Zeit- und Streitfragen
de
Biologie.
Von
Professor Dr. Oscar Hertwig,
Direktor des zweiten anatomischen Instituts der Universität Berlin.
Heft 2.
Mechanik und Biologie.
Mit einem Anhang:
Kritische Bemerkungen zu den entwicklungsmechanischen
Naturgesetzen von Roux.
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rt
Jena.
Verlag von Gustav Fischer
1897.
Verlag- von GUSTAV FISCHER in JENA.
tt i • Dr. Oscar, o. ö. Professor der Anatomie und Direktor des II. anatomischen
AlCrtWl^, Institutes an der Universität Berlin, Zeit- Und Streitfragen der
DiOlOgie« Heft l. Präformation oder Epigenese? Grundzüge einer Entwicklungstheorie
der Organismen. Mit 4 Abbildungen im Texte. 1894. Preis : 3 Mark.
Inhalt: Einleitung. — Erster Teil. Die Keimplasmatheorie und die Determinanten-
lehre von Weismann. Kritik der Keimplasmatheorie. A) Erster Abschnitt. Einwände
gegen die Hypothese einer erbungleichen Teilung. 1) Die Einzelligen. 2) Niedere vierzellige
Organismen. 3) Die Erscheinungen der Zeugung und der Regeneration bei Pflanzen und Tieren.
4) Die Erscheinungen der Heteromorphose. 5) Die Erscheinungen der vegetativen Affinität.
Zusammenfassung der Ergebnisse des ersten Abschnitts. Bemerkungen zur Unsterblichkeits-
lehre der Einzelligen und des Keimplasma. B) Zweiter Abschnitt. Einwände gegen die Deter-
minantenlehre. — Zweiter Teil: Gedanken zu einer Entwicklungstheorie der Organismen.
Die Zellteilung, eine Ursache für Entstehung neuer Mannigfaltigkeit. Beziehungen zwischen
organischem Wachstum und Formbildung. Die Zelle in ihren Wechselbeziehungen zu anderen
Zellen und zum Gesamtorganismus (als Teil eines Ganzen) Einschränkung des cellularen
Princips. Die Differenzierung der Zelle, eine Funktion des Ortes. Bedeutung der korrelativen
Entwicklung Erklärung des Geschlechtsdimorphismus. Erklärung des Polymorphismus. Be-
deutung der specifischen Anlage für den Entwicklungsprozess. Vergleich der Staatenbildung mit
der Entwicklung eines Organismus. Schlufs. Anmerkungen und Litteraturnachweise.
Die Symbiose oder das Genossenschaftsleben im Thierreich. Vortrag
in der ersten öffentlichen Sitzung der 5. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte
zu Freiburg i. Br. am 18. September 1883 gehalten. Mit 1 Tafel in Farbendruck. 1884.
Preis: 1 Mark 80 Pf.
Ueber die physiologische Grundlage der Tuberkulinwirkung. Eine
Theorie der Wirkungsweise bacillärer Stoffwechselprodukte. 1891. Preis: 80 Pf.
Die Zelle Und die Gewebe. Grundzüge der allgemeinen Anatomie und Physio-
logie. Mit 168 Abbildungen im Texte. 1893. Preis: 8 Mark.
Inhalt: Erstes Kapitel. Die Geschichte der Zelleptheorie. Die Geschichte der Proto-
plasmatheorie. — Zweites Kapitel. Die chemisch-physikalischen und morphologischen Eigen-
schaften der Zelle. — Drittes Kapitel. Die Lebenseigenschalten der Zelle. — I. Die Bewegungs-
erscheinungen. — Viertes Kapitel. Die Lebenseigenscliaften der Zelle. II Die Reizerschei-
nungen. — Fünftes Kapitel. Die Lebenseigenschaften der Zelle. III. Stoffwechsel und for-
mative Thätigkeit. — Sechstes Kapitel. Die Lebenseigenschaften der Zelle. IV. Die Fort-
pflanzung der Zelle auf dem Wege der Teilung. — Siebentes Kapitel. Die Lebenseigenschaften
der Zelle. V. Die Erscheinungen und das Wesen der Befruchtung. — Achtes Kapitel. Wechsel-
wirkungen zwischen Protoplasma, Kern und Zellprodukt. — Neuntes Kapitel. Die Zelle als
Anlage eines Organismus (Vererljungsthoorieen).
- Lehrbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen und der
Wirbeltiere.
Fünfte, teilweise umgearbeitete Auflage. Mit 384 Abbildungen im Text und
2 lithographischen Tafeln. 189b'. Preis: brosch. 11 Mark 50 Pf., geb. 13 Mark
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Dr. Oscar, Professor an der Universität Berlin , und Dr. Richard, Professor
Heft 1.
Die Actinien anatomisch und histologisch mit besonderer Berücksichtigung des Nervensystems
untersucht. Mit In Tafeln. Preis:" 12 Mark - Hett 2. Die Chaetognathen , ihre Anatomie,
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leren Keimblattes. Von Dr. O. Hertwig. Mit ;i Tafeln. Preis: 4 Mark 50 Pf. — Heft 5.
Die Entwickelung des mittleren Keimblattes der Wirbeltiere. Von Dr. O. Hertwig. Preis: 8Mark.
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Von O. Hertwig. Mit l lithographischen Tafel 18*4. Preis: 1 Mark .SO Pf. — Heft 3. Das
Problem der Befruchtung und der Isotropie des Eies, eine Theorie der Vererbung. Von O. Hert-
wig, 1885. Preis: 1 Mark 5» Ff. ■ Heft 4. Experimentelle Untersuchungen über die Bedingungen
der Bastardbefruchtung. Von <>. und R. Hertwig. 1-85. Preis: 1 Mark 60 Pf. - Heft 5. Ueber
den Befruchtungs- und Theilungsvorgang des thierischen Eies unter dem Einfluss äusserer Agentien.
Von O und K. Hertwig. Mit 7 Lithographischen Tafeln 1887 Preis: 8 Mark. — Hett 6.
Experimentelle Studien am thierischen Ei vor, während und nach der Befruchtung I. Von O.
Hertwig. Mit 3 lithographischen Tafeln. Preis: 3 Mark.
FLORENCE PEEBLES, S .
THE WOMAI\T<= COLLEGE,
BALTIMORE.
Zeit- und Streitfragen
dei
Biologie.
Von
Professor Dr. Oscar Hertwig,
Director des zweiten anatomischen Instituts der Universität Berlin.
Heft 2.
Mechanik und Biologie.
Mit einem Anhang:
Kritische Bemerkungen zu den entwicklungsmechanischen
Naturgesetzen von Roux.
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Jena.
Verlag von Gustav Fischer,
1897.
Inhaltsverzeichniss.
Seite
Einleitung 1
Erfolge der Naturwissenschaft auf dem Gebiete der Mechanik 1
Bestrebungen, alle Naturwissenschaft in Mechanik umzu-
wandeln 2
Die neue Wissenschaft der Entwicklungsmechanik . 7
1. Ziel und Aufgabe der Entwicklungsmechanik 9
a) Die tendenziöse Verwendung des Begriffes Mechanik in
der Biologie durch Lotze 23
b) Die tendenziöse Verwendung des Begriffes Mechanik
durch ßoux 29
Descriptive und causale Forscher 33
Der Begriff der Causalität (Lotze, Schopenhauer),' ... 39
Der Begriff der Kraft (L o t z e , Schopenhauer, Nägeli,
Du Bois-Reymond) 45
2. Die Methoden der Entwicklungsmechanik 62
Beobachtung und Experiment 63
Urtheil von Johannes Müller über den Werth des bio-
logischen Experiments 80
Zusammenfassung und Schlussbetrachtung 83
Verschiedenartige Verwendung des Wortes Mechanik ... 83
Frühere Versuche der mechanischen Erklärung des Lebens 85
Ueberschätzung des Werthes mechanischer Betrachtungs-
weisen in der Biologie 90
Uebertriebene Werthschätzung der Mathematik für die Bio-
logie (Fechner) 94
— IV —
Seite
Anhang 98
Kritische Bemerkungen zu den entivicklungsmechanischen
Naturgesetzen von Ronx 98
Erste Studie. Die Mosaiktheorie 107
Zweite Studie. Die Copulatiousbahn 132
Dritte Studie. Definitionen 146
Normale und anormale Entwicklung 147
Selbstdifferenzirung. Abhängige Differenzirung 151
Vierte Studie. Der Cytotropismus 160
Schlussbetrachtungen 170
Das Ei als Zelle und als Anlage eines vielzelligen
Organismus 170
Zusätze und Literaturnachweise 197
Einleitung.
Die Entdeckungen des 16. und 17. Jahrhunderts auf
dem Gebiete der Mechanik, die Feststellung der Fall-
und der Pendelgesetze durch Galilei und seine Nachfolger,
vor allen Dingen aber die Entdeckung der Bewegungs-
gesetze der Himmelskörper durch Newton haben auf die
ganze naturwissenschaftliche Forschung einen so tiefen Ein-
fluss ausgeübt, dass wir ihn noch bis in unsere Zeit ver-
spüren. Es ist dies leicht erklärlich. Wer sich mit der
Mechanik des Himmels beschäftigt, wird es auch jetzt noch
als einen hohen Triumph menschlicher Geisteskraft em-
pfinden, dass es möglich ist, die Bahnen und Umlaufszeiten
der gewaltigen planetarischen Massen in Vergangenheit,
Gegenwart und Zukunft mit mathematischer Sicherheit auf
das Genaueste zu berechnen. Aber auch abgesehen von
der Grossartigkeit dieses Naturgegenstandes zeigt sich
die Mechanik in ihren verschiedenen Zweigen anderen
Forschungsgebieten in vieler Hinsicht weit überlegen, in
der Einfachheit und Sicherheit ihrer Gesetze, in der
Möglichkeit, die durch Beobachtung und Experiment ge-
wonnenen Ergebnisse einer mathematischen Betrachtungs-
weise zugänglich zu machen und sie in feste, mathematische
Formeln einzukleiden. Daher wurde vielen Naturforschern
Hertwig, Zeit- und Streitfragen. II. 1
— 2 —
die Mechanik das Vorbild auch für andere Wissenschafts-
zweige, sie erschien ihnen als das Muster naturwissenschaft-
lichen Erkennens, welches man mit allen Kräften überall
nachzuahmen habe; es bildete sich häufig eine Auffassung
aus, welche Kant in den öfters genannten Ausspruch zu-
sammengefasst hat, dass in jeder besonderen Naturlehre nur
so viel eigentliche Wissenschaft sei, als darin Mathematik
angetroffen werde.
Doch hiermit ist der weitgehende Einfluss der Mecha-
nik noch nicht erschöpft; er zeigt sich auch in der Philo-
sophie und hat hier zu der philosophisch-naturwissenschaft-
lichen Weltauffassung geführt, welche als die mecha-
nische bezeichnet wird. Die Mechanik hat sich mit der
alten Hypothese des Demokrit von den Atomen und mit
der Corpuscularphilosophie von Descartes verbunden
und den Versuch unternommen, die gesammte Natur aus
den verschiedenen Bewegungen kleinster, verschieden ge-
formter Körper, der Atome, mechanisch zu erklären
und so die uns sichtbare Welt der Erscheinungen aus
einer für uns freilich unsichtbaren Welt bewegter Atome
abzuleiten.
„Die mechanische Erklärung der Natur," bemerkt Kant
(Bd. IV S. 427), „hat zu Materialien ihrer Ableitung die
Atome und das Leere. Ein Atom ist ein kleiner Theil der
Materie, der physisch untheilbar ist. Physisch untheilbar
ist eine Materie, deren Theile mit einer Kraft zusammen-
hängen, die durch keine in der Natur befindliche bewegende
Kraft überwältigt werden kann. Ein Atom, sofern es sich
durch seine Figur von anderen specifisch unterscheidet, heisst
ein erstes K ö r p e r c h e n. Ein Körper (oder Körperchen),
dessen bewegende Kraft von seiner Figur abhängt, heisst
Maschine. Die Erklärungsart der specifischen Verschieden-
— 3 —
heit der Materien durch die Beschaffenheit und Zusammen-
setzung ihrer kleinsten Theile, als Maschinen, ist die
mechanische Naturphilosophie."
Ein berühmter Vertreter der mechanischen Natur-
philosophie in der Gegenwart, Du Bois-Reymond
(Bd. I S. 105), fasst ihre Aufgabe in kurzen Sätzen dahin
zusammen :
„Naturerkennen — genauer gesagt naturwissenschaft-
liches Erkennen oder Erkennen der Körperwelt mit Hülfe
und im Sinne der theoretischen Naturwissenschaft — ist
Zurückführen der Veränderungen in der Körperwelt auf
Bewegungen von Atomen, die durch deren von der Zeit
unabhängige Centralkräfte bewirkt werden, oder Auflösen
der Naturvorgänge in Mechanik der Atome. Es ist psycho-
logische Erfahrungsthatsache , dass, wo solche Auflösung
gelingt, unser Causalitätsbedürfniss vorläufig sich befriedigt
fühlt. Die Sätze der Mechanik sind mathematisch darstell-
bar und tragen in sich dieselbe apodiktische Gewissheit,
wie die Sätze der Mathematik." „Denken wir uns alle
Veränderungen in der Körperwelt in Bewegungen von
Atomen aufgelöst, die durch deren constante Centralkräfte
bewirkt werden, so wäre das Weltall naturwissenschaftlich
erkannt. Der Zustand der Welt während eines Zeit-
differentiales erschiene als unmittelbare Wirkung ihres Zu-
standes während des vorigen und als unmittelbare Ursache
ihres Zustandes während des folgenden Zeitdifferentiales.
Gesetz und Zufall wären nur noch andere Namen für
mechanische Notwendigkeit. Ja, es lässt eine Stufe der
Naturerkenntniss sich denken, auf welcher der ganze Welt-
vorgang durch Eine mathematische Formel vorgestellt
würde, durch Ein unermessliches System simultaner
Differentialgleichungen, aus dem sich Ort, Bewegungs-
1*
richtung und Geschwindigkeit jedes Atoms im Weltall zu
jeder Zeit ergäbe."
In den angeführten Sätzen von Kant und Du Bois-
ßeymond findet sich Aufgabe und Ziel der mechanischen
Naturauffassung, welche aus dem Bunde von Mechanik
und Atomistik hervorgegangen ist, klar und scharf aus-
gesprochen.
Nicht ohne Interesse ist es, zu verfolgen, wie die
mechanische Naturerkenntniss häufig als das höchste an-
zustrebende Ideal für die verschiedensten Gebiete der
Naturforschung hingestellt, wie der Schöpfer der Mechanik
des Himmels, Isaak Newton, als das Ur- und Vorbild
eines naturwissenschaftlichen Denkers verherrlicht und die
Zeit herbeigewünscht oder prophezeit wird, in welcher auch
auf den anderen Gebieten der Naturwissenschaft einmal ein
Newton erscheinen werde.
Seitdem Kant den Ausspruch gethan hat, es sei für
Menschen ungereimt, zu hoffen, dass noch dereinst ein
Newton aufstehen könne, der auch nur die Erzeugung
eines Grashalms nach Naturgesetzen, die keine Absicht
geordnet hat, begreiflich machen werde, treten uns ähn-
liche Redewendungen häufig entgegen, welche dieselbe
Frage allerdings in gerade entgegengesetztem
Sinne beantworten.
In seinen Erörterungen über die Aufgaben der Botanik
(Bd. I S. 53 u. 58) bezeichnet Matthias Schieiden als
ihre allgemeinste naturwissenschaftliche Aufgabe, allen
Wechsel der Erscheinungen auf Bewegungen zurückzuführen
und nach mathematischen Gesetzen aus Grundkräften der
Anziehung und Abstossung zu erklären und hierauf die
„Construction des Bildungstriebes" auszuführen.
„Allerdings," so fügt er hinzu, „sei man von der Lösung
dieser Aufgabe noch so weit entfernt, wie man von der Con-
struction der Gravitationsprocesse vor Newton, vielleicht
selbst vor Kepler entfernt war; das thue aber der Richtig-
keit der Aufgabe keinen Abbruch." „Denn bedenke man,
welchen Zeitraum (nämlich von der Alexandrinischen Schule
bis auf Newton) man gebraucht habe, um in den so ein-
fachen Verhältnissen der kosmischen Formen von der
Beobachtung der Erscheinungen bis auf die Erkenntniss
der Grundkräfte vorzudringen, so werde man sich nicht
wundern dürfen, wenn man bemerke, dass man in der
Lehre vom Leben noch kaum über die ersten Anfänge
hinaus sei, da hier die Verhältnisse so unendlich viel com-
plicirter werden." „Hier fehle noch ein Newton."
In einer seiner kleineren akademischen Reden (Bd. II
S. 563) hebt Du Bois-Reymond von der modernen
Chemie hervor, dass von ihr auf ihrer stolzen Höhe gelte,
was Kant von der Chemie seiner Zeit sagte. „Sie ist eine
Wissenschaft, aber nicht Wissenschaft; in dem Sinne nicht,
in welchem es überhaupt nur Wissenschaft giebt, nämlich
im Sinne des zur mathematischen Mechanik gediehenen
Naturerkennens." „Wissenschaft in jenem höchsten mensch-
lichen Sinne wäre Chemie erst, wenn wir die Spannkräfte,
Geschwindigkeiten, stabilen und labilen Gleichgewichts-
lagen der Theilchen ursächlich in der Art durchschauten,
wie die Bewegungen der Gestirne. Hierin ist freilich die
Astronomie der Chemie weit voraus, welche, seit sie auf
B e r z e 1 i u s' naive Erklärung verzichten musste , in ab-
wartender Entsagung auf einer Stufe verharrt, noch unter
der Astronomie zu Kopernicus und Kepler's Zeit."
Hierauf bezeichnet Du Bois-Reymond „die mathe-
matisch-mechanische Darstellung eines einfachen chemischen*
Vorgangs als die Aufgabe, die der Newton der Chemie
— 6 —
anzugreifen habe, und er fügt hinzu: „Wann dieses
Ziel erreicht wird, wer kann es sagen? Vielleicht übt jener
Newton schon irgendwo auf Schulbänken jugendliche
Kräfte 5 vielleicht auch befinden sich nach hundert Jahren
noch unsere Nachfolger der Umwandlung der Chemie in
Mechanik gegenüber so rathlos wie wir."
In seiner Rede: „Die Entwicklungsmechanik der
Organismen" macht Roux (G. A. Bd. II S. 29) den Versuch,
in der Entwicklungslehre der Thiere eine mechanische
Richtung der Forschung zu begründen, und er bemerkt
hierbei: „Die Ursachen der organischen Gestaltungen sind
uns gegenwärtig weit weniger bekannt, als die Ursachen
der Bewegung der Himmelskörper der Menschheit vor
Newton. Und der zukünftige Newton der Be-
wegungen der den Organismus aufbauenden
T h e i 1 e wird wohl nicht in der glücklichen Lage sein,
diese Bewegungen blos auf drei Gesetze und zwei Com-
ponenten zurückführen zu können."
Die Citate, welche sich bei einiger Belesenheit wohl
noch leicht werden vermehren lassen, werden genügen, um
eine Richtung in der Naturwissenschaft zu kennzeichnen,
deren Alpha und Omega die mathematische Darstellung der
Naturerscheinungen als Bewegungen grösserer und kleinster
Stoffmassen ist; eine Richtung, welche nach dem Newton
der Astronomie noch einen Newton der Botanik, einen
Newton der Chemie, einen Newton der Entwicklungs-
geschichte erscheinen und erst die wahre, eigentliche Natur-
erkenntniss auch auf diesen Gebieten begründen lässt.
Bei dem beherrschenden Einfluss der Naturwissen-
schaften im wissenschaftlichen Leben der Gegenwart und
Angesichts der Bestrebungen von Benedikt und Lom-
broso wäre es nicht so unmöglich, dass auch einmal ein
naturwissenschaftlich geschulter Historiker auftreten, mecha-
nische Principien in die historische Forschung einzuführen
versuchen und die Zeit voraussagen wird, wo auch die
Geschichte und Socialwissenschaft ihren Newton erhalten
werden.
Nach dieser allgemeinen Kennzeichnung einer in
unserem Jahrhundert weit ausgebreiteten Gedankenrichtung
wollen wir uns etwas eingehender mit dem Thema dieser
Schrift: „Mechanik und Biologie", das heisst: mit dem
Verhältniss der Mechanik zur heutigen Biologie, beschäf-
tigen. Den Anlass zur Beschäftigung mit unserem Thema
und zur Einreihung desselben in die Sammlung der Zeit-
und Streitfragen gibt eine zeitgenössische Richtung,
welche das Wort „Mechanik" mit einer gewissen Osten-
tation auf ihre Fahne geschrieben hat. Einer ihrer
eifrigsten Wortführer ist Wilhelm Roux, an dessen
Schriften wir uns daher im Folgenden auch besonders
halten wollen.
Seit Jahren ist Roux bestrebt, in der Morphologie
eine besondere Wissenschaft zu begründen, welcher er den
Namen „Entwicklungsmechanik" gegeben hat.
In einer Festrede, gehalten zur Feier der Eröffnung des
neuerbauten anatomischen Instituts zu Innsbruck (G. A. Bd. II
S. 25) handelt er von ihr und nennt sie die „anatomische
Wissenschaft der Zukunft". „Freilich ist diese Wissen-
schaft, von der ich sprechen werde," so leitet er seinen Vor-
trag ein, „in keinem Stück diesem in Anlage und Ausführung
gleich vollendeten Baue" (nämlich dem anatomischen Institut
in Innsbruck) „zu vergleichen;" „denn sie ist nicht nur
nicht vollendet oder der Vollendung nahe, sondern es fehlt
zu ihr überhaupt noch der Bauplan; und was wir von ihr
zur Zeit haben, ist nicht viel mehr als eine Anzahl regellos
— 8 -
gelagerter, zum Theil behauener, zum Theil auch noch un-
behauener Steine." .
„Sie erkennen daraus, dass es eine Wissenschaft der
Zukunft ist, von der ich zu sprechen beabsichtige; diese
Wissenschaft ist die Entwicklungsmechanik der
Organismen;" „eine junge Wissenschaft, die," wie es
an anderer Stelle heisst, „einen neuen Weg der Erkenntniss
des Organischen anbahnt."
Neue Wege und neue Ziele der Forschung, die dem
menschlichen Wissensdrang gewiesen werden, erregen Hoff-
nungen, wecken Interessen. Besonders gross aber muss für
die Morphologen das Interesse in diesem Falle sein, da es
sich für sie nicht bloss um eine neue Richtung, sondern
überhaupt um die Wissenschaft der Zukunft, um die
„Zukunftswissenschaft" handelt. Denn nach Roux wird
„eine Zeit kommen, von der an dieser jetzt von Vielen
gering geachtete, scheinbare Nebentrieb am Baume der
anatomischen Wissenschaften zum Haupttrieb, zur Fort-
setzung des Stammes werden wird. Die Entwicklungs-
mechanik wird alsdann einen Stamm darstellen , welcher
rasch in die Höhe strebt und gegenwärtig noch nicht
geahnte neue Seitenzweige treibt, deren Blätter die vier
ersten Aeste in ihren Schatten nehmen und Nahrungsstoff
zur Entfaltung neuer Knospen für sie bilden werden."
So lade ich denn den freundlichen Leser ein, mit mir
die nähere Bekanntschaft der neuen „Zukunftswissenschaft"
zu machen.
Eine neue Wissenschaft muss ein neues Ziel haben.
Neu ist ein Ziel, wenn es wesentlich verschieden von den
Zielen ist, welches die Forscher bisher verfolgt haben.
Um zu einem neuen Ziel zu gelangen , werden auch neue
Woge, die zu ihm hinführen, gezeigt werden müssen; des-
— 9 —
gleichen die Hilfsmittel und Methoden, die uns auf den
neuen Wegen vorwärts und zum Ziel zu kommen ermög-
lichen. So fragen wir denn : Erstens, welches ist das neue
Ziel oder die Aufgabe der neuen Zukunftswissenschaft?
Zweitens, welches sind die neuen Wege, die neuen Hilfs-
mittel und die neuen Methoden ?
1. Ziel und Aufgabe der Entwicklungs-
mechanik.
Als das allgemeine Ziel der Entwicklungsmechanik be-
zeichnet Roux (A. f. Entw. Bd. I S. 1) „die Ermittelung
der Ursachen der organischen Gestaltungen"
oder „der gestaltenden Kräfte und Energieen".
Er nennt sie daher auch „die causale Morphologie
der Organismen".
Das Wort Mechanik hat Roux gewählt, weil man
„in der Philosophie jedes der Causalität unterstehende Ge-
schehen seit Spinoza's und Kant's Definition des Mecha-
nismus als mechanisches Geschehen bezeichnet" (A. f. Entw.
Bd. I S. 1), und er dabei voraussetzt, dass „bei dem mate-
riellen Ablaufe der Entwicklungsvorgänge des Embryo
nichts Metaphysisches in Betracht zu kommen habe,
dass vielmehr diese Vorgänge durchaus ein dem Gesetze
der Causalität unterstehendes Geschehen dar-
stellen" (G. A. Bd. II S. 11). „Da nur letzteres," so führt
Roux (A. f. Entw. Bd. I S. 1) des Weiteren aus, „erforsch-
bar ist, also allein Gegenstand einer exacten Lehre sein
kann, und da die Production von Gestaltung das Wesen
der Entwicklung ausmacht, so ist es wohl zulässig, die Lehre
von den Ursachen der Gestaltungen als Entwicklungs-
mechanik zu bezeichnen. Da ferner die Physik und Chemie
— 10 —
alles, auch das scheinbar verschiedenartigste, z. B. magne-
tische, elektrische, optische, chemische Geschehen auf Be-
wegungen von Theilen zurückführen, resp. zurückzuführen
sich bestreben, so hat der frühere engere Begriff der
Mechanik im Sinne des Physikers, als der ursächlichen
Lehre von den Massenbewegungen, eine Erweiterung er-
fahren, welche sich mit dem, alles causal bedingte Geschehen
umfassenden, philosophischen Begriff der Mechanik begegnet,
so dass somit das Wort „Entwicklungsmechanik" auch den
neueren Begriffen der Physik und Chemie entsprechend die
Lehre von den Ursachen alles gestaltenden Geschehens zu
bezeichnen vermag."
Aus diesen Sätzen stellen wir zunächst fest, dass Roux,
abweichend von dem Standpunkt, welchen er ursprünglich
im ersten Heft seiner Beiträge zur Entwicklungsmechanik
des Embryo eingenommen hat (G. A. Bd. II S. 1 — 4) zur
Charakteristik sein er Zukunftswissenschaft das
Wort „M echanik" nicht in seiner physikalischen,
sondern in einer allgemein philosophischen Be-
deutung gebraucht. Er will damit nicht mehr und nicht
weniger ausdrücken, als dass alle Entwicklungsvorgänge
(und Roux beschränkt dies sogar sehr vorsichtig nur auf
ihren materiellen Ablauf) dem Causalitätsgesetz unterworfen
sind, daher im Verhältniss von Ursache und Wirkung oder
in einem Causalnexus zu einander stehen und dass man
daher auch nach den Ursachen forschen könne.
Roux selbst wird wohl schwerlich glauben, dass er in
diesen Sätzen etwa eine neue Wahrheit gesagt oder der
Forschung ein neues Ziel gesteckt habe. Wo sind denn
die Forscher, welche sich bisher mit Entwicklungslehre be-
schäftigt haben, zu finden, welche nicht von dem Satz aus-
gingen, dass, wie alle Naturprocesse, so auch die thierische
— 11 —
Entwicklung allein dem Gesetz der Causalität unterliege
und dass die Forschung nach den Ursachen der Form-
bildung eine ihrer Hauptaufgaben ist? Wer theilte etwa
nicht die Ansicht, dass „bei dem materiellen Ablauf der
Entwicklungsvorgänge des Embryo nichts Metaphy-
sisches in Betracht zu kommen habe?" Ist nicht in
einer Zeit, welche so durch und durch von der mecha-
nistischen , materialistischen Naturphilosophie beherrscht
wird, ein derartiger Ausspruch schon an sich eine Trivia-
lität? Was glaubt man denn überhaupt dadurch gewonnen
zu haben, dass man dem Wort Entwicklung anstatt des
gebräuchlichen Zusatzes Lehre jetzt plötzlich das Wörtchen
„Mechanik" im philosophischen Sinne (!) anhängt? Worin
soll nach Roux's Definition fernerhin der Unterschied
zwischen Entwicklungslehre und Entwicklungsmechanik
bestehen? Soll etwa fortan die Entwicklungslehre darauf
verzichten, nach den Ursachen der organischen Formbildung
zu forschen , also ihrer eigentlichen Aufgabe abtrünnig
werden, eine Lehre von den Gesetzen der Entwicklung
darzustellen?
Durch die Vertauschung der Worte Lehre und Mechanik
wird anstatt Nutzen nur Verwirrung angestiftet. Denn das
Wort Mechanik wird in der Naturwissenschaft, in der Philo-
sophie und im gewöhnlichen Leben in so verschiedenem
Sinne gebraucht, dass es auch in der Verbindung mit dem
Worte Entwicklung die verschiedensten Vorstellungsreihen
wachrufen kann.
Schon in der Philosophie ist der Begriff des Mechanismus
und der Mechanik durchaus kein scharf begrenzter und ein-
deutiger. Kant selbst gebraucht die Begriffe in einer engeren
und in einer allgemeinen Fassung. Während er im vierten
Band seiner Werke, wie schon in der Einleitung (S. 2) an-
— 12 —
geführt wurde, die mechanische Erklärung der Natur auf
die Lehre von den Atomen und ihrer Bewegung gründet,
bemerkt er im vierten Band (S. 101): „Eben um deswillen
kann man auch alle Nothwendigkeit der Begebenheiten in
der Zeit nach dem Naturgesetze der Causalität den Mecha-
nismus der Natur nennen, ob man gleich darunter nicht
versteht, dass Dinge, die ihm unterworfen sind, wirklich
materielle Maschinen sein müssten. Hier wird nur auf
die Nothwendigkeit der Verknüpfung der Begebenheiten
in einer Zeitreihe, so wie sie sich nach dem Naturgesetze
entwickelt, gesehen, man mag nun das Subject, in
welchem dieser Ablauf geschieht, Automaton
m a t e r i a 1 e , da das Maschinenwesen durch Ma-
terie, oder mit L e i b n i z spirituale, da es durch
Vorstellungen betrieben wird, nennen."
Philosophisch versteht man ferner auch unter Mechanis-
mus (Kuno Fischer S. 485) ein jedes System von Objecten,
die räumlich und zeitlich in einer nothwendigen Beziehung
zu einander stehen. Hier kann man das Wort in der weit-
gehendsten Weise verwenden. Man kann die ganze Natur
als einen Mechanismus bezeichnen und in ihr wieder jede
zu einem System mehr oder minder abgeschlossene Gemein-
schaft von Objecten-, man kann endlich auch von einem
Mechanismus des Staats, von einem Mechanismus der Güter-
vertheilung und Geldcirculation, sogar von einem Mecha-
nismus der Ideenbildung etc. sprechen.
Philosophisch kann man also f a s t j e d e Natur-
wissenschaft, insofern nur ihre Gegenstände als
ein System not h wendig verbundener T h e i 1 e
untersucht und dargestellt werden, zu einer
mechanischen Wissenschaft stempeln.
Die Geologie wächst sich zur Geomechanik aus;
— 13 —
denn sie ist ja — um bei Roux's Definition zu bleiben —
die „Lehre von den Ursachen der Gestaltungen" der Erde,
welche „durchaus ein dem Gesetze der Causalität unter-
stehendes Geschehen darstellen" und „bei deren materiellen
Ablauf" „nichts Metaphysisches in Betracht zu kommen hat".
Die schon alt gewordene Bi ologie tritt uns in neuem
Kleide verjüngt als Biomechanik entgegen. Dieser Name
ist schon zweimal und, wie ich glaube, unabhängig von
einander in Vorschlag gebracht worden , schon vor Jahren
von Benedikt(l) und ganz neuerdings wieder von Yves
Delage (5).
Vielleicht wird nach solchen Vorgängen die Psycho-
logie sich ebenfalls entschliessen, ihr Logos gegen Mecha-
nik umzutauschen. Denn giebt es nicht auch hier ein
Gesetz, nach dem sich die Vorstellungsreihen bilden? Von
einer „Mechanik des Geistes" hat schon der Philosoph
Her bar t gesprochen (Eucken (10) S. 164). Die anato-
mischen Grundlagen der Hirnanatomie, die Anordnung der
Ganglienzellen und ihrer Leitungsbahnen bezeichnet man
immer häufiger als Mechanismen. Einer der letzten Auf-
sätze des um die Erforschung des Nervensystems so hoch-
verdienten Ramon Y. Cajal(43) lautet: Einige Hypo-
thesen über den anatomischen Mechanismus der Ideen-
bildung, der Association und der Aufmerksamkeit.
Es bedarf nur eines Schrittes, und man bezeichnet die
Lehre vom feineren Autbau des Gehirns, insbesondere die
Lehre vom Faserverlauf etc. nicht mehr als Hirnanatomie,
sondern als Hirnmechanik.
Dass in den Fächern der Staatenlehre, der National-
ökonomie, der Statistik, der Geschichte sich auch grosse
Gebiete befinden, deren Lehre sich als Mechanik darstellen
Hesse, wenn wir das Wort in einem allgemeineren philo-
— 14 —
sophischen Sinne gebrauchen, mag nur nebenbei noch an-
gedeutet sein.
Durch die oben erwähnten Taufen werden allerdings
die von ihr betroffenen Wissenschaften an innerem Werthe
nichts gewinnen. Denn mit der Etiquette verändert sich
von heute auf morgen ihr Inhalt nicht. Unter dem Namen
der Astronomie, bei der man wohl niemals daran gedacht
hat, sie Astromechanik zu nennen, birgt sich als Kern
der Inhalt der Newton'schen Gesetze, in der That eine
Mechanik des Himmels, Avie sie Laplace genannt hat;
dagegen sind die Entwicklungslehre und Biologie, die
Geologie und Psychologie und welche Fächer man ihnen
sonst noch anreihen will, auch wenn sie sich Entwick-
lungsmechanik und Biomechanik, Geomechanik und Psycho-
mechanik etc. nennen , jetzt ebenso wenig wie zur Zeit
Kant 's im Stande, nach Newton'schen Gesetzen die
Gegenstände ihrer Erforschung zu begreifen.
Mir scheint es daher nicht zu billigen und
von keinem Nutzen für die Entwicklung der
Naturwissenschaft zu sein, wenn man in ihrem
Bereich den Begriff Mechanik nicht in der
engeren und schärferen Fassung der Physik,
sondern im allgemeineren und allumfassenden
philosophischen Sinne verwendet.
Wer mit mir diese Meinung theilt, der wird mir auch
beipflichten, dass in der Biologie nur sehr beschränkte Ge-
biete sich wirklich als Mechanik auch nur annäherungsweise
darstellen lassen. Die meisten Angriffspunkte bietet hier für
mechanische Untersuchungen das Skeletsystem mit seinen
wie Hebelarme wirkenden Knochen; auch der feinere Bau
der Knochen selbst, vornehmlich die Architectur der
Spongiosa mit ihren Zug- und Druckeurven. Auf diesem
— 15 —
Gebiete hat sich denn auch wirklich eine strengeren An-
sprüchen genügende, auf mathematische Berechnungen ge-
gründete Mechanik der Gelenke und Gehwerkzeuge aus-
gebildet. Nächstdem kommt, obwohl in geringerem Maasse,
das Muskelsystem mit seinen Sehnen und das Gefässsystem
mit seiner Flüssigkeitscirculation als Gegenstand mecha-
nischer Untersuchungsweise und Berechnung in Betracht.
Desgleichen finden sich in der Botanik in das Bereich
der Mechanik fallende Capitel. Ich erinnere an die von
Schwenden er (56) begründete Lehre der mechanischen
Gewebe, die in den Wurzeln auf Zug und in den Aesten
und Zweigen auf Biegungsfestigkeit eingerichtet sind; ich
erinnere an die durch Osmose erzeugten oder durch Theilung
der Zellen hervorgerufenen Druckkräfte, die sich in vielen
Fällen in exacter Weise messen und berechnen lassen.
Inwiefern bietet nun die Entwicklung der Thiere Kaum
für mechanische Betrachtungsweisen? Die durch Theilung
des Eies sich rasch in 's Unzählbare vermehrenden Zellen
gleiten und schieben sich in fest geordneten Bahnen an
einander vorbei, hierbei vielfach den Plateau'schen Ge-
setzen folgend. Fast alle Organe entstehen durch Faltung
und Ausstülpung von Zellenlamellen, innerhalb deren
durch ungleiche Zellenvermehrung und ungleiches Wachs-
thum an bestimmten Stellen bestimmt gerichtete Zug-,
Druck- und Schubkräfte in's Leben gerufen werden. In
den Augen des Media nikers löst sich das ganze
Problem der thierischen Gestaltbildung auf in
die nach Gesetz geordnete, in genau bestimm-
ten Bahnen und in wechselnden Geschwindig-
keiten erfolgende Bewegung kleinerer und
grösserer Rau mg rossen, der embryonalen Zellen.
Somit könnte man hier wenigstens theoretisch
— 16 —
sich die Möglichkeit einer wahren „Mechanik
der Gestaltbildung" construiren.
Gleichwohl wird der mathematische Physiker sofort ein-
sehen, dass hier kein Feld für ihn ist und dass er für ab-
sehbare Zeit die Mechanik der Gestaltbildung nicht weiter
und in anderer Weise, als es von Seiten der Biologie ge-
schieht, wird ausbauen können. Gewiss linden in der
Embryonalentwicklung Bewegungen kleinster StofFmassen
in ganz gesetzmässigen Bahnen statt. Aber mit welchen
Mitteln und in welcher Weise wollte man die Bewegungen
dieser kleinsten Massen, ihre genaue Grösse, die Kraft ihrer
Bewegung und ihre Bahnen in Raum und Zeit berechnen ?
Und was sind das für complicirte Bewegungen, die zwar
auch gesetzmässig, aber ganz discontinuirlich erfolgen? Und
was sind das für complicirte eigenthümliche StofFmassen,
die sich fortwährend durch chemische Processe, durch Um-
wandlung von Reservestoffen in Protoplasma oder sogar
durch Aufnahme von neuen Stoffen verändern und wachsen,
Massen, die dann ab und zu in zwei kleinere Massen, in
zwei Tochterzellen, zerfallen und von da ab neue, zwar
auch gesetzmässige , aber oft sich trennende Bahnen in
gleicher oder auch in ungleicher Geschwindigkeit ein-
schlagen? Wie soll man ferner die bewegenden Kräfte in
den kleinen Massen bestimmen und messen? Schon bei
der Aufstellung einer mathematischen Formel für die ersten,
noch gut übersehbaren, embryonalen Zellen wird der mathe-
matische Physiker seinen Versuch scheitern sehen. Wie
häufen sich aber die Schwierigkeiten von da ab Schritt für
Schritt. Die Zahl der zu verfolgenden, in eigenen Bahnen
discontinuirlich sich bewegenden, wachsenden, sich theilen-
den kleinen Stoffmassen, deren Grösse, Bewegungsbahn
und Intensität der Bewegung bestimmt werden soll, ver-
— 17 —
mehrt sich in's Ungemessene, sie steigt auf 100 , auf 1000,
auf Millionen und viele Millionen, sie entziehen sich dem
Auge des Beobachters, indem sie durch Einstülpung sich in
übereinander gelegene Schichten anordnen. Der mathe-
matische Physiker aber hat kein Mittel, die seinem Auge in
tieferen Schichten entschwindenden Körperchen sich wieder
sichtbar zu machen; denn wollte er das Verfahren des
Embryologen einschlagen und das den Gegenstand seiner
mathematischen Berechnungen bildende System in Alcohol
oder Chromsäure einlegen , färben und schneiden , dann
würde er das System zur Ruhe bringen, während er doch
gerade es in seiner Bewegung untersuchen und messen will ;
und selbst von dem in gewaltsame Ruhe gebrachten System
würde er noch nicht einmal Gelegenheit erhalten, die Ver-
hältnisse während des Moments, wo es zur Ruhe kam,
genau berechnen zu können, denn er hat nur noch die
Trümmer des Systems vor sich, lauter Bestandteile, die
aus ihrer Lage gebracht, in ihrer Form und Grösse, in
ihrem Aggregatzustand und ihrer chemischen Zusammen-
setzung tief verändert sind.
Der mathematische Physiker der Gegenwart, den wir
um seine Hülfe gebeten haben, wird sich mit dem ihm vor-
gelegten Problem gewiss nicht lange den Kopf zerbrechen,
sondern diese Aufgabe getrost und neidlos dem ,, zukünftigen
Newton der Entwicklungsgeschichte" überlassen; auch wird
er gewiss keinen Einwand gegen den Ausspruch von Roux
erheben: „Der zukünftige Newton der Bewegungen der
den Organismus aufbauenden Theile wird wohl nicht in der
glücklichen Lage sein, diese Bewegungen blos auf
drei Gesetze und zwei Componenten zurück-
führen zu können." Bis dahin wird dem Embryologen
wohl nichts Anderes übrig bleiben, als nach seinem Ver-
Hertwig, Zeit- und Streitfragen. II. 2
— 18 —
mögen und mit seinen Methoden, die er hie und da noch
verbessern wird, die Erkenntniss der thierischen Gestalt-
bildung weiter zu fördern.
In noch höherem Maasse als die eben erörterten ent-
ziehen sich alle übrigen Vorgänge der Entwicklungsgeschichte
einer physikalisch - mechanischen Behandlungsweise, so fast
ausnahmslos das grosse und wichtige Gebiet der histologischen
Differenzirung, die Umwandlung der einzelnen Zellen in die
specifischen Arbeitsorgane des Organismus, in Nerven- und
Muskelzellen, in Drüsen-, Epithel-, Sinnes- und Bindegewebs-
zellen u. s. w. Hier haben wir wohl eine viel grössere und
tiefere Bereicherung unserer Erkenntniss in der Zukunft von
der Seite der Biochemie, wenn sie sich mit der mikrosko-
pischen Analyse enger als zur Zeit verbindet, als von Seiten
der Biophysik zu erwarten.
Somit drängt Alles zu dem Schluss, dass die Biologie
ein Gebiet ist, auf welchem Mechanik im Sinne des Physikers
nur in sehr beschränkter Weise verwendbar ist, und dass
die Entwicklungslehre der Organismen sich am allerwenigsten
für eine exact mechanische Behandlungsweise geeignet er-
weist. Von diesem Standpunkt aus wird es den Biologen
dann sonderbar anmuthen, wenn er in der modernen bio-
logischen Literatur eine Umschau hält und liest, wie in
manchen Schriften die Namen Mechanik und Mechanismus
und ihre Varianten sich gehäufter finden, als in einem Lehr-
buch oder in einer Abhandlung der physikalischen Mechanik,
so dass ein der Sache ferner stehender Leser in der That
auf den Gedanken kommen könnte, unsere Biologie habe es
jetzt schon herrlich Aveit gebracht und sei im besten Zuge,
eine mechanische Wissenschaft zu werden.
Denn wie häufig liest man vom Mechanismus der Zelle,
vom Mechanismus des Eies, sogar selbst vom „Mechanismus
— 19 —
des Cytotropisnius", wobei freilich Niemand uns zu sagen
weiss, was diese Mechanismen eigentlich sind, und in welcher
mechanischen Anordnung von Theilchen sie bestehen, Oder
man liest von der Mechanik der Kern- und Zelltheilung, der
Protoplasmamechanik, von den Mechanismen der Selbst-
regulation, von den Mechanismen der Bildung der Individuen
aus Keimplasma und vom Mechanismus der Vererbung.
Dabei ist, was das Wesen des Keimplasma und der Ver-
erbung betrifft, unsere thatsächliche Kenntniss bei Lichte
besehen eine derartige, dass hier wie dort ganz entgegen-
gesetzte Hypothesen bestehen, dass die complicirte Archi-
tektur, welche Weismann seinem Keimplasma gibt, nur
in der Idee existirt, von anderer Seite aber als unbegründet
bestritten wird, dass ferner die Vererbung erworbener
Eigenschaften von einem Theil der Forscher in Abrede
gestellt und wieder von einem anderen Theil mit Zähigkeit
festgehalten wird. Wissen vielleicht die exacten Natur-
forscher, welche den Namen gebrauchen, uns den Mecha-
nismus der Vererbung etwas genauer zu beschreiben? In
allen diesen Fällen wird der Name Mechanismus angewandt,
nicht weil man von dem Mechanismus der Zelle, des Eies,
des Keimplasma, der Vererbung etc. etwas wüsste, sondern
weil man in bequemer Weise mit einem Wort das Nicht-
wissen einhüllend, voraussetzt, dass, wie in allen Natur-
objecten, so auch hier am guten Ende ein Mechanismus
vorliegen müsse. Als Entschuldigung für den Missbrauch
eines Begriffes, mit welchem man in den Naturwissenschaften
sonst einen ganz scharf begrenzten und bestimmten Sinn zu
verbinden pflegt, kann nur der Umstand dienen, dass man
ja gar nicht die Mechanik des Physikers, sondern nur die
Mechanik des Philosophen meint. Man will damit, so ge-
winnt es den Anschein, nicht mehr als das Glaubens-
— 20 —
bekenntniss, was übrigens auch wir theilen, öffentlich ab-
legen, dass in der Biologie Alles in natürlicher, das heisst
philosophisch-mechanischer Weise hergeht, und dass gewiss
„dabei nichts Metaphysisches in Betracht zu kommen habe".
Da also die Worte Mechanik nnd Mechanismus in den
meisten Fällen, wo sie in der Biologie angewandt werden,
keinen realen Inhalt haben, da sie für keine wirklichen,
sondern nur für eingebildete Systeme mechanisch
verbunden gedachterT heile gebraucht werden, sind
sie für den Sinn biologischer Abhandlungen gewöhnlich über-
flüssig und können beim Lesen ohne Schaden für das Ver-
ständniss weggelassen oder durch andere Worte, wie Process
und Organismus ersetzt werden; so völlig inhaltsleer sind
sie, dass sie keine Lücke im Verständniss hinterlassen. Ver-
erbung sagt genau so viel wie Mechanismus der Vererbung,
Entwicklung oder Entwicklungsproeess so viel wie Ent-
wicklungsmechanismus ; für Mechanismus von Ei und Zellen
können wir ebensogut das Wort Organismus gebrauchen
oder noch kürzer und schlichter von Ei und Zellen reden.
Wie schon früher erwähnt, will Roux das Wort „Mecha-
nik" in seiner Verbindung mit Entwicklung in einem weiteren,
philosophischen Sinne gebrauchen • dadurch hat er aber den
Begriff „Mechanik" für den Gebrauch des Naturforschers
so verwässert, dass man unter dem Namen Entwicklungs-
mechanik die allerverschiedenartigsten und sonderbarsten
Bestandteile von ihm abgehandelt findet. Wem es Ver-
gnügen macht, sich darüber zu unterrichten, braucht nur
in einigen Bänden der anatomischen Jahresberichte die von
Roux geschriebenen Referate über Entwicklungsmechanik
zu durchblättern. Als Mechanik findet er dort abgehandelt
(54 Bd. IG und 17): Henking, Giebt es freie Kern-
bildung'? Baumeyer, Das künstliche Ausbrüten und die
— 21 —
Hühnerzucht nach zwanzigjährigen Erfahrungen aus prak-
tischem Betriebe der künstlichen Ausbrütung und der
Hühnerzucht. Seh wink, Weisse Froschlurche im Freien.
Steudel, Zur Kenntniss der Regeneration der quer-
gestreiften Musculatur. Vahl, Mittheilungen über das
G ewicht nicht erwachsener Mädchen. N e i s s e r , Zur
Kenntniss der antibakteriellen Wirkung des Jodoforms.
v. Bergmann, Ueber Echinocokken der langen Röhren-
knochen. Korscheit, Ueber einen Fall von Hahnen-
fedrigkeit bei der Hausente. Strassmann, Experimen-
telle Untersuchungen zur Lehre vom chronischen Alkoho-
lismus. Arndt, Ueber einige Ernährungsstörungen nach
Nervenverletzungen. Miller, Der Einfluss der Nahrung
auf die Zähne. Gras er, Ueber Klumpfussbehandlung.
Barfurth, Versuche über die parthenogenetische Furchung
des Hühnereies.
Ferner erfahren wir noch an anderer Stelle von Roux,
dass vergleichende Anatomie und vergleichende Embryo-
logie ebenfalls unter den Begriff der Entwicklungsmechanik
fallen, allerdings mit einer gewissen Einschränkung (47 Bd. I,
S. 24). „Soweit diese Disciplinen ursächliche Erkenntniss
zu Tage fördern," heisst es nämlich, „so weit sind sie selber
Entwicklungsmechanik ; und da sie dies in aus-
giebigem M'aasse thun und gethan haben, so
stellen sie nur historisch von letzterer geson-
derte Disciplinen dar." Mit diesem wohl etwas un-
bedachtsam ausgesprochenen Satz scheint mir der Begründer
der Zukunftswissenschaft mit anderen seiner Aussprüche
in ernstlichen Widerspruch gerathen zu sein und sich selbst
zwei nicht leicht zu lösende Aufgaben gestellt zu haben.
Die eine Aufgabe ist, anzugeben, welchen Bestandtheilen
der vergleichenden Anatomie und Entwicklungsgeschichte
— 22 —
die Ehre der Aufnahme in die Entwicklungsmechanik zu
Theil werden soll und welchen nicht. Denn bei der Auf-
nahmeberechtigung muss er prüfen, ob sie „ursächliche Er-
kenntniss" zu Tage gefördert haben oder nicht. Hoffen
wir, dass bei diesem Examen das „Approbatur" recht frei-
gebig ertheilt wird. Haben doch auch das künstliche Aus-
brüten und die Hühnerzucht, Mittheilungen über das Ge-
wicht nicht erwachsener Mädchen, ein Fall von Hahnen-
fedrigkeit bei der Hausente etc. in das Gebiet der Entwick-
lungsmechanik Aufnahme gefunden.
Noch schwieriger aber ist vielleicht die zweite Aufgabe,
deren Lösung wohl allen Scharfsinn des Sophisten erfordern
wird. Wenn vergleichende Anatomie und Entwicklungs-
geschichte zum grossen Theil schon selber Entwicklungs-
mechanik sind, in wie fern ist dann letztere eine erst jetzt
neu geborene Wissenschaft? Mit wrelchem Recht wird dem
Leser der Roux'schen Abhandlungen fast in einer jeden mit
allem Ernst versichert, dass wir überhaupt erst jetzt „am
Anfang causaler Forschung" stehen?
Wir haben bisher festgestellt, dass man in der bio-
logischen Literatur seit einigen Jahren den Worten Mechanik,
Mechanismus, mechanisch etc. häufiger begegnet, dass man
sie mit einer gewissen Liebe anwendet, als ob eine
besondere Kraft von diesen Wörtern aus-
ginge und sie daher auch in Fällen gebraucht, wo sie
gar keinen Inhalt haben. Wie erklärt sich diese Er-
scheinung? Nach meiner Meinung daraus, dass viele
Forscher halb bewusster, halb unbewusster Weise mit dem
Worte „Mechanik" eine Tendenz verbinden oder
dass sie, was nicht weniger häufig geschieht, eine Mode
mitmachen. In tendenziöser Weise hat das Wort
- 23 —
Mechanik in der Mitte unseres Jahrhunderts
gedient und dient jetzt wieder, in beiden Fällen
allerdings in einem etwas verschiedenen Sinn.
Ein kleiner historischer Excurs mag dazu dienen, uns mit
diesem besonderen Verhältniss, in welchem Mechanik und
Biologie zu einander stehen, bekannt zu machen.
a) Die tendenziöse Verwendung- des Begriffes Mechanik
in der Biologie durch Lotze.
In der Mitte unseres Jahrhunderts ist es der berühmte
Philosoph Lotze gewesen, welcher sich des Wortes Mechanik
in philosophischem Sinne als Kampfmittel gegen die unter
Biologen und Aerzten weit verbreitete Richtung des Vita-
lismus bedient hat. Seine Kampfesschriften sind: sein 1842
erschienenes Buch „Allgemeine Pathologie und Therapie als
mechanische Naturwissenschaften" (33), sein Artikel „Leben
und Lebenskraft" in Wagner's Handwörterbuch der
Physiologie (1842) (34) und schliesslich seine „Allgemeine
Physiologie des körperlichen Lebens" (1851) (35). An die-
selben schliesst sich an, nach gleicher Richtung wirkend, Du
Bois-Reymond's Vorrede zu den Untersuchungen über
thierische Electricität, betitelt „Ueber Lebenskraft" (9 Bd. 2).
Alle diese Schriften haben den klar ausgespi-ochenen
Zweck , den Vitalismus durch die Leuchte des
Mechanismus aus der Wissenschaft zu vertreiben.
Wegen der ausserordentlichen Complication der Lebens-
erscheinungen, welche von den Erscheinungen der un-
organischen Körper auf den ersten Blick so grundver-
schieden und durch eine weite Kluft getrennt zu sein
scheinen, hatte sich unter Naturforschern vielfach die
Meinung ausgebildet, dass die Kräfte der unbelebten Natur
nicht ausreichten zur Erklärung der Lebensprocesse ; man
— 24 —
müsse daher hier noch besondere Lebenskräfte oder auch
e i n e Lebenskraft voraussetzen, die nur in den Organismen
wirksam sei und das Eigenthümliche des Lebens ausmache.
Sie war es7 die zur Erklärung von Allein und Jedem diente,
welche dem kranken Körper wieder zur Genesung ver-
half, welche in den Stoffwechsel in besonderer Weise ein-
griff und die Ursache war, dass die organischen Substanzen
von denen der unbelebten Natur so verschieden sind; sie
ist es ferner, welche sich bei der Entwicklung des Eies zum
Embryo regt und die Formbildungen hervorruft, durch
deren Aufeinanderfolge aus dem scheinbar Einfachen das
complicirte Geschöpf hervorgeht.
Der unklare und für die Wissenschaft wenig förder-
liche Begriff Lebenskraft spielt selbst in den Schriften
von J o h. Müller und von L i e b i g eine Rolle. „Die
Lebenskraft," heisst es bei Letzterem (31, S. 200), „giebt sich
in einem belebten Körpertheil als eine Ursache der Zu-
nahme an Masse, sowie des Widerstandes gegen äussere
Thätigkeiten zu erkennen, welche die Form, Beschaffenheit
und Zusammensetzung der Elementartheilchen ihres Trägers
zu ändern streben." „Die Lebenskraft bewirkt eine Zer-
setzung dieser Nahrungsstoffe, sie hebt die Kraft der An-
ziehung auf, die zwischen ihren kleinsten Theilchen unaus-
gesetzt thätig ist, sie ändert die Richtung der chemischen
Kräfte in der Art, dass die Elemente der Nahrungsstoffe
sich in einer andern Weise ordnen, dass sie zu neuen, den
Trägern der Lebenskraft gleichen oder unähnlichen Ver-
bindungen zusammentreten; sie ändert die Richtung und
Stärke der Cohäsionskraft , sie hebt den Cohäsionszustand
der Nahrungsmittel auf und zwingt die neuen Verbindungen
zu Formen zusammenzutreten, welche keine Aehnlichkeit
mit den Formen haben, welche durch die frei (ohne Wider-
stand) wirkende Cohäsionskraft gebildet werden" etc.
— 25 —
In dieser Weise spielte die Lebenskraft in der Biologie
die Rolle „eines Mädchens für Alles"; sie war ein unklarer,
mystischer Begriff, der wohl die Forschung irre zu leiten
im Stande war.
Hier klärend gewirkt zu haben ist ein grosses Ver-
dienst von Lotze, indem er die mechanische Theorie als
ein leitendes Regulativ gegen den Vitalismus in's Feld
führte. Denselben Weg, auf welchem die mathematische
Physik ihre Erfolge erreicht hat, will Lotze auch bei den
Betrachtungen der Lebenserscheinungen eingeschlagen
wissen. Er erblickt in den lebenden Körpern nichts Anderes
als „ein System von zusammen geordneten Massen mit
ihren proportionalen Kräften, aus deren Ineinanderwirken
verbunden mit den Einwirkungen des Aeusseren eine Reihe
von Bewegungen hervorgeht" (33, S. 8). Den eigenthüm-
lichen Charakter des Organischen erklärt er aus der Art
der Zusammenfassung und Anordnung der allgemeinen
Hilfsmittel, die ebenso sehr der todten Natur als der Kunst,
sowie den Zwecken des Lebens dienen. Alles Organische
bezeichnet er daher als eine bestimmte Form der
Vereinigung des Mechanischen (33, S. 9). „Wenn
irgend in der als ruhend vorausgesetzten Combination von
Massen, die den Körper bilden, ein Anstoss geschehe, so
sei es gewiss, dass er nur dadurch in ihm andere Wirkungen
hervorbringen könne, dass er sich dieser physikalischen
Instrumentation bediene, die durch den Zusammenhang der
Massen und ihre mechanischen Gegenwirkungen gegeben ist,
und nie und nirgends werde eine körperliche Veränderung
vorgehen, ohne dass ihr Zustandekommen genau den Ge-
setzen der allgemeinen Physik folge". „Das Geschehen im
lebenden Körper unterscheide sich von dem unbelebten
physikalischen Geschehen nicht durch die principielle Ver-
— 26 —
schiedenheit der Natur und Wirkungsweise der vollziehen-
den Kräfte , sondern durch die Anordnung der An-
griffspunkte, die diesen dargeboten seien, und von denen
hier wie überall in der Welt die Gestalt des letzten Erfolges
abhänge" (33, S. 7).
Durch derartige Betrachtungen sucht Lotze den Weg
zu einer „exacten Physiologie" anzubahnen, welche er aller-
dings noch sehr fernliegend erachtet. Den Entwurf zu
einer solchen will er in seiner „allgemeinen Physiologie des
körperlichen Lebens" (1851) geben.
Für die Tendenz des Buches sind schon die Ueber-
schriften der einzelnen Capitel kennzeichnend: Von der
Mechanik des Lebens und dem Haushalt der lebendigen
Körper, vom Mechanismus des Stoffwechsels, von der
Mechanik der ersten und zweiten Wege, der Mechanik der
Assimilation und Secretion, von der Mechanik der Be-
wegungen, von der Mechanik der Gestaltbildung. In letz-
terem Capitel besonders behandelt Lotze ein Thema, welches
seitdem das Leitmotiv zu Roux's Entwicklungsmechanik
geworden ist. Das Ei bezeichnet er als eine grössere
Substanzmasse, aus welcher sich im Beginn der Entwick-
lung die Anlagen aller Hauptabtheilungen des Körpers
bilden. „Aber diese ersten Keime," heisst es dann weiter,
„sind nicht nur innerlich noch ungegliedert und erwarten
erst von der Zukunft eine Zerfällung in feinere Organi-
sationselemente, sondern auch ihre gegenseitige Lage ist nur
in weiten Umrissen bestimmt. Erst eine grosse Mannigfaltig-
keit mechanischer Verschiebungen, Dehnungen, Verwachs-
ungen , aus der ungleichförmigen Fortbildung einzelner
Theile entspringend, rückt sie allmählich in die Lagever-
hältnisse , die sie später einnehmen sollen • und umgekehrt
wirkt jeder dieser mechanischen Processe mitbestimmend
— 27 —
auf die Möglichkeit noch weiter fortschreitender Organisation
der verschobenen Theile zurück. Hierin nun ist der Thier-
körper während seiner ersten Bildung der Erdrinde einiger-
maassen zu vergleichen ; nur sind es nicht ungeordnete, vul-
kanische Eruptionen, welche die Schichten seines Bildungs-
materiales in die unregelmässige Mannigfaltigkeit einer
Landschaft verwerfen; sondern geordnete Impulse, die von
einigen Bildungsherden ausgehen, bringen zuerst das
gleichförmige Entwicklungsmaterial in differente Lagen, in
denen es sich fernerhin auch zu differenten Gestalten um-
wandelt" (Nr. 35, S. 342).
Und an einer anderen Stelle (Nr. 35, S. 353) heisst es:
„Da alle Theile unter einander zusammenhängen, so er-
zeugt dieser primäre Vorgang eine Menge secundärer
Lageveränderungen , die theils als Verschiebungen, Aus-
buchtungen, Einstülpungen oder Dehnungen nur erscheinen,
theils wirklich auf diesem Wege durch mechanischen Zug
und Druck hervorgebracht werden. Diese Ortsveränderungen
sind in der ersten Entwicklung von grosser Weite, und sie
führen, indem sie früher entfernte Theile nähern, andere
entfernen, wiederum Gelegenheiten zu Einwirkungen her-
bei, durch welche bald die Verwachsung der ersteren, bald
eine Trennung der Continuität in den letzteren entsteht.
Ein grosser Theil der spätem Gestaltsverhält-
nisse ist deshalb gar nicht auf irgend eine a c -
tuelle Weise in der ersten Anlage begründet,
sondern der Effect der Bewegungen, in welche
das Gebildete durch den Fortgang seiner Ent-
wicklung gerät h."
Im Uebrigen fielen Ideengänge, wie sie Lotze ent-
wickelte, schon zu seiner Zeit auf einen sehr empfänglichen
und vorbereiteten Boden. Seit Kant, seit Casp. Fr. Wolf f 's
— 28 —
Theorie der Generation, seit La Mettrie's Buch „L'hoinme
machine", welches bei seinein Erscheinen so viel Entrüstung
hervorrief, seit der Schule der französischen Encyclopädisten
hatte die materialistisch-mechanische Naturauffassung nicht
nur unter Naturforschern, sondern auch im Laienpublicum
kräftige Wurzeln geschlagen. Alle bahnbrechenden Forscher
weisen auf dies Ziel. So erkennt Carl Ernst von Baer
als die Aufgabe der Entwicklungslehre, „die bildenden
Kräfte des thierischen Körpers auf die allgemeinen Kräfte
oder Lebensrichtungen des Weltganzen zurückzuführen".
Desgleichen geht Schwann in seinen mikroskopischen
Untersuchungen von der Voraussetzung aus (35, S. 226) :
„Einem Organismus liegt keine nach einer bestimmten Idee
wirkende Kraft zu Grunde, sondern er entsteht nach
blinden Gesetzen der Nothwendigkeit durch
Kräfte, die ebenso durch die Existenz der
Materie gesetzt sind, wie die Kräfte in der an-
organischen Natur. Da die Elementarstoffe in der
organischen Natur von denen der anorganischen nicht ver-
schieden sind, so kann der Grund der organischen Er-
scheinungen nur in einer anderen Combination der Stoffe
liegen" etc. Jedenfalls hält es Schwann „für den Zweck
der Wissenschaft viel erspriesslicher, nach einer physikali-
schen Erklärung wenigstens zu streben".
Auf Schlei den's Auffassung wurde schon in der Ein-
leitung hingewiesen. Und so bemerkt denn Du Bois-Rey-
mond schon 1848 in seinen Untersuchungen über thierische
Electricität wohl mit Hecht, wie das der Lebenskraft zu-
geschriebene Gebiet von Erscheinungen mit jedem Tage
mehr zusammenschrumpfe, wie immer neue Landstriche unter
die Botmässigkeit der physikalischen und chemischen Kräfte
gerathen, wie zu erwarten sei, dass dereinst die Physiologie
— 29 —
„ganz in die grosse Staateneinheit der theoretischen Natur-
wissenschaften aufgehe, ganz sich auflöse in organische
Physik und Chemie" (9 Bd. II, S. 23).
b) Die tendenziöse Verwendung des Begriffes Mechanik
durch Koux.
Aussprüche von W. Roux : „Wir dürfen uns nicht verhehlen , dass die causale
Erforschung der Organismen eine der schwierigsten,
wenn nicht die schwierigste Aufgabe ist, an die der
Menschengeist sich gewagt hat."
Wilhelm Koux, A. f. E. S. 21.
„Die Entwicklungsmechanik rnuss sich, wie jede
neue Richtung in der Wissenschaft, die ihr
gebührende Stellung erst nach uud nach erwerben."
Wilhelm Eoux, Ges. Abh. S. 90.
Nachdem im Jahre 1880 die Aufmerksamkeit auf
Lotze's „Mechanik der Gestaltbildung" durch Rauber
(Zusatz 1) neu hingelenkt worden ist, hat wieder ßoux,
welcher uns in seinen ersten entwicklungsmechanischen
Schriften selbst mittheilt, eine grosse Anregung aus
Lotze's „allgemeiner Physiologie des körperlichen Lebens"
erhalten zu haben, das Wort Mechanik in tendenziöser Weise
benutzt. Allein die Tendenz ist jetzt eine ganz
andere geworden!
Lotze hat in seinen oben angeführten Schriften die
Stellung und Beziehung der Biologie zur Physik und Chemie
erörtern und klarlegen wollen, dass im gesammten Er-
scheinungsgebiet der Natur dieselben allgemeinen Natur-
kräfte wirksam sind. Er bekämpfte daher den V i t a 1 i s -
mus, eine zu seiner Zeit noch weit verbreitete Richtung,
welche zur Erklärung des Lebens die Annahme besonderer,
der Welt des Unorganischen fremder Lebenskräfte glaubte
annehmen zu müssen. Im Gegensatz zur vitalistischen
kennzeichnete Lotze seine Auffassung im philosophischen
Sinne als eine mechanistische. Die mechanistische
— 30 —
Auffassung von Lotze hat sich rasch den Sieg
in der biologischen Forschung errungen. Ohne
auf Widerspruch zu stossen, kann ich wohl be-
haupten, dass die gesammte Biologie seit vielen
Decennien auf dem Standpunkt von Lotze
steht, dass das Organische nur eine höhere
Form des Mechanischen ist. Hat doch diese mecha-
nistische Auffassung eine mächtige Verstärkung ihrer
Stellung durch die darwinistische Richtung er-
fahren, welche gleichfalls stets die Einheit aller Natur-
vorgänge (den Monismus) und den Ursprung der Lebewelt
aus dem Anorganischen lehrt und sogar den Versuch ge-
macht hat, die Anpassung der Lebewesen an ihre Um-
gebung, die „Zweckmässigkeit" und die Vervollkommnungs-
möglichkeit ihrer Organisation ohne Zuhilfenahme von
Teleologie durch den Kampf um's Dasein „mechanisch" zu
erklären. Es hiesse daher offene T huren ein-
rennen, wollte man jetzt noch, wie es Lotze g e -
than hat, für eine mechanistische Auffassung
der Lebewelt zu Felde ziehen.
Darum sage ich: die Tendenz, die Roux mit dem
Worte Mechanik verbindet, ist eine andere geworden ! Aber
welche ? Die Tendenz besteht jetzt darin, dass
Roux eine neue, höhere Art der entwicklungs-
geschichtlichen Forschung inauguriren will,
im Vergleich zu welcher ihm die bisher herr-
schende Arboitsrichtung in der Anatomie nur
als eine u ntergeordnete Vorstufe und als nicht
mehr recht wissenschaftlich erscheint.
In jeder seiner Schriften spricht Roux diese Tendenz
sehr unverblümt aus; so auch in folgendein charakteristi-
schem Satz (47 Bd. I S. 29):
— 31 —
„Carl Gegenbaur hat in der Einleitung zu seinem
„morphologischen Jahrbuch" die erkenntnissvollen Worte
gesprochen :
»Wohl wird die Zeit kommen, da auch für die Mor-
phologie das Wandelbare der Ziele und damit auch des
Strebens sich erweist und da andere Probleme und andere
Methoden an die Stelle der gegenwärtigen treten werden.«
Dieses neue Ziel ist das der Entwicklungsmechanik."
Das Wort Mechanik, welches Lotze als
Waffe gegen den Vitalismus benutzte, will
Roux zur Fahne machen, unter welcher sich
Alles, was höhere biologische Wissenschaft,
was Zukunfts wissen schaft, was Entwicklungs-
mechanik treiben will, sammeln soll.
Analoge Erscheinungen sind in der Biologie, welche
sich in unserem Jahrhundert wie wenig andere Wissen-
schaften in lebhaften Gärungsprocessen befindet, auch früher
schon zu Tage getreten. Es sei an die Zeitschrift für
wissenschaftliche Zoologie erinnert, in deren Titel
das Wort „wissenschaftlich" als Prädicat der Zoologie uns
jetzt sonderbar anmuthet, da es doch selbstverständlich er-
scheint, dass die Wissenschaft „Zoologie" als solche nicht
unwissenschaftlich ist. Auch hier tritt in dem Titel eine
Tendenz zu Tage, eine Opposition gegen die systematische
Zoologie. Lassen sich aber etwa beide Forschungsrichtungen
als wissenschaftlich und als unwissenschaftlich unterscheiden?
Fast könnte jetzt der Tag schon nahe gerückt erscheinen,
wo die in der Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie
niedergelegten Arbeiten in den Augen einer jüngeren Schule
als unwissenschaftlich gelten werden, und wo an Stelle
der unwissenschaftlich gewordenen „wissen-
schaftlichen Zoologie" sich eine Zoouiechanik an
— 32 -
den Tisch der Wissenschaften setzen wird. Der
Anfang ist gemacht. Vorläufig hat sich in der Anatomie
die Entwicklungsmechanik gemeldet. Noch muss sie, wie
Roux an einer Stelle bemerkt, „sich die ihr gebührende
Stellung erst nach und nach erwerben" (s. Aussprüche S. 29).
Wohin ihre Ansprüche gehen, haben wir erfahren. Es wird
jetzt unsere Aufgabe sein, dieselben noch auf ihre Berech-
tigung zu untersuchen. Wir fragen daher: Worauf
soll die höhere Werthung der Entwicklungs-
mechanik gegenüber der bisher gepflegten Ent-
wicklungslehre beruhen?
Ro ux will uns hierüber nicht in Zweifel lassen, sondern
hat sich mehrfach hierüber deutlich ausgesprochen.
Für ihn bezeichnet die Entwicklungsmechanik die
denkbar höchste Stufe der biologischen For-
schung, weil sie die „causale Wissenschaft der
Organismen ist", „die Wissenschaft von den
wirklichen Bildungsursachen, von den verae causae,
den gestaltenden Kräften und deren Combinationen, denen
das Organismenreich im Ganzen und in jedem Individuum
seine Entstehung verdankt" (G. A. S. 59). „Wir dürfen uns
nicht verhehlen," bemerkt er (s. Aussprüche S. 29), „dass die
causale Erforschung der Organismen eine der schwierigsten,
wenn nicht die schwierigste Aufgabe ist, an die der Menschen-
geist sich gewagt hat, und dass sie, wie jede causale Wissen-
schaft, nie das Stadium der Vollendung erreichen wird, da
jede Ermittlung einer Ursache neue Fragen nach den Ur-
sachen dieser Ursache gebiert" (A. f. E. Bd. I, S. 21).
Im Gegensatz dazu bezeichnet Roux die Entwicklungs-
lehre, wie sie bisher betrieben wurde, als beschreibende
oder descriptive. Denn er lässt sie nur auf Erforschung der
Thatsachen, nicht der Ursachen gerichtet sein. Er
— 33 —
theilt denn auch die Forscherin zwei Gruppen
ein, in „descriptive" und in „causale" Forscher
(Gr. A. S. 75), das heisst: in Forscher, welche sich mit dem
Studium der Entwicklungslehre in alter Weise , und in
solche, welche sich mit ihm nach Roux'scher Methode
beschäftigen. Ich glaube hier Roux'sche Methode sagen
zu dürfen, da Roux öfters versichert, dass wir uns erst jetzt
„am Beginn exacter causaler Forschungen" befinden (G. A.
S. 76), woraus folgt, dass früher causale Entwicklungslehre
wohl nicht getrieben worden ist.
Die descriptiven Forscher müssen sich bescheiden, die
Vorarbeiten für die causalen Forscher zu liefern. Zwar
haben erstere sich schon häufig herausgenommen, selbst
causal zu denken. Dafür werden sie aber auch von Roux
in seinen Zielen und Wegen der Entwicklungsmechanik auf
das Verkehrte ihres Beginnens aufmerksam gemacht (G. A.
S. 75) : „Nach der Anzahl der bereits über ursächliche Ver-
hältnisse der individuellen Entwicklung vorliegenden An-
gaben wäre die Entwicklungsmechanik eine der am meisten
gepflegten Wissenschaften und selber bereits auf einer hohen
Stufe der Entwicklung; denn die Forscher auf dem Gebiete
der beschreibenden Entwicklungsgeschichte haben über
die Entstehung vieler formaler Bildungen schon recht be-
stimmte Urtheile ausgesprochen. Doch diesen Urtheilen
fehlt fast ausnahmslos eine genügende sachliche Begründung ;
es fehlen die »Beweise« für die Richtigkeit gerade dieser
speciellen Auffassung ; wie denn mit den descriptiven
Forschungsmethoden an normalen Objecten
»sichere« Beweise für ursächliche Zusammen-
hänge überhaupt »nicht« erbracht werden
können. Es wird übersehen , dass aus constanten
Beziehungen zwischen normalen Erscheinungen oder
Hertwig, Zeit- und Streitfragen. II. 3
— 34 —
Vorgängen über die vermittelnde Ursache dieser Constanz
deshalb keine sicheren Schlüsse gezogen werden können,
weil wir die Complicirtheit der normalen Wechselwirkungen
noch nicht annähernd übersehen können." „Obgleich diese
so wichtige, für die Methode der causalen biologischen
Forschung bestimmende Sachlage wiederholt hervorgehoben
worden ist, so scheint sie doch bei manchen descrip-
tiven Forschern nur sehr langsam Verständniss
zu finden, denn sie fahren fort, ihre bloss descriptiven
Beobachtungen causal zu verwerthen und die experimentell
gewonnenen Ergebnisse unbeachtet zu lassen."
In consequenter Festhaltung des Gedankens, dass die
causale Forschung auf dem Gebiete der Entwicklungs-
lehre erst jetzt beginnt, meint denn auch Roux, dass „die
causalen Forscher einen Umweg einschlagen
und sich selber ein Ar muthszeugniss ausstellen
würden, wenn sie ihr Werk damit anfangen
wollten, diese mannigfachen, nicht bewiese-
nen Aussprüche descriptiver Forscher auf ihre
Richtigkeit zu prüfen". „Von diesen ganzen Urtheilen
ist kaum mehr zu verwerthen, als die Einsicht, dass un-
gleiches Wachsthum eine der nächsten Ursachen der Ge-
.staltbildung ist" (1. c. S. 76).
In diesen und ähnlichen Aeusserungen zeigt Roux eine
erstaunliche Verkennung dessen, Avas die Entwicklungslehre
bis jetzt an wissenschaftlicher Erkenntniss zu Tage gefördert
hat, und nicht minder eine Verkennung ihrer Aufgaber., der
Mittel und Wege zu ihrer Lösung. Da nun zugleich dieser
Forscher als Wortführer einer Richtung auftritt, für welche
sein Archiv der Entwicklungsmechanik den Mittelpunkt ab-
geben soll, so ist es wohl nicht unangebracht, die von Roux
mit so viel Emphase vorgetragene Unterscheidung einer
— 35 —
„descriptiven" und einer „eau.salen entwicklungsgeschicht-
lichen Forschung", einer alten, den Handlangerdienst ver-
richtenden und einer neuen, „die schwierigste Aufgabe, an
Avelche sich der Menschengeist gewagt hat", darstellenden
Richtung noch einer kritischen Beurtheilung zu unterziehen.
Nach Roux lehrt die bisher geübte „beschreibende"
Richtung nur die nackten Thatsachen an Formen und Vor-
gängen. Eine ursächliche Erklärung davon zu geben und
wirkliche Erkenntnis« zu verbreiten, ist nach seiner Meinung
die erst noch zu lösende Aulgabe der Entwicklungsniechanik.
Es ist eine missliche und keineswegs erfreuliche Aufgabe,
auseinander setzen zu sollen, von welchem Punkte an Kennt-
nisse zur Erkenntniss werden, wo das beschreibende Wissen
aufhört, und wo das ursächliche Wissen beginnt. Noch fehlt
uns ein Instrument für derartige subtile Unterscheidungen.
Jedenfalls aber lässt sich eins sagen — denn es liegt klar
auf der Hand — : die Entwicklungslehre, wie sie bisher aus-
gebildet ist, lehrt uns keineswegs nackte zusammenhangslose
Thatsachen, sie lehrt uns vielmehr Reihen von
Thatsachen, die in einem absolut noth wendigen,
ursächlichen Verhältniss zu einander stehen.
Das Gesagte ergiebt sich von selbst aus der besonderen
Natur des dem Embryologen vorliegenden Untersuchungs-
objectes. Denn der Entwicklungsprocess eines Organismus
spielt sich in einer festgeordneten Reihe oder einer Stufen-
folge zahlloser wechselnder Erscheinungen oder Thatsachen
ab, deren Wechsel darin besteht, dass sich eine Erscheinung
in die andere continuirlich umwandelt. Ihre Aufeinander-
folge und ihre Umwandlung ist aber unter gleichbleibenden
Bedingungen eine absolut nothwendige, vollzieht sich ebenso
nach einem unfehlbaren Naturgesetz, als der in die Luft
geworfene Stein nach bestimmter Zeit und mit bestimmter
— 36 —
Geschwindigkeit nach dem Fallgesetz zu Boden sinkt oder
die Himmelskörper ihre Bahnen beschreiben. Jede Er-
scheinung" in einem Entwicklungsprocess verhält sich daher
zu der ihr vorausgehenden Erscheinung wie die Folge zu
ihrem Grund, wie die Wirkung zu ihrer Ursache, wobei
wir allerdings, um uns eines logischen Fehlers und eines
Uebersehens nicht schuldig zu machen, hinzufügen müssen,
dass in jede folgende Erscheinung auch äussere Ursachen,
die Umstände oder Bedingungen, fortwährend mit eingehen.
Eine lebende Froschkeimblase ist der Grund, welcher mit
unfehlbarer Notwendigkeit zur Entstehung einer Frosch-
gastrula als Folge führt, wenn sonst die äusseren Ursachen
oder die Bedingungen zur weiteren Entwicklung erfüllt
sind. Für die Worte Grund und Folge kann man ebenso
gut auch die Worte Ursache und Wirkung setzen. Daher
stellt die entwicklungsgeschichtliche Forschung, welche die
Umwandlung der Froschkeimblase in die Gastrula be-
schreibt , ein ursächliches Verhältniss und , sofern
sie das für alle Stadien der Entwicklung des Frosches aus
dem Ei thut, das Entwicklungsgesetz des Frosches dar.
In dieser Richtung hat die Forschung seit
fünfzig Jahren die wichtigsten causalen Er-
kenntnisse zu Tage gefördert. Ist nicht causal die
Erkenntniss, dass die Eier und Samenfäden einfache
Elementarorganismen oder Zellen sind, und dass sie schon
als solche, wenn die geeigneten Bedingungen erfüllt sind,
alle Ursachen (von den causae externae abgesehen) in sich
vereinigen, welche zur Entstehung des neuen Geschöpfes
erforderlich sind, und sie sofort auch in Wirksamkeit treten
lassen? ist nicht causal die Erkenntniss, welche uns zeigt,
in welcher Weise Stufe für Stufe Ursachen und Wirkungen
(Zellvermehrung , ungleiches Wachsthum, Einfaltung, Aus-
— 37 -
stülpung etc.) sich in gesetzmässiger Weise abspielen und
eine Entwicklungsform nach der anderen in's Dasein treten
lassen; dass der Entwicklungsprocess in seinen ersten
Gründen auf der fast in's Unendliche fortschreitenden Ver-
mehrung der Eizelle auf dem Wege der Selbsttheilung be-
ruht, dass die Zellen sich nach festen Gesetzen zu Keim-
blättern zusammenordnen , dass fast alle noch so complicirt
gebauten Organe des erwachsenen Thieres nach einigen
wenigen, einfachen Wachsthumsprincipien durch Einfaltung
und Ausstülpung der Keimblätter oder durch Auswande-
rung von Zellen aus dem epithelialen Verbände formal ent-
standen sind*?
Rein theoretisch betrachtet liegt die Möglichkeit
vor uns offen, dass bei der weiteren Verfolgung des ein-
geschlagenen Weges die Entwicklungslehre uns sogar zu
einer — ich möchte fast sagen — astronomischen Er-
kenntnis s des Entwicklungsprocesses führen
könnte. Ich habe schon oben erörtert, welche Aufgaben
sich von Seiten des mathematischen Physikers für die Er-
forschung des Entwicklungsverlaufs stellen lassen: genaue
Bestimmung der Grösse und Schwere der Eizelle und der
aus ihr hervorgehenden Embryonalzellen auf jedem ein-
zelnen Stadium, desgleichen genaue, in mathematischen For-
meln wiederzugebende Berechnung der Bahnen und der
wechselnden Geschwindigkeit der Bewegung innerhalb ihrer
Bahn für jede einzelne Embryonalzelle, Construction des
Gesetzes in einer Entwicklungsformel , aus welcher sich
dann für die zehnte, zwanzigste Zellengeneration etc. im
Voraus sagen lässt, welche Stellung jede einzelne Zelle im
System einnehmen und welche Bewegungsgeschwindigkeit
sie in einem bestimmten Moment besitzen muss.
Die Schwierigkeit dieser Zukunftsaufgabe liegt nicht
— 38 —
auf dem Gebiete des „causalen Denkens", auch nicht auf
dem Gebiete der mathematischen Berechnung, da uns die
Astronomie ja lehrt, welche Aufgaben hier mit jahrelanger
Geduld sich bewältigen lassen, — sie liegt lediglich auf dem
Gebiete der Beobachtung. Unserem Beobachtungsvermögen
fehlt vor der Hand jede Möglichkeit, die zur Lösung einer
solchen Aufgabe erforderlichen Thatsachen herbei zu
schaffen. Im Uebrigen will ich auch ganz dahingestellt
sein lassen , ob die Lösung einer derartigen Aufgabe über-
haupt einen ihrer Schwierigkeit angemessen hohen Er-
kenn tnisswerth in sich bergen würde. Denn nicht jedes
in mathematische Formeln eingekleidete Wissen ist an sich
schon ein höherer Grad von Wissen; es kann auch völlig
werthloses Wissen sein, wie zum Beispiel die mathematische
Berechnung der Bewegungen eines Mückenschwarms.
Doch darüber an anderer Stelle (S. 94) mehr.
Die hier vorgetragene Ansicht, welche in der Ent-
wicklung eines Organismus ein System ursächlich ver-
bundener Erscheinungen erblickt und daher nicht zögert,
die über sie handelnde Wissenschaft auch eine causale zu
nennen, weil sie Erscheinungen in ihrem noth wendigen
Causalnexus darzustellen hat, will Roux nicht gelten
lassen. Er will die gegenwärtige Ableitung der Form-
bildungen von Faltungen und Ausstülpungen einer Zellen-
membran, von Verschmelzungs- und Abschnürungsvorgängen
u. dgl. nicht als eine causale Analyse anerkennen, ebenso
wenig die Zurückführung der genannten Vorgänge „auf
Vergrösserung, Verkleinerung, Umgestaltung, Theilung
und Umordnung der Zellen". Roux nennt diese Unter-
scheidungen bloss gestaltliche; eine „Analyse aber der
organischen Gestaltungsvorgänge nach den Ursachen
und deren speci fischen Combinationen" lässt er
noch ausstehen (G. A. S. 36, 37).
- 39 —
Derartige und andere höchst unklare Urtheile von
•Roux finden ihre Erklärung hauptsächlich darin, dass er
dem Begriff „Ursache" eine falsche Fassung gegeben hat.
Für ihn ist Ursache gleich Kraft ( A. f. E. S. 2 u. 3).
„Da man die Ursachen jeden Geschehens Kräfte
resp. Energieen nennt," bemerkt er, „so kann man
als das allgemeine Ziel der Entwicklungs-
mechanik die Ermittlung der gestaltenden
Kräfte oder Energieen"1) bezeichnen. In diesem
einen Satze liegt wegen der aus ihm abgeleiteten Conse-
quenzen die Quelle vieler Irrthümer und Selbsttäuschungen,
liegt die ganze Unklarheit und eitle Selbstüberhebung des
Roux'schen Standpunktes. Daher hat hier unsere Kritik an
erster Stelle einzusetzen!
Das Wort Ursache ist nichts weniger als
gleichbedeutend mit dem Worte Kraft.
Schon Lotze hat sich gegen die jetzt wieder von Roux
beliebte Verwendung des Begriffes energisch ausgesprochen.
„Man kann," bemerkt er, „die tiefen Irrthümer der Physio-
logie nicht kürzer beisammen finden, als in der oft ge-
brauchten Definition , dass die Kraft die unbekannte Ur-
sache der Erscheinungen sei. In ihr lernen wir nicht bloss
die Kraft als ein Ding kennen, da sie doch immer nur der
Grund eines Geschehens sein kann" u. s. w. (34, S. XIX).
J) Eine ähnliche Definition des Zieles giebt Dreyer in seinen
Zielen und Wegen biologischer Forschung in dem Satz (6, S. 78):
„Einer ätiologisch -mechanischen Forschungsperiode wartet die Auf-
gabe, den verwickelten Kräftecomplex , den wir unter dem Namen
des Lebens begreifen , in seine constituirenden elementaren Kräfte
aufzulösen und die Lebenserscheinungen und -Formen (!) durch Zurück-
fiihrung auf elementare, physikalisch-chemische Kräfte und womög-
lich mathematisch strenge Gesetze auf den festen Boden einer
exacten Erklärung zu stellen."
— 40 —
Nicht minder energisch hat bereits vor LotzeSchopen-
hauer an vielen Stellen den häufigen Missbrauch der Worte
„Ursache und Kraft" gerügt und sich über ihre Bedeutung
eingehend und klar geäussert. „Die Verwechselung
der Naturkraft mit der Ursache ist so häufig
wie für die Klarheit des Denkens verderblich.
Nicht nur werden die Naturkräfte selbst zu Ursachen ge-
macht, indem man sagt: die Elektricität, die Schwere u. s. f.
ist Ursache; sondern sogar zu Wirkungen machen sie
Manche, indem sie nach einer Ursache der Elektricität, der
Schwere u. s. w. fragen, welches absurd ist" (Bd. I S. 46).
„Etwas ganz Anderes ist es jedoch, wenn man die Zahl
der Naturkräfte dadurch vermindert, dass man eine der-
selben auf eine andere zurückführt, wie in unseren Tagen
den Magnetismus auf die Elektricität. Jede echte, also
wirklich ursprüngliche Naturkraft aber, wozu auch jede
chemische Grundeigenschaft gehört, ist wesentlich qualitas
occulta, d. h. keiner physischen Erklärung weiter fähig,
sondern nur noch einer metaphysischen, d. h. über die Er-
scheinung hinausgehenden." „Es ist unmöglich, mit seinem
Denken im Klaren zu sein, solange darin Kraft und Ur-
sache nicht als völlig verschieden deutlich erkannt werden.
Zur Verwechselung derselben führt aber sehr leicht der
Gebrauch abstracter Begriffe, wenn die Betrachtung ihres
Ursprungs bei Seite gesetzt wird. Man verlässt die auf der
Form des Verstandes beruhende, stets anschauliche
Erkenntniss der Ursachen und Wirkungen, um
sich an das Abstractum Ursache zu halten : bloss dadurch
ist der Begriff der Causalität, bei aller seiner Einfachheit,
so sehr häufig falsch gefasst worden." „Von der Kette der
Causalität, welche vorwärts und rückwärts endlos ist, bleiben
in der Natur zwei Wesen unberührt: die Materie und die
— 41 —
Naturkräfte. Denn das Eine (die Materie) ist das, an
welchem die Zustände und ihre Veränderungen eintreten;
das Andere (die Naturkräfte) das, vermöge dessen allein
sie überhaupt eintreten können" (Bd. III S. 52).
„Kein Begriff ist in der Philosophie so sehr gemiss-
braucht worden, als der der Ursache, mittelst des so be-
liebten Kunstgriffs oder Missgriffs , ihn durch das Denken
in abstracto zu weit zu fassen, zu allgemein zu nehmen."
Nach Schopenhauer ist „der allein richtige Ausdruck
für das Gesetz der Causa lität" dieser (Bd. III S. 49) :
„Jede Veränderung hat ihre Ursache in einer anderen, ihr
unmittelbar vorhergängigen. Wenn etwas geschieht, d. h.
ein neuer Zustand eintritt, d. h. etwas sich verändert, so
muss gleich vorher sich etwas Anderes verändert haben,
vor diesem wieder etwas Anderes und so aufwärts in's
Unendliche; denn eine erste Ursache ist so unmöglich zu
denken , wie ein Anfang der Zeit oder eine Grenze des
Raums."
„Es ist von der höchsten Wichtigkeit, dass man von der
wahren und eigentlichen Bedeutung des Causalitäts-
gesetzes wie auch vom Bereich seiner Geltung voll-
kommen deutliche und feste Begriffe habe, also vor allen
Dingen klar erkenne, dass dasselbe allein und ausschliess-
lich auf Veränderungen materieller Zustände
sich bezieht und schlechterdings auf nichts
Anderes, folglich nicht herbeigezogen werden
darf, wo nicht davon die Rede ist. Es ist nämlich
der Regulator der in der Zeit eintretenden Veränderungen
der Gegenstände der äusseren Erfahrung: diese aber sind
sämmtlich materiell. Jede Veränderung kann nur eintreten
dadurch, dass eine andere, nach einer Regel bestimmte ihr
vorhergegangen ist, durch welche sie aber dann als noth-
- 42 —
wendig herbeigeführt eintritt: diese Notwendigkeit ist der
Causalnexus" (Bd. I S. 36).
Ursache und Wirkung bilden eine endlose Reihe, da
jede Ursache selbst wieder die Wirkung einer noch früher
vorausgegangenen Ursache und jede Wirkung selbst wieder
Ursache einer später nachfolgenden Wirkung ist. Was sich
verändert, sind die „Dinge, d. h. Zustände der Materie";
„denn nur auf Zustände bezieht sich die Veränderung und
die Causalität. Diese Zustände sind es, welche man unter
Form im weiteren Sinne versteht, und nur die Formen
wechseln, die Materie beharrt. Also ist auch nur die
Form dem Gesetz der Causalität unterworfen.
Aber auch die Form macht das Ding aus, d. h. begründet
die Verschiedenheit der Dinge, während die Materie als in
Allem gleichartig gedacht werden muss" (Bd. III S. 49).
„Daher betrifft die Frage nach der Ursache eines Dinges
stets nur dessen Form, d. h. Zustand, Beschaffenheit, nicht
aber dessen Materie, und auch jene nur, sofern man Gründe
hat, anzunehmen, dass sie nicht von jeher gewesen, sondern
durch eine Veränderung entstanden sei. Die Verbindung
der Form mit der Materie giebt das Concrete, welches
stets ein Einzelnes ist, also das Ding, und die Formen
sind es, deren Verbindung mit der Materie, d. h. deren
Eintritt an dieser, mittelst einer Veränderung, dem Gesetze
der Causalität unterliegt" (Bd. III 8. 50).
„Von der endlosen Kette der Ursachen und Wirkungen,
welche alle Veränderungen leitet, aber nimmer sich über
diese hinaus erstreckt, bleiben eben dieserhalb zwei Wesen
unberührt: einerseits nämlich die Materie und andererseits
die ursprünglichen Naturkräfte, jene, weil sie der Träger
aller Veränderungen oder dasjenige ist, woran solche vor-
gehen; diese, weil sie das sind, vermöge dessen die Ver-
— 43 —
änderungen oder Wirkungen überhaupt möglich sind, das,
was den Ursachen die Causalität, d. h. die Fähigkeit zu
wirken allererst ertheilt , von welchem sie also diese bloss
zu Lehen haben. Ursache und Wirkung sind die zu not-
wendiger Succession in der Zeit verknüpften Verände-
rungen: die Naturkräfte hingegen, vermöge welcher alle
Ursachen wirken, sind von allem Wechsel ausgenommen,
daher in diesem Sinne ausser aller Zeit, eben deshalb aber
stets und überall vorhanden, allgegenwärtig und unerschöpf-
lich, immer bereit, sich zu äussern, sobald nur, am Leit-
faden der Causalität, die Gelegenheit dazu eintritt. Die
Ursache ist allemal, wie auch ihre Wirkung, ein Einzelnes,
eine einzelne Veränderung: die Naturkraft dagegen ist ein
Allgemeines, Unveränderliches, zu aller Zeit und überall
Vorhandenes; z. B. dass der Bernstein jetzt die Flocke an-
zieht, ist die Wirkung : ihre Ursache ist die vorhergegangene
Reibung und jetzige Annäherung des Bernsteins, und die
in diesem Process thätige, ihm vorstehende Naturkraft
ist die Elektricität" (Bd. I S. 45).
Wir haben somit von dem, was man unter Causalität und
unter causalem Forschen zu verstehen hat, einen ganz anderen
Begriff als Roux, Mit Schopenhauer, Lotze u. A.
nennen wir causal die Forschung und die Wissenschaft,
welche uns die Erscheinungen dieser Welt in ihren ursäch-
lichen Zusammenhängen darstellt, das heisst: uns nachweist,
dass Erscheinungen in nothwendigem Verhältniss von Ur-
sache und Wirkung zu einander stehen. Wir nennen es
daher, wie schon früher erwähnt wurde, ein causales Ver-
hältniss erforschen und erklären, wenn gezeigt wird, wie
sich die Gastrula durch Einfaltung aus einer Keimblase,
das Rückenmark durch Zusammenfalten einer Zellenplatte
zum Rohr anlegt u. s. w.
— 44 —
Soweit die Dinge, welche dem Causalitätsgesetz unter-
liegen, der sinnlichen Welt angehören, lassen sich ihre ur-
sächlichen Zusammenhänge auch beschreibend darstellen.
Wir denken daher von einer descriptiven Wissenschaft,
welche, in ihrer Vollendung gedacht, den Causalnexus der
Erscheinungen vollkommen beschreibt, sehr hoch und sind
der Meinung von Schopenhauer: „Was wir aus seinen
Ursachen verstehen, das verstehen wir, soweit es überhaupt
für uns ein Verständniss der Dinge giebt." In diesem Sinne
bezeichnet Kirchhoff (29 S. 1) die Mechanik selbst,
welche doch allgemein als der am meisten vollendete Zweig
der Naturwissenschaft und als das Vorbild aller übrigen
Zweige gilt, „als eine beschreibende Wissenschaft". „Er
stellt als die Aufgabe der Mechanik hin, die in der Natur
vor sich gehenden Bewegungen zu beschreiben, und zwar
vollständig und auf die einfachste Weise zu beschreiben.
Er will damit sagen, dass es sich nur darum handeln soll,
anzugeben, welches die Erscheinungen sind, die stattfinden";
dagegen will er den Begriff „Kraft", wegen der ihm an-
haftenden Unklarheit, dabei ganz aus dem Spiel lassen.
Wie die Begriffe „Ursache und Wirkung" ist jetzt auch
der Begriff „Kraft", welcher in der Definition der Ent-
wicklungsmechanik eine so verhängnissvolle Rolle spielt,
noch einer genaueren Analyse zu unterwerfen.
Die Kräfte, die wir in der uns umgebenden Welt
wirken lassen, entziehen sich als solche vollständig unserer
sinnlichen Wahrnehmung; sie sind qualitates occultae.
Was wir wahrnehmen, sind allein die Dinge oder Er-
scheinungen der Körperwelt und die an ihnen sich in
Raum und Zeit vollziehenden Veränderungen. Sie allein
sind daher auch Gegenstand der naturwissenschaftlichen
Erkenntniss. Der Begriff Kraft ist ein rein abstracter.
— 45 —
Wir legen in unserem Denken ein Etwas, das wir Kraft
nennen, den Dingen bei, wenn wir an ihnen eine Verände-
rung eintreten sehen, oder anders ausgedrückt: aus einer
eintretenden Veränderung schliessen wir auf ein Etwas, das
gleichsam wie ein lebendiges Wesen an der ruhenden Er-
scheinung die Veränderung hervorbringt oder bewirkt.
Was dieses Wesen aber eigentlich ist, bleibt dabei voll-
kommen im Dunkel, und wir können, um uns darüber zu
verständigen, jedenfalls nicht mehr thuen, als dass wir auf
die Veränderungen in den Zuständen der uns umgebenden
Körperwelt hinweisen, welche eben unser Denken zur An-
nahme des Begriffes Kraft veranlasst haben. Darüber
hinaus entzieht sich das Wesen der Kraft vollständig der
naturwissenschaftlichen Erkenntniss und ist überhaupt kein
Gegenstand ihrer Forschung mehr. Es beschäftigt sich
daher, streng genommen, die Physik nicht mit der Er-
forschung der magnetischen und elektrischen Kraft etc.,
vielmehr mit der Erforschung von Erscheinungen, welche
für unser Denken etwas Gemeinsames haben, das wir unter
dem abstracten Begriff der magnetischen, der elektrischen
Kraft etc. oder des Magnetismus und der Elektricität
zusammenfassen.
Die vollständige und erschöpfende Definition einer be-
stimmten Naturkraft ist daher nichts Anderes als die
zusammenfassende und, soweit es geht, in eine Formel ge-
brachte oder in Gesetze gefasste Beschreibung einer Summe
von Erscheinungen, welche in ihren Veränderungen für
unser vergleichendes Urtheil eine Summe gemein-
samer Merkmale darbieten und uns daraus auf ein in ihnen
wirkendes gleichartiges Etwas, — das ist eine Naturkraft, —
schliessen lassen.
Mit vollem Recht hat daher Kirchhoff, wie oben
— 46 -
erwähnt wurde, als die Aufgabe der Mechanik bezeichnet :
die in der Natur vor sich gehenden Bewegungen vollständig
und auf die einfachste Weise zu beschreiben, und
hat daher die Mechanik als die Wissenschaft von der Be-
wegung bezeichnet. Denn über das Wesen der für das Zu-
standekommen der Bewegungen angenommenen Grundkräfte
in der Mechanik kann uns die Forschung nicht mehr
lehren, als es die auf die einfachste Weise gegebene Be-
schreibung von den Bewegungen der Körper schon thut.
Angesichts der Aussprüche von R o u x und von manchen
andern Forschern, welche die Erforschung der gestaltenden
Kräfte oder Energien, der causae verae, als die wahre Auf-
gabe der Biologie hinstellen, scheint es uns an der Zeit,
diese Verhältnisse wieder einmal klar zu legen. Etwas
Neues sagen wir damit nicht, sondern wiederholen im
Wesentlichen nur, was schon mehrfach von Philosophen
und von philosophisch geschulten Naturforschern in klarer
Weise auseinandergesetzt worden ist, von Schopenhauer,
Du Bois-Reymond, von Lotze, Nägeli, Kuno
Fischer u. A.
Auf einige ihrer Aussprüche sei noch hingewiesen, um
den wichtigen Begriff „Kraft" nach allen Richtungen zu
beleuchten.
„Die Irrthümer, die sich in Betreff des Begriffes »Kraft«
weit verbreitet finden," bemerkt Lotze, „üben auf die Auf-
fassung der Physiologie im Ganzen ebensosehr wie auf die
Gestaltung einzelner ihrer Lehren einen so schädlichen Ein-
fluss aus, dass wir uns ein möglichst genaues Eingehen auf
sie hier nicht ersparen können. Kräfte, welches auch
die bestimmtere Bedeutung dieser Vorstellung sein mag,
sind in der äusseren Natur niemals Gegenstände unmittel-
barer Beobachtung; aber aus einer Wahrnehmung von Vor-
— 47 —
gangen in unserem eigenen Innern scheint sich überall ihr
Begriff entwickelt zu haben" (35, S. 85). Und an anderer
Stelle (34, S. XVIII): „Kräfte zeigt keine Erfahrung, sie
sind ein Supplement des Gedankens. Die vergleichende
Abstraction leitet zuerst aus den Erscheinungen immer nur
allgemeine Gesetze der Beziehung her; sie sagt uns z. B.,
dass alle im Raum gleichzeitig vorhandenen Körper sich
mit zunehmender Geschwindigkeit nähern, deren Be-
schleunigung den Quadraten der Annäherung proportional
ist. Nur Gesetze dieser Art fliessen unmittelbar aus der
analysirenden Kritik des Thatbestandes , und sie werden
jeder philosophischen Forschung vollkommen genügen.
Allein durch einen unwiderstehlichen Hang, über dessen
Ursprung man sich aus der Metaphysik unterrichten mag,
wird der denkende Geist angetrieben, dasjenige, was den
Dingen in ihrem Zusammensein begegnet, als Verdienst
oder Schuld, als That überhaupt eines Subjectes anzusehen
und die bloss denkbare Möglichkeit, in gewisse Verhältnisse
zu kommen, als eine reale Eigenschaft des Dinges zu be-
trachten und sie so in Gestalt einer den späteren Erfolg
herbeiführenden Kraft in das Innere des Dinges zu ver-
legen. Wir wissen, dass über das Verhalten jedes Seienden
gegen andere nicht von ihm selbst, sondern von allgemeinen
Gesetzen entschieden wird ; insofern ist es eine Fiction, wenn
der Begriff der Kraft dennoch das, was dem Dinge nur in
Folge der Gesetze unter gewissen Bedingungen zukommt,
als ein ihm eigenthümliches Verdienst, Kraft und Tugend
ihm zuschreibt." „Wir werden sagen müssen, dass Kräfte
gar nichts in den Dingen wirklich Vorhandenes, noch weniger
etwas Fertiges, ihnen ein- für allemal Inhärirendes sind,
sondern dass die Dinge solche Kräfte zuweilen erlangen, in
dem Momente nämlich, wo aus dem Zusammenkommen
- 48 -
ihrer Eigenschaften mit denen anderer in irgend einer Be-
ziehung eine Folge hervorgeht. Die Dinge wirken nicht,
weil sie Kräfte haben, sondern sie haben dann scheinbare
Kräfte, wenn sie etwas bewirken. "
Schopenhauer bezeichnet als Aetiologie die Wissen-
schaft von den Umwandlungen der Materie, von den Ge-
setzen ihres Uebergangs aus einer Form in die andere
und rechnet zu ihr die Mechanik, Physik, Chemie, Physio-
logie. „Die Aetiologie lehrt uns, dass nach dem Gesetz
von Ursache und Wirkung dieser bestimmte Zustand der
Materie jenen anderen herbeiführt, und damit hat sie
ihn erklärt und das Ihrige gethan. Indessen thut
sie im Grunde nichts weiter, als dass sie die gesetzmässige
Ordnung, nach der die Zustände in Raum und Zeit ein-
treten, nachweist und für alle Fälle lehrt, welche Erscheinung
zu dieser Zeit, an diesem Orte noth wendig eintreten muss:
sie bestimmt ihnen also ihre Stelle in Zeit und Raum nach
einem Gesetz, dessen bestimmten Inhalt die Erfahrung ge-
lehrt hat, dessen allgemeine Form und Notwendigkeit je-
doch unabhängig von ihr uns bewusst ist. lieber das
innere Wesen irgend einer j ener Erscheinungen
erhalten wir aber dadurch nicht den mindesten
Aufschluss: dieses wird Naturkraft genannt
und liegt ausserhalb des Gebietes der ätio-
logischen Erklärung, welche die unwandelbare Con-
stanz des Eintritts der Aeusserung einer solchen Kraft, so
oft die ihr bekannten Bedingungen dazu da sind, Natur-
gesetz nennt. Dieses Naturgesetz, diese Bedingungen,
dieser Eintritt, in Bezug auf bestimmten Ort zu bestimmter
Zeit, sind aber Alles, was sie weiss und je wissen
kann. Die Kraft selbst, die sich äussert, das
innereWesen der mitjenen Gesetzen eintreten-
— 49 —
den Erscheinungen bleibt ihr ewig einGeheim-
niss, ein ganz Fremdes und Unbekanntes, sowohl bei der
einfachsten wie bei der complicirtesten Erscheinung. Denn
wiewohl die Aetiologie bis jetzt ihren Zweck am voll-
kommensten in der Mechanik, am unvollkommensten in der
Physiologie erreicht hat, so ist dennoch die Kraft, vermöge
welcher ein Stein zur Erde fällt, oder ein Körper den an-
dern fortstösst, ihrem inneren Wesen nach uns nicht
minder fremd und geheimnissvoll, als die,
welche die Bewegungen und das Wachsthum
eines Thieres hervorbringt (Bd. II, S. 116).
„Die Mechanik setzt Materie, Schwere, Undurchdring-
lichkeit, Mittheilbarkeit der Bewegung durch Stoss, Starr-
heit u. s. w. als unergründlich voraus, nennt sie Natur-
kräfte, ihr vollständiges und regelmässiges Erscheinen unter
gewissen Bedingungen Naturgesetz, und danach erst fängt
sie ihre Erklärung an, welche darin besteht, dass sie treu
und mathematisch genau angiebt, wie, wo und wann jede
Kraft sich äussert, und dass sie jede ihr vorkommende Er-
scheinung auf eine jener Kräfte zurückführt. Ebenso machen
es Physik, Chemie, Physiologie in ihrem Gebiet, nur dass
sie noch viel mehr voraussetzen und weniger bieten. Dem-
zufolge wäre auch die vollkommenste ätiologische Er-
klärung der gesammten Natur eigentlich nie mehr als ein
Verzeichniss der unerklärlichen Kräfte und eine sichere
Angabe der Regel, nach welcher die Erscheinungen der-
selben in Zeit und Raum eintreten, sich succediren, einander
Platz machen: aber das innere Wesen der also erscheinen-
den Kräfte müsste sie, weil das Gesetz, dem sie folgt, nicht
dahin führt, stets unerklärt lassen und bei der Erscheinung
und deren Ordnung stehen bleiben" (Bd. II, S. 117).
„Wir sehen, dass von aussen dem Wesen der Dinge
Hertwig, Zeit- und Streitfragen. II. 4
— 50 —
nimmermehr beizukommen ist: wie immer man auch forschen
mag, so gewinnt man nichts als Bilder und Namen" (Bd. II,
S. 118). — „Mechanik, Physik, Chemie lehren die Regeln
und Gesetze, nach denen die Kräfte der Undurchdringlich-
keit, Schwere, Starrheit, Flüssigkeit, Cohäsion, Elasticität,
Wärme, Licht, Wahlverwandtschaften, Magnetismus, Elek-
tricität u. s. w. wirken, d. h. das Gesetz, die Regel, welche
diese Kräfte in Hinsicht auf ihren jedesmaligen Eintritt
in Zeit und Raum beobachten: die Kräfte selbst aber
bleiben dabei, wie man sich auch geberden mag,
qualitates occultae" (Bd. II, S. 145).
„Es ist ein ebenso grosser, wie gewöhnlicher Irrthum,
dass die häufigsten , allgemeinsten und einfachsten Er-
scheinungen es wären, die wir am besten verständen; da
sie doch vielmehr nur diejenigen sind, an deren Anblick
und unsere Unwissenheit darüber wir uns am meisten ge-
wöhnt haben. Es ist uns ebenso unerklärlich, dass
ein Stein zur Erde fällt, als dass ein Thier sich
bewegt" (Bd. II, S. 148).
Schopenhauer bezeichnet daher „ein Naturgesetz als
die der Natur abgemerkte Regel, nach der sie, unter bestimmten
Umständen, sobald diese eintreten, jedes Mal verfährt: da-
her kann man allerdings das Naturgesetz definiren als eine
allgemein ausgesprochene Thatsache, un fait generalis^,
wonach dann eine vollständige Darlegung aller
Naturgesetze doch nur ein completes That-
sachen register wäre" (Bd. II, S. 167).
Denselben [deengängen wie bei Lotze und Schopen-
hauer begegnen wir bei Nägeli:
„Da alle Vorstellungen, welche wir von der Natur
haben, uns durch die sinnliche Wahrnehmung vermittelt
werden, so kann auch unser Erkennen nicht weiter gehen,
— 51 —
als dass wir die wahrgenommenen Erschei-
nungen mit einander vergleichen und sie mit
Rücksicht aufeinander beurtheilen" (41, S. 578).
„Wir können nicht nur die verschiedenen Dinge mit
einander vergleichen und durch einander messen, sondern
wir können auch ein System, eine einheitliche Gruppe von
zusammengehörigen Dingen, insofern sie sich verändert, in
verschiedenen, aufeinander folgenden Zeiten mit sich selbst
vergleichen und mit sich selbst messen. Die Erkenntniss
der Veränderung ist vollendet, wenn der spätere Zustand
als die nothwendige Folge des früheren oder dieser als der
nothwendige Vorgänger des späteren nachgewiesen, wenn
einer aus dem andern construirt, wenn also die beiden Zu-
stände in das Verhältniss von Ursache und Wirkung ge-
bracht werden können" ('S. 580).
„Einen Natur Vorgang begreifen h eis st
gleichsam nichts Anderes als ihn denkend
wiederholen, ihn in Gedanken hervorbringen"
(S. 582).
„Wir können nur das Endliche, aber wir können auch
alles Endliche erkennen, das in den Bereich unserer sinn-
lichen Wahrnehmung fällt" (S. 585).
„Es wäre ein Irrthum, anzunehmen, dass wir das Zu-
standekommen des Naturlebens überhaupt aus seinen Ur-
sachen begreifen. Die gleiche Schranke wie in den
geistigen finden wir in allen rein materiellen Vorgängen.
Wir wissen aus Erfahrung, dass in der unorganischen Welt
die Ursache in der Wirkung aufgeht, aber es ist uns un-
fassbar, wie die Uebertragung geschieht. Wir wissen aus
Erfahrung, dass ein in die Luft geworfener Stein auf die
Erde fällt, und wir sagen, es geschehe deshalb, weil die
Erde ihn anziehe; allein diese Anziehung ist für uns im-
— 52 —
"begreiflich." „Was wir wissen, ist, dass zwei von einander
entfernte Körper so auf einander wirken, dass sie, wenn
kein Hinderniss entgegensteht, sich bis zur Berührung
nähern. Worin aber diese Einwirkung besteht, wie dieselbe
die gegenseitige Bewegung zu Stande bringt, ist uns gerade
so unbegreiflich und wird uns gerade so ein ewiges Räthsel
bleiben, wie das Zustandekommen der Empfindung und des
Bewusstseins aus den materiellen Ursachen." „Das Näm-
liche finden wir bei allen materiellen , physikalischen und
chemischen Vorgängen. Ein positiv und ein negativ elek-
trischer Körper bewegen sich gegen einander, zwei Körper
mit gleichnamiger Elektricität bewegen sich von einander
weg. Wenn wir sagen, dass im ersten Fall An-
ziehung, im zweiten Abstossung stattfinde, so
sind dies nur kurze Ausdrücke, welche Reihen
von gleichartigen Vorgängen zusammenfassen,
aber keine Erklärungen. Wir gewöhnen uns aber
an solche Ausdrücke; sie werden uns nach und nach so
geläufig, dass wir glauben, wir begriffen wirklich die durch
sie bezeichneten Vorgänge. Deswegen ist denn auch die
Ansicht ganz allgemein verbreitet, die Natur in ihren ein-
facheren unorganischen Erscheinungen biete unserer Er-
kenntniss keine Schwierigkeiten dar, während die Schwierig-
keiten grundsätzlich überall die nämlichen sind" (1. c.
S. 595).
„Umfang und Grenze des Erkenntnissgebietes ist ver-
schieden, je nach den mehr oder weniger strengen An-
forderungen , die man stellt. Es lassen sich selbst diese
Anforderungen so hoch schrauben, dass das Erkennen zur
Unmöglichkeit wird." „Die Astronomie wäre nicht mehr
Erkenntniss, sondern bloss Wissen und Kunst, wenn zur
Erkenntniss auch das Begreifen der Gravitation und Be-
— 53 -
wegung gefordert würde." „Das mögliche ursäch-
liche Erkennen begnügt sich damit, je auf die
nächsten Ursachen zurückzugehen" (1. c. S. 626.
627).
Auf den Selbstbetrug, dem man sich häufig
h i n g i e b t , indem man glaubt, durch den Ge-
brauch des Wortes Kraft eine Erscheinung
besser begriffen zu haben, macht auch Kuno
Fischer in seiner Logik aufmerksam (13 S. 373). „Die
Erscheinung sucht man als Aeusserung einer Kraft zu be-
greifen, man muss mithin so viele Kräfte gelten lassen, als
wir Erscheinungen haben. Die Welt der Erschein-
ungen wird in die Welt der Kräfte übersetzt.
So braucht diesen Begriff überall das erklärende Denken.
Es fasst den Inhalt einer ihm gegebenen Erscheinung in den
Begriff der Kraft und erklärt dann durch diesen Begriff
die gegebene Erscheinung. So werden die Bewegungs-
erscheinungen übersetzt in bewegende Kräfte; die Er-
scheinungen des Magnetismus , der Elektricität, der che-
mischen Verbindungen und Vorgänge werden erklärt durch
magnetische, elektrische, chemische Kräfte, die Lebens-
erscheinungen durch Lebenskraft etc. etc."
„Was also haben wir mit dem Begriff der Kraft ge-
wonnen? Die Wissenschaft und das natürliche Denken
wollen diesen Begriff nicht entbehren, der doch, näher be-
trachtet, so überflüssig und darum so entbehrlich zu sein
scheint. Wir setzen, wie es scheint, eine unbekannte Grösse
für eine andere und erklären x durch y. Ist etwa die Lebens-
kraft bekannter als die Lebenserscheinung, oder die mag-
netische Kraft bekannter als der Magnetismus"? Was also
richtet man in der Erklärung der Dinge mit dem Begriffe
der Kraft aus?"
— 54 —
„In der Tliat findet sich im Gebrauch dieses
Begriffes eine Täuschung, die wir einleuchtend
machen und zerstören müssen. Man übersetzt die
Erscheinung in die Kraft, die ihr gleichkommt, dann über-
setzt man diese Kraft zurück in die Erscheinung und meint
jetzt, die letztere erklärt zu haben. ':
Den Vortheil, den der Begriff Kraft bietet, sieht Fischer
darin, dass er die Richtung auf die Einheit der
Erscheinungen nimmt, dass er dazu führt , die Zahl
der Kräfte zu vereinfachen und auf Grundkräfte zu-
rückzuführen, dass er darin dem Begriff des Gesetzes folgt,
der diese Richtung schon bezeichnet und eingeschlagen hat
(1. c. S. 375).
Ich schliesse mit Du Bois-Reymond ab, der mehrfach
die häutig wiederkehrende falsche Auffassung des Begriffes
Kraft gerügt hat. „Die Kraft ist nichts Wirkliches, wie
der Vitalismus es sich denkt, nicht ein mit dem materiellen
Substrat zusammengefügtes, die Materie, wie sie unseren
Sinnen erscheint, ausmachendes Wesen, welches auch von
der Materie getrennt selbständig fortbestehen kann. S i e
ist nichts als eine zur scheinbaren Befrie-
digung unseres C au sali tätsbedürfni sses ein-
gebildete Ursache von Veränderungen, welche
selber das einzig Wirkliche sind, das wir wahr-
nehmen. Um nach fast einem halben Jahrhundert das
Gleichniss zu wiederholen : die Atome sind nicht wie ein
Fuhrwerk, davor die Kräfte als Pferde nun vorgespannt,
dann davon abgeschirrt werden können1)" (Bd. II, Nr. 1,
S. 17). '
J) Wie von einer Reihe biologischer Forscher in dem Gebrauch
des Wortes Kraft wieder gesündigt wird, dafür liefert uns ein
interessantes Beispiel Dreyer in seiner Gerüstbildungsmechanik
— 55 —
Nach diesem Excurs kehren wir wieder zu R o u x zu-
rück. In seinen Schriften begegnet uns auf Schritt und
Tritt die von Schopenhauer und L o t z e getadelte Ver-
wendung der Begriffe „Ursache und Kraft". In ihnen erhält
ferner der Begriff der Causalität eine solche Fassung, dass
man nicht weiss, was man auf dem Gebiete der Biologie
überhaupt noch eine „ursächliche Forschung" nennen soll.
Denn wenn Roux als solche „die Ermittelung der gestalten-
den Kräfte oder Energieen" bezeichnet, so stellt er der
Entwicklungsmechanik eine Aufgabe, welche, streng ge-
nommen, die Naturwissenschaft überhaupt nicht erforschen
kann, und trägt in ihre Definition gleich alle die Unklar-
heiten hinein, welche dem Begriff der Kraft anhaften. Bei
solcher Unklarheit kann es uns fürwahr nicht Wunder
(6, S. 90). Dreyer glaubt gefunden zu haben, dass den zier-
lichen Gerüsten der Rhizopoden trotz der Höhe ihrer morphologischen
Ausbildung doch nur .,eine einfache physikalische Bildungskraft, die
Oberflächenspannung*^!!), zu Grunde liege. Hierdurch wird er zu
folgenden Bemerkungen veranlasst: „Können wir hier nicht sagen:
die Rhizopoden können gar nichts dazu, dass sie so schöne Skelette
haben? Sind wir hier nicht Zeugen des seltsamen Schauspiels, dass
der Organismus selbst nur Handlangerdienste versieht, indem er das
Baumaterial nur beschafft und zubereitet, während eine elemen-
tare physikalische Kraft, ein fremder Eindringling von
aussen, die Rolle eines intelligenten Baumeisters, eines
Künstlers spielt und Formen hervorzaubert, die an Formen-
reichthum und Zierlichkeit alles in der organischen Welt Vorhandene
bei Weitem überbieten? Dies wunderbare Symbiose Verhält-
nis s — wenn dieser Ausdruck hier noch erlaubt ist — zwischen
Organismen und unorganischen Kräften der Aussenwelt
scheint allen bisher gewonnenen Regeln der Erfahrung zuwider zu
laufen." — Hier wird uns also die Kraft geradezu als eine leibhaftige,
von aussen in den Organismus hinein gedrungene Person dargestellt.
Eine passende Illustration zu dem von Du Bois-Reymond an-
geführten Grleichniss.
— 56 —
nehmen, wenn Roux von der gewaltigen Grösse der Auf-
gabe seiner Entwicklungsmechanik mit einer gewissen ehr-
furchtsvollen Scheu redet, als dem „schwierigsten" Unter-
nehmen, „an welches sich der Menschengeist gewagt hat"
(A. f. E. S. 21). Die Schwierigkeit besteht eben darin, dass
Niemand aus den genauer dargelegten Gründen näher an-
geben kann, was denn nun eigentlich erforscht werden soll.
Es ist genau derselbe Zustand, der eintreten würde, wenn
Jemand als die Aufgabe der gesammten Naturwissenschaft
die Erforschung der weltbildenden Kraft angeben wollte.
Was sollen wir uns, bei Lichte besehen, unter Er-
mittelung von gestaltenden Kräften vorstellen?
Physik und Chemie kennen solche vor der Hand nicht.
Und mit Recht. Denn der Begriff „Kraft" zielt, wenn er
mit Nutzen verwandt werden soll, immer auf das Allgemeine
der Erscheinungen, auf allgemeine Eigenschaften der Materie;
daher er am meisten in der Physik, schon weniger in der
Chemie gebraucht wird und in der Biologie ohne Schaden
entbehrt werden könnte. Die Verbindung der beiden
Worte „gestaltende Kraft" insbesondere
seh li esst eine naturwissenschaftlich brauch-
bare Verwendung des Kraftbegriffes geradezu
aus. Denn Gestalt ist stets etwas Besonderes, etwas Con-
cretes, wodurch ein Ding sich vor einem anderen Ding
auszeichnet. Der Ausdruck „gestaltende Kraft"
ist wissenschaftlich ebenso werthlos wie die
„Lebenskraft", welche Lotze durch seine
mechanischen Lehren hatte beseitigen wollen.
Eine genauere Analyse des Begriffes „gestal-
te n d e K r a ft oder Energie" wird uns zeigen, wie wenig
er leistet und wie wenig einer Erkenntniss durch ihn ge-
dient wird.
- 57 —
Wer von gestaltenden Kräften redet, kommt in die
Lage, so viele einzelne Gestaltungskräfte annehmen zu
müssen, als es verschiedene Gestalten giebt. Eine Kraft,
welche einen Kochsalzkrystall erzeugt, muss von der Kraft,
welche einen Krystall von Glaubersalz schafft, ebenso ver-
schieden sein, als das auskrystallisirte Kochsalz sich in seinen
Eigenschaften vom auskrystallisirten Glaubersalz unter-
scheidet. Und Gleiches gilt von jeder thierischen, von
jeder pflanzlichen Gestalt. An Stelle des Heeres der or-
ganischen Gestalten erhalten wir auf diese Weise nur ein
Heer von gestaltenden Kräften.
Im Organismenreich zerfällt uns aber der Begriff „ge-
staltende Kraft" unter unseren Händen noch weiter. Jede
organische Gestalt entwickelt sich, wie wir wissen. Im
Entwicklungsproeess eines Thieres folgen sich zahlreiche
Gestaltungen auf einander, die sich eine in die andere ge-
setzmässig umwandeln. Folglich müssen wir, wenn wir die
Besonderheit einer Gestalt als das Ergebniss einer gestal-
tenden Kraft bezeichnen , consequenter Weise auch so
viele verschiedene gestaltende Kräfte, als es Formstufen in
der Entwicklung giebt und eine Umwandlung derselben in
einander annehmen; wir müssen zum Exempel der Frosch-
blastula eine Froschgastrula bildende Kraft und dieser
wieder eine Neurula bildende Kraft zuschreiben und so
weiter jedem Entwicklungsstadium eine Kraft, welche sich
in dem nachfolgenden verwirklicht. Es wird Jeder ein-
sehen, dass wir auf diesem Wege mit dem Kraftbegriff in's
Gedränge gcrathen und dass hier für unsere Erkenntniss
nichts gewonnen wird, wenn wir „die Welt der Erscheinungen
in die Welt der Kräfte" übersetzen.
Doch vielleicht hilft uns ein anderer Weg. Vielleicht
haben wir mehr Glück, wenn wir, wie Roux auch vor-
— 58 -
schlägt, die Kraft, welche eine zusammengesetzte Gestalt
erzeugt , in einzelne Componenten, in Combi-
nationen von Energieen (?) zerlegen. R o u x gebraucht
dafür auch die Ausdrücke „gestaltliche Mannigfaltigkeit
producirende Componenten" oder „complexe Componenten
von vorläufig unübersehbarer Complicirtheit" oder besondere
„gestaltend wirkende Combinationen von Ursachen". „Da
die organische Entwicklung in der Production wahrnehm-
barer, typisch gestalteter Mannigfaltigkeit bestehe," heisst
es, „so seien zur Entstehung typischer Mannigfaltigkeit
selbstverständlich auch besondere typische Combinationen
von Ursachen (s. Energieen) nöthig" (A. f. E. S. 4). „Ver-
möge der Complicirtheit ihrer Zusammensetzung müsse man
diesen Componenten Eigenschaften zuertheilen, welche von
denen der anorganischen Wirkungsweisen oft so erheblich
verschieden seien, dass sie den Leistungen dieser nicht nur
sehr unähnlich seien, sondern ihnen zum Theil geradezu
zu widersprechen scheinen" (A. f. E. S. 5). Hierzu fügt
Roux noch hinzu, dass es allerdings seiner unmittelbaren
Auffassung entspreche, dass auch diese Componenten in
letzter Instanz auf anorganischen Wirkungsweisen beruhen.
Eine Zerlegung des Begriffs „gestaltende Kraft" in
Componenten lässt sich wohl am bequemsten in der Weise
erreichen, dass man die organische Gestalt in ihre ver-
schiedenen Theile zerlegt und für diese die gestaltenden
Kräfte setzt. Man erhält dann anstatt der allgemeinen Ge-
staltungskraft eine Schaar besonderer gestaltender Kräfte,
wie muskelbildende, nervenbildende, leber-, knochenbildende
Kraft u. s. w. Auf dem betretenen Wege noch weiter
schreitend kann man alle Elementartheile, welche man durch
anatomische Analyse und Methode dargestellt hat, als Träger
gestaltender Kräfte bezeichnen und dadurch noch eine
— 59 —
weitere Zerlegung' in besondere gestaltende Kräfte herbei-
führen. In dieser Weise könnte man von einer gestalten-
den Kraft der Zelle , des Kerns und der wieder im Proto-
plasma unterscheidbaren Elementarkörnchen sprechen.
(Roux's Isoplassonten, Autokineonten, Autonierizonten, Idio-
plassonten.)
Wird auf diesem Wege etwas gewonnen '? Liegt nicht
klar auf der Hand, dass der causale Forscher hier nichts
Anderes tkut, als nur die Ergebnisse des descriptiven
Forschers in eine andere Sprache zu übersetzen und seinen
durch Analyse gewonnenen Erscheinungen das Wörtchen
„Kraft" unterzuschieben ?
Roux selbst hat eine Zerlegung der gestaltenden Kraft
in Componenten in der consequenten Weise, wie wir es
hier gethan haben, um den Gedanken durchzudenken, nicht
ausgeführt. Dagegen spricht er, abgesehen von den schon
oben angeführten allgemeinen Redewendungen, vonEnergieen
der Entwicklung, der Erhaltung, der Rückbildung, der
Zellen und ihrer Elementartheile. Als complexe Compo-
nenten führt er auf die elementaren Zellfunctionen : die
Assimilation, die Dissimilation, die Selbstbewegung, Selbst-
theilung, die Selbstdifferenzirung der Zelle etc., lauter Dinge,
welche der descriptive Anatom auf Grund seiner Beobach-
tungen den Zellen als Eigenschaften beigelegt hat. Erfahren
wir etwa hieraus, was für eine Naturkraft denn nun eigent-
lich die „gestaltende Kraft" ist, was eine Combination von
Energieen , was eine complexe und was eine einfache
Componente von ihr ist? Namen, leere Namen und nichts
weiter! Auf festen Boden gelangen wir nur da, wo Roux
sich der Ergebnisse und Ausdrucksweisen der von ihm so
gering geschätzten „descriptiven Biologie" bedient.
Noch ein dritter Weg bleibt zu versuchen, die gestal-
— 60 —
tende Kraft direct in die Grundkräfte der Physik zu zer-
legen und die organischen Gestalten direct aus complexen
Componenten von Schwerkraft, Cohäsionskraft, chemischen,
elektrischen, magnetischen Kräften zu erklären. Dass dieser
Weg ebenfalls nicht der rechte ist, braucht kaum einer
näheren Darlegung. Zwar sind die Grundkräfte der Natur
wie in den unorganischen Körpern auch in den Organismen
wirksam und können, wo sie sich in Erscheinungen zeigen,
untersucht werden, aber wir können keine „gestaltende
Kraft" durch Combination von Schwerkraft, Cohäsionskraft,
chemischer, elektrischer Kraft construiren oder durch Ver-
einigung von ein bischen Schwerkraft, chemischer Kraft,
Cohäsionskraft zur Symbiose ä la Drey er organische Gestalt
produciren.
Somit fassen wir denn diese ganze Erörterung dahin
zusammen, dass es sich mit dem Begriff der „gestaltenden
Kraft" oder „Energie" in einer Beziehung genau so ver-
hält, wie mit dem älteren Begriff der Lebenskraft; so wenig
wie diese ist sie eine allgemeine Naturkraft, da es keine
allgemeine Gestalt, sondern nur besondere Gestalten giebt.
Weder die eine noch die andere lässt sich mit den Kräften
der Physik vergleichen. Letztere sind wissenschaftlich
brauchbare Begriffe, sie lassen sich in ihrer Bedeutung-
genauer definiren; mit dem Begriff „gestaltende Kraft"
lässt sich in der Naturwissenschaft ebenso wenig anfangen,
als mit den unzähligen besonderen Kräften, die man im
gewöhnlichen Leben jedem Dinge beilegen kann , wenn
man von einem activen Zustand desselben reden will
(Verdauungskraft des Magens und Darms, Nerven- und
Muskelkraft, Kaufkraft des Geldes, Widerstandskraft eines
Heeres etc.). Daher ist es naturwissenschaftlich richtiger,
von den Erscheinungen, die sich, soweit die Beobachtung
— 61 —
reicht, genau definiren lassen, als von gestaltenden Kräften
zu sprechen, die doch immer nur für jeden einzelnen Fall
besondere sind, da die Gestalt oder Form stets etwas
Concretes ist, durch welches sich ein Ding von anderen
unterscheidet.
Wenn irgendwo, so trifft für die Verwerthung des Be-
griffes Kraft in der causalen Morphologie von Roux der
schon früher citirte Ausspruch von Kuno Fischer zu: „In
der That findet sich im Gebrauch des Begriffes Kraft eine
Täuschung, die wir einleuchtend machen und zerstören
müssen. Man übersetzt die Erscheinung in die Kraft, die
ihr gleichkommt, dann übersetzt man diese Kraft zurück
in die Erscheinung und meint jetzt, die letztere erklärt zu
haben."
Darum müssen wir das von Roux aufgestellte Ziel der
Entwicklungsmechanik — die Erforschung der gestaltenden
Kräfte oder Energieen der Organismen — als ein unklares
und wissenschaftlich nicht genauer definirbares bezeichnen,
als ein Ziel, bei dessen Bestimmung namentlich gegen den
Gebrauch des Begriffes Kraft sich schwerwiegende Bedenken
erheben.
Hiermit gehen wir zum zweiten Theil unseres Pro-
gramms, zu einer Kritik der von Roux empfohlenen Mittel
und Wege über, welche zur Erreichung des von ihm auf-
gesteckten Zieles der „causalen Morphologie" dienen sollen.
- 62
2. Die Methoden der Entwicklungsmechanik.
Ausspruch von Roux : „Die Universalmethode des causalen Anatomen
wird ebenso •wenig die Anwendung des Messers wie
des Farbstoffes oder des Maasses , sondern einzig die
Geistesanato mie, das a naiv tische, causale
Denken sein" (G. A. S. 23).
Als die Universalmethode des causalen Anatomen (G.
A. S. 13) bezeichnet Roux „das analytische causale
Denken"; er nennt sie auch die „Geistesanatomie". Was
dieser sonderbare Ausdruck bedeuten soll , entzieht sich
unserem Verständnisse denn wie soll eine Zergliederung
des Geistes eine Methode sein, um unsere Erkenn tniss der
Ursachen des organischen Entwicklungsprocesses zu för-
dern? Doch auch abgesehen von diesem besonderen Aus-
druck waren wir bisher der Meinung, dass auf die Ur-
sachen gerichtetes Denken für die Ausbildung aller Wissen^
Schäften erforderlich ist, und dass die Anatomen, welche
bisher den Bau der Anatomie zu seiner jetzigen Höhe auf-
geführt haben, nicht blosse Messeranatomen, Färbe-
künstler etc. gewesen sind, sondern dabei des Denkens
oder, um mit Roux zu sprechen, des causalen Denkens
ebenso wenig als „Universalmethode" haben entbehren
können, als die Entwicklungsmechaniker, für welche Roux
„das causale Denken" in Privileg nehmen möchte.
Mit dieser wegen ihrer Absonderlichkeit kaum ernst-
haft zu nehmenden Ansicht verknüpft Roux den nicht
minder sonderbaren Gedanken, dass nur bei Einhaltung
einer bestimmten Forschungsmethode in der Biologie mit
Erfolg causal geforscht werden könne. Als die causale
Forschungsmethode zerr ^oy^v wird das Ex-
periment bezeichnet (A. f. E. S. 10); das Experiment wird
in allen Schriften gegen die Beobachtung ausgespielt.
— 63 —
Nach der Meinung von Roux lassen sich auf dem Wege
der Beobachtung „mit den descriptiven Forschungs-
methoden überhaupt keine sicheren Beweise für
ursächliche Zusammenhänge erbringen" (G. Abh.
S. 75), und es sollen die „causalen Ableitungen descriptiver
Forscher nur wesentlich darin bestehen , dass sie glauben,
ihre Ableitung stelle den einfachsten Herstellungsmodus der
betrachteten Bildung aus der vorhergehenden dar" (G. A.
S. 76). Roux legt daher so wenig Werth auf die Ar-
beiten seiner Vorgänger, dass er es für das Beste und
Richtigste hält, über sie einfach zur Tagesordnung über-
zugehen und mit der „causalen" Zukunftswissenschaft ganz
von vorne anzufangen. Wie das Wort „Mechanik", so hat
ihn auch das Wörtchen „causal" so in seinen Bann ge-
nommen, dass er in der Morphologie, in welcher er uns
überhaupt erst jetzt am Beginn exacter causaler
Forschungen stehen lässt (G. A. S. 76, A. f. E. S. 11),
wie schon früher erwähnt wurde, zwei Gruppen von Ana-
tomen unterscheidet: die eine Gruppe sind descriptive
Forscher, welche vorwiegend durch Beobachtungen unsere
Kenntniss an Thatsachen bereichern , die andere Gruppe
sind causale Forscher oder causale Denker, welche sich
von jetzt ab des analytischen Experimentes bedienen, die
Ursachen der Entwicklung ergründen und durch Fest-
stellung von Naturgesetzen unsere Erkenntniss vermehren
(G. A. S. 75).
Es lässt sich daher nicht vermeiden, auf den wissen-
schaftlichen Werth von Beobachtung und Ex-
periment und auf das Verhältniss beider zu
einander hier näher einzugehen, zumal auf manchen
Seiten die Neigung vorliegt, das Experiment auf Kosten
der Beobachtung zu überschätzen. Demgegenüber kann
— ü4 —
nicht genug betont werden, dass Beobachtung das allgemeine
und einzige Mittel ist, durch welches sich unser Geist in
bewusster Weise mit der Aussenwelt in Verbindung setzt.
Ihr verdanken wir das unendliche Material von Vor-
stellungen, welche uns unsere verschiedenen Sinne von den
uns umgebenden Dingen übermittelt haben, und welche uns
für weitere Denkprocesse zum Ausgang dienen.
Aber nicht nur zusammenhangsloses That-
sachenmaterial, auch ursächliche Erkenntniss
vermittelt uns die Beobachtung. Denn indem wir
die Dinge der Aussenwelt durch unsere Sinne wahrnehmen,
beobachten wir auch ihre Veränderungen, die in Kaum und
Zeit vor sich gehen, und erfahren, indem die Veränderungen
in unserem Gedächtniss haften, dass Gruppen von Er-
scheinungen regelmässig wiederkehren, und dass einzelne
mit anderen regelmässig und ohne Ausnahme verknüpft
sind. Wir beobachten, dass mit dem Aufgang der Sonne
der Tag und mit ihrem Niedergang stets die Nacht an-
bricht, oder dass der Blitz den Donner zur Folge hat, und
so zwingt die vielmals und stets in derselben Weise sich
wiederholende Beobachtung unserem Denkprocess den
Schluss ab, dass der Aufgang und der Niedergang der
Sonne den Wechsel der Tageszeiten zur Folge haben, und
dass der Blitz eine Ursache des Donners ist. So haben
gewissermaassen, wie schon an anderer Seite hervorgehoben
worden ist, die erhabenen, in steter Gleichmässigkeit sich
wiederholenden Naturvorgänge unserem Denken das Causali-
tätsgesetz eingeprägt. Je mehr in dieser Weise verschärfte
Beobachtung uns mit einem stetig wachsenden Material
causal verknüpfter Vorstellungen bereichert, um so mehr
wächst auch die Kraft und das Streben , alle in der Er-
scheinungswelt vor sich gehenden Veränderungen an dem
— 65 —
Leitfaden der Causalität in das Verhältniss von Ursache
und Wirkung zu einander zu setzen.
Nun ist aber klar, dass nur Dinge, soweit sie
sich verändern, Gegenstand causaler Erkennt-
niss sein können. Denn Dinge, die in Raum und Zeit
unserer Beobachtung unabänderlich als dieselben erscheinen,
können sich unserem Denken weder als Ursache noch als
Wirkung darbieten; sie erscheinen uns als todt und ohne
Beziehung zu einander. Hier bietet sich unserer Beobach-
tung ein grosser Unterschied zwischen der un-
organischen und der organischen Natur dar.
Im Gegensatz zu letzterer sind die unorganischen Körper
verhältnissmässig unveränderlich; sie gewähren daher für
directe Beobachtung und darauf beruhende causale Er-
kenntniss nur selten Angriffspunkte. Hier hat sich der mit
Bewusstsein beobachtende, d. h. der die Natur erforschende
Geist des Menschen ein mächtiges Hilfsmittel indem
Experiment bereitet. Er zwingt die Stoffe, sich
zu verändern, und gewinnt so die Möglichkeit,
eine ganz neue Welt von Erscheinungen und
gegenseitigenBeziehungenzuentdecken, welche
der Beobachtung allein für gewöhnlich verborgen geblieben
sein würden. Er lässt die Stoffe, indem er sie planmässig
zusammenbringt, in zahllosen chemischen Verbindungen
lebendig werden, sich trennen und vereinen, oder er lässt an
ihnen, indem er sie unter bestimmte Bedingungen versetzt,
diese und jene sonst nicht zu beobachtenden Erscheinungen
zu Tage treten; er lässt das als Sammellinse geschliffene Glas
das durchfallende Licht zu einem Brennpunkt vereinigen,
das Glasprisma den Sonnenstrahl in die Farben des Regen-
bogens zerlegen, den geriebenen Bernstein oder das magne-
tisch gemachte Eisen plötzlich auf andere Dinge Wirkungen
Hertwig, Zeit- und Streitfragen. II. 5
— 66 —
ausüben, die das anscheinend Todte als mit Kräften begäbt,
als Sitz eines gewissermaassen lebendigen Princips der
Elektricität und des Magnetismus erkennen lassen.
ExperimentundBeobachtung verhaltensich
daher zu einander wie Mittel und Zweck. Das
Experiment ist das Mittel, welches uns, indem es die Stoffe
zu Veränderungen zwingt, neue Wege der Beobachtung er-
schlossen hat. Niemals ist, auch für den experimentirenden
Physiker und Chemiker, das Experiment, sondern ohne
Zweifel die auf die neu hervorgerufenen Erscheinungen ge-
richtete Beobachtung die Hauptsache. Daher Manche zwar
experimentiren , aber dabei nichts zu entdecken im Stande
sind, weil es ihnen an der geschärften Beobachtungs-
gabe fehlt.
Anders als die unorganische Natur tritt die Welt der
Lebewesen dem Forscher entgegen. Sie ist die stets beweg-
liche , stets veränderliche. Ein Zustand folgt dem andern
ohne Unterbrechung. Auf der einen Seite stetigem Untergang
theilweise verfallen , erzeugt das Organismenreich sich auf
der anderen Seite mit verjüngter Kraft von Neuem, so
dass sich im Zerfallen und Neuentstehen der Lebensprocess
beständig abspielt. So bietet das Organismenreich schon
dem prüfenden Auge des Beobachters eine unerschöpfliche
Fülle von Veränderungen dar, ein ergiebiges Feld für Ent-
deckungen. In seinem Bereich ist es gar nicht nothwendig,
erst einen spröden Stoff durch das Experiment gewaltsam
zu Veränderungen zu zwingen; man braucht nur die Ver-
änderungen, die der Lebensprocess selbst im Körper von
Pflanzen und Thieren fortwährend hervorruft, zu beobachten
und in ihren ursächlichen Zusammenhängen zu begreifen.
Daher kann die Biologie in ausgedehntem Maasse eine nur
unmittelbar beobachtende Wissenschaft sein. Auch ohne
- 67 —
Experiment fehlt es ihr nie an würdigen Gegenständen zur
Erforschung.
Vor Allem aber gilt das Gesagte von der Entwicklungs-
lehre der Organismen. Vom befruchteten Ei bis zum fertigen
Thier folgt ein Entwicklungsstadium auf das andere, das
vorausgehende sich stetig und allmählich in das folgende
umbildend ; beide im Verhältniss von Ursache und Wirkung,
von Grund und Folge zu einander stehend. Alle diese Ent-
wicklungsvorgänge sind einem so strengen Gesetz unter-
worfen, dass die befruchteten Eier einer Thierart, wenn sie
unter denselben Bedingungen sich befinden, an jedem Ort
und zu jeder Zeit dem Beobachter die gleichen Entwicklimgs-
zustände darbieten. Der Entwicklungspro cess eines Thieres
spielt sich mit derselben Notwendigkeit wie der Umlauf
der Gestirne ab. In ihm legt die Natur dem Forscher ihre
Geheimnisse offen vor, bietet ihm eine Quelle unermess-
licher Erkenntniss, die nicht erst durch das Experiment er-
schlossen zu werden braucht.
Indem wir in der Erforschung der leblosen und der
lebenden Natur zwischen Physik und Chemie auf der einen
Seite und zwischen Biologie auf der anderen einen Gegen-
satz hervorheben , soll nicht unbemerkt bleiben , dass auch
die unorganische Natur uns Erscheinungen darbietet, die in
ihrer stetigen und gesetzmässigen Veränderung Objecte
directer Beobachtung sind. Ich brauche bloss an den Gegen-
stand der Astronomie, an den Umlauf der Himmelskörper
zu erinnern, deren Erscheinungen und ihre Gesetze uns die
unverdrossene, über Jahrhunderte sich erstreckende, zählende
und messende Beobachtung enthüllt hat. Hier liegt ein
Gebiet vor uns, welches dem Experiment unzugänglich ist,
dessen Erforschung aber zur Mechanik des Himmels ge-
führt hat, ein Gebiet, das durch die Spektralanalyse wieder
— 68 —
neuerdings der Beobachtung in einer neuen Richtung in
wunderbarer Weise erschlossen worden ist.
Auf der anderen Seite kann selbstverständlicher Weise
auch nicht in Abrede gestellt, im Gegentheil, es soll hier
sogar auf das Nachdrücklichste hervorgehoben werden, dass
auf dem Gebiete der Biologie das Experiment ein unschätz-
bares Mittel sein kann, welches in vielen Fällen der Be-
obachtung erst ermöglicht, noch tiefer in die Erscheinungen
einzudringen. Wer wollte verkennen , dass mit Hilfe des
Experiments in der Physiologie, in vielen Zweigen der
Morphologie, in der Pathologie und Medicin schon ganz Her-
vorragendes geleistet worden ist? So auf dem Gebiete der
Physiologie in der Lehre von den Sinnesempfindungen und
den Hirnfunctionen, der Verdauung und der Excretion oder
auf dem Gebiete der Medicin, auf welchem es genügt, an
die Entdeckung der Krankheitsursachen durch Verimpfung
von Mikroben, an die Entdeckung des Generationswechsels
der Eingeweidewürmer durch die Fütterungsversuche, an
die Entdeckung der zahllosen Arzneimittel zu erinnern,
welche betäubend, erregend, schlafbringend, fieberstillend
auf unsern Organismus einwirken, und so fort.
Aber man vergesse dabei auch nicht, dass in allen
diesen Fällen das Experiment nur ein Hilfsmittel der Be-
obachtung bildet und keineswegs den zahlreichen anderen
Hilfsmitteln überlegen ist, mit denen der Naturforscher
zählend, wägend und messend, vergrössernd und zerlegend
in die Erscheinungswelt tiefer einzudringen sucht. Den
glänzenden Entdeckungen, welche mit Hilfe des Experiments
gemacht worden sind , lassen sich nicht minder zahlreiche,
.wenn nicht zahlreichere und ebenso glänzende Entdeckungen
entgegenstellen, welche durch directe Beobachtung oder unter
— 69 —
Benutzung anderer Methoden als des Experiments gewonnen
worden sind.
Auch ist wohl zu beachten, dass die Beobachtung ver-
mittelst des Experiments auf dem Gebiete der Biologie nicht
immer den einfachsten und den sichersten Weg, Erkenntniss
zu gewinnen, darstellt und häufig viel weniger als die ein-
fache Beobachtung leistet.
Angesichts der weit verbreiteten und schädlichen
Ueberschätzung der Bedeutung des Experiments für die
Biologie mag das Gesagte noch an zwei Beispielen erläutert
werden. Unter vielen anderen Beispielen greifen wir den
Befruchtungsprocess und den Blutkreislauf heraus.
Vielfältige Beobachtung hat gelehrt, dass die Eier der
meisten Organismen sich nur entwickeln, wenn sie mit dem
Samen in Berührung kommen. Daraus erwuchs die Frage,
worauf beruht die befruchtende Wirkung des Samens?
welcher seiner verschiedenen Bestandtheile, die man unter-
scheiden kann, ist das befruchtende Princip? die Samen-
fäden, Avelche man lange Zeit für Parasiten, den Infusorien
vergleichbar, gehalten hat, oder die Flüssigkeit oder gar die
Aura seminalis? Man hat sich des Experiments zur Beant-
wortung der Frage bedient. Spallanzani und Leuckart
haben Froschsamen filtrirt, sie haben dann mit dem Filtrat
frisch herausgenommene Froscheier befruchtet, ohne da-
durch den Entwicklungsprocess anzuregen, während andere
Eier, die mit dem Filterrückstand, in welchem sich die
Samenfäden befanden , betupft wurden , alsbald sich zu
furchen begannen. Sie schlössen daraus, dass die Samen-
fäden das befruchtende Princip sind. Aber wie unsicher
dieser wichtige Schluss ist, und wie die Auslegung des Ex-
periments noch andere Möglichkeiten zulässt, das lehrt uns
die Geschichte der Zeugungstheorien. Ausser den Samen-
- 70 —
faden könnten ja beim Filtriren in dem Filterrückstand
auch noch nicht filtrirbare, ihnen anhaftende, wirksame Stoffe
zurückgeblieben sein ; daher konnte die Meinung laut werden,
dass die Samenfäden nicht als solche befruchten , sondern
nur insofern sie durch ihre Bewegungen an das Ei einen
befruchtenden Stoff heranbringen, welcher hierauf durch die
Eihülle in den Dotter durch Diffusion eindringt und ihn zu
den weiteren Processen anregt. Nach dieser Contacttheorie
von Bischoff würden die Samenfäden bei der Befruchtung
etwa nur die Rolle spielen wie die Bienen, welche den Pollen-
staub von einer zur andern Blüthe tragen und dadurch die
Bestäubung der Narbe vermitteln.
Wie viel weiter als das beschriebene Experiment hat
uns die directe Beobachtung des Befruchtungsvorganges an
hierfür geeigneten Objecten und mit dem Hilfsmittel des
Mikroskops und der mikroskopischen Technik geführt! Die
directe Beobachtung beseitigte erst die Parasitentheorie der
Samenfäden, indem Kölliker von ihnen nachwies, dass
sie thierische Elementartheile. metamorphosirte Zellen sind.
Durch directe Beobachtung erfuhren wir dann weiter, dass
die Befruchtung in der Verschmelzung zweier Zellen be-
steht, dass ein Samenfaden in das Ei eindringt, dass sein
Kopf, in welchem die Beobachtung uns den Abkömmling
eines Kernes der Samenbildungszelle kennen lehrte, sich in
einen kleinen Kern umwandelt, Avelcher sich dem Eikern
nähert und mit ihm verschmilzt.
Und noch tiefer sind wir schliesslich durch die häufig
wiederholte und immer höhere Ansprüche erhebende Beob-
achtung in das Geheimniss der Zeugung hineingeführt und
durch wahrnehmbare Thatsachen belehrt worden, dass Ei-
und Samenkern äquivalente Mengen von Chromatin ent-
halten , welche bei der Furchung ebenfalls in gleichen
— 71 -
Mengen auf die Tochterzellen vertheilt werden, und dass vor
der Befruchtung Ei- und Samenzelle, um für ihre Aufgabe
geeignet zu werden, erst noch eine Reifeperiode durchmachen
müssen, in welcher sich die eigenthümlichen Reductions-
th eilungen abspielen. So hat Beobachtung allein oder mit
Hilfe nicht experimenteller Methoden ein grosses Er-
scheinungsgebiet der Entwicklungslehre in kurzer Zeit
aufgeklärt und ein sicheres Fundament geschaffen, auf
welchem die Lehre von der Vererbung weiter bauen wird.
Zu den grossen physiologischen Entdeckungen, welche
zum Theil mit Hilfe des Experimentes gewonnen wurden,
gehört die Lehre vom Blutkreislauf. Welche Schwierigkeit
bereitete es den älteren Forschern, experimentell festzustellen,
in welcher Richtung im Verhältniss zum Herzen das Blut
in den Gefässen strömt, welche Bedeutung die Capillaren
haben, wie überhaupt der Kreislauf zu Stande kommt!
Auch hier enthüllt geschulte Beobachtung an einem ge-
eigneten Object, an einer kleinen durchsichtigen Fisch- oder
Amphibienlarve, unter Benutzung des Mikroskops unserem
Auge direct das ganze Geheimniss des Blutkreislaufs.
Aus solchen Beispielen erhellt wohl zur Genüge, wie
verkehrt es ist, die einfache Beobachtung gering zu schätzen
und das Experiment als die causale Forschungsmethode
y.cct 8E,oyJjv zu preisen. Dazu kommt noch, dass die
Deutung der durch Experimente ermittelten Erscheinungen
in der Biologie auf grössere Schwierigkeiten als in der
Physik und Chemie stösst. Denn der Lebensprocess ist
etwas so Verwickeltes, dass jeder künstliche Eingriff, der ja
meistens das Wesen des Experimentes ausmacht, zahlreiche
Störungen der verschiedensten Art hervorruft. Zwei in
gleicher Weise angestellte Experimente ergeben nicht immer
genau das gleiche Resultat. Der Zusammenhang der Er-
— 72 —
scheinungen, das Ergebniss des Experimentes, bleibt zweifel-
haft; daher denn in der Biologie über Nichts so viel als
über manche Arten von Experimenten gestritten wird. Wie
vieldeutig sind die durch Abtragung und Zerstörung ein-
zelner Hirntheile gewonnenen Ergebnisse der Hirnphysio-
logie! Wie liefert uns die Geschichte der Medicin so
manches lehrreiche Beispiel, dass ganze Epochen sich in der
Bedeutung unzählige Male wiederholter Experimente geirrt
haben, zum Beispiel in der Bedeutung des Aderlasses für
die Heilung entzündlicher Krankheiten ! Zeigt nicht auch in
unseren Tagen die verschiedenartige Beurtheilung der zahl-
losen Experimente, die mit Tuberkulin und Heilserum an
Thieren und kranken Menschen angestellt worden sind,
wie vorsichtig man mit einem abschliessenden Urtheil sein
muss?
Besonders aber auf dem Gebiete der Entwicklungs-
lehre dürfen wir uns keinen Illusionen über den Werth
und die Leistungsfähigkeit eines Experimentes hingeben,
wenigstens jener Art von Experiment, welche am häufigsten
gepflegt wird. In der Entwicklung eines Thieres aus dem
Ei rufen Eingriffe, die wir zum Zweck eines Experiments
vornehmen, häufig Störungen hervor, deren Natur und Um-
fang wir im voraus zu bestimmen ganz ausser Stande sind.
Oft ist ihr Endproduct ein Monstrum. Dabei zeigt sich,
dass die verschiedensten Eingriffe ähnliche Erscheinungen
und Missbildungen bewirken. So haben zum Beispiel beim
Froschei Druck, abnorme Temperaturen, mechanische Zer-
störung einzelner Theile, Veränderung des Eies durch
Centrifugalkraft, chemische Agentien, wenn sie auf einem
bestimmten Stadium einwirken, sehr ähnliche Missbildungen
zur Folge, obwohl die von aussen einwirkenden Ursachen
(causae externae) so ganz verschieden von einander sind.
— 73 —
Somit besteht zwischen einem physikalischen oder che-
mischen Experiment mit seinen einfacheren Bedingungen und
einem entwicklungsgeschichtlichen Experiment ein sehr
grosser Unterschied.
Ein Vergleich wird zur Aufklärung des Sachverhaltes
noch weiter beitragen. Ein Organismus befindet sich einem
äusseren Eingriff gegenüber in einer ähnlichen Lage wie
ein ausserordentlich complicirt gebautes mechanisches Kunst-
werk oder eine Maschine. In einer Uhr kann eine Ver-
langsamung, eine Beschleuniguung oder ein Stillstand des
Zeigers durch die verschiedenartigsten Umstände veranlasst
werden : dadurch, dass ich mit einer Nadel oder einem an-
deren passenden Instrument einen Druck gegen ein Rädchen
ausübe, oder dadurch, dass ich an das Rädchen Säure
bringe, wodurch sich Rost bildet, oder dass ich durch
locale, in geeigneter Weise hervorgerufene Erhitzung ein
Zähnchen am Rade wegschmelze oder dadurch, dass sich das
Oel, welches die Reibung im Räderwerk verringern soll,
eingedickt oder ein festes Partikelchen sich zwischen zwei
Rädchen eingeklemmt hat etc. Auf mechanische, thermische,
chemische Einflüsse reagirt die Uhr unterschiedslos durch
Verlangsamung, Beschleunigung oder Stillstand des Zeigers.
Dieselben Eingriffe angewandt auf ein Rädchen einer an-
deren Zwecken dienenden , complicirten Maschine können
auch hier wieder eine Störung des Mechanismus bewirken,
die uns ebenfalls die Natur des angewandten Eingriffes
nicht erkennen lässt, aber von der Störung im Gange der
Uhr ganz verschieden ausfällt. Jede Maschine reagirt also
auf den gleichen Eingriff in ihrer besonderen Weise. Ent-
scheidend in allen Fällen ist die ihr eigenthümliche Con-
struction.
Will man über das Wesen und die Wirkungsweise
- 74 —
einer Maschine sich Klarheit verschaffen, so wird man nicht
bald diesen, bald jenen Theil anhalten, anstossen und be-
schädigen , um auf Grund der experimentell erzeugten
Störungen sich ein Urtheil zu bilden ; ein Mechaniker wird
vielmehr einen ganz anderen Weg einschlagen. Er wird
die zur Ruhe gebrachte Maschine planmässig in ihre ein-
zelnen Bestandtheile zerlegen , die Art ihrer Zusammen-
setzung und Aneinanderpassung beobachten, sich klar zu
machen suchen , wie die aneinander gepassten Theile in
Bewegung versetzt auf einander wirken müssen, und wird
sich so ein Verständniss von der Construction der Maschine
verschaffen und aus dieser auch die besonderen Wirkungs-
weisen verstehen lernen.
Nicht anders ist ein Verständniss des Organismus und
seiner Entwicklung zu gewinnen.
Experimentelle Eingriffe in den Entwicklungsgang
liefern im Grossen und Ganzen nur Material zur Pathologie
der Entwicklung , welche allerdings ein ziemlich umfang-
reiches und auch nicht uninteressantes Forschungsgebiet
ist-, sie tragen so namentlich zur Erklärung der durch
natürliche Zufälligkeiten erzeugten Missbildungen viel bei.
Dagegen müssen wir entschieden in Abrede stellen , dass
das Experiment das erfolgreichste Mittel für eine causale
Erklärung des normalen Entwicklungsprocesses sein soll.
Vielmehr wird stets das Studium der normalen Entwicklungs-
vorgänge selbst, namentlich auf der Grundlage der ver-
gleichenden Embryologie, uns über das Entwicklungsgesetz
besser aufklären , als das Studium experimentell erzeugter
Missbildungen.
Daher können wir die Behauptung von Roux nicht
gelten lassen: „Sicherheit über ursächliche Ableitungen
vermöge allein das Experiment zu geben, sei es „das künst-
— 75 —
liehe Experiment" oder „das Naturexperiment" als Varia-
tion, Missbildung oder anderes pathologisches Geschehen"
(A. f. E. S. 13). Desgleichen müssen wir ganz entschieden
die weitere Behauptung zurückweisen, dass durch ver-
gleichende Beobachtung des normalen Geschehens Wirkungs-
weisen wohl „ermittelt" , aber nicht „bewiesen" werden
könnten, und dass noch directe Beweise für sie erbracht
werden müssten (A. f. E. S. 12). Das ist fast ähnlich, als
wenn Jemand behaupten wollte, die Gesetze der Planeten-
bewegungen seien zwar durch hundertjährige Beobachtungen
ermittelt, aber noch nicht bewiesen worden, weil das Ex-
periment fehle. Wozu ein Verhältniss , wenn es wirklich
ermittelt und daher über allen Zweifel erhaben ist, noch
durch ein Experiment beweisen"? Ist etwa das, was die
Natur uns selber lehrt, weniger zuverlässig als die Lehren
des Experimentators?
Um zu zeigen, in welchem Grade Roux die Bedeutung
des Experimentes überschätzt, als ob allein mit seiner Hilfe
es möglich sei. ursächliche Erkenntniss su gewinnen, sei noch
auf zwei einzelne Fälle näher eingegangen.
Roux hat beim Frosch, was vor ihm schon von Lere-
boullet und Oe IIa eher an Hecht- und Forelleneiern ge-
schehen war , Missbildungen beobachtet und durch künst-
liche Eingriffe hervorgerufen , bei Avelchen die Medullar-
platte und die Chorda in eine linke und eine rechte Hälfte
getrennt waren, die beide ringförmig eine central gelegene
Dottermasse umgaben. Er hat die Missbildung „Asyntaxia
medullaris" genannt und von ihr in einer späteren Schrift
bemerkt, dass „derartig ermittelte Thatsachen als die ersten
festen Grundsteine unserer Erkenntniss von den Vorgängen
der Entwicklung betrachtet werden müssen, derart zu-
gleich, dass alle solche Ansichten, welche mit diesen That-
- 76 —
Sachen wirklich unvereinbar sind, mit Sicherheit als un-
richtig- bezeichnet werden können" (G. A. S. 89). Wir
antworten darauf, dass eine Missbildung, um erklärt und
verstanden zu werden, selbst erst von den Verhältnissen der
normalen Entwicklung abgeleitet werden muss, hier zum
Beispiel durch den Nachweis, dass der Gastrulationsprocess
und die Urmundbildung in einer abweichenden und ge-
störten Weise verlaufen sind und eine Hemmung des Ur-
mundverschlusses zur Folge gehabt haben. Erst aus
V e r g 1 e i c h u n g der anormalen und der normalen
Verhältnisse und aus einer kritischen Beur-
theilung derselben erwächst uns das Verständ-
nis s. Für sich allein betrachtet ist die als Asyntaxia
medullaris beschriebene Missbildung ein unverständliches
Curiosum und nichts weniger als ein erster fester Grund-
stein der normalen Entwicklung. Ich kann nur wieder-
holen, was ich auch schon an anderer Stelle über den er-
klärenden Werth der sogenannten Hemmungsmissbildungen
ausgesprochen habe: Nicht das Coloboma iridis et chorioi-
deae, die Fissura sterni, die Kiefer- und Gaumenspalten,
die doppelten Aorten haben uns gelehrt, dass das Auge als
Becher mit einer Spalte an der unteren Fläche, dass das
Brustbein aus zwei Hälften, die Kiefer- und Gaumgegend
durch Verwachsung seitlicher Fortsätze mit einer medianen
Anlage, die Aorta aus zwei Röhren entstehen etc., vielmehr
das Studium der betreffenden Entwicklungsvorgänge selbst;
und nur insofern lassen sich die genannten Hemmungs-
missbildungen erklärend verwerthen, als sie uns zeigen, dass
Zustände, die im Kleinen beim zarten Embryo auftreten
und vorübergehender Natur sind, ausnahmsweise bestehen
bleiben und dann in vergrössertem Maassstabe uns deut-
licher zeigen , was einmal im Entwicklungsleben sich ab-
— 77 —
gespielt hat. In dieser Hinsicht sind die Hemmungsmiss-
bildungen sehr lehrreich und haben namentlich für den
Unterricht einen nicht zu unterschätzenden didaktischen
Werth. Bei alledem will die normale Entwicklung durch
sich selbst erklärt werden und nicht durch Artefacte und
Monstrositäten. Wenn daher das Studium der normalen
Entwicklung zu anderen Ergebnissen führt, als das Studium
der Missbildungen, so liegt die grössere Beweiskraft auf der
Seite des ersteren.
Der zweite Fall betrifft das Gesetz von der Aufeinander-
folge und Stellung der ersten Furchungsebenen zu einander.
Schon im Jahre 1884 hatte ich (19), gestützt auf ein ver-
gleichendes Studium von Eiern, die eine verschiedene Form
und eine verschiedene Vertheilung von Protoplasma und von
Deutoplasma zeigen, die allgemeine Regel aufgestellt, dass
die beiden Pole der Kerntheilungsfigur in die Richtung der
grössten Protoplasmamasse zu liegen kommen, etwa in der-
selben Weise, wie die Lage der Pole eines Magneten durch
Eisentheile in seiner Umgebung beeinflusst wird. Es kann
daher in einem kugeligen Ei, in welchem Protoplasma und
Dotter gleichmässig vertheilt sind, die Axe der central ge-
legenen Kernspindel mit der Richtung eines beliebigen
Radius, dagegen in einem ovalen Protoplasmakörper nur
mit seinem längsten Durchmesser zusammenfallen. In
einer kreisrunden Protoplasmascheibe stellt sich die Spindel-
axe parallel zur Oberfläche in einen beliebigen Durchmesser,
in einer ovalen Scheibe dagegen wieder nur in den längsten
Durchmesser ein. Aus dieser Regel erklärte ich auch,
warum die drei ersten Theilungsebenen eines Eies fast aus-
nahmslos in den drei Richtungen des Raumes alternirend
erfolgen und dabei mehr oder minder senkrecht auf einander
stehen.
— 78 —
Nach der Meinung von Roux wohnt nun gleichwohl
auch diesem Satz so lange keine Sicherheit inne, als
er nicht ausserdem noch direct durch das Experiment
erwiesen ist; denn es könnten dieselben typischen Theilungs-
folgen der Entwicklung durch andere, wenn auch vielleicht
vielmal complicir tere, aber jedenfalls typische
Wirkungen hervorgebracht sein. „Mehr als durch hundert
weitere, beim normalen Geschehen aufgefundene Ueber-
einstimmungen mit dieser Regel," bemerkt Roux (A. f. E.
S. 12), „wurde die annähernde Richtigkeit derselben durch
ein einziges (ich füge hinzu: von Roux vorgenommenes)
Experiment bewiesen , indem bei Pressung von Eiern zu
abnormer Form die Richtungsfolge der ersten Theilungen
in der Weise von der Norm abgeändert wurde, dass auch
jetzt wieder die Kernspindeln in der bezeichneten grössten
Dimension standen."
Ich selbst habe auch solche Experimente in den ver-
schiedensten Modifikationen ausgeführt, zum Beispiel be-
fruchtete Frosch eier in enge Glasröhrchen eingesaugt, so
dass sie sich in die Länge strecken und Tonnenform an-
nehmen mussten. Wurden die Röhrchen horizontal gelagert,
so erfolgte die erste Theilungsebene genau, wie es die Regel
verlangt, senkrecht*zur Oberfläche der Röhrchenwand und
halbirte den Längsdurchmesser des tonnenförmigen Eies.
Gewiss ist dies eine schöne Bestätigung der Regel. Warum
aber die Thatsache, welche das von Menschen künstlich oval
geformte Ei lehrt, lehrreicher sein und einen beweiskräftigeren
Schluss gestatten soll, als die Thatsachen, welche die Natur
uns lehrt, indem sie den Eiern verschiedener Thierarten un-
gleiche Formen und manchen auch eine ovale Form gab,
kann ich nicht einsehen. MiristdieNatur ein w en i g -
stens ebenso zuverlässiger Lehrmeister als der
— 79 —
experimentirende Anatom. Ich möchte sogar
dem V e r f a h r e n der Natur, welches uns in den
verschiedenen, sich gegenseitig ergänzenden
Naturobjecten und ihren Veränderungen ent-
gegentritt, weil es stets absolut gleich artig) aus-
fällt und die strengste Gesetzmässigkeit zeigt,
einen höheren Werth als den menschlichen Ex-
perimenten beilegen, deren Ergebnisse immer
geringe Variationen darbieten.
Indem ich in den vorausgeschickten Bemerkungen über
das Verhältniss von Beobachtung und Experiment U eber-
griffen einer einseitig experimentellen Richtung
entgegen getreten bin, will ich keineswegs den Erkenn tniss-
werth eines guten physiologischen und biologischen Ex-
perimentes herabsetzen oder gering anschlagen. Wer meine
Arbeiten kennt, weiss, dass ich selbst nach mehreren
Richtungen Experimente ausgeführt und zumal in letzter
Zeit mich viel auf experimentellem Gebiete|;]beschäftigt
habe. Um nicht missverstanden zu werden, verweise ich
zum Ueberfluss noch auf die Literatur, welche uns in ihren
Annalen ja genugsam lehrt, welche grossen Erfolge wir auf
vielen Gebieten der Biologie der experimentellen Richtung
verdanken, die ja schon sehr alten Datums ist. Ich erinnere
an die Versuche über Bastardirung, Pfropfung und Trans
plantation, an die Studien über Regeneration abgetrennter
Körpertheile , über Kreuz- und Selbstbefruchtung, an die
experimentelle Erzeugung von Missbildungen, wie sie
Dareste und Ger lach geübt haben, an Weismann's
Experimente über den Saisondimorphismus der Schmetter-
linge etc. Als glänzende Entdeckungen der letzten Jahre
schätze ich die von Boveri (3 a) ausgeführte Bastard-
befruchtung kernlos gemachter Eifragmente von Seeigeln,
80 —
die Entdeckungen von Driesch (8), Wilson (60),
Morgan (38), Zoja (63) etc., dass mechanisch von
einander getrennte Embryonalzellen der ersten Furchungs-
stadien bei Amphioxus, Seeigeln, Medusen etc. sich zu
normalen Ganzlarven und bei unvollständiger Trennung zu
Zwillingen züchten lassen, die Experimente von Oskar
Schultze (53) und W e t z e 1 ( 58) über künstliche Er-
zeugung von Doppelbildungen aus dem Froschei, die von
L o e b (32) experimentell erzeugten Heteromorphosen bei
Hydroiden , Actinien und Tunicaten , endlich das von
Wolff (62) in geistreicher Weise ausgeführte, in meinem
Laboratorium durch Erik Müller aus Stockholm (39)
vollkommen bestätigte Experiment, welches uns lehrt, dass
bei Tritonlarven die durch Operation entfernte Linse des
Auges sich aus dem Epithel des Irisrandes, also aus Zellen
des Augenbechers, in vollkommen normaler Weise wieder
regenerirt.
Es giebt gewiss viele Fragen, denen man sogar nur
mit Hilfe des Experimentes auch in der Biologie
näher treten kann; diesen aber einen höheren Erkenntniss-
werth beizumessen, als Fragen, auf welche uns schon die
Beobachtung der Natur mit anderen Methoden Auskunft
giebt, liegt kein logischer Grund vor. Die Art des Hilfs-
mittels, mit welchem eine Entdeckung gemacht wird, ent-
scheidet nicht über ihren grösseren oder geringeren Er-
kenntnisswerth.
Ich schliesse meine Betrachtung mit einigen Sätzen von
Johannes Müller (40 , S. 20) , in welchen er sich
über den Werth von Beobachtung und Versuch ausspricht.
Das Urtheil ist ein wenig einseitig und hinsichtlich der Be-
deutung des Versuchs zu ungünstig ausgefallen, enthält aber
trotz alledem viel Beherzigenswerthes auch für unsere Zeit,
— 81 —
in welcher das Experiment von mancher Seite über Gebühr
in den Himmel gehoben oder, um einen Ausdruck von Joh.
Müller zu gebrauchen, als das Wort Gottes in der
Biologie (40, S. XIX) betrachtet wird.
„Der Umgang mit der lebenden Natur geschieht durch
Beobachtung und Versuch. Die Beobachtung schlicht,
unverdrossen, fleissig, aufrichtig, ohne vorgefasste Meinung ;
der Versuch künstlich, ungeduldig, emsig, abspringend,
leidenschaftlich, unzuverlässig." „Es ist nichts leichter, als
eine Menge sogenannter interessanter Versuche zu machen.
Man darf die Natur nur auf irgend eine Weise gewalt-
thätig versuchen; sie wird immer in ihrer Noth eine
leidende Antwort geben. Nichts ist schwieriger, als sie
zu deuten, nichts ist schwieriger als der gültige physio-
logische Versuch."
„Was das Experiment in physiologischen Dingen un-
zuverlässig macht, ist dies, dass die Antwort der lebendigen
Natur auf die Einwirkung des Reagens nicht die Natur des
uns als bekannt vorausgesetzten Reagens als wesentlichen
Theil in sich enthält. Denn alle Stoffe, alle Reize, auf den
Organismus einwirkend, erregen in ihm nicht, was sie selbst
sind, sondern ein von ihnen selbst Verschiedenes, die Lebens-
energieen des Organismus." „Ueber den Grund der Lebens-
erscheinung kann demnach der Versuch selbst nicht Auf-
schluss geben; er kann nur den Bezug der Reize
als Ursachen zu den von ihnen der Natur nach
verschiedenen Wirkungen im Organismus ver-
vielfältigen, erweitern, d.i. miteiner grösseren
Menge ihrer Natur nach unbekannter Lebens-
erscheinungen vertraut machen."
„Nicht die Natur der Lebenserscheinungen ,
nur der Umfang derselben wird offenbar durch
Hertwig, Zeit- und Streitfragen. II. 6
— 82 —
den Versuch. Wenn es also der Physiologie darum zu
thun ist, den Einfluss der Stoffe und Reize in Wirkungen,
welche von diesen selbst verschieden sind, kennen zu lernen,
nicht so sehr den Grund dieser Wirkungen zu erforschen,
als das System der Ursachen und Wirkungen in dem Con-
flicte des Organismus und der äusseren Natur logisch zu
erweitern, so ist dazu nichts passender als das Experiment.
Aber auf diesem niederen Standpunkt sind wir selbst bei
der grössten Vorsicht nicht einmal vor Irrthum gesichert. Es
ist nichts leichter, als dass wenn wir dem Organismus fragende
Bedingungen setzen, auf welche er uns in Wirkungen , die
ihrer Natur nach uns unbekannt sind, antworten soll, er in
der That gar nicht auf diejenigen Bedingungen antwortet,
welche wir ihm zu setzen geglaubt, sondern auf eine ganz
andere, die wir unwissend in dem complicirten Versuch
mitgesetzt haben. Daher jene Verschiedenheit der Resultate
in experimentellen Untersuchungen, jener häufige offenbare
Widerspruch mit der leidenschaftslosen Beobachtung. Ent-
weder experimentirt man i n ' s Gr e r a d e w o h 1 und
f ä n g t h i n t e r h e r z u b e t r a c h t e n an, oderzum Wo h 1
einer vorgefassten Meinung wird so lange ex-
perimentirt, bis die Erfahrung, wie man sich
auszudrücken pflegt, mit der Theorie zusammen-
stimmt."
„Die ruhige, einfache Beobachtung führt in 's Innere
der Probleme, während es ein gefährliches Spiel der Vor-
bereitung bleibt, einem unzuverlässigen Experimente ver-
trauensvoll sich hinzugeben." „Beobachten ist ja selbst die
wichtigste physiologische Operation; was ist Beobachten
Anderes, als das Wesentliche in den Veränderungen, das
dem Beweglichen Immanente von dem Zufälligen zu
trennen, da vielmehr das Experiment, hier und dorthin
— 83 —
greifend, das Zufällige mit dem Wesentlichen kunterbunt
zusammen zu werfen oft genug Anlage zeigt" (40, Ein-
leitung S. XXI).
Zusammenfassung und Schlussbetrachtung.
Mechanismus, mechanisch und Mechanik sind Worte,
die in sehr verschiedenem Sinne gebraucht werden und
daher zu Missverständnissen, Unklarheiten und Täuschungen
leicht Veranlassung geben, wenn man sich ihrer bald in
dieser, bald in jener Bedeutung ohne Unterschied bedient.
Erstens dienen die Worte, in philosophischem Sinne ge-
braucht, zur Bezeichnung der materialistisch -mechanischen
Naturauffassung, welche in der Körperwelt ein einheitliches
System erblickt, in dem sich alle Veränderungen nach un-
abänderlichen Naturgesetzen, nach dem Gesetz der mecha-
nischen Causalität vollziehen. Da, wie die ganze moderne
Naturwissenschaft im Allgemeinen, so insbesondere auch die
Biologie auf diesem Standpunkt steht, kann sie in philo-
sophischem Sinne ihre auf die einheitliche Erklärung der
Natur gerichtete und zielende Forschung als eine mecha-
nische bezeichnen; so betitelt zum Beispiel Nägel i (41)
seine 1884 erschienene Abhandlung eine „mechanisch-
physiologische Theorie der Abstammungslehre".
Zweitens dient das Wort Mechanik in engerer Be-
deutung zur Bezeichnung eines Theils der Physik, welche
die Lehre von den Bewegungen der Körper, der grössten
und der kleinsten bis herab zu den hypothetischen Atomen,
zu ihrem Gegenstand hat. In Verbindung mit der Atomen-
lehre kann der engere Begriff der physikalischen Mechanik
sich so sehr erweitern, dass er wieder eine allgemein philo-
sophische Bedeutung gewinnt, indem man als letztes Ziel
6*
— 84 —
der Naturforschung die Zurückfuhrung aller Naturvorgänge
auf die Bewegung von Atomen hinstellt.
In der schärferen physikalischen Fassung ist die
Mechanik nur auf wenigen beschränkten Gebieten der
Biologie verwendbar. Wie die Physik nicht in allen ihren
Theilen Mechanik ist, so ist es noch viel weniger die Chemie,
und am Aveitesten davon entfernt, ein Theil der Mechanik
in diesem Sinne zu werden, ist die Biologie und ihr Bestand-
teil, die Entwicklungsgeschichte.
Drittens endlich dient das Wort Mechanik, in tenden-
ziöser Weise gebraucht, als Fahne für eine Richtung in der
Biologie, welche auf die bisher errungenen Ergebnisse, auf
die herrschende Arbeitsweise und ihre Aufgaben mit Gering-
schätzung herabblickt und sich in Ausmalung von Zielen
ergeht, deren Verfolgung nach ihrer Prophezeiung eine un-
endlich erhabene Zukunftsbiologie herbeiführen soll. In
dieser Richtung wird das zu vielseitiger Verwendung
geeignete Wort Mechanik in wechselndem Sinne, aber mit
solcher Liebe gebraucht, dass es bald, wenn es so weiter
geht, zu einem ganz alltäglichen und zugleich nichtssagenden
Begriff geworden sein wird, zu einem Begriff, der zugleich
auch als Parteifahne unschädlich werden wird, Avie Wein
in einem Fass, dem man von Tag zu Tag etwas Wasser
zusetzt. Indem man, um mehr Spielraum zu gewinnen, die
Alles umfassende Mechanik des Philosophen meint, schaut
man doch gern platonisch zur Mechanik des Newton empor
und sucht von der Sonne ihres Ruhmes auch einen Strahl für
die ihr noch so fremde Entwicklungsmechanik zu erhaschen.
Um die Biologie zu einer „exaeten Naturwissenschaft" zu
machen, bemüht man sich, die Lebenserscheinungen mög-
lichst direct aus physikalisch-chemischen Vorgängen zu er-
klären, und nennt alle Sprünge in dieser Richtung eine
— 85 —
„ursächliche oder causale Morphologie", wie denn über-
haupt die ganze Richtung sich durch ein äusserst empfind-
lich gewordenes Causalitätsbedürfniss x) auszeichnet.
Wer in der Literatur bewandert ist, weiss, dass es
auch vor dem Aufkommen der entwicklungsmechanischen
Richtung an verwandten Bestrebungen in früheren Zeiten
nicht gefehlt hat. Solange es Biologie giebt, hat man bald
in dieser, bald in jener Weise versucht, das Organische aus
dem Anorganischen direct herzuleiten und zu erklären, so-
wie die Grenzen zwischen beiden Reichen zu überbrücken,
zumal in einer Zeit, in der man von der complicirten Be-
schaffenheit des Lebenssubstrats noch sehr wenig wusste.
Alle aus derartigen Versuchen entstandenen Vorstellungen,
auf welche man heutzutage gern das Wort „grob mecha-
nisch" anzuwenden pflegt, sind immer bald durch die kritisch
beobachtende und experimentirende Forschung beseitigt
worden. Mit gewissem Recht könnte man jetzt sogar sagen,
dass die Kluft zwischen den beiden Naturreichen in dem-
selben Maasse tiefer geworden ist, als sich unsere physika-
lische und chemische, unsere morphologische und physio-
logische Erkenntniss der Organismen vertieft hat.
Es ist lehrreich und nützlich zugleich, auch einmal von
1) So antwortet Dreyer auf den sich gemachten Einwurf, dass
eine physikalisch - chemische Richtung der Forschung noch wenig
Aussicht auf Erfolg habe, mit dem Satz: „Wäre dem wirklich so,
so stände man vor der Alternative , entweder in historisch-specula-
tiver Richtung weiter zu arbeiten oder — und so würden wir uns
verhalten — sich von der Biologie als einer Disciplin, auf deren
Gebiet man nie hoffen könnte, je zu einer befriedigenden causalen
Erkenntniss zu gelangen, überhaupt abzuwenden und sich Disciplinen
zuzuwenden , innerhalb deren man mehr Befriedigung seines
Causalitätsbedürfnisses findet." „Denn das Causalitätsbedürf-
niss ist in der Tiefe des menschlichen Geistes begründet" (6, S. 85).
- 86 -
diesem Gesichtspunkt aus sich die Geschichte der Biologie
anzusehen.
Da war im 17. Jahrhundert die auf ungeschulter Natur-
beobachtung beruhende Lehre weit verbreitet, dass aus
faulenden Substanzen Organismen, wie Fliegenmaden etc.,
clirect durch Urzeugung entstehen sollten. Es bedurfte der
Untersuchungen und Experimente von R e d i und Anderen,
um zu zeigen, dass auch hier eine Entwicklung aus Eiern
vorliegt. Ihre Zusammenfassung fanden diese Untersuchungen
dann in Harvey's bekanntem Ausspruch: „Omne vivum
ex ovo."
Trotzdem haben sich in der Helminthologie die Vor-
stellungen eines directen Ursprungs von Organismen aus
in Gärung begriffenen Stoffen bis in den Anfang unseres
Jahrhunderts hinein erhalten ; Echinocokken sollten direct
in der Leber, Coenurus im Gehin, Finnen in den Muskeln,
Bandwürmer im Darm durch pathologische und chemisch
umgeänderte Zersetzungsprocesse in der Leber-, Hirn- und
Muskelsubstanz entstehen. Es gehörten die bahnbrechenden
Untersuchungen und Experimente über die Entwicklung
und Lebensweise der Eingeweidewürmer von S i e b o 1 d ,
Küchenmeister, Leuckart u. A. dazu, um auch hier
das „Omne vivum ex ovo" zur Geltung zu bringen.
Zuletzt flüchtete sich die Lehre von der Abiogenesis
in das Reich der Mikroorganismen, der Infusorien und der
Bakterien, um schliesslich auch aus dieser Verschanzung,
aber erst in unseren Tagen, durch die glänzenden Ex-
perimente von Pasteur und die höchst vervollkommneten
Untersuchungsmethoden von Koch vollständig und definitiv
vertrieben zu werden. So ist die Kluft zwischen dem Un-
organischen und der Organismenwelt durch Vernichtung der
fälschlich construirton Brücken immer wieder geöffnet worden.
- 87 —
Wie hier, so sind auf vielen anderen Gebieten der
Biologie alle Vorstellungen, durch welche die Lebensprocesse
in allzu einfacher, „grob mechanischer" Weise erklärt werden
sollen, nach einiger Zeit als irrthünilich und verfehlt nach-
gewiesen worden. Wie einfach stellte sich ein Caspar
Friedrich W o 1 f f (61 ) in seiner Theoria generationis
die Neubildung von Organen oder von den Geschlechts-
producten vor. Nach seinen Beobachtungen sollten von
den alten, schon fertig vorhandenen Theilen organische
Säfte ausgeschieden werden und zum Beispiel bei den
Pflanzen am Ende der Zweige die Yegetationskegel oder
die Anfänge von Knospen bilden etc.; die abgesonderten
Säfte sollten allmählich fester werden, worauf in ihnen durch
weiter nachdringende Flüssigkeit Bläschen, Zellen und Ge-
lasse entstehen. Daher sein Ausspruch: „Ein jeder orga-
nische Körper oder Theil eines organischen Körpers wird
erst ohne organische Structur producirt, und alsdann wird
er durch Formation von Bläschen und Gefässen organisch
gemacht." Nach Wolff's Ansicht ist eine Leber, eine
Niere oder irgend ein Pflanzenorgan nach Wegnahme der
Gefässe weiter nichts als „ein Klumpen Materie, die zwar
die Eigenschaften der thierischen oder pflanzlichen Substanz
haben kann, in der aber noch so wenig Organisation oder
Structur anzutreffen ist, als in einem Klumpen Wachs."
Es sei ferner an den Vergleich der Zellbildung mit
einer Krystallisation erinnert. Nach der Ansicht von
Schieiden und Schwann (55) und vielen Anderen
sollen die von ihnen als Zellen bezeichneten Gebilde ähn-
lich wie Krystalle von Salpeter oder Glaubersalz aus einer
organischen Mutterlauge, dem Cyto Blastem, gleichsam heraus-
krystallisiren. Daher stellte denn Schwann, freilich mit
grosser Reserve, als Leitfaden für weitere Untersuchungen
— 88 -
die Hypothese auf, „dass die Bildung der Elementartheile
der Organismen nichts als eine Kiystallisation imbibitions-
fähiger Substanz , der Organismus nichts als ein Aggregat
solcher imbibitionsfähiger Krystalle ist". Manche Forscher
glaubten schon auf experimentellem Wege künstliche Zellen
bilden zu können, indem sie einen Tropfen Gummischleim
in eine Gerbsäurelösung hineinfallen Hessen.
Wie sind auch diese Versuche einer biomechanischen
Erklärung fehlgegangen! Welche ganz andere Bahnen,
als Schwann ahnte, hat die fortarbeitende Wissenschaft
eingeschlagen! An die Stelle des organischen Krystalls
trat die Auffassung der Zelle als eines Organismus, womit
wieder eine der vermeintlichen Brücken fiel, die man schon
in das Reich der anorganischen Natur geschlagen zu haben
glaubte. An Stelle der Entstehung der Zelle durch eine
Art Urzeugung aus plastischen Stoffen trat die Lehre von
der Selbsttheilung der Zelle und der Satz: „Omnis cellula
e cellula". Umfassende biologische Arbeit, eine Fülle glän-
zender Beobachtungen und sich rasch folgender Ent-
deckungen auf dem Gebiete der Zellenlehre und der
niederen Lebewesen ist zur Begründung der beiden
wichtigen Hauptsätze erforderlich gewesen.
Auch in der Physiologie ist die Ernüchterung nicht
ausgeblieben, als sie die Wirkungsweisen der Organe schon
nach einfach mechanischen Gesetzen glaubte erklären
zu können. Wir wissen jetzt, dass sich die Secretion der
Drüsen und die Resorption der Darmwandungen nicht als
einfache Processe physikalischer Diffusion und Endosmose
erklären lassen, dass hier Zellenthätigkeiten mitwirken,
welche wir weit entfernt sind als chemisch -physikalische
Vorgänge darstellen zu können. Wir wissen jetzt, dass die
Absonderung des Harns in der Niere kein einfacher
— 89 —
Filtrationsprocess ist, dass auch hier wieder besondere
Zellen ihre eigen thümliche, specilische Thätigkeit entfalten,
indem sie einzelne, besondere Stoffe auch in minimalen
Quantitäten aus der Blutbahn an sich ziehen und wieder
in die Harnwege abgeben.
Der Entdecker des Gesetzes der Erhaltung der Kraft,
Robert Mayer (37), verglich das Blut einer langsam
brennenden Flüssigkeit und bezeichnete es als das Oel in der
Flamme des Lebens ; jetzt wissen wir durch die Versuche
von Pflüger etc., dass die Oxydationsprocesse und die
Wärmebildung nicht, wie Mayer und die Physiologen lange
Zeit glaubten, innerhalb der Höhlen der Gefässbahn vor
sich gehen, sondern überall in den Zellen, besonders während
ihrer Thätigkeit.
In ähnlicher Weise hat man auf allen Gebieten der Physio-
logie erfahren müssen, dass die Processe des Lebens, je gründ-
licher man sie erforscht, complicirterer Art sind und sich
keineswegs immer von physikalischen und chemischen Pro-
cessen in so einfacher Weise, wie man glaubte, ableiten lassen.
Und so wird auch bei manchen über das Ziel hinausschiessenden
Bestrebungen der „Entwicklungsmechanik" der Rückschlag
nicht ausbleiben. Fühlt sich doch bereits ßoux, welcher
bisher das Lob der Entwicklungsmechanik als der causalen
Morphologie, als der Zukunftswissenschaft, als des höchsten
Zieles menschlicher Erkenntniss in allen Tonarten verkündet
hat, als Herausgeber des Archivs veranlasst, „unseren
jungen Stürmern" (A. f. E. Bd. III S. 441) ein Glas
Wasser zur Abkühlung zeitweise anzubieten. „Es fehlt, wie
nicht zu verkennen ist," bemerkt er, von einigen anderen
Stellen abgesehen, im dritten Band (S. 441), „unseren
jungen Stürmern auf dem Gebiete der Entwicklung^ -
mechanik, die in wenigen Jahren dasjenige an causaler
— 90 —
Einsicht in die Ursachen der wunderbaren organischen
Gestaltungen erreichen möchten und erreichen zu können
glauben, zu dessen Ermittlung mindestens Jahr-
hunderte^), wenn nicht Jahrtausende(! !) müh-
seliger Arbeit nöthig sind, das ausreichende
Unterscheid ungsver mögen, das richtige We r t h -
urtheil für bloss Vermuthetes, Denk mögliches,
Wa hrsc heinlich es, ja (unbewusst) E r schlich e -
nes(!) einerseits und Ermitteltes, Festgestelltes
andererseits."
An einer späteren Stelle (A. f. E. Bd. IV S. 41) kehrt
dieselbe Klage in anderer Form wieder: „Da ein
weiteres Beharren in solchem Vo rgehen die
junge causale Richtung der Biologie1) sowohl
in ihren Leistungen, wie in ihrem Ansehen
auf's Schwerste schädigen muss, so sei hier
auf's Neue auf die Mängel dieses Verfahrens
hin gewiesen."
Wem fällt dabei nicht die Klage des Zauberlehrlings
von Goethe ein:
„ . . . Die Noth ist gross!
Die ich rief, die Geister
WercT ich nun nicht los."
Zur Unterstützung können vielleicht einige Betrach-
tungen dienen, welche schon vor einigen Jahrzehnten
Lotze und Mach angestellt haben, welche mir aber auch
noch in der gegenwärtigen Situation beherzigenswerth zu
sein scheinen.
Unter der Ueberschrift: „Von der Brauchbarkeit der
physikalischen Begriffe für die Erklärung des Lebens"
') liezüglich des „junge causale Richtung" vergleiche man den
folgenden Ausspruch von Lotze (S. 91), auch Joh. Müller.
— 91 —
bemerkt Lotze (35, S. 62—65): „Die mechanische Er-
klärung des Lebens ist eine Aufgabe, zu der sich gegen-
wärtig (1851!) immer mehr Kräfte drängen; auch
wir haben sie als eine unerlässliche Forderung bezeichnet.
Aber wenn wir beobachten, wie Vieles nicht ohne Geist
gegen sie eingewendet zu werden pflegt, so drängt sich uns
noch einmal die Frage auf, ob das, was wir wünschen, auch
möglich und ausführbar sei. Gewiss, indem wir verlangten,
dass das Leben mit allen übrigen Naturerscheinungen einem
und demselben Reiche allgemeiner Gesetze des Wirkens
untergeordnet werde, war damit noch nicht ausgesprochen,
dass dieses Reich von Gesetzen bekannt sei , am wenigsten,
dass es nur in denselben Regeln bestehe, deren sich die
Physik bei Betrachtung des Unlebendigen bedient. Dass
wir das Leben mechanisch erklären müssen,
widerrufen wir nicht, dass es aber mit Hilfe
und im Sinne dieser Mechanik geschehen
müsse, können wir nicht unbesehens be-
haupten, wie leider so Viele thun, deren Vor-
liebe für diese Art der Untersuchung auf
keiner Vorüberlegung über Entstehung und
Gültigkeitsgrenzen der Voraussetzungen be-
ruht, die in den Naturwissenschaft en sich all-
mählich festgesetzt haben."
Und gleich darauf fährt Lotze fort: „Es gehört zu
den immer wieder hervortretenden Unbesonnenheiten der
jetzt üblicher werdenden mechanischen Physiologie, unbe-
sehen als wahr und sicher, ja als allgemein giltig hinzu-
nehmen, was für ganz abweichende Gegenstände von der
Physik bisher als Grundlage benutzt worden ist. Dass aber
diese mechanischen Principien einer weiteren Aufklärung
gar nicht unbedürftig sind, und dass sie nichts weniger als
— 92 —
zweifellos auf ihren eigenen Füssen stehen, das ist für
Jeden leicht einzusehen, der sich der Geschichte ihrer Aus-
bildung erinnert." „Auch sind wir gänzlich damit ein-
verstanden, dass die wenigsten der Grundbegriffe und
Grundsätze der Physik eine wahrhafte objective Geltung
besitzen; wir halten die meisten für Fictionen, durchweiche
die ohnedies schwer zu behandelnde Natur der Objecte und
der Ereignisse unseren Untersuchungsmethoden zugänglich
gemacht wird." Lotze warnt daher in einer Zeit, in
welcher die Vorliebe für mechanische Erklä-
rungen stärker im Wachsen begriffen sei, als
das Verständniss ihres Zwecks und ihrer Mittel,
allzu bewegliche und phantasiereiche Köpfe vor Ueber-
stürzung.
In ähnlicher Weise äussert sich Mach (36) in seiner
historisch-kritischen Darstellung der Geschichte der Mechanik
im Capitel: „Beziehungen der Mechanik zur Physiologie" in
den bemerkenswerthen Sätzen (S. 476) : „Alle Wissenschaft
geht ursprünglich aus dem Bedürfniss des Lebens hervor.
Mag sich dieselbe durch den besonderen Beruf, die ein-
seitige Neigung und Fähigkeit ihrer Pfleger in noch so feine
Zweige theilen, seine volle frische Lebenskraft kann jeder
Zweig nur im Zusammenhang mit dem Ganzen erhalten.
Nur durch diese Verbindung kann er seinem eigentlichen
Ziele erfolgreich zustreben und vor monströsen, einseitigen
Entwicklungen bewahrt bleiben." „Die Theilung der
Arbeit, die Beschränkung eines Forschers auf ein kleines
Gebiet, die Erforschung dieses Gebietes als Lebensaufgabe
ist die nothwendige Bedingung einer ausgiebigen Entwick-
lung der Wissenschaft. Mit dieser Einseitigkeit und Be-
schränkung können erst die besonderen intellectuellen ökono-
mischen Mittel zur Bewältigung dieses Gebietes die nöthige
— 93 —
Ausbildung erlangen. Zugleich liegt aber hierin die Ge-
fahr, diese Mittel, mit welchen man immer beschäftigt
ist, zu überschätzen, ja dieselben, die doch nur Handwerks-
zeug sind, für das eigentliche Ziel der Wissenschaft zu
halten." „Durch die unverhältnissmässig grössere formelle
Entwicklung der Physik , gegenüber den übrigen Natur-
wissenschaften , ist nun ein derartiger Zustand unseres Er-
achtens wirklich geschaffen worden. Den Denkmitteln
der Physik, den Begriffen Masse, Kraft, Atom,
welche keine andere Aufgabe haben, als öko-
nomisch ge ordnete Erfahrungen wach zu rufen,
wird von den meisten Naturforschern eine
Realität ausserhalb des Denkens zugeschrie-
ben. Ja man meint, dass diese Kräfte und
Massen das eigentlich zu Erforschende seien,
und wenn diese einmal bekannt wären, dann
würde Alles aus dem Gleichgewicht und der
Bewegung dieser Massen sich von selbst er-
geben."
„Wenn Jemand die Welt nur durch das Theater kennen
würde und nun hinter die mechanischen Einrichtungen der
Bühne käme, so könnte er wohl auch meinen, dass die
wirkliche Welt eines Schnürbodens bedürfe, und dass Alles
gewonnen wäre, wenn nur dieser einmal erforscht wäre.
So dürfen wir auch die intellectuellen Hilfsmittel, die wir
zur Aufführung der Welt auf der Gedankenbühne ge-
brauchen, nicht für Grundlagen der wirklichen Welt
halten."
Desgleichen bemerkt Mach an einer zweiten Stelle:
„Wenn die französischen Encyklopädisten des 18. Jahr-
hunderts dem Ziele nahe zu sein glaubten, die ganze Natur
physikalisch-mechanisch zu erklären, wenn Laplace einen
— 94 —
Geist fingirt, welcher den Lauf der Welt in alle Zukunft
anzugeben vermöchte, wenn ihm nur einmal alle Massen
mit ihren Lagen und Anfangsgeschwindigkeiten gegeben
wären, so ist diese freudige Ueberschätzung der Tragweite
der gewonnenen physikalisch-mechanischen Einsichten im
18. Jahrhundert verzeihlich, ja ein liebenswürdiges, edles,
erhebendes Schauspiel, und wir können diese intellectuelle,
einzig in der Geschichte dastehende Freude lebhaft mit-
empfinden."
„Nach einem Jahrhundert aber, nachdem
wir besonnener geworden sind, erscheint uns die
projectirte Weltanschauung der Encyklopädisten als eine
mechanische Mythologie im Gegensatz zur ani-
m istischen der alten Religionen. Beide Anschau-
ungen enthalten ungebührliche und phantastische Ueber-
treibungen einer einseitigen Erkenntniss. Die besonnene
physikalische Forschung wird aber zur Analyse der Sinnes-
empfindungen führen. Wir werden uns dann der Natur
wieder näher fühlen, ohne dass wir nöthig haben, uns selbst
in eine uns* nicht mehr verständliche Staubwolke von Mole-
külen oder die Natur in ein System von Spukgestalten auf-
zulösen."
Mit der Ueberschätzung und Verkennung mechanischer
Betrachtungsweise, vor welcher schon Lotze und Mach
in den angeführten Sätzen gewarnt haben, findet sich sehr
häufig verbunden eine nicht minder übertriebene
Werth Schätzung der Mathematik für die Be-
handlung biologischer A u f g a b e n. Es wird dabei
ebenfalls übersehen, dass die Mathematik doch nur ein
Denkmittel, nur ein vorzügliches Handwerkszeug des
menschlichen Geistes ist, dass aber unendlich viel daran
fehlt, dass alles Denken und Erkennen sich jemals nur in
— 95 —
dieser einseitigen Richtung bewegen und dass der Inhalt
unseres Geistes jemals durch sie einen erschöpfenden
Ausdruck finden könne. Wie selbst ein so geistreicher
Forscher wie Fechner (11) den Wirkungsbereich der
Mathematik weit über seine natürlichen Schranken ausdehnt,
das lehren uns manche Bemerkungen in seinem Aufsatz:
Ueber die mathematische Behandlung organischer Gestalten
und Processe. Auf eine derselben soll hier eingegangen
werden, da sie uns gerade in ihrer Uebertreibung so recht
die Einseitigkeit und die Schranken einer mathematischen
Erkenntniss vor Augen führt.
Fechner hält es für möglich, wenn man die Mühe
nicht scheuen wolle, für jedes menschliche Gesicht eine
Approximationsformel aufzustellen , nach welcher sich das
Gesicht mit einem solchen Grade der Genauigkeit würde
vorzeichnen lassen, dass es Jeder vollkommen getroffen
nennen würde. „Jeder, der mit der analvtischen Geometrie
und den Methoden, Beobachtungen zu Formeln zu com-
biniren, etwas vertraut ist, wird wissen, dass die Methoden
hierzu nicht fehlen. Es würde sich nur darum handeln,
eine hinreichende Menge Messungen an dem Gesichte vor-
zunehmen und diese durch irgend eine Interpolationsformel
zu combiniren." Selbst die Aufgabe hält Fechner für
ausführbar, den verschiedenen Ausdruck eines Gesichtes in
Schmerz, Freude, Zorn, Liebe u. s. w. mathematisch zu
fassen und das noch Feinere, Individuellere des Ausdrucks
in unbestimmbarer Annäherung zu verfolgen, sofern es nur
auf deutlich wahrnehmbaren Unterschieden in der Gestaltung
der Gesichtszüge beruhe. „So würde eine Sammlung Por-
traits berühmter Männer in vollem Ernst durch eine Reihe
Formeln, aus a, b, c, ... x, y, z, vertreten werden können,
wonach Jedei*, der die Sache versteht, im Stande wäre, die
Portraits ganz treffend wieder herzustellen."
- 96 —
Während Fechner durch das angezogene Beispiel die
weitgehende Verwendbarkeit der Mathematik in der Mor-
phologie zu veranschaulichen sucht, wollen wir uns des-
selben bedienen, um an ihm die Unzulänglichkeit mathe-
matischer Formeln, die Einseitigkeit und Zwecklosigkeit
des mathematischen Ausdrucks für viele Verhältnisse zu
erläutern.
Wir wollen annehmen, dass es durch unsägliche
Arbeit und durch bewundernswerthe Geduld und Ausdauer
möglich ist, die von Fechner gewünschte Formel für ein
von Freude oder Zorn bewegtes Gesicht zu entwerfen.
Was wäre damit gewonnen ? Der grösste Mathematiker
würde auch bei fortgesetzter Uebung nicht im Stande sein,
die Formel zu lesen, das heisst, sich aus dem Gewirr der
ungeheuren Zahlenausdrücke auch nur ein blasses Bild des
mathematisch dargestellten Gesichts im Geiste zu recon-
struiren; er würde, wenn er zugleich auch ein Maler wäre,
nicht aus der Formel das dazu gehörige Gesicht auf die
Leinwand zu entwerfen vermögen. Er würde vielmehr
eine unendliche Arbeit und Geduld verwenden müssen, um
allmählich nach den Zahlenangaben die mathematische
Formel in eine Zeichnung zu übersetzen; der Versuch ist
auch in unserer Zeit, wo so viel versucht wird, meines
Wissens wohl noch nie gemacht worden, aber sollte es
einmal geschehen, so ist doch wohl zu erwarten, dass
die durch Construction gewonnene Zeichnung viel weniger
die Natur und Aehnlichkeit des Gesichtes wiedergeben
würde, als irgend eine beliebige Photographie des gleichen
Gegenstandes oder als ein Bild, das ein nur halbwegs ge-
übter Maler im Laufe einiger Stunden mit Kreide auf
Papier entwirft. Ein begabter Künstler erfasst in wenigen
Augenblicken das durch die Augen seinem Geist über-
- 97 —
mittel te und einverleibte Bild eines Gesichtes und oft so
genau, dass er schon bloss aus der Erinnerung ein wieder
zu erkennendes Portrait entwerfen kann. Wie unendlich
ist hier der Künstler dem construirenden Mathematiker,
wie weit der menschliche Geist seinem einseitigen Werk-
zeug, der Mathematik, überlegen! Man wird nie nach
mathematischen Formeln Gesichter malen ; man wird stets
sich des unmittelbaren Schauens und der unmittelbaren
Darstellungsmethode bedienen und eine so gewonnene
Sammlung von Portraits berühmter Männer einer Samm-
lung mathematischer Portraitformeln aus a, b, c, . . . x, y, z
unfehlbar vorziehen.
Hertwig, Zeit- und Streitfragen. II.
Anhang.
Kritische Bemerkungen zu den entwicklungs-
niechanischen Naturgesetzen von Roux.
In dem zweiten Bande seiner gesammelten Abhand-
lungen hat Roux 20 Aufsätze in einer neuen Auflage zu-
sammengefasst unter dem gemeinsamen Titel „Zur Ent-
wicklungsmechanik des Embryo". Die 20 Aufsätze sollen
Grundsteine zum Bau der Zukunftswissenschaft liefern, mit
deren Aufgaben und Methoden wir in der vorangegangenen
Studie bekannt geworden sind. Mehrere entwicklungs-
mechanische Naturgesetze werden in ihnen aufgestellt; es
sind die Früchte von Reflexionen und damit verbundenen
Experimenten , welche Roux während 14 Jahren zur Be-
gründung seiner Entwicklungsmechanik ausgeführt hat.
Ueber diese angeblichen Naturgesetze ist seit einer
Reihe von Jahren eine heftige literarische Fehde entstanden,
welche besonders zwischen Driesch und Roux geführt
wurde, in welche ich aber ebenfalls von Anfang an zu nicht
geringem Theile mit verwickelt worden bin. Auf meine
Einwände und auf meine Experimente, die an dem Roux-
schen Untersuchungsobject selbst, am Froschei, angestellt
wurden, hat Roux sofort in zahlreichen Entgegnungen ge-
— 99 —
antwortet, um meine Angaben als irrig und nieht beweisend
darzuthun. Ich habe seine Entgegnungen und die damit
verbundenen verschiedenen persönlichen Angriffe zunächst
auf sich beruhen lassen und drei Jahre geschwiegen, wohl
in der richtigen Annahme, dass schwerlich Jemand in
meinem Schweigen ein stilles Zugeständniss wird erblickt
haben. Wenn ich jetzt trotzdem auf die alte Fehde, welche
zwischen Driesch und Roux inzwischen weiter gespielt
hat und somit von der Tagesordnung nicht verschwunden
ist, auch meinerseits noch einmal zurückkomme, so ge-
schieht es, weil ich in einer besonderen Auseinandersetzung
mit den Ergebnissen der Roux' sehen Untersuchungen eine
nicht unwichtige Ergänzung zu den vorausgegangenen all-
gemeinen Auseinandersetzungen erblicke. Das bisher von
umfassenderen Gesichtspunkten aus erörterte Thema „Mecha-
nik und Biologie" soll hier an besonderen Fällen wie an
einzelnen Beispielen noch einmal durchgeführt werden. So
schliesst sich der zweite Aufsatz an den ersten in mehr-
facher Hinsicht als Ergänzung an.
Die Aufgabe, auf deren Lösung Roux in einer grös-
seren Reihe von Untersuchungen viel Zeit und Arbeits-
kraft verwandt hat, bezeichnet er als das Problem der
Richtungsbestimmung oder der Bestimmung
der Richtungen des Geschehens während der
er s ten Entwicklung des Embryo (G. A. S. 96). Er
will feststellen, an welchem Orte und zu welcher Zeit die
Hauptrichtungen des Wirbelthierleibes , Hauptaxe und
Medianebene, Kopfende und Schwanzende, Queraxe und
Dorsoventralaxe, im Eikörper sich erkennen lassen, und
durch welche Ursachen sie bedingt werden. Als Object
für seine Untersuchungen benutzte er ausschliesslich
— 100 —
das Frosch ei, weil man hier im Stande ist, das ganze
sichtbare Geschehen während der Entwicklung auf ein
äusseres festes System von Richtungen zu beziehen. Die
Quintessenz seiner Ergebnisse hat Roux dahin zusammen-
gefasst, „dass die normale individuelle Entwick-
lung von Anfang an ein System bestimmt ge-
richteter Vorgänge ist, welches in festen Be-
ziehungen zu den Hauptrichtungendes späteren
Embryo steht, derart, dass jede der ersten vier
Furch ungszellen nicht bloss einem bestimmten
Viertel des Embryo räumlich entspricht, son-
dern auch für sich im Stande ist, dieses Viertel
hervorzubilden" (46, S. 873.) Ein derartiges Ge-
schehen bezeichnet er als Mosaikarbeit.
Indem die Frage nach der Bestimmung der Richtungen
des embryonalen Geschehens bis zum befruchteten Ei zu-
rückgeführt hat, hängt sie zusammen mit der noch all-
gemeineren und umfassenderen Frage nach der Organisation
des Eies am Beginn seiner Entwicklung. Das ist das Feld,
auf welchem Roux und ich von verschiedenen Ausgangs-
punkten her einander begegnet und in die literarische
Fehde verwickelt worden sind.
Mit der Organisation der Zelle und den hiermit zu-
sammenhängenden Fragen, mit dem Process der Befruch-
tung, der Bildung der Richtungskörper, der Kern- und
Zelltheilung, der Ei- und Samenbildung bei Nematoden etc.
habe ich mich seit mehr als 20 Jahren vielfach beschäftigt
und bin auf diesem Wege auch zur Erörterung allgemeinerer
Probleme geführt worden ; ich nenne nur die Erklärung
der gesetzmässigen Aufeinanderfolge der Thcilcbenen in
der Eizelle, die Bedeutung der Kernsubstanz und meine
Theorie der Vererbung u. s. w.
— 101 —
Ich gebe daher zunächst, soweit es für die Beurtheilimg
der literarischen Fehde mit Roux von Wichtigkeit ist, einen
kurzen Abriss meiner Ergebnisse, wie ich sie im Jahre 1884
veröffentlicht habe in den kurz hinter einander erschienenen
zwei Schriften: Welchen Einfluss übt die Schwerkraft auf
die Theilung der Zellen? und: Das Problem der Befruch-
tung und der Isotropie des Eies, eine Theorie der Ver-
erbung.
In der ersten Arbeit (19) besprach ich (Abschnitt I) die
schon früher von Haeckel, Balfour u. A. gewürdigte
Erscheinung, dass die Eier im Thierreich ausser ihrer ver-
schiedenen Form und Grösse eine sehr verschiedene Orga-
nisation zeigen, welche durch die ungleiche Vertheilung
mehrerer Substanzen von ungleichem specifischem Gewicht
(Eiprotoplasma und Reserve- oder Dotterstoffe) hervor-
gerufen ist. (Alecithale, centrolecithale, telolecithale, mero-
blastische Eier etc.) Dabei wies ich nach, dass die Son-
derung der verschiedenen Substanzen im Eiraume nicht nur
unter dem Einfluss der Schwere erfolgt, sondern vor allen
Dingen durch Processe, welche mit der Entwicklung des
Eies zusammenhängen, in hohem Grade gefördert wird.
Solche Processe sind: 1. die nach Auflösung des Keim-
bläschens erfolgende Bildung der Richtungskörper und
2. der Befruchtungsact. Denn um die Kerne, wenn sie
activ werden (Richtungsspindel, Samenkern), sammelt sich
das Protoplasma frei von Dotterkörnern an und kommt bei
polar differenzirten Eiern in die Umgebung des nach oben
gerichteten animalen Poles zu liegen.
Im zweiten Abschnitt Avies ich nach, dass die Lage
des befruchteten Kerns im thierischen Ei eine streng ge-
setzmässige ist und durch zwei Factoren bestimmt wird :
1. durch die äussere Form des Eies und 2. durch die Art
— 102 —
und Weise, wie Protoplasma und Nahrungsdotter im Ei ver-
theilt sind. Denn „der Kern, von welchem auf das Proto-
plasma Kraftwirkungen ausgehen , wie die strahlenförmige
Anordnung der Plasmatheilchen um ihn lehrt, sucht stets die
Mitte seiner Wirkungssphäre einzunehmen." (1. c. S. 19.)
In einem dritten Abschnitt stellte ich einige Regeln
auf, welche den regelmässigen Verlauf der ersten Furchungs-
ebenen beherrschen: Die Theilungsebene der Zelle wird
durch die Stellung der Axe der Kernspindel bestimmt.
Denn die erstere muss die letztere immer rechtwinklig
schneiden. „Es ist daher a priori richtiger, an-
statt nach der Ursache für die Richtung der
Theilungsebene der Zelle, nach der Ursache zu
forschen, von welcher die Stellung der Kern-
axe abhängt, da diese die andere bedingt." (1. c.
S. 19.) Die Enden der Kernaxe oder Kernspindel, die
jetzigen Centrosomen mit ihren Attractionssphären, nannte
ich „die Kraftcentra, um welche sich die Plasmatheilchen
in zwei Strahlensystemen anordnen, wie die Eisen feil-
späne um die Spitze eines Magneten." (Zusatz 2.)
Für die Stellung der Kernaxe fand ich dieselben
Factoren wie für die Lage des befruchteten Eikerns rnaass-
gebend , nämlich die Form und das Massenverhältniss des
im Ei gleichmässig oder ungleichmässig vertheilten Proto-
plasma, und so formulirte ich den Satz, welchen ich an
mehreren Beispielen im Einzelnen erläuterte und als gültig
nachwies: „An dem Furchungskern bilden sich die zwei vor
jeder Theilung auftretenden Kraftcentra in der Richtung der
grössten Protoplasma- Ansammlungen der Eizelle." (1. e. S. 20.)
Das Gesammtergebuiss fasste ich in die kurze Formel
zusammen: „Die Richtung und Stellung der Theilunu's-
ebenen hängt in erster Linie von der Organisation der
— 103 —
Zellen selbst ab; sie wird direct bestimmt durch die Axe
des sich zur Theilung anschickenden Kerns. Die Lage
der Kernaxe aber steht wieder in einem Abhängigkeits-
verhältniss zur Form und Differenzirung des sie umhüllen-
den protoplasmatischen Körpers." (1. c. S. 29.)
Fig. I. Drei Schemata des befruchteten Eies von Ascaris nigrovenosa,
um die Drehung des copulirten Kernpaares zu erläutern. Die Pfeile e
und .*>• zeigen die Richtung an, in welcher sich Ei- und Samenkem auf
einander bewegt haben. Richtung 1 ist die Queraxe des Eies, mit welcher
die Theilebene später zusammenfällt. Die Linie 2 zeigt die Richtung der
Copulationsfläche auf einem Zwischenstadium B an.
In den erläuternden Ausführungen habe ich noch
weiter hinzugefügt, dass Protoplasma und Kern ihr
Lageverhältniss zu einander reguliren kön-
nen, indem sie wechselseitig auf einander ein-
wirken, ähnlich wie der Magnet und die in seiner Um-
gebung befindlichen Eisentheilchen. (Zusatz 3.)
Als vorzügliches Beispiel zur Erläuterung dieses Ver-
hältnisses bot sich die interessante Beobachtung von Auer-
bach dar, auf welche ich schon öfters hingewiesen habe:
— 104 —
Die länglich ovalen Eier von Ascaris nigrovenosa, welche
im Eileiter einzeln hinter einander aufgereiht sind (Fig. L),
werden beim Eintritt in die Gebärmutter an ihrem voran-
gehenden Pol befruchtet, während am entgegengesetzten Pol
die Richtungskörper entstehen. Eikern und Samenkern
bilden sich daher an zwei entgegengesetzten Enden des
ovalen Eies und wandern darauf unter allmählicher Ver-
gröfserung einander entgegen, bis sie, zwei Blasen von an-
sehnlicher Gröfse, in der Mitte sich treffen, sich fest zu-
sammenlegen und an den BerührungsfläcJien abplatten. Die
abgeplattete Copulations fläche fällt daher Anfangs
mit der Querebene des ovalen Eies zusammen, dreht sich
dann aber so, dass sie in seine Längsaxe zu liegen kommt.
Die so eigenthümliche Rotationsbewegung des copulirten
Kernpaares wies ich als eine nothwendige Reguli run g
seiner Lage durch gegenseitige Beeinflussung
von Protoplasma und Kern in folgender Weise nach
(1. c. S. 21):
Nach den 1883 erschienenen ausgezeichneten Unter-
suchungen von Ed. van Beneden ist von jedem der
conjugirten Kerne die Hälfte seiner Substanz für je einen
Kern der beiden Tochterzellen bestimmt. Jede erhält von
Ei- und Samenkern gleich viel weibliche wie männliche
Tochtersegmente. Die mehrfach bestätigte und ohne Zweifel
allgemein gültige Beobachtung schlage ich vor das van
Beneden'sche Gesetz zu nennen. Eine derartige Sub-
stanzvertheilung, so folgerte ich damals, ist nur möglich,
wenn das Kernpaar durch eine Ebene halbirt wird, welche
ihre Berührungsfläche (Copulationsfläche) rechtwinklig
schneidet. Folglich müssen sich an zwei opponirten Punkten
der letzteren die Attractionscentren , welche die Lage der
Kernaxe bedingen, entwickeln und somit ebenfalls in die
— 105
Querebene des Eies zu liegen kommen. Hieraus würde
sich wieder ergeben, dass die erste Theilungsebene das Ei
der Länge nach halbiren müsste, was die unzweckmässigste
und mit der grössten Arbeit verbundene Richtung wäre
und den oben aufgestellten Regeln widerspräche. Daher
muss die durch den Befruchtungsverlauf bedingte Aus-
gangsstellung des copulirten Kernpaares geändert werden,
sowie mit dem Auftreten der zwei Attractionscentren Kern
und Protoplasma in regulirende Wechselwirkung treten.
Die Attractionscentren müssen sich nach dem von mir ent-
wickelten Gesetz unter Drehung des Kernpaares so ein-
stellen, dass sie in die Richtung der grössten Protoplasma-
anssammlungen zu liegen kommen, wodurch die Kernaxe
mit der Eiaxe zusammenfällt. Erst auf Grund einer
derartigen noth wendigen Regulirung der Stel-
lung des Kernpaares kann im ovalen Ei von
Ascaris nigrovenosa die Th eilung des Dotters
entsprechend der von mir aufgestellten Regel
und die Verth eilung der Tochter k er nsegmente
von Ei- und Samenkern entsprechend' dem van
Beneden'schen Gesetz vor sich gehen.
In einer zweiten, gleich darauf veröffentlichten Ab-
handlung (20) suchte ich, gestützt auf die Erscheinungen
der Befruchtung und der Kerntheilung und anknüpfend an
die Nä gel i' sehe Idioplasmatheorie, den Beweis zu führen,
dass der Kern der Träger der Eigenschaften ist, welche
von den Eltern auf ihre Nachkommen vererbt werden, dass
er zumal in seinem Chromatin das von Nägeli geforderte
hypothetische Idioplasma enthält. Gleichzeitig und unab-
hängig von mir wurde diese Theorie auch von S t r a s -
burger entwickelt; sie ist bald darauf von Kölliker,
Weismann, Roux u. A. angenommen, dabei aber von
— 106 —
Weismann und Roux in abweichender Weise weiter aus-
geführt und verwerthet worden. In meiner Abhandlung
schloss ich mich auch zum Theil der von Roux 1883 ausge-
sprochenen Ansicht über die Bedeutung der Kerntheilungs-
figuren sowie seiner Darlegung an, dass der Kern aus einer
complicirten und mit zahlreicheren Qualitäten ausgestatteten
Substanz als das Protoplasma bestehen müsse. Für das
Protoplasma des Eies nahm ich auf Grund der von
Pflüg er angestellten Experimente und in Uebereinstim-
mung mit seinen Schlussfolgerungen eine Isotropie an.
Mit diesem Worte will ich wie Pflüger die Thatsache
bezeichnen , dass die einzelnen Organe des Embryo nicht
auf besondere, im Ei schon gesetzniässig vertheilte Sub-
stanztheile zurückzuführen sind, welche die Anlagen für sie
darstellen. Ich verwende das Wort Isotropie also
nur im Gegensatz zum Princip der organ bil-
den den Keimbezirke und zur Negation desselben-, da-
gegen will ich nicht etwa darunter verstanden haben, dass
dem Ei als Zelle in der Vertheilung von Protoplasma,
Dotter, Pigment etc. nicht eine besondere, ihm eigenthüm-
liche Art von Organisation zukäme; habe ich doch gerade
diese Art von Organisation zu derselben Zeit, wo ich über
Vererbung schrieb . verwerthet, um daraus die Regeln für
die Lage des befruchteten Eikerns und für die Richtung
und gesetzmässige Aufeinanderfolge der Theilungsebenen
herzuleiten. Man muss die hier gegebene Definition wold
im Auge behalten, denn sonst können die Worte Isotropie
und isotrop leicht zu dem Missverständniss Veranlassung
geben, als ob dem Ei überhaupt eine Organisation abge-
sprochen werden solle, was, wie gezeigt, von meiner Seite;
wenigstens in keiner Weise der Fall ist.
— 107 —
Zu den im Jahre 1884 veröffentlichten Ergebnissen
bin ich durch Vergleichung und kritische Beurtheilung
zahlreicher Betrachtungen gelangt, welche theils von anderen
Forschern, theils von mir selbst gemacht worden waren.
Ich versuchte die mannigfaltigen, in der ersten Entwicklung
des Eies an vielen verschiedenen Objecten beobachteten
Erscheinungen auf einige wenige gemeinsame Regeln zu-
rückzuführen.
Roux dagegen hat mehr den Weg des Experimentes
eingeschlagen, als er sich zu derselben Zeit mit der Er-
klärung der ersten Entwicklungsprocesse zu beschäftigen
begann, und hat zum ausschliesslichen Gegenstand seiner
Untersuchungen das Froschei gewählt. Die Vorstellungen,
welche er sich auf diesem Wege von der Bedeutung der
ersten Entwicklungsprocesse gebildet hat, sind in ihrer ur-
sprünglichen Fassung von den meinigen so wesentlich ver-
schieden , dass eine Auseinandersetzung nicht ausbleiben
konnte. Den Anstoss zu einer solchen gaben hierauf die
schon erwähnten Experimente von Driesch (7). Die
hauptsächlichsten Differenzpunkte, um welche es sich in
der vor vier Jahren begonnenen literarischen Fehde handelt,
will ich in vier kritischen Studien besprechen, wobei ich
mich an den historischen Gang der Roux' sehen Unter-
suchungen halten werde.
Erste Studie. Die Mosaiktkeorie.
„Entweder experimentirt mau in's Geradewohl und
fängt hinterher zu betrachten an, oder zum Wohl einer
vorgefassten Meinung wird so lauge experimentirt , bis
die Erfahrung, wie mau sieh auszudrücken pflegt, mit
der Theorie zusammenstimmt." Johannes Müller.
Roux hat sich zuerst die Frage gestellt: Besteht
zwischen der Richtung der ersten Furchungs-
ebene und der Richtung der Medianebene des
späteren Embryo eine constante Beziehung?
— 108 —
Nach einem hier nicht näher anzugebenden Verfahren
zeichnete er an isolirten Eiern, die in Ruhelage beobachtet
wurden, die Richtung der ersten Theilung auf ein Stück
Papier auf, desgleichen später die Richtung des Urmundes und
der Medullarwülste, an welchen die Medianebene des Embryo
zuerst deutlich erkannt wird. Er verglich die so ermittelten
Richtungen unter einander und fand, dass die beiden Rich-
tungen selten zusammenfielen, meist kleinere oder grössere
Winkel von 0 bis 9° mit einander bildeten, dass aber bei
länger fortgesetzten Versuchsreihen unter Vermeidung etwaiger
Fehlerquellen eine immer grössere Zahl von Eiern das Be-
streben zeigte, die Richtungen der ersten Theilungsebene
und der späteren Medianebene zusammenfallen zu lassen.
Die durch Ausschluss von Fehlerquellen besser ge-
wordenen Versuchsresultate und die „Ueberzengung, dass
doch irgend eine feste Beziehung zwischen den
bezüglichen Richtungen bestehen müsse, dass
unmöglich die Continuität der Richtungen des normalen,
embryonalen Geschehens an einer Stelle unterbrochen sein
könne" (G. A. S. 104), veranlassten Roux, unermüdlich die
Fehlerquellen aufzusuchen und zu vermeiden ; sie bestimmten
ihn dann ferner, die gefundenen kleineren und grösseren
Abweichungen nicht auf Abweichungen von dem Ge-
setz, sondern auf die noch restirenden Fehlerquellen des
Versuchs zurückzuführen und somit das Gesetz aufzustellen :
„Mit der Ebene der ersten Furchung wird (unter normalen
Verhältnissen) beim Froschei zugleich auch die zukünftige
Medianebene des Individuums bestimmt, und zwar fallen
beide zusammen" (1. c. S. 109 — 110).
Somit stand im Urtheil von Roux das Gesetz
schon von vornherein fest, ehe noch das Ex-
periment ein entscheidendes Ergebniss ge-
— 109 —
liefert hatte. Da nun, wie bekannt, die zweite Teil-
ebene die erste senkrecht und rechtwinklig schneidet, die
dritte Theilebene dann wieder in der dritten Richtung des
Raumes erfolgt und horizontal zu liegen kommt, so ergiebt
sich aus dem ersten Gesetz als weitere Consequenz, dass
am Beginne der Entwicklung gleich alle Hauptrichtungen
des Embryo normirt werden, und „dass die normale
embryonale Entwicklung in diesen Beziehungen von An-
fang an ein festes System von Richtungen ist, welches
keine Unterbrechung zeigt, und wo einem späteren Zufall
in dieser Beziehung nichts mehr zur Bestimmung über-
lassen bleibt".
Denn die ziemlich zahlreichen Abweichungen, die in
jeder Versuchsreihe vorkamen und mit „dem Gesetz" nicht
übereinstimmen wollten, wurden einfach als „Versuchs-
fehler" ausgesondert, was ein ganz willkürliches und durch
nichts gerechtfertigtes Verfahren ist, oder sie wurden in
das Gebiet anomaler Entwicklung verwiesen. Die bei
Rana escuienta häufig ermittelte Erscheinung, dass die
erste Furche mehr mit der Querebene als mit der Median-
ebene des weiter entwickelten Embryos zusammenfällt,
veranlasst Roux, die Hypothese des Anachronismus
(G. A. S. 164) zu erfinden; er nimmt an, dass in diesen
Fällen der normaler Weise zweiten Furche der Vortritt
vor der ersten Furche gelassen worden ist.
An sein vermeintliches Gesetz hat Roux die nahe-
liegende und bedeutungsvolle Frage angeknüpft: Wodurch
wirken die Richtungen der ersten Theilebenen auf die Lage
der späteren Organe des Embryo von Anfang an ursäch-
lich bestimmend ein? Er hat schon früh im Verlauf seiner
Untersuchungen hierauf mit der Hypothese geantwortet (G.
A. S. 331):
— 110 —
„Das Wesen der normalen Furchung besteht (abgesehen
von der Zerlegung des Eies in kleinere Zellen) darin , dass
sie das (durch die Befruchtung activirte) Keimmaterial
»qualitativ« scheidet und es zugleich in einer Weise zu
einander »ordnet«, welche die Lage der späteren differen-
zirten Organe des Embryo im Voraus bestimmt. Die
qualitative Scheidung und bestimmte Lagerung betrifft
»vorzugsweise« das »Kernmaterial« und wird durch die
»indirecte« Kerntheilung vermittelt."
Einen hohen Grad von Gewissheit gewann für Roux
diese gleichfalls a priori gewonnene Hypothese durch Ex-
perimente, welche er im Anschluss an Untersuchungen aus
dem Jahre 1885 im Jahre 1887 anstellte und 1888 ver-
öffentlichte. Schon 1885 (G. A. S. 146) hat Roux durch
Anstich mit zugeschärfter Nadel am Froschei kleine Ver-
letzungen angebracht, entweder bald nach der Befruchtung
oder auf einzelnen Stadien der Furchung, der Keimblase
und der Gastrula etc. ; er hat so an bestimmten Theilen des
Eies Marken gesetzt, welche sich im Weiterverlauf der Ent-
wicklung zuweilen noch erkennen Hessen. Er wollte sehen,
ob localisirte Defecte eintreten, und ob sich aus ihnen der
Schluss würde ziehen lassen, dass „das Keimplasma zur
Zeit der ersten Furchungen schon entsprechend den späteren
Einzelbildungen different beschaffen und bestimmt localisirt
sei" (1. c. S. 154).
Seine ersten Versuche haben an sicheren speciellen
Ergebnissen, wie Roux selbst hervorhebt (S. 189), nur
erst wenig geboten. Namentlich sind die Embryonen, welche
nach Verletzung einer der ersten Furchungszellen erhalten
wurden, sehr verschieden ausgefallen, theils normal, theils
mit diesen und jenen Defecten versehen.
In der zusammenfassenden Beurtheilung (S. 181) heisst
— 111 —
es: „Man wird vielleicht geneigt sein, aus den Versuchs-
ergebnissen auch schon speciellere Schlüsse, besonders über
die eventuelle Verschiedenheit und über die Localisation
des Keimmaterials im Ei, sowie über die Selbstdifferenzi
rung der Eitheile zu ziehen, doch würden diese Folgerungen
zur Zeit verfrüht sein und müssten gewärtigen , durch die
weiteren Versuche widerlegt zu werden. Ich behalte mir
daher die Entscheidung nach diesen Richtungen hin vor,
bis ich einerseits die Ursache des häufigen Ausbleibens
jedes Defects am Embryo sicher ermittelt habe, und
bis andererseits die Methode der Localisation so
verbessert ist, dass die Resultate der Wieder-
holung desselben Eingriffes consta nt geworden
sind, und es sich danach verlohnt, die künst-
lich e n M i s s b i 1 d u n g e n genau mikroskopisch zu unter-
suchen und so alle Alterationen der Entwicklung, nicht bloss
die äusserlich sichtbaren, festzustellen."
Noch ehe indessen Roux seine zweite Untersuchungs-
reihe 1888 veröffentlichte, hat der inzwischen verstorbene
französische Naturforscher Chabry (4, Zusatz 4) an den
sehr kleinen Ascidieneiern ähnliche Experimente ausgeführt,
welche in einer 1877 erschienenen Doctorarbeit mitgetheilt
sind. Wegen der sehr geringen Grösse des Eies hat Chabry
mit äusserst feinen Glasnadeln und besonders construirten
Instrumenten, die dazu dienen, die Nadel auch sicher auf
einen bestimmten Theil des Eies unter dem Mikroskop hin-
zuführen, eine der ersten Furchungszellen anzustechen und
abzutöd ten versucht. Im Unterschied zum Froschei
hat hier eine Verletzung der kleinen Zellen
sofort ihren Tod durch Zerfall und körnige
Gerinnung zur Folge. So konnten auf dem Stadium
der Zweitheilung entweder die linke oder rechte Eihälfte,
— 112 —
auf dem Stadium der Viertheilung eine oder zwei von den vier
Zellen wirklich vollständig aus dem Entwicklungsgang aus-
geschaltet werden. Die nicht verletzten Zellen des Ascidien-
eies entwickelten sich weiter und lieferten je nach den
Zellen, die durch Anstich entfernt waren , nach der Be-
urtheilung von Chabry, Missbildungen; er nannte sie
linke oder rechte Halbembryonen, Dreiviertel- oder Viertel-
embryonen (demi-individus droits, demi-individus gauches.
Trois-quarts d'individu anterieur droit s. anterieur gauche.
Trois quarts d'individu posterieur gauche s. droit. Deux
quarts anterieurs. Deux quarts posterieurs. Quarts d'indi-
vidu).
Die Namen sind recht unglücklich gewählt und geeignet,
ganz falsche Vorstellungen wachzurufen. Denn wie die
Beschreibungen und namentlich die Abbildungen von
Chabry selbst lehren, und wie es später auch Driesch(7b)
durch Untersuchung des gleichen Objects noch besonders fest-
gestellt hat, entstehen bei der Zerstörung von einer der zwei
oder von dreien der vier ersten Furchungszellen keine Hälften
und keine Viertel von Embryonen, sondern im Ganzen nor-
male Embryonen von halber oder Viertelgrösse,
die nur hie und da noch einen geringen Organ-
defect (Fehlen eines Pigmentflecks) aufweisen.
In seinen 1887 neu aufgenommenen Experimenten hat
Roux die zum Anstich benutzte Nadel erwärmt, da früher
die Verletzung mit kalter Nadel, auch wenn Dottersubstanz
ausgetreten war, häufig keine Störung in der Weiter-
entwicklung ergeben hatte. Durch die Erwärmung hoffte
er die verletzten Zellen ganz abzutödten oder intensiver
zu schädigen. Das Ergebniss war jetzt ein besseres und
lieferte nach dem Urtheile von Roux nach Zerstörung der
linken oder rechten Hälfte des zweigeteilten Eies einen
— 113 -
Hemiembryo clexter oder sinister, nach Zerstörung der
zwei hinteren Viertel des viergetheilten Eies einen Hemi-
embryo anterior (1. c. S. 419).
Aus den so gewonnenen Ergebnissen schliesst Roux,
dass jede der vier ersten Furchungskugeln sich unabhängig
von den anderen durch Selbstdifferenzirung zu einem be-
stimmten Stück des Embryo entwickelt, dass sie nicht nur
das Bildungsmaterial, sondern auch die gestaltenden und
differenzirenden Kräfte zu einem solchen enthält. Er sieht
seine schon früher a priori aufgestellte Hypothese hinsicht-
lich der Bedeutung der ersten Furchungen zur Gewissheit
erhoben und erklärt:
1) „Die Furchung scheidet den die directe Ent-
wicklung des Individuums vollziehenden Theil des Keim-
materiales, insbesondere des Kernmateriales, „qualitativ" und
bestimmt mit der dabei stattfindenden „Anordnung" dieser
verschiedenen gesonderten Materialien daher zugleich die
„Lage" der späteren differenzirten Organe des Embryo"
(1. c. S. 450).
2) „Es liegt nahe, den Schluss bezüglich der ..qualita-
tiven Materialscheidung" auch auf die folgenden Furchungen
auszudehnen" ; eine Auffassung, deren Berechtigung indessen
Roux erst noch durch weitere Versuche darthun will.
3) „Die Gastrulation vollzieht sich in jeder Antimere
selbständig, und das Gleiche ist auch in der caudalen und
cephalen Hälfte der Fall. Demnach gilt es auch für die
betreffenden Viertel." ..Die Entwicklung der Froschgastrula
und des zunächst daraus hervorgehenden Embryo ist von
der zweiten Furchung an eine Mosaikarbeit, und zwar aus
mindestens »vier« verticalen, sich selbständig entwickelnden
►Stucken" (1. c. S. 455). Unter Mosaikarbeit versteht
Roux „einen Bildungsvorgang, bei welchem „ein Ganzes
— 114 —
aus mehreren oder vielen sich selbständig diffei-enzirenden
Theilen" entsteht, so dass „es ähnlich einer Mosaik aus
einzelnen, für sich gebildeten Theilen zusammengesetzt ist"
(1. c S. 821).
Bei seinen Experimenten erhielt Roux noch ein Neben-
resultat. Er beobachtete häufig an operirten Eiern, die sich
zu einem Hemiembryo entwickelt hatten , dass sich die
fehlende Hälfte noch nachträglich aus dem Material der
durch Anstich verletzten Furchungskugel anlegte. Er be-
zeichnete den Vorgang im Unterschied zur Regeneration als
Postgeneration (1. c. S. 484).
Auf die niitgeth eilten Experimente und Folgerungen
von Roux wurde ausführlicher eingegangen, weil sie
gewissermaassen das Centrum seiner ganzen Stellung bilden,
an welches sich seine übrigen Untersuchungen anlehnen.
Daher muss auch die Kritik hier in besonders eingehender
Weise einsetzen. Ich werde sie damit beginnen , dass ich
den von Roux formulirten Lehrsätzen die von mir ge-
wonnenen abweichenden Ergebnisse in der Form kurz-
gefasster Thesen gegen überstelle und dann zu ihrer Be-
gründung übergehe.
Die Richtung und Aufeinanderfolge der
drei ersten T h e i 1 u n g s e b e n e n wird durch die
Organisation der Eizelle bestimmt, durch
ihre F o r m u n d d u r c h die b esondere Ve r -
theilung und Anordnung der in ihr ent-
haltenen Zellsubstanzen (Protoplasma, Dotter-
material etc.). 2) Die Richtungen der ersten
T h e i 1 u n g s e b e n e n haben keinen d i r e c t e n u r -
s ä chlichen Bezug auf die Lage der drei Haupt-
r ich tun gen des weiter di fferenz i rtcn embryo-
nalen Körpers; sie bestimmen sie nicht; ebenso
— 115 —
wenig besteht die A u f g a b e der ersten T h e i -
hingen darin, eine Sonderung in speci fische
Materialien für bestimmte Stücke des zu-
künftigen Embryo herbeizuführen und zu dem
Zwecke die Kernsubstanz in qualitativ un-
gleiche Tochterkerne zu zerlegen. 3) Durch
den Furchungsprocess wird vielmehr nichts
mehr und nichts minder erreicht, als dass die
ursprüngliche Eizelle sich Schritt für Schritt
in zwei, vier und mehr Tochterzellen vermehrt,
die sich von einander eventuell nur durch
Grösse, Form, Gehalt an verschiedenen Zell-
materialien (Protoplasma, Dotter, Pigment etc.)
und durch ihre Lage unterscheiden.
Wegen der ersten These, welche 1884 von mir auf-
gestellt, trotz einiger Einwände auch durch andere Forscher
von Jahr zu Jahr mehr bestätigt worden ist, verweise ich
auf das früher Gesagte und auf meine oben genannte Abhand-
lung (19). Für die zweite These, welche sich direct gegen
Roux wendet, lassen sich folgende Argumente geltend machen.
Das Zusammenfallen einer der ersten Theilungsebenen
des Eies mit der Medianebene des Embryo stellt ein mög-
liches, aber kein ursächlich n o t h w e n d i g e s Ve r -
hältniss he r. Hier gilt der Satz : Es kann sein, es kann
aber auch anders sein, es braucht nicht so zu sein. Als ein
ursächlich nothwendiges Verhältniss aber hat Roux das
Zusammenfallen von erster Theilungsebene und Medianebene
des Embryo angesehen und nachzuweisen versucht. Be-
zeichnet er es doch als einleuchtend, dass, wenn die ersten
beiden Furchungskugeln das Material für die linke und
rechte Körperhälfte enthalten, bei der geringsten Unvoll-
kommenheit der „qualitativen Halbirungu die eine Körper-
— 116 —
hälfte früher oder später entsprechend anders werden
muss (Halbseitigkeit mancher Bildungs- und Erhaltungs-
abweichungen bis zu dieser Ebene, frühzeitiges Ergrauen
der Haare einer Seite, Riesenwuchs einer Kopf hälfte etc.)
(1. c. S. 450).
Es ist leicht nachzuweisen, class solche ursächlich
nothwendige Beziehung zwischen der Lage der
Medianebene mit einer der ersten Furchung s-
ebenen nicht existirt. Wie schon das vergleichende
Studium des Furchungsprocesses bei verschiedenen Thieren
lehrt, handelt es sich um variabele Erscheinungen. Zum
Beispiel verschieben sich während der Furchung die Zellen
an einander, wenn auch in geringem Maasse, wodurch aber
immerhin die ursprüngliche Lage der Theilebenen allmählich
sehr verändert wird. (Brechungsfurche des Zweitheiiungs-
stadiums, Veränderung der Lage der vier oberen animalen
Zellen gegen die vier vegetativen.) Noch mehr aber zeigen
experimentelle Eingriffe (Plattdrücken der Eier zu einer
Scheibe zwischen horizontal oder vertical gestellten Object-
trägern, Umformung durch Einführen in eine enge Röhre
oder momentaner, kurz vor einer Theilung ausgeübter
Druck, durch welchen die Kernspindel aus ihrer Stellung
gebracht wird), dass Richtung der Theilflächen , Lage der-
selben zu einander, Grösse der Theilstücke sich im weitesten
Umfang ändern lassen. Durch derartige Experimente kann
man unschwer vollkommen gut entwickelte Embryonen er-
halten, deren Medianebene nachweisbar überhaupt mit keiner
der drei oder vier ersten Theilebenen des Eies zusammen-
fallt, aus dem sie entstanden sind.
Durch experimentelle Abänderung des Furchungs-
processes kann man sogar, wie Driesch (7) zuerst für
das Seeigelci, ich selbst darauf für das Froschei nach-
— 117 —
gewiesen habe (25) , die durch die ersten fünf Theilungen
gebildeten 32 Kerne im Eiraum gleich Kugeln verlagern,
die man durch einander würfelt, wie sich D r i e s c h in be-
zeichnender Weise ausgedrückt hat (Zusatz 5).
Bei Gültigkeit des R o u x ' sehen Gesetzes müssten die
zahlreichen, künstlich zu erzeugenden Varianten des Fur-
chungsprocesses , welche im höchsten Grade einander un-
ähnlich sind, lauter abnorme Embryonen liefern mit un-
gleicher Grösse einzelner Körpertheile und Verlagerung der
einzelnen Organe. Im Falle, dass durch die erste Theilung
das Ei in eine kleine und eine viel grössere Zelle gesondert
ist, wäre ein Embryo zu erwarten mit einer übermässig
grossen und einer kleinen Körperhälfte. Bei durch einander
gewürfeltem Kernmaterial müssten Monstra entstehen mit
Organen, die, gleichfalls durch einander gewürfelt, keinen Be-
zug mehr auf einander haben. In Wirklichkeit entwickeln
sich indessen aus allen Eiern, mögen sie sich gefurcht
haben, wie sie wollen, stets wohlgebildete Embryonen ; zwar
sind sie auf frühen Stadien, wie die zum Experiment
verwandten, noch ungetheilten Eier, dorsoventral oder von
links nach rechts plattgedrückt oder tonnenförmig gestaltet,
wenn die Eier in eine Röhre gebracht worden waren ; aber
hiervon abgesehen sind sie sowohl in Bezug auf die Zusammen-
setzung ihrer Organe als auch in Bezug auf die Lage derselben
zu einander und zu der Symmetrieebene, die keiner der ersten
Furchungsebenen entspricht, durchaus normal ausgefallen.
Nachdem Pflüger gleichzeitig mitRoux das häutige
Zusammenfallen der ersten Theilebene mit der Medianebene
des Embryo bei Rana esculenta beobachtet, dann aber
auch die Abweichungen von dieser Regel bei Eiern in
Zwangslage gefunden hatte, zog er daraus auch sofort den
richtigen Schluss: „Die Furchung soll das Bildungsmaterial
— 118 -
in kleine Bausteine verwandeln, und es ist ziemlich gleich-
gültig, in welcher Reihenfolge die vorschreitende Zerklei-
nerung sich vollzieht" (42, S. 35).
Roux hat Gelegenheit gehabt, abnorme Furchungs-
erscheinungen , überhaupt Ausnahmen von seinem angeb-
lichen Naturgesetz auch häufig zu beobachten, wie er denn
gleichzeitig mit Pflüg er zuerst durch experimentellen Ein-
griff den Furchungsverlauf abgeändert hat ; er Hess sich aber
hierdurch ebenso wenig wie durch den unsicheren Aus-
fall seiner Experimente in seiner einmal gefassten Meinung
irre machen; in den Gedanken, dass es sich bei dem Zu-
sammenfallen der ersten Theilungsebene und der Median-
ebene um eines jener Naturgesetze handeln müsse, deren
experimentelle Begründung er sich zur Lebensaufgabe
machen wollte, hat er sich von Anfang an so hineingelebt,
dass er Ausnahmen entweder auf Fehler des Experiments
zurückführte oder durch Hilfshypothesen zu erklären suchte.
Auf letztere kommen wir später zurück.
Als ich in meiner Abhandlung über den Werth der
ersten Furchungszellen etc. im Jahre 1893 der Roux'schen
Lehre ein umfangreiches, zumeist gleichfalls auf experimen-
tellem Wege gewonnenes Beobachtungsmaterial gegenüber-
stellte, erfolgte auch von seiner Seite sofort die Entgegnung,
dass meine abweichenden Ergebnisse auf Versuchs- und
Beobachtungsfehler zum grossen Theil zurückzuführen seien.
„Ich zweifle nicht," heisst es, „dass O. Hartwig, wenn er
gleich mir die bezüglichen Versuche drei Frühjahre
nach einander bei nicht zu starker Pressung (und sorg-
fältiger Beobachtung) wiederholt haben wird, auch zu den-
selben Resultaten gekommen sein wird." (G. A. S. 925.)
Bei seinen Deformationsversuchen giebt er an, zuletzt 80 "o
Uebereinstimmungen mit seinem Gesetz erhalten zu haben,
— 119 —
und fügt zur Erklärung der 20 °/o betragenden Abweichungen
hinzu, dass „bei diesen Versuchen überhaupt mehrere nicht
ganz zu beseitigende und durch eingehende Erwägung und
Abrechnung aller störenden Componenten nur theilweise zu
reducirende Fehlerquellen vorhanden sind".
Mit gleicher, durch nichts zu beirrender Consequenz
hat R o u x an seinem Standpunkt festgehalten , als B o r n
(3), der gleichzeitig und unabhängig von mir ähnliche
Compressionsversuche an Froscheiern vorgenommen und
veröffentlicht hatte, auch seinerseits erklärte, dass bei Eiern,
die zwischen schräg oder senkrecht aufgestellten Platten
compriinirt wurden, sich absolut keine Beziehung
zwischen der Lage des Urmund anfangs und der
ersten Furche auffinden Hess. „Die Richtigkeit
dieses „absolut keine Beziehung", bemerkt hier wieder
Roux (1. c. S. 961), „könnte nur durch Messung der
Winkel zwischen der ersten Furche und der Medianebene
festgestellt werden und wäre bloss dann erwiesen, wenn
diese Winkel sich auf alle Decaden von 0° — 90° gleich
vertheilten; Born erwähnt aber solcher Winkelmessungen
nicht. Es scheint mir daher doch noch nicht ganz er-
wiesen, ob nicht auch in diesen abnormen Verhältnissen
noch ein, wenn auch vielleicht geringes Vorherrschen der
Winkel um 0 u und um 90 ° vorkommt . . . Ein solches Vor-
herrschen könnte aber theoretisch von sehr erheblicher Be-
deutung werden , denn gerade von diesen feinen
Unterschieden hängt jetzt die ganze Deutung
der ersten Entwicklungsvorgänge ab."
So wird denn „zum Wohl einer vorgefassten Meinung"
— wie Johannes Müller in dem zum Motto gewählten
Satz treffend sagt — „so lange experimentirt, bis die Er-
fahrung mit der Theorie zusammenstimmt".
— 120 —
Wir wenden uns zur Kritik der Mosaik theo rie
von Roux, welche mit der theoretisch weiter ausgebauten
und in ihren Consequenzen weiter durchgeführten Keim-
plasmatheorie von Weismann (57) manches Gemeinsame
aufweist. Roux und Weismann nehmen, wie auch ich,
die Hypothese an, dass der Kern der Träger der Erbmasse
(Idioplasma, Keimplasma) sei; beide weichen aber in einem
wesentlichen Punkte von meiner Auffassung ab: sie lassen
bei der Vermehrung der Zelle die mit zahlreichen Quali-
täten ausgestattete Kernsubstanz qualitativ ungleich
getheilt werden, derart, dass die einzelnen Zellen des
Embryo mit Kernen von verschiedener Qualität ausgerüstet
und dadurch für besondere Leistungen beim Aufbau des
Embryo vorausbestimmt werden. Gegen eine derartige
Auffassung des Kerntheilungsprocesses hatte ich mich schon
1890 in meiner Schrift „Vergleich der Ei- und Samen-
bildung der Nematoden" in dem Abschnitt „Die Keim-
plasmatheorie von Weismann" (S. 86 — 100) sein* bestimmt
ausgesprochen und auf Grund der Erscheinungen der
Zeugung und Regeneration im Thier- und Pflanzenreich
die Ansicht zu begründen versucht, „das s der Kern sich
(j u a 1 i t a t i v g 1 c i c h t h e i 1 1 , u n d j e d e Z e 1 1 e daher in
ihre m Kern die gleiche Erbmasse erhält, dass durch den
Besitz dieser Erbmasse jede Zelle in sich die Möglichkeit
trägt, unter geeigneten Bedingungen aus sich das Ganze
zu reproduciren".
Eine entscheidende Wendung in der Streitfrage führte
darauf Drieseh (7), selbst ursprünglich ein Anhänger
der Roux1 sehen Lehre, durch sinnreich und vorurtlieilslos
durchgeführte Experimente herbei und betrat dadurch einen
neuen Weg der Forschung. Er trennte an Seeigeleiern,
die sich in 2 oder 4 oder 8 Stücke getheilt hatten, durch
— 121 —
Schütteln die einzelnen Stücke von einander und stellte die
seitdem vielfach bestätigte Thatsache fest: „Eine isolirte
Furch ungszelle entwickelt sich, wenn sie über-
haupt lebt, stets zu einem Gebilde, das sich nur
durch seine Grösse vom normalen untercheidet."
Es entsteht aus einer der beiden ersten Theilhälften des
Eies nach ihrer Isolirung keine Halbbildung im Sinne
Roux's, sondern wieder „ein ganzes Individuum
halber Grösse, eine Theilbildung".
Zu gleichen Ergebnissen führten zahlreiche Experimente
an anderen Objecten. Ich erinnere an die Untersuchungen
von Wilson (60) am Amphioxus, von Z o j a (63) an Medusen,
von Morgan an Teleostiern, von Driesch(7b) an Ascidien,
dem Untersuchungsobject von Chabry.
Selbst an Roux's eigenstem Untersuchungsobject, dem
Ei des Frosches, liess sich zeigen, dass seine Mosaiktheorie,
seine Lehre von den Heniierabryones laterales, anteriores
und posteriores und seine Lehre von der Postgeneration
auf ebenso einseitiger Beurtheilung der Experimente und
unvollkommener Beobachtung beruhen, als seine Lehre von
der Bedeutung der Furchungsebenen. Seine Anstichver-
suche beim Frosch prüfte ich nach (25). Wenn eine mehr
oder minder vollständige Zerstörung von einer der beiden
ersten Theilhälften des Eies durch eine erwärmte Nadel
oder durch den galvanischen Strom gelungen und dadurch
die Dottermasse theilweise geronnen und für weitere Ent-
wicklung unbrauchbar geworden war , erhielt ich in der
Regel aus der andern überlebenden Hälfte des Eies im
Ganzen wohlgebildete Embryonen, welche aus zwei Anti-
meren aufgebaut, mit einem ganzen Kopf und Rumpf
versehen waren und nur an ihrem hinteren Ende und be-
sonders auch an der ventralen Fläche Defecte aufwiesen.
— 122 —
Die Defecte aber waren dadurch entstanden, dass das ent-
wicklungsfähige Zellmaterial sich in Folge der eng an-
liegenden Dotterhaut nicht frühzeitig von der abgetödteten
Dottermasse hatte abgrenzen können, wesshalb Gesundes
und Todtes unmittelbar in einander übergingen.
Ich habe, indem ich operirte Eier von Tag zu Tag
einlegte und eine grössere Zahl in Schnittserien in querer
und sagittaler Richtung zerlegte, die durch die Operation
herbeigeführten Veränderungen auf dem Stadium der Keim-
blase und der Gastrula, sowie an Embryonen, die schon den
Kopf, Nervenrohr, Chorda und Ursegmente enthielten, genau
untersuchen können.
Wer sich die Mühe giebt, meine Beschreibung und Be-
urtheilung der Befunde genau durchzulesen , wird sehen,
dass sich die Entwicklung der Eier in anderer Weise voll-
zieht, als es R o u x dargestellt hat.
Die absonderlichen, ganz ohne Analogie dastehenden
Vorgänge, welche Roux für die Postgeneration annimmt,
aber nur erschlossen, nicht beobachtet hat, musste ich
gleichfalls in Abrede stellen. Ich kann noch jetzt Wort
für Wort die Kritik von Weismann unterschreiben : „Dass
in jenen Fällen, in welchen die andere Hälfte des Embryo
sich nachträglich ergänzte, diese Ergänzung auf dem Wege
einer Art von Zelleninfection stattgefunden habe, derart,
dass das blosse Anstossen z. B. an Ektodermzellen die
noch undifferenzirten Zellen der operirten Eihälfte bestimmte,
sich ebenfalls zu Ektodermzellen auszugestalten, das An-
stossen an Mesoblastzellen aber sie zu Mesoblastzellen be-
stimmte, — einer solchen, alle unsere bisherigen Anschau-
ungen über den Haufen werfenden Annahme könnte ich
nur zustimmen , wenn unwiderlegliche Thatsachen sie be-
wiesen" (57, S. 192).
— 123 —
Wie stellt sieh nun Roux zu meinen abweichenden
Ergebnissen? Er hilft sich in seiner sofort erschienenen
Erwiderung (G. A. S. 940) in der einfachsten und bequem-
sten Weise; er veröffentlicht eine lange, in's kleinste Detail
eingehende Beschreibung seiner Methoden zur Hervor-
bringung halber Embryonen und behandelt meine Unter-
suchung als einen vergeblichen Versuch, seine Experimente
mit Erfolg nachzumachen. Meinen angeblichen Misserfolg
führt er dabei unter Anderem darauf zurück, dass ich ge-
wöhnlich nicht nur die operirte, sondern auch die zweite
Zelle mit angestochen und „angesengt" habe. Wie
kommt Roux zu dieser so offenbar aus der Luft gegriffenen
wohlfeilen Behauptung und zu dem nicht minder wohlfeilen
Zusatz, dass das Anstechen und Ansengen der zweiten Zelle
zwar ihre Entwicklung, wenn der Kern unversehrt blieb, nicht
ausschliesse, jedoch die Bildung eines normal gestalteten Hemi-
embiyo unmöglich mache? Hat etwa gar der vielgeschäftige
Experimentator auch darüber Experimente angestellt, was
für besondere Folgen das „Ansengen der zweiten Zelle"
nach sich zieht, was man aus seinem Zusatz schliessen
sollte? Und woher will er überhaupt wissen, ob der Kern
unversehrt geblieben ist oder nicht, während doch Jeder
weiss, dass beim undurchsichtigen und grossen Froschei
die Einwirkung der Operation auf den Zellkern sich in
keinem Fall berechnen und feststellen lässt. Solche nich-
tigen Ausreden sollte man doch einem urtheilsfähigen Leser-
kreis nicht bieten.
Einen anderen Grund des Misserfolges meiner Unter-
suchungen will Roux in dem Umstände finden , dass ich
in der kritischen Zeit, in welcher sich das Wunder der
Postgeneration vollzieht, nicht continuirlich oder wenig-
stens alle Stunden einmal, Tag und Nacht, die operirten
— 124 —
Eier beobachtet und deswegen das Stadium der reinen
Halbbildung verpasst habe (Zusatz 6). Auch diese Ein-
rede verstehe ich nicht, da ich mir doch einen Einblick in
die Beschaffenheit der wichtigen Entwicklungsstadien, auf
die es ankommt, einen Einblick in die Beschaffenheit der
Blastula, der Gastrula, der ersten Anlage der Rückenwülste,
des geschlossenen Medullarrohrs an dem in gleicher Weise
operirten Eimaterial verschafft habe. Bei den operirten
Eiern, die ich auf dem Stadium der Gastrula abgetödtet
und untersucht habe, ist es nach den bereits feststehenden
Verhältnissen der Organisation einfach unmöglich, dass sich
auf dieser Grundlage ein Embryo mit nur halber Medullar-
platte entwickeln könnte.
Wer die auf 15 Seiten von Roux nachträglich im
Jahre 1894 veröffentlichten, peinlich genauen Vorschriften
zur Hervorbringung halber Froschembryonen (G. A. S. 943)
liest und damit seine Angaben über die Versuchsmethoden
aus dem Jahre 1888 vergleicht, mit welchen das Material
für seine hier allein in Betracht kommende und von mir
nachgeprüfte Abhandlung gewonnen wurde, der wird sich
gewiss mit mir eines Lächelns nicht erwehren können.
Denn mit den wohlgemeinten Rathschlägen für
Andere hat Roux selbst seine He miembryonen
nicht erhalten.
Bei seinen ersten Versuchen im Jahre 1888 (G. A. S. 428)
wurden zwar die Eier vom grünen Frosch in Glasschalen
einzeln aufgesetzt, in ihrer Stellung controlirt, gezeichnet,
operirt, verglichen und noch einmal gezeichnet, Anstichstelle
und ausgetretener Dotter in das Bild eingetragen, leider
entwickelten sich aber die meisten Eier in diesen ersten
Versuchen entweder gar nicht oder trotz grosser
Substanzverluste durch ausgetretenen Dotter
— 125 —
normal. Da nun Roux überhaupt erst „nach Abschluss
zeitraubender anderer Versuche" den noch verbliebenen
Rest der Laichperiode für die fraglichen Experimente ver-
wandte, so that Eile noth, denn schon entwickelten
sich einzelne nicht operirte Controleier zu Missbildungen
(Asyntaxia medullaris). Daher operirte jetzt Roux
„gleich grosse Massen nicht isolirter, sondern
in der Schale beisammen liegender Eier nach
Bildung der ersten Furche" (1. c. S. 429). Nach
einigen Stunden oder am nächsten Tage las er die Eier
heraus, bei welchen sich die operirte Furchungskugel nicht
gefurcht hatte.
Wer selbst die Eier verschiedener Amphibien auf ihre
Entwicklung untersucht hat, weiss recht gut, dass die Eier
von Rana fusca, welche ich zu dem Experiment verwandt
habe, für Schnittpräparate viel geeigneter sind als von Rana
esculenta; sie geben ungleich deutlichere Bilder. Denn in
Folge ihres Pigmentgehaltes grenzen sich bei Rana fusca
die Zellen scharf von einander ab und ebenso die verschie-
denen Keimblätter und die sich aus ihnen entwickelnden
Organe. Roux hat zu seinen Experimenten Rana esculenta
benutzt. In welcher Verfassung sich ausserdem die von ihm
zu Schnitten verwandten Eier befunden haben werden, kann
man einigermaassen aus seinen eigenen Angaben errathen.
Die in Alkohol gehärteten, in Boraxcarmin gefärbten,
dann entwässerten Eier wurden einige Minuten in Toluol über-
tragen, nach Belieben mehrere Stunden oder Tage in dickes,
verharztes Terpentinöl gebracht und dann, nach Entfernung
des anhaftenden Terpentins von der Oberfläche mittels
eines in Toluol getränkten Pinsels, Monate lang trocken
aufbewahrt (S. 431). Auf der Naturforscherversamm-
lung in Wiesbaden wurden sie so demonstrirt. Da die
— 126 —
meisten Eier steinhart und für das Schneiden zu
spröde geworden waren, wurden sie später 2 — 3 Tage
in einer 30 procentigen Lösung von kohlensaurem Kali
„eingeweicht", wieder entwässert, mit Terpentin durch-
tränkt und in Paraffin eingebettet. Mehrere waren „dabei
aussen so stark erweicht worden, dass sich von ihnen nur
noch Reste verwerthen Hessen", welche indessen „glücklicher
Weise noch die wichtigsten Stellen darboten". Nach diesen
Angaben scheint mir jedes weitere Wort über den Werth
des von mir und von Roux benutzten Beobachtungsmate-
rials überflüssig.
In dem 1894 veröffentlichten Aufsatz von Roux über
die Methoden sind mir noch drei Bemerkungen von
besonderem Interesse, da sie Manches erklären.
Von den in Masse operirten Eiern , bei denen eine
der zwei ersten Furchungszellen angestochen wurde, erhielt
Roux sowohl Hemiembryones laterales als H. anteriores —
in welchem Procentverhältnisse, wird leider nicht gesagt.
Dass an Stelle der erwarteten Hemiembryones laterales
auch H. anteriores sich bildeten, erklärt Roux wieder aus
der Zwangslage der Eier bei der Operation und mit der will-
kürlichen Lehre vom Anachronismus der Furchen, welche
er stets als Retter aus der Noth zur Verfügung hat. Nun
besitzen aber leider, wie ich in meiner Arbeit nachgewiesen
habe, die sogenannten Hemiembryones anteriores an ihrem
hinteren Ende die für dieses charakteristische Organisation,
den Urmundrand und die Wachsthumszone, an welcher
sich ein Ursegment nach dem andern neu sondert; sie sind
daher ganze, nur in der Gegend, wo der zerstörte Dotter
liegt, mit Defecten versehene Embryonen. Davon wusste
freilich Roux zur Zeit seiner ersten Publication nichts in
Folge seiner ungenauen Untersuchung mangelhafter und
— 127 —
für Erkennung dieser Details vielleicht überhaupt unbrauch-
barer Präparate. Solche Embryonen habe ich nun aber
am häufigsten in meinen Untersuchungen erhalten. Nach
R o u x ist dies nur so zu erklären , dass bei meinen Ex-
perimenten merkwürdiger Weise fast immer ein Anachro-
nismus der zwei ersten Furchen stattgefunden haben muss.
Anstatt der ersten Furche, Avelche links und rechts von
einander sondert, muss sich die zweite als erste angelegt
und so Kopf- und Schwanzmaterial gesondert haben. In-
dessen reicht auch diese Erklärung, wenn wir einmal mit
Roux den Anachronismus als Retter aus der Noth anrufen
wollen, noch nicht vollständig aus. Ein noch merkwürdigerer
Zufall muss es ferner gefügt haben, dass meine Nadel nie
eine Zelle mit dem Kopfmaterial getroffen hat. Da nun
auch Roux bei seinen zahlreichen Operationen niemals
einen Hemiembryo posterior erhalten und beschrieben hat,
so scheint das Anstechen der das Kopfmaterial einschliessen-
den Zelle mit nicht geringeren Schwierigkeiten verbunden
zu sein, als in einer Lotterie das grosse Loos zu ziehen.
Erwähnenswerth ist wohl auch eine zweite Bemerkung,
betreffend die „Hervorbringung im Voraus be-
stimmter Hemiembryonen" (1. c. S. 954). Hat man
sich nämlich nach den Angaben von Roux auch genau
darüber orientirt, was am zwei- oder viergetheilten Ei vorn
und hinten, links und rechts werden soll, hat man darauf
nach dieser Bestimmung eine Zelle oder auf dem Stadium
der Viertheilung zwei Zellen zerstört und gleich nach jeder
Operation die Eier in etiquettirte Schälchen gesondert, je
nachdem sie linke oder rechte oder vordere oder hintere (?)
Hemiembryonen liefern sollen, so bereitet uns Roux trotz-
dem darauf vor, dass leicht Irrthümer vorkommen.
Denn — die eigene Erfahrung hat es ihn wohl genugsam
— 128 —
gelehrt — „der Erfolg der Operation ist nicht
selten ein anderer, als man beabsichtigte; ein-
mal, weil eine Zelle, die getödtet werden sollte, nicht oder
nicht ganz abstarb, oder indem eine Zelle, die unversehrt
bleiben sollte, angesengt oder durch Druck zum Theil ent-
leert wurde und sich gar nicht oder nur theilweise ent-
wickelte" (S. 955).
Roux empfiehlt daher am meisten, die Eier einzeln zu
isoliren und so zu controliren , dass man von Zeit zu Zeit
immer wieder neue Zeichnungen von ihnen anfertigt; dabei
sei besonders darauf zu achten, „ob wirklich die Zer-
störung unserer Absicht entsprochen hat; denn
nur bei denjenigen Eiern, bei welchen dies der Fall war,
könne sich unsere Prognose nach der Medullarwulstbildung
bestätigen" (1. c. S. 957). Das will nach meiner Meinung
nichts Anderes besagen, als : Nur bei solchen Eiern
bestätigt sich die Prognose, welche sich der
Prognose gemäss entwickelt haben; sie sind
gut, die anderen sind schlecht operirt. Man ver-
gleiche auch hier das dem Abschnitt vorgesetzte Motto:
„Zum Wohl einer vorgefassten Meinung wird so lange ex-
perimentirt, bis die Erfahrung mit der Theorie zusammen-
stimmt."
Eine dritte Bemerkung von Roux theilt endlich noch
mit, dass man gegen Ende der Laichperiode viel leichter
reine Hemiembryonen erhalte, als sonst. Die Bemerkung
ist mir von Interesse, weil sie ganz offenbar zu Gunsten
der Erklärung spricht, welche ich für die bei meinen Ver-
suchen, allerdings nur in geringer Anzahl, erhaltenen Hemi-
embryones laterales gegeben habe. Ich leitete sie von
Eiern ab, die so geschädigt sind, dass sie sieh nach Art
von Eiern entwickeln, welche Spina bifida liefern. Betreffs
— 129 —
der genaueren Erklärung verweise ich auf meine frühere
Abhandlung (S. 768 — 69). Das Untersuchungsruaterial für
die Abhandlung von Roux ist nun seiner Angabe nach erst
am Ende der Laichperiode gewonnen worden und besass
ganz ausgesprochene Neigung zu Spina bifida, da unter
den wenigen nicht operirten Controleiern sich schon der-
artige Monstrositäten vereinzelt zeigten. Ueberhaupt rufen
alle schädigenden Momente (thermische, chemische, mecha-
nische Einflüsse), namentlich wenn sie die vegetative Hälfte
der Froscheies treffen , leicht eine Entwicklung mit Spina
bifida hervor.
Das erste charakteristische Merkmal für diese Art der
Entwicklung besteht darin , dass auf dem Stadium der
Gastrulation sich an der Grenze des Dotterfeldes und in
seinem ganzen Umfang ein ausserordentlich weiter Urmund-
ring bildet, der keine Neigung hat, sich von vorn nach
hinten durch Verwachsung seiner Ränder zu schliessen.
Nun stelle man sich vor, dass an solchen Eiern in Folge
irgend einer localisirten Schädlichkeit (Anstich, Austritt von
Dottermaterial etc.) ein zum Kreis geschlossener Urmund-
ring in der Peripherie des Dotterfeldes nicht hat entstehen
können, so muss ein Hemiembryo lateralis zu Stande
kommen, wenn der angelegte Theil des Urmundrings sich
in Chorda und halbe Medullarplatte weiter zu differenziren
beginnt.
Auch die Fälle, welche Roux als Postgeneration be-
schrieben hat, erklären sich auf diesem Wege in einfacher
Weise. Wenn bei Eiern mit Neigung zu Spina bifida ein
Theil des Dottermaterials durch den Eingriff zwar ge-
schädigt, aber nicht entwicklungsunfähig gemacht worden
ist, so werden sich auf der einen Seite die Zellen schneller,
auf der anderen Seite viel langsamer theilen. Auf dem
Hertwig, Zeit- und Streitfragen, II. 9
— 130 -
Stadium der Gastrulation wird der eine Theil des Urmund-
rings rechtzeitig, der andere mehr oder minder verspätet
gebildet werden; dort werden sich die halbe Medullar-
platte und die Chorda schon differenzirt haben, während hier
noch der Urmundrand in undifferenzirtem Zustand besteht.
Ist das nicht ein Vorgang, der uns Befunde liefert, welche
den von Roux als Postgeneration beschriebenen sehr ähn-
lich sind? Wir erhalten Embryonen, welche auf der ge-
sunden Seite schon Chorda und eine halbe Medullarplatte
besitzen, während sie auf der geschädigten Seite noch un-
differenzirt erscheinen und erst nach vielen Stunden oder am
nächsten Tage das Stadium der anderen Seite erreichen.
Ist unsere Erklärung richtig, dann haben wir zwar gestörte
Vorgänge vor uns, aber nicht Vorgänge, die aus dem
Rahmen des gewöhnlichen Geschehens ganz heraustreten,
wie die von Roux als Postgeneration beschriebenen
Processe.
Aus diesen Gründen muss ich in der Deutung der Haib-
und Viertelembryonen und in der ebenso strittigen Frage
der Postgeneration Punkt für Punkt an meinen früheren
Erklärungen festhalten.
Gegen Roux haben inzwischen auch die von Oscar
S c h u 1 1 z e (53), von We t z e 1 (58) und von H e r 1 i t z k a ( 1 7)
neu gewonnenen Erfahrungen gesprochen.
Oscar Schultz e hat Froscheier zwischen horizontalen
Objectträgern gepresst und unmittelbar nach der Zwei-
theilung umgekehrt. In jeder Theilhälfte macht sich hierauf
das Bestreben geltend, die animale pigmentirte Hälfte durch
Umkehrung wieder mehr nach oben zu bringen; in Folge
dessen wird allmählich der normale Zusammenhang in der
gegenseitigen Lage der beiden Furchungshalbkugeln ge-
lockert und aufgehoben. Dies wird dann wieder die Ur-
— 131 —
>-
sache, dass jede der aus dem natürlichen Zusammenhang
gebrachten Hälften sich mehr selbständig für sich und zu
einem vollständigen Embryo entwickelt. Aus dem einfachen
Ei entstehen zwei, zum Theil unter einander verbundene
Zwillinge.
In meinem Laboratorium hat G. Wetzel die Ent-
deckung von OscarSchultze bestätigt und ist in Einzel-
heiten des Vorgangs noch tiefer eingedrungen. So hat sich
wider Erwarten in kurzer Zeit erfüllt, was ich 1892 in dem
Satze aussprach: „Wenn man die beiden ersten Furchungs-
zellen des Froscheies in der Theilungsebene durch einen
Isolator trennen könnte, so würde sich eine jede zu einem
vollständigen Embryo entwickeln" (22, S. 480).
Von Herlitzka ist seitdem die Richtigkeit des Satzes
auch noch am Tritonei durch ein zweites Verfahren be-
stätigt worden. Seinem Geschick und seiner Ausdauer ge-
lang, was ich selbst zu erreichen mich vor ihm schon ver-
geblich bemüht hatte. Mit einem feinen Coconfaden konnte
er mit Hilfe eines zu dem Zwecke von ihm erfundenen
Instrumentes das zweigeteilte Tritonei in der Theilungs-
ebene durchschnüren und in einer Reihe von Fällen die
beiden ersten Furchungskugeln vollständig von einander
isoliren. Eine jede entwickelte sich zu einem
ganzen Embryo von halber Grösse.
Solche Ergebnisse bedürfen keines weiteren
Commentars. Sie widerlegen durch sich selbst
die M o s a i k t h e o r i e.
— 132 —
Zweite Studie. Die Copulationslbalm.
Ausspruch von W. Roux: „Die causalen Forscher würden einen Umweg ein-
schlagen und sich selber ein Armuthszeugniss aus-
stellen , wenn sie ihr Werk damit anfangen wollten,
die mannigfachen nicht bewiesenen Aussprüche
descriptiver Forscher auf ihre Richtigkeit zu prüfen."
Das Gesetz der Richtungsbestimmungen im Froschei,
dem unsere Kritik seither gegolten, hat von Roux noch
einen Zusatzparagraphen erhalten. Denn es weist noch
eine Lücke auf. Wodurch wird die Richtung der ersten
Furchungsebene, welche die Lage der späteren Median-
ebene des Embryos bestimmt, bei ihrer Ausbildung selbst
bestimmt? Lässt sich das ganze System der Richtungen
auch noch auf eine erste richtungsbestimmende
Ursache zurückführen?
Schon in seiner ersten Arbeit aus dem Jahre 1883
wirft Roux, von einer Beobachtung Auerbach's an
Ascaris nigrovenosa ausgehend, die Frage auf, ob die Be-
fruchtung irgendwie richtungsbestimmend wirken könne;
er fügt aber gleich die Bemerkung hinzu, „es müsse vor
einer Ueberschätzung des vermuthlichen Einflusses des
Befruchtungsvorganges auf die Richtungsbestimmung die
Erwägung schützen, dass es Thiere giebt, bei denen sowohl
befruchtete als unbefruchtete Eier vollkommen entwicklungs-
fähig sind" (G. A. S. 121).
Trotz seines gewiss ganz richtigen Argumentes geht
Roux gleichwohl im nächsten Jahre an die experimentelle
Prüfung seiner Vermuthung. Er versucht isolirte und in
Ruhelage gebrachte Froscheier von einer bestimmten Stelle
aus zu befruchten. Die ersten Versuche fallen wieder nicht
zu Gunsten aus. Dagegen liefern im nächsten Jahre_ er-
neuerte Untersuchungen ein positiv günstiges Ergebniss.
— 133 —
Bei künstlich localisirter Befruchtimg (Fig. II A) ging
die erste Furche und mit ihr die Medianebene des Embryo
bei senkrecht stehender Eiaxe in 50 oder 66 Fällen durch die
vom Experimentator gewählte Eintrittsstelle des Samens in
das Ei, und „die Seite dieser Eintrittsstelle wurde in 10 von
11 Fällen zu immer derselben, nämlich ventralen (richtiger
caudalen) Seite des Embryo" (G. A. S. 352).
Fig. II. Vier Schemata von Roux zur Veranscbaulichung des ver-
schiedenen Verhaltens der Pigmentstrasse zur Lage der ersten Theilebene
im Froschei. Pig Pigmentstrasse. F Erste Theilebene.
Weitere Versuche im Jahre 1886, welche nun gar bloss
10 — 15% betragende Abweichungen ergaben, führten zur
Aufstellung der beiden Naturgesetze (I.e. S. 357): 1) „Bei
Eiern von Rana fusca und esculenta, welche keinem äusseren
Zwang unterworfen sind, wird dieRichtungder ersten
Furche und der Medianebene des Embryo durch
die beliebig gewählte Lage derSameneintritts-
stelle bestimmt." 2) „Die Seite der Eintritts-
stelle des Samenkörpers in das Ei, die Be-
fruchtungsseite des Eies, wird (bei normaler
Stellung der Eiaxe) zur ventricaudalen Seite
des Embryo."
Die von Roux aufgeworfene Frage kann am Froschei
auch noch auf dem Wege reiner Beobachtung aufgeklärt
werden; man braucht nur Schnittserien durch gewöhnlich
befruchtete und am Ende der Zweitheilung stehende Ei«fr
134
anzufertigen. Der in das Ei eindringende und mit dem
Eikern sich verbindende Samenkörper durchläuft nämlich
im Dotter einen Weg, der längere Zeit an einer schwärz-
lichen, zuerst von Bambeke entdeckten Pigmentirung
kenntlich bleibt. Das Pigment rührt von der bräunlich-
schwarzen Eirinde her, von welcher der Samenkern eine
Partie an sich zieht und auf seiner Wanderung im Ei mit
sich nimmt (Fig. II A— D, Fig. III Ä und B p).
rc
Fig. III. Zwei Schemata über das Verhalten der Pigmentstrasse im
Froschei, wenn sie mit der Theilebcne nicht zusammenfällt, über die
Unterscheidung des Befruchtungsmeridianes (bef. m), die reelle Copulations-
bahn (rc) und die ideelle oder immanente Copulationsbahn i/<). F Tlieil-
ebene. pb Penetrationsbahn. Je Knie, cb Copulationsbahn. 1. Theilung
in der Richtung des Befruchtungsmeridians, //. Theilung in der Richtung
der reellen, /TT. Theilung in der Richtung der ideellen oder immanenten
( lopulationsbahn.
Aus seinem nachträglich vorgenommenen Studium
der Schnittpräparate lernte Roux noch Einiges mehr als
aus seinen Experimenten. Er fand, dass der Samenkörper
keinen geraden Weg im Dotter nimmt. Die Pigment-
strasse stellt eine mehr oder minder gebogene,
gewöhnlich am Ende hakenförmig gekrümmte
Linie dar (Fig. II C und D, Fig. III A und B p). Eine
— 135 —
krumme oder gar hakenförmige Linie ist aber zur Be-
stimmung einer Richtung nicht gerade sehr geeignet.
Roux sieht sich daher jetzt zu einer genaueren Analyse
des Vorgangs veranlasst. Er unterscheidet ausser der Be-
fruchtungsstelle selbst an der Bahn noch zwei Strecken,
die Penetrationsbahn (j)b) und die Copulations-
bahn (cb). Unte>* ersterer versteht er die grössere Weg-
strecke, welche von der Durchbrechungsstelle der Eirinde
bis nahe zum Eikern führt, unter letzterer das Endstück,
innerhalb dessen Ei- und Samenkern bis zu völliger Be-
rührung und gegenseitiger Abplattung zusammengeführt
werden.
Noch eine zweite Lehre gab das Studium der Schnitt-
präparate. Es zeigte sich noch, dass die erste Theilebene
mit der Sameneintrittsstelle und mit der Penetrationsbalm
in manchen Fällen einen bald grösseren, bald kleineren
Winkel bildete und nur mit dem letzten Theil der Bahn
zusammenfiel (Fig. II Cuncl D, 1. c. S. 366). Hierdurch wurde
Roux genöthigt, seinem früher auf Grund von Experimenten
aufgestellten Gesetz eine etwas andere Fassung zu geben.
Er hält sich jetzt für berechtigt — wir wollen seine eigenen
Worte gebrauchen — , „die ersteren T heile (Samen-
eint rittssteile und Penetrationsbahn), wenn sie
überhaupt einen bezüglichen Ein fluss ausüben,
so doch als minder w er thig gegenüber dem letz-
teren Moment (Copulationsbahn) aufzufassen und
zu sagen:"
„Unter normalen Verhältnissen wird die specielle Rich-
tung der ersten Theilungsebene des Froscheies durch d i e
Richtung der Copulationslinie der beiden Vor-
kerne bestimmt" (1. c. S. 383).
Mit diesem Satz, welcher das durch E x p e r i -
— 136 —
mente zuvor ermittelte und formulirte Gesetz
wieder aufhebt, stehen wir vor einer vollständig
veränderten, durch den Haken der Pignient-
strasse herbeigeführten Sachlage.
Ich habe die Experimente von Roux nicht nachgeprüft.
Dazu dürfte sich überhaupt nicht so leicht Jemand veranlasst
fühlen, wenn er sich der Bemerkung von Roux erinnert,
dass man insbesondere seine Versuche von der localisirten
Befruchtung erst drei Frühjahre nach einander nach-
gemacht haben müsse, um zu denselben Resultaten wie er
zu gelangen (Gr. A. S. 925 und diese Schrift S. 1 18). In-
dessen scheint mir schon eine genauere Analyse der Beob-
achtungen und Schlüsse von Roux klärend zu wirken und
daher nicht ohne Interesse zu sein. Versuchen wir sie also !
Nach der zweiten Fassung des Gesetzes wird die Rich-
tung der ersten Theilebene des Froscheies und damit auch
die Medianebene des Embryo durch die Richtung der
Copulationsli n ievon Ei- und Samen kern bestimmt.
Hierzu ist dreierlei zu bemerken :
Erstens. Die Bezeichnung: Richtung der Copulations-
linie führt leicht zu Missverständnissen, die wir klarlegen
müssen. Gewöhnlich wird der Leser der Abhandlung von
Roux, wie es zum Beispiel Fick in seiner sogleich zu
erwähnenden Untersuchung ergangen ist, der Ansicht sein,
dass die Richtung der Copulationslinie (Fig. III A, II rc)
das umgebogene Ende der Pigmentstrasse oder, allgemein
ausgedrückt, das letzte Ende der durchlaufenen Wegstrecke
sri, welches Roux als Copulationsbalm (cb) von der Pene-
trationsbahn (pb) unterschieden hat. Weit gefehlt. Roux
liat auch diesen Begriff noch feiner ausgearbeitet und um-
gestaltet. Er versteht nämlich, wie mau bei sorgfältiger
Leetüre aus seiner Abhandlung herauslesen kann, unter dem
— 137 —
WTorte„Copulationsrichtung"nichtsAnderesals
eine ideelle Linie, welche man als Senkrechte
auf die Fläche, die durch Berührung und Ab-
plattung des Ei- und Samenkerns entsteht, oder
auf die Cop ulati onsf lach e errichtet. Er spricht
daher auch an einer Stelle von einer „immanenten Copu-
lationsrichtung des Kernes".
Und nun beachte man: Bei obiger Definition kann
zwar die Copulationslinie mit derCopulations-
bahn, dem letzten Ende der Pigmentstrasse,
zusammenfallen, siebraucht es aber nicht not h -
wendiger Weise. Sie fällt zum Beispiel mit ihr nicht
zusammen, wenn das Kernpaar nach der Copulation seine
Stellung im Ei verändert, oder wenn es auch nur sich mit
seiner Copulationsfläche um seine Axe herumdreht, In beiden
Fällen wird eine auf der Copulationsfläche senkrecht er-
richtete Linie alle möglichen Winkel mit der wirklichen
Copulationsbahn (Pigmentstrasse) beschreiben können. Man
vergleiche Fig. III, in welcher das Stadium A sich in das
Stadium B durch Drehung des Kernpaares umgewandelt
hat, und die Theilung anstatt in der Richtung I befm. oder
II rc in der Richtung III ic erfolgt ist.
Das lehrreichste Beispiel hierfür bietet das Ei von
Ascaris nigrovenosa, welches ich gerade in Bezug auf
diesen Punkt schon im Jahre 1884 genau analysirt habe
(Fig. IV). Ei- und Samenkern wandern in gerader Linie,
welche durch Pfeile (e, s) bezeichnet ist, von den Polen des
längs-ovalen Eies auf einander zu und platten sich in seiner
Mitte an der quergestellten Copulationsfläche ab. Die Be-
fruchtungsrichtung, der Weg, welchen beide Kerne, um sich
zu treffen, zurückgelegt haben, oder die wirkliche Copulations-
bahn (Fig. IV A 3 e s) fällt mit der Längsaxe des Eies genau
— 138 —
zusammen. In dieser Richtung erfolgt aber die erste Thei-
lung nicht. Das Kernpaar dreht sich mit seiner Copulations-
fläche (B und C) um 90 Grad herum, so dass jetzt die auf
ihr senkrecht errichtete Linie (Copulationsrichtung) mit der
Querebene des Eies (Cj) zusammenfällt, in welcher sich dann
die Theilung vollzieht. Nur unter Annahme meiner oben
gegebenen Definition des Begriffes „Copulationslinie" konnte
Roux sagen: „Bei Ascaris nigrovenosa theilt sich der
Furchungskern in der durch Drehung nachträglich
quergestellten Copulationsrichtung, entspricht
also zugleich meinem Gesetz" (1. c. S. 412).
Fig. IV. Drei Schemata des befruchteten Eies von Ascaris nigrovenosa,
um die Drehung des copulirten Kernpaares und ihr Verhältniss zur ur-
sprünglichen reellen Copulationsbahn zu erläutern. Die Pfeile e und s
zeigen die Richtung, in welcher sich Ei und Samenkern auf einander bewegt
haben, die reelle Copulationsbahn (3), an. Richtung' / ist die Queraxe des
Eies, mit welcher die Theilebene später zusammenfällt. Die Linie 2
zeigt die Lage der Copulationsfläche auf einem Zwischenstadium B an.
Aus dem citirten Satz, sowie aus der weiteren Fassung,
welche Roux dem Begriff „Linie der Copulationsrichtung"
gegeben hat, lässt sich der gewiss naheliegende und selbst-
- 139 —
verständliche Schluss ziehen: Wenn die Linie der Copu-
lationsrichtung durch Ortswechsel oder Drehungen des copu-
lirten Kernpaares in erheblichem Umfang nachträglich ver-
ändert werden kann, so wird durch den vom Samen-
körper durchlaufenen Weg die Richtung der
ersten Theilebene überhaupt nicht mehr be-
stimmt (Fig. III und IV). Wir thun mit diesem Schluss
nur einen ganz kleinen Schritt noch über Roux hinaus.
Wie dieser selbst schon, durch das Studium seiner Schnitt-
präparate veranlasst, bezweifelte, ob die Sameneintritts-
stelle und die Penetrationsbahn auf die Lage der ersten
Theilebene einen Einfluss ausüben, und sie wenigstens als
minderwerthig bezeichnete, so können wir jetzt auch dem
Rest des Weges, der Copulationsbahn, einen Einfluss nicht
mehr einräumen.
Das von Roux über die Wirkung der Be-
fruchtung formulirte Gesetz kann in seiner
ersten Fassung nach keiner Richtung mehr
Griltigkeit beanspruchen. Roux hat sich zu diesem
Schluss selbst nicht entschlossen , sondern vorgezogen, dem
Begriff „Richtung der Copulationslinie" unter der Hand
eine feinere, umfassendere Bedeutung in der dargestellten
Weise zu geben. Er hat dadurch freilich nur Verwirrung
gestiftet. Denn die Leser seiner Schriften werden die
Richtung der Copulationslinie meist auf die reelle
Copulationsbahn, auf den letzten Theil des vom Samen-
körper zurückgelegten Weges, beziehen und sich enttäuscht
sehen, wenn sie die Richtigkeit des so aufgefassten Roux-
schen Gesetzes an irgend einem Object nachprüfen wollen.
So ist es F i c k ergangen bei seiner ausserordentlich
sorgfältigen Untersuchung des Axolotleies (14, S. 568 bis
577, 602).
— 140
Beim Axolotl ist die Eintrittsstelle und der erste Weg
des Samenfadens im Ei ebenfalls an Schnittpräparaten leicht
zu beobachten; „der weitere Weg des Samenfadens aber
seine complicirten Drehungen und Wendungen konnten nur
mit grosser Schwierigkeit von Fick durch Combinations-
zeichnungen aufgeklärt werden." Dabei hat sich heraus-
gestellt, „dass die Richtung der Biegung in der
Pigmentstrasse beim Axolotl keineswegs direct
als die Copulationsrichtung angesehen werden
kann". Fick hat sich sehr bemüht, durch Reconstruction
bei einer grossen Zahl von Eiern eine Gesetzmässig-
keit in der Richtung der Pigmentumbiegung,
des „Pigmentstiefels" zu ergründen; aber seine
Mühe w a r e i n e v e r g e b 1 i c h e : „es besteht beim Axolotl
keine Gesetzmässigkeit in dem erwähnten Verhältniss; das
umgebogene Ende ist ohne Beziehung zum Eikern" ; auch
kann schon clesswegen „von einem directen Zielen" des
Kniees auf den Eikern natürlich gar keine Rede sein, weil
ja der letztere zur Zeit der Knieausbildung noch ganz an
der Peripherie liegt" (1. c. S. 576).
Nach Klärung der Sachlage gestatten wir uns eine
zweite Bemerkung. Wenn man von der oben gegebenen
allgemeinen Definition des Begriffes „Copulationsrichtung"
ausgeht, welche sich allein als die zutreffende aufrecht er-
halten lässt, dann ist das Roux'sche Gesetz in seiner
zweiten Fassung nur ein anderer, aber unge-
nauerer Ausdruck für den allbekannten Satz:
„Die T heil ebene des befruchteten Eies erfolgt
rechtwinklig zur Axe der Kernspiudel und wird
von der Lage und Stellung der Spindel als der
f r ii li e r vorhandenen b e s t i m m t. "
Der Beweis ist leicht zu führen. Die descriptiven
Forscher wissen schon aus der Zeit, wo man zum ersten Mal
— 141 —
mit den im Ei sich abspielenden Vorgängen der Befruchtung
bekannt wurde , dass die Attractionscentren (Centrosomen)
für die erste Theilungsfigur (Fig. III und IV) an zwei oppo-
nirten Punkten in der Peripherie der Copulationsfläche von
Ei- und Samenkern auftauchen, und dass zwischen ihnen
die Kernspindel entsteht. Schon in meiner Abhandlung aus
dem Jahre 1884 sagte ich bei der Erklärung der Rotation
der conjugirten Kerne im Ei von Ascaris nigrovenosa (siehe
auch S. 104), dass die Kernaxe in die Abplattungsfläche,
das ist in die Copulationsfläche der beiden Kerne zu liegen
kommt (Fig. IV A^) , dass die Attractionscentren sich an
zwei opponirten Punkten der Copulationsfläche entwickeln
müssen, dass das Kernpaar halbirt werde durch
eine Ebene, welche die Copulationsfläche recht-
winklig schneide (19, S. 21).
Es ist ohne Weiteres klar, dass eine Linie, welche
die Mitte der Kernspindel rechtwinklig schneidet, nichts
Anderes als die Richtung der Copulationslinie in der oben
beschriebenen weiteren Fassung von Roux ist (Fig. III
A rc, B ic). Der Ausdruck „Die Richtung der ersten
Theilung des Furchungskernes wird durch die Copula-
tionsriehtung der Vorkerne bestimmt" lässt sich daher
ersetzen durch den Satz: „Die Richtung der ersten
Theilung wird durch die Lage der Kernspindel des copu-
lirten Kernpaares bestimmt, derart, dass sie die Axe der
Kernspindel in ihrer Mitte rechtwinklig schneidet." Ohne
Frage ist diese Fassung, welche ich schon 1884 entwickelt
habe, und deren Priorität ich hiermit geltend mache, die
bessere und genauere; sie beseitigt ein- für allemal die
Vorstellung, durch welche die Forscher bisher in der Irre
herumgeführt worden sind , als ob die Pigmentstrasse , die
vom Samenkörper im Ei eingeschlagene Richtung, auf die
Lage der Theilungsebene von Einfluss sein könne.
— 142 —
Was ferner die Bedeutung des ermittelten Theilungs-
niodus des copulirten Kernpaares betrifft, so hob ieh 1884
schon hervor, dass er nach den schönen Untersuchungen
von van Beneden nothwendig sei, damit von der Sub-
stanz der conjugirten Kerne von jedem die Hälfte einem
Tochterkern zugetheilt werde (19, S. 21).
Roux hat später gleichfalls die Frage nach der functio-
nellenBedeutung seines Gesetzes(?), dass die erste Theilung
des Furchungskernes normaler Weise in der Copulationsrich-
tung der Vorkerne erfolge, aufgeworfen. (G. A. S. 390—394.)
Nachdem er alle verschiedenen Möglichkeiten der Mischung
und Vertheilung der männlichen und weiblichen Kern-
substanzen auf die Tochterkerne erörtert, stellt er das Gesetz
auf, dass die ermittelte Art der Theilung bei der Annahme
einer „fehlenden" oder „unvollkommenen Vermischung" der
Substanzen der Vorkerne allein diejenige ist, welche keine
in der Copulationsrichtung vor sich gegangene Aneinander-
lagerung oder Vermischung der beiden Kernmaterialien
wieder aufhebt. Er bezeichnet den Vorgang als „den ein-
fachsten, ökonomischsten Mechanismus der Theilung durch
Copulation verbundener, aber nicht oder nur unvollkommen
vermischter Materialien".
Auch dieser Satz ist nur eine Umschreibung
und eine ungenauere Wiedergabe des schon zu-
vor durch van Beneden ermittelten Gesetzes.
Schon vor den Erörterungen und der Erwägung der ver-
schiedenen Möglichkeiten durch Roux war über diesen
Punkt durch die glänzende Entdeckung eines descriptiven
Forschers helles Licht verbreitet worden. Das seitdem
mehrfach bestätigte van Beneden' sehe Gesetz , dass Ei-
und Samenkern gleichviel Kernsegmente zur Bildung der
ersten Kernspindel liefern, dass das Muttersegment sich in
Tochtersegmente spalte, welche darauf in gleichem Verhält-
— 143 —
nisse sich auf die Tochterkerne vertheilen, hat uns einen
vollkommen erschöpfenden Einblick in den Process und
seine Bedeutung gewährt. Wem es Vergnügen macht, mag
meinetwegen den Vorgang „den einfachsten, ökonomischsten
Mechanismus der Theilung durch Copulation verbundener,
aber nicht oder nur unvollkommen vermischter Materialien'1
heissen. Mehr, als wir durch van Beneden's Gesetz
wissen, erfahren wir hierdurch nicht. Ueber dasselbe hin-
aus hat bis heute unserer Erkenntniss nichts Neues hinzu-
gefügt werden können.
Noch eine dritte Bemerkung. Ich bezeichnete oben
die von mir gegebene Fassung, dass die erste Theilungs-
ebene des Eies die Kernspindel des copulirten Kernpaares
rechtwinklig schneide und daher in ihrer Richtung durch
die Lage der letzteren bestimmt werde, als die bessere und
genauere im Vergleich zu der von R o u x gegebenen Fassung,
dass die Richtung der ersten Theilebene des Froscheies
durch die Richtung der Copulationslinie von Ei- und Samen-
kern bestimmt werde. Die Roux' sehe Fassung ist nämlich
mathematisch falsch und daher einfach unhaltbar. Jeder
weiss, dass die Lage einer Ebene durch die Richtung einer
einzigen geraden Linie nicht bestimmt werden kann. Denn
ich kann die Ebene um eine einzige gerade Linie als Axe
herumdrehen und ihr so unzählige Lagen geben. Das
Froschei kann in der Copulationsrichtung durch eine verti-
cale, horizontale und unzählige schräg zur verticalen ge-
stellte Ebenen getheilt werden. Von diesem Fehler ist die
von mir gegebene Fassung frei, da eine begrenzte gerade
Linie (Axe der Kernspindel) nur durch eine einzige Ebene
in ihrer Mitte rechtwinklig halbirt werden kann.
Durch meine Fassung ist zugleich auch das sich an-
schliessende Problem als Frage klar gestellt: Wodurch wird
— 144 —
die Lage der Kernspindel im Ei bestimmt? Hierauf gab
ich die meiner Meinung nach zutreffende und erschöpfende
Antwort: „Die Lage der Kernaxe steht wieder in einem
Abhängigkeitsverhältniss zur Form und Differenzirung des
sie umhüllenden protoplasmatischen Körpers." Unter Diffe-
renzirung verstehe ich die besondere Art und Weise, wie
Protoplasma und Dotterbestandtheile im Ei vertheilt und
angeordnet sind. Auch wies ich verschiedene Factoren
nach, welche auf eine stärkere Ansammlung von Proto-
plasma an einzelnen Stellen des Eikörpers hinwirken, wie
die Bildung der Richtungskörper und die Befruchtung.
Mit anderen Worten ausgedrückt : ich machte die Lage
der Kernaxe von dem Bau der Eizelle vor dem
Beginn der Th eilung abhängig.
AuchRoux war im weiteren Verlauf seiner
Experimente 1887 genöthigt, dem Dotter einen
grossen Einfluss auf die Richtung der ersten
T heil ebene einzuräumen. Bei Eiern von Rana escu-
lenta, die er in schiefer Zwangslage befruchtete, sah er die
Theilebene ausser jeder Beziehung zum B e f r u c h -
t u n g s m e r i d i a n stehen, und er erkannte an, „dass die durch
die Zwangslage bilateral -symmetrisch geordneten Dotter-
massen einen »drehenden«, bestimmt einstellenden Einfluss auf
den Furchungkern, sei es schon während seiner Bildung oder
nach derselben, ausüben, und dass dann der so eingestellte
Kern, indem er sich in seiner Copulationsrichtung theilt,
bewirkt, dass auch der Dotter sich in dieser Richtung
theilt" (G. A. S. 411). Er findet in den Ergebnissen der
Befruchtung bei Zwangslage eine neue Bestätigung seiner
Ansicht, „dass weder die Lage der Eintrittsstelle, noch die
Substanzen der Pigmentstrasse des Samenkörpers das Be-
stimmende für die »Richtung« der ersten Theilung des
— 145 —
Dotters sind, sondern dass das Moment in der Richtung
der Copulation der Kerne zu suchen ist" (S. 406), dass
aber „bei genauerer Prüfung auch letzteres Moment nicht
die einzige bestimmende Componente sein kann" (S. 406),
sondern der richtende Einfluss der Dottermasse.
In diesen und anderen Sätzen ist denn schliesslich
Roux nach mannigfachen Kreuz- und Querfahrten auf
demselben Standpunkt angekommen, welchen ich schon
1884 eingenommen hatte, freilich ohne dieser Beziehungen
irgendwie zu gedenken, getreu seinem Ausspruch, welcher
diesem Abschnitt vorgesetzt ist: „Die causalen Forscher
würden einen Umweg einschlagen und sich selber ein
Armuthszeugniss ausstellen, wenn sie ihr Werk damit an-
fangen wollten, die mannigfachen, nicht bewiesenen Aus-
sprüche descriptiver Forscher auf ihre Richtigkeit zu
prüfen. "
Wir wollen dem causalen Forscher diesen Standpunkt
lassen und nur zum Schluss noch einmal kurz das Ergebniss
unserer analytischen Studie in einigen Sätzen zusammen-
fassen, in welchen sich eine interessante Metamorphose ent-
wicklungsmechanischer Gedanken und Gesetze wie eine
Verwandlung von Nebelbildern vollzieht.
ErstesBild, im Jahre 1882. Vor einer Ueberschätzung
des vermuthlichen Einflusses des Befruchtungsvorganges
auf die Richtungsbestimmung der ersten Furche niuss die
Erwägung schützen, dass es Thiere giebt, bei denen so-
wohl befruchtete als unbefruchtete Eier vollkommen ent-
wicklungsfähig sind (G. A. S. 121).
Erste Verwandlung. 1883. Die Befruchtung wirkt
trotzdem richtungsbestimmend. Die Richtung der ersten
Furche und der Medianebene des Embryo wird durch die
Hertwig, Zeit- und Streitfragen. II. 10
- 146 —
beliebig gewählte Lage der Sameneintrittsstelle bestimmt
(G. A. S. 357).
Zweite Verwandlung. 1887. Die Sameneintritts-
stelle und die Penetrationsbahn sind im Vergleich zur Copu-
lationsbahn (Haken der Pigmentstrasse) für die Bestimmung
der Richtung der ersten Furche minderwerthig , wenn sie
überhaupt einen bezüglichen Einfluss ausüben (S. 383).
Dritte Verwandlung. 1887. Die Richtung der
ersten Theilungsebene wird auch nicht durch die reelle
Copulationsbahn (Haken der Pigmentstrasse), sondern durch
die Richtung der ideellen oder immanenten Copulationslinie
der beiden Vorkerne bestimmt (S. 412).
Vierte Verwandlung. 1887. Die Richtung der
ersten Theilungsebene wird nicht ausschliesslich durch die
Richtung der Copulationslinie der beiden Vorkerne (erste
Componente), sondern auch durch die Anordnung der Dotter-
masse und ihren richtenden Einfluss (zweite Componente)
bestimmt (S. 407).
Das Schlussbild (1895) liefern die in der neu auf-
gelegten Sammlung der Abhandlungen über Entwicklungs-
mechanik gleichfalls neu formulirten Naturgesetze § 1 — 4
(S. 1025).
Wie verhält es sich bei diesen Verwandlungen mit der
Richtigkeit der Ergebnisse der von Roux zuerst angestell-
ten Experimente und seiner Beobachtungen?
Dritte Studie. Einige Definitionen.
Ausspruch von W. Koux : „Ich ersuche zugleich die Herren bequemen Abschreiber
a hi M. V , dasjenige, was sie für meine An-
sichten ausgeben wollen, ebenso wenig' aus den Schrift« n
II. Driesch's wie aus denen 0. Hertwig's zu ent-
nehmen, sondern bitte sie, hartes Holz zu bohren
und die Originale zu studiren."
A. f. Entw. Bd. III 8. 428.
Da Roux selbst viele Erscheinungen, die mit seinen
„Naturgesetzen" nicht übereinstimmen wollten, zu beob-
— 147 -
achten Gelegenheit hatte, da er ferner seit einer Reihe von
Jahren immer mehr Widerspruch von verschiedenen Seiten
erfuhr, und zwar auf Grund zahlreicher Experimente und
Beobachtungen, so musste er wohl oder übel sich mit der
veränderten Sachlage abzufinden suchen. Er hat sich denn
öfters bemüht, seine Gesetze, ohne sie preiszugeben, den
neuen Verhältnissen anzupassen. Dazu mussten Hilfshypo-
thesen ersonnen, sowie entwicklungsmechanische Definitionen
und Begriffe gebildet werden.
Eine sehr ausgiebige Verwendung linden in den Schriften
von Roux namentlich einige künstliche und willkürliche
Begriffsbestimmungen. Als solche bezeichne ich 1. die
Unterscheidung einer normalen oder typischen und einer
anomalen oder atypischen Entwicklung, wie sie Roux sich
zurechtgelegt hat; 2. die Unterscheidung einer Selbstdiffe-
renzirung und einer abhängigen Differenzirung.
1. Die Definition der typischen und atypischen Ent-
wicklung ist ein classisches Beispiel einer Definition, durch
welche so gut wie nichts definirt wird. So lesen wir an
einer Stelle (G. A. S. 914, 915): „Die verschiedenen,
nicht von einer einzigen Bildungsweise ableitbaren That-
sachen haben mich veranlasst, zwei entsprechend ver-
schiedene Bildungsmodi aufzustellen." „Erstens einen
Bildungsmodus für die normale Entwicklung, den ich als
Modus der directen s. typischen Entwicklung be-
zeichne, weil er typisch verläuft", „zweitens den
Modus der indirecten s. atypischen s. regulatorischen
Entwicklung etc. Dieser ist im Gegensatz zu
er st er em charakterisirt durch entsprechend
atypischen, aber von einem stets vorhandenen , wenn
auch nur kleinen „typischen" Theile aus geleiteten Ver-
lauf"; oder an einer andern Stelle (S. 844): „Das Wesen
10*
— 148 —
der typischen Entwicklung ist bezeichnet vornehmlich durch
stets denselben typischen Ausgang von einer (ihrer Her-
kunft nach typischen) äusserlich „undifferenzirten" ganzen
Zelle und durch in allen Fällen denselben typischen Ver-
lauf." „In allen Fällen" wird dabei wieder eingeschränkt
durch den in Klammern gesetzten Zusatz, „von geringen
Variationen und ihnen entsprechenden directen Anpassungen,
Selbstregulationen, abgesehen". Oder an dritter Stelle
(S. 813): „Ist die typische Entwicklung, wie wir anneh-
men, Bildung von typisch Geordnetem aus typisch Geord-
netem unter vollkommen typischem Verlaufe, und zwar
Entwicklung eines typischen formal Complicirten aus einem
typischen formal Einfacheren, so ist sie also etwas in ihrem
Principe durchaus Verständliches(!), sofern wirk-
lich der Verlauf in allen seinen Theilen, nicht bloss in den
Hauptzügen, typisch bestimmt sich vollzieht, und sofern die
eventuellen »atypischen« Einzelvorgänge doch durch »typi-
sche« Regulationsmechanismen vermittelt werden." „Die
»atypische Entwicklung« ist dagegen Bildung von Geord-
netem aus einem in sich Geordneten, aber atypisch Be-
grenzten, und zwar Bildung eines typischen Ganzen aus
einem atypisch begrenzten Theile eines solchen" etc. „Aus
der atypischen Begrenzung des sich zum typischen Ganzen
umbildenden Theiles folgt, dass diese Umbildung sich im
Speciellen auf einem jedem Einzelfalle angepassten Wege
vollziehen muss." „Diese Anpassung ist es, die, so-
fern sie eine directe ist, den Anschein des
Wunderbaren, Metaphysischen (sie!) hat" (S. 814).
Daher soll überhaupt der atypischen Entwicklung „beim
gegenwärtigen Stand unserer Erkenntniss etwas Metaphy-
sisches (!!) anhaften" (S. -813).
Um in den Sinn der Definitionen noch tiefer einzu-
— 149 — .
dringen, mag uns ein Beispiel dienen. Wir wählen das
Froschei, da ja sein Studium den Anstoss zu den Begriffs-
bestimmungen gegeben hat, denen Eoux, nach den mehr-
fachen Wiederholungen zu schliessen, besonderen Werth
beimisst, und fragen uns; was ist bei ihm typische und
atypische Entwicklung? Auf die Frage würde nach den
Definitionen von Roux die Antwort lauten:
Das normale, kuglige Froschei ist ein typisch begrenztes
und entwickelt sich typisch, weil Alles typisch zugeht;
seine Entwicklung ist im Princip durchaus verständlich.
Ein Froschei dagegen, das ganz wenig durch Druck ab-
geplattet ist und daher im Furchungsprocess einige Ab-
weichungen zeigt, ist ein atypisch begrenztes und ent-
wickelt sich atypisch zu einem typischen Ganzen; seine
Entwicklung hat den Anschein des Wunderbaren , Meta-
physischen an sich, weil sie sich wegen der „atypischen
Begrenzung des sich zum typischen Ganzen umbildenden
Theiles" „im Speciellen auf einem jedem Einzelfalle an-
gepassten Wege vollziehen muss."
Mehr als aus den Definitionen, dass typische oder
atypische Entwicklung darin besteht, dass sich etwas typisch
oder atypisch entwickelt, wird uns das Geheimniss der
typischen Entwicklung aus folgender Stelle klar (1. c.
S. 844):
„Typische Entwicklung ist entwicklungsmechanisch bis
jetzt charakterisirt in den ersten Stadien (beim Frosch)
durch die Bestimmung der ersten Theilungsebene durch
die Befruchtungsebene, durch die Anlage der Schwanzseite
des Embryos auf der Befruchtungsseite des Eies, durch die
Lage der Medianebene in der ersten Furchungsebene etc.,
durch die erwähnte Selbstdifferenzirung der ersten Furchungs-
zellen zu bezüglichen Theilstücken der Morula, Gastrula
— 150 —
und des Embryo, in etwas späteren Stadien gleichfalls durch
einige wenige, von mir nachgewiesene Selbstdifferenzirungen
(Selbstschluss des Medullär- und des Darmrohrs), ferner
durch einige aus den Missbildungen erschlossene Selbst-
differenzirungen, sowie durch mehrere, bereits ermittelte
Arten von Correlationen." Also ohne Umschweife, klipp
und klar gesagt: die typische Entwicklung ist
charakterisirt durch die Roux'schen Naturge-
setze, während Alles, was sich diesen Gesetzen
nicht fügt, atypisch ist.
Leider sind diese Roux'schen Gesetze nach der Aus-
sage ihres Urhebers selbst in ihrer Wirkungssphäre und
Giltigkeit sehr eingeschränkt. Denn die „vollkommen"
typische, nicht der „geringsten" Störung unter-
liegende Entwicklung soll nach Roux „ganz rein
für s i c h w o h 1 überhau ptnicht vorkommen" (G. A.
S. 980), und sie soll auch nicht möglich sein, weil das Ei
bei seiner Entwicklung von äusseren Bedingungen abhängig
ist (1. c. S. 981). In seiner jüngsten Abhandlung (A. f. E.
S. 333) macht daher Roux noch eine weitere, feinere Unter-
scheidung zwischen typischer und normaler Entwicklung,
welche man nicht mit einander verwechseln dürfe; denn
die typische Entwicklung entspräche nur einer »ganz
normalen« Ontogenese, die aber in Folge der un-
gleichen äusseren Einwirkungen und vielleicht auch in Folge
von Variationen im Bau des Eies resp. Samenkörpers wohl
nie vorkomme". Bei der normalen Entwicklung kann es
mithin auch atypisch zugehen1).
*) So ist auch auf S. 982 zu lesen: „Obschon also nie ein
Individuum ganz allein durch die directe s. typische
Entwicklung" entsteht, so muss „diese Art der Entwicklung doch
möglichst streng von der indirecten s. regulatorischen Ent-
— 151 -
Uns scheint es sich mit den Begriffen der typischen
und der atypischen Entwicklung wie mit den Worten Ge-
sundheit und Krankheit, Leben und Sterben zu verhalten.
Auch über diese gegensätzlichen Begriffe kann ein scharf-
sinniger und phantasievoller Doctorand, wie viele andere
Theorien, so auch die Theorie aufstellen, dass vollkommene
Gesundheit wohl überhaupt nicht vorkommt, da doch irgend
ein Theil immer krank ist, und dass das Leben, da Zellen
in unserem Körper fortwährend zu Grunde gehen, eigentlich
ein fortwährendes Sterben ist.
Wir aber wollen, ohne in eine Disputation weiter ein-
zugehen, uns darauf beschränken, aus den Definitionen von
Roux den naheliegenden Schluss zu ziehen, dass seine
entwicklungsmechanischen Naturgesetze, weil sie nur für
„die vollkommen typische" oder „ganz normale"
Entwicklung, welche aber „wohl nie vorkommt", gelten,
mit der wirklichen Entwicklung, welche zum guten Theile
eine atypische ist, sich bald hier, bald da in Widerspruch
befinden; es sind daher, was ja auch mit den Ergebnissen
dieser Studien in bester Harmonie steht, weniger Gesetze,
die zeigen, wie es in dieser unvollkommenen Welt eigent-
lich zugeht, als Gesetze, die uns lehren sollen, wie die
atypische Entwicklung in der Natur werden müsste, um
vollkommen typisch zu sein.
2. In ähnlicher Weise wie über die bisher besprochenen
Begriffe, „typische" und „atypische", „normale", „ganz
normale" und „anomale Entwicklung", hat Roux Definitio-
nen, denen er für sein Lehrgebäude hohen Werth beilegt,
über die Worte Selbstdifferenzirung und abhängige Diffe-
wicklung geschieden werden, da die Processe beider wesentlich
verschieden sind."
— 152 —
renzirung aufgestellt und ihr Verhältniss zu den verschie-
denen Arten der Entwicklung erörtert.
Die typische Entwicklung des Eies ist fürRoux
hauptsächlich „Selbstdifferenzirung". Alle Vorgänge
sind so genau norniirt, dass jedes Stück des Eies, jede
Furchungszelle etc. zu einem bestimmten Theil des Embryos
zu werden im Voraus bestimmt ist (Mosaiktheorie) und
sich unabhängig von anderen Theilen durch Selbst-
differenzirung dazu entwickelt. Ihren besonderen, von An-
fang an vorgezeichneten Charakter während der Entwicklung
erhalten die einzelnen Zellen aufgeprägt durch die Kern-
substanz, welche durch den Theilungsprocess qualitativ
ungleich getheilt wird.
Bei der atypischen Entwicklung dagegen tritt
die Selbstdifferenzirung der Theile mehr in den Hinter-
grund und wird durch abhängige oder correlative Differen-
zirungen der Theile unter einander ersetzt. Es werden
neue Mechanismen der Selbstregulation durch jede Störung
des normalen Zustandes, schon durch die geringsten Ab-
weichungen, wie z. B. die so häufigen Verschiebungen der
Furchungszellen , geweckt. Es werden dadurch die ab-
norm gelagerten oder abnorm beschaffenen Theile unter
die regulatorischen differenzirenden Wirkungen ihrer Um-
gebung gestellt (G. A. S. 980. 981). Sie werden umdiffe-
renzirt. An Stelle des Kernmaterials, welches in Folge
qualitativ ungleicher Theilung von Haus aus nur für eine
ganz besondere einseitige Art der Entwicklung fest voraus-
bestimmt war (typisches Idioplasma), tritt jetzt ein
in jeder Zelle gleichsam noch in Reserve gehaltenes Keni-
material, welches in undifferenzirtem Zustand jeder Zelle
noch neben dem qualitativ ungleich getheilten Kernmaterial
für unvorhergesehene Fälle bei der Theilung mit auf den
Weg gegeben wird, das Res er ve- Idioplasma.
— 153 —
Da ich die Mosaiktheorie von Roux und die ihr nahe
verwandte Keimplasmatheorie von Weis mann, besonders
die Lehre der qualitativ ungleichen Kerntheilung und des
Reserve-Idioplasma, schon im ersten Heft der „Zeit- und
Streitfragen" eingehend besprochen habe, verweise ich auf
das früher Gesagte (besonders S. 27 — 80) und gehe hier nur
noch auf Gebrauch und Bedeutung der beiden Worte ..Selbst-
differenzirung" und „abhängige Differenzirung" ein. Denn
Roux bedient sich ihrer als Schlagworte, um mit ihnen
das seiner Meinung nach grundverschiedene Wesen der
typischen und atypischen Entwicklung zu bezeichnen. Er
nennt sie schwierige, aber für seine causa le
Forschung nothwendige Begriffe.
Selbstdif ferenzirung findet nach Roux in der
Entwicklung eines Organismus oder eines seiner Theile
statt, wenn „eine Veränderung sich durch gestaltende oder
qualitativ differenzirende Energien vollzieht, welche in dem
»veränderten Ganzen« resp. in dem veränderten Theile ge-
legen sind" (G. A. S. 821). Abhängig oder correlativ ist
dagegen die Differenzirung, wenn „bei der Gestaltung eines
Gebildes ausserhalb desselben gelegene differenzirende Ur-
sachen mitwirken." Die Unterscheidung der beiden Ent-
wicklungsweisen gründet Roux „auf den Sitz der differen-
zirenden Ursachen;" er nennt sie daher auch kein actives,
sondern ein topographisches Princip (1. c. S. 823).
Noch etwas genauer wird an einer andern Stelle die
Definition ausgeführt (1. c. S. 978): „Unter »Selbstdifferen-
zirung« eines von der Natur oder in Gedanken von uns
abgegrenzten Theiles verstehe ich, dass die Ursachen des
»Specifischen« der Differenzirung dieses Theiles in ihm
selber gelegen sind. Vorbedingungen dieser Verände-
rungen, d. h. Componenten, welche nicht das Specifische:
— 154 —
die Qualität, den Ort, die Zeit und die Intensität der Ver-
änderung bestimmen, wie z. B. die Zufuhr von Wärme,
Sauerstoff und sonstiger Nahrung, können dabei von aussen
zugeführt werden, ohne dass die Veränderung dadurch den
Charakter der Selbstdifferenzirung in meinem Sinne ver-
liert. Als abhängige resp. correlative Differenzirung be-
zeichne ich die Veränderung eines umgrenzten Theiles, so-
fern resp. soweit die das specifische Verhalten nach Qualität,
Ort, Zeit und Grösse dieser Veränderung bestimmenden
Ursachen ausserhalb dieses Theiles gelegen sind."
Wie mit den Worten typische und atypische Entwick-
lung hat Roux auch hier wieder die Biologie mit zwei
unklaren Begriffen beschenkt, deren Verwendung im be-
sonderen Fall in höchstem Grade von dem Belieben und
der Willkür des einzelnen Forschers abhängt.
Streng genommen kann ja von einer Entwicklung durch
Selbstdifferenzirung überhaupt nicht gesprochen werden.
Denn auch die geringste Veränderung eines Organismus
oder eines seiner Theile setzt stets die Mitwirkung äusserer
Ursachen voraus.
Das hat- auch Roux eingesehen und bemerkt daher
(1. c. S. 822): „Um Irrthümern vorzubeugen, ist stets
gegenwärtig zu halten, dass es Selbstdifferenzirung im
»analytischen« Sinne, also in Bezug auf das »Geschehen«
selber, auf die Veränderung bloss des gerade veränderten
Theiles nicht giebt und nicht geben kann, da entsprechend
dem Beharrungsgesetz nichts seinen Zustand von selber zu
verändern vermag. Die Entwicklung besteht also ihrem
Wesen nach in Wechselwirkungen, in gegenseitigen Beein-
flussungen."
„Die »Veränderung oder Differenzirung an sich« be-
ruht stets auf Wechselwirkung von Theilen, da nichts
ganz von selber sich verändern kann" (1. c. S. 979).
- 155 —
Gewiss ist es schon von vornherein misslich, einen
Ausdruck, von dem man selbst sagt, dass er wissenschaft-
lich eigentlich auf eine Sache nicht zutrifft, sogar als Mittel
zur Unterscheidung und Erklärung zweier grundverschie-
dener Entwicklung^ weisen zu verwenden. Soll es trotzdem
geschehen, dann muss der Begriff wenigstens so klar definirt
sein, dass über seine Verwendung kein Zweifel mehr be-
stehen kann. In diesem Fall kann nach meiner Meinung
das Wort Selbstdifferenzirung einzig und allein in folgender
Weise und unter folgender Motivirung gebraucht werden:
Eine Selbstdifferenzirung kann der Entwicklungsprocess
eines Eies insofern genannt werden , als das Ei ein so com-
plicirter Organismus, meinetwegen auch Mechanismus ist,
dass von seiner Structur das Eigenthümliche oder Specifische
des Entwicklungsprocesses vorwiegend abhängt, während
die äusseren Einwirkungen (causae externae) zwar gleich-
falls unbedingt nothwendig sind, aber doch für das Zu-
standekommen der besonderen Art des Endproducts weniger
ins Gewicht fallen.
Es spielt bei der Erklärung, um mich eines Beispiels
zu bedienen, die complicirte und specifische Organisation
der Eizelle dieselbe Rolle wie bei der Erklärung der
Leistung einer Maschine ihre complicirte Structur. In dem
einen wie in dem anderen Falle sind äussere Ursachen oder
Umstände zwar unbedingt nothwendig, dort, damit die Ent-
wicklung des Eies in Gang kommt und unterhalten wird,
Sauerstoff, Wärme, Licht etc., hier, damit die Maschine in
Thätigkeit gesetzt und erhalten wird, eine äussere Kraftquelle.
Aber diese äusseren Ursachen können variiren und haben be-
sonders auf das Specifische der Entwicklung des Eies oder
der Leistung der Maschine nur sehr untergeordneten Ein-
fluss. Eine Buchdruckmaschine arbeitet in derselben Weise,
— 156 —
mag sie durch eine Dampfmaschine, einen Electromotor oder
eine andere Kraftquelle getrieben werden. Ebenso wird ein
Froschei zum Frosche, mag es sich bei 5 — 10 oder 20 Grad
Wärme, bei reicher oder beschränkterer Sauerstoffzufuhr, in
feuchter Atmosphäre oder im Wasser etc. entwickeln.
Will man in diesem schärfer präcisirten Sinne das
Wort Selbstdifferenzirung gebrauchen, dann liegt auf der
Hand, dass die Entwicklung eines Eies, die unter anderen
als den gewöhnlichen Bedingungen vor sich geht, gleich-
falls als Selbstdifferenzirung bezeichnet werden muss, auch
wenn jetzt einige Störungen mit unterlaufen. Mögen die
Bedingungen variiren, wie sie wollen, mögen sie die ge-
wöhnlichen oder aussergewöhnlichen sein, jedes Mal tritt
das Ei in den Entwicklungsprocess mit der ihm eigentüm-
lichen, specifischen Organisation hinein. Seine Theilnahme
kann nicht das eine Mal als Selbstdifferenzirung, das andere
Mal als abhängige Differenzirung bezeichnet werden. Auch
verrichten die äusseren Umstände in dem einen Fall nicht
mehr als in dem andern. In beiden Fällen greifen sie in
den Entwicklungsgang ohne Unterbrechung mit ein, ermög-
lichen und beeinflussen ihn.
Die Entwicklung eines kugeligen Froscheies zum Bei-
spiel ist ihrem Wesen nach keine andere, als wenn es
zwischen zwei Glasplatten etwas gepresst wird. Jedes Mal
ist es die specifische Organisation des Eies, welche das
Resultat in der Entwicklung vorwiegend bestimmt und bei
der Pressung veranlasst, dass die Furchungsebenen eine
geringe Abänderung erfahren. Unter veränderten Um-
ständen bethätigt sich die Selbstdifferenzirung des Eies nur
in einer etwas anderen , aber für seine specifische Organi-
sation nicht minder eigenthümlichen Weise. Eine Thon-
kugel, zu einer Scheibe gepresst, würde sich nicht durch
- 157 -
Theilebenen in Stücke zerlegen. Es ist ebenso unlogisch
wie wissenschaftlich unzulässig, das eine Mal die Entwick-
lung des Eies als eine Selbstdifferenzirung, das andere Mal
als eine abhängige Differenzirung nach reiner Willkür be-
zeichnen zu wollen. Das Verfehlte eines solchen Beginnens
wird jedem Leser sofort einleuchten, wenn ich das Beispiel
etwas anders wähle und die äussere Ursache, welche sich
ändert, die Wärme sein lasse. Je nachdem die Froscheier sich
bei 5, bei 10 oder 20 Grad entwickeln, beginnen sie sich nach
sehr verschiedenen Zeiträumen zum ersten Male zu theilen.
Wenn ich die Entwicklung bei 5 Grad eine Selbstdifferen-
zirung nenne, so muss ich es auch in den anderen Fällen
thun. Hier würde Niemand auf den Gedanken kommen,
das eine Mal von Selbstdifferenzirung, das andere Mal von
abhängiger Differenzirung zu reden — so offenkundig ist die
Inconsequenz und die Willkür bei der Unterscheidung.
Trotzdem ist der Entwicklungsprocess in jedem Falle ein
verschiedener, entsprechend der Verschiedenheit der äusseren
Ursachen. Den Standpunkt aber, den wir gegenüber der
Verschiedenheit der Entwicklung bei verschiedenen Tem-
peraturgraden einnehmen, können wir nicht nach Belieben
ändern, wenn es sich um Verschiedenheiten handelt, die
durch andere äussere Ursachen, wie durch ungleichen
Druck etc. , hervorgerufen werden. Hier hat man nur die
Wahl, den Entwicklungsprocess stets Selbstdifferenzirung zu
nennen, unter Einhaltung der oben gegebenen Definition,
oder man muss ihn, was ich vorziehe und allein wissen-
schaftlich berechtigt halte, abhängige Differenzirung nennen.
Aber — so könnte man mir einwerfen — zwischen
beiden Beispielen besteht doch ein Unterschied. Bei un-
gleichen Temperaturen bleibt die Art des Entwicklungs-
processes dieselbe; nur ihre Dauer wird abgeändert; bei
— 158 —
Druck der Eier dagegen ändert sich das Wesen des Ent-
wicklungsprocesses, indem die Furehungsebenen eine andere
Lage annehmen, und die Theilstücke ganz andere Form
und Grösse erhalten.
Darauf erwidern wir: Dass im zweiten Falle das
Wesen des Entwicklungsprocesses eine Aenderung erleide,
können wir nimmermehr zugeben. Wie die Verände-
rung in der zeitlichen Aufeinanderfolge der
Th eilungen, so ist auch eine Aenderung in der
Lage derTheilebenen und in der Grösse und
Form der Theilproducte für das Zustande-
kommen des Endresultats eine ganz unwesent-
liche Erscheinung im Entwicklungsgang; das
Wesentliche und Nothwendige ist nur, dass die
Eisubstanz in Zellen zerlegt wird. Zu einer Haupt-
und Staatsaction im Entwicklungsprocess ist die Richtung
und Aufeinanderfolge der Theilebenen nur durch Roux
gemacht worden, welcher auf ihre Erforschung langjährige
Arbeit verwandt hat in dem Glauben, durch das Studium
des „Richtungsgeschehens" die ersten Fundamente seiner
Zukunftswissenschaft zu legen.
Mit derselben Willkür, mit welcher die unklaren Be-
griffe Selbstdifferenzirung und abhängige Differenzirung
zur Beurtheilung des Entwicklungsprocesses aufgestellt
worden sind, hat Roux noch weitere, ähnliche und damit
zusammenhängende Unterscheidungen getroffen (G.A. S.908).
Ausser von Selbstdifferenzirung und abhängiger Differen-
zirung spricht er noch von p a s s i v e r (?) Differenzirung, von
vollkommener und unvollkommener Selbstdifferenzirung,
von gemischter Differenzirung. Die Gebilde, welche sich
selbst differenziren oder differenzirt werden oder auf andere
differenzirend einwirken, nennt er Differenzirungsgebilde
— 159 —
und unterscheidet hier wieder „Selbstdifferenzirungsgebilde,
abhängige oder gar völlig passive Differenzirungsgebilde,
temporäre und permanente Selbstdifferenzirungsgebilde, tem-
porär abhängige und permanent abhängige Differenzirungs-
gebilde" und Gebilde , welche auf andere differenzirend
wirken, als „Anderdifferenzirungsgebilde", und letztere theilt
er wieder ein, je nachdem sie stärker oder schwächer auf
andere differenzirend einwirken, als Differenzirungs-Haupt-
gebilde und Differenzirungs-Nebengebilde. Es sind dies
lauter wissenschaftlich unhaltbare und unbrauchbare Be-
griffe, weil sie sich gegen einander gar nicht abgrenzen,
und Niemand anzugeben weiss, wie und inwieweit die
vielen Millionen embryonaler Zellen einer Gastrula zum
Beispiel auf einander einwirken und an welchen Merkmalen
ihre Einwirkung erkannt werden könnte. Was vom Allein-
selbstdifferenzirungsgebilde schon gesagt wurde, gilt noch
viel mehr vom passiven Differenzirungsgebilde. Wie keine
Zelle sich aus sich selbst allein verändern kann, so verhält
sich auch keine Zelle, wenn sie sich in Folge einer äusseren
Einwirkung differenzirt, passiv ; vielmehr hängt der schliess-
liche Erfolg immer von der besonderen Art ab, wie die
Zelle oder der Organismus auf eine Ursache reagirt.
Der Leser, welcher die Definition von Roux über
Selbstdifferenzirung des Eies und seiner Theile bei der Ent-
wicklung sich eingeprägt hat und dann hört, dass es aber Selbst-
differenzirung eigentlich nicht giebt, weil alle Theile in Ab-
hängigkeit und Beziehung zu einander sich entwickeln, welcher
dann reiflich prüft, in welchen Fällen er von Selbst- und von
abhängiger Differenzirung sprechen soll, welche Theile des
sich entwickelnden Eies er als temporäre oder permanente
Selbstdifferenzirungsgebilde oder abhängige Differenzirungs-
gebilde, welche er als Alleinselbstdifferenzirungsgebilde und
— 160 —
Ander - Differenzirungsgebilde , als Differenzirungs - Haupt-
und Differenzirungs-Nebengebilde wissenschaftlich bezeich-
nen und an welchen Merkmalen er sie mit Erfolg von ein-
ander unterscheiden soll, wird dem Verfasser der Gesam-
melten Abhandlungen darin Recht geben, dass er ihm beim
Studium seiner Originale allerdings sehr „hartes Holz zu
bohren" zumuthet.
Dem Wunsch von Roux (Zusatz 7), welcher diesem Ab-
schnitt wörtlich vorgedruckt ist, glauben wir nachzukommen,
indem wir unsere Leser betreffs noch eingehenderer Infor-
mation auf die Originale verweisen, aus denen wir nur
die uns besonders interessirenden Sätze wörtlich angeführt
und zum Gegenstand der Kritik gemacht haben.
Vierte Studie. Der Cytotropisinus.
Ausspruch von W. Kous : „Es ist überhaupt eine Eigenschaft der entwicklungs-
mechanischen Forschung, dass es meist leichter ist ,
eine neue Thatsache festzustellen, als ihre Bedeutung
richtig zu ermitteln." A. f. Entw. Bd. I S. 168.
In dem Bemühen, Regulationsmechanismen zur Er-
klärung der atypischen Entwicklungserscheinungen aufzu-
finden, hat Roux eine neue Entdeckung gemacht, welche
seitdem als Selbstordnung der Furchungszellen
und als Cytotropismus in der Literatur ihr Wesen
treibt (G. A. S. 987 ; A. f. E. Bd. I S. 43, 161 ; Bd. III S. 381).
Als ich die Roux' sehen Darstellungen in seinen verschie-
denen Abhandlungen las, konnte ich mich des Zweifels
nicht erwehren, ob die Namen Cytotropismus und Selbst-
ordnung hier Avohl am Platze seien. Unter Tropismus ver-
steht man bekanntlich eine Lebensäusserung der Zelle (oder
eines Organismus), die darin besteht, dass die Zelle sich
nach einer Stelle, von welcher aus ein thermischer, chemi-
scher etc. Reiz auf sie wirkt, activ hinbewegt, oft aus
— 161 —
sehr grossen Entfernungen. Mir schien eine derartige
Lebensäusserung nicht vorzuliegen , vielmehr wurde ich
mehr an die Aehnlichkeit mit Phänomenen erinnert, wie
man sie an Fetttropfen beobachtet , die sich auf der Ober-
fläche einer Suppe hin und her bewegen. Hier kann man
auch zwei Fetttropfen , wenn sie zufällig einander nahe
kommen, sich erst mit einer kleinen Stelle berühren, sich
dann gegenseitig abplatten und schliesslich auch zu einem
grossen Fetttropfen verschmelzen sehen.
Schon von anderen Forschern hörte ich bei gelegent-
licher Unterredung über den angeblichen Cytotropismus der
Furchungszellen Zweifel äussern. Driesch hat sich be-
reits auch öffentlich darüber ausgesprochen (A. f. E. Bd. III
S. 363). Es erscheint ihm durchaus nicht als ausgeschlossen,
dass Roux an seinen Zellen „capillare Näherungserschei-
nungen" beobachtet habe, welche sich auch an unorganischen
Gebilden möchten demonstriren lassen. Besonders die Ab-
hängigkeit des Eintretens der Näherung von der Grösse
des Abstandes scheint ihm für seine Vermuthung zu sprechen.
Driesch macht Roux „für alle Verirrungen verantwort-
lich, welche voraussichtlich daraus entspringen werden", dass
er das begrifflich wohl begründete Wort Tropismus oder
Taxis in ganz neuem Sinne verwende (A. f. E. Bd. IV S. 78).
Was versteht Roux unter der von ihm neu entdeckten
Erscheinung des Cytotropismus? Er versteht darunter eine
Einwirkung benachbarter Zellen auf einander, welche zur
Folge hat, dass sie sich bis zu gegenseitiger Zusammen-
lagerung langsam nähern. Er verbindet damit die Hypo-
these, dass die Zellen eine chemotaktische Substanz
ausscheiden, durch welche sie sich gegenseitig beeinflussen,
lässt aber die Beeinflussung in etwas anderer Weise als bei
der von Pfeffer entdeckten Chemotaxis zu Stande kommen,
11
— 162 —
was nothwendig ist, weil ja beide sich anziehenden Zellen
das Chemotakticum absondern. Die hierin liegende Schwie-
rigkeit glaubt er durch die Hilfsannahme umgehen zu
können, dass die unter wechselseitigem Einfluss stehenden
Zellen sich, statt nach der Richtung der stärksten
Zunahme nach der Richtung der geringsten Ab-
nahme in der Concentration der chemotaktischen Substanz
hinbewegen (A. f. E. Bd. I S. 182—189, 201).
Meine Zweifel an der Existenz eines derartigen Cyto-
tropismus stützen sich auf folgende Gründe:
Dem aufmerksamen Leser der bezüglichen Abhand-
lungen vonRoux wird es nicht entgehen, dass Roux sich
selbst an verschiedenen Stellen immer wieder neu auf-
tauchender Zweifel bezüglich der Deutung seiner Beob-
achtungen nicht erwehren kann (1. c. S. 167, 168). Da bei
Bombinator igneus und Rana esculenta kein Cytotropismus
der Furchungszellen bemerkt werden konnte, wurde in ihm
unwillkürlich die Vorstellung erweckt, dass die früher bei
Rana fusca beschriebenen Näherungen doch nur auf Täu-
schungen, d. h. auf äusseren Einwirkungen, beruht
hätten, und „nur die genaue Durchsicht seiner Journale
konnte ihm unter Berücksichtigung aller Momente dies Ge-
fühl wieder bannen" (1. c. S. 167). Roux hebt des Oefteren
hervor, dass es sehr schwierig sei, zu unterscheiden, inwie-
weit die beobachteten Näherungen der Zellen auf ihren
eigenen Leistungen beruhen oder ob sie etwa als passive
Folgen äusserer Einwirkungen aufzufassen sind. Dass man
auf letzterem Wege eine gruppenweise Vereinigung der
durch Zerzupfen von einander getrennten Zellen einer
Froschmorula erreichen kann, steht ausser Zweifel. Denn
Roux selbst berichtet es uns als eine feststehende That-
sache: „Die isolirten Zellen haften auch bei bloss passiver
— 163 —
Berührung- leicht an einander; schon mehrfache Erschüt-
terung des Objectes oder öfteres Umrühren desselben mit
den Präparirnadeln genügt, um die isolirten Zellen wieder
mit einander in Verband zu bringen , so dass man danach
7iur noch wenige, in geringem Abstand von einander be-
findliche Zellen mehr vorfindet1" (1. c. S. 47). Sie verhalten
sich also in diesem Falle wie Fettaugen auf einer Suppe,
welche zusainmenhaften, wenn sie sich begegnen, ßoux
empfiehlt daher, bei der Anfertigung des Präparates mit
den Nadeln nicht mehr Bewegungen zu machen , als zur
Isolirung nöthig sind, den Objectträger vorsichtig zu ver-
schieben und dafür zu sorgen, dass im Flüssigkeitstropfen
keine Strömungen entstehen. Ob er die letzteren hat wirk-
lich ganz vermeiden können, bezAveifle ich. Denn er hat
zum Theil die isolirten Zellen im offenen Flüssigkeitstropfen
untersucht, bei welchem eine Verdunstung des Wassers
nicht zu vermeiden ist; theils hat er den Tropfen mit einem
Deckglas , das mit vier hohe n Wachsfüsschen versehen
war, bedeckt, wobei der Tropfen den capillaren Zwischen-
raum nicht ganz ausfüllte und daher wohl auch nicht als
absolut ruhig zu betrachten war.
Angesichts dieser Untersuchungsbedingungen mahnt
ferner zur Vorsicht bei der Beurtheilung der Ergebnisse
der Umstand , dass eine Näherung zweier Zellen bis zur
Verschmelzung sich überhaupt nur feststellen Hess, wenn
von Anfang an ihre Entfernung von einander nur eine
minimale, 0,03 — 0,06 mm war und durchschnittlich den
Zellenradius nicht überstieg (S. 64). In den einzelnen ge-
nauer beschriebenen Fällen dauerte es zehn Minuten bis
mehr als eine Stunde, bis die Vereinigung eintrat, wenn
sie überhaupt nicht ganz ausblieb.
Auch die Art der gegenseitigen Annäherung
11*
— 164 —
scheint mir nicht dafür zu sprechen , dass die Zellen eine
anziehende Wirkung auf einander ausübten. Sie bewegen
sich nicht constant und gleichmässig auf einander zu, wie
durch eine auf ein bestimmtes Ziel gerichtete Kraft ge-
trieben, sondern mehr stossweise. „Nach jedem Schritt
vorwärts findet gewöhnlich ein mehr oder weniger grosses
Zurücksinken statt" (1. c. S. 53). Roux nennt daher „die
Bewegung eine rhythmisch-schrittweise und mit Zurück-
sinken verbundene" (S. 189). Dann kam auch vor, dass die
beiden Zellen, anstatt sich zu nähern, auseinander rückten,
oder dass eine Zelle sich nur näherte, während die andere
unbeweglich blieb, oder dass zwischen zwei Zellen mit
minimalem Abstand trotz langer Dauer der Beobachtung
eine Annäherung überhaupt nicht stattfand. Fälle der letz-
teren Art führt freilich Roux auf den Umstand zurück,
dass die Zellen an der Unterlage festgeklebt waren.
Ausserordentlich bedenklich kommt mir der kleine
Kunstgriff vor, welchen Roux als ein sehr wesentliches
Hilfsmittel empfiehlt, um widerstrebende Zellen doch noch
nachträglich zu glücklicher Vereinigung zu bringen. Der
Experimentator, welcher, um alle Fehlerquellen zu vermeiden,
den Objecttisch des Mikroskops unter Benutzung der Wasser-
waage wagerecht eingestellt hat (S. 46) etc., sucht erst
durch schwächeres, dann durch stärkeres Blasen
auf den Wassertropfen Zellen, die nach seiner Ver-
muthung auf dem Objectträger festsitzen, wieder los zu be-
kommen ; er hat sie auf diese Weise auch häufig noch zur
Vereinigung — durch Zusammenblasen — gebracht (S. 62).
Nicht minder bedenklich erscheint mir ein zweites Mittel,
„säumige Zellen zur Vereinigung zu bringen", nämlich
die Erwärmung des Wassertropfens bis auf 28 ° C. durch
eine elektrische Glühlampe, welche man dem Objectträger
— 165 —
nähert (S. 64); denn da durch die Annäherung einer stär-
keren Wärmequelle das Wasser stärker zu verdampfen* be-
ginnt, müssen lebhaftere Strömungen im Tropfen ohne
Zweifel entstehen. Der Experimentator ruft also selbst das
hervor, was er durch sorgfältige Vorkehrungen an anderer
Stelle als Fehlerquelle zu vermeiden warnt.
Auf Grund der eigenen Darstellung von Roux halte
ich daher den Zweifel wohl berechtigt, ob nicht in vielen
Fällen die stoss weise erfolgende Annäherung
zweier durch minimalen Abstand getrennter
Zellen passiv durch Erschütterung und Strö-
mung im Wasser herbeigeführt worden sei. Das
erst nach längerer Zeit eintretende Resultat wäre so im
Grund dasselbe, wie es in wenigen Minuten durch starke
Erschütterung des Tropfens oder Bewegung desselben mit
Nadeln herbeigeführt wird.
Indessen soll diese Erklärung, wie schon bemerkt, nicht
für alle Fälle dienen. Denn wenn ich mich an die Dar-
stellung von Roux halte, liegt noch eine zweite Möglich-
keit vor, welche aber mit Cytotropismus ebenfalls nichts
zu' thun hat. Es verändern nämlich die Furchungszellen
von Rana fusca, nach der Isolirung in einem geeigneten
Medium, langsam ihre Gestalt, indem sie während längerer
Zeit amöboide Bewegungen ausführen. Hie und da senden
sie kleine Höckerchen hervor („protoplasmatische und para-
plasmatische Pseudopodien"). Durch solche Formverände-
rungen können natürlich auch stossweise und rhythmisch
erfolgende Annäherungen zwischen zwei Zellen zu Stande
kommen, und es kann die Distanz von 0,03 — 0,06 mm, zu-
mal im Zeitraum einer vollen Stunde, allmählich so ver-
kleinert werden, bis einmal an zwei Punkten die Zellen
zusammenstossen. Solche Verbindung ist natürlich, wie die
- 166 —
passiv hervorgebrachte, ebenfalls eine zufällige. Wenn
auch die Zellen sich dabei activ verhalten und Bewegungen
ausführen , so kann man doch nicht von Cytotropismus
sprechen, da das Merkmal fehlt, dass die Bewegung der
einen Zelle durch die andere veranlasst ist und eine directe
und nothwendige Richtung auf sie hat. Roux hat selbst
auch solche Bedenken gehabt. Bei Beschreibung des Ver-
haltens isolirter Furehungszellen in Kochsalzlösung bemerkt
er (1. c. S. 162):
„Schon sogleich nach der Isolirung sieht man, dass die
meisten der in geringem Abstand befindlichen Zellen sich
zur Berührung zusammenschliessen. Doch kann man dabei
in Zweifel sein, ob hier directer Cytotropismus vorliegt oder
etwas Anderes, da nicht, wie beim reinen Cytotropismus,
die Zellen bloss gegen einander hin sich bewegen, sondern
jetzt nach vielen Seiten para plasmatische Pseudo-
podien aussenden, die bei nahen Zellen auch
schon zufälliger We ise oft sich berühren müssen.
Solche sich berührenden Pseudopodien lösten sich jedoch
häufig sogleich wieder von einander, so dass also dadurch
keine Verbindung der Zellen hergestellt wurde; manch-
mal aber blieben sie vereinigt." „In vielen Fällen
zeigte sich, dass der dauernden Berührung der paraplasma-
tischen Pseudopodien rasch die Näherung auch des ganzen
Zellleibes bis zur Berührung der beiderseitigen Zellrinde
folgte." Auf der anderen Seite wurde bei stark amöboiden
Furchungszellen auch beobachtet, dass sie sich dicht an
einander vorbei bewegten, ohne sich zu vereinigen (1. c.
S. 177).
Wenn ich jetzt alle von Roux beschriebenen Er-
scheinungen noch einmal Revue passiren lasse, so kann ich
nichts an ihnen entdecken, was uns berechtigte, den
— 167 —
Furchungszellen ein neues, besonderes Vermögen , das man
Cytotropismus heissen könnte, beizulegen, bin vielmehr der
Meinung, dass zwei Furchungszellen mit mini-
malem Abstand entweder passiv wie zwei Oel-
tropfen durch Erschütterung und Strömung im
Wasser oder unter bald rascher, bald auch sehr
langsam erfolgender amöboider Veränderung
ihrer Form durch Zufall zur Berührung und
Zusammenlegung gebracht werden.
Etwas Gesetzmässiges kann ich auch schon deswegen
aus der ganzen Darstellung von Roux nicht herauslesen,
weil das Verhalten der durch minimale Zwischenräume ge-
trennten Furchungszellen von Rana fusca (von Rana escul.
und Bombinator ganz abgesehen) ein sehr verschiedenartiges
ist und überhaupt mehr den Charakter des Zufälligen an
sich trägt.
Die meisten Forscher würden das Regellose in den sich
darbietenden Erscheinungen sehr unbequem empfinden und
darin ein Hinderniss für die Feststellung eines gesetz-
mässigen Verhaltens erblicken. Merkwürdiger Weise sucht
Roux sogar noch diesen Umstand zu Gunsten seiner Auf-
fassung auszubeuten und für sich einen Vortheil heraus-
zuschlagen.
„Wenn allen Zellen des Eies," bemerkt er, „derselbe
Cytotropismus zu einander zukommt, dann kann diesem
Princip kein besondere Gestalten producirender Einfluss,
also kein erheblicher Antheil an der individuellen Ent-
wicklung zukommen; wenn dagegen der Cytotropismus
zwischen den Zellen desselben Eies sehr verschieden ist,
und wenn diese Verschiedenheiten typische sind, dann kann
der ordnende und der gestaltende Einfluss des Cytotropis-
mus an der Ontogenese ein sehr bedeutender sein" (S. 176,
— 168 —
193). So glaubt denn schliesslich Roux im Cytotropisrnus,
der Ordnungswirkung entfernter Zellen auf einander, ein
Mittel gefunden zu haben, durch welches die Zellen bei
atypischer Entwicklung sich derartig umordnen können,
„dass sie ihren bezüglichen inneren Qualitäten nach am
besten zusammenpassen" und wieder ein normales Ent-
wicklungsproduct liefern (A. f. E. Bd. III S. 453). Dieses
Mittel soll sogar innerhalb eines Zellen aggregates noch
eine grössere Wirksamkeit entfalten können, weil Roux
des Glaubens ist, dass zwischenliegende Zellen als Träger
cytotropischer Wirkungen für andere Zellen dienen können
(warum?), und dass in diesem Falle der Näherungsabstand
sogar um das Mehrfache grösser sein kann, als bei bloss
flüssigem Medium (warum?) (A. f. E. Bd. III S. 456).
Mit dem Begriff des Cytotropismus und des Selbst-
ordnungsvermögens der Furchungszellen hat Roux wieder
eine sehr brauchbare Formel zur Hand, welche über manche
Fährlichkeit hinweghilft, zumal in Verbindung mit seinen
Definitionen der typischen und atypischen Entwicklung,
der Selbstdifferenzirung und abhängigen Differenzirung etc.
Wenn irgend eine Erscheinung, wie wir in den beiden
ersten Studien sahen, mit den Roux'schen Naturgesetzen
der typischen Entwicklung auch unter Berücksichtigung
aller möglichen Beobachtungsfehler nicht übereinstimmen
will, so gehört sie sehr einfacher Weise der atypischen
Entwicklung an. Wenn dann ein atypisch sich entwickelndes
Ei ein normales Endproduct liefert, so erklärt sich dies in
nicht minder einfacher Weise aus den Mechanismen der
Regulation.
Unter diesen Mechanismen der Regulation aber spielt
neben den temporär und permanent abhängigen Differen-
zirungsgebilden, neben den Andersdifferenzirungsgebilden,
— 169 —
neben den Differenzirungshaupt- und Nebengebilden, dem
Reserveidioplasson und anderen derartigen dunkeln Exi-
stenzen eine Hauptrolle der Mechanismus des Cytotropismus,
„das Vermögen der Selbstordnung derFurchungs-
zellen" (A. f. E. Bd. III S. 462) oder „die O r d n u n g s -
wirkung von einander entfernter Zellen auf
einander" (1. c. S. 456).
Man sieht: so schliesst sich Glied an Glied, so fügt
sich Stein auf Stein zum Zukunftsbau zusammen. Nur
leider fehlt uns noch der Glaube, wie an die meisten Roux-
schen Naturgesetze überhaupt, so auch an seinen Mechanis-
mus des Cytotropismus und an andere Formeln, wie Reserve-
idioplasson, typische nnd atypische Entwicklung etc. Wir
glauben in den Roux'schen Abhandlungen häufig zu
bemerken , wie der Experimentator seine vorgefassten
Meinungen, seine Empfindungen und seine Wünsche in die
Gegenstände seiner Experimente hineinträgt und ihnen
Eigenschaften beilegt, die wir, von Natur etwas nüchterner
angelegt, an ihnen nicht entdecken können. Wenn Roux
zum Beispiel, die Näherungsbewegungen von Zellenpaaren,
die nur durch 0,03 mm Abstand getrennt sind, längere Zeit
vergeblich verfolgend, manche Furchungszellen „unruhig
werden lässt" (G. A. S. 992) oder ihnen Unruhe zuschreibt
(A. f. E. Bd. I S. 187), weil sie durch angebliche Fixation
an der Unterlage in ihrem Bemühen zusammenzukommen
verhindert wurden, und wenn er sie dann nach Ueber-
wältigung des Hindernisses sich um so ungestümer ver-
einigen lässt, so können wir uns einiger Zweifel hinsicht-
lich der Richtigkeit solcher Interpretationen nicht erwehren.
Wir meinen, der Experimentator rechnet hier wie in anderen
Fällen Lageveränderungen, welche im Wassertropfen ver-
theilte Furchungszellen des Froscheies durch das Zusammen-
— 170 —
treffen irgend welcher zufälliger Umstände passiv erfahren,
ihnen als ihr eigenes Verdienst an, als ein Streben, sich zu
nähern, wenn der Abstand zwischen zwei Zellen sich ver-
ringert, als ein Sich-Fliehen, wenn das Gegentheil eintritt,
als eine gegenseitige Indifferenz, wenn sich ihre Lage nicht
verändert, als das Erwachen einer Neigung, wenn nach
längerer Ruhe nachträglich noch eine Annäherung eintritt;
er schiebt ihnen ein einseitiges und ein gegenseitiges Be-
gehren zu, je nachdem nur eine Zelle oder beide sich auf
einander zu bewegen, und das ganze, den Stempel des Regel-
losen und Zufälligen an sich tragende Geschehen nennt er
Selbstordnen der Zellen nach ihren inneren
Qualitäten.
So scheint sich mir, wie schon in anderen Fällen, so
auch in diesem Fall, die Wahrheit des der vierten Studie
vorgedruckten Ausspruchs von Roux zu bestätigen :
„Es ist überhaupt eine Eigenschaft der entwicklungs-
mechanischen Forschung, dass es meist leichter ist, eine
neue Thatsache festzustellen, als ihre Bedeutung richtig
zu ermitteln."
Schlusshetraclitungen.
Das Ei als Zelle und als Anlage eines viel-
zelligen Organismus.
Im Anschluss an die Kritik der entwicklungsmechanischen
Naturgesetze von Roux soll es unsere Aufgabe noch sein,
im Zusammenhang darzustellen, wie sich die Erscheinungen,
welche Roux zum Gegenstand seiner experimentellen Studien
gemacht hat, vom Standpunkte des die Thatsachen ver-
gleichenden Embryologen und descriptiven Forschers er-
klären lassen (Zusatz 8). Zwar ist eine Erklärung von mir
— 171 —
schon zum Theil in früheren Arbeiten (19, 20, 25, 27) ge-
geben worden, trotzdem möchte eine zusammenfassende
Darstellung auch hier noch einmal am Platze sein, einmal,
weil hie und da noch andere Auffassungen bestehen,
zweitens, weil ich hoffe, dass beim öfteren Durchdenken
des vorliegenden Problems sich dieses und jenes Ver-
hältniss besser, als es früher geschehen ist, wird klar
legen lassen. —
Das unentwickelte Ei ist eine Zelle und hat als solche
keine andere Organisation als diejenige einer Zelle. Es
hat daher auch auf den Bau des aus ihm entstehenden Ge-
schöpfes keinen anderen Bezug, als dass es Zelleneigen-
schaften besitzt, welche für eine bestimmte Species und für
ein bestimmtes Individuum derselben specifisch sind. Das
Ei ist in dieser Beziehung von der männlichen Fort-
pflanzungszelle oder dem Samenfaden nicht verschieden, in
welchem die Charaktere der Species und die Besonderheiten
des Individuums als Zelleneigenschaften ebenso gut ent-
halten sind, als im Ei. Die Thatsache, dass die beiden
Geschlechtszellen zu den Merkmalen des neu entstehen-
den Geschöpfes gleich viel beitragen, und dass sie in ihren
Zelleneigenschaften keinen directen, sondern nur einen durch
den Entwicklungsprocess vermittelten Bezug auf die Organi-
sation des späteren Geschöpfes besitzen, dessen Organe und
Eigenschaften ja aus dem Zusammenwirken vieler Zellen
ihren Ursprung nehmen, nannte ich mit Pflüger die
Isotropie des Protoplasma. Durch diese einfachen Schluss-
folgerungen, welche sich mir aus den Thatsachen der Ent-
wicklungslehre unmittelbar zu ergeben scheinen, halte ich
alle Präformationstheorien für widerlegt, welche bestimmte
Substanztheile des Eies als Anlagen für später hervortretende
— 172 —
Organe des Embryo in Anspruch nehmen wollen (Theorie
der organbildenden Keimbezirke).
In einem Punkte allerdings unterscheidet sich meist das
Ei von anderen Zellen, nämlich durch die ganz ausser-
ordentliche Grösse, welche es durch eine gewaltige An-
sammlung entwicklungsfähiger Substanz erfährt. Die
hierauf beruhende Eigenthümlichkeit der Eizelle ist es
denn wohl auch hauptsächlich gewesen, welche viele
Forscher veranlasst hat und noch immer veranlasst, in
dem Ei etwas mehr als eine einfache Zelle zu sehen und
es noch mit einer besonderen, gewissermaassen höheren
Organisation auszustatten. Ein solches Streben, welches
schliesslich immer in die Bahn der Präformationstheorien
überleitet, macht sich auch wieder in einem jüngst er-
schienenen, interessanten und lesenswerthen Aufsatz von
Whitman (59) geltend, so besonders in den Sätzen:
„Im Ei ist schon vor aller Zellenbildung eine bestimmte
Organisation vorhanden" oder: „die Organisation des Eies
wird durch alle Wandlungen des Entwicklungsprocesses
hindurch als eine ungetheilte Individualität übertragen."
Daher wollen wir auch solchen Aeusserungen gegenüber
betonen, dass durch die beträchtliche Stoffansammlung der
Charakter des Eies als einfacher Zelle nicht im Geringsten
geändert wird. Denn Massenzunahme eines Protoplasma-
körpers bedingt an sich noch keine höhere Stufe der
Organisation. Das mit unbewaffnetem Auge kaum sicht-
bare kleine Ei des Säugethieres hat als Anlagesubstanz
denselben Werth wie das gewaltige Straussenei. Trotz
seines colossalen Wachsthums bleibt letzteres doch nur eine
Zelle, und wenn es in dieser Art auch noch weiter fort-
wüchse, bis es an Volumen dem Thiere gleichkäme, zu dem
es werden soll, es wäre damit seinem Ziel, den Körper
— 173 —
eines Straussen zu bilden, auch nicht um eines Haares
Breite näher gerückt. Das Wachsthum des Eies durch
Substanzaufnahme ersetzt nicht, was nur durch den Ent-
wicklungsprocess, welcher auf Zellvermehrung und Zell-
differenzirung beruht, geleistet werden kann. Die Indivi-
dualität des Eies als Zelle muss sich in viele Zellen-
individualitäten umwandeln, wenn das Ziel der Entwicklung
erreicht werden soll.
Auch die nach der Befruchtung des Eies beginnende
Zellenbildung kann man , wenn man will, und wie ich in
einem Aufsatz : „Ueber die Tragweite der Zellentheorie" (27)
auszuführen versucht habe, eine Art des Wachsthums der
organischen Substanz nennen ; allerdings ist es , verglichen
mit der Massenzunahme der Eizelle vor der Befruchtung,
eine ganz besondere und viel complicirtere Art des Wachs-
thums, eine Art, welche sogar das Eigenthümliche zeigt,
dass der wachsende Organismus in vielen Fällen an Masse
und Gewicht nicht zuzunehmen braucht. Das eben be-
fruchtete Hühnerei zum Beispiel hat ungefähr das gleiche
Gewicht wie ein Ei am sechsten Tage der Bebrütung,
an welchem bereits alle wesentlichen Organe des Körpers
eines Hühnchens zwar klein, aber deutlich sichtbar an-
gelegt sind.
Ein Wachsthum ohne Gewichts- und Grössenzunahme
mag auf den ersten Blick als Widerspruch erscheinen. Der
Widerspruch wird sich aber sofort lösen, wenn man in Be-
tracht zieht, dass der Zellenleib sich aus vielen verschieden-
artigen kleinen Stoffeinheiten aufbaut, von denen manche,
wie insbesondere die Kernsubstanzen, das Vermögen haben,
selbstthätig zu wachsen und sich durch Theilung zu verviel-
fältigen. Wenn daher das Ei auch als Ganzes nicht wächst,
so können doch verschiedene Stofftheilchen in ihm auf
— 174 —
Kosten anderer wachsen und sich vermehren. Eine der-
artige complicirte chemische Arbeit vollzieht sich nun in
der That in dem sich entwickelnden Ei. Denn nach der
Befruchtung beginnt nur der Kern der Eizelle zu wachsen
und sich durch indirecte Theilung in zwei Tochterkerne zu
vermehren, welche sich gewöhnlich in die sie umgebende
Eisubstanz zu gleichen Mengen theilen. Die Tochterkerne
wachsen von Neuem und zerfallen wieder in zwei gleiche
Hälften; und so geht der Process nach einem gewissen
Rhythmus unausgesetzt fort, so dass die Kernsubstanz auf
Kosten der anderen Eistoffe und unter Mitwirkung des
atmosphärischen Sauerstoffs an Masse ausserordentlich zu-
nimmt und sich in Form von Bläschen durch den Eiraum
nach bestimmten Regeln vertheilt.
Mag nun während des Ablaufs der Kerntheilung gleich-
zeitig auch der Dotter um die einzelnen Kerne in kleinere
Stücke zerlegt werden, wie es gewöhnlich der Fall ist, oder
mag die Zerlegung, wie im Anfang der Entwicklung der
Insecteneier, unterbleiben, in dem einen wie in dem andern
Falle bezeichnet man den ganzen Wachsthumsvorgang als
Zellenbildung. Im Unterschied zu dem auf blosser
Massenzunahme beruhenden oder dem quanti-
tativen Wachsthum der Eizelle vor der Befruch-
tung kann man das in Zellenbildung sich äussernde
Wachsthum nach der Befruchtung, in welchem
eine M assenzunahme undVerth eilung derKern -
Substanz auf Kosten des aufgespeicherten
Dottermaterials vor sich geht, als formatives
oder organisatorisches oder qualitatives be-
zeichnen; denn es verändert Schritt für Schritt
Charakter, Organisation und Qualität des Eies,
indem bestimmte Stofftheilchen auf Kosten der
- 175 —
anderen sich vermehren und dabei ganz gesetz-
mässige Gestalt- und Lageveränderungen der
ganzen Stoffmasse zur noth wendigen Folge
habe n.
Durch das Wachsthum der Eizelle durch Stoffaufnahme
vor der Befruchtung (Nahrungsdotter) ist das normative
oder organisatorische Wachsthum derart vorbereitet worden,
dass es nach der Befruchtung sofort in beschleunigtem
Tempo ablaufen kann, weil es an dem zur Stoffmetamorphose
geeigneten Material zur Kern- und Zellenbildung nicht fehlt.
Hiervon abgesehen ist der Umstand, dass die Eizelle
das Bildungsmaterial für unzählige Zellengenerationen im
Voraus in sich aufgespeichert hat, noch die Ursache für
viele eigenthümliche Erscheinungen in den ersten Zeiten
des Entwicklungsprocesses, um deren richtige Beurtheilung
es sich vornehmlich bei den Streitfragen, die uns hier be-
schäftigen, handelt. Denn ihre falsche Deutung hat zum
Princip der organbildenden Keimbezirke, zur Mosaiktheorie
und zu verschiedenen entwicklungsmechanischen Gesetzen
von Roux die Veranlassung gegeben.
Somit erwächst für uns die Aufgabe, jetzt noch ge-
nauer auseinander zu setzen, welche Erscheinungen die ge-
waltige Ansammlung von Dottermaterial in dem Entwick-
lungsprocess zur Folge hat.
Hier ist zuerst hervorzuheben , dass schon dieEi-
zelle während ihrer Reifung durch die An-
sammlung von Dotter material eine besondere
Art von Organisation erhält, welche in den einzelnen
Thierclassen nicht unwichtige Verschiedenheiten darbietet.
Das sich ansammelnde Dottermaterial setzt sich nämlich
aus verschiedenartigen Substanzen von ungleichem speci-
fischem Gewicht und von sehr verschiedenem Werth für
— 176 —
die Lebensprocesse , aus Protoplasma und aus Dotterein-
schlüssen etc., zusammen. Diese werden ihrer Schwere nach
im Eiraum ungleich vertheilt. Hierdurch erhalten in man-
chen Thierklassen die Eier eine Organisation, welche man
als polare Differenzirung bezeichnet hat. In ihrer einen
Hälfte haben sich die schwereren Dottereinschlüsse, in der
andern das leichtere Protoplasma angesammelt. Da in Folge
dessen ihr Schwerpunkt excentrisch zu liegen kommt,
müssen die Eier, sofern nicht andere Momente der Schwer-
kraft entgegenwirken, eine feste Ruhelage im Räume ein-
zunehmen suchen.
Ausser der polaren Differenzirung scheint sich bei
manchen Eizellen zugleich noch eine bilateral-
symmetrische Organisation auszubilden, indem
die Substanzen von ungleicher Schwere und
verschiedenem physiologischem Werth sich zu
beiden Seiten einer Symmetrieebene gleich-
massig verth eilen. Da die Symmetrieebene sich stets
der Schwere nach senkrecht einstellen wird, kommt ihr
auch noch die Bedeutung einer Gleichgewichts-
ebene zu.
Eine bilateral - symmetrische Organisation scheinen die
Eier der Amphibien zu besitzen, was sich namentlich am
Ei von Rana esculenta erkennen lässt, wenn es sich nach
der .Befruchtung so einstellt, dass an einer Seite der un-
pigmentirte Dotter in Form eines Halbmondes zu sehen ist.
Ob das Ei der Amphibien schon vor der Befruchtung oder
erst nach ihr eine bilateral-symmetrische Organisation, eine
Symmetrie- und Gleichgewichtsebene hat, ist nicht so leicht
zu entscheiden. Bekanntlich findet zwar eine Einstellung
des Froscheies der Schwere nach erst einige Zeit nach
der Befruchtung statt, doch wäre es verfehlt, hieraus zu
— 177 —
schliessen, class erst jetzt durch die Befruchtung eine Sonde-
rung in eine leichtere und eine schwerere Hälfte herbeigeführt
worden sei. Vielmehr spricht Manches dafür, dass schon
vorher, wenn auch vielleicht weniger scharf durchgeführt,
eine Sonderung bestanden hat, und dass nur die Einstellung
der Schwere nach behindert ist. Denn es liegt zuerst die
Dotterkugel mit ihrer Oberfläche dicht der Dotterhaut an,
welche ihrerseits wieder mit der Gallerte fest zusammen-
hängt. Erst nach der Befruchtung kann sich die Dotter-
kugel innerhalb der Eimembran frei beweglich drehen,
weil in Folge des Eindringens eines Samenfadens das Proto-
plasma sich contrahirt, sich von der Membran zurückzieht
und von ihr durch einen immer grösseren Zwischenraum
getrennt wird, welcher sich mit ausgepresster perivitelliner
Flüssigkeit anfüllt.
Wie Eier mit bilateraler Symmetrie, giebt es vielleicht
auch Eier, in welchen Protoplasma und Dotter nach einem
radiären Typus vertheilt sind, oder in welchen ein solcher
sich nach den ersten Furchungen ausbildet. Vielleicht ge-
hören die Eier der Ktenophoren hierher (Zusatz 9).
Bei der Ansammlung von Dottermaterial gewinnen
ausserdem die Eier je nach den Thierarten eine kugelige
oder eine ovoi'de oder eine tonnenförmige oder eine cylin-
drische Gestalt.
Die in der Form des Eies und in der Diffe-
renzirung seineslnhalts gegebenen Verhältnisse
üben auf eine ganze Reihe von Entwich lungs-
processen, am meisten aber auf die ersten
Stadien, einen sehr eingreifenden, gewisser-
maassen richtenden Einfluss aus, welcher schon
von Haeckel (15) in seiner Gastraeatheorie bei der Er-
klärung der verschiedenen Formen der Keimblase und
Hertwig, Zeit- und Streitfragen. II. 12
— 178 —
Gastrula in ausgezeichneter Weise verwerthet, seitdem von
vielen Forschern als Ursache für diese und jene Erschei-
nung erkannt, aber in seiner sehr verschiedenartigen und
grossen Tragweite doch nur zum Theil genügend gewür-
digt worden ist.
Erstens bestimmen Form und Differenzirung der Ei-
zelle die mit einem hohen Grade von Gesetzmässigkeit auf-
tretenden Richtungen ihrer ersten Th eilebenen.
Es kommen hierbei die auf S. 72 u. 102 auseinandergesetzten
Regeln zur Geltung, welche ich schon im Jahre 1884 for-
mulirt habe (Zusatz 10).
Zweitens üben die Formund Differenzirung
der Eizelle einen Einfluss auf die Grösse und
Beschaffenheit der sich entwickelnden Embryo-
nalzellen aus. Denn bei dem forma tiven Wachsthum,
wie ich oben den unter Zellenbildung einhergehenden Ent-
wicklungsprocess des Eies genannt habe, sind die einzigen
Stofftheilchen, welche eine Zunahme und zugleich eine Ver-
lagerung im Eiraum erfahren, die Kernsubstanzen. Sie
ändern die Lage, weil nach jeder Theilung die Tochter-
kerne in entgegengesetzter Richtung auseinander rücken,
als ob sie sich wie die gleichnamigen Pole zweier Magnete
gegenseitig abstiessen. Hiervon abgesehen wird durch die
Zerlegung der grossen Eizelle in immer kleiner werdende
Tochterzellen die von vornherein gegebene räumliche Ver-
theilung der Stofftheile von verschiedener Schwere und von
verschiedenem Werth im Ganzen wenig geändert. Daher
sind bei polar differenzirten Eiern die nach unten gelagerten
Zellen auch auf späteren Entwicklungsstadien reicher an
Dottermaterial, die nach oben gelegenen dagegen reicher
an Protoplasma. Ferner hängt mit der Verschiedenheit
ihres Inhaltes stets auch noch ein Unterschied in ihrer
— 179 —
Grösse zusammen. Denn wie ich gleichfalls schon im
Jahre 1884 nachgewiesen habe, bewegt sich der Kern stets
nach den protoplasmareichen Abschnitten der Zellen hin;
er sucht, indem Protoplasma und Kern ja in den mannig-
fachsten Wechselwirkungen stehen, wie ich mich ausdrückte,
stets die Mitte seiner Wirkungssphäre einzunehmen. Daher
rückt nach der Befruchtung der Kern im polar differen-
zirten Ei nach dem animalen Pole hin und kommt excen-
trisch zu liegen ; in Folge dessen werden beim Amphibienei
durch die dritte Theilung Zellen von sehr ungleicher
Grösse, vier kleine animale und vier grosse vegetative
Zellen, gebildet. Ausserdem wird die Ungleichheit der Zellen
noch weiter dadurch gesteigert, dass nach der von Balfour
aufgestellten Regel protoplasmareiche Zellen sich rascher
theilen, als protoplasmaärmere. In Folge beider Mo-
mente müssen sich im Ei verschiedene Bezirke
ungleich grosser und mit verschiedener Ge-
schwindigkeit sich vermehrender Zellen aus-
bilden, Bezirke, welche schon vor der Theilung
gewissermaassen der Anlage nach in der dar-
gestellten Organisation der Eizelle angedeutet
sind. Nur werden die Ungleichheiten, die Anfangs zum
Theil kaum wahrnehmbar sind, im Laufe der Entwicklung
immer schärfer ausgeprägt.
Drittens beeinflussen Form und Differenzirung der Ei-
zelle den Ort, an welchem innerhalb der Substanzmasse
spätere Entwicklungsprocesse ihren Ausgang nehmen, und
die Richtung, in welcher sie sich selbst vollziehen. So wird
am meroblastischen Ei der Fische, Reptilien und Vögel der
embryonale Entwicklungsprocess auf eine kleine Stelle des
gewaltigen Eies, auf die Keimscheibe, beschränkt; von
ihrem Rand geht die Gastrulaeinstülpung aus. Ebenso voll-
12*
— 180 —
zieht sich die Urmundbildung am Ei der Amphibien stets
an der Uebergangsstelle der animalen in die vegetative
Hälfte der Keimblase innerhalb der sogenannten Randzone.
Ja, es lassen sich sogar, wie es scheint, noch genauere
Localisationen vornehmen , indem der Bereich , wo die
kleinsten und am raschesten sich theilenden Ernbryonalzellen
liegen, zum Ort der Gastrulaeinstülpung wird. Ist dieser
aber einmal gegeben, so ist über die Lage und Richtung,
in welcher sich eine Reihe anderer Organdifferenzirungen
vollziehen müssen, entschieden, so über den Ort, an wel-
chem sich die vordere Hirnplatte und das vordere Chorda-
ende anlegen müssen; es ist gewissermaassen ein fester
Krystallisationsmittelpunkt für die thierische Formbildung
gegeben. Von beiden Enden der Rinne aus setzt sich der
Einstülpungsprocess continuhdich fort und zieht einen Zellen-
bezirk nach dem andern in die von einer kleinen Stelle
aus eingeleitete Substanzbewegung mit allen ihren weiteren
Folgen mit hinein. Von hier aus verlängert sich die vor
der ersten Urmundrinne differenzirte Medullarplatte und die
Chordaanlage continuirlich nach hinten, setzt sich Ursegment
an Ursegment in continuirlicher Folge an. Auch hierbei hängt
es natürlich immer noch von den Umständen ab, in welcher
AYeise das an den Ort vorgeschrittener Differenzirung an-
grenzende Zellenmaterial in den Entwicklungsprocess hin-
eingezogen und an das bereits weiter Differenzirte angeglie-
dert oder gleichsam ankry stallt sirt wird.
Als Beispiele für derartige Localisationen erwähne ich
das Hühner- und das Froschei. An der Keimscheibe des
Hühnereies zeigen schon während des Furchungsprocesses
vordere und hintere Hälfte unterscheidende Merkmale. Denn
vorn verläuft die Furchung an der Keimscheibe etwas lang-
samer als hinten. Dort findet man grössere, hier kleinere
— 181 —
und zahlreichere Embryonalzellen (Oellacher, Koelliker,
Duval). Am kleinzelligen Rand entsteht später die Sichel-
rinne, auf dem vor ihr gelegenen Feld die Medullarplatte.
In ähnlicher Weise gibt Oscar Schultz e (53, S. 293)
für das Froschei an, dass auf dem Morulastadium zwei
gegenüber liegende Bezirke in der Randzone sich finden,
ein Bezirk mit den kleinsten und ein Bezirk mit erheblich
grösseren Embryonalzellen. Innerhalb des ersteren beginnt
sich später der Urmund anzulegen.
Wenn man, durch äussere Momente geleitet, die Stelle
erkennen kann, an Avelcher am Ei des Hühnchens oder des
Frosches vor Beginn der Furchung das Protoplasma in
stärkster Concentration angesammelt ist, so kann man auch
annähernd voraussagen, in welcher Gegend sich später die
erste Urmundeinstülpung zeigen wird. Denn an dieser
Stelle werden beim Furchungsprocess später die kleinsten
Zellen entstehen, und wird weiterhin die Wand der Keim-
blase die zur Einfaltung geeigneteste Beschaffenheit an-
nehmen. Daher ist auch die Möglichkeit gegeben, dass man
am Froschei durch äussere Eingriffe den Ort der Urmund-
bildung beeinflussen kann. Wenn man ein Froschei zwischen
zwei horizontalen Glasplatten ein wenig comprimirt und
diese dann schräg geneigt aufstellt, so kommt die Ueber-
gangsstelle der pigmentirten in die unpigmentirte Hälfte
oder die Randzone an einer Seite höher als an der anderen
zu liegen, und zwar entsprechend dem nach oben gekehrten
Rand der Glasplatten. In Folge dessen sehen wir hier den
Urmund an der höchsten Stelle des hellen Feldes sich bilden.
Dasselbe wird durch einfache Zwangslage der Eier in der
von Pflüg er ausgeführten Weise erreicht, wie zuerst von
Roux nachgewiesen worden ist. Der nach oben ge-
k e h r t e T h e i 1 d e r R a n d z o n e i s t e b e n p r o t o p 1 a s m a -
— 182 —
reicher und wird sich daher rascher und in
kleinere Zellen ab furchen, als ihr tiefer ge-
legener und daher d otterreich er er Theil.
Wie den Ort, so nannte ich auch die Richtung, in
welcher sich die Entwicklungsprocesse vollziehen, als ab-
hängig in gewissem Grade von der Form der Eizelle und
der Differenzirung ihres Inhaltes. Denn durch die Zer-
legung des Eikörpers in immer zahlreichere Zellen wird
am Anfang der Entwicklung weder die Form des Eies noch
die ursprünglich gegebene, ungleiche Vertheilung seiner ver-
schiedenen Substanzen in nennenswerther Weise verändert,
wie schon auf S. 178 auseinandergesetzt wurde. Daher müssen
das ungefurchte Ei und die aus ihm hervorgehende Keim-
blase in beiden Beziehungen Uebereinstimmungen aufweisen.
Die in der sich entwickelnden Stoffmasse enthaltenen Rich-
tungen und Unterschiede gehen einfach von dem einen auf
das nächste Stadium über. Ein ovales Ei liefert eine ovale
Keimblase; ein kugeliges, polar differenzirtes und eventuell
bilateral symmetrisches Ei geht in eine Keimblase mit den-
selben Eigenschaften über. Ungefurchtes Ei und
Keimblase müssen daher annähernd auch die-
selbe Symmetrie- und Gleichgewichtsebene be-
sitzen, da es fürdiesesVerhältniss gleichgültig
ist, ob die durchihre Schwere unterschiedenen
Substanzen den Raum einer einzigen grossen
Zelle erfüllen oder auf den Inhalt vieler, den-
selben Raum einnehmender Zell en vert heilt sind.
Die Form der Keimblase und die ihr vom Ei über-
kommene ungleiche Massenvertheilung ihrer Substanzen
muss naturgemäss auch wieder auf die nächst anschliessenden
Entwicklungsstadien von Einfluss sein, auf die Gastrula und
auf die aus dieser sich entwickelnde Embryonalform, an
— 183 —
welcher die ersten charakteristischen Organe des Wirbel-
thierembryo, Chorda und Nervenrohr, zum Vorschein kom-
men. Es kann daher nicht Wunder nehmen , wenn auch
diese sich in einem gewissen Grade gemäss der ersten
Organisation der Eizelle im Eiraum annähernd
o r i e n t i r t zeigen, und wenn die Symmetrie-
und Gleichgewichtsebenen der ungetheilten
Eizelle und der Keimblase annähernd auch
zur Symmetrieebene der Gastrula und des
Embrvo mit den sichtbar werdenden Rücken-
wülste n w i r d.
Am deutlichsten treten solche Beziehungen an Eiern
hervor, bei denen eine Axe an Länge überwiegt. Bei den
längsgestreckten Insecteneiern fällt die Längsrichtung des
Embryo stets mit der langen Eiaxe zusammen , ebenso am
ovalen Ei von Ascaris nigrovenosa und am ovalen Ei der
Tritonarten. Da letzteres zugleich polar differenzirt ist,
und die Längsaxe nicht mit der Verticalaxe zusammenfällt,
so besitzt es schon von Anfang an alle drei Hauptaxen,
welche im Ganzen auch mit den drei Axen des Embryo
in ihrer Lage später übereinstimmen. Unter diesen Be-
dingungen entwickelt sich bei Triton die Längsaxe der
Gastrula und weiterhin des Embryo in der Richtung der
längsten Axe des Eies. Mit einem Wort : Mit der An-
fangs gegebenen Massenvertheilung der unent-
wickelten Substanz stimmt auch die Massen-
vertheilung der weiter entwickelten Substanz
üb er ein. Ein solches Zusammenfallen wird a priori als das
natürlichste und einfachste erscheinen. Denn sollte der
spätere Längsdurchmesser des Embryo in die Richtung des
Anfangs kürzesten Eidurchmessers zu liegen kommen, so
müsste während der Entwicklung die ganze Eisubstanz
— 184 —
umgelagert werden, was jedenfalls ein wenig zweckent-
sprechender Vorgang sein würde.
Bei manchen Thierarten kann man auf diese Weise vor
der ersten Theilung, wie von verschiedenen Forschern beob-
achtet worden ist, dem Ei ansehen, wie später der Embryo
in ihm orientirt sein wird; man richtet sich hierbei nach
der Form des Eies, nach kleinen, äusserlich sichtbaren
Unterschieden in der Substanzvertheilung, in der Pigmen-
tirung und nach anderen derartigen Merkmalen.
In diesem Sinne bezeichnete ich in einer Abhandlung,
in der ich auf die oben besprochenen Beziehungen aufmerk-
sam gemacht habe (25), das eben befruchtete Ei ge-
wisse rmaassen als eine Form, welcher sich der
werdende Embryo, besonders auf den Anfangs-
stadien der Entwicklung, in vielfacher Beziehung
anpassen muss; oder an einer anderen Stelle: Die in
der Form des Eies und in der Differenzirung seines In-
haltes gegebenen Verhältnisse üben auf eine ganze Reihe
von Entwicklungsprocessen, am meisten aber auf die ersten
Stadien , einen sehr eingreifenden , geAvissermaassen rich-
tenden Einfluss aus.
Nach der Darlegung meiner Ansichten über die ur-
sächlichen Beziehungen zwischen erster Organisation der
Eizelle und einer langen Reihe von Entwicklungsprocessen
muss ich noch Stellung nehmen zu einigen Missverständ-
nissen, die bei der etwas verwickelten Streitfrage entstehen
können.
Man könnte mir einmal einwerfen, dass in manchen
meiner Sätze das His'sche „Princip der organbildenden
Keimbezirke" und der „Mosaiktheorie von Roux" zugegeben
sei, oder dass wenigstens ein erheblicher Unterschied
/wischen den verschiedenen Auffassungsweisen überhaupt
— 185 —
nicht bestünde. So bemerkt Oscar Schultze (53, 8. 289) :
„Ein Jeder, der die Ableitungen von His im Original
durchliest und den Standpunkt desselben Gelehrten zur
Evolutionstheorie berücksichtigt, muss die Ueberzeugung
gewinnen, dass His genau denselben Gedanken ausgedrückt
hat, den O. Hertwig, welcher sich gegen die His' sehe
Auffassung wenden su müssen glaubt, mit den Worten
niederschrieb : »In Folge der Continuität der Entwicklung
muss ja natürlicher Weise jede ältere Zellengruppe sich auf
eine vorausgegangene jüngere Gruppe und so schliesslich be-
stimmte Körpertheile auf bestimmte Furchungszellen zurück-
führen lassen«." Ebenso, meint Schultze, Aviderstritten
die von Driesch, mir und Anderen ermittelten Thatsachen
nicht der Mosaiktheorie von Roux oder seiner Lehre von
der „Specification der Furchungszellen", weil beide nur
für die normale Entwicklung Geltung besitzen sollen.
Schultze schliesst seine Erörterung mit folgenden Sätzen,
welche die wissenschaftlichen Fragen, um die gestritten
wird, verwischen: „Dass für die normalen, d. h. die immer
in derselben Weise in natura wiederkehrenden äusseren
Bedingungen die Specification der Furchungszellen bez. das
His' sehe Princip der organbildenden Keimbezirke derart
vollkommen zu Recht besteht, dass aus bestimmten Zellen
oder Zellgruppen immer dasselbe Organ des Embryo
hervorgehen muss, wird Niemand bezweifeln, und insofern
muss der evolutionistischen Auffassung ihre Berech cigung
zuerkannt werden. Werden aber die äusseren Bedingungen
durch das Eingreifen des Experimentators derart abgeän-
dert, dass die Furchungszellen durch äussere Eingriffe aus
ihrer normalen Lagebeziehung gebracht und gleichsam durch
einander geworfen werden, so ändert dies nichts bezüglich
des Resultates, ebenso wenig als das Durcheinanderrühren
— 186 —
der Mutterlauge vor beginnender Krystallisation auf die
zu erzielende Form der Krystallindividuen von Einfluss ist,
oder als es von Bedeutung erscheint, ob die für den Bau
eines Hauses bestimmten, haufenweise beisammen lagernden
Steine an diesen oder jenen Platz in dem Hause zu liegen
kommen. "
Nach diesen Sätzen könnte man glauben, dass alle die
zahlreichen Forscher, welche sich an den Streitfragen der
letzten sechs Jahre so lebhaft betheiligt und zu dem Zwecke
die verschiedenartigsten Experimente ersonnen haben, sich
schliesslich um Nichts gestritten und mit einander eine
Comödie der Irrungen aufgeführt haben. In Wahrheit aber
handelt es sich doch um zwei verschiedene Auffassungen
vom Wesen der ersten Entwicklungsprocesse, die nicht
neben einander gleichzeitig zu Recht bestehen können. Es
handelt sich um ein Entweder — oder. Obwohl Vergleiche
etwas Missliches haben, so will ich mich doch des von
Schultze gewählten Bildes von den Bausteinen bedienen,
um den Unterschied der beiden Auffassungen dadurch in
wenigen Worten zu veranschaulichen.
Für uns sind am Anfang der Entwicklung die im Ei
unterscheidbaren Theile einfache Bausteine, die sich je
nach den Umständen, unter denen der Entwicklungsprocess
abläuft, in verschiedener Weise zum Aufbau der Organe
des sich entwickelnden Individuums verwenden lassen ; sie
sind nicht von vornherein für eine besondere Verwendung
ausschliesslich specificirt und daher nicht ihrer Natur nach
wesentlich von einander verschieden. II i s dagegen, wenn er
in der Keimscheibe neben einander angeordnete Substanz-
anlagen für besondere spätere Organe annimmt, oder
R o u x , indem er seine M o s a i k t h e o r i e und seine Lehre
von derSpecification derFurchungszellen auf-
— 187 -
stellt, macht unsere einfachen Bausteine zu
Faconsteinen, die dann natürlich nur so, wie sie mit
ihren Theilen und Proportionen für einander gearbeitet,
also specificirt sind, sich zu einem geordneten Bau zusammen-
fügen lassen , zu einer beliebigen Verwendung aber nicht
mehr geeignet sind. Beide Ansichten vertragen sich wohl
nicht mit einander, wie Schultze den Anschein zu er-
wecken sucht. Das Bild einer Krystallbildung aus einer
Mutterlauge trifft vollends auf die Auffassung von H i s und
Roux nicht zu.
Roux selbst ist sich auch der durchgreifenden Unter-
schiede der beiden mit einander streitenden Auffassungs-
weisen und ihrer Consequenzen klar bewusst (G. A. S. 20
und 850), wie aus der folgenden Erörterung in seinem Auf-
satz „Mosaikarbeit und neuere Entwicklungshypothesen"
hervorgeht :
Daraus (nämlich aus Experimenten von Pflüger, Roux,
Hertwig) folgt mit Sicherheit, dass die Theile des Dotters be-
stimmten Organen des Embryo nicht der Art entsprechen, dass mit
dem Verlust dieser Dottertheile auch bestimmte spätere Organe
fehlen, und dass mit der abnormen Anordnung derselben auch spätere
Organe entsprechend abnorm gelagert würden.
Ein gewisses hohes Maass von Isotropie des Eidotters ist also
erwiesen und damit die Zurückverfolgung des Principes der organ-
bildenden Keimbezirke auf das unget heilte Ei in dem Sinne,
dass jeder Theil des Dotters bestimmte Wachsthumsgrösse besitze
und einem bestimmten Organ entspreche, als nicht zutreffend erkannt.
(Um gerecht zu urtheilen, müssen wir uns aber erinnern, dass His
den bezüglichen Ausspruch bereits im Jahre 1874 gethan hat, also
zu einer Zeit, wo die fundamentalen Untersuchungen, die uns von
der überwiegenden gestaltenden Bedeutung des Kernes über die des
Protoplasmas belehrt haben , noch nicht vorlagen.) Immerhin aber
wäre es möglich, bei der normalen Entwicklung, die ein typisch
festgeordnetes System von Vorgängen darstellt, die Organe auf be-
stimmte Dottertheile des noch ungetheilten, aber schon befruchteten
Eies zu projiciren; es hätte aber, wie ich oben dargethan
— 188 —
habe, das Ergebniss dieser grossen Mühe keinen be-
sonderen Werth.
Aber für das getheilte Ei, für die Keimscheibe resp. für die
Morula und Blastula hätte diese Projicirung einen grösseren Werth,
selbst in dem Falle, dass die den einzelnen Organen entsprechenden
Bezirke nicht auch die wesentlichen besonderen Kräfte zu ihrer
Differenzirung enthalten; es wäre damit, wenn auch keinem causalen,
so doch einem topographischen Interesse gedient. Wir haben aber
gesehen, dass das durch die Furchung geschiedene Material jeder
der ersten und daher wohl auch noch, wenn auch vielleicht in be-
schränkterem Maasse, späterer Furchungszellen selbstdifferenzirungs-
fähig ist; so dass also durch dies P r i n c i p nicht bloss feste,
d. h. bei der normalen Entwicklung unveränderliche topo-
graphische Beziehungen, sondern auch directe causale
Beziehungen bezeichnet werden.
Das Princip der organbildenden Keimbezirke beginnt somit erst
mit der Furchung eine feste Bedeutung zu erhalten, und diese seine
causale und topographische Bedeutung wird mit dem Fortschreiten
der Furchung eine immer speciellere, denn durch dieselbe werden
verschiedenwerthige, der directen Entwicklung dienende Idioplas-
sonten mehr und mehr von einander geschieden und in typischer
Anordnung localisirt.
O. Hertwig jedoch folgert allgemein die Unrichtigkeit des
Principes der organbildenden Keimbezirke, auch für das ge-
theilte Ei.
Also die Differenzpunkte bestehen, trotz des Versuchs
von Schultze, sie zu verwischen. Wie Roux selbst mit
mir und Pflüger das Princip der organbildenden Keim-
bezirke von H i s für das ungefurchte Ei als nicht zutreffend
anerkennt, so müssen wir aus ähnlichen Gründen und mit
demselben Recht auch die von Roux veränderte Auflage
dieses Princips, die Mosaiktheorie und die Specitication der
Furchungszellen, verwerfen. Denn die verchiedenartigsten
Experimente zahlreicher Forscher (7, 17, 38, 60, 63) haben
gelehrt, dass durch den Process der Kcrntheilung die
einzelnen Zellen nicht mit Stoffen von verschiedener
Qualität ausgestattet werden.
— 189 —
Wie dieUngleickheiten, die man an der un-
befruchteten Eizelle in der Vertheilung von
Protoplasma und Dotter beobachten kann, so
haben auch die Ungleichheiten, welche während
des Furchungsprocesses in der Grösse und An-
ordnung der Embryonalzellen und in ihrem Ge-
halt an Dottermaterial entstehen, zunächst mit
derOrgandifferenzirung gar nichts zu thun. Wie
beim unbefruchteten, so spricht auch beim be-
fruchteten und abgefurchten Ei nichts dafür,
class die Zellen der verschiedenen, am Ei unter -
seh eidbaren Bezirke schon die speeificirten
Substanzanlagen besonderer Organe repräsen-
tirten; vielmehr müssen wir behaupten, dass erst dem
weiteren Gang der Entwicklung vorbehalten ist, darüber zu
entscheiden, was aus den einzelnen Zelleu werden wird. Eine
jede Störung, die wir vor oder nach Eintritt des Furchungs-
processes setzen, sei es, dass wir einen Theil der Substanz dem
Ei ganz wegnehmen oder sie zerstören, oder dass wir durch
Eingriffe Lage- und Formveränderungen am entwicklungs-
fähigen Material vornehmen oder durch chemische Sub-
stanzen seine Eigenschaften verändern, kann eine voll-
kommen andere Verwendung in dem einen Fall der Sub-
stanz des ungeteilten Eies, in dem anderen Fall der schon
gebildeten Embryonalzellen bei der Entwicklung des embryo-
nalen Körpers hervorrufen; ja es kann sogar dasselbe
Material durch besondere Umstände veranlasst werden, an-
statt in einen einfachen Embryo sich in zwei oder sogar
drei Embryonen umzuwandeln.
Darum, weil im gewöhnlichen Lauf der Dinge ein
Stadium der Entwicklung das nächstfolgende und so fort
nach einer festen Norm und in scheinbar strenger Noth-
- 190 -
wendigkeit aus sich entstehen lässt, dürfen wir nicht schliessen,
esmüsse nun jedesmal so sein und eskönne überhaupt
nicht anders hergehen, als ob gleichsam das in ferner
Zukunft liegende Ereigniss schon im frühesten Stadium fertig
vorbereitet und eingeschlossen sei und nur der Zeit harre,
um in die Erscheinung zu treten. Wer solche Gedanken-
gänge hegt, verkennt, wie ich schon oft hervorgehoben
habe, die Bedeutung der Umstände oder der äusseren
Ursachen für den Process der Entwicklung, und er kommt
so schliesslich nothgedrungener Weise dazu, Eigenschaften
in die Eizelle hineinzuschachteln , welche ihr ganz fremd
sind. Man darf über die Art der Causalität, die zwischen
den einzelnen Entwicklungsstadien besteht, sich keine falschen,
phantastischen Vorstellungen bilden, indem man den festen
Boden der durch Anschauung gewonnenen Erfahrungen
verlässt und, über sie hinausgehend, den einzelnen Zuständen
des Eies Eigenschaften andichtet, welche sinnliche Anschau-
ung nicht lehrt. Wenn z. B. die ungleiche Vertheilung
von Protoplasma und Dottereinschlüssen im unbefruchteten
Ei eine der Ursachen ist, dass später Bezirke ungleich
grosser Zellen entstehen, die sich zugleich auch durch ver-
schiedenen Gehalt an Protoplasma und Dotter unterscheiden,
so liegt doch bei diesem ursächlichen Verhältniss auf der
Hand, dass beide Anordnungen etwas sehr Verschiedenes
sind. Die ungleiche Dottervertheilung in der einfachen
Eizelle ist in jeder Hinsicht ein ganz anderes Verhältniss
als die Zusammensetzung der späteren Embryonalform aus
kleineren und grösseren, substantiell etwas von einander
verschiedenen Zellen. Daher kann man auch gewiss nicht
sagen, dass die kleineren und grösseren Zellen im Ei schon
vor Beginn des Furchungsprocesses präformirt oder speciticirt
seien, wie denn zum Beispiel von Kernsubstanz in den später
— 191 —
von Zellen eingenommenen Substanzbezirken keine Spur an-
zutreffen ist. Nur eine Ursache für ihr späteres Zustande-
kommen oder eine allgemeine Anlage dafür ist in der ganzen
Organisation der Eizelle oder in der allgemeinen Dis-
position ihrer Substanz gegeben.
Schon das Wort „Anlage", wenn man es richtig ver-
steht, besagt ja, dass über das, was werden kann,
erst noch entschieden werden muss — durch die
Umstände. Mithin können auch die Wege, auf denen
aus einer Anlage etwas wird, sehr verschiedene sein. Es
kann der Furchungsprocess eines bestimmt organisirten Eies
die mannigfaltigsten, einander sehr unähnlichen Variationen
darbieten, je nachdem wir die im Ei gegebene Anlage
äusseren Eingriffen aussetzen. Das Kernmaterial kann da-
durch im Ei räum in der verschiedenartigsten Weise ver-
theilt werden; die Zellen können andere Formen- und
Grössenverhältnisse erfahren. Trotzdem sind alle diese
durch äussere Momente künstlich erzeugten Verschieden-
heiten ziemlich gleichgültig für den Fortgang und das Pro-
duct der Entwicklung, da das Wesentliche in den ersten
Entwicklungsstadien überhaupt nur die Zerlegung des Eies
in Zellen ist. Mag die Zerlegung in dieser oder jener
Weise vor sich gehen, in jedem Falle entsteht doch schliess-
lich eine zusammengehörige Masse ungleich grosser und
mit verschiedenem Dottergehalt versehener Embryonalzellen,
welche die Anlage, den Grund oder die inneren Ursachen
für das nächstfolgende Stadium in sich enthalten.
Ein anderes Missverständniss betrifft die Beziehungen
der ersten Theilungsebenen des Eies zu der Medianebene
des Embryo. Zu diesem Thema bemerkt gleichfalls Oscar
Schultze in seiner oben citirten Arbeit: „Ich denke,
dass nun auch O. Hertwig sich von dem Gesetz des Zu-
— 192 —
sanmienfallens der ersten Furch ungsebene mit der Median-
ebene des Körpers bei Rana unter normalen Bedingungen
überzeugen wird." Hierauf habe ich zunächst zu erwidern,
dass ich mich davon nicht erst zu überzeugen brauche, da
ich die Möglichkeit des Zusammenfallens nie bestritten
habe. Ich habe diese Beziehungen 1893 (25) ausführlich
erörtert und meine Ansicht in dem Resume meiner Arbeit
in den Satz (No. 8 f. S. 790) zusammengefasst : „Bei polar
differenzirten Eiern, die entweder einen längeren Durch-
messer oder eine bilateral - symmetrische Organisation be-
sitzen, kann unter normalen Verhältnissen die Richtung der
beiden ersten Theilungen mit der Richtung der späteren
Hauptebenen des Embryo zusammenfallen. Die Ursache
für dieses Zusammentreffen ist schon in dem
Bau der Eizelle gegeben. So erklären sich die Beob-
achtungen von van Beneden und Julin am Ascidienei,
von Wilson am Ei von Nereis, von Roux am Ei von
Rana esculenta, von mir an Eiern von Triton etc."
Ja, ich habe in dieser Arbeit sogar das Resultat, welches
Oscar Schultze durch Beobachtung am Ei von Rana
fusca festzustellen versucht hat, ganz bestimmt im Satz
(No. 8e) meines Resumes vorausgesagt: „Wenn manchen
Eiern ausser ihrer polaren Differenzirung auch noch eine
bilateral -symmetrische Organisation in der Vertheilung
ihrer Substanzen von ungleicher Schwere und verschiedenem
physiologischem Werth zukommt, so muss dieselbe gleich-
falls eine bilateral-symmetrische Form der Keimblase zur
Folge haben, wodurch der Ort der Gastrulaeinstülpung im
Bereich der Randzone noch genauer bestimmt sein wird"
(S. 790). Betreffs letzteren Punktes bemerkte ich noch,
„dass die Urmundeinstülpung an dem Ende der Symmetrie-
ebene beginnen wird, wo die grössere Menge der proto-
— 193 —
plasmareicheren Substanz schon im ungefurehten Ei an-
gesammelt war" (S. 735).
Die Streitfrage 7 um die es sich hier wieder handelt,
betrifft nicht eine Anzahl von Beobachtungen, deren Rich-
tigkeit ich nie angezweifelt habe, sondern die Trag-
weite und die „causale Bedeutung", welche man
ihnen zu geben versucht hat. Ich habe bestritten
und bestreite noch heute, dass die erste Theilebene des
Eies die Medianebene des zukünftigen Embryo bestimmt,
und dass man zwischen beiden Ebenen ein causales Ver-
hältniss in der Art construiren kann, dass man sagt: Die
erste Theilung habe die Aufgabe, durch die Theilebenen
nicht nur das Bildungsmaterial, sondern auch die gestal-
tenden Kräfte für die linke und die rechte Körperhälfte
des Embryo von einander zu sondern.
Nach meiner Ansicht besitzen manche Eier in der
eigenthümlichen Anordnung ihrer Substanzen schon vor
dem Beginn des Furchungsprocesses eine bilateral - symme-
trische Organisation und kraft derselben eine Symmetrie-
und Gleichgewichtsebene, mit welcher dann später auch
annähernd die Medianebene des Embryo zusammenfällt.
We nn letztere somit schon vor dem Furchungsi
process im Bau der Eizelle bestimmt ist, so kann
sie nicht noch einmal durch die Richtung der
ersten Theilungsebene bestimmt werden. Viel-
mehr hängt die Richtung der ersten Theilebene selbst von
der Form der Eizelle und der Differenzirung ihres Proto-
plasmakörpers ab. Daher sagte ich 1893 : „In den Fällen,
wo eine Theilebene des Eies und die Medianebene des
Embryo mehr oder minder annähernd zusammenfallen, ist
die Ursache für dieses Zusammentreffen in
einer beiden Erscheinungen gemeinsamen Ur-
Hertwig, Zeit- und Streitfragen. II. 13
— 194 -
sache, in der von Anfang an gegebenen Organi
sation der Eizelle selbst zu suchen, welche so-
wohl auf die Stellung der T heilungsebenen als
auch auf die Stellung der embryonalen Median-
ebene richtend wirkt" (S. 737). „Denn da jedes spätere
Entwicklungsstadium an ein vorausgegangenes anknüpft, so
sucht sich die bilateral-symmetrische Massenvertheilung der
Substanz im Allgemeinen auch auf späteren Stadien so zu
erhalten, wie sie schon im Ausgangsstadium gegeben war,
solange nicht andere Factoren eine Aenderung nothwendig
machen."
Ich habe daher auch immer nur von einem an-
nähernden Zusammenfallen der ersten Theil-
ebene mit der Medianebene des Embryo ge-
sprochen. Denn mir scheint hier allerdings ein ziemlich
weiter Spielraum vorzuliegen. Einmal glaube ich nicht
nach den vorliegenden Beobachtungen, dass durch die An-
ordnung der Eisubstanzen die Kernspindel jedesmal so
absolut genau eingestellt wird, dass eine genaue Halbirung
des Eies in zwei ganz symmetrische Hälften herbeigeführt
wird. Zweitens verändert offenbar die Sym-
metrie- und Gleichgewichtsebene der Eisub-
stanzen während des Entwicklungsprocesses
beständig in etwas ihre Lage und muss sie ver-
ändern, da es beim Furchungsprocess ohne
Gleitbewegungen und Ve rschiebungen der
Zellen nicht abgeht. Das lehrt schon die beim zweiten
Theilact auftretende Brechungsfurche. Ferner muss die
Symmetrie- und Gleichgewichtsebene Veränderungen er-
fahren, wenn die Höhle in der Blastula sich nicht immer
genau an derselben Stelle durch Auseinanderweichen der
Zellen und durch Flüssigkeitsansammlung bildet.
— 195 -
Wenn diese Ausführungen richtig sind7 dann beruhen
auch die Winkeldifferenzen , welche Roux bei seinen Ex-
perimenten zwischen der Richtung der ersten Theilebene
und der Medianebene des Embryo so häufig gefunden hat,
nicht durchgängig auf Versuchsfehlern , worauf sie Roux
durchaus zurückzuführen bemüht ist, sondern sie ergeben
sich ganz naturgemäss aus dem Sachverhalt, daraus, dass
kein absolutes, sondern nur ein mehr oder minder annähe-
rungsweises Zusammentreffen der genannten zwei Richtungen
stattfindet.
Bei meiner Auffassung bereitet es auch dem Verständ-
niss keine Schwierigkeit, dass durch äussere Eingriffe sich
der Furchungsverlauf in so weitem Umfang abändern lässt,
und dass die Embryonen eine Medianebene erhalten, trotz-
dem keine der ersten vier Furchen in ihre Richtung fällt.
Denn einmal kann die Symmetrie- und Gleichgewichtsebene
der Eisubstanzen bestehen bleiben, auch wenn diese durch
Verschiebung der Kernspindel in abnormen Richtungen in
Theilproducte zerlegt werden, oder sie wird sich jederzeit
in irgend einer anderen Anordnung und Richtung wieder
ausbilden, wenn durch den äusseren Eingriff ausser der
Lage und Richtung der Kernspindel auch die Vertheilung
der Eisubstanzen geändert ist. Derartige Vorgänge stören
überhaupt gar nicht das Zustandekommen eines normalen
Entwicklungsproductes , aus dem einfachen Grunde, weil
ihnen eine weittragende causale Bedeutung für den Verlauf
des Entwicklungsprocesses nicht inne wohnt.
Anders liegt freilich das Verhältniss bei der Auffassung
von Roux, nach welcher die Richtung der ersten Theil-
ebene die Medianebene des Embryo bestimmen und nicht
nur das Material, sondern auch die gestaltenden Kräfte
für linke und rechte Körperhälfte sondern soll. Denn ein
13*
— 196 —
derartiger causaler Zusammenhang verlangt, dass das
Zusammenfallen der ersten Theilebene mit der zukünftigen
Medianebene ein absolutes ist; der Experimentator muss
daher Abweichungen hiervon als auf Beobachtungsfehlern
beruhend nachzuweisen versuchen. Nicht minder müssen
ihm alle durch äussere Eingriffe hervorgerufenen Ab-
weichungen von seinem Naturgesetz sehr unbequem fallen
und ihn zur Aufstellung von Hilfsannahmen (Regulations-
mechanismen, Reserveidioplasmen etc.) zwingen, wie es uns
die Fortentwicklung der Roux'schen Lehre in der That
gezeigt hat.
Auch hierin erblicke ich einen nicht unwichtigen Hin-
weis dafür, dass Roux den Beobachtungen über die Rich-
tung der ersten Furchungsebene eine Tragweite und Be-
deutung gegeben hat, welche ihnen keineswegs zukommt.
Daher schliesse ich denn diese Kritik mit den Sätzen, deren
Richtigkeit ich schon 1893 zu erweisen versucht habe.
1) Die Richtung der ersten Furchungsebene und die
Ebenen des embryonalen Körpers stehen in keinem ursäch-
lichen Abhängigkeitsverhältniss zu einander.
2) Der Furchungsprocess führt zu keiner Sonderung
des Kernmateriales in qualitativ ungleiche, die Entwicklung-
verschiedener Körpertheile bestimmende Stücke.
3) Die Thatsache, dass in vielen Fällen die Furchungs-
ebenen und die Axen des embryonalen Körpers mehr oder
minder zusammenfallen und dass die Entstehung einzelner
Primitivorgane von bestimmten Stellen der Eioberfläche
ausgeht, erklärt sich aus der Organisation der Eizelle
selbst, aus ihrer Form und der Vertheilung von Proto-
plasma und Reservestoffen.
Zusätze und Literaturnachweise.
1) (S. 29). Nach Lotze und auf ihm fusseud hat Raub er
(Nr. 14, S. 2) 1880 den Vorschlag gemacht, einen Zweig der Ent-
wicklungsgeschichte als „Cellularmechanik" besonders zu benennen.
Als ihre Aufgabe bezeichnet er die „Erforschung der Kräfte oder
des Systems der Kräfte, welche den Keim befähigen, alle die ge-
nannten Formen zu verwirklichen, aus der Anfangsform die Durch-
gangsform hervorgehen zu lassen und schliesslich in die Endform
auszulaufen".
2) (S. 102). In seiner aus dem Jahre 1885 stammenden Arbeit
erklärt Roux: „In welcher Art die angenommene richtende Wechsel-
wirkung zwischen Kern und Zellenleib vorzustellen sei, ist zur Zeit
nicht zu sagen, ob als der magnetischen vergleichbare Fernwirkung,
ob vermittelt durch Diffusionsströmungen etc." Hierzu hat Roux
in der neuen Herausgabe seiner gesammelten Werke (S. 340) den
Zusatz gemacht: „Dieser Vergleich mit magnetischer Wirkung
wurde später von 0. Hertwig aufgenommen und verwendet (s. die
Zelle 1892)." Gegen diesen Zusatz will ich nur ganz kurz erinnern,
dass der wirkliche Sachverhalt genau der umgekehrte ist, da ich
schon mehrere Jahre vor Roux, sowohl 1875 (18, S. 417) als auch
1884, mich des Vergleichs mit magnetischen Figuren bedient habe,
also ihn gewiss nicht von Roux habe aufnehmen können. Im
Uebrigen haben den Vergleich schon vor mir Strasburger und
Fol angewandt. Man vergleiche übrigens auch noch die Zu-
sätze 3 und 7.
3) (S. 103). Auf dem Anatomencongress in Strassburg hat
Roux im Anschluss an einen Vortrag von Ziegler die Er-
klärung abgegeben (Verh. d. anat. Gesellsch. 1894 S. 151): „Es ist
nicht angemessen, die überwiegend häufige Einstellung der Kern-
— 198 —
spindel in die grösste Dimension der Furehungszelle, Avie es Herr
Ziegler thut, mit dem Ausdrucke „Hertwig'sches Gesetz" zu
bezeichnen; denn 0. Hertwig hat eine ähnliche Beziehung zwar
im Jahre 1883 zuerst ausgesprochen, aber dabei nichts gethan, sie
direct zu beweisen"; ausserdem ist seine Fassung: „Einstellung in
die Richtung der grössten Protoplasmamasse nichtssagend" etc.
Aehnliche Ansichten hatRoux noch ah drei Stellen seiner ge-
sammelten Werke wiederholt und dabei eine Priorität für sich nach-
zuweisen versucht (S. 305, 928, 972).
Gegen die hier angestrebte Verdunkelung des Sachverhaltes
muss ich Verwahrung einlegen, und habe ich namentlich Dreierlei
dagegen zu bemerken. Erstens muss ich entschieden bestreiten, dass
Roux, wie er angibt, „eine bezügliche Idee ein Jahr vor
mir ausgesprochen habe". Im Jahre 1883 hat Roux im An-
schluss an die Beobachtung Auerbach's über die Drehung des
Kernpaares im Ei von Ascaris nur die Vermuthung geäussert: „das
äussere" Moment einer geringen „Quetschung" durch das Deckglas
sei schon von Anfang an Veranlassung gewesen, dass die Umdrehung
der conjugirten Kerne senkrecht zur Druckrichtung vor sich geht,
und dass weiterhin, sei es damit zugleich oder unabhängig davon,
auch die senkrechte Richtung der ersten Furchungsebene bestimmt
werde" (Gr. A. S. 118). Wie aus diesem Satz überhaupt hervorgehen
soll, dass Roux sich in irgend einer Beziehung damals schon klar
gewesen sei über das Verhältniss, in welchem die Lage des be-
fruchteten und des sich zur Theilung anschickenden Kernes zu der
Form und der Differenzirung des Protoplasmakörpers des Eies steht,
und wie die Lage der Spindel wieder die Lage der Theilungsebenen
bestimmt, wird dem Leser ebenso unerfindlich sein wie mir. In der
That hat denn auch Roux in dem 1884 veröffentlichten Aufsatz:
„Ueber die Entwicklung des Froscheies bei Aufhebung der richten-
den Wirkung der Schwere" nicht den geringsten Anlauf gemacht,
eine der meinigen ähnliche Idee irgendwie zu entwickeln, obwohl
die Untersuchungen Pflüger's ihn dazu hätten veranlassen sollen,
wie es bei mir der Fall gewesen ist. Mir scheint daraus klar
hervorzugehen, dass Roux auch im Jahre 1884 vor Veröffentlichung
meiner Arbeit das in Frage stehende Problem noch nicht erfasst
hatte. Erst dreiviertel Jahre später hat Roux in der 1885 veröffent-
lichten Abhandlung: „Ueber die Bestimmung der Hauptrichtungen
des Embryo" einige der von mir veröffentlichten Ideen sich zu Nutze
gemacht (G. A. S. 301 — 306), freilich ohne die Quelle anzugeben, au.
— 199 —
welcher er sie geschöpft hat. Denn nur nebenbei wird einmal in
seiner Abhandlung an einer späteren Stelle bemerkt (1. c. S. 323):
„Bezüglich der gegenseitigen richtenden Wirkung zwischen dem
sich theilenden Zellkern und den Theilen des ihn umgebenden Zellen-
leibes hoffe ich an den künstlich deformirten Eiern durch genaue
Prüfung der Stellung der Kernspindel zu den von einander unter-
scheidbaren Dottermassen die nöthige Aufklärung gewinnen
zu können. Jüngst hat sich O. Hertwig gleichfalls für eine
solche richtende Wechselwirkung, und zwar auf Grund vergleichend
anatomischer und physiologischer Thatsachen, ausgesprochen" etc.
„Seine Aussprüche erfolgen auf Grund der ihnen entsprechenden
Kerneinstellung bei normalen, verschieden geformten Eiern. Die
dadurch schon gewonnene «Wahrscheinlichkeit« kann aber zu einer
»Gewissheit« erst erhoben werden, wenn es uns gelingt, dasselbe
Verhalten in verschiedenartigen, von uns künstlich erzeugten Be-
dingungen zu beobachten."
Man sieht, Roux hat schon früh dem von ihm erst später klar
ausgesprochenen Grundsatz gehuldigt: Causale Forscher würden einen
Umweg einschlagen etc. (s. Ausspruch S. 132).
Im Uebrigen hat Roux selbst im Jahre 1885 sich noch
durchaus in einer unbestimmten und einseitigen Weise über die in
Frage stehenden Verhältnisse geäussert, zum Theil mit dadurch
veranlasst, dass bei einigen Experimenten sich die Eier entgegen
meiner Regel in der Richtung des längsten Durchmessers theilten
(1. c. S. 303). Neuerdings hat allerdings Roux diese Angaben als auf
einem Irrthum beruhend berichtigt, der ihm bei der Deutung der
Experimente mit untergelaufen sei (1. c. S. 972). Im Jahre 1885 aber
Ovaren sie für ihn Grund genug, sich hinsichtlich der Giltigkeit des
von mir schon aufgestellten Gesetzes sehr zurückhaltend und vor-
sichtig zu äussern, und sie veranlassten ihn sogar zu der Bemerkung,
„dies zeigt wiederum, dass nicht eine Tendenz, die kleinsten Flächen
zu theilen, die Theilungsrichtung bestimmt" (1. c. S. 305).
Wie kann man bei solcher Sachlage Prioritätsansprüche vom
Zaune brechen !
4) (S. 111). In meiner Abhandlung über den Werth der ersten
Furchungszellen für die Organbildung des Embryo findet sich der
Passus: „Zwei Forscher, Roux und Chabry, haben sich das Ver-
dienst erworben, zum ersten Male versucht zu haben, die Frage zu
lösen, was für ein Product die Entwicklung eines Eies liefert, bei
welchem man eine der beiden ersten Furchungszellen oder auf dem
— 200 —
Viertheilungsstadium ein, zwei oder drei Zellen zerstört hat. Chabry
stellte seine Experimente (1887) am Ei von Ascidiella aspersa an,
indem er bestimmte Furchungsz eilen durch Anstechen mit feinsten
Glasnadeln vernichtete. Bald darauf hat Roux entsprechende Ex-
perimente am Froschei ausgeführt und ihre Ergebnisse in seiner be-
kannten Abhandlung zusammengestellt etc." Das Experiment, eine
Furchungszelle durch Anstich zu zerstören und aus der Entwicklung
auszuschalten, nannte ich das Chabry-Roux'sche Verfahren.
Diese paar Sätze haben wieder den lebhaften Unwillen von
Roux hervorgerufen und ihn zu einem Ausfall gegen mich veranlasst
(G. A. S. 957). Nachdem er bemerkt, dass er schon im Jahre 1885
viele Anstichversuche an Froscheiern veröffentlicht habe, spricht ei-
serne Verwunderung darüber aus, dass ich diese Arbeit nicht kenne,
obwohl er sie mir zugesandt habe, und fährt fort: „Ich habe es
0. Hertwig schon einmal nahe gelegt, meine Arbeiten mit mehr
Sorgfalt zu lesen, soweit er auf demselben Gebiete mit mir arbeitet,
damit er sowohl über das bereits Ermittelte unterrichtet sei, als
auch, um nicht weiterhin irrthümliche Behauptungen über meine
Ansichten zu verbreiten."
Mir scheint der Ausfall wenig angebracht zu sein , weil er
wieder einmal nicht zutrifft. Dass Roux schon vor Chabry mit
der Stahlnadel Froscheier auf verschiedenen Furchungs- und Ent-
wicklungsstadien angestochen hat, ist richtig; er hat damals aber
nicht bestimmte Zellen des Zwei- und Viertheilungsstadiums wirk-
lich zerstört und aus dem Entwicklungsprocess ausgeschaltet, sondern
nur durch den Anstich mit kalter Nadel einen bald kleineren, bald
grösseren Austritt von Dottersubstanz (ein Extraovat) veranlasst
una gefunden, dass derartige Eingriffe, die auch auf dem Morula-,
Blastula- und Gastrulastadium vorgenommen wurden, bald gar keine
Störung, bald diese und jene variable Veränderung bewirken.
Wie Roux selbst diese Experimente früher beurtheilt hat, geht aus
der im Text (S. 111) angeführten Stelle, sowie aus dem folgenden
Satz hervor: „Es wird überall hervortreten, dass bis jetzt, zufolge
der diesjährigen ungünstigen Verhältnisse, bloss noch erste Orienti-
rungsversuche vorliegen, und dass diese Lückenhaftigkeit der Ver-
suchsreihen nur sehr allgemeine Folgerungen zu ziehen gestattet"
(1. c. S. 161).
Der Leser, welcher die einzeln mitgetheilten zahlreichen Ver-
suche durchgeht, wird gewiss aus ihnen nicht das Ergebniss ziehen,
dass Roux eine von den beiden oder vier ersten Furchuugszellen
— 201 —
complet zerstört und durch solche Eingriffe seitliche oder vordere
Halbembryonen oder Dreiviertelembryonen willkürlich erzeugt habe.
Roux gibt dies auch selbst an keiner Stelle als Resultat seiner Ex-
perimente an. Nur in der Neuausgabe seiner gesammelten Werke
hat er etwas nachzuhelfen versucht, indem er bei der Beschreibung
eines Versuches das in Klammern gesetzte Wort „Hemiembryo
anterior" in den Text nachträglich eingeschoben (1. c. S. 161) und
bei der allgemeinen Besprechung der Ergebnisse (1. c. S. 204) durch
das Einschiebsel „die Hemiembryones laterales dexter und sinister
und anterior" den Wortlaut der Originalabhandlung umgeändert
hat. In diesem Fall ist sogar nicht kenntlich gemacht,
dass ein bei der Neu ausgäbe hinzugefügter Zusatz vor-
liegt, so dass der unbefangene Leser irre geführt wird.
Ich möchte daher demjenigen, welchem daran gelegen ist, die
ursprünglichen Ansichten von Roux, und nicht seine Meinung im
Jahre 1895 kennen zu lernen, dringend empfehlen, sich nur an die
eigentlichen Originalabhandlungen zu halten. In den gesammelten
Werken sind viele einzelne Worte, Sätze und grössere Abschnitte
neu hinzugefügt, welche allerdings meist als Nachträge in Klammern
gesetzt sind.
Durch meine Auseinandersetzung will ich darlegen, warum ich
auf die Arbeit von Roux aus dem Jahre 1885 nicht Bezug genommen
habe, obwohl sie mir wohlbekannt war, auch in der Literaturüber-
sicht mit aufgeführt und in dem gleichzeitig erschienenen Heft der
Zeitfragen sogar sehr eingehend besprochen wurde. Der Abschnitt
meiner Abhandlung, welche durch den von Roux so heftig an-
gegriffenen Passus eingeleitet wurde , trägt die Ueberschrift : Ent-
wicklung von Eiern, bei denen eine der beiden ersten Furchungszellen
zerstört wurde. Eine Zerstörung aber hat Roux erst in der zweiten
Serie seiner Versuche, welche 1887 vorgenommen, im September des-
selben Jahres auf der Wiesbadener Naturforscherversammlung mit-
getheilt und 1888 ausführlich veröffentlicht wurden, wirklich herbei-
geführt, indem er die zum Anstich benutzte Nadel an der Flamme
erhitzte. Erst 1888 gibt Roux zum ersten Male an, dass er durch
Zerstörung bestimmter Zellen einen Hemiembryo lateralis sinister
oder dexter, einen Hemiembryo anterior oder posterior wi 11k ürlie h
erzeugen könne, wie Chabry dies an Ascidieneiern erreicht und
1887 veröffentlicht hat. Erst seine 1888 veröffentlichte Arbeit trägt
daher auch den Titel : Ueber die künstliche Hervorbringung „halber"
Embryonen durch Zerstörung einer der beiden ersten Furchungszellen.
— 202 —
Gegen die von mir jetzt im Text gegebene ausführlichere Dar-
stellung (S. 110—114), in welcher auch die Arbeit aus dem Jahre 1885
erwähnt ist, wird Roux wohl keinen Einwand mehr zu erheben haben.
Ueberrascht war ich in einem Aufsatz von Roux aus dem Jahre
1896 (A. f. E. S. 458), in Avelchem er sich wieder über dievonBenda
gegebene Darstellung der Geschichte der durch Anstich erzeugten
Hemiembryonen mit Entrüstung beschwert, zu lesen, dass ich in
Folge seiner Einsprache meine Darstellung zurückgenommen habe.
Mir ist von einer solchen Zurücknahme nichts bekannt, da ich hier
zum ersten Male wieder auf die Chabry-Roux'schen Versuche
eingegangen bin. Ich muss daher Roux ersuchen, durch Angabe
der Stelle, welche er bei seiner Bemerkung im Auge hat, meinem
Gedächtniss nachzuhelfen.
5) (S. 117). Als ich in den Sitzungsberichten der Berliner
Akademie die Ergebnisse meiner „experimentellen Untersuchungen
über die ersten Theilungen des Froscheies und ihre Beziehungen zu
der Organbildung des Embryo" kurz veröffentlichte (18. Mai 1893),
erschien sofort im anatomischen Anzeiger (5. August 1893) ein
Artikel von Roux, in welchem er sich theils gegen die Richtigkeit
und Bedeutung meiner Experimente wendet, theils erklärt, dass er
ganz dieselben Versuche ohne Ausnahme in den Jahren 1885 — 1887
wiederholt angestellt habe, ohne ihre Ergebnisse bisher publieirt zu
haben. Er kündigt zugleich die demnächst erfolgende- Publication
seines Versuchsmaterials an und bemerkt dazu (G. A. S. 921): „Ich
glaube das Erscheinen von O. Hertwig's definitiver Abhandlung
nicht abwarten zu müssen , da mein Vei-suchsmaterial so reich ist,
dass 0. Hertwig in dem einen Frühjahre dieses Jahres kaum etwas
gesehen haben dürfte, was mir im Laufe mehrerer Frühjahre nicht
vorgekommen wäre."
Die angekündigte Arbeit erschien aber nicht; dagegen erfolgte
bei der Mittheilung seiner Methoden im anatomischen Anzeiger die
Erklärung (G. A. S. 960): „Zu der angekündigten ausführlicheren
Mittheilung über diese Versuche bin ich in Folge anderweiter Inan-
spruchnahme noch nicht gekommen. Dieselbe erscheint mir jetzt
auch weniger dringlich, weil inzwischen G. Born eine Arbeit
publieirt hat, in der über die gleichen Versuche ausfuhrlich be-
richtet wird." Die Motivirung der Nichtdringlichkeit erscheint etwas
eigentümlich, wenn man berücksichtigt, dass Born in seinen gleich-
zeitig mit mir ausgeführten Experimenten fast zu genau denselben
Ergebnissen gelangt ist, wie ich.
— 203 —
Bei dieser Gelegenheit berichtigt Roux einen Irrthum, der ihm
bei seinen früheren Deformationsversuchen vorgekommen war (s. 972).
Da auch bis Ende 1896 die angekündigte Abhandlung von
Roux nicht erschienen ist, wird wohl auf ihre Veröffentlichung und
auf eine Berichtigung meiner angeblichen Irrthümer überhaupt nicht
mehr zu rechnen sein.
6) (S. 124). In meiner Untersuchung über „den Werth der
ersten Furchungszellen etc." habe ich genau angegeben, in welcher
Weise ich mir das Material für meine Beobachtungen verschafft
habe, und habe an einer Stelle noch ausserdem ausdrücklich be-
merkt: „Da mir einerseits die Müsse zu einer continuirlichen, über
einen längeren Zeitraum ausgedehnten Beobachtung fehlte, anderer-
seits auch die Lösung anderer Aufgaben mein Zweck war, so habe
ich nach dieser Richtung meine Untersuchung nicht ausgedehnt."
Roux hat es nicht genügt, auf diese meine Erklärung hinzuweisen
(G. A. S. 964), aus welcher schon hervorgeht, dass ich die Ent-
wicklung nicht in continuo Tag und Nacht verfolgt habe, sondern
hat sich noch bemüssigt gesehen, in meinem Institute Nachforschungen
über meine Arbeitszeit anzustellen. Er bemerkt (S. 950): „Da es
wesentlich zur Aufklärung der Sachlage dient, und da viele Autoren
trotz der hier erfolgten Darlegung der Fehlerquellen durch die be-
stimmten Behauptungen 0. Hertwig's sich haben irre führen lassen,
so halte ich es im Interesse der Wissenschaft zur Verbreitung der
Wahrheit für das geringere Uebel, die Indiscretion zu begehen und
statt seiner mitzutheilen, dass 0. Hertwig, nach mir von compe-
tenter Seite gewordener Information, gewohnter Weise, auch zur
Zeit dieser Versuche allein von 8 — 3 Uhr täglich im Institute an-
wesend war, dass seine täglichen Beobachtungen also durch je eine
17 Stunden lange Pause unterbrochen waren."
Roux scheint bei der Veröffentlichung seiner in meinem
Institut angestellten Recherchen gar nicht zu empfinden, wie sehr
er sich selbst dadurch bloss stellt. Will er vielleicht noch einen
Ueberwachungsdienst in meinem Institut organisiren? Und was
glaubt er denn im vorliegenden Falle mit der Veröffentlichung von
Verhältnissen , die ihn absolut nichts angehen, erreicht zu haben?
Die zeitliche Dauer der Beobachtungen hat für die Werthschätzung
der von mir ermittelten Thatsachen gar keine Bedeutung. Denn für
das, was ich habe ermitteln wollen und ermittelt habe, ist ein über
Tag und Nacht ausgedehntes Studium der sich entwickelnden Eier
nach meiner Ansicht vollkommen überflüssig; es genügt vollständig,
204 —
von dem operirten Eimaterial von Zeit zu Zeit Partien auf den
wichtigen Stadien in Conservirungsflüssigkeiten einzulegen und dann
die einzelnen Objecte auf ihre Organisation durch Betrachtung von
der Fläche und nach Zerlegung in Schnittserien zu untersuchen.
7) (S. 160). Roux bringt gegen Forscher, die anderer Meinung
wie er sind, zwei jetzt schon typisch gewordene Klagen und Be-
schwerden vor. Seine eine Beschwerde ist, dass Driesch, Ver-
worn und ich seine Ansichten einseitig oder ungenau darstellten oder
sogar Unrichtiges über sie mittheilten (G. A. S. 957, 997, 1006, A. f.
E. Bd. III S. 428, Bd. IV S. 327, 341). Man vergleiche hierüber
zum Beispiel den auf S. 146 citirten Ausspruch von Roux. Seine
zweite Beschwerde ist, dass andere Forscher seine Arbeiten
nicht mit genügender Sorgfalt lesen (s. Zusatz 4). Ich bemerke
daher, dass ich mich bei der Darstellung der Ansichten von Roux
meist seiner eigenen Worte bedient habe und häufig besonders
wichtige Sätze in der Originalfassung wiedergegeben habe. Da aber
Pioux es liebt, Ansichten und Lehrsätze auszusprechen, deren Sinn
er darauf wieder durch diesen oder jenen Zusatz unter der Hand
umwandelt oder sogar umkehrt , wie wir es in der zweiten Studie
gesehen haben, da er auch nicht allzu selten Widersprechendes neben
einander behauptet, so ist es allerdings nicht immer leicht, seine
wechselnden Meinungen ganz erschöpfend darzustellen. Auch wird
eine Verständigung dadurch unmöglich gemacht, dass wir die ge-
künstelten und nur für seine Lehre zugeschnittenen Unterscheidungen
einer ganz normalen, einer typischen und einer atypischen Ent-
wicklung, ferner seine Unterscheidung von Selbstdifferenzirung und
abhängiger Differenzirung, von Reserveidioplasma und Anachronis-
mus nicht als berechtigt gelten lassen können , vielmehr darin nur
Versuche sehen , unhaltbar gewordene Theorien der klaren Sprache
neu ermittelter Thatsachen zu entziehen.
Wie es im Uebrigen Roux selbst mit dem Stadium und der
Berücksichtigung der Untersuchungen anderer Forscher hält, das
möge man aus dem zweiten und dritten Zusatz und aus dem der
zweiten Studie beigefügten Ausspruch (S. 132) ersehen.
Auch sei in der Beziehung noch auf die von Driesch erhobene
Beschwerde hingewiesen (A. f. E. Bd. IV S. 78): „Wie kommt es
denn, so wird man verwundert fragen, dass Roux, anstatt dieses
erfreuliche, nicht gerade häufige Factum einer Harmonie
unserer Ansichten zu constatiren , im Gegentheil eine aus-
gedehnte, unnöthig gereizte und an recht unbedachtsamen Worten
205 —
reiche Polemik gegen mich eröffnet? Hier wird wohl wieder eine
Folge der bei Roux so häufigen ungenügenden Beachtung
fremder, speciell gegnerischer Schriften liegen, welcher
Mangel u. A. auch auf S. 427, 435, 449 seiner neuesten Arbeit zu
Tage tritt."
8) (S. 170). Da ich die Keimplasmatheorie von Weis mann
und die Mosaiktheorie von Roux, die Lehren, dass die im Ent-
wicklungsprocess entstehenden Veränderungen durch qualitativ un-
gleiche, im Voraus bestimmte Theilungen der Kernsubstanz ver-
ursacht seien, als eine sachlich unbegründete und an sich sehr un-
wahrscheinliche Hypothese nicht annehmen kann, hat Roux mir
schon einige Male gleichsam als Trumpf die Frage vorgelegt: „Wo-
durch kommt das System an »typischer« Gestaltung in die ganze,
nach 0. Hertwig vollkommen gleichartige Zellenmasse?" (G. A.
S. 865). Oder an anderer Stelle (G. A. S. 1006): „Wenn nach O. Hert-
wig alle Furchungszellen einander »ganz« oder nach Driesch
»wesentlich« gleich sind, so entsteht die Frage, wodurch dann aus
der Gesammtheit dieser vielen Zellen, von denen jede einzelne
dem ganzen Ei gleicht, also auf ein Ganzes eingestellt ist, ein ein-
ziges typisches Ganze werde. Woher kommt auf einmal die dazu
nöthige typische Ungleichheit?"
Die Antwort hierauf ist keine schwere. Erstens ist die einzelne
Furchungszelle, welche in Folge des Entwicklungsprocesses aus dem
Ei entstanden und mit anderen Zellen zu einer bestimmten Embryonal-
form verbunden ist, nicht „auf ein Ganzes eingestellt," wie Roux
sagt, vielmehr wegen ihrer Verbindung mit anderen Zellen
nur noch T h e i 1 eines sich entwickelnden Systems, in
welchem ihre Verwendung auf jeder weiteren Phase des
Processes vom Ganzen aus bestimmt wird.
Was zweitens die Frage betrifft, woher bei Verwerfung der
Lehre von Roux auf einmal die zur Entwicklung nöthige typische
Ungleichheit kommen solle, so ist nicht richtig, dass nach meiner
Theorie „aus vielen vollkommen unter sich gleichen Theilen durch
nicht typisch vermittelte, unbekannte Ursache plötzlich typisch Un-
gleiches entstehe". Denn es liegt doch auf d?r Hand, wie ich früher
auseinander gesetzt habe, dass in Folge der Theilungsfähigkeit der
Zelle selbst Schritt für Schritt Verschiedenheiten producirt werden,
dass ein aus zwei Zellen bestehendes Ei etwas ganz Anderes ist, als
das einfache Ei und sich auch in vieler Hinsicht der Aussenwelt
gegenüber verschieden verhält, dass ebenso wieder neue Verschieden-
— 206 —
heiten und Ungleichheiten mit dem Stadium der Viertheilung, Acht-
theilung etc., der Morula und Blastula im Vergleich zu jedem voraus-
gegangenen Stadium durch den Vermehrungsprocess der Zellen selbst
entstehen. Das Ei verändert so Schritt für Schritt seine Natur und
seine Eigenschaften der Aussenwelt gegenüber, welche daher auch
auf jeder Stufe wieder in anderer Weise wegen der veränderten
Angriffspunkte einwirkt. Also trifft auch die Bemerkung. von Roux
nicht zu, dass ich „durch nicht typisch vermittelte, unbekannte Ur-
sachen plötzlich typisch Ungleiches entstehen lasse". Allerdings kann
ich physikalisch-chemisch nicht erklären, warum sich die Keimblase
zur Gastrnla umwandeln muss oder die Rückenwülste entstehen ; ist
aber etwa irgend ein anderer Forscher, etwa Roux, im Stande, uns
eine solche Erklärung zu geben? Müssen wir uns nicht alle hier
bescheiden, dass die Ursachen für den Eintritt dieser Form Wandlungen
uns zunächst unbekannt sind und vielleicht für noch sehr lange
Zeiten bleiben werden?
Ueber das, was ich unter Isotropie des Eies verstehe, habe ich
mich schon auf S. 106 ausgesprochen, so dass ich hierauf nicht noch
einmal zurückzukommen habe. Mein Standpunkt ist hier im Wesent-
lichen der gleiche, welchen auch Driesch einnimmt.
Auch durch Ablehnung der qualitativ ungleichen Kerntheilung
vertrete ich nicht die Ansicht, dass die Kernsubstanz etwas
absolut Unveränderliches sei, und verweise ich auch in dieser Be-
ziehung auf früher Gesagtes (Nr. 26 S. 142), da ein genaueres Ein-
gehen auf dieses noch nicht spruchreife Thema mir zur Zeit zweck-
los zu sein und zu sehr den Boden des Thatsächlichen zu verlassen
scheint.
9) (S. 177). Das Ei der Ctenophoren hat Roux im Hinblick
auf Experimente von Chun als eine Stütze für seine Mosaiktheorie
verwerthet. Bei Beurtheilung der etwas abweichenden Verhältnisse,
welche man hier bei Entwicklung von Theilstücken beobachtet,
ist die eigenthümliche Organisation des Eies in Rechnung zu ziehen.
Wie schon aus den älteren Untersuchungen von Kowalevsky
(Entwicklungsgesch. der Rippenquallen. Memoires de l'Acad. imp.
d. scienc. de St. Petersbourg. T. X. 1866) und mir (Beiträge zur
Kenntniss etc. Morph. -Jahrb. Bd. IV S. 187) hervorgeht, ist das
Ctenophorenei ausserordentlich reich an Nahrungs- Dotter, welcher
etwa das speeifische Gewicht des Wassers hat, aus sehr grossen
Stücken besteht, die Mitte dc± Eies einnimmt und nach aussen von
einer dicken zusammenhängenden Protoplasmaschicht wie von einem
— 207 —
besonderen Mantel eingeschlossen wird (s. 1. c. Taf. IX Fig. 8). In
dieser protoplasmatischen Rindenschicht liegt nahe der Bildungs-
stelle der Richtungskörperehen der befruchtete Eikern, welchen ich
zum ersten Mal bei Gegenbauria cordata nachgewiesen habe; er
liegt also fast unmittelbar an der Oberfläche des Eies. Bei den
ersten Theilüngen erhalten die halben und darauf die viertel Stücke
im Bereich der Theilebenen nur ein feines Protoplasmahäutchen,
während nach Aussen das Protoplasma als dicke Bindenschicht er-
halten bleibt. Diese Differenzen in der Yertheilung von Protoplasma
und Dotter scheinen sich nicht ausgleichen zu können , wenn man
ein Ei nach der ersten oder zweiten Theilung in Stücke trennt.
Wahrscheinlich entstehen Theilstücke, bei denen die Dottermasse
nicht mehr, wie es normaler Weise der Fall sein sollte, ringsum von
einem dicken Protoplasmamantel eingeschlossen ist. Sie sind und
ble'ben, wenn meine Deutung zutrifft, in der Vertheilungsweise von
Protoplasma und Dotter mit einem Defect versehen. Dieser
Umstand übt dann naturgemäss auf die weitere Entwicklung seinen
Einfluss mit aus und bewirkt, dass aus dem Theilstück sich keine
normale Ctenopliorenlarve züchten lässt. Doch entstehen ebenso
wenig reine halbe, dreiviertel oder viertel Larven (s. Hans Driesch
und Morgan, Von der Entwicklung einzelner Ctenophoren-
blastomeren. Arch. f. Entw. Bd. II S. 204). Aehnliches vermuthet
Ziegler (Verhandl. d. deutsch, zool. Gesellschaft 1896 S. 153 Anm.).
Dass das eigenthümliche Verhalten des Ctenophoreneies keine
Stütze für die Mosaiktheorie von Boux abgibt, haben Driesch und
Morgan noch in schlagender Weise nachgewiesen, indem sie die
Eier vor der Theilung in Stücke zerlegten und auch auf diesem
Wege ganz ähnliche defecte Theillarven erzielten. Die genannten
Autoren schliessen daher die Darstellung ihrer interessanten Ex-
perimente mit dem Satz: „Zu zeigen, dass Defecte an Larven auf
protoplasmatischer Basis beruhen und in keinem Falle geeignet sind,
die Lehre von qualitativer Kerntheilung zu stützen, das war unsere
eigentliche Aufgabe, und diese konnten wir mit voller Sicherheit
lösen; denn diejenigen defecten Larven, welche wir aus isolirten
Blastomeren aufzogen, waren denjenigen ausserordentlich ähnlich
oder gar gleich gestaltet, welche sich aus ungefurchten Eiern, denen
Plasma genommen, aber das volle Kernmaterial belassen ward, ent-
wickelten" (1. c. 223).
In derselben Richtung sind nach meiner Meinung die Ex-
perimente vonCrampton, die am Ei eines Gasteropoden vorgenommen
— 208 —
wurden, zu beurtheilen (H. E. Crampton, Experimental studies on
gasteropod development. Arch. f. Entw. Bd. III S. 1 und Edm.
Wilson, On cleavage and mosaik-work. Ebenda Bd. III S. 19).
10) (S. 178). Von verschiedenen Seiten ist öfters hervorgehoben
worden, dass Fälle von Ei- und Zelltheilung vorkommen, welche
sich den von mir aufgestellten Regeln nicht unterordnen lassen ; so
neuerdings wieder von Wilson (The mosaik theory of development.
Biological lectures at the marine biolog. labor. of Wood's holl. 1893.
Boston. S. 12) und von Jennings (The early development of As-
planchna. Bull, of Mus. of comp. Zool. at Harvard College. Vol. XXX.
1896). Das ist richtig und mir wohlbekannt. Als eine der auffälligsten
und häufigsten Ausnahmen brauche ich nur die Stellung der Richtungs-
spindel im thierischen Ei zu nennen. Deswegen scheinen mir aber
die von mir aufgestellten Regeln von ihrer Bedeutung nichts zu
verlieren, sondern scheinen mir die Ausnahmen nur darauf hinzu-
weisen, dass in einzelnen Fällen noch besondere, uns unbekannte
Ursachen die abweichende Stellung der Kernspindel in der Zelle
mit bestimmen. Man vergleiche auch die neueste Schrift von
Ziegler, welcher ganz meinen Standpunkt theilt. (Einige Beobach-
tungen zur Entwicklungsgesetz d. Echinodermen. Verband!, d. deutsch,
zoolog. Gesellsch. 1896.)
Ueber die Organisation der Eizelle und ihr Verhältniss zu dem
sich aus ihr entwickelnden Embryo haben eine ähnliche Auffassung,
wie ich, Hans Driesch und Edmund Wilson. Ich verweise
besonders auf die lesenswerthe Schrift von Driesch: Betrachtungen
über die Organisation des Eies und ihre Genese (Arch. f, Entw.-Mech.
Bd. IV), sowie auf das eben erschienene vortreffliche Lehrbuch von
Wilson, „The cell in development and inheritance". New- York 1896.
Literatur.
Zur B eachtung! In einzelnen Citaten, welche den angeführten
Schriften von Dreyer, Lotze, Roux, Schopenhauer etc. ent-
nommen sind, habe ich einzelne Worte und Sätze, auf welche ich
die Aufmerksamkeit des Lesers besonders hinlenken will, im Text
gesperrt drucken lassen, auch wenn dies in den ( )riuinalarbeiten
nicht geschehen ist.
1) Benedikt. Ueber die Bedeutung der Kraniometrie für die
theoretischen und praktischen Fächer der Biologie. Tageblatt der
— 209 —
60. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Wiesbaden.
1887. S. 197. — 2) Benda. Teratologie in Ergebnisse der allgemeinen
pathologischen Morphologie und Physiologie von Lubarsch und Oster-
tag. Wiesbaden 1895. — 3) Gr. Born. Neue Compressionsversuche
an Froscheiern. Jahresbericht der Schlesischen Gesellschaft für vater-
ländische Cultur. 1894. — 3a) Boveri. Ein geschlechtlich erzeugter
Organismus ohne mütterliche Eigenschaften. Sitz.-Ber. d. Ges. f.
Morph, und Phys. München V. — 4) L. Chabry. Embryologie
normale et teratologique des ascidies. Theses presentees ä la faculte
des sciences de Paris. Juli 1887. — 5) Yves Delaire. Une science
nouvelle: la Biomecanique (Revue generale des sciences pures et
appliquees. 6e annee. Paris (1895). Citirt nach L. v. Graff. Die
Zoologie seit Darwin. Graz 1896. — 6) Dreyer. Ziele und Wege
biologischer Forschung. 1892. — 7) Derselbe. Entwicklungs-
mechanische Studien I — IV. Zeitschrift f. wissenschaftl. Zool. Bd. LIII,
LV. — 7a) Derselbe. Von der Entwicklung einzelner Ascidien-
blastomeren. Arch. f. Entwicklungsmechanik der Organismen. Bd. I.
1895. — 8) H. Driesch. Betrachtungen über die Organisation des
Eies und ihre Genese. Arch. f. Entw.-Mech. Bd. IV. 1896. —
9) E. Dn Bois-Reymond. Reden. 1) Bd. I. 1886. 2) Bd. IL 1887.
1. Ueber die Lebenskraft, 1887. Nr. 1. 2) Akademische An-
sprachen. 1887. S. 561. — 10) Eucken. Geschichte und Kritik
der Grundbegriffe der Gegenwart. Leipzig 1878. S. 164. — 11) Feclmer.
Ueber die mathematische Behandlung organischer Gestalten und Pro-
cesse. — 12) Derselbe. Ueber das Causalgesetz. Berichte über die
Verhandl. d. königl. sächs. Gesellsch. d. Wissensch. zu Leipzig, math.-
phys. Cl. 1849. — 13) Knuo Fischer. System der Logik und Meta-
physik. 1865. S. 373. — 14) Rudolf Fick. Ueber die Reifung und
Befruchtung des Axolotl-Eies. Zeitschrift f. wissenschaftl. Zool.
Bd. LVI. — 15) Haeckel. Studien zur Gasü*aeatheorie. Jenaische
Zeitschrift für Naturw. Bd. VIII, IX. XI. — 16) Haeckel. Ziele
und Wege der heutigen Entwicklungsgeschichte. Jenaische Zeit-
schrift. Bd. X. — 17) Amadeo Herlitzka. Contributo allo studio
della capacita evolutiva dei due primi blastomeri nell' uovo di tritone.
Arch. f. Entw.-Mech. Bd. IL — 18) Oscar Hertwig, Beiträge zur
Kenntniss der Bildung, Befruchtung und Theilung des thierischen
Eies. Morph. Jahrb. Bd. I. 1875. — 19) Derselbe. Welchen Ein-
fhjss übt die Schwerkraft auf die Theilung der Zellen? Jena 1884. —
20) Derselbe. Das Problem der Befruchtung und der Isotropie des
Eies eine Theorie der Vererbung. Jena 1884. — 21) Derselbe. Ver-
lier twig, Zeit- und Streitfragen. II. 14
— 210 —
gleich der Ei- und Hamenbildung bei Nematoden. Arch. f. niikr.
Anat. Bd. XXXVI. 1890. - 22) Derselbe. Urmund und Spina
bifida. Ebenda XXXIX. 1892. — 23) Derselbe. Aeltere und neuere
Entwicklungstheorien. Ein Vortrag. Berlin 1892. — 24) Derselbe.
Lehrbuch. Die Zelle und die Gewebe. 1893. — 25) Derselbe.
Ueber den Werth der ersten Furchungszellen. Arch. f. mikrosk.
Anat. Bd. XLII. 1893. — 26) Derselbe. Zeit- und Streitfragen
der Biologie. Heft I. Präformation oder Epigenese? Grundzüge
einer Entwicklungstheorie der Organismen. Jena 1894. — 27) Der-
selbe. Die Tragweite der Zellentheorie. Die Aula. Wochenblatt
für die akademische Welt. Jahrgang I. Nr. 2 und 3. 1895. —
28) Kant's sämmtliche Werke. Herausgegeben von Hartenstein.
1867. Bd. IV, V. 29) Gustav Kirchhoff. Vorlesungen über
mathematische Physik und Mechanik. 1877. — 31) Justns von
Liebig. Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Physiologie
und Pathologie. 1842. S. 200. — 32) Jacques Loeb. Unter-
suchungen zur physiologischen Morphologie. Würzburg 1891, 1892. —
33) Hermann Lotze. Allgemeine Pathologie und Therapie als
mechanische Naturwissenschaften. Leipzig 1842 (1). — 34) Derselbe.
Leben, Lebenskraft. Wagner's Handwörterbuch der Physiologie
Bd. I. 1842 (2). — 35) Derselbe. Allgemeine Physiologie des
körperlichen Lebens. Leipzig 1851 (3). — 36) Ernst Mach. Die
Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig 1883. — 37) J. R. Meyer.
Die Mechanik der Wärme. 2. Aufl. 1874. — 38) Morgan. Half-
embryos and Whole-embryos from one of the first two Blastomeres
of the frog's egg. Anat. Anzeig. Bd. X. Derselbe. Experimental
studies on Teleost egg. Anat. Anz. Bd. VIII. Derselbe. Experi-
mental studies on echinoderm egg. Anat. Anz. Bd. IX. — 39) Erik
Müller. Ueber die Regeneration der Augenlinse und Exstirpation
derselben bei Triton. Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. 47. 1896. —
40) Jobannes Müller. Zur vergleichenden Physiologie des Gesichts-
sinnes. 1826. — 41) Nägeli. Mechanisch-physiologische Theorie der
Abstammungslehre. 1884. — 42) Pllüger. Ueber die Einwirkung
der Schwerkraft und anderer Bedingungen auf die Richtung der
Zelltheilung. Arch. f. die gesammte Physiologie. Bd. XXXIV. —
43) Ranion T. Cajal. Einige Hypothesen über den anatomischen
Mechanismus der Ideenbildung, der Association und der Aufmerksam-
keit, Arch. f. Anatomie und Physiologie. Anatom. Abth. 1895.
S. 367. — 44) Rauber. Formbildung und Formstörung in der Ent-
wicklung von Wirbclthieren. Morph. Jahrb. Bd. VI. 1880. — 45) Der-
— 211 —
selbe. Neue Grundlegungen zur Kenntniss der Zelle. Morph. Jahrb.
Bd. VIII. 1883. — 46) Wilhelm Ronx. Gesammelte Abhandlungen
über die Entwicklungsmechanik der Organismen. Zweiter Band.
1895. — 47) Derselbe. Aufgabe der Entwicklungsmechanik. Arch.
f. Entwicklungsmechanik d. Organismen. Bd. I. 1895. - 48) Der-
selbe. Ueber den „Cytotropisinus" der Furchungszellen des Gras-
frosches Rana fusca. Ebendaselbst Bd. I. — 49) Derselbe. Ueber
die Selbstordnung (Cytotaxis) sich berührender Furchungszellen des
Froscheies durch Zellenzusammenfügung, Zellentrennung und Zellen-
gleiten. Ebendaselbst B. III. — 50) Derselbe. Ueber den Antheil
von „Auslösungen" an der individuellen Entwicklung. Ebenda
Bd. IV. — 51) Matthias Schieiden. Grundzüge der wissenschaftl.
Botanik. 1845. Bd. I. S. 53 und 58. — 52) Schopenhauer. Die
Welt als Wille und Vorstellung. Sämmtliche Werke. Bd. 1, 2, 3.
Leipzig 1881. Herausgeg. von Frauenstädt. — 53) Oscar Schnitze.
Die künstliche Erzeugung von Doppelbildungen bei Froscheiern mit
Hilfe abnormer Gravitationswirkung. Arch. f. Entw. -Mech. Bd. I.
1895. — 54) Schwalbe. Jahresbericht über die Fortschritte der
Anatomie und Physiologie. Bd. 16 und 17. Literatur 1887 und 1888.
Dritte Abtheilung. Entwicklungsmechanik. Referent W. Roux.
S. 685 — 797. — 55) Th. Schwann. Mikroskopische Untersuchungen
über die Uebereinstimmung in der Structur und dem Wachsthutn der
Thiere und Pflanzen. 1839. — 56) Schwendend*. Das mechanische
Princip im Bau der Monokotylen. 1874. — 57) Weismann. Das
Keimplasma. Jena 1892. S. 192. — 58) Georg Wetzel. Ueber die
Bedeutung der circulären Furche in der Entwicklung der Schultze-
schen Doppelbildungen von Rana fusca. Arch. f. mikrosk. Anat.
Bd. 46. 1895. — 59) Whitman. The inadequacy of the cell theory
of development. Wood's Holl Biol. lectures. 1893. ■ ■ 60) Wilson.
Amphioxus and the mosaik theory. Journal of Morph. 1893. —
61) Caspar Friedr. Wolff. Theoria generationis 1759, auch deutsch
herausgegeben 1764. — 62) Gustav Wolff. Entwicklungsphysiologiche
Studien. I. Die Regeneration der Urodelenlinse. Arch. f. Ent-
wicklungsmechanik. Bd. I. 1895. — 63) Raffaello Zoja. Sullo
sviluppo dei blastomeri isolati delle uova di alcune meduse e di
altri organismi. Arch. f. Entw. -Mech. Bd. II. — 64) Ziegler.
Einige Beobachtungen zur Entwicklungsgeschichte der Echinodermen.
Verhandl. d. deutsch, zoolog. Gesellschaft. 1896.
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tt 1 • Dr. Richard, Professor der Zoologie und Direktor des zoologischen Museums
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Inhalt: 1. Ueber ein dem Saccus vasculosus entsprechendes Gebilde am Gehirn des
Menschen und anderer Säugetiere. Tafel I. 2. Zur Kenntnis des Gehirnganglions und des
sensibien Nervensystems der Polychäten. Tafel II u. III. 3. Das sensible Nervensystem der
Crustaceen. Tafel IV— VI. 4. Ueber die Hypophysis von Myxine. Tafel VII, Fig. 1 u. 2.
5. Ueber den Bau des sog.. Parietalauges von Ammocoetes. Tafel VII, Fig. 3 — 5. 6. Ueber
das hintere Ende des Rückenmarkes bei Amphi.oxus , Myxine xmd Petromyzon. Tafel VII u.
IX. 7. Ueber den Bau des Rückenmarkes der Selachier. Tafel X— XII. 8. Ueber einige
normal durch Ankylose verschwindende Kapselgelenke zwischen den Bogen der Sacralwirbel.
Tafel XIII 9. Ue'ber Molluscum contagiosum. Tafel XIV. 10. Ueber die Vererbung er-
worbener Eigenschaften. Tafel XV..
Um den Käufern dieses und, des VT. Bandes die Anschaffung der
vorhergehenden Bände zu erleichtern, ist der Preis derselben auf
120 Mark ermässigt worden.
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von 96 Tatein in Lichtdruck und Lithographie. Preis: 100 Mark.
Unbehaiin, i»r. Phn. Johannes, Versuch einer philosophischen Selek-
tionstheorie. 1896. Preis: 3 Mark.
ttt • Dr. August, Professor der Zoologie an der Universität Freiburg i. Br.,
W GISmann, Aufsätze über Vererbung und verwandte biologische Fragen.
Mit 19 Abbildungen im Text. 1892. Preis: 12 Mark.
Inhalt: Ueber die Dauer des Lebens (1882). — Ueber die Vererbung (1883). — Ueber
Leben und Tod (1884). — Die Kontinuität des Keimplasmas als Grundlage einer Theorie der
Vererbung (1885). — Dio Bedeutung der sexuellen Fortpflanzung für die Selexionstheorie (1S86).
— Ueber die Zahl der Richtungskörper und über ihre Bedeutung für die Vererbung (1
— Vermeintliche botanische Beweise für eine Vererbung erworbener Eigenschaften (1888).
— Ueber dio Hypothese einer Vererbung von Verletzungen (1889). — Ueber den Rückschritt
in der Natur (1889). — Gedanken über Musik bei Thieren und beim Menschen (1889). — Be-
merkungen zu einigen Tagesproblemeu (1890). — Amphimixis oder die Vermischung der In-
dividuen (1891).
DaS KeimplaSma, eine Theorie der Vererbung. Mit 24 Abbildungen im Text. 1892.
Preis: 11 Mark.
Inhalt: Einleitung: A. Historischer Theil. B. Sachlicher Theil. Erstes Bu«h:
Materielle Grundlage der Vererbungserscheinungen. Kapitell. Das Keimplasma. — Zweites
Buch: Die Vererbung bei eiuelterlicher Fortpflanzung. Kapitel II. Die Regeneration.
— Kapitel III. Vermehrung durch Theilung. — Kapitel IV. Vermehrung durch Knospung.
— Kapitel V. Die idioplasmatische Grundlage des Generationswechsels. — Kapitel VI. Die
Bildung der Keimzellen. — Kapitel VII. Zusammenfassung des zweiten Buches. — Drittes
Buch: Die Vererbungserscheinungen bei geschlechtlicher Fortpflanzung. Einleitung. Wesen
der sexuellen Fortpflanzung. — Kapitel VIII. Veränderung des Keimplasmas durch Amphi-
mixis.— Kapitel IX. Die Ontogenese unter der Leitung des amphimixotischen Keimplasmas.
— Kapitel X. Die Erscheinung des Bückschlages, abgeleitet aus dem amphimixotischen
Keimplasma. — Kapitel XI. Dimorphismus und Polymorphismus. — Kapitel XII. Zweifel-
hafte Vererbuneserscheinungen. — Viertes Buch: Die Abänderung der Arten in ihrer idio-
plasmatischen Wurzel. Kapitel XIII. Die vermeintliche Vererbung erworbener Eigen-
schalten. Kapitel XIV. Variation.
Aeussere Einflüsse als Entwicklungsreize. 1894. Preis: aMark.
Neue Gedanken zur Vererbungsfrage. Eine Antwort an Herbert Spencer.
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— — lieber Germinal-SeleCtiOn. Eine Quelle bestimmt gerichteter Variationen. 1896.
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Pierer'sche Hofbuchdruckerei Stephan Geibel A. Co. in Altenburg.