphere materielle 
Ursache, wie z. B. Aufnahme der Beschäftigung, hervorgerufen. Ab¬ 
gesehen von ausgesprochenen Reflexvorgängen treten fast alle Mo¬ 
tilitätsstörungen, deren Ursache wir bislang in functioneilen Neu¬ 
rosen der Centralorgane suchen, ohne solche bestimmte Veranlassung 
auf oder auf Einwirkungen ein, welche mehr psychischer Art sind. 


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Ein Beitrag zur Lehre vom Schreibkrampf. 


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Wenn auf der betroffenen Seite eine Hemiplegie einsetzt 
und die Schreibstörung bleibt aus, wenn die Motilität nach einiger 
Zeit wiedergekehrt ist, so ist darin Besonderes nicht zu finden 
(Dollinger). Es ist ja fraglich, ob die Störung nun auch für 
immer ausbleibt, ganz abgesehen davon, dass einzelne Fälle durch 
Ruhigstellung überhaupt geheilt wurden. 

Die initiale Störung bleibt die Ermüdung neben einer 
Reihe anderer Symptome un d ni cht d er Krampf, wie Go wer s 
behauptet. Genauere anamnestische Erhebungen werden das un¬ 
widerleglich ergeben, wenn auch vielfach die Gleichgültigkeit die 
Anfangserscheinungen übersehen lässt. Der Spasmus ist eine 
Theilerscheinung und darf nicht als Bezeichnung für das 
Ganze gebraucht werden. 

Beim Neurastheniker kommt ein Uebermass von Innervation 
an jedem Organ leicht zu stände, das er in besondere Thätigkeit 
versetzt, während gleichzeitig eine erhöhte Reizbarkeit dieses Or¬ 
ganes gegeben ist. Es addiren sich hier die durch die Ermü¬ 
dung einerseits, durch die fortgesetzte Inanspruchnahme des be¬ 
theiligten Muskels andererseits erhöhte Erregbarkeit desselben mit 
dem stärker werdenden und auch leichter auszulösenden Innervations¬ 
vorgang. Das Gegentheil gilt für die Ermüdungsformen. Bis zu 
einem gewissen Grade muss auch die Erklärung herangezogen werden, 
welche Erb für die Entstehung der Crampi gibt: „Jedenfalls aber 
liegt die Annahme nahe, dass es sich in den meisten Fällen um 
eine in der Muskelsubstanz selbst gelegene Veränderung 
und zwar um eine gesteigerte Erregbarkeit handelt, und wir 
werden die Annahme machen dürfen, dass durch die starke Er¬ 
müdung, durch reichliche Wasserentziehung, durch Störung der 
arteriellen Blutcirculation und dergl. eine vorübergehende Ernährungs¬ 
störung in den Muskeln erzeugt wird, welche sich als gesteigerte 
Erregbarkeit manifestirt und bei dem geringsten motorischen 
(Willens- oder Reflex-) Reiz zur Entstehung des Crampus führt. 
Freilich ist damit nicht ausgeschlossen, dass auch die motorischen 
Nerven eine ähnliche Ernährungsstörung und Erregbarkeitssteigerung 
erfahren können.“ „In dem bei gesunden Muskeln durch heftige 
Anstrengung entstehenden Crarapis wird nur die einseitige Zu¬ 
nahme der Reizstärke als Ursache zu beschuldigen sein.“ 

Wie ausserordentlich nahe liegt da der Uebergang vom Krampf 
der Tänzerin zu dem Krampf, wie er nach einer anstrengenden 


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Ferdinand Bähr. 


Bergpartie auftritt. Im letzteren Falle ist wohl vorwiegend das 
Liegenbleiben von Stoffwechselproducten zu beschuldigen, 
indem die Regeneration nicht den vermehrten Anforderungen parallel 
ging. Dadurch kann offenbar die Erregbarkeit einerseits ge¬ 
steigert, andererseits herabgesetzt werden, eine spastische oder para¬ 
lytische Störung bedingt werden, mit welchen beiden sensible 
Erscheinungen einhergehen können. Wadenkrämpfe finden sich 
bekanntlich häufig im Anschluss an Phlebitiden, Varicen etc., Um¬ 
stände, welche die locale Circulation beeinträchtigen, ganz abgesehen 
davon, dass in den anatomischen Lagebeziehungen der Waden¬ 
muskulatur zum Centrum des Blutumlaufes eine disponirende Ur¬ 
sache liegt. 

Eine günstige Bedingung für ein ähnliches Verhalten liegt in 
dem fortgesetzt einem bestimmten Contractionszustand bei gewissen 
Hantierungen ausgesetzten Muskel, dem die Möglichkeit fehlt, durch 
abwechselnde Contraction und Erschlaffung eine bessere Lüftung 
von den excrem enteilen Producten vorzunehmen durch eine 
stärkere Zu- und Abfuhr des Blutes. Die sogenannten rheumatischen 
Myositen localisiren sich mit Vorliebe in der Nähe der Ursprungs¬ 
und Insertionsstellen, den Punkten, wo die Circulation die un¬ 
günstigste ist. 

Als eine Hauptstütze für die Coordinationshypothese hat man 
die Thatsache angeführt, dass die Störung beim Versuch, z. B. die 
rechte Hand beim Schreiben durch die linke zn ersetzen, in relativ 
rascher Zeit sich auch hier entwickelte. Man hat deshalb auch den 
Vorschlag, die Patienten mit der linken Hand schreiben zu lehren» 
neuerdings bekämpft. Es ist das eine unberechtigte Verallgemeine¬ 
rung, welche auf die Störung im Einzelfalle keinerlei Rücksicht 
nimmt. Es besteht durchaus kein Grund, einen Patienten, bei 
welchem die Mogigraphie mit Bestimmtheit einer localen circum- 
scripten Veränderung zuzuschreiben ist, links schreiben zu lassen. 
Freilich ist auch hierbei eine Auswahl wohl anzuempfehlen. Denn der 
einerseits bestehende Schreibkrampf disponirt wegen des viel¬ 
fachen, gleichheitlichen Wirkens beider Hände zur Erkrankung 
der anderen Seite. (Man vergleiche die den Verfasser betreffende 
Mittheilung.) Wie die linke Hand unwillkürlich Bewegungen der 
rechten kopirt,,— wie viel Uebung ist nur erforderlich, um zum 
Klavierspiel die beiden Hände unabhängig von einander zu machen, — 
so wird sie auch leicht die Störungen derselben nachahmen. Er- 


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Ein Beitrag zur Lehre vom Schreibkrampf. 


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fährt die Reaction der einen Hand eine pathologische Steigerung, 
so wird die Neigung, Mitbewegungen auszuführen, eine erhöhte 
sein. Bei Patient G., welchem ich den Rath gab, links zu schreiben, 
trat anfangs beim Versuche regelmässig der typische Krampf auf 
der rechten Seite ein. Mit der Besserung hörte dies auf. Versucht 
der Patient mit der linken Hand zu schreiben, so muss er mit viel 
mehr Muskelarbeit, Aufmerksamkeit etc., also unter ganz schwie¬ 
rigen Bedingungen das Schreiben erlernen. Unbedingt zu ver¬ 
meiden ist das Schreiben mit der anderen Hand, wenn eine 
nervöse Grundlage gegeben ist. Schliesslich ist bei der 
ganzen Frage nicht zu vergessen, dass eine locale Affection auf 
beiden Seiten Platz gegriffen hat oder Platz greift. 

Dass die Prognose auch in den Fällen, wo periphere Ver¬ 
änderungen nachweisbar sind, eine dubiöse ist, das sei hier aus¬ 
drücklich betont. Man hat sehr mit Unrecht daraus, dass mit dem 
Schwinden z. B. einer Muskelinfiltration die Störung nicht schwand, 
den Schluss gezogen, dass hierin ein gewisser Beweis für die nicht 
periphere Ursache zu suchen sei. Aber wir wissen nicht, in wie 
weit das veränderte Gewebe seine frühere Functionsfähigkeit wieder 
erlangt; es ist doch wahrscheinlich, dass Elasticität, Dehnungs¬ 
vermögen nothgelitten haben. Vielfach wird zweifellos die Stö¬ 
rung durch vikariirende Hypertrophie anderer Muskelbündel aus¬ 
geglichen, wie man es bei traumatischen, fibrösen Myositen sehen 
kann. Wenn man aber die Persistenz sogenannter rheu¬ 
matischer Myositen resp. ihr Schwinden unter der Behandlung 
und ihre Wiederkehr so oft sieht, dann darf man wohl annehmen, 
dass eine bestimmte Veränderung an der betroffenen Stelle zurück¬ 
bleibt, welche leicht eine Wiederholung des Processes bewirkt und 
eine dauernde Schädigung repräsentirt. Ich habe deshalb dem 
Patienten G. die Prognose mit aller Vorsicht gestellt. Sehr günstig 
sind die Fälle, in welchen eine solche Myositis jüngeren Datums 
ist, diese aber kommen leider selten zur Behandlung. 

Nach meinen obigen Ausführungen ist wohl klar, dass ich mir 
von der elektrischen Behandlung der noch nicht genau locali- 
sirten Coordinationscentren nichts verspreche. Ich will die Heil¬ 
erfolge der Anhänger der centralen Galvanisation nicht an¬ 
zweifeln, aber es ist dabei nicht zu vergessen, dass hier vielfach 
andere Factoren, wie Abstinenz, zweckmässige Schriftart, vernünf¬ 
tiges Zureden etc. mitgewirkt haben, Factoren, bei welchen zumeist 


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360 


Ferdinand Bähr. 


eine Besserung auch ohne galvanischen Strom eintritt. Ich kann 
mir höchstens von der peripheren Anwendung des galvanischen 
Stromes einen günstigen Einfluss versprechen. Es mag gerade für 
angenommene gesteigerte Erregbarkeit der Muskeln einerseits, für 
die Herabsetzung andererseits von Nutzen sein. 

In gleicher Weise müssen wir dem inducirten Strom das 
Wort reden, wenn auch einzelne Autoren ihr einziges Heil in der 
Anwendung des constanten sehen und dem Ersteren jeden Heil¬ 
effect absprechen. Ich glaube, sie werden bezüglich des Letzteren 
ziemlich neben einander rangiren. 

Man hat sich wohl früher für die Behandlung der Mogigraphie 
von der Electrotherapie Grosses versprochen, aber die Begeisterung 
dafür hat bei einzelnen gewichtigen Autoren bedenklich nachgelassen. 

Vor mehreren Jahren, als die Massage unter kritikloser, er¬ 
werbssüchtiger Assistenz ihren Triumphzug antrat, hat man der 
Verbindung von Massage und Heilgymnastik viel Gutes 
nachgerühmt. Insbesondere wfiren es ehemalige Schreiblehrer, 
welche die gewinnbringende Behandlung des Schreibkrampfes mit 
einem gewissen Heisshunger betrieben und heute noch betreiben. 
Auch Aerzte Hessen sieh von den Ruhmredereien imponiren. Nach 
Weiss genügen einige Massagesitzungen zur vollkommenen Heilung 
und Vigouroux glaubte, dass die ursurpirte sogenannte Wolffsche 
Methode bei allen Beschäftigungsneurosen der Hand von Erfolg sei. 
Diese Laien haben lediglich eine periphere Behandlung an¬ 
gewendet, und mögen die Uebertreibungen auch grosse sein, sicher¬ 
lich haben sie bessere Erfolge erzielt als wir Aerzte, allerdings nur 
in manchen Fällen. So hat Wolff nach Stein von 245 Fällen 
von Schreibkrampf 132 radical (?) geheilt, 22 gebessert, 91 nicht 
geheilt, von 32 Fällen von Violinspiel- und Strickkrampf 25 geheilt. 
Dass diese Leute manchen Erfolg erzielt haben, den Grund dafür 
sehe ich eben in der peripheren Behandlung. Wir sollten uns diese 
Erfahrung zu Nutzen machen. Wenn die Behandlung mit Massage 
und Gymnastik mit einer zweckentsprechenden Schreibge¬ 
wöhnung verbunden wird, — und im Studium der Schreibmethoden 
haben uns diese Herren wohl etwas voraus —, so sind das wesent¬ 
liche Factoren. Freilich, wo das Uebel auf neurasthenischer Basis 
sitzt, da sind diese Herren mit ihrer Therapie meistens auf den 
Sand gesetzt, was sie dadurch entschuldigen, dass das Leiden ein 
centrales sei. 


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Ein Beitrag zur Lehre vom Schreibkrampf. 


3(31 


Ich sehe in dieser Schott’schen alias Wolffschen Methode 
nichts Besonderes und glaube jeder Arzt, der das nöthige Interesse 
auf die Sache verwendet, kann die gleichen, ja hoffentlich noch 
bessere Erfolge erzielen 1 ). 

Ich hatte einen Patienten in Behandlung, bei welchem der 
Flexor pollicis longus zu versagen pflegte. Neurasthenische Ver¬ 
anlagung. Frühere — darunter auch Galvanisation des Gehirns — 
ebenso wie meine Behandlung ohne Erfolg. Keine nachweisbaren 
Veränderungen. Darauf Behandlung durch den geschäftsreisenden 
Schreiblehrer Lupus, der eine Ueberstreckung der Strecksehnen 
diagnosticirte, was mir allerdings entgangen war. Behandlung eben¬ 
falls erfolglos. Die gegen die Neurasthenie späterhin gerichtete 
Behandlung, Gebirgsklima, Seeluft, liess eine deutliche Besserung 
erkennen. 

Für die Massagebehandlung gibt es gewisse Vorschriften; ich 
möchte es unterlassen, solche hier zu geben. Die Massage soll 
vernünftig und sachgemäss ausgeführt werden. Andere Au¬ 
toren haben allerdings bestimmte Ansichten über die Ausführung 
niedergelegt. Hünerfauth will beim Spasmus wie bei der Para¬ 
lyse eine mässig starke bis sehr kräftige Nervenmassage ange¬ 
wendet, beim Tremor dagegen sanfter massirt wissen. Warum? 
Ob centripetal oder centrifugal zu streichen sei, richtet sich nach 
H. zuweilen nach dem mit der Richtung verbundenen angenehmen 
Gefühl des Patienten! „Bin ich nicht veranlasst, einen besonderen 
Gesichtspunkt in dieser Beziehung zu verfolgen, so gebe ich der 
Streichuug, der kurzen Reibung und der Hackung in centrifugaler 
Richtung den Vorzug. Dabei verfahre ich insofern nach physio¬ 
logischen Grundsätzen, als die Richtung der Massage 
mit der Leitung in den motorischen Nerven parallel 
läuft.“ (!) Etwas von den physiologischen Grundsätzen kehrt 
in dem Behandlungsschema vieler, insbesondere Massageautoren 
wieder, so vor allem die centrifugalen Streichungen der Nerven 
vom Austrittspunkt aus dem Wirbelkanal bis in die kleinsten Ver¬ 
zweigungen hinein (u. A. Dollinger), eine Modification der so¬ 
genannten physiologischen Massage, deren Grund ich hier ebenso 

*) Das Einzige, worin die Wolff’sche Methode der älteren Schott’schen 
— wenn man überhaupt von einer Methode beider reden kann — über ist, ist 
das, dass ersterer es besser verstand, aus seiner angeblichen Methode einen 
besseren praktischen Nutzen zu ziehen. 


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362 


Ferdinand Bahr. 


wenig wie bei manchen anderen Krankheitszuständen einsehen kann. 
Eichhorst will zart massirt wissen, Kleen wendet ziemlich kräf¬ 
tige Streichungen an. Ich unterlasse es, weitere Vorschläge anzu¬ 
führen, das Urtheil über die citirten gebe ich dem Leser anheim, 
der mehr Kritiker als Mystiker sein möge. Nur so viel sei be¬ 
merkt, einzelne Autoren scheinen es sich angelegen sein zu lassen, 
den Schleier, der über der Pathogenese liegt, recht dicht über die 
Therapie zu decken. 

Wie es oft geht, die Kritiklosigkeit, mit welcher neue thera¬ 
peutische Wege in der Regel in ihren Erfolgen dargestellt werden, 
oft unter Aufwärmung von längst Dagewesenem, hat einen um so 
grösseren Rückschlag zur Folge, wenn bei der Nachprüfung die 
angepriesenen Heileffecte nicht in gleichem Umfange eintreten. Man 
schüttet dann gerne das Kind mit dem Bade aus. So möchte 
Gowers den Erfolg der Massage darauf zurückführen, dass es sich 
wahrscheinlich um eingebildete Fälle von Schreibkrampf ge¬ 
handelt habe! 

Ich würde erstlich jeden Fall, unbekümmert um die Frage, 
ob central, ob peripher, einer Massagebehandlung unter¬ 
werfen, schon deshalb, weil sich bei der Massage leichter palpable 
Veränderungen nachweisen lassen, wenn man will, also lediglich zu 
diagnostischen Zwecken. Zweitens aber wird meines Erachtens 
die Massage auch einem Falle mit eventuell centraler Grundlage 
kaum Schaden bringen. Drittens halte ich dieses Mittel zur Zeit 
für das beste, welches wir zur Behandlung dieser Affection besitzen. 
Die einzige Vorschrift für die Massage kann nur die sein, man 
passe sie jedem einzelnen Falle an. Bemerken aber will ich, dass 
ich aus physiologischen Gründen noch nie centrifugal massirt habe. 
Schmerzhaftigkeit, nachweisbare Veränderungen, deren Beschaffenheit 
werden weit eher eine Directive für die Stärke der anzuwendenden 
Manipulationen abgeben, mag nun der Fall spastisch, tremorartig 
oder paralytisch oder gar eine Mischform sein. Bezüglich der Aus¬ 
dehnung der Massage halte ich es für ebenso überflüssig, jeden 
„Schreibkrämpfler“ von den Fingerspitzen bis zum motorischen oder 
coordinatorischen Centrum hinauf zu bearbeiten. 

Der Nichtarzt Cederskiöld hat der mechanischen Nerven- 
reizung einen Erfolg nachgerühmt, was begreiflich ist für Jemanden, 
der es unternimmt, die Netzhautablösung mit Sympathicusreizungs- 
drückung zu beeinflussen. Bei der mechanischen Nervenreizung 


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Ein Beitrag zur Lehre vom Schreibkrampf. 


363 


wird es sich wohl um einen Gesammterfolg der Massage gehandelt 
haben. 

Die Zuhilfenahme der Gymnastik halte ich für zweckmässig 
im Gegensatz zu Kleen, welcher sich für möglichste Ruhe aus- 
spricht. Der 'leitende Grundsatz muss meiner Ansicht nach der 
sein, die befallenen Muskeln zu einer möglichst vollständigen Con- 
traction mit nachfolgender völliger Erschlaffung zu bringen. Der 
Muskel soll wieder diejenige Arbeit versehen, welche 
für seine Function, seine Ernährung die zweckdienlichste 
ist. So kann die Gymnastik wohl vielfach von Nutzen sein. Frei¬ 
lich wird es auch nach unseren obigen Ausführungen Fälle geben, 
denen Ruhe dienlicher ist. Hüten aber muss man sich, einen Vor¬ 
schlag, die Innervationsimpulse bei einer gymnastischen Kur auf 
die Antagonisten zu dirigiren, zu verallgemeinern, weil er eben nur 
der antagonalen Form Rechnung trägt. 

Wie Zander und Nebel bin ich der Ansicht, dass „man 
sich gegen Recidive am besten durch öfter repetirte oder länger 
fortgesetzte Gymnastik schützt.“ Dieselbe soll nur der eben aus¬ 
gesprochenen Maxime entsprechen. Zweckmässig wird man die 
Massage mit in die prophylactischen Massregeln aufnehmen. 

Auch hydrotherapeutische Proceduren werden von Nutzen 
sein können, und in einzelnen Fällen werden Bandagen, Apparate, 
ja selbst feste Verbände einen günstigen Einfluss ergeben. 

Beim Neurastheniker lege man von vornherein kein zu 
grosses Gewicht auf die Localbehandlung. Hier muss entschieden 
die Behandlung des Allgemeinzustandes im Vordergrund stehen, und 
werden wir damit, wenn überhaupt, rascher zum Ziel kommen. Wo 
angängig, entziehe man ihn seinem Beruf, schicke ihn an die See 
oder ins Gebirge. 

Von der Einverleibung von Medicamenten kann man wohl 
Abstand nehmen. 

Was die Abstinenz von der in Frage kommenden Beschäf¬ 
tigung angeht, so ist beim Neurastheniker möglichst darauf zu 
dringen. Bei Fällen wie der von mir ersterwähnte, halte ich das 
nicht für so unbedingt erforderlich. 

Einzelne Autoren haben bestimmte Vorschläge für das 
Schreiben gemacht. Gowers will die Patienten möglichst aus 
der Schulter schreiben lassen, eine etwas schwierige Aufgabe für 
die Mehrzahl. „Wenn alle Personen von der Schulter aus schreiben, 


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Ferdinand Bähr. 


so würde der Schreibkrampf verschwinden . 11 Ich kann leider diese 
Hoffnung Gowers* nicht theilen. 

Im theilweisen Gegensatz hierzu sagt Nebel: „Nach Ablauf 
des ersten ßehandlungsmonats lässt Dr. Zander unter seiner Auf¬ 
sicht Schreibübungen beginnen, die zum Ziel haben, die üble Ge¬ 
wohnheit des Arbeitens mit dem ganzen Arm abzustellen, da¬ 
durch dass möglichst lange Striche und grosse Buchstaben nur 
mittelst Beugung und Streckung des die Feder haltenden Zeige- 
und Mittelfingers und Daumens gemacht werden.“ 

Die Vorstellungen über den Schreibact lassen überhaupt viel¬ 
fach an Klarheit zu wünschen übrig. Gowerssagt: „Die schlech¬ 
teste Schreibweise ist, den kleinen Finger als Stützpunkt zu be¬ 
nutzen (man vergleiche hierzu die Darstellung der vorschriftsmässigen 
Schreibweise von Erlenmeyer in seiner Abhandlung: Die Schrift). 
Die Feder wird dann von den Muskeln des Zeige- und Mittelfingers 
auf und ab bewegt, und die Muskeln werden dabei constant bis 
zum Maximum (?) contrahirt. Die seitliche Bewegung geschieht 
durch eine leichte Supination (oder auch Pronation oder auch keines 
von beiden. Der Verf.) der Hand. Nur wenige Buchstaben können 
geschrieben werden, ohne dass der kleine Finger bewegt wird, und 
ehe diese Bewegung ausgeführt wird, ist eine beträchtliche Kraft 
nöthig, um zu verhindern, dass die Feder durch die Supination der 
Hand von dem Papier gehoben wird“ (oder auch in die Pronations¬ 
stellung sinkt. Der Verf.). Gowers stellt mit wenig Glück vier 
Typen der Schreibweise auf. Diese aber lässt sich in den einzelnen 
Formen am treffendsten charakterisiren resp. nicht charakterisiren 
durch die Bemerkung Erlenmey er’s: „Das Si duo idem faciunt, 
non est idem, kann wohl nirgends mit grösserem Befugniss Geltung 
beanspruchen, als beim Schreiben und der Schrift, denn die Aus¬ 
artung von den Vorschriften des Schreibunterrichtes findet sich ge¬ 
radezu bei jedem Individuum.“ 

Der leitende Gedanke bei jeder Verbesserung einer Schreib¬ 
weise muss der sein, alle Dauercontractionszustände, die Wieder¬ 
holung gleicher Contractionen möglichst auszuschalten, möglichst 
weite Excursionen der Gelenke zu erzielen, so dass ein annähernder 
Wechsel zwischen Contraction und Erschlaffung eintreten kann. 
Poore erwähnt, dass manche Patienten geheilt werden, wenn sie 
grosse anstatt kleine Buchstaben machen. 

Ich kann deshalb den Satz Gowers: „Nur die Schreibweise 


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Ein Beitrag zur Lehre vom Schreibkrampf. 


365 


kann als eine freie angesehen werden, bei der es gelingt, eine ganze 
Linie zu schreiben, ohne den Contact zwischen Papier und Feder 
aufzuheben“ nicht billigen. 

Unverständlich ist mir auch, wenn Gowers die Art der 
Federhaltung für unwichtig hält. Je mehr Muskelkraft, je 
mehr Aufmerksamkeit dieselbe erfordert, desto mehr disponirt der 
Fall caeteris paribus zur Störung. Die Feder soll möglichst wenig 
Anstrengung zur Führung erfordern, der Federhalter soll so in der 
Hand liegen, dass es fast keine Muskelwirkung erfordert, ihn fest¬ 
zuhalten. Dicke, leichte Federhalter, breite, weiche Federn ver¬ 
dienen immer den Vorzug, harte Federn und Bleistifte, kurze dünne 
Schreibinstrumente sind zu verwerfen, weil sie mehr Kraftaufwand 
zum Schreiben erfordern. 

In unserem vielschreibenden Zeitalter aber sollte schon frühzeitig 
auf eine Schreibweise Werth gelegt werden, welche den obigen 
Ausführungen Rechnung trägt, also dauernde Contractionszustände 
von bestimmter Grösse einzelner Muskeln zu vermeiden sucht. 
Schon in der Schule sollte mit Nachdruck auf eine Hygiene des 
Schreibens gewirkt werden. 

Wer aber genöthigt ist, viel zu schreiben, der möge sich eine 
flüssige, flüchtige Schrift aneignen und keinen Werth auf Schön¬ 
malerei legen, keine Unterschiede zwischen Grund- und Haarstrichen 
machen, möglichst rund und gross schreiben unter Vermeidung 
scharfer Knickungen. Ich glaube, dass auch hierin der Steil¬ 
schrift, weil sie keine so exacten Pro- und Supinationsbewegungen, 
grössere Streckungen und Beugungen der Fingergelenke erfordert, 
die Seitwärtsführung durch ausgiebigere Bewegungen im Schulter¬ 
gelenk ermöglicht, sowie der Lateinschrift wegen ihrer runden 
Form der Vorzug zu geben ist. 


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XXI. 


Ueber die Ursachen der Muskelennüdung, nach 
fremden nnd eigenen Untersnchnngen 1 ). 

Von 

Dr. Adolf Brandis, 

Arzt in Baden-Baden. 

Mit 12 in den Text gedruckten Abbildungen. 

Meine Herren! Dass ein Muskel ermüdet und sich endlich 
erschöpft, nachdem er sich längere Zeit contrahirt und mechanische 
Arbeit geleistet hat, scheint auf den ersten Blick selbstverständlich 
zu sein. Der Process der Ermüdung ist jedoch ein sehr verwickelter, 
die letzten Ursachen der Ermüdung sind so complicirter Natur, dass 
die experimentelle Physiologie dieselben bisher keineswegs in be¬ 
friedigender Weise aufzuklären vermochte, obwohl die Versuche 
dazu nach den verschiedensten Richtungen hin angestellt worden 
sind: Eine erschöpfende Theorie der Muskelermüdung 
existirt bis zur Stunde noch nicht; um so begreiflicher ist 
es, dass die Versuche, Licht in diese wichtigen Vorgänge zu 
bringen, fortgesetzt werden müssen. 

Die erste Frage, die sich hier aufdrängt, ist wohl die nach der 
Quelle der Muskelkraft; kennen wir die Quelle der Kraft, so 
scheint es, so haben wir einen Schritt vorwärts gemacht in der 
Erkenntniss der Ursachen, welche die Quelle versiegen machen, der 
Ursachen der Ermüdung. 

Dass der Muskel seine Energie der Umbildung chemischer 
oder dynamischer Spannkraft in lebendige Kraft verdankt, ist nach 


*) Nach einem Vortrag gehalten auf dem 3. Schwarzwald-Biidertage am 
7. October 1893. 


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Ueber die Ursachen der Muskelermüdung etc. 


367 


dem Gesetze der Erhaltung der Kraft wohl nicht zweifelhaft; allein 
die Frage ist, wie geschieht dieser Vorgang, in welchen Molecular- 
complexen ist die potentielle Energie des Muskels vorhanden, und 
wie wird dieselbe durch die Muskelthätigkeit in kinetische Energie 
umgesetzt, wie werden die mit den verschiedenen Nahrungsstoffen in 
die Organe eingeführten chemischen Spannkräfte verwerthet? Um diese 
fundamentale Frage zu beantworten, hat eine Reihe von ausgezeichneten 
Forschern ihr Augenmerk natürlich auf den stofflichen Bestand des 
ruhenden und den Stoffumsatz des arbeitenden Muskels gerichtet, 
da die Kenntniss dieser Dinge uns unbedingt nothwendig erscheint. 

Da der Muskel vorzugsweise aus Ei weissstoffen besteht, so 
lehrte bekanntlich Justus Liebig, dass die Eiweissstoffe auch 
das Arbeitsmaterial des Muskels, die Quelle seiner Kraft seien. 
Die Lehre Liebig^s und seiner Schüler von dieser wichtigen 
Rolle der Eiweissverbindungen im menschlichen Organismus spukt 
noch immer in den Köpfen derjenigen, welche den Fortschritten 
der Physiologie nicht gefolgt sind, und trägt wohl hauptsäch¬ 
lich die Schuld, dass der grösste Theil der civilisirten Menschen 
noch heute die Eiweisskörper für eine besonders nahrhafte und 
kräftigende Kost hält, so zwar, dass ihnen eiweissreich und nahr¬ 
haft identisch erscheint, eine Anschauung, die einer vernünftigen 
Volksernährung in Gesundheit und Krankheit nicht geringe Hinder¬ 
nisse bereitet. Diese Theorie Liebig^s, namentlich durch Mole- 
schott’s popularisirende Aufsätze weit verbreitet, ist nun bereits 
seit mehreren Decennien durch die bekannten Versuche von Fick 
und Wislicenus, von Voit und Pettenkofer, sowie anderer 
Forscher auf das Zweifelloseste widerlegt. Ganz im Einklang mit 
dem Ergebniss dieser Forschungen steht ja auch die gewohnheits- 
mässige und vorzugsweise Aufnahme von Kohlehydraten und fett¬ 
reicher Nahrung bei denjenigen Völkern und Ständen, welche die 
körperlich schwersten Arbeiten verrichten, und welche erst durch 
das Beispiel der wohlhabenden Klassen verleitet, zu eiweissreicher 
Kost greifen, z. B. die in die Vereinigten Staaten von Nordamerika 
eingewanderten irischen Hafenarbeiter, deren Kinder schon einen 
durchaus weniger kräftigen Körperbau aufweisen, sowie die Ver¬ 
wendung der Pflanzenfresser als Arbeitsthiere. Die oben erwähnten 
Versuche an Menschen und Thieren haben einhellig dargethan, dass 
bei gleicher Ernährung die Eiweisszersetzung, resp. Stickstoffaus¬ 
scheidung an den Tagen angestrengter Arbeit dieselbe ist, wie an 


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368 


Adolf Brandis. 


den Ruhetagen, selbst beim Hungern, so dass die geleistete Arbeit 
nicht auf Kosten der Ei Weissverbindungen geleistet sein kann; er¬ 
wähnen muss ich hier, dass vor 2 Jahren Argutinsky in Pflügers 
Archiv, Bd. 22, eine Arbeit veröffentlichte, der zufolge nach an sich 
selber vorgenommenen Versuchen die Eiweisszersetzung die Quelle 
der Muskelkelkraft sein sollte. Bei Nachprüfungen dieser Versuche, 
welche Julius Munck unternahm, stellte sich aber heraus, dass die 
von Argutinsky genossene Nahrung ungenügend war, um den 
Stickstoffbestand des Muskels zu erhalten und auch dem Bedarf des 
Körpers an Kohlehydraten und Fett nicht entsprach; da nun ausser¬ 
dem die Arbeit durch Bergsteigen geleistet und mit Dyspnoe ver¬ 
bunden war, so war dieselbe jedenfalls mit die Ursache des Eiweiss¬ 
zerfalles. Munck resümirt seine Kritik der Argutinsky’schen 
Versuchsresultate dahin, dass er sagt: „Es bleibt bis auf wei¬ 
teres dabei, dass die Muskelarbeit zunächst auf Kosten 
stickstofffreier Substanzen erfolgt, und erst, wenn solche 
nicht zur Verfügung stehen oder Dyspnoe bei der Arbeit 
eintritt, das Eiweiss angegriffen wird.“ 

Ferner, nachdem Lavoisier vor etwa 100 Jahren gezeigt 
hatte, dass der arbeitende Muskel mehr Sauerstoff aufnimmt und 
C0 2 abgibt als der ruhende, ist diese Entdeckung von einer grossen 
Reihe von Forschern bestätigt worden, nicht bloss durch die Unter¬ 
suchungen des respiratorischen Gasaustausches am gesammten 
Organismus, sondern auch von Ludwig und seinen Schülern durch 
eine vergleichende Bestimmung des 0 und der C0 2 in dem Venen¬ 
blut, welches aus dem ruhenden und dem tetanisirten Muskel ab¬ 
floss, nach welcher die Zunahme 70 Procent beträgt. Aus allen 
diesen Versuchen geht also mit grösster Evidenz hervor, was über 
die Quelle der Muskelkraft früher gesagt wurde. Es erübrigt noch 
zu untersuchen, welche der stickstofffreien Nährstoffe es sind, die 
hier in Betracht kommen. 

Claude Bernard, der Entdecker des Glycogen, beobachtete, 
dass bei der Arbeit der im Muskel aufgespeicherte Glycogenvorrath 
schwindet, dass dagegen bei vollkommener Ruhe des Muskels der 
Vorrath an wächst, was später durch viele Versuche bestätigt worden 
ist; somit ist anzunehinen, dass von den stickstofflosen Nährstoffen 
es die Kohlehydrate sein müssen, welche die Kraftquelle des 
Muskels bilden, die Nahrung also umso reicher an Kohlehydraten 
sein muss, je angestrengter die Muskelarbeit ist, wie das ja auch bei 


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Ueber die Ursachen der Muskelermüdung etc. 


369 


den die allerschwerste Muskelarbeit verrichtenden Negern und Kulis 
thatsächlich der Fall ist. 

Durch die Versuche von Külz ist diese Annahme in der That 
erwiesen. Külz stellte folgende interessante Versuche an; er fütterte 
Hunde reichlich und Hess dann an einem Hungertage die Hunde 
5—7 Stunden lang einen belasteten Wagen ziehen; gleich nach 
dieser Arbeit wurden die Hunde getödtet und der Glycogengehalt 
der Leber bestimmt. Bei 4 Versuchsthieren war das Glycogen bis 
auf eine Spur aus der Leber verschwunden, nur bei einem, welcher 
sehr fett und träge war, enthielt die 240 gr schwere Leber noch 
8 Decigramm Glycogen. Aus den Muskeln verschwindet das Glycogen 
noch früher als aus der Leber, aus der Leber des Hundes beim 
Hungern ohne Arbeit erst in der dritten Woche (Bunge). Dass 
es also die Kohlehydrate sind aus der Gruppe der stickstofffreien 
Nährstoffe, welche die Kraftquelle des Muskels bilden, ist somit auch 
experimentell im Einklang mit der Erfahrung erwiesen 1 ), und 
es erscheint in der That als eine sehr weise Einrichtung, dass 
gerade der Muskel des Körpers, der sich in nie während des 
Lebens aufhörender Arbeit befindet, der Herzmuskel, die Leber mit 
ihrem Vorrath an Glycogen in unmittelbarer Nähe hat und es durch 
die Vena cava zugeführt erhält. Eine genaue Einsicht aber in die 
Art und Weise, wie die Spaltungs- und Oxydationsprocesse im 
arbeitenden Muskel vor sich gehen, fehlt uns jedoch bisher. Nach 
Bunge dringt der 0 in das Protoplasma der Muskelfaser ein, und 
die Affinität desselben zu den Spaltungsproducten findet gleichfalls 
als Kraftquelle Verwerthung. Als Träger und Vermittler des 0 sieht 
er wohl mit Recht das Hämoglobin des Muskels an, indem er ihm 
dieselbe Rolle zuschreibt, wie dem Hämoglobin im Blute. 

Nach den Forschungen von Gautier (s. Chimie biologique, 
pag. 315—318) ist es sehr wahrscheinlich, dass die aus den chemi¬ 
schen Vorgängen im Muskel sich entwickelnde potentielle Energie 
in kinetische Energie oder Arbeit umgesetzt wird in Form von 
Elektricität, dass es also nicht die Wärme ist, die in Arbeit ver¬ 
wandelt wird, sondern die Wärme träte nach Gautier nur als eine 
Begleiterscheinung der elektrischen Vorgänge im Muskelgewebe auf, 
sei also nicht als Ursache, sondern als eine Folge derselben anzu- 

*) Dass auch die Fette in etwas als Quelle der Muskelkraft dienen, ausser 
ihrer bekannten Eigenschaft als Wärmequelle, ist nach den Versuchen Voit’s 
am hungernden Hunde wahrscheinlich. 


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370 


Adolf Brandig. 


sehen, und der Muskel spiele somit die Rolle eines elektrischen 
Motors. Es ist nicht zu leugnen, dass die Anschauung, nach welcher 
also die Muskelcontraction durch die motorischen Nerven eingeleitet 
und regulirt wird und die elektrischen Ströme, welche im Nerven 
und Muskel kreisen, durch Aenderungen der sogen. Oberflächen¬ 
spannung hervorgerufen werden, in Anbetracht der hohen Arbeits¬ 
kraft des Muskels viel Bestechendes hat, und durch die geistreichen 
Versuche, welche d’Arsonval im Jahre 1878 anstellte, sehr plau¬ 
sibel gemacht worden ist. 

Nach diesen kurzen Betrachtungen über die Quelle der Muskel¬ 
kraft komme ich auf das Phänomen der Ermüdung zurück, und wir 
wollen untersuchen, ob die Fortschritte, welche wir in der Erkennung 
der Quelle der Muskelkraft gemacht haben, geeignet sind, uns nähere 
Kenntniss zu verschaffen von den Gesetzen der Ermüdung der Muskeln. 

Schon nach den erwähnten grundlegenden Erfahrungen von 
Lavoisier, nach welchen die Menge des absorbirten 0 und der 
ausgeschiedenen C0 2 durch Muskelthätigkeit vermehrt wird, musste 
man die Ermüdung in der That als einen chemischen Vorgang auf¬ 
fassen; es lag ferner gewiss nahe anzunehmen, dass die Umsatz- 
producte, welche sich bei der Muskelthätigkeit im Muskel bilden, 
sofern sie sich in demselben anhäufen, seine Ermüdung, seine Lei¬ 
stungsunfähigkeit bedingen, wenn sie die physiologische Grenze über¬ 
schreiten, den Organismus krank machen müssen. Angelo Mosso, 
Professor der Physiologie in Turin, theilte auf dem internationalen 
Congress in Berlin 1890 folgende Erfahrung mit: Spritzt man einem 
durch Morphium eingeschläferten Hunde das Blut irgend eines andern 
Hundes in die Adern, so wird dadurch der Herzschlag und die 
Athmung des eingeschläferten Hundes nicht im geringsten verändert; 
entnehmen wir aber das einzuspritzende Blut einem Hunde, dessen 
Nervensystem durch starke elektrische Ströme gereizt und bei dem 
nur auf 2 Minuten Tetanus hervorgerufen war, so bewirkt es bei 
dem eingeschläferten Versuchsthiere Athemnot und heftiges Herz¬ 
klopfen; dies kann nicht von der Kohlensäure herrühren, da das 
mit Luft geschüttelte und arteriell gemachte Blut nicht die genannte 
Wirkung verliert, sondern muss durch die durch die Muskelcontrac- 
tionen erzeugten Stoffe bewirkt werden, welche durch die regressive 
Metamorphose des Organismus entstehen, das Blut des ermüdeten 
Thieres giftig machen, so dass es andern Thieren eingespritzt, wie 
Mosso schon im Jahre 1887 nachgewiesen, in diesen die charakteristi- 


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Ueber die Ursachen der Muskelermüdung etc. 


371 


sehen Erscheinungen der Ermüdung hervorbringt. Viel älter als die 
Versuche von Mosso ist jener von Ranke: Spritzt man den wässerigen 
Extract von Muskeln, welcher die hochoxydirten Umsatzproducte 
der Muskelsubstanz enthält, Kreatin, saure Phosphate und die dem 
Glycogen entstammende Milchsäure, in die Gefasse eines intacten 
Muskels, so wurde dessen Leistungsfähigkeit sofort herabgesetzt; 
durch Auswaschung dieser Substanzen mittelst Injection einer physio¬ 
logischen Chlornatriumlösung wurde der Muskel wieder leistungs¬ 
fähig. Aus diesem Grunde hat man jene Substanzen, welche durch 
die chemischen Lebensprocesse in den Zellen entstehen, namentlich 
die Milchsäure, welche nach Du Bois-Reymond als die Ursache 
der sauren Reaction ermüdeter Muskeln im Gegensatz zur schwach 
alkalischen oder neutralen Reaction ruhender Muskeln anzusehen ist, 
als Ermüdungsstoffe bezeichnet, und es ist noch nicht so lange 
her, dass man die Milchsäure namentlich als Natriumlactat, als 
Sedativum und mildes Schlafmittel namentlich bei Geisteskranken 
empfahl und anwandte. Soviel mir bekannt, ist man jedoch von 
dieser Anwendung der Milchsäure mit Recht gänzlich zurück¬ 
gekommen. Nachdem man sich also die Ermüdung hervorgebracht 
dachte durch die sogen. „Ermüdungsstoffe“, so fragte man sich 
folgerichtig, ob man die Leistungsfähigkeit eines ermüdeten Muskels 
nicht wieder heben oder gänzlich herstellen könne, wenn man die 
Ermüdungsstoffe aus dem Muskel abführt, in den Stoffwechsel und 
damit zur Ausscheidung bringt. In der That sind solche Versuche 
gemacht worden; man hat die Massage des Muskels, durch welche 
der Saftstrom in den Venen und Lymphgefässen befördert, neue 
Parenchymflüssigkeit in dieselben eingesaugt wird, zu dem besagten 
Zweck in Anwendung gezogen *). Die ersten Untersuchungen über 
die Einwirkung der Massage auf den ermüdeten Muskel stammen 
von Zabludowski, mitgetheilt in Langenbeck’s Archiv. Zablu- 
dowski zeigt in einer in Kronecker’s Laboratorium angefertigten 
Arbeit, dass sich die ermüdeten Muskeln der Frösche unter den 
Einwirkungen der Massage rasch erholen und neuerdings Con- 
tractionen geben, welche gleich oder nur wenig verschieden sind 
von denjenigen, welche sie nach vollständiger Ruhe zu leisten ver- 

*) Es handelt sich hier nicht um den Endeffect einer längere Zeit fort¬ 
gesetzten Muskelmassage, welche immer eine deutliche Zunahme des Volums 
und der Leistungen des Muskels bedingt, sondern um die momentane Wirkung 
der Massage. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. III. Band. 25 


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Adolf Brandig. 


mögen, während eine kurze Ruhezeit für dieselben fast ganz ohne 
stärkenden Einfluss ist. Auch an Menschen stellte Zabludowski 
Versuche an, dabei ergab sich, dass nach einer ermüdenden Arbeit 
eine Ruhe von 15 Minuten ganz ungenügend war, um die Muskeln 
wieder leistungsfähig zu machen, dass diese aber, wenn sie 5 Minuten 
lang massirt wurden, wieder wie unter normalen Bedingungen 
arbeitsfähig wurden. Weiter eingehende Versuche stammen von 
Dr. Arnaldo Maggiora, Docent der Hygiene in Turin 1 ). Mag- 
giora ging von den sogen. Ermüdungscurven der Muskeln aus. 
Lässt man nämlich einen Muskel in gleichmässigen Intervallen ein 
Gewicht (hier den Beuger des Mittelfingers der Hand 3 kg in Inter¬ 
vallen von 2 Secunden) heben und die Hubhöhen auf einer berussten 
Trommel aufschreiben, so sinken die Höhen allmählich herab, bis sie 
gleich 0 werden, der Muskel vermag auf den Willensimpuls hin 
das Gewicht nicht mehr zu heben. Die so erhaltene Curve hat 
Eronecker als Ermüdungscurve bezeichnet. Derselbe Muskel, 
mit dem gleichen Gewicht, bei der nämlichen Frequenz der Con- 
tractionen gibt eine Curve, die mit geringen Veränderungen ein 
charakteristisches und individuelles Bild darbietet. Dasselbe Bild 
erhält man, wenn man die Contractiou der Muskeln mittelst des 
elektrischen Stromes herbeiführt, entweder durch directe Reizung 
oder vom Nerven aus, indem man die Electroden gleich unter der 
Achsel an der innern Seite des Biceps, wo der Nerv nahe der Arm¬ 
arterie zu finden ist, ansetzt; der psychische Factor ist hier aus¬ 
geschlossen, der individuelle Typus bleibt nahezu derselbe. Die 
Ermüdungscurve ist die Resultante eines Complexes von Ursachen, 
welche auf die Muskeln, auf die Nervencentren, auf den Kreislauf 
wirken, und die von der Zusammensetzung des Blutes und von der 
Gesammtresistenz des Organismus abhängen; Lebensweise, Nacht¬ 
ruhe, Aufregungen, geistige Anstrengungen, Tabak, Alkohol, Baro¬ 
meterstand üben einen sehr erheblichen Einfluss auf die Ermüdungs¬ 
curve aus (Mosso). An den Veränderungen, welche die Massage 
auf die Ermüdungscurven der durch die mannigfachsten Einflüsse 
ermüdeten Muskeln hervorforachte, studirte Arnaldo Maggiora 
ihre Wirkung. Er kam zu folgenden Resultaten: Der ausgeruhte 
normale Muskel arbeitet nach der Massage ausdauernder, die 

l ) Untersuchungen über die Wirkung der Massage auf die Muskeln des 
Menschen. Archiv für Hygiene. 


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Ueber die Ursachen der Muskelermfldung etc. 


373 


Wirkung der Massage ist proportional der Zeit ihrer Dauer bis zu 
15 Minuten; bei längerem Massiren ist öfter aber wieder eine 
Schwächung zu bemerken. Von den einzelnen Handgriffen haben 
Friction und Tapotement allein wenig Erfolg, P^trissage sehr merk¬ 
lichen, alle Handgriffe zusammen den grössten Erfolg. Der ge¬ 
schwächte Muskel wird ebenfalls ganz bedeutend beeinflusst. Die 
Schwächung mag direct durch Anstrengung oder indirect durch 
Fasten, Wachen, geistige Arbeit oder Ermüdung anderer benach¬ 
barter Muskelgruppen, oder durch Krankheit, z. B. Darmkatarrh 
entstanden sein; in jedem Fall bewirkt die Massage wieder eine 
bedeutende Steigerung der Leistungsfähigkeit. Am anämisch ge¬ 
machten Muskel (durch Gompression der Arterie) zeigt die Massage 
nicht die geringste Wirkung. 

Maggiora fasst die Ergebnisse seiner Untersuchungen in 
folgenden Sätzen zusammen: 

1. Die Massage des ruhenden Muskels modificirt die Er- 
müdungscurve, indem sie ihr Erscheinen verspätet. 

2. Die wohlthuende Wirkung ist innerhalb gewisser Grenzen 
ihrer Dauer proportional. 

3. Die Massage kann die Anhäufung der Ermüdung, falls zu 
kurze Ruhepausen gemacht werden, verhüten. 

4. Die verschiedenen Handgriffe wirken verschieden. 

5. Dem durch Fasten geschwächten Muskel kann seine Re¬ 
sistenzfähigkeit gebessert werden. 

6. Die Massage übt einen erhaltenden Einfluss auf den durch 
irgendwelche Einwirkung geschwächten Muskel. 

7. Die Wirkung hört bei der Abschneidung der Blutzufuhr auf. 

Auf Grund erneuter Versuche theilt Maggiora im Archiv 

für Anatomie und Physiologie 1890 ähnliche Ergebnisse mit: Der 
durch Fasten geschwächte Muskel wird neu gekräftigt und die Er- 
müdungscurven, von denen ohne Massage schon die dritte bei jedes¬ 
mal 5 Minuten Pause rasch abfallt, hält sich mit jedesmaliger 
Zwisehenmassage bis zum achten Mal auf der Höhe, dann hört 
der Einfluss der Massage auf. Maggiora kommt im Gegensatz zu 
Zabludowski zu dem Schluss, dass die Fortschaffung der Er¬ 
müdungsstoffe nicht die wesentlichste Ursache des erholenden Ein¬ 
flusses der Massage sein könne, da ja auch der Muskel, der geruht 
hat, beeinflusst wird. Was ist nun, oder worin besteht denn nun, 
müssen wir doch fragen, die Wirkung der Massage? Maggiora 


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374 


Adolf Brandis. 


gibt uns darauf keine recht befriedigende Antwort. Einerseits meint 
er, es könne die Hebung der Circulation und des Stoffwechsels 
nicht allein sein, da ja diese durch die Massage fortlaufend gesteigert 
werden könne, während die stärkende Wirkung der Massage doch 
schliesslich aufhört, andererseits meint er, müsse doch die Beför¬ 
derung der Circulation das Hauptmoment abgeben, da im anämisirten 
Muskel die Massage nicht die geringste Wirkung zeige. Wir sehen 
also, dass hier eine irgendwie befriedigende Erklärung der von 
Maggiora festgestellten interessanten Ergebnisse fehlt; Grund 
genug, dieser wichtigen und interessanten Sache noch einmal näher 
zu treten, und so entschloss ich mich denn im vorigen Winter, eine 
ähnliche Versuchsreihe anzustellen, welche ich hiermit der Gesell¬ 
schaft vorlege. Die Versuche wurden in dem Laboratorium des 
physiologischen Institutes zu Würzburg angestellt; dem Director 
desselben, Prof. Fick, bin ich verpflichtet für seinen Rath und 
seine Beihilfe bei den Versuchen, ebenso meinem Freunde, Dr. Hoffa 
und denjenigen Herren, welche als Versuchspersonen in liebens¬ 
würdiger Weise sich bei den anstrengenden und ermüdenden Ver¬ 
suchen betheiligten. 

Um den Einfluss der Massage auf den ermüdeten Muskel fest¬ 
zustellen, wurde eine von Prof. Fick angegebene Vorrichtung, das 
Fick’sche Myographion, benutzt. Der Apparat besteht aus einer 
Holzgabel, in welcher die Hand auf der Ulnarkante unterhalb des 
Metacarpophalangealgelenkes ruht; der Versuchsmuskel war der 
abductor indicis. Ueber dem Zeigefinger hängt eine Drahtschlinge 
(die Haut ist durch eine Hülse geschützt) mit einem 1 kg Gewicht; 
dieses ist so unterstützt, dass die Drahtschlinge gerade auf dem 
Finger fest aufliegt und es sofort bei Contraction des abductor 
indicis gehalten wird. Ein Zeiger zum Aufschrauben der Curve auf 
der berussten Trommel ist als einarmiger Hebel befestigt und wird 
mit dem Gewicht bewegt. Beim ersten Versuche wurden zunächst 
150 Contractionen gemacht, dann folgten 2 Minuten Pause und dann 
wieder 100 Contractionen. Jetzt wurde der Muskel 2 Minuten lang 
effleurirt und petrissirt und musste wiederum 100 Contractionen 
machen. Letzteres wurde noch einmal wiederholt; die 4 Curven 
zeigen keine wesentlichen Unterschiede. (Fig. 1.) 

Fig. 2 zeigt eine Wiederholung dieser Versuche bei einer 
andern Versuchsperson mit demselben Erfolg. 

Fig. 3. Die Curve zeigt umgekehrt wie die Dinge sich ver- 


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Ueber die Unachen der Muskelermüdung etc. 


375 


halten, wenn die Panse mit Massage der einfachen Ruhepanse voran¬ 
geht, die Höhen nach der Massage sind um ein Geringes grösser. 


Fig. 1. 



Fig. 4. Derselbe Versuch wie bei Fig. 1 an einer andern 
Versuchsperson; nach etwa 35 Hebungen ist die Ermüdung voll- 


Fig. 2. 



ständig; 2 Minuten Pause ohne, dann mit Massage bewirken Wieder¬ 
herstellung der anfänglichen Leistungsfähigkeit. 


Fig. 3. 



Fig. 5. Die Zusammenziehungen werden ohne Belastung aus¬ 
geführt, wobei bis zu 800 Contractionen noch keine wesentliche 


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376 


Adolf Br&ndis. 


Schwächung eintritt. Nach Ruhepausen sinkt jedoch bald die Höhe 
ein wenig, 2 Minuten lange Massage bringt die anfängliche Leistungs¬ 
fähigkeit zurück. 

Fig. 4. 


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Fig. 6. Das Gewicht wird gehoben gehalten, der Muskel ist 
also im Tetanus. Die Curve zeigt das erst plötzliche, dann allmähliche 


Fig. 5. 



Absinken des Gewichtes. Nach je 50 Secunden wird der Muskel 
erschlafft und von neuem tetanisch contrahirt. Die Hubhöhe wird 


Fig. 6. 



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bis zum 18. Mal immer geringer, kehrt aber nach 2 Minuten Pause 
vollständig zur Norm zurück. 2 Minuten Massage nach abermaligen 
8 Contractionen zeigen einen andern Einfluss als die einfache Pause. 


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Ueber die Ursachen der Muskelermüdung etc. 


377 


Fig. 7 zeigt denselben Versuch noch ausgedehnter, indem 
nach einer dritten Pause wieder ohne Massage noch eine Reihe Gon- 
tractionen gemacht werden. Die Hubhöhen sind um ein Geringes 
höher nach der Massage. 

Fig. 8 (wie bei Fig. 1—4). Bei a wurde 1 Minute Pause 
ohne Massage gemacht, ebenfalls bei 6; bei c eine Pause von 


Fig. 7. 



1 Minute mit Massage. Nach der Massage wird das Gewicht 
fast doppelt so hoch gehoben. Hier war die Versuchsperson ein 
junger Mediciner nicht unbefangen; der Wunsch oder die Idee, die 
Massage müsse einen Einfluss ausüben, war hier offenbar die Ur¬ 
sache des abweichenden Verhaltens. 


Fig. 8. 



Einfachere Versuche, angestellt mit grösseren Muskeln und 
Muskelgruppen, den Oberarmbeugern, dem Triceps, dem Deltoideus, 
welche ein Gewicht bis zur völligen Ermüdung hoben, ergaben, dass 
die Massage nicht im Stande war, eine deutliche Vermehrung der 
Leistung gegenüber der nach einer einfachen Ruhepause hervor¬ 
zubringen. In beiden Fällen, mit oder ohne Massage, war die 
Leistung nach 2 Minuten Pause etwa die Hälfte der anfänglichen. 
Sehr wohlthuend war jedoch die Wirkung der Petrissage, welche 


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378 


Adolf Brandiß. 


das schmerzhafte Muskelermüdungsgefühl sofort zam Verschwinden 
brachte, aber der von Maggiora gefundene auffällige stärkende 
Einfluss der Massage konnte in keinem Falle durch meine Versuche 
constatirt werden 1 ). Wenn Sie mich nun fragen, meine Herren, 
wie es möglich ist, dass ich nicht so glücklich war als wie der 
italienische College, da doch die Methode der Untersuchung 
(Maggiora machte dieselbe mit dem Mosso’schen Ergographen, 
einem dem Fick’schen Myographion ähnlichen Apparat) fast die 
gleiche war, so muss ich Ihnen zunächst antworten: ich weiss es 
nicht. Indessen, einer meiner Versuche gibt mir vielleicht einen 
Fingerzeig für den Grund der Verschiedenheit, das ist Fig. 8. Ich 
erinnere Sie daran, dass die Versuchsperson ein junger Mediciner 
war; derselbe war mit dem Zweck der Untersuchungen und dem 
erwarteten Resultat, welches natürlich das Maggiora’sche war, be¬ 
kannt und die Vorstellung, es müsse nun durchaus so kommen, als 
wie wir erwarteten, beeinflusste das Resultat nach der positiven 
Richtung. Dieselbe Gefahr besteht natürlich auch bei dem Forscher, 
der an sich selber experimentirt und den Wunsch hegt, eine ihm 
plausible, bestimmte Theorie durch das Experiment bestätigt zu 
sehen. Auch die entgegengesetzte Erwägung, man möge zu sub- 
jectiv und sanguinisch sein, beeinflusst die Richtigkeit der Forschungs¬ 
resultate in ungünstiger Weise. Man muss viele Experimente machen, 
die Versuchspersonen müssen nicht wissen, um was es sich handelt, 
sondern ganz unbefangen sein; so habe ich gearbeitet: es sind eine 
sehr grosse Anzahl von Versuchen an den verschiedensten Personen 
gemacht worden; bis auf eine waren dieselben Automaten, d. h. ab¬ 
solut zuverlässig; Maggiora hat, so viel ich weiss, an sich selber 
experimentirt und mit einem befreundeten Collegen, dem Dr. Aducco. 
Ich halte diesen Punkt für ausserordentlich wichtig, insofern 
Forschungsresultate, sowie die aus denselben gezogenen Schlüsse 
sehr leicht irrig ausfallen können, wenn dieser Punkt nicht gehörig 
beachtet wird. Ich führe daher noch an, was ein amerikanischer 
Forscher Warren P. Lombard, Prof, der Physiologie an der Clark 

') Wenn Förster (Reise des Capitäns Cook) erzählt, dass man ihn und 
seine Reisegenossen auf Tahiti massirte, um sie zu erfrischen, und dass th&t- 
sächlich die Müdigkeit verschwand, so deckt sich das demnach mit meinen 
Experimenten. Was Nebel den Oribasius dagegen behaupten lässt, das habe 
ich, wie gesagt, nie constatiren können, cf. Nebel, Heilgymnastik und Massge, 
Volkmann’s Sammlung klin. Vorträge S. 7. 


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Ueber die Ursachen der Muskelermüdung etc. 


379 


University, Worcester, Massachusetts, hierüber sagt: «The danger 
of drawing conclusions from experiments made on one’s seif is not 
to be overrated. The subject may unconsciously and even unwillingly 
inflaence his actions. Either a desire to see some theory established 
or the very fear that such a desire may influence the results may 
interfere with the work. He must as far as may be put himself 
in an indifferent attitude towards the problems he is studying and 
try to have no theories as to the outcome. This is exceedingly 
difficult and therefore these results are most reliable, which are 
recorded automatically and in such a way that the subject cannot 
know them until the experiment is over. An unexpected result is 
always to be prized; irregularities, which are the rule in all work 
involving the central nervous System are to be rejoiced in and laws 
are to be deduced only from large numbers of experiments. A large 
number of routine experiments has the further advantage, that 
the subject ceases to be interested in the individual observations, 
when the work has become drudgery and being indifferent is less 
likely to influence the results.“ Warren P. Lombard M. D. in 
seiner Arbeit: Some of the influences which affect the power of voluntary 
muscular contractions. Journal of Physiology Vol. XIII, Nr. 1, 1892. 

Meine Versuche mit ihrem, wenn man will, negativen Erfolg 
sprechen eben dafür, dass die Ermüdung in der That, wie Mosso 
(Les lois de la fatigue ötudiäes dans les muscles de l’homme. Tra- 
vaux de laboratoire de physiol. de Turin 1889 pp, 149—212, Archiv. 
Ital. de Biol. T. XIH, p. 123. Archiv für Anatomie und Physiolog. 
1890, p. 89) und andere Forscher annehmen, vorwiegend im ner¬ 
vösen Centralorgan ihren Sitz hat, so dass also eine sofortige 
restaurirende Wirkung der Muskelmassage nicht zu erwarten ist. 
Es dürfte dies sich ähnlich verhalten wie mit dem Hungergefühl, 
welches nach Ewald durch ein Hungercentrum im Gehirn, 
welches durch das an Nährstoffen verarmte Blut gereizt wird, zu 
Stande kommt, so dass wir nicht mit dem Magen, sondern mit dem 
Gehirn hungern. Nach Mosso hängt die Abnahme der Leistungs¬ 
fähigkeit bei der Ermüdung nicht nur von musculären Veränderungen 
ab; der Wille kann zwar durch den Nervenimpuls den Muskel eine 
grössere Kraftanstrengung ausüben und Maximalgewichte heben 
lassen, aber die Arbeitsfähigkeit erschöpft sich bald. Der Willens¬ 
reiz wird unwirksam, während man durch elektrische Nervenreizung 
die Muskeln lange in Thätigkeit erhält. 


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380 


Adolf Brandig. 


Dr. Augustus D. Waller in einem Vortrag, The sense of 
effort: an objective study, gehalten vor der neurologischen Gesell¬ 
schaft in London in St. Mary’s Hospital am 21. Mai 1891, kommt 
auf Grund seiner Untersuchungen zu derselben Ansicht, nur kann er 
sich den von andern berichteten wohlthätigen Einfluss der Massage 
nicht wohl erklären und ist deshalb geneigt, die periphere Ursache 
nicht völlig abzuweisen. Vielleicht thut er es doch, wenn er von 
meinen Versuchen Kenntniss erhält. Er sagt: »The beneficial effect 
of ,massage‘ upon fatigued muscles is not in harmony with the 
view expressed above and I do not commit myself to a denial of 
all peripheral share in ,fatigue 4 , but only to the assertion that fatigue 
is normally of central origin and protective from peripheral fatigue.* 

Man muss daher nicht bloss Anstrengung und Arbeit 
unterscheiden, sondern bei jeder Anstrengung noch 2 Theile, die 
centrale oder Nervenanstrengung und die periphere oder 
M uskelanstrengung, und der grosse Unterschied, den wirzwi¬ 
schen der willkürlichen und der durch elektrische Erregung des 
Nerven vollzogenen mechanischen Arbeit finden, hängt von der Er¬ 
müdung der Nervencentren ab, welche bei den durch Elektricität 
hervorgerufenen indirecten Contractionen fehlt. Wahrscheinlich wird 
die rasche Erschöpfung des Willens dadurch bewirkt, dass die An¬ 
strengungen der Nervencentren grösser sind, als für die mechanische 
Arbeit, welche der Muskel vollbringen muss, nöthig ist (Mosso). 
Man spricht demnach richtiger von der Erschöpfung der Wirkung 
des Willens auf den Muskel, als von der Erschöpfung des Muskels 
selber. Dass dies sich so verhält und dass demgemäss das Ergeb- 
niss auch meiner Versuche ein richtiges und sehr erklärliches ist, 
das geht aus den Versuchen der oft genannten italienischen Forscher 
Mosso, Maggiora und Aducco hervor, welche ich noch kurz 
anzuführen mir gestatten will. 

Man applicirte auf den N. medianus den stärksten elektrischen 
Reiz, welchen er ertragen kann, um zu zeigen, dass der willkür¬ 
liche Reiz nicht stärker sei als der elektrische; der Mittelfinger der 
linken Hand hebt 2500 g, Reizintervall 2 Secunden. Wenn der 
Muskel erschöpft ist, erzielt der Wille erhebliche Contractionen, 
nach deren Aufhören wird der N. medianus aufs neue mittelst des 
gleichen Stromes wie vorher gereizt; jetzt erhält man ganz schwache 
Erhebungen; man beginnt dann noch einmal mit dem Willen und 
erhält nach einer Zusammenziehung fast nichts mehr. 


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Ueber die Ursachen der Muskelermüdung etc. 


381 


Diesen Vorgang zeigt Fig. 9 von rechts nach links gelesen: 
bei E die Hubhöhen, welche durch den elektrischen Reiz ausgelöst 
wurden, bei V diejenigen, welche durch den Willen hervorgebracht 
wurden. 

Die genannten Forscher machten dann denselben Versuch in 
umgekehrter Reihenfolge, d. h. man hebt zunächst mit willkürlichen 


Fig. 9. 



Zusammenziehungen dasselbe Gewicht; nach der Erschöpfung be¬ 
ginnt man mit der Reizung des N. medianus mittelst des früheren 
maximalen Reizes; man erhält ausgiebige Curven; hierauf erzielt der 
Wille nach einer Contraction nichts mehr und die elektrische Reizung 
ergibt nur minimale Hubhöhen, ist ausserdem so schmerzhaft, dass 
man mit dem Versuche aufhören muss. Dieser Vorgang wird durch 
Fig. 10 graphisch dargestellt. 

Aus diesen beiden Versuchen sieht man, dass der bis zur Er¬ 
schöpfung der Muskelkraft fortgesetzte tetanisirende elektrische Reiz 
in dem Muskel noch einen Rest von Energie belässt, welche von 


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382 


Adolf Brandis. 


dem Willen ausgenutzt werden kann, und dem hinwiederum der 
Wille einen Rest von Kraft zurücklässt, welcher von der Elektricit&t 
ausgenutzt und in Thätigkeit gesetzt wird, und ferner, wenn diese 
Reize, einer nach dem anderen, thätig sind, sie die ganze Muskel¬ 
kraft erschöpfen, gleichviel welcher von beiden beginnt. Noch deut¬ 
licher wird die Ermüdung des Centralorgans dargethan, wenn die 


Fig. 10. 



Forscher den Versuch so einrichteten, dass die Erregungen, die auf 
den Nerv applicirt wurden, die Muskelkraft nicht erschöpften, um 
zu sehen, was im Centrum vorgeht, wenn sie, ohne den Muskel 
ausruhen zu lassen, dem Nervencentrum Zeit zur Erholung von 
der vollbrachten Anstrengung gaben. Dies wurde so gemacht: 
Dr. Aducco hob mit dem Mittelfinger ein Gewicht von 3 kg; 
man versucht den grössterträglichen elektrischen Reiz des N. me- 
dianus, Reizintervall 2 Secunden, hierauf macht Dr. Aducco 
eine Reihe willkürlicher Contractionen; als der Muskel willkürlich 
nur mehr sehr schwache Contractionen gab, reizte Prof. Mosso 
den N. medianus. Um nun dem Willen Zeit zur Erholung zu lassen, 


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Ueber die Ursachen der Musketermüdung etc. 


383 


arbeitet der Muskel während 30 Secunden durch elektrische Er¬ 
regung. Nachdem der Nerv eine Zeitlang mit maximalem Beize 
gearbeitet hat, geht man wieder zum früheren willkürlichen Beiz 
zurück. Die Contractionen, welche jetzt die Muskeln zeichnen, sind 


Fig. 11. 



v 


8mal höher als die letzten Zusammenziehungen des maximal 
elektrischen Reizes. Das Experiment 3mal wiederholt zeigt stets 
dieselbe Erhöhung der Muskelzusammenziehungen nach einer Reihe 
von indirecten maximalen Reizungen. 


Fig. 12. 



Dieser Versuch wird in Fig. 11 und 12 graphisch dargestellt. 
Fig. 11. Bei E, wo der Muskel willkürlich nur schwache Contrac¬ 
tionen gibt, reizte Mosso den N. medianus. In Fig. 12 ging er zum 
willkürlichen Reiz zurück bei V; die Contractionen sind 8mal grösser 
als die letzten durch elektrische Reizung hervorgebrachten. Die 
anderen Hubhöhen in Fig. 12 zeigen die dreimaligen Wiederholungen 
des Versuches. 

Aus diesem Versuche erscheint der Antheil, den das Nerven- 


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384 


Adolf Brandis. 


centrum an dem Phänomen der Ermüdung hat, deutlich. Die Ex¬ 
perimentatoren Hessen den Muskel sich nicht erholen, da sie ihn 
mittelst des auf den Nerven appHcirten maximalen elektrischen 
Reizes in Contraction hielten. In dieser Zwischenzeit aber erholt 
sich der Wille, und wenn er wieder in Thätigkeit tritt, macht er 
den Muskel kräftiger sich contrahiren; wir können mithin dem 
Willen Zeit lassen, sich zu erholen, während der Muskel mittelst 
der elektrischen Erregung zu arbeiten fortfahrt. Mit diesen wich¬ 
tigen Resultaten Mosso’s, welche ich Ihnen vorzuführen nicht unter¬ 
lassen konnte, stehen, wie schon angeführt, die Ergebnisse meiner 
Versuche insofern im Einklang, als sie die periphere Ursache der 
Ermüdung ebenfalls ausschUessen. Es handelt sich hier aller Wahr¬ 
scheinlichkeit nach um eine Erholung, welche in den Nervencentren 
erfolgt, wenn der Wille keine Anstrengung macht. Ich sage wahr¬ 
scheinlich, weil wir uns hier allerdings auf dem Gebiete der Hypo¬ 
these bewegen; es wäre auch, wie Mos so meint, möglich, dass 
während und durch die Arbeit der Muskeln durch den Blutstrom 
nützHche Stoffe den Muskeln entzogen würden, um sie dem Gehirn 
zuzuführen, welches grosser Energievorräthe bedarf, um sie in Ge¬ 
dankenarbeit umzusetzen. 

Es erübrigt zum Schlüsse noch ein Wort zu sagen über die 
Natur der oft erwähnten Nervencentren. Es ist selbstverständHch, 
dass hier sich Controversen vorfinden. 

Ferrier u. A. halten dieselben für motorische Centren im 
strengsten Sinne des Wortes und glauben, dass die Bewegung in 
ihnen und durch sie beginnt. Andere Forscher, wie Nothnagel, 
Hitzig, Munk u. A., haben andere Erklärungen gegeben und 
meinen, dass jene Centren sensorischer Natur sind, während das 
eigentlich bewegende Element der Streifenhügel sei. Nach Fran¬ 
cois Franck (Dictionnaire encyclop. des Sciences medicales. Artikel 
Nerveux) hat man in den Punkten der Hirnrinde, deren experimen¬ 
telle Reizung in der entgegengesetzten Körperhälfte bestimmte Be¬ 
wegungen hervorruft, eher Centren für eine Willensassociation als 
motorische Centren in eigentlichem Sinne des Wortes zu erbHeken. 
Sie sind die Ursprungsstelle von Anreizungen zu den willkürUchen 
Bewegungen, nicht aber schon die wirkhchen Ausgangspunkte der 
Bewegung selbst, und können deshalb mehr mit den peripherischen 
Empfindungsorganen als mit den motorischen Apparaten der Vorder¬ 
hörner des Rückenmarkes verglichen werden. Es sind psycho- 


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Ueber die Ursachen der Muskelermüdung etc. 


385 


motorische Centren, da sie durch ihren rein psychischen Einfluss 
wirkliche motorische Apparate beherrschen. Die verschiedenen 
Punkte, die man als motorische Centren für die Gliedmassen, für 
daa Gesicht u. s. w. bezeichnet, würden demnach denjenigen Appa¬ 
raten ähnlich sein, welche die peripherischen Sinneseindrücke auf¬ 
nehmen und in Willensreize umsetzen. Es wären mehr Willens- 
centren, als wirklich motorische Centren. So Franfois Franck. 
Andere Neurologen stellen sich den Mechanismus eines Willens¬ 
actes etwa folgendermassen vor: Die Erregung geht von den sogen, 
motorischen Regionen der Rindenschicht (insbesondere von der 
Scheitel-Stirn-Gegend) aus und folgt dann der Pyramidenbahn, dem 
„Nervenstrang für die willkürlichen Bewegungen“. 

Dieses Bündel, in welchem sich alle aus den motorischen Hirn¬ 
windungen hervorgehenden Fasern vereinigen, erstreckt sich durch 
das Centrum semiovale nach unten und bildet einen kleinen Theil 
der inneren Kapsel, welche in den Streifenhügel eindringt. Es 
durchzieht dann den Hirnschenkel und das verlängerte Mark, wo 
es eine mehr oder weniger vollständige Kreuzung erfahrt, und geht 
schliesslich nach der entgegengesetzten Seite des Rückenmarks, in¬ 
dem es so eine grosse Commissur zwischen den motorischen Win¬ 
dungen und der grauen Substanz des Markes bildet, aus welcher 
die Bewegungsnerven entspringen (Huguenin, Allgem. Path. d. 
Krankheiten d. Nervensystems, 1. T. Anat. Einl. Brissaud, De 
la contract. perman. des hemiplg. 1880, p. 9). Wie complicirt die 
zu einem Willensacte erforderlichen Einzelvorgänge sind, wie gross 
die Schwierigkeiten, welche sich uns bei der Analyse der Muskel¬ 
arbeit und der Ermüdung entgegenstellen, ist aus dem Obigen leicht 
ersichtlich. Die Vorgänge, uro die es sich handelt, sind so eng mit 
einander verknüpft, dass wir sie mit den Mitteln, die uns zu Gebote 
stehen, schwer einzeln studiren können, um die verschiedenen Ur¬ 
sachen, welche die Erschöpfung der Muskelenergie bedingen, un¬ 
zweideutig feststellen zu können. Folgt nun hieraus, dass man sich 
mit diesen Dingen nicht beschäftigen solle? Ich denke nicht; es ist 
eben auf diesem Terrain ebenso wie auf manchem anderen Gebiet 
der Physiologie; von den Functionen der Milz, der Thymus, der 
Schilddrüse, der Nebennieren wissen wir ebenfalls nichts Bestimmtes, 
und doch wollen wir auf diese Dinge gewiss nicht das bekannte 
Wort des grossen Berliner Physiologen anwenden: „Ignorabimus“. 
Befinden wir uns doch hier nicht auf metaphysischem, sondern auf 


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386 Adolf Brandis. Ueber die Ursachen der Muskelermüdung etc. 

naturwissenschaftlichem Boden, dessen eifrige und umsichtige Be- 
ackerung immer noch die schönsten Früchte zeitigt, und auf welchem 
jeder Spatenstich auch des kleinen Arbeiters willkommen zu heissen 
ist. Freilich, den letzten Grund der Dinge zu erforschen, ist nicht 
Sache der Wissenschaft, wie der jüngst verstorbene Kundt sagt, 
deshalb nicht, weil uns dieser immer unzugänglich sein wird. Die 
Erscheinungen messend zu verfolgen, möglichst einfach und präcise 
zu beschreiben, ist das Wesen der Forschung. 

Hiermit schliesse ich diesen Vortrag, indem ich Ihnen, geehrte 
Herren, für Ihre Aufmerksamkeit, mit welcher Sie meinen Aus¬ 
führungen gefolgt sind, danke. 


Erklärung der Figuren 1—8. 

Fig. 1. Bei a waren 150 Contractionen gemacht; es folgte eine Pause von 
2 Minuten ohne Massage. 

Bei b waren wiederum 100 Contractionen gemacht und hier der 
Muskel 2 Minuten lang massirt. 

Bei c hatte der Muskel wieder 100 Contractionen gemacht und wurde 
wieder während 2 Minuten massirt. 

Fig. 2. Bei a waren 300 Contractionen gemacht und der Muskel ruhte sodann 
2 Minuten ohne Massage; bei b hatte der Muskel sich wieder lOOmal 
contrahirt und wurde hier eine Pause von 2 Minuten mit Massage ge¬ 
macht ; nach 60 nochmaligen Contractionen wurde wieder 2 Minuten lang 
massirt und die dann folgenden 50 Contractionen zeigen ungefähr dieselben 
Hubhöhen, wie früher ohne Massage. 

Fig. 3. Bei a waren 20 Contractionen gemacht, dann folgten nach einer kleinen 
Pause 100 Contractionen, nach denen der Muskel 2 Minuten pausirte 
und massirt wurde; jetzt kamen wieder 100 Contractionen und bei c 
eine Pause von 2 Minuten ohne Massage. Die Curve zeigt, dass die 
Hubhöhen nach der Massage um ein Geringes höher sind, als bei ein¬ 
facher Ruhe. 

Fig. 4. Bei a nach etwa 35 Contractionen vollständige Ermüdung, bei b wurde 
2 Minuten pausirt ohne Massage und bei c 100 Contractionen gemacht, 
bei d wurde 2 Minuten pausirt und der Muskel massirt. Die Curve zeigt, 
dass die Leistungsfähigkeit wieder hergestellt wird, jedoch in ganz gleicher 
Weise, ob mit oder ohne Anwendung der Massage. 

Fig. 5. Bei a waren 800 Contractionen ohne Belastung des Muskels gemacht, 
hier wurde eine Pause von 2 Minuten ohne Massage gemacht und dann 
nach etwa 100 weiteren Contractionen bei b 2 Minuten mit Massage 
pausirt. Die anfängliche Leistungsfähigkeit ist dann wieder hergestellt, 
der Unterschied, ob mit, ob ohne Massage pausirt wurde, ist jedoch sehr 
gering. Bei c waren wieder 100 Contractionen gemacht 

Fig. 6. Bei a 2 Minuten Pause ohne Massage, bei b 2 Minuten Pause mit 
Massage. 

Fig. 7. Bei a 2 Minuten Pause mit Massage, bei b 2 Minuten Pause ohne 
Massage, bei e 2 Minuten Pause ohne Massage. 

Fig. 8. Bei a 1 Minute Pause ohne Massage, bei b ebenfalls, bei c eine Pause 
von 1 Minute mit Massage, wie im Text angegeben. 


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XXII. 


Ueber eine neue Schiene gegen X-Bein. 

Vortrag, gehalten in der 66. Versammlung deutscher Naturforscher 
und Aerzte, Section 23 (Chirurgie), Wien am 25. September 1894. 

Von 

Dr. Ludwig Heusner-Barmen, 

Oberarzt am städtischen Krankenhaus. 

Mit 1 Abbildung im Text. 

Meine Herren! Wie Ihnen bekannt sein wird, habe ich auf 
der vorjährigen Naturforscher-Versammlung zu Nürnberg und auf 
dem letzten Chirurgencongress zu Berlin eine neue Art von elasti¬ 
schen Schienen vorgezeigt, welche aus serpentinenartig geschlängeltem 
Stahldraht hergestellt sind und zu verschiedenen Zwecken in der 
Orthopädie mit Nutzen verwandt werden können. Ich habe diese 
Federschienen in neuerer Zeit u. a. auch zur Correction des X-Beines 
angewendet und Ihnen zur Demonstration dieses Verfahrens ein 
Modell mitgebracht (vergl. Abbildung), aus welchem die Wirkungs¬ 
weise auf den ersten Blick ersichtlich ist. Der 3 mm dicke Guss¬ 
stahldraht ist mit seinen Windungen in die Form einer 4—5 cm 
breiten, der Rundung des Beines entsprechenden Halbrinne ge¬ 
bracht. Der Rücken der Schiene ist der Länge nach in die Ge¬ 
stalt eines Bogens gekrümmt, welcher mit seiner Mitte gegen die 
Aussenseite des Knies und mit seinen Enden gegen Trochanter und 
Wadenbein zu liegen kommt. Die Schiene ist mit dünnem Leder 
umhüllt, und die den Druck ausübenden Endpartien sind an der 
Innenseite noch besonders mit weichem Filz unterfüttert; das obere 
Ende derselben wird mittelst eines Schnallengurtes am Oberschenkel 
befestigt. Das untere Ende des Drahtes, welches aus der Leder- 

Zeitsehrift für orthopädische Chirurgie. III. Band. 26 


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388 


Ludwig Heusner. 


Umhüllung nackt hervorragt, ist mit einer in der Sohle des Schnür¬ 
schuhes befestigten Seitenstange verbunden, und zwar ist diese Ver¬ 
bindung articulirt, um dem Fussgelenk Beweglichkeit zu verstatten. 

das Knie durch eine mit Schnallen versehene 
Kniekappe gegen die Schiene herangezogen, 
wobei die Feder niedergedrückt wird und durch 
ihr Bestreben, sich empor zu richten, eine 
corrigirende Wirkung auf die falsche Bein¬ 
stellung ausübt. Die Schiene schliesst sich 
also den Apparaten an, welche wie jene von 
Roberts und Hester durch Federkraft die 
Redression bewirken sollen. Wer von einer 
Schiene gegen X-Bein verlangt, dass sie bis 
zum Becken hinaufreicht und das Knie voll¬ 
kommen in Strecksteilung immobilisirt, wie es 
z. B. der von Thomas benutzte Apparat thut, 
mag Bedenken hegen, ob das Knie nicht aus- 
weichen und das obere Ende der Schiene 
nicht herumrutschen kann. Allein die prak¬ 
tische Anwendung hat uns gelehrt, dass diese 
Befürchtungen unbegründet sind, und dass die 
leichten Bewegungen in der Sagittalebene, 
welche die Spiralfeder gestattet, dem Apparat 
eine angenehme Schmiegsamkeit und Nach¬ 
giebigkeit verleihen. Es ist auch nicht an¬ 
zunehmen, dass die Wirksamkeit durch eine 
Verlängerung der Schiene bis zur Becken¬ 
schaufel erhöht würde, denn, wie Sie be¬ 
merken, ist der obere Hebelarm vom Knie 
bis zum Trochanter ebenso lang, wie der untere, vom Knie bis zur 
unteren Wadenbeingegend reichende Hebelarm, und wenn Sie den 
Apparat selbst in die Hand nehmen und die Feder gegen das Knie 
niederdrücken wollen, so werden Sie bemerken, dass ihre lebendige 
Kraft eine sehr bedeutende ist. 

Selbstverständlich kann man diese Schiene auch für 0-Beine 
anwenden, indem man sie an der Innenseite des Beines und Schuhes 
befestigt, oder wer etwa die Aussenseite principiell bevorzugen 
sollte, wird dem Rücken der Schiene nicht eine convexe, sondern 
eine concave Krümmung geben, so dass ihre Enden emporfedern 


Beim Anlegen wird 



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Ueber eine neue Schiene gegen X-Bein. 


389 


und die mittlere Partie der Feder den corrigirenden Druck gegen 
das Knie ausübt. Auch für Flexionscontractur des Knies habe ich 
die Schiene, welche eine Art orthopädischen Universalapparat dar¬ 
stellt, öfters mit gutem Erfolge angewendet, doch muss auch hier¬ 
bei Vorkehrung gegen das Herumrutschen getroffen werden, und 
man erreicht dieses durch Combination der Feder mit einem Schienen¬ 
hülsen-Apparat oder auch ohne einen solchen, indem man das untere 
Ende, in entsprechend modificirter Weise, an einer in der Schuh¬ 
sohle befestigten Seitenstange endigen lässt. 


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Referate 


Mit 1 in den Text gedruckten Abbildung. 

E. Kirmis8on, Compte rendu du service chirurgical et orthopedique des 

Enfants-Assistes du 1 er decembre 1892 au l e * d4cembre 1893. Revue dor- 

thopedie 1894, Nr. 1 S. 1. 

Wie alljährlich, berichtet Kirmisson wiederum und zwar dieses Mal 
über das 4. Jahr des Bestehens der orthopädisch-chirurgischen Abtheilung am 
Höpital des Enfante-Assistes. Die Frequenz der Poliklinik hat sich gegenüber 
dem voraufgehenden Jahre (vergl. Zeitschrift für orthopädische Chirurgie, Bd. 2 
S. 463) von 730 auf 760 Neuaufnahmen vermehrt, und zwar überwiegt hier 
wiederum die Zahl der hilfesuchenden Mädchen diejenige der Knaben um fast 
das Doppelte. 

Unter den 156 Skoliosen der Statistik betrafen 125 das weibliche, nur 
31 das männliche Geschlecht. 131mal lag eine primäre Dorsalskoliose, und 
zwar 88mal mit der Convexität nach der rechten, 43mal mit der Convexität nach 
der linken Seite vor. Von den 15 primären Lumbalskoliosen waren 3 rechts* 
und 12 linksseitig. lOmal handelte es sich um totale linksseitige Rückgrats* 
abweichungen. In 11 Fällen war Kirmisson in der Lage hereditäre Ver¬ 
anlagung nachzuweisen. Reine Kyphosen, und zwar 10 Dorsal-, eine (rhachitische) 
Lumbalkyphose, kamen daneben zur Untersuchung. 

Alle 4 Fälle von Torticollis betrafen Mädchen, 2mal war der rechte, 
lmal der linke Kopfnicker betheiligt, im 4. Falle wurde die Richtung der Ab¬ 
weichung nicht notiert. 

Unter den 51 Klumpfüssen, deren 35 bei Knaben, 16 bei Mädchen vor¬ 
kamen, waren 20 doppelseitig, 14 links- und 17 rechtsseitig. 38 waren angeboren. 
13 erworben. Einmal bestand neben einem congenitalen Klumpfuss gleichzeitig 
Syndactylie der letzten 4 Zehen, ein anderes Mal beiderseitig Klumphand. Zwei 
Fälle von angeborenem Pes varus betrafen Geschwister; unter 6 Kindern der¬ 
selben Mutter waren 3 mit Klumpfuss behaftet. Noch bei einem weiteren Kinde 
der Statistik hatte ein älterer Bruder gleichzeitig einen Pes varus. 

Die 14 Plattfussfälle vertheilen sich so, dass 3 die rechte Seite, 4 die 
linke und 7 beide Seiten betrafen; hier waren 3mal Mädchen und llmal Knaben 
Träger der Deformität; 2mal war der Plattfuss die Folge einer Tuberculose 
des Fussgelenks. 


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Referate. 


391 


Rhachitische Verkrümmungen an den unteren Extremitäten sah Kirmisson 
bei 27 Patienten, 16 Mädchen und 11 Knaben. Fast immer waren beide Unter¬ 
schenkel gleichmässig betheiligt. Die Convexität der Krümmung war 20mal 
gleichzeitig nach vorn und aussen, 2mal direkt nach vorne gerichtet. Genu 
valgum zeigten 33 Kinder (19 Mädchen, 14 Knaben). Die Affection war doppel¬ 
seitig lOmal, linksseitig 17mal, rechtsseitig 6mal; daneben bestanden vielfach 
andere rhachitische Deformitäten. Hier reiht sich ein Fall von doppelseitigem 
Genu varum bei einem Knaben von 27* Jahren an. 

Die 20 Fälle angeborener Luxation der Hüfte betrafen mit nur einer 
Ausnahme das weibliche Geschlecht. 6mal war das Leiden beiderseitig, 9mal 
rechts-, 5mal linksseitig. 2mal war bei dem Vater die gleiche Anomalie nachweisbar. 

Spondylitis kam 48mal zur Behandlung (37 Mädchen, 11 Knaben). Das 
Halssegment war betheiligt in 7 Fällen, der obere und mittlere Brusttheil 
20mal, der Lendenabschnitt allein llmal. 10 Fälle waren complicirt durch 
Abscessbildung, 2 Fälle zeigten Lähmungserscheinungen. 

33 weitere Patienten zeigten die Erscheinungen der Coxitis, 36 andere 
Tuberculose der verschiedensten Knochen und Gelenke. 

Von den weiteren verschiedenen Fällen, die Kirmisson am Schluss seiner 
Statistik zusammenstellt, hebe ich besonders hervor einen Fall von angeborenem 
doppelseitigem Genu recurvatum, namentlich ausgeprägt auf der linken Seite. 
Es gelingt durch Tractionen in Verbindung mit einem Druck auf die Hinter¬ 
seite des Gelenks eine leichte Beugung zu bewirken, doch stellt sich beim Nach¬ 
lass des Händedrucks die Deformität sofort wieder her. Weiteres Interesse bieten 
zwei Fälle von intrauteriner Fractur der Tibia. 

Nach 211 in der Poliklinik und chirurgischen Abtheilung vollführten 
Operationen, die Kirmisson zum Schluss des Berichtes zusammenstellt, traten 
5 Todesfälle ein, 2 im Anschluss an Punctionen bei Hydrocephalus, 1 bei 
einem Kinde mit Coxitis und Lungentuberculose an Masern nach einem forcirten 
Redressement der Hüfte; das 4. Kind erlag einer Meningitis ebenfalls nach 
einem forcirten Redressement bei Coxitis. Der 5. Todesfall endlich betraf 
einen 7jährigen Knaben, an dem Kirmisson wegen Hüftverrenkung die 
Hoffa’sche Operation vollzogen hatte. Im Anschluss an die sehr schwierige 
Operation entwickelte sich eine Septikämie, der das Kind 8 Tage später erlag. 
Die Autopsie ergab, dass die Reduction vollkommen gelungen war. 

Joachimsthal - Berlin. 

Lorenz, Pathologische Anatomie der angeborenen Hüftverrenkung. Wiener 

klinische Wochenschrift Nr. 11—13. 

Lorenz schildert die pathologischen Verhältnisse der angeborenen Hüft- 
luxation, wie sie sich ihm bei 63 nach seiner „eigenen“ Methode operirten 
Luxationen dargestellt haben, und zwar will er beweisen, dass diese seine 
.eigene“ Operationsmethode auf den Grundfesten der pathologischen Anatomie 
aufgebaut ist. 

Er beginnt mit den knöchernen Constituentien des Gelenks. Die 
Pfanne ist stets rudimentär, in einigen Fällen bei älteren Kindern fehlte 
sie anscheinend ganz bis auf einen mit dicker Lage filzigen Bindegewebes be¬ 
deckten knöchernen Wulst, der von oben nach abwärts zog, und dem hinteren 




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392 


Referate. 


Pfannenrand entspricht, der vordere Pfannenrand ist durch bindegewebigen, 
sichelförmig vorspringenden Rand ersetzt, dieser ist als eine Andeutung des 
Limbus cartilagineus aufzufassen. In einem Falle fand er, dass die vordere 
Kapselwand die Pfanne mit fibrösem Decklager bedeckt hatte. 

In der Mehrzahl der Fälle findet sich am Pfannenort# ein seichtes, etwa 
die Kuppe der Fingerbeere aufnehmendes Grübchen. Bei Kindern im zarten 
Alter ist das Grübchen dreieckig. Er fand ferner (wie es bereits Hoffa be¬ 
schrieben hat, dessen Prioritätsrecht er allerdings im ganzen Vortrag mit 
keiner Silbe erwähnt), dass die Beckenwand am Pfannenorte von beträchtlicher 
Dicke ist. 

Das obereFemurende kann eine allgemeine Atrophie zeigen. Ferner 
kann der Kopf eine Abplattung zeigen, die Lorenz mit einem Eisenbahn¬ 
puffer vergleicht. Bei stärkerer Abplattung zeigt der obere Kopfpol eine Spitze. 
Die Abplattung kann so hochgradig sein, dass die normale Configuration bis 
auf die letzten Spuren verloren geht. Es kommt zu einer förmlichen Um¬ 
krempel ung der Puffertheile nach aussen, so dass der kurze Hals durch die 
umgekrempelten Ränder der Kopfscheibe überwallt wird. Die Oberfläche einer 
solchen Kopfplatte ist unregelmässig höckerig, der Knorpelüberzug schollig 
zerfasert oder stellenweise defect. Merkwürdigerweise hat Lorenz die auf¬ 
fallendsten Deformitäten bei Kindern von 2V 2 —6 Jahren, den besterhaltenen 
Kopf bei einem 18jährigen Mädchen gefunden. 

Der Schenkelhals erweist sich auffallend verkürzt, ist häufig auf 
eine den Kopf vom Trochanter trennende Furche reducirt. Im allgemeinen 
weicht die Neigung des Halses nicht wesentlich von der Norm ab, erst im 
späteren Alter liegt die Spitze des grossen Trochanters höher als der obere 
Pol des Kopfes. Nicht allzu selten zeigt sich eine verstärkte Anteversion, wie 
sie gelegentlich der blutigen Repositionen zuerst von Schede, dann von 
Lorenz, schliesslich von Hoffa erwähnt ist. Die Reposition ist nur mög¬ 
lich bei maximaler Innenrotation. Derartige Fälle möchte Lorenz vorläufig 
überhaupt von der blutigen Reposition ausschliessen. 

Das Ligamentum teres soll ursprünglich von normalem Verhalten 
sein, dann eine Reihe von Veränderungen erleiden und schliesslich ganz zu 
Grunde gehen, schon vom 5. Lebensjahre ab ist nach den Befunden von Lorenz 
das Fehlen des Ligamentum teres die Regel. Das Ligamentum teres ist un¬ 
geheuer massig und breit, und mindestens doppelt so lang als normal. Mit 
der fortschreitenden Dislocation des Kopfes erleidet das Ligamentum zunächst 
eine Dehnung und Zerrung seiner Fasern, ferner eine allmähliche Verdünnung, 
schliesslich verschwindet es bis auf spärliche Gewebszipfel. Bei doppelseitiger 
Luxation kann das Ligamentum teres auf einer Seite vorhanden und stark 
entwickelt sein, auf der andern jedoch bis auf unbedeutende Reste fehlen. 

Die Hüftgelenkskapsel übergeht zunächst mit ihrer hinteren Partie 
auf die äussere Fläche der Pfannenwurzel des Darmbeins und überzieht wie 
eine absolut genau anschliessende Kappe den luxirten Kopf, dessen Gestalt 
dadurch vollkommen zu Tage tritt. Die vordere Wand der Kapsel überzieht 
das flache Pfannengrübchen wie ein straff gespanntes Segel. Das gesammte 
Kapselband stellt einen Schlauch dar, dessen Länge nach dem Grade der Dis¬ 
location des Kopfes variirt. Der Kapselschlauch bildet am hinteren oberen 


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Referate. 


393 


Pfannenrande eine stundenglasförmige Einengung, die Lorenz durch Druck 
des dislocirten Ileopsoas erklärt. Die Kapsel zeigt eine enorme Dicke, bei 
älteren Kindern sehnenartige Beschaffenheit, knirscht unter dem Messer. 

Was die Muskulatur betrifft, so muss eine grosse Anzahl von Muskeln 
durch Annäherung ihrer Insertionspunkte eine nutritive Verkürzung erleiden, 
während andere Muskeln durch Distanzirung ihrer Insertionspunkte eine Ver¬ 
längerung erleiden. Lorenz demonstrirt an einem Schema, dass die Muskeln, 
welche mit der Achse des Femur einen rechten Winkel bilden, durch Dislocation 
des Kopfes eine Verlängerung erleiden. Er kommt zu dem Schluss, dass die 
pelvi-trochanteren Muskeln ausser dem Glutaeus maximus, der eigentlich kein 
pelvi-trochanterer Muskel ist, infolge der Verschiebung des Schenkelkopfes eine 
Verlängerung erleiden, ferner dass die pelvi-cruralen Muskeln das einzig in 
Betracht kommende Hinderniss der Reduction des dislocirten Schenkelkopfes 
darstellen. Zur Reduction ist jedoch durchaus nicht die Durchschneidung sämmt- 
lieher pelvi-cruralen Muskeln nothwendig. Auf Grund dieser seiner anatomischen 
und klinischen Erfahrungen will Lorenz, wie es nach der Abhandlung er¬ 
scheint, unabhängig von der Iloffa’schen Operationsmethode, ein Reductions- 
verfahren ausgebildet haben, welches sämmtliche periarticuläre Muskeln mit 
Ausnahme des Tensor fasciae latae intact lässt. D re hm an n- Würzburg. 

Adolf Lorenz, Die operative Therapie der Luxatio coxae congenita. Allg. 

Wien. med. Zeitung 1894, Nr. 15 S. 167. 

Nach Lorenz beruhen die Hindernisse für die Reduction des Schenkel¬ 
kopfes bei der angeborenen Hüftluxation einzig und allein auf der Verkürzung 
der mit der Achse des Schenkels parallel laufenden pelvi-femoralen Muskeln 
(Tensor fasciae latae, unterste Stränge des Adductor magnus) und der pelvi- 
cruralen Muskeln (Sartorius, Rectus cruris, Gracilis, Semimembranosus, Semi- 
tendinosus und Biceps femoris), während die pelvi-trochanteren Muskeln infolge 
der Dislocation des Schenkelkopfes keiner Verkürzung, sondern ganz im Gegen- 
theil einer Verlängerung unterliegen, mithin nicht als Reductionshinderniss 
betrachtet werden können. 

Lorenz hat auf dieser seiner Anschauung, die er durch klinische und 
anatomische Thatsachen für erwiesen erachtet, basirend, seine wesentlich von 
der Hoffa’schen abweichende Reductionsmethode aufgebaut. Dieselbe hält 
an dem Grundsätze fest, dass die Insertion aller Muskeln, welche nicht verkürzt 
oder gar verlängert sind, erhalten bleiben, und dass überhaupt der Bewegungs¬ 
apparat des Hüftgelenks möglichst geschont werden muss. 

Die Details der Operation sind in Kürze folgende: das Gelenk wird auf 
dem Wege der Durchtrennung des Tensor fasciae latae mittelst eines von der 
Spina anterior superior nach abwärts ziehenden Längsschnitts, dem ein kleiner 
Querschnitt in der Höhe des Trochanters beigefügt wird, von vorne her frei¬ 
gelegt. Rectus cruris und Sartorius bleiben intact, die vordere Kapselwand 
wird freigelegt und mittelst Kreuzschnittes gespalten. Es folgt die Ausschneidung 
der Pfanne und wenn nötig die Formirung des Kopfes; durch kräftigen Zug 
(eventuell durch Extensionsschraube) wird derselbe bis zum Pfannenrande herab¬ 
geholt. Im äussersten Falle erleichtert sich Lorenz die Reduction durch 
Tenotomie der Kniekehlensehnen. Der sorgfältigsten Pfannentoilette folgt die 


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394 


Referate. 


Reposition des Kopfes und die Fixirung des Beines in leichter Adduction. In 
der vierten Woche nach der Operation beginnt die Massage — und gymnastische 
Behandlung, welche durch Jahresfrist fortzusetzen ist. 

Lorenz hat nach dieser Methode bis Ende Februar 1894 63 luxirte 
Hüftgelenke operirt, behält sich aber eine Detaillirung derselben für später vor. 
Einige vor 1 1 /2 Jahren operirte Fälle haben ein so glänzendes Resultat ergeben, 
dass von dem Luxationshinken nicht die leiseste Spur mehr zu erkennen Ist. 

Joachimsthal - Berlin. 

Anger er, Congenitale Hüftgelenksluxation. Operation nach Hoffa. Münch. 

med. Wochenschr. 1894, Nr. 26, S. 512. 

Anger er hat zunächst ein 9jähriges Mädchen mit congenitaler rechts¬ 
seitiger Hüftluxation nach den Angaben von Hoffa operirt. Das Ligamen¬ 
tum teres fehlte vollkommen, die Pfanne war durch eine kleine Grube an¬ 
gedeutet. Die Vertiefung an dieser Stelle liess sich mit dem von Hoffa 
angegebenen, bajonettförmig gebogenen scharfen Löffel sehr exact und leicht aus¬ 
führen. Die Heilung verlief ungestört, und das Resultat ist ein vollkommen 
zufriedenstellendes. Während vor der Operation der Trochanter 5 cm über der 
Roser-N^laton’schen Linie stand, steht nunmehr der Gelenkkopf an nor¬ 
maler Stelle, die Beweglichkeit des Gelenkes ist fast vollkommen frei. Das 
Kind geht so gut, dass es kaum hinkt. 

Weiterhin hat A n g e r e r noch 3mal die Hoff a’sche Operation gemacht. 
Die ersten Fälle boten grosse Schwierigkeiten, den Gelenkkopf in die neu¬ 
gebildete Pfanne zu bringen, weil die geschrumpften Muskeln trotz ihrer Durch¬ 
schneidung zu wenig nachgaben. In einem Falle war A n g e r e r sogar genöthigt, 
um die Reposition überhaupt zu machen, sowohl die Pfanne zu verbreitern, 
als auch den Gelenkkopf selbst passend zuzuschneiden. Im letzten Falle operirte 
Anger er erst, nachdem eine 3wöchentliclie permanente Gewichtsextension 
des kranken Beines vorausgegangen war; die Repositon gelang hier spielend 
leicht, so dass A n g e r e r nicht einmal genöthigt war, die Muskeln oder Sehnen 
zu durchschneiden. 

Nach An ge rer kann man mit den durch die Hof falsche Operation 
erzielten Resultaten sehr zufrieden sein, vorausgesetzt, dass dieselben dauernd 
sind, und dass späterhin nicht arthritische Processe eintreten, worüber erst eine 
längere Beobachtung und reichere Erfahrung Aufschluss geben kann. 

Joachimsthal - Berlin. 

Carl Koch, Zur Operation der angeborenen Hüftluxation. Münch. Wochenschr. 
1894, Nr. 15, S. 281. 

Bei einem 9jährigen Mädchen hatten sich, bedingt durch eine beider¬ 
seitige angeborene Hüftluxation hochgradige Störungen in der Gebrauchsfähig¬ 
keit der Beine, namentlich so bedeutende Contracturstellungen eingestellt, dass 
das Kind auch kurze Strecken Weges nicht mehr zurückzulegen vermochte. 
Koch entschloss sich daher, zunächst auf der rechten Seite, zur Hoffa’schen 
Operation, der er die Durchschneidung der Beugesehnen in der Kniekehle, de*r 
von der Spina ant. sup. herabziehenden Muskeln und der Fascia lata voraus¬ 
schickte. In der Gelenkseröffnung, der Ablösung der Weichtheile vom Trochanter, 


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Referate. 


395 


der Exstirpation des sehr langen und dicken Ligamentum teres und der Ver¬ 
tiefung der Pfanne folgte Koch ganz den Vorschriften von Hoffa. Allein 
obwohl das ganze obere Femurende von den Weicktkeilen entblösst war und 
leicht aus der Wunde frei herausgedrängt werden konnte, gelang die Reposition 
trotz grossen Aufwandes von Kraft und Zeit und trotz der verschiedensten 
Manipulationen nicht. Koch trug daher schichtweise schalenförmige Stücke 
von dem Kopfe ab, immer dazwischen versuchend, ihn in die Pfanne zu drängen. 
Auf diese Weise modellirte sich Koch allmählich unter Fortnahme eines ganz 
ansehnlichen Stückes den Kopf zurecht, bis die Reposition gelang. Sehr gute 
Dienste leistete ihm bei derselben auch ein breites Raspatorium, das er zwischen 
Kopf und hinterem Pfannenrand einschob, und mit dem er den Kopf in die 
Pfanne hineinhebelte. Das Bein war dabei gleichzeitig stark extendirt worden. 

Bei der kurzen Zeit nach der Operation vermag Koch zur Zeit der 
Publication über den Bandersatz nach dieser partiellen Resection noch nichts 
zu sagen, behält sich dieses vielmehr für später, nachdem auch die Operation 
der linken Seite vollzogen ist, vor. Joachimsthal -Berlin. 

Phocas, Das Repositionsverfahren vonPaci bei Hüftluxation. Revue d’ortho- 

ped. 1894, Nr. 4. 

Phocas bespricht die von Paci angegebenen Reductionsmanöver bei 
congenitaler Hüftluxation — Beugung in Knie und Hüfte, leichte Abduction, 
starke Aussenrotation, Streckung in Hüfte und Knie — und kommt zu dem 
Resultat, dass es in einer Anzahl von Fällen wohl möglich ist, den Kopf dem 
Pfannenort gegenüberzustellen, dass aber eine wirkliche Reposition nur sehr 
ausnahmsweise gelingen kann wegen der rudimentären Entwickelung der Pfanne 
und bisweilen auch des Schenkelkopfes. 

Sehr zweifelhaft erscheint es ihm, ob eine Retention des reponirten 
Kopfes möglich ist. Phocas hat selber das Verfahren in 5 Fällen angewendet, 
das lmal sehr gut glückte, lmal erfolglos blieb, 2mal ein mittelmässiges Resultat 
ergab. Da er bei keinem Patienten die weitere Behandlung durchführte, so 
kann Phocas über die Möglichkeit eines Dauererfolges nicht berichten. 

(Dass er bei einer traumatischen Luxation guten Erfolg hatte, kann nicht 
verwundern, da das Paci’sche Verfahren bis auf Kleinigkeiten dem sogen, 
physiologischen Repositionsmanöver (Roser, Bigelow u. A.) entspricht. 

V u 1 p i u s - Heidelberg. 

Kirmisson, Zur Pathogenese und Therapie der angeborenen Hüftluxation. 

Revue d’orthoped. 1894, Nr. 3. 

Kirmisson hat seine Erfahrungen über die congenitale Hüftluxation, 
die er in 82 Fällen zu untersuchen und zu behandeln Gelegenheit hatte, in 
einer recht interessanten Abhandlung niedergelegt, die jedoch keinen Anspruch 
auf die Bedeutung einer Monographie macht. 90°/° seiner Patienten gehörten 
dem weiblichen, nur 10% dem männlichen Geschlecht an. 51mal war die 
Affection doppelseitig, 31mal nur auf einer und zwar meist der rechten Seite 
vorhanden. Nur sehr selten wird das Leiden bald nach der Geburt entdeckt; 
dass die Entstehung desselben sicher eine intrauterine ist, beweisen u. a. 2 von 
Kirmisson untersuchte Föten, welche die Deformität aufwiesen. Die ver- 


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396 


Referate. 


schiedenen Theorien über die Ursache der Missbildung werden von Kirmisson 
kritisch besprochen und zurückgewiesen. Dass bisweilen ein nervöser Ursprung 
annehmbar ist, dafür spricht ihm eine Beobachtung bei einem jungen Mann, 
der eine lumbale Spina bifida, Hüftluxation und Pes equinovarus am selben 
Bein besass. 

Des weiteren wird das Vorkommen einer Skoliose bei Hüftluxation be¬ 
sprochen. Dieselbe ist statischen Ursprungs und deshalb sehr selten fixirt, nur 
5mal sah Kirmisson eine Verbiegung der Wirbelsäule mit Knochendefor- 
mirung, welch letztere wohl auf eine abnorme Weichheit der Knochen zurück¬ 
zuführen war. 

Die Indication zu therapeutischem Eingreifen wird gegeben durch die 
Verkürzung und die Verschieblichkeit des Schenkelkopfes am Becken, beides 
Ursachen des hinkenden Ganges, ferner durch Adductions- und Beugecontractur 
im Hüftgelenk, die bei einseitiger Luxation nur ausnahmsweise, bei doppel¬ 
seitiger regelmässig zu finden ist. 

Die Behandlung kann eine palliative oder curative sein. Letztere setzt 
sich als Ziel die Reduction der Verrenkung durch äussere Manipulationen oder 
durch blutigen Eingriff. Kirmisson betont, dass nur sorgfältige Individuali- 
sirung zur Vornahme der blutigen Reduction berechtigt, dass nur etwa vom 
4. bis 7. Lebensjahre die Hof falsche Operation angewendet werden solle. Die¬ 
selbe hat Kirmisson in der Weise modificirt, dass er principiell die Pfanne 
perforirt, um den Kopf möglichst tief und sicher einzupflanzen. Von 7 Ope- 
rirten hat er 2 verloren, die Nachuntersuchung bei den 5 Ueberlebenden ergab 
3mal ausgezeichnete, 2mal dagegen recht unbefriedigende Resultate. 

Patienten unter der erwähnten Altersgrenze sollen palliativ behandelt 
werden mit Extension und Immobilisation event. nach Vornahme des Pacfschen 
Repositionsmanövers. Sind die Patienten zu alt zur Operation, so kann bei 
bestehender Adductionscontractur der Zustand, insbesondere der Gang der 
Patienten durch die subtrochantere Osteotomie erheblich gebessert werden, was 
Kirmisson selber 4mal zu erproben Gelegenheit hatte. 

V u 1 p i u 8 - Heidelberg. 

Hofmeister, Coxa vara, eine typische Form der Schenkelhalsverbiegung. 

Beiträge zur klin. Chirurgie 1894, Bd. 12 Heft 1. 

Kocher, Coxa vara, eine Berufskrankheit der Wachsthumsperiode, Deutsche 

Zeitschrift für Chirurgie 1894, Bd. 38 Heft 6. 

Royal Whitman, Observations on bending of the neck of the femur in ado- 

lescence, New York Medical Journal 1894, June. 

Kirmisson, L’affaisseiuent du col du femur sous Tinfluence du rachitisme, 

Revue d’orthopedie 1894, Septemb. 1. 

Nachdem zuerst 1888 durch eine aus der Bruns’schen Klinik stammende 
Arbeit von Müller die Aufmerksamkeit auf diese Deformität des Hüftgelenkes 
gelenkt war, konnte Hofmeister in diesem Jahr aus dem Material derselben 
Klinik bereits 36 Fälle, inclusive der 4 M ü 11 e r’schen, zusammenstellen, welche 
alle das typische Bild dieses wohl allgemein als Belastungsdeformität auf¬ 
gefassten interessanten Leidens boten. Hierzu konnte Hofmeister noch 4 
ihm überlassene Fälle von Coxa vara und 5 aus der Literatur (Rotter, 


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Referate. 


397 


Strubel, Lauenstein, Hoffa) stammende fügen, so dass seiner Arbeit 
ein Material von 45 Fällen, darunter 15 doppelseitige, zu Gebote stand. 

Die subjectiven Beschwerden bestehen in leichtem Ermüden beim 
Gehen, welches sich zu ziehenden Schmerzen im Hüftgelenk und Knie steigern 
kann, nur selten stellt sich eine erheblichere Schmerzhaftigkeit ein. Der Gang 
erscheint erschwert, hinkend. Bei doppelseitiger Affection macht Knieen und 
Sitzen Beschwerden. Die Entstehung des Leidens fällt entweder in die frühe 
Jugendzeit oder in der überwiegenden Mehrzahl in das Pubertäts¬ 
alter. Die Dauer des schmerzhaften Stadiums ist unbestimmt, häufig Ex¬ 
acerbationen. Nach einigen Jahren wird der Zustand stationär. Charakteri¬ 
stisch ist die Besserung nach Bettruhe und Extensionsverband. 

Objectiv constatirt man manchmal schwächlichen allgemeinen Habitus; 
hinkenden, resp. bei doppelseitiger Erkrankung wackelnden Gang. Der Tro¬ 
chanter steht nach aussen vor, Abmagerung zwischen Trochanter und der Masse 
der Nates; vor allen Dingen aber steht der Trochanter ca. 2—5 cm. 
über der Roser-Nelaton’schen Linie, es besteht eine reelle Ver¬ 
kürzung der Extremität. Hand in Hand mit dem Hochstand des Trochanter 
geht eine Beschränkung der Abductionsbewegung. 

Hofmeister konnte nun 3 symptomatisch differente Gruppen unter¬ 
scheiden : 

I. Einfacher Trochanterhochstand und Abductionshemmung, 
sonst normale Beinstellung. 8 Fälle. 

II. Trochanter hochstand.mit vorwiegender Aussenrota- 
tion. Die letztere kann sich entweder nur in Beschränkung der Innenrotation 
documentiren oder so stark sein, dass die Mittelstellung des Fusses nicht mehr 
erreicht werden kann. Die Aussenrotation kann relativ zum anderen Bein oder 
auch absolut übernormal sein. Abduction auch in dieser Gruppe beschränkt, 
Flexion meist nur bei gleichzeitiger Aussenrotation möglich. 44 Fälle. 

III. Trochanterhochstand mit vorwiegender Innenrota¬ 
tion: sehr selten. 8 Fälle. 

Besonders bemerkenswerth ist es noch, dass die Bewegungen innerhalb 
der gezogenen Grenzen ziemlich frei sind, die Hemmung tritt plötzlich, wie 
ein federnder Widerstand auf. Die Grenzen der activen und passiven Be¬ 
wegungen fallen meist zusammen. Als negatives Charakteristicum wird das 
Fehlen von Entzündungserscheinungen und Fieber erwähnt. Die mehr acuten 
Fälle zeichnen sich durch heftigere Schmerzen und stärkere Beschränkung der 
Beweglichkeit aus. Zuweilen wird gleichzeitig Genu valgum und Pes valgus 
beobachtet. 

Der Name Coxa vara ist gewählt, weil man an anderen Gelenken Ad- 
ductionsverbiegungen mit dem Namen varus zu bezeichnen pflegt. 

Die Diagnose wird durch genaue, zahlengemässe Feststellung der 
Lageverhältnisse und der Bewegungsexcursionen der erkrankten Extremität ge¬ 
stellt. Differentialdiagnostisch kommt in Betracht: 1. Coxitis. Bei 
Coxa vara ist aber Aussenrotation nie mit Abduction gepaart, ferner sind die 
Bewegungen im Gelenk in bestimmten Grenzen schmerzfrei, endlich verschwinden 
Schmerzen ausserordentlich schnell im Extensionsverband. 2. Luxation, da¬ 
gegen spricht die theilweise freie Beweglichkeit. 3. Schenkelhalsfractur 


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398 


Referate. 


und Epiphysentrennung, Anamnese. 4. Nervöse Coxalgie. Hierbei 
keine Stellungs- und Bewegungsanomalien. 

Typisch erscheinen dem Verfasser die Schmerzexacerbationen, ähnlich 
wie bei Genu valgum und Plattfuss. 

Die Häufigkeit der Schenkelhalsverbiegungen zur Coxitis stellt sich wie 
21 : 390, zum Genu valgum wie 22 : 47. Auf 36 männliche Patienten mit Coxa 
vara entfallen 9 weibliche. Die Beschäftigungsart spielt wohl dieselbe Rulle 
wie bei Entstehung des Genu valgum. 

Das statische Moment der Belastung muss wohl in erster Linie für 
die Aetiologie der Coxa vara herangezogen werden, aber zugleich muss eine 
Verminderung der Knochenresistenz (Spätrhachitis) als bestehend angenommen 
werden. Dass das Genu valgum häufiger ist, trotzdem doch a priori eine Ver¬ 
biegung des Schenkelhalses leichter möglich zu sein erscheint, liegt an den leb¬ 
hafteren vegetativen Vorgängen der unteren Femurepiphyse. Coxa vara infantum 
beruht gewöhnlich auf Rbachitis (Lauenstein). 

Anatomisch zeigt sich der Trochanterhochstand durch Verkleinerung: 
des Schenkelhalsneigungswinkels bedingt. Die Abknickung des Schenkelhalses 
erfolgt meist in der Richtung nach unten und hinten, einmal bestehend, bietet 
sie günstige physikalische Bedingungen für die weitere Verbiegung. Die Ab- 
duction ist beschränkt, weil der Gelenkkopf schon bei normaler Stellung des 
kranken Beines an der äussersten Grenze der Abduction steht. Rotation kann 
zum Theil behindert sein durch theilweises Mithineintreten des oberen Schenkel¬ 
halsumfanges in die Pfanne. Die Innenrotation ist beschränkt oder aufgehoben, 
weil schon beim Geradstand der Beine der Gelenkkopf in der Weise in die 
Pfanne eingetreten ist, dass die Grenze der für die Innenrotation disponibeln 
Gelenkfläche ausgenutz't ist. Eine weitere Innenrotation ist daher nicht 
möglich, während für die Aussenrotation ein grösserer Theil der Gelenkober* 
fläche zur Verfügung steht, wie unter normalen Verhältnissen. 

Als Therapie kommt bei Schmerzen Bettruhe und Extensionsverband 
in Betracht. Gegen rhacliitische Symptome Phosphorleberthran. Abgelaufene 
Fälle können der starken Deformität wegen therapeutische Eingriffe nöthig 
machen. 2mal ist Resection ausgeführt (Müller, Hoffa) mit gutem Erfolg, 
im ganzen erscheint dieser Eingriff als zu schwer, eventuell könnte man sich 
zur Ausführung der Osteotomia subtrochanterica veranlasst sehen. Für die 
überwiegende Mehrzahl der Fälle hält Hofmeister eine entsprechende Sohlen¬ 
erhöhung für zweckentsprechend. (Die Anwendung orthopädischer Schienen¬ 
apparate, welche die Extremität extendiren und zugleich abduciren, 
müsste als Therapie hierbei wohl mit in Betracht gezogen werden. ‘Eine er¬ 
höhte Sohle allein, vor völlig beendetem Wachsthum angewandt, würde wohl 
die Neigung zur Schenkelhalsverbiegung nur noch erhöhen. Ref.) 

Kocher bringt 2 Fälle von Coxa vara adolescentium mit ausführlichen 
Krankengeschichten. Der erste Fall ist 1883 in Behandlung gewesen. Der 
18jährige Patient hatte nach Anamnese wie Befund das typische Bild beider¬ 
seitiger Coxa vara gezeigt, jedoch waren die Bewegungshemmungen besonders 
stark ausgeprägt, so dass beiderseits fast völlige Ankylose der Hüftgelenke be¬ 
stand. Infolge dessen waren auch sehr bedeutende Störungen in der Gehfällig- 


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Referate. 


399 


keit vorhanden. Das Bild erinnert am meisten an eine Arthritis adhae- 
siva, wie sie sich häufig an acuten Gelenkrheumatismus anschliesst. Es wurde 
erst rechts resecirt, wobei der Gelenkkopf wegen starker Ver¬ 
wachsungen mit der Pfanne nur schwer zu lösen ist. Die Unter¬ 
suchung des Präparats ergibt eine Verlängerung des Schenkelhalses um 8—4 cm. 
Nach vorn ist derselbe stark convex gebogen. Knorpelüberzug im ganzen er¬ 
halten, nur an einzelnen Stellen aufgefasert, zum Theil pannöser Ueberzug, 
der darunter liegende Knochen zeigt sich erweicht. Später Resection links. 
Patient lernte mit der Zeit ohne Stöcke gehen, hinkt noch etwas. 

Zweiter Fall 1893. Patient, Küfer, 18 Jahr, beiderseitige Coxa vara. 
Innenrotation und Flexion beiderseits sehr beschränkt. Beim Gehen schwingt 
Patient ein Bein vor das andere. Ausserdem Plattfüsse und Genua valga. 
December auf einer Seite Resection. Der Schenkelkopf zeigt sich gegenüber 
dem Hals so verdreht, als wenn man ihn gefasst und nach hinten her¬ 
unter gebogen und zugleich nach rückwärts und auswärts vom 
Halse gedreht hätte. Oberste Wölbung des Kopfes steht noch 1 cm 
unter einer durch die Trochanterspitze gelegten Horizontalebene. Knorpel und 
Knochen zeigen keine erheblichen pathologischen Veränderungen. 

Kocher sieht das Leiden auch als Belastungsdeformität analog dem 
' Genu valgum an. Nach dem mikroskopischen Befund der Knochen scheint 
ihm die Annahme einer jugendlichen Osteomalacie nicht ungerecht¬ 
fertigt. Der Verfasser war bei Abfassung der Arbeit der Meinung, dass er das 
auch von ihm Coxa vara genannte Krankheitsbild zuerst beobachtet habe, und 
theilt in einem Nachtrag mit, dass ihm erst später die Müller’sche, sowie 
die Lauenstein’scbe Beobachtung zu Gesicht gekommen sind. Uebrigens 
glaubt er, dass die Müller’schen Krankheitsbilder sich nicht ganz mit den 
seinen decken. (Nr. 35 des Centralblattes 1894 enthält eine Erwiderung 
Müller’8 auf den Kocher'sclien Nachtrag, in der er den Nachweis führt, 
dass eine Literatur der Schenkelhalsverbiegung schon seit 1888 besteht, und 
seine Krankheitsbilder als in den wesentlichen Punkten identisch mit den 
Koche r’schen bezeichnet. Ref.) 

Whitman schildert 4 selbstbeobachtete Fälle von Coxa vara, denen 
photographische Abbildungen beigegeben sind, welche das Vortreten der Tro- 
chanteren und (Fig. 6) die Adduetionsstellung deutlich zu Gesicht bringen. 

Fall 1.15jährigerHausirer, zeigt rechts Trochanterhochstand und beschränkte 
Abduction; Flexion, Extension und Rotation sind frei, Rhachitis nicht nachweisbar. 

Fall 2. lßjähriger Handlungslehrling. seit einem Jahr Schmerzen in 
rechter Hüfte, rhachitische Symptome, seit kurzer Zeit auch rechts Hüft- 
schmerzen. Schlingernder Gang, Fiisse nach auswärts gedreht, Plattfüsse, Genua 
valga, Trochanterhochstand. Alle Bewegungen der Hüftgelenke behindert. 
Rechts Atrophie der Oberschenkelmuskeln. Allmähliche Verschlimmerung, nach 
7 Monaten gellt Patient an Krücken und setzt immer ein Bein über das andere. 
Körpergewicht fällt hinter die normale Achse, daher Lordose. Trochanter 
IV 2 Zoll über Roser*Nel., dabei starke Adduction und (im Gegensatz zum dritten 
Stadium der Coxitis) Aussenrotation. Während des ganzen Leidens nur wenig 
Schmerzen. Als Therapie ist subtrochantere Osteotomie geplant. 


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Referate. 


Fall 3. 17jährigerBäcker; rechts Genu valgum, links Trochanterhochstand, 
verminderte Abduction und Innenrotation. Trochanter der Mittellinie genähert, 
also Schenkelhals wohl nach hinten abgebogen. Gymnastik, Massage, Extension. 

Fall 4. 11 jähriger Zeitungsausträger; Trochanterhochstand, einseitig. Ver¬ 
minderung der Abduction und Innenrotation. Extensionsschiene bringt Heilung. 

Whitman erklärt das Leiden ebenfalls für eine Belastungsdeformitat. 
Die Behinderung der Abduction wird durch eine schematische Zeichnung illu- 
strirt, aus der hervorgeht, dass der Schenkelhals schon bei geringer Abduction 
am oberen Pfannenrand anstossen muss. 

Bei Aufzählung der bisher bekannten Schilderungen der Schenkelbals- 
verbiegung erwähnt er die schon in der S c h u 11 z’schen Arbeit genannten 
Fälle von Röser (1843) und Zeis (1851) und führt gleiche Beobachtungen 
von Richardson (1857), Monks (1886) und Keetley (1888) an. 

Als Therapie empfiehlt er für leichtere Fälle Extensionsschienen, Massage 
und Gymnastik, für schwere subtrochantere Osteotomie. 

Kirmisson referirt und analysirt die bisher bekannten Kranken¬ 
geschichten von Coxa vara, sowohl die eben aufgezählten aus früheren Jahren, 
sowie die neueren seit der Mülle rächen Veröffentlichung. Die Hofmeistersche 
und Kocher’sche Arbeit sind noch nicht mit berücksichtigt. Wenn Müller 
darnach auch kein ganz neues Krankheitsbild aufgestellt hätte, so gebührte 
ihm doch das Verdienst, von neuem das Interesse darauf gelenkt und versucht 
zu haben, die Deutung dieses Leidens in richtige Bahnen zu führen. Kirmisson 
kommt bezüglich der Aetiologie des Leidens übrigens zu dem Schluss, dass 
man nicht alle beschriebenen Fälle auf Rhachitis beziehen solle, sondern dass 
es sich eventuell um langsam verlaufende Hüftgelenksentzündungen in einzelnen 
Fällen gehandelt haben könne. Zenker-Würzburg. 

Tausch, Ueber die Hüftcontracturen und ihre Behandlung, Münch, medic. 

Wochenschrift 1894, Nr. 25. 

Fast das alleinige Contingent der Contracturen im Hüftgelenk stellt die 
tuberculöse Coxitis, daneben kommen noch Hautnarben nach Verbrennungen, 
Psoasabscesse, rheumatische und acut infectiöse Entzündungen des Gelenkes in 
Betracht. Die Osteomyelitis führt meist zu einer wahren, knöchernen Ankylose, 
während die Stellungsanomalie nach Coxitis durch Schrumpfungsprocesse in 
den Weichtheilen, Fascia lata, Lig. ileofemorale und Muskeln bedingt ist. In 
den letzteren kommt es zu einer entzündlichen Schrumpfung des intramuscu- 
lären Bindegewebes und zur bindegewebigen Degeneration der Muskeln selbst. 

Um bei der Untersuchung das Becken zu fixiren, führt man nach Gerauny 
eine forcirte Flexion des gesunden Beines in Hüft- und Kniegelenk aus, so dass 
der Oberschenkel die Bauchwand fast berührt, und drückt das Becken gegen 
die Unterlage. 

Um prophylactisch die Hüftcontracturen zu bekämpfen, soll man es sich 
zum Grundsatz machen, einen Coxitiskranken erst dann als geheilt zu be¬ 
trachten , wenn ausser der Entzündung im Gelenk auch jede Spur einer De¬ 
formität, die sich anfangs leicht beseitigen lässt, geschwunden ist. Den häufig 
verwandten Taylor’schen Apparat verwirft Tausch mit Recht für die am- 


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bulante Behandlung der Coxitis, da in ihm das Gelenk weder ruhig noch 
richtig fixirt werden kann. Die dazu sehr geeignete, von Hoffa verbesserte 
Thomas’sche Schiene hat Tausch durch eine Unterlage von poroplastischem 
Filz entlang der Längsschiene verstärkt, damit dieselbe nicht leicht brechen kann. 
Thorax und Hüften werden von dem Filz in Form eines Corsettes umschlossen. 

Bei bestehender Hüftcontractur empfiehlt Tausch für leichte Fälle neben 
der Gewichtsextension besonders die Dollinger’sche Methode (vergl. Bd. I 
dieser Zeitschrift). Für schwere Fälle kommen die operativen Verfahren in 
Betracht. Während früher ziemlich ausschliesslich die Volkmann’sche Osteo- 
tomia subtrochanterica neben der Meisselresection im Gelenk mit Aushöhlung 
einer Pfanne ausgeführt wurden, hat Lorenz den Nachweis geliefert, dass die 
vorherige Beseitigung der durch contrahirte Weichtheile bedingten Reductions- 
hindernisse es ermöglicht, jede keilförmige Osteotomie zu umgehen, und dass 
nur durch die Trennung dieser Weichtheile eine tadellose Correctionsstellung zu 
erzielen ist. Es werden von einem vorderen Längsschnitt aus in querer Rich¬ 
tung durchtrennt das subcutane Bindegewebe, die Fascia lata, der Sartorius, 
Tensor fasciae latae, vorderer Rand des Glutaeus medius und Rectus femoris, 
wenn nöthig auch noch die Adductoren. Etagennaht, Heilung in 8—10 Tagen. 
Nur in ganz schweren Fällen wird die lineare Osteotomie im Collum femoris 
oder intertrochanter ausgeführt. Der Hauptvortheil dieses Operationsverfahrens 
liegt in der Vermeidung einer weiteren Verkürzung, wie das die keilförmige 
Osteotomie mit sich bringt. 

Tausch hat 2 Fälle mit sehr gutem Erfolge nach der Lorenz’chen 
Methode operirt. Zenker-Würzburg. 

Bruns, Ueber die Ausgänge der tuberculösen Coxitis bei conservativer Be¬ 
handlung, Archiv f. klin. Chirurg., Bd. 48 Heft 1. 

Brun8 hat in seinen Nachforschungen das Material der Tübinger Klinik 
aus den letzten 40 Jahren verwerthet, im ganzen 600 Fälle theils ambula¬ 
torisch, theils stationär behandelt. Bei Nachuntersuchung von 200 zu 
diesem Zweck erschienenen Patienten ergaben sich folgende differentialdia¬ 
gnostisch wichtige Momente: 

1. Eine ansehnliche Anzahl als beginnende und chronische Coxitis ein¬ 
getragener Fälle erwiesen sich als Schenkelhalsverbiegungen (Coxa vara). 

2. Auch die Fälle von Coxitis nach infectiöser Osteomyelitis des 
oberen Femurendes sind viel häufiger als bisher angenommen. Auch diese 
Form kann einen eminent chronischen Beginn und Verlauf haben. Der weitere 
Verlauf, das Aussehen der Narben etc. klären die Natur des Leidens auf. 

Nach Ausscheidung aller zweifelhaften Fälle blieben 390 verwerthbare 
übrig, von welchen 321 conservativ, 69 mit Resection behandelt wurden. 

Bezüglich der Prognose bei conservativer Behandlung kam Bruns zu 
folgenden Sätzen: 

1. Die tuberculöse Coxitis befällt fast ausschliesslich die ersten beiden 
Jahrzehnte. 

2. In einem Drittel der Fälle zeigt sich während des ganzen Verlaufes 
keine manifeste Eiterung; in zwei Dritteln kommt es zu Abscessbildungen und 
Fisteln. 


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402 


Referate. 


3. Bei conservativer Behandlung erfolgt in 55°/o der Fälle Heilung, im 
Durchschnitt nach 4 Jahren. 

4. Der tödtliche Ausgang, in 40°/° der Fälle, erfolgt meist durch tuber- 
culöse oder amyloide Erkrankung anderer Organe. 

5. Das Auftreten von Gelenkeiterung verschlechtert die Prognose um 
mehr als das Zweifache. 

6. Schlechter wird dieselbe auch mit dem zunehmenden Lebensalter. 

7. Die Geheilten erliegen zum Theil nachträglich noch der Tuberculose 
anderer Organe. 

Die functionellen Endresultate sind im ganzen als günstig zu 
bezeichnen, da sich die Patienten meist behende bewegen können. Ein Drittel 
der Fälle heilt mit theilweiser, zwei Drittel mit voller Ankylose aus, letztere 
stellt sich fast immer nach Eiterungen ein. Fast regelmässig besteht Con- 
tracturstellung, und zwar in zwei Drittel der Fälle Flexion und Adduction, 
in einem Drittel Flexion und Abduction. Verkürzung wird erstens durch 
Wachsthumshemmung der Extremität veranlasst, wie Bruns annimmt, infolge 
von Inactivitätsatrophie, während eine durch Epiphysenerkrankung bedingte 
Verkürzung meist auf osteomyelitischer Basis beruhen soll. Ferner wird Ver¬ 
kürzung durch Höherstand des Trochanter major hervorgerufen, dieser findet 
in vier Fünftel der Fälle statt. Dabei wurde bemerkt, dass bei tuberculöser 
Coxitis Pfannen Wanderung sich viel häufiger wie Spontanluxation 
vor fand. Neben dieser reellen Verkürzung kommt noch durch die Becken¬ 
hebung bei Contracturen eine scheinbare zu Stande. Die Verkürzung im 
ganzen betrug durchschnittlich 7 cm, die grösste 12 cm. 

Die Behandlung der Kranken fiel in die Periode 1. der ableitenden, 
2. der mechanischen, 3. zu einem ganz geringen Theil der Jodoforminjections- 
therapie. Sehr bemerkenswerth ist aber, dass sich ein grosser Theil der Fälle, 
besonders der ambulant behandelten, so gut wie gar nicht oder nur wenige 
Wochen in regelrechter Behandlung befunden hat. 

Die Resultate einer conservativen, resp. exspectativen Behandlung, die 
auch auf die schwersten Fälle ausgedehnt ist, hat erstens zu dem Ergebnis 
geführt, dass die Eiterung im Hüftgelenk durchaus nicht ein absolut tödtlicher 
Process ist, wie das Hüter ausgesprochen hatte, zweitens aber, dass die Re* 
section keine geringere Mortalität aufzuweisen hat, die functionellen Resultate 
derselben aber als entschieden weniger günstig bezeichnet werden müssen. 

Zenker -W ürzburg. 


Hart mann, Spontane Hüftluxation bei acuter Coxitis, Revue d'orthoped- 
1894, Nr. 3. 

Hart mann hat eine Luxatio obturatoria beobachtet und beseitigt, die 
4 Wochen nach Beginn eines acuten polyarticulären Gelenkrheumatismus mit 
besonders hartnäckiger Localisation im linken Hüftgelenk entstanden war. 
4 Wochen nach Entstehung der Verrenkung gelang die Reposition in Narcose 
durch Beugung über den rechten Winkel, Traction und leichte Adduction, 
sowie Rotationen nach innen und aussen. Nach 2 Monaten konnte die Patientin 
ohne Stock laufen. Vulpius-Heidelberg. 


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Referate. 


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Calot, Regeneration des Femur und des Hüftgelenks nach ausgedehnter Re- 

section, Revue d’orthoped. 1894, Nr. 4. 

Calot machte bei einem 12jährigen Patienten eine Hüftgelenksresection 
wegen einer 6 Jahre bestehenden Coxitis und entfernte nicht nur die ganze 
Pfanne und cariöse Theile des Beckens in der Umgebung desselben, sondern 
auch noch 16 cm vom Femurschaft unter sorgfältigster Schonung des theil- 
weise Osteophyten tragenden Periostes, so dass nur noch eine untere 18 cm 
lange Hälfte zurückblieb. 27* Jahre später sah er den Knaben wieder, der 
nach 2 Monaten mit einem Wasserglasverband entlassen worden war. Das 
Bein war wieder ausgezeichnet gebrauchsfähig geworden, Patient konnte 
stundenlang ohne Ermüdung gehen mit einer Sohlenauflage von 5 cm an der 
Ferse, während die Zehen wegen eingetretener Spitzfusssteilung nur 2 i /t cm 
brauchten. 

Von der reellen Verkürzung des Beines im Betrag von 10 cm entfielen 
2 auf den Unterschenkel, 8 cm. auf das Femur. Durch genaue Vergleichung 
mit dem Knochen der gesunden Seite ergab sich, dass der bei der Operation zurück¬ 
gelassene Periostcylinder ein 11—12 cm langes Knochenstück reproducirt hatte, 
das man bei sorgfältiger Palpation als verdünnte obere Hälfte des Knochens 
deutlich durchfühlen konnte. Auch das Hüftgelenk hatte sich in erstaunlicher 
Vollkommenheit wieder hergestellt. Die Beugung war activ bis zum rechten 
Winkel, passiv noch 45° weiter möglich, die Streckung und Adduction waren 
normal, nur die Abduction ist einigermassen eingeschränkt. 

Vu 1 p i u 8 - Heidelberg. 

Sachs, Ein Beitrag zur Frage der Ischias scoliotica. Archiv für klinische 

Chirurgie Bd. 46 S. 684. 

Sach8 beobachtete bei einem 48jährigen Kranken eine Ischias scoliotica. 
Die Neuralgie betraf die linke Seite; das betreffende Bein wurde im Hüft- und 
Kniegelenk meist flectirt gehalten. Die Wirbelsäule zeigte ein verschieden aus¬ 
geprägtes Verhalten in verschiedenen Stadien der Erkrankung. Im Stadium 
der allergrössten Schmerzhaftigkeit war die .Lendenlordose in eine leichte 
Kyphose umgewandelt; der lumbodorsale Abschnitt der Wirbelsäule zeigteeine 
linksconvexe, der obere dorsale Theil eine kaum angedeutete rechtsseitige Skoliose. 
Der ganze Wulst der linksseitigen Rückenmuskeln (M. sacrolumbalis) sprang 
stark hervor, während die linke Rückenbälfte mehr abgeflacht erschien. 

Sachs fasst seine Anschauungen über das "Wesen der gekreuzten Form 
der Ischias scoliotica in folgenden Thesen zusammen: 

1. Die gekreuzte Form der Ischias scoliotica (Convexität der Lumbodorsal- 
skoliose nach der kranken Seite) entsteht durch Ausbreitung der Neuralgie vom 
Plexus sacralis auf den Plexus lumbalis. 

2. Die Skoliose kommt zu Stande durch die Functionsuntüchtigkeit der 
der kranken Seite entsprechenden Lendenmusculatur. Die Skoliose bildet sich 
allmählich aus: a) schmerzhaftes Stadium, b) Stadium der passiv eingenom¬ 
menen Stellung. 

8. Die besagte Functionsuntüchtigkeit ist bedingt durch den Schmerz, 
den die dem Plexus lumbalis angelagerten Muskeln bei ihrer Contraction durch 
Zerrung der in sie ein- oder angelagerten Nerven hervorrufen. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. III. Band. 27 


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Referate. 


4. Als Muskeln kommen in Betracht: Quadratus lumborum, Sacrolumbalis, 
Psoas. Letzterer zur Erklärung der Vornüberneigung des Körpers und der 
leichten Flexion des Beines der kranken Seite. 

5. Die Kyphose und Rotation erklärt Sachs im Gegensatz zu Schüdel 
nicht durch Muskelwirkung, sondern durch die veränderte Belastung. 

6. Bei der Therapie muss neben der Heilung der Ischias auch die Heilung 
der Skoliose mittelst Suspension und Redression angestrebt werden. 

J o a c h i m s t h a 1-Berlin. 

Ran zier, De la scoliose sciatique. Montpellier medical 1893 Nr. 41 S. 811. 

Ran zier glaubt, dass eine einmal ausgebildete Skoliose in Folge von 
Ischias auch nach der Heilung der Neuralgie infolge der eingetretenen Ver¬ 
kürzungen der Muskeln meist bestehen bleibt, und dass nur in seltenen Fällen 
eine Rückbildung der Rückgratsverkrümmungen eintritt. 

Joachimstha 1-Berlin. 

Abel Fran^on, Six cases de sciatique avec scoliose croisee (sciatique scolio- 

tique, scoliose sciatique) gueris par le traitement thermal d’Aix-les-Bains. 

Lyon medical Nr. 6—11 S. 187. 

Fran^n hat 6 Fälle von gekreuzter Skoliose bei Ischias beobachtet, 
die in Massage, heissen Bädern und Douchen bestehende Behandlung beseitigt, 
wie die beigegebenen Abbildungen zeigen, in kurzer Zeit mit dem Grundleiden 
auch die Skoliose. Joachimsthal -Berlin. 

Görard-Marchant, Fehlerhafte Haltung der Wirbelsäule, bedingt durch 

Lipome. Revue d’orthopedie 1894, Nr. 1. 

Bei einem 33jährigen Kammerdiener fand sich als Ursache heftiger, das 
Gehen seit 2 Monaten unmöglich machender Schmerzen in der linken Hinter¬ 
backe ein handgrosses Lipom. Die Lendenwirbelsäule ist nach links concav ver¬ 
krümmt, der Dorsalabschnitt compensatorisch nach rechts. Nach Exstirpation 
der Geschwulst konnte der Mann wieder aufrecht gehen, Hinken und Skoliose 
waren verschwunden. 

Ein zweiter Patient führte seine lebhaften Schmerzen in dem unteren 
Abschnitt der Wirbelsäule auf einen Fall vor 3 Jahren zurück. Er ging seit¬ 
dem mit steifem Rücken, das Bücken war ihm unmöglich. Mit der Entfernung 
eines bei genauer Untersuchung gefundenen mandelgrossen Fibrolipoms in 
der Höhe des dritten Lendenwirbels verschwanden alle Beschwerden. 

V u 1 p i u s - Heidelberg. 

Sainton, Skoliose und Kinderlähmung. Revue d’orthoped. 1894, Nr. 4. 

Sa in ton fügt den Mittheilungen von Kirmisson und Messner über 
paralytische Skoliose drei weitere Beobachtungen hinzu. Bei einem 17jährigen 
Mann zeigten sich sehr deutliche Reste einer liukseitigen Parese an Arm-, Bein- 
und Thoraxmusculatur, die im zweiten Lebensjahr entstanden war. 

Zugleich fand sich eine recht hochgradige rechtsconvexe Dorsalskoliose 
mit lumbodorsaler Gegenkrümmung, Prominenz der linken Hüfte. 


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Referate. 


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Bei einem 6 V*jährigen Knaben ergab die Anamnese, dass er vor 
7 Monaten plötzlich erkrankt sei und 14 Tage später eine rechtsseitige Lähmung 
bekommen habe. Es bestand eine rechtsconvexe Ausbiegung der Brustwirbel¬ 
säule mit unterer und oberer Gegenkrümmung und bereits deutlicher Rippen¬ 
buckel. 

Ein dritter, 4 Jahre alter Patient wies eine hochgradige linksconvexe 
Ausbiegung der Brust- und Halswirbelsäule auf mit starkem Rippenbuckel. Vor 
7 2 Jahr machte derselbe eine acut fieberhafte Krankheit durch, nach 3wöchent- 
lichem Krankenlager entstand gleichzeitig mit hochgradiger Muskelschwäche 
die erwähnte Erscheinung. Beim 2. und 3. Fall liess sich auch Parese der 
Bauchmusculatur nachweisen. Da die erwähnten Krankheitsbilder unter ein¬ 
ander verschieden sind, so lassen sich aus den Beobachtungen keine Gesetze 
für die Richtung der Krümmungsconvexität auf die gesunde oder kranke Seite 
ableiten. V u 1 p i u s - Heidelberg. 

Carl Beck, Laminectomie wegen tuberculöser Spondylitis. New-York medical 

Journal. Januar 1894. 

Es handelt sich um einen 4 3 /* Jahre alten Knaben, dem vor 3 Jahren 
vom Verfasser das Schultergelenk wegen tuberculöser Entzündung mit gutem 
Resultat resecirt worden war. Vor l 3 / 4 Jahren kam der Patient wieder zur 
Behandlung: es besteht ein kindskopfgrosser, fluctuirender Tumor in der Glutäal- 
gegend, eine in der Höhe des unteren Brustwirbels am meisten ausgesprochene 
Kyphose, Paraplegie. Der unzweifelhafte Senkungsabscess wurde 2mal in- 
cidirt und drainirt, jedesmal trat jedoch nach kurzer Besserung eine bedeutende 
Verschlimmerung auf. Verfasser entschloss eich deshalb zur Eröffnung des 
Wirbelkanals und Blosslegung des Krankheitsheerdes, die Oeffnung des Senkungs- 
abscesses in der Glutäalgegend wird erweitert und eine Communication zwischen 
Glutäalabscess und Wirbelsäule hergestellt. Die enormen Wunden werden mit 
Jodoformgaze ausgestopft und mit Moospappe bedeckt. Heilung innerhalb 
16 Wochen. Gutes Resultat, rapide Besserung des Allgemeinbefindens. 

Verfasser theilt den Fall mit, um erstens zu zeigen, was sich bei der 
offenen Wundbehandlung, speciell bei tuberculösen Erkrankungen erreichen lässt, 
zweitens, wie zwecklos es ist Senkungsabscesse zu eröffnen, wodurch nur ein 
Theil des Eiters entleert, die Caries jedoch nicht geheilt wird. Er räth im 
Anschluss daran die Senkungsabscesse zu aspiriren und mit Jodoforminjec- 
tionen zu behandeln, und erst dann zu incidiren, wenn eine mehrmalige Be¬ 
handlung mit Jodoforminjectionen keine Besserung zu erzielen im Stande war. 

Zum Schluss gibt Verfasser einen für die Jodoformbehandlung brauchbaren 
doppelläufigen Spülkatheter an, der sich von anderen Troicars dadurch unter¬ 
scheidet, dass, nachdem das Stilet herausgezogen ist, eine Spülcanüle in die 
Troicarcanüle eingeschoben wird, um die Jodoformlösung zu injiciren. 

Dreh mann-Würzburg. 

Menard, Ursachen der Paraplegie bei der Pott’schen Krankheit. Revue 

d’orthopedie 1894, Nr. 1. 

Menard setzt zunächst auseinander, dass die Lähmungserscheinungen 
bei Spondylitis nicht die Folge einer Compression des Rückenmarks in dem 


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Referate. 


durch winklige Knickung verengerten Wirbelkanal sein können, da letzterer 
sich eher erweitert als verengt erweist. Manchmal sind es fungöse Wucherungen, 
die die Dura mater durchsetzend das Rückenmark in Mitleidenschaft ziehen, 
viel häufiger aber ist die Lähmung durch extradurale Abscessbildung veranlasst. 
Dementsprechend ist die Resection von Wirbelbogen nutzlos, weil ja eine 
Stenose durch dieselben nicht hervorgerufen wurde, nützen kann nur eine 
directe Inangriffnahme des tuberculösen Wirbelheerdes eventuell Entleerung des 
Eiters und der käsigen Massen. 

Menard geht dabei in der Weise vor, dass er auf der Spitze des Gibbus 
einen Querschnitt nach der rechten Seite hin anlegt, von diesem aus erst den 
Processus transversus abträgt und das vertebrale Ende der betreffenden Rippe 
ebenfalls resecirt. Durch Wiederholung dieses Verfahrens an zwei Nachbar¬ 
wirbeln wird eine Bresche geschaffen, von der aus man gegen den kranken 
Wirbelkörper Vorgehen kann. 

Von drei beigefügten Krankengeschichten zeigt die erste die Nutzlosig¬ 
keit der Bogenresection, während die beiden anderen von rasch nach der Er¬ 
öffnung des tuberculösen Heerdes fortschreitender und zur Heilung führender 
Besserung berichten. V u 1 p i u s - Heidelberg. 

Gaudi er, Contribution ä Tetiologie de l’hematome du sterno-mastoidien chez 

le nouveau nä. Revue d'orthopedie 1894, juillet S. 287. 

G a u d i e r theilt zwei Fälle von Hämatom des Sternocleidomastoideus mit 
Schiefhalsstellung mit, die in ätiologischer Beziehung ein besonderes Interesse 
bieten. Es handelt sich um Kinder von 20 Tagen resp. 2 Monaten, die während 
des Impfens eine heftige Bewegung des Kopfes nach der dem zu impfenden 
Arm entgegengesetzten Seite ausführten. In dem einen Falle nach 3, im anderen 
nach 6 Tagen entwickelte sich bei ihnen ein typisches Hämatom des Kopf¬ 
nickers und ein Caput obstipum. Die Heilung trat unter Anwendung von 
Umschlägen, methodischen redressirenden Bewegungen und Pappschienen¬ 
verbänden ein. Jo achimsthal-Berlin. 

Phocas, Torticollis rhachitischen Ursprungs. Revue d’orthopedie 1894, Nr. 1. 

Auf Grund von drei Beobachtungen ist Phocas zu der Ansicht gekommen, 
dass manche Fälle von Schiefhals durch Rhachitis bedingt sind, indem die ab¬ 
norm weichen Knochen und die Schwäche der Bänder und Muskeln das Ent¬ 
stehen einer Neigung des Kopfes begünstigen. Das Krankheitsbild war in den 
drei Fällen so, dass der Kopf nach links geneigt, das Kinn etwas erhoben, das 
Gesicht leicht nach rechts gedreht war. Die Aufrichtung gelang leicht, ohne 
dass eine Verkürzung des einen Kopfnickers hervortrat, aber ebenso rasch 
nahm der losgelassene Kopf wieder die falsche Haltung ein. Bald darauf trat 
eine starke Rückwärtsbeugung an die Stelle der seitlichen Neigung, dieselbe 
war nicht ganz leicht zu beseitigen. 

Während congenitaler, paralytischer oder entzündlicher Schief hals sich 
ausschliessen liess, wurde die Annahme rhachitischer Aetiologie gestützt durch 
anderweitige Symptome dieser Krankheit, aufgetriebene Epiphysen, Verbiegungen 
der Knochen, dicken Kopf, geblähten Leib, Verdauungsstörungen etc. 


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Referate. 


407 


Auch die therapeutischen Resultate bestätigen die Diagnose, da anti- 
rhachitische Massnahmen genügten, um mit der Zeit die abnorme Kopfhaltung 
parallel zu den Erscheinungen der Rhachitis sich bessern und schliesslich ver¬ 
schwinden zu machen. Vu 1 pius-Heidelberg. 

Perrey, Des arthropathies syringomyeliques. These, Paris 1894. 

Zwei von Charcot beobachtete Fälle von Gelenkerkrankungen infolge 
Syringomyelie gaben Verfasser den Anstoss zur vorliegenden Abhandlung. 

Er bespricht zunächst die pathologische Anatomie der Syringomyelie, 
einer Höhlenbildung im Rückenmark, bedingt durch Zerfall von Gliommassen, 
die ihren Sitz hauptsächlich in der Regio cervico-brachialis hat. Darauf bringt 
er ein ausführliches Literaturverzeichniss (hauptsächlich deutscher Autoren) und 
einen kurzen geschichtlichen Abriss. 

Hierauf geht er zu der Besprechung der Gelenkkrankheiten infolge von 
Syringomyelie über. Der Sitz sind hauptsächlich die oberen Extremitäten, 
gegenüber der Arthropathia tabidorum. Männer sind 3mal mehr befallen 
als Frauen, das Alter der Befallenen schwankt nach Charcot zwischen 15 und 
25 Jahren. Häufig ist die Gelenkerkrankung das erste zu Tage tretende Zeichen 
der Syringomyelie. Vorhergehende Symptome sind trophische Störungen der 
Haut der Hände, auch können blitzartige Schmerzen Vorkommen. Als unmittel¬ 
bare Vorläufer der Arthropathie finden sich, aber selten, trophische Haut¬ 
störungen in der Nähe des Gelenks, ln einem Falle traten grössere Blasen in 
der Gegend des Gelenkes auf, nach Heilung der vereiterten Blasen trat die 
Gelenkentzündung auf. Als directe Ursache lässt sich meist ein Trauma be¬ 
schuldigen, mag es nun stärker oder geringfügiger sein. Die Gelenkentzündung 
kann sich als Hydarthros oder als vollständige Vereiterung äussern. Der Hyd- 
arthros tritt entweder acut auf, es kann sich plötzlich während der Nacht eine 
grosse fluctuirende vollständig schmerzlose Geschwulst entwickeln, oder er zeigt 
eine mehr chronische Form, es tritt zunächst Crepitation auf, und allmählich 
kommt es zur Bildung eines Schlottergelenkes. Die Patienten wundem sich 
meist über die geringen Schmerzen, die der Schwere der Verletzung, welche 
die Gelenkentzündung erzeugte, nicht entsprechen. Es bestehen Störungen der 
Sensibilität und Thermoanästhesie. Sobald die Gelenkentzündung chronisch 
geworden ist, haben die Patienten öftere Schmerzperioden. 

Symptome von Seiten des erkrankten Gelenkes: am häufigsten besteht 
Crepitation, oft als einziges Zeichen, ferner kommt es zu Luxation, häufiger zu 
Subluxation; schliesslich zu einer Veränderung der Gelenkenden und Stellungs¬ 
änderung in der Achse der Gelenkenden wie bei Arthropathia tabidorum. Es gibt 
eine seltenere atrophische Form und eine häufigere hypertrophische, oder man be¬ 
obachtet beide zusammen (in einem Falle bestand Atrophie des Humeruskopfes 
gegenüber einer starken Hypertrophie der Cavitas glenoidalis). Complicationen 
sind Eiterung und Nekrose. 

Die Diagnose hat zunächst eine Arthritis deformans auszuschliessen. 
Diese tritt nie so acut auf und hat niemals derartige Dislocationen zur Folge, 
wie sie bei der vorliegenden Gelenkerkrankung zu Tage treten. 

Am häufigsten sind die Erkrankungen mit Lepra mutilans verwechselt 
worden, gegen Lepra sprechen die Störungen der Sensibilität, die Integrität der 


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408 


Referate. 


oberflächlichen Gesichtsmuskeln, das Fehlen von Hautnarben, das Intactsein 
der Haare. 

Von den Gelenkerkrankungen nach Tabes unterscheiden sie sich schon 
durch den Sitz, die syringomyelitischen Arthropathien betreffen vorwiegend 
die obere Extremität, die der Tabiker die untere. 

Therapeutisch kommt nach Chipault in Betracht: 1. Immobilisation 
durch orthopädische Apparate, 2. Punction, wenn die Ansammlung von Flüssig¬ 
keit zu gross wird, 8. Arthrotomie bei beweglichen Fragmenten, schliesslich 
4. Resection oder Amputation bei Caries. 

Zum Schluss führt Verfasser 42 Fälle aus der Literatur an, denen er zwei 
Beobachtungen Charcot’s zufügt. Dreh mann-Würzburg. 


Max Sander, Ueber Mitbewegungen an gelähmten Körpertheilen. Inaugural¬ 
dissertation, Halle 1894. 

Sander bespricht im Anschluss an einen Fall von Hitzig aus der 
Hallenser Nervenklinik die Lehre von den Mitbewegungen an gelähmten Körper¬ 
theilen. Der Fall, der uns hauptsächlich interessirt, ist kurz folgender: 41jähriger 
Patient hat von Jugend auf eine Lähmung und Bildungshemmung der recht¬ 
seitigen Extremitäten, zugleich leidet er an Krampfanfällen. Status praesens: 
Grosser, kräftig gebauter Mann mit blödsinnigem Gesichtsausdruck. Residuen 
der cerebralen Kinderlähmung. Die ganze rechte Körperhälfte ist im Wachs¬ 
thum zurückgeblieben. Der rechte Arm ist wie der eines 12jährigen Kindes- 
Active Bewegungen bestehen nur in geringem Grade im Schulter- und Ellen¬ 
bogengelenk. Bei passiven Bewegungen starre, hauptsächlich Beugecontracturen. 
Linker Arm ohne Besonderheiten. Rechtes Bein erheblich abgemagert, Ober¬ 
schenkel gleich lang, Unterschenkel rechts nur ganz wenig kürzer. Active Be¬ 
wegungen im Hüft- und Kniegelenk vorhanden. Fubs und Zehen activ nicht 
beweglich. Der Gang ist ausgesprochen spastisch-paretisch. Die elektrische Er¬ 
regbarkeit rechts herabgesetzt. Reflexe: Sehnenreflexe an den oberen Extremi¬ 
täten rechts stärker als links. Patellarreflexe beiderseits sehr lebhaft und im 
gleichen Sinne different. Rechts Fussclonus, links nicht. Sonstige Reflexe 
normal. 

Mitbewegungen: Bei kräftiger Innervation des Orbicularis palpe¬ 
brarum treten stets starke Mitbewegungen in der Musculatur des Mundes ein. 

Bei activen Bewegungen im rechten Handgelenk treten sofort Mitbewe¬ 
gungen in der Beugemusculatur des Beines und mitunter auch sehr starke Be¬ 
wegungen in der linken Oberextremität ein. 

Bei Bewegungen des linken Armes treten analoge, aber bedeutend 
schwächere Bewegungen im rechten Arm und bei grösserer Anstrengung auch 
im rechten Bein ein. 

Alle Bewegungen der Finger der linken Hand werden von ganz analogen 
Bewegungen der rechten Finger, die für sich allein fast völlig unbeweglich 
sind, begleitet. 

Bei activen Bewegungen des rechten Beines treten schwache Mitbewe¬ 
gungen in der rechten Oberextremität auf. Bei activen Bewegungen des linken 
Fusses analoge Bewegungen rechts. 


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Referate. 


409 


Reflectorische Mitbewegungen: Beim Stechen in die rechte 
Hand Reflexbewegungen im rechten Arm und Bein. Beim Stechen in die linke 
Bewegungen in der rechten Hand. Beim Stechen in die rechte Fusssohle Re¬ 
flexbewegungen im rechten Bein und Arm. Beim Stechen in die linke Fuss¬ 
sohle zuckt gleichzeitig die grosse Zehe rechts. 

Zwei der Arbeit beigegebene Abbildungen demonstriren die Mitbewegungen. 

Drehmann - Würzburg. 

Brun8, Extensionsapparat zur Anlegung von Gipsverbänden an den unteren 
Extremitäten und dem Becken. Beiträge zur klinischen Chirurgie 1894, 
Bd. 12 Heft 1. 

M. Scbeimpflug, Transportabler Extensionsapparat zur Anlegung von Gyps- 
hosen etc. Wiener klinische Wochenschrift 1894, Nr. 6. 

Der Wunsch, bei Extension an der unteren Extremität auf möglichst 
wenig Assistenz angewiesen zu sein, hat schon verschiedentlich zur Construction 



dazu geeigneter Apparate Veranlassung gegeben (Lücke, Girard, Kauf¬ 
mann). Diebeiden obengenannten Apparate sind nach Angaben der Verfasser 
in ähnlicher Form schon von Bruns sen. resp. Roth-Stuttgart angewandt 
worden, sie bestehen beide in der Hauptsache aus einer Beckenstütze und einem 
Gestell aus Eisenstangen, an dessen unterem Ende die Extensionslaschen be¬ 
festigt werden können. Der Bruns’sche Apparat ist etwas einfacher als der 
Scheimpflug’scbe zusammengesetzt, der letztere (cf. Fig.) in der Hoffa¬ 
schen Klinik vielfach mit gutem Erfolge verwandt, hat den Vortheil, dass die 
Extension durch Gurte, welche auf Kurbelwellen laufen, ausgeführt wird und 
dadurch in sehr sicherer Weise dosirt werden kann. Beide Apparate sind für 
den Transport bequem zerlegbar. Zenker-Würzburg. 

Heusner, Ueber Spiraldrahtverbände. Deutsche medicinische Wochenschrift 

1894, Nr. 10. 

Heusner hat in einem Falle von intra partum entstandener Abreissung 
der oberen Epiphyse des Oberarms bei einer 13jährigen Patientin die federnde 
Wirkung einer Stahldrahtspirale, welche den Arm von der Schulter bis zur 


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410 


Referate. 


Handfläche umzog und an ihren zwei Enden zweckentsprechend befestigt war r 
benützt, um den stark pronirten Unterarm in Supination zu Überführen. Der 
leicht anlegbare Apparat hat sich in diesem Falle bewährt. 

Zur Herstellung einer Kopfstütze ist der federnde Stahldraht bei einem 
Knaben mit Spondylitis der oberen Brustwirbelsäule in Form einer platten, in 
Schlangenwindungen aufsteigenden Spirale verwandt worden. Je eine derartige 
Spiralschiene steigt am Gipscorset befestigt vom und hinten in die Höhe und 
drückt, in Extension angelegt, den Kopf von unten her nach oben. Der Patient 
trug diese Kopfstütze gern. 

Bei Knie- und EUbogencontracturen können die Spiralen in Halbrinnen¬ 
form zur Streckung benutzt oder zu diesem Zweck an articulirte Apparate 
angebracht werden. In ähnlicher Weise können sie in der Chirurgie und Ortho¬ 
pädie die verschiedenste Verwendung finden. Zenker-Würzburg. 

Heusner, 1. Spiralschiene gegen Pronationsstellung der oberen Extremitäten. 

2. Ein Fall von spastischer Gliederstarre. Archiv für klinische Chirurgie 

Bd. 48 Heft 3. 

Heusner theilt mit, dass seine im vorstehenden Referat genannte 13jährige 
Patientin im Lauf eines halben Jahres durch Tragen ihres Apparates erhebliche 
Fortschritte gemacht hat, und berichtet ferner über einen 2. Fall, in dem aus¬ 
gedehnter Gebrauch von den Stahldrahtspiralen gemacht ist. Die 8jährige vor¬ 
zeitig geborene Patientin leidet an Little'scher spastischer Glieder¬ 
starre, verbunden mit rechtsseitiger Hüftluxation. Die Patientin 
erhielt zur Correctur der bestehenden Flexion der Knie-, sowie Flexion und Ad- 
duction der Hüftgelenke ein Corset und zwei Schienenhülsenapparate, an denen 
zur Streckung der Knie- und Hüftgelenke flache Spiralen angebracht sind. Die 
an der Hüfte angebrachten schnellen, am unteren Ansatz losgelassen, nach hinten 
und aussen, müssen also eine kräftige Extension und Abduction hervorbringen. 

Bezüglich des Leidens selbst lassen sich zwei Formen unterscheiden: eine 
von schweren Himsymptomen begleitete tritt nach schweren Geburten auf, die 
andere nach Frühgeburten. Mit dieser gehen nur geringere Hirnstörungen 
Hand in Hand. Da sich nach Flechsig’s und Fuchs’ Untersuchungen die 
Pyramidenbahnen des Hirns und Rückenmarks spät entwickeln, so ist wohl die 
Ursache der letztgenannten Krankheitsform in einer mangelhaften Ausbildung 
dieser Bahnen zu suchen, während die erste Form wohl auf Verletzungen des 
Hirns bei der Geburt und nachfolgende Degenerationsprocesse der motorischen 
Centren zurückzuführen ist. Zenker-Würzburg. 

P. Redard, Sur une deformation rare du poignet. Archives generales, D£- 

cembre 1892, S. 651. 

Redard theilt ein typisches Beispiel der besonders von Madelung 
studirten spontanen Subluxation des Handgelenks mit. 

Es handelte sich um ein 14jähriges Mädchen, die sich als Wäscherin 
ausbildete, und bei der sich die Affection unter heftigen Schmerzen auf beiden 
Seiten als professionelle Erkrankung einstellte. R e d a r d’s Behandlung bestand 
in absoluter Ruhe, Elektrisation der Muskeln des Vorderarms und Anwendung 
einer Lederhülse, die mit Pelotten zum Druck auf die prominenten Knochen- 


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Referate. 


411 


theile versehen war. Es handelt sich bei der vorliegenden Affection nach Re- 
dard um eine Wachsthumsstörung durch eine Reizung der Intermediärknorpel, 
wie solche durch die benachbarten, bei den betreffenden Individuen besonders 
stark beanspruchten Muskeln hervorgerufen wird. 

J oachimsthal-Berlin. 

M. E. P a 8 s e 1 a i g u e, De la resection orthopedique du poignet. These. Paris 1894. 

Verfasser räth, die Resection des Handgelenks, wovon nur spärliche Fälle 
in der Literatur verzeichnet sind, mehr zu üben. Um die Operation nicht noch 
mehr in Misscredit zu bringen, ist es nöthig, die Indicationen genau zu prä- 
cisiren und die Technik zu vervollkommnen. 

Als Indicationen werden angeführt Ankylose, Fracturen des Radius oder der 
Ulna mit oder ohne Luxation, Calluswucherung, Beugecontractur, irreponible 
Radiusluxation, Klumphand. Hauptindication bilden Fracturen der unteren 
Enden der Vorderarmknochen mit oder ohne Luxation der Handwurzelknochen. 
Contraindication ist vollkommene Muskelatrophie, Alter (Epiphysenverletzung 
bei Kindern), Steifheit der Finger. 

Bei der Besprechung der Technik wird die Ollier’sche Methode genau 
und ausführlich behandelt. Die Methode ist kurz folgende: Doppelschnitt, der 
erste ist ähnlich dem Langen beck’schen, nur nicht gerade, er verläuft in 
einem Winkel über die dorsale Fläche des II. Metacarpus entlang der Indicator- 
sehne zur Mittellinie des Vorderarms. Eine Verletzung der Sehnenscheiden ist 
zu vermeiden. Der zweite beginnt 8 cm oberhalb des Processus styloideus uln^e 
und geht nach unten 2 cm oberhalb des oberen Köpfchens des Metatarsus V, 
er liegt etwas näher der palmaren Seite der Hand unterhalb des Extensor 
carpi ulnaris; Verletzung des Nervus ulnaris zu vermeiden. Extraction der 
Carpalknochen mit kleinen Knochenzangen oder Pincetten, ähnlich den Unter- 
bindungspincetten. Resection der Vorderarmknochen bogenförmig, so dass an 
beiden Seiten Fortsätze entstehen, welche die Processus styloidei vertreten sollen. 
Bei vollständiger Ankylose erleidet die Operationsmethode geringe Modificationen. 
Die Hauptgefahr der Handgelenksresection liegt in der Verletzung von Sehnen, 
Nerven und Gefässen, die sehr leicht möglich ist und mit aller Vorsicht zu ver* 
meiden ist. 

Die Nachbehandlung besteht in Fixation auf einer Schiene von Eisendraht 
in halber Supination, passiven Bewegungen vom 8. —10. Tage, activen vom 
30. Tage an. 

Zum Schluss werden 16 Fälle aus der Literatur angeführt, denen Passe¬ 
lai gue einen 17. von Le Den tu operirten anreiht. In diesem Falle handelte 
es sich um eine veraltete Luxation des Carpus und Fractur des Radius. Das 
erzielte Resultat ist zufriedenstellend. D r eh mann-Würzburg. 

Rincheval, Ein neues Operationsverfahren zur Behandlung congenitaler De- 

fecte eines Unterarm- und Unterschenkelknochens. Verhandlungen der 

Deutschen Gesellschaft für Chirurgie 1894, Bd. 2 S. 452. 

Nach Rincheval’s Bericht führte Bardenheuer in den Fällen von 
congenitalem Defect des Radius, sowie je einmal bei congenitalem Fibula- resp. 
Tibiadefect ein neues Operationsverfahren aus. 


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412 


Referate. 


Es handelte sich in dem ersten Falle um ein halbjähriges Kindchen, das 
bis auf das rechte Aermchen wohl entwickelt war. Der rechte Unterarm war 
2 cm kürzer als der linke; in demselben war nur die Ulna zu fühlen, während 
der Radius in ganzer Ausdehnung fehlte. Die Hand stand in hochgradigster 
Varusstellung; von peripheren Theilen fehlte noch mit Sicherheit der Meta* 
carpus I und der Thenar; der Daumen war rudimentär entwickelt. 

Von einem ulnaren Längsschnitt aus wurde das distale Gelenkende der 
Ulna und des Carpus freigelegt, nach Lösung des ersteren aus seinen Ver¬ 
bindungen das Händchen weiter in die pathologische Stellung gedrängt, also 
radialwärta luxirt. Alsdann wurde die Ulna mit einem Resectionsmesser in der 
Längsrichtung bis etwa zu ihrer Mitte hinauf in eine ulnare und radiale Spange 
gespalten, der Carpus ein wenig zugespitzt und zwischen die gespreizten Spangen 
des Unterarmknochens verpflanzt, so dass also der radiale Theil des gespaltenen 
Knochens an der Radialseite des Carpus, der ulnare Theil an der Ulnarseite 
des Carpus sich befand; der Carpus wurde demnach zwischen die Knochenspangen 
verschoben. Die Fixation erfolgte durch zwei feine Nägel, von denen der eine 
das radiale Stück, der andere das ulnare Stück der Ulna an den Carpus befestigte. 

Die Operation war relativ leicht auszuführen. I 1 /« Jahre nach dem 
Eingriff konnte sich Rincheval nicht nur von der guten Stellung und Function 
des Händchens überzeugen, sondern auch gleichzeitig constatiren, dass das 
operirte Aermchen stärker gewachsen war, als das gesunde; die Längendifferenz, 
welche vor der Operation 2 cm betrug, hatte sich auf 1 cm reducirt. 

Die gleiche Operation führte Bardenheuer bei einem 10jährigen 
Knaben aus, bei welchem nach cariöser Zerstörung und Entfernung des distalen 
Radiusendes sich eine beträchtliche Varusstellung der zugehörigen Hand aus- 
gebildet hatte. 

Ein drittes Mal wurde in der gleichen Weise operirt bei einem 7 Wochen 
alten Kinde, das ausser einem rechtsseitigen Radiusdefect und einer Reihe ander¬ 
weitiger Missbildungen noch einen Defect der Tibia, eine incomplete Luxation 
der Fibula nach hinten, ein schlotterndes Kniegelenk und einen hochgradigen 
Klumpfuss zeigte. Das Resultat war in allen 3 Fällen sowohl in functioneller 
wie in kosmetischer Hinsicht ein sehr gutes zu nennen. Die Heilung erfolgte 
in jedem Falle per prim, int., die erstrebte Stellung ist bei sämmtlichen ge¬ 
blieben; bei allen Fällen war die Beweglichkeit im Handgelenk eine ziemlich 
ausgiebige, fast normale. 

Weiterhin hat Bardenheuer bei einem 5jährigen Kinde mit congeni¬ 
talem totalem Fibuladefect von einem über das Talocruralgelenk verlaufenden 
Längsschnitt aus nach Dislocirung der Strecksehnen das Fussgelenk eröffnet 
die Tibia aus ihren Gelenkverbindungen gelöst, alsdann in der Längsrichtung 
mit Resectionsmesser und Hammer ca. 7 cm hinauf gespalten und die angefrischte, 
seitlich etwas verkleinerte Gelenkfläche des Talus zwischen die beiden aus 
einander gedrängten Hälften der Tibia verpflanzt. Die Fixation erfolgte durch 
zwei Nägel. Die Stellung des Fusses war nach der Heilung eine gute, das Kind 
trat sicher auf und konnte anhaltend gehen. 

Bei dem oben erwähnten Tibiadefect, bei dem das obere Fibulaende 
gespalten und das untere verjüngte Femoralende zwischen die Spangen der 
Fibula implantirt wurde, wurde bei der Operation die atypisch verlaufende 


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Referate. 


413 


Arteria poplitea verletzt, wodurch Gangrän des Unterschenkels bis zur Mitte 
auftrat. Joachimsthal - Berlin. 

F. Beely, Zur Behandlung leichter Fälle von Genu valgum. Therapeutische 

Monatshefte 1894. April. 

Während Verfasser die üblichen Behandlungsmethoden des Genu valgum, 
das gewaltsame Redressement, Osteoklasie und Osteotomie mit fixirenden Ver¬ 
bänden und compücirten Apparaten nur bei den schweren Fällen für nöthig 
hält, verfährt er bei den leichteren, meist doppelseitigen Fällen in anderer 
Weise. Zur Beurtheilung der Schwere des Leidens und der erzielten Erfolge 
werden die Patienten in Rückenlage untersucht: die Beine gestreckt und ober¬ 
halb der Patella so fixirt, dass dieselbe nach oben sieht und die Condyli int. 
sich berühren, dann werden die Entfernungen des Berührungspunktes der Con- 
dylen von den Malleol. int. und der Abstand dieser beiden von einander ge¬ 
messen. Die grösste Distanz der Malleol. betrug unter 29 Fällen von 2—5 Jahr 
alten Knaben 7 cm. Nach dem Vorgänge von Pare lässt Beely am Tage 
Schnürstiefel tragen mit Absätzen, die an der Innenseite erhöht und deren 
untere Flächen medianwärts gerichtet sind; ebenso wird der vordere Theil der 
Sohle nach einwärts gedreht. Bei Pes planus kommt noch eine Ledereinlage 
an der Innenseite der Sohle dazu. Zur nothwendigen Ergänzung dieser Tages¬ 
behandlung wird während der Nacht ein Schienenapparat angelegt, der aus 
einem stählernen Beckengurt besteht, der in Höhe der Spinae sup. anter. am 
Becken befestigt wird; mit diesem durch Charniere verbunden laufen an der 
Aussenseite der Schenkel zwei schwach nach aussen convexe Schienen, die die 
Fusssohlen um 7—10 cm überragen sollen, und an welche die Kniee durch breite 
Lederkappen, die Unterschenkel an der Grenze des mittleren und unteren 
Drittels durch einen hinten stählernen, vorn ledernen Ring herangedrückt und 
an denen auch die Füsse durch einen Lederriemen festgehalten werden. Die 
stählernen Theile des Apparats müssen natürlich stark gepolstert sein. 

Kann-Berlin. 

Lea er. Zur Behandlung des Genu valgum leichteren Grades. Langenbeck’s 

Archiv Bd. 48 S. 690. 

Leser hat unter theilweiser Benutzung der Idee, welche^ dem Mikulicz- 
sch&n Gipsverbande für Genu valgum zu Grunde liegt, einen Schienenapparat con- 
strunrt, welcher bei allmählicher Correctur der seitlichen Deviation die normalen 
Beuge- und Streckbewegungen des betreffenden Kniegelenkes nicht hindert. 
Anfangs benutzte Leser zwei Gipsverbände je am Ober- und Unterschenkel, 
in welche vorn und hinten je eine starke Stahlschiene eingelagert war, später 
ersetzte er die Gipsverbände durch starke steife Lederhülsen, welche den Ober¬ 
und Unterschenkel zu je 2 /a der Länge umgeben. In diese Unterschenkelhülse 
ist in der Mittellinie vorne und hinten je eine starke Stahlschiene fest ein¬ 
gelassen, welche sich nach oben zu in je einen etwa fingerdicken, rundlichen 
Stahlstab verlängert. Letzterer trägt in der Höhe des Kniegelenkspaltes je ein 
Zahnrad mit Gelenk, welches durch einen Schlüssel bewegt wird und nach Be- 
dürfni8s den Winkel seitlich mehr oder weniger öffnet, also die Deviation des 
Unterschenkels allmählich ausgleicht. Dicht oberhalb dieses Zahnradgelenkes 


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414 


Referate. 


befindet sich in den Stäben ein einfaches, solid gearbeitetes Chamiergelenk, 
welches sehr bequem Beugung und Streckung vermittelt. Um dies bei dem an 
die Extremität angelegten Apparat zu ermöglichen, war es nöthig, dass die 
Stahlstangen einerseits sicher und widerstandsfähig bezüglich der Ab- und Ad- 
duction mit der Oberschenkelhülse verbunden wurden, andererseits aber ent¬ 
sprechend der Beugung und wiederholten Streckung sich leicht ohne Widerstand 
verlängerten resp. verkürzten. Dies erreichte Leser dadurch, dass er die 
Stahlstangen nach oben in eine starke Metallkammer einleitete, welche letztere 
wiederum fest mit der Oberschenkelhülse verbunden war. 

Bei der Beugung gleitet die vordere Schiene so weit als nöthig aus der 
vorderen Kammer und gewinnt hierdurch die zur Beugung nöthige Verlängerung, 
während entsprechend der nöthigen Verkürzung die hintere Schiene sich in die 
hintere Kammer einschiebt. Um ein Hinausgleiten der Stahlschienen zu ver¬ 
hüten, sind dieselben mit einem kleinen Führungsknopf versehen. 

Joachimsthal - Berlin. 

E. Estor, Un Symptome paradoxal du genu valgum. Montpellier med. 1893, 
Nr. 12 S. 226. 

Estor glaubt die Erscheinung des Verschwindens der Genu valgum- 
stellung bei der Beugung des Kniegelenks zum Theil erklären zu können aus 
der Gestalt des inneren Condylus, dessen hintere, während der Flexion in Contact 
mit der Tibia kommende Fläche wesentlich normal geblieben ist (Geniot); 
den wesentlichsten Antheil schreibt er jedoch der Torsion der Tibia zu, der zu 
Folge bei der Beugung der untere Schienbein- und obere Femurantheil auf 
einander fallen. Der von Mikulicz ausgegangene Erklärungsversuch scheint 
dem Autor unbekannt geblieben zu sein. J o achimsthal -Berlin. 

Hausmann, Ueber Genu varum adolescentium im Anschlüsse an einen in¬ 
folge von Rhachitis tarda entstandenen Fall. Aus der chirurgischen Klinik 
in Strassburg. Inaug.-Diss. 1893. 

Verfasser bespricht die im Gegensatz zum Genu valgum seltenen Fälle 
von Genu varum des späteren Alters im Anschluss an einen Fall von doppel¬ 
seitigem Genu varum der Strassburger Klinik. Es handelt sich um einen 
15jährigen Arbeiter, die seit 2 Jahren bestehende Deformität ist bedingt durch 
Verkrümmung der beiden Unterschenkel, die Oberschenkel sind normal. Es 
finden sich sonstige Zeichen von Rhachitis. Vorher war Patient gesund. Er wird 
von Lücke operirt, Abtragung des Fibulaköpfchens, Osteotomie der Tibia, 
Gipsverband. 

Verfasser führt 14 Fälle aus der Literatur an mit der Aetiologie Rhachitis 
tarda. Daneben kommt ätiologisch noch in Betracht: Osteomalacie, Ostitis 
deformans (Paget), Arthritis deformans, schliesslich schlecht ausgeführte Re- 
sectionen und schief geheilte Fracturen. Die ungünstigen statischen 
Verhältnisse können allein ohne eine rhachitische oder sonstige 
Prädisposition nicht beschuldigt werden. 

Bei der Therapie bespricht Verfasser das unblutige Redressement 
mittelst fixirender Verbände bei noch biegsamen Knochen. Von den operativen 
Methoden wird die Schede’sche empfohlen. Dreh mann-Würzburg. 


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Referate. 


415 


Kumm er-Genf, Arthrodese des Kniegelenks bei infantiler Spinalparalyse. Revue 

d’orthop. 1894, Nr. 4. 

Bei der 24jährigen, sehr beleibten Patientin fand sich eine Lähmung des 
linken Beines, die vom 1. Lebensjahr her datirte. Das »Bein war bis über das 
Knie hinauf elephantiastisch geschwellt, die Haut cyanotisch. Die active Flexion 
des Kniegelenks war möglich, wenn auch mit geringer Kraftentfaltung, die 
Extension ist activ völlig unmöglich, passiv nur bis 165° ausführbar. Es besteht 
ferner Pes equino-valgus. Beim Gehen muss Patientin mit der Hand das Knie 
fixiren, um das Einknicken zu verhüten. Kummer führte die Arthrodese aus 
mittelst Querschnitt, Exstirpation der Patella und bogenförmiger Resection. 
Nach glatter Wundheilung kam es unter Gipsverbänden zur Consolidation. Die 
Verkürzung betrug 3 cm, der Gang war sehr gut. (Ob ein Hülsenapparat mit 
feststellbarem Kniegelenk nicht geeigneter gewesen wäre als die Versteifung 
der Gelenke, erscheint dem Referenten fraglich.) Vul p i u s - Heidelberg. 


P h e 1 p s, Etiology of the deformities occurring in knee-joint disease. Transact. 

of the Americ. orthop. Association Sept. 1893. 

Auf Grund seiner reichen Erfahrung kommt Ph elps zu folgenden Sätzen 
für die Stellung des Kniegelenks bei Entzündung desselben: 

1. Sind die Condylen des Femur oder der Kopf der Tibia Sitz der Er¬ 
krankung, so steht das Bein stets in Beugung. 

2. Beugung geht mit Aussenrotation Hand in Hand. 

3. Ist nur Patella erkrankt, keine Beugung. 

4. Erstreckt sich die Erkrankung nur auf die Kapsel des Gelenkes, keine 
Beugung; dagegen bei Erkrankung des ganzen Gelenkes mit Ein¬ 
schluss der Knorpel Flexionsstellung, unabhängig davon, ob flüssiger 
Inhalt vorhanden ist oder nicht. 

Mit Unrecht sei für die Flexionsstellung die Bonnet’sche Theorie 
herangezogen worden, denn die meisten Kniegelenksentzündungen verliefen 
ohne Erguss, aber mit Flexion. Letztere finde sich ferner auch bei extra¬ 
kapsulären Heerden, dagegen könne selbst bei grossen Ergüssen Flexions¬ 
stellung fehlen. 

Auch die Theorie vom Uebergewicht der Flexoren über die Extensoren als 
Erklärung der Flexionsstellung erscheint Phelps incorrect. Bei Feststellung 
des Gewichts beider Gruppen wogen die Flexoren 8 Pfund, die Extensoren 
14 Pfund. 

Nach Prüfung der Leistungsfähigkeit beider Muskelgruppen in verschie¬ 
denen Beinstellungen kommt Phelps zu dem Schluss, dass die Extensoren 
kräftiger als die Flexoren sind, dass die Extensoren aber desto 
mehr an Kraft verlieren, je mehr das Knie gebeugt wird, während 
die Flexoren in demselben Maasse an Kraft zunehmen. Diese Be¬ 
hauptung sucht er auf die Gesetze des Hebels und der Rolle zu stützen. 

Bei Erkrankung des ganzen Gelenkes wird zuerst das Knie gebeugt, um 
den Druck der Gelenkflächen auf einander und damit den Schmerz zu ver¬ 
mindern, und erst durch diese willkürliche Beugung gewinnen die Flexoren ein 
Uebergewicht über die Extensoren. Zenker- Würzburg. 


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416 


Referate. 


Gerard-Marchant, Osteotomie der Fibula wegen schlecht geheilter Fractur. 
Revue d’Orthopedie 1894, Nr. 1. 

Der 35 Jahre alte Patient erlitt eine Dupuytren’sche Unterschenkel- 
fractur durch Sturz vdm Pferd und wurde vom Arzt alsbald in einen Gips¬ 
verband gelegt, der erst nach 85 Tagen entfernt wurde. 5 Monate später stellte 
sich Patient bei Marchant ein, da er wegen der heftigen Schmerzen und 
mehr noch wegen hochgradigen Pes equino-valgus am Gehen verhindert war. 
Der stark prominente Condylus internus hatte einen 2-Frankstück grossen De¬ 
cubitus erzeugt. Marchant machte die Osteotomie der Fibula an derFractur- 
stelle und konnte nach Entfernung eines mehrere Millimeter dicken Stückes 
aus dem Knochen den Fuss in normale Stellung zurückführen. Nach einem 
Vierteljahr marschirte Patient Stunden lang. 

Zwei Abbildungen zeigen die Deformität und den operativen Erfolg. 

V ulpius-Heidelberg. 

Paul Sombret, Contribution ä T£tude du genu valgum infantile I. De ses 
varietes II. De son traitement par l’osteocjasie manuelle d’apres le pro- 
cede de Tillaux modifie. These. Paris 1894. 

Das klassische Genu valgum im Kindesalter ist rhachitischen Ursprungs 
und gewöhnlich doppelseitig, zum Unterschied von demjenigen im Jünglings¬ 
alter. Ist es ausnahmsweise einseitig, so kann man in der Regel bestimmte 
Ursachen der Erkrankung nachweisen. Endlich findet sich Genu valgum und 
varum gleichzeitig. 

An der Hand von 33 Fällen von Genu valgum infantile beschreibt dann 
Verfasser ein nach Tillaux modifieirtes Verfahren der manuellen Osteoklasie, wie 
es Phocas auszuüben pflegt. Das Verfahren unterscheidet sich von dem Tü¬ 
lau x’schen nur dadurch, dass die Fixation der deformirten Extremität auf dem 
Holzklotz durch einen Assistenten ausgeübt wird. Nachbehandlung mit Gips¬ 
verband. Verfasser räth, die Osteoklasie nur in der Periode der ausheilenden 
Rhachitis zu machen, da bei zu früher Operation leicht Recidiv einträte. Die 
Einwürfe, welche man gegen die manuelle Osteoklasie gemacht hat, wie: Reissen 
des inneren und äusseren Seitenbandes, seitliche Verschieblichkeit, Reissen des 
Lig. cruciatum anticum, Gelenkschmerzen, Gelenkerguss, Wachsthumsstörungen, 
epiphysäre Osteophyten, Peroneuslähmung etc., sucht Verfasser theils als un¬ 
wichtig hinzustellen, theils schiebt er die Unfälle der Operationsmethode und 
der schlecht gewählten Operationszeit zu. Von den 33 angeführten Fällen 
waren 18 zwischen 14 Monaten und 27 * Jahren, 9 von 3 Jahren, 4 Fälle von 
4 Jahren, ein 5jähriges und ein 6jähriges Kind. 

(Die Angabe dieser Zahlen genügt wohl, um zu beweisen, dass die Be¬ 
handlungsmethode ganz willkürlich gewählt wurde, und dass man mit weniger 
eingreifenden Mitteln jedenfalls besser zum Ziele gelangt wäre. Ref.) 

P a r ad i es-Würzburg. 

P. Redard, Du traitement du genu valgum infantile. Revue internationale 
de Therapeutique et Pharmacologie. 1894, Nr. 8 und 9. 

Redard schildert zunächst die gebräuchlichsten Behandlungsmethoden 
des kindlichen Genu valgum, welches nach seiner Statistik unter 152 Fällen 


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Referate. 


417 


115 mal Kinder im Alter von 2—4 Jahren betrifft. Darauf gibt er die ver¬ 
schiedenen Indicationen für die Behandlung, welche je nach dem Alter, der Form 
und dem Grade der Difformität variirt. Er unterscheidet drei Hauptmethoden: 

1. Le redressement lent et progressif; 

2. le redressement rapide; 

3. le redressement brusque. 

Zur Erzielung eines langsamen und allmählichen Redressements stehen 
verschiedene einfache Vorrichtungen zur Verfügung. Verfasser beschreibt die 
Owen’schen Bandagen, das Heine’sche keilförmige Kissen, den Länderer- 
schen elastischen Innenzug. Verneuil, Tillaux, Le Fort, Heine, Mi¬ 
kulicz und Vogt suchen das langsame Redressement mit Hilfe von ge¬ 
gliederten Wasserglas- und Gipsverbänden zu erreichen. Von orthopädischen 
Apparaten, welche fast alle nach dem Princip gebaut sind, dass das Knie gegen 
eine Aussenschiene herangezogen wird, nennt Redard die Apparate von Mellet, 
St. Germain, Sayre, Heine, Lonsdale, Venel und Mellet, Panzeri 
und H.- Martin, Tuppert und Thomas. 

Besonderen Werth legt Verfasser auf das „schnelle Verfahren“ (Redresse¬ 
ment rapide), welchem er den Vorzug vor den beiden anderen gibt. Diese 
Methode sucht möglichst schnell in einer Sitzung ohne Knochenbruch und Epi¬ 
physentrennung die Redression zu bewirken. Verfasser legt einen sorgfältig ge¬ 
polsterten Gipsverband an und redressirt dann mit einem eigens dazu construirten 
Apparat. Derselbe besteht aus zwei am oberen, resp. unteren Ende einer 
Aussenschiene angebrachten concaven Pelotten, die sich dem oberen Ende des 
Oberschenkels, bezw. dem Unterschenkel oberhalb des Malleolus ext. an¬ 
schmiegen. Eine dritte Pelotte ist mittelst eines das Knie umfassenden Ringes 
an der Aussenschiene befestigt und kann durch eine Schraube gegen den inneren 
Condylus gedrängt werden. Durch Verlängerung der Schiene und Verschiebung 
des Ringes kann der Apparat dem individuellen Falle angepasst werden. Nach 
Abnahme des Apparates soll man zur Vermeidung von Druck und Circulations- 
störungen die von der inneren Pelotte gedrückte Partie des Gipsverbandes etwas 
emporzuheben suchen. 

Unter diese Rubrik des Redressements rechnet Redard auch den Wolff- 
schen Etappen verband. 

Jn einzelnen Fällen zieht Redard nach Anlegung des Gipsverbandes 
das Knie mittelst Gummi binden gegen eine Aussenschiene, die noch durch eine 
kürzere Innenschiene verstärkt wird. Letztere reicht vom Condylus int. fern, bis 
zum Malleol. int. Die Enden beider Schienen werden mit Filz gut unterpolstert. 
Der Gipsverband bleibt gewöhnlich 1 Monat liegen. 

Das .Redressement brusque“ wirkt entweder durch Trennung der unteren 
Femurepiphyse (Delore, Tillaux, Panzeri, Corradi, Romano) oder 
durch Fractur des unteren Femurendes. Die Methode wird entweder manuell 
oder instrumentell geübt (Osteoklasten von Co 11 in und von Robin). 

Im letzten Theil seiner Abhandlung bespricht Redard die Indicationen 
für die Wahl der Behandlung des kindlichen Genu valgum. In manchen Fällen 
genügt eine allgemeine antirhachitische Behandlung und das Fernhalten von 
Schädlichkeiten, welche die Difformität verschlimmern können. Befindet sich das 
Genu valgum noch im Anfangsstadium und ist es noch wenig ausgesprochen, 


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418 


Referate. 


so sind die einfachen, vom Chirurgen selbst verfertigten Apparate, manchmal 
auch das „Redressement rapide“, den orthopädischen Apparaten vorzuziehen. 
Beim veralteten ausgesprochenen Genu valgum des Kindesalters, welches sich 
mit der Hand nicht mehr ausgleichen lässt, soll man nach Redard stets das 
„Redressement rapide“ anwenden. Das „Redressement brusque“ reservirt er 
für ganz bestimmte Fälle, wo der rhachitische Knochen elfenbeinhart geworden 
ist. Er bedient sich hier des Robin’schen Osteoklasten. 

Die supracondyläre Osteotomie wird man nur ausnahmsweise in einer 
vorgerückten Ossificationsperiode an der Grenze zwischen Kindes- und Jüng¬ 
lingsalter verwerthen. Paradies-Würzburg. 

H. AugustusWilson, Bone operations for the correction of clubfoot, based 
upon an analysis of 435 operations by 108 operators. Transactions of 
the American orthopedic association, September 1893. 

Verfasser bringt eine Analysirung von 435 Knochenoperationen, die von 
108 verschiedenen Operateuren zur Correction des Klumpfusses vorgenommen 
wurden. Bei dieser Statistik kam es ihm darauf an, festzustellen: 1. die Hohe 
der Mortalität der Knochenoperationen bei Klumpfuss; 2. welches Alter der 
Patienten zur Operation am besten erschien; 3. wie viel vom Fussskelet ent¬ 
fernt werden musste; 4. ob Beweglichkeit oder Ankylose angestrebt war; 5. ob 
eine nachfolgende Behandlung mit orthopädischen Apparaten nöthig war; 6 . ob 
die Gebrauchsfähigkeit des Fusses besser war als nach anderer Behandlung; 
7. was für Fälle zur Knochenoperation passend sind. 

Wilson kam dabei zu dem Resultat, dass die Erfolge nicht derart sind, 
dass sie einer orthopädischen Behandlung vorzuziehen sind. Die besten Re¬ 
sultate gibt eine frühzeitige, von Geburt an längere Zeit fortgesetzte, sorgfältige 
Behandlung. Eine Erfahrungstatsache ist ferner, dass von veralteten Fällen, 
wenn auch nicht alle, so doch eine sehr grosse Anzahl durch Weichtheiltren- 
nungen, verbunden mit orthopädischer Behandlung, corrigirt wird. Ein äusserst 
geringer Procentsatz eignet sich zu Knochenoperationen. 

D r e h m a n n-Würzburg. 

Georg Hensel, Die Resultate der Klumpfussbehandlung in der chirurgischen 
Klinik zu Jena 1888—1893. Langenb. Arch. Bd. 48 S. 358. 

Hensel hat 36 angeborene und 17 erworbene, in den Jahren 1888 bis 
1893 in der chirurgischen Klinik zu Jena behandelte Klumpfussfälle zwecks 
Ermittelung des endgültigen Erfolges der an ihnen vorgenommenen Operationen 
nachuntersucht. Dem Alter nach waren 21 Patienten zwischen 0 und 2 Jahre 
alt, 15 Patienten hatten beim Eintritt in die Behandlung ein Alter von 5 bis 
7 Jahren, 9 ein solches von 10—12 Jahren. Zwischen 2 und 5 Jahre alt waren 
3, zwischen 15 und 20 Jahre 4 Patienten. 

Bei einer Patientin im Alter von 6 Y 2 Jahren, die an einem paralytischen 
Klumpfuss geringen Grades litt, war der Erfolg einer kräftigen Dorsalflexion 
in Narkose ein so vorzüglicher, dass sie zur Zeit der Publication gut läuft 

Bei zwei Patientinnen mit paralytischem Klumpfuss im Alter von 3 bis 
12 Jahren wurden Tenotomien ohne Knetungen vorgenommen. Die eine Pa¬ 
tientin, die den ihr lästigen Schienenschuh bald abgelegt hatte, stellte sich 


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Referate. 


419 


nach 3 Jahren mit einem vollkommenen Recidiv ein. Eine Keilexcision fiel jetzt 
zur vollsten Zufriedenheit aus; die zweite Patientin lief ohne Schuh mit ge¬ 
ringer Klumpfu8S8tellung. 

Bei einem V 4 Jahr alten Patienten wurde Knetung ohne Tenotomie ge¬ 
übt Der Erfolg war bei einer geeigneten Nachbehandlung ein vorzüglicher. 

Die nächste Gruppe umfasst 21 Patienten im Alter von V*—20 Jahren, 
von denen 12 angeborene, 9 erworbene Klumpfüsse hatten; hier bestand die 
Behandlung in Tenotomien und Knetungen. Wir begegnen hier einer Reihe 
von Recidiven, und zwar zumeist bei solchen Kindern, die im Anfang des ersten 
Lebensjahres zur Behandlung kamen. Bei den übrigen Patienten ist der Erfolg 
der Behandlung theils leidlich, so dass vielleicht eine erneute Operation er¬ 
forderlich sein wird, theils gut, theils sehr gut. Dass diese Art der Behandlung 
auch noch bei Patienten in einem Alter anwendbar sein kann, wo man eigent¬ 
lich keinen Erfolg mehr davon erwarten sollte, beweist eine Patientin, die 
erst im Alter von 20 Jahren mit einem hochgradigen paralytischen Klumpfuss 
in Behandlung kam und bei der Tenotomie und Knetung in einer einzigen 
Sitzung zu einem ganz vorzüglichen dauernden Resultat führte. 

Bei vier Patienten mit angeborenem Klumpfuss kam es bei der vorigen 
Operation zur Bildung eines Pseudophelps, d. h. die Haut auf der Innenseite 
riss dabei in ausgedehntem Maasse ein. Bei allen vier Patienten, die im Alter 
von 1 —10 Jahren standen, war der Erfolg ein sehr guter. 

Einen gleich guten Erfolg hatten die vier typischen Phelpsoperationen, 
die 3 mal wegen angeborenen, lmal wegen paralytischen Klumpfusses bei Kin¬ 
dern im Alter von Vfa —G'/a Jahren zur Ausführung kamen. Nur bei einer 
Patientin wurde durch einen nicht ganz glatten Heilungsverlauf der Hautwunde 
eine Exstirpation der immer wieder aufplatzenden Narbe und Keilexcision noth- 
wendig. 

Einen Uebergang zu der letzten Abtheilung der mit Keilexcision be¬ 
handelten Fälle bildet die nächste Gruppe von vier Patienten im Alter von 
74 —7 Jahren, bei denen supramalleoläre Osteotomien vorgenommen wurden. 
Auch hier ist der Erfolg mit Ausnahme eines Falles ein recht guter. 

Bei den zehn übrigen Patienten (8 angeborene, 2 paralytische Klump¬ 
füsse) ira Alter von 5—18 Jahren wurde entweder direct oder nach erfolgloser 
Tenotomie und Knetung eine Keilexcision aus der Fusswurzel gemacht, in 
einem Falle zugleich mit einer Osteotomia tibiae et fibulae. Der Erfolg der 
Operation war nach Hensel, abgesehen von der starken Verkürzung — die 
18jährige Patientin, an der die Keilexcision und Osteotomie der Tibia und 
Fibula beiderseits zur Ausführung kam, hat dadurch Füsse bekommen, die 
denen eines 10 jährigen Kindes an Länge gleichen, tanzt aber damit —, ein 
recht guter. Fast bei allen Patienten blieb indess eine massige Supinations¬ 
stellung des von der Operation nicht betroffenen Calcaneus zurück. Zur Frei¬ 
legung des Operationsgebietes diente ausschliesslich ein grosser, von der Spitze 
des Malleolus externus bis zur Mitte des Os metatarsi V verlaufender Längs¬ 
schnitt; von ihm aus wurden die Weiclitheile abgelöst und dann nach Be¬ 
dürfnis kleine oder grössere, meist sehr grosse Keile entfernt. Die Hautwunde 
wurde niemals genäht; derFuss, sofort in die richtige Stellung gebracht, blieb 
bis zur vollendeten Heilung im ersten Verbände. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. III. Band. 28 


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420 


Referate. 


Nach Hensel’s Zusammenstellung wurden die weitaus besten Resultate 
erzielt bei den Operationen nach Phelps und in den Fällen, wo ein Pseudo- 
phelps zu Stande kam; dann folgen die Keilexeisionen, die supramalleolären 
Osteotomien und schliesslich die grosse Anzahl von Fällen, in denen Tenotomie 
und Knetung angewandt wurde; Hensel empfiehlt bei Kindern von 2 bis 
12 Jahren, wenn Tenotomien und Redressement force nicht zum Ziele führen, 
die Phelps’sche Operation, bei älteren Individuen die Keilexcision. 

Joachim s thal-Berlin. 

H. Augustus Wilson, Teno-suture and tendon elongation and shortening by 
open incision; adventages and disadvantages of the various methods 
International Clinics, Yol. I, fourth series. 

Wilson bespricht die Vortheile der Blosslegung mit nachfolgender 
Plastik der zu verlängernden oder zu verkürzenden Sehne gegenüber der ein¬ 
fachen subcutanen Tenotomie. Er führt die verschiedenen Methoden der Plastik 
an und bespricht ihre Vortheile und Nachtheile. Die sämmtlichen Methoden 
hier aufzuführen, ist nicht der Mühe werth. Er empfiehlt zum Schluss die von 
Keen und Anderson zur Verlängerung von Sehnen angegebene Methode, 
die bereits in Heft 1 dieses Bandes referirt ist. Sie besteht im wesentlichen 
darin, dass die Sehne in der Mittellinie längs gespalten wird und oben und 
unten entgegengesetzte senkrechte Querincisionen bis zum Längsspalt gemacht 
werden. 

Wilson wendet dieselbe Methode mit geringer Modification auch zur 
Verkürzung einer Sehne an. 

Eine ganz ähnliche Sehnenplastik kann auch, wie Neely Rhoads ge¬ 
zeigt hat, subcutan ausgeführt werden. Drehmann-Würzburg. 

G. Phocas, Note sur le raccourcissement operatoire du tendon d’achille dans 
le pied bot talus paralytique. Revue d’orthop^die 1894, septembre, S. 355. 
Phocas hat eine Verkürzung der Achillessehne beim paralytischen 
Hakenfuss ohne Durchtrennung derselben in der Weise 'mit Erfolg vollführt, 
dass er bei einem 6jährigen Knaben zunächst von einem 5 cm langen, ober¬ 
halb der Ferse beginnenden Schnitt aus die Sehne freilegte, dieselbe alsdann 
durch ein schmales, von rechts nach links eingestochenes Bistouri in eine vor¬ 
dere und hintere Hälfte zerlegte, worauf der hintere Antheil in einer Aus¬ 
dehnung von 5 cm resecirt wurde. Durch Uebereinanderlegen des so ver¬ 
dünnten Sehnenabschnitts und Catgutnaht desselben gelang es, die Achillessehne 
um 2V* cm zu verkürzen. Joachimsthal-Berlin. 

A. M. Phelps, Tenotomy for contracted tendons following infantile paralysis. 
New York Medical Journal, 24. Febr. 1894. 

Es handelt sich um einen 13jährigen Knaben, bei dem sich infolge 
spinaler Kinderlähmung beiderseitiger Spitzfuss ausgebildet hat. Nachdem er 
Jahrelang von verschiedenen Orthopäden mit Scarpa'schem Schuh und Massage 
behandelt war, kam er in die Behandlung von Phelps. Es zeigt sich eine 
Verkürzung der Achillessehne, dadurch bedingte Equinusstellung; beim Gehen 
zeigen die Füsse die Neigung, nach innen zu rotiren (Equino-varus). Nach 


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Referate. 


421 


Tenotomie der Achillessehne und 6 wöchentlicher Fixation geht Patient mit 
einem durch Bindenzügel verstärkten Gipsverband. Die Sehne ist 2 7* engl. 
Zoll verlängert. Die Tenotomie wurde subcutan und zwar folgendermaassen 
vorgenommen: subcutane Spaltung der Sehne 17* Zoll in der Längsrichtung, 
dann queres Einschneiden bis zum Längsspalt auf der einen Seite oben und 
auf der anderen unten, so dass die Sehnenenden auf einander gleiten können. 
Der Erfolg der Operation ist durchaus befriedigend. 

Phelps schliesst daraus, dass die Tenotomie der infolge Kinderlähmung 
verkürzten Sehnen der Apparatotherapie vorzuziehen ist. Nach der Durch¬ 
schneidung verspricht das Anlegen von Apparaten gute Erfolge. 

Drehmann-Würzburg. 

Brodhurst, Ueber den angeborenen Pes equino-varus. Revue d’orthop. 

1894, Nr. 3. 

Von der Ansicht ausgehend, dass der angeborene Klumpfuss eine Aflec- 
tion der Muskeln, nicht der Knochen vorstelle, räth Brodhurst, gestützt auf 
Erfahrungen an circa 4000 Klumpfüssen, zur Tenotomie des Tibialis posticus 
und anticus, des Flexor digitorum longus, der Achillessehne. Misserfolge sind 
nicht durch die Methode, sondern durch mangelhafte Technik verschuldet, da 
die Durchtrennung insbesondere des Tibialis posticus keine leichte Aufgabe ist. 

Bei Kindern über 4 Jahren kann auch Durchschneidung des Lig. del- 
toides und so auch der Ligg. calcaneo-navicul. und talo-navicul. nöthig werden, 
Knochenoperationen dagegen sind als Verstümmelung möglichst zu unterlassen. 

Vu 1 p i u s - Heidelberg. 

Alexander Brenner, Zur operativen Behandlung des Plattfusses nach A. G leich. 

Wiener klin. Wochenschrift 1894, Nr. 24. 

Verfasser theilt einen nach Gleich’s Methode operirten Fall von hoch¬ 
gradigem Plattfuss mit. Derselbe betrifft einen 19 Jahre alten, schwächlich 
gebauten Schlosser, welcher bei seinem Metier stark unter den Plattfuss- 
beschwerden zu leiden hatte. Die Affection war doppelseitig, jedoch links 
stärker ausgebildet als rechts. 

Die Operation, welche beabsichtigt, die Abweichung des Hackens von der 
Mittellinie des Unterschenkels nach aussen zu beseitigen, wurde in folgender 
Weise ausgeführt: An der Innenseite des Fersenbeins, eine Fingerbreite hinter 
der A. tibialis postica, wurde ein Schnitt bis auf den Knochen geführt, welcher, 
hinten oben vor dem Ansatz der Achillessehne beginnend, schräg nach vorne 
und unten bis gegen die Fusssohle verläuft. In der Richtung dieses Haut¬ 
schnittes wurde dann der Calcaneus senkrecht zu seiner Innenfläche durch- 
meisselt und der hintere Theil desselben mit dem Ansatz der tenotomirten 
Achillessehne in der Ebene der Durchmeisselung sowohl nach innen als nach 
unten um etwa 4 mm verschoben. Gipsverband. 

Die Operation wurde beiderseitig mit gutem Resultat ausgeführt. Die 
Ferse wich nicht mehr von der Mittellinie des Unterschenkels ab und der innere 
Fussrand berührte nicht mehr den Boden. Patient wurde mit Plattfussstiefel 
entlassen und geht seiner Beschäftigung als Schlosser nach. Er hat nach 
Jahresfrist keinerlei Beschwerden. Ein 2. Fall mit ebenso günstigem Opera- 


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422 


Referate. 


tionsverlauf ist noch nicht für die Beurtheilung der Methode verwendbar, da 
erst 6 Wochen seit der Operation verstrichen sind. 

Paradies - Würz bürg-. 

Gabriel Milhau, Contribution a l’etude de la pathogänie et du traitement 
op6ratoire du pied plat valgus douloureux. These. Paris 1893. 

Milhau kommt nach Besprechung der Aetiologie, Symptomatologie und 
Differentialdiagnose des Plattfusses zu dem Schluss, dass bei Entstehung des 
Plattfusses verschiedene Factoren mitsprechen, jedoch der wichtigste die Atro¬ 
phie des Peroneus longus (?! Verfasser meint wohl die Antagonisten) ist, wäh¬ 
rend die Veränderungen am Skelet secundäre sind. 

Bei schweren Plattfüssen mit bleibenden Veränderungen der Sehnen, des 
Bandapparates und des Skelets ist Ogston’s Operation, die stets gute Re¬ 
sultate gibt, der Trende lenburg’schen Operation vorzuziehen. Die letztere 
wirkt nur günstig bei einfachem Pes valgus, in derselben Weise wie nach Pes 
valgus infolge Fractura supramalleolaris. 

Drei von Ri ch e 1 o t nach 0 g s to n mit Erfolg operirte Fälle beschliessen 
die Arbeit. Drehmann-Würzburg. 

Goupil, De l’intervention sanglante dans le pied plat valgus douloureux avec 
d^formations osseuses. These. Paris 1893. 

Goupil bespricht die Indicationen der blutigen Eingriffe bei schwerem 
Plattfuss und die verschiedenen Operationsmethoden; auch er gibt der Ogston- 
schen Operation gegenüber der Trendelenb u rg’schen, welche die Deformität 
des Fussskelets bestehen lässt, den unbedingten Vorzug. Zum Schluss werden 
einige von Richelot operirte Fälle aufgeführt. Drehmann-Würzburg. 

Möller, Beitrag zur operativen Behandlung des Hallux valgus, Jahrbücher 
der Hamburger Staatskrankenanstalten, Bd. 3. 

Möller berichtet über die 1884—1892 im Alten und Neuen Allgemeinen 
Krankenhause zu Hamburg wegen Hallux valgus ausgeführten Operationen. 
Als Ursache dieses, eine monarticuläre, deformirende Arthritis darstellenden 
Leidens ist der Druck des modernen, spitz zulaufenden Schuhwerkes anzusehen. 
Die Basalphalanx des Hallux rutscht nach aussen um den Metatarsuskopf 
herum und lässt den medianen Theil des letzteren frei. Hier kommt es dann 
zu einer Verdickung des Knorpels, Wucherung und Auffaserung desselben. 
Durch Mitbeteiligung des Knochens kann Exostosenbildung die weitere Folge 
sein. Eine Ausheilung ist daher im Allgemeinen nur von operativen Eingriffen 
zu erwarten. Nur für leichtere Fälle kann orthopädische Behandlung in Betracht 
kommen. 

Die nach der Hüter’schen queren Resection des Metatarsuskopfes in 
einzelnen Fällen aufgetretenen Gehbeschwerden, welche durch Plattfussstellung. 
resp. durch Andrängen der 4 anderen Metatarsusköpfchen gegen die Plantu, 
pedis bedingt waren, lassen Möller der Riedel’schen Ansicht beistimmen, 
dass die IIütersehe Resection nur bei schon bestehendem Plattfuss oder bei 
Vereiterung des Gelenkes durch Schleimbeuteldurchbruch ausgeführt werden 
dürfe. Für die übrigen Fälle gab Riedel die Abmeisselung der Ecchondrosen- 


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Referate. 


423 


resp. Exostosenbildung am Metatarsusköpfchen und darauffolgende Resection 
der Basis der ersten Phalanx an, während Schede mit der seitlichen 
Abmeisselung des Gelenkkopfes und Reposition des Hallux 
auszukommen versuchte. Zwei ellipsoide Schnitte dringen, indem sie 
den Schleimbeutel, der sich über der Exostose zu befinden pflegt, zwischen sich 
fassen, durch Haut und Gelenkkapsel bis auf den Knochen. Es wird dann der 
von der Gelenkfläche der ersten Phalanx nicht bedeckte Theil des Metatarsal- 
köpfchens mit breitem Meissei in der Längsrichtung abgetrennt und die Schnitt¬ 
kanten abgerundet. Primärnaht bleibt am centralen Ende 1V* cm offen. Schon 
durch die Naht, ferner durch Gazebäuschchen, welche zwischen die Zehen ein¬ 
gelegt werden, wird die Valgussteilung verbessert Die Extensorensehne wird, 
wenn sie verkürzt ist, durchschnitten. Die Heilung erfolgt meist schon nach 
14 Tagen, in der Regel stellt sich die Function bis zur Norm her. Normale 
Stellung des Hallux wurde zwar nicht immer erreicht. 5 unter 52 Fällen 
wurden mit auffallender Deformität entlassen. Der gute Erfolg der Operation 
wurde dadurch aber nicht in Frage gestellt, denn wenn auch nur eine Ver¬ 
besserung der Stellung erzielt war, erwies sich die Function doch als tadellos. 

Im ganzen wurden 62 Patienten wegen Hallux valgus operirt, davon 
24 an beiden Füssen. 71mal wurde die Schede’sche Operation ausgeführt. 
War der über dem Köpfchen liegende Schleimbeutel nach aussen perforirt, das 
Gelenk aber intact, so wurde erst der Abscess behandelt und erst später die 
Abmeisselung angeschlossen. Nur in 8°/o der nach Schede operirten Fälle 
trat Eiterung ein, zum Theil ganz oberflächlich. Recidive sind nicht beobachtet. 
Bei später wieder untersuchten Patienten wurde dauernd gute Function, 
Schmerzlosigkeit und volle Beweglichkeit des Hallux festgestellt. Den Schluss 
der Arbeit bildet die Aufzählung der 62 Krankengeschichten. 

Z enk er-Würzburg. 

Quevedo Salvador, De l’Hallux valgus et de son traitement chirurgical. 

These. Paris 1894. Steinheil. 

Die vorliegende Arbeit behandelt in sehr ausführlicher Weise das Thema 
des Hallux valgus. Nach einleitenden historischen Bemerkungen werden 
Capitel II die Ergebnisse der Anthropometrie an normalen Füssen (von Kindern, 
wilden Völkern und Statuen) und solchen Füssen, welche den vestimentären 
Einflüssen ausgesetzt sind, besprochen. Capitel III behandelt die vergleichende, 
Capitel IV die normale Anatomie des Hallux und seiner Muskeln. Capitel V 
bringt eine sehr übersichtliche Aufzählung der über die Entstehung des Lei¬ 
dens aufgestellten Theorien. Verfasser warnt davor, einseitig nur eine be¬ 
stimmte Ursache für alle Fälle verantwortlich zu machen; als locale Ursachen 
verdienen ungeeignetes Schuhwerk, grosse Märsche, Ulcus cruris, professionelle 
Anstrengung, sowie Traumen besonders berücksichtigt zu werden. Bei Be¬ 
sprechung der pathologischen Anatomie (Capitel VII) wird auf die Thatsache 
aufmerksam gemacht, dass der Grad der Knochenveränderungen durchaus nicht 
dem Grade der Deformität zu entsprechen braucht. Durch eine Zeichnung 
wird ferner die Entstehung einer dreieckigen Lücke zwischen erstem und zweitem 
Metatarsus, welche durch das Nachinnentreten des ersten Metatarsus sich aus¬ 
bildete, illustrirt. Das äussere Sesambein ist in dieses Dreieck an die laterale 


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424 


Referate. 


Seite des Köpfchens dislocirt. Nach Besprechung der Therapie und Wieder¬ 
gabe von 20 ausführlichen Krankengeschichten stellt Verfasser seine Schlüsse 
auf, aus denen ich das Folgende kurz hervorhebe. 

1. Die Resection des Metatarsusköpfchens zieht keine Functionsstörungen 
nach sich, wenn die Sesambeine erhalten und mit der Resectionsfläche des 
Kopfes in Verbindung bleiben. 

2. Vorgeschrittene Fälle müssen mit Resection behandelt werden. 

3. Die keilförmige Osteotomie des Metatarsushalses ist besonders angezeigt, 
wenn die Sesambeine dislocirt und deformirt sind und nicht mehr als Stütze 
dienen können. 

4. Etwaige Tenotomien sollen je nach Bedürfniss des Falles ausgefuhrt 
werden. 

5. Eine Ankylose ist nur für schwere Fälle zu erstreben, um den Hallux 
in der gewünschten Lage zu erhalten. (? Ref.) 

6. Das Resultat kann beeinträchtigt werden, erstens dadurch, dass das 
Abstehen des I. Metatarsus auch nach der Operation fortbesteht, zweitens da¬ 
durch, dass sich der 1. resecirte Metatarsus über das Niveau der anderen erhebt 
Gegen den letzteren Uebelstand schlägt Verfasser Tenotomie vor, gegen den 
ersteren Fixation des I. Metatarsus an den II. eventuell mit Silberdraht 

Z e n k er-Würzburg. 

Godin, Cure radicale d’un gros orteil en marteau. Bull, de la Soci£t4 de 

Chirurgie, Seance du 3 mai 1893, S. 373. 

Godin beobachtete den seltenen Fall des Vorkommens der als «Hammer¬ 
zehe“ bezeichnten Deformität an der grossen Zehe. Bei einem 17jährigen 
jungen Manne constatirte er neben einem Unguis incamatus eine Hyper¬ 
extensionsstellung der 1. Phalanx, verbunden mit einer fast rechtwinkligen 
fixirten Flexionsstellung der 2. Phalanx, wobei eine veritable Subluxation in 
dem Zehengelenk bestand, indem die Gelenkfläche des ersten Gliedes nur mit 
der unteren Hälfte des Gelenkkopfs der 2. Phalanx in Contact stand. Auf 
der Höhe der verkrümmten Zehe fand sich ein Schleimbeutel und darüber ein 
Hühnerauge von 2 cm Durchmesser. Eine ähnliche Verbildung bestand auch 
an der zweiten Zehe. 

Godin schlug das von Terrier empfohlene Operationsverfahren ein, 
indem er zunächst das Hühnerauge Umschnitt und dieses mitsammt dem Schleim¬ 
beutel entfernte, alsdann das Gelenk eröffnete und nach Entfernung des ganzen 
in der Wunde sichtbaren Antheils der Sehne des Extensor hallucis proprius die 
beiden Gelenkenden der Zehenglieder resecirte. 

J o achi ms tha 1-Berlin. 

B e n d i x, Der Einfluss der Massage auf den Stoffwechsel des gesunden Menschen. 

Zeitschrift für klinische Medicin Bd. 25 Heft 2 u. 3. 

Bendix unterwirft zuerst die von anderen Forschern über diese Frage 
angestellten Untersuchungen einer kritischen Betrachtung. Dieselben konnten 
zu keinem völlig befriedigenden Abschluss führen, weil zum Theil die Experi¬ 
mente nicht durchweg den Ansprüchen an eine genaue Stoffwechseluntersuchung 
genügten, andererseits die Nahrungszufuhr nicht streng genug geregelt war. 


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Referate. 


425 


Durch exacte Versuche an curarisirten Hunden konnte Bum den Beweis er¬ 
bringen, dass die Hamsecretion durch Massage gesteigert wird. Auch beim 
Menschen konnten Bum und Polubinsky eine Vermehrung derselben fest¬ 
stellen. Die harnerregende Wirkung soll durch Stoffe, welche aus den Muskeln 
ausgepresst werden, hervorgerufen sein. 

Da nun Bend ix über den Effect der Massage auf den Eiweissstoffwechsel 
noch nicht völlige Klarheit zu herrschen schien, so suchte er vor Beginn seiner 
eigenen Untersuchungen etwaige Fehlerquellen zu eruiren. Erstens schien ihm 
die Nahrungs- und Flüssigkeitsmenge nicht immer genau genug geregelt, zweitens 
der Körper vor Beginn der Massage nicht auf eine genügende N-Ausscheidung 
eingestellt. 

Zum Ziel seiner Untersuchungen selzte er sich die Bestimmung: 

1. des Einflusses der Massage auf die Diurese, 

2. auf den Eiweissstoflfwechsel. 

Die Untersuchungen wurden auf drei Versuchsindividuen, einen Mann, eine Frau 
und ein Kind, ausgedehnt. Bei den zwei ersten wurde nur der Urin, bei dem 
letzteren auch die Fäces untersucht. Die Versuchsobjecte befanden sich unter 
strenger Clausur. Gleiche Portionen gehackten, sterilisirten Rindfleisches wurden 
für die Versuchstage präparirt, nachdem von der Gesammtmenge Stichproben 
zur Stickstoff- und Fettbestimmung entnommen waren. An Butter, Weissbrod 
und Flüssigkeit wurden täglich genau die gleichen Mengen verabreicht. Die 
Massage bestand in allgemeiner Körper- und Bauchmassage, täglich eine drei- 
viertelstündige Sitzung, dann active, passive und Widerstandsbewegungen. Jeder 
Versuch zerfällt, abgesehen von den Probetagen, in die Vortage, Massagetage 
und Nachtage. Die Vortage schlossen nicht eher ab, ehe nicht möglichstes 
Stickstoffgleichgewicht erreicht war, die Massageperiode dehnte sich so lange 
aus, bis die Werthe annähernd constant waren, die Nachperiode wurde beendet, 
wenn die Werthe denen der Vortage einigermassen gleich waren. 

Als Resultat der in dieser durchaus exacten Weise ausgeführten Unter¬ 
suchungen ergab sich nun bei Versuch 1 und 2 erstens eine Vermehrung 
der täglichen Harnmenge, zweitens Zunahme der Stickstoffaus- 
scheidung. Die Vermehrung der Harnmenge beträgt 60 resp. 12 Procent, ist 
also geringer als wie sie von einigen anderen Autoren angegeben wird. In 
der Nachperiode findet noch eine ein- bis zweitägige Nachwirkung mit Ver¬ 
mehrung der Harnmenge statt. 

Die Ursache der Vermehrung sieht Bend ix in mechanischer reichlicher 
Zufuhr von Wasser aus dem Blut, dann in der chemischen Einwirkung von 
Stoffen, die die Massage aus den Muskeln in den Kreislauf überführt. Die 
höhere N-Ausscheidung ist die Folge der beschleunigten Circulation und des 
dadurch bedingten regeren Eiweisszerfalles und Stoffumsatzes. 

Der dritte Versuch bestätigte die Ergebnisse der zwei ersten, ausserdem 
gibt er aber Aufschluss über die durch den Koth ausgeschiedene Fettmenge; 
dieselbe ist um V» herabgesetzt, also findet durch die Massage eine verbesserte 
Resorption im Intestinalkanal statt, für welche Bendix vermehrte Absonderung 
der Verdauungssäfte und mechanische Förderung des Chylusstromes heranzieht. 

In der praktischen Medicin hält Bendix die Massage nach diesen Re¬ 
sultaten in Fällen von Ascites bei chronischen Leber- und Nierenkrankheiten 


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Referate. 


vielleicht für angebracht. Bei Vergiftungen kann die dabei nöthige Wasser¬ 
zufuhr durch die Massage unterstützt werden, besonders wenn die Circulation 
niederliegt. Bei der Mastkur wirkt Massage nicht bloss als Ersatz für die 
mangelnde Bewegung, sondern wohl auch direct resorptionsbefördemd. 

Zenker- Würzburg. 

Theodor Janssen, Ueber Muskelatrophien bei Gelenkaffectionen, speciell bei 
dem chronischen Gelenkrheumatismus. Inaug.-Diss. Berlin 1894. 
Janssen berichtet über 2 Fälle, in denen sich im Anschluss an chroni¬ 
schen Gelenkrheumatismus sehr beträchtliche Muskelatrophien entwickelten. 

In dem ersten Falle zeigte bei einem 42jährigen Manne eine ganze 
Anzahl von Gelenken die Erscheinungen des chronischen Gelenkrheumatismus. 
Beide Kiefergelenke, beide Schulter-, Ellbogen- und Handgelenke, fast sämmt- 
liehe Metacarpo-Phalangealgelenke und Fingergelenke beider Hände waren davon 
ergriffen. An der unteren Extremität waren beiderseits Hüft-, Knie- und einzelne 
Zehengelenke erkrankt. Auch die Halswirbelsäule war afficirt. Dabei hstte 
sich eine bedeutende Atrophie der Muskeln entwickelt. An den oberen Extremi¬ 
täten waren fast sämratliche Muskeln davon ergriffen. Besonders stark varen 
die Mm. supraspinati und infraspinati geschwunden, so dass die Spina setpulae 
deutlich vorsprang. Vom Deltoideus und Pectoralis major waren nur noch 
einzelne Bündel vorhanden. Weniger ausgesprochen, aber doch deutlich war 
die Atrophie an den übrigen Muskeln des Ober- und Unterarms. An der Hand 
waren der Daumen und Kleinfingerballen bis auf wenige Reste geschwunden, 
die Spatia interossea eingesunken. An den unteren Extremitäten waren haupt¬ 
sächlich die Gesässmuskulatur und der Extensor quadriceps cruris der Atrophie 
anheimgefallen, Entartungsreaction bestand nicht. 

Unter Behandlung mit Schwefelbädern und Faradisation gingen die 
Erscheinungen an den Gelenken zurück; die Beweglichkeit wurde bedeutend 
vermehrt. Die Muskelatrophie zeigte indess keine Tendenz zur Heilung. 

Aehnlich lagen die Verhältnisse im zweiten Falle bei einer 28jährigen 
Patientin. 

Nach Janssen ist die Vulpian’sche Reflextheorie im Stande, die Er¬ 
scheinungen der bei Gelenkerkrankungen auftretenden Muskelatrophien zu er¬ 
klären. Joachimsthal-Berlin. 

Hermann Christ, Ueber den Einfluss der Muskelarbeit auf die Herzthätig- 
keit. Leipzig 1894. Separat-Abdruck aus der Zeitschrift für klinische 
Medicin. 

Um festzustellen, bis zu welchem Grade die Herzthätigkeit durch den 
Einfluss der Muskelarbeit gesteigert werden kann, ob daneben der Rhythmus 
und die Intensität der Herzaction berücksichtigt "wird, wie gross die Unterschiede 
in der Reactionsfähigkeit zwischen Gesunden und Kranken sind, und ob sich 
daraus eventuell gewisse diagnostische Schlüsse ergeben könnten, hat Christ 
Versuche an 29 Gesunden und Reconvalescenten angestellt. Für diese Unter¬ 
suchungen schien Christ am besten die beim Treppensteigen geleistete Arbeit 
geeignet. Die Vortheile dieser Art von Muskelarbeit gegenüber anderen körper¬ 
lichen Leistungen sah Christ hauptsächlich in der gleichmässigen Thätigkeit 


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Referate. 


427 


eines mächtigen Muskelgebietes, welches verhältnissmässig leicht in einem be¬ 
stimmten Rhythmus fortgesetzt werden kann, ohne dass ein momentanes Ueber- 
hasten und die infolge dessen schnell eintretende Erschöpfung zu befürchten 
wäre. Die Arme bleiben frei, die Athemmuskulatur wird dadurch ihrer Re¬ 
spirationsarbeit nicht entzogen; der Körper nimmt eine Stellung ein, bei der 
der Thorax nicht zusammengedrückt wird. Einen besonderen Vortheil besitzt 
diese Arbeit aber darin, dass sie bis zu einem gewissen Grade messbar ist, 
was die Vergleichbarkeit der Untersuchungsresultate ermöglicht. Es kann ein 
Minimum von Arbeit quantitativ geschätzt werden, welches der Steigende leistet, 
indem er sein Körpergewicht auf die erstiegene Höhe hebt. Die übrige zugleich 
geleistete Arbeit (Herzaction, Respiration, Halten des Gleichgewichts) kann als 
mehr oder weniger constante Grösse ausser Acht gelassen werden. 

Wegen der für die Beobachtung mit dem gewöhnlichen Treppensteigen 
verbundenen Schwierigkeiten benutzte Christ einen von J a q u e t angegebenen 
Tretapparat, Ergostat genannt, der eine dem Treppensteigen ganz ähnliche 
Arbeitsleistung gestattet und eine ununterbrochene Beaufsichtigung des Steigenden 
durch den Beobachter gestattet. 

Dieser Ergostat wurde dazu benutzt, um über die durch die Muskelarbeit 
auf das Herz ausgeübte Wirkung mittelst sphygmographischer Aufnahmen Kurven 
zu erhalten. Die Sphygmographie erfüllt diese Aufgabe insofern, als sie mit 
grosser Genauigkeit die Pulsgeschwindigkeit und den Pulsrhythmus aufzeichnet. 
Ferner gestattet auch die allgemeine Gestalt der Pulskurve gewisse relative 
Schlüsse zu ziehen über Spannungszustände im Gefässgebiete und Schwankungen 
im Blutdruck. 

Die Pulsaufnahmen wurden mittelst des Sphygmographen von Jaquet 
gemacht, die Kurven mittelst des Kurvenanalysators ausgemessen, und daraus 
die Zeitdauer der einzelnen Pulsationen berechnet. 

Was zunächst die Pulsfrequenz betrifft, so zeigte sich, dass sie, wie dies 
auch a priori zu erwarten war, mit der Grösse der Arbeitsleistung bis zu einem 
gewissen Grade zunimmt. Dieser Parallelismus hört aber bei einer gewissen 
Höhe der Arbeitsleistung auf. Die höchste bei Christ’s Versuchen erreichte 
Pulsfrequenz betrug 167 in der Minute; sie wurde erreicht bei einem Recon- 
valescenten von Typhus levis nach massiger Arbeit. Die Wirkung der Muskel¬ 
arbeit ist ferner bei einem und demselben Individuum bei verschiedenen Ver¬ 
suchen nicht immer die gleiche. In einem Falle erhielt Christ für eine an¬ 
nähernd gleiche Arbeitsleistung das eine Mal eine grössere, das andere Mal eine 
kleinere Reaction bei zufällig gleicher Pulsfrequenz vor der Arbeit. 

Was die Unterschiede in der Wirkung der Arbeit auf Gesunde und Re- 
convalescenten anbelangt, so ergab sich hier eine enorme Differenz in der 
Reaction des Herzens auf geringe Muskelarbeit. Bei einer Arbeit von 1000 bis 
2000kg beobachtete Christ bei letzteren schon eine Zunahme der Pulsfrequenz, 
wie er sie bei Gesunden erst bei einer Leistung von 5000—7000 kg erhielt. 
Ausser dieser verminderten Resistenzfähigkeit von Seiten des Herzens reagiren 
Reconvalescenten augenscheinlich nicht wesentlich anders als Gesunde. 

Die regelmässig nach grösserer Arbeit auftretende, sehr stark ausgeprägte 
Dikrotie deutete zweifellos auf eine Entspannung des Gefässes; mit der Er¬ 
holung oder Verlangsamung des Pulses nahm auch die starke Ausprägung der 


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Referate. 


Dikrotie gewöhnlich wieder ab, so dass die Kurve wieder der vor der Arbeit 
aufgenommenen ähnlicher wurde. 

Bei allen Versuchen wurde sorgfältig auf Zeichen der Ermüdung von 
Seiten des Herzens — Herzklopfen, Kurzathmigkeit, Unregelmässigkeit des 
Pulses — geachtet. Die zwei ersten Symptome wurden in einigen Fällen, doch 
nie in bedeutendem Maasse beobachtet, da Christ dieselben als Zeichen zum 
sofortigen Abbrechen des Versuches ansah und so — vorsichtshalber — wohl 
nie bis zur eigentlichen Herzermüdung gelangte. 

Unregelmässigkeiten des Pulses, die Leyden als bei Herzschwäche fast 
regelmässiges Symptom bezeichnet und nebst der erhöhten Pulsfrequenz zu den 
ersten objectiven Erscheinungen zählt, die Christ daher in einer grösseren 
Anzahl von Fällen zu treffen erwartete, kamen nur sporadisch vor. In einem 
Falle, bei einem 25jährigen Cand. med., erhielt sie Christ nach massiger 
Arbeit, die indessen eine verhältnissmässig starke Pulsvermehrung zur Folge 
hatte. Bemerkenswerth ist dieser Fall deshalb, weil er einen sonst gesunden 
jungen Mann betraf, der nie Über Beschwerden von Seiten des Herzens klagte, 
ausser hie und da über etwas Herzklopfen beim Turnen. Eine genauere Er¬ 
hebung der Anamnese ergab hochgradige hereditäre tuberculöse Belastung des 
Untersuchten. 

Arhythmie nach der Arbeit trat ferner auf, und zwar hier ganz vorüber¬ 
gehend bei einem 24jährigen Patienten. Es handelte sich in diesem Falle um 
eine Lues nach vollendeter Schmierkur. Nach Christ war die Versuchsperson 
durch diese Procedur möglicherweise erheblich geschwächt worden, obwohl 
äusserlich nichts davon zu erkennen war. Bei einem 13jährigen Patienten war 
ein Puls, der vor der Arbeit eine bedeutende Unregelmässigkeit zeigte, nach 
der Arbeit als regelmässig zu bezeichnen. 

Schliesslich erwähnt Christ noch einer Beobachtung, die er bei drei 
Typhusreconvalescenten gemacht hat, und die ihm von Wichtigkeit erscheint, 
da sie wohl als sicheres Zeichen von Herzermüdung gelten darf. 

Die betreffenden Individuen, die alle schon auf geringe Arbeit starke 
Pulsvermehrung aufwiesen, zeigten unzweideutige Differenzen im physikalischen 
Befunde des Herzens vor und nach der Arbeit. In den 3 Fällen konnte Christ 
eine deutliche Vergrösserung der Herzdämpfung hauptsächlich nach rechts nach- 
weisen; daneben konnte einmal noch das Auftreten intercurrenter Herzgeräusche 
wahrgenommen werden. Die Veränderungen gingen nach einiger Zeit wieder 
zurück. 

Christ nimmt an, dass, wenn ein solch wenig widerstandsfähiges Herz 
wiederholt in acuter Weise dilatirt wird, diese Dilatation sich nach und nach 
nicht mehr vollständig zurückbilden wird, und so der Grund zu einem patho¬ 
logischen Dauerzustände gelegt wird. Joachimsthal-Berlin. 

Eugen Ewh, Beiträge zur Lehre von der Muskelatrophie. Inaug.-Diss. 

Berlin 1894. 

Versuche an tenotomirten Kaninchen ergaben, dass die directe Naht der 
Sehnenenden in entschiedenerWeise den Muskel (Gastrocnemius) vor der hoch¬ 
gradigen Atrophie bewahrt, welche man nach den bisherigen Versuchen der 
Tenotomie folgen sah. 


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Referate. 


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Neben dem Verlust der physiologischen Spannung und des natürlichen 
Angriffspunktes des tenotomirten Muskels spielt bei der Atrophie die durch 
Schmerzhaftigkeit bedingte Inactivität des verletzten Gliedes eine grosse Rolle. 

Verfasser untersuchte weiterhin den Einfluss der Massage und der Elek- 
tricität auf die Verbreitung der Atrophie des tenotomirten Gastrocnemius. Täg¬ 
lich 10—15 Minuten lang ausgeübte Massage erwies sich nach 28 Tagen bei 
den Kaninchenversuchen als wirkungslos. Faradisation des tenotomirten Mus¬ 
kels ergab ähnliche negative Resultate. Der Erfolg der Behandlung wurde 
durch Wägung der losgelösten Muskelgruppen bestimmt. 

Verfasser gesteht selbst, dass es einer feineren Versuchsanordnung be¬ 
darf, um die Wirksamkeit von Massage und Elektricität auf künstlich atro¬ 
phisch gemachte Muskeln quantitativ zu bestimmen. 

Paradies -W ürzburg. 

Arnold Stegmann, Versuche über Muskelatrophie und Massage. Inaug.- 

Diss. Berlin 1893. 

Verfasser sucht zu beweisen, dass die Inactivität allein zur Erklärung 
der höchsten Grade von Muskelatrophie ausreicht. Zu dem Zwecke hat er an 
Kaninchen einige Zahlen über die Grösse der Atrophie bei längeren Versuchs¬ 
zeiten gesammelt. Er erzeugte die Atrophie mittelst der Neurectomie (N. ischia- 
dicus) und der Anlegung fixirender Verbände an die Hinterbeine von Kanin¬ 
chen. In zweiter Linie stellte er den Einfluss der Massage auf solche atrophirte 
Muskeln fest. Zur quantitativen Bestimmung des erzielten Effectes wurden die 
einzelnen sorgfältig von der Extremität losgelösten Muskelgruppen gewogen. 
Die immobilisirenden Verbände erzeugten die stärkste Atrophie an der Rectus- 
und Gastrocnemiusgruppe. Das ungleiche Verhalten der verschiedenen Muskel¬ 
gruppen erklärt Verfasser hauptsächlich aus der grösseren oder geringeren Mög¬ 
lichkeit, die einzelnen Abschnitte der hinteren Kaninchenextremität fest zu 
iudren. 

In einem Falle von Nervenexcision zeigte sich nach längerer Versuchs¬ 
dauer, dass die Atrophie der nicht vom Ischiadicus versorgten Oberschenkel- 
musculatur mit derjenigen des Unterschenkels gleichen Schritt hält. Hieraus 
schliesst Verfasser, dass auch bei der Nervendurchschneidung die Inactivität als 
Ursache der Atrophie anzusprechen sei. 

Die Massage, täglich 10 Minuten während der Dauer von 10 Tagen geübt, 
erzielte keinen nachweisbaren Erfolg, jedoch sind die diesbezüglichen Versuche 
wegen eingetretener störender Oedeme und der kurzen Dauer kaum zu ver- 
werthen. Paradies-Würzburg. 

Harder, Die manuelle Reposition von Darminvaginationen durch Massage. 

Berl. Klin. Wochenschrift 1893, Nr. 49. 

Harder berichtet über zwei Fälle von Darminvagination bei zwei Kin¬ 
dern von 7 Wochen und l 3 /* Jahren. Beide wurden durch bimanuelle Massage 
zur Heilung gebracht; die Massage wurde so ausgeführt, dass der in den After 
eingeführte Finger der einen Hand das untere Ende fixirte, während die andere 
Hand vorsichtig Tractionen und Streichungen nach der entgegengesetzten Seite 


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Referate. 


ausführte. Durch dieses bimanuelle Arbeiten kann man in diesem Lebensalter 
den ganzen beweglichen Inhalt der Bauchhöhle abtasten. 

Drehmann - W Ürzburg. 

L. Vorstädter, Ueber Luftdruckmassage, „Pneumo-Thermomassage*. Vor¬ 
läufige Mittheilung. Centralblatt für innere Medicin 1894, Nr. 26. 

Die Erfolge der physikalischen Naturheilmethode geben dem Verfasser 
die Idee, die Einwirkung einer überall herrschenden Naturerscheinung — der 
Luftströmung — bei verschiedenen Erkrankungen therapeutisch zu verwerthen. 
Er verspricht sich eine Wirkung durch den mechanischen Druck einer künst¬ 
lichen Luftströmung, welcher Druck noch mit thermischen und anderen Effecten 
combinirt werden kann. 

Verfasser konstruirte sich eine Art Gebläse nebst einer Vorrichtung, den 
Druck der ausströmenden Luft beliebig modificiren und je nach Wunsch ab¬ 
kühlen oder erhitzen zu können. Die Einrichtung gestattet ausserdem, Aus¬ 
dünstungen verschiedener ätherischer Oele gleichzeitig mit dem Luftzuge ein- 
wirken zu lassen. 

Mit diesem Apparat wurden folgende Versuche gemacht: 

1. Ein Neurastheniker mit Athembeschwerden und Arhythmia cordia 
fühlte sich nach Anwendung der Pneumo-Thermomassage in Form 
von kalten Luftdouchen (-f 8°R.) an die Wirbelsäule jedesmal auf 
eine gewisse Zeit besser. 

2. Eine subacute Periostitis des Zeigefingers traumatischer Herkunft ist 
nach 15 Sitzungen mit warmer Pneumo-Thermomassage ganz resor- 
birt worden. 

3. Ein Fall von intercostaler Neuralgie wurde nach 18 Sitzungen mit 
warmer Pneumo-Thermomassage bedeutend gebessert. 

4. Bei einigen Fällen von Migräne hörten die Kopfschmerzen nach 10 bis 
15 Minuten langer localer Anwendung, sowohl warmer wie kalter, 
intermittirender Pneumo-Thermomassage ganz auf. 

Die Versuche sollen an einer Universitätsklinik fortgesetzt und über die 
Resultate ausführlich berichtet werden. Dr eh mann-Würzburg. 

v. Mosetig-Moorhof, Bursitis intertubercularis. Wien, medic. Presse 1893. 
Nr. 30, S. 1173. 

Bei der Bursitis intertubercularis oder Tendovaginitis capitis longi 
bicipitis v. Mo setig-Moorhofs ist im Gegensatz zur Omarthritis diffusa, bei 
der der Befallene über Zunahme der Schmerzen bei jeder Bewegung im Schulter¬ 
gelenk klagt, nur eine einzige Bewegung schmerzhaft, die Rückwärtsbewegung 
des Arms, indem bei dieser die Scheide des langen Bicepskopfes ganz exclusiv 
occupirenden entzündlichen Affection nur solche Bewegungen besonders schmerz¬ 
haft empfunden und daher sorgfältig vermieden werden, bei denen eine stärkere 
Anspannung dieser Sehne zu Stande kommt. Der Schmerz wird in der Regel 
in das Gebiet des Sehnenverlaufes, d. h. entlang der Intertubercularrinne, loeali- 
sirt, obwohl er bei eventueller stärkerer Inanspruchnahme des Biceps als Beuge¬ 
muskel auch am Oberarm bis zum Ellbogen auszustrahlen vermag. 


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Referate. 


431 


Ein weiteres constantes Symptom der Bursitis intertubercularis ist die 
ganz localisirte Schmerzhaftigkeit für Druck entlang der Knochenrinne, in ein¬ 
zelnen Fällen bekommt man bei centripetalem Streichen auch ein Gefühl des 
crepitirenden Reibens; dagegen vermisst man die für Omarthritis charakteri¬ 
stischen Schmerzpunkte namentlich in der Achselhöhle. 

Als Causae morbi wurden an amnestische, zumeist äusserliche Momente 
angegeben, so Anstrengungen bei gymnastischen Uebungen und Auffallen auf 
die vorgestreckt gehaltenen Arme, Durchnässungen u. dergl. m. 

Die Beseitigung des Leidens gelang in allen Fällen in kürzerer oder 
längerer Zeit durch locale Effleurage und hydropathische Einwirkungen während 
der Nachtruhe. Joachimsthal-Berlin. 

Gaston-Fr^deric Bompaire, Du Torticolis mental. These. Paris 1894. 

Die von Brissaud mit dem Namen Torticolis mental bezeichnete Form 
von Schief hals beruht nicht auf organischer Grundlage, sondern ist rein psychi¬ 
schen Ursprungs. Sie ist charakterisirt durch das Unvermögen des Patienten, 
seine Halsmuskulatur durch den Willen zu beherrschen, während es ihm leicht 
gelingt, mit den Händen die falsche Stellung des Kopfes zu redressiren oder 
überhaupt das Zustandekommen der letzteren zu verhüten (z. B. durch blosses 
Anlegen der Finger an die Nase). Der Torticolis mental ist also die Folge 
einer localen Willenslähmung. 

Brissaud hält „die Entartung* des befallenen Individuums für die 
Grundursache des Leidens. 

Während der Torticolis mental oft eine Begleiterscheinung verschiedener 
Neurosen und Psychosen ist, z. B. der Hysterie, Neurasthenie, Epilepsie, der 
sogen, functionellen Spasmen, tritt er manchmal als einziges hervorstechendes 
Symptom der „einfachen Entartung“ (degenerescence simple) auf. Verfasser 
theilt 3 solcher Beobachtungen mit. 

Die Prognose ist zweifelhaft, die Behandlung entsprechend der Genese 
eine psychische. Paradies-Würzburg. 

P. Redard, Du traitement orthopedique de la maladie de Little. Revue inter¬ 
nationale de Therapeutique et Phärmacologie. 

Redard beschreibt in seinem Aufsatz die Behandlung der Little’schen 
Krankheit, die eich ihm in seiner Praxis als wirklich nutzbringend und wirk¬ 
sam dargestellt hat. Er schickt eine Definition der noch relativ wenig ge¬ 
kannten Erkrankung voraus. 

. Mit der Behandlung soll man möglichst früh beginnen und sein Augen¬ 
merk besonders darauf richten, die Fixirung fehlerhafter Stellungen infolge 
Bildung fibrösen Gewebes zu verhüten. Passive und aotive Bewegungen der 
befallenen Gliedmassen, verbunden mit Massage, sind namentlich bei Beginn 
der Erkrankung die wirksamsten Mittel. Die Massage zeigt sich sehr wirksam 
bei Beseitigung der fibrösen Retractionen und periarticulären Verdickungen. 
(Die antispasmodische Wirkung des Tapotements lässt Verfasser unerwähnt. Ref.) 

Bei nicht zu sehr ausgesprochenen Spasmen und Coordinationsstörungen 
gebe man Anleitung zu Gehübungen. Um diese zu ermöglichen, ohne dass 
der Kranke sein Körpergewicht tragen muss, wird er in einem gewöhnlichen 


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Referate. 


Suspensionsapparat aufgehängt, so dass die Füsse den Boden eben berühren. 
Der Suspensionsapparat ist an einem horizontal gespannten Seil mittelst Flaschen¬ 
zug beweglich befestigt. 

Darrach, Meige Oase, Forest Willard haben Wagen constrnirt, 
welche dem Kranken eine selbständige Fortbewegung gestatten. 

Mit der Faradisation beginne man erst einen Monat nach Verschwinden 
der Initialsymptome. Schwache Ströme, kurze Sitzungen (10—15 Minuten) alle 
2 Tage. Lange Fortsetzung der Behandlung. Charcot empfiehlt die statische 
Elektricität. 

Eventuell bestehende periphere Reizungen z. B. von Seiten des Präputiums 
oder der Clitoris sind zu beseitigen. 

Die mechanische und chirurgische Behandlung soll erst beginnen, wenn 
das Kind anfängt zu gehen. Sie richte sich nur gegen die Contracturen, welche 
in Chloroformnarkose nicht verschwinden und sich als permanente Verkürzungen 
von Muskeln, Sehnen und Fascien charakterisiren. 

Orthopädische Apparate empfiehlt Redard nur zur Erhaltung der durch 
Massage, Elektricität und chirurgische Eingriffe erzielten Resultate. Für sich 
allein sind sie nicht im stände, die auf secundären Gewebsveränderungen be¬ 
ruhenden Contracturen zu beseitigen. 

Bei leicht redressirbaren, primären Contracturen der unteren Extremität 
hat Verfasser einen von ihm selbst construirten Apparat mit Erfolg angewandt. 
Derselbe besteht aus einem Corset, Oberschenkel- und Unterschenkelhülse, und 
wirkt mittelst eines elastischen Zuges, welcher hinten am Corset, resp. an der 
Oberschenkelhülse angebracht ist. Das Kniegelenk kann festgestellt werden. 
Erwähnt werden noch die Apparate von Robin und Molliere. 

Das Redressement forc6 wendet Verfasser bei Klumpfussstellungen und 
Contracturen der Hand und des Vorderarmes an. 

An der Achillessehne übt Redard die subcutane Tenotomie; alle anderen 
Sehnentrennungen macht er offen. Zu Myotomien findet man selten Ver¬ 
anlassung. 

Am Schluss der Arbeit hebt Verfasser noch einmal hervor, dass jeder 
chirurgische Eingriff bei den primären Contracturen direct contraindicirt ist. 

Paradies - W ürzburg. 

Casimir Karasiewicz, Ueber Arthrodese bei spinaler Kinderlähmung. Inaug.- 

Diss. Königsberg i. Pr. 1894. 

Karasiewicz hat 61 Fälle von spinaler Kinderlähmung mit Arthrodese 
tabellarisch zusammengestellt, darunter 8 noch nicht publicirte Fälle aus der 
Braun’schen Klinik. Die Arthrodese wurde bei den 61 Kranken 87mal vor¬ 
genommen, und zwar 83mal an den unteren Extremitäten. Von diesen 83 Opera¬ 
tionen wurden 44 an den Fussgelenken ausgefuhrt. Knöcherne Ankylosirung 
in richtiger Stellung des Fusses zum Unterschenkel wurde in 23 Fällen erzielt. 
19 Fälle lieferten ein befriedigendes Resultat, d. h. feste Verwachsung mit 
Neigung des Fusses zu falschen Stellungen, oder eine bloss bindegewebige Ver¬ 
wachsung. Nur in 2 Fällen war ein Misserfolg zu verzeichnen. 

Von den 33 Arthrodesen im Kniegelenk gaben 28 Fälle ein gutes und 
5 ein befriedigendes Resultat. 


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Referate. 


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Am Hüftgelenk hat Dollinger die Operation 2mal mit gutem Erfolg 
ausgeführt. 

Bei 3 Arthrodesen im Schultergelenk war der Erfolg 2mal gut, lmal 
schlecht. (In allen 3 Fällen handelte es sich um Lähmung der Oberarm* und 
Schultermuskulatur.) 

Die Versteifung des Ellenbogengelenkes wurde lmal mit befriedigendem 
Resultat ausgeführt. (Vollständige Lähmung von Biceps und Triceps.) 

Die von Albert anfangs geübte Resection der Gelenkenden wurde in 
den meisten Fällen durch eine oberflächliche Knorpelabtragung ersetzt. 

Auf diese Weise wird die Gefahr der Epiphysen Verletzung sehr gering. 

Die Versteifung suchte man auf verschiedene Weise zu erreichen: ein¬ 
fache Coaptation der angefrischten Knochenenden mit fixirendem Verband, 
Naht, Einlegung eines Jodoformgazestreifens (Zinsmeister), Eintreiben von 
Nägeln aus Stahl oder Elfenbein. 

Dollinger machte die Gelenkenden einem Knochenbruch möglichst 
ähnlich, indem er zwischen den unebenen Wundflächen ein umfangreiches 
Blutextravasat setzte. 

Im ganzen ergibt die Zusammenstellung, dass die Arthrodese bei spinaler 
Kinderlähmung sehr günstige functioneile Resultate liefert. 

Paradies-Würzburg. 

Kirmisson, Skoliose und Genu valgum. Revue d’orthop. 1894, Nr. 2. 

Die Ansicht, dass auch die Skoliose im Pubertäts alter auf rhachitischer 
Grundlage entstehe, ganz analog dem Genu valgum adolescentium, stützt Kir¬ 
misson durch eine Beobachtung, die einen 16jährigen jungen Mann betrifft. 
Derselbe weist eine rechtsconvexe Dorsalskoliose und rechtsseitiges Genu valgum 
auf. Die Annahme, dass die Skoliose statischen Ursprungs sei, wird durch die 
Anamnese unmöglich gemacht, da die Rückenverkrümmung im 7. Lebensjahre, 
das X-Bein dagegen erst mit 16 Jahren entstanden ist. Es ist also sehr wahr¬ 
scheinlich, dass beide Deformitäten auf das gemeinsame ätiologische Moment, 
auf Rhachitis zurückzuführen sind. Vulpius-Heidelberg. 

K i r m i s 8 o n, Osteotomia subtrochanterica bei congenitaler Hüftluxation. Revue 

d’orthop. 1894, Nr. 2. 

Um bei Patienten mit congenitaler Hüftverrenkung, die die Altersgrenze 
für die Hoffa’sche Operation überschritten haben, die lästige Adduction und 
Flexion der Beine und die consecutive Lordose der Lendenwirbelsäule zu be¬ 
seitigen oder zu bessern, hat Kirmisson 4mal die subtrochantere Durch- 
meisselung des Femur ausgeführt und ist mit dem Resultat zufrieden gewesen. 

V u 1 p i u s - Heidelberg. 

Broca, Arthrodese bei paralytischem Klumpfuss. Revue d’orthop. 1894, Nr. 2. 

Broca berichtet von 8 Arthrodesen, die er wegen schlotternden Sprung¬ 
gelenks und Klumpfuss8tellung im Gefolge von Lähmung ausgeführt hat. Er 
operirt nach eventuell offener Achillotenotomie von einem äusseren Bogenschnitt 
aus, durchtrennt die äusseren Ligamente, luxirt die Talusrolle nach aussen, 
befreit sie gründlich von Knorpel mittelst der Curette, ebenso die Gelenkfläche 


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434 


Referate. 


der Tibia und Fibula, schliesst nach vollendeter Reposition die Wunde ohne 
Drainage und legt über einen leichten antiseptischen Verband einen Gyps- 
verband, der mindestens 6 Wochen liegen bleibt. In den meisten Fällen wurde 
gleichzeitig auch das Talonaviculargelenk verödet, wodurch das schliessliche 
Resultat besser und sicherer wird, namentlich dann, wenn die Ankylose im 
Tibiotarsalgelenk nicht vollständig gelingt. Vulpius-Heidelberg. 

G. Joachimsthal, Ueber Knochendeformitäten bei hereditärer Lues. Deutsche 

med. Wochenschrift 1894, Nr. 21. 

Joachimsthal beobachtete bei einem 8jährigen Knaben neben anderen 
Erscheinungen schmerzhafte Anschwellungen an verschiedenen Theilen des 
Skelets, die sich allmählich entwickelt hatten. Besonderes Interesse beanspruchen 
die hierdurch entstandenen Veränderungen der Vorderarme. Der Radius erwies 
sich beiderseits in seinem unteren und einem Theile des mittleren Drittels nicht 
nur stark verdickt und äusserst druckempfindlich, sondern es war zu einer 
radialwärts convexen Verkrümmung dieses Theiles des Knochens und zu einer 
Verlängerung desselben im Vergleich zu der zugehörigen Ulna gekommen, 
derart, dass der Processus styloideus radii den Processus styloideus ulnae um 
reichlich 1V* cm nach unten überragte. Durch dieses anormale Verhalten 
wurde eine Ulnarabductions- oder Varusstellung der Hand bedingt. Unter dem 
Einfluss einer energischen antiluetischen Behandlung (Jodkalium) gingen die 
Krankheitserscheinungen zurück. Auch die Varusstellung der Hände besserte sich. 

Joachimsthal glaubt, dass bei dem Zustandekommen der Radiusver¬ 
längerung neben periostalen Processen auch die Epiphysenlinie betheiligt sei. 

Die Diagnose .hereditäre Lues“ wurde durch den Erfolg der Therapie 
gesichert. Paradies-Würzburg. 

P. Le Gendre et A. Broca, Traite de therapeutique infantile medico-chirurgi- 

cale. Paris, Steinheil 1894. 

Das uns vorliegende Werk bringt eine Besprechung der internen und 
chirurgischen Krankheiten des Kindesalters in alphabetischer Ordnung, ln einem 
allgemeinen Theil wird in ausführlicher und beachtenswerther Weise behandelt 
die Ernährung des gesunden und kranken Kindes, die Anwendungsweise von 
äusseren therapeutischen Mitteln, wie Hydrotherapie, Gymnastik, Massage u. a., 
die Dosirung und Anwendungsweise von Medicamenten im Kindesalter. 

Hieran schliesst sich der specielle Theil, der in alphabetischer Reihen¬ 
folge die einzelnen Krankheiten des Kindes abhandelt. Die angeführten Krank¬ 
heiten, sowohl innere, wie rein chirurgische und orthopädische, erhalten eine 
kurze Besprechung der Pathologie und Symptomatologie und eine etwas aus¬ 
führlichere Auseinandersetzung der Therapie. 

Ueber den Werth und die Nothwendigkeit von derartigen medicinischen 
Lexicis lässt sich streiten, einen besonderen wissenschaftlichen Werth können 
sie jedenfalls nicht beanspruchen. Sie bringen im günstigen Falle, wie unser 
vorliegendes Werk, eine gute Zusammenstellung der neueren in der Literatur 
beschriebenen Behänd)ungsweisen. 

Ich will hier nur etwas näher auf den orthopädischen Theil eingehen. 
Eine gute Besprechung erhält die Behandlung der Senkungsabscesse mit Jodo- 


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Referate. 


435 


forminjectionen wie der Gelenktuberculosen; bei der Coxitis wird die ambulante 
Behandlung mit der Thomas'schen Hüftschiene erwähnt. Bei der Luxatio 
coxae congenita wird die Hoffa’sche Operationsmethode genauer angeführt, 
daneben bei älteren Patienten die König’sche Operation empfohlen. Dass 
jedoch neben diesen Methoden auch noch die gewöhnliche Resection mit in 
gleichberechtigte Wahl gezogen wird, erscheint nicht ganz angebracht. Sonst 
vermissen wir, wie bei Spondylitis und Scoliose, ein etwas genaueres Eingehen 
auf die neuere Literatur, was allerdings bei der Art der Besprechung er¬ 
schwert ist. Drehmann-Würzburg. 

L. Jank au, Internationale medicinisch-photographiscbe Monatsschrift. Leipzig 
1894. Heft 1—5 (incl.). 

Die neu ins Leben getretene Zeitschrift hat es sich zur Aufgabe gemacht, 
dem Leser Krankenzustände aus der gesammten Pathologie bildlich wie text¬ 
lich vor Augen zu führen; weiter bringt dieselbe makro- und mikrophoto¬ 
graphische Abbildungen aus den Gebieten der Physiologie, Anatomie und 
Bacteriologie etc. Daneben wird der Ausbildung der medicinisch-photographi- 
schen Technik genügend Rechnung getragen. 

Der zweite Theil der Monatsschrift ist hauptsächlich Recensionen (mit 
Illustrationsproben) solcher medicinischer Werke gewidmet, die in ihrem Text 
Abbildungen nach Photographien bringen oder sich mit medicinisch-photo- 
graphischer Technik befassen. 

Die immer mehr zunehmende Verwerthung der Photographie in fast 
allen medicinischen Disciplinen lässt uns das vorliegende Unternehmen als ein 
zeitgemässes mit Freuden begrüssen, zumal wir bis jetzt noch kein Organ be¬ 
sitzen, welches die Interessen der Photographie in der Medicin vertritt. 

Die fünf ersten Hefte bieten neben einer Reihe interessanter Aufsätze 
eine grosse Zahl von Illustrationen in durchschnittlich sehr guter Reproduction. 
Die gesammte Ausstattung lässt nichts zu wünschen übrig. 

Paradies - Würzburg. 

Fessler, Festigkeit der menschlichen Gelenke mit besonderer Berücksichtigung 
des Bandapparates. Habilitationsschrift. München 1894. Rieger’sche Buch¬ 
handlung. 

Fessler hat es als einen Mangel empfunden, dass der Antheil der ein¬ 
zelnen Factoren, welche den Zusammenhalt der Gelenke bewirken, noch nicht 
mit genügender Sicherheit abgegrenzt ist, und dass im Speciellen darüber noch 
keine bestimmten Maasse vorliegen, was die Gelenke vermöge ihrer Kapsel und 
Bänder tragen können. Er hat sich daher die dankenswerthe Aufgabe gestellt, 
über den letzteren Punkt durch exacte Untersuchungen Klarheit zu schaffen. 
Die Arbeit zerfällt in einen allgemeinen und speciellen Theil. 

Im ersteren "werden in Kürze die bisherigen Untersuchungen über Gelenk¬ 
festigkeit, welche hauptsächlich den Einfluss des Luftdruckes, der Adhäsion 
und der Muskel Wirkung zu ergründen suchten, besprochen. Die jetzige Stellung 
der Forschung in dieser Frage ist im ganzen die folgende: 

Bei allen Gelenken wird der Contact der Flächen durch Luftdruck er¬ 
zielt, die Molecularattraction unterstützt ihn nur wenig. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. III. Band. 29 


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436 


Referate. 


Straffe Seitenbänder erhalten die Annäherung nur so weit, dass der Luft¬ 
druck zur Geltung kommen kann. 

Die vitale Muskelspannung hat die Kraft, die Gelenkflächen an einander 
gepresst zu halten. 

Wirken grosse Gewalten auf ein Gelenk, welche das Maass der Luft¬ 
druckwirkung und Muskelspannung überschreiten, so werden einerseits die 
Muskeln durch Contraction dieser Gewalt entgegenwirken, andererseits 
werden die Kapselbänder des Gelenkes selbst beansprucht. 

Um nun zu eruiren, in wie weit die letzteren Widerstand leisten können, 
wurden mit einer „Zerreissungsmaschine“ Versuche an möglichst frischen Ge¬ 
lenken gemacht, welche bis auf ihre Bänder präparirt waren. Die absolute 
Festigkeit der Gelenkkapsel wurde durch axialen Zug, die He bei festig- 
keit, bei der der Zug entsprechend der Ge waltein Wirkung bei Luxationen nur 
auf eine Stelle der Kapsel wirkt, durch einseitigen Zug festgestellt. Der 
Widerstand bei Zug und Hebelwirkung erwies sich als ziemlich gleich, was 
durch die leichte Beweglichkeit und Biegbarkeit des Bandapparates er¬ 
klärt wird. 

Von den Schlussfolgerungen, welche aus den sehr genau durchgeführten 
Versuchsreihen des speciellen Theils gezogen wurden, sei das Folgende hervor¬ 
gehoben. 

Die Gelenke und fibrösen Bänder sind durch Zug dehnbar und zwar im 
graden Verhältniss zur zunehmenden Belastung. 

Das fibröse Gewebe erweist sich als elastisch bis zum Bruch, innerhalb 
enger Grenzen ist dasselbe vollkommen elastisch, darüber hinaus verliert es 
einen Theil seiner Elasticität und erscheint alsdann bleibend gedehnt. 

Die Bruchbelastung schwankt je nach der Stärke des einzelnen Gelenkes. 
Dasselbe Gelenk ist bei verschiedenen Individuen verschieden stark. 

Der Kapselriss erfolgt bei Längszug gewöhnlich durch Abreissen der 
accessorischen Bänder vom Ansatzpunkt, beim Abhebeln der Gelenke auf der 
der Hebelzugrichtung abgewendeten äussersten Stelle der Kapsel. 

Die Kapsel hat meist eine geringere Bruchfestigkeit als der Knochen. 
Die Kapsel reisst bei den einzelnen Gelenken unter folgender Belastung: 
Schultergelenk 146 kg, Hüftgelenk 380 kg, Kniegelenk 315 kg, Fussgelenke 
248 kg, Zehengelenke 62—30 kg, Fingergelenke 83—79 kg, Handgelenke 184 kg. 
Ellbogengelenk 169 kg. Zenker-Würzburg. 

H. Lossen, Die Resectionen der Knochen und Gelenke. Deutsche Chirurgie, 

Lieferung 29 b. Stuttgart 1894. F. Enke. 

Das vorliegende Werk bringt eine Neubearbeitung der Resectionen der 
Knochen und Gelenke, eines Stoffes, welchen Lossen bereits früher imPitha- 
Billroth’schen Handbuch der Chirurgie genauer dargelegt hat. Die jetzige 
Bearbeitung zeigt eine ausgedehnte Erweiterung und eine auf der Höhe der 
Zeit stehende erschöpfende Darstellung des Kapitels der Resectionen. 

Nach einem ausführlichen Literaturverzeichniss, welches volle 48 Seiten 
umfasst, an welches sich ausserdem noch zahlreiche Literaturangaben fast auf 
jeder Seite des Textes anschliessen, kennzeichnet Verfasser den Begriff und be¬ 
spricht die verschiedenen Arten der Resectionen und Osteotomieen. Hieran 


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Referate. 


437 


schlieest sich eine ausführliche Darlegung der Geschichte der Resectionen und 
Osteotomie im allgemeinen und speciellen. 

Im nächsten Kapitel über die Indicationen erhalten eine genauere Be¬ 
sprechung die Resectionen bei Schussverletzungen, bei synovialer und ossaler 
Tuberculose und schliesslich die orthopädischen Gelenkresectionen. Unter den 
letzteren bringt Lossen eine ausführliche Beschreibung der Hoffa’schen Ope¬ 
ration der Luxatio coxae congenita, als einer Meisselresection der Hüftpfanne. 
Er erkennt die Operationsmethode vollkommen an und sagt, dass die Erfolge 
so sehr alles, was bis jetzt durch operatives Handeln bei der angeborenen 
Hüftluxation erreicht worden ist, übertreffen, dass die Operation entschieden 
empfohlen werden muss, und die angeborene Hüftluxation unter den Indicationen 
zur Hüftresection nunmehr eine dauernde Stelle behalten wird. 

Weiterhin gibt das Werk Aufschluss über verschiedene pathologisch¬ 
anatomische Fragen von der grössten Wichtigkeit, wie die Neubildung resecirter 
Knochen und Gelenke. Nach einer ferneren Besprechung der Technik und 
Nachbehandlung im allgemeinen geht Verf. zur Besprechung der speciellen 
Technik der Resectionen an den einzelnen Gelenken über. Er bringt mit einer 
Reichhaltigkeit alle jetzt üblichen und veralteten Verfahren der Resectionen 
und kennzeichnet sie in Bezug auf Brauchbarkeit und Anwendungsweise. Der 
Leser wird wohl äusserst wenig vermissen, nur wäre es wohl angebracht ge¬ 
wesen, bei der Resection des Handgelenks das von Ol Her angegebene Ver¬ 
fahren der doppelten Schnittführung und bogenförmigen Resection der Vorder¬ 
armknochen zu erwähnen, das sicher in manchen Fällen Vortheile bietet und 
wohl zur weiteren Prüfung zu empfehlen ist. 

Weiterhin wird besprochen der Heilungsverlauf nach Gelenkresectionen 
und dessen Störungen, die Nachbehandlung, die Endergebnisse der Resectionen. 
Dieses Kapitel enthält unter anderem Statistiken über die Mortalität der Gelenk¬ 
resectionen im Krieg und Frieden, über die Rückfälle der Tuberculose nach 
Resection wegen tuberculöser Erkrankung der Gelenke und über die functioneile 
Brauchbarkeit. 

Zum Schluss erfährt noch die Resection in der Continuität, die Ex¬ 
stirpation von Knochen an Kopf und Stamm und die Osteotomie eine aus¬ 
gedehnte Besprechung. 

Beigefügt sind dem Werke gute Abbildungen von Knochenpräparaten, 
Schienen und Instrumenten. Drehmann-Würzburg. 

A. Hoffa, Lehrbuch der orthopädischen Chirurgie. 2. Aufl. Stuttgart 1894. 

F. Enke. 

Der im August 1891 erschienenen 1. Auflage des obigen Lehrbuches ist 
im Mai 1894 schon die 2. Auflage gefolgt. Auch ist das Werk durch Ueber- 
setzungen verbreitet worden. Dieser Erfolg allein spricht für den Werth des 
Buches; doch war er zu erwarten. 

In der neuen Auflage hat Hoffa nun grössere und kleinere Abschnitte 
neu bearbeitet und erweitert, viele neue Abbildungen hinzugefügt, so dass das 
Werk in seiner neuen Form an Brauchbarkeit und Uebersichtlichkeit entschieden 
noch gewonnen hat. 

Der allgemeine Theil (162 Seiten) ist ausserordentlich lehrreich sowohl 


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438 


Referate. 


in dem Abschnitt über die allgemeine Aetiologie und Pathologie der Deformi¬ 
täten wie in jenem über die Behandlung derselben. Sehr willkommen wird 
den Aerzten die Darstellung der Lehre von den Prothesen sein. 

Im speciellen Theil ist durchaus der moderne Standpunkt in Bezug auf 
pathologische und therapeutische Fragen durchgeführt, die neuen Publicationen 
benutzt und die reiche praktische Erfahrung des Verfassers zur Geltung ge¬ 
bracht. 

Das Buch wird den grössten fördernden Einfluss ausüben zur Vermeh¬ 
rung des Wissens und Könnens der Aerzte auf dem schwierigen Gebiete der 
orthopädischen Chirurgie. Immer seltener wird es Vorkommen, dass der Arzt 
einen Patienten mit Scoliose oder dergleichen einem Bandagisten oder Instru¬ 
mentenmacher überweist und sich weiter nicht darum kümmert. Wenn der 
Arzt auch nicht selbst alles ausführt oder ausführen lässt, so muss er doch 
das Wissen und das Verständniss haben zur Beurtheilung, ob ein Apparat, eine 
mechanische Vorrichtung den gewünschten Erfolg zu erzielen im Stande ist 
oder nicht, ob sie nicht mehr schadet als nützt. Dazu eben wird das Hoffa¬ 
sche Lehrbuch in sehr erfreulicher Weise beitragen. Und so sei es aufs Beste 
empfohlen! Helfer ich- Greifswald. 


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Namenregister 

für die Referate von Band I bis Band III. 


A. 

A g u s t o n i (Massage) II 280. 

AIbers (Polydactylie) II 457. 
Albert (Scoliose) I 3*12. 

— (Chirurgische Krankheiten) II 329. 
Anderson (Finger- und Zehencontrac- 
turen) I 327. 

Angerer (Angeborene Hiiftluxation) 
III 394. 

Appleyard (Torticollis) II 315. 
Arndt (Biologische Studien) II 471. 
Atkin (Torticollis) II 315. 


B. 

Bähr (Modernste Mechanotherapie) III 
238. 

B a j a r d i (Angeborene Gliederdeformi- 
tiiten) II 278. 

Basch (Flughautbildung) II 188. 
Bauer (Coxitis) l 482. 

— (Congenitaler Defect der unteren 
Extremitäten) I 483. 

Baxter (Natronwasserglas) I 481. 
Bayer (Achilloraphie) I 475. 

— (Aetiologie des Pes calcaneus) III 83. 
Bayr (Steilschrift) II 282. 

Beck (Laminectomie) III 405. 

B e e 1 y (Der Fuss und seine Bekleidung) 
I 485. 

— (Plattfuss) III 80. 

— (Grenzen der Orthopädie) III 92. 

— (Genu valgum) III 413. 

Bendix (Massage) III 424. 
Bergmann, v. (Spondylarthritis) I 

330. 

Bernacchi (Angeborene Deformitäten 
der Extremitäten) II 275. 

B i 1 h a u t (Opera!ion der angeborenen 
Hiiftluxation) 111 215. 


Blasius (Photographie bei Unfall¬ 
verletzten) III 230. 

— (Aerztlickes Gutachten) III 237. 
Bigg (Orthopädie) II 470. 

Boegle (Bau des Fusses) II 473. 
Bolten (Hochstand eines Schulter¬ 
blattes) II 304. 

Bompaire (Torticollis) III 431. 
Bonzeliu8 (Polydactylie) III 84. 

B o u r 1 a u x (Operation bei congen. 

Hiiftluxation) III 98. 

Braatz (Thomas’sche Schiene) II 
295. 

Brackett (Hüftgelenksdistraction) I 
118. 

Bradford (Klumpfuss) II 197. 

— (Seoliosenapparat) 111 71. 

Braune (Bewegung des Kniegelenks) 

I 334. 

Brenner (Plattfuss) III 421. 

Broca (Arthrodese bei Klumpfuss) III 
433. 

— (Interne und chirurgische Kinder¬ 
krankheiten) III 434. 

Brodhurst (Angeborener Klumpfuss) 
III 421. 

Brohl (Syndactylie) III 223. 
Brousses (Massage) II 470. 

Brown (Psoascontraction) I 117. 
Brücke (Leben und Gesundheit der 
Kinder) II 325. 

Brune 11 i (Klumpfuss) II 280* 

— (Ischias scoliotica) III 65. 

Bruns (Luxation des Kniegelenks) II 

320. 

— (Gehverband und Lagerungsschiene) 
III 80. 

— (Conservative Behandlung der Coxi¬ 
tis) III 401. 

— (Extensionsapparat) III 409. 

Buch heim (Massage) II 320. 


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440 


Namenregister. 


Bullard (Operation bei Spondylitis) 

I 119. 

Bum (Heilgymnastik) I 479. 

— (Mechanodiagnostik) I 479. 

— (Massage) II 467. 

— (Mechanotherapie) III 227. 

Bur eil (Spondylitis) I 484. 

— (Angeborener Klumpfuss) III 89. 
Busse (Sehnenwunden) I 472. 

C. 

Calot (Regeneration nach Hüft- 
resection) 111 403. 

Castex (Massage) I 477. 
Championniere (Operation bei 
Klumpfuss) 1 323. 

C h i a r i (Spondylolisthesis lurab. sacral.) 

II 306. 

Chipault (Chirurgie des Rücken¬ 
marks) III 226. 

Christ (Muskelarbeit und Herzthätig- 
keit) III 426. 

Ch u r c h (Mirvan’sche Krankheit) 1482. 
Clintock (Operation an der Wirbel¬ 
säule) I 483. 

Cohn (Hygiene des Auges) II 325. 
Crystic (Klumpfuss mit Defecten) I 
484. 

Curdy (Stützapparate) I 482. 

D. 

Daniel (Therapie des Klumpfusses) III 

218 . 

Daxenberger (Compression des Hals¬ 
marks) 111 224. 

Delhet (Schulterluxation) II 465. 
Dehner (Truppen in körperlicher Be¬ 
ziehung) III 69. 

Diehl (Widerstandsapparat) III 100. 
Dolega (Massage) II 471. 
Dollinger (Massage) I 333. 

— (Kinderlähmung) I 468. 

— (Erziehung der Jugend) I 484. 
Dornblüth (Gesundheitspflege der 

Schuljugend) II 325. 

Drehmann (Tuberculose des Knie¬ 
gelenks) III 78. 

Dubrueil (Sehnennaht) II 311. 

£• 

Eich hörst (Trichterbrust) I 473. 

E i se 1 s b e r g, v. (Unterschenkelfractur) 

III 82 ‘ 

Eisenhart (Osteomalacie) II 288. 
Empfenzed e r (Verbandscheere) II473. 


En gl er (Bruststarker) II 291. 

Erb (Defect zweier Finger) II 311. 
Estor (Genu valgum) 111 414. 

Ewer (Massage und Gymnastik) II201. 
— (Muskelrheumatismus) II 290. 
Ewh (Muakelatrophie) III 428. 


F. 

F e s s 1 e r (Festigkeit der menschlichen 
Gelenke) HI 435. 

Fick (Fussgelenksmu8keln) II 467. 

Fischer (^Bewegungen des Knie¬ 
gelenks) I 334. 

— (Ischias scoliotica) III 66. 

— (Massage und Gymnastik) U 201. 

Frankel (Ankylosen des Ellenbogen¬ 
gelenkes) II 198. 

Fran^on (Ischias scoliotica) III 404. 

Frank (Grundriss der Chirurgie) 111 
238. 

Freudenberg (Gebärmutter¬ 
geschwülste) I 339. 

Friedeberg (Rückenmarksco mpres- 
sion) III 225. 

Fröhlich (Celluloid- und Aluminium¬ 
apparate) II 201. 

— (Schiefwuchs) III 229. 


6 . 

Gangolphe (Dupuytren'sche Con- 
tractur) I 475. 

— (Minerve plätree) II 462. 

Gaudi er (Hämatom eines Sterno- 

cleidomastoideus) III 406. 

Gelpke (Steilschriftfrage) II 448. 
Gendre,le (Interne und chirurgische 
Kinderkrankheiten) III 434. 

G 6rard-Marchant (FehlerhafteHal¬ 
tung durch Lipome) 111 404. 

— (Osteotomie der Fibula bei schlecht¬ 
geheilter Fractur) III 416. 

Germonprez (Handgelenk) II 465. 
G h i 11 i n i (Orthopädische Fälle) III 91. 

— (Reizung der Epiphysenknorpel) Dl 
223. 

Gibney (Typhoid spine) I 117. 483. 
G i e se k i n g (Körperhaltungbei Schul¬ 
kindern) III 230. 

Giordano (Kniegelenksluxation) II 
275. 

Gleich (Plattfuss) III 80. 

Gluck (Functionelle Anpassung) III232. 
Godin (Hammerzehe) III 424. 

Gohl (Klumpfuss) III 74. 

Golding Bird (Torticollis) I 469. 


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Namenregister. 


441 


Goldthwait (Beugecontracturen im 
Knie) III 76. 90. 

— (Arthropathia tabidorum) III 91. 

G o u p i 1 (Plattfussoperationen) III 422. 

Graham (Massage) I 478. 

Guide (Klumpfuss) III 74. 

— (Talusexstirpation) III 219. 

H. 

Hadra (Wirbelvernähung) I 482. 

Harder (Massage bei Darminvagina* 
tion) III 429. 

Hartmann (Hüftluxationen bei Coxi- 
tis) III 402. 

Hasse (Truppen in körperlicher Be¬ 
ziehung) III 69. 

— (Ungleichheiten des Beckens) II 283. 

Hasebrock (Medico-mechanisches In¬ 
stitut) 11 321. 

Hausmann (Genu varum) III 414. 

Heather-Bigg (Orthopädie) II 470. 

Helferich (Kniegelenksankylose) III 
216. 

— (Deform geheilte Knochenbrüche) II 
191. 

Heinleth, v. (Thoracometer) III 71. 

Henne quin (Osteotomie) II 318. 

Hensel (Klumpfuss) III 418. 

Herzog (Angeborene Fingerdeviatio¬ 
nen) II 312. 

Heusner (Wirbelcaries) II 184. 

— (Lähmung des N. radialis) II 188. 

— (Scoliose) II 300. 

— (Spiralschiene und spastische Glie¬ 
derstarre) III 410. 

Heymann (Lordose der Halswirbel¬ 
säule) l 467. 

Hi gier (Ischias scoliotica) II 304. 

— (Ischias scoliotica) III 64. 

Hildebrandt (Coxitis) I 479. 

Hoadley (Spondylitis) I 483. 

H o e n i g (Simulation bei Unfallver¬ 
letzten) 1 336. 

— (Functionsstörung nach Verletzun¬ 
gen) I 340. 

H o f f a (Lehrbuch der orthopädischen 
Chirurgie) I 486. 

— (Hüftgelenksentzündung) II 451. 

— (Angeborne Hüftluxation) II 287. 

— (Technik der Massage) III 99. 

— (Angeborene Hüftluxation) III 211. 

— (Lehrbuch der orthopädischen Chi¬ 
rurgie. II. Aufl.) III 437. 

Hoff mann (Muskelatrophie) III 225. 

Hofmeister (Coxa vara) III 396. 

Hübscher (Bewegungsfelder) II 183. 

— (Cellulose) H 466. 


Hübscher (Cellulose) III 87. 

— (Torticollis) 111 93. 

Hughes (Athmungsgymnastik) II 327. 

— (Drehbewegung der Wirbelsäule) II 
459. 

J. 

Jäger (Rückenmarksquetschung) III 
225. 

Ja n k a u (Medicinisch-photographische 
Monatsschrift) III 435. 

Janssen (Muskelatrophie bei Gelenk- 
affectionen) III 426. 

Joachimsthal (Lineare und keilför¬ 
mige Osteotomie) II 292. 

— (Knochendeformitäten bei Lues) III 
434. 

Judson (Paralytischer Klumpfuss) I 
469. 

I. 

Ibsen (Genu valgum) I 120. 

Israel (Scoliose) III 83. 

K. 

Kammler (Fracturen) II 295. 

Karasiewicz (Arthrodese bei Kinder¬ 
lähmung) III 432. 

Ka r e w s k i (Angeborene Hüftluxation) 
II 286. 

— (Chirurgische Krankheiten des Kin¬ 
desalters) III 240. 

Kaufmann (Unfallverletzungen) II 
330. 

Keen (Torticollis) II 315. 

Keferstein (Ischämische Muskel¬ 
lähmung) III 229. 

K e m k e (Angeborener Defect der Fi¬ 
bula) III 93. 

Ketch (Rhachitische Kyphose) I 481. 

Kirmisson (Narbencontractur der 
Finger) I 466. 

— (Hüftluxation, veraltete) II 461. 

— (Bericht) II 463. 

— (Hoffa’s HüftOperation) III 212. 

— (Bericht) III 390. 

— (Pathologie und Therapie der ange¬ 
borenen Hüftluxation) III 395. 

— (Coxa vara) III 396. 

— (Scoliose und Genu valgum) III 433. 

— (Osteotomia subtrochant. bei cong. 
Hüftluxation) III 433. 

Kl een (Massage) I 120. 

Klein (lleosacralgelenk) I 335. 

Koch (Hoffa’sche Operation) III 394. 

Kocher (Coxa vara) 111 396. 


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442 


Namenregister. 


Koelliker (Hochstand des Schulter¬ 
blattes) I 476. 

Koenig (Klumpfuss) I 116. 

Koettnitz (Beckenendlagen) III 220. 

Kohlhaas (Fussresection) I. 477. 

K oll mann (Federnder Finger) II 313. 

Korsch (Ambulante Fracturbehand- 
lung) II 318. 

K o s i in a (Kllenbogentuberkulose) II 
309. 

Krukenberg (Beugecontractur der 
Finger) II 310. 

— (Pendelapparate) III 227. 

— (Nachbehandlung Unfallverletzter) 
III 237. 

Kümmeil (Sehnendefecte) II 194. 

Kummer (Arthrodese des Kniegelenks) 
m 415. 

Kypke-Burchardi (Ischias scolio- 
tica) III 66. 


L. 

Lahusen (Abhärtungskuren) III 95. 
Länderer (Piattfuss) I 328. 

Langes (Schreibkrampf) II 466. 
Lannelongue (Angeborene Hüft¬ 
luxation) I 477. 

Lauenstein (Unfallversicherung) II 
198. 

Leser (Schlaffheit des Gelenkapparats) 
III 222. 

— (Genu valgum) III 413. 

Lesshaft (Anatomie) II 470. 
Levertin (Medico-mechanische Gym¬ 
nastik) II 329. 

Li er sch (Linke Hand) II 470. 
Loewinson (Scoliose) II 450. 

— (Scoliose) III 95. 

Lorenz (Oberschenkelbrüche) I 114. 

— (Schiefhals) I 345. 

— (Spastische Paralyse) I 475. 

— (Angeborene Hüftluxation) II 285. 

— (Mechanische Behandlung der Coxi- 
tis) II 313. 

— (Angeborene Hüftluxation) III 391. 

— (Osteoklase) III 79. 

— (Angeborene Hüftluxation) III 393. 
Lossen (Kesectionen) III 486. 
Lovett (Torticollis) I 119. 

— (Spondylitis) I 484. 

— (Lähmung bei Neugeborenen) II 
293. 

Loyd (Laminectomie) I 482. 

Lücke (Piattfuss) II 190. 

Lustig (Kniegelenksentzündung) III 
217. 


M. 

Maggiora (Massage) II 319. 

Major (Torticollis) III 315. 

Mann (Ischias scoliotica) III 67. 
Martin (Genu varum) II 197. 
Melde (Tibiadefeet) II 453. 

Meller (Spaltbildung) II 453. 
Menard (Spondylitis) III 405. 
Messner (Kinderlähmung) II 302. 

— (Gelenkderangement) III 221. 

M i 1 h a u (Piattfuss) III 422. 
Moeller (Hallux valgus) III 422. 
Mordhorst (Massage) I 470. 
Morris (Präputialreflexstörungen) I 

481. 

Morton (Klumpfuss) I 481. 

Motta (Poliklinik zu Turin) II 278. 
M os e ti g - M o o r h o f, v. (Bursitisinter- 
tubercularis) III 430. 
Mühlenbrock (Cong. Hüftluxation) 
III 73. 

Müller (Tabes dorsal.) I 336. 

— (Scoliose) II 185. 

— (Gymnastik) II 326. 

— (Haltung der Kinder) II 471. 

— (Ost« opsatbyrosis) 111 70. 

— (Diagnose simulirter Schmerzen) III 
237. 

X. 

N ae g e 1 i (Handgriffe bei Neuralgieen) 
HI 227. 

Nebel (Gymnastik und Massage) II 319. 
Necker (Schnellender Finger) III 85. 
N e 1 a t o n (Klumpfuss) I 323. 

— (Fibuladefect) I 341. 

Norström (Massage) I 478. 

Nota (Hüftluxation) II 272. 


O. 

Oliier (Kesectionen) I 485. 

Oliva (Deformitäten der unteren Ex¬ 
tremität) II 277. 

Olsson (Ischias scoliotica) III 67. 
Opfer (Defeet der oberen Extremi¬ 
tät) II 458. 

Owen (Torticollis) II 315. 


P. 

Panzeri (Hüftluxation) II 275. 

Passei aigue (Ilandgelenksresection) 

III 411. 


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Namenregister. 


443 


Pearce-Gould (Torticollis) II 315. 
Petit (Torticollis) I 342. 

— (Torticollis) II 315. 

Pescatore(Ellbogenresection)II 308. 
P e r n i c e (Ellbogencontractur) III 228. 
Perrey (Syringomyelie) III 407. 
Phelps (Klumpfuss) I 115. 

— (Kniegelenksentzündung) III 415. 

— (Tenotomie) III 420. 

P h o c a s (Torticollis) I 466. 

— (Genu valgum) II 196. 

— (Hammerzehe) II 461. 

— (Hüftluxation) III 395. 

— (Torticollis) III 406. 

— (Sehnenplastik) III 420. 

Poncet (Sehnenplastik) I 341. 467. 

II 316. 

Porta (Spondylitis) II 280. 

Power8 (Torticollis) II 315. 
Pugliesi (Congenitale Anomalie der 
Extremitäten) II 275. 


Q. 

Quevedo (Hallux valgus) III 423. 


R. 

Ramdohr (Gymnastik) II 471. 

Ran zier (Ischias scoliotica) III 404. 
Ratchoursky (Klumpfuss paralyt.) 
III 98. 

Redard (Kalte Abscesse) II 291. 

— (Scoliose und Plattfuss) II 300. 

— (Orthopädische Chirurgie) II 323. 

— (Handgelenksluxation) II 454. 

— (Angeborene Contracturen) II 455. 

— (Handgelenksluxation) III 410. 

— (Genu valgum) III 416. 

— (Little’sche Krankheit) III 431. 
Regnier (Genu valgum) II 195. 
Remak (Ischias scoliotica) I 326. II 

303. III 65. 

Ridlon (Congenitale Hüftluxation) I 

118. 

— (Amerikanische Literatur) I 339. 
Rincheval (Congenitale Defecte) III 

411. 

Ritzmann (Steilschrift) III 96. 
Rochard (Klumpfuss) I 120. 
Röchet (Sehnenplastik) II 312. 
Roers ch (Arthrodese) II 293. 
Rollet (Fingerdeformitäten) 111 83. 
Rosenfeld (Holzverbände) II 188. 
Rossbach (Physikalische Heilmetho¬ 
den) II 327. 

Rossi (Scoliose) II 274. 


Rota (Osteotomie) II 278. 

Ruckert (Steilschrift) II 282. 

Ryan (Spondylitis) I 118. 

S. 

Sabatier (Tenotomie) I 324. 

Sachs (Hirnlähmung) II 292. 

Sachs (Ischias scoliotica) III 403. 
Sainton (Scoliose u. Kinderlähmung) 
III 404. 

Sala (Hüftgelenksankylose) II 279. 
Samter (Resection des Fusses) II 451. 
Sander (Mitbewegung an gelähmten 
Körpertheilen) 111 408. 

Sardon (Verkürzung nach Ober¬ 
schenkel fracturen) II 193. 

Sayre (Scoliose) II 451. 

— (Spondylitis) III 72. 88. 

Schapps (Spondylitis) III 234. 
Schar ff (Schreibschule) II 199. 
Schede (Veraltete Luxationen) II 185. 

— (Verkürzung nach Fracturen) II 192. 

— (Scoliosenapparat) II 296. 

— (Verbesserter Scoliosenapparat) III 
232. 

Scheimpflüg (Tuberculose) II 330. 

I — (Extensionsapparat) III 409. 

! Schenk (Steilschrift) I 479. 

! — (Simplexschreibtisch) II 200. 

— (Deformitäten durch Narbeneontrac- 
tur) III 92. 

Schlange (Hochstand des Schulter¬ 
blatts) III 68. 

Schlichter (Klumpfuss) III 79. 
Schmidt (Leibesübungen) III 75. 
Schmitt (Senkungsabscesse) III 97. 
Schmucker (Compressionsmyelitis) 

II 3U5. 

Schreiber (Transplantation) I 388. 
Schuckelt (Kniegelenkscontracturen) 
11 4 ' )0 - 

j Sehusny (Schulhygiene) II 325. 

I Schütz (Jahresbericht Niederschön¬ 
hausen) II 322. Ill 94. 

— (Medico-mechanische Behandlung) 

III 236. 

Schwartz (Plattfuss) III 85. 
Schwarze (Schnellender Finger) 1474. 
Schwarz (Hüftgelenksankylose) II194. 
S c h w ö re r (Fibuladefeet) Ill 220. 
j Smith (Torticollis) III 315. 

I Solger (Stützsubstanzen) III 231. 

I Sombret (Genu valgum) III 416. 
j Sperling (Angeborene Unterschenkel- 
' brüche) II 317. 

I Spörri (Angeborene Luxation des Knie¬ 
gelenkes) II 454. 


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444 


Namenregister. 


Sprengel (Hochstand des Schulter¬ 
blattes) I 476. 

Sokolow (Luxation im Ellbogen) II 
46L 

Stegmann (Muskelatrophie und Mas¬ 
sage) III 429. 

Stermann (Klumpfuss) I 482. 

Sternberg (Osteomalacie) II 462. 

Stöcker (Schulbankfrage) II 466. 

Strauss (Oligodactylie) III 221. 

Stuckert (Spast. Gliederstarre) II 448. 

T. 

Tappert (Behandlung des Klump- 
fusses) III 84. 

Tausch (Belastungsdeformitäten) II 
448. 

— (Hüftcontracturen) II 400. 

Taylor (Asymmetrie des Unterschen¬ 
kels) I 483. 

— (Ostitis deformans) III 89. 

Temesvary (Intrauterine Unter¬ 
schenkelbrüche) II 317. 

T h i e m (Hygrom der Sehnenscheiden) 
III 237. 

Thomaszewsky (Schweissfuss und 
Plattfuss) III 97. 

Tilanus (Scoliose) I 471. 

Ti mm er (Plattfussoperation) II 188. 

— (Angeborene Luxation im Knie¬ 
gelenk) II 456. 

Townsend (Senkungsabscesse) I 483. 

Treves (ChirurgischeOperationslehre) 
III 240. 

Ts c hu di (Verwachsung der Finger) 
II 458. 

Y. 

Valetti (Gymnastik) II 470. 

Verneuil (Tortieollis) I 470. 

Vincent (Spondylitis) II 463. 

Villeneuve (Luxatio coxae sub- 
pubica) II 196. 


V i r c h o w (Handstand) I 324. 

— (Muskelmann) II 289. 

V o I k m a n n (Muskelgewebe) II 288. 

— (Veraltete traumat. Hüftluxation) 
III 215. 

Volpe (Massage) I 478. 
Vorstädter (Luftdruckmassage) III 
430. 

W. 

Wagner (Turnapparat) III 239. 
Wahncau (Knie- und Hüftgelenks- 
contracturen) II 311. 

Weigel (Spondylitis) I 483. 

— (Messapparat für Scoliose) III 230. 
Werner (Massage und Heilgymnastik) 

II 331. 

White (Wirbelsäulenchirurgie) 1484. 
Whitman (Tortieollis) I 484. 

— (Spondylitis) III 234. 

— (Coxa vara) III 396. 

Wiedemann (Intrauterine Amputa¬ 
tion) I 474. 

Willard (Spinale Kinderlähmung) I 

482. 

— (Spondylitis) I 483. 

Wilson (Naht der Achillessehne) III 
91. 

— (Operation des Klumpfusses) III418. 

— (Sehnenplastik) III 420. 

W i rt (Congenitale Hüftluxation) I 482. 

— (Spondylitis) I 484. 

W i s s e r (Wirbelsäule bei Schulkin¬ 
dern) II 298. 

Witzei (Schiefhals) I 465. 

Wolff (Knochenschwund und Anbil¬ 
dung) I 330. 

— (Transformationsgesetz) II 331. 


Z. 

Zeller (Plattfuss) II 191. 

Zuffi (Redressement force) III 76. 


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Sachregister 

für die Referate von Band I bis Band III. 


A. 

Abhärtungskuren (Lahusen) III 95. 
Abseesse, kalte (Redard) II 292. 
Achilloraphie (Bayer) 1 475. 
Aluminiumapparate (Fröhlich) II201. 
Americ. orthop. Association, 

— Transactions of the Bd. II. I 117. 
-Bd. III. I 338. 

— Verhandlungen Jan. bis April 1891 

I 342. 

Americ. orthop. Literatur I 339. 481. 
Amputation, intrauterine (Wiede¬ 
mann) I 474. 

Anatomie (Lesshaft) II 470. 
Angeborene Contractur (R e d a r d) II455. 
Angeborener Defect der Fibula (S c h w ö- 
rer) 111 220. 

— — — — (Nelaton) I 341. 

— -(Kemke) III 93. 

— — zweier Finger (Erb) II 311. 
-der oberen Extremitäten (0 p fe r) 

II 458 ‘ 

— — Operation bei (Rinche val)H411. 

— — der Tibia (Melde) II 453. 

— — — unteren Extremität (Bauer) 

I 483. 

— -grossen Zehe (Crystic) I 484. 

Angeborene Deformitäten der Ex¬ 
tremitäten (Pugliesi) II 275. 

— —-(Bernacchi) II 275. 

— — — — (Bajardi)Il 278. 

— Fingerdeviationen (Herzog) II 312. 

— Hüftgelenksluxation s. Hüftgelenks¬ 
luxation. 

— Oligodactylie (Strauss) III 221. 

— Spaltbildung der Hände und Füsse 
(Meller) II 453. 

— Unterschenkelbrüche (Temesvary) 

II 317. 


AngeboreneUnterschenkelbrüche(S p e r- 
ling) II 317. 

— V erwachsungen der Finger(T s c h u d i) 

II 458. 

— — --(Basch) n 188. 

Aplasie, periostale (Müller) III 70. 
Arthrodese bei Kinderlähmung (Dol- 

linger) I 468. 

-(Roersch) II 293. 

— — Klumpfus8 (Broca) III 433. 

— des Kniegelenks (Kummer) III 415. 

-— (Karasiewicz) III 432. 

Arthropathia tabidorum (G o 1 d t li w a i t) 

III 91. 

Athmungsgymnastik (Hughes) II 327. 


B. 

Beckenendlagen (Köttnitz) III 220. 
Beckens, Ungleichheiten des (Hasse) 
II 283. 

Belastungsdeformitäten (Tausch) II 
448. 

Bewegungsfelder (Hübscher) II 183. 
Biologische Studien (Arndt) II 471. 
Bursitis intertubercularis (v. Mosetig- 
Morhof) III 430. 

Bruststärker (En gl er) II 291. 


C. 

Celluloidapparate (Fröhlich) II 201. 
Cellulose, geleimte (Hübscher) II 466, 
m 87. 

Chlorzinkinjectionen bei angeb. Hüft- 
luxationen (Lannelongue) I 477. 
Compressionsmyelitis (Schmucker) II 
305. 




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446 


Sachregister. 


Compressionsmyelitis (Daxenberger) 
III 224. 

Contracturen, angeborene (Redard) 
II 455. 

— Dupuytren’sche (Gangolphe) 1475. 

— des Ellbogengelenks (Pernice) III 

228. 

— der Finger und Zehen (Anderson) 
I 327. 

— ischämische (Keferstein) III 229. 
(’orsett (Curdy) I 482. 

Coxa vara (Hofmeister) III 396. 
-(Kocher) III 396. 

— — (Whitman) 396. 

— — (Kirmisson) III 396. 

Coxitis, siehe Hüftgelenksentzündung. 


D. 

Defect der Fibula (Nelaton) I 341. 

-(Kernke) III 93. 

— — — (Schwerer) III 220. 

— — Finger (Erb) II 311. 

— — oberen Extremitäten (Opfer) II 
458. 

— Operation bei angeb. (Rincheval) 
III 411. 

-Tibia (Melde) II 453. 

-unteren Extremitäten (Baue r) 

I 483. 

— — ersten Zehe (Crystic) I 484. 

Deformitäten, angeborene der Extremi¬ 
täten (Bernacchi) II 275. 

— — — — (Pugliesi) II 275. 

-(Bajardi) II 278. 

Derangement interne (M essner) III 221. 

Dupuytren'sche Contractur (Gan¬ 
golphe) I 475. 


E. 

Ellenbogengelenks, Ankylose des (Fran¬ 
kel) II 198. 

— Beugeverband bei Contractur des 
(Pernice) III 228. 

— Luxation des (Sokolow) II 461. 

— Resection des (Pescatore) II 308. 

— Tuberkulose des (Kosima) II 309. 
Epiphysenknorpel, Reizung des (Ghil¬ 
lin i) III 223. 

Erziehung, körperliche, der Jugend 
(Do Hing er) I 484. 
Extensionsapparat (Bruns) III 409. 

— (Sehe im pflüg) III 409. 
Extremitäten, angeborene Anomalie der 

(Pugliesi) II 275. 


Extremitäten, angeborene Deformitäten 
der (Bajardi) II 278. 

— — — — (Bernacchi) II 275. 

— rhachitischeDeformitäten der (01 i v a) 
II 277. 


F. 

Fascienscheiden und Senkungsabsces*e 
(Schmitt) III 97. 

Fibuladefect, angeborener (Nelaton) 
I 341. 

-(Kernke) III 93. 

-(Schwörer) III 220. 

Finger, Contractur der (Anderson) 

I 327. 

-(Gangolphe) I 475. 

— -(Krukenberg) II 310. 

— — — (Kirmisson) I 466. 
-(Ghillini) III 91. 

— Defect zweier (Erb) II 311. 

— Deviationen, angeb. der (Herzog) 

II 312. 

— Difformitäten der (Rollet) III 83. 

— federnder (Kol Im an n) II 313. 

— Oligodactylie (Straus s) III 121. 

— Polydactylie (Bonzelius) III 89. 
-(Melde) II 453. 

-— (A Ibers) II 457. 

— schnellender (Schwarze) I 474. 

-(Kollmann) II 313, 

-(Neck er) 111 85. 

— überzählige (Albers) II 457. 

— Verwachsung der (Tschudi) II458. 

-(Brohl) II 323. 

Flughautbildung (Basch) II 188. 
Fractur, schlecht geheilte (Kammler) 

II 295. 

-(Lorenz) I 114. 

— — — (Gerard-Marehant) III 
416. 

-(Helferich) II 191. 

— Verkürzung nach (Schede) II 102. 

— — — (Sardon) II 193. 

-(Eiseisberg) III 82. 

Functionelle Anpassung (Gluck) III 

232. 

Functionsstörungen nach Verletzungen 
(Hoenig) I 340. 

Fuss, Bau des (Boegle) II 473. 

— und seine Bekleidung (Beely) I 
485. 

— Gelenksentzündung des (Dreh¬ 
mann) 111 78. 

— Gelenkmuskeln des (Fick) II 467. 

— Resection des (Kohlhaas) I 477. 

— — — (Samter) II 451. 


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Sachregister. 


447 


G. 

Gebärmuttergeschwulst, mech. Behandl. 

(Freudenberg) I 339. 

Gehschiene, neue (Bruns) III 86. 
Gehverband bei Fracturen (Bruns) 
III 86. 

Gelenkapparat, Schlaffheit des (Leser) 
III 222. 

Gelenkderangement (Messner) III 221. 
Gelenkerkrankungen bei Syringomyelie. 
(Perrey) III 407. 

Gelenke, Festigkeit der menschlichen 
(Fessler) 111 435. 

Gelenkresection (Lossen) III 436. 
Gelenkrheumatismus, Muskelatrophie 
bei (Janssen) III 426. 
Gelenksteifigkeit, Pendelapparate bei 
(Krukenberg) III 227. 

Genu valgum (Ipsen) I 120. 

— — (Regnier) II 195. 

— — (Phocas) II 196. 

-(Lorenz) III 79. 

-(Ghillini) III 91. 

-(Beely) III 413. 

-(Leser) III 413. 

— — (Estor) III 414. 

-(Sombret) III 416. 

— — (Redard) III 416. 

-(Kirmisson) III 433. 

— varum (Martin) II 197. 

— — (Hausmann) III 414. 
Gliederstarre, spastische (Stuckert) 

II 448. 

— — (Heusner) III 411. 

-(Redard) III 431. 

Gutachten, ärztliches (Blasius) III 237. 
Gymnastik (Bum) I 479. 

— (Fischer) II 201. 

— (Ewer) II 201. 

— (Nebel) II 319. 

— (Müller) II 326. 

— Athmungs- (Hughes) II 327. 

— medico-mech. (Levertin) II 329. 

— Heil- (Werner) II 331. 

— (Valetti) II 470. 

— (Ramdohr) II 471. 

— (Bum) III 227. 


H. 

Hämatome des Stemo-cleido-mast. 

(Gau di er) III 406. 

Hallux valgus (Moeil er) III 422. 

-(Quevedo) III 423. 

Halsmarkcompression (Daxenberger) 
III 224. 


Halswirbelsäule, Lordose der (Hey¬ 
mann) I 367. 

Haltung der Kinder (Müller) II 471. 

-(Gieseking) III 230. 

Hammerzehe (Phocas) II 461. 

— (Godin) III 424. 

Handgelenk (Germonprez) II 465. 

— (Redard) II 454. 

— (Redard) III 410. 
Handgelenksresection (Passelaigue) 

111 411 ‘ 

Handgriffe bei Neuralgien (Naegeli) 
III 227. 

Hand, linke (Lierscli) II 470. 
Handstand (Virchow) I 324. 
Heilgymnastik siehe Gymnastik. 
Herzthätigkeit u. Muskelarbeit(Christ) 
III 427. 

Hirnlährnungen (Sachs) II 292. 
Holzverbände, portative (Rosenfeid) 
II 188. 

Hüftankviose, Osteotomie bei(S ch w a r z) 
II 194. 

— (Sala) II 279. 

Hüftgelenkscontractur (Wahneau) II 
311. 

— (Tausch) III 400. 
Hüftgelenksdistraction(B r a c k e tt)1118. 
Hüftgelenksentzündg. (H i 1 d e b r a nd t) 

I 479. 

— (Bauer) I 482. 

— ambulante Behandlung der(Hoffa) 

II 451. 

— conservative Behandlung der (Br uns) 
Ul 401. 

— mechan. Behandlung der (Lorenz) 
II 313. 

Hüftgelenksluxation, angeborene (Rid- 
lon) 1 118. 

— Behandlung der (Lannelongue) 

I 477. 

— (Wirth) I 482. 

— — nach Paci (Nota) II 272. 

— — (Phocas) III 395. 

— operative Behandlung der (Panzeri) 

II 275 \ 

— Operation der (Lorenz) II 285. 

— — — (Karewski) II 286. 

-(Hoffa) II 287. 

— Einfluss auf das Becken bei (Mü hl en- 
brock) III 73. 

— Operation bei (Bourlaux) III 98. 

-(Hoffa) III 211. 

-(Kirmisson) III 212. 

-(Bilhaut) III 215. 

— Pathol. Anat. (Lorenz) III 391. 

— Operation bei (Lorenz) III 393. 

— — — (Angerer) III 394. 


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448 


Sachregister. 


Hüftgelenksluxation, Operation bei an- 
borener (Koch) III 394. 

— Pathogenese und Therapie (Kirmis- 
son) III 395. 

— Osteotomia subtrochanterica (Kir- 
misson) III 433. 

Hüftgelenksluxation bei Coxitis (Hart¬ 
mann) III 402. 

— Reposition der traumatischen (Volk¬ 
mann) III 215. 

— subpubica (Villeneuve') II 196. 

— veraltete (Kirmisson) II 461. 

Hüftgelenksresection, Regeneration nach 

(Calot) III 403. 

Hygiene des Auges (Cohn) II 325. 

Hygrom der Sehnenscheide (Thiem) 
III 237. 

I. 

Ileosacralgelenk, Mechanik des (Klein) 
1 335 . 

Intrauterine Amputationen (Wiede¬ 
mann) I 474. 

Jodoforminjection bei kalten Abscessen 
(Redard) II 291. 

Ischämische Muskellähmung (Kefer¬ 
st ein) III 229. 

Ischias scoliotica(Remak) 1326; II 303. 

— — (Higier) II 304, III 64. 

-(Remak) I 326; III 65. 

— — (Brunelli) III 65. 

-(Kypke-Burch ardi) III 66. 

-(Fischer u. Schönwald) 111 66. 

— — (Olsson) III 67. 

— — (Mann) III 67. 

-(Sachs) III 403. 

-(Ranzier) III 404. 

— — (Frangon) III 404. 


K. 

Kinder, Leben und Gesundheit der 
(Brücke) II 325. 

Kindesalter, chirurgische Krankheiten 
des (Karewski) III 240. 1 

— —-(Le Gendre et Broca) 

HI 434. 

Kinderlähmung (Willard) I 482. 

— Arthrodese bei (Dollinger) I 468. 

— spinale (Messner) l\ 302. 

— — (Karasiewicz) III 482. 

— und Scoliose (Sainton) III 409. 
Klumpfuss, Operation bei (Phelps) 

1 115 - 

— unblutige Entfernung (König) I 116. 

— paralytischer (Rochard) I 120. 


Klumpfuss, veralteter (N ela ton) 1323. 

— Operation bei (Championnier**) 
I 323. 

— paralytischer (Judson) I 469. 

— (Morton) I 481. 

— Operation bei (Stermann) I 482. 

— mit Defect (Crystic) I 484. 

— (Bradford) II 197. 

— (Brunelli) II 280. 

— (Gohl) III 76. 

— (Schlichter) III 79. 

— (Tappert) III 84. 

— Anatomie des (Bureil) III 89. 

— Phelps’sche Operation (Ghillini) 
III 91. 

— Operation bei paralytischem (Rat- 
choursky) III 98. 

— Therapie (Daniel) III 218. 

— Talusexstirpation bei (Guide) III 
219. 

— (Wilson) III 418. 

— (Hensel) III 418. 

— (Brodhurst) III 421. 

— Operation bei paralytischem (Broca) 

III 433. 

Kniegelenk, angeborene Luxation (Tim- 
mer) II 456. 

— (S p ö r r i) II 454. 

— Arthrodese (Kummer) 111 415. 

— Bewegung des (Braune u.Fischer) 

1 334. 

— — Contractur (Schuekelt) II 450. 

-— — (Wahncau) II 311. 

-— (Goldthwait) III 90. 

— Entzündung, ambulante Behandlung 

(Dreh mann) 111 78. 

-(Phelps) III 415. 

— Luxation (Giordano) II 275. 

— — (Bruns) II 320. 

— Resection, Endresultate (Lustig) IR 
217. 

Kniegelenksankylose, Operation (Helfe- 
rieh) III 216. 

Knochenbrüche, deform geheilte (He lfe- 
rich) II 191. 

-— (Kamml er) II 295. 

— - (Gcrard-Marchant) HI 

416. 

— Verkürzung nach (Schede) II 19*2. 

— --(Sardon) II 193. 

-(Eiseisberg) III 82. 

Knochendeformitäten bei Lues (Joa¬ 
chim sthal) III 434. 

Knochen, Resectionen der (Lossen) 
HI 436. 

— Schwund und Anbildung (Wolffjl 
330. 

— Transformation der (Wolff) II 33L 


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Sachregister. 


449 


Körperhaltung der Schulkinder (Giese¬ 
ls in g) III 230. 

Kyphose, rhachitische (Keich) I 481. 


L. 

Lähmung des N. radialis (Heusner) 
II 188. 

— bei Neugeborenen (Lovett) II 293. 
Laminectomie (Loyd) I 482. 

— (Beck) III 405. 

Leibesübungen (Schmidt) III 75. 
Lipome, fehlerhafte Haltung durch 

(Gerard-Marchant) III 404. 
Literatur, amerikanische orthopädische 
I 339. 

-I 481. 

Little’sche Krankheit (Heusner) III 
411. 

-(Redard) III 431. 

Lues, Knochendeformitäten bei (Joa- 
chimsthal) III 434. 

Luxation, blutige Reposition veralteter 
(Schede) II 185. 


M. 

Massage, Handbuch der (Kleen) I 120. 
-(Dollinger) I 333. 

— elektrische (Mordhorst) I 470. 

— Wirkung der (Castex) I 477. 

— — (Graham) I 478. 

-(Volpe) I 478. 

— — (Norström) I 478. 

-(Fischer) II 201. 

— (Ewer) II 201. 

— (Agustoni) II 280. 

— (Nebel) II 319. 

— (Maggiora) II 319. 

— (Buchheim) II 320. 

— (Werner) II 331. 

— (Bum) II 467. 

— (Brousses) II 470. 

— (Dolega) II 471. 

— (Hoffa) III 99. 

— (Bum) III 227. 

— (Bendix) III 424. 

— (Stegmann) III 429. 

— Luftdruck- (Vorstädter) III 430. 

— bei Darminvagination (Harder) 
III 429. 

Mechanodiagnostik (Bum) I 479. 
Mechanotherapie (Bum) III 227. 

— modernste (Bähr) III 238. 
Medico-mechanisches Institut Hamburg 

(Hasebrok) II 321. 


Medico-mechanisclie Gymnastik (L e v e r- 
tin) II 329. 

— Behandlung Verletzter (Schütz) 
III 236. 

Messapparat für Scoliose (Weigel) 
III 230. 

Mirvan’sche Krankheit (Church) I 482. 

Mitbewegungen an gelähmten Körper- 
theilen (Sander) III 408. 

Muskelarbeit u. Herzthätigkeit (Christ) 
III 426. 

Muskelatrophie, spinale und myopa- 
thische (Hoffmann) III 225. 

-— — (Janssen) III 426. 

-(Ewh) III 428. 

— und Massage (Stegmann) III 429. 

Muskelgewebe, Regeneration des (Volk¬ 
mann) II 288. 

Muskellähmung, ischämische (Kefer¬ 
stein) III 229. 

Muskelmann (Virchow) II 289. 

Muskeln, Arbeitsleistung der Fuss- 
gelenks- (Fick) II 467. 

Muskelrheumatismus (Ewer) II 290. 


N. 

Naht der Achillessehne (Wilson) III91. 
420. 

Narbencontractur, Deformitäten durch 
(Schenk) 111 92. 

— der Finger nach Verbrennung (Ghil- 
lini) 111 91. 

Natron Wasserglas (Baxter) I 481. 
Neugeborene, Lähmung bei (Lovett) 
11 293 * 

Neuralgien, Therapie durch Handgriffe 
(Nägeli) III 227. 


O. 

Oberschenkel, winklig geheilte Fractur 
(Lorenz) I 114. 

Oberschenkelbrüche, Verkürzung (Sar- 
don) II 193. 

Oligodactylie (Strauss) III 221. 

1 Orthopädie (Bigg) II 470. 

I — (Hoffa) I 486. 

— (Redard) II 323. 

— (Hoffa II. Aufl.) III 437. 

— Grenzen der (Beely) III 92. 
Osteitis deformans (Taylor) III 89. 
Osteoelase, Kniegelenk (Lorenz) III 79. 

— bei Genu valgum (Sombret) III 
417. 

Osteomalacie (Eisenhart) II 288. 


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450 


Sachregister. 


Osteomalacie (Sternberg) II 462. 
Osteopsathyrosis (Müller) III 70. 
Osteotomie der Fibula nach Fractur 
(Gerard-Marchant) III 417. 

— lineare oder keilförmige (Joachims¬ 
thal) II 292. 

— der langen Knochen (Hennequin) 

II 318. 

— lineare der Tibia (Ghillini) III 91. 

— bei Hüftankylose (Schwarz) II 194. 

— — (Sala) II 279. 

— subtrochanterica bei angeborener 
Hüftluxation (Kirmisson) III 433. 

— supramalleol. bei Plattfuss (Tim¬ 
mer) II 183. 

P. 

Paralyse, spastische (Lorenz) I 475. 
Paraplegie bei Spondylitis (Menard) 

III 406. 

Pendel Apparate (Krukenberg) III 227. 
Pes calcaneus (Bayer) III 83. 
Photographie zur Begutachtung Unfall¬ 
verletzter (Blasius) III 236. 
Photographisch - medicin. Monatsschrift 
(Jankau) III 435. 

Plattfuss (Länderer) I 328. 

— supramall. Osteotomie (Timmer) 

II 188. 

— (Lücke) II 190. 

— (Zeller) II 191. 

— operative Behandlung (Gleich (III 
80. 

— mechanische Behandlung (Beely) 

m 80. 

— keilförmige Tarsectomie (S ch wartz) 

III 85. 

— und Schweissfuss (Thomaszewski) 
III 97. 

— (Brenner) III 421. 

— (Milhau) III 422. 

— (Goupil) UI 422. 

Poliklinik zu Turin (Motta) H 278. 

— (Melde) II 453. 

— (AIbers) II 457. 

Polydactylie (Bonzelius) III 84. 
Popper’scher Rückengurt 111 234. 
Pott’sche Krkrankung s. Spondylitis. 
Prüputial-Refiexstörungen (Morris) I 

48L 

Psoascontractionen (Brown) I 117. 

R. 

Radialislähmung (Heusner) II 188. 
Redressement force (Zuffi) III 76. 

— — modellirendes (Lorenz) III 79. 


i Resectionen (Ollier) I 485. 

1 Resectionen des Fusses(Samter) II451. 

— der Knochen und Gelenke (Lossen) 
III 436. 

Rhachitische Deformität der Extremi¬ 
täten (Oliva) II 277. 

Robinsche Osteotomie (Rota) II 278. 
Rückenmarkschirurgie (Chipault) III 
226. 

Rückenmarkseompressionen, acute Sym¬ 
ptomatologie (Friedeberg) III 225. 

— chronische (Daxenberger) III 224. 
-Behandlung (Jäger) III 225. 

8 . 

Schenkelhalsverbiegungsiehe Coxa vara. 
Schnellender Finger (Schwarze) 1474. 

-(Kollmann) II 313. 

-(Necker) III 85. 

Schreibkrampf (Langes) II 466. 
Schreibschule (Scharff) II 199. 
Schreibtisch „Simplex“ (Schenk)II 200. 
Schulbankfrage (Stöcker) III 87. 
Schulhygiene (Dornbiüth) II 325. 

— (Brücke) II 325. 

— (Schusny) II 325. 

— (Cohn) II 325. 

— (Müller) II 326. 

— (Gelpke) II 448. 

— (Stöcker) II 466. 

— (Müller) II 471. 

Schulkinder. Körperhaltung der (G iese- 

king) III 230. 

Schulterblatt, angeborener Hochstand 
des (Sprengel) I 476. 

— (Kölliker) I 476. 

— (Bolten) II 304. 

— (Schlange) III 68. 
Schulterluxationen (Delhet) II 495. 
Schweissfuss und Plattfuss (Thomas¬ 
ze wski) III 97. 

Scoliose bei Ischias siehe: Ischias sco- 
liotica. 

— Theorie der (Albert) I 332. 

— Behandlung der (Tilanus) I 471. 

— -(Müller) II 185. 

— — mit comprimirter Luft (Rossi) 
II 274. 

— und Plattfuss (Redard) II 300. 

— (Sayre) II 451. 

— habituelle (Lövinson) III 95. 

— (Fröhlich) III 229. 

— und Kinderlähmung (S a*i n t o n) M 
404. 

— -(Kirmisson) III 433. 

—- Behandlung der (Heusn e r) II 300. 
— Frühdiagnose (Lövinson) II 450. 


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Sachregister. 


451 


Scoliosenapparat (Schede) II 296. 

— (Schede) III 232.* 

— (Bradford) III 71. 
Scoliosenmessapparat (Heinleth) III 

71. 

— (Weigel) III 230. 

Sehnendefecte, Ersatz von (Kümmell) 

II 194. 

Sehnennaht (Dubrueil) II 311. 

— (Bayer) I 475. 

Sehnenplastik (Röchet) II 312. 

— (Poncet) II 316. 

(Wilson) III 91. 

— (Wilson) III 420. 

— (Pboca8) III 420. 
Sehnenvereinigung (Poncet) I 341. 

— (Poncet) I 467. 

Sehnen wunden (Busse) I 472. 
Senkungsabscesse (Townsend) I 
483. 

— und Fascienscheiden (Schmitt) 

III 97. 

Simulation bei Unfallverletzten (Hoe- 
nig) I 336. 

— Diagnose der (Müller) III 237. 
Spaltbildung, angeborene (Meller) II 

453. 

Spastische Gliederstarre (Stuckert) II 
448. 

-(Heusner) III 410. 

-(Redard) III 431. 

Spinalparalyse, Arthrodese bei (Kum¬ 
mer) III 416. 

Spiralschiene (Heusner) III 410. 
Spondylarthritis (v. Bergmann) I 
330. 

Spondylitis (Ryan) I 118. 

— Operation bei (Bullard) I 119. 

— Laminectomie (Loyd) I 482. 

— (W e i g e 1) I 483. 

— (Willard) I 483. 

— Diagnose (Lovett) I 483. 

— und Senkungsabscess (Townsend) 
I 483. 

— (Hoadley) I 483. 

— (Bureil) I 484. 

— (Wirt) I 484. 

— (Heusner) II 184. 

— (Porta) II 280. 

— Minerve plätröe (Gangolphe) II 
462. 

— (Vincent) II 463. 

— (Sayre) III 72. 88. 

— (Daxenberger) III 224. 

— (Whitman) III 234. 

— (Schapps) III 234. 

— Laminectomie (Beck) III 405. 

— Paraplegie (Menard) III 405. 

Zeitschrift für orthopädische Chirurgie. 


Spondylolisthesis sacrolumbalis 
(Chiari) II 306. 

Steilschrift (Schenk) I 479. 

— (Ruckert) II 281. 

— (Bayr) II 282. 

— (Gelpke) II 448. 

— Coramissionsbericht München II 282; 
III 95. 

— (Ritzmann) III 96. 

Stützapparate (Curty) I 482. 
Stützsubstanzen, Architectur der (Sol- 

ger) III 231. 

Syndactylie, Operation der narbigen 
(Brohl) III 223. 

Syringomyelie, Gelenkerkrankungen bei 
(Perrey) III 407. 


T. 

Tabes dorsalis, Behandlung der (M ü 1- 
ler) I 336. 

Talusexstirpation b. Klumpfuss (Guide) 
III 74. 

— (Gobi) III 74. 

Tenotomieen (Sabatier) I 324. 

— der Achillessehne (Bayer) I 475. 
Tenotomie bei Kinderlähmung(Phelps) 

UI 420. 

Thomas’sche Schiene (Braatz) II 
295. 

Thoracometer (Heinleth) III 71. 
Tibiadefect (Melde) II 453. 
Tibiadefect (Melde) II 453. 

Torticollis (Lovett) I 119. 

— spastica (Petit) I 342. 

— (Lorenz) I 345. 

— Entstehung der (Witzei) I 465. 

— offene Durchschneidung (Phocas) 
I 466. 

— (Golding Bird) I 469. 

— (Verneuil) I 470. 

— (Whitman) I 484. 

— spastica (Sammelreferat) II 315. 

— (Hübscher) III 93. 

— (Köttnttz) III 220. 

— (Gaudier) III 406. 

— (Phocas) III 406. 

— mental (Bompaire) III 431. 
Transformationsgesetz (W o 1 f f) II 

33L 

Transplantation bei Deformitäten 
(Schreiber) I 338. 

Trichterbrust (Eichhorst) I 473. 
Truppen in körperlicher Beziehung 
(Hasse und Dehner) III 69. 
Tuberculose, chirurgische (Scheim- 
pflug) II 330. 

III. Baud. 3Q 


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452 


Sachregister. 


ü. 

Ulnarislähmung, irrthümliche Diagnose 
(Thiem) III 237. 

Unfallheilkunde, Monatsschrift für (B1 a- 
8ius, Schütz, Thiem) III 236. 
Unfallverletzte,Simulation bei(H o e n i g) 

I 336. 

Unfall Verletzungen (Kaufmann) II 
33°. 

— Photographie zur Begutachtung 
(Blasius) III 236. 

— medico - mechanische Behandlung 
(Schütz) III 236. 

— Diagnose simulirter Schmerzen (M ül- 
ler) III 237. 

— Nachbehandlung (Krukenberg) 
III 237. 

— Schlaffh eit des Gelenkapparates nach 
(Leser) III 222. 

Unfallversicherung (Lauenstein) II 
198. 

Ungleichheiten des Beckens (Hasse) 

II 283. 

Untere Extremität, congenitaler Defect 
an der (Bauer) 1 483. 
Unterschenkel, Asymmetrie der (Tay¬ 
lor) I 483. 

Unterschenkelbrüche, angeborene (Te- 
m es väry, Sperling) II 317. 

— Behandlung im Umhergehen 
(Korsch) II 318. 


y. 

Verbandscbeere (Empfenzeder) II 
473. 


W. 

Widerstandsapparat (Diehl) III 100. 

Widerstandsbewegungen, Turnapparat 
für (W a g n e r) III 239. 

Wirbelcaries siehe Spondylitis II 184. 

Wirbelsäulenerkrankung nach Typhus 
(Gibney) I 117. 

Wirbelsäule, Operation an der (Clin* 
tock) I 483. 

— Chirurgie der (White) I 484. 

— bei Schulkindern (W i s s e r) II 
298. 

— Drehbewegungen (Hughes) II 459. 

— fehlerhafte Haltung durch Lipome 
(Gerar d-M archant) 111 404. 

Wirbelsäulenverkrümmung. Demonstra¬ 
tion eines Präparates (Israel) III 
83. 

Wirbelvernähung bei Fractur (Hadra) 
I 482. 


Z. 

Zehen, Contracturen der (Anderson) 
I 327. 


10 4 9 5 8 


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