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Full text of "Zeitschrift für Tuberkulose 25.1916"

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ZEITSCHRIFT 


TUBERKULOSE 


UNTER MITWIRKUNG DER HERREN 


ProF. BABES (BUKAREST), Pror. BANG (KOPENHAGEN), GEH. MED.-RAT Dr. BEHLA 
(CHARLOTTENBURG), KAISERL. LEIBARZT DR. LEO BERTHENSON (ST. PETERSBURG), GEH, 
Rec.-RAaT BIELEFELDT, DIREKTOR (LÜBECK), WIRKL. GEH. OBER-REG.-RAT Dr. BUMM, 
PRÄSIDENT DES KAISERL. GESUNDHEITSAMTES (BERLIN), PROF. COZZOLINO (NEAPEL), PROF. 
A. CHAUVEAU (Paris), GEH. MED.-RAT Pror, FLÜGGE (BERLIN), Dr. GRAU (Raeın- 
LAND-HONNEF), GEH. MED.-RAaT Pror. HEUBNER (DRESDEN -LOSCHWITz), ProF. DR. S. A. 
KNOPF (NEUYORK), ProF. KÖHLER (HOLSTERHAUSEN-WERDEN), PROF. FRHR. VON KORANYI 
(BUDAPEST), PROF. LANDOUZY (Parıs), PROF. DR. MEISSEN (EssEn-RunR), ERSTER Hor- 
MARSCHALL V. PRINTZSSKÖLD (STOCKHOLM), GEH. REG.-RAT E, PÜTTER (CHARITÉ, BERLIN), 
Pror. PYE-SMITHB (SHEFFIELD), Dr. RANSOME (BOURNEMOUTH), DR. RUMPF (ALTONA), 
ProF. A. SATA (OSAKA, JAPAN), DR. SCHELLENBERG (RUPPERTSHAIN I. T.), GENERALSTABS- 
ARZT DER ARMEE PROF. voN SCHJERNING, EXZELLENZ (BERLIN), DR. SCHRÖDER (ScHön- 
BERG), DR. SERVAES (RÖMHILD 1, TH.) PRIMÄRARZT DR. V. SOKOLOWSKI (WARSCHAU), 
GEH. HorraT TURBAN (MAIENFELD), GEH. MED.-RAT Pror. M. WOLFF (BERLIN), Sır HER- 
| MANN WEBER (LoNnDon) 


HERAUSGEGEBEN VON 


G. GAFFKY, M. KIRCHNER, F. KRAUS, W.v. LEUBE, 
J. ORTH, F. PENZOLDT 


REDAKTION: 


GEH. San.-Rat Pror. Dr. A. KUTTNER, BERLIN W. 62, LüTzowpLazz 6. 
Pror. Dr. LYDIA RABINOWITSCH, BERLIN-LICHTERFELDE, 
POTSDAMERSTRASSE 58A. 


25. BAND 


LEIPZIG 1916 


VERLAG VON JOHANN AMBROSIUS BARTH 
DÖRRIENSTRASSE 16. 


Namen der Mitarbeiter für Band 25. 


Dr. Gustav Baer, Davos. — Dr. S. Bergel, Berlin-Wilmersdorff. — Dr. Blümel, Halle. — 
Prof. Bongert, Berlin. — Oberstabsarzt Dr. A. Brecke, Überruh. — Dr. W. Ceelen, Berlin. — 
Dr. Elise Dethlo ff, Bergen. — Geheimrat Dr. jur. und Dr. med.h.c. Dietz, Gießen. — Dr. Walter 
Enderle, Berlin-Schöneberg. — Dr. G. Frischbier, Beelitz, — Oberarzt Dr. F. Glaser, Berlin- 
Schöneberg. — Generalarzt Goldscheider, Berlin. — Dr. Hans Grau, Honnef a./Rh. — Dr. Paul 
Hänel, Bad Nauheim. — Dr. Carl Hart, Berlin-Friedenau — Dr. Eg. Hartmann, Wald- 
breitbach. — Dr. N. Heitmann, Kristiania. — Dr. R. Hirschfeld, Berlin-Lichterfelde. — 
Dr. W. Holdheim, Berlin. — Dr. M. Holmboe, Kristiania, — Dr. B.S. Horowicz, Neuyork. 
— Prof. A, Jesionek, Gießen. — Prof. Dr. L. Kathariner, Freiburg (Schweiz. — Dr. W. 
Kempner, Berlin-Lichterfelde. — Oberstabsarzt Dr. Klare, Waldhof-Elgershausen, — Prof. Dr. 
S. Adolphus Knopf, Neuyork, — Stabsarzt Dr. E. Kuhn, Schlachtensee-Berlin. — Geh. San.- 
Rat Prof. Dr. A. Kuttner, Berlin. — Geh. San.-Rat Dr. Landsberger, Charlottenburg. — Dr. 
Fritz Leichtweiss, Davos. — Dr. Robert Lewin, Berlin. — San.-Rat Dr. Georg Liebe, 
Waldhof-Elgershausen. — San.-Rat Dr. J. Lilienthal, Berlin. — San.-Rat Dr. O. Mankiewicz, 
Berlin. — Prof. Dr. E. Meißen, Essen a. Ruhr. — Prof. Dr, B. Moellers, z. Z. im Felde, — 
Prof. Dr. Morgenroth, Berlin. — Oberarzt Dr. C. Moewes, Berlin-Lichterfelde. — Prof. Dr. 
Hans Much, Hamburg. — Dr. Hans Müller, Jülich. — Dr. Wilhelm Neumann, Nervi. 
— Geheimrat Prof. J. Orth, Berlin. — Dr. Peyser, Harburg. — Prof. Dr. Lydia Rabinowitsch, 
Berlin. — Regierungsrat Dr. E. Roesle, Berlin-Nikolassee. — Dr. H. Schaefer, M.-Gladbach- 


Hehn. — Assistenzarzt K. Schäffer, Vejlefjord Sanatorium Dänemark. — Dr. Schellenberg, 
Heilstätte Ruppertshain. — Prof. Dr. Max Schottelius, Freiburg i. Br. — Dr. G. Schröder, 
Schömberg. — Chefarzt Dr. Carl Servaes, Römhild i. Thür. — Dr.Soper, Saranac Lake. — 


Stabsarzt Dr. Hermann Silbergleit, Ingolstadt. — Dr. Simon, Aprath., — Dr. W. V. Simon, 

Frankfurt a./M. — Dr. Erich Stern, Straßburg. — Dr. N. J. Strandgaard, Roskilde-Kopenhagen. 

— Dr. Jar. Stuchlik, Rot-Kostelec, Böhmen. — Dr. Thedering, Oldenburg. — Dr. Jos. Till- 
gren, Stockholm. — Dr. B. Valentin, Berlin. — Dr. B. H, Vos, Hellendoorn. 


Die Zeitschrift erscheint in zwanglosen Heften. 6 Hefte bilden einen Band, 
der 20 Mark kostet. 

Originalarbeiten in größerer Schrift werden mit 30 Mark, Referate in kleinerer 
Schrift mit 40 Mark pro Bagen Troñorieiț; ‚Beiträge: fir: dat Beiblatt werden nur in 
besonderen Fällen honoriert: -Die Werfassef von Originälarbeiten erhalten 40 Sonder- 
abdrücke kostenlos geliefert, FR Sees 

Einsendungen von: "Öriginaläfbeiten Srbeten.än Geh, Saniki Prof. Dr.A.Kuttner, 
Berlin W. 62, Lützowplatz 6. Sämtliche für die Berichterstättung und das Beiblatt 
bestimmten Zusendungen, wie Referate, Kongreß- und Gesellschaftsberichte, Personalien 
und sonstige Mitteilungen, sowie Sonderabdrücke, Monographien und Bücher werden 
unter der Adresse von Frau Lydia Rabinowitsch, Berlin-Lichterfelde, Potsdamer- 
straße 58a erbeten. 


I) 


BD. 25, HEFT 6. INHALTSVERZEICHNIS, In 


VI. 


XV. 


XVI 


Inhaltsverzeichnis des 
25. Bandes. 


Originalarbeiten. 


Natürliche und künstliche Heliotherapie des Lupus. Von Prof. A. Jesionek, 


Direktor der Gr. Universitätshautklinik und der Lupusheilstätte in Gießen . . 
Zur Behandlung der Hämoptoe. Von Dr. Wilhelm Neumann (Nervi bei Genua, 
2,2, Baden-Baden). s op o a = m wenn Bee er 
Trauma und Lungentuberkulose, Vier De erstattet von Geheimrat 
Prof, J Orth . ». w 2: 2 2 a2 2 2 0 0.4 er 
Sitzung der Berliner medizinischen Gesellschaft vom 20. Oktober a General 
arzt Goldscheider: Aufgaben und Probleme der inneren Medizin im Kriege . 
Die sanitätspolizeiliche Beurteilung der Därme bei Tuberkulose der zugehörigen 
Gekrösiymphdrüsen und die hierauf bezügliche sächsische Ministerialverordnung 
vom 17. Mai 1915. Von J. Bongert, Professor an der Be Tierärztlichen Hoch- 
schule in Berlin. . . 2 2 2 20. Bere a 
Nachuntersuchungsergebnisse von Kindern der Jahrgänge ders und ıgıı nebst 
Bemerkungen über die Frage der Heilstättenbehandlung tuberkulöser Kinder. (Aus 
der Kinderheilstätte Aprath bei Elberfeld.) Von Dr. Simon, leitendem Arzte 
Zum Wesen und zur Behandlung der üblen Zufälle bei der Pneumothoraxtherapie 
von Dr. Wilhelm Neumann (Nervi bei Genua, z. Z. Baden-Baden) 
Vergleichende Sputumuntersuchungen vermittels der Ziehl-Neelsenschen und der 
Kronbergerschen Tuberkelbazillenfärbung. Aus der Deutschen Heilstätte zu Davos 
(Chefarzt Medizinalrat Dr. Kölle) Von Dr. Fritz Leichtweiss, Assistenzarzt 
Tuberkulose- und Heilmittelschwinde. Von Oberarzt Dr. Klare, Heilanstaltt 
Waldhof-Elgershausen . . . . 


Edward Livingston Trudeau f . . . . 
Edward Livingston Trudeau in Memoriam, Von Prof, Dr. S. Aush Eis pf, 
New Yok a 24.000 0 ir e a a e a a a e a a a O a e N A 
Grundsätzliche Entscheidung. . . . ©. E” ; i 


Mobilisation der Lungen als Grundlage der Tubekole T E A Von Stabs- 


. . e e Ld . . ® . e . . e 


arzt Dr. E. Kuhn, Schlachtensee-Berlin. (Mit 7 Figuren) . . . Eai 
Die Sanatorienfrage. Eine Übersicht von Dr. M. Holmboe, Direktor des zivilen 
Medizinalwesens Norwegens, Kristiania . . . .. 


. Geheimrat J. Orths Vortrag „Zur Frage nach den Beziehungen des Alkoholismus 


zur Tuberkulose“, zweite Mitteilung, in der Sitzung der Kgl. Preuß. Akademie 
der Wissenschaften vom 6. Januar 1916. Besprochen von C. Hart „. .... 


. Geschlecht und Tuberkulosesterblichkeit. Von J. Orth. (Hierzu zwei Figuren) . 


Zweck und Einrichtung von Tuberkulose-Sprechstunden in Reservelazaretten; Er- 
fahrungen über Lungentuberkulose nach Kriegsdienst. (Aus den Reservelazaretten 
Ingolstadt, Reservelazarettdirektor Oberstabsarzt Dr. Koch.) Von Stabsarzt d. R. 
Dr. Hermann Silbergleit, ordinierender Arzt der Inneren Abteilung . . . . 
Planmäßige Bekämpfung der Tuberkulose in einer stark verseuchten Landgemeinde. 
Von Geheimrat Dr. jur. und Dr. med. h.c. Dietz, Vorsitzender des Vorstandes 
der Landesversicherungsanstalt Großh. Hessen und des Heilstättenvereins für das 
Großh. Hessen . . 2. 2 0 Er ne 

Vergleichende Tuberkulinuntersuchungen an Kindern aus tuberkulösen und nicht- 
tuberkulösen Familien. Von Dr. Elise Dethloff, Bergen, Vizesekretär des Nor- 
wegischen Nationalvereins gegen Tuberkulose. (Hierzu drei Figuren). . . .. 


Seite 


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192 
241 


255 


264 


269 


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= XXII. 


XXIII. 


XXIV. 


INHALTSVERZEICHNIS. a E. 
EEE a a a a Eu Ze za ee SZ Ze cr 


Chlor-m-Kresole (Sagrotan) und Sputumdesinfektion. (Aus dem hygienischen Institut 
der Universität Freiburg i. B.) Von Professor Dr. Max Schottelius. . . . 


. Trauma und Tuberkulose. Vier Obergutachten erstattet von Geheimrat Prof. J. Orth 
. Zur Frage der Sputumdesinfektion. Gutachten erstattet von Lydia Rabinowitsch 
. Sitzung der Berliner medizinischen Gesellschaft vom 24. Nov. 1914. Besprochen ` 


von C. Hart ° . . . ° . o . ° . . e . n) . 


Die Bedeutung der psychischen Momente für den Verlauf der Tünsencaberkulore: 


(Mitteilung aus dem Boserup-Sanatorium, Roskilde-Kopenhagen, Dänemark.) Von 
Dr. med. N. J. Strandgaard, Chefarzt . . . ... 0. ; 
Über Besserungsfähigkeit der durch einen Gehirntuberkel Kervoiteri inin Tahmünge- 
erscheinungen. (Aus der II. inneren Abteilung des PMEUSIE VILISHE-Istannenhäuses 
zu Berlin-Schöneberg) Von Dr. F. Glaser, Oberarzt der Abteilung . i . 
Heliotherapie im Tieflande, Kasuistische Beiträge von Dr, Thedering in Olden- 
burg. Mit zwei Figuren . . 2 2 2 2 2 2 2 2 0.0. wi b4 
Genügt die heutige Fürsorge für unsere unbemittelten E E den an sie 
gestellten Anforderungen? Von Dr. Eg. Hartmann, stellv. ärztl, Leiter der 
Lungenheilstätte Waldbreitbach . er a a a o a A A 

Paul Römer f. Von Hans Much. . e 2 2 2 2 2 2 2 ‘e e 


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321 
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354 


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409 


414 


420 
426 


BD. 25, HEFT 6. 
1916. 


NAMENREGISTER. 


Namenregister. 


Originalarbeiten sind durch fettgedruckte Seitenzahlen bezeichnet. 


Alexander, Bela 153. 

Allbutt, Thomas Clifford, 
Hope, E. W., Williamson, 
A. Maxwell, Thresh, J. C., 
Thomson, H. Hyslop, 
Woodcock, Herb. de Carle, 
Walker, Jane, Perkins, J. 
J» Byers, John W., Astor, 
Waldorf 365. 

Amrein, O. 293. 447. 

Armstrong, Alexander 302. 

Ash, J. E. 56. 

Ashford, F. A. 432. 

Astor, Waldorf, Allbutt, Tho- 
mas Clifford, Hope, E. W., 

= Williamson, A. Maxwell, 
Thresh, J. C., Thomson, 
H. Hyslop, Woodcock, Her- 
bertde Carle, Walker, Jane, 
Perkins, J- J., Byers, Jobn 
W. 365. 


Bach, Hugo 76. 

Backer, Max 455. 

Baer, Gustav und Engels- 
mann, Robert 131. 

Baldwin, Edwin R. 46. 

Bartlett, F. H. 222. 

Bartlett, P. Ch. and Hawes, 
J. B. 135. 

Barwell, H. 221. 

Bassler, Anthony 145. 

Bauer, Adolf 300. 

Bayer, Hugo 456. 

Becker 205. 

Benazet, B., Castaigne, J., 
Lavenant, E. 313. 

Bergmann, Arvid M. 221. 

Bergmann, E, 204. 

Besche, A. de 207. 

Bissel, Frank S. 294. 

Blöte, H. W. 370. 

Bock, E. 307. 

Böhm, Max 447. 

Bongert, J. 81. 146. . 

Bosch, S. E., S. 134. 

Bosellini, B. L. 141. 

Bray, H. A. 135. 

Brewer, Isaac W. 204. 

Brösamlen, O. u. Zeeb, K. 378. 

Brown, Lawrason 57. 58. 
445. 453. 

Bryant, W. S. 206, 

Bufford, J. H. and Lane C, G. 
141. 

Bullock, E. S. 62. 

Bullock, E. S. u. Twichell, 


Burri, R. u. Geislinger, Hans 
386. 
Byers, J. W., Allbutt, Thomas 


Clifford, 
Williamson, A. Maxwell, 
Thresh, J. C., Thomson, 
H. Hyslop, Woodcock, 


Herbert de Carle, Walker, . 


Jane, Perkins, J. J., Astor, 
Waldorf 365. 


Campbell, Jessie M. 295. 

Carver, A. E. 47. 

Castaigne, J., Lavenant, A., 
Benazet, E, 313. 

Cattermole, G. H. 294. 

Cerqueira, D. 442. 

Chadwick, H. D. 150. 

Chaussé, P. 50. 

Chesley and Wade 443. 

Civalleri, Italo 134. 

Clark, H. C. 433. 

Clausen u. Nieberle 74. 

Cochrane, A. W. R. and 
Sprawson, C. A. 314. 

Cohen, S. Solis 6o. 

Coit, Henry L, 222. 

Coleman, J. 219. 

Collis, E. L. 315. 

Conradi, Erich 438. 

Cooke, A. D. S. and Gabriel, 
V. 301. 

Coerper, C. 444. 

Cox, W.J. 59. 

Craig, Frank A. 278. 

Crane, B. T. 135. 

Cullen, I. P. 287. 

Culver, G. D. 65. 

Cummer, C. L. 449. 

Curschmann 309, 


Damäsk, M. u. Schweinburg, 
F. 442. 

Danielsson, Emmerik 297. 

Dart, G. H. 58. 

Davidson, Arthur J. 218. 

Davies, A. T. 301. 

Dekker, C. 230. 

Denys, Ch. 138. 280. 

Dessauer, Fr. u. Wiesner, B. 
151. 

Dethloff, Elise 130. 269. 

Deycke, Georg 48. 

Dieterich, W. 217. 

Dietz 264. 

Dixon, G. B. 58, 

Dold, Herrmann 205. 

Dunham, Kennon 291. 

Dunn, Charles Hunter 442. 

Dvořák, J. 372. 


Eastman, Josef Rilus 452. 
Eckhardt, E. A. and Mont- 

gomery, C. M. 136. 
Ekehorn, G. 451. 


Hope, E. W., 


Ellis, Henry A. 371. 

Ely, Leonard W. 68. 

Engel, Hermann 42. 

Engelsmann, Robert u. Baer, 
Gustav 131. 

Entin, Michael 435. 

Ernst, N. P. u. Reyn, A. 140. 

Ewart, W. 300. 

Ewart, Wiliam, Holt, R. 
Croshaw and Muthu, C. 
208. 


Fabyan M. and Smith, Theo- 
bald 148. 

Falconer. E. H. and Rhea 
L. J. 208. 

Farani, A. 432. 

Fauth, Hanns 375. 

Feistmantel, C u. Kentzler, 
J. 43. 

Figenschau, K. I. 131. 

Finck, Julius 450. 

Fischel, Karl 364. 

Fishberg, Maurice 295. 

Fiske, E. W. and Sever, J. 
W. 69. l 

Fitzpatrick, C. B. 386. 

Fletcher, E. A. 308. 

Florschütz 281. 

Floyd, C. 279. 

Ford, James S. 296. 

Forster, A. M., Gilbert, G. B., 
Webb, G. B. 289. 

Fraenkel, A. 304. 

Fraser, I.S. and Turner, A, 
Logan 221. 

Fraser, J. 285. 

Frazer, Thomas 210. 455. 

Freund, Hermann 368. 

Friedenwald, E. B. and Green- 
feld, W. 307. 

Frölich, Theodor 127. 

Frumerie, Karl 448. 

Funk, Elmer H, 302. 


Gabriel, V. and Cooke, A 
D.S. 301. 

Gage, H. 219. 

Gall, H. L. and Thomson, E. 
293. 

Geislinger, Hans u, Burri, R. 
386. 

Gerhardt, D. 215. 

Gerbartz, "Heinrich 298, 387. 
433. 

Getchell, A. C. 305. 

Geyser, Albert C. 298, 

Ghon, A, 390. 

Gilbert, G. Burton and Webb, 
Gerald B. 437. 

Gilbert, G. B., Webb, G. B., 
Forster, A. M. 289. 


VI 


Glaser, F. 409. 

Glover, E. G. 210. 377. 
Goldscheider 36. 

Gottstein, A. 281. 

Götzl, Alfred 363. 364. 
Gray, E, A. and Pickmann, O, 


444. 
Greenfeld, W. and Frieden- 
wald, E. B. 307. 
Griffith, A. Stanley 132. 
Griswold, D. M. 442. 
Grotjahn, A. 152. 
Guthrie, L. 308. 
Gutstein, M. 448. 
Gwerder, J. 215. 


Hackenbruch 67. 

Hallé, Noël 313. 

Hamman, Louis 453. 

v. Hansemann, D. 436. 

Harbitz, Francis 124. 

Harries, E. H. R. and Wil- 
liams, R. Stenhouse 285. 

Hart, C. 192. 354. 

Hartmann, Eg. 420. 

Hartshorn, W. M. 378. 

Hasselbalch, K. A. u. Lind- 
hard I. 131. 

Hassin, G. B. 216. 

Hawes, J. B. 127. 135. 150. 
315. 

Hawes, J. B. and Bartlett, 
P. Ch. 135. 

Hawthorne, C. O. 307. 

Hayashi, J. 286. 

Heitmann, Nils 126. 

Henderson, A. H. 138. 

Henderson, M. S. 68. 

Henschel, F. 146. 

Herxheimer, G. und Roth, W. 
286. 

v. Hess, C. 69. 

Hinsdale, Guy 69. 

Hoffmann, Erich 217. 

Holemann, Charles J. 434. 

Holmboe, M. 180. 

Holst, Peter F. 144. 

Holt, R.Croshaw, Muthu, C. 
and Ewart, William 208, 

Hope, E. W., Allbutt, Tho- 
mas Clifford, Thresh, J. C., 
Thomson,H.Hyslop, Wood- 
cock, Herbert de Carle, 
Walker, Jane, Perkins, J. 
J., Byers, John W., Astor, 
Waldorf 365. 

Horák, Ottokar 363. 


Illel, Bocher 432. 
Ipsen, Johs. 139. 


Jackson, J. Allen 445. 
Jacot, Marc 62. 
Jadassohn, J. 382. 
Jaffe, R. 287. 
Janssen, Th. 65. 143. 
Jeanneret, Lucien 143. 


NAMENREGISTER. 


Jesionek, A. 1. 

Jessen F., 63. 

Jex-Blake, A. J. 229. 

Johnston, M. R. u. Veeder, 
B. S. 45. 

Jones, L. A. 206. 

Jousset, A. 287, 288. 


Kafka, Victor 296. 

Kahn, Morris H. 282, 

Kaiser, Albert and Roby, 
Joseph 216, 

Kaufmann, A, Spencer 221, 

Kaurin, Edv. 126. 

Keller, A. and Moravek, A. J. 
384. 

Keller, Henry 372. 

Kelley, Eugene R. 372. 

Kentzler, J. u. Feistmantel, 
C. 43. 

Kersten, H. E. 205. 

Kessel, L. 292. 

Kessel, Leo and Sittenfield, 
M. J. 132. 

Kilbane, Edward F. 308. 

Kisch, Eugen 143. 

Klapsch, Alexander 435. 

Klare 112. 432. 

Knopf, S. Adolphus 118. 211. 

.. 280. 

Koch, Herbert 61. 444. 448. 

Köhler, F. 360. 

Kohn, Albert 388, 

Kolb, Karl 368. 

Kolipinski, Louis 57. 

Kraemer, C. 384. 

Krauss, Robert B. 439. 

Krauss, Robert B. and Lewis, 
Paul A. 439. 

Kreinermann, Sch. 284. 

Kronberger, Hans 51. 55. 

Kronenfels, Guido 213. 

Kuhn, E. 161. 


. Kuthy, D. O. 138. 


Kutter, Peter 135. 


La Garde, L. A. 453. ` 

Laird, Arthur T. 445. 

Lane, €. G. and Bufford, J. 
H. 141. 

Lanz, W. 289. 


Lapham, Mary E. 47. 63. 


282, 290. 455. 
Lavenant, A., Benazet, E. 
Castaigne, J. 313. 
Laverrière, Maurice 453. 
Lees, D. B. 294. 
Leichtweiss, Fritz 108. 
Lent, M. F. 64. 
Lewis, Paul A. and Krauss, 
Robert 439. 
Lewis, Paul A. and Margot, 
Arthur Georges 434. 
Leymann 283. 
v. Linden 64. 304. 
Lindhard, I. u. Hasselbalch, 
K. A. 131. 


ZEITSCHR, f. 
TUBERKULOSE 


Lindig, Paul 385. 441. 
Lindner u. Titze, C. 73. 
Link, R. 211. 

Litzner 210. 

Lochert, E, u. Stephani, P. 206. 
Lockhart-Mummery, P. 373. 
Lockwood, C. B. 57. 
Lohoff, Karl 146. 

Loewy, A. 375. 

Loyd, John J. 454. 
Lubarsch, O. 288. 

Luciani u. Szily, A. v. 440. 
Luckett, W. H. 210. 
Lundh, Karl 372. 

Lupi, Angiolo 208, 

Lyall, H. W. 56. 

Lyman, Darid R. 279. 453. 
Lyons, Oliver 453. 


Madden, Frank Cole 211. 

Maff, A. 451. 

Maggiore, S. 294. 

Malm, O. 146. 

Manges, M. 381. 

Manzini, Guis. 58. 

Margot, Arthur Georges and 
Lewis, Paul A. 434. 

Martin, C. 376. 

Marxer, A. 311. 

Massini, R. 304. 

Masten, H. Boyd 380. 

Matthews, W. J. 372. 

Mayer, Arthur 42. 57. 360. 

Mc Dougall, J. B. 216. 

Mc Sweeny, E. S. 127. 

Meyer (Leysin) 125. 299. 

Meyer, Ernst 301. 

Meyer, Leo B. 307. 

Micheli, E. 452. 

Milestone, W. B. 371. 

Minder, Leo 437. 

Minor, Charles L, 453. 

Mircoli, S. 436. 

Mitchell, O. W. H. u. Sim- 
mons, R., R. 56. 

Molineus 367. 

Möllgaard, Holger 228. 

Montgomery, C. M. and Eck- 
hardt, E. A. 136. 

Moravek, A. J. and Keller A. 
384. 

Moritz 379. 

Morse, Lucius B. 447. 

Moss, W. L. 149. 

Mosse, M. 361. 

Moewes, C. 291. 

Much, Hans 426. 

Much, Hans u. Müller, Wil- 
helm 212. 

Müller, Friedrich von 153. 

Müller, Kunibert 146. 

Müller, Wilhelm 213. 218. 

Müller, Wilhelm u. Much, 
Hans 212. 

Muthu, C., Ewart, William 
and Holt, R. Croshaw 208, 


BD, 25, HEFT 6. 
1916. 


Neuhaus 47. 

Neumann, Wilhelm 12. 100. 
Nicola, B. 383. 

Nicolaysen, Lyder 133. 
Nieberle u. Claussen 74. 
Nobel, Edmund 297. 
"Nobl, G. 383. 

Norris, Charles C. 369. 


Olivier 370. 

Oeri, Felix 149. 215. 

Orth, J. 21. 241. 328. 

Ostenfeld 284. 

Otabe, Shozaburo 133. 

Otis, Edward O. 282. 

Overend, W. and Walsham, 
H. 290. 

Øverland, Birger 130. 


Palmer, G. T. 123. 295. 

Park, William H. 204. 222, 

Pelouze, P. Starr 452. 

Perkins, J. J., Allbutt, Tho- 
mas Clifford, Hope, E. W., 
Williamson, A. Maxwell, 
Thresh, J. C., Thomson, 
H. Hyslop, Woodcock,Her- 
hertde Carle, Walker, Jane, 
Byers, John W., Astor, 
Waldorf 365. 

Permin, G. E. 284. 449. 

Peters, L. S. 61. 

Peters, Le Roy S. 302. 

Petersen, Ivar 310. 

Petit, G. 74. 

Petruschky 60. 

Pettersson, Alfred 286. 

Pickmann, O. and Gray, E. A. 
444. 

Pottenger, F. M. 62. 208. 

Prusik, B. 57. 

Prym, Paul 437. 


Rabinowitsch, Lydia 349. 

Ramsey, W. R. 383. 

Rea, Charles 302. 

Réthi, Aurelius 305, 

Reyn, A. u. Ernst, N. P. 140. 

Rhea, L. J. and Falconer, 
E. H. 208. 

Richards, G. L., 150. 

Riedel 368. 438. 

Rieder, H. 214. 

Riha, Wm. W. 296. 

Risley, E. H. 145. 

Riviere, Cl. 209. 

Robinson, B. 297. 

Roby, J. 292. 

Roby, Joseph and Kaiser, 
Albert 216. 

Rohrer, Fritz 374. 

Rollier, August 312. 

Rost, G. A, 216. 

Roth, W. und Heryheimer, 
G. 286, 

Rothkeppel, Johann Philipp 
288, 


NAMENREGISTER, 


Rubow, V. und Würtzen, C. 
H. 298. 

Ruck, Silvio von 60. 455. 

Ruedi, Th. 219. 


Salecker 205. 
Salis, G.v. 377. 
Saltzman, F. 443. 
Sänger, M. 368. 
Schelble, H. 300. 
Scheltema 45. 130. 
Scheltema, G. 390. 
Scherer, A. 75. > 
Schippers, J. C. 380. 
Schlesinger, Otto 290. 
Schmidt, Adolf 303. 
Schneider, A, 58, 
Schneider, C. 453. 
Schönberg, S. 132. 
Schottelius, Max 321. 
Schramm, Ferdinand 76. 
Schröder, G. 297. 362. 
Schroeder, Knud 283. 
Schweinburg, F. u. Damask, 
M., 442. 
Sever, J. W. and Fiske, E. W. 


9% 
Shipley, A. E. 380. 
Shortle, A. G. 62. 
Silbergleit, Hermann 255. 
Silfverschiöld, P. 374. 
Simmonds, M. 384. 
Simmons, R, R, u. Mitchell, 
O. W. H. 56. 
Simon 91. 278. 
Sitsen, A. E. 206. 
Sittenfield, M. J. and Kessel, 
Leo 132. 
Sivori, L. 436. 
Smith, Theobald 147. 
Smith, Theobald and Fabyan 
M. 148. 
Somme, J. 137. 
Sonne, Karl 375. 
Spengler, Lucius 303. 
Spiethoff 140. 
Spindler-Engelsen, Anna v. 
207. 


: Sprawson, C. A. and Cochrane, 


A. W. R. 314. 
Staehelin, R. 390. 441. 
Stephani, P. u. Lochert, E, 
206. 


Stepp, Wilhelm 303. 


Sticker, Georg 227. 
Stimson, Arthur M. 440. 
Strandgaard, N. J: 138. 150. 
401. 
Strauß, A. 66. 70. 
Stropeni, Luigi 306. 
Ströse, A. 146. i 
Sundt, Halfdan 142. 
Swan, Howard 282. 
Sylvan, F. 229.. 
Szily, A. v. 441. 


Szily, A. v. u. Luciani 440. 


Taillens 376. 
Taunton, E. 6r. 
Thedering 67. 414. 
Thiele 289. 

Thiele, Adolf 225. 
Thomas, J. B. 140. 
Thompson, S. E. 455. 


Thompson, E. and Gall, H. L. 


293. 


. Thomson, H. Hyslop, Allbutt, 


Thomas Clifford, Hope, E. 
W. Williamson, A. Max- 
well, Thresh, J. C., Wood- 
cock, Herbert de Carle, 
Walker, Jane, Perkins, J. 
J., Byers, Jobn W., Astor, 
Waldorf 365. 

Thresh, J. C., Allbutt, Tho- 
mas Clifford, Hope, E. W., 
Williamson, A. Maxwell, 
Thomson, H. Hyslop, 
Woodcock, Herb, de Carle, 
Walker, Jane, Perkins, J. 
J., Byers, John W., Astor, 
Waldorf 365. 

Tillisch, Alb. 123. 

Titze, C. u. Lindner 73. 

Toenniessen, Erich 212. 

Tresling, Sophie 230. 287. 

Trnka, P. 145. 

Tsakalotos, A. 311. 

Turner, A. Logan and Fraser, 
I. S. 221. 

Turner, John A. 206, 

Twichell, D.C. u. Bullock, 
E. S. 63. 


Unna, P. G. 216. 
Utne, Ing. 129. 


Veeder, B. S. u. Johnston, 


M. R. 45. 
Verriotis, Theodore 70. 
Vevey, Artault de 69. 
Vierordt 310. 
Volkmann, Joh. 213. 214. 
Vos, B. H. 59. 
Vossenaar 123. 


Wade and Chesley 443. 

Walker, Jane, Allbutt, Tho- 
mas Clifford, Hope, E. W., 
Williamson, A. Maxwell, 
Thresh, J. C., Thomson, 


H. Hyslop, Woodcock,Her- - 


bert de Carle, Perkins, J. 


J., Byers, John W., Astor, 


Waldorf 365. 
Waller, C. E. 57. 
Wallgren, Arvid 367. 
Walsham, H. and Overend, 
W. 290. 
Washburn, E. 127. 
Webb, G. B., Forster, A. M., 
Gilbert, G. B. 289. 
Webb, Gerald B, and Gilbert, 
G. Burton 437. 


a ZEITSCHR. f. 
VI NAMENREGISTER. — BEILAGE. — SACHREGISTER.  TARTSCHR $ 


Weihe, F. 382. 

Wessel, A. B. 129. 

West, C. E. 306, 

Wetherill, H. G. 443. 

White, W. Hale 215. 

Wiesner, B. u. Dessauer, Fr. 
I5I. 

wilkinson, W.C. 381. 

Williams, R. Stenhouse and 
Harries, E. H. R. 285. 

Williamson, A, Maxwell 278, 

Williamson, A. Maxwell, 
Allbutt, Thomas Clifford, 
Hope, E. W., Thresh, J. 
C., Thomson, H.. Hyslop, 
Woodcock, Herbert de 
Carle, Walker, Jane, Per- 
kins, J. J., Byers, Jobn W., 
Astor, Waldorf 365. 

Winkler, J. 125. 

Woodcock, Herbert de Carle, 
Allbutt, Thomas Clifford, 
Hope, E. W., Williamson, 
A. Maxwell, Thresh, J. C., 
Thomson, H. Hyslop, Wal- 
ker, Jane, Perkins, J. J., 
Byers, John W., Astor ; 
Waldorf 365. 

Woodruff, J. Ogden 222. 

Wright, G. H. 151. 

Würtzen, C. H. u. Rubow, 
V. 298. 


Zander, Paul 219. 

Zeeb, K. und Brösamlen, O. 
378. 

Zeller v. Zellenberg, H. 382. 

Zeller u. Zwick 71. 

Ziegler, Kurt 49. 

Zwick u, Zeller 71. 


Die Arbeiterkrankheiten in 
den Glashütten der Provinz 
Siena (Med. Reform 1915, 
Nr, 12). . 42 

I5. Jahresbericht des Posener 
Provinzialvereins zur: Be- 
kämpfung der Tuberkulose 
als Volkskrankheit. Ost- 
deutsche Buchdruckerei, 
Posen I9I5 . . . 75 

Franz Tausk +. . . 77 

Verschiedenes . . . 78 

Katholisches Sananatorium 
Dekkerswald (Holland). 
Bericht über das Jahr 1914 

150 

Verschiedenes . . . 154 

Verschiedenes . . . 231 

Anti-Tuberculosis Work in 
Cincinnati. (The Lancet- 
Clinic, Cincinnati, 8.5.1915, 
p. 512—530). . . 279 


Bergische Heilstätten für lun- 
genkranke Kinder (E. V.). 
5. Jahresber, über 1914/15. 
Der ärztliche Bericht er- 
stattet vom leitenden Arzt 
Dr. Simon . . . 309 

Auguste Victoria Knapp- 
schaftsheilstätte Beringhau- 
sen bei Meschede. (Chef- 
arzt Dr.Windrath). (Aus- 
zug aus dem Verwaltungs- 
bericht des allgem. Knapp- 
schafts-Vereins zu Bochum 
für das Jahr 1914) . 309 

Die Knappschaftsheilstätte 
Sülzhayn, Jahresbericht für 

1914. (Geschäftsbericht d. 
Vorstandes der Norddeut- 
schen Knappschafts-Pen- 
sionskasse in Halle a. S. 
für das Jahr 1914 . 309 

Bericht der Tätigkeit des Na- 
tionalvereins zur Bekämp- 
fung der Tuberkulose 
1914/15. (Kopenhagen 
IQIS) 2 2 0 a © 309 

Verschiedenes . . . 316 

Volkssanatorium Hellendoorn 
[Holland], (Bericht über 
das Jahr 1915 . . 386 

Verschiedenes . . . 39I 

Verschiedenes . . . 427 


Beilage für Heilstätten und Wohlfahrtseinrichtungen. 


Seite 


Der Stand der Tuberkulosebekämpfung in den Niederlanden Anfang 1915. Von Arzt 
C. Dekker, Sekretär-Schatzmeister der Niederländischen zentralen Vereinigung gegen 
die Tuberkulose, Hierzu eine Figur. . . . 2... p c 


Sachregister 


E e E E 


bearbeitet von Dr. med, R. Neisse, Oberhofen. 
(Die fettgedruckten Zahlen bedeuten, dafs der betr. Originalartikel sich ausschliefslich oder teilweise mit dem frag- 


lichen Gegenstand beschäftigt.) 


Abkürzungen: 


L. = Lunge, Lungen. S. = Schwindsucht. s. a. = siehe auch. s, d. = siehe dieses. T. = Tuberkulose. 
Tbc. = Tuberkelbazillus, Tuberkelbazillen, 


Abhärtung L.kranker 380. dener säurefester Bakterien | Assurance militaire fédérale 


Adrenalin, intravenöse Injektion | gegen — 207. (Schweiz) 156. 
von — bei Herz- und Gefäß- | Antigene 436. Asthma und Felddienstfähigkeit 
kollaps 104. Antikörper 436. 368. 

Alkoholismus und T.192. Aphäsie, vorübergehende, bei | Atemgeräusch, Entstehung des 


Analfisteln, Prophylaxeder—373.| L.T. 217. vesikulären —s 136. 
Anaphylaxie 440. Aphorismen über T. 445. Augentuberkulose 69, 307. 
Antiformin: zur Untersuchung | Armee u.T.: in England 393, | Auscultoplectrum 57. 
des Auswurfs auf Tbc. 372;| 394,. 395 (2), 461; in Nord- | Auskultation der L. 136. 
Widerstandsfähigkeit verschie- | amerika 396. Auswurf: Beschreibung des —s 


Ser e 


BD. 25, HEFT $, 
1916. 


445; Desinfektion des —s 


Tuberkulöser 283, 321, 349; | 


Eiweißgehalt 57; intrazellu- 
läre Lagerung der Tbc 58; 
Untersuchung des sterilisierten 
—s 442; ziffernmäßige Be- 


stimmung des Tbcgehaltes des | 


—s 376. 
Autoinokulation 176. 


Baccelli, Guido f 237. 

Bacillus abortus 383. 

Bakterien, säurefeste: Bedeutg. 
in den Faeces bei Patienten 


mit Gelenkerkrankungen 372, 


384; — und T. 290. 
Barmen, Lupusheilanstalt 66. 


Bekämpfung der T. (s. a. Pro- 


phylaxe, Rindert.) 46, 206, 
282 (3), 370; — und Krieg 363, 
364 (2), 365; — auf dem Lande 
64; in einzelnen Städten und 
Ländern: Berlin 78; Böhmen 
372; Bombay 206; Cincinnati 
279; Edinburgh 157; England 
157, 319; Irland 157; Kopen- 
hagen 372; Lucknow 463; 
Maryland 398; Massachusetts 
319; Niederlande 230, 464; 

` Nordamerika 397, 398, 399, 
453; Österreich 364; Posen 75; 
Schottland 461; Tirol und 
Vorarlberg 79; Victoria (Au- 
stralien) 397. 

Belastung, erbliche, bei der T. 
130. 

Bergen, T.sterblichkeit 129. 

Berlin, T.bekämpfung 78. 

Blasentuberkulose 453. 

Blut, Tbc im — 291, 292. 

Blutuntersuchungen bei Tuber- 
kulinkuren 379. 

Böhmen, T.bekämpfung 372. 

Bombay, T.bekämpfung 206. 

Boserup, Heilstätte 150. 

Braunwald, Volkssanatorium: 
Dauererfolge (1897—1913) 149. 

Bromberg, Kronprinzessin Cä- 
cilie-Heilstätte 75. 

Brönchialdrüsentuberkulose 438, 
455. 

Bronchialsystem: Einfluß der 
unregelmäßigen Verzweigung 
des —s auf den Atmungsver- 
lauf in verschiedenen L.be- 

` zirken 374, 375. 

Bronchitis foetida 297. 

Bronchophonie 210. 

Brüssel, T.ausstellung 399. 

Brustdrüsensekretion, Patholo- 
gie der — 441. 

Bücherbesprechungen: 


I. Béla, Die ostealen Verände- | 


rungen bei kongenitaler Sy- 


philis im intra- und extra- 


uterinen Leben 153. 


2. Castaigne, Lavenant, Be- | 


II. 


12, 


. Dekker, 
bestryding in Nederland in 


SACHREGISTER. 


nazet, Über Nierentuber- 
kulose und Karl Spengler’s 
I. K.-Behandlung 313. 


. Cochrane und Sprawson, 


A guide tö the use of tuber- 
culin 314. 


. Collis, Industrial pneumo- 


noconioses, with special re- 
ference to dust-phthisis 315. 
De tuberculose- 


1914 230. 


. Dessauer und Wiesner, 


Kompendium der Röntgen- 
aufnahme undRöntgendurch- 
leuchtung 151. 


. Gerhartz, Taschenbuch der 


Diagnose und Therapie der 
L.T. 387. 


. Ghon, The primary lung 


focus of tuberculosis in 


children 390. 


. Grotjahn, Der Wehrbei- 


trag der deutschen Frau 152. 


. Hallé, Formes de la tuber- 


culose rénale chronique 313. 
Hawes, Consumption, what 
it is et what to do about it 
315. 

Iex-Blake, Tuberculosis, a 


` general account of the dise- 


13. 


14. 


. v. Müller-München, 


. Scheltema, 


. Staehelin, 


. Thiele, 


ase, its forms, treatment and 
prevention 229. 

Kohn, Unsere Wohnungs- 
untersuchungen in den Jah- 
ren 1913 und 1914 388. 
Marxer, Technik der Impf- 
stoffe und Heilsera 311. 


. Möllgaard, Physiologische 


Lungenchirurgie 228. 
Über 
das Altern 153. 


. Rollier, Die Schule in der 


Sonne 312. 

Erfelykheids- 
vragen aangaande tubercu- 
lose (Erblichkeitsfragen bzw. 
der T.) 390. 

Die Erkran- 
kungen: der Trachea, der 
Bronchien, der Lungen und 
der Pleuren (Mohr und Stähe- 
lin, Handbuch der innern 
Med., Bd. 2) 390. 


. Sticker, Erkältungskrank- 


heiten und Kälteschäden227. 


. Sylvan, Consumption and 


its cure by physical exer- 
cises 229.: 
Tuberkulöse Kin- 
der 225. 


. Tresling, 'Ademhalings- 


gymnastiek 230. 


. Tsakalotos, Megi ns Ön- 


noolas üyelas Ev Zigw xal 
idie ing pvuatiwcsws. (Über 
die öffentliche Hygiene in 


IX 


Syra und insbes. über die 
T.) 311. 

25. Vierordt, Perkussion und 
Auskultation 310. 


Chemotherapie 64. 

Chicago, Freiluftschulen 206. 
Chlormetakresol s. Sagrotan. 
Cincinnati, T.bekämpfung 279. 
Connecticut, T. in — 279. 
Cornet-Denkmal 231. 


Dämpfe, scharfe, und T. 236. 

Darm, Kohlenstaubablagerun- 
gen im — 288. 

Därme, Sanitätspolizeiliche Be- 
urteilung der — bei T. der zu- 
gehörigen Gekrösiymphdrüsen 
8l, 146. 

Darmtuberkulose 145. 

Davos, Queen Alexandra Sana- 
torium 235. 

Dekkerswald, Heilstätte 150. 

Diathermie 298. 

Disposition zur T. 287. 

Doramad s. Thorium. 

Drüsen, Palpation peripherer — 
und ihre klinische Bedeutung 
in den 2 ersten Lebensjahren 


444. 
Dysphagie 305. 


Edinburgh, T.bekämpfung 157. 
Ehe und T. 79, 233. 
Eihäute, T. der — 289. 
Eintrittspforten der T. 
Sektionsbefunde 286. 
Empyem s. Pleuritis supp. 
England: Behandlung der L. T. 
57; T. in der Armee 393, 394, 
395 (2), 461; T.bekämpfung 
157. 
Entscheidung, grundsätzliche, 
betr. die Kosten ärztlicher 
Zeugnisse 120. 
Epitheloidzellen, 
Struktur 286. 
Erblichkeit s. Belastung, 
Ernährung Tuberkulöser bes. in 
- der Kriegszeit 297, 362. 
Erythema exsudativum multi- 
. forme 383. 
Exposition, tuberkulöse, 
Kindesalter 367. 


und 


Genese und 


im 


Fettstoffwechsel der Zelle 212. 
Fieber, tuberkulöses 135, 301, 


Finnmarken, T.mortalität 
Fleischhygiene 74, 81, 146. 
Fortpflanzung und T. 369. 
Fortschritte auf dem T.gebiete 
135. Ä 
Freiluftlazarett 380. 


129. 


‚Freiluftsäle in Krankenhäusern 


379. 
Freiluftschulen 206. 


X 


Friedmann’sche ` T.behandlung 
75, 44 


7, 448. | 
Fürsorge "ar Tuberkulöse (s. a. 


Krieg usw.) 223, 278, 284 
(2), 371 (2), 462 (2); Genügt 
die heutige — für unsere un- 
bemittelten L.kranken den an 
sie gestellten Anforderungen ? 


. 420. 


Gefäßtuberkulose 208. 

Gehirntuberkel 307, 308; Besse- 
rungsfähigkeit der Lähmungs- 
erscheinungen bei — 409. 

Geisteskranke, T. bei —n 445. 

Gekrösedrüsen und T. 81, 146. 

Gelenktuberkulose (s. a. Kno- 

chen- und Gelenkt.) 68, (2), 

69, 447. | 

Genitaltuberkulose, männliche 
384; —, weibliche 385. 

Geschlecht und T.mortalität 241. 

Gesunde, periodische Untersu- 
chungen anscheinend —r 281 
(2). 

Giessen, neue T.anstalten in — 
399. 

Glasbläser, Krankheiten der 
Luftwege (Siena) 42. 

v. Gorkom 7 238. 

Granulom, malignes (s. a. Lym- 
phogranulomatose) 437. 


Halsdrüsentuberkulose 132, 150 
(3), 151, 307 . 
Hämoptoe s. L.blutungen.' 
Hautgangrän, symmetrische, bei 
Tub. pulm. 382. 
Hautreaktion, Pirquet’s: bei der 
Kindert. 45, 130, 210, 294, 
383; — bei der L.T. 59; 
periodisch wiederholte abge- 
stufte —en während der Heil- 
stättenkur 377; Technik 210. 
Hauttuberkulose 141, 216 (2), 
217. 
Heilmittelschwindel 112. 
Heilstätten: und Krieg (in Eng- 
land) 235 (2); Kriegsernäh- 
rung in — 459; Rolle der 
staatlichen — 127; Wert der 
— 47, 180; Zucht und Zer- 
streuung in — 59. 
Heilstätten, neue: Jubiläums- 
sanatorium in Ples (Böhmen) 
319; Prinzregent Luitpold- 
Kinderheilstätte (Scheidegg, 
Allgäu) 318. 
Heilstättenbehandlung und ihr 
er für tuberkulöse Kinder 
Heilstättenberichte:  bergische 
Heilstätten 309; Beringhausen 
(Augusta Victoria - Knapp- 
schaftsh.) 309; Boserup 150; 
Bromberg (Kronprinzessin Cä- 
cilie-H.) 75; Dekkerswald 150; 


SACHREGISTER. 


Friedrichsheim und Luisen- | 
heim 309; Hellendoorn 386; 
Krabbesholm 310; Silkeborg 
309. 

Heilstättenerfolge: 
(1897—1913) 149. 

Heilstättenpatienten: Auswahl 
der — 126, 420; Sorge für die 
entlassenen — 127, 432. 

Heimstättengesetz 368. 

Heliotherapie s. Sonnenlicht- 
behandlung. 

Herdreaktion 210. 

Heron, George Allan f 239. 

Herzgröße bei T. 208. 

Herztuberkulose 435. 

Hirnabszesse, tuberkulöse 216. 

Hochgebirge 447. 

Hodgkinsche Krankheit (s. a 
Pseudoleukämie), Bakteriolo- 
gie der Drüsen 208. 

Höhenklima 131. 

Höhensonne, künstliche 67, 76, 
216. 

Hühnertuberkelbazillen, 
sonderheiten der — 437. 

Hundetuberkulose 74. 

Husten, Behandlung 301, 


Braunwald 


Be- 


448. 


I. K. (Spenglers) 307, 313. 


Ileozökaltuberkulose 219 (2). 
Immunisierung, perkutane 60. 
Immunität gegen T. 46 (2), 437. 
Indien: Ausbreitung und Be- 
kämpfung der T. 463 (2); 
Eignung für T.belastete 206. 
Infektion, tuberkulöse 123; = 
gene und endogene 123, 130, 
Häufigkeit bei Kindern 282; 
Haus — 204; — durch Ver- 
stäubung (Wäsche) 50. 
Irland, T.bekämpfung 157. 


Jod bei T. 396, 439 (2). 
Juden, Häufigkeit der T.bei= 284. 


Kaiser Wilhelmsland (Deutsch- 
Neuguinea), T. in — 205. 

Kalkgebirge und T. 125. 

Kehlkopftuberkulose: Behand- 
lung 219, 221, 305; Dysphagie 
305; Kasuistik 305. 

Kinder: Gefährdung der — durch 
T. 204; Lymphogranuloma- 
tose der — 438; Tuberkulin- 

. untersuchungen bei —n aus 
tuberkulösen und nichttuber- 
kulösen Familien 269. 

Kindertuberkulose: Bedeutung 
der Rindert. für die — 223; 
Diagnose der Knochen- und 
Gelenkt. 142; Diagnose der 
L.T. 294, 295, 378; Entstehung 
204 (2), 223; Fürsorge 223; 
Häufigkeit 127, 282; Klinik 
295, 296; — des Knies 69; 
Pathologie 223, 287, 442; — 


ZEITSCHR, f. 
TUBERKULOSE 


und Pirquet’sche Hautreak- 
tion 45, 130, 210, 294, 383; 
Rosenbachs Tuberkulin bei — 
380; — und Spitzendämp- 
fungen 294; Tuberkulinbe- 
handlung 61, 380, 448; Ver- 
hütung 45; gleichzeitigesVor- 
kommen von humanem und 
bovinen Tbc. 207; Wert der 
Heilstättenbehandlung 91. 

Kinder- und Waisenfürsorge der 
LandesversicherungsanstaltEl- 
saß-Lothringen 154. 

Kleiderindustrie und T. 397. 

Klima und T. 236, 290. -> 

Kniegelenktuberkulose 68, 69. 

Kniescheibentuberkulose 218. 

Knoblauchsaft 301. 

Knochen- und Gelenktuberku- 
lose (s. a. Knie, Wirbel): 
Ätiologie und Pathologie 285; 
Diagnose bei Kindern 142; 
Therapie 217; — und Trauma 
367. | 

Kochsalz zur Verminderung der 
Schweißbildung 211. 

Kohlenstaubablagerungen im 
Darm 288. 

Kolonien Tuberkulöser 76. 

Komplementbindung bei T. 440. 

Konjunktivalreaktion beim 
Rinde 221. 

Kopenhagen, T.bekämpfung 372. 

Körpertemperatur: vor und nach 
Bewegungen 135; prämortale 
kritische Abfälle der — bei 
L.T. 297. 

Krieg: Aufgaben und Probleme 
der inneren Medizin im — 
36; Ernährung Tuberkulöser 
im — 459, 460; nicht infek- 
tiöse innere Krankheiten im 
— A Frieden 361; — und 

156; — und T. (s. a. 
Kiers kakalia 36, 255, 
318, 360 (2), 363; T. fürsorge 
während des —es 316 (2). 

Kriegstuberkulöse; Entlassun- 
gen der —n aus dem franzö- 
sischen Heer 317; Fürsorge 
für — 316 (2), 460, 461 (2); 
Heim für — 79, 157; — 
Malta 317; Unterbringung and 
Versorgung der —n 43, 363. 

Kristiania, Häufigkeit der T. 
unter den Schulkindern 128. 

Kronbergersche Tbc.färbung 108, 

Kronprinzessin Cäcilic-Heilstätte 
s. Bromberg. 

Kryogenin 301. 

Kupfersalze bei T. (s. a. Lekuty]) 
6 


4. 
Kurpfuscherei und T. 158. 


Landgemeinde, Planmäßige T.- 
bekämpfung in einer stark 
verseuchten — a 


BD. 25, HEFT 6. 
1916. 


SACHREGISTER. 


Langhans, Theodor f 80. 
Leberabszeß, tuberkulöser 443. 
Lekutyl 66 (3), 70. 

Lepra und T. 48. 

Lichttherapie s. künstliche 
Höhensonne, Sonnenlicht. 

Liegekur im Hochgebirge 447. 

Luftwege, obere, und T. 206. 

Lungen: Lymphangitis reticu- 
laris 436; Schußverletzungen 
213 (2), 214 (2), 215 (2). 

Lungenatmung, der schädliche 
Raum bei der — 375. 

Lungenblutungen: Behandlung 
12, 302; Klinik 302; — bei 
krupöser Pneumonie 443; 
traumatisch entstandene 124. 

Lungeneiterungen, nichttuber- 
kulöse 381. 

Lungenemphysem, Pathogenese 
und Therapie 441. 

Lungenkavernen, prognostische 
Bedeutung 295. 

Lungenluftmischungen, 
genität der — 375. 

Lungenschwimmprobe 132. 

Lungenspitzen, Perkussion der 
— 58. 

Lungensyphilis 65. 

Lungentuberkulose, anämisie- 
render Einfluß der — 131. 

—, Behandlung 135 (2); speziell 
Calc. sulfur. 138; Diathermie 

298; häusliche — 59; Jod in 
statu nascendi 396; künst- 
licher Pneumothorax s. d.; 
Lichttherapie 298 (3), 299; 
Milch immuner Kühe 386; 
Mineralsalzarme Diät 300; 
operative — (s. a. Pneumo- 
thorax) 63, 139; Ruhe und 
Bewegung 137, 161, 455; 
Saugmaske 172; spezifische — 
51, 59 (2), 61, 138. 

—, Bedeutung der psychischen 
Momente für den Verlauf der 
— 401. 

—, Diagnose 58, 135 (2), 136, 
209 (2), 294, 377, 378, 420. 

—, Formen der — 433. 

= , Frühdiagnose 210, 293, 296, 
155 (2), 462. 

-- im Kriege 36. 

. — bei Lungenschüssen 213, 214. 

—, traumatische, s. Trauma. 

—, vorgeschrittene, als Kon- 
traindikationen für Opera- 
tionen 443. 

Lupus erythematodes 140. 

Lupus follicularis disseminatus 
383. 

— vulgaris, Behandlung 1, 66 
(3), 67, 140, 216. 

Lupusheilanstalt (Barmen) 66. 

Lymphknotentuberkulose (s. a 
Bronchialdrüsentuberk., Hals- 
drüsent.): Bedeutung der — 


Homo- 


, 


für die zugehörigen Organe 


74; Diagnose 145. 
Lymphogranulomatose 217, 438. 


Magentuberkulose 145. 
Marianen, T. auf den — 205. 
Maryland, T.bekämpfung 398. 
Massachusetts, T.bekämpfung 
319. 
Mäuse, weiße, und T. 434. 
Meningitis tuberculosa, 
nose 296, 297, 307. 
Methylenblausalze bei T. 64. 
Milch, therapeutische Verwer- 
tung der — von Kühen, die 
auf Tuberkulin reagieren 386. 
Miliartuberkulose,allgemeine 216, 


Diag- 


435. 

Milz, Bedeutung der — für die 
T. 344. 

Mobilisation der L. als Grund- 
lage der T.behandlung 161. 

Morbidität an T.: Kaiser Wil- 
helmsland (Deutsch - Neugui- 
nea) 205; Marianen 205; 
Neu-York 398; Persien 205; 
Schanghai 205. 

Mortalität der T. in Bergen 129; 
Connecticut 279; Englandı57; 
Finmarken 129; Niederlande 
464; Nordamerika 3965 — 
und Geschlecht 241. 


Nahrungsmittel und T. 279. 

Nervöse Symptome bei T. in- 
nerer Organe’ 436. 

Neu York: Ausbreitung der T. 
398; T. und Empfängnisver- 
hütung 280; T.ärzte 398. 

Niederlande, Stand der T.be- 
kämpfung (anfangs 1915) 464. 

Nierentuberkulose 308 (2), 313 
(2); Diagnose 453; — bei 
Feldzugssoldaten 453; ope- 
rative Behandlung 70; pri- 
märe Lokalisation und Aus- 
breitungsweise bei der chro- 
nischen hämatogenen — 451. 

Ninhydrinreaktion zur Unter- 
suchung meningitischer Punk- 
tionsflüssigkeit 296, 297. 

Nordamerika: T.gesetze 398, 399, 
432; T.untersuchungen 160. 

Norwegen, T.heime 126. 


Ohrtuberkulose 221, 306. 
Oesterreich, T.bekämpfung nach 
dem Krieg 364. 


Panamakanal, T. unter den Ein- 
gebornen 433. 

Pankreasfermentbestimmungen 
bei L.T. 444. 

Partialantigene 212, 213. 

Peritonitis tuberculosa 144, 145. 

Persien, T. in — 205. 


XI 


ræ 


Personalien 80, 160, 237, 320, 
400, 463. 

Plazentartuberkulose 289. 

Pleurapunktion, offene 303. 

Pleuraschwarten, Entstehung 
tuberkulöser — 288. 

Pleuritis exsudativa: interlobäre 
382; bei künstlichem Pneumo- 
thorax 62 (2), 63; — nach 
L.schüssen. 215; offene Punk- 
tion 303. 

— suppurativa: beim künst- 
lichen Pneumothorax 62; The- 
rapie der akuten — 304. 

Pneumokokken bei L.T. 56. 

Pneumolyse, extrapleurale, mit 
Plombierung 215. 

Pneumonie, Krupöse: Behand- 
lung 304; Hämoptoe bei — 
449. 

Pneumonokoniosen 435. 

Pneumothorax, künstlicher: bei 
doppelseitiger vorgeschrittener 
L.T. 215; Komplikationen 62 
(2), 63, 100, 302; Technik 
138; Wert des — 63, 64 (2), 
161, 302, 454. 

—, spontaner 303, 449. 

Porzellanarbeiter und T. 283, 
318. 

Posen, Prov.verein zur T.be- 
kämpfung 75. 

Präzipitindiagnose tuberkulösen 
Materials 134. 

Prognose der L.T. 376. 

Prophylaxe der T. (s. 
kämpfung) 280. 

Pseudoleukämie 49. 

Psyche und L.T. 401. 


a. Be- 


Reservelazarette, 
den in —n 255. 

Riesenzellen, Genese und Struk- 
tur 286 (2). 

Rindertuberkelbazillen 133. 

Rindertuberkulose, Bekämpfung 
146, 147, 148, 149; Diagnose 
221; Vorkommen b. Men- 
schen 285. 

Rippen, T. der — 438. 

Rippenresektion bei L.T. 63, 


T.sprechstun- 


139. 

Riviere’sches Zeichen der L.T. 
209 (2). 

Römer, Paul f 426. 

Röntgenstrahlen: zur Behand- 


lung der Knochen- und Ge- 
lenktuberkulose 217; zur Diag- 
nose der L.T. 290, 291, 293, 
294, 378; der Pleuritis inter- 
lobaris 382; Einfluß der Tie- 
fenbestrahlung auf die T. 132. 
Rosenbachs Tuberkulin 67, 381. 
Rotlichttherapie 298 (2). 


Sagrotan und Sputumdesinfek- 
tion 321. 


XII 


Sanatorienfrage 180. 

Sanatorium Benefit Funds (Eng- 
land) 234, 462 (2). 

Saugmaske 172. 

Schanghai, T. in — 205. 

Schuhindustrie und T. 235. 

Schule und T. 128. 

Schwangerschaft und T. 369 (2), 
370, 432 (2). 

Schweine, Gefahr .der tub. In- 
fektion der — durch nicht 
erhitzte Molke 386. 

Schweiz, Unterbringung erho- 
lungsbedürftiger und tuber- 
kulöser Kriegsgefangener in 
der — 231. 

Sektionsbefunde und Eingangs- 
pforte der T. 286. 

Sensibilisierung, sympathische 
spezifische 440. 

Sinus frontalis, T. des — 140. 

Skrofulose: Lichtscheu bei — 
374; Wesen und Behandlung 
300 (2). 

Sonnenlichtbehandlung 69, 143 
(3), 312; — der chir. T. 69, 
143 (3), 455; der L.T. 299; 
natürliche und künstliche — 
des Lupus 1; — im Tieflande 
67 (2), 143, 414. 

Spitzendämpfung bei t.verdäch- 
tigen Kindern 294. 

Sputumdesinfektion s. Auswurf. 

Staub und T. 319. 

Stigmata der T. 434. 


Tate, Miß Edythe 398. 
Tausk, Franz f 77. 


Temperaturmessungen s. Kör- 
pertemperatur. 

Thorax phthisicus 354. 
Thoraxbewegungen, graphische 


Darstellung der — bei der 
Atmung gesunder und kranker 
Kinder 375. 

Thorium zur Behandlung von 
Hautkrankheiten 382. 

Thyangolpastillen 448. 

Tirol, T.bekämpfung 79. 

Toramin 302. 

Trauma und Hämoptoe 124; — 
und L.T. 21, 42 (2), 123, 125, 


333, 335, 341, 368; — und T. | Tuberkuloseforschung, 


123, 328, 367. 


SACHREGISTER. 


Trudeau, E. L. f 116, 118. 

Trudeau School for Tuberculo- 
sis 232. 

Tuberkelbazillus: im Blut 291, 
292; Dualismus 51, 55; Ein- 
fluß mechanischer Verände- 
rungen 288; Färbemethoden 
108, 442; Tierversuche 133; 
Umwandlung von Säugetier- 
tbc. in Hühnertbc. 71; Vor- 
kommen von menschlichen — 
beim Rinde 148; Vorkommen 
von — in den nichttuberku- 
lösen Atmungswegen des Rin- 
des 73; Vorkommen in der 
Zerebrospinalflüssigkeit 292; 
Züchtung 56, 133. 

Tuberkulide 141. 

Tuberkulin: Anwendung per os 
60; diagnostischer Wert 59, 
377; Entzündungstiter des Alt 
—s 441; Gefahren des —s 381; 
Rosenbachs 67, 390; 
Selbstmordversuch mit — 65; 
therapeutischer Wert 59, 62. 

Tuberkulinbehandlung 59f., 138; 
Blutuntersuchungen während 
der — 379; — im Kindesalter 
61, 380, 448; — der L.T. 59, 
61 (2), 138, 212. 

Tuberkulinreaktionen, Bedeu- 
tung der — 237. 

Tuberkulinuntersuchungen, ver- 
gleichende, an Kindern aus 
tub. und nichttub. Familien 
269. . 

Tuberkulose: Auftreten von — 
in bisher verschonten Gegen- 
den 130; beschleunigter Nach- 
weis der — im Tierversuch 
durch Milzimpfung 442; Che- 
motherapie 70; Einfluß der — 
auf Wachstum und Ernäh- 
rungszustand der Schulkinder 
290; Knoblauchsaft bei — 
301; — und säurefeste Bak- 
terien 290; spezifische Be- 
handlung 59ff. 

—, chirurgische, Behandlung 66, 
67, 69, 140, 143 (2), 218 (2). 

Tuberkulose - und Heilmittel- 
schwindel 112. 


Erinne- 
rungstag 232. 


ZEITSCHR. f. 
TUBERKULOSE 


Tuberkuloseheime 79, 126. 

Tuberkulosesprechstunden 
Reservelazaretten 255. 

Tuberkulosezeitschriften 233. 


in 


Unfall s. Trauma. 

Urachus, T. des persistierenden 
— 452. 

Urethra, Neubildungen im pro- 
statischen Teil der — bei T. 
452. 

Urin, Bedeutung der Tbc. im 


— 7. 
Urochromogenreaktion bei L.T. 


133, 134. 
Urogenitaltuberkulose, Frühdia- 


gnose 452. 


Vakzinebehandlung 211. 

Vibroinhalation 456. 

Victoria (Australien), 
tung der T. 397. 


Ausrot- 


Waisenhäuser und T. 47. 

Wäsche, Übertragbarkeit der 
T. durch — ;o. 

Wasser, seine Bedeutung in der 
Prophylaxe und Therapie der 
T. 2ı1. 

Widalsche Reaktion bei T. 443. 

Wien, T.tage für den tuberku- 
lösen Soldaten 399. 

Wille und Krankheit 38. 

Wirbeltuberkulose, Diagnose der 
— 143, 450. 

Wohnung und T. 278 (2), 368. 

Wundbehandlung 301. 

Würzburg, T.bekämpfung 318. 


Zähne und Halsdrüsentuberku- 
lose 151. 

Zentralblatt, internationales, für 
die ges. T.forschung 232. 

Zentralkomitee, deutsches, zur 
Bekämpfung der T. 78, 155, 
399, 457. 

Zentralkomitee, österreichisches, 
zur Bekämpfung der T. 391. 

Zentralnervensystem, T. des —s 
beim Hunde 74. 

Zerebrospinalflüssigkeit, Tbc. in 
der — 292. 

Zungentuberkulose 306. 

Zwerchfellbewegungen und T. 
290, 


LT REN et 
Zr 


Band 26. | Heft i. 


ZEITSCHRIFT FÜR TUBERKULOSE. 


G. GAFFKY, M. KIRCHNER, F. KRAUS, W.v.LEUBE, J. ORTH, F. PENZOLDT. 
Redaktion: A. KUTTNER, .L. RABINOWITSCH. 


L ORIGINAL-ARBEITEN, 


, Natürliche und künstliche Heliotherapie des Lupus. 
Ä Von | | 


Prof, A. Jesionek, 
Direktor der Gr. Universitätshautklinik und der Lupusheilstätte in Gießen, 


\ VA vl} Heilstätte bei der Lichtbehandlung der Lupuspatienten sowohl die 
MAE entzündungserregende wie die pigmentbildende Kraft des Lichtes. 


Die kutanen Krankheitsherde selbst versetzen wir in den Zustand der Ent- 
zündung, sei es mit Hilfe der Sonne, sei es mit Hilfe des ‚Quecksilberquarz- 


lichtes, und zwar ganz einfach in der Weise, daß wir die Strahlen auf die 
Oberfläche. der Infiltrate und Geschwüre fallen lassen, ohne im Sinne der 
Finsenschen Methode die Strahlen zu konzentrieren, ohne für Anämisierung 
des zu belichtenden Gewebes zu sorgen, ohne es notwendig zu haben, Vor- 
richtungen zur Abkühlung des Lichtes anzubringen. Diese Methode der lokalen 
Behandlung kombinieren wir seit Jahresfrist in zielbewußter Weise mit allge- 


‚ meinen Licht- bzw. Sonnenbädern. Wir erstreben dabei eine Lichtbeeinflussung 
. der gesunden Haut an der gesamten Körperoberfläche. Klinisch dokumentiert 


sich die Beeinflussuug vornehmlich in einer allmählich stärker werdenden 
Pigmentierung der Haut. Die mittels der Heliotherapie erzielten und zu er- 
zielenden Heilungsvorgänge an tuberkulösen Krankheitsherden, wo immer diese 
lokalisiert sein mögen, vermögen wir uns nicht anders zu erklären, unter 
Würdigung der allgemeinen Gesetze der Lichtbiologie, als mit Hilfe der An- 
nahme, daß die in der Epidermis vor sich gehende Absorption des Lichtes 
zur Entstehung irgendwelcher Stoffe Veranlassung gibt, die vom Orte ihrer 
Entstehung aus in die Zirkulation geraten und mit dem Säftestrom auch in 
die tuberkulösen Krankheitsherde verschleppt werden. Der einzige lichterzeugte 
Körper, den wir bis jetzt kennen, ist das melanotische Epidermispigment. Es 
besteht die Berechtigung zu der Annahme, wie wir dargetan zu haben glauben, 
daß das in den Zellen der Epidermis durch Licht gebildete Pigment in gelöster 
und unsichtbarer Form zentripetal abtransportiert wird. 

Um für die Haut ein Analogon der in tuberkulösen Gelenken und 

Zeitschr, f. Tuberkulose. 25. I 


gt ZEITSCHR. f. 
2 _ A, JESIONEK. TUBERKULOSE 


Knochen beobachteten Heilungen zu schaffen, haben wir experimenti causa 
gewisse Lupusherde in lichtundurchlässiger Weise verbunden und den Patienten 
keiner anderen Behandlung unterstellt, als daß wir ihn in Licht und Sonne 
baden ließen. Wir haben konstatieren können, daß die Lupusherde zur Ab- 
heilung gelangten, wenn nur der Patient infolge der Licht- und Sonnenbäder 
reichliche Mengen Pigments in seiner Epidermis bildete. Von einer direkten 
Lichtwirkung konnte bei solchen Versuchen ebensowenig die Rede sein, wie 
bei den vermittels der Heliotherapie in bestimmten Gegenden und Lichtkur- 
orten erzielten Heilungen chirurgischer oder interner Tuberkulose. Eine andere 
Beziehung des tuberkulösen Krankheitsprozesses zum Licht als die durch das 
Pigment vermittelte vermögen wir nicht zu erkennen. 


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Fig. 1. 


Kurzum, wir lassen es uns angelegen sein, unseren Lupuspatienten neben 
den entzündungserregenden Belichtungen an den kutanen Krankheitsherden 
die Vorteile zu verschaffen, welche tuberkulösen Menschen aus dem reichlichen 
Genuß von Lichtbädern erwachsen. 

Daß Sonnenbäder auch bei uns in Mitteldeutschland an einem Orte mit 
einer Meereshöhe von 180 m reichliche Mengen Pigment zu bilden imstande 
sind, auch bei ausgesprochen blonden Individuen, ‘zeigt Fig. ı. Es handelt. 
sich hier zum größten Teil um Hessen und Westfalen, vielfach mit blauer und 
blaugrauer Iris. Der Unterschied in der Hautfarbe der eben erst in Behand- 
lung tretenden Patienten A, B und C und der übrigen, schon monate- oder 
auch erst wochenlang in Behandlung stehenden Patienten kommt selbst in der 


au Ta l. NATÜRLICHE UND KÜNSTLICHE HELIOTHERAPIE USW. 3 


Reproduktion des Lichtbildes noch deutlich zum Ausdruck. Unsere Patienten 
.gewinnen im Sonnenbad meist schon innerhalb von 3—4 Wochen eine tief- 
dunkelbraune oder braunrote Farbe, daneben eine weiche und sammetartige. 
Beschaffenheit der Haut. 

Um mit Hilfe der Sonne eine kräftige Piemendergng zu erreichen, lassen 
wir unsere Patienten möglichst viel, unter Umständen den ganzen Tag in 
nacktem Zustand, nur mit einer Badehose bekleidet im Freien verweilen, in 
bestimmten abgegrenzten Teilen des Gartengeländes oder im Dachgeschoß des 
Gebäudes in einem eigenen, aus Glas und Eisen errichteten atelierartigen Raum, 
dessen nach Osten, Süden und Westen gerichtete Glaswände derart geöffnet 
werden können, daß die Sonnenstrahlen ungehindert durch das Glas in den 
Raum eintreten. Dieser „Sonnenbaderaum“ ist für die Zwecke der Benutzung 
in der kälteren Jahreszeit an die Zentralheizung angeschlossen. Durch Öffnen 
und Geschlossenhalten der Glaswände haben wir es in der Hand, Sonnenlicht 
zur Anwendung zu bringen, welches die äußeren ultravioletten Strahlen .ent- 
hält oder infolge der Filtrierung durch das Glas deren entbehrt. Bei anämischen, 
schwächlichen pigmentlosen und bei fiebernden, lungen- und kehlkopfkranken 
Patienten machen wir von der Möglichkeit, das Licht durch Glas zu filtrieren und 
die Strahlen kürzester Wellenlänge und stärkster Aktivität ausschalten zu können, 
gerne Gebrauch, wie wir denn überhaupt. gelernt haben, namentlich zu Beginn 
der Sonnenbehandlung, mit der Dosierung vorsichtig zu sein. ' Wir exponieren 
in der Regel von vornherein den ganzen Körper, ‘aber. anfänglich nur viertel 
und halbe Stunden lang. Dabei lassen wir nach Möglichkeit die Kranken 
sich bewegen, auf- und abgehen oder in sitzender, nicht: liegender Stellung im 
Licht verweilen. ‘Der: Kopf ist durch einen Strohhut oder durch ein Kopftuch 
geschützt, die Augen durch gutsitzende „Automobilbrillen“ mit gelbbraunen 
Gläsern. Oft beginnen wir die Behandlung auch in der Weise, daß wir die 
Kranken in den ersten . Sitzungen- nicht dem direkten Sonnenlicht aussetzen, - 
sondern dem diffusen Tageslicht, und : erst wehn sich -die :Kranken an den 
Aufenthalt in der freien Luft und i im Licht gewöhnt nn zur‘ N Be: 
sonnüng übergehen. | ze zZ 

Im allgemeinen vermeiden wir es,’ daß es' infolge der en zu‘ ‚Er- 
scheinungen der Entzündung an ‘der Haut . kommt. Abgesehen von der je- 
weiligen Intensität der Sonnenstrahlung berücksichtigen wir bei der Bestimmung 
der zeitlichen Dauer des Sonnenbades die individuellen Verhältnisse des Kran- 
ken, die brünette oder blonde, pigmentreiche oder pigmentarme Beschaffenheit 
der Haut, ihre Fähigkeit, leicht oder schwer zu pigmentieren, die vorliegenden 
Krankheitssymptome, namentlich seitens der Lungen, des Kehlkopfes und der 
Zirkulationsorgane. Erst, wenn die Patienten sich einigermaßen an Licht ge- 
wöhnt haben und anfangen, Pigment anzusetzen, verordnen wir stundenlangen 
und halbe und ganze Tage langen Aufenthalt in der direkten Sonne. Die 
Kranken können sich dabei nach Belieben frei bewegen oder sie müssen mehr 
oder weniger lange Zeit in liegender Stellung auf Liegesesseln verweilen. Die 
letztere Vorschrift gilt namentlich für solche Lupuspatienten, bei denen wir 
gleichzeitig die direkten Sonnenstrahlen möglichst viel auf die lupösen Krank- 


1° 


ZEITSCHR. f. 
4 A. JESIONEK. TUBERKULOSE 


heitsherde selbst einwirken lassen wollen. An sonnenreichen heißen Tagen 
lassen wir die Kranken im Sonnenbad Waschungen mit kühlem oder lau- 
warmem Wasser vornehmen. Auch die Krankheitsherde der Haut lassen wir 
häufig mit Borwasser anfeuchten. Außerdem sind die Kranken gehalten, jeden 
zweiten Tag warme Reinigungsbäder (Wannenbäder) zu nehmen. Für die be- 
lichtungsfreie Zeit dienen als Kleidung nur die sehr leichten Anstaltskleider. 
Die Mahlzeiten werden niemals im Sonnenbad verabreicht, und unmittelbar 
nach dem Mittagessen haben die Kranken in der Regel eine Stunde lang in 
ihrem Zimmer und im Bett zu verweilen. Nahezu ausnahmslos ergibt sich bei 
unseren Patienten eine sehr beträchtliche Steigerung der Eßlust und ein rasches 
Ansteigen des Gewichtes. Außerordentlich erfreulich wäre es, wenn man be- 
stimmten Kategorien von Kranken, namentlich den in fortschreitender Heilung 
befindlichen Lupuspatienten, ermöglichen könnte, während sie sich im Freien 
und unter der Sonne aufhalten, sich wenigstens eine Zeitlang in nützlicher 
Weise zu betätigen. Die äußeren Verhältnisse pflegen in dieser Hinsicht 
Schwierigkeiten zu bereiten. 

Darüber kann angesichts unseren braun- und rotbraungefärbten Patienten 
kein Zweifel bestehen, daß die Sonne unserer heimatlichen Gegenden imstande 
ist, reichliche Mengen von Pigment zu erzeugen. Was dem Sonnenlicht Mittel- 
deutschlands in Höhenlagen von 100—200 m an kurzwelliger ultravioletter 
Strahlung abgeht, kann bei der therapeutischen Verwertung der Sonne durch 
längere Dauer und häufige Wiederholung der Besonnungen ersetzt werden. 
Gewiß, je reicher das auf die Haut einwirkende Sonnenlicht an ultravioletten 
Strahlen ist, wie z.B. in Höhenorten von 1500—1800 m, um so größere Mengen 
chemisch aktiven Lichtes werden aufgenommen, und um so rascher und reicher 
entfaltet sich die pigmentbildende Kraft der Sonne. Aber über eine bestimmte 
Grenze hinaus ist die Haut des Menschen der weißen Rasse nicht in der Lage, 
den Lichtreiz mit Pigmentneubildung zu beantworten. Einer besonderen In- 
tensität der ultravioletten Strahlung bedarf es zur Erzeugung von Pigment 
nicht unter allen Umständen. Auch die langwelligen ultravioletten Strahlen 
und die chemischen Strahlen des sichtbaren Anteils des Spektrums genügen 
in der Regel. Nicht in der relativen Armut unserer Heimatsonne an ultra- 
violetten Strahlen ist der Grund gelegen, welcher uns nach einem Ersatz der 
Sonne für therapeutische Zwecke suchen läßt. Einzig und allein die Ungunst 
der Witterungsverhältnisse und die Armut unserer Gegend an sonnenreichen 
Tagen, namentlich im Herbst, Winter und Frühjahr, zwingt uns hierzu. 

Die Pigmentierung, die wir mit unseren künstlichen Lichtbädern er- 
reichen, ist der durch die Sonne bewirkten Pigmentierung gleichwertig. Das 
Quecksilberquarzlicht ist ausgezeichnet durch seinen großen Gehalt an ultra- 
violetten Strahlen. Selbst die Sonne in Höhen von 1500—1800 m ist ärmer 
an ultravioletten Strahlen als das Quecksilberquarzlicht, wie es von der Bach- 
schen Höhensonne und deren Modifikationen geliefert wird. Um unfreiwillige 
Entzündungen der Haut zu vermeiden, bedarf es bei Verwendung des künst- 
lichen Lichtes für die Zwecke der Lichtbäder stets besonderer Vorsicht. Ande- 
rerseits aber gilt für die ultravioletten Strahlen der künstlichen Lichtquellen 


BD. 25, HEFT1. NATÜRLICHE UND KÜNSTLICHE HELIOTHERAPIE USW; 5 


das gleiche, was für die ultravioletten Strahlen der Sonne gilt.. Sie verfallen 
leicht der Absorption durch die Luft. Schon in verhältnismäßig geringen Ent- 
fernungen von der Lichtquelle ist der Reichtum des künstlicheń Lichtes an 
ultravioletten Strahlen gering. 


Sowohl die entzündungserregende wie die pigmentbildende Wirkung auch 
des Quecksilberquarzlichtes verringert sich von Schritt zu Schritt. Bei der 
praktischen Verwertung des Quecksilberquarzlichtes für die Zwecke des künst- 
lichen Lichtbades macht sich die räumliche Beschränkung der biologischen 
Reichweite des Quecksilberquarzlichtes deutlich bemerkbar. 


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Fig. 2. 


Ursprünglich ‚haben wir uns des Quecksilberquarzlichtes zum Zwecke des 
Lichtbades und zum Zwecke der Erzielung einer kräftigen Pigmentierung in 
der Weise bedient, daß wir den einzelnen Kranken im Strahlenkegel der 
Bachschen Höhensonne verweilen ließen. Selbstverständlich kommt bei dieser 
Form der Lichtapplikation immer nur eine umschriebene Partie der Körper- 
oberfläche in den Genuß des Lichtes, — eine räumliche Beschränkung der 
Lichtwirkung, die manchmal erwünscht und zweckmäßig ist. Der Kranke kann 
dabei in stehender oder sitzender Stellung vor der Lampe verweilen (Fig. 2). 
Auch kann die Exposition in der Weise erfolgen, daß die eine Fläche des 
Körpers, die vordere oder die hintere Fläche, vom Strahlenkegel getroffen 
wird. Es bedingt diese Anordnung eine stehende Stellung des Patienten. Will 


6 A. JESIONER. `^ ae 


man gleichzeitig Hinter- und Vorderfläche des ‚Körpers bestrahlen, so bedarf‘ 
es für den einen Patienten zweier Lampen (Fig. 3). Solange zu Beginn der 
Lichtbadebehandlung die Exposition nur kurze Zeit zu dauern hat, ist die Unbe- 
quemlichkeit des ruhigen Stehens für den Patienten nicht hoch zu veranschlagen. 
Sitzende Stellung ist unmöglich: (Fig. 4) ‚Die Kniegegend würde schon bei 
kurz bemessener Sitzungsdauer eine Dermatitis davon tragen, während die 
weiter entfernten Anteile ‚der Körpervorderfläche in der Zeiteinheit nicht genug 
Strahlen: aufnehmen, um. die, erwünschte Anreicherung des Pigmentes zu er- 
fahren. Die Anbringung der Bachschen Höhensonne an der Decke des Raumes 


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Fig. 3. 


ist technisch ausführbar und würde es ermöglichen, den Kranken im Lichtkegel 
in liegender Stellung verweilen zu lassen, für manche Fälle eine ganz zweck- 
mäßige Art der Lichtapplikation. Wir sind aber von diesen Deckenlampen, 
deren Entfernung von dem zu belichtenden Körper beliebig reguliert werden 
kann, abgekommen. ` Es kann sich ereignen, daß das Quarzgehäuse, in dem 
sich die glühenden Quecksilberdämpfe und das heiße Quecksilber befinden, 


springt infolge fehlerhaften Gusses oder auch scheinbar infolge von Schwankungen 


der Stromstärke. Den Verbrennungen durch heißes Quecksilber und durch 
die erhitzten Quarzstücke kann dadurch vorgebeugt werden, daß man unter- 
halb der Quarzröhre an den Deckenlampen eine ultraviolettdurchlässige Schutz- 
vorrichtung anbringt, wie eine solche von Dr. Heusner angegeben ist.!) Prak- 
tische Erfahrungen hierüber besitzen wir nicht. 


=. 1) Von der Quarzlampengesellschaft in Hanau zu beziehen, 


BD. 25, HEFTl. NATÜRLICHE UND KÜNSTLICHE HELIOTHERAPIE USW. 7 


| Wo es sich wie in unserer Heilstätte darum handelt, eine große Anzahl 
von Patienten gleichzeitig der .Lichtbehandlung zu unterstellen, ergeben sich 
hinsichtlich des Raumes, der Zeit und der Zahl der Lampen nicht unbeträcht- 
liche Schwierigkeiten und Kosten, zumal einzelne Kranke, die schon reichlich 
Pigment angesetzt haben, oft Stunden und halbe Tage lang eine oder zwei 
Lampen in Anspruch nehmen. Außerdem haftet der Verwendung der Bach- 
schen Höhensonne zum Zwecke des Lichtbades der Übelstand an, daß die Be- 
wegungsfreiheit der vor der Lampe befindlichen Patienten in einer Weise be- 
schränkt ist, die für das kranke Individuum mit großen Unannehmlichkeiten 


Fig. 4. 


verbunden ist. Wir sind infolgedessen in der letzten Zeit von der Verwendung 
der Bachschen Höhensonne für die Zwecke des Lichtbades abgekommen. 
Das „künstliche Lichtbad“, dessen wir uns nunmehr seit ungefähr ı!/, Jahren 
für die Zwecke der Behandlung der Kranken mit Quecksilberquarzlicht bedienen, 
besteht aus einem an die Zentralheizung angeschlossenen Zimmer, welches so 
geräumig und derart mit Licht großer chemischer Aktivität erfüllt ist, daß stets 
gleichzeitig 4-—6 Patienten „lichtbaden“ können (Fig. 5). Das Licht wird von 
mehreren Lampen geliefert, die eine unseren besonderen Zwecken entsprechende 
Modifikation der Bachschen Höhensonne darstellen.!) Sie bestehen in der 
Hauptsache aus einer 16 cm langen, das Quecksilber enthaltenden Quarzröhre 
und dem Gehäuse (Fig. 6). Das Gehäuse ist von rechteckiger Gestalt und stellt 
einen nach vorne offenen Kasten mit schräggestellten spiegelnden Metallwänden 


!) Die Lampen wurden von der Quarzlampengesellschaft ih Hanau hergestellt. 


ZEITSCHR, f. 


dar. Das Metall ist-Magnalium. Es gehört dieses Metall zu denjenigen Kör- 
pern, welche ultraviolette Strahlen am besten reflektieren. In: der Mitte des 
Gehäuses ist die Quarzröhre senkrecht zur Hinterwand des Gehäuses ange- 
bracht. Der aus dem Gehäuse austretende breite Lichtkegel enthält also in 
der Hauptsache reflektierte Strahlen. Die Zündung der Lampe erfolgt durch 
Kippung des Gehäuses mittels eines an der unteren Kante befindlichen Hand- 
griffes. Unterhalb des Gehäuses ist am Stativ der Lampe der Widerstand mit 
den Schaltvorrichtungen angebracht. Die Wände, der Fußboden und die Decke 
des Zimmers sind mit Stoffen- bekleidet, welche ultraviolette Strahlen reflek- 
tieren. Für: die Wände und die Decke hat sich bis jetzt Aluminiumbronze und 
der einfache bläulichweiße Kalkbewurf am besten bewährt. Für den Fußboden 
genügt die Bespannung mit grobhöckrigem weißen Linnen. Die Lampen stehen 


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den Wänden entlang in bestimmten Abständen voneinander, und zwar befinden 
sich die Quarzröhren ungefähr in Nabelhöhe des erwachsenen Menschen, 70 
bis 100 cm oberhalb des Fußbodens. Die Abstände der Lampen sind derart 
bemessen, daß sich die Lichtkegel in einer bestimmten Entfernung von der 
Öffnung der Lichtkästen überschneiden. Der vor den Lampen auf- und ab- 
gehende Patient tritt gewissermaßen von einem Lichtkegel in den anderen. 
Auf Grund der in diesem Lichtzimmer ‚gewonnenen Erfahrung sind wir 
nunmehr in der Lage, Lichtbaderäume oder Lichtbadehallen zu schaffen, welche 
angesichts der großen Zahl von Patienten in unserer Heilstätte, die alle mit- 
einander gleichzeitig der Behandlung unterstellt werden müssen, und hinsichtlich 


BD. 25, HEFT1. NATÜRLICHE UND KÜNSTLICHE HELIOTHERAPIE USW. 9 


der ökonomischen Forderungen unseren Bedürfnissen noch besser entsprechen, 
als das bisherige Modell. Es ist unser Bestreben, im künstlichen Lichtbad den 
Patienten den Lichtgenuß ebenso vollkommen: und ebenso angenehm zu ge- 
stalten, wie im natürlichen Licht- und Sonnenbad, dabei aber die in Ver- 
wendung gezogene Kraft soviel als möglich auszunützen. Die Lichträume 
müssen so konstruiert und derart mit Lichtquellen und Reflexionsvorrichtungen 
ausgestattet sein, daß sie möglichst gleichmäßig von chemisch aktiver Strah- 
lung förmlich erfüllt werden, und daß | 
das in dem abgeschlossenen Raum auf 
den Menschen fallende Licht dem 
Licht im Freien hinsichtlich seiner: bio- 
logischen Wirkung so nahe kommt, ` 
als das mit Hilfe der Technik nur 
immer möglich ist’: Auch im natür- 
lichen Lichtbad spielt neben den di- 
rekten Strahlen der Sonne das reflek- 
tierte Licht eine große Rolle. In -den ` 
Lichtbaderäumen müssen gleichzeitig 
viele Menschen verweilen können, im 
Genuß des gleichen Lichtes, und zwar 
nicht nur in liegender Stellung. Da 
die Kranken ‘unter bestimmten Be- . 
dingungen lange -Zeit, Stunden und 
halbe Tage lang ‘dem Licht ausgesetzt ; 
werden müssen, ist-es notwendig, daß.. 
sie sich dabei einer gewissen Bewegungs- 
freiheit zu erfreuen haben, wenigstens 
in ähnlicher Weise so, wie wenn. sie sich 
im Freien unter der Sonne befänden. 
Die Schwierigkeit ist darin gelegen, 
die Erfüllung des. Raumes mit’ che- 
mischer bzw. ultravioletter Strahlung so - 
zu gestalten, daß das Licht an allen 
Punkten des Raumes gleichartig und 
gleichwertig ist.‘ Bei der Endlichkeit 
des Raumes, womit wir hier im Gegensatz zu den unendlichen Verhältnissen bei 
der Sonne zu rechnen haben, ist es unmöglich, eine Nachahmung der Sonne 
zu erstreben, etwa in dem Sinne einer zentral angebrachten, in der Richtung 
von oben nach unten strahlenden Lampe. Um in dem abgeschlossenen Raum 
ein möglichst gleichmäßiges Licht zu erhalten, bleibt nichts anderes übrig, als 
die Belichtung durch mehrere, räumlich entsprechend verteilte Lampen be- 
sorgen zu lassen. Bei Anbringung der Lampen an der Decke des Raumes 
müßten die Menschen innerhalb der Strahlenkegeln in liegender Stellung ver- 
weilen, das eine Mal auf dem Rücken, das andere Mal auf dem Bauche 
liegend, Der stehende Mensch würde von einer Deckenlampe an den Schul- 


Fig. 6. 


ZEITSCHR. f. 
10 A. JESIONEK. TUBERKULOSE 


tern eine Entzündung davontragen, während sich die übrigen Körperteile 
im Schatten befänden. Für den gehenden und stehenden Menschen kommt 
einzig und allein oder wenigstens in der Hauptsache seitliche Belichtung 
in Betracht. Der sich bewegende Mensch untersteht einer einigermaßen 
gleichmäßigen Belichtung seiner Körperoberfläche nur dann, wenn das Licht 
von den Seiten her auf ihn fällt, und er bei seinen Bewegungen von einem 
Strahlenkegel in den anderen gerät. Die physikalischen und die biologischen 
Gesichtspunkte bedingen es, daß die Lampen nicht anders angebracht werden, 
als an den Seitenwänden des Raumes, und zwar in der Weise, daß sich 
die Quarzröhren ungefähr in Nabelhöhe des erwachsenen Menschen be- 
finden, ungefähr 70 cm vom Fußboden entfernt. Wenn sich die Strahlen- 
kegel der nebeneinander stehenden Lanıpen in einer bestimmten Entfernung 
von der offenen Wand der Lichtkästen überkreuzen, ergibt sich in einer 
mittleren Zone des Raumes wenigstens einigermaßen eine gewisse Gleich- 
artigkeit des Lichtes, Die Wirkung dieser direkten, den Lampen entströmen- 
den Strahlung wird unterstützt durch reflektiertes Licht, eine indirekte ultra- 
violette Strahlung, die in der Weise gewonnen wird, daß man die Wände, die 
Decke und den Fußboden des Raumes mit Ultraviolett reflektierenden Medien 
ausstattet. Die Reflexion seitens der Decke wird wohl am besten mittels ge- 
wöhnlicher Scheinwerfer bewerkstelligt, die an den Enden des gangartigen 
Raumes so aufgestellt werden, daß sie ihr Licht schräg nach oben werfen. 

In der Hauptsache ist für die Maßeinteilung des Raumes die biologische. 
Reichweite der Lampen entscheidend. Wir verstehen darunter die Entfernung, 
in der sich von den gegebenen Lampen aus innerhalb bestimmter Zeiten. 
Wirkungen auf die Haut geltend machen. Die Intensität der Strahlung unserer 
Lampen ist derart, daß es bei einem schwach pigmentierten blonden Individuum 
in einer Entfernung von 4 m von der Lichtquelle nach ıstündiger Belichtung. 
zu einer leichten Dermatitis erythematosa kommt. Bei brünetten Individuen, 
bei denen die Haut des Stammes einen etwas reichlicheren Pigmentgehalt auf- 
weist, bedarf es einer ı!/, bis zstündigen Belichtung, auf daß sich eben noch 
entzündliche Hyperämie geltend macht. Die Lichtquelle darf also 5—6 m von 
dem blonden Individuum entfernt sein, um bei ihm nach ıstündiger Einwirkung 
des Lichtes nichts anderes als eine Anreicherung des Pigmentes zu verursachen. 
Die biologische Reichweite der Lampe ist somit auf ungefähr 6 m zu ver- 
anschlagen. Es ergibt sich hieraus, daß unser Belichtungsraum einschließlich 
einer ı m breiten „Schutzzone“ längs der Lampenreihen ı2 m breit sein darf, 
wenn an jeder der Seitenwände innerhalb bestimmter Abstände (3—3,5 m) 
Lampen angebracht werden. Die Länge des Raumes hängt von der Zahl der 
Lampen ab, die man unter den oben erwähnten Bedingungen des Abstandes 
(Überkreuzung der Lichtkegel) an den Wänden anbringen will. Je länger man 
den Belichtungsraum gestaltet, so daß er gangartige Beschaffenheit gewinnt, 
um so zahlreichere Patienten können gleichzeitig in einem solchen Lichtbade- 
raum verweilen, die einen kürzere, die anderen längere Zeit, und um so billiger 
gestaltet sich der Betrieb. Die berechneten Breitenverhältnisse gestatten es 
dem Kranken, sich in beliebiger Weise, gehend, sitzend, stehend, liegend in 


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BD. 26 HEFT1. NATÜRLICHE UND KÜNSTLICHE HELIOTHERAPIE USW. II 


dem Raume aufzuhalten. Innerhalb der Gesamtbreite von 12 m ergibt sich 
für den Aufenthalt schwach pigmentierter Menschen eine Bewegungsbreite von 
4m. Für bereits stärker pigmentierte Individuen erweitert sich diese nach 
jeder Seite um 2 m, im ganzen also auf 3 m. Je stärker pigmentiert der 
Patient ist, in um so größerer Nähe darf er sich an den Lampen vorbei be- 
wegen, während diejenigen Patienten, bei denen höhere Grade der Pigmentierung 
noch nicht erreicht sind, sich an die 4 m breite Mittelzone zu halten haben. 
Hier können sie auf- und abgehen, stehen, sitzen oder liegen, wie es ihnen 
beliebt, oder wie es die individuellen Verhältnisse vorschreiben. Auch für die 
ärztlicherseits zu bestimmende Dauer des Aufenthaltes des Patienten in dem 
Lichtraum und in den verschiedenen Anteilen des Raumes sind die indivi- 
duellen Verhältnisse des Patienten maßgebend. Lichtempfindliche und ängst- 
liche Patienten können bei den ersten Belichtungen in einen aus Verbandgaze 
hergestellten, rot, gelb oder gelbbraun gefärbten Schleier gehüllt werden. 
Eine allgemeine Abschwächung der Intensität des Lichtes kann dadurch be- 
wirkt werden, daß vor jedem Kasten blaugefärbte Uviolglasscheiben!) ange- 
bracht werden, welche die äußeren ultravioletten Strahlen absorbieren. Selbst- 
verständlich haben die Patienten, solange sie sich in dem Lichtraum befinden, 
die schon oben erwähnten „Automobilbrillen“ zu tragen. Einigermaßen ge- . 
schultes Wartepersonal ist leicht imstande, unerwünschte Entzündungen der 
Haut bei den lichtbadenden Patienten zu vermeiden. Andererseits liegt es auf 
der Hand, daß in einem derartigen Lichtbaderaum die entzündungserregenden 
Strahlen für die kutanen Krankheitsherde unserer Lupuspatienten ausgenützt 
werden können. 

Abgesehen von den besonderen Zwecken unserer Heilstätte, für die an 
erster Stelle die Vereinfachung der Lichtbehandlung und die Abkürzung der 
Behandlungsdauer 'in Betracht kommt, ermöglichen unsere Lichtbadehallen 
ganz im allgemeinen jene Form der Lichtbehandlung, die als künstliche Helio- 
therapie bezeichnet werden kann und einen unseren klimatischen Verhältnissen 
entsprechenden Ersatz der Sonnenbehandlung darstellt, wie sie im Hochgebirge 
und in anderen sonnenreichen Gegenden, vornehmlich zum Zwecke der Be- 
handlung tuberkulöser Menschen geübt wird. Wie im freien Sonnenbad _ 
kann hier die gesamte Körperoberfläche des Menschen chemisch aktivem Licht 
von großer Intensität ausgesetzt werden. Als Effekt des Lichtgenusses ergibt 
sich hier in der gleichen Weise, wie in der Gegend mit reicher ultravioletter 
Sonnenstrahlung, zunächst eine dunkle Pigmentierung der Haut. 


1) Von der Quarzlampengesellschaft in Hanau hergestellt. 


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= 0, TÜRERKULOSE 


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LI. 
Zur Behandlung der Hämoptoe. 
Von 


Dr. Wilhelm Neumann (Nervi bei Genua, z.Z. Baden-Baden). 


An den folgenden Zeilen möchte ich einige Beobachtungen und Ge- 
danken mitteilen, die sich mir bei der Behandlung der Hämoptoe, 
dieser körperlichen und seelischen Geißel der Lungentuberkulösen, 
schon vor einiger Zeit und seit kurzem immer bestimmter und bestimmter auf- 
drängten. Und um gleich durch Beispiele zur Anschauung zu bringen, worauf 
meine Ausführungen hinzielen sollen, will ich kurz Ausschnitte aus den Kranken- 
geschichten zweier Patienten bekannt geben, die ich eine längere Reihe von 
Jahren beobachtete. 


Der Patient N. bekam im achten Jahre seiner Krankheit, nachdem er unver- 
nünftigerweise 2 Tage vorher eine große Bergbesteigung unternommen und am Vor- 
abend der Katastrophe ı g Aspirin geschluckt hatte, eine sehr starke Blutung, mitten 
in der Nacht. Frühere zahlreiche Blutungen des Patienten hatten meist bei Bett- 
ruhe gestanden. Diesmal wiederholte sich aber die Blutung 5 Tage hintereinander 
täglich 1—2 Mal, so daß der Blutverlust schließlich gegen anderthalb Liter betrug. 
Gelatineinjektionen, Abbinden der Glieder, Eisblase, Morphium ohne Erfolg. Am 
5. Tage, während eines neuen Blutsturzes, stand der Patient auf, zog sich allein an 
und fuhr mit dem Automobil in eine ca. 60 km entfernte Stadt, wo er das Kranken- 
haus aufsuchte. Mit dem Aufstehen hörte die Blutung sofort auf, und dabei blieb 
es auch, nachdem sich der Kranke am Abend desselben Tages wieder ins Bett legte. 

Nach anderthalb Jahren bekam derselbe Patient wieder eine Blutung am Morgen 
beim. Aufwachen. Wahrscheinlich hatte er schon im Schlafe geblutet, denn er er- 
brach dann ziemlich viel halbverdautes Blut. Auf 10°/,ige intravenöse Kochsalz- 
injektion und strenge Bettruhe stand die Blutung, indessen wurde das Sputum nicht 
von Tag zu Tag reiner, sondern zeigte immer Beimengungen von ganz frischem Blute. 
Nach drei Tagen wiederholte sich trotz strenger Bettruhe die Blutung (wieder beim 
Erwachen) und war diesmal noch stärker als zuvor. Der Patient stand nun sofort 
auf, zog sich an, besorgte auf dem Kloset seinen Stuhlgang und ging ein wenig im 
Zimmer umher. Dann setzte er sich auf einen bequemen Stuhl und blieb den Tag 
über ruhig sitzen. Die Blutung stand sofort nach dem Aufstehen und wiederholte 
sich nicht. Abends ging der Patient in guter Stimmung ins Bett: er hatte den Tag 
über im Sitzen viel gelesen, Briefe geschrieben, Besuche empfangen, mit Appetit 
gegessen. Das Expektorieren war nach geringen Codeindosen leicht und ohne 
Husten vor sich gegangen. Von irgendeiner Behandlung der Hämoptoe war ab- 
gesehen worden. Nur von einer Calcium chloratum-Lösung wurde dreimal täglich 
I g genommen. Am nächsten Morgen, also nach 24 Stunden, war das Sputum 
rein von Blutbeimengungen. Patient stand wieder auf, die Blutung wieder- 
holte sich nicht, und nach vier Tagen ging der Kranke spazieren. Keine Folgen 
für den Lungenzustand. 


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Als Gegenstück zu dieser Krankengeschichte will ich eine zweite mit- 
teilen: 
Es handelt sich um eine 26jährige Patientin, die schon mehrfach Blutungen 


durchgemacht hatte. Sie wurde bei diesen Blutungen, in deren Folge sich jedesmal 
der Lungenzustand verschlechtert hatte, von ihren Arzten immer mit Morphium- 


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BD. nr 1. ZUR BEHANDLUNG DER HÄMOPTOE, 13 


injektionen, Eisbeutel und „Kadaverruhe“ behandelt, so daß sie selbst diese Be- 
handlungsweise als ein Dogma angenommen hatte. Auch bei der Blutung, von der 
ich eben berichte, hatte sie bei jedem Neuauftreten von Blut 0,01 Morphium ein- 
gespritzt bekommen und im übrigen ganz flach im Bett gelegen, ohne sich zu rühren. 
Nach einigen Tagen entwickelte sich im Unterlappen der im allgemeinen gesunden 
linken Lunge eine Pneumonie, aller Wahrscheinlichkeit nach durch Aspiration, die 
in wenigen Tagen zum Tode führte. 


Ich glaube bestimmt, daß diese Aspirationspneumonie nicht eingetreten 
wäre, wenn nicht die Rückenlage in Gemeinschaft mit den Morphiuminjektionen 
der Patientin das Expektorieren sehr erschwert, ja fast unmöglich gemacht hätte. 

Was ich mit der Mitteilung dieser beiden Typen von Krankengeschichten 
(denen ich noch ähnliche hinzufügen könnte) sagen will, ist folgendes: 

Es gibt gewisse Arten von Hämoptoe, bei denen man die Kranken nicht 
mit Bettruhe behandeln darf, sondern bei denen es besser ist, sie aufstehen 
und tagsüber auf einem bequemen Stuhle sitzen zu lassen, 

Welche Arten von Hämoptoe das sind, das ist mir unmöglich, mit aller 
Strenge zu umschreiben; es soll aber sogleich versucht werden. Wahrschein- 
lich kommt die „Außerbettbehandlung“ der Hämoptoe aber noch öfter in 
Frage, als es auf den ersten Blick erscheinen möchte. 


Es ist kaum anzunehmen, daß diejenigen Blutungen, die nicht sehr großen 
Blutverlust verursachen und meist von selbst wieder stehen, durch Arrosion 
oder Zerreißung eines Blutgefäßes entstehen. Sie kommen wohl in der Mehr- 
zahl der Fälle per diapedesin zustande und beruhen auf toxischer Grundlage 
(Sahli (1). Zu diesen parenchymatösen Blutungen, die auch sehr abundant, 
ja tödlich sein können, gehören wahrscheinlich im besonderen diejenigen, die 
entweder überhaupt ohne äußeren Anlaß oder nicht sofort nach der die 
Blutung bedingenden Ursache auftreten, sondern erst eine gewisse „Inkuba- 
tionszeit“ von mehreren Stunden oder gar Tagen brauchen. Wenn z.B. eine 
Lungenkranke getanzt hat, und sie bekommt nach 36 Stunden eine Blutung, 
so wird in den meisten Fällen diese toxischer Natur sein. Es ist, wenn man 
sich so ausdrücken will, durch das Tanzen eine zu starke Autotuberkulinisierung 
eingetreten, die als Herdreaktion zu einer hämorrhagischen Entzündung mit 
folgender Blutung führt. Ebenso kann man sich auch die Blutungen oder 
Blutsputa nach zu großen Tuberkulindosen erklären. 

Wenn aber die Blutung direkt nach einer heftigen Bewegung, z. B. 
Schneeballwerfen, oder nach einem starken Husten und dann eventuell sehr 
heftig auftritt, dann könnte man annehmen, daß ein Gefäß geplatzt sei. Sicher 
ist diese Annahme aber nicht. 

Sie kann auch nicht durch das Aussehen des Blutes nach irgendeiner 
Richtung hin gestützt werden; denn die Farbe des Blutes ändert sich sehr bald, 
wenn es mit der in den Luftröhren hinstreichenden Luft in Berührung kommt. 
Daher ist auch die Unterscheidung einer venösen von einer arteriellen Blutung 
auf Grund der Blutfarbe am Krankenbette kaum möglich. 

So häufig im Verlaufe der Lungentuberkulose die Blutungen sind, ebenso 
selten sind sie verhältnismäßig die direkte Todesursache für den Kranken. 


ZEITSCHR., f. 
14 WILHELM NEUMANN. TUBERKULOSE 


Kommt es im Anschluß an eine Blutung zum Exitus, so tritt dieser Ausgang 
meist erst infolge einer Aspirationspneumonie auf. Denn selbst wenn man 
nicht annehmen will, daß sich durch das die feineren Luftwege ausfüllende 
Blut die Tuberkulose weiter verbreitet, so ist doch das Hämoptoeblut durchaus 
nicht indifferent für die Bronchien und Bronchiolen, da es die Schleimhäute 
reizt und zu tödlichen Komplikationen auch nicht tuberkulöser Natur von seiten 
der Lungen führen kann. 

Nachdem wir also festgestellt haben, daß einerseits die meisten Blutungen 
parenchymatöser Natur sind, und wir infolgedessen annehmen können, daß sie 
von der Körperhaltung des Patienten ziemlich unabhängig sind und nicht ab- 
solute Kadaverruhe verlangen und daß andererseits die direkte Todesursache 
nach Blutungen in der Mehrzahl der Fälle nicht etwa eine Verblutung, sondern 
eine (z. T. infolge Expektorationserschwerung auftretende) Aspirationspneumonie 
ist, so werden wir uns entschließen, je nach dem vorliegenden Falle gewisse 
Hämoptoiker bei der Blutung aufstehen zu lassen und sie, warm angezogen 
und gut zugedeckt, den Tag über auf einem bequemen Stuhle ruhig sitzen zu 
lassen. 

Für eine solche Behandlung kommen diejenigen Blutungen in Frage, die 
wir als parenchymatös ansehen. Ferner müssen die betreffenden Patienten ver- 
nünftig sein und das Außerbettsein nicht zur Ausführung von Torheiten be- 
nützen. 


Die Vorteile dieser Behandlungsweise sind subjektiver und objektiver 
Natur. Subjektiv geben fast alle Kranken an, daß sie beim ruhigen Sitzen 
sich viel wohler fühlen, weniger deprimiert und weniger aufgeregt sind als im 
Liegen. Manche intelligente Kranke, die schon Blutungen hinter sich hatten, 
sagten, daß sie beim Sitzen ein Gefühl der Sicherheit vor dem Rezidiv hätten. 

Die Nahrungsaufnahme fällt den Patienten im Sitzen bedeutend leichter 
als im Liegen und ist ihnen angenehmer. Man vermeide indessen auch beim 
Sitzen feste und zu heiße Speisen wegen der Anstrengung des Kauens. 

Eine wichtige Angelegenheit für den bettlägerigen Hämoptiker ist die 
Frage des Stuhlgangs.. Auch dafür ist die Rückenlage im Bette ungünstig für 
den Kranken. Die Defäkation geht im Liegen schwerer vor sich als im Sitzen, 
abgesehen davon, daß bei vielen Kranken psychische Vorstellungen die Defä- 
kation im Bette erheblich erschweren. Da die wegen des Hustens manchmal 
nicht zu umgehenden Codeinpräparate (wahrscheinlich durch Lähmung der 
Ampulle) die Schwierigkeiten des Stuhlgangs noch erhöhen, so bildet die der 
Hämoptoe folgende Verstopfung oft genug ein wahres Elend für den Kranken, 
unter dem er recht zu leiden hat. Will er sich dann doch mit aller Gewalt 
des Darminhaltes entledigen, so sieht er sich leicht zum Pressen veranlaßt, 
wodurch der intrapulmonale Druck in schädlicher Weise gesteigert werden 
kann. Deshalb ist es besser, man läßt den Kranken entweder aufs Klosett 
gehen oder auf dem Zimmerklosett seinen Stuhlgang verrichten. Wenn irgend 
‚möglich — keine Bettschüssel. Ein rechtzeitig vorher eingeführtes Supposi- 
torium macht dann meist jedes stärkere Pressen unnötig. 


er: a -p en a o 


BD. 25, HEFT 1 ZUR BEHANDLUNG DER HÄMOPTOE. I5 


Auch objektive Vorteile sind von der Außerbettbehandlung der Hämoptoe 
zu erwarten, deren größter zweifellos die Erleichterung der Expektoration ist. 
Ebenso wird der Hustenreiz dadurch gemildert und somit der Gefahr aus dem 
Wege gegangen, durch starke Hustenstöße eine Wiederholung der Blutung 
hervorzurufen, | 

Eine merkwürdige Tatsache ist die, daß viele Blutungen in der Nacht 
auftreten. Wer Arzt in einem Sanatorium war und dort häufig Blutungen 
gesehen hat, der wird das bestätigen können. Meines Wissens ist der Grund 
dieser Erscheinung unbekannt. Ich selbst lege sie mir folgendermaßen zu- 
recht: Im Schlafe treten gewisse, noch nicht genau durchforschte, mehr geahnte 
als gewußte Zustände innerer Sekretion auf, die eine Alteration des Vagus- 
und Sympathicustonus zur Folge haben. Daß während des Schlafes Verän- 
derungen in der inneren Sekretion eintreten, sehen wir z. B. an der Anschwel- 
lung der Schilddrüse. Daß diese Veränderungen auf das autonome und sym- 
pathische Nervensystem wirken, beweisen uns u. a. das Aufhören der Magen- 
saftsekretion, der Darmperistaltik, des Urindranges, der Expektoration (es gibt 
eine der Darmperistaltik analoge sekretfördernde Peristaltik der Luftwege) usw. 
nach dem Einschlafen und das plötzliche Wiederbeginnen dieser Tätigkeiten 
nach dem Erwachen. Ich glaube, daß die Änderung des Vagustonus im Schlafe 
einen Einfluß auf die Entstehung der Blutungen hat (der Erfolg der thera- 
peutischen Bestrebungen mit Adrenalin (Philippi u. a.), Atropin und dem 
Extrakte des hinteren Hypophysenlappens (Wiggers) spricht dafür) und daß 
auch diejenigen Blutungen, die erst am Morgen nach dem Erwachen auftreten, 
in Wirklichkeit oft schon während des Schlafes stattgefunden haben, d. h., das 
Blut ist z. T. im Schlafe verschluckt worden, z. T. in den Bronchien stecken 
geblieben. Manche Kranke wissen das wohl und bemühen sich, in den Nächten 
nach der Hämoptoe nicht eher zu schlafen, als bis sie sich vor der Wieder- 
holung der Blutung sicher fühlen. Da es nun wahrscheinlich ist, daß im Liegen 
als dem Übergang zum Schlafen eine Annäherung an den im Schlafen herr- 
schenden Vaguszustand angestrebt wird (vielleicht durch die Muskelerschlaffung), 
so kann man wohl annehmen, daß dieselben (noch unbekannten) Momente, die 
im Schlafe und durch den Schlaf das Eintreten der Blutung begünstigen, auch 
im Liegen bis zu einem gewissen Grade wirksam sind und dem Kranken schäd- 
lich sein können. Auch diese Überlegung spricht für die Außerbettbehandlung 
der Hämoptoe. 

Diejenigen, die von der strengen Bettruhe bei Hämoptoe in allen Fällen 
nicht lassen wollen, führen als Gegenargumente gegen die Außerbettbehand- 
lung vor allem an, daß das Sitzen gegenüber dem Liegen eine starke Muskel- 
arbeit sei, die den Sauerstoffverbrauch des Körpers und somit die Anstrengung 
der Lunge erhöhe. Die dadurch notwendigen tieferen und häufigeren Inspira- 
tionen sollen eine stärkere Durchblutung der Lunge hervorrufen, und diese 
stärkere Durchblutung könnte die Gefahr eines Rezidivs erhöhen. 

Man darf diesen Einwänden mancherlei entgegenhalten. Nach Cloetta 
(2 und 3) ist die Lunge gerade im Stadium der tiefsten Exspiration und bei 
geringer Inspiration am stärksten durchblutet, auf der Höhe der Inspiration 


r ZEITSCHR. f. 
16 | WILHELM NEUMANN. TUBERKULOSE 


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am blutärmsten. Von einer Ruhigstellung der Lunge kann ja auch im Liegen 
keine Rede sein, dazu bedarf es schon eines Pneumothorax. Der geringe Mehr- 
verbrauch an Sauerstoff im Sitzen gegenüber dem Liegen kommt wohl kaum 
in Betracht. Und verschiedentlich ist in der Literatur darauf hingewiesen, daß 
Muskelkontraktion die Gerinnungsfähigkeit des Blutes erhöhe. Außerdem denke 
man an das, was oben über die Muskelerschlaffung beim Schlafen im Liegen 
gesagt wurde. 

Hohe Temperatur, die schon vor der Blutung da war, zwingt, uns natür- 
lich, den Kranken im Bette zu halten. Wir müssen ihn dann möglichst hoch 
lagern. Die nach der Blutung auftretende Temperatursteigerung bildet im 
allgemeinen keine Kontraindikation für die Außerbettbehandlung. Manchmal 
kann das Auftreten von höherem Fieber nach einer Blutung gerade das Sym- 
ptom einer Retention oder beginnenden Aspirationspneumonie sein. Im übrigen 
glaube ich nicht, daß man aus dem Verhalten der Temperaturkurve in bezug 
auf die Prognose Schlüsse ziehen kann. Ich sah die Temperatur am Tage 
nach der Blutung bis über 39° steigen, ohne daß die Hämoptoe schlimme 
Folgen für den Prozeß in der Lunge hatte. Wieder andere Male verschlim- 
merte sich nach der Blutung der Zustand des Kranken zusehends, ohne daß 
die Temperatur bemerkenswert in die Höhe gestiegen war. 


Was die medikamentöse Behandlung der Hämoptoe anlangt, so bin ich 
großer Anhänger der intravenösen Kochsalzinjektionen geworden. 5—6 ccm 
einer 10°/,igen Kochsalzlösung in die gestaute Kubitalvene eingespritzt wirken 
meistens prompt blutstillend.. Da die Wirkung flüchtig ist, so tut man gut, 
die Injektionen ein- bis zweimal am Tage zu wiederholen. Die Technik ist 
einfach: man nimmt zum Einstechen eine nicht zu dünne Nadel und über- 
zeugt sich durch Blutansaugen von Zeit zu Zeit, daß man wirklich in der 
Vene ist. Auch nur wenige ins Gewebe eindringende Tropfen bereiten dem 
Kranken ganz fürchterliche Schmerzen: Ich habe mich am eignen Leibe davon 
überzeugt. Hat man daneben gespritzt, so wende man sehr heiße Umschläge 
zur rascheren Aufsaugung der hochkonzentrierten Kochsalzlösung: an. 

Kochsalzgaben bewirken eine Verdünnung des Blutes und eine Erhöhung 
der Blutgerinnungsfähigkeit. Die Bluteindickung geht nämlich mit der Gerin- 
nungsfähigkeit nichr parallel, sondern ist ihr entgegengesetzt (Veil (4). Die 
Gerinnungserhöhung nach Kochsalzgaben wird wahrscheinlich durch Ein- 
schwemmen von Thrombokinase aus den Geweben ins Blut hervorgerufen 
(von den Velden). 

Mehrere Autoren geben an, daß das Hämoptoeblut eine Verminderung 
der Gerinnung zeige (Magnus-Alsleben und Morawitz, XXX. Wiesbadener 
Kongreß 1913). Es wäre also gut, auch sonst noch auf eine Erhöhung der 
Blutgerinnung beim Lungenbluter hinzuarbeiten. Ein gutes Mittel dazu haben 
wir im Kalk in der Hand. 

Die Anwendung des Calciums bei Blutungen als koagulationsbeförderndes 
Mittel ist nicht neueren Datums. Bei den Blutungen Hämophiler wird sie schon 
seit langem empfohlen. Auch hat man es prophylaktisch vor Operationen 


mr 


BD. 25. HEFT 1. | ZUR BEHANDLUNG DER HÄMOPTOE. 17 


gegeben. In neuerer Zeit ist die Kalktherapie, namentlich durch die Be- 
mühungen von Emmerich und Loew (5 und 6), wieder in Mode gekommen, und 
darum möchte ich hier einige Worte über die Wirksamkeit der Kalksalze sagen. 

Die blutgerinnungsfördernden Eigenschaften des Kalkes werden von vielen 
Autoren zugegeben; er soll die Bildung kompakter Fibringerinnsel begünstigen. 
Auch von den Velden (7) bestätigt die erhöhte Gerinnungsfähigkeit des Blutes 
nach Calciumverabreichung und bemerkt, daß man den Kalk sowohl bei Blu- 
tungen per diapedesin, wie auch bei solchen per rhexin geben kann, da einmal 
die Gefäßwände abgedichtet werden, im 2. Falle das Blut eine erhöhte Ge- 
rinnungsfähigkeit erhalten kann. Einige, wie Schultz (8) und Umber (9) 
haben keinen Einfluß des Calciums auf die Blutgerinnung gesehen. | 

Die eben erwähnte, gefäßabdichtende Wirkung der Kalksalze wird be- 
sonders von Chiari und Januschke (10) und von H. H. Meyer (11) betont. 
Letzterer hat, ebenso wie Chiari und Fröhlich (12), Jaruschke (l. c.) H. 
Leo (13) und andere, darauf hingewiesen, daß nach Calciumgaben die Bildung 
von Transsudaten und Exsudaten, sowie von Entzündungen gehemmt wird. 
H. H. Meyer (14) bezeichnet das Calciumchlorid in gewisser Richtung als 
Adstringens, und zwar als fernwirkendes Adstringens. Bei Tieren, die 
durch subkutane Injektion von Chlorcalcium mit Kalk angereichert sind, treten 
die Erscheinungen der Entzündung überhaupt nicht oder nur abgeschwächt 
auf. Kalksalze steigern die Beweglichkeit und das phagocytäre Vermögen der 
Leukocyten und erhöhen die entgiftenden Möglichkeiten der Gewebe. Em- 
merich und Loew (l. c.) charakterisieren die Wirkung des Kalkes wie folgt: 
„Infolge der genügenden oder reichlichen Zufuhr von Kalksalzen kann der 
kalkbedürftige Zellkern von Drüsen, Muskeln, Ganglienzellen oder Leukocyten 
seine Funktionen richtig ausführen, respektive erhöhen. So wird z. B. die Aus- 
nützung der Nahrung durch Calciumzufuhr erhöht, und dieses kann nur eine 
Folge von vermehrter Enzymbildung sein, welche, wie Hofer zeigte, eine 
Funktion der Zellkerne ist. Weitere Folgen hiervon sind Kräftigung der Kon- 
stitution, Erhöhung der Phagocytose, der Bakterizidie des Blutes und überhaupt 
eine Erhöhung der Widerstandsfähigkeit gegen verschiedene krankmachende 
Einflüsse. Die Kalksalze setzen ferner die gesteigerte Erregbarkeit der Nerven 
herab.“ 

Nach Voorhoeve (15) zeigen Tuberkulöse Neigung zu negativer Bilanz 
des Kalkstoffwechsels, die durch das viele Liegen der Kranken noch negativer 
wird (Kochmann) 16). Und zwar ist diese negative Kalkbilanz nicht nur die 
Folge, sondern auch wieder die Ursache krankhafter Veränderungen. Es ist 
also möglich, daß wir infolgedessen außer anderen Symptomen des Kalkmangels 
(wie Erregbarkeit des sympathischen Systems usw.) bei Tuberkulösen auch 
leichtere Durchlässigkeit der Gefäße und herabgesetzte Gerinnungsfähigkeit des 
Blutes, sowie Neigung zu Entzündungen finden: Momente, die zu Blutungen 
prädisponieren. ! 

Hier wird also eine verlängerte Calciumkur von Vorteil sein. Ich gebe 


bei Patienten, die zu Blutungen neigen, mit gutem Erfolge monatelang Kalk 
-in den unten näher bezeichneten Dosen. 


Zeitschr, f, Tuberkulose. 25. 2 


ZEITSCHR., f. 
18 WILHELM NEUMANN. a 


Über die Resorption und Ausscheidung des per os aufgenommenen Kalkes 
herrschen noch Meinungsverschiedenheiten. Manche Autoren sagen, der per 
os gegebene Kalk erscheine quantitativ in den Fäces wieder, würde also gar- 
nicht resorbiert. Dieser Schluß ist nicht berechtigt: Denn die den Darm mit 
den Fäces verlassende Kalkmenge erscheint deswegen so groß, weil nach der 
Resorption in den Körper ein Teil des resorbierten Kalkes wieder in den 
Darm ausgeschieden wird. Außer durch den Darm erfolgt die Elimination 
der Calciumsalze durch die Nieren (in gelöster Form) und (in Form feiner 
Körnchen) in die Bronchialschleimhaut (cfr. A. Katase (17). 

Für die Nieren ist bei Kalkmedikation nicht zu fürchten. Nach Arnoldi 
und Brückner (18) übt Calcium chloratum bei den verschiedensten Formen 
chronischer Nierenentzündung sogar eine deutliche diuretische Wirkung aus. 
Auch Eisner (19), der bei Nierengesunden keine wesentliche Funktionsherab- 
setzung der Nieren durch Kalk, bei Nierenkranken hingegen immer eine solche 
gesehen hat, hält trotzdem einen günstigen Einfluß des Kalkes auf die er- 
krankte Niere für möglich. 

Als Präparat kommt wohl vor allen anderen das Calcium chloratum in 
Frage. Der Apotheker führt davon drei Arten: das Calcium chloratum puris- 
simum cristallisatum, das Calcium chloratum purissimum siccum und das Calcium 
chloratum fusum. Das erste, das 6 Kristallwasser enthält (CaCl, + 6H,O) ist 
außerordentlich hygroskopisch, ätzt ziemlich stark und hat nur ungefähr 50°/, 
seines Gewichtes an CaCl,. Das muß bei der Dosierung berücksichtigt werden. 

Ich ziehe das Calcium chloratum purissimum siccum (oder fusum) vor: 
es ätzt weniger, ist viel weniger hygroskopisch, so daß man es geschmacks- 
empfindlichen Personen eventuell in Kapseln verschreiben kann. Von diesem 
Kalksalze lasse ich täglich 2—3 g nehmen (0.04—0,05 pro kg Körpergewicht) 
und zwar in 10—20°/ iger Lösung. Gerne nehmen die Patienten diese Lösung 
in einer Tasse Kakao (der Kakao muß aber ziemlich kalt sein, bevor man die 
Kalklösung hineinschüttet, sonst gerinnt er und wird widerlich. Man hat dann, 
wenn man z. B. 3 mal täglich ı Teelöffel der 20°/ igen Lösung in abgekühltem 
Kakao verschreibt, noch den Vorteil, daß der Patient im Kakao ein kalorien- 
reiches Vehikel zu sich nimmt. Weniger geschmacksempfindliche Patienten 
nehmen die 20°/,ige Kalklösung einfach in einem Glase gewöhnlichen oder 
mineralischen Wassers. 

Man kann die Calciumwirkung noch erhöhen, indem man den Patienten 
anweist, in den Wochen der Kalkverordnung täglich etwas Natron bicarboni- 
cum zu nehmen. Denn nach den Versuchen von Dubois und Stolte (20) 
schont Alkali den Kalkbestand des Körpers. 

Der Kalkmedikation unterziehe ich den Patienten, wenn nicht starke 
Magen- und Darmbeschwerden hinderlich sind, am liebsten mehrere Wochen, 
ja Monate. Sie tut ihm oft in vieler Hinsicht gut. 


Von den vielen Mitteln, die sonst noch gegen die Hämoptoe empfohlen 
werden, braucht man bei der Außerbettbehandlung kaum welche anzuwenden. 
Warnen möchte ich vor dem Gebrauch des Morphiums. Und zwar aus fol- 


BD. an HEERE 1. ZUR BEHANDLUNG DER HÄMOPTOE. IQ 


genden Gründen: Für den Transport des Inhaltes der Alveolen und End- 
bronchiolen, die nicht über Flimmerepithel verfügen, ist die Lungenmus- 
kulatur von großer Bedeutung. „Sowohl die Alveolen als auch die Bronchien 
besitzen eine glatte Muskulatur, deren wechselnder Kontraktionszustand von 
den durch den Nervus vagus ihr zugehenden konstriktorischen und dilatato- 
rischen Erregungen beherrscht wird. Die mit der des Darmes analoge Inner- 
vation und auch pharmakologische Reaktion der Bronchialmuskulatur 
macht es sehr wahrscheinlich, daß auch sie zu peristaltischen Bewegungen — 
selbstverständlich in aufsteigender Richtung — befähigt ist. Dadurch könnten 
in den engsten Bronchien die Schleimpfröpfe emporgetrieben werden“ (nach 
Meyer und Gottlieb, l. ct. S. 308). 

Da also die pharmakologische Reaktion der Bronchialmuskulatur der der 
Darmmuskulatur analog ist, so müssen wir erwarten, daß das Morphium, 
welches nach Poulsson (21) sowohl die normale Peristaltik des gesunden 
Menschen, wie auch die krankhaft verstärkten Darmbewegungen hemmt und 
in hinreichender Dosis sogar einen vollständigen Ruhezustand des ganzen 
Darmrohres hervorruft, daß es also auch zur Lähmung der Bronchialperistaltik 
und zur Retention von Blut, Schleim und Eiter mit ihren gefährlichen Folgen 
führt. Man lasse also das Morphium ganz weg, und gebe, falls unbezwing- 
barer Hustenreiz vorhanden ist, Codein in größeren Dosen (0,02—0,05 pro 
Dosis). Codein unterscheidet sich vom Morphium u. a. dadurch, daß es viel 
weniger beruhigend auf den Darm wirkt; bei Tieren ruft es sogar starke 
Peristaltik und Diarrhöe hervor (Poulsson, 1. c. S. 80). Wir müssen also eine 
analoge Wirkung auf die Bronchialmuskulatur annehmen. In der Tat geben 
manche Patienten an, daß das Codein bei ihnen leicht und angenehm expek- 
torierend wirke. Die bei Codeingebrauch manchmal auftretende Obstipation 
erstreckt sich nach meiner Erfahrung nur auf die Ampulle des Rektums und 
ist durch ein Suppositorium zu beheben. 

Am besten ist es, wenn man ohne Narkotika auskommen kann. Ich 
halte die Kranken an, das Expektorieren vorsichtig zu bewerkstelligen. Also 
nicht daraufloszuhusten, sobald der geringste Kitzel im Halse oder in den 
Bronchien sich bemerkbar macht, und zu vermeiden, das Sputum aus den 
tieferen Abschnitten herausholen zu wollen. Oft sah ich großen Nutzen davon, 
daß ich den Patienten die Mechanik und die Wirkung des Flimmerepithels 
zweckentsprechend auseinandersetzte.e Dann unterließen sie das vorzeitige ` 
Husten und beförderten den im Kehlkopf angelangten Husten einfach durch 
 Räuspern heraus. Manche Kranke bekämpfen den Hustenreiz durch einen 
Schluck zimmerwarmer. Milch, die sie mit einem Glasröhrchen saugen. 

Mit intravenösen Kochsalzinjektionen, Kalk und Codein kann man im 
allgemeinen bei nicht komplizierten Blutungen auskommen. Bei schlechter 
Herztätigkeit gebe ich noch Digitalispräparate, denen auch eine gerinnungs- 
befördernde Wirkung auf das Blut zukommt. Psychische Beruhigung ist not- 
wendig. Auf die Legion der anderen Mittel kann man verzichten, ebenso auf 
den Eisbeutel und auf. das dem Kranken oft unangenehme Abbinden der 
Glieder. 


2* 


20 WILHELM NEUMANN, ZUR BEHANDLUNG DER HÄMOPTOE. zuiicHR Í 


Sollten sich Zeichen einer Retention oder Aspirationspneumonie bemerk- 
bar machen, so greife man zu einem Brechmittel wie Apomorphin, Ipeca- 
cuanha oder Tartarus stibiatus und gebe dreiste Dosen: denn es besteht Lebens- 
gefahr. Die Befürchtung, daß durch den Brechakt eine Zerreißung des bluten- 
den Gefäßes und eine Wiederholung der Blutung hervorgerufen werden könnte, 
scheint mir nicht zu recht zu bestehen. Ich sah nach Lungenblutungen starkes 
Erbrechen ohne schädliche Folgen. 

Es darf nicht unerwähnt bleiben, daß eine Hämoptoe das Initialsymptom 
einer kruppösen oder lobulären Pneumonie sein kann. Ist diese Diagnose ge- 
stellt (Aussehen des Sputums!), dann muß selbstverständlich in erster Linie die 
Pneumonie und nicht die Hämoptoe behandelt werden. 


Zusammenfassung. 


Die Hämoptoe steht bei der „Außerbettbehandlung“ oft leichter als bei 
strenger Bettruhe. Diese Behandlungsart verringert auch die Gefahr der Aspi- 
rationspneumonie. Aus dem Heer der gegen die Lungenblutung empfohlenen 
Mittel halten wir als die wirksamsten: intravenöse 10°/,ige Kochsalzinjektionen 
und die Calciumsalze. Bei Husten kein Morphium, sondern Codein. Bei 
Lungenblutungen, die das Initialsymptom einer kruppösen oder lobulären 
Pneumonie darstellen, ist in erster Linie die Pneumonie und nicht die Hämo- 
ptoe zu behandeln. 


Literatur. 


I. Sahli, Über Tuberkulinbehandlung. 4. Aufl. Basel 1913. — 2. Cloetta, In welcher 
Respirationsphase ist die Lunge am besten durchblutet? Arch. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 70. 
1912. — 3. Cloetta, Untersuchungen über die Elastizität der Lunge. Arch. f. d. ges. Physiologie. 
Bd. 152. 1913. — 4. Veil, Über die klinische Bedeutung der Blutkonzentrationsbestimmung. 
Dtsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 113. 1914. — 5. Emmerich und Loew, Berl. klin. Wchschr, 
Nr. 26. 1913. — 6. Emmerich und Loew, Münch. Med. Wchschr. Nr. 2. 1915, — 7. Von 
den Velden, Vereinsbericht, ref. Münch. med. Wchschr. Nr. 25. 1912. — 8. Schultz, Münch. 
med. Wchschr. Nr. 1. 1913. — Umber, Ztschr. f. ärztl. Fortbildung. IX. Jahrg. Nr. 20. 1912. — 
10. Chiari und Januschke, Hemmung von Transsudat und Exsudatbildung durch Calciumsalze. 
Arch. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 65. 1—2. Heft. — ır. Hans Horst Meyer, Über die Wir- 
kung des Kalkes. Münch. med. Wchschr. Nr. 44. 1910. — 12. Chiari und Fröhlich, Arch. 
f. exp. Path. u. Pharm, Bd. 64. 1911. — 13. H. Leo, Über die entzündungswidrige Wirkung löslicher 
neutraler Kalksalze. Dtsch. med. Wchschr. Nr. 1. 1911., — 14. Meyer und Gottlieb, Experi- 
mentelle Pharmakologie. 2. Aufl. ıgrı. — 15. Voorhoeve, Zur Lehre des Kalkstoffwechsels. 
Dtsch. Arch. f. klin. Med. Bd, 110. Heft 3—6. 1913. — 16. Kochmann, Dtsch. med. Wchschr. 
Nr. 45. 1913. — 17. Katase, Experimentelle Verkalkung am gesunden Tiere. Zieglers Beitr. z. 
path. Anat. Bd. 57. Heft 3. 1914. — 18. Arnoldi und Brückner, Der Einfluß des Chlorcal- 
ciums auf die Diurese bei chronischer Nierenentzündung usw. Ztschr. f. klin. Med. Bd. 79. 3. u. 
4. Heft. — 19. Eisner, Über die Beeinflußung der Nierenfunktionen des Menschen durch Kalk- 
salze. Dtsch. Arch. f..klin. Med. Bd. 112. 5. u, 6. Heft. — 20. Dubois und Stolte, Jahrbuch 


der Kinderheilkunde. Bd. 77. Heft 1. — 21. Poulsson, Lehrbuch der Pharmakologie. Deutsche 
Übers. 1909. 


BD. HEET J. ORTH, TRAUMA UND LUNGENTUBERKULOSE. 21 


III. 
Trauma und Lungentuberkulose.!) 


Vier Obergutachten erstattet von 
Geheimrat Prof. J. Orth. 


In der Unfallversicherungssache der Witwe des Maurerpoliers Th. S. erstatte ich 
hiermit unter Rückgabe der Akten das gewünschte Obergutachten darüber, ob der 
Tod des Maurerpoliers Th. S. auf den Unfall vom 25. April Igrı ursächlich zurück- 
zuführen oder durch den Unfall wenigstens wesentlich beschleunigt worden ist. 

Der Maurerpolier S. hat gemäß dem Berichte des Herrn Dr. W. und Dr. P. 
diesen mitgeteilt, daß er schon im Jahre 1905 lungenkrank gewesen sei und Blut- 
husten gehabt habe. 

Der Arzt der Landesversicherungsanstalt gibt an, daß S. seit 20. August 1908 
eine Lungenerkrankung mit Blutungen habe, die ihn seit 13. Dezember 1908 arbeits- 
unfähig gemacht habe. 

Vom 4. Februar 1909 bis 6. April 1909 befand sich S. in einer Lungenheil- 
stätte, von der zum erstenmal ein genauerer Befund gemeldet wurde, aus dem sich 
ergibt, daß schon bei der Aufnahme beide Lungenspitzen erkrankt waren, die rechte 
mehr als die linke, daß im Auswurf Tuberkelbazillen vorhanden waren. Das Ge- 
wicht betrug 70,1 Kilo. Nach der üblichen Stadienbezeichnung wurde für die rechte 
Lunge das IL, für die linke das I, als Gesamtstadium der Erkrankung das II. an- 
genommen. 

Am Schlusse der Behandlungszeit war der Lungenbefund etwas besser, wie aus 
den sehr sorgfältigen und durch Abbildungen erläuterten Zusammenstellungen im 
Gutachten des Herrn Dr. R. zu ersehen ist, auf die ich wegen der Einzelheiten 
hiermit ein für allemal verweise. Der Gesamtbefund — es waren immer noch Tu- 
berkelbazillen im Auswurf — ergab jedoch immer noch für die rechte Lunge und 
insgesamt das Stadium II. Das Körpergewicht war auf 72,5 Kilo gestiegen. 

In einem Bericht des Arztes der Landesversicherungsanstalt vom 18. Dezember 
1909 wird angegeben, daß S. seit 3. August (soll vielleicht 23. August heißen) ar- 
beitsunfähig sei, und auch dieser Arzt gibt das Ergriffensein beider Lungen an, 
wenn er auch die Verhältnisse günstiger beurteilt als es in der Lungenheilstätte ge- 
schehen war, indem er für die rechte Lunge Stadium I/II, für die linke I annimmt. 

Zum zweitenmal befand sich S. vom 30. Dezember 1909 bis 2. März ıgıı 
in derselben Lungenheilstätte, die er am 6. April 1909 verlassen hatte. Bei der 
Aufnahme wurde hier eine erhebliche Verschlechterung festgestellt: Gewicht 66,1 Kilo, 
Tuberkelbazillen im Auswurf, Stadium rechts und insgesamt TI/III. 

Bei der Entlassung wurde diesmal eine erheblichere Besserung als beim ersten 
Aufenthalt festgestellt: Körpergewicht 67,9 Kilo, kein Auswurf mehr, Stadium rechts 
und insgesamt II. 

Am 25. April ıgıı erfolgte der Unfall, bei dem S. mehrere Knochenbrüche, 
unter anderen am rechten unteren Schulterblattwinkel erfuhr. Der Verletzte wurde 
vom 25. April bis 26. August ıgıı in einem Krankenhause behandelt, in dem S. 
bei seiner Aufnahme berichtete, er habe sofort nach dem Unfall Bluthusten be- 
kommen und auf der Baustelle !/, Liter Blut ausgehustet. Dr. W. stellte bei der 
Aufnahme einen mittleren Ernährungszustand, Abschwächung des Schalles in der 
‚rechten Ober- und Unterschlüsselbeingrube, sowie kleinblasiges Rasseln und leicht 
bronchiales Atmungsgeräusch fest. Der Bluthusten ließ nach 6 Tagen nach, die 


1) Bei der großen Wichtigkeit der in letzter Zeit vielfach diskutierten Frage „Trauma und 
Lungentuberkulose“ dürften die vier folgenden, von Geheimrat Prof. J. Orth erstatteten und der 
Zeitschrift in dankenswerter Weise überlassenen Obergutachten die Leser besonders interessieren. 
D. Red. 


` ZEITSCHR. f. 
22 J. ORTH. TUBERKULOSE 


Rasselgeräusche nahmen langsam an Menge ab, und waren am 8. September vorn 
verschwunden, hinten nur ab und zu zu hören. 

Vom 20. bis 27. September ıgIı wurde S. im Brüderkrankenhause beobachtet. 
Dr. P. stellte hier ein Gewicht (bei leichter Bekleidung) von 68 Kilo fest. An den 
Lungen ließen sich rechts und links Veränderungen nachweisen, welche nach dem 
Urteil des genannten Arztes von den früher in der Heilstätte festgestellten nicht 
wesentlich verschieden waren. Bei einer erneuten Untersuchung am 4. Juni 1912 
fand Dr. P. einen ausreichenden Ernährungszustand, stärkere Veränderungen rechts, 
geringere in der linken Spitze, eine früher aufgetretene Schallverkürzung am rechten 
Unterlappen fiel kaum noch auf, so daß Dr. P. wiederum zum Schluß kam, daß die 
jetzt vorhandenen Veränderungen den nach den Akten schon früher vorhanden ge- 
wesenen sehr ähnelten. Der Kranke selbst erklärte, er habe seitens der Brust keine 
besonderen Beschwerden; der Husten habe sich gebessert, nur morgens früh werfe 
er etwas aus. | 

Unter dem Datum des 17. Dezember ıgr2 meldet Dr. P., daß S. als Polier 
arbeitet, wenn auch mit vermindertem Stundenlohn, daß der Kranke nach seiner 
Angabe mitunter Bruststiche habe und das Husten hauptsächlich nach dem Essen 
aufträte.e Noch fand Dr. P. die Gesichtsfarbe gesund. Am flachen Brustkorb die 
Schlüsselbeingruben beiderseits etwas eingezogen, gegen früher jetzt auch leichte 
Schallverkürzung über dem linken Oberlappen, an der linken Lungenspitze mittel- 
und feinblasiges Rasseln. Durch einen Schreibfehler im Gutachten ist die betreffende 
Stelle etwas unklar, als wesentlich ist aber die Schlußfolgerung des Herrn Dr. P. zu 
beachten, daß eine Verschlimmerung der Lungenveränderungen dadurch eingetreten 
sei, daß neuerdings Krankheitserscheinungen an der linken Lungenspitze aufge- 
treten seien. 

Am 28. Juni 1913 ist S. an seiner Lungenschwindsucht gestorben. — 

Die Gutachter, welche sich nach dem Tode des S. geäußert haben, haben 
sich nur mit der Frage beschäftigt, ob durch den Unfall die Lungenkrankheit ver- 
schlimmert und der Tod beschleunigt worden sei. 

Herr Dr. P. hat wiederholt der Meinung Ausdruck gegeben, daß dem Unfall 
ein nachhaltiger verschlimmernder Einfluß nicht beizumessen, durch ihn also auch 
der Tod nicht beschleunigt worden sei. 

Herr Dr. E. ist entgegengesetzter Meinung. Er hält die Lunge durch den 
Unfall für schwer beeinträchtigt, da eine Blutung aus einem oder mehreren Ein- 
rissen entstanden seien. Diese Risse seien durch den Atmungsluftstrom mit Tu- 
berkelbazillen in Berührung gekommen, wodurch eine Ausbreitung der Tuberkulose 
bewirkt worden sei, da an jedem Rißchen ein neuer tuberkulöser Herd sich ent- 
wickelt habe. Solche tuberkulösen Herde könnten einen chronischen Verlauf nehmen 
und darum erst nach Monaten oder Jahren bemerkbar werden. 

Die Krankheit habe vor dem Unfall einen gutartigen Charakter gehabt, denn 
6 Jahre nach dem Bluthusten sei S. noch arbeitsfähig gewesen. Es sei ein kon- 
tinuierlicher Fortschritt der Erkrankung nach dem Unfall vorhanden gewesen, dem 
Patienten selbst habe sich das Fortschreiten der Erkrankung weniger bemerkbar ge- 
macht als den Ärzten, zumal bei der Nichttätigkeit desselben. Der Unfall mit 
seinen schweren Folgen außerhalb der Lungen habe den Patienten durch die Be- 
schwerden des Krankenlagers in seinem allgemeinen Befinden und in seiner Wider- 
standsfähigkeit im allgemeinen, insbesondere der Tuberkulose gegenüber geschwächt, 
auch darum sei durch ihn der Tod beschleunigt worden. 
| Dr. R. endlich hat sich auf die Seite von Dr. P. gestellt. Er kommt zu fol- 
genden Schlüssen: 

I. Schon vor dem Unfall sei eine vorgeschrittene offene Tuberkulose von fort- 
schreitendem Charakter vorhanden gewesen. 

2. Die Blutung nach dem Unfall sei aus dem rechten Oberlappen gekommen, 
habe aber keine wesentliche Ausbreitung der Tuberkulose zur Folge gehabt. 


u a TRAUMA UND LUNGENTUBERKULOSE. | 23 


3. Als späte Folgeerscheinung sei möglicherweise ein vorübergehendes leichtes 
Aufflackern des linksseitigen alten tuberkulösen Spitzenherdes und eine wahrschein- 
lich nicht tuberkulöse Schleimhautschwellung der Luftwege des rechten Unterlappens 
anzusehen, die aber beide wieder völlig abgeklungen seien. 

4. Erst 20 Monate nach dem Unfall sei eine objektiv nachweisbare Ver- 
schlimmerung des alten linksseitigen Spitzenherdes eingetreten, der offenbar, sich 
rasch ausbreitend, zum Tode geführt habe. Auf den Unfall sei diese Verschlimme- 
rung wegen ihres späten Auftretens und des geringfügigen Einflusses des Unfalls 
auf das Lungenleiden überhaupt nicht zurückzuführen. 

5. Diese Verschlimmerung sei mit größter Wahrscheinlichkeit die Folge der 
natürlichen Fortentwicklung des alten Leidens. 

6. Eine Herabsetzung der allgemeinen Widerstandsfähigkeit durch den Unfall 
und seine Folgen sei unwahrscheinlich. 


Ich kann mich in der Beurteilung des Falles S. nur den Herren Dr. P. und 
Dr. R. vollständig anschließen. Auch ich. muß erklären, daß zwar der Unfall, der 
wie der Bruch am rechten Schulterblatt zeigt, die rechte Lunge hauptsächlich ge- 
fährdet hat, eine Blutung, offenbar aus der rechten Lunge, und verstärktes Rasseln 
in dieser Lunge erzeugt hat, daß aber beide Erscheinungen bald wieder verschwanden 
und daß auch die Erscheinungen, die 5 Monate nach dem Unfall in dem rechten 
Unterlappen auftraten und deren Abhängigkeit von dem Unfall durchaus nicht 
sicher zu beweisen ist, völlig wieder verschwanden, so daß also keinerlei auf den 
Unfall sicher oder möglicherweise zu beziehende Krankheitserscheinungen zu 
einer dauernden Verschlechterung des Zustandes geführt haben und somit auch 
für den Tod nicht in Betracht kommen. Diese Erscheinungen betrafen aus- 
schließlich die rechte Lunge; daß auch die linke Lunge durch den Unfall ge- 
litten hätte, dafür liegt, wie ein Blick auf die von Dr. R. zusammengestellten Be- 
schreibungen und erläuternden Abbildungen lehrt, keinerlei Anhalt vor, denn die 
geringe am 27. September ıg9ıı bemerkte Verschlimmerung war am 4. Juni 1912 
schon nicht mehr vorhanden und es liegt kein zwingender Grund vor, sie mit dem 
Unfall in Verbindung zu bringen. Es hieße deshalb den Tatsachen Gewalt antun, 
wenn man die etwa ı?/, Jahr nach dem Unfall zutage getretenen Verschlechterungen 
in der linken Lunge dem Unfall in die Schuhe schieben wollte, besonders wenn 
man berücksichtigt, daß, wie allgemein bekannt ist, im Verlaufe der Lungenschwind- 
sucht Stillstände, ja, wenigstens anscheinende, Besserungen und dann wieder mehr 
oder weniger erhebliche Verschlechterungen auftreten, ohne daß man einen Grund 
dafür zu erkennen vermöchte,. Die Ende Dezember 1912 aufgetretene Verschlech- 
terung im Krankheitsverlaufe ist also durchaus nichts auffälliges, das einer beson- 
deren Erklärung bedürfte.e Das schließt natürlich nicht aus, daß etwas besonderes 
dabei mitgewirkt haben kann, aber daß das hier etwa der Unfall gewesen sei, ist 
höchst unwahrscheinlich, einmal der Länge der seitdem verfiossenen Zeit, dann auch 
deswegen, weil die linke Lunge von dem Unfall anscheinend garnicht betroffen 
worden ist. 

Was den ersten Umstand betrifft, so muß ich der Darstellung des Herrn Dr. E. 
über den chronischen Verlauf traumatisch-tuberkulöser Veränderungen gegenüber 
denn doch hervorheben, daß die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammen- 
hanges zwischen einem Unfall und einer tuberkulösen Veränderung um so- geringer 
wird, je größer der zwischen beiden liegende Zeitraum ist, ganz besonders in einem 
Falle wie dem vorliegenden, bei dem es sich nicht um Neuentstehung einer Lungen- 
tuberkulose, sondern um die Ausbreitung einer schon bestehenden und zwar schweren 
Erkrankung handelt. Daß in einem solchen Falle erst ı°/, Jahre nach einem Unfall 
und dazu noch an einer von dem Unfall garnicht in erster Linie betroffenen Stelle 
eine traumatische tuberkulöse Veränderung sich geltend machen sollte, ist gänzlich 


24 J. ORTH. TUBERKULOSE 
unwahrscheinlich. Dies um so mehr, als eben das fehlt, was verlangt werden muß 
und worauf auch Dr. E., gestützt auf Beckers Lehrbuch, hingewiesen hat, daß 
sich nämlich die Krankheitserscheinungen in kontinuierlicher Folge łan die Ver- 
letzung angeschlossen haben. Es muß auf das Entschiedenste die Meinung des 
Herrn Dr. E., daß diese Forderung bei S. erfüllt sei, bestritten werden: Die ärzt- 
lichen Schilderungen der Krankheitsbefunde an der linken Lunge zu verschiedenen 
Zeiten nach dem Unfall beweisen das Gegenteil. 

Der Sache wegen ist es notwendig, wie es schon Herr Dr. R. getan hat, auf 
das Gutachten des Herrn Dr. E. auch in anderer Beziehung noch einzugehen; ich 
will dabei die Beurteilung des Herrn Dr. R., die durchaus zutreffend ist, noch etwas 
ergänzen. 

Es widerspricht die Behauptung des Herm Dr. E., die Krankheit des S. sei 
vor dem Unfall gutartigen Charakters gewesen, durchaus den Tatsachen. Die Er- 
krankung war zur Zeit der Heilstättenbehandlung bereits eine schwere, denn es 
handelt sich schon um eine sogenannte offene Tuberkulose mit Tuberkelbazillen im 
Auswurf. Die erste zweimonatliche Heilstättenbehandlung hat daran auch garnichts 
geändert. Aber die ọ Monate, welche zwischen der ersten und der zweiten Heil- 
stättenbehandlung lagen, haben genügt, um das Körpergewicht von 72,5 Kilo auf 
66,1 Kilo zurückzubringen und den Befund an der rechten Lunge so zu ver- 
schlechtern, daß die Krankheit aus dem II. bereits in das III. Stadium hinüber- 
getreten war. Und das soll eine Lungentuberkulose mit günstigem Charakter ge- 
wesen sein? Übrigens ist auch die Angabe des Herrn Dr. E. S. sei 6 Jahre nach 
dem ersten Bluthusten noch arbeitsfähig gewesen, insofern mißverständlich, als man 
daraus schließen könnte, die Arbeitsfähigkeit habe während der ganzen 6 Jahre be- 
standen; aus der Geschichtserzählung ergibt sich, daß dies, auch von den Heil- 
stättenaufenthalten abgesehen, nicht der Fall gewesen ist. 

Im April ıgırı fand der Unfall statt, Ende September ıgıı stellte Dr. P. 
ein Körpergewicht von 68 Kilo fest. Am 22. März ıgır hatte es 67,9 Kilo be- 
tragen, d. h. also unter Berücksichtigung des Umstandes, daß in den 68 Kilo noch 
das Gewicht leichter Kleidung enthalten ist, daß trotz des Unfalles das Körper- 
gewicht 5 Monate nach dem Unfall noch ungefähr dasselbe gewesen ist, wie einen 
Monat vor dem Unfall. Und da soll der Unfall eine ungünstige Einwirkung auf 
das Befinden des Kranken ausgeübt haben? Herr Dr. E. widerspricht sich in dieser 
Beziehung gewissermaßen selbst, wenn er einmal sagt, dem Kranken habe sich 
wegen seiner Untätigkeit das Fortschreiten der Erkrankung weniger bemerkbar ge- 
macht — das kann doch nur heißen, sein Allgemeinbefinden sei günstig durch die 
Untätigkeit beeinflußt worden — und wenn er dann doch wieder annimmt, das 
Krankenlager habe das Allgemeinbefinden und die Widerstandsfähigkeit herabgesetzt. 
Untätigkeit und Liegen im Bett beeinflussen die Lungentuberkulose bekanntermaßen 
günstig. Jedenfalls kommt man darüber nicht hinweg, daß der Kranke am 4. Juni 
1912, also Jahr und Tag nach dem Unfall selbst erklärt hat, seitens der Brust 
habe er keine besonderen Beschwerden, der Husten habe sich gebessert, nur morgens 
früh werfe er etwas aus. Und da soll der Unfall eine wesentliche Verschlechterung 
der Lungenkrankheit bewirkt haben? 

Herr Dr. E. nimmt an, durch den Unfall seien Einrisse im Lungengewebe 
entstanden, aus denen das ausgehustete Blut stammte und die durch Tuberkel- 
bazillen, welche der Atmungsluftstrom dahin gebracht habe, in neue tuberkulöse 
Herde umgewandelt worden seien. Diese Vorstellung ist sicher falsch. Daß der 
Unfall eine Lungenblutung hervorgerufen hat, ist anzunehmen, da eine solche sich 
unmittelbar angeschlossen hat. Wie groß sie war, ist nicht sicher festgestellt; kein 
Zeuge hat etwas über sie ausgesagt, nur der Verunglückte selbst hat angegeben, er 
habe einen halben Liter Blut an der Baustelle ausgehustet. Es mag dahingestellt bleiben, 
ob diese Angabe nicht übertrieben ist, denn es kommt nicht darauf an, da unter 
keinen Umständen aus der Menge des Blutes auf die Größe oder Zahl von Ein- 


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a a TRAUMA UND LUNGENTUBERKULOSE. 25 


rissen in das Lungengewebe geschlossen werden kann. Es ist nämlich mit an Sicher- 
heit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß die Blutung nicht aus gesun- 
dem zerrissenen Lungengewebe gekommen ist, sondern aus schon tuberkulös ver- 
ändertem und zwar aus einem oder möglicherweise auch mehreren Blutgefäßen, 
welche in der Wand von krankhaft entstandenen Hohlräumen, sogenannten tuber- 
kulösen Lungenkavernen gelegen waren. Das lehrt uns die pathologische Anatomie 
und dafür spricht bei S. auch noch der Umstand, daß dieser ja auch früher schon 
ganz unabhängig von einem Unfall und traumatischer Zerreißung von Lungengewebe 
an Bluthusten gelitten hat. Damit ist der Erklärung des Herrn Dr. E., wie durch 
den Unfall eine Ausbreitung der Tuberkulose in der Lunge zustande gekommen 
sei, jeder Boden entzogen. 

Herr Dr. E. hat also nichts beigebracht, was wahrscheinlich machen könnte, 
daB durch den Unfall eine dauernde Verschlimmerung des Lungenleidens herbei- 
geführt worden sei und das Oberversicherungsamt hat Recht daran getan, diesem 
Gutachten keinen Wert beizulegen, sondern sich an dasjenige des Herrn Dr. R., zu 
halten. 

Mein Schlußgutachten lautet: 

I. Der Tod des Maurerpoliers Th. S. ist auf den Unfall vom 25. April ıgıı 
sicher nicht ursächlich zurückzuführen, da die Todeskrankheit schon vor dem Un- 
fall bestanden hat. 

2. Der Tod des Genannten ist mit höchster Wahrscheinlichkeit durch den 
genannten Unfall auch nicht wesentlich beschleunigt worden. | 


gez. Orth, 


Geheimer Medizinalrat. 


In der Unfallversicherungssache der Hinterbliebenen des’ Hilfsarbeiters W. B. 
erstatte ich hiermit unter Rückgabe der Akten das gewünschte Obergutachten darüber, 
ob der am 21. November ıgı2 erfolgte Tod des W. B.. auf den Unfall vom 
12. Oktober 1912 ursächlich zurückzuführen oder wenigstens wesentlich beschleunigt 
worden ist. 

Der Hilfsarbeiter W. B. ist in den Jahren ıgIo und ıg11 wegen ausge- 
sprochenen doppelseitigen Lungenspitzenkatarrhs, d.h. wegen Lungentuberkulose von 
Dr. G. behandelt worden. 

Im Anfang Oktober r912 hat B., nach eigner Aussage dem Herrn Dr. G. 
gegenüber, sich während der Arbeit nicht gut gefühlt; nach Aussage der Ehefrau 
hatte er morgens etwas Hustenreiz, nach Erklärung der Zeugin G. hat B. immer 
blaß ausgesehen. 

Am Sonnabend, den 12. Oktober 1912 gegen Ende der Arbeitsschicht war 
B. mit dem Zeugen N. damit beschäftigt, 63 bis 93 Kilo schwere und noch mit 
einer unbestimmten Menge Zinkblech weiter beschwerte Tische in betriebsüblicher 
Weise auf dem mit Gußplatten belegten Boden zurechtzuschieben. Die Tische waren 
nach dem Zeugen N. nicht weit zu transportieren, aber sehr schwer. 

Nachdem die beiden Arbeiter 2 oder 3 Tische gerückt hatten, sagte B. plötz- 
lich beim Heben eines Tisches, ich kann nicht mehr, es tut mir weh auf der Brust 
und setzte die Arbeit aus. 

Auf dem Nachhauseweg kehrte B. einen Augenblick bei dem Gastwirt Sch. 
ein, dem es auffiel, daß das Kinn des B. voll Blut war. Auf Anfrage habe B. ge- 
sagt, er habe sich erkühlt, habe auf der Siegbrücke husten müssen, wobei es ihm 
so warm in den Mund gekommen sei, daß er in die Hand gespuckt habe, um beim 
nächsten Licht zu sehen, was es war; er habe dann gesehen, daß es Blut war. B. 


ZEITSCHR. f. 
26 | l J. ORTH. = TUBERKULOSE 


zog nun sein Taschentuch heraus, um sich das Kinn abzuwischen, wobei der Zeuge 
sah, daß das Taschentuch mit Blut getränkt war. 

Zu Hause ging B. nach Aussage der Ehefrau sofort zu Bett und hat Blut 
gespuckt. Zufällig kam die Zeugin G. hinzu, die den B. außergewöhnlich abge- 
arbeitet und blaß aussehend fand und von dem Blutspucken auf der Brücke erfuhr, 
selbst aber von Blutspucken nichts gesehen hat. 

B. blieb am Sonntag, dem 13. Oktober, im Bett, ging am Montag zur Arbeits- 
stätte, verließ sie aber sofort wieder, indem er sich äußerte, er sei krank (nach der 
Unfallanzeige) Zeuge N. gab genauer an, B. habe auf Anfrage geantwortet, daß 
er nicht mehr arbeiten und auf keinem Bein. mehr stehen könne. 

An diesem Montag hat B. zu dem Zeugen A. G. gesagt, er müsse immer 
Blut spucken, doch hat dieser selbst nichts davon bemerkt, weder an diesem Tage 
noch später. Woher das Blutspucken komme, hat B. dem Zeugen nicht gesagt. 

Am Mittwoch, dem 16. Oktober 1912 ist Dr. L. gerufen worden, der keinen 
blutigen, sondern weißgelblichen Auswurf und einen doppelseitigen, vorn links stär- 
keren Lungenspitzenkatarrh fand. 

Als der Arzt am 19. Oktober den Kranken besuchte, wurde ihm mitgeteilt, 
daß am vorhergehenden Tage ein starker Blutsturz eingetreten sei; er fand dem- 
entsprechend immer noch starken Blutauswurf sowie Veränderungen in der linken 
Lunge. Bis zum 24. Oktober traten ab und zu noch geringe Blutungen auf. 

Dr. G., der die Behandlung weiter führte, war schon am 21. Oktober zu B. 
gerufen worden. Er fand den Kranken sehr blaß, der Auswurf war blutig, Husten 
heftig, an beiden Lungenspitzen etwa handbreite Dämpfung. Ein Blutsturz wieder- 
holte sich noch einigemal, bis am 21. November 1912 der Tod eintrat. 

Eine Leichenöffnung wurde nicht vorgenommen; als später davon die Rede 
war, konnte nach Dr. G.s Meinung wegen vorgeschrittener Fäulnis ein Aufschluß von 
ihr nicht mehr erwartet werden, weshalb sie unterblieb. — 

Was die Gutachten über einen etwaigen ursächlichen Zusammenhang zwischen 
Unfall (schwerem Heben) und Tod betrifft, so hat Dr. L, einen direkten Zusammen- 
hang abgelehnt; wenn durch das Heben ein Riß in der Lunge entstanden wäre, so 
hätte am selben Tage ein Blutsturz erfolgen müssen, und wenn es zu größeren An- 
häufungen von Blut in der Lunge gekommen wäre, so hätten schwerere Erscheinungen 
auftreten müssen. 

Dr. G. lehnt gleichfalls einen ursächlichen Zusammenhang ab, hält vielmehr 
die Blutstürze nur für eine natürliche Folge der schon Jahre lang bestehenden 
Lungentuberkulose. 

Ein ausführliches, alle Punkte sorgfältig erwägendes Gutachten hat Herr Dr. B. 
abgegeben und auch nach Vervollständigung der Akten aufrecht erhalten, in dem er 
zu folgenden Schlüssen kommt: 

I. Der Unfall komme als unmittelbare Ursache für den Tod überhaupt nicht 
in Frage, da es sich bei B. um eine seit Jahren bestehende Lungentuberkulose 
gehandelt habe. 

2. Selbst wenn am Abend des 12. Oktober Bluthusten aufgetreten sei, sei es 
doch nicht wahrscheinlich, daß die nachträglich aufgetretene, zum Tode führende 
Verschlimmerung des alten Leidens durch das Heben hervorgerufen sei, sondern es 
sei wahrscheinlicher, daß es sich um eine von innen heraus, durch natürliche Fort- 
entwicklung der Lungenschwindsucht eingetretene Verschlimmerung handele. Die 
schon 8 Tage vor dem Unfall bestehende Störung des Allgemeinbefindens beweise 
schon das Fortschreiten der Krankheit. 


Es besteht unter den Gutachtern völlige Übereinstimmung und auch ich muß 
mich vollkommen anschließen. Zweifelsfrei ist festgestellt, daß B. schon mindestens 
2 Jahre vor dem sogenannten Unfall an einer doppelseitigen Lungenspitzentuber- 


BD. 2, BEREA TRAUMA UND LUNGENTUBERKULOSE. 27 


kulose gelitten hat. Wie das bei der Lungenschwindsucht — das ist eben im 
wesentlichen Lungentuberkulose — so häufig der Fall ist, wechselten auch bei B. 
Zeiten des Stillstands oder des langsameren Fortschrittes des Krankheit mit solchen 
schnellen Fortschreitens ab, ohne daß ein erkennbarer Grund für das eine oder das 
andere zutage zu treten braucht. Es kann eine Verschlechterung an. einen Unfall 
sich anschließen, aber bei B. ist durch seine eigenen wie die Angaben seiner Ehe- 
frau festgestellt, daß bei ihm der Wendepunkt nicht mit dem Unfall zusammenfällt, 
sondern mindestens 8 Tage vor diesem lag, denn das schlechtere Allgemeinbefinden, 
der aufgetretene Hustenreiz beweisen, daß damals schon die Krankheit im Fort- 
schreiten begriffen war. Und zwar muß dieses Fortschreiten ein sehr schnelles-ge- 
wesen sein, da der Kranke schon 36 Stunden nach dem Unfall so matt war, daß 
er erklärte, nicht mehr arbeiten und auf keinem Bein mehr stehen zu können. Das 
kann unmöglich der Unfall gemacht haben, sondern das kann nur Folge der in 
raschem Fortschreiten begriffenen Krankheit an und für sich gewesen sein. 

Ist denn überhaupt ein Unfall eingetreten? Ob die Arbeit, welche B. zu 


` leisten hatte, eine betriebsübliche war oder nicht, darauf kommt es meines Erachtens 


weniger an als darauf, ob sie für den Arbeiter unter den gegebenen Verhältnissen 
zu schwer war und nur mit besonderer Anstrengung geleistet werden konnte. Ich 
gebe gern zu, daß das zutrifft, daß B., weil seine Lungenerkrankung Fortschritte ge- 
macht hatte, dieser Arbeit nicht mehr gewachsen war. Beim Rücken der 2 oder 
3 schweren Tische, bei dem er am 12. Oktober noch beteiligt war, mag er also 
sich übermäßig angestrengt haben. 

Was konnte eine solche Überanstrengung an der Lunge für Schaden tun? 
Ein Riß im Lungengewebe ist höchst unwahrscheinlich und würde auch ganz andere 
Erscheinungen sofort im Gefolge gehabt haben müssen, ebenso wie ein Einriß des 
Lungenfells über einer Höhle, die an sich möglich gewesen wäre. Die Hauptfolge 
eines Überhebens ist eine Erhöhung des Blutdruckes in den Lungengefäßen, wo- 
durch eine Zerreißung von Gefäßen möglich ist, insbesondere solcher, welche krank- 
haft verändert sind. Würde unmittelbar an die Anstrengung sich ein schwerer 
Blutsturz angeschlossen haben, so wäre man berechtigt, von einer wesentlichen Ver- 
schlimmerung des Leidens zu reden, das ist aber eben nicht der Fall gewesen. 
Am 12. Oktober handelte es sich bei B. garnicht um einen eigentlichen Blutsturz, 
sondern um ein Blutspucken, das zu einem größeren Blutverlust gamicht geführt 
hat. Weder die P.G. hat am 12. Oktober, noch der A.G. am Montag, dem 14. Ok- 
tober etwas von Blutspucken selbst gesehen und als Dr. L. am 16. Oktober hinzu- 
gerufen wurde, enthielt der Auswurf überhaupt kein Blut mehr. Das Blutspeien, 
die einzige dem Unfall zuzurechnende Erscheinung war also sowohl für das Allge- 
meinbefinden als auch für die Lungenzustände von geringfügiger und nicht nach- 
haltiger Bedeutung. Bedeutungsvoller war offenbar der Blutsturz am 18. Oktober, 
denn am 19. bestand noch starker Blutauswurf, ebenso am 21. und in den folgen- 
den Tagen. Könnte dieser Blutsturz noch mit der Überanstrengung zusammen- 
hängen? Ich halte das für ganz unwahrscheinlich, daß eine kurz vorübergehende 
Blutdruckerhöhung in den Lungengefäßen erst nach 6 Tagen zum Platzen eines 
größeren Lungengefäßes geführt habe. Da müssen schon die durch die Krankheit als 
solche bewirkten Lungenveränderungen die Ursache gewesen sein, wie sie auch die 
Ursache der noch später sich wiederholenden Blutstürze gewesen sein müssen. Auf 
das Fortschreiten dieser Lungenveränderungen kann aber das Überheben keinen 
Einfluß gehabt haben. 

Ich komme demnach zu folgenden Schlußfolgerungen: 

I. Es ist sicher, daß der am 2ı. November 1912 erfolgte Tod des W. B. 
auf den Unfall vom 12. Oktober 1912 ursächlich nicht zurückzuführen ist. 

2. Es ist unwahrscheinlich, daß der genannte Unfall den Tod des W.B. 
wesentlich beschleunigt hat. 

gez. Orth. 


ZEITSCHR. f. 
25 J. ORTH. TUBERKULOSE 


sais = = BE ma u ee m mm e a aaam a a ŘŘĖ—oiiIoaIMM 


In der Unfallversicherungssache der Hinterbliebenen des Arbeiters W. B. 
erstatte ich hiermit unter Rückgabe der Akten das gewünschte ` Obergutachten 
darüber, ob mit Sicherheit oder doch mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, 
daB der Tod des W., B. in ursächlichem Zusammenhange mit dem Unfall vom 
16. Januar 1907 steht. 


Der bis dahin anscheinend gesunde, vollarbeitsfähige Arbeiter W. B., 36!/, Jahre 
alt, erlitt am 16. Januar 1907 durch Stoß seitens einer eisernen Schiene einen Wir- 
belsäulenbruch im Bereich des 7. und 8. (nach den Arztberichten) bzw. des 8. und 
9. Brustwirbels (nach dem Leichenbefund), sowie eine Quetschung der benachbarten 
Weichteile. Nach der Unfallanzeige, deren Richtigkeit von den Zeugen L. und F. 
bestätigt wurde, ist die rechte Schulter betroffen worden. Dr. R., welcher den 
Verletzten zuerst untersuchte und bis 31. Juli weiterbehandelte, gibt gleichfalls an, 
daß rechts seitlich von dem durch den Bruch bewirkten Bogen der Wirbelsäule sich 
auch die Rippenwand ziemlich stark verwölbtee Von Klagen über Brustschmerzen, 
Husten, Blutspeien oder ähnlichem wird nichts berichtet, Brust- und Bauchorgane 
waren gesund. 


Auch am 8. August 1907 wurden Brust- und i Bandhäräse ohne nachweis- 
bare krankhafte Veränderungen gefunden. Der Patient klagte über Schmerzen im 
gesamten Rücken (Dr. N.). 

Dr. G., welcher am 11. Juli 1908 untersuchte, berichtet nur von Klagen über 
Schmerz im unteren Teil der Wirbelsäule, besonders beim Bücken, nichts von Klagen 
betreffs der Brust bzw. Lungen. Die Frage, „sind an dem Verletzten noch andere 
Gebrechen durch sie festgestellt“, beantwortet der Arzt mit „Nein“. 

Erst in dem Bericht des Herrn Prof. C. über den Befund am 21. Oktober 
1909 wird von Klagen über Schmerzempfindung auf der Brust, von Husten mit 
Auswurf, der vor 8 Tagen blutig gewesen sei, berichtet. Auf Grund des Unter- 
suchungsbefundes wurde jetzt die eben erwähnte Frage so beantwortet: Es besteht 
auf beiden Lungen ein hochgradiger Katarrh, den ich mit großer Wahrscheinlichkeit 
als Tuberkulose auffasse, und dem er sehr wahrscheinlich in einigen Monaten er- 
liegen wird. Die Gesichtsfarbe war gesund. 

Ein Jahr später, am 17. Oktober ıgıo fand Dr. H. die Farbe des Gesichts 
und der Schleimhäute etwas blaß, an den nn die Zeichen einer vorgeschrittenen 
Tuberkulose. 


Diese Diagnose findet sich in gleicher Weise wieder in den Befundberichten 
der Herren M.-R. Dr. M. (vom Ir. November 1910), Prof. C. (vom 2. September 
ıg9ı2) und Dr. W. (vom 11. November 1912). Der letzte berichtet noch, daß B. 
sofort nach dem Unfall Husten und etwa ı Jahr nachher zum erstenmal Blutspucken 
gehabt haben will. Seit jener Zeit will er an Husten, Auswurf — auch öfter Blut- 
auswurf — Nachtschweißen, Abmagerung gelitten haben. 

Am 19. Juli 1913 starb der Verunglückte, der zu allen Zeiten nach dem 
Unfall als Unfallfolge eine Ausbiegung der Wirbelsäule im Bereich des 7. und 8. 
(bzw. 8. und 9.) Brustwirbels nach hinten und dadurch eine nach vorne geneigte 
Körperhaltung gezeigt hatte. 


Bei der von M.-R. Kr.-Arzt Dr. M. vorgenommenen Leichenöffnung wurde 
eine Knickung der Wirbelsäule entsprechend dem 8. und 9. Brustwirbel, sowie eine 
Unbeweglichkeit vom 5. bis Io. Brustwirbel, auch eine von der Verbiegung ab- 
hängige starke Neigung der Rippen nach unten festgestellt. In den Lungen fanden 
sich schwere tuberkulöse Veränderungen mit Höhlenbildungen, links weit stärker als 
rechts. Beide Lungen waren mit der Brustwand völlig verwachsen. Das Herz 
war nicht größer als die Faust der Leiche, die rechte Kammer hatte eine Wand- 
stärke von 6 mm, die linke eine solche von ıo mm. Die Milz hatte Durchmesser 
von 14:9:31/, cm, war braunrot, derb. — 


Während des Lebens des W. B. haben verschiedene Gutachter sich über 


aa TRAUMA UND LUNGENTUBERKULOSE. 29 


etwaige Beziehungen des Unfalls zu dem Lungenleiden geäußert und zwar in un- 
bestimmtem oder ablehnendem Sinne. 

Dr. H. meint, ob durch den Unfall eine Quetschung der Lungen und hier- 
durch die Krankheit herbeigeführt worden sei, vermöge er nicht zu beurteilen. 

Prof. C. äußerte sich, als er im Oktober 1909 zum erstenmal einen verdäch- 
tigen Lungenkatarrh feststellte, dahin, dieser Katarrh könne mit dem Unfall nicht 
in ursächlichem Zusammenhang stehen, da am It. August 1907 Dr. R. die Brust- 
organe ohne krankhafte Veränderung gefunden habe. Mit derselben Begründung — 
nur unter Hinzufügung, daß die Wirbelsäulenkrümmung eine mäßige sei — hat im 
November ıgro M.-R. Dr. M. die Lungentuberkulose als eine selbständige Krank- 
heit erklärt und dieselbe Meinung hat im November 1912 Dr. W. geäußert, der es 
für sehr unwahrscheinlich erklärte, daß schon 1907 und 1908 eine Lungenerkrankung 
vorhanden gewesen sei. 

Nur Prof. C. hat in seinem zweiten Gutachten (vom 2. September 1912) auf 
die Möglichkeit einer Beziehung zwischen den Unfallfolgen und dem Lungenleiden 
hingewiesen mit den Worten, die Buckelbildung könne nicht ohne Einwirkung auf 
das Lungenleiden sein. 

Nachdem er die Leichenöffnung vorgenommen hatte, hat sich M.-R. Dr. M. 


‚ in entgegengesetztem Sinne wie früher geäußert: „der Tod steht mit dem Unfall 
"in indirektem ursächlichen Zusammenhang“. M.-R. Dr. M. ist jetzt der Meinung, 


daß der Verunglückte schon zur Zeit des Unfalls eine latente Tuberkulose hatte, da 
er schon nach I Jahr Blutspucken bemerkte und nur vorgeschrittene Lungentuber- 
kulose zu Blutungen führe. Daß in den ersten ärztlichen Gutachten kein Vermerk 
über eine Lungenerkrankung gemacht ist, finde leicht seine Erklärung darin, daß 
bei der Wundbehandlung die inneren Organe nur dann eingehend untersucht werden, 
wenn besondere Störungen oder Beschwerden dies veranlassen. - | 

Der Unfall soll in zweierlei Weise ungünstig gewirkt haben: unmittelbar, in- 
dem er die latente Tuberkulose zu einer akuten umwandelte, mittelbar, indem die 
Unfallfolgen, das monatelange Bettliegen, die Verwachsungen der Lungen, die Miß- 
staltung des Brustkorbes durch die Krümmung der Wirbelsäule und die Verschie- 
bung der Rippen, das Fortschreiten der Lungentuberkulose begünstigt hätten. So 
nimmt also der Gutachter an, daß die zur Zeit des Unfalls schon bestehende un- 
bemerkte Lungentuberkulose zuerst links, dann rechts zu einer akuten geworden 
und durch die Unfallfolgen so begünstigt worden sei, daß dadurch eine erhebliche 
Verkürzung des Lebens bewirkt wurde. 

Auch für den Fall, daß die Tuberkulose erst nach der Verletzung entstanden 
sei, müsse wieder zugegeben werden, daß die Brustkorbveränderungen die Ent- 
stehung der Lungentuberkulose begünstigt hätten, wenn dies auch in diesem Falle 
von viel geringerer Bedeutung sei als im ersten, von dem Gutachter als zutreffend 
angenommenen Falle. 

Herr Dr. W., nunmehr zu einer neuen ‚Äußerung aufgefordert, ist im wesent- 
lichen bei seinem früheren Urteil stehen geblieben; er erkennt zwar die Möglichkeit 
eines ursächlichen Zusammenhanges zwischen Unfall und Tod durch Lungenschwind- 
sucht an, hält sich aber nicht für berechtigt, über die Möglichkeit eines Zusammen- 
hanges hinaus mit der Wahrscheinlichkeit oder einer an Sicherheit grenzenden 
Wahrscheinlichkeit zu operieren. Dr. W. gibt zu, daß der Unfall die Lunge mehr 
oder weniger schädigen konnte, weist aber darauf hin, daB erst zwei Jahre nach 
dem Unfall Lungenbeschwerden festgestellt wurden, daß der Kranke niemals ‚vorher 
den Ärzten von Lungenbeschwerden Mitteilung gemacht hatte, so daß die Annahme 
berechtigt sei, daß die Tuberkulose stark I Jahr nach dem Unfall begonnen habe. 
Blutspucken zeige an sich nicht einen fortgeschrittenen Zustand an. Ein einjähriger 
Zwischenraum sei an sich kein Hindernis für die Annahme einer traumatischen 
Tuberkulose, aber über eine Möglichkeit komme man dabei doch nicht hinaus. Die 
Lungenverwachsungen bewiesen keineswegs eine traumatische Erkrankung; daß die 


| ZEITSCHR, t 
30 E J. ORTH. TUBERKULOSE 


Hauptveränderungen der Lunge links saßen, während der Schlag hauptsächlich die 
rechte Seite betroffen habe, sowie die Doppelseitigkeit der Lungenerkrankung könnte 
gegen die Annahme einer traumatischen Lungentuberkulose ins Feld geführt werden. 


Im großen und ganzen muß ich mich vollständig auf die Seite des Herrn 
Dr. W. stellen. 

Es liegt kein zwingender Grund zur Annahme einer zur Zeit des Unfalls schon 
latent bestehenden Tuberkulose vor. Freilich fehlt es ja nicht an Stimmen, welche 
behaupten, jede Lungentuberkulose eines Erwachsenen rühre von einer in der Kind- 
heit erworbenen Infektion her, wäre also ein Aufflackern einer bis dahin latenten 
Tuberkulose, aber diese Ansicht ist weit davon entfernt bewiesen zu sein, im Gegen- 
teil, viele Forscher, darunter auch ich, halten sie für falsch. | 

Die Angabe des Patienten, er habe etwa ı Jahr nach dem Unfall Blut ge- 
spuckt, kann eine latente Tuberkulose zur Zeit des Unfalls nicht beweisen, denn 
abgesehen davon, daß diese Angabe, wie ich später zeigen werde, unglaubwürdig 
ist, widerspricht die Behauptung des Herrn M.-R. Dr. M., nur vorgeschrittene Lungen- 
tuberkulose führe zu Blutungen, durchaus dem ärztlichen Wissen. Es gibt so früh- 
zeitiges Blutspucken bei der Lungenschwindsucht, daß man früher sogar die Frage 
in Erwägung gezogen hat, ob aus einer primären Blutung unmittelbar Lungen- 
schwindsucht hervorgehen könne. 

Aber selbst wenn eine latente Lungentuberkulose bei B. vorhanden gewesen 
sein sollte, was sich weder beweisen noch verneinen läßt, so zeigt doch die Kranken- 
geschichte aufs klarste, daß von einer Umwandlung einer latenten Tuberkulose 
durch den Unfall in eine akute, wie sie M.-R. Dr. M. angenommen hat, nicht die 
Rede sein darf. Trotz wiederholter ärztlicher Untersuchungen betreffs Rentenfest- 
stellung hat der Kranke zum erstenmal 2?/, Jahre nach dem Unfall über Störungen 
seitens der Lungen geklagt und objektive Befunde einer Lungenerkrankung dar- 
geboten, die selbst da noch nicht sicher, sondern nur wahrscheinlich als tuberku- 
löser Natur von dem Arzte angesprochen wurden. 

Nun hat ja der Kranke einmal einem Arzt gesagt, er habe seit dem Unfall 
Husten und habe zum erstenmal etwa ı Jahr nachher Blut gespuckt, aber diese 
Angabe hat er erst fast 6 Jahre nach dem Unfall gemacht, zu einer Zeit, als er 
bereits schwer krank und heruntergekommen war, zu einer Zeit, als er sicher be- 
reits über 3 Jahre an Husten usw. gelitten und Blutspeien gehabt hatte. Es ist 
nicht verwunderlich, daß unter diesen Umständen den Kranken sein Gedächtnis im 
Stich gelassen hat. Jedenfalls muß diese Angabe als unglaubwürdig erscheinen, an- 
gesichts des Umstandes, daß der Kranke früher, zu der Zeit als er schon diese 
Erscheinungen gehabt haben will, nie ein Wort davon verlauten ließ, selbst nicht 
als er 2°/, Jahre nach dem Unfall Herrn Prof. C. gegenüber über Husten, Aus- 
wurf usw. klagte und berichtete, daß er 8 Tage vorher Blutspeien gehabt habe. 
Es ist durchaus unwahrscheinlich, daß ein Kranker unter solchen Umständen von 
früher vorgekommenem Blutspeien und dem langjährigen Husten nichts gesagt 
haben sollte. 

Es kommt hinzu, daß in drei ärztlichen Gutachten aus jener Anfangszeit 
weder von Klagen des Patienten noch von Untersuchungsbefunden auch nur eine 
Silbe berichtet wird. Solche Dokumente aus der in Frage stehenden Zeit selbst 
müssen doch weit höher eingeschätzt werden, als Angaben, welche ein schwer- 
kranker Mensch viele Jahre später aus dem Gedächtnis gemacht hat. 

Nun sagt allerdings Herr M.-R. Dr. M., daß bei der Wundbehandlung die 
inneren Organe nur dann eingehend untersucht werden, wenn besondere Störungen 
oder Beschwerden dies veranlassen, und will damit erklären, „daß in den ersten 
Gutachten kein Vermerk gemacht ist“. Die erste Behauptung mag im allgemeinen 
als richtig zugegeben werden, dann ergäbe sich also, wenn sie auch auf vorliegen- 


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BD. BD DET L TRAUMA UND LUNGENTUBERKULOSE. 3I 


den Fall Anwendung fände, daß der Kranke bei den in Betracht kommenden 
Ärzten nie über besondere Störungen oder Beschwerden seitens der Lunge (Husten, 
Auswurf, Blutspeien) geklagt hat, obwohl die letzte Untersuchung am 11. Juli 1908, 
also I1}/, Jahre nach dem Unfall stattfand, während angeblich etwa ı jahr nach 
dem Unfall das erste Blutspeien aufgetreten sein soll. 

So lägen die Verhältnisse, wenn obiger allgemeiner Satz für den vorliegenden 
Fall Anwendung fände, das ist aber nicht der Fal, denn die Angaben des Herrn 
M.-R. Dr. M., daß in den ersteù Gutachten kein Vermerk gemacht sei, ist unrichtig: 
in allen dreien steht der tatsächliche Vermerk, es sei an den Lungen keine Ver- 
änderung gefunden worden. Herr Dr. N. sagt in seinem Befundbericht (Ir. August 
1907) ausdrücklich: Brust- und Bauchorgane ohne nachweisbare krankhafte Ver- 
änderungen. Diese Angaben, welche nach dem Verhalten des Kranken eine innere 
Wahrscheinlichkeit haben, kann man doch nicht deshalb einfach beiseite schieben, 
weil.der Kranke mehrere Jahre später andere Angaben gemacht hat! Ich sehe es 
danach als feststehend an, daß der Verunglückte noch ı!/, Jahre nach dem Unfall 
keine Zeichen einer Lungenerkrankung darbot, so daß also unter keinen Umständen 
davon gesprochen werden darf, daß der Unfall eine akute Tuberkulose erzeugt 
oder eine latente zu einer akuten umgewandelt habe. 

Nun gibt es allerdings auch chronisch verlaufende, seien es primäre, seien es 
sekundäre, traumatische Tuberkulosen, aber es ist hierbei doch festzuhalten, daß 
die Wahrscheinlichkeit einer traumatischen Natur einer Tuberkulose mit der Dauer 
der erscheinungsfreien Zwischenzeit zwischen Unfall und erkannter Tuberkulose ab- 
nimmt. Mag auch immerhin noch die Möglichkeit bestehen, daß doch eine trau- 
matische Tuberkulose hier vorliegt, so muß ich doch mit Herrn Dr. W. erklären, 
daß ich das nicht für wahrscheinlich halte. 

Auch scheint. mir die Art der von Herrn Dr. C. zum erstenmal festgestellten 
Lungenveränderungen nicht gerade für eine traumatische Lungentuberkulose zu 
sprechen, doch möchte ich auf diesen Punkt nicht weiter eingehen, weil die Be- 
schreibung sehr kurz ist und in das mir ferner liegende praktische Gebiet führt. 

Dagegen muß ich noch auf ein paar andere Fragen, zum Teil anatomischer 
Art, eingehen. 

Daß die schwersten Veränderungen in der linken Lunge saßen, während die 
Gewalt hauptsächlich nach rechts gewirkt hat, das möchte ich nicht hoch anschlagen, 
da es erklärlich wäre, wenn nur in der linken Lunge eine verborgene Tuberkulose 
vorhanden gewesen wäre. Viel wichtiger ist meines Erachtens die Frage, ob denn 
der Unfall überhaupt die Lungen geschädigt hat. Die Hauptgewalt hat zweifellos ` 
die Rückenwirbelsäule getroffen; sie ist gebrochen, hat aber offenbar auch ihrerseits 
die Gewalteinwirkung gebrochen. Es ist also keineswegs notwendig, wenn auch 
möglich, daß die Lungen überhaupt geschädigt worden sind, insbesondere diejenigen 
Abschnitte, die Lungenspitzen, von welchen die tuberkulösen Veränderungen aus- 
gegangen sind. Besondere Anhaltspunkte für Annahme einer Lungenschädigung 
liegen aber durchaus nicht vor: kein Husten, kein Blutspeien, keine Klagen über 
Brustschmerzen unmittelbar nach dem Unfall. 

Verwachsungen, auch vollständige, der Lungen sind bei Lungenschwindsucht 
so häufige Erscheinungen, daß es nicht gestattet ist, für sie eine besondere Ursache 
anzunehmen, wenn nicht besondere Gründe dafür vorliegen. Solche liegen hier 
nicht vor, im Gegenteil, daß nach dem Unfall keinerlei Erscheinungen von Brust- 
fellreizung bemerkt worden sind, ist ein Grund dagegen, daß die Verwachsungen 
durch den Unfall bewirkt seien, wie Herr M.-R. Dr. M. es annimmt. Damit fällt 
auch die Frage, ob die Verwachsungen die Lungentuberkulose begünstigt haben, weg. 

Herr M.-R. Dr. M. sieht auch in dem langen Bettliegen einen die Tuberkulose 
fördernden Umstand. Ich bin der Meinung, daß dieser Umstand keine wesentliche 
Rolle spielt, ja, daß man eher das Gegenteil sagen dürfte. Zweifellos hat ein langes 
Krankenlager an sich ungünstige Folgen, aber diese betreffen mehr die Muskulatur 


TURERKULOSE 


32 J. ORTH ZEITSCHR. f. 


und die Gelenke als die inneren Organe, insbesondere die Lungen. Die Ernährung 
kann beeinträchtigt werden, aber andererseits kann doch kein Zweifel darüber sein, 
daß die Ruhe, die Atmung in gleichmäßig warmer Luft, die regelmäßige Pflege 
für die Lunge günstigere Bedingungen im Kampfe mit den Tuberkelbazillen schaffen, 
als sie das tägliche Leben eines Tagelöhners gewährt. Spielt doch auch die Liege- 
kur eine große Rolle in der Behandlung Tuberkulöser. 

Endlich hat M.-R. Dr. M. — und Prof.C. scheint ähnlicher Meinung zu sein — 
dargelegt, daß die infolge der Unfallverletzung eingetretene Mißstaltung des Brust- 
korbes durch Beeinträchtigung der Zwerchfellbewegungen eine Atmungseinschränkung 
und dadurch eine Begünstigung der tuberkulösen Erkrankung herbeigeführt habe. 
Auch diese Annahme kann ich nicht teilen, auch hier muß ich eher das Gegenteil 
erklären. Daß durch Mißstaltung des Brustkorbes infolge Verbiegung der Wirbel- 
säule Erschwerungen der Atembewegungen herbeigeführt werden können, soll nicht 
bestritten werden, viel wichtiger aber ist, daß dadurch Störungen des Blutumlaufes 
in der Lunge, im Sinne einer Blutanhäufung erzeugt zu werden pflegen. Es ent- 
steht eine Stauung des Blutes in den Lungen, die wiederum auf das rechte Herz 
einwirkt, dessen Arbeit erschwert wird. Die Muskulatur der rechten Kammer er- 
fährt eine Zunahme (sog. Arbeitshypertrophie), die ihren anatomischen Ausdruck in 
einer Dickenzunahme der Wand findet, die der linken Kammer natürlich abgeht. 
Es ist aber durch Erfahrungen am Lebenden wie an der Leiche hinreichend be- 
stätigt, daß eine solche Stauungsblutfülle in der Lunge für die Entstehung oder 
Weiterentwicklung einer tuberkulösen Krankheit ungünstig ist. Daß aber bei B. 
eine solche Störung des Blutkreislaufs in den Lungen bestand, dafür spricht die 
nachgewiesene Verdickung nur der rechten Herzkammerwand, die 0,6 cm (gegen 
normal 0,2—0,4 cm) Dicke hatte gegen I,ocm der linken Wand. Die Größe, 
Farbe und Härte der Milz deutet darauf hin, daß die Stauung sogar bereits auf 
den großen Kreislauf übergegriffen hatte. 

Sonach haben sich die von Herrn M.-R. Dr. M. für seine Ansicht angeführten 
Gründe sämtlich als nicht stichhaltig erwiesen, die festgestellten Tatsachen sprechen 
vielmehr dafür, daß aller Wahrscheinlichkeit nach die erste von Herrn M.-R. Dr. M. 
geäußerte Ansicht, daß die Lungentuberkulose eine selbständige, mit dem Unfall 
und seinen Folgen nicht im Zusammenhang stehende Krankheit war, das richtige 
getroffen hatte. 

Mein Schlußgutachten lautet, daß weder mit Sicherheit, noch mit hoher, ja 
nicht einmal mit überwiegender Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, daß der Tod 
des W. B. in ursächlichem Zusammenhange mit dem Unfall vom 16. Januar 1907 
steht. 


gez. Orth. 


In der Unfallsache des am 4. August 1912 verstorbenen Maschinisten J. Sch. 
erstatte ich hiermit unter Rückgabe der Akten das gewünschte ausführliche Gut- 
achten über die Todesursache des Genannten und, was für Sie wohl das Wesent- 
liche ist, über den etwaigen ursächlichen Zusammenhang der Todeskrankheit mit 
den beiden von Sch. erlittenen Unfällen. 

Von einer Erkrankung des J. Sch. vor dem 9. Juni ıgı1 ist nichts bekannt; 
der Genannte war bis zu diesem Tage voll arbeitsfähig, Da erlitt er eine Quet- 
schung der rechten Brusiseite durch einen Fall auf die Speiche eines Schwungrades. 
Der Mitarbeiter Zeuge St. mußte den Verunglückten aus seiner Lage befreien. Sch. 
fühlte sich nach dem Unfall unwohl und konnte an dem Unfalltage in der Arbeit 
nur noch etwas beihelfen, aber allein nach seiner Wohnung gehen. Am nächsten 
Tage hat Sch. die Arbeit eingestellt, weiterhin konnte er schwere Arbeit überhaupt 
nicht mehr verrichten. 


BD, BEE 1. TRAUMA UND LUNGENTUBERKULOSE. 33 


Seit dem Unfall bestanden Schmerzen, die immer mehr zunahmen, so daß 
am I5. Juli Dr. A. gerufen werden mußte. Auf Seite 9 der zweiten Unfallakte wird 
in einem Bericht ohne Unterschrift angegeben, Dr. A. habe die verletzte Stelle ge- 
sehen, die blaurot verfärbt war. In den Berichten dieses Arztes steht davon nichts, 
sondern es findet sich nur die Angabe, daß eine rechtsseitige Rippenfellentzündung 
mit starkem wässerigem (serösem) Erguß und Fieber vorhanden gewesen sei. 

Nach ı4 Tagen, also Ende Juli Igrı, war Sch. wieder arbeitsfähig, aber 
noch nicht gesund; er hatte beständig leichtes Fieber, erholte sich nicht, so daß 
schon damals der Verdacht entstand, daß es sich um eine tuberkulöse Erkrankung 
handele. Dieser Verdacht wurde bestätigt durch Bluthusten, der im September 1911 
auftrat. Bei einer vom Dr. St. am 8. November IgII vorgenommenen Untersuchung 
wurde in der linken Lunge eine tuberkulöse Erkrankung I. Grades diagnostiziert, 
in der Lungenheilstätte Pl. aber, in welche der Kranke am 24. November ıgII 
aufgenommen worden war, wurde nach dreiwöchentlichem Aufenthalt, also Mitte 
Dezember, bereits links Stadium II/III, rechts Stadium II festgestellt. Der Auswurf 
enthielt Tuberkeibazillen. 

Obwohl bei der Entlassung am 16. Februar 1912 eine Gewichtszunahme von 
5,4 Kilo und eine gewisse Besserung der Lungenbefunde festgestellt wurde, waren 
doch immer noch Bazillen im Auswurf und beiderseits Veränderungen des II. Sta- 
diums vorhanden. Blutauswurf und ein Herzfehler erschwerten das Krankheitsbild. 

Die geringe, mehr subjektive als objektive Besserung hielt denn auch nicht 
lange an, sondern im April 1912 trat nach dem Bericht des Dr. A. (vom 30. Januar 
1913 und 9. September 1915) eine Verschlimmerung ein, die am 4. August 1912 
zum Tode führte. 

Diese Verschlimmerung schloß sich nach dem genannten behandelnden Arzt 
an die Einatmung giftiger Gase, dem zweiten Unfall, an. 

Am 14. März 1912 will Sch. an einem Deutzer Gasmotor durch kinaing 
giftiger Gase bewußtlos geworden und eine halbe Stunde in bewußlosem Zustande 
liegen geblieben sein. Beim Verlassen des Raumes sei er abermals hingefallen und 
eine Viertelstunde liegen geblieben, jedoch ohne das Bewußtsein verloren zu haben. 
Einige Hautabschürfungen an den Fingern, sowie Schmerzen im Hinterkopf sollen 
die Folgen gewesen sein. 

Nach diesem Unfall hat Sch. noch 4 Wochen gearbeitet, obwohl er Fieber 
hatte. — 

Fünf Gutachter (Dr.Dr. A., St, L., gerichtlicher Vertrauensarzt, St.) haben sich 
über die ursächliche Bedeutung dieses zweiten Unfalles geäußert; keiner von ihnen 
hat ihm mit Bestimmtheit eine wesentliche Bedeutung zugeschrieben, alle haben die 
Möglichkeit einer ungünstigen Wirkung zugegeben, die meisten aber eine solche 
nicht für wahrscheinlich erklärt (Dr.Dr. St, L., St.). 

Über die Bedeutung des ersten Unfalles liegen nur vier gutachtliche Äuße- 
rungen vor, da Dr. St. diese Frage nicht berührt hat. Während Dr. A. nur erklärt 
hat, ein ursächlicher Zusammenhang sei nicht von der Hand zu weisen, haben der 
gerichtliche Vertrauensarzt und Dr. St. bestimmt erklärt, daß zwischen diesem ersten 


Unfall und der tödlichen tuberkulösen Erkrankung ein ursächlicher Zusammenhang - 


anzunehmen sei. Alle Gutachter nehmen an — Dr. St. mit einer gewissen Ver- 
klausulierung —, daß der Unfall eine bisher latente (unbemerkt gebliebene) Tuber- 
kulose zu einer fortschreitenden Tuberkulose gemacht habe. 

Einzig Herr Prof. Dr. L. meint, daß auch der erste Unfall wohl ohne Einfluß 


auf die Tuberkulose gewesen sei; die Brustfellentzändung sei wahrscheinlich die . 


sekundäre Folge einer schon vorhandenen Lungentuberkulose und nicht durch den 
Unfall verursacht. 


Die Frage nach der Bedeutung des ersten Unfalls (1911) ist die bei weitem 
wichtigste, wie sich auch aus dem Urteil des Oberversicherungsamtes ergibt. Bei 
- Zeitschr. f. Tuberkulose, 25. 3 


ZEITSCHR. £. 


34 SE ___ _ TUBERKULOSE 


Eintritt des zweiten Unfalles war der Betroffene bereits so schwer erkrankt, daß 
sein baldiges Ende auch ohne Unfall vorauszusehen war. Herr Dr. A. verlegt den 
Beginn der letzten Verschlimmerung in den Anfang April, also 2—3 Wochen nach 
der Gaseinatmung, womit übereinstimmt, daß der Kranke nach dem Gasunfall noch 
4 Wochen gearbeitet hat. Der Verlauf der Erkrankung war im allgemeinen ein 


rascher — trotz der Heilstättenbehandlung trat bereits in wenig mehr als einem 
Jahre, nachdem der Verdacht einer tuberkulösen Erkrankung aufgestiegen war, der 
Tod ein — man hätte deshalb erwarten dürfen, daß, falls die Gaseinatmung wesent- 


lich verschlechternd gewirkt hätte, bald nach ihr und nicht erst Wochen später 
die Zeichen der Verschlimmerung aufgetreten seien. Auch ich will nicht leugnen, 
daß trotzdem die Gaseinatmung möglicherweise ungünstig gewirkt hat, aber ich kann 
es nicht für wahrscheinlich erklären, daß sie zu einer wesentlichen Verfrühung 
des Todes Anlaß gewesen sei. | 

Ganz anders steht es mit dem ersten Unfall. Gleichgültig, ob die Angabe, 
Dr. A. habe eine blaurote Verfärbung gesehen, zutrifft oder nicht, darüber kann 
meines Erachtens gar kein Zweifel sein, daß die Verletzung der rechten Seite, die 
den Verletzten sofort fast arbeitsunfähig machte und ihn nötigte, am folgenden Tage 
die Arbeit ganz auszusetzen, an sich geeignet war, eine ruhende Tuberkulose zu 
einer fortschreitenden zu machen. Eine wirklich primäre tuberkulöse Brustfellent- 
zündung ist eine so sehr große Seltenheit, daß eine bereits im Brustraum bestehende, 
wenn auch unbemerkte, vielleicht ruhende Tuberkulose angenommen werden darf, 
die durch die Verletzung zur Ausbreitung gebracht wurde. Bei der Häufigkeit 
tuberkulöser, auch latenter Erkrankungen der Lungenspitzen und angesichts der Tat- 
sache, daß später sich die beiden Lungenspitzen erkrankt zeigten, darf mit Wahr- 
scheinlichkeit angenommen werden, daß der alte tuberkulöse Herd in einer Lungen- 
spitze saß und zwar in der linken, da in ihr die erste und schwerste Erkrankung 
festgestellt wurde Ich stimme demnach mit Herrn Prof. Dr. L. darin durchaus 
überein, daß die Brustfellentzündung, die man mit an Sicherheit grenzender Wahr- 
scheinlichkeit als eine tuberkulöse ansehen darf, wahrscheinlich die sekundäre Folge 
einer vorhandenen Lungentuberkulose war, ich kann ihm aber darin nicht zustimmen, 
daß der Unfall wohl ohne Einfluß auf sie gewesen, daß er sie nicht veranlaßt habe. 
Es kann hier seibstverständlich nur von einer mittelbaren Veranlassung die Rede 
sein, und zwar in zweierlei Richtung: I. der Unfall hat Tuberkelbazillen mobil ge- 
macht, 2. er hat ihre Ansiedelung an dem rechtsseitigen Brustfell verursacht. 

Daß eine Quetschung und Erschütterung des Brustkorbes, wie,sie hier statt- 
gefunden hat, auch an einer von der Gewalteinwirkung nicht unmittelbar betroffenen 
Stelle gewebsschädigend, im besonderen einen ruhenden Bazillenherd mobilisierend 
wirken kann, darüber dürfte heute wohl kein Zweifel mehr bestehen. Der Erfolg 
hat aber gezeigt, daß bei Sch., bei welchem der Arzt noch im Juli ıgııI eine tu- 
berkulöse Erkrankung der Lungen nicht nachgewiesen hat, bereits Mitte Dezember 
desselben Jahres links das Stadium II/III, rechts das Stadium II vorhanden war. 
Bei dem so ungemein wechselnden Verlauf der Lungentuberkulose wird niemand 
mit Bestimmtheit behaupten wollen, daß ein so rasches Fortschreiten der Erkrankung 
nicht auch ohne Unfall hätte vorkommen können, aber da der Unfall tatsächlich 
stattgefunden hat, da er geeignet war, eine ruhende oder chronisch verlaufende 
Spitzentuberkulose zu einer rasch fortschreitenden zu machen, da die fortschreitende 
Lungentuberkulose in unmittelbarem zeitlichem Anschluß an den Unfall zutage trat, 
so stehe ich keinen Augenblick an, es für das Wahrscheinlichste zu erklären, daß 
zwischen dem Unfall und der rasch vorschreitenden tuberkulösen Lungenerkrankung 
ein mittelbarer ursächlicher Zusammenhang besteht. 

Der Unfall ist aber auch die Ursache, daß eine Rippenfellentzündung ent- 
stand. Gerade der Umstand, daß diese Entzündung nicht auf der Seite entstand, 
wo mit Wahrscheinlichkeit der alte Herd sich befand, sondern an der von dem 
Trauma betroffenen Seite, spricht meines Erachtens besonders dafür, daß der Unfall 


+ 


BD. 25 HEFT1. TRAUMA UND LUNGENTUBERKULOSE. 35 


zu dieser Erkrankung in Beziehung steht. Die räumlichen sowohl wie die zeitlichen 
Verhältnisse weisen mit Entschiedenheit auf einen inneren Zusammenhang zwischen 
Unfall und Erkrankung hin. Bei der Heftigkeit der Erscheinungen dieser Krankheit, 
insbesondere auch bei dem Auftreten einer starken Ausschwitzung und bei der 
großen Schmerzhaftigkeit der akuten Brustfellentzündung ist es durchaus begreiflich, 
daß diese Erkrankung früher erkannt wurde als die Lungentuberkulose, von der sie 
doch gewissermaßen nur ein Ableger war. Nicht an der Brustfellentzündung, son- 
dern an der Lungentuberkulose ist Sch. gestorben, aber, daß eine tuberkulöse Brust- 
fellentzändung auftreten konnte, darin sehe ich eben den Beweis, daß bald nach 
dem Unfall eine Aussaat von Tuberkelbazillen aus dem vorhandenen Bazillenherd 
entstand. Auf welchem Wege die Tuberkelbazillen an das Brustfell gelangt sind, ist 
natürlich nicht sicher zu sagen, es steht aber nichts im Wege, einen Transport durch 
das Blut anzunehmen, wissen wir doch, wieviel häufiger, um nicht zu sagen regel- 
mäßiger, ein solcher Übertritt von Bazillen aus einem tuberkulösen Krankheitsherd, 
besonders auch der Lungen ins Blut zustande kommt, als man früher annahm, 
wissen wir doch, daß die Ansiedelung solcher im Blute kreisender Tuberkelbazillen 
sehr wesentlich von örtlichen Verhältnissen, die auch durch ein mechanisches Trauma 
bedingt sein können, abhängig ist. 

Zusammenfassend gebe ich danach mein Gutachten dahin ab, daß die Gas- 
einatmung im März ıgı2 wohl kaum den Tod des J. Sch. wesentlich beschleunigt 
hat, daß dagegen mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, daß durch den 
Unfall am 9. Juni ıgıı eine bis dahin gänzlich unbemerkt gebliebene Lungentuber- 
kulose zu schnellem Fortschreiten gebracht worden ist, so daß dadurch der Eintritt 
des Todes wesentlich beschleunigt wurde. 

. gez. Orth. 


3* 


36 `  GOLDSCHEIDER. TUBERKULOSE 
IV. 
Sitzung der Berliner medizinischen Gesellschaft vom 20.Okt. 1915. 


Generalarzt Goldscheider : Aufgaben und Probleme der inneren Medizin 
im Kriege. 


Aus dem interessanten Vortrage sollen hier nur Goldscheiders Ansichten 
und Erfahrungen über die Lungentuberkulose im Kriege und anschließend all- 
gemeine Betrachtungen wiedergegeben werden: 

„Inwieweit die Lungentuberkulose durch den Krieg eine wesentliche Zunahme 
erfahren hat, wird sich erst später, wenn das ganze Material vorliegt, beurteilen 
lassen. Wenn die Zahl der Zugänge hoch erscheint, so vergesse man nicht, daß 
unter den. Millionen von Kriegsteilnehmern sich eine ungeheure Anzahl von Tuber- 
kulösen befinden muß. DBei weitem die Mehrzahl der während des Feldzuges zu- 
gegangenen Lungenkranken hat schon vor demselben vorübergehend an der Lunge 
gelitten, viele haben Kuren in Lungenheilstätten durchgemacht. Eine bedeutende 
Anzahl der Erkrankten war übrigens garnicht im Felde, sondern ist während der 
Ausbildungszeit in der Heimat (Ersatz-Reserve, ungedienter Landsturm, selten Re- 
kruten) erkrankt. Diejenigen, welche nicht schon vorher lungenleidend ` gewesen 
sind, stammen, so viel ich gesehen habe, überwiegend aus belasteten Familien. Die 
schon vor dem Feldzuge bzw. Diehsteintritt tuberkulös gewesenen zerfallen in zwei 
Gruppen: die einen hatten bereits eine manifeste Lungenerkrankung gehabt, die 
anderen waren tuberkulös, aber nicht tuberkulosekrank. Durch die Einflüsse des 
Krieges bzw. militärischen Dienstes sind zur Ruhe gekommene Prozesse neu auf- 
geflackert, latente Herde manifest geworden. Vielfach ist beides nicht der Fall, 
sondern liegt die Sache so, daß der Betreffende wegen Erschöpfung, die mit dem 
Lungenherd in Zusammenhang stehen kann, oder eines interkurrenten Bronchial- 
katarrhs oder einer anderen Erkrankung, auch Verwundung in ärztliche Beobach- 
tung kommt, bei welcher Gelegenheit nun der alte Lungenherd gefunden wird, 
welcher nicht anders ist, als er vor dem Kriege war. Bei vielen Fällen liegt un- 
zweifelhaft eine wirkliche Verschlimmerung des Leidens vor, und in manchen kommt 
es zu einer Progression. Ich habe schwere Fälle gesehen, die im Felde entstanden 
zu sein schienen, d. h. sich wohl aus einem latenten Herd entwickelt hatten. Aber 
sie sind glücklicherweise, wie es scheint, nicht häufig. Andererseits aber handelt es 
sich vielfach nur um vorübergehende Reaktionserscheinungen. Für die Friedens- 
beschäftigung war Anpassung vorhanden, auf die gesteigerten Beanspruchungen und 
unter dem Einfluß mannigfacher Schädlichkeiten reagiert der Locus minoris resistentiae 
mit Reizerscheinungen. Man kann in solchen Fällen, die sich massenhaft unter den 
Zugängen befinden, nicht eigentlich von einer tuberkulösen Erkrankung im Felde 
sprechen, ebensowenig wie eine durch eine Tuberkulininjektion hervorgerufene flüch- 
tige Herdreaktion eine tuberkulöse Erkrankung ist. Eine Erkrankung tritt ein, wenn 
bei der Einwirkung einer Schädlichkeit die reaktive Regulierung ungenügend ist. 
Reicht sie dagegen aus, so treten flüchtige Erscheinungen auf, welche man als „re- 
aktive Symptome“ oder „symptomatische Reaktionen“ bezeichnen kann. Begreif- 
licherweise sind fließende Übergänge vorhanden, wie denn auch eine probatorische 
Tuberkulininjektion zur Progredienz führen kann. Im Einzelfall wird die weitere 
Beobachtung erkennen lassen, ob es sich um eine wirkliche tuberkulöse Erkrankung 
oder nur um eine symptomatische Reaktion handelt. Der Winterfeldzug im Westen 
hat uns, wenigstens in dem von mir beobachteten Abschnitt der Front, auffallend 
wenig tuberkulöse Erkrankungen gebracht; aus einigen Zuschriften von Kollegen 
ersehe ich, daß andere ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Fälle von Über- 
tragung durch Infektion habe ich nicht gesehen. "Ebenso spricht sich G. Schröder’) 


1) Betrachtungen über die Tuberkulose im Heere zur Zeit des Krieges. Ztschr, f. Tuberk. 
1915, Heft 5, S. 337. 


> un. 2-2 mn _ nn US > za Ye Ernte re e 


El AUFGABEN UND PROBLEME DER INNEREN MEDIZIN. 37 


aus. Das schlimmste scheinen angestrengte Märsche, Staub, nasse Witterung, influenza- 
ähnliche Infektionen zu sein. Einige Fälle haben sich nach Typhus entwickelt. 
Von dem Auftreten von tuberkulösen Lungenerkrankungen nach den Typhus-Schutz- 
impfungen habe ich mich nicht überzeugen können. Der Aufenthalt in der frischen 
Luft, die Abhärtung, das geregelte Leben, das Fernbleiben mancher Schädlichkeiten 
des Berufs, der Wohnung, des sozialen Lebens, die ausgezeichnete Verpflegung, die 
musterhafte Hygiene (z.B. das regelmäßige Baden auch im Winter) haben während 
des Stellungskampfes für die Lungentuberkulose sehr günstige Verhältnisse herbei- 
geführt. Wie wir ja auch ganz auffallend wenig Pneumonien, Anginen und Gelenk- 
rheumatismen gesehen haben. Abhärtung in Wind und Wetter ist ja sicherlich für 
viele Tuberkulöse das beste; die Kräftigung der Konstitution ist von großem Ein- 
fluß auf die Hemmung der Tuberkulose. Daß andererseits der Bewegungskrieg mit 
seinen Strapazen, oft ungenügender Ernährung, daß ungünstige Witterungsverhält- 
nisse leicht Verschlimmerungen tuberkulöser Lungenherde herbeiführen können, ist 
selbstverständlich. 

Da die während des Krieges zur Beobachtung gelangenden Tuberkulosefälle 
ganz verschiedenen Bedingungen entstammen, da sie ferner in ihrem Charakter 
nichts spezifisches haben, möchte ich mich gegen den Ausdruck „Kriegstuberkulose“ 
wenden, welcher zudem eine nicht unbedenkliche Nebenbedeutung von suggestiver 
Kraft enthält.}) 

Die ärztliche Aufgabe bezüglich der Lungenkranken bezieht sich einmal auf 
die Behandlung, andererseits auf die Frage der Dienstbrauchbarkeit. Bei 
einer außerordentlich großen Zahl derselben handelt es sich um so geringfügige 
oder zweifelhafte Erscheinungen, daß sie wieder im Garnison- oder Arbeitsdienst 
verwendbar werden; ja auch die Kriegsverwendungsfähigkeit wird erreicht. Eine 
nicht geringe Zahl von Leuten, welche als tuberkulös oder tuberkuloseverdächtig be- 
zeichnet worden sind und werden, läßt bei der genaueren Untersuchung und Be- 
obachtung keine sicheren Symptome erkennen. Verschärftes Atmungsgeräusch, Ent- 
faltungsgeräusche, leichte Schalldifferenzen infolge von Skoliose u. a. m. täuschen eine 
Spitzenerkrankung vor. 

Die ärztliche Behandlung erfolgt bis auf die vorgeschritteneren Fälle, welche 
eventuell als dienstunbrauchbar zu entlassen und den bürgerlichen Fürsorgeanstalten 
zu übergeben sind, tunlichst in Lungenheilstätten. Was die Auswahl des Materials 
betrifft, so sollten nur diejenigen Tuberkulösen in diese Anstalten aufgenommen 
werden, bei welchen .ein aktiver. Lungenprozeß vorliegt. Über die diagnostische 
Feststellung desselben bestehen bekanntlich Meinungsverschiedenheiten. Es wäre 
sehr wünschenswert, wenn eine Einigung endlich erzielt werden könnte. Man sollte 
hier die Grenzen nicht zu weit ziehen. Etwas anderes ist die Feststellung der 
feinsten incipienten Veränderungen an der Lunge, etwas anderes die Diagnose eines 
die Heilstättenbehandlung erfordernden aktiven Prozesses. Meines Erachtens ist vor 
allem erforderlich der Nachweis eines sogenannten „Katarrhs“, d. h. feuchter, wenn ` 
auch noch so spärlicher Rasselgeräusche. Giemen und Schnurren ist trügerisch und 
beweist nichts. Eine bloße Verschärfung des Atmungsgeräusches, das sogenannte 
rauhe Atmen, leichte Spitzendämpfungen u..a. m. beweisen gleichfalls keinen aktiven 
Prozeß. Ferner kommen Temperatursteigerungen, für welche ein. sonstiger Grund 
nicht aufzufinden ist, in Betracht. Jedoch kann ich Steigerungen von einigen Zehntel 
Graden nicht eine entscheidende Bedeutung beimessen. Selbstverständlich kommt 
der Sputumuntersuchung größter Wert zu. Allgemeine, besonders fortschreitende 
Schwächezustände, für welche sich ein anderer Grund nicht findet, Verdichtungen 
mit subjektiven Beschwerden werden auch ohne bestehende „katarrhalische“ Er- 
scheinungen die Heilstättenbehandlung zulässig bzw. notwendig erscheinen lassen. 


1) Auch Mosse hat gegen c diese Bezeichnung Bedenken geäußert. Berl, kip; Wchschr. 1915, 
Nr. 26, S. 701. 


De we nen 


Dagegen kann ich die allergischen Reaktionen und die Ergebnisse der probatorischen 
subkutanen Tuberkulininjektion nicht als entscheidend. ansehen, weder die Fieber- 
noch die Herdreaktion, bei welcher letzteren dem subjektiven Ermessen ein sehr 
weiter Spielraum gelassen ist und der Zufall eine große Rolle spielt. Es ist keines- 
wegs erwiesen, vielmehr sehr unwahrscheinlich, daß diese Reaktionen mit der Akti- 
vität des Prozesses etwas zu tun haben.!) Die schrankenlose Anwendung der dia- 
gnostischen Injektion führt dazu — wovon ich mich selbst überzeugt habe —, daß 
Leute den Heilstätten überliefert werden, welche derselben nicht bedürfen, ja welche 
überhaupt keiner ärztlichen Behandlung bedürfen, sondern im Dienst verwendbar 
sind. Daß in den Lungenheilstätten sich oft ein gewisser Prozentsatz von Lungen- 
gesunden vorfindet, ist bekannt und wird von Lungenspezialisten selbst anerkannt. 
Ich selbst kann es durch einwandfreie Beobachtungen belegen. 

Auch die Temperaturerhöhungen nach dosierten Bewegungen und den lang- 
samen Ausgleich derselben halte ich nicht für einen Beweis der Heilstättenbedürftig- 
keit, wenn das klinische Bild eines manifesten Lungenprozesses fehlt; zum mindesten 
bedarf es nach dieser Richtung hin noch weiterer Beobachtungen. 

In einer Zeit, wo jeder Dienstpflichtige Leben und Gesundheit einzusetzen 
verpflichtet ist, muß der Blick des Arztes auch auf das Ganze gerichtet sein; bei 
aller Fürsorge für den einzelnen — und sie ist vorbildlich in unserem Heere und 
unserer Sanitätsorganisation — darf man doch nicht dahin kommen, daß ein mini- 
maler oder zweifelhafter, jedenfalls nicht störender Lungenherd geradezu zur Lebens- 
versicherung wird. 

In diesem Sinne ist auch der Heranziehung des Röntgenbefundes eine ge- 
wisse Grenze zu setzen. Wir begrüßen dankbar die Aufklärung, wenn bei Gewichts- 
abnahme, Schwäche oder Fieber eine Bronchialdrüsenschwellung oder tiefliegende 
Herde oder eine beginnende Hilustuberkulose als Ursache nachgewiesen wird, aber 
ein Röntgenschatten, ohne sonstige nennenswerte klinische Erscheinungen, kann 
ebenso wie der Nachweis einer geringen Verdichtung für sich noch nicht genügen, 
um den Betreffenden der ärztlichen Behandlung zuzuführen. Was soll sich auch 
hier ändern? Es ist ein Zustand, wie wir ihn als Endresultat einer Heilstätten- 
behandlung begrüßen. Trotzdem werden solche Fälle Heilstätten übergeben. 

Geringe abgelaufene Indurationen vertragen sich mit einer gewissen Dienst- 
tätigkeit sehr wohl, wenn das Allgemeinbefinden gut ist. 

Das Übersehen geringer manifester Erscheinungen, bei Massenuntersuchungen 
wohl erklärbar, scheint nur sehr selten vorgekommen zu sein. Bei Gelegenheit der 
Invalidenaustausche konnte ich unter den französischen Invaliden eine ganz unge- 
wöhnliche Zahl von Tuberkulosekranken, z. T. in sehr vorgeschrittenem Zustande 
feststellen, während sich unter den deutschen Invaliden nur relativ wenig Tuber- 
kulöse fanden. Dies erlaubt natürlich noch keine weitgehenden Schlüsse für uns, 
wohl aber den, daß in der französischen Armee die Tuberkulose viel mehr ver- 
breitet ist als bei uns und daß die Musterung eine weniger genaue und strenge ist.?) 

Die mit ruhenden Lungenherden Behafteten, welche Beschwerden haben oder 
in ihrem Allgemeinbefinden reduziert sind, können, um die Lungenheilstätten nicht 
für diejenigen Kranken, welche ihrer wirklich bedürfen, zu verstopfen, sehr gut in 
Erholungheimen behandelt werden.“ 


„Die Psyche der Kriegsteilnehmer im Felde zeigt dem Arzt viele interessante 
und lehrreiche Seiten. Die Überlagerung der Krankheitsgefühle durch die gehobene 
Stimmung und den Tatendrang wurde schon erwähnt. Darüber hinaus erscheint 
eindrucksvoll die Macht des Willens über den Körper; ungeheuere muskuläre 
Leistungen bei oft ungenügender Ernährung und unzureichendem Schlaf, Ertragen 


1) Vgl. die kritischen Ausführungen von Schröder 1. c. 
2) Siehe Meißen, Die Tuberkulose im französischen Heere (diese Ztschr., Bd. 23, S. 422). 


- 


BD. 2%, HEFTL AUFGABEN UND PROBLEME DER INNEREN. MEDIZIN. 39 


der denkbar größten Strapazen, einer unerhörten Beanspruchung der Nervenkraft 
sowohl durch den Ansturm der Nervenreize wie auch durch die Leistung von 
Nervenarbeit, scheinbar gegen alle"Erfahrung und die Naturgesetze, alles ausgelöst 
durch das psychische Ferment des Willens. Wir sehen den Organismus durch- 
geistigt, gleichsam bis zur letzten Zelle überantwortet dem Einfluß des Psychischen, 
Wir fühlen, daß auch der kranke Organismus in weitgehendster Weise der Macht 
des Psychischen anheimgegeben sein muß. 

Die Leistungen des Willens stellen sich dar als bewegende und als hem- 
mende. Wenn der Wille imstande ist, den stärksten Unlustgefühlen der Erschöpfung, 
der Kälte, des Hungers, den nervenerschütternden Schalleindrücken, Gesichtswahr- 
nehmungen, Verwesungsgerüchen usw. zu trotzen, so wird er auch auf das Ertragen 
von Krankheitsgefühlen einen großen Einfluß haben. Die Hemmung der Affekte 
des Grauens und der Angst durch den Willen zeigt uns seinen Einfluß auf das 
sympathische System. Unterschätzen wir nicht immer noch die Bedeutung des 
Psychischen in der Krankheitslehre zu sehr? . In der pathologischen Physiologie? 
In der Therapie? Sind wir hinreichend bedacht, den Willen bei unseren Kranken 
zu kräftigen, zu üben und richtig zu leiten? Sicherlich legen wir vielfach mora- 
lische Kräfte brach, indem wir in übertriebenem Schonungsbestreben unsere Patienten 
psychisch zu weich anfassen. 

Die Leistungen des Willens sind selbstverständlich immer durch das Körper- 
liche begrenzt. Der Wille allein genügt nicht zum Reiten, man muß es erlernen. 
Der Wille ist die Zielvorstellung, welche im Organismus das Spiel der Kräfte aus- 
löst, das die Erreichung des Zieles anstrebt. Der organische Betrieb unterliegt 
dabei den Gesetzen der Übung, welche sich weitgehend auch auf die vegetativen 
Funktionen erstreckt. Indem der Wille außerordentliche muskuläre Leistungen voll- 
bringt, zwingt er den Organismus zur Anpassung, welche sich nicht auf die will- 
kürliche Muskulatur beschränkt, sondern Zirkulation, Sekretion, Stoffwechsel, Regu- 
lierung der Eigenwärme, psychische Überwindung hemmender Ermüdungsempfin- 
dungen umfaßt. Der Wille lernt Affektzustände und ihre körperlichen Ausdrucks- 
bewegungen hemmen. Indem der Körper den Schädigungen der Witterung und 
den Entbehrungen trotzt und sich den größten Härten der Lebenshaltung mit 
eiserner Energie anpaßt, werden die regulierenden Kräfte des Organismus geübt. 
v. Krehl weist darauf hin, daß man sich durch Willenskraft auf ein kleineres 
Nahrungsquantum einstellen könne: also eine mittelbare Beziehung zum Stoffwechsel. 
Er hebt ferner den psychischen Einfluß auf endokrine Drüsen hervor. Daß Drüsen- 
sekretion wie vasomotorische Bewegungen und ihre Flemmung auf dem Wege der 
Vorstellungstätigkeit auch zum Willensprozeß Beziehungen haben können, 
ist bekannt. Der Wille gewinnt endlich einen ganz allgemeinen Einfluß auf den . 
gesamten Betrieb des Organismus, indem er eine gehobene Stimmung im 
Sinne der Aktivität erzeugt; die Stimmung aber als ein Gefühlszustand, als eine 
Art von Affekt wirkt nicht bloß auf das bewußte Empfinden, indem äußere und 
innere Reize, ja sogar Schmerzen weniger gefühlt werden, sondern hat unmittelbare 
Beziehungen zu den vegetativen Funktionen und vermag für sich Kräfte auszulösen 
wie wir es von den eigentlichen Affekten kennen. Die gehobene Stimmung hat 
ein physiologisches Korrelat, bestehend in einem Zustande gesteigerter Anregung 
und Bahnung, unterdrückter Hemmungen, auf das motorische, vasomotorische und 
sekretorische System irradiierender Erregungen. Die Stimmung wirkt wie der Affekt 
triebartig auf die Motilität und ruft Handlungen von großer Kraft hervor. So 
schlägt der Wille seine Brücken in das Reich des Unbewußten. 

Der Wille des Kranken kann den Heilprozeß mächtig unterstützen; der 
energische Patient sucht die Krankheitsgefühle zu überwinden und sich über sein 
Leiden zu stellen. Auf diese Weise leidet die Persönlichkeit weniger, das Krank- 
heitsgefühl wird seelisch lokalisiert. Indem das Lebensgefühl Sieger bleibt, die po- 
sitive Stimmung überwiegt, wird das vegetative System im Sinne der Erhaltung 


ZEITSCHR. f. 
40 ER. GOLDSCHEIDER. -u -TUBERKULOSE 


günstig beeinflußt, unmittelbar und mittelbar. Das willenskräftige Streben nach Ge- 
sundung unterstützt die Ausführung der ärztlichen Vorschriften, arbeitet an der 
Übung und Kräftigung der organischen Funktionen, unterstützt so die zur Gesun- 
dung führenden Regulationen des Naturheilprozesses und fördert die Widerstands- 
fähigkeit der Gesamtkonstitution. 

Der Wille führt endlich durch die erfolgreiche Ausführung des Gewollten 
zur Erkenntnis der eigenen Leistungsfähigkeit. Diese Erkenntnis aber fördert 
wiederum die Willenskraft, so daß der psychische Vorgang des Wollens selbst 
dem Gesetze der Übung unterliegt. | 

Ich möchte vermeiden, auf das energetische Gebiet einzugehen. Es fehlt 
uns noch sehr viel, um Beziehungen zwischen Willenshandlungen und Nerven- 
energien zu diskutieren, etwa in dem Sinne, daß einer bestimmten Leistung des 
Willens die Umwandlung einer bestimmten Menge von verfügbarer Nervenenergie 
entspricht. Schwierigkeiten bereitet z.B. die Abhängigkeit der Willenshandlung von 
dem Inhalt der Vorstellungen (Belebung des Mutes oder Abschwächung desselben 
je nach dem Inhalt der seelischen Eindrücke usw.), ferner die Bemessung der 
Willenseneigie, sofern es sich um gewollte Hemmungen handelt u.a. m. 

Stimmung und Wille stehen in gegenseitiger Abhängigkeit. Die gehobene 
Stimmung belebt den Willen, letzterer wiederum erzeugt, erhält und erhöht die 
Stimmung durch immer erneute aktive Reproduktion der Zielvorstellung. Ein 
schwacher Wille kann durch Stimmung gekräftigt, selbst der stärkste Wille durch 
Mißstimmung schließlich gelähmt werden. Die Hebung und Erhaltung der Stimmung 
ist von mächtigem Einfluß auf die Tatkraft und Ausdauer. 

Welche Bedeutung für den Erfolg der kriegerischen Operationen derselben 
mit Recht zugeschrieben wird, ist bekannt. Sehr mannigfache physische und psy- 
chische Eindrücke sind für die Stimmung maßgebend. Beim Kranken ist es nicht 
zum wenigsten der geistige Einfluß des Arztes, welcher auf Stimmung und Willens- 
sphäre wirkt. Der Einfluß der Stimmung und des Willens, überhaupt des Psychi- 
schen auf den Organismus im gesunden und kranken Zustande bildet ein wichtiges 
Forschungsproblem für die innere Medizin. Es ist nicht leicht, ihm nachzugehen, 
ohne den Boden strenger Methodik zu verlassen; aber die Erlebnisse des Krieges 
werden einen neuen Anreiz bilden, das bereits von einer Reihe von Forschern in 
Angriff genommene Gebiete weiter zu bearbeiten. 

Daß der Wille den Organismus auch schädigen kann, indem er Beanspruchungen 
über das Regulierungsvermögen hinaus setzt, sehen wir in der Praxis häufig genug, 
und kann uns als Kriegsbeobachtung nicht.in Erstaunen setzen. Die Schädigung 
hängt nicht bloß von den exogenen, sondern im hohen Maße von endogenen Be- 
‚ dingungen ab, von der Konstitution. Die Gesamtkonstitution ist die Summe der 
Teilkonstitutionen der einzelnen Organe bzw. Organsysteme; nach der vorhandenen 
Veranlagung kann das eine oder das andere versagen. 

Die örtlichen Dispositionen spielen eine große Rolle, so z.B. bei der Tuber- 
kulose, wie Orth in Übereinstimmung mit Hart neuerdings wieder betont hat. 

Andererseits wird die Konstitution gekräftigt, wenn die Anpassung zustande 
kommt. Der Wille kann die Maschine, auf welcher er spielt, zertrümmern oder 
kräftigen; es kommt auf das Kräfteverhältnis beider an. Dem starken Willen ge- 
bührt eine widerstandsfähige Maschine, dann potenzieren sich die Leistungen. Die 
Anpassungsfähigkeit unseres Menschenmaterials erscheint nach den Kriegserfahrungen 
im ganzen außerordentlich günstig; bei einer sehr großen Zahl der Kriegsteilnehmer 
hat sich die Konstitution gekräftigt; aber es fehlt auch nicht an konstitutionellen 
bzw. vor dem Kriege erworbenen Minderwertigkeiten. Der Krieg zeigt uns. mit 
unerbittlichem Ernst, von welcher Bedeutung die Gesundheit und körperliche Wider- 
standsfähigkeit eines Volkes im nationalen Ringen ist. Intelligenz, Organisation, Mut 
und fester Wille bedürfen der notwendigen Ergänzung durch körperliche Wider- 
standskraft, sonst kämpfen sie vergebens. Man hat der Entartungspessimisten ge- 


En EEE ud Re VE En Tl EEE Re TE a Te ae T o 


BD. 25, HEFT 1. AUFGABEN UND PROBLEME DER INNEREN MEDIZIN, 41 


spottet. Aber immerhin, die Gefahr der Entartung droht stets bei komplizierter 
werdendem Kulturleben und bedenkliche Zeichen machten sich bereits geltend, das 
ist kein Zweifel. Das wesentliche wird, wie es auch v. Krehl ausspricht, eine 
Rückkehr zu einfacherer, naturgemäßer Lebensweise sein. Die Feinheit und der 
Hochstand der Kultur hat an sich nichts mit Luxus und übertriebenem Komfort 
zu tun. Auch der kultivierte Mensch ist ein Stück Naturgeschichte und muß wie 
jedes andere Geschöpf im Kampf mit den Naturmächten seine Widerstandskraft 
erstarken lassen. Das Kulturleben versieht uns immer mehr mit Schutzmitteln 
gegen die Naturkräfte; aber es ist eine Illusion, daß es nur darauf ankomme uns 
zu schützen; im Gegenteil, der zu weit getriebene Schutz schwächt. Die gesunden 
Bestrebungen der letzten Jahre auf dem Gebiete der Wohnungshygiene, der Körper- 
kultur, der Abhärtung, der Wanderungen in die freie Natur und dgl. sind zu be- 
fördern, dagegen der Sport in seinen Auswüchsen zu bekämpfen. Aber dies ge- 
nügt bei weitem nicht. Es wird nach dem Kriege viel über eine: mehr hygienische 
Gestaltung unseres Daseins zu sprechen sein. Die Reform muß von den sozial 
und kulturell höchststehenden Schichten ausgehen. Der ärztliche Stand als der 
hygienische Berater der Nation wird dabei wesentlich mitzuwirken haben. Es hängt 
ganz vom Willen das Individuums und der Masse ab, immer Vollkommeneres 
zu erreichen. Beachten wir auch für die Volkshygiene, welches die Bedingungen 
des Erfolges sind: Wille, Organisation, Disziplin.“ 


42 REFERATE. 


ZEITSCHR., f. 
___TÜBERKULOSE 


IL REFERATE ÜBER BÜCHER UND AUFSÄTZE 


A. Lungentuberkulose. 


I. Ätiologie. 

Die Arbeiterkrankheiten in den Glas- 
hütten der Provinz Siena. (Med. Re- 
form 1915, Nr. 12.) 

Schnelle Übergänge von Hitze zu 

Kälte und anhaltende Reizwirkungen der 

aus den Schmelzöfen entweichenden Gase 


auf die Schleimhäute der Atemwege 
bewirken den Husten und Bronchial- 
katarrh der Glasbläser. Die Häufig- 


keit der Tuberkulose wird aus der all- 
gemeinen Schwächung des Organismus 
durch unzweckmäßige Arbeitseinteilung, 
Nomadenleben, rheumatische Ursachen, 
Staubatmung, Bronchitis und Alkoholis- 
mus erklärt. 

Schellenberg (Heilstätte Ruppertshain). 


Hermann Engel: Tod an Lungen- 
tuberkulose nicht Folge eines 
sechs Jahre zurückliegenden Un- 
falls. (Med. Klinik 1915, Nr. 29, S.8ır.) 

38jähr. Arbeiter zog sich durch Sturz 
von einem Stapel Rohjute eine Verletzung 
des rechten Handgelenkes und einen Blut- 
erguß im rechten Kniegelenk zu, indem 
er mit der rechten Seite (Knie, Hand 
und Kopf) aufschlug. Anzeichen einer 

Lungenverletzung lagen nicht vor. Sechs 

Jahre später wurde ein sehr erheblicher 

Befund für Lungentuberkulose erhoben. 

Dieses Lungenleiden wurde für unab- 

hängig vom damaligen Unfall erklärt. 

Auch wurde der Tod des Mannes an 

Tuberkulose als mit dem Unfall nicht 

zusammenhängend erklärt, die Hinter- 

bliebenenrentenansprüche wurden von allen 

Instanzen zurückgewiesen. 

In einem Vorgutachten war die An- 
sicht geäußert worden, daß durch den 
Unfall und die Sorge um das verlorene 
Brot der Körper so geschwächt worden 
sei, daß andere Krankheiten in ihm Fuß 
fassen konnten. Eine solche Anschauung 
geht entschieden zu weit. 


Der Mann | 


| bezog Rente, hatte noch einigen Neben- 


verdienst, die wirtschaftliche Lage des 
Mannes war dadurch und außerdem 
durch Alkoholmißbrauch verschlechtert; 
aber es besteht doch keineswegs die Be- 
rechtigung, eine jede in ungünstigen Lebens- 
verhältnissen auftretende Krankheit als 
Folge eines früher stattgehabten Unfalls 
anzusehen, der die ungünstige wirtschaft- 
liche Lage veranlaßt hat. 

Schellenberg (Heilstätte Ruppertshain). 


Arthur Mayer: Zur Klinik und expe- 
rimentellen Pathologie der Be- 
ziehungen zwischen Trauma und 
Lungentuberkulose. (Ztschr. f. ex- 
periment. Pathol. u. Therap. 1015, 
Bd. 17, Heft 2, S. 200—223.) 

Keiner der zahllosen Fälle, bei denen 
ein Zusammenhang zwischen Trauma 
und Lungentuberkulose mit mehr oder 
weniger Wahrscheinlichkeit angenommen 
worden ist, hält einer strengeren Kritik 
stand hinsichtlich der direkten Entstehung 
einer Tuberkulose durch das Trauma, Verf. 
kann auch in den von ihm selbst beob- 
achteten Fällen einen zwingenden Beweis 
nicht führen, er beschreibt aber ausge- 
suchte Fälle, die weitere Erwägungen und 

Experimente zu veranlassen imstande 

sind. In einem Fall, in dem sich in un- 

mittelbarem Anschluß an eine Stichver- 
letzung mit einem Messer Lupus und 
wenige Wochen später eine sichere offene 

Tuberkulose des Oberlappens entwickelte, 

hält er den Zusammenhang zwischen 

Trauma und Tuberkulose für erwiesen. 

Die‘ Verhältnisse bei den anderen Fällen 

liegen nicht so zwingend, zeigen aber, 

daß Beziehungen zwischen Trauma und 

Tuberkulose bestehen und zwar in mehr- 

facher Beziehung. Die Frage des engeren 


Zusammenhanges ist aber noch nicht 
endgültig gelöst. 

Angestellte Tierversuche ergaben 
folgendes: 


Die Tuberkulose, die hämatogen ge- 
setzt wurde, entwickelte sich nicht an der 
durch Kontusion des Brustkorbes ver- 


BD. 25, HEFT 1. 
1916. 


letzten Stelle; ja gerade die verletzte 
Lunge war unter Umständen am wenig- 
sten oder garnicht von der Tuberkulose 
befallen. 

Die durch Glottisschluß gröber ver- 
letzten Teile hatten keinen besonders 
günstigen Nährboden für im Blute krei- 
sende Tuberkelbazillen abgegeben. In 
keinem Falle war der Beweis zu erbringen, 
daß von der verletzten Stelle die tuber- 
kulöse Disseminierung ausgegangen war. 

Das Trauma steigert weder die Vi- 
rüllenz im Blute kreisender Bakterien 
noch beeinflußt es ihr Wachstum, es ver- 
mindert aber die Resistenz des Tieres gegen 
die tuberkulöse Infektion und beseitigt 
die durch die Vorbehandlung mit Alt- 
tuberkulin geschaffene Minderung der 
Giftempfindlichkeit (wahrscheinlich eine 
Verminderung der Opsonine). 

Der zweifellos bestehende Zusam- 
menhang zwischen Trauma und Tuber- 
kulose ist in der Herabsetzung der Re- 
sistenz des Körpers gegen die Infektion 
zu suchen; eine bis dahin latente Tuber- 
kulose kann mobilisiert werden. Es bleibt 
daher klinisch gleichgültig, an welcher 
Stelle der Körper vom Trauma betroffen 
wird. 

Eine interessante Arbeit, die ein 
genaueres Studium verdient. 


Schellenberg (Heilstätte Ruppertshain). 


II. Epidemiologie und Prophylaxe 
(Statistik). 


C. Feistmantel u. J. Kentzler: Zur Frage 
der Unterbringung und Versor- 
gung unserer tuberkulösen Krie- 
ger. (Wien. klin. Wchschr. 1915, Nr. 35, 
9.051.) | 

Veranlassung zur Abfassung des Ar- 
tikels war der Umstand, daß der eine 

Autor Kommandant eines Barackenspitals 

ist, in welches während der letzten Zeit 

alle im Bereiche des Militäirkommandos 

Budapest sich ergebenden Tuberkulose- 

fälle verbracht werden, der andere seit 

Jahren sich dem Studium und der Be- 


REFERATE, 


43 


handlung der Tuberkulose widmet. Den 
Verff. erscheint es als das Wichtigste in 
dieser Frage, daß von vornherein für eine 
getrennte Unterbringung der verschiede- 
nen Grade von Tuberkulose in entspre- 
chendem Maße vorgesorgt wird. 

Es sind vier Kategorien von An- 
stalten für Tuberkulöse, bzw. Lungen- 
kranke nötig: | 

I. Sammel- und Sortierungsstellen 
für Tuberkulöse. 


2. Invalidenhäuser für Tuberkulöse. 

3. Lungenheilstätten. 

4. Rekonvaleszentenheime für Lun- 
genkranke (mit Werkstätten). 


I. Sammel- und Sortierungs- 
stellen für Tuberkulöse. Eine der- 
artige Stelle müßte sich am Sitze eines 
jeden Militärkommandos befinden und 
zwar müßte Platz für ca. 3°/, der durch- 
schnittlichen . Krankenzahl des betreffen- 
den Militärkommandos vorhanden sein. 

Diese Sammel- und Sortierungsstelle 
müßte natürlich in einer lediglich für 
diese Zwecke designierten Anstalt unter- 
gebracht sein, in welcher andere Kranke 
nicht aufgenommen würden. Diese An- 
stalt müßte womöglich an der Peripherie 
der Stadt gelegen und mit den verschie- 
densten Kommunikationsmitteln leicht er- 
reichbar sein. 

Wie aus der Bestimmung dieser Ka- 
tegorie von Anstalten hervorgeht, müßten 
dieselben mit allen Hilfsmitteln für mi- 
kroskopische und klinische Diagnosen- 
stellung gut ausgerüstet sein. 

In diese Anstalten würden alle der 
Tuberkulose verdächtigen Soldaten abge- 
schoben; sie würden dann je nach dem 
dort konstatierten Grade ihres Leidens 
einer der drei anderen Kategorien zuge- 
wiesen. 


2. Invalidenhäuser für Tuber- 
kulöse. Diese Art von Anstalten würde 
zur Aufnahme von Fällen unheilbarer 
offener Tuberkulose dienen. 

. Eine derartige Anstalt sollte nicht 
größer als für 150—200 Kranke be- 
rechnet werden und zwar sollten diese 
Anstalten an der Peripherie der größeren, 
im Bereiche der verschiedenen Militär- 
kommandos gelegenen Städte errichtet 
werden. 


44 z 

Es empfiehlt sich, diese Anstalten 
an der Peripherie von Städten zu eta- 
blieren, weil von diesen der Abtransport 
der Vorstorbenen durch die Angehörigen 
leichter ist, als aus kleineren Orten. 

Dort, wo für diesen Zweck neue 
Objekte gebaut werden sollen, würde es 
sich empfehlen, diese Anstalten in Pavil- 
lonsystem aufzuführen, dergestalt, daß in 
einem Pavillon’ insgesamt ungefähr 50 
Kranke Platz hätten und in mehreren 
Zimmern des Pavillons verteilt würden. 

Am zweckmäßigsten wäre es, wenn 
diese Pavillons im Stile der sogenannten 
Freilufthäuser gebaut würden und zwar so, 
daß jeder Pavillon aus einem erhöhten 
Parterre und einem daraufgebauten ersten 
Stock bestünde; sowohl im Parterre, als 
auch im ersten Stock würden die Kran- 
kenzimmer mit einer Freiluftterrasse kom- 
munizieren und zwar derart, daß das 
erste Stockwerk die Terrasse des Par- 
terres nicht verdeckt, sondern um ca. 
1,5 m zurücktritt, so daß die Besonnung 
auf der Terrasse des Parterres nicht be- 
hindert würde. 


3. Lungenheilstätten. Bestim- 
mung: Aufnahme heilbarer Tuberkulose- 
fälle und zwar solcher, welche offen sind 
oder, wenn auch nicht offen, mit Tem- 
peratursteigerungen einhergehen. | 

Diese Heilstätten müßten eingerichtet 
werden in Wald- oder Gebirgsgegenden 
(im letzteren Falle nicht über 700m See- 
höhe) oder an der Meeresküste, jedenfalls 
in entsprechender Entfernung von größe- 
ren bewohnten Orten. 

Gerechnet müßte in jedem Militär- 
kommandobereich werden für die Unter- 
bringung von ca. 1000— 1500 solcher Fälle. 

Jede derartige Anstalt sollte für 400 
bis 500 Kranke eingerichtet sein. Die 
einzelnen Objekte einer solchen Anstalt 


sollten womöglich im Pavillonsystem mit. 
Die . 


höchstens einer Etage gebaut sein. 
einzelnen Krankensäle könnten größer, 
zur Aufnahme von 25—30 Kranken an- 
gelegt sein; ein jeder Krankensaal könnte 
auf der Südseite mit einer hinaufziehbaren 
Glaswand versehen werden. Die Anlage 
wäre zweckmäßig in einem Park oder 
einem Garten anzubringen. 

Die in dieser Kategorie der An- 


REFERATE. 


ZEITSCHR, f. 
TUBERKULOSE 


stalten Untergebrachten könnten zu den 
verschiedensten, im Freien auszuführenden 
Arbeiten herangezogen werden (Garten-, 
Obst-, Gemüse-. Weinbau, Bienen- und 
Seidenzucht) oder zu wenig anstrengenden 
Handarbeiten (Korbflechterei) verwendet 
werden. 

‚Ein Belassen in vollständiger Arbeits- 
losigkeit könnte bei den so Behandelten 
mit der nach dem Verlassen der Anstalt 
einhergehenden Aufnalıme ihrer gewöhn- 
lichen Zivilbeschäftigung das Auftreten 
von Rezidiven provozieren. 

Die Behandlungsdauer in diesen Heil- 
stätten wäre durchschnittlich mit drei Mo- 
naten zu veranschlagen. 


4. Rekonvaleszentenheime für 
Lungenkranke (mit Werkstätten). 
Bestimmung dieser Anstalten wäre, leichte 
Fälle aufzunehmen, welche eine Behand- 
lung in einer Heilstätte durchgemacht 
haben, oder welche eine durch die Krank- 
heit verursachte Verminderung ihrer Ar- 
beitsfähigkeit erlitten haben, also eine Art 
Übergangsstelle zwischen Heilstätten und 
normalen Lebensverhältnissen. 

Es würden in diesen Rekonvaleszen- 
tenheimen nur solche Fälle aufgenommen 
werden, welche: 

I. nicht infektiös sind, 

2. bei denen die Tuberkulose nicht 
ausgesprochen aktiv ist und welche dabei 
halbwegs arbeitsfähig sind. 

Diese Anstalten könnten das ganze 
Jahr über geöffnet bleiben und es können 
Werkstätten angegliedert sein. 

Die für die Unterbringung der Kran- 
ken dienenden Gebäude könnten auch 
mehrere Stock hoch sein, mit Liegehallen 
an der Südseite. | 

Bei jeder dieser Anstalten müßte 
ein kleineres Spital für ca. 5°/, des Kran- 
kenstandes eingerichtet werden, zur Auf- 
nahme von Rezidivierenden, Ba trans- 
portfähigen, Kranken. e 

Diese Räiionvaleszentenkieine müßten 
in nicht zu großer Nähe von größeren 
Orten, insbesondere von Industriezentren, 
also an Stellen etabliert werden, wo die 
Luft staub--und rauchfrei und auch sonst 
günstige klimatische Verhältnisse bestehen 
(Waldgegenden). .Es müßten jedoch gün- 
stige Kommunikationsverhältnissemit einem 


BD. 25, HEFT 1. 
1915. 


benachbarten größeren Orte bestehen (an 
der Eisenbähnlinie, in der Nähe kleinerer 
Landstädte), | 

Es müßte in jedem Militärkommando- 
bereiche für die Aufnahme von ca. 2000 
bis 2500 derartiger Rekonvaleszenten vor- 
gesorgt werden. 


Diese Rekonvaleszentenheime sollten 
‘groß angelegt und für die Aufnahme von 


800—1000 Rekonvaleszenten eingerich- 
tet sein. | 
Bezüglich der Gewerbezweige, für 
welche in diesen Anstalten Werkstätten 
eingerichtet werden könnten, kämen na- 
türlich nur solche in Betracht, welche 
keine Staub-, Rauch- und Rußentwicklung 
bedingen und nicht allzusehr kor penie 
anstrengend sind. 
In Betracht kämen: 
Holzindustrie, 
Korbflechterei, 
elektrotechnische Arbeiten usw. 
Die Behandlungsdauer in den Re- 
konvaleszentenheimen wäre durchschnitt- 
lich mit sechs Wochen zu veranschlagen. 
Wenn sich der Zustand von den in 
Rekonvaleszentenheimen untergebrachten 
Kranken derart verändert, daß ihr Weitėr- 
verbleib in der Anstalt nicht mehr an- 
gebracht ist, würden solche Kranke wie- 
der der Sammel- und Sortierungsstelle 
übergeben, welche je nach dem Zustand 
der Kranken, dieselben der entsprechen- 
den Kategorie der Anstalten zu verweisen 
würde. u | 
Für den Fall, daß solche Kranke 
nicht transportfähig wären, müßten sie in 
dem eigenen Spital der Anstalt unter- 
gebracht werden. L.R. 


Scheltema: Tuberculose (Besmette- 
Iykheid, Erfelykheid) en Kinder- 
tuberculose. — Tuberkulose (An- 
steckung, Erblichkeit) und Kin- 
dertuberkulose. (Ned. Tydschr. v. 
verloskunde en vrouwenziekten en voor 
Kindergeneeskunde 1015.) 

Der Verf. betont, daß bei der Be- 
kämpfung der Tuberkulose als Volkskrank- 
heit bis jetzt die Kindertuberkulose zu 
wenig gewürdigt ist. Der Kampf gegen 
die Kindertuberkulose soll nicht als An- 
hang der Tuberkulosebekämpfung be- 
trachtet werden, sondern den Mittelpunkt 


Le ————————— nn E e ee —————————— ee. ——————————————————————. 


REFERATE. 45 


des ' ganzen Kampfes darstellen. Allzu- 
viel wird bis jetzt unter „Tuberkulose- 
bekämpfung“ ausschließlich die Fürsorge 
für die erwachsenen Kranken verstanden. 
— Es gibt noch immer Leute, die an 
die Erblichkeit der Tuberkulose glauben. 
Die Krankheit kann aber nicht erblich 
sein. Eigenschaften können erblich sein, 
aber die Tuberkulose ist keine Eigen- 
schaft. Sie ist ein Ereignis, wie z. B. 
eine Osteomyelitis oder eine Schwanger- 
schaft. Der Bazillus ist exogen, kann 
also nicht vererbt werden. Die Tuber- 
kulose kann zwar angeboren, nie aber 
erblich sein. Das familiäre Auftreten 
der. Krankheit ist nur der in den infi- 
zierten Familien erhöhten Exposition zu- 
zuschreiben. — Eine blastophthore Wirkung 
der Tuberkulose und daher: eine erhöhte 
nicht spezifische Veranlagung für die 
Krankheit ist zwar nicht von vornherein 
ausgeschlossen, aber andererseits auch 
keineswegs erwiesen. 

Die Bekämpfung der Infektion im 
kindlichen Alter soll den Mittelpunkt der 
Tuberkulosebekämpfung bilden. ‘Die mo- 
derne Tuberkulosebekämpfung stellt die 
Erblichkeit der Tuberkulose in Abrede, 
und hält die erbliche Veranlagung für 
die Krankheit für unerwiesen und jeden- 
falls für unbedeutend. In der Tuberku- 
losebekämpfung soll das Hauptgewicht 
auf das kindliche Alter gelegt werden. 
Die Kinder sollen von der Berührung 
mit an offener Tuberkulose Leidenden 
ferngehalten werden, und eine rationelle 
Vorbeugung der . Kindertuberkulose ist 
das beste Mittel, um die Ausrottung der 
Tuberkulose als Volkskrankheit zu be- 
schleunigen. Vos (Hellendoorn). 


B. S. Veeder and M. R. Johnston: The 
frequency of infection with the 
tubercle bacillus in childhood. 
(Amer. Journ. of Dis. of Childr. 1915, 
May, Vol.9, No.6, p.478.) 

Bericht über die Resultate von 1321 
Tuberkulinproben, welche im „Childrens 
Hospital“ der Stadt St. Louis gemacht 
wurden. Verf. haben in der ganzen 
Serie die Pirquetsche Methode ange- 
wendet und außerdem während der 
letzten 6. Monate alle nach Pirquet ne- 
gativ ausgefallenen Fälle (263) mit der 


—— BE en e = —.. 


46 REFERATE  ZEITSCHR. f. 


intrakutanen Methode (0,01 und 0,I mg 
Tuberkulin) nachgeprüft. 

Die erste Tabelle, welche alle 1321 
Fälle enthält, schließt klinisch tuberkulöse 
Kinder ein. Hier nimmt die Prozent- 
zahl der positiven Fälle bis zum 14. Jahre 
zu. In diesem Lebensjahre fiel die Re- 
aktion in 48°/, positiv aus. 

Die zweite Tabelle umfaßt ı 125 Kin- 
der, welche klinisch tuberkulosefrei waren. 
Hier nimmt die Prozentzahl bis zum 14. 
Jahre wieder zu. In diesem Lebensjahre 
fiel die Reaktion hier in 38°/, positiv aus. 

Nach diesen Resultaten muß man 
zugeben, daß die Kinderinfektion nicht 
in allen Städten so hoch ist wie in Wien 
(Hamburger und Monti, v. Pirquet). 
Außerdem soll die Zahl in den Kreisen, 
wo die Lebensverhältnisse besser sind, 
noch niedriger sein. l 

Bei den 263, während der letzten 
6 Monate nach Pirquet negativ ausge- 
fallenen Fällen fiel die Nachprüfung mit 
der intrakutanen Probe nur in 10°/, po- 
sitiv aus. 

Verff. meinen, daß die Tuberkulin- 
probe bei Kindern sehr gute Dienste für 
die Diagnose leistet, obwohl sie im all- 
gemeinen für die Aktivität der Läsion 
nicht entscheidend ist. 

Soper (Saranac Lake, N. Y.). 


Edwin R. Baldwin: Immunity in tu- 
berculosis. With special refe- 
rence to radical and clinical 
manifestations. (New York Med. 
Journal, Vol. 101, 23.1. IQIS, p. 165.) 

Natürliche Immunität gegen Tuber- 
kulose existiert weder beim Menschen 
noch bei anderen Säugern. Im Gegenteil 
eine primäre Empfänglichkeit ist wahr- 
scheinlich allgemein, obgleich bei man- 
chen Individuen ein gewisser Grad von 

Resistenz bemerkbar ist; ohne Zweifel 

eine erworbene individuelle und nicht 

eine Rassencharakteristik. Im Tierreiche 
kann man eine Rassenresistenz, jedoch 
keine natürliche Immunität finden. Manche 

Raupenarten können nicht infiziert wer- 

den, weil ihre Gewebe Wachssubstanzen 

verdauen, und der Tuberkelbazillus größten- 
teils aus Wachs besteht. Die Immunität 
ist also enzymatisch. Auch bei Pferd 
und Schwein hängt dieselbe von Gewebe- 


_ _ TUBERKULOSE 


und Serumfermenten ab. Mit Bestimmt- 
heit kann man jetzt noch nicht erklären, 
ob im Tierreich eine aktive Immunität 
von Eltern. auf Junge übertragen wird. 
Auch beim Menschen hat man bisher 
noch keine Übertragung von aktiver Im- 
munität nachweisen können. Im Gegen- 


teil, wenn die Mutter krank. ist, ist die 


Übertragung von toxischen Substanzen so 
stark, daß letztere eventuell vorhandene 
Immunitätsfaktoren bei weitem über- 
wiegen, und die Kinder empfänglicher 
sind als solche, die von normalen Eltern 
stammen. Ein Familienstudium von Fäl- 
len, deren Vater und Mutter tuberkuiös 
waren, deutet sogar auf eine Überemp- 
findlichkeit der Organe hin, z. B. Affek- 
tion desselben Teiles der Lunge bei Kin- 
dern und Eltern. Eine Rasse, die der 
Infektion lange nicht ausgesetzt gewesen 
ist, wird dadurch empfänglicher. Wo 
aber viele Generationen der Rasse infi- 
ziert worden sind, entwickelt sich eine 
relative Immunität. Einspritzungen von 
toten Bazillen können nie einen so hohen 
Grad der Immunität hervorrufen wie 
leichte Infektionen durch lebende Ba- 
zillen. Die leichten Ansteckungen im 
frühen Alter eines Menschen bilden den 
strärksten Schutz in späteren Jahren. Die 
Schlußfolgerung ist daher berechtigt, daß 
in der Zukunft weniger schwere, dagegen 
wahrscheinlich mehr leichte Tuberkulose- 
fälle vorkommen werden. 
B. S. Horowicz (Neuyork). 


Edwin R. Baläwin: Immunity in tuber- 
culosis: with special reference to 
racialand clinical manifestations. 
(Amer. Journ. of the Med. Science 1915, 
Vol. CXLIX, June, No.6, p. 822.) 

- Dieser vor der Harvey Society in 
Neuyork gehaltene Vortrag bringt eigent- 
lich wenig Neues, Er gibt aber eine 
umfassende Behandlung des Themas von 
sachverständiger Seite im Lichte der äl- 
teren sowie der neuesten Untersuchungen 
und Beobachtungen. 

Ein so umfassender Vortrag läßt 
sich, betreffs der Einzelheiten, nicht re- 
ferieren. Unter anderem wird, bei der 
Zusammenfassung, folgendes betont. 

Keine menschlichen Rassen besitzen 
eine natürliche Immunität. Die fäst all- 


BD, 2, HEFT 1. 
1916. l 


gemeine Infektion, durch Jahre hindurch, 
muß die scheinbare Resistenz einiger 
Rassen, wie die der europäischen Juden 
erklären. 

Im Kindesalter werden die Men- 
schen, zum großen Teil, infiziert. Die 


Resitzenz der Erwachsenen beruht zum 


Teil auf dieser Tatsache. 


Die spezifische, durch natürliche In- 
‚ die meistens Voll- oder Halbwaisen sind, 


fektion erzeugte Immunität soll, zum gro- 


ßen Teil, auf zellulären bakteriolytischen | 


Gegenwirkungen, meistens außerhalb des 
Blutstroms beruhen. 

Infolge der gegenseitigen Wirkung 
zwischen den Fermenten der Gewebszellen 
und denen der Bazillen nimmt die Lipo- 
lyse und die Proteolyse zu. Die Über- 
empfindlichkeit gegen Tuberkulin — Al- 
lergie — ist das Hauptkennzeichen der 
spezifischen Resistenz. 

Soper (Saranac Lake, N. Y.). 


Mary E. Lapham: The practical pre- 
vention of tuberculosis. (New York 
Med. Journal, Vol. 101, 16. I. 1915, 
p. 108.) 

Alle Kinder sind schon vor dem 
Erreichen der Reife mit Tuberkelbazillen 
infiziert. Daher sollte man versuchen, 
die Massen vor den Folgen der Infektion 
zu schützen, statt gegen eine Ansteckung, 
die schon längst stattgefunden hat, an- 
zukämpfen. Obgleich jedoch alle infi- 
ziert sind, bleiben 95°/, der Bevölkerung 
klinisch gesund, und nur 2—5°/, wer- 
den von den Bazillen gefährdet. Aber 
jeder ist ein potenzialer Kandidat, daher 
ist auch die Sterblichkeit so groß. Die 
Gefahr besteht in der Universalität der 
Ansteckung, besonders, da man nie weiß, 
wann der Wechsel von harmlosen zu 
gefährlichen Parasiten stattfindet. Der 
größte Schutz besteht darin, daß man 
den beginnenden Tuberkuloseprozeß er- 
kennt. Alle Kinder und Erwachsene 
‚ sollten periodisch untersucht werden. 
Alles, was die Widerstandskraft schwächt, 
erleichtert den Ausbruch der Tuberkulose. 
Gute Nahrung, gute Behausung und hy- 
gienische Lebensart erhöhen die Wider- 
standsfähigkeit. Wir fürchten die Außer- 
liche Ansteckung und vergessen, uns vor 
-der innerlichen Gefahr zu schützen. Die 
erfolgreiche Bekämpfung der Kindertuber- 


REFERATE. 


a zes ze EEE 


47 


kulose schützt vor der Tuberkulose der 
Erwachsenen. 
B. S. Horowicz (Neuyork). 


Neuhaus-Hagen: Ein Mangel unserer 
Waisenhäuser. (Med. Reform 1915, 
Nr. 13, S. 109.) | 

Verfasser macht darauf aufmerksam, 
daß unter den Insassen der Waisenhäuser, 


viele an Tuberkulose leiden, die garnicht 
in ein Waisenhaus hineingehören, wo 
große Schlaf-, EB- und Speisesäle die 
Infektion leicht herbeiführen, die gerade 
im Kindesalter stattfindet. Solche Kinder; 
wenn es sich nicht gerade um chirur- 
chische Tuberkulose handelt, monatelang 
im Krankenhaus zu halten, ist nicht an- 
gängig. Auch ein Waisenhaus mit Iso- 
lierzimmer für diese Kinder oder eigenem 
Schlafzimmer wird die Gefahr der Über- 
tragung nicht beseitigen. Deshalb hält 
es Neuhaus für Pflicht, alle Kinder mit 
sicherer offener Tuberkulose oder mit 
dringendem Verdacht aus dem Waisen- 
häusern zu entfernen, einmal um diese 
Kinder zu heilen und 2. um die übrigen 
vor Ansteckung zu schützen. Die beson- 
deren Waisenhäuser für tuberkulöse Kin- 
der müßten gesundheitlich so liegen und 
eingerichtet sein wie die. Lungenheilstätten 
und unter verständiger ärztlicher Be- 
handlung stehen, auch wenn die Kosten 
erheblich größer werden. Bis zur Er- 
richtung solcher Spezialwaisenhäuser soll- 
ten in jedem Regierungsbezirk eins oder 
zwei der bestehenden Waisenhäuser, die 
möglichst den gesunden Bedingungen ent- 
sprechen, nur mit tuberkulösen Waisen- 
kindern belegt werden. Es ist dies auch 
eine Forderung der Kriegerfürsorge, da 
die Kriegerwaisen meist aus gesunden 
Familien stammend, so vor der Gefahr 
der Ansteckung mit Tuberkulose ge- 
schützt werden. 
J. Lilienthal (Berlin). 


A. E. Carver: The Misuse of Sana- 
torium Benefit. (Brit. Journ. of Tu- 
bercolosis, April 1915, Vol. IX, No. 2, 
Pe 77.) | | 

„Sanatorium Benefit“ ist im eng- 
lischen Versicherungsgesetz ein viel wei- 
terer Begriff als die Bezeichnung wört- 


48 


lich sagt, die damit nicht nur die Er- 
richtung von Sanatorien oder Heilstätten 
für die arbeitenden Klassen, sondern auch 
die Fürsorgestellen, Tuberkulosenkranken- 
häuser und ähnliches gemeint ist. Gleich- 
wohl hat man von vielen Seiten in Eng- 
land stark auf den Bau neuer Heilstätten 
gedrängt, weil ja dieMittel durch das Gesetz 
verfüglich waren. Corver tritt diesen Be- 
strebungen entgegen, bezeichnet sie sogar 
als Mißbrauch: Die Heilstätten und die 
darin durchgeführten Kuren seien recht 
kostspielig, ohne sicheren Erfolg zu brin- 
gen; sie erzögen auch nur das Familien- 
glied, das krank wurde: ob es aber, in 
die Familie zurückgekehrt, auch durch- 
führe was nötig sei, bleibe sehr unge- 
wi. Die Fürsorgestellen haben erziehe- 
risch viel größeren Einfluß, weil sie auf 
die ganze Familie und die Häuslichkeit 
einwirken, viel billiger sind, und für die 
große Mehrzahl der Kranken völlig aus- 
reichen. Man könne mit etwas Mühe- 
waltung für wenig Geld einfache Vor- 
richtungen für Freiluftkur u. dgl. in den 
Wohnungen der Kranken beschaffen, und 
die Kur durch den Arzt und namentlich die 
Fürsorgeschwester überwachen. Man be- 
gegnet derartigen Bestrebungen in Eng- 
land häufig, und es ist auch nicht zu 
leugnen, daß sie manche Gründe für sich 
haben. Das Richtige aber ist doch, das 
eine zu tun, nämlich Heilstätten zu bauen, 
und das andere nicht zu lassen, nämlich 
gute Fürsorgestellen einzurichten. 
Meißen (Essen). 


Ill. Allgemeine Pathologie und patho- 
logische Anatomie. 


Georg Deycke-Lübeck: Die Beziehun- 
gen der Lepra zur Tuberkulose. 
(Aus Brauer-Schröder-Blumenfeld, Hand- 
buch der Tuberkulose, II. Auflage.) 
(Leipzig, Verlag von Johann Ambrosius 
Barth, 1915. Bd. V, S. 197—228 mit 
6 Abb. u. 7 Tafeln). 

Der Verf. geht in seiner Monographie 
von dem Verhältnis der Leprabazillen zu 
denen der Tuberkulose aus. . Differential- 
diagnostisch gibt er an, daß der Lepra- 
bazillus während des Färbeaktes mittels 


REFERATE. 


ZEITSCHR, f. 
TUBERKULOSE 


der Karbolfuchsinlösung nicht nur er- 
wärmt, sondern auch aufgekocht wird. 
Ferner finden sich die Erreger der Lepra 
meist in so ungeheuren Mengen, wie das 
bei der Tuberkulose nur ausnahmsweise 
vorkommt. Ein weiteres unterscheidendes 
Merkmal ist, daB der Leprabazillus an 
beiden Polen gespitzt ist, was bei Tu- 
berkelbazillen kaum beobachtet worden 
ist. Die Leprabazillen sind in Kolonien 
und Globi meist stumpfeiförmig, der Länge 
nach aneinander gelagert, ohne sich wirr 
zu kreuzen wie die Tuberkelbazillen, die 
wie z. B. bei Urogenitaltuberkulose zopf- 
artige Gebilde aufweisen. Im Gegensatz 
zu Unna nimmt der Verf. an, daß die 
Leprabazillen in großen Mengen intra- 
zellulär vorkommen, ein Verhalten, daß 
der Tuberkelbazillus nur sehr selten und 
dann vereinzelt zeigt. Dagegen sind für 
beide Bazillenarten die Gram-Muchschen 
Granula nachgewiesen worden, so daß die 
Erreger beider Krankheiten auch nach ° 
dieser Färbemethode ihre morphologische 
Verwandtschaft bekunden. Der strikte 
Beweis der nahen chemischen Beziehung 
läßt sich leider nicht führen, weil es noch 
nicht gelungen ist, einwandfreie, künst- 
liche Kulturen des Leprabazillus zu züch- 
ten. Die markanteste Eigentümlichkeit 
der Lepra- und Tuberkelbazillen im Ver- 
halten gegenüber den Farbstoffen ist ihre 
sogenannte Säurefestigkeit. Die Substanz, 
die die Säuren unauflöslich bindet, ist 
das Neutralfett, während alle anderen 
chemischen Bestandteile, die wie das 
Neutralfett durch Einwirkung verdünnter 
Säuren bei erhöhter Temperatur gewon- 
nen werden, zu den Farbstoffen in keiner 
engen Beziehung stehen. Die auf diese 
Weise bewirkte Gesamtaufschließung des 
Tuberkelbazillus ergibt I. wasserlösliche 
Stoffe wie Salze, Extraktivstoffe usw. und 
2. wasserunlösliche Substanzen wie Al-- 
buminoide, phosphorhaltige Körper, ferner 
Fettsäuren und Lipoide und schließlich 
das erwähnte Neutralfett. Während nun 
die wasserlöslichen Stoffe des Tuberkel- 
bazillus Gifte enthält, werden diese beim 
Leprabazillus vermißt und hierin liegt der 
einzige fundamentale Unterschied zwi- 
schen Lepra- und Tuberkelbazillen. 

Da das Neutralfett der Leprabazillen 
nicht zu erlangen ist, weil wie erwähnt, 


BD, 25, HEFT 1. 


1915. E REFERATE. | 49 


dieselben einer Kultur nicht zugänglich 
sind, so ist der Verf. dazu übergegangen, 
einen, dem Leprabazillus verwandten, 


Streptothrix leproides, das Neutralfett zu 


entziehen und für seine Versuche mit 
dem Neutralfett der Tuberkelbazillen zu 
vergleichen, und gelangte zu dem Schluß, 
daß auch botanisch der Leprabazillus 
dem Tuberkelbazillus am nächsten ver- 
wandt ist. Damit ist der Parallelismus 
zwischen Lepra und Tuberkulose er- 
schöpft, denn klinisch zeigt es sich, 
daB ein wechselseitiges Mißverhältnis zu 
der Ausdehnung der tuberkulösen Er- 


krankung, der Zahl der spezifischen Er- . 


reger und der Schwere der allgemeinen 
Erkrankung besteht. Das deutet mit aller 
Schärfe auf die Giftwirkung des Tuberkel- 
bazillus hin. - Umgekehrt bei der Lepra. 
Eine geradezu unfaßliche Wucherung der 
Bazillen im Körper, ausgedehnte Krank- 
heitssymptome, aber keine oder geringe 
Allgemeinerscheinungen. Ferner zeichnet 
sich die Lepra durch eine merkwürdige 
Regelmäßigkeit aus, während bei der Tu- 
berkulose hiervon nicht die Rede sein 
kann. Bringt man die anatomischen und 
histologischen Verhältnisse beider Erkran- 
kungen in Beziehung, so besteht nur eine 
Übereinstimmung der primären Erschei- 
nungen, deren Sitz bei beiden der lym- 
phatische Apparat ist. Ich übergehe die 
weiteren anatomischen Gegenüberstellun- 
gen der Lepra und Tuberkulose, weil für 
ein Referat zuweitführend und möchte 
nur die Schlußbemerkung des Verf. an- 
führen, daß die von Armaur Hansen 
verfochtene Ansicht, . alle pathologischen 
Veränderungen an der Lunge und am 
Darm bei Lepraleichen seien auf das 
Konto einer komplizierenden Tuberkulose 
und nicht auf das der Lepra zu setzen, 
nicht mehr aufrecht zu erhalten ist. Es gibt 
so gut viszerale Lepra, wie viszerale Kom- 
binationen von Lepra und Tuberkulose 
bestehen. | | 

- Die immuno - biologischen Verhält- 
nisse weisen darauf hin, daß bei Tuber- 
kulose die Eiweiß- gegenüber den Fett- 
antikörpern beträchtlich zurückstehen. 
{Siehe. oben die chemische Gesamtauf- 
schließtung der Tuberkelbazillen.) 
" Beim Aussatz sind dagegen die Fett- 
säurenantikörper meist reichlich, die Al- 


Zeitschr, f. Tuberkulose. 25, 


buminoiden-Antikörper oft in großer Menge 
und die Neutral-Fettantikörper fast stets 
spärlich vertreten. Diese bei den neuesten 
Untersuchungen gewonnenen Resultate 
führen jedoch auch zu. verschiedenen 
Rätseln, die einer Aufklärung bedürfen. 
Die spezifischtherapeutischen Maßnahmen, 
die auf der Basis der Säurenabschließung 
vom Verf. und Much inauguriert worden 
sind, gewähren für Lepra, sowohl wie für 
Tuberkulose neue Ausblicke, die der Verf. 
andeutet, jedoch wie es im Geiste eines 
echt-wissenschaftlichen Autors liegt, mit 
großer Reserve. Derselbe hat es ver- 
standen in der Abhandlung einen Über- 
blick über die Beziehungen der Lepra 
zur Tuberkulose zu geben, wie sie wohl 
kaum je vorher geahnt worden sind; Bau- 
steine, die formlos umherlagen, hat er 
zu einem großen architektonischen Ge- 
bäude aufgeführt, wie es eben nur ein 
Künstler vermag, der den groben Stoff 
zu meistern versteht. Wenn schon die 
therapeutischen Erfolge, die die Lebens- 
arbeit des Verf. bilden, zur Lektüre dieser 
monumentalen . Monographie hinführen 
müssen,. so gewährt dieselbe noch den 
doppelten Genuß der kraftvollen Dar- 
stellung in ihrer ganzen Wissenschaftlich- 


keit. Erwähnt sei, daß den Schluß des 


Werkes Photographien bilden, die die 

Erfolge des Verf. bei der Behandlung 

der Lepra augenscheinlich ‚werden lassen. 
Peyser (Harburg). 


Kurt Ziegler-Freiburgi. Br.: Die Hodg- 
kinsche Krankheit. (Aus Brauer- 
Schroeder-Blumenfeld, Handbuch 
der Tuberkulose, Il. Aufl., Leipzig 1915, 
Joh. Ambros. Barth, Bd.V, S. 156.) 

Die Hodgkinsche Krankheit oder 
das maligne Granulom oder die Lympho- 
granulomatose, wie sie auch genannt wird, 
ist in dem großen Handbuch der Tuber- 
kulose von einem erfahrenen und be- 
währten Autor, Kurt Ziegler, abge- 
handelt. Seit den bakteriologischen und 
tierexperimentellen Untersuchungen Pal- 
taufs und Sternbergs steht die Frage 
der Beziehung des Hodgkinschen Granu- 
loms zur Tuberkulose im Mittelpunkte 
des Interesses, Insbesondere sprachen die 

Forschungen Fraenkels und Muchs 

sehr zugunsten der tuberkulösen Genese 


4 


50 


=a e a a a a a a a a a e a - e o M o 


der Erkrankung, da ihnen häufig der 
Nachweis säurefester Stäbchen, oder gram- 
positiver, nicht säurefester Stäbchen und 
Granula vom Aussehen der Tuberkulose- 
erreger gelang. Da indessen das Ge- 
webe des Hodgkinschen Granuloms hi- 
stologisch eine ganz andere Beschaffenheit 
hat, als das typische tuberkulöse Granu- 
lationsgewebe, so kann es sich um eine reine 
Tuberkulose im gewöhnlichen Sinne wohl 
kaum handeln; die Frage liegt vielmehr 
so, ob eine besonders abgestufte Wir- 
kungsweise des Tuberkelbazillus oder eine 
besondere individuelle Reaktion der Ge- 
webe oder ein dem echten Tuberkel- 
bazillus nahe verwandter Mikroorganismus 
wirksam ist. Der stringente Nachweis 
einer tuberkulösen Ätiologie der Erkran- 
kung konnte bisher noch nicht erbracht 
werden, dagegen kann man auf Grund 
der neueren Untersuchungen aussagen, 
daß eine spezifische infektiöse Erkrankung 
des Iymphatischen Systems vorliegt, deren 
charakteristische histologische Gewebs- 
struktur eine gemeinsame ätiologische Ur- 
sache erforderlich macht. Mit Sicherheit 
laßt sich nur sagen, daß die Tuberkulose 
eine recht häufige und meist letale Kom- 
plikation des Hodgkinschen Granuloms 
ist. In jüngster Zeit ist besonders Stei- 
ger auf Grund tierexperimenteller Unter- 
suchungen für die ätiologische Bedeutung 
des Typus bovinus des Tuberkelbazillus 
eingetreten. Allein es ist bisher noch 
nicht gelungen, das echte Granulom durch 
Verimpfung zu übertragen. Auf die ein- 
zelnen Kapitel der sehr lesenswerten, in- 
struktiven Abhandlung soll nicht näher 
eingegangen werden, es soll nur noch 
kurz hervorgehoben werden, was der 
Autor differentialdiagnostisch als klinische 
Unterscheidungsmerkmale der Hodgkin- 
schen Krankheit gegenüber tuberkulösen 
Lymphomen, besonders am Hals angibt. 
Tuberkulöse Lymphome neigen sehr zur 
Erweichung und Verwachsung mit der 
Haut, eventuell zu Durchbruch, die gra- 
nulomatösen so gut wie nie. Relative 
Lymphocytose kommt auch beim Hodg- 
kin vor, besonders im Beginn der Er- 
krankung, im Allgemeinen spricht dieses 
Symptom jedenfalls mehr für Tuberkulose. 
Die Konsistenz der Tumoren gibt keine 
sicheren Anhaltspunkte, dagegen ist der 


REFERATE, 


nn mn nm a_a 


` ZEITSCHR, f. 
TUBERKULOSE 


histologische Nachweis tuberkulöser Ge- 
websveränderungen oder von charakte- 
ristischem Granulomgewebe entscheidend. 
Der zur Lektüre empfehlenswerten Ab- 
handlung sind 11 Abbildungen im Text 
und eine farbige Tafel beigegeben. 

S. Bergel (Berlin-Wilmersdorf). 


P. Chaussó: Transmissibilité de la 
tuberculose par quelques causes 
mécaniques agissant sur les cra- 
chats secs: brossage et agitation 
de linges souillés. (Rec. de méd. 
veter. 1914, Tome XCI, No.3, p.83 
et No.5, p. 148.) | 

Verf. hat verschiedentlich darauf hin- 
gewiesen, daß die Gefahr der Tuberku- 
loseübertragung im Familienleben und im 
Zusammenleben der Haustiere in den 
ersten Tagen eine beträchtliche ist, wenn 
das eingetrocknete Virus auf mechani- 
schem Wege in flugfähige, respirable 
Teilchen übergeführt wird. Für den 
Menschen vermitteln die mit tuberkulösem 
Sekret infizierten Kleidungsstücke, Ta- 
schentücher, Bettwäsche, von denen me- 
chanisch — durch Ausbürsten, Reiben, 
Zusammenlegen, Ordnen — virulente, 
flugfähige Teilchen losgelöst werden, die 
Infektion und bei den Haustieren wird 
das bei schlechter Stallhaltung der Körper- 
oberfläche anhaftende, trockene, T.B- 
haltige Virus durch das Putzen der Tiere, 
durch Reiben an Wänden oder Latier- 
bäumen, sowie durch die aktive Bewegung 
der Haut in flugfähigen, infektionstüch- 
tigen Zustand versetzt. 

Die bis jetzt vorliegenden Versuche 
über die Bedeutung des Bürstens infizierter 
Gewebsstücke für die Mobilisation und In- 
fektionsfähigkeit kleinster Teilchen bei In- 
halation haben widersprechende Ergebnisse 
geliefert, da die Art und Dauer der Ein- 
trocknung sowie die Menge des Infektions- 
materials ganz verschieden waren. Wenn 
auch die Lebensfähigkeit des eingetrock- 
neten, tuberkulösen Virus eine beschränkte 
sei, so wäre sie doch zur Herbeiführung 
einer Infektion ausreichend. Vorbedin- 
gung aber sei, worauf Verf. besonders 
hinweist, daß das im eingetrockneten Zu- 
stand kohärente, schleimige T.B.-haltige 
Sekret in feinste, filugfähige, respirable 
Teilchen zerlegt würde, die bis in die 


BD. 25, HEFT 1. 
1915. 


Lungenalveolen gelangen müßten, um- pa- 
thogen wirken zu können. Die von Verf. 
mit gefärbten Lösungen angestellten Ver- 
suche haben ergeben, daß in flüssigem 
oder festem (staubförmigem) Zustand be- 
findliche Teilchen, die respirabel und be- 
fahigt sind, Tuberkulose zu erzeugen, 
einen Durchmessernichtüber 15 micr. 
haben. In Anbetracht der Lehre von 
Flügge und seinen Schülern sowie der 
von Cade&ac, daß die Eintrocknung und 
der Verlust der Virulenz des tuberku- 
lösen Sputums parallel verlaufen und somit 
die staubförmigen, respirabel gewordenen 
Partikel infektionsuntüchtig seien, war dar- 
zutun, das eingetrocknete Sputum unter 
natürlichen Verhältnissen vor Verlust 
der Virulenz genügend fein verteilt 
werden kann, um durch Inhalation Tu- 
berkulose erzeugen zu können. Zur Lö- 
sung der beiden zusammenhängenden 
Fragen, respirationsfähige Verteilung und 
Infektionsfähigkeit des eingetrockneten 
tuberkulösen Virus unter natürlichen Ver- 
hältnissen, hat Verf. durch die Bürsten- 
versuche zu lösen versucht, über die be- 
reits in dieser Zeitschrift Bd. 23, Heft 1, 
S. 59 referiert wurde, so daß ein näheres 
Eingehen sich erübrigt. 

Das an Leinen nicht vollkommen ein- 
trocknende, tuberkulöse Sputum bleibt bis 
zu 20 Tagen infektionsfähig, so daß durch 
das übliche Reinigen der Kleidungsstücke 
durch Ausbürsten T.B. mobilisiert und 
inhalationsfähig werden. Da diese flug- 
fähigen, T.B.-haltigen Teilchen sich längere 
Zeit in der Luft schwebend erhalten, 
sind sie nicht nur für die das Ausbürsten 
besorgende Person, sondern auch für 
andere in dem Raum sich aufhaltende 
Personen gefährlich. Nach Verf. ist in 
dem Ausbürsten infizierter Kleidungsstücke 
eine der für den Menschen wichtigsten 
Übertragungsmöglichkeiten zu erblicken. 

` Auch über die zweite Untersuchungs- 
reihe, durch die Verf. den Beweis er- 
bringen wollte, daß entgegen der Lehre 
der Flüggeschen Schule bei dem üb- 
lichen Gebrauch der Taschentücher durch 
tuberkulöse Personen lediglich durch 
die Bewegung des mit dem Sputum 
infizierten Leinen T.B.-haltige, flug- 
fähige Teilchen sich ablösen und hier- 
-durch infektionsfähig werden, ist eben- 


kungsweise ausschließlich zukommt. 


. REFERATE. 1 


1 2 — 


falls an der genannten Stelle referiert 
worden. : 

Aus den mitgeteilten Versuchsergeb- 
nissen geht in der Tat hervor, daß beim 
gewöhnlichen Gebrauch der Leinenwäsche, 
so beim Herausziehen des Schnupftuches 
aus der Tasche, beim Wechseln der Leib- 
oder Bettwäsche, bei dem Ordnen und 
Aufschütteln des Bettes usw. der mecha- 
nische Effekt ausreichend ist, um bei In- 
fektion mit tuberkulösem Sputum flug- 
und somit infektionsfähige, T.B.-haltige 
Teilchen zur Ablösung zu bringen und 
somit eine Übertragung der Tuberkulose 
auf die Umgebung zu ermöglichen. 

Bongert (Berlin). 


Hans Kronberger -Freiburg i. Br. - Davos: 
Lungentuberkulose und Lungen- .- 
phthise und die Grundlagen ihrer 
spezifischen Behandlung. (Beitr. z. 
Klin. d. Tub. 1915, Bd.33, Heft 4, 
S. 267—408, mit 7 Tafeln.) 

In die Tage, die unter gewaltigen 
Erschütterungen ein neues Zeitalter ein- 
leiten, paßt diese Abhandlung gut hinein. 
Denn sie ist eine Kampfschrift durch und 
durch, von umstürzlerischer Tendenz, rüt- 
telt sie doch an nach allgemeiner Auf- 
fassung sicher begründeten Anschauungen 
und predigt einen dualistischen Stand- 
punkt in der Phthiseätiologie, dessen An- 
erkennung nicht allein das Urteil über 
die anatomischen Veränderungen, sondern 
namentlich auch über zukünftige Wege 
der spezifischen Therapie weitgehend be- 
einflussen müßte. Entsprechend der Auf- 
fassung C. Spenglers sollen wir nicht 
mehr berechtigt sein, in dem von R. Koch 
entdeckten säurefesten Bazillus den allei- 
nigen Erreger der menschlichen Tuber- 
kulose zu erblicken. Zwei völlig art- 
verschiedene Bazillen, der Humanobrevis 
(Koch) und derHumanolongus (Spengler) 
sollen in enger Symbiose, also durch he- 
terogene Mischinfektion, die der tuber- 
kulösen Lungenphthise zugrundeliegenden 
Gewebsläsionen erzeugen und zwar derart, 
daß jedem der angeblich artverschiede- 
nen Bazillen eine ganz bestimmte Wir- 
Wie 
groß Kronberger von der Aufstellung 
des Typus vom Humanolongus und der 
Behauptung einer Doppelinfektion als 


4* 


52 
bazillärer Ätiologie der Lungenphthise 
denkt, hören wir mit Staunen, wenn er 
von einer Tat spricht, „die in ihrer Be- 
deutung für die Phthiseotherapie der Ent- 
deckung des Tuberkelbazillus durch R. 
Koch gleichkommt“. Da muß man von 
der Lektüre der großangelegten, übrigens 
auf großem Fleiß und achtenswerter Über- 
zeugung fußenden Abhandlung viel er- 
warten, vor allem die sichere Beweis- 
führung, die stets den Altmeister der 
Bakteriologie überzeugend sein lieB. 

Den dualistischen Standpunkt der 
Phthiseätiologie sucht Kronberger auf 
Grund serologischer, morphologischer, kul- 
tureller, tierexperimenteller und anato- 
mischer Methoden bzw. Erwägungen zu 
vertreten. So sollen zunächst weder 
Kochsche Tuberkelbazillen noch Perl- 
suchtbazillen bakteriolytisch von einem 
Immunserum beeinflußt werden, das durch 
Vorbehandlung mit Hiumanolongis ge- 
wonnen wurde, wie überhaupt eine deut- 
liche Bakteriolyse stets nur an dem Ty- 
pus der Säurefesten nachzuweisen sei, der 
zur Vorimmunisierung benutzt wurde. 
Morphologisch zeichnen sich die Huma- 
nolongi durch ihre Länge, Dicke und 
größere Zahl von „Sporen“ aus. Ihre 
Kultivierung beansprucht einen besonderen 
Nährboden und ein Gegensatz zu dem 
Humanibrevis (Koch) soll darin bestehen, 
daß dieser als obligater Aörobier, der Hu- 
manologus aber als fakultativer Ana&robier 
zu bezeichnen ist. Im Tierexperiment 
endlich soll sich der Humanolongus als 
überaus virulent für Meerschweinchen 
und im Gegensatz zum Kochschen Hu- 
manobrevis auch sehr virulent für das 
Kaninchen erweisen. Seine Giftigkeit soll 
eine außerordentlich hohe sein, was Kron- 
berger namentlich auch aus Beobach- 
tungen eines schnellen angeblichen In- 
toxikationstodes mit Läsion der Medulla 
oblongata (Degeneration derGanglienzellen, 
Endothelschädigung mit Biutaustritten, 
Blutdrucksteigerung) schließt. Vor allem 
aber sollen bei längerer Lebensdauer der 
Versuchstiere sich für die Humanolongus- 
infektion charakteristische Gewebsverände- 
rungen herausbilden, denen bei spontaner 
menschlicher Tuberkulose bzw. Phthise 
vorkommende analog seien: Rundzellen- 
emigration aus Kapillaren, kleinsten Ar- 


REFERATE. 


ZEITSCHR. f. 
TUBERKULOSE 


terien und Venen, primäre Nekrose der 
Alveolarsepten, vor allem aber Exsudat- 
bildung in den Alveolen mit nachfolgen- 
der Verkäsung bei völligem Fehlen von 
Riesenzellen. Als umgrenzter Herd zeigt 
sich so der echte käsige Miliartuberkel, 
während wir die diffusen Veränderungen 
als käsige Pneumonie kennen. Der Hu- 
manobrevis hingegen soll nur produktive 
Entzündung erzeugen können, es soli ihm 
vollständig die Fähigkeit fehlen, den Reiz 
für exsudative Entzündung mit nach- 
folgender Verkäsung abzugeben. Infektion 
mit Humanolongus rufe ferner im Gegen- 
satz zur Wirkung des Humanobrevis in 
den Lymphdrüsen weder makroskopische 
noch mikroskopische nennenswerte Ver- 
änderungen hervor, erzeuge aber in der 
Leber eine produktive interstitielle Ent- 
zündung wie bei der Hanotschen Leber- 
zirrhose. Die symbiotische Doppelätio- 
logie der menschlichen Lungenschwind- 
sucht hält Kronberger für bewiesen, 
indem er schreibt: „Es gelingt aus dem 
eitrigen Sputum oder aus käsigem De- 
tritus von Phthisikern zwei schon mor- 
phologisch verschiedene Säurefeste zu iso- 
lieren: den Kochschen Humanobrevis 
und den C. Spenglerschen Humano- 
longus. Ersterer erzeugt im Tierversuch 
vorwiegend tuberkulös-proliferativeLungen- 
prozesse, deren morphologische Grund- 
form der fibrozelluläre Tuberkel darstellt, 
letzterer bringt im Tierversuch haupt- 
sächlich tuberkulös-exsudative Lungen- 
prozesse hervor, deren morphologische 
Grundform der intraalveoläre Tuberkel 
ist. Infizieren wir ein Tier simultan mit 
beiden Erregern, so beobachten wir eine 
Kombination tuberkulös-proliferativer und 
exsudativer Veränderungen, die selbst wie 
auch ihre Endeflekte in ihren grob pa- 
thologischen und histologischen Bildern 
den Veränderungen bei der menschlichen 
Lungenphthise analog oder identisch sind.“ 
Alle sogenannten atypischen Tuberkulosen 
werden auf die alleinige Wirkung dieser 
oder jener Bazillenart zurückgeführt, so 
auf Infektion mit Humanobrevis die ge- 
neralisierte Lymphdrüsentuberkulose der 
Erwachsenen, die Tuberkulide der Haut, 
der Lupus erythematosus, hingegen auf 
Humanolonguswirkung die Tuberkulose 
inflammatoire Poncets und die Polysero- 


nege. ee Te m nn 


BD.25, HEFT 1, 
' 1915. 


sitis (Morbus Bamberger); die Typhus- 
tuberkulose (Landouzy) Man soll nicht 
mehr von atypischen Tuberkulosen, son- 
dern nur von selteneren Verlaufsformen 
der typischen proliferativen oder exsuda- 
tiven Tuberkulose sprechen. Was die 
Beziehungen der Tuberkulose des Kindes- 
alters zu der Lungenphthise der Erwach- 
senen anbelangt, so lehnt Kronberger 
namentlich die Theorie Römers und 
Hamburgers ab, nimmt vielmehr einen 
Infektionssynagonismus an derart, daß der 
Humanobrevis in dem kindlichen Orga- 
nismus als einem Elektivnährboden die 
spätere Ansiedlung des virulenteren Hu- 
manolongus vorbereitet, gewissermaßen 
als dessen Pionier wirkt. Aber auch die 
Infektion mit dem Humanolongus soll 
noch in das Kindesalter fallen, jedoch 
erst um die Pubertätszeit herum wirksam 
werden. Besonders wirksame Singular- 
infektionen durch Humanolongus im spä- 
teren Alter sollen keinesfalls erfolgen. So 
kommt denn schließlich Kronberger zu 
einer grundsätzlichen Trennung der ein- 
zelnen Formen menschlicher tuberkulöser 
Lungenerkrankung, wie sie sich in folgen- 
den Sätzen spiegelt: 

„I. Lungentuberkulose, Lungenphthise 
und käsige Pneumonie des Menschen un- 
terscheiden sich ätiologisch und patho- 
logisch-anatomisch prinzipiell voneinander. 
2. Für die Lungentuberkulose mit vor- 
wiegend proliferativ-entzündlichen Pro- 
zessen kommt allein der Humanobrevis 
R. Kochs in Betracht. 3. Die käsige 
Pneumonie ist ätiologisch vorzugsweise zu- 
rückzuführen auf exsudativ-entzündliche 
und nekrotisierende Prozesse, die wiede- 


rum ausschließlich Reaktionsprodukte des 


C. Spenglerschen Humanolongus sind. 
4. Die chronische Lungenphthise des 
Menschen ist eine Kombination prolife- 
rativ- und exsudativ-entzündlicher Pro- 
zesse, die durch die symbiotische Doppel- 
infektion mit Humanobrevis- und Huma- 
nolongusvirus verursacht wird.“ 

Als Erreger von Tuberkulose bei 
Warmblütern unterscheiden wir die säure- 
festen Bazillen vom Typus humanus und 
Typus bovinus; ihre Biologie und ihre 
freilich keineswegs ganz scharf getrennte 
Pathogenität berechtigen uns zu dieser 
Trennung selbst dann, wenn wir mit der 


REFERATE. 53 


Möglichkeit der Umformung des einen 
Typus in den anderen rechnen. Darin 
käme nur die nahe Verwandtschaft zum 
Ausdruck, die uns zwar von zwei ver- 
schiedenen Typen aber nicht von ver- 
schiedenen Arten sprechen läßt. Wenn 
nun Kronberger dennoch eine so 
grundsätzliche Scheidung annimmt und 
in dem Humanolongus C. Spenglers 
eine dritte Art eines menschenpathogenen 
säurefesten Bazillus sieht, so muß man 
recht bedenklich werden. Ganz abgesehen 
davon, daß von Koch bis heute alle 
Tuberkuloseforscher die jederzeit im Spu- 
tum, im tuberkulösen Gewebsmaterial 
von Mensch und Tier nachweisbare Po- 
lymorphität — wenn dieses Wort nicht 
schon zu viel sagt — für ganz belanglos 
und für Differenzen des Alters, der Wuchs- 
kraft usw. gehalten haben, wie sie von man- 
cherlei Bedingungen beeinflußt sein mag 
und natürlich auch auf den verschiedenen 
„Elektivnährböden“ zur Geltung kommen 
wird, stände die von Kronberger ange- 
nommene Symbiose geradezu einzig da. In 
getrennter Wirkung wird man, wenigstens 
im menschlichen Organismus, zwei Arten 
des humanen Tuberkuloseerregers kaum 
je erkennen können und gerade das Ge- 
setzmäßige ihres Zusammenlebens spricht 
gegen ihre Unterscheidung. Für diese 
kann überdies eine grundverschiedene 
parasitäre Wirkung auf die Gewebe des 
Wirtsorganismus schwerlich geltend ge- 
macht werden. Das wissen wir ja schon 
längst, daß der Kochsche Bazillus nicht 
allein Tuberkel, sondern auch uncharak- 
teristische Wucherungen, namentlich aber 
exsudative Prozesse erzeugt, weshalb auch 
die Bezeichnung „Tuberkelbazillus“ wenig 
glücklich ist, aber ein „anatomischer Dua- 
lismus“, wie Kronberger meint, fordert 
noch lange keinen ätiologischen Dualis- 
mus. Dagegen würde sich wohl auch 
Orth wenden, dem wir die eingehende 
Würdigung der exsudativen Prozesse bei 
der Tuberkulose in erster Linie verdanken. 
Denn dazu ist wie im makroskopischen, 
so auch im mikroskopischen Bilde die 
Beziehung zwischen proliferativen und 
exsudativen Prozessen eine viel zu innige. 
Im einfachen zelligen Tuberkel fehlt es 
nicht an den Erscheinungen einer wenn 
auch nur geringfügigen Exsudation, die 


54 REFERATE, 


Verkäsung des Tuberkels kann ausbleiben 
oder mehr und weniger schnell eintreten, 
größere käsige Herde bilden sich nicht 
allein aus der Nekrose intraalveolärer 
Exsudatmassen, sondern in den Rand- 
partien kann man oft genug die Bildung 
von Appositionstuberkeln erkennen, die 
durch Verkäsung den zentralen Herd ver- 
größern. Das Fehlen oder Vorhanden- 
sein von Riesenzellen kann durchaus 
nicht als ein wichtiges Unterscheidungs- 
merkmal für differente bazilläre Ätiologie 
anerkannt werden. Allein schon die Be- 
hauptung, daß die Langhanssche Riesen- 
zelle aus pathologisch veränderten, throm- 
bosierten Kapillaren hervorgehe und sich 
daraus ihr Vorkommen im fibrozellulären 
Tuberkel, ihr Fehlen im Alveolarexsudat 
erklärt, ist entschieden von der Hand zu 
weisen. Nehmen wir aber an, daß die 
aus epithelioiden (auch Endothelien) sich 


bildende Riesenzelle zu ihrer Entwicklung . 


Zeit braucht, daß der zellige Tuberkel 
noch in engstem Gewebszusammenhange 
steht, während besonders das intraalveo- 
läre Exsudat eine dem Untergang ge- 
weihte, aus dem organischen Zusammen- 
hange schon gelöste Masse darstellt und 
dem toxischen Einflusse der Bazillen ganz 
und gar ausgesetzt ist, so werden wir 
verstehen, warum in dem Exsudat die 
Riesenzelle fehlt, im widerstandsfähigeren 
Tuberkel aber häufig ist. Nicht in der 
Art des Reizeflektes selbst, wohl aber 
in dem Grade seiner einzelnen Teil- 
erscheinungen (Proliferation und Exsuda- 
tion) und ihrer Ausbreitung können wir 
das Wechselspiel zwischen Virulenz der 
Bazillen und Reaktionskraft der Gewebe 
erkennen und so vollkommen einer dua- 
listischen bazillären Ätiologie entbehren. 
Von rein pathologisch-anatomischem Stand- 
punkte aus, den Kronberger so stark 
betont, besteht also weder das Bedürfnis 
und auch das Recht, eine symbiotische 
Doppelinfektion als Ätiologie der tuber- 
kulösen Lungenphthise des Menschen an- 
zunehmen. Wir müssen überhaupt die 
einseitige Betonung der bazillären Infek- 
tion verwerfen und auch hier nachdrück- 
lich darauf hinweisen, daß das Bild der 
tuberkulösen Phthise sich ergibt aus den 
Wirkungen des spezifischen Erregers und 
der Reaktionskraft des menschlichen Or- 


ZEITSCHR, f. 
TUBERKULOSE 


ganismus, dem Grade seiner Widerstands- 
fähigkeit gegenüber dem Eindringling. Daß 
die Erklärung der sogenannten atypischen 
Tuberkulosen durch Kronberger eine 
ganz willkürlichke und unbewiesene ist, 
daß er sich gewisse Auseinandersetzungen 
mit unserenmaßgebenden Tuberkelbazillen- 
forschern recht leicht gemacht hat, braucht 
nur kurz erwähnt zu werden. Wir wer- 
den ja sehen, wie von letzteren die neue 
Lehre aufgenommen werden wird. 

Der zweite, der Therapie gewidmete, 
Teil der Abhandlung läuft natürlich ganz 
auf die Forderung einer der mutmaßlichen 
Doppelinfektion entsprechenden spezifi- 
schen Behandlung hinaus. Die einfache 
Wiedergabe der Schlußsätze genügt hier. 
Sie lauten: „A. Aktive Immunisierung und 
Tuberkulinbehandlung. I. Versuchstiere 
lassen sich durch Vorbehandlung mit 
lebenden oder abgetöteten Tuberkelbazil- 
len wirksam gegen eine Reinfektion durch 
gleichartiges Tuberkulosevirus immunisie- 
ren. Beim Menschen kann eine tuber- 
kulöse Singulärinfektion bei ausreichender 
Widerstandskraft des Organismus dann 
durch Tuberkulin günstig beeinflußt wer- 
den, wenn das einverleibte Antigen dem 
infizierenden Virus genau entspricht. Die 
Immunisierung und Behandlung mit Par- 
tialantigenen nach Much hat weder in 
theoretischer noch praktischer Hinsicht 
Vorteile vor der Immunisierung und The- 
rapie mit Vollvirus. 2. Der tierische und 
menschliche Organismus kann von sich 
aus in den wenigsten Fällen die zur Pa- 
ralysierung einer symbiotischen Misch- 
infektion mit artverschiedenen Infektions- 
erregern erforderliche Immunität aufbrin- 
gen. 3. Bei der menschlichen Phthise 
liegt eine symbiotische Doppelinfektion 
mitartverschiedenen Infektionssynagonisten 
vor, die nur durch streng spezifische 
(gleichartige oder homologe) Antikörper 
beeinflußt werden können. Deshalb und 
aus dem unter 2. angegebenen Grunde 
kann eine Phthise bei ausreichender Wi- 
derstandsfähigkeit des Organismus nur 
durch eine alternierende Tuberkulinbe- 
handlung nach Muster der C. Spengler- 
schen günstig beeinflußt werden. 4. Die 
günstige Wirkung der Perlsuchtantigene 
bei der alternierenden Tuberkulinbehand- 
lung ist darauf zurückzuführen, daß Hu- 


BD. 25, HEFT 1. 
1915. 


manolongi und Perlsuchtbazillen Infek- 
tionsantagonisten sind und daß sich ihre 
Gifte, als wechselseitig homolog, bei der 
Immunisierung wie echte Vakzine nach 
Muster der Jennerschen verhalten. 
5: Über die notwendigen Vorbedingungen 
einer Tuberkulinbehandlung (ausreichende 
immunisatorische Abwehrkräfte?) entschei- 
det ebenso wie über die Wahl der an- 
zuwendenden Präparate nicht die übliche 
einseitige Pirquetierung, sondern nur die 
Doppelkutanprobe mit humanen und bo- 
vinen Impfstoffen. 

B. Passive Immunisierung und Se- 
rumtherapie. I. Die bisherigen Tuber- 
kulosesera zeigten deshalb nicht den er- 
hofften Erfolg, da sie nicht alle die Wirk- 
samkeit eines Serums garantierenden Postu- 
late erfüllten. Antiphthisische Sera konn- 
ten bisher bei der Nichtberücksichtigung 
der besonderen Phthiseätiologie überhaupt 
noch nicht hergestellt werden. 2. Ein 
ideales antituberkulöses und antiphthisi- 
sches Serum muß streng art-, stamm- und 
virulenzspezifisch sein. 3. Die Schwierig- 
keit für die Auffindung einer brauchbaren 
passiven Immunisierung liegt in der Be- 
schaffenheit der Tuberkulose- und Phthise- 
gifte begründet, die als Produkte bakte- 
rieller Infektionen im Gegensatz zu den 
einheitlichen Produkten toxischer Infek- 
tionen sehr komplexer Natur sind. 4. Aus 
eingehend dargelegten Gründen sind zur 
Bekämpfung der Lungenphthise, entspre- 
chend ihrer Doppelätiologie, nur solche 
Sera (Serum + Plasma) anzuwenden, wel- 
che in dem Sinne polyvalent (multipartial) 
sind,. daß sie separatim gewonnene Hu- 
manobrevis- und Humanolongus-Antitoxine 
enthalten. 5. Die Serumtherapie der 
Lungenphthise wird nur dann Erfolge er- 
zielen können, wenn sie den jeweiligen 
Infektionsverhältnissen der Erkrankung 
' aufs genaueste Rechnung trägt und wenn 
sie sich mutatis mutandis die alternie- 
rende Tuberkulinbehandlung zum Vor- 
bilde nimmt,“ 

Selbstverständlich stehen und fallen 
diese Sätze mit den Behauptungen des 
ersten Teiles. C. Hart (Berlin-Schöneberg). 


Hans Kronberger- Freiburg i. B.- Davos: 
Zur Ätiologie der Lungentuber- 
kulose und der Lungenphthise. 


REFERATE, 55 


(Verlagsanstalt u. Buchdruckerei, Davos 
1915, 18 Seiten, 2 Tafeln.) 

Obwohl in einer wissenschaftlichen 
Zeitschrift persönliche Polemik keinen 
Platz findet und reine Sachlichkeit Pflicht 
auch der Referenten ist, so zwingt mir 
doch diese als Nachtrag zum vorstehend 
rezensierten Aufsatze erschienene Bro- 
schüre ein ernstes Wort an Kronberger 
ab. Denn es wirkt äußerst peinlich, wenn 
Kronberger die Ablehnung des Nach- 
trages bei einer deutschen Fachzeitschrift 


| auf „Konkurrenzhader“ zurückführt, wo 


es ihm doch bekannt sein müßte, daß die 
deutsche Wissenschaft etwas Derartiges 
nicht kennt und alles nach seinem Werte 
mißt. Aber, wie die Kritik des ersten 
Aufsatzes zeigt, Kronberger überschätzt 
seine Feststellungen und Betrachtungen, 
und so geht ihm denn im Ärger über 
die vermeintlich widerfahrene Unbill die 
Feder durch. Verkannte Entdecker solls 
ja viele geben, sie machen ihre Sache 
aber gewiß dadurch nicht besser, daß sie 
sich in Überschwänglichkeiten verlieren 
oder sich selbst in dem bekannten Goethe- 
wort aus dem Tasso kennzeichnen, „der 
Irrende ersetzt durch Heftigkeit, was ihm 
an Wahrheit und an Wissen fehlt“. Es 
klingt reichlich überheblich, wenn Kron- 
berger meint, „daß die großen, hoch- 
dotierten europäischen Tuberkulose-For- 
schungsinstitute und Kommissionen trotz 
ihrer umfassenden Hilfsmittel das Phthise- 
problem nicht gefördert, vielmehr den 
Streit nur verschärft haben“, daß er selbst 
aber die Ätiologie der Phthise nun „un- 
umstößlich“ klargestellt habe. Die betonte 
Vergleichung C. Spenglers aber mit Ro- 
bert Koch kann nur dem schaden, den sie 
ehren soll. Die Kritik der Kronberger- 
schen Ausführungen mußte, und zwar nicht 
am wenigsten vom Standpunkte der patho- 
logischen Anatomie aus, eine ablehnende 


sein, deshalb wird doch vielerorts eine 


Nachprüfung im Stillen erfolgen und, 
wenns nötig sein sollte, das Wahre an- 
erkennen. Dazu bedarf es nicht einer 
inhaltlichen Wiederholung des ersten Auf- 
satzes, die im Gegenteil allen denen, 
welche die Schäden des heutigen medi- 
zinischen Veröffentlichungswesens kennen 
und bedauern, nur leid sein könnte. Das 
Gute bricht sich selbst seine Bahn. 


56 
Was den Inhalt der Nachtragsbroschüre 
anbelangt, so versucht Kronberger einen 
früher von Löwenstein beschriebenen 
Tuberkelbazillenstamm mit dem Humano- 
longus zu identifizieren und bedauert, daß 
Löwenstein den durch den Stamm er- 
zeugten pathologisch-anatomischen Ver- 
änderungen zu wenig Beachtung geschenkt 
habe. Daß uns diese aber durchaus 
nicht zu der Annahme einer dualistischen 
Ätiologie zwingen, wurde schon betont 
und besonders Kritik an Kronbergers 
Urteil über die Riesenzellen geübt. Diese 
Kritik sei hier noch dahin ergänzt, daß 
auch die Abbildungen in der ersten Ab- 
handlung die Ansicht Kronbergers 
nicht nur nicht stützen, sondern im Gegen- 
teil entschieden gegen sie sprechen. Man 
sieht die Wucherung von Endothelzellen, 
aber wir wissen, daß die tuberkulöse 
Riesenzelle wohl nahezu immer nicht 
durch Konfluenz von Zellen entsteht, 
sondern durch eine amitotische Kern- 
teilung ohne eine solche des Protoplas- 
mas und der besonders von Herxheimer 
erbrachte Nachweis zahlreicher Zentral- 
sphären im Innern der Riesenzellen dürfte 
ein für allemal der Vorstellung ein Ende 
bereiten, als hätte man eine hyalin throm- 
bosierte Kapillare vor sich. Daß das 
nach Kronbergers Ansicht „immer la- 
byrinthischer gewordene“ Tuberkulose- 
problem durch seine Ausführungen „voll- 
ständig“ gelöst sei, können wir nicht 
glauben. C. Hart (Berlin-Schöneberg). 


H. W. Lyall: The types of pneumo- 
cocci in tuberculous sputum. 
(Journ. of Experim. Med. 1915, Vol. 
XXI, No. 2, p. 146.) 

Autor nimmt an, daß die Lungen 
bei Tuberkulose, Bronchiektase und Asth- 
ma gewissermaßen den pathologischen Ver- 
hältnissen bei Pneumonie ähneln. Dem- 
gemäß dürfte vielleicht eine Bestimmung 
der Typen von Pneumokokken im Aus- 
wurf unter solchen Umständen eine wei- 
tere Probe der Mutationstheorie geben. 

Es wurden im ganzen 50 Fälle aus 
dem Ray Brook Sanatorium, N. Y. unter- 
sucht; 43 Fälle Lungentuberkulose aller 
Stadien, 5 Fälle Bronchiektasen und 2 Fälle 
von Asthma. Autor hat die verhältnis- 
mäßig exakte Methode des Rockefeller 


REFERATE, TUBERKULOSE 


ZEITSCHR. f. 


Instituts-Krankenhauses angewendet, d. h. 
intraperitoneale Impfung weißer Mäuse mit 


ftischem Auswurf, um die Anwesenheit 


der Pneumokokken festzustellen und die 
Isolierung derselben zu fördern. 

Um den Typ der isolierten Pneumo- 
kokken zu bestimmen, hat der Autor zu- 
nächst die Organismen morphologisch und 
biologisch geprüft; dann machte er Ag- 
glutinations- und Immunisierungsversuche 
nach der Methode des Rockefeller In- 
stituts-Krankenhauses. 

Unter allen den 50 Fällen fanden 
sich Pneumokokken 20 mal, oder in 40°/,. 
Unter den 43 Fällen von Lungentuber- 
kulose ließen sich die Pneumokokken in 
34,9°/, demonstrieren. Von diesen 20 
positiven Fällen fielen 15 in die vierte 
Gruppe (Mundkokken); 3 in die dritte 
Gruppe (Mucosus): 2 in die erste Gruppe 
(virulent). | 

Die Theorie der Mutation wird durch 
die Untersuchungen nicht bekräftigt. | 

Soper (Saranac Lake, N. Y.). 


0. W. H. Mitchell and R. R. Simmons: 
Isolation of bacillus tuberculosis 
from sputum by the method of 
Petroff. (Journ. of Amer. Med. Assoc. 
1915, Juli 17, Vol. LXV, No. 3, p. 245.) 

Bericht über die Nachprüfung der 
Petroffschen Methode zur Züchtung von 
Tuberkelbazillen (s. Ztschr. f. Tub., Bd. 24, 
S. 262). f 

Bei der Untersuchung von 35 Sputum- 
proben gelang die Isolierung und das 
Wachstum 28mal; es kamen 6mal Ver- 
unreinigungen vor; einmal kein Wachs- 
tum. Bei allen diesen Fällen waren die 
Bazillen mikroskopisch nachweisbar. Das 
Wachstum konnte am 9,—ı5. Tage de- 
monstriert werden. Die Fehler kamen 
bei den ersten Untersuchungen vor, und 
Verff. sind geneigt, ihre mangelhafte Tech- ` 
nik dafür verantwortlich zu machen. 

Sie haben auch das Medium ohne 
Zusatz von Gentianaviolett bei 23 Spu- 
tumproben geprüft. Nur einmal gelang 
die Züchtung: ohne Verunreinigung. ` 

| Soper (Saranac Lake, 'N.Y.) 


J. E. Ash: The pathology of the mis- 
taken diagnose in hospital for 
advanced tuberculosis. (Journ. of 


er camne nn a ihn ie Zu 


BD, 25, HEFT 1. 
1915. 


Amer. Med. Assoc. 1915, Vol. LXIV, 


January 2, No. 1, p. 11.) 
Soper (Saranac Lake, N. Y.). 


Arthur Mayer: Über Erkrankungen 
der Lunge bei der Gicht. (Ztschr. 
f. klin. Med. 1915, Bd. 81, Heft 5/6.) 

Siehe Verf.s Artikel über Tuber- 
kulose und Gicht in Ztschr. f. Tuber- 

kulose, Bd. 23, S. 243. L. R. 


IV. Diagnose und Prognose. 


L. Brown-SaranacLake:The significance 
of tubercle bacilli in the urine. 
(Journ. of Amer. Med. Assoc. 1915, 
Vol. LXIV, March 13, No. 11, p.886.) 

Eine Résumé der Literatur und der 
Erfahrungen des Verf.s: 

I. Nach keiner Färbemethode lassen 
sich Tuberkelbazillen mit Sicherheit diffe- 
renzieren. Nach der Petroffschen Me- 
thode sollen sich Tuberkelbazillen inner- 
halb zwei Wochen kultivieren lassen; nach 
derselben Methode die Smegmabazillen je- 
doch nicht. 

2. Tierimpfung ist zuverlässig, aber 
wertvoll nur bei positivem Ausfall. 

3. Es sollte der Urin ebenso sorg- 


faltig wie Sputum gesammelt werden. 


4. Eine Ausscheidung von Tuberkel- 
bazillen durch normale Nieren kann statt- 
finden. 
5. Käsige Herde der Nieren lassen 
sich durch Röntgenuntersuchung bisweilen 
entdecken. | 

6. Spontane Heilung ist „erdichtet“. 

7. Manchmal ist die Nephrektomie 
mit nachfolgender Tuberkulinbehandlung 
die beste Behandlungsmethode der Nieren- 
tuberkulose. 

8. Bei Genitaltuberkulose lassen sich 
gewöhnlich Tuberkelbazillen erst spät 
finden. Deshalb sind sie von geringerem 
Wert bei.der Diagnose. 

Petroff säuert den Urin mit 30°/ iger 
Essigsäure und gibt dazu 5°/,ige Tannin- 
säure bis 2°/, der Urinmenge Urin 
bleibt dann 24 Stunden im Eisschrank. 
Man kann jetzt zentrifugieren; den Nieder- 
schlag wieder mit verdünnter Essigsäure 


ee 


REFERATE. 87 


lösen; wieder zentrifugieren und Aus- 


strichpräparate machen oder den. ersten 


Niederschlag mit normaler Natriumlösung 
behandeln und Kulturen anlegen. 
Soper (Saranac Lake, N. Y.). 


C. B. Lockwood: Albumin in the spu- 

tum as a diagnostic aid. ` (Journ. 
~- of Amer. Med. Assoc. 1915, Vol, LXIV, 
= February 13, No. 7, p. 574.) 

Verf. zieht den Schluß, daß die Ei- 
weißbestimmung des Auswurfs, beides 
qualitativ und quantitativ, für die Dia- 
gnose der verschiedenen Lungenkrank- 
heiten keinen Wert hat. 

Soper (Saranac Lake, N.Y.). 


C. E. Waller: Einige Hauptzüge der 
gewöhnlichen Iungenuntersü- 
chungen. (Hygiea 1915, Bd.ıı, Heft4, 
S. 16.) 

Siehe die Besprechung der gleich- 

betitelten Arbeit in Ztschr. f. Tub., Bd. 23, 

S. 556. Tillgren (Stockholm). 


B. Prusik: Aus der englischen Phthi- 
siologie. (Lékařské Rozhledy 1915, 
p. 132, [böhmisch)). 

Einige Beobachtungen von des Verf.s 
Besuch in England. Hauptsächlich be- 
schreibt der Verf. die dort üblichen Unter- 
suchungsmethoden (übrigens wie bei uns), 
und schildert ausführlich den Fortgang 
der neuerlich viel angewandten Methode, 
nämlich der Fixation des Komplements 
mit Benutzung des Antigens von Bes- 
redka. Was die Therapie betrifft, so 
wird viel Tuberkulin A benutzt; künst- 
licher Pneumothorax bisher nur sehr wenig. 

Jar. Stuchlik (Rot-Kostelec, Böhmen). 


Louis Kolipinski: The auscultoplec- 

trum. ‘A combined stethoscope 
and percussion hammer. (New York 
Med. Journal, Vol. 101, 30. 1. 1915, 
p. 194.) 

Ein Instrument, das aus einem 
Gummischlauch und einem metallenem 
Trichter (Otis Urethroscope) besteht. Es 
kann als Hörrohr dienen, falls man mit 


schwerhörigen Patienten zu tun hat, und 


soll auch bei der Behorchung gewisse 
Vorzüge anfweisen. Der Rand des Trich- 
ters wird bei der Perkussion gebraucht, 


b 


58 | REFERATE. 


und zwar dient ein in Sammt gewickelter 
Kork als Plessimeter. 
B. S. Horowicz (Neuyork). 


A. Schneider (Aus der Med. Universitäts- 
poliklinik zu Bonn, Dir. Prof. Paul 
Krause): Die Bedeutung der Per- 
kussion für die Diagnose der 
Lungenspitzentuberkulosemitbe- 
sonderer Berücksichtigung der 
Krönigschen Spitzenfelder. (Dtsch. 
med. Wchschrr. 1915, Nr. 32, 5.937 bis 
939.) 

Bei lungengesunden Menschen fand 
Schneider die Spitzenfelder auf beiden 
Seiten völlig gleich, In manchen Fällen 
ist das rechte vordere Spitzenfeld ver- 
schmälert. Eine leichte Schallverkürzung 
über der r. Spitze ist diagnostisch nur 
mit größter Vorsicht zu verwerten. Fälle 
von Spitzentuberkulose, wie Krönig sie 
erwähnt, bei denen der tuberkulöse Pro- 
zeß sich zuerst in einer Änderung des 
Spitzenfeldes äußerte und erst später aus- 
kultatorische Erscheinungen auftraten, hat 
Schneider nicht beobachten können. 
Es gibt nach Schneider Fälle von Lun- 
gentuberkulose, die bei reichlichem feuch- 
tem Katarrh einen völlig negativen Ed: 
kussionsbefund aufweisen. 

H. Grau (Heilstätte Rheinland-Honnef) 


G. H. Dart: The diversity of opi- 
nion concerning the diagnosis of 
tuberculosis. (The Lancet, 12. 6. 
I9I5, p. 1227.) 

Ein Klagelied über die Widersprüche 
und Schwankungen: der Meinungen und 
Angaben über die Häufigkeit der Tuber- 
kulose, besonders soweit sie auf Kontakt- 
infektion (in der Familie usw.) zurück- 
geht. Ein vielfach gesungenes, verdrieß- 
liches Lied. Bei unseren heutigen Hilfs- 
mitteln ist es ganz sicher im gegebenen 
Fall wohl oft schwer zu sagen, jemand 
ist tuberkulös, und noch schwerer, er ist 
es nicht. Gewiß, die irgendwann und wie 
stattgefundene tuberkulöse Infektion fest- 
zustellen, ist durch die Tuberkulinproben 
leicht, wenn sie auch gelegentlich ver- 
sagen. Aber das sagt uns doch nur 
wenig über die Natur eines gerade be- 
obachteten Symptoms oder einer kleinen 
Veränderung. Es fehlt uns eben eine 


ZEITSCHR, f. 
TUBERKULOSE 


iaa a nn 


Reaktion, die etwa. das leistet, was die 
Wassermannsche Probe bei Lues leistet, 
die uns zwischen bloßer, vorläufig harm- 
loser, vielleicht sogar nützlicher Infektion 
und beginnender, bedrohlicher Erkrankung 
unterscheiden lehrt. Der Fortschritt wäre 
sehr groß, wenn eine derartige Entdeckung 
gelänge, nicht nur um genauere Statistiken 
aufstellen zu können, deren bisherige Un- 
vollkommenheit und ärgerliche Verschie- 
denheit oder Ungleichmäßigkeit Dart 
hauptsächlich beklagt, sondern aus sehr 
praktischen Gründen, zur rechten Besetzung 
unserer Heilstätten, bei der frühzeitigen 
Erkennung der Tuberkulose überhaupt, 
damit nicht zuviel und nicht zu wenig, 
sondern rechtzeitig das richtige geschehen 
kann, und dgl. mehr. Gerade der Krieg 
bringt den Wunsch nach einem Fört- 
schritt recht lebhaft hervor, da hier die 
Entscheidung oft drängt, und das: klare 
Urteil doch schwer ist. 

Im Lancet vom 19.6. 1915, p. 1312 
stimmt R. S. Walker in das Klagelied- 
ein, weiß keine Abhilfe und meint nur, 
man müßte wenigstens Zeit zu ‚längerer 
Beobachtung haben, bevor man ein Ur- 
teil abgäbe. Er hat recht, aber diese 
Zeit ist nicht immer gegeben. 


Meißen (Essen). 


L. Brown: Diagnostic theses in pul- 
monary tuberculosis. (Journ. of 
Amer. Med. Assoc, 1915, Vol.LXIV, 
No. 24, June 12, p. 1977.) 

Dieser Sachverständige hat hier 25, 
für den Anfänger besonders geeignete, 
Denksprüche über die Diagnose der Tu- 
berkulose zusammengestellt 


Soper (Saranac Lake, N.Y). 


Guis. Manzini (Aus dem Tuberkulose- 
Ambulatorium der Stadt Bologna): I 
bacilli di Koch intracellulari ne- 
gli sputi. — Intrazelluläre Tu- 
berkelbazillen im Sputum. (Bullett. 
delle Scienze Mediche, Febr. 1915.) 

M. fand unter 77 Fällen 2r mal 
intrazelluläre TBc (Färbung nach Ziehl- 

Neelsen und nach Fontes), sowohl in 

initialen «wie in schleichend verlaufenden 

und in schweren Fällen, so daß das Vor- 
handensein intrazellulärer TBc im Sputum 


BD, 25, HEFT 1. 
1916. 


REFERATE. 59 


keinen prognostischen Schluß auf den 
Verlauf der Krankheit zuläßt. 


Paul Hänel (Bad Nauheim-Bordighera). 


V. Therapie. 


a) Verschiedenes. 


G. B. Dixon: Domiciliary treatment 
of tuberculous patients. (Brit. Journ. 
of Tuberculosis, Jan. 1915, Vol. IX, 
No. 1, p. 19.) 

Die Behandlung Tuberkulöser in der 
eigenen Wohnung wird niemals ganz zu 
umgehen sein, auch wenn die Zahl der 
Heilstätten und Krankenhäuser noch we- 
sentlich steigt. Es ist deshalb darauf 
Bedacht zu nehmen, daß auch diese häus- 
liche Behandlung nach den bewährten all- 
gemeinen Grundsätzen durchgeführt wird. 
Hier ist ein Flauptfeld der Betätigung der 
Fürsorgestellen. Aber auch der praktische 
Arzt ist berufen, hier einzuwirken. Wenns 
richtig begonnen wird, ist hier viel zu 
erreichen, zum Nutzen des Kranken und 
zum Schutz seiner Umgebung Dixon 
gibt einige Anleitungen dazu. 

Meißen (Essen). 


W.J.Cox: Discipline and recreation 
in the sanatorium. (Brit. Journ. of 
Tuberculosis, Jan. 1915, Vol IX, No. 1, 
P. 23.) 

Eine kurze Betrachtung über Zucht 
und Zerstreuung in den Heilanstalten, wo 
strenge Zucht gewiß der oberste Grund- 
satz bleiben muß, wo aber angemessene 
Zerstreuung der Kranken doch auch nicht 


vernachlässigt werden darf, um den Er- . 


folg bei einer so langwierigen Krankheit 
nicht an allzugroßer Einförmigkeit schei- 
tern zu lassen, die Widerwillen und un- 
günstige Gemütsverfassung erzeugt. Das 
weiß jeder Anstaltsarzt und es ist Sache 
des Takts, den richtigen Mittelweg zu 
finden. Meißen (Essen). 


b) Spezifische. 
B. H. Vos: De waarde van het tuber- 
culine voor de herkenning en de 


. behandeling der longtuberculose. 


— Der Wert des Tuberkulins für 
die Diagnose und die Therapie 
der Lungentuberkulose. (Nederl. 
Tydschr. v. Geneeskunde 1915, Bd. I, 
Nr. 4.) 

Der Verf. handelt zuerst über die 
Hautreaktion, deren Wert insbesondere 
bei negativem Ausfall der Probe hoch 
anzuschlagen ist. Ein negativer Ausfall 
der Hautreaktion kommt bei Erwachsenen 
unter 3 Umständen vor: I. bei chroni- 
schen Patienten, welche eine ausgedehnte 
Lungenerkrankuug gut vertragen und 
deren durch die Krankheit erworbene 
Tuberkulin-Immunität so groß ist, daß 
das in die Haut eingeimpfte Tuberkulin 
nicht genügt um eine Reaktion hervor- 
zurufen. 2. Derselbe Grund für einen 
negativen Ausfall der Hlautreaktion liegt 
vor bei Patienten, die längere Zeit hin- 
durch subkutan mit höheren Tuberkulin- 
dosen geimpft worden sind. Und 3. be- 
gegnet man einer negativen Reaktion, 
abgesehen von Masern und Miliartuber- 
kulose, bei denjenigen Kranken, deren 
Allgemeinzustand durch die Tuberkulose 
bedeutend geschädigt ist: das sind die 
Patienten, die nicht genügend Antistoffe 
bilden. Innerhalb gewisser Grenzen 
kommt der v. Pirquet’schen Hautreak- 
tion eine prognostische Bedeutung zu. 

Aus dem eben gesagten geht hervor, 
daß bei einer nicht unbeträchtlichen Zahl 
von Tuberkulösen die diagnostische Haut- 
reaktion negativ ausfällt, und es ist von 
großer Bedeutung, daß in fast sämtlichen 
Fällen die subkutane Tuberkulinprobe 
positiv ausfällt, wenn man die Dosen nur 
hoch genug wählt (von 0,1 mg bis zu 
ıo mg Alttuberkulin. Von 65, wegen 
Krankheitserscheinungen auf Tuberkulose 
untersuchten Patienten reagierten 6 auf 
O,I mg, 17 auf 0.5, 13 auf I mg, 20 auf 
5 mg und .IQ erst auf 10 mg. Wenn 
man auf eine einmalige Dose von 10 mg 
keine Reaktion bekommt, so wird man 
auch eine zweite Dose von Io mg, und 
eben 20 mg vergeblich anwenden. Es 
genügt daher 10 mg; diese Dose ist aber 
auch notwendig. 

Für die therapeutische Anwendung 
des Tuberkulins hat der Verf. das Utrechter 
Tuberkulin (H. B. T. O.) benutzt, und 
zwar folgt er bei der Dosierung der Me- 


60 


thode der anfangs schnellen Steigung. Er 
hält auf Grund seiner Erfahrung bei 
1500 Fällen daran fest, daß man bei der 
Tuberkulinbehandlung gänzlich im Dun- 
keln arbeitet, so lange man nicht wenig- 
stens einmal eine, sei es auch geringe 
Reaktion bekommen hat, denn die Tuber- 
kulinreaktion ist die einzige Tuberkulin- 
wirkung und die Methode der anfangs 
schnellen Steigung bezweckt sobald wie 
möglich diejenige Dose zu erreichen, bei 
der die erste Reaktion eintritt. Als An- 
fangsdose wird 1/1000 mg gewählt, weil 
nur bei ı°/, der Patienten auf dieser 
Dose eine Reaktion einzutreten pflegt. 
Die Verdünnungen werden so gewählt, 
daß jede Verdünnung Iomal weniger 
Tuberkulin enthält als die vorige. Man 
verabreicht von jeder Verdünnung nach 
einander in steigenden Gaben 3 bis 4 
Einspritzungen, und versucht in der Weise 
festzustellen, bei welcher Dose die erste 
Reaktion eintritt, aber man steigt so 
schnell, daß der Patient durch die vorige 
Einspritzung nicht gegen die folgende 
immunisiert wird. In der Reihe der 
Tausendstel mg genügen 1/1000, 24/1000, 
5/1000, in den höheren Reihen: 1/100, 
21/100, 5/100, 74/1000 usw. — Die 
meisten Patienten reagieren zum erstenmal 
zwischen „4, und „4; mg und 97°/, der 
Kranken hat reagiert, vordem man Io mg 
erreicht hat. Nachdem die erste Reaktion 
abgeklungen ist, wird nur ganz langsam 
weiter gestiegen. Die Bedeutung der Stich- 
reaktion ist sehr hoch anzuschlagen. Vor 
jeder Einspritzung muß daher auch die 
Stelle der vorigen Einspritzung genau 
nachpalpiert werden. Höhere Dosen als 
150—400 mg sind kaum erforderlich. 
Autoreferat. 


Petruschky-Danzig:Zur weiterenNutz- 
barmachung der perkutanen Im- 
munisierung. (Münch. med. Wchschr. 
1915, Nr. 5, S. 145.) 

Der planmäßige Versuch einer Tu- 
berkulosesanierung ist auf Hela bei einer 


Gemeinde von 500 Seelen geglückt durch | 


systematische Tuberkulinisierung in Form 
von Einreibungen einer Emulsion von ab- 
getöteten Tuberkelbazillen in die unver- 
letzte Haut. Diese Emulsion wird in 
3 Verdünnungsgraden nacheinander an- 


REFERATE, 


mm m nn nn 


ZEITSCHR. f.. 
TUBERKULOSE 


gewandt. Auch nach den sonst in mehr 
als 3 Jahren gewonnenen Erfahrungen des 
Verf. läßt sich bei alen Formen ge- 
schlossener und latenter Tuberkulose eine 
Heilung in mehr als 99 °/, der Fälle er- 
zielen, bei planmäßiger und lange genug 
durchgeführter Anwendung. Es gelingt 
bei dieser perkutanen Immunisierung sehr 
viel größere Antigenmengen im Körper 
zur parenteralen Verarbeitung zu bringen, 
als bei subkutaner oder gar intravenöser 
Einverleibung. Versuche, die Inunktions- 
therapie prophylaktisch anzuwenden sind 
im Gange und scheinen dem Verf. sehr 
aussichtsreich zu sein. Dieses Inunktions- 
verfahren ist nun auch für andere bak- 
terielle Krankheiten ausgearbeitet, zu- 
nächst für die Sekundärinfektionen als 
Komplikationen der Tuberkulose. Mit 
einem kombinierten „Linimentum anti- 
catarrhale“ will Verf. gute Erfolge bei 
Mischinfektionen erzielt haben. Er weist 
darauf hin, daß ein Antikokkenliniment 
auch bei Kriegsverwundungen erhebliche 
Bedeutung haben dürfte als Mittel zur 
Resistenzerhöhung. Diese Prophylaxe 
läßt sich ausdehnen auf andere Infek- 
tionskrankheiten, z. B. Typhus, Cholera 
und Ruhr. Vorläufige Versuche erweisen 
die Unschädlichkeit des Verfahrens, ver- 
hüten wird dieses naturgemäß die ent- 
sprechenden Krankheiten nicht absolut, 
wohl aber abschwächen. 
C. Moewes (Berlin-Lichterfelde). 


Silvio von Ruok-Asheville: Prophylactic 
and therapeutic immunization 
against tuberculosis; its possibi- 
lities and limitations. (Med. Record. 
1915, Vol.87, No.4, January 23, p.137.) 

Eine Diskussion des Problems für 
den Kliniker. Verf. beschreibt die Schwie- 
rigkeiten und sagt, daß ein spezifisches 

Heilmittel gegen die vorgeschrittenen 

Fälle nicht zu erwarten ist. Man kann 

aber vielleicht ein spezifisches Mittel gegen 

die beginnenden unkomplizierten Fälle 
entdecken. 
Soper (Saranac Lake, N.Y.). 


S. Solis Cohen: When and how to use 
tuberculin preparations in pri- 
vate practice. Efficacy of admi- 
nistration’by mouth. (Amer. Journ. 


BD. 25 HEFT 1, 


1915. REFERATE, g 6 I 


of the Med. Science 1915, Vol. CXLIX, | 


No. 1, p.81) . 

- Die Einverleibung des Tuberkulins 
per os soll. für die Tuberkulinkur ganz 
wirksam sein und eine einfache, für den 
Praktiker geeignete Methode darstellen. 

Käufliche Tabletten, welche be- 
stimmte Mengen T.R. enthalten, werden 
in Fleischwasser, Molken, Eiweißwasser 
oder abgerahmter Milch gelöst und mit 
Kochsalzlösung verdünnt. 

Verf. betont die Wichtigkeit der 
kleinen Dosen und fängt gewöhnlich nur 
mit 0,000001 mg an. 

Übrigens geschieht die Behandlung 


betrefis der Quantität des Tuberkulins, . 


Zeitintervalls der Dosen und Wahl der 
Fälle nach konservativen Regeln. 
Soper (Saranac Lake, N.Y.). 


E. Taunton: Tuberculin administra- 

tion and graduated labour. (The: 
| same Durchführung der Kur möglich war. 
-Im Royal National Hospital for Con- 
sumption zu Ventnor (Insel Wight), dessen ; 
leitender Arzt Taunton war, ist die Be- 
handlung der Lungenkranken im Allge- 
meinen die gleiche wie bei uns: Freiluft- : 
kur mit Ruhe oder mäßiger Bewegung . 
(Spazieren) je nach Art des Falles. Bei, 
ausgewählten Fällen, die genügend lang : 
in der Anstalt bleiben, wird aber nach i 
einerProbezeit von mindestens vierWochen ı 
auch abgestufte Arbeit (graduated labour) : 
als Kurmittel verwandt und die Leute in, 
besonderen Arbeitsabteilungen beschäftigt. 
Bei einigen derartigen „Arbeitern“, und. 
zwar bei solchen, die die günstigsten 


Lancet, 15. 5. 1915, p. 1016.) 


Heilungsaussichten boten (the most pro- 
mising) wurden nun auch Tuberkulin- 
kuren versucht. Das Ergebnis war sehr 
wenig ermunternd: die Verwendung von 


Tuberkulin bei ausgewählten tuberkulösen - 
„Arbeitern“ verkürzt die nötige Kurdauer 
Das Tu- 
berkulin verbessert auch die Arbeitsfähig- 


nicht, verlängert sie vielmehr. 


keit nicht, verschlechtert sie vielmehr. Es 
stört die Ernährung, da die Gewichts- 
zunahme aufhört oder doch erschwert 
wird. Auch die Erhaltung der Arbeits- 
fähigkeit nach der Entlassung gestaltete 
sich weniger günstig bei den Leuten, die 
mit Tuberkulin behandelt waren als bei 


‚denen, die man damit verschont hatte. 


lang angewendet. 


Die Tuberkulinfreunde werden frei- 
lich sagen, das Tuberkulin sei nicht 
richtig angewandt worden, oder die Eng- 
länder seien uns auch in der Tuberkulin- 
frage abgünstig. Meißen (Essen). 


| Herbert Koch-Wien: Die Tuberkulin- 


behandlung im Kindesalter. 
(Münch. med. Wchschr. 1915, Nr. 27, 
S. 905.) 

Verf. berichtet über seine Erfahrungen 
mit der in der Universitätskinderklinik in 
Wien (v. Pirquet) geübten . Tuberkulin- 
kur an 45 Fällen. Es wurden zweimal 
wöchentlich Dosen von 0,001—ımg Alt- 
tuberkulin in Io ccm physiologischer‘ 
Kochsalzlösung subkutan injiziert an immer 


| neuen Hautstellen, um nach Möglichkeit 
| jede lokale Reizung zu vermeiden. Die Stei- 


gerung der Dosen wurde in geömetrischer 
Progression vorgenommen und zwar so, 
daß eine rasche, mittelrasche und lang- 


Die mittlere Behandlungsdauer betrug 
etwa 8 Wochen mit 18 Injektionen. Eine 
vollkommen reaktionslose Durchführung 
der Kur war selten, schädliche Wirkungen 
wurden nur bei Ausnahmen . gesehen 
(Pleuritis — Hauttuberkulose). Sonst waren 
die Ergebnisse größtenteils gute bei 37 
(von 45) Fällen: Der Allgemeinzustand 
besserte sich, fieberhafte Temperaturen 
wurden zum Teil ganz unterdrückt, die 
lokalen tuberkulösen Prozesse wurden 
günstig beeinflußt. Als Kontraindikation 
müssen angesehen werden schwere phthi- 
sische Prozesse der Lungen, Amyloidose 
der parenchymatösen Organe, Fälle mit 
starker Reaktion auf Tuberkulin und mi- 
liare Tuberkulose. Zur Behandlung kamen 
Kinder jeder Altersperiode. Die für -die 
Behandlung ungünstigen Fälle verteilen 
sich auf die ersten 3 Jahre und auf das 

I. 13. und 14. Lebensjahr. Die guten 
Erfahrungen scheinen zu ausgedehnter Ver- 
wendung des Tuberkulins zu berechtigen. 

‚C, Moewes (Berlin-Lichterfelde). 


L. S. Peters: Tuberkulin in pulmo- 
nary tuberculosis. (Med. Record 
1915, Vol.87, No. ı, January 2, p- 16.) 

Verf. hat Tuberkulin in der Behand- 
lung der Lungentuberkulose sieben Jahre 

In der Zeit hat er 


62 


etwa ` 
ist ganz begeistert. 

Seine beginnende Dosis ist immer 
kleiner geworden, bis er jetzt, in den 
meisten Fällen, mit I—1I000000 eines 
Milligramms anfängt. Er vermeidet alle 
Zeichen der Überempfindlichkeit und be- 
folgt die konservativen Regeln. 

=- - Soper (Saranac Lake, N.Y.). 


F. M. Pottenger: Tuberculin therapy: 
its present imperfections and fu- 
. ture improvements. (Med. Record. 
1915, Febr. 20, Vol. 87, No. 8, p. 306.) 

Ein kurzer Vortrag über diese Be- 
handlungsmethode im allgemeinen. Verf. 
meint, es mangele an Verständnis für das 
Tuberkulin; doch ist dasselbe ein Mittel, 
welches in geschickter Hand sehr gute 
Dienste leistet. 

Der Kliniker darf nicht zu schablo- 
nenhaft vorgehen. Er sollte die Ver- 
schiedenheiten der Bestandteile des Tu- 
berkulins im Lichte. der Arbeiten von 
Vaughan, Much und von Ruck besser 
beachten. Er sollte seine Patienten ein- 
gehender studieren und die verschiedenen 
Reaktionen besser beobachten. 

Soper (Saranac Lake, N. Y.). 


E. 8. Bullock: Reflections on tuber- 
culosis and tuberculin. (Brit. Journ. 
of Tuberculosis, July 1915, Vol. IX, 

No. 3, p. 126—141.) 

Die meisten englischen Ärzte stehen 
dem Tuberkulin ablehnend oder skeptisch 
gegenüber. Bullock bricht in dieser 
ausführlichen Arbeit eine kräftige Lanze 
für das umstrittene Mittel. Er. meint, 
daß man aus theoretischen und praktischen 
Gründen an seine Heilwirkung glauben 
müsse; diese sei wissenschaftlich begrün- 
det und durch genügende Erfahrung be- 
stätigt. Bullock, übrigens kein Englän- 
der, sondern Arzt des New Mexico Cot- 
‚tage Sanatorium zu Silver City im Staat 
Neumexiko, erzählt, daß er einmal die 
Gegenprobe habe machen, d.h. seine 
Kranken 6 Monate ohne Tuberkulin habe 
behandeln wollen, daß er aber bereits 
nach 3 Monaten gezwungen gewesen sei 
zum Tuberkulin zurückzukehren. Er be- 
dauert mit. dieser Auffassung von dem 
hohen Werte des Tuberkulins in einem 


REFERATE. 


50°/, seiner Fälle so behandelt. Er 


ZEITSCHR. f.: 
TUBERKULOSE 


Gegensatz zu seinem verehrten Lehrer 
Trudeau, den auch bei uns hochange- 
sehenen amerikanischen Phthiseotherapeu- 
ten, zu stehen, der auf Grund dreißig- 
jähriger Erfahrung eine wirkliche Immu- 
nität bei der Tuberkulose leugnet, und 
deshalb auch vom Tuberkulin u. dgl. 
nichts erwartet: „Wenn ich mein Leben 
noch einmal zu leben hätte, so würde ich 
es dem Aufsuchen einer chemischen Sub- 
stanz widmen, die den Tuberkelpilz töten 
müßte, ohne dem Organismus zu scha- 
den“, eine Auffassung, der auch Ref. 
wiederholt Ausdruck gegeben hat. Aber 
die Meinungen der Menschen sind ver- 
schieden und erst die Zeit wird entschei- 
den. Meißen (Essen). 


c) Chirurgische, einschl, Pneumothorax. 


Marc Jacot: La pleurésie purulente, 
complication du pneumothorax 
artificiel. (Rev. médicale de la Suisse 
Romande 1915, T.35, No. 3, p. 117, 
No. 4, p. 185, No. 5, p. 241.) 

Eine gut geschriebene Monographie 
des Empyems als Folge des künstlichen 
Pneumothorax: Entstehen, Erkennung, 
Formen, Behandlung. Viel neues bringt 
die Zusammenstellung naturgemäß nicht, 
da der Gegenstand längst von vielen 
Seiten ausgiebigst bearbeitet worden ist. 
Immerhin ist sie ein wertvoller Beitrag 
zu dem Thema, das in den letzten Jahren 
so viel erörtert wurde und jetzt zu einem 
gewissen Abschluß gekommen ist. Em- 
pyem, primär oder als Übergang einfach 
seröser Exsudate, ist die verdrießlichste 
Komplikation des künstlichen Pneumo- 
thorax, und zugleich diejenige die am 
schwierigsten zu beherrschen ist. Sie 
braucht von dem Eingriff nicht abzu- 
schrecken, der ja zumeist die letzte Mög- 
lichkeit einer günstigen Wendung schwerer 
Erkrankung vorstellt, gibt aber doch zu 
vielen Bedenken Anlaß. Die Behandlung 
bietet keine erfreulichen Aussichten. Jacot 
hält die Entleerung durch Punktion und 
Verdrängung mittels eingeführtem Stick- 
stoff für besser als die operative Öffnung 
des Brustfellraumes. Meißen (Essen). 
A.G. Shortle: The occurence of fluids 

in the pleural cavity during treat- 


x nn a a 


asee m e e a a t -a a a e e e E 


a G arit a en 


BD, HEFT 1. 
atn 


ment by artificial pneumothorax. 


(Reprinted from. the New Mexico Med. 


Journ. 1915.) 

= Bericht über 62 gelungene Einbla- 
sungen, unter denen das Pleuraexsudat 
2Imal auftrat. Unter 22 Fällen, welche 


‚nicht weniger als ı Jahr und nicht mehr 


als 2!/, Jahr mit künstlichem Pneumo- 
thorax behandelt wurden, ist ein. Exsudat 
I4mal oder bei 65°/, aufgetreten. 

Verf. ist sehr wenig von der immu- 


nisierenden Wirkung. des Exsudats ein- 


genommen. Beim Auftreten der nicht- 
eitrigen Flüssigkeit ist er: für die Ent- 
nahme derselben sobald sie. etwas mehr 
als einen halben Liter beträgt. Exsudat 
sollte mit Gas ersetzt werden, um nega- 
tiven Druck zu vermeiden. Nach dem 
Verschwinden der Pleuritis gilt es den 
Druck zu erhöhen, damit die nachfolgen- 
den Adhäsionen etwas mehr zurückbleiben. 
Der erhöhte Druck wird dann leichter 
vertragen. Gut waren die Resultate bei 
fast allen seinen 21 so behandelten Ex- 
sudatfällen. 
Soper (Saranac Lake, N. Y.) 


E. 8. Bullock and D.C. Twichell: Exu- 
sudates in artificial pneumotho- 
rax. (Amer. Journ. of the Med. Science 

--I1015, Vol. CXLIX, No.6, p.848.) 

Unter 50 Fällen ist das Einblasen in 

26 Fällen gelungen. Unter diesen trat 

8mal ein Exsudat ein. Die Menge der 

Flüssigkeit war. nur einmal groß. Diese 

Resultate stimmen im allgemeinen mit 

denen der ganzen Felsengebirgs-Hoch- 

ebene überein. 
Es soll in dieser Gegend ein ver- 


mindertes Vorkommen von Exsudaten. 


geben. Dasselbe soll wahrscheinlich auf 


der Lufttrockenheit und auf vermindertem 


Vorkommen von Erkältungen beruhen. 
_Verff. betonen die häufig günstigen 
Wirkungen des Exsudats und schwärmen 
für die konservative Behandlung. Sehr 
interessant ist es, daß manchmal das Ge- 
wicht bis zur Entwicklung des Exsudats 
abnimmt. Mit Einsetzen des, Exsudats 
fängt das Gewicht an zuzunehmen. 
::Der Artikel. ist übrigens eine Zu- 


sammenfassung der europäischen Ideen, 
besonders: der von Saugman und von 


v. Muralt. Soper (Saranac Lake, N.Y.). 


REFERATE, 63 


Mary E. Lapham: Five years’ work 
with artificial pneumothorax. (The 
Lancet-Clinic, Cincinnati, 15. 5. 1915, 
p: 550f®) 

Die Verf. berichtet über ihre fünf- 
jährigen Erfahrungen mit künstlichem 
Pneumiothorax bei Lungentuberkulose.. Die 
Hauptfragen bleiben immer wieder:. Wann 
soll der Eingriff gemacht werden! Sollen 
wir ihn auf die schweren Fälle als letztes 
Hilfsmittel beschränken, oder dürfen wir 
ihn bereits früher, vielleicht viel früher 
ausführen? Was so]l geschehen, wenn 
Verwachsungen eine ausreichende Kom- 
pression der Lunge nicht gestatten? Wie 
sind pleuritische Ergüsse, zumal Empyem 
zu behandeln? Mary Lapham bespricht 
diese Probleme stark im Anschluß an die 
Arbeiten von Staub (Davos), Sauer- 
bruch u.a. mehr theoretisch als prak- 
tisch, und es wird nicht recht klar, was 
die eigene Meinung auf Grund fünfjähriger 
Erfahrungen ist. Sie beklagt, daß es an der 
Mitwirkung geeigneter Chirurgen für die 
schwierigen Eingriffe, die nötig werden 
können (extrapleurale Thorakoplastik u.dgl.) 
gefehlt habe, obwohl das schön gelegene 
städtische Sanatorium Gelegenheit und 
Material genug böte, das Beispiel Sauer- 
bruchs bei Zürich nachzuahmen. Im 
ganzen ist das Urteil über den künst- 
lichen Pneumothorax und verwandte Ein- 
griffe ziemlich fertig: die Operation wirkt 
in einzelnen Fällen ohne Zweifel lebens- 
rettend und ganz überraschend günstig, 
meist aber wird nur zeitweilig Nutzen er- 
reicht und der tödliche Ausgang nur 
hinausgeschoben, und recht häufig treten 
Komplikationen ein, die ohne den Ein- 
griff ausgeblieben wären (namentlich Em- 
pyem), und sehr geeignet sind, den Opti- 
mismus herabzustimmen. Jedenfalls sind 
diese unliebsamen Folgen bedenklich ge- 
nug, daß man die Operationen auf Fälle 
beschränkt, denen anders nicht zu helfen 


ist, nicht aber sie bereits im frühen Sta- 


dium als statthaft erklärt. Das’ scheint 
im wesentlichen auch Mary Laphams 
Ansicht zu sein, während in der Bespre- 
chung ihres Vortrags G.S.R.ockhill wesent- 
lich optimistischer urteilt. Meißen (Essen). 


F. Jessen-Davos: Die operative Be- 
handlung der Lungentuberkulose. 


ZEITSCHR, í. 
64 u REFERATE: Hog TUBERKULOSE 


macht, kommt aber mit Recht zu dem 
Schluß, daß die Pleuraablösung mit zeit- 
licher Tamponade ohne Plombe das aus- 
sichtsreichste ist. (Also teilweise Thora- 
koplastik mit Pleuraablösung.) 

Die Arbeit ist sehr anregend ge- 
schrieben, mit Beispielen und Zeichnungen. 
versehen und gibt einen guten Überblick 
über diese ganzen ja noch im vollen Fluß 
befindlichen Fragen. Blümel (Halle.) 


(Würzburger Abhandlungen (Kabitzsch 
1915) XV, 4—5, 56 S.) 

Besprochen werden in Kürze die 
Kaverneneröffnung, die Unterbin- 
dung der A. pulm., die Freundsche 
Operation. Sie sind alle allgemein 
nicht zu empfehlen, ebensowenig wie 
die Exstirpation der tuberkulösen 
Lunge und die Phrenekotomie. Denn 
die ẹrste käme höchstens mal bei voll- 
kommener kavernöser Zerstörung der 
einen und völliger Gesundheit der an- 
dern Lunge in Betracht, die andere be- 
wirkt nur einen Teilerfolg und käme nur 
als unterstützender Eingriff in Frage. Eine zwei Jahre lange Erfahrung mit 

Den größten Wert haben der künst- | künstlichem Pneumothorax in dem Stony 


M. F. Lent: Artificial pneumothorax. 
liche Pneumothorax, die extrapleu- | Wold Sanatorium, New York Staat. 

| 

| 


(Journ.of Amer. Assoc. 1915, Vol, LXIV, 
No. 24, June 12, p. 1973.) 


rale Thorakoplastik, die Pleurolyse Es handelt sich um 30, zum großen 
und’ vielleicht die Kavernenplom- | Teil, fortgeschrittene Fälle, bei denen das 
bierung. Jessen hat auf all diesen | Einblasen 15mal gelungen ist. Autor hat 
Gebieten mit großem Erfolg gearbeitet | die Forlaninische Technik angewendet. 
und kann deshalb aus eigener Erfahrung | Er ist für diese Behandlung sehr be- 
berichten. Die Heilwirkung des Pneumo- | geistert und findet darin eine rationelle 
thorax beruht auf der Ausschaltung der | Behandlungsmethode, welche dem fort- 
Gifte, die Heilung der Tuberkulose wird geschrittenen Fall manchmal einen Still- 
durch die allgemeine Widerstandsfähigkeit | stand seiner Krankheit bietet. 

bedingt. Fieberhafte Exsudate entleert J. Soper (Saranac Lake, N.Y.). 
[Anwendung der Autoserotherapie(5 ccm). ] 
Zum Auswaschen wird Jod 1:10000 
wässrige Jodkalilösung empfohlen (250ccm 
zurücklassen)! Zu J.s Indikationen würde 
ich noch die soziale Anzeige hinzufügen. 
Dadurch werden die Dauererfolge, die J. 
auf 30°/, schätzt, noch bessere. 

Ich ziehe das von J. verurteilte 
Stich- dem Schnittverfahren vor; die To- 
desfälle sind gerade bei Nachfüllungen, 
also unabhängig von dem bei der Erst- 
füllung benutzten Verfahren, auch be- 
obachtet worden. J. empfiehlt den Ap- 
parat von Kormann (mit Vierweghahn). 
Er macht den Pneumothorax gleich so 
groß, wie möglich, bis zu I l; ich bin 
aus verschiedenen Gründen bei den ersten 
Füllungen wieder zu kleineren, aber häu- 
figeren Einblasungen übergegangen. 

Die extrapleurale Thorakoplastik ist, 
in Form der Wilmsschen Pfeilerresektion 
angewendet, nicht so wirksam wie nach 


d) Chemotherapie. 


v. Linden-Parasitolog. Univ.-Laboratorium 
Bonn: Experimentalforschungen 
zur Chemotherapie der. Tuber- 
kulose mitKupfer- und Methylen- 
blausalzen. (Beitr. z. Klin. d. Tub. 
1915, Bd. 34, Heft 1, S.1— 103, mit 
26 Tafeln.) 

Die umfassenden Versuche der Verf. 
ergaben, daß der Tüuüberkelbazillus eine 
gewisse Affinität zu Methylenblau und zu 
Kupfer hat. Werden ihm im Reagenz- 
glase diese Stoffe zugeführt, so reißt er 
sie an sich und speichert sie in sich auf, 
geht aber selbst an ihnen zugrunde. 
Ferner werden Kupfersalze durch Tuber- 
kulin gebunden, dieses dabei in der Art 
abgeschwächt, daß die Tuberkulinreaktion 
beim tuberkulösen Versuchstier weniger 
stürmisch, als mit reinem Tuberkulin, ein- 
Sauerbruch (Hakenschnitt 33°/, Erfolge). | setzt, aber länger andauert. Werden die 
Es kommt alles, wie auch J. betont, auf | Stoffe dem Körper des Versuchstieres ein- 
den Operateur an. (J. entfernt I1 SPR ; verleibt, so werden bei Einspritzung in 
in 20 Minuten!) | die Blutbahn durch Methylenblau die 

Plomben hat Jessen selbst 10 ge- | weißen Blutzellen angegriffen und ver- 


BD, 25, HEFT 1, 
1915. 


ändert, durch Cu dagegen die roten Blut- 
körperchen unter Bildung von Kupfer- 
‚„hämol; bei anderen Anwendungsarten 
zeigte es sich, daß die Stoffe besonders 
vom tuberkulösen Gewebe an sich ge- 
zogen und aufgespeichert werden. Verf. 
erörtert dann eingehend die Giftigkeit des 
Cu für den lebenden Körper und zieht 
aus ihren Untersuchungen — im Gegen- 
satz zu anderen Forschern — den Schluß, 
daß die Giftigkeit des Cu für den Tu- 
berkelbazillus bedeutend größer, als für 
den Wirtskörper ist. Es gibt zudem wohl 
eine akute Kupfervergiftung durch zu 
große oder durch zu rasch hintereinander 
gegebene relativ hohe Gaben, aber keine 
chronische, wie etwa bei der Bleivergif- 
tung. Die Hauptstätten für die Ablage- 
rung des Cu im Körper sind Leber, 
Darm, Gehirn sowie auch die tuberkulöse 
Lunge (im Gegensatz zum gesunden Lun- 
‚gengewebe, das nur wenig Cu aufspeichert). 
Die verschiedenen Einverleibungswege 
ließen in bezug auf die Kupferaufnahme 
in den Meerschweinchenkörper folgende 
Unterschiede erkennen: die größte Auf- 
speicherung gelingt bei Einreibung in die 
äußere Haut, die geringste dagegen, so- 
wie die schnellste Ausscheidung findet 
bei innerlichem Gebrauch statt, am läng- 
sten im Körper bleiben die unter die 
Haut zugeführten Mengen und am besten 
im Körper verteilt ist das Cu bei Ein- 
führung in die Blutbahn. 

Es folgt nunmehr der so wichtige 
experimentelle Teil über die Heilwirkung 
der Stoffe beim Versuchstiere. Er ist 
leider gegenüber dem voraufgegangenen, 
mehr pharmakotoxischen Teile etwas dürf- 
tig ausgefallen. Verf. teilt nur eine Serie 
mit, bei der je 6 Tiere (Meerschweine) 
mit verschiedenen Kupfermitteln perkutan 
(an der Bauchhaut) mit und ohne gleich- 
zeitige subkutane Anwendung von Jod- 
methylenblau behandelt wurden. Sämt- 
-liche Tiere gingen an Tuberkulose ein, 
-jedoch zeigten die Behandelten gegenüber 
. den Kontrollen größere Gewichtszunahmen, 
zum Teil ziemlich beträchtliche Lebens- 
verlängerung, geringere Fieberbewegungen, 
- Neigung zu Bindegewebsbildung in den 
tuberkulösen Herden und geringere Aus- 
dehnung der letzteren in den Organen, 


endlich traten die klinischen Krankheits- 


Zeitschr. f. Tuberkulose. 26. 


REFERATE. 65 


zeichen viel später auf, als bei den Kon- 
trollen. Aus ihren Ergebnissen zieht Verf. 
den Schluß, „daß durch Einreiben von 
Cu-Salben in die äußere Haut eine gün- 
stige Beeinflussung des Verlaufes der 
durch Impfung. erzielten Miliartuberkulose 
beim Meerschwein erreicht werden kann.“ 

Soweit die eigenen Versuche v. Lin- 


dens; mit den gegenteiligen Ergebnissen 


anderer Autoren, wie Kaiser, Moewes 
und Jauer, insbesondere aber der ame- 
kanischen (siehe R. Lewin, diese Ztschr. 
Bd. 23, S.466), findet bedauerlicherweise 
eine Äuseinandersetzung nicht statt. So 
stehen Ergebnisse gegen Ergebnisse, und 
eine völlige Klärung dieser Streitfrage hat 
daher auch die vorliegende Arbeit noch 
nicht gebracht. C. Servaes. 


VI. Kasuistik. 


Th. Janssen, leitender Arzt im Sanato- 
rium Beau-Site in Davos-Dorf: Über 
einen eigenartigen Selbstmord- 
versuch mit Tuberkulin (Dtsch. 
med. Wchschr. 1915, Nr. 30, S. 880g.) 

‚Eine weibliche Tuberkulöse hatte im 

Kummer über ihre Erkrankung 2 ccm eines 

Tuberkulinpräparates sich eingespritzt. Die 

Folge war ein Zustand der Somnolenz mit 

hohem Fieber und schwerer Schädigung 

der Herztätigkeit. Nach 3 Wochen Ab- 
fieberung, auffallend gute Besserung des 

Lungenbefundes. Kein Dauerschade. Verf. 

glaubt den Fall dazu angetan, die stellen- 

weise noch vorhandene Angst vor Gefahren 
einer Tuberkulinbehandlung überhaupt 
zu vermindern. Dem muß entschieden 
widersprochen werden. Abgesehen da- 
von, daß über die verwendete Tuberku- 
lindose nichts bekannt gegeben wird, 
kann ein einzelner solcher Fall, der „noch 
einmal gut gegangen“ ist, in keiner Weise 
verallgemeinert werden, da die Giftwir- 
kung des Tuberkulins doch eine relative, 

im Einzelfall verschiedene ist. 

H. Grau (Heilstätte Rheinland-Fonnef). 


G. D. Culver: An instance of pulmo- 
nary syphilis closely simulating 
tuberculosis. (Journ. of Amer. Med. 

- Assoc. 1915, Vol. LXIV, No. 4, p. 335.) 


5 


66 


— = e mm eree 


Es handelt sich um einen Fall, wel- 
cher monatelang als Lungentuberkulose 
behandelt wurde. Andauernder Husten, 
reichliche Sputummenge, kleine Hämo- 
ptoen, triefende Nachtschweiße und auf- 
fallende Gewichtsabnahme. Bazillen wur- 
den niemals gefunden. 

Im letzten Jahre entwickelten sich 
kleine Gummata der Haut und syphili- 
tische Zeichen im Munde. Lungenbefund 
glich einem infiltrierenden Prozeß beider 
Lungenspitzen. 

Der Fall wurde für eine Mischinfek- 
tion gehalten. Alle Zeichen und Sym- 
ptome der Tuberkulose aber verschwan- 
den nach einer Syphilisbehandlung voll- 
ständig. | 

Patient infizierte sich vor 16 Jahren 
mit Syphilis. 

Soper (Saranac Lake, N. Y.). 


B. Tuberkulose anderer Organe. 


I. Hauttuberkulose und Lupus. 
A.Strauß: Die Behandlung des Lupus 
mit Kupferlezithinverbindungen 
(Lekutyl). Mit 20 Abbild. (Tuber- 
culosis 1915, Vol. 14, No. 7, S. 193). 
Zusammenfassung früherer und fol- 
gender Mitteilungen des Verf.s über das- 
selbe Thema. 


A.Strauß-Lupusheilanstalt Barmen: Sieb- 
zehn weitere mit Lekutyl behan- 
delte Fälle von Lupus. (Beiträge 
zur Klin. d. Tub. 1915, Bd. 34, Heft 1, 
S.105—ı1o mit 9 Tafeln.) 

Die von Strauß mitgeteilten, mit Le- 
kutyl behandelten Lupusfälle, insbeson- 
dere auch die angefügten Abbildungen 
zeigen, auch im kosmetischen Sinne, schöne 
Heilungen. Aber immerhin können auch 
sie als ein vollgültiger Beweis für die 
Heilkraft des Cu nicht angesehen wer- 
den, insofern wir aus Arbeiten anderer 
Autoren wissen, daß Lekutyl, ähnlich wie 
Pyrogallus, ein zudem sehr schmerzhaftes 
Ätzmittel ist. Daß es in seiner Wirk- 
samkeit dem letzteren überlegen sein kann, 
zeigt einer der Straußschen Fälle. 


REFERATE. 


Zu- | Höhe der Zeit stehenden Krankenhause 


ZEITSCHR. f. 
TUBERKULOSE 


dem gibt Strauß selbst zu, daß das Cu, 
wenn es nicht örtlich angewandt wird, 
unwirksam oder doch wenigstens nicht. 
ausreichend wirksam ist. Es darf auch 
nicht vergessen werden, daß zahlreiche 
andere deutsche und amerikanische Ärzte 
nach innerlicher Darreichung des Cu, die 
doch schließlich allein den Streit um die 
Heilkraft des Cu im bejahenden Sinne 
entscheiden könnte, sowohl bei inneren 
wie bei äußeren Tuberkulosen keine Er- 
folge hatten. Eine Literaturbesprechung 
findet nicht statt. C. Servaes. 


A. Strauß: Weitere mit Lekutyl be- 
handelte Fälle von äußerer Tu- 
berkulose. (Strahlentherapie, 1915, 
Bd. VI, S.475.) 

Der Verf. teilt eine Anzahl Fälle 
von äußerer Tuberkulose mit, die, mit 
Lekutyl behandelt, recht günstig verliefen. 
Beigegebene Abbildungen zeigen anschau- 
lich den Erfolg. In der Regel genügen 
zwei Verbände wöchentlich, Die Be- 
handlung mit der Salbe muß bis zur 
vollständigen Vernarbung durchgeführt 
werden. Sobald Schmerzen auftreten, 
bekämpfe man dieselben durch Morphium. 
Rückfälle sind in gleicher Weise mit der 
Lekutylsalbe zu behandeln. Bei chirur- 
gischer Tuberkulose ist dieselbe an oder 
in die Herde zu bringen; die Schleim- 
hauttuberkulose der Nase ist durch Tam- 
ponade zu bekämpfen. Bei endogener 
Natur der äußeren Tuberkulose sind mehr- 
fach zu wiederholende Kuren mit Leku- 
tylpillen zu empfehlen. 

Peyser (Harburg). 


A. Strauß: Die neue Lupusheilan- 
stalt in den städtischen Kranken- 
anstalten in Barmen. (Strahlen- 
therapie, 1915, Bd. VI, S.481.) 

Beschreibung der Lupusheilanstalt, 
die dem Verf. unterstellt worden ist und 
in der die Kranken der Lekutylbehand- 
lung unterzogen werden sollen. Von der 

Aufstellung eines Finsenapparates ist Ab- 

stand genommen. Eine „künstliche Höhen- 

sonne“ soll zur allgemeinen Behandlung 
bei endogen entstandener äußerer Tuber- 
kulose herangezogen werden. Der Verf. 
spricht die Hoffnung aus, in dem auf der 


BD.%, HEFT 1. 
1916. 


das Rüstzeug zu haben, um mit seiner 
Behandlungsmethode die äußere Tuber- 
kulose einer schnelleren und weniger 
kostspieligen Heilung zuführen zu können, 
so daß die Methode einen therapeutischen 
und sozialen Fortschritt bedeutet. 
Peyser (Harburg). 


Thedering- Oldenburg: Über Helio- 
therapie im Tieflande, nebst Be- 
merkungen über den neueren 
Stand der Lupustherapie. (Strah- 
lentherapie, 1915, Bd. VI, S. 466.) 

Der Verf. ist nach seinen Erfah- 
rungen zu der Überzeugung gelangt, daß 
auch mit der uns in der Ebene des nord- 
deutschen Tieflandes zur Verfügung ste- 
henden Sonne die wertvollsten Heilerfolge 
bei Lupus skrofuloderma, Knochentuber- 
kulose, skrofulösen Ekzemen erzielt wer- 
den können. Die allgemeine Besonnung 
hat im Winter in geeigneten Solarien zu 
erfolgen. Dieselbe unterstützt wirksam 
die lokale Besonnung. Die Kupfersalben 
zieht er dem Pyrogallol vor, weil keloid- 
artige Narben vermieden, und weiche blut- 
reiche Narben, wie sie durch Kupfer er- 
zeugt werden, besser auf Bestrahlungen 
reagieren; ferner darin eingesprengte Re- 
zidivknötchen leichter getroffen werden 
können. Schließlich sieht er in den durch 
dünne Aluminiumplatten gefilterten harten 

Röntgenstrahlen einen wertvollen Fort- 

schritt in der neueren Lupustherapie. 

Auch die Behandlung der lupösen Nasen- 

schleimhaut mittelst letztgenannter Strah- 


len und Tamponierung mit Sublimat- 


lösung führt zu Erfolgen, die denen des 
Radiums nahe stehen. Die Lupusbehand- 
lung pflegt nach folgender Methode vor 
sich zu gehen: Energische Weißlichtbe- 
handlung mittelst Quarzlampe, Applika- 
tionen der Kupfersalbe in den folgenden 
Tagen, zugleich eine starke Dosis harter 
gefilterter Röntgenstrahlen. Über Tag 
wird der Verband abgenommen und der 
Lupusherd besonnt, entweder nur örtlich, 
besser jedoch mit gleichzeitiger Beson- 
nung des ganzen Körpers. Im Winter 
und in dunklen Tagen wird die Quarz- 
sonne zur Hilfe genommen. Zurück- 
bleibende Randinfiltrate erheischen Finsen-, 
event. Kupferbehandlung. 
Peyser (Harburg). 


REFERATE, 


67 


Thedering-Oldenburg: Erfahrungen mit 
der künstlichen Höhensonne und 
natürlicher Heliotherapie. (Strah- 
lentherapie, 1915, Bd. VI, S.65.) 

Die Möglichkeit einer Beeinflussung 
des Gesamtstoffwechsels durch totale Licht- 
bäder, ist als der wesentliche Vorzug der 
künstlichen Höhensonne vor der Quarz- 
lampe anzusehen. Durch ihren Gehalt 
an kurzwelligen Strahlen steht die künst- 
liche Höhensonne der natürlichen nahe 
und ist daher als willkommener Ersatz 
derselben zu begrüßen. In der Ebene 
werden die chemisch wirksamen Strahlen 
der Sonne durch den Staub und Wasser- 
dampfgehalt der Atmosphäre absorbiert 
und auch, wie der Verf. meint, durch 
das Chlorophyll der Pflanzenzelle. Schließ- 
lich steht die Sonne nicht immer zur 
Verfügung. 

Nach den Erfahrungen des Verf.s 
werden tuberkulöse Hautgeschwüre, sowie 
tuberkulöse und skrofulöse Allgemein- 
zustände durch die Einwirkung der künst- 
lichen Höhensonne teils geheilt, teils er- 
heblich gebessert. Die natürliche Helio- 
therapie zeigt eine gewaltige Überlegen- 
heit, doch müssen wir aus den angeführten 
Gründen für einen Ersatz des Sonnen- 
lichtes dankbar sein. 

Peyser (Harburg). 


ll. Tuberkulose der Knochen und 
Gelenke. 


Hackenbruch-Wiesbaden: Erfahrungen 
bei Behandlung chirurgischer 
Tuberkulosen mit Tuberkulin 
„Rosenbach“. (Dtsch. med. Wchschr. 
1915, Nr. 17, S.485.) 

Verf. hat bei der Behandlung von 

81 chirurgisch-tuberkulose Kranken durch- 

aus günstige Erfahrungen mit dem Tu- 

berkulin „Rosenbach“ gemacht. Bei der 

Dosierung richtete er sich nach den üb- 

lichen Vorschlägen: Beginn mit o,r Tu- 

berkulin und allmähliche Steigerung bis 
auf 1,0, in einzelnen Fällen bis auf 3g. 

Injektion möglichst in die Nähe des 

Krankheitsherdes. Bei den 8ı Fällen 

kam es bei 4 Patienten zum exitus, der 

nach Aussetzen der Behandlung unter 


5* 


68 


Allgemeinerscheinungen auftrat. Von be- 
sonderer Bedeutung scheint das T.R. als 
diagnostisches Mittel zur Erkennung ver- 
steckter Tuberkuloseformen zu sein. In 
Verbindung mit gleichzeitiger Verwendung 
der sonst üblichen Mittel (Hiyperämie, 
Licht, diätetischer und medikamentöser 
Behandlung) eignet sich das T.R. hervor- 
vorragend zu diagnostischer und thera- 
peutischer Anwendung bei chirurgischer 
Tuberkulose. 
C. Moewes (Berlin-Lichterfelde). 


Leonard W. Ely: Joint tuberculosis. 
(New York Medical Journal Vol. ror, 
17. April 1915.) 

Verf. erklärt, daß Traumen einen sehr 
geringen Einfluß auf die Entwicklung der 
Gelenktuberkulose üben. Ansteckende 
Krankheiten wie Masern, Keuchhusten, 
© Scharlach und Lungenentzündung verur- 
sachen wahrscheinlich einen chemischen 
Wechsel im Mark, der es für T.B. emp- 
fänglich macht. Die Krankheit fängt ent- 
weder in der Gelenkhaut oder im Kno- 
chenmark an. Bei Kindern erscheint das 
Leiden gewöhnlich zuerst im Mark, und 
zwar als ein Knötchen am Ende des 
Knochens. Verf. beschreibt die patho- 
logischen Erscheinungen. Die Röntgen- 
platte weist eine Verdünnung des Kno- 
chens und Knorpels auf, doch ist das 
Bild nicht charakteristisch, da man die- 
selbe Erscheinung bei Syphilis, Tripper 
und typhösem Fieber erhält. Nichtkom- 
plizierte Fälle der Gelenktuberkulose kom- 
men nur in zwei Geweben vor, nämlich 
in der Gelenkhaut und in Ilymphösem 
Knochenmark. Bei Operationen an tu- 
berkulösen Gelenken ist es unnötig, den 
ganzen Infektionsherd zu entfernen, falls 
vollständige Gelenksteifheit vorhanden ist; 
wenn diese eingetreten ist, verschwindet 
das Mark und die Gelenkhaut und wird 
durch Fasergewebe ersetzt. Die Basis 
aller therapeutischen Methoden ist: Ohne 
Funktion kein Mark und keine Gelenk- 
haut, ohne Mark und Gelenkhaut keine 
Tuberkulose. Fraser aus Edinburgh be- 
hauptet, daB Tuberkulose immer in der 
Schleimhaut anfängt, und daß die Bazillen 
sich nicht im roten Mark fortpflanzen 
können. Verf. und Jean Oliver haben 
jedoch durch Einspritzung von Bazillen 


REFERATE. 


a a 


ZEITSCHR. f. 
TUBERKULOSE 


in das rote Mark von Kaninchen nach 
wenigen Tagen Tuberkulose des Marks de- 
monstrieren können. Symptome: Schmerz, 
Funktionsstörung, Muskelkrampf, Muskel- 
schwund, manchmal Anschwellung mit 
oder ohne Exsudat und mehr oder we- 
niger Mißbildung. Klinisch ist es unmög- 
lich, eine absolute Diagnose zu stellen. 
Nur durch Tierversuche oder positive 
Untersuchungen des Gelenkgewebes kann 
eine zuverlässige Behandlungsmethode ge- 
funden werden. Behandlung: Hier ist 
die Meinungsverschiedenheit sehr groß. 
Verf.s Regel bei Kindern ist: Konserva- 
tive Behandlung, Funktionseinstellung des 
Gelenkes. Bei Erwachsenen sind konser- 
vative Methoden nicht zu lange anzu- 
wenden, dagegen soll man radikal vor- 
gehen, wenn man der Diagnose gewiß 
ist. Funktionseinstellung wird durch Re- 
sektion erzielt. Auch muß man gegen 
sekundäre Infektion Vorsichtsmaßregeln 
treffen. Ohne Infektion beschränkt sich 
die Krankheit auf Gelenkhaut und Mark, 
aber bei Eintritt von sekundärer Infek- 
tion breitet sie sich aus, und kann sich 
dann sogar in Geweben, die früher im- 
mun waren, erhalten. Daher die zweite 
Regel: Vorbeugung sekundärer Infektion; 
keine Drainage, kein Auskratzen und 
Packen, kein Offenlassen der Wunde nach 
der Resektion. Unter keinen Umständen 
sind alte Adhärenzen durch passive Be- 
wegungen der Gelenke zu trennen. Steife 
Gelenke müssen steif gelassen werden, 
andere müssen steif gemacht werden. 
. B. S. Horowicz (Neuyork). 


M. S. Henderson: Resection of the 
knee joint for tuberculosis. (Journ. 
of Amer. Med. Assoc. 1915, Vol. LXIV, 
No. 2, p. 140.) 

Der Vortrag behandelt die Resektion 
von 37 tuberkulösen Kniegelenken in der 
Mayoschen Klinik vor März 1913 bei 
Erwachsenen. 

Bei 32 Fällen ist eine funktionelle 
Heilung gelungen. Eine Operation, welche 
der Fergussonschen Operation ähnlich 
ist, wurde hier angewendet. 

Es folgt eine Diskussion dieses The- 
mas seitens einiger der hervorragendsten 
amerikanischen Orthopäden. 

Soper (Saranac Lake, N. Y.). 


BD, 25, HEFT 1. 


1916. 


J.W.Sever and E. W. Fiske: The pro- 
gnosis and treatment of tuber- 
culosis of the knee in childhood. 
(Journ. of Amer. Med. Assoc. 1915, 
VoL LXIV, No. 17, April 24, p. 1387.) 

Verff. berichten über 251 Fälle von 
Knietuberkulose im Kindesalter, welche 
im Childrens Hospital in Boston in den 
Jahren 1880— 1910 behandelt wurden. 

= Es wurden 120 Fälle operiert, 131 
nicht operiert. Nach Erfahrungen der 

Verff. sollte man möglichst lange die Ope- 

ration vermeiden und dem Gelenke mög- 

lichst viel Ruhe geben. 

Die durchschnittliche Dauer der nicht 
operativen Behandlung betrug ca. 2!/, bis 
5 Monate: die der operierten Fälle ca. 6 
bis 9 Monate. l 

Im allgemeinen kann man mit der 
heutigen konservativen Behandlung eine 
günstige Prognose in ?/, dieser im Kindes- 
alter vorkommenden Fälle von Knie- 
tuberkulose stellen. 

Soper (Saranac Lake, N.Y.). 


Artault de Vevey: Les cures de soleil. 
— Sonnenlichtbehandlung von 
chirurgischen Tuberkulosefällen. 
(C. R. Acad. Sciences, Paris, 28 juin 
1915, No. 26.) 

Seit 12 Jahren hat sich Verf. in 
Hunderten von Fällen der Heliotherapie 
mit Erfolg bedient und zieht sie allen 
anderen Behandlungsweisen vor bei Ade- 
nitis, Arthritis, Orchitis, Peritonitis, Ostei- 
tis, Pottschem Übel, Laryngitis usw. Als 
erster habe er sie angewandt bei Metritis, 
Salpingitis und Krebs. Letzterer erführe 
immer tiefgreifende Veränderungen und 
ginge oft so weit zurück, daß er operativ 
entfernt werden könnte; ebenso behan- 
dele man erfolgreich Ekzeme, variköse Ul- 
zerationen und Wunden aller Art; die 
hartnäckigsten Formen von Pruritus ver- 
schwänden allgemein nach 2— 3 Sitzungen. 
Durch sein Verfahren werde eine viel 
energischere Wirkung erzielt und die Ex- 
positionsdauer dementsprechend abgekürzt. 
Er verwende mächtige Linsen mit je nach 
der Indikation verschiedenfarbigen Schir- 
men; rot z. B. wirke stimulierend, blau 
gegen Kongestionen, gelb oder grün er- 
wärmend bzw. abkühlend. In jedem Fall 
erhalte er mit seinen verschiedenfarbigen 


REFERATE. 


69 


„Ieliotropen“ außerordentlich rasche Hei- 
lungen, selbst in der weniger günstigen 
Jahreszeit bei einer sehr geringen Zahl 
von Sitzungen; so brächte er z.B. eine 
Drüsengeschwulst von der Größe eines 
Eies in Io Sitzungen zu je !/, Stunde 
Expositionsdauer zum Verschwinden. Die 


‚Sitzungen könnten auch auf I—2 Monate 


verteilt sein, denn es sei zu bemerken, 
daß die kurative Wirkung auch: in den 
Zwischenräumen zwischen den einzelnen 
Sitzungen weiterginge. Sein Verfahren 
habe den ungeheueren Vorteil,. zahlreiche 
Affektiönen zu heilen, welche sonst der 
chirurgischen oder der medizinischen Be- 
handlung unterlägen. Außerdem würde 
die Behandlungsdauer von Fällen, welche 
in Spezialstationen Jahre beanspruchte, 
abgekürzt. Seine Behandlungsweise könne 
von jedem Arzt bei jedem Patienten mit 
den geringsten Kosten ausgeführt werden. 
Die Sonnenlichtbehandlung brauche nicht 
eine monopolisierte Spezialität einzelner 
Anstalten zu bilden. L. Kathariner. 


Guy Hinsdale: Surgical tuberculosis 
and its treatment by heliothe- 
rapy. (Brit. Journ. of Tuberculosis, 
April 1915, Vol. IX, No. 2, p. 67.) 

Nichts Neues. Meißen (Essen). 


Il. Tuberkulose der anderen Organe. 

C. v. Hess-München: Tuberkulose des 
Auges. Aus dem Handbuch der Tuber- 
kulose, von Brauer, Schroeder und 
Blumenfeld. Leipzig 1915, Verlag 
von Johann Ambrosius Barth. Bd. 4,, 
S. 20 — 42. 

In dem groß angelegten fünfbändigen 
Handbuch der Tuberkulose behandelt 
v. Hess, der bekannte Münchener Oph- 
thalmologe, die Tuberkulose des Auges. 
Ohne jede Weitschweifigkeit, aber doch 
alles Wissenswerte umfassend, werden 
zunächst die tuberkulösen Erkrankungen 
des Uvealtraktus, der Iris, des Ziliarkörpers 
und der Choroidea, alsdann der Netzhaut 
und des Sehnerven, ferner der Hornhaut, 
der Sklera und der Bindehaut, und schließ- 
lich der Tränenwege und der Orbita ge- 
schildert. Es wird neben der Diagnose, 


70 


differentialdiagnostischen Hinweisen und 
der Therapie auch die pathologische Ana- 


tomie hinreichend berücksichtigt, und zu’ 


Fragen von prinzipieller Bedeutung nimmt 
Verf. neben der Würdigung der Anschau- 
ungen anderer auf Grund seiner reichen 
Erfahrungen persönlich Stellung; so dürfte 
besonders interessieren, daß Verf. bei der 
Besprechung des Wertes der Tuberkulin- 
behandlung der tuberkulösen Augen- 
erkrankungen sagt, er „habe im Verlaufe 
der letzten 12 Jahre an einer ziemlich 
großen Zahl von Fällen die Tuberkulin- 
behandlung in verschiedenen Modifika- 
tionen versucht, wäre aber nicht in der 
Lage, einen Fall aufzuweisen, bei dem 
er mit Sicherheit von einem günstigen 
Einfluse des Tuberkulins sprechen 
könnte“. Weiterhin dürfte größere, auch 
nichtspezialistische Kreise interessieren, 
daß die ätiologische Forschung ergeben 
hat, daß manche Erkrankungen des Auges 
eine tuberkulöse Ursache haben können, 
von denen man es bis vor nicht langer 
Zeit nicht annahm. Das gilt neben der 
tuberkulösen Iritis und Chorioiditis ins- 
besondere von der Keratitis parenchyma- 
tosa, die zwar meist ätiologisch mit Lues 
congenita zusammenhängt, aber zweifellos 
auch durch Tuberkulose hervorgerufen 
werden kann, und der primären Tuber- 
kulose des Tränensacks, die durchaus 
nicht so sehr selten ist. — Der Abhand- 
lung sind 13 instruktive Abbildungen und 
eine schöne farbige Tafel beigegeben. 
S. Bergel (Berlin-Wilmersdorf). 


Theodore Verriotis: Über die vom 
Ureterstumpf nach Nephrektomie 
wegen Tuberkulose ausgehenden 
Komplikationen und ihre Be- 
handlung. (Ztschr. f. Urologie 1915, 
Bd. IX, Heft7, S. 274.) 

Nierenausschneidungen wegen Tuber- 
kulose geben häufig Anlaß zu Folge- 
erkrankungen, die als Ausgangspunkt den 

Harnleiter der kranken entfernten Niere 

haben: Fisteln, Abszesse, Empyeme (die 

Pyonephrose vortäuschen können), Eiter- 

harn, mit und ohne Bazillenausscheidung. 

Die Fisteln gehen von den verschieden- 

sten Formen des tuberkulösen Harn- 

leiters aus, dabei besteht keine Über- 
einstimmung zwischen Schwere der Er- 


REFERATE, 


. ZEITSCHR. f, 
TUBERKULOSE 


krankung der Niere und des Harnleiters; 
eine wenig kranke Niere kann einen 
schwerkranken Harnleiter besitzen und 
eine sehr kranke Niere einen wenig oder 
gar nicht betroffenen Harnleiter. Man 
unterscheidet Fisteln, die nur mit der 
Wunde in Verbindung stehen und Fisteln, 
die mit Biase und Wunde in Verbindung 
stehen. Oft heilt die Wunde zuerst und 
bricht dann wieder auf infolge Rückflusses 
des Harns von der Blase durch den offen 
gebliebenen Harmnleiter, ein leicht erklär- 
barer Umstand durch die krampfhaften 
Zusammenziehungen der Blase bei weitem 
Harnleiter und eitrig zerstörtem Orificium 
vesicale ureteris. Pyureter und Abszesse 
kommen oft erst einige Zeit nach Hei- 
lung der Lendenwunde unter dem Bilde 
der Phlegmone der ganzen Gegend, meist 
mit hohem Fieber, zur Beobachtung; 
manchmal kommt stoßweiße eine Eiter- 
entleerung aus dem Abszeß oder durch 
die Blase, dann sieht man das Bild des 
Pyureter. Häufig findet man einen oder 
mehrere kalte Abszesse, die durch den 
Tuberkelbazillus entstanden sind; kommt 
es zur Sekundärinfektion, so entsteht Fie- 
ber. In anderen Fällen bleibt nach der 
Nephrektomie dauernd trüber Urin, mit 
oder ohne Bazillen, oder der Harn wird 
nach kurzer Klärung wieder trüb; auch 
hier ist, wenn die andere Niere gesund 
befunden wird, meist der tuberkulöse 
Harnleiterstumpf die Ursache. Um diese 
Nachkrankheiten zu vermeiden, muß man 
den Harnleiter möglichst tief exzidieren, 
oder ihn an der Kreuzungsstelle der 
Beckengefäße loslösen und ihn mit der 
Niere herausziehen oder ihn durch einen 
langen Cauter verschorfen; doch sind 
auch hier ı0°/, Mißerfolge. Deshalb 
schlägt V. die laterale subperitoneale 
extracapuläre Nephrektomie mit 
Vernähung der Wunde und lum- 
bale unabhängige Drainage der 
Wundhöhle durch kleines rasch zu 
entfernendes Drain vor. 
Mankiewicz (Berlin). 


A. Strauß: Die Lekutylbehandlung 
der Tuberkulose. (Berl.klin. Wchschr. 
1915, Nr.41, S. 1070.) 

A. Strauß empfiehlt warm die Kup- 
ferbehandlung der Tuberkulose mit 


BD. 25, HEFT 1. 
"1915. 


Lekutyl(=zimtsaures Kupfer mit Lecithin 
bei ı!/,°/, Cu-Gehalt) und erteilt derselben 
eine chemotherapeutische Wirkung, eine 
spezifische Wirkung und bei langer Behand- 
lung eine dauernde Heilwirkung. Die 
Menge des intravenös eingeführen Heil- 
mittels genügt nicht zur Sättigung der ent- 
fernt liegenden Herde, besonders wenn 
dieselben, wie z.B. beim Lupus, noch in 
starkes Narbengewebe eingebettet sind, 
zumal die Kupferverbindungen in den 
Zellen des Blutes eine starke Bindung, 
vermehrt durch die örtliche Eiweißfällung, 
am Orte der Injektion erleiden; dazu 
kommt die Schmerzhaftigkeit der Injektion 
und die Neigung des Gewebes, an der 
Einspritzungsstelle nekrotisch zu werden. 
Deshalb ist Strauß zum milden Weg 
der inneren Darreichung des Kupfers 
und der Einreibung durch die Haut über- 
gegangen (die Dosen werden nicht ange- 
geben) und will geradezu unglaubliche 
Heilerfolge, sowohl in zwei Fällen von 
Urogenitaltuberkulose (einer von Weiß in 
der Münch. med. Wchschr. 1914, Nr. 28 
veröffentlicht) als in der Lupusbehand- 
lung erzielt haben. Wir hätten, wenn 
sich diese Resultate bestätigen und wieder- 
holen, das Heilmittel der Tuberku- 
lose für alle Arten der Erkrankung der 
Organe. Der Fall des seit 17 Jahren an 
Urogenitaltuberkulose leidenden Arztes ist 
noch nicht ganz geheilt, in siebenmonat- 
licher Behandlung (3mal tägl. 2 Pillen, 
1—2 g Salbe pro die, welcher Konzen- 
tration?) aber gebessert. 4 Fälle von star- 
ken Lupusfällen werden durch Bilder in 
ihrer Heilung gezeigt. Magen und Darm 
scheinen durch die Medikation nicht be- 
einflußt zu werden. Strauß tritt für eine 
chronisch intermittierende Behandlung ein, 
mit jahrelanger Kupferwirkung auf den 
Organismus. Ein cystoskopischer Befund 
ist bei dem Arzte nicht erhoben, man 
muß erst abwarten, ob die Besserung 
fortschreitet oder Rückfälle kommen; die 
Blasentuberkulose ist eine Erkrankung, 
bei der Remissionen und auch Heilungen 
spontan, wenn auch selten, vorkommen; 
bei den Lupusfällen erachte ich als hei- 
lende Wirkung die Ätzung, wenn der 
Verf. wünscht, die dektive Ätzung, diese 
kommt aber vielen anderen Chemikalien 
(Chlorzink, Pyrogallus usw.) auch dem 


REFERATE. 71 


gen 


Tuberkulin (durch Toxine) zu. Eine gute 

Dosis Skepsis muß man bei dem Lesen 

der Sraußschen Arbeit sich bewahren. 
Mankiewicz (Berlin). 


C. Tiertuberkulose. 


Zwick u. Zeller: Zur Frage der Um- 
wandlung von Säugetier- in Hüh- 


nertuberkelbazillen. (Arb. aus d. 
Kaiserl. Gesundheitsamt, Bd. XLVII, 
Nr. 4, 1914.) 


Veranlaßt durch die Versuche von 
O. Bang und von J. Bongert, denen 
zufolge es möglich ist, Hühner und Tau- 
ben mit Säugetier-T.B. erfolgreich zu in- 
fizieren und im Körper dieser Tiere eine 
Umwandlung der T.B. in solche mit den 
Merkmalen der Geflügel-T.B. herbeizu- 
führen, haben Zwick und Zeller im 
großen Maßstabe Kontrolluntersuchungen 
angestellt. 

Als Impfmaterial dienten Reinkul- 
turen von T.B., die aus Rind, Schwein, 
Pferd oder Mensch gezüchtet worden 
waren, und auch tuberkulöses Organ- 
material von Kaninchen und Meer- 
schweinchen, die mit Material von tuber- 
kulösen Tieren der genannten Arten ge- 
impft wurden. Das Impfmaterial wurde 
mit phys. NaCl-Lösung fein verrieben. 

I. Tel. Da O. Bang bei seinen 
Übertragungsversuchen Wert darauf legte, 
daß bei den Impfungen zwischen zwei 
Hühnerpassagen eine Kaninchenpassage 
eingeschaltet wurde, so fand dies in erster 
Linie bei den in verschiedener Weise 
ausgeführten Impfungen Berücksichtigung. 

Zu den Infektionsversuchen mit Rein- 
kulturen von Säugetier-T.B. wurden ins- 
gesamt 46 Hühner und 15 verschiedene 
T.B.-Stämme verwendet. Bei Io von 
diesen 46 geimpften Hühnern wurden 
durch die Sektion tuberkulöse Verände- 
rungen mit T.B.-Befund festgestellt. 

Zu Infektionsversuchen mit tuber- 
kulösem Organmaterial vom Rind und 
Pferd dienten 8 Hühner, — 2 intravenös, 
6 per os —, von denen keins nach dem 
Tode, der bei 4 Tieren zu früh eintrat, 
tuberkulöse Organveränderungen oder T.B. - 
in den Örganausstrichen aufwies. 


72 REFERATE. 


Zu Übertragungsversuchen mit tuber- 
kulösem Örganmaterial von Kaninchen 
wurden 42 Hühner verwendet. Die Imp- 
fung geschah: 


intravenös . bei 23 Hühnern 
intraperitoneal . „ IO ” 
intratracheal . . » 7 z 
peros . . . „ 2 


en ? „ 

Hiervon zeigten 5 Hühner tuberku- 
löse Veränderungen vorzugsweise in den 
Lungen, und bei 5 Hühnern wurden nur 
T.B. in den Örganausstrichen nachge- 
wiesen. 

Für die zweite Huhn-Passageimpfung 
dienten 9 Hühner, von denen nur 2 
tuberkulös wurden, jedoch infolge von 
Hühner-T.B, wie Verf. annehmen. 

14 Hühner wurden mit tuberkulösem 
Material, das zunächst Huhn oder Taube, 
dann Kaninchen passiert hatte, geimpft, 
und zwar ı2 Hühner intravenös und je 
Iı Huhn intratracheal und intraperitoneal. 
Tuberkulöse Veränderungen in verschie- 
dener Ausbreitung wurden bei 5 Hühnern 
festgestellt, darunter bei 2 Hühnern ohne 
T.B.-Befund. Für die übrigen 3 Hühner 
wird eine spontane Infektion mit Ge- 
flügel-T.B. angenommen. 

Eine weitere Serie von 7 Hühnern 
wurde teils mit Kultur-, teils mit Organ- 
ınaterial nach vorheriger Kaninchen-Huhn- 
oder Kaninchen-Taubenpassage infiziert. 
Es wurden nur 2 Hühner tuberkulös, 
weil die Mehrzahl der Hühner vorzeitig 
starb. 

Nach vorausgegangener Kaninchen- 
Huhn-Kaninchenpassage oder Kaninchen- 
Taube-Kaninchenpassage wurden 14 Hüh- 
ner mit Örganverreibung und ı Huhn 
mit Kultur ıntravenös, intratracheal oder 
intraperitoneal geimpft. 3 Hühner wur- 
den verschiedengradig tuberkulös, 12 
Hühner waren makroskopisch frei von 
Tuberkulose; bei 2 von letzteren wurden 
mikroskopisch T.B. in Lunge, Leber und 
auch bei I in der Milz nachgewiesen. 
Bei einem intraperitoneal geimpften Huhn 
mit Tuberkulose der Lunge, Leber, Milz 
wurde eine interkurrente Infektion mit 
Hühner-T.B. angenommen, weil der rein 
gezüchtete Kulturstamm ein Wachstum 
in Form eines weichen, schmierigen Be- 
lages zeigte und auch Hühner per os in- 
fizierte, obwohl andererseits subkutan ge- 


ZEITSCHR., f. 
TUBERKULOSE 


impfte Meerschweinchen eine generali- 
sierte Tuberkulose akquirierten. 

Bei der letzten zur Nachprüfung 
der Bangschen Versuche angesetzten 
Serie von 6 Hühnern wurden 3 Hühner 
intravenös und 3 Hühner per os mit 
Kultur- bzw. Organmaterial nach voraus- 
gegangener Huhn-Kaninchen-Huhnpassage 
infiziert. Alle 6 Hühner wurden tuber- 
kulös, nach Ansicht der Versuchsansteller 
durch interkurrente Geflügel-T.B.-Infektion. 

Zu den Passageimpfungen mit 
tuberkulösem Material von Haus- 
säugetieren in obiger Variation wurden 
insgesamt 147 Hühner verwendet, von 
denen 28 verschiedengradig tuber- 
kulös sich zeigten. Bei 13 scheinbar 
nicht tuberkulösen Hühnern wurden bei 
Iy mikroskopisch und bei 2 durch den 
Tierversuch T.B. nachgewiesen. 

Verff. folgern aus vorstehenden Ver- 
suchen, daß es ihnen unter Einhaltung 
der von O. Bang angegebenen Versuchs- 
bedingungen nicht gelungen sei, eine Um- 
wandlung von Säugetier-T.B. in Hühner- 
T.B. herbeizuführen. 

Der II. Teil der Arbeit hat die Nach- 
prüfung der von J. Bongert zur Infek- 
tion von Hühnern und Tauben mit Rin- 
der-T.B. und Anpassung letzterer an den 
Vogelorganismus empfohlenen intralaryn- 
gealen Impfung zum Gegenstand. Bon- 
gert empfahl letztere Infektionsart, von 
der Annahme ausgehend, daß auch beim 
Geflügel die Lungen für die Entwicklung 
des tuberkulösen Prozesses besonders dis- 
poniert seien. Die Infektionsdosis betrug 
0,005—0,01 g Rinder-T.B.-Kultur, die 
mit 0,5—0,75 ccm sterilem Wasser zu 
einer feinen Emulsion verrieben wurde. 

Mit tuberkulösem Organmaterial und 
zwar mit erbsengroßen Organstücken, die 
mit ster. phys. NaCl-Lösung zu einer feinen 
Emulsion verrieben wurden, wurden 13 
Hühner und 82 Tauben geimpft. Das 
Material stammte von Meerschweinchen 
und Kaninchen, die mit tuberkulösen 
Organteilen vom Rind, Pferd, Mensch 
und Schwein geimpft worden waren, 

Von den ı3 Hühnern wurden 5 
tuberkulös — ı Huhn Tuberkulose 
der Lungen, 4 Hühner Tuberkulose an 
der impfstelle. 

Von den 82 Tauben zeigten 38 


BD, 25, HEFT 1. 
1916. 


Lungentuberkulose verschiedenen Gra- | 


des und 5 Tuberkulose lediglich an der 
Impfstelle. 

Die intralaryngeale Infektion 
mit T.B.-Reinkulturen, die vom Rind, 
Mensch und Pferd stammten, wurde bei 
ıı Hühnern und 64 Tauben ausge- 
führt. Bei 18 Tieren wurde 14 Tage 
nach der ersten Impfung dieselbe Kultur- 
menge, meist 0,01 g, nochmals in feinster 
Emulsion intratracheal eingespritzt. Bei 
der Tötung, die frühestens 3 Monate 
nach der Impfung erfolgte, zeigten 3 
Hühner und 5ı Tauben Tuberku- 
lose der Lungen. 

Von den 170 insgesamt intratracheal 
mit Säugetier-T.B. infizierten Tieren wiesen 
93 Lungentuberkulose und 9 ledig- 
lich Tuberkulose der Impfstelle auf. 
In den tuberkulösen Lungenherden fan- 
den sich stets T.B. in großer Anzahl. 
In 20 Fällen gelang die Gewinnung einer 
Reinkultur. Von den 20 T.B.-Reinkul- 
turen, von denen 14 vom Rinde und 
6 vom Pferde stammten, wuchsen 19 
streng im Sinne des Originalstam- 
mes, und nur eine zeigte ein grauweißes, 
glänzendes, schmieriges Wachstum wie 
Geflügel-T.B. Für diesen Fall nehmen 
Verff. an, daß die betreffende Taube vor 
der Impfung mit Geflügel-T.B. infiziert war. 

Auch bezüglich der Versuchsanord- 
nung von Bongert glauben Verff. durch 
ihre Versuche bewiesen zu haben, daß 
eine Umwandiung von Rinder-T.B. in 
solche des Geflügeltypus nicht gelingt. 

Ref. behält sich vor, gelegentlich der 
vollständigen Publikation seiner Versuchs- 
reihen auf vorliegende Arbeit zurückzu- 
kommen. Vor allen Dingen sei hier zu- 
nächst einmal hervorgehoben, daß ent- 
gegen der bisher im Kaiserl. Gesundheitsamt 
vertretenen Ansicht der Nichtübertragbar- 
keit der Säugetiertuberkulose auf Geflügel 
(vgl. Tub.-Arbeiten a. d. Kaiserl. Gesund- 
heitsamt, Heft ı, Hühnertuberkulose) eine 
solche doch möglich ist, wie auch obige 
Untersuchungsergebnisse der Verff. ein- 
wandfrei beweisen. Bongert (Berlin). 


C. Titze u. Lindner: Das Vorkommen 
von Tuberkelbazillen indennicht- 
tuberkulösen Atmungswegen des 
Rindes 


mit dem Nebenbefunde, 


_ REFERATE. 73 


von Kapselkokken. (Arb. a. d. 
Kaiserl. , Gesundheitsamt, 1914, Bd. 
XLVII, Heft 3, S. 478.) 

Für die Durchführung des Oster- 
tagschen Verfahrens zur Bekämpfung der 
Rindertuberkulose hat die bakteriologische 
Untersuchung des aus der Luftröhre und 
den großen Bronchien nach der Methode 
von Scharr und Opalka entnommenen 
Lungenschleimes zur Feststellung der 
offenen Lungentuberkulose eine große, prak- 
tische Bedeutung erlangt. Es lag nun die 
Frage nahe, ob T.B., die von einem tuber- 
kukulösen Nachbartier ausgehustet werden 
und in die Atmungswege eines tuber- 
kulosefreien Rindes gelangen, bei. der 
bald darauf erfolgenden Entnahme des 
Bronchialschleimes zu einer Fehldiagnose 
und demzufolge zu unnötiger Abschlach- ' 
tung Veranlassung geben können. 

Die Entnahme von Lungenschleim 
nach obiger Methode geschieht in der 
Weise, daß eine genügend weite, lanzett- 
förmig geschliffene Kanüle durch die 
Haut und die darunter liegenden Ge- 
webeteile bis in das Lumen der Luftröhre 
hineingestoßen und nach dem Heraus- 
ziehen des Stiletts ein an einem Stahl- 
draht befestigter Wattebausch durch die 
Kanüle bis zu ı!/,m Länge in die Luft- 
röhre und die Bronchien eingeführt und 
nach mehrmaligem Hin- und Herführen 
wieder herausgezogen wird. Der an dem 
Wattebausch haftende Schleim wird dann 
mikroskopisch und durch Verimpfung auf 
Meerschweinchen auf das Vorhandensein 
von T.B. untersucht. 

Zur Klärung obiger Frage haben 
Verf. bei 5r Rindern, die einen voll- 
kommen gesunden Eindruck machten, 
und zwar bei ı5 Bullen, 20 Ochsen, 
ro Kühen, ı Färse und 5 Kälber un- 
mittelbar vor der Schlachtung und nach 
derselben den Lungenschleim nach der 
oben erwähnten Methode entnommen 
und auf T.B. untersucht. Von den 51 
Rindern wiesen ıg nach der Schlachtung 
tuberkulöse Veränderungen auf. Von 


| letzteren mußten 6 wegen tuberkulöser 


Veränderungen in dem Lungenparenchym 
ausscheiden. Es waren bei diesen 6 mit 
Lungentuberkulose behafteten Rindern 
nur bei 2 T.B. nachgewiesen worden. 
Zur Entscheidung der Hauptfrage, 


74 REFERATE. 


ob in tuberkulosefreien Atmungswegen von 
Rindern durch Untersuchung des Lungen- 
schleimes manchmal T.B. nachweisbar 
sind, blieben demnach 45 Fälle, in denen 
4mal T.B., darunter 3mal schon mikro- 
skopisch — allerdings nur je einen säure- 
festen Bazillus — nachgewiesen wurden. 

Für die Feststellung der anzeige- 
pflichtigen, klinisch vorgeschrittenen 
Lungentuberkulose des Rindes darf dem- 
nach der einmalige bakteriologische Nach- 
weis von spärlichen T.B. in dem Lungen- 
schleim allein nicht ausschlaggebend sein. 
Das Hauptgewicht ist auf den klinischen 
Untersuchungsbefund zu legen, der durch 
die bakteriologische Untersuchung zu er- 
gänzen ist. Werden durch letztere reich- 
lich T.B. in dem Untersuchungsmaterial 
nachgewiesen, so ist die Diagnose gesichert. 

Bongert (Berlin). 


Nieberle u. Claussen: Sind Organe 
auch dann unschädlich zu be- 
seitigen, wenn nur die zugehöri- 
gen Lymphdrüsen tuberkulöse 
Veränderungen aufweisen? (Ztschr. 
f. Fleisch- u. Milchhyg. 1914, Jahrg. 
XXIV, S. 87.) 

Die neueren Untersuchungen über 
den T.B.-Gehalt des Fleisches tuberku- 
löser Schlachttiere haben ergeben, daß 
die tuberkulöse Erkrankung eines Fleisch- 
lymphknotens zwar beweist, daß früher 
einmal T.B. das Wurzelgebiet des be- 
treffenden Lymphknotens passiert haben, 
nicht jedoch, daß im Fleisch infolge 
dieses Ereignisses T.B. oder tuberkulöse 
Veränderungen als dauernder Zustand 
zurückgeblieben sind. Die gegenteilige, 
dem § 35,4 der B.B.A. des Fleischbe- 
schaugesetzes zugrunde liegende Ansicht, 
daß ein Organ auch dann als tuber- 
kulös anzusehen ist, wenn nur die zu- 
gehörigen Lymphdrüsen tuberkulöse Ver- 
änderungen aufweisen, trifft für das Fleisch 
nicht zu, sondern hat nur Gültigkeit für 
die großen Parenchyme. Die Verff. haben 
nun Untersuchungen darüber angestellt, 
ob Tuberkulose der Organlymphdrüsen die 
generelle Vernichtung der zugehörigen 
Organparenchyme nötig macht. 

Die diesbezüglichen Untersuchungen 
haben Verfl. an Rinderlebern angestellt, 
wobei sie auf Grund praktischer Erfah- 


ZEITSCHR. f. 
EEE TUBERKULOSE 
rungen davon ausgingen, daß von den 
drei Infektionsmöglichkeiten der Portal- 
drüsen, Labmagen und Duodenum, Pfort- 
ader und großer Blutkreislauf, letzterer die 
Regel sei und somit tuberkulöse Verän- 
derungen in den. Lymphoglandulae he- 
paticae der Ausdruck einer generalisierten 
Tuberkulose wäre. Aus den mit an- 
scheinend isolierter Tuberkulose in den 
portalen Lymphdrüsen behafteten Rinder- 
lebern wurde unter sterilen Maßnahmen 
aus dem Inneren Preßsaft hergestellt und 
in der Menge von I—2ccm an min- 
destens 2 Meerschweinchen verimpft. 
Von 30 mit anscheinend isolierter 
Tuberkulose der Leberlymphdrüsen be- 
hafteten Lebern wurden durch die nach- 
trägliche, eingehende Untersuchung nach 
Zerlegung der Leber in dünne Scheiben 
in 5 Leben, d.i. ı6°/,, in der Tiefe 
des Parenchyms makroskopische Tuberkel 
nachgewiesen. Der Leberpreßsaft erwies 
sich nur in 2 Fällen T.B.-haltig. 
Beim Vorliegen von scheinbar iso- 


lierter Lymphdrüsentuberkulose enthielt 


somit die Leber in 23°/, tuberkulöse 
Herde oder T.B. Der Grundsatz, daß 
Organe auch dann unschädlich zu be- 
seitigen sind, wenn nur die zugehörigen 
Lymphdrüsen tuberkulös verändert sind, 
erscheint somit durch vorliegende Unter- 
suchungen voll und ganz berechtigt. 
Bongert (Berlin). 


G. Petit: Formes rares de tubercu- 
lose des centres nerveux chez les 
chien. (Rec. de med. veter. IgI4, 
Tome XCI, No.8, p. 168.) 

Verf. beobachtete bei einem mit ge- 
neralisierter Tuberkulose behafteten Hunde 
neben Tuberkulose der Pia mater in der 
charakteristischen Knötchenform eine be- 
sondere Art der Tuberkulose des Epen- 
dyms der Seitenventrikel. Die mit Ge- 
hirntuberkulose im Kindesalter verbundene 
Eiterung kommt nach den Feststellungen 
des Verf. bei Haustieren nicht vor. Im 
vorliegenden Falle war das die Corpora 
striata und die Ammonshörner bedeckende 
Ependym so stark mit tuberkulösen Gra- 
nulationen besetzt, daß diese Teile wie mit 
fein pulverisiertem Staub bedeckt erschie- 
nen. Außerdem bestand Hydrocephalus 
mit erheblicher Erweiterung der Seiten- 


| 
| 


BD, 25, HEFT 1. 
"Toıs, 


ventrikel, jedoch ohne Spur von: Eiter; 
die Ventrikelflüssigkeit war vollkommen klar. 

Histologisch waren die im Ependym 
gelegenen Tuberkel teils isoliert, teils 
konglomeriert und von einer stark ent- 
zündlichen Zone umgeben. Auffallend 
war an den stark T.B.-haltigen, epithe- 
lioiden Tuberkel der periphere Gefäß- 
reichtum und das gänzliche Fehlen von 
Riesenzellen. 

In einem zweiten Falle von Tuber- 
kulose bei einem Hunde, der infolge 
einer progressiven Paraplegie starb, die 
durch eine tuberkulöse Encephalo-Menin- 
gitis bedingt war, stellte Verf. als eigent- 
liche Ursache dieses akut verlaufenen 
Gehirnleidens eine walnußgroße, tuberku- 
löse Geschwulst fest, welche die Aorta 
umfaßte, diese durchwuchert und eine 
ulzeröse, tuberkulöse Endarteriitis erzeugt 
hatte. Außerdem bestand Tuberkulose 
der Nieren mit starkem T.B.-Gehalt des 
Urins, wodurch der anfangs unverdäch- 
tige Hund bezüglich der Tuberkulose- 
übertragung für seine Umgebung außer- 
ordentlich gefährlich wurde. 

Bei der histologischen Untersuchung 
des Zentralnervensystems, das außer der 
Tuberkulose der Pia mater makroskopisch 
nichts Abweichendes zeigte, fanden sich 
im Groß- und Kleinhirn sowie im Rücken- 
mark in großer Zahl frische, tuberkulöse 
Herde, die keine Spur von Verkäsung 
zeigten und einfache Epitheloidtuberkel 
ohne Riesenzellen darstellten, wie sie für 
die Hundetuberkulose nach den Beob- 
achtungen des Verf.s charakteristisch sind. 
An der Hand der Abbildungen von 
Schnittpräparaten sucht Verf. darzutun, 
daß die submiliaren Tuberkel durch Ka- 
pPillarembolie entstanden sind und die 
Epitheloidzellen aus den weißen Blut- 
körperchen sich gebildet haben. 

Bongert (Berlin) 


D. Berichte. 


Il. Über Tuberkuloseanstalten und 
Vereine. 


15. Jahresbericht des Posener Provinzial- 
vereins zur Bekämpfung der Tuberku- 


REFERATE. | 75 


lose als Volkskrankheit. Ostdeutsche 
Buchdruckerei, Posen 1915. 
Durch den Kriegsausbruch wurde | 


‘die Tuberkulosefürsorgetätigkeit in der 


Provinz Posen sehr in Mitleidenschaft 
gezogen, teilweise wurde sie eingeschränkt, 


teilweise aber auch gänzlich eingestellt. 


Sonst enthält der Bericht noch statistische 
Angaben und Rechnungsablegung. 
C. Servaes. 


A. Scherer: ro. Jahresbericht der 
Kronprinzessin Cecilie-Heilstätte 
bei Bromberg, zugleich 2. Jahres- 
bericht der Kinderheilstätte der 
Bertha Amalie-Stiftung. Ostdeut- 
sche Buchdruckerei, Posen IQIS. 

Der Weltkrieg brachte der Kron- 
prinzessin Cecilie-Heilstätte mancherlei 
Schwierigkeiten: in erster Linie eine starke 
Verminderung der Frequenz, die von 
ca. 200 auf 70—80 sank; da der volle 
Betrieb aber trotzdem aufrecht erhalten 
werden mußte, so steigerten sich natür- 
lich die Kosten für den einzelnen Kran- 
ken. Dazu kam die Einziehung des 
männlichen Personals und einiger Schwe- 
stern und beständiger Wechsel des neuen 
mit der üblen Folge, daß die Maschinen 
durch unzweckmäßige Behandlung un- 
brauchbar wurden und erst nach Monaten 
wieder in Ordnung gebracht werden 
konnten. Dann konnten zeitweilig die 
nötigen Betriebsstoffe (Benzin, Schmier- 
öl usw.) nicht beschafft werden. Und 
endlich noch die Lebensmittelteuerung! 
Trotzdem gelang es Sch., sein Schiffchen 
durch alle diese Fährnisse glücklich hin- _ 
durch zu steuern. Aus dem weiteren Be- 
richt ist dann noch Sch.s Urteil über das 
Friedmannsche Mittel bemerkenswert, 
das bei 19 Fällen (darunter 17 Lungen- 
tuberkulosen) angewendet wurde. Von 
den letzteren wurde nur ı Fall objektiv 
— nicht subjektiv! — gebessert (Ver- 
ringerung der Rasselgeräusche, Körper- 
gewichtszunahme, Entfieberung); 2 zeigten 
eine rasche Verschlechterung und 14 
blieben unbeeinflußt. Außerdem wurden 
noch 2 chirurgische Tuberkulosen durch 
das Mittel gebessert. Aus diesen seinen 
Erfahrungen zieht nun Sch. den Schluß, 
daß das Friedmannsche Mittel zwar 
ein Tuberkuloseheilmittel (? Ref.) sei, aber 


76 


kein ungefährliches. Und trotzdem hält 
er sich für berechtigt, die Forderung auf- 
zustellen, daß das Friedmannsche Mittel 
bei den hoffnungslosen Schwindsuchts- 
fällen nicht nur angewendet werden 
„dürfe“, sondern unter Umständen auch 
„müsse“ (!Ref.. Wieso das Friedmann- 
sche Mittel, das bisher, abgesehen vom 
Erfinder, so selten jemand einen Erfolg 
gebracht hat: — oder besser, gebracht 
haben soll —, das also selbst bei opti- 
mistischer Beurteilung nur über einen 
geringen Heilwert verfügt, gerade bei der- 
artigen verlorenen Fällen helfen soll, ist 
Ref. unerfindlich. Nach des Ref. eigenen 
Erfahrungen mit dem Friedmannschen 
Mittel würden derartige Fälle bestenfalls 
unbeeinflußt bleiben, wahrscheinlich aber 
infolge schwerer Allgemeinschädigung 
(durch die Simultan- und die intravenösen 
Einspritzungen) schnell zugrunde gehen. 
Zur Anwendung kam außerdem noch das 
in der Kronprinzessin Cecilie- Heilstätte 
„altbewährte‘“ Perlsuchttuberkulin und in 
geeigneten Fällen auch die Pneumothorax- 
behandlung, die allerdings bei Kriegs- 
ausbruch wegen der Schwierigkeiten bei 
der Nachbehandlung aufgegeben werden 
mußte. Zum Schlusse folgen dann die 
üblichen statistischen Mitteilungen. 
C. Servaes. 


E. Bücherbesprechungen. 


Ferdinand Schramm-Wien: Die Men- 
schenrechte der Tuberkulösen. 
Vortrag 3. Juni 1913, Kommissions- 
Verlag Joseph Dierl, Wien. 

Redner (die Schrift ist die Wieder- 


REFERATE, 


ZEITSCHR., f, 
TUBERKULOSE 


= m ħÁ 


gabe eines Vortrages in einer Versamm- 
lung der Hilfsgesellschaft vom blauen 
Stern) entwickelt die Notwendigkeit der 
Fürsorge für Tuberkulöse aller Grade. 
Seine Ausführungen gipfeln darin, daß die 
richtige Unterbringung der Lungenkranken 
die eigene Kolonie ist, in der sie selbst 
ihrer Genesung leben, ohne Gesunde zu 
schädigen. Mit dichterischer Phantasie 
wird eine derartige Kolonie geschildert. 
Wenn ich selbst dieses Bild als eine 
Utopie bezeichne, die Ausführung dieser 
reizend gemalten Anlage als unmöglich 
und daher ihre Dariegung vor einer grö- 
Beren Versammlung als zwecklos, ja prak- 
tischen Vorschlägen hinderlich, so glaube 
ich das um so mehr tun zu dürfen, als 
ich selbst schon mehrfach als Vertreter 
eines Koloniegedankens aufgetreten hin. 
Liebe (Waldhof Elgershausen). 


Hugo Bach-Bad Elster: Anleitung und 
Indikationen für Bestrahlungen 
mit der Quarzlampe Künstliche 
Höhensonne. Mit 5 Abbildungen im 
Text u. ı Tafel. II. ergänzte Auflage, 
Würzburg 1916, Verlag v. K. Kabitzsch. 

Die vorliegende II. Auflage der An- 
leitung ist vervollständigt durch ein Ver- 
zeichnis der jüngsten Literatur, das be- 
sonders die Arbeiten über die Verwendung 
der künstlichen Höhensonne bei Kriegs- 
verletzten umfaßt. Im übrigen ist der 

Text im wesentlichen unverändert. Das 

Heft wird für den weiteren Ausbau dieses 

neuen Verfahrens auf zahlreichen Gebieten 

anregend wirken. Hier sei noch einmal 
auf die Mitteilungen über Verwendung 
der Behandlungsart bei Tuberkulose hin- 
gewiesen. | 

H. Grau (Heilstätte Rheinland-Honnef). 


22.00 


‚26, HEFT 1. l 
E 7 | FRANZ TAUSK t 77 


Franz Tausk + 


Baan den ersten Tagen des November verschied nach langer, schwerer 
FAME Erkrankung Dr. Franz Tausk, Privatdozent der Budapester Univer- 
ERS sität, Herausgeber der Zeitschrift „Tuberkulosis“ und Generalsekretär 
des Sanatoriumsvereins für unbemittelte Lungenkranke. Er starb kaum 51 Jahre 
alt, ein Opfer seiner Berufstreue. Seit einem Jahrzehnt leidend, hätte er ge- 
rettet oder wenigstens noch ungezählte Jahre lebens- und arbeitsfähig erhalten 
bleiben können, wenn er sich die ihm so notwendige Schonung gegönnt hätte. 
Aber trotz seines schweren Halsleidens, das ihn schließlich vollständig stimmlos 
machte, „ordinierte“ er täglich stundenlang, besuchte er unermüdlich die zahl- 
losen Kranken in Stadt und Land, die ihn liebten und so dringend nach 
seinem Rat verlangten, das „Spital“ und die ungezählten Versammlungen und 
Gesellschaften, denen er in leitender Stellung oder als eifriges, werktätiges 
Mitglied angehörte. Um jede noch so kurze Erholung mußten seine Arzte 
einen schweren Kampf mit ihm kämpfen, und der Schluß war stets, daß der 
Patient lange vor der festgesetzten Zeit in Amt und Beruf zurückeilte, sein 
eigenes Leben für das Leben seiner Patienten in die Schanze schlagend. So 
verschlimmerte sich seine Krankheit von Jahr zu Jahr und nach qualvollen, 
tapfer getragenen Leiden ging er vor der Zeit dahin, ein lieber, treuer, warm- 
herziger Mensch, ein hingebender Arzt und hervorragender Organisator, der 
seine Warmherzigkeit und sein Organisationstalent ganz besonders in den Dienst 
der Tuberkulosebekämpfung gestellt hatte. 

Franz Tausk wurde am 7. August 1865 in Budapest geboren. Hier 
besuchte er Schule und Universität. 22 Jahre alt promovierte er an der Uni- 
versität in Budapest für innere Medizin. Von 1888 bis 1899 war er Assistent 
an der ersten medizinischen Universitäts-Klinik. Seine wissenschaftliche 
Arbeit galt den Erkrankungen des Herzens und der Lungen. Insbesondere 
die Lehre von der Tuberkulose dankt ihm manchen Beitrag. Auf diesem 
Gebiete betätigte er auch sein hervorragendes Organisationstalent, das ihn bei 
der Bekämpfung der Tuberkulose als Volkskrankheit im Königreich Ungarn 
an eine der ersten Stelle rückte. Durch die von ihm begründete Zeitschrift 
„Tuberkulosis“ und den Sanatoriumverein für unbemittelte Lungenkranke hat 
er viel Gutes gewirkt. | A. K. 


ZEITSCHR. f. 
IE en une N ERSCHIEDENES, __TUBERKULDSE 


VERSCHIEDENES. 


Das unter dem Protektorat Ihrer Majestät der Kaiserin stehende Deutsche 
Zentral-Komitee zur Bekämpfung der Tuberkulose, Berlin, konnte am 21. November 
auf ein 2o-jähriges Bestehen zurückblicken. Wenigstens fand am 21. November 
1895 unter dem Vorsitz des damaligen Reichskanzlers Fürsten Chlodwig zu Hohen- 
lohe-Schillingsfürst die Besprechung statt, in welcher der Beschluß gefaßt wurde, 
eine Zentralstelle der Tuberkulosebekämpfung für das Deutsche Reich in Berlin zu 
begründen. Diese trat bereits im Januar 1896 ins Leben. Von dem jeweiligen 
Staatssekretär des Innern geleitet, hat das Deutsche Zentral-Komitee in den ver- 
flossenen 20 Jahren die Bekämpfung der Tuberkulose nach den verschiedensten 
Richtungen hin angestrebt. Während anfangs als nächstliegende und notwendigste 
Aufgabe die Errichtung von Heilstätten für Erwachsene und Kinder, Walderholungs- 
stätten u. dgl. im Vordergrund stand (früherer Name: Deutsches Zentral-Komitee 
zur Errichtung von Heilstätten für Lungenkranke), hat man sich später der Be- 
gründung von Auskunfts- und Fürsorgestellen für Lungenkranke im besonderen Maße 
gewidmet. Daneben hat die Volksaufklärung über die Tuberkulose, die Sorge für die 
Besserung derWohnungs- und Lebensverhältnisse, die Unterbringung der Schwerkranken 
in geeigneten Krankenanstalten und Pflegeheimen stets besondere Beobachtung ge- 
funden. Der Bekämpfung des Lupus widmet sich eine besondere Kommission 
des Zentral-Komitees. Eine weitere Kommission arbeitet an der Bekämpfung der 
Tuberkulose im Mittelstand. Eine dritte betreibt den Ausbau des Auskunfts- 
und Fürsorgestellenwesens. Unter der Leitung und tätigen Mitarbeit von Männern 
wie Gerhardt, v. Leyden, B. Fraenkel, den Begründern und früheren Heraus- 
gebern der Zeitschrift für Tuberkulose, sowie v. Ziemssen, v. Leube, Kirchner u.a. 
hat das Zentral-Komitee zweifellos erfolgreiche Arbeit geleistet und im Einvernehmen 
mit zahlreichen Provinzial- und örtlichen Vereinen an der Hebung der Volksgesund- 
heit mitgewirkt. Aber auch der früheren Geschäftsführer, des jetzt als General- 
sekretär der Internationalen Tuberkulosevereinigung tätigen Pannwitz und des 
früheren Mitredakteurs dieser Zeitschrift, Nietners, welcher die Geschäfte des 
Zentral-Komitees Io Jahre lang mit warmer Flingebung für die Sache und un- 
ermüdlicher Schaffensfreudigkeit bis zu seinem Tode geführt hat, muß hier in 
dankbarer Anerkennung gedacht werden. 

Dem Zentral-Komitee werden zweifellos nach dem Kriege noch größere Auf- 
gaben als bisher erwachsen, zu deren Lösung es der Mitarbeit in der Praxis er- 
probter und um die Tuberkulosebekämpfung verdienter Männer bedarf. Mögen der 
Vereinigung in Zukunft wieder Männer wie Fraenkel und Leyden zur Seite 
stehen, die nicht nur im Geiste edler Menschenliebe und werktätiger Hilfsbereit- 
schaft, sondern auch mit vollem Verständnis für die große Sache ihre Kräfte in den 
Dienst der Tuberkulosebekämpfung stellen. Mit dieser Hoffnung verbinden wir den 
Wunsch, daß dem Deutschen Zentral-Komitee auch im 3. Jahrzehnt seines Be- 
stehens unter der Leitung seines jetzigen arbeitsfreudigen Geschäftsführers eine 
weitere ersprießliche und gedeihliche Tätigkeit beschieden sein möge. D. Red. 


Ortsausschuß Berlin zur Bekämpfung der Tuberkulose im Mittelstande. 
Wie schon in Band 24, Heft 3, Seite 239—240 mitgeteilt, ist die Mittelstandsfür- 
sorge bereits seit über Io Jahren von dem Zentral-Komitee der Auskunfts- und 
Fürsorgestellen für Lungenkranke, Alkoholkranke und Krebskranke betrieben. Um 
aber die beteiligten Kreise besser erfassen und versorgen zu können, hat man es 
für zweckmäßig erachtet, einen besonderen Ortsausschuß zur Bekämpfung der Tuber- 
kulose im Mittelstande, wie in anderen Städten, so auch in Berlin zu gründen. Der 
Vorsitz ruht wie bei den übrigen Fürsorgestellen auch für den Ortsausschuß in der 


‚%, HEFT 1. l 
sh, VERSCHIEDENES. 79 


Hand des Geheimrats Pütter, mit dem Deputierte der Handelskammer, der Hand- 
werkskammer, des Berliner Lehrervereins, des Beamtenvereins, sowie einige Mit- 
glieder des Zentral-Komitees der Fürsorgestellen den — zunächst provisorischen — 
Vorstand bilden. Man hat beschlossen, während des Krieges von der Einberufung 
großer Versammlungen des Mittelstandes, dessen meiste Angehörige im Kriege sind, 
Abstand zu nehmen. Beitrittserklärungen sind an Geheimrat Pütter, Berlin NW 6, 
Kgl. Charite, zu richten. 


Ob Tuberkulose ein Anfechtungsgrund für die Ehe sei, darüber wurde im 
vorigen Band dieser Zeitschrift S. 230 eine höchstrichterliche Entscheidung bei- 
gebracht. Ein weiteres Urteil des IV. Zivilsenats des Reichsgerichts vom 5. No- 
vember 1914 spricht sich über dieselbe Frage folgendermaßen aus. Zur Begrün- 
dung der Anfechtungsklage nach $ 1333 BGB. (Irrtum über die Person des anderen 
Ehegatten bei der Eheschließung) müsse in der Regel ein dauernd unheilbares 
Leiden nachgewiesen werden. Eine bloße Veranlagung zu einem solchen Leiden, 
die eine gewisse Besorgnis des künftigen Ausbruchs desselben begründet, sei an 
sich keine die Anfechtung der Ehe rechtfertigende Eigenschaft; nur wenn die Ver- 
anlagung mit Notwendigkeit zu einer unheilbaren Erkrankung führen muß, könne 
sie als Anfechtungsgrund in Betracht kommen. 


Über den Stand der Vorarbeiten zur Errichtung eines Tuberkuloseheims 
für erkrankte Krieger berichtete Dr. O. Rösch in der letzten Ausschußsitzung 
des Patriotischen Hilfsvereins vom Roten Kreuz für Niederösterreich. Die nied.- 
österr. Landeskommission zur Fürsorge für heimkehrende Krieger, von der die Idee 
zur Errichtung eines solchen Tuberkuloseheims ausgegangen war, hatte in Vorschlag 
gebracht, diese Heilstätte in Grimmenstein zu errichten. Infolge verschiedener 
Hindernisse mußte dieser Plan aufgegeben werden. Derzeit stehen mehrere andere 
Projekte in Beratung. Die eingeleitete Sammlung hat bisher über 300,000 K. 
als Ergebnis aufzuweisen, doch reicht dieser Betrag bei weitem nicht aus. Um 
möglichst rasch für die an Tuberkulose erkrankten Krieger eine neue Heilstätte zu 
schaffen, hat das Präsidium den Beschluß gefaßt, daß zunächst im Anschluß an das 
Sanatorium „Wienerwald“ in Pernitz ein Barackenbau für lungenkranke Soldaten er- 
richtet werde, dessen Kosten durch eine von Prof. H. Schlesinger eingeleitete 
Sammlung fast gedeckt sind. Die noch für den Bau und Betrieb erforderlichen 
Gelder wird der Patriotische Hilfsverein vom Roten Kreuz zur Verfügung stellen. 
Dr. Rösch gab ferner bekannt, daß die niederösterreichische Landeskommission zur 
Fürsorge für heimkehrende Krieger auf Grund eines vom Oberstadtphysikus Dr. Böhm 
erstatteten Referates an den Patriotischen Hilfsverein mit der Anregung herange- 
treten ist, die Errichtung von Beratungs- und Hilfsstellen für an Tuberkulose Er- 
krankte auf dem flachen Lande mit Hilfe der Zweigvereine in Erwägung zu ziehen. 
Schließlich teilte der Präsident mit, daß die Bundesleitung der Österreichischen Ge- 
sellschaft vom Roten Kreuz für das Tuberkuloseheim des Patriotischen Hilfsvereins 
eine Subvention von 50,000 K. zugesichert hat. 


Der Volksverein zur Bekämpfung der Tuberkulose in Tirol und Vorarl- 
berg hat ein Projekt ausgearbeitet, um auf der Palmschoß bei Brixen in soliden, 
auch den Winter über benutzbaren Holzbauten, welche für Leichtkranke und für 
Schwerkranke eingerichtet sein werden, Soldaten unterzubringen, welche infolge von 
Verletzungen oder Strapazen im Kriege die Höhen- und Sonnenkur benötigen. Dieses 
Projekt, welches vorläufig für 400 Kranke berechnet ist, wurde vom Ministerium 
des Innern genehmigt und es wurde von diesem Ministerium eine Subvention im 
Betrage von 90°/, der mit 950,000 K. veranschlagten Baukosten hierfür bewilligt. 
Damit erscheint die Ausführung eines großen Sanatoriums, welches nach Wegfall 
der kriegerischen Bedürfnisse eine wahre Volksheilstätte bilden wird, gesichert, und 


80 VERSCHIEDENES, o S 
es wird, sobald es die Verhältnisse gestatten, an den Bau geschritten werden, Die 


Straße ist im Rohbau bis auf die Palmschoß fertiggestellt, so daß in dieser Beziehung 
eine der wichtigsten Vorbedingungen, jene der Zufuhr, nahezu erfüllt erscheint. 


Personalien. 


Excellenz von Leube, Mitherausgeber der Zeitschrift für Tuberkulose, wurde 
von der Kaiserlich Leopoldinisch-Karolinischen Akademie der Naturforscher in Halle 
zum Vorstandsmitglied der Fachsektion für wissenschaftliche Medizin ernannt. 


Als Nachfolger des auf dem Felde der Ehre verstorbenen Dr. Schrader 
wurde Dr. E. Haeger zum Chefarzt der Volksheilstätte Loslau O.-S. ernannt. Der- 
selbe ist aus der Schule Schröders hervorgegangen, an dessen Schömberger- 
Anstalt er als Assistent von 1911—1013 tätig war. Sodann bekleidete Dr. Haeger 
die II. Arztstelle an Dr. Römplers Sanatorium in Görbersdorf. 


Stabsarzt Dr. Ernst Baumann, der durch seine Tuberkulosearbeiten bekannt 
geworden war, ist in einem Kriegslazarett in Polen am 3. Oktober dem Typhus 
erlegen. Baumann war mehrere Jahre zum hygienischen Institut in Halle komman- 
diert und veröffentlichte u. a. mit Carl Fraenkel wichtige Untersuchungen über 
die Infektiosität verschiedener Kulturen des Tuberkelbazillus. Ferner stellte er Immu- 
nisierungsversuche gegen Tuberkulose an und prüfte das Behringsche Konser- 
vierungsverfahren der Milch mittels Wasserstoffsuperoxyd nach. Zuletzt war Baumann 
im hygienischen Institut in Beuthen tätig, von wo er über Tierversuche mit den 
Bazillen des Friedmannschen Tuberkuloseheilmittels berichtete. 


Prof. Dr. Theodor Langhans, emeritierter Professor der pathologischen 
Anatomie und langjähriger Direktor des pathologischen Instituts in Bern ist am 
22. Oktober im Alter von 76 Jahren gestorben. Ein Schüler Henles, v. Reck- 
linghausens und Müllers habilitierte er sich 1868 in Marburg und wurde bald 
darauf als ordentlicher Professor nach Gießen berufen; seit 1872 wirkte er in 
‚gleicher Eigenschaft in Ben. Langhans Name wird ewig mit der Tuberkulose- 
forschung verknüpft bleiben, wenn andere neuzeitliche Entdecker und Forscher auf 
dem Gebiete der Tuberkulose schon längst der Vergessenheit anheimgefallen sind. 
Es gelang ihm, in den Tuberkelknötchen die nach ihm bekannten Riesenzellen auf- 
 zufinden, die besonders vor der Entdeckung des Tuberkelbazillus für die Diagnose 
der Tuberkulose von charakteristischer Bedeutung waren, aber auch jetzt noch nichts 
von ihrer Wichtigkeit eingebüßt haben, wie zahlreiche Arbeiten über tuberkulöse 
Riesenzellen gerade aus letzter Zeit dartun. | 


An unsere Mitarbeiter! 


Wir glauben, daß es ebenso im Interesse der Leser wie der Autoren selbst 
liegt, wenn am Schluß jeder Originalarbeit ihr Inhalt in einigen kurzen Sätzen noch- 
mals übersichtlich zusammengefaßt wird. Wir richten deshalb an unsere Mit- 
arbeiter die Bitte, jeder Originalarbeit eine kurze Zusammenfassung anzufügen. 


Die Redaktion. 


u 


Druck von Metzger & Wittig in Leipzig. 


Band 25. Heft 2. 


ZEITSCHRIFT FÜR TUBERKULOSE. 


l HERAUSGEGEBEN VON 
G. GAFFKY, M. KIRCHNER, F. KRAUS, W.v. LEUBE, J. ORTH,F. PENZOLDT. 
Redaktion: A. KUTIN ER, L. RABINOWITSCH. | 


I. ORIGINAL-ARBEITEN. 


vV. 
Die sanitätspolizeiliche Beurteilung der Därme bei Tuberkulose 
der zugehörigen Gekrösiymphdärüsen und die hierauf bezügliche 
sächsische Ministerialverordnung vom 17. Mai 1915. 


Von 
J. Bongert, 


Professor an der Kgl, Tierärztlichen Hochschule in Berlin. 


eyen verschiedenen Referaten für diese Zeitschrift habe ich auf die grund- 
SH sätzliche Bedeutung des § 35, 4 der Ausführungsbestimmungen A 
A] zum Reichs-Fleischbeschaugesetz (B.B.A.) hingewiesen. Auf Grund 
dieser Besfnmunp sind alle tuberkulösen Organe als untauglich zum Genusse 
für Menschen zu behandeln, weil sie nach den vorliegenden Erfahrungen 
und Versuchen die menschliche Gesundheit zu beschädigen geeignet sind. 
Hierbei ist zu -beachten, daß ein Organ auch dann als tuberkulös anzusehen 
ist, wenn nur die zugehörigen Lymphdrüsen tuberkulöse Veränderungen auf- 
weisen; das gleiche gilt von Fleischstücken, sofern sie sich nicht bei genauer 
Untersuchung als frei von Tuberkulose erweisen. 

Diese strenge Maßnahme ist geboten, weil bekanntlich jede I,ympdrüse 
ihr bestimmtes Gebiet hat, aus dem sie Lymphe durch die Lymphgefäße zu- 
geführt erhält (Wurzelgebiet) und sämtliche Lymphgefäße der Organe in den 
letzteren selbst ihre Wurzelgebiete haben, und ferner weil man in der prak- 
tischen Fleischbeschau die Organe nicht so zerschneiden kann, daß alle makro- 
skopisch erkennbaren Tuberkel in ihnen nachgewiesen werden könnten. Das 
hierzu -erforderliche Zerschneiden in dünne Scheiben würde für die meisten 
Organe einer Vernichtung gleichkommen, da sie in diesem zerschnittenem Zu- 
stande nicht mehr verkäuflich sind. Auch ist zu beachten, daß die an der 
Grenze der Sichtbarkeit stehenden Tuberkel sich der Feststellung bei der 
‚Fleischbeschau entziehen, für die mit Rücksicht auf die praktische. Durchführ- 
barkeit Grenzen bezüglich der Zeitdauer der Untersuchung und der Ausdehnung 
der anzulegenden Schnitte und der Untersuchungsart gezogen sind. 

Es ist allerdings eine in der Pathogenese der Tuberkulose längst be- 
kannte Erfahrungstatsache, daß die T.B. die Fähigkeit besitzen, das intakte 
Schleimhautepithel der mit der Außenwelt in Verbindung stehenden Organe 
zu durchdringen und erst in den korrespondierenden Lymphdrüsen tuberkulöse 

Zeitschr. f. Tuberkulose. 2ö. 6 


ZEITSCHR. £. 
un J. BONGERT. TUBERKULOSE 


Veränderungen hervorzurufen. Jedoch ist zu bedenken, daß letzteres nicht 
immer der Fall ist, und daß aus den angeführten Gründen in den einzelnen 
Fällen der scheinbar isolierten Tuberkulose der Organlymphdrüsen keine Ge- 
wißheit darüber zu erlangen ist, daß in dem Organparenchym tatsächlich keine 
Tuberkel sich befinden. 

Vor 30 Jahren, in der Anfangszeit der wissenschaftlichen Fleischbeschau, 
ist es vorgekommen, worauf v. Ostertag!) hinweist, daß die beim Anschneiden 
tuberkulös befundenen bronchialen oder portalen Lymphdrüsen abgeschnitten 
und die scheinbar nicht tuberkulösen Organe, Lunge und Leber, zum Konsum 
freigegeben wurden. Oder man entfernte die tuberkulösen Lungenflügel, aber 
die regionären bronchialen und mediastinalen Lymphdrüsen einschließlich des 
mediastinalen und praekordialen Fettgewebes, auf das es hierbei ankam, gab 
man frei. Oder das tuberkulöse Brust- und Bauchfell („Perlsucht“) wurde durch 
das sogenannte Ausziehen beseitigt, die hierzu gehörigen Lymphdrüsen- 
gruppen beließ man aber im Fleisch, oder endlich bei Tuberkulose der Gekrös- 
drüsen wurden nur diese herausgeschnitten und mit Beschlag belegt, der zu- 
gehörige Darm und das Gekrösfett aber freigegeben. 

Diesem hygienischen Unverstand zugunsten eines nicht angebrachten 
ökonomischen Handelns ist in seiner weiteren, gemeingefährlichen Betätigung 
durch den $ 35, 4 B.B.A. ein Ende gemacht worden. Der Fleischbeschau- 
sachverständige, der tuberkulös veränderte Organe zum Konsum freigibt, 
macht sich nicht nur einer Zuwiderhandlung gegen das Fleischbeschaugesetz 
(88 9 u. 26), sondern auch eines Vergehens gegen § 12 des Nahrungsmittelgesetzes 
schuldig. Die tuberkulösen Organe mit allen ihren Adnexen sind 
sorgfältig zu entfernen und unschädlich zu beseitigen. Das ist die 
wichtigste Aufgabe der im Dienste der Sanitätspolizei stehenden 
Fleischbeschau in bezug auf die Tuberkulose der Schlachttiere! 

An dieser Stelle möchte ich einen Ausspruch von Robert Koch an- 
führen, als er wenige Monate nach dem Londoner Kongreß im Jahre 1901 
auf dem Berliner Schlachthofe in Gegenwart von Geh.-Rat. von Ostertag 
sich über die Untersuchungstechnik und Beurteilung bei Tuberkulose der Rinder 
informierte. Es war das also zu einer Zeit, als R. Koch noch in weitestem 
Maße die Unschädlichkeit der Rindertuberkulose für den Menschen vertrat. 
Und dennoch verneinte er als ganz selbstverständlich die von v. Ostertag an 
ihn gerichtete Frage, ob er eine vorgezeigte, in geringem Grade tuberkulöse 
Leber nach Beseitigung der tuberkulösen Herde freigeben würde. i 

Der in dem § 35, 4 B.B.A. festgelegte Grundsatz, der im Hinblick 
auf die an sich berechtigte volkswirtschaftliche Forderung, möglichst viel 
Fleischnahrung dem Konsum zu erhalten, für den Laien als zu streng erscheint, 
hat in den letzten Jahren durch genauere wissenschaftliche Untersuchungen 
eine weitere Bestätigung gefunden. | 

Schon vor Jahren hat Riek?) darauf hingewiesen, daß bei der so häufigen 
isolierten (primären) Tuberkulose der bronchialen Lymphdrüsen — 80°/, der 


1) Handbuch der Fleischbeschau, 6. Aufl. 1913, Bd. II. S. 379. 
2) Arch. f. wiss. Tierheilkd., XIX. Bd., Heft 1/2, S. 9. 


ae BEURTEILUNG DER DÄRME BEI TUBERKULOSE. 83 


älteren tuberkulösen Rinder!) — bei genauer Untersuchung oft noch vereinzelte, 
meist sehr kleine peribronchiale tuberkulöse Herdchen aufzufinden sind, die 
sich nur durch ihre dunkelrote Farbe von dem normalen Lungenparenchym 
abheben. Ferner haben Nieberle und Claußen?) festgestellt, daß bei an- 
scheinend isolierter Tuberkulose der portalen Lymphdrüsen bei Rindern durch 
eine nachträgliche, eingehende Untersuchung nach Zerlegung der Leber in 
dünne Scheiben noch in 16°/, der untersuchten Fälle in der Tiefe des Leber- 
parenchyms gelegene makroskopische Tuberkel nachzuweisen waren. Bei Ver- 
impfung des Leberpreßsaftes an Meerschweinchen erwies sich in weiteren 7°/, 
der Fälle letzterer T.B.-haltig. Somit erhielt bei scheinbar isolierter Portal- 
drüsentuberkulose die Leber in 23°/, tuberkulöse Herde oder T.B. 

Endlich hat Verf. zusammen mit Schneppe°) in 87 Lebern mit an- 
scheinend isolierter Tuberkulose der portalen Lymphdrüsen durch genaueste 
Untersuchung (mit einer Ausnahme) regelmäßig tuberkulöse Herde im Leber- 
parenchym gefunden, nachdem die Leber in dünne, parallele Scheiben zerlegt 
worden war. | 

Somit ist der Grundsatz, daß Organe auch dann unschädlich 
zu beseitigen sind, wenn nur die zugehörigen Lymphdrüsen tuber- 
kulös verändert gefunden werden, voll und ganz berechtigt. 

Auf Grund der neueren Feststellungen haben wir bei anscheinend iso- 
lierter Tuberkulose der Organlymphdrüsen stets mit tuberkulösen Verände- 
rungen in dem Organparenchym zu rechnen. Für das Fleisch, die quer ge- 
streifte Muskulatur, trifft dies nicht zu; letztere gilt für anscheinend immun 
gegen tuberkulöse Erkankung. 

Wie Verf. experimentell festgestellt hat, ist die für die Stammuskulatur 
angenommene Immunität gegen Tuberkulose darauf zurückzuführen, daß die 
T.B. — dasselbe gilt auch für andere Infektionserreger — infolge der vis a 
tergo und der Muskelkontraktion in den interhbrillären Lymphräumen sich 
nicht festsetzen können. Die T.B. gelangen in die intermuskulären Lymph- 
knoten, sog. Fleischlymphdrüsen, werden in diesen abfıltriert und zurück- 
gehalten und können, soweit sie nicht durch die bakterizide Kraft der Lymph- 
zellen unschädlich gemacht werden, eine tuberkulöse Lokalisation in der 
Lymphdrüse herbeiführen. In den großen Parenchymen der Körperhöhlen 
fällt die Muskelkontraktion als treibende Kraft des Blut- und Lymphstromes 
fort, und dadurch wird die Lokalisation der Tuberkulose im Parenchym be- 
günstigt. Verf. hat bei Kaninchen, denen der Nervus ischiadicus reseziert wurde, 
nach subkutaner Injektion von Rinder-T.B. am Unterfuß eine totale tuber- 
kulöse Verkäsung der gelähmten Mm. gastrocnemii hervorgerufen, während 
bei den nicht gelähmten, in gleicher Weise geimpften Kontrollkaninchen nur 
ein tuberkulöser Herd an der Impfstelle entstand. | 

Die obigen Feststellungen machen. es erklärlich, daß bei abgeheilter 
generalisierter Tuberkulose, die zu einer tuberkulösen Herderkrankung in 


1) v, Ostertag, Bekämpfung. der Rindertuberkulose, 1913, S. 88. 
2) Ztschr, f. Fleisch- u. Milch-Hyg., Jahrg. XXIV, 1914, S. 87. 
3) Schneppe, Inaug.-Diss. Berlin 1912. 
6* 


ZEITSCHR. f. 
84 | J. BONGERT. TUBERKULOSE 


einer oder mehreren Fleischlymphdrüsen geführt hat, die als Wurzelgebiet 
geltende Muskulatur des betreffenden Fleischviertels keine T.B. enthält und 
demnach nicht infektionsfähig ist. Das ist durch zahlreiche Meerschweinchen- 
impfungen, die von verschiedenen Autoren bei abgelaufener generalisierter 
Tuberkulose mit dem aus Fleischvierteln mit tuberkulös veränderten Lymph- 
drüsen gewonnenen Fleischsaft angestellt wurden, einwandfrei und überein- 
stimmend bestätigt worden. 

Bei der tuberkulösen Herderkrankung der Fleischlymphdrüsen 
ist es Regel, daß — zum Unterschied von den inneren Organen — die als 
Wurzelgebiet geltende Muskulatur nicht erkrankt. Bei anscheinend 
isolierter Tuberkulose von Organlymphdrüsen dagegen ist, wie 
nochmals hervorgehoben sei, eine tuberkulöse Erkrankung des 
Organparenchyms stets vorhanden. 

Nun hatte der Deutsche Fleischerverband in einer an das Reichsamt des 
Inneren gerichteten Eingabe vom 8. Januar d. J. mit Rücksicht auf die der- 
zeitige Verminderung der Einfuhr von Därmen und die Zunahme der Be- 
schlagnahmen um Freigabe solcher Därme, die nicht selbst mit Krankheits- 
erscheinungen behaftet sind, und um Erlaß einer Verfügung gebeten, die ohne 
gesundheitliche Nachteile für die Bevölkerung durchgeführt werden könne. 
Diese Eingabe wurde, wie die Amtliche Zeitung des Deutschen Fleischerver- 
bandes vom 18. Mai d. J. mitteilte, abschlägig beschieden mit dem Hinweis, 
die angestellten Erörterungen wegen andersartiger Behandlung der bei der 
Fleischbeschau beanstandeten Därme hätten ergeben, daß dem Antrage nicht 
entsprochen werden könne. Um so befremdlicher muß es erscheinen, daß nach 
dieser kurz vorher erfolgten strikten Ablehnung durch das Reichsamt des 
Inneren auf eine den gleichen Gegenstand behandelnde Eingabe des dem 
Deutschen Fleischerverbande angeschlossenen Bezirksvereins des Königreichs 
Sachsen mit Genehmigung des Reichskanzlers am 17. Mai d. J. das sächsische 
Ministerium des Inneren folgendes angeordnet hat: 

Die für die Fleischbeschau verpflichteten Tierärzte und die nichttierärzt- 
lichen Fleischbeschauer werden mit Genehmigung des Reichskanzlers hierdurch 
angewiesen, während der Dauer des Krieges folgende Milderungen bei 
Ausübung der Fleischbeschau eintreten zu lassen: 

1. Die Vorschrift in $ 35 Nr. 4 der Ausführungsbestimmungen A zum Fleisch- 
beschaugesetze, nach der ein Organ auch dann als tuberkulös anzusehen 
ist, wenn nur die zugehörigen Lymphdrüsen tuberkulöse Veränderungen 
aufweisen, hat auf solche Därme keine Anwendung zu finden, in deren zu- 
gehörigen Gekrösdrüsen nur ältere, verkäste oder verkalkte Tuberkelherde 
gefunden worden sind. In den gedachten Fällen sind die tuberkulös ver- 
änderten Gekrösdrüsen nach sorgfältigem Ausschneiden aus dem sie um- 
gebenden Gewebe unschädlich zu beseitigen. 

2. Bei Schlachttieren, die mit Maul- und Klauenseuche behaftet oder der 
Seuche verdächtig sind, sind Schlund, Magen und Darm (§ 160, Abs. 3 
der Ausführungsbestimmungen zum Viehseuchengesetze) freizugeben, wenn 
sie unter amtlicher Aufsicht gründlich gereinigt, die Schlunde und Därme, 


sowie die Schweinemägen auch geschleimt und bei Wiederkäuern die Mägen 
nach der Reinigung gebrüht worden sind. 


BD. BEN 2. BEURTEILUNG DER DÄRME BEI TUBERKULOSE. 85 


Diese von dem sächsischen Ministerium des Inneren erlassene Vorschrift über 
Milderungen bei Ausübung der Fleischbeschau, die vom Reichsamt des Innern 
nicht nur als durchführbar, sondern sogar als empfehlenswert bezeichnet wurden, 
sind inzwischen durch Ministerialverfigungen vom 27. Mai d. J. auch für Preußen, ` 
Württemberg und Mecklenburg-Strelitz angeordnet worden, und zwar in dem . 
gleichen Wortlaut und ebenfalls für die Kriegsdauer. 

Die Bestimmung unter Nr. 2 obiger Verordnung über die Behandlung 
von Schlund, Magen und Darm bei Schlachttieren, die mit Maul- und Klauen- 
seuche behaftet oder dieser Seuche verdächtig sind, kann als eine berechtigte 
Milderung gelten, kommt aber auch für die Leser dieser Zeitschrift nicht in 
Betracht. Dagegen sind von tierärztlicher Seite!) gegen die Milderung in der 
Beurteilung der Därme bei Tuberkulose der mesenterialen Lymphknoten schwer- 
wiegende Bedenken geltend gemacht worden, während Geh.-Rat Dr. Ströse 
vom Kaiserlichen Gesundheitsamt?) als fachlicher Vertreter dieser Regierungs- 
maßnahme für diese das Wort ergriffen hat. 

Herr Ströse führt aus, daß infolge der durch den Krieg eingetretenen 
Unterbindung der Zufuhr ein empfindlicher Mangel an Därmen in Deutschland 
eingetreten wäre, der zu einer Beschränkung der Wurstmacherei führen müßte, 
wenn nicht alle noch verwendbaren Därme aus Inlandsschlachtungen dem Ver- 
brauch erhalten würden. Um diesem Notstande abzuhelfen, also aus Rück- 
sichten der Volksernährung, wäre die Anweisung erteilt, daß, abweichend von 
der Vorschrift des § 35, 4 B.B.A. die Därme bei der zum Stillstand ge- 
kommenen Tuberkulose der zugehörigen Lymphknoten nicht — wie es hin- 
sichtlich anderer Organe vorgeschrieben ist — grundsätzlich als tuberkulös an- 
gesehen werden dürfen, und daß nur die veränderten Lymphknoten unschädlich 
zu beseitigen wären. Gesundheitliche Interessen würden dabei eine wesentliche 
Beeinträchtigung nicht erfahren, da die Gefahr, daß bei der für die Kriegs- 
dauer zugelassenen milderen Beurteilung der Gekrösdrüsentuberkulose ein mit 
Tuberkulose behafteter Darm zur Freigabe gelange, nur äußerst ge- 
ring sei. Zur Begründung dieser Annahme führt Ströse an, daß Darmtuber- 
kulose bei Rindern nicht oft, bei älteren Rindern sogar sehr selten vorkomme. 
Auch pflegen mit Darmtuberkulose behaftete Rinder schnell abzumagern, so 
daß die ganzen Tierkörper als genußuntauglich zu gelten haben. Demnach 
sei es von vornherein ausgeschlossen, daß größere Mengen von tuber- 
kulösen Därmen in den Verkehr gelangen. Und wenn gelegentlich einmal 
trotz gründlich ausgeführter Untersuchung ein mit Tuberkulose behafteter 
Darm in den Verkehr gelangt, so wäre dies doch gesundheitlich nicht allzu 
bedenklich, weil der Rinderdarm niemals roh zunı Genusse für Menschen, 
. sondern fast ausschließlich als Wursthülle verwendet werde, und weil er vor 
dem Gebrauche durch Reinigen, Schleimen, Salzen, Räuchern, Kochen und 
dergleichen eine Behandlung erfahre, die mindestens in vielen Fällen eine 
Infektionsgefahr beseitigen werde. Bezüglich der nunmehr stattfindenden be- 


') K. Müller, Ztschr. f. Fleisch- u. Milchhyg. XXV, Heft 18, S. 273. — F. Henschel, 
ebenda, Heft 18, S. 274; Heft 22, S. 339 u. XXVI, Heft 3. S. 36 u. Heft 4, S. 56. 
°) A. Ströse, Ztschr. f. Fleisch- u. Milchhyg. XXV, Heft 22, S. 337 u. XXVI, Heft 4, S. 55. 


86 ` J. BONGERT. TOBERKULÖSE 
dingungslosen Inverkehrgabe des Darmfettes (Mesenterium), der sog. Gekröse, 
nach Entfernung der veränderten Teile weist Ströse darauf hin, daß)die ver- 
kästen oder verkalkten Lymphknoten zwar noch infektionstüchtige T.B. ent- 
halten können, daß sich jedoch die Bazillen aus solchen Herden immer mehr 
oder weniger abgeschwächt erweisen, und daß der Rindertalg nur in aus- 
gelassenem Zustande in den Verkehr gelange. Darum seien Übertragungen 
der Tuberkulose durch Verzehr des Gekrösfettes beim Vorliegen von Gekrös- 
drüsentuberkulose selbst dann nicht zu fürchten, wenn die veränderten Lymph- 
apparate nicht ganz vollkommen entfernt sein sollten. Trotzdem Herr Ströse 
die gegenüber der neuen Bestimmung über die Behandlung von Därmen bei 
Tuberkulose geltend gemachten Bedenken nicht im vollen Umfange teilt, gibt 
er zu, daß das jetzt zugelassene Verfahren vom Standpunkte der wissenschaft- 
lichen und praktischen Fleischbeschau aus nicht ganz einwandfrei ist. 

Abgesehen davon, daß die Ausführungen des Herrn Geh.-Rates Dr. Ströse, 
der als Mitglied des Kaiserlichen Gesundheitsamtes die bemängelte Verordnung 
vertreten hat, eine Contradictio in se bedeuten, sind sie auch in wesentlichen 
Punkten nicht richtig. Zu den nicht zutreffenden Ausführungen von Ströse 
hat bereits der hiesige städtische Obertierarzt Dr. Henschel (Ztschr. f. Fleisch- 
u. Milchhyg. a. O.) eingehend Stellung genommen, so daß ich hierauf ver- 
weisen kann. Zur Orientierung der Leser der Zeitschrift für Tuberkulose 
möchte ich jedoch folgendes anführen. 

Die Tuberkulose der mesenterialen Lymphdrüsen ist sowohl bei Schweinen, 
als auch bei Rindern recht häufig. Nur besteht insofern bei diesen beiden 
Hauptschlachttiergattungen ein Unterschied, als beim Schwein tuberkulöse 
Veränderungen in der Darmwand, also wirkliche Darmtuberkulose, bisher noch 
nicht zur sicheren Feststellung!) gelangt sind. Es ist somit anzunehmen, daß 
Darmtuberkulose beim Schwein zu den größten Seltenheiten gehört. Anderer- 
seits muß aber zugegeben werden, daß eingehende, genaue diesbezügliche 
Untersuchungen über das Vorkommen von tuberkulösen Veränderungen im 
Darme bei Schweinen, bei denen bekanntlich die Tuberkulose fast ausschließ- 
lich auf intestinalem Wege entsteht, vollkommen fehlen, — daß wir jeden- 
falls keine Kenntnis darüber besitzen, warum beim Schwein bei 
Ingestion von T.B. der Darm anscheinend nicht tuberkulös erkrankt, 
und auch nicht darüber, wie lange die T.B. in der Darmwand liegen 
bleiben. Aus diesem Grunde kann die Angabe, daß bisher Darmtuberkulose 
beim Schwein — wenigstens einwandfrei — noch nicht beobachtet sei, nicht 
die bedingungslose Freigabe der Schweinedärme bei Mesenterialdrüsentuber- 
kulose rechtfertigen. Denn dem anerkannten hygienischen Grundsatze folgend, 
daß in zweifelhaften Fällen stets das Ungünstigere anzunehmen ist, durfte be- 
züglich der Tuberkulose der mesenterialen Lymphdrüsen beim Schweine die 
angeordnete gelindere Beurteilung und die Verwendung des Darmes und Ge- 
krösfettes als menschliches Nahrungsmittel, der auch einzelne Beschautierärzte 
zugestimmt haben, nicht Platz greifen. 


1) Vergl. Becker, Berl. tierärztl. Wochenschr. 1906, Nr. 31, S. 598. 


BD. 25, HEFT? BEURTEILUNG DER DÄRME BEI TUBERKULOSE. 87 

Die hauptsächlichsten Bedenken sind jedoch auch von Henschel gegen die 
Freigabe der Därme und des Gekrösfettes nach Beseitigung der tuberkulösen 
Drüsen bei Tuberkulose der Mesenterialdrüsen der Rinder geltend gemacht 
worden, und das mit Recht. Die Ansicht von Ströse, daß Darmtuberkulose 
bei Rindern nicht oft, bei älteren Tieren sogar sehr selten vorkommt, ist 
keineswegs zutreffend, sondern das Gegenteil ist richtig. Die Darmtuber- 
kulose wird gerade bei alten Rindern verhältnismäßig häufig fest- 
gestellt. Mit Rücksicht auf ihr häufiges Vorkommen ist auch die Darm- 
tuberkulose des Rindes, wie Henschel mit Recht hervorhebt, in veterinär-. 
polizeilicher Hinsicht als gefährliche offene Tuberkuloseform von Bedeutung 
und bekanntlich deshalb in das Viehseuchengesetz vom 26. Juni 1909 auf- 
genommen worden. Die Anzeigepflicht und die von Reichswegen anerkannte 
Notwendigkeit einer veterinär-polizeilichen Bekämpfung der: Darmtuberkulose 
des Rindes wäre m.E. zweck- und sinnlos und würde auch vom Kaiserlichen Ge- 
sundheitsamt abgelehnt worden sein, wenn sie so bedeutungslos und so: selten 
wäre, wie Dr. Ströse annimmt. Auch der Hinweis, daß der „Rinderdarm niemals 
roh zum Genusse für Menschen verwendet werde“, und „daß der Darm durch 
das Reinigen, Schleimen, Salzen, Räuchern etc. eine Behandlung erfahre, die 
mindestens in vielen Fällen eine Infektionsgefahr beseitigen wird“, ist als nicht 
zutreffend abzulehnen. Aus den diesbezüglichen Untersuchungen von Forster 
und seinen Schülern), wissen wir, daß Pökeln und Räuchern keine sicheren 
Maßnahmen darstellen, um T.B. in Nahrungsmitteln unschädlich zu machen. 
Sollte aber etwa gar, wie es scheint, die Ansicht bestehen, daß das Vorkommen 
von tuberkulösen Veränderungen in Rinderdärmen deshalb von keiner großen 
Bedeutung sei, weil durch das handwerksmäßige Reinigen und Schleimen der 
Därme die im Darm vorhandenen Tuberkel manuell entfernt würden, so würde 
der Vertreter einer solchen Ansicht sich auf den Standpunkt eines schlecht 
unterrichteten Laienbeschauers stellen, der noch der Meinung ist, tuberkulöse 
Organe in einen unschädlichen, genußfähigen Zustand versetzen zu können, wenn 
er die tuberkulösen Herde einfach wegschneidet. = 

Es ist zu beachten, daß die Darm- und Mensenterialdrüsentuberkulose 
bei erwachsenen Rindern sich in der Regel sekundär im Anschluß an Lungen- 
tuberkulose entwickelt, die erwiesenermaßen bereits im Anfangsstadium der Ent- 
wickelung eine offene ist. Somit findet eine ständige Infektion des Darmkanals 
und auch der Darmwand mit hochvirulenten T.B. statt, und die verkäste oder 
verkalkte Beschaffenheit der Gekrösl.mphdrüsen ist keineswegs ein zuverläß- 
liches Zeichen der Unschädlichkeit dcs Darmes und des Abgeheiltseins des tuber- 
kulösen Prozesses in der Schleimliıaut. Hierüber könnte nur eine bakterio- 
skopische Untersuchung Aufschluß geben. Bei der tuberkulösen Infiltration, 
die sich durch eine strahlenförmige Verkäsung zu erkennen gibt und gar nicht 
selten in den Gekrösdrüsen zur Beobachtung gelangt, haben wir im Gegenteil 
nicht erweichte, sondern trockenkäsige Herde, die außerordentlich reich an T.B. 
sind. Die der Verordnung zugrunde gelegte Annahme, daß man ohne weiteres 


1) v. Ostertag, Handb. d. Fleischbeschau, 6. Aufl., II. Bd., S. 320. 


Ä | ZEITSCHR. 1. 
88 J. BONGERT. TURERKULOSE 


aus der verkästen oder verkalkten Beschaffenheit der tuberkulösen Herde in 
den Gekrösdrüsen auf ihre Unschädlichkeit und auf eine tuberkulosefreie Be- 
schaffenheit der Darmschleimhaut schließen kann, ist somit irrig. 

Vor allen Dingen sind gegen die bedingungslose Inverkehrgabe des Gekrös- 
fettes „nach Ausschneiden der tuberkulös veränderten Gekrösdrüsen aus dem sie 
umgebenden Gewebe“ die schwersten hygienischen Bedenken zu erheben. 
Ströse sagt selbst, daß die verkästen und verkalkten Lymphknoten zwar noch 
infektionstüchtige T.B. enthalten können, daß sich jedoch die Bazillen aus 
solchen Herden immer mehr oder weniger abgeschwächt erweisen. Das ist 
nicht ganz richtig. Die verkästen und verkalkten Tuberkel enthalten beim 
Rinde stets voll infektionsfähige und nicht „mehr oder weniger abgeschwächte 
T.B.“, wie man sich durch Impfung von Meerschweinchen und Virulenz- 
prüfung der gewonnenen Reinkultur überzeugen kann. Wenn Ströse aber weiter 
behauptet, daß Übertragungen der Tuberkulose durch den Verzehr des Gekrös- 
fettes beim Vorliegen von Gekrösdrüsentuberkulose selbst dann nicht zu be- 
fürchten sind, wenn die veränderten Lymphapparate nicht ganz vollkommen 
entfernt sein sollten, weil der Rindertalg nur in ausgelassenem Zustande in den 
Verkehr gelangt, so ist eine solche Ansicht, welche die tatsächtlichen Verhält- 
nisse außer acht läßt, zurückzuweisen. 

Der durch die Inlandschlachtungen gewonnene Rindertalg wird jetzt 
während des Krieges bei den unerschwinglichen Preisen für Streichfett {Schmalz 
und Butter) fast ausschließlich zur Herstellung von Margarine ver- 
wendet und somit entgegen der augenscheinlichen Ansicht von Ströse keines- 
wegs Hitzegraden ausgesetzt, durch welche die T.B. unschädlich gemacht 
werden. Die T.B. behalten bei der Temperatur von ca. 45°, bei welcher die 
zur Herstellung der Margarine verwendeten tierischen Fette geschmolzen und 
dann abgepreßt werden, ihre volle Lebensfähigkeit und Virulenz Es kann 
somit nicht auffallend sein, daß schon in normalen Zeiten die Margarine T.B. 
enthalten kann und mitunter in einem verhältnismäßig hohem Prozentsatz, 
nämlich wenn nicht ordnungsmäßig untersuchtes Gekrösfett, das dann 
auch tuberkulöse Lymphdrüsen enthält, verwendet wird. 

=- Ströse hat nun selbst zugeben müssen, daß bei der jetzt angeordneten 
bedingungslosen Freigabe des Gekrösfettes bei Tuberkulose der Gekrösdrüsen mit 
dem Vorkommen von tuberkulös veränderten Lymphdrüsen und Lymphgefäßen in 
dem Gekrösfett zu rechnen ist. Die Gefahr der Infektion der Margarine mit T.B. 
ist somit besonders groß. In Anbetracht, daß die Margarine für die breiten 
Volksschichten bei den derzeitigen unerschwinglichen Butterpreisen fast das ein- 
zigste Nahrungsfett darstellt, ist gerade im Interesse der Volksgesundheit 
gegen diese Regierungsmaßnahme, insbesondere gegen dieFreigabedesDarm- 
fettes bei Gekrösdrüsentuberkulose in rohem Zustande, Einspruch 
zu erheben. Der Vertreter des Kaiserlichen Gesundheitsamtes hat selbst zu- 
gegeben, daß das in obigen Ausführungen bemängelte Verfahren vom Stand- 
punkt der wissenschaftlichen und praktischen Fleischbeschau nicht ganz ein- 
wandfrei ist. Bei dieser Sachlage ist die Frage berechtigt, wie man diese 
Regierungsmaßnahme mit dem $ ı2 des Nahrungsmittelgesetzes in Einklang 


ae BEURTEILUNG DER DÄRME BEI TUBERKULOSE. 89 


mn m 


bringen will, demzufolge mit Gefängnis bestraft wird, wer wissentlich Nahrungs- 
. und Genußmittel, deren Genuß die menschliche Gesundheit zu beschädigen ge- 
eignet ist, herstellt, verkauft, feilhält oder in den Verkehr bringt? Daß eine 
Margarine, die aus Rohfett hergestellt wird, das Tuberkel enthält 


oder zugestandenermaßen enthalten kann, alle Tatbestandmerkmale. 


des § 12 des N.M.G. aufweist, darüber kann kein Zweifel bestehen. 
Die Sache, so ernst sie ist, hat aber noch einen komischen Beigeschmack. 
Die Schlächter hatten, wie oben erwähnt, nur um die Freigabe von Därmen, 
die nicht selbst mit Krankheitserscheinungen behaftet seien, und um den Erlaß 
einer diesbezüglichen Verfügung gebeten, die ohne gesundheitliche Nach- 
teile für die Bevölkerung durchgeführt werden könne. Abgesehen davon, 
daß die geschäftlich interessierten Schlächter mehr bewilligt bekamen, 
als sie verlangten, haben sie in ihrer Eingabe ein größeres, hygienisches 
Gewissen bekundet als der für die bemängelte sächsische Ministerialverordnung 


verantwortliche Sachverständige. Auch Ströse hat zugegeben, daß das Ver- 


fahren nicht ganz einwandfrei ist. Es soll sich um eine Notstandsmaßnahme 
handeln, die aus Rücksichten der Volksernährung erfolgt sei, „ohne daß die 
gesundheitlichen Interessen dabei eine wesentliche Beeinträchtigung er- 
fahren.“ Die Volksgesundheit erfährt aber hierdurch eine Beeinträchtigung, 
und daß diese ganz erheblich eingeschätzt werden muß, darüber kann kein 
Zweifel bestehen. | 

Endlich habe ich als nicht der Tatsache entsprechend auf die 
Behauptung hinzuweisen, daß ein großer Mangel an Därmen, die 
zur Herstellung von Dauerwürsten erforderlich sind, bestanden hat oder zurzeit 
noch besteht. Die von dem Deutschen Fleischerverband an das Reichsamt des 
Inneren gerichtete Eingabe datiert vom 8. Januar 1915. Damals hat vielleicht 
für die bevorstehende Zeit von Februar bis Ende März, in der die Dauerwurst- 
waren hergestellt zu werden pflegen, ein augenblicklicher Mangel an Därmen be- 
standen. Am 17. Mai d. J., als nach kurz vorher erfolgter strikter Ablehnung 
durch das Reichsamt des Inneren die sächsische Verordnung erlassen wurde, 
und namentlich während der folgenden Monate bis jetzt hat ein Mangel an 
Därmen nicht bestanden, da die Jahreszeit für die Herstellung von Dauer- 
wurstwaren vorüber war, und weil vor allen Dingen infolge der übereilten 
Massenabschlachtung leider die Schweine nicht mehr vorhanden 
waren, deren Fleisch man in die Därme hätte füllen können. Jetzt 
besteht ein Überfluß an Därmen! Das Angebot übersteigt die Nachfrage, 
und der Preis für Därme jeder Art ist nur unwesentlich gegenüber der Preislage 
vor dem Kriege gestiegen. 


Zusammenfassung. 


Es muß somit bezweifelt werden, daß ein Notstand vorgelegen 
hat, der das Beiseiteschieben eines anerkannten Grundsatzes der 
Fleischbeschau, dem Gesetzeskraft gegeben war, motivieren konnte. 
Der bisher in der Fleischbeschau als unverrückbar allgemein angesehene 
Grundsatz für die sanitätspolizeiliche Beurteilung der tuberkulösen Organe, 


90 J. BONGERT, BEURTEILUNG DER DÄRME USW. „ZEITSCHR. f 
dem auch der § 35, 4 B.B.A. entspricht, ist durch die sächsische Ministerial- 
Verordnung für Därme beim Vorhandensein verkäster oder verkalkter Tuberkel- 
herde in den Mesenterialdrüsen während der Kriegsdauer außer Geltung gesetzt. 
Das bedeutet ein Interregnum in der wissenschaftlichen Fleisch- 
beschau, geeignet, bei den nichttierärztlichen Beschauern verwirrend 
zu wirken!) und die Fleischbeschau zum Schaden für die Volks- 
gesundheit auf den empirischen Standpunkt vor 30 Jahren zurück- 
‚zuwerfen. 

Diese nachteiligen Folgen, die nicht nur zu befürchten sind, sondern bei 
längerer Wirkungsdauer dieser verfehlten Maßnahme notwendigerweise ein- 
treten werden, sollten für die Regierung Anlaß sein, die Verordnung so bald 
wie möglich wieder aufzuheben, da ein Notstand, durch den man glaubte, ihn 
begründen zu können, nicht besteht. 


1) In der Deutschen Fleischbeschauer-Ztg. Nr. 19, S. 182 macht bereits allen Ernstes ein 
an einem Öffentlichen Schlachthause angestellter nichttierärztlicher Beschauer 
unter Hinweis auf die erörterte Ministerial-Verordnung den Vorschlag, tuberkulöse Eingeweide, bei 
denen nur die zugehörigen Lymphdrüsen verkalkte Tuberkel enthalten, beim genaueren Betasten 
und Zerschneiden aber keine tuberkulösen Herde aufgefunden werden (!), mit minderwertigem 
Fleisch zur Wurst zu verarbeiten und als Nahrungsmittel für Menschen auf der Freibank zu ver- 
werten! — 


BD. 25, HEFT2. SIMON, NACHUNTERSUCHUNGSERGEBNISSE USW. Qi 


VI. | 
Nachuntersuchungsergebnisse von Kindern der Jahrgänge 1910 
und. 1911 nebst Bemerkungen über die Frage der Heilstätten- 
behandlung tuberkulöser Kinder. 


(Aus der Kinderheilstätte Aprath bei Elberfeld.) 
Von 


Dr. Simon, leitendem Arzte. 


erlährend wir über die Dauererfolge von Heilstättenkuren lungenkranker 

AWA Männer und Frauen durch zahlreiche Nachuntersuchungen der ver- 
MANEJ) schiedensten Anstalten weitgehend unterrichtet sind, liegen über den- 
selben Gegenstand, was Kinder anbetrifft, bisher lediglich die auf der 10. Inter- 
nationalen Tuberkulosekonferenz zu Berlin von Bruck und Pannwitz vor- 
getragenen Nachuntersuchungsergebnisse der Heilstätte Hohenlychen vor. Die 
Wichtigkeit des Gegenstandes, zumal bei dem nach der Beendigung des Welt- 
krieges zu erwartendem Aufschwunge der Kinderheilstättenbewegung veranlaßte 
mich, dem Ergehen der in den ersten 1!/, Jahren in der hiesigen Anstalt 
behandelten Kinder nachzuforschen. Da die Mehrzahl unserer Patienten durch 
die Hände von Fürsorgestellen geht, lag es nahe, diese um ihre Mithilfe zu 
ersuchen. Wir sandten deshalb Fragebogen aus, die um Auskunft über die 
Schul- resp. Arbeitsfähigkeit, das Allgemeinbefinden und den Lungenbefund 
der Kinder baten. Sämtliche Fragebogen sind uns dank des verständnisvollen 
Eingehens der verschiedenen Fürsorgestellen und -ärzte von Düsseldorf, Elber- 
feld, Barmen, Remscheid und Köln, der Kreise Solingen, Mettmann und 
Lennep, soweit die betreffenden Kranken aufzufinden waren, ausgefüllt zurück- 
gesandt worden. Mit der Minderzahl der noch verbleibenden, anderen Orten 
und Gegenden entstammenden Kinder sowie mit früheren Selbstzahlern haben 
wir uns meist direkt in Verbindung gesetzt und sie zur Nachuntersuchung in 
die Anstalt bestellt oder, wenn dies nicht angängig, durch Fragebogen ihren 
Gesundheitszustand zu erfahren versucht. Auf diese Weise haben wir von 
436 ehemaligen Pfleglingen Auskunft erhalten, während wir von 62 im gleichen 
Zeitraum behandelten keine Nachrichten bekommen konnten. Die Nachunter- 
suchungen wurden größtenteils im Laufe des Sommers und Herbstes 1914 
vorgenommen, so daß der dazwischen liegende Zeitraum 3—4 Jahre beträgt. 


Die Ergebnisse sind tabellarisch zusammengestellt. 
TE rn na en 


| Zahl | oj Voller |Teilweiser| Kein Gästorben 


Erfolg Erfolg Erfolg 


Nichttuberkulöse Fe: 
ee und Skrofu- 


Br S E E ER 
"ngentuberkulose Stadium I 
Stadium II 

Lun Stadium III 
&entuberkulose insgesamt . 


SIMON. ZEITSCHR, f, 


e a s _ TUBERKULOSE 
oder in Prozenten 
| Voller Teilweiser | Kein 
zen) | Erfolg | Erfolg | Erfolg | aestorben 
Nichttuberkulose . . 46 | 71,7%], 28,3 °/, — 
Drüsentuberkulose und Skrofu- | | 
lose . cr 88 i ie 227 — 
Bronchialdrüsentuberkulose . . | 62 > 726, 22,6 „, | 1 6h 3,2%], 
Lungentuberkulose Stadium I 171 ı 842, 11,1, 1,25, | 35» 
Stadium II 53 l 49,0 y 32,1, 7; 3; ” 113, 
Stadium III 16 ! == 375 » | 62,5 „ 
Lungentuberkulose insgesamt ._ 240 | 708. 17,5, 2,5 » ie. 50,2% 
! 
| 436 | 72,5%) | 20,4 °/o | 1,6%), | 5,5°% 


Die Gruppierung des Materials geht von denselben Gesichtspunkten aus, 
die ich den alljährlichen Erfolgstatistiken zugrunde gelegt habe. Sie unter- 
scheidet I. Nichttuberkulöse, d. h. solche mit negativer Tuberkulinhautreaktion 
und negativem körperlichen Befunde, soweit Tuberkulose in Betracht kommt. 
Il. Drüsenkranke und Skrofulöse, Fälle mit positiver Hautreaktion ohne oder 
mit den bekannten skrofulösen Zeichen der Haut, der Schleimhäute, Drüsen, 
Augen oder Ohren. III. Bronchialdrüsentuberkulöse. IV. Lungenkranke. Die 
Diagnose baut sich auf auf der klinischen, der Röntgenuntersuchung und der 
Tuberkulinprüfung. Es ist nicht zu vermeiden, daß die Zurechnung zu den 
einzelnen Erkrankungsformen hie und da willkürlich sein muß, da zwischen 
den einzelnen Formen Übergänge vorkommen. Die zahlreichen Komplikationen 
und andersartigen Lokalisationen lassen sich in diese Gruppen ohne Schwierig- 
keiten unterbringen. Eine möglichst exakte Diagnose ist gerade für eine 
Dauererfolgstatistik für Kinder so ungemein wichtig, wenn ihr der bei Er- 
wachsenen so oft erhobene Vorwurf erspart bleiben soll, auch Nichttuberkulöse 
in größerer Zahl aufzuführen. Tatsächlich scheint das Material der Kinder- 
heilstätten noch recht ungleichmäßig zu sein, wenn man nach einzelnen Jahres- 
berichten urteilen soll. So heißt es z. B. in dem Bericht einer größeren Kinder- 
heilstätte, daß in 48,7 °/, die Hautreaktion negativ gewesen sei, in einem anderen, 
daß nur in ı0°/, der Aufgenommenen sich zweifellose tuberkulöse Lungen- 
veränderungen gefunden hätten. In meinem Materiale waren nicht tuberkulös 
im ersten Jahrgang etwa 10°/,, eine Zahl, die sich inzwischen bis auf 1,6°/, 
vermindert hat, während andererseits 16—17°/, zweite und dritte Stadien nach 
Turban-Gerhard gezählt wurden. Auch die vorläufigen Mitteilungen von 
Bruck und Pannwitz bedürfen in dieser Hinsicht noch der Ergänzung. 


Eine exakte Auslese des Materials ist zugleich Vorbedingung zur Be- 
stimmung des Anteiles, der den Kinderheilstätten im Rahmen der bereits be- 
stehenden Einrichtungen zur Bekämpfung der Tuberkulose (Ferienkolonien, 
Waldschulen, Walderholungsstätten, Seehospize, Solbäder, Heimstätten) zukommt. 
Selbstverständlich wird man nicht immer bei positivem Ausfall der Kutanprobe 
im Verein mit leichten Entwickelungsstörungen oder bei leichten Skrofulosen 
das schwere Geschütz der Kinderheilstätten auffahren wollen. Andererseits 
sollte man fistelnde Drüsen-, Bronchialdrüsen- und Lungenerkrankungen, ge- 
eignete Affektionen der Knochen und Gelenke, sowie der serösen Häute heut- 


BD. 2%, HEFT2. NACHUNTERSUCHUNGSERGEBNISSE VON KINDERN USW. 93 


zutage nicht anderweitig behandeln, ohne wenigstens den Versuch einer Heil- 
stättenkur gemacht zu haben. Ich kann Bruck nur zustimmen, daß gerade 
die hygienisch-diätetische Allgemeinbehandlung, wie sie ein durch langjährige 
Erfahrungen erprobter und in bestimmte Normen gebrachter Heilstättenbetrieb 
gewährleistet, die günstigsten Resultate zeitigt. 

Bei den Nachuntersuchungen haben wir als objektives Zeiten für das 
Allgemeinbefinden die Schulfähigkeit angenommen, die allerdings nach unseren 
Erfahrungen sehr verschiedenartig beurteilt wird, indem die Grenzen. bald zu 
eng, bald zu weit gezogen werden und hie und da wohl meist auf Verlangen 
der nicht gerade sachverständigen Eltern mehr dispensiert wird als gerade 
notwendig wäre. Jedenfalls ist der Trieb zum Verdienen und Arbeiten nach 
der Schulentlassung erheblich‘ intensiver als der zum Schulbesuch. Insofern 
decken sich die Begriffe Schul- und Arbeitsfähigkeit nicht ganz. Die Statistik 
würde sich noch ganz erheblich zur. günstigeren Seite hin verschoben haben, 
wenn es möglich gewesen wäre, sämtlichen Kindern nachzuspüren, denn gerade 
unter den Nichterfaßten befinden sich zahlreiche, die nach Beendigung ihrer 
Schulzeit auswärtige Dienststellungen übernommen und sich hierdurch dem 
Wirkungsbereich ihrer Fürsorgestelle entzogen haben. 

I. In der ersten Gruppe der Nichttuberkulösen wurde durchweg ein 
voller oder wenigstens ein teilweiser Erfolg erzielt. Das ist erklärlich, weil es 
sich bei ihnen zwar um chronische, aber doch leichtere und das Leben nicht 
bedrohende Krankheitszustände handelt. Von den 33 mit vollem Dauererfolg 
litten 21 an chronischen Luftröhrenkatarrhen meist nicht sehr ausgedehnter 
Natur. Hierher gehört auch ein dreizehnjähriges Mädchen mit nicht unbeträcht- 
lichem Volumen auctum, dessen Schul- und Arbeitsfähigkeit hierdurch keines- 
wegs beeinträchtigt war. Dasselbe gilt von 2 Kindern mit nichttuberkulösen 
Verdichtungen der Lungenspitzen, sowie von 2 anderen mit Rippenfellschwarten 
nach Lungenentzündungen. Der Rest setzt sich aus Lymphatikern und Anä- 
mischen zusammen. 

Die Nichttuberkulösen, die einen nur teilweisen Erfolg erzielten, unter- 
schieden sich in ihrem Krankheitszustande kaum von den anderen mit vollem 
Dauererfolg. 7 hatten leichte chronische Katarrhe, 2 hatten Pleuraschwarten, 
eines nach Empyemoperation, das andere nach Pneumonie. 3 Mädchen litten 
an Emphysem, ein anderes an Bronchialasthma. Mit Ausnahme der kleinen 
Asthmatiker und der Emphysematösen hätte man bei allen vollen Erfolg er- 
warten sollen. Auch die Nachuntersuchungsergebnisse waren zumeist nicht so, 
daß sie die subjektiven Beschwerden hätten rechtfertigen können. | 

Il. In der nächsten Abteilung, der der Drüsentuberkulose und Skrofulose, 
wurde ebenfalls ein Mißerfolg oder Todesfall vermißt. Die Mehrzahl dieser 
Rubrik hatte chronische Luftröhrenkatarrhe. Das liegt natürlich an der Aus- 
lese des Materials. Zu 'sagen, wie weit diese Luftröhrenkatarrhe mit der posi- 
tiven Tuberkulinreaktion zusammenhängen, ist natürlich meist unmöglich; ein 
Teil bleibt gewiß auf eine latente Hilusaffektion suspekt. Ein Knabe hatte 
sehr heftige Asthmaanfälle, die sich später spontan verloren. Seine ausgedehnte 
Bronchitis hat ihn in der Ausübung seines Berufes als Liftjunge nicht behindert. 


nn SMON = TUBERKULOSE 

Von den 20 mit teilweisem Dauererfolge Ermittelten litten 10 an Skrofu- 
lose ohne Veränderungen der Lungen oder Luftröhren. Sämtliche hatten vollen 
Entlassungserfolg erzielt. Bei den Nachuntersuchungen wurde lediglich über 
Störungen des Allgemeinbefindens geklagt, Lungenaffektionen wurden bei ihnen 
nicht festgestellt. Bei einem damals zehnjährigen Mädchen mit dem Verdacht 
einer Bronchialdrüsenerkrankung, die objektiv jedoch nicht festzustellen war, 
wurde bei einer erneuten Aufnahme 4 Jahre später eine geringfügige Be- 
teiligung der Hilen gefunden. Von den übrigen 9 hatten 4 chronische Luft- 
röhrenkatarrhe; sie hatten vollen Kurerfolg erzielt und bei der Entlassung 
keine oder ganz geringfügige Reste behalten. Zwei weitere hatten seinerzeit 
nur teilweisen Kurerfolg gehabt, zwei andere waren wegen Infektionskrankheiten 
vorzeitig entlassen worden, Bei dem letzten Kinde waren tuberkulöse Abszesse 
an der Hand und am Ellenbogen ausgeheilt. Es wurden bei der Nachunter- 
suchung nur bronchitische Erscheinungen und mäßiges Allgemeinbefinden 
gefunden. 

II. Die 45, die von der Gruppe der Bronchialdrüsentuberkulose einen 
vollen Dauererfolg erzielt hatten, hatten auch bis auf einen Knaben mit aus- 
gedehnter chronischer Bronchitis einen guten Kurerfolg aufzuweisen gehabt; 
aber auch dieser letztere war in seiner Leistungsfähigkeit durch seine Bron- 
chitis nicht beeinflußt. Unter den anderen befand sich ein Mädchen mit 
Bronchialasthma, das während ihrer Kurzeit anfangs freigeblieben, nach Wieder- 
aufnahme des Schulbesuches aber ihre alten Beschwerden wiederbekommen 
hatte. Diese Kleine wurde später durch endobronchiale Behandlung soweit 
gebessert, daß sie wieder schulfähig wurde und bei der Nachuntersuchung 
überhaupt nicht mehr über asthmatische Beschwerden klagte. 

Von den 14 mit teilweisem Dauererfolge Ermittelten hatten seinerzeit 7 
einen vollen, 7 einen teilweisen Entlassungserfolg erzielt. 4 von den letzteren 
hatten ausgedehnte chronische Katarrhe, zwei andere in einem Unterlappen 
lokalisierte.e Die 7. war in psychischer Beziehung familiär belastet und bot 
zahlreiche neurasthenische Beschwerden. Die anderen waren zumeist zarte, 
schwächliche Kiuder, bei denen mehrfach angeratene Kurwiederholungen unter- 
blieben und zurückgedrängte bronchitische Erscheinungen rezidiviert waren. 
Ferner gehört ein Mädchen mit einer tuberkulösen Peritonitis hierher, die sich 
4 Jahre nach ihrer Kur eines ganz guten Befindens erfreute. 

Der ohne Erfolg gebliebene Patient litt außer an Bronchialdrüsentuber- 
lose an tuberkulöser Spondylitis, die sich allmählich verschlechterte und die 
Ursache seines Mißerfolges wurde. 

Auch von den beiden Verstorbenen war ein 6jähriger Junge mit einer 
tuberkulösen Knochenerkrankung — fistelnder Rippentuberkulose — behaftet. 
Er war nur einige Wochen in der Anstalt, da seine unvernünftige Mutter ihn 
bei sich haben wollte und verstarb 2 Jahre später. Die andere war ein 
gjähriges sehr zartes Mädchen, das ein Jahr nach seiner N einer 
generalisierenden Tuberkulose erlag. 

IV. Die dem Stadium I angehörenden Kinder betreffen sowohl solche 
mit Veränderungen der Lungenspitzen wie der Lungenhilen, soweit diese nicht 


BD FT? NACHUNTERSUCHUNGSERGEBNISSE VON KINDERN USW. 95 
augenscheinlich in den Drüsen lokalisiert waren. Der Anteil der Spitzen- 
erkrankungen steigt mit den Jahren und war im allgemeinen doppelt so groß 
als der der Hiluserkrankungen. Ob die eine oder andere Form vorliegt, ist 
natürlich nicht immer einwandfrei festzustellen, zumal dann ‘nicht, wenn bei 
röntgenologisch ausgesprochener Hiluserkrankung sich klinische Veränderungen 
nur an den Spitzen finden. Die mit bestem Kurerfolge Ermittelten boten in 
der Regel nur geringfügige Abweichungen, immerhin waren ı7mal (= 11,8°/,) 
isolierte Rasselgeräusche über den Spitzen vorhanden. Zahlreicher waren pleu- 
ritische Veränderungen an den basalen Partien, seltener Ausdruck akuter Ent- 
zündungen als pleuraler Adhäsionen. Mit Ausnahme von 8 Fällen war ein 
guter Entlassungserfolg erreicht worden. Von diesen 8 waren bei dreien aus- 
gedehnte chronische Katarrhe neben Induration der Spitzen, bei weiteren dreien 
ausgedehnte pleuritische und bei den restlichen nicht beseitigte Spitzengeräusche 
der Grund, weshalb die Betreffenden es nur zu einem mäßigen (B) Erfolg ge- 
bracht hatten. Trotzdem erwies sich später ihre Leistungsfähigkeit und ihr 
Gesamtbefinden als unbeeinträchtigt. 

Von den 19 mit teilweisem Erfolge ist einer zunächst auszuscheiden, der 
nur einige Tage in der Anstalt war. Von den 18 übrigen bestanden in 3 Fällen 
keine Komplikationen. Bei 4 weiteren handelte es sich um besonders zarte 
Kinder, 7 waren mit ausgedehnteren Luftröhrenkatarrhen kompliziert, 4 mit 
trockenen Pleuritiden. | Ä | 

In schlechter Verfassung waren ein Iojähriges Mädchen mit Infiltration 
einer Spitze und ausgedehnter trockener Pleuritis, das nur 4 Tage in der 
Anstalt behandelt wurde, sowie ein 7jähriger Knabe mit beiderseitiger fieber- 
hafter Hilustuberkulose, der einen Kurerfolg seinerzeit nicht. hatte erzielen 
können. 

6 Kinder waren bei Einziehung der Erkundigungen verstorben. 2 waren 
nicht ihrer Tuberkulose erlegen. Beide waren seinerzeit als geistig minder- 
wertige und unerziehliche Elemente entlassen worden. Das eine ertrank beim 
Baden im Rhein, das andere fiel einem Nierenleiden zum Opfer. Ein gjähriger 
Knabe erlag einer tuberkulösen Meningitis, ein IIjähriges Mädchen einer 
Hämoptoe, die beiden letzten, gjährige Mädchen, erlagen ihren Komplikationen, 
die eine einer schweren Beckentuberkulose, die andere einer hochgradigen 
Pulmonalstenose. Ä 

Stadium II: Die Dauererfolge des IL Stadiums sind naturgemäß erheb- 
lich weniger günstig als die des ersten; immerhin erzielten 26 = 49°/, einen 
vollen Dauererfolg. Vergleichen wir hiermit die Augenblickserfolge der vorauf- 
gegangenen Jahre, so kommen wir für 1914—1915 auf 64°/,, 1913—1914 auf 
55° 1913 auf 50°/,. Sie sind also nicht viel schlechter als diese; jedoch 
decken sich Dauer- und Augenblickserfolg keineswegs, da sich unter den 26 
auch 7 mit teilweisem (B) Entlassungserfolge befanden und andererseits 7 Kinder 
mit gutem Kurresultat es 6mal nur auf einen mäßigen und einmal sogar auf 
keinen Dauererfolg brachten. Daß es sich bei dieser Rubrik um ernstere 
Krankheiten handelt, geht auch daraus hervor, daß 9 Kinder eine Wieder- 
holungskur durchgemacht haben. Dasselbe beweist der Lungenbefund: 21 hatten 


ZEITSCHR. f. 
96 SIMON. -TUBERKULOSE 


Rasselgeräusche über den oberen Lungenpartien. Io von ihnen hatten während 
ihrer Kurzeit diese Geräusche vollkommen, 7 bis auf geringe Reste verloren; 
die übrigen 4 brachten sie nach dem Ergebnis der Nachuntersuchungen noch 
nach ihrer Kur zurück. In diese Klasse gehört auch ein seinerzeit ı5jähriger 
Knabe mit einem beiderseitigen, fibrösen Oberlappenprozeß, der anfangs aus- 
gedehnte trockene Rhonchi über dem linken Oberlappen, sowie blutigen Aus- 
wurf aufgewiesen, seine Erscheinungen aber so vollkommen verloren hatte, dal) 
er zu Anfang des Krieges als felddienstfähig eingezogen wurde und seitdem 
als Jäger zu Pferde zuerst im Westen, dann im Osten alle Strapazen bisher 
tadellos ausgehalten hat. Von den übrigen ist ein älterer Knabe hervorzu- 
heben, der seinerzeit mit einer operierten, aber noch fistelnden Coxitis auf- 
genommen wurde. Die Fistel heilte während einer viermonatlichen Kur aus, 
der Patient ist gesund geblieben und betätigt sich eifrig als freiwilliger Helfer 
beim Roten Kreuz. 

Von den ı7 Fällen mit teilweisem Kurerfolg war einer eine offene 
Tuberkulose, die sich nach 2 Kuren bisher gut gehalten hat. Ein Iıjähriges 
Mädchen mit einer fibrösen Induration des rechten Oberlappens ohne Katarrh 
hatte bei Einholung des Berichtes ein Jahr lang die Schule nicht besucht, ob- 
wohl es seinerzeit einen guten Kurerfolg erzielt hatte, sein Allgemeinbefinden 
als gut bezeichnet und der Lungenbefund nicht verschlechtert befunden wurde. 
7 hatten Rasselgeräusche in den oberen Lungenpartien gehabt, 5 chronische 
Pleuritiden, zum Teil mit umfangreicher Schwartenbildung, 2 feuchte Bronchial- 
katarrhee Ein mit fistelnder Jochbeintuberkulose entlassener Knabe wurde 
noch in einem auswärtigen Krankenhause behandelt. | 

Das gleiche Schicksal teilte eines der 4 ohne Dauererfolg ermittelten 
Kinder, ein neunjähriges Mädchen mit fistelnder Tuberkulose des linken Knie- 
gelenkes, Schienbeines und Fußgelenkes. Auch hier tritt das im II. Stadium 
befindliche Lungenleiden an Bedeutung hinter der Knochenerkrankung durchaus 
zurück. Die übrigen drei, 10—ıI4jährige Mädchen, waren infolge Verschlech- 
terung ihres Lungenleidens arbeitsunfähig. Die 14jährige hatte eine offene 
Tuberkulose. Sie hat nach ihrer Schulentlassung mehrfach mit Unterbrechungen 
gearbeitet, mußte aber in diesem Jahre wegen Verschlechterung ihres Zu- 
standes für längere Zeit ein Krankenhaus aufsuchen. 

Gestorben sind 6 Patienten des II. Stadiums. Davon wurde ein I5jähriges 
Mädchen mit offener Lungentuberkulose nur einige Tage behandelt und wegen 
eines dekompensierten Herzklappenfehlers als ungeeignet entlassen. Es ver- 
starb bald darauf an seinem Herzleiden. Ein ısjähriger Knabe mit offener 
Tuberkulose starb 3 Jahre später, ein kleines Mädchen mit hektischem Fieber 
ein halbes Jahr nach der Entlassung. Die 3 anderen waren sämtlich schwäch- 
liche, magere Knaben mit bereits ausgeprägtem phthisischen Habitus und 
katarrhalischen Lungenprozessen. Zwei hatten keinen, einer nur etwas schlei- 
migen Auswurf. Sie verstarben ein, zwei und zweieinhalb Jahre nach ihrer Kur. 

Sehr wenig befriedigend sind im ganzen die Ergebnisse des III. Stadiums. 
Ein guter Erfolg ist in keinem Falle erzielt worden. 6 hatten immerhin einen 
teilweisen. Am besten ergangen ist es einem ı9ıI behandelten, damals 


BD. %, HEFT 2. NACHUNTERSUCHUNGSERGEBNISSE VON KINDERN USW. 97 


ıojährigen Knaben. Er hatte eine schwere Erkrankung der. rechten Seite mit 
amphorischem Atmen an einer kleinen Stelle und klingendem Rasseln. Aus- 
wurf war, wie so oft bei Kindern, nicht zu erlangen. Im März dieses Jahres 
traf er in ganz gutem Zustande wieder ein; nur im Jahre 1913 war er 3 Monate 
lang krank gewesen, sonst hatte er regelmäßig die Schule besucht. Ampho- 
risches Atmen war noch an derselben Stelle wie früher zu hören, im übrigen 
hatte sich der Prozeß fibrös umgewandelt. Der Auswurf war schleimig und 
enthielt keine Tuberkelbazillen. Ähnlich gut hat sich ein ı4jähriger Knabe 
gehalten. Bei ihm bestand eine hochgradige Schrumpfung der linken Lunge, 
die die Trachea bogenförmig zwei Querfinger über den linken Wirbelsäulen- 
rand herübergezogen hatte. Er arbeitet ziemlich regelmäßig als Hausbursche. 
Ebenso glänzend hat ein ı5jähriger Knabe mit ausgedehnten fibrös-katarrha- 
lichen Prozessen beider Seiten die ihm gestellte schlechte Prognose enttäuscht; 
er arbeitet jetzt sogar regelmäßig als Färber. Ein ı5jähriges Mädchen mit 
offener Tuberkulose, das während seiner Kur bazillenfrei wurde, hilft seiner 
Mutter ständig im Haushalt und erfreut sich eines leidlichen Befindens. Das- 
selbe gilt von einem ı4jährigen Mädchen mit einer kleinen Kaverne des linken 
Oberlappens, das zweimal in der Anstalt war und am Ende der zweiten Kur 
geradezu blühend aussah. Damit sind allerdings unsere einigermaßen guten 
Erfahrungen zu Ende; denn sämtliche übrigen Fälle sind bereits verstorben. 

Unter diesen, zehn an der Zahl, befinden sich 8 offene Erkrankungen 
und 2 ohne Auswurf. 4, bei denen wegen schlechten Zustandes von jedem 
Kurversuch abgesehen wurde, sind sämtlich 1—6 Monate nach der Entlassung 
verstorben. Von den übrigen verstarben 2 nach einem halben, 4 nach einem 
und einer nach zwei Jahren. 

Die geschilderten Nachuntersuchungsergebnisse bilden natürlich nur einen 
Anfang und werden ihren vollen Wert erst erringen, wenn sie regelmäßig fort- 
gesetzt werden. Immerhin gestatten sie auch jetzt schon, mehrere für das Heil- 
verfahren tuberkulöser Kinder nicht unwichtige Schlüsse zu ziehen. 

Nichttuberkulöse Katarrhe der Luftwege und der Lunge, ebenso nicht- 
tuberkulöse Rippenfellverwachsungen beeinträchtigen die Leistungsfähigkeit nicht 
oder nicht wesentlich. Sie werden aber nicht so selten ungünstiger beurteilt 
als sie verdienen, teilweise wohl aus Mißtrauen gegen die Diagnose. Diese ist 
ja in der Tat nicht immer leicht, z. B. wenn bei rachitischen Thoraxverände- 
rungen und leichten Wirbelsäulenverkrümmungen sich Schallverkürzungen und 
-unterschiede ergeben. Diese werden hartnäckig auf tuberkulöse Spitzen- 
affektionen bezogen und bildeten sogar die Ursache wiederholter Einweisung. 
Anders verhält es sich mit asthmatischen Beschwerden, die fast immer die 
Leistungsfähigkeit recht vermindern. Asthmaanfälle sieht man in der Heilstätte 
selten, ohne daß wir ein immunes Klima für uns in Anspruch nehmen, sie 


treten aber bei erneutem Schulbesuch bald wieder ein. Gelingt es, diese 


Kinder erneut in die Anstalt zu bekommen und sie neben der Allgemein- 
behandlung einer lokalen Therapie etwaiger Nasenveränderungen, Heißluft- 
inhalationen oder endobronchialer Behandlung zu unterziehen, werden die 
Resultate erheblich besser und dauerhafter. 

Zeitschr. f. Tuberkulose. 25. 7 


ZEITSCHR. f. 
98 SIMON. TUBERKULOSE 


Drüsentuberkulose und Skrofulose bilden ebenfalls keine das Leben be- 
drohenden Zustände und entwickeln sich bei entsprechender Behandlung auch 
nicht zu solchen, wenn Erkrankungen der Bronchialdrüsen und Lungen fehlen. 
Nur in einem Falle konnte bisher die Verwandlung einer okkulten Hilus- 
affektion in eine jedoch gutartige manifeste festgestellt werden. Bezüglich der 
Leistungsfähigkeit gilt das von dem Nichttuberkulösen Gesagte, wenn nicht be- 
sondere Verhältnisse, z. B. Augenleiden, vorliegen. 

Unter den Bronchialdrüsentuberkulösen finden wir schon in größerem 
Maße zarte und schwächliche Kinder, die durch ihre Erkrankung natürlich 
mehr beeinträchtigt werden als robuste, sicherlich auch durch sie in ihrer Ent- 
wickelung zurückgehalten werden. Nimmt dieser Schwächezustand höhere 
Grade an, droht die Gefahr der Überwältigung des Organismus und die Ent- 
stehung einer generalisierten Tuberkulose. Hier muß die Heilstättentherapie 
nachdrücklich und wiederholt eingreifen, um dem Körper wieder und wieder 
erneute Widerstandskraft einzuflößen. In solchen Fällen halte ich wiederholte 
Kuren für wirkungsvoller als eine lange. Wo das trotz dahingehenden Rates 
unterblieben ist, sahen wir als Folge beeinträchtigte Schulfähigkeit. Noch ge- 
fährlicher erweist sich die körperliche Minderwertigkeit und phthisischer Habitus 
bei schon bestehenden Lungenaffektionen. Unter den Verstorbenen finden wir 
Schwächliche in unverhältnismäßig großer Zahl. Leichtere Lungenerkrankungen 
verhalten sich nicht ungünstiger als Hilusdrüsenprozesse. Als neue Gefahr 
tritt jedoch die Hämoptoe hinzu, die einmal die Todesursache bildete. Deut- 
liche Unterschiede im Verhalten leichterer Spitzen- resp. Hilusprozesse konnten 
nicht festgestellt werden, bei schwereren sind die Hiluserkranknngen pro- 
gnostisch etwas ungünstiger. 

Prognostisch ziemlich ungünstig verhalten sich fistelnde Knochenerkran- 
kungen. ‚Unter den Verstorbenen befinden sich zwei mit Rippen- resp. Becken- 
tuberkulose, unter den Arbeitsunfähigen eine mit Kniegelenks- und eine mit 
Wirbelsäulenerkrankung. Ein anderer Knabe wird seit mehreren Jahren in 
einem Krankenhause weiter behandelt. Nun sind selbstverständlich bei diesen 
Knochenerkrankungen Kuren von 2—3 Monaten gänzlich unzureichend und 
daher zwecklos. Am wirkungsvollsten ist sicherlich das Handinhandarbeiten 
des Heilstättenarztes mit dem Chirurgen. Wo operative Eingriffe möglich und 
Erfolg versprechend sind, sollten sie gewißlich ausgeführt werden. Die Heilung 
selbst wird dann am besten in einer Heilstätte abgewartet. Der oben erwähnte 
Pfleger vom roten Kreuz ist hierfür das beste Schulbeispiel. Wie weit die 
Dauererfolge der nicht operativen Allgemeinbehandlung tuberkulöser Knochen- 
erkrankungen im heimischen Klima gehen werden, bleibt der Aufstellung 
größerer Zahlenreihen vorbehalten. 

Die alte Erfahrung von der verhängnisvollen Verschlechterung der 
Prognose durch einen leichtsinnigen und unerziehlichen Charakter sehen wir 
auch an unserem Material bestätigt. Ein Knabe ist seiner Veranlagung un- 
mittelbar zum Opfer gefallen. Recht häufig finden wir auch. bei den un- 
günstigeren Dauerresultaten den Vermerk der vorzeitigen Entlassung, wobei 
jedoch den Eltern mehr als den Kindern der Vorwurf der Unverständigkeit 


De in weis der SED nn & 


BD.%, HEFT2. NACHUNTERSUCHUNGSERGEBNISSE VON KINDERN USW. 99 


zur Last fällt. Ein zahlenmäßiger Vergleich der Patienten mit vollständiger 
bzw. unvollständiger Kur ist allerdings noch nicht möglich. 

Die offene Tuberkulose im Kindesalter gilt von jeher als prognostisch 
ganz besonders ungünstig. Von den 14 Fällen, die in unserem Material ent- 
halten sind, sind 4 Jahre später 10 = 71,4°/, gestorben, einer = 7,2°/, befand 
sich im Krankenhause und drei = 21,4°/, sind teilweise arbeitsfähig. Die Aus- 
siebung. der ziemlich Leistungsfähigen erfolgt im ganzen rasch, längeres Siech- 
tum ist nicht häufig, viel seltener jedenfalls als bei Erwachsenen. Von be- 
sonderer Bedeutung ist hier neben der Möglichkeit guter häuslicher Pflege und 
Beschäftigung lediglich im elterlichen Haushalt der körperliche Zustand. Kräf- 
tige Kinder halten sich besser als schwächliche, ältere besser als jüngere. Ob 
es aber überhaupt möglich ist, diese Kinder dauernd zu erhalten und über die 
kritischen zwanziger Jahre hinwegzubringen, muß sich noch zeigen; man möchte 
es fast bezweifeln. Jedenfalls erwiesen sich Kinder selbst mit schweren Krank- 
heitsprozessen ohne Auswurf als widerstandsfähiger, denn solche mit offenen, 
wenn auch weniger ausgedehnten Erkrankungen. Für diese sollte man bei 
neuen Kinderheilstätten von vornherein getrennte Abteilungen einrichten und 


auf ihre Hospitalisierung und Unschädlichmachung größeren Wert legen als 


auf ihre Behandlung. Bisher sind die offenen Kindertuberkulosen in dieser 
Hinsicht gegenüber den gleichen Erkrankungen bei Erwachsenen recht ver- 
nachlässigt worden. | 


Bu a 


77 


100 WILHELM NEUMANN. er 


VII. 
Zum Wesen und zur Behandlung der üblen Zufälle bei der 
Pneumothoraxtherapie. 


Von 
Dr. Wilhelm Neumann (Nervi bei Genua, z. Z. Baden-Baden). 


aß es eine eigentliche Therapie der üblen Zufälle bei der Pneumothorax- 

e ; behandlung nicht gibt,. ist nicht verwunderlich. Einerseits ist man 
PASAJ trotz der heute vorherrschenden Ansicht, es handle sich um Luft- 
embolie, doch noch durchaus nicht in jedem Falle über die Entstehungsweise 
dieser Zufälle einig, und selbst Brauer, dem wir vor allem die fleißige Be- 
arbeitung der wichtigen Frage verdanken, gibt zu, daß man in gewissen Fällen 
von Pleurareflex reden müßte. Andererseits sind diese Ereignisse zu selten, zu 
neu; sie kommen auch meist zu überraschend, so daß das Unglück vielleicht 
schon paar ist, bevor man Zeit zum Überlegen hatte, was eigentlich zu 
tun sei. 

Diese Zeilen wollen sich von der noch im Flusse befindlichen Kontro- 
verse, ob Pleurareflex, ob Embolie, fernhalten. Es sollen in ihnen auf Grund 
vorhandener, gut beobachteter Tatsachen rein theoretische Erwägungen an- 
gestellt werden, wie man auf einer gemeinsamen Grundlage die heute noch 
verschieden erscheinenden Phänomene beeinflussen könnte. 

Nur muß hier davon abgesehen werden, allen Theorien, die bis heute 
für die Entstehung der üblen Zufälle aufgestellt worden sind, gerecht zu werden. 
Wir nehmen an, daß es in erster Linie Luftembolie und Pleuraschock seien, die 
die Zufälle herbeirufen. 

Sicherlich kann man der eventuell möglichen Abknickung der großen 
Gefäße infolge von Verlagerung des Herzens bei der Ätiologie der üblen Zu- 
fälle keine große Rolle zuweisen. 


Zum Beispiel wurde in Freiburg i. Br. vor mehreren Jahren ein Mann ge- 
zeigt, der sein Herz ohne Schwierigkeiten von der linken Brusthälfte in die rechte 
verlegen konnte, der es fertig brachte, sämtliche Baucheingeweide in das Gebiet des 
knöchernen Thorax hineinzupacken usw. Trotz der dabei notwendigen, starken 
Verlagerung des Herzens kam es zu keinerlei Abknickung der Gefäße. 


Einen anderen Fall, der zeigt, wie sehr sich die großen Gefäße den gegebenen 
Umständen anpassen, erlebte ich kürzlich in meiner Praxis. Einer jungen Russin 
mit sehr labilem Herzen (Puls dauernd über 100) wurde die 3. Pneumothorax- 
nachfüllung (linksseitig) gemacht. Sie lag dabei auf der rechten Seite. 450 ccm 
Stickstoff wurden langsam eingelassen, die Pat. mehrfach gefragt, wie sie sich fühle, 
worauf immer die Antwort „gut“ erfolgte. Der Puls war wie gewöhnlich. Nach 
beendigter Nachfüllung lag die Pat. noch ein paar Minuten ruhig auf der rechten 
. Seite und wurde dann vor den Röntgenschirm geführt. Guter Pneumothorax, vom 
Herzen aber war nichts zu sehen. Die Pat. fühlte sich vollkommen wohl. 
Eben wollte ich dem Kollegen, der mir assistiert hatte, die Seltsamkeit zeigen, da 
sprang mit einem Ruck das Herz an seine normale Stelle. Es war ein eigentüm- 
licher Anblick. Die sehr intelligente und sich gut beobachtende Pat. hatte nicht 
das geringste Gefühl von all dem gehabt. 


BD. 25, HEFT2. WESEN UND BEHANDLUNG DER UBLEN ZUFÄLLE, IOI 


Nach diesem glaube ich nicht, daß die Verlagerung des Herzens für Gi 
Ätiologie der üblen Zufälle viel bedeuten kann. 

Ferner interessieren uns hier die Embolien durch Gaseintritt vom großen 
Kreislauf aus weniger, weil nämlich schon ziemlich beträchtliche Mengen Gas 
vom rechten Herzen aus in die Lungenarterien getrieben werden müßten, um 
eine vollkommene, plötzliche Verlegung so vieler Lungenkapillaren zu ver- 
ursachen, daß der Tod dadurch eintreten. müßte. Das darf aber nach dem 
jetzigen Stande der Entwicklung unserer Öperationstechnik nicht mehr vor- 
kommen. Außerdem geht nach verschiedenen, in der kürzlich in Brauers 
Beiträgen erschienenen Arbeit von Wever (I) über zerebrale Luftembolie 
zitierten Autoren hervor, daß die Lunge kein. unüberwindliches Hindernis für 
die Passage der Luftbläschen darbietet und daß die Luft durch sie durchge- 
preßt werden kann. Es kommt also auch dieser Zufall einer Luftembolie ins 
Gehirn gleich. 


Nachdem wir also die Ätiologie auf Luftembolie im Gehirn und Pleura- 
schock begrenzt haben, fragen wir uns, ob uns bei dem Krankheitsbilde der 
üblen Zufälle die Klinik oder die pathologische Anatomie Anhaltspunkte geben, 
zu erkennen, was das Wesen dieser Zufälle sei. Die Klinik sagt uns, daß so- 
wohl Fälle, die ganz zweifellos Luftembolie sind, als auch sicherer Pleuraschock 
ganz gleiche Symptome darbieten können. Also muß ihrem Wesen auch etwas 
Gemeinsames zugrunde liegen. 

Was das ist, könnte uns vor allem die pathologische Anatomie lehren. 
Leider sind aber die Sektionen nur spärlich ausgeführt, und gerade auf den 
Punkt, den ich bei diesen Erörterungen im Auge habe, ist — wie wir gleich sehen 
werden — meist wenig Gewicht gelegt worden. Ob fernerhin die Sektions- 
befunde analog den Vorgängen sind, die während des üblen Zufalls statt- 
finden, ist auch nicht mit absoluter Sicherheit zu sagen. Oft genug finden 
sich bei zweifelloser Luftembolie keine Gasblasen im Gehirn oder die gefun- 
denen Gasblasen müssen als Folgen des Todes oder der Sektion angesprochen 
werden. 


Worauf ich bei der Lektüre der Sektionsberichte besonders mein Augen- 


merk richtete, das ist das Verhalten der Gefäße, und zwar der Bauch- 
gefäße und der Hirngefäße, 

Auf das Verhalten der Hirngefäße geht vor allem Sundberg(2) in dem 
ersten seiner 3 Obduktionsfälle ein. Er sah bei diesem Falle bei der Sektion 
keine Gasblasen in den Gefäßen, fand aber am konservierten Gehirn zahlreiche 
herdförmige Anämien in der Rinde, die makroskopisch bei der Obduktion 
durch die allgemeine Blutüberfüllung der Rinde verborgen geblieben waren. 
„Daß die anämischen Partien — so schreibt er — nicht auf einer künstlichen 
Änderung der Blutfüllung nach der Obduktion beruhen dürften, scheint teils 
daraus hervorzugehen, daß die Anämien an der Schnittfläche beim Durch- 
schneiden der ursprünglichen großen Gehirnstücke hervortreten, teils daraus, 
daß die Anämien in den übrigen Gehirnteilen .... fehlen und daß sie in Flecken 
vermischt mit den allgemein hyperämischen Rindengebieten auftreten.“ Sund- 


Ui 


102 WILHELM NEUMANN. lock 


berg sah bei diesem Gehirn in den kleinsten Gefäßen der Hirnrinde zahlreiche, 
hyalin-körnige und leukozytäre Thromben, die wahrscheinlich in den Gefäßen 
entstanden sind, die zuerst kontrahiert und dann thrombosiert worden sind. „Die 
encephalomalacischen Herde scheinen in diesem Falle auf gewöhnliche Weise 
entstanden zu sein, d.h. infolge Ischämie in den betreffenden Hirnrindengebieten. 
Die Ischämie mag dann ihrerseits eine Folge von Gasembolie bzw. von Throm- 
benembolismus von den Lungenvenen her nach Brauer oder von vasomoto- 
rischem Gefäßkrampf auf dem Reflexwege von der Pleura her, d.h. ein Pleura- 
schock sein, wie Forlanini meines Erachtens den Fall wohl deuten würde“. 

Im zweiten Falle Sundbergs finden wir die kleinen Gefäße der Hirn- 
rinde erweitert und mit Blut gefüllt. Der Tod dieses Patienten ist aber durch 
Laryngospasmus eingetreten. 

Der dritte Fall hingegen zeichnet sich wieder durch Blutarmut des Ge- 
hirns aus (S. 330). 

Saugman(3) hat zwei Obduktionen gemacht: er sieht den ersten Todes- 
fall als durch Schockwirkung, den zweiten durch Luftembolie hervorgerufen an. 
Im ersten Falle findet sich eine Anämie des Gehirns, im zweiten bietet das 
Gehirn nichts Charakteristisches. 

Ich will noch einen Fall Brauers aus der Weverschen Arbeit (S. 270) 
erwähnen, bei dem sich „strotzende Blutfülle der Venen beider Hemisphären 
und mikroskopisch feinste Luftbläschen in den Hirnkapillaren finden.“ 


Wie verhalten sich in den eben zitierten Fällen die Bauchgefäße? Leider 
finden sich nur wenige Angaben darüber. Das Hauptaugenmerk wurde bei 
den Sektionen meist auf das Vorhandensein von Luftblasen im Herzen oder 
im Gehirn gerichtet. So gibt Sundberg für seine beiden ersten Fälle keinerlei 
Auskunft über das Verhalten der Bauchgefäße. Erst bei Fall 3 lesen wir in 
bezug auf die Blutverteilung: „Die sämtlichen Gefäße des Bauches auf- 
fallend blutstrotzend. Die Vv. spermaticae beispielsweise als finger- 
dicke Wülste vorspringend. Betreffs der Blutverteilung sei ferner 
bemerkt, daß der geringe Blutgehalt des Herzens und der Hals- 
venen sowie der Sinus der harten Haut stark gegen die eben so 
auffallende Blutfülle der Venen des Bauches und der Aorta kon- 
trastiert. Sehr reichlich war die Blutmenge in Leber und Pankreas.“ 

Saugman berichtet von der Sektion seiner beiden Fälle, daß bei dem 
einen Leber und Milz stark blutgefüllt waren (über die andern Bauchgefäße 
keine Angaben) und daß bei dem zweiten alle Unterleibsorgane stark 
blutgefüllt gewesen wären. In der Arbeit von Wever ist das Aussehen 
der Bauchgefäße nicht angegeben. 


Wenn wir das eben geschilderte Verhalten der Bauch- und Hirngefäße 
kombinieren, so sehen wir, daß in den meisten Fällen sich entweder Anämie 
.des Gehirns oder Blutüberfüllung des Bauches oder sogar beides zusammen 
gezeigt hat. Nur der Fall von Wever bietet nichts dergleichen, aber es ist 
bei ihm ja über die Bauchgefäße überhaupt nichts angegeben. Warum ich ihn 
trotzdem in den Kreis der Betrachtungen gezogen habe, davon später. 


BD. 25, HEFT 2. WESEN UND BEHANDLUNG DER ÜBLEN ZUFÄLLE. 103 


Also die Fälle haben, trotzdem wir nach dem Stande unserer heutigen 
Kenntnisse eine verschiedene Ätiologie für sie annehmen, doch etwas Gemein- 
sames. Und dies Gemeinsame muß, wenn auch nicht die Ursache, so doch 
das Wesen jener lebensgefährlichen Störung ausdrücken. 

Wir definieren darum so: Das Wesen der üblen Zufälle besteht einer- 
seits im Aufhören der normalen Blutversorgung gewisser Hirnteile, was ent- 
weder hervorgerufen wird durch reflektorische Kontraktion der Gefäße oder 
durch Verstopfung der Gefäßlumina durch Gasbläschen. Aber die Gasbläschen 
können — wie weiter unten erörtert werden wird — wahrscheinlich im Augen- 
blicke ihres Anschlagens an die Gefäßwände diese reflektorisch zur Kontraktion 
bringen und dadurch noch fester gefangen und an der Vorwärtsbewegung 
vollkommen gehindert werden. 

Andererseits kommt es, wie die Sektionsberichte zum Teil zeigen, zu 
einer starken Erweiterung der vom Splanchnicus versorgten Bauchgefäße mit 
konsekutiver Verblutung in das Splanchnicusgebiet hinein und zur Blutdruck- 
senkung, durch die das Funktionieren des Herzens sehr in Mitleidenschaft ge- 
zogen werden kann. 

Diese beiden Zufälle: Hirnanämie (durch Kontraktion oder Luftembolie) 
und Verblutung in die erweiterten Bauchgefäße machen das Wesen 
der üblen Zufälle aus. Ob der Laryngospasmus (wie im zweiten Falle 
Sundbergs und in Brauer und Spenglers(4) Fall) eine reine Reflexwirkung 
ist oder die Folge einer Luftembolie ins Gehirn, soll hier nicht erörtert werden. 
Im ersten Falle können wir ihn gesondert betrachten, im zweiten gehört er 
unter die Gruppe der Hirnanämie. 

Es muß nun weiter untersucht werden, ob die Verblutung in das Splanch- 
nicusgebiet eine primäre oder sekundäre Erscheinung ist. Wir erinnern uns 
zu diesem Zwecke an das, was E. Weber(5) in seinem Buche über den Einfluß 
psychischer Vorgänge auf den Körper, insbesondere auf die Blutverteilung auf 
Grund exakter Experimente ausführt. Weber findet, daß (S.377) „bei Unlust- 
gefühlen (Schreck, Schmerz usw.) eine aktive Kontraktion der Hirngefäße und 
eine Abnahme der Blutfülle des Gehirns im ganzen eintritt. Diese aktiven 
Gefäßveränderungen betreffen mit Bestimmtheit die Hirnrinde, ob und wie weit 
die anderen Hirngefäße dabei beteiligt sind, kann nicht festgestellt werden.“ 
Er erklärt das Zustandekommen dieser Kontraktion der Hirnrindengefäße da- 
mit, daß bei Unlustgefühlen die Sauerstoffzufuhr zur Hirnrinde vermindert 
werden solle, um deren Empfindungsfähigkeit herabzudrücken. 

Außer der Zusammenziehung der Hirngefäße kommt es bei Unlustgefühlen 
zu einer aktiven Erweiterung der Bauchgefäße (S. 386). 

Daraus geht hervor, daß wir die Verblutung ins Splanchnicusgebiet mit 
der lebensbedrohenden Blutdrucksenkung als sekundär auffassen müssen, her- 
vorgerufen durch Unlustgefühle. Die Unlustgefühle sind einerseits bewußt: ver- 
ständlicherweise kann der Gedanke an die Operation und das Gefühl von 
Schmerzen nichts anderes als Unlustgefühle hervorrufen. Andererseits, und in 
viel verhängnisvollerer Weise (denn hierbei können sie nicht durch die Ver- 
nunft reguliert werden), spielen sie sich unter der Schwelle des Bewußtseins 


ZEITSCHR., f. 
IO 4 WILHELM NEUMANN. TUBERKULOSE 


ab. Ich hoffe, es klingt nicht zu ungeheuerlich, wenn ich in einer medizinischen 
Abhandlung von dem Empfinden der einzelnen Zelle spreche. Unter dieser 
Voraussetzung kann man sich wohl vorstellen, daß die Hirngefäße im Augen- 
blicke, wo sie mit den ihnen vollkommen fremden Luftbläschen in Berührung 
kommen, derart starke Unlustempfindungen haben, daß sie sich maximal kon- 
trahieren und daß im gleichen Momente die Ahnung der großen Gefahr — 
noch ehe sie ins Bewußtsein dringt — das Unterbewußtsein in solchen Schrecken 
und Unlust versetzt, daß auch gleichzeitig die Bauchgefäße sich erweitern. Ich 
erinnere hier an die dem epileptischen Anfalle oft vorausgehende Aura. Die 
bei der Sektion in dem angeführten Weverschen Falle und im zweiten Falle 
Sundbergs gefundene strotzende Blutfülle der Venen des Gehirns kann man 
sich durch Stauung erklären, zumal da sie symmetrisch auf beiden Hemisphären 
zu finden ist.') 


Unter den Mitteln, die bisher zur Reparation der üblen Zufälle ange- 
wandt wurden, sind vor allem Äther, Kampher, Digitalis und Morphium sub- 
kutan erwähnt. Ferner künstliche Respiration (von der Saugman neuerdings 
abrät), rhythmisches Hervorziehen der Zunge, Sauerstoffinsufflationen, manuelle 
und elektrische Herzmassage. 

Dasjenige Mittel, das nach den obigen Darlegungen sich am wirksamsten 
erweisen muß, nämlich die intravenöse Injektion von Adrenalin, finde 
ich in der mir zur Verfügung stehenden Literatur nur einmal angegeben, näm- 
lich in der Arbeit von Orlowski und Fofanow (6). 

Wenn wir uns vergegenwärtigen, daß es sich bei den üblen Zufällen nicht 
so sehr um ein Erlahmen des Herzens, sondern vielmehr des Kreislaufs handelt 
und daß außerdem abnorme Kontraktionszustände in den Hirngefäßen sich vor- 
finden, so werden wir bald sehen, daß das Adrenalin hier wohl mit einem 
Schlage an den verschiedenen Orten helfend eingreifen kann. Zu diesem Zwecke 
wollen wir kurz die Wirkungen des Nebennierenextraktes uns vor Augen rufen: 

Die Adrenalinwirkung macht sich vor allem geltend in starker, wenn 
auch vorübergehender Blutdrucksteigerung. Diese findet ihren Grund in einer 
Vasokonstriktion, einer maximalen Verengerung besonders der vom 


- 


1) Nach Beendigung dieser Arbeit (Juli 1914) fand ich in Nr. 42/43 Jahrg. 1914 der Münch. 
med. Wchschr. einen Aufsatz von Weigandt-Hamburg-Friedrichsberg, „Geisteskrankheiten im 
Kriege“, in der er folgendes über den Schock schreibt: 

„Eine gesonderte Berücksichtigung verdient der Schock auf Grund reflektorischer Lähmung 
des Vasomotorenzentrums bei einer Einwirkung des Traumas auf die sensiblen Nerven. Hier ist 
es ratsam, dem Hirn rasch Blut zuzuführen, am besten mittels Autotransfusion, der Tieflagerung 
des Kopfes, dem Einwickeln der Beine und des Unterleibs, sowie Wärmeanwendung. 

Mehrfach wurde im Krieg ‘beobachtet, daß ein Soldat fällt, wenn ein großes Geschoß ledig- 
lich an ihm vorbeiflog, offenbar infolge des Luftdrucks, der eine solche schwere Schockerscheinung 
hervorbrachte. Der Betreffende ist gewöhnlich völlig apathisch, reagiert kaum noch auf Anruf, die 
Extremitäten sind schlaff gelähmt, der Puls ist verlangsamt und flatternd, die Temperatur ist unter- 
normal, die Gliedmaßen sind schlaff gelähmt, ebenso besteht Schluckläihmung, sowie Inkontinenz. 
Nach mehreren Stunden tritt gewöhnlich der Tod ein.“ 

Man beachte, daß unsere Definition des Wesens der üblen Zufälle, Hirnanämie und Ver- 
blutung in die Bauchgefäße, mit der üblichen Definition des Schocks zusammenfällt und daß auch 
im klinischen Verhalten von Schock und üblem Zufall eine große Ähnlichkeit besteht. In der Tat 
glauben wir, daß die üblen Zufälle bei der Pneumothoraxtherapie, gleichgültig, ob durch Embolie 
oder sogenannten Pleuraschock hervorgerufen, letzten Endes einen regelrechten Schock darstellen, 


BD. 25, HEFT2. WESEN UND BEHANDLUNG DER ÜBLEN ZUFÄLLE. 105 


Splanchnicus versorgten Gefäße,.aber auch der Hautgefäße. Die 
Vasokonstriktion ist zum weitaus größten Teile unabhängig vom Zentrum und 
findet auch bei vollkommener Zerstörung des Zentralnervensystems, sowie in 
der Narkose statt. „Wenn nun — sagt Biedl(7) auf Seite 434 — durch eine 
Verengerung des Splanchnicusgebietes eine hochgradige Drucksteigerung aus- 
geübt wurde, dann werden sich in anderen Abschnitten des Gefäßsystems die 
Folgen des hohen Druckes durch passive Erweiterung umsomehr. geltend 
machen, je weniger das betreffende Gefäßgebiet selbst durch die Substanz aktiv 
verengert wird. Solche an der Vasokonstriktion in relativ geringem Maße be- 
teiligten Gefäßgebiete sind anscheinend die Gefäße der Extremitäten, ferner 
die Gefäße des Gehirns und der Netzhaut, die Gefäße der Lungen und 
die Koronargefäße des Herzens. 

In bezug auf die Gefäße des Gehirns zeigte Spina, daß diese durch 
die intravenöse Injektion stark erweitert werden, so daß bei eröffnetem 
Duralsack eine bis zum Hirnprolaps führende Hyperämie auftreten kann.“ Daß 
diese Erweiterung nicht nur passiv durch die Verengerung des Splanchnicus- 
gebietes hervorgerufen wird, zeigen die neuesten Untersuchungen von Cow 
(zitiert bei Biedl S. 462), nach dem die überlebenden Koronararterien und in 
‚geringerem Maße auch die Gehirnarterien durch Adrenalin erweitert werden. 

Am Herzen offenbart sich die Adrenalinwirkung meist als eine „Be- 
schleunigung der Kontraktionen und insbesondere eine Verstärkung 
der Kammersystolen. Diese Verstärkung der Herzaktion ist nicht etwa die 
Folge der beim hohen Arteriendruck gebesserten Zirkulationsverhältnisse, son- 
dern durch eine direkte Einwirkung der Substanz auf das Herz selbst hervor- 
gerufen. Am tief chloralisierten Tiere, bei dem die Herztätigkeit eine sehr 
starke Abschwächung erfahren hat oder bereits zum Stillstand gekommen ist, 
kann man durch intravenöse Injektionen von Nebennierenextrakt eine Wieder- 
belebung erzielen, so daß das Herz zunehmend kräftigere und raschere Kon- 
traktionen ausführt, der bis zur Absziße gesunkene Blutdruck wieder ansteigt, 
und bei Wiederholung der Injektion das Herz längere Zeit in guter Tätigkeit 
erhalten bleibt. 

Die Wiederbelebung des Herzens, die Beschleunigung und Verstärkung 
seiner Kontraktionen durch Adrenalin bildet zweifellos mit einen wichtigen 
Faktor der analeptischen Wirkung dieser Substanz bei den durch Gefäßlähmung 
oder temporäre Herzschwäche bedingten Kollapszuständen.“ 

Fassen wir nochmals die Wirkungen des Adrenalins zusammen. Wir haben: 

I. Eine aktive und passive Erweiterung der Hirngefäße. Dadurch wird 
einerseits den eingeklemmten Luftbläschen die Passage freigemacht und anderer- 
seits mehr Blut ins Gehirn geführt. 

2. Eine aktive, maximale Kontraktion der Bauchgefäße. Dadurch wird 
der Blutdruck gehoben (nach Sauerbruch(8) ist Blutdrucksenkung eine stetige 
Folge der Pleurareizung), das Gehirn passiv mit Blut gefüllt und die Herz- 
kraft gehoben. 

3. Eine direkte Herzwirkung — Beschleunigung der Kontraktionen und 
Verstärkung der Kammersystole. Dadurch wird das Blut wieder ins Gehirn 


. ZEITSCHR, f, 
106 WILHELM NEUMANN. TUBERKULOSE 


gepumpt, und die Gasbläschen werden. durch die vis a tergo vorwärtsgeschoben, 
so daß sie das Gehirn leichter passieren können. ` 

4. Eine aktive Verengerung der Hautgefäße, sichtbar an dem Blaßwerden 
des Gesichts und der Schleimhäute, die es verhindert, daß das Blut aus den 
sich kontrahierenden Bauchgefäßen in die Haut gepumpt werde und damit 
dem Gehirn verloren gehe. 

Auch auf den Laryngospasmus kann das Adrenalin günstig einwirken. 
Sehen wir doch beim Bronchialasthma den Krampf der feinen Bronchien, die 
ebenso wie der Larynx vom Vagus innerviert werden, sich nach Anwendung 
des Nebennierenextraktes prompt lösen. 

John(9) schreibt: „In schweren Herz- und Gefäßkollapszuständen, in 
denen die gebräuchlichen Analeptica, wie Strophantin, Coffein, Kampher usw. 
erfolglos bleiben, können intravenöse Injektionen von Suprarenin lebensrettende 
Wirkung entfalten.“ 

Die Anwendungsweise ist nach dem oben Gesagten intravenös. Bei sub- 
kutaner Anwendung tritt die Wirkung erst nach 5—ı2 Minuten auf. Wahr- 
scheinlich wird dabei durch die lokale Konstriktion der Gefäße die Resorption 
verringert. Außerdem wird ein großer Teil der Substanz — nach Straub 
(zit. bei Biedl) bis 94°/, — im subkutanen Gewebe durch Oxydation zerstört. 
Die intramuskuläre Injektion soll auch sehr wirksam sein. Man injiziert intra- 
venös von der üblichen Stammlösung 1: 1000 (Adrenalin und Suprarenin sind 
identisch) /,—ı ccm. Als Nebenerscheinung kann Temperatursteigerung nach 
der Injektion auftreten. Eine Schädigung anderer Organe ist wohl bei der 
vorübergehenden Anwendung kaum zu befürchten und kommt gegenüber der 
Gefahr, in der sich der Kranke befindet, nicht in Betracht. 

Die Adrenalinwirkung ist flüchtig. Deshalb wird man gut tun, direkt 
nach dem Adrenalin noch !/, mg Strophantin (Böhringer) intravenös zu ver- 
abfolgen. Nur darf dann wegen der Kumulationsgefahr ein bis zwei Tage vor- 
her kein Digitalispräparat gegeben worden sein. Auch kann die Injektion am 
gleichen Tage nicht wiederholt werden. Die Digitaliskörper stehen bei der 
Behandlung der üblen Zufälle in ihrer Wirkung dem Adrenalin am nächsten. 
Ihre Gefäßwirkung ist aber schwächer und man muß mit der Anwendung vor- 
sichtiger sein. | 

Saugman empfiehlt in seiner letzten Arbeit Ätherinjektionen als Ana- 
lepticum. Äther erregt das Atemzentrum, als Herzanalepticum ist ihm nach 
Meyer und Gottlieb(10) keine direkte günstige Wirkung zuzuschreiben. Zwar 
wird durch Äther eine vorübergehende Verengerung der Bauchgefäße hervor- 
gerufen, aber das Blut fließt nicht ins Gehirn, sondern in die Hautgefäße ab, 
die sich infolge der Ätherwirkung erweitern. 

Subkutane Kampherinjektionen können günstige Wirkung entfalten. Ebenso 
sind intravenöse Infusionen von physiologischer Kochsalzlösung oder noch 
besser von Ringerlösung zur Hebung des Kreislaufs zu empfehlen. Man kann 
vielleicht mit Vorteil die neuerdings von E. Merck-Darmstadt hergestellte 
wässerige Kampherlösung in Ringerscher Flüssigkeit anwenden. 

Von Morphiumanwendung ist besser abzusehen. Sollten Beruhigungs- 


BD. 25, HEFT2 WESEN UND BEHANDLUNG DER ÜBLEN ZUFÄLLE. 107 


‚mittel notwendig sein, dann lieber Antipyrin oder Pyramidon, die gleichzeitig 


eine deutliche Erweiterung der intrakraniellen Gefäße hervorrufen. Der Einfluß 
des Morphiums auf die Gefäße ist im allgemeinen gleich Null, ob aber die 
durch dieses Medikament hervorgerufene Herabsetzung der Erregbarkeit des 
Atemzentrums und die Erschwerung der Expektoration zu wünschen ist, scheint 
mir bei Kollapszuständen fraglich. 

Neuerdings rät Saugman von künstlicher Atmung ab und empfiehlt 
Faradisation des Herzens, sowie Sauerstoffinsufflationen. 

Prophylaktisch kann man bei Personen mit starkem Hustenreize besonders 
vor der Erstpunktion Codein (0,03—0,05) oder Morphium geben. Für sehr 
erregbare und empfindliche Patienten ist eventuell die Anästhesierung der Haut 
und der Pleura durch Novorenal oder ähnliches in Anwendung zu bringen. 

Die Notwendigkeit, bei der immer zunehmenden Entwicklung der Pneumo- 
thoraxtherapie, sich mit den Fragen der Verhütung und Behandlung übler 
Zufälle zu beschäftigen, rechtfertigt die obigen Zeilen, deren experimenteller 
Beweis durch den Ausbruch des Krieges unterbrochen werden mußte. Alle 
müssen mitwirken, damit der pessimistische Satz, den Koerte (zit. bei Brauer 
und Spengler) auf dem Chirurgenkongreß 1907 in bezug auf die Kollapse 
bei Lungenchirurgie aussprach: „Ich kenne irgendein Mittel dagegen nicht“, 
bald nicht mehr zu Recht besteht. 


Zusammenfassung. 


Abgesehen von der Frage, ob es sich bei den üblen Zufällen bei der 
Pneumothoraxtherapie um Pleurareflex oder um Luftembolie handelt, können 
wir feststellen, daß bei diesen Zufällen eine „Verblutung in die Bauchhöhle“ 
infolge Erweiterung der vom Splanchnicus versorgten Gefäße und eine Anaemie 
aktiver und passiver Natur des Gehirns das Wesen der Störung ausmacht. 
Diesem schockartigen Zustande begegnen wir am besten durch intravenöse 
Injektion von Adrenalin, das, an verschiedenen Orten zugleich angreifend, die 
mannigfachen Symptome des bedrohlichen Zustandes gleichzeitig zu ver- 
ringern vermag. 


Angeführte Literatur. 


I. Wever, Zerebrale Luftembolie. Brauers Beiträge, Bd. 31, 1914. 

2. C. Sundberg, 3 Todesfälle mit Obduktion nach Behandlung von Lungentuberkulose mit 
künstlichem Pneumothorax, Brauers Beiträge, Bd. 26, 1913. 

3. Saugman, Zur Technik des künstlichen Pneumothorax. Brauers Beiträge, Bd. 31, 1914. 

4. Brauer u. Spengler, Erfahrungen und Überlegungen zur Lungenkollapstherapie. Brauers 
Beiträge, Bd. 14, 1909, l 

5. E. Weber, Der Einfluß psychischer Vorgänge auf den Körper, insbesondere auf die Blut- 
verteilung. Berlin 1910. 

6. Orlowski u. Fofanow, Zur Pathogenese der pleuralen Eklampsie bei Anlegung eines 
künstlichen Pneumothorax. Brauers Beiträge, Bd. 30, 1914. 

7. Biedl, Innere Sekretion, II. Aufl., 1913, 1. Bd. 

8. Sauerbruch, Zur Pathologie des offenen Pneumothorax und die Grundlagen zu seiner 
Ausschaltung. Mitteil. aus den Grenzgeb. der Med. u. Chir., Bd. 13, Heft 3. 

9. John, Klinische Erfahrungen über intravenöse Suprarenininjektionen bei schweren Herz- 
und Gefäßkollapsen. Münch, med. Wchschr., 1909, Nr. 24. 

10, Meyer u. Gottlieb, Die experimentelle Pharmakologie. II, Aufl., 1911. 


— oa 


108 FRITZ LEICHTWEISS. TUBERKULOSE 


— -— — -l o M M a m mn nn nn on nn 


VIII. 


Vergleichende Sputumuntersuchungen vermittels der Ziehl- 
Neelsenschen und der Kronbergerschen Tuberkelbazillenfärbung. 


Aus der Deutschen Heilstätte zu Davos (Chefarzt: Medizinalrat Dr. Kölle). 
Von 


Dr. Fritz Leichtweiss, Assistenzarzt. 


dei allen Fortschritten in der Frühdiagnostik der Lungentuberkulose 
i während der letzten Jahre ist der Bazillennachweis im Sputum immer 
3] noch eines unserer wichtigsten diagnostischen Hilfsmittel geblieben. 
Aber nicht nur für die Diagnose einer tuberkulösen Erkrankung, auch für die 
einzuschlagende Therapie, für den Grad des erzielten Erfolges und für die Be- 
urteilung der Arbeitsfähigkeit in gewissen Berufsklassen (Lehrer, Angestellte im 
Nahrungsmittelgewerbe etc.) ist die mikroskopische Sputumuntersuchung von 
größter Bedeutung. Daher ist es erklärlich, daß im Laufe der Zeit schon eine 
ganze Reihe von Färbemethoden zum Nachweis der Tuberkuloseerreger an- 
gegeben worden sind, von denen die meisten aber zu kompliziert sind, um 
Gemeingut aller Ärzte zu werden. 

Die Hauptbedingungen aber für eine exakte und rationelle Methode sind 
Einfachheit und strenge Spezifität. Diese letztere Bedingung erfüllt die Ziehl- 
Neelsensche Färbung nur für die Vollstäbchen. Sicherlich hat sie ihrer 
großen Einfachheit wegen heute noch weitaus die meisten Anhänger. Sie ist 
nicht nur die Färbung des prakt. Arztes, auch in Krankenhäusern und Lungen- 
heilstätten dominiert sie fast überall über die anderen Methoden. Dabei haben 
schon verschiedene Autoren nachgewiesen, daß sie den Anforderungen einer 
gewissenhaften Sputumanalyse in keiner Weise genügt und von neueren Fär- 
bungen quantitativ und qualitativ weit übertroffen wird. 

So empfiehlt Polugorodnik auf Grund zahlreicher Vergleichsstudien 
die C. Spenglersche Pikrinmethode und noch mehr das Uhlenhuthsche 
Antiforminverfahren gegenüber der Ziehlschen Färbung, indem er bei der ersten 
20°/,, bei der zweiten 34°), bessere Resultate erzielt. Auch Landolt konnte 
diese Überlegenheit der Pikrinfärbung nachweisen und hält sie besonders wert- 
voll für das mit Antiformin vorbereitete Sputum. Ebenso haben C. Spengler 
und seine Schüler, Liebermeister u.a. schon wiederholt auf die Unzuläng- 
lichkeit der Ziehlschen Methode hingewiesen. | 

Seit Much seine modifizierte Gramfärbung beschrieben hat, ist diese 
sehr häufig zum Gegenstand von Vergleichsstudien gemacht worden. Much 
will mit dieser neuen Färbung bekanntlich eine eigene, nach Ziehl nicht dar- 
stellbare granuläre Form des Tuberkulosevirus gefunden haben, und eine 
Reihe von Arbeiten hauptsächlich aus seiner Schule bestätigen diese Befunde. 
(Wirths, Deycke, Leschke, Knoll, Beyer.) 

Kronberger und Liebermeister bestreiten, daß Much eine eigene 
neue Form der Tuberkuloseerreger gefunden habe, und halten die vielgenannten 
Granula nur für die resistenteren Bestandteile der Bazillen. Nach Kron- 


BD. 25, HEFT2. VERGLEICHENDE SPUTUMUNTERSUCHUNGEN USW. 109 


berger u.a. ist die Muchsche Färbung überhaupt nicht streng spezifisch, da 
nach Gram außer den Granulis oder Sporen auch andere Bakterien und 
Bakterienbestandteile gefärbt werden können. Ähnlich äußert sich Schott- 
müller und lehnt die modifizierte Gramfärbung wenigstens für die Sputum- 
untersuchung ab. Ich selbst habe bei früheren Untersuchungen öfter in ziehl- 


negativem Sputum nach Much noch granulierte Stäbchen nachweisen können, 


muß aber „Einzelgranula“ differentialdiagnostisch unbedingt ablehnen, da sie 
sich selbst nach vorausgegangener sorgfältiger Entfärbung von anderen gram- 
positiven Bakterien und von Farbstoffniederschlägen etc. nicht mit Sicherheit 
unterscheiden lassen. 

Lichtenhahn fand nach Much immer viel zahlreichere, meist granu- 
lierte Stäbchen als nach Ziehl, konnte die gleiche Überlegenheit aber auch 
bei der Kronbergerschen Jodmethode nachweisen und gibt ihr schließlich 
den Vorzug, da sie nach seiner Ansicht einfacher und spezifischer ist als die 
Muchsche Gramfärbung. 

Bei meinen nun folgenden 200 Sputumuntersuchungen habe ich eben- 
falls die von Lichtenhahn und neuerdings auch von Arthur Mayer (Berlin) 
warm empfohlene Karbolfuchsin-Jodmethode nach Kronberger angewandt 
und sie mit der Ziehl-Neelsenschen Färbung verglichen. Ausschlaggebend 
war für mich hei der Wahl hauptsächlich ihre große Einfachheit, strenge 
Spezifität und ihre Fähigkeit, die Struktur der Tuberkuloseerreger aufs voll- 
kommenste zur Geltung zu bringen. Um genaue Vergleichswerte zu gewinnen, 
habe ich immer die sorgfältig aneinander abgestrichenen Objektträger benutzt, 
und das so gleichmäßig ausgestrichene Sputum nach Ziehl und nach Kron- 
berger gefärbt. Die Technik dieser Färbung sei hier kurz wiederholt: 


I. Fixierung der beliebig dicken Sputumschicht auf dem Objektträger durch 
Lufttrocknung und nachfolgende vorsichtige Flammenerwärmung. 


. Aufgießen der gebräuchlichen Karbolfuchsinlösung; gelindes Erwärmen bis 
zur schwachen Dampfbildung. Präparat erkalten lassen. 


3. Entfärben durch ı15°/, Salpetersäure. 

. Abspülen mit 60°/, Alkohol. 

5. Aufgießen von offizineller Jodtinktur, die mit dem vierfachen Volumen 
60°/, Alkohols verdünnt ist. Wirkung: wenige Sekunden. 

6. Abspülen der Jodlösung mit starkem Wasserstrahl (sichere Vermeidung 
von Niederschlägen durch Jodausfällung), Trocknen über der Flamme. 


Mm 


EN 


Meine Vergleichsresultate waren folgende: 


Zahl der Untersuchungen = 200 | Ziehl-Neelsen | Kronberger 
davon 34 negativ positiv (Stäbchen -+ Sporen) 
er 7 negativ positiv (nur Sporen)’ 
» 64 positiv (spärlich) positiv (zahlreich) 
» 95 positiv (zahlreich) positiv (zahlreich) 


‚Ich fand somit in 17°/, aller ziehlnegativen Sputa noch deutlich Bazillen 
nach der Jodmethode, außerdem noch in 3,5°/, mit Sicherheit nachzuweisende 
Sporen. Bei 32°/, sind nach Kronberger auffallend viel mehr Bazillen zu 


„a 
y 


T ZEITSCHR. f. 
110 FRITZ LEICHTWEISS. TUBERKULOSE 


finden wie nach Ziehl, sonst bestand in dem quantitativem Nachweis kein 
nennenswerter Unterschied. 

Demnach konnte ich in 20,5°/, aller Fälle, wo Ziehl versagte, noch zu 
einem positiven Ergebnis kommen. Diese günstigen Resultate gewinnen noch 
erheblich an Bedeutung, wenn wir die qualitative Leistung der Karbolfuchsin- 
Jodmethode betrachten. Während nach Ziehl die Hüllenfärbung nur mangel- 
haft zur Darstellung kommt (Hüllenschädigung durch das vorgeschriebene 
starke Erhitzen des Karbolfuchsins, C. Spengler, Kirchenstein, Kron- 
berger) und die Muchschen Granula überhaupt nicht gefärbt werden, kommen 
hier beide morphologischen Bestandteile der Bazillen gleichgut zur Geltung. 
Wir sehen hier keine kompakten Stäbchen, sondern alle Säurefesten erscheinen 
granuliert und innerhalb einer blaßrot oder rosa gefärbten Hülle können wir 
deutlich .dunkelrote oder dunkelviolette, meist glänzende, scharf gezeichnete 
Granula (Sporen) unterscheiden. Diese sind ziemlich gleichmäßig angeordnet, 
variieren aber sehr in der Zahl. Wie wichtig aber gerade diese verschiedene Anzahl 
der Sporen für die Unterscheidung der beiden pathogenen Säurefesten, desKoch- 
schen Humanobrevis und des C. Spenglerschen Humanolongus ist, hat Kron- 
berger neuerdings in ausführlicher Arbeit nachgewiesen. Das erheblich kürzere 
und schlankere Stäbchen des Humanobrevis enthält gewöhnlich nur 2—4, nie- 
mals mehr wie 5 Sporen, der Humanolongus dagegen 4—8, bei Verzweigungen 
noch mehr. Da beide Säurefesten im Tierversuch völlig verschiedene histo- 
logische Veränderungen hervorrufen und in ihrer spezifischen pathogenen 
Wirkung ebenso grundverschieden sind, ist ihre Erkennung und sichere Unter- 
scheidung bei der mikroskopischen Sputumuntersuchung unerläßlich. 

Hier versagt die Ziehlsche Methode vollkommen, nur die Färbung nach 
Kronberger gibt uns da einen brauchbaren Aufschluß. Sie allein genügt 
allen Forderungen, die man heute an eine exakte Sputumfärbung stellen muß, 
sie ist eine echte Strukturfärbung, dabei einfach, leicht ausführbar 
und streng spezifisch für alle pathogenen Säurefesten. 

Dold stellt diese Spezifität mit Unrecht in Frage. Durch die Jodlösung 
werden allerdings auch Leptothrixfäden violett gefärbt, doch dürfte ihre Unter- 
scheidung von den zierlichen Tuberkelbazillen niemand Schwierigkeiten be- 
reiten. Sehr wichtig ist es, hervorzuheben, daß die Kronbergersche 
Färbung nicht etwa eine Modifikation der Gramschen Färbung dar- 
stellt. Das wirksame Prinzip für das elektive Färbungsvermögen der Gram- 
schen Methode beruht vornehmlich auf der Verwendung der Lugolschen Jod- 
Jodkaliumlösung. Bei der Kronbergerschen Färbung hat das elektive Färbungs- 
vermögen eine weniger ausgedehnte Spezifität, die auf der Anwendung der 
alkoholischen Jodlösung basiert und die sich nur auf die Sporen der Tuber- 
kuloseerreger erstreckt. Daher die Nichtspezifität aller Modifikationen der 
Gramschen Färbung, sowie die strenge Spezifität der Karbolfuchsin- Jodmethode. 
Um dies ohne weiteres einzusehen, braucht man nur je ein Ausstrichpräparat 
von einem an Begleitbakterien reichen Sputum anzufertigen, und das eine nach 
Gram, das andere nach Kronberger zu färben. 

Bei sorgfältiger Herstellung der Sputumpräparate und exakter Färbung 


BD, m 2. VERGLEICHENDE SPUTUMUNTERSUCHUNGEN USW. III 


(starker Wasserstrahl beim Abspülen zur Vermeidung von Jodniederschlägen) 
lassen sich auch Einzelgranula (Sporen) als dunkelviolette, glänzende Körner 
in der gelben Umgebung erkennen und diagnostisch verwerten, im Gegensatz 
zu Much, wo Einzelgranula und auch die in Häufchen liegenden von anderen 
grampositiven Körnern nicht mit Sicherheit unterschieden werden können. 
Allerdings ist auch bei der Jodmethode, wie Lichtenhahn richtig bemerkt, 
eine gewisse Vorsicht am Platze, doch gelingt es bei einiger Übung bald, 
Sporen als solche richtig zu erkennen und zu beurteilen. 


Zusammenfassung. 


Nach unseren Untersuchungen steht also dieZiehl-Neelsensche Tuberkel- 
bazillenfärbung quantitativ und qualitativ weit hinter der Kronbergerschen 
Karbolfuchsin-Jodmethode zurück. Es muß daher unbedingt mit Lichten- 
hahn die Forderung erhoben werden, daß die allgemein übliche Ziehlsche 
Färbung jetzt endlich verlassen und an ihrer Stelle die ebenso leicht ausführ- 
bare Jodmethode eingeführt wird. Sie ist einfach, streng spezifisch und zeigt 
als echte Strukturfärbung alle morphologischen Bestandteile, die für die patho- 
genen Säurefesten charakteristisch sind. 


Literatur. 


W. Beyer, Med. Klinik 1910. 

H. Dold, Arbeiten aus dem Kaiserl. Gesundheitsamt, Bd, 36, ıgı1. 

Knoll, Brauers Beiträge zur Klinik der Tuberkulose, Bd. XIV. 
Kronberger, Brauers Beiträge zur Klinik der Tuberkulose, Bd. X VI. 
Kronberger, Brauers Beiträge zur Klinik der Tuberkulose, Bd. XXXIII. 
Landolt, Correspondenzblatt für Schweizer Ärzte, 1912. 

Lichtenhahn, Correspondenzblatt für Schweizer Ärzte, 1910, 
Liebermeister, Dtsch. med. Wchschr. 1909. 

Arthur Mayer, Brauers Beiträge zur Klinik der Tuberkulose, Bd. XXXII. 
Much, Brauers Beiträge zur Klinik der Tuberkulose, Bd. VIII. 
Polugorodnik, Brauers Beiträge zur Klinik der Tuberkulose, Bd. XVII. 
Schottmüller, Münch. med. Wchschr. 1908. 

C. Spengler, Tuberkulose und Syphilisarbeiten, Davos 1911. 

Wirths, Münch, med. Wchschr, 1908, 


a 


| ZEITSCHR. f. 
112 KLARE. ` © TUBERKULÒSE 


IX. 
Tuberkulose- und Heilmittelschwindel. 


Von 


Oberarzt Dr. Klare, Heilanstalt Waldhof-Elgershausen. 


wexserienn sich einmal die seltene Gelegenheit bietet, im Gerichtssaale die 
Ä A VA) y Verurteilung eines einzelnen Kurpfuschers oder, wie es kürzlich in 
GASEA) Berlin der Fall war, sogar mehrerer Vertreter einer Kaste dieses ein- 
träglichen Gewerbes zu erleben, so rauscht durch die Tagesblätter ein Sturm 
der Entrüstung über die infame Ausnutzung unglücklicher kranker Mitmenschen. 
Aber, wer von uns Ärzten glaubt, daß dieser nach ihrer eigenen Ansicht und 
„Überzeugung“ „gottbegnadeten“ Sekte der Szientisten jene öffentlichen Ver- 
handlungen einen nennenswerten Abbruch tun werden, in denen der Schleier 
der Suggestion ihrer Opfer zum ersten Male gelüftet werden konnte? 

Es ist ja eine alte Erfahrung und psychologisch so sehr verständlich, daß 
in einem durch lange Krankheit geschwächten Körper die deprimierte Menschen- 
seele für religiöse Suggestionen leicht empfänglich ist, selbst wenn die Vernunft 
diese Dinge nicht zu fassen vermag. So ernäbrt auch heute in den sorgen- 
vollen Tagen unserer harten Kriegszeit der „hohe fromme Beruf“ der Gesund- 
beter seine Jünger und Jüngerinnen bequemer und reichlicher, wie durch 
wirkliche Arbeit sonst zu erreichen möglich sein würde, Vielleicht wird das 
Geschäft durch die Verurteilung der Angeklagten etwas verlangsamt, aber wenn 
erst wieder mehr Gras gewachsen ist über die „bösen“, „ungerechten“, „zum 
Himmel schreienden“ Urteile, dann wird es weiter wachsen, blühen und ge- 
deihen, wie die Zahl derer, die auf unserm Planeten nicht alle zu werden 
scheinen. 

Der Prozeß ergab zugleich die sehr wohl erklärliche Tatsache, daß die 
Klientel dieser vom geschäftigen Amerika zu uns importierten Sekte sich in 
erster Linie aus den materiell und geistig besser Situierten rekrutierte. Der 
Mann aus dem Volke ist meist realistischer in dieser Beziehung; er will auch 
noch was Greifbares haben für sein gutes Geld; er will noch etwas sehen, 
schmecken und fühlen für seine in gesunden und oft sogar noch in kranken 
Tagen sauer erworbenen Silber- und Goldfüchse. Und da kommt ihm dann 
nun der uneigennützige Retter mit dem großen und weichen Herzen und der 
noch größeren offenen Hand entgegen und gibt ihm — reichlich und wertlos. 
Er pfiff ja einst selbst schon auf dem letzten Loch, der edle Gemütsmensch, 
und machte es sich dann zur Lebensaufgabe, durch unermüdliches Studium — 
wohl 20 Jahre und noch länger hielt er es aus, und wenn er nicht gestorben 
Ist a — „das“ Mittel für die früher als unheilbar angesehene Geißel der 
Menschheit, die Lungenschwindsucht, zu „erfinden“ — Difficile est, satyram 
non scribere! — Aber wohl kein Spezialfach gibt soviel Gelegenheit wie das 
unsere, der Kurpfuscherei hinter ihre schmutzigen Karten zu sehen. Wir leben 
in der Zeit sozialer Probleme, deren fernere Lösung durch den Völkerkrieg 
wohl verschoben aber nicht aufgehoben sein wird. Schon vieles hat der Staat 


a E ETA TUBERKULOSE- UND HEILMITTELSCHWINDEL. 113 


durch die Errichtung von Lungenheilstätten erreicht: der Kranke wird belehrt 
über die tatsächliche Heilbarkeit seiner Krankheit, er wird zu hygienischer 
zweckentsprechender Lebensweise erzogen und ist meist für Monate fern von 
einer ungünstigen Beeinflussung durch seine Umgebung. Aber in einem Punkte 
läßt ihn zunächst noch der Staat im Stich: Dem Kurpfuscher ist er hilflos 
preisgegeben, und ich habe an anderer Stelle!) darzulegen versucht, daß ich es 


gerade für uns Anstaltsärzte für eine unbedingte Pflicht erachte, unsere Kranken 


gegen die Ausnutzung durch skrupellose Kurpfuscher zu schützen. Sie bedürfen 
der Aufklärung über die bekanntesten sogenannten Heilmittel, wenn sie ihnen 
in gutbezahlten Annoncen unserer — leider — vielfach feilen Tagespresse ent- 
gegentreten. Wer sich einmal der Mühe unterzieht, durch Nachfragen bei 
Patienten festzustellen, welche Unsummen unserem Volke durch den Kauf von 
schwindelhaften Heilmitteln, Apparaten und anderen Dingen entzogen werden, 
der wird mit mir darin übereinstimmen, daß wir unserer Klientel auch in dieser 
Beziehung mit beratenden Warnungen zur Seite stehen müssen. 

Wenn ich im nachfolgenden eine kleine Zusammenstellung von Reklame- 
mitteln gebe, denen ich meist keinen besonderen Kommentar hinzugefügt habe, 
so werden einige von ihnen den Beweis liefern, mit welcher Raffiniertheit so 
mancher „biedere Retter in der Not“ den armen Kranken zu fassen versteht. 


Tuberkulozyme wird als sicheres Heilmittel gegen Schwindsucht von P. 
Yonkermann Co., London angepriesen. Das Mittel soll ein kupferhaltiges Salz sein, 
dessen Zusammensetzung Yonkermann natürlich nicht verrät. Die Behandlung mit 
dem „Heilmittel“ kostet die Kleinigkeit von 50 Mk. 


Dr. Richard Jeschke u. Co. in Kötzschenbroda (früher unter der Firma 
Spiro-Spero alias Weidhaas als Kurpfuscherfirma bekannt) empfehlen ihre „verbesserte 
Methode“ in der Behandlung von chronischen Erkrankungen der Atmungsorgane. 
Die „individuelle“ Fernbehandlung erfolgt nach Ausfüllung eines Fragebogens durch 
den Patienten mittels Inhalationsapparats, Atmungsstuhls und Tees. 


Magalia nennt Johann Wilhelm Krahe sein „Heilmittel“ gegen Tuberkulose. 
In einer Anpreisung „Der Kampf gegen die Tuberkulose“ heißt es, daß es Krahe 
nach nahezu 20jährigen unermüdlichen Forschungen über die Heilung von mikro- 
bischen Krankheiten gelungen sei, eine Medizin zu erfinden, die Schwindsucht, 
Knochentuberkulose, Asthma und andere Lungenerkrankungen vollständig heilen. 


Für Biomalz in der Tuberkulose-Therapie macht in der „Deutschen Medizinal- 
Zeitung‘ ein Artikel des Dr. Camphausen, „Spezialarzt für Lungenleiden“, Propaganda. 
Verf. führte 5 Fälle an, in denen er das Präparat empfehlenswert und zweckent- 
sprechend fand. Camphausen hat früher für verschiedene sehr zweifelhafte Mittel 
Worte der Anerkennung gefunden, Tatsachen, die immerhin zur Würdigung litera- 
rischer Arbeiten des Herrn Camphausen dienen. 


Puhlmantee wird von der Firma Puhlman.u. Co., Berlin unter markt- 
schreierischer Reklame (Erteilung brieflicher Ordination mit Ausgabe von Sputum- 
befunden) als Heilmittel gegen Lungenkrankheiten in den Handel gebracht. Nach 
fachtechnischen Untersuchungen handelt es sich bei dem Mittelchen um die ge- 
schnittene blütenarme, stengelreiche Droge Herba galeopsidis, deren Gehalt an äther- 
löslichen Extraktivstoffen sich als nicht höher erwies, als bei Proben der offizinellen 


1) Deutsche Medizinische Wochenschrift 1915, Nr. 50. 
Zeitschr. f. Tuberkulose. 26, 8 


| = ZEITSCHR. f. 
114 KLARE. TUBERKULOSE 


Droge. Interessant ist auch, in welcher Weise sich die Firma Puhlman Kranken 
mit ihrem „Heilmittel“ aufdrängt. So sammelte z. B. in Görbersdorf der Kutscher 
eines Lohnfuhrgeschäftes die Adressen aus Görbersdorf abreisender Lungenkranker 
und übersandte seine Notizen der Firma Puhlman. Für jede Adresse wurde ihm 
eine Vergütung von Io Pfg. in Aussicht gestellt. 


Auf gleicher Stufe mit dem Puhlman-Tee stehen der Johannis-Tee der 
Firma Brockhaus u. Co., der Peuleke-Tee von Peuleke u. Co. in Halle a. S., der 
Samum-Tee von Mr. Leo Hauser in Tetschen a. E., der Brustheiltee und 
Utu-Balsam der deutschen Gesellschaft für Pflanzen-Heilkunde in Berlin und der 
Liebersche Brusttee (Liebersche Kräuter, Blankenheimer Tee, Auszehrungskräuter). 


Unter der Bezeichnung „K. Haders Lungenheilmittel (Ha-Gerin)“ wird 
ein Geheimmittel angepriesen, das sich für Lungenkranke und Tuberkulöse vorzüg- 
lich bewährt haben soll. Der Stadtmagistrat Fürth warnt öffentlich vor dem An- 
kauf, da nach dem Urteile der Sachverständigen die zugesprochene Wirkung gegen 
Lungenkrankheiten dem Mittel nicht zukommt. Es handelt sich um ein Geheim- 
mittel, welches in unsachgemäßer Weise ZUASTRNEDE SEITE ist und leicht in Zersetzung 
übergeht. 


Antiterror nennt sich ein „absolut sicheres“ Heilmittel gegen Tuberkulose, 
das von Kaiserslautern aus in den Handel gebracht wird. Nach Angabe der Anti- 
terror-Werke besteht das seit Jahren unter ärztlicher Kontrolle „ausprobierte Mittel“ 
aus Gerbsäure, Tonerde, Äther und wasserlöslichen Extraktivstoffen (Chlorophyl), 
Harz, Tannin, Kalium, Eisen und Albumin! Zur Kur wird extra noch ein Paket 
Tee empfohlen. 


Kalziol das Lungenmittel von Theo Thommen in Neu-Allschwill. Auf dem 
Titelblatt der Reklamebroschüre ist eine Reihe von angesehenen Autoren angeführt. 
Es ist sicher, daß kein einziger dieser Ärzte je das Kalziol anwandte. Sie haben 
sich aber irgendwie günstig über den Gebrauch von Kalksalzen bei Tuberkulose 
ausgesprochen, und Theo Thommen verwendet diese Zitate zur Reklame für sein 
Mittel. In welcher Weise Herr Thommen sein Kalziol an den Mann zu bringen 
sucht, dafür ein Beispiel, das allgemein zur Illustration der Machenschaften der 
Kurpfuscher dienen mag. Durch einen Angestellten unserer Heilstätte ließ ich mir 
auf ein Zeitungsinserat hin eine Broschüre über Kalziol mit dem vielsagenden Titel 
„Neue Waffen gegen die Schwindsucht“ zusenden. Bei der Lektüre des Büchleins, 
das nicht mehr enthielt als alle Anpreisungen von Kurpfuschern, hielt ich mich nicht 
lange auf, größeres Interesse hatte für mich das der Broschüre beigelegte Schreiben 
des Herrn Thommen (in Firma Heilige Geist-Apotheke, Budapest, 6. Bez.) und 
darin war es wieder eine Stelle, die meine besondere Aufmerksamkeit erregte. Es 
heißt da: „Wollen Sie sich weiter quälen? Wollen Sie weiter eine Gefahr für ihre 
Angehörigen bilden? Wollen Sie sich noch länger bemitleiden lassen von Ihren 
Bekannten? Haben Sie schon bemerkt, daß manche Ihnen ängstlich ausweichen? 
Ihnen nicht gern die Hand geben wollen? Nun beenden Sie diesen Zustand. 
Morgen sende ich Ihnen die erste Monatskur unter Nachnahme von K 13,45. 
Halten Sie das Geld bereit, damit der Briefträger die Kur dort lassen kann. Auf- 
schieben ist gefährlich.“ Wir warteten einige Tage und die Nachnahme kam prompt. 
Wir verweigerten natürlich die Annahme und hörten dann einstweilen nichts wieder. 
Doch nach knapp 4 Wochen schrieb uns Herr Thommen in Firma Altstädtische 
Apotheke, Berlin, daß es unverantwortlich sei, die Kalziolkur so lange hinaus- 
zuschieben, sollte der Preis von 11,50 Mk. zu hoch sein, so würde er zunächst 
100 Tabletten für 6,50 Mk. senden, die anderen 100 zu 5 Mk. dann nach einem 
Monat. Auch dieses günstige Angebot lockte uns nicht, wir antworteten garnicht 
darauf. Wieder vergingen einige Wochen, als uns abermals ein Schreiben des Herrn 


BD. 25, HEFT 2. TUBERKULOSE- UND HEILMITTELSCHWINDEL. IIS 


nn 


, Thommen (in Firma Altstädtische Apotheke, Berlin) zuging. Im Briefe wird behauptet, 


daß auf meine Empfehlung in meiner Nachbarschaft Kalziol bestellt worden sei. 
Um dafür dankbar zu sein, werde mir eine Rabattmarke zugeschickt; bei jeder 


- 


Bestellung erhielte ich eine Ermäßigung von einem Drittel; ich hätte also nicht mehr 


11,50 Mk., sondern nur 8 Mk. für 200 Tabletten zu bezahlen. 

Bemerkt sei noch, daß von unserm Angestellten, der, wie oben erwähnt, den 
Prospekt hatte kommen lassen, Kalziol niemand empfohlen ist. Die Angaben in 
dem angeführten Briefe beruhten also auf freier Erfindung des Herrn Thommen. 


Mit Theo Thommens Animier-Broschüre, deren Lockungen, ich möchte 
fast sagen, etwas an Mephisto’s Art erinnern, will ich unseren medizinischen 
Index beschließen. Zunächst bleibt uns ja nur der Weg, die selbstlosen Ver- 
treter dieser Heilzunft vor unser ärztliches Forum zu zitieren — das gericht- 
liche liegt ja meist in weitem Felde. Nur einen geringen Teil der Mittel und 
Mittelchen konnte meine Sammlung in sich schließen; es würde leicht sein, 
die Blütenlese der Flora unserer Lungenheilkünstler zu vervollständigen, die 
ja mit dem harmlosen Pflänzchen am Wegesrand so oft begonnen wird und 
so manchem „Erfinder“ schon so reichlichen klingenden Lohn gebracht hat. 
Fallen einem bei Thommens Broschüre nicht auch unwillkürlich die packenden 
Motive vlämischer und anderer Kunst ein, in denen der wandernde Heilkünstler 
auf offenem Markte mit dem Tamtam der Überredung den andächtigen Zu- 
hörern — von denen jedes Gesicht einen Typus von Menschen charakterisiert — 


seine Mittelchen anpreist? Andere Zeiten, andere Sitten — der Geist der ` 
. Medizin ist leicht zu fassen.. — 


Anm. d. Verf. Wesentlich unterstützt wurde ich bei meinem Überblick 
durch Herrn Medizinalrat Dr. Kantor, der in seinem „Gesundheitslehrer“ die 
düsteren Werkstätten der Geheimkrämerzunft in unerbittlicher Weise beleuchtet. 


8* 


116 EDWARD LIVINGSTON TRUDEAU } us er Ri 


Edward Livingston Trudeau F 


Buom 15. November 1915 ist Edward Livingston Trudeau, ein in 

Wal Amerika hochangesehener, auch bei uns wohlbekannter Tuberkulosearzt 
£ ERS und Tuberkuloseforscher, dessen Name seit ihrem Bestehen unter den 
` Herausgebern dieser Zeitschrift steht, in seinem Heim zu Saranac Lake im 
Staate New York dahingeschieden. Die medizinischen Blätter seines Landes 
widmen ihm warme Nachrufe, die er in hohem Maße verdient. 

Trudeau war geboren am 5. Oktober 1848 zu New York als Sohn eines 
Arztes James Trudeau; seine Mutter scheint nach ihrem Namen Berger 
eine Deutsche gewesen zu sein. Nachdem er das ärztliche Examen abgelegt 
hatte, versuchte er es mit der allgemeinen Praxis in der Stadt New York, er- 
krankte aber bald an Lungentuberkulose und konnte deshalb diese Tätigkeit 
nicht fortsetzen. In der Sorge um die Gesundheit suchte er Heilung und 
Wirkensmöglichkeit in den Adirondacks, einem waldreichen, wenig bewohnten 
Mittelgebirge im Staate New York, auf das der bei uns ebenfalls wohlbekannte 
Lungenarzt Loomis die Aufmerksamkeit gelenkt hatte, der dort die Freiluftkur 
in der originellen Weise des „camp life“ durchführte. Trudeau baute sich ein 
Haus am Saranac-See (Saranac Lake) in dem gleichnamigen Örtchen. Sein 
Glaube an die Heilkraft der frischen Luft machte ihn zu einem eifrigen Pionier 
der Freiluftkur, die sich bei ihm selbst so gut bewährte, daß er 1834 das Adiron- 
dack Cottage Sanatorium zur Behandlung der beginnenden Tuberkulose für 
Arbeiter und Arbeiterinnen gründete. Es war die erste derartige Einrichtung 
‚in Nordamerika und ist wahrscheinlich die erste Heilstätte für unbemittelte 
Lungenkranke überhaupt. Trudeau hat sein Cottage Sanatorium selbst in 
Bd. ı dieser Zeitschrift S. 230 beschrieben. Wir brachten in Bd. 24, S. 395 
Mitteilungen aus dem Jahresbericht 1913/14 der Heilstätte, die ganz durch 
freiwillige Beiträge entstanden ist und unterhalten wird; sie ist gut gediehen, 
dank dem menschenfreundlichen Wirken ihres Gründers und wird stetig ver- 
bessert, da es an Stiftungen, Spenden, Schenkungen und Zuwendungen nicht 
fehlt. Trudeau hat die Mühen und Sorgen der Leitung seiner Heilstätte bis 
zum Tode selbst in der Hand gehalten. Mit ihr verbunden ist.eine Art von 
Fürsorge- und Beratungsstelle, die über die Aufnahme von Kranken entscheidet 
oder darüber berät; ferner ist eine Schule für Krankenpflegerinnen angeschlossen. 
Man sieht, es handelt sich um ein groß gedachtes, weit ausschauendes philan- 
thropisches Unternehmen, das in Amerika ungemein anregend wirkte: heute, 
nach 30 Jahren, bestehen in diesem Lande 575 Sanatorien oder Krankenhäuser 
für Lungenkranke mit etwa 35000 Betten und außerdem 450 Fürsorgestellen; 
mehr als 400 Freiluft- oder Waldschulen bezeugen außerdem die Weiterentwick- 


BIT EDWARD LIVINGSTON TRUDEAU } 117 
lung des Trudeauschen Gedankens. Alle diese Einrichtungen gehen zum guten 
Teil auf das Beispiel und Vorbild des Adirondack Cottage Sanatoriums zurück. 

Trudeau hat sich aber nicht auf die praktische Seite beschränkt, sondern 
ist von Anfang an auch um die wissenschaftliche Tuberkuloseforschung bemüht 
gewesen. Er ging dabei von seinem Grundgedanken, d. h. von dem festen 
Glauben an die heilsame Wirkung des Freiluftlebens bei Tuberkulose aus, und 
suchte bereits Ende der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts den Einfluß 
äußerer Verhältnisse auf die Entwicklung der Lungentuberkulose experimentell 
zu erforschen: Es wurden zehn Kaninchen in genau gleicher Weise mit Tuberkel- 
bazillen geimpft, und dann fünf in einer Kiste in einen dunkeln Keller gebracht, 
wo sie nur geringe Mengen Futter erhielten, während die andern fünf auf einer 
kleinen Insel des Sees freigelassen wurden, wo sie die günstigsten Bedingungen 
in bezug auf Ernährung und Luftgenuß fanden. Von den ersten starben vier 
innerhalb von drei Monaten auf Tuberkulose, und auch das fünfte zeigte sich 
nach der Tötung schwerkrank. Von den fünf andern starb nur eins an Tuber- 
kulose, die übrigen wurden vier Monate nach der Impfung getötet und in allen 
Organen durchaus gesund befunden, so daß selbst der Impfstich nicht mehr zu 
finden war. Gegen diese Versüchsanordnung zum Beweise der Wirksamkeit 
der hygienisch-diätetischen Heilmethode läßt sich natürlich dies und das ein- 
wenden, z. B. daß humane Infektion — man kannte damals den Typus humanus 
und bovinus noch nicht — bei Kaninchen zu Fehlschlüssen führen kann, aber 
sie bleibt originell und sollte in verbesserter Form wiederholt werden. 

Im Jahr 1894, also zehn Jahre nach der Gründung des Adirondack Cot- 
tage Sanatorium, rief Trudeau als Ergänzung eine rein wissenschaftliche Ein- 
richtung ins Leben, das Saranac Laboratory for the Study of Tuberculosis, 
wieder die erste derartige Einrichtung in den Vereinigten Staaten und über- 
haupt eine der ersten. Auch dies Tuberkulose-Laboratorium hat Trudeau 
bis zu seinem Ende selbst geleitet. Eine große Anzahl Ärzte, die sich hernach 


weiten Ruf und Namen erworben, haben dort unter ihm gearbeitet. Er be- 


schäftigte sich besonders mit dem Gebiete der Immunität. Bereits Ende der 
goer Jahre hat er mit abgeschwächten, kaum virulenten Tuberkelbazillen gc- 
arbeitet, auf die bei uns in den letzten Jahren soviel Bedeutung gelegt worden 


ist. Zu einem günstigen, d. h. positiven Ergebnis ist er mit diesen Versuchen 


nicht gelangt: Vor einigen Monaten wurde ein charakteristisches Wort von ihm 
in dieser Angelegenheit berichtet: „Wenn ich mein Leben noch einmal zu 
leben hätte, so würde ich es dem Aufsuchen einer chemischen Verbindung 
widmen, die den Tuberkelbazillus im kranken Organismus töten müßte, ohne 
diesem zu schaden.“ Ähnliche Äußerungen werden ja mehr und mehr laut, 
und es mag wohl kommen, daß eine chemotherapeutische Ära die ziemlich ver- 
fahrene serologische ablöst. oo. 

An Ehren und Auszeichnungen hat es Trudeau in seinem Lande nicht 
gefehlt. Verschiedene Universitäten verliehen ihm den Titel eines Ehrendoktors; 
er war auch Mitglied einer ziemlichen Anzahl von wissenschaftlichen Ver- 


. einigungen, und wurde zum ersten Vorsitzenden der National Association for 


the Study and Prevention of Tuberculosis gewählt. Im Jahre 1908 wurde ihm 


ia 
F 


118 EDWARD LIVINGSTON TRUDEAU t een, 
zum 60. Geburtstage von seinen Mitarbeitern am Saranac Laboratory eine „Fest- 
schrift“ als Ehrung überreicht mit wichtigen und tüchtigen Abhandlungen. 

Die Erkrankung, die zum Tode führte, scheint eine Pneumonie gewesen 
zu sein, die ihn zwei Monate vor seinem Ende befiel und nicht mehr über- 
wunden wurde. Vielleicht war es ein später Wiederausbruch seines alten 
Leidens. In seinem Lande war er weithin bekannt, verehrt und angesehen. 
Die Nachrufe rühmen an ihm besonders, daß er, selbst lungenkrank, unermüd- 
lich und selbstlos, ohne alle Aussicht auf persönlichen oder finanziellen Nutzen, 
vierzig Lebensjahre hindurch praktisch und wissenschaftlich für seine Mitkranken 
gearbeitet hat. Wer das in einer recht ideallosen Zeit und Umgebung vermag, 
ist kein gewöhnlicher Mensch, und so wollen auch wir deutschen Fachgenossen 
in dem dahingeschiedenen Trudeau dem bedeutenden Arzt, dem klarblicken- 
den Forscher und dem edeldenkenden Menschen ein ehrendes Gedenken be- 
wahren, wie er es verdient. | Meißen (Essen). 


En —- —— ee 


Edward Livingston Trudeau)!) 
in Memorianı. 


Von Prof. Dr. S. Adolphus Knopf, New York. 


Edward Livingston Trudeau, der amerikanische Vorkämpfer der 
Tuberkulose-Bewegung, der Pionier der Freiluft-Behandlung in den Vereinigten 
Staaten, der berühmteste und wohl auch beliebteste amerikanische Lungenarzt, 
ist nicht mehr. Er starb am 15. November 1915 in Saranac Lake in dem 
Adirondack-Gebirge. An seinem Sterbelager standen Familienmitglieder, seine 
Assistenten und Schüler, alle tief erschüttert, und sein Begräbnis gestaltete sich 
zu einem Trauertag für die ganze Ortschaft, die zahllosen Patienten, Mitarbeiter, 
Freunde und Schüler. | 

Edward Livingston Trudeau wurde im Jahre 1848 in New York ge- 
boren, genoß seine Vorbildung in Paris, studierte an der Columbia-Universität 
in New York und promovierte als Doktor der Medizin im Jahre 1871. Bald 
darauf erkrankte er an Tuberkulose, wahrscheinlich von seinem schwind- 
süchtigen Bruder, den er bis zu dessen Tode gepflegt, angesteckt. Sein Zu- 
stand war hoffnungslos. Er entschloß sich, in die Berge zu gehen, und nach 
vielen Mühen und Strapazen gelang es ihm endlich, das Adirondack-Gebirge 
zu erreichen. Er hatte von der damals in Amerika wenig bekannten Brehmer- 
Dettweiler Heilmethode gehört und folgte dieser mit religiöser Gewissenhaftig-. 
keit in Wind und Wetter in der keimfreien Gebirgsluft. Heilung von einem 


1) Die Bedeutung Trudeaus berechtigt uns wohl, dem vorangegangenen Nachruf noch die 
uns freundlichst zugegangenen Gedenkworte unseres um die Bekämpfung der Tuberkulose in Amerika 
hochverdienten Mitarbeiters Knopf anzuschliessen, zumal dieser in Bd. 15, S. 606 der Zeitschrift 
die 25 Jahrfeier des Adirondack Cottage Sanatoriums unter Beigabe von Photographien der An- 
stalten und ihres nunmehr verstorbenen Begründers und Leiters beschrieben hat, D. Red. 


BD.-25, HEFT 2. 
ne EDWARD LIVINGSTON TRUDEAU + 119 


anscheinend hoffnungslosen Lungenleiden war sein Lohn, und fortan widmete 
er sein Leben der Behandlung armer Schwindsüchtiger. Reiche Freunde halfen 
ihm im Laufe der Jahre eine der schönsten und besten Volks-Lungenheil- 
anstalten Amerikas ins Leben zu rufen, so daß an der Stelle, wo im Jahre 1885 
eine kleine Hütte stand, in der Trudeau seine ersten zwei Patienten behandelte, 
sich heute über 40 kleine Häuser (cottages), jedes für vier bis sechs ‚Patienten 
bequem eingerichtet, ein Verwaltungsgebäude, eine Bibliothek, eine Kirche und 
ein vorzüglich ausgestattetes Laboratorium befinden. 

Die 25jährige Jubiläumsfeier Trudeaus als Sanatoriumsdirektor und des 
Bestehens des Sanatoriums, der auch in der Zeitschrift für Tuberkulose im 
Jahre 1910 gedacht wurde, war die Veranlassung einer großen Geldschenkung 
von der Witwe des Eisenbahin-Finanziers E. H. Harriman. Die Summe von 
100000 Mark wurde dem Laboratorium der von Trudeau gegründeten Heil- 
anstalt unter dem Namen „E. H. Harriman Research and Medical Fund“ über- 
reicht. | 

Trudeau hat zahlreiche Arbeiten über Sanatoriumsbehandlung, Tuber- 
kulintherapie und Immunisierung veröffentlicht. Sein Name zierte die Liste 
der Mitarbeiter der Zeitschrift für Tuberkulose und Heilstättenwesen, welche 
im Jahre 1900 von C. Gerhardt, B. Fränkel und E. von Leyden begründet 
wurde, von Anfang an. Auch diese drei hervorragenden deutschen Führer in 
der Tuberkulosebekämpfung stehen nicht mehr in den Reihen der irdischen 
Kämpfer. 

Trudeaus Sanatorium war die erste und einzige amerikanische Heil- 
anstalt im Jahre 1885. Wir verdanken es seinem Beispiel, daß wir heute 600 
solcher Lungenheilanstalten in den Vereinigten Staaten besitzen. Trudeau 
half im Jahre 1904 am Aufruf zur Gründung einer nationalen Gesellschaft für 
die Bekämpfung der Tuberkulose und wurde zum ersten Präsidenten der 
Gesellschaft erwählt. Seine Begeisterung für die heilige Sache trug nicht 
wenig dazu bei, daß wir heute 1500 solcher Vereinigungen haben, die unter 
der Direktion der Nationalen Gesellschaft stehen. 

Dr. Trudeau wurde wegen seiner Verdienste auf dem Gebiete der 
Medizin und besonders der Tuberkulose-Forschung von verschiedenen Universi- 
täten — Columbia, McGill und Pennsylvania — mit Ehrendiplomen aus- 
gezeichnet. Die Gesellschaft amerikanischer Ärzte machte ihn zu ihrem Präsi- 
denten und die Nationale Tuberkulose-Gesellschaft zum Ehrenmitglied. 

Noch kurz vor seinem Tode verwirklichte sich ein schöner Traum dieses 
großen Mannes. Ein Philantrop stellte Dr. Trudeau ein hinreichend großes 
Kapital zur Verfügung, welches die Gründung einer ärztlichen Fortbildungs- 
schule zum Studium der Tuberkulose in Saranac Lake ermöglicht. Die Schule 
wird den Namen des Verblichenen tragen. Mögen Lebenslauf und die Er- 
rungenschaften des Dr. Edward Livingston Trudeau kommenden Gene- 
rationen als Vorbild dienen — bescheiden und dennoch groß in Können und 
Wissen, arm und dennoch reich an Herzensgüte und Mitleid für andere, ein 
wahrer ganzer Arzt und Mensch. 


TARE 


z ZEITSCHR., f. 
120 GRUNDSÄTZLICHE ENTSCHEIDUNG. RER oe 


Grundsätzliche Entscheidung. ') 


Die Mittel der Kasse dürfen nach $ 363 der Reichsversicherungsordnung zur 
Tragung der Kosten ärztlicher Zeugnisse verwendet werden, die Kassenmitglieder 
für ein von der Versicherungsanstalt nach $ 1269 fl. der Reichsversicherungsordnung 
einzuleitendes Heilverfahren aufgewendet haben. 


Im Namen aez Reichs! 
In der Beschwerdesache 
der Allgemeinen Ortskrankenkasse deš Stadtkreises Guben in Guben 


gegen 
die Entscheidung des Königlichen Oberversicherungsamts in Frankfurt a. O. vom 
10. Februar 1915 


wegen Tragung von Kosten für ärztliche Atteste von Kassenmitgliedern, die einen 
Antrag auf Heilanstaltsbehandlung bei der Landesversicherungsanstalt stellen, hat 
das Reichsversicherungsamt, Beschlußsenat der Abteilung für Kranken-, Invaliden- 
und Hinterbliebenenversicherung, in seiner Sitzung vom 5. Juni 1915, an der teil- 
genommen haben: 


I. der Präsident des Reichsversicherungsamts Dr. Kaufmann, Vorsitzender, 

2. der Großherzoglich Badische außerordentliche Gesandte und bevollmächtigte 
Minister, Geheimer Rat Dr. Nieser, vom Bundesrat gewähltes Mitglied, 

der Senatspräsident Hanow, 

der Regierungsrat Dr. Traenckner, 

der Regierungsrat Dürr, ständige Mitglieder, 

der Konsul und Kaufmann Seifert aus Berlin, Vertreter der Arbeitgeber, 
der Tischler Stügelmaier aus Berlin, Vertreter der Versicherten, 


wie folgt entschieden: 


Die Entscheidung des Königlichen Oberversicherungsamts Frankfurt a. O. vom 
10. Februar 1915 und die Anordnung des städtischen Versicherungsamts in Guben 
vom 7. Dezember 1914 werden aufgehoben. 


sono 


Gründe. 


Nach dem Vertrage zwischen der Allgemeinen Ortskrankenkasse des Stadt- 
kreises Guben und der dortigen Ärztevereinigung sollen die Kosten der ärztlichen 
Zeugnisse für diejenigen Kassenmitglieder, die lungenkrank sind und einen 
Antrag auf Heilanstaltsbehandlung bei der Landesversicherungsanstalt 
stelle wollen, im DBetrage von je 5 M. von der Kasse bezahlt werden. Das 
Städtische Versicherungsamt Guben hat die Zulässigkeit der Übernahme dieser Kosten 
durch die Kasse beanstandet, weil es sich um Ausgaben handele, zu denen die 
Kasse weder nach dem Gesetz ($ 363 der Reichsversicherungsordnung), noch nach 
der Satzung ermächtigt sei. Es hat daher mit Verfügung vom 7. Dezember 1912 
die Bezahlung dieser Kosten durch die Kasse untersagt. Die Beschwerde gegen 
diese Anordnung hat die Beschlußkammer des Königlichen Oberversicherungsamts 
Frankfurt a. O. mit Entscheidung vom Io, Februar 1915 als unbegründet zurück- 
wiesen. Auch nach Ansicht des Oberversicherungsamts ist die Verwendung von 
Kassenmitteln für den angegebenen Zweck unzulässig, weil derartige Aufwendungen 
weder zu den satzungsmäßigen Leistungen noch zu den allgemeinen Zwecken der 
Krankheitsverhütung im Sinne des $ 363 Abs. ı der Reichsversicherungsordnung 
gehörten. Gegen diese Entscheidung hat der Kassenvorstand rechtzeitig weitere 
Beschwerde beim Reichsversicherungsamt eingelegt. Es handelt sich nach Ansicht 


1) Dieselbe wurde uns vom Präsidenten des Reichsversicherungsamts zum Abdruck übergeben. 
D. Red. 


u nn un 


rue GRUNDSÄTZLICHE ENTSCHEIDUNG. 121 


der Kasse bei Übernahme der fraglichen Kosten nicht um eine Vorbeugungsmaß- 
regel zugunsten eines einzelnen Kassenmitgliedes, sondern um eine Fürsorge, die 
für einen größeren Teil erkrankter Kassenmitglieder und deren Familien von Be- 
deutung se. Wegen der dadurch erleichterten Einleitung eines alsbaldigen Heil- 
verfahrens mit größeren Heilungsaussichten für die Erkrankten trage diese Maßnahme 
auch dazu bei, die allgemeinen Aufwendungen der Kasse für Krankenhilfe zu ver- 
ringen. Auf die Ausführungen in den Beschwerdeschriften der Kasse und die 
Entscheidungen des Versicherungsamts und des Oberversicherungsamts wird im übrigen 
Bezug genommen. 

Die weitere Beschwerde ist zulässig ($ 1797 der Reichsversicherungsordnung) 
und auch begründet. 

Nach $ 363 Abs. ı der Reichsversicherungordnung dürfen die Mittel der 
Kasse insbesondere verwendet werden zu den satzungsmäßigen Leistungen und für 
allgemeine Zwecke der Krankheitsverhütung. Um eine satzungsmäßige Leistung 
handelt es sich bei Übernahme der Kosten für die in Rede stehenden ärztlichen 
Zeugnisse nicht. Denn wenn diese Aufwendungen auch erkrankten Kassenmitgliedern 
zugute kommen sollen, so fallen sie doch nicht unter die im zweiten Buche der 
Reichsversicherungsordnung vorgeschriebener Leistungen oder die dort für zulässig 
erklärten Mehrleistungen der Krankenkassen an Krankenhilfe (zu vergleichen $ 179 
der Reichsversicherungsordnung), Fraglich kann aber sein, ob die hierfür verwendeten 
Mittel zu den „allgemeinen Zwecken der Krankheitsverhütung“ zu rechnen sind. 
Der Senat hat dies angenomnmien. 

Dem $ 29 Abs. 2 des Krankenversicherungsgesetzes, an den sich $ 363 der 
Reichsversicherungsordnung anlehnt, war eine Verwendung der Kassenmittel für 


Zwecke der Krankheitsverhütung fremd. Der Entwurf der Reichsversicherungsord- 


nung wollte die Zwecke, für welche die Mittel der Kassen aufgewendet werden 
dürfen, erweitern, insbesondere Maßnahmen allgemeiner Art für die Gesamtheit der 
Kassenmitglieder, die das Entstehen oder Ausbreiten von Krankheiten unter ihnen 
verhüten könnten, für zulässig erklären (Begründung Seite 211). $ 372 des Entwurfs 
($ 363 der Reichsversicherungsordnung) ließ demgemäß die Verwendung der Mittel 
der Kasse auch für „allgemeine Schutzmaßregein gegen Erkrankung der Mitglieder“ 
zu. An die Stelle dieser Worte ist zufolge des in der Kommissionsberatung ge- 
stellten Antrags Nr. 224 die jetzige Fassung des $ 363 a. a. O. getreten, wonach 
die Kassenmittel „für allgemeine Zwecke der Krankheitsverhütung“ verwendet werden 
dürfen. Die Erörterungen zu, diesem Antrag (zu vergleichen Seite 263, 264 des 
Kommissonsberichts 2. Teil) lassen erkennen, daß der Antrag keine Einschränkung, 
sondern eine Erweiterung des Verwendungszwecks der Kassenmittel verfolgte. Es 
sollte den Kassen die Befugnis gegeben werden, über die durch Gesetz oder Satzung 
vorgeschriebenen Leistungen für den einzelnen Erkrankten hinaus vorbeugende Maß- 
nahmen zugunsten der Gesamtheit oder eines größeren Teiles der Kassenmitglieder 
zu treffen. Den Gegensatz zu den „allgemeinen“ Maßnahmen bilden also „be- 
sondere“ Maßnahmen, die lediglich einem einzelnen Kassenmitglied, nicht auch 
einem größeren Kreise der Mitglieder förderlich sind (zu vergleichen auch Hahn, 
Handbuch der Krankenversicherung, Anmerkung rd am Ende zu $ 363 der Reichs- 
versicherungsordnung). Als eine solche Maßnahme war die von der Kasse vorge- 
sehene Fürsorge gedacht. Die Kosten der ärztlichen Zeugnisse sollen nicht bloß 
in einem bestimmten Einzelfalle, sondern grundsätzlich bei allen erkrankten Ver- 
sicherten übernommen werden, die nach ärztlicher Untersuchung Heil- 
anstaltspflege wegen Lungentuberkulose beantragen. Eine allgemeine 


Wirkung in diesem Sinne wird auch tatsächlich von dieser Maßnahme 


erzielt werden. Denn die den lungenkranken Mitgliedern gewährte 
Vergünstigung käme bei der weiten Verbreitung von Lungenkrank- 
heiten in den Kreisen der Versicherten erfahrungsgemäß einem größeren 
Kreise der Kassenmitglieder zugute, 


z ZEITSCHR. f. 
k. 22 B GRUNDSÄTZLICHE ENTSCHEIDUNG. TUBERKULOSE 


Derartige allgemeine Maßnahmen sollen nach $ 363 a.-a. O. zulässig sein, 
wenn sie der „Krankheitsverhütung‘“ dienen. Begrifflich fallen hierunter alle Maß- 
regeln, die geeignet sind, die Gesundheit der Kassenmitglieder mittelbar oder un- 
mittelbar zu fördern. Indessen soll die Zulässigkeit der Verwendung von Mitteln 
der Kasse, nach den Ausführungen der Begründung auf Seite 211 und eines Regierungs- 
‚vertreters bei der Kommissionsberatung (Kommissionsbericht 2. Teil, Seite 264), 
in einer bestimmten Richtung beschränkt bleiben. Die Kassen sollen nämlich vor- 
beügende Maßnahmen, die nur die mögliche Entstehung künftiger Krankheiten bei 
noch nicht erkrankten Personen verhindern sollen, nicht übernehmen. Denn sie 
würden dadurch in eine Sphäre übergreifen, die nach dem Gesetze (zu vergleichen 
$ 1269 ff. der Reichsversicherungsordnung) den Versicherungsanstalten vorbehalten 
ist. Dagegen sollte die Fürsorge der Krankenkassen für den einzelnen erkrankten 
Versicherten (z. B. bei Unterbringung in einer Lungenheilanstalt), wie bisher, auch 
nach der Reichsversicherungsordnung nicht beschränkt werden. Hiernach ist die 
Kasse unbedenklich berechtigt, die Kosten der ärztlichen Zeugnisse für Kassen- 
mitglieder, die den Antrag auf Heilanstaltspflege bei einer Versicherungsanstalt stellen 
wollen, zu übernehmen. Denn ein solches Zeugnis gibt der Krankenkasse erst Auf- 
schluß darüber, ob und wie weit bereits Krankheitszustände bestehen, die die Ein- 
leitung eines Heilverfahrens geboten erscheinen lassen. Das ärztliche Zeugnis er- 
möglicht also der Krankenkasse erst diejenigen Fälle zu ermitteln, in denen sie 
selbst ein Interesse an alsbaldiger Einleitung eines Heilverfahrens durch die Landes- 
versicherungsanstalt hat, weil eine Krankheitsanlage, die sich möglicherweise später 
zu einer von der Kasse zu entschädigenden Krankheit entwickelt, bereits vorhanden 
ist. Insofern dient die Übernahme der Kosten der ärztlichen Zeugnisse auch dem 
allgemeinen Zwecke der Krankheitsverhütung im Sinne des $ 363 Abs. ı der Reichs- 
versicherungsordnung, ohne daß die Krankenkasse dabei in das Tätigkeitsgebiet der 
Versicherungsanstalten übergreift. In vielen Fällen werden sich namentlich minder- 
bemittelte Versicherte wegen der Kosten für die Ausstellung eines ärztlichen Zeug-. 
nisses scheuen, einen Heilverfahrensantrag überhaupt oder doch möglichst zeitig zu 
stellen. Eine Beseitigung derartiger Hemmungen durch die Kasse liegt zweifellos 
im Interesse vieler Kassenmitglieder und im Endergebnis auch im geldlichen Interesse 
der Kasse selbst. Demgemäß ist die von der Kasse in dem Arztvertrage über- 
nommene Verpflichtung der Kostentragung nach $ 363 der Reichsversicherungs- 
ordnung nicht zu beanstanden, und war der Beschwerde unter Aufhebung der 
Vorentscheidungen, wie geschehen, stattzugeben. 

Den Krankenkassen eröffnet sich hiernach die Möglichkeit, in 
weiterem Umfange als bisher auch ihrerseits bei der Bekämpfung der 
Tuberkulose mitzuwirken. 


Urkundlich unter Siegel und Unterschrift. 


Das Reichsversicherungsamt, 
Abteilung für Kranken-, Invaliden- und Hinterbliebenenversicherung. 


Der Beschlußsenat. 
(L. S.) gez. Dr. Kaufmann. 


20% 


BD. 25, HEFT 2. 
1916. 


REFERATE, 


123 


IL REFERATE ÜBER BÜCHER UND AUFSÄTZE. 


A. Lungentuberkulose. | 


I. Ätiologie. 


Alb. Tillisch, Direktor des Grefsen Volks- 
sanatoriums N. K. S. Kristiania: Über 
die Frage der exogenen oder en- 
dogenen Reinfektion bei Lungen- 
tuberkulose. [Festschrift für Klaus 
Hanssen.] (Medicinsk Revue 1914, 
pP. 394.) 

Von 841 Fällen von sicherer Lungen- 
tuberkulose waren 168 = 20°/, der Fa- 
milieninfektion in den Kinderjahren, diese 
bis zum 12. Jahre gerechnet, ausgesetzt 
gewesen. Unter dem 5. Lebensjahre war 
Infektionsgelegenheit bei 72 vorhanden 
gewesen. I2 Kinder boten eine primäre 
Lungentuberkulose dar. Von den restie- 
renden 156 waren 69=44°/, einer neuen, 
zeitlich dem Ausbruch der Lungentuber- 
kulose näherliegenden Familieninfektion 
ausgesetzt gewesen. 

Klinisch nachweisbare Kindertuber- 
kulose boten 49 = 29,2°/, dar. Dasselbe 
konnte auch bei 107 nachgewiesen werden, 
bei denen zu Hause keine Gelegenheit zu 
infantiler Infektion vorlag. Klinische Kin- 
dertuberkulose wurde also bei 156 von 
841 = 18,5°/, gefunden. Bei den 107 
der letzten Gruppe lag Gelegenheit zu 
exogener Infektion bei 25,5°/, vor. 

In den Tabellen ist die Dauer der 
Latenzperiode angeführt. 


Verf. meint, daß die Annahme einer 


exogenen Infektion voll und ganz neben 
der endogenen aufrecht erhalten werden 
muß, Autoreferat. 


G. T. Palmer: Tuberculous infection 
as a disease entity. (Boston Med. 
and Surg. Journ. 1915, Vol. CLXXII, 
No. 24, June 17, p. 904.) 

Eine ausgezeichnete kurze Darstel- 
lung der neueren Auffassung von Tuber- 
kuloseinfektion im Gegensatze zum alten 
Begriff der Tuberkulose. 

Verf. betont einige Tatsachen, welche 


| in letzterer Zeit allgemein angenommen 


wurden: nämlich, daß die Tuberkulose, 
zum großen Teil, eine Kinderinfektion 
ist, und daß sie für Erwachsene nicht so 
infektiös ist; weiter, daß die Tuberkulose- 
infektion sich manchmal maskiert unter 
Formen, welche früher nicht für tuber- 
kulösen Ursprungs gehalten wurden, und 
eine fortlaufende Reihe von „einfach un- 
gesund“ bis zur ausgesprochenen Erkran- 
kung bilden können. 

Im Lichte dieser Tatsachen müßten 
die Ärzte diese leichten oder atypischen 
und im Wesentlichen inaktiven Fälle 
besser erkennen und eine richtige Be- 
handlung einleiten. Solche Fälle brauchen 
nicht einer strengen Lungenphthisebehand- 
lung mit seinem Stigma unterworfen zu 
werden; aber man sollte solchen Fällen 
eine geeignete Lebensweise vorschreiben, 
um ihnen die Zukunft zu sichern. 

Daß der praktische Arzt oft nicht 
imstande ist, die verschiedenen Stadien 
der Tuberkulose in ihren richtigen Ver- 
hältnissen zu erkennen, und daß der Arzt 
zu oft geneigt ist, die unvermeidlichen 
und unbestreitbaren Tatsachen dem Patien- 
ten vorzuenthalten, dafür ist die heutige 
blinde, vernunftlose Furcht vor dem Wort 
Tuberkulose zum Teil verantwortlich zu 
machen. Soper (Saranac Lake, N. Y.) 


Vossenaar: Tuberculose en ongeval. 
— Tuberkulose und Unfall. (Tuber- 
culose 1915 [Holländisch] Jahrg. XI, 
No. 3.) 

An der Hand der betreffenden Lite- 
ratur kommt der Verfasser zu folgenden 
Schlüssen: 

I. Jede Ursache einer allgemeinen 
Schwächung oder einer lokalen Wider- 
standsabnahme ist imstande, die Ent- 
wicklung einer Tuberkulose hervorzurufen. 
Zu diesen Ursachen muß auch ein Trauma 
gerechnet werden, durch welches das Ge- 
webe geschwächt und die Zirkulation ge- 
stört wird. 

Das Trauma ist imstande, einen 
latenten Herd seiner schützenden Gewebs- 


124 


hülle zu berauben; dieselbe kann auch 
weniger widerstandskräftiger werden. Das 
Trauma wirkt hier als Gelegenheitsursache 
für die Entstehung der Tuberkulose. Die 
bestehende Tuberkulose hat sich unter 
dem Einfluß des Traumas verschlimmert. 


2. In den Fällen, wo schon die 


sogen. Wachstumsschmerzen bestanden, 
und Andeutungen der Poncetschen tuber- 
culosis rheumatoides, sind diese Erschei- 
nungen die Vorboten der allmählichen 
Entwicklung eines Bazillenherdes. Wenn 
unter diesen Umständen eine Distorsion 
zustande kommt, durch Mangel an Ge- 
schicklichkeit oder durch Hiyperästhesie 
des schon erkrankten Gelenkes, so liegt 
es auf der Hand, daß die Distorsion keine 
Rolle gespielt hat, und soll man sich sehr 
vor falscher Schlußfolgerung hüten. In 
diesem Falle ist die Tuberkulose bloß 
manifest geworden. 

3. Es ist denkbar und auch anzu- 
nehmen, daß in einem Falle, wo zer- 
streute Tuberkelherde vorhanden sind, 
eine Tuberkulose sich an einer bis jetzt 
völlig gesunden Stelle durch ein Trauma 
entwickelt. Zwar sind in dem Blute Tuber- 
kulöser, mit Ausnahme von Phthisikern 
im Laufe akuter Exazerbationen, keine 
Tuberkelbazillen nachweisbar, aber weil 
doch alle Fälle chirurgischer Tuberkulose 
den Weg durch den großen Kreislauf 
haben finden müssen, gibt es keinen 
Grund, die Möglichkeit, daß unter Um- 
ständen der Tuberkelbazillus denselben 
Weg folgen könnte, in Abrede zu stellen. 
Die Tuberkulose hat sich also in diesen 
Fällen bloß lokalisiert. 

4. Vom wissenschaftlichen Stand- 
punkte muß die Möglichkeit anerkannt 
werden, daß nach dem Trauma eine 
tuberkulöse Infektion stattfindet, und daß 
die Bazillen sich an der durch das Trauma 
getroffenen Stelle als einem locus minoris 
resistentiae ansiedeln. Auch hier muß 
man von einer lokalisierten Tuberkulose 
reden. 

Die traumatische Lungentuberkulose 
muß unter dem obengenannten Gesichts- 
punkte betrachtet werden. Eine trauma- 
tische Lungentuberkulose in engerem Sinne, 
d. h. eine durch ein Trauma entstehende 
Tuberkulose, ist zwar theoretisch möglich, 
aber bis jetzt noch nicht bekannt. Aber 


REFERATE, 


ZEITSCHR., f, 
TUBERKULOSE 


möglich ist, daß eine latente Tuberkulose 
durch das Trauma manifest wird, oder 
daß eine inaktive Tuberkulose progredient 
wird, oder aber eine schon progrediente 
Tuberkulose durch das Trauma verschlim- 
mert wird. Die Hämoptyse nach einem 
Trauma hat keineswegs immer die Be- 
deutung eines progredienten Prozesses. 
Ist die Hämoptyse die einzige Folge des 
Unfalles, so kann die Fürsorge seitens 
des Versicherungsamtes mit dem Aufhören 
der Blutung als abgelaufen betrachtet 
werden. Andererseits aber gibt es Fälle, 
wo das Trauma eine mit einer Blutung 
beginnende Tuberkulose auslöst, und diese 
Fälle sind gar nicht selten. 
Vos (Hellendoorn). 


Francis Harbitz, Direktor des pathol.- 
anatom. Universitäts-Instituts, Kristiania: 
Hämoptysen von eigentümlichem 
Ursprung, wahrscheinlich trau- 
matisch entstanden. [Festschrift für 
Klaus Hanssen.) (Medicinsk Revue 
1914, p. 291.) 

Ein 6o Jahre alter Arbeiter verun- 
glückte im Dezember 1906 dadurch, daß 
er einen Stoß gegen den Kopf bekam; 
er zeigte Symptome einer traumatischen 
Neurose während ca. °/, Jahr (von der 
Reichsversicherungsanstalt anerkannt). 

Am 6. 12. IgIO verunglückte er 
wieder, indem er während seiner Arbeit, 
in einer unbequemen Stellung liegend, 
plötzlich mit einem starken Griff einige 
Eisenröhren anfaßte und gleichzeitig seinen 
Körper verrenktee Er bekam gleich 
drückende Schmerzen in der Brust, wurde 
schwindlig und mußte aufhören zu arbei- 
ten; 5 Stunden später bekam er eine 
schwere Hämoptysis, die sich den 8. 12. 
und Iı. ı2, wiederholte; im ganzen ver- 
lor er 2 Liter Blut. 

Er genas langsam, neurasthenische 
Symptome fanden sich von neuem ein, 
und er war Invalide (gleichfalls von der 
Reichsversicherungsanstalt anerkannt\, Im 
Herbst ıgrı bekam er außerdem einen 
Anfall von Angina pectoris, woran er am 
8. I. 1912 starb. | 

Bei der Obduktion fand man 
eine bedeutende Arteriosklerosis in der 
Aorta wie in den Pulsadern des Herzens 
in Verbindung mit einer Vergrößerung 


BD. 7 a 2. 


des Herzens und Erweiterung der Aorta: 
außerdem Zeichen einer alten, geheilten 
Tuberkulosein beiden Lungenspitzen 
wie in den Lymphdrüsen des Thorax; 
aber keine frischen Tuberkel in den Lun- 
gen, keine Kavernen‘ mit käsigem Belag. 

Endlich fand man Verengungen in 
einzelnen größeren Luftröhrenzweigen nach 
der rechten Lunge und an denselben 
Stellen — besonders in einem größeren 
Bronchus — eine stark pigmentierte Narbe 
in der Schleimhaut und außerdem in 
einem daneben liegenden Zweig der Arteria 
pulmonalis eine ähnliche pigmentierte 
Narbe und Verengung. Diese geschrumpf- 
ten, narbenartigen und pigmentierten Par- 
tien lagen ganz dicht bei vergrößerten, 
anthrakotischen zum Teil von käsigen 
Massen angefüllten Lymphdrüsen im 
Hilus der Lunge. 


In dem Gutachten an dieReichs- 
versicherungsanstalt wurde Coronar- 
skleros@ als Todesursache angegeben. 

Als Ausgangspunkt der Blutung 
wurden die anthrakotischen und ra- 
mollierten Lymphdrüsen angesehen, von 
denen man annehmen mußte, daß sie sich 
sowohl nach einem Zweig der Arteria 
pulmonalis wie nach den Bronchien 
durchgebrochen hatten (dagegen war die 
Spitzentuberkulose als eine abgelaufene, 
geheilte Affektion anzusehen. Man muß 
annehmen, daß der Durchbruch nach und 
nach stattgefunden hat, und es ist nicht 
ausgeschlossen, daB das „Trauma“ im 
Dezember ıgıo (welches ja auch 5 Stun- 
den später von Hämoptysis gefolgt wurde) 
durch eine Ruptur der Arterienwand An- 
laß zu dem endgültigen Durchbruch und 
der Blutung gegeben haben kann. 


Autoreferat. 


Meyer (Leysin): Tuberculose d’origine 
traumatique. (Revue médicale de 
la Suisse Romande, Sept. 1915, Tom. 
35, No. 9.) | 

Verf. berichtet über einen 25jährigen 

Studenten, der als Sergeant der franzö- 


sischen Armee dient. Patient war früher 


immer gesund gewesen. Am 6. September 
1914 erlitt er eine schwere allgemeine 
Erschütterung durch eine Granatexplosion. 
Danach trat Haemoptoe auf. Im Lazarett 


REFERATE, 


125 


stellte der Arzt spezifische Lungenerkran- 
kung fest. Zweifellgs war hier das Trauma 
das auslösende Moment bei der Entstehung 
der bis dahin latenten Phthise. 

Stern (Straßburg) 


il. Epidemiologie und Prophylaxe 
(Statistik). 


J. Winkler-K. K. allgem. Krankenhaus 
Wien: Tuberkulose und Kalkge- 
birge. (Das österreich. Sanitätswesen 
IQI3, Nr. 47.) | 

Da Verf. beobachtet zu haben glaubte, 
daß im Kalkgebirge (Dolomiten) „merklich 
weniger“ Leute an Schwindsucht starben, 
als im Urgebirge, so ließ er sich von den 

Pfarrern der einzelnen Ortschaften ver- 

schiedener tiroler Täler, die teils in den. 

Kalkalpen, teils im Urgebirge lagen, eine 

Liste über die in den Jahren 1800 bis 

ıgro an Tuberkulose Verstorbenen nach 

den Totenbüchern anlegen. Verf. erhebt 
keinen Anspruch auf Vollkommenheit und 

Einwandfreiheit seines Materials, ja seine 

ganze Mitteilung soll nur als eine vor- 

läufige angesehen werden, die er durch 
spätere Untersuchungen und Nachforsch- 
ungen an Ort und Stelle noch zu ergänzen 
hofft. Aber das scheinen seine Zahlen 
doch tatsächlich zu lehren, daß die Zahl 
der Todesfälle im Urgebirge — im Gegen- 
satz zuden Brehmerschen Anschauungen 

(Ref.)! — durchschnittlich größer ist, als 

im Kalkgebirge. Natürlich ist nicht daran 

zu denken, daß etwa das Urgebirge an 

sich begünstigend auf die Ausbreitung der 

Tuberkulose einwirkt. Dies ist sicher nicht 

der Fall; vielmehr verfügt das Urgebirge 

über mancherlei klimatisch günstige Be- 
dingungen, die der Entstehung und Aus- 
breitung ‘der Tuberkulose entgegenwirken. 

Die gleichen günstigen Bedingungen wir- 

ken nun aber auch im Kalkgebirge, zu 

denen hier noch eine besondere hinzu- 
kommt: sie besteht im beständigen Ge- 
nusse von kalkhaltigem Wasser und dem 

Einatmen von Kalkstaub, so daß seine 

Einwohner gewissermaßen eine beständige 

leichte Kalkkur durchmachen. Aus der 

Literatur weist nun Verf. nach, daß Kalk- 

aufnahme den Organismus günstig beein- 


126 


flußt (Beförderung der Chemotaxis und 
Phagozytose) und der Schwindsucht ent- 
gegenwirkt. 

Noch eine andere Tatsache glaubt 
Verf. seinen Tabellen entnehmen zu dür- 
fen, nämlich die verhältnismäßig große 
Tuberkulosesterblichkeit der Gebirgsbe- 
wohner im höheren Lebensalter (über 
50 Jahre). Verf. erklärt dies dadurch, daß 
die Betreffenden schon im jugendlichen 
Alter angesteckt werden, daß aber der 
kräftige Körper des Gebirgsbewohners ein 
Weitergreifen der Krankheit verhütet, bis 
mit dem Nachlassen der Kräfte infolge 
des Alterns die Tuberkulose obsiegt. 

C. Servaes. 


Nils Heitmann - Kristiania: Tuberku- 
loseheimbewegung in Norwegen. 
[Festschrift für Klaus Hanssen.) (Me- 
dicinsk Revue 1914, p. 453.) 

Unter Tuberkuloseheim verstehen wir 
ein kleineres Krankenheim zur Aufnahme 
von: 1. vorgeschrittenen Schwindsüchtigen, 
die nicht sorgfältig genug in ihrem Heim 
verpflegt werden können, 2. von Fällen 
im Anfangsstadium, die aus einem oder 
anderem Grunde nicht in unseren Sana- 
torien aufgenommen werden können, und 
3. endlich von solchen alten chronischen 
Fällen, von denen man annehmen kann, 
daß sie unter einem Aufenthalt im Tu- 
berkuloseheim einen Teil ihrer verlorenen 
Arbeitskräfte zurückgewinnen können. 

Die Arbeit, dem Lande die notwen- 
dige Anzahl Tuberkuloseheime zu schaffen, 
wurde vor 10—ı5 Jahren begonnen. Im 
Laufe dieser Zeit sind 48 Tuberkulose- 
heime in Gang gesetzt und 30 sind im 
Bau begriffen. Wenn diese fertig sind, 
werden 78 Tuberkuloseheime mit 1232 
‚Betten zur Disposition für die tuberku- 
lösen Patienten stehen. Rechnet man die 
Schwindsuchtshospitäler in den Städten 
Kristiania, Bergen und Trondhjem mit, 
so ist die Zahl der Betten 1585. Im Ver- 
hältnis zur Volksmenge macht es 0,7 Fm. 
und im Verhältnis zu den angemeldeten 
Todesfällen an Lungentuberkulose 38 Bet- 
ten pro 100 Todesfälle. 

Die Tuberkulosenheime, die über das 
ganze Land verbreitet sind, sind aus 
öffentlicher oder privater Initiative oder 
beiden zusammen errichtet. Sie werden 


REFERATE. 


ZEITSCHR. f. 
-TUBERKULOSE 


teils von den Amtsgemeinden, teils von 
den Kreisgemeinden, teils von privaten 
Vereinen betrieben. Die Sache wird mit 
großer Sympathie von der ganzen Be- 
völkerung umfaßt, und was auf diesem 
Gebiete ausgerichtet ist, scheint eine wirk- 
same Bekämpfung der Tuberkulose in 
unserem Lande zu versprechen. 
Autoreferat. 


Edv. Kaurin, Direktor des Reknes Sana- 
torium Molde: Welche Fälle von 
Lungentuberkulose sollen an un- 
sere Volkssanatorien überwiesen 
werden? [Festschrift für Klaus Hans- 
sen.] (Medicinsk Revue 1914, p. 263.) 

Der Engländer Boddington war 
um die Mitte des vorigen Jahrhunderts 
der erste, der mit der Freiluftbehandlung 
der Lungentuberkulose begann; er ver- 
mochte jedoch nicht, die Sache zum Ziele 
zu bringen. Brehmer in Görbersdorf 
wurde der Schöpfer der hygienisch-diäte- 
tischen Phthisisbehandlung, die man für 
die beste der Gegenwart ansieht. Seine 

Schüler, speziell Dettweiler, führten die 

Arbeit weiter, teilweise in neuen Bahnen. 

Bei uns wurde diese Behandlungsmethode 

durch das 1897 in Molde vom Staate 

erbaute Volkssanatorium „Reknes“ einge- 
führt. Die Aufgabe der Volkssanatorien 
ist, den Patienten in möglichst kurzer 

Zeit — gewöhnlich in 3—4 Monaten — 

für längere Zeit arbeitstüchtig zu machen. 

Es gilt also zu wissen, welche Fälle sich 

zur Überweisung an diese Anstalten eignen. 

Zu diesen gehören vor allem alle unkom- 

plizierten Fälle der I. Klasse (Turban- 

Gerhardt) und gute Fälle der II. Klasse. 

Nur ausnahmsweise sollen Fälle der 

III. Klasse aufgenommen werden, wenn 

die Krankheit sich bei gutem Allgemein- 

befinden und guter Ernährung lange Zeit 
stationär verhalten hat. Es ist von größter 

Wichtigkeit, bei jedem Fall die beiden ' 


genannten Faktoren zu berücksichtigen. 


Liegt nämlich die Verdauung unter chro- 
nischen Krankheitsphänomenen des Ma- 
gen- und Darmtraktus darnieder, so bleibt 
jeder Fall, welcher Klasse er auch ange- 
hören möge, für die Einlegung im Volks- 
sanatorium ungeeignet. Febrile Patienten 
sollten niemals aufgenommen werden. Das 
geeignetste Alter scheint das vom 8. Lebens- 


BD. 25, HEFT 2. 
1916. 


jahre bis zur Pubertät, und vom 25. bis 
50. Lebensjahre zu sein. . Erbliche Be- 
lastung gibt keine Kontraindikation, eben- 
so wenig gut kompensierte Herzfehler, 
dahingegen Herzschwäche und Sklerose, 
ebenso chronische Nephritis und schwere 
Larynxaffektionen, FHämoptysen nur, wenn 
sie sehr häufig und kopiös sind. Kontra- 
indiziert für die Aufnahme sind Patienten 
mit akuten und chronischen ansteckenden 
Krankheiten, Diabetes, Psychosen, Alko- 
holismus, bedeutender Ozäna, wie die mit 
offenen Drüsen-, Knochen-, Gelenk- und 
Testistuberkulose, Epilepsie, schweren Ner- 
venleiden, hochgradiger Hysterie mit An- 
fällen. Neurastheniker bessern sich oft 
während der Kur. Rheumatische Leiden 
sind nicht geeignet, sie werden oft schlim- 
mer. Beginnende Gravidität ist in der 
Regel keine Kontraindikation. Von großer 
‘ Bedeutung ist es, ob der Patient psychisch 
für die Sanatoriumsbehandlung geeignet 
ist. Unzuverlässige und leichtsinnige Per- 
sonen, sowie alle die zum AlkoholmiB- 


brauch neigen, sollten nicht aufgenommen | 


werden. Jeder Fall muß vor der Auf- 
nahme genau erwogen werden, aber man 
muß alles Schematisieren vermeiden, um 
so mehr, da es so außerordentlich schwer 
ist, die Prognose der Lungentuberkulose 
zu stellen. Man erlebt in dieser Hin- 
sicht viele Überraschungen. Außer den 
Tuberkelbazillen sind viele Momente vor- 
handen, die sich geltend machen; unsere 
Wissenschaft ist mangelhaft und tappt im 
Dunkeln — es sind noch viele Rätsel 
da, die der Lösung harren. 


E. 8. Mo Sweeny: Are we getting pro- 
per value from our plant and ex- 
penditure for the tubercolous? 
(Med. Record. 1915, Vol. 87, No. 3, 
January 16, p. 94.) | 

Autor beklagt sich, daß wir unsere 

Sanatorien mit nicht passenden Fällen 

belegen. Er verneint die im Titel ge- 

stellte Frage. 
Soper (Saranac Sake, N.Y.). 


E. Washburn: The rôle of the state 
sanatorium in the tuberculosis 
problem. (Boston Med. and Surg. 


Journ. 1915, Vol. CLXXII, March 25, 


No. 12, p. 429.) 


REFERATE. 


Autoreferat. 


127 


Das Staatssanatorium hat im all- 
gemeinen eine dreifache Rolle zu spielen. 
Es sollte für die günstigen und beginnen- 
den Fälle sorgen. Hier betont Verf. die 
Wichtigkeit einer Behandlungsweise, welche 
dem Patienten eine möglichst große Ar- 
beitsfähigkeit sichert. 

Es sollte nicht nur auf den Patienten 
erzieherisch wirken, sondern auch auf 
das Pflegepersonal; diese erzieherische 
Aufgabe ist überhaupt sehr wichtig. 

Es sollte für die ungünstigen auf- 
gegebenen Fälle sorgen. Unter letzteren 
kommen zum Teil die für das Publikum 
gefährlichsten Fälle vor; nicht selten be- 
finden sich unter diesen Kranken solche, 
welche unheilbar sind und die Sicherheit 
Gesunder gefährden. Bis jetzt kann man 
solche Fälle nicht gesetzlich kontrollieren. 

Im allgemeinen erreichen die Staats- 
sanatorien ihre Zwecke nicht vollständig. 
Trotzdem lohnt es sich dem Staate, die 
Sanatorien zu unterhalten. 

Soper (Saranac Lake, N. Y.). 


J. B. Hawes: The responsibility of 
the general. practitioner for. the 
care and supervision of the dis- 
charged sanatorium patient. (Bos- 
ton Med. and Surg. Journ. 1915, Vol. 
CLXXII, No. 21, p. 779.) 

Über die Verantwortlichkeit der prak- 
tischen Ärzte für die Behandlung und 
Beaufsichtigung ihrer Patienten nach Ent- 
lassung aus den Sanatorien. Als wichtige 
Punkte werden folgende betont: 

Jeder tuberkulöse Patient benötigt 
irgend einmal eine Sanatoriumsbehandlung. 

Der wichtigste Zeitpunkt für die 
meisten Tuberkulosefälle ist der nach Ent- 
lassung aus dem Sanatorium. Jeder Arzt 
sollte unbedingt dafür sorgen, daß irgend- 
wie, privat oder in Kliniken, seine ent- 
lassenen Patienten genau beaufsichtigt 
werden. 

Jeder Arzt sollte es sich angelegen 
sein lassen, das Publikum von der Wich- 
tigkeit solcher Beaufsichtigung und Kon- 
trolle zu überzeugen. 

Soper (Saranac Lake, N. Y.) 


Theodor Frölich - Kristiania: Unter- 
suchungen über die Verbreitung 
der Tuberkulose unter den Kin- 


128 
dern der Volksschulen Kristianias. 
(Norweg. Magazin f. Ärztewissenschaft, 
75. Jahrg., Februar 1914, S. 137.) 

Die Untersuchungen der späteren 
Jahre haben es einleuchtend gemacht, daß 
eine wirksame Arbeit gegen die Tuber- 
kulose als Volkskrankheit in erster Reihe 
gegen die Kindertuberkulose gerichtet 
werden muß. Es ist deswegen von großer 
Bedeutung, daß die Ärzte und speziell 
die Schulärzte ein so eingehendes und 
sicheres Beweismaterial hierfür herbei- 
schaffen, daß die Behörden, welche die 
für einen effektiven Kampf notwendigen 
Mittel zuwegezubringen haben, nicht im- 
stande seien, die Sache liegen zu lassen. 

Verf. hat in dieser Absicht eine 
Untersuchung über die Verbreitung der 
tuberkulösen Infektion binnen einiger 
Altersklassen der Volksschulekinder Kri- 
stianias vorgenommen. 

Es war sein Plan, sämtliche Kinder, 
die September 1912 in die erste Klasse 
hmeintraten, mit v. Pirquets Reaktion 
und an anderen Symptomen einer tuber- 
kulösen Infektion — Drüsengeschwulst, 
verschiedenen Lokalisationen von Bein- 
und Gelenktuberkulose, Augen- und Ohr- 
leiden, abgelaufenen Pleuritiden usw. zu 
untersuchen, und er meinte, durch Aus- 
künfte von dem Gesundheitsamte Kri- 
stianias über das Vorkommen von Fällen 
von Tuberkulose in der Familie der 
positiv reagierenden Kinder oder in den 
Häusern, in welchen sie wohnten, An- 
haltspunkte für die Beurteilung zu be- 
kommen sowohl einer wahrscheinlichen 
Familieninfektion, als in welcher Aus- 
streckung die Kinder der Volksschule 
einer tuberkulösen Ansteckung vor dem 
schulpflichtigen Alter in der Zeit, wenn 
sie den großen Teil des Tages in den 
schmutzigen Treppenhäusen und den 
engen Hofplätzen der großen Kasernen 
verbringen, ausgesetzt sind. 

Es ist weiter die Absicht, die nicht 
reagierenden Kinder jedes zweite Jahr 
bis zum Abgang von der Schule (1910) 
zu untersuchen und zum Schluß das ganze 
Material in dem Gesundheitsamte Kristia- 
nias zu deponieren. Wenn ein Individ, 
das zu den oben genannten Altersklassen 
der Kinder gehört, späterhin dem Ge- 
sundheitsamte als tuberkuloseleidend an- 


REFERATE. 


ZEITSCHR, f. 
TUBERKULOSE 


gemeldet werden möchte (wir haben ja 
Anzeigepflicht), kann man in den vorge- 
nommenen Untersuchungen Erkundigung 
bekommen, ob der betreffende Patient 
schon im Kindesalter oder erst in einem 
späteren Alter infiziert worden ist, in- 
sofern die Untersuchungen nicht zeigen 
möchten, daß alle Kinder schon bei dem 
Abgang von der Schule infiziert worden 
wären. 

Leider ist dieser schöne Plan nur 
teilweise zur Ausführung gekommen, als 
Verf. Erlaubnis von nur 66,1°/, der Kin- 
der zu untersuchen bekommen hat. . Dies 
ist um so mehr zu beklagen, als die 
nicht untersuchten Kinder durchschnitt- 
lich den ökonomisch bestgestellten Fami- 
lien angehörten. Die Untersuchungen 
sind deswegen nicht so vollständig, wie 
man wünschen konnte und die unten an- 
geführten zahlgemäßen Resultate vielleicht 
ein wenig zu hoch um ein ganz zu- 
verlässiges Bild der Verhältnisse zu geben 
— sie sind aber trotzdem sehr beachtens- 
wert und von großem Interesse. 

Verf. hat die Steckprobe benutzt, 
die Untersuchungen sind sowohl mit 
human als bovin Tuberkulin und die 
Kontrollprobe mit gekochter Gilyzerin- 
bouillon ausgeführt worden. 

Die Resultate der Untersuchungen 
sind folgende: 

Von den 4383 Schülern, die Sep- 
tember 1912 in den rọ Volksschulen 
Kristianias eintraten, sind 2900, d.i. 
66,1°/, untersucht worden. 

Von diesen 2900 Kindern reagierten 
83,8°/, positiv, 16,2°/, negativ. Das 
Alter der Kinder war von 6—ọ Jahren. 
In dem Alter 6—7 Jahren reagierten 
81,4°/» 7—8 Jahren 83,1°/, und 8—9 
Jahren 85,7°/,. 

75,3°/, reagierten sowohl für human 
als bovin Tuberkulin. 17,3°/, nur für 
human und 7,4°/, nur für bovin Tuber- 
kulin. 

Unter den 2900 Kindern waren 33 
Geschwisterpaare, die aller Wahrschein- 
lichkeit nach unter denselben Lebens- 
bedingungen gelebt hatten. Von diesen 
reagierten 29 positiv. Bei 16 ist die 
Reaktion gleichartig, bei 13 verschieden. 

44,7°/, der positiv Reagierenden 
boten Symptome der Formen von Hals- 


BD. 25, HEFT 2, 
1916, 


drüsengeschwulst dar, die Verf. nach sei- 
nen Erfahrungen als tuberkulös betrachtet, 
von den negativ Reagierenden nur 9,8°/,. 

Symptome von Bronchialdrüsenge- 
schwulst fand er bei 15,2°/, der positiv 
Reagierenden, von den negativ Reagieren- 
den nur 0,6°/,. 


Als Resultat der klinischen Unter- 


suchungen ergab sich, daß Verf. bei 1252 
Kindern oder 51,5°/, der positiv Re- 
agierenden Symptome, die für die Mög- 
lichkeit einer Tuberkulose spricht, fand. 

Familieninfektion wurde in 4,8°,, 
der positiv Reagierenden nachgewiesen. 
Verf. ist deswegen der Meinung, daß die 
hauptsächlichste Quelle der Tuberkulose 
bei diesen Kindern in der Schmutz- 
infektion zu suchen ist. 

Er behauptet, daß die Gelegenheit 
vor dem schulpflichtigen Alter infiziert zu 
werden, so groß ist, daß man dadurch 
das ziemlich überraschende Faktum, daß 
84°/, der Kinder in diesem Alter schon 
infiziert sind, erklären kann. 

Fragt man, wo der Schwerpunkt des 
Kampfes gegen die Tuberkulose liegen 
darf, ist die Antwort: Dem tuberkulös in- 
fizierten Kinde ist vor allem zu helfen. 
Selbstverständlich kann man nicht allen 
tuberkulös infizierten Kindern helfen —, 
es ist auch glücklicherweise nicht nötig 
und wäre überhaupt unmöglich. Unsere 
Aufgabe muß sein, die Kinder, bei denen 
die tuberkulöse Infektion klinisch mani- 
feste Symptome hervorgebracht hat, aus- 
zuscheiden und ihnen solche Lebens- 
bedingungen zu verschaffen, daß .sie in 
dem Kampfe gegen die Infektion zu sie- 
gen vermögen. 

Um dies zu erzielen ist ein volles 
Verständnis der Notwendigkeit der Auf- 
gabe von der Seite der Behörden und 
eine energische Arbeit der Ärzte, speziell 
der Schulärzte erforderlich. 

N. Heitmann (Kristiania). 


Ing. Utne, Inspektor des städtischen Ge- 
sundheitsamtes in Bergen: Beitrag 
zum Studium. der Tuberkulose, 
besonders der Lungentuberku- 
lose, in Bergen. [Festschrift für Klaus 
Hanssen.) (Medicinsk Revue 1914, 
P. 538.) Ä 

In den letzten 40 Jahren hat die 
Zeitschr. f. Tuberkulose. 26, 


REFERATE. 129 


totale Sterblichkeit in Bergen bedeutend 
abgenommen; ebenso die der Tuberku- 
lose, letztere doch etwas weniger. Diese 
hat nach der Statistik mit ungefähr 33], 
abgenommen, während die tatsächliche 
Abnahme aller Wahrscheinlichkeit nach 
etwas größer ist. 

Es zeigt sich, daß das Vorkommen 
der Tuberkulose in den verschiedenen 
Teilen der Stadt in einem gewissen Ver- 
hältnis zu der Wohnungsdichtigkeit steht. 
In der Regel kann man ein proportionales 
Verhältnis konstatieren. Autoreferat. 


A. B. Wessel: Die Tuberkulose in 
Finmarken, — besonders ihre 
Beziehung zu den Wohnungs- 
verhältnissen. (Zeitschr. d. norwegi- 
schen Ärztevereins, Nr. 5, 1914.) 

Verf., der während eines Menschen- 
alters Kreisarzt in Sydvaranger in Fin- 
marken, dem nördlichsten Amt Norwegens, 
gewesen ist, gibt in einer von graphischen 

Tabellen mit zahlreichen. Illustrationen 

begleiteten Studie eine Übersicht über 

das Auftreten der Tuberkulose in Fin- 
marken und ihre Ursachen. Während die 

Tuberkulose bis zu den 70er Jahren vori- 

gen Jahrhunderts eine verhältnismäßig sehr 

seltene Krankheit in Finmarken war, hat 
sie in den letzten 30—40 Jahren immer- 
hin beträchtlich zugenommen, so daß die 

Sterblichkeit an Lungentuberkulose in der 

3. Jahresperiode 1I908—ı910 durch- 

schnittlich 4,23 p. m. beträgt (berechnete 

Sterblichkeit). In derselben Periode ist 

die Sterblichkeit an Lungentuberkulose im 

Reiche 2,07. Und dies, obgleich die Be- 

völkerungsdichtigkeit in Finmarken nur 

0,8, im Reiche dagegen 7,3 p. km? ist. 

Wenn die Tuberkulose verhältnis- 
mäßig spät nach Finmarken gekommen 
ist, ist die Isolation des Landesteiles in 
erster Reihe die Ursache dazu. Mit ge- 
besserten Verkehrsverhältnissen kam auch 
die Infektionsgelegenheit, welche in diesen 
von der Krankheit unberührten Gegenden 
einen vorzüglichen ‚Boden und in den 
schwierigen Lebensverhältnissen der Be- 
völkerung eine günstige Gelgenheit, sich 
auszubreiten, fand. In dieser Hinsicht 
spielten namentlich die äußerst schlech- 
ten Wohnungsverhältnisse eine große Rolle. 

Verf. hebt mit Betonung hervor, daß 


9 


130 


der Staat die Pflicht hat, diesem Landes- 
teile zu Hilfe zu kommen, um die Be- 
völkerung sowohl ökonomiseh als hygie- 
nisch und intellektuell zu erheben. 

Sonst ist kein Rückgang der Krank- 
heit zu erwarten. 


N. Heitmann (Kristiania). 


Scheltema: Heriditeit van Tuber- 
culose? (Ned. Tydschr. v. Genees- 
kunde 1915, Bd. II, No. 10.) 

Der Verf. findet in einer von dem 
Verband Holländischer Ärzte ausgeschrie- 
benen Preisfrage Veranlassung, die Frage 
der Erblichkeit der Tuberkulose zu er- 
örtern, über die noch bei vielen unklare 
Begriffe herrschen. Von einer Erblich- 
keit kann bei der Tuberkulose ebenso- 
wenig die Rede sein wie von einer erb- 
lichen Kugelkrankheit bei den Mitgliedern 
einer im Kriege verwundeten Familie. 

Über die Erblichkeit einer erhöhten 
Disposition kann man freilich noch reden, 
trotzdem dieselbe erst dann mitbestimmend 
wird, wenn das erblich belastete Indivi- 
duum mit dem Bazillus in Berührung 
kommt, so daß auch in diesem Falle von 
einer Erblichkeit der Tuberkulose nicht 
die Rede sein kann. Erblichkeit der Ba- 
zillen, Erblichkeit also körperlicher Gegen- 
stände, ist unmöglich. Über die Erblich- 


keit erworbener Eigenschaften kann frei- 


lich noch diskutiert werden. 
Vos (Hellendoorn). 


Elise Dethloff, Bergen, Vizesekretär des 
Norwegischen Nationalvereins gegen 
Tuberkulose: Vergleichende Tuber- 
kulinuntersuchungen an Kindern 
aus tuberkulösen und nichttuber- 
kulösen Familien. [Festschrift für 
Klaus Hanssen.] (Medicinsk Revue 
1914, p. 350.) 

Durch mehrere Tuberkulinunter- 
suchungen nach von Pirquets Methode, 
die in Bergen an Kindern aus tuberku- 
lösen und nichttuberkulösen Familien aus- 
geführt worden sind, ist Verf. zu dem 
Resultat gekommen, daß die wesentlichste 
Ansteckung im Kindesalter innerhalb der 
vier Wände im eigenen Heim vor sich 
geht. Die Reinlichkeit in den tuberku- 
lösen Häuslichkeiten scheint eine sehr 


REFERATE, 


ZEITSCHR, f. 
TUBERKULOSE 


große Rolle zu spielen, indem sämtliche 
Kinder aus den unreinlichen Häuslich- 
keiten angesteckt waren, während es vor- 
kam, daß keine oder nur die großen 
Kinder aus den reinlichen Häuslichkeiten 
infiziert waren. 

Milch scheint bei der Ansteckung 
keine wesentliche Rolle zu spielen, indem 
von 60 Kindern unter 4 Jahren aus nicht- 
tuberkulösen Häuslichkeiten keins, von 
67 Kindern aus tuberkulösen Häuslich- 
keiten 31 angesteckt waren. 

73 Kinder hatten eine tuberkulöse 
Mutter und 77 einen tuberkulösen Vater. 
Von ersteren reagierten 60°/, positiv, von 
letzteren 75°/ Die Tuberkulose des 
Vaters scheint also gefährlicher zu sein 
als die der Mutter (Spucken?). 

In den Häuslichkeiten wo Kinder 
waren, die an offener Tuberkulose litten, 
waren alle die andern Kinder angesteckt. 

Von den untersuchten Kindern waren 
QI während kürzerer oder längerer Zeit 
in einem Kinderheim beobachtet worden. 

Es waren 2 Kinder unter ı Jahr, 
die angesteckt waren. Von diesen starb 
das eine, das andere gedeiht gut. Zwischen 
I und 2 Jahren waren 7 angesteckt. Keins 
von diesen scheint der Infektion erliegen 
zu sollen. 

Die infizierten Kinder unter 5 Jahren 
boten alle eine starke Neigung zu Katar- 
rhen im Respirations- und Darmtraktus. 
Je jünger die Kinder waren, desto mehr 
schien ihr Allgemeinzustand gelitten zu 
haben, und um so besser mußten die 
hygienischen Verhältnisse sein, unter denen 
sie leben sollten. 

Verf. stellt als einen der wichtigsten 
Programmposten im Kampf gegen die 
Tuberkulose die Forderung auf, die Kinder 
und speziell die kleinen Kinder aus den 
tuberkulösen Häuslichkeiten zu entfernen, 


| und sie entweder in gesunden privaten 


Familien unterzubringen oder in einem 
Kinderheim bis sie das 5—6 Lebensjahr 
erreicht haben. Autoreferat. 


Birger Øverland, Sekretär des National- 
vereins gegen die Tuberkulose: Auf- 
treten von Tuberkulose in einem 
Tale, in welchem bisher ein 
sicherer Todesfall von Tuberku- 
lose nicht bekannt war. [Festschrift 


BD. 25, HEFT 2, 
1916. 


für Klaus Hanssen.] (Medicinsk Revue 
1914, p- 586.) l 

In einem isolierten Gebirgstale, wo 
kein Todesfall von Tuberkulose beobachtet 
ist, hat Verf. sämtliche r00 Einwohner 
mit v. Pirquets Reaktion untersucht. Es 
reagierten 54°/, positiv. Folgende kli- 
nische Fälle von Tuberkulose wurden 
nachgewiesen: I. Ein 26-jähriges Mäd- 
chen litt an Lupus, der seit der Kindheit 
gedauert hatte. 2. Ein 30-jähriger Mann 
hatte Anchylose nach einer Coxitis (1894). 
3. Einem 33-jährigen Manne war ein 
Finger wegen einer tuberkulösen Affektion 
amputiert worden. Wahrscheinlich tuber- 
kulöser Natur waren: 2 Fälle von Abs- 
zessen und ı Fall von phlyktänulärer 
Augenkrankheit. 

Als Träger der tuberkulösen Infek- 
tion müssen zwei tuberkulöse Lehrer an- 
geschuldet werden, die „Umgangsschule“ 
in diesem „Kreise“ gehalten hatten. 

Sämtliche Kühe sind mit Tuberkulin 
untersucht worden, haben aber alle nega- 
tiv reagiert. Die positive Reaktion der 


Einwohner und die klinischen Fälle von 


Tuberkulose können deshalb nicht auf 

eine („immunisierende“) Infektion mit bo- 

vinen Bazillen zurückgeführt werden. 
Autoreferat. 


ii. Allgemeine Pathologie und patho- 


logische Anatomie. 


K. A. Hasselbalch und J. Lindhard: 
. Zur experimentellen Physiologie 
des Höhenklimas. Aus dem Finsen- 
Institut, Kopenhagen. (Biochem. Ztschr. 

. 1915, Bd. 68, Heft 3/4, S. 265—310.) 
Es wird ein für längeren Aufenthalt 
zweier: Personen eingerichtetes pneuma- 
tisches Kabinett beschrieben, worin alle 
bekannten klimatischen Faktoren dosiert 
und physiologisch untersucht werden 


können. Das Kabinett wird in der Folge- 


hauptsächlich für die experimentelle Ana- 
lyse der Höhenklimawirkungen benutzt 
werden. Die hauptsächlichsten der schon 
im voraus bekannten physiologischen Wir- 
kungen des Höhenklimas — die Atmung 
und den Kreislauf betreffend — sind der 
Luftverdünnung (der Herabsetzung des 


REFERATE, 131 


O,-Druckes) allein zu verdanken. Die 
Akklimatisierung für den niedrigen 0O,- 


Druck ist ein mehr oder weniger all- 


mählich verlaufender Prozeß. Die Er- 
niedrigung der alveolaren CO,-Spannung 
kann als Maß für den erreichten Akkli- 
matisierungsgrad benutzt werden. Muskel- 
arbeit während der Luftverdünnung scheint 
für die Geschwindigkeit der Akklimati- 
sierung ohne Bedeutung zu sein. Die 
Größe des respiratorischen Stoffwechsels 
wird von der reinen Luftverdünnung nicht 
beeinflußt. 

Während eines 26tägigen Kabinett- 
versuchs, wo 14 Tage bei 455 mm Total- 
druck verbracht wurden, zeigte sich der 
O,-Verbrauch der Versuchsperson von 
dem Sauerstoffdruck der Atmosphäre gänz- 
lich unbeeinflußt. Die Akklimatisierung 
war eine allmähliche und wurde durch 
Muskelarbeit vielleicht etwas befördert. 
Während der Druckreduktion zeigte sich 
eine bemerkenswerte Abnahme der Am- 
moniakausscheidung mit dem Harn. Der 
Aminosäurengehalt des Harns blieb kon- 
stant. | 

W. Kempner (Berlin-Lichterfelde). 


Gustav Baer u. Robert Engelsmann: Über 
die Einwirkung des Hochgebirges 


auf das Leukocytenbild bei Ge-. 


sunden und Lungentuberkulösen. 
(Ztschr. f. Balneologie u. Klimatologie, 
VIII, April 1915, Nr. 1, S. r.) 
S. diese Zeitschrift, Bd. 22, S. 577. 
L. R. 


K. J. Figenschau-Kristiania: Über den 
anämisierenden Einfluß der Lun- 
gentuberkulose. [Festschrift für Klaus 
Hanssen.) (Medicinsk Revue 1914, 
p. 402.) 

Bei 30 Tuberkulosepatienten, von 
denen die meisten an mehr oder weniger 
vorgeschrittener Lungentuberkulose, zum 
Teil mit Komplikationen, litten, sind Unter- 
suchungen der Hämoglobinmenge ' und 
Zählung der Blutkörper ausgeführt wor- 
den, gleichzeitig mikroskopische Unter- 
suchung der Blutkörper. 

Bei den meisten wurde eine Herab- 
setzung der Farbkraft im Verhältnis zur 
Anzahl der roten Blutkörper gefunden — 
also ein Farbenindex weniger als I. 


9* 


132 


Dahingegen war die Anzahl der roten 
Blutkörper bei unkomplizierten Fällen von 
Tuberkulose nicht sonderlich herabgesetzt. 
Bei 8 Fällen fand Verf. sogar über 5 Mil- 
lionen (bis zu 6,5 Millionen) Policythämie. 
2 von diesen Fällen waren mit klinischer 
Cyanose verbunden (der eine Fall zeigte 
bei der Sektion Pneumonie als Kompli- 
kation, der andere Miliartuberkulose). 

Bei der mikroskopischen Unter- 
suchung der roten Blutkörper fand Verf. 
pathologische Veränderungen, wie bei 
schweren Anämien: Poikilozythose, Poly- 
chromatophilie. Kernbildungen und ker- 
nige Gebilde im Protoplasma nur, wo be- 
sondere Komplikationen vorlagen, in einem 
Falle bei gangränösem Geruch des Spu- 
tums, aber in der Regel nach Blutungen 
und Diarrhöe. Ein Fall, der auf die Ab- 
teilung unter der Diagnose perniziöse 
Anämie eingeliefert war, und der im Blute 
ernstliche Veränderungen darbot, die auf 
eine schwere, aber nicht perniziöse An- 
ämie hindeuteten, erwies sich als käsige 
Darmtuberkulose, die tödlich endete mit 
Perforation und Peritonitis. Bei der Sek- 
tion wurde nichts in den Lungen gefunden, 
mit Ausnahme eines erbsengroßen käsigen 
slerdes unter der Pleura auf der Dia- 
phragmaseite. Autoreferat. 


Leo Kessel and M. J. Sittenfield: The 
effect of penetrating rays upon 
experimental tuberculosis. (Pro- 
ceedings of the New York Patholog. 
Society N.S.; Nov.1914, Vol.XIV, No.7.) 

Verff. injicierten Meerschweinchen 
genau dosierte Mengen getrockneter Tu- 
berkelbazillen. 32 Tage nach der Impfung 
wurde bei einem Teil der Tiere mit 

Röntgentiefenbestrahlung begonnen und 

diese alle 3 Tage während 20 Tagen 

wiederholt. Es zeigte sich dabei, daß die 
bestrahlten Tiere ungefähr 15 Tage länger 
lebten als die anderen. Die Sektion er- 
gab Herde in Lungen, Leber, Milz, Lymph- 
knoten. Dabei zeigten die bestrahlten 

Tiere weniger Neigung zur Verkäsung und 

mehr Bildung fibrösen Gewebes. Es bleibt 

noch zu untersuchen, in welchem Stadium 
der Tuberkulose die Bestrahlung am 
meisten leistet. Stern (Straßburg). 


S. Schönberg: Zur Bewertung der 


REFERATE. 


ZEITSCHR. f. 
TUBERKULOSE 


Lungenschwimmprobe. (Aus dem 
pathologisch-anatomischen Institut zu 
Basel, Vorsteher Prof. E. Hedinger). 
(Berliner klin. Wchschr. 1915, Nr. 21, 
S. 542—544.) 

Aus den bisherigen Beobachtungen 
geht hervor, daß die Lungenschwimm- 
probe keinen einwandfreien Beweis für 
stattgehabtes Leben bedeuten kann, da, 
abgesehen von Fäulnisgasen und künst- 
lich zugeführter Luft (künstliche Atmung) 
die Lungen durch intrauterine Atmung 
lufthaltig werden können, so daß bei 
eventuell später eintretendem Absterben 
in utero die Lungenschwimmprobe trotz- 
dem positiv ausfallen kann. Vorausgesetzt 
ist, daß der Eihautriß der Luftaufnahme 
vorausgeht. Verf. berichtet über einen 
Fall von lufthaltigen fötalen Lungen bei 
einem 7 Monate alten Fötus, den er 
selbst den intakten Eihäuten entnahm; 
es fanden sich makroskopisch und mi- 
kroskopisch entfaltete lufthaltige Lungen. 
Künstliche Atmung wurde nicht gemacht, 
die Eiblase war noch nicht eröffnet, gas- 
bildende Infektion oder Fäulnis konnte 
ausgeschlossen werden. Eine Erklärung, 
wie die Luft oder das Gas in die Lungen 
gelangte, kann Verf. nicht geben. 

S. Bergel {Berlin-Wilmersdorf). 


A. Stanley Griffith: Cervical gland 
tuberculosis. (The Lancet, 19. 6. 
1915, p. 1275 fi.) | 

Griffith, dessen Arbeiten auf dem 

Gebiete der Typen des Tuberkelpilzes und 

ihres Vorkommens auch in Deutschland 

wohlbekannt sind und in dieser Zeitschrift 
wiederholt Besprechung fanden, bringt 
hier eine sehr eingehende und sorgfältige 

Abhandlung über Halsdrüsentuberkulose. 

Der Ausgangspunkt war die Beobachtung 


‘ vonatypischen Formen des Tuberkelbazillus 


bei Lupus der Halshaut, der sich nach 
operativer Entfernung oder Vereiterung 
tuberkulöser Halsdrüsen entwickelt hatte. 
Auf Einzelheiten der sehr lesenswerten 
Arbeit wollen wir hier nicht eingehen; 
es würde zu weit führen. Von 68 Fällen, 
die von 7I untersuchten in Betracht 
kommen, zeigten 35 humane und 33 bo- 
vine Bazillen. Der Anteil der beiden: 
Typen ist also nahezu gleich. Die Häufig- 
keit der bovinen Infektion ist am größten 


8D,25. HEFT 2. 
1916. 


bei Kindern unter 5 Jahren: von 10 Fäl- 
ing = 90°/,, was gewiß auffällig hoch 
is. Bei Erwachsenen über 20 Jahre da- 


gegen fand sich in 17 Fällen nur 4 mal’ 


= 23,5°/, bovine Infektion. Immerhin 
aber ist auch bei Erwachsenen der Pro- 
zentsatz boviner Infektion noch recht 
groß. Aus einer andern Tabelle ist der 
auffallende Unterschied der Häufigkeit 
boviner Infektion bei Halsdrüsen in ver- 
schiedenen Ländern ersichtlich: Während 
Mitchell in Edinburgh auf 92 °/, kommt, 
haben wir in Deutschland nur 36,3°/, 
(beidemal Kinder unter 5 Jahren). In 
Schottland überwiegt also in diesem Le- 
bensalter die bovine Infektion gewaltig, 
in Deutschland überwiegt die humane In- 
fektion erheblich. Wir verweisen auf 
frühere Besprechungen von Arbeiten über 
das gleiche Thema. Meißen (Essen), 


Shozaburo Otabe-Tokio: Kultur- und 
Tierversuche mit menschlichen 
und Rindertuberkelbazillen. 
(Inaug.-Diss., Basel 1915.) 

Verf. berichtet über Versuche, die 

er auf Veranlassung von C. Fraenken im 

hygienischen Institut der Universität 

Halle a. S. angestellt hat. Er hat im 

Kultur- und Tierversuch tuberkulöses 

Material verarbeitet, das in 9 Fällen vom 

Menschen, in ọ Fällen vom Rind und in 

2 vom Schwein stammt. Bei dem Kulturver- 

such wurden Eier-, Milchserum-, Glyzerin- 

serum-, Reinserumnährböden und Glyzerin- 
bouillon verwandt, zum Tierversuch Ka- 
ninchen und Meerschweinchen. Das 

Resultat seiner Versuche faßt er dahin 

zusammen: Aus dem Material vom Men- 

schen wurden keine Rindertuberkelbazil- 


len, aus dem Material vom Rind keine. 


Tuberkelbazilen vom Typus humanus 
nachgewiesen. Stämme aus Material vom 
Rind sind nach dem Kulturversuch dem 
Typus bovinus mehr ähnlich als dem Typus 
humanus, aber nach den Tierversuchen 
mehr dem Typus humanus. Die. Stämme 
von Rindern haben stärkere Virulenz für 
Meerschweinchen und Kaninchen als die 
Stimme vom Menschen. Stämme von 
Rindern wachsen auf Reinserum- und 
Reineiernährböden besser als menschliche 
Stämme, sie sind schwerer zu züchten 
und wachsen langsamer; menschliche 


REFERATE. 


133 


Stämme wachsen auf mit Glyzerin ver- 
setzten Nährböden besser und schneller. 
Ebenso wachsen letztere auf Glyzerin- 
bouillon schnell und charakteristisch, 
während Stämme vom Rind und Schwein 
ganz langsam wachsen. Die Stämme vom 


‚Schwein sind im Kulturversuch dem Ty- 


pus bovinus ähnlicher als dem Typus 
humanus; beim Tierversuch umgekehrt, 
Im Tierversuch sind am Kaninchen bei 
menschlichen Stämmen die Impfstellen 
meistens geheilt, das Tier nimmt an 
Körpergewicht zu, während bei Rinder- 
stimmen die Impfstelle sich entzündet, 
eitert und das Versuchstier an allgemei- 
ner Tuberkulose zugrunde geht. Alles in 
allem große Verschiedenheit zwischen den 
Stämmen von Menschen und Rindern, 
so daß Verf. schließlich glaubt, daß unter 
natürlichen Verhältnissen die menschlichen 
Tuberkelbazillen für das Rind und Rin- 
dertuberkelbazillen für den Menschen 
nicht infektiös sind. 


C. Moewes (Berlin-Lichterfelde). 


IV. Diagnose und Prognose. 


Lyder Nicolaysen, Oberarzt am städti- 
schen Krankenhaus, Kristiania: Die 
Urochromogenreaktion bei Lun- 
gentuberkulose. [Festschrift für Klaus 
Hanssen.) (Medicinsk Revue 1914, 
p. 469.) 

Verf. hat 140 Patienten mit Lungen- 
tuberkulose untersucht, 45 Frauen und 
95 Männer. Diazoreaktion wurde 46 mal 
= 33°/ gefunden, während Urochro- 
mogenreaktion 68 mal = 48°/, nachge- 
wiesen wurde. Bei Verdünnungen fand 
Verf, dab U-R in romal so starken 
Verdünnungen nachgewiesen werden kann 
wie D-R. Da nun beide Reaktionen von 
demselben Stoffe hervorgerufen werden, 
bedeutet dies, daß U-R so viel empfind- 
licher ist. Da diese außerdem schnell 
und leicht auszuführen ist und das Reagens 
im Gegensatz zu den Verhältnissen bei 
D-R haltbar ist, dürfte U-R. in allen 
Fällen vor D-R vorgezogen werden. Wo 


-D-R undeutlich oder schwach ist, wird 


SL... UNSERER 
eine Kontrollprobe mit U-R positiv sein, 
wenn Urochromogen sich vorfindet. 
Gleich dem negativen Resultat Weiß’ 
beim Versuch D-R in verschiedenen Kör- 
perflüssigkeiten nachzuweisen, gelang es 
dem Verf. ebenfalls nicht, ein positives 
Resultat mit Weiß’ Reaktion im Blut- 
serum und Transsudaten zu erhalten. 
Autoreferat. 


S. E. C. Bosch: Over de diazo-reactie 
en de permangaan-reactie by tu- 
berculosis pulmonum. — Über die 
Diazoreaktion und die Permanganreak- 
tion bei der Lungentuberkulose. (In- 
auguraldissertation, Amsterdam Igıs u. 
Dtsch. med. Wchschr. 1916, Nr. 1, S. 17.) 

Die Verfasserin hat vergleichende 

Untersuchungen angestellt über die Be- 

deutung der Ehrlichschen Diazoreaktion 

und die von Moritz Weisz beschriebenen 

Urochromogen- oder Permanganreaktion. 

Ein fortwährend oder öfters positiver Aus- 

fall entweder der einen oder der anderen 

Reaktion war ein untrüglich schlechtes 

Zeichen, aber die infauste Prognose war 

auch aus anderen Erscheinungen ersicht- 

lich. Die Permanganreaktion scheint für 
die Praxis etwas brauchbarer als die 

Ehrlichsche Diazoreaktion. Die spora- 

disch vorkommende Diazoreaktion ist pro- 

gnostisch von übler Bedeutung, während 
die sporadisch vorkommende Permangan- 
reaktion noch weiterer Untersuchung 
bedarf. Die Heilstättenbehandlung darf 
wenigstens durch dieselbe nicht als kontra- 
indiziert betrachtet werden. 

Vos (Hellendoorn). 


Italo Civalleri (Aus der Prop. Klin. Prof. 
Micheli-Siena): Ricerche sulla 
precipito-diagnosi di materiale 
tubercolare. — Untersuchungen 
über die Präzipitin-Diagnose tu- 
berkulösen Materiales. - (Riv. Crit. 
di Clin. Med. 1915, 16.) 

C. bedient sich eines mit abgetö- 
teten und lebenden menschlichen T.B. 
überimmunisierten Eselserums (aus dem 
Istituto Sieroterapico Milanese) und ex- 
trahiert aus dem tuberkulösen Material 
(Sputum, Abszeßeiter, Harnsediment etc.) 
das Präzipitinogen auf folgende Weise: 
Auf eine gewisse Menge (wenigstens 2 ccm 


REFERATE. 


III mn nn — 


ZEITSCHR. f. 
TUBERKULOSE 


oder entsprechende Gewichtsmenge) der 
zu untersuchęnden Substanz läßt man ca. 
3 Stunden lang bei 37° eine doppelt so 
groe Menge Chloroform einwirken. Die- 
ses gießt man ab und fügt 4 Teile phy- 
siologische Lösung zu, so daß man eine 
Verdünnung des Materiales von I:5 er- 
hält. Durch Schütteln stellt man eine 
gleichmäßige Emulsion her, hält das Rea- 
genzglas mit der Emulsion 2 Min. lang 
(Optimum) in ein siedendes Wasserbad 
und filtriert kalt durch ein Filter Schlei- 
cher & Schüll Nr. 590. In einzelnen 
Fällen von leicht opaleszierender Flüssig- 
keit filtriert man wiederholt durch här- 
tere Filter Nr. 575. Die Probe wird nun 
in Glasröhrchen von 5 cm Höhe und’ 
6 mm Durchmesser ausgeführt, indem 
man sie zur Hälfte mit dem präzipitieren- 
den Serum füllt und mit einer Kapillar- 
pipette das Filtrat darüber schichtet. Die 
Reaktion erscheint in kurzer Zeit, da das 
Serum momentan wirkt, und wird nach 
höchstens 20— 25 Min. abgelesen; manch- 
mal erscheint sie schon viel früher, mag 
man die Röhrchen bei gewöhnlicher Zim- 
mertemp. oder im Thermostaten bei 37° 
stehen lassen. Das Optimum für die 
Ablesung ist nach 15—20 Min. 

Die .Zonenreaktion fällt oft negativ 
aus, wenn man die Emulsion länger als 
5 Min. im siedenden Wasserbade läßt, 
und verliert an Spezifizitä, wenn man 
das heiße Extrahieren ganz unterläßt. 

Die vorschriftsmäßig ausgeführte 
Reaktion ist ganz außerordentlich emp- 
findlich und fällt bei allem möglichen 
tub. Material (Sputum, Abszeßeiter, Harn- 
sedimeht etc.) positiv aus, selbst wenn 
andere empfindliche Methoden im Stich 
lassen. Sie ist nicht an die Anwesenheit 
morphologisch erhaltener T.B. gebunden, 
sondern es genügen schon deren Zer- 
fallsprodukte. Einzelne, noch unerklärte 
Versager kommen nach der positiven wie 
nach der negativen Seite vor. Mit den 
klinischen Erscheinungen nicht im Ein- 
klang stehende positive Resultate werden 
bei exakter Wiederholung oft negativ. 

Das Resultat war immer negativ, 
wenn mit Serum oder serösem Exsudat 
oder Cer. spin., fl. tuberkulöser Herkunft 
gearbeitet wurde. | 


Durch vergleichende Ophthalmo- 


BD. 25, HEFT 2. 
1916. 


Reaktion stellte C. fest, daß seine Me- 
thode der Extraktion im Bazillenleib die 
präzipitinogenen Gruppierungen nicht ver- 
ändert, hingegen die Tuberkulineigen- 
schaften vernichtet. 

Paul Hänel(Bad Nauheim-Bordighera), 


Peter Kutter: Über vergleichende 
Temperaturmessungen vor und 
nach Bewegungen. (Inaug.- Diss., 
Berlin 1915.) 

Verf. hat die immer noch nicht rest- 
los geklärte Frage der Wärmesteigerung 
nach Bewegungen an einem größeren 
Krankenhausmaterial nachgeprüft. Mäßi- 
ges, bequemes Gehen ist imstande, bei 
Personen, bei denen Muskelinsuffizienz 
auszuschließen ist, Temperatursteigerungen 
im Rektum hervorzurufen, die sich zwi- 
schen 0,2 und 0,7° bewegten. Bei Fett- 
leibigen kann der Ausschlag höher sein. 
Muskelschwäche ist geeignet, Tempera- 
turen zu erhöhen, Muskelübung setzt sie 
herunter. Bei Leichttuberkulösen zeigte 
sich überall eine Rektalzunahme von 0,5 
bis 0,9° ohne charakteristisches Verhalten 
der Achseltemperatur. Im ganzen er- 
gibt sich, daß einer nach dem Gehen 
leicht erhöhten Darmtemperatur, wenn 
sie auch mehrfach beobachtet ist, bei 
fehlendem Organbefunde nicht allzu viel 
Gewicht beigelegt werden darf. Steigen 
der Darmtemperatur bei gleichbleiben- 
der oder fallender Achseltemperatur ist 
normal. Nur gleichzeitiges Steigen der 
Achseltemperatur ist von Bedeutung. 
Durch festes Anpressen des Oberarmes 
an die seitliche Brustwand kann eine 
Wärmesteigerung bis zu 0,7° hervorge- 
rufen und so eine Fiebersteigerung vor- 
getäuscht werden. 

Auf Grund seiner Messungen emp- 
fiehlt Verf. als bestes Vorgehen die Darm- 
messung, die nach vollständiger Ruhe 
von mindestens 30 Minuten erfolgen soll, 
und nur während der Verdauungsruhe. 

H. Grau (Heilstätte Rheinland-Fonnef). 


H. A. Bray: Fever in tuberculosis. 
(Amer. Journ. of the Med. Sciences 
1915, Vol. CXLIX, No. 6, p. 838.) 

Eine ziemlich eingehende Diskussion 
des Gegenstandes. Bringt wenig neues. 

Unter anderen beschreibt Verf. verschie- 


REFERATE. 


135 


dene Kurven und die Wichtigkeit der 
Temperatur für die Diagnose und Pro- 
gnose. Soper (Saranac Lake, N. Y.) 


J. B. Hawes: Do’s and don’ts in the 
diagnosis of early pulmonary 
tuberculosis in adults and chil- 
dren. (Boston Med. and Surg. Journ. 
1915, Vol. CLXXII, No. 20, p. 731.) 

Umfassende Leitsätze betreffs der 

Frühdiagnose der Lungentuberkulose bei 

Erwachsenen und Kindern. 

Soper (Saranac Lake, N. Y.) 


J. B. Hawes and P. Ch. Bartlett: Pro- 
gress in tuberculosis. (Boston Med. 
and Surg. Journ. 1915, Vol. CLXXII, 
Jan. 28, No. 4, p. 138.) 

Eine kurze Besprechung des neuer- 
lichen Fortschrittes auf dem Gebiete der 
Tuberkulose im allgemeinen. 

Nach Ansicht des Verf. beruht der 
Fortschritt der Diagnostik mehr auf einer 
allgemeinen besseren Erkennung der Tat- 
sache, daß die Frühdiagnose bei Er- 
wachsenen weniger auf einzelnen Sym- 
ptomen, sondern mehr auf einer sorgfältigen 
Überlegung aller Symptome fußt; d.h. 
auf Anamnese, allgemeinen Symptomen 
und physikalischen Zeichen mit Hilfe der 
Röntgenstrahlen und Tuberkulinprobe. 

Das zunehmende Interesse für die 
Drüsentuberkulose bei Kindern ist ein 
gutes Zeichen des Fortschrittes. 
| Betreffs der Behandlung ist der Fort- 
schritt in der Heliotherapie von großer 
Bedeutung. Außerdem ist der künst- 
liche Pneumothorax bei gut ausgewählten 
Fällen eine sehr erfolgreiche Methode. 
Das Tuberkulin wird bei Lungenkranken 
mehr konservativ gebraucht; bei Tuber- 
kulose anderer Organen wird sein Wert 
mehr bestimmt. 

Ökonomisch sind die Erkennung 
der Rolle der Kinderinfektion und die 
Erkennung der Wichtigkeit der Behand- 
lung vor und nach der Sanatoriumsbehand- 
lung sehr bedeutungsvoll. 

Soper (Saranac Lake, N. Y). 


B. T. Crane: Remarks on the diagno- 
sis and treatment of pulmonary 
tuberculosis. (Boston Med and Surg. 


136 


e—a mase 


Journ. 1915, Vol. CLXXII, March 25, 
No. 12, p.433.) 

Allgemeine Bemerkungen über Dia- 
gnose und Behandlung. Verf. meint, wir 
dürfen nicht verlangen, daß der prak- 
tische Arzt immer eine Frühdiagnose fest- 
stellen kann. Seine verhältnismäßig kurze 
medizinische Ausbildung und seine man- 
nigfaltigen Pflichten erlauben dies manch- 
mal nicht. 

Außerdem wird der Patient gewöhn- 
lich nur auf seinen eigenen Wunsch hin 
untersucht. Irgendwie müßte man die 
Sache so einrichten, daß besonders ge- 
übte Ärzte in nähere Beziehung mit den 
Massen, wenigstens den Ungebildeten, 
kämen. Eine Ausrottung der Tuberku- 
lose kann nicht stattfinden, bis der Arzt 
die Krankheit früh erkennt und er seine 
Patienten vollständig kontrolliert. Für 
die Ärzte ist es eine große Verantwort- 
lichkeit. 

Nach Ansicht des Verf.s ist die Sa- 
natoriumsbehandlung jetzt auf der Höhe 
der Popularität. Nur hier sind, für die 
meisten Fälle, die verschiedenen günstigen 
Bedingungen vorhanden. Der schwächste 
Punkt der ganzen Sache ist die Behand- 
lung nach der Entlassung aus dem Sana- 
torium. Hier brauchten die Patienten 
eine einsichtsvolle Beobachtung. 

Soper (Saranac Lake, N. Y.). 


C. M. Montgomery and E. A. Eckhardt: 
Pulmonary acoustic phaenomena. 
(10. Report of the Henry Phipps Insti- 
tute, Philadelphia 1915.) 

Die Verff. wollen in dieser Arbeit 
nicht einen Leitfaden der praktischen Per- 
kussion und Auskultation geben, sondern 
die theoretischen Grundlagen der akusti- 
schen Phänomene über den Lungen kri- 
tisch betrachten und nach Möglichkeit 
erklären. Die gut geschriebene Arbeit 
(117 S.), die auch deutsche Autoren wie- 
derholt heranzieht, liest sich gut, da sie 
den überflüssigen Ballast allgemeiner Li- 
teraturanführungen vermeidet, der man- 
ches neuere Buch wenig schmackhaft 
macht, und dafür: mehr die ruhige Folge 
der eigenen Anschauungen und Ergeb- 
nisse, nach Verarbeitung der fremden, 
hervortreten läßt. Daß’ die theoretischen 
Grundlagen der physikalischen Unter- 


REFERATE. 


a L—————————————— nie GEBETE 


ZEITSCHR. 1. 
TUBERKULOSE 


suchung noch recht unsicher und weit 
entfernt von exakt-wissenschaftlicher Ge- 
nauigkeit sind, ist bekannt. Es liegt ein 
offenbarer Mangel vor, über dessen Wich- 
tigkeit man allerdings streiten kann, wenn 
man auf dem Standpunkt steht, daß diese 
Untersuchungsmethode ihrer Natur nach 
niemals eine sehr feine : werden kann, 
und daß also allzuviel exakt-wissenschaft- 
liche Theorie ziemlich überflüssig ist. Man 
muß anerkennen, daß Montgomery und 
Eckhardt in dieser Hinsicht eine rich- 
tige Mitte einhalten, und in mancher Hin- 
sicht anregen. Auf Einzelheiten der lesens- 
werten Arbeit wollen wir nicht ein- 
gehen. Die Verff. empfehlen das binaurale 
Stethoskop, wie es auch in Deutschland 
mehr und mehr gebraucht wird, und das 
in der Tat Vorzüge vor dem einfachen 
Holzstethoskop hat. Vor allen werden 
eben beide Ohren benutzt, und es gibt 
Formen, die Nebengeräusche wenig auf- 
kommen oder doch leicht vermeiden 
lassen und an die man sich überhaupt 
leicht gewöhnt, auch wenn man der alten 
Form treu geblieben war. Das „vesiku- 
läre“ Atemgeräusch beim Einatmen soll 
nach den Verff. seinen Ursprung in den 
Lungen haben, und zwar soll es durch 
das Überströmen der Luft aus den engen 
Endbronchiolen in die weiteren Alveo- 
len entstehen, und wird deshalb zweck- 
mäßig als „Lungenatmen“ (pulmonary re- 
spiration) bezeichnet. Ref. meint, daß 
dieser Anschauung doch sehr starke phy- 
sikalische Bedenken entgegenstehen, näm- 
lich ob es denn möglich ist, daß die 
äußerst minimale Luftströmung, die an 
diesen Stellen herrschen muß, in dem 
weichen Gewebe ein Geräusch erzeugen 
sollte. Er schließt sich deshalb der von 
Penzoldt u.a. vertretenen Anschauung 
an, daß das gewöhnliche schlürfende, 
„vesikuläre“ Einatemgeräusch ‚nur die 
Modifikation ist, die das in den großen 
Luftwegen, besonders in der Trachea ent- 
stehende „bronchiale“ Atemgeräusch bei 
der Fortpflanzung durch das Lungen- 
gewebe erleidet. Montgomery und 
Eckhardt setzen selbst klar und über- 
zeugend auseinander, welchen Einfluß 
Diffusion, Reflexion und Absorption bei 
der Entstehung der akustischen Phäno- 
mene über den Lungen ausüben. Das 


BD,25, HEFT 2. 
oe. 


exspiratorische vesikuläre Atemgeräusch 
lassen übrigens die Verff. in der Tat in 
den oberen Luftwegen seinen Ursprung 
nehmen. Die Entstehung des bronchialen 
Atemgeräusches ist klar, und das kaver- 
nöse und amphorische Atmen bietet für 
die Erklärung ebenfalls keine Schwierig- 
keiten. Was die Verf. über die Akuo- 
mene der Lungenverdichtung, der Pleura- 
ergüsse und des Pneumothorax bemerken, 
ist gut; ohne neue Gesichtspunkte zu 
bieten, die auf diesem oft bearbeiteten 
Gebiet auch schwer zu finden sind. 

Den praktischen Wert der physika- 
lschen Untersuchung und ihre Fehler- 
quellen hat ein anderer amerikanischer 
Autor, M. Fishberg im Medical Record 
vom 4. 7. I914 kritisch behandelt. Die 
anregende Arbeit ist in dieser Zeitschrift 
Bd. 23, S. 389 bereits besprochen worden. 
In der Hand des geübten. Untersuchers, 
der sich der Grenzen des Verfahrens be- 
wußt bleibt, sind Perkussion und Aus- 


kultation gewiß eine sehr wertvolle und 


unentbehrliche Methode. Sie will frei- 
lich gelernt und beherrscht sein, wenn 
sie zuverlässige Ergebnisse haben soll. 
Das ist sicher allgemeiner der Fall als 
früher, und es wird nicht häufig mehr 
vorkommen, daß schwere und ausgedehnte 
Veränderungen noch als „Spitzenkatarrh“, 
d.h..als beginnende Tuberkulose ange- 
sprochen werden. Eher fällt es umgekehrt 
auf, daß viele Ärzte bereits auf einen er- 
staunlich geringfügigen örtlichen Befund 
sich zur Diagnose des sogen. Spitzen- 
katarrhs, der beginnenden Tuberkulose 
berechtigt glauben. Es ist fast als ob 
man fürchte sich eine Blöße zu geben 
und nichts zu finden, wo man weiß, daß 
‚fast alle Menschen „ein bißchen tuberku- 
lös“ sind. Die Leute erzählen dann, 
daß sie alle Jahre einen „Lungenspitzen- 
katarrh“ gehabt hätten, der nach Aussage 
ihres Arztes immer wieder vergangen sei. 
Oft wieder werden auch wegen einer ge- 
ringen Dämpfung über der einen oder 
. anderen Spitze langwierige und kostspie- 
lige Kuren, womöglich im sicher heilen- 
den Hochgebirge gemacht, die mindestens 
in dieser Weise völlig überflüssig waren. 
Nun ist freilich bei der Tuberkulose eine 
Diagnose zu viel und zu früh besser als 
eine .übersehene oder nicht rechtzeitig 


‚REFERATE, 


137 


gestellte, aber wir müssen doch nach 
der richtigen Mitte streben. Es ist in 
vielen Fällen gar nicht leicht, die tuber- 
kulöse Erkrankung einer Lunge festzu- 
stellen, und noch schwieriger ihre Ge- - 
sundheit mit voller Bestimmtheit zu er-. 
klären. Wiederholte Untersuchung, kri- 
tische Prüfung jedes einzelnen Symptoms 
für sich, anamnestische Erwägungen sind 
nötig, um dann aus der Summe den rich- ' 
tigen Schluß zu ziehen und Fehldiagnosen 
zu vermeiden. Das wird aber nicht immer 
bedacht, so daß Fishberg gar nicht Un- 
recht mit seiner boshaften Bemerkung hat: 


'„Es scheint, daß so ziemlich alles als 


Zeichen oder Symptom der Tuberkulose 
betrachtet worden ist — jeder Autor hat 
sein unfehlbares Lieblingskriterium —, 
mit Ausnahme des Namens des Kranken“. 
Meißen (Essen). 


V. Therapie. 


a) Verschiedenes. 


J. Sømme - Stavanger: Ruhe und Be- 
wegung in der Phthiseotherapie. 
[Festschrift für Klaus Hanssen.] (Medi- 
cinsk Revue 1914, p. 555.) | | 

Eine der schwierigsten und wichtig- 
sten Punkte der Phthiseotherapie ist die 

Beherrschung des Kapitels „Ruhe und 

Bewegung“. | 

Ein von der Tuberkulose angegrif- 
fener Organismus versucht der Krankheit 
in der Weise Herr zu werden, daß er 
den erkrankten Teil möglichst in Ruhe 
stellt, und daß er die Bazillen nach Ver- 
mögen bindet und isoliert, um die Aus- 
breitung der Krankheit ganz mechanisch 
zu verhüten. Wir müssen die Bestrebungen 
der Natur unterstützen. Die Immobili- 
sation ist die eigentliche souveräne Be- 
handlung der Tuberkulose an und für 
sich. Wo die Tuberkulose so virulent 
ist, daß die Ausbreitung bezw. das Ra- 
mollissement schneller vorschreitet, als die 

Natur die Begrenzung zu setzen vermag, 

da ist die größte Ruhe die beste Behand- 

lung. Wo die Ausbreitung langsam vor- 
geht und der Prozeß mehr benign zu 
sein scheint, soll man den Patienten mehr 

Bewegung vorschreiben. Die gesunden 


138 


Partien der Lungen selbst, sowie alle 
anderen Organe fungieren dadurch besser. 

Ohnedem ist ein gewisses Maß von 
Bewegung für die Folgezustände der 
- Tuberkulose außerordentlich nützlich; die 
Entzündungsprodukte werden dadurch 
besser entfernt, die venöse Stase gehoben, 
eine bessere Ernährung der Lungen zu- 
stande gebracht, die übermäßige Schrum- 
pfung der Lungen verhindert; der Schwäche 
des Herzens wird entgegengearbeitet, die 
Respiration gebessert, die Expektoration 
erleichtert, die Arterialisation des Blutes 
erhöht usw. 


Im Anfang der Krankheit hat Be- 


wegung oft die entgegengesetzte Wirkung 
von derjenigen in dem späteren Verlaufe 
der Krankheit und kann leicht irreparablen 
Schaden anstiften. 

Die Phthise verschlechtert sich oft 
sprungweise, durch akute Exacerbationen; 
wenn man ein wenig genauer nachforscht, 
sieht man, daß die Verschlechterungen 
außerordentlich oft einige Tage nach 
einer körperlichen Überanstrengung ent- 
standen sind. 

Erkältungen beginnen peripher, mit 
Schnupfen bezw. Halsbeschwerden u. dgl.; 
Überanstrengungen geben sich schon von 
Anfang an durch zentrale Symptome in 
den Lungenfocis direkt kund. 

Verf. bespricht zuletzt die Tempe- 
raturverhältnisse bei der Lungentuber- 
kulose, gibt die praktischen Indikationen 
für Bettruhe, für Liegekur, Spazieren- 
gehen und Arbeit genauer und spe- 
zieller an und verlangt, daß man jedem 
Patienten aufs genaueste vorschreiben soll, 
wie viel er ruhen und wie viel er spa- 
zieren gehen soll. Autoreferat. 


N. J. Strandgaard: Praktische Bemer- 
kungen über die Sanatorienbe- 
handlung. (Ugeskrift f. Laeger 1915, 
No. 39.) 

Verf. geht besonders auf das Kausa- 
litätsverhältnis zwischen psychischen Ur- 
sachen und: der Prognose ein. 

Kay Schäffer. 


A. H. Henderson: A rational and suc- 
cessful treatment for pulmonary 
tuberculosis. (Med. Record, 12. 6. 
1915, Vol. 87, p. 988.) 


REFERATE, 


| werde erst geöffnet, 


ZEITSCHR. f. 
TUBERKULOSE 


Da die große Gefahr bei Tuberku- 
lose in der Mischinfektion von T.B. mit 
eitererregenden Organismen besteht, fol- 
gert Verf, daß man die Krankheit durch 
Beseitigung der Eiterorganismen bessern 
und sogar heilen kann. Zu diesem Zweck 
hat er in mehreren Fällen, ohne die ge- 
wöhnliche Therapie zu vernachlässigen, 
Calcii Sulphid 0,12 t. i. d. mit: gutem Er- 
folge gebraucht. Auch in einem Falle 
von Lungenabszeß soll das Mittel sehr 
erfolgreich gewesen sein. 

B. S. Horowicz (Neuyork). 


b) Spezifische. 


Denys: Treatment of tuberculosis 
by Tuberculin. (Edinburgh Med. 
Journ., August 1915, Vol.XV, No. 2. 
p- 81.) 

Denys hat 442 Fälle von Tuber- 
kulose mit seinem Tuberkulin behandelt. 
Seine Erfolge waren sehr gut, so daß 
193 = 43°], als geheilt, 56 = 13°/, als 
fast geheilt, "36 = 8°/, als bedeutend ge- 
bessert, 29 = 6°/, als gebessert entlassen 
werden konnten. Nur 5 hatten die Kur 
in einer Heilstätte durchgemacht, die an- 
deren verbrachten die Zeit auf dem 
Lande oder zu Haus. Einige unter- 
brachen ihre Tätigkeit vollständig oder 
teilweise, die übrigen gingen der ge- 
wohnten Beschäftigung nach. 

Stern (Straßburg). 


c) Chirurgische, einschl. Pneumothorax. 


D. 0. Kuthy-Budapest: Zur Frage der 
Technik des künstlichen Pneu- 


mothorax. (Internat. Zentralbl. f. 
Tub.-Forschung, IX. Jahrg. 1915, Nr. 2, 
S. 64.) 


Zur Erreichung des bestmöglichen 
Erfolges legt K. hauptsächlich auf fol- 
gende Punkte besonderen Wert: Der 
Operateur verfüge stets über genügende 
Zeit, um mit Ruhe arbeiten zu können; 
Sorge für ruhigen Nervenzustand des zu 
operierenden Kranken; andauernde sorg- 
fältige Überwachung des letzteren während 
der Operation; schmerzloses Arbeiten; 
Wahl einer Einstichstelle, die frei von 
Rippenfellverwachsungen ist; ständige Be- 
obachtung des Manometers; der Gashahn 
wenn auffallende 


Te nn i ŘŮŘÁÁ e 
en 


BD. 25, HEFT 2. 
1916. 


Atmungsschwankungen beweisen, daß die 
Nadel im freien Brustfellspalt sich be- 
findet; man lasse den Stickstoff langsam 
einfließen und dosiere vorsichtig. 

C. Servaes. 


Johs. Ipsen: Thoracoplastische Ope- 
rationen bei Lungentuberkulose. 
Vortrag in der dänischen chirurgischen 
Gesellschaft r4. Nov. 1914. (Bibliothek 
for Laeger, Jan. 1915, p. 22.) 

An der Hand von 3 Fällen bespricht 
Verf. die Indikationen und die Technik. 
Er wendet eine modifizierte Brauersche 
Methode an. In einer ersten Sitzung 
werden womöglich alle Rippen von hinten 
entfernt, und zwar wird die Resektion so 
weit nach hinten wie möglich vorgenommen 
und von jeder Rippe wird !/, bis ?/, re- 
seziertt. Es ist wichtig, die Schulter- 
muskulatur nicht zu lädieren. Zeigt es 
sich unmöglich, in der ersten Sitzung die 
oberen Rippen zu entfernen, so werden 
dieselben in einer zweiten Sitzung von 
vorne reseziett. Der Lungenkollaps sei 
dabei ebenso gut wie bei der Resektion 
aller Rippen von hinten. 

Wenn man bei Spitzenkavernen keine 


totale Plastik indiziert findet, sei die par- 


tielle Plastik — durch Entfernung der 
oberen Rippen von vorne — den ver- 
schiedenen Plombierungsmethoden vor- 
zuziehen. 

Verf. entwirft den Gedanken bei 
Pneumothoraxfällen, wo Adhäsionen den 
vollen Kollaps einer Kaverne verhindern, 
genügende Stücke von 2 bis 3 Rippen 
zu entfernen an der Stelle, wo die Ad- 
häsionen nach dem Röntgenbild fassen; und 
in den Fällen, wo eine kavernöse Spitze 
durch einen Pneumothorax ‚sich nicht 
lösen läßt, wäre eine Apicolyse mit Re- 


sektion größerer Stücke der 2. 3. bis 


4. Rippe von vorne indiziert, also eine 
Kombination der -Pneumothoraxbehand- 
lung mit einer partiellen Thoracoplastik. 
Die Operationen sind in Lokalanästhesie 
vorzunehmen. 
man sich überzeugen, daß das Herz nicht 
geschwächt ist, vor allen Dingen, daß 
keine Hypertrophie des rechten Herzens 
vorliegt; solchen Falles würde man die 
Patienten der Gefahr eines Herzkollapses 
aussetzen. 


Vor der Operation muß 


REFERATE. 139 


‘Von den 3 Fällen wurde einer mit 
gutem Erfolg operiert, einer ist 14 Tage 
nach der Operation gestorben, beim dritten 
war der Erfolg der Operation ein guter, 
der Patient starb aber einige Monate 
später an Spondylitis. 

An der Diskussion (veröffentlicht in 
Hospitalstidende 1915, No. 45, 46, 47) 
beteiligten sich u.a. Helms, Schäffer, 
P. N. Hansen, Möllgaard, Tobiesen. 

Helms warnte vor zu großem Opti- 
mismus bei den chirurgischen Eingriffen 
bei Lungentuberkulose. | 

K. Schäffer teilte 5 Fälle aus Vejle- 
fjord Sanatorium mit. ı Fall ist ein paar 
Stunden nach der Operation gestorben 
an Herzkollaps; in 2 Fällen war kein 
wesentlicher Einfluß auf die Krankheit 
zu verzeichnen; sie sind bezw. I und 
2 Jahre später gestorben. In 2 Fällen 
ist das Resultat ausgezeichnet und die 
Patienten leben und befinden, sich wohl 
(bezw. 2®/, und 2!/, Jahre nach der Ope- 
ration). Der eine Fall ist eine totale 
Plastik bei einem Mann, der zweite eine 
partielle Plastik bei einer Frau, die ca. 
3 Jahre mit künstlichem Pneumothorax 
behandelt worden war. Trotz einer breiten 
Adhäsion nach oben hatte der Pneumo- 
thorax einen ausgezeichneten EinfluB auf 
die Symptome, so daß Patientin arbeits- 
fähig wurde. In der breiten Adhäsion 
fand sich eine nicht kollabierte Kaverne. 
2!/, Jahre nach Anlegung des Pneumo- 
thorax trat eine große Hlämoptysis ein, 
und da später häufige und große Blu- 
tungen sich einstellten, wurden I. bis 
4. Rippe durch einen vorderen Schnitt 
entfernt, wonach die Kaverne zusammen- 
fiel und alle krankhaften Symptome ver- 
schwanden. 

P. N. Hansen hat im letzten Jahre 
3 Fälle operiert, bei einem mit gutem Er- 
folg, bei einem konnte die Operation 
nicht durchgeführt werden wegen des 
geschwächten Zustandes des Herzens, bei 
einem war kein Erfolg vom Eingriff zu 
verzeichnen. 

Möllgaard ging auf die Bedeutung 
des Zustandes des Herzens eingehend ein. 
Er betonte die große Wichtigkeit des 
kompensatorischen Emphysems für die 
Funktion des Herzens. Mit Rücksicht 
auf das Herz warnt er vor der Resektion 


Pe a 


der oberen Rippen (3 bis 5) der linken 
Vorderfläche. Die Einsenkung des Thorax 
links vorne könne die Diastole des Herzens 
genieren, Versuche hätten gezeigt, daß 
das Herz sehr empfindlich gegen Kom- 
pression während der Diastole sei. Man 
müsse sich immer erinnern, daß Lungen- 
chirurgie auch „Herzchirurgie“ sei. 
Tobiesen stellt groBe Forderungen 
an den Zustand der „guten“ Lunge. Er 
möchte nicht Patienten, welche viele Jahre 
lungenkrank gewesen oder aber über 35 
bis 40 Jahre alt waren, der Thoracoplastik 
unterwerfen. Er befürchtet, daß das Herz 
in diesen Fällen nicht den großen Ein- 
griff aushalten könne. Kay Schäffer. 


VI. Kasuistik. 


J. B. Thomas: Tuberculosis of the 
frontal sinus. (Journ. Amer. Med. 
Assoc. 1915, Vol. LXV, No. 4, July 24, 
p. 308.) 

Bibliographie und Bericht über zwei 

Fälle von Tuberkulose des Sinus fron- 

talis. Soper (Saranac Lake, N. Y.). 


B. Tuberkulose anderer Organe. 


i. Hauttuberkulose und Lupus. 


Axel Reyn u. N. P. Ernst: Über die 
Anwendung künstlicher Licht- 
bäder bei Lupus vulgaris und 
chirurgischer Tuberkulose. (Strah- 
lentherapie, 1915, Bd. VI, S. 16.) 

Reyn untersucht zunächst theore- 
tisch die Wirkungsweise der künstlichen 

Lichtbäder, sowohl des Kohlenbogenlichts 

wie des Quecksilberlichts, ohne zu neuen 

Gesichtspunkten zu gelangen. Letzteres 

ist vorsichtig anzuwenden, weil häufig 

schmerzhafte Erytheme entstehen. 

Das Resultat der Behandlung der Lupus- 

fälle war ein äußerst günstiges; selbst in 

den schwersten Erkrankungen, die ab- 
sichtlich ausgewählt wurden, um als Prüf- 


REFERATE. 


ZEITSCHR. f. 
To a TUBERKULOSE 
steine zu dienen, trat ein völliger Um- 
schwung im Zustande der Patienten ein. 
Der Allgemeinzustand besserte sich be- 
deutend und der Lupus begann unter 
der Lokalbehandlung, die unbedingt not- 
wendig daneben eingeleitet werden muß, 
auszuheilen. Häufig war der Erfolg über- 
raschend, da die Patienten vorher ver- 
geblich behandelt worden waren und als 
unheilbar galten, 37 Fälle von Lupus 
vulgaris, zwei von Skrophuloderma und 
einer von PBazins Erythema beweisen, 
welche Wirkung die Lichtmethode zu er- 
reichen vermag. Zahlreiche Bilder illustrie- 
ren die erzielten Resultate. | 
N. P. Ernst prüfte die Wirkung des 
künstlichen Lichtbades in Fällen, in denen 
es sich um chirurgische Tuberkulose han- 
delte; dieselben sind ein ausgezeichnetes 
Hilfsmittel der konservativen Behandlung; 
ohne die Lichtbäder hätte man unbedingt 
zur Operation schreiten müssen. Am ge- 
ringsten sind die Wirkungen bei Drüsen- 
schwellungen; besser bei geschlossener 
Knochentuberkulose, am besten bei mit. 
Fisteln verbundenen Fällen chirurgischer 
Tuberkulose; besonders die tuberkulösen 
Arthritiden gaben vorzügliche Resultate, 
da gute Beweglichkeit erzielt wurde. — 
Nach den am Finseninstitut gewonnenen 
Erfahrungen überwiegt die Bedeutung der 
Höhensonne die des Höhenklimas. 
Peyser (Harburg). 


Spiethoff-Jena: Das Blutbild bei der 
chronischen und akuten Form 
des Lupus erythematodes. (Arch. 
f. Dermatol. u. Syphilis 1915, 121. Bd., 
2. Heft, S. 269.) 

Die Blutbilder bei Lupus erythema- 
todes discoides zeigen, daß die Basophilen 
und Eosinophilen nichts besonderes bieten. 
Die großen Mononukleären und Über- 
gangszellen sind in einzelnen Fällen pro- 
zentual oder prozentual und absolut ver- 
mehrt. 

Die Gesamtzahl der neutrophilen 
Zellen ist durchgängig verringert. 

Die stabkernigen Zellen weisen stets 
eine Vermehrung auf. Die segmentierten 
neutrophilen Zellen sind stets verringert. 
Die erste Klasse Arneths ist mehr oder 
weniger erhöht, das gesamte neutrophile 
Blutbild nach links verschohen. 


BD. 25, HEFT 2, 
. 1916. 


Die Kernlappenzahl bleibt nicht 


hinter den Durchschnittswerten zurück. | 


Die Anisohypocytose Arneths be- 
herrscht das neutrophile Blutbild. 

Die Lymphocyten lassen ganz deut- 
lich eine prozentuale Vermehrung erken- 
nen, der oft noch eine absolute entspricht. 

Die Gesamtzahl der weißen Blut- 
körperchen neigt zu niedrigen Werten, 
die je nach der Annahme der Normal- 
zahl entweder noch in der oder aber unter 
der Norm liegend anzusehen sind. Be- 
dingt wird der niedere Stand der weißen 
Blutkörperchen durch das Darniederliegen 
der Neutrophilen. 


Das Blutbild der unkomplizierten 
akuten febrilen Form entspricht in den 
Hauptzügen ganz der diskoziden Art. 
Ein wesentlicher Unterschied ist nur durch 
das gänzliche Fehlen der Eosinophilen 
gegeben; auch die Basophilen sind in 
keinem Falle gefunden. Die Störung im 
neutrophilen Blutbild erfährt im Sinne 
der Anisohypocytose eine Verstärkung. 
Die Neigung zur prozentualen Vermeh- 
rung der Lymphocyten ist zwar noch zu 
erkennen, aber dem Grade bei Lupus 
erythem. disc. gegenüber abgeschwächt. 
Eine absolute Vermehrung ist nicht be- 
obachtet. Die Gesamtzahl der weißen 
Blutkörperchen kann auf Leukopenie sin- 
ken. Komplikationen verändern das Blut- 
bild im Sinne der zweiten Krankheit 
(Pneumonie, Sepsis). 

Die Gesamtzahl der weißen Blut- 
körperchen nimmt zu. 

Die Segmentierten und Stabkernigen 
erfahren eine wesentliche Steigerung. — 
Es besteht eine Anisohypercytose. Die 
Lymphocyten stürzen jäh. 

Von der Einheitlichkeit des Blut- 
bildes, das wohl charakterisiert ist, kann 
man auf die Einheitlichkeit der Ursache 
schließen: die Tuberkulose. 


Arneth fand bei der Miliartuber- 
kulose normale oder subnormale Leuko- 
Cytengesamtzahlen bei gleichzeitig schwe- 
rem und gegen Todeseintritt zu sich immer 
schwerer veränderndem neutrophilen Blut- 
leben. Auch bei der chronischen Lungen- 
tuberkulose ist nach Arneth das neutro- 
phile Blutbild schwer geschädigt. 


Peyser (Harburg). 


REFERATE. i 141 


B. L. Bosellini (Aus der dermo-syphilop. 
Klinik in Sassari): Sopra alcuni casi 
di tuberculidi lichenoidi a tipo 
Wilson. — Über einige Fälle 
lichenoider Tuberkulide vom Ty- 
pus Wilson. Mit zphotogr. Tafein. (Lo 
Sperimentale, Jahrg. 69, Fasc. I, 15. 3. 
1915.) ' 

6 Fälle eigener Beobachtung und 2 
aus der Literatur (Vignolo-Lutati, Kauf- 
mann - Wolf), die morphologisch dem 
Lichen planus von Wilson gleichen: bei 
Personen (immer Frauen), die (mit ı Aus- 
nahme) schon mit Lungen- oder Drüsen- 
tuberkulose behaftet sind, schießen akut 
innnerhalb weniger Stunden isolierte oder 
konfluierende, hirsekorn- bis linsengroße 
Papelknötchen auf, halbkugelig erhaben 
oder flach, rot oder bläulich, deren Zen- 
trum einsinkt und sich mit einem Schorf 
bedeckt. Innerhalb von 3—1o Wochen 
erfolgt durch allmähliche Resorption des 
Infiltrates restlose- Rückbildung (auch ohne 
Pigmentierung). Bläschen, Pusteln, feuchte 
oder erosive Prozesse. bilden sich nie. 
Die Affektion befällt ausschließlich die 
Rückenseite der Hände, der Finger und 


des untersten Abschnittes der Unterarme, 


kann sich jahrelang wiederholen und hält 
dann jedesmal länger an, macht aber nie 
subjektive Beschwerden. Die Kranken 
geben deutliche Tuberkulin-Cutireaktion, 
die Papelknötchen enthalten auch Tu- 
berkelbazillen, aber die Impfung auf Meer- 
schweinchen fällt immer negativ aus. Es 
handelt sich um die Metastase (durch die 
Blutbahn) nicht lebender, sondern abge- 
storbener Bazillen, die nur chemisch- 
toxisch wirken. 

Paul Hänel(Bad Nauheim- Bordighera). 


J. H. Bufford and C. G. Lane: Cuta- 
neous tuberculosis. Report of a 
case of Folliclis and Erythema 
induratum. (Boston Med. and Surg. 
Journ. 1915, Vol. CLXXII, No. 22, 
p. 825.) 

Verf. beschreiben einen Fall von 
Follicis der Arme und Erythema indu- 
ratum der Beine. | 

Soper (Saranac Lake, N. Y.) 


142 


ll. Tuberkulose der Knochen und 
Gelenke. 


Halfdan Sundt, Oberarzt des Seehospitals 
Fredriksvern: Einige Bemerkungen 
über die Diagnose bei klinischen 
Knochen- und Gelenkkrankheiten 
bei Kindern. [Festschrift für Klaus 
Hanssen.] (Medicinsk Revue 1914, 
p. 378.) 

Verf. macht darauf aufmerksam, daß 
nicht nur bei beginnenden, sondern auch 
bei weiter vorgeschrittenen Fällen von 


Knochen- und Gelenkleiden bei Kindern ` 


die Diagnose oft nicht nur allein aus den 
klinischen Symptomen, noch radiogra- 
phisch gestellt werden kann, sondern daß 
man eine Tuberkulininjektion machen 
müsse, um womöglich durch eine Herd- 
reaktion eine topische Diagnose stellen 
zu können. 

` In den 2!/, Jahren (vom 1. 7. 1911 
bis 31. 12. 1913), die Verf. dirigierender 
Arzt am Seehospital bei Fredriksvern ge- 
wesen ist, wo alle aufgenommenen Patien- 
ten mit v. Pirquets Kutanreaktion unter- 
sucht werden, ist eine relativ nicht un- 
bedeutende Anzahl von Fällen als nicht- 
tuberkulös ausgeschieden worden, trotz- 
dem die klinischen Symptome in diese 
Richtung deuteten, und man oft auf den 
Röntgenbildern Veränderungen wie Herde 
usw. ähnlich wie bei Tuberkulose gefunden 
hat. In vorliegender Arbeit sind nur die 
eingelieferten Fälle von Hüft- und Knie- 
leiden aufgenommen. Von 31 Coxitiden 
erwiesen 6 sich als nichttuberkulös = 
19,3 °/,, von 29 Gonitiden war das gleiche 
der Fall mit 6 = 20,7°/,. Durch einen 
ausführlichen Auszug aus den Kranken- 
journalen wird Rechenschaft über diese 
Fälle, die alle bei Kindern im Alter von 
ı!/, bis 14 Jahren vorgekommen sind, 
abgelegt. 

Außer den Tuberkulinproben sind 
bei mehreren Fällen Impfungen auf 
Meerschweine und mikroskopische Unter- 
suchungen von ausgekratzten Herden vor- 
genommen worden. Was die nicht-tuber- 


kulöse Ätiologie anbetrifft, wird ange-. 


führt, daß für die Coxitiden die Arthritis 
deformans iuvenilis gewiß eine Rolle spielt, 
und sonst muß man wohl meist an osteo- 


REFERATE, 


ZEITSCHR. f. 
TUBERKULOSE 


myelitische Infektion mit abgeschwächtem 
Virus denken. Gonorrhöe konnte aus- 
geschlossen werden. Für die Gonitiden 
spielt Syphilis die allergrößte Rolle. Von 
den 8 referierten Fällen wurde bei 5 Was- 
sermann positiv gefunden. 

Es wird auf einige hervortretende 
Symptome bei luetischen Kniegelenk- 
leiden hingewiesen, die man oft bei ab- 
solut negativer Luesanamnese findet, und 
klinisch gänzlich einem tuberkulösen glei- 
chen können. Besonders hervortretend ist 
die Doppelseitigkeit des Leidens; bei 
5 vom Verf. beobachteten Fällen war dies 
Symptom bei 4 vorhanden. Es werden 
auch 2 Fälle von doppelseitiger Gonitis 
mit Wassermann — referiert, wo der Patient 
ausgesprochen skrophulös und auf Tuber- 
kulin reagierte. 

In einem Falle kam keine Herd- 
reaktion bei einer Tuberkulininjektion 
bis zu 8 mg, sondern nur eine Allgemein- 
reaktion vor. In dem anderen Fall wurde 
auf Grund einer vorhandenen Hämaturie 
keine Tuberkulininjektion vorgenommen. 
In beiden Fällen wurde Übertragung aus 
dem Kniegelenkexsudat auf Meerschwein- 
chen vorgenommen mit negativem Re- 
sultat. Vielleicht handelt es sich hier um 
Fälle von Poncetschem Rheumatismus 
tuberculosus. 

Weiter wird auf das ab und zu vor- 
kommende plötzliche Auftreten von Hy- 
drops in beiden Kniegelenken auf lueti- 
scher Basis aufmerksam gemacht, sowie 
darauf, daß einzelne Fälle von sicher 
luetischer Gonitis beinahe refraktär für 
antiluetische Behandlung erscheinen, wäh- 
rend ja die meisten von einer solchen 
abweichen. l 

Zum Schluß wird die prognostische 
und therapeutische Bedeutung des Um- 
standes hervorgehoben, daß Tuberkulose 
bei diesem Leiden ausgeschlossen werden 
kann, und es wird darauf hingewiesen, 
daß wahrscheinlich ein Teil der großartigen 
Resultate der Sonnenlichtbehandlung bei 
chirurgischer Tuberkulose auf Patienten 
entfallen, die für tuberkulös gehalten 
werden, ohne es zu sein. In mehreren 
dieser großen „Sonnenkliniken“ wird näm- 
lich keine Untersuchung mit v. Pirquet- 
Reaktion gemacht. 

Autoreferat. 


BD. 25, HEFT 2. 
1916. 


Th. Janssen-Davos: Frühdiagnose der 
Wirbeltuberkulose mit einigen 
therapeutischen Bemerkungen. 
(Münch. med. Wchschr. 1915, Nr. 35, 
S. 1183.) | | 

Verf. bespricht zunächst einige diffe- 
renzialdiagnostisch in betracht kommende 

Erkrankungen: Spinalgien bei Drüsen- 

schwellung in der Hilusgegend, paraverte- 

brale Lungeninfiltrate, Pleuritis, rheuma- 
tische Erkrankungen, Lumbago, Ischias 
und Appendicitis. Von Symptomen er- 
wähnt er als wichtig für die Frühdiagnose 

Schmerzen bei längerem Stehen, ebenso 

nachSpazierengehen,Schmerzen oftdoppel- 

seitig neben der Wirbelsäule in Form des 

Gürtelgefühls, ebenso Schmerzen in der 

Unterbauchgegend. . Stauchungsschmerz, 

röntgenologisch sichtbare Veränderungen 

sind erst bei vorgeschrittener Erkrankung 
zu erwarten. Die Behandlung soll mög- 
lichst konservativ sein, Ruhigstellung, Helio- 
therapie des Hochgebirges, Anlegung eines 
Stützkorsettes, wenn der Patient nicht 
mehr bettlägerig ist. 
C. Moewes (Berlin-Lichterfelde). 


Eugen Kisch-Hohenlychen: Über eine 
Behandlungsmethode der chirur- 
gischen Tuberkulose in der Ebene. 
(Arch. f. klin. Chirurg. 1915, Bd. r06, 
Heft 4, S. 706—768.) 

Verf. berichtet über die Verbindung 
von Bierscher Stauung mit der Sonnen- 
lichtbehandlung, die in Hohenlychen 
durchgeführt wurde. 20 Krankengeschich- 
ten. Verf. fiel bei seinem Aufenthalt in 
Leysin die Ähnlichkeit des Verlaufes 
der Heilungsvorgänge bei Tuberkulose in- 
folge der Lichtbehandlung mit den bei 
Bierscher Stauung beobachteten Wir- 
kungen auf. Die Abnahme der Schmer- 
zen, die vorübergehende Steigerung der 
‚Absonderung, das Auftreten sogen. sekun- 
därer Abszesse war beiden Behandlungs- 
methoden gemeinsam. Beide Methoden 
wurden nun in der Weise verbunden, 
daß die Stauung täglich 3—4mal je eine 
Stunde ‘angewandt wurde, nachdem Io 
Minuten vorher jedesmal Jod verabreicht 
war (bei Erwachsenen Jodnatrium täglich 
3,25 g, bei Kindern zwischen 10—14 
Jahren 1,0 g, solchen unter Io Jahren 


0,5 g} 


REFERATE. 


Daneben wurden die Kranken |- 


143 


allmählich an Sonnenstrahlen gewöhnt. 
Fixations- und Gipsverbände werden ver- 
worfen, dagegen nach halbstündigem 
Liegen der Stauungsbinde aktive Be- 
wegungen von den Kranken, passive von 
den Schwestern vorgenommen, soweit 
keine Beschwerden. dadurch entstehen. 
Stützapparate werden nur zum Gehen 
getragen. — Aus den Krankengeschichten 
geht der außerordentlich gute allgemeine 
und besonders auch funktionelle Erfolg 
hervor. Das Wichtigste ist der Nach- 
weis, daß wir auch bei uns im Lande 
in’ der Ebene dasselbe erreichen können 
wie im Gebirge. Eine weitere Anwen- 
dung der Methodik in unseren zahl- 
reichen Anstalten für chirurgische Tuber- 
kulose ist anzuraten. Blümel (Halle). 


Eugen Kisch: Über die physikalischen 
Behandlungsmethoden der chi- 
rurgischen Tuberkulose. (Ztschr. 
f. physikal. u. diätet. Ther. 1915, Bd. 19, 
Heft 8, S.225.) 

Kisch behandelt hier denselben 
Gegenstand im Auszuge, den er in obiger 
Arbeit eingehend erörtert hat. Besonders 
hingewiesen ist diesmal auf die sehr all- 
mähliche Gewöhnung an Sonnenstrahlen 
und die Art der Anlegung der Stauungs- 
binde. Empfohlen wird ein Immobilisie- 
rungsapparat nach Rollier. Auch auf 
die „künstliche Höhensonne“ wird ein- 
gegangen. Die Röntgenbehandlung wird 
nur bei tuberkulösen Halsdrüsen an- 
gewandt. Im übrigen werden eine Reihe 
von Fällen: chirurgischer Tuberkulose (so 
große Drüsenpakete, Sequester u.a.) nach 
wie vor operativ anzugreifen sein, aber 
verstümmelnde Operationen wird man 
möglichst vermeiden.  Bleibende Heil- 
erfolge sind aber nur bei Mitberücksich- 
tigung des Allgemeinzustandes zu erzielen. 
Da Licht und Luft eine erhebliche Rolle 
spielen, sind auch für chirurgische Tuber- 
kulose Walderholungsstätten zu bauen und 
die Behandlung weniger ambulant aber 
mehr klinisch zu gestalten. 


Blümel (Halle). 


Lucien Jeanneret-Lausanne: De l’helio- 
therapie dans un höpital d’en- 
fants en plaine. (Revue Médicale 


IBEL. o 
de la Suisse Romande 1915, Tom. 35, 
Nr. 8, p- 435f.) 

Die Dauer der in der Ebene zur 
Sonnenlichtbehandlung erforderlichen Zeit 
erwies sich in der Baseler Kinderklinik 
als doppelt so groß wie im Gebirge, was 
durch die anderen meteorologischen Ver- 
hältnisse leicht erklärlich ist. Stets wird 
Allgemeinbestrahlung angewendet, wobei 
die Entstehung eines Erythems oder Pru- 
ritus nocturnus zu vermeiden ist. Kontra- 
indiziert ist die Bestrahlung bei Kindern 
unter einem Jahr, bei kontinuierlichem 
Fieber, akuten Infektionskrankheiten, rela- 
tiv kontraindiziert bei offener Lungen- 
tuberkulose und starker Nervosität. Als 
Wirkung stellt sich ein: Erweiterung der 
Hautgefäße, Pigmentation, Zunahme von 
Appetit und Gewicht, Steigen des Muskel- 
tonus sowie des Hämoglobingehalies, die 
Temperatur wird regelmäßig, langsam er- 
folgt Heilung. 

Kinder mit Wirbeltuberkulose be- 
handelt er im Gipsbett und bestrahlte 
meist in Bauchlage. Bei der Hüftgelenks- 
tuberkulose wendet er wie Rollier ab- 
solute Ruhiglagerung und Bestrahlung in 
Rückenlage an. Oft mußten die Kinder 
vor Abschluß der Behandlung’ entlassen 
werden, er setzte dann die Behandlung 
mit Gipsgehverband fort, wobei er freilich 
keine so absolute Motilität erzielte, aber 
wenigstens das Leiden zur Ausheilung 
brachte. Auch die Lungentuberkulose der 
Kinder reagiert wie die chirurgische Tuber- 
kulose auf Sonnenbestrahlung. Bei der 
Drüsen- und Lymphdrüsentuberkulose trat 
sehr rasche Heilung ein, so daß sich 
solche Fälle besonders für die Behand- 
lung in der Ebene eignen. Ausgezeich- 
nete Dienste tat die Bestrahlung bei der 
Rachitis, wo sie die medikamentöse 
Therapie wesentlich unterstützt. Schnell 
hebt sie den Allgemeinzustand in der 
Rekonvaleszenz. 

Nach Verf.s Ansicht wirkt die. Be- 
strahlung nur als Allgemeinbestrahlung 
durch Anregung der Epithelschicht, der 
er bei der Bildung der Antikörper sowie 
bei der Elimination der Bakterien und 
ihrer Produkte eine wesentliche Rolle zu- 
schreibt. 

Jeanneret kommt zu dem Schluß, 
daß die Sonnenlichtbehandlung nicht nur 


REFERATE. 


ZEITSCHR. f. 
u TUBERKULOSE 


bei der Tuberkulose, sondern auch bei 
vielen anderen Affektionen des Kindes- 
alters sich bewährt, daß sie sich auch in 
der Ebene gut durchführen läßt, wenn 
dort auch die Einwirkung langsamer vor 
sich geht. In keiner Kinderklinik sollte 
daher die Einrichtung zur Bestrahlung 
fehlen. Stern (Straßburg). 


Ill. Tuberkulose der anderen Organe. 


Peter F. Holst, Oberarzt d. med. Abt. B 
des Rikshospitals, Kristiania: Über die 
Initialsymptome und Abortivfor- 
men der Peritonealtuberkulose, 
[Festschrift für Klaus Hanssen.] (Medi- 
cinsk Revue 1914, p. 478.) 

Verf. bespricht einzelne Initialsym- 
ptome der tuberkulösen Peritonitis, so wie 
sie sich bei 30 Fällen von tuberkulöser 
Peritonitis, behandelt im Rikshospital auf 
der med. Abt. B im Laufe der letzten 
10 Jahre, gezeigt haben. In Verbindung 
hiermit macht er aufeinzelne diagnostische 
Fehler aufmerksam, die im Anfang bei 
einem Teil der genannten 30 Fälle ge- 
macht worden waren. 

Bei einigen Fällen, wo die Krankheit 
akut mit Schmerzen begonnen hatte, war 
die Diagnose auf Appendizitis gestellt 
worden, während der weitere Verlauf oder 
die Operation zeigte, daß tuberkulöse 
Peritonitis vorlag. Bei einem Falle waren 
cie Symptome derartig, daß die Diagnose 
im Anfang auf Typhus gestellt wurde. 

In vielen von den 30 Fällen ging 
der klinisch nachweisbaren Peritonitis eine 
längere oder kürzere Periode mit dys- 
peptischen oder kardialgischen Sym- 
ptomen voraus. In dieser Periode waren 
die Patienten unter der Diagnose Ulcus 
ventriculi, chronische Gastritis, 
Dyspepsie usw. behandelt worden. Verf. 
behandelt die Frage, ob man mit Recht 
diese Symptome als Symptome einer im 
übrigen latenten Peritonitis auffassen kann, 
und hebt die Möglichkeit hervor, daß ein 
Teil der tuberkulösen Peritonitiden abortiv 
verläuft mit unbestimmten Symptomen 
seitens Ventrikel und Abdomen, und zu- 
letzt geheilt wird, ohne daß es jemals zur 
Entwickelung einer klinisch nachweisbaren 
Peritonitis gekommen wäre, | 


BD, 25, HEFT 2. 
1916. 


Endlich wird als ein häufig vorkom- 
mendes Symptom bei tuberkulöser Peri- 
tonitis eine vorübergehende initiale Diar- 
rhöe erwähnt. Autoreferat. 


P. Trnka: Ein Beitrag zur chirurgi- 
schen Behandlung der tuberku- 
lösen Peritonitis. (Věstník V. sjezdu 
čes. lék. a přír. 1915, p.572, [böhmisch]). 

Statistische Mitteilung, welche die 

Berechtigung des chirurgischen Eingriffs 

bei der Peritonitis beweisen soll. Als 

Operation wurde in Verf.s Fällen meistens 

nur die Laparotomie gemacht, seltener 

Eingießen der Jodoformemulsion in die 

Bauchhöhle, in einigen Fällen war Entero- 

anastomose notwendig. Von den ope- 

rierten Patienten wurden 49°/, geheilt, 

20/, gebessert, 49°/, sind gestorben. Die 

besten Resultate wurden bei der adhäsiven 

Form erzielt; die Adhäsionen soll man 

aber dabei nicht lösen, da hierdurch Fistel- 

bildung begünstigt wird. Die ulceröse 

Form hat begreiflicherweise die schlimmste 

Prognose. 

Jar. Stuchlik (Rot-Kostelec, Böhmen). 


E. H. Risley: The preoperative dia- 
gnosis of tubercular mesenteric 
andretroperitonealglands. (Boston 
Med. and Surg. Journ.‘ 1915, Vol. 
CLXXII, Febr. 18, No.7, p. 253.) 

Verf. betont die Häufigkeit der Tabes 
mesenterica. Er bringt eine Serie von 
65 Fällen, bei denen die Autopsie we- 
nigstens eine retroperitoneale oder mesen- 
teriale Drüse zufälligerweise auffinden 
ließ. Die Patienten waren sämtlich an 
anderen Krankheiten gestorben, und den 
Krankenhausanamnesen nach hatten sie 
keine Drüsensymptome dargeboten. 

Eine zweite Serie bringt eine Ana- 
lyse von 30 in dem Massachusetts Ge- 
neral Hospital operierten Fällen, bei 
denen einzelne retroperitoneale oder me- 
senteriale Drüsen gefunden wurden. Nur 
in 3 Fällen wurde die Diagnose vor der 
Operation richtig gestellt. In ro Fällen 
lautete die Diagnose Appendizitis; in 
noch 7 Fällen vermutlich Appendizitis; 
in 4 Fällen Tumor abdominalis. Dem 
Operationsbefunde nach war bei 17 
dieser Fälle die Drüse für die Krankheits- 
symptome verantwortlich. Bei 4 Fällen 

Zeitschr. f. Tuberkulose, 25. 


REFERATE. 


145 


war ihre Rolle fraglich. Bei den übrigen 
Fällen waren die Drüsen zu klein, um 
Symptome hervorzurufen. 

Bezüglich der physikalischen Zeichen 
dieser zweiten Serie waren vor der Ope- 
ration in ı2 Fällen Tumoren fühlbar, 
und in der Narkose waren sie bei noch 
drei weiteren Fällen zu palpieren. | 

Niemals waren die weißen Blut- 
körperchen über 15000, außer in einem 
komplizierten Falle. 

Klinisch gibt es einen akuten und 
einen chronischen Typus. Gewöhnlich 
täuschen sie eine akute resp. chronische 
Appendizitis vor. Ohne fühlbare Drüsen 
ist die Diagnose überhaupt schwer zu 
stellen. Man kann aber doch zuweilen 
eine eingeschränkte Diagnose unter ge- 
nauerer Berücksichtigung der Anamnese 
machen. 

Am wichtigsten ist es, daß man bei 
Kindern und jugendlichen Individuen an 
Tabes mesenterica denkt, wenn krank- 
hafte Symptome in der rechten Seite des 
Abdomens vorhanden sind. 

Soper (Saranac Lake, N. Y.). 


Anthony Bassler: Abdominal tuber- 
culosis. (New York Med. Journ, 
IO. 7. 1915. Vol. 102, p. 74.) 

Lymphdrüsen,. Bei Lungentuber- 
kulose sind die Leistendrüsen manchmal 
sehr groß. Die Infektion rührt von den 
Genitalien oder den unteren Extremitäten 
her, obgleich man Tuberkulose gewöhn- 
lich in anderen Teilen des Körpers findet. 
Besondere Behandlung ist unnötig. Bei 
einem der Fälle, den Verf. sah, entwickelte 
sich Elephantiasis nach Entfernung der 
Drüsen. 

Magen. Tuberkulöse Tumormassen 
können leicht mit Karzinom und tuber- 
kulöse Ulzerationen mit gewöhnlichen 
Magenulzerationen verwechselt werden. In 
Fällen von. Pylorusverengerung ist eine 
Operation notwendig. Verf. glaubt, daß 
außer Allgemeinbehandlung der Tuber- 
kulose und der Linderung mechanischer 
Zustände nichts getan werden kann. Er 
empfiehlt Tuberkulintherapie. 

Darmkanal. Primär oder der Lun- 
gentuberkulose folgend, manchmal als 
Folge der Tuberkulose des Peritonaeums. 
Primäre Form meistens bei Kindern. 

10 Ä 


Br 


Sekundäre Tuberkulose entwickelt sich in 
50°/, aller Lungenfälle. Chirurgische 
Eingriffe empfehlen sich nicht, sondern 
Allgemeinbehandlung der Tuberkulose. 
Blinddarmtuberkulose fanden Kelly 
und Hurdon in 44 Fällen bei 3770 Ob- 
duktionen. 39 von diesen zeigten Ulze- 
rationen. Ein paar Fälle brachen durch, 
und ein Abszeß bildete sich um den 
Blinddarm. Die Behandlung dieser wie 
auch der hyperplastischen Form der Blind- 
darmtuberkulose und der Tuberkulose des 
Jleo-Coecums ist chirurgisch. Leber und 
Gallengänge. Lebertuberkulose kommt 
in 8°/, aller Fälle vor. Tuberkulose der 
Gallenblase ist selten. 2 Formen. Eine 
chronische Form mit Ulzerationen und 
Gallensteinen und eine akute mit Nekrose 
der Schleimhaut. Außer in Lungenfällen 
mit Gallenblasensymptomen scheint es 
unmöglich zu sein, eine Diagnose zu 
stellen. Tuberkulose des Pankreas. 
Diagnose sehr schwierig. Von der The- 
rapie weiß man auch wenig. Perito- 
naeum. Nach König findet man Tuberkel 
im Peritonaeum in 5°/, aller Obduktionen 
und eine größere oder geringere Behaftung 
des Peritonaeums in 18°/, aller Phthisiker. 
Bei Frauen muß man immer an Infektion 
durch tuberkulöse Salpingitis denken. Bei 
akuten und chronischen Fällen mit vielen 
Adhäsionen muß man operieren. Bei 
einer lokalen Infektion, wo eine Masse 
entfernt werden kann, ist eine Operation 
oft von großem Vorteil. Milz. Akut oder 
chronisch. Primär oder sekundär. Ope- 
ration hilft nicht, wenn mehr als ein 
Organ angegriffen ist oder Polyzythämie 
vorkommt. B.S. Horowicz (Neuyork). 


C. Tiertuberkulose, 


Kunibert Müller: Mildere Beurteilung 
der Mesenteriallymphknotentu- 
berkulose in Sachsen. 

F. Henschel: Einige Bemerkungen 
zur sächsischen Ministerialver- 
ordnung vom 17. Mai 1915. (Ztschr. 
f. Fleisch- u. Milchhygiene, XXV. Jahrg. 
1915, Heft 18, S. 273/274.) 

A. Ströse: Über die mildere Beur- 
teilung des Rinderdarmes bei der 


REFERATE. 


ZEITSCHR. f. 
TUBERKULOSE 


Feststellung von Tuberkulose der 
mesenterialen Lymphknoten. 

F. Henschel: Nochmals: Zur sächsi- 
schen Ministerialverordnung vom 
17. Mai 1915. (Ebenda, Heft 22, 
S. 337/339.) | 

J. Bongert: Einige Bemerkungen zu 
der Freigabe der Därme von 
Schlachttieren bei Tuberkulose 
der Gekröslymphdrüsen. ` 

Karl Lohoff: Zur sächsischen Mini- 
sterialverordnung vom 17. Mai 
I915 über die mildere Beurtei- 
lung bei Tuberkulose der Gekrös- 
drüsen. 

F. Henschel: Bemerkungen zu dem 
vorstehenden Artikel des Herrn 
Dr. Lohoff. (Ebenda, XXVI. Jahrg., 
Heft 3, S. 33—40.) 

A. Ströse: Beurteilung von Därmen 
während der Kriegsdauer. 

F. Henschel: Erwiderung. (Ebenda, 
Heft 4, S. 55/56.) 

(Siehe den Artikel von Bongert in 

diesem Heft, S. 81.) L. R. 


0. Malm, Direktor des zivilen Veterinär- 
wesens Norwegens, Kristiania: Die 
Bekämpfung der Rindertuber- 
kulose. Die öffentlichen Tuber- 
kulinproben in Norwegen. (Mit- 
teilungen des norweg. Nationalvereins 
gegen die Tuberkulose, Mai 1915, 
Heft 19, S. 66.) 

. Die” norwegische Staatsmethode für 
die Bekämpfung der Rindertuberkulose 
ist folgende: Freiwillige, unentgeltliche 
Untersuchung des ganzen Bestandes, 
Abschlachten der reagierenden Tiere 
gegen Ersatz von früher !/, und !/, 
jetzt ®/, für den durch das Abschlachten 
des Tieres verursachten Verlust. An- 
zeigepflicht. 

Diese Methode, die seit 20 Jahren 
in Gebrauch gewesen ist, beabsichtigt in 
weitem Maße dem Besitzer der Tiere 
seinen durch die Tuberkulose des Rindes 
verursachten ökonomischen Verlust zu er- 
leichtern, aber selbstverständlich auch 
durch den gegebenen Ersatz das Ab- 
schlachten der kranken Tiere zu befördern 
und dadurch eine schnellere Bekämpfung 
der Krankheit zu’ erzielen. Dies System, 
das in höherem Grade als jedes andere 


BD. 25, HEFT 2, 
1916. 


den privaten Besitzern direkte Staatshilfe 
leistet, hat sich durchführen lassen können, 
weil die Rindertuberkulose eine verhältnis- 
mäßig kleine Ausbreitung im Reiche hat 
und die Bestände ziemlich klein sind. 

Die Erfahrung hat gezeigt, daß es 
effektiv gewesen ist, und es ist mit Zu- 
friedenheit von seiten der Bauern begegnet 
worden. Der offiziellen Berichte zufolge 
wurden beim Anfang der Untersuchungen 
(im Jahre 1895) Fälle von Tuberkulose 
in 26—27°/, der Bestände und in 8°), 
der untersuchten Tiere gefunden. In den 
späteren Jahren ist die Anzahl infizierter 
Bestände bis durchschnittlich 10°/, und 
derselbe der tuberkulösen Tiere bis 5°/, 
gesunken. 

Die jährlichen Ausgaben des Staates 
für die Bekämpfung der Rindertuberkulose 
sind in den letzten Jahren ca. 85000 Kro- 
nen (95000 M.) gewesen. 

Der europäische Krieg und die damit 
folgenden finanziellen Schwierigkeiten be- 
wirkten indessen, daß die Tuberkulin- 
untersuchungen August 1914 vorläufig 
aufhörten. Es dauerte jedoch nicht lange 
Zeit, bis die davon entstandenen Schäden 
sich als so große zeigten, daß die Unter- 
suchungen schon Februar I9I5 ‚wieder 
aufgenommen wurden — mit der Be- 
grenzung, daß ein Antrag von Unter- 
suchung nur in solchen Fällen eingewilligt 
wird, wo es vom Tierarzt festgestellt wird, 
daß eine Untersuchung auch nötig ist. 

Die Anträge werden jeden Monat 
von dem Departement für Ackerbau be- 
handelt, und die Untersuchung, die ganz 
unentgeltlich ist, kann, wenn sie ein- 


gewilligt wird, sofort vorgenommen werden. 


Insofern Fälle von Tuberkulose in einem 
Bestande gefunden werden, ist der Be- 
sitzer verpflichtet, die kranken Tiere zu 
isolieren und bald möglichst zu schlachten. 
Wie oben gesagt, wird ein Ersatz bis drei 
Viertel der gesetzgemäß bestätigten Ver- 
lustes gegeben. 

Diese Proben beabsichtigen selbst- 
verständlich hauptsächlich die Bekämpfung 
der Rindertuberkulose und sind dadurch 
von weitreichender ökonomischer Bedeu- 
tung. Eine Einschränkung der Rinder- 
tuberkulose hat aber auch ohne Zweifel 
zur Folge, daß die Tuberkulose des Men- 
schen vermindert wird. Die Erfahrungen 


REFERATE. 147 


von z. B. Edinburgh und Dänemark geben 
die Beweise hierfür. 

In dem letztgenannten Lande ist die 
Kindertuberkulose in den späteren Jahren 
in beträchtlichem Grade zurückgegangen. 
Dies rührt natürlicherweise von mehreren 
Ursachen, z. B. der reichlichen Gelegen- 
heit zur Isolation von ansteckenden For- 
men der Kindertuberkulose in zahlreichen 
Sanatorien, her, aber der energische Kampf, 
der in den letzten 20 Jahren in Dänemark 
gegen die Rindertuberkulose geführt wor- 
den ist, hat auch ohne Zweifel seinen 
großen Anteil an dem glücklichen Resultat. 

N. Heitmann (Kristiania). 


Theobald Smith: The anatomical and 
histological expression of in- 
‘creased resistance toward tuber- 
culosis in cattle following the 
intravenous injection of human 
and attenuated bovine tubercle 
bacilli. (Journ. of Med. Research 
1915, Vol. XXXII, No. 3, p. 455.) 

Verf. berichtet über die histologischen 
Untersuchungen der Lungen von einer 
Reihe geimpfter Kälber, über deren Re- 
sistenzerhöhung schon früher Mitteilung 
gemacht war. 

Die Versuchskälber waren je zwei- 
mal mit menschlichen Tuberkelbazillen 
intravenös geimpft. Später nach 2}/, bis 
3 Monaten erhielten sie eine intravenöse 
Probeimpfung von Perlsuchtbazillen. Die 
Kontrollkälber starben bald an allgemeiner 
miliarer Tuberkulose; die Versuchskälber 
überlebten, zum größten Teil, die Probe- 
impfung, und wurden sechs Monate nach- 
her getötet. i 

Von Interesse war nicht nur die sehr 
verminderte Anzahl der Lungenherde bei 
den geimpften Tieren, sondern auch eine 
auffallend große Anwesenheit von kolla- 
bierten subpleuralen Lungenläppchen, 
meistens vereinzelt. Letztere beruhten 
auf einer peribronchialen Zellinfiltration 
mit Zerstörung der überliegenden Mucosa, 
und auf einer Zellproliferation in die 
Lumina der kleinen Luftröhren hinein 
mit Verstopfung der Luftröhrchen; worauf 
ein Kollaps des dazugehörigen Lungen- 
parenchyms eintritt. Typische tuberku- 
löse Herde des Parenchyms kamen nur 
selten vor. 

10” 


_ 148 


Diese peribronchialen Zellanhäu- 
fungen bestanden fast ausschließlich aus 
Lymphoidzellen. Ganz auffallend war die 
fast vollkommene Abwesenheit von Epi- 
theloid- und Riesenzellen unter diesen 
Zellanhäufungen. 

Die Kontroltiere zeigten zahlreiche 
Endothelzelltuberkel, welche das Lungen- 
parenchym durchsetzten. 

Verf. meint, daß irgendwie das Tu- 
berkelwachstum in den Blutgefäßen der 
relativ immunisierten Lungen gehemmt 
wurde. Nachher schritt es aber in den 
Lymphgefäßen fort. Die Änderung der 
Zelltypenreaktion bei den geimpften Tieren 
läßt sich nicht leicht erklären. Der Unter- 
schied der Zelltypenreaktion galt auch 
für das Euter; indem die tuberkulösen 
Herde des Euters bei zwei geimpften 
Kälbern genau dieselbe Zellreaktion zeigten 
wie die der Lungen. 

Weiter sieht Verf. in der relativen 
Beschränkung der Krankheit auf die 
Pleuragegend eine Unterstützung der 
Druck- und Lymphstauungstheorie für die 
Entstehung der Lungenspitzentuberkulose. 
Obwohl die Bazillen gleichmäßig über 
die Lungen verteilt waren, beschränkte 
sich die Lymphgefäßtuberkulose auf den 
Lungenteil, welcher von Druck oder Stau- 
ung beeinflußt war (nämlich die Pleura). 

Nur ein Kalb zeigte das Endstadium 
der Kavernenbildung. Hier fand man 
die verschiedenen Stufen: Erweichung des 
kollabierten Läppchens, mit Auswurf 
käsigen Materials und Kavernenbildung. 
Verf. zieht den Schluß, daß die Kavernen- 
bildung im allgemeinen ein Zeichen der 
erhöhten Resistenz ist. Sie geht mit den 
chronischen langdauernden Typen der 
Lungentuberkulose einher, und sei, wahr- 
scheinlich in fast allen Fällen, das End- 
resultat des obenbesprochenen Läppchen- 
kollapses. Soper (Saranac Lake, N. Y.). 


Theobald Smith and M. Fabyan: The 
vaccination of cattle against tu- 
berculosis.. The occasional per- 
sistence of the human type of 
tubercle bacillus in cattle. (Journ. 
of Med. Research 1915, Vol. XXXII, 


No. 3, p. 523.) 


Verf. geben zuerst eine Literatur- ' 


übersicht betrefis Lebensdauer der zu 


ZEITSCHR. f. 
TUBERKULOSE 


Immunisierungszwecken eingespritzten Tu- 
berkelbazillen im Körper des Rindes und 
Ausscheidung derselben mit der Milch. 

Sie beschreiben dann ihre Befunde 
bei sechs jungen Kühen, welche als Kälber 
mit menschlichen Tuberkelbazillen während 
der ersten drei Lebensmonate intravenös 
geimpft waren. Zwei Kälber erhielten 
eine Dosis menschlicher Bazillen von 
verhältnismäßig geringer Virulenz; drei 
andere Kälber erhielten zwei Dosen 
menschlicher Bazillen von höherer Viru- 
lenz; ein sechstes Kalb erhielt drei Dosen 
des letzteren Stammes. Während der 
folgenden ı!/),— 3 Jahre haben alle sechs 
Tiere gekalbt. 

Etwa ı Jahr nach der Geburt der 
Kälber wurde die gemischte Milch von 
allen Eutervierteln jeder Kuh auf Tuber- 
kelbazillen untersucht. Die Einzelheiten 
der Methoden werden beschrieben: Der 
Nachweis der Bazillen ist bei fünf Tieren 
mißlungen; war jedoch positiv bei einem 
Tiere bei zwei verschiedenen Untersuch- 
ungen. Die Bazillen erwiesen sich als 
Typus humanus. 

Später wurde diese Kuh mit posi- 
tivem Milchbefunde seziert. Makrosko- 
pisch erwiesen sich alle Organe ohne be- 
sonderen Befund, abgesehen von zwei 
entzündeten Gelenken. Auch das Euter 
schien makroskopisch frei, wurde aber 
wegen der früheren Ausscheidung von 
Bazillen und dreimaliger Anwesenheit von 
Blut in der Milch mikroskopisch unter- 
sucht. Mikroskopisch war das Bild das 
einer atypischen, chronischen Entzündung 
mit Vorhandensein einer einzigen Riesen- 
zelle. Wegen dieser Riesenzelle, des Be- 
fundes menschlicher Tuberkelbazillen in 
einem Euterlymphknoten und in der Milch 
wurde diese atypische Euterentzündung 
für tuberkulös gehalten. Eine weitere Be- 
stätigung lag in der Tatsache, daß Verf. 
früher schon nicht unähnliche atypische 
Tuberkulosereaktionen in dem Euter ge- 
impfter Kälber gefunden hatten. 

In den beiden entzündeten Gelenken 
— obwohl weder makroskopisch noch 
mikroskopisch typisch tuberkulös — ließen 
sich jedoch menschliche Bazillen in der 
Flüssigkeit auffinden. 

Bei der Zusammenfassung wird die 
Gefahr des gelegentlichen Vorkommens 


BD.25, HEFT 2. 
1916. 


von menschlichen Tuberkelbazillen noch 
nach Jahren in der Milch von geimpften 
Kälbern betont. Menschliche Bazillen, 
welche in dem nicht entwickelten Euter 
abgelagert werden, scheinen dort lang- 
samer als in den anderen Geweben ver- 
nichtet zu werden. Zwei an anderer 
Stelle mitgeteilte Fälle scheinen diese Be- 
obachtung zu bestätigen. 
Soper (Saranac Lake, N.Y.). 


W.L. Moss: An attempt to immunize 
calves against tuberculosis by 
feeding the milk of vaccinated 
cows. (Bull. Johns Hopkins Hosp. July 
1915, Vol. XXVI, No. 293, p. 241.) 

Nach einer kurzen Übersicht früherer 
Arbeiten betreffs Immunisierung von Tieren 
durch Milch, beschreibt Verf. seine Resul- 
tate bei Tierversuchen, welche die Wirkung 
der Milch von tuberkulosevakzinierten 
Kühen auf infizierte Kälber klarlegen 
sollen. 

Die vakzinierten Kühe wurden als 
Färsen mit menschlichen Bazillen intra- 
venös geimpft. Zehn Monate nach Ab- 
schluß des Immunisierungsprozesses wurde 
die Milch zur Fütterung der Kälber ver- 
wendet, nachdem man sich überzeugt 
hatte, daß die Milch keine Bazillen enthielt. 

Die Kälber stammten alle von tuber- 
kulosefreien Kühen und reagierten auf 
Tuberkulin negativ. 

Erste Serie: Drei Versuchs- und drei 
Kontrolltiere. Die drei Versuchskälber 
wurden von Mai bis Oktober mit ge- 
mischter Milch von verschiedenen vak- 
zinierten Kühen gefüttert. Die drei Kon- 
trollkälber wurden in ähnlicher Weise mit 
Milch von nichtvakzinierten tuberkulose- 
freien Kühen gefüttert. Im Oktober 1909 
wurden alle sechs Kälber mit gleichen 
Dosen virulenter Rinderbazillen intravenös 
geimpft. Alle Tiere starben im vierten 
Monate nach Impfung und waren im 
wesentlichen gleichmäßig infiziert. Präzipi- 
tine und komplementbindende Substanzen 
waren weder bei vakzinierten noch bei 
nichtvakzinierten Kühen zu konstatieren. 
Agglutiningehalt war wesentlich derselbe. 
Außerdem war bei den sechs Kälbern 
kein merklicher Unterschied im Antikörper- 
gehalt vorhanden. Eine zu große Dosis 
kann vielleicht bei dieser Serie die Einzel- 


REFERATE. 149 


heiten der Immunitätsunterschiede ver- 
deckt haben. 

Zweite Serie: Gleichfalls sechs Kälber. 
Die Behandlung derselben war im all- 
gemeinen die gleiche, abgesehen davon, 
daß die virulenten Rinderbazillen subkutan 
hinter der rechten Schulter verimpft wur- 
den. Die Kälber wurden paarweise in 
verschiedenen Intervallen seziert. Obwohl 
der Unterschied in der Ausbreitung der 
Krankheit bei dieser Serie nicht auffallend 
war, mag doch der Schluß gerechtfertigt 
sein, daß eine relative Immunität durch 
die Milch von vakzinierten Kühen auf 
Kälber übertragen werden kann. Bei 
dieser Serie war auch kein Unterschied 
im Blutantikörpergehalt zu konstatieren, 
weder im Blute der Kühe noch im Blute 
der Kälber. Verf. selbst hält es für be- 
dauerlich, daß alle Versuchskälber dieser 
Serie Bullen, die Kontrolikälber Färsen 
waren. Soper (Saranac Lake, N.Y.). 


D. Berichte. 


Il. Über Tuberkuloseanstalten und 
Vereine. 


Felix Oeri: Dauerresultate des Glar- 
nerSanatoriumsfürLungenkranke 
in Braunwald 1897—1913. (Korr.- 
Blatt für Schweizer Ärzte 1915, Nr. 18, 
S. 561.) 

Bericht über 1196 Patienten einer 
kleinen Schweizer Volksheilstätte der Jahr- 
gänge 1897—ı1gı2 auf Grund schrift- 
licher Umfragen im Frühjahr 1913. Von 
den Patienten des I. Stadiums lebten 
nach 14 Jahren noch 75°/,, von denen 
des II. Stadiums 33°/,, des III. 6°/,. 
Von den Überlebenden des I. Stadiums 
waren 5/,, von denen des II. */,, des 
III. ®/, voll arbeitsfähig geblieben. Die 
Prognosen stimmten nach durchschnittlich 
3 Jahren noch in 62°/, der Fälle; 21°/, 
waren zu gut, 17°/, zu schlecht beurteilt. 
Die Länge der Kurzeit war nicht von 
wesentlichem Einfluß; am wirksamsten 
zeigte sie sich bei den III. Stadien, wes- 
halb Verf. bei den nicht von vornherein 
Ausscheidenden mit Recht für längere 
Kuren eintritt. 


-tarai 


150 


Den Taschenspucknapf haben 180 
von 288 Kranken mit Auswurf weiter 
benutzt; nur 28 haben ihn ohne triftigen 
Grund als zu umständlich oder unnötig 
beiseite gelegt. Er ist also für die an- 
scheinend sehr braven Braunwalder Pa- 
tienten keine „Utopie“. Über Berufs- 
schwierigkeiten infolge ihres Sanatoriums- 
aufenthaltes beklagte sich mehr als !/,, 
aller Kranken, zum Teil zwar ohne 
Grund, wie Kindermädchen, Köchinnen, 
Lehrer und Schüler, zum Teil aber auch 
mit Recht, und zwar bezeichnenderweise 
meistens Angehörige der sogenannten ge- 
bildeten Klassen. Simon (Aprath). 


Katholisches Sanatorium Dekkerswald 
(Holland). Bericht über das Jahr 1914. 
Es waren im Anfange des Berichts- 
jahres 80 Kranke in Behandlung. Auf- 
genommen wurden 266, entlassen 241, 
gestorben sind 7; es blieben somit am 
. Ende des Jahres 98 Kranke in Behand- 
lung. Die Gesamtzahl der Pflegetage hat 
34189 betragen. Ein positiver Kurerfolg 
wurde erreicht in rund 85°/, der Fälle 
des I. Stadiums, in 78°/, des IL, in 
46°/, des III. Stadiums. Die mittlere Ge- 
wichtszunahme der überhaupt an Gewicht 
zugenommenen Patienten betrug 5,73 K.G., 
die größte Zunahme 16,3 K. G. Die 
Behandlung war die gewöhnliche Sana- 
toriumkur in Verbindung mit Hydrothera- 
pie, Sonnenbädern, künstlicher Höhen- 
sonne und in geeigneten Fällen Tuber- 
kulin. Vos (Hellendoorn). 


N. J. Strandgaard: Boserup Sanato- 
rium in 1914. Jahresbericht. 
Entlassen wurden 163 Männer und 
147 Frauen (I. Stadiums 106, II. Stadiums 
108, III. Stadiums 96). Relativ geheilt 
36,9°/,, bedeutend gebessert 11,3°/,, ge- 
bessert 26,1°/,, unverändert 14,4°/,, ver- 
schlechtert 10°/,, gestorben 1,3°/,, Von 
den Entlassenen waren arbeitsfähig 49,0°/,, 
teilweise arbeitsfähig 29,4°/,, arbeitsun- 
fähig 20,3°/,. Kay Schäffer. 


-© W. Aus Zeitschriften. 


Das Boston Medical and Surgical Journal 
vom 7. Jan. 1915, Vol. CLXXII, 


ZEITSCHR, f. 


No. 1, bringt ein Symposium über 

tuberkulöse Halsdrüsen: 

G. L. Richards: Relations of the ton- 
sils and other throat conditions 
to tuberculous cervical adenitis. 

Beschreibung der Anatomie des 
Lymphgefäßsystems der Halsdrüsen nach 
Sappey, Poirier, Most u.a. 

Verf. meint, daß die Tonsillen aller 
Wahrscheinlichkeit nach die Hauptein- 
trittspforte für die Tuberkuloseinfektion 
der zervikalen Lymphdrüsen bilden. Er 
empfiehlt die operative Entfernung der 
Tonsillen in allen Fällen von tuberku- 
lösen Zervikaldrüsen. Außerdem neigt er 
zu derselben Behandlung bei Kindern, 
deren Eltern an solchen Drüsen gelitten 
haben. 


H. D. Chadwick: The treatment of 
tuberculous cervical adenitis. 

Verf. ist für die Tuberkulinbehand- 
lung dieser Drüsen sehr begeistert. Seiner 
Erfahrung nach sollte man gewöhnlich die 
operative Behandlung nur vornehmen, 
falls die Drüsen käsig oder fibrös entartet 
sind. Unter letzteren Umständen ist eine 
weitgehende Operation nicht notwendig, 
indem die kleineren weniger entzündeten 
Drüsen unter Tuberkulinbehandlung ver- 
schwinden. 

Verf. verfährt bei Kindern, in denen 
die zervikalen Drüsen tastbar oder ver- 
größerte bronchbiale Drüsen vorhanden 
sind, folgendermaßen: Falls die Kinder 
keine aktive Lungenkrankheit zeigen und 
die Körpertemperatur nicht mehr als 0,6° 
über Normal aufsteigt, fängt Verf. mit 
der Tuberkulinbehandlung an. Er be- 
ginnt mit 0,0000001 mg und erhöht die 
Dosis allmählich bis zu 10 mg ungefähr 
am Ende des 6. Monats. 


J. B. Hawes: The treatment of tuber- 
culous cervical adenitis. 

Bei der Behandlung der Halsdrüsen- 
tuberkulose sollte man immer daran 
denken, daß man nicht nur eine Drüsen- 
tuberkulose behandelt, sondern auch einen 
mit Tuberkulose infizierten Menschen. 
Man muß daher alle Eintrittspforten der 
Infektion ausschalten und eine rationelle 
hygienische Lebensweise verordnen. 

Hierzu sollte mitunter eine geeignete 
konservative chirurgische Behandlung 


BD, 25, HEFT 2. l 
rera | VERSCHIEDENES. 155 


kulose in den meisten Fällen auf eine Erkrankung (Infektion) im Kindesalter 
zurückzuführen, der Schutz des Erwachsenen zur Verhütung vorzeitiger Invalidität 
hat deshalb mit der Pflege des Kindes zu beginnen, um es gesund und lebenskräftig 
zu erhalten. Überhaupt, wenn der einen wesentlichen Bestandteil unserer sozialen 
Kriegsausrüstung bildende Kampf gegen die Tuberkulose auch in dieser Zeit nicht 
aussetzen darf, so gilt dies in erhöhtem Maße für die Fürsorge, welche die Jugend 
zu beanspruchen hat. 

Ärzte, Lehrer, Lehrerinnen, Geistliche, Leiter von Armenver- 
waltungen, Vorstände von Gemeinden und sozialen Einrichtungen wissen, 
wie dringend diese Fürsorge ist: An sie richten wir vorzugsweise unsere 
Aufforderung, uns in dem Kampf um die Wohlfahrt des Volkes bei- 
zustehen. | 

Während in den Jahren 1896—ı9ı12 in Elsaß-Lothringen die Abnahme der 
Sterbefälle an Tuberkulose bei Personen im Alter von 15—60 Jahren sich im Durch- 
schnitt auf 10,1 (auf 10000 Einwohner) belaufen hat, betrug dieselbe für Kinder 
im Alter von 1—15 Jahren nur 3,5 (Statistisches Landesamt. Man hat behauptet, 
daß die Tuberkulose im schulpflichtigen Alter so gut wie gar nicht abgenommen 
habe. Dies liegt nicht zum geringsten Teile daran, daß bei den zur Bekämpfung 
der Krankheit getroffenen Maßnahmen für die Jugend weit weniger geschehen ist 
als für die Erwachsenen. Während es im Jahre 1gı2 in Deutschland 138 Heil- 
anstalten mit 14079 Betten für Erwachsene gab, bestanden nur 2.1 Heilstätten mit 
1352 Betten für tuberkulose Kinder. Elsaß-Lothringen hat noch heute keine 
einzige Öffentliche Tuberkuloseheilstätte für Kinder! 

Die Verabfolgung von Solbädern am Orte selbst unter Benutzung freier Räume 
in ländlichen Krankenhäusern, Badeanstalten, Schulhäusern oder dergleichen, er- 
fordern für Einrichtung und Betrieb (Bezug von Mutterlauge und Badesalz) nur 
geringe Kosten und kann auch von Kleinstädten und größeren Dorfgemeinden ohne 
Schwierigkeit eingerichtet werden. Die Gewährung eines Abonnements von ı2 Bädern 
(mit Verabfolgung eines Glases Milch) verteilt auf 6 Wochen hat sich anderwärts 
als zweckmäßige und wirksame Maßnahme erwiesen. Ein durch ärztliche Verordnung 
zu regelnder Kuraufenthalt in einem auswärtigen Solbade wird auf die Dauer 
von 4—8 Wochen zu bemessen sein, wobei der Pfiegesatz für den Tag sich auf 
etwa 2,75 Mk. belaufen wird. Für den Nachweis geeigneter Unterbringung (von 
' Kindern und Waisen von Versicherten im Alter von 10o—ı5 Jahren) in auswärtigen 
Solbädern stellt sich die Landesversicherungsanstalt zur Verfügung. Winterkuren 
bleiben nach ärztlichem Urteil hinter Sommerkuren nicht zurück und empfehlen 
sich mit Rücksicht auf den im Sommer stattfindenden Zudrang zu den Bädern. 


Die Lupus-Kommission des Deutschen Zentral-Komitees zur Bekämpfung 
der Tuberkulose (Vorsitzender Ministerialdirektor Kirchner) hat auch im Kriegs- 
jahr 1914 eine erfolgreiche Tätigkeit entwickelt. Wie in den vorangegangenen 
Friedensjahren hat sie sich ihrer Aufgabe, heilungs- und besserungsfähigen Lupus- 
kranken ein Heilverfahren in einer geeigneten Anstalt zu erwirken, mit unver- 
minderter Kraft gewidmet. Obwohl auch von den Ärzten und Leitern der Spezial- 
anstalten für Lupuskranke viele zurzeit im Felde oder in militärischem Dienste 
stehen, ist doch die Zahl der von der Lupus-Kommission vermittelten Heilverfahren 
gegenüber dem Jahre 1913 nur ganz unerheblich zurückgegangen. Es läßt sich 
daher schon jetzt mit Bestimmtheit sagen, daß die Tätigkeit der Lupus-Kommission, 
die sich bis zum August 1914 in schnellem Aufstieg befand, auch durch den Krieg 
nicht gehemmt oder lahmgelegt werden kann. Wie die Zahl der behandelten Lupus- 
fälle seit dem Gründungsjahr der Kommission von Jahr zu Jahr gewachsen ist, 
zeigen die folgenden Angaben. Auf Veranlassung der Kommission wurden 1909 
10, Igıı bereits 163, IQI2 316, 1913 395, 1914 337 Kranke behandelt und 
größtenteils geheilt entlassen. Die von der Kommission hierfür aufgewandten Kosten 


ZEITSCHR. f, 
156 VERSCHIEDENES, O TÜBERKULOSR 


sind in der gleichen Zeit von rund 2300 Mk. auf 17— 20 Tausend Mark gestiegen. 
Vergegenwärtigt man sich das Elend, in dem die meisten Lupuskranken dahinleben, 
zumal wenn bei ihnen, wie so häufig, das Gesicht von der Erkrankung befallen ist, 
so leuchtet es ohne weiteres ein, was es zu bedeuten hat, wenn es gelingt, auch 
nur einen Teil dieser Kranken wieder zu einem menschenwürdigen Dasein zu ver- 
helfen. Das Ziel der Kommission ist aber weiter gesteckt. Da der Lupus im 
Frühstadum am ehesten geheilt werden kann, will sie dazu beitragen, daß die 
Lupuserkrankungen in allen Fällen so früh als möglich erkannt und behandelt werden. 
Diesem Zwecke dienen 48 Lupusheilanstalten, die über das ganze Reich verstreut 
mit der Kommission in Verbindung stehen, ferner eine I912 begonnene Zählkarten- 
forschung, durch die bisher 6000 Lupuskranke im Deutschen Reich ermittelt worden 
sind, und die von der Kommission alle 2—3 Jahre veranstalteten Lupusausschuß- 
sitzungen, in denen über neue Mittel und Wege der Lupuserkennung und -behand- 
lung verhandelt wird, 


Assurance militaire fédérale: La tuberculose au service militaire. (Rev. 
Med. de la Suisse Romande, 20. X. 1915, Vol. 35, p. 604.) 

Die schweizerische Assurance militaire federale hat die Aufgabe, die Ver- 
sicherungsverhältnisse der zum Militärdienst eingezogenen Eidgenossen allseitig richtig 
zu gestalten. Am 5. Sept. 1915 fand zu Bern im Bundespalast eine Versammlung 
statt, um die Entschädigungen für die an Tuberkulose erkrankten Militärpersonen 
festzusetzen. Wie man sieht, erkennt der schweizerische Staat seine Verpflichtungen 
bei Dienstbeschädigungen aller Art an, deckt sich aber durch eine Versicherung 
der Leute, die eben die Assurance militaire federale übernimmt. An der Ver- 
sammlung nahmen die höchsten Militärärzte und zwölf leitende Ärzte von Heil- 
anstalten teil. Man war sich einig darüber, daß die tuberkulöse Infektion im all- 
gemeinen nicht während des Militärdienstes erfolgt. Kommt einmal Infektion durch 
einen tuberkulösen Kamaraden vor, so hat es obendrein für die Versicherung keine 
Bedeutung wegen der langen Zeit, die bis zum Hervortreten der Erkrankung ver- 
läuft. In der sehr großen Mehrzahl der Fälle handelt es sich vielmehr um eine 
Verschlimmernng (aggravation) einer schon längst bestehenden latenten Tuberkulose 
durch die schädigenden Einflüsse des Dienstes. Das ist auch die allgemeine und 
zweifellos richtige Anschauung. 

Man war weiter einig, daß die Leistungen der Versicherung sich auf die 
Behandlung der tuberkulös erkrankten Militärpersonen beschränken solle, da die hier 
in Betracht kommenden Kuren schon sehr langwierig, und deshalb kostspielig sind; 
die Versicherung wird dadurch bereits stark belastet. Nur den verheirateten Soldaten 
oder solchen, die ihre Eltern zu ernähren haben, soll aus humanitären Erwägungen 
eine Entschädigung für die durch den Militärdienst bedingte Arbeits- und Verdienst- 
losigkeit gewährt werden können. Die Versicherung wird diese Entschädigung je 
nach Verfügung der Heeresverwaltung oder des Bundesrats in geeigneten Fällen 
zahlen, und zwar unabhängig von den Kosten der Behandlung (Heilstätten u. dgl.). 

Was den Wiedereintritt von gebesserten oder geheilten tuberkulösen Soldaten 
in den Dienst anlangt, so nahm die Versammlung als Regel an, daß alle als tuber- 
kulös erkannten Militärpersonen als dauernd dienstunbrauchbar zu entlassen seien. 
Vielleicht würde diese Bestimmung zu ändern sein, wenn das Land in den gegen- 
wärtigen Krieg als Teilnehmer verwickelt würde. Die Militärverwaltung wie die 
Versicherungsgesellschaft werden von den Heilanstalten und Heilstätten einen genauen 
Entlassungsbefund der einzelnen Kranken einfordern, um einen sicheren Anhalt 
zu haben. Meißen (Essen). 


Pulmonary tuberculosis in the war. (Brit. Med. Journ. 16. X. 1915, p. 568.) 
W. Pasteur kommt in einer Sitzung der Medical Society of London (11. X. 
1915), deren Vorsitzender er ist, bei Gelegenheit eines Vortrags über Erkrankungen 


D. 25, HEFT 2. 
VERSCHIEDENES, Z O O 157 


infolge des Kriegs auch auf die Lungentuberkulose. Die besondere Eigentümlich- 
keit der Fälle, die er sah, war das häufige Auftreten von Bluthusten und die rasche 
Besserung, sobald die ‘Leute unter günstige Verhältnisse im Lazarett kamen. In der 
Vorgeschichte wurde meist Pleuritis oder Lungenkatarrh genannt; einige waren auch 
bereits in einer Heilstätte gewesen, bis zu zwei Jahren bevor sie in den militärischen 
Dienst traten. Bei andern Leuten schloß sich die Tuberkulose an eine im Dienst 
zugezogene Pneumonie an. Die physikalischen Zeichen waren recht unbestimmt, 
namentlich war feuchtes Rasseln nur spärlich vorhanden oder fehlte ganz. Es 
würde wertvoll sein, wenn in unseren Lazaretten auf Besonderheiten der „Kriegs- 
tuberkulose“ geachtet würde. Aus den bisherigen Veröffentlichungen geht wenig 
darüber hervor; auch Ref. hat im Reservelazarett Essen kaum etwas Bestimmtes 
beobachtet. Meißen (Essen). 


Sanatorium for tuberculous soldiers. (Brit. Med. Journ., 30. X. 1915, p. 657.) 

Das Brit. Med. Journ. berichtet, daß eine Heilstätte für tuberkulöse Soldaten, 
Seeleute und Munitionsarbeiter bei Newport, Monmouthshire eröffnet wurde. Die 
Baulichkeiten (Beechwood House) wurden von der Welsh Memorial Association her- 
gegeben und sollen vor allem zur Aufnahme von Leuten aus Truppenteilen von 
Wales und Monmouthshire dienen. Sir Garrod Thomas, der Vorsitzende bei den 
Eröffnungsfeierlichkeiten, dankte der Gesellschaft für das sofortige Entgegenkommen 
auf das Ersuchen der Behörden. Nähere Angaben über die Einrichtungen fehlen. 

| Meißen (Essen). 


The inoidence and treatment of tuberculosis. (The Lancet 4.9. 1915, p.555.) 
Ein Artikel der Schriftleitung des Lancet über die Häufigkeit und die Be- 
handlung der Tuberkulose. Es wird beklagt, daß infolge des Krieges manche 
Krankheit, im besonderen die Tuberkulose nicht mehr die genügende Beachtung 
findet. In der Heilstätte der Stadt Manchester (Abergele Sanatorium) waren nur 
61 Kranke in Behandlung, während in Manchester, das die Heilstätte geschaffen 
hat, etwa 600 Behandlungsbedürftige nachweislich vorhanden waren. Die Ziffern 
der Tuberkulosesterblichkeit für England und Wales beträgt zurzeit I4 auf 10000 
Lebende, was freilich immer noch über 50000 Todesfällen entspricht. In den 
50 Jahren, von 1859—1910, hat die Ziffer um 60°/,, also um weit mehr als 
die Hälfte abgenommen. Es ist aber zu fürchten, daß diese erfreuliche Verbesserung 
jetzt gefährdet ist. J. C. Dawes befürwortet die Sorge für tuberkulosefreie Woh- 
nungen (anti-tuberculosis houses), weil die Tuberkulose in vieler Hinsicht als 
Wöhnungskrankheit aufgefaßt werden muß; solche Wohnungen seien noch wichtiger als 
Heilstätten, und auf sie müßte jetzt im Kriege besonderes Augenmerk gerichtet werden. 
Vielleicht in Rücksicht auf den französischen Bundesgenossen werden die Ideen 
von Prof. Renon anerkennend besprochen, der die Tuberkulose heilen will durch 
unorganische Stoffe, die die Entwickelung der Bazillen hemmen sollen, oder genauer 
durch eine Kost, die diesen die zu ihrem Leben notwendigen Stoffe entzieht. Freilich. 
wird die völlig theoretische, nur auf Versuchen in vitro beruhende Charakter dieser 
neuen Anwendung betont, deren praktische Bedeutung erst zu erweisen ist, und 
hervorgehoben, daß bei allen derartigen Bestrebungen, auch bei der Errichtung von 
Heilstätten, nicht vergessen werden darf, daß die Hauptwaffe bei der Bekämpfung 
der Tuberkulose die allgemeine Gesundheitspfiege, die Erziehung der arbeitenden 
Klassen, zumal die Wohnungshygiene ist und bleibt. Dieser Auffassung wird man 
gern beipflichten. Die Ideen Renons sind übrigens an anderer Stelle in diesem 
Hefte der Zeitschrift besprochen. Meißen (Essen). 


Treatment of tuberculosis in Edinburgh. (Brit. Med. Journ., 9. X. 1915, p. 551.) 
In einer Versammlung des Edinburgh Insurance Committee am 23. Sept. 1915 
wurden mit den städtischen Behörden die Bestimmungen über die Verhütung und 


158 VERSCHIEDENES. ne 
Behandlung der Tuberkulose im Stadtgebiet vereinbart. Hiernach soll der amtliche 
Stadtarzt (Medical Officer of Health) die oberste Leitung in dieser wichtigen An- 
gelegenheit haben. Sein Assistent wird amtlicher Tuberkulose-Arzt (Tuberculosis 
Officer) für Versicherte (nach der neuen Insurance Act) und für Nichtversicherte; 
er. untersteht der staatlichen Versicherungsbehörde, und arbeitet mit dieser als fach- 
ärztlicher Beirat. Der bekannte und verdiente Edinburgher Arzt Sir Robert 
William Philip soll als konsultierender Arzt zugezogen werden. Die städtische 
Fürsorgestelle (Royal Victoria Dispensary) soll die Behandlung der versicherten und 
unversicherten Tuberkulösen übernehmen, auch die nötigen Arzneien liefern. Das 
Versicherungsamt zahlt dafür einen Gehaltsanteil des Tuberkulosearztes bis zu 
200 .£ jährlich, und weitere 200 ¿£ als Vergütung an das Royal Victoria Dispensary. 
Ebenso bezahlt das Versicherungsamt die Kurkosten für Versicherte, die in einem 
städtischen Krankenhaus Aufnahme und Behandlung fanden. Die Krankenhaus- 
behandlung fällt nämlich unter die Bestimmung des „Sanatorium Benefit“, das die 
Insurance Act vorsieht, und für das ein besonderer Ausschuß besteht. Das 
Abkommen zwischen den städtischen Behörden und dem Versicherungsamt ist 
ein vorläufiges und läuft mit gegenseitiger dreimonatiger Kündigung. 
Meißen (Essen). 


The Sanatorium Benefit in Ireland. (Lancet, 4. XII. 1915, p. 1264.) 

In manchen Teilen von Irland ist es den Versicherungsbehörden bisher nicht 
gelungen, mit den örtlichen Behörden über die Durchführung der gesetzlichen Maß- 
nahmen gegen die Tuberkulose zu einem richtigen Abkommen zu gelangen, nament- 
lich nicht über das „Sanatorium Benefit“, d. h. die Behandlung der Tuberkulösen 
in Krankenhäusern und Heilstätten. Man kann sich über die Form der Aus- 
führung des Gesetzes und namentlich über die Bezahlung der Kuren nicht recht 
einigen. Die Schwierigkeit liegt in der Frage, welche Versicherungsbehörde zu 
zahlen hat, die örtliche oder: die höhere. Bei uns würde man sagen, der Bureau- 
kratismus hemmt die Ausführung gut gemeinter Absichten. In dem wenig wohl- 
habenden Irland liegt die Sache so, daß die örtlichen Versicherungsbehörden mit 
den aus ihrem Bezirk stammenden Geldern nicht auskommen, deshalb die höheren 
Landesbehörden heranziehen wollen, aber auf keine rechte Gegenliebe stoßen. 

Meißen (Essen). 


„Consumption Quackery“. (Brit. Med. Journal, 2. X. 1915, p. 508.) 

Die Redaktion des Brit. Med. Journal bringt nach Veröffentlichungen in der 
bekannten Wochenschrift „Truth“ bemerkenswerte Mitteilungen über einen typischen 
Fall von Kurpfuscherei, die es verdienen, auch hier etwas ausführlicher wieder- 
gegeben zu werden. Die Firma Cassell & Co. zu Nottingham vertreibt ein an- 
gebliches Heilmittel gegen Tuberkulose und Schwindsucht unter dem wunderlichen 
Namen „Kasco Tubacylius“, mit dem man sich etwas näher beschäftigt hat, um 
zu zeigen, „wie es gemacht wird“. Zunächst erscheinen blendend aufgemachte 
Anzeigen in den Tagesblättern, daß die „Schwindsucht sicher geheilt“ werden kann 
durch „Kasco Tubacyllus“, des Schwindsüchtigen „einzige Lebenshoffnung“. Kranke, 
die um nähere Auskunft bitten, erhalten eine Druckschrift, in der sie nach einigen 
Allgemeinheiten belehrt werden, daß Cassell & Co. eine Arznei in den Handel ge- 
bracht haben, die sich „unbedingt und einwandfrei“ als ein „wahres und wirksames 
Heilmittel“ gegen die schreckliche Krankheit erwiesen hat. Die Entdeckung dieses 
Spezifikums wird: einem Kranken zugeschrieben, der selbst im II. Stadium der 
Lungenschwindsucht war und im Frühjahr 1914 ein Sanatorium zu Leeds auf- 
gesucht hatte. Dieser ungenannte Mann hatte das große Glück, zufällig ein Heil- 
mittel zu finden, das ihn in wenigen Monaten vollständig von der Krankheit be- 
freite, indem es den Krankheitserreger vernichtete, und ihm selbst die Gesund- 
heit vollkommen wiedergab. Um das gleiche günstige Ergebnis zu haben, muß der 


HEFT 2. 
ED: Phoe, VERSCHIEDENES. 159 


Kranke „unbedingtes Vertrauen in die Arznei setzen und sie gewissenhaft einnehmen“. 
Der Preis ist „trotz der hohen Herstellungskosten“ so billig wie möglich gestellt, 
so daß eine Flasche von 16 Unzen (ungefähr !/, Liter) für 4 sh 6 d (ungefähr 5 M.) 
postfrei ‘geliefert werden kann. Der Druckschrift ist die Wiedergabe eines Brief- 
wechsels beigelegt, der zwischen der Firma Cassell & Co. und dem Sekretär des . 
Brompton Hospital for Consumption stattgefunden hat. Im ersten dieser Briefe, 
die mit F. W. Cassell unterzeichnet sind, heißt es: „Wir sind so überzeugt von der 
echten Heilkraft unseres Mittels, daß mein Sohn H. Cassell völlig bereit ist, sich 
unter der Beobachtung eines oder mehrerer Ihrer Ärzte mit Tuberkelbazillen impfen 
zu lassen. Es soll nichts geschehen, bis alle Anzeichen vorhanden sind, daß er 
wirklich von der Krankheit befallen is. Erst dann wird er zeigen, daß jede Spur 
von Wirkung der Tuberkelbazillen durch das Heilmittel beseitigt werden kann“, 
Die schlaue Firma wußte natürlich, daß man auf ein solches Anerbieten nicht ein- 
gehen würde, wußte aber auch, daß es auf die Leute, auf die es ihr ankam, stark 
einwirken mußte. Die Antwort des Sekretärs lautete, daß die Ärzte gern bereit 
wären, einen Versuch mit dem Mittel zu machen, vorausgesetzt, daß seine Zusammen- 
setzung, Herstellung und Anwendung vorher schriftlich offen und ehrlich mitgeteilt 
würden. Das lehnte Cassell & Co. natürlich seinerseits ab. In einem anderen 
Schriftstück der Firma wird H. Cassell, dessen „corpus vile“ für den Versuch an- 
geboten wurde, als „unser ärztlicher Sachverständiger“ bezeichnet, der die Kranken 
unter seiner Beobachtung hält und ihnen nach genaner Durchsicht der Karten, die 
sie vor und während der Kur ausfüllen, seine Anweisungen gibt. 

Der Herausgeber der „Truth“ hat sich durch einen Patienten drei Flaschen des 
famosen „Kasco Tubacyllus“ besorgt und sie dem Herausgeber des Brit. Med. 
Journal übergeben mit der Bitte, sie amtlich untersuchen zu lassen, wie es auch 
sonst mit Geheimmitteln geschieht. Cassell & Co. behaupten natürlich in ihrem 
Schriftwechsel mit dem Brompton Hospital, daß der eigentlich wirkende Stoff ihres 
Heilmittels durch chemische Analyse nicht nachgewiesen werden könne! In Wahr- 
heit fanden sich geringe Mengen von schwefliger Säure, noch geringere von Schwefel- 
säure, etwas Zitronensäure, etwa 1°/, Rohrzucker und 4—5°/, Invertzucker, endlich 
mineralische Bestandteile in verschwindend geringer Menge. Vielleicht waren auch 
Spuren von Alkohol und Formaldehyd vorhanden. Die Schwefelsäure war höchst- 
wahrscheinlich durch Umwandlung (Oxydation) eines Teils der schwefligen Säure 
entstanden, und ebenso der Invertzucker aus ursprünglichem Rohrzucker, der ja in 
Berührung mit verdünnten Säuren darin übergeht. Das „Kasco Tubacyllus“ besteht 
also frisch höchst wahrscheinlich aus Zitronensäure (0,19°/,), schwefliger Säure vom 
Gehalt der Britischen Pharmakopö 1,06°/ lo Rohrzucker 5,5°/, und gewöhnlichem 
Wasser, Leitungswasser, das dann die geringen Mengen mineralischer Bestandteile 
erklärt. Der Wert der Mischung, wie sie für 4 sh 6 d (5 M.) verkauft wird, ist 
weniger als !/, d (5 Pfg.)! 

Die schweflige Säure hat zweifellos keimtötende Kraft in vitro, sie tötet 
dann auch den Tuberkelbazillus, wenn sie mit ihm in genügender Menge in Be- 
rührung kommt, wie es sehr viele Desinfizientien tun, die, Vorstellung aber, daß 
nun minimale Mengen vom Magen aus den Tuberkelbazillus auch im kranken Ge- 
webe vernichten würden, ist natürlich barer Unsinn und grober Schwindel. Die 
Empfehlung der schwefligen Säure als Schwindsuchtsmittel ist übrigens nicht neu. 
Der Herausgeber der ‘englischen Zeitschrift berichtet, daß vor etwa zehn Jahren 
eine dem „Kasco Tubacylius“ sehr ähnliche Zubereitung unter dem Namen „Liquo- 
zone“ angepriesen und verkauft wurde. Auch in Deutschland ist die schweflige 
Säure (SO,), das scharf und erstickend wirkende Gas, empfohlen worden, und zwar 
als Inhalation, weil man beobachtet haben wollte, daß die Arbeiter in Hütten- 
betrieben, wo beim Rösten von Kupferkies sich reichlich. schweflige Säure ent- 
wickelt, von Schwindsucht freibleiben oder gar davon genesen. Ref. sah vor Jahren, 
als er zuerst die Solfatara bei Neapel besuchte, einen Schwindsüchtigen, der sich 


ie = 


| ZEITSCHR. f. 
IOO nr nun, VERSCHIEDENES oa e aa FUBEREULOSE 


vor dem Schlunde eine Sitz- und Lieggelegenheit eingerichtet hatte, um die aus- _ 
strömenden Gase bequem einzuatmen, die viel schweflige Säure enthalten. Später 
ist bei uns eine Mischung von Kohlensäure und schwefliger Säure als Clysma (!) 
lebhaft empfohlen worden. Auch das eng verwandte Lignosulfit enthalt SO,. 

Der Herausgeber des Brit. Med. Journal fordert ein unbedingtes Verbot für 
Anzeigen von „Heilmitteln“ gegen Schwindsucht, Krebs und ähnliche Krankheiten 
in den Tageszeitungen, und weist darauf hin, daß das auch im Unterhaus angeregt 
worden sei. Man wird diesem Vorschlag durchaus beipflichten. In der Kriegszeit 
ist er bei uns bereits durchgeführt, und so sollte es auch im Frieden bleiben. Es 
würde sich übrigens empfehlen, auch die Anzeigen in den medizinischen Fach- 
blättern gelegentlich durchzusehen; sie bringen so starke Empfehlungen von wirksamen 
Heilmitteln gegen alle möglichen Leiden, daß der Zweifel berechtigt ist. Wir Ärzte 
sollten peinlich alles vermeiden, was der Quacksalberei auch nur ähnlich sieht. 
Der schwierige Kampf gegen die Kurpfuscherei ist sonst völlig vergebens (s. den 
Artikel von Klare, S. 112). Meißen (Essen). 


Tuberculosis Examination. 

Die National Association for the Study and Prevention of Tuberculosis in Nord- 
amerika hat eine Bekanntmachung veröffentlicht, daß ein allgemeiner Tag für ärzt- 
liche Untersuchung während der „Tuberkulose-Woche“ (Tuberculosis Week) bestimmt 
ist, die für den 6. bis 12. Dezember ı915 und weiter alljährlich angesetzt ist. Der 


"8. Dezember ist für diese allgemeine Untersuchung der Bevölkerung genannt, und 


es soll damit der erste Schritt geschehen, um eine alljährlich wiederkehrende ärztliche 
Untersuchung jedes einzelnen nordamerikanischen Bürgers zusichern! Meißen (Essen), 


Personalien. 
‚Geheimrat Prof. Dr. Carl Fraenkel (Fraenken), der frühere Direktor des 
Hygienischen Instituts der Universität Halle, ist am 29. Dezember verstorben. Er 


ist nach Löfflers, Bernhard Fischers und v. Esmarchs Tode der vierte Schüler 


Robert Kochs aus der Glanzperiode der Kochschen Schule, der im verflossenen 
Jahre dahingegangen ist. Fraenkels Verdienste liegen im wesentlichen auf dem 
Gebiete der Mikrobiologie, wenngleich er auch die angewandte Hygiene durch eine 
Fülle von Einzelstudien förderte. Zu den verschiedensten Fragen der bakterio- 
logischen Tuberkuloseforschung hat er durch eigene Untersuchungen und Arbeiten 
seiner Schüler Stellung genommen. Es seien seine Untersuchungen zur Züchtung 
des Tuberkelbazillus, zur Serumdiagnose der Tuberkulose nach Arloing-Courmont, 
zur Infektiosität verschiedener T.B.-Kulturen, über das Wachstum der T.B. bei 
niederen Wärmegraden erwähnt, ferner Versuche über die Wirkung der T.B. von 
der unverletzten Haut aus und zur Frühdiagnose der Tuberkulose auf serologischem 
Wege. Fraenkels hervorragende publizistische Begabung und seine geistvolle Kritik 
zeigten sich auch in einem auf dem Berliner Kongreß zur Bekämpfung der Tuber- 
kulose als Volkskrankheit (1899) gehaltenen Vortrag über Art und Weise der Über- 
tragung wie in einer populären Schrift über das Wesen und die Bekämpfung der 
Tuberkulose, welche auf Veranlassung des Deutschen Zentralkomitees zur Errichtung 
von Heilstätten für Lungenkranke im Jahre 1905 herausgegeben wurde. 


Unser Mitarbeiter, Stabsarzt Prof. Dr. B. Möllers, welcher in Flandern als 
Hygieniker beim Generalkommando des XV. Armeekorps im Felde steht, hat sich 
an der Universität Straßburg als Privatdozent für Hygiene habilitiert. Seine Habili- 
tationsschrift lautet: Der Typus der Tuberkelbazillen bei der menschlichen Tuber- 
kulose. Möllers war jahrelang an das Institut für Infektionskrankheiten komman- 
diert und hat als letzter Assistent Robert Kochs diesem bis zum Tode bei seinen 
Tuberkulosearbeiten zur Seite gestanden. 


Prof. Dr. Arthur Kayserling, Leiter der Tuberkulinstation der Landes- 
Versicherungsanstalt Berlin und Mitherausgeber des Tuberkulose-Fürsorgeblattes, er- 
hielt als Arzt an einem Lazarettzuge des Roten Kreuzes das Eiserne Kreuz. 

Druck von Metzger & Wittig in Leipzig. 


Band 26. Heft 8. 


ZEITSCHRIFT FÜR TUBERKULOSE. 


| HERAUSGEGEBEN VON 
G. GAFFKY, M. KIRCHNER, F. KRAUS, W.v.LEUBE, J. ORTH, F. PENZOLDT. 
Redaktion: A. KUTTNER, L. RABINOWITSCH. 


I. ORIGINAL-ARBEITEN. 


X, 
Mobilisation der Lungen als Grundlage der 
Tuberkulose-Behandlung.') 


Von 
Stabsarzt Dr. E. Kuhn, Schlachtensee-Berlin. 


Mit 7 Abbildungen. 


lurch zahlreiche Untersuchungen und Erfahrungen anläßlich der Be- 
| strebungen, durch Ruhigstellung der Lungen schwere Lungen-Tuber- 
&J kulose zu beeinflussen und unter dem Einfluß der entgegengesetzten 
Bestrebungen, mittels Mobilisation der Lungen die tuberkulöse Erkrankung zu 
heilen, sind die mechanischen Bedingungen für Entstehung und Verhütung der 
Lungen-Tuberkulose wieder in den Vordergrund des Interesses gerückt, besonders 
da man gesehen hat, welch ungeheuren Einfluß diese mechanischen Bedingungen 
bei der Lungentuberkulose ausüben. 

Es ist eine sichere Tatsache, daß durch Exsudate ruhig gestellte Lungen 
von der Stelle ab, an der die Lunge in das Exsudat taucht und völlig kolla- 
biert und ruhig gestellt ist, der Ausbreitung der Tuberkulose Einhalt geboten 
wird, und daß man auch durch völlige Ruhigstellung und Kompression der 
Lunge durch Gaseinbringung in die Brusthöhle, welche man, durch das obige 
pathologisch-physiologische Vorbild angeregt, künstlich erzielt hat, schwere 
Lungentuberkulose zu einem gewissen Stillstand bringen kann. 

Zweifellos lassen sich durch die Pneumothorax-Behandlung, wenn der Pneu- 
mothorax jahrelang unterhalten werden kann, in einzelnen Fällen heilungsgleiche 
Erfolge erzielen. Da jedoch der Pneumothorax in der Regel eine Wucherung 
des gesamten Bindegewebes der Lunge im Gefolge hat, wodurch die völlige 
Wiederentfaltung der Lunge in Frage gestellt sein kann, und da bei vorzeitigem 
Wiedereintreten der Bewegung die Gefahr der Auseinanderzerrung und Auf- 
rührung geschrumpfter und dabei nur mangelhaft verklebter Herde noch größer 
ist als ‚vorher, und da ferner üble Zufälle bei diesem Verfahren nicht ganz 


1) In dieser kürzeren, auf 10jähriger Erfahrung mit der Saugmaske beruhenden kritischen 
Arbeit sind naturgemäss sowohl Kürzungen früher an anderen Stellen eingehender behandelter 
Probleme, als auch Wiederholungen einzelner früherer Ausführungen nicht zu vermeiden gewesen, 

Zeitschr, f. Tuberkulose. 25, I1 


162 E. KUHN. | ‘ganm i 


OSE 


vermeidbar sind, so ist die Pneumothorax-Behandlung nur die ultima 
ratio für schwere, sonst aussichtslose Fälle, und hat für die Gesamt- 
frage der Tuberkulose-Bekämpfung nur eine untergeordnete und 
zahlenmäßig verschwindend geringe Bedeutung. 

Noch geringer ist die Bedeutung jener Verfahren, welche in 
der falschen Ansicht, daß unter allen Umständen eine möglichste 
Ruhigstellung um jeden Preis erzielt werden müsse, entstanden sind. Unter 
Nichtbeobachtung der pathologisch-physiologischen Grundlagen der Lungen- 
Pathologie tauchten jene Vorschläge auf, durch teilweise Rippenresektionen, 
Lähmung des Zwerchfells, (Durchschneidung des Phrenikus) usw. einzelne 
Teile der Lungen relativ ruhig zu stellen. Auch diese Verfahren haben, 
in der Hand geschickter Operateure, wie Brauer, Wilms, Friedrich, Sauer- 
bruch u. a. in vereinzelten Fällen, besonders wenn sie durch Kombination 
verschiedener Verfahren den Brustraum so hochgradig einengten, daß die Ein- 
engung der Ruhigstellung durch Pneumothorax nahe kam, Erfolge erzielt, doch 
mehren sich die Stimmen, welche diesen Erfolgen nur einen sehr vorüber- 
gehenden Einfluß zusprechen. Dieses ist auch garnicht anders möglich, wenn 
man die Pathologie der Lungentuberkulose näher betrachtet. 

Die Lungentuberkulose entsteht in der Regel in den mangelhaft 
atmenden oberen Lungenteilen, während die gutbeweglichen unteren 
Lungenteile in der Regel garnicht erkranken, bezw. lange verschont 
bleiben. Eine mangelhafte Bewegung, wie sie bei unvollkommener Ruhig- 
stellung zum Ausdruck kommt, begünstigt in hervorragender Weise die 
Entstehung und Verbreitung des Krankheits-Prozesses. 

Die Disposition, welche die Beschränkung der normalen Beweglichkeit 
des Lungengewebes für die Ansiedelung. der Tuberkulose-Erreger schafft, kann 
man bei Leichen-Sektionen täglich beobachten. 

Man sieht entgegen der Regel Tuberkulose in den Unterlappen bei Ver- 
minderung der Beweglichkeit der unteren Lungenteile z. B. durch den graviden 
Uterus, man sieht untere Lungenteile erkranken, wenn sie durch Schwarten 
fixiert sind, während in solchen Fällen die bewegliche Spitze, entgegen der 
Regel, völlig frei von Tuberkulose sein kann. Man beobachtet die Entstehung 
einer Tuberkulose in unteren Lungenteilen, auf welche eine Deformität des 
Thorax, ein Aorten aneurysma o. dgl. einen Druck ausgeübt hatte, oder wo 
nach einer Schuß- oder Stich-Verletzung eine Rippenfraktur mit Einknickung 
geheilt war. Die Pneumothorax-Therapeuten, an der Spitze Forlanini, haben 
auch die Beobachtung gemacht, daß, wenn der künstliche Gasdruck die andere 
nicht komprimierte Lunge z. T. mit komprimiert, durch diese Beschränkung 
der respiratorischen Bewegungen eine Tuberkulose der anderen Lunge sich 
akut verschlimmert und bei Schwinden des Gasdruckes durch Wiedereinsetzen der 
normalen Beweglichkeit sich wieder verringert. 

Auch experimentell ist der Einfluß der Beschränkung der normalen Be- 
weglichkeit des Lungengewebes für die Begünstigung der Tuberkulose durch 
Bacmeister sicher gestellt, welcher jungen Tieren Drahtschlingen um den 
oberen Brustkorbteil legte. Es zeigte sich dabei, daß bei künstlicher Infektion 


BD. 25, HEFT 8. 
er MOBILISATION DER LUNGEN USW. 163 


durch die Blutbahn oder Inhalation bei diesen Tieren nur die räumlich beengten 
Lungenpartien erkrankten, während die übrigen. Lungenteile vollkommen ge- 
sund blieben. | 

Angesichts dieser :unwiderleglichen Beweise für den Nutzen normaler 
Beweglichkeit und den Schaden einer unvollkommenen Beschränkung der 
Atmung kann es nur durch völliges Ignorieren der pathologischen Physiologie 
der Lungentuberkulose verstanden werden, daß der auf Grund’ der Erfolge 
der Pneumothorax-Behandlung gemachte Trugschluß von dem Nutzen relativer, 
unvollkommener Ruhigstellung so weit Raum gewinnen konnte, daß durch das 
Suchen nach diesbezüglichen neuen Methoden (Plombieren von Lungen- 
abschnitten u. dgl.) bei einer ganzen Reihe von Ärzten (auch in Lungenheil- 
stätten) das Interesse und das Verständnis für die Bewegungstherapie in den 
Hintergrund gedrängt worden ist. Die Grundlagen für eine Ruhigstellung 
der Lungen sind ganz andere (und nur in Ausnahmefällen gegeben), 
als die Indikationen zur Mobilisation des Brustkorbes, welche 
unter allen Umständen von Anfang an das erstrebenswertere Ziel 
bleiben muß. 


Wirkung der Ruhigstellung. 


Bei der Ruhigstellung gelangen die in Betracht kommenden Faktoren: 
Luft, Lüftung, Blut, Lymphe, mechanischer Faktor und Fernwirkung 
von der erkrankten Lunge aus’ auf den Gesamtkörper in folgender Weise 
zur Geltung: 


Luft, Lüftung. 


Der Luft-Reichtum (Sauerstoffgehalt) der kollabierten Lunge ist auf ein 
Minimum beschränkt. Ebenso die Lüftung. Da die Tuberkelbazillen unter 
Sauerstoffzufuhr besonders üppig gedeihen, so würde der mangelnde Sauerstoff- 
gehalt in der kollabierten Lunge als ein in günstigem Sinne wirkender Umstand 
zu deuten sein, wenn nicht die relative Immunität der am besten gelüfteten 
unteren Lungenteile (bei nicht ruhig gestellten Lungen) darauf hinweisen würde, 
daß der Luft- und Sauerstoff-Gehalt als solcher nur eine sehr untergeordnete 
Rolle spielt. Auch die Lüftung und damit die bessere Austreibung von Staub- 
teilchen und Bakterien ist für die Frage des Haftens der Tuberkelbazillen in 
den einzelnen Lungenteilen nur von untergeordneter Bedeutung. Denn wie 
z. B. die Versuche, welche Shingu in der Marburger Klinik unter Brauer an- 
gestellt hat, erweisen, haben künstlich ruhig gestellte Lungen nach vorher- 
gehender Ruß-Inhalation gar kein Vermögen mehr, Staubteilchen (bzw. Bakterien) 
herauszubefördern; und doch hat die Tuberkulose in solchen mit Bakterien voll- 
gepfropften und (abgesehen von der Wirkung des Flimmerepithels sonst) zu 
jeglicher Herausbeförderung nach außen unfähigen Lungenteilen Heilungs- 
Tendenzen! 

Die Lüftung hat ferner einen Einfluß, insofern durch direkte Aspiration 
von Bazillen aus den Krankheitsherden auf dem Wege der Bronchien eine 


Verbreitung der Krankheit erfolgen kann. Jedoch ist auch dieser Faktor nur von 
i I I 6 


| ZEITSCHR. f. 
164 E. KUHN. 2... TUBERKULOSE 


Á Bm o i M ŘĖĂ—Ř—Ř mmm nn Á 


untergeordneter Bedeutung für die allgemeine Frage des besseren oder schlech- 
teren Haftens der Tuberkulose in bestimmten Lungenteilen, denn sonst müßten 
andererseits auch die am besten beweglichen und gelüfteten unteren Lungen- 
teile am häufigsten von sekundärer Lungentuberkulose befallen werden. Das 
ist aber nicht der Fall. Andererseits zeigen ‘auch die mangelhaft gelüfteten, 
starren Stauungslungen gute Heilungstendenzen und leisten der Tuberkulose- 
infektion starken Widerstand. Daraus geht hervor, daß die Disposition 
zur Erkrankung an Lungentuberkulose, bzw. der Nährboden für die 
Tuberkulose-Erreger in der Hauptsache von anderen, mehr aus- 
schlaggebenden Faktoren abhängig ist. Dahin gehören in erster Linie 
Blut und Lymphe. 


Blut und Lymphe. 


Beim Blut spielt, wie wir sehen werden, der mechanische 
Faktor, die Blutströmung, nur eine untergeordnete Rolle, während 
die chemisch-biologische Eigenschaft des Blutes als Nähr- und 
Aufbau-Material von hervorragender Wichtigkeit ist. Umgekehrt 
ist es bei der Lymphe, deren chemisch-biologische Eigenschaften 
gegenüber der mechanischen Wirkung der Lymphströmung an Be- 
deutung für die vorliegenden Fragen weit zurücktreten. 

Wir sehen überall, wo das Gewebe reichlich mit Blut versorgt ist, daß 
die Tuberkulose keinen geeigneten Ansiedelungsboden findet. Das beweisen 
die blutreichen unteren Lungenteile und die Stauungslungen (besonders bei 
Mitralstenose), einwandfrei und unwiderleglich. 

Die Blutströmung als solche kann zwar primär im Blut kreisende Er- 
reger besonders bei verlangsamtem Blutstrom den Lungen bzw. anderen Lungen- 
teilen übermitteln und es können auch, was zahlenmäßig ja häufig genug vor- 
kommt, durch Durchbruch eines Lungenherdes in ein Blutgefäß miliare Aus- 

saaten zustande kommen, jedoch sind diese Vorkommnisse nur von unter- 
_ geordneter Bedeutung für das Haften der Erreger in den verschiedenen 
Lungenteilen. Hätte die Verlangsamung des Blutstromes als solche eine sehr 
erhebliche Bedeutung, würden Stauungslungen, in denen sicher die Blutströmung 
verlangsamt ist, nicht den bekannten Schutz verleihen, sondern eher zur besseren 
Ansiedelung der Erreger disponieren. 

Dem Blute ist demnach in seinem ’chemisch-biologischen Gehalt an Nähr-, 
Aufbau- und Abwehrstoffen die größte Wichtigkeit beizumessen, während die 
Blutströmung von untergeordneter Bedeutung ist. 

Im Gegensatz dazu hat die Lymphe, welche ja nur ein verdünntes Blut 
ist, und in letzter Instanz dem Blute entstammt, chemisch-biologisch nur 
eine geringe Bedeutung, während die Lymphströmung in ihren mechanischen 
Eigenschaften als Organ für den Abtransport der aus dem Blute ausgeschiedenen 
und aus den Zellen eliminierten und auch der als Fremdkörper eingedrungenen 
Stoffe eine hervorragende Rolle spielt. | 

Man hat bei der Kompressions-Behandlung der Lymphstauung als solcher 
einen ausschlaggebenden Einfluß zusprechen wollen und auch die Gewebs- 


ne 7 a MOBILISATION DER LUNGEN USW. 165 


wucherung beim Pneumothorax der Lymphstauung zugeschrieben. Es ist aber 
viel wahrscheinlicher, daß nicht die Lymphstauung, sondern die mit jeder 
Lymphstauung vergesellschaftete Blutstauung durch den Reichtum des Blutes 
an Nähr- und Aufbaumaterial (welcher der Lymphe fehlt), Bindegewebswuche- 
rungen hervorruft. 

Die Lymphströmung ist dagegen (nächst der wichtigen lokalen Kontakt- 
ausbreitung innerhalb des acini und lobuli!) für die Weiterverbreitung der 
‚Erreger in den Lungen ausschlaggebend, denn durch die Lymphbahnen 
werden Bakterien und Ausscheidungsprodukte der Bakterien aus den Lymph- 
und Saftspalten aufgenommen und weiter transportiert. Ist daher die Lymph- 
strömung intakt, werden die Erreger nur geringe Möglichkeit der Neuansiede- 
lung in anderen Lungenteilen finden, während bei mangelhafter Funktion der 
Lymphströmung die Krankheit, wie wir das bei jeder Sektion ‘sehen, durch 
peribronchiale und perivaskuläre Lymphangitis weiter verbreitet wird. 

Ich glaube, wie ich schon in früheren Arbeiten angedeutet habe, daß 
man die verschiedene Wirkung der Lymphströmung auf das Lungengewebe 
selbst sich durch ein Gleichnis gut verständlich machen kann, wenn man das 
Lymphsystem mit einem Schwemmkanal vergleicht, in dessen Anfangsteil eine 
fortzuschwemmende Masse angehäuft liegt. Geht gar kein Flüssigkeitsstrom 
durch den Kanal, so bleibt die Masse an Ort und Stelle liegen und das Kanal- 
system bleibt (abgesehen vom Anfangsteil) sauber. Ist aber ein langsamer und 
geringer Flüssigkeitsstrom vorhanden, so wird allmählich der ganze Kanal ver- 
schlammt und verunreinigt, während ein starker und schneller Strom den 
‚Kanal in kurzer Zeit reinigt und alle angehäuften Massen fortschwemmt, so daß 
dann das ganze Kanalsystem gesäubert wird. . Ich ‚glaube, daß ähnlich auch 
die :Verhältnisse bezüglich einer ganz aufgehobenen, schlechten und guten 
Lymphströmung in der Lunge liegen, wobei die ganz aufgehobene Strömung 
dem Forlaninischen Verfahren völliger Ruhigstellung der Lungen entsprechen 
würde, während ein schlechter Lymphstrom in den leicht erkrankenden Lungen- 
spitzen und ein guter Lymphstrom in den selten primär erkrankenden und 
auch selbst bei schwerer Lungenphthise lange freibleibenden unteren Lungen- 
teilen zu suchen ist (bzw. künstlich durch die Freund-Hartsche Rippen- 
mobilisation für ..die Spitzen und durch die Saugmaske für die gesamte Lunge 
erstrebt wird). 

-Bei der ruhig gestellten Pneumothoraxlunge ist nun die Lymph- 
‚strömung zweifellos verlangsamt, denn die Lymphströmung, besonders 
in der Lunge, ist in erster Linie von den Atembewegungen abhängig. Infolge- 
dessen ist in günstiger Weise die Weiterverbreitung der Krankheits- 
erreger gehemmt, wenn eine wirklich völlige Ruhigstellung durch 
die Kompression erzielt wird. (Andererseits, um dies hier vorweg 
zu nehmen, muß eine mangelhafte Ruhigstellung gemäß den oben 
gemachten Ausführungen durch unvollkommene Beschränkung der 
Beweglichkeit die Verschleppung und Neuansiedelung der Erreger 
begünstigen!) 

Was nun den Blutgehalt in kollabierten Lungen anlangt, so ist 


166 E. KUHN. TUBERKULOSE 
derselbe zweifellos in seiner Menge und auf das gesamte Gewebe verteilt, via 
geringer als in normal atmenden und beweglichen Teilen. 

Nach meinen an Kaninchen gemachten Versuchen (Näheres s.: „Wann 
Ruhigstellung der Lungen, wann Bewegung?“ Beiträge zur Klinik der Tuber- 
kulose, Bd. XXVII, Heft 3) entsteht in Kollapslungen eine Blutstauung in den 
großen — und in den Bronchialgefäßen, welche bewirkt, wie wir das überall 
(Stauungslungen, Stauungsleber, Cirrhose cardiaque nach Cornil und Ranvier 
und bei anderen Stauungszuständen und ferner auch in anderen Kollapslungen, 
bei Hydrothorax usw.) sehen, bei längerem Aufenthalte des Pneumothorax (so 
paradox das klingt) trotz relativer Anämie der Gesamtlunge (Anämie der 
Kapillaren!) eine Stauungswucherung des Bindegewebes im Bereiche der großen 
— und der Bronchialgefäße entsteht, welcher sich auch vielfach eine Verdickung 
der Pleura zugesellt. Wie aus meinen Versuchen und auch aus verschiedenen 
Stellen in den Abbildungen, welche Grätz in Heft 3, Bd. 10 der Brauerschen 
Beiträge publiziert hat, hervorgeht, ist es nicht zweifelhaft, daß diese Binde- 
gewebswucherung auch ohne Tuberkulose eintritt, was ja auch von Kauffmann 
(Arb. aus der Heilanstalt Schömberg 1912, Heft ı), ferner von Kistler, v 
Muralt u.a. vor kurzem hervorgehoben wurde. Daraus folgt, daß nicht der 
tuberkulöse Reiz beim Pneumothorax das ausschlaggebende für die Binde- 
gewebswucherung ist, sondern primär die Blutstauung in den großen und den 
Bronchialgefäßen. Ob die Bindegewebswucherung in anderen Kollapslungen 
(bei Hydrothorax usw.) auf dieselbe Weise zu erklären ist, oder ob jeder Kollaps 
als solcher auch noch eine Inaktivitätswucherung des Bindegewebes (etwa wie 
in länger festgestellten Gelenken) verursacht, ist nicht ohne weiteres zu ent- 
scheiden. Jedenfalls steht fest, daß das Bindegewebe bei längerem und: stär- 
kerem Kollaps auch ohne Tuberkulose sich vermehrt. Trotzdem also die 
Tendenz zur Bindegewebswucherung mit der Tuberkulose ursprünglich nichts 
zu tun hat, ist diese Bindegewebswucherung natürlich doch von großem. Wert 
für eine erkrankte Lunge bei der Kollapstherapie, da die Einkapselung tuber- 
kulöser Herde besonders in der Nähe des wuchernden Bindegewebes ohne 
Zweifel durch diese Tendenz zur Wucherung sehr unterstützt wird. 

Entsprechend sehen wir denn auch, wie die Bindegewebsneubildung und 
Abmauerung der Herde bei künstlich kollabierten tuberkulösen Lungen haupt- 
sächlich von der Umgebung der großen Gefäße und der Bronchialgefäße aus 
ihren Ausgang nimmt und, wie die Grätzschen Abbildungen zeigen, haupt- 
sächlich die im Bereiche einer solchen Bindegewebswucherung liegenden Er- 
krankungsherde umfaßt. 

Daraus erhellt, daß auch die Kollapslungen in gewissen Teilen Nutzen 
aus den chemisch-biologischen Eigenschaften des Blutes bzw. Blutreichtums 
ziehen, indem die geschilderte Bindegewebsanreicherung die Bildung eines 
Walles gegen vorhandene Krankheitsherde begünstigt. 


Fernwirkung auf den Gesamtkörper. 


Zu diesen die Lunge selbst beeinflussenden Faktoren kommt nun auch 
noch, wie schon kurz angedeutet, die Fernwirkung, welche in der Haupt- 


BEER MOBILISATION DER LUNGEN USW. 167 


sache durch Vermittelung der Lymphströmung von den Krankheitsherden der 
erkrankten Lungen aus auf den Gesamtkörper ausgeübt wird. Ein Umstand, 
der für die Bedeutung der Lymphströmung und besonders für die Indikations- 
stellung der in Betracht kommenden Behandlungsmethoden ebenfalls von größter 
Wichtigkeit ist! | 

Wie oben bereits näher angeführt, geht der Abtransport alles dessen, 


was aus den Körperzellen eliminiert wird, also auch der giftigen Ausscheidungs- 


Produkte aus den Krankheitsherden der Lunge, im wesentlichen nur auf dem 
Lymphwege vor sich. Die gröberen Bestandteile, Bakterien usw., werden dabei 
in den Lymphdrüsenfiltern größtenteils zurückgehalten. Die gelösten Bestand- 
teile hingegen und damit auch die. Bakterientoxine gelangen mit der Lymphe 
(durch die Drüsenfilter hindurch) in das Blut und damit in den allgemeinen 
Kreislauf. | 

Als äußerlich erkennbarer Ausdruck der Reaktion des Gesamtkörpers 
auf eine solche Überschwemmung mit den Giften der Tuberkulose-Erreger 
reagiert dann der Organismus (wie bei den meisten Bakteriengiften) mit Fieber. 
Das Fieber ist demnach bei bestehender Lungentuberkulose in der Hauptsache 


ein Zeichen, daß aus den Lungenherden Gifte des Tuberkel-Bazillus in den 


Kreislauf gelangen, daß also, um den Wrightschen Ausdruck zu gebrauchen, 
eine „Autoinokulation“ stattfindet. 

Hieraus ergibt sich, daß in ruhig gestellten Kollapslungen die Über- 
schwemmung des Körpers mit Giften ausgeschaltet bzw. auf ein Geringes be- 
schränkt ist, und daß solchermaßen dem Organismus die Möglichkeit gegeben 
ist, sich vor der Giftüberschwemmung des Körpers und damit Fieber, Anämie, 
Abmagerung usw. zu erholen. 


Mechanischer Faktor, 


Ferner wirkt bei der ruhig gestellten Pneumothoraxlunge der Umstand 
günstig, daß durch Ausschaltung der Bewegungen die narbige Schrumpfung 
und Verklebung erkrankter Teile in Ruhe erfolgen kann, daß nicht gröbere 
Zerrungen stattfinden, durch welche das neugebildete Narbengewebe zerreißt, 
wobei Blutungen und Weiterverbreitung der Krankheit die gewöhnliche 
Folge sind. | 


Wir sehen also, daß bei der vollkommen ruhig gestellten 


Pneumothoraxlunge eine Reihe wichtiger Faktoren zusammen- 
wirken, um eine Heilung zu begünstigen, und der Pneumothorax 
müßte geradezu ein ideales Heilmittel genannt werden, wenn es 
gelänge, eine vollkommene Ruhigstellung solange zu erhalten, bis 
alle erkrankten Teile völlig ausgeheilt und vernarbt sind. Das ist 
aber nur schwer zu erreichen. Eine wirklich vollkommene Ruhigstellung 
läßt sich nur in verhältnismäßig wenigen Fällen und beim großen Überdruck 
erzielen, welcher aber meist nicht ertragen wird. Daher kommen die theoretisch 
möglichen günstigen Wirkungen des Pneumothorax in der Regel nur zum Teil 
zur Geltung, nämlich nur in denjenigen Teilen, welche völlig oder nahezu 
völlig ruhig gestellt sind, während andere Teile, welche nur in ihrer Bewegung 


168 2. KUNN. AEE 
beschränkt werden, sogar in die ungünstigen Verhältnisse. mangelhaft 
beweglicher Lungenteile, wie die Spitze, versetzt werden. Es resultiert dann 
dort eine mangelhafte Durchblutung und eine mangelhafte Lymphströmung. 
Dadurch werden die Durchblutungs- und Ernährungsbedingungen in diesen 
Teilen der Lunge ungünstig, und die langsam funktionierende Lymphströmung 
bzw. die mangelhafte Beweglichkeit dieser Teile mit allen ihren übrigen Folgen 
bietet Anlaß zur Weiterverschleppung und Weiterverbreitung des Krankheits- 
prozesses. Das steht auch im Einklang mit den klinischen Resultaten. Fast 
immer wird zwar auch bei mangelhaft (künstlich) ruhig gestellten Lungen eine 
gewisse Entlastung des Körpers von der Giftüberschwemmung und damit Herab- 
gehen des Fiebers für einige Zeit erzielt. Auch wird der Schrumpfungs- 
neigung bei großen Kavernen entgegengekommen, doch schreitet der Prozeß 
im großen und ganzen weiter fort und es erfolgt meist nach einem scheinbaren 
(relativen) Stillstande der Krankheit allmählich ein Wiederaufflackern und Weiter- 
umsichgreifen der Krankheit. | 

Eine wirkliche Heilung auch durch eine mangelhafte Ruhigstellung 
würde ja schließlich häufiger möglich sein, wenn durch die dabei eintretende 
temporäre relative Entlastung des Körpers von Giften der Körper in der 
Regel in den Stand gesetzt werden könnte, sich so zu erholen und zu kräftigen 
und gleichzeitig soviel Schutzstoffe zu bilden, daß trotz der geschaffenen un- 
günstigen mechanischen Bedingungen durch die Immunstoffe des Körpers die 
Bazillen schnell vernichtet würden. Davon kann aber bei der mangelhaften 
und erst im Laufe längerer Zeit ganz allmählich eintretenden Schutzstoff- 
bildung gegen die Tuberkulose-Erreger bei unserer Rasse im allgemeinen keine 
Rede sein. 

Die europäische Bevölkerung ist zwar durch allmähliche Durchseuchung 
der Gesamtbevölkerung bereits soweit „immun“, daß sie (mit ihrem im all- 
gemeinen schleichenden Verlauf der Phthise, der Erkrankung vorwiegend an 
disponierten Stellen und der Neigung zur Ausheilung) von der „galoppierenden“ 
Schwindsucht bei Negern, Indianern, Türken usw. bereits weit entfernt ist. 
Aber die Fälle von bleibender Immunität bei erhaltener ‚„Spitzendisposition“ 
sind doch bisher noch als Ausnahmen anzusehen. Auch der bestdurchgeführte 
völlige Lungenkollaps „heilt‘“ nicht durch plötzlich einsetzende, besondere 
Schutzstoffbildung, sondern in der Hauptsache nur mechanisch durch die fast 
völlige Ausschaltung der Krankheitserreger und ihrer Toxine aus dem Körper- 
kreislauf und die aufgehobene Weiterverschleppung der Erreger auf dem Lymph- 
wege. Eine bleibende Giftfestigkeit tritt aber nur sehr allmählich im Laufe 
von Jahren ein. Wird der Pneumothorax innerhalb der ersten Jahre auf- 
gehoben, nimmt auch die Tuberkulose wieder ihren Fortgang, da die „Dispo- 
sition“ zur Erkrankung infolge der mangelhaften Beweglichkeit der Lunge be- 
stehen bleibt. 

Wir wissen durch Rabinowitsch u. a, daß selbst in alten, völlig ver- 
kalkten Lymphdrüsen sich lebende, voll virulente T.B. jahrelang erhalten und 
zur Neuausbreitung der Krankheit führen können. Wird daher der rein mecha- 
nische Schutz des Pneumothorax durch Nachlassen der völligen Ruhigstellung 


BD. HT 3. MOBILISATION DER LUNGEN USW. . 169 


beeinträchtigt, so ist-auch in der Regel die klinische „Heilung“ des Pneumo- 
thorax wieder vorbei. Die Dauerstatistik geheilter Pneumothoraxfälle ist eine 
verschwindend geringe. . 

Man sieht zwar auch als ganz réra Ausnahmen maneia Indivi- 
duen, die trotz sehr elenden, schlecht beweglichen Brustkorbes einer Phthise 
Herr geworden sind und dauernd rezidivfrei bleiben, bei denen also die Schutz- 
stoffbildung gegen Tuberkulose als eine für die jetzigen Verhältnisse der euro- 
päischen Bevölkerung besonders große und ausnahmsweise bezeichnet werden 
muß. Dieser Fälle sind aber so verschwindend wenige, daß man aus dem 
Verlauf der Krankheit bei ihnen noch nicht ein allgemeines Heilverfahren 
herleiten darf, will man nicht in der Mehrzahl der. Fälle bittere Enttäuschungen 
erleben. 


Wirkung der Bewegung. 


Bei dem jetzigen typischen Verlauf der Phthise kann man auf 
eine Heilung einigermaßen wahrscheinlich nur durch Beseitigung 
der mechanischen „Spitzendisposition“ rechnen und die Beseitigung 
der Spitzendisposition durch Herstellung guter Beweglichkeit und 
normaler Weite der oberen (und weiterhin auch der übrigen!) Brust- 
korbteile, ist wenn irgend möglich zu erstreben. 


Blut und Lymphe. 


Die Bedingungen, welche eine normale Beweglichkeit der Gesamtlunge 
schafft, sehen wir am besten in den Unterlappen. Entsprechend dem alten 
Satz Hegers: 2 

„Plus le poumon contient d’air 
plus il contient de sang“ 


ist es eine unbestrittene Tatsache, daß die gut beweglichen und atmenden 
(unteren) Lungenteile (abgesehen von künstlicher Hyperämie) den größten Blut- 
reichtum aufweisen. (Der Blutreichtum gut beweglicher Lungenteile ist erheb- 
lich stärker als der einer Pneumothoraxlunge, in denen nach meinen Versuchen . 
wohl die großen Gefäße stark mit Blut gefüllt sind, während dagegen das 
Lungengewebe in seiner Gesamtheit, besonders in den Kapillaren, anämisch ist.) 
Die blutreichen, beweglichen Lungenteile bieten nun nicht nur wegen ihres 
Blutreichtums dem Tuberkulose-Erreger einen ungünstigen Nährboden, sondern 
durch den Blutreichtum und die dadurch erfolgende bessere Ernährung des 
Gewebes ist auch eine Bindegewebswallbildung gegen die Erkrankungsherde 
am besten gewährleistet (wenn auch eine allgemeine Bindegewebswucherung, 
wie sie in der Pneumothoraxlunge primär [und nicht als Reaktion gegen die 
Tuberkulose] einzusetzen pflegt, nicht auftritt.) 

Bezüglich der Lymphe sei daran erinnert, daß auf dem ENA die 
Krankheitserreger in beweglichen Lungenteilen rasch zur Abfiltrierung in die 
Lymphdrüsen gelangen, welche der natürliche Ort zur Unschädlichmachung 
der Erreger sind. 

Da wir, wie oben näher erwähnt, der Luft und der Lüftung nur eine 


| ZEITSCHR. f. 
170 E. KUHN. TUBERKULOSE 


untergeordnete Bedeutung für die Frage des Haftens der Erreger zuschreiben 
können, so seien weiterhin zunächst der mechanische Faktor und die Fern- 
wirkung auf den Gesamtkörper bei der Mobilisationsbehandlung näher beleuchtet. 


Mechanischer Faktor. 


Ungünstig wirkt zweifellos der mechanische Faktor der stärkeren Be- 
weglichkeit in gut beweglichen Lungenteilen insofern, als dadurch eine narbige 
Schrumpfung infolge der größeren Zerrung der Gewebe behindert wird. 

Bei kleinen Lungenherden wird dieses infolge der Elastizität und Dehn- 
barkeit des (gesunden) Lungengewebes jedoch kaum eine Rolle spielen, da 
kleine Defekte (bzw. Schrumpfungsherde) durch das vikariierend sich aus- 
dehnende gesunde Lungengewebe ohne weiteres ausgefüllt werden. Bei aus- 
gedehnteren Erkrankungsherden dagegen, wo größere Schrumpfungsgebiete 
durch vakiierend sich ausdehnende gesunde Lungenteile ersetzt werden müssen, 
können, wenigstens bei akut verlaufenden Prozessen und akuter Dehnung des 
Lungengewebes zweifellos Zerrungen und Behinderung der Konsolidierung ent- 
stehen. (Deshalb ist der „mechanische Faktor“ besonders in der Therapie in 
verschiedener Hinsicht wohl zu berücksichtigen!) 

Die gelösten Bakteriengifte passieren im Gegensatz zu den Bakterien- 
leibern in der Regel wohl großenteils die Lymphdrüsenfilter, gelangen also in 
den Körperkreislauf. Da die Lymphströmung in gut bewegten Lungenteilen 
am stärksten ist, ist also auch die Giftüberschwemmung des Körpers bei guter 
Beweglichkeit der Lunge am stärksten. 


Daraus ergibt sich, daß die Indikation für die Bewegungs- 
therapie eine völlig andere ist, wie für die Ruhigstellung. 

WährenddieRuhigstellung für schwere, fortgeschrittene, fieber- 
hafte, kavernöse Prozesse in Frage kommt, wo unter allen Um- 
ständen, wenn auch nur, um das Leben zu verlängern, eine mög- 
lichste Ausschaltung der Gifte aus dem Körperkreislauf zu erstreben 
ist, um dem Körper einigermaßen die Möglichkeit zur Erholung 
und Kräftigung zu geben und durch eine Einengung von Kavernen 
einen Schrumpfungs- und Vernarbungs-Prozeß zu ermöglichen, ist 
die Bewegungstherapie dort am Platze, wo man durch Ausschaltung 
der mechanischen Disposition der Lunge eine Dauerheilung erzielen 
will. Das ist nach den obigen Ausführungen natürlich nur möglich in 
den Anfangsstadien und bei noch kleineren Herden, bei welchen eine 
mechanische Zerrung kaum oder nur wenig in Frage kommt. Denn das va- 
kiierend sich ausdehnende Lungengewebe kann kleine Schrumpfungsherde in- 
folge seiner Elastizität ohne jene nennenswerte Zerrung ausgleichen. Daß nur 
leichtere Fälle in der Regel (durch Bewegungstherapie) wirklich zu 
heilen sind, ist ohne Frage. Das ist aber auch die Hauptfrage in 
der ganzen klinischen Tuberkulose-Bekämpfung, denn wir wissen, 
daß der Kampf gegen die Lungentuberkulose zusammenfällt mit 
einem möglichst frühzeitigen Erkennen dieser Krankheit. 


BD. 25, HEFT 8. MOBILISATION DER LUNGEN USW. 171 0 


Fernwirkung auf den Gesamtkörper. 


Wir müssen uns klar darüber sein, daB jede Bewegungstherapie der 
Lungen eine verstärkte Ausschwemmung der tuberkulösen Gifte in dem Körper 
im Gefolge hat. Aber hierin liegt auch gerade ein Unterstützungsmittel zu 
der allein zum Ziele führenden Mobilisationsbehandlung der Anfangsfälle. 


Wir sehen nämlich in vielen Anfangsfällen eine zu geringe Berührung 
des Gesamtkörpers mit der Tuberkulose, indem die Krankheit in der Regel 
allein in den mechanisch disponierten Lungenspitzen haftet und sich 
ausbreitet. | 


Soll eine Heilung in den Lungen erfolgen, muß der Gesamt- 
körper in den Stand gesetzt werden, an dem Kampf mit dem ge- 
samten Schutzapparat aller Körperzellen teilzunehmen. 


Es ist daher in den Anfängen der Erkrankung durchaus erstrebenswert, 
durch stärkere Lymphströmung eine innigere Berührung der Gesamtkörperzellen 
mit dem Krankheitsgift herbeizuführen, um allmählich eine möglichst starke 
Schutzstoffbildung zu erzielen. ° 


Da man in den Anfangsstadien, wie erwähnt, häufig die Beobachtung 
machte, daß die anfänglichen kleinen Herde in zu geringer Beziehung zu 
den Zellen des Gesamtkörpers treten, und daß die Lunge allein und lokal den 
Kampf gegen die „torpide“ daliegenden Erkrankungsherde nicht genügend zu 
bewältigen vermag, so entstand zuerst durch Koch das Bestreben, durch künst- 
liche Einbringung der Bakteriengifte (Tuberkulin) den Gesamtkörper zum Kampf 
gegen die Bazillentoxine anzuregen und gewissermaßen zu „jennerisieren“. 


Dieses wird aber in viel natürlicherer Weise erreicht, wenn man die in 
dem Körper schon vorhandenen Gifte, mit welchen. der Körper ohnehin, will 
er genesen, fertig werden muß, durch Bewegungstherapie (Lymphstrom- 
beschleunigung) aus den Krankheitsherden aus- und in den allgemeinen Körper- 
kreislauf hineinschwemmt. 


Wir sehen auch hieraus wieder, daß die Grundlagen und die 
Indikationen für die Ruhigstellung und Bewegung ganz verschiedene 
sind. Der Pneumothorax hat ohne Frage seine Existenzberechtigung 
erwiesen. Aber nur als Notbehelf für eine verschwindend kleine 
Zahl, sonst rettungsloser Fälle. 


Die Bewegungstherapie ist hingegen der einzig gegebene Weg, 
welcher im Anfangsstadium der Krankheit eine wirkliche Dauer- 
heilung in Aussicht stellen kann. Es ist daher m. E. dringend an 
der Zeit, mit dem Unfug, welchen die übertriebene Wertschätzung 
einer möglichsten, relativen Ruhigstellung der Lungen unter dem 
Eindruck der Pneumothoraxbehandlung angerichtet hat, aufzu- 
räumen und auf den Wert einer möglichst frühzeitigen rationellen 
aber energischen Bewegungstherapie der Lungentuberkulose hin- 
zuweisen. f 


s 


ZEITSCHR, £ 
172 E. KUHN. TUBERKULOSE 


Indikationen für die Bewegungstherapie. 


Eine Bewegungstherapie der Lungen darf, außer zu prophylaktischen 
Zwecken, selbst wenn auch nur ein kleiner Lungenherd vorhanden ist, nicht 
ohne weiteres in gewöhnlichen Tiefatemübungen, Turnübungen an Reck und 
Barren oder in irgendeiner beliebigen Körperarbeit bestehen. 

Gewöhnliche Atemübungen, welche in tiefem Atemholen mit verschiedenen 
anderen theoretischen Brustkorbübungen bestehen, können zweifellos auch Gutes 
schaffen. Als erster hat m. W. Schultzen in der Heilstätte Grabowsee dies- 
bezügliche ausgedehnte Versuche gemacht, und er berichtete über sehr 
günstige Resultate. 
| Diese Anregung Schultzens ist aber völlig unbeachtet geblieben; denn 
die meisten Heilstättenärzte scheuen alle irgendwie ausgedehnten Bewegungen 
des Brustkorbes und Atemübungen, weil sie unter der Dehnung des Brust- 
korbes zuweilen Lungenbluten und Verschlimmerungen sahen, und neuerdings 
scheinen unter dem suggestiven Einfluß der Pneumothoraxtherapie die‘ Atem- 
übungen noch mehr in Mißkredit gekommen zu sein. 

Es gibt nun aber ein Mittel, welches die Beweglichkeit des 
Brustkorbes so wirksam begünstigt wie kein anderes und welches 
trotzdem die Lunge vor Dehnung schützt und sogar relativ ruhig 
stellt. Das ist die Einatmungserschwerung mittels der Saugmaske., 
Diese Einatmungserschwerung ist seit nunmehr 10 Jahren an unzähligen Tausen- 
den von Lungenkranken erprobt. Meine Resultate sind von verschiedenen Heil- 
stätten, von denen einzelne jetzt bereits eigene Erfahrungen an Tausenden von 
Kranken haben, vollauf bestätigt. 

Ich halte mich daher für berechtigt und verpflichtet, darauf hinzuweisen, 
daß es m. E, kein anderes Mittel gibt, dem Thorax in ähnlich wirksamer und 
unschädlicher Weise die normale Beweglichkeit und Weite zu verschaffen, und 
daß dieses Mittel, unter Kontrolle der Temperatur, in den Frühstadien an- 
gewandt, die sicherste Gewähr für wirkliche. Dauerheilung der Phthise gibt. 

Ich habe unter der Saugmaskenatmung Resultate in der Umgestaltung 
flacher, schlecht beweglicher Brustkörbe gesehen, welche ich nicht für möglich 
gehalten habe, welche jedoch durch die Physiologie der Maskenatmung ver- 
ständlich werden. Da nämlich die dünne Zwerchfellmuskulatur den Zug der 
durch die Einatmungserschwerung hervorgebrachten Luftverdünnung nicht in 
dem Maße überwinden kann, wie die stärkeren Rippenheber, 'so wird, trotz 
gleichzeitiger Verringerung des Lungenvolumens (wodurch akute Dehnungen 
des Lungengewebes ausgeschlossen sind), durch dieses Verfahren eine vor- 
wiegende Rippenatmung erzwungen; und wer die „kostale“ Atmung unter 
der Maske öfter gesehen und besonders bei jugendlichen Individuen 
mit noch weicherem Thorax messend verfolgt hat, wird zugeben, 
daß es kein annähernd ähnlich wirksames Mittel gibt, um die oberen 
Brustkorbpartien allmählich beweglich zu machen und die obere 
Brustapertur zu weiten. Man sieht unter der Maskenatmung meist sofort 
die Halsmuskulatur in sonst ganz ungewöhnlicher Weise angestrengt arbeiten 


BD.26, HEFT. MOBILISATION DER LUNGEN USW. i 173 


und selbst bei älteren Patienten pflegt der kostale Atemtyp und die erhöhte 
Beweglichkeit der oberen Brustkorbteile in der Regel sehr bald auffällig zu werden. 
Die folgenden, mittelst Pneumographen' an der Heubnerschen Kinder- 


klinik der Charité in Berlin von Eckert aufgenommenen Kurven mögen den 


veränderten kostalen Atemtyp unter der Maske veranschaulichen. 


Fig. 1. 
Pneumogramm unten ohne Maske, oben mit Maske. (Vermehrte Exkursionen des Brustkorbes 
unter der Maske.) Nach Eckert, Heubnersche Klinik. 
(Trotzdem ist das Volumen der Lunge. wie zahlreiche Spirometermessungen er- 
geben haben, gegenüber der gewöhnlichen Atmung stark vermindert!) (Der Apparat bleibt un- 
verrückt unter den Achseln angeschnallt, der Stand der Schreibfeder und der Füllungsgrad der Luft- 
kapsel an der Schreibtrommel ist unter peinlichster Kontrolle unverändert geblieben.) 


Der Effekt, der sich auf diese Weise ohne Aufmerksamkeit und ohne 
weitere Übung erzielen läßt, möge durch folgende cyrtometrische Messungen 
(S. 174) einer Kranken der I. med. Klinik der Charité veranschaulicht werden. 

Übereinstimmend berichten alle Nachprüfer über ähnliche Erfolge. So 
sah Stolzenburg in der Fürstl, Hohenloheschen Heilstätte Slawentzitz Zu- 
nahmen des Brustumfangs von 6—8 cm und darüber. Greeff berichtet aus 
: der Heidelberger Poliklinik Zunahmen bis zu 10,5 cm. Brotzen sah in der 
Heilstätte Beelitz Zunahmen von 7—8 cm in ca. 2 Monaten; ähnliche Resultate 
berichten Hahn (Heilstätte Moltkefels), Hammerschmidt (Garnisonlazarett 
Danzig), Vehling (Heilstätte Edmundsthal), ferner auch besonders Fürbringer, 
Thamm, Zimmermann, Seebens, Große u. v. a, so daß der Schluß 
wohl berechtigt sein dürfte, daß durch rechtzeitige Anwendung 
dieses Verfahrens (besonders bei heranwachsenden Kindern) der 
Ausbruch so mancher, wenn nicht der meisten Lungentuberkulosen 


durch Beseitigung der Empfänglichkeit im kritischen Alter infolge 


normalerer Brustkorbatmung verhindert werden kann. 

Speziell möchte ich an dieser Stelle nicht hervorzuheben unterlassen, daß 
bei der ‚von mir seit nunmehr ıo Jahren geübten Mobilisation des Thorax 
mit der-Saugmaske noch verschiedene andere Faktoren die Heilung 
begünstigen. Das ist einmal der vermehrte Blutgehalt der Lungen unter 


174 i E. KUHN. TUBERKULOSE 
der Saugmaske (welcher durch mannigfache Experimente sicher gestellt ist 
und sich jederzeit leicht mikroskopisch beim Versuchstier nach einigen stärker 
behinderten Atemzügen in Stauungslungen = gleicher Füllung der Kapillaren 
demonstrieren läßt) und damit rasche bindegewebige Abmauerung der Herde 


Cyrtometrische Brustkorbmessungen (Phthis. putm. ID. 


Fig. 4. Fig. 5. 
Cyrtrometrische Messungen, welche die Weitung des Brustkorbes bei einem ı7jährigen 
Mädchen in ca. 2 Monaten unter Anwendung der Saugmaske erkennen lassen, Der 
Brustkorb ist seitlich etwas schmaler, aber nach vorn gewölbter geworden und hat an Umfang 
5!/, cm zugenommen. (Die Maße sind vorn 7 cm unterhalb des Jugulum, hinten über den Angul. 

scap. genommen. Mehrmals verkleinert.) 


mit verstärkter antitoxische Wirkung gegen die Bazillen. Sodann die stärkere 
Lymphströmung und schließlich außer mehr allgemeineren Faktoren (wie 
Beseitigung der Blutarmut, Hebung der Herzkraft, Beseitigung des 
Bronchialkatarrhs und der Disposition zu Lungenblutew; Zunahme 


BD. mt 8 MOBILISATION DER LUNGEN USW. 175 


des Schlafs und Appetits usw.), besonders der nicht genügend zu 
betonende Umstand, daß wir in diesem Mittel zugleich die wirk- 
samste Form der Atemgymnastik zur Erzielung von Mobilisation 
und Weitung des Thorax (und zur dauernden Kräftigung der Atem- 
muskulatur) zur Verfügung haben und, so paradox das klingt, zu- 
gleich diejenige Atemgymnastik, welche die Lunge vor akuter 
Dehnung und Zerrung am besten schützt und sogar relativ ruhig 
stellt. Denn, wie sich durch Spirometermessungen (wie bereits erwähnt) sofort 
erweisen läßt, nimmt die Lunge während der Anwendung der Maske 
(infolge Zwerchfellhochsaugung) an Volumen sogar ganz bedeutend 
ab und dehnt sich erst im Lauf der Monate mit dem allmählich 
sich weitenden und wachsenden Thorax gewissermaßen physio- 
logisch aus. | | = 

‘ Und da infolge der Elastizität des Lungengewebes alle Teile (wenn auch 
în verschiedenem Grade) an der Ausdehnung in den durch die Weitung bei 
der Einatmung zur Verfügung stehenden Raum hinein teilnehmen, so ist bei 
langsam gesteigerter Anwendung der Maske eine akute Dehnung der oberen 
Teile (etwa wie bei der durch Freund-Hart-Kausch-Harras inaugurierten 
Durchschneidung der oberen Rippenknorpel) nicht möglich. 

Aufdiese Weise ist die Maskenatmung zugleich die schonendste 
und die wirksamste Bewegungstherapie für die Lungen, und hieraus 
erklärt sich auch ihre Anwendungsmöglichkeit ohne nachteilige 
Folgen (Zerrung, Lungenbluten usw.) selbst in denjenigen Fällen, in 
denen sonst die geringste Körperanstrengung (und dadurch ge- 
steigerte und erhöhte Atmung) kontraindiziert ist. 


Indikation für die Saugmaskenbehandlung. 


Die Indikationsstellung für die Bewegungstherapie und speziell für 
die Saugmaskenatmung ist nach den oben angestellten Erwägungen nicht schwer, 
wenn wir uns vergegenwärtigen, daß der unbedingt günstigste Zustand für die 
Lunge selbst eine gute Beweglichkeit ist (infolge besserer Blutfülle und Binde- - 
gewebsabmauerung, infolge rascheren Abtransportes der Lymphe und damit 
der Erkrankungsstoffe bei vorhandenen Lungenherden usw.), daß andererseits 


` bei vorhandenen größeren Erkrankungsherden der mechanische Faktor der 


Zerrung und Verhinderung narbiger Schrumpfung der Ausheilung ` größerer 
Erkrankungsbezirke hinderlich ist und schließlich, daß die Fernwirkung auf den 
Körper bei stärkerer Beweglichkeit mit der stärkeren Lymphströmung erheblich 
zunimmt und daß die nachteiligen Folgen der Fernwirkung bei akuter Ent- 
zündung (und geringer Abmauerung der Herde) und auch mit der Ausdehnung 
des Erkrankungsbezirkes entsprechend größer werden. 

Wir werden daher in jedem einzelnen Falle nicht nur die Ausdehnung 
des Prozesses, sondern auch die Neigung zur Abkapselung oder 
Einschmelzung und die Frische der Entzündung zu prüfen und vor 
allem auch (was von der größten praktischen Bedeutung ist) den 
Faktor der Fernwirkung durch Giftüberschwemmung (Autoino- 


176 E. KUHN. TUBERKULOSE 
kulation) des Körpers zu berücksichtigen haben. Bei Giftaus- 
schwemmung aus tuberkulösen Lungenherden zeigt sich nun nach 
meiner Erfahrung eine so feine Reaktion des Körpers auf Tempe- 
raturmessungen, daß in der Temperatur ein wichtiger und zugleich 
sehr einfacher Fingerzeig gegeben ist, um zu beurteilen, ob die 
Bewegungstherapie der Lungen am Platze ist oder nicht. 


Autoinokulationstherapie. 


Jede Bewegungstherapie ist daher in gewissem Sinne zugleich eine 
Autoinokulationstherapie.e Bei der großen Wichtigkeit der Autoinokulation 
sei deshalb zum Schluß die Frage der Mobilisationsbehandlung unter diesem 
Gesichtspunkt noch einmal besonders beleuchtet. Man hat schon lange (be- 
sonders im Ausland: England, Amerika usw.) unter Wrights Vorgang erstrebt, 
eine Autoinokulation, d. h. eine Autotuberkulinisierung mit dem eigenen, daher 
sicher spezifischen, aus dem eigenen Krankheitsherde losgeschwemmten Giften 
zu erzielen. In Deutschland hat diese Methode bisher wenig Anhänger gefunden, 
da man ihr mangelhafte Dosierbarkeit vorwarf (Sahli u.a.) 

Dieser Vorwurf ist insofern berechtigt, als man bisher kein brauchbares 
Kriterium und Verfahren hatte, um die zu den Autoinokulationen nötigen 
Körperbewegungen zu dosieren. 

Hieran ist m. E. der Mangel der Erkenntnis schuld, wodurch diese Auto- 
inokulationen entstehen.. 

Die Autoinokulation entsteht nicht durch die Körperbewegung als solche, 
sondern in der Hauptsache durch die infolge der Körperbewegung ver- 
stärkte Atmung. 


Die verstärkte Atmung hat eine stärkere Durchströmung der Lunge mit 
(Blut und) Lymphe- im Gefolge, wodurch eine Ausschwemmung von Toxinen 
aus dem Krankheitsherd in dem allgemeinen Kreislauf, d. i eine „Autoino- 
kulation des Körpers“ stattfindet. Ä 


Deshalb ist bei der Autoinokulationstherapie der Lungen- 
tuberkulose die Atemgymnastik von ausschlaggebender Bedeutung. 

Man kann in der Tat nicht erwarten, daß sich bei beliebiger Körper- 
arbeit, wie sie in den Heilstätten vorwiegend angewandt wird (Gartenarbeit usw.), 
die Autoinokulationen in kontrollierbaren Grenzen halten oder gar allmählich 
dosierbar steigern lassen. Da nun auch noch, gerade in Deutschland, das 
Wrightsche Verfahren durch seine Umständlichkeit in Mißkredit kam, so ist 
bisher ein systematischer Versuch, eine Autoinokulationstherapie durch Aus- 
schwemmung der Gifte aus dem eigenen Herde durch Atemgymnastik sonst 
m. W. noch nicht gemacht worden. 

Ich wies schon auf dem Naturforscher-Kongreß 1909 in Karlsruhe darauf 
hin, daß sich unter der allmählich in leicht dosierbarer Weise steigerbaren 
Atemgymnastik vermittels der Saugmaske die Autoinokulationstherapie in 
rationeller und dosierbarer Weise anwenden läßt. Die Autoinokulationen geben 
sich dabei in den Fällen, in welchen (bei noch ungenügender Abmauerung der 


BD.28, HEFT 3. MOBILISATION DER LUNGEN USW. 177 


Herde) Gifte in den Kreislauf geschwemmt werden, durch anfängliche geringe 


Temperaturen (und die bekannten Allgemeinsymptome) kund. Man ist ja fast 


allgemein in Deutschland dazu gekommen, auch bei jeder anderen Autoino- 
kulationstherapie Temperaturen und allgemeine Symptome als bezeichnend für 
die negative Phase anzusehen und die mühevollen Blutuntersuchungen zu unter- 
lassen, da sie für die Beurteilung der negativen oder positiven Phase kaum 
einen sicheren Anhalt geben als Fieber- und allgemeine Symptome. 

Ich halte daher auch bei der Autoinokulationstherapie bei 
Tuberkulose eine genaue Kontrolle des Fiebers und die Beobachtung 
des Allgemeinbefindens für vollkommen ausreichend zur Behand- 
lung, wenn man sich darüber klar ist, daß (von Ausnahmefällen abgesehen) 
jede Temperatursteigerung der Ausdruck der Aufnahme von tuberkulösen Gift- 
stoffen aus dem Krankheitsherde ist, und daß nach einer jeden erheblicheren 
Temperatursteigerung durch Fortlassen jeder Atemgymnastik und durch körper- 
liche Ruhe dem Körper die Gelegenheit zur Gegenaktion (Schutzstoffbildung) 
gelassen werden muß, ehe weiter mit der Behandlung fortgefahren wird. 

Auf diese Weise gelingt es aber m. E. in rationellerer Weise 
als durch Tuberkulineinspritzung den Körper zur Schutzstoffbildung 


anzuregen, da vor allem die resorbierten Giftstoffe unbedingt spe- 


zifisch sind. 

Ferner sind die dabei auftretenden Temperaturen (welche ich, wie gesagt, 
im wesentlichen als Ausdruck der Resorption von Toxinen aus noch nicht 
abgemauerten Herden auffasse) in der Regel gering und betragen, wenn sie in 
Erscheinung treten, etwa 2-3-5 Zehntel Grade. Es treten hierbei auch meist 
keine schwereren Allgemeinerscheinungen auf, wie öfter nach Einverleibung 
von künstlichen Tuberkulinen (Kopf- und Gliederschmerzen, Abgeschlagenheit, 
Appetitlosigkeit usw). Es ist daher in der Regel auch nicht notwendig, 
ihretwegen den Maskengebrauch eine Zeitlang einzuschränken oder auszusetzen, 
denn meist schwinden diese Temperaturen innerhalb desselben Tages und 
machen auch bei vorsichtig dosiertem Fortsetzen der Maskenatmung kaum Er- 
scheinungen, welche auf eine stärkere negative Phase deuten. 

Die Besserung der klinischen und subjektiven Erscheinungen und das all- 
mähliche Herabgehen leichter Temperaturen, bzw. das Ausbleiben aller Tempe- 
raturen geben uns in dieser Hinsicht im übrigen ja stets die einfachsten Hin- 
weise bezüglich Einschränkung und Fortsetzung des Verfahrens. 

Im folgenden seien einige typische Kurven, wie ich sie in einer Reihe 
von Fällen der I. mediz. Klinik in Berlin und im Garnisonlazarett Mainz be- 
obachtet habe, wiedergegeben, welche demonstrieren, wie (in manchen Fällen) 
unter der Saugmaske Aufoinokulationstemperaturen auftreten (s. Figg.6 u. 7, S. 178). 

Und, ebenso wie durch Tuberkulin nicht nur eine regere Antikörper- 
bildung erstrebt wird, sondern auch eine Herdreaktion und damit verbundene 
Hyperämie, ist es m. E. möglich und wahrscheinlich, daß auch durch die im 
Körper kreisenden, durch Autoinokulationen hervorgerufenen „Tuberkuline“ 
derselbe Effekt wie durch künstliches Tuberkulin erreicht wird (da von allen 
Autoren die Tuberkuline mit den Giftstoffen des Herdes identifiziert werden). 

Zeitschr. f. Tuberkulose. 25, a 


ZEITSCHR. í. 
178 E KUHN. TUBERKULOSE 


Dazu kommt dann noch, daß bei dieser Autoinokulationstherapie 
unter der Maske gleichzeitig ja auch durch verschiedene Faktoren 
(wie oben näher ausgeführt) eine allgemeine verringerte Krank- 
heitsdisposition in den Lungen erzielt wird, welche nicht nur im 
Herde selbst durch Hyperämie usw. heilend wirken, sondern auch 
die übrigen Lungenteile durch Hyperämie und stärkere Lymph- 
strömung usw. prophylaktisch schützen. Das ist von nicht zu unter- 
schätzender Wichtigkeit. Denn fast jede Lungentuberkulose wird 
schließlich heilen, wenn die Disposition zur Neuerkrankung an 
anderen Stellen nicht immer wiederivorhanden ist. 


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Fig. 7. 
Phthisis pulmonum. Auftreten von Autoinokulations-Temperaturen, welche unter Fortgebrauch der 
Saugmaske wieder verschwinden und dauernd fortbleiben. 


Für die Praxis ergibt sich aus dieser Möglichkeit des Auftretens von 
Autoinokulationstemperaturen unter der Saugmaske, daß es geboten ist (wie 
ich das auch seit Jahren stets anordne, daß man bei Anwendung der 
Saugmaske in den ersten Wochen die Temperatur mindestens 
2—3mal täglich kontrollieren soll, um ein sicheres Urteil über 
etwa auftretende Autoinokulationen zu haben!) Treten immer wieder 
Temperaturen auf, so ist mit Fortsetzung des Verfahrens so lange (eventuell 
Monate lang) zu warten, bis jede Temperatur geschwunden ist. Ich weise 
jedoch ausdrücklich darauf hin, daß man bei gutem 'Allgemeinbefinden usw. 
nicht allzu ängstlich zu sein braucht, da ich, ebenso wie Brotzen, Greeff u. a. 
wiederholt bemerkt habe, daß bei vorsichtig abgestufter Fortsetzung des Ver- 
fahrens anfängliche Temperaturen allmählich spontan verschwinden und daß 
selbst schon länger bestehendes Fieber unter Anwendung des Verfahrens öfter 
herabgeht und fortbleibt. 

In der Regel bleiben die Autoinokulationen unsichtbar und die 
Fälle, in denen Temperaturen auftreten, sind bei geeignetem Material und vor- 


1) Natürlich ist auch das Allgemeinbefinden stets zu berücksichtigen. Aber man findet nur 
selten Fälle, in welchen dasselbe nicht mit der Temperatur zusammenginge! 


BD, nn 8 MOBILISATION DER LUNGEN USW. 179 


sichtig gesteigerter Dosierung der Maskenatmung recht selten. Auch in den Be- 
richten aus einer Reihe von Lungenheilstätten, von denen manche wie Schielo, 
Beelitz, Slawentzitz, Algyogy, Sülzhayn u. a. nach den mir gewordenen Mit- 
teilungen ca. I—200 und mehr Masken in Gebrauch haben und daher über 
Erfahrungen an vielen Hunderten von Phthisikern verfügen (Stolzenburg 
behandelt z. B. in Slawentzitz seit Jahren schon 40—50°/, aller seiner Kranken 
mit der Maske) habe ich nur ganz vereinzelt einmal die Angabe über das Auf- 
treten solcher Temperaturen gesehen. 

Trotzdem glaube ich, daß neben den anderen therapeutischen Faktoren 
der „Maskenbehandlung“ auch die nicht wahrnehmbaren Autoinokulationen 
eine Rolle spielen, ähnlich, wie man neuerdings der reaktionslosen Tuberkulin- 
therapie einen Einfluß zuspricht. 


Schiußsätze. 


I. Die Mobilisationsbehandlung in den Anfangsstadien ist auf Grund der 
pathologischen Physiologie die unbedingt zu erstrebende, aussichtsreichste 
Methode zur Behandlung der Lungentuberkulose. 

2. Die zweckmäßigste und wirksamste Mobilisationsbehandlung ist die An- 
wendung der Saugmaske. 

3. Durch die in dosierbarer Weise steigerbare Atemgymnastik vermittels 
der Saugmaske ist zugleich eine Autoinokulationstherapie der Lungentukerkulose 
in rationeller und dosierbarer Weise möglich. 

4. Die Saugmaskenbehandlung hat zur Beobachtung und richtigen Dosie- 
rung stärker auftretender Autoinokulationen (besonders im Anfang) unter Kon- 
trolle der Temperatur zu erfolgen. 


12" 


E en __ __TÜRERKULOSE 


XI. 
Die Sanatorienfrage. 


Eine Übersicht von 


Dr. M. Holmboe, 


Direktor des zivilen Medizinalwesens Norwegens, Kristiania. 


JAAls der Kampf gegen die Tuberkulose als Infektionskrankheit vor 
SION reichlich zwei Jahrzehnten aufgenommen wurde, war man sich sofort im 

ASEA] reinen darüber, daß es nicht genügte, sich gegen die Verbreitung 
des Ansteckungsstoffes zu wehren, durch sanitäre Bestimmungen verschiedener 
Art, die mehr oder weniger immer den Charakter von Zwangsbestimmungen 
den Kranken gegenüber bekommen würden. Es mußten auch besondere 
Hospitäler zur Kur und Pflege der Kranken, speziell der Lungentuberkulösen, 
geschaffen werden. Die gewöhnlichen Krankenhäuser hatten bei weitem nicht 
genügenden Platz für sie; auch waren sie nicht speziell darauf eingerichtet, 
namentlich nicht, nachdem die Kenntnis der ansteckenden Natur der Krank- 
heit die Forderung einer gewissen Isolierung dieser Patienten von den übrigen 
hervorgerufen hatte. 

Ungefähr gleichzeitig damit, daß Robert Kochs Entdeckung die Auf- 
fassung der Natur der Tuberkulose revolutionierte und den Kampf gegen die- 
selbe als eine Infektionskrankheit hervorrief, war es, daß die Resultate von 
Brehmers und Dettweilers Sanatorienbehandlung der Phthisiker durch- 
schlugen und die alte Auffassung der Lungentuberkulose als eine — praktisch 
genommen — unheilbare Krankheit über den Haufen warf. Es war daher 
natürlich, daß man anfänglich besonders darauf hinarbeitete, heilbaren Lungen- 
patienten aus den unbemittelten Volksschichten Gelegenheit zur Behandlung 
in Sanatorien („Volksheilstätten“) zu geben, die mit allen den Heilmitteln aus- 
gerüstet waren, von denen die Erfahrung gezeigt hatte, daß sie günstig auf 
die Krankheit einwirken könnten. Die Deutschen gingen an der Spitze; und 
die guten Resultate, die sie erzielten, bewirkten, daß alle anderen Kulturvölker 
dem Beispiel mit größerer oder geringerer Energie und Erfolg folgten. Ringsum 
in den Ländern erhoben sich auf den am besten dazu geeigneten Stellen eine 
Reihe gut ausgestatteter Volkssanatorien, teils auf Kosten des Staates, teils 
auf Kosten von Gemeinden, . von Versicherungsgesellschaften und teils auf 
Kosten von Privatpersonen errichtet. 

Man kam indessen bald ins reine darüber, daß hiermit die Frage der 
Hospitalisierung der Lungentuberkulose keineswegs gelöst war. Es genügte 
nicht, daß man den Kranken im ersten Stadium einen — immer verhältnis- 
mäßig kurzwährenden — Sanatorienaufenthalt und dadurch eine Chance zur 
Heilung sicherte. Es mußte auch etwas für die weiter fortgeschrittenen, un- 
heilbaren Fälle getan werden, sowohl um ihnen die bestmögliche Behandlung 
und Pflege zu sichern, als durch ihre Isolation ihre Umgebung, insbesondere 
die Kinder, vor Ansteckungsgefahr zu schützen, wenn die Verhältnisse im 
Hause derart waren, daß sie ihr Verbleiben dort nicht ratsam machten. -Hierzu 
kam noch ein Moment, welches mit wachsender Stärke hervorgehoben wurde, 


BD. ne 8. DIE SANATORIENFRAGE. 181 


nämlich die Bedeutung, die es hat, daß die Kranken durch einen Hospitals- 
aufenthalt an Reinlichkeit und an Vorsicht mit ihrem Auswurf gewöhnt werden 
könnten. Ä 

Sollte aber allen Phthisikern, denen aus einer dieser Ursachen mehr 
oder weniger dauernde Hospitalbehandlung verschafft werden sollte, Gelegen- 
heit dazu gegeben werden, so müßte die mehrfach verdoppelte Anzahl Betten 
zuwege gebracht werden, im Vergleich mit den für die heilbaren Kranken 
erforderlichen Sanatorienplätzen. Sanatorien mit der jetzt gebräuchlichen Aus- 
stattung für sie alle zu bauen, verbot sich selbst schon aus ökonomischen 
Gründen; es mußten andere Auswege gefunden werden. 

In der Diskussion hierüber, die insbesondere in den ersten Jahren nach 
1900 lebhaft wurde und noch nicht ganz abgeschlossen zu sein scheint, jeden- 
falls nicht überall, machen sich zwei entgegengesetzte Richtungen geltend. 
Von der einen Seite hält man darauf, daß Sanatorien für die kurative Be- 
handlung der dazu geeigneten Fälle und Krankenhäuser zur Pflege der übrigen 
als besondere Anstalten voneinander gesondert gehalten werden sollten. Von 
der anderen Seite wurde die Forderung gestellt, daß die Sonderung zwischen 
den kurativen und den Pfiegefällen aufgehoben werden sollte, und daß für die 
neuen sowohl als für die älteren Fälle gemeinschaftliche Anstalten, Tuber- 
kulosehospitäler oder -krankenhäuser errichtet werden sollten, mit einer ein- 
facheren Ausstattung als die durchgehends kostspieligen Sanatorien. 

Es ist von Interesse, zu sehen, wie diese Diskussion sich entwickelt hat. 
Die Rücksicht auf den Platz zwingt mich indessen, mich auf eine ganz kurze 
Übersicht über die Entwickelung in unseren nächsten Nachbarländern und in 
unserem eigenen Lande zu beschränken. 

In Deutschland sammelten sich, wie bereits erwähnt, die Bestrebungen 
von Anfang an um die Errichtung von Volkssanatorien („Volksheilstätten“) für 
die beginnenden, präsumptiv heilbaren Fälle. Und diese Bestrebungen erhielten 
eine kräftige Stütze durch die deutsche Gesetzgebung über Arbeiterversicherung. 
Bereits im Jahre 1903 hatte man in Deutschland Volkssanatorien mit etwa 
6000 Betten. Aber die Frage, was mit den weiter vorgeschrittenen Fällen 
gemacht werden sollte, meldete sich auch bald und gab u. a. Anlaß zu einer aus- 
führlichen Diskussion in der Berliner medizinischen Gesellschaft im Januar 1903. 
Hier wurde die Auffassung ganz stark vertreten, daß die Volksheilstätten nicht 
ausschließlich den Fällen im ersten Stadium vorbehalten werden sollten, sondern 
daß auch die weiter, vorgeschrittenen zugelassen werden sollten (Senator, 
A. Fraenkel), während die beginnenden Fälle, wenigstens teilweise, Acker- 
baukolonien in Gebirgs- und Küstengegenden mit günstigen klimatischen 
Verhältnissen zugewiesen werden sollten (Senator) oder sogar nach den 
deutschen Kolonien in Afrika (Katz, Lennhoff). Gleichzeitig betonten indessen 
sowohl Senator als Fraenkel stark die Notwendigkeit von Invalidenheimen 
für die vorgeschrittenen Fälle. Andererseits trat Jacob für die Anwendung 
der Sanatorien nach ihrer ursprünglichen Bestimmung ein, hob aber gleich- 
zeitig die Notwendigkeit von „Invalidenheimen“ für die vorgeschrittenen Fälle 
hervor. Die Diskussion, welche eigentlich eine gewisse Reaktion gegen die 


- ZEITSCHR. f, 
182 M. HOLMBOE. TUBERKULOSE 


Sanatorienbewegung zum Ausdruck brachte, scheint indessen keine dauernden 
Spuren in der Arbeit der Deutschen gegen die Tuberkulose hinterlassen zu 
haben, jedenfalls nicht, soweit es die Anschauung über die Aufgabe und Be- 
deutung der Volkssanatorien betrifft. Die Sanatorienbewegung ging ihren 
Gang, im wesentlichen nach ihrem ursprünglichen Plan; Deutschland verfügte 
im Jahre 1912 über etwa 100 Volkssanatorien mit mehr als 12000 Betten. 
Wenngleich die ursprüngliche Forderung einzelner Versicherungsgesellschaften, 
daß für jeden, der für ihre Rechnung in ein Sanatorium aufgenommen wurde, 
ein ärztliches Attest dafür vorliegen sollte, daß die Bewahrung seiner Arbeits- 
fähigkeit davon abhängt, ob ihm Sanatorienbehandlung zuteil wird, kaum 
immer buchstäblich befolgt wird, so sucht man doch meistens die Sanatorien- 
behandlung soweit möglich denen vorzubehalten, von denen zu hoffen ist, daß 
ihre Arbeitsfähigkeit erhalten oder wiederhergestellt werden kann. Für 
Rekonvaleszenten aus den Sanatorien werden zur Ergänzung der Wirksamkeit 
der letzteren Rekonvaleszentenheime („Erholungsstätten“, „Walderholungsstätten“) 
errichtet. Die vorgeschrittenen Fälle werden, sofern sie nicht zweckentsprechend 
zu Hause behandelt werden können, an die gewöhnlichen Krankenhäuser ver- 
wiesen, von denen viele eigene Tuberkuloseabteilungen haben, sowie an eigene 
Tuberkulosekrankenhäuser (namentlich in der Nähe der großen Städte) und an 
„Invalidenheime“. Diese letzteren scheinen indessen, jedenfalls bis jetzt, keine 
besondere Popularität gewonnen zu haben — ausgenommen in einer einzelnen 
Gegend, nämlich der Rheinprovinz, wo eine Menge kleiner Krankenheime für 
vorgeschrittene Fälle von Tuberkulose errichtet worden sind. Die Behandlung 
der vorgeschrittenen Fälle in derselben Anstalt wie die heilbaren Fälle, aber 
in gesonderten Abteilungen, ist vereinzelt versucht worden, z. B. in Haidenhaus 
bei Hannover; aber dieses System hat keine allgemeine Anwendung gefunden. 
Im Jahre 1910 bestanden in Deutschland nur zwei derartige Anstalten.!) Über- 
haupt hat es den Anschein, als ob man in Deutschland noch keine ganz be- 
friedigende Form für die Hospitalisierung der vorgeschrittenen Krankheitsfälle 
gefunden hat. 

In Dänemark, dessen erstes Sanatorium, Vejlefjord, auf Saugmans 
Initiative in der zweiten Hälfte der 1890er Jahre errichtet wurde, entstand 
einige Jahre später eine lebhafte Diskussion über die Sanatorienfrage, als der 
dänische Nationalverein mit dem Bau seiner ersten Sanatorien ans Werk gehen 
sollte. Es handelte sich hauptsächlich um die Frage: große oder kleine Sana- 
torien. Das Resultat war, daß beide Systeme versucht wurden. Zur Frage 
über gemeinschaftliche oder gesonderte Anstalten für die beginnenden und 
die vorgeschrittenen Fälle nahm dagegen die dänische Tuberkulosekommission 
von 1901 einen entschiedenen Standpunkt ein. Außer Küstenhospitälern und 
Küstensanatorien, beide vorzugsweise oder ausschließlich tür Kinder unter 
15 Jahren berechnet, schlug die Kommission drei Klassen von Anstalten für 
erwachsene. Tuberkulöse vor, nämlich; 1. Volkssanatorien, ausschließlich 
für Patienten berechnet mit Lungentpberkulose in einem solchen Stadium, daß 


1) Vgl. Nietner: Der Stand der Tuberkulosebekämpfung im Frühjahr 1910 und 1912. 


sie Aussicht auf Heilung geben. — 2. Tuberkulosehospitäler, besonders 
für Patienten in einem mehr vorgeschrittenen Stadium berechnet oder für 
solche, deren Krankheit Liegen im Bett erfordert. — 3. Pflegeheime für 
arbeitstüchtige Patienten, für die der Aufenthalt in einem Sanatorium oder 
einem Hospital nicht als notwendig angesehen werden kann. Wie man sieht, . 
ist hier eine ganz scharfe Sonderung zwischen den verschiedenen Klassen von 
Fällen durchgeführt worden. Der Standpunkt der Kommission wurde von der 
Regierung und dem Reichstag gutgeheißen. Das dänische Tuberkulosegesetz 
(von 1905) sieht für jede Art dieser Anstalten eine Staatsunterstützung nach 
bestimmten Regeln vor; und hierauf ist die spätere Entwickelung der dänischen 
Tuberkuloseanstalten gebaut worden. Im Jahre ıgıı befanden sich in Däne- 
mark ıı Sanatorien mit etwa 1030 Betten und 25 Tuberkulosehospitäler mit 
788 Betten. Von Pflegeheimen ist erst später eins (oder 2) errichtet worden. 
Wie man sieht, hat man hier die Grenze zwischen Sanatorien für beginnende 
— und andere Anstalten für vorgeschrittene Fälle konsequent durchzuführen 
gesucht. Ä | 
In Schweden dagegen ist die Entwickelung in einer etwas anderen 
Richtung gegangen. Nachdem teils auf Kosten des „König Oskar Il.-Jubiläum- 
fonds“, teils auf Staatskosten. 1900—ıg01 drei große Volkssanatorien auf- 
geführt worden waren, Hessleby, Hälahult und Österäsen, für die südlichen, 
bzw. die mittleren und nördlichen Landesteile, trat ein Stillstand im Bau von 
Sanatorien ein. Die Frage der Hospitalsverpflegung der weiter vorgeschrittenen 
Fälle drängte sich in den Vordergrund. Das im Jahre 1905 von der Regierung 
eingesetzte Tuberkulosekomitee, welches 1907 seinen Bericht erstattete, schlug 
keinen weiteren Bau von Sanatorien vor, teils weil man derartige Anstalten 
bereits „in einem gewissen Umfang“ hatte, teils weil dasselbe meinte, daß der 
private Unternehmungsgeist dies leichter übernehmen könnte, als die Fürsorge 
für die weiter vorgeschrittenen Fälle. Dagegen schlug das Komitee Staats- 
und Gemeindebeiträge vor an Tuberkulosekrankenhäuser (Tuberkulosesjukhus) 
und Tuberkulosekrankenstuben (Tuberkulosesjukstugor) — die letzteren wohl 
ungefähr unseren Tuberkuloseheimen entsprechend —, indem das Komitee 
ausdrücklich betonte, daß nicht allein die vorgeschrittenen, sondern auch be- 
ginnende Fälle in diesen Aufnahme finden können sollten. In dieser Richtung 
hat sich dann auch die Entwickelung später fortgesetzt. Der Reichstag be- 
schloß allerdings im Jahre 1909 die Aufführung eines neuen, vierten Sana- 
toriums, wesentlich nach dem Vorbild der älteren, Spenshult in Halland, 
welches jetzt fertig ist. Aber im übrigen sind in den späteren Jahren wesentlich 
größere und kleinere Krankenhäuser und Krankenstuben für Tuberkulose auf- 
geführt, die sowohl für beginnende als vorgeschrittene Fälle berechnet sind. 
Einzelne der Tuberkulosekrankenhäuser sind von bedeutender Größe, z. B. 
Söderby (für die Stadt Stockholm) mit 452 Betten. In der letzten Zeit scheint 
indessen eine recht starke Reaktion gegen diese Richtung im Anmarsch zu 
sein, speziell seitens der Sanatorienärzte. Sie betonen, daß das schwedische 
System, welches alle Patienten über einen Kamm schert, zur Folge hat, daß 
man mangelhaft ausgestattete Anstalten erhält, und daß die Patienten zu spät 


184 M. HOLMBOE. ULER OLO T 
in Behandlung kommen.!) Eine Eingabe, durch welche eine Änderung der 
geltenden Bestimmungen bezweckt wird, ist vor kurzem der Regierung ein- 
gereicht worden. Selbst der Oberarzt von Söderby, Dr. Sture Carlson, 
welcher sonst ein Anhänger des jetzigen Systems ist, äußert, daß sich Bedenken 
gegen dasselbe zu erheben angefangen haben. 

Ich werde hiernach eine kurze Übersicht über die Entwickelung in 
Norwegen geben. In dem von Klaus Hanssen und mir ausgearbeiteten 
Vorschlag zu öffentlichen Maßnahmen gegen die Tuberkulose (von 1895) war 
vorausgesetzt, daß Kur- und Pflegeanstalten gesondert voneinander aufgeführt 
werden sollten, nachdem die Gründe, die bereits damals für und gegen dieses 
System vorgebracht worden waren, gewogen und in Erwägung gezogen worden 
waren. Indessen wurde doch vorgeschlagen, daß man das alte Hospital Reknes 
als eine kombinierte Kur- und Pflegeanstalt einrichten sollte, um dadurch mehr 
Erfahrung im Betriebe von beiden Arten der Anstalten zu gewinnen. Das 
geschah dann auch. Aber bereits 1899 — nach zweijährigem Betriebe — 
wurde die Pflegeabteilung aufgehoben, da die Kombination sich ungünstig 
erwiesen hatte. Reknes wurde danach also als eine ausschließliche Heilanstalt 
— Sanatorium — organisiert. Ebenso Lyster, welches im Jahre 1902 in Wirk- 
samkeit trat. Ungefähr gleichzeitig hiermit traten die ersten Tuberkuloseheime 
(Pflegeheime) für die weiter vorgeschrittenen Krankheitsfälle in Wirksamkeit. 
In den nächsten Jahren wurden mehrere private Volkssanatorien errichtet 
(Grefsen 1900, im Jahre 1909 vom Sanitätsverein norwegischer Frauen über- 
nommen, Dr. Mjöens und Glittre im Jahre 1903). Außerdem sind bekanntlich 
nach und nach mehrere Sanatorien mit höheren Kurkosten für die wohl- 
habenderen Klassen errichtet worden: Trygstad (welches jedoch später in ein 
Tuberkuloseheim umgewandelt wurde), Mesnalien, Gjösegaarden, Kornhaug, 
Granheim; aber der Aufenthalt in diesen stellt sich durchgehends so teuer, daß 
unbemittelte Patienten sich nicht genügend lange dort aufhalten können, wenn 
sie nicht ökonomische Stütze erhalten. Im Jahre 1903 wurde ein Regierungs- 
vorschlag betreffend die Bewilligung zur Errichtung eines neuen Staats- 
sanatoriums (im südlichen Norwegen) eingebracht; dieser wurde indessen vom 
Storting nicht angenommen. Die Reaktion gegen die Sanatorienbewegung, 
deren ich weiter oben von Deutschland erwähnte, war inzwischen auch hierher 
gekommen. Sie kam in der ausführlichen Diskussion über die Tuberkulose- 
frage in der „Medizinischen Gesellschaft“ in Kristiania im Winter 1903/04 
ganz stark zum Ausdruck. 


Die Zeit war daher nicht günstig für ein fortgesetztes Bauen von Sanatorien 
auf öffentliche Kosten; und die Sache wurde denn auch vorläufig aufgegeben, 
während man statt dessen Mittel zur Errichtung von Tuberkuloseheimen sam- 
melte. Diese Sache wurde mit einem stets wachsenden Interesse von Amts- 
und Stadtgemeinden, Sanitätsvereinen, Tuberkulosevereinen und Privaten ver- 
folgt. Und das Ergebnis ist, daß wir jetzt (1914) etwa 50 Tuberkuloseheime 


1) Vgl. z.B. Scharp: Auch einige Worte über Anstalten für Lungentuberkulöse. Allgem. 
schwed. Ärztezeitschrift 1913, S. 937. 


' 


BD. 25, HEFT 8. l 
ah | DIE SANATORIENFRAGE. 185 > 


mit mehr als 700 Betten in Betrieb haben, während mehrere neue in Vor- 
bereitung sind. 

Freilich haben verschiedene Verhältnisse und namentlich der Mangel an 
einer hinreichenden Anzahl Sanatorien zur Folge gehabt, daß die Tuberkulose- 
heime in nicht geringer Ausdehnung auch beginnende Krankheitsfälle auf- 
genommen haben; einzelne derselben sind sogar zum Teil „Sanatorien“ genannt 
worden. Andererseits ist es nicht zu vermeiden gewesen, daß vorgeschrittene 
Patienten (im 3. Stadium) häufig in Sanatorien untergebracht worden sind. 
Aber im Prinzip und in der Hauptsache hat man doch an einer bestimmten 
Unterscheidung zwischen Sanatorien und Tuberkuloseheimen bisher festgehalten. 

Es zeigte sich denn auch bald, daß die Tuberkuloseheime die Forderung 
der Gelegenheit zur kurativen Behandlung der unbemittelten Tuberkulösen nicht 
befriedigte.e Nachdem die ökonomische Rückgangsperiode beim Jahrhundert- 
wechsel später durch bessere Zeiten abgelöst wurde, erhob sich die Forderung 
neuer Staatssanatorien wieder mit größerer Stärke als je zuvor. Dem Storting 
wurden 1909 zwei hierauf abzielende Anträge übersandt; der eine von Ver- 
tretern der Amtsärztevereine in den östlichen Amtern, welche die Frage in 
einer auf Initiative des Dr. L. Harboe einberufenen Versammlung erörtert 
hatten, der andere von r0 Stortingsabgeordneten für das Stift Tromsö. Da- 
nach wurde dem Storting 1910 im Budgetvorschlag des Departements ein Plan 
für den künftigen Bau von Sanatorien !) vorgelegt, wonach 4 Staatssanatorien, 
jedes für etwa 100 Betten, gebaut werden sollen, von denen die Sanatorien für 
den südlichsten Teil des Landes und für das Stift Tromsö zuerst gebaut werden 
sollten. Dieser Plan wurde vom Regierungsdepartement und später vom Storting 
angenommen und im Jahre 1912 bewilligte das Storting die Anlage der oben- 
genannten zwei Sanatorien, obgleich die Kosten derselben sich infolge der in 
den letzten Jahren stark gestiegenen Arbeits- und Materialpreise bedeutend 
höher stellten, als man erwartet und gehofft hatte. 

Diese großen Anlagekosten bewirkten indessen, daß die Ersetzung der 
großen Sanatorien durch mehrere, kleinere und billigere Krankenanstalten im 
Storting 1913 wieder zur Sprache kam. Und damit ist denn auch die Frage 
der Kombination von Kur- und Pflegeanstalten bei uns wieder zur Diskussion 
gestellt worden. Denn diese Fragen stehen in genauem Zusammenhang. 

An eine wirkliche Heilanstalt für Lungentuberkulöse muß die Forderung 
gestellt werden, daß sie mit jedem anerkannten Hilfsmittel, über welche die 
Phthisistherapie unserer Zeit verfügt, ausgestattet ist und dieselben gebrauchen 
kann, und dies ganz abgesehen davon, ob die Anstalt für unbemittelte oder 
bemittelte Patienten bestimmt ist. Es genügt nicht, daß jeder Patient sein 
reines Bett, gute Kost und ordentliche Pflege erhält, und daß eine Liegehalle 
und eine gewisse Anzahl Liegestühle für die Liegekur zur Verfügung stehen; 
alles dies muß in jedem Krankenhaus und Krankenheim beschafft werden 
können. Es muß auch Gelegenheit vorhanden sein, Terrainkuren, Hydrotherapie, 
Pneumothorax- und Tuberkulinbehandlung, Spezialbehandlung für Larynxtuber- 


ı) M. Holmboe: Über Anlage von Staatssanatorien, Anlage zu einer Regierungsvorlage an 
das Storting 1910. l 


ZEITSCHR, f. 
I 86 . M. HOLMBOE. TUBERKULOSE 


kulose usw. anzuwenden. Aber zu allem diesem ist ein verhältnismäßig großes 
Terrain, eine kostspielige Ausstattung und vor allem ein speziell ausgebildeter 
Arzt erforderlich, welcher sich ganz oder jedenfalls wesentlich seinem Beruf 
innerhalb der Anstalt widmen kann. 

Namentlich muB diese letztere Forderung stark hervorgehoben werden, 
und zwar nicht allein mit Rücksicht auf die rein technische Seite der erwähnten 
Spezialbehandlung. Sie ist auch notwendig um die genaue Untersuchung jedes 
einzelnen Patienten und die genaue Individualisierung der Behandlung und des 
Regime zu sichern, welche die Phthisistherapie unserer Zeit fordert. Und es 
ist nicht minder notwendig, um die strenge Kontrolle und Disziplin zu sichern, 
die erforderlich ist in einer Anstalt, wo eine große Anzahl tuberkulöser Patienten 
im Anfangsstadium behandelt wird; insbesondere gilt dies in unserem Lande, 
wo man wegen der großen Entfernungen genötigt gewesen ist, die Tuber- 
kuloseanstalten als gemeinschaftliche Anstalten für Patienten beiderlei Ge- 
schlechts einzurichten. 

Diese Forderung eines für die Anstalt fest angestellten, speziell ausge- 
bildeten Arztes ist doch auch nichts anderes, als was man bei unseren Irren- 
anstalten, Küstenhospitälern und größeren Krankenhäusern als selbstverständ- 
lich ansieht. Und alle Erfahrung zeigt, daß der Erfolg und das Gedeihen 
dieser Anstalten in erster Reihe von der Persönlichkeit, der fachlichen Tüchtig- 
keit und dem Administrationsvermögen des leitenden Arztes abhängig ist. Es 
würde eigentümlich sein, wenn Heilanstalten für Tuberkulöse in dieser Beziehung 
in einer Ausnahmestellung stehen sollten. | 

Die Forderung fest angestellter Ärzte und einer Gelegenheit zu Spezial- 
behandlung macht, daß die Heilanstalten für Lungentuberkulöse verhältnismäßig 
kostspielig werden müssen. Namentlich wird es mit Rücksicht auf die Terrain- 
kuren und die Gelegenheit für die Patienten, sich im Freien zu bewegen, wie 
früher erwähnt, wünschenswert sein, daß sie über ein verhältnismäßig großes, 
am liebsten waldbewachsenes Grundareal verfügen. Schon aus diesem Grunde 
— außer verschiedenen anderen — können sie nicht innerhalb oder in der un- 
mittelbaren Nähe größerer Städte liegen. Es muß daher für Wohnungen für 
alle Angestellten gesorgt werden; meistens auch für Wege, Wasser- und Kraft- 
anlagen. | 

Auch darf man nicht unterlassen, auf die klimatischen Verhältnisse Rück- 
sicht zu nehmen. Allerdings ist man mehr und mehr davon abgekommen, 
Höhenklima zu fordern, wie dies ursprünglich geschah. Aber da die Freiluft- 
kuren eine der wesentlichsten Forderungen der Phthisistherapie unserer Zeit ist, 
ist man darauf angewiesen, geschützt liegende Stellen mit verhältnismäßig wenig 
Niederschlag, geschützt gegen Tal- und Flußwinde und alle Arten Verunreinigung 
der Luft zu wählen. 

Aber alles dies trägt selbstredend noch mehr dazu bei, die Anlagen zu 
verteuern, und es erklärt zur Genüge, weshalb ein Sanatorium, welches den 
heutigen Forderungen an Phthisistherapie entsprechen soll, notwendigerweise 
teurer pro Bett werden muß, als ein gewöhnliches Krankenhaus. 

Sollte man nun das bisher von uns befolgte System verlassen, mit be- 


BD. 25, HEFT 3. 
Rn DIE SANATORIENFRAGE. 187 


sonderen Heilanstalten für die beginnenden und Kranken- und Pflegeheimen 
für die vorgeschrittenen Krankheitsfälle, so würde man entweder genötigt 
sein, die kostspieligen Sanatorienplätze ganz bedeutend zu erhöhen, indem man 
teilweise die Sanatorien mit einer großen Anzahl Patienten füllte, welche keinen 
oder wenig Nutzen von spezieller Sanatorienbehandlung haben würden, und 
das würde schlechte Ökonomie sein. Oder man würde, aus Sparsamkeits- 
gründen, genötigt sein, von der Forderung der Spezialbehandlung abzusehen, 
die sowohl bei uns als überall anderswo gestellt worden ist; mit anderen 
Worten: man müßte aufhören wirkliche Sanatorien zu bauen, und statt dessen 
eine größere Anzahl Tuberkuloseabteilungen bei Krankenhäusern oder besondere 
kleinere Krankenhäuser, ungefähr unseren jetzigen Tuberkuloseheimen ent- 
sprechend, zu bauen. | 

Aber dies letztere würde nach meiner Meinung ein großer Rückschritt 
sein, und als ein solcher würde es auch sowohl von den Ärzten als vom 
Publikum gefühlt werden. Und man würde auch sicherlich binnen kurzem 
einer neuen Bewegung gleicher Art und Stärke gegenüberstehen, die vor kurzem 
die Behörden zwang, den ıo Jahre lang unterbrochenen Bau von Sanatorien 
wieder aufzunehmen. Denn die Forderung, daß jedem, der von Tuberkulose 
angegriffen wird, mag er arm oder reich sein, Gelegenheit zu der Behand- 
lung gegeben werden soll, die in unserer Zeit die besten Chancen für Ge- 
nesung gibt, die Forderung wird wieder und immer wieder aufs neue kommen, 
bis ihr genügt wird. Aber die Behandlung, welche den meisten dieser Patienten 
die besten Chancen gibt, ist nach allen Erfahrungen die nach den Prinzipien 
der Gegenwart geleitete Sanatorienbehandlung. Und so wird es aller Wahr- 
scheinlichkeit nach bleiben, so lange nicht eine ganz neue Phthisistherapie ge- 
funden worden ist; aber damit dürfte es noch lange Weile haben. 

„soll man zum Bau von Volkssanatorien gehen, so muß man sich sowohl 
die Erfahrung zu Nutze machen, die im Inland und Ausland auf diesem Gebiet 
gemacht worden sind, als auch die in den letzten Jahren gemachten technischen 
Fortschritte. Andernfalls werden Unzufriedenheit und berechtigte Klagen, die 
kostspielige Veränderungen und Ausbesserungen späterhin veranlassen würden, 
die Folge sein.“ Diese Äußerung des betreffenden Stortingsausschusses über 
die Bewilligung für die neuen Sanatorien für das südliche Norwegen und für 
das Stift Tromsö im Jahre r912 erlaube ich mir in dieser Verbindung zu 
zitieren. 

Außer der Anschauungsweise, die ich hier entwickelt häbe, bestehen in- 
dessen auch andere Rücksichten, die gegen eine Kombination von Heil- und 
Pflegeanstalten sprechen. | 

Fürs erste die Schwierigkeit, in den kombinierten Anstalten Platz für 
frische Fälle zu schaffen, indem diese nach kurzer Zeit von älteren, unheilbaren 
Fällen überfüllt werden. Aus Schweden ist über dieses Verhältnis kürzlich 
stark geklagt worden (Scharp). Dies ist leicht erklärlich. Eine Pflegeanstalt 
hat die Hospitalisierung der Kranken zum Zweck, je länger, desto besser; je 
besser sie ihrem Zweck entsprechend wirkt, desto weniger Abgang wird dort 
sein, und desto schwieriger wird es, Platz zu schaffen für die neuen heilbaren 


ZEITSCHR. f. 
188 M. HOLMBOE. TUBERKULOSE 


Fälle, welche Aufnahme suchen und denen so bald als möglich Aufnahme 
geschafft werden können sollte. In dieser Beziehung hat die reine Kuranstalt 
einen großen Vorzug; jeder Patient wird nur so lange behalten, als Hoffnung 
besteht, durch kurmäßige Behandlung etwas zu erreichen; deshalb dauert 
der Aufenthalt verhältnismäßig kurz und die Belegung wechselt verhältnis- 
mäßig schnell. 

Ferner muß die Rücksicht auf die weit vorgeschrittenen Krankheitsfälle 
erwähnt werden, welche entweder in ihrem eigenen Interesse oder dem ihrer 
Umgebung oder in beider Interesse in eigenen, dazu eingerichteten Kranken- 
häusern oder Pflegeheimen verpflegt werden müssen. Solche Kranke können 
nicht weite Wege transportiert werden, und wenn sie sich nicht bedrückt fühlen 
sollen, durch den Aufenthalt im Krankenhaus, so dürfen sie nicht weiter 
von ihrem Heim entfernt sein, als daß sie öfters Besuch von Verwandten und 
Freunden bekommen können; die in Tanagaard in Finmarken gemachten Er- 
fahrungen z. B. beweisen dies zur Genüge. Deshalb ist es notwendig, viele 
dieser Tuberkulosekrankenhäuser oder Pflegeheime zu haben, und abgesehen 
von den großen Städten werden die einzelnen Anstalten daher so klein, daß 
es unmöglich wird, sie alle so auszustatten, daß sie als Heilanstalten gebraucht 
werden können. Patienten im Anfangsstadium dagegen können ganz gut längere 
Reisen vertragen, und deshalb können Heilanstalten gemeinschaftlich für größere 
Landesteile aufgeführt werden; es sind nicht so viele solche nötig und jede 
einzelne erhält dann eine größere Bettenzahl. 

Schließlich kann man von der alten Einwendung gegen die Kombination 
von Kur- und Pflegeanstalten nicht absehen, daß es nicht günstig auf die 
Tuberkulösen im Anfangsstadium einwirkt, stets stark angegriffene, ja sterbende 
Kranke um sich zu haben. Andererseits muß man selbstverständlich sich davor 
in Acht nehmen, die Pflegeanstalten (Tuberkulosenheime) in Anlage und Be- 
trieb so einzurichten, daß sie das Gepräge von Anstalten bekommen, die nur 
dazu bestimmt sind, Vorhallen des Todes zu sein. Sie sollen darauf eingerichtet 
sein, den Kranken alle die Pflege und Sorgfalt zu sichern, die unter gewöhn- 
licher Krankenhausbehandlung gegeben werden kann, und es müssen nicht 
ausschließlich weit vorgeschrittene, sondern auch weniger vorgeschrittene Krank- 
heitsfälle aufgenommen werden, und wenn Grund vorliegt, auch beginnende 
Fälle, die entweder keinen Platz in einem Sanatorium finden können oder sich 
nicht zur Behandlung in einem solchen eignen. In dieser Weise sind denn 
auch unsere Tuberkuloseheime bisher betrieben worden; und es ist keine kleine 
Anzahl Patienten, die jährlich als gebessert oder sogar als symptomfrei aus- 
geschrieben werden. | 

Das System, welches bei uns und in den meisten anderen Ländern be- 
folgt worden ist: besondere Heilanstalten (Sanatorien) und Pflegeanstalten, muß 
daher nach meiner Meinung aufrechterhalten werden. Dies bringt auch den 
großen Vorteil mit sich, daß die Aufgabe des Staates auf diesem Gebiet besser 
begrenzt werden kann. Es hat sich nämlich, wie bereits erwähnt, gezeigt, daß 
die Tuberkuloseheime voraussichtlich in genügender Anzahl ohne Staatshilfe 
errichtet werden können. Zum Bau von Volkssanatorien sind dagegen weder 


BD. 25, HEFT 3. | | | 


Amts- noch Stadt- oder Landgemeinden willig gewesen. Will man zeitgemäße 
Volkssanatorien haben, so muß der Staat die Errichtung übernehmen und den 
Betriebsausfall decken; denn die unbemittelten Patienten selbst werden nicht 
Kurkosten entrichten können, welche die Betriebskosten decken. Aber diese 
Aufgabe ist nicht unüberwindlich, Wenn die beiden im Bau begriffenen Sana- 
torien und die zwei für Ostnorwegen und für die Drontheimschen Ämter in 
Aussicht genommenen fertig sind, wird unser Land im Verhältnis zur Volks- 
menge über die gleiche Anzahl Sanatorienplätze verfügen wie Dänemark, 
nämlich etwa I : 2800 Einwohner und das sollte nach den in letzterem Lande 
gemachten Erfahrungen hinreichend sein.?) 

Ist man einig darüber, daß Volkssanatorien nur zu kurativem Zweck ge- 
baut werden sollen, daß sie ausgestattet werden sollen, um diese Aufgabe in 
der bestmöglichen Weise zu lösen, und daß jedes dieser Sanatorien von einem 
dazu ausgebildeten, fest an dasselbe geknüpften und von diesem ganz be- 
soldeten Arzt geleitet werden soll, so wird die Frage, wie groß sie gebaut 
werden sollen, verhältnismäßig einfach. Einerseits muß ein Volkssanatorium 
nicht größer sein, als daß ein Arzt den Überblick über die Patienten behalten - 
und dem Zustand jedes einzelnen folgen kann. Andererseits muß es nicht so 
klein sein, daß die Arbeitsfähigkeit und Arbeitskraft des Arztes nicht ganz aus- 
genutzt werden kann. 

Die Bettenzahl, für welche die meisten schwedischen, dänischen und deutschen 
Sanatorien gebaut sind, ist r00 oder etwas darüber. Von unseren Sanatorien 
sind bekanntlich Lyster und Grefsen von dieser Größe. Auf mehreren Stellen 
hat man sie indessen auch sowohl größer als kleiner gebaut. 

In dem von G. Pannwitz im Jahre 1899 vorgelegten Programm für 
Volkssanatorien empfahl er, ohne nähere Begründung, eine Bettenzahl von 100. 
Die Kommission, die vor einigen Jahren vom Internationalen Tuberkuloseverein 
eingesetzt wurde, und die unter ihren Mitgliedern Namen wie Schmid, von 
Schroetter, Williams zählte, schlug als Maximum 200, als Minimum 60 
und als Normalzahl 100 Betten vor. Der Vorschlag der Kommission, welcher 
auf der Konferenz in Philadelphia im Jahre. 1908 vorgelegt wurde, wurde von 
dieser einstimmig angenommen. Es muß daher angenommen werden, daß 
derselbe eine sehr ausgebreitete Auffassung unter den auf diesem Gebiet am 
meisten meinungsberechtigten zum Ausdruck bringt. 

Ein Sanatorium mit 100 Betten muß außer dem Oberarzt einen Assistenz- 
arzt haben; die Erfahrung zeigt, daß ein Arzt neben der Leitung, der Behand- 
lung und der Verwaltung. der Anstalt nicht imstande ist, alle Untersuchungen 
und alle die medizinische Behandlung auszuführen, die bei einer verhältnismäßig 
so großen Anstalt erforderlich sind. H. Rördam fordert, nach den in Däne- 
mark gemachten Erfahrungeu, einen Arzt für je 50 Patienten. Die schwe- 
dischen Tuberkuloseärzte veranschlagen in einer gemeinschaftlichen Äußerung?) 


I) Was hier gesagt ist, gilt nur den erwachsenen Patienten mit Lungentuberkulose; die 
Frage betreffend Anstalten für lungentuberkulöse Kinder, die in der letzten Zeit auf die Tages- 
ordnung gekommen ist, babe ich bier außer Betracht lassen müssen. 

3) Allgemeine schwedische Ärztezeitschrift 1913, S. 1123. 


190 M. HOLMBOE. TUBERKULOSE 
60 Patienten als die größte Anzahl, die von einem Einzelarzt in befriedigender 
Weise untersucht und behandelt werden kann; gleichzeitig heben sie es in- 
dessen als einen Vorteil hervor, wenn die Sanatorien so groß sind, daß zwei 
Ärzte bei denselben angestellt sind. Daß das Zusammenarbeiten zwischen 
Oberarzt und Assistenzarzt seine Vorteile hat, dadurch, daß es zur Schaffens- 
freude anspornt, frische Impulse gibt und Einseitigkeit vorbeugt, wird auch 
wohl von niemand bestritten werden. 

Aber abgesehen hiervon, wird die Frage, ob Sanatorien groß (für 100 Betten 
und darüber) oder von geringerem Umfang gebaut werden sollen, wesentlich 
eine ökonomische Frage, unter der Voraussetzung, daß man sie nicht so klein 
einrichtet, daß sie nicht ihren eigenen, durch seine Tätigkeit innerhalb der 
Anstalt ganz in Anspruch genommenen Arzt haben können. 

Die Anhaltspunkte, die man hat, um sich ein Urteil darüber zu bilden, 
ob große oder kleine Sanatorien am billigsten in Anlage und Betrieb sind, 
sind kaum besonders zuverlässig. Die Angaben, die über ausländische Sana- 
torien vorliegen, lassen sich, ohne nähere Revision, nicht zu Vergleichen ge- 
brauchen, da sie nicht auf einer gleichartigen Grundlage gebaut sind. Von 
Dänemark, wo beide Systeme versucht worden sind, indem der Nationalverein 
‚zwei kleine und vier große Sanatorien für Erwachsene gebaut hat, führt 
Rördam als seine Erfahrung an, daß selbst wenn man bei der Aufführung der 
kleinen Sanatorien etwas erspart, der Betrieb teurer wird.!) 

Bei der Ausarbeitung des Planes für das Staatssanatorium für Ostnorwegen 
wird — einem vom Storting geäußerten Wunsch entsprechend — .diese Frage 
näher untersucht werden, indem die Pläne gemäß der Bestimmung des Regie- 
rungsdepartements in mehreren Alternativen ausgearbeitet werden sollen: für 
etwa 100 Betten, für 50 und für eine noch kleinere Anzahl. Wenn diese 
Pläne und die darauf basierten Kostenanschläge vorliegen, so wird man sich 
hoffentlich besser eine Meinung über diese Frage bilden können. 


Zusammenfassung. 


Verf. gibt eine Übersicht über die Entwicklung der Frage von der Hos- 
pitalisierung der unbemittelten Schwindsüchtigen seit dem Anfang des Kampfes 
gegen die Tuberkulose, mit besonderer Rücksicht auf Deutschland und die 
skandinavischen Länder. Anfangs war es besonders die Errichtung von Heil- 
stätten für die Kranken im Anfangsstadium, auf welche die Aufmerksamkeit 
gerichtet. wurde. Es zeigte sich aber bald, daß hiermit die Aufgabe nicht er- 
ledigt war; es mußte auch etwas für die mehr vorgeschrittenen, unheilbaren 
Fälle gemacht werden, und zwar sowohl in ihrem eigenen Interesse wie in 
demjenigen ihrer Umgebung. Bei der Lösung dieser Aufgabe haben sich zwei 
entgegengesetzte Richtungen geltend gemacht; von der einen Seite wurde be- 
hauptet, daß Heilstätten für die kurative Behandlung der heilbaren Fälle, und 
Anstalten für die Verpflegung der unheilbaren von einander abgesondert ge- 
halten werden sollten; von der anderen Seite wurde verlangt, man solle diese 


1) H. Rördam: Beitrag zur Beleuchtung des Kampfes gegen die Tuberkulose (1904). 


BD, 25, „HEFT 8. | DIE SANATORIENFRAGE, IQI 


Absonderung aufgeben. Verf. zeigt, wie in Schweden, zum Teil wenigstens, 
die letztgenannte Richtung bestimmend geworden ist, während man in Deutsch- 
land, Dänemark und Norwegen im großen und ganzen an der Errichtung ge- 
sonderter Heil- und Pflegeanstalten festgehalten hat, und zwar, nach der Meinung 
des Verf.s mit Recht. | 

Verf. begründet diese Meinung näher. Eine wirkliche Heilanstalt für 
Lungentuberkulose muß über alle diejenigen Hilfsmittel verfügen, welche unsere 
Zeit besitzt. Daraus folgen die Ansprüche auf ein recht großes Terrain, eine 
in mehreren Richtungen kostspielige Ausstattung, und vor allem — einen spe- 
ziell ausgebildeten Arzt, der sich gänzlich der Wirksamkeit innerhalb der. An- 
stalt widmen kann; dies letzte ist auch aus disziplinären Gründen notwendig. Bei 
der Wahl des Bauplatzes müssen auch die klimatischen Verhältnisse in Betracht 


genommen werden. Da die Heilstätten gewöhnlich außerhalb der Städte an- 
gelegt werden müssen, wird es fast immer notwendig, für das ganze Personal 


Wohnungen zu bauen. 

Alles dies trägt dazu bei, die Heilstätten zu verteuern; jedes Krankenbett 
wird durchschnittlich teuerer als in einem gewöhnlichen Krankenhaus. Es wäre 
daher schon aus ökonomischen Gründen unzweckmäßig, einen Teil der Heil- 
stättenbetten für Unheilbare zu verwenden. Dazu kommt aber auch, daß An- 
stalten, die unheilbare Fälle aufnehmen, sehr bald überfüllt werden, weshalb 
die frischen Fälle oft vergebens Aufnahme suchen. Von Schweden her ist 
hierüber geklagt worden. Weiter muß die Schwierigkeit hervorgehoben werden, 
vorgeschrittene Kranke weit von ihrer Heimat weg zu transportieren, während 
dagegen Kranke im Anfangsstadium recht gern eine längere Reise machen, um 
in eine Heilanstalt zu gelangen. Endlich muß der deprimierende Einfluß er- 
wähnt werden, der mit dem stetigen Zusammensein mit weit vorgeschrittenen 
und sterbenden Kranken unvermeidlich verbunden ist. 

Alles dies spricht gegen die Kombination von Heil- und Pflegeanstalten 
und für die Einrichtung von gesonderten Heilstätten und Pflege- oder Invaliden- 
heimen. Doch muß man sich wohl hüten, diese letzteren so einzurichten, daß 
sie den Eindruck von Vorhallen des Todes machen. Daß dies sehr wohl 
möglich ist, zeigt. die Erfahrung von den ungefähr 50 norwegischen Busse 
heimen für Tuberkulöse. 

Schließlich bespricht Verf. kurz die Frage von da zweckmäßigsten 
Größe der Volksheilstätten. Als Normalzahl der Betten einer Volksheilstätte 
hat der internationale Tuberkuloseverein 100, als Maximum 200 und als 
Minimum 60 vorgeschlagen. Verf. hebt hervor, daß eine Volksheilstätte nicht 
so groß sein muß, daß der leitende Arzt den Überblick über den Zustand 
jedes Kranken verliert; auf der anderen Seite darf sie nicht so klein sein, daß 
die Arbeitskraft des Arztes nicht ausgenutzt wird. Bei Anstalten von mehr 
als 50—60 Betten wird es gewöhnlich erforderlich sein, auch einen Assistenzarzt 
anzustellen. Daß in einer solchen Anstalt ein Zusammenarbeiten zwischen dem 
leitenden Arzt und einem Assistenzarzt stattfinde, muß als Vorteil angesehen 


werden. Sonst müssen — mit der oben genannten Begrenzung — bei der 
Festsetzung der Bettenzahl, die ökonomischen Rücksichten bestimmend sein. 
— m ua 


u. 


ZEITSCHR. f, 
TUBERKULOSE 


| XII. 
Geheimrat J. Orths Vortrag „Zur Frage nach den Beziehungen 
des Alkoholismus zur Tuberkulose“, 


zweite Mitteilung, 
in der Sitzung der Kgl. Preuß. Akademie der Wissenschaften vom 6. Januar 1916. 


Besprochen von 


C. Hart. 


ein frischerer Wind auf, eine Art Kampfstimmung, auf den ersten Blick um- 
stürzlerisch, in Wahrheit aber bestrebt, der Theorie wie der Praxis neue Er- 
kenntnis dienstbar zu machen. Und wer den Fortschritt ehrlich will, der soll 
sich darüber nur freuen, auch wenn manche Lehrmeinung an Bedeutung und 
manche Einrichtung an Wert verliert, auch wenn an ihre Stelle nichts Vollendetes 
und Unvergängliches tritt. 

Merkwürdig scharf sind die Worte gewesen, die in letzter Zeit wiederholt 
gegen das Heilstättenwesen in seiner jetzigen Begründung und Form geäußert 
worden sind, und wir können nicht sagen, daß sie unberechtigt gewesen seien. 
Beachtenswert ist es sicherlich auch, wenn in einer Zeit, da mehr denn je die 
Gefährlichkeit des Alkohols für den menschlichen Organismus gepredigt wird 
und die kriegführenden Staaten sich zu einer gesetzlichen Einschränkung des 
Alkoholkonsums genötigt fühlen, die Beziehungen des Alkoholismus zur Tuber- 
kulose einer kritischen Betrachtung unterzogen werden, die an einer weit ver- 
breiteten Überzeugung rüttelt. Doch weist Orth mit vollem Rechte alle Vor- 
würfe, die man ihm daraus machen könnte und auch gemacht hat, mit dem 
Hinweise darauf zurück, daß einmal die Gefahren, die den Kriegsteilnehmern . 
vom Alkohol drohen, mit der Tuberkulose nicht viel zu tun haben, daß zum 
anderen aber in Fragen wie der behandelten die Wahrheit niemals Scha- 
den bringen kann. ‚Der Gründe, warum sich der Soldat ganz besonders 
vor dem Mißbrauch geistiger Getränke hüten muß, gibt es so viele, triftige 
und einwandfreie, daß man nicht nötig hat, auch noch mit unsicheren und 
unbewiesenen Gründen zu kommen.“ Zudem ist Orth ja auch weit entfernt 
davon, den Kampf gegen den Alkoholismus etwa zu verwerfen oder für be- 
deutungslos zu halten, erkennt vielmehr die Gefahren des übermäßigen Alkohol- 
genusses nicht nur im allgemeinen an, sondern spricht ihm auch für die 
. Tuberkulose nicht jede Bedeutung ab. Aber worauf es ihm ankommt, das ist 
die streng wissenschaftliche Prüfung solcher Anschauungen wie der, daß Al- 
koholgenuß die Entstehung der tuberkulösen Lungenschwindsucht begünstige, 
ihren Verlauf verschlimmere. 

Die Gefahren des chronischen Alkoholismus sind große, aber vielfach 
werden sie maßlos übertrieben. Der Kampf gegen den Alkoholismus ist zum 
Teil schon ausgeartet und hat den Blick nicht nur für das erreichbare, sondern 


BD.25 WEFTS. BEZIEHUNGEN DES ALKOHOLISMUS ZUR TUBERKULOSE. 193 
auch das erreichenswerte Ziel verloren. Zu rechter Zeit ein frisches Glas Bier, 
zu guter Stunde des Behagens ein Gläschen Wein etwa nach Goethes Grund- 
satz sollte man aufhören als ein Verbrechen an sich selbst anzusehen. Wer 
Maßhalten predigt, der halte selbst Maß auch in seiner Kritik, wenigstens so 
lange er sich nicht auf ganz unumstößliche, einer strengen wissenschaftlichen 
Prüfung standhaltende Beweise stützen kann. 

Daran fehlt es aber doch noch recht sehr. Wenn wir in der Sozial- 
pathologie Grotjahns lesen, die medizinische Wissenschaft fasse unter der Be- 
zeichnung „chronischer Alkoholismus“ die Summe aller durch den mißbräuch- 
lichen Genuß alkoholhaltiger Getränke gesetzten dauernden pathologischen Ge- 
websveränderungen und die durch sie bedingten klinischen Erscheinungen zu- 
sammen, so muß man fast mit Bestürzung erkennen, wie wenig ganz Sicheres 
wir nun wirklich wissen. Aber die Atherosklerose, die Lebercirrhose, die chro- 
nische Nephritis sind doch recht häufig die Folge des Alkoholismus? Es kann 
so sein, so dürfen wir annehmen, viel häufiger aber ist es nicht so. Über die 
Beziehungen des Alkoholismus zur Atherosklerose läßt sich Beweiskräftiges 
kaum sagen, das Tierexperiment hat uns auch nicht weit gebracht, sicher aber 
ist, daß die Atherosklerose so häufig und selbst schwerer Natur bei älteren 
Individuen ist, die mäßig oder sogar abstinent waren, daß es nicht angeht, die 
Atherosklerose der Potatoren auf die spezifische Wirkung des chronischen Al- 
koholgenusses vorwiegend zurückzuführen. Als vor einigen Jahren die be- 
kannte Berliner Alkoholkatastrophe eine Hekatombe an Menschenleben forderte, 
da setzte es die Gerichtsärzte in Erstaunen, daß unter den sezierten Potatores 
strenui nicht einer eine Lebercirrhose hatte, und es ist auch nach den Er- 
fahrungen der Pathologen zweifellos, daß nur ein kleiner Bruchteil der Trinker 
und Säufer eine Lebercirrhose bekommt. Und mit der chronischen Nephritis 
steht es kaum anders. Kurzum: wer vorurteilslos nach den durch chronischen 
Alkoholgenuß bedingten Organveränderungen sucht, muß zu der Überzeugung 
kommen, daß seine Gefahren stark übertrieben in dieser Hinsicht werden und 
daß noch irgendein individuelles Moment eine Rolle spielt, das ganz bestimmte 
Organerkrankungen als Folge der chronischen Alkoholintoxikation zustande 
kommen läßt.. | 

So mögen diese kurzen Bemerkungen zeigen, wie wenig Sicheres wir 
noch über die Wirkungen des Alkohols auf die Organe wissen und wie un- 
wissenschaftlich demnach in vieler Hinsicht die Grundlagen des Kampfes gegen 
den Alkoholgenuß sind. Wenn daher Orth die Beziehungen des Alkoholismus 
zur Tuberkulose zum Gegenstande einer kritischen Betrachtung namentlich auch 
auf Grund seiner eigenen reichen Erfahrung macht, so ist diese Betrachtung 
freudig zu begrüßen als Teil einer Untersuchung auf breiter Basis an verläß- 
lichem Material. Liegen seitens der Klinik bzw. des behandelnden Arztes 
sichere Angaben über den Alkoholismus des Verstorbenen vor, so ist der 
pathologische Anatom wohl berufen, ein Urteil über etwaige Beziehungen 
zwischen dem Alkoholismus und der tuberkulösen Erkrankung der Lungen ab- 
zugeben, wenn er sich wie Orth im wesentlichen an der Gegenüberstellung 
statistisch gewonnener Zahlen genügen läßt. 

Zeitschr, f. Tuberkulose, 26. 13 


| ZEITSCHR. f. 
I eea e ea a uue ___TÜBERKULOSE 


Aber schon der erste Vortrag Orths hat ein Echo gehabt, das lehrt, 
wie sehr ein Abweichen von den Anschauungen der Alkoholgegner ein 
Schwimmen gegen den Strom bedeutet. Abgesehen von Vorwürfen allgemeiner 
Natur hat eine nicht unüberhebliche Kritik sich garnicht die Mühe genommen, 
Grenzen und Ziel, die Orth selbst sich zunächst gesteckt hatte, zu würdigen. 
Dem stand aber das rein wissenschaftliche Interesse an der behandelten Frage 
im Vordergrunde, indem er allein die unmittelbare Wirkung des Alkohols auf 
den Körper des Trinkers selbst feststellen wollte. So suchte Orth zu ent- 
scheiden, ob die Häufigkeit der Tuberkulosetodesfälle und die Höhe des Al- 
kohol-, insbesondere des Branntweinverbrauches, auf den Kopf der Bevölkerung 
berechnet, einander parallel verlaufen, wozu er sich einmal der Bertillonschen 
Kartenskizzen über Branntweinverbrauch und Tuberkulosesterblichkeit in den 
einzelnen Departements Frankreichs, dann des statistischen Materiales des 
Preußischen Staates bediente. Da Lilienthal in Bd. 23, Heft 4, S. 366 dieser 
Zeitschrift hierüber eingehend berichtet hat, fasse ich nur das Ergebnis, zu 
dem Orth kommt, zusammen: 

Infolge ihrer gänzlichen Regellosigkeit bieten die Bertillonschen Zahlen 
keine genügende Grundlage für die Behauptung, daß in Frankreich der Brannt- 
weingenuß für das Auftreten der tuberkulösen Lungenschwindsucht ausschlag- 
gebend sei, wenngleich Orth nun meidet, seinerseits Schlüsse in negativem 
Sinne aus dieser Feststellung zu ziehen, namentlich weil man ja den Brannt- 
weingenuß nicht als alleinigen Maßstab für chronischen Alkoholismus ansehen 
kann. In Preußen aber liegt die Sache so nach den amtlichen Tabellen der 
Jahre 1900/02 und 1910/12. Die Tuberkulosesterblichkeit vor dem 40. Lebens- 
jahre hat abgenommen, wenngleich nur unerheblich im dritten und vierten 
Lebensjahrzehnt, wobei die Gesamtsterblichkeit der Männer für die ersten 30 
Lebensjahre kleiner ist als die der Weiber. Mit dem höheren Lebensalter läßt 
sich eine regelmäßige Abnahme der Tuberkulosefälle in den letzten Jahren er- 
kennen. Es fehlt jeder Beweis für die Annahme gesetzmäßiger Beziehungen 
zwischen Alkoholismus und Tuberkuloseausbruch in den ersten Lebensjahr- 
zehnten trotz Umkehr des Verhältnisses der Tuberkulosesterbefälle von Männern 
und Weibern, weil hierfür hinreichend befriedigende andere Erklärungen vor- 
handen sind. Daß aber die Abnahme der Tuberkulosetodesfälle im höheren 
Alter nicht etwa von einer Abnahme des Alkoholverbrauches herrühren kann, 
ergibt sich ohne weiteres aus der Feststellung, daß der Verbrauch von Alkohol 
in Form von Branntwein wie aller sonstigen geistigen Getränke nicht abge- 
nommen hat. „Wenn aber“, so schloß Orth, „die in den letzten Jahren fest- 
gestellte Abnahme der Tuberkulosetodesfälle bei Männern jenseits des 40. Jahres 
mit dem Alkoholismus nichts wesentliches zu tun hat, so wird man auch um- 
gekehrt schließen dürfen, daß auch bei der Zunahme der Tuberkulosetodes- 
fälle jenseits des 40. Lebensjahres der Alkoholismus eine ausschlaggebende 
oder auch nur wesentliche Rolle nicht spielen wird.“ 

Gegenüber dieser vorsichtigen, aber doch zahlenmäßig gut belegten 
Folgerung können, wie Orth in seinem zweiten Vortrage mit Recht betont, 
. so unbewiesene Behauptungen wie die Holitschers, die geringere Zahl von 


PD. 25, HEFT3. BEZIEHUNGEN DES ALKOHOLISMUS ZUR TUBERKULOSE. 195 


Alkoholikern unter den jugendlichen Schwindsüchtigen erkläre sich aus einer 
Abneigung der von Geburt zur Tuberkulose Disponierten gegen den Alkohol, 
während sich mit zunehmendem Alter der Einfluß des Alkohols immer mehr 
geltend mache, nicht standhalten. Wo bleibt der exakte Beweis für die An- 
nahme, daß die meisten Tuberkulösen nicht Alkoholiker, wohl aber die Trinker 
tuberkulös werden? Mit solchen, jeder objektiven Grundlage entbehrenden, 
vorgefaßten Meinungen läßt sich, wie Orth betont, nicht beweisen, daß der 
Alkoholismus durch Herabsetzung des Körperwiderstandes für die Tuberkulose 
empfänglich mache. | 


Dagegen bringt Holitscher selbst, wie Orth des Näheren ausführt, in 
der Bezugnahme auf eine Veröffentlichung des Kaiserlichen statistischen Amtes 
über die Krankheits- und Sterblichkeitsverhältnisse in der Ortskrankenkasse zu 
Leipzig und Umgebung ein Material herbei, das ganz zu Gunsten der Orth- 
schen Anschauung spricht. Es ergibt sich nämlich aus dieser Statistik völlig 
eindeutig, daß hinsichtlich der Tuberkulose die Krankheits- und Sterblichkeits- 
verhältnisse für die Alkoholiker günstiger als für die Allgemeinheit liegen. Ja 
dieses Resultat geht sogar aus einer besonderen Betrachtung, einzelner solcher 
Berufsarten hervor, in welchem die Zahl der Alkoholiker, wie im Alkohol- 
gewerbe z. B., am größten ist, wie folgende Tabelle zeigt. 


Auf je 1000 beobachtete Personen der Altersklasse 25 bis 34. 


Krankheits- | Krankheits- | Todesfälle an Tuberkulose 
fälle tage | 


Bei Brauern und Branntweinbrennern .. | 6,3 2,61 

„ Hilfsarbeitern im Gastwirtsgewerbe . 6,1 2,33 

w „Kellnern. ca a ee i 6,4 3,17 

‚„ Schlossern und Eisendrehen. .... | 11,2 s 
» der Allgemeinheit ........ a., | 8,2 2,33 


zahlen 


Ob sich diese bemerkenswerte Tatsache wirklich mit dem Hinweise er- 
klären läßt, daß es sich um von vornherein sehr kräftige Personen handelt 
mit nur geringer Neigung zu tuberkulöser Erkrankung, wie der Statistiker 
meint, muß uns doch recht fraglich erscheinen. Andererseits muß man berück- 
sichtigen, daß auch im Alkoholgewerbe soziale Verhältnisse eine Rolle spielen, 
wie man wohl aus nachstehender von mir aus dem Grotjahnschen Werke ent- 
nommenen Angabe entnehmen kann, die wir Tatham verdanken. Nach ihr 
verstarben im Vergleich mit der (= 100 gesetzten) Sterblichkeit aller berufs- 
tätigen Männer von den in Alkoholberufen tätigen Männern an Tuberkulose: 


Gastwirte, Gastwirtsbedienstete 


Mälzer | Brauer rn en Et BE Ra a a Re ee Zur uf te 
| Engl. Wales London | Industriebezirke | Ländliche Bezirke 


79 148 168 242 | 170 | 124 


Also in der Weltstadt mit Mangel an Luft und Licht, bei engen Woh- 
nungsverhältnissen mit Steigerung der Exposition ist die Tuberkulosesterblich- 
13* 


ZEITSCHR. f 
196 | C. HART. TUBERKULOSE 


keit eine weit höhere als auf dem Lande und selbst in Industriebezirken. Im 
übrigen geht auch aus dieser, nicht weiter ausgefüllten Tabelle (siehe Grot- 
jahn) hervor, daß in den Alkoholgewerben die Tuberkulosesterblichkeit eine 
durchweg niedrigere ist als aus den meisten anderen Ursachen. 

So ist also die Folgerung der Leipziger Statistik, daß der Alkoholismus 
nichts wesentliches mit der Tuberkulose zu tun habe, verständlich und man 
muß Orth nur beipflichten in der besonderen Beachtung der dort kurz ab- 
getanen Frage, ob nicht der Alkohol ein Schutzmittel gegen Tuber- 
kulose sei. 

Daß für die Entscheidung dieser Frage objektive Grundlagen schwer zu 
beschaffen sind, verkennt Orth nicht, doch werden wir später sehen, wie sich 
seine eigenen Untersuchungen zu ihr stellen. Wenn aber die Leipziger Statisik 
annimmt, daß die relativ geringe Tuberkulosesterblichkeit der Alkoholiker nur 
bedingt sei durch ein in jenen Berufen besonders kräftiges Menschenmaterial, 
so kann man dem entgegenhalten, daß chronischer Alkoholismus selbst den 
kräftigsten Organismus zugrunde richtet und ihm seine Widerstandsfähigkeit 
gegenüber den mannigfachsten krankmachenden Noxen nimmt. Trotzden hören 
wir folgendes: „Hervorzuheben ist, daß jene Gunst der körperlichen Verfassung 
der Tuberkulose gegenüber durch den Alkoholismus nicht aufgehoben wird, 
während den anderen Krankheiten und Krankheitsgruppen gegenüber ... diese 
Gunst der körperlichen Verfassung versagt und die Alkoholiker an der Masse 
der anderen Krankheiten in 2- bis 3fach so hohem Ausmaß als die Allgemein- 
heit beteiligt sind.“ Auch dieser von Orth angeführte Schluß der Leipziger 
Statistik bedeutet zweifellos ein bemerkenswertes positives Ergebnis, denn er 
läßt klar erkennen, daß der Tuberkulose gegenüber der Alkoholiker besser da- 
steht als der Enthaltsame und Mäßige. 

Orth selbst hat nun der Frage seine Aufnerkserkeit zugewendet, wie 
viele Tuberkulöse sich unter den sezierten Alkoholikern nachweisen lassen, 
und ist dabei zu dem Ergebnis gekommen, daß die Zahlen der Leipziger Sta- 
tistik eine volle Bestätigung auch bei Berücksichtigung der höheren Alters- 
klassen, denen ja die meisten sezierten Säufer angehören, finden. Dabei muß 
man folgendes berücksichtigen. Sicherlich erfaßt die Orthsche Untersuchung 
gerade die schwersten Säufer, so daß die Gewähr gegeben war, daß die Wir- 
kungen des Alkohols voll und ganz zutage treten konnten, während es be- 
langlos bleibt, daß dieser und jene leichtere Säufer vielleicht nicht mitgerechnet 
wurde. Andererseits nimmt Orth für seine Statistik um so größere Beweis- 
kraft in Anspruch, „als es sich um eine auf Leichenuntersuchungen beruhende 
Zusammenstellung handelt, um eine Untersuchung also, bei der auch gering- 
fügige tuberkulöse Veränderungen der Atmungsorgane, die klinisch garnicht 
festgestellt waren, berücksichtigt werden konnten, so daß die Tuberkulose 
sicherlich nicht zu kurz gekommen ist.“ Wenn man dann hört, daß auch jede 
Verkäsung und Verkalkung der tracheobronchialen Lymphdrüsen und sogar 
nur schiefrige Indurationen der Lungen, auch wenn sie makroskopisch nicht 
sicher ihre tuberkulöse Genese erkennen ließen, als tuberkulöse Erkrankung in 
Rechnung gestellt wurden, so muß man sagen, daß Orth eigentlich mehr als 


BD.26, HEFT8. BEZIEHUNGEN DES ALKOHOLISMUS ZUR TUBERKULOSE. 197 


genug getan hat, um zu einem für die Ansichten der Alkoholgegner günstigen 
Resultat zu kommen. Von vornherein also ist daran festzuhalten, daß die 
Tuberkulosezahlen der Orthschen Statistik sicherlich nicht zu niedrig, eher zu 


hoch angesetzt sind. Endlich macht Orth auch auf die beachtenswerte Tat- 


sache aufmerksam, daß der das Sektionsmaterial liefernde Krankenbestand des 
Königlichen Charit&-Krankenhauses sich im wesentlichen immer wieder aus 
denselben Bevölkerungsschichten zusammensetzt, so daß die Zahl der Tuber- 
kulosefälle bei Alkoholikern mit der der Allgemeinheit der Sezierten verglichen 
werden kann. Zu welchen Resultaten kommt nun Orth? 

Darüber gibt uns zunächst die folgende Statistik Aufschluß, die 218 Säufer 
(194 Männer; 24 Weiber) abzüglich eines Falles von Urogenitaltuberkulose umfaßt. 


4 Davon Deliranten Allgemeine 
FLUNUNZRONGENE | Säufer (73 Männer, 5 Weiber) Prozentzahl 


Piel. 55a iae er an 153 (70,18°/,) 60 (77°) 

Tuberkulös ..... 2200000 64 (29,50°/,) = _ı8 (23°/,) 30 
217 

Und zwar ruhende Tuberkulose . 35 = 16,19), | 12 = 15,69], 8 

Fortschreitende Tuberkulose. ... . 29 = 13,4? ma = 7,3% 22 
64 | 


Diese Zahlen setzt Orth in Vergleich zu der für die beiden Endjahre 
des in Betracht kommenden Jahrzehntes (1905 und 1914) berechneten Zahl der 
über 15 Jahre alten männlichen Sezierten und der bei diesen festgestellten 
Tuberkulose und findet da, daß von 935 Männern 281 = 30°/, überhaupt tuber- 
kulös waren und 207 = 22°/, eine fortschreitende Tuberkulose hatten, denen 
also die oben genannten, auf Säufer bezüglichen Zahlen gegenüberzustellen 
sind. Über das Ergebnis hören wir von Orth: 

„Es ergibt sich also, daß die Zahl der Tuberkulösen bei den Säufern mit 
der bei der Gesamtheit übereinstimmt, daß aber ein wesentlicher Unterschied 


in der Schwere der Erkrankung zugunsten der Alkoholiker besteht, indem bei 


diesen nur 13,4°/, (gegen 22°/, der Allgemeinheit) eine fortschreitende, da- 
gegen 16,1°/, (gegen 8°/, der Allgemeinheit) eine ruhende und geringfügige 
Erkrankung darboten. 

Noch günstiger als bei der Gesamtheit der Alkoholiker stellt sich das 
Verhältnis bei den an Säuferwahnsinn Gestorbenen; denn unter den 78 Deli- 
ranten (73 Männern und 5 Weibern) zeigten 55 Männer und 5 Weiber zusammen 
60 (gleich rund 77°/,), von Tuberkulose völlig freie Atmungsorgane (gegen 70 
der Allgemeinheit) und von den 18 = 23°/, (gegen 30°/,) überhaupt mit Tuber- 
kulose Behafteten nur 6 = 7,3°/, (gegen 22°/,) eine fortschreitende Tuberkulose 
und 12 = 15,6°/, (gegen 8°/,) geringfügige und ruhende tuberkulöse Ver- 
änderungen“. 

Kann man sich wundern, wenn Orth sich fragt: „Sollte der Alkohol am 
Ende doch ein Schutzmittel gegen Tuberkulose sein?“ 


Wichtig sind auch die beiden nächsten von Orth aufgestellten Tabellen, 


G 


l 
F 


ZEITSCHR, f., 


198 C. HART.. TUBERKULOSE 


in denen die Zahl der Alkoholiker und der unter ihnen mit Tuberkulose Be- 
hafteten berechnet wird. Ich fasse sie zusammen: 


Säufer (Deliranten) | Ruhende Tuberk. | Fortschreit. Tuberk.| Tuberk. überhaupt 


15—30 13 ( 4) 2 (0) I (0) 3 (0) 
30—40 61 (27) 9 (4) 14 (4) 23 (8) 
40—50 78 (33) 8 (4) 6 (0) 14 (4) 
50—60 49 (11) rr (3) 6 (2) 17 (5) >° 
60—70 16 ( 3) 4 (1) 2 (0) 6 (1) 
70, I I (0) 0o(0) ı (o) 
"218 (78) 64 (18) 


Jenseits des 40. Lebensjahres standen also 144 Alkoholiker (gegen 74) 
und ebenso gehörte auch die Mehrzahl der Tuberkulösen unter ihnen (38 = 
rund /) dem höheren Lebensalter an, wie Orth bemerkt, durchaus ent- 
sprechend der Tatsache, daß die Tuberkulosesterblichkeit der Männer in den 
höheren Lebensaltern eine größere ist. 

Orth geht nun weiterhin mit einigen Worten auf die Tuberkulosesterb- 
lichkeit in den sogenannten Alkoholgewerben ein, unter dem nochmaligen 
Hinweise darauf, daß man hier in Annahme enger Beziehungen zwischen Alko- 
holismus und Tuberkulose recht vorsichtig sein muß, „da der Alkoholgenuß 
ja nur eine der besonderen Lebensbedingungen dieser Menschen ist, daß 
mindestens viele unter ihnen auch noch in anderer Beziehung, so in bezug auf 
Arbeitsanstrengung, Arbeitsart, Arbeitspausen, Ernährung, Wohnung usf., eine 
besondere Stellung einnehmen.“ Es wurde das ja oben schon angedeutet. 


Orth gibt folgende Zahlen über das Alkoholgewerbe in seiner Statistik an: 


Gewerbe | Freie Lungen Tub. Lungen |Fortschreit. Tub. | Ruhende Tub. 
eenaa aa a N ln sen ee E SR EEEE E | mr a en ES ESN ee 
Gastwirte | Ber 5 2 3 
24 M.„ 2 W. 20 M„ 1ı W. 4M, ı W. 2 M. 2M, ıW. 
Kellner 8 5 4 I 
10o M, 3 W. 5M, 3 W. 5 M. 4 M. ı M. 
Gastwirtsgehilfen 4 — — — 
(Hausknechte usw.) i 
4 M. 4 Mij — — — 


Während also, wenn wir die Männer allein berücksichtigen, 83,33°/, 
(gegen 70°/, der Gesamtheit) völlig frei von Tuberkulose waren, boten nur 
16,66°/, (gegen 30°/,) überhaupt tuberkulöse Veränderungen und nur 8,33°/, 
(gegen 22°/,) zeigten eine fortschreitende Tuberkulose. Mit Recht meint 
Orth hierzu: 

„Die Zahlen sind klein, aber sicher, und diejenigen bei den Gastwirten. 
doch groß genug und so eindeutig, daß man mit Sicherheit sagen kann, die 
in der Charite verstorbenen Gastwirte, welche nachweislich Trunkenbolde waren, 
waren in bezug auf tuberkulöse Lungenerkrankungen weit besser gestellt, als die 
Gesamtheit der in demselben Krankenhaus verstorbenen Männer über 15 Jahre.“ 


D. L8. BEZIEHUNGEN DES ALKOHOLISMUS ZUR TUBERKULOSE. 199 

Wie aus der Leipziger Statistik, so ergibt sich auch aus Orths Unter- 
suchungen, daß die Alkoholiker in den Alkoholgewerben gegenüber der Tuber- 
kulose (von den Kellnern, bei denen noch andere Verhältnisse besonders in 
Betracht kommen, abgesehen) nicht schlechter, in vieler Hinsicht sogar wesent- 


‘lich besser als die Allgemeinheit gestellt sind. 


So sehen wir, wie die großenteils allgemein gehaltenen Behauptungen 
über die Beziehungen des Alkoholismus zur Tuberkulose an Wert verlieren, 
wenn sie einmal an einem einwandfreien Material zahlenmäßig und selbst mit 
solcher Vorsicht, wie Orth sie anwendet, nachgeprüft werden. Es würden 
zweifellos sich sehr interessante Resultate ergeben, wenn von Pathologen ähn- 
liche Statistiken aufgemacht würden, wie von Orth über das Alkoholgewerbe. 
Es ist doch höchster Beachtung wert, wenn wir erfahren, daß in letzterem die 
Kellner am wenigsten Säufer stellen und trotzdem viel häufiger an Tuberkulose 
erkranken und noch häufiger an ihr sterben als die Allgemeinheit der Männer 
über 15 Jahren. Hier werden wir indirekt auf die Bedeutung anderer Faktoren 
als des Alkohols hingewiesen, genau so, wie die Leipziger Statistik direkt an 
den Schlossern zeigt, daß der Alkohol für ihre hohe Beteiligung an tuber- 
kulöser Erkrankung garnicht in Frage kommen kann, weil sich nur. wenige 
Trinker unter ihnen fanden. 

Als in besonderem Maße dem sewohnleitämiäbigen, starken Alkoholgenuß 
verfallen zählt Grotjahn Seeleute, Forstarbeiter, Fuhrleute, Maschinisten und 
Heizer, dann namentlich Angehörige der Berufe, deren Ausübung mit erheb- 


licher Staubentwicklung verbunden ist, also Maurer, Zimmerer, Tischler, vor 


allem aber Schleifer und Steinbrucharbeiter auf, auch die Arbeiter chemischer 
Industrien. Auch ohne daß man genaue Zahlen vor sich hat, darf es als eine 
feststehende Tatsache gelten, daß unter allen diesen Alkoholikern verschiedener 
Berufe die Beteiligung an tuberkulöser Erkrankung und die Sterblichkeit an 
Tuberkulose je nach dem Gewerbe eine sehr verschiedene ist, so daß man 
schwerlich in dieser Hinsicht einen Einfluß des Alkohols behaupten kann. Und 
ließe sich nach dem Orthschen Vorgehen jeder einzelne dieser Berufe, nach 
Abstinenten, Mäßigen und Säufern berechnet, auf dem. Obduktionstische nach 
Tuberkulose durchforschen, so würden sehr wahrscheinlich Zahlen herauskommen, 
durch die selbst die Alkoholgegner in Staunen gesetzt würden. 

Wie sich aber nun auf Grund der Orthschen Untersuchungen heraus- 
stellt, daß der Alkoholismus unmöglich den von Alkoholgegnern behaupteten 
unmittelbaren Einfluß auf die Entstehung einer Tuberkulose der Atmungs- 
organe haben kann, wie wir zweifellos die in manchen Berufen bestehende 
Neigung zu tuberkulöser Erkrankung zwanglos und oft mit einer an Gewißheit 
grenzenden Wahrscheinlichkeit oder mit Bestimmtheit selbst auf andere Schädi- 
gungen als die durch Alkoholgenuß zurückführen können, so dürfen wir wohl 
annehmen, daß in solchen Fällen, in denen wirklich der Alkoholismus zur 
Tuberkulose führt, dessen Wirkung nur eine mittelbare ist und sich namentlich 
in der Beeinflussung der sozialen Lage und Produktion einer minderwertigen 
Nachkommenschaft geltend macht. Hatte Orth in seinem ersten Vortrage un- 
zweideutig zum Ausdrucke gebracht, daß der Alkoholismus eine Disposition _ 


200 C. HART. TUBERKULOSE 
für Tuberkulose liefern kann durch Erzeugung sozialer Mißstände, so finden 
wir im zweiten Vortrage auch die Bedeutung einer durch Alkoholismus be- 
dingten Verschlechterung der Körperbeschaffenheit der Nachkommenschaft be- 
tont, ohne daß Orth hierauf näher eingeht. Einmal würde das die Grenzen, 
die Orth seinem Vortrage gesteckt hat, überschreiten, dann aber — und das 
ist hier am wesentlichsten — würde eine Berücksichtigung von angeborener 
Anlage und erblicher Belastung etwas Ungewissen in das exakte Zahlenmaterial 
hineintragen, was ihren Wert und ihre Beweiskraft nur herabsetzen müßte. 
Ein neuer Beweis, wie vorsichtig Orth zuwege gegangen ist. Der Wichtigkeit 
für alle späteren Statistiken wegen seien folgende Sätze Orths wörtlich an- 
geführt: „Diese Frage, inwieweit eine Tuberkulose aus angeborener Anlage 
infolge Alkoholismus der Vorfahren hervorgegangen ist, läßt sich natürlich bei 
jedem Falle aufwerfen, und es ist wohl möglich, daß unter den Leipziger und 
meinen tuberkulösen Alkoholikern sich auch noch solche befinden, die die 
Tuberkulose nicht sich angetrunken, sondern auf Grund einer Anlage erworben 
haben. Diese Fälle müßten also streng genommen aus einer Statistik, welche 
die Bedeutung des Alkoholismus für den Trinker selbst feststellen will, entfernt 
werden. Das hat weder das Statistische Amt, noch habe ich es tun können, 
weil wir darüber nichts wußten, aber dadurch wird unsere Statistik zugunsten 
einer Alkoholwirkung beeinflußt; unsere Statistiken würden also die Bedeutungs- 
losigkeit des Alkohols noch mehr hervortreten lassen, wenn wir solche Fälle 
hätten ausscheiden können.“ 

Was die erbliche Belastung anbelangt, so hat Holitscher, der Haupt- 
kritiker der Orthschen Ausführungen, behauptet, gefunden zu haben, daß bei 
den mäßigen Tuberkulösen in allen Altersklassen mehr erblich belastete, als 
bei den Unmäßigen in Betracht kämen. Es erkläre sich das so, daß die von 
Geburt zur Tuberkulose Disponierten eine Abneigung gegen den Alkohol hätten. 
Derartige Behauptungen sind, wie Orth mit vollem Recht. betont, ganz will- 
kürliche und unbewiesene. Finden sich etwa unter den mäßigen Alkoholver- 
brauchern weniger erblich belastete als in der Gesamtheit? Könnte man nicht 
die Holitscherschen angeblichen Befunde so deuten, „daß der Alkoholismus 
der Tuberkulose gegenüber die Alkoholiker besser stellt als die Allgemeinheit, 
daß deshalb unter den alten tuberkulösen Alkoholisten so wenige mit erblicher 
Anlage sich befinden, weil der starke Alkoholgenuß dieser Anlage entgegen- 
wirkt und darum trotz erblicher Belastung viele Unmäßige doch nicht tuber- 
kulös geworden sind?“ Zur Stütze einer solchen Anschauung, meint Orth, 
könne man auch die klinische Erfahrung namhafter Phthiseotherapeuten an- 
führen, daß Alkohol mit Vorteil in der Behandlung Tuberkulöser verwendet 
werden kann. 

Meines Erachtens sollte man der Behauptung Holitschers, der erblich 
belastete Tuberkulöse habe eine Abneigung gegen Alkoholgenuß, entgegen- 
halten, daß das gerade Gegenteil wohl zutrifft. Der Alkoholiker zeugt nicht 
Kinder mit einer spezifischen Disposition zur tuberkulösen Phthise, sondern von 
einer allgemeinen Minderwertigkeit, von der die Disposition für Tuberkulose 
nur eine Teilerscheinung ist. Psychische und physische Minderwertigkeit sind 


BD.2, HEFT3. BEZIEHUNGEN DES ALKOHOLISMUS ZUR TUBERKULOSE. 201 


die Kennzeichen der Alkoholikernachkommenschaft, eine Hauptursache der 
hohen Kriminalität, der Vagabundage und des Pauperismus, die ihrerseits die 
Entstehung krankhafter Veränderungen des Organismus, so auch eine Tuber- 
kulose begünstigen. Wie eng der Alkoholismus aber mit jenen drei Erschei- 
nungen zusammenhängt, braucht nicht besonders betont zu werden, aber wenn 
wir uns daran erinnern, daß der Alkoholismus selbst als Zeichen ererbter 
Minderwertigkeit gilt, so müssen wir viel eher glauben, daß unter den tuber- 
kulösen Alkoholikern sich viele erblich belastete finden als umgekehrt. 

Orth beschäftigt sich dann weiter mit der Frage, wie man etwa eine 
Zunahme der Alkoholiker unter den Tuberkulösen der höheren Altersklassen 
erklären könne. „Wie nun, wenn diese Tatsache darauf beruhte, daß der 
Alkohol die Tuberkulösen länger am Leben erhält, so. daß die Nichtalkoholiker 
immer mehr wegsterben, die Alkoholiker aber noch am Leben bleiben und 
darum an Menge verhältnismäßig zunehmen?“ 

Wir haben ja schon gehört, daß sowohl ..die Leipziger Statistik, als auch 
Orths eigene Erhebungen für die Bejahung der aufgeworfenen Frage sprechen. 
Eine weitere Stütze für diese Erklärung findet Orth aber in dem ganz ver- 
schiedenen Verhalten des Alkoholismus und der Tuberkulose im höheren 
Lebensalter, auf die schon im ersten Vortrage, wie ich eingangs erwähnte, hin- 
gewiesen wurde. Der Alkoholverbrauch auf den Kopf der Bevölkerung nimmt 
nicht wesentlich ab, die Tuberkulosesterblichkeit aber vermindert sich von Jahr 
zu Jahr und zwar derart, daß ihre Abnahme mit der Zunahme der Lebensalter 
steigt. Da nun der Gewohnheitssäufer immer weiter trinkt, da die Annahme fort- 
gesetzten Alkoholgenusses nicht unrichtig ist, so muß nach Orths überzeugendem 
Schlusse die Voraussetzung falsch sein, daß der Alkoholgenuß in den höheren 
Altersklassen eine wesentliche Ursache für die Erkrankung an Tuberkulose sei. 

Dabei verkennt Orth keineswegs die Schwierigkeit, über den Alkohol- 
mißbrauch des einzelnen eine sichere Grundlage zu gewinnen, glaubt aber in 
den statistischen Angaben über die Zahl der Todesfälle an Säuferwahnsinn 
einen einigermaßen zuverlässigen Anhalt zu finden. Aus ihnen geht hervor, 
daß im Berichtsjahre 1913 verhältnismäßig mehr Bewohner des preußischen 
Staates an Säuferwahnsinn gestorben sind als vor 20 Jahren. Eine Zusammen- 
stellung für eine kleinere Zahl von Altersklassen zeigt das Verhältnis zwischen 
dem Tod an Säuferwahnsinn einerseits und Tuberkulose andererseits. 


Sterbefälle in Preußen, berechnet auf 100000 Lebende der Alters- 


klassen: 

an Säuferwahnsinn an Tuberkulose Abnahme 

Altersklassen 1893— 1913 
1893 | 1003 | 1913 || 1893 | 1903 | 1913 um j 
über 15—30 0,54 0,46 0,46 230,90 206,00 163,29 29,28 
„ 30-60 570 | 598 5,38 380,35 | 269,29 | 179,72 52,75 
„ 60—70 4,23 ' 7,30 6,59 612,41 369,64 212,74 65,26 
» 70 1,70 | 3,47 | 2,97 368,42 | 213,22 | 142,53 61,31 
über 15 | 232 | a7 | 333 || 336,17 | 248,93 | 174,04 | 45.25 


C. HART. ZEITSCHR. f. 


202 TUBERKULOSE 


Und auch die letzte, überaus lehrreiche Tabelle des Orthschen Vortrages 
sei dem Leser dieses Berichtes nicht vorenthalten: 


Es starben an Tuberkulose auf 100000 Lebende der Altersklassen 

Zn rn a 

n 103 E 
è m. | W. m. | wW. m. | wW. 


m | w 
über 25—30 29,35 27,73 23,56 24,76 18,02 


» 30—40 34,93 31,05 25,01 23,51 17,41 
» 40—50 48,81 30,34 32,55 21,01 20,72 
» 50—60 58,67 26,29 42,28 22,96 25,18 
» 60—70 7456 | 4996 | 45,77 | 2961 || 25,85 
» 70—80 47:94 34,30 28,15 20,69 17,85 
„ 80 18,68 | 14,18 12,43 7,96 7,46 


Aus diesen Zusammenstellungen geht die erfreuliche Tatsache hervor, daß 
die Todesfälle an Tuberkulose in den letzten 20 Jahren ganz erheblich zurück- 
gegangen sind und zwar bei den Männern, deren Tuberkulosesterblichkeit 
stets viel höher als bei den Frauen war, in stärkerem Maße als bei Frauen. 
Besonders groß ist die Abnahme im 7. Lebensjahrzehnt, in dem 1913 die 
Tuberkulosetodesfälle fast nur noch !/, derjenigen des Jahres 1893 betragen. 
Nun sehen wir aber, daß die Todesfälle an Säuferwahnsinn nicht entfernt eine 
gleiche Abnahme aufweisen und, wenn auch die hohe Zahl des Jahres 1903 
im ganzen nur eine vorübergehende Erscheinung ist, in den jüngeren Jahres- 
klassen die Abnahme 1913 gegen 1893 nicht nur gering erscheint, sondern 
sogar für das 7. Lebensjahrzehnt eine recht beträchtliche Steigerung erfahren 
hat. Gerade in dieser Altersklasse ist die Abnahme der Tuberkulosetodesfälle 
am stärksten, womit auch aus diesen Tabellen mit ihrem nackten Zahlenmaterial 
eindringlich und überzeugend hervorgeht, daß der Alkoholismus unmöglich die 
Ursache der relativ stärkeren Tuberkulosesterblichkeit der Männer sein kann. 

Alle Untersuchungen drängen somit zu einem Schlusse, den Orth 
folgendermaßen formuliert: 

„Es bleibt also dabei, daß der Nachweis, daß beim Menschen der 
Alkoholismus eine große Menge von Männern der Tuberkulose in 
die Arme führe, in keiner Weise erbracht ist, daß im Gegenteil 
vieles dafür spricht, daß der Alkohol in bezug auf die Schwindsucht 
nicht nur nichts schadet, sondern daß die Alkoholiker der Tuber- 
kulose gegenüber günstiger gestellt sind als die Nüchternen.“ 


Mit der ersten Feststellung sagt nach meiner Überzeugung Orth nie- 
mandem, der sich ohne Voreingenommenheit an einem hinreichend großen, 
gleichmäßigen und durchaus zuverlässigen Materiale, also an einem Sektions- 
materiale mit Angaben über Alkoholismus des Lebenden mit dem Zusammen- 
hange von Alkohol und Tuberkulose beschäftigt hat, etwas Neues. Man sucht 
vergeblich nach einer unmittelbaren Beziehung. Das aber ist der große Wert 
der Orthschen Untersuchungen, daß sie nach streng wissenschaftlichen Me- 
thoden das bündig beweisen, was wir anderen mehr gefühlsmäßig geschlossen 


BD. 2, HEFT. BEZIEHUNGEN DES ALKOHOLISMUS ZUR TUBERKULOSE. 203 


und angenommen haben. Und darum muß auch die zweite Feststellung, daß 
der Alkoholiker der Tuberkulose gegenüber günstiger dasteht als die Allgemeinheit, 
die wohl viele in Erstaunen setzen wird, als bewiesen gelten, und es. ist kaum an- 
zunehmen, daß den Alkoholgegnern ein Gegenbeweis auf gleich gediegener 
Grundlage glücken wird. 

Hoffentlich vergessen sie aber nun wenigstens das eine nicht, nämlich 
daß Orth in den beiden Vorträgen lediglich eine rein wissenschaftliche Frage 
besprechen und klären wollte und daß er weit davon entfernt ist, etwa den 
Kampf gegen den Alkoholismus für bedeutungsios zu halten oder ihn zu be: 
kämpfen. Der Kampf gegen den Alkoholismus ist nicht nur aus allgemeinen 
Gesichtspunkten anzuerkennen, sondern auch in Anbetracht der Tuberkulose, 
wie Orth selbst betont, durch die mittelbar vom Alkohol drohenden Gefahren 
genügend begründet. 

„Soweit aber die Alkohol-Tuberkulose-Frage eine rein wissenschaftliche 
ist, müssen wir es begrüßen, wenn einer in der Weise wie Orth „an den 
Grundlagen für eine zukünftige endgültige Entscheidung mitbauen helfen“ will, 
und deshalb wollen wir uns freuen, daß Orth eine weitere Mitteilung über die 
von ihm ja schon im ersten Vortrage berührte experimentelle Seite der Frage 
in Aussicht stellt. 

Zweifellos stehen der Lösung des ganzen Problems große Schwierigkeiten 
im Wege. Ist aber die endgültige Lösung auch noch fern, so wollen wir uns 
vorerst an dem schönen, von Friedrich Müller in seiner Rektoratsrede ge- 
prägten Worte „Nur in der Forschung, nicht in der Lösung liegt das Glück“ 
auch hier genügen lassen. 


p 


204 


REFERATE, 


ZEITSCHR. f. 
TUBERKULOSE 


I. REFERATE ÜBER BÜCHER UND AUFSÄTZE. 


A. Lungentuberkulose. 


I. Ätiologie. 


E. Bergman-Upsala: Über die Gefähr- 
dung von Kindern durch tuber- 
kulöse Ansteckung. (Dtsch. med. 
Wochschr. 1915, Nr. 44, S. 1310.) 

Verf. berichtet über Untersuchungen, 

die er an dem Material der Pädiatri- 
schen Universitätspoliklinik in Upsala an- 
gestellt hat. Er spricht seinen Ergeb- 
nissen keine Allgemeingültigkeit zu, hält 
sie für bedingt durch die Lokalverhältnisse 
von Upsala. Er faßt sie ungefähr dahin 
zusammen: In der großen Mehrzahl der 
Fälle von Kindertuberkulose kann eine 
menschliche Ansteckungsquelle nachge- 
wiesen werden; die Bedeutung der Milch 
als Ansteckungsquelle tritt ganz zurück. 
Die ersten sieben Lebensjahre sind be- 
sonders exponiert für Ansteckung. In 
den ersten vier Lebensjahren führt die- 
selbe häufig zu einer tötlich verlaufenden 
Form der Tuberkulose. Nicht zu ver- 
‘ nachlässigen ist die Ansteckungsmöglich- 
keit außerhalb der Familie. Im Allge- 
meinen steigt aber Morbidität und Mor- 
talität an Tuberkulose bei Ansteckungs- 
möglichkeit innerhalb der Familie, be- 
sonders bei Erkrankung beider Eltern. In 
lungenschwindsüchtigen Familien wird eine 
größere Anzahl von Kindern geboren als 
in nichttuberkulösen Familien. 

C. Moewes (Berlin-Lichterfelde). 


William H. Park: Transmission of 
tuberculosis in childhood. (Archi- 
ves of Pediatrics, New York, July 1915, 
Vol. XXXII, No. 7, p. 481.) 

Park spricht zunächst von der Infek- 
tion durch die Milch. Nach seiner An- 
sicht werden die in ihr enthaltenen Tu- 
berkelbazillen durch längeres Erhitzen 
(20 Minuten bei 60°C) abgetötet. Butter, 
aus bazillenhaltiger Milch bereitet, kann 
ebenfalls Bazillen enthalten, die für einige 
Wochen virulent bleiben; doch kommt 


dies für die Infektion wenig in Betracht, 
da in der Butter stets nur eine geringe 
Zahl Bazillen enthalten ist und außerdem 
die Kinder in dem Alter, in dem die 
Infektion durch den Typus bovinus vor- 
zukommen pflegt, meist keine Butter er- 
halten. Ob durch das Fleisch tuberkulöser 
Tiere Tuberkulose übertragen wird, ist 
sehr zweifelhaft, bei gut durchgekochtem 
Fleisch ausgeschlossen. Auf alle Fälle 
überwiegt die Infektion von Mensch zu 
Mensch, die bis zum 15. Lebensjahre 
steigt. Säuglinge sind gegen Tuberkulose 
ziemlich unempfänglich. 

Die Hauptinfektionsquelle für Säug- 
linge und Kleinkinder bildet die tuber- 
kulöse Mutter oder Amme. Es gibt hier 
zwei Infektionswege: Verdauungskanal und 
Respirationsapparat. Die Tuberkulose kann 
entweder lokalisiert bleiben oder zu einer 
Allgemeininfektion führen. Die Infektion 
läßt sich nur dadurch vermeiden, daß 
man das Kind aus der Umgebung der 
tuberkulösen Personen entfernt. Park 
und seine Mitarbeiter fanden, daß Kinder 
tuberkulöser Eltern häufiger an Tuberkulose 
erkrankten als andere. In Gegenden, in 
denen die Tuberkulose häufig ist, werden 
viele Säuglinge und Kinder infiziert, aber 
auch in tuberkulosefreien Gegenden kommt 
direkte Infektion von Kindern und Er- 
wachsenen vor. Stern (Straßburg). 


Isaac W. Brewer: House infection, a 
potent source of tuberculosis. 
(Med. Record, 25. 9. 1915, Vol. 88, 
P. 523.) 

Das Haus spielt eine dreifache Rolle 
im Tuberkuloseproblem: 

I. Das Haus selbst kann infiziert 
sein, indem die Bazillen sich in den 
Wänden, Böden oder Möbeln befinden. 

2. Anwesenheit eines nachlässigen 
tuberkulösen Patienten kann die Infektion 
verbreiten. 

3. Die allgemeinen sanitären Zu- 
stände können so schlimm sein, daß sie 
die Widerstandsfähigkeit . der Bewohner 
verringern. Die Anzahl der Todesfälle 


BD.25, HEFT 8. 
1916. 


steht in allen Städten in direktem Ver- 
hältnis zur Größe der Häuser. 
B. S. Horowicz (Neuyork). 


ll. Epidemiologie und Prophylaxe 
(Statistik). 


Becker: Die Tuberkulose in Persien. 
(Tuberculosis 1915, Vol. 14, No. 5, 
S. 149.) 

Während vor 50 Jahren noch die 
Tuberkulose unter den eingeborenen 
Persern sehr selten war, hat sie sich jetzt 
in den Städten und ländlichen Sumpf- 
gegenden ausgebreitet. Sie zeigt den 
gleichen Charakter wie in Europa. Gleich- 
giltigkeit der Bevölkerung, schwache Kon- 
stitution, Aufenthalt vieler junger Perser 
in Europa, russische Einwanderung, un- 
genügende Ernährung und Sauberkeit, 
Exzesse in Alkohol, Tabak, Opium, sowie 
die große Verbreitung der Geschlechts- 
krankheiten sind nach Ansicht des Verf.s 
schuld an dieser zunehmenden Ausbrei- 
tung der Tuberkulose. Das Klima in 
Persien ist zur Heilung der Tuberkulose 
ungeeignet, wenn auch bei vorübergehen- 
dem Aufenthalt Besserungen beobachtet 
wurden. E. Stern (Straßburg). 


H. E. Kersten: Die Tuberkulose im 
Kaiser-Wilhelms-Land (Deutsch- 
Neuguinea). (Arch. f. Schiffs- und 
Tropen-Hygiene 1915, Bd. 19, Nr. 4 
S. 101.) 

Verf. untersucht mit Hilfe der Pir- 
quetschen Reaktion die Ausbreitung der 
Tuberkulose unter den Eingeborenen des 
Kaiser-Wilhelms-Landes, Auffällig ist, daß 
alle Kinder unter 6 Jahren negativ rea- 
gierten und daß die Tuberkulose unter 
den Frauen weit weniger verbreitet ist 
als unter den Männern. So reagierten 
30,3°/, der hospitalkranken Männer po- 
sitiv, sämtliche Frauen hingegen negativ. 
Verf. findet ferner, daß auch diejenigen 
Eingeborenen, welche wenig oder garnicht 
in Berührung mit Europäern kamen, ne- 
gativ reagierten, und daß sich die Tu- 
berkulose, dem Wege der Kultur folgend, 
in Neuginea ausbreitet. Es dürfte sich des- 


REFERATE. 205 


halb die Einführung prophylaktischer Maß- 
regeln empfehlen. E. Stern (Straßburg). 


Salecker: Die Verbreitung der Tu- 
berkulose auf den Marianen. 
(Arch. f. Schiffs- und Tropen-Hygiene 
1915, Bd. 19, Nr. 14, S. 309.) 

Die Bevölkerung der Marianen setzt 
sich aus verschiedenen Stämmen zusam- 
men, die teilweise erst seit einigen Jahren 
dort angesiedelt sind. Verf. untersucht 
mit Hilfe der Pirquetschen Reaktion 
die Verbreitung der Tuberkulose unter 
den einzelnen Stämmen; bei einem Stamm 
reagierten 0°/,, bei anderen 53—55°/, 
positiv. Als Ursache läßt sich nach An- 
sicht des Verf.s nicht die größere oder 
geringere Berührung mit Europäern an- 
führen, sondern lediglich die verschiedene 
Disposition der einzelnen Stämme zur 
Tuberkulose. Außerdem erwähnt Verf., 
daß sehr häufig rapid zum Tode führende 
Fälle beobachtet wurden. 

E. Stern (Straßburg). 


Herrmann Dold, Schanghai: Die Tuber- 
kulose unter der chinesischen 
und nichtchinesischen Bevölke- 
rung Schanghais. (Dtsch. med. 
Wochschr. 1915, Nr. 35, S. 1038.) 

Verf. gibt eine statistische Zusammen- 
stellung der Gesamtsterblichkeit und der 

Tuberkulosesterblichkeit der chinesischen 

und nichtchinesischen Bevölkerung Schang- 

hais in den Jahren I900—ı914. Die 

Zahlen für die Chinesen stellen nur An- 

näherungswerte dar und sind eher zu 

niedrig als zu hoch gegriffen. Die Ge- 
samtsterblichkeit beträgt 18,2°/,, bei den 

Chinesen gegen 17,4°/o bei den Nicht- 

Chinesen, die Tuberkulosesterblichkeit 

2,7°/,0 gegen 2,2°/,,. Dabei ist der An- 

teil, den die Tuberkulosemortalität an der 

Gesamtsterblichkeit bildet, bei den Chi- 

nesen prozentualiter größer als bei den 

Nicht-Chinesen, . nämlich 16,72 gegen 

12,53°/,, Ursache hierfür dürften die 

schlechten hygienischen Verhältnisse der 
chinesischen Bevölkerung sein. Im übrigen 
geht aus der Zusammenstellung hervor; 
daß die Chinesen für die tuberkulöse In- 
fektion ebenso empfänglich sind, wie die 
Völker Europas und Amerikas. 
C. Moewes (Berlin-Lichterfelde). 


206 


A. E. Sitsen: Mag men menschen met 
een tuberculeuze anamnese naar 
Indië laten gaan? — Darf man 
Leute mit Tuberkulose in der Ana- 
mnese nach Indien gehen lassen ? (Ne- 
derl. Tydschr. voor Geneeskunde 1915, 
Bd. II, No. 10.) 

Aus dem Umstand, daß die Tuber- 
kulosesterblichkeit der Europäer in Indien 
höher ist als die Tuberkulosemortalität in 
Holland, ist vielfach die Schlußfolgerung 
gezogen, daß man im allgemeinen kaum 
berechtigt ist, an aktiver Tuberkulose 
Leidenden eine Reise nach Indien an- 
zuraten. Diese Schlußfolgerung, so be- 
hauptet der Verf., ist irrig, erstens weil 
nicht genau bekannt ist, wie groß die 
Tuberkulosesterblichkeit in Indien ist, und 
zweitens, weil die holländischen und die 
indischen Tuberkulosezahlen nicht ohne 
weiteres vergleichbar sind. 

Verf. glaubt, daß das indische Klima, 
in mäßiger Höhe (etwa 1000 m) für den 
Tuberkulösen entschieden geeignet ist, 
und daß auch das zwar heiße aber ziem- 
lich gleichmäßige Tieflandklima bei ver- 
nünftiger Lebensweise für den Europäer 
nicht ungünstig ist. Ein Aufenthalt in 
Indien darf nur dann widerraten werden, 
wenn der betreffende daselbst in ungünstige 
hygienische Verhältnisse kommen würde. 
Auch in dieser Beziehung soll genau in- 
dividualisiert werden. Vos (Hellendoorn). 


John A. Turner: The Antituberculo- 
sis campaign in Bombay, India. 
(Brit. Journ. of Tuberculosis, April 1915, 
Vol, IX, No. 2, p. 51.) 

Der kurze Aufsatz schildert die 
Tätigkeit der am 28. Februar 1913 in 
Bombay eröffneten Fürsorgestelle (Di- 
spensary) für Tuberkulöse, der ersten im 
englischen Ostindien. Sie versucht nach 
dem „Edinburgher System“ zu arbeiten, 
d. h. die Fürsorgestelle, soll der Mittel- 
punkt sämtlicher Bestrebungen zur Be- 
kämpfung der Tuberkulose sein, also auch 
die Überweisungen in Heilstätten, Kran- 
kenhäuser, Freiluftschulen usw. bestimmen, 
die Schulaufsicht in Verbindung mit den 
Gesundheitsbehörden gestalten, für Be- 
lehrung und Aufklärung sorgen. Ob der 
richtige Gedanke ganz durchzuführen ist, 


Te ee. ——— 


ZEITSCHR. f, 
TUBERKULOSE 


bleibt abzuwarten. Es sollen noch ıı 
weitere Fürsorgestellen errichtet .werden. 
Meißen (Essen). 


L. A. Jones, North Adams, Mass.: Die 
Bedeutung der Erziehung im 
Kampfe gegen die Tuberkulose. 
(Fortschr. d. Med., Jahrg. 1914/15, 
Nr. 51, S. 1117) 

Was v. Boltenstern veranlaßt hat, 
die kleine Schrift deutschen Lesern zu 
übersetzen, ist nicht recht 'erfindlich, in- 
sofern dieselbe nichts enthält, was nicht 
schon längst bei uns bekannt und zum 
guten Teil auch schon in die Tat umge- 
setzt worden ist. Auch klarer und um- 
fassender ist über denselben Gegenstand 
schon mehrfach in deutscher Sprache ge- 
schrieben worden. C. Servaes. 


W. S. Bryant: The dependence of tu- 
berculosis upon respiratory in- 
sufficiency of the upper air tract. 
(Med. Record, 14. August 1915, Vol.88, 
p. 270.) 

Da die oberen Luftwege die Ein- 
gangspforte für die Tuberkelbazillen bil- 
den, und eine erkrankte Schleimhaut die 
Infektion begünstigt, empfiehlt B. als Pro- 
phylaxe gegen die Ansteckung, daß die 
Nasen- und Rachenschleimhaut möglichst 
gesund erhalten werde, besonders durch 
Beseitigung von Obstruktionen, die freies 
Atmen verhindern und durch verminderte 
Oxydation Erkrankung der Schleimhaut 
herbeiführen. Ä 

B. S. Horowicz (Neuyork).. 


P. Stephani u. E. Lochert-Mannheim: Die 
amerikanischen Freiluftschulen 
mit besonderer Berücksichtigung 
ihrer Einrichtungen in Chicago. 
(Ztschr. f. Schulgesundheitspflege 1915, 
Jahrg. 28, S. 60.) í 

Deutschland hat 1904 mit der Ein- 
richtung der bekannten Charlottenburger 

Waldschule den Weg gezeigt, der in der 

Folge besonders auch in Amerika beschrit- 

ten worden ist. Die Freiluftschulen, deren 

Insassen zum großen Teile die Anzeichen 


versteckter Tuberkulose aufweisen, haben 


eine sehr segensreiche Wirksamkeit ent- 
faltet. Im Jahre ıgı2 waren bereits 
200 derartige Schulen gegründet. Als 


Een 


BD, Eee 3. 


Behelf wird in Boston und Neuyork jetzt 
bei alen Schulbauten ein Offenfenster- 
raum eingerichtet, in dem die kränklichen 
Kinder unterrichtet werden. In Chicago 
wurden die ersten Schulen durch das 
Zusammenwirken der Schulbehörden mit 
dem Tuberkulose-Institut gegründet, wo- 


bei dieses Institut die Auswahl der Kin- 


der, die Nahrungsfürsorge, die Pflege und 
die ärztliche Aufsicht übernahm. Von 
großem Interesse sind die Mitteilungen 
über den Betrieb einer Dachschule, in der 
auch im Winter unterrichtet wurde — 
einer Waldschule auf einem Großstadt- 
dache! — Die Erfolge sind sehr günstig. 

H.Grau (Heilstätte Rheinland-Honnef), 


Il. Allgemeine Pathologie und patho- 
logische Anatomie. 


A.de Besche: Simultaneous infection 
in a child with tubercle hacilli 
of human and bovine type. (Journ. 
of Infect. Diseases 1915, May, Vol. 16, 
No. 3, p. 361.) I 

Verf. hat Lymphdrüsen von 50 tu- 
berkulösen Kindern bakteriologisch un- 
tersucht. Zuerst isolierte er die Bazillen 
mittels Meerschweinchenimpfung. Nach- 
dem er die Glyzerinbouillonkulturen mor- 
phologisch und biologisch untersucht hatte, 
verimpfte er sie auf Kaninchen. 46 Fälle 
ergaben den Typus humanus; 3 Fälle 
den Typus bovinus; ı Fall den Typus 
atypicus. 

Der atypische Fall war eigentlich 
eine Mischinfektion, über welche Verf. hier 
berichtet. 

Es handelt sich nämlich um ein 
8 Monate altes Kind, welches an allge- 
meiner Tuberkulose gestorben war. Zur 
Untersuchung gelangte eine ‚mesenteriale 
Lymphdrüse. Die Kulturen entsprachen, 
was Wachstum auf Glyzerinbouillon und 
Morphologie betrifft, denen des Typus 
humanus. Die Bazillen waren aber ver- 
haltnismäßig virulent für zwei Kaninchen 
und ein Kalb. | 

Aus einem großen Halsabszesse des 
Kalbes ist es dem Verf. gelungen, sechs 
Kolonien von Tuberkelbazillen auf Gly- 
zerinkartoffeln zu isolieren. Sie zeigten 


REFERATE. 207 


| —— 


alle üppiges Wachstum auf Glyzerinbouil- 
lon. Diese sechs Kolonien wurden auf 
je zwei Kaninchen in Mengen von 0,01g 
subkutan weiter verimpft. Drei Kolonien 
waren nicht virulent, zwei Kolonien viru- 
lent, eine Kolonie wahrscheinlich gemischt. 

Dem Kaninchenversuch entsprechend 
soll die Bestimmung der zwei Bazillen- 
typen entscheidend sein. 

Soper (Saranac Lake, N. Y.). 


Anna v. Spindler-Engelsen: Verglei- 
chende Untersuchungen über die 
Widerstandsfähigkeit verschie- 
dener säurefester Bakterien ge- 
gen Antiformin. (Centralbl. f. Bak- 
teriol. 1915, Orig.-Bd. 76, Heft 5, 
S. 356.) 

In den Kulturversuchen mit Staphy- 
lococcus, Mesentericus, Smegma, Tobler, 
Blindschleichentuberkulose wirkt schon 
ı°/, Antiforminlösung vollständig ent- 
wicklungshemmend, bei einzelnen sogar 
schon viel schwächere Lösungen. 

Die mikroskopische Untersuchung 
erlaubt, den veränderten Einfluß des Anti- 
formins auf die Bakterien direkt sichtbar 
darzustellen in Form von Variationen der 
Färbbarkeit und des Aussehens des Bak- 
terienleibes. Das wichtigste Resultat der 
mikroskopischen Untersuchung ist jedoch 
die Möglichkeit, die sogen. säurefesten 
Bazillen in zwei scharf voneinander ge- 
trennte Gruppen teilen zu können: 

A. Smegma, Moeller, Tobler, in 15°/,ig. 
Antiformin nach !/,stündiger Ein- 
wirkung vollkommen löslich. 

B. Tuberkulosegruppe (Humanus, Bo- 
vinus, Anguis), 

a) Blindschleichentuberkulose wird 
von 25°/,ig. Antiformin nach 
24 Stunden nicht vollständig, von 
50°/ ig. Lösung nach 24 Stunden 
dagegen restlos aufgelöst, 

b) Humanus und Bovinus aber wer- 
den selbst von 50°/,ig. Antifor- 
minlösung nach 4tägiger Ein- 
wirkung nicht wesentlich verän- 
dert. Blindschleichentuberkulose 
stellt also gewissermaßen einen 
Übergangstypus zwischen Huma- 
nus und Bovinus einerseits und 
Smegma-Moeller-Tobler anderer- 
seits dar. 


Nas 


208 


Selbst unter der Annahme, daß sehr 
verschieden widerstandsfähige Stämme 
existieren, bedürfen die Angaben Uhlen- 
huts u. a, soweit sie die Antiformin- 
beständigkeit der Smegmagruppe der- 
jenigen der Tuberkulosegruppe gleich- 
stellen, einer Revision. Diese Feststellung 
ist praktisch von weitgehender Bedeutung 
dadurch, daß die Antiforminmethode er- 
laubt, echte T.B. (Humanus, Bovinus, 
eventuell auch Blindschleichentuberkulose) 
von Smegma, Moeller, Tobler bei Unter- 
suchung aller Sekrete und Exkrete (be- 
sonders Urin und Kot) mit Sicherheit 
auf mikroskopischem Weg zu unterschei- 
den. Lydia Rabinowitsch. 


L. J. Rhea and E. H. Falconer: A re- 
port of the bacteriological exa- 
minationofenlargedlymph-nodes 
removed from a patient with 
Hodgkins disease. (Arch. of Int. 
Med. 1915, Vol. 15, No. 3, p.438.) 

Es handelt sich um einen Fall in 
dem Montreal General Hospital. Klinisch 
litt die Patientin an Hodgkinscher Krank- 
heit. Es waren vergrößerte Drüsenmassen 
auf beiden Seiten des Halses und außer- 
dem, nach Röntgen und physikalischer 
Untersuchung, Pakete im Mediastinum. 

Es wurden drei Halsdrüsen exstir- 
piert. Histologisch stellten sie das Bild 
der Hodgkinschen Krankheit dar. 

Bakteriologisch waren die Befunde 
im Einklang mit denen von Bunting 
und Yates. In Ausstrichpräparaten der 
Drüsen waren vereinzelte Gram-positive 
Bazillen gelegentlich zu finden. Letztere 
lagen frei im Gewebe und zwar niemals 
intrazellulär. 

Zur Züchtung wurden kleine Drü- 
senstückchen verwendet. Entweder ma- 
zeriertt in warmer Kochsalzlösung oder 
direkt nach Reiben auf der Fläche des 
Mediums wurden die Stückchen in das- 
selbe hineingebracht. Sie wurden a&rob 
und anaörob kultiviert. 

Biologie: Die Organismen sind fakul- 
tativ ana&rob. Sie sind pleomorph, Gram- 
positiv, nicht säurefest und nicht beweg- 
lich. Sie lassen sich auf verschiedenen 
Nährböden züchten. Gewöhnlich wachsen 
sie erst nach Io bis 21 Tagen. 


REFERATE. 


3 


š nr En BE er RR REN 
are S a a a a a~ 


ZEITSCHR, f. 
2.2... TUBERKULOSE 

Morphologie: Auf Dorsets Eier- 
medium wachsen die Organismen meist 
typisch. Darauf zeigen sie, zum größten 
Teil, die Bazillenform, mit feinen tiefer- 
färbbaren Körnchen. Die Bazillen sind 
lang und schmal. Einige haben Aus- 
läuferformen mit und ohne Körnchen. 
Die Mikroorganismen gleichen den von 
Bunting und Yates beschriebenen. 

Wiederholte Impfungen von Rein- 
kulturen auf die Schultern von erwachsenen 
Affen sind, bis jetzt, ohne Erfolg ge- 
blieben. Soper (Saranac Lake, N. Y.). 


F. M. Pottenger: The small heart in 
tuberculosis. A suggested phy- 
siologic explanation. (Journ. of 
Amer. Med. Assoc. 1915, Vol. LXIV, 
No. 16, April 17, p. 1291.) 

Die Expansion des Thorax ist in 
manchen Fällen von Tuberkulose ver- 
mindert, und damit ist die Saugwirkung 
des Inspiriums auf das Herz geringer. 
Es strömt weniger Blut in die rechte 
Herzkammer hinein. Mit der Zeit muß 
das ganze Herz sich anpassen, und es 
folgt eine Verkleinerung des Herzens und 
der Arterien. Abhängig von diesen zir- 
kulatorischen und respiratorischen Fak- 
toren sinkt der Blutdruck, es entwickeln 
sich die scheinbare aber nicht beweisbare 
Anämie und die Überfüllung der syste- 
mischen Blutader. 

Soper (Saranac Lake, N. Y.). 


Angiolo Lupi (Aus dem Path. An. Inst. 
Prof. Banti-Florenz):; Contributo 
allo studio sperimentale della 
tubercolosi vasale. — Beitrag zum 
experimentellen Studium der 
Gefäßtuberkulose Mit I mikro- 
phot. Tafel. (Lo Sperimentale, Jahrg. 59, 
Fasc. 1, S. 107. 15. März 1915.) 

Lupis Experimente erstrecken sich 
auf Kaninchen, denen er die carot. com- 
munis freilegte und zwischen Adventitia 
und Media eine Emulsion von Tuberkel- 
bazillen aus verschiedenen Kulturstimmen 

(2 menschlichen, ı Rinder-) injizierte. 

Das Ergebnis war folgendes: Das tuberk. 

Gewebe wird vorwiegend von epithelioiden 

und (etwas spärlicheren) Iymphoiden Zel- 


BD.26, HEFT 8. 
1916. 


len gebildet, doch fehlen auch Riesen- 
zellen nicht ganz; typische Tuberkel bil- 
den sich nur in einigen: stärkeren An- 
häufungen von lymphoiden und Riesen- 
zellen. Später tritt Nekrose und fibröse 
Umwandlung ein. Das tuberk. Gewebe 
umgibt das Gefäßrohr allmählich im gan- 
zen Umfange. Zuerst wird die Adven- 
titia ergriffen und zerstört, in vorgerück- 
teren Stadien die Media, deren elastische 
limitans interna erst nach langer Zeit 
ebenfalls ' zugrunde geht. Die Intima 
reagiert ziemlich früh durch sehr starke 
Wucherung des Endothels, das sich zu 
kubischen und zylindrischen Zellen um- 
bildet, und durch Neubildung elastischer 
Fasern unmittelbar darunter; das Gefäß- 
lumen wird dadurch spaltförmig ver- 
engert.  Tuberkelbazillen finden sich 
hauptsächlich in den nekrotischen Teilen 
und vereinzelt auch zwischen oder in den 
Zellen des tuberk. Gewebes, fehlen aber 
gänzlich dort, wohin dieses Gewebe nicht 
reicht, und neigen später zu körnigem Zer- 
fall. Alle Veränderungen nehmen von 
der Injektionsstelle nach den Seiten hin 
an Stärke ab. 

In einigen Fällen ist die Infiltration 
der innersten Mediaschichten die Haupt- 
erscheinung, während jede reaktive Wu- 
cherung der Intima fehlt. — Reiches 
Literaturverzeichnis. 

Paul Hänel (Bad Nauheim-Bordighera) 


IV. Diagnose und Prognose. 


Cl. Riviere: A new sign and its value 
in the diagnosis of pulmonary 
tubercle. (The Lancet, 21. 8. 1915, 
p. 387 ff.) 

Riviere glaubt ein neues, wertvolles 
perkussorisches Zeichen bei Lungentuber- 
kulose entdeckt zu haben. Es handelt 


sich um Dämpfungsbezirke von bestimmter | 


Lage, Beschaffenheit und Ausdehnung über 
beiden Lungen, die als „charakteristisch“ 
bezeichnet werden. Bei geschickter Per- 
kussion seien sie früher nachzuweisen als 
irgendein anderes Symptom. Sie ent- 
sprechen aber nicht unmittelbar dem Sitz 
krankhafter Veränderungen, sondern be- 
ruhen auf Reflexwirkung (also ähnlich wie 
die Krönigschen Schallfelder?), Deshalb 


Zeitschr. f. Tuberkulose. 25. 


REFERATE. 


209 


können sie auch beim Gesunden durch 
geeignete Mittel hervorgerufen werden. 
Sind sie dauernd nachweislich, so kann 
man mit Sicherheit auf Reizung oder Ent- 
zündung des Lungengewebes schließen, 
die aber nicht notwendig tuberkulöser 
Natur sein muß. Jedenfalls treten sie 
nicht bei einfachen katarrhalischen Zu- 
ständen auf. Wegen der Einzelheiten, 
namentlich die beste Art der Perkussion 
(Finger auf Finger), um diese „characte- 
ristic bands“ zu bestimmen, sowie der 
Erklärung ihres Zustandekommens, muß 
auf die Abhandlung verwiesen werden. 
Die Sache klingt etwas künstlich, mag 
aber doch eine Bedeutung haben. Frei- 
lich ist bei ähnlichen „Finessen“ der Per- 
kussion bisher niemals viel herausgekom- 
men. Die Erfinder haben gut wunder- 
volle Ergebnisse zu berichten, für die 
doch der bestätigende anatomische Nach- 
weis fehlt, und die auch von anderen 
Ohren meist nicht oder nicht mit „cha- 
rakteristischer“ Sicherheit gehört werden. 
Meißen (Essen). 


William Ewart, R. Croshaw Holt and 
C. Muthu: A new sign in pulmo- 
nary diagnosis. (The Lancet, 23. 10. 
1915, p. 9428) 

Clive Riviere hat ein neues per- 
kutorisches Zeichen für die Diagnostik 
der Lungenkrankheiten beschrieben (vgl. 
vorstehende Besprechung), An die Ver- 
öffentlichung schließen sich kritische Be- 
merkungen der oben genannten Autoren 
an. Ewart bezweifelt die Wirklichkeit 
oder doch die Stetigkeit der von Ri- 
viere beschriebenen Dämpfungsbezirke, 
die auf herdförmigen Atelektasen an ver- 
schiedenen Stellen, nicht nur in den 
Lungenspitzen, beruhen sollen, und fordert 
ihren Nachweis, zumal auf der vorderen 
Brustseite, durch Plessimeterperkussion, 
nicht durch Rivieres Fingerauffinger- 
perkussion, die einen subjektiven Faktor 
einschließe. Auch Holt hält die Däm- 
pfungsbezirke für sehr veränderlich, so 
daß sie schon während der Untersuchung 
in Gestalt und Deutlichkeit wechseln. 
Muthu warnt ausdrücklich, auf derartige 
Zeichen hin etwa eine tuberkulöse Er- 
krankung zu diagnostizieren und hat da- 
mit sicher recht. 


14 


ZEITSCHR, f. 
TUBERKULOSE 


a [nn nl nn nn e a a a 


Bereits im Lancet vom 4. 9. IQI5 
p. 514, hat A. G. Auld die Entdeckung 
Rivieres ziemlich scharf kritisiert, so- 
wohl das Verfahren selbst als seine Be- 
gründung: die neue Methode sei viel zu 
künstlich und unsicher, als daß man zu- 
verlässige Schlüsse daraus machen dürfe. 
Das ist für alle perkutorischen „Finessen“ 
die richtige Beurteilung. Die Perkussion 
hat nur dann Wert, wenn man sich ihrer 
ziemlich engen Grenzen bewußt bleibt. 
Man täuscht sich selbst, wenn man zuviel 
von ihr verlangt oder ihr zuschreibt, und 
dann Dinge hört, deren wirkliches Vor- 
handensein mindestens völlig ungewiß ist, 
zumal jede anatomische Kontrolle fehlt. 
Es hat keinen Wert, sich mit derartigen, 
obendrein meist schwierig auszuführenden 
Methoden viel abzugeben. 

Meißen (Essen). 


'E. G. Glover: Early diagnosis of pul- 
monary tuberculosis. (Quaterly 
Journal of Medecine, London, July 1915.) 

Glover untersuchte an 47 Fällen 
von Lungentuberkulose, in welchem Pro- 
zentsatz die Entscheidung, ob es sich um 
eine aktive Form der Krankheit handele, 
getroffen werden könne, und welche Me- 
thoden dabei die zuverlässigsten seien. 

Er wandte folgende Untersuchungen an: 

Komplementbindungsreaktion, Feststellung 

des tuberkulo-opsonischen Indexes, sub- 

kutane Tuberkulininjektion. Er kam dabei 
zu folgendem Ergebnis: 62°/, aller als 

Frühstadien der Tuberkulose diagnosti- 

zierten Fälle sind latente Fälle, trotzdem 

sie klinisch alle Symptome geben (Ab- 
schwächung des Kopfschalles und Atem- 
geräusches über einer Spitze), während 
feuchtes Rasseln in diesen Fällen fehlte. 

Bei progredienter Tuberkulose, bei der 

feuchtes Rasseln nie fehlte, finden sich 

bei wiederholter Untersuchung Tuberkel- 
bazillen im Sputum. Bei Ausführung der 

Komplementbindungsreaktion und Bestim- 

mung des opsonischen Indexes ist zur 

Sicherung der Diagnose, ob progrediente 

oder latente Tuberkulose, eine subkutane 

Tuberkulinreaktion nicht mehr erforderlich. 

Stern (Straßburg). 


Litzner-Bad Rehburg: Über ein Sym- 
ptom zur Feststellung der Herd- 


reaktion in der Lunge nach Tu- 
berkulinimpfung. (Münch. med. 
Wchschr. 1915, Nr. 32, S. 1077.) 
Wert und Nutzen einer Tuberkulin- 
einspritzung beruht auf der Auslösung 
einer milden Herdreaktion, auch ohne 
Allgemeinreaktion der "Temperatursteige- 
rung. Verf. empfiehlt nun als Symptom, 
das in objektiver Weise wie Perkussion 
und Auskultation die Auffindung einer 
bestehenden Herdreaktion erleichtert, die 
Feststellung der Bronchophonie. Infolge 
der durch das Tuberkulin verursachten 
serösen Durchtränkung und Hyperämisie- 
rung der Herde muß die Leitung für die 
Wahrnehmung der Flüsterstimme eine 
bessere sein. Vorherige Untersuchung ist 
unbedingt notwendig. Die Bronchophonie 
ist stets nachweisbar nach Tuberkulin- 
injektionen, selbst in Fällen, wo sonstige 
physikalische Symptome fehlen, allerdings 
meist nur auf kurze Zeit. 


C. Moewes (Berlin-Lichterfelde). 


T. Frazer: The significance of the 
von Pirquet test. (Med. Record, 
1915, Vol. 87, No. 2, p. 57.) 

Eine kurze Diskussion der jetzigen 
Ansichten. Bringt wenig Neues. Bericht 
über 36 Kinder unter 14 Jahren, bei 
welchen die v. Pirquetsche Reaktion nur 
in 22°/, positiv war. 


Soper (Saranac Lake, N. Y.) 


W. H. Luckett: A new instrument for 
scarifying in the von Pirquet cu- 
taneous tuberculin test. (Med. Re- 
cord, 17. April 1915, Vol. 87, No. 16, 
p. 650.) 

Nach Verf. Meinung wird die v. 
Pirquetsche Reaktion immer weniger . 
von praktischen Ärzten gebraucht. Diese 
Tatsache soll zum Teil auf der mangel- 
haften Technik beruhen. | 

Im Februar 1909 ließ sich Verf. 
einen Schröpfer (Scarificator) nach dem 
Modell eines tassenförmigen drehförmigen 
Uhrenschraubenziehers mit seitlichen 
Längsfurchen herstellen. Da er aber zu 
der Überzeugung kam, daß das wahllose 
Eintauchen des Schröpfers in das Tuber- 
kulinfläschchen nicht streng aseptisch war, 
lieB er das Alttuberkulin in Kapillarröhr- 


BD, 25, HEFT 3. 
1916. 


chen einfüllen. Jedes Röhrchen ist für eine 
Probe bestimmt. 

Mit dem oben beschriebenen Instru- 
ment und den Tuberkulinröhrchen hat 
Verf. schon 6 Jahre gearbeitet und sich 
von dem Werte der v. Pirquetschen 
Reaktion vollständig überzeugt. 

Soper (Saranac Lake, N.Y.) 


V. Therapie. 


a) Verschiedenes. 


S. Adolphus Knopf: Water in the pre-- 


vention and cure of tuberculosis. 
With a plea for public baths for 
old and young and swimming 
pools particulary in connection 
with the schools. (Med. Record, 
31. 7. IQI5, Vol. 88, p. 173.) 

Die Hydrotherapie spielt in der Be- 
handlung der Tuberkulose eine sehr wich- 
tige Rolle. Da die meisten Patienten an 
Verstopfung leiden, ist es empfehlenswert, 
daß sie viel Wasser trinken. Es verdünnt 
die Giftstoffe und bessert die Symptome. 
Es ist ein zytogenetisches Mittel, von 
großem Wert in der Blutarmut der Tu- 
berkulose. Sehr viel Salz in der Nahrung 
wirkt der Demineralisation, die eine Cha- 
rakteristik der mit Tuberkulose Behafteten 
ist, entgegen, steigert die Osmose und 
erleichtert Husten und Auswurf. Ein Glas 
kühles Wasser eine halbe Stunde vor dem 
Essen ist ein gutes Appetitreizmittel. In- 
nerlich und äußerlich ist Wasser eines 
der allerbesten Fiebermittel. Äußerlich 
wirkt es stärkend durch mechanische und 
thermische Stimulation. Kaltes Wasser ist 
das beste Vorbeugungsmittel gegen Er- 
kältung. Nach einem kalten Bade muß 
Reaktion durch Abreiben mit einem 
rauhen Handtuch hervorgerufen werden. 
Um unangenehmen Komplikationen vor- 
zubeugen, gebe man dem Patienten, be- 
sonders wenn er schwach ist, etwas Heißes 
zu trinken und lege ihn in ein warmes 
Bett. Verf. beschreibt verschiedene hydro- 
therapeutische Methoden und empfiehlt 
Gründung städtischer Bäder unter ärzt- 
licher Überwachung, sowie Sturz- und 
Schwimmbäder in den Schulen, wo Unter- 
richt im Schwimmen gegeben werden sollte. 

B. S. Horowicz (Neuyork). 


REFERATE, 


211 


Frank Cole Madden: Some recent ex- 
periences in vaccine treatment. 
(The Lancet, 7. 8. 1915, p. 267 ff.) 

Der Verf., Lehrer an der Medical 

School zu Kairo, behauptet sehr gute _ 

Erfolge der Vakzinebehandlung bei man- 

nigfachen Erkrankungen. Er bespricht die 

Voraussetzungen und Möglichkeiten ihrer 

Heilwirkung, die günstigsten Gaben und die 

Technik der Einspritzungen. Stammvak- 

zinen, d. h. gebrauchsfertig aus einem 

bestimmten Mikrobenstamm hergestellte 
und im Handel käufliche, eignen sich 

mehr für akute, autogene Vakzinen, d.h. 

aus den Sekreten des betreffenden Falles 

erst gezüchtete und dann verarbeitete 

Erreger mehr für chronische Krankheiten. 

Uns interessieren am meisten die bei Er- 

krankungen der Atemorgane angeblich 

erreichten Erfolge. Verf. führt einige 

Fälle von chronischen Katarrhen an, wo 

die Wirkung zum Teil überraschend war. 

Er schlägt vor, alle akuten lobären Pneu- 

monien mit einer Stammvakzine von Pneu- 

mococcus, alle chronischen Hustenleiden 
mit einer autogenen Vakzine zu behandeln. 
Auch unsere beim Heere im großen 

Maßstabe durchgeführten prophylaktischen 

Impfungen gegen Typhus und Cholera 

beruhen auf der Verwendung von Vak- 

zinen. Dreyer und Juman (The Lancet, 

31.7.1915, p. 225) haben Untersuchungen 

über die Dauer der Wirksamkeit von 

Typhusimpfungen angestellt durch Prü- 

fung der Agglutination. Sie fanden, daß 

diese auf eine ein- oder zweimalige In- 
jektion nach mindestens 8 Monaten noch 
recht stark ist, also erheblich länger währt, 
als wohl angenommen wird. Es gibt indi- 
viduelle Verschiedenheiten. Bei Leuten, 
die vor längerer Zeit (bis zu 6 Jähren) 
bereits einmal gegen Typhus geimpft 
waren, war der Agglutinintiter besonders 
hoch. Der Hauptschluß ist, daß die 
Wiederholung der Impfung nicht so dring- 
lich ist, wie es gelegentlich gefordert wurde. 
Meißen (Essen), 


ER. Link, Pforzheim-Zabern: Einnahme 
von NaCl, ein Mittel zur Vermin- 
derung der Schweißbildung bei 
Phthisikern und auf. Märschen 
und zur Verhütung von Magen- 
störungen bei Anstrengungen und 

ef 


14* 


212 


Hitze. (Münch. med. Wchschr. 1915, 
Nr. 36, S. 1214.) 

Von der Annahme ausgehend, daß 
Mattigkeit und allgemeine Anstrengungs- 
symptome bei stärkerem Schweißverlust 
auf die damit verbundene Kochsalzver- 
armung des Körpers zurückzuführen sind, 
sucht Verf. diese Erscheinungen durch 
Gaben von NaCl (4—5 g in einem hal- 
ben Glase Wassers) zu bekämpfen. Die 
Wirkung war bei den pathologischen 
Schweißen der Phthisiker eine auffallend 
gute. Auch medikamentöses Schwitzen 
(bei Salizyldarreichung) wurde einge- 
schränkt, ebenso das Schwitzen in der 
Krise bei Pneumonie. Weitere Versuche 
wurden bei gesunden Soldaten gemacht, 
um festzustellen, ob Darreichung von NaCl 
vor dem Ausmarsch dem Schwitzen, dem 
Durstgefühl, dem Schlappmachen, mög- 
licherweise auch dem Hitzschlag entgegen- 
wirken könnte. Dabei wurde ein wesent- 
licher Unterschied in der Schweißbildung 
festgestellt bei Soldaten, die NaCl er- 
halten und keines erhalten hatten. 

C. Moewes (Berlin-Lichterfelde). 


b) Spezifische. 


Erich Toenniessen-Erlangen: Über die 
neueren Methoden der spezi- 
fischen Tuberkulosebehandlung 
und ihrer experimentellen Grund- 
lagen. (Therapeut. Monatshefte, Sept. 
1915, S. 478.) 

Verf. ist Anhänger der Methode der 
Tuberkulindarreichung, die eine Immuni- 
tät gegen Tuberkulin anstrebt. Er hält 
diesen Zustand für günstig, obwohl er 
zugibt, daß damit noch keine Tuberkulose- 
immunität erreicht ist. Eine gut geleitete 
Herdreaktion ist wichtig für den thera- 
peutischen Erfolg, — Die anaphylakti- 
sierende Methode verwirft er. — Die 
Tuberkulinreaktion ist nach Verf. keine 
anaphylaktische, sie beruht auf einer 
zellulären Überempfindlichkeit, die auch 
bei Erreichen großer Tuberkulindosen er- 
halten bleibt (Beweis Stichreaktion!,, — 
Das Tuberkulin steht nach ihm den 
Ektotoxinen nahe. — Seine Ausführungen 
über die endogenen Tuberkulosegifte (To- 
xine?) und die Bedeutung der bekannten 
humoralen Tuberkelkuloseantikörper sind 
durchaus problematisch. Er bringt nichts 


REFERATE. 


ZEITSCHR., f. 
TUBERKULOSE 


Neues, Beweisendes zu diesen heißum- 
strittenen Fragen. — Ebenso vermissen 
wir in den Darlegungen neue Stützen für 
den Wert der giftfestmachenden Tuber- 
kulinanwendung. Verf. geht unserer An- 
sicht nach über die zahlreichen, wohl- 
durchdachten und -begründeten Schriften 
der Gegner dieser Methode etwas zu 
sprunghaft hinweg. — Das Präparat der 
Wahl ist für ihn das Alttuberkulin Kochs. 
Die Immunisierung mit Tuberkel- 
bazillensubstanzen von antigener Wirkung 
hat nach Verf. durch die Darstellung der 
Partialantigene nach Deycke und Much 
Fortschritte gemacht. Die Aufschließung 
der T.B. durch schwache organische Säu- 
ren erhält am besten das wirksame An- 
tigen. — v. Rucks Antigene sind gleich- 
wertig. — Die milde Hydrolyse der T.B. 
durch schwache organische Säuren stellt 
also einen Fortschritt in der Bereitung 
wirksamer Antigene dar. — Verf. glaubt, 
daß man mit der Autolyse der T.B. noch 
weiter kommen wird. Er hat dahingehende 
Versuche in Angriff! genommen. 
Schröder (Schömberg). 


Hans Much-HamburgundWilhelm Müller- 
Davos: Fettstoffwechsel der Zelle, 
geprüft an den Fett-Partialanti- 
genen des Tuberkelbazillus. (Dtsch. 
med. Wchschr. 1915, Nr. 33, S. 970.) 

Wenn man Meerschweinchen Tuber- 
kulonastin (Deyke-Much) in die Leibes- 
höhle spritzt, so beobachtet man nach 
einiger Zeit bei der Entnahme von Bauch- 
höhlenausschwitzung eine bis heute noch 
nicht gekannte Erscheinung: einzelne der 

Exsudatzellen enthalten säure- und Much- 

feste Zellbestandteile, die im Zytoplasma 

liegen. Nach einiger Zeit verschwinden 
dieselben wieder. Die anderen Partial- 
antigene rufen eine ähnliche Erscheinung 
nicht hervor. Das an sich unfärbbare, 
rein dargestellte Neutralfett- Fettalkohol- 
gemisch (Tuberkulonastin) wird durch einen 

Vorgang im tierischen Körper derartig 

verändert, daß es ausgesprochene färbe- 

rische Eigentümlichkeiten erhält. Dieser 

Vorgang muß als Stoffwechsel innerhalb 

der Zelle gedeutet werden, er ist eine 

neue Bestätigung dafür, daß die Partial- 
antigene der Erreger sich im Erreger 
gegenseitig beeinflussen. Weitere Versuche 


RD. 26, HEFT 3, 
1916. 


über die gegenseitige Beeinflussung der 
einzelnen Erreger-Teilbestandteile bei ver- 
schiedenen und verschieden vorbehandel- 
ten Tieren haben zu wechselnden Ergeb- 
nissen geführt und sind noch nicht ab- 
geschlossen. Glasversuche ergaben, daß 
diese Vorgänge nur an den lebenden 
Körper gebunden sind. 
C. Moewes (Berlin-Lichterfelde). 


Wilhelm Müller-Hamburg-Davos: Erste 
Erfahrungen mit Deyke-Much- 
schen Tuberkulosepartialantige- 
nen im Hochgebirge. (Münch. med. 
Wchschr. 1915, Nr. 41, S. 1385.) 

Die Intrakutanreaktion am Menschen 
erlaubt es, nach ihrem qualitativem Aus- 
fall zwei Grundtypen von Reaktions- 
fähigkeit bei Tuberkulosekranken festzu- 
stellen: stärkere Reaktion auf Fettkörper, 
speziell auf Neutralfett bei chirurgischer 

Tuberkulose; stärkere Reaktion auf Ei- 

weißkörper bei Lungentuberkulose. Auch 

im Hochgebirge besteht diese Verschie- 

denheit. Diagnostisch und therapeutisch 

verdienen die Partialantigene weitgehendst 
angewandt zu werden. Allerdings ist sorg- 
fältige Laboratoriumskontrolle zwecks An- 
passung an das individuelle Verhalten der 

Patienten notwendig. Die Kuren sind zu 

wiederholen, so daß die Behandlung lange 

Zeit erfordert. Die optimalen Dosen und 

Konzentrationen der Partialantigenlösungen 

müssen festgestellt werden. Auffallend 

schon im Beginn der Kur ist die wesent- 
liche Abnahme der Bazillen im Sputum, 
morphologische Veränderungen derselben, 

Phagozytose im Sputum. Weitere Beob- 

achtungen können erst nach längeren Er- 

fahrungen verallgemeinert werden. 

C. Moewes (Berlin-Lichterfelde). 


c) Chirurgische, einschl. Pneumothorax. 


Guido Kronenfels: Schußverletzungen 
der Lunge. [Aus Kriegschirurgie in 
den Balkankriegen 1912/1913,] (Neue 
Deutsche Chirurgie 1915, Bd. 14, 
S. 140.) 

k Verf. berichtet über seine Erfahrungen 
bei 129 Verletzten mit Lungenschüssen. 
Von der Gesamtzahl der Verletzten be- 
trugen die Lungenschüsse 5,2°/,. Die 
Hämoptoe erschien auch hier als häufig- 


REFERATE, 


213 


stes Zeichen (56,4°/,, Von den 129 
Fällen starben ı1. Zieht man 6 Fälle 
von Mitverletzung des Rückenmarkes ab, 
bleiben nur 2,33 /, Todesfälle, die durch 
Komplikationen von seiten der Lungen- 
verletzung .selbst herbeigeführt wurden. 
Trotzdem hält Verf. die Lungenschüsse 
nicht für harmlose Verletzungen, denn 
erstens gehen große Reihen von Ver- 
letzten schon auf dem Schlachtfelde oder 
auf dem Transport ein, dann wird auch 
eine Disposition zur Lungentuberkulose 
geschaffen. Jedenfalls traten bei Lungen- 
verletzten der Balkankriege, die früher 
stets gesund waren, nach Abheilung der 
Lungenverwundung in späteren Kriegs- 
monaten regelrechte Phthisen auf. (Sichere 
Schlüsse lassen sich auf die Folgen des 
jetzigen Krieges im allgemeinen in dieser 
Hinsicht noch nicht machen. Dazu be- 
darf es ausreichenden Vergleichsmaterials 
an Nichtlungenverletzten. Ref.) Wichtig 
erscheint die Stellungsnahme des Verf. 
zur Punktion und Aspiration des Exsu- 
dates bei Hämatothorax. Sie soll mög- 
lichst gar nicht, wenn schon, sehr spät, 
und stets ‘unter aseptischen Kautelen er- 
folgen. (Denn der Bluterguß wirkt als 
Tamponade und ist leicht zu infizieren.) 
Abgesehen von bedrohlichen Spannungs- 
pneumothorax ist operatives Eingreifen 
selten nötig; Ruhelage und Morphium 
sind vor allem angezeigt. 
Blümel (Halle. 


Joh. Volkmann: Zur Klinik der Lun- 
genschüsse. (Dtsch. Ztschr. f. Chir. 
1915, Bd. 133, Heft 5/6, S.425.) 

Die Arbeit stammt aus dem Reserve- 
lazarett 2 in Stuttgart und behandelt 
55 Fälle, fast zur Hälfte Durch- und 
Steckschüsse. Die Mortalität betrug 
nur 3,1°/, [gegenüber einer ersten Mor- 
talität auf dem Schlachtfeld von ungefähr 
30°/, (Sauerbruch)]. Die Empfindungen 
waren oft sehr gering, Hämoptoe kam 
in gı°/, der Fälle vor, ihre Dauer war 
im Durchschnitt 5 Tage. Unkomplizierte 
Lungenverletzungen (meist glatte Durch- 
schüsse mit Infanteriegeschoß) ergaben 
öfter objektiv kaum einen pathologischen 
Befund, abgesehen von leichten Erhöhun- 
gen der Temperatur und Pulszahl. An- 
ders die komplizierten Verletzungen, als 


deren wichtigste der Erguß, zumeist Hä- 
matothorax, erscheint. Bei Punktionen 
ist das Blut, oft noch nach Wochen, un- 
geronnen. Während der Resorption des 
Hämatothorax tritt oft eine Temperatur- 
erhöhung (bis 39°) ein, nach Verf. „Re- 
sorptionshieber“. Nachblutungen wurden 
3, davon 2 mit tötlichem Ausgang, ge- 
sehen. Viermal trat sekundäres Empyem 
auf, auch Pneumothorax und Emphysem 
wurden beobachtet; in 5°/, der Fälle 
Pneumonie. Fehlt ein Hämatothorax, so 
sind an plötzlichen Fieberanstiegen mit 
Schüttelfrost kleine Lungeninfiltrate schuld. 
— Die Behandlung besteht in: Wund- 
versorgung, Ruhe, Sedativa, Eisbeutel. 
Nur bei beängstigenden Verdrängungs- 
erscheinungen Punktion, sonst Spätpunk- 
tionen bis 100 ccm aller ro Tage; Luft- 
oder Stickstoffeinblasungen wurden nicht 
gebraucht (! Ref. Bei Empyem Resek- 
tion. Tuberkulosen konnten während der 
Behandlungszeit nicht festgestellt werden. 
Die beste Vorbeugung ist eine genügend 
lange Behandlung und Schonung. (Die 
Erhöhung der Tuberkuloseziffer wird trotz 
früher ja beobachteter traumatischer Fälle 
[Unfälle!] wohl auch weniger infolge der 
Lungenverletzungen als infolge Allgemein- 
schädigungen eintreten. Ref.). 
Blümel (Halle). 


Joh. Volkmann: Über Lungenschüsse. 
Vortrag im Stuttgarter ärztlichen Verein 
am 9. September 1915. (Württ. med. 
Correspondenz-Blatt 1915, Nr.41,5.397, 
u. Nr.42, S. 409.) 

Erfahrungen über fast 100 Lungen- 
schüsse aus einem Reservelazarett. Die 
geringe Mortalität von 4,3°/, ist dem 
Umstand zuzuschreiben, daß die schwere- 
ren Fälle bei den Sanitätsformationen im 
Felde bleiben. 

Die Therapie bringt nichts wesent- 
lich neues. Die Behandlung des Hämo- 
thorax ist eine mehr aktive geworden. 
Punktionen von höchstens IOO ccm in 
Abständen sollen allzu große Schwarten- 
bildung verhindern. Nachuntersuchungen 
an einer Anzahl von Mannschaften er- 
gaben, daß 52°/, als felddienstfähig, 40°], 
als garnisondienstfähig mit teilweiser Aus- 
sicht auf spätere Besserung, und nur 8°/, 
als dienstunbrauchbar, entlassen werden 


REFERATE. 


ZEITSCHR, f. 
TUBERKULOSE 


konnten. Die Entstehung einer Lungen- 
tuberkulose wurde in keinem Falle be- 


obachtet. Die Verhütung derselben bildet 


aber einen wesentlichen Gesichtspunkt bei 
der Behandlung. Die Patienten dürfen 
nicht zu früh entlassen werden, sondern 
müssen noch längere Zeit einem Erholungs- 
heim überwiesen werden. Dadurch ver- 
längert sich die Krankheitsdauer auf Iıı 
bis 12 Wochen, ein Umstand, der jedoch 
nicht wesentlich in Betracht zu ziehen 
ist, wenn man bedenkt, daß dadurch eine 
ordnungsgemäße Ausheilung gewährleistet 
wird und einer Tuberkulose vorgebeugt 
werden kann. Hans Müller. 


H. Rieder- München: Lungenschüsse 
und Lungentuberkulose, (Münch. 
med, Wchschr., 1915, Nr. 49, S. 1673.) 

Die Lungentuberkulose ist hinsicht- 
lich ihrer Beziehung zu Schußverletzungen 
der Lunge wohl zu berücksichtigen. Die 

Verschlimmerung einer bereits bestehen- 

den tuberkulösen Lungenerkrankung (sei 

es nun, daß sie latent oder manifest ist) 
durch eine Thoraxverletzung, besonders 
eine Schußverletzung der Lunge, kann 
nicht bezweifelt werden. Die in latenten 
Lungenherden abgesperrten Krankheits- 
träger können durch das Trauma mobili- 
siert werden, und es kann zu neuen Herd- 
erkrankungen, wie zu einer Allgemein- 
infektion kommen. Das Röntgenverfahren 
ist sehr geeignet zur Klärung traumatischer 

Entstehung der Lungentuberkulose, da 

man röntgenologisch ältere und frischere 

Herde unterscheidet, wie auch genaue 

Lokalisation und weitere Ausbreitung der 

Tuberkulose feststellen kann. Verf. zeigt 

an zwei Fällen, wie bei alter vorhandener 

sehr geringfügiger Tuberkulose im An- 
schluß an eine Schußverletzung eine stär- 
kere Ausbreitung der durch das Trauma 
aufgerührten latenten Tuberkulose erfolgte. 

Die Ausbreitung der tuberkulösen Lungen- 

bzw. Pleuraerkrankung, entsprach in beiden 

Fällen den durch das Trauma betroffenen 

Stellen (Schußkanal). Die Prognose ist als 

ernst zu bezeichnen. Therapeutisch-pro- 


‚phylaktisch wird man bei unkomplizierten 


Lungenschüssen auf etwaige Manifestation 
latenter Tuberkulose fahnden. Nach An- 
sicht des Verf’s sind im gegenwärtigen 
Kriege die Tuberkuloseerkrankungen und 


BD. 25, HEFT 3. 
1916, 


besonders die Manifestationen latenter 
Tuberkulose nicht gar so selten, wie sie 
andere Autoren (Goldscheider, Ztschr. 
f. Tub., dieser Band, S. 36) hinstellen 
wollen. Sicheres darüber können aber 
erst statistische Erhebungen nach Abschluß 
des Feldzuges erbringen. 
C. Moewes (Berlin-Lichterfelde). 


D. Gerhardt: Über Pleuritis nach 
Brustschüssen. (Münch. med. 
Wchschr., 1915, Nr. 49, S. 1693.) 

Im Anschluß an Lungenschüsse kann 

sich exsudative Pleuritis entwickeln im 

Anschluß an einen Hämothorax. Diese 

sekundäre Pleuritis ist die häufigste Ur- 

sache für länger andawerndes, aber schließ- 
lich spontan abklingendes Fieber. Der 
anfangs rein blutige Pleurainhalt wird 

heller, sein spezifisches Gewicht (1020 

bis 1024) läßt ihn als neu aufgetretenes 

entzündliches Exsudat deuten. Der kli- 
nische Verlauf pflegt der gleiche zu sein 
wie bei Pleuritiden anderer Ätiologie, 

Fieber und ZResorptionszeit dauert in 

einzelnen Fällen länger. Die Entleerung 

des Exsudates kann nach denselben Regeln 
wie bei gewöhnlicher Pleuritis vorgenommen 
werden. In der ersten Woche soll man 

wegen der Nachblutungsgefahr nur im 

Notfall und dann nur kleine Mengen des 

Ergusses entleeren. 

C. Moewes (Berlin-Lichterfelde). 


W. Hale White: Gunshot wounds of 
the lungs. (The Lancet, 4. XII. 1915, 
p. 1233.) 

Der Gegenstand dieses Vortrags, die 
Schußverletzungen der Lungen, berührt 
zwar das Gebiet der Tuberkulose nicht 
unmittelbar, bringt aber doch manche 
Beziehungen schon durch die noch offene 
Frage, was aus den Lungenschüssen später 
wird, zumal wenn das Geschoß oder Ge- 
schoßteile zurückgeblieben sind. White 
behandelt den Gegenstand eingehend und 
"übersichtlich, die große Häufigkeit der 
Verletzung, die ja selbstverständlich ist, 
die verschiedenen Formen, die mannig- 
faltig genug sind, die unmittelbare Wir- 
kung, die oft erstaunlich gering ist, und 
der Verlauf, der häufig, freilich nicht 
immer, ebenso erstaunlich günstig ist. Die 
Behandlung, die sich natürlich nach der 


REFERATE. 


Te > 
u 


215 


Art der Verwundung richtet (stärkere 
Verletzung der Rippen oder des Zwerch- 
fells usw.) wird im allgemeinen zuwartend 
sein (Ruhe, wenig Nahrung, Morphium). 
Die teilweise Entfernung eines Hämothorax 
durch Punktion und Aspiration kann 
unter Umständen versucht werden, scheint 
aber keine besonderen Vorteile zu bieten. 
Auf geeignete Übungen nach geschehener 
Heilung ist Bedacht zu nehmen. Die 
überraschend schnelle Heilung der ein- 
fachen Lungenschüsse bezieht White 
wohl mit Recht auf die sehr gute Vascu- 
larisation des Atemorgans. Der Vortrag 
führt eine große Anzahl besonders merk- 
würdiger Fälle an. Meißen (Essen). 


J. Gwerder-Arosa: Ein ideal lokali- 
sierter Pneumothorax. (Münch. 
med. Wchschr. 1915, Nr. 40, S. 1354.) 

Krankengeschichte eines Patienten 
mit weit fortgeschrittener beiderseitiger 

Lungentuberkulose mit nicht sicherer Loka- 

lisation des Schubherdes und sicher vor- 

handenedn starken Verwachsungen. Trotz 
des zur Pneumothoraxbehandlung unge- 
eigneten Befundes entschloß sich Verf. 
zur Anlegung eines Pneumothorax. Er 
gelang und besserte das Befinden des 

Patienten sehr erheblich. 

C. Moewes (Berlin-Lichterfelde). 


F. Oeri (aus der Basler Heilstätte in 
Davos-Dorf): Drei Fälle von ex- 
trapleuraler Pneumolyse mit so- 
fortiger Plombierung nach Baer. 
(Korresp.-Blatt f. Schweizer Ärzte, Jahrg. 
1915, Nr. 43, S. 1364.) 

Der Verf. weist an der Hand von 
drei ausführlich geschilderten Kranken- 
geschichten den Wert des genannten Ver- 
fahrens nach. Er möchte die Indikation 
sogar erweitert wissen in dem Sinne, „daß 
die Plombe in Zukunft nicht mehr als 
letzte Zuflucht, sondern als Verfahren der 
Wahl anzuwenden sei, und zwar dort, wo 
Kollapstherapie am Platze, der Pneumo- 
thorax aber wegen lokalisierter Erkrankung 
noch nicht am Platze ist oder wegen Ver- 
wachsungen nicht gelingt“. 

In allen drei Fällen wurden sehr 
günstige Resultate erreicht. 

Gustav Baer (Davos-Platz). 


216 


VI. Kasuistik. 


Joseph Roby and Albert Kaiser: Gene- 
ral miliary tuberculosis with unu- 
sual spinal fluid findings. (New 
York Med. Journ., 2. 10. 1915, Vol. 102, 
p- 713.) 

Verff. beschreiben einen Fall von 
akuter allgemeiner Miliartuberkulose, der 
mit Meningitis tuberculosa und später 
mit Gehirnabszeß verwechselt wurde. Sie 
folgern: 

ı. daß ein hoher Prozentsatz poly- 
nukleärer Leukocyten in einer klaren 
Punktionsflüssigkeit bei der Meningitis 
tuberculosa möglich ist; 

2. daß man im Blute nicht nur eine 
Vermehrung der Leukocyten, sondern auch 
der polynukleären Zellen finden kann; 

3. daß bei akuter Miliartuberkulose 
Symptome ähnlich denen eines Gehirn- 
abszesses vorkommen können. 

B. S. Horowicz (Neuyork). 


J. B. Mc Dougall: A case of tempo- 
rary motor aphasia developing 
in the conex of tuberculosis. (The 
Lancet, 18.9. 1915, p. 647.) 

Verf. bespricht das Vorkommen von 
zeitweiliger motorischer Aphasie bei ver- 
schiedenen Krankheiten und beschreibt 
dann seinen Fall bei einem zehnjährigen 
tuberkulösen Mädchen, das für etwa 
24 Stunden plötzlich die Sprache verlor; 
das Kind konnte gleichzeitig schlecht 
lesen und gar nicht schreiben. Der 
Grund der Störung ließ sich nicht sicher 
feststellen. Verf. denkt an kleine peri- 
vaskuläre Tuberkel in der Sylvischen 
Grube. Der weitere Verlauf des Falles 
ist nicht angegeben. Meißen (Essen). 


G. B. Hassin: Dementia and multiple 
tuberculous brain abscesses. (Med. 
Record 30. 10. 1915, Vol. 88, No. 18, 
P. 737.) 

H.s Patient klagte über Kopfschmerz, 
Schwäche, Husten und Brustschmerz (bei 
tiefem Atem). Lungenuntersuchung war 
negativ. Zurzeit seiner Aufnahme in das 
Krankenhaus konnte man keine neuro- 
pathologischen Symptome entdecken, 
geistige Symptome aber waren leicht be- 


REFERATE. 


ZEITSCHR. f, 
TUBERKULOSE 


merkbar, und eine tentative Diagnose 
seniler Demenz wurde gestellt. Später 
wurde die Diagnose zur Pachymeningitis 
hemorrhagica interna geändert, der wich- 
tigen Gehirnsymptome wegen, nämlich 
Konvulsionen, konjugierter Ablenkung der 
Augen und des Kopfes. Die klonischen 
Konvulsionen in dem linken Bein und 
Arm und im Gesicht dauerten Tag und 
Nacht an, bis der Patient das Bewußtsein 
verlor. Die Sektion ergab: Multiple Ge- 
hirnabszesse und Encephalitis, Nieren- 
abszesse, chronische ulcerative und miliare 
Lungentuberkulose, tuberkulöse Osteomye- 
litis, des Brustbeins und senile Sklerose 
der Aorta. B. S. Horowicz (Neuyork). 


B. Tuberkulose anderer Organe. 


I. Hauttuberkulose und Lupus. 


P. G. Unna: Kriegsaphorismen eines 
Dermatologen. (Berl. klin. Wchschr. 
I9I5, Nr. 25, S. 653.) 

Lupus, die primäre Hauttuber- 
kulose, die in Form frischer Knötchen 
bei einzelnen Kriegsteilnehmern vorkom- 
men mag, kann im Felde zweckmäßig 
mit Ätzsalbe (Acid. salicyl., Zinc. chlorat. 
aa 2,0; Opii, Creosoti ää 4,0, Adipis 
lanae 8,0) beziehungsweise anderen Ätz- 
mitteln (Acidi lactici, Liq. stibii chlorati 
aa 5,0) behandelt werden. Leicht zu be- 
schaffen wird auch folgendes Kollodium 
sein: Acid. salicylici 1,0, Sublimat 1,0. 
Creosoti 3,0, Collodii 20,0. 

Sekundäre tuberkulöse Haut- 
leiden als Scrophuloderma und sog. kalte 
Abszesse, können mit überfetteter Leber- 
tran - Kaliseife (Kali canstici 84,0; Ol. 
jecoris aselli 500,0; Aq. dest. 475,0; 
Spirit. q. s. cca. 20,0) in Form einer Schmier- 
kur oft sehr günstig beeinflußt werden. 
Innerlich empfiehlt es sich Lebertran zu 
geben. C. Moewes (Berlin-Lichterfelde). 


G. A. Rost-Bonn: Über die Höhen- 
sonnenbehandlung desLupus und 
anderer tuberkulöser Erkran- 
kungen der Haut. (Dtsch. med. 
Wchschr. 1915, Nr 39, S. 1152.) 


\ 
BD. 25, HEFT 8. 
1916. 


Verf. berichtet über die Erfahrungen 


der Bonner Hautklinik mit künstlicher 


Höhensonne. Die Allgemeinbestrahlung 
allein bewirkt bereitsbei Lupus und anderen 
tuberkulösen Hauterkrankungen neben 
einer auffallenden Besserung des Allge- 
meinzustandes eine unter Umständen an 
Heilung grenzende günstige, örtliche Be- 
einflussung. Behandelt wurden etwa 100 
Fälle, davon 80 Lupuskranke. Zur ört- 
lichen Behandlung empfiehlt sich Kom- 
bination mit Quarzlampenbestrahlung. 
Günstige Wirkung wurde auch bei aller- 
schwersten Fällen erzielt mit verhältnis- 
mäßig geringen Dosen bei kurzer Be- 
strahlungsdauer. Bei Schleimhautlupus 
und Formen chirurgischer Tuberkulose 
eignet sich die Kombination mit gefilter- 
ten Röntgenstrahlen. 
C. Moewes (Berlin-Lichterfelde). 


Erich Hoffmann-Bonn: Vortrag in der 
Niederrheinischen Gesellschaft 
für Natur- und Heilkunde. (Med. 
Abt.) 13.7.1914. (Dtsch. med. Wchschr. 
1915, Nr. 12, S. 359.) 

a) Erythema (Erysipelas) perstans 
faciei mit tuberkulösen Veränderungen im 
Gewebe. 4rjähriger Patient, tuberkulös 
belastet, zeigt das Bild eines Erythema 
perstans faciei. Er leidet gleichzeitig an 
einem leichten Lungenspitzenkatarrh. Bei 
probatorischen A.T.-Einspritzungen kommt 
es zu Lokalreaktion im Gebiet des Ery- 
thems. Die histologische Untersuchung 
ergibt außer auffallenden Infiltrationen 
lupusähnliche Knötchen, die vorwiegend 
aus Epitheloid und Riesenzellen bestehen. 

b) Lupus erythematodes faciei et 
manum, kombiniert mit Folliclis. Tuber- 
kulöse Patientin, die beide Erkrankungen 
kombiniert bietet. 

c) Lupus erythematodes dissemina- 
tus mit schwerer Pleuropneumonie und 
Nierenerkrankung. 

Im Anschluß an eine von leichter 
Temperaturerhöhung begleitete Pirquet- 
Reaktion trat bei einem Fall von Lupus 
erythematodes des Gesichts eine plötz- 
liche Dissemination über den ganzen 
Körper auf mit folgender Pleuropneumonie. 
Nachdem die Patientin genesen war, trat 
im Anschluß an eine neue Pirquet-Reak- 
tion ein schwerer Rückfall auf in Form 


REFERATE. 217 


einer hämorrhagisch teleangiectatischen 
Erkrankung mit hohem Fieber und hämor- 
rhagischer Nephritis. 

C. Moewes (Berlin-Lichterfelde). 


Erich Hoffmann-Bonn: Lymphogranu- 
lomatose (Hodgkinsche Krank- 
heit) mit pemphigusartigem Ex- 
und Enanthem neben granuloma- 
tösen Hautknoten. (Dtsch. med. 
Wchschr. 1915, Nr. 38, S. 1117.) 

Verf. bespricht die Hauterscheinungen 
bei Lymphogranulomatose: Infiltratknoten 
aus dem von Sternberg beschriebenen 

Granulationsgewebe, toxisch bedingte Ex- 

antheme. Er teilt einen eigenen Fall mit, 

bei dem neben einem pemphigusartigen 

Ex- und Enanthem typische Lympho- 

granulomatosis cutis festgestellt werden 

konnte. Durch histologische Untersuchung 
von Drüsen, Hautknoten und Hautblasen 
wurde die Diagnose gesichert. Bei thera- 
peutischer Röntgenbestrahlung nahm das 
toxische, bullöse Exanthem zunächst an 

Stärke zu, wohl als Folge der gesteigerten 

Resorption toxischer Drüsenstoffe.. Die 

Drüsenschwellungen und Hautinfiltrate 

wurden sehr günstig beeinflußt. Zeichen 

für Tuberkulose ließen sich bei dem 

Kranken nicht finden, auch nicht bei 

Untersuchung excidierter Stückchen im 

Tierversuch. Bemerkenswert ist noch die 

Entstehung der pemphigusartigen Blasen 

durch mechanische Schädigungen der Haut 

und dürch den örtlichen Reiz der Rönt- 
genstrahlen. | 
C. Moewes (Berlin-Lichterfelde). 


ll. Tuberkulose der Knochen und 
Gelenke. 


W. Dieterich: Röntgentherapie bei 
Knochen- und Gelenktuberku- 
lose. (Strahlentherapie 1915, Bd. VI, 
S. 214.) 

Die Schlußsätze der mit 40 durch- 
wegs guten Abbildungen versehenen Ar- 
beit lauten: Die Röntgentherapie eignet 
sich bei der BehandiInng der Knochen- 
gelenktuberkulose für kleine Gelenke und 
Knochen. Nicht zu weit vorgeschrittene 
Kapsel-Sehnenscheidentuberkulosen in der 


218 


Gegend mittlerer Gelenke sind geeignete 
Objekte. Selbst bei multiplen Knochen- 
erkrankungen sind tuberkulöse Affektionen 
kleinerer und mittlerer Gelenke und 
Knochen günstig zu beeinflussen, selbst 
auszuheilen, wenn der Körper noch die 
Fähigkeit besitzt, die nötigen Schutzstoffe 
zu bilden. Ausgesprochene Knochenein- 
schmelzungen müssen zuerst ausgeräumt 
werden, da sie nach unseren Erfahrungen 
auf eine Röntgenbehandlung nicht aus- 
heilen. Als Nachbehandlung ist die 
Röntgentherapie sehr zu empfehlen in der 
Ebene; wenn möglich sollen Sonnen- 
und Luftbäder kombiniert werden; even- 
tuell können Spritzkuren zeitweise zur 
Unterstützung herangezogen werden. 
B. Valentin (Berlin). 


Wilhelm Müller-Davos: Eine Analyse 
derWirkungnichtspezifischerMit- 
tel bei chirurgischer Tuberkulose. 
(Münch. med. Wchschr. 1915, Nr. 32, 
S. 1077.) 

Als Schüler von Much benutzt Verf. 

die Partialantigene zur rechnerischen Im- 

munitätserkenntnis über die Beeinflussung 

eines Körpers nach Behandlung mit nicht- 
spezifischen Mitteln und zwar mit Licht, 
künstlichem wie natürlichem. Er unter- 
sucht, ob das Licht als solches wirkt 
oder ob es nur mittelbar durch Ver- 
besserung des vorher schlechten Immu- 
nitätszustandes wirkt. Er benutzte die 

Intrakutanreaktion mit Partialantigenen. 

Zusammenfassend berichtet er, daß das 

Licht lediglich durch Verbesserung der 

Immunität wirkt. Man kann zahlenmäßig 

die Wirkung von Licht und jeder anderen 

Behandlungsmethode bestimmen und si- 

chern, während klinische Beobachtung 

trügen kann. | 
C. Moewes (Berlin-Lichterfelde). 


A. C. Burnham: Tuberculin in surgi- 
cal tuberculosis; with special re- 
ference to the use of sensitized 
bacillary emulsion. (Journ. Amer. 
Med. Assoc., ro. July 1915, Vol. LXV, 
No. 2, p. 140.) 

Verf. berichtet über die Resultate 
bei 15 ambulanten chirurgischen Tuber- 
kulosefällen, welche er in der Klinik mit 
der von F. Meyer empfohlenen sensi- 


REFERATE, 


ZEITSCHR. 1. 
TUBERKULOSE 


bilisierten Bazillenemulsion behandelt hat. 
Sie waren alle entweder. nichtoperabel 
oder litten an einem Sinus, als Folge 
einer Operation. Bei allen waren die 
hygienischen Verhältnisse ungünstig und 
Beobachtungsgelegenheiten mangelhaft. 

Bei 4 Fällen war eine auffallende 
Besserung vorhanden; bei 6 Fällen Bes- 
serung; bei 3 Fällen keine Wirkung; bei 
ı Falle Fortschritt der Krankheit. Unter 
den 4 auffallend gebesserten waren 3 
Drüsentuberkulosen und ı Fall von Sinus 
des Halses. 

Verf. meint, daß die Toleranz gegen 
diese sensibilisierte Bazillenemulsion we- 
sentlich dieselbe ist wie die gegen nicht- 
sensibilisierte Bazillenemulsion. Weiter 
glaubt er, daß man bessere Resultate mit 
sehr kleinen Dosen gewinnen kann. Er 
fängt gewöhnlich mit 0,000 000 0I oder 
0,000 000 00I cc an, erhöht die Dosen 
sehr allmählich in Intervallen von 5 bis 
8 Tagen, bis eine Reaktion eintritt oder 
der Patient reine Emulsion erhält. 

Die sensibilisierte Tuberkelbazillen- 
emulsion soll dieselbe Wirkung wie die 
nichtsensibilisierte besitzen. Ihr Gebrauch 
soll bei geeigneten in der Klinik vorkom- 
menden chirurgischen Fällen indiziert sein. 

Verf. berichtet weiterhin über die- 
selbe Behandlung von 16 ähnlich ge- 
stellen Lungentuberkulosen. Die Resultate 
waren nicht auffallend. 

Soper (Saranac Lake, N. Y.). 


Arthur J. Davidson: Tuberculosis of 
the patella. (New York Med. Journ. 
23.10.1915, Vol. 102, No. 17, p. 833.) 

Primäre Tuberkulose der Kniescheibe 
ist sehr selten, kann aber in jedem Alter 
vorkommen. Der pathologische Prozeß 
unterscheidet sich im allgemeinen nicht _ 
von der Knochentuberkulose in anderen 

Teilen des Körpers. Wichtige Symptome 

sind lokaler Schmerz, Druckempfindlichkeit 

über der Kniescheibe, Vergrößerung und 

Unregelmäßigkeit der Unterhautfläche des 

Knochens. Die Gelenkfunktion und Be- 

weglichkeit der Kniescheibe bleiben un- 

vermindert. Frühe Diagnose ist sehr 
wichtig. Röntgenstrahlen sind von großem 
diagnostischen Wert im späteren Stadium 
des Leidens. B.S.Horowicz(Neuyork). 


BD. 25, HEFT 8. 
1916, 


ll. Tuberkulose der anderen Organe. 


Paul Zander: Kritisch-diagnostische 
Studie über die tuberkulösen 
Erkrankungen der lIleocoecal- 
gegend. Habilitationsschrift, Halle a. S. 
1914, C. A. Kaemmerer & Co. 

Die Abhandlung gibt nur einen Aus- 
schnitt einer größeren Arbeit, die ein Bei- 
trag zur Differentialdiagnose einiger Ab- 
dominalerkrankungen sein soll. — Während 
die allgemeine Darmtuberkulose sich durch 
diffus-ulceröse Prozesse charakterisiert, 
treten diese bei der isolierten Ileocoecal- 
tuberkulose in den Hintergrund gegen- 
über proliferativen Prozessen, 
Bildung von Tumoren führen. Es gibt 
zwei klinische Erscheinungsformen, unter 
denen sich die zirkumskripte Tleocoecal- 
tuberkulose äußern kann: einerseits eine 
Appendicitis, andererseits ein Darmtumor, 
Invagination oder Aktinomykose. Das 
einzige, auf die richtige Diagnose absolut 
hinweisende Symptom ist das Vorhanden- 
sein von Darmsteifungen. Dieser Nach- 
weis eines Hindernisses der Darmpassage 
läßt eine akute Appendicitis mit Sicher- 
heit ausschließen. Die Tuberkulinreaktion 
ist für die Differentialdiagnose der Ileo- 
coecaltumoren kaum zn verwenden, da 
einmal ihre Anwendung nur bei fieber- 
freiem Krankheitsverlauf möglich, anderer- 
seits nur das deutliche Auftreten einer 
Lokalreaktion verwertbar ist, Vielver- 
sprechend ist der Ausfall der Abderhalden- 
schen Reaktion. Die Therapie in den 
bisher veröffentlichten Fällen von Ileocoecal- 
und Mesenterialtuberkulose war stets eine 
operative, es werden mehrere Kranken- 
geschichten für beide Erkrankungsformen 
angeführt. B. Valentin (Berlin). 


H.Gage: Acute tubercular inflamma- 
tion of the ileo-colic glands simu- 
lating appendicitis. (Boston Med. 
and Surg. Journ., 26. Aug. 1915, Vol. 
CLXXIII, No. 9, p. 301.) 

Der Artikel beschränkt sich auf die 
Tuberkulose der Ileo-coecal-Lymphdrlüsen 
im Gegensatz zu der der Mesenterial- 
drüsen im allgemeinen. 

Verf. beschreibt im Anschluß an die 
Literatur 11 eigene Fälle. | 


REFERATE. 


die zur 


219 


Es waren ro akutverlaufende Fälle 
und ı chronischer Fall; Lebensalter 7 
bis 25 Jahre. Etwas auffallend war es, 
daß alle Fälle das weibliche Geschlecht 
betrafen. Symptomatisch täuschten alle 
Fälle eine mäßig schwere Appendizitis 
vor. Eine Differentialdiagnose von Appen- 
dizitis war mit Sicherheit überhaupt nicht 
zu machen. 

Für die Operation wird Entnahme 
des Appendix und Entfernung der ge- 
schwollenen Drüsen empfohlen. Prognose 
soll bei Operation sehr günstig sein. 

Soper (Saranac Lake N.Y.) 


J. Coleman: Nasal tuberculosis. (Med. 
Rec. 1915, Vol. 87, No. 4, p. 147.) 
Bericht über einen Fall. 
Soper (Saranac Lake, N. Y.). 


Th. Ruedi-Davos: Beobachtungen aus 
Davos über operative Behandlung 
der Kehlkopftuberkulose. (Ztschr. 
f. Ohrenheilkunde und f. die Krank- 
heiten der Luftwege, 1915, Bd. 73, 
Heft 3, S. 174—206.) 

In einer ausführlichen, mit kasuisti- 
schem Material und statistischen Zusam- 
menstellungen reichlich versehenen Arbeit 
berichtet der Verf. über seine an einem 
großen Krankenmaterial gesammelten Er- 
fahrungen über die operative Behandlung 
der Kehlkopftuberkulose. Er sah und 
behandelte in 6 Jahren in Davos 1052 
Kranke; von diesen wurden 575 (also 
etwa 54°/,) in 1548 Sitzungen endo- 
laryngeal behandelt, 61mal wurde küret- 
tiert, 1316 mal kauterisiert, 168 mal küret- 
tiert und kauterisiert. Die Resultate seiner 
Beobachtungen und Behandlungen stellt 
Verf. in folgenden Schlußsätzen zusammen: 

I. Die Kehlkopftuberkulose ist heilbar. 
2. Spontane Besserung‘ und Heilung 
konnte unter dem Einflusse der All- 
gemeinkur in Davos mehrfach be- 
obachtet werden. Es muß aber eine 
vorherrschende Abhängigkeit des Ver- 
laufes der Larynxtuberkulose von 
dem der Lungentuberkulose negiert 
werden. Bei vielen Fällen erwies 
sich die Allgemeinkur, sowie die 
übliche konservative Lokalbehand- 
lung, speziell auch die Sonnenbe- 
strahlung, trotz Besserung der Lungen 


220 


als ungenügend oder wirkungslos. 
Durch operative Therapie konnte ein 
erheblicher Teil dieser Kehlkopf- 
tuberkulosen dauernd geheilt werden. 

3. Die operative Behandlung der La- 
rynxtuberkulose soll, um postopera- 
tive Schübe in den Lungen zu ver- 
meiden, wo nicht dringende sympto- 
matische Indikation zu einem Ein- 
griff besteht, grundsätzlich erst bei 
fieberlosem, stationär gewordenem 
Lungenzustand vorgenommen werden. 

. Die elektrokaustische Behandlung 
nach Mermod-Siebenmann mit 
ihrer breit und tief zerstörenden 
radikalen Wirkung erwies sich als 
bestes Operationsverfahren. Nur für 
Kehlkopfdeckeltuberkulosse eignete 
sich besser die Kürettenbehandlung 
in Form von Resektion oder Ampu- 
tation. 

5. Die operative Behandlung erzielte in 
etwas mehr als !/, der wenigstens 
3 Monate nach dem letzten Eingriff 
untersuchten Fälle Heilung. Die 
besten Resultate (52 °/, Heilung) gab 
die Elektrokaustik der Stimmband- 
tuberkulose. | 

. Die operative Behandlung hatte in 
mehreren Fällen sehr günstige Be- 
einflussung der Lungen und des 
Allgemeinzustandes zur Folge. 

. Die Behauptung, bei Kehlkopftuber- 
kulose sei die Hochgebirgskur all- 
gemein kontraindiziert, ist falsch. 
Auch bei mit Kehlkopftuberkulose 
komplizierter Lungentuberkulose ist, 
soweit das Leiden überhaupt als 
besserungsfähig erscheint, den heu- 
tigen Erfahrungen über Lungen- und 
Larynxtuberkulose gemäß in erster 
Linie der Aufenthalt im Hochgebirge 
indiziert. Wo bei günstiger Beein- 
flussung der Lungen durch das Hoch- 
gebirge die spontane Heilung des Kehl- 
kopfs ausbleibt, soll die operative elek- 
trokaustische Lokalbehandlung nach 
Mermod-Siebenmann einsetzen, 
die gerade unter dem die Vitalität 
des Organismus fördernden Einfluß 
des Hochgebirgklimas überraschend 
schnelle Heilung erzielen kann. 
Diesen Schlußfolgerungen darf man 

prinzipiell wohl zustimmen. Nur einige 


sr 


REFERATE. 


ZEITSCHR, f. 
TUBERKULOSE 


Vorbehalte sind zur Sprache zu bringen. 
Wenn Verf. gegen diejenigen Halsärzte 
polemisiert, die in der Kehlkopftuberku- 
lose ein „noli tangere“ sehen, so wird 
die Zahl dieser imaginären Gegner wohl 
eine verschwindend kleine sein. Denn 
daß man bei der Kehlkopftuberkulose 
unter gewissen Umständen operativ ein- 
greifen muß, das leugnen heutzutage wohl 
nur noch so wenige Laryngologen, daß 
man über sie zur Tagesordnung hinweg- 
gehen kann. Dahingegen herrschen immer 
noch nicht unwesentliche Meinungsver- 
schiedenheiten über die Indikationen zum 
operativen Eingreifen bei der Kehlkopf- 
tuberkulose. Diese Meinungsverschieden- 
heiten geben sich allerdings, wie ich 
schon früher des öfteren betont habe, 
nicht so sehr in dem Indikationspro- 
gramm zu erkennen, und doch sind sie 
recht erheblich, sobald es sich um in die 
Praxis umzusetzende Entscheidungen im 
gegebenen Fall handelt. Die hier zutage 
tretenden Gegensätze beruhen eben auf 
der Verschiedenheit der persönlichen Er- 
fahrung, und was fast noch wichtiger 
ist, auf der Verschiedenartigkeit des Tem- 
peramentes der Öperateure. Immerhin 
zeigt die Tatsache, daß Verf. bei an- 
nähernd der Hälfte der Patienten auf 
chirurgische Eingriffe verzichtete, doch 
mit aller Deutlichkeit, daß die Zahl der 
tuberkulösen Kehlkopferkrankungen, bei 
denen man mit einer konservativen Be- 
handlung auskommen kann, auch nach 
des Verf.’s Ansicht eine ziemlich große 
ist. Eine solche Zurückhaltung, die nicht 
allerorten geübt wird, ist nach meiner 
Meinung nur zu loben. Ich selbst würde 
hier und da vielleicht noch weiter ge- 
gangen sein. So glaube ich z. B., daß 
bei kleinen Exkreszenzen in der Arytae- 
noidgegend der Reizhusten sehr oft auch 
ohne Kauter beseitigt werden kann. 
Ferner bestehen betreffs der Frage, wie 
weit man bei hoffnungslosen Patienten 
noch Operationen aus symptomatischen 
Rücksichten vornehmen oder ausdehnen 
darf, noch mancherlei Unstimmigkeiten. 
S. 186 berichtet Verf. von einer Patientin 
„in hofinungslosem Zustande; Kehlkopf- 
befund: Tuberkulöse Infiltration der Inter- 
arvgegend, ödematöse Verdickung beider 
Arygegenden, höckerige Infiltrate beider 


BD. 25, | HEFT 8. 


Taschenbänder; Stimmbänder infiltriert, 
paramedian fixiert, Aphonie. Es bestand 
also Perichondritis arytenoidea und wahr- 
scheinlich auch cricoidea. Infolgedessen 
zunehmende Glottistenose. Da auf Wunsch 
des behandelnden Lungenarztes von Tra- 
cheotomie abzusehen war, wurden an der 
bettlägerigen Patientin die beiderseitigen 
Taschenbandprominenzen, sowie die nun- 
mehr median fixierten Stimmbänder rese- 
ziert. Daraufhin freie Atmung, bis zu 
dem 2 Wochen später erfolgten Exitus 
letalis“. Bei diesem Befund würde ich 
eine so ausgedehnte Kehlkopfkürettage 
nicht für angezeigt halten. Der Erfolg 
kann ja in solch verzweifeltem Falle nur 
ein ganz vorübergehender sein. Stirbt die 
Patientin nicht sehr schnell, so kommt es 
in wenigen Wochen zu Rezidiven, die die 
vorherige Operation vollständig illusorisch 
machen. Eine so kurz dauernde Besse- 
rung ist aber m. E. zu teuer erkauft durch 
eine so eingreifende Operation, die bei 
einer so entkräfteten Patientin doch einen 
recht qualvollen Eingriff bedeutet, dem 
gegenüber die Tracheotomie fast als ein 
Kinderspiel anzusehen ist. Ich glaube, 
Eingriffe unter solchen Umständen — 
ich habe noch viel energischere Ope- 
rationen sub finem vitae gesehen — 
sollten, selbst gegen den Wunsch des 
behandelnden Lungenarztes, besser ver- 
mieden werden, weil sie gar zu leicht die 
ganze Methode diskreditieren. 
A. Kuttner (Berlin). 


H. Barwell: Recentviewson laryngeal 
tuberculosis. (Brit. Journ. of Tubercu- 
losis, Jan. 1915, Vol. IX, No. 1, p.16.) 

Einige Bemerkungen über die For- 
men und die Behandlung der Kehlkopf- 
tuberkulose, wie die praktische Erfahrung 
sie gibt. Neues bringen sie nicht. 

Meißen (Essen). 


A. Spencer Kaufman: Laryngeal tuber- 
culosis. (New York Med. Journ. Vol. 
102, p. 460, 28. 8. 1915.) 

K. empfiehlt häufige periodische 
Kehlkopfuntersuchungen aller tuberku- 
lösen Patienten, um womöglich Larynx- 
tuberkulose früh zu entdecken und somit 
erfolgreicher zu behandeln. 

B. S. Horowicz (Neuyork). 


NE. ent... SEEERATE, 1 SE I 


A. Logan Turner and I. S. Fraser: Tu- 
berculosis ofthe middle ear cleft 
in children. (Journ. of Laryngology, 
Rhinology and Otology, June 1915.) 

Ätiologisch kann man die Fälle von 
Mittelohrtuberkulose in zwei Gruppen 
einteilen. In die erste sind jene Fälle 
bei Säuglingen und jungen Kindern ein- 
zureihen, die mit Kuhmilch ernährt wer- 
den, die Tuberkelbazillen enthält. Bei 
der zweiten Gruppe handelt es sich um 

Fälle von fortgeschrittener Lungentuber- 

kulose, in denen die Otitis media als 

Komplikation hinzutritt. Als Infektions- 

weg hat man einmal den direkten Ein- 

tritt von Bazillen ins Mittelohr durch die 

Tuba Eustachii, dann aber die hämato- 

gene Infektion anzunehmen. Die Pro- 

gnose. der tuberkulösen Otitis media ist 
ungünstiger als die der gewöhnlichen 

Otitis media purulenta, besonders da häu- 

fig das Labyrinth mit ergriffen wird. In 

diesem Falle breitet sich die Infektion 
durch die Fenster hindurch aus. 
Stern (Straßburg). 


C. Tiertuberkulose. 


Arvid M. Bergman-Stockholm: Beitrag 
zur Kenntnis der Tuberkulin- 
augenprobe zur Diagnostizierung 
der Tuberkulose beim Rinde. (Zeit- 
schr. f. Infektionskrankh. d. Haustiere, 
1915, Bd. 17, Heft 1/2, S. 37—67, mit 
3 Tafeln.) 

Nach der Einträufelung von 40proz. 
Glyzerinlösung in das Auge von Rindern 
sind in vereinzelten Fällen Tränenfluß 
und etwas Schleimsekretion, aber keine 
Eitersekretion, also keine mit der Kon- 
| Junktivalreaktion mit Tuberkulin bei tuber- 
kulösen Tieren zu verwechselnde Reaktion 
erfolgt. 

Mit Glyzerinbouillon, die wie das bei 
der Tuberkulinbereitung angewendete Sub- 
strat zusammengesetzt und ganz wie die 
Tuberkelbazillenkulturen bei der Tuber- 
kulinbereitung behandelt, also ebenfalls 
auf 1/io Volumen konzentriert war, ist 
gleichfalls keine Konjunktivalreaktion ent- 
standen, die eine Verwechselung mit der 
Konjunktivalreaktion mit Tuberkulin bei 


222 


tuberkulösen Rindern hätte veranlassen 
können. 

Das Tuberkulin des Veterinärbakterio- 
logischen Staatsinstitus, ein Tuberkulinum 
Kochi, hergestellt zu 92°/, aus bovinen 
und 8°/, aus humanen Kulturen und 
40°/, Glyzerin enthaltend, hat sich für 
die Augenprobe als vollkommen anwend- 
barerwiesen. Von 107 untersuchten Tieren 
waren 87 tuberkulös und 20 tuberkulose- 
frei, in 38 Fällen durch Sektion und, wo 
es nötig war, durch Impfversuche sowie 
in 69 Fällen durch Temperaturmessung 
sowie klinische und bakteriologische Unter- 
suchung kontrolliert. Von den tuberku- 
lösen Rindern reagierten bei der ersten 
Augenprobe 70 deutlich, ıı zweifelhaft 
und 6 nicht. Von den 20 gesunden 
Rindern reagierte eins. Die zweite Augen- 
probe an demselben Auge ergab in allen 
Fällen einen richtigen und deutlichen 
Ausschlag. 87 reagierten und 20 zeigten 
keine Reaktion. Die Tuberkulinaugen- 
probe ist somit am geeignetsten nach 
vorhergegangener Sensibilisierung auszu- 
führen. 

Bei der ersten Tuberkulinprobe ist 
eine sympathische Reaktion am nicht- 
behandelten Auge bei ungefähr 4°/, der 
Reagierenden vorgekommen. 

Die sensibilisierende Einwirkung der 
. Tuberkulineinträufelung in ein Auge bei 
tuberkulösen Tieren ist deutlich hervor- 
getreten, wenn die zweite Tuberkulin- 
einträufelung schon nach 48 Stunden vor- 
genommen wurde, und auch in solchen 
Fällen, wo die Reaktion nach der ersten Ein- 
träufelung noch nicht abgeschlossen war. 
Wurde die zweite Augenprobe erst 13 Tage 
nach der ersten gemacht, so ist ihre sensi- 
bilisierende Einwirkung gleichfalls augen- 
scheinlich gewesen. Die Sensibilisierung 
hat nicht allein zur Folge, daß die Reaktion 
bei der zweiten Probe deutlicher wird, 
sondern auch, daß sie sich früher ein- 
stellt und früher als bei der ersten ver- 
schwindet. 

Es genügt nicht, daß man den Aus- 
schlag der Probe nur einmal abliest. Ist 
nicht vorher eine Tuberkulineinträufelung 
in das Auge geschehen, so ist es zweck- 
mäßig, die Reaktion 8, 12, 18 und 24 
(möglicherweise auch 30) Stunden nach 
der Einträufelung nachzusehen. 


REFERATE. 


ZEITSCHR. f. 
TUBERKULOSE 


Ist das Auge durch eine vorherige 
Tuberkulineinträufelung sensibilisiert wor- 
den, so untersucht man nach 6, ı2 und 
18 Stunden, und sollten, was in der Praxis 
selten vorkommen dürfte, mehrere Ein- 
träufelungen mit kurzen Zwischenräumen 
vorher gemacht sein, so hat die Unter- 
suchung der Reaktion nach 3 und 6 Stun- 
den zu geschehen. 

Die Tuberkulinbehandlung des einen 
Auges beim tuberkulösen Tier hat oft auch 
auf das andere Auge eine sensibilisierende 
Wirkung, die sich durch früheres Eintreten 
und Aufhören der Reaktion bei neuen 
Proben zu erkennen gibt. 

Wiederholte Tuberkulineinträufelun- 
gen in dasselbe Auge in I—3tägigen 
Zwischenräumen haben bei tuberkulösen 
Rindern nach wenigstens 4 Einträufelungen 
eine Verminderung der Reaktionsfähigkeit 
des Auges verursacht. Die Reaktion be- 
gann früh, wie in einem sensibilisierten 
Auge, verschwand aber sehr früh, zu- 
weilen schon 5 Stunden nach der Ein- 
träufelung. Ein vollständiges Aufhören 
der Reaktionsfähigkeit ist nicht einmal 
nach 8 Einträufelungen wahrgenommen 
worden. Durch eine solche Behandlung 
des einen Auges wird auch das andere 
beinahe in demselben Grade hyposensibel, 
wie das behandelte. Die Fähigkeit des 
Auges, sich gewissermaßen an die Tuber- 
kulinbehandlung zu gewöhnen, dürfte ohne 
praktische Bedeutung sein, da eineReaktion 
eintritt, wenn sie auch nur kurze Zeit an- 
hält, und da sich anderseits gezeigt hat, 
daß die normale Reaktionsfähigkeit wenige 
(6) Tage nach dem Aufhören der Ein- 
träufelungen wiederkehrt. L. R. 


D. Berichte. 


l. Über Versammlungen. 


F. H. Bartlett: The pathology of tu- 
berculosis in children. 

William H. Park: The transmission 
of tuberculosis in childhood. 

Henry L. Coit: The recognition of 
the fact and the estimation of 
the danger of bovine tuberculosis. 

J. Ogden Woodruff: The care of the 
tuberculous child. [NewYork Aca- 


BD. 25, HEFT 8. 
1916. 


REFERATE, 223 


demy of Medicine, Section of Pedia- 
trics, I 1. March 1915]. (Medical Record, 
Vol. 88, No. 8, p. 337—340. 21. Au- 
gust 1915.) 

F. H. Bartlett spricht über die 
„Pathologie der Tuberkulose im Kindes- 
alter“; ungefähr 16,4°/, aller Sektionen 
kindlicher Leichen im Alter von 2!/, Mo- 
naten bis zu 5 Jahren zeigten tuberkulöse 
Veränderungen. Er berichtet über 178 
Autopsien, in denen er Tuberkulose fand. 
In der Mehrzahl der Fälle war der Respi- 
rationsapparat die Eingangspforte (82 °/,); 
die Bazillen können die Lunge passieren, 
ohne sich dort zu lokalisieren und in- 
fizieren erst die Drüsen. Bei jungen 
Kindern heilt die Tuberkulose nicht aus — 
Verkalkung fand sich nur in 2 Fällen — 
sondern führt zu allgemeiner Dissemina- 
tion. Je jünger das Kind ist, um so 
häufiger werden die Meningen mitaffiziert, 
er fand dies 96 mal. Bei Tuberkulose 
der Meningen und der Lungen herrschte 
das Bild der miliaren Tuberkulose vor. 

William H. Park spricht dann 
über die „Übertragung der Tuberkulose 
in der Kindheit“. Intrauterin erworbene 
Tuberkulose ist Außerst selten, sie wurde 
nur bei allgemeiner Miliartuberkulose der 
Mutter beobachtet, eine Erkrankung des 
Vaters spielt keine Rolle dabei. Auch 
beim Tier ist intrauterin erworbene Tuber- 
kulose sehr selten. Park spricht dann 
eingehend über die Infektion durch die 
Milch. Bei ZEutertuberkulose gelangen 
unendlich viel Keime in die Milch. Für 
Neuyork ist diese Gefahr sehr herab- 
gesetzt, da die Milchkühe zweimal jährlich 
untersucht und die kranken ausgeschieden 
werden. Ganz: frei ist dann auch die 
Milch nicht immer, sie enthält aber zu 
wenig Keime, um infizieren zu können. 
Erhitzen auf 60° für 20 Minuten tötet 
alle Keime. Butter kann bisweilen Tu- 
berkulose übertragen, ob dies auch für 
rohes Fleisch gilt, ist sehr fraglich, für 
gekochtes ausgeschlossen. Die bovine 
Infektion kommt nur bei ganz jungen 
Kindern vor, Säuglinge sind relativ un- 
empfänglich,. Die häufigste Infektion ist 
die von Mensch zu Mensch, die größte 
Gefahr ist eine tuberkulöse Mutter oder 
Amme, man sollte daher die Kinder aus 
der Umgebung Tuberkulöser entfernen. 


Kinder Tuberkulöser erkranken häufiger 
als Kinder Gesunder. Die Behringsche 
Lehre von der Kindheitsinfektion ist noch 
nicht begründet, besonders nicht die Be- 
hauptung Behrings, daß die Infektion 
in der Kindheit fast stets durch den 
typus bovinus erfolgt. 

Henry L. Coit spricht über „die 
Erkennung und Bedeutung der Rinder- 
tuberkulose für die Tuberkulose des Kin- 
des“. Erst in neuerer Zeit wurde die 
Gefahr erkannt, welche in der Darreichung 
von Milch tuberkulöser Kühe liegt. Darum 
ist Überwachung aller Herden und An- 
wendung der Tuberkulinprobe angezeigt. 
Nach Schätzung der Geschäftsstelle für 
Viehzucht sind 20—30°/, aller Kühe in 
den Vereinigten Staaten tuberkulös. Kühen, 
die einmal positiv reagierten, sollte man, 
um sie jederzeit zu erkennen, eine Marke 
in die Haut brennen. Da die Regierung 
jede Mitarbeit ablehnte, ließ sich die 
Tuberkulinprobe nicht allgemein ausführen. 
Coit empfiehlt zu einem wirksamen 
Kampfe gegen die Verbreitung der Tuber- 
kulose durch die Milch: Organisation eines 
vom Staate finanzierten und mit gewissen 
Machtbefugnissen ausgestatteten Kontroll- 
dienstes, bestehend aus Ärzten, Tierärzten, 
Hygienikern; Ausführung von Tuberkulin- 
proben durch geschultes Personal unter 
Verwendung von lediglich in Staatslabo- 
ratorien hergestelltem Tuberkulin; An- 
weisung der Herdenbesitzer, ihre Tiere 
selbst zu ziehen, um Eintritt tuberkulöser 
Kühe in die Herde zu vermeiden; Unter- 
suchung aller Tiere vor dem Verkauf und 
später in regelmäßigen Abständen, Aus- 
sonderung der kranken. In Milch der- 
artig gehaltener Herden werden Tuberkel- 
bazillen sehr selten sein. 

Ogden Woodruff sprach über 
„Fürsorge für tuberkulöse Kinder“. Beim 
Kinde ist die Frühdiagnose nicht leicht, 
da die Verhältnisse wesentlich anders 
liegen als beim Erwachsenen. Auch die 
hier übliche Behandlung, Ruhe, gute Luft, 
Überernährung bedarf für das Kind einer 
Änderung. Das Kind erholt sich schon, 
wenn man es in andere Umgebung bringt 
und gut ernährt. An Puls und Tempe- 
ratur läßt sich abmessen, wieviel Arbeit 
man dem Kinde zumuten kann; mäßige 
geistige Arbeit, etwa 3 Stunden täglich in 


gi 


224 


der Freiluftschule, ist angezeigt, in latenten 
Fällen lasse man Atemübungen machen. 
Man suche normales oder wenig erhöhtes 
Gewicht zu erreichen, bei heißem und 
feuchtem Wetter sei man mit der Er- 
nährung vorsichtig. Tuberkulin, das nur 
in Fällen angewandt wurde, die anderer 
Behandlung trotzen, hatte bei Lungen- 
tuberkulose gar keinen, bei Drüsentuber- 
kulose recht günstigen Erfolg. Pneumo- 
thorax wirkt bisweilen günstig. Hals-, 
Nasen-, Rachenaffektionen sind zu be- 
handeln, hypertrophische Tonsillen zu 
entfernen. Tuberkulöse Kinder schicke 
man in die Freiluftschule, lasse sie bei 
offenem Fenster schlafen, schütze sie vor 
Erkältungen, Masern, Keuchhusten. Pro- 
phylaktisch sorge man für Kinder in dem- 
selben Grade, wie für Erwachsene. Man 
suche die Infektion zu verhindern und 
die einmal erfolgte zu lokalisieren, ent- 
ferne Kinder aus der kranken Umgebung, 
erziehe sie zur Reinlichkeit. Wenigstens 
alle 6 Monate sind sie dem Arzte vor- 
zuführen. Städtische Fürsorge hat sich 
der krank befundenen Kinder anzunehmen. 
In der Diskussion sprach L. Emmet 
Holt; er stimmt den Ausführungen Coits 
zu, besonders, daß die Herdenbesitzer 
angehalten werden sollen, ihre Tiere selbst 
zu ziehen, damit das Auftreten von Tu- 
berkulose innerhalb der Herde vermieden 
wird. Ferner erwähnt er, daß auch bei 
Kindem, die sich relativ wohl befanden 
und an Gewicht zunahmen, die Krankheit 
progredient sein könnte. Er erbittet von 
Woodruff Mitteilung über die Erfolge 
der Freiluftschule. 


Robert Langley Porter betont, 


daß es in der kindlichen Lunge auch 
nicht tuberkulöse Affektionen gäbe; man 
solle die Diagnose auf Tuberkulose nicht 
zu leicht stellen. In Kalifornien seien 
33°/, der Kühe tuberkulös, aber höchstens 
7—9°/, der kindlichen Tuberkulose seien 
durch den Typus bovinus hervorgerufen; 
viel wesentlicher ist die Infektion von 
Mensch zu Mensch, besonders im Hause 
selbst. 

Charles R. L. Putnam berichtet 
über seine Untersuchungen, die ergeben 
hatten, daß Bazillen Darm und Mesen- 
terialdrüsen durchwandern können, ohne 


hier irgend welche Veränderungen zu 


REFERATE. 


ZEITSCHR, f. 
TUBERKULOSE 


machen, und sich in den Lungen oder 
Meningen lokalisieren. 

Maurice Fishberg spricht seine 
Verwunderung darüber aus, daß bei Er- 
örterung der Rindertuberkulose die Frage 
der Immunität nicht gestreift wurde. Ein- 
mal durchgemachte Infektion mache gegen 
weitere immun, Ärzte, Pfleger Tuberkulöser 
sterben deshalb nicht häufiger an Tuber- 
kulose als andere und die Ehe spielt bei 
der Verbreitung keine große Rolle. Er 
erwähnt ferner, daß man bei Kindern 
zwischen 3 und 12 Jahren selten typische 
Phthise findet, sondern meist Bronchial- 
drüsentuberkulose, bedingt sei sie häufig 
durch den Typus bovinus; sie führt selten 
zu Lungentuberkulose, bedinge also eine 
Art Immunität. Bartletts Auffassung, 
daß in der Mehrzahl der Fälle die Bazillen 
inhaliert seien, kann er nicht zustimmen, 
der häufigste Infektionsweg sei bei Kin- 
dern der Digestionstraktus. 

Bartlett erwidert, er habe in 134 
von 178 Fällen die primäre Läsion in 
der Lunge gefunden. Anzunehmen, die 
Bazillen seien regelmäßig durch die Mesen- 
terialdrüsen dorthin gelangt, sei nicht an- 
gängig. Er halte demnach fest, daß der 
Inhalationsmodus der häufigste sei. 

Park meint, daß eheliche Über- 
tragung doch eine große Rolle spiele und 
daß mancher Fall die Annahme einer 
früheren, bisher latenten Tuberkulose nahe 
legt. In tötlich verlaufenden Fällen mit 
boviner Infektion läßt sich der Bacillus 
bovinus nicht vom humanus unterscheiden. 

Coit bemerkt, daß bei der Wichtig- 
keit richtiger Temperaturmessungen nach 
Tuberkulininjektionen beim Vieh, die sehr 
schwer vorzunehmende Messung am besten 
durch Professoren der Tierheilkünde vor- 
zunehmen Sei. 

Woodruff betont noch den Wert 
der Freiluftschulen und Klassen mit freien 
Fensten. Diese waren so eingerichtet, 
daß auf zwei Seiten Fenster waren. In 
der Klasse war die gleiche Luft wie 
außen und noch immer 4—6° Wärme, 
Diese Klassen haben vor den Freiluft- 
schulen, die im Winter zu .kalt und im 
Sommer zu heiß sind, den Vorzug, daß 
die Kinder gegen Feuchtigkeit und Winde 
besser geschützt sind. Woodruff zieht 
sie deshalb vor. Stern (Straßburg). 


REFERATE. 


225 


E. Bücherbesprechungen. 


Adolf Thiele: Tuberkulöse Kinder. 
Erfahrungen auf dem Gebiete der Be- 
kämpfung der Tuberkulose im Kindes- 
alter für Ärzte, Lehrer und Sozial- 
hygieniker, für die Leiter, Mitarbeiter 
und Fürsorgeschwestern der Auskunfts- 

. und Fürsorgestellen für Lungenkranke 

=- und die Mitglieder der Tuberkulose- 
Ausschüsse. (Festschrift zum Iojährigen 
Bestehen des Vereins zur Bekämpfung 
der Schwindsucht in Chemnitz und Um- 
gebung [E. V.] Leipzig, Verlag von 
Leopold Voss, 1915, 256 Seiten.) 

Der Chemnitzer Verein zur Be- 
kämpfung der Schwindsucht hat sich in 
den 10 Jahren seines Bestehens durch 
seine geschickte und rührige Betätigung 
einen bekannten Namen gemacht. Wir 
erfahren aus der vorliegenden, eine Reihe 
von Aufsätzen aus der Feder seines 
zweiten Vorsitzenden enthaltenden Fest- 
schrift, daß er nach seiner Gründung am 

13. November 1905 zunächst eine Aus- 

kunfts- und Fürsorgestelle, im folgenden 

Jahre eine Walderholungsstätte für lungen- 

leidende Männer und Frauen, die König 

Friedrich August-Erholungsstätte, errichtete 

und nach Erledigung dieser dringlichsten 

Aufgaben speziell die . Bekämpfung der 

Kindertuberkulose in die Hand nahm. 

Zu diesem Zwecke wurde eine Waldschule 

und ein Kinderwalderholungsheim zur 

Vorbeugung der Erkrankung an Tuber- 

kulose geschaffen, und aus dem richtigen 

Gedanken heraus, die Kinder mit oflener 

Tuberkulose von den anderen zu trennen, 

ein besonderes Kinderhaus für diese Er- 

krankungsform der König Friedrich August- 

Erholungsstätte angegliedert. Einen wesent- 

lichen Zweig der Vereinstätigkeit bildet 

ferner die Aufklärung der Bevölkerung 
durch Merkblätter, die anhangsweise bei- 

‚gefügt sind, unter welchen ein ebenfalls 

vom Verf. geschriebenes Lesestück mit 

dem Titel „Einer Mutter Söhne“ hervor- 
zuheben ist, sowie durch Kurse, insbe- 
sondere für Lehrer und Mitglieder von 

Frauenvereinen. Die Anregung zur Er- 

richtung eines Soolbades, zur Veranstaltung 

von Ferienwanderungen, zu schulärztlichen 

Konfirmandenuntersuchungen, zur Heraus- 


Zeitschr. f. Tuberkulose, 25, 


gabe eines Buches über die Berufswahl, 
die Mitarbeit an Kleinkinderbewahran- 
stalten, an Mutterberatungs- und Säuglings- 
fürsorgestellen, die Anknüpfung von Be- 
ziehungen zu Schule und Schulärzten, 
alles Dinge, die des näheren ausgeführt - 
sind, beweisen schließlich, welch weites 
und ergiebiges Arbeitsfeld der Verein sich 
zu schaflen gewußt hat. 

Den Hauptteil des Buches nehmen 
einige die Kindertuberkulose behandelnde 
Aufsätze Thieles ein. In einer Ein- 
leitung „Der jetzige Stand von der Lehre 
der Kindertuberkulose“ werden in guter, 
dem Verständnis des Laien angepaßter 
Darstellung an Hand von statistischen 
Zahlen und Namen der bekanntesten 
Tuberkuloseforscher die Ausbreitung der 
Kindertuberkulose, die Eingangswege, die 
Bedeutung der Konstitution, die Disposi- 
tion und die Notwendigkeit der früh- 
zeitigen Bekämpfung besprochen. 

Der folgende Aufsatz „Die Tuber- 
kulose als Kinderkrankheit nach dem 
Material des pathologisch -hygienischen 
Instituts der Stadt Chemnitz“ wendet sich 
mehr an ärztliche Leser. Verf. hat die 
Sektionsprotokolle von 319 unter 2151 
Kindern, bei denen als Nebenbefund oder 
als Todesursache Tuberkulose festgestellt 
wurde, durchgearbeitet. Der Prozentsatz 
von Chemnitz bleibt mit 14,83 hinter den 
Zahlen von Berlin, Bern, München und 
Wien mit durchschnittlich 29—30 be- 
trächtlich zurück. In den 319 Fällen 
wurden 808 mal die Atmungsorgane, 
699 mal der Verdauungsapparat, 122 mal 
das Gehirn, 127mal die Harn- und Ge- 
schlechtsorgane, 54mal Stütz- und Be- 
wegungsorgane, 2Imal die Blutkreislauf- 
organe, I Imal die Sinnesorgane und Imal 
die Haut befallen gefunden.. Besonders 
erwähnt wird ein Fall von Kaveınen- 
bildung bei einem Kinde von 2!/, Mo- 
naten. Das dem Sektionsprotokoll voran- 
gestellte Signum „Schwere, durchaus dem 
Bilde der Schwindsucht des Erwachsenen 
entsprechende Lungenschwindsucht mit 
Kavernenbildung“ ist allerdings nach dem 
Protokolle nicht zutreffend, da die Kaverne 
in einem Unterlappen saß und von einer 
Induration der Kavernenwand mit Binde- 
gewebs- und Balkenbildung nichts erwähnt 
wird. Es handelte sich demnach um 


15 


226 


eine einfache Sequestration eines käsigen 


ZEITSCHR. í. 
_ TUBERKULOSE 


mittelt, von den 49 Mädchen 17 als kli- 


Knotens, die nicht so selten ist. Primäre | nisch geheilt, 10 klinisch gebessert, 8 un- 


Herde in den Tonsillen wurden nicht ge- 
funden. Tuberkulose des Darms wurde 
in 65,8°/, festgestellt, jedoch handelte es 
sich nur in 8,15°/, um eine primäre 
Tuberkulose (Fütterungstuberkulose). Verf. 
mißt daher der Ansteckung auf dem Wege 
des Darmkanals für sein Material nur 
eine geringe Bedeutung bei, zumal da er 
für das Lebensalter von 6—13 Jahren 
mit 13,1°/, noch nicht halb soviel Fälle 
fand als Lubarsch mit 28,5°/,. Unter 
den angeführten Autoren hätte wohl auch 
Heller, der Vorkämpfer für die primäre 
Darmtuberkulose zu Worte kommen kön- 
nen. Sehr häufig war die Beteiligung des 
Gehirns und der Hirnhäute mit 10,97 
resp. 24,45°/, und ihre Kombination 
(Meningo-Encephalitis) mit 2,82°/,. Be- 
sonders auffallend ist die Verbreitung der 
eitrigen Mittelohrentzündung, von der nicht 
weniger als 163 = 51,69°/, Fälle gefunden 
wurden. Immerhin wurde eine tuber- 
kulöse Ohrerkrankung nur 6mal sicher- 
gestellt. Die angeführten Sektionsproto- 
kolle haben für den Heilstättenarzt, der 
leider oder Gottseidank, wie man will, 
nur sehr selten in der Lage ist, seine 
Befunde pathologisch-anatomisch zu kon- 
trollieren, ein großes Interesse. 

Der nächste Aufsatz „Tuberkulöse 
Schulkinder, insbesondere solche mit offe- 
ner Lungentuberkulose‘ kann jedoch nicht 
ohne Widerspruch hingenommen werden. 
Thiele versucht durch ausführliche Dar- 
stellung von Lebensbildern von 34 Kna- 
ben und 49 Mädchen mit offener Lungen- 
tuberkulose ein Bild dieser Erkrankung 
zu geben und ihre soziale Bedeutung und 
die daraus hervorgehenden therapeutischen 
Maßnahmen zu erörten. Er kommt da- 
bei zu dem folgenden, in Widerspruch 
zu allen bekannt gewordenen Ansichten 
von Schul- und Heilstättenärzten, sowie 
der vorherrschenden Meinung aller ärzt- 
lichen Praktiker stehenden Schluß: „Unsere 
Krankengeschichten beweisen, daß in oft 
wunderbarer Weise selbst von geübten 
Ärzten als aussichtslos erklärte Fälle zur 
völligen Ausheilung gelangen können“. 
Von den 34 Knaben werden 17 als kli- 
nisch geheilt, 7 klinisch gebessert, 5 un- 
verändert, einer gestorben und 4 uner- 


verändert, 3 verschlechtert, 3 verstorben 
und 8 als unermittelt angegeben. Was 
den Verf. zu seinen ungewöhnlichen Er- 
gebnissen geführt hat, ist für den Fern- 
stehenden natürlich schwer zu sagen, nicht 
unerwähnt darf aber bleiben, daß klinische 
und Sputumuntersuchungen nicht einheit- 
lich gemacht wurden, daß die Beobach- 
tungszeit in manchen Fällen nur ı Jahr 
beträgt, daß die Dauer der offenen Tu- 
berkulosen ı5mal nur !/, (!) bis 3 Mo- 
nate betragen haben soll, und daß es bei 
den Nachuntersuchungen allzu häufig heißt: 
Lunge ohne Befund, trotz früher festge- 
stellter ausgedehnter Atmungsveränderun- 
gen, großblasigen Katarrhes und perkuto- 
rischer Veränderungen. Schlußfolgerungen, 
die sich auf solchem Materiale aufbauen, 
müssen auf schwachen Füßen stehen. 
Selbstverständlich gehören solche Kinder 
nicht in die Schule, dagegen vermag auch 
der Widerspruch der Eltern, von dem 
Thiele ein Beispiel anführt, nichts zu 
bedeuten, weil ihnen die Einsicht in den 
Krankheitszustand abzusprechen ist. Es 
wird nun vorgeschlagen, Großstadtkinder 
mit offener Tuberkulose in einer Wald- 
erholungsstätte mit Tages- und Nacht- 
betrieb, wie in der König Friedrich August- 
Erholungsstätte oder einer ähnlichen Ein- 
richtung, unterzubringen und dort nach 
einem von Lehrer und Arzt gemeinsam 
aufgestellten Lehrplane unterrichten zu 
lassen. Dagegen ist einzuwenden, daß 
solche Patienten in der Regel schwer- 
krank und dieser geistigen Bebürdung 
nicht gewachsen sind; nur eine relativ 
und absolut kleine Zahl dürfte sich für 
einen Unterricht eignen. Aber auch für 
diese bildet eine Walderholungsstätte mit 
ihren immerhin primitiven Verhältnissen, 
insbesondere bei dem Fehlen einer ärzt- 
lichen Aufsicht nicht das Ideal, was auch 
Thiele selbst anerkennt, indem er eine 
Heilstätte mitUnterricht als das wünschens- 
werteste bezeichnet. Warum denn dann 
auf halbem Wege stehen bleiben und 
nicht dem Ideale nachstreben? Auf die 
so wichtige Frage der Isolierung offen 
tuberkulöser Kinder in Anstalten ist der 
Verf. leider nicht eingegangen, obwohl er 
auf die Gefahr ihres Verbleibes in be- 


BD. 25, HEFT 8. 
1916. 


schränkten häuslichen Verhältnissen ein- 
dringlich genug hinweist. 

Die Fürsorge für die vorgeschrittenen 
Erkrankungsfälle bildet die notwendige 
Ergänzung für die. der leichteren und 
heilbaren, auf die unter allen Umständen 
das Hauptgewicht zu legen ist. Diese 
Initialfälle herauszufinden, ist Sache der 
Schulärzte, wie in den „ärztlichen Wün- 
schen für ein neues Volksschulgesetz“ 
auseinandergesetzt wird. Die Schulärzte 
sind die berufenen Vermittler zwischen 
der Schule und den jeweiligen Einrich- 
tungen, die dem Kampfe gegen die Tu- 
berkulose dienen! Der Eintritt des Schul- 
arztes in die Schulverwaltung, Sitz und 
Stimme im Schulausschuß, Feststellung 
und fortlaufende Überwachung des Ge- 
sundheitszustandes der Schulkinder und 
Berufsberatung sind Forderungen des 
Verf.s, denen man sich nur warm an- 
schließen kann, als deren Vorbedingung 
aber die Anstellung des Schularztes im 
Hauptamt zu betonen ist. 

Alles in allem, eine lehrreiche, zum 
Nachdenken, zum Nacheifern und auch 
zum Widerspruch anregende Schrift! 

Simon (Aprath). 


Georg Sticker: Erkältungskrankheiten 
und Kälteschäden. (Enzyklopädie d. 
klin. Med., Jul. Springer, Berlin 1916. 
Preis brosch. 12 M., geb. 14,80 M.) 

Eine heikle Aufgabe ist in diesem 

Werke glänzend gelöst. Ganz gewiß nicht 

‚allein deshalb, weil von Anfang bis Ende 

alle Ausführungen diktiert sind von einer 

reichen Erfahrung und großem Wissen, 
von einer frischen und lebendigen Dar- 
stellungsgabe, sondern wesentlich weil 
auch die Volksmedizin in einer Weise zu 

Worte kommt, daß das Buch keinen all- 

täglichen Charakter erhält. Gerade das 

aber macht es so lesenswert, daß der 

Verf. das Gute nimmt, wo er es findet, 

daß er nach dem Grundsatze schreibt, 

zur Heilwissenschaft gehöre alles, was der 

Heilkunde wirklich dienen kann. Und 

doch hört der Verf. nie auf, der streng 

denkende Arzt zu sein, der zwar die 

Auswüchse einer erstarrten Kathedermedi- 

zin ebenso geiselt wie Scharlatanerei und 

Kurfuschertum, aber in gediegener Wis- 

senschaft die Grundlagen alles ärztlichen 


REFERATE. 227 


Wissens und Könnens sieht. Neben den 
einleitenden Kapiteln über physiologische 
und physikalische, 
klimatische Verhältnisse zeigt das der 
ganze Grundton des Werkes. Und mit- 
klingt noch etwas anderes: die Betonung 
naturgemäßen Lebens, der durch das 
„stalleben der Stadt“ und das „Gefängnis- 
leben der Schule“ bedingten Schäden, 
eine starke Würdigung der individuellen 
Konstitution, in der neben der Gelegen- 
heitsursache und einer exogenen Noxe 
die wichtigste Wurzel der Krankheiten 
erblickt wird. Die lymphatische, arthri- 
tische und neuropathische Konstitution 
werden als die Komponenten der Erkäl- 
tungsanlage angesehen, die den Ort und 
damit die Form der Krankheitszufälle mit 
der fortschreitenden Entwickelung des 


Organismus wechseln. Diese Ausführungen 


über die Erkältungsanlage sind besonders 
lesens- und beherzigenswert für jeden, der 
sich für breitere ärztliche Aufgaben inter- 
essiert, wie sie heute als soziale Medizin 
zusammengefaßt werden. Mit erfreulicher 
Offenheit bekommen hier auch die Tuber- 
kuloseärzte manches Wörtchen gesagt, das 
sie sich recht sehr zu Herzen nehmen 
und gründlich überdenken sollten. Im 
Hinblick auf die herrschende Über- 
schätzung des Heilstättenwesens sei hier 
die folgende Stelle wörtlich angeführt: 
„Heute geht das Urteil über den Nutzen 
jener Heilanstalten und Heilanstrengungen 
bei den Sachverständigen schon weit aus- 
einander. Während ein Teil von ihnen, 
namentlich die in jener Fürsorge sich 
betätigenden Männer, noch im Banne der 
vorgefaßten Meinung stehen, als ob die 
volle Muskelschonung und passive Über- 
ernährung für alle durch chronischen In- 
fekt Geschwächten, insbesondere aber für 
die Anwärter der tuberkulösen Schwind- 
sucht, ein zweifelloses Heilmittel oder gar 
das Heil allein bedeute, betonen um- 
sichtige Ärzte wieder die Erfahrungstat- 
sache, daß fortschreitende Infekte, ins- 
besondere die chronische Tuberkelinfek- 
tion, Stallkrankheiten im wahren Sinne 
des Wortes sind, Krankheiten, die mehr 
bei einem: Mangel an Bewegung, Glieder- 
übung, Körperanstrengung, durch Ver- 
weichlichung und Überfütterung zustande 
kommen, als durch Überanstrengung und 
15* 


geographische und 


228 


Unterernährung. Sie fordern daher für 
die heilbaren Fälle, d. h. für solche, bei 
denen der gesunde Rest im Körper über 
den leidenden Teil überwiegt, gerade das 
Gegenteil der obligaten Anstaltspflege mit 
Liegekur und Überfütterung und spezi- 
fischen Toxinen und Antitoxinen“. Aber 
man lese die innere Begründung solcher 
Sätze nach! 

Auch die späteren Kapitel über die 
Erkältungskrankheiten selbst und die Kälte- 
schäden, ihre Vermeidung und Behandlung 
sind fesselnd geschrieben und reich an 
Anregungen namentlich auch für den 
Praktiker. 

Alles in allem: Kein ganz alltägliches, 
aber in fesselnder Darstellung geschrie- 
benes Werk, in dem strenge Wissenschaft- 
lichkeit sich mit der Würdigung alter und 
neuer Volksmedizin zu einer solchen Be- 
herrschung des Stoffes verbindet, daß man 
kaum ein gleich inhaltsreiches Buch über 
das gleiche Thema wird finden können. 
Aus der genußreichen Lektüre wird Jeder 
Nutzen für sein Wissen und Handeln 
ziehen. 

Eines darf man vielleicht bedauern: 
die im Text eingefügten Literaturangaben 
sind zu spärlich und auch nicht genau 
genug, da das Werk nun einmal so viele 
Anregungen birgt und zweifellos vielfach 
den Wunsch einer eingehenderen Betrach- 
tung einzelner Fragen anregen wird. 

C. Hart (Berlin-Schöneberg). 


Holger Möllgaard: Physiologische 
Lungenchirurgie. (Kopenhagen 
IQIS.) 

Das Buch ist geschrieben, um eine 
gesammelte physiologische und technische 
Darstellung für die Lungenchirurgie zu 
geben. 

Das stattliche Werk leiten Kapitel 
über die normale und topographische 
Anatomie des Thorax ein, insofern sie 
für die Chirurgie Bedeutung haben. Da- 
nach werden die normale und die patho- 
logische Physiologie des Thorax abge- 
handelt. Verf. geht eingehend auf die 
elastischen Spannungsverhältnisse des 
Thorax ein, die für chirurgische Eingriffe 
sehr wichtig sind. Experimentell hat er 
bei Hunden gezeigt, daß die Spannung 
der Schulter- und Brustmuskulatur großen 


REFERATE, 


ZEITSCHR. ‘t. 
TUBERKULOSE 


Einfluß auf die Respiration während der 
Eröffnung der Brusthöhle hat. Führt man 
die Vorderglieder nach hinten über den 
Kopf hinauf, ruft man eine kräftige In- 
spirationsbewegung hervor. Wird nun die 
Pleurahöhle recht weit geöffnet, weicht 
die Lunge — trotz Druckdifferenzrespi- 
ration — mehrere Zentimeter von der 
Brustwand ab, und Mediastinum wird 
nach der gesunden Seite gezogen und 
flattert zurück während der Exspiration. 
Die Folge wird, daß das Tier erstickt 
wird wegen mangelhaftem Luftwechsel. 
Es nützt nichts, die Druckdifferenz zu 
vermehren, da dabei nur die Lungen- 
kapillaren komprimiert werden. Die ein- 
zige Rettung für das Tier ist, die Vorder- 
glieder herunterzuführen, wobei die Kol- 
lapslunge sich wieder der Brustwand 
nähert. Dieses ist wichtig zu wissen, um 
Patienten auf rechte Art und Weise 
lagern zu können bei Lungenoperationen 
unter Druckdifferenzverfahren. 

Versuche über die Druckverhältnisse 
im kleinen Kreislauf zeigen bei offenem 
Thorax: 

I. Erweiterung der Lungen durch 
intrapulmonaler Druckerhöhung bewirkt bis 
zu einer gewissen Druckgrenze eine Ver- 
minderung des Widerstandes gegen die 
Passage des Blutes durch den kleinen 
Kreislauf. Wird diese Grenze über- 
schritten, bewirkt jede weitere Druck- 
erhöhung eine steigende Kompression der 
Lungenkapillaren und damit einen wach- 
senden Widerstand gegen die Durchströ- 
mung des Blutes. 

2. Erweiterung der Lungen bei uni- 
verseller Drucksenkung wirkt auf den Blut- 
strom durch die Lungenkapillaren ganz 
wie Erweiterung bei intrapulmonaler 
Druckerhöhung. 

3. Erweiterung der Lungen bei lo- 
kaler Drucksenkung bewirkt — bis zu 
so hohen Druckwerten, die Interesse für 
die Lungenchirurgie haben — eine stei- 
gende Erleichterung für die Passage des 
Blutes durch den kleinen Kreislauf. 

Der Schwerpunkt liegt im Wider- 
stand in den Lungenkapillaren und im 
Füllen des diastolischen Herzens. 

Es zeigte sich nun beim Vergleich 
zwischen Über- und Unterdruckapparaten, 
daß der Sauerbruchsche Unterdruck- 


BD. ur Th 3. 


apparat den anderen Apparaten und Prin- 
zipien physiologisch überlegen ist. In- 
zwischen zeigt es sich auch, daß die 
künstliche Druckdifferenz in der Praxis 
bei den Grenzwerten des Überdruckes 
` fixiert werden kann; das bedeutet, daß 
sämtliche Druckdifferenzverfahren eben- 
bürtig sind innerhalb derjenigen Druck- 
grenze, die wir in der praktischen Chi- 
rurgie gebrauchen. Für den Hund ist 
der Grenzwert des Überdrucks 5,5 mm 
Hg, für den Mensch höchstwahrschein- 
lich 8 mm Hg. Wenn dem so ist, wird 
die Frage, welcher Apparat anzuwenden 
sei, eine rein chirurgisch-technische und 
ökonomische, und Verf. empfiehlt deshalb 
aus praktischen und ökonomischen Grün- 
den die Überdruckapparate, deren Verf. 
einen sehr guten und relativ billigen kon- 
struiert hat. 

Es folgen dann Kapitel über die 
Technik bei den verschiedenen intra- 
thorakalen Operationen. 

Das nach Lungenoperationen ent- 
standene kompensatorische Emphysem in 
der anderen Lunge und im gesunden Teil 
der operierten Lunge ist ein günstiges 
Moment, indem es durch Verminderung 
des Widerstandes im kleinen Kreislauf in 
hohem Grade die Arbeit des Herzens 
erleichtert. 

Das mit vielen Illustrationen und 
Kurven versehene Buch schließt mit einem 
Protokoll über 68 bei Katzen, Ziegen und 
besonders Hunden vorgenommenen intra- 
thorakalen Operationen. Kay Schäffer. 


F. Sylvan: Consumption and its cure 
by physical exercises. (London: 
Kegan Paul, French, Trübner & Co., 
1915, XX u. 203pp., Preis 3sh. 6 d.). 

Sylvan ist ein „Außenseiter“, der 
in der Auffassung der Tuberkulose eigene 
und eigenartige Wege geht. Sylvan er- 
klärt die ganze Heilstättenbehandlung für 
einen Irrtum; die herrschende Ansicht, 
daß die Tuberkulose durch Ausrottung 
des Tuberkelbazillus bekämpft werden 
müsse, sei völlig falsch und müsse ver- 
lassen werden; die Tuberkulose könne 
nur durch Bekämpfung der tuberkulösen 

Anlage oder Disposition besiegt werden; 

es gebe auch keine Ansteckungsgefahr, 

das Zusammenleben mit Tuberkulösen 


EN ste nn ERATE ons ERATE, 


229 


oder Schwindsüchtigen sei unbedenklich; 
systematische körperliche Übungen, die 
er in seinem Buche genau beschreibt, 
seien das richtige Mittel, um selbst schwere 
Fälle zu heilen! Derartige übertriebene 
Behauptungen sind natürlich falsch und, 
da S. sich an die Nichtärzte wendet — 
nur sein Vorwort richtet sich an die 
Ärzte —, bedenklich und gefährlich. 
Gleichwohl darf man sie nicht ganz ver- 
achten. Denn auch unsere herrschende 
Anschauung enthält sicher manche Über- 
treibung, manchen Irrtum. Daß es mit 
der tuberkulösen Ansteckung wenigstens 
anders ist als man nach’der Entdeckung 
des Bazillus sich einredete, hat doch 
wohl die Immunitätslehre bewiesen. Dem 
hygienisch-diätetischen Heilverfahren, das 
immer noch das Fundament aller Tuber- 
kulosebehandlung geblieben ist, liegt doch 
die Anerkennung zugrunde, daß die Be- 
schaffenheit des erkrankten Organismus, 
seine Widerstandsfähigkeit, mindestens so 
wichtig ist wie die Infektion. Für die 
große Mehrzahl der Insassen unserer 
Heilstätten, von denen nur etwa 15°), 
an offener Tuberkulose leiden, ist der 
kostspielige überhygienische Luxus völlig 
überflüssig, da sie doch garnicht an- 
steckend sind, und die allzu schematisch 
durchgeführte Liegekur und Überernäh- 
rung hat ebensowenig Sinn. Zur Hei- 
lung dieser Leute mit beginnender Tuber- 
kulose oder gar nur Verdacht darauf ge- 
nügt, wie der Amerikaner Lawson Brown 
mit köstlichem Humor sagt, „ein gottes- 
fürchtig Leben“, zu dem wohlüberlegte 
körperliche Übungen und richtig gewählte 
Arbeit weit besser passen als träges Nichts- 
tun und öde Langeweile. Unsere Heil- 
stätten weisen alle schweren Fälle ab 
oder scheiden sie aus: Es sollte doch 
umgekehrt sein, für die Leichtkranken 
müßte anders gesorgt werden, die schwe- 
ren Fälle, die offenen Tuberkulosen, die 
doch allein eine Gefahr für die Umgebung 
bilden, gehören in die Heilstätten. 
Meißen (Essen). 


A. J. Jex-Blake: Tuberculosis: a ge- 
neral account of the disease, its 
forms, treatment, and prevention. 
(London, G. Bell and Son, 1915, 231 pp. 
2 sh. 6d.) 


230 


Ein gemeinverständliches Buch über 
die Tuberkulose Der Verf. ist ein aner- 
kannter erfahrener Fachmann und hat es 
gut verstanden, die richtige Form der 
Darstellung zu finden. Das große Publi- 
kum kennt die Tuberkulose hauptsächlich 
aus Romanen oder aus einseitigen Schlag- 
worten der herrschenden Meinung, und 
es gilt deshalb vielfach, allerlei vorgefaßten 
Meinungen und liebgewordenen Irrtümern 
entgegenzutreten, so der übertrieben oder 
falsch aufgefaßten Ansteckungsgefahr: Wir 
sollen im Umgang mit Tuberkulösen vor- 
sichtig sein, zumal was die Kinder an- 
langt, es muß aber allmählich in die all- 
gemeine Anschauung übergehen, daß die 
tuberkulöse Infektion auch den wirksam- 
sten Schutz gegen spätere schwere Er- 
krankung vorstellt. So darf die Gefahr 
tuberkulöser Milch gewiß nicht unter- 
schätzt werden, ihr Genuß hat aber auch 
eine nützliche Seite, und vielleicht kom- 
men wir einmal dahin, Milch mit einem 
bestimmten Gehalt von Perlsuchtbazillen 
geradezu als heilsam zu verordnen. Ähn- 
lich wird die erbliche Anlage etwas ein- 
seitig als verderbliches Schicksal angesehen, 
während der Verlauf der Krankheit ganz 
sicher nicht ungünstiger ist, wenn sie vor- 
handen ist als wenn sie fehlt. Die Be- 
tonung der Grundgedanken der Immuni- 
tätslehre ist jedenfalls ein Vorteil des 
Buches, das aber auch im übrigen über 
alle Fragen der Entstehung, Verhütung 
und Behandlung der wichtigsten Volks- 
krankheit allgemeinverständlichen Auf- 
schluß gibt. Meißen (Essen). 


Sophie Tresling: Ademhalingsgym- 
nastiek. — Die Atemübungen in 
der Schule. (Ausgegeben vom Niederl. 
Zentr.-Verein z.B. d. Tbk. Haag 1915.) 

Diese Broschüre ist zuerst als Ab- 
handlung in der Holl. „Tuberculose“ er- 
schienen. Derselben wurde in dieser 

Zeitschrift schon eine kurze Besprechung 

gewidmet. Vos (Hellendoorn). 


C. Dekker: De tuberculosebestryding 
in Nederland in 1914. — Die Tu- 
berkulosebekämpfung in den Nie- 
derlanden im Jahre 1914. (Aus- 
gegeben von dem Niederl. Zentr.-Verein 
z. Bek. der Tub., Haag 1914.) 


REFERATE, 


ZEITSCHR, f.° 
TUBERKULOSE 


Das Kriegsjahr ist selbstverständlich 
auch in Holland nicht ohne Einfluß auf 
die Tuberkulosebekämpfung geblieben. Die 
Arbeit des zentralen Vereins war in bezug 
auf die Propaganda durch Merkblätter, 
Vorträge und durch das Wandermuseum 
einige Monate hindurch völlig aufgehoben. 
Auch die Arbeit der lokalen Vereine zur 
Bekämpfung der Tuberkulose hat stark 
an Intensität abgenommen. Die Heil- 
stättenpfleglinge wurden zum Teil entlassen, 
zum Teil aber haben dieselben ihre Kur 
vorzeitig unterbrochen. Bald aber wurde 
der Zustand wieder normal. 

Die Gesamtsterblichkeit an Tuber- 
kulose hat im Jahre 1914 13,98°/,, be- 
tragen (in 1913: 14,20°/,,); an Lungen- 
tuberkulose starben 10,72°/,, (in 1913: 
10,64 °/,0); an Tuberkulose starben im 
ganzen 8775, d.h !/, aller Todesfälle. 

Im Laufe des Jahres 1914 ist die 
Zahl der bei dem Zentralverein ange- 
schlossenen Vereine von 199 bis 220 
gestiegen. Das Diplom für Hausbesuche- 
rinnen wurde von 59 Personen erworben. 
Es sind jetzt schon 155 Damen im Be- 
sitze dieses Diploms.. Die Zeitschrift 
„Tuberculose“ erschien 5mal in je 
I0oooo Stück. Von den übrigen Aus- 
gaben des zentralen Vereins wurden 
254000 Stück Vereinen und Privatperso- 
nen zur Verfügung gestellt. Es hatten 
am Ende des Berichtsjahres 106 Vereine 
eine diplomierte, 72 eine noch nicht dip- 
lomierte Hausbesucherin. Die Zahl der 
Familien wo fortwährend eine sachver- 
ständige Hausbesucherin prophylaktisch 
arbeitete, hat 12415 betragen. 

In den Heilstätten für Erwachsene 
wurden 1654, in denen für Kinder 697 
behandelt. Außerdem haben etwa 1100 
Kranke in Liegehallen, Tageserholungs- 
stätten usw. eine Kur gemacht. 

Die Arbeit Dekkers schließt mit 
tabellarisch angeordneten Ergebnissen einer 
Sammelforschung über die Erfolge des 
Hausbesuches, mit einer Berufsstatistik 
und mit Mitteilungen über die Arbeit der 
lokalen Vereine und der Heilstätten. Diese 


| sehr lehrreichen Mitteilungen eignen sich 


nicht zu einem kurzen Referat und sind 
daher im Originale nachzulesen. 
Vos (Hellendoorn). 


BD, 25, HEFT 3. | 
u VERSCHIEDENES, 231 


= VERSCHIEDENES, 


Zur Errichtung eines Georg Cornet-Denkmals in Bad Reichenhall hat sich 
ein Ausschuß gebildet, dessen Aufruf des Toten in ehrenden Worten gedenkt: 

„Cornet hat sich mit seinem Meister Robert Koch um die Erforschung 
und Verhütung der Tuberkulose unvergängliche Verdienste erworben. Die jetzt 
gültigen Verhütungsmaßregeln gegen Lungentuberkulose beruhen in erster Linie auf 
seinen Lehren. . Die Erfolge derselben und damit die Frucht seiner Lebensarbeit 
lassen sich in bedeutungsvollen Zahlen ausdrücken: Von der Einführung der 
Cornetschen Maßnahmen in die Praxis im Jahre 1889 gerechnet bis zum Jahre 1903 
sind allein in Preußen 400000 Menschen weniger an Tuberkulose gestorben als 
nach dem Durchschnitt der früheren Jahre zu erwarten war. Cornet gehört mit 
dieser Tat zu den verdienstvollsten Forschern und Wohltätern der Menschheit! 
Sein Lehrbuch „Die Tuberkulose“ wird allezeit zu den klassischen Werken der 
Medizin gerechnet werden! Cornet vereinigte in sich das Forschertalent eines 
Gelehrten und die Gaben eines ärztlichen Künstlers. Sein internationaler Ruf hat 
Patienten aus allen Ländern nach Reichenhall gezogen. 

Nun soll ihm, dem ‚Vater der Tuberkulosehygiene‘, am Orte seines vieljährigen 
praktischen Wirkens in Bad Reichenhall ein würdiges Denkmal errichtet werden. 
Damit wollen ihm die Ärzte für seine wissenschaftlichen Großtaten einen kleinen 
Dank abstatten, damit wollen ihm seine Patienten für sein segensreiches Wirken als 
Arzt ihre Liebe und Anerkennung über das Grab hinaus bezeugen.“ 

Unterzeichnet sind u.a. v. Leube, v. Müller, Goldscheider, E.Schreiber- 
Magdeburg, die Reichenhaller Ärzte Alexander, Loeb, Ortenau, Schroth, 
Stubenvoll, A. Fränkel-Badenweiler, ferner der stellvertr. Direktor des Kochschen 
Instituts für Infektionskrankheiten, Neufeld-Berlin. Beachtenswert und erfreulich, 
daß das Institut nunmehr im Wechsel der Zeiten die großen Verdienste Cornets 
um die Erforschung und Verhütung der Tuberkulose anerkennt (s. vorigen Bd. d. 
Zeitschr. S. 77). — Spenden zum Denkmal sind an Bankier L. Braechter-Reichen- 
hall zu richten. Ä 


Unterbringung erholungsbedürftiger und tuberkulöser Kriegsgefangener in 
der Schweiz. Die seit langem über diese Frage schwebenden Unterhandlungen 
sind so weit gediehen, daß vorbereitende Schritte getan werden konnten. In einer 
Versammlung von Hotelsanatorien und Pensionsinhabern teilte Sanitätsoberstleutnant 
Nienhaus in Davos Anfang Januar im Auftrage des schweizerischen Armeearztes 
mit, daB zunächst ein Versuch mit je rooo deutschen und französischen Kriegs- 
gefangenen gemacht werden soll. Als Internierungsorte sind für die in Deutschland 
kriegsgefangenen Franzosen die Kurorte Montana und Leysin im Kanton Wallis, 
für die in Frankreich kriegsgefangenen Deutschen Davos in Aussicht genommen. 
Es wird sich dabei nur um Leichterkrankte handeln, Schwerverletzte werden, wie 
bisher, ausgetauscht werden. Unterkunft und Verpflegung sollen einheitlich nach 
den für schweizerische Militärpatienten geltenden Grundsätzen erfolgen. Die Inter- 
nierten werden unter Kontrolle stehen, indessen ist keine militärische Bewachung 
vorgesehen. Etwaige Ausreißer müßten von ihren Staaten zurückgeliefert werden 
und kommen dann in Gefangenenlager. Die Kosten für die Verpflegung der Kriegs- 
patienten in der Schweiz tragen Deutschland und Frankreich je für ihre Staats- 
angehörigen. Leider hat die französische Regierung ihre vorbehaltlose Zustimmung 
zu dem Versuch noch nicht erteilt, so daß er am 15. Januar, wie von der deutschen 
Regierung vorgeschlagen, noch nicht zur Ausführung kommen konnte. — Die Neue 
Zürcher Zeitung meldet nunmehr aus Genf, daß am 25. Januar die ersten 100 
ausgetauschten deutschen Soldaten den Bahnhof Genf auf der Fahrt nach Davos 
passiert haben, während 100 tuberkulöse französische Kriegsgefangene aus Deutsch- 


ZEITSCHR. f, 
232 VERSCHIEDENES. TUBERKULOSE 


land zur Kur in Leysin eintreffen werden. Die Auswahl der Kriegsgefangenen be- 
sorgt in den beiden Konzentrationsorten Konstanz und Lyon je eine Kontrollkom- 
mission, zu denen auch je zwei schweizerische Sanitätsoffiziere abgeordnet werden. 


Das Internationale Centralblatt für die gesamte Tuberkulose-Forschung, 
welches unter der Redaktion seines rührigen Herausgebers nunmehr in den Io. Jahr- 
gang eingetreten ist, enthält in Heft 12 des vorigen Bandes einen zeitgemäßen Auf- 
satz aus der Feder seines Schriftleiterss, Schröder-Schömberg, in dem er die 
„Grundsätze der Ernährung Tuberkulöser mit besonderer Berücksichtigung der 
Kriegszeit“ behandelt. Dieses Heft wird auch einzeln von dem Verlage Curt Ka- 
bitzsch in Würzburg abgegeben. | 


Zum Rektor der Trudeau School for Tuberculosis in Saranac Lake (s. Heft 2, 
S. 119), einer ärztlichen Fortbildungsschule zum Studium der Tuberkulose in den Ver- 
einigten Staaten von Amerika — es ist dies wohl die erste derartige Institution über- 
haupt —, wurde Dr. Baldwin, der langjährige Mitarbeiter des verstorbenen Tru- 
deau, ernannt. Baldwin, der gleichzeitig die Leitung des Saranac Lake-Sanato- 
riums übernommen hat, ist den Lesern der Zeitschrift durch seine zahlreichen wissen- 
schaftlichen Tuberkulosearbeiten wohl bekannt. — Im Jahre 1906 hatte Turban- 
Davos die Errichtung eines Instituts für Tuberkuloseforschung im Großherzogtum 
Baden angestrebt und eine ausführliche begründende Eingabe an die dortige Re- 
gierung gerichtet. Das Institut sollte der Forschung und besonders der Ausbildung 
von Ärzten auf dem ganzen Tuberkulosegebiet, namentlich in Diagnostik und The- 
rapie, dienen. Die frühzeitige Erkennung der Krankheit und die Feststellung des 
Grades ihrer Ausbreitung sind von der größten Bedeutung für die Bekämpfung der 
Tuberkulose. Die Ausbildung der Ärzte — so schrieb Turban weiter — hat in 
dieser Beziehung keine wesentlichen Fortschritte gemacht. — Daß auch heut noch 
recht viel zu wünschen übrig bleibt und daß die bisherigen wenigen Tuberkulose- 
Fortbildungskurse darin nichts geändert haben, wird wohl allseitig anerkannt. Viel- 
leicht wird später einmal, wenn alle Kräfte sich wieder zur friedlichen Arbeit ver- 
einen, der berechtigte Wunsch Turbans nach einem Tuberkuloseforschungs- und 
Fortbildungsinstitut in Deutschland in Erfüllung gehen. 


Ein Erinnerungstag der Tuberkuloseforschung. Mitten in aller Unruhe des 
Krieges hat sich kürzlich zum fünfzigsten Male ein Tag gejährt, der damals ein 
großer wurde für alle die Völker, die heute in erbittertem Streite gegeneinander 
stehen. Denn in der Zeit vor der Kochschen Entdeckung hat niemals eine Mit- 
teilung über die Tuberkulose solches Aufsehen erregt wie der Vortrag Villemins, 
den er am 5. Dezember 1865 vor der Académie de medicine in Paris über das 
Thema „La demonstration experimentale de la virulence, de la specifite et de la 
transmissibilite de la tuberculose“ hielt. Zwar war schon damals die Ansicht weit 
verbreitet, daB die Tuberkulose eine ansteckende Krankheit sei, und wahrscheinlich 
war auch schon Klencke die Übertragung menschlichen tuberkulösen Materials auf 
das Kaninchen geglückt, aber erst die auf breiter Grundlage aufgebauten und ziel- 
bewußt durchgeführten Tierversuche Villemins haben den unumstößlichen Beweis 
erbracht für den infektiösen Charakter der Tuberkulose. Villemins Ausführungen 
gipfelten damals in dem Schlusse, daß die Tuberkulose eine auf Spezifität beruhende, 
ein impfbares Agens enthaltende Affektion sei, die mit Sicherheit vom Menschen 
auf das Kaninchen geimpft werden könne, daß sie demnach zu den virulenten 
Krankheiten gehöre, ähnlich den Pocken, dem Scharlach, am ähnlichsten dem Rotz. 

Zu diesem, damals ungeheures Aufsehen in der ganzen medizinischen Welt 
erregenden Resultate war Villemin auf dem Wege gekommen, daß er die so- 
genannten grauen und gelben Tuberkel vom Menschen subkutan dem Kaninchen 
hinter dem Ohr verimpfte und damit regelmäßig die Bildung von Tuberkeln in den 


BD. HEFT 8. 
dh VERSCHIEDENES. 233 


Lungen hervorrief, während die Impfung mit anderem infektiösen Material erfolglos 
blieb. Später hat Villemin seine Versuche erheblich ausgedehnt, er verimpfte auch 
käsiges Material, Phthisikersputum und zuletzt sogar Knötchen von einer perlsüchtigen 
Kuh. Nur durch tuberkulöses Virus, so ergänzte Villemin seine Folgerungen, 
„könne Tuberkulose hervorgerufen werden und entstehe die Tuberkulose immer 
durch direkte Impfung, Ansteckung oder durch die in der Luft fein zerteilten, mit 
Tuberkelgift vermengten Keime.“ Der weite Blick Villemins hatte also schon die 
Bedeutung der aörogenen Infektion erkannt. 

Fanden auch die Angaben Villemins nicht sofort allgemeine Anerkennung, 
so setzten sie sich doch schnell durch, als man die durch unbewußte, spontane In- 
fektion der Versuchstiere bedingten Versuchsfehler erkennen lernte, als die Technik 
mit der von Cohnheim eingeführten Impfung in die vordere Augenkammer eine 
wesentliche Vervollkommnung erfuhr. 

Die Mitteilung Villemins gab der experimentellen Tuberkuloseforschung 
einen gewaltigen Ansporn und hat sie nicht mehr zur Ruhe kommen lassen, bis 
schließlich Robert Kochs Entdeckung ihr eine neue Grundlage gab. Durch den 
Nachweis der Infektiosität der Tuberkulose durch Villemin ist jener Vortrag am 
5. Dezember ein Markstein in der Geschichte der Tuberkuloseforschung von größter 
Bedeutung geworden und wir dürfen wohl sagen, daß Villemin mit seinen glänzend 
durchgeführten Tierversuchen sich einen ersten Platz unter allen Tuberkuloseforschern 
gesichert hat und als der große Schrittmacher eines noch Größeren bezeichnet 
werden darf. (Die Akademie der Medizin in Paris hat das 5zojährige Jubiläum 
jenes Vortrages besonders gefeiert.) C. Hart (Berlin-Schöneberg). 


Marriage-tuberculosis-annulement of marriage because of fraud in concealing 
disease. — New-York Supreme Court, New-Yoık County, Court Decision. Sobol 
v. Sobol N. Y. Sup., :248, Dez. 7, 1914. (Public. Health Reports, Volume 30, 
No. 43, October 22, 1915, p. 3117 u. p. 3175—77.) 

Es handelt sich in dem vorliegenden Falle, der der Entscheidung des obersten 
Gerichtshofes in Neuyork unterlag, um eine Erkrankung an Tuberkulose der Lungen. 
Der Ehemann war lungenkrank, hatte diese Tatsache aber vor der Ehe seiner Braut 
verheimlicht und bei Gelegenheit auf ihre Frage die bei ihm wahrgenommenen Er- 
scheinungen auf Erkältung zurückgeführt. Nach der Heirat wurde der Tatbestand 
alsbald offenkundig. Der oberste Gerichtshof kam zu der Entscheidung, die Ehe 
für ungültig zu erklären, in derselben Weise, wie das in früheren Entscheidungen 
bei Vorliegen venerischer Erkrankungen schon geschehen war. Hätte die Klägerin 
in dem vorliegenden Falle die wahre Lage der Gesundheit des Beklagten gekannt, 
die er ihr verhehlte, so wäre sie die Verbindung nicht eingegangen, die eine Gefahr 
für sie selbst und die etwaige Nachkommenschaft darstellte, mit Tuberkulose infiziert 
zu werden. Aus den geschilderten Gründen mußte dahin erkannt werden, daß es 
sich um die Verhehlung einer Tatsache von genügendem Gewicht handelte, um das 
Gericht zu veranlassen die Ehe für nichtig zu erklären (s. S.79 in diesem Band 
der Zeitschrift). H. Grau (Heilstätte Rheinland-Hönneef). 


Editorial. (Brit. Journ. of Tuberculosis, October 1915, Vol. IX, No. 4, p. 220.) 
Dem mit dem Oktoberheft von 1915 erfolgenden Abschluß des 9. Jahrgangs 
des Brit. Journ. of Tuberculosis widmet die Schriftleitung einen Rückblick. Sie führt 
aus der ersterschienenen Nummer (Januar 1907) einige bezeichnende Sätze an: 
„Das Tuberkuloseproblem ist wesentlich sozialmedizinischer Art; es geht nicht in 
der reinen Pathologie auf, sondern wendet sich an alle menschlichen Stände und 
Berufsarten als eine Frage von weltweiter Bedeutung, die die höchsten Belänge der 
Menschheit betrifft. Die Größe des Problems kann kaum überschätzt werden: In 
fast allen Ländern und bei fast jedem Volk hindert und hemmt diese Seuche den 
Fortschritt, erzeugt unberechenbares Elend in den Familien, hartes Leiden bei dem 


ZEITSCHR, f. 
234 VERSCHIEDENES. nt 


einzelnen Kranken. Soll diese Geißel der Menschheit besiegt werden, so muß nicht 
nur jede Staatsleitung für ihr Land sorgen, sondern es muß internationales Zu- 
sammenwirken im Austausch der praktischen Erfahrungen und wissenschaftlichen 
Forschungen hinzukommen.“ Das sind schöne und wahre Worte, die auch in der 
Kriegszeit nicht vergessen werden dürfen. Die englische Zeitschrift für Tuberkulose, 
das wollen wir auch in Deutschland gern anerkennen, hat in den neun Jahren ihres 
Bestehens wacker gegen die verderbliche Seuche gekämpft und das ihrige zu den 
in dieser Zeit erreichten Erfolgen und Fortschritten beigetragen. Sie beklagt, daß 
der Kampf gegen diesen und andere Feinde der menschlichen Wohlfahrt durch den 
gegenwärtigen ungeheuren Krieg stark gehemmt sei, in den England verwickelt wurde 
„weil es sich um die höchsten Grundsätze und die edelsten Ziele der Menschheit 
handelte“, Diesen Zusatz hätte der Herausgeber sich sparen sollen! Wir kennen 
die guten und die schlechten Eigenschaften unserer Vettern, auch was sie selbst mit 
dem unübersetzlichen Worte „cant“ bezeichnen. Uns Deutschen: klingt es wie ein 
Hohn auf die höchsten Grundsätze und die edelsten Ziele der Menschheit, daß 
England gallischen Ehrgeiz, russische Ländergier und welschen Verrat gegen uns 
vereinigte und auf uns losließ, in der Hoffnung eines leichten Sieges, anstatt einem 
nah verwandten, aufstrebenden Volke den Platz an der Sonne zu gönnen, der 
ihm gebührte, und sich uns zum dankbaren Freunde zu ‚gewinnen. Doch es 
ist hier nicht der Ort, auf Gegensätze und Widersprüche einzugehen, die einst- 
weilen doch nicht zu überbrücken sind, wollen aber die Hoffnung nicht aufgeben, 
daß auch einmal die Zeit ruhigen Denkens und friedlichen Zusammenarbeitens wieder- 
kehren wird. Auch wir wollen, wie es die englische Zeitschrift für ihr Land fordert, 
trotz den Erschwerungen des Krieges den Kampf wider die Tuberkulose nach be- 
währten Plänen kräftig fortführen, und auch unsere Zeitschrift soll dabei führend 
mitwirken, da sie wie die englische auf tüchtige Mitarbeiter rechnet! 

Es muß übrigens anerkannt werden, daß an einer anderen Stelle der gleichen 
Nummer des Brit. Journ. of Tuberculosis (S. 207) das bekannte Lenzmannsche 
Buch über die Behandlung gefahrdrohender Krankheitszustände, das ins Englische 
übersetzt ist, eine recht lobende Besprechung findet „weil das herrschende Vorurteil 
gegen alles Deutsche nicht blind machen dürfe gegen die Wohltaten (benefits), die 
man der deutschen Forschung auf dem Gebiete der ärztlichen Kunst und Wissen- 
schaft schuldet“. Das klingt besser und wird bei uns in gleichem Tone wieder- 
klingen, sobald es ernst gemeint ist. Meißen (Essen). 


Sanatorium Benefit Funds. (Brit. Med. Journ, 27. XI. 1916, p. 787.) 

Die Neuheit der Bestimmungen über das „Sanatorium Benefit“ hat mancherlei 
unvorhergesehene Schwierigkeiten zur Folge. Die Versicherungsausschüsse einzelner 
Kreise, die über die Verteilung der verfüglichen Fonds zu bestimmen haben, wollten 
die Ausgaben für die häusliche Behandlung von Kranken, die für das Sanatorium 
Benefit empfohlen sind, aber es nicht gleich benutzen, nicht mehr in der bisherigen 
Weise bewilligen, wo sie einen bestimmten Prozentsatz der Fonds ausmachen, ohne 
Rücksicht auf die Zahl der behandelten Versicherten. Sind diese Fonds in einem 
Bezirk hoch, die Zahl der Behandelten aber gering, so kann es vorkommen, daß 
unter Umständen ein Arzt für jeden Kranken 100 £ erhält. - Das ist ungebührlich 
viel und dem eigentlich gemeinten Sanatorium Benefit sehr abträglich. Die An- 
gelegenheit ist bis ins Parlament gekommen. Dort wurde aber betont, daß der- 
artige Vorkommnisse mehr theoretisch als wirklich wären, überdies aber habe das 
Gesetz nun einmal bestimmt, daß die häusliche Behandlung und die Behandlung 
in Fürsorgestellen, Heilstätten und Krankenhäusern gleichberechtigte Formen des 
Sanatorium Benefit sein sollen. Eine Änderung sei zurzeit außerdem um so schwie- 
riger oder unmöglicher als „die Ärzteschaft durch den Krieg in ganz besonderer 
Weise in Anspruch genommen sei“. Der Artikel der Schriftleitung des Brit. Med. 
Journal ist mit dieser Auffassung des Sanatorium Benefit einverstanden, um so mehr 


BD. 25, HEFT 3. nr 
A VERSCHIEDENES. 235 


als die Ärzte doch auch viele Kranken zu Hause behandeln müßten, die das Sana- 
torium Benefit gar nicht beanspruchten. | Meißen (Essen). 


Devon Insurance Committee and tuberculous patients. (The Lancet, 18. XII. 1915, 
. Pe 1356.) 

Der Krieg scheint in England erfreulicherweise die Errichtung weiterer Heil- 
stätten nicht zu hemmen: In einer Sitzung des Devon Insurance Committee wurde 
berichtet, daß das Tuberkulosesanatorium zu Hawkmoor im kommenden Februar 
eröffnet werden solle, und daß es voraussichtlich genügend Betten für alle Fälle 
von Tuberkulose in dem betreffenden Bezirk haben werde. Meißen (Essen). 


Tuberculosis Sanatoriums in war-time. (Brit. Med. Journ, 27. XI. 1915, p. 793.) 
Der Artikel beklagt, daß während der jetzigen Kriegszeit alle Krankenhäuser 
und Heilstätten in England unter dem Mangel an tüchtiger ärztlicher Leitung zu 
leiden haben. Das gilt auch für die Tuberkuloseheilanstalten. Das Ayrshire Sana- 
torium, auf dessen eben erschienenen 7. Jahresbericht Bezug genommen wird, scheint 
in dieser Hinsicht allerdings eine Ausnahme zu machen, da es eine stetig zu- 
nehmende Zahl von Insassen -aufweist. Dagegen klagt der leitende Arzt über die 
große Zahl vorgeschrittener Fälle, die ihm zugewiesen werden, Schwerkranke, die in 
der Heilstätte überhaupt erst in Behandlung kamen, d.h. vorher ohne Hilfe ge- 
wesen waren. Das ist freilich ein übler Mißstand. Das Ayrshire. Sanatorium liegt 
in Schottland, und es wird betont, daß die Verbreitung der Tuberkulose je nach 
der Gegend sehr verschieden ist. Im allgemeinen aber zeigt die Krankheit in 
Schottland deutliche Neigung zur Verminderung. Auch tuberkulöse Soldaten aus 
dem Felde waren vielfach im Sanatorium zur Kur. Für die- Entstehung wird an 
Infektion im Schützengraben gedacht, wo rücksichtslos ausgespuckt werde und auch 
sonst die Ansteckung günstige Möglichkeiten finde. Es ist höchst unwahrscheinlich, 
daß diese Annahme eine Rolle spielt — bei uns in Deutschland trifft sie sicher 
nicht zu —, und der Artikel gibt denn auch zu, daß viel häufiger die Härten des 
Dienstes eine latente Tuberkulose zum Ausbruch bringen. Über Art und Verlauf 
der Fälle von Kriegstuberkulose wird leider nichts angegeben. Meißen (Essen). 


The Queen Alexandra Sanatorium, Davos. (Brit. Journ. of Tuberculosis, Oct. 1915, 
Vol. IX, No. 4.) 

Das Queen Alexandra Sanatorium zu Davos ist das englische Seitenstück zu 
der Deutschen Heilstätte daselbst, wie diese gegründet zu dem Zwecke, die Vorteile 
des Hochgebirges auch Minderbemittelten zugängig zu machen. Der Artikel bringt 
einige Angaben aus dem Jahresbericht des leitenden Arztes H. H. Carleton. Der 
Krieg hat so stark auf den Besuch der Heilstätte gewirkt, daß sie zu Beginn des 
Winters vorläufig geschlossen werden mußte. Es waren nur noch einige zwanzig 
Gäste anwesend, meist Schwerkranke, die die Heimreise nicht wagen konnten, und 
die nicht einmal die Kosten der Heizung aufbrachten. Diese Kranken wurden 
dann in einem Davoser Gasthaus untergebracht, wo sie weiter behandelt werden. 
Carleton rechnet damit, daß der Krieg eine große Vermehrung der Lungentuber- 
kulose zur Folge haben wird, daß also hernach die Heilstätte sehr gesucht und be- 
sucht sein werde. Meißen (Essen). 


Phthisis and the manufacture of boots. (The Lancet, 18. XII. 1915, p. 1359, 

25. XII. 1915, p. 1422.) 

. Eine in mancher Hinsicht interessante Betrachtung über das Vorkommen von 
Schwindsucht bei den in der Schuh-Industrie beschäftigten Leuten, nach den Ergeb- 
nissen eines ärztlichen Ausschusses, der von der National Health Insurance mit 
entsprechenden Nachforschungen betraut war. In IgII waren nach dem ersten 
Artikel in England 169000 männliche und 44000 weibliche, zusammen also 213000 


ZEITSCHR. f, 
236 VERSCHIEDENES. ACER i 


— - Å am nn nn 


Arbeiter in diesem Gewerbe beschäftigt, hauptsächlich in Leicester und Northampton, 
also eine sehr beträchtliche Zahl. Die durchschnittliche Todesziffer der Schuh- 
macher war etwa 2°/, jährlich; die Todesursache war aber in mehr als einem Drittel 
der Fälle (35°/,) Schwindsucht. Erbliche Anlage, kümmerliche Verhältnisse und 
Unterernährung, Alkoholmißbrauch, schlechte Wohnung, gelegentlich auch Infektion 
vom Arbeitsmaterial aus begünstige offenbar diese große Häufigkeit. Die Arbeits- 
räume sind überdies häufig sehr eng wegen der vielen zusammengedrängten Ma- 
schinen, und die Arbeit selbst bringt durch ihre Eigenart viele Schädlichkeiten, ge- 
krümmte Haltung, anhaltendes Sitzen in geschlossenen, staubigen, schlecht gelüfteten 
Räumen. Die Arbeitszeit ist meist neun Stunden täglich. Der Ausschuß fand vor 
allem mehr Licht, größere Reinlichkeit und bessere Lüftung nötig, um dem Übel 
der großen Tuberkulosesterblichkeit bei den Schuhmachern entgegenzuwirken. Ferner 
sollte in den größeren Betrieben Gelegenheit zu gymnastischen Spielen und Übungen 
geschaffen werden, um die Schädlichkeiten der dauernden sitzenden Lebensweise 
auszugleichen. Auch eine kurze Arbeitspause um Ir und 4 Uhr wird empfohlen. 
Wichtig ist auch bessere ärztliche Überwachung der Betriebe, und es wird ein 
„Arbeit-Sanatorium‘“ vorgeschlagen, d.h. ein Sanatorium, wo die Insassen arbeiten, 
aber unter hygienischen Bedingungen und mit entsprechenden Einrichtungen, auch 
nur nach Maßgabe des Gesundheitzustandes. Die Leute sollen dort zugleich zu 
gesundheitsgemäßen Gewohnheiten erzogen werden. 

Der zweite Artikel bringt zustimmende Erklärungen eines Schuhindustriellen, 
der einsichtig und menschenfreundlich genug ist, um die Notwendigkeit einer Ver- 
besserung der bestehenden Zustände einzusehen. Er erkennt die Richtigkeit der 
Beobachtungen und der Vorschläge des Untersuchungsausschusses an, deren Durch- 
führung auch den Arbeitgebern zugute kommen würden. Auch das „Arbeit-Sana- 
torium“ hält er der näheren Erwägung wert, macht einen Überschlag über seine 
Größe und die Kosten und glaubt an die Ausführbarkeit. 

Die Veröffentlichung des Medical Research Comittee der National Health In- 
surance ist als erste ähnlich gedachter (für andere Gewerbe) zu sehr billigem Preise 
(3 d) im Druck erschienen: The Boot and Shoe Industry, London, Wyman and Sons, 
IgIS. | Meißen (Essen). 


Acid fumes and tuberculosis. 

S. A. Knopf (Neuyork) hat eine Eingabe an die Gesundheitsbehörden der 
Stadt über den schädlichen Einfluß scharfer Dämpfe und übler Gerüche ge- 
richtet, die von chemischen Fabriken auf der New Jersey-Seite des Hudsonflusses 
erzeugt werden und die Verbreitung der Tuberkulose begünstigen können. Knopf 
stellt fest, daß die stinkenden und reizenden Gase manche Anwohner zwingen, die 
Fenster nachts geschlossen zu halten, was nicht gesundheitgemäß ist, und daß sie 
auch geeignet sind, den Zustand von Kranken mit angegriffener Lunge zu ver- 
schlimmern. Meißen (Essen), 


Migration of tuberculous persons. (Boston Med. and Surg. Journ, 4. XI. 1915, 
pP. 715.) | 
Der Artikel der Schriftleitung des amerikanischen Blattes behandelt den Wert 

des Aufenthaltwechsels für Lungenkranke nach einer Veröffentlichung in den United 
States Public Health Reports. Das Ergebnis der amtlichen Untersuchung der Frage 
geht dahin, daß Fürsorge im Heimatgebiete weit besser ist als das sog. „günstigere 
Klima“ der Ferne. Gewiß, wohlhabende Kranke können einen solchen Aufenthalt- 
wechsel versuchen, weil sie sich überall die Grunderfordernisse (Wohnung, Pflege, 
Arzt) verschaffen können. Aber für die große Mehrzahl liegt die Sache anders. 
Es ist ein weit verbreiteter, leider noch immer fortbestehender Irrtum, daß ein 
Lungenkranker vor allem einen Kurort aufsuchen müsse, das Klima würde dann 
schon das übrige tun. Diese Auffassung ist völlig unsinnig: Auch das günstigste 


nn n a e E 
= 2 Pe 


BD. 25, HEFT 8. i | 
1916. VERSCHIEDENES, 237 


Klima vermag nur dann Vorteil zu schaffen, wenn es dauernd und völlig frei aus- 
genutzt werden kann, wie es nur für den Wohlhabenderen möglich ist. Wer nicht 
mindestens für geraume Zeit völlig unabhängig ist — die Tuberkulose als sehr 
langwierige Krankheit erfordert naturgemäß auch eine sehr langwierige Kur —, 
sondern sich Arbeit und Beschäftigung suchen muß, die vielfach über seine Leistungs- 
fähigkeit hinausgehen, wird auch im berühmtesten Kurort nur Enttäuschung erleben. 
Derartige Leute werden im Heimatgebiet viel leichter für sich sorgen können, mit 
weniger Geldaufwand und ohne das niederdrückende Gefühl unerfüllter Erwartungen, 
wohl aber mit weit mehr Aussicht auf Erfolg. Den eigentlichen Vorteil des Dranges 
in ferne Kurorte haben diese selbst, die ja davon leben und gedeihen. Wir Ärzte 
dürfen ihm nur unter den genannten Voraussetzungen nachgeben. 

Diese Gedankengänge sind zwar nicht neu, dürfen aber auch bei uns immer 
mal wieder zur Beachtung vorgeführt werden. Meißen (Essen). 


Personalien. 


Auf dem Felde der Ehre fiel am 10. Januar d. J. der Oberarzt d. L. Kurt 
Frank, Ritter des Eisernen Kreuzes, wenige Tage nachdem er von einem Heimats- 
urlaub an die Front zurückgekehrt war. Frank war seit mehreren Jahren Assistent 
an der Kgl. Universitäts-Poliklinik für Lungenkranke in Berlin, mit deren Direktor 
Geh. Wolff er gemeinsam verschiedene wissenschaftliche Arbeiten aus der Anstalt 
veröffentlichte. Seine letzte behandelte das Abderhaldensche Dialysierverfahren bei 
Lungentuberkulose. 


Dr. Wilhelm Marquardt, der ärztliche Direktor der Lungenheilstätte Beelitz 
(Mark) der Landesversicherungs- Anstalt Berlin, ist in der Nacht vom 15. zum 
16. Januar d.]J. in St. Blasien, wo er Genesung von seinem Leiden zu finden hoffte, 
verstorben. Nach mehrjähriger Tätigkeit als Lungenarzt am Sanatorium des 
S.R. Dr. Jacobi-Arosa trat er am 15. August 1907 in den Dienst der Landes- 
versicherungsanstalt Berlin als Arzt in Beelitz ein, wurde nach dem Tode des 
damaligen Direktors Dr. Pickert im November 1909 mit der Wahrnehmung der 
Geschäfte des ärztlichen Direktors betraut und am I. Oktober roro zu dessen 
Nachfolger ernannt. In dieser Tätigkeit hat er sich durch seine große Gewissen- 
haftigkeit und Pflichttreue, sowie durch sein menschenfreundliches Wesen das Ver- 
trauen seiner zahlreichen Patienten, sowie die Liebe und Achtung der ihm unter- 
stellten Ärzte in hohem Maße erworben. Obgleich seiner ganzen Veranlagnng nach 
mehr Praktiker, hat er doch stets die neuesten Fortschritte auf dem Gebiete der 
Lungentherapie mit regem Interesse verfolgt und experimentell angewendet. Seine 
dabei gewonnenen Erfahrungen schriftstellerisch zu verwerten, war ihm leider nicht 
vergönnt, da er durch sein Leiden zu einer gewissen Schonung genötigt, seine ganze 
verfügbare Kraft in den Dienst des umfangreichen Anstaltsbetriebes stellen mußte. 

Frischbier (Beelitz). 


Guido Bacoelli + 


Guido Baccelli, der berühmte Kliniker und Staatsmann Italiens, welcher 
die Liste der Mitarbeiter -der Zeitschrift für Tuberkulose seit ihrem Bestehen zierte, 
ist am Io. Januar in Rom im 84. Lebensjahr gestorben. Zu den Vertretern der 
deutschen Wissenschaft, und besonders zu Rudolf Virchow, hat er in innigster Be- 
ziehung gestanden, und wurde auf dem X. Intern. Medizinischen Kongreß 1890, 
wie bei der 80 Jahrfeier von Virchow in Berlin mit besonderen Ehren empfangen. 
Von seinen wissenschaftlichen Verdiensten ist zuförderst die Sanierung der römischen 
Campagna zu nennen, die er durch systematische Bekämpfung der Malaria in An- 
grif nahm. Auch für den Kampf gegen die Tuberkulose hat er sich mit allen 


238 VERSCHIEDENES. „ZEITSCHR. f 


Kräften eingesetzt und als Kliniker mit der von ihm angegebenen intravenösen In- 
jektionsmethode, die bei anderen Erkrankungen bemerkenswerte Resultate ergab, die 
verschiedensten Heilmittel leider erfolglos am tuberkulösen Organismus angewandt. 

Auf dem VII. Intern. Kongreß gegen die Tuberkulose in Rom 1912 hat 
der 8ojährige Baccelli in flammender Rede, die allen Teilnehmern noch in Er- 
innerung sein dürfte, auf dem Kapitol den Kongreß begrüßt und mit folgenden 
schwungvollen Worten (die hier in deutscher Übertragung folgen) geendet: Jeder 
Lichtstrahl, der von jenseits der Berge und des Meeres zu uns dringt, wird von 
uns mit brüderlicher Begeisterung begrüßt; und Sie, die mit erhabnem Geist das 
Apostolat der Wissenschaft ausüben und eher Bürger als Gäste dieses unsterblichen 
Roms sind, wiederholen Sie mit uns die Worte Trajans: „Laboremus“ und die 
alte Forderung: Salus publica suprema lex esto. 

Es ist leider anders gekommen. Trotz seiner rückhaltslosen Anerkennung und 
Hochschätzung der deutschen Wissenschaft soll Baccelli bei der letzten verhängnis- 
vollen Wendung der Dinge durch seine glühende Liebe zu seinem Vaterlande, an 
dessen Einigung er mit Wort und Tat mitgewirkt, zu einer Stellungnahme verführt 
worden sein, die seinen deutschen Freunden schmerzliche Enttäuschung bereitete. 
Dem 84jährigen Greis darf die Wissenschaft nicht grollen, und so wird diese Zeit- 


schrift ihrem Mitarbeiter in Erinnerung an frühere Zeiten ein ehrenvolles Andenken 
bewahren. 


Wilhelm Johan van Gorkom 1867-1915. 


Vor kurzem ist in Malang (Java) ein Mann gestorben, der, obwohl er zur 
Zeit seines Absterbens nicht mehr als Tuberkulosearzt tätig war, sich um die Tuber- 
kulosebekämpfung so großes Verdienst erworben hat, daß wir nicht vergessen möchten, 
seiner an dieser Stelle zu gedenken, zumal er in früheren Jahren ein eifriger Mit- 
arbeiter dieser Zeitschrift gewesen war. | 

Van Gorkom hat bis zum Jahre 1903 in Niederl. Indien gewohnt und er- 
freute sich einer großen Privatpraxis. Als er nach Holland gekommen war, und 
sich im Haag niedergelassen hatte, zeigte er sofort ein sehr reges Interesse in der 
Tuberkulosebekämpfung, und als Schriftführer des Vereins zur Bekämpfung der 
Tuberkulose im Haag hat er sich insbesondere viel Mühe gegeben um die Heil- 
stättenpflege der Tuberkulösen in möglichst vielen Fällen zu fördern. Schon damals 
nahm er eine hervorragende Stelle ein unter den holländischen Tuberkuloseärzten, 
und als er im Jahre 1907 nach der Reorganisation des Niederl. Zentralkomitees 
als Schriftführer — Schatzmeister des Niederl. Zentralvereins zur Bekämpfung der 
Tuberkulose ernannt wurde, war man in Fachkreisen der Ansicht, daß keine bessere 
Wahl möglich gewesen wäre, | 

Van Gorkom hat die leitende Stelle, die er damals einnahm, nicht unbenutzt 
gelassen. Nicht ganz 4 Jahre ist er Schriftführer des Niederl, Zentralvereins ge- 
blieben, aber was er in dieser kurzen Zeit geleistet hat, war eine Riesenarbeit. 
Die Bekämpfung der Tuberkulose als Volkskrankheit, d.h. die Tuberkulosefürsorge 
in den Wohnungen der Kranken, stand in Holland im Jahre 1907 noch in den 
Kinderschuhen: als van Gorkom als Schriftführer des Vereins auftrat, gab es nur 
zwölf lokale Vereine; bei seinem Abschied im Jahre ıgıı gab es deren 90. Man 
kann ohne Übertreibung sagen, es war seine Arbeit und seine ruhelose Propa- 
ganda die das geleistet hat. 

Van Gorkom verstand es, schnell zu denken, schnell zu einem Entschluß zu 
kommen und auch schnell zu handeln. Mit großer Energie stellte er 'sich den 
Schwierigkeiten gegenüber, die er auf seinem Wege fand, und die Arbeit erschien 
ihm um so anregender, je schwieriger sie war. 

Van Gorkom war der Zeitschrift für Tuberkulose von 1904 bis 1907 als 
Mitarbeiter verbunden und in dieser Zeit erschien von seiner Hand manches Referat, 
insbesondere über die Jahresberichte der holländischen Heilstätten. 


BD. HEFT 8. 
ee | VERSCHIEDENES. 239 


Im Jahre ıgıı gab van Gorkom seine Stelle als Schriftführer des Niederl. 
Zentralvereins auf und wurde Inspektor des zivilärztlichen Dienstes in Indien. Drei 
Jahre später wurde er als Chef der Pestbekämpfung ernannt. 

Die guten Erfolge der unter seiner Führung angefangenen systematischen und 
energischen Bekämpfung der Pest, wurden schon merkbar, als er im 48. Jahre 
plötzlich starb. Das war ein sehr großer Verlust, denn er ist fast unersetzbar. 

Van Gorkom war ein trefflicher Mensch. Ehre seinem Andenken. 

Vos nn 


| George Allan Heron,r 


Der auch in Deutschland bekannte und angesehene Tuberkulosearzt und 
Tuberkuloseforscher George Allan Heron ist am Io. Dez. 1915 zu London ge- 
storben. Das Brit. Med. Journal (25. XII. 1915, p. 946) widmet ihm einen warmen 
Nachruf, dem wir einige Angaben entnehmen. 

G. A. Heron ist 1845 zu Glasgow geboren, also 70 Jahre alt geworden. 
Die erste Erziehung erhielt er zu Ottawa und zu Glasgow; er studierte dann Medizin 
an den Universitäten zu Glasgow und zu London, auch in Berlin und Paris. Er war 
zunächst einige Jahre praktischer Arzt im Süden von England und ließ sich dann in 
London nieder. Dort wurde er leitender Arzt am City of London Hospital for Di- 
seas es of the Chest, Victoria Park und beschäftigte sich dauernd vorwiegend mit der 
Tuberkulose, zumal der Lungentuberkulose. Er trat früh zu R. Koch in persönliche 
und wissenschaftliche Beziehung, noch vor der Zeit, wo dieser mit seinen großen 
Entdeckungen an die Öffentlichkeit trat. Heron war deshalb einer der ersten Ärzte 
in England, denen R. Koch die Ergebnisse seiner Untersuchungen über die Cholera 
und die großen Erwartungen, die er an das Tuberkulin knüpfte, mitteilte. R. Koch 
war Herons Gast, wenn er England besuchte. Heron widmete dem Tuberkulin 
und der Tuberkulinkur sorgfältige und eingehende Untersuchungen in seinem Kranken- 
haus in gemeinsamer Arbeit mit den übrigen dort wirkenden Ärzten, namentlich 
Vincent Harris. Obwohl manche Enttäuschungen nicht ausblieben, glaubte Heron 
bis zuletzt an die Wirksamkeit des Tuberkulins, da gelegentlich anscheinend über- 
raschende Erfolge beobachtet wurden. Der Verf. des Nachrufs im Brit. Med. Journal 
nennt Heron einen gewandten und sorgfältigen Beobachter, meint aber, daß seine 
Auffassungen auf diesem Gebiet wohl durch die Freundschaft mit R. Koch und 
die Bewunderung seiner glänzenden Leistungen in der experimentellen Medizin stark 
beeinflußt waren. Heron veröffentlichte 1890 ein Buch über die Beweise der An- 


steckungsfähigkeit der Schwindsucht (Evidences of the Communicability of Consumption) 


und trug viel bei zur Verbreitung der Kochschen Ansichten durch Veröffentlichungen 
und Vorträge, zumal auch in der Debatte bei. Kongressen u. dgl. 

Er war Mitglied und eine Zeitlang Vorsitzender der Assurance Medical Society 
und hat auch auf dem Gebiet des Versicherungswesens einige Arbeiten veröffentlicht. 
Ebenso war er Mitglied der großen British Medical Association und wirkte hier 
namentlich im Finanzausschuß (Finance Committee) In 1953 wurde er Mitglied 
des Engern Rats (Central Council} und beschäftigte sich dann mit besonderer Vor- 
liebe mit der Wahrung der ärztlichen Stellung gegenüber Angriffen und Schwierig- 
keiten. Diesem Gebiet war er schon früher nahe getreten, da er bereits 1892 einer 
der eifrigsten Gründer der London and Counties Medical Protection Society war, 
und ihr Schatzmeister wurde, bis er 1913 nach dem Tode von Jonathan Hat- 
chinson zum Vorsitzenden gewählt wurde. Heron erwarb sich durch seine eifrige 
Tätigkeit große Verdienste um diese Vereinigung zum Schutz der ärztlichen Interessen, 
die in einer Gedächtnisrede bei einer Versammlung der British Medical Association 
lebhaft und dankbar anerkannt wurden. 

Heron war entsprechend seiner Stellung auch Mitglied der Internationalen 
Vereinigung zur Bekämpfung der "Tuberkulose, und zwar Vorsitzender der Kommission: 
Kindheit: und Schule. 


ZEITSCHR. f. 


Wir dürfen dem englischen Tuberkulosearzt, dem Freund und Verehrer unseres 

R. Koch, dem tüchtigen Vertreter der Standesinteressen, dem liebenswürdigen 

Menschen, der sich auch bei uns viele Bekannte und Freunde gewonnen hat, trotz 
dem Krieg, in Deutschland ein ehrendes und freundliches Gedenken bewahren! 
Meißen (Essen). 


Unser Mitarbeiter Prof. Dr. Köhler-Holsterhausen, welcher seit Kriegsbeginn 
als Stabsarzt tätig ist, zuerst auf dem Truppenübungsplatz Zeithain i. S., seit Sep- 
tember v. J. als Chefarzt des Reservelazaretts Mühlhausen bei Bad Elster für tuber- 
kulöse Soldaten, hat vor einiger Zeit im Verlage von Johann Ambrosius Barth ein zwei- 
bändiges philosophisches Werk erscheinen lassen: Kulturwege und Erkenntnisse. 
Eine kritische Umschau in den Problemen des religiösen und geistigen Lebens. 
Trotz seiner Kriegstätigkeit hat Köhler noch Zeit zu weiteren philosophischen 
Studien gefunden und in Erlangen am 21. Dezember v. J. den philosophischen 
Doktorgrad magna cum laude erworben. Seine Dissertation behandelt: Die ethisch- 
religiöse Begründung der modernen vaterländischen Erziehung, geprüft an den Auf- 
fassungen des Kriegsproblems in der jüdisch-christlichen Religionsgeschichte und an 
völkerpsychologischen Erkenntnissen. 


Dr. Brecke, dirigierender Arzt der Lungenheilstätte Überruh der Versicherungs- 
anstalt Württemberg, welche z. Z. als Larzarett (220 Betten) für tuberkulöse Krieger 
dient und von Assistenzarzt Dr. Schwermann geleitet wird, steht als Oberstabsarzt 
und Chefarzt eines Feldlazaretts im Westen im Felde; das Eiserne Kreuz ist ihm 
schon vor Jahresfrist verliehen worden. 


Dr. Ritter, leitender Arzt der Hamburgischen Heilstätte Edmundsthal-Siemers- 
walde, welcher als Stabsarzt d. R. im Felde stand und mit dem Eisernen Kreuz 
ausgezeichnet war, ist zurückberufen worden, um in der Heilstätte eine Abteilung 
von 70 Betten für lungenkranke Soldaten einzurichten. Dieselbe ist dem Reserve- 
lazarett 2 Hamburg unterstellt, ihre Belegung erfolgt durch das Sanitätsamt des 
Q. Armeekorps. Eine Einschränkung des Anstaltsbetriebes für Zivilpersonen ist mit 
dieser Einrichtung nicht verbunden, 


Prof. Dr. A. Fraenkel, leitender Arzt des Lungensanatoriums Haus Waldeck 
in Badenweiler (Haus Waldeck dient z. Z. als Lazarett für lungenkranke Offiziere, 
auch die anderen Lazarette in Badenweiler, wie auch in St. Blasien sind zum großen 
Teil mit lungenkranken Kriegern belegt), erhielt das Eiserne Kreuz am weiß- 
schwarzen Bande. Stabsarzt Fraenkel ist Leiter der Beobachtungsstation für innere 
Kranke in Heidelberg und fachwissenschaftlicher Beirat des 14. Armeekorps. 


Dr. Hettinger, leitender Arzt der Eisenbahner-Heilstätte in Oberweiler, die 
jetzt mit tuberkulösen Soldaten belegt ist, befindet sich als Stabsarzt auf dem öst- 
lichen Kriegsschauplatz, erhielt das Eiserne Kreuz und wurde vor einiger Zeit zum 
Oberstabsarzt befördert. 


An unsere Mitarbeiter! 


Wir glauben, daß es ebenso im Interesse der Leser wie der Autoren selbst 
liegt, wenn am Schluß jeder Originalarbeit ihr Inhalt in einigen kurzen Sätzen noch- 
mals übersichtlich zusammengefaßt wird. Wir richten deshalb an unsere Mit- 
arbeiter die Bitte, jeder Originalarbeit eine kurze Zusammenfassung anzufügen. 


Die Redaktion. 


Druck von Metzger & Wittig in Leipzig. 


Band 26. Heft 4. 


ZEITSCHRIFT FÜR TUBERKULOSE. 


HERAUSGEGEBEN VON 
G. GAFFKY, M. KIRCHNER, F. KRAUS, W.v.LEUBE, J. ORTH, F. PENZOLDT. 
Redaktion: A. KUTTNER, L. RABINOWITSCH. 


I. ORIGINAL-ARBEITEN. 


XIII. 
Geschlecht und Tuberkulosesterblichkeit. 
Von 
J. Orth. 


Hierzu zwei Figuren. 


x sich in bezug auf die Sterblichkeit an Tuberkulose verschieden ver- 
9, halten, nicht nur im Hinblick auf die Gesamtsterbeziffer, sondern 


r 
, 


auch in bezug auf die Sterblichkeit in einzelnen Lebenszeiten. Bei der Un- 
gleichheit der Zahl der Lebenden beiderlei Geschlechts können natürlich nicht 
die reinen Zahlen, sondern nur Verhältniszahlen einen sicheren Aufschluß über 
das Verhalten jedes Geschlechtes geben, aber auch die Verhältniszahlen stimmen 
nicht völlig miteinander überein, je nachdem man sie nach der Zahl der 
Lebenden oder nach der Zahl der Verstorbenen jedes Geschlechtes berechnet, 
da nicht nur die Zahl der Todesfälle überhaupt, sondern auch der Anteil der 
Tuberkulose an den Todesfällen jedes Geschlechts verschieden sind. 

Von höchstem Interesse würde es sein, über die Entstehungszeit der 
Tuberkulose und über den zeitlichen Verlauf jedes einzelnen Falles genauer 
unterrichtet zu sein, allein wir dürfen nicht hoffen, daß wir darüber je unter- 
richtet sein werden, denn gerade bei der Tuberkulose fallen die Zeit der In- 
fektion, sowie der ersten Veränderungen und die Zeit der Entstehung einer 
erkennbaren Erkrankung durchaus nicht zusammen, sondern können durch 
Jahrzehnte voneinander getrennt sein, und weiterhin sind die ersten Anfänge 
einer fortschreitenden Erkrankung oft so schwer zu erkennen, daß der Zeit- 
punkt ihres Beginnes auch dann nicht auch nur annähernd sicher bestimmt 
werden könnte, wenn alle Kranken sofort zur ärztlichen Untersuchung ge- 
kommen wären. Es bleibt also vorläufig gar nichts anderes übrig, als statt 
des Anfangs das Ende der Krankheit zu wählen, und auch da sind wir auf 
diejenigen Fälle beschränkt, bei denen der Tod durch die Krankheit herbei- 
geführt worden ist, während alle jene Fälle niemals in ihrer Gesamtheit statistisch 
zu fassen sind, bei denen die Tuberkulose ausgeheilt ist oder als eine Neben- 
erkrankung neben einer anderen Hauptkrankheit vorhanden ist. 

Zeitschr. f. Tuberkulose. 25. 16 


ZEITSCHR. f. 
242 0 0 ODOTE  ________TÜBERKULOSE 


Dieser Unvollkommenheit unserer Tuberkulosestatistiken müssen wir uns 
stets bewußt sein, und auch nicht vergessen, daß selbst die Sterblichkeits- 
statistik noch an Mängeln leidet, da gar mancher Tuberkulosetodesfall nicht 
zu ärztlicher Kenntnis gelangt oder auch der ärztlichen Diagnose entgeht. 
Immerhin bieten die amtlichen Totenscheine noch eine einigermaßen feste 
statistische Grundlage, die denn auch von der Preußischen Medizinalverwaltung 
dazu benutzt worden ist, nicht nur allgemeine Angaben über die Sterblichkeit 
an Tuberkulose in Preußen zu machen, sondern auch Berechnungen über die 
Beteiligung der Geschlechter nach Verhältniszahlen, sowie über ihr Verhalten 
in bestimmten Lebensabschnitten (Altersstufen) hinzuzufügen. Die Medizinal- 
berichte gebrauchen, wie es auch sonst üblich ist, kurzweg die Bezeichnung 
Tuberkulose, Tuberkulosesterblichkeit usw., trotzdem es sich der Hauptsache 
nach um Todesfälle an Lungenschwindsucht handelt. 

Es kann gewiß mit Recht eingewandt werden, daß Lungentuberkulose 
und Lungenschwindsucht an sich nicht gleichbedeutende Begriffe sind, denn 
es gibt einerseits Lungentuberkulose ohne Lungenschwindsucht (akute Miliar- 
tuberkulose, frische tuberkulöse Pneumonie) und andererseits spielen gerade 
bei der Lungenschwindsucht, wie Koch schon in seiner ersten großen Arbeit 
über den Tuberkelbazillus gezeigt hat, neben diesem Bazillus auch noch andere 
Mikroparasiten oft eine sehr wichtige Rolle, so daß der Schwund des Lungen- 
gewebes nicht einfach Folge der Tuberkulose, der durch den Kochschen 
Bazillus erzeugten Krankheit, sondern das Erzeugnis einer Mischkrankheit ist. 
Aber zweierlei dürfen wir doch behaupten, ı. daß es keine Lungenschwind- 
sucht gibt ohne Tuberkelbazillen, d. h. ohne Tuberkulose, und daß 2. die 
tuberkulöse Erkrankung doch stets die Hauptsache bleibt und vor allem auch 
den Beginn der ganzen Erkrankung darstellt. Nun steht aber in der medizi- 
nischen Sprache der Grundsatz schon lange in Geltung: a potiori fit deno- 
minatio, so daß ich meinerseits kein Bedenken trage, auch die Lungenschwind- 
sucht kurzweg als Lungentuberkulose zu bezeichnen und die Todesfälle an 
Lungenschwindsucht den Todesfällen an Tuberkulose zuzurechnen. 

Gelegentlich meiner Forschungen über die Beziehungen des Alkoholismus 
zur Tuberkulose, insbesondere zur Tuberkulose der Lungen, über die ich im 
November 1914 und auch vor kurzem wieder (6. Januar 1916) in der Akademie 
der Wissenschaften berichtet habe, bin ich auch der Prüfung der Behauptung 
näher getreten, daß die Übersterblichkeit der Männer an Tuberkulose durch 
den bei Männern häufigeren Alkoholismus bedingt sei. Dabei habe ich die 
merkwürdige Entdeckung gemacht, daß die Übersterblichkeit der Männer, 
welche früher schon mit dem 3. Lebensjahrzehnt begann, in den letzten Jahren 
erst im 5. Jahrzehnt, also jenseits des 40. Lebensjahres hervortritt. Diese Ent- 
deckung hat mich veranlaßt, den Tuberkulosesterblichkeitsverhältnissen der 
Geschlechter etwas näher nachzugehen und da sich dabei allerhand merk- 
würdige Erscheinungen ergeben haben, die auch ohne Beziehung zu der 
Alkoholfrage an sich interessant sind, so will ich hier kurz über die Ergebnisse 
meiner Nachforschungen berichten. 

Was zunächst die Gesamtzahlen betrifft, so ist es ja bekannt, daß die 


BD. 25, HEFT4. GESCHLECHT UND TUBERKULOSESTERBLICHKEIT. 243 


Tuberkulosesterblichkeit schon seit langen Jahren in absteigender Richtung sich 
bewegt. Beide Geschlechter sind dabei beteiligt, aber beide in ungleichem 
Maße. Sehen wir uns zunächst die Gesamtjahreszahlen der letzten statistisch 
bearbeiteteri 20 Jahre an, nach der Berechnung auf 10000 Lebende. 


Es starben an Tuberkulose: 


Jahr I | Z s. | Unterschie Unterschied | M. Ser | zus. [Unterschied] m. | Unterschiea| W. | Unterschied | W. gegen M. Unterschied W. Unterschied | W. gegen M. 
1894 23,89. a ooo 25,92 | 21,93 — 3,99 
1895 23,26 — 0,36 25,45 — 0,47 21,14 — 0,79 4,31 
1896 22,96 — 0,30 24,17 — 1,28 20,03 —L11 — 4,14 
1897 21,81 — 1,15 23,70 — 0,47 19,98 — 0,05 — 3,72 
1898 20,08 73 21,99 — 1,71 18,23 — 1,75 — 3,76 
1899 20,71 + 0,63 22,79 +0,80 18,70 +0,47 — 4,09 
1900 21,13 +0,42 23,14 +0,35 19,19 +0,49 3,95 
1901 19,54 — 1,59 21,35 | -1,79 17,78 — 14i — 3,57 
1902 19,04 — 0,50. 20,72 — 0,63 17,04 — 0,74 — 3,68 
1903 19,70 +0,66 21,18 +0,46 18,26 +1,22 — 2,92 
1904 19,21 — 0,49 20,49 — 0,69 17,96 — 0,30 — 2,53 
1905 19,13 -- 0,08 20,21 — 0,28 18,08 +0,12 — 2,13 
1906 17,26 — 1,87 18,15 — 2,06 16,39 — 1,69 — 1,76 
1907 17,16 — 0,16 16,22 — 1,93 18,31 +1,74 +1,91 
1908 16,46 — 0,70 17,48 +1,26 15,46 — 2,67 — 2,02 
1909 15,59 — 0,07 16,47 — 1,01 14,74 — 0,72 — 1,73 
1910 15,29 — 0,30 15,92 — 0,55 14,68 — 0,06 — 1,24 
IQII. 15,12 — 0,17 15,67 — 0,25 14,58 — 0.10 — 1,09 
1912 14,58 | — 0,54 15,24 0,43 13,95 — 0,63 — 1,29 
1913 | 13,65 | — 0,93 14,22 | — 1,02 13,10 — 0,85 — 1,12 
Abnahme 10,24 11,70 Bu 8,83 | 2,87 
um =42,86°/, =45,14°), =40,26°/, =729|, 
Aus der Zusammenstellung ergibt sich zunächst, dad — wie es auch 
schon in den vorhergehenden Jahren der Fall war — auch für die Berichts- 


zeit die Zahl der Todesfälle erheblich abgenommen hat, und zwar schließlich 
um 42,86°/,.. Die Abnahme war keine gleichmäßige, ja in 3 Jahren, 1899, 
1900 und 1903, war sogar eine kleine Zunahme zu verzeichnen, aber im letzten 
Jahrzehnt ist die Abnahme eine ununterbrochene gewesen. Was für die Ge- 
samtheit gilt, gilt in gleicher Weise auch für jedes der beiden Geschlechter, 
nur daß die Abnahme bei den Männern (45,14°/,) eine größere war als bei 
den Frauen (40,26°/,). In den 3 Jahren, in welchen die allgemeine Sterblich- 
keit nicht ab-, sondern zugenommen hat, ist dies auch bei beiden Geschlechtern 


‚der Fall gewesen, außerdem aber zeigte bei den Männern auch noch das Jahr 


1908 eine, und zwar recht erhebliche Zunahme (1,26),:- die aber durch eine 
noch erheblichere Verminderung der Sterblichkeit bei Frauen (2,67) ausge- 
glichen worden ist. Bei den Frauen war, von den oben erwähnten 3 Jahren 
abgesehen, sogar noch in zwei anderen Jahren eine Zunahme zu verzeichnen 
nämlich in den Jahren 1905 und 1907. Die erste war nur gering (0,12), die 
zweite beträchtlicher (1,74), sie wurden aber beide durch die Abnahme der 


Sterbefälle bei den Männern (0,28 und 1,93) überkompensiert. 
16” 


ZEITSCHR, f. 
244 J. ORTH. TUBERKULOSE 


Sehr bemerkenswert sind die Zahlen der letzten Reihe, welche angeben, 
wie sich in den einzelnen Jahren die Sterbeziffern von 10000 Frauen zu denen 
von ebensovielen Männern verhalten. Da sieht man mit Ausnahme eines 
einzigen Jahres (1907), in dem die Sterblichkeit eine Zunahme statt einer Ab- 
nahme erfahren hat und die Todeszahl der Frauen die der Männer um 1,91 
übersteigt, eine Minderzahl von Todesfällen bei den Frauen, aber die Zahlen 
nehmen sonst ununterbrochen ab, so daß der Unterschied im Jahre 1913 nur 
etwa !/, von dem des Jahres 1895 beträgt. Es hat sich also die Verschieden- 
heit zwischen beiden Geschlechtern immer mehr verwischt, die Übersterblich- 
keit der Männer ist nur noch eine geringe. Im Jahre ıgıı war sie sogar 
noch geringer als 1913, denn sie betrug nur 1,09 {gegen 1,12 in 1913) auf 
10000 Lebende. 

Noch viel deutlicher tritt die Änderung des gegenseitigen Verhältnisses 
der Geschlechtersterblichkeit hervor, wenn man den Anteil der Tuberkulose 
an der Gesamtsterblichkeit eines jeden Geschlechtes verfolgt. 

Es starben an Tuberkulose von 100 Gestorbenen; 


Jahr | Zus . [Unterschied m. M. Unterschied W. | Unterschied W. gegen M. 
1894 10,98 ase lasa O Faa d 11,25 | 10,59 | —o ‚56 
1895 10,69 — 0,29 11,00 — 0,25 10,36 — 0,23 — 0,64 
1896 10,55 — 0,14 10,85 —0,15 10,24 —0,12 — 0,61 
1897 10,31 — 0,24 10,51 — 0,34 10,08 — 0,16 — 0,43 
1898 9,86 — 0,45 10,11 — 0,40 9,58 — 0,50 — 0,53 
1899 9,49 — 0,37 9,80 | —0,31 9,16 — 0,42 — 0,64 
1900 9,47 — 0,02 9,74 — 0,06 9,18 +0,02 — 7,56 
1901 9,45 0,02 9,71 9,03 9,17 0,01 — 0,54 
1902 9,85 +0,40 10,10 +0,39 9,58 +0,41 — 0,52 
1903 9,89 + 0,04 10,02 — 0,08 9,76 +0,18 — 0,26 
1904 9,87 — 0,02 9,97 — 0,05 9,77 +0,01 — 0,20 
1905 9,68 — 0,19 9,06 —0,31 9,70 — 0,07 +0,04 
1906 9,57 —0,II 9,48 — 0,1 9,66 — 0,04 +0,18 
1907 9,53 — 0,02 9,53 +0,05 9,58 — 0,08 +0,05 
1908 9,13 — 0,42 9,17 — 0,36 9,09 — 0,49 — 0,08 
1909 9,11 — 0,02 9,11 — 0,06 9,12 +0,03 +0,01 
1910 9,48 +0,37 9,42 +0,31 9,54 +0,42 +0,12 
iQII 8,79 — 0,69 8,68 — 0,74 8,90 — 0,64 — 0,22 
1912 9,42 +0,63 9,41 +0,73 9,42 +0,52 +0,01 
1913 | 9,16 -0,26 | 9,10 -0,31 | 9.24 _ 193 | 916 | -026 | ro | -03ı | 924 | -0o18 | +0,14 _ — 0,18 +0,14 
Abnahme 1,82 —. DH el ai Sr 2,15 1,45 Umschlag 
um |[=16,58°/, 19,11%), = 13,56%), + 0,58 


Auch nach dieser Berechnung ist eine Abnahme der an Tuberkulose 
erfolgten Todesfälle festzustellen, wenn sie auch nur 16,58°/, für den ange- 
gebenen Zeitraum beträgt, auch hier ist die Abnahme der Männersterblichkeit 
größer als die der Frauen, aber der Unterschied ist größer als bei der vorigen 
Berechnungsart. In vier Jahren (1902, 1903, IgIO und 1912) hat die allge- 
meine Abnahme der Todesfälle Unterbrechung erfahren, denen gleichsinnige 
Änderungen bei beiden Geschlechtern nur für die Jahre 1902, 1910 und 1912 


‘ 


BD. 26, HEFT4 GESCHLECHT UND TUBERKULOSESTERBLICHKEIT. | 245 


entsprechen, während im Jahre 1903 nur bei den Frauen eine kleine Zunahme 
vorhanden war. Außerdem gab es kleine Zunahmen bei den Frauen in den 
Jahren 1900, 1904 und 1909, bei den Männern nur noch 1907. Von den 
4 Jahren mit allgemeiner Zu- statt Abnahme ist nur das Jahr 1903 auch unter 
den dreien, welche auch nach der vorigen Berechnungsart eine Zunahme der 
Todesfälle darboten. | 

Wiederum ist auch bei dieser Zusammenstellung die letzte Reihe von 
besonderem Interesse, welche wie in der vorigen das Verhältnis der Frauen- 
sterblichkeit gegenüber derjenigen der Männer zeigt. Bis zum Jahre 1904 ist 
die prozentuale Sterblichkeit der Frauen geringer als die der Männer vom 
Jahre 1905 aber ist sie mit Ausnahme des Jahres 1908 regelmäßig größer als 
die der Männer. Der Unterschied zwischen 1894 und 1913 beträgt 0,58. 

Fragen wir nach den Ursachen dieser Änderungen, so müssen für die 
allgemeinen auch allgemein wirksame in Betracht gezogen werden, ebenso wie 
für diejenigen Ausnahmejahre, in welchen Männer wie Frauen an den Aus- 
nahmen beteiligt sind. 

Da der chronische Alkoholismus, wie allgemein zugestanden wird, bei 
der Frauentuberkulose unbeteiligt ist, und doch auch bei den Frauen die 
Tuberkulosesterblichkeit abgenommen hat, so kann für diese allgemeine Ab- 
nahme eine etwaige Abnahme des Alkoholismus keine Rolle spielen, es wäre 
aber daran zu denken, daß die stärkere Abnahme bei den Männern doch 
vielleicht auf eine Abnahme des Alkoholismus zu beziehen sei. Leider aber 
hat, wie ich später noch genauer zeigen werde, der Alkoholismus nicht nur 
nicht abgenommen, sondern er hat sogar noch zugenommen, so daß wohl 
kaum etwas anderes übrig bleibt als anzunehmen, daß die gleichen Ursachen 
bei Frauen und Männern zur Wirkung gelangt sind, daß sie aber bei den, 
Männern eine stärkere Wirkung entfalten konnten. Daß eine Verringerung der 
Infektionsmöglichkeit hier eine wesentliche Rolle spielen sollte, ist nicht anzu- 
nehmen, da nicht einzusehen ist, warum eine solche bei den Männern in 
stärkerem Maße sich geltend machen sollte als bei den Frauen, Wohnung, 
Nahrung sind beiden Geschlechtern gemeinsam und können wohl für die all- 
gemeine Abnahme in Betracht kommen, nicht aber für die stärkere Abnahme 
bei den Männern. Hier bleibt wohl nur übrig an günstigere Arbeitsbedingungen 
zu denken, die zweifellos für Männer eine überwiegende Bedeutung haben. 
Der Gewerbehygiene muß also in erster Linie die Besserung bei den Männern 
zu verdanken sein. 

Für die kleinen Abweichungen, welche die Zahlen des einen oder anderen 
Geschlechtes in einzelnen Jahren zeigen, wird wohl kaum eine Ursache fest- 
zustellen sein, wohl aber wäre das möglich für diejenigen Jahre, in denen 
beide Geschlechter gleichsinnige Abweichungen von der Regel darboten. Es 
könnte sich hier vielleicht um die Folgen anderer Infektionskrankheiten handeln, 
welche eine vermehrte Sterblichkeit, besonders der Tuberkulösen herbeiführte. 
Man wird dabei in erster Linie an die Influenza denken, welche ja auch die 
Atmungsorgane besonders schädigt. Unter den Komplikationen, welche die 
Preußische Medizinalstatistik bei den Influenzatodesfällen aufführt, spielt die 


ZEITSCHR. f. 
TUBERKULOSE 


J. ORTH. 


246 


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BD. 25, HEFT4. GESCHLECHT UND TUBERKULOSESTERBLICHKEIT. 247 
Lungenschwindsucht keine erhebliche Rolle, aber darum könnte doch umge- 
kehrt die Influenza für die Tuberkulosetodesfälle eine Rolle spielen, nur brauchten 
diese ja nicht sofort an die Influenza sich anzuschließen. Unter den aufge- 
zählten Jahren mit erhöhter Tuberkulosesterblichkeit sind nun in der Tat die 
Jahre 1899 und 1900 solche mit Influenzaepidemien, auch das Jahr 1903 zeigt 
eine etwas hohe Influenzasterblichkeit, dagegen hat die noch höhere Influenza- 
zahl des Jahres 1908 keinen Einfluß auf die Tuberkulosesterblichkeit der Jahre 
1908 oder 1909 bei den Frauen ausgeübt. Es ist also ein regelmäßiger, innerer 
Zusammenhang zwischen ` Influenza- und Tuberkulosesterblichkeit nicht nach- 
zuweisen. 

Nun habe ich schon erwähnt, daß die Geschlechtersterblichkeit an Tuber- 
kulose in verschiedenen Lebenszeiten wesentliche Verschiedenheiten zeigt, und 
daß auch in diesen Verschiedenheiten in letzter Zeit bemerkenswerte Ände- 
rungen eingetreten sind. Wir müssen uns deshalb auch die Sterblichkeitsver- 
hältnisse in den verschiedenen Altersklassen ansehen, wobei wesentlich die Zeiten 
von der Geschlechtsreife aufwärts, also vom 20. Lebensjahr an in Betracht zu 
ziehen sind. | 

Freilich machen sich aüch schon in der Kindheit Verschiedenheiten geltend, 
aber diese haben keine wesentliche Änderung erfahren, da es leider noch nicht 
gelungen ist, eine nennenswerte Abnahme der Tuberkulosetodesfälle in der 
Jugend zu erzielen. Der Vollständigkeit halber sei angeführt, daß in den ersten 
5 Lebensjahren die Sterbeziffer der Knaben stets größer war als diejenige der 
Mädchen, daß dann aber regelmäßig ein Umschwung eingetreten ist; indem 
vom 5. Lebensjahr an verhältnismäßig mehr Mädchen starben als Knaben. 
Wenn auch nicht allein, so darf doch gewiß zum guten Teil diese höhere 
Empfindlichkeit der Mädchen, welche durch die ganze Geschlechtsentwicklungs- 
zeit hindurchgeht, eben mit diesen besonderen körperlichen Umwälzungen der 
Pubertätszeit in Verbindung gebracht werden. 

Es wurde schon erwähnt, daß früher (d. h. bis in die ersten Jahre dieses 
Jahrhunderts) diese Übersterblichkeit des weiblichen Geschlechtes bis zum 
20. Lebensjahre reichte, daß sich aber hierin ein derartiger Wandel vollzogen 
hat, daß jetzt dieser Wendepunkt erst jenseits des vollendeten 40. Lebensjahres 
gelegen ist. Ich bin dieser Änderung weiter nachgegangen und habe fest- 
gestellt, daß die Abnahme in der Altersstufe 20—40 keine gleichmäßige war. 

Aus der Übersicht (s. nebenstehende Tabelle) ergibt sich, daß wieder die 
stärkere Abnahme der Männersterblichkeit die Ursache der Verschiebung ist, 
daß diese aber zuerst in dem 6. Jahrfünft (über 25—30 Jahre) aufgetreten ist, 
und zwar zum ersten Male im Jahre 1900. 1901 kam noch einmal ein Rück- 
fall, aber von 1902 ab war in dieser Altersstufe die Sterblichkeit der Frauen 
dauernd größer als die der Männer. Für die Stufe über 20—25 kam die 
Änderung ebenso wie bei derjenigen über 30—40 erst im Jahre 1906 zum 
Vorschein, doch hielt sie bei der ersten Stufe nicht Stand, sondern in den 
Jahren 1909, 1912 und 1913 überwog wieder die Männersterblichkeit, während 
in der. letzten Stufe dies nur einmal, im Jahre 1908, vorgekommen ist. Es 
besteht der weitere Unterschied, daß für die 20—25 und 30—40 Stufen die 


ZEITSCHR., f. 
TUBERKULOSE 


J. ORTH. 


248 


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BD. 2o EET 4. GESCHLECHT UND TUBERKULOSESTERBLICHKEIT, 249 


verhältnismäßige Sterblichkeit der Männer eine weit größere war als in der 
25—30. Stufe, wo sie sogar etwas unter der weiblichen geblieben ist. Im 
Durchschnitt der 20 Jahre betrug die Sterblichkeit: 


. 20—25 | 25— 30 | 30-40 


Männer . 23,17 23,05 24,96 
Weiber - 21,07 23,80 23,65 
W. gegen M. a. | — 2,10 | + 0,75 | — 1,31 


Man kann also sagen, der Umschwung des Verhältnisses in der Männer und 
Frauensterblichkeit sei zum wesentlichsten Teil bedingt worden durch die ver- 
stärkte Abnahme der Männersterblichkeit in der Altersstufe über 25 bis 30 Jahre. 

Ein etwas anderes Resultat erhält man, wenn man den Anteil der Tuber- 
kulose an 100 Sterbefällen eines jeden Geschlechtes berechnet (s. nebenstehende 
Tabelle). 

Hier fällt zunächst auf, daß in der Altersstufe 20—25 die relative Sterb- 
lichkeit der Frauen in den letzten 20 Jahren nicht ab, sondern sogar etwas 
zugenommen hat. Das hängt zwar nur damit zusammen, daß im Jahre 1894 
die Sterblichkeit eine verhältnismäßig geringe war, aber selbst wenn man dieses 
Jahr wegläßt, wodurch auch in dieser Stufe eine Abnahme der Tuberkulose- 
todesfälle erzielt wird, bleibt diese doch erheblich hinter den anderen Alters- 
stufen, insbesondere hinter der 4. Dekade zurück. Gleichgeblieben ist auch bei 
dieser Berechnungsart die erheblich stärkere Abnahme der Männersterblichkeit. 
Sie betrifft vor allem das 3. Jahrzehnt. In dessen erster Hälfte (21.—25. Jahr) 
setzt die stärkere Abnahme der Männersterblichkeit und die entsprechende 
verhältnismäßige Zunahme der Weibersterblichkeit mit dem Jahre 1897 ein 
und bleibt bestehen mit Ausnahme des Jahres 1900, in dem eine kleine Minder- 
sterblichkeit der Frauen vorhanden war. Für die 2. Hälfte des 3. Jahrzehnts 
beginnt die Umänderung des Weniger der Frauen in ein Mehr erst im Jahre 
1903, bleibt dann aber ununterbrochen bestehen und nimmt, wenn auch un- 
gleichmäßig zu bis auf 5,16 in Jahre 1913. 

In dem 4. Jahrzehnt zeigt sich der erste Umschlag im Jahre 1897, er 
bleibt aber noch nicht dauernd; erst vom Jahre 1902 ab ist regelmäßig ein 
Überschuß bei den Frauen vorhanden, der aber nur ımal (im Jahre 1907) die 
Zahl 2 übersteigt, sonst sie nicht erreicht. 

Die Mittelzahlen aus den 20 Jahren geben folgendes Bild: 


20—25 | 25— 30 | 30—40 
Männer .„.. 42,98 41,98 34,12 
Weiber ... 45,46 42,74 344I 
W. gegen M. | + 2,48 | + 0,76 | + 0,29 


Die prozentuale mittlere Sterblichkeit der Frauen war also in diesen 
Altersklassen stets größer als die der Männer, nahm aber in den höheren 
Altersstufen immer mehr ab. 


ZEITSCHR. í. 
250 J. ORTH. TUBERKULOSE 


Was nun die Zeit jenseits des 40. Lebensjahres betrifft, so ist lange be- 
kannt, daß hier die Männersterblichkeit an Tuberkulose diejenige der Frauen- 
sterblichkeit weit übertrifft, und daß diese Übersterblichkeit der Männer sich 
bis jetzt dauernd erhalten hat. Es genügt deshalb, um eine Anschauung über 
die verhältnismäßigen Tuberkulosesterbeverhältnisse zu erhalten, die Zahlen 
einiger auseinander liegender Jahre festzulegen. Ich habe als Ausgangszahlen 
diejenigen des Jahres 1893 genommen und zum Vergleiche diejenigen des 10. 
und 20. Jahres später entgegengestellt. Die Hauptzahlen sind auf 10000 Lebende 
der Altersklassen und des Geschlechtes berechnet, die eingeklammerten geben 
den prozentigen Anteil der Tuberkulosetodesfalle an den Gesamttodesfällen 
des Geschlechtes an. 


Alters 1893 | 1903 1913 Abnahme von 

stufen = é i = — || 1893—1913 

über | M | w | {xÊ | w | m | w |=M |w 

| | I» | K i | "iie | 25,09 | 15,81 

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60ljs 8,6 \ 8 8 6 8 8 8 33,49 | 22,55 

50—60158,67 [(22,77)136,29 (18,92) 42,28 (17,18) 22,96. (14,20)|25,18|(12,58)|13,74 ( 9,80) Ea TOTA 
\ , ? 

48,71 | 32,40 


60—70174,56|(14,36)|49,96|(10,81)145,77 |( et 7,76)25,85|( 6,06) 17,56|( 5,14) (8,30) | (5,67) 
’ ’ 


30,09 | 20,52 


70—801147,94( 434)134,30|( 3,17)128,1510 2,79) 20,69 ( 2,271117,85|( 1,92) 13,78( 1,65) ETENEE 
| 11,22 | 7,73 

80 |I18,68|( 0,76)|14,18|( 0,61)|12,43 ( 0,57)| 7,96 ( 0,40)| 7,46|( 0,36)| 6,45|( 0,33) —— | 
a N a A T | | ](0,40) | (0,28) 


Man sieht deutlich, wie nach beiden Berechnungsarten ausnahmslos in 
allen Jahren eine Übersterblichkeit der Männer vorhanden ist, wie aber auch 
die Abnahme der Sterblichkeit bei den Männern eine weit größere ist als bei 
den Frauen. Die Abnahme ist am stärksten — für beide Geschlechter — in 
dem 7. Lebensjahrzehnt, in dem auch die Sterblichkeit überhaupt am größten 
ist. Für die prozentuale Beteiligung der Tuberkulösen an den Todesfällen ist 
das 6. Jahrzehnt das durch die größte Abnahme ausgezeichnete. 

Für das erhebliche Überwiegen der Tuberkulose der Männer in den 
höheren Altersklassen hat man dem Alkohol die Schuld geben wollen. Wäre 
das richtig, so müßte man erwarten, daß, da die Sterblichkeit der Männer 
nicht nur überhaupt abgenommen hat, sondern stärker abgenommen hat, als 
die der alten Frauen, auch der chronische Alkoholismus bei den alten Männern 
abgenommen habe. Leider ist das nicht der Fall, sondern dieser hat im 
Gegenteil zugenommen, wie sich aus der folgenden Zusammenstellung ergibt, 
in der die Todesfälle an Säuferwahnsinn im Preußischen Staate für eine kleinere 
Anzahl von Altersklassen nach den Preußischen Medizinalberichten zusammen- 
gestellt sind und zugleich für dieselben Altersklassen die absoluten und die 
wie bei den Alkoholisten auf 100000 Lebende berechneten Verhältniszahlen 
der Tuberkulosetodesfälle (s. nebenstehende Tabelle). 

Man sieht ohne weiteres, wie erheblich die Tuberkulosetodesfälle gegen 1893 
im Jahre 1913 abgenommen haben, vor allem im 6. Lebensjahrzehnt, während 
gerade in diesem, gegenüber einer kleinen Abnahme in der vorhergehenden 


= mm mn nn U nn 


BD. 25, HEFT4. GESCHLECHT UND TUBERKULOSESTERBLICHKEIT. 251 


Sterbefälle in Preußen 


an Delirium trem. an Tuberkulose 
in 1893 1903 1913 18983 1903 1913 
assen ; ; k A A 
„| im im im im im 
Ganzen verh. ’) Ganzen verh. Ganzen verh, Ganzen verh. Ganzen|- veth. Ganzen verh. 


überı5—30| 44 0,54 "43 1046| so [0,461 ı8772|230,90| 1911: |206,00| 17761 | 163,29 
„ 30-60| 539 15,701 653 15,98| 714 |5,38] 35955|380,35| 29 409 1269,29; 23 85 1 | 179,72 
„ 60—70) 63 |4,23 127 |7,30| 112 |5,59] 9127|612,41| 6429|369,64| 4264| 212,74 
„ 70 14 11,70) 33 1347| 34 |2,97| 3036)368,42| 2028|213,22] ı630| 142,53 
imJahrüb.ı 5) 660 13,32 | 856 |3,74| gıo | 3,33 | 66 890|336,17| 56978 | 248,98 | 47 506 | 174,04 

| = 1j, von 1893 


| 
1) verh. = auf 100000 Lebende berechnet (der Altersklassen über 15 Jahre). 


Lebenszeit, sogar eine nennenswerte Zunahme der Todesfälle an Säuferwahnsinn 
nachgewiesen ist. Die Todesfälle an Delirium tremens geben ja gewiß keinen 
absolut sicheren Anhalt für die dem Alkoholismus überhaupt zuzurechnenden 
Todesfälle, aber diese sind bis jetzt nicht sicher statistisch zu fassen, während 
für die Delirium-Todeställe einigermaßen sichere Grundlagen gegeben sind. Es 
wird nicht geleugnet werden können, daß aus den Erfahrungen bei .den Todes- 
fällen an Delirium ein Rückschluß auf die Verbreitung des chronischen Alko- 
holismus überhaupt gemacht werden darf. | 

Danach muß man also zu dem Schlusse kommen, daß die starke Abnahme 
der Tuberkulosesterblichkeit bei alten Männern nicht etwa durch eine Ab- 
nahme des Alkoholismus bedingt sein kann, denn eine solche besteht nicht, 
sondern vielmehr eine Zunahme, man muß daher fragen, ob denn nicht etwa diese 
Zunahme zu dieser Abnahme der Todesfälle an Tuberkulose in ursächlicher Be- 
ziehung steht. Ich will hier auf diese Frage nicht näher eingehen, sondern verweise 
auf meinen vor kurzem in der Akademie gehaltenen Vortrag, erwähne daher nur, 
daß ich einen derartigen Zusammenhang für möglich halte, da sich Gründe dafür 
anführen lassen, daß der Alkoholismus den Ablauf der Tuberkulose günstig be- 
einflußt, wodurch sehr wohl auch eine Abnahme der Tuberkulosetodesfälle herbei- 
geführt werden könnte. Ich möchte aber nicht mißverstanden werden. Es liegt 
mir fern, damit die ganze Erscheinung erklären zu wollen, ich wollte nur die 
Möglichkeit betonen, daß hierin eine der Bedingungen für die Abnahme gesehen 
werden kann, die nur mit anderen, uns noch unbekannten zusammengewirkt hat. 

Um die Verschiedenheit. der Sterblichkeitsverhältnisse an Tuberkulose in 
den verschiedenen Lebensaltern überhaupt, diejenige der Geschlechter im be- 
sonderen, sowie die Änderungen, welche beide im Laufe der letzten Jahrzehnte 
erfahren haben, recht übersichtlich darzustellen, habe ich zwei Kurventafeln 
entworfen, welche beide die Verhältnisse vom Jahre 1893 und dem Jahre 1913 
erkennen lassen, und von denen die I. die Todeszahlen im Verhältnis zu 
10000 Lebenden, die II. diejenigen zu 100 Gestorbenen der gleichen Alters- 
klasse und des gleichen Geschlechtes wiedergibt. Beide zeigen Übereinstim- 
mungen, aber auch große Verschiedenheiten. Sie stimmen überein in der 
Tatsache, daß etwa vom 5. Jahre ab eine Übersterblichkeit des weiblichen Ge- 


schlechtes besteht, die 1893 nach dem 20. Lebensjahre schon in das Gegenteil 


ZEITSCHR. f. 
TUBERKULOSE 


J. ORTH. 


252 


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BD. 26, HEFT4. GESCHLECHT UND TUBERKULOSESTERBLICHKEIT. 


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Männer = schwarz, Weiber = rot. 


II. Tafel. 


Geschlechtersterblichkeit an Tuberkulose auf ıoo Todesfälle. 


40 
-- ---- 1913 


"30 


25 


15 
7913 


N 


1893 


7893 


frauen 


Mönner 


254 J.ORTH, GESCHLECHT UND TUBERKULOSESTERBLICHKEIT. „URERKULOSE 


umschlug, während nach 20 Jahren die Kreuzungsstelle der Kurven von einer 
kleinen Unterbrechung abgesehen, erst nach dem 40. Lebensjahre gelegen ist. 
Übereinstimmung besteht im allgemeinen auch darin, daß die Zahlen für das 
Jahr 1913 erheblich hinter denjenigen des Jahres 1893 zurückbleiben. Eine 
Ausnahme bildet nur die Kurve für die 1913er Todesfälle in der II. Tafel. In 
der Jugend, etwa vom 2. Lebensjahre ab, war hier der Anteil der Tuberku- 
lose bei den Todesfällen wesentlich größer als vor 20 Jahren, aber auch in 
dieser Beziehung verhalten sich die Geschlechter verschieden, indem die Über- 
sterblichkeit des männlichen Geschlechtes nach dem 15. Lebensjahre verschwindet 
und einer dauernden Mindersterblichkeit Platz macht, während beim weiblichen 
Geschlecht die Übersterblichkeit erst nach dem 30. Lebensjahr in das Gegenteil 
umschlägt. Sehr bemerkenswert ist die Verschiedenheit in beiden Tafeln der 
für beide Jahre in jeder Tafel gleichlautenden Kurven der ersten Lebensjahre. 
Unter 10000 Lebenden ist die Sterblichkeit beider Geschlechter im ersten 
Lebensjahre verhältnismäßig groß, sinkt dann rasch ab, um mit dem vollendeten 
10. Lebensjahre ihren tiefsten Stand zu erreichen. Die zuerst vorhanden ge- 
wesene Übersterblichkeit der Knaben ist vom 5. Lebensjahre an in ihr Gegenteil 
verkehrt. Die Kurve der prozentualen Beteiligung der kleinen Kinder steigt 
für beide Jahre und beide Geschlechter ganz langsam an bis zum zweiten 
Lebensjahre, dann heben sich, wie vorher erwähnt, die Kurven für 1913 sofort 
in die Höhe, während ein nennenswertes Ansteigen der Kurven für 1893 erst 
vom 10. Lebensjahre an beginnt. Eine Übersterblichkeit der Mädchen tritt 
erst nach dem 5. Lebensjahre ein, vorher ist kaum ein Unterschied. 

Ganz verschieden liegen die Spitzen der Kurven in beiden Tafeln, in 
jeder Tafel aber im allgemeinen in ähnlicher Anordnung. 

Die prozentuale Beteiligung an den Todesfällen erreicht ihren Höhepunkt 
zwischen dem 20. und 30. Lebensjahre. Die Kurve der Frauen erreichte in 
beiden Jahren ihre Spitze mit dem 20. Lebensjahre, diejenige der Männer hatte 
1893 ihren Höhepunkt beim 30. Lebensjahre, 1913 aber schon beim 25. 

Dahingegen erwies sich die Sterblichkeit an Tuberkulose im Verhältnis 
zu 10000 Lebenden am stärksten im 7. Jahrzehnt; hier haben alle Kurven 
ohne Ausnahme einen für 1893 größeren, für 1913 kleineren Gipfel, aber die 
Kurve der Frauensterblichkeit weist für das letzte Jahr noch einen zweiten, 
sogar ein wenig höheren Gipfel beim 30. Lebensjahre auf. Dadurch tritt die 
Abnahme der Frauensterblichkeit nach dem 40. Lebensjahre gegenüber der 
Zunahme der Männersterblichkeit um so deutlicher hervor. In die Augen 
springt die weit erheblichere Abnahme der Männersterblichkeit innerhalb der 
letzten 20 Jahre gegenüber der an sich auch schon sehr beträchtlichen Ab- 
nahme der Frauensterblichkeit, deren Höhepunkt wiederum im 7. Jahrzehnt 
gelegen ist. Die Abnahme bei den Männern beträgt 48,71 Todesfälle, bei 
den Frauen 32,40; prozentual ist allerdings die Abnahme bei den Frauen nur 
unerheblich geringer als bei den Männern. Die Ursachen aller dieser merk- 
würdigen Erscheinungen zu ergründen, ist heute noch nicht möglich, aber wenn 
die Tatsachen erst einmal festgestellt sind, wird man auch hoffen dürfen, all- 
mählich zu einer Erklärung dieser Tatsachen zu gelangen. 

= = EEDEN 


BD. 25, HEFT 4 H, SILBERGLEIT, TUBERKULOSE-SPRECHSTUNDEN USW. 255 


XIV. 


Zweck und Einrichtung von Tuberkulose -Sprechstunden in 
Reservelazaretten; Erfahrungen über Lungentuberkulose nach 
Kriegsdienst.') 

Aus den Reservelazaretten Ingolstadt, Reservelazarettdirektor Oberstabsarzt Dr. Koch. 


Von 


Stabsarzt d. R. Dr. Hermann Silbergleit, 


ordinierender Arzt der Inneren Abteilung. 


=sDIer Einfluß des Krieges auf die Lungentuberkulose ist interessant und 
WIEN wichtig. 

2 3J Zwar darf man nicht annehmen, daß durch den Krieg Formen von 
Tuberkulose geschaffen?) werden, die wir im Frieden nicht oder nur selten zu 
Gesicht bekamen. Es könnte sich der Einfluß des Krieges also nur in einer 
Vermehrung der Lungentuberkulosen überhaupt zeigen. Ob eine solche Ver- 
mehrung wirklich eingetreten ist, ist noch nicht einmal sicher und erst nach 
dem Kriege wird sich ein Überblick gewinnen lassen. Möglich wäre sie und 
erklärbar durch Schaffung der Disposition infolge der Strapazen des Krieges, 
unwahrscheinlich durch vermehrte Exposition gegenüber der Infektion durch 
den Tuberkelbazillu. Denn bei unseren heutigen sanitären Einrichtungen 
werden offene Lungentuberkulosen sehr bald erkannt und bilden keine ins 
Gewicht fallende Ansteckungsgefahr für ihre Nachbarschaft. Ebenso spielt das 
Moment der Ansteckungsmöglichkeit durch die Bevölkerung des Kampfgebietes 
kaum eine erhebliche Rolle. 

Beachtenswerter erscheint uns das Moment der vermehrten Exposition 
gegenüber dem Tuberkelbazillus im Garnisondienst während der Aus- 
bildungszeit infolge des besonders engen Zusammenwohnens der Soldaten, 
zu einer Zeit, in der die Auslese der Kranken von den Gesunden noch nicht 
so genau durchgeführt sein kann, wie es bei den Soldaten im Felde geschehen 
ist. Daher ist auch das Bestreben des Militärs, offene Lungentuberkulose früh- 
zeitig entweder bei der Einstellung oder in der Ausbildungszeit (in der die 
Tuberkulose manifest werden kann) herauszufinden und auszuschalten, besonders 
dankenswert und wichtig. | 

Diesen Zweck verfolgt ein Kriegsministerialerlaß, der die Fürsorge für 
Lungenkranke — dem Sinne nach wiedergegeben — in folgender Weise 
zusammenfaßt: „Jeder tuberkulös Kranke und jeder, bei dem eine tuberkulose- 
verdächtige Lungenkrankheit festgestellt worden ist, wird unverzüglich in eine 
Lungenheilstätte überführt, gleichgültig, ob Wiederherstellung der Dienstfähig- 
keit wahrscheinlich oder unwahrscheinlich erscheint. 

Besteht nach Grad und Art des Leidens und nach dem Gesamtzustand 
die begründete Hoffnung auf einen erheblichen und nachhaltigen Kurerfolg, 


1) Zum Teil nach einem Vortrag im Wissenschaftlichen Abend der Militärärzte der Garnison 
Ingolstadt vom 5. Juni 1915. — u. Ztschr. f. Tub., Bd. 25, S. 36. 
2) cf, Goldscheider: Berl. klin. Wchschr. 1915, Nr. 44. 


y 


256 HERMANN SILBERGLEIT. on 


so ist das Heilverfahren zeitlich unbegrenzt bis zur Erreichung dieses Zieles 
fortzusetzen. 

In den Fällen, in denen ein solcher nachhaltiger Kurerfolg nicht zu er- 
warten ist, soll trotzdem durch längeren Aufenthalt in der Heilstätte der Ver- 
such einer Besserung gemacht werden, namentlich bei solchen Leuten, bei 
denen auch die Gewährung eines Heilverfahrens durch bürgerliche Behörden 
nicht gerechnet werden kann.!) Die bürgerlichen Behörden müssen stets bei 
Entlassung eines an offener Lungentuberkulose Erkrankten aus dem Heer 
zwecks Durchführung von Fürsorgemaßnahmen für den Erkrankten und seine 
Familie benachrichtigt werden, so daß der Kranke unmittelbar aus der Für- 
sorge der Heeresverwaltung in die der bürgerlichen Behörden oder Fürsorge- 
ausschüsse übergeht. 

Die fachärztlichen Beiräte für innere Medizin haben bei ihren Besuchen 
in den Lazaretten ihr Augenmerk auf das Vorhandensein von lungenkranken 
Mannschaften zu lenken und gegebenenfalls die Überführung der Kranken in 


eine entsprechende Sonderanstalt anzuregen. Es werden nötigenfalls besondere 


Fachärzte für Lungentuberkulose aufgestellt.“ Ä 

Dies sind die Bestimmungen. Anheimgestellt ist durch diesen selben 
Kriegsministerialerlaß, in größeren Standorten Fachärzte mit der Abhaltung von 
Sprechstunden in einem geeigneten Lazarett zu beauftragen, in denen tuber- 
kuloseverdächtige Fälle, bei denen die Diagnose Schwierigkeiten bereitet, vor- 
geführt werden sollen. 


Auf diese Anregung ist durch den Garnisonarzt und Reservelazarett- 
direktor von Ingolstadt, Oberstabsarzt Dr. Koch, nach sanitätsamtlicher Ge- 
nehmigung im Reservelazarett Ingolstadt I eine derartige Sprechstunde für 
Tuberkuloseverdächtige eingerichtet worden, über deren Einrichtung und Be- 
trieb ich im folgenden kurz berichten will, | 

Die Tuberkulösen - Sprechstunde findet in Ingolstadt zunächst einmal 
wöchentlich zur festgesetzten Zeit statt. Jeder Truppenarzt und jeder Arzt 
einer anderen Lazarettabteilung hat das Recht, Soldaten und Patienten zwecks 
Klärung der Lungendiagnose zuzusenden. Um die Arbeit zu erleichtern und 
die Beobachtungszeit abzukürzen, sollen die dahin überwiesenen Patienten mög- 
lichst nach vorangegangener, durch einige Tage durchgeführter, täglich 2 bis 
3 mal vorgenommener Temperaturmessung hinkommen. In der Sprechstunde 
selbst steht die klinische Untersuchung im Vordergrunde. Das Sputum wird, 
wenn dies noch nicht vorher geschehen ist, untersucht, natürlich auch mehrere 
Male untersucht. Die Röntgendurchleuchtung steht zur Verfügung. Klare 
Fälle und Fiebernde werden sofort durch Lazarettaufnahme von der Truppe 
oder von anderen Krankenstationen entfernt. Die ambulanten nichtinfektiösen 
Fälle werden so oft wie nötig wieder bestellt und beobachtet. 

Nachdem ich mit der Abhaltung einer solchen Lungensprechstunde für 


1) Daß auch diese Patienten wenigstens vorübergehend in eine Lungenheilstätte kommen, 
ist sehr dankenswert. Sie haben gar keine Sputumdisziplin und gefährden ihre Umgebung be- 
sonders stark. 


BD. 25, HEFT 4 TUBERKULOSE-SPRECHSTUNDEN IN RESERVELAZAREITTEN. 257 


die Garnison Ingolstadt betraut worden bin, hat sich für mich selbst die Not- 
wendigkeit ergeben, mir über folgende Punkte klar zu werden: ' 

I. Inwieweit sind beginnende (latente) Tuberkulosen dienstfähig? (Bei 
offenen Tuberkulosen ist die völlige militärische Nichtverwendbarkeit 
selbstverständlich.) | 

2. Welches sind unsere bisherigen Erfahrungen mit der: Lungensprech- 
stunde? Ä f 

3. Welches sind die Erfahrungen an unserem Material der Lungentuber- 
kulosen, die im Felde waren? 

Was die Dienstfähigkeit der ILungenverdächtigen anlangt, wird unseres 
Erachtens eine allgemein gültige Entscheidung nicht möglich sein, sondern nur 
von Fall zu Fall entschieden werden können. Selbstverständlich wird bei der 
Beurteilung Heredität, eigene Anamnese herangezogen werden müssen, ent- 
scheidend bleibt der klinische Befund, Temperaturmessung, der allgemeine 
Kräftezustand, vor allem die fortlaufende Beobachtung während der Ausbildungs- 
zeit. Daß der Röntgenbefund nicht entscheidend sein darf, muß hervorgehoben 
werden. Denn einerseits zeigt das Röntgenbild gerade die initialen, dabei im 
Fortschreiten begriffene Spitzenkatarrhe oft nicht, andererseits gibt eine ab- 
geheilte Narbe in der Lungenspitze einen Schatten, ohne daß der betreffende 
Patient z. Z. irgendwie gefährdet sein muß. Tuberkulinproben haben wir selbst- 
verständlicherweise zur Entscheidung der Dienstfähigkeit nicht herangezogen, 
die Pirquetisierung besagt nichts und die subkutane Tuberkulinprobe mit Herd- 
reaktion anzuwenden, erschien uns während der Dienstzeit in keiner Weise be- 
rechtigt. In letzter Linie wird die Entscheidung über die militärische Ver- 
wendbarkeit von Lungentuberkulosen in ihren ersten erkennbaren Anfängen 
davon abhängen, welche Erfahrungen wir in diesem Kriege hierüber sammeln, 
ein Grund mehr, das diesbezügliche Krankenmaterial, mag es auch noch un- 
vollkommen sein, schon jetzt zu sammeln. 

Unsere Erfahrungen in der Lungensprechstunde sind bisher, der kurzen 
Zeit entsprechend, noch nicht sehr reichliche. 103 Patienten sind bisher der 
Lungensprechstunde überwiesen worden. Unter diesen war nur eine offene 
Lungentuberkulose, die sofort über das Lazarett in eine Heilstätte überwiesen 
wurde. Bei drei anderen Patienten wurde eine geschlossene, aber im Fort- 
schreiten begriffene Lungentuberkulose festgestellt. Auch sie wurden sofort 
aufgenommen und auf dem vorgeschriebenen Weg in Heilstätten überwiesen. 
In sechs anderen Fällen war der Gesamtzustand und Lungenbefund ein der- 
artiger, daß unter Weiterbeobachtung unbedenklich die militärische Ausbildung 
weitergehen konnte. Es handelt sich bei diesen Patienten um so geringfügige 
und augenscheinlich nicht im Fortschreiten begriffene Veränderungen, daß an- 
zunehmen ist, daß sie nach’ Ablauf der Ausbildungszeit zum Teil: felddienstfähig 
erklärt werden können, zum Teil allerdings nur garnisondienstfähig bleiben 
werden. Die letzte Entscheidung hierüber steht dem Truppenarzt zu. Der 
Arzt der Sprechstunde kann nur eine. beratende Meinung äußern. Alle übrigen 
Patienten, die die Lungensprechstunde passierten, konnten unbedenklich als 
lungengesund, nicht ansteckungsfähig und dienstfähig erklärt werden.’ 

Zeitschr. f. Tuberkulose. 25. 17 


258 | HERMANN SILBERGLEIT. os 


Unsere Zahlen sind an sich nicht groß. Aber schon eine offene Lungen- 
tuberkulose, die herausgefunden und abgesondert wird, hätte bei der engen 
Belegung für die Nachbarn schädlich werden können. 

So ermöglicht die Lungensprechstunde allen Teilen gerecht zu werden. 
Sie gestattet dem Aushebungsarzte, bei Bestimmung der Dienstfähigkeit zu- 
nächst nicht gar zu ängstlich zu sein. Es wird auch bei uns in Kriegszeiten 
Jedem sein Recht. Durch die umfassenden Fürsorgemaßnahmen, die im obigen 
Kriegsministerialerlaß angeführt worden sind, führt die vorübergehende Ein- 
stellung von latenten Lungentuberkulosen, die bei der Aushebung nicht ge- 
funden werden konnten, zu keiner Schädigung des Eingesteliten. Es greift im 
Gegenteil die Lungenfürsorge ein, der ohne die Einstellung beim Militär der 
Betreffende vielleicht entgangen wäre. 


Unsere Erfahrungen über Heilstättenpatienten, die trotz ihrer früheren Er- 
krankung im Felde waren, sind nicht umfangreiche. 

Die Ärzte in den Heilstätten werden nach dem Kriege die Möglichkeit 
haben, an ihrem Material!) festzustellen, wieviel ihrer Patienten im Kriege waren 
und wie lange sie den Kriegsdienst ertragen haben, nebst allen Unterfragen, 
die sich bei dieser Fragestellung ergeben. Dem Arzt in einem Reservelazarett 
ist es selbst bei umfangreichem Krankenmaterial nicht möglich, zahlenmäßig 
größere Erfahrungen zu sammeln. So sind daher auch unsere Erfahrungen 
über die Ausdauer früherer Heilstättenpatienten im Kriege mehr negative. Das 
heißt, unter den über 3000 Patienten, die im Lazarett auf meiner Abteilung 
bisher wegen interner Krankheiten, nicht wegen Lungentuberkulose in ärztlicher 
Beobachtung waren, wurde die Vorgeschichte in bezug auf frühere Heilstätten- 
behandlung stets genau aufgenommen. Keiner von diesen, außer den unten 
erwähnten, war früher Lungenheilstättenpatient gewesen. Ich möchte aber 
hieraus nicht schließen, daß Heilstättenpatienten sehr selten zum Kriegsdienst 
herangezogen wurden, die Statistik der Lungenheilstätten muß diese Frage klären. 

Unter unseren offenen Lungentuberkulosen, die wegen dieser Krankheit 
aus dem Felde zurückgeschickt wurden, befanden sich sechs frühere Heilstätten- 
patienten. Drei von diesen hielten&den Kriegsdienst nur wenige Tage aus. 
Sie waren in den ersten Tagen der Mobilmachung ohne ihre Krankheit an- 
zugeben, ausgerückt und schon nach wenigen Tagen als unbrauchbar zurück- 
geschickt worden, verhielten sich also wie Lungentuberkulöse, die sich einer 
vorübergehenden schweren körperlichen Strapaze ausgesetzt hatten. Von den 
drei anderen waren zwei als Armierungsarbeiter eingestellt worden. Der eine 
von ihnen war 30 Jahre alt, vom Beruf Müller, war vor 8 Jahren 5 Monate 
in einer Lungenheilstätte Patient gewesen. Er leistete 4 Sommermonate über 
. seinen Dienst und meldete sich erst dann wegen allgemeiner Schwäche krank. 
Er kam mit einem frischen tuberkulösen Katarrh (offen) des linken Lungen- 
unterlappens zurück, der augenscheinlich von der früher erkrankten linken 
Lungenspitze aus sich verbreitet hatte. Nach kurzer Bettruhe war er, auch 
außer Bett, fieberfrei, und konnte einer Heilstätte überwiesen werden. 


I) Soweit dies wirklich tuberkulös war. 


BD. 25, HEFT 4. TUBERKULOSE-SPRECHSTUNDEN IN RESERVELAZAREITTEN. 259. 


Der zweite, ein 31jähriger Fabrikarbeiter, unbelastet, war vor 2 Jahren 
1/, Jahr in einer Heilstätte gewesen, leistete seinen Dienst vom Vorfrühjahr bis 
Herbst 8 Monate lang. Auch bei ihm war eine Verbreitung .der Tuberkulose 
von der Spitze über die ganze linke Lunge eingetreten. Die Lungentuberkulose 
machte sich allmählich bemerkbar. Er wurde fieberfrei, kam ebenfalls in eine 
Heilstätte. 

Der dritte, ein 28jähriger unbelasteter Landwirt, 3 Jahre vor Kriegsbeginn 
in einer Lungenheilstätte, leistete 3 Monate im Frühjahr Kriegsdienst als In- 
fanterist. Er gab an, sich diese 3 Monate wohl und leistungsfähig gefühlt zu 
haben. Durch eine akute Erkältung entstand eine Brustfellentzündung, die ihn 
zum Arzt und sofort in ein Lazarett führte. Ergriffen waren bei ihm beide 
Lungenspitzen und der rechte Lungenoberlappen. Es ‚handelte sich um die 
fibröse Form der Lungentuberkulose. 

Die Fälle mögen — als sicher von ee Seite stark vermehrbare — 
Beispiele davon dienen, daß frühere Heilstättenpatienten immerhin beträchtliche 
Zeit Kriegsdienst leisten können. 

Gewiß haben wir es nicht nötig, kranke Leute ins Feld zu schicken. 
Andererseits erstreckt sich aber unsere soziale Fürsorge so weitgehend auf un- 
beträchtliche Spitzenkatarrhe, daß es ebenso unnötig wie ungerecht wäre, alle 
diese Menschen vom Kriegsdienst auszuschließen, weil sie einmal in einer 
Lungenheilanstalt waren. Wie Thieme und Röpke treffend hervorgehoben 
haben, darf der vorangegangene Aufenthalt in einer Lungenheilstätte nicht als 
Freibrief für den Militärdienst dienen. Es kann stets nur von Fall zu Fall über 
die Verwendbarkeit entschieden werden. Die Untersuchung bei der Aushebung 
wird meist nur vorgeschrittenere Fälle von Lungentuberkulose ausscheiden 
können. Die Beobachtung während der militärischen Ausbildungszeit wird ent- 
scheiden und hierin sehe ich die wichtigste Aufgabe der in Garnisonen 
eingerichteten Lungensprechstunden. 


Unter den Patienten (die früheren Heilstättenpatienten abgerechnet), die 


mit Lungentuberkulose nach Kriegsdienst zu uns kamen, waren 31,7°/, familiär 
belastet, 20°/, hatten einen als belastend geltenden Beruf, 20°/, waren zwar 
nicht in Heilstätten gewesen, hatten jedoch deutlich in ihrer Vorgeschichte be- 
reits Erscheinungen einer beginnenden Lungentuberkulose aufzuweisen. 

Auch diese Prozentzahlen müssen wir wegen zu geringer absoluter Zahlen 
unseres Materials mit Vorsicht verwenden. 

Daß belastete und augenscheinlich schon früher kranke Leute ‚infolge der 
Schwächung ihrer Widerstandsfähigkeit durch den Kriegsdienst eine manifeste 
Tuberkulose bekommen, erscheint nicht wunderbar. Für unsere Betrachtung 
wichtiger erscheinen uns die Fälle, die in keiner Weise vor dem Krieg tuber- 
kulös verdächtig erschienen. Sie müssen uns das klarste Bild der Kriegs- 
tuberkulose geben, soweit es eine solche gibt. Deshalb wollen wir diese ge- 
sondert besprechen. Folgende tabellarische Übersicht (S. 260 u. 261) mag ein 
Bild über die Dauer ihres Kriegsdienstes, die ersten Zeichen der Lungen- 
erkrankung, die Ausdehnung der Tuberkulose und über ihre Sterblichkeit resp. 


Heilaussichten geben. Nicht berücksichtigt hierbei sind die Fälle von Lungen- 
17* 


J 


ZEITSCHR, £. 
260 HERMANN SILBERGLEIT. TOBEREUT RE 


Tabelle der Kriegs- | 


Erstes Lungensymptom 


aufgetreten nach Ausdehnung der Tuberkulose 


Felddienst von 


bestehend in 


Ganzer r, Oberlappen, r. Unterlappen (be- 
7 Mt. akut. Lungen- | ginnend). L. zunächst Spitzenkatarrh; nach 
Dezember-Juni entzündung 31/, Mt. Lazarett auch 1l, Lunge. Zuletzt 


I 36 Tagelöhner 


Darmtuberkulose, 
š ; Bauer ıt/, Mt. akut. Lungen- | Beide Spitzen, r. Oberlappen, Katarrhal, 
4 August-September| entzündung Erscheinungen über der ganzen r. Lunge. 
3 19 Melker ne eg Beide Spitzen; r. Unterlappen. 
4 23 Bauer Mk a Beide Spitzen; 1, Unterlappen. 
= See ee 
5 25 Bauer Jan | ai a R. Oberlappen. Katarrh der 1, Spitze. 
6 27 Bauer a Sl a R. Spitze; r. Unterlappen, 
: 5 Mt. Ganze l. Lunge, bes. Unterlappen. R. 
7 29 Steinmetz August-Januar Lungenblutung Spitze verdächti A 
; ı Mt. Infiltration beider Spitzen. Katarrhalische 
era 7 1 Pannarneiter August Lungenblutung Erscheinungen über r. Unterlappen. 
ı Mt. L. Oberlappen ; r. Spitze (r. ist augen- 
9 24 | Zimmermann August Lungenblutung scheinlich die frische Erkrankung). 
En i ER Rn 1 P Tanede Se der l. Spitze, Katarrh der r. 
II 36 | Ziegelarbeiter De ji ar Lungenblutung | Beide Spitzen, bes. r.; 1, Hilus. 
8 Tage Beide Spitzen. Oberer Teil des r. Ober- 
12 28 Postbote Dezember Lungenblutung lappens, | 
13 24 Bauer a a Darmtuberkulose; Infiltration der r. Spitze. | 
; ı Mt. kein akuter : : 
14 28 Tischler August Beplan Beide Spitzen. | 
3 Mt. kein akuter Tuberkulöses Infiltrat vom 1. Hilus aus- | 
15 26 Schlosser Dezemb.-Februar Beginn gehend. Schrumpfungsprozeß in d.1,Spitze. | 
16 2 Maschinen- 2!/, Mt. kein akuter Infiltration des oberen Teils des l. Ober- | 
Zeichner Dezember-März Beginn lappens. 
Telegraphen- 3 Mt. kein akuter i | 
17 35 Arbeiter Juni-August Beginn L. Spitze. 
ne? 0 ern EEE TER: | 
4 Mt. kein akuter i 
18 23 Schuster Juni-September Beginn R, Spitze. | 
19 33 Bauer 2 X je 24 Tage kein akuter L. Spitze, 


Dezember-Juni Beginn 


a 


BD.36, HEFT 4 TUBERKULOSE-SPRECHSTUNDEN IN RESERVELAZARETTEN. 261 
Lungentuberkulose. 
Offene 
an Stadium Bemerkungen 
lose? 
ee akuter Lungenentzündung zurückgeschickt,. Nach deren Ablauf 
. « | Tuberkulose manifest (käsige Pneumonie). 
p Di er | Heilstättenbehandlung aussichtslos. 
az Wegen akuter Lungenentzündung zurückgeschickt. Nach deren Ablauf 
p ai a Tuberkulose manifest. Nach 3 Wochen Lazarettbehandlung fieberfrei. 
i ur, |InLazarett-| Wegen akuter Lungenentzündung zurückgeschickt. Nach deren Ablauf 
behandlung) Tuberkulose manifest. Ständig hektisches Fieber seit 2 Mt. 
IL./IIL. ; Wegen akuter Lungenentzündung zurückgeschickt. Nach deren Ablauf 
R Heleatte Tuberkulose manifest. Nach 14 Tg. fieberfrei. 
| a IL./TIT N Wegen akuter Lungenentzündung zurückgeschickt. Nach deren Ablauf 
| J I alt: Tuberkulose manifest. Hektisches Fieber, nach ı Mt. Heilst. überwiesen. 
Tazirefi: Wegen akuter Lungenentzündung zurückgeschickt. Dann Garnisondienst. 
ja I. behandlung] Hierbei wurde Tuberkulose manifest, 
g Noch in Beobachtung. 
| ia IH. Heilstätte Wegen Lungenblutung zurückgeschickt. Nach 6 Wochen fieberfrei und 
| Gewichtszunahme. 
zer EEE : 
4 Ir. Hailctz Wegen Lungenblutung zurückgeschickt. 
Fi Helate Nach ı Mt. Lazarettbehandlung fieberfrei. 
= IL. aia Wegen Lungenblutung zurückgeschickt, 
Ai Bene Nach ı Mt. Lazarettbehandlung fieberfrei. 
IT. : Wegen Lungenblutung zurückgeschickt. 
# ae Nach 4 Woch. Lazarettbehandl. fieberfrei u. 1,5 kg Gewichtszunahme. 
l Arbeits- Wegen unbedeutender Lungenblutung zurückgeschickt. 
, aem L/I. dienst Sehr kräftig; beschwerde- und fieberfrei nach 14 Tg. Tut leichten 
Ä Arbeitsdienst unter ärztlicher Beobachtung. 
f Nach erstem Auftreten der Lungenblutung 7 Mt. Lazarettbehandlung. Dann 
nein I/I. | Heilstätte | leichten Arbeitsdienst. In Lungensprechstunde herausgefunden und Heil- 
| stätte überwiesen, 
Wegen Handverletzung zurückgeschickt. Dann Garnisondienst. Wegen 
Durchfall ins Lazarett. Hier wurde Darm-Tbc. festgestellt. f nach 2 Mt. 
Ja II. t Lazarettbehandlung. 
Sektion; Ausgedehnte Darmtuberkulose; Bronchitis und Peribron- 
chitistuberkulose im ob. Teil des r. Oberlappens. 
zur ; Bei ärztlicher Untersuchung im Felde als Spitzenkatarrh entdeckt und zu- 
Ea u. Heilstätte | „uckgeschickt. Nach 10 Tg. fieberfrei. 
7 I Heilstä Wegen trockener Pleuritis zurückgeschickt. Vom Hilus ausgehende 
| j eilstätte Lungentuberkulose. (Röntgenbild,) Nach 6 Tg. fieberfrei. 
; arai Vom Arzte im Felde gelegentlich allgemeiner Untersuchung wegen Spitzen- 
| 
ä L Heilstätte | Katarrh zurückgeschickt. Fieberfrei. | 
nein I Garnison- Wegen Spitzenkatarrh zurückgeschickt. Nach 4 Wochen Erholungsheim 
° dienst | unter weiterer Beobachtung Garnisondienst, Fieberfrei. 
| nein I Garnison- | Bei ärztlicher Untersuchung im Felde als Spitzenkatarıh entdeckt und zu- 
` dienst | rückgeschickt. Garnisondienst unter ärztlicher Beobachtung. Fieberfrei, 
nn 
Garni jedesmal nach ca. 3 Wöchen Felddienst bei ärztlicher Untersuchung ent- 
Dein I, a deckt und zurückgeschickt. Garnisondienst unter ärztlicher Beobachtung, 


Fieberfrei. 


2620 -O HERMANN SILBERGLEIT. O U AAR uR i 


tuberkulose, bei denen im Anschluß an irgendeine Infektionskrankheit (Typhus, 
Ruhr, Masern) die Tuberkulose manifest geworden ist. 

In dieser Tabelle haben wir bei Auswahl der Fälle den strengsten Maß- 
stab angewendet. Sie enthält nur unbelastete, früher völlig gesunde Patienten, | 
die keinen tuberkulösen Habitus aufweisen, in der Form ihres Brustkorbes keine 
erkennbare lokale Disposition für Lungentuberkulose zeigen. 

Aus dieser Zusammenstellung geht Folgendes hervor: 

Die im Krieg bei vorher gesunden unbelasteten Soldaten entstandene 
Lungentuberkulose — die echte Kriegstuberkulose — muß durchaus nicht immer 
einen schweren, progredienten Charakter tragen. Wir sahen nach Kriegsdienst 
ebenso leichte, chronisch verlaufende Fälle wie auch schwere und progrediente 
Phthisen. | | 

Allerdings sahen wir in einer nicht unbeträchtlichen Anzahl von Fällen, 
daß bei den vorher völlig gesunden Leuten eine sehr ausgebreitete Phthise 
nach Kriegsdienst entstanden war, trotzdem aufs schärfste hervorgehoben werden 
muß, daß diese Patienten beim ersten Krankheitssymptom zurückgeschickt 
wurden und in Lazarettpflege kamen. 

Die Erklärung hierfür glauben wir in Folgendem zu finden. 

Die schwersten und vorgeschrittensten Fälle, die wir sahen, waren bis 
zum Eintritt einer akuten Lungenentzündung gesund gewesen. Augen- 
scheinlich hat die Lungenentzündung die Weiterverbreitung tuberkulösen Ma- 
terials aus einem bis dahin erscheinungslosen tuberkulösen Herd ermöglicht, 
Sie hat die Tuberkelbazillen über weite Lungengebiete verstreut und gleich- 
zeitig den Boden für ihr Haften vorbereitet. Andere ebenfalls schwere und 
ausgebreitete Formen der Kriegstuberkulose gaben als erstes Krankheitszeichen 
Lungenblutung an. Diese Lungenblutung ist einerseits als Zeichen des Auf- 
flammens eines tuberkulösen Herdes aufzufassen, andererseits verbreitet sie das 
infektiöse Material und verschafft ihm die Möglichkeit zu haften. Sie schafft 
in bezug auf die Weiterverbreitung des Tuberkelbazillus ähnliche Verhältnisse 
wie eine akute Lungenentzündung. 

Schleichender Beginn war nach unseren Beobachtungen gerade in den 
nicht vorgeschrittenen Fällen angegeben, die auch weiterhin chronisch und 
relativ gutartig verlaufen. 

Wir glauben demnach schließen zu können: 

Die in einer Reihe von Fällen beobachtete starke Ausdehnung der Lungen- 
tuberkulose bei vorher gesunden Soldaten nach Kriegsdienst erklärt sich nicht 
durch den Kriegsdienst allein, sondern durch die Art des Beginnes der Tuber- 
kulose mit einer akuten Lungenentzündung oder Lungenblutung. Wir hätten 
demnach auch in diesen Fällen nicht das Recht von einem besonders schweren 
Verlauf der im Krieg entstandenen Lungentuberkulose zu sprechen, sondern 
dürfen nur sagen, daß diejenigen im Krieg entstandenen Lungentuberkulosen 
sich rapid ausgebreitet haben, die mit Lungenentzündung und Lungenblutung 
einsetzten. l 

Diese Erklärung erscheint uns am EE R Wir verkennen 
aber nicht, daß Einwände erhoben werden können, die besagen, in den er- 


a an 


BD. 25, HEFT4. TUBERKULOSE-SPRECHSTUNDEN IN RESERVELAZAREITTEN. 263 


wähnten schweren Fällen sei es infolge Schwächung durch die Kriegsstrapazen 
zum Auftreten der pneumonischen Form der Lungenphthise gekommen — 
ohne vorangegangene kroupöse Lungenentzündung — die pneumonische Form 
der Lungenphthise sei also eine durch den Kriegsdienst besonders gern ent- 
stehende Form der Lungentuberkulose. Wir halten den Einwand nicht für 
berechtigt. Die betreffenden Krankenblätter sprechen von fibrinöser Pneumonie, 
die Krankheit begann mit Schüttelfrost. Die Diagnose der Phthise wurde erst 


dadurch gestellt, daB nach Ablauf der akuten Lungenentzündung die Lungen- 


infiltration nicht zurückging, hektisches Fieber blieb. Hieraufhin erfolgte der 
Nachweis des Tuberkelbazillus im Sputum. 

Vor allem aber müßte die pneumonische Form der Lungenphthise als 
Kriegstuberkulose besonders häufig bei den Soldaten auftreten, die schon früher 
tuberkulös erkrankt waren. Dies ist nach unseren Erfahrungen nicht der Fall; 
wir meinen also, daß eine echte Lungenentzündung der Lungenphthise voranging. 

Den Ärzten erwächst die Aufgabe (Lungenblutungen weisen ja von selbst 
auf ihre tuberkulöse Natur hin), Lungenentzündungen ihre besondere Aufmerk- 
samkeit zuzuwenden, genügende Rekonvaleszenzzeit zu gewähren, jede nicht 
typisch ablaufende Lungenentzündung auf Tuberkuloseverdacht hin anzusehen. 

Zusammenfassend können wir sagen: Die Fürsorge für Kriegsbeschädigte 
und insbesondere für Lungentuberkulöse ist in Deutschland so gut ausgebaut, 
daß der Krieg in bezug auf Weiterverbreitung der Lungentuberkulose keine 
Gefahr bildet. Soweit an unserem Material ersichtlich, ist zudem die Zahl der 
durch den Krieg entstandenen Tuberkulosen gering und gibt in keiner Weise 
zu Besorgnis Anlaß. | 

Die Einrichtung von Lungensprechstunden in größeren Garnisonen zwecks 
Entdeckung etwaiger in der Ausbildungszeit manifest werdender Tuberkulose 
ist wichtig. 


ROT: 


ZEITSCHR, f. 
264 DIETZ. TUBERKULOSE 


XV. 
Planmäßige Bekämpfung der Tuberkulose in einer BOTE 
verseuchten Landgemeinde. 


Von 


Geheimrat Dr. jur. und Dr. med. h. c. Dietz. 


Vorsitzender des Vorstandes der Landesversicherungsanstalt Großh. Hessen und des Heilstätten- 
vereins für das Großh. Hessen. 


eam Sommer 1913 hatte ich die Verhältnisse einer kleinen Landgemeinde, 
SE 2 die sehr stark von Tuberkulose verseucht war, und die Maßnahmen 

S geschildert,!) die zur Bekämpfung der Tuberkulose ergriffen waren. 
Wenn auch seitdem erst ein verhältnismäßig kurzer Zeitraum verflossen ist und 
von dauerndem Erfolg nicht gesprochen werden kann, komme ich doch gern dem 
von vielen Seiten an mich gestellten Ersuchen nach, um darüber zu berichten, 
was inzwischen weiter geschehen ist, wie sich die Verhältnisse gestaltet haben 
und welchen Einfluß der inzwischen ausgebrochene Krieg ausgeübt hat. 


Wie aus den früheren Schilderungen zu entnehmen ist, gingen wir von 
der Ansicht aus, daß unsere Maßnahmen zur Bekämpfung der Tuberkulose bei 
der Jugend einsetzen müßten, um ein kräftiges widerstandsfähiges Geschlecht 
groß zu ziehen. Wir sahen uns daher im Januar 1914 bereits veranlaßt, eine 
Lücke, die bedauerlicherweise vielfach besteht, auszufüllen, nämlich die Kinder 
vom Säuglingsalter bis zum schulpflichtigen Alter in besondere Fürsorge zu 
nehmen. Wir stellten eine Kindergärtnerin an, um einerseits den Müttern die 
Möglichkeit zu geben, die Kräfte mehr der eignen Landwirtschaft zu widmen 
oder lohnbringender Arbeit nachzugehen, was insbesondere während der Kriegs- 
zeit von Vorteil war, um andererseits die Kinder ständig unter Aufsicht zu 
haben, sie zu Reinlichkeit und gesundheitsgemäßem Leben zu erziehen. Als 
Aufenthaltsraum für die Kinder dient im Winter und bei schlechtem Wetter 
ein großer Saal im Rathaus, während bei günstigem Wetter auf luftiger Höhe 
ein großer Platz im Freien mit gedeckter Halle, Planschbad und verschiedenen 
Spielen zur Verfügung steht. Den Kindern wird nachmittags ein Becher Milch 
gewährt, zu dem sie ein Stück Brot mitzubringen haben. Für die Teilnahme 
am Kindergarten ist eine kleine Vergütung, für ı Kind die Woche ı0 Pfg., 
für 2 Kinder 15 Pfg., 3 Kinder 20 Pfg. usw. zu zahlen, um vor allen Dingen 
den Eltern das Gefühl zu lassen, daß sie ebenfalls für die Erziehung ihrer 
Kinder etwas beitragen. Für die Kinder, deren Väter im Felde stehen, wird 
nichts gezahlt. Es sind fast alle Kinder von 2—6 Jahren zum Kindergarten 
angemeldet, und es finden sich durchschnittlich täglich 70 Kinder ein. Der 
Erfolg ist ein sehr erfreulicher. Die Kinder, die öfters ein Reinigungsbad er- 
halten, sehen durchgängig gut aus, und die Eltern bemühen sich, sie auch im 
möglichst sauberen Zustande zum Kindergarten zu senden. Ein ganz besonders 


1) Ztschr. f. Tuberkulose Bd. 21, Heft 6, S. 593 ff. 


re PLANMÄSSIGE BEKÄMPFUNG DER TUBERKULOSE USW. 26 5 


schöner Anblick ist es, wenn die Kinder sich in ihren Nesselhemdchen im 
Wasser tummeln, 


Die Kinder werden im übrigen von der Kindergärtnerin zu Spielen und 
Arbeiten angeleitet, außerdem werden Spaziergänge in den nahegelegenen Wald 
unternommen. | 


Wenn ich nun an der Hand der seinerzeit veröffentlichten Schrift die 
Verhältnisse Heubachs weiter schildern darf, so möchte ich zunächst bemerken, 
daß in der Einwohnerzahl keine nennenswerte Änderung eingetreten ist, daß 
sie sich noch auf 1139 belaufen wird. Bei Ausbruch und im Verlauf des 
Krieges wurden rund 200 Personen zum Heeresdienst RER, bis jetzt sind 
13 gefallen. 


Während der Jahre 1912 bis r915 fanden folgende standesamtliche Be- 
urkundungen statt: 


Gestorbene Davon im An 


Ehe- | Lebend 


Jahr schließunssn | Geborene ohne ersten Tuberkulose 
| „ung Todgeborene | Lebensjahre starben 

1912 II 25 14 — 2 

1913 10 23 16 I 2 

1914 7 23 18 3; 4 

I915 3 25 22 I (nicht fest- 

darunter 13 gestellt) 
Gefallene 


Im beruflichen Leben der Bewohner Heubachs sind keine besonderen 
Änderungen eingetreten, insbesondere hat die Zahl der Steinhauer noch mehr 
abgenommen, und während des Krieges ruht der Betrieb in den Steinbrüchen 
vollständig. Bemerkt sei hier, daß die Großh. Regierung unsere. Maßnahmen 
zur Bekämpfung der Tuberkulose unter anderem auch dadurch unterstützt, daß 
sie die erforderlichen Schritte getan hat, um einen Steinbruch, den sie seiner- 
zeit an einen Privaten abgegeben hatte und auf dem gewisse Reallasten ruhten 
(die Bewohner Heubachs können alljährlich einen Wagen Stein für ı2 Pfg. be- 
anspruchen), zurückzuerwerben und ihn alsdann zu schließen. Die Reallast ist 


inzwischen gelöscht, die weiteren Verhandlungen wurden durch den Krieg 


unterbrochen. 

Aus dem gleichen Grunde erlitt eine weitere Maßnahme, die Entwässerung 
Heubachs Unterbrechung. Die Pläne sind bereits fertiggestellt. 

Was die Wohnverhältnisse betrifft, so ist insofern eine Besserung zu ver- 
zeichnen, als die Bevölkerung sich daran gewöhnt hat, die größeren Räume als 
Schlafzimmer zu benutzen, als ferner die Wohnungen durchgängig sauberer 


gehalten und viel gelüftet werden, als endlich das Bestreben vorhanden ist, 


möglichst für jede Person ein eignes Bett zu stellen. 

Die Verhältnisse der Ortskrankenkasse haben sich insofern geändert, als 
mit dem 1. Januar 1914 die früher für Heubach bestandene Ortskrankenkasse 
geschlossen wurde und die versicherten Personen nunmehr zur Allgemeinen 


| ZEITSCHR. f. 
266 . DIETZ. TUBERKULOSE 


Ortskrankenkasse für der Kreis Dieburg gehören. Über ihre Verhältnisse gibt 
nachstehende Übersicht Auskunft : 


Unter- Ei a a Ärztliche 
Jahr | _Pflicht- |Freiwillige| Zu- Ber an aben |. Be- | Schulden 
mitglieder | Mitglieder | sammen aS re 8 handlung 
PEETER EEEE PE SEEE EA EE a EE AET T. S E E EA 
1912 118 35 | 153 | 66 | 3677 | 3189 2179 
1913 101 61 162 92 4891 4307 2993 
1914 117 102 219 131 5908 5638 
1915 92 90 182 QI 5626 4033 


Der Zuwachs an freiwilligen Mitgliedern zeigt, daß die Vorteile der Ver- 
sicherung gewürdigt werden. Die Abnahme der Mitgliederzahl in 1915 ist durch 
den Krieg erklärlich. 

In 1915 sind für ärztliche Behandlung die Ausgaben nicht besonders an- 
gegeben, weil nunmehr eine Pauschale, nämlich 13,50 M. für das Mitglied ge- 
zahlt wird. Bemerkt sei, daß seit Ausbruch des Krieges eigentlich nur noch 
ein Arzt in Heubach zu tun hat, der aber nicht viel in Anspruch genommen 
wird. Die bei Übergang der Kasse an die Allgemeine Ortskrankenkasse Dieburg 
vorhanden gewesenen Schulden sind noch nicht geregelt. 


An Verbrauchsabgaben für Bier wurden vereinnahmt: 


1912. 4 a a a a 58 373 M: 
1613. 2. u e e a D00 
IQI4 asse.. 43y 
IQI5 . 2 . . . . . IJ2 „ (nur für ®/, Jahr), 


so daß also wieder eine nicht unbedeutende Abnahme des Alkoholverbrauches 
festgestellt werden kann. | 

Im Jahre 1914 wurden 86 Sputumuntersuchungen, 40 Untersuchungen auf 
Eiweiß und 5 auf Zucker vorgenommen, 1915: 23 auf Eiweiß. Nur bei 2 Spu- 
tumuntersuchungen wurden Bazillen gefunden; der Eiweißbefund war 1914 bei 
23, IQI5 bei 13 positiv. 


Der Pirquetprobe wurden unterzogen Kinder: 


; von diesen reagierten positiv 
im Alter von , , 
o p 1915] 39314 | 1915 | 1913 | 1914 | 1915 | 1913 | 1914 | 1915 


6— 8 Jahren 18 

8—10 ,„ 23 

I0—12 ,„ 27 

1214 y | al 
| 


| 249 


245 | 204 | 109 |zıs | 83 | 43,77% | 46,03% | 40,68% 


Die Gewährung von Milch und Brot an die Schulkinder wurde fortgesetzt, 
seit Oktober 1915 kann aber keine Butter mehr gewährt werden, obwohl wir 
uns bemühten, gerade während des Krieges unsere Maßnahmen in verstärktem 
Maße fortzusetzen, 


BD. 25, HEFT4. PLANMÄSSIGE BEKÄMPFUNG DER TUBERKULOSE USW. 267 


Während im ersten Jahre 104 Kinder Milch erhielten, stieg ihre Zahl in 
1914 auf 150 und 1915 auf 175. Die Gewichtszunahme betrug 1914/15 durch- 
schnittlich in der ersten Klasse (6—8 Jahre) 3,72 kg, in der zweiten Klasse 
(3—ı0 Jahre) 2,72 kg, in der dritten Klasse (ro—12 Jahre) 2,25 kg, in der 
vierten Klasse (12—14 Jahre) 1,75 kg, durchschnittlich 2,61 kg, etwas mehr als 
1913. Es wurde auch 1914/15 wieder die Beobachtung gemacht, daß bei 
Zusatz von Nährmittelpräparaten die Gewichtszunahme, insbesondere bei schlecht 
genährten Kindern, etwas größer war. 


Der Zahnpflege wurde weiter besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Sie 
wurde insbesondere dadurch ganz bedeutend gefördert, daß ein Zahnarzt in dem 
benachbarten Groß-Umstadt sich bereit erklärte, unbemittelte und minder- 
bemittelte Kinder unentgeltlich zu behandeln. Diese unentgeltliche Behandlung 
wurde 1914 50 Kindern zuteil, konnte aber nicht fortgesetzt werden, da der 
Zahnarzt bei Beginn des Krieges eingezogen wurde. Ihm sei an dieser Stelle 
ganz besonderer Dank abgestattet. 


Welchen Erfolg die von uns geschaffene Badeeinrichtung hatte, möge 
daraus entnommen werden, daß inzwischen in 9 Privatwohnungen Bäder ein- 
gerichtet wurden und in 4 weiteren noch geplant sind. 1914 wurden 3234, 
1915 3720 Reinigungsbäder an Schulkinder verabreicht. Die Kinder wurden 
anfänglich alle 14 Tage, später allwöchentlich gebadet. Außer den Reinigungs- 
bädern wurden 1914 3405 und 1915 2340 Solbäder an Kinder verabreicht. 
Erwachsene badeten 1914 1608, 1915 1580 gegen eine Vergütung von 20 Pfg. 
Für die Kriegszeit wurde der Badepreis auf 10 Pfg. herabgesetzt. 


Obwohl sich nunmehr eine ganze Reihe von Familien Waschtöpfe an- 
geschafft hat, wurde 1914 die Waschmaschine 43mal und der Waschkessel 
26mal bei den Schwestern geliehen, außerdem 96mal Schmierseife und 14 mal 
Rohlysoform geholt. 1915 betrugen die entsprechenden Ziffern 17, 27, 98, 9. 
Die Reinigung der Wäsche wurde durch die Schwestern überwacht. 


Die Schwestern machten 1914 1395 Hausbesuche und nahmen 23 Woh- 
nungsdesinfektionen vor, 1915 1448 bzw. 15. Nach Beobachtung der Schwestern 
werden die Taschen- und sonstigen Spuckgefäße benutzt. 


Die Tuberkulineinreibungen nach Petruschky wurden fortgesetzt, da sie 
offenbar, insbesondere auf Drüsen und Augen, günstig zu wirken scheinen. 

Während in 1913 26 Personen in Lungenheilstätten und 8 in Invaliden- 
heimen untergebracht waren, war dies 1914 nur bei 7 bzw. 6 und 1915 bei 
10 bzw. 2 der Fall. 1914 wurden Kinder in Solbäder, mit Rücksicht auf die 
in Heubach selbst gewährten Bäder, überhaupt nicht verschickt. Dagegen 
wurden 1915 wieder einmal 8 Kinder in dem Solbad Wimpfen einer Kur 
unterzogen, um sie insbesondere für einige Zeit aus ihren häuslichen Verhält- 
nissen zu bringen. Außerdem wurden 1914 10, 1915 5 Kinder in Kinderheil- 
stätten untergebracht. | | 

Invalidenrenten wurden 1913 16, 1914 2, 1915 8 (darunter 7 Frauen) 
bewilligt. 1915 wurden 6 Betten und Liegestühle ausgeliehen, ıı Personen 
erhielten Unterstützungen an Lebensmitteln. 


268 DIETZ, PLANMÄSSIGE BEKÄMPFUNG USW. eos: 


Die Kosten der Sanierungsmaßregeln in Heubach erforderten in den drei 
Jahren 1913, 1914 und 1915 insgesamt 43 800 M. 
Hiervon übernahmen: 


die Landesversicherungsanstalt . . . . . 21040 M. 
der Heilstättenverein. . . 2 2 . . . 8560, 
die Gemeinde . . . 2 2 2 aa a a o 740 „ 
der Kreis Dieburg . . . 4500 „ 

der Tuberkulosenfond liter Kgl. Hoheit ie 
Großherzogin . . . 2 2 2 2 2000. 2300 „ 
43800 M. 

Die einmaligen Ausgaben betragen: 

u.a. für Einrichtung des Bades . . . . . 2800 M. 
a ny der Milchküche . . . 400 , 
3 R der Schwesternwohnung 2300 „ 

> . des Kindergartens mit 
Luft- und Sonnenbad . . . . . 2800 ,„ 
ärztl. Untersuchung der Einwohnerschaft . 1200 ,, 
9500 M. 

Die alljährlichen Kosten belaufen sich auf: 

Gehalt und Unterhalt der Schwester. . . ı 100 M. 
j 3 55 » Kindergärtnerin. I 500 ,„ 

Wohnungsmiete, Heizung der verschiedenen 
in Betracht kommenden Räume . . . 1000 „ 
Betrieb des Bades . . . . 2. 2 2 2. 500 ,„ 
„ der Milchküche . . . . 2... 4400 ,„ 
Allgemeine Unterhaltungskosten . . . . 500 ,„ 

Allgemeines, Kuren, Unterstützungen, Des- 
infektionen. . . 2: 2 2 2 2 2 0. 1500 „ 
10 500 M. 


Wenn wir nun nach dem Erfolg fragen, so können wir feststellen, daß die 
Gesundheitsverhältnisse in der Gemeinde sich während der kurzen Zeit bereits 
wesentlich gebessert haben, daß insbesondere das ganze Aussehen und die Ent- 
wicklung der Jugend besser geworden ist, daß kaum Schulversäumnisse statt- 
gefunden haben, jedenfalls viel weniger als in früheren Jahren. Im Jahre 1914 
herrschte in Heubach nacheinander Scharlach, Masern, Diphtheritis, Keuch- 
husten und Lungenentzündung; alle diese Krankheiten wurden gut und ohne 
bleibenden Nachteil überstanden; es war kein einziger Todesfall zu verzeichnen. 
Überschauen wir also, was überhaupt in den wenigen Jahren erreicht ist, so 
glauben wir uns zu der Annahme berechtigt, daß die verausgabten Gelder gut 
angelegt sind, daß unsere Maßnahmen erzieherisch gewirkt haben, und daß durch 
zıelbewußtes Vorgehen die Tuberkulose mit Erfolg bekämpft werden kann. 


OE 


BD. 25, HEFT4. ELISE DETHLOFF, TUBERKULINUNTERSUCHUNGEN USW. 269 


i XVI. 
Vergleichende Tuberkulinuntersuchungen an Kindern aus tuber- 
kulösen und nichttuberkulösen Familien. 


Von 
Dr. Elise Dethloff, .Bergen 


(Vizesekretär des Norwegischen Nationalvereins gegen Tuberkulose), 


Hierzu drei Figuren, 


wo ch die kleinsten Kinder — Säuglinge und nichtschulpflichtige Kinder — 
hinzugerechnet sind. Ich meine daher, daß diese kleine Arbeit dadurch Interesse 
haben kann, daß sie Kinder in den Altersklassen von o0—ıı Jahren umfaßt. 
Kinder in höheren Altersklassen habe ich nicht mitgerechnet, trotzdem ich 
auch diese Kinder in den tuberkulösen Familien untersucht habe. Das, was 
ich habe beleuchten wollen, nämlich die Bedeutung der tuberkulösen Häuslich- 
keit!) für die Kindertuberkulose, wird allzusehr verwischt, nachdem die Kinder 
das 10,—ı1. Lebensjahr erreicht haben, indem sich dann allzuviele außerhalb 
der Häuslichkeit liegenden Faktoren geltend machen. | 

Ich bin mir wohl bewußt, daß die Zahlen. besonders in den niedrigsten 
Jahresklassen klein — leider allzu klein sind. Aber da die Untersuchungen 
sämtliche Kinder in den tuberkulösen Familien der Arbeiterklasse in Bergen 
umfaßt, habe ich keine größere Zahl beschaffen können. 

Ich habe mit dem Gesundheitsinspektor und mit unserer Tuberkulose- 
Schwester über den Grund, daß in den tuberkulösen Familien weniger Kinder 
in den niedrigen Jahresklassen als in den höheren sind, konferiert. Diese 
meinen, daß dies mit dem allgemeinen Rückgang der Geburten in Bergen zu- 
sammenhängt, da diese von 1900—1913 mit 25°/, gesunken sind. 

Andererseits machen unsere engen und durchsichtigen Verhältnisse es 
möglich, daß ich in nähere Berührung mit allen Familien habe kommen können, 
und daß dadurch viele Verhältnisse haben beleuchtet werden können, welche 
bei Massenuntersuchungen z. B. von Schulkindern leicht übersehen werden 
können. So hat es sich erwiesen, daß die Reinlichkeitsverhältnisse in den 
Häuslichkeiten eine sehr große Rolle spielen. 

Die Kinder aus den nichttuberkulösen Familien sind aus der leisen 
Schicht gewählt, soweit es anging aus Familien, die, was Einnahmen und 
Wohnungsverhältnisse anbetrifft, ebenso schlecht, wenn möglich noch schlechter 
gestellt waren als die tuberkulösen Familien. Ä 

Ein Teil. der Kinder schreibt sich von den Wohnungslosen her, die in 
der Arbeitsanstalt unter in jeder Hinsicht sehr schlechten Verhältnissen ein- 


1) Zu den tuberkulösen Häuslichkeiten rechne ich alle die, wo das eine oder andere Mitglied 
nach Angabe des Bergenschen Stadtphysikats, als lungentuberkulös gemeldet ist, ohne Rücksicht 
darauf, ob sich zur Zeit Tbc. bei den Gemeldeten findet oder nicht. 


270 ELISE DETHLOFF. ISCH. 
logiert gewesen waren; ein Teil von einem Aufnahmeheim für Kinder, die vom 
Armenwesen aufs Land ausgesetzt werden sollen, und die aus den schlechtesten 
Verhältnissen stammen, und ein Teil aus Kinderheimen, wo Kinder im Alter 
von 2—6 Jahren den Tag zubringen, während sie zu Hause schlafen. 

Alle diese Untersuchungen sind von mir im Herbst und Winter 1913—14 
vorgenommen worden. Außerdem habe ich für die Altersklassen 7—10 Jahre 
das Material gebraucht, das ich zusammen mit Dr. Överland im Herbst I912 
in Krohnengens Schule untersuchte. Die Untersuchungen sind auf folgende 
Weise vorgenommen worden: Der linke Unterarm wird bis zum Ellbogen ent- 
blößt und mit Äther gereinigt. Ein kleines Stück unterhalb der Ellbogen- 
biegung wird ein Tropfen Tuberkulin angebracht und mit dem v. Pirquetschen 
Impfbohrer ein Kreuzschnitt gemacht, von dem jeder Schnitt ungefähr ı cm lang 
ist. Unterhalb dieses Kreuzes wird mit dem flambierten Impfbohrer ein ent- 
sprechender aseptischer Kreuzschnitt gemacht. Ich habe es auf diese Weise 
gemacht aus folgenden Gründen: Bei den von Dr. Överland und mir an ca. 
1000 Schulkindern in Bergen gemachten Untersuchungen, wo wir 2 getrennte 
Tuberkulinschnitte mit einem Kontrollschnitt in der Mitte machten, geschah 
es nie, daß nur der eine Schnitt reagierte, und die Reaktion war immer gleich 
stark bei beiden Schnitten. Wenn die Reaktion stark war, was ab und zu 
eintraf, hatte das Kind größeres Unbehagen von seinen beiden Papeln, als es 
von dem einen gehabt hätte. Ich meine daher, daß ein Schnitt genügen könne, 
habe aber bisher der Sicherheit wegen zwei gemacht, jedoch als Kreuzschnitt, 
so daß das Kind nur einen Papel bekam. Aus demselben Grunde habe ich 
den linken Arm gewählt, damit die größeren Kinder weniger in ihrer Arbeit 
geniert würden, wenn starke Reaktion eintreten sollte. Ich habe kein Gewicht 
auf tiefe Schnitte gelegt, habe am liebsten gesehen, daß kein Blut kam. Ich 
habe das Tuberkulin 5— 10 Minuten eintrocknen lassen und habe keine Bandage 
gebraucht. Es sind 100°/, Alttuberkulin, im Staats-Veterinärlaboratorium her- 
gestellt, gebraucht worden. Die Kontrolle ist immer nach Verlauf von 
48 Stunden vorgenommen worden, und war mit Ausnahme von einem Fall 
immer ohne Zweifel. Es fand sich immer eine runde palpabele Infiltration von 
mindestens 5 mm Querschnitt. 

Im ganzen habe ich 806 Kinder untersucht, von denen 248 aus tuber- 
kulösen und 558 aus nichttuberkulösen Familien stammten. Von sämtlichen 
Kindern reagierten 331, d. h. 41,06°/, positiv. Diese Zahl stimmt mit Prof. 
Harbitzs pathologisch-anatomischen Untersuchungen überein, indem er unter 
484 Kindern von 0—ı5 Jahren 41°/, infiziert findet. Von den 248 Kindern 
aus tuberkulösen Häuslichkeiten reagierten 175, d.h 70,56°/, positiv, während 
von den 558 Kindern aus nichttuberkulösen Häuslichkeiten nur 156 Kinder, 
d. h. 27,97°/, positiv reagierten. 

73 Kinder hatten eine tuberkulöse Mutter, 77 einen tuberkulösen Vater, 
bei 8 Kindern waren sowohl Vater und Mutter tuberkulös, bei einem waren 
Vater und Bruder tuberkulös und 16 hatten tuberkulöse Geschwister. Da es 
120 Mütter, 102 Väter, 9 Elternpaare, 16 Geschwister und ımal Vater und 
Bruder waren, zeigt es sich, daß 60,8°/, von den Kindern, die eine tuberkulöse 


BD. 25, HEFT& VERGLEICHENDE TUBERKULINUNTERSUCHUNGEN USW. 271 


Mutter, 75,4°/, von denen, die einen tuberkulösen Vater haben, 90°/, von denen, 
wo sowohl Vater wie Mutter tuberkulös sind und 100°/, von denen, die tuber- 
kulöse Geschwister haben, angesteckt sind. 


Auf die verschiedenen Altersklassen verteilt, weisen die Zahlen folgendes 


Verhältnis auf: 
Nicht tub. Häuslichkeit. | Alter 
rer 
Summe | Positiv sl Jahren 


Alle Untersuchten 


Tuberkul. Häuslichkeiten 


Summe | Positiv 


0— I 33 2 ee a 

I— 2 29 9 31.03 

2— 3 28 9 32.14 

3— 4 37 11 29.73 18 II 6r. IIl 19. 
4— 5 31 9 | 29.03 14. 8 | 57.14 17 
5— 6 26 10 | 38.46 II 9 81.82 15 
6— 7 5I 26 50.98 23 IQ 82.61 28 
J7— 8 125 4I 32 80 22 17 77.27 103 
8— 9 134 58 43.28 30 24 80.00 104 
9—10 || 149 74 | 49.66 39 34 | 87.18 | 110 
10— II 163 83. | 50.92 42 33 78.57 121 

| 


o—I1 o=: | 806 | 332 | anıg]| 248 | 175 | 7056| 558 | 147 | 27.06] o~r 806 | 332 41.19 | 248 | 175 | 70.56 | 558 | 147 er | o—II 


Die Verhältnisse sind graphisch in den 3 Figuren (S. 272—274) dargestellt. 


Dr. Emil Hellesen?) hat bei den Untersuchungen an Kindern aus der 
Kinderabteilung im Reichshospital Zahlen gefunden, die ungefähr mit meinen 
übereinstimmen, indem er bei 345 Kindern in den Altersklassen o—11 folgende 
Zahlen fand: 4,8%), 20°), 35° 34 33° 35° 45° 38°% 40° 53° 
und 69°/,. 

Wenn dagegen Dr. med. Frölich bei seinen Untersuchungen an Schul- 
kindern in Kristiania’), in den Altersklassen 7, 8, 9 Jahre 81,4°/,, 83,1°/,, 85,9%, 
findet — Zahlen, die zum Teil größer sind als meine aus tuberkulosen Häus- 
lichkeiten, so bin ich geneigt zu glauben, daß der Unterschied auf der ver- 
schiedenen Art der Untersuchung und auf dem Umstand, daß Dr. Frölich 
nach Verlauf von 24 Stunden kontrolliert hat, beruhen muß. Nachdem ich 
Dr. Frölichs Artikel gelesen hatte, habe ich, um den Gang der Reaktion zu 
verfolgen, in vielen Fällen nach 24 Stunden untersucht. Es ist garnicht so 
selten vorgekommen, daß nach 24 Stunden ein Rubor von ca. 2—3 mm vor- 
handen war, zum Teil mit einer leichten Infiltration sowohl im Kontrollschnitt 
wie im Tuberkulinschnitt, vielleicht am ausgesprochensten im Tuberkulinschnitt. 
Dieser Rubor war nach 48 Stunden verschwunden. Da ich meine, daß diese 
Reaktion traumatischer oder infektiöser Natur sei, habe ich diese Fälle zu den 
negativen gezählt. Es kann ja sein, daß diese Reaktion dennoch spezifisch 
war und daß meine Zahlen absolut gesehen zu klein sind. Da aber alle Unter- 


1) Die kutane Tuberkulin-Reaktion im Kindesalter. N. Mag. f. L&gevidenskaben, 1909, S. 1. 
2) Tuberkulose unter den Volksschulkindern Kristianias. N, Mag. f. Lxegevidenskaben, 1914, 
S, 137, Re: | 


272 u ELISE DETHLOFF. TORERE OS 
suchungen vergleichende sind und alle auf gleiche Weise ausgefübrt` sind, wird 
ja die Relativität der Zahlen ihren Wert haben. | 

Wenn Ina Rosquist bei ihren Untersuchungen!) folgende hohen Zahlen 
in den Altersklassen o—7 Jahre findet: 61,3°/,, 60,70), 647o 593o 639%) 
73/0 77°] 745°, so möchte ich annehmen, daß der Unterschied auf der 
verschiedenartigen Klientel beruht. Frl. Rosquist schreibt nämlich, daß alle 
untersuchten Kinder unter 7 Jahren Patienten der Tuberkulose-Poliklinik waren. 
Die von mir untersuchten Kinder waren hingegen zur Zeit nicht in ärztlicher 
Behandlung, wenn schon ein Teil derselben Zeichen einer tuberkulösen In- 
fektion aufwiesen. | 


Ich meine, aus meinen Untersuchungen folgende Schlüsse ziehen zu können: 


KURE sba]esbelerfsfesßulenl ] JerDarr 
2 |37 zie v5 isafissf163] | 1206 

Magg 26 [01 158 zejs3| | 1332 Pose 
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50 


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3103132 14129132903]38561505813250143.281196[5052] I| [otil | 


Fig. ı. Sämtliche untersuchten Kinder, 


20 


Es ist in den tuberkulösen Häuslichkeiten, daß die Kinder, besonders 
die kleinen Kinder, infiziert werden. Während man unter 60 Kindern unter 4 Jahren 
— das Alter, wo.die Kinder sich wenig außerhalb des Hauses bewegen — nicht 
einen einzigen Fall von Tuberkulose unter den Kindern aus nichttuberkulösen 
Häuslichkeiten fand, fand man unter den Kindern aus tuberkulösen Häuslich- 
keiten von 67 bereits 31, d. h. 46,3°/, infiziert. Geht man zum Alter von 
7 Jahren, also zum schulpflichtigen Alter, findet man folgende Zahlen: Von 
120 Kindern aus nichttuberkulösen Häuslichkeiten reagieren nur 9, d. h. 7,5°/, 
positiv, während von 115 Kindern aus tuberkulösen Häuslichkeiten 675.0, h. 
58,3°/, positiv reagierten. 

Die Tuberkulose des Vaters scheint gefährlicher zu sein, als die der 
Mutter, indem nur 60,8°/, der Kinder, die eine tuberkulöse Mutter hatten, an- 
gesteckt waren, während 75,4°/, von denen, die einen tuberkulösen Vater hatten, 
angesteckt waren., Dies scheint im ersten Augenblicke sonderbar, da ja das 


1) Finska läkaresällskapets handlinger, Bd. LV, nr, 2. 


BD. 25, HEFT 4. VERGLEICHENDE TUBERKULINUNTERSUCHUNGEN USW. 273 


Zusammenleben der Mutter mit ihren Kindern meistens ein intimeres ist, als 
das des Vaters; die Erklärung hierfür muß wohl in der Unsitte des Spuckens 
gesucht werden, welche Unsitte wohl so gut wie ausschließlich dem Vater zur 
Last gelegt werden muß. Am gefährlichsten scheint die Tuberkulose der Ge- 
schwister zu sein, indem 100°/, von den Kindern, die tuberkulöse Geschwister 
hatten, positiv reagierten. 

Reinlichkeit innerhalb der Häuslichkeit scheint eine große Rolle zu spielen. 
In unordentlichen und schmutzigen Häuslichkeiten reagierten gewöhnlich alle 
Kinder positiv, wenn Vater oder Mutter Tuberkulose hatten, während es :in 
den ordentlichen, reinlichen Häuslichkeiten geschah, daß keine oder nur die 
großen Kinder positiv reagierten. War es hingegen nicht Vater oder Mutter, 


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Fig. 2. Kinder aus nichttuberkulösen Häuslichkeiten, 


sondern ein Kind, auch wenn es ca. 15 Jahre alt war, das offene Tuberkulose 
hatte, so reagierten alle Kinder positiv, gleichviel ob das Heim noch so rein- 
lich war. Um Zahlen zu nennen, die aufs Geradewohl herausgenommen sind, 
reagierten in einer reinlichen Familie von 8 Kindern im Alter von I, 2, 3, 4, 
6, ı1, 12 und 13 Jahren nur die letzten 4 positiv. Dahingegen reagierten in 
einer unordentlichen Familie mit 6 Kindern im Alter von 2 Mon., 3, 6, 9, II 
und 13 Jahren alle positiv mit Ausnahme von der 13jährigen. 

Es passierte, daß mitten in einem Geschwisterkreis von positiv reagierenden 
Kindern eins sein konnte, das negativ reagierte. Die Untersuchung wurde dann 
immer wiederholt und immer mit demselben Resultat. Worauf dies beruht, 
ist nicht gut zu sagen. Es fiel mir auf, daß diese Kinder oft den erethischen 
Typus darboten im Gegensatz zu ihren positiv reagierenden Geschwistern, die 
mehr den torpiden skrophulösen Typus darboten. 

Die Untersuchungen in den beiden Kinderasylen scheinen darauf hinzu- 
deuten, daß die Beschaffenheit des Stadtteils, aus dem die Kinder stammen, 
ihre Bedeutung im Hinblick auf die Ausbreitung der a im 

Zeitschr. f. Tuberkulose. 25, 18 


l ZEITSCHR, f. 
27 4 ELISE DETHLOFF. TUBERKULOSE 


Kindesalter hat. In Bergen tummeln sich die Kinder immer in den Straßen, 
wenn sie draußen sind und spielen, da die großen Hofplätze, wie z. B. in 
Kristiania, hier fast garnicht existieren. Das eine Asyl liegt mitten in der Stadt, 
mit zum Teil engen Straßen, wo viel Verkehr ist und keine Spielplätze für 
Kinder. Hier reagierten von 54 Kindern aus nichttuberkulösen Familien 12, 
d. h. 22°/, positiv. Das andere Asyl liegt auf der Nordneshalbinsel. Auch 
hier sind die Straßen zum Teil schmal und die Häuser zum Teil alt und un- 
hygienisch. Aber die Luft ist bedeutend frischer, da die Halbinsel vom Meer 
umgeben ist und beständig von der frischen Brise durchlüftet wird. Es ist 
wenig Verkehr in den Straßen und es sind viele Spielplätze und offene Plätze 
vorhanden, sowie ein großer Park, in dem.sich die Kinder viel aufhalten. 


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Fig. 3. Kinder aus tuberkulösen Häuslichkeiten, 


Von 57 Kindern aus nichttuberkulösen Familien reagierten nur 5, d. h. 8,30), 
positiv. 

Es scheint weiter aus meinen Untersuchungen hervorzugehen, daß die 
Milch keine Rolle, oder jedenfalls keine wesentliche Rolle als ätiologischer 
Faktor in der Kindertuberkulose spielt, da keins von- den 60 Kindern aus den 
nichttuberkulösen Familien im Alter von o—4 Jahren, in welchem Alter sie 
ja am meisten Milch trinken, irgend welche tuberkulöse Infektion darbot. 

Von den 248 Kindern aus tuberkulösen Häuslichkeiten sind 91 im 
„Maiblumen“-Kinderheim aufgenommen worden und sind dort beständig unter 
meiner Aufsicht gewesen. 

Es hat sich bei diesen Kindern ein auffallender Unterschied gezeigt, je 
nachdem sie den älteren oder jüngeren Altersklassen angehörten. Die schul- 
pflichtigen Kinder waren bei ihrer Aufnahme oft unterernährt und blutarm. 
Aber nach ganz kurzer Zeit erholten sie sich bedeutend, und sie sahen: aus, 
wie die meisten Kinder aus den Arbeiterklassen, vielleicht etwas besser. Es 
war so gut wie keine Krankheit oder Schulversäumnis bei diesen zu verzeichnen. 


en 7 


BD. 2%, HEFT4. VERGLEICHENDE TUBERKULINUNTERSUCHUNGEN USW. 275 


Ganz anders stellen sich die Verhältnisse für die kleinen, nicht schul- 


pflichtigen Kinder, besonders die unter 2 Jahren. Was diese Kleinen besonders 


charakterisiert, ist ihre ausgeprägte Disposition für Katarrhe, sowohl im Respi- 
rationstraktus wie im Darmtraktus. Außerdem litten sie viel an Ekzem und 
Phiyktänen, ‘und bei fast allen war das Trommelfell perforiert. Bei den ge- 
ringsten schädlichen Einwirkungen, wie kaltes Wetter, Zug, wenn man im 
Herbst anfıng einzuheizen, oder wenn einige nasse Füße bekamen, gleich ant- 
wortete ihr Organismus darauf mit Katarrhen im Naso-pharynx und in den 
großen Luftröhren. Im Frühling und Herbst gingen sie beständig mit ‚langen 
Nasen“ umher. Selbst wenn ihre Nasen unmittelbar vor dem Essen geputzt 
waren, mußte dieser Prozeß während desselben wiederholt werden. Ebenso 
labil war ihr Magendarmtraktus. Nasse Füße, ein kleiner Diätfehler, inter- 
kurrente Krankheiten, wie z. B. eine leichte Varicellainfektion riefen bei allen 
Positiv-Reagierenden Diarrhoe hervor. Außerdem gingen sie beständig umher 
und hüstelten, und es war ihnen schwer, sich trocken zu halten. Diese 
Neigung zu Katarrhen war sozusagen pathognomisch für die positiv reagierenden 
Kinder, so daß ich beinahe ohne Fehlgriff vorher sagen konnte, wer positiv 
und wer negativ reagieren würde. Je kleiner die Kinder waren, um so stärker 
war diese Neigung für Katarrhe ausgeprägt, um so mehr schien ihr Allgemein- 
befinden gelitten zu haben und um so länger dauerte es, bis ihr Allgemein- 
zustand sich besserte. Mehrere von diesen Kindern, im Alter von 1!1/,—4 Jahren, 
sind während ca. 2!/, Jahren beobachtet worden. Es zeigt sich eine aus- 
gesprochene Besserung in ihrem Allgemeinbefinden. Die Neigung zu Katarrhen 
hat abgenommen und ihre Gewichtskurve ist konstant steigend geworden. 
Außer den allgemeinen hygienischen Verhaltungsmaßregeln ist von Medikamenten 
nur Lebertran gebraucht worden, was als ein Spezifikum zu wirken scheint. 

Alle interkurrenten Krankheiten griffen die positiv reagierenden Kinder 
mehr an als die negativ reagierenden. Selbst des Winters Einfluß — wie der 
Winter 1913—14, in welchem wir keine epidemischen Krankheiten gehabt 
haben — hat sich viel mehr deletär für die positiv reagierenden Kinder er- 
wiesen. Sie wurden trotz der guten hygienischen Verhältnisse bleich und 
schlapp, und wir mußten in diesem Winter 3 Kinder ins Krankenhaus schicken; 
2 wegen febriler Bronchial-Drüsentuberkulose mit Bronchitis, das dritte wegen 
hartnäckiger Phlyktäne, Diese 3 Kinder, von denen die beiden ersten zwischen 
ı und 2 Jahren waren und das dritte 5 Jahre, waren bei ihrer Aufnahme die 
schwächsten. Das 5 Jahre alte Kind wog nur 10 kg. 

Von den beiden positiv reagierenden Kindern im Alter von o—ı Jahr 
zeigte das eine, das bei seiner Aufnahme 6 Wochen alt war,!) positive Reaktion. 
Es starb an Miliartuberkulose, als es 3 Monate alt war. Das andere positiv 
reagierende Kind, das bei seiner Aufnahme 6 Monate alt war, hat in den ver- 
gangenen 8 Monaten eine etwas labile Gewichtskurve gezeigt, im Gegensatz zu 
den anderen kleinen Kindern, die unter derselben Behandlung beständig an 
Gewicht zugenommen haben. In der letzten Zeit gedeiht es hingegen in jeder 


1) Hamburger: 2—4 Wochen nach der Infektion tritt die erste Reaktion auf, indem sich 


ein tuberkulöses Gewebe bildet. l 
18* 


I 


276 ELISE DETHLOFF. a 


Hinsicht gut; es scheint also auf gutem Wege zu sein, seine Infektion zu 
überwinden. | 

Von den 8 positiv reagierenden Kindern zwischen ı und 2 Jahren sind 
zwei ins Krankenhaus gekommen wegen Bronchial-Drüsentuberkulose resp. 
Phlyktäne. Ihr Zustand bessert sich jedoch. Die übrigen 6 gedeihen ganz gut 
unter den guten hygienischen Verhältnissen im Kinderheim, und es sieht nicht 
aus, als ob sie ihrer Infektion erliegen sollten. 

Wenn Freymuth!) sagt: „Die Erstinfektion mit Tuberkulose hat eine 
ganz verschiedene Bedeutung, je nach dem Alter, in welchem sie erfolgt. Sie 
ist nahezu absolut letal in den ersten zwei Jahren und nimmt dann schritt- 
weise an Gefährlichkeit ab“ — so scheint dies nicht auf unsere Verhältnisse 
zu passen. Wenn die Kinder unter gute hygienische Verhältnisse kommen, 
scheint eine Infektion selbst im ersten Lebensjahre nicht immer letal zu sein. 
Und eine Infektion im zweiten Lebensjahr scheint zum überwiegenden Teil 
überwunden werden zu können. 

Das Kind, das während der ganzen Zeit das gesündeste im „Maiblumen“- 
Kinderheim gewesen ist, wurde von einer Mutter im letzten Stadium der Lungen- 
tuberkulose geboren. Das Kind wurde uns direkt aus der Geburtsanstalt ge- 
bracht; die Mutter starb einen Monat später. Die ı Jahr ältere Schwester 
dieses Kindes, welche zu Hause gewesen war, bis die Mutter starb, war das 
kränklichste Kind, das wir da draußen gehabt haben. Ä 

Ich habe diese während eines längeren Zeitraums beobachteten Kinder 
so eingehend besprochen, weil ich nach den Erfahrungen, die wir im „Mai- 
blumen“-Kinderheim gemacht haben, meine, den Weg zeigen zu können, den 
wir im Kampf gegen die Tuberkulose, wo er kleinen Kindern gilt, einschlagen 
müssen. 

Wenn es sich zeigt, daß die kleinen Kinder innerhalb der tuberkulösen 
Häuslichkeit angesteckt werden, wäre es ja am rationellsten, alle kleinen Kinder 
aus den tuberkulösen Häuslichkeiten zu entfernen und sie entweder in gesunden 
Familien oder in Kinderheimen unterzubringen. Denn welche Auffassung man 
auch von dem Verhältnis zwischen der Infektion im Kindesalter und der 
Phthise der Erwachsenen hat, so kann man nicht die Augen vor der Tatsache 
verschließen, daß die Infektion im Kindesalter, besonders in den ersten 4 bis 
5 Jahren, dem Allgemeinzustand des Kindes in hohem Grade schadet, so daß 
man fürchten muß, wenn diese Kinder nicht unter günstige hygienische Ver- 
hältnisse kommen, sie ein schlechtes Menschenmaterial ergeben würden. 

In Frankreich sind über das ganze Land Vereine verbreitet, die die 
Kinder, die in tuberkulösen Familien geboren werden, daraus entfernen und 
sie in Kinderheimen oder gesunden Familien unterbringen. Da es für Frank- 
reich darauf ankommt, so viele gesunde Kinder wie möglich bis zum er- 
wachsenen Alter zu bringen, so nehmen sie nur die, die eine negative Tuber- 
kulinreaktion aufweisen. 

Ein so radikales Vorgehen würde bei uns wohl auf unüberwindliche 


1) Ztschr. f. Tub. und Heilst,, Bd. 20, Heft ı. 


ED. 20 STT VERGLEICHENDE TUBERKULINUNTERSUCHUNGEN USW. 297 


Flindernisse stoßen. Aber in den Fällen, wo Vater oder Mutter so krank sind, 
daß sie ein Tuberkuloseheim aufsuchen müssen, zeigen die Erfahrungen, die 
wir im „Maiblumen“-Kinderheim gemacht haben, daß wir die Kinder ohne 
Schwierigkeiten in einem solchen Heim unterbringen konnten. Da es sich 
zeigt, daB diese infizierten Kinder der besten hygienischen Verhältnisse be- 
dürfen, sowohl mit Rücksicht auf Sonne, frische Luft, Diät und Pflege im all- 
gemeinen, müßten diese kleinen Kinder im Kinderheim bleiben, bis sie 5—6 
Jahre alt sind. Ist die Mutter sehr krank, müßte das Kind gleich nach der 
Geburt im Kinderheim untergebracht werden. Die neugeborenen Kinder 
müßten gleichfalls sofort entfernt werden, auch wenn sonst jemand in der Häus- 
lichkeit Tuberkulose hat. Das Kind, das infiziert, 6 Wochen alt, ins Kinderheim 
kam, hatte eine gesunde Mutter, aber einen sehr kranken Vater. Außerdem 
dürfte niemals ein Kind mit offener Tuberkulose zu Hause inmitten seiner 
Geschwister bleiben, da meine Untersuchungen zeigen, daß sämtliche Kinder 
in den Familien, wo dies der Fall war, infiziert waren. 


278 


REFERATE. 


ZEITSCHR.. f. 
TUBERKULOSE 


I. REFERATE ÜBER BÜCHER UND AUFSÄTZE. 


A. Lungentuberkulose. 


ll. Epidemiologie und Prophylaxe 
(Statistik). 


Simon-Aprath: Die Fürsorge für offen 
tuberkulöse Kinder. (Gemeinwohl 
1914, Nr. ı, S. 3.) 

Da die Heilstättenerfolge bei offen 
tuberkulösen Kindern nicht befriedigen 
(s. den 5. Jahresbericht über die Bergischen 
Kinderheilstätten S. 309), insbesondere eine 
Heilung oder auch nur das Verschwinden 
der Tuberkelbazillen im Auswurf nur in 
den seltensten Fällen erzielt wird, dadurch 
aber die Gefahr der Ansteckung für die 
Geschwister oder auch für andere Kinder 
sehr groß ist, so empfiehlt Simon, die 
offentuberkulösen Kinder in eigenen Pa- 
villons, die Kinderheilstätten angegliedert 
werden, dauernd zu isolieren. Die Auf- 
bringung der Kosten dürfte allerdings 
selbst dann Schwierigkeit machen, wenn 
dieselben möglichst niedrig gehalten wür- 
den, | C. Servaes. 


A. Maxwell Williamson: Housing and 
tuberculosis. (Brit. Journ. of Tuber- 
culosis, July 1915, Vol. IX, No. 3, 
p.e IIT— 125.) 

Auf Grund sorgfältiger Untersuchun- 
gen in Edinburgh und anderen schottischen 
Städten kommt Williamson zu dem 
Frgebnis, daß 70—80°/, der Fälle von 
Lungentuberkulose in Wohnungen mit 
drei und weniger Zimmern vorkommen. 
Die Häufigkeit ist größer in zweizimme- 
rigen Wohnungen als in dreizimmerigen, 
und am größten in einzimmerigen. Ebenso 
steht sie in geradem Verhältnis zu der 
Zahl der kleinen Häuser in den Bezirken 
einer Stadt. Die Tuberkulosesterblichkeit 
zeigt seit 1882 eine rasche und stetige 
Abnahme, ebenso wie die allgemeine 
Sterblichkeit, d.h. die Sterblichkeit infolge 
von anderen Infektionskrankheiten. Der 
Grund ist einzig und allein in den vor- 
beugenden Maßnahmen der allgemeinen 
Gesundheitspflege zu suchen. Sanatorien 


und Fürsorgestellen sind dabei nützliche 
Hilfen, keineswegs aber schon für sich 
von entscheidender Wirkung. Die Woh- 
nungsfrage ist der bei weitem wirksamste 
Hebelansatz für die vorbeugenden Maß- 
nahmen, ihre Lösung ist ein dringendes 
Bedürfnis und muß mit allen Kräften 
erstrebt werden. Es ist sehr wahrschein- 
lich, daß Williamson mit diesen Aus- 
führungen recht hat. Meißen (Essen). 


Frank A. Craig: A study of the hou- 
sing and social conditions in se- 
lected districts of Philadelphia 
(1r. Report of the Henry Fhipps In- 
stitute, Philadelphia 1915.) 

Craig, von der volkswirtschaftlichen 
Abteilung des bekannten Henry Phipps 
Institute, hat die Wohnungsverhältnisse, 
sowie die Lebens- und Erwerbsverhält- 
nisse gewisser Bezirke der Stadt Phila- 
delphia untersucht, und die Ergebnisse 
fast zweijähriger Arbeit in diesem ein- 
gehenden Berichte (90 Seiten) niederge- 
leg. Die Forschungen beziehen sich 
vorzugsweise auf die ärmere, arbeitende, 
fremdrassige Bevölkerung: Neger, Italiener, 
Juden (aus Rußland, Polen usw.), und 
haben naturgemäß auch für die Tuber- 
kulosefrage Bedeutung. Die Tuberkulose 
ist ja zweifellos in vielfacher Hinsicht 
eine Wohnungskrankheit. Was die Rein- 
lichkeit und Sauberkeit der Wohnungen, 
die Grundlage der Gesundheitspflege be- 
trifft, so war natürlich an manchen Stellen 
zu wünschen. An der Spitze aber standen 
auffallenderweise die Neger, dann folgten 
die Italiener und zuletzt die Juden. Daß 
es mit den Wohnungen im allgemeinen 
nicht glänzend stehen kann, ergibt sich 
daraus, daß nicht weniger als 62,3 °/, der 
Familien nur 1—15°/, ihres Einkommens 
für die Wohnung ausgeben, 25,2°/, ver- 
wenden 16—25°/,, 12,5°/, verbrauchen 
26—350°/, und mehr. Am meisten ver- 
wenden die Italiener, dann folgen die 
Juden, zuletzt die Neger. Im einzelnen 
sind die Ergebnisse der dankenswerten 
Forschung begreiflicherweise recht ver- 
schieden. Jedenfalls aber zieht Craig 


BD. 25, HEFT 4. 
1916. 


aus ihnen die Schlußfolgerung, daß Staat 
und Gemeinde auf dem Gebiete weit mehr 
tun müssen, um die Bevölkerung durch 
bessere Überwachung und zielstrebige Er- 
ziehung vor Krankheiten zu schützen. 
Namentlich auf den zunehmenden fremd- 
rassigen Teil der Bevölkerung muß mehr 
Bedacht genommen werden. 
Meißen (Essen). 


C. Floyd: Tuberculosis in its rela- 
tion to the handling of’ food. 
(Dieser Artikel ist ein Teil eines Sym- 
posiums, welches das Boston Med. and 
Surg. Journ. vom 15. April 1915, Vol. 
CLXXII, No.15, p. 544 bringt.) 

Das Diskussionsthema des Sympo- 
siums lautet: Infektionskrankheiten und 
ihre Beziehungen zur Hantierung mit 
Nahrungsmitteln. Der folgende Artikel 
behandelt das Problem vom Standpunkt 
der Tuberkulose. 

Unter etwa 6000 Tuberkulosefällen, 
welche in dem Boston Consumptives 
Hospital untersucht wurden, waren 181 
oder 2°/, als Kellner, Köche oder in 
Speiseanstalten beschäftigt. Im Auswurf 
eines Drittels dieser 18r Fälle waren 
Tuberkelbazillen nachweisbar. Die Ge- 
fährlichkeit solcher Zustände bedarf keiner 
weiteren Erörterung. 

Verf. meint, daß alle großen Ge- 
schäfte einen geschulten Arzt anstellen 
sollten, welcher die Angestellten regel- 
mäßig untersucht. In kleineren Geschäften 
sollten alle Angestellten von den Stadt- 
kliniken untersucht werden. Dies würde 
‘für Angestellte, Publikum und Arbeit- 
geber nicht nur praktisch, sondern auch 
lohnend sein. 

Soper, (Saranac Lake, N.Y.). 


D. R. Lyman: The tuberculosis work 
in Connecticut, its developement 
in the last decade, and its future 
needs. (Boston Med. and Surg. Journ. 

1015, Vol.CLXXI, May6, No.18, 
p. 657.) 

Bericht über den Stand der Tuber- 
kulose im Staate Connecticut, Vereinigte 
Staaten. 

Im Staate Connecticut kommen jetzt 
ungefähr 16 500 Tuberkulosefälle vor. Für 
die Bekämpfung dieser Krankheit sind 


REFERATE. 279 


Sanatorien für beginnende und Kranken- 
häuser für vorgeschrittene Fälle vorhanden 
sowie Kliniken mit den zugehörigen Pflege- 
rinnen, welche unter den Kranken in 
deren Heim arbeiten. Die Sanatorien 
sind für die meisten Fälle ausreichend. 
Es ist aber eine verhältnismäßig große 
Klasse von unheilbaren Fällen, welche 
für das Publikum eine große Gefahr bil- 
den, da ihnen die Sanatorien verschlossen 
sind, und es für sie keine andere Für- 
sorge gibt als ihr eigenes Heim. 

Für vorgeschrittene Fälle und Kin- 
der mangelt es an Fürsorgestellen. 

Die Kliniken und besonders ihre 
Pflegerinnen leisten sehr große Dienste. 
Letztere sorgen für manche Einzelheiten 
der Behandlung; durch sie wird die Be- 
lehrung der Familien meistenteils besorgt; 
sie beaufsichtigen das Verhalten der Pa- 
tienten; sie beobachten, ob die Angehö- 
rigen Zeichen der Infektion zeigen. Kurz 
und gut, die Tuberkulosekliniken spielen 
eine mächtige Rolle im Kampfe gegen 
die Tuberkulose. 

Soper (Saranac Lake, N. Y.), 


Anti-Tuberculosis Work in Cincinnati. 
(The Lancet-Clinic, Cincinnati, 8. 5. 
1915, p. 512—530.) 

Die genannte Nummer der „Lancet- 
Clinic“ ist fast ganz der Darstellung des 
Kampfes gegen die Tuberkulose in Cin- 
cinnati und der damit verbundenen ge- 
meinnützigen Bestrebungen gewidmet. 
Nicht weniger als 18 verschiedene Ar- 
beiten ebenso vieler Autoren besprechen 
die vorhandenen oder geplanten Maß- 
nahmen in gedrängter Kürze. Wir brau- 
chen auf Einzelheiten nicht einzugehen, 
da wesentlich Neues nicht gebracht wird. 
Es ist aber lehrreich, die energischen und 


bereits von recht guten Ergebnissen be- 


gleiteten Bemühungen zu verfolgen, die 
in der Hauptstadt des Staates Ohio be- 
sprochen und auch durchgeführt werden. 
Cincinnati rühmt sich die erste amerika- 
nische Stadt zu sein, die ein Sanatorium, 
oder doch zunächst ein besonderes Hospi- 
tal für Tuberkulose im Anschluß an das 
Allgemeine Krankenhaus errichtete: die 
Anregung geht bis 1889 zurück, die Aus- 
führung erfolgte 1897. Bis 1905 war es 
zur Aufnahme von 300—350 Kranken 


280 


erweitert. 1912 wurde eine Abteilung 
für Kinder nebst Schule angeschlossen. 
Bereits 1909 hatte der Staat ein Sana- 
torium für leichte Fälle errichtet, das aber 
mit nur 140 Betten bei weitem für das 
Bedürfnis nicht ausreichte. Die „Anti- 
Tuberculosis League“ erwirkte deshalb 
IQII die Gewährung eines Betrags von 
350000 Dollar für das „Cincinnati Sana- 
torium“, das inzwischen der Vollendung 
naht. Die genannte Liga trat 1907 ins 
Leben und gründete alsbald eine Für- 
sorgestelle, schuf auch mehrere andere 
Einrichtungen zur Bekämpfung der Tuber- 
kulose, Ferienkolonien, Wohnungsfürsorge 
usw. Man gewinnt durchaus den Ein- 
druck tatkräftiger und zielstrebiger Arbeit, 
der man gern weiteren Erfolg wünscht. 
Eine eigenartige Einrichtung oder zunächst 
Anregung, mit der sich fünf der 18 kleinen 
 Abhandlungenbeschäftigen, ist das,‚Health- 
Center“, das vom städtischen Tuberkulose- 
Ausschuß geplant und von anderen Kör- 
perschaften wie von angesehenen Ärzten 
befürwortet wird: Es sollen zwei Bezirke 
ausgesucht und bestimmt werden von an- 
nähernd gleicher Größe und so, daß in 
jedem etwa 25 lebende Tuberkulöse be- 
kannt und vorhanden sind, der eine in 
der Unterstadt mit einer aus Weißen und 
Negern gemischten Bevölkerung, der an- 
dere auf einem der zur Stadt gehörenden 
Hügel. Nun sollen in beiden sämtliche 
zur Bekämpfung der Tuberkulose geeig- 
neten Maßnahmen von einem zentralen 
Ausschuß methodisch und systematisch 
durchgeführt werden, wobei auch die wis- 
senschaftliche Erforschung zu berücksich- 
tigen ist: die frühe Nachweisung, Erken- 
nung und Behandlung der Fälle, Unter- 
suchung ihrer Entstehung und Verbrei- 
tung, die Beziehungen zu anderen Krank- 
heiten usw., Vorbeugung und Belehrung, 
die Erfahrungen mit Krankenhaus und 
Sanatorium, Fürsorgestellen und Wohnungs- 
überwachung, ländlichen Gesundheits- 
heimen u. dgl. mehr. Man verspricht sich 
viel Nutzen für Praxis und Theorie der 
Tuberkulosebekämpfung. 
Meißen (Essen). 


S. Adolphus Knopf: The tuberculosis 
problem and section 1142 of the 
Penal Code of the State of New 


REFERATE, 


ZEITSCHR, f. 
TUBERKULOSE 


York. (New York Med. Journ., 12. 6. 
1915, Vol. 101, p. 1197.) 

Den Strafgesetzen des Staates New 
York gemäß ist es ein Vergehen, irgend- 
welche Aufklärung über die Empfängnis- 
verhütung zu geben. Verf. spricht seinen 
Beifall über den Vorschlag aus, das Ge- 
setz dahin zu ändern, daß es jedem Arzt 
erlaubt sein soll, mit Rat beizustehen oder 
Mittel anzuraten, um die Empfängnis zu 
verhüten, wenn seiner Meinung nach die 
Empfängnis das Leben der Mutter ge- 
fährden oder eine existierende Krankheit 
verschlimmern würde, oder wo der phy- 
sische oder geistige Zustand der Mutter, 
des Vaters oder beider ein solcher ist, 
daß ihre Nachkommen durch Mangel- 
haftigkeit an physischen, geistigen oder 
moralischen Eigenschaften der Gesell- 
schaft zur Last fallen oder gemeingefähr- 
lich werden könnten. Eine eingehende 
Beobachtung des Gesundheitszustandes 
der Eltern vor der Geburt des Kindes 
ist von großer Wichtigkeit. Die Kinder 
tuberkulöser Eltern sind der Ansteckungs- 
gefahr fortwährend ausgesetzt, besonders 
bei armen Leuten, wo die jüngeren Kin- 
der großer Familien ‚häufig schwach und 
schlecht genährt sind. Verf. behauptet 
daher, daß es die Pflicht eines jeden 
Arztes ist, die Empfängnis in Fällen von 
Tuberkulose oder von anderen gefähr- 
lichen, übertragbaren Krankheiten der 
Mutter oder des Vaters zu verhüten. 

B. S. Horowicz (Neuyork). 


Ch. Denys: The prevention of con- 
sumption. (The Lancet, 24. 7. 1915, 
p. 189.) 

Der auch bei uns durch sein Tuber- 
kulin B.F. (bouillon filtre) bekannte Prof. 
Denys von der Universität Löwen hat in 
der 16. Jahresversammlung der Medicinal 
Association for the Prevention of Con- 
sumption (15. Juli r915) einen Vortrag 
über die Verhütung der Tuberkulose ge- 
halten. Der Vortrag ist eine Zusammen- 
fassung der in Betracht kommenden Maß- 
nahmen, wiederholt aber natugemäß oft 
Gesagtes und bringt nichts Neues. Als 
Bakteriologe erblickt Verf. die Hauptauf- 
gabe in der Beseitigung der tuberkulösen 
Infektion. Dagegen ist nichts zu sagen, 
da diese Aufgabe stets zusammenfällt mit 


BD. 25, HEFT 4. 
1916. 


den sonstigen, allgemeinen hygienischen 
Maßnahmen. Immerhin darf die An- 
steckungsgefahr für Erwachsene nicht über- 
trieben werden, und es ist zu betonen, 
daß sie durch einfache Reinlichkeit ver- 
mieden werden kann. Wenn die Immu- 
nitätslehre der Tuberkulose richtig ist, 
woran kaum gezweifelt werden kann, so 
wird die völlige Ausschaltung der Infek- 
tion überhaupt kein unbedingtes Ziel sein 
dürfen, und es ist vielleicht gut, daß eine 
solche Ausschaltung schwerlich . jemals 
möglich ist. Es kommen ja bereits Vor- 
schläge, die Kinder zwar mit völlig ein- 
wandsfreier Milch zu ernähren, dieser 
aber eine gewisse Menge Bazillen (Typus 
bovinus oder humanus) zuzusetzen! 
Meißen (Essen). 


Florschütz-Gotha: Die periodischen 
Untersuchungen anscheinend Ge- 
sunder. (Blätter f. Vertrauensärzte d. 
Lebensversicherung, VI. Jahrg., Heft 3 
u. 4, S. 33 u. Ärztl. Sachverst.-Zeitung 
1915, Nr. 13, S. 145.) 

Alles, was dazu beiträgt, das mensch- 
liche Leben zu verlängern, ist der Lebens- 
versicheruug willkommen. Das neueste 
auf diesem Gebiete sind die periodischen 
Untersuchungen anscheinend Gesunder, 
die in Nordamerika ins Leben gerufen 
worden sind. Ein anschauliches Bild der 
Bewegung gibt ein Vortrag, den Dr. Eugen 
Lyman Fisk auf der Ärzteversammlung 
des Staates Kentucky im September 1914 
gehalten hat. Zwei große Lebensversiche- 
rungsgesellschaften untersuchen bereits ihre 
Versicherten periodisch, nur weil sie da- 
von überzeugt sind, daß die Ersparnis 
aus der zu erwartenden verminderten 
Sterblichkeit weit mehr als die Kosten 
decken wird. Arbeitgeber haben die 
Untersuchung für ihre Arbeiter, Geschäfts- 
leute für ihre Beamten angeordnet. Die 
Aufgabe des Arztes wird damit nach der 
vorbeugenden Seite hin erheblich erweitert. 

Das Ziel der erwähnten Einrichtung 
vorbeugender Untersuchungen ist die Auf- 
deckung unbekannter gesundheitlicher 
Schäden, die Feststellung der verbliebe- 
nen Arbeitsfähigkeit und der besten Art 
der Verwendung dieses Restes. Für die 
ärztliche Untersuchung ist die Verwen- 
dung einer ganz bestimmten Frageordnung 


REFERATE. 


281 


nötig. In dem Lebensverlängerungsinstitut 
(Life Extension Institute) erhält jeder zu- 
nächst einen bestimmten Fragebogen, den 
er ausfüll. Darauf folgt die genaue Auf- 
nahme des Befundes. Das Gutachten des 
Arztes wird überprüft und dem Direktor 
des Institutes mitgeteilt. Geringe An- 
stände, die sich auf die Lebensführung 
beziehen, werden dem Untersuchten gleich 
mitgeteilt. Ist ärztliche Behandlung nötig, so 
erhält mit Zustimmung des Untersuchten 
der Hausarzt einen ausführlichen Bericht. 
Ärztliche Behandlung oder Raterteilung 
lehnt das Institut grundsätzlich ab. 

Die Untersuchungen haben bereits 
ein großes Material ergeben. Bei einer 
Lebensversicherungsgesellschaft, die ihre 
Versicherten während der letzten 5 Jahre 
durch das Institut untersuchen ließ, ergab 
sich, daß 40°/, der Untersuchten so an- 
brüchig waren, daß sie ihrem Arzte über- 
wiesen werden mußten. Unter den Ver- 
sicherten bei einer Lebensversicherungs- 
gesellschaft waren z. B. 2,4 °/, gesund, die 
anderen einer Ratserteilung bedürftig. Bei 
1,4°/, wurde eine Erkrankung der Lunge 
festgestellt, in einer anderen untersuchten 
Gruppe bei 0,99°/ẹ Die Niedrigkeit 
dieser Ziffern ist um so mehr auffallend, 
wenn man dagegen die Zahl der Blut- 
druckanomalien mit 23,5°/,, die der 
chron. Nierenerkrankungen mit 15,83°/, 
angegeben findet usw. (Ref.). 

Die schwierige Aufgabe des Arztes 
ist es, schon die ganz beginnenden Stö- 
rungen zu entdecken. 

Die Bestrebungen dieser Art sind 
nach Verf. nicht neu. Sie können für 
die Lebensversicherungsgesellschaften wie 
für die bei ihnen Versicherten die größte 
Bedeutung erlangen. Nebenbei erleichtert 
eine solche Einrichtung den Schwachen 
den Kampf um das Dasein — eine Tat- 
sache, die man theoretisch je nach dem 
Standpunkte entweder begrüßen oder be- 
klagen kann. 

H. Grau (Heilstätte Rheinland-Honnef). 


A. Gottstein - Charlottenburg: Periodi- 
sche Untersuchungen anschei- 
nend Gesunder. (Med. Klinik, Jahrg. 
1915, Nr. 42, S. 1170 und Nr. 43, 
S. 1196 u. Blätter f. Vertrauensärzte d. 
Lebensversicher., VI. Jahrg, H.6, 1915.) 


282 


Verf. weist im Anschluß an die Ar- 
beit von Florschütz darauf hin, daß 
Einrichtungen, die in gleichem Sinne wie 
die von Florschütz geschilderten wirken, 
auch in Deutschland schon vorhanden 
und bewährt sind. Freilich sind Art und 
Entstehungsursachen der deutschen Ein- 
richtungen völlig andere, als die beschrie- 
benen amerikanischen Einrichtungen. Sy- 
stematische Untersuchungen aller Einzel- 
wesen einer bestimmten Altersklasse finden 
bei uns einmal im Säuglingsalter statt, in 
den Mütterberatungsstellen, ein zweites 
Mal, und zwar jetzt in immer ausgedehn- 
terer und wirksamerer Weise, bei den 
schulärztlichen Untersuchungen im Schul- 
alter, ein drittes Mal endlich bei der 
Heeresmusterung. Damit endet allerdings 
bei uns die Durchmusterung der Ge- 
sunden. Die leichte Möglichkeit der 
kassenärztlichen Untersuchung bietet aller- 
dings einen gewissen Ersatz für die ver- 
sicherten Kreise. 

Es erwächst hier dem Arzte die 
neue, vorbeugende Aufgabe, für die zum 
Teil noch die Unterlagen der Beurteilung 
geschaffen werden müssen. Für die Er- 
haltung der Volksgesundheit bedarf es 
jedenfalls der periodischen Massenunter- 
suchung der Gesunden. 

H. Grau (Heilstätte Rheinland-Honnef). 


Mary E. Lapham: The sustained fai- 
lure in the problem of tubercu- 
losis. (Med. Record Vol. 88, p. 657, 
16. Io. IQI5.) 

Es ist unmöglich, tuberkulösen Infek- 
tionen vorzubeugen, Hillenberg fand, 
daß 25—70°/, aller Kinder in einer äußerst 
gesunden Gebirgsgegend, wo seit 10 Jahren 
kein Fall von Tuberkulose vorgekommen 
und die Krankheit beinahe unbekannt 
war, mit Tuberkelbazillen infiziert waren. 
Die Infektion konnte daher nicht von 
offenen Fällen stammen. Um die Krank- 
heit erfolgreich zu bekämpfen, muß man 
dem Entstehen tuberkulöser Prozesse vor- 
beugen. Alle Schulkinder sollten perio- 
disch untersucht werden, damit die 
schwachen und „prätuberkulösen‘“ früh- 
zeitig die nötige Behandlung erfahren und 
gegen das Auftreten der Tuberkulose ge- 
schützt werden können. 

.B. S. Horowicz (Neuyork). 


REFERATE, 


ZEITSCHR. f. 
TUBERKULOSE 


Howard Swan: The importance of 
the personal equation in the 
treatment of the tuberculous. 
(Med. Record, 2. Io. 1915, Vol. 88, 
p. 562.) 

Es ist wichtig, jene Zustände zu 
beseitigen, die die Widerstandsfähigkeit 
des Patienten verringern und auf diese 
Weise die Infektion ermöglichen, oder 
aber eine bereits verringerte Widerstands- 
fähigkeit unverändert lassen. Diese wird 
oft durch fortgesetzte Verdauungsbe- 
schwerden verursacht, die nicht selten 
auf Darmkrankheiten (Blinddarmentzün- 
dung etc.) zurückzuführen sind. Auch lo- 
kale Infektionen, wie Zahngeschwür, Eiter- 
fluß, erkrankte Tonsillen, oder wiederum 
seelische Störungen (Gram, Heimweh etc.), 
sind eine häufige Ursache verringerter 
Widerstandsfähigkeit. Keiner dieser Zu- 
stände darf daher vom Arzte unbeachtet 
gelassen werden. 

B. S. Horowicz (Neuyork). 


Edward 0. Otis: The responsibility 
of the state in the tuberculosis 
movement. (Med. Record, 28.8. 1915, 
Vol. 88, p. 349.) 

Zu einer erfolgreichen Bekämpfung 
der Tuberkulose sind gewisse staatliche 
Maßnahmen nötig: ı. Eine Propaganda 
der Volksaufklärung (populäre Vorträge, 
Zeitschriften etc.) 2. Gesetze, welche die 
Anmeldung tuberkulöser Fälle erzwingen. 
3. Freie Untersuchung des Sputums in 
staatlichen Laboratorien. 4. Kliniken für 
Tuberkulöse. 5. Heilstätten für heilbare 
Fälle. 6. Lokale Krankenhäuser für vor- 
geschrittene Fälle, um die Patienten nicht 
weit vom Hause und ihren Freunden zu 
entfernen. Anstatt der Kliniken wären 
wohl auf dem Lande Untersuchungen 
eines besuchenden Arztes genügend. 

B. S. Horowicz (Neuyork). 


Morris H. Kahn: Medical and socio- 
logical problems of department 
stores and their relation to tuber- 
culosis. (Med. Record Vol. 88, No. 8, 
p. 306, 21. 8. 1915.) 

Angestellte großer Kaufhäuser (de- 
partment stores) sollten regelmäßig unter- 
sucht und falls nötig, ihrem Gesundheits- 
zustande entsprechend, den verschiedenen 


BD, 25, HEFT 4. 
1916. 


Abteilungen zugewiesen werden. Herz- 
kranke mögen z. B. als Kassiererinen, wo 
sie sich nicht viel zu bewegen brauchen, 
angestellt werden; Angestellte, die An- 
lage zur Tuberkulose haben, sollten in 
freier, staubloser Luft beschäftigt werden. 
Verf. empfiehlt, daß Heilstätten für tuber- 
kulöse Angestellte von den Geschäfts- 
häusern errichtet werden. 
B. S. Horowicz (Neuyork). 


Leymann-Berlin-Lichterfelde: Die Ge- 
sundheitsverhältnisse der Arbei- 
ter der keramischen Industrie 
und besonders der Porzellan- 
arbeiter. (Zentralblatt für Gewerbe- 
hygiene 1915. III. Jahrg, Heft 6—9.) 

In einer früheren Arbeit war Ley- 
mann zu dem Ergebnis gekommen, daß 
die Frage, ob die früher angenommene 
große Tuberkulosesterblichkeit der kera- 
mischen Arbeiter durch Berufsschädlich- 
keiten (Staub) oder durch allgemeine Ur- 
sachen (schlechte Wohnung und Ernährung) 
hervorgerufen sei, noch offen ist. Die 
vorliegende Arbeit soll diese Frage zu 
lösen suchen. 

Die bisherigen Arbeiten von Hirt, 
Sommerfeld u. a. gaben die durch- 
schnittliche Lebensdauer der Porzellan- 
arbeiter als auffallend kurz an. L. weist 
nach, daß das Urteil sich auf das durch- 
schnittliche Sterbealter der Ange- 
hörigen einer bestimmten Vereinigung 
gründet. Nun ist aber das innerhalb 
eines bestimmten Zeitraumes ermittelte 
durchschnittliche Sterbealter einer 
Gruppe von Personen keineswegs gleich 
der durchschnittlichen Lebensdauer 
oder der Lebenserwartung dieser Personen. 
Von großer Wichtigkeit ist die Alters- 
zusammensetzung der untersuchten Per- 
sonengruppe.e Eine Nachprüfung der 
früher gefundenen Zahlen unter diesem 
Gesichtspunkte ergab, daß das durch- 
schnittliche Sterbealter, wie es Sommer- 
feld u. a. für Porzellanarbeiter ermittelt 
hatten, ziemlich genau dem der gleichen 
Altersklassen der männlichen Bevölkerung 
Preußens entspricht. Außerdem berück- 
sichtigen die in Zweifel gezogenen Zahlen 
nur das Sterbealter der noch berufstätigen 
Arbeiter, während sich unter Heranziehung 
der schon invaliden Arbeiter eine viel 


REFERATE, 


283 


höhere Zahl — 56 statt 41 — ergibt. 
Die Zahlen von Hirt, Sommerfeld u.a. 
sind also nicht maßgebend. 

Auch die Nachprüfung der Erkran- 
kungsverhältnisse (Atmungsorgane) bei den 
Porzellanarbeitern ergab, daß die Zahl 
niedriger war, als beispielsweise bei den 
Mitgliedern der Leipziger Ortskranken- 
kasse. Tuberkuloseerkrankungen waren 
im allgemeinen auch nicht häufiger, nur 
bei den Arbeitern einer bestimmten Fabrik 
waren sie etwa doppelt so häufig. 

Die Prüfung der vorhandenen An- 
gaben über die Sterblichkeit der Porzellan- 
arbeiter ergab, daß wenig einwandfreie 
Zahlen vorliegen. Eine einwandsfreie 
Vergleichung der Sterblichkeitszahlen in 
den einzelnen Altersklassen hatte das Er- 
gebnis, daß tie untersuchten Porzellan- 
arbeiter eine nur unwesentlich höhere 
Sterblichkeit an Tuberkulose haben als 
die zum Vergleich herangezogene Be- 
völkerung von Bayern. 

L. kommt daher zu. dem gleichen 
Ergebnis wie früher. Die angeschnittene 
Frage, was die Ursache der mehrfach 
festgestellten hohen Tuberkulosesterblich- 
keit der Porzellanarbeiter ist, muß noch 
offen bleiben. Daß die Tuberkulose eine 
Berufskrankheit der Porzellanarbeiter wäre, 
ist durchaus nicht erwiesen. Nur für 
einzelne Betriebe ist bisher eine hohe 
Tuberkuloseerkrankungsziffer festgestellt. 
Ein Nachweis, daß Ton oder Gipsstaub 
besonders schädlich für die Atmungs- 
organe ist, ist in keiner Weise erbracht. 

H. Grau (Heilstätte Rheinland-Honnef). 


Knud Schroeder: Über Desinfektion 
des Auswurfs Tuberkulöser in 
den Heimaten. (Bericht der Tätig- 
keit des Nationalvereins zur Bekämpfung 
der Tuberkulose 1915 und Hospitals- 
tidende, 8. Sept. 1915, N.36, p. 901.) 

An der Fürsorgestelle in Odense hat 

Verf. eingeführt, daß jedem Patient ein 

Eimer (zu 2 ], 2 Spuckflaschen und 

2 Spucknäpfe zugeteilt werden. In den 

Eimer wird 5°/, Lysollösung getan, und 

nachdem der Auswurf in den Abtritt ge- 

gossen ist, werden abwechselnd je ı Spuck- 
flasche und I Spucknapf in der Lysol- 
lösung desinfiziert (24 Std.) Die Lysol- 


284 


lösung mag etwa 
werden. 


14 Tage gebraucht 
Kay Schäffer. 


Ostenfeld: Über Pflegefürsorge für 


tuberkulöse Männer. (Dansk Sund- 
hedstidende 1915, No.9 u. I0.) 

Als der Kampf gegen die Tuber- 
kulose in Dänemark begann, projektierte 
man drei verschiedene Arten von An- 
stalten zu bauen, I. größere Heilstätten 
für leichtere Kranke, 2. kleinere Tuber- 
kulosespitäler, an die vorhandenen Spi- 
täler geknüpft, und bestimmt für schwe- 
rere Fälle und 3. kleinere Pflegeanstalten 
für Kranke, die nicht Krankenhauspflege 
nötig hatten und doch arbeitsunfähig 
waren, 

Von den ersten zwei Kategorien sind 
bis jetzt genügend gebaut, von den Pflege- 
anstalten aber nur vereinzelte. 

Inzwischen hat sich gezeigt, daß die 
Heilstätten nicht mehr der ursprünglichen 
Absicht entsprechen, indem sie nicht nur 
Leichtkranke aufnehmen, sondern auch 
Schwerkranke in großer Zahl. Die Heil- 
stätten sind somit eher eine Art Zentral- 
anstalten zur Behandlung der Lungen- 
tuberkulose geworden, aber ohne hin- 
reichende Trennung in Unterabteilungen. 
| Verf. befürwortet deshalb die zu er- 

richtenden Pflegeanstalten in Verbindung 
mit den schon bestehenden Heilstätten 
zu bauen. Kay Schäffer. 


G. E. Permin: Einige Erfahrungen 
über Pflege- und Rekonvales- 
zentenheime für Brustkranke. 
(Ugeskrift for Laeger No. 17, 1915.) 

Bericht über eine Pflegeanstalt für 

Tuberkulöse, die 8 Jahre betrieben worden 

ist. Es sind sowohl Pflegepatienten, als 

auch Rekonvaleszenten behandelt worden. 

Es ist ein Vorteil, die Anstalt auf diese 

Weise „gemischt“ zu betreiben. Die Pa- 

tienten möchten nicht gern in die reinen 

Pflegeanstalten sich aufnehmen lassen, 

wenn sie aber sehen, daß ein Teil der 

Insassen (die Rekonvaleszenten) in ziem- 

lich gutem Zustand entlassen werden kann, 

geht es bedeutend leichter. 
Kay Schäffer. ™ 


Sch. Kreinermann-Polonnoye: Über das 
Verhalten der Lungentuberkulose 


REFERATE. 


ZEITSCHR, í. 
TUBERKULOSE 


bei den Juden. (Correspondenzbl. 
f. Schweizer Ärzte 1915, Nr. 49, 5.1546; 
Inaug.-Diss. Basel 1915.) | 
In einer sehr interessanten Studie 
kann der Verf. unter Zuhilfenahme zahl- 
reicher Statistiken über die Morbiditäts- 
und Mortalitätsverhältnisse der Juden, im 
besonderen unter Zugrundelegung von 
140 Patienten des jüdischen Kranken- 
hauses in Berlin aus den Jahren 1908 
bis 1914, feststellen, daß die Erkrankung 
und Todeszifer an Tuberkulose weit 
günstigere Zahlen aufweist als bei der 
nichtjüdischen Bevölkerung. Wichtig ist 
dabei die Feststellung, daß die Disposition 
und die Exposition bei den Juden eine 
sehr große ist. Ganz besonders auffallend 
ist der verhältnismäßig leichte Verlauf 
der Erkrankung; sehr selten wird Miliar- 
tuberkulose beobachtet. Verf. gibt unter 
Heranziehung der einschlägigen Literatur 
eine Reihe von Erklärungen für dieses 
„paradoxale“ Verhalten. Darunter wird 
angeführt, daß die Widerstandsfähigkeit 
der Juden gegen die Tuberkulose in der 
Mäßigkeit im Alkoholgenuß zu suchen 
ist; das Delirium tremens ist bei den 
Juden die größte Seltenheit. Eine andere 
Erklärung wird nach Fishberg darin 
gegeben, daß den Juden eine erworbene 
Immunität zugeschrieben wird. „Der 
Jude hat seinen Organismus an das Leben 
im geschlossenen Raum Jahrhunderte 
hindurch angepaßt, er wohnte Jahrhunderte 
hindurch in überfüllten Wohnungen und 
hat den Preis für die Urbanisierung vor 
langer Zeit bezahlt. In den mittelalter- 
lichen Ghettos erreichte die Mortalität an 
Tuberkulose ungeheure Ziffern. Da die 
Juden 60 Generationen hindurch unter 
ziemlich gleichen ungünstigen Verhält- 
nissen lebten, mußte wohl ein großer 
Prozentsatz von ihnen, die für Tuber- 
kuloseansteckung Inklinierten, ausgemerzt 
werden. So haben die Juden eine Im- 
munität gegen die Tuberkulose gezüchtet 
und durch Inzucht fixiert.“ Die Tuber- 
kulose findet auf diese Weise jetzt bei 
den Juden einen schlechteren Nährboden, 
es besteht bei ihnen eine größere Neigung 
zu Bindegewebsbildung. Einen” gewissen 
Schutz bietet auch die strenge Befolgung 
der rituellen jüdischen Speisegesetze, die 
den Genuß von krankem Fleisch ver- 


BD. 25, HEFT 4. 


{916 


‚hüten. Ferner gewähren die hygienisch- 
religiösen Vorschriften der Juden einen 
gewissen Schutz gegen Infektionskrank- 
heiten überhaupt, speziell auch gegen die 
Tuberkulose. Auch die schon im Talmud 
vorgeschriebene Wichtigkeit des Arztes 
und der ärztlichen Behandlung, die Für- 
sorge für die Armen und Kranken bei 
den Juden wird eine gewisse Rolle spielen. 
Die Wichtigkeit der frühzeitigen Erkennung 
und Behandlung der Tuberkulose ist ja 
allgemein bekannt. 
Gustav Baer (Davos). 


Ill. Allgemeine Pathologie und patho- 
logische Anatomle. 


EB. Stenhouse Williams and E. H. R. 
Harries: Bovine tuberculosis in 
men. (King Edward VII Welsh 
. National Memorial Association, Uni- 
versity Press, Cambridge 1915, I4 pp.) 

Der Bericht befaßt sich mit den 
Untersuchungen des Bakteriologen Wil- 
liams und des Tuberkulosearztes Harries 
über die Bedeutung der bovinen Tuber- 
kulose (Perlsucht) für den Menschen. Die 
beiden Forscher haben ein großes stati- 
stisches und experimentelles Material 
zusammengebracht und bearbeitet. Sie 
kommen zu dem Ergebnis, daß die bovine 

Infektion doch große Bedeutung hat, 

zumal für die Tuberkulose anderer Organe 

als die Lunge. Die Statistik zeigt, daß 
die Todesfälle an Tuberkulose für alle 


Formen der Krankheit abgenommen haben, 


für Lungentuberkulose aber weit mehr als 
für andere Formen. Diese anderen Formen 
(Knochen, Gelenke, Drüsen) aber sind 
sicher in einem ganz erheblichen Prozent- 
satz auf bovine Infektion zurückzuführen, 
und es ist deshalb namentlich der sorg- 
fältigen Überwachung der Milchversorgung 
besonderes Augenmerk zu schenken. Es 
bleibt auf diesem Gebiet gerade in Eng- 
land noch viel zu tun. 
| Meißen (Essen). 


J. Fraser: The etiology and patho- 


logy of bone and joint tubercu- | 
losis. (Journ. Amer. Med. Assoc. 1915, 


-© Vol. LXIV, No. 1, p. 17.) 


REFERATE. 


285 


Verf. berichtet über seine in Edin- 
burgh (Schottland) vorgenommenen Unter- . 
suchungen über Knochen- und Gelenk- 
tuberkulose. 

Der Vortrag besteht aus 2 Teilen: 
I. Ätiologie. II. Pathologie. . | 

I. Ätiologie: Nach Verf. Unter- 
suchungen bezüglich der Bazillentypen 
waren 62°/, der Knochen- und Gelenk- 
tuberkulosen in Edinburgh mit dem Typus 
bovinus infiziert. Bei den übrigen 38°/,, 
welche mit dem Typus humanus infiziert 
waren, konnte in 71°/, der Familien 
Tuberkulose konstatiert werden. 

Infektionswege: Tuberkulose der 
synovialen Membran läßt sich experi- 
mentell leicht erzeugen, nämlich auf dem 
Blutwege. Der gesunde Knochen läßt 
sich experimentell nur schwer infizieren. 
Knochenmark mußte zuerst gelatinös oder 
fibromyxomatös umgewandelt werden. 
Diese Umwandlung soll auf tuberkulöser 
Toxämie und davon abhängender End- 
arteritis beruhen.. In einem Knochen, 
dessen Mark so entartet ist, entwickelt 
sich die tuberkulöse Osteomyelitis. Verf. 
behauptet, daß Knochen- und Gelenk- 
tuberkulose im wesentlichen immer sekun- 
där sind. 

II. Pathologie: Die Knochenkrank- 
heit kann in der Diaphyse, Metaphyse 
oder Epiphyse beginnen, Ob sie in der 
Epiphyse oder Metaphyse anfängt, hängt 
davon ab, ob die Reflektion der primär 
infizierten synovialen Membran mit der 
Epiphyse resp. Metaphyse in Berührung ist. 

Aller Wahrscheinlichkeit nach werden 
die Bazillen erstens durch einen Erguß 
aus einem durch Endarteritis geschwächten 
Gefäße abgelagert. Um diese Bazillen 
herum entwickelt sich ein Tuberkel. Verf. 
betont die Tatsache, daß dieser Tuberkel 
typisch tuberkulös in seinem Aufbau ist 
und sich innerhalb des Knochenmarks 
entwickelt. Unabhängig aber von diesem - 
Prozeß kommen bestimmte Veränderungen 
vor, worauf manche klinische Erscheinun- 
gen beruhen sollen. Diese Veränderungen 
sind die des Knochenmarks (zellulär und 
fibrös); die der Knochenmarkschichten 
(Osteoporose und Osteosklerose); die des 
Periosts (Neubildung von porösen und 
kompakten Knochen). 

Die groben pathologischen Typen 


286 


der Knochentuberkulose teilt Verf. fol- 
genderweise ein: 

1. Die eingekapselte Läsion. 

2. Die infiltrierende tuberkulöse Lä- 
sion. 

3. Die atrophische tuberkulöse Lä- 
sion. 

4. Die hypertrophische tuberkulöse 
Läsion. 

Diese 4 Typen werden hinsichtlich 
ihrer makro- und mikroskopischen Einzel- 
heiten beschrieben. 

Soper (Saranac Lake, N.Y.). 


Alfred Pettersson: Über die Möglich- 
keit, durch pathologisch-anato- 
mischeSektionsbefundedieQuelle 
und Eingangspforte der tuberku- 
lösen Ansteckung zu bestimmen. 
(Svensh a Läharesä Ushapets för hand- 
lingar 14. 9. 1915, S. 445—461.) 

Verf. hebt hervor (in einer Polemik), 
daß man bei der Beurteilung von Sektions- 
befunden die experimentell studierten Ver- 
hältnisse bei erneuter Tbc.-Infektion, so- 
wie die Immunitätsverhältnisse beachten 
muß. Bei der Schätzung des relativen 

Alters verschiedener tuberkulöser Ver- 

änderungen in dem Körper, käsigen, ka- 

vernösen usw., sind von großem Gewicht, 

z. B. die Untersuchungen über experimen- 

telle Lungenphthise bei intravenöser Re- 

infektion tuberkulöser Tiere. Ebenso die 
bekannten Tatsachen der Tuberkulose- 

Immunität bei der Diskussion von mul- 

tipler Infektion. Fälle von Verf.s und 

Klings Untersuchungen mit z. B. tuber- 

kulöser Meningitis und Lungentuberkulose 

(und Konstatierung des bovinen Bazillen- 

typus), ohne tuberkulöse Veränderungen 

der Hals- und Mesenteriallymphdrüsen 
beleuchten auch die heikle Sache, nach 
rein pathologisch-anatomischen Tatsachen 
die Aspirations- und Deglutitionstuber- 
- kulose zu unterscheiden. 
Tillgren (Stockholm). 


G. Herzheimer und W. Roth: Zur fei- 
neren Struktur und Genese der 
Epitheloidzellen und Riesen- 
zellen des Tuberkels. (Beiträge z. 
pathol. Anatomie u. z. allg. Pathologie, 
Bd. 61, Heft 1, 1915, S. 1—41.) 

Auf Grund von ı2 untersuchten 


REFERATE, 


ZEITSCHR. f. 
TUBERKULOSE 


Fällen, die hauptsächlich nach der Benda- 
schen Methode zur Darstellung der Zen- 
tralkörperchen gefärbt waren, kommen 
die Verff. zu dem Schluß, daß die tuber- 
kulöse Riesenzelle vom Typus Langhans 
aus einer Epitheloidzelle durch Kerntei- 
lung ohne Protoplasmateilung entsteht. 
Die Kernteilung ist nie mitotisch, sondern 
stets amitotisch. Teilen die Epitheloid- 
zellen sich mitotisch, dann erfolgt auch 
eine Protoplasmateilung, es findet dann 
also eine numerische Vermehrung der 
Epitheloidzellen, aber keine Riesenzell- 
bildung statt. Im Zentrum der zur Riesen- 
zelle sich umwandelnden Epitheloidzelle 
kommt es zu einer Ausbildung von Zen- 
tralkörperchen und Sphären, welche die 
wandständige Lagerung der Kerne be- 
wirkt. Später beginnt in dem Zellzentrum 
ein Protoplasmazerfall, der bis zur Nekrose 
führen kann. Die Zentralkörperchen 
„schwärmen“ dann mehr an den Zell- 
rand, können eventuell auch zugrunde 
gehen. Die Epitheloidzellen selbst stam- 
men in den Lymphdrüsen aus den Reti- 
kulumzellen. Auch in ihnen lassen sich 
Sphäre und meist 2—3 Zentralkörperchen 
nachweisen. Ceelen (Berlin). 


J. Hayashi: Über die Entstehung 
und das Schicksal der Riesen- 
zellen. (Frankf. Zeitschr. f. Pathologie, 
Bd. 17, Heft 1—3, 1915.) 

Die Arbeit, die in der Hauptsache 
die Entstehung und das Schicksal der 
Fremdkörperriesenzellen behandelt, 
stützt sich auf experimentelle Unter- 
suchungen am Kaninchen, und zwar nach 
Injektion von Scharlachrot-Olivenöl, von 
Olivenöl - Ölsäuregemisch, von Ruß in 
Olivenöl und von Agar. Um die ein- 
geführten Fremdkörper bilden sich epi- 
theloide Zellen (wie sie Verf. bezeichnet), 
die den Adventitialzellen Marchands 
und den Polyblasten Maximows ent- 
sprechen, und Riesenzellen. Beide Zell- 
formen sind im großen und ganzen von 
gleicher Beschaffenheit und unterscheiden 
sich nur durch Größe und Anzahl ihrer 
Kerne. Mitosen finden sich nur in den 
einkernigen Zellen; in den Riesenzellen 
geht die Kernteilung amitotisch vor sich. 
Die Riesenzellen entstehen nie durch Zu- 
sammenfließen mehrerer Zellen. Sie sind 


BD. 25, HEFT 4. 
1916. 


REFERATE, 


287 


in der 3. Woche nach der Injektion auf | I. P. Cullen: Relationship of pulmo- 


der Höhe der Entwickelung, verfallen 
dann der Atrophie und einer vakuolären 
Degeneration; sie wandeln sich nie zu 
bleibenden Gewebsbestandteilen um. 
Ceelen (Berlin), 


R. Jaffe: Pathologisch-anatomische 
Veränderungen nach Injektion 
einzelner Bestandteile des Tu- 
berkelbazillus. (Frankf. Zeitschr. f. 
Pathologie, Bd. 17, Heft 1—3, 1915.) 

Verf. machte Versuche mit extra- 
hierten Tuberkelbazillen und Chloroform- 
extrakten von etwa 8 wöchentlichen Gly- 
zerin-Agarkulturen, die er teils intravenös, 
teils intraperitoneal und subkutan inji- 
zierte. Für Meerschweinchen benutzte er 
den Typus humanus, für-Kaninchen den 
Typus bovinus. Er kommt zu dem Er- 
gebnis, daß die durch Chloroform ent- 
fetteten Tuberkelbazillen weder intravenös, 
noch intraperitoneal, noch subkutan eine 
typische, vor allem fortschreitende, Tuber- 
kulose erzeugen; die pathogene Wirkung 
der Bazillen wird also durch das Chloro- 
form vernichtet. 

Der in Olivenöl gelöste Chloro- 
formextrakt von Tuberkelbazillen ver- 
hielt sich bei den verschiedenen Appli- 
kationsmethoden verschieden. Am wirk- 
samsten war die intravenöse Injektion 
des Extraktes, die regelmäßig in den 
Lungen Veränderungen hervorrief, wie 
sie nach Injektion toter Bazillen bereits 
mehrfach beschrieben sind, nur wurde 
‘ nie Verkäsung beobachtet. 

Ceelen (Berlin). 


Sophie Tresling: De aanleg voor Tu- 
berculose. Die Veranlagung für die 
Tuberkulose. — (Tuberkulose 1915 
[Holländisch] Jahrg. XI, No. 2.) 

Die Verf. behandelt die Freund- 
sche Theorie und empfiehlt Lungengym- 
nastik als ein ausgezeichnetes Mittel zur 
- Kräftigung der Konstitution. Die Atem- 
übungen werden eingehend beschrieben. 
Wie das in den von Laien geschriebenen 
- Aufsätzen oft der Fall ist, werden auch 
in dieser Arbeit Theorien, die noch keines- 
wegs algemein anerkannt sind, als er- 
wiesen betrachtet. Vos (Hellendoorn). 


nary tuberculosis in childhood 
(Hilum phthisis) to phthisis of 
adult life, with comparison of 
their symptoms and signs. (Prac- 
titioner, London, April 1915, Vol. 94, 
No. 4.) | 
Die Unterschiede im Verlauf der 
Tuberkulose bei Erwachsenen und Kin- 


dern lassen sich nach: Ansicht des Verf. 


aus den anatomischen Besonderheiten der 
Altersklassen erklären. Wenn in der Kind- 
heit die Krankheit auf die Lymphdrüsen 
und Lymphwege beschränkt bleibt, ist die 
Prognose bei rechtzeitiger Erkennung und 
Einleiten der Therapie gut. Als wichtigste 
therapeutische Faktoren erwähnt Verf. die 
Luft und den Lebertran. Wird das Leiden 
falsch oder zu spät diagnostiziert, dann 
wird die Heilungsaussicht mit zunehmen- 
dem Alter schlechter. Bei Erwachsenen, 
treten die lokalen Symptome mehr in den 
Vordergrund: Husten, Hämoptoe, Aus- 
wurf sind es, die ihn zum Arzt führen. 
Verf. ist der Ansicht, daß genügend ob- 
jektive Symptome vorhanden sind, um 
bei gründlicher Untersuchung die Diagnose 
rechtzeitig zu ermöglichen. 
Stern (Straßburg). 


A. Jousset: Signification generale des 
reactions tuberculiniques. (Bulle- 
tin de Académie de Médecine, 25. Mai 
1915, T. 73, No. 21.) 

Im allgemeinen war man bisher der 
Ansicht, daß der positive Ausfall der 
Tuberkulinreaktion herrühre von der An- 
wesenheit von Tuberkelbazillen im Körper. 
Verf. erzeugte eine positive Reaktion bei 
gesunden Tieren durch Einspritzung von 
sterilisierten und filtrierten Tuberkelbazil- 
lenprodukten. Die so behandelten Tiere 
waren immun gegen Tuberkelbazillen, 
zeigten weder makroskopisch, noch mikro- 
skopisch tuberkulöse Veränderungen, und 
ihr Serum hatte eine immunisierende Wir- 
kung. Da diese Tiere ausgesprochenste 
lokale und allgemeine Reaktion gaben, so 
folgert Verf., daß nicht die Anwesenheit 
der Bazillen, sondern die steigende Im- 
munität die Ursache der Tuberkulin- 
reaktion sei, 

Stern (Straßburg). 


288 


A. Jousset: L'erreur de Cohnheim et 
le determinisme du chancre tu- 
berculeux. (Bull. de l’Acad. de Méd., 
Paris, 9. Mars 1915, Tom. 73, No. 10.) 

Nach Ansicht von Jousset spielt 
bei der Tuberkulose die physikalische 

Beschaffenheit des krankmachenden Virus, 

Menge und Virulenz der Bakterien, Vis- 

kosität und Kleinheit der Partikel, Homo- 

genität und Beständigkeit der Emulsion 
eine . große Rolle. Kulturen, die ganz 
bestimmte Läsionen hervorbrachten, ver- 
loren alle ihre pathogenen Eigenschaften, 
wenn man durch Zerreiben der Kultur 

im Mörser die Kohäsion zwischen den 

Bazillen aufhob oder wenn man die Kul- 

tur leicht ansäuerte. Jousset kommt 

zu dem Ergebnis, daß die bisher den 

Tuberkelbazillen als unveränderlich inne- 

wohnend angenommenen Eigenschaften 

verändert oder vernichtet werden können 

durch bloße mechanische Veränderungen, 

die man mit der Kultur vornimmt. 
Stern (Straßburg). 


0. Lubarsch: Über Kohlenstaubab- 
lagerungen im Darm, (Dtsch. med. 
Wochschr. 1915, Jahrg. 41, Nr. 35, 
S. 1026.) 

Nach Verf.s systematischen Unter- 
suchungen findet sich häufg in den 
Peyerschen Plaques des untersten Ileums 
ein Pigment, das weder die Eisenreaktion 
gibt, noch Veränderungen bei Einwirkung 
von Salz- und Schwefelsäure zeigt und 
auch aus anderen Erwägungen nur als 
Kohlenstaub angesprochen werden kann. 
Dieses Pigment, das am Grunde der ein- 
zelnen Lymphknötchen in Spindel- oder 
verästelten Zellen wie in den Deckzellen 
der Lymphgefäße liegt und den Plaques 
zuweilen ein deutlich getüpfeltes Aus- 
sehen verleiht, konnte schon bei Kindern 
von 2!/, bis 16 Jahren, und zwar unter 
81 Fällen elfmal, gefunden werden und 
war im übrigen bei allen Altersklassen 
nachweisbar. Zweifellos entsteht diese 
Darmanthrakose durch Verschlucken von 
Kohlenstaub, hat jedoch ebenso sicher 
keinerlei Beziehungen zu der Anthrakose 
der Lungen, wie man etwa im Hinblick 
auf die Behauptungen Calmettes, Gry- 
sez und Vansteenberghes vom in- 
testinalen Ursprung der Lungenanthrakose 


REFERATE, 


ZEITSCHR, f, 
TUBERKULOSE 


annehmen könnte. Ganz abgesehen da- 
von, daß diese Behauptungen besonders 
durch einwandfreie Tierexperimente deut- 
scher Forscher bereits wiederlegt sind, 
konnte Lubarsch kein einziges Mal 
Kohlenpigment in einer regionären mesen- 
terialen Lymphdrüse auffinden, so daß 
also nicht nur eine Abhängigkeit der 
Kohlenstaubanthrakose der Lungen und 
Lymphdrüsen des Brustraumes ausge- 
schlossen, sondern auch eine Beziehung 
zur Anthrakose der retroperitonealen und 
portalen Lymphdrüsen höchst unwahr- 
scheinlich ist. Wohl aber sind L.s Be- 
funde geeignet, „die Lehre von der nicht 
seltenen doppelten Infektion mit Tuber- 
kulose (durch Einatmung und Fütterung) 
zu stützen“. 
C. Hart (Berlin-Schöneberg). 


Johann Philipp Rothkeppel: Ein Bei- 
trag zur Entstehung tuberkulöser 
Pleuraschwarten. (Inaug. Diss., Er- 
langen 1915, 75 Seiten.) 

Die Pleuraschwarten bei Tuberkulose 
der Lungen kommen nicht allein durch 
die Organisation des entzündlichen pleu- 
ritischen Exsudates zustande, sondern sind 
teilweise auch das Produkt einer Wuche- 
rung des subserösen Bindegewebes nament- 
lich der Pleura pulmonalis. In den mei- 
sten Fällen geht mit der Schwartenbildung 
eine Induration des subpleuralen Lungen- 
gewebes einher, die zu einer Verödung 
und Ausheilung der dort gelegenen tuber- 
kulösen Herde führen. kann. Das Fehlen 
histologischer Merkmale von Tuberkulose 
in Pleuraschwarten bei Lungentuberkulose 
schließt ihre tuberkulöse Genese nicht aus. 
Denn einmal kann die Schwartenbildung 
Folge rein toxischer Wirkungen sein, dann 
können spezifisch tuberkulöse Herde sich 
bald in einem frühen Stadium der Pleu- 
ritis, bald in der voll ausgebildeten 
Schwarte bis zu völligem Schwinden zu- 
rückbilden. Natürlich wird man nie ver- 
gessen dürfen, daß eine pleuritische 
Schwarte auch das Residuum irgendeiner 
anderen früheren Erkrankung der Lunge 
oder der Pleura sein und ihrerseits erst 
durch die Schädigung der Lungenfunktion 
eine lokale Disposition zur tuberkulösen 
Erkrankung schaffen kann. — Das den 
Untersuchungen zugrunde liegende Mate- 


BD.26, HEFT 4. 
1916. 


rial umfaßt 30 Fälle, deren ausführliche 
Protokolle größtenteils im Anhang bei- 
gefügtsind. .C. Hart (Berlin-Schöneberg). 


W. Lanz: Über einen Fall von Tuber- 


kulose der Plazenta und der Ei- 
häute. (Arch. f. Gynaekol. 1915, Bd, 
104, Heft 2, S. 238.) 

Bei der an Miliartuberkulose ver- 
storbenen, im vierten Monat graviden 
Frau fanden sich neben einer tuberkulösen 
Salpingitis schon makroskopisch deutlich 
erkennbare tuberkulöse Veränderungen der 
Plazenta und der Eihäute. In der De- 
cidua vera zeigte das Mikroskop typische, 
teilweise zentral verkäste Epitheloidzellen- 
tuberkel, ferner käsige Platten und un- 
spezifische nekrotische Herde, in der De- 
cidua basalis gegen die intervillösen Blut- 
räume vorspringende und teilweise Zotten 
umschließende, großenteils zentral verkäste 
Tuberke. In der Plazenta sah man 
Schollen aus nekrotischen oder erhaltenen 
Zellen mit wenig Fibrin untermischt, 
Tuberkel, Desquamation des Zottenepi- 
thels in der Nähe von Bazillenhaufen. 
Die Tuberkulose der Plazenta und der 
Eihäute wird teils als eine von den Tuben 
fortgeleitete, teils als eine hämatogene an- 
gesprochen derart, daß sich eine Miliar- 
tuberkulose zu einem chronischen käsigen 
Prozeß hinzugesellte. Das Zottenepithel 
wird als für die Tuberkelbazillen schwer 
passierbare Grenzschicht angenommen, 
ein aktives Eindringen der Bazillen in 
das Epithel für möglich gehalten. Tuberkel- 
bazillen waren fast überall in großer 
Menge vorhanden; die Bildung der Ne- 
krosen wird auf eine Toxinwirkung zurück- 
. geführt. 

Ein Übergang von Tuberkelbazillen 
auf die Frucht mußte stattgefunden haben, 
da mit FEmbryoleber geimpfte Meer- 
schweinchen tuberkulös wurden, jedoch 
konnte die in Betracht kommende Ba- 
zillenmenge nicht groß sein, da sich weder 
histologisch noch bei Antiforminbehand- 
lung Bazillen in anderen Organen nach- 
weisen ließen. Es erklärt sich das aüs 
der vorwiegenden Erkrankung der De- 
cidua vera, während die Decidua basalis 
der Plazenta nur spärliche tuberkulöse 
Herde. enthielt, und aus einer wahr- 
scheinlich frühzeitigen Obliteration der 

Zeitschr. f. Tuberkulose.. 25. 


REFERATE. 


a e a Iaa eaa aŘĖŘŮĖĖĖĖ———— een m m ee —n 


289 


Zottengefäße. Das Fehlen spezifisch tu- 
berkulöser Veränderungen in den fötalen 
Organen trotz Bazilleneinbruches wird als 
neuer Beweis für eine in den ersten 
Stadien des Embryonallebens bestehende 
Immunität gegen Infektionskrankheiten an- 
gesehen. Bei älteren Föten hat man be- 
kanntlich tuberkulöse Organveränderungen 
nachweisen können. 
C. Hart (Berlin-Schöneberg). 


G. B. Webb, A. M. Forster, G. B. Gilbert: 
Trachea position. (Journ. Amer. 
Med. Assoc., 18. Sept. 1915, Vol. LXV, 

- No. 12, p. 1017.) 

Verf. haben Untersuchungen der 
Tracheastellung bei 100 Fällen von Lungen- 
tuberkulose aller Stadien angestellt. Bei 
69 Fällen war eine Tracheadeviation fest- 
zustellen, und zwar nach der Seite der 
stärker komprimierten Lunge. Unter 44 
Schwerkranken war die stärker kompri- 
mierte Lunge 38mal durch die Trachea- 
stellung richtig zu konstatieren. Unter 
56 leichter infizierten Fällen, welche früher 
einmal an Pleuritis gelitten hatten, war 
die stärker komprimierte Lunge 32 mal 
richtig zu erkennen. | 

Verf. meinen, daß die Feststellung 
einer Tracheadeviation einen gewissen 
Wert für die Frühdiagnose haben kann 
und weiter, daß sie für die Bestimmung 
der Möglichkeit einer erfolgreichen Pneumo- 
thorax-Behandlung gelten könne. Bei der 
Anlegung eines künstlichen Pneumothorax 
soll häufig die Bewegung der Trachea 
nach der gesünderen Seite zu eine gün- 
stige Prognose für die Behandlungsmethode 
geben. = 

Die Untersuchungsmethode ist ganz 
einfach. Man kann, in den meisten Fällen, 
die Trachea gerade über der Mitte des 
Sternums mit dem Daumen tasten. Außer- 
dem ist die Auskultation wertvoll, indem 
man zuweilen, sowohl nach vorn wie 
hinten, das Trachea-Atmen und dieFlüster- 
stimme weit in der Richtung der De- 
viation hören kann. | 

Soper (Saranac Lake N.Y.) 


Thiele-Chemnitz: Der Einfluß von 
Krankheiten, insbesondere der 
Tuberkulose, auf das Wachstum 
und den Ernährungszustand der 


19 


290 


Schulkinder. (Berl. klin. Wchschr. 

1915, Nr. 36, S. 949.) 
Verf. stellt nach seinen Erfahrungen 
als Stadtschularzt Körpergewicht und Kör- 
perlänge von gesunden und kranken Kin- 
dern vergleichend zusammen. Bei tuber- 
kulosegefährdeten und tuberkulösen Kin- 
dern kommt er zu folgendem Resultat: 
Die Kinder kommen mit verhältnismäßig 
geringerem Körpergewicht zur Schule, die 
Knaben auch etwas kleiner; bei den 
Knaben fällt dann ein Zurückbleiben von 
Größe und Gewicht durch die ganze 
Schule hindurch auf. Auch bei den Mäd- 
chen ist ein Zurückbleiben bis in die 
Mitte der Schulzeit ersichtlich, dann je- 
doch beginnt gerade bei ihnen ein schnel- 
leres Wachstum, ohne daß das Körper- 
gewicht des gesunden erreicht wird. Es 
kommt gerade jetzt der typische phthi- 
sische Habitus in der Pubertät zur Ent- 
wickelung. 

C. Moewes (Berlin-Lichterfelde). 


Mary E. Lapham: Our present know- 
ledge of tuberculosis. (New York 
Med. Journ., 11. 9. 1915, Vol. 102, 
p. 549.) 

Säurefestigkeit besitzende Bazillen 
sind immer mit Tuberkulose verbun- 
den. Diese Bazillen findet man in der 
Nahrung aller Tiere und auch in den 
Säften und Geweben der Tiere. Sie 
werden mit dem Harn, den Faeces, der 
Milch und dem Sputum ausgeschieden, 
ob Tuberkulose vorhanden ist oder nicht. 
Die allgemeine Verbreitung dieser Ba- 
zilen macht es unmöglich, der Tuber- 
kuloseinfektion vorzubeugen. Unser bestes 
Mittel zur Verhütung der Tuberkulose 
besteht in dem frühen Erkennen tuber- 
kulöser Prozesse. Verfasserin empfiehlt 
periodische Untersuchungen aller auch an- 
scheinend gesunden Personen, Sie betont 
die Wichtigkeit der Forschungen auf dem 
Gebiete der säurefesten Bazillen. Was 
tun sie in der Butter, Milch, im Käse, 
Blut, Faeces, Harn? . Welche Rolle im 
Entwickelungsstadium der Tuberkelbazillen 
spielen die Smegmabazillen ? 

B. S. Horowicz (Neuyork). 


Otto Schlesinger-Berlin-Freiburg: Einiges 
. über den Zusammenhang von 


ZEITSCHR., f, 


Klima und Tuberkulose. (Berl. klin. 
Wchschr. 1915, N. 44, S. 1133.) 

Der Zusammenhang von Klima und 
Tuberkulose war bereits den Ärzten des 
klassischen Altertums bekannt. Von jeher 
sind darüber zahlreiche Untersuchungen 
angestellt worden. Zahllose klimatische 
Faktoren, die alle einzeln berücksichtigt 
werden wollen, kommen in Betracht. Nach- 
dem die Wirkung der einzelnen klimatischen 
Faktoren erforscht ist, muß die spezielle 
Wirkung jedes Klimas auf die Tuberku- 
lose beobachtet werden. Bei den Unter- 
suchungen über klimatische Einflüsse, muß 
die Wirkung anderer Faktoren, Beruf usw. 
ausgeschaltet werden. Verf. will durch 
seine Ausführungen ein System angeben, 
nach dem die ausgedehnte Literatur über 
den Einfluß des Klimas auf die Tuber- 
kulose zweckmäßig zusammengestellt wer- 
den kann. 

C. Moewes (Berlin-Lichterfelde). 


H. Walsham and W. Overend: Remarks 
on the movement of the dia- 
phragma in early pulmonary tu- 
berculosis. (Brit. Med. Joum., 31. 
July 1195.) 

Verff. finden, daß das sogen. Williams- 
sche Symptom, eine Beschränkung in der 
Abwärtsbewegung des Zwerchfells, sich so- 
wohl in Frühstadien der Lungentuber- 
kulose, als auch bei anderen Lungen- 
und Pleuraerkrankungen findet; seine Wir- 
kung ist Verkleinerung von Dauer und 
Amplitude der gewöhnlichen Inspirations- 
welle, wodurch der erkrankten. Fläche der 
Lunge Ruhe und Schutz gewährt wird. 

Stern (Straßburg). 


H. Walsham and W. Overend: Radio- 
logical types of pulmonary tuber- 
culosis. (Arch. of Radiology and 
Elektrotherapie, August 1915.) 

Röntgenologisch teilt Verf. die Lungen- 
tuberkulose ein in Tuberkulose der Bron- 
chialdrüsen, Peribronchitis, Bronchopneu- 
monie, pneumonische Phthise, Pleuritis, 

Spitzentuberkulose und Miliartuberkulose. 

Feine Schatten lateral vom Sternum zwi- 

schen 3. und 5. Rippe stellen vergrößerte 

Tracheobronchialdrüsen dar, Schatten 

unterhalb der pars vertebralis der 6. Rippe 


ı sind Drüsen an der Bifurkationsstelle. Ein- 


BD, 25, HEFT 4, 
1916. 


fache tuberkulöse Peribronchitis sieht man 
in den. Fossae subclaviculares, an den 
Spitzen, in der Gegend der Spina und 
des Angulus scapulae, sowie längs der 
zum Zwerchfell ziehenden Bronchien. Bei 
der exsudativen Form der tuberkulösen 
Peribronchitis fehlt die Bildung fibrösen 
Gewebes, bei der disseminierten Form 
finden sich massenhaft kleine peribronchiale 
Tuberkel, bei der fibrösen Form ist die 
Bindegewebsproliferation sehr reichlich. 
Man sieht röntgenologisch diffus dunkle 
Zonen mit Streifungen und einzelnen 
dunkleren Schatten besonders in den 
Oberlappen. Herz und Trachea können 
auf die kranke Seite verlagert sein. 
Bronchiectasieen kommen bei der chro- 
nischen Form bisweilen im Unterlappen 
vor. Bei der tuberkulösen Bronchopneu- 
monie und Pneumonie findet sich vor 
allem Verdichtung. Die Pleuritis, die 
häufiger links als rechts sitzt, stellt meist 
eine Sekundärerkrankung nach Drüsen- 
infektion dar. Spitzentuberkulose kann 
vom Typus der Peribronchitis, Broncho- 
pneumonie, Pleuritis, Miliartuberkulose 
sein. Die bronchopneumonische Form 
zeigt die meiste Tendenz zur Kavernen- 
bildung. Miliartuberkulose kann peri- 
bronchial, perivasculär oder allgemein sein, 
letzteres besonders nach Infektion von 
einem extrapulmonären Herde aus. Man 
teilt die Miliartuberkulose ein in die sub- 
akute Form, wo die Herde runde Schatten, 
umgeben von klaren Zonen, bilden und 
die akute Form, wo die Schatten klein 
sind, aber wegen ihrer großen Zahl die 
Platte gleichmäßig dunkel erscheinen 
lassen. Stern (Straßburg). 


Kennon Dunham (Cincinnati): Pulmo- 
nary tuberculosis. (American Roent- 
gen Ray Society, September 1915.) 

Verf. fand häufig streifenförmige Ver- 
dichtungen in der Lunge; diese rühren 
seiner Ansicht nach von Tuberkeln her, 
welche längs der Bronchien liegen. Beim 

Durchbruch dieser kleinen Tuberkel in 

den Bronchus entstehen kleine Kavernen, 

aus denen der Bronchus einen natürlichen 

Abfluß bildet. Dieser beschränkt das 


Weiterschreiten der Erkrankung Der 


krankhafte Prozeß greift nicht von einem 
kleinen Bronchus auf den anderen über, 


REFERATE. 291 


sondern geht rückwärts bis zum Stamm- 
bronchus. Stern (Straßburg). 


C.Moewes:Tuberkelbazillenim Blute. 


III. Tuberkulinwirkung und Bacil- 
laemie. (Dtsch. med. Wchschr. 1915, 
Nr. 46, S. 1368.) 

Zur Klärung der prinzipiell wichtigen 
Frage, ob durch Tuberkulineinspritzung 
bei Tuberkulose eine Mobilisierung der 
Tuberkelbazillen eintritt, stellte Verf. tier- 
experimentelle Untersuchungen bei Men- 
schen und Meerschweinchen an. Bei 40 
nicht tuberkulinisierten Patienten mit reiner 
Lungentuberkulose erhielt er in 2 Fällen 
(= 5°/,), bei 30 tuberkulinisierten Kranken 


gleichfalls in 2 Fällen (= 6,6°/,) einen 


positiven Blutbefund. Ebenso fand er bei 
den nicht tuberkulinisierten Tieren in 64 °/, 
(bei 14 Meerschweinchen), bei den tuber- 
kulinisierten Tieren in 68°/, (bei r5 Meer- 
schweinchen) virulente Tuberkelbazillen im 
Blute. „Aus diesem um ein ganz Geringes 
höheren Prozentsatz positiver Befunde bei 
den tuberkulinisierten Fällen eine Mobili- 
sierung der Tuberkelbazillen durch Tuber- 
kulin herleiten zu wollen, würde wohl zu 
weit führen“. 

Seine Untersuchungsergebnisse faßt 
Verf. dahin zusammen, „daß von einer 
Mobilisierung von Tuberkelbazillen durch 


Tuberkulin nicht die Rede sein kann, 


weder bei Mensch und Tier nach provo- 
katorischen Tuberkulindosen, noch bei 
längerer Zeit mit Tuberkulin behandelten 
Menschen“. 

Ähnliche Untersuchungen wie Verf. 
stellte Referent vor einiger Zeit bei 54 Pa- 
tienten an, denen er auf der Höhe einer 
Tuberkulinreaktion Blut entnahm, welches 
auf Meerschweinchen verimpft wurde. Bei 
22 Patienten, bei denen nur eine ein- 
malige Blutentnahme auf der Höhe einer 
Tuberkulinreaktion stattgefunden hatte, 
ergab der Meerschweinchenversuch bei 
allen 66 geimpften Tieren ein negatives 
Resultat. 

Von den weiteren 32 Fällen, in denen 
eine zweimalige Blutuntersuchung statt- 
fand, wurden bei 3 Patienten, bevor sie 
eine Tuberkulineinspritzung erhalten hat- 
ten, durch den Tierversuch Tuberkel- 
bazillen im strömenden Blute festgestellt; 
die zweite auf der Höhe der Tuberkulin- 


197 


292 


reaktion vorgenommene Blutuntersuchung 
fiel bei den gleichen 3 Patienten nega- 
tiv aus. 

Das Umgekehrte war bei 2 anderen 
Patienten der Fall, bei denen die erste 
Blutuntersuchung vor der Tuberkulin- 
einspritzung negativ, die zweite Blutunter- 
suchung während der Tuberkulinreaktion 
dagegen positiv ausfiel. 

Aus diesen Untersuchungsergebnis- 
sen, die an anderer Stelle veröffentlicht 
werden, läßt sich der Schluß ziehen, daß 
die Tuberkulineinspritzung als solche bei 
Phthisikern nicht von ausschlaggebendem 
Einfluß auf das Auftreten von Tuberkel- 
bazillen im strömenden Blute ist. Während 
des Höhepunktes der Tuberkulinreaktion, 
wo man infolge des „Mobilwerdens“ der 
Bazillen einen besonders hohen Prozent- 
satz positiver Blutbefunde hätte erwarten 
sollen, wurden sogar weniger positive 
Impfergebnisse (6,25 °/,) erzielt, als bei 
Blutentnahmen zu reaktionsfreier Zeit 
(9,4°/,. B. Möllers (z. Z. im Felde). 


L. Kessel: Concerning the presence 
of tubercle bacilli in the blood 
of tuberculous patients. (Amer. 
Journ. of Med. Sciences 1915, Vol. CL 
No. 3: P. 377) 

Zuerst betont Verf. die Nichtüber- 
einstimmung verschiedener Forscher be- 
trefis des Vorkommens von Tuberkel- 
bazillen im strömenden Blut und beschreibt 
dann seine Resultate bei der Blutunter- 
suchung von 48 Tuberkulosekranken und 
weiter noch bei Io Patienten, deren Blut 
7 Stunden nach Tuberkulineinspritzung 
untersucht wurde. 

Es wurden im ganzen fünf verschie- 
dene Serien nach fünf verschiedenen Me- 
thoden untersucht. 

Erste Serie schließt 38 Patienten 
ein. Unter diesen war nur ein Fall im 
Frühstadium. Bazillen waren im Aus- 
wurf von 37 nachzuweisen. Manche 
litten an akutverlaufender Krankheit. Bei 
jedem Falle wurden 5cc Blut entnommen 
und direkt in das Peritoneum eines Meer- 
schweinchens eingespritz. Fünf Meer- 
schweinchen starben 47—83 Tage nach 
der Einspritzung. Die anderen 33 Meer- 
schweinchen wurden 63—129 Tage nach 
der Einspritzung getötet. Bei keinem 


REFERATE, 


ZEITSCHR. f. 
‘TUBERKULOSE 


Tier war Tuberkulose weder makroskopisch 
noch mikroskopisch zu konstatieren. 

Zweite Serie: Das Blut von zehn 
Schwerkranken wurde mikroskopisch ge- 
nau nach der von Klemperer empfoh- 
lenen Methode untersucht. Ale Fälle 
fielen negativ aus. 

Dritte Serie: Das Blut von sieben 
meistens Schwerkranken wurde sieben 
Stunden nach subkutaner Injektion von 
0,1—0,2 mg therapeutischen Tuberkulins 
(Koch) untersucht. Die Methode war 
genau dieselbe wie die der ersten Serie. 
Ein Meerschweinchen starb am 38. Tage, 
die anderen wurden nach 67—91ı Tagen 
getötet. Keine Spur Tuberkulose. 

Vierte Serie: Umfaßt drei Fälle, von 
denen zwei im dritten Stadium und einer 
im zweiten Stadium waren. 5 cc Blut 
wurde, sieben Stunden nach subkutaner 
Einspritzung von 0,2 mg therapeutischen 
Tuberkulins (Koch), entnommen; wurde 
dann mit 0,5°/,iger steriler Essigsäure be- 
handelt und zentrifugiert. Der Bodensatz 
wurde je einem Meerschweinchen intra- 
peritoneal eingespritzt. Die Tiere wurden 
74 Tage nach der Impfung getötet. Das 
Tier des eines Falles (II. Stadium) zeigte 
allgemeine Tuberkulose. Die Tiere der 
anderen zwei Fälle waren tuberkulosefrei. 

Fünfte Serie: - Das Blut von fünf 
Schwerkranken wurde genau wie bei Serie 
vier entnommen und behandelt. Das 
Sediment wurde aber auf dem Petroff- 
schen Gentianaviolett Nährboden aus- 
gestrichen. Bei allen Fällen war nach 
zwei Wochen kein Wachstum festzu- 
stellen. 

Am Ende kommen kurze Anamnesen 
der Tuberkulosekranken und kurze Pro- 
tokolle der Versuchstiere. 

Wenn auch nur in einem Falle nach 
Tuberkulinbehandlung der Bazillennach- 
weis im Blut gelang, so hält Verf. eine 
weitere Klärung der Frage einer möglichen 
Mobilisierung nach diagnostischer und 
therapeutischer Tuberkulinimpfung bei 
Tuberkulösen für wünschenswert. 

Soper (Saranac Lake, N.Y.) 


J. Roby: Method of finding tubercle 
bacilli in the spinal fluid, and 
the cell count in tuberculous 
meningitis. (Journ. Amer. Med. Assoc., 


BD, 25, HEFT 4, 
1916. 


18. Sept. 1915, Vol. LXV, No. 12, 


p. 1027.) 
Verf. beschreibt eine Methode für 
den Nachweis von Tuberkelbazillen in 
der zerebro-spinalen Flüssigkeit. Er ge- 
braucht einen sterilen Glaszylinder (Durch- 
messer 20 mm, Höhe 60 mm), sowie ein 
steriles rundes Deckglas (Durchmesser 
ı8 mm) und läßt das Deckglas flach auf 
dem Boden des Zylinders liegen. Die 
verdächtige Flüssigkeit wird entweder 
direkt oder möglichst bald nach Entnahme 
in den Zylinder getan, das mit einem 
sterilen Kork verschlossen am besten 
24 Stunden stehen bleibt. Das Coagulum 
schlägt sich auf dem Deckglas nieder. 
Falls es kein deutliches Coagulum gibt, 
gilt die Methode doch. 
Nachher wird die überstehende 
Flüssigkeit mit einer Pipette entfernt. 
Das Deckglas wird aus dem Zylinder mit 
Pinzette und Platinnadel herausgenommen, 
lufttrocken gemacht und in der Flamme 
fixiert. Man färbt mit Karbol-fuchsin; 
eine zu große Entfärbung ist zu vermeiden. 
Bei tuberkulöser Meningitis hat Verf. 
fast ausnahmslos eine Zellanzahl von 
100—300 pro cmm gefunden. 
Soper (Saranac Lake N.Y.). 


IV. Diagnose und Prognose. 


0. Amrein- Arosa: Zur Frühdiagnose 
der Lungentuberkulose (mit Aus- 
schlußderRöntgendiagnose). (Corr. 
Bl. f. Schweizer Ärzte 1915, Nr. 32, 
S. 993.) 

Die Arbeit weist eindringlichst auf 
die Wichtigkeit der frühzeitigen Tuberku- 
loseerkennung hin. Es wird einer Reihe 
von vielfach weniger beachteten, aber 
doch im Zusammenhang wichtigen Zei- 
chen gedacht, z. B. der oft beobachteten 
frühzeitigen Kurzatmigkeit, der leicht be- 
legten Stimme. Großen Wert legt Amrein 
auf die Temperaturmessung und widmet 
ihr eine genaue Anweisung. Sein Satz: 
„Gerade das Verschwinden subfebriler 
Temperaturen in Bettruhe ist aber für 
Tuberkulose fast einwandfrei beweisend“, 
wird allerdings nur schwer einwandfrei zu 


293 


beweisen sein. Bewegungssteigerungen ge- 
ringen Grades müssen nach !/, Stunde 
Ruhe unbedingt zurückgehen — andern- 
falls sind sie krankhaft., Eigenartig ist 
die von Amrein festgestellte Tatsache, 
daß Menschen, die in gesunden Tagen 
Nachtarbeit leisten, bei Tage regelrechte 
Körperwärme zeigen können, während die 
Nachtmessung Steigerung ergibt. Der 
Satz: Blutspucken, wenn es nicht aus dem 
Halse kommt, ist stets für Tuberkulose 
beweisend, ist wohl nicht wörtlich zu ver- 
stehen. 

Unter den physikalischen Zeichen 
legt Amrein auch auf die von Pottenger 
beschriebenen Ergebnisse der Tastpalpation 
großen Wert. Die wichtigsten Ergebnisse 
zur Erkennung der Aktivität eines Pro- 
zesses liefert die Auskultation. 

Die Arbeit bietet eine sehr gute Zu- 
sammenstellung der für die frühzeitige 
Diagnose einer Lungentuberkulose wich- 
tigen Merkmale. 

H. Grau (Heilstätte Rheinland- Honnef) 


E. Thompson and H.L. Gall: Possible 
new Roentgen sign of tubercu- 
losis. (Unit. Stat. Naval Med. Bull. 
Washington D. C., July 1915, Vol. 9, 
No. 3.) 

Die Verfl. beobachteten eine Er- 
scheinung, welche für die Röntgendia- 
gnose der Lungentuberkulose von gewisser 
Bedeutung ist. Gewöhnlich stellt das 
Zwerchfell eine glatte, leicht gekrümmte 
Linie dar, die ganz scharf umrissen sich 
auf der Platte darstellt. Infolge der ver- 
schiedenen Durchlässigkeit der Leber und 
Lungen für die Röntgenstrahlen ist es 
leicht, jede Abknickung und Unregel- 
mäßigkeit in der Begrenzung dieser Linie 
zu erkennen. Auch bei der Atembewe- 
gung behält das Zwerchfell stets seine 
glatte Umgrenzungslinie. Nun fanden die 
Verff., daß sich in einer großen Zahl 
lokaler tuberkulöser Herde in der Lunge 
Unregelmäßigkeiten und bisweilen sogar 
große Buckel in dem Zwerchfellumriß 
beobachten lassen. Es handelt sich immer 
um Vorwölbungen nach der Lunge zu. 
Es schien, daß sich das Zwerchfell dort 
ausgebaucht hätte, um die Spannung des 
Lungengewebes auszugleichen. 

Stern (Straßburg). 


294 


Frank S. Bissel (Minneapolis): Roentgen 

findings in pulmonary tubercu- 

. losis. (Americ. Roentgen Ray Society, 
September 1915.) 

Verf. hat 111 Patienten mit Lungen- 
erkrankungen, bei denen klinisch keine 
sichere Diagnose gestellt wurde, röntge- 
nologisch untersucht; in 64 Fällen stellte 
er die Diagnose Lungentuberkulose, die 
Diagnose wurde teils klinisch, teils durch 
Autopsie, Impfversuch, Tuberkulinreaktion, 
Bazillenbefund im Sputum, physikalische 
Symptome gestützt. Er fand, daß das 
von Dunham beschriebene streifige Aus- 
sehen des Lungenbildes sehr häufig sei. 
In den 47 nicht mit Hilfe der Röntgen- 
strahlen diagnostizierten Fälle boten sich 
auch keine klinischen Anhaltspunkte zu 
einer Diagnose. Stern (Straßburg). 


S. Maggiore: The significance of some 
forms ofthoracic dullness in chil- 
dren. (The Lancet, 7.8. 1915, p. 294.) 

Es ist bekannt, daß man bei jungen 

Kindern mit positivem Pirquet häufig 

Dämpfung in der Fossa supraspinata, 

auch wohl in der F. infraspinata nach- 

weisen kann, mit dem Gefühl vermehrter 

Dichtigkeit.e. Der Stimmfremitus kann 

wie gewöhnlich, vermehrt oder vermindert 

sein, während man beim Behorchen meist 
leises, schlürfendes Atemgeräusch und 
verlängerte Ausatmung, häufig auch fein- 
blasiges Rasseln hör. Manchmal gehen 
diese Zeichen auch auf die Fossa supra- 
clavicularis und sogar auf die F. infra- 
clavicularis der betreffenden Seite über. 
Diese bleibt auch manchmal bei Tief- 
atmen merklich zurück; Husten ist nicht 
selten. Diesen deutlichen Zeichen steht 
die Tatsache der verhältnismäßigen Selten- 
heit der Lungentuberkulose bei Kindern 
gegenüber. Verf. hat 37 solcher Falle ge- 
nauer untersucht; er fand im Röntgenbild 
nur einmal deutliche Schatten in dem be- 
treffenden Oberlappen. Dagegen fanden 
sich regelmäßig stark vergrößerte Hilus- 
schatten, bez. vergrößerte Drüsen an der 

Lungenwurzel. Es scheint also, daß diese 

die genannten Zeichen bewirken können. 

In welcher Weise das geschieht, ist aller- 

dings nicht recht klar. Sollte die Dämpfung 

über den Lungenspitzen vielleicht einer 

„Projektion“ der Hilusdrüsen entsprechen 


REFERATE. 


ZEITSCHR f.. 
TUBERKULOSE 


nach Art der Krönigschen Spitzenperkus- 
sion, oder versagen die Röntgenstrahlen 
für kleine, noch wenig dichte Herde? 
(Ref.) Jedenfalls wird man in der Deutung 
derartiger physikalischer Zeichen nament- 
lich bei Kindern vorsichtig sein müssen. 
Meißen (Essen) 


G. H. Cattermole: Tuberculin tests 
in children of Colorado. (Journ. 
Amer. Med. Assoc. 1915, Vol. LXV, 
No. 9, August 28, p. 782.) 

Bericht über die Resultate der von 
Pirquetschen Reaktion bei 66 Kindern 
unter 15 Jahren. Obwohl die Anzahl 
klein ist und die Probe fast immer nur 
einmal gemacht wurde, ist das Ergebnis 
doch interessant, da alle Fälle aus eigener 
Praxis des Verf. in einer verhältnismäßig 
kleinen Stadt stammten, und somit dem 
Verf. eine eventuelle tuberkulöse Erkran- 
kung der Eltern bekannt war. 

Unter den 66 Fällen fiel die Probe 
bei 25 oder in 38°/, positiv aus; bei 
41 Kindern oder in 62°/, der Fälle 
negativ. Von den 25 positiven Fällen 
war Tuberkulose der Eltern 22mal zu 
konstatieren. Von den 41 negativen Fällen 
waren die Eltern 27 mal tuberkulosefrei. 
Die Probe fiel nur 12mal negativ aus bei 
tuberkulöser Erkrankung der Eltern. Die 
letzteren 12 Kinder waren sämtlich unter 
9 Jahren. Soper (Saranac Lake, N.Y.). 


D. B. Lees: Incipient pulmonary 
tuberculosis in children. (Prac- 
titioner, March 1915, Vol. 94, No. 3.) 

Verf. schildert, in welcher Lage man 
am besten den Patienten untersucht, um 
sich vor Irrtümern zu schützen: die Unter- 
suchung der Brustseite sollte im Liegen, 
die der Hinterfläche in sitzender, leicht 
nach vorn übergebeugter Haltung vorge- 
nommen werden. Der Arzt sollte nur 
den Finger der linken Hand, der ihm 
als Plessimeter dient, auflegen, den übri- 
gen Teil des Armes und der Hand aber 
möglichst vom Thorax .entfernt halten, 
ferner sollte er nur leicht aufklopfen. 

Auch bei negativem Bazillenbefunde kann 

man die Diagnose auf Tuberkulose stellen, 

wenn die physikalischen Symptome aus- 
reichend sind. Meist lassen sich typische 

Dämpfungszonen, symmetrisch in beiden 


BD. 25, HEFT 4. 
1916. 


Lungen gelegen, auffinden, während der 
im Kindesalter häufige einfache, nicht 
tuberkulöse Lungenkollaps unregelmäßig 
angeordnete Felder gedämpften Schalles 
gibt. In den frühesten Stadien der Lun- 
gentuberkulose ist der Eintritt von Luft 
in die erkrankten Teile mangelhaft, aber 
es braucht darum noch keine Veränderung 
des Klopfschalles einzutreten, eine Tat- 
sache, die zu Irrtümern Veranlassung 
geben kann. Nicht tuberkulöse Broncho- 
pneumonie hat ihren Sitz meistens in den 
unteren Lungenlappen. Stern (Straßburg). 


Jessie M. Campbell: Pulmonary tuber- 
culosis in children. (Brit. Journ. of 
Children’s dis., July 1915, Vol. XII.) 

Man hat in erster Linie zu unter- 
scheiden zwischen aktiver und passiver 

Tuberkulose. Hierbei ist zu bemerken, 

daß ein positiver Ausfall der Tuberkulin- 

reaktion nur anzeigt, daß irgendwo im 

Körper früher einmal eine Infektion statt- 

gefunden hat. Die Hauptwege der In- 

fektion sind Verdauungskanal und At- 
mungsapparat, letzterer ist der häufigere 

Weg. Sowohl der Typus humanus als 

der Typus bovinus kann die Infektion 

erzeugen. Man kann die Fälle einteilen 
in verdächtige, frühzeitig diagnostizierte 
beginnende Fälle, Fälle, in denen es sich 
um käsige oder fibrinös-käsige Form han- 
delt, ferner Tuberkulose der Bronchial- 
drüsen und AHilustuberkulose. In die 
erste Klasse werden alle die Fälle ein- 
gereiht, die bei wiederholter Untersuchung 
irgendein physikalisches, auf Tuberkulose 
verdächtiges Symptom zeigen. Alle 4 bis 

' 12 Wochen werden diese Kinder unter- 

sucht und so lange als möglich in die 

Freiluftschulen geschickt. In der zweiten 

Klasse ist die Diagnose schwieriger, hier 

ist eine sorgfältige Temperaturmessung 

ein sehr wesentliches Hilfsmittel. Diese 

Kinder werden am besten in einer Sana- 

toriumsschule behandelt. In der dritten 

"` Klasse wird eine Behandlung mit Tuberkulin 

sehr gute Resultate geben. Für die letzte 

Gruppe sind Abschwächung des Atemge- 

räusches in der Intraskapulargegend sowie 

Gegenwart anderer physikalischer Stigmata 

der Tuberkulose maßgebend. Diese Fälle 

sollten in ständigen Tuberkuloseschulen 
behandelt werden. Stern (Straßburg). 


REFERATE. 


nn nn en. 


295 


G. T. Palmer: Possible tuberculin 
reaction in the breast-fed child 
afterdiagnostic test to the mother. 
(Journ. Amer. Med. Assoc. 1915, Vol. 
LXIV, No. 16, p. 1312.) 

Verf. beschreibt den Fall eines sechs 
Monate alten Säuglings, welcher für ge- 
sund gehalten wurde, bis die Mutter mit 
0,001 O. T. zu diagnostischem Zweck 
intrakutan geimpft wurde. Die Reaktion 
bei der Mutter fiel stark positiv aus. 

Am Tage nach der Probe begann 
die Erkrankung des Säuglings, der zehn 
Tage später an miliarer Tuberkulose mit 
Meningitis verstarb. a 

'Da der Vater des Kindes an offener 
Lungentuberkulose litt, so ist anzunehmen, 
daß das Kind schon vorher infiziert wor- 
den ist. Verf. ist der Ansicht, daß der 
Beginn der aktiven Erkrankung nicht die 
Folge einer von der Mutter auf das Kind 
übertragenen positiven Tuberkulinreaktion 
war, sondern nur ein zeitliches Zusammen- 
treffen. Diese Ansicht wird weiter durch 
die Tatsache gestützt, daß die hinteren 
zervikalen Lymphdrüsen etwas vergrößert 
und eine walnußgroße Drüse unterhalb 
des Sterno-Cleido-Mastoideus-Muskel zu 
tasten war. Außerdem war das Kind 
während drei Wochen vor der akuten Er- 
krankung nicht ganz wohl. 

Der Fall wird mitgeteilt, um die 
Gefahr einer falschen Beurteilung des 
Wertes der Tuberkulins zu illustrieren. 

Soper (Saranac Lake, N. Y.. 


Maurice Fishberg: The prognostic 
significance of tuberculous cavi- 
ties in the lungs. (New York Med. 
Journ., 26. 6. 1915, Vol. 101, p. 1310.) 

Die Bedeutung tuberkulöser Lungen- 
kavernen hängt von zwei Faktoren ab: 

Von der Heftigkeit des betr. Prozesses 

und der Zeitdauer, in der die Kaveme 

sich entwickelte. In sehr akuten Formen 
der Tuberkulose ist Kavernenbildung 
höchst selten. Die Prognose ist ungünstig 
auch. ohne lokale Zerstörung des Lungen- 
gewebes. Bei Kindern kommt rapide Ka- 
vernenbildung oft vor, und der Ausgang 
ist fast immer tödlich; bei Erwachsenen 
sind solche Fälle selten. In subakuten 
Formen der Tuberkulose, in welchen Ka- 


'vernen sich ja auch schnell bilden, ist 


296 


die Prognose schlecht, falls die Kavernen 
nicht klein sind. In letzterem Falle kann 
sich die Krankheit bessern und mit all- 
mählicher Ablösung und Auswurf der 
angegriffenen Partien einen chronischen 
Verlauf nehmen. Kavernenbildung ist 
unter solchen Umständen der erste Schritt 
zur Verminderung der Heftigkeit des tu- 
berkulösen Prozesses in den Lungen. Die 
Allgemeinsymptome können sich in der- 
selben Weise bessern, wie es nach der 
Entleerung eines Abszesses vorkommt. 
Patienten, die mit chronischer Phthise 
behaftet sind, können trotz großer Ka- 
vernen lange leben und arbeiten. Diese 
Kavernen sind von einer dichten fibrösen 
Kapsel, die ihre Verbreitung beschränkt, 
umgeben und entleeren sich durch eine 
Fistel in einen Bronchus. Solange die 
Absonderung mit dem Auswurf ausge- 
stoßen wird, kann der Patient sich jahre- 
lang ziemlich wohl fühlen. Da aber der 
Auswurf dieses Patienten sehr bazillen- 
reich ist, ist die Ansteckungsgefahr viel 
größer als bei Patienten ohne Kavernen. 
Lungenkavernen sind heilbar; wenn sie 
klein sind durch Granulation oder Ver- 
kalkung des Inhaltes. Größere Kavernen 
können schrumpfen, sind sie sehr groß, 
so können sie nach dem Auswurf der 
abgestorbenen Gewebe ganz schadlos 
werden. Kavernen sind also ein Zeichen 
tuberkulöser Prozesse von langer Dauer 
und beweisen, daß eine gewisse Wider- 
standskraft vorhanden ist. Sie sind weniger 
gefährlich als sogen. heilbare Fälle. 
B. S. Horowicz (Neuyork). 


Wm. W. Riha; Tuberculosis in chil- 
dren. (Med. Record, 7. Aug. Igıs, 
Vol. 88, p. 229.) 

Fishbergs Erklärung, daß unter 

588 scheinbar gesunden Kindern nicht- 

tuberkulöser Eltern 52,72°/, eine positive 

Tuberkulinreaktion abgaben, ist bemerkens- 

wert. Tuberkulose der Halsdrüsen ist 

fast immer von dem Bazillus der Rinder- 
tuberkulose verursacht und kommt bei 

Kindern vor, die rohe Kuhmilch tranken. 

Selbst das Pasteurisieren der Milch tötet 

die Tuberkelbazillen nicht (je nach der 

Art des Verfahrens. L. R.) Die Tuber- 

kulineinspritzung unter die Haut ist die 

sicherste Probe, und R. empfiehlt Dosen 


REFERATE. 


ea ZEIT SCHR. f. 
TUBERKULOSE 


von !/,, mg. Beim Gebrauch der Pir- 
quetschen Probe muß die Skarifika- 
tion ganz leicht sein, sonst kann eine 
traumatische Reaktion vorkommen und 
zu einem Irrtum führen. 

B. S. Horowicz {Neuyork). 


James S. Ford: Does the general 
practitioner utilize the means at 
his disposal for the diagnosing 
of early pulmonary tuberculosis? 
(Med. Record, 18. 9. 1915, Vol. 88, 
P. 474.) 

Nach Verf. ist die N achlässigkeit 
des Hausarztes teilweise schuld an dem 
verhältnismäßig geringen Fortschritt, der 
trotz des ungeheueren Geldaufwandes im 
Kampfe gegen die Tuberkulose während 
der letzten Io Jahre zu verzeichnen ist. 
Wie das Studium von 1000 Fällen im 
Gaylard Farm Sanatorium in der Periode 
von 1907 bis 1915 ergab, bedienten sich 
nur wenige Ärzte aller ihnen zu einer 
eingehenden Untersuchung zu Gebote 
stehenden Mittel. In den meisten Fällen, 
die als tuberkulös diagnostiziert wurden, 
waren die erteilten Ratschläge minder- 
wertig. 

1000 Patienten konsultierten 1940 
Ärzte; von diesen unterwarfen 1085 
(55,1°/,) den Patienten nur einer körper- 
lichen davon I5I ohne 
Entkleidung. a 0,7°/,) nahmen nur die 
Temperatur; 14 (0,7 °/,) untersuchten bloß 
das Sputum; 381 (20°/,) untersuchten 
Brust und Sputum; In ı14 (6°/,) Fällen 
wurden Brust und Temperatur Be 
nicht aber das Sputum; in 3 (0,02 ol) 
Fällen wurde das Sputum und Tempe- 
ratur untersucht, ohne körperliche Unter- 
suchung; in 133 (7°/,) Fällen fand eine 
Brust-, Temperatur- und Sputumunter- 
suchung statt; 197 (10°/,) Fälle wurden 
gar nicht untersucht. 

B. S. Horowicz (Neuyork). 


Victor Kafka - Hamburg -Friedrichsberg: ` 
Untersuchung tuberkulös - me- 
ningitischer Punktionsflüssigkei- 
ten mit Hilfe der Ninhydrinreak- 
tion. (Münch. med. Wchschr. 1915, 
Nr. 40, S. 1355.) 

Verf. hat die von Nobel angewen- 
dete Ninhydrinprobe mit der Spinalflüssig- 


BD. 25, HEFT 4, 
1916. 


keit nachgeprüf. Er kommt zu dem 
Resultat, daß sie zur Differenzialdiagnose 
der tuberkulösen von anderen akuten 
Meningitiden nicht, von anderen mit Ver- 
mehrung des Liquoreiweißes einhergehen- 
den Erkrankungen des Zentralnerven- 
systems nur mit größter Vorsicht zu ver- 
werten ist. Die Differenzialdiagnose gegen 
die zuletzt erwähnten Erkrankungen läßt 
sich durchführen, wenn man den Liquor 
gegen destilliertes Wasser dialysiert und 
mit dem Dialysat die Ninhydrinreaktion 
ansetzt. C. Moewes (Berlin-Lichterfelde). 


Edmund Nobel-Wien: Untersuchung 
tuberkulös meningitischer Punk- 
tionsflüssigkeiten mit Hilfe der 
Ninhydrinreaktion. (Münch. med. 
Wchschr. 1915, Nr. 52, S. 1786.) 

Entgegnung auf vorstehende Mit- 

teilung von Kafka. N. stellt fest, daß 
er die Ninhydrinreaktion im Lumbal- 
punktat stets nur als Eiweißreaktion an- 
gesehen wissen will, und daß zu differen- 
tialdiagnostischen Zwecken noch andere 
Momente in Betracht gezogen werden 
müssen. Es hängt der positive Ausfall 
der Reaktion aber nur zum Teil mit dem 
Eiweißgehalt des Liquor zusammen, denn 
sie bleibt auch in der enteiweißten Flüs- 
sigkeit positiv. Die Enteiweißung dürfte 
der Einfachheit wegen dem von Kafka 
vorgeschlagenen Dialysieren vorzuziehen 
sein. C.Moewes (Berlin-Lichterfelde!. 


Emmerik Danielsson: Kritische prä- 
mortale Temperaturabfälle bei 
Lungentuberkulose. (Hygiea 1915, 
Heft 11, S. 577—585.) 

Von 107 Todesfällen bei Lungen- 
tuberkulose (in dem Tuberkulose- Kran- 
kenhaus Medelpad bei Sundsvall) starben 
50 mit vorhergehendem Kollaps, 14 da- 
von I—3 Tage ante mortem, Io Fälle 
4—7 Tage, 26 Fälle 7—30 Tage ante 
mortem. Alle diese sind mit Nieren-, 
Darm- oder Larynxaffektionen kompliziert, 
von den 57 nicht kollabierenden nur 33 
dergleichen kompliziert. Der senile Kollaps- 
Typus zeigt nur geringe Exkursionen, 
der 2. Typus kollabiert nur einmal und 
also definitiv, und dahin werden alle mit 
großen Albuminmengen (chronische Ne- 
phritis, Amyloidose), sowie mit multiplen 


REFERATE. 


297 


Komplikationen geführt. In dem 3. Typus 
tritt der Kollaps 2—4mal ante mortem, 
hier kommen keine schwereren Nieren- 
veränderungen vor. Tillgren (Stockholm). 


V. Therapie. 


a) Verschiedenes. 


G. Schröder-Schömberg: Grundsätze 
der Ernährung Tuberkulöser mit 
besonderer Berücksichtigung der 
Kriegszeit. (Int. Centralbl. für Tu- 
berkulose-Forschung. IX. Jahrg. 1915, 
Nr. 12, S. 528.) 

Für die Ernährung von herunterge- 
kommenen, abgemagerten Tuberkulösen 
ist ein Kostmaß von 150—180 g Eiweiß, 
200—250g Fett und 500—550 g Kohle- 
hydraten zu empfehlen. Das wichtigste 
Nahrungsmittel für den Tuberkulösen ist 
das Fett. Es sollte ermöglicht werden, 
daß dem Tuberkulösen auch jetzt rl 
Milch und daneben roo g tierisches Fett, 
letzteres in Form von Butter, Schmalz, 
Speck oder Käse, täglich zukommt. Auch 
Nüsse und Lebertran können als Ersatz 
gegeben werden. Die Fleischmenge kann 
eingeschränkt werden, doch soll das 
Fleisch regelmäßig und unter Vermeidung 
fleischfreier Tage gegeben werden. Endlich 
wird auf die wertvolle Verwendung des. 
Schlachtblutes (Blutmehl, Sanol) hinge- 
wiesen. 

H. Grau (Heilstätte Rheinland-Honnef). 


B. Robinson: Fetid bronchitis. (Med. 
Record, 7.July 1915, Vol. 88, p. 192.) 
Putride Bronchitis ist eine seltene 
und hartnäckige Krankheit. Bronchiektase 
wird manchmal mit Tuberkulose ver- 
wechselt. Behandlung: Trockene Luft, 
wie in Teilen Kaliforniens oder Ägyptens. 
Reichliche Ernährung, keine schwere 
Arbeit. Kreosot wird als bestes Mittel 
empfohlen: 0,03 in Glyzerin und Spt. Fru- 
menti alle 2 oder 3 Stunden. Gleiche 
Teile Kreosot, Alkohol und Spt. Chloro- 
formi, 10—20 Tropfen auf dem Schwamm 
eines Inhalationsapparates ein paar Mal 


täglich. B. S. Horowicz (Neuyork). 


298 


Albert C. Geyser: Tuberculosis and 
diathermia. (New York Med. Journ., 
17. 7. 1915, Vol. 102, p. 141.) 

Tuberkulose entwickelt sich gewöhn- 
lich in den blutarmen Partien eines Or- 
gans, und wo die toxischen Produkte sich 
mit den Geweben verbinden, entsteht eine 

Blutarmut, die den Bazillen die Verbrei- 

tung ermöglicht. Man muß also die blut- 

armen Teile in blutreiche verwandeln. 

Daher müssen gewisse Entzündungser- 

scheinungen in dem behafteten Teil her- 

vorgerufen werden. Verfs. Behandlung 
besteht in dem Gebrauch der diathermi- 
schen Phase eines hochfrequenzierten 

Stromes. Zwei Elektroden werden vorn 

und hinten über der affızierten Partie 

angelegt. Die Stromstärke wird allmählich 
von I500 M.A. nach 2 oder 3 Wochen 
bis auf 3000 oder 3500 gehoben. Sitzuug: 

20— 30 Minuten. Behandlungsdauer: 6 bis 

ı2 Monate. Der Patient muß sich durch 

geeignete Atemübungen bemühen, jeden 

Lungenteil zu gebrauchen, um die Ent- 

wickelung untätiger Partien zu vermeiden. 

In Heilanstalten bei auserwählten Fällen 

sollten 90°/,, in der Privatpraxis unge- 

fähr 80°/, und in öffentlichen Kliniken 
50°/, geheilt werden. 
B. S. Horowicz (Neuyork). 


V. Rubow und C. H. Würtzen: Licht- 
behandlung bei Lungentuberku- 
lose. (Hospitalstidende 1915, No. 30 
und 31.) 

Verff. haben 16 Fälle ambulant be- 
handelt: Alle waren III. Stadiums mit 
recht stationärem Verlauf. Angewandt 


REFERATE, 


wurde Kohlenbogenlicht von 2 Lampen 


zu 75 Amperes. 
möglich vermieden. 
bis 221 Lichtbäder verabreicht. 
sultate sind im ganzen zufriedenstellend. 
Weitere Versuche an einem großen Sana- 
torıummaterial seien berechtigt. 

Kay Schäffer. 


Es wurden von 23 


Heinrich Gerhartz, Bonn: Behandlung 
der Lungentuberkulose mit in- 


tensivem rotreichenLicht. (Münch. 


med. Wchschr. 1915, Nr. 35, S. 1174.) 
G. hat 16 schwer Tuberkulosekranke 

mit an roten Strahlen reichem, direkt auf- 
fallenden Bogenlampenlicht einige Male 


Erythem wurde wo- 
das Ergebnis, daß Toxin (Diphtherietoxin) 
Die Re- 


ZEITSCHR. f. 
TUBERKULOSE 


auch mit reinrotem Neonlicht der Moor- 
gesellschaft bestrahlt. In allen Fällen, 
auch bei 4 Patienten, die der Schwere 
ihrer Erkrankung erlagen verringerte sich 
während der Zeit, in der bestrahlt wurde 
die vorher durch längere Beobachtung 
festgestellte Progredienz des Lungenpro- 
zesses. In ro Fällen mußte ein Rück- 
gang der röntgenologischen Erscheinungen 
angenommen werden. Rasselgeräusche, 
Auswurf gingen zurück. Die Körper-. 
temperatur sank in allen Fällen, in 6 auf 
normale Werte. Husten, Nachtschweiße 
verringerten sich, das Körpergewicht hob 
sich. Tierversuche, die an 63 Meer- 
schweinchen angestellt wurden, sprachen 
ebenfalls zugunsten einer objektiven Besse- 
rung. C. Moewes (Berlin-Lichterfelde). 


Heinrich Gerhartz-Med. Univ. Klin. Bonn: 
Rotlichttherapie beiLungentuber- 
kulose. (Beitr. z., Klin. d. Tub. 19135, 
Bd. 34, Heft 3, S. 211.) 

Die langwelligen ròten Strahlen haben 
ein größeres Durchdringungsvermögen für 
das Gewebe, als die kurzwelligen blauen. 
Es war daher zu prüfen, ob den ersteren 
nicht auch eine besondere physiologische 
Wirkung zukäme. Daß diese nicht etwa 
in Entwicklung von Wärme — also einer 
Art Diathermie — besteht, ging daraus 
hervor, daß das besonders kräftig rote 
Neonlicht ein kaltes Licht war. ` Zur Er- 
zeugung der roten Strahlen wurden eines- 
teils — und zwar in der Hauptsache — 
Siemenssche rote Effektkohlen in einer 
gewöhnlichen Bogenlampe gebrannt, an- 
dererseits das reinrote Edelgaslicht, Neon- 
licht, der Mooregesellschaft benutzt. 

Die Tierversuche hatten zunächst 


durch Rotlichtbestrahlung nicht beeinflußt 


. wurde (die Tiere starben ebenso schnell, 


wie die Kontrollen. Dagegen war eine 


deutlich tuberkuloseabschwächende 


Wirkung bemerkbar: die bestrahlten Tiere 
lebten länger und hatten auch weniger 
Knötchen als die Kontrollen. 

Die Heilversuche bei Menschen er- 
streckten sich insgesamt auf 1ọ Fälle, zu- 
meist schwere vorgeschrittene fieberhafte 
Lungentuberkulosen, teilweise in Verbin- 
dung mit Kehlkopftuberkulose; nur zwei 
Fälle waren leichter erkrankt und einer 


BD. 25, HEFT 4. 
1916. 


hatte ein chronisches Gelenkleiden, wahr- 
 scheinlich (positive örtliche Tuberkulin- 
reaktion!) Poncetschen Rheumatismus. 
Bei diesem letzteren, bei dem alle son- 
stigen Heilverfahren völlig. im Stich ließen, 
schwollen unter Rotlichtbestrahlungen im 
Laufe eines Jahres die Gelenke (Knie) 
langsam ab und der Kranke konnte ohne 
Schmerzen wieder gehen. Bei den Lun- 
gentuberkulösen zeigte sich der Erfolg in 
der Abnahme der katarrhalischen Er- 
scheinungen auf der Lunge, Abnahme 
oder selbst Verschwinden des Fiebers, in 
röntgenologischen Besserungen, bestehend 
in Aufhellungen oder schärferer Abgren- 
zung der Schattenbildungen, in bemerkens- 
werter Verringerung von Husten und 
Auswurf, von Pulsbeschleunigung und 
Atemnot und endlich in einer deutlichen 
Hebung des Allgemeinzustandes und des 
subjektiven Befindens. Das Verfahren 
hat natürlich seine Grenzen, die mit den- 
jenigen der Penetrationsfähigkeit der roten 
Lichtstrahlen zusammenfallen; dickes Ge- 
webe vermögen letztere nicht zu durch- 
dringen, und so ist auch eine Beeinflus- 
sung dickwandiger Kavernen und ihres 
Inhaltes unmöglich. Die Bestrahlungen 
sind völlig unschädlich und erzeugen äußer- 
lich nur fiüchtige Hautrötungen; zudem 
ist ihre Handhabung einfach und billig. 
Verf. wünscht daher ausgedehnte Nach- 
prüfungen, um Anzeigen und Gegenan- 
zeigen der Rotlichtbehandlung näher zu 
umgrenzen. C. Servaes. 


Meyer-Leysin: L’Heliotherapie pul- 
monaire; étude clinique. (Revue 
Medicale de la Suisse Romande, 20. X. 
1915, Vol. 35, p. 584.) 

Nach den schönen Ergebnissen der 
Sonnenlichtbehandlung bei chirurgischer 
Tuberkulose lag es nahe, das Verfahren 
auch bei Lungentuberkulose zu versuchen. 
Meyer führt aus, daß man die Methode 
einerseits aus Furcht vor Erkältungen 
oder gar Blutungen bisher zu zaghaft, 
anderseits aber auch übertrieben, zum 
Teil infolge des Übereifers der Kranken, 
durchgeführt habe und deshalb zu un- 
befriedigenden Ergebnissen gelangt sei. 
Er ist auf Grund seiner Versuche und 
Erfahrungen zu folgenden Grundsätzen 


REFERATE. 299 


gelangt, mit denen er regelmäßige und 
gute Erfolge zu erreichen glaubt: 

Die Sonnenbestrahlung muß in all- 
mählicher Steigerung angewandt werden, 
sei es, daß man, wie Rollier es mit 
seinen Kranken macht, mit den unteren 
Gliedmaßen beginnt und erst nach und 
nach die übrige Körperoberfläche hinzu- 
nimmt, sei es, daß man gleich den ganzen 
Körper, erst sehr kurz, allmählich immer 
länger der Sonne aussetzt. Meyer zieht 
diese letzte Methode vor und beginnt mit 
ro Minuten, je 5 Minuten von vorn und 
von hinten. Das wird fortgesetzt, bis 
eine deutliche Bräunung der Haut ein- 
getreten ist; dann kann man ungestraft 
zu längerer Bestrahlung übergehen. In 


der früher oder später eintretenden Pig- - 


mentation sieht Meyer ein prognostisches 
Moment, d.h. früh eintretende Bräunung 
ist ein günstiges Zeichen. Vorkommnisse 
wie Erythembildung, Müdigkeitsgefühl, Er- 
schlaffung, Schlaflosigkeit, leichte Tempe- 
ratursteigerung lassen sich nicht ganz ver- 
meiden, haben aber keine Bedeutung und 
lassen sich leicht durch Verkürzen oder 
zeitweiliges Aussetzen der Bestrahlung be- 
herrschen. 

Die Temperatur der Sonnenstrahlen 
muß höher sein als die des behandelten 
Kranken, das Gefühl der Kälte darf nicht 
vorhanden sein. Messung der Sonnen- 
strahlung mit geschwärztem Thermometer 
ist aber nicht nötig: Der Kranke soll die 
Empfindung angenehmer Wärme haben. 
Meyer hält diesen Anhalt für ganz aus- 
reichend. Man kann also im Sommer 
die Kur fast überall durchführen, im 
Winter aber fast nur im Hochgebirge. 

Nicht jeder Lungenkranke kann be- 
strahlt werden. Fieberhafte Fälle sind 
auszuschließen, sobald es sich um stär- 
keres Fieber mit Kräfteverfall handelt. 
Bei geringem Fieber und gutem Kräfte- 
zustand kann man indessen gelegentlich 
noch. guten Erfolg beobachten (Entfiebe- 
rung). Lungenblutungen sind bei vor- 
sichtigem Verfahren nicht zu befürchten, 
und überstandene Blutungen sind kein 
Hindernis. Geschwächte Kranke mit 
labilem Gleichgewicht erfordern große 
Vorsicht in der Anwendung. 
| Das Sonnenbad, das immer zugleich 
ein Luftbad ist, wirkt als Tonicum und 


aM 


300 


—_ 


Stimulans, vermehrt die Abwehrkräfte des 
Organismus und regt sie an. Es kann 
durch künstliches Licht, etwa die künst- 
liche Höhensonne, nur sehr teilweise er- 
setzt werden, wie Meyer ausführt, da 
bei ihm noch eine Menge anderer Fak- 
toren mitwirken. Meyer gibt zu, daß 
seine Ergebnisse, so befriedigend sie seien, 
doch nicht so glänzend sind, wie die- 
jenigen Rolliers, und sucht den Grund 
dafür darin, daß der Lungenkranke nicht 
in der Lage sei, soviel Zeit auf seine 
Heilung zu verwenden wie Rolliers 
Kranke. Ja, die Zeit spielt eine große 
Rolle, die entscheidende Rolle bei allen 
Verfahren zur Heilung der Tuberkulose, 
auch bei denjenigen, die sich eine be- 
sondere Wirkung zuschreiben, wie das 
Hochgebirge im allgemeinen, das Tuber- 
kulin u. dgl. Das ist dasselbe wie bei 
dem alten hygienisch-diätetischen Ver- 
fahren, und der Unterschied ist eigentlich 
nur, daß namentlich dem Hochgebirge, 
aber auch dem Tuberkulin die Zeit viel 
williger und reichlicher zugestanden wird, 
obwohl sie doch schneller zum Ziele 
führen müßten, wenn ihre Wirkung tat- 
sächlich eine ganz besondere, spezifische 
wäre. Meißen (Essen). 


H. Schelble-Bremen: Wesen und Be- 
handlung der Skrofulose. (Dtsch. 
med. Wchschr. 1915, Nr. 39, S. 1156.) 

Sch. befaßt sich in seinem Aufsatz 
nur mit dem Krankheitsbild, dessen Sym- 
ptome durch die sog. Facies scrofulosa 
gegeben sind. Er bespricht die einzelnen 

Symptome getrennt: Zunächst die ent- 

zündlicheSchwellung der Halsiymphknoten, 

die bei den verschiedensten exsudativen 

Prozessen der Gesichtshaut,an den Schleim- 

häuten von Nasen- und Rachenraum auf- 

treten. Er empfiehlt Beseitigung lokaler 

Ursachen, abwartende Therapie, bei der 

Röntgen- und andere Lichtbestrahlung 

nicht fehlen darf. Bei Erscheinungen von 

seiten der äußeren Haut soll man diäte- 
tisch und ebenfalls physikalisch-therapeu- 
tisch vorgehen. Dasselbe gilt bei den 

Erscheinungen von seiten der Schleim- 

häute und der Iymphoiden Organe (Ka- 

tarrhe und adenoide Hyperplasie). Fast 
nie fehlt in einem skrofulösen Gesicht 
die Conjunctivitis phlyctaenulosa. Auch 


REFERATE. 


| 


ZEITSCHR. f. 
TUBERKULOSE 


hier ist milde Lokalbehandlung eingreifen- 
deren Prozeduren vorzuziehen. Die Ent- 
stehung all dieser Erscheinungen steht 
auf dem Boden der exsudativen Diathese. 
Obligate Mitwirkung der Tuberkulose ist 
bis jetzt nur hypothetisch, nur bei der. 
Mehrzahl der Phlyctaenen scheint sie mit 
im Spiel zu sein. Verf. empfiehlt daher 
den Namen Skrofulose, der die hypothe- 
tische Mitwirkung der Tuberkulose ein- 
seitig betont, fallen zu lassen und jeden 
einzelnen Fall zu analysieren als exsu- 
dative Diathese. 
C. Moewes (Berlin-Lichterfelde). 


Adolf Bauer (früher in Arosa): Zur Skro- 
fulosefrage. (Dtsch. med. Wchschr. 
1915, Nr. 44, S. 1315.) 

Bezugnehmend auf obige Arbeit weist 

Bauer darauf hin, daß er unter Skrofu- 

lose nicht nur die Kinderkrankheit ver- 

standen wissen will, sondern auch skrofu- 
löse Erscheinungen bei Erwachsenen: 

Halsdrüsenschwellung mit allmählichem 

Übergang in Verkäsung und Conjuncti- 

vitis phlyctaenulosa. 

C. Moewes (Berlin-Lichterfelde). 


W. Ewart: Accelerated treatment of 
consumption in its early stages. 
(The Lancet, 4. 9. 1915, p. 571.) 

Verf. knüpft einige Bemerkungen an 
die hier bereits kurz erwähnten Ideen 
von Prof. Rénon (Vortrag in der Société 
de Therapeutique, August 1915), der, ähn- 
lich wie Trudeau in Amerika dem Tu- 
berkulin absagt und das Heil im Auf- 
finden eines chemischen Mittels sucht, 
das den Tuberkelpilz tötet (Chemothera- 
pie), ebenfalls vom Tuberkulin und aller 

Serotherapie nichts hält und dafür den 

Feind „aushungern“ will, indem er ihm 

durch eine besondere Diät den Bedarf 

an Phosphor, Schwefel, Eisen und Kalium 
sperrt und so die Heilung „beschleunigen“ 
will. Es sei begreiflich, meint Verf., 
daß allmählich mehr und mehr Ärzte 
sich vom Tuberkulin abwenden, dessen 

Leistungen doch gar zu problematisch 

sind. Aber deshalb brauchen wir doch 

noch nicht die gesamte Immunotherapie 
der Tuberkulose fallen zu lassen, die ge- 
wiß noch zu einem Erfolge führen könne. 

Renons Verfahren sei geradezu bedenk- 


BD. 25, HEFT 4, 
1916. 


lich, abgesehen von der fehlenden prak- 
tischen Bewährung, weil eine solche Diät 
dem kranken Menschen leicht mehr 
schaden könnte als dem Krankheitserreger. 
Das wird wohl richtig sein: das ,„Aus- 
hungern“ eines so widerstandsfähigen 
Gegners, wie es der Tuberkelpilz ist, mag 
wohl ebenso schwierig sein, wie der eng- 
lische Plan, die verhaßten Deutschen aus- 
zuhungern. Verf. erwartet die Entdeckung 
eines stärker wirkenden Serums, d.h. eines 
Antikörper erzeugenden Präparates, das 
den Bazillus erweicht oder zernagt, ähn- 
lich wie Joffre unsere Westfront zernagen 
oder „abknabbern“ wollte. Es ist zu wün- 
schen, daß das neue Serum: mehr Glück 
hat wie Joffre: ein widerstandsfähiger 
Gegner läßt sich auch nicht so leicht zer- 
nagen oder abknabbern. Wahrscheinlich 
wird erst die Chemie die richtige Waffe 
liefern müssen, wie chemische Mittel auch 
an der Westfront noch die beste Wirkung 
hatten! Meißen (Essen). 


Ernst Meyer-Berlin: Über die Wirkung 
desMalonsäuretrichlorbutyl- 
esters bei Hustenreiz. (Berl. klin. 
Wchschr. 1915, Nr. 33, S. 873.) 
Nach Erfahrungen an Patienten der 

Kgl. Univ.-Poliklinik für Lungenleidende 


(Geh.-Rat Prof. Dr. M. Wolff) empfiehlt | 


Verf. das Ammonsalz des Malonsäuretri- 
chlorbutylesters als Hustenmittel. Eskommt 
in Tablettenform mit 0,I g wirksamer 
Substanz in den Handel unter dem Namen 


Toramin (Athenstaedt & Redecker- 


Hemelingen). Die Dosis beträgt 5—6 Tab- 
letten pro Tag, wobei die Tabletten zweck- 
maßig in lauwarmem Wasser oder Milch 
gelöst werden. Auffallend ist der Einfluß 
des Präparates auf Bluthusten, ohne daß 
das Mittel dabei auf den Blutdruck ein- 
wirkt. Es kann bei Bronchitiden in Ver- 
bindung mit Expektorantien verwandt 
werden. 
C. Moewes (Berlin-Lichterfelde). 


A. D. S. Cooke and V. Gabriel: Succus 
Allii (garlic juice) in the control 
of suppuration in wounds. (The 
Lancet, I1. 9. 1915, p. 602.) 

W. C. Minchin hat Knoblauchsaft 

(garlic juice, Allylsulfid) als sehr wirksames 

Mittel zur Behandlung von Tuberkulose aller 


REFERATE, 301 


Formen lebhaft empfohlen, und in einem 
Buche, das auch hier besprochen wurde, 
wahre Wunderdinge darüber berichtet. 
A. D. S. Cooke sah gute Erfolge bei Misch- 
infektion mit Eitererrgern bei Lungen- 
tuberkulose und kam deshalb darauf, den 
Knoblauchsaft auch bei eiternden Wunden 
zu versuchen. Er setzte die Versuche mit 
V. Gabriel fort und lobt die günstige 
Wirkung, die er durch Anführung einiger 
Fälle erläutert. Der Knoblauchsaft kann 
in einer Stärke von 20—25°/,, d.h. ı Teil 
zerriebener Knoblauch auf 5—4 Teile 
Wasser, verwandt werden ohne ersicht- 
liche Schädigung der Gewebe; er muß 
frisch sein, weil er sich rasch zersetzt, 
doch macht ein ‚Zusatz von 1—2 °h Al- 
kohol ihn für 4—6 Wochen haltbar. 

Wir führen die Angaben der beiden 
Autoren gewissermaßen als Kuriosum an, 
weil ein eigentümliches Tuberkuloseheil- 
mittel auch ein gutes Wundmittel sein 
soll. Die Wunden unserer Krieger sind 
in der Tat oft so langwierig und hart- 
näckig wie die Tuberkulose. Auch ist es 
gar nicht undenkbar, daß das Allylsulfid 
durch seine reizende Schärfe die Wund- 
heilung begünstigen kann. Das ist immer- 
hin wahrscheinlicher als die Heilwirkung 
bei der Lungentuberkulose. 

Meißen (Essen). 


A. T. Davies: Cryogenine. (The Lan- 


cet, 9. IO. 1915, p. 835.) 
Verf. führt seine günstigen Erfah- 


rungen mit dem in: Deutschland wenig 


bekannten und selten gebrauchten Fieber- 
mittel Kryogenin aus. Es stammt aus Frank- 
reich von der. Firma Lumiere und ist 
nach Verf. auch in England wenig bekannt. 


Sainsbury vom Royal Hospital: for 
Diseases of the Chest hat es bei seinen 


Lungenkranken seit 1905 regelmäßig und 
ohne jeden Nachteil benützt; Verf. be- 
stätigt diese Erfahrungen und lobt es. als 
gutes und wirksames Antipyretikum. Auch 
Ref. hat es in Hohenhonnef gern ge- 
braucht. Das Kryogenin hat zum Unter- 
schied von den gewöhnlichen Fiebermitteln 
die Eigenschaft, langsam, erst nach Stun- 


den zu ‚wirken, ähnlich wie das Chinin. 


Man muß es also am frühen Nachmittag 
oder vormittags geben (0,3—0,5); um 
den abendlichen Fieberanstieg zu be- 


a. 


kämpfen. Die langsam eintretende Wir- 
kung ist ein Vorteil, da die lästige Schweiß- 
erzeugung der gebräuchlichen Fiebermittel 
ausbleibt. Es wird behauptet, daß das 
Kryogenin ungünstig auf den Magen ein- 
wirke; Ref. hat das nicht beobachtet. 
Daß Fiebermittel keine Heilmittel sind, 
ist klar oder sollte klar sein. Gleichwohl 
sind gute Fiebermittel nützlich zu ver- 
wenden. Die deutsche Chemie sollte sich 
bemühen, ähnliche Antipyretika mit lang- 
sam eintretender Wirkung herzustellen, 
die von Nebenerscheinungen noch freier 
sind als das Kryogenin. Meißen (Essen). 


Elmer H. Funk: Hemoptysis in pul- 
monary tuberculosis and its treat- 
ment. (Med. Soc. of the State of 
Pennsylvania, September 1915.) 

Von den Patienten mit schwerer tu- 
berkulöser Lungenphthise tritt bei 44°), 
eine Hämopto& auf, sei-es im Beginn 
oder gegen Ende der Krankheit; dabei 
steht die Schwere der Blutung in keinem 
Verhältnis zur Ausbreitung der Lungen- 
affektion. Als Ursache ist Arrosion von 
Gefäßen bei kleinen vorübergehenden und 
anhaltenden Blutungen, sowie bei Blut- 
beimengungen im Sputum anzusehen oder 
bei großen Blutungen, Blutsturz, eine 
Ruptur von in Kavernen gelegenen Aneu- 
rysmen. Bisweilen hat Verf. epidemische 
Lungenblutungen bei einer Zahl von Pa- 
tienten beobachtet. Die Therapie muß 
streng individualisieren, Eisbeutel ist zweck- 
los, wichtig ist vor allem absolute Ruhe, 
ferner Diät. Von Arzneimitteln scheint, 
besonders bei kleinen anhaltenden und 
kapillaren Blutungen, das Emetin gute 
Dienste zu leisten. Bei Blutsturz empfiehlt 
sich Abbinden der Extremitäten, um den 
venösen Rückstrom zum Herzen zu hin- 
dern. Man sorge für guten Stuhl, gebe 
event. Magnesiumsulfat. Bei anhaltender 
schwerer Blutung ist Pneumothorax zu 
versuchen. Stern (Straßburg). 


c) Chirurgische, einschl. Pneumothorax. 


Le Roy 8. Peters: Exudates in arti- 
ficial pneumothorax. (Med. Record 
9. IO. 1915, Vol. 88, No. 15, p. 601.) 

1. Ergüsse entwickeln sich in der 

Mehrzahl der Fälle, in welchen künst- 


REFERATE. 


ZEITSCHR. f. 
TUBERKULOSE 


a e. 


licher Pneumothorax angelegt wird. 2. Ein 
gewisser Prozentsatz der Ergüsse wird 
eitrig. 3. Die meisten dieser eitrigen Er- 
güsse werden durch Tuberkelbazillen ver- 
ursacht. 4. In einem gewissen sehr kleinen 
Prozentsatz findet man Empyeme von 
anderen Organismen hervorgerufen. 5. Se- 
röse Ergüsse und Ergüsse, die Tuberkel- 
bazillen enthalten, sollten so wenig wie 
möglich aspiriert werden, außer, wenn 
sie Drucksymptome und hohes Fieber 
verursachen. 6. Alle Mischinfektionser- 
güsse müssen radikal chirurgisch behan- 
delt und gut drainiert werden. 7. Die 
vielen Nachteile der Ergüsse überwiegen 
ihre geringen Vorteile. 8. Der Prozent- 
satz pleuraler Exsudate ist so klein, daß 
man sie nicht zu berücksichtigen braucht, 
falls man es für nötig findet, einen künst- 
lichen Pneumothorax zu machen. 
B. S. Horowicz (Neuyork). 


Alexander Armstrong: Therapeutic 
pneumothorax in pulmonary tu- 
berculosis. (Med. Society of the 
State of Pennsylvania, Sept. 1915). 

Seit 3 Jahren wendet Verf. den künst- 
lichen Pneumothorax an. Die unter 
strengster Asepsis auszuführende Opera- 
tion bezweckt Einführung von Gas, vor 
allem Stickstoff in den Pleuraraum, um die 

Lunge zu komprimieren, ev. zum Kollaps 

zu bringen. Im allgemeinen ist die Dauer 

der Behandlung 6 Monate. Indiziert ist 
der Pneumothorax bei fortschreitender 

Erweichung in einer Lunge, wenn die 

andere gesund ist, bei anhaltender Hä- 

morrhagie, bei trockener oder exsudativer 

Pleuritis. Eine sorgfältige Auswahl der 

Fälle ist erforderlich. Dann aber leistet 

die Methode außerordentlich gute Dienste. 

In der Diskussion bemerkt Mont- 
gomery, daß .die Ausführungen Arm- 
strongs zu weiterer Verwendung der 

Methode ermutigen, daß aber die Aus- 

führung keinesfalls leicht ist und erfahrenen 

Spezialisten überlassen werden sollte. 

Kaufman will den Pneumothorax in 

den Frühstadien angewendet wissen. 

Stern (Straßburg). 


Charles Rea: An unappreciated form 
of pneumothorax. (Med. Society of 
the State of Pennsylvania, Sept. 1915.) 


BD. ri 4, 


Diese wenig beachtete Form von 
Pneumothorax, unter der Verf. das plötz- 
liche Auftreten eines Pneumothorax ohne 
eigentliches Krankheitsgefühl versteht, ist 
relativ häufig. Als Ursache hat man Rup- 
tur von Alveolen infolge Zuges an der 


REFERATE. 


Pleura, der durch pleuritische Verwachs- | 


ungen bedingt ist, aufzufassen. Allgemein- 
behandlung, Vermeidung unnötiger Mus- 
kelanstrengung bis nach Resorption der 
Luft und Verheilung des Risses sind er- 
forderlich. Die Prognose ist im allge- 
meinen günstig. Lungentuberkulose be- 
stand in einigen Fällen. 

Zu diesen Ausführungen bemerkt 
Montgomery, daß auch seiner Erfah- 
rung nach die Fälle häufig nicht diag- 
nostiziert werden; oft ist Diagnosestellung 
nur mit Hilfe der Röntgenuntersuchung 
möglich, Kaufman fügt hinzu, daß er 
derartige Fälle von Pneumothorax bis- 
weilen bei tuberkulösen Individuen ge- 
sehen habe. Stern (Straßburg). 


Adolf Schmidt-Halle: Offene Pleura- 
punktion. (Münch. med. Wchschr. 
1915, Nr. 26, S. 873.) | 

Wilhelm Stepp-Gießen: Zur Frage der 
„Offenen Pleurapunktion“ nach 
Adolf Schmidt. (Ibid. 1915, Nr. 31, 
S. 1043.) 

Adolf Schmidt-Halle: Zur Frage der 


„Offenen Pleurapunktion“. (Ibid. 


1915, Nr. 38, S. 128r.) 

Lucius Spengler-Davos: Einige Be- 
merkungen zur „Offenen Pleura- 
punktion“ nach Adolf Schmidt. 
(Ibid. 1915, Nr.43, S. 1463.) 

Adolf Schmidt- Halle: Zur Verständi- 
gung über die „Offene Pleura- 
punktion“.. (Ibid. 1915, Nr. 48, 
S. 1640.) 

Schmidt versteht unter „Offener 
Pleurapunktion“ die Entleerung pleuriti- 
scher Exsudate ohne Saugvorrichtung mit 
einem gewöhnlichen Troikart, welcher der 
Außenluft nach Belieben Zutritt in den 
Brustraum gestattet. Es soll dabei nur 
soviel Luft in die Brusthöhle eintreten, 
als zur Ausgleichung des gestörten Druck- 
gleichgewichtes erforderlich ist. Um Voll- 
ständigkeit der Entleerung zu erreichen, 
soll man durch entsprechende Lagerung 


303 


des Kranken die Punktionsstelle zu dem 
tiefsten Punkt der Brusthöhle machen. 
Man legt den Patienten zwischen zwei 
Betten derart, daß die Punktionsstelle den 
tiefsten Punkt des Thorax bildet. Der 
Troikart wird von unten eingestoßen. Nach 
Zurückziehen läuft die Flüssigkeit aus. 
Allmählich wird bei tiefer Einatmung Luft 
angesaugt. Schließlich, nach der Ent- 
leerung der Flüssigkeit „atmet der Patient 
durch die Kanüle“, die dann auf der 
Höhe einer Exspirationsphase entfernt 
werden soll. Diese Art der Punktion ist 
für den Patienten einfach und eher an- 
genehmer als andere Methoden. Durch 
den LufteinlaB wird die Röntgendiagnose 
von Einzelheiten des Exsudates gefördert. 
Die Einfachheit der oflenen Punktion soll 
dieselbe zum Allgemeingut der Ärzte 
machen und dazu führen, daß jedes 
Exsudat möglichst frühzeitig entfernt wer- 
den kann. 

Stepp zeigt an der Hand eines 
Falles, daß bei der „Offenen Pleurapunk- 
tion“ unter bestimmten Verhältnissen 
(doppelseitige Pleuritis mit gleichzeitiger 
Perikarditis) ein kompletter Pneumothorax 
mit allerschwersten Störungen auftreten 
kann. 

Schmidt erwidert, daß bei dem 
schweren Allgemeinzustand des Patienten 
Stepps die „Offene Pleurapunktion“ nicht 
angebracht war, da dieselbe ein, gewisses 
Maß von Bewegungsfähigkeit des Kranken 
und seines Thorax voraussetzt, um die 
Seitenlage durchzuführen und um den 
Troikart bei tiefster Exspiration entfernen 
zu können. 

Spengler stellt Schmidt gegenüber 
fest, daß bei der offenen Pleurapunktion 
bei offenem Troikart spontan unter ge- 
wissen Bedingungen eine Druckerhöhung 
im Pleuraraum eintreten kann. Bei doppel- 
seitigen Erkrankungen kann diese an sich 
geringe Druckerhöhung bedrohlich Zirku- 
lation und Respiration behindern, so daß 


-doppelseitige Erkrankung als Kontraindi- 


kation für die offene Pleurapunktion gelten 
muß. Es ist dabei notwendig, daß nach 
der Punktion im Pleuraraum ein ausge- 
sprochen negativer Druck besteht, der 
durch die Aspirationsmethode in Verbin- 
dung mit einem Pneumothoraxapparat ge- 
währleistet wird. 


304 


Schmidt verteidigt seine „offene 
Pleurapunktion“ gegen die Einwände 
Spenglers. Auch bei doppelseitigem Ex- 
sudat wird meist positiver Exsudatdruck 
angetroffen. Exsudate mit negativem oder 
schwach positivem Druck und somit Kon- 


traindikation für die „offene Pleurapunk- 


tion“ bilden die Ausnahme. 
C. Moewes (Berlin-Lichterfelde). 


R. Massini: Über die Therapie des 
akuten Empyems. (Therap. Monats- 
hefte, Nov. 1915, S. 592.) 
Auf Grund von 17 Fällen von akutem 
Empyem der Baseler med. Klinik schildert 


Verf. die Ergebnisse der geŭbten Therapie, 


die in der Bülauschen Thorakocentese, 


kombiniert mit einer Saugvorrichtung unter 


Druckregulierung, ähnlich dem Perthes- 


schen Verfahren, besteht. Diese Methode 


hält M. für ungefährlicher und erfolgreicher, 


als die breite Eröffnung der Thorax. — ' 
Die Technik und Komplikationen werden 


eingehend geschildert. — Vier der Be- 
handelten starben, aber nicht an Empyem, 
sondern einer an Bronchialkarzinom, drei 
an Lungentuberkulose. Die übrigen 13 


heilten. Schröder (Schömberg). 
d) Chemotherapie. 
v. Linden-Bonn: Experimentalunter- 


suchungen zur Chemotherapie der 
Tuberkulose mit Kupfer- und 
Methylenblausalzen. (Reichs-Me- 
dizinal-Anzeiger 1916, Nr. 2, S'33— 36.) 
Auszug aus der in diesem Bd. S. 64 
besprochenen Abhandlung. L. R. 


A. Fraenkel-Berlin: Einiges über die 
Behandlung der Pneumonie. (The- 
rap. Monatshefte, Oktober 1915.) 

Die akute Pneumonie kann eine 
chronische Tuberkulose der Lungen kom- 
plizieren. Es wird also auch die Leser 
dieser Zeitschrift interessieren, die An- 
sichten eines der erfahrensten Kenners 
der Pneumonie über ihre Behandlung 
kennen zu lernen. — 

Es kommt vor allem darauf an, dem 
Herzkollaps vorzubeugen. Das Verhalten 


‚ZEITSCHR. f. 
TUBERKULOSE 


des Herzens und der Gefäße steht ganz 
im Mittelpunkt der Krankheitserscheinun- 
gen. Steigende Pulsfrequenz mit oder 
ohne Blutdrucksenkung zeigt den Gebrauch 
der Digitalis an, sei es im Infus (4 g pro 
die) oder intravenös in Form des löslichen 
Digifolins (2—3 ccm pro dosi). Auch ein 
Aderlaß (Entnahme von. 200—400 ccm 
Blut) beseitigt oft schnell die Lungen- 
stauung (erweiterter rechter Ventrikel!). 
Hydrotherapie und Excitantien (auch 
Alkohol!) wirken unterstützend. — 
Gegen die Schlaflosigkeit sind kleine 
Dosen Morphin (6—10 mg), bei Delirien 


_ kombiniert mit 4—6 dmg Skopolamin am 


Platze. — 

Der Wert der Serumtherapie der 
Pneumonie ist noch umstritten. Das 
Neufeld-Händelsche Serum oder die 
Sera von Römer und Ruppel (poly- 
valente Sera) werden in großen Dosen 
intravenös gegeben. — 

Die moderne Chemotherapie der 
Pneumonie mit dem Chininderivat Äthyl- 
hydrocuprein (Optochin) bedeutet ent- 


ı schieden einen Fortschritt. Es soll mög- 


lichst frühzeitig wie die Sera gegeben 
werden. — Die schwerwiegendste Neben- 
wirkung sind Sehstörungen bis zur voll- 
kommenen Amblyopie. — 

A. Fraenkel zieht zur Vermeidung 
dieser Amblyopieen die Base und den 
Salizylsäureester, dem leicht löslichen salz- 
sauren Salz (OÖptochinum hydrochloricum) 
vor. Von diesen Präparaten gibt er in 
4—5 stündigem Zwischenraum 0,2—0,3 
pro dos. (1,5—2,0 pro die). Sobald Seh- 
störungen eintreten, fällt das Optochin 
dauernd fort, das sonst 3—4 Tage ge- 
geben wird. — Allgemeinbefinden und 
Dyspnoe bessern sich bei dieser Be- 
handlung schnell. Die Mortalität der 
Pneumonie sinkt. Das Fieber wird er- 
heblich gekürzt. — Die Optochindarrei- 
chung kann mit der Serumtherapie kom- 
biniert werden. — Kampfer ist bei Op- 
tochingabe als gleichzeitiges Stimulans zu 
meiden. Er beeinträchtigt die Wirkung. 


Schröder (Schömberg). 


BD. 25, HEFT 4. 
1916. 


B. Tuberkulose anderer Organe 


Aurelius Röthi-Budapest: Die Therapie 
der Dysphagie bei der Kehlkopf- 
tuberkulose. (Arch. f. Ohren-, Nasen-, 


u. Kehlkopftuberkulose 1915, Bd. 98, 


Heft 2/3, S. 125.) 

Rethi gibt zwei neue Methoden 
zur Behandlung der Dysphagie bei Kehl- 
kopftuberkulose an. Da, .so sagt er, die 
Schmerzen immer ihre Ursache in einer 
Hypetsensibilität des N. lar. sup. hätten, 
so käme es darauf an, die Leitung in 
diesem Nerven zu unterbrechen. Die 
Durchtrennung von außen scheint ihm 
für einen schwachen Kranken eine zu 
eingreifende Operation. Eine vorüber- 
gehende Linderung der Schmerzen will 
er dadurch erzielt haben, daß er die 
Schmerzpunkte aufsucht und zwei Kaut- 
schukknöpfe darauf drückt, die durch ein 
mit einer Schnalle versehenes Band ver- 
bunden sind, das um den Hals gelegt 
wird, während nach vorn von den Pe- 
lotten zwei Gummifäden ausgehen, die 
zusammengebunden werden. R. gibt an, 
daß die Pelotten gut vertragen werden; 
Dauerwirkung erziele man damit nicht. 


Ich vermisse die Feststellung, wie lange 


der Apparat liegen muß, und ob über- 
haupt über die Zeit seiner Applikation 
hinaus Schmerzlinderung erreicht. wor- 
den ist. 

Um das Ziel zu erreichen, „die 
Schmerzen plötzlich und vollständig auf- 
zuheben“ empfiehlt er folgende Methode: 
Mittelst eines eignen Instruments, den 
„Piriformis-Distractor“ (für jede Seite ist 
ein eigner Distractor erforderlich) wird 
der Sinus piriformis auseinander gezogen; 
dadurch spanne sich die Plica nerv. lar., 
in der der N. lar. sup. liegt, gut an. Ver- 
mittelst eines ebenfalls neu angegebenen 
Quetschers wird nun (während ein As- 
sistent den Distractor hält) die Falte mit 
dem darin verlaufenden Nerven fest zu- 
sammengepreßt und dadurch die Konti- 
nuität des Nerven aufgehoben. 

Über seine Erfahrungen nun mit 
dieser Methode sagt R. eigentlich nichts, 
Es findet sich nur die Bemerkung, daß 
es mindestens Monate dauere, bis der 

Zeitschr. f, Tuberkulose. 25. 


REFERATE. 


305 


Nerv wieder zusammenheile. Ob der 
Eingriff wirklich ein viel weniger ein- 
greifender als die blutige Durchtrennung 
des Nerven von außen, will mir noch nicht 
ganz sicher erscheinen. Bei der Lektüre 
der Arbeit stören einige Fehler im deut- 
schen Satzbau empfindlich. 
B. Hirschfeld (Berlin-Lichterfelde). 


A. C. Getchell: Tuberculosis of the 
throat. (Boston Med. and Surg. Journ. 
27. May 1915, Vol. CLXXII, No. 21, 
p. 782.) 

Gesammelte Erfahrungen über Kehl- 
kopftuberkulose in vier Staatssanatorien 
des Staates Massachusetts im Jahre 1914. 

Unter 1488 Tuberkulösen war Kehl- 
kopftuberkulose bei 139 oder in 9°/, zu 
konstatieren. Von diesen 139 Fällen war 
eine Kehldeckeltuberkulose in 23 Fällen 
vorhanden; Pharynxtuberkulose in 6 Fällen. 

Unter 825 Tuberkulösen einer zweiten 
Serie war Kehlkopftuberkulose bei 38 
Fällen oder in 4°/, zu konstatieren. 

Bei der Gesamtzahl von Kehlkopf- 
tuberkulösen waren die Resultate folgende: 
Besserung bei 38°/,; Nichtbesserung bei 
32°/,; tödlicher Ausgang bei 30°/ . 

Für die Behandlung ist das Haupt- 
gewicht auf allgemeine Pflege gleichzeitig 
mit rationeller Lokalbehandlung in An- 
stalten für Tuberkulose zu legen. Von 
allergrößtem Wert ist die Ruhigstellung 
des Larynx mit möglichst strengem Sprech- 
verbot. Von Arzneien für die Lokalbe- 
handlung bespricht Verf. die, welche sich 
am wirksamsten gezeigt haben; besonders 
Milchsäure, Formol und Menthol. Gegen 
Schmerzen wirken Orthoform-Pastillen und 
Cocain am besten. Falls die Trachea ent- 
zündet und besonders, wenn sie mit kleb- 
rigem Schleim bedeckt ist, sollen intra- 
tracheale Injektionen von großem Wert 
sein. Empfohlen werden folgende Rezepte: 
Guaiacol 9 Teile, Eucalyptol 2 Teile, 
Menthol ı Teil, gesättigte Lösung von 
Jodoform in Äther ad 100 oder Guaiacol 
5 g, Menthol 5 g, steriles Öl 30 ccm. 

Injektionen in den N. Laryngeus 


gewendet worden. Die Resultate, obwohl 
nicht immer erfolgreich, fordern doch zu 
weiterer Prüfung auf. Einige Fälle werden 
beschrieben. 

20 


Superior sind verhältnismäßig wenig an- 


306 


Tuberkulin soll keine besonders gün- 
stige Wirkung ausüben. 

Kehldeckel sind viermal operiert 
worden; zweimal mit gutem Erfolg; diese 
vier Fälle sind beschrieben. Operation 
ist indiziert, wenn die Läsion auf einen 
verhältnismäßig kleinem Teil des Larynx 
beschränkt ist, besonders wenn die Läsion 
dem oberen Teil nahe liegt. Im übrigen 
darf der Larynx nur wenig erkrankt sein, 
ebenso wie der Zustand des Patienten 
ein ziemlich guter sein muß. 

Die Tonsillen sollen nach Verf. keine 
große Rolle bei der Entstehung der Tuber- 
kuloseinfektion spielen. 

Soper (Saranac Lake N.Y.). 


Luigi Stropeni (Aus der Chir. Univ.- 
Klin. Turin, Prof. Carle): Contri- 
buto alla prognosi e alla cura 
della tubercolosi della lingua. — 
Beitrag zur Prognose und Be- 
handlung der Tuberkulose der 
Zunge. (Il Policlinico, Sez. Chir., 
Jahrg. 22, Fasc. 4, 15. 4. 1915.) 

Stropeni heilte einen, vorher schon 
mehrfach anderweitig behandelten Fall 
von ausgedehnter primärer Tuberkulose 
der Zunge in kurzer Zeit durch Rönt- 
genbestrahlung. Es bestand ein großes 
Zungenulcus, das einen chirurgischen Ein- 
griff nicht mehr zuließ, mitsubmaxillarer und 
cervicaler fistulöser Lymphadenitis. 
wurden 14 Tage lang tägliche subkutane 
Jod - Guajakol - Injektionen angewendet, 
Mundspülungen mit Borwasser, Injektion 
Calotscher Jodoformpaste in die Fistel- 
gänge. Danach heilte in 8 Röntgen- 
sitzungen die Zunge innerhalb eines Mo- 
nates vollkommen aus, und die Exstirpa- 
tion der fistulösen Halsdrüsen vollendete 
die definitive Heilung. 

Str. stellt folgende Sätze auf: 

Bei der primären Tuberkulose der 
Zunge ist die Prognose quoad vitam ge- 
wöhnlich gut, quoad sanationem localem 
bei richtiger Behandlung immer gut. In 
initialen Fällen ist chirurgische Behand- 
lung (in Lokalanästhesie) mit totaler Ent- 
fernung der Infektionsherde am Platze; 
Ausschabungen und Kauterisationen sind 
zu verwerfen, hingegen lokale Anwen- 
dung von Jodtinktur, Jodoformäther, 
Milchsäure geeignet. 


REFERATE, 


Erst. 


ZEITSCHR. f. 
l TUBERKULOSE 


. Beider sekundären Tuberkulose der 
Zunge ist die Prognose quoad sanationem 
localem nicht infaust, wohl aber quoad 
vitam. Sitzt der begleitende Herd nicht in 
der Lunge, so ist chirurgische Behandlung 
angebracht, anderenfalls Röntgentherapie 
und Anwendung narbenbildender Mittel. 

In allen Fällen muß eine gleich- 
zeitige Allgemeinbehandlung, besonders 
mit Jodmitteln, stattfinden. 

Über die in der Praxis nicht allge- 
mein anerkannte Tuberkulintherapie der 
Tuberkulose der Zunge fehlt dem Verf. 
eigene Erfahrung. | 

Paul Hänel(Bad Nauheim-Bordighera). 


C. E. West: Tuberculosis of the audi- 
tory apparatus. (British Journal of 
Children’s Diseases, Juni 1915.) 

West beschreibt einen Fall von 

Tuberkulose des Gehörapparates bei einem 

Kinde. Patient hatte Schmerzen und 

Beschwerden von Seiten des linken Ohres. 

Drei Monate vorher war eine Radikal- 

operation des Warzenfortsatzes rechts ge- 

macht worden, jetzt wurde das gleiche 
links gemacht. Die pars tympanica des 

Nervus facialis lag in einer Masse granu- 

lierenden Gewebes; die linke Seite des 

Gesichtes war vollständig gelähmt. Später 

wurde eine facialis-hypoglossus Anastomose 

gemacht, aber ohne irgend welchen Ein- 
fluß auf die Lähmung. Es trat eine kom- 
plette Flemiplegie der rechten Seite auf 
mit Zeichen von chronischer Meningitis, 

Schielen, Retraktion des Kopfes, Bewußt- 

losigkeit. Alle Symptome bis auf die 

Hemiplegie schwanden dann wieder. Einige 

Monate später traten Krämpfe auf, meist 

rechtsseitig, sowie von neuem Bewußtlosig- 

keit. Wiederum Operation: Entfernung 
eines großen Teiles der pars squamosa 
ossis temporalis. Eine sich vorwölbende 

Cyste wurde als erweiterter Seitenventrikel 

festgestellt. Punktion und Ablassen des 

Inhaltes. Darauf vorübergehende Besse- 

rung. Dann bildete sich die Vorwölbung 

von neuem. Wieder Krampfanfälle. Die 

Cyste wurde eröflnet, es floß viel Flüssig- 

keit ab. Seither trat eine Besserung im 

Befinden des Kindes ein. Bakteriologisch 

wurde festgestellt, daß es sich um eine 

Tuberkulose, verursacht durch den Typus 

humanus, handelte. Stern (Straßburg). 


= Liner oe 


BD. 25, HEFT 4 


ul REFERATE. 307 


E. Bock, Abt. f. Augenkranke i. Landes- 
spital zu Laibach: Tuberculosis iri- 
dis mit Immunkörper (I. K) Dr. 
Carl Spengler geheilt. (Centralbl. 
f. prakt. Augenheilk. 1915, Juniheft, 
S. 115.) 

B. gehört zu den wenigen Freunden 
des Spenglerschen Mittels. Bereits in 
einer früheren Arbeit (s. Ref. in dieser 
Ztschr, Bd. 22, S. 95) hatte er seine 
günstigen Erfahrungen in der Behandlung 
der tuberkulösen und skrofulösen Augen- 
leiden mit I. K. niedergelegt. In der vor- 
liegenden berichtet er über einen Knaben, 
der an rechtsseitiger Iristuberkulose litt 
und der durch Behandlung mit I. K. 
(Einreibungen in der Ellenbeuge) geheilt 
wurde; auch eine gleichzeitig bestehende 
Lungentuberkulose wurde günstig beein- 
fluß. B. kann daher sein früher ge- 
äußertes günstiges Urteil über die Heil- 
kraft des I. K. nur aufs neue bestätigen. 

C. Servaes. 


Leo B. Meyer: The conservative 
treatment of enlarged (tubercu- 
lous) glands of the neck. (Med. 
Record, I0. 7. 1915, Vol. 88, p. 65.) 

Obgleich geschwollene Halsdrüsen 
nicht immer tuberkulös sind, ist der Tu- 
berkelbazillus dennoch am häufigsten der 

Krankheitserreger. Gewöhnlich ist der 

Mund die Eingangspforte der Ansteckung, 

ob letztere tuberkulös ist oder nicht. Be- 

sonders wichtige Faktoren sind erkrankte 

Tonsillen, kariöse Zähne und die Nasen- 

rachenhöhle.. Bevor man zu einer Ope- 

ration schreitet, muß man daher die pa- 


thologischen Zustände des Mundes be- 


seitigen. In vielen Fällen wird dann die 
Operation unnötig sein. Klimatische, hy- 
gienische, diätetische und medizinale Be- 
handlung darf nicht vernachlässigt werden. 

Therapie: Injektion von 5°/, Jodo- 
formemulsion in ‚Öl oder N For- 
malin in Glyzerin, Biersche Stauung, 
Tuberkulin, X-Strahlen und hochfrequen- 
zierter Strom. Große Vorsicht muß nach 
Sinus- oder Abszeßbildung beobachtet 
werden. Sinus: Behandlung .der unter- 
liegenden krankhaften Zustände des Mun- 
des ohne lokale Therapie. Wenn erfolg- 
los, gebrauche man Jodtinktur, leichte 
Auskratzung, Becksche Pasta usw. Abs- 


zeß: Unter keinen Umständen sind große 
Einschnitte mit Drainage erlaubt. Man 
mache einen möglichst kleinen Einschnitt 
und lasse den Eiter abfließen. Aseptische 
Behandlung ist von größter Wichtigkeit, 
um Mischinfektion zu vermeiden. Trotz 
aller Bemühungen ist es manchmal nötig, 
die- Lymphdrüsen zu resezieren. Aber 
auch hier ist es nicht geraten, wie bei 
bösartigen Tumoren, alle Drüsen, Fett 
und Bindegewebe zu entfernen. 
B. S. Horowicz (Neuyork). - 


E. B. Friedenwald and W. Greenfeld: 
Tuberculous tumors of the brain: 
Report of a case and brief sum- 
mary of the literature. (Amer. 

‘ Journ. of Dis. of Childr. 1915, May, 
Vol.9, No.6, p. 508.) 

Zusammenfassung der Literatur und 

Bericht über einen Fall von Konglome- 


'rattuberkel des Gehirns. 


Bei der Autopsie fanden sich ein 
großer Konglomerattuberkel der linken 
Hemisphäre und vier kleinere Tuberkel 
der rechten Hemisphäre. Außerdem waren 
auf der Oberfläche beider Hemisphären 
verschiedene stecknadelkopfgroße Knöt- 
chen. Lungenbefund: käsige Pneumonie 


der rechten Lunge und ein alter Prozeß 


der linken Lungenspitze. Die bronchialen 
Lymphdrüsen waren sämtlich vergrößert, 
viele von ihnen verkäst. Besonders inter- 
essant war das Vorhandensein großer 
Mengen Tuberkelbazillen in den Wänden 
und Lumina der Gefäße der Gehirnherde 
wie der bronchialen Lymphdrüsen. Diese 
waren manchmal mit bazillenhaltiger ver- 
käster Materie vollgestopft. 
Soper (Saranac Lake, N.Y.). 


C. 0. Hawthorne: 
symptoms as early events in tu- 
berculous meningitis. (Brit. Journ. 
of Children’s: Diseases, August 1915.) 

Verf. berichtet über zwei Fälle, in 
denen sich als erste Anzeichen einer tu- 
berkulösen Meningitis lokalisierte Hirn- 
symptome fanden. Gewöhnlich setzen 
derartige Fälle mit Schielen, mit lokali- 
sierten Krämpfen oder Lähmungen ein. 

In dem einen der beschriebenen Fälle 

zeigte sich zunächst eine Eigentümlichkeit 

der Sprache und ein eigenartiger Gesichts- 
| 20* 


Localizing brain 


308 


ausdruck. Diese Symptome verschwanden 
nach zwei Tagen, am dritten setzten 
Krämpfe ohne Coma oder Bewußtlosig- 
keit ein. Diese verschwanden dann wieder 
langsam, aber Kopfschmerz, anhaltendes 
Erbrechen, Fieber und der cytologische 
Befund der Spinalflüssigkeit sprachen un- 
bedingt für Meningitis. Im zweiten Fall 
begann die Krankheit mit Krämpfen der 
rechten Körperhälfte, dann entwickelten 
sich verschiedene Symptome tuberkulöser 
Meningitis; diesexDiagnose wurde durch 
die Autopsie bestätigt. In beiden Fällen 
trat die Meningitis sekundär durch Ver- 
schleppung von Emboli auf dem Blutwege 
auf. Dadurch konnten Krämpfe und 
Lähmungen hervorgebracht werden. 
Stern (Straßburg). 


L. Guthrie: Tuberculoma of pons 
Varolii; pulmonary tuberkulosis 

in boy aged three and one-half 
years. (Brit. Journ. of Children’s Dis., 
London, Aug. 1915, Vol. XII, No. 140, 
p. 225.) 

Der Patient Guthries zeigte fol- 
gende Symptome: Beim Aufsetzen wich 
das Kinn beständig nach links ab, der 
Kopf neigte nach rechts. Gesichtssinn 
nichts besonderes. Komplette Lähmung 
des linken Abduzens und Fazialis. Linkes 
Auge nach innen gerichtet, Außenrotation 
über die Mittellinie hinaus unmöglich. 
Herabsetzung der Innenrotation des rech- 
ten Auges. Sensibilität im Gesicht beider- 
seits intakt. Zunge kommt gerade heraus, 
Bewegung des weichen Gaumens normal. 
Gehör frei. Obere Extremitäten ohne 
Besonderheiten. Untere Extremitäten: 
Bewegungen frei, keine Spasmen, keine 
Hypotonie. Kniereflexe lebhaft, rechts 
stärker; kein Fußklonus. Plantarreflex 
träge und plantarwärts. Vergrößerung der 
Tonsillen, hinteren Hals- und Axillar-, so- 
wie Leistendrüsen. 3 Wochen nach der 
Aufnahme leichter vertikaler Nystagmus, 
14 Tage später Hyperästhesie für Nadel- 
stiche im Trigeminusgebiet beiderseits, 
sonst keine Veränderung. Später allge- 
meine Krämpfe, Tod nach 5 Stunden. 

Bei der Autopsie fand sich im Zen- 
trum des Pons ein tuberkulöser Herd 
von I Zoll Durchmesser. Mikroskopisch 
erwies sich das tuberkulöse Gewebe viel 


REFERATE, 


ZEITSCHR., f. 
TUBERKULOSE 


ausgebreiteter. Brückenkerne und Nerven 
waren nicht zu erkennen. Ein kirsch- 
großer Tumor von dunkler Farbe, auf 
dem Durchschnitt weich und käsig, lag 
der lamina cribrosa ossis ethmoidalis auf. 
Zwei oder drei ähnliche Bildungen er- 
hoben sich in der Gegend der Stirnlappen, 
in loser Verbindung mit der Hirnsubstanz 
in die umgebende Pia. Im Kleinhirn 
keine Infektionsherde. Fibröse Herde in 
der linken Lungenspitze und Erweiterung 
der Bronchioli. Bronchialdrüsen vergrößert, 
blaß, weich, nicht direkt käsig, stellen- 
weise tuberkulös.. Auf der Pleuraober- 
fläche vereinzelte Tuberkel. 
Stern (Straßburg). 


Edward F. Kilbane: Renal tubercu- 
losis with occlusion of ureter. 
(New York Med. Journ., 31. July 1915, 
Vol. 102, p. 225.) 

Viele Fälle von Nierentuberkulose 
verursachen keine Symptome. Die Symp- 
tome werden oftmals irrtümlicher Weise 
nicht den Nieren, sondern anderen Orga- 
nen zugeschrieben. Es besteht kein Zu- 
sammenhang zwischen der Heftigkeit oder 
Dauer der Symptome und der Ausbreitung 
der Tuberkulose in dem Nierengewebe. 
Jeder Fall latenter, inaktiver Nierentuber- 
kulose kann zu jeder Zeit aktiv werden 
und Infektion anderer Organe verursachen. 
Nierenausschneidung ist daher die logische 
Behandlung unkomplizierter, einseitiger 
Fälle, sobald man der Diagnose sicher ist. 

B. S. Horowicz (Neuyork). 


E. A. Fletcher: Renal tuberculosis — 
history and pathology, sympto- 
matology and diagnosis, treat- 
ment and results. (The Urologic 
and Cutaneous Review 1915 October 
Vol. XIX, p. 558.) 

Fletcher, Milwaukee gibt in kurzem 
Umriß die Geschichte, Pathologie, Symp- 
tomatologie, Diagnose, Behandlung und 
Resultate der Therapie der Nierentuber- 
kulose. Er betont, daß seit ungefähr 
einem Vierteljahrhundert durch Auffinden 
der Tuberkelbazillen im Harn, durch die 
Feststellung, daß die Nierentuberkulose 
im wesentlichen eine descendierende In- 
fektion ist, durch Cystoskop, Ureteren- 
katheterismus und funktionelle Nieren- 


See a a m er eg a Ga 


BD. 25, HEFT 4, 


1916. REFERATE. 309 


diagnostik die früher rein interne Therapie 
sich zu einer rein chirurgischen gewan- 
delt habe; daß man möglichst zeitig die 
Diagnose stellen muß, um gute Operations- 
resultate zu bekommen. Er schließt mit 
folgenden Sätzen: Chronische einseitige 
Tuberkulose der Niere ist keine seltene 
Erkrankung; meist wird sie erst als Cystitis 
diagnostiziert und oft Wochen, Monate 
und Jahre als solche behandelt. Nephrek- 
tomie und Nephrektomie allein bietet die 
einzige richtige Behandlung; bei früh- 
diagnostizierten Fällen. kann man 75°/, 
der Kranken retten. 

Mankiewies (Berlin). 


D. Berichte, 


Il. Über Tuberkuloseanstalten und 
Vereine. 


Bergische Heilstätten für lungenkranke 
Kinder (E. V.). 5. Jahresbericht über 
1914/15. Der ärztliche Bericht er- 
stattet vom leitenden Arzt, Dr. Simon. 
Nachdem Simon zunächst über die 
durch den Krieg in Mitleidenschaft ge- 
zogene Krankenbewegung berichtet hat, 
teilt er seine Erfolge — auch Dauer- 
erfolge — bei tuberkulösen Kindern mit. 
Es ergibt sich daraus, daß die Bronchial- 
drüsentuberkulosen sowie die Lungen- 
tuberkulosen des I. u. II. Stadiums durch 
Heilstättenkuren günstig beeinflußt werden, 
daß aber das III. Stadium und insbeson- 
dere die offenen Formen nur in seltenen 
Fällen genügende Erfolge erzielen. Zum 
Schlusse folgen die üblichen statistischen 
Mitteilungen. C. Servaes. 


Auguste Victoria Knappschaftsheilstätte 
Beringhausen bei Meschede (Chefarzt 
Dr. Windrath). (Auszug aus dem Ver- 
waltungsbericht des allgemein. Knapp- 
schafts-Vereins zu Bochum für das 
Jahr 1914.) 

Statistische Mitteilungen. Bemerkens- 
wert ist, daß 4 Kranken der künstliche 
Pneumothorax z. T. mit gutem Erfolge 
angelegt wurde. C. Servaes. 


Die Knappschaftsheilstätte Sülzhayn. 


Jahresbericht für 1914. (Geschäfts- . 


bericht des Vorstandes der Norddeut- 

schen Knappschafts- Pensionskasse in 

Halle a. S. für das Jahr 1914.) 
Statistisches. :C. Servaes. 


Curschmann: ÄrztlicherJahresbericht 
der Heilstätten Friedrichsheim 
und Luisenheim für das Jahr 1914. 
(Karlsruhe, Buchdruckerei der „Badi- 
schen Landeszeitung“, G. m. b. H.) 

Curschmann schildert anschaulich 
und nicht ohne Humor die Schwierig- 
keiten und Wirrungen, die der große 

Krieg in das ruhige Leben und Walten 

der beiden badischen Heilstätten brachte, 

Schwierigkeiten, die dadurch, daß die An- 

stalten in der Nähe des vermuteten Kriegs- 

schauplatzes lagen, wesentlich vermehrt 
wurden. Es folgen dann die üblichen 
statistischen Mitteilungen über Friedrichs- 
heim und Luisenheim, denen schließlich 
noch eine kurze allgemeine Besprechung 
folgt, insbesondere über die Art der Be- 
handlung. Trotz vielfacher Versuche mit 
angepriesenen Mitteln und Heilverfahren 

(darunter auch das Friedmannsche) hat 

sich das Tuberkulin immer wieder als das 

z. Z. beste und zuverlässigste gezeigt.. In 

einzelnen geeigneten Fällen wurde auch 

der künstliche Pneumothorax angewandt. 

Vielversprechend scheint die Lichtbehand- 

lung zu sein, sowohl mit dem natürlichen 

Sonnenlicht wie mit dem ultravioletten 

Lichte der Quarzlampen; doch sind weitere 

Versuche noch notwendig. Guten Erfolg 

sah Curschmann von Lichtbädern (elek- 

trischen Glühlicht- und Bogenlampen- 

bädern) bei Rheumatismus, Bronchial- 

asthma, Bronchitis und Bronchiektasien. 
C. Servaes. 


Bericht der Tätigkeit des National- 
vereins zur Bekämpfung der Tuber- 
kulose 1914/15. (Kopenhagen 1915.) 

Silkeborg Sanatorium (für Män- 

ner): Entlassen wurden 291 (I. Stad. 41, 

II. Stad. 84, III. Stad. 166) Kurdauer 

durchschnittlich 201 Tage. Resultate: 

Anscheinend gesund 73, bedeutend ge- 

bessert 58, gebessert 83, unverändert 53, 

verschlechtert 21, gestorben 3. Bazillen 

wurden bei 74,2°/, nachgewiesen, sie 


310 


schwanden bei 35,6°/,, Gewichtszunahme 
durchschnittlich 6,4 kg. 

Ry Sanatorium (für Frauen): Ent- 
lassen 7r (I. Stad. 18, II. Stad. 28, 
III. Stad. 25\. Kurdauer durchschnittlich 
186 Tage. Anscheinend geheilt 14, be- 
deutend gebessert 32, gebessert I2, un- 
verändert 6, verschlechtert 4, gestorben 3. 
Bazillen wurden bei 63°/, nachgewiesen. 
Gewichtszunahme durchschnittlich 6,7 kg. 

Haslev Sanatorium (für Frauen): 
Entlassen 6r (I. Stad. 26, II. Stad. 15, 
III. Stad. 20). Kurdauer durchschnittlich 
141 Tage. Anscheinend geheilt 20, be- 
deutend: gebessert 24, gebessert 8, un- 
verändert 4, verschlechtert 5, gestorben oO. 
Bazillen bei 44,3°/,; bazillenfrei wurden 
13,10/,. Gewichtszunahme durchschnitt- 
lich 7,7 kg. 

Skörping Sanatorium (für Frauen): 
Entlassen 278 (I. Stad. 131, II. Stad. 72, 
III. Stad. 75). Kurdauer durchschnittlich 
152,5 Tage. Anscheinend geheilt 80, be- 
deutend gebessert 61, gebessert 62, un- 
verändert 43, verschlechtert 29, gestorben 3. 
Bazillen bei 50,7°/,, sie schwanden bei 
30,2°/,. Gewichtszunahme durchschnitt- 
lich 6,3 kg. 

Faksinge Sanatorium (für Män- 
ner): Entlassen 203 (I. Stad. 37, II. Stad. 
48, III. Stad. 118). Kurdauer durch- 
schnittlich 187 Tage. Anscheinend ge- 
heilt 38, bedeutend gebessert 46, ge- 
bessert 70, unverändert 23, verschlechtert 
15, gestorben r1. Bazillen bei 77,3°/,. 
bazillenfrei wurden 35°/,, Gewichtszu- 
nahme durchschnittlich 6 kg. 

Nakkebölle Sanatorium (für 
Frauen): Entlassen 229 (I. Stad. 82, 
II. Stad. 62, III. Stad. 85) Kurdauer 
durchschnittlich 179 Tage. Anscheinend 
geheilt 65, bedeutend gebessert 49, ge- 
bessert 65, unverändert 35, verschlech- 
‚tert 10, gestorben 5. Bazillen bei 55,9°/,. 
sie schwanden bei 40,7°/,. Gewichts- 
zunahme durchschnittlich 6,8 kg. 

Julemaerke sanatoriet (für Kin- 
der): Entlassen 180 (150 manifest tuber- 
kulös, 30 klinisch suspekt, mit positiver 
Tuberkulinreaktion, aber ohne sicher nach- 
weisliche Lungentuberkulose). 

Von den ersten waren I. Stad. 69, 
II. Stad. 57, III. Stad. 24. Kurdauer 
durchschnittlich 265 Tage. Anscheinend 


REFERATE. 


ZEITSCHR, f. 
TUBERKULOSE 


geheilt 71, bedeutend gebessert 46, ge- 
bessert 13, unverändert 6, verschlechtert 
7, gestorben 7. Auswurf hatten nur 44, 
Bazillen nachgewiesen bei 26 (17,4°h). 
Gewichtszunahme durchschnittlich 3,2 kg. 

Von den 30 suspekten wurden ent- 
lassen als: anscheinend geheilt 24, be- 
deutend gebessert 4, gebessert I, gestor- 
ben ı (meningitis tub.) Kurdauer durch- 
schnittlich 125 Tage. 

Nach den Berichten der einzelnen 
Sanatorien finden sich Berichte über die 
Dauerresultate der resp. Sanatorien. 

Des weiteren finden sich Berichte 
von 3 kleineren Küstensanatorien (bei 
Fakse, Kalö und Nyborg) und einer Pflege- 
anstalt (Ry), und von den 7 unter dem 
„Nationalverein“stehenden Fürsorgestellen. 

Kay Schäffer. 


Ivar Petersen: Jahresbericht des 
Krabbesholm Sanatorium 1914/15. 
(Skive 1915.) 

Entlassen wurden 205 (90 Männer 
und ı15 Frauen) und zwar I. Stad. 56, 
II. Stad. 60, III. Stad. 89. Kurdauer 
durchschnittlich 184 Tage. Anscheinend 
geheilt 8, bedeutend gebessert 38, ge- 
bessert 73, unverändert 46, verschlech- 
tert 22, gestorben 18. Bazillen wurden 
bei 65°/, nachgewiesen, bazillenfrei wur- 
den ca. 12°/,. Gewichtszunahme durch- 
schnittlich 4,9 kg. Zuletzt findet sich 
eine Dauerstatistik über die in den 
Jahren 1909—14 entlassenen. 

Ä Kay Schäffer. 


E. Bücherbesprechungen. 


Vierordt: Perkussion u. Auskultation. 
12. Auflage Tübingen 1915, Verlag 
der Lauppschen Buchhandlung. 

Das Werkchen liegt in zwölfter ver- 
mehrter und verbesserier Auflage vor. 
Wie der Verf. im Vorwort selbst sagt, 
hat die Neuauflage Verbesserungen er- 
fahren in den theoretischen Erläuterungen 
über den Perkussionsschall und das Atem- 
geräusch. Durch diese theoretischen Er- 
läuterungen ist es meiner Ansicht nach 
praktischer geworden, praktischer beson- 
ders für den angehenden Kliniker, bei 


BD. ei HEFT 4. 
916. 


dem sich ärztliches Denken, das nach’ 


langjähriger Praxis etwas von vornherein 
Gegebenes ist, erst heranbilden muß. Es 
ist der Hauptvorzug dieses in langen 
Jahren erprobten und aus langjähriger 
Erfahrung geborenen Werkes, daß es im 
Gegensatz zu anderen großen Werken unter 
Vermeidungtrockenerund theoretisierender 
Abhandlungen darauf ausgeht, beim an- 
gehenden Arzt durch logisches Verbinden 
der durchs Ohr perzipierten Tatsachen 
und Vorgänge den Begriff der Krank- 
heit herauszubilden — ein alter Vorzug 
des Buches, der aber, wenn ich z. B. 
die mir“zugleich vorliegende 9. Aufl. be- 
trachte, durch Berücksichtigung neuester 
Forschungsergebnisse 'auf diesem Gebiet 
(Atemgeräusch, Herzfigur, Herzgeräusche 
u. a. m.) noch gesteigert worden ist. So 
kann diese Neuauflage als altbewährt und 
modern im besten Sinne empfohlen und 
ihr nur gewünscht werden, daß sie ihren 
erzieherischen Zweck in derselben glän- 
zenden Weise erfülle wie ihre Vorgänge- 
rinnen während dreier Jahrzehnte. 
Walter Enderle (Berlin-Schöneberg). 


A. Marxer: Technik der Impfstoffe 
und Heilsera. (Braunschweig 1915, 
Vieweg, 3195S., geh. 8 M., geb. ọ M.) 

Das Buch enthält in kurzer, über- 
sichtlicher Form eine Zusammenstellung 
der in einer großen und unübersichtlichen 
Literatur verstreuten Angaben über die 
Technik der Impfstoffe und Heilsera, über 
deren Herstellung und Prüfung. Es ist 
in der Hauptsache .als Nachschlagebuch 
gedacht und wird als solches zweifellos 
von Nutzen sein. 

Die Lehrbücher können gerade die- 
sen technischen Teil der Immunitätslehre 
nur kurz behandeln. Das Studium der 
bekannten Handbücher von Kraus- 
Levaditi, Kolle-Wassermann und der 
‘ Originalliteratur, auf die stets hingewiesen 
ist, wird dem Leser des Werkchens nicht 
erspart bleiben, wenn er sich mit den 
technischen Fragen der Immunitätslehre 
eingehender zu beschäftigen hat. Eine 
Kritik der zahlreichen Methoden vermeidet 
der Verf. vollständig, sie wäre in ge- 
drängter Darstellung auch schwer durch- 
führbar. Der Nichtfachmann wird der 
Fülle der Methoden zunächst ratlos gegen- 


REFERATE, 


311 


überstehen, aber er findet in dem Buche 
die nötige Übersicht und auch die Wege, 
die er zur weiteren Orientierung einzu- 
schlagen hat. 

Die verschiedenen Tuberkuloseimpf- 
stoffe sind so behandelt, daß man sich 
von den Grundzügen der Herstellung ein 
klares Bild machen kann. 

Morgenroth (Berlin). 


A. Tsakalotos-Athen: Heol rg Ömuo- 
cias dyelas tv Zvow xal lðiæ tg 
pvuætiwcswg. (Über die öffentliche 
Hygiene in Syra und insbesondere über 
die Tuberkulose.) Athen 1914. Staats- 
druckerei. 42 S. 

Der Wert der vorliegenden Arbeit 
für die Tuberkuloseforschung liegt darin, 
das durch sie Anhaltspunkte zur Er- 
klärung der hohen Sterblichkeit in Griechen- 
land gewonnen werden können. Bekannt- 
lich zeichnen sich die griechischen Städte 
mit mehr als IO000 Einwohnern, über 
welche allein eine Todesursachenstatistik 
vorliegt, trotz der günstigen klimatischen 
Verhältnisse durch eine auffallend hohe 
Tuberkulosesterblichkeit aus, deren Ur- 
sachen von dem Verf. auf ungünstige 
Lebensbedingungen, die Unkenntnis der 
elementaren Regeln der Hygiene und den 
Alkoholismus zurückgeführt werden. Dazu 
kommt, daß in Griechenland noch jede 
soziale Versicherung fehlt und daß man 
infolgedessen die an Infektionskrankheiten 
erkrankten Arbeiter und Arbeiterinnen 
möglichst lange in den Fabriken beschäftigt, 
um ihnen ihren Verdienst nicht zu schmä- 
lern, wodurch selbstverständlich auch der 
Ausbreitung der Tuberkulose Vorschub 
geleistet wird. 

Um sich selbst von der Eigenart der 
Lebensbedingungen der Tuberkulosekran- 
ken zu überzeugen, hat der Verf. ge- 
legentlich seines Kommandos auf der 
Insel Syra während des Balkankrieges 
25 solche Kranke im Alter von 8—46 
Jahren aufgesucht und hierbei gefunden, 
daß in der Tat nicht nur die hygienischen 
Verhältnisse, in welchen die Kranken 
lebten, sondern auch die Ermährungsver- 
hältnisse viel zu wünschen übrig ließen. 
Dabei hatte sich außerdem ergeben, daß 
in 8 von den 25 untersuchten Krankheits- 
fällen der Vater Alkoholiker gewesen war 


312 


und daß sich diese Eigenschaft in mehreren 
Fällen auf die Kinder vererbte. Es ist 
klar, daß aus dem Zusammenwirken sol- 
cher Faktoren selbst bei den günstigsten 
klimatischen Verhältnissen eine hohe Tu- 
berkulosesterblichkeit resultieren muß und 
daß in Griechenland erst dann ein Rück- 
gang der Tuberkulosesterblichkeit erwartet 
werden kann, wenn es gelingt, die Lebens- 
bedingungen des arbeitenden Volkes zu 
verbessern und die allgemeine Volksbildung 
auf einen höheren Stand zu bringen, als 
es gegenwärtig der Fall zu sein scheint. 
E. Roesle {Berlin-Nikolassee). 


August Rollier: Die Schule an der 
Sonne. (Bern 1916, Verlag von A. 
Francke, 35 Seiten, 23 Abbildungen. 
Preis 1,60 M.) 

Das Bestreben die Heilkräfte der 
Sonne insbesondere der heranwachsenden 
Menschheit auf breitester Grundlage nutz- 
bar zu machen, hat Rollier veranlaßt, 
seine Maßnahmen und Ansichten in die- 
sem prächtigen Werkchen der Allgemein- 
heit bekannt zu geben. Er hat für er- 
wachsene Rekonvaleszenten in Leysin eine 
Arbeitskolonie gegründet, die ihnen die 
Möglichkeit gibt, sich durch Anfertigung 
von Körben und Liegestühlen wenigstens 
einen Teil ihres Unterhaltes selbst zu 
verschaffen. Für rekonvaleszente Kinder 
wurde in 1100 m Höhe eine Ackerbau- 
kolonie, bestehend aus zwei Farmvillen 
und einem Wohnungschalet, errichtet. 
Viehzucht, Milchproduktion, Bienenzucht 
und Gemüsekultur sind die einzelnen 
Zweige des Betriebes. Alle Außenarbeiten 
werden bei günstiger Witterung ohne 
Kleidung verrichtet. 

Daneben ist die Sonnenbehandlung 
durch Gründung einer „Schule an der 
Sonne“ zur vorbeugenden Behandlung 
schwächlicher oder prädisponierter Kinder 
herangezogen worden. Die in der Nähe 
von Leysin gelegene Anstalt besteht aus 
zwei einfachen Chalets mit breiten an- 
grenzenden Galerien. Luft- und Sonnen- 
bad und Bewegung bilden die Behand- 
lungsmethode. Im Sommer sollen die 
Kinder die ganze Zeit hindurch fast nackt, 
die Knaben mit einer Badehose, die Mäd- 
chen in einer Art Hemdhose einhergehen. 
Dabei wird regelrechter Unterricht, so oft 


ZEITSCHR. f, 
REFERATE, -oa ORRU 


es die Witterung erlaubt in freier Luft 
und Sonne erteilt. Originell ist die Emp- 
fehlung sogenannter „mobiler Klassen“. 
Eine leichte, zusammenklappbare, aus Sitz 
und Pult bestehende Schulbank wird wie 
ein Tornister mit Riemen über die Schul- 
ter gehängt, eine Leinwandtasche enthält 
Bücher und Schreibzeug; dann geht es 
hinaus ins Freie auf sonnige und ge- 
schützte Matten und Hänge, im Sommer 
zu Fuß, im Winter auf Schneeschuhen. 
In prächtigen und malerischen Bildern 
werden uns die fliegende Schulklasse und 
die Garten- und landwirtschaftlichen Ar- 
beiten im Sommer und Winter inmitten der 
herrlichen Gebirgslandschaften vorgeführt. 
Die braunschwarzen, kräftigen und musk- 
ulösen Gestalten zeigen am allerbesten, was 
die Sonne aus zarten und schwächlichen 
Wesen hervorzuzaubern vermag. 

Was Rollier so im Kleinen durch- 
geführt hat, möchte er nun ins Große 
übertragen sehen. Die mobilen Schul- 
klassen sollten überall eingeführt werden; 
für die Anwendung der Sonnenkur wer- 
den ins einzelne gehende Vorschriften 
gegeben. Auch für Kleinkinderbewahr- 
anstalten, für Waisenhäuser und Ferien- 
kolonien, für junge Leute und Soldaten 
in den Kasernen wird die Änwendung 
der Sonnenkur oder Übungen mit mehr 
oder weniger entblößtem Körper gewünscht. 

Die Ratschläge Rolliers sind auch 
für unsere Verhältnisse im höchsten Grade 
beherzigenswert:. Es braucht nicht gesagt 
zu werden, daß diese in unseren trüben 
nordischen Wintern anders liegen als im 
Hochgebirge; wir setzen auch hier unsere 
Hoffnung auf unsere Techniker. Im Som- 
mer aber sind wir durchaus nicht schlechter 
daran. Weshalb sollen unsere Jungen 
nicht ohne Jacke und Hemd turnen und 
unsere Jugendkompagnien marschieren 
können? Die Schule an der Sonne ist 
ein ideales Vorbild für unsere Wald- und 
Freiluftschulen. Die Einwände, die ge- 
wiß erhoben werden, hat Rollier schon 
zu entkräften gewußt. Wer sich an seine 
Vorschriften hält, wird auch Schädigungen 
wohl vermeideu können. 

Aus dem kleinen Büchlein läßt sich 
eine Summe von Anregungen herausholen; 
so sei es jedem Freunde der Jugend 
warm empfohlen. Simon (Aprath). 


BD.25, HEFT 4. 
1916. 


J. Castaigne, A. Lavenant, E. Benazet: 
Über Nierentuberkulose und Carl 
Spenglers Immunkörper(„I-K“)- 
Behandlung. Übersetzt von S. Fuchs 
— v. Wolfring. (Davos 1916, Verlag 
Eberle u. Co., 52 Seiten.) 

Die unter dem Sammelnamen „Über 
Nierentuberkulose“ erschienene Über- 
setzung einer Artikelreihe aus dem Journal 
medical frangais, die kurz vor dem Krieg 
Ende Juli 1914 zur Veröffentlichung kam, 
ist eine Kampf- und Streitschrift eines- 
teils für die Behauptung einer möglichen 
anatomischen Heilung der Nierentuber- 
kulose, andererseits für die Heilung tuber- 
kulöser Erkrankung überhaupt, besonders 
der tuberkulösen Erkrankung der Nieren, 
durch die Immunkörper Carl Spenglers. 


` Die Schrift gliedert sich auch deshalb in 


die Abschnitte 1. Über die Heilbarkeit 
der Nierentuberkulose; 2. Die Wirksam- 
keit der spezifischen Therapie der Nieren- 
tuberkulose; 3. Die Anwendung der anti- 
tuberkulösen „Immunkörper“ von Carl 
Spengler. Auf dem Kongreß der Asso- 
ciation française d’Urologie IgI2 war 
unter: nur gelindem Widerspruch (u. a. 
von Castaigne) festgestellt worden, daß 
die Nierentuberkulose nicht heilbar sei 
und nur durch die Entfernung der Niere 
beseitigt werden könne. Jetzt sind von 
zwei französischen Forschern, Legueu 
(mit seinen Schülern Verliac und Papin) 
und Noël Halle die tuberkulösen Nieren 
anatomisch exakter untersucht und re- 
gressive Vorgänge und Heilungsprozesse in 
dem erkrankten Gewebe festgestellt worden 
und zwar in etwa einem Viertel aller Fälle. 
Castaigne und seine Mitarbeiter haben 
130 schwerkranke Fälle von Nierentuber- 
kulose mit Spenglers „I-K“ behandelt, bei 
denen die chirurgischen Methoden aus- 
geschlossen waren und behaupten: 18 von 


ihnen sind derartig gebessert, daß die. 


klinische Heilung erreicht zu sein scheint; 
37 sind klar und deutlich gebessert; 45 
haben nur eine Besserung von einer ge- 
wissen Dauer erfahren; 12 sind gestorben. 
Die Wirksamkeit der spezifischen Therapie 
der Nierentuberkulose mit I-K-Behandlung 
erweisen die Verff. mit der Heilung von 
4 Fällen hämaturischer Nierentuberkulose 
von 3 + 2 Fällen Tuberkulose beider 
Nieren (mit teilweiser Entfernung der 


REFERATE, 313 


Pyonephrotischen Niere), mit 4 Fällen 
käsig ulceröser Tuberkulose einer nach 
Nierenausschneidung übrig gebliebenen 
Niere, ı Fall von Heilung der Nieren- 
tuberkulose durch fibrösen Prozeß durch 
Exklusion (die Niere wurde nach Jahren 
wegen Steinen entfernt und konnte des- 
halb anatomisch untersucht werden), Die 
Anwendung der antituberkulösen Immun- 
körper Spenglers geschieht durch Ein- 
nehmen der Lösung, durch Salben, durch 
subkutane Injektion (ev. im Klistier und 
intravenös); meist subkutan, in IO-, IOO-, 
IOOO-, 10000-, 100000- und I O00000- 
facher Verdünnung mit einer 5 Karbol, 
3 Milchsäure, 5 Kochsalz, 1000 destill. 
Wasser enthaltenden Verdünnungsflüssig- 
keit. Die Immunkörper sollen antitoxisch 
und Iytisch wirken. Näheres ist aus den 
Arbeiten Carl Spenglers bekannt. Die 
Verff. betrachten die I-K als ein .Heil- 
mittel, das berufen ist, im Kampfe mit 
der Tuberkulose wirkliche Dienste zu 
leisten. Wir wollen hoffen, daß ihre Zu- 
versicht sie nicht täuscht, bisher sind die 
Beweise nicht schlüssig. 
Mankiewicz (Berlin). 


Noël Halló: Formes de la tuber- 
culose rénale chronique. (Diesem 
Werke wurde in der Sitzung der Pariser 
Akademie der Wissenschaften vom 
27. Dezember 1915 der Preis Godard 
zuerkannt.) | 

Die Kommission bestand aus den 

Herren:: Bouchard, d’Arsonval, La- 

veran, Dastre, Charles Richet, 

Chauveau Guignard, Roux, Labbé, 

Henneguy; Berichterstatter war Guyon. 

In drei Abhandlungen, welche in den 

Jahren 1903 — 1906 in „Annales des 

maladies des organes genito-urinaires“ er- 

schienen sind, teilt Hallé unter Mitarbeit 
von Motz die Ergebnisse seiner patho- 
logisch-anatomischen Untersuchungen der 

Organe des Urogenitalapparats mit. Zur 

Behandlung kamen die Tuberkulose der 

Harnröhre und. der Prostata, der Blase 

und des Harnleiters. Die Untersuchungen 

wurden im Laboratorium der Klinik von 

Necker ausgeführt und umfassen einen 

Zeitraum von 15 Jahren. Das Werk be- 

ginnt mit der Nierentuberkulose, dem 

Hauptkapitel des ganzen Werkes. Das- 


314 ME: 
selbe soll keine allumfassende Monographie 
darstellen, auch kein Lehrbuch der Nieren- 
tuberkulose sein, vielmehr beschränkt sich 
der Autor auf eine historische und kritische 
Darstellung in Verbindung mit seinen 
persönlichen Anschauungen; das Unter- 
suchungsmaterial bildeten 200 Nieren, 
die von Autopsien und Nephrektomien 
herrührten. Verf. bespricht zunächst 
summarisch die pathologische Anatomie 
und die Pathogonie der tuberkulösen 
Herde der Niere im Anschluß an die 
neueste klassische Literatur. Die sicheren 
wissenschaftlichen Errungenschaften wer- 
den scharf unterschieden von unsicheren 
Angaben; ebenso wird auf die noch be- 
stehenden Lücken hingewiesen. Die kri- 
tische Darstellung ist unparteiüsch, ge- 
drängt, durchaus wissenschaftlich und 
bildet die notwendige Einleitung zum 
Ganzen. 

Der zweite Teil enthält eine aus- 
führliche Darstellung der Ergebnisse aus 
den anatomischen Untersuchungen des 
Herausgebers. Es werden vor allem zwei 
Formen der chronischen Nierentuberkulose 
unterschieden. Die eine tritt von vorn- 
herein parenchymatös auf, die andere ist 
von vornherein mit offenen (seschwüren 
verbunden und pyelitisch. Beide Formen 
der Tuberkulose unterscheiden sich scharf 
von einander. Dazu kommt eine dritte 
Mischform, bei welcher die Kennzeichen 
der zwei ersten Typen in verschiedenem 
Maße gemischt nebeneinander auftreten. 
Zahlreiche Originalabbildungen erläutern 
die Darstellung der drei Formen. Die 
verschiedensten Varietäten der Nieren- 
tuberkulose lassen sich in einer der drei 
Gruppen unterbringen. 

Die anatomisch -päthologische Dar- 
stellung von Halle ist knapp und über- 
zeugend. Der dritte Teil ist der Frage 
gewidmet, ob die klinischen Erscheinungen 
dem aus der pathologischen Anatomie 
gewonnenen Bild entsprechen. Seine drei 
Kapitel sind: Pathogenese, klinische Schluß- 
folgerungen und therapeutische Ergebnisse. 
Nach Verf. hat jede der drei anatomisch 
verschiedenen Formen auch eine spezielle 
Art ihres Zustandekommens, der Symp- 
tome und des Verlaufs. Die Krankheits- 
bilder unterscheiden sich wohl voneinander 
und verlangen jedes eine besondere thera- 


REFERATE. 


Eee — e e e nn nn nn 


ZEITSCHR., f. 
TUBERKULOSE 


peutische Behandlung. In drei Kapiteln 
wird der Nachweis geführt, daß jede der 
drei Formen heilbar ist. Die Heilung 
kann in der Niere, wie auch sonst, spontan 
erfolgen. Die Behandlung ist eine allge- 


ineine und eine örtliche. 


Zum Schluß wird klar auseinander 
gesetzt, inwiefern Beobachtung und Ver- 
such die persönlichen Anschauungen des 
Autors bestätigen oder nicht. 

L. Kathariner. 


A. W. R. Cochrane and C. A. Sprawson: 
A guide to the use of tuberculin. 
(New York, W. Wood & Co., 1915, 
Price § 2.25.) 

Unsere Schriftleitung hatte die gute 
Absicht, diesen „Führer zum Gebrauch 
des Tuberkulins“ im Original zur Be- 
sprechung zu besorgen, und wandte sich 
deshalb an den angegebenen Verlag in 
New York. Sie erhielt die merkwürdige 
Antwort, daß es sich um ein englisches 
Buch handle, von dem W. Wood & Co. 
eine amerikanische Ausgabe veröffent- 
lichten; das Buch der englischen Verfasser 
sei in England gedruckt und müsse von 
dem englischen Verlag Bale, Sons & Da- 
nielson, London, bezogen werden! Das 
hat zurzeit Schwierigkeiten, und so müssen 
wir uns an eine Besprechung im Journ. 
of Americ. Med. Assoc. halten. 

Die Verff. sind „Tuberkulinfreunde“ 
in einem Maße, wie wir es in Deutsch- 
land selbst bei den überzeugtesten An- 
hängern kaum kennen. Sie behandeln 
etwa 75°/, ihrer Kranken mit Tuberkulin, 
einen Prozentsatz, der in k@iner ameri- 
kanischen Heilstätte und von keinem 
amerikanischen Arzte erreicht wird, wie 
der Bericht sagt, und der sicher auch bei 
uns verwunderlich erscheinen muß. Aber 
Cochrane und Sprawson gehen in 
ihren Indikationen offenbar sehr weit und 
beschränken sich dafür in den Kontra- 
indikationen. So erklären sie Schwanger- 
schaft an sich für einen sehr starken und 
zwingenden Grund für die Anwendung 
des Tuberkulins, „die höchsten Dosen 
sollten bis zum Ende des Zustandes er- 
strebt werden“. Der amerikanische Bericht 
nennt das mit gutem Grund ein „wahrlich 
heroisches Verfahren“, dessen Berechtigung 
von den meisten Fachärzten, Klinikern 


BD. 25, HEFT 4, 
1916. 


und Gynäkologen gewiß bestritten werde. 
Gleichwohl müsse man den Autoren 
dankbar sein, daß sie einen Weg gezeigt 
hätten, wie man wenigstens einige dieser 
unglücklichen Frauen retten kann! Wir 
glauben, daß dieser angebliche Weg ein 
sehr gefährlicher Irrweg ist, und daß man 
vor solchen Büchern sehr ernstlich warnen 
muß. - Meißen (Essen). 


J. B. Hawes: Consumption, what it 
is and what to do about it. (Boston, 
Small, Maynard & Co., 1915, 107 pp.) 

Ein gemeinverständliches kleines Buch 
über das Wesen und die Bekämpfung 
der Tuberkulose oder Schwindsucht. 

Hawes meint, daß es ähnliche Schriften 

genug gebe, aber viele seien allzu kurz 

und andere wieder seien so lang und so 
vollgestopft mit geschichtlichen und wissen- 
schaftlichen Erörterungen, daß sie ihren 

Zweck verfehlten. Das mag bei uns 

auch nicht viel anders sein. Hawes 

denkt die richtige Mitte gewählt und er- 
reicht zu haben. Sein Buch liest sich 
in der Tat leicht und angenehm und be- 
handelt in 22 Kapiteln den Gegenstand 
klar und anschaulich nach allen Rich- 
tungen. Ausführlich wird die Freiluftkur 
und die Vorrichtungen dazu besprochen 
und mit hübschen Abbildungen erläutert. 

Der Verf. des Artikels ist Th. Spees 

Carrington, der ihn für die National 

Association for the Study and Prevention 

of Tuberculosis geschrieben hatte, mit 

deren Erlaubnis ihn Hawes abdruckt, 
weil er besonders gut geschrieben ist. 

Dem Adirondack Cottage Sanatorium des 

kürzlich verstorbenen Trudeau zu Saranac 

Lake ist ein besonderes Kapitel gewidmet. 

Dort und überhaupt in den Adirondacks 

kann man billig leben, ohne zu weit 

reisen zu müssen. Vom Hochgebirge 
hält Hawes nicht allzu viel: Für Amerika 
kommen hauptsächlich die Kurorte in 

Colorado in Betracht, das weit entfernt 


REFERATE. 315 


liegt und teuer ist. Man soll nur hin- 
gehen, wenn man I. sicher ist, daß das 
Herz aushält und der Fall überhaupt für 
dies Klima geeignet ist, 2. mindestens 
1000 ‚ff zur Verfügung hat, und 3. eine 
gute Empfehlung an einen guten Arzt 
mitbringt. Hawes betont auch, daß die 
Heilung im Hochgebirge ganz sicher nicht 
weniger Zeit in Anspruch nehme als 
anderswo, die Grundbedingungen für die 
Heilung sind überall und unter allen 


Umständen Geduld und Ausdauer. 


Hawes ist Dozent an der Harvard 


Medical School und Sekretär der Massa- 


chusetts Tuberculosis Commission. 
Meißen (Essen). 


E. L. Collis: Industrial pneumono- 


conioses, with special reference‘ 


to dust-phthisis. 

1915. 

Die Schrift handelt über gewerbliche 
Pneumonokoniosen und berücksichtigt be- 
sonders die „Staub-Schwindsucht“. Die 
Schädlichkeit der Staubeinatmung ist be- 
reits Hippokrates bekannt und wird 


(Milroy Lectures, 


bei Plinius erwähnt, der schon den Ge- - 


brauch von Respiratoren bei gewissen 
Gewerben empfiehlt. Die verschiedenen 
Staubarten wirken verschieden. Kiesel- 
staub, wie er sich bei der Bearbeitung 
von Sandstein, Granit u. dgl. entwickelt, 
ist besonders schädlich und führt be- 
kanntlich leicht zu Tuberkulose, Kohlen- 


staub scheint umgekehrt kaum schädlich - 


zu sein, eher sogar die Entwicklung von 
Schwindsucht zu verhüten. Ziegel- und 
Asphaltstaub ist mehr indifferent. Collis’ 
Schrift behandelt den Gegenstand nach 
allen Richtungen und ist mit vielen lehr- 
reichen Abbildungen versehen (Großoktav, 
44 Seiten, 21 Abbildungen); sie dürfte 
auch in Deutschland, wo das gleiche Ge- 
biet vielfach bearbeitet ist, Leser und 
Beifall finden. Meißen (Essen). 


area 


316 VERSCHIEDENES. = TUBERKULOSE 
VERSCHIEDENES, 


Rundschreiben des Tuberkuloseausschusses der Abteilung Kriegswohlfahrtspflege 
vom Roten Kreuz wegen Fortführung der Tuberkulosefürsorge während des Krieges. 


Zentralkomitee vom Roten Kreuz. Berlin W. 9, den 31. Januar 1916. 
Abteilung für Kriegswohlfahrtspflege. Leipziger Platz 13. 
Tuberkuloseausschuß. Fernspr.: Zentrum 7995 u. 7996. 


Der von Ihrer Majestät der Kaiserin gegebenen Anregung folgend, hatte die 
Abteilung X (Kriegswohlfahrtspflege) des Zentralkommitees vom Roten Kreuz und der 
unterzeichnete Ausschuß sofort nach Ausbruch des Krieges an alle mit der Tuber- 
kulosebekämpfung beschäftigten Stellen die Aufforderung gerichtet, ihre Tätigkeit 
während des Krieges nicht ruhen zu lassen, sondern womöglich zu steigern. Diese 
Aufforderung ist auf fruchtbaren Boden gefallen, und allerorten ist man bemüht, 
trotz der Wirren des Krieges die Tuberkulösen nicht zu vergessen. Nun sind seit 
Beginn des Krieges anderthalb Jahre vergangen, reich an Arbeit und Sorge, aber 
auch an Erfolgen. Wir dürfen aber nicht erlahmen, wenn das deutsche Volk durch 
die schwere Zeit glücklich hindurch kommen soll. Wir gestatten uns daher, alle 
Behörden, Vereine und sonstigen Einrichtungen, die sich mit der Tuberkulosefür- 
sorge befassen, erneut herzlich zu bitten, unentwegt mit Eifer darauf bedacht zu 
sein, der schwersten Geißel für die Volksgesundheit so viel Opfer wie möglich zu 
entreißen. Wir verfehlen nicht in Erinnerung zu bringen, daß der Tuberkulose- 
ausschuß dauernd bemüht ist, überall, wo sich Mangel an Hilfskräften, insbesondere 
an Ärzten und Schwestern, oder an Geldmitteln der Fortsetzung der Tuberkulose- 
bekämpfung hindernd in den Weg stellen sollte, .helfend, ratend und vermittelnd 
einzugreifen, und daß er sich dabei der tatkräftigen Unterstützung des Deutschen 
Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose und der Landesversicherungsan- 
stalten zu erfreuen hat. 

Eure Exzellenz bitten wir ganz ergebenst, geneigtest im dortigen Verwaltungs- 
bereich feststellen lassen zu wollen, ob die Einrichtungen zur Tuberkulosebekämpfung, 
von denen bei Ausbruch des Krieges eine Anzahl infolge des Ausfalls der bisherigen 
Arbeitskräfte geschlossen werden mußte, wieder vollzählig in Tätigkeit getreten sind. 
Für den Fall, daß an der einen oder anderen Stelle Schwierigkeiten der Weiter- 
führung des Betriebes im Wege stehen sollten, bitten wir, entsprechende Anträge 
an unsere Stelle richten zu wollen. 


Tuberkuloseausschuß der Abteilung für Kriegswohlfahrtspflege 
des Zentralkomitees vom Roten Kreuz. 


Dr. Kaufmann, Kirchner, 
Präsident des Reichsversicherungsamts, Ministerialdirektor. 


An die Herren Preußischen Oberpräsidenten, 
die Ministerien der übrigen Bundesstaaten, 
das Kaiserliche Ministerium für Elsaß-Lothringen 
und die Hohen Senate der Hansestädte. 


Bei dem Reichsausschuß der Kriegsbeschädigtenfürsorge in Berlin ist in 
dem Sonderausschuß für Heilbehandlung eine besondere Gruppe IV, Lungenkranke 
gebildet worden, die am 13. Januar 1916 im Landeshaus der Provinz Brandenburg 
ihre erste Sitzung abgehalten hat. Vorsitzender der Gruppe ist Ministerialdirektor 
Kirchner, Schriftführer Oberstabsarzt Helm. Außer dem Vorsitzenden des Reichs- 
ausschusses Landesdirektor von Winterfeld war anwesend Sanitätsrat Dr. Pischinger- 
Lohr als Vertreter der Vereinigung der Lungenheilanstaltsärzte, ferner war vertreten 
das deutsche Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose, die Stadt Berlin, 


0 VERSCHIEDENES, 317 


das Kaiserliche Gesundheitsamt, das Reichsversicherungsamt, die Reichsversicherungs- 
anstalt für Angestellte und das Ministerium des Innern. Nach einer einleitenden 
Übersicht über die Tuberkulosebekämpfung während des Krieges und der besonderen 
Aufgaben der Gruppe IV wurde eine Reihe von Fragen festgelegt, über welche in ' 
den nächsten Sitzungen von einzelnen dafür bestimmten Herren Bericht erstattet 
werden soll. 


Tuberkulose der Kriegsgefangenen. Im Hinblick auf die Forderungen, die 
Liebe. im vorigen Band der Zeitschrift, S. 367 bez. der Versorgung tuberkulöser 
Kriegsgefangener aufstellte, dürfte die Schilderung interessieren, die W. Kain in den 
Ärztlichen Mitteilungen vom 28. Januar d. J; Nr. 5, S.65 über die Lage der- Ge- 
fangenen auf Malta gegeben hat. Kain, der als Schiffsarzt des Reichspostdampfers 
Derfflinger auf Malta interniert war, schreibt, daß von der Zeit ab, wo Malta von 
Verwundeten aus den Dardanellen überschwemmt wurde, kaum noch Platz für die 
deutschen, österreichischen und türkischen Gefangenen vorhanden gewesen sei, und 
daß dieselben vollkommen unzulänglich untergebracht waren. „Patienten mit Kehl- 
kopftuberkulosen und Lungentuberkulosen des II. und III. Stadiums sind in zwei 
größeren von den übrigen isolierten Zelten untergebracht. Für die Gesamtheit ist 
dies vorteilhaft, weil die Ansteckungsgefahr dabei vermindert wird, für die Kranken 
, selbst aber kann ich es nicht für gut halten, da die Temperatur während der 
ganzen Sommer- und Herbstmonate innerhalb eines solchen Zeltes dermaßen hoch 
ist, daß der Aufenthalt darin mehr ermüdend als erholend wirkt und bei Lungen- 
bluten die Gefahr neuer Blutungen nicht einschränkt, sondern erhöht. Auch solche 
Kranke sollten dauernd unter ärztlicher Kontrolle bleiben können und nicht auf 
einen kurzen Morgenbesuch angewiesen sein. Nicht weniger ' Beachtung scheinen 
mir diejenigen zu verdienen, welche mit Lungentuberkulosen des I. und II. Stadiums 
ambulant behandelt werden. Ich habe in verschiedenen Fällen Patienten gesehen 
und selbst genau untersucht, bei welchen während der Gefangenschaft — wahr- 
scheinlich durch den Staub, zu dessen Bekämpfung nichts getan wird — - frühere 
schon verheilt geglaubte Erkrankungen der Lungenspitzen wieder aufgeflammt waren, 
ohne daß dann eine geeignete Behandlung eingeleitet worden wäre. Mehrere dieser 
Kranken haben immer wieder dringende Gesuche um Unterbringung in eine Heil- 
stätte oder in ein Krankenhaus, eventuell auf eigene Kosten, an die zustehenden 
Behörden gerichtet, ohne daß man sich darum gekümmert hätte. Diese Leute, die 
staubfreie Luft, reichliche Ernährung und ein wenig andere Umgebung als Gegen- 
gewicht gegen die Eintönigkeit und drückende Melancholie des dauernden Aufent- 
halts im Kasernenhof nötig hätten, müssen nun traurig zusehen, wie Woche um 
Woche von der Zeit verstreicht, innerhalb welcher ihre Krankheit noch einer Heilung 
zugänglich wäre.“ 


Discharges from the french army for tuberculosis. (Journ. of Americ. Med. Assoc., 
22. I. 1916, p. 289.) 

Mit den Entlassungen wegen Tuberkulose aus dem französischen Heer und 
der Fürsorge für diese Leute beschäftigt sich ein Pariser Brief der genannten ame- 
rikanischen Zeitschrift vom 30. XII. 1915, dem wir einige Angaben entnehmen. 
Bisher hat man beim französischen Heer tuberkulös erkrankte Soldaten einfach ent- 
lassen und heimgeschickt. Die armen Menschen werden also ihrem traurigen Siech- 
tum überlassen und bilden obendrein eine Ansteckungsgefahr für ihre Umgebung. 
Honnorat hat in der französischen Kammer einen Antrag gestellt, der diesem 
doppelten Mißstand entgegenwirken soll. Nach den bisherigen Bestimmungen liegen 
-drei Monate zwischen der Zeit, wo ein tuberkulös gewordener Soldat zur Entlassung 
vorgemerkt wird, und der Zeit, wo die Entlassung tatsächlich erfolgt. Diese drei 
Monate sollen in Zukunft der Behandlung und der Unterweisung des Kranken ge- 
- widmet werden. Diese Fürsorge und hygienische Belehrung erfordert aber viel Geld. 


ZEITSCHR. f, 
318 VERSCHIEDENES, TUBERKULOSE 


Die Kammer hat zunächst 2000000 frs. für den Zweck bewilligt; die Heeresver- 
waltung hat ebenso 3 frs. pro Kopf und Tag zur Verfügung gestellt. Brissac, der 
Chef der öffentlichen Gesundheitspflege im Ministerium des Innern, erwähnt bei der 
Gelegenheit, daß in Frankreich zurzeit 23 Heilstätten für Tuberkulöse zur Verfügung 
stehen, die zum Teil aus privater Freigebigkeit hervorgegangen sind, und zusammen 
gleichzeitig etwa 2000 Kranke aufnehmen können, also bei einer durchschnittlichen 
Kurdauer von drei Monaten 8000 im Jahr. Die tuberkulösen Soldaten können in 
diese Anstalten entweder gleich von den militärischen Behörden geschickt werden, 
wenn sie zur Entlassung bestimmt sind, oder von den bürgerlichen Behörden, wenn 
sie bereits entlassen waren. Es sollen aber nur heilbare oder doch wesentlicher 
Besserung fähige Kranke aufgenommen werden. Die örtlichen Zivilärzte und viel- 
leicht auch einige Militärärzte von der Front, die sich etwas erholen sollen, würden 
die ärztliche Leitung und Obhut besorgen, die Societe des infirmieres visiteuses die 
Pfiegerinnen stellen. Nach der Entlassung aus den Heilstätten sollen Hilfsausschüsse 
die weitere Sorge für die Leute übernehmen. Das Ganze macht den Eindruck 
eines aus dem Zwang und Drang der Umstände hervorgegangenen, gut gemeinten, 
aber wenig durchgearbeiteten und dem Bedürfnis sicher nicht genügenden Planes. 
Die Franzosen erkennen die schwere Gefahr, die ihnen die Tuberkulose in 
der Kriegszeit bringt; sie bezeichnen sie schon geradezu als die „andere Gefahr“! 
Wie es nach den von uns hier geschilderten Verhältnissen im französischen Heer 
(vgl. Bd. 23, S. 422ff.) nicht anders zu erwarten war, scheint zufolge französischen 
Zeitungen, wie Matin u. a. die Tuberkulose als Folge der Kriegsstrapazen ungemein 
viel häufiger aufzutreten, als bei uns, und die vorhandenen Lungenheilstätten sind 
ungenügend und überfüllt. Nach dem Matin beabsichtigt deshalb die Stadt Paris 
die Einrichtung eines großen Heimes mit etwa 2500 Betten, weil die von der 
Kammer bewilligten 2000000 frs. nicht annähernd ausreichen, um für die überaus 
zahlreichen Kranken zu sorgen. Meißen (Essen). 


Tuberculosis and the war. (The Lancet, 15. I. 1916, p. 145.) 

Ein Bericht der Schriftleitung des Lancet über eine Reihe von Abhandlungen 
in der eben erschienenen Nummer des Brit. Journ. of Tuberculosis, die sich mit 
dem Einfluß des Krieges auf die Bestrebungen zur Bekämpfung der Tuberkulose 
im Lande beschäftigen. Diese Bestrebungen leiden mehr oder weniger, weil der 
Krieg alle ärztlichen Kräfte in erster Reihe für seine unmittelbaren Bedürfnisse be- 
ansprucht. Die Bekämpfung der Tuberkulose im eigenen Lande ist aber zur Kriegs- 
zeit doppelt notwendig, und es muß darauf gedrungen werden, daß sie nicht er- 
lahmt. Wir werden wohl Gelegenheit haben, die genannten Abhandlungen dem- 
nächst einzeln zu besprechen. Der Gedanke ist sehr richtig, ist aber bei uns durch 
das Zentral-Komitee bald nach dem Ausbruch des Krieges nicht nur betont, sondern 
auch ins Werk gesetzt worden. Meißen (Essen). 


Die Tuberkulosesterblichkeit der Porzellanarbeiter Thüringens ist zu unter- 
suchen, so lautete die von der medizinischen Fakultät der Universität Jena gestellte 
Preisaufgabe. Der Preis der Jubiläumsstiftung der Thüringer Städte im Betrage von 
350 M. ist nunmehr dem cand. med. Leo Vollrath aus Altenburg für seine Ab- 
handlung zuerkannt worden. 


Dem Verein zur Bekämpfung der Tuberkulose in Würzburg haben die 
Erben des verstorbenen Ehrenbürgers der Stadt Würzburg, Geheimrat Prof. Dr. Prym, 
20000 M. gestiftet. 


Die Prinzregent-Luitpold-Kinderheilstätte bei Scheidegg (Allgäu), zu der am 
24. November 1912 der Grundstein gelegt wurde, ist jetzt vollendet und wird Mitte 
März in Betrieb genommen. Die Heilstätte ist im wesentlichen aus Mitteln der 


en m E 


BD. 25, HEFT | 
VERSCHIEDENES. 319 


Prinzregent-Luitpold-Landesstiftung (500000 M.) erbaut; das Deutsche Zentralkomittee 
zur Bekämpfung der Tuberkulose hat 40000 M. zum Bau beigesteuert. Sie liegt in 
Höhe von etwa 1o00 m am Bergstock des Pfänder (Bodensee), in reiner Südlage 
und ist durch einen Höhenrücken gegen Norden geschützt. Die Anstalt ist für 
120 Kranke bestimmt; während des Krieges wird die Hälfte der Betten lungen- 
kranken und an chirurgischer Tuberkulose leidenden Kriegern zur Verfügung gestellt. 


Das Jubiläumssanatorium für Lungenkranke in Ples in Böhmen, welches 
anläßlich des 6ojährigen Regierungsjubiläums des Kaisers von Österreich im Jahre 
1908 gegründet und vom böhmischen Verein für Errichtung von Lungenbheilstätten 
erbaut wurde, ist eröffnet und wird vorerst zur Aufnahme von lungenkranken Sol- 
daten verwendet werden. 


Tuberculosis Treatment. (The Lancet, ı. I. 1916, p. 53.) 

Auf eine Anfrage von Sir E. Cornwall im englischen Unterhaus über die 
Aufwendungen zur Tuberkulosebekämpfung in den vier Jahren bis Ende März 1915 
antwortete C. Roberts, daß vom 15. Juli ıgı2 bis 31. Dez. 1914 für das Sana- 
torium Benefit 2150000 Æ bewilligt worden seien, ferner 100000 £ für 1914/15 
und 50000 £ für 1915/16. Außerdem seien für die genannten Jahre zur Er- 
gänzung und unter anderen Posten noch die Summen von 125000, 180000, 480000 
und 385000 £f, zusammen 1145000 £, im ganzen also 3295000 Æ bewilligt. 
Eine gewaltige Summe Geldes! Meißen (Essen). 


Dust and tuberculosis. (Journ. A. M. A., 1. I. 1916.) 

In den Public Health Reports vom 29. X. 1915 hat G. M. Kober statistische 
Untersuchungen veröffentlicht über den Einfluß des Staubes auf die Häufigkeit von 
Krankheiten, zumal Tuberkulose. Bei 472000 männlichen Arbeitern in den Ver- 
einigten Staaten, die in 15 Berufsarten der Einatmung von organischem Staub aus- 
gesetzt waren, stellte sich die Tuberkulosesterblichkeit auf 2,29°/,, gegen 1,55°/v 
bei allen männlichen Arbeitern. Ganz besonders häufig (42,05°/, der Todesfälle) 
war die Tuberkulosesterblichkeit im Druckereigewerbe, gegen 21,88°/, bei der 
ackerbautreibenden Bevölkerung. Es sind ähnliche Ergebnisse, wie sie bei uns 
Th. Sommerfeld gefunden hat: In Berlin ist die durchschnittliche Tuberkulose- 
sterblichkeit der Bevölkerung 4,93°/,,, für Staubgewerbe 5,42°/,, für andere Gewerbe 
2,39°/,., Im Staate Vermont ist die Tuberkulosesterblichkeit der Gegenden mit 
Marmor- und Granitschleifereien 2,2°/,, gegen 1,3°/,, im ganzen Staat. Kober 
wünscht nach deutschem Vorbild, das eine außerordentlich erfreuliche Abnahme der 
Tuberkulose gerade in den Staubgewerben zeigt (z. B. Solingen von 5,4°/,. in 1889 
auf 1,8°/ in 1910), energische gesetzliche Bestimmungen, um die schweren Schäden 
des Staubes zu vermeiden und allmählich ganz zu beseitigen. Meißen (Essen). 


The Massachusetts Dispensary Law. (Journ. A.M.A, 1. I. 1916.) 

Wir haben die vortrefflichen Bestrebungen des Staates Massachusetts zur Be- 
kämpfung der Tuberkulose bereits mehrfach zu besprechen gehabt. Diesmal handelt 
es sich um die Gestaltung der Fürsorgestellen. Der Staat hat ein Gesetz erlassen, 
nach dem jede Stadt (city) und jeder Flecken (town) mit 10000 oder mehr Be- 
völkerung eine Fürsorgestelle (dispensary) zur Nachweisung, Behandlung und Über- 
wachung der bedürftigen Tuberkulösen im Bezirk einzurichten hat. Das Gesetz 
ist zwingend, und so haben im letzten Jahr alle Städte und Kreise des Staates 
ihre Fürsorgestellen geschaffen. Für Kreise mit dünner Bevölkerung bringt das 
manche Schwierigkeiten: Das Bedürfnis tüchtiger Leute, die ihre ganze Zeit der 
Aufgabe widmen, ist je nach der Bevölkerungszahl naturgemäß verschieden. Die 
Angelegenheit wurde in den Veröffentlichungen des Staatsgesundheitsrates (Public 
Health Bulletin) besprochen. Hiernach hat der Gesundheitsrat, die Zustimmung 


;F 


ZEITSCHR. f. 
320 VERSCHIEDENES. TUBERKULOSE 


der örtlichen Behörden vorausgesetzt, die Absicht, die Aufgaben der Fürsorge- 
stellen in der Art zu erweitern, daß sie gewissermaßen den Mittelpunkt der öffent- 
lichen Gesundheitspfiege überhaupt werden; es würde das die logische Entwick- 
lung der Tuberkulose-Fürsorgestellen in den kleineren Städten und Flecken sein: 
Die Fürsorge für die Kleinkinder, die Schulkinder, die Arbeiter in gewerblichen 
Betrieben, bei Seuchen usw. würde ihnen auch zufallen. Der Gedanke ist sicher 
gut, seine Gefahr aber ist, daß er einerseits leicht oberflächliche und ungleiche 
Arbeit, anderseits Überbürdung zur Folge haben kann. Es soll deshalb die 
weitere Erfahrung mit dem Fürsorgestellengesetz abgewartet werden, das noch zu 
jung ist, um auch nur die genaue Zahl der zu versorgenden Tuberkulösen sicher 
beurteilen zu können. Meißen (Essen). 


Personalien. 


Exzellenz von Leube, Mitherausgeber der Zeitschrift für Tuberkulose, 
wurde mit dem Eisernen Kreuz am weiß-schwarzen Bande und mit dem Württem- 
bergischen Wilhelms-Kreuz ausgezeichnet. Seine kriegsärztliche Tätigkeit als Be- 
ratender Innerer erstreckt sich über die gesamten Lazarette Württembergs, unter 
denen das Karl-Olga-Krankenhaus in Stuttgart sich seiner besonderen Fürsorge 
erfreut. Ä 


Sanitätsrat Dr. Kremser, leitendem Arzt der Knappschaftsheilstätte und des 
Privatsanatoriums in Sülzhayn-Steierberg, bisher Marinestabsarzt der Seewehr II a. D., 
wurde der Charakter als Marine-Oberstabsarzt verliehen. Kremser war zuerst auf 
einem Lazarettzuge bei mehrmaligen Fahrten zur Ostfront tätig. Später leistete er 
in Sülzhayn Kriegsdienst; ein Flügel der Knappschaftsheilstätte mit 90 Betten wurde 
für lungenkranke Offiziere und Mannschaften der Militärbehörde zur Verfügung ge- 
stellt und ist dauernd belegt. Die Anstalt ist als „Militärlungenheilstätte“ aufgeführt 
und bildet eine Spezialabteilung des Reservelazaretts Nordhausen. 


Oberstabsarzt a. D. Dr. Schultes, leitender Arzt der Volksheilstätte vom 
Roten Kreuz Grabowsee, erhielt den Charakter als Generaloberarzt. Schultes war 
zu Kriegsbeginn mit Einrichtung des Vereinslazaretts Hohenlychen betraut und steht 
seit Dezember 1914 als Direktor der Kriegslazarettabteilung I des XIV. Armeekorps 
im Felde. Er wurde mit dem Eisernen Kreuz und dem Meiningischen Verdienst- 
kreuz ausgezeichnet. ’ 


Druck von Metzger & Wittig in Leipzig. 


Band 26. Heft 5. 


ZEITSCHRIFT FÜR TUBERKULOSE. 


HERAUSGEGEBEN VON 
G. GAFFKY, M. KIRCHNER, F. KRAUS, W.v. LEUBE, J. ORTH, F. PENZOLDT. 
Redaktion: A. KUTTNER, L. RABINOWITSCH. | 


nn 


I. ORIGINAL-ARBEITEN. 


XVII 
Chlor-m-Kresole (Sagrotan) und Sputumdesinfektion. 
(Aus dem hygienischen Institut der Universität Freiburg i. B.) 


Von 
Professor Dr. Max Schottelius. 


Syam\Qurch die Einführung der geruchlosen Chlor-m-Kresole in die Des- 
ES infektionspraxis eröffnen sich auch für die Sputumdesinfektion neue 
a2 Bahnen. 
Zwei Wege stehen uns offen zur Vernichtung der Tuberkelbazillen im 
Auswurf: Der mechanisch-physikalische Weg durch Verbrennen oder Kochen . 
im überhitzten Wasserdampf und der chemische Weg durch Desinfektionsmittel. 

Die Behandlung des Auswurfs mittels Hitze (Verbrennen oder Kochen) 
eignet sich nur für größere Sanatorien, Lungenheilanstalten und Krankenhäuser. 
Alle die Vorschläge, auch für den Kleinbetrieb in Dampftöpfen verschiedenster 
Konstruktion auf dem Herdfeuer den Auswurf zu kochen, scheitern an dem 
natürlichen Widerwillen dagegen, daß an der gleichen Stelle, an der die Speisen 
zubereitet werden, der ekelhafte Auswurf gekocht wird. Sogar für größere 
Anstalten ist der Betrieb der Dampfsterilisationsapparate für Sputum — ab- 
gesehen von den erheblichen Anschaffungskosten — mit allerlei Schwierig- 
‚keiten verbunden, erfordert eine sehr sorgsame Kontrolle und verteuert dort, 
wo gläserne Gefäße benutzt werden, die Kosten der Desinfektion. Dabei soll 
nicht verkannt werden, daß für gewisse Fälle, z. B. für Krankenhäuser und 
kleinere Anstalten, die mit Spiritus geheizten einfachen Dampfsterilisations- 
apparate, wie sie von Kirchner und von aa la Camp empfohlen werden, 
durchaus geeignet sind. | 

Für alle Fälle würde es aber eine Vereinfachung und eine Verbesserung 
der Methode bedeuten, wenn eine praktisch brauchbare Desinfektion des tuber- 
kulösen Sputums auf chemischem Wege möglich wäre. 

Sehr richtig bemerkt Kirstein!): „Trotz der seitherigen Mißerfolge mit 
chemischen Desinfektionsmitteln wird man doch nicht müde werden dürfen, 
nach einem geeigneten billigen und in verhältnismäßig kurzer Zeit wirkstmen 


I) Klinisches Jahrb., Bd. XX, S. 147. 


Zeitschr. f, ‘Tuberkulose. 20. 21 


322 MAX SCHOTTELIUS. oc 
chemischen Präparat zu suchen, da das Bedürfnis nach einem solchen wegen 
der Handlichkeit der chemischen Desinfektionsmittel für die Desinfektion am 
Krankenbette, namentlich in der Privatpraxis, immer bestehen bleiben wird“. 

Von allen Desinfektionsmitteln kommen für die Sputumdesinfektion nur 
die Kresolseifenlösungen in Frage, denn diese allein sind imstande, das Sputum 
zu durchdringen, in eine gleichmäßige Flüssigkeit aufzulösen und ihre bakteri- 
zide Wirkung auf die Tuberkelbazillen auszuüben. Sublimat ist ausgeschlossen 
wegen seiner Eigenschaft mit allen im Auswurf befindlichen Eiweißstoffen das 
unlösliche Quecksilber-Albuminat zu bilden und dadurch seine desinfizierende 
Kraft proportional den vorhandenen Eiweißstoffen zu vermindern. Auch die 
große Giftigkeit des Sublimats spricht gegen eine allgemeine Benutzung zur 
Sputumdesinfektion. Kalkmilch und Chlorkalk kommen wegen ihrer verhältnis- 
mäßig schwachen bakteriziden Wirkung nicht in Betracht; ebensowenig kann 
Formaldehyd benutzt werden, da sowohl die Formaldehyddämpfe als auch das 
flüssige Formalin nur eine Oberflächenwirkung ausüben und erst durch mecha- 
nische Mischung in die Tiefe hinein wirken. Bofingers?) günstige Resultate 
mit 5°/, Formalinlösungen sind namentlich gegenüber seinen ungünstigen Er- 
fahrungen mit 10°/, Kresolseifenlösung schwer erklärlich und widerspruchsvoll. 
Bofingers Arbeit, die eine besonders eingehende Kritik der Literatur bringt, 
zeigt überdies, wie vieldeutig die Versuchsergebnisse der Sputumbehandlung 
mit Desinfektionsmitteln ausfallen können. Bofinger fand (l. c. S. 123), daß 
4 Meerschweinchen, die mit einem 24 Stunden lang in 5°/, Karbolsäurelösung 
desinfizierten Sputum geimpft waren, nach 4 Wochen sämtlich an Tuberkulose 
eingingen, die Tuberkelbazillen waren also in diesem Falle durch die 5°/, 
Karbolsäure nach 24stündiger Einwirkung nicht vernichtet. In einem zweiten 
Versuch unter ganz gleichen Bedingungen blieben aber die Meerschweinchen 
gesund. Hier war also das Sputum desinfiziert! 

Ferner (l. c. S. 126): Ein mit 10°/, Kresolschwefelsäurelösung 12 Stunden 
lang behandeltes Sputum bewirkte keine Vernichtung der Tuberkelbazillen. 
2 Meerschweinchen zeigten sich 4 Wochen nach der Impfung tuberkulös. Da- 
gegen blieben 2 andere Meerschweinchen, die mit Sputum nach Östündiger 
Einwirkung der gleichen 10°/, Kresolschwefelsäurelösung geimpft waren, gesund, 
frei von Tuberkulose. In einem Fall hat also das gleiche Desinfektionsmittel 
nach ı2stündiger Einwirkung keine Wirkung erzielt, in dem andern Fall war 
bereits nach 6 Stunden positive Wirkung eingetreten. Diese Widersprüche lassen 
sich wohl nur durch das differente Verhalten der Tuberkelbazillen vom typ. 
humanus gegenüber den Desinfektionsmitteln erklären, eine Frage, auf die wir 
später noch zurückzukommen haben. 

Die Karbolsäure, welche nach Geilinger‘) in einer 3—5°/,-Lösung nach 
8—12 Stunden zur Desinfizierung tuberkulösen Auswurfs wirksam sein soll, ist 
auf Grund zahlreicher Untersuchungen durch die Kresole an bakterizider Kraft 
überholt und steht auch des höheren Preises und der größeren Giftigkeit 
wegen hinter dem Kresol zurück. 


') Arbeit. a. d. Kaiserl. Gesundh.-Amt, Bd. XXXX, S. 114. 
3) Arch. f. Hyg., Bd. LXXI, 1909, 


RD. en b. CHLOR-M-KRESOLE (SAGROTAN) USW. 323 


Dagegen wären die Kresolseifenpräparate: Lysol, Liq. Kresol. sapon., 
Bacillol u. a. zur Sputumdesinfektion wohl geeignet, wenn nicht der für die 
meisten Menschen und besonders für empfindliche Kranke höchst unangenehme 


Kresolgeruch der Anwendung dieser sonst so vorzüglichen Desinfektionsmittel 


entgegenstünde. 

Das darf zwar nicht als allgemeingültiger Grundsatz aufgestellt werden. 
Ich habe die Erfahrung gemacht, daß in den Tropen gerade wegen des spe- 
ziischen Kresolgeruchs das Lysol bevorzugt wird; teils — für die Ärzte — 
deshalb, weil in den heißen Ländern der Schweißgeruch der Farbigen noch 
unerträglicher ist und durch den Kresolgeruch verdeckt wird, teils — für die’ 
Patienten — deshalb, weil die Geruchsempfindungen der farbigen Menschen 
offenbar andere sind als unsere: den Geruch der Fleischfäulnis empfinden bei- 
spielsweise Neger überhaupt nicht als unangenehm. Auch bei uns ist ja die 
Geruchsempfindung nicht überall die gleiche: manchen Menschen ist der 
Knoblauchgeruch unangenehm, anderen nicht. An den Kresolgeruch gewöhnen 
sich auch viele Menschen in der suggesiven Empfindung, daß mit diesem Ge- 
ruch eine heilsame Wirkung gegenüber Krankheitskeimen verbunden sei. Mag 
dem nun sein wie immer: jedenfalls stand und steht durchschnittlich der Be- 
nutzung der SEEROLSENENLOEUNESR zur nn der starke Kresol- 
geruch entgegen. 

Da ist es denn als eserliöre Fortschritt zu begrüßen, daß durch die 
Einführung. der Chlor-m-Kresole in die Desinfektionpraxis diesen wirksamsten 
Bakteriengiften, den Kresolen, kein Hindernis mehr im Wege steht, denn es 


_ lassen sich fast ganz geruchlose Kresolseifenlösungen herstellen durch Ver- 


bindung der Meta-Kresole mit Chlor. 

R. Koch weist in. seiner klassischen Arbeit „Über die Desinfektion“ be 
reits darauf hin, daß der Eintritt von I SEBIUDDEN in das Phenolmolekül die 
bakterizide Wirkung der Phenole erhöht. 

Von dieser Beobachtung ausgehend entstand das Lysol. Man erzielte 
damit ein Desinfektionsmittel von höherer Wirkung und von geringerer Giftig- 
keit als die bis dahin allgemein benutzte Karbolsäure. | 

Im Jahre 1906 erschien dann Bechhold und Ehrlichs systematische 
Arbeit über die Beziehungen zwischen chemischer Konstitution und Desinfektions- 
wirkung,!) in welcher als allgemeine Regel ausgesprochen wurde, daß die Des- 
infektionskraft der Phenole durch Einführung von Halogenatomen erhöht wird, 
und zwar wächst die Desinfektionskraft mit der Zahl der Halogenatome, wäh- 
rend die Giftigkeit zunächst sinkt, bei höherer. Anzahl der Halogenatome aber 
wieder ansteigt. Außerdem zeigt sich, daß die Giftwirkung des Halogens durch 
die Einführung einer Methylgruppe kompensiert wird, eine Beobachtung, die 
mit Robert Kochs Voraussetzungen übereinstimmt. 

Durch die Untersuchungen Laubenheimers?), wurde die allgemeine 
Gesetzmäßigkeit der Beziehungen der. halogenierten Phenole zu den Bakterien 


—_ aoM 


1) Zeitschr. f. physiol. Chemie 1906, S. 173. 
2) Laubenheimer, Phenol u. seine Derivate. Berlin 1909. 


324 MAX SCHOTTELIUS. Ey 5 


aufs neue bestätigt und auch für verschiedene Xylenole eine hohe bakterien- 
tötende Kraft festgestellt. | 

Es war daher zu erwarten, daß durch Einführung von Halogen in das 
Xylenolmolekül eine weitere Steigerung der Desinfektionswirkung bei gleich- 
zeitiger Herabminderung der Giftigkeit sich ergeben würde. Der Verarbeitung 
derartiger Substanzen zu Desinfektionsmitteln stellten sich aber insofern Schwierig- 
keiten entgegen, als es nicht gelang, nennenswerte Mengen derselben nach 
den üblichen Methoden in wasserlöslicher Form herzustellen. | 

Hier setzt nun eine außerordentlich interessante Beobachtung ein, welche 
' bei Prüfung eines Gemisches von Chlorxylenol und Chlorkresol gemacht wurde, 
daß nämlich die Desinfektionskraft eines solchen Gemisches nicht gleich der 
Summe der Kräfte der Komponenten ist, sondern darüber hinaus ganz er- 
heblich — um etwa 100°), — gesteigert wird. Diese Beobachtung ermöglicht 
es, mit verhältnismäßig sehr geringen Mengen des wirksamen Agens hoch- 
wirksame und dabei wasserlösliche Desinfektionsmittel herzustellen. Besonders 
wertvolle Präparate werden erhalten, wenn man Chlorxylenol in Salzen löst 
und mit einer Lösung der komplexen Alkaliverbindungen von Chlorkresol 
versetzt. 

In meiner Mitteilung über „Grotän“!) hatte ich darauf hingewiesen, daß 
gleichzeitig mit diesem Desinfektionsmittel eine Reihe flüssiger Chlorkresol- 
seifenpräparate untersucht wurden, die zu der Hoffnung berechtigten, aus den 
neuen Chlorkresolverbindungen ein geruchloses Lysol zu gewinnen. 

Diese Untersuchungen wurden inzwischen fortgesetzt und haben zu dem 
Ergebnis geführt, daß ein unter dem Namen „Sagrotan“ von der Firma Schülke 
u. Mayr in den Handel gebrachtes Präparat für praktische Desinfektionszwecke 
empfohlen werden kann. Da es möglich ist, mit ganz kleinen Mengen einer 
an sich schon wenig giftigen Substanz stark wirksame Desinfektionsmittel her- 
zustellen, so gelangt man auf diesem Wege zu Präparaten, die bei hoher 
bakterizider Kraft praktisch als ungiftig bezeichnet werden können. Ein solches 
Präparat ist eben das „Sagrotan“; dasselbe hat außerdem den Vorzug, nahezu 
geruchlos zu sein und ermöglicht schon in einer geringen Konzentration eine 
sichere und ungefährliche Desinfektion. 

Bei Beginn meines im Verein Freiburger Ärzte über das Sagrotan ge- 
haltenen Vortrages nahm ich innerlich 15 g Sagrotan in 6 Gelatinekapseln zu 
je 2,5 g und hielt meinen rechten Vorderarm während der Dauer des Vor- 
trages — 45 Minuten lang — eingetaucht in eine 10°/, Sagrotanlösung, ohne 
daß danach irgendwelche subjektiv oder objektiv wahrnehmbare Reaktionen 
eintraten: weder von Seiten des innerlich eingenommenen Präparates, noch auf 
der Haut des Armes. 

Hunde vertragen bis zu 10 g pro Kilogramm Körpergewicht (!) ohne in 
ihrem Wohlbefinden gestört zu sein.?) 

Die Wirkung des Sagrotans auf Tuberkelbazillen wurde in der Weise 
geprüft, daß stark bazillenhaltiges Sputum, wässerige Aufschwemmung einer 


t) Münch. med. Wochschr. 1912, Nr. 49. 
2) Arch. f. Hyg., Bd. 82, H. 2. 


BD. 25, HEFT 6. CHLOR-M-KRESOLE (SAGROTAN) USW. 325 


Reinkultur der Tuberkeibazillen des typus humanus und des typus bovinus 
(jede Sorte getrennt) mit einer 4°/, Sagrotanlösung zu gleichen Teilen gemischt 
wurde, so daß also eine 2°/, Sagrotanlösung in Wirkung trat. 

Nach Verlauf von 2 Stunden wurden von dem Gemisch je 2 Meer- 
schweinchen und je 2 Kaninchen (im ganzen 6 Meerschweinchen und 6 Kaninchen) 
I ccm des mit dem Sagrotan behandelten tuberkulösen Materials injiziert. Je- 
weils einem Kaninchen ı ccm in die Brusthöhle, dem andern in die Bauch- 
höhle; dem einen Meerschweinchen subkutan unter die Haut der Schenkelbeuge, 
dem andern intramuskulär in die Rückenmuskulatur. Zur Kontrolle wurden 
3 Meerschweinchen mit dem nicht desinfizierten tuberkelbazillenhaltigen Ma- 
terial injiziert. 

Nach Verlauf von 4 Wochen wurden die Tiere durch Nackenschlag ge- 
tötet und obduziert. Es ergab sich, daß die mit dem desinfizierten Material 
behandelten Tiere keine tuberkulösen Veränderungen zeigten, während bei den 
3 Kontrolltieren charakteristisch tuberkulöse Herde sich fanden. 

Aus diesen Versuchen geht hervor, daß eine 2°/, Sagrotanlösung die 
Tuberkelbazillen in dem benutzten Sputum und in den Aufschwemmungen 
nach zweistündiger Einwirkung vernichtet hatte. Das darf aber nicht zu einer 
Verallgemeinerung dieses Ergebnisses führen: spätere Versuche haben gezeigt, 
daß widerstandsfähigere Tuberkelbazillen längere Zeit stärkeren Lösungen wider- 
stehen. Es sollte die Konzentration und die Zeitdauer für Desinfektion von 
tuberkulösem Sputum dahin erhöht werden, daß 5°/, Sagrotanlösungen min- 
destens 8—10 Stunden lang einwirken. Dann kann man aber sicher sein, daß 
alle Tuberkelbazillen abgetötet sind. Die oben erwähnten Versuche Bofingers 
(l. c.) mit ihrem zum Teil einander widersprechenden Ergebnissen lassen sich 
ebenfalls nur durch die verschiedene Resistenz der Tuberkelbazillen im Sputum 
verschiedener Patienten erklären. 

Ganz allgemein kann aber festgestellt werden, daß wir in dem Sagrotan, 
dessen gute Eigenschaften in dem Zusammenwirken von Chlor-m-Kresol und 
Chlorxylenol oder technisch ausgedrückt in der Vereinigung eines durch Seifen 
gelösten Chlorxylenols mit Grotan beruhen, ein Präparat besitzen, welches allen 
Anforderungen entspricht, die an ein ideales Desinfektionsmittel gestellt werden 
müssen: höchste keimtötende Wirkung, große Ungiftigkeit für die Körperzellen 
und physikalische Eigenschaften, welche seine Anwendung in der Praxis nament- 
lich auch zur Sputumdesinfektion ermöglichen. 

In seiner Abhandlung über „Wohnungsdesinfektion bei Tuberkulose“ 
nimmt Laubenheimer!) auch Bezug auf das feste Chlorkresolpräparat „Grotan“ 
(l. c.) und findet, daß dasselbe in Verbindung mit Formaldehyd Tuberkelbazillen 
nicht vernichten konnte. Ich habe keine Erfahrungen darüber, wie das Grotan 
in Verbindung mit Formaldehyd wirkt, für sich allein wirkte es auf das von 
mir benutzte Sputum positiv. Da Kresolalkalisalze sich mit Formaldehyd zu 
bakteriologisch unwirksamen Verbindungen vereinigen, liegt es nahe, daß das 
bei dem Chlorkresol-Alkalisalz „Grotan“ ebenfalls der Fall ist. Die Löslichkeit 


1) Zeitschr. f. Hyg. 1914, Heft ı. 


326 MAX SCHOTTELIUS.  TÜBERKULONR 


des Grotans in Wasser wird auch von Laubenheimer verschieden: beurteilt: 
auf Seite 9 seiner Arbeit heißt es, daß es nicht gelingt, stärkere als etwa 
0,3°/, Lösungen herzustellen und auf Seite 14, Versuch X (Formaldehyd + Gro- 
tan) arbeitet Laubenheimer mit einer 2°/, Grotanlösung. Uhlenhuth und 
Messerschmidt!) haben sogar — auf einem allerdings noch nicht bekannt 
gegebenen Wege — 8°/, Grotanlösungen hergestellt! 

Nach meinen Erfahrungen liegt die Wahrheit in der Mitte: in warmem 
Wasser lösen sich die Grotantabletten bis zu 2°/,. Zur Desinfektion genügen 
aber für alle Fälle 0,5—1°/, Lösungen. 

Es werden in den nächsten Jahren gewiß noch weitere Chlorkresolver- 
bindungen zur Desinfektion empfohlen und eingeführt werden, ähnlich wie das 
s. Z. nach Einführung des Lysols in die Desinfektionspraxis für die Kresole 
überhaupt der Fall war, und es ist auch nicht ausgeschlossen, daß noch weitere 
Verbesserungen dieser neuen Präparate gefunden werden. Laubenheimer emp- 
fiehlt besonders ein von der Firma Hoffmann la Roche & Comp. in Basel hergestell- 
tes Chlor-m-Kresol-Präparat: das „Phobrol“; dasselbe ist eine 50°/, Lösung von 
Chlor-m-Kresol in rizinolsaurem Kali und wurde zuerst 1913 von Bierast und 
Lamers?) experimentell und klinisch untersucht. Die Verff. gelangen zu dem 
Schluß, daß das fast geruchlose Phobrol sich durch seine relative Ungiftigkeit 
und durch hohen bakteriziden Wert auszeichnet. Die nicht sporenbildenden 
Bakterienarten werden durch eine 1°/, Phobrollösung in 2—3 Minuten, Tuberkel- 
bazillen durch 10°/, Phobrollösung in Io Stunden abgetötet. 

Der Preis des Phobrols beträgt ab Fabrik 6 M. pro Kilo, während das 
Sagrotan 2,50 M. pro Kilo kostet; bei etwa gleicher Wirksamkeit also um mehr 
als die Hälfte billiger ist. 

Außerdem ist zu bemerken, daß die Firma Hoffmann la Roche & Comp. 
in Basel, welche das Phobrol herstellt, ausgesprochen deutschfeindlich ist und 
sich öffentlich dagegen verwahrt, eine deutsche Firma zu sein.?) 

Herr E. Kopf, Bevollmächtigter der Firma Hoffmann la Roche schreibt 
dem „Bulletin général“ wörtlich: „... daß nicht ein einziger unserer Teilhaber 
und nicht ein Heller deutschen oder österreichisch-ungarischen Ursprungs sind. 
Ich füge dem noch hinzu, daß ich selbst aus dem Elsaß stamme und daß ich 
trotz meines deutsch klingenden Namens Franzose bin und von französischen 
Eltern abstamme.“ pe 

Unter diesen Umständen sollte doch das deutsche Sagrotan dem aus- 
ländischen Phobrol vorgezogen werden. Es können gewiß auch noch andere 


1) Deutsch. med. Woch. 1914, No. 50. 

%) Zentr. f. Bakt. 1913, Bd. 68, Heft ı. 

8) Anmerkung: Das med. Correspondenzblatt des Württembergischen ärztl. Landesvereins, 
Nr. 13 vom 17. März 1915 schreibt: „Im Bulletin general de Thérapeutique (1915, No. 5, p. 149 
bis ı5r) verwahrt sich die Firma Hoffmann la Roche & Comp. lebhaft gegen die Behauptung, eine 
deutsche Firma zu sein. Im Gegenteil: Die pharmazeutischen Produkte der Firma würden unter 
Aufsicht französischer Chemiker von Franzosen in Paris hergestellt; in dem Gesellschaftskapital 
rolle kein Pfennig deutschen oder österreichischen Geldes.“ — Die Redaktion des ‚Bulletins‘ fügt 
dieser Einsendung noch ein gutes ‚französisches‘ Leumundszeugnis bei! — Der Württembergische 
Krankenkassenverband teilt mit Zuschrift vom 20. März mit, daß die Präparate der Firma Hoffmann 
la Roche & Comp. aus der Liste der bei den Württembergischen Krankenkassen zugelassenen Arznei- 
mittel gestrichen sind. 


a a CHLOR-M-KRESOLE (SAGROTAN) USW. 327 
Spezialartikel der Firma Hoffmann la Roche durch deutsche Präparate ersetzt 
werden. 

Bei der Derecho der Sputum-Desinfektion mit Sagrotan kommt man 
zu folgenden Zahlen: ı | 10°/, Sagrotanlösung kostet 24 Pfg. Rechnet man die 
durchschnittliche Menge des Auswurfs eines Phthisikers mit offener Tuberkulose 
zu 75 g pro Tag, so betragen die Kosten der Desinfektion — da das Sputum 
mit der gleichen Menge einer 10°/, Sagrotanlösung gemischt wird — 1,8 Pfg. 
pro Kopf; ein Preis, der gewiß auch bei beschränkten Betriebsmitteln zu er- 
schwingen ist. 

Der desinfizierte Auswurf sollte täglich zweimal — morgens und abends — 
in größere Sammelgefäße, etwa in eiserne Fässer (Barrels), wie dieselben für 
Benzol etc. Verwendung finden, entleert werden. Das für praktische Zwecke 
genügend desinfizierte Sputum bleibt dann so lange der Wirkung des Des- 
infiziens ausgesetzt, bis das Sammelgefäß voll ist und an geeigneter Stelle — 
Kanalisation, Senkgrube, durch Vergraben — entleert wird. Bei einem Bestand 
von 100 schwerkranken Tuberkulösen und bei einem Faßinhalt von 250 | wird 
das nach jeweils etwa 16 Tagen stattzufinden haben. Leichtere Fälle ergeben 
natürlich wesentlich weniger Auswurf, beanspruchen weniger Sagrotan und 
füllen das Sammelgefäß entsprechend langsamer. 

Die Taschenspeigläser und die Gefäße zur Aufnahme des Auswurfs am 
Krankenbett sollten vor der Benutzung zur Hälfte mit der 10°/, Desinfektions- 
flüssigkeit gefüllt sein und nach der SnEsenle mit einer etwa 2°/, Sagrotan- 
lösung ausgespült werden. 

Die mikroskopische Untersuchung des Sputums wird durch die Ein- 
wirkung des Sagrotans nicht beeinträchtigt: die Tuberkelbazillen behalten ihre 
volle Färbbarkeit nach den bekannten Methoden bei. Es wird also die wichtige 
von de la Camp!) gestellte Anforderung gewahrt, daß nämlich der Unter- 
sucher mit sterilem Material arbeitet. 

Die gründliche systematische Vernichtung der Tuberkelbazillen im Aus- 
wurf wird in der Privatpraxis fast niemals und in Anstalten auch nicht immer 
so durchgeführt, wie es wünschenswert wäre; daher gilt immer noch Kirch- 
ners?) Mahnung: „Der Auswurf der Schwindsüchtigen ist die Hauptquelle der 
Ansteckung mit Tuberkulose, seine unschädliche Beseitigung daher eine der 
wichtigsten Forderungen der Hygiene.“ 


1) Charité Annalen, XXVI. Jahrgang. 
2) Zeitschrift für Hygiene Bd. XII. 


ZEITSCHR. f, 
328 J. ORTH. TUBERKULOSE 


XVIII. 
Trauma und Tuberkulose. 


Vier Obergutachten!) erstattet von 


Geheimrat Prof. J. Orth. 


V. 


In der Unfallversicherungssache 1. des Chauffeurs P. H., 2. der Landesver- 
sicherungsanstalt B. erstatte ich hiermit das gewünschte Obergutachten darüber, ob 
ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfall vom 24. April 1912 und der 
Lendenwirbelsäulentuberkulose besteht, oder ob eine Verschlimmerung des Leidens 
durch den Unfall vermutlich stattgefunden hat, und bejahendenfalls, um wieviel in 
Prozenten der vollen Erwerbsfähigkeit ausgedrückt — der Verletzte durch die Folgen 
des Unfalles in seiner Erwerbsfähigkeit beschränkt ist und wahrscheinlich am 24. April 
1912 beschränkt gewesen ist. 

Als der Chauffeur P. H. am 24. April ıgı2 einen Unfall erlitt, war er 
27°/, Jahr alt und anscheinend gesund und arbeitsfähig. Er ist aber vorher öfter 
krank gewesen, nur ist es sehr schwer, aus den unverständlichen und zum Teil sich 
widersprechenden Aktenangaben ein sicheres Bild von der Vorgeschichte zu gewinnen. 

Nach Angabe der Ortskrankenkasse, in welche H. am 31. Juli 1906 eintrat, 
litt er an Fingerverletzung vom 21. bis 28. August 1906, an Bronchialkatarrh vom 
Q. Juni bis 30. September 1909, an Lungenkatarrh vom 20. März bis 14. April 1911, 
an Handverletzung vom 25. Juni bis 8, Juli on und an Rheumatismus vom Io. bis 
30. Juli ıgrı. 

In dem Journalblatt der Lungenheilstätte B. findet sich die Angabe, kurz vor 
Weihnachten 1908 habe H. plötzlich Stechen in der rechten Seite hinten unten 
verspürt, es wird aber nichts weiter über diese Erkrankung angegeben, die offenbar 
zu einer Krankmeldung nicht geführt hat. 

Am 6. Juni 1909 wurde H. arbeitsunfähig und am 7. Juni 1909 stellte ihm 
Dr. M. ein Attest für Aufnahme in eine Lungenheilanstalt aus. Am ọ. Juni hat 
die Krankenkasse Kenntnis davon erhalten. Die Aufnahme in B. erfolgte aber 
erst am 5. August 1909, die Entlassung erfolgte am 23. September 1909, die Ge- 
sundmeldung bei der Krankenkasse am 30. September 1909. In B. gab H. an, 
in der letzten Zeit habe er 14 Tage lang starke Nachtschweiße gehabt, er habe 
in 72 Tagen 17 Pfund abgenommen, er habe 14 Tage lang krank in Moabit ge- 
legen. (Von Moabit liegt keine Äußerung vor.) Das Gewicht bei der Aufnahme in 
B. betrug 66 kg, bei der Entlassung 74 kg. Die Diagnose lautete: Lungentuber- 
kulose II, Brusifellentzündung, Arbeitfähigkeit 75°/,. 

H. selbst hat angegeben, er sei wegen Lungenentzündung im Juli ıgIo in 
Moabit behandelt worden, Herrn Professor W. hat er angegeben, das sei 1907 ge- 
wesen, die Lungenentzündung sei leicht verlaufen, er sei 6 Wochen lang in Moabit 
behandelt worden. Die Ortskrankenkasse weiß weder von einer Krankheit im Jahre 
1907, noch von einer solchen in IQIO. 

Ganz unklar sind auch die Angaben für das Jahr ıgIı; nur insofern besteht 
eine Übereinstimmung zwischen den Angaben der Ortskrankenkasse und dem Arbeit- 
geber, daß H. vom 18. März bis 17. April nicht gearbeitet und vom 20. März bis 
14. April Krankengeld bezogen hat, daß er dann wieder vom 26. Juni bis 30. Juli 
gefeiert und vom 25. Juni bis 8. Juli, dann vom ıo. bis 30. Juli Krankengeld er- 
halten hat. Es ist nicht zu ersehen, in welchen Krankenhäusern sich H. aufgehalten 
hat, da die Krankengeschichte des Urbankrankenhauses sich nicht mehr in den 


1) In Fortsetzung der in diesem Band, Heft 1, S. 21—35 veröffentlichten und der Zeitschrift 
dankenswerter Weise überlassenen Gutachten. D. Red. 


BD. en 6. TRAUMA UND TUBERKULOSE. 329 


Te ee m nn nn nn nn. 


Akten befindet und auf die Einforderung der Krankengeschichte von Moabit ver- 
zichtet worden ist. So kann man nur aus den Angaben der Ortskrankenkasse ent- 
nehmen, daß H. im März bis April an Lungenkatarrh, im Juni bis Juli an Hand- 
verletzung und im Juli an Rheumatismus erkrankt gewesen sein soll. 

Am 24. April. hat sich dann der Unfall ereignet, der darin bestand, daß H. 
beim Abladen zentnerschwerer Isolierrohre an der Bordschwelle ausrutschte, so daß 
ihm eine schon halb herabgenommene Rolle Isolierrohr auf die Schulter fiel, wo- 
durch er mit der rechten Hüfte gegen den Kotflügel des Hinterrades gedrückt 
wurde. Er kam dabei nicht ganz zu Fall, sondern vermochte sich, nachdem die 
Rolle über ihn 'hinweggeglitten war, wieder aufzurichten. Er verspürte Schmerzen 
an der getroffenen Stelle, glaubte jedoch, daß diese nachlassen würden und 
arbeitete weiter. Am nächsten Tage, 25. April, suchte H. Herrn Dr. F. auf; während 
in der Unfallanzeige steht, es sei an diesem Tage eine unbedeutende Anschwellung 
an der rechten Hüfte vorhanden gewesen, berichtet Dr. F. von einer hühnereigroßen 
Vorwölbung über dem rechten Hüftbein, die nicht sehr schmerzhaft und über der 
die Haut unverändert war. Der 2. und 3. Lendenwirbel waren druckempfindlich. 
Da die Beschwerden stärker wurden und die Schwellung zunahm, schickte Dr. F. 
den Kranken zu Dr. Fr. Von diesem selbst liegt keine Äußerung vor, aber Dr. F. 
hat angegeben, dieser habe den gleichen Befund wie er erhoben. 

In einem ärztlichen Bericht vom 10. Juli 1912 teilt Dr. L. mit, 14 Tage nach 
dem Unfall habe H. eine Geschwulst in der rechten Leistenbeuge bemerkt, womit 
die Angabe des Vorgesetzten des H., des Herrn K., übereinstimmt, der angab, H. 
habe ihm ca. 14 Tage nach dem Unfall Meldung von diesem gemacht und er habe 
durch die Kleidung eine faustgroße Geschwulst in der rechten Hüfte wahrgenommen. 
Das würde also etwa in der Mitte des Mai gewesen sein. 

Nach dem Bericht des Herrn Dr. L. vom 1. August 1912 hat er den Kranken 
zuerst am I. Juni 1912 gesehen. Es bestand in der rechten Leistenbeuge ein manns- 
faustgroßer Senkungsabszeß, der breit eröffnet wurde. Ein zweiter, am hinteren 
Ende des linken Darmbeinkamms gelegener, ist nicht in diesem Bericht, wohl aber. 
in dem vorher genannten erwähnt worden; auch er wurde eröffnet. An der Wirbel- 
säule war keine druckempfindliche Stelle, keine Formveränderung nachzuweisen, auch 
nicht im Röntgenbilde. | 

Das letzte, das Fehlen von Erscheinungen seitens der Wirbelsäule, gilt auch für 
die Untersuchung vom 10. Juli 1912; der Eiter, welcher aus den Abszessen ent- 
leert wurde, besaß aber die charakteristischen Eigenschaften des tuberkulösen Eiters, 
es wurde deshalb eine Tuberkulose der unteren Lendenwirbel diagnostiziert. 

Diese Diagnose wurde nun auch von den folgenden Untersuchern, Dr. H. 
(17. und 19. August 1912), Dr. S. (30. Juni 1913), Dr. N. (14. Oktober 1913), 
Dr. E. (16. Januar 1914), Professor W. (18. Mai 1914) bestätigt, außerdem aber traten 
auch wieder Lungenerscheinungen hervor, die zuerst von Dr. E. festgestellt wurden 
(Januar 1914), sich aber schnell so steigerten, daß im Juni 1914 in Beelitz bereits 
der II. Grad der Lungenschwindsucht wieder festgestellt wurde. \ 

Während Dr. L. im Röntgenbilde nichts besonderes an der Lendenwirbelsäule 
. nachweisen konnte, hat Dr. H. geglaubt, die Zeichen eines Wirbelbruches am 4. und 
5. Lendenwirbel feststellen zu können. Dr. K. fand an seinem Bilde am 11. Sep- 
tember 1913 typische Veränderungen wie nach Kontusionen resp. Kompressionen, 
besonders am 3. Lendenwirbel. Die gesamte Lendenwirbelsäule erschien atrophisch, 
an den Kanten waren aber von .der Beinhaut ausgehende Knochenwucherungen, die 
zum Teil als Knochenbrücken von einem Wirbel zum anderen zogen; Dr. I. fand 
in dem am 12. Mai 1914 aufgenommenen Bilde keine Zeichen einer Knochenver- 
letzung, wohl aber solche destruktiver Prozesse am 3. und 4. Lendenwirbel. 

Das sind die Tatsachen, die nur noch durch die Angaben des Arbeitgebers 
vom 23. Mai 1913 dahin zu ergänzen sind, daß H. noch nicht entlassen sei, daß 
seine Leistungen bis dahin dem Lohn entsprochen hätten, daß bei dessen Abmessung 


ZEITSCHR. f. 
330 J. ORTH. TUBERKULOSE 


"andere Rücksichten, wie Mitleid usw. nicht mitbestimmend waren, daß ein erheb- 
liches Nachlassen der Arbeitsfähigkeit nicht bemerkt worden ist. 

Was nun die Ansichten der Vorgutachter über die Beziehungen zwischen Unfall 
und Wirbeltuberkulose betrifft, so hat Dr. F. so geschlossen: Vorher war der Mann an 
den Knochen gesund, unmittelbar nach dem Unfall trat der Abszeß auf, folglich 
besteht ein Zusammenhang mindestens in der Weise, daß der Unfall auslösend gewirkt 
hat. Auch Dr. H. nimmt einen Zusammenhang an, selbst für den Fall, daß schon vorher 
eine Tuberkulose vorhanden war. Eine solche nimmt Dr. N. als sekundäre am Orte 
der Verletzung entstandene an, der Verletzung, die nicht nur in einer Quetschung der 
Hüfte, sondern in einer Stauchung der Wirbelsäule bestand. Ein zeitlicher Zusammen- 
hang von Unfall und Abszeßbildung sei nicht von der Hand zu weisen. Dr. K. 
schließt aus seinem Röntgenbild, daß der Unfall eine typische ankylosierende Ent- 
zündung erzeugt habe, zu der sekundär eine Tuberkulose hinzugekommen sei. Am 
ausführlichsten hat sich Professor K. zu der Frage in positivem Sinne geäußert. 
H. habe vor dem Unfall über die Wirbelsäule nicht geklagt, nichts spreche dafür, 
daß schon beim Unfall die Wirbelsäule erkrankt gewesen sei. Der Unfall, besonders 
auch der Fall der Rohre auf die Schulter, sei geeignet gewesen, zwar nicht einen 
Bruch, aber eine erhebliche Erschütterung der Wirbelsäule, eine Bandzerrung, Blutung, 
Stauchung zu erzeugen. In dem im September 1913 aufgenommenen Röntgenbilde 
sei auch etwas von der Verletzung zu sehen. Daß dies an dem Bilde vom Mai 
1914 nicht mehr der Fall sei, bedeute nichts, da eine fortschreitende tuberkulöse 
Erkrankung vorhanden sei. Diese sei eine sekundäre, nach dem und durch den 
Unfall entstandene. In einer Lunge oder Lymphdrüse sei ein alter tuberkulöser 
Herd gewesen, solche seien leicht zu mobilisieren und am Knochen genüge eine 
geringe Verletzung, um zur Ansiedelung von Tuberkelbazillen zu führen. Da der 
Senkungsabszeß 5—6 Wochen nach dem Unfall eröffnet worden sei, so sei auch 
ein zeitlicher Zusammenhang gegeben. Wäre schon vor dem Unfall eine Wirbel- 
tuberkulose vorhanden gewesen, so hätte der Kranke nicht so schwere Arbeit ver- 
richtet, wie es tatsächlich geschehen sei. Somit sei es wahrscheinlich, daß der Un- 
fall auslösend für die die Erwerbsfähigkeit beeinträchtigende Knochentuberkulose ge- 
wirkt habe. 

Auf der Gegenseite stehen die anderen Gutachter. Dr. M. lehnt die Annahme 
eines Wirbelbruches ab, da der Verletzte mit 2 gebrochenen Wirbeln nicht hätte 
arbeiten können. Ein Fall auf die Hüfte mache überhaupt keinen Wirbelbruch und 
keine Tuberkulose der Wirbelsäule. Es handele sich aber um einen kalten AbszeB 
und ein solcher bedürfe mehrerer Wochen zu seiner Bildung. Das Leiden sei also 
durch den Unfall weder erzeugt noch verschlimmert worden. 

Auch Dr. St. nimmt an, daß die Wirbelsäule schon vor dem Unfall erkrankt 
war und erklärt, es bestehe zwischen Unfall und Wirbelsäulenerkrankung kein Zu- 
sammenhang, nicht einmal ein mittelbarer. 

Eingehend hat Dr. E. den Fall erörtert. Der Stoß könne nicht stark ge- 
wesen sein, denn sowohl. die Fallhöhe, als auch die horizontale Entfernung sei 
nur gering gewesen. Eine Einwirkung auf das Kreuzbein sei nach der Art des 
Unfalls wohl denkbar, aber nicht ein solcher auf die Lendenwirbelsäule. Da 14 Tage 
nach dem Unfall schon der Senkungsabszeß dagewesen sei, so müsse die Tuber- 
kulose schon vor dem Unfall bestanden haben, Dieser habe keine. Folgen hinter- 
lassen. Geheimrat Dr. H. schließt sich diesem Urteil an mit dem Hinzufügen, bei 
einer Verletzung der Wirbelsäule hätte sofort Gebrauchsunfähigkeit auftreten müssen. 

Noch eingehender wie das von Herrn E. ist das Gutachten und sein Nachtrag 
des Herrn Professor W. Auch er hält den Unfall nicht für geeignet, eine Verletzung 
der Wirbelsäule herbeizuführen, auch er vermißt einen Beweis für eine Verletzung. 
Eine Tuberkulose der Wirbelsäule sei schon vorhanden gewesen, denn die Zeit von 
5 Wochen sei zu kurz für die Entwicklung eines solchen Senkungsabszesses, wenn 
sich am Anfang dieser Zeit Tuberkelbazillen erst angesiedelt hätten. Es sei aber 


BD. a 6. TRAUMA UND TUBERKULOSE. 331. 


aa IMI M O- auca uaaa aua au Iaa a aa ee asas 


auch keine Verschlimmerung durch den Unfall herbeigeführt worden, denn der 
Unfall habe die Lendenwirbelsäule garnicht getroffen und in der ersten Zeit nach- 
her seien keine Beschwerden von dieser ausgegangen, sondern nur von der Leisten- 
beuge. Eine Tuberkulose der Wirbelsäule mit Senkungsabszeß könne unbemerkt 
verlaufen; Erscheinungen treten erst auf, wenn der Abszeß unter die Haut gelangt 
sei. Schmerzen in der Leistenbeuge seien aber schon bald nach dem Unfall auf- 
getreten. Sonach kommt Herr W. im wesentlichen zu demselben Schluß wie 
Herr E. und hat sein Gutachten auch gegenüber demjenigen des Herrn K. auf- 
recht erhalten unter besonderer Hervorhebung des Umstandes, daß die Zeit von 
5 Wochen zu kurz gewesen sei, als daß der Senkungsabszeb von der ersten An- 
siedelung der Bazillen an bis zur Haut, etwa 20 cm von seinem Ursprungsort ent- 
fernt, hätte vorgeschritten sein können. 


Bei den Gutachten fällt zunächst auf, daB so abweichende Angaben über 
das Bemerkbarwerden des Senkungsabszesses in der rechten Leistenbeuge gemacht 
worden sind. Sowohl Herr K. als auch Herr W. nehmen 5—6 Wochen, Herr E. 
aber nur I4 Tage an. Meines Erachtens ist diese Angabe richtig, denn sie beruht 
nicht nur auf einer persönlichen Angabe des H., sondern auch auf einer gleich- 
lautenden Angabe seitens seines Vorgesetzten. Es stimmt mit. ihr auch der ärztliche 
Befund vom I. Juni, also 5!/, Wochen nach dem Unfall überein. Wenn damals 
ein mannsfaustgroßer Saanaa a basal in der Leistenbeuge war, so muß er sich hier 
doch sehr viel früher bemerkbar gemacht haben. Daraus folgt aber ohne weiteres, 
daß dieser Abszeß nicht erst nach dem Unfall entstanden sein kann, besonders wenn 
man den von Herrn W. betonten Umstand berücksichtigt, daß, wenn es sich bei 
ihm um ein mittelbares Erzeugnis des Unfalls handelte, die Abszeßbildung doch 
nicht sofort begonnen hätte, sondern eine längere Entwicklung der Tuberkulose im 
oder am Knochen hätte vorausgehen müssen. Sowohl aus den Erfahrungen der 
Experimentatoren als auch aus denjenigen der Bazillenzüchter geht übereinstimmend 
hervor, daß es etwa 8 Tage dauert, bis auf den gewöhnlichen Nährböden eine mit 
bloßen Augen bemerkbare Vermehrung der Tuberkelbazillen statthat und noch etwas 
länger, bis die ersten tuberkulösen Gewebsveränderungen deutlich erkennbar werden. 
So lange Zeit brauchen die Bazillen und braucht die tuberkulöse Gewebsveränderung 
zu ihrer Entwickelung, wenn von vornherein eine größere Menge von Tuberkel- 
bazillen ausgesät worden ist, um wieviel mehr Zeit wird es sich handeln müssen, 
wenn nur ein Bazillus oder nur einige wenige zur Ansiedelung gekommen sind. Da 
müßten sicherlich eine Reihe von Wochen vergehen, ehe es zur Bildung eines 
Senkungsabszesses hätte kommen können, und eine weitere Reihe von Wochen wäre 
nötig gewesen, daß der Senkungsabszeß einen Weg von 20 cm hätte zurücklegen 
und unter der Haut den Umfang einer Mannesfaust erreichen konnte. Ich muß 
deshalb Herrn W. vollkommen zustimmen, daß es unter den gegebenen Verhältnissen 
ganz unwahrscheinlich ist, daß der Senkungsabszeß bei H., selbst wenn er erst 
5—6 Wochen nach dem Unfall bemerkt worden: wäre, von einer Wirbelsäulen- 
tuberkulose herrühren könnte, die erst nach dem Unfall an der Lendenwirbelsäule 
entstanden wäre. Tatsächlich ist der Abszeß aber schon viel früher zur Beobachtung 
gelangt, ich muß also mit Bestimmtheit annehmen, daß zur Zeit des Unfalles bereits 
längst eine Tuberkulose der Lendenwirbelsäule bestand, ja daß zur Zeit des Unfalls 
auch der Senkungsabszeß in der Entwicklung begriffen war. 

Man darf gegen diese Annahme nicht einwenden, daß H. bis zum Unfall 
noch voll arbeitsfähig war, denn sein Arbeitgeber hat noch am 23. Mai 1913, zu 
einer Zeit also, wo nach allgemeiner Annahme der Gutachter seit einem Monat 
eine Wirbelsäulentuberkulosse und anschließend ein bis zur Leistenbeuge vor- 
geschrittener Senkungsabszeß vorhanden war, aus dem 8 Tage später 400 ccm Eiter 
entleert wurden, erklärt, er habe bei H. keine erhebliche Abnahme der Arbeits- 


332 J. ORTH, TUBERKULOSE 
fähigkeit bemerkt unter ausdrücklicher Ablehnung, daß etwa eine mitleidige Be- 
urteilung vorliege. 

Ebensowenig Bedeutung hat der Umstand, daß Herr Dr. L. im August 1912 
im Röntgenbild keine Veränderung hat feststellen können, denn es ist sehr schwierig, 
eine Wirbelsäulentuberkulose ohne Komplikationen im Röntgenschatten sicher zu er- 
kennen, wie sich ja schon daraus ergibt, daß zu der angegebenen Zeit der Senkungs- 
abszeß seit einigen Wochen eröffnet war und eine tuberkulöse Erkrankung der 
Wirbelsäule da gewesen sein muß. Kurz danach, vom 17.— IQ. August 1912 ist 
dann ja auch von Dr. H. eine Veränderung am 4. und 5. Lendenwirbel gesehen 
worden, die dieser freilich auf einen Bruch bezog, was aber allseitig, auch von 
Herrn K. abgelehnt wird. Das Röntgenbild vom September 1913 kann m. E. nicht, 
wie es Herr K. getan hat, als Beweis für eine Wirbelverletzung herangezogen werden, 
da es auch durch tuberkulöse Erkrankung erzeugt sein kann. 

Auch ich muß also erklären, daß ein Beweis für eine Verletzung einer ge- 
sunden Lendenwirbelsäule nicht erbracht ist. Damit fallen natürlich auch alle Ver- 
suche, dem Unfall eine mittelbare Mitwirkung bei der Entstehung der Knochen- 
tuberkulose zuzuschreiben, weg, weil ihnen die Grundlage fehlt, und ich könnte 
darauf verzichten, auf diese Erklärungsversuche näher einzugehen, aber da sie nun 
einmal gemacht worden ist, so will ich doch in Kürze auf sie eingehen. 

Herr K. hat wiederholt ‚betont, auf wie geringe Einwirkungen hin in einem 
ruhenden tuberkulösen Herd Bazillen mobilisiert werden können, daß schon leichte 
Verletzungen genügen, eine sekundäre Tuberkulose zu erzeugen. Daß H. einen 
oder mehrere solche Herde hatte, ist aus den Beobachtungen in Beelitz im Jahre 
1909 mit allergrößter Wahrscheinlichkeit zu erschließen, es mag auch zugegeben 
werden, daß der Unfall imstande war, eine Mobilisierung von Bazillen herbeizuführen, 
dagegen muß ich doch darauf hinweisen, daß die Ansicht, schon geringfügige Ver- 
letzungen genügten, um am Knochen die Ansiedelung von Bazillen zu ermöglichen, 
keineswegs allgemein geteilt wird. So hat König, der sich viel mit Knochentuberkulose 
beschäftigt hat, nur stärkere Verletzungen für geeignet gehalten, einer sekundären 
Knochentuberkulose als Grundlage zu dienen, ja Lexer schreibt in seiner All- 
gemeinen Chirurgie, Band II Seite 334 unter Berufung auf die Experimente von 
Friedrich, von Hensell, daß eine Ablagerung von Bazillen in verletzten Knochen 
vom Blute aus — wie es nach K. und anderer Gutachter Meinung bei H. ge- 
schehen sein müßte — überhaupt unwahrscheinlich sei. 

Was die Gewalteinwirkung bei dem Unfall betrifft, so muß auch ich sagen, 
daß sie nicht recht geeignet erscheint, für eine nennenswerte Verletzung einer ge- 
sunden Lendenwirbelsäule verantwortlich gemacht zu werden. 

Eine andere Frage ist allerdings die, ob nicht eine ‚schon erkrankte Wirbel- 
säule, wie ich sie bei H. annehme, beschädigt werden konnte. Es ist begreiflich, 
daß dazu auch eine geringere Gewalteinwirkung imstande ist, und es liegt nun auch 
eine Angabe vor, welche in diesem Sinne verwertet werden kann, nämlich die An- 
gabe des Herrn Dr. F., daß er am Tage nach dem Unfall den 2. und 3. Lenden- 
wirbel druckempfindlich gefunden habe. Daraus ergibt sich sofort die Frage, ob 
dadurch etwa eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung herbeigeführt 
worden sei. 

Man könnte für eine Bejahung dieser Frage als Begründung anführen, daß 
Dr. F. über dem rechten Flüftbein eine hühnereigroße Vorwölbung gesehen haben 
will, an derjenigen Stelle also, welche gegen den Kotflügel gedrückt worden ist. Aus 
dieser Anschwellung ist aber nichts geworden, keiner der späteren Untersucher hat 
an dieser Stelle irgend etwas Besonderes bemerkt und auch in der Unfallanzeige, 
die erst am 3. Juni 1912 erstattet worden ist, wird ausdrücklich angegeben, es sei 
eine unbedeutende Anschwellung an der rechten Hüfte entstanden, der der Ver- 
letzte selbst keine Bedeutung beimaß. Auch Herm Dr. E. hat dieser nur von 
einem blaugrünen Fleck berichtet, der am Tage nach dem Unfall in der Gegend 


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BD. 25, HEFT 6. 
iae a 333 


des rechten vorderen Darmbeinstachels zu sehen gewesen sei. Nimmt man nun 
noch hinzu, daß Herr Dr. F. ausdrücklich angibt, die vorgewölbte Stelle sei nicht 
sehr schmerzhaft und die Haut darüber unverändert gewesen, so kann man. in dieser 
Anschwellung nicht wohl eine unmittelbare Folge des Unfalls sehen, vielmehr muß 
man zu der Vermutung kommen, daß es sich hier, wie später an der Leistenbeuge, 
um eine chronische Erkrankung, um einen Senkungsabszeß gehandelt hat. Ein 
solcher ist tatsächlich am Hüftbein vorhanden gewesen, nur nicht am rechten, sondern 
am linken, und dort ist er, wie Herr L. berichtet hat, eröffnet worden. Dieser 
Arzt hat nicht genauer angegeben, an welchem Tage er diese Eröffnung vorgenommen 
hat, es muß aber am gleichen Tage oder wenig später gewesen sein, als der Leisten- 
abszeB eröffnet wurde, denn am Io. Juli 1912 berichtete Herr L., beide Wunden 
seien noch nicht geheilt. Hat Herr F. nur rechts und links verwechselt, so wäre 
der sicherste Beweis geliefert, daß am Unfalltage nicht nur eine Wirbeltuberkulose, 
sondern auch ein bis unter die Haut vorgedrungener Senkungsabszeß8 vorhanden 
war. Dieser Absze muß mit jenem zusammengehängt haben, denn Herr L. be- 
richtet, daß die auch hier zurückgebliebenen Fisteln gegen den Knochenherd im 
unteren Abschnitt der Wirbelsäule führten. Dieser Abszeß kann selbst mit dem 
Unfall gamicht in Beziehung gestanden haben, denn er lag an der vom Unfall 
garnicht betroffenen Seite des Beckens. 

Ich kann demgemäß nur jenen Gutachten zustimmen, welche dem Unfall 
jegliche ursächliche Bedeutung absprechen, und beantworte die mir gestellte Frage 
dahin, daß ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfall vom 24. April 1912 
und der Lendenwirbelsäuletuberkulose nicht besteht und auch eine Verschlimmerung 
‚des Leidens durch den Unfall nicht nachweisbar ist. 

Der übrige Teil der Frage ist damit von selbst erledigt. 


gez. Orth. 


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VI. 


In der Unfallsache des Müllers P. B. in Berlin erstatte ich das gewünschte 
eingehende Obergutachten darüber, ob mit Sicherheit oder mit an Sicherheit gren- 
zender Wahrscheinlichkeit ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfall und 
dem während der Behandlung aufgetretenen Lungenleiden anzunehmen ist oder nicht. 
Ich gebe das Gutachten auf Grund der Akten, nicht einer Untersuchung des Ver- 
letzten, da für die Entscheidung der mir gestellten Frage der jetzige Zustand des 
Kranken durchaus nicht maßgebend ist, sondern einzig und allein die in den ersten 
Zeiten nach dem Unfall geinachten ärztlichen Beobachtungen, die in den Akten 
mitgeteilt sind. 

Der Müller P. B., 38!/, Jahre alt, ist am 25. Juli 1915 mit einer ı!/, m 
hohen Leiter zu Fall gekommen und dabei mit der linken Brustseite auf den Aus- 
lauf einer Schlagmaschine aufgefallen. In dem Gutachten des Herm S.-R. Dr. J. 
wird genauer angegeben, B. sei auf die scharfe Kante eines starken Blechrohrs 
einer Schlagmaschine aufgefallen. Bei dem Fall war niemand zugegen, aber der 
Zeuge St. fand den Gefallenen mitsamt der Leiter auf der Erde liegend und er- 
fuhr den Vorgang, wie er eben angegeben worden ist. B. war 8 Tage lang krank 
und befand sich seit dem 27. Juli in der Behandlung des Herm Dr. J. Seine 
Klage betraf große Schmerzen in der linken Brusthälftee Der Arzt fand eine 
Knickung der 8. und 9. Rippe der linken Seite. Nach Verlauf von 8 Tagen naclı 
dem Unfall versuchte B. wieder zu arbeiten, mußte aber nach 3—4 Tagen wieder 
aufhören. Seit 9. August war er wieder krank geschrieben und der Arzt stellte an 
diesem Tage eine Verschlimmerung fest, denn er hörte in der Gegend der linken 
8 und 9. Rippe deutliches Reiben und schloß daraus auf eine trockene Rippenfeli- 


ZEITSCHR. 1. 
J. ORTH, -TUBERKULOSE 


334 _ 
entzündung in dieser Gegend. Die gequetschte Stelle war beim Abtasten sehr 
schmerzhaft. Der vor dem Unfall angeblich 134 Pfund schwere Mann wog am : 
30. Oktober in Kleidern nur 117’/, Pfund. Zu den Klagen über Stiche an der 
gequetschten Brustseite waren neue hinzugetreten: über quälenden Flusten, besonders 
nachts, über Nachtschweiße, über Appetitmangel. Als Grundlage für diese Klagen 
fand der Arzt Rasselgeräusche in der rechten Lungenspitze und sonstige Erschei- 
nungen, die ihn zu der Diagnose „tuberkulöser Lungenspitzenkatarrh rechts“ führten. 

Dr. J. ist nun der Ansicht, daß der Unfall und diese Lungenkrankheit in 
ursächlichem Zusammenhang stünden, indem er schließt: der Kranke war vorher 
nicht lungenkrank, immer voll arbeitsfähig, ist nicht erblich für Tuberkulose belastet, 
der Unfall hat eine Erschütterung und Zerrung der Brustorgane und eine Schwächung 
des Allgemeinbefindens erzeugt, wodurch eine größere Disposition für Aufnahme von 
Tuberkelbazillen entstand. 

Da an der Richtigkeit der ärztlichen Diagnose nicht zu zweifeln ist, so liegen 
also folgende Tatsachen vor: B. war vor dem Unfall anscheinend gesund, er hat 
durch den Unfall eine starke Erschütterung der Brust erlitten, da das Einbrechen 
zweier Rippen für die Stärke der Gewalt zeugt, nach etwa ı4 Tagen waren die 
Erscheinungen einer trockenen Brustfellentzändung in dem Bereiche der eingebrochenen 
Rippen vorhanden, das Allgemeinbefinden erheblich verschlechtert. Im Laufe des 
nächsten Vierteljahres entwickelte sich eine Auszehrung, die eine erhebliche Ab- 
nahme des Körpergewichts zur Folge hatte. Man darf in dieser Beziehung die 
Angaben des Kranken für glaubhaft halten, da ein Gewicht von 1171/, Pfund ein- 
schließlich der Kleider für einen 38/39jährigen Mann ein sehr geringes ist. Es trat 
quälender Husten, Nachtschweiße, Appetitmangel auf, die auf eine tuberkulöse 
Lungenkrankheit hinweisen und die Erklärung für die Auszehrung geben. Die von 
Dr. J. am 30. Oktober 1915 erhobenen Befunde an den Lungen lassen keinen 
Zweifel, daß in der rechten Lungenspitze eine tuberkulöse Erkrankung vorhanden 
war, die unter den erwähnten Umständen schon seit Wochen bestanden haben muß. 

Ob die bald nach der Verletzung aufgetretene Rippenfellentzündung bloß eine 
traumatische war, wie Herr Dr. J. annimmt, oder nicht auch schon eine tuberkulöse, 
ist nicht mehr zu entscheiden, doch ist das Letzte nicht unwahrscheinlich. Wäre 
es der Fall, so würden nicht nur ganz offenbare zeitliche Beziehungen zwischen 
der Rippenfellentzündung und der Lungenspitzenerkrankung einerseits, dem Unfall 
andererseits vorhanden sein, sondern für die erste auch die räumliche Beziehung. 
Im übrigen hat der Umstand, daß. die Lungenspitzenerkrankung rechts sitzt, während 
die Quetschung die linke Brustseite betroffen hat, keine wesentliche Bedeutung, denn 
einmal ist es bekannt, daß die Einwirkung einer stumpfen Gewalt sich nicht nur 
auf der betroffenen Seite der Brust bemerklich macht, sondern auch die entgegen- 
gesetzte in Mitleidenschaft ziehen kann, zum andern halte ich die Erklärung des 
Herrn Dr. J., wonach das Trauma durch Erzeugung einer Disposition für Tuber- 
kulose die erste Ansiedelung von Tuberkelbazillen erst ermöglicht habe, nicht für 
wahrscheinlich, sondern nehme auf die ärztliche Erfahrung gestützt an, daß trotz 
der scheinbaren Gesundheit des B. vor dem Unfall doch schon ein alter, aber 
ruhender tuberkulöser Herd vorhanden war, der durch das Trauma aufgerüttelt und 
zu einem fortschreitenden gemacht wurde. Wenn sie auch nicht unmittelbar hier 
anwendbar sind, so darf doch auf die Erfahrungen im herrschenden Kriege hin- 
gewiesen werden, wonach in zahlreichen Fällen durch die Anstrengungen usw., 
welche der Krieg von den Soldaten erfordert, ruhende Lungentuberkulosen zu fort- 
schreitenden umgewandelt worden sind. 

Ich halte es nicht für gerechtfertigt, im Falle B. von Sicherheit oder auch 
nur von an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu sprechen, muß aber er- 
klären, daß jedenfall die weit überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dab 
ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfall und dem Lungenleiden an- 
zunehmen ist. gez. Orth. 


BD, 25, HEFT 5. 
Te TRAUMA UND TUBERKULOSE. 335 


VII. 


In der Unfallversicherungssache der Hinterbliebenen des Arbeiters A. K. er- 
statte ich hiermit das gewünschte Gutachten darüber, ob der am 27. September 1913 
erfolgte Tod des Arbeiters A. K. mit. Wahrscheinlichkeit als Folge des Unfalls vom 
27. September 1895 anzusehen ist. 

Der Arbeiter A. K. hat am 27. September 1895 eine Quetschung des Ober- 
körpers und der rechten Schulter zwischen 2 Fässern erlitten. Er hat weder einen 


Rippenbruch davongetragen, noch sind Zeichen einer Lungenverletzung (Bluthusten) 


zutage getreten. Bettlägerig war der Verletzte nicht, sondern er wurde ambulant 
behandelt, aber er war 14 Tage lang arbeitsunfähig und konnte auch, als er danach 
die Arbeit wieder aufnahm, nur leichtere Arbeit verrichten, da er angeblich immer 
noch Schmerzen in der Brust und der rechten Schulter hatte. Allmählich ent- 


wickelte sich bei K. immer mehr die Rentenjagd und es traten jene Übertreibungen 


ein, die bei der Rentenneurose bekannt sind. Es erübrigt sich für mich, auf die 
wechselvolle Krankengeschichte näher einzugehen, einmal, weil sie schon wiederholt 
in den Akten eingehend geschildert ist, so in den Gutachten des Herrn Dr. Sch., 
Prof. K. und Dr. R., auf die ich Bezug nehme, dann aber auch, weil ihre Einzel- 
heiten für die von mir zu entscheidende Frage nicht von wesentlicher Bedeutung 
sind. Ich werde deshalb nur einzelne Punkte hervorheben, die von Wichtigkeit 
sind. Da ist zunächst die Tatsache zu erwähnen, daß schon vom Jahre 1896 ab 
auf eine tuberkulöse Erkrankung der Lungen gefahndet wurde, daß erst rechts, 
später links allerhand geringfügige Veränderungen bemerkt wurden, die vielleicht 
auf eine tuberkulöse Erkrankung bezogen werden konnten, daß aber kennzeichnende 
Erscheinungen immer wieder ausblieben und das Suchen nach Tuberkelbazillen in 
dem Auswurf stets ohne jeden Erfolg blieb. Die genannten verdächtigen Erschei- 
nungen wurden auch keineswegs immer gefunden, sondern schon am 25. Januar 1896 
hatte Dr. S. ganz normalen Lungenbefund festgestellt, und 14 Jahre später wird in 
dem Gutachten aus der Prof. H.schen Klinik in Königsberg vom Oktober IgIo 
ausdrücklich angegeben, an den Lungen sei garnichts Krankhaftes zu finden, auch 
im Röntgenbilde nicht, es sei keine Herzaffektion vorhanden, es bestehe keinerlei 
Tuberkuloseverdacht mehr. Später. ist allerdings von derselben Klinik her wieder 
ein solcher Verdacht geäußert worden, aber ein Beweis konnte auch dann nicht er- 
bracht werden. | 

Zuerst am 2. Mai 1896 wird von Dr. St. (Krankenhaus Friedrichshain) von 
Reiben ganz geringen Grades an einer kleinen Stelle unterhalb des rechten Schlüssel- 
beins berichtet, das nach demselben Berichterstatter am 10. Januar 1897 in etwas 
weiterem Umkreise an derselben Stelle hörbar war. Auch Dr. H. hat am 31. Juli 
1897 dicht über der rechten Brustwarze ein wenig Reibegeräusch gehört. 

In der Zeit von 1897 bis 1905, in welcher Dr. K. die Behandlung hatte, 
hat K. zwei schwere Krankheiten glücklich überstanden, eine mit schwerer allgemeiner 
Wassersucht einhergehende Nierenerkrankung, sowie eine Influenzalungenentzündung. 
Derselbe Arzt berichtet unter dem 26. April 1910, daß er am Herzen ein systolisches 
Geräusch gehört habe. Während schon vorher von allerhand Rasselgeräuschen an 
den Lungen berichtet worden war, hat Dr. B. am 25. September ıgı2, also 17 Jahre 
nach dem Unfall, zum erstenmal aus reichlichem, stinkendem, grünlichkem Auswurf 
eine chronische stinkende Bronchitis (Entzündung der Luftröhrenäste) diagnostiziert, 
die dann später auch von der H.schen Klinik bestätigt worden ist. E 

Endlich wird aus derselben Klinik in dem Bericht vom 21. April 1913 
zum erstenmal von einer neuen Erscheinung gemeldet, nämlich von einer trotz der 
besten Ernährung fortschreitenden Gewichtsabnahme. Dieserhalb und da K. in letzter 
Zeit darüber klagte, daß feste Speisen vor dem Eingang in den Magen stehen 
blieben, wurde eine Röntgendurchleuchtung vorgenommen, die ein Durchgangs- 
hindernis am Mageneingang ergab, woraus auf einen Magenkrebs geschlossen wurde. 


- ZEITSCHR. £. 
J. ORTH. | TUBERKULOSE 


336 


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5 Monate später, am 27. September 1913, genau 18 Jahre nach dem Unfall, trat 
der Tod ein. 

Die Leichenöffnung wurde erst am 4. Oktober 1913 von den Herren Kr.-A. 
Dr. Sch. und Dr. B. vorgenommen. Die wesentlichen Befunde hat Herr Dr. Sch. 
in seinem Gutachten nach Nummern des Obduktionsprotokolls zusammengestellt, 
worauf ich verweise. Ich stelle sie nach der Diagnose hier kurz zusammen: Starke 
Abmagerung, Verbiegung des Brustkorbs, wie sie schon in der letzten Zeit des 
Lebens bemerkt worden war. Völlige Verwachsung der Lungen mit der Brustwand, 
am stärksten links; rechts waren die Verwachsungen noch eben trennbar, links nicht. 
Herz normal groß, seine Muskulatur etwas bräunlich; der freie Rand der zweizipfligen 
Klappe etwas verdickt und hart, ihre Sehnenfäden verkürzt. Beide Lungen wasser- 
süchtig, ihre Spitzen völlig frei von jeder Veränderung. In der linken Lunge fanden 
sich als Miliartuberkel angesprochene und von dem Pathologischen Institut in Königs- 
berg als solche bestätigte Knötchen, welche oben mehr gleichmäßig verteilt waren, 
im Unterlappen nach unten hin an Zahl zunahmen. Auf der Schnittfläche der 
rechten Lunge sah man in dichten Gruppen zusammenstehend teils ganz glasig 
durchscheinende Knötchen von unter Hirsekorngröße, etwas über die Schnittfläche 
hervorragend und ohne Öffnung in der Mitte, teils bildeten solche Gruppen von 
Knötchen im ganzen gelbliche unregelmäßige Flächen von Linsen- oder Bohnen- 
größe. Hlöhlenbildung war nirgends vorhanden. Die Luftröhrenäste enthielten röt- 
liche schaumige Flüssigkeit und etwas zähen Schleim; sie hatten graurote, etwas 
geschwollene Schleimhaut und zeigten, besonders im Unterlappen, ziemlich erheb- 
liche Erweiterungen, aber keine direkten Höhlenbildungen. 

Am Kehlkopf fand sich eine starke Verknöcherung der Knorpel und an der 
Berührungsstelle der beiden Stellknorpel ein linsengroßer Defekt der Schleimhaut 
mit scharfen Rändern und schmierig belegtem Grunde, die Stimmbänder waren 
glatt und weiß. 

Die Schere passierte leicht den Magenmund; an demselben saß ein ihn fast 
vollständig ringförmig umfassendes blumenkohlartig unebenes Gewächs von 6 cm 
Länge und 6 cm Breite. In der Leber eine Anzahl Tochterknötchen. 

Angesichts dieser, gegenüber den Erscheinungen am Lebenden in mancher 
Beziehung überraschenden Ergebnissen der Leichenuntersuchung können alle vor 
dem Tode des K. abgegebenen Gutachten über einen etwaigen ursächlichen Zusammen- 
hang zwischen dem Unfall und den Leiden des K. keine Bedeutung beanspruchen, 
ich beschränke mich deshalb auf einen Bericht über die mit voller Kenntnis der 
Leichenbefunde abgegebenen Gutachten. Es sind dies diejenigen der Herren 
Dr.Dr. Sch., S, K. und R. 

Alle diese Gutachter nehmen mit Herrn Dr. Sch. an, daß der Tod des K. 
an einer akuten Miliartuberkulose erfolgt sei, die anderen weichen aber von Herrn 
Dr. Sch. darin ab, daß sie keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen Unfall und 
Tod anerkennen. Herr Dr. Sch. stellt folgende 7 Veränderungen .fest: 

I. Formveränderung des Brustkorbs, 

. Herzklappenerkrankung (Mitralinsufficienz) und Herzmuskelerkrankung, 
. chronische schrumpfende Brustfellentzündung, 
. Erweiterung der Luftröhrenäste mit Katarrh, 
. tuberkulöses Geschwür am Kehlkopf, 
. Miliartuberkulose der Lungen, 
. Magenmundkrebs mit Tochterknötchen in der Leber. 

Als Todesursache kommen seiner Meinung nach nur die Miliartuberkulose 
oder der Krebs in Betracht. Er behauptet, der letzte habe keine klinischen Er- 
scheinungen gemacht und sei nur zufällig entdeckt worden durch die Röntgenunter- 
suchung, es sei deshalb kein Zweifel, daß lediglich die Miliartuberkulose als Todes- 
ursache in Betracht komme. Diese leitet er von dem S enlkopigeschwir her, das 
er für ein primär tuberkulöses hält. 


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BD. 25, HEFT, 
Ar TRAUMA UND TUBERKULOSE. 337 


Was den Unfall und seine Folgen betrifft, so hält Herr Dr. Sch. ihn trotz 
fehlender Rippenbrüche für einen schweren; er habe eine schwere Brustquetschung 
verursacht, aus der eine Brustfellentzündung, die durch Reibegeräusche sich er- 
kennbar gemacht habe und immer eine trockene blieb, hervorgegangen sei, zu der 
sich Katarrhe gesellt hätten, und die schließlich die schwere Verwachsung der 
Lungen erzeugt habe, die die Ursache der’ anderen Erkrankungen, der nervösen und 
aller übrigen sei, der Formveränderung des Brustkorbs, der Herz- und Luftröhren- 
erkrankung, insbesondere auch der Luftröhrenerweiterung, ja sogar mittelbar auch 
des Krebses, indem durch die intensiven Anstrengungen des Zwerchfelles die Stelle 
seines Sitzes intensiv gereizt worden sei. Das Gutachten der H.schen Klinik vom 
Oktober 1910 beweist gegenüber dem Obduktionsbefund nicht eine Unterbrechung 
der Kontinuität der Lungenveränderungen. Der Gutachter kommt zum Schluß, 
der Tod sei die direkte Folge des Unfalls. 

Herr Dr. S. führt aus, der Unfall könne unmöglich schwer gewesen sein, 
da alle Anzeichen dafür fehlten; die Tuberkulose habe schon früher bestanden, ebenso 
die Brustkorbverbiegung. 

Herr Dr. Sch. betont demgegenüber noch einmal, eine akute Erkrankung der 
durch die Unfallfoigen veränderten Lungen sei die unmittelbare Todesursache. 

Auch Herr Prof. K. erkennt den Unfall nicht als schweren an. Zunächst 
seien auch gar keine Krankheitserscheinungen aufgetreten. Die Miliartuberkulose 
sei zweifellos die Todesursache, ihre. Ursache aber sei ganz unklar, da ein alter 
Tuberkuloseherd nicht gefunden, und die tuberkulöse Natur des Kehlkopfgeschwürs 
durchaus zweifelhaft sei. Ein direkter Zusammenhang zwischen . Unfall und Tod 
bestehe sicher nicht, ein indirekter sei zwar möglich, aber nicht wahrscheinlich. 

Herr Dr. R. teilt betreffs des Unfalls die Anschauung der Gegner des Herrn 
Dr. Sch.; niemals habe bei K. Lungenschwindsucht bestanden, auch habe der Un- 
fall weder Katarrhe noch Brustfellentzüändung erzeugt, noch den Magenkrebs. 
Wenn das Kehlkopfgeschwür ein tuberkulöses gewesen sein sollte, so könne es 
doch nicht durch den Unfall erzeugt sein und somit habe auch die Miliartuberku- 
lose mit dem Unfall nichts zu tun. 


Da das Gutachten des Herrn Dr. Sch. dem Urteil des Oberversicherungs- 
amtes, dem die entgegenstehenden der Herren Dr.Dr. S. und K. nicht berück- 
sichtigenswert erschienen, zu Grunde gelegt worden ist, so kann ich es nicht ver- 
meiden, in eine kritische Würdigung desselben einzutreten. Es ist anzuerkennen, 
daß dieses Gutachten für Laien folgerichtig und bestechend scheinen kann, obwohl 
es voll Irrtümer und Fehler steckt, die allerdings zum Teil auch von Laien hätten 
erkannt werden können. So die Behauptung, der Magenkrebs hätte überhaupt noch 
keine klinischen Erscheinungen gemacht und sei nur zufällig entdeckt worden. 
Beide Behauptungen schlagen den Aktenangaben geradezu ins Gesicht, denn es 
werden in dem Gutachten der H.schen Klinik vom 21. Aprill 1913 klar und deut- 
lich zwei klinische Erscheinungen angegeben, die ständige Abnahme des Gewichts 
trotz bester und sorgfältigster Ernährung und das Steckenbleiben fester Speisen vor 
dem Eingang in den Magen, und es wird weiter ausdrücklich erklärt, daß wegen 
dieser beiden Erscheinungen die Röntgenuntersuchung vorgenommen wurde, durch 
die also der Krebs nicht zufällig aufgefunden wurde, sondern durch die er direkt 
gesucht worden ist. 

Es hätte ferner auch einem Laien schon auffallen können, daß das Reiben, 
auf welches Herr Sch. die Diagnose Brustfellentzündung gründet, zum erstenmale 
7 Monate nach dem Unfall erwähnt worden und da auch nur an einer kleinen 
Stelle unterhalb des rechten Schlüsselbeins in ganz geringem Grade gehört worden 
ist. Und dieses minimale Reiben soll eine Entzündung beweisen, welche der vor 
7 Monaten stattgehabte Unfall erzeugt hat? 

Zeitschr. f. Tuberkulose. 25. 22 


= 7 


338 J. ORTH. TUBERKULOSE 
Auch hätte es wohl einem Laien nicht zu entgehen brauchen, daß dieses 
Reiben damals und später (zuletzt am 31. Juli 1897) nur an einer umschriebenen 
Stelle gehört wurde, während die Verwachsung beider Lungen eine ganz allgemeine 
war, daß ferner dieses Reiben immer nur an einer beschränkten Stelle der rechten 
Brustseite gehört wurde, während die Verwachsung auf der linken Seite viel fester 
war, so daß sie hier nicht gelöst werden konnte, während das auf der rechten noch 
möglich war. Es fehlt deshalb jede Begründung für die Annahme, daß der Unfall 
eine trockene Brustfellentzüändung und damit weiterhin die Verwachsung der Lungen 
herbeigeführt habe. 

Die Bedeutung dieser Verwachsung, die, ich wiederhole, auf der rechten Seite 
garnicht einmal eine besonders feste war, hat der Gutachter in schier unverständ- 
licher Weise überschätzt. 

Ist es schon an sich nicht recht verständlich, warum eine Anstrengung des 
Zwerchfelles den durchtretenden Verdauungskanal intensiv reizen soll, so kann man 
erst recht nicht verstehen, warum diese Reizung garnicht den durchtretenden Teil, 
d. i. den unteren Teil der Speiseröhre, betroffen haben soll, sondern den Magen- 
mund, der unterhalb des Zwerchfelles gelegen ist und an dem der Krebs saß, nicht 
aber in der Speiseröhre. 

Ich muß durchaus gegen diesen Versuch, den Krebs mit dem Unfall in einen, 
wenn auch nur mittelbaren Zusammenhang zu bringen, Verwahrung einlegen. 

Inwieweit die Mißstaltung des Brustkorbes auf die Verwachsung des Brust- 
felles zurückzuführen ist oder auf Rachitis, lasse ich dahingestellt, denn es kommt 
nicht darauf an, dagegen muß ich die Erklärung der Erweiterung der Luftröhren- 
äste als Folge der Verwachsung des Brustfells entschieden zurückweisen. Wir kennen 
wohl eine Erweiterung von Luftröhrenästen durch Schrumpfungsvorgänge im Lungen- 
gewebe, aber solche lagen hier ja garnicht vor, wohl aber ein chronischer und zwar 
fauliger (putrider) Katarrh, von dem uns wohl bekannt ist, daß er gleichmäßige Er- 
weiterungen der Luftröhrenäste, insbesondere in den Unterlappen hervorruft, wie 
solche hier vorlagen. Die putride Bronchitis ist aber erst fast 17 Jahre nach dem 
Unfall aufgetreten, es geht deshalb nicht an, sie von dem Unfall herzuleiten, um- 
soweniger, als überhaupt ein kontinuierlicher Bronchialkatarrh wie die Kranken- 
geschichte beweist, seit dem Unfall nicht vorhanden gewesen ist. Es ist völlig un- 
verständlich, wie der Gutachter behaupten kann, die Angaben der behandelnden 
Ärzte über Gesundsein der Lungen verlören durch den Leichenbefund ihren Wert. 
Womit hat Herr Dr. Sch. dies bewiesen? Ich sehe nicht einmal den Versuch 
eines Beweises! 

Ebenso sonderbar und unbegründet ist die Behauptung, daß auch die Herz- 
klappen- und die Herzfleischveränderungen von der Brustfellverwachsung abhängig 
sei. Was die Erkrankung der allein veränderten zweizipfeligen Klappe betrifft, so 
ist zunächst die Diagnose zu beanstanden. Es fehlt jeder Beweis dafür, daß eine 
Insuffizienz (eine Schließungsunfähigkeit) der Klappe vorhanden war, denn die Herz- 
kammerhöhle und die Herzkammerwand zeigten keinerlei darauf hindeutende Ver- 
änderungen. Daß aber die als chronische Klappenentzündung zu diagnostizierende 
Erkrankung auf eine durch die Erschwerung und Beschleunigung der Atmung be- 
wirkte Belastung des Herzens zurückzuführen sei, die schließlich zu Schädigungen 
des Herzmuskels und entzündlichen Vorgängen an der zweizipfligen Klappe geführt 
habe, ist eine völlig willkürliche Behauptung, für die jeder Beweis fehlt. Viel mehr 
muß man in bezug auf die Klappenerkrankung an die Influenza denken, welche 
K. Jahre vorher durchgemacht hat. Und was war denn das für eine Veränderung 
des Herzmuskels? Es wird wiederholt im Obduktionsprotokoll angegeben, das Herz 
sei schlaff gewesen. Ja, ist denn das verwunderlich bei einer Leiche, die 7 Tage 
nach dem Tode seziert wurde und bei der die Haut am Hals und an der Brust, 
am Bauch und an den Seitenteilen grünlich war? Sonst wird nur die bräunliche 
Farbe der Herzmuskulatur erwähnt. Für die haben wir aber eine ganz andere Er- 


er a n TRAUMA UND TUBERKULOSE. 339 


klärung. Das ist erfahrungsgemäß eine Veränderung, welche ganz besonders bei 
mangelhafter Nahrungsaufnahme vorkommt, wie sie durch Krebse der Speiseröhre 
und des Magens bedingt wird. Wir werden sie demnach als Teilerscheinung der 
allgemeinen durch den MaBeuMe bedingten Ernährungsstörung mit Recht ansehen 
dürfen. 

Überhaupt hat meines Erachtens Herr Dr. Sch., aber es haben auch die 
anderen Gutachter die Bedeutung der Krebskrankheit für den Tod viel zu niedrig 
eingeschätzt. Daß der Obduzent mit der Schere leicht den Magenmund passieren 
konnte, beweist garnichts gegenüber der Tatsache, daß der Kranke schon 5 Monate 
vor dem Tode das Steckenbleiben fester Speisen fühlte und daß bereits damals eine 
unaufhaltsame Abnahme des Gewichtes statthattee Der Krebs muß also damals 
schon eine Zeitlang bestanden haben und die seinem Sitz entsprechende Schädigung 
der allgemeinen Ernährung ausgeübt haben. 

Ich werde auf diesen Punkt noch einmal zurückkommen, nachdem ich die 
von Herrn Dr. Sch. angenommenen tuberkulösen Veränderungen erörtert habe. 
Schon die anderen Gutachter haben ihre Zweifel an der tuberkulösen Natur des 
Kehlkopfgeschwüres zum Ausdruck gebracht, und mit Recht. Eine primäre Kehl- 
kopftuberkulose gehört zu den allergrößten Seltenheiten, außerdem aber ist in der 
Beschreibung des Geschwüres garnichts für tuberkulöse Geschwüre Kennzeichnendes 
enthalten und endlich wäre es an sich auffällig, daß ein solches oberflächliches Ge- 
schwür Ausgangspunkt für eine disseminierte (über die ganze Lunge zerstreute) 
Miliartuberkulose, die nur auf dem Blutwege entstanden zu denken ist, geworden 
wäre, um so auffälliger, als dann doch das Geschwür Tuberkelbazillen an der Ober- 
fläche hätte absondern müssen, von denen aber bei zahlreichen- Untersuchungen 
des Auswurfs niemals eine Spur hat aufgefunden werden können. Ich muß daher 
die Diagnose tuberkulöses Geschwür für ganz unwahrscheinlich erklären und dies 
um so mehr, als wir eine befriedigende Erklärung für dieses Geschwür geben können. 
| K. hat monatelang reichlichen stinkenden, also besondere chemische Körper 
und Bakterien enthaltenden Auswurf gehabt, der wohl imstande war, im Kehlkopf 
ätzend und entzündungserregend zu wirken; gerade die Stelle, wo hier das Geschwür 
saß, ist den Pathologen schon lange als Sitz solcher Auswurf-Ätzgeschwüre bekannt. 
Es dürfte sich demnach auch bei K. um ein solches, und nicht um ein tuberku- 
löses Geschwür gehandelt haben. 

Wenn aber dieses Geschwür als primärer tuberkulöser Herd wegfällt, so 
schwebt die diagnostizierte akute Miliartuberkulose völlig in der Luft, denn wir 
brauchen zu ihrer Erklärung, wie schon von Vorgutachtern erwähnt wurde, einen 
älteren tuberkulösen Herd, von dem aus Tuberkelbazillen durch das Blut ausgesät 
wurden. Einen solchen Herd hat der Obduzent nicht nachgewiesen. 

Ist denn die Diagnose akute Miliartuberkulose richtig? 

Ehe ich auf diese Frage eingehe, muß ich darauf hinweisen, daß, selbst wenn 
alle Voraussetzungen des Herrn Dr. Sch. richtig wären, für jeden folgerichtig Denken- 
den doch ohne weiteres erkennbar sein muß, daß sein Schluß, der Tod sei die direkte 
Folge des Unfalls falsch ist. Erstaunlicherweise hat das Oberversicherungsamt das 
garnicht gemerkt, sondern unbesehen diesen falschen Schluß sich zu eigen gemacht. 
Die Erklärung hierfür ergibt sich daraus, daß das Gericht die Beweisführung des 
Herrn Dr. Sch. garnicht verstanden und auch die Erklärungen der anderen Gutachter 
falsch aufgefaßt hat. In der Uiteilsbegründung heißt es, nach dem Gutachten des 
Kr.-A. Dr. Sch. sei der Tod die direkte Folge des Unfalls gewesen. Als Todes- 
ursache bezeichne Dr. Sch. in der Hauptsache das Lungenleiden, an dem K. ge- 
litten hat. Auch die Ärzte Dr. Sch. und Dr. K. seien der Ansicht, daß der Tod 
des Genannten infolge des Lungenleidens eingetreten ist. Das ist unrichtig und 
der Fehler steckt darin, daß das Oberversicherungsamt von einem Lungenleiden 
spricht, während es sich in Wirklichkeit um zwei Lungenleiden handelt, um ein 
akutes, welches den Tod bewirkt haben soll, die akute Miliartuberkulose, und um 

. 22” 


340 J. ORTH. 


ZEITSCHR., f. 
TUBERKULOSE 


ein chronisches, welches seit dem Unfall nach Dr. Sch. ununterbrochen bestanden 
haben und von ihm hervorgerufen worden sein soll. Mit dem tödlichen Lungen- 
leiden hat auch nach Herrn Dr. Sch. der Unfall nichts zu tun, nur in bezug auf 
es stimmen die anderen Gutachter Herrn Dr. Sch. zu, nicht aber in bezug auf das 
chronische, angeblich von dem Unfall herrührende Leiden. In seinem zweiten 
Gutachten hat Herr Dr. Sch. seiner Meinung klaren Ausdruck gegeben in den 
Worten: eine akute Erkrankung der durch die Unfallfolgen veränderten Lungen 
ist die unmittelbare Todesursache gewesen. 

Da, wie gesagt, auch Herr Dr. Sch. diese akute Erkrankung nicht von dem 
Unfall ableitet, so ergibt sich ohne weiteres, daß der Tod nicht direkt, sondern 
höchstens indirekt mit dem Unfall zusammenhängen kann, und dies um so mehr, 
als Herr Dr. Sch. am angegebenen Orte selbst von der nach seiner Meinung mit 
dem Unfall zusammenhängenden chronischen Lungenerkrankung erklärt, sie sei als 
mittelbare Unfallfolge anerkannt. Wenn sie schon nur mittelbar mit dem Unfall 
zusammenhängt, so kann der durch eine ganz andere akute Erkrankung, nämlich 
die Miliartuberkulose herbeigeführte Tod um so weniger eine direkte Folge des 
Unfalls sein. 

Eine solche mittelbar mit dem Unfall AE ET Lungenerkrankung 
leugnen die anderen Gutachter und ich muß mich ihnen durchaus anschließen. Ich 
habe schon darauf hingewiesen, wie jeder Beweis fehlt, daß der Unfall eine Brust- 
fellentzündung gemacht habe, ich habe gezeigt, wie der Versuch, eine entzündliche 
Verwachsung des Brustfells als Ursache für alle anderen krankhaften Befunde 
hinzustellen, mißglückt ist, und ich habe schon darauf hingewiesen, wie wenig der 
Leichenbefund geeignet ist, die Angaben verschiedener Untersucher zu verschiedenen 
Zeiten, die Lungen seien ganz gesund, hinfällig zu machen. Die von Herrn Dr. Sch. 
seiner Annahme zu Grunde gelegte Kontinuität der Erscheinungen besteht nicht 
und darum ist diese Annahme grundlos. 

Ich komme nun wieder auf die Frage zurück, hat denn eine akute Miliar- 
tuberkulose bestanden? 

Nach der Beschreibung der linken Lunge und nach dem Bericht des Patho- 
logischen Institutes in Königsberg besteht kein Grund, daran zu zweifeln, daß in 
der linken Lunge eine solche Veränderung vorhanden war. Es ist dabei aber 
zweierlei zu beachten: I. daß von keinem anderen Organe über Miliartuberkulose 
berichtet wird, es sich also sicherlich nicht um eine allgemeine akute Miliartuber- 
kulose gehandelt haben kann, 2. daß es auch nicht einmal sicher ist, daß in beiden 
Lungen eine akute Miliartuberkulose vorhanden war, da nach der Beschreibung der 
rechten Lunge in dieser keine akute Miliartuberkulose, sondern eine chronische 
Tuberkulose vorhanden war. Das Zusammenstehen der Knötchen zu Gruppen, die 
Bildung von gelblichen, unregelmäßigen Flächen von Linsen- und Bohnengröße be- 
weist auf das Bestimmteste, daß das unmöglich eine akute disseminierte Miliar- 
tuberkulose gewesen sein kann, sondern eine chronische, mit schon recht ausge- 
dehnter Verkäsung einhergehende Tuberkulose gewesen sein muß. 

Hieraus ergibt sich wieder mehreres. Erstens, daß der bis jetzt vermißte 
Ausgangspunkt für die akute Miliartuberkulose der linken Lunge gefunden ist, 
zweitens, daß dieser so beschränkten akuten Miliartuberkulose unmöglich das Gewicht 
als Todesursache beigelegt werden kann, wie es von den Vorgutachtern geschehen 
ist, sondern daß man den Krebs mit seinen Folgezuständen, der allgemeinen un- 
aufhaltsamen Abmagerung, der braunen Atrophie des Herzens, den Tochterkrebs- 
knoten in der Leber, in den Vordergrund stellen muß. 

Damit soll nicht gesagt sein, daß nicht auch die umschriebene akute Miliar- 
tuberkulose mit zur Herbeiführung des Todes beigetragen hat, und es bleibt also 
immer noch die Aufgabe, festzustellen, inwieweit diese Erkrankung etwa mit dem 
Unfall in ursächlichem Zusammenhange stehen könnte. 

Aus meinen früheren Darlegungen geht ohne weiteres hervor, daß irgendein 


BD. 25, HEFT 5. TRAUMA UND TUBERKULOSE. 341 


Anhaltspunkt für die Annahme, daß der Unfall und seine Folgen in der Lunge eine 
Schwächung bewirkt hätte, die es den Tuberkelbazillen erst möglich gemacht hätte, 
Fuß zu fassen, nicht besteht, es könnte sich deshalb nur um die Frage handeln, 
ob die chronische Tuberkulose der rechten Lunge, welche den Ausgangspunkt für 
die Miliartuberkulose der linken bilden muß, mit dem Unfall in Zusammenhang zu 
bringen ist. 

Wie alt diese Tuberkulose ist, läßt sich nicht sagen. Da trotz der bis bohnen- 
großen gelblichen Herde jede Höhlenbildung fehlte, so kann man entweder schließen, 
daß die Erkrankung noch verhältnismäßig jüngeren Datums ist, also erst lange nach 
dem Unfall entstanden ist, oder daß es sich um eine ungemein langsam fort- 
schreitende Erkrankung handelte, was wiederum dafür spräche, daß der Unfall kaum 
einen befördernden Einfluß ausgeübt haben könnte. Aus dem leider zu wenig in 
die Einzelheiten eingehenden Obduktionsprotokoll kann man nicht entnehmen, daß 
der Sitz dieser gelblichen tuberkulösen Herde etwa hauptsächlich derjenigen Stelle 
entsprochen habe, an der Herr Dr. St. das Reiben gehört hat, aber selbst wenn 
dem so wäre, würde es meines Erachtens doch sehr unwahrscheinlich sein, daß der 
Unfall für diese tuberkulöse Erkrankung eine wesentliche Bedeutung gehabt habe. 
Daß der Unfall, bei dem weder sofort, noch in der nächsten Zeit Zeichen von 
Lungenverletzung hervorgetreten sind, überhaupt erst zu der Entstehung einer noch 
nicht vorhandenen tuberkulösen Erkrankung Anlaß gegeben habe, ist schon aus 
allgemeinen Gründen durchaus nicht wahrscheinlich, daß er auf eine schon vor- 
handene, aber ruhende Tuberkulose in wesentlicher Weise beschleunigend eingewirkt 
habe, dagegen spricht, daß der Verletzte nach dem Unfall noch 18 Jahre gelebt 
hat, daß niemals im Verlaufe dieser Zeit Tuberkelbazillen im Auswurf gefunden 
worden sind, obgleich von den verschiedensten Ärzten eifrig danach gesucht wurde, 
daß das erste ganz geringfügige Reiben, wenn es überhaupt mit der Tuberkulose 
in Verbindung zu bringen ist, erst 5 Monate nach dem Unfall auftrat und in nicht 
zu langer Zeit wieder vollständig verschwand, endlich, daß noch im Jahre ıg10 
die Lunge ganz gesund gefunden worden ist. 

Aus allen diesen Gründen muß ich es für unwahrscheinlich erklären, daß die 
vor dem Tode aufgetretene umschriebene akute Miliartuberkulose in irgendeiner 
Weise von dem Unfall wesentlich beeinflußt worden ist, es erübrigt sich deshalb 
auch in eine weitere Erörterung der Frage einzutreten, wie groß etwa die Bedeutung 
dieser Miliartuberkulose, wie groß die des Magenkrebses als Todesursache ist, beide 
stehen mit dem Unfall nicht in ursächlicher Beziehung. 

Somit komme ich zu dem Schluß, daß der am 27. September 1913 erfolgte 
Tod des Arbeiters A. K. nicht mit Wahrscheinlichkeit als Folge des Unfalles vom 
27. September 1895 anzusehen ist. 


gez. Orth. 


VIII. 


In der Unfallversicherungssache 1. des verstorbenen geisteskranken früheren 
Häuers Wilhelm P., jetzt seiner Ehefrau Franziska P. als Rechtsnachfolgerin, 2. der 
Hinterbliebenen des früheren Häuers Wilhelm P. erstatte ich hiermit das Ober- 
gutachten darüber, ob die Geisteskrankheit und der am 19. Februar 1914 erfolgte 
Tod des Häuers Wilhelm P. auf den angeblichen Unfall vom Sommer 1907 mit 
Wahrscheinlichkeit ursächlich zurückzuführen ist. 

Im Sommer 1907 hat der Häuer Wilhelm P. dadurch einen Unfall erlitten, 
daß er auf einer glatten Bohle ausrutschte und rücklings hinfiel. Er fiel auf seine 
Pulverbüchse, welche er überhängen hatte, und klagte, nachdem er das Bewußtsein 


342 J. ORTH. TOBERKULOSE 


wiedererlangt hatte, über Schmerzen in der Seite, die durch den Sturz auf die 
Büchse hervorgerufen worden seien, sowie über den Hinterkopf, wo er eine Beule 
hatte (Zeuge W.). Er konnte nicht selbst aufstehen, sondern W. mußte ihm helfen 
und ihn weiterführen. Sonstige Krankheitserscheinungen traten nicht hervor, doch 
setzte der Verletzte 3 Tage die Arbeit aus. Es wurde weder eine Unfallanzeige 
erstattet, noch ein Arzt zu Rate gezogen. 

Nach den Lohnlisten hat P. von Anfang April 1907 bis Ende März 1908 
gleichmäßig gearbeitet, nämlich vom April bis September 138, vom Oktober bis 
Dezember 137 Schichten, d. h. im Mittel 23 Schichten im Monat, was nach An- 
gaben in den Akten den üblichen Schichtleistungen der dortigen Arbeiter mindestens 
gleichkommt. | 

Über 2 Jahre später, am 20. September 1909, wurde P. in das Knappschafts- 
lazarett aufgenommen, weil er seit längerer Zeit Brustschmerzen, Husten und Aus- 
wurf, sowie Schmerzen in beiden Beinen haben wollte. Es wurde mäßig reichlicher 
Lungenkatarrh festgestellt. Der Ernährungszustand war gut. Bei der am 4. Oktober 
auf Wunsch erfolgten Entlassung waren keine Beschwerden, keine Schmerzen vor- 
handen; P. war arbeitsfähig. 

Im nächsten Jahr, am 12. August Ig1o, erfolgte erneute Aufnahme in das 
Lazarett wegen seit einigen Tagen bestehender Schmerzen in der Brust und Husten. 
Guter Ernährungszustand, Lungen gebläht, reichlich giemende Nebengeräusche über 
den Lungen; Diagnose Emphysem. Am 5. September ıgro auf Wunsch arbeits- 
fähig entlassen. Gewicht, am 15. August 59,0 kg, war bis zum I. September auf 
61,3 kg gestiegen. 

Erneute Aufnahme am 25. September ıg911, weil seit einem Monat Brust- 
schmerzen, Reißen in den Beinen, manchmal Erbrechen bestehen sollte. Ernährungs- 
zustand mittelmäßig; Gewicht am 28. September 56,6 kg, am 6. Oktober 58,7 kg, 
am 12. Oktober 57,5 kg. Klopfschall an der linken Lungenspitze etwas voll, Atem- 
geräusch in allen Lungenteilen ziemlich abgeschwächt, ziemlich zähe mittellaute 
Rasselgeräusche und Giemen. Am 10. Oktober über beiden Lungen noch ziemlich 
Brummen und Giemen, in der Höhe der Skapula feines Reiben. | 

Am 16. Oktober 1gıı wird P. wegen chronischen Lungenkatarrhs und Lungen- 
blähung zum Knappschaftsinvaliden erklärt. 

Während in den drei ebengenannten Krankengeschichten gleichmäßig angegeben 
ist, „kein Betriebsunfall“ oder (1909) „Unfall wird verneint“, wurde am 31. Oktober 
ı9ı2 von dem Pfleger der Unfall vom Jahre 1907 gemeldet und zugleich auf ihn 
die Geisteskrankheit bezogen, die am 27. Januar 1912 bei P. zum Ausbruch ge- 
kommen war und wegen der er am 27. Januar in das Knappschaftslazarett und am 
17. Februar 1912 in die Heil- und Pflegeanstalt R. aufgenommen worden war. 
Jetzt erst, d.h. mehr als 5 Jahre nach dem angemeldeten Unfall konnten Zeugen- 
vernehmungen vorgenommen werden. 

Am 10. Dezember 1912 schildert der Augenzeuge W. den Unfall wie vorher 
angegeben und fügte hinzu, während P. früher regelmäßig angefahren sei, habe er 
nach dem Unfall häufig gefehlt. Dann habe er zuweilen einen etwas wirren Ein- 
druck gemacht und manchmal nicht verstanden, was er, W., zu ihm, P., sagte. Am 
Ir. Oktober 1915 hat derselbe Zeuge angegeben, P. sei nach dem Unfall eine Zeit 
lang besinnungslos gewesen, wie lange, wisse er nicht. Im übrigen machte er die 
schon erwähnte Angabe über die Pulverbüchse. 

Die Ehefrau hat am 9. Juni 1913 angegeben, ihr Mann habe nach dem Un- 
fall über große Schmerzen im Hinterkopf und über Seitenschmerzen geklagt, auch 
viel geschlafen. Auch sie behauptet, er habe, nachdem er 3 Tage nach dem Un- 
fall gefeiert hatte, später nur mit Unterbrechung gearbeitet, nach einiger Zeit habe 
er Angstgefühl und Gedächtnisschwäche gezeigt. 

Der Zeuge F. hat am 17. Juli 1913, also ungefähr 6 Jahre nach dem Unfall, 
ausgesagt, P. habe nach dem Unfall stets krank ausgesehen, habe öfters über Kopf- 


BD. 25, HEFT 6. | 
win TRAUMA UND TUBERKULOSE. 343 


schmerzen, Unwohlsein und Erbrechen geklagt, er habe monatlich nur 12—13 
Schichten verfahren, während er früher keine ausgesetzt habe. 
Der Zeuge Powl., welcher eine lange Reihe von Jahren mit P. in einem Hause 


gewohnt hat, hat am 27. August 1915 bekundet, daß er bei P. keinen Unterschied 


im Wesen und Benehmen vor und nach dem Unfall bemerkt habe, insbesondere 
sei ihm nicht bekannt, daß nach dem Unfall Angstgefühl und Gedächtnisschwäche 
aufgetreten sei, er erinnere sich nur, daß P. wiederholt über Kopfschmerzen geklagt 
hat, die er auf den Unfall zurückführte. 

Am 23. Juni 1914 hat die Ehefrau behauptet, vom Winter 1907 ab habe 
ihr Mann aichi nur über Seitenschmerzen, sondern auch über Schmerzen in der 
Brust geklagt, vom Sommer 1908 ab seien Nachtschweiße aufgetreten, dann habe 
ihr Mann noch Husten bekommen und sei körperlich heruntergekommen. 

Bei der Aufnahme in die R. Anstalt bestand eine ausgeprägte Lungen- 
tuberkulose, insbesondere über der linken Lungenspitze, Dämpfung und Bronchial- 
atmen. Die Krankheit nahm weiterhin zu; seit etwa 7. Februar 1914 wurden 
Temperatursteigerungen beobachtet, die nach Ansicht der Ärzte zweifellos auf den 
Lungenbefund zu. beziehen waren, da beiderseits feuchtes Rasseln festzustellen war. 
Auch stellten sich gegen. Mitte Februar Zeichen von Herzinsuffizienz ein, bis am 
19. Februar 1914 der Tod infolge der Lungentuberkulose erfolgte. Eine Leichen- 
öffnung wurde, da Zweifel nicht bestanden, nicht vorgenommen. — 

Die Gutachten verschiedener Ärzte, welche in den Akten enthalten sind, sind 
von vornherein verschieden zu bewerten, da sie zum Teil auf Grund einseitiger 
Angaben abgegeben wurden. So hat sich Herr Dr. Bl. am ıı. Juli ı913 dahin 
ausgesprochen, es bestehe eine hohe Wahrscheinlichkeit für einen ursächlichen Zu- 
sammenhang zwischen dem Unfall und der Geisteskrankheit, aber er hat ausdrück- 
lich ‚hinzugefügt: „Erweisen sich die Angaben der Ehefrau und der Zeugen als 
richtig.“ 

Auch das zu ähnlichem Ergebnis kommende Gutachten des Herrn Dr. Gr. 
vom 14. Oktober 1913 beruht auf den gleichen Angaben der Ehefrau sowie der 
Zeugen W. und Fr. aus den: Jahren ıgı2 und 1913. 

Der Arzt der R. Anstalt, Dr. R., hält den Unfall für nicht allzuschwer. 
Für die Annahme einer traumatischen Frühpsychose liege kein Anhalt vor, eben- 
sowenig. für die Annahme einer traumatischen psychopathischen Konstitution, an die 
sich später eine ausgesprochene Psychose angeschlossen habe. Die Zeugenaussagen 
nach so langer Zeit seien nur vorsichtig zu bewerten, besonders, da sie zum Teil 
sicher falsch seien. Ein Zusammenhang zwischen Unfall und Geisteskrankheit sei 
nicht überwiegend wahrscheinlich. 

Auch ein Zusammenhang zwischen Unfall und Tod sei wenig wahrscheinlich. 
Erst Ende September 1909 sei die Rede von Brustbeschwerden; von einer lokali- 
sierten Tuberkulose der Lungen oder des Brustfells sei weder in den Berichten des 
Knappschaftslazaretts, noch in der Krankengeschichte der Heil- und Pflegeanstalt 
etwas erwähnt. 

Ein anderer Arzt der R. Anstalt, welcher später dem Reichsversicherungs- 
amt ebenfalls ein Gutachten erstattet hat, Dr. von K., kommt gleichfalls zu dem 
Schluß, daß eine frische Geistesstörung vorgelegen habe und kein Anhalt für eine 
langjährige schleichende Entwicklung gegeben sei. Daß seine Geisteskrankheit mit 
der vorgeschrittenen Lungenschwindsucht in ursächlichem Zusammenhang gestanden 
habe, sei möglich, aber nicht gewiß. Es liege kein greifbarer Anhalt für einen Zu- 
sammenhang von Unfall und Geistesstörung vor. 

Diesen ablehnenden Urteilen der psychiatrischen Sachverständigen stehen die 
Gutachten der Herren Dr. Kow. und Prof. Oe. gegenüber, die allerdings unter- 
einander sehr wesentlich verschieden sind. 

Dr. Kow. hat den Unfall für geeignet erklärt, eine Lungenverletzung herbei- 
zuführen. P. habe ein Pulverfaß auf der einen Rückenseite getragen, dadurch sei 


J. ORTH. ZEITSCHR.: f. 


344 TUBERKULOSE 


die betreffende Partie besonders stark gequetscht worden. So sei der Boden für 
die Ansiedelung von Tuberkelbazillen bereitet worden. Nach den Zeugenaussagen 
seien vom Unfalltage an Beschwerden in der Brust vorhanden gewesen, P. sei viele 
Schichten von der Arbeit fern geblieben. Die Tuberkulose sei eine sich sehr langsam 
entwickelnde Krankheit, es spreche deshalb nicht gegen einen Zusammenhang mit 
dem Unfall, daß sie erst 1909 hervorgetreten sei; ihr Anfang sei sehr schwer zu 
diagnostizieren. Ein ursächlicher Zusammenhang der Lungenschwindsucht mit dem 
Unfall sei höchst wahrscheinlich. | | 

Prof. Oe. meint, da die Lungentuberkulose so langsam verlaufen sei — von 
der ersten Diagnose bis zum Tode 5 Jahre — so sei es möglich, daß sie schon 
1007 bestanden habe, aber das sei nicht sicher. Die Geisteskrankheit sei durch 
einen Konglomerattuberkel des Gehirns und der Tod durch tuberkulöse Hirnhaut- 
entzündung herbeigeführt worden. Für diese Lokalisation sei das Trauma (Fall auf 
den Hinterkopf) bestimmend gewesen, also sei ein ursächlicher Zusammenhang 
zwischen Unfall und Tod überwiegend wahrscheinlich, 


Zwei Fragen sind es, die mir zur Entscheidung vorgelegt worden sind, r. ob 
die Geisteskrankheit des P. auf den Unfall zurückzuführen ist, 2. ob dies in bezug 
auf den Tod des P. der Fall ist. Beide Fragen können in einem inneren Zusammen- 
hang stehen, müssen es aber nicht. Geisteskrankheit und Tod können ganz wun- 
abhängig von einander sein, sie können in einem unmittelbaren oder auch nur in 
einem mittelbaren Zusammenhang zu einander stehen und auch die Beziehung des 
Unfalls zu der Geisteskrankheit einerseits, dem Tode andererseits kann eine ver- 
schiedene sein. So gehen denn auch in den verschiedensten Richtungen die An- 
sichten der Vorgutachter auseinander, insbesondere nimmt aber Herr Prof. Oe, 
eine Sonderstellung ein. 

Es wird demnach meine erste Aufgabe sein, die letzte Todesursache fest- 
zustellen. Herr Prof. Oe. meint, dies sei eine tuberkulöse Hirmhautentzündung 
gewesen, die übrigen Gutachter, welche sich über die Todesursache überhaupt ge- 
äußert haben, nehmen eine Lungenschwindsucht als Todesursache an. Herr Prof. 
Oe. leitet dabei die Hirnhautentzündung nicht etwa unmittelbar. von der Lungen- 
schwindsucht ab, sondern von einer chronischen, umschriebenen Tuberkelgeschwulst 
(sogenannter Konglomerattuberkel) des Gehirns, womit er auch zugleich die Ursache 
der Geisteskrankheit festgestellt zu haben meint. 

Eine Begründung für seine Annahme, daß eine Hirnhautentzündung die letzte 
Todesursache gewesen sei, hat der Gutachter auch nicht einmal zu geben ver- 
sucht, sondern er stellt diese Annahme einfach als Tatsache hin. Damit setzt er 
sich aber in vollen Widerspruch zu den in der Anstalt R. festgestellten Tat- 
sachen. In dem Bericht des Herrn Dr. R. heißt es ausdrücklich, seit etwa 7. Februar 
seien Temperatursteigerungen beobachtet worden, die zweifellos auf den Lungen- 
befund, beiderseits feuchtes Rasseln, zu beziehen gewesen seien, auch hätten sich 
gegen Mitte Februar Zeichen von Herzschwäche eingestellt, bis am 19. Februar 1914 
der Tod infolge der Lungentuberkulose erfolgte. Danach kann meines Erachtens 
gar kein Zweifel darüber sein, daß der Tod am Versagen des Herzens erfolgt ist, 
welches selbst wieder die Folge der Verschlimmerung der Lungenveränderungen war. 
Daß Herr Prof. Oe. dies nicht erkannt hat, ist mir um so auffälliger, als er selbst 
in seinem Gutachten erklärt hat, auch das Herz sei schließlich, wie gewöhnlich 
bei Lungenerkrankungen beteiligt worden. 

Ich stelle also zunächst fest, daß der Tod nicht vom Gehirn aus, sondern 
von der Lunge aus herbeigeführt worden ist. Damit ist aber auch schon eine 
zweite Tatsache festgestellt, nämlich, daß die Geisteskrankheit mit dem Tode nichts 
zu tun hatte. Daraus folgt endlich drittens, daß auch der Unfall mit dem Tode 
auf dem Wege über die Geisteskrankheit nichts zu tun gehabt haben kann, selbst 


BD, ET 5. TRAUMA UND TUBERKULOSE. l 345 


wenn er mit dieser Krankheit in ursächlichem Zusammenhang stünde. Er steht 
aber mit der Geisteskrankheit garnicht in ursächlichem Zusammenhang. 


Herr Prof. Oe. hat einen Zusammenhang in der Weise aufstellen zu können 


geglaubt, daß er annahm, der Fall auf den Hinterkopf habe die Lokalisation einer 
schon anderwärts bestehenden Tuberkulose im Gehirn verschuldet, so sei ein Kon- 
glomerattuberkel entstanden, der die Geisteskrankheit bewirkt, und schließlich mittelst 
einer tuberkulösen Hirnhautentzündung den Tod herbeigeführt habe. Daß das letzte 
nicht der Fall ist, habe ich schon gezeigt, aber auch alle übrigen Annahmen halten 
den festgestellten Tatsachen gegenüber nicht stand, sondern schweben meines Er- 
achtens völlig in der Luft. 

Zwar hat auch Herr Dr. v. K. erklärt, es sei möglich, daß die Geistesstörung 
mit der Lungenschwindsucht in ursächlichem Zusammenhang stand, aber er erklärt 
sofort weiter, dies sei nicht gewiß. Ich meinerseits erkläre, daß das auch nicht im 
geringsten wahrscheinlich ist, daß insbesondere die von Herrn Prof. Oe. gegebene 
Erklärung durchaus unwahrscheinlich ist. 

Von Seiten der den Kranken 2 Jahre lang beobachtenden psychiatrischen Sach- 
verständigen ist niemals etwas davon gesagt worden, daß die Geistesstörung von 
einer Geschwulstbildung im Gehirn abhängig sei, niemals sind Erscheinungen bei 
P. hervorgetreten, welche auf ein örtliches Leiden im Gehirn hinwiesen. Wenn der 
Fall auf den Hinterkopf für die Lokalisation der Tuberkulose im Gehirn in Gestalt 
eines Konglomerattuberkels bestimmend gewesen wäre, so hätte man doch zunächst 
erwarten sollen, daß dieser sich in den hinteren Abschnitten des Gehirns, etwa im 
Kleinhirn entwickelt hätte, und dies um so mehr, als sich erfahrungsgemäß gerade 
hier Konglomerattuberkel besonders gern entwickeln. Gerade solche Geschwülste 
pflegen aber besondere Erscheinungen zu machen, von denen aber bei P. nichts 
bemerkt worden ist. 

Wenn ein langsam und allmählich sich entwickelnder Konglomerattuberkel die 
Ursache der Geistesstörungen gewesen wäre, so hätten diese sich im ganzen in gleich 
langsamer Weise einstellen müssen, aber beide psychiatrische Gutachter geben an, daß 
es sich bei P. um eine schnell auftretende Geistesstörung gehandelt hat, insbesondere 
Herr Dr. v. K. hat ausdrücklich gesagt, es handele sich um eine frische Geistes- 
störung und es liege kein Anhalt für die Annahme einer langjährigen schleichenden 
Entwicklung vor. Auch Herr Dr. R. weist die Annahme einer an das Trauma sich 
anschließenden Geisteskrankheit oder auch nur einer chronischen psychopathischen 
Konstitution zurück, und doch hätte, wenn das Trauma den Tuberkelknoten und 
dieser die Geistesstörung gemacht hätte, nicht erst 5 Jahre nach dem Unfall, und 
dann in kürzester Zeit die Geistesstörung zum Ausbruch kommen dürfen. 

Ich stelle also fest, daB die Geistesstörung nicht in der von Herrn Prof. Oe. 
angenommenen Weise durch den Unfall hat erzeugt werden können. 

Es sind damit aber auch schon die wichtigsten Tatsachen für die Entscheidung 
der Frage beigebracht. ob denn die Geisteskrankheit überhaupt, auch wenn sie nicht 
durch einen Tuberkelkonglomeratknoten hervorgerufen worden ist, mit dem Unfall 
in Zusammenhang gebracht werden darf. Ich hatte schon darauf hingewiesen, daß 
die Gutachten der Herren Dr.Dr. Bl. und Gr. sich auf die Angaben der Ehefrau 
und einiger Zeugen stützten, welche zum Teil sicher falsch sind. Das Gleiche gilt 
für das Gutachten des Herrn Dr. Kow., also für alle diejenigen Gutachten, welche, 
von dem erledigten des Herrn Prof. Oe. abgesehen, einen ursächlichen Zusammen- 
hang zwischen Unfall und Geisteskrankheit als wahrscheinlich erklärt haben. 

Bereits Herr Dr. R. hat in seinem Gutachten darauf hingewiesen, wie vor- 
sichtig man: Zeugenaussagen gegenüber sein muß, die so lange Zeit nach dem Un- 
fall, zu einer Zeit, wo die Geisteskrankheit schon längst zum Ausbruch gekommen 
war, abgegeben wurden. Gewiß hatten die Zeugen schon seit langer Zeit bemerkt, 
daß der Kranke geistig nicht. mehr richtig war, aber genauere Zeitangaben hat keiner 
von ihnen gemacht und soweit sie solche gemacht haben, haben sie sich als falsch 


i ZEITSCHR, f. 
346 J. ORTH. TUBERKULOSE 


erwiesen. Das gilt auch für die Angaben der Ehefrau. Vor allem kommt hier die 
Angabe in Betracht, daß der Verletzte nach dem Unfalle die Arbeit häufig hätte 
aussetzen müssen. Die Lohnlisten haben den unumstößlichen Beweis geliefert, daß 
P. bis zum I. April 1908, weiter reichen sie nicht, d. h. etwa 3/ Jahre nach dem 
Unfalle genau so fleißig gearbeitet hat, wie vor dem Unfall. Bei dem Aufenthalt 
des Kranken in dem Knappschaftslazarett in den Jahren 1909, 1910, 1911 ist 
nichts von einer Geistesstörung bemerkt worden, obwohl P. je einige Wochen unter 
Beobachtung stand, auch hat weder er — angeblich weil er Angst vor einer Ope- 
ration ‚hatte — noch auch seine Ehefrau, der doch daran liegen mußte, den Ärzten 
eine Klarheit über den Zustand ihres Mannes zu verschaffen, auch nur ein Wort 
von Störungen seitens des Kopfes erwähnt. Zu dieser Zeit können darum auch 
noch nicht Angstgefühle und Gedächtnisschwäche vorhanden gewesen sein, die den 
Ärzten gewiß nicht entgangen wären, womit die Aussage des Zeugen Pow., daß er 
keinen Unterschied in Wesen und Benehmen des P. vor und nach dem Unfall 
bemerkt habe, daß ihm insbesondere nicht bekannt sei, daß nach dem Unfall Angst- 
gefühl und Gedächtnisschwäche aufgetreten sei, durchaus im Einklang steht. Daß 
nach seiner Erinnerung P. wiederholt über Kopfschmerzen geklagt hat, besagt nichts, 
da wiederum nicht feststeht, zu welcher Zeit die Klagen geäußert wurden. Es wäre 
auffällig, wenn P. nach einem solchen Fall auf den Hinterkopf, der ihn einige 
Zeit bewußtlos machte und ihm eine Beule eintrug, nicht über Kopfschmerzen ge- 
klagt hätte, die er mit vollem Recht auf den Unfall beziehen durfte, und somit 
sind auch die Angaben der Ehefrau, daß ihr Mann nach dem Unfall über große 
Schmerzen im Hinterkopf geklagt habe, durchaus glaubhaft, sie beweisen aber nicht 
das mindeste dafür, daß der Unfall eine Geistesstörung erzeugt habe. 

Ich stelle also fest, daß die höchste Wahrscheinlichkeit dafür spricht, daß die 
Geisteskrankheit des P. mit seinem Unfall nicht in ursächlichem Zusammenhang steht. 

Besteht dementsprechend auf diesem Wege keine Möglichkeit, den Unfall mit 
dem Tode des P. in ursächlichen Zusammenhang zu bringen, so bleibt noch die 
Möglichkeit, daß ein Zusammenhang zwischen beiden durch die u 
sucht, welche ja die Todeskrankheit war, hergestellt wurde. 

Bei ihrer Beurteilung erhebt sich die erste Frage, wie lange die Lungen- 
schwindsucht bestanden hat. Es ist schon ganz richtig von Vorgutachtern hervor- 
gehoben worden, daß die Lungenschwindsucht sich oft sehr langsam entwickelt und 
daß ihre ersten Anfänge von den praktischen Ärzten sehr schwer zu erkennen 
sind. So kann also vielleicht Herr Prof. Oe. recht haben, wenn er die Möglich- 
keit aufstellt, daß die Tuberkulose schon vor dem Unfall bestanden habe, oder es 
kann Herr Dr. K. recht haben, daß sie sich erst von der Zeit des Unfalls an 
entwickelt habe, aber niemand ist imstande, das eine oder das andere mit Sicher- 
heit zu bejahen oder zu verneinen. Ebensowenig kann aber jemand auch die Mög- 
lichkeit zurückweisen, daß die Lungentuberkulose erst längere Zeit nach dem Unfall 
begonnen hat. Wir wissen das eine ebensowenig sicher wie das andere: Man 
muß deshalb feststellen, inwieweit Wahrscheinlichkeit für eine der drei Möglichkeiten 
vorhanden ist, wobei ganz besonders im Auge zu behalten ist, inwieweit der. Unfall 
mit der Tuberkulose in Beziehung gebracht werden kann. 

Nach dem Unfall hat P. über Seitenschmerzen geklagt. Das ist ebensowenig 
verwunderlich wie seine Klage über Kopfschmerzen, ist er doch, zwar nicht wie Dr. K. 
gesagt hat, auf ein Pulverfaß, doch auf eine Pulverbüchse aufgefallen, wodurch 
aller Wahrscheinlichkeit nach die betreffende Seite stärker gequetscht worden ist 
und darum auch stärker schmerzte.e Mit der Lunge haben diese Schmerzen nichts 
zu tun gehabt. Nun hatte die Ehefrau angegeben, freilich erst am 23. Juni 1914 
d. h. etwa 7 Jahre nach dem Unfalle, wo das Gedächtnis sehr leicht trügen kann, 
vom Winter 1907 ab habe ihr Mann nicht nur Seitenschmerzen, sondern auch 
Schmerzen in der Brust gehabt, vom Sommer 1908 ab habe er an Nachtschweißen 
gelitten, habe dann noch Husten bekommen und sei körperlich heruntergekommen. 


BD. 25, HEFT 5. - 
1918, TRAUMA UND TUBERKULOSE. . 349 


— 


Bei der ersten Aufnahme des P. in das Lazarett am 20. September 1909,. also zu 


einer Zeit, wo die Erinnerung noch frisch sein konnte, hat weder der Kranke noch 
die Ehefrau derartige genaue Angaben gemacht.. Von Nachtschweißen war über- 
haupt keine Rede, auch die Krankengeschichte, welche sich über 14 Tage erstreckt, 
tut ihrer ebensowenig Erwähnung wie die sich über 3 Wochen erstreckende Kranken- 
geschichte aus dem Jahre 1910. Von einem körperlichen Heruntergekommensein 
war in diesen Jahren auch nichts zu bemerken, denni vom Jahre 1909 wie von 
ı9ro melden die Krankengeschichten guten Ernährungszustand. Daß. dieser im 
Jahre 1910 durch den Aufenthalt im Lazarett noch weiter gehoben werden konnte, 
so daß das Gewicht von 59 Kilo auf 61,3 Kilo stieg, beweist nicht, daß der Er- 
nährungszustand bei der Aufnahme nicht‘ den Verhältnissen entsprechend ge- 
wesen wäre. | = Tr Ze 

Diese beiden Angaben der Ehefrau haben also durch die ärztlichen Be- 
kundungen bis in den Herbst 1910, d.h. bis über 3 Jahre nach dem Unfall keine 
Bestätigung erhalten; gerade aber sie wären geeignet gewesen, an eine beginnende 
Schwindsucht denken zu lassen. Brustschmerzen, Husten und Auswurf sollten aller- 
dings bei der Aufnahme im Jahre 1909 seit längerer Zeit bestehen, aber sie können 
durch allerhand Erkrankungen hervorgerufen werden und können an sich eine be- 
ginnende Tuberkulose der Lunge in keiner Weise wahrscheinlich machen. Auch 
aus der ärztlichen Diagnose „Lungenkatarrh‘“ kann nicht auf Tuberkulose geschlossen 
werden. Ja, wenn die Diagnose Lungenspitzenkatarrh gelautet hätte oder wenn an 
einer anderen umschriebenen Stelle — nach den Darlegungen des Herrn Dr. Kow. 
hätte man erwarten sollen, an der beim Unfall besonders stark gequetschten Stelle 
— Veränderungen gefunden worden wären, dann würde man an eine tuberkulöse 
Erkrankung denken müssen, aber das war alles nicht der Fall, sondern es wurde 
über den Lungen, also über beiden Lungen zerstreut Katarrh, und noch dazu 
mäßig reichlicher Katarrh gefunden. Das spricht vielmehr dafür, daß es sich nicht 
um Tuberkulose, sondern um einen -mit dem Unfall in keinem Zusammenhang 
stehenden verbreiteten chronischen Luftröhrenkatarrh (Bronchialkatarrh) in den Lungen 
gehandelt hat. Einen Beweis für diese Annahme sehe ich darin, daß die häufigste 
Folge eines chronischen Bronchialkatarrhs, die Lungenblähung (Emphysem), die mit 
Tuberkulose und Schwindsucht nichts zu tun hat, auch bei P. nicht ausgeblieben ist, 
denn im Jahre roro lautete die Diagnose der Lazarettärzte einfach: Emphysem. 
Auch jetzt war von einer umschriebenen Krankheit noch keine Rede, sondern der 
Befund war: reichlich giemende Nebengeräusche über den Lungen. 

‘Aus allem folgt, daß bis zum Herbst ıgıo, d.h. länger als 3 Jahre nach 
dem Unfall noch keine Zeichen einer tuberkulösen Lungenerkrankung vorhanden 
waren. Das ist aber eine so lange Zeit, daß man unmöglich sagen kann, der Unfall 
hätte eine schon vorhandene Tuberkulose wesentlich verschlimmert, oder zu einer 
Ansiedelung von Tuberkelbazillen erst den Boden bereitet, selbst wenn er an sich 
zu beiden oder doch einer von beiden Möglichkeiten geeignet gewesen wäre. 

Diese Eignung will ich ihm für die erste Möglichkeit, Verschlimmerung einer 
schon vorhandenen Tuberkulose, nicht abstreiten, ich betone aber noch einmal, daß 
jeder Anhaltspunkt für die Annahme einer schon bestehenden Tuberkulose fehlt 
und daß jedenfalls eine etwaige Verschlimmerung auszuschließen ist. Ebensowenig 
liegt aber ein Anhaltspunkt dafür vor, daß eine tuberkulöse Infektion an den Unfall 
sich angeschlossen habe, denn nach 3 Jahren war noch nichts von Tuberkulose 
nachzuweisen, eine Zeit, die doch weit über das hinausgeht, was man auch einer 
chronisch verlaufenden Tuberkulose zugestehen kann. Zudem muß ich bezweifeln, 
daß der Unfall überhaupt geeignet war, einer Tuberkulose den Boden zu bereiten. 
Daß eine Verletzung einer gesunden Lunge überhaupt eine Anlage für Tuberkulose 
schafft, ist durchaus unbewiesen; die Erfahrungen, welche man in diesem Kriege 
bei Lungenschüssen gemacht hat, sprechen durchaus dagegen, hat man doch Heilung 
der durchschossenen Lunge eintreten sehen, obwohl die andere tuberkulös erkrankt 


p 


348 J. ORTH, TRAUMA UND TUBERKULOSE. or 


war. Bei P. fehlt aber auch noch jeder Nachweis dafür, daß die Lunge überhaupt 
verletzt war. Kein Husten, insbesondere kein Bluthusten ist aufgetreten oder irgend- 
eine sonstige Erscheinung, die auf Lungenquetschung schließen lassen könnte, ver- 
legt doch die Ehefrau selbst das Auftreten von Schmerzen in der Brust erst in 
den Winter 1907. Das Umfallen durch Ausrutschen war gewiß geeignet, äußere 
Quetschungen und auch eine Erschütterung innerer Organe herbeizuführen, aber es 
hat nicht einmal eine nennenswerte Gehirnerschütterung herbeigeführt, wieviel weniger 
wird es eine Verletzung der Lungen haben herbeiführen können. 

Erst bei der Aufnahme des P. ins Lazarett im Jahre ıgıı waren allgemeine 
und besondere Erscheinungen vorhanden, welche auf Lungenschwindsucht hinwiesen:; 
schlechtere Ernährung, nach anfänglicher Zunahme Abnahme des Körpergewichts 
noch im Lazarett, Veränderungen an der linken Lungenspitze usw. Diese Tuber- 
kulose kann aber weder unmittelbar noch mittelbar mit dem Unfall in Verbindung 
gebracht werden, sie war aber die Todesursache. 

Ich gebe demnach mein Gutachten dahin ab, daß weder die Geisteskrankheit 
noch der am 19. Februar 1914 erfolgte Tod des Häuers Wilhelm P. auf den Unfall 
vom Sommer 1907 mit Wahrscheinlichkeit ursächlich zurückzuführen ist. 


gez. Orth. 


> 


Ld 


BI HERIO: LYDIA RABINOWITSCH, SPUTUMDESINFEKTION. 349 


XIX. o 
Zur Frage der Sputumdesinfektion. 


Gutachten!) erstattet von 


Lydia Rabinowitsch. 


Auf Ersuchen des Kgl. Landgerichts vom 18. Januar 1915 erstatte ich nach 
Lage der Akten in der Schadenersatzklage der Schwester K. gegen den Heilstätten- 
verein das verlangte Gutachten mit Bezug auf das Beweisthema vom 5. III. und 
15. VI. 1914. 

I. Die Einrichtung, die von dem Beklagten in den Kinderheilstätten H. zur 
Reinigung und Desinfektion der Speiflaschen getroffen war — so wie sie im 
Juni ıgıı bestand — ist nicht derartig gewesen, daß die Klägerin gegen Gefahr 
für Leben und Gesundheit soweit geschützt war, als die Natur ihrer Dienstleistungen 
es gestattete. Sie war unsachgemäß und geeignet, die Gesundheit der Klägerin zu 
gefährden. l 

Begründung. Nach Aussage des Chefarztes, Dr. P. und des Abteilungsarztes 
Dr. L., sowie der anderen vernommenen Zeugen wurden die Speiflaschen, welche 
den Auswurf tuberkulöser Kinder enthielten, folgendermaßen gereinigt. Zuvörderst 
wurde der Inhalt der Speiflaschen in mit Torfmull versehene Eimer zwecks Ver- 
brennung des Sputums (Auswurfs) entleert. Die Speiflaschen, welche naturgemäß 
noch mehr oder weniger dem Flascheninnern anhaftende Sputumreste enthielten, 
gelangten sodann zwecks Abtötung der Infektionskeime und Auflösung der ange- 
trockneten Sputumreste in ein mit warmer Lysollösung gefülltes Wasserbecken (s. die 
folgenden beiden anderen bekundeten Angaben bezügl. des Lysolverfahrens). Über 
dem Wasserbecken befanden sich ein resp. zwei Wasserhähne (der eine mit abnehm- 
barer Brause), unter deren Wasserstrahlen die Speigläser nachher mit Zuhilfenahme 
von Bürsten gereinigt wurden, um später wieder zur Benutzung zu gelangen. 

Nach den Aussagen der ärztlichen Zeugen scheint keine Vorschrift bestanden 
zu haben, wie lange die Speiflaschen in der Lysollösung verbleiben, und in wel- 
cher Konzentration die Lysollösung von der die Reinigung ausführenden Schwester 
hergestellt werden sollte. Auch aus den Bekundungen der verschiedenen Zeuginnen 
geht nicht hervor, daß irgendeine Anweisung zur Reinigung der Flaschen bestanden 
hat. Die betreffenden Schwestern haben es wohl meistens von ihrer Vorgängerin 
gesehen und gelernt. So wird teils bekundet, daß die Speiflaschen in das mit 
Lysollösung gefüllte Wasserbecken gelegt wurden, während nach anderen Bekundungen 
die Flaschen in besondere mit Lysollösung gefüllte Schüsseln getan wurden, um erst 
zur weiteren Reinigung in das Wasserbecken zu gelangen. Weiterhin gibt die Zeugin 
von St. an, daß die Lysollösung direkt in die Speiflaschen gegossen und die Flaschen 
erst nachher gereinigt wurden. Aber alle drei Möglichkeiten lassen nicht erkennen, 
ob Konzentration der Lysollösung wie die Dauer ihrer Einwirkung ausreichen 
konnten, um die noch in und an den Speiflaschen nach Entleerung des Auswurfs 
haftenden Infektionskeime mit Sicherheit zu vernichten. Von beiden Faktoren zu- 
sammen hängt jedoch die Desinfektionswirkung ab. 

Im allgemeinen ist zu sagen, daß Lysollösungen in der üblichen Konzentration 
von wenigen Prozenten und bei nicht langdauernder Einwirkung, wie dies. nach den 
Bekundungen gewesen zu sein scheint, nicht imstande sind, die im angetrockneten 
zähen, schleimig-eitrigen Auswurf enthaltenden Tuberkelbazillen abzutöten. In einigen 
Schriftsätzen und in der Aussage des Hamburger Augenarztes ist von einer drei- 
prozentigen Lysollösung die Rede. Solche Lösungen reichen wohl zu anderweitigen 


1) Da die Wissenschaftliche Deputation für das Medizinalwesen ein Obergntachten abgelehnt, 
und der darum ersuchte Direktor des Kgl. Instituts für Infektionskrankheiten, Geheimrat Löffler, 
s. Z. im Felde stand, wurde Berichterstatter damit betraut. 


350 LYDIA RABINOWITSCH, TUBERKULOSE 


Desinfektionen aus, aber nicht zur Unschädlichmachung tuberkulösen Sputums, 
welches außer den widerstandsfähigen Tuberkelbazillen häufig und zahlreiche Eiter- 
erreger enthält, 

Sind also nicht sämtliche noch in und an den Speiflaschen haftende Krank- 
heitserreger durch die in der Anstalt geübte Lysoldesinfektion vernichtet, so bestand 
für die mit der weiteren mechanischen Reinigung betrauten Personen die EA 
keit, sich mit diesen Keimen zu infizieren. 

Daß die Hände mit der die Infektionskeime enthaltenden Spülflüssigkeit in 
Berührung kommen, ist unvermeidlich, gleichviel ob zur Reinigung besondere Bürsten 
zur Verwendung kommen oder nicht. Es ist ferner unvermeidlich, daß bei solchen 
Manipulationen über einem Wasserbecken unter einem aus darüber befindlichen 
Wasserhähnen fließenden Wasserstrahl Spritzer ins Gesicht gelangen können, gleich- 
gültig ob es sich um einen Wasserhahn mit oder ohne Brause handelt. Ganz ab- 
gesehen von dem gelegentlich und ganz plötzlich wechselnden Wasserdruck und dem 
nicht immer leicht zu regulierenden Wasserstrahl sind selbst für einen geübten 
Laboratoriumsarbeiter bei solchen Reinigungsprozedureu unter der Wasserleitung 
Benetzungen des Gesichts mit Spritzern unvermeidlich. Um wieviel eher und 
häufiger dürften solche Spritzereien bei der geschilderten Reinigung der Speiflaschen 
vorkommen, da dieselben mit ihrer verhältnismäßig kleinen Öffnung ziemlich dicht 
unter die Wasserhähne gebracht werden müssen. Die Zeugin H. bekundet ja auch 
Bl. 91/92, daß hin und wieder beim Begießen der Speiflaschen mit Wasser der 
Inhalt aus der Flasche zurückspritzte. Nach Bekundungen gelangten zu jener Zeit 
täglich ca. roo Speiflaschen zur Reinigung , eine zu große Anzahl, um selbst bei 
sorgfältiger Ausführung seitens einer oder zweier Angestellten unter den in der 
Anstalt vorhandenen Reinigungsbedingungen eine Verspritzung der Spülflüssigkeit als 
vermeidbar fordern zu wollen. Rechnet man auf eine sorgsame innere und 
äußere Reinigung: der Speiflaschen von Sputumresten (nicht nur Kinder, sondern 
auch Erwachsene verunreinigen infolge der kleinen Öffnung häufig die Außenwand 
mit Auswurf) selbst nur 3 Minuten, so bedeutet das für 100 Flaschen schon eine 
Zeit von 5 Stunden. Es ist mehr als zweifelhaft, ob für die Reinigung überhaupt 
soviel Zeit zur Verfügung stand. 

Aus dem Gesagten geht hervor, daß die Art der Reinigung der Speiflaschen, 
wie sie in der Anstalt geübt wurde, vom hygienischen Standpunkt -aus zu be- 
anstanden war. Es ist sogar auffallend, daß in der Anstalt kein eigener Raum für 
‘diese Reinigung zur Verfügung stand, wie dies in den meisten Anstalten schon aus 
äußeren Gründen üblich ist, sondern daß dieselbe in dem ärztlichen Laboratorium, 
wie Dr. L. bekundete, vorgenommen wurde. 

Die Einrichtung der Reinigung — wie sie im Juni Igıı in der Anstalt be- 
stand — war daher für die damit betrauten Schwestern und Helferinnen nicht un- 
gefährlich. Eine Infektionsmöglichkeit mit den in den Speigläsern vor und nach 
der beabsichtigten Desinfektion noch lebend gebliebenen Tuberkelbazillen und 
den anderen Keimen war vorhanden, sowohl durch Berührung der Hände mit der 
Spülflüssigkeit, wie durch Verspritzen derselben auf die unbedeckte Flautoberfläche, 
Augen usw. 

Daß Übertragungen von Tuberkulose durch Sputum und durch Gegenstände, 
an denen Auswurf haftet, ferner durch zerbrochene Speigläser und dgl. vorkommen, 
ist eine bekannte Tatsache. Eine ganze Anzahl von Literaturangaben hierüber findet 
sich bereits in dem beigefügten Artikel, welchen der jetzige Ministerialdirektor 
Prof. Kirchner vor 25 Jahren, im Jahre ı8g1, verfaßt hat, und auf den noch 
unter Punkt 2 zurückzukommen sein wird. Und in der späteren Zeit sind über 
diese Frage noch größere Erfahrungen gesammelt worden. 

Außer durch Tuberkelbazillen ist aber, wie gesagt, auch durch im Auswurf 
vorhandene und durch ungenügende Desinfektion nicht unschädlich gemachte Eiter- 
erreger eine Ansteckungsmöglichkeit gegeben. Und daß:eine solche auch in .der 


et ZUR FRAGE DER SPUTUMDESINFEKTION. 351 


. Anstalt vorgekommen zu sein scheint, ist aus den Bekundungen zu Punkt 7 des 
Beweisbeschlusses (Bl. 107 u. 119) zu schließen. Eine Laborantin soll sich bei 
Reinigung der Speigläser eine Entzündung des Armes resp. einen Furunkel zuge- 
zogen haben. Es ist eine altbekannte und bakteriologisch erhärtete Tatsache, daß 
solche Furunkel häufig an Armen und Beinen bei Personen auftreten, die mit 
schmutziger Spülflüssigkeit zu tun haben. Bei Münchener Kanalarbeitern sind schon 
vor 25 Jahren und noch früher im Pettenkoferschen Hygieneinstitut derartige durch 
' Eitererreger verursachte Furunkel und Abszesse bakteriologisch festgestellt worden. 

Auf die sehr häufig im Auswurf neben den Tuberkelbazillen vorhandenen 
Eitererreger ist hier aus folgendem Grunde eingegangen worden. Daß Klägerin im 
Anschluß an die Reinigung der. Speigläser sich eine Augenentzündung zugezogen, 
scheint nach Kenntnisnahme der Akten unbestreitbar. Der Zeuge Dr. L. (Bl. 98) 
war ja bei dem Unfall zugegen und hat andern Tages eine Entzündung festgestellt. 
Und der späterhin behandelnde Hamburger Augenarzt hat bekundet (Bl: 182/183), 
daß es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um eine tuberkulöse Infektion gehandelt 
hat, wofür auch die später in Davos durch eine Tuberkulininjektion hervorgerufene 
lokale Augenreaktion spricht. Es.ist aber nach obigem auch mit der Möglichkeit 
zu rechnen, daß an der Augenentzündung außer den Tuberkelbazillen noch die in 
der Spülflüssigkeit enthaltenen Eitererreger. beteiligt waren, oder daß letztere allein 
eine schwere, nicht spezifisch-tuberkulöse Entzündung verursacht haben. 

2. Die Einrichtung der Speigläserreinigung — wie sie seinerzeit in der Anstalt 
geübt wurde — entsprach nicht dem damaligen Stande der Technik und der 
Hygiene. 

Begründung. Dies beweist eigentlich am besten die Tatsache, daß kurze 
Zeit nach dem Unfall die Aufstellung einer Desinfektionsanlage zur Desinfektion ‚und 
Reinigung der Speiflaschen mittels strömenden Wasserdampfs beschlossen wurde, 
und daß seit ı. Mai 1912 der in der Anstalt aufgestellte Desinfektionsapparat in 
Betrieb war (s. Bekundung des Dr. P., Bl. 77/2). Aus dieser Bekundung ist ferner 
beachtenswert, daß selbst die Anstaltsleitung die frühere primitive Spülvorrichtung 
(wie sie zur Zeit des Unfalls vorhanden war) nicht mehr für ausreichend hielt und 
„die Spülgefäße in Rücksicht auf die vergrößerte Flaschenzahl erweiterte“, bis eben 
im Mai 1912 das neue Dampf-Sterilisationsverfahren eingeführt wurde. 

Der in H. aufgestellte neue Sputumdesinfektionsapparat war jedenfalls der 
gleiche, welcher ebenfalls im Jahre 1912 in einer anderen, dem beklagten Verein 
gehörenden Heilstätte aufgestellt und von Schultes als wirksam arbeitend in der 
‚Zeitschrift für Tuberkulose, Bd. 21 beschrieben wurde. 

Diese Sputumdesinfektionsapparate sind aber nicht. etwa jüngeren Datums. 
Wie aus der erwähnten und beigefügten Arbeit Kirchners aus dem Jahre 1891 
hervorgeht, hat dieser bereits einen, verbesserten Apparat konstruiert, um mittels 
strömenden Dampfes nicht nur größere Speigläser, sondern auch die kleinen Taschen- 
speiflaschen zu desinfizieren. Die Apparate wurden zu jener Zeit von der Medizinal- 
verwaltung des Preußischen Kriegsministeriums in verschiedenen Lazaretten auf- 
gestellt und für praktisch und wirksam befunden. Kirchner selbst erklärte die 
Aufstellung solcher Desinfektionsapparate zur Vernichtung tuberkulösen 'Auswurfs 
„für eine höchst erstrebenswerte Maßregel“. 

Der jetzige Erlanger Professor der Hygiene Heim, früher am Kaiserlichen 
Gesundheitsamt, hat ebenfalls schon zu jener Zeit einen dem Kirchnerschen 
Apparat ähnlichen Sputumdesinfektor konstruiert, mit demselben im Würzburger 
Garnisonlazarett sehr günstige Erfahrungen gemacht und en in der Deutschen 
militärärztlichen Zeitschrift 1893 niedergelegt. 

Der Zweck dieser Apparate bestand nicht nur der den tuberkulösen Aus- 
wurf in den Spuckgefäßen zu sterilisieren, resp. unschädlich zu machen, sondern 
auch das spätere Reinigungsverfahren der Gefäße für die damit betrauten Personen 
vollkommen ungefährlich zu gestalten. Das ganze Verfahren beruht auf dem Prinzip, 


352 LYDIA RABINOWITSCH. an 
daß die Spuckgefäße von dem Augenblick an, wo sie von den Kranken abgegeben 
werden, bis nach erfolgter Desinfektion vom Personal nicht berührt werden. Die 
Speigläser und -flaschen verlassen den Apparat erst dann, wenn die im Auswurf 
und an den Gefäßen haftenden Infektionskeime abgetötet sind, so daß die spätere 
Reinigung der Speigefäße eine ungefährliche geworden und ihres ekelerregenden 
Charakters zum größten Teil entkleidet ist. Den Leitern der Lungenheilanstalten 
ist die Abneigung und der Widerstand des Dienstpersonals gegen die manuelle 
Desinfektion und Reinigung der Spucknäpfe und Speigläser von jeher bekannt. 

Die Apparate, welche in erster Zeit manche Mängel aufwiesen und verbessert 
werden mußten, konnten sich deshalb nur langsam und allmählich einbürgern. Mit 
dem Aufblühen der Heilstättenbewegung aber und der Errichtung einer größeren 
Anzahl von Heilstätten und Lungensanatorien fanden diese Sputumdesinfektions- 
apparate immer größere Beachtung als notwendiges Rüstzeug der Tuberkulose- 
anstalten, zumal die Apparate und ihr wirksames Prinzip von u Stellen 
volle Anerkennung fanden. 

So hat der jetzige Freiburger Professor der inneren Medizin Dr. de la Camp 
seinerzeit in der Berliner Charite auf Grund seiner Erfahrungen mit einem Dampf- 
Desinfektionsapparat auf der Gerhardschen Klinik festgestellt, daß die Desinfektion 
des tuberkulösen Sputums in Lungenheilstätten am besten mittels strömenden Wasser- 
dampfes vorzunehmen ist (Charit&annalen Bd. 26, 1902/03). Gleichfalls empfahl 
eindringlichst die Dampfdesinfektion des Sputums Stabsarzt Bofinger auf Grund 
seiner im Kaiserlichen Gesundheitsamt ausgeführten Untersuchungen (Arbeiten des 
Kaiserlichen Gesundheitsamts, Bd. 20, 1903). Es mehrten sich seit dieser Zeit die 
Mitteilungen der Praktiker, welche in ihren Heilstätten Sputumdesinfektionsapparate 
verschiedener Konstruktion mit Erfolg benutzt hatten und ihre weitere Einführung 
befürworteten. Von Sonderabdrucken füge ich weiter bei eine Arbeit von Tobiesen 
„Ein Sterilisator für tuberkulöse Sputa‘“, welche 1907 in der von Pannwitz heraus- 
gegebenen Zeitschrift Tuberculosis erschienen ist. 

Ich füge ferner zwei Arbeiten über Sputumdesinfektion von Schröder-Schömberg 
aus der Zeitschrift für Tuberkulose aus den Jahren 1908/09 bei. Dr. Schröder, 
ein auf dem Gebiete der Tuberkulose erfahrener Praktiker, hatte bereits früher einen 
Sputumdesinfektionsapparat in der von ihm geleiteten Anstalt aufgestellt. 

Schon aus diesen wenigen Angaben ist ersichtlich, daß viele Jahre vor dem 
Unfall in H. im Jahre Igıı die Sputumdesinfektionsapparate Eingang in die Tuber- 
kuloseanstalten gefunden hatten, und daß die Speigläserreinigungsvorrichtung, wie sie 
ıgıı in der H. Kinderheilanstalt bestand, nicht dem damaligen Stande der Technik. 
und Hygiene entsprach, 

Ich füge einen Katalog der Firma Tautenschläger zur Veranschaulichung der 
Apparate bei, da diese Firma in den verschiedensten Anstalten Sputumdesinfektions- 
apparate aufgestellt hat. 

Nicht unerwähnt soll hier bleiben, daß trotz der technischen Fortschritte in 
der Desinfektion der Speigläser und Speiflaschen noch heute in verschiedenen An- 
stalten und Volksheilstätten Apparate zur Desinfektion der Taschen-Speiflaschen nicht 
aufgestellt wurden, und zwar aus folgendem Grunde Diese Anstalten verfolgen 
nicht nur die Behandlung, sondern auch die Erziehung ihrer tuberkulösen Insassen, 
damit sie nach ihrer Entlassung im gebesserten, relativ geheilten Zustand wissen, 
wie sie sich und ihre Umgebung vor Ansteckung zu schützen haben. Dazu gehört 
auch die Vernichtung ihres Auswurfs, resp. die Reinigung der Speiflaschen, sobald 
die Kranken solche noch oder wieder im Gebrauch haben. Die Patienten sollen 
also in der Anstalt unter sachkundiger Leitung die Reinigung gelernt und durch 
tägliche Übung sich für die Zukunft zu eigen gemacht haben. 

Geheimrat Flügge, der Berliner Hygieniker, sagt sehr richtig in seinem 1908 er- 
schienenen Werk über die Verbreitungsweise und Bekämpfung der Tuberkulose, „daß 
das Erhitzen der Spuckgefäße in Wasser oder Dampf in Privatwohnungen und 


BI HENES: ZUR FRAGE DER SPUTUMDESINFEKTION, 353 


namentlich in ärmeren Kreisen nicht durchführber ist“, und empfiehlt daher ver- 
brennbare Taschenspuckgefäße. Da diese aber noch wenig Eingang gefunden haben, 
und die Kranken an ihre Anstalts-Speiflaschen gewöhnt sind, so ist es zweckmäßig, 
daß sie die Reinigung derselben selbst in der Anstalt geübt haben. Aus diesem 
Grunde ist nichts dagegen einzuwenden, daß in solchen Anstalten von einer all- 
gemeinen Reinigung der Speiflaschen Abstand genommen wird, zumal das Sputum 
ja durch Verbrennung oder Desinfektion vernichtet wird, und zumal die Angestellten 
der Anstalt nicht durch die Reinigung der Speiflaschen gefährdet sind. In kleineren 
Tuberkuloseanstalten wird wohl noch manchmal die. Reinigung der Speiflaschen von 
tuberkulösen Wärtern besorgt, die aus der Anstalt hervorgegangen sind und sich für 
diesen Dienst bereit erklärt haben. 

In Kinderheilstätten dagegen, wo eine solche hygienische Erziehung schwieriger 
durchzuführen, und die Reinigung der Speiflaschen aus diesem Grunde dem Personal, 
und noch dazu Krankenschwestern und deren Helferinnen obliegt, muß unter allen 
Umständen eine Desinfektionseinrichtung getroffen werden, die jede Gefahr für die 
Angestellten ausschließt. Und hierfür dürften lediglich die Sputumdesinfektions- 
apparate in Frage kommen, wie sie seit Jahren in den Anstalten eingeführt sind, 
und wie ein solcher nach dem Unfall in H. Aufstellung gefunden hat. 


. 
SERIE 


Zeitschr. f. Tuberkulose. 26. 23 


Ena 


l ie aea , ZEITSCHR.: £ 
C. HART, eo j TUBERKULOSE 


354 


Sitzung der Berliner medizinischen Gesellschaft vom 24. Nov. 1915. 


zn Virchow: Ein phthisischer Thorax nach Form. (Berl. klin. Woehschr. 
I915, Nr. 51,5. > u. 1316.) : 


Besprochen von C. Hart. 


Der Virchowsche Vortrag steht in enger Beziehung zu der von mir kürzlich 
in dieser. Zeitschrift veröffentlichten Artikelreihe; in der ich Betrachtungen über die Ent- 
stehung der tuberkulösen Lungenspitzenphthise anstellte. Er dürfte um so mehr: Inter- 
"esse erwecken, als wir hier den ersten veröffentlichten Versuch einer peinlich genauen 
‚Rekonstruktion des Phthisikerthorax vor uns haben, die ganz zweifellos großen Lehr- 
und vielleicht noch größeren Forschungswert besitzt. Mit dem Hinweis auf die:Er- 
'fahrungen der Kliniker kann der Wert eines solchen einzelnen Präparates nach meiner 
-Meinung nicht herabgemindert..werden, :denn es ist eine Verkennung der Sachlage, 
wenn Virchow meint, daß „dem erfahrenen Arzte hunderte von Fällen zur Verfügung 
stehen“, weil, wie ich nur immer wieder betonen kann, diese Fälle nur unter einem 
sehr subjektiven Urteil des äußeren Anblickes stehen und so wenig exakt gemessen 
sind und werden konnten, in ihrer pathogenetischen Bedeutung so wenig klar ein- 
gesehen worden sind, daß an diesem Mangel bis heute das Problem des Thorax 
phthisicus schwer leidet. Ich brauche nur auf meine verschiedenen Abhandlungen 
zu verweisen, aus denen deutlich hervorgeht, daß es sehr verschiedene Formen 
(nach ihrer feineren Zusammenset2ung und Mechanik) des Brustkorbes gibt, die 
trotz mannigartiger Bedingtheit doch namentlich bei oberflächlicher Beurteilung den 
Eindruck eines phthisischen Thorax erwecken. Wir können diese Thoraxformen 
gar nicht scharf genug analysieren und auf Grund meiner langjährigen, durch Freund 
angeregten und auf seiner Lehre sich aufbauenden Thoraxstudien kann ich Virchow 
nur voll und ganz darin beistimmen, daß die normale Anatomie nicht nur ein An- 
recht, sondern in gewissem Sinne sogar die Pflicht hat, sich um den phthisischen 
Thorax zu kümmern. Denn darin besteht bei mir gar kein Zweifel, daß der wahre 
Thorax phthisicus nicht durch pathologische Veränderungen der Lungen bedingt 
wird, sondern umgekehrt auf ihre Entstehung bestimmend einwirkt kraft der’ ihm 
eigenen, in diesem Sinne primären, morphologischen und funktionellen Eigenschaften. 
Ja ich glaube sogar, daß man den Anatomen auf ein ganz bestimmtes Problem 
hinweisen darf, nämlich auf das der ersten Rippe, die in ihrer Sonderstellung zuerst 
von Freund gewürdigt worden ist. Zwar haben wir wohl die phyletische Form- 
gestaltung der oberen Apertur, die Bedeutung des Erwerbes eines aufrechten Ganges 
und freien Gebrauches der Arme im großen und ganzen seither richtig verstanden, 
aber die feste, d. h. gelenklose Verbindung der ersten Rippe mit dem Brustbein 
und ihre Bedeutung für die Mechanik der Atembewegungen dürfte noch immer ein 
reizvolles Forschungsgebiet sein. 

Virchow hat den Thorax nach folgendem Verfahren zusammengestellt: „Die 
Leiche wird mit einer hinreichenden Menge von Alkohol und Formalin durch die 
Arterien eingespritzt, einige Wochen liegen gelassen, bis sie absolut starr geworden 
ist, darauf Kopf, Arme und Schultergürtel entfernt, die untere Körperhälfte durch 
einen Horizontalschnitt oberhalb des Beckens abgetrennt, die Baucheingeweide, mit 
Ausnahme der Leber, herausgenommen, der Raum unter dem Zwerchfell mit Gips 
so reichlich ausgefüllt, daß dieser einen Klotz bildet, auf welchem der Thorax auf- 
recht stehen kann, die Weichteilbedeckung des Thorax abgenommen, jedoch mit 
Erhaltung der Zwischenrippenmuskeln; das Periost und Perichondrium von Brust- 
bein, Rippen und Wirbeln abgeschabt, Gipsabguß von dem Thorax. ringsherum ge- 
nommen. Dann werden die Knochen ausmazeriert, in die Gipsform hineingepaßt 
und in dieser zusammengefügt.“ 


BD. 5. EIN PHTHISISCHER THORAX NACH FORM. 355 


' Es dürfte in der Tat kaum ein besseres Verfahren geben, einen Thorax genau 
nach Form zusammenzusetzen, aber es ist eine langwierige Arbeit, und wenn man 
berücksichtigt, wie selten einem die volle Verfügung über eine Leiche gegeben ist, 
so sieht man, daß vielleicht erst in einem oder mehreren Jahrzehnten ein größeres 
Material, wie es ganz unerläßlich für die Beantwortung der einzelnen Fragen ist, 
zusammengebracht wäre. Der Anatom ist dabei noch besser daran als der: patho- 
logische Anatom, der stets vielerlei Rücksichten zu nehmen hat. Wenn ich selbst 
auch auf dem Standpunkte stehe, daß genaues Studium frischen Materiales hin- 
reichenden Aufschluß geben kann, so habe ich doch mehr und mehr erkannt, daß 


der zu berücksichtigenden anatomisch-funktionellen Korrelationen so viele sind, daß 


man durch das Vergessen eines Maßes manchmal um alle Mühe gebracht werden 
kann. Mich nimmt ein einziger Fall zuweilen viele Stunden in Anspruch und die 


endgültige Aufarbeitung kann sich über Tage hinziehen. So ist es denn auch mein 


Wunsch gewesen, Thoraces nach Form zu gewinnen, wobei ich mich des folgenden 
Verfahrens seit einigen Jahren bedienee Der Brustkorb wird unseziert ausgelöst 
und mit daran haftender Muskulatur in ıo°/, Formalinlösung gelegt, bis er voll- 
ständig gehärtet ist. Die Brustorgane können und sollen zu geeigneter Zeit schon 
vorher nach Wegnahme des Zwerchfelles entfernt werden. Geschieht das vorsichtig, 
so glaube ich nicht, daß der Thorax sich über die einmal gewonnene exspiratorische 
Gleichgewichtslage hinaus verändert, und sollte das doch geschehen, so kann es 
sich nur um eine ganz belanglose, für den Zweck des Verfahrens keine Rolle 
spielende Veränderung handeln. Am wichtigsten ist, daß die Rippenwirbelgelenke 
gut fixiert werden. Nach 'genügender Härtung wird der Thorax in fließendem 
Wasser gewässert, die Muskulatur, Periost und Perichondrium abgeschabt, soweit es 
erlaubt ist, und nun sofort eine sorgfältige Messung vorgenommen. An dem 
weiterhin mit Schellack überzogenen Thorax schrumpfen nämlich nun besonders 
die Rippenknorpel, so daß man sich vorher sein Urteil bilden muß. Die nach 
diesem Verfahren gewonnenen Thoraces geben ein so anschauliches und auch 
ziemlich genaues Bild, daß ich im wesentlichen befriedigt gewesen bin. Dabei will 
ich noch erwähnen, daß man an den gehärteten Thoraces vor der Präparation 
ebenso wie an Gefrierstücken (Ponfick) mit großem Vorteil Schnitte in verschiedenster 
Lage anlegen kann und damit ein schönes topographisches -Bild gewinnt. Wenn 
natürlich dabei auch der Thorax verloren geht, so wird durch dieses Vorgehen 
doch ein wertvolles Urteil namentlich über die Topographie der Lungenspitzen ge- 
wonnen. Deren Lage ist aber im Kindesalter eine andere als bei Erwachsenen, 
was, wie ich früher betont habe, von größtem Werte für die Lehre von der mecha- 
nischen Disposition zur tuberkulösen Phthise ist. 

Doch kommen wir nach diesen kurzen technischen Bönsikonren auf den 
von Virchow dargestellten Thorax zurück, den uns außer den angegebenen Maßen 
namentlich vier Abbildungen anschaulich machen. Wie Virchow mit Recht be- 
tont, tritt das „Hängende“ des Phthisikerbrustkorbes deutlich hervor, das lange 
Brustbein, die seitliche Zusammendrängung der Rippen bei weiten vorderen Inter- 
kostalräumen, die Bildung des tiefsten Punktes der unteren Brustapertur durch den 
Knorpel der zehnten Rippe (beim wohlgebildeten Vergleichsthorax durch das vordere 
Ende der zwölften Rippe), der spitze Rippenknorpelwinkel. Damit ist freilich im 
wesentlichen das Auffällige erschöpft, denn ich glaube, daß die genauen Zahlen im 
Verhältnis zum Vergleichsthorax deshalb nicht zum Ausgang weiterer Betrachtungen 
gemacht werden können, weil dieser einem nicht weniger als ıı cm kleineren Indi- 
viduum entstammt. Was aber hier das Wichtigste ist, das ist der Umstand, daß 
die obere Apertur als wohlgebildete anzusprechen ist und infolgedessen die Be- 
zeichnung Thorax phthisicus nicht der von Harraß und mir aufgestellten Forderung 
entspricht. Damit erübrigen sich aber teilweise die weiterhin von Virchow ge- 
machten Bemerkungen, auf die noch einzugehen sein wird. 


Ich wundere mich, daß Virchow sich nun nicht die Frage vorgelegt hat, 


23” 


C. HART.: ZEITSCHR. f. 


356 TUBERKULOSE 


wie denn das „Hängende“ des dargestellten Phthisikerbrustkorbes zu erklären sei, 
obwohl er selbst sagt „das Interesse, welches der phthisische Thorax bietet, bezieht 
sich ganz besonders auf seine Genese, nicht nur weil die Frage der Kausalität dem 
intellektuellen Bedürfnis am meisten entspricht, sondern auch weil sich. daran die 
Erwägung knüpft, ob es durch zweckmäßige nn möglich ist, das Zustande- 
kommen der Erkrankung zu verhindern“. 

Da Virchow zu meiner Freude dem von mir und Harraß belassen 
Atlaswerk „Der Thorax phthisicus“ Anerkennung zuteil werden läßt, so wäre er vielleicht 
vorteilhafterweise zunächst unserem Versuche gefolgt, nach den rein morphologischen 
Merkmalen den dargestellten Thorax zu rubrizieren. Im Referat kann. das nicht ge- 
schehen, aber ich weise auf die ganz außerordentliche Neigung der an sich nicht steno- 
sierten Apertur gegen die Horizontale, die sehr deutliche Kyphose. (runder Rücken) der 
oberen Brustwirbelsäule bei leichter Skoliose hin und möchte die Vermutung aussprechen, 
daß wir es hier garnicht mit einem Thorax phthisicus, sondern mit einem Thorax 
asthenicus zu tun haben. Die abnorme Neigung der Apertur dürfte zweifellos eine 
Folge der Wirbelsäulenkriümmung sein. Am anatomischen Präparat ist natürlich 
kaum darüber eine Entscheidung zu treffen, ob diese Asthenie eine primäre oder 
sekundäre war, wenn auch aus der Länge des Brustbeines. geschlossen werden könnte, 
daß das Individuum von Haus aus asthenisch und somit zu einer ganzen Reihe 
von Krankheiten veranlagt war. Es sei auf die Arbeiten Stillers verwiesen. Hier 
zeigt sich, wie recht Virchow daran tat, zu betonen, wie unbehaglich es für einen 
Anatomen sein muß, garnichts von der ‚Anamnese und Krankheitsgeschichte der 
Personen zu.wissen, und dem Wunsche Ausdruck zu geben, daß sich für Arbeiten 
dieser Art der Kliniker und der Anatom zusammenfinden möchten. Vor allem, 
was ich oft.und stets hervorgehoben habe: es fehlt die Familiengeschichte! Und 
welcher Arzt hat in der Großstadt wohl noch viel Gelegenheit, die zu lesen und 
nutzbar zu machen? So geht eine unschätzbare Kunst verloren, während die Zahl 
der Instrumente und Untersuchungsmethoden ständig wächst, die Kunst, „das In- 
dividuum als Teil seiner Familie und als Ergebnis seines Lebenslaufes in jedem 
Augenblicke richtig zu beurteilen, mit anderen Worten, das zu erkennen und zu 
berücksichtigen, was die Alten ererbte und erworbene Konstitution, Krase, Dis- 
position, Diathese, Idiosynkrasie usw. genannt haben“ (Sticker) Doch da leidet 
Virchow nachgerade mit uns allen. 

Der andere Fehler liegt aber bei Virchow selbst, da er vergessen hat, daß 
Phthisikerthorax und Thorax phthisicus keineswegs sich decken. Er hat ja selbst 
betont, daß bei tuberkulöser Lungenphthise der‘ Brustkorb sehr wohlgeformt sein 
kann, er wird auch leicht die Beobachtung machen können, daß trotz schwerer 
Bildungsstörung des Brustkorbes — wobei ich von der rachitischen Kyphoskoliose 
absehe — die Lungen völlig gesund sein können, worauf: Freund, ich selbst und 
andere immer wieder hinweisen, aber das hat er noch nicht feststellen können, daß 
Thoraces von dem gleichen äußeren Anblick seines nach Form zusammengesetzten 
Thorax sehr verschiedenen morphologischen Bau, eine sehr verschiedene Mechanik 
haben können. Hier klafft die Lücke, auf die v. Hansemann in der Diskussion 
aufmerksam machte. Da der von Virchow dargestellte Thorax nach meiner De- 
finition somit ein Thorax asthenicus ist, so haben naturgemäß die weiteren Aus- 
führungen über die obere‘ Apertur, die ersten Rippenknorpel (Lehre Freunds) wenig 
Wert. Aber gerade die in ihnen enthaltene Negation gibt gute See das 
Problem der mechanischen Spitzendisposition zu beleuchten. 

Virchow geht zunächst auf die funktionelle Kausalität des phthisischen T pon 
ein. „Es scheint mir zweifellos, daß auf funktionellem Wege, d. h. durch alle die 
unbewußten und bewußten Maßregeln, welche man unter der Bezeichnung Thorax- 
gymnastik zusammenfassen kann, die Gestalt des Thorax beeinflußt werden muß. 
Ich habe öfters von Sängerinnen gehört, daß sich durch Atem- und Singübungen 
die Gestalt ihres Brustkorbes wesentlich verändert habe, und in der Tat zeichnen 


| BD. a PEET 5. EIN PHTHISISCHER THORAX NACH FORM. 357 


sich ja solche Künstlerinnen häufig durch sehr gut entwickelte Brustkörbe aus. 
Wenn dies für den normalen Thorax gilt, so kann nicht bezweifelt werden, daß es 
auch für den phthisischen Habitus Anwendung findet, vor allem, wenn eine ratio- 
nelle Beeinflussung schon im Kindesalter beginnt: Auch Hart und Harraß 
sprechen sich hofinungsvoll über den Nutzen einer orthopädischen Behandlung und 
eines rationellen Turnunterrichts aus, erwarten sogar von derartigen Maßnahmen 
viel, scheinen aber diese Erwartungen auf den erworbenen Thorax phthisicus zu 
beschränken. Demnach bestreiten die genannten Autoren, falls ich die angeführte 
Stelle richtig verstehe, daß auch derjenige Thorax phthisicus, welcher angeboren ist, 
bzw. zu welchem die- Disposition angeboren ist, auf gymnastischem Wege beeinfluß- 
bar ist. Für eine derartig strenge Unterscheidung ist wohl die Auffassung be- 
stimmend, welche die Autoren von der fundamentalen Bedeutung der ersten Rippe 
für die Thoraxbewegung haben“. 

Auf diese Sätze darf wohl zunächst mit dem Hinweise geantwortet werden, 
daß die Bedeutung der Atemgymnastik und eines rationellen Turnunterrichtes für 
die Bekämpfung des in der Anlage angeborenen wie des erworbenen Thorax phthi- 
sicus nach meinen Anschauungen im wesentlichen die gleiche ist. Eine besondere 
kleine Schrift habe ich diesem Gedanken gewidmet, für den ich oft warm einge- 
treten bin. Bedeutet die Bekämpfung des erworbenen Thorax phthisicus seine Ver- 
meidung oder den Ausgleich schon entstandener Verbildungen, so ist die Be- 
kämpfung der angeborenen Anlage gegeben in einer Unterstützung und Kräftigung 
physiologischer Bildungs- und Wachstumsrei?e an von vornherein besonders ge- 
fährdeter Stelle. Die phyletische Thorax- und Aperturentwicklung beim Menschen 
gibt uns die Richtschnur an die Hand. Daher namentlich auch eine kräftige und 
zweckmäßige Betätigung der Arme und des Schultergürtels von mir gefordert wird. 

Darin aber hat Virchow in der Tat recht, daß ich dem ersten Rippenringe 
eine im gewissen Sinne beherrschende Stellung ganz wie W. A. Freund einräume 
und daß mir jede Maßnahme den Hauptzweck im Auge haben soll, die obere 
Thoraxapertur zu weiten, zu heben, in ihrer Funktion zu kräftigen. Weil ich mit 
Freund, v. Hansemann u.a. überzeugt bin, daß der nahezu gesetzmäßige Beginn 
der tuberkulösen Phthise in den Lungenspitzen eine lokale und individuelle Be- 
dingtheit hat, die mir bisher allein ein morphologisch-funktionelles Mißverhältnis im 
Bereich der oberen Thoraxapertur erklärbar zu machen scheint. Ich verweise auf 
die kürzlich veröffentlichten Aufsätze. . 

Nun bin ich ja darin mit Virchow völlig einig, daß es förderlich ist, auf die 
eigenartige Stellung der ersten Rippe gegenüber den unteren Rippen nachdrücklich 
hinzuweisen. Ich sagte ja auch schon, daß das Problem des. obersten Rippenringes 
ein wichtiges Forschungsobjekt für den normalen Anatomen sein dürfte. Mir selbst 
schien bisher im Bau und in der Verbindung des ersten Rippenringes mit dem 
Thorax eine vollendete Zweckmäßigkeit zum Ausdruck zu kommen und auf alle 
Einwände hin haben mich ‘meine Überlegungen doch immer wieder zu einer An- 
erkennung der Freundschen Auffassung geführt. Wenn ich von einer Beherrschung 
der Thoraxfunktion durch die obere Apertur gesprochen habe, so bedeutet das doch 
noch nicht funktionelle Alleinherrschaft. Bei unserer allgemein verflachten Atmung 
bleibt der erste Rippenring fast still liegen, die unteren Rippen werden also allein 
bewegt, aber jede kräftige Inspiration setzt eine Funktion der oberen Apertur voraus 
und diese allein kann nicht ausgeübt werden, ohne. daß auch untere Rippen ge- 
hoben werden oder, besser gesagt, in Funktion treten. Daß über erkrankten Be- 
zirken eine Abschwächung bzw. Ruhigstellung der Atembewegung stattfindet, die 
übrigens nur bei wenig kräftiger Thoraxbewegung überhaupt möglich ist, entspricht 
unserer Erfahrung von Muskelspasmen über erkrankten peripheren Gelenken und 
Knochen, am Abdomen usw. Bei Pottenger finden sich hierüber genauere An- 
gaben. Dieser Spasmus aber zeigt uns nichts Physiologisches, er ist ein krampf- 
‚artiger Zustand einer Hemmung physiologischen Geschehens. . Im übrigen aber, um 


ZEITSCHR. f, 
358 C. HART. TUBERKULOSE 


— a a a 


nun auch auf die von Virchow erörterte morphologische Kausalität zu sprechen 
zu kommen, wird man kaum leugnen können, daß die feste Verbindung der ersten 
Rippen mit dem Brustbein für die Gesamtgestaltung des Thorax notwendigerweise 
in weitgehendem Maße bestimmend sein muß. So muß von der Neigung der 
Apertur zweifellos das „Gehobene“ oder „Hängende‘“ des Brustkorbes abhängig 
sein, soweit nicht andere Momente wie abnorme Wirbelhöhe bestimmend wirken. 
Man sehe sich nur den von Virchow dargestellten Thorax an: Die oberste Brust- 
wirbelsäule ist kyphotisch gekrümmt, Apertur und nächste Rippenringe noch sind 
nach vorn gedrängt und der fest fixierte erste Rippenring stemmt förmlich das 
Brustbein und damit zugleich alle unteren Vorderrippenenden nach abwärts. Was 
wir hier als primäre Kraft auf den ganzen obersten Thoraxabschnitt wirken sehen, 
das vermag nicht selten die Deformierung des ersten Rippenringes allein. 

Den Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben, wollte man die jeweilige Form 
des Thorax grundsätzlich von der oberen Apertur abhängig sein lassen, bin ich 
durch meine Definition des Thorax phthisicus aus dem Wege gegangen. In seiner 
pathogenetischen Bedeutung ist er für mich keinesfalls durch seine Gesamtform be- 
stimmt, sondern durch eine lokale Besonderheit, die Stigma und disponierendes 
Moment zugleich ist und allein maßgebend für die Lehre von der mechanischen 
Spitzendisposition zur tuberkulösen Phthise. Ich meine doch auch, daß ich meine 
Anschauungen über die Vererbung der Anlage zur tuberkulösen Phthise so klar 
dargelegt habe, daß mir Einseitigkeit nicht vorgeworfen werden kann. Eine kleine 
lokale Bildungsstörung oder -hemmufg ist nur eine Teilerscheinung im Rahmen 
der Gesamtkonstitution, aber sie kann dominieren und das Gepräge des letzteren 
bestimmen. In diesem Sinne deute ich die in der Anlage angeborenen Apertur- 
anomalien. | 

Wie sehr ich bemüht gewesen bin, nicht zu schematisieren, geht aus dem 
Bestreben hervor, Thoraxformen von gleichem äußeren Anblick je nach ihrem Bau 
und ihrer morphologischen Bedingtheit in Gruppen von recht verschiedener patho- 
genetischer Bedeutung einzuteilen. Und da ich dabei selbst betont habe, daß die 
Konfiguration des Brustkorbes von dieser oder jener Komponente maßgebend be- 
einflußt werden kann, so will ich gern den Ausspruch Virchows unterschreiben, 
daß die individuellen Gestalten der Brustkörbe viel zu mannigfaltig sind, als daß 
die Vorstellung einer sklavischen Abhängigkeit derselben von der Gestalt der ersten 
Rippe zu ihrer Erklärung genügen könnte. Eine solche Vorstellung hat auch 
Freund keineswegs gehabt. 

Virchow kommt weiterhin auf die Verknöcherung des ersten Rippenknorpels 
und die von Freund über sie geäußerte Anschauung zu sprechen. Offenbar hat 
er nur die sogenannte scheidenförmige Verknöcherung im Auge, die wir in seinem 
vorgestellten Falle in erster Linie deshalb- vermissen, weil der Knorpel von normaler 
Länge und das Individuum jung ist. An sich ist die Frage der Knorpelverknöche- 
rung, die in der Diskussion eine Rolle spielte, von sekundärer Bedeutung insofern, 
als sie auf die Konfiguration des Thorax weder von Einfluß ist noch sich aus- 
schließlich bei einer bestimmten Form des Brustkorbes findet. Aber als ein die 
Mechanik der Apertur schädigendes Moment gewinnt sie erhebliche Bedeutung für 
das Problem der Phthiseogenese. Ich meine, wir sind uns klar darüber, daß die 
Verknöcherung des ersten Rippenknorpels sich weder auf diesen allein beschränkt 
noch ausschließlich am Phthisikerthorax vorkommt, daß wir der Verknöcherung aber 
um so eher und in so ausgedehnterem Maße begegnen, je älter das Individuum, 
je kürzer der Knorpel und um so höher also seine funktionelle Inanspruchnahme 
ist. Aus solchen Beobachtungen müssen wir doch wohl den Schluß ziehen, daß 
ein bestimmter, mit der Zeit und je nach den anatomischen Verhältnissen sich 
schneller oder langsamer summierender Reiz den periostalen Verknöcherungsprozeb 
anregt und unterhält. Nach der Lehre Freunds handelt es sich um eine durch 
größere Inanspruchnahme des Knorpels bedingte ossifizierende Perichondritis. 


BD. 25, HEFT 5. EIN PHTHISISCHER THORAX NACH FORM. 359 


Virchow möchte eine solche Kausalität ablehnen vor allem, weil er nicht glaubt, 
„daß durch die Tätigkeit der Inspirationsmuskeln eine so gewaltsame Drehung des 
Knorpels hervorgerufen werde, daß daraus eine zur Perichondritis führende Zerrung 
des Bindegewebes hervorgeht,“ zumal man nirgends sonst. im Körper eine derartige 
Bindegewebsverknöcherung infolge mechanischer Beanspruchung sehe. „Ich möchte 
daher ehier glauben“, sagt Virchow, „wenn ich mir in dieser Frage ein Urteil er- 
lauben darf, daß für die erwähnte Verknöcherung am ersten Rippenknorpel zwei 
andere Umstände in Betracht kommen: erstens eine von. der erkrankten Pleura 
fortgeleitete Erkrankung des dem Rippenknorpel anliegenden Eindegewebes und 
zweitens gerade eine größere Ruhestellung der ersten Rippe“. 

Beides ist bekanntlich schon von anderen Autoren früher behauptet worden. 
Ich verweise -auf ‘meine Aufsätze und beschränke mich auf die Bemerkung, . daß 
der periöstale Verknöcherungsprozeß auf der der Lunge abgewandten Seite beginnt 
und so nicht selten bei völlig gesunder Lunge und Pleura gefunden wird, in dieser 
Hinsicht sich also zweifellos als primär erweist, daß ferner der Befund bei lungen- 
gesunden Personen mit manchmal berufs- und gewohnheitsmäßig erhöhter Atem- 
tätigkeit lehrt, wie wenig ätiologisch eine Ruhigstellung der ersten Rippe für die 


“ mantelartige Verknöcherung zu bedeuten haben kann. Anderenfalls. sollten: wir o> 


schleunigst mit den Liegekuren aufräumen. _ 

Die weiteren Bemerkungen Virchows über die wechselnde Höhe der Wirbel- 
körper, die Länge des Manubrium sterni, die Weite der Interkostalräume, die Rippen- 
gelenke und Aperturmaße lassen erkennen, mit welch umfassendem Blick Virchow 
den: Thorax: phthisicus zu behandeln gesucht hat. Es ist ja auch kaum einer so 
wie er imstande, die Schwierigkeiten, die das Thoraxproblem noch heute bietet, zu 
überwinden, .und deshalb ist Virchows Versuch einer genauesten Darstellung des 
Thorax phthisicus freudig zu begrüßen in der Hoffnung, daß er fruchtbringend 
wirkt. Alle Einwendungen, die ich zu machen hatte, mögen aber eine meines Er- 
achtens von Virchow viel zu wenig berücksichtigte Tatsache als Grundlage aller 
weiteren Thoraxforschung hervorheben, nämlich die, daß der Thorax des Phthisikers 
noch lange kein Thorax: phthisicus zu sein und umgekehrt ein Thorax phthisicus 
sich nicht nur bei tuberkulöser Lungenphthise zu finden braucht. Verschieden be- 
dingte Thoraxformen von gleichem. äußeren Anblick gibt es; sie haben schon zu 
vielen Täuschungen des Urteils geführt und nur eine sorgfältige Analyse jeder 
Einzelform kann uns der wahren Erkenntnis der: Wechselbeziehungen zwischen 
Brustkorbform und Lungenzustand entgegen führen. Die Zukunft muß lehren, ob 
der mühsame, von Virchow beschrittene Weg. zum Ziele führen kann. 


360 


REFERATE. 


ZEITSCHR. f. 
TUBERKULOSE 


JI. REFERATE ÜBER BÜCHER UND AUFSÄTZE, 


Krieg und Tuberkulose.!) 


F. Köhler: Die Tuberkulose und der 
Krieg. (Concordia, Ztschr. d. Zentral- 
stelle für Volkswohifahrt, 22.Jahrg. 1915, 
Nr. 23, S. 401.) 

Der Krieg stellt die Lehre von der 
Tuberkulose vor neue Erfahrungen und 
Aufgaben. Er versetzt die Männer aus 
dem Erwerbsleben in das Heer und läßt 
viele Reibungen zwischen Industrie und 
Hygiene zurücktreten. Die Sorge für das 
gesundheitliche Wohl des Volkes bekommt 
dadurch eine andere Richtung. Der 
Kriegsfürsorge bedürfen vor allem die 
Familien, deren Ernährer und Erzieher 
draußen sind, zum Teil verwundet werden 
und fallen: die Frauen, deren Pflichten 
wachsen, die körperlich und seelisch mehr 
als im Frieden in Anspruch genommen 
werden, und die heranwachsenden Kinder. 
Diese bilden die Zukunft des Volkes und 
müssen jetzt besonders gegen Tuberku- 
lose und gegen mangelhafte Ernährung 
geschützt werden. 

Bei den im Felde stehenden Män- 
nern ist die Entstehung frischer Tuber- 
kulose selten. Köhler legt dabei einer 
den meisten Menschen durch Unterstehen 
einer Kindheitsinfektion zuteil werdenden 
Immunität das Hauptgewicht bei. Die 
geringere Ansteckungsgelegenheit im Felde 
und die von K. später sehr anschaulich 
geschilderte Erhöhung der Widerstands- 
fähigkeit, die das Leben im Felde für 
viele bedeutet, werden hier nicht erwähnt. 
— Daß es unter den Soldaten solche mit 
leichter, beginnender Tuberkulose gibt, 
ist nicht zu bezweifeln. Eine Gefahr für 
die Kameraden bilden solche geschlos- 
senen Tuberkulosen nicht. Vielen von 
ihnen schadet der Krieg nichts, im Gegen- 
teil, er härtet sie körperlich und seelisch 
ab und hebt ihre Widerstandsfähigkeit. 
Andere sind den anstrengenden Märschen, 
den Einflüssen von Staub, Hitze, Kälte, 
Wind und Nässe, den Erschütterungen des 
Nervensystems auf die Dauer doch nicht 


1) S. auch S. 391 ff. 


| 


gewachsen. Dafür, daß früher wegen 
Tuberkulose mit Erfolg Behandelte 
den Anforderungen des Kriegsdienstes voll- 
ständig genügen können, liegen zahlreiche 
Beispiele vor. 

Für das Schicksal der leichten frischen 
und der alten, früher erfolgreich behan- 
delten Fälle sind die Art der Tuberkulose 
und die Körperbeschaffenheit des Einzel- 
nen von Bedeutung. Sobald Krankheits- 
zeichen auftreten, muß der Mann so schnell 
wie möglich in Lazarettbehandlung 
gebracht werden, am besten in eine Heil- 
anstalt. Die Medizinalabteilung des Kriegs- 
ministeriums trägt diesem Grundsatz in ' 
weitgehender Weise Rechnung. Die Für- 
sorge des Kriegsministeriums und die 
des Deutschen Zentralkomitees zur 
Bekämpfung der Tuberkulose werden nach 
dem Kriege noch dringend notwendig sein. 
Für die Versorgung der aus dem Heeres- 
dienst entlassenen Lungenkranken haben 
Helm und Kayserling sehr gute Leit- 
sätze entworfen: Die Fürsorgeverhältnisse 
der von der Heeresverwaltung als tuber- 
kulös Überwiesenen sind frühzeitig zu er- 
mitteln, das Heilverfahren ist womöglich 
bis zum Höchstmaß des Erfolges auszu- 
dehnen, Wiederholungskuren sind zu ge- 
währen. Schwerkranke und Unheilbare 
sollen solange wie möglich in geeigneten 
Anstalten behandelt werden. Die Ange- 
hörigen sollen in der Wohnung vor der 
Ansteckung durch den zurückgekehrten 
Kranken geschützt, tuberkuloseinfizierte 
Kinder frühzeitig in Behandlung gegeben 
werden. Für die noch teilweise Arbeits- 
fähigen ist.eine Arbeitsvermittlung nötig. 

Brecke (Überruh). 


ArthurMayer: Tuberkulose undKrieg. 
(Das Rote Kreuz, Offiz. Ztschr. d. Bel- 
gischen Roten Kreuzes, 1915, Nr. 17.) 

Unter der Tuberkulose wird das Heer 
am wenigsten leiden, das seinen Bedarf 
mit gesunden, den Anstrengungen des Krie- 
ges gewachsenen Menschen decken kann. 

Deutschland steht in dieser Beziehung am 

günstigsten. Nach Sforza beträgt die Er- 

krankungsziffer für Tuberkulose auf 1000 

Mann der Iststärke: 


BD.25. HEFT 5. 
1916. 


im preußischen Heer 1,96 


„ englischen » 3:16 
„ russischen » 469 
„ französischen „ 7,30. 


Die Zahl der Tuberkulösen nimmt im 
deutschen Heer dauernd ab, im französi- 
schen und russischen aber nicht (v. Schjer- 
ning, sanitäts-statist. Betrachtungen über 
Volk und Heer, 1910). In Deutschland 
werden nur 53—55°/, der Dienstpflich- 
tigen eingestellt, in Frankreich 88—89°/,. 
Klagen über die Tuberkulosesterblichkeit 
inder Armee kehren im französischen Senat 
immer wieder. Während dieses Krieges 
muß Frankreich auch auf die Leute zurück- 
greifen, die im Frieden nicht unbedingt 
tauglich sind. Es muß also seinen Soll- 
bestand aus wesentlich schlechterem Ma- 
terial ergänzen, als Deutschland. Gerade 
die jungen, weniger geübten Menschen er- 
kranken unter den besonderen Anstren- 
gungen des Krieges am leichtesten, nach 
Schultzen (Die Bekämpfung der Tub. i. d. 
Armee. Internat. Tub.-Konf. 1905) stellen 
die im 2. Dienstjahr stehenden etwa !/,, 
die älteren Jahrgänge etwas über !/, aller 
Tuberkulösen. — Außer Anstrengungen 
können auch Traumen (Wunden und an- 
dere gewaltsame Einwirkungen) die Wider- 
standsfähigkeit herabsetzen und verborgene 
Tuberkulose zur Entwicklung bringen. 
Es werden also in allen Heeren.tuber- 
kulöse Kriegsteilnehmer vorhanden sein. 
Wennihre Zahlbei uns auch verhältnismäßig 
gering ist, so hat doch die Heeresverwaltung 
umfassend für sie gesorgt. In Lungenheil- 
stätten und Sonderabteilungen für Tuber- 
kulöse sind zahlreiche Betten für tuber- 
kulosekranke und verdächtige Soldaten frei- 
gehalten, die so schnell wie möglich dort- 
hin überführt werden müssen. Bei den- 
jenigen, die als dienstunbrauchbar aus dem 
Heeresdienst zu entlassen sind, wird vor- 
her dahin gewirkt, daß das Heilverfahren 
durch eine bürgerliche Behörde (Versiche- 
rungsanstalt) weitergeführt wird. Die un- 


günstigen Nachrichten über das französi- 


sche ‚Sanitätswesen lassen eine ähnliche 
Fürsorge in Frankreich nicht erwarten. 

Auch in der bürgerlichen Bevölkerung 
können verminderte Einnahmen und ver- 
schlechterte Lebensführung die Tuberku- 
lose begünstigen und die 30 Jahre lang 
mit Erfolg bekämpfte Gefahr wieder stärker 


REFERATE. 361 


hervortreten lassen (vgl. Helm, Krieg u. 
Tub., Tub.-Fürsorgeblatt 1914, Nr. 4). 
„Das Land, das trotz des Krieges am besten 
imstande ist, alle fürsorglichen Maßnah- 
men durchzuführen, wird die geringste Zu- 
nahme an Tuberkulosen nach dem Kriege 
zu beklagen haben.“ — Im Gegensatz zu 
Frankreich, wo die Dispensaires zu Be- 
ginn des Krieges geschlossen und nicht 
wieder geöffnet wurden, sind die ausge- 
zeichneten Einrichtungen Belgiens durch 
die Bemühungen des Generalgouverneurs 
zum guten Teil wieder in Tätigkeit getreten. 


Die belgische Liga zur Bekämpfung der 


Tuberkulose arbeitet nach Kräften zusam- 
men mit dem belgischen Roten Kreuz. 

In Deutschland ist durch Reichs- und 
Landesbehörden dafür gesorgt, daß lang- 
jährige Einrichtungen, besonders die Heil- 
stätten und Fürsorgestellen ihren Betrieb 
aufrechterhalten, und durch das Präsidium 
des Deutschen Zentralkomitees vom Roten 
Kreuz ist wiederholt auf die Notwendig- 
keit hingewiesen worden, während des 
Krieges die Tuberkulosebekämpfung nicht 
ruhen zu lassen, damit die Volkskrankheit 
nach dem Frieden im Innern nicht ein 
schlimmerer Feind wird, als der äußere 
war. Von besonderem Wert war die Grün- 
dung des Tuberkulose-Ausschusses bei der 


Abteilung für Kriegswohlfahrtspflege des 


Deutschen Zentralkomitees vom Roten 
Kreuz. Deutschland ist also auch im 
Kampfe gegen die Tuberkulose gerüstet 
und gesichert. Die Zahlen seiner Tuber- 
kulosesterblichkeit werden es später er- 
weisen. Die während des Krieges ge- 
leistete soziale Arbeit wird einen Maßstab 
für die sittlichen Kräfte der kriegführen- 
den Völker geben. Brecke (Überruh). 


M. Mosse: Nichtinfektiöse innere 
Krankheiten im Krieg und Frie- 
den. a med. Woehschr. 
: Nre 3, S. 63.) 

Von Lungenkrankheiten, im beson- 

deren der Lungentuberkulose, hat Mosse 

im Lazarett der Stadt Berlin in Buch 

schwere und schwerste Formen gesehen. 

Aber er läßt es dahingestellt, ob dieser 

oder jener Fall durch den Krieg als 


solchen ungünstig beeinflußt worden ist, 


daß er nicht auch im Frieden Zeichen 
der Progredienz geboten: hätte. Er er- 


Ig16, 


u 


innert an die anatomischen Untersuchungen 
des Wiener Pathologen Barthel, daß 
gerade das dritte Dezennium, d. h. das- 
jenige, in dem die meisten Kriegsteil- 
nehmer stehen, den höchsten Prozentsatz 
der chronischen offenen Tuberkulose ohne 
Heilungstendenz stellen, nämlich 41,6°/,. 
Auch für den Krieg dürfte — mutatis 
mutandis — der Satz zu Recht bestehen, 
den Verf. an anderer Stelle (Einfluß der 
sozialen Lage auf die Tuberkulose in 
Mosse-Tugendreich: Krankheit und 
soziale Lage) aufgestellt hat, ob der 
Tuberkuloseverlauf durch die soziale Lage 
beeinflußt würde, der Satz, daß es über- 
aus schwierig sei, im Einzelfalle eine 
Prognose der Tuberkuloseerkrankung zu 
stellen oder gar a posteriori zu sagen, 
unter anderen sozialen Verhältnissen wäre 
der Fall günstiger oder ungünstiger ver- 
laufen. Mosse zieht nach Möglichkeit 
das Röntgenverfahren heran, wenn es gilt, 
über Form und Ausdehnung der tuber- 
kulösen Herde Aufschluß zu gewinnen. 
Daß diaphragmatische Adhäsionen oft 
ebenfalls nur mit Hilfe der Röntgen- 
diagnostik zu erkennen sind, ist bekannt 
und naturgemäß bei Kriegsteilnehmern 
von Bedeutung für die Abschätzung und 
Bewertung subjektiver Beschwerden nach 
-= Brustschüssen. 

W. Kempner (Berlin-Lichterfelde). 


G. Schröder: Grundsätze der Ernäh- 
rungTuberkulöser mitbesonderer 
Berücksichtigung der Kriegszeit. 
(Internat. Zentralbl. f. d. ges.Tuberkulose- 
forschung, 1915, Heft ı2, S, 528.) 

Die für die Ernährung unseres Volkes 

im Kriege getroffenen großzügigen Maß- 

nahmen berücksichtigen neuere Erfahrun- 

gen darüber, daß es ohne Gesundheits- 
schädigung möglich ist, die Eiweißaufnahme 
stark einzuschränken und das Fett durch 

Kohlehydrate zu ersetzen. Aber die zahl- 

reichen Tuberkulösen beanspruchen hierbei 

eine Sonderstellung. — Der unterernährte 
tub. Kranke, bei dem toxischer Eiweißzerfall 
besteht, hat mehr Eiweiß in der Nahrung 
nötig als der arbeitende Gesunde. Außer- 
dem müssen mehr Fette und Kohlehydrate 
zugeführt werden, weil sie den Eiweißzerfall 
verhindern. Schröder hält für abgemagerte 
Kranke 150— 180g Eiweiß, 200— 250g 


REFERATE, 


ZEITSCHR. f. 
TUBERKULOSE 


Fett, 500—550 g Kohlehydrate für 
erforderlich, d. h. mehr als v. Noorden 
bei einer Mastkur verlangt. Aber auch nor- 
mal Ernährte sollen mehr Eiweiß und mehr 
Fett als gewöhnlich bekommen. — Das 
wichtigste ist das Fett, das für den Tuber- 
kulösen eine gewisse spezifische Wirkung 
hat. Ein Ersatz durch Kohlehydrate (für 
100 g F. 240 g K.) hat daher bei ihm 
gewisse Bedenken, zumal die K. den Darm 
des Kranken in unerwünschter Weise be- 
lasten. Die Tuberkulösen sollten daher 
auch bei den Fürsorgestellen täglich ı | 
Vollmilch (Ziegenmilch ist besonders fett- 
reich) und IOoo g tierisches Fett (Butter, 
Schmalz, Speck, auch Käse) erhalten. Für 
Lebertran und andere Fette wird das Geld 
besser angelegt als für sog. Antiphthisica. 
In der Neuen Heilanstalt in Schömberg 
ist die tägliche Gabe von tierischen Fetten 
auf 125 g vermindert worden. „Damit 
laßt sich gut auskommen. Es ist das feh- 
lende durch Kohlehydrate leicht zu 
ersetzen“, und zwar durch solche, die 
Magen und Darm nicht zu sehr belasten, 
Fruchtgelees, Dörrobst, leichte Mehlspeisen, 
Teigwaren, Gemüse. Auch die Kartoffel 
läßt sich mannigfach bekömmlich verar- 
beiten, dasKriegsbrot wird von den Kranken 
im Allgemeinen gut vertragen und hat den 
Vorzug, das Kauen wieder zu lehren. 
Gemüse, Salat, Obst sind wichtig. — Das 
Fleisch läßt sich einschränken. Fische 
sind wertvoll, Eier in nur geringer Menge 
nötig. Mehlspeise, Gemüse, Brot enthalten 
auch Eiweiß. Gelatine ist ein gutes Ei- 
weißsparmitte. Das Blut der Schlacht- 
tiere, das 17,3 /, Eiweiß, 0,5 °/, Fette 
und Lipoide enthält und gut ausgenutzt 
wird, ist zu verwerten (Kobert über die 
Benutzung von Blut als Zusatz zuNahrungs- 
mitteln, Rostock 1915). Außer Blutwurst 
und Blutsuppen sind die Blutmehle Bovi- 
san (Grotthoff), Sanol (Hofmeister) und 
Karnalbin (Fleisch - Ersatz- Zentrale Char- 
lottenburg) empfehlenswert. Andere Nähr- 
mittel (Malzpräparate, Sanatogen) sind nur 
ausnahmsweise nötig, Genußmittel sind 
einzuschränken. | Ä 

Der Aufsatz legt also kurz die Grund 
sätze der Ernährung von Tuberkulösen 
dar und will verhindern, daß diese bei 
der Ausführung der in der Kriegszeit er- 
lassenen Ernährungsvorschriften nach dem 


BD. 25, HEFT 5. 
1916. 


allgemeinen Maß gemessen werden. Die 
von Schröder verlangten Mengen von Ei- 
weiß, Fett und Kohlehydraten und die 
Kalorienzahl von 4585—5395 sind nach 
den Erfahrungen des Ref. etwas zu hoch 
gegriffen. Man kann sogar, wie Schröder 
es jetzt in seiner eigenen Anstalt tut, die 
tägliche Menge des tierischen Fettes, 
dessen besondere Bedeutung für die Tuber- 
kulosebehandlung durchaus anzuerkennen 
ist, ohne Schaden beträchtlich herabsetzen. 
Die Ratschläge über die Mittel, durch 
die Eiweiß und Fett ersetzt werden können, 
sind beachtenswert. 
Brecke (Überruh). 


Ottokar Horäk:- Zur Frage der Ver- 
sorgung der Tuberkulösen. (Wien. 
med. Wchsch. 1915, Nr. 50, Sp. 1850.) 

Es ist vorauszusehen, daß der Welt- 
krieg die Zahl der Lungentuberkulösen 
wesentlich vermehren wird, insofern durch 
die unvermeidbaren Überanstrengungen 
und sonstigen Schädigungen ruhende Herde 
in Tätigkeit gesetzt, verborgene zum Aus- 
bruche kommen. Diese vielen Lungen- 
kranken bedürfen natürlich einer sachge- 
mäßen Behandlung; da aber die Zahl 
der Lungenheilstätten in Österreich zu 
ihrer Unterbringung nicht ausreicht, so 
sollte die Heeresverwaltung neue errich- 
ten, die nachher im Frieden sicher gern 
von Vereinen, Krankenkassen u. dgl. in 
eigene Verwaltung übernommen würden. 

C. Servaes. 


Alfred Götzl-Reservespital Banjaluka: 
Krieg und Tuberkulosebekämp- 
fung. (Wien. klin. Wchschr. 1916, 
Nr. 3, S. 87.) 

Götzl glaubt, daß jetzt während 
des Krieges, wo eine weitere Ausbreitung 
der Tuberkulose zu erwarten ist, der 
Augenblick gekommen sei, den Kampf 
gegen die Tuberkulose — NB.: in Öster- 
reich! — auf eine breitere Grundlage zu 
stellen. Zu diesem Zwecke schlägt Verf. 
vor, daß am jeweiligen Sitze eines Er- 
gänzungsbezirkskommandos eine „Anstalt 
als Zentralstelle für Tuberkulosebehand- 
lung und -fürsorge“ gegründet, bezw. da- 
selbst schon bestehende Spitäler diesem 
Zwecke dienstbar gemacht werden. Außer- 
dem sollen aber Stadt und Land. mit 


REFERATE. 


363 


einem Netze von Fürsorgestellen über- 
zogen werden. „Diesen fallen alle jene 
Tuberkulösen zu, die einer Anstaltsbe- 
handlung zunächst nicht bedürftig sind 
(und das dürfte die Mehrzahl sein)“ 
(! ? Ref). Als Konsiliarstellen sollen die 
Zentralanstalten dienen. 
Diese Vorschläge sind nach des 
Ref. Ansicht undurchführbar bezw. un- 
zweckmäßig. „Spitäler“, selbst die best- 
gelegenen, namentlich aber solche, die 
sich am Sitze eines Ergänzungsbezirks- 
kommandos (also doch wohl in einer 
größeren Stadt) befinden, sind keine Lun- 
genheilstätten, weder nach Lage, noch 
nach Bau, noch der Einrichtung nach. 
Die Heilstätten sind aber das Rückgrat 
der ganzen Tuberkulosebekämpfung. Und 
wo sollte Österreich die vielen Spezial- 
ärzte hernehmen, die doch wohl die 
Leitung dieser Anstalten übernehmen 
müßten? Und ferner, die Fürsorgestellen 
sind — wenigstens in Deutschland, dessen. 
Einrichtungen Verf. sich zum Vorbilde 
genommen aus triftigen Gründen 
keine Behandlungsstellen. Würden sie es 
nach Götzls Vorschlag werden, so liefe 
dies doch darauf hinaus, daß die lungen- 
kranken Soldaten, die der Anstaltsbehand- 
lung nicht bedürftig wären (! Ref.) — s. 
oben! —, in die Heimat entlassen und 
von den daselbst praktizierenden Ärzten 
behandelt würden. Wo wäre denn da 
der Fortschritt gegen früher? In Deutsch- 
land werden sämtliche lungenkranke Sol- 
daten den Lungenheilstätten zugeführt 
und die Unheilbaren, soweit das nicht 
schon vom Lazarett aus geschehen, nach 
kürzerer oder längerer Heilstättenbehand- 
lung vom Heeresdienst entlassen und den 
Organen der Kriegsfürsorge, den Landes- 
versicherungsanstalten, zur weiteren Für- 
sorge überwiesen, die Heilbaren aber nach 
erfolgreicher Kur zu ihren Truppenteilen 
zurückgeschickt Es ist dies auch nach 
des Ref. Ansicht der einzig mögliche Weg, 
hier Abhilfe zu schaffen. Die Tuber- 
kulosebekämpfung im österreichischen 
Heere dürfte sich wohl kaum wesentlich 
anders, wie bei uns, gestalten; jedenfalls 
wird auch dort die Heilstättenbehandlung 
als Hauptsache im Mittelpunkte aller Be- 
strebungen stehen müssen. Vielleicht wäre 
es möglich, die Soldaten in wenigen großen 


ZEITSCHR. f. 
364 __ REFERATE. TUBERKULOSE 


bar. Eigene Invalidenheime für tuberku- 
löse Soldaten zu gründen, ist dagegen 
nach den Erfahrungen über derartige An- 
stalten — allerdings für die Zivilbevöl- 
kerung — in Deutschland nicht ratsam; 
vielmehr ist es zu empfehlen, die Unheil- 
baren in besonderen Tuberkuloseabteilun- 
gen günstig gelegener Krankenhäuser oder 
Lazarette unterzubringen. C. Servaes. 


Barackenheilstätten — Döckerschen Ba- 
racken — unterzubringen, die entweder 
an die schon bestehenden Lungenheil- 
stätten angegliedert und den betr. Chef- 
ärzten unterstellt oder in bevorzugter 
Lage neu errichtet und von spezialistisch 
ausgebildeten Ärzten geleitet würden. Im 
Frieden würden dann die Baracken wieder 
anderen Zwecken zugeführt, bezw. zu 
ständigen Heilstätten — wie ehemals 
Vogelsang in Deutschland — ausgebaut 
werden. C. Servaes. 


| Karl Fischel-Kriegsspital Grinzing: Die 
| Tuberkulosebekämpfungin Öster- 
reich nach dem Kriege (Wien. 
Alfred Götzl- Reservespital Banjaluka: 
Krieg und Tuberkulosebekämp- 
fung. (Wien. klin. Wchschr. 1916, 
Nr. 13, S.407 [Beilage „Militärsanitäts- 
wesen )). 

In dieser zweiten Arbeit geht G. auf 
die Vorschläge Feistmantel’s u. Kentz- 
lers (S. 43 dieses Bds.) ein, im Bereiche 
eines jeden Militärkommandos Sammel- 
. und Sortierungsstellen (Vorbeobachtungs- 
stationen Ref.), Heilstätten, Invaliden- und 
Rekonvaleszentenheime in genügender An- 
zahl zu errichten, und erklärt erstere und 
letztere für überflüssig. (Dem dürfte zu- 
zustimmen sein. Ref.) Die beiden anderen 
Arten von Anstalten wünscht G. jedoch 
derartig verteilt, daß je eine am Sitze 
eines Ergänzungsbezirkskommandos bezw. 
in dessen Nähe errichtet wird. Damit 
wäre es möglich, die Soldaten in ihrer 
engeren Heimat unterzubringen, wodurch 
ihnen „erst die günstige psychische Grund- 
lage“ gegeben würde, „auf der eine er- 
folgreiche medizinische Behandlung auf- 
gebaut werden kann“ (Nach des Ref. 
Erfahrungen an einer Heilstätte, in der 
lungenkranke Soldaten aus allen Gegenden 
Deutschlands untergebracht sind, ist dieser 
Grund unwesentlich.) 

Was nun diese neuen Vorschläge 
G.’s betrifft, so kann man natürlich, wenn 
geeignete Bauplätze, die nötigen Geldmittel 
und die erforderliche Anzahl Chefärzte 
zur Verfügung stehen, auch in der Nähe 
des Sitzes eines jeden Ergänzungsbezirks- 
kommandos eine Lungenheilstätte bauen. 
Ob allerdings die Anstalten noch zeitig 
genug für ihre Zwecke fertiggestellt werden 
könnten, ist eine andere Frage. Schneller 
und billiger wäre sicher der Vorschlag 
des Ref. — s. voriges Referat —- ausführ- 


med. Wchschr. 1916, Nr. ıı, Sp. 397 
u. Nr. 12, Sp. 437.) 

Unter dem Hinweis auf die schönen 
Erfolge der Tuberkulosebekämpfung in 
Deutschland beklagt Fischel die durch- 
aus unwirtschaftliche Verwendung der für 
diesen Zweck verfügbaren Gelder in 
Österreich: während die Landesversiche- 
rungsanstalten in Deutschland vorbeugend 
zur Verhütung der Invalidität, also im 
Beginne der Krankheit, das Heilverfahren 
durchführen, tragen die österreichischen 
Krankenkassen die Kosten für das Kran- 
kengeld und die ärztliche Behandlung 
des bereits ausgesprochen Erkrankten, 
also in einem späteren Stadium; dazu 
kommt dann noch der durch den Ver- 
dienstentgang entstehende Verlust an 
Volksvermögen, kommen noch die Aus- 
lagen für die Hinterbliebenenversorgung. 
Die also in Österreich alljährlich für die 
Tuberkulosebekämpfung aufgebrachten und 
verausgabten Summen werden unrentabel 
verwendet, da sie die Tuberkulose nicht 
einzudämmen vermögen. Diese Einsicht, 
sowie die weitere, daß .der Weltkrieg die 
Zahl der Tuberkuloseerkrankungsfälle 
wesentlich steigern wird, zwingt dazu, 
die Tuberkulosebekämpfungsmaßnahmen 
weiter und zweckmäßiger auszubauen. 

Da wird es denn in erster Linie 
notwendig sein, alle die Schwindsuchts- 
gefahr bekämpfenden Bestrebungen — 
staatliche, militärische und private — 
fester zusammenzufassen und einheitlich 
zu organisieren. Man wird weiter ein 
Krankenversicherungsgesetz, ähnlich dem 
in Deutschland, schaffen müssen mit der 
Bestimmung des vorbeugenden Eingreifens 
zwecks Verhütung der Invalidität; dann 
wird der Bau einer genügenden Anzahl 


BD. 25, HEFT 6 


b AETT:S REFERATE. 


Heilstätten sich mit Naturnotwendigkeit 
von selbst ergeben. Man wird im Hin- 
blick auf die Wechselwirkung von Woh- 
nung und Tuberkulose, der Wohnungs- 
not — im weitesten Sinne genommen — 
durch Wohnungsbeaufsichtigung und Kre- 
ditgewährung zu steuern suchen. Man 
wird endlich noch während des Krieges 
das Land mit einem Netze von Für- 
sorgestellen überziehen — die Kosten 
für sie sind ja verhältnismäßig gering — 
und Ärzte und Schwestern, um sie mit 
den neuen Aufgaben bekannt zu machen, 
in Vorbereitungskurse schicken, was, so- 
lange sie der militärischen Disziplin unter- 
stehen, keine Schwierigkeit haben dürfte. 
Notwendig erscheint auch — und zwar 
noch vor FriedensschluB —, das Volk 
durch öffentliche Vorträge, Wandermuseen, 
Druckschriften über die Tuberkulosefrage 
aufzuklären und schon in der Schule der 
reiferen Jugend die erforderliche Unter- 
weisung zu geben. Auch die Sorge für 
die Hinterbliebenen der Gefallenen 
muß der Tuberkulosevorbeugung dadurch 
dienstbar gemacht werden, daß Waisen- 
häuser, Erholungsheime, Erziehungsan- 
stalten auf dem Lande, nicht in Städten, 
errichtet werden. 

. Verf. stellt sodann folgende Berech- 
nung an: wenn Österreich 20 Millionen 
Kronen, so viel also als etwa ein Tag 
Weltkrieg ihm kostet, für die Tuberkulose- 
bekämpfung aussetzte, so könnten Tuber- 
kuloseheilstätten mit insgesamt 2000 Bet- 
ten gebaut werden (Kosten für ı Bett = 
7000 Kr., insgesamt also 14 Millionen Kr.), 
die an Betriebskosten jährlich 3,2 Mil- 
lionen Kr. erforderten. Hiermit ließe sich 
die Tuberkulosesterblichkeit in Io Jahren 
um 13°/, hinunterdrücken, wodurch 21 
Millionen Kr. jährlich an Verdienstentgang, 
der ohne Behandlung droht, eingebracht 
würden. Für die Schaffung der Fürsorge- 
stellen wäre nur eine einmalige Ausgabe 
von 3 Millionen Kr. notwendig; ihre Unter- 
haltung fiele den städtischen Behörden 
oder Vereinen zu. ' 

Die Unterbringung der Unheilbaren, 
die ja bei der großen Ansteckungsgefahr 
besonders wichtig ist, muß nach den Er- 
fahrungen in Deutschland als sehr schwie- 
rig angesehen werden. Verf. schlägt vor, 
die Schwerkranken in der Nähe der Heil- 


365 


stätten anzusiedeln, um sie einmal der 
Aufsicht der letzteren zu unterstellen und 


ihnen dann auch die Möglichkeit zu geben, . 


durch Gemüsebau und Geflügelzucht sich 
einen Verdienst zu verschaffen, der wieder 
der Heilstätte zugute käme. 

Schließlich weist Verf. noch darauf- 
hin, daß auch die Lebensversicherungs- 
gesellschaften ein Interesse daran haben, 
daß ihre ‚Versicherten nicht frühzeitig an 
Tuberkulose zugrunde gehen; sie sollten 
sich daher an dem Kampfe gegen die 
Tuberkulose beteiligen und zwar durch 
Hergabe eines Teils ihrer Kapitalreserven 
zwecks Gründung von Heilstätten. 

Und endlich schlägt Verf. noch vor, 
die schwierige Frage der Tuberkulose- 
fürsorge für den Mittelstand dadurch zu 
lösen, daß man eine Art Tuberkulose- 
versicherung einführt und zwar in der 
Weise, daß schon die Kinder von ihren 
Eltern kurz nach der Geburt auf eine 
bestimmte Summe, die etwa den Kur- 
kosten entspricht, versichert werden und 
die dann durch Zahlung einer wöchent- 
lichen kleinen Prämie aufgebracht würde; 
bei konstitutionell Belasteten könnten 
kleine Zuschläge erhoben werden. Diese 
Tuberkuloseversicherung würde nament- 
lich auch durch die von seiten der Ge- 
sellschaft bei ihren Versicherten erzwun- 
gene en segensreich 
wirken. C. Servaes. 


Sir Thomas Clifford Allbutt; E. W. Hope; 
A. Maxwell Williamson; J. C. Thresh; 
H. Hyslop Thomson; Herbert de Carle 
Woodcock; Jane Walker; J. J. Per- 
kins; Sir John W. Byers; Major Wal- 
dorf Astor: War and the future of 

-. the tuberculosis movement. A 
collection of representative opinions. 
(British Journal of Tuberculosis, Jan. 
1916, Vol. X, No. I, p. I—11.) 

Das Brit. Journ. of Tuberculosis er- 
öffnet das r. Heft seines Io. Jahrgangs 


-mit einem „Symposium“, d. h. mit einer 


Zusammenstellung von Meinungsäußerun- 
gen namhafter Autoren über den Krieg 
und die Zukunft der Tuberkulosebewegung, 
deren Entwicklung in dieser ‘schweren 
Zeit (national crisis) bedroht und gehemmt 
erscheint. Das „Symposium“ soll hier 
Anhalt nnd Anregung zu schaffen suchen. 


366 


Th. Cl. Allbutt führt aus, daß natur- 
gemäß soziale Einrichtungen, die bereits 
fest und vollständig organisiert waren, 
unter plötzlich eintretenden Schwierig- 
keiten weit weniger leiden, als solche, die 
erst im Werden sind. Auch die Be- 
kämpfung der Tuberkulose ist eine nur 
erst teilweise fertige Einrichtung, und man 
wird deshalb vor allem die Ziele fest und 
zuversichtlich im Auge behalten, in der 
Ausführung aber sich beschränken müssen. 
Besondere Aufmerksamkeit verdient die 
Sorge für die vorgeschrittenen Fälle, die 
eigentlichen Verbreiter der Infektion. 
Wir versuchen, ein Faß ohne Boden zu 
füllen, wenn wir diesen wichtigsten Teil der 
Tuberkulosebekämpfung vernachlässigen. 
Die erforderlichen Maßnahmen dürfen 
nicht allzu hart gegen die Kranken und 
nicht zu kostspielig für die Gesamtheit 
sein. Kostspielige große Krankenhäuser, 
Heilstätten u. dgl., in denen der Kranke 
sich doch alsbald langweilt und als bloße 
Nummer fühlt, hält Allbutt überhaupt 
für überflüssig, und glaubt, daß man mit 
einfachen, gesund und behaglich einge- 
richteten, gut überwachten Wohnungen 
dasselbe und sogar mehr erreichen und 
besser für das Gemütsleben der Kranken 
sorgen könne. E. W. Hope berichtet 
über die Organisation der Tuberkulose- 
bekämpfung in Liverpool. Die Unter- 
suchungen zur Erkennung der Krankheit, 
die Behandlung in Heilstätten usw., die 
Beihilfe zur besseren Ernährung, alles 
das hat sich auch im Krieg ziemlich 
vollständig durchführen lassen. Schwierig- 
keit aber boten die Untersuchungen und 
Nachuntersuchungen, überhaupt die Für- 
sorge für die aus den Heilstätten ent- 
lassenen und die in der eigenen Häus- 
lichkeit behandelten Lungenkranken. Auch 
das Herausfinden und Aufsuchen der an- 
steckenden Fälle von offener Tuberkulose 
war aus Mangel an Kräften nicht ge- 
nügend durchzuführen. Es wird aber 
schwer halten, hier während der Kriegs- 
dauer wesentlich zu ändern. J.C. Thresh 
fordert größere Selbständigkeit der ört- 
lichen Behörden gegenüber dem Ver- 
sicherungsamt, und vermehrte Geldmittel, 
um die Schwierigkeiten der Kriegszeit 
nach Möglichkeit zu überwinden. H. H. 
Thomson. fordert die Bereithaltung von 


REFERATE, 


'ZEITSCHR. f. 
TUBERKULOSE 


recht vielen Betten für Tuberkulöse in 
den Krankenhäusern, namentlich auch mit 
Rücksicht auf die Soldaten im Feld, bei 
denen sicher recht häufig die Weiterent- 
wicklung einer bis dahin latenten Tuber- 
kulose infolge der schweren Strapazen 
zu erwarten sei, und für die um so mehr 
gesorgt werden müsse, weil es sich viel- 
fach um schwere Formen handele. Auch 
für die Prophylaxe sei die Aufnahme in 
ein Krankenhaus hier sehr wichtig. H. de 
CarleWoodcock fürchtet schwere Folgen 
vom Krieg für die Gesundheit der nächsten 
englischen Generation: Die jungen Leute, 
die zum Heer eingezogen werden, seien 
am empfänglichsten für die Tuberkulose: 
Die Schwindsucht und Lord Derby 
greifen nach demselben Lebensalter! Er 
erzählt dann von einem englischen Arbeiter, 
dem erlaubt wurde, nach Frankreich zu 
fahren, um seine früheren Kameraden 
in den Schützengräben zu besuchen. 
Der Mann war erstaunt und entrüstet 
(bewildered) über den „animus“, den er 
in Frankreich gegen sein Land fand. Er 
vermochte aber die Bundesbrüder mit 
Hilfe eines Dolmetsch zu belehren und zu 
besserer Überzeugung zu bringen durch 
den Hinweis auf das, was England alles 
getan habe, die 1IOo Munitionsfabriken, 
die gewaltige Flotte, das mächtige Heer! 
Der Mann hat zugleich eine Stellung in 
einem Versicherungsausschuß und wird, so 
meint Woodcock, mit dafür wirken, daß 
England auch im Kampf gegen die Tuber- 
kulose nicht erlahmt. Woodcock befür- 
wortet lebhaft, daß man ohne allzu ängst- 
liche Rücksicht auf die Kosten alle Mittel 
und Maßnahmen, welcher Art sie auch 
seien, aufrecht halten und durchführen 
müsse, weil es eine ernste Pflicht gegen 
die heranwachsende Generation sei. Jane 
Walker beklagt, daß die Kriegszeit an- 
scheinend nur dem physisch kräftigen 
Menschen Wert beimesse: Ein Mann, der 
nicht als Soldat, eine Frau, die nicht als 
Munitionsarbeiterin tauge, seien heutzutage 
„besser tot“. Deshalb haben sogar humane 
Leute die ganze Tuberkulosebewegung für 
die Kriegszeit wegstreichen wollen! Sie gibt 
dieser Auffassung in gewissem Sinne recht: 
Es wäre in der Tat närrisch, jetzt Geld für 
neue kostspielige Sanatorien auszugeben, 
soweit sie für Erwachsene bestimmt sind. 


BD. 25, HEFT 6. 
i 1916, 


Dafür sollte man lieber Sanatorium-Schulen 
für tuberkulöse Kinder bauen, überhaupt 
die Kinderfürsorge auf alle Weise fördern. 
Für die Behandlung tuberkulöser Er- 
wachsener bringt sie einige beachtenswerte 
Anregungen: Die beginnenden fieberlosen 
Fälle sollten nicht in Heilstätten, sondern 
in Kolonien behandelt werden, wo sie 
mit angemessener Arbeit beschäftigt und 
dafür bezahlt werden. Das ist ein Ge- 
danke, der auch dem Ref. durchaus 
richtig‘ scheint. Es unterliegt gar keinem 
‚Zweifel, daB sehr viele Insassen unserer 
deutschen Heilstätten weit besser nicht 
nach der üblichen schematischen, für 
wirklich Kranke berechneten Methode, 
sondern in der von Jane Walker an- 
geregten Weise oder ähnlich behandelt 
würden. Besser, billiger, vernünftiger. 
Die mittelschweren Fälle gehören in die 
Heilstätten, und manche von ihnen könnten 
bei günstigem Verlauf der Kur allmählich 
der Kolonie überwiesen werden, wie ja 
auch der umgelchrte Fall vorkommen 
kann. Die vorgeschrittenen und unheil- 
baren Fälle sollen in besonderen Ab- 
teilungen der Krankenhäuser oder an 
sonst geeigneten Orten behandelt werden. 
J. J. Perkins, der Sekretär der National 
‚Association for the Prevention of Tuber- 
culosis, bedauert die Hemmung, die der 
Ausbruch des Kriegs den Bestrebungen 
und Arbeiten der Vereinigung bereitet 
habe, Diese arbeitet aber nach Kräften 
weiter, und hofft auch während der Kriegs- 
dauer nützlich wirken zu können. J. W. 
Byers meint, was man im Feld bei 
Typhus und Ruhr erreicht habe, müsse 
man bei sorgfältiger Organisation auch 
bei der Tuberkulose erreichen können, 
die doch eine vermeidbare Krankheit 
se. Waldorf Astor betont, daß man 
‚gerade im Hinblick auf die täglich ver- 
öffentlichten schweren Verlustlisten in der 
‚Bekämpfung der Tuberkulose nicht er- 
lahmen dürfe. Meißen (Essen). 


A. Lungentuberkulose. 


I. Ätiologie. 


Arvid Wallgren, Brustklinik Upsala: Ein 
Vergleich zwischen Lungentuber- 


REFERATE. REFERATE. č ć 367 


kulösen und Gesunden hinsicht- 
lich tuberkulöser Exposition im 
Kindesalter. (Beitr. z. Klin. d. Tub. 
1915, Bd. 34, Heft 2, S. 179 u. Upsala 
Läkareförenings Förhandlingar, Sept. 
1915, Heft 6/7, p. 347) 
Wenn die v. Behringsche Ansicht, 
daß die Schwindsucht der Erwachsenen 
auf Ansteckung in der Kindheit zurück- 
zuführen ist, zu Recht besteht, dann muß 
sich ein bemerkenswerter Unterschied 
zwischen tuberkulöser Kindheitsexposition 
Gesunder und Tuberkulosekranker zeigen, 
insofern dieselbe bei ersteren erheblich 
seltener zu finden sein wird, als bei letz- 
teren. Verf. forschte nun unter sorg- 
fältiger Berücksichtigung möglicher Fehler- 
quellen den Expositionsverhältnissen von 
100 Tuberkulösen und 100 Nichttuber- 
kulösen (z. T. Gesunden [Medizinern, 
Krankenschwestern], z. T. an anderen 
Krankheiten Leidenden) in ihrer Kindheit 
nach, und er fand in der Tat bei ersteren 
in 51°/,, bei letzteren nur in 13°/, po- 
sitive Anamnese. Dieses Verhältnis von 
Tuberkulösen .zu Nichttuberkulösen ver- 
schiebt sich noch mehr zu Ungunsten 
der ersteren, wenn man nur die Expo- 
sition vor dem '5. Lebensjahre berück- 
sichtigt: dann stehen 15°/, Lungenkranke 
mit positiver Anamnese nur ı1°/, Gesun- 
der gegenüber. C. Servaes. 


Molineus-Düsseldorf: Die Prüfung der 
Zusammenhangsfrage der trau- 
matischen Knochen- und Gelenk- 
tuberkulose. : (Fortschr. d. Med, 
33. Jahrg., 1915/16, Nr. 7, S. 61.) 

Der Nachweis des ursächlichen 

Zusammenhangs zwischen Unfall und 

Knochen- und Gelenktuberkulose er- 

fordert einige grundsätzliche Feststellungen. 

Zunächst muß ein Unfall zweifelsfrei statt- 

gefunden haben. Unbestimmte Angaben 

des Kranken, daß er vor einiger Zeit 

‘einen Schaden erlitten habe, ohne daß 

er genaue zeitliche Angaben machen 

und einwandfreie Zeugen, die bei dem 

Unfall zugegen gewesen, anführen kann, 

sind wertlos. Auch muß die Verletzung 

derartig gewesen sein, daß sie die Krank- 
heit hervorzurufen in der Lage war: eine 
leichte Zerrung oder Quetschung vermag 
einen ruhenden tuberkulösen Herd nicht 


N =u 


mm nn see lm m 


in Bewegung zu setzen; dazu ist eine 
Weichteilzerreißung oder schwere Quetsch- 
ung, äußerlich an Bluterguß, Schwellung 
oder dergl. erkennbar, also eine erheb- 
lichere Gewalteinwirkung, erforderlich. 
Und endlich soll auch der ganze Verlauf 
‚des Leidens seine Unfallentstehung wahr- 
scheinlich machen: nach Abklingen der 
ersten äußeren Erscheinungen muß das 
tuberkulöse Knochen- oder Gelenkleiden 
frühestens 4 Wochen und spätestens 
6 Monate nach der Verletzung offenbar 
werden. „Fälle, in denen das Leiden 
früher zutage tritt, müssen als wesentliche 
Verschlimmerungen alter Tuberkulose ge- 


deutet werden, während später erkennbare ' 


Fälle in der Regel nicht mehr auf den 
Unfall bezogen werden können.“ Wenn 
man sich so gewöhnt, mit derartig strengem 
Maßstabe an die Unfallbegutachtung 
heranzutreten — und das ist aus all- 


gemein sittlichen und rechtlichen Gründen | 
notwendig —, dann wird man erkennen, | 


daß der Unfall durchaus nicht eine so 
häufige Ursache der Knochen- und Ge- 
lenktuberkulose ist, wie auch heute noch 
allgemein angenommen wird: so gibt 
Thiem die Zahl der ohne Verletzung 
entstehenden Tuberkulosen auf 75°/, an. 
Und diese Zahl ist nach Verf. eher zu 
niedrig, als zu hoch. C. Servais. 


B. Riedel-Berlin: Zwei Unfälle bei 
einem Tuberkulösen, von denen 
der zweite mit dem Tode in Zu- 
sammenhang gebracht wird. (Fort- 
schr. d. Med. 1915/16, 33. Jahrg., 
Nr. 8, S. 74.) 

Ein Werkmeister zieht sich in seinem 
Betriebe zwei Unfälle zu. Nach dem 
ersten (Heben eines schweren Zylinders) 
tritt abends leichtes Blutspucken auf, eine 
Woche später eine schwere Lungenblutung. 
Nach mehrwöchigem Krankenlager erholt 
sich der Kranke und geht seiner Arbeit 
wieder nach. Da tritt ungefähr 2 Monate 
nach dem ersten der zweite Unfall (Ab- 
springen von einer stürzenden Leiter) ein, 
dessen unmittelbare Folgen in Verstau- 
chung eines Fußes und heftiger Erschütte- 
rung des ganzen Körpers bestehen. Der 


Kranke muß das Bett hüten; nach einigen ' 


Tagen Lungenblutung; dann Abnahme 


der Kräfte, Husten, schließlich, ungefähr | 


| 


ZEITSCHR. f. 
TUBERKULOSE 


1j, Jahr nach dem ersten Unfall, Tod an 
Meningitis. Die Leicheneröffnung weist 
außer der tuberkulösen Hirnhautentzün- 
dung neben alten tuberkulösen Herden 
frische miliare in den Lungen nach. Die 
Meinung der Gutachter ist sehr geteilt: 
während der erste einen Zusammenhang 
zwischen den Unfällen und dem Wieder- 
aufflackern eines alten, abgeheilten tuber- 
kulösen Lungenleidens findet, leugnet der 
zweite, sowie der Obergutachter jegliche 
ursächliche Beziehung. Das Schiedsge- 
richt hingegen, dem sich als letzte Instanz 
das Reichsversicherungsamt anschließt, 
sieht in der Erschütterung des Körpers 
beim zweiten Unfall die Ursache für die 
zweite Blutung und die sich an diese an- 
schließende tötliche Krankheit. 
C. Servaes. 


li. Epidemiologie und Prophylaxe 
(Statistik). 


Karl Kolb-München: Ein Heimstätten- 
gesetz für unsere Krieger. (Münch. 
med. Wchschr. 1915, Nr. 35, S. 1186.) 

Es handelt sich dabei um eine her- 
vorragend gesundheitliche Frage; denn 
das Gesetz betrifft die Wohnungsfrage, 
die wichtigste aller hygienischen Fragen 
der Neuzeit. Durch die Heimstättenbe- 
wegung, die schon 1890 begonnen hat, 
soll eine gewisse Besserung der Wohnungs- 
frage nach gesetzlicher Regelung erstrebt 
werden. Tuberkulose, Skrofulose und 

Rachitis sind ebenso gut Wohnungskrank- 

heiten, wie mit der Wohnungsnot Kinder- 

sterblichkeit, Alkoholismus, Geschlechts- 
und andere konstitutionelle Krankheiten 
zusammenhäugen. Der größte Mangel 
unserer Wohnungen besteht nicht darin, 
daß sie zu ungesund gebaut, sondern, 
daß sie zu teuer sind. Die Möglichkeit 
der Beschaffung billiger Wohnungen ist 
durch billige Abgabe von Land, durch 

Erbbaurecht und Bauvorschüsse bei An- 

nahme des Gesetzentwurfes gegeben. 

C. Moewes (Berlin-Lichterfelde). 


M. Sänger- Magdeburg: Asthma und 
Felddienstfähigkeit. (Münch. med. 
Wchschr. 1915, Nr. 51, S. 1752.) 

An der Hand einiger Krankenge- 


a en oe, E Ed a ant 5 U 2 


BD. 25, HEFT 5. 
1916. 


schichten von. Kriegsteilnehmérn und Er- 
fahrungen bei einigen Patienten, die an 
Asthma litten, zeigt Verf., daß an Asthma 
leidende Personen nicht ohne weiteres als 
zum Militär- bzw. Kriegsdienst ungeeignet 
betrachtet werden dürfen. Die im Feld- 
zug bedingte Ablenkung, Gewöhnung an 
gewisseSchädlichkeiten, erzwungene Mäßig- 
keit im Essen und Trinken kann von 
heilsamstem Einfluß auf nervöses Asthma 
sein. .C. Moewes (Berlin-Lichterfelde). 


Hermann Freund-Straßburg: Tuber- 
kulöse und Fortpflanzung. (Er- 
gebn. d. inn. Med. u. Kinderheilk, 
1915, Bd. 14, S. 195.) 

Schwangerschaft, Geburtund Wochen- 
bett schädigen den gesunden Körper 
weder durch die physiologischen Organ- 
verschiebungen noch durch die Verände- 
rungen des Stoffwechsels, sie schädigen 
die zur Tuberkulose veranlagten Frauen 
ebensowenig wie die Mehrzahl der mit 
latent-inaktiver Krankheit behafteten. Sie 
schädigen aber, und zwar in fortschreiten- 
dem Maße, die an aktiver Tuberkulose 
Leidenden aufs ernsteste, und zwar haupt- 
sächlich durch die Lungenkongestion und 
ihre Folgen. Bei dieser Gruppe erleidet 
die Schwangerschaft wiederum in erster 
Linie durch die Folgen der Kongestion 
in wenigstens 20°/, der Fälle eine spon- 
tane Unterbrechung, die Plazenta wird 
häufig infiziert, die Frucht selbst aber 
selten geschädigt. 

Manifest tuberkulöse,, schwangere 
Frauen des ersten Krankheitsstadiums 
bedürfen fortdauernder Kontrolle; laßt 
sich ein Fortschreiten der Tuberkulose 
erkennen oder wenigstens als sehr wahr- 
scheinlich annehmen, so ist die Unter- 
brechung der Schwangerschaft häufig 
indiziert. Diese Indikation ist eine pro- 
phylaktische, Schwangerschaftsunterbrech- 
ung bedeutet kein Heilmittel der Tuber- 


kulose, ebensowenig die Sterilisation, die - 


angezeigt ist, wenn die manifeste Tuber- 
kulose frühzeitig und energisch progredient 
wird oder wenn die Patientin jedesmal 
nach einem Abortus oder einer recht- 
zeitigen Niederkunft durch Fortschritte 
der Krankheit und Verschlechterung des 
Allgemeinzustandes geschädigt wird. In 


gutartigeren Fällen kann langdauernde. 


Zeitschr, f, Tuberkulose. 26. 


REFERATE. | 369 


' sexuelle Abstinenz ünd dann Verhütung 


einer neuen Konzeption genügen. Die 
wahre Prophylaxe besteht im Fernhalten 
Tuberkulöser vom illegitimen und vom 
ehelichen Geschlechtsverkehr und seinen 
Folgen. In jedem Falle muß sich an 
Sterilisation und künstlichen Abortus die 
weitere geeignete Behandlung der tuber- 
kulösen Frau anschließen. 
C. Hart (Berlin-Schöneberg). 


Charles C. Norris: Pregnancy and 
tuberculosis. (Med. Society of the 
State of Pennsylvania, Sept. 1915.) 

Verf. behandelt in seinem Vortrage 
die Beziehungen zwischen Tuberkulose 
und Schwangerschaft. Nach Angaben 
anderer Autoren geben ungefähr 39°/, 
tuberkulöser Frauen an, ihre Tuberkulose 
während der Schwangerschaft erworben 
zu haben. Allein in den Vereinigten 

Staaten werden jährlich 32000 tuberku- 

löse Frauen schwanger. Ob die schwangere 

Frau mehr zur Tuberkulose disponiert 

ist als die nicht schwangere, ist noch 

nicht sicher festgestellt; so viel steht aber 
fest, daB die Schwangerschaft auf eine 
bestehende Tuberkulose ungünstig ein- 
wirkt. Im allgemeinen sollten Tuberku- 
löse nicht heiraten, keinesfalls bei aktiver 

Tuberkulose. Bei eingetretener Gravidität 

sollte Sorge für gute Wohnung und Er- 

nährung getragen werden, sowie häufige 

Untersuchungen der Lungen stattfinden. 

Bei Aktivwerden oder Fortschreiten der 

Tuberkulose, ist in der ersten Hälfte der 

Schwangerschaft Abortus indiciert, in der 

zweiten Hälfte ist er zwecklos; hier sollte 

man versuchen, ein lebendes Kind zu 
erhalten, Bei geringerer Ausdehnung der 

Lungenaffektionen ist der Abortus nicht 

erforderlich. | 

In der. Diskussion spricht zuerst 

H. R. M. Landis, der meint, daß wohl 

kaum je in der Schwangerschaft die Tuber- 

kulose erworben wird, sondern nur sich 
manifestiert. Er sah Fälle, wo nach sechs- 
bis siebenjähriger kinderloser Ehe Gravi- 
dität eintrat, und nach derselben eine 

Tuberkulose. Es spricht sich gegen ein 

gesetzliches Eheverbot Tuberkulöser aus. 

Alexander Armstrong sagt, er 
rate allen tuberkulösen Frauen, erst fünf 


24 


379 


— 


Jahre nach Heilung der Tuberkulose Kin- 
der zu zeugen. 

Elmer H. Funk teilt mit, daß nach 
seiner Beobachtung bei 43 o tuberku- 
löser Frauen dis ersten Symptome während 
Schwangerschaft oder Puerperium aufge- 
treten seien. Unterbrechung derSchwanger- 
schaft in der ersten Hälfte gibt bessere 
Resultate als wenn man dieselbe nicht 
unterbricht. Stern (Straßburg). 


Olivier-Lausanne: Tuberculose pul- 
monaire et stérilisation. Etude 
à propos de neuf cas, observés 
au dispensaire antituberculeux 
de la policlinique de Lausanne., 
(Rev. méd. de la Suisse Romande, 
20 novembre 1915, Tome 35, No. 11.) 

Die Gravidität birgt für die tuber- 
kulöse Frau mannigfache Gefahren. Es 
kann sich eine bis dahin latente Tuber- 
kulose manifestieren, es kann eine Ver- 
schlimmerung eintreten, eine Allgemein- 
infektion. Alle Vorschriften, daß tuber- 
kulöse Frauen nicht heiraten oder eine 
Konzeption vermeiden oder, falls eine 
solche eingetreten ist, sich besonders 
schonen, ev. die Zeit in einer Heilanstalt 
zubringen sollen, sind in praxi, besonders 
in den arbeitenden Klassen nicht durch- 
führbar, so daß oft radikalere Maßnahmen 
ergriffen werden müssen. Der Abort ist 
zwar von momentanem Erfolg begleitet, 
aber nicht dauernd wirksam. Deshalb 
ist die Sterilisation eine durchaus berech- 
tigte Operation. 

An der Hand von neun eigenen und 
einigen ihm von Kollegen zur Verfügung 
gestellten Fällen erörtert Verf. Indikation, 
Operation und Eıfolg in eingehender 
Weise Nicht der Lungenbefund allein 
oder ein einzelnes Symptom, sondern, 
wie Kraus sich ausdrückt „der Infekt 
als solcher in seinem Gesamthabitus muß 
maßgebend sein“. Ferner existiert neben 
der medizinischen eine soziale Indikation, 
die Operation vorzunehmen. Bei einer 
Frau, die mitarbeiten muß, um das Leben 
der Familie, ihrer Kinder zu erhalten, 
besonders, wenn infolge Unvernunft des 
Mannes Schwangerschaften sich häufen 
oder der Mann selbst krank ist, ist, wenn 
medizinische Indikation gleichfalls vor- 
handen ist, die Unterlassung der Opera- 


REFERATE, 


ZEITSCHR. í, 
TUBERKULOSE 


tion unvereinbar mit den Aufgaben des 
Arztes. | 

Daneben zitiert Verf. noch einige 
Fälle, in denen bei Tuberkulösen aus 
einem anderen Grunde die Sterilisation 
vorgenommen wurde als bei Gravidität. 
Das Resultat der Operation war in allen 
Fällen, in denen bei Lungentuberkulose 
die Operation ausgeführt wurde, ausge- 
zeichnet, der Lungenbefund besserte sich, 
der Allgemeinzustand hob sich. Die 
Methode der Wahl ist abhängig von ver- 
schiedenen Umständen. Bei jüngeren 
Frauen wird man sich mit Unterbindung 
der Tuben oder Resektion derselben be- 
gnügen, während man bei älteren, oder 
wenn sonst noch Indikation dazu vor- 
handen ist, ovariotomieren wird. Im: 
letzteren Falle hebt sich das Allgemein- 
befinden durch den Fettansatz beträchtlich. 

Stern (Straßburg). 


H. W. Blöte: Over het vraagstuk der 
bestrijding van de tuberculose 
als volksziekte. — Über die Frage 
der Bekämpfung der Tuberkulose 
als Volkskrankheit. (Medisch week- 
blad [Holländisch], 30 Oct. 1915, 17 p.) 

Aus dem Umstand, daß eine be- 
stehende, künstlich hervorgerufene oder 
natürlich entstehende Tuberkuloseinfektion 

Schutz gegen weitere Infektionen verleiht 

(Römer), schließt der Verf., daß in jedem 

Tuberkel ein Gleichgewichtszustand ein- 

zutreten pflegt, und daß außerdem die 

tuberkulösen Veränderungen sich gegen- 
seitig günstig beeinflussen. Der Mensch 
muß daher die besondere Eigenschaft 
haben, dem schädlichen. Einfluß der Tu- 
berkelbazillen Widerstand zu leisten und 
der Verf. meint, man könne das derart 
abfassen, daß das Abwehrmittel gegen die 
tuberkulöse Infektion in der Fähigkeit be- 
steht, auf Tuberkulin zu reagieren. Über- 
all wo diese Fähigkeit abgenommen hat, 
hat die Empfänglichkeit für die Tuber- 
kulose zugenommen. Der Mechanismus 
der relativen Tuberkuloseimmunität läßt 
sich am besten verstehen, wenn man die 

Fähigkeit, auf Tuberkulin zu reagieren, 

als durch natürliche Zuchtwahl entstanden 

betrachtet. Dafür ist es aber notwendig, 
daß das schädliche Agens fortwährend 
einwirkt, denn ohne dasselbe würde die 


BD. 25, HEFT b. 
1916. 


Eigenschaft sich nicht nur viel weniger 
kräftig entwickelt haben, sondern es würde 
auch auf die Dauer die erworbene Immu- 
nität wieder verschwinden. 

Das Bestehen einer erblichen Be- 
lastung bei der Tuberkulose wird nur 
noch von denjenigen in Abrede gestellt, die 
den Angrifispunkt der Tuberkulosbekämp- 
fung in der Verhütung der Infektion 
suchen. Wie irrationell diese Anschauung 
ist, geht deutlich hervor aus dem Ge- 
danken, daß die Erhaltung der Immunität 
abhängig ist von der bleibenden Einwir- 
kung der Noxe. 

Man hat daher Grund, sich zu wun- 
dern, da man, nachdem sich in den 
letzten Jahren unsere Anschauungen über 
die Tuberkulose wesentlich geändert haben, 
noch immer bestrebt ist, die Bevölkerung 
tuberkulosefrei zu machen durch die Be- 
kämpfung der Infektionsgefahr. Der Verf. 
meint, daß den Vereinen zur Bekämpfung 
der Tuberkulose nichts anderes übrig 
bleibt, wie die Auskunfts- und Fürsorge- 
stellen zu schließen und das Institut der 
Fürsorgeschwester aufzuheben. 

Vos (Hellendoorn). 


Henry A. Ellis: Sanatorium benefit for 
tuberculous subjects: how can 
insurance committees best em- 
ploy available funds? (Brit. Journ. 
of Tuberculosis, Vol. IX, No. 4, Oct. 
1915, p. 187.) 

Die Versorgung der tuberkulösen 
Versicherten, die richtige Verteilung und 
Zuweisung des „Sanatorium Benefit“ der 
Insurance Act macht in England noch 
viele Schwierigkeiten, was bei der Neu- 
heit der Einrichtung und den Störungen 
der Kriegszeit nicht zu verwundern ist. 
Ellis, amtlicher Tuberkulosearzt zu Midd- 
lesbrough, beschäftigt sich mit den hier 
gegebenen Fragen und sucht das Problem 
zu lösen, wie die Versicherungsausschüsse 
die verfüglichen Geldmittel am besten 
verwenden sollten. Die Mittel sind natur- 
gemäß begrenzt; läßt man sie möglichst 
vielen zu gute kommen, so wird wenig 
erreicht, weil sie verzettelt werden. Ellis 
unterscheidet drei Gruppen von Kranken: 
solche, die voraussichtlich wieder voll 
arbeitsfähig werden können, solche, bei 
denen das nur teilweise zu erreichen ist, 


REFERATE. 


371 


und solche, denen nicht mehr zu helfen 
ist, also heilbare, besserbare und unheilbare 
Leute. Er möchte wohl vorschlagen, die 
vorhandenen Mittel auf die heilbaren 
Kranken zu verwenden; aber dann handelt 
man grausam gegen die anderen, die 
obendrein auch die Hauptgefahr für die 
Umgebung bilden. Nur reichlich ver- 
mehrte Geldmittel können die Schwierig- 
keit beseitigen; ihre Aufbringung ist aber 
durch den Krieg fast unmöglich. So zeigt 
sich einstweilen kein rechter Ausweg, man 
muß sich darauf beschränken, die Frage 
nach allen Richtungen zu erwägen und 
einen klaren Plan vorzubereiten. 
Meißen (Essen). 


W. B. Milestone: Nourishment for 
the tuberculous: an ancillary to 
treatment. (Brit. Joum. of Tuber- 
culosis, Vol. IX, No. 4, October 1915, 
p- 193.) 

Das „Sanatorium Benefit“ der eng- 
lischen Insurance Act ist bekanntlich ein 
viel weiterer Begriff als dem Wortlaut 
entspricht: Es ist nicht nur Heilstätten- 
behandlung damit gemeint, sondern auch 
Krankenhausbehandlung, Behandlung in 
den Fürsorgestellen und sogar Versorgung 
im eigenen Haus, falls anderes nicht 
möglich ist. Für letzten Fall haben sich 
nun gewisse Schwierigkeiten herausgestellt, 
die Milestone, der dem Versicherungs- 
ausschuß für Middlesbrough angehört, 
erörtert. Wie es scheint, hat man die 
Gewährung des Sanatorium Benefit auch 
auf häusliche Versorgung von Versicher- 
ten aus politischen Gründen ausgedehnt, 
auch auf Fälle, wo keine Besserung zu er- 
warten ist, und kommt nun mit den verfüg- 
lichen Mitteln nicht aus. An sich ist es 
ja ein wunderlicher Widerspruch, den 
Kranken Arzt und Arznei freizustellen, es 
aber am nötigsten, an der Ernährung, fehlen 
zu lassen. Aber es wird wohl in Eng- 
land so gehen wie bei uns: Bei der Ge- 
währung von Nährmitteln, z. B. Milch 
o. dgl., kommt es sehr leicht zu Mißbrauch 
seitens der Kranken und auch seitens 
der Ärzte, Für den Bezirk, den Mile- 
stone versorgt, standen im ganzen jähr- 
lich 1400 £ für Sanatorium Benefit zur 
Verfügung, und davon wurden 300 Æ oder 
20°/, für Nährmittel verbraucht, langten 

24* 


372 


aber nicht. Milestone fordert, daß der 
Staat hier eintritt und für ausreichendes 
Geld sorgt, eben weil die Ernährung doch 
die erste Grundlage der Tuberkulosebe- 
handlung ist. Meißen (Essen). 


Eugene R. Kelley: Tuberculosis dis- 
pensaries, based on the applica- 
tion ofthe Massachusetts dispen- 
sary law. (Public Health Bulletin, 
State Department of Health Massa- 
chusetts, Oktober 1915, Vol. 2, No. 9, 
p. 241—250.) 

Siehe S. 319 in diesem Band der 

Zeitschrift. L.R. 


J. Dvořák: Über die Entstehung 
und weitere Entwicklung, sowie 
Organisation des Kampfes gegen 
Tuberkulose in Böhmen. (Gedenk- 
schrift zur Eröffnung des Sanatoriums 
für Tuberkulöse in Pleš bei Prag, 
Prag 1915.) [Böhmisch] 

Der Titel zeigt, worüber die gründ- 
liche Schrift handelt. Ausführlicher läßt 
sich der Inhalt nicht wiedergeben. Für 
jeden, der den Kampf gegen die Tuber- 
kulose gerade in unserem Lande ver- 
folgen möchte, ist die Schrift unent- 
behrlich. 

Jar. Stuchlik (Rot-Kostelec, Böhmen). 


Karl Lundh: Über die Behandlung 
von Patienten mit chronischer 
Lungentuberkulose in Kopen- 
hagen. (Ugeskrift for Laeger, No. 2, 
1916, P. 33.) 

Verf. hat teils als Arzt in einem 
Tuberkulosespital, teils als Leiter einer 
Fürsorgestelle gesehen, wie lange die 
Patienten oft auf Aufnahme ins Spital 
warten müssen, weil die Plätze zum Teil 
von solchen Patienten besetzt sind, die 
eigentlich in Pflegeheime gehören. Er 
schlägt deshalb die Errichtung von Pflege- 
heime für Kopenhagen vor. 

Kay Schäffer. 


iil. Allgemeine Pathologie und patho- 
logische Anatomie. 


W. J. Matthews: Antiformin and the 
examination of tuberculoussputa. 


REFERATE, 


ı chen etwas injiziert. 


ZEITSCHR. f. 
OOOO o TUBERKULOSE 


(Brit. Journ. of Tuberculosis, Vol. IX, 
No. 4, Oct. 1915, p. 195.) 

Auch in England findet das Anti- 
forminverfahren für diagnostische und für 
Kulturzwecke die verdiente Beachtung 
und Anerkennung. Matthews singt ihm 
auf Grund seiner Erfahrungen ein be- 
sonderes Loblied. Er gibt folgende Vor- 
schrift: Je ein Raumteil Auswurf und 
Antiformin werden in einem langen 
Reagenzröhrchen bis zu gleichförmiger 
Mischung geschüttelt; dann setzt man 
5 Raumteile Wasser zu und schüttelt 
wieder; nun fügt man das gleiche Volumen 
Aceton der Mischung zu und schüttelt 
nochmals. Nach kurzem Stehen zeigt 
sich ein gefärbter Ring unterhalb der 
Acetonschicht; von diesem Ring entnimmt 
man mittels Pipette oder besser Platinöse 
die Proben zur Untersuchung. Bemerkens- 
wert, anscheinend Folge des Krieges, ist, 
daß Matthews ein Verfahren angibt, 
sich das Antiformin selbst herzustellen, 
und zwar durch Einleiten von Chlorgas 
in eine 15°/,ige Natronlauge. 

Meißen (Essen). 


Henry Keller: The significance of 
the presence of acid-fast bacilli 
in the feces of patients suffering 
from joint disease. [Medical Asso- 
ciation of the Greater City of New York 
17. Mai ıg915.] (Medical Record, 28. 
August 1915, Vol. 88, No. 9, p. 377 
bis 378.) 

Henry Keller spricht über das 
Vorkommen säurefester Bazillen in den 
Faeces von Patienten mit Gelenkerkran- 
kungen. Säurefeste Bazillen in den Faeces, 
die einer Entfärbung mit 25"/, Salpeter- 
säure und 80°/, Alkohol widerstanden, 
erwiesen sich unzweifelhaft als Tuberkel- 
bazillen. Zur Untersuchung erhielt der 
Patient ein mildes Abführmittel. Der 
Stuhl wurde in desinfizierten Gläsern 
2 —3 Tage aufbewahrt, eine kleine Menge 
dann mit der gleichen Menge destillierten 
Wassers übergossen, einige Tropfen 4°, 
Phenollösung zugesetzt. Nach 12 Stunden 
wurde das Wasser vorsichtig abgegossen, 
etwas Sediment ausgestrichen und von 
jeder Probe einige Kulturen gemacht; 
nach 15—2I Tagen wurde Meerschwein- 
Keller betont, daß 


_BD,26, HEFT 5. 
1916. 


für die Stellung der Frühdiagnose bei 


Gelenktuberkulose und Entscheidung der 
Heilung diese Untersuchung von größtem 
Wert sei. Die Patienten scheiden oft 
jahrelang Tuberkelbazillen aus, solange 
die Krankheit aktiv ist. Er hat bis zu 
5 Jahren dauernde Ausscheidung be- 
obachtet. Die Bazillen müssen nicht not- 
wendig im Darm Läsionen hervorrufen. 
Der Stuhl ist als Infektionsquelle anzu- 
sehen und gründlich zu desinfizieren, 
ebenso Wäsche etc. Der jüngste Patient, 
bei dem Bazillen beobachtet wurden, war 
2 Jahre, der älteste 40 Jahre alt. Keller 
untersuchte 42 Fälle mit klinisch und 
röntgenologisch sicherer Tuberkulose, 6 
klinisch geheilte Fälle, 9 verdächtige und 
18 Kontrollfälle. Nur bei aktiver Gelenk- 
tuberkulose fanden sich Bazillen in den 
Faeces, es waren dies 31 Fälle; die Krank- 
heit lokalisierte sich folgendermaßen: Hüft- 
gelenk ı5mal, Knie 6mal, Wirbelgelenke 
6mal, Artic. sacroiliaca 2 mal, Schulter- 
gelenk ımal, Fußgelenk ımal. In diesen 
Fällen bestand nicht gleichzeitig Lungen- 
tuberkulose, so daß sich das Vorkommen 
der Bazillen nicht durch Verschlucken 
“ bazillenhaltigen Sputums erklären läßt. 
Keller betrachtet das Auftreten von 
Bazillen in den Faeces als eine Art Selbst- 
hilfe des kräftigen Organismus, die Bazillen 
zu eliminieren. Infizierte Meerschweinchen 
bei gutem Befinden hatten Bazillen in den 
Faeces, bei schlechtem Befinden und vor 
dem Tode nicht, ebenso war es beim 
Menschen, jedoch bedarf diese Frage noch 
eingehenderer Prüfung. 

E. E. Smith stimmt Kellers An- 
sicht zu, daß Bazillen aus dem Blut mit 
den Faeces ausgeschieden werden. Ob 
die säurefesten Bazillen, die der genannten 
Entfärbung widerstehen, auch beim Vieh 
Tuberkelbazillen sind, erscheint fraglich. 
Daß bei akuter Überschwemmung des 
Blutes mit Bazillen solche massenhaft in 
den Faeces erscheinen, ist erklärlich, bei 
chronischer Tuberkulose müßte ihre Zahl 
abnehmen. Hierüber ist weitere For- 
schung nötig. | 

Anthony Bassler teilt mit, daß er 
bei Tuberkulose der Lungen uud des 
Verdauungskanals oft viel Tuberkelbazillen 
in den Faeces gefunden habe. . 

Keller erwidert, bei Lungentuber- 


REFERATE, 


| 


373 


kulose könnten die Bazillen aus ver- 
schlucktem Sputum stammen, nicht aus 
dem Blut. Jede Überschwemmung des 
Blutes der Meerschweinchen mit Bazillen 
habe er vermieden durch Injektion kleiner 
Mengen. Im Tierversuch erscheinen die 
Bazillen stets in den Faeces, wo sie auch 
eingebracht werden. Stern (Straßburg). 


P. Lockhart-Mummery: The preven- 
tion of fistula in ano. (The Lan- 
cet, 2. 10. IQI5, p. 745.) 

Der Verf. glaubt, daß Analabszesse 
nicht regelmäßig mit Analfisteln endigen 
dürften, sondern eigentlich heilen sollten 
und müßten wie andere Abszesse. Der 
Analabszeß entsteht stets von einer klei- 
nen infizierten Verletzung der Mastdarm- 
schleimhaut aus, indem sich die Entzün- 
dung in das lockere periproktitäre Binde- 
gewebe fortsetzt und dort ausbreitet. Leider 
läßt man nun den Abszeß eine beträcht- 
liche Größe erreichen, bevor man ihn 
öffnet. Das erklärt sich daraus, daß der 
periproktitische Abszeß im frühen Stadium 


die gewöhnlichen Zeichen (Rötung, Schwel- 


lung, Hitze) nicht darbietet, weil die äußere 
Haut an dieser Stelle dick und fest ist, 
während das periproktitische Bindegewebe 
der fortschreitenden Entzündung keinen 
Widerstand bietet. Der Abszeß wird also 
gewöhnlich viel zu spät geöffnet, und die 
Fistel ist dann unvermeidlich. Man muß 
also einschneiden und drainieren, sobald 
Schmerz und örtliche Empfindlichkeit auf- 
treten. Es kommt dann gewöhnlich nur 
wenig Eiter, aber es ist der richtige 
Augenblick zum Eingriff. Der Verf. hält 
es für am besten, ein Drainrohr in die 
Hautränder einzunähen, um den Abfluß 
zu sichern; in den Einschnitt eingeführte 
Gaze ist ein schlechter, bald versagender 
Drain, der gar nicht zu empfehlen ist. 
Der frühen Eröffnung und wirksamen 
Drainierung läßt man einige Tage warme 
Umschläge folgen, und meist wird dann 
völlige Heilung folgen, ganz wie bei einem 
gewöhnlichen Abszeß. | 

Die Ausführungen des Verf.'s enthal- 
ten viel Richtiges. Da der Analabszeß 
bei Lungentuberkulose sehr häufig ist, so 
sollten seine Vorschläge aufgenommen 
und nachgeprüft werden. Wenn Anal- 
fisteln und damit die nachfolgende Radi- 


374 


kaloperation (Spaltung der Fistel) ver- 
mieden werden kann, so ist das sicher 
ein erstrebenswertes Ziel. 

Meißen (Essen). 


P. Silfverschiöld: Über die Lichtscheu 
der skrofulösen Kinder. (Hygiea, 
1915, Heft 12, S. 641—672.) 

Nach einigen Literaturangaben über 
die tuberkulöse Ätiologiederphlyktänulären 
Konjunktivitis teilt Verf, sein Material aus 
dem Küstensanatorium Styrsö (bei Gothen- 
burg) von 387 Fällen mit Blepharospas- 
mus unter 2762 skrofulösen Kindern mit. 

Da der Blepharospasmus direkt von 
der Beleuchtung abhängt und nicht regel- 
mäßig dem Verlaufe der phlyktänulären 
Effloreszenzen folgt, glaubt Verf. nicht an 
die allgemein angenommene Reizung der 
Endapparate des Nervus trigeminus, aber 
an die derjenigen des Nervus opticus. Von 
145 in den späteren Jahren genauer 
untersuchten Fällen hatten 69 klinische 
Tuberkulose (Östeitis, Phthise, Tbc.-Lym- 
phome, Lupus usw.), und in 108 Fällen 
traten nach subkutaner Alttuberkulinprobe 
Allgemein- oder Lokalreaktionen auf. In 
weiteren 16 Fällen lag wahrscheinlich 
Tuberkulose vor. Die Möglichkeit von 
Mischinfektion mit anderen Bakterien als 
infektiös-toxische Ursache lag in r15 der 
Fälle vor (Eiterungen, Bronchitiden, Ble- 
pharitiden, Ekzeme). Die guten Resultate 
der Alttuberkulininjektionen (Bruchteilen 
von Milligrammen, 2 mal pro Woche, 
sprechen für eine toxische (tuberkuloto- 
rische) Ursache des Blepharospasmus. 

Tillgren (Stockholm). 


Fritz Rohrer: Der Strömungswider- 
stand in den menschlichen Atem- 
wegen und der Einfluß der un- 
regelmäßigen Verzweigung des 


Bronchialsystems auf den At- 
mungsverlauf in verschiedenen 
Lungenbezirken. (Pflügers Archiv 


f. d. ges. Physiol. 1915, Bd. 162, 
Heft 5—6, S. 225—299.) 

Während wir über die Luftströmung 
in der Trachea gut unterrichtet sind, ist 
über die im intralpulmonalen Bronchial- 
system wenig Zuverlässiges bekannt, wes- 
halb der vorliegende außerordentlich müh- 


same Versuch einer näheren Aufklärung 


ee en tn e a e nm nn ln nn mn mn m — 


ZEITSCHR, f. 
TUBERKULOSE 


zu begrüßen ist. Freilich handelt es sich 
dabei nur um eine theoretische Rekon- 
struktion der Atmungsverhältnisse, der die 
experimentelle, aber an den Schwierig- 
keiten bisher gescheiterte Erforschung 
vorausgehen müßte, der zudem nur der 
aphysiologische Zustand der Kollaps- 
lunge im wesentlichen zu Grunde gelegt 
werden konnte, aber einige allgemein 
interessierende Ergebnisse lassen sich 
doch aus der trockenen Fülle mathe- 
matisch-physikalischer Formeln heraus- 
schälen. Schon die Besprechung der 
physikalischen Voraussetzungen wie der 
physikalischen Eigenschaften der Atemluft, 
der Strömung in Röhren, des Strömungs- 
charakters der Atmung, der Berechnung 
des Widerstandes in Rohrsystemen, der 
Strömungsarbeit ist auch für den Prak- 
tiker lesenswert und bedeutsam. Neben 
der Feststellung, daß nach einem für alle 
regelmäßig oder unregelmäßig dichotomi- 
schen Röhrensysteme geltenden Gesetz die 
Zahl der Bronchien um eins kleiner ist als 
die zugehörige Läppchenzahl, wird beson- 
ders die Angabe interessieren, daß die Zahl 
aller Bronchien, Bronchiolen, Alveolar- 
gänge für eine rechte Lunge auf 600000 
mit einer Gesamtlänge von etwa 0,7 km 
berechnet wird, während die Zahlen für 
die linke Lunge im Mittel um !/, kleiner 
sind. Für funktionelle Berechnungen liegt 
eine Schwierigkeit nicht nur in der Tat- 
sache, daß die Bronchien unregelmäßig 
begrenzte Kanäle darstellen, sondern 
namentlich in der respiratorischen Be- 
wegung des ganzen Bronchialbaumes, die 
nach Ansicht des Ref. von großer Be- 
deutung auch in pathologischer Hinsicht 
sein dürfte. Auf die vom Verf. nicht ge- 
nannte Arbeit von Murk Jansen sei 
besonders hingewiesen. In den oberen 
Luftwegen ist das Druckgefälle wesentlich 
abhängig vom Strömungswiderstand in der 
Nase (praktische Bedeutung!), in den 
tieferen Luftwegen ist die Glottisenge am 
wichtigsten, für die ein hoher Anstieg 
der Strömungsgeschwindigkeit der Atem- 
luft charakteristisch ist. Was ein guter 
Atemmechanismus bedeutet, geht aus der 
einfachen Feststellung hervor, daß die 
Erzeugung der Druckdifferenzen peripher 
durch die Volumenänderungen der Alveolen 
und Alveolargänge stattfindet. EineLumen- 


BD. 25, HEFT 5, 
1916. 


änderung der größeren Bronchien und 
auch der Trachea ist nur bei Husten- 
stößen. möglich, bei denen auch broncho- 
skopisch das Aneinanderschlagen der 
Wandungen beobachtet worden ist. In 
der Peripherie gestalten sich bei gewöhn- 
licher Atmung die Strömungsverhältnisse 
so, als ob jedes einzelne Läppchen eine 
isolierte Zuleitung zur Trachea besäße. 
Das besondere Verhalten der einzelnen 
Läppchen bei der Atmung wird bestimmt 
durch das Ineinandergreifen von drei 
Kräftesystemen, der pneumatischen Druck- 
differenz zwischen Alveolen- und Außen- 
luft, der elastischen Retraktionskraft der 
Lungen und der auf die Lunge wirkenden 
dehnenden Außenkraft. Alle Läppchen 
sollen bei gewöhnlicher Atmung eine an- 
nähernd gleich große Dehnung erfahren, 
während bekanntlich Tendeloo annimmt, 
daß die an der Lungenoberfläche an- 
greifenden dehnenden Kräfte sich großen- 
teils in der Dehnung der peripheren 
Lungenteile erschöpfen und nur geschwächt 
ins Innere der Lunge fortgeleitet werden. 
Nur bei maximaler Ex- und Inspiration 
liegen für die medialen Bezirke zwischen 
Hilus und Spitze ungünstigere Verhält- 
nisse vor, fallen Dehnungsgröße, Volum- 
geschwindigkeit und Druckgefälle nur etwa 
halb so groß wie in anderen Lungen- 
partien aus, während andererseits infolge 
der hohen elastischen Retraktionskraft der 
zentralsten Lungenteile ihre Dehnbarkeit 
geringer zu veranschlagen ist. Der un- 
regelmäßige Bau des Bronchialbaumes be- 
dingt nur zu Beginn des Atemzuges eine 
ungleichmäßige Luftverteilung. 

Der Interessierte kann weitere Fest- 
stellungen rein physikalischer Bedeutung 
in der Abhandlung nachlesen, die aber 
keine leichte Lektüre darstellt. 

C. Hart (Berlin-Schöneberg). 


A. Loewy-Berlin: DerschädlicheRaum 
bei der Lungenatmung. [Bemer- 
kungen zu der Arbeit von Fritz Rohrer: 
Über den Strömungswiderstand in den 
menschlichen Atemwegen usw.) (Pflü- 
gers Arch. f. d. ges. Phys., Bd. 163, 
Heft 1/3, S. 97.) 

Auf Grund seiner früheren direkten 

Messungen hält Loewy daran fest, daß 

der von Rohrer in vorstehend referierter 


REFERATE. 


tet se 5 TFT Je. .°G.|ÖäeÖSÖ zz; ss: E 


375 


Arbeit auf 225 ccm berechnete schädliche 
Raum, d. h. nach anatomischer Definition 
der Gesamtinhalt des zuführenden Systems 
im Mittel nur etwa 140 ccm beträgt. 
Dieser Mittelwert ist natürlich individuellen 
Schwankungen nach oben und unten unter- 
worfen, kann aber bei ruhiger Atmung 
die von Rohrer berechnete Höhe nicht 
erreichen. C. Hart (Berlin-Schöneberg). 


Karl Sonne-Kopenhagen: Über die 
Homogenität der Lungenluft- 
mischungen. (Pflügers Arch. f. d. 
ges. Phys., 1915, Bd. 163, S. 75.) 

Nach neu ausgearbeiteter eigener 

Methode konnte Verf. feststellen, daß drei 

tiefe Respirationen von wenigstens ı Liter 

Tiefe oder eine maximale Einatmung nicht 

genügen zu einer gleichmäßigen Mischung 

der Alveolarluf. Man kann nicht, wie 
man es früher ohne weiteres getan zu 
haben scheint, davon ausgehen, daß 
eine Alveolarluftmischung, die als homogen 
gilt, auch homogen bleibt bei folgendem 
Respirationsstillstand, denn es ließ sich 


zeigen, daß nach Respirationsstillstand. 


durch tiefe Exspiration, nachdem der 
schädliche Raum geleert ist, zuerst die 
meist verbrauchte und zuletzt die am 
wenigsten verbrauchte Alveolarluft aus- 
geatmet wurde. Es kann kaum für be- 
wiesen erachtet werden, daß die Alveolar- 
luft unter normalen Verhältnissen homogen 
ist oder daß eine homogene Zusammen- 


setzung der Lungenluft erreicht werden . 


kann. C. Hart (Berlin-Schöneberg). 


Hanns Fauth: Graphische Darstel- 


lung der Thoraxbewegungen bei. 
derAtmung gesunder undkranker _ 


Kinder. (Festschr. z. Feier d. Iojähr. 
Best. d. Akad. f. prakt. Med, in Cöln, 
1915, S. 617, Verl. Markus u. Weber, 
Bonn.) ` 
Verf. hat in Verbindung mit einem 
Kymographion eine sinnreiche Vorrich- 
tung konstruiert, die eine gleichzeitige 
graphische Darstellung der Atembe- 
wegungen dreier verschiedener Thorax- 
stellen gestattet. Gleichzeitig kann eine 
Mareysche Trommel zum Schreiben der 
Pulskurve und ein Jaquetscher Zeit- 
messer benutzt werden, woraus sich 
eine sorgfältige Sekundenvergleichung der 


376 REFERATE. EERTIEEHT 
graphischen Linien ergibt. Aus den ab- | dung des Kindesalters. ‘ Eine richtige 


gebildeten Kurven und Röntgenogrammen 
nebst den Krankengeschichten geht her- 
vor, daß die Atemkurven nicht allein die 
Diagnose zu festigen, sondern in manchen 
Fällen auch überhaupt erst auf den rech- 
ten Weg zu führen vermögen, da die 
Schonung der erkrankten Seite früh fest- 
zustellen it. An dieser Ruhigstellung 
beteiligt sich nicht allein die die Rippen 
bewegende Muskulatur, sondern auch das 
Zwerchfell. BeiRückgang des Erkrankungs- 
prozesses können dann gerade auf der 
kranken Seite die Atemexkursionen des 
Brustkorbes so ausgiebige werden, daß 
der Eindruck entsteht, als solle durch 
dieses unbewußt tiefe Atmen die Re- 
'sorption des Infiltrates beschleunigt werden. 

Verf. stellt eine Vereinfachung des 
Apparates, über den Näheres im Original 
nachzulesen ist, in Aussicht. 

C. Hart (Berlin-Schöneberg). 


IV. Diagnose und Prognose. 


C. Martin - Breslau. 
ziffernmäßige Bestimmung des 
Bazillengehaltes des Sputums. 
(Med. Klinik 1915, Nr. 52, S. 1424.) 

Um eine ziffernmäßige Festlegung von 

Bazillen bei Sputumuntersuchungen zwecks 

späterer Vergleichung zu ermöglichen, 

empfiehlt Verf. folgende Methode. Zur 
ziffernmäßigen Bestimmung benutzt er die 

Zahlen 1—5, wobei I sehr wenig, 5 sehr 

zahlreiche Bazillen, 2, 3 u. 4 entspre- 

chende Steigerungen bedeuten. Er be- 
zeichnet den Befund durch einen Bruch, 

dessen Zähler eine der Ziffern von I—5 

ist, während der Nenner immer gleich- 

lautend I—5 geschrieben wird. So be- 


3 
I — 


Eine einfache 


deutet z. B. eine mittlere Zahl von 


Bazillen. 
C. Moewes (Berlin - Lichterfelde). 


Taillens-Lausanne: Le prognostic de 
la tuberculose pulmonaire. (Rev. 
méd. de la Suisse Romande, 20. no- 
vembre 1915, Tome 35, No. IL.) 

Verf. spricht über die Prognose der 


Tuberkulose der Lungen unter Ausschei- 


Prognosestellung ist wichtig, vor allem auch 
für die Beurteilung des . therapeutischen 
Erfolges. Er scheidet ferner die zufälligen 
Befunde bei Leichen aus, da es sich hier 
ja niemals um klinische Tuberkulose 
gehandelt habe. Die gutartigen Formen 
sind im allgemeinen die fibrösen, die das 
Lungenparenchym wenig verändern und 
den Allgemeinzustand nur wenig beein- 
flussen; hingegen sind die käsigen Formen, 
die das Lungengewebe selbst schädigen 
und auch den Allgemeinzustand frühzeitig 
beeinträchtigen, viel weniger zur Heilung 
geneigt. Die Prognose ist somit schon 
abhängig von der Form der Tuberkulose 
und zwar mehr als von der Ausdehnung 
des Prozesses. Die Prognose wird ferner 
beeinflußt durch die Virulenz der Keime 
und die individuelle Konstitution des Or- 
ganismus. | 

Vom Jünglingsalter aufwärts bessert 
sich die Prognose; treten die ersten- 
Symptome erst im 4. Lebensdezennium 
auf, so ist die Prognose recht günstig. 
Im Greisenalter erst wird die Prognose 
infolge der mangelnden Reaktionsfähigkeit 
ungünstiger. Beim weiblichen Geschlecht 
ist die Prognose ungünstiger als beim 
Manne; Ausbleiben der Menstruation 
trübt die Prognose. Gravidität wirkt. bei 
den fibrösen Formen wenig, bei den kä- 
sigen ungünstig. Temperament und Stim- 
mung beeinflussen die Prognose ebenfalls. 
Je rascher sich der Prozeß ausbreitet, um 
so ungünstiger, je länger er besteht, um 
so. weniger Neigung zum Ausheilen; im 
letzteren Falle wird der Prozeß stationär, 
die vitale Prognose ist im Gegensatz zu 
der lokalen gut. Je ausgedehnter der 
Prozeß ist, um so ungünstiger die Prog- 
nose; es ist dabei nicht nur die Flächen-, 
sondern auch die Tiefenausdehnung zu 
berücksichtigen. Geringe Menge Auswurf, 
Abnahme der Menge ist ein günstiges 
Zeichen. 

Von besonderem Wert ist der all- 
gemeine Ermährungszustand. Man hat 
regelmäßig das Gewicht zu kontrollieren. 
Kontinuierliche Zunahme spricht für gün- 
stigen, Abnahme für ungünstigen Ausgang. 
Auch das Fieber ist prognostisch zu ver- 
werten. Fieberlose Fälle geben im all- 
gemeinen, nicht unbedingt, eine bessere 


BD. 25, HEFT 5. 


Prognose. Bei Greisen findet sich meist 
auch bei schweren Fällen normale Tempe- 
ratur. Hohe Abendtemperaturen, tiefe 
Morgenremissionen geben eine schlechtere 
Prognose als dauernd hohe Temperatur. 
Von Seiten des Zirkulationssystems gibt 
im allgemeinen normaler oder ansteigender 
Blutdruck eine bessere Prognose als nie- 
driger oder Tendenz zur Abnahme zei- 
gender Blutdruck. Tachycardie hat nur 


bei gemeinsamem Vorkommen mit nie- 


drigem Blutdruck eine prognostisch un- 
günstige Bedeutung. Die Kutanreaktion 
ist prognostisch nicht zu verwerten. 
Alle die aufgeführten Zeichen sind 
naturgemäß nicht einzeln zu nehmen, eine 
Prognose, die die Wahrscheinlichkeit der 
Richtigkeit beansprucht, kann stets nur 
auf Grund der Betrachtung aller Symp- 
tome, des Gesamibildes gewonnen werden. 
Stern (Straßburg), 


G. v. Salis, Solothurnische Heilstätte Aller- 
heiligenberg: 125 Fälle periodisch 
wiederholter, abgestufter Pir- 
quet-Reaktionen während der 
Heilstättenkur. (Beitr. z. Klin. d 
Tub. 1915, Bd. 34, Heft 2, S. 145.) 

v. Salis prüft die Kögelschen An- 
gaben über den prognostischen Wert ab- 
gestufter Hautreaktionen bei 125 Lungen- 
tuberkulösen nach, Die Kranken wurden 
allmonatlich aufs neue geimpft und nur 
solche Fälle berücksichtigt, die mindestens 

3mal pirquetisiert worden waren. Im 

groen und ganzen scheint ein gewisser 

Zusammenhang zwischen klinischer Besse- 

rung und Stärkerwerden bzw. Verschlech- 

terung und Schwächerwerden der Reak- 
tion zu bestehen; nur bei den mit Tuber- 
kulin Behandelten ist ein Schwächerwerden 
die Regel, ohne daß dies aber von übler 
Vorbedeutung wäre. Als Hilfsmittel für 
die Prognose sind also die häufig vor- 
genommenen abgestuften Hautprüfungen 
sehr wohl zu gebrauchen; doch wäre es 
nicht richtig, auf sie allein die Vorher- 
sage aufbauen zu wollen, da Ausnahmen 
von obigen Regeln nicht gerade selten 


sind. An Stelle der kutanen ist die intra-. 


kutane, da genauer dosierbar, mehr zu 
empfehlen. C. Servaes. 


E. G. Glover: Subcutaneous tuber- 
culin injections and the diagno- 
sis of pulmonary tuberculosis. 
(Brit. Journ. of Tuberculosis Vol IX, 
No. 4, Oct. 1915, p. 176.) 

Glover, leitender Arzt des Birming- 
ham Municipal Sanatorium zu Salterbey 
George, bespricht auf Grund seiner eigenen 
Erfahrungen die Methodik und die diag- 
nostische Bedeutung der subkutanen Tu- 
berkulinprobe bei Lungentuberkulosen, 
wobei er sich ganz an deutsche Autoren 
(Hertwig, Wolff-Eisner, Otten, Ban- 
delier und Roepke) anschließt. Die 
Technik, die Dosierung, die Bedeutung 
der Allgemeinreaktion, die Gefahren und 
die Gegenanzeigen werden erörtert. Glo- 
ver faßt seine Ergebnisse am Schluß in 
folgende Sätze zusammen: 

I. Das Auftreten einer Herdreaktion 
nach der subkutanen Tuberkulinprobe ist 
der sichere Beweis aktiver Erkrankung 
der Lunge. | 

2. Erfolgt auf eine Dosis von 0,01 ccm 
= Io mg keine Herdreaktion, so ist keine 
aktive Erkrankung vorhanden. 

3. Die Probe ist nur dann vollständig 
durchgeführt, wenn man diese Dosis min- 
destens einmal angewandt hat. 

4. Die bei den meisten Kranken 
auf kleine Dosen eintretende leichte All- 
gemeinreaktion kann oder muß unbeachtet 
bleiben; nur die volle Dosis entscheidet. 

5. Bei 36,9°/, der vermutlich nega- 
tiven Fälle treten bei größeren Dosen so 
starke Allgemeinreaktionen auf, daß die 
Probe nicht bis zur Enddosis (10 mg) 
durchgeführt werden kann: diese Fälle 
müssen als nicht genügend geprobt (in- 
sufficiently tested) angesehen werden. 

6. Fälle mit mäßig ausgedehntem 
physikalischem Befund (moderately exten- 
sive signs) sollten nicht geprobt werden, 
sie bilden zusammen mit den fieberhaften 
Fällen, die ebenfalls ausscheiden, 15°/, 
aller zweifelhaften Fälle. 

Man kann nicht behaupten, daß diese 
Leitsätze eine besonders wirksame Emp- 
fehlung der subkutanen Tuberkulinprobe 
vorstellen. Von einer allgemeinen Kritik 
der Probe wollen wir absehen, und nur 
wiederholen, daß die . örtliche Reaktion 
gewiß ein Vorzug ist, der aber trotz aller 
Beschönigung nur mit bedenklicher Ge- 


ER un 


fahr erkauft wird, und außerdem ein 
schwierig zu beurteilendes, vom subjek- 
tiven Ermessen abhängiges Symptom ist 
(Ritter u. a). Der klaffende Widerspruch 
zwischen der Empfehlung vorsichtigster 
Dosierung bei den Tuberkulinkuren und 
ganz dreister Dosierung, die dann will- 
kürlich bei 10o mg halt macht, bei der 
Diagnostik,istauch unüberbrückt. Aberauch 
wenn man die Probe gelten läßt, der 
Wert eines Verfahrens, das nach Glover 
in mehr als der Hälfte (33,9 X 15 = 
51,9°/,) der Fälle, wo man es braucht, 
versagt, ist recht beschränkt. Glover 
sieht gleichwohl in all diesen Mängeln 
genügsamerweise noch keinen Anlaß zu 
skeptischer Beurteilung der Probe, will 
sie aber aufgeben in Hinsicht auf die 
neuerlichen Verbesserungen der serologi- 
schen Methoden. Redcliffe, Mackin- 
tosh und Fildes (Lancet, 22. 8. 1914, 
auch hier besprochen) haben das Kom- 
plementbindungsverfahren ausgebildet, 
Redcliffe und de Wesselow (Proc. 
Roy, Soc. Med. Vol. VII, p. 159) empfeh- 
len eine Kombination der Komplement- 
bindung, Tuberkulinreaktion und Schätzung 
des opsonischen Index. Wenn es mit 
‘derartigen Empfehlungen, an denen es 
auch bei uns in Deutschland nicht fehlt, 
nur seine Richtigkeit hätte! Ein zuver- 
lässiges Verfahren zur sicheren Unter- 
scheidung zwischen aktiver und nicht- 
aktiver Tuberkulose — der Ausdruck ist 
vielleicht nicht ganz genau, aber verständ- 
lich — ist so ungemein wichtig, daß man 
auch eine schwierige und umständliche 
Technik mit in den Kauf nehmen würde. 
Aber wir haben bislang keins, und tun 
deshalb gut, die rein klinische Beobach- 
tung sorgsam zu üben und zu pflegen, 
die Gesamtreaktion des Organismus auf 
die Infektion zu prüfen. Der erfahrene 
Arzt kommt damitallermeist aus: „Klinische 
Symptome sind für das Urteil wichtiger 
als der physikalische Befund“. 
Meißen (Essen). 


W. M. Hartshorn: The Röntgen ray 
in the diagnosis of pulmonary 
conditions in children. (Americ. 
Journ. of Diseases of Children, 1915. 
Vol. IX, No. 5, p. 405.) 

Verf. betont den Wert der Röntgen- 


REFERATE. 


ZEITSCHR. f. 
TUBERKULOSE 


untersuchung für die Diagnose verschie- 
dener Lungenkrankheiten bei Kindern. 
Er bringt kurze Anamnesen von neun 
interessanten Fällen, bei denen die Diag- 
nose durch Röntgenbilder erheblich er- 
leichtet wurde. Es handelte sich um 
Tuberkulose, Lungenabszeß, Pneumonie, 
Pneumothorax und Exsudate. Durch die 
verschiedenen illustrierten Röntgenaufnah- 
men wird die Ansicht des Verfs. bestätigt. 
Soper (Saranac Lake, N. Y.). 


0. Brösamlen u. K.Zeeb, Med. u. Nerven- 
klin. Tübingen: Über den Wert 
von Blutuntersuchungen bei der 
Durchführung einer Tuberkulin- 
kur. (Dtsch. Arch. f. klin. Med. 1915, 
Bd. 118, S. 163.) 

K. Zeeb: Dcerselbe Titel. (Inaug.-Diss. 
Tübingen, Januar 1916.) 

0. Brösamlen: Über die Bedeutung 
der.eosinophilen Leukozyten bei 
der Durchführung einer Tuber- 
kulinkur. (Münch.med.Wchschr. 1916, 
Nr. 16, S. 558.) 

Blutuntersuchungen Brösamlens 
nach diagnostischen Tuberkulineinspritzun- 
gen hatten eine kurz dauernde neutrophile 
Leukozytose sowie Eosinophilie ergeben. 
Es lag daher nahe, zu prüfen, ob diese 
Änderungen des Blutbildes vielleicht wich- 
tige, klinisch verwertbare Aufschlüsse auch 
im Verlaufe einer Tuberkulinkur zu geben 
in der Lage waren. Es wurden daher 
bei den Kranken — mittelschweren, leicht 
fiebernden Fällen — nach jeder Tuber- 
kulingabe Blutuntersuchungen ausgeführt, 
und diese hatten das bemerkenswerte Er- 
gebnis, daß bei denjenigen Kranken, bei 
denen die Tuberkulinkur erfolgreich war, 
nach jeder Einspritzung die eosinophilen 
Zellen im Blutbilde vermehrt waren. Blieb 
diese Vermehrung aus, so war irgend 
etwas nicht in der Ordnung: entweder 
war die Einzelgabe zu hoch — und da- 
her schädlich — gewesen oder es war 
eine interkurrente Krankheit — in einem 
Falle eine Angina — im Anzuge. Trat 
dagegen nach keiner Einspritzung eine 
Vermehrung oder sogar eine Verminderung 
der Eosinophilen auf, so waren das Fälle, 
die entweder schon gegen kleinste Tuber- 
kulindosen überempfindlich waren oder 
aber die Einspritzungen zwar reaktionslos 


m ES REFERATE. 399 


vertrugen, sich aber unter der Tuberkulin- 
behandlung sichtlich verschlechterten; mit 
anderen Worten, es waren das alle die 
Fälle, die sich für die Tuberkulinbehand- 
lung nicht eigneten. Außerdem wurde 
noch eine Vermehrung der Leukozyten 
beobachtet, wenn nach der Einspritzung 
Fieber auftrat. Die Lymphozyten spielten 
dagegen, entgegen allen Erwartungen, im 
Verlaufe der Tuberkulinkur überhaupt 
keine. Rolle. Die Kontrolle des Blutbildes, 
insbesondere das charakteristische Ver- 
halten der Eosinophilen, gibt uns also ein 
wirksames Hilfsmittel bei der Durchführung 
einer Tuberkulinkur an die Hand. 
C. Servaes, 


V. Therapie. 


a) Verschiedenes. 


Moritz-Cöln unter Mitwirkung der Assi- 
stenzärzte Beuer, Hess, Schott und 
Ulrich: Krankenhauserfahrungen 
mit einem „Freiluftsaal“ wäh- 
rend eines Jahres. (Festschrift zur 
Feier des zehnjährigen Bestehens der 
Akademie für praktische Medizin in 
Cöln, S. 464—509. Mit 5 Abbildungen 
und 4 Kurven im Text.) Bonn 1915, 
A. Marcus und E, Webers Verlag. 

Die Anregung zu dem von Moritz 
ausgeführten Versuch gab das neuerbaute 

Krankenhaus Nordend in Berlin- 

Niederschönhausen, in dem Dosquet 

den Grundsatz der Freiluftbehandlung 

durch die eigenartige Bauweise der Kran- 
kensäle zur Durchführung brachte. Mo- 
ritz hat nach diesem Vorbilde einen 

Krankensaal der Krankenanstalt Linden- 

burg der Stadt Cöln in der Weise um- 

bauen lassen, daß auf den beiden Lang- 
seiten des Saales die Fensteröffnungen 
bis auf den Fußboden durchgebrochen 
und die Fenster als zweiteilige Schiebe- 
fenster eingerichtet wurden, die es er- 
lauben, nach Belieben das Fenster ganz 
oder nur in der oberen oder unteren 

Hälfte zu Öffnen. Die Betten wurden 

dann so herumgedreht, daß die Kranken 

in das Licht sehen müssen, wobei die 

Blendung durch verschiebbare grüne Vor- 

hänge vermieden’ wird. 


Die einzelnen, 


Betten wurden gegeneinander durch ver- 
schiebbare Vorhänge optisch getrennt. 
Die Heizungen verlaufen unter . den 
Fenstern auf beiden Langseiten des Saales. 
In diesem Freiluftsaal werden nun die 
Fenster je nach den Witterungsverhält- 
nissen teils nur auf einer Seite, teils auf 
beiden Seiten geöffnet und möglichst lange 
offen gehalten. Die beigegebenen Tabellen 
lassen erkennen, daß in dem Bestreben, 
der Außenluft möglichst viel Zutritt zu 
gestatten, soweit wie irgend denkbar ge- 
gangen wurde. 

Der Saal bietet nach Moritz für 
das Auge einen wesentlich freundlicheren 
Anblick, als der übliche Krankensaal. 
Die Abtrennung in Einzelteile ist sehr 
angenehm. Das Wichtigste ist, daß die 
Kranken in diesem Saale ausgiebig in der 
freien Natur leben. Bemerkenswert ist 
das Gefühl reiner Luft bei dem Betreten 
des Saales. Der Luftwechsel im Saale 
ist ein sehr reger, ohne daß die in brei- 
tem Strome hereinfließende Luft das Ge- 
fühl des Zuges aufkommen läßt. Die 
meteorologischen Verhältnisse des Saales 
sind so, daß sie sich ganz erheblich denen 
der freien Natur nähern. 

Die Wirkungen auf die Kranken ver- 
dienen die größte Teilnahme. Es wur- 
den Kranke aller Art in dem Saale unter- 
gebracht, Tuberkulöse, Bronchitiker, Pneu- 
moniker, Herzkranke, Rheumatismus- 
kranke, Nierenleidende, Blutarme, Nerven- 
kranke u. a. Ein Teil der Kranken 
hatte an der Unterbringung Aussetzungen 
zu machen, über die Moritz genaue 
Mitteilung macht. Manche verlangten 
auch aus dem Saale herausgebracht zu 
werden. Viel größer war aber die Zahl 


der Kranken, die sich in der entschie- 


densten Weise lobend aussprachen und 
entsprechend diesem Wohlbehagen, das 
sie im Saale empfanden, auch nicht wieder 
in einen der üblichen andern Kranken- 
säle verlegt werden wollten. Freier Kopf, 
wohltuende Kühle, angenehmer Blick in 
das Freie, erheblich besserer Schlaf, das 
und ähnliches waren die gerühmten Vor- 
züge des Freiluftsaales im Munde der 
Insassen. Tatsächliche ärztliche Beobach- 
tung ist zunächst eine durchschnittlich 
bessere Gewichtszunahme bei den Kranken 
des Freiluftsaales. Im übrigen wurde die 


Einwirkung als gleichgültig bezeichnet in 
37°/,, als günstig in 50°/,, als auffallend 
günstig in 10°/,, als vielleicht schädigend in 
30/,. Auffallend günstig beeinfiußte Fälle 
waren meist Lungenerkrankungen, Tuber- 
kulose, Bronchitis, Pneumonie u. a. Die 
günstig beeinflußten Fälle verteilen sich 
ziemlich gleichmäßig auf alle Krankheits- 
gruppen. Auch Schwitzbehandlung wurde 
bei Rheumatikern in dem Saale mit gutem 
Erfolge vorgenommen. Ebenso ließ sich 
ein ungünstiger Einfluß bei der Behand- 
lung Nierenkranker nicht nachweisen. — 
Die Arbeit der Krankenpfleger ist in 
einem solchen Saale eine größere wegen 
der Einteilung in Einzelräumen, der Mög- 
lichkeit des Hereinwehens von Staub. 
Nach einem kurzen Literaturüberblick 
spricht sich M. im allgemeinen sehr günstig 
über die neue Einrichtung aus. 

Der Versuch, der hier von einen 
Kliniker mit so gutem Erfolge ausgeführt 
worden ist, verdient zweifellos die größte 
allseitige Aufmerksamkeit der Kranken- 
hausärzte. Die Lüftung unserer Kranken- 
häuser, zumeist auch der besten und neu- 
zeitlich eingerichteten, ist im allgemeinen 
merkwürdig rückständig. So ist zu hoffen, 
daß der Versuch, den Moritz in der 
obigen Arbeit geschildert hat, möglichst 
große Nachahmung finden möge. 

H. Grau (Heilstätte Rheinland-Honnef). 


A. E. Shipley: Open air hospitals. 
(Brit Journ. of Tuberculosis, Oct. 1915, 
Vol. IX, No.4, p.171.) 

Shipley beschreibt das „Freiluft- 
Lazarett“ für Verwundete zu Cambridge 
mit 500 Betten, an dem er als Arzt tätig 
ist, und rühmt seine großen Vorteile: 
Die geringen Kosten und die Schnellig- 
keit der Herrichtung, vor allem die guten 
Erfolge dieser Übertragung des Grund- 
gedankens der Lungenheilstätten auf die 
Behandlung verwundeter und erkrankter 
Soldaten. Für uns in Deutschland ist 
das „Freiluft-Lazarett“ garnichts Neues. 
Es geht bis auf den Krieg von 1870/71 
und, wenn Ref. nicht irrt, auf Anregungen 
von R. Virchow zurück, und die „Döcker- 
schen Baracken“ haben seitdem einen 
festen Platz in unseren militärischen Ein- 
richtungen behalten, haben sich auch 
unter gewissen Voraussetzungen für 


REFERATE. 


- em_e i m on M 1 0 om Emm m U nn nn aa o 


ZEITSCHR, £ 
TUBERKULOSE 


andere Zwecke, namentlich bei raschem 
Bedarf, durchaus bewährt, So war, wie 
erinnerlich, die Heilstätte Grabowsee bei 
Berlin ursprünglich mit solchen Baracken 
errichtet. Das „open air hospital“ ist also 
eine „hunnische“ Erfindung, und auch 
Shipley gibt an, daß das Asbesthaus des 
deutschen Kaisers, „von dem im Beginne 
des Krieges soviel die Rede gewesen ist“, 
sein Vorbild war. Er schildert die Ein- 
richtungen zu Cambridge, wo man: die 
großen Spielplätze (cricket-grounds) der 
Universität für sie wählte, lebhaft und 
anschaulich (hübsche Abbildungen), und 
hebt die Zufriedenheit und das gute Aus- 
sehen der Insassen hervor. 
Meißen (Essen). 


H. Boyd Masten: The hardening of 
consumptives. (Med. Record, 25. 9. 
1915, Vol. 88, p. 525.) 

Verf. empfiehlt Luftkur, bemerkt 
aber, daß es nicht genügend ist, Patienten 
solch eine Kur zu verordnen und sie auf 
das Land oder in die Gebirge zu schicken, 
sondern betont die Wichtigkeit, ihnen ihre 
Lebensweise genau vorzuschreiben. 

B. S. Horowicz (Neuyork). 


b) Spezifische. 

J. C. Schippers: Eenige ervaringen 
met het tuberculine van Rosen- 
bach by kinderen. — Einige Er- 
fahrungen mit dem Rosenbach- 
schen Tuberkulin bei Kindern. 
(Nederl. Tydschr. v. Geneeskunde 1915, 
Bd. Il, No. 18, 8 p.) 

Der Verf, Chefarzt des Emma- 
Kinderkrankenhauses in Amsterdam, hat 
das Rosenbachsche Tuberkulin erprobt 
an Kindern, die an verschiedenen Formen 
von Tuberkulose litten (Lymphdrüsen, 
Lungen, Bauchfell usw.) Die Einspritzung 
geschah tief in die Rückenmuskulatur. 
Der Verf. bediente sich des Cursch- 
mannschen Schemas: erste Einspritzung 
0,0I ccm, jeden zweiten Tag steigend mit 
0,0I—0,1 ccm; sodann jeden zweiten 
Tag steigend mit 0,I—ı ccm. Die letzt- 
genannte Dose wird einen Monat hin- 
durch wöchentlich einmal eingespritzt. 
Die mittlere Kurdauer beträgt in dieser 
Weise 3 Monate. Der diagnostische Wert 
des Rosenbachschen Tuberkulins wurde 


BD. 25, HEFT 5. 
ie 


an 17 Kindern untersucht und mit dem- | 


jenigen des Alttuberkulins und des Perl- 
suchttuberkulins verglichen. Dabei stellte 
das Mittel sich als diagnostisch völlig 
wertlos heraus, weil es kaum jemals im- 
stande war, eine zweifelhafte Hautreaktion 
hervorzurufen. 

Therapeutische Versuche wurden an 
8 Kindern angestellt. Die Kranken- 
geschichten werden in gedrängter Kürze 
mitgeteilt. In drei Fällen besserte sich 
der Appetit, zweimal mußte die Kur 
durch eintretende heftige Temperatur- 
erhöhung unterbrochen werden; trotzdem 
ist in einem dieser Fälle nachträglich 
Besserung eingetreten. Leichtere Er- 
krankungen, eiternde Drüsen und Fisteln 
wurden durch die Einspritzungen nicht 
beeinflußt. Eine Herdreaktion war in 
keinem Falle nachzuweisen. Den thera- 
peutischen Wert des Rosenbachschen 
Tuberkulins hält der Verf. für zweifelhaft. 

Vos (Hellendoorn). 


W. C. Wilkinson: Dangers of Tuber- 
culin. (Practitioner, Oct. 1915, XCV, 
Nr. 4.) 

.W. vertritt die Ansicht, daß das 
Tuberkulin in der Hand des erfahrenen 
Arztes nicht nur völlig gefahrlos ist, son- 
dern ein wichtiges und „unentbehrliches 
diagnostisches und therapeutisches Hilfs- 
mittel vorstellt. Er will nicht gerade 
sagen, daß es das „Non plus ultra“ sei, 
aber seine Erfahrungen bei Hunderten 
von Kranken während fünf Jahren führen 
ihn zu dem genannten Urteil und dem 
Wunsche, daß das Tuberkulin unbefangen 
und unparteiisch recht allgemein weiter- 
geprüft werden möge, damit das schwie- 
rige Problem endlich gelöst werde. Er 
ist überzeugt, daB die Prüfung günstig 
ausfallen werde, kann sich aber auch 
darin irren, 
ungemein viel geprüft, und man kann 
gleichwohl nicht leugnen, daß wir eigent- 
lich auf einem toten Punkte angelangt 
sind. Meißen (Essen). 


c) Chirurgische, einschl. Pneumothorax. 


M. Manges: Non-tuberculous pul- 
. monary suppurations. Their me- 
dical and surgical relations. 


Wir haben’ in Deutschland 


_ REFERATE. 381 


(Journ. of Amer. Med. Assoc., 1915, 
Vol. LXIV, No. 19, p. 1554.) 

Der Artikel will ein besseres Ver- 
ständnis der ÖOperationsmöglichkeiten in 
der Behandlung der eitrigen nichttuber- 
kulösen Lungenprozesse bei den Ärzten 
herbeiführen. 

Betrefis der Diagnose betont Verf. 
vorwiegend den Wert der Durchleuch- 
tung, der Röntgenuntersuchung und der 
Bronchoskopie. Diese . Untersuchungs- 
methoden sollten unbedingt angewendet 
werden. Besonders nützlich war die 
Bronchoskopie bei einigen zitierten Fällen. 
Übrigens .legt Verf. Gewicht auf Unter- 
suchung des Sputums und auf die manch- 
mal schnelle Entwickelung der Trommel- 
schlegelfinger. Physikalische Zeichen seien 
manchmal irreführend. 

Das Verständnis der Pathologie dieser 
Krankheiten unter den praktischen Ärzten, 


im allgemeinen, sei zu gering. Man sollte. 


nicht von einem Prozeß eines einzelnen 
Teils der Lunge sprechen. Parenchym, 
Bronchien und Pleura stehen zu der 
Ätiologie, und zwar zu dem Fortschreiten 
des Prozesses in enger Beziehung. Die 
Wichtigkeit des lokalen und des inter- 
lobulären Empyems sei nicht außer Acht 
zu lassen. Durch Einbruch in einen 
Bronchus kann es zu einer Lungenfistel 
oder zur Bronchiektase kommen. 

Für die Behandlungsindikationen 
bringt Verf. folgendes: Influenzainfektionen 
heilen gewöhnlich gut ohne Operation. — 
Akute Lungenabszesse seien, am meisten, 
Folgen der Pneumonie. : Solche neigen 
spontan zur Heilung, so daß man nicht 
zu früh operieren sollte. Diejenigen, 
welche durch Embolien verursacht werden, 


führen gewöhnlich gleich zur Gangrän 


und werden, am besten, chirurgisch be- 
handelt. Prognose gewöhnlich schlecht: 
Sie hängt von der primären Ätiologie 


und Anzahl der Abszesse ab. — Fremd- 


körperabszesse werden, natürlich, am 


besten bronchoskopisch behandelt. Pro-: 


gnose hängt, zum größten Teil, von der 
Art der-Fremdkörper ab; und ob letztere 
zu entfernen oder auszuhusten sind. — 
Bei akuter Lungengangrän ist Operation 


gerechtfertigt, wenn der allgemeine Zu- 


stand nicht zu schlecht und die andere 
Lunge nicht affiziert ist. Mehrere Ope- 


: "a 


382 


rationen seien manchmal notwendig. — 

Bronchitis putrida: Hier allein ist der 

künstliche Pneumothorax überhaupt zu 

empfehlen. Bei allen anderen eitrigen 

Lungenprozessen sei diese Behandlungs- 

methode erfolglos gewesen. — Bronchiek- 

tase und chronische putride Abszesse: 

Chirurgische Behandlung sei nicht zu früh 

zu empfehlen, weil die operativen Resul- | 
tate bei diesen Fällen nur schlecht sind. ! 
Mortalität bis zu 30°/, Außerdem seien, 

manchmal, wiederholte Operationen not- 

‚wendig. Die chirurgische Behandlung ist 

erst dann zu empfehlen, wenn die konser- | 
vative (besonders in trockenem Klima) 
erfolglos gewesen ist. Chirurgische Indi- 
kationen seien Resektion der Thoraxwand, 
Pneumotomie oder Pneumektomie. Der 
künstliche Pneumothorax sei bei diesen 
Krankheiten zu verdammen. 

Am Ende gibt Verf. zu, daß die 
operativen Resultate manchmal schlecht 
sind. Trotzdem ist bei manchen Patienten 
der Zustand so hoffnungslos, daß man 
ihnen die Möglichkeit geben sollte. Die 
Technik wird immer besser und die Zu- 
kunft berechtigt zu guten Hoffnungen. 

Soper (Saranac Lake, N. Y.). 


Vi. Kasuistik. 


F. Weihe: Die interlobäre Pleuritis 
im Kindesalter und ihr rönt- 
genologischer Nachweis. (Zeitschr. 
für Kinderheilkunde 1915, 13. Bd, 1. 
und 2. Heft, S. 119.) 

Die interlobäre Pleuritis hat schon 
seit langem das Interesse der Röntgeno- 
logen erregt und ist meist als Folgezu- 
stand der Tuberkulose angesprochen wor- 
den. Weihe bespricht an Hand von 
8 Fällen das bisher nicht beschriebene 
klinische Verhalten der interlobären Pleu- 
ritis. Auffallenderweise war nur einmal 
Lungentuberkulose ihre Ursache, während 
sie sieh in der überwiegenden Mehrzahl 
an akute allgemeine Infektionen, darunter 
viermal an eine Bronchopneumonie an- 
schloß. Stets war stark remittierendes 
Fieber vorhanden, das 1—3 Wochen 
dauerte und plötzlich verschwand. Das 
Exsudat wurde nur einmal links und in 


REFERATE. 


ZEITSCHR. f. 
TUBERKULOSE 


allen übrigen Fällen zwischen dem rechten 
Ober- und Mittellappen beobachtet. Es 
zeigte sich im Röntgenbilde als band- 
förmiger, im 4.Interkostalraum verlaufender 
und nach unten etwas konvex gebogener 
Schatten. Viermal gelang es, eine spär- 
liche, sterile Flüssigkeitsmenge auszupunk- 
tieren. Weihe rät, die Punktion im 
4. Interkostalraum zwischen Brustbein und 
vorderer Axillarlinie vorzunehmen. Die 
metapneumonischen Exsudate und Schwar- 
ten resorbieren sich schnell und sind 
nach kurzer Zeit im Röntgenbilde nicht 
mehr darstellbar, während nach Weihes 
Ansicht die tuberkulösen Schwarten sich 
schwer oder garnicht aufsaugen. — Das 
letztere ist nicht ganz zutreffend, da auch 
interlobäre Pleuritiden tuberkulöser Natur 
wenigstens bei Kindern wieder vollkommen 
verschwinden können - Simon (Aprath). 


H. Zeller v. Zellenberg-Wien: Über 
einen Fall beginnender symme- 
trischer Hautgangrän im End- 
stadium ausgebreiteter Tuber- 
kulose. (Wien. klin. Wchschr. 1915, 
Nr. 32, S. 860.) 

In vorliegendem Falle handelte es 
sich um das Auftreten symmetrischer 
Hautgangrän im Gesicht eines Schwer- 
tuberkulösen einige Tage vor dem Tode. 
Als Grund des Brandes glaubt Zeller 
eine mikroskopisch nachgewiesene, wohl 
toxische oder infektiöse, Phlebitis an- 
nehmen zu dürfen. C. Servaes. 


B. Tuberkulose anderer Organe. 


I. Hauttuberkulose und Lupus. 


J. Jadassohn. (Aus der dermatologischen 
Universitäts-Klinik in Bern): Über die 
Behandlung einiger Hautkrank- 
heitenmitThorium-X-(Doramad)- 
Salben. (Therapeutische Monatshefte, 
XXIX. Jahrg., Okt. 1915, S. 555.) 

Die von der Auergesellschaft ge- 
lieferten Thorium-X-Ampullen, welche in 

2 ccm Flüssigkeit 5000 elektrostatische 

Einheiten enthalten, wurden zur Her- 

stellung der Thorium-X-(Doramad)-Salben 


BD. 25, HEFT 6. 
1916. 


benutzt, und zwar derart, daß auf das 
Gramm Salbe 800— 1000 elektrostatische 
Einheiten kamen. 

Mit dieser Salbe hat Verf. bei ver- 
schiedenen Hautkrankeiten gute Erfolge 
erzielt. Die überraschendsten Erfolge be- 
obachtete er bei Lupus erythematodes. 
Enthusiastische Erwartungen sind zwar 
nicht berechtigt, doch erweist sich die 
Salbe in Fällen, in denen eine Strahlen- 
behandlung irgendwelcher Art, sei es aus 
äußeren Gründen, sei es wegen der Ge- 
ringfügigkeit der Effloreszenzen, nicht an- 
gängig erscheint, als außerordentlich will- 
kommene Bereicherung der Therapie. 

Hans Müller. 


G.Nobl: Über Lupus follicularis dis- 
seminatus. (Dermatologische Wochen- 
schrift, Bd. 61, 1915, Nr. 51, S. 1163 
bis 1172.) 

Verf. gibt an der Hand eigener und 
aus der Literatur bekannter Fälle eine 
Beschreibung dieser zuerst 1878 von Fox 
beschriebenen Erkrankung der Haut. Der 
Lupus follicularis disseminatus ist charak- 
terisiertt durch die rasche Reife der in 
wenigen Schüben zur Aussaat gelangenden 
Knötcheneinstreuungen, welche stets auf 
das Gesicht beschränkt zu bleiben pflegen, 
weiterhin durch die mangelnde Tendenz 
der meist von glatter, glänzender Decke 
überkleideten, braunroten, weichen, sulzig- 
transparenten Herde zu Konfluenz, Pustu- 
lation und Zerfall. Die Differentialdiagnose 
von Aknitis und Folliklis ist im allge- 
meinen nicht schwer, da letztere Affek- 
tionen meist nicht auf das Gesicht be- 
schränkt zu bleiben pflegen. Bisweilen 
kommt noch die vulgäre Akne in Betracht. 

Für die spezifische Natur der Er- 
krankung spricht das Vorhandensein an- 
derer tuberkulöser Herde im Körper, 
sowie der typische Tuberkelaufbau der 
Knötchen. Bazillen wurden nie gefunden. 
Der Tierversuch ergab nur in einem Falle 
ein positives Resultat. Diese Umstände 
ebenso wie der klinische Verlauf sprechen 
für eine Keimarmut der Aussaaten. Hin- 
gegen ergab die Tuberkulinreaktion, aller- 
dings erst auf größere Dosen (2—5 mg) 
stets ein positives Resultat. Die tuber- 
kulöse Natur der Erkrankung erscheint 
damit sicher gestellt. Stern (Straßburg). 


REFERATE. 383 


B. Nicola: Contributo clinico sulla 
natura e significato dell’ eritema 
polimorfo. (Gazzetta degli Ospedali 
e delle Cliniche, XXXVI, Nr. 92, De- 
zember 1015.) 

Verf. beschreibt sieben Fälle von Ery- 
thema exsudativum multiforme, wovon in 
sechs Fällen später eine Tuberkulose sich 
zeigte. Auch von anderer Seite sind ähn- 
liche Fälle mitgeteilt worden; immerhin 
ist dieses Zusammentreffen sehr selten, 
denn Verf. fand unter 500 Patienten mit 
Tuberkulose keinen Fall, in dem sich anam- 
nestisch eine ähnliche Hautaffektion fest- 
stellen ließ. Immerhin scheint aus den 
Veröffentlichungen des Verf. hervorzugehen, 
daß für manche Fälle von Erythema ex- 
sudativum multiforme eine beginnende 
Tuberkulose als ursächlicher Faktor in Be- 
tracht kommt. Stern (Straßburg). 


ll. Tuberkulose der Knochen und 
Gelenke. 


W. R. Ramsey: The results of von 
Pirquet reactions Made with 
old tuberculin and bovine tuber- 
culin on the children of the state 
hospital for crippled and de- 
formed children at St. Paul to- 
gether with the complement fixa- 


tion reactions made on the blood. 


of the same children with the 
bacillus abortus as antigen. (Ame- 
ric. Journ. of Diseases of Children, 
1915, Vol. X, No. 3, p 201.) 

Verf. berichtet ganz kurz über seine 
Resultate mit der Pirquetschen Probe 
bei 116 Kindern aus einem Kinderhospital 
für Krüppel. Jedes Kind wurde sowohl 
mit Alttuberkulin als auch Bovintuber- 
kulin geprüft. Ohne Ausnahme fiel das 
Resultat der zwei Proben bei demselben 
Kinde ähnlich aus. Es wurden im ganzen 
58 Knaben und 58 Mädchen untersucht, 

Bei den Knaben fiel das Resultat 
20 mal positiv und 38 mal negativ aus. 
Unter den 20 positiven Fällen zeigten 
18 klinische Knochentuberkulose. Unter 
den 38 negativen Fällen zeigten 17 kli- 
nische Knochentuberkulose. 

Bei den Mädchen fiel das Resultat 
22 mal positiv und 36 mal negativ aus. 


P u Lala 
“Aat oa phi 


_ 334 
Unter den 22 positiven Fällen zeigten 
r5 Fälle klinische Knochentuberkulose. 
Die übrigen 7 Fälle waren klinisch nicht 
tuberkulös. Unter den 36 negativen 
Fällen zeigten ıı Fälle klinische Knochen- 
tuberkulose. 

Zusammengefaßt fiel die Probe bei 
28 Fällen Knochentuberkulose negativ aus. 
Von den 58 Fällen, welche klinisch für 
tuberkulös gehalten waren, fiel die Probe 
nur 28 mal positiv aus. 

Die ganze Anzahl dieser nach von 
Pirquet untersuchten Kinder wurde 
außerdem auf Infektion mit dem Bacillus 
abortus mittels der Komplementfixations- 
probe untersucht. Nur bei 7 der 116 
Fälle war das Resultat positiv. Unter 
diesen 7 positiven Fällen waren 3 Fälle 
tuberkulös und 4 Fälle nichttuberkulös. 

Soper (Saranac Lake, N.Y.). 


Henry Keller and A. J. Moravek: The 
significance of the presence of 
acid-fast bacilli in the feces of 
the patients suffering from joint 
disease. (Medical Record, Vol. 88, 
20. II. 1915, No. 21, p. 864.) 

Nach Beobachtungen von über einem 
Jahre sind Verff. der Ansicht, daß der in 
den Faeces vorkommende säurefeste Bazil- 
lus, welcher der Entfärbung durch 25°/ 
Lösung von Salpetersäure und von 80° 
Alkohol widersteht, der Tuberkelbazillus 
ist; daß derselbe Bazillus in Kulturmedien 
gezüchtet werden kann. Diese Kulturen 
verursachen Tuberkulose beim Meer- 
schweinchen, welche damit infiziert werden. 
Patienten, welche an Gelenktuberkulose 
leiden, scheiden Tuberkelbazillen jahrelang, 
während der Dauer der Krankheit, aus. 
Die Bazillen sind lebensfähig und können 
Tuberkulose verursachen. Bei zweifel- 
haften Gelenkszuständen ist die Entdeck- 


ung von Tuberkelbazillen im Stuhl von 


großer diagnostischer Wichtigkeit, die 
Untersuchung sollte niemals unterlassen 
werden. Ein Patient, der an Gelenktuber- 
kulose leidet, sollte nie ohne Untersuchung 
des Faeces auf Tuberkelbazillen als ge- 
heilt entlassen werden. Wenn man säure- 
feste Bazillen findet, muß der Patient 
unter weiterer Beobachtung bleiben, weil 
der Befund an Bazillen ein Beweis für 
die Aktivität des Leidens ist. Den Smegma- 


REFERATE. 


ZEITSCHR f, 


TUBERKULOSE 

'bazillus findet man nicht im Stuhl. Fol- 

gende Beobachtungen . wurden gemacht: 

TBim TBim 

i Fälle Stuhl Harn 
Aktive Gelenktuberkulose 42 30 2 
Geheilte A 6 o o 
Zweifelhafte Fälle. . . 9 I O 
Kontrollfälle . . . . I8 O o 


Von den zweifelhaften Fällen litten 
drei an Syphilis, einer an gonorrhoischer 
Gelenkentzündung, einer an einfacher 
Luxation. 2 Fälle sind noch zweifelhaft. 
Ein Fall konnte nicht aufgefunden werden. 
Der Patient, in dessen Stuhl die Bazillen 
gefunden wurden, litt an aktiver Tuber- 
kulose der rechten Hüfte (s. Keller, 
S. 372). 

B. S. Horowicz (Neuyork). 


Ill. Tuberkulose der anderen Organe. 


C. Kraemer-Böblingen: Über die Aus- 
breitung der Tuberkulose im 
männlichen Genitalsystem. (Bei- 
träge z. Klin. d. Tub. 1915, Bd. 33, 
Heft 3, S. 259.) 

M. Simmonds, Hamburg: Zur Frage 
derAusbreitungsweise der Tuber- 
kulose im männlichen Genital- 
system. (Ibidem 1915, Bd. 34, Heft 2, 
S. 173.) 

C.Kraemer-Böblingen: Zur Ausbreitung 
der männlichen Genitaltuberku- 
lose. (Ibidem 1915, Bd. 35, Heft 1, 
S. 119.) 

Polemik gegen Simmonds (s. Bd. 23, 

S. 572). Verf. hält daran fest, daß auch 

bei der männlichen Genitaltuberkulose die 

deszendierende Ausbreitung (im Sinne des 
physiologischen Saftstromes) bei weitem am 


‚häufigsten ist. Selbst die S.sche Stastistik 


widerstreitet, wie K. nachzuweisen sucht, 
dieser Anschauung nicht. 

Simmonds tritt den Ausführungen 
Kraemersentgegen,indem erzeigt, daßge- 
rade die Arbeiten v. Baumgartens den Be- 
weis für die Richtigkeit der Sim mon dschen 
Anschauungen erbracht haben. Es besteht 
ein grundsätzlicher Gegensatz in den dies- 
bezüglichen Verhältnissen des Harn- und 
des Genitalsystems: während die tuber- 


BD, 25, HEFT ô. 
1916, 


kulöse Erkrankung des Harnleiters zu 
keiner Verengerung, eher sogar zu einer 
Erweiterung führt, werden Samenleiter und 
Nebenhodenkanälchen schon durch gering- 
fügige Herde verlegt; es kommt dadurch 
zu Stauung der Drüsenabsonderung und 
zu rückläufiger Stromrichtung. Auch die 
anatomischen Befunde sprechen für die 
deszendierende Ausbreitung der Genital- 
tuberkulose: eine isolierte Nebenhoden- 
tuberkulose ist verhältnismäßig selten, weit- 
aus häufiger findet sich gleichzeitig eine 
Erkrankung von Vorsteherdrüse und Samen- 
blase, oder letztere sind isoliert erkrankt. 
Auch ist die Angabe Kraemers, die 
Nierentuberkulose käme bei der Genital- 
tuberkulose des Mannes nicht häufiger 
vor, als beim Weibe, wie Simmonds 
nachweist, unrichtig. Und was endlich 
den Unterschied zwischen den Operations- 
erfolgen (Kastration) und den Sektions- 
ergebnissen, auf die Kraemer ebenfalls 
hingewiesen hatte, betrifft, so ist die 
Kraemersche Ansicht, die von Sim- 
monds gefundenen 20 Fälle, bei denen 
die Kastration erfolglos war, entsprächen 
den 20°/,, von den Chirurgen zugegebenen 
Mißerfolgen, offensichtlich irrtümlich; denn 
diese 20 Fälle verteilen sich auf einen so 
großen Zeitabschnitt, daß unbedingt auch 
der eine oder andere Fall mit günstigem 
EinfluB der Operation hätte auf den 
Sektionstisch kommen müssen. Daß dem 
nicht so war, spricht für die Simmond- 
sche Anschauung. Erst eine größere An- 
zahl von Sektionen, die zweifelsfrei die 
Heilung einer Genitaltuberkulose durch 
Kastration nachwiese, würde ein gewich- 
tiges Beweismittel für die Kraemersche 
Ansicht erbringen. 

In seinem Schlußwort zur Kontro- 
verse mit Simmonds kommt K. auf 
seine eigenen und die v. Baumgarten- 
schen Tierversuche zurück, die zeigen, 
wie die Tuberkulose von einem „gewal- 
tigen Drange“ getrieben wird, „unaufhalt- 
sam, trotz aller Hindernisse, der Strom- 
richtung zu folgen“, wie sie sich selbst 
über die Unterbindungsstelle des Vas de- 
ferens hinüber nach oben ausbreitet. An 
welcher Stelle auch die Ansteckung er- 
folgte, stets pflanzte sich die Krankheit 
in der, Richtung des Saftstromes fort; 
niemals auch wurde der Hoden der an- 


Zeitschr, f. Tuberkulose. 26. 


REFERATE, 


aanmanen M e e R D 


385 


deren Seite ergriffen. Diese Ergebnisse, 
wie auch die Erfahrungen der Chirurgen 
bei der Kastration sprechen aufs Deut- 
lichste für die deszendierende und gegen 
die aszendierende Ausbreitung der männ- 
lichen Geschlechtstuberkulose. 

C. Servaes. 


Paul Lindig: Beitrag zur Erkennung 


und Behandlung der Genitaltuber- 
kulose. (Ztschr. f. Geburtshilfe und 
Gynäkologie, Bd. 78, 1915, S. 224 bis 
243.) 

Über den Wert der verschiedenen 
Methoden zur Diagnose und Therapie der 
Genitaltuberkulose der Frau besteht noch 
keine Einstimmigkeit. Insbesondere ist 
man sich noch nicht recht klar über den 
diagnostischen und therapeutischen Wert 
des Tuberkulins. Verf. berichtet über 
seine Erfahrungen mit Tuberkulin Rosen- 
bach, das den Vorzug hat, etwa 100mal 
weniger giftig zu sein als das Kochsche 
Präparat. Er beginnt mit Dosen von 0,01, 
steigend in 4 Injektionen auf o,r. Er 
prüft dann Stichreaktion, d. i. erysipel- 
ähnliches Infiltrat der Injektionsstelle und 
Herdreaktion. Bei positivem Ausfall der 
Stichreaktion läßt sich unter Berücksich- 
tigung des lokalen Befundes und der 
Anamnese ein ziemlich sicherer Schluß 
auf die Natur der Erkrankung ziehen. 
Ein prognostischer Anhalt läßt sich nicht 
gewinnen. Fieber bildet keine Gegen- 
indikation. Das Maximum der Allgemein- 
reaktion tritt bei vorher fieberfreien Fällen 
in 4—6 Stunden ein, bei fiebernden erst 
am zweiten Tage. Wo es therapeutisch 
wirkt, wirkt es rasch und energisch, so 
daß man einen gewissen Anhaltspunkt hat, 
welche Fälle konservativ nicht zu behan- 
deln sind. Nebenerscheinungen wurden 
nie beobachtet; hat man erst einmal dem 
Organismus eine gewisse Dosis einverleibt, 
dann werden auch größere Dosen reak- 
tionslos vertragen. Nicht tuberkulöse Er- 
krankungen reagieren nach Verf. nicht 
bei Dosen unter 0,8. Die Zahl der Ge- 
besserten ist klein. Er berichtet über 
einige günstig beeinflußte Fälle. Nach einer 
Exstirpation der tuberkulösen Niere heilte 
die Wunde rasch auf kleine Dosen, In 
Fällen von tuberkulöser Cystitis erzielte 
er günstige Resultate. Gleichzeitig mit 

25 


386 


der spezifischen Behandlung wendet Verf. 
Bestrahlung mit Röntgenstrahlen (lokal) 
oder künstliche FHöhensonne (allgemein) 
an. Die Mitteilungen des Verf. regen zu 
weiteren Untersuchungen in der ange- 
gebenen Richtung an. 

Stern (Straßburg). 


C. Tiertuberkulose, 


RÈ. Burri und Hans Geislinger: Aus der 
Schweiz. milchwirtschaftlichen u. 
bakteriol. AnstaltBern-Liebefeld: 
Die Gefahr der Ausbreitung der 
Tuberkulose unter den Schwei- 
nen infolge der Verfütterung 
nicht erhitzter Zentrifugenmolke. 
(Landwirtschaftliches Jahrb. d, Schweiz, 
1915, H. 2, S. 313—324.) 

Die vorliegenden Versuche der Verff. 

— es stand tuberkelbazillenhaltige Milch 

eutertuberkulöser Kühe zur Verfügung — 


haben die Annahme bestätigt, daß die bei 


der Vorbruchgewinnung in der Emmentaler- 
käserei zur Anwendung kommende Er- 
hitzung der Molke zur Abtötung der in ihr 
enthaltenen Tuberkelbazillen vollkommen 
genügt. Dieses Resultat war in Hinsicht 
auf die zahlreichen Versuche und Erfah- 
rungen, die über die Widerstandsfähigkeit 
der Tuberkelbazillen gegenüber Wärme 
schon an den verschiedensten Orten ge- 
macht worden sind, vorauszusehen. 

` Andererseits haben die Versuche den 
Beweis erbracht, daß in jenen Käsereien, 
wo das Molkenfett anstatt durch Vorbrechen 
mit Hilfe der Zentrifuge gewonnen wird, 
Tuberkelbazillen, falls sie in der zur Ver- 
käsung gelangenden Milch vorhanden wa- 
ren, infolge Ausbleibens einer hinreichen- 
den Erhitzung am Leben bleiben und in 
ansteckungsfähigem Zustande in die Zentri- 
fugenmolken übergehen. 

Um der auf diesem Wege drohenden 
Gefahr der Ausbreitung der Tuberkulose 
in den Schweinebeständen vorzubeugen, 
ist daher unbedingt die Forderung aufzu- 
stellen, daß Zentrifugenmolke (Zentrifugen- 
schotte) nur in genügend erhitztem Zu- 


stande zur Fütterung gelangen darf. Die 


in Frage kommende Erhitzung kann in 
den Käsereien auf einfachste Weise durch 
Einleiten von Dampf bewerkstelligt werden. 


REFERATE. 


ZEITSCHR. f. 
TUBERKULOSE 


Als genügend kann die Erhitzung be- 
trachtet werden, wenn die Temperatur der 
Molke infolge der Dampfeinleitung auf 
80°C. gestiegen ist. 

Lydia Rabinowitsch. 


C. B. Fitzpatriok: The utilization of 
„reactor“ milk in tuberculo-me- 
dicine. (Proceedings of the Society 
for Experimental Biology and Medicine, 
Seventieth Meeting, New York Post- 
Graduate School, New York City, Nov. 17, 
1915. Vol. XIII, Nr. 2, p. 35.) 

Ausgehend vonder Ansicht, daß Kühe, 

welche keine klinischen Zeichen einer Tuber- 
kulose aufwiesen, aber positiv auf Tuber- 
kulin reagierten, immun wären oder doch 
eine erhöhte Widerstandskraft gegen Tuber- 
kulose besäßen, untersucht Verf. Milch und 
Serum dieser Tiere. Von 10 Tieren wurde 
die Milch Meerschweinchen injiziert, ohne 
Tuberkulose zu erzeugen. Das Blutserum 
von 9 dieser Tiere wurde auch unter- 
sucht, in 4 Fällen trat keine Reaktion auf, 
in 4 Fällen eine sehr leichte, in dem letz- 
ten Falle eine etwas schwerere. Das Serum 
dieser Tiere hinderte nicht das Wachs- 
tum von Bazillen in Glycerin-Bouillon- 
kulturen. Die Sektion dieser Tiere zeigte 
in 9 Fällen leichte Veränderungen in 
Lungen, Bronchial- und hinteren Mediasti- 
naldrüsen. In 7 mittelschweren Fällen von 
Lungentuberkulose Erwachsener wurde 
regelmäßig Milch dieser Kühe verabreicht. 
Die Patienten nahmen im Durchschnitt 
in den ersten 3 Monaten um 9 Pfund, in 
weiteren 2!/, Monaten um 5 Pfund zu. 
6 Kontrollfälle, ungefähr gleich schwer, 
nahmen in der gleichen Zeit an Gewicht 
ab. Die Mitteilungen des Verf. können 
zu weiteren Untersuchungen in dieser Rich- 
tung anregen; einen Beweis für das Vor- 
handensein irgendwelcher Antikörper er- 
bringt Verf. nicht. Stern (Straßburg). 


D. Berichte. 


il. Über Tuberkuloseanstalten und 
Vereine. 
Volkssanatoriuni Hellendoorn [Holland], 

(Bericht über das Jahr 1915.) 
Dem ärztlichen Berichte (Dr. Vos) 


BD. 25, HEFT 6, 
1916. 


wird entnommen, daß in der Anstalt, die 
jetzt im dreizehnten Betriebsjahre steht, 
im ganzen 507 Patienten behandelt wurden. 
Die Zahl der Pflegetage betrug im Jahre 
1915:55649, d.h. im Durchschnitt 152 pro 
Tag. Die geringste Patientenzahl hat 136, 
die größte 159 betragen. 

Von den 55649 Pflegetagen wurden 
vom Verein selbst 12646, d.h. 22,7 °/, 
bezahlt. Der Tagespflegesatz berechnet 
sich auf Hfl. 1,86°/, (das wäre in ge- 
wöhnlichen Umständen etwa M. 3,10). 

Am 1. Januar 1915 fanden sich in 
der Anstalt 153 Patienten. Aufgenommen 
wurden 354, entlassen 340 Kranke; ge- 
storben sind 10; es waren also am 
31. Dez. noch 157 Patienten in Behand- 
lung. Von den 354 aufgenommenen 
Kranken war bei ro keine Tuberkulose 
nachzuweisen; dieselben konnten bald ent- 
lassen werden. l 

Es wird berichtet über die Behand- 
lungserfolge bei 291 Patienten, deren 21 
dem I, 74 dem Il, 196 dem III. Sta- 
dium Turban-Gerhardt’s angehören. In 
44°/, der Fälle war die Ansteckungs- 
quelle mit Bestimmtheit in der Familie 
zu suchen. Ein positiver Kurerfolg wurde 
erreicht: bei Stad. I in 100°/,, Stad. II 
in 98,6 °/,, Stad. III in 77 °/, der Fälle, 
im Durchschnitt in 84,2 °/,. Bei der Auf- 
nahme waren 13,8 °/, erwerbsunfähig, bei 
der Entlassung 77,0°/,. Von 134 Pa- 
tienten, in deren Auswurf bei der Auf- 
nahme Tuberkelbazillen gefunden wurden, 
haben 26, d. h. 19,3 °/, ihre Bazillen 
während der Behandlung verloren. Von 
den 291 Patienten haben 89,5 °/, an 
Gewicht zugenommen. Die mittlere Ge- 
wichtszunahme hat 6,49 kg betragen. Von 
den in den modernen Heilstätten üblichen 
Heilfaktoren fand im letzten Sommer ins- 
besondere die Sonnenbehandlung eine aus- 
 gedehnte Verwendung. Selbstbericht. 


E. Bücherbesprechungen. 


Heinrich Gerhartz, med. Klinik Bonn: 
Taschenbuch der Diagnostik und 
Therapie der Lungentuberkulose. 
(Urban & Schwarzenberg, Berlin und 
Wien 1914, 2. Aufl, 200 Seiten. Mit 


REFERATE, 387 


48 teils farbigen Abbildungen und 13 
teils farbigen Tafeln.) 

Gerhartzs Taschenbuch ist ein 
trotz seiner Kürze allseitiges und geschickt 
geschriebenes Werkchen, das nicht nur, 
wie. die Vorrede sagt, „Arzt, Praktikanten 
und reiferen Studenten“ mit größtem 
Nutzen zur Hand gehen wird, sondern 
auch dem Spezialisten Anregung und Aus- 
kunft zu geben vermag. Besonders lobend 
muß ‘aber hervorgehoben werden, daß es 
dem Verf. gelungen ist, den Standpunkt 
des Klinikers bei der Bearbeitung seines 
Stoffes mit dem des Praktikers zu ver- 
einigen, indem nicht nur die diagnostischen 
und therapeutischen Verfahren der Klinik 
aufgezählt und kurz beschrieben, sondern 
auch solche Gebiete besprochen werden, 
die dem Praktiker von besonderem Nutzen 
sind, wie die klimatische Behandlung der 
Lungentuberkulose unter kurzer Kenn- 
zeichnung der einzelnen Klimata, das 
Heilstättenwesen, Verfahren zur Aufnahme 
Lungenkranker in Heilstätten, Wesen und 
allgemeine Erfolge derselben u. a. m. 

. Daß man nicht in allen Punkten mit 
dem Verf. einer Ansicht ist, bedarf wohl 
keiner besonderen Erwähnung; das ver- 
mag aber den Wert des Büchleins nicht 
im mindesten herabzusetzen. Manches 
dürfte bei einer Überarbeitung, die viel- 
leicht bei einer in Kürze notwendig wer- 
denden 3. Auflage erfolgt, geändert und 
verbessert werden. So möchte Ref. ins- 
besondere empfehlen, die Übersicht über 
die Lungenheilanstalten, die offenbar einer 
älteren Liste entnommen ist, auf den 
neuesten Stand zu bringen, so daß der 
Praktiker, der sie sicher häufig zu Rate 
zieht, auch wirklich zutreffend unterrichtet 
wird. Ferner wären vielleicht noch 
folgende Einzelheiten erwähnenswert. 
Schwangerschaft ist nach den Erfahrungen 
des Ref. keine Gegenanzeige zur Vor- 
nahme der Kutan- und Konjunktival- 
reaktion. Ob es richtig und gut ist, den 
paralytischen Thorax noch weiter in 
3 Unterabteilungen einzuteilen, erscheint 
aus praktischen Gründen fraglich. Die 
blutgefüllten Kapillaren Franckes haben 
wohl keine spezialdiagnostische Bedeutung; 
dagegen hätte wohl die auf der kranken 
Seite zu findende Muskelatrophie Erwäh- 
nung verdient. Eine kurze klinische 

25* 


em a I... TUBERKULOSE 


= 


Charakteristik der atypischen Phthisen | und Studierenden nur warm empfohlen 
wäre zu empfehlen, die der akuten Miliar- | werden. C. Servaes. 
tuberkulose etwas ausführlicher zu ge- i 
stalten. Gute, wenn möglich farbige Ab- :! AlbertKohn: UnsereWohnungsunter- 
bildungen der tuberkulösen Hauterkran- suchungen in denJahren ı913 und 
kungen wären wünschenswert. Die Auf- | 1914. Im Auftrage des Vorstandes der 
führung sämtlicher Kreosotpräparate sowie Allgem. Ortskrankenkasse der Stadt 


des Mesbes, die doch nur historischen Berlin bearbeitet. (Berlin 1915, Verlag 
Wert hat, erscheint entbehrlich. Bei der der Allgem. Ortskrankenkasse der Stadt 
Behandlung der Lungenblutung ist die Berlin.) 
immerhin wichtige Diät nicht erwähnt. Diese zuerst im Jahre 1902 vom 
Die Neumannsche Vorschrift für die | Verf. im Auftrage der damaligen Orts- 
Herstellung der Tuberkulinverdünnungen | krankenkasse der Kaufleute, Handelsleute 
ist nach des Ref. Ansicht für die Praxis | und Apotheker herausgegebenen Unter- 
zu umständlich und auch ohne Umrech- | suchungsberichte erfuhren eine Unter- 
nungstabellen kaum benutzbar; am ein- | brechung durch die am 1. Januar 1914 
fachsten werden die Lösungen wohl so | erfolgte Zusammenlegung von 40 Orts- 
hergestellt, daß man von der zu ver- | krankenkassen zur Allgemeinen Ortskran- 
dünnenden Flüssigkeit oder Lösung ı Teil- | kenkasse der Stadt Berlin, deren Mit- 
strich in eine Pravazspritze aufnimmt und | gliederschaft eine ganz anders geartete 
mit 9 Teilen karbolisierten Wassers ver- | Zusammensetzung aufweist, wie jene der 
dünnt, die Berechnung der Einzelgabe | früheren Ortskrankenkasse der Kaufleute, 
ist alsdann denkbar einfach. Bei der | die nicht zu den schlechtest Bezahlten 
operativen Behandlung der Lungentuber- | Berlins gehörte und an eine bessere 
kulose fehlt die Pfeilerresektion nach | Lebenshaltung gewöhnt war. Somit stellen 
Wilms und die Plombierung nach G. | die vorliegenden Vergleichsjahre 1913 und 
Baer (Davos). Die Klassifikation der | 1914 kein gleichwertiges Material dar. — 
klimatischen Kurorte, sowie ihre Anzeigen | Aus der großen Anzahl der vorliegenden 
und Gegenanzeigen erscheinen in der be- | Tabellen und des in vieler Richtung sehr 
treffenden Tabelle nicht durchweg ge- | interessanten Ergebnisses der Wohnungs- 
lungen; so werden im Hochgebirge vor- | untersuchungen der erkrankten Kassen- 
teilhaft auch III. Stadien behandelt, so | mitglieder seien hier nur einige, besonders 
hat Blankenhain i. Thür. wohl kaum | für das Gebiet der Tuberkulose in Be- 
subalpines Klima, Bad Berka a. Ilm kein | tracht kommende Zahlen erwähnt. 
„Klima der feuchtwarmen Niederungen‘“ Es wurden im Jahre 1913 Aufent- 
usw. Im Abschnitt „Prognose“ wäre wohl | haltsräume von 13603 erwerbsunfähigen 
auch auf die im ganzen wenig günstigen | Mitgliedern der Ortskrk. der Kaufleute 
Heilungsaussichten der in den Entwick- | und im Jahre ıgr4 solche von 19294 
lungsjahren entstehenden Lungentuber- | arbeitsunfähigen Mitgliedern der Allgem. 
kulosen hinzuweisen. Ortskrankenkasse der Stadt Berlin geprüft. 
Zum Schlusse möchte Ref. nicht | Naturgemäß hat im letzten Jahre bei der 
unterlassen, die gute Ausstattung des | Allgem. Ortskrankenkasse die Anzahl der 
Büchleins mit instruktiven Abbildungen, | in Hinterhäusern wohnenden Kranken 
den klaren Druck auf gutem Papier und | wesentlich gegen das Jahr. 1913 zuge- 
das handliche Format rühmend hervor- | nommen aus Gründen, auf welche bereits 


zuheben. Da das Buch zudem einc | oben verwiesen worden ist. — Während 
Lücke ausfüllt, insofern es nicht jeder-: | mindestens 20 ccm Luftraum für jeden 
manns — insbesondere nicht des viel- | Kranken zu fordern sind, wohnten 1914 


beschäftigten Praktikers — Sache ist, um- | noch 66, IgIo noch 155 der Kranken 
fangreiche Lehrbücher eines eng um- | in Räumen, in. welchen weniger-als 5 ccm 
.grenzten Sonderfaches durchzuarbeiten, | Luftraum auf jede Person entfielen. Wie 
so ist es wohl kaum zu viel gewagt, wenn | sehr die Ansteckungsgefahr ‘durch die 
man ihm eine gute Zukunft vorher- | kleinen Räume gefördert wird, ergibt eine 
sag. Seine Anschaffung kann Ärzten | Tabelle, nach welcher in den. Vorder- 


BD. 25. HEFT, 
1916. 


häusern 1914 518= 31,84 °/, I913 350 
=41,08 °/), und in den Hinterhäusern 
1914 sogar 853=41,73 °/,, 1913 338= 
41,07°/, Patienten mit Lungenerkran- 
kungen wohnten. Hierdurch ist in den 
Mietskasernen, deren Bewohner viel mehr 
in Verkehr miteinander kommen, eine 
furchtbare Gefahr der Verbreitung der 
Infektionskrankheiten, besonders der Tu- 
berkulose, gegeben. Die Besserung in der 
Zahl der kleinsten Räume in den letzten 
Jahren hält der Verf. für trügerisch und 
nur dadurch für. gegeben, weil die Ärzte 
sowohl wie die einsichtigen Patienten die 
Überweisung in ein Krankenhaus aus den 
überfüllten Räumen eher als früher vor- 
nehmen, — Bei den in Familien wohnen- 
den Kranken wurde sowohl 1913 wie 
1914 eine größere Zahl Männer in Keller- 
wohnungen angetroffen als 1912, die auch 
z. T. auf die veränderte Zusammensetzung 
der Kassenmitglieder zurückzuführen ist. 
Im Keller gelegene Schlafstellen wurden 
dagegen 1914 immer mehr gemieden von 
den männlichen Mitgliedern, dagegen ist die 
Zahl der Frauen dort gestiegen. Auch in 
Dachwohnungen, im 3. und 4. Stockwerk, 
fanden sich weibliche Schlafgänger häufiger 
als Männer, entsprechend ihrer geringeren 
Entlohnung. — Besondere Beachtung ver- 
dient die Tatsache, daß sowohl 1913 wie 
1914 die Zahl der lungenkranken Männer 
gestiegen ist, was wiederum aus den durch- 
schnittlich ungünstigeren Erwerbsverhält- 
nissen der Mitglieder der Allgem. Orts- 
krankenkasse gegenüber denen der Kauf- 
leute zurückgeführt wird. Die Zahl der 
Räume, welche bei Nacht nur von einer 
Person benutzt wurden, ist 1914 größer ge- 
worden gegen die Zahl der Räume, in wel- 
chen noch zwei und drei Personen schliefen, 
aber die Schlafräume, in denen außer dem 
Kranken noch vier, fünf bis sechs Schläfer 
waren, wiesen noch stärkere Zahlen auf 
als 1913. Verf. sieht in dem Zusammen- 
drängen so vieler Menschen in einem 
Raum eine große Gefahr sowohl in sitt- 
licher wie in gesundheitlicher Beziehung. 
Durch eine Tabelle (S. 29) wird der Be- 
weis erbracht, daß in zahlreichen Fällen 
sowohl bei Infektions- wie parasitären 
Krankheiten und besonders bei Lungen- 
krankheiten die Kranken nicht nur mit 
ein oder zwei, sondern auch mit drei, 


REFERATE, 


Te nn 
a en 


389 


vier, fünf, ja sogar sechs und mehr Per- 
sonen den Schlafraum teilten. Andere 
Tabellen (F u. G) erweisen die schon be- 
kannte Tatsache, daß diejenigen Kranken, 
welche möbliert oder in Schlafstellen 
wohnten, viel eher einen Schlafraum allein 
benutzen, als die Personen, welche mit 
ihrer Familie lebten. Durch das Abver- 
mieten von Räumen engen sich diese 
bekanntlich weit über das zulässige Maß 
ein; werden doch meist die besseren 
Zimmer abgegeben und die mangelhaften, 
feuchten oder dunklen Räume von den 
Inhabern selbst benutzt! Die Enge der 
Wohnung wird dadurch. verstärkt und die 
Gesundheit der Familienmitglieder außer- 
ordentlich gefährdet. 1913 wurden. 63, 
19014 54 Kassenmitglieder, die wegen 
Lungenerkrankungen arbeitsunfähig: waren, 
in Räumen ohne Heizung angetroffen. 
Für die Krankenkassen ergäbe sich daraus 
die dringende Pflicht, Patienten, welche 
in solch traurigen Wohnverhältnissen an- 
getroffen werden, schleunigst einem Kran- 
kenhause zu überweisen. — Interessant 
ist auch der Nachweis, daß bei den in 
Berlin geborenen Männern in beiden 
Jahren, bei den Frauen nur 1914 Lungen- 
leiden stärker als bei den Zugezogenen 
nachgewiesen wurden. Zum Schlusse sei 
noch der Nachweis (S. 65) erwähnt, nach 
welchem 1914 in 2134 Fällen = 11,06 °/, 
und 1913 in 1087 Fällen = 7,99 °/, 
Patienten angetroffen wurden, welche ihr 
Bett noch mit anderen Familienmitgliedern 
teilen mußten. Hiervon waren 1914 
481 = 22,54 °/, und 1913 145 = 12,34 °], 
lungenleidend! Mit Recht verweist der 
Verf. darauf, wie unzulänglich die ganze 
Seuchenbekämpfung ist, wenn derartige 
Ziffern allein bei einer Krankenkasse fest- 
gestellt werden. Hier liegt die größte 
Gefahr für die Bevölkerung trotz aller 
anstrengenden Fürsorgetätigkeit. Immer 
wieder muß die Forderung erhoben werden, 
daB eine Lagerstatt zur alleinigen Be- 
nutzung für jeden Kranken im Interesse 
der Gesundheit des ganzen Volkes ge- 
fordert werden muß. Wie weit man in 
Berlin von der Erfüllung dieser Forderung 
noch entfernt ist, lehrt die Tatsache (S. 69), 
daß von den 19294 Haushaltungen, 
welche im Jahre 1914 von den Kranken- 
besuchern kennen gelernt wurden 6909 = 


390 


35,81 °/,, nicht die genügende Zahl Betten 
hatten. Verf. schreibt diese Tatsachen 
weniger der Armut als dem großen Mangel 
an Platz zu, der für die Großstädter die 
übelsten Folgen hat. Er vergrößert die 
Not und unterbindet alle Bestrebungen 
der Wohnungspflege. Zum Schlusse werden 
photographische Abbildungen einiger ganz 
besonders zu beanstandender Wohnungen 
von Kranken mit ausführlichen Angaben 
der Mängel aufgeführt. 
W. Holdheim (Berlin). 


R.Staehelin-Basel: Die Erkrankungen 
der Trachea, der Bronchien, der 
Lungen und der Pleuren. (L. Mohr 
u. R. Staehelin, Handb. d. inneren 
Medizin, Bd. 2, 1914.) 

Auf mehr als 200 Seiten werden in 
diesem Abschnitte auch Tuberkulose und 
Emphysem abgehandelt unter Beigabeeiner 
Anzahl Kurven, Abbildungen und instruk- 
tiver Röntgenogramme. In übersichtlicher 
Anordnung des reichen Stoffes schöpft 
die angenehme, sorgfältig zwischen den 
Meinungen abwägende Darstellung aus 
allen wichtigen, in Betracht kommenden 
Quellen und hält sich von jeder Einseitig- 
keit frei. Besonders früher stark ver- 
nachlässigte Fragen wie beispielsweise die 
der Disposition finden sich voll gewürdigt, 
aber auch in allen übrigen Kapiteln, 
deren einzelne besonders gut ge- 
lungen erscheinen, kommt der heutige 
Stand der Tuberkuloselehre voll und klar 
zum Ausdruck. Zum eingehenderen Stu- 
dium wie zum Nachschlagen kann das 
Werk jedenfalls warm empfohlen werden, 
ohne daß hier weiter auf Einzelheiten 
eingegangen sei. Nur die Aufzählung der 
einzelnen Kapitel mag einen Überblick 
geben: ı. Historisches. 2. Vorkommen und 
Verbreitung der Lungentuberkulose. 3. Der 
Tuberkelbazillus.. 4. Die Infektionswege 
des Tuberkelbazillus. 5. Die Tuberkulose- 
immunität (Allergie, Tuberkulinwirkung). 
6. Die Disposition. 7. Die Phthiseogenese 
beim Menschen. 8. Pathologische Ana- 
tomie. 9. Allgemeine Symptomatologie, 
Verlauf und Diagnose. 10. Die einzelnen 


REFERATE. 


ZEITSCHR., f. 
. TUBERKULOSE 


Symptome der Lungentuberkulose. Ir. 
Die Komplikationen der Lungentuberku- 
lose. 12. Die Prognose der Lungentuber- 
kulose. 13. Prophylaxe und Therapie 
der Lungentuberkulose. Alle diese Ka- 
pitel sind in zahlreiche Unterabschnitte 
geteilt bei reichlicher Verwendung von 
kleinem Druck. Ein Abschnitt über die 
Pneumonokoniosen schließt sich an, dann 
folgt der über das Emphysem; in dem 
namentlich auch die Lehre Freunds ein- 


, gehend gewürdigt wird. 


C. Hart (Berlin-Schöneberg). 


G. Scheltema: Erfelykheidsvragen 
aangaande tuberculose. — Erb- 
lichkeitsfragen bezüglich der Tu- 


berkulose. (Leiden, im Verlag von 
S. C. van Doesburgh, 1915, Preis 
Hfl. 0,90.) 


Die Broschüre behandelt in aus- 
führlicher Weise die Erblichkeit der Tu- 
berkulose. Ein Referat über eine kürzere 
Abhandlung des Autors über diesen Gegen- 
stand ist Bd. 25, Heft 2, Seite 130 dieser 
Zeitschrift erschienen. Die größere Bro- 
schüre bringt nichts Neues. 

Vos (Hellendoom). 


A.Ghon: The primary lung focus of 
tuberculosis in children. (English 
authorized translation by D. Barty 
King, London: I. and A. Churchill, 
1916, 196 pp., 2 plates, 72 figures, 
10s. 6d.) 

Es handelt sich um die englische 
Übersetzung des 1912 erschienenen, und 
in Bd. 19 dieser Zeitschrift, S. 488 be- 
sprochenen Buches von A. Ghon über 
den primären Herd der Tuberkulose bei 
Kindem. Ghon fand, daß von 170 
untersuchten Fällen 1ı62mal die Lunge 
primär erkrankt war, und zwar wahr- 
scheinlich auf aörogenem Wege, nicht 
vom Blut oder Lymphstrom aus. Ob die 
Streitfrage damit endgültig gelöst ist, bleibt 
freilich abzuwarten. Die englische Über- 
setzung wird in der Besprechung als gut 
und das Buch als wertvoll anerkannt. 

Meißen (Essen). 


BL 


BD, . | 


VERSCHIEDENES, 


Denkschrift des Österreichischen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose. 


Überreicht dem k. u. k. Kriegsministerium, dem k, u. k. Ministerium des Innern, 
dem k, u. k. Landesverteidigungsministerium, 


Wien, den 15. Februar 1916. 


Am 3. Februar d. J. tagte in Wien eine Delegiertenversammlung des „Österr. 
Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose“, in welchem alle in Österreich 
. wirkenden Vereine zur Bekämpfung der Tuberkulose zusammengefaßt sind. Diese 
Versammlung hat nach. eingehender Beratung beschlossen, folgende Eingabe einem 
hohen Ministerium zu unterbreiten: 

In einer Zeit, in der so viel Menschenleben, so viele und große Wirtschafts- 
werte zugrunde gehen, ist es besonders notwendig, alles zu erhalten, für die Zukunft 
zu retten und. zu: bewahren, was nur möglich ist. 

In einer solchen Zeit sollte die Heilung der Tuberkulösen, die Verhütung der 
Weiterverbreitung der Tuberkulose eine der Hauptsorgen der Behörden sein. 

Welch große wirtschaftliche Bedeutung der Kampf gegen die Tuberkulose 
hat, geht aus folgenden Berechnungen des Hofrates Prof. v. Jaksch hervor: Die 
Tuberkulose schädigt das Kronland Böhmen allein um 40 Millionen Kronen, ganz 
Österreich um zirka 160 Millionen Kronen jährlich durch Verlust an Arbeitskraft 
der Erkrankten und Aufwendung für deren Pflege. Eine energische Bekämpfung 
der Tuberkulose würde also die Möglichkeit bieten, einen Teil des durch den 
Krieg schwer geschädigten Nationalvermögens wieder zu gewinnen. 

Ebenso könnte durch energische Bekämpfung der Tuberkulose ein Teil der 
großen Verluste an Menschen aufgewogen werden, starben doch im Jahre 1912 
in Österreich 81825 Menschen an Tuberkulose. 

Leider aber ist — infolge der durch den Krieg verursachten schlechten wirt- 
schaftlichen und Ernährungsverhältnisse — ein Anwachsen der Tuberkulosesterblich- 
keit unter der Zivilbevölkerung zu erwarten. Auch besteht die Gefahr, daß tuberkulös 
aus dem Felde Heimkehrende ihre Familie infizieren und so die Zahl der tuber- 
kulösen Zivilpersonen vermehren werden. Es wären deshalb alle Einrichtungen, die 
heute der Bekämpfung der Tuberkulose unter der Zivilbevölkerung dienen, 
nicht nur im vollen Umfange aufrecht zu erhalten, sondern zu vermehren und weiter 
auszubauen. Es müßte auch vermieden werden, derartige Anstalten, ins- 
besondere die für Frauen und Kinder bestimmten, für Militärpersonen 
in Anspruch zu nehmen. 


Andererseits besteht kein Zweifel und ist bereits an zahlreichen Fällen be- 
obachtet worden, daß bei den zur militärischen Dienstleistung Einberufenen durch 


die Kriegsstrapazen eine tuberkulöse Erkrankung hervorgerufen, eine ausge- 
heilte zu neuem Ausbruch veranlaßt oder eine bestehende verschlimmert wird. Auch 
für die traumatischen Entstehungen einer Knochen- oder Gelenkstuberkulose 
sowie für deren Wiederaufflammen ist im Kriege weit mehr Anlaß vorhandeu als 
während der Berufsarbeit des Friedens und sind bereits mehrfach Rezidive scheinbar 
vollausgeheilter derartiger Prozesse beobachtet worden. 

Es wäre deshalb notwendig, daß bei den Musterungen und Nach- 
musterungen solche Personen, die Narben nach ausgeheilter Knochen- oder Ge- 
lenkstuberkulose zeigen, sowie alle jene, bei denen schwere Zeichen einer aktiven, 
nicht aktiven oder ausgeheilten Lungentuberkulose vorhanden sind, für dienst- 
untauglich erklärt werden. 

Daß es Pflicht ist, alle jene, welche durch die Kriegsstrapazen an Tuberku- 
lose erkrankten, ebenso wie alle anderen Kriegsbeschädigten nach Möglichkeit zu 


ZEITSCHR., 
302 VERSCHIEDENES. E A 


heilen, nach Möglichkeit ihre Gesundheit und Erwerbsfähigkeit wieder herzustellen 
und zu erhalten, bedarf wohl keiner Erörterung. 

Es wären demnach auch die Tuberkulösen, ebenso wie die Verwundeten 
und anderen Kranken nach Feststellung ihres Leidens nicht einfach aus dem Heeres- 
verband zu entlassen, sondern sie hätten — ebenso wie die Kriegskrüppel — im 
Heeresverband zu verbleiben, bis alle nur irgendmöglichen Heilmittel ange- 
wendet und alles, was zu ihrer Gesundung geschehen kann, auch getan worden ist. 

In Österreich sowohl als auch in Deutschland hat sich als wirksamstes Mittel 
zur Heilung der Tuberkulose die Behandlung in für diese Zwecke eingerichteten 
Heilstätten erwiesen. Die deutschen Invalidenversicherungen haben erkannt, daß 
es für sie finanziell vorteilhaft sei, bei den an Tuberkulose Erkrankten, vor allem 
bei den leichter Erkrankten, ein Heilverfahren durchführen zu lassen, und ihnen so 
ihre Erwerbsfähigkeit für dauernd oder wenigstens für längere Zeit wiederzugeben; 
sie haben erkannt, daB die Ausgaben für solche Heilbehandlung geringer seien als 
die Renten, die durch diese Heilbehandlung erspart würden. So haben im Jahre 1912 
die deutschen Invalidenversicherungsanstalten 48861 Personen mit einem Kosten- 
aufwande von 19052953 Mark in Lungenheilstätten verpflegen lassen. In ähnlicher 
Lage wie die deutsche Iuvalidenversicherung befindet sich jetzt die k. u. k. Heeres- 
verwaltung. Die Zahl der österreichischen Lungenheilstätten aber ist sehr klein und 
genügt auch in Friedenszeiten nach keiner Richtung. Während in Deutschland 
161 Lungenheilstätten mit 16083 Betten vorhanden sind, verfügten alle Tuberkulose- 
heilstätten Österreichs zusammengenommen bei Kriegsbeginn über kaum 1000 Betten, 
dürften jetzt ca. 2000 Betten aufweisen. 

Es ist daher unbedingt notwendig, für eine größere Zahl von Betten zur Be- 
handlung Lungentuberkulöser zu sorgen. Am zweckmäßigsten erscheint die Erwei- 
terung der bestehenden Tuberkulose-Heilanstalten in weit größerem Maße, 
als es bisher geschehen ist. Diese Art der Schaffung weiterer Heilstättenbetten gibt 
die Gewähr dafür, daß die in Betracht kommenden klimatischen Verhältnisse günstige 
sind, daß die Behandlung durch erfahrene Ärzte erfolgt und erleichtert außerdem 
die Wirtschaftsführung. 

Ähnliche Vorteile würde die Schaffung von Tülerkalessssvilonen zur 
Behandlung Lungenkranker aller Stadien im Anschluß an klimatisch günstig ge- 
legene Bezirkskrankenhäuser bieten. 

Alle derartigen Bauten und Erweiterungen aber wären nicht genügend, um 
dem gewaltigen Zustrom von Lungenkranken, der jetzt schon, aber insbesondere bei 
der Demobilisierung sich einstellen wird, Aufnahme gewähren zu können. Um 
möglichst rasch und möglichst billig eine so große Zahl von Anstalten für Lungen- 
kranke schaffen zu können, würde es sich empfehlen, von den Barackenspitälern 
‘und Barackenanlagen für Flüchtlinge und Internierte die klimatisch gut ge- 
legenen auszuwählen und sie durch den Bau einfacher Liegehallen, teils in 
Lungenheilstätten für Leichtkranke, teils in Spitäler für Tuberkulöse 
aller Stadien umzugestalten. Daß sich Baracken für den Betrieb von Lungen- 
heilstätten eignen, beweist das Beispiel der ältesten preußischen Lungenheilanstalt 
. Grabowsee bei Berlin. Selbstverständlich müßte dafür gesorgt werden, daß die Be- 
handlung auch in diesen Anstalten durch in der Tuberkulosebehandlung spe- 
zialistisch geschulte und erfahrene Ärzte erfolge. 

Auch durch die Errichtung von Tageserholungsstätten in der Nähe größerer 
Städte kann auf billige Weise für Tuberkulöse gesorgt werden. 

Ganz zu vermeiden ist die Errichtung von. Tuberkulosespitälern in großen 
Städten sowie die Schaffung von Anstalten, die ausschließlich für Schwertuberkulöse 
bestimmt sind. 

Für die Heilung der Knochen- und Gelenkstuberkulose haben sich die 
Sonnen- und Höhenheilstätten auf das beste bewährt. Solche Heilstätten aber 
können nur in besonders günstig gelegenen Orten errichtet werden, Sowohl das 


BD. 20, HEFT 5. VERSCHIEDENES. 393 


Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose in Steiermark haben die nötigen 
Vorarbeiten zur Errichtung solcher Heilstätten getroffen und könnten diese An- 
stalten bei Zuweisung der nötigen Geldmittel sofort in Angriff genommen und 
in kürzester Zeit hergestellt werden. 

Es müßte weiter dafür gesorgt werden, daß die nach Entlassung aus der Heil- 
stätte wieder zur militärischen Dienstleistung Zurückkehrenden in für sie möglichst 
wenig schädlicher Art, z. B. nicht in staubigen Monturdepots und ähnlichem, 
beschäftigt werden. 

Um aber die in Heilstätten erzielten Erfolge zu dauernden zu machen, 
um die Heilstättenpfleglinge gesundheitlich zu überwachen, in der Heilstätte be- 
gonnene Tuberkulinkuren fortzusetzen oder zu wiederholen, sowie auch um für jene, 
bei denen aus irgendeinem Grunde Heilstättenbehandlung nicht notwendig oder 
nicht möglich ist, versorgen zu können, ist ferner notwendig: 

Die Errichtung von „Fürsorgestellen“, teils im Anschluß und durch Er- 
weiterung der bereits bestehenden, teils durch Neuschaffung. 

Zur Durchführung aller auf Behandlung und Bekämpfung der Tuberkulose 
gerichteten Maßregeln wäre ein enges und stetes Zusammenarbeiten der Be- 
hörden mit den seit langem auf diesem Gebiete tätigen großen Vereinen, 
die im „Österreichischen Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose“ zusammen- 
geschlossen sind, von größtem Nutzen. Sowohl das genannte Komitee als auch alle 
ihm angeschlossenen Vereine sind gerne bereit, ihre Kräfte und Erfahrungen zur 
Verfügung zu stellen. 

Das genannte „Österreichische Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberku- 
lose“ sowie alle ihm angeschlossenen Vereine beehren sich, an ein hohes Ministerium 
das ergebene Ansuchen zu stellen, daß es ihnen gestattet werde, falls die oben an- 
geführten Maßnahmen zur Durchführung gelangen sollten, ihre Kräfte und Er- 
fahrungen zur Verfügung zu stellen. 


—_— 


Pulmonary tuberculosis in the army. (The Lancet, 4. III. 1916, p. 519.) 

Der Artikel der Schriftleitung beschäftigt sich mit der Frage der Versorgung 
der Leute im Heer, die wegen Lungentuberkulose dienstunbrauchbar werden. Diese 
Frage ist namentlich hinsichtlich der Versorgungsansprüche in England ein recht 
unsicheres Gebiet, schlecht oder gar nicht gelöst, und deshalb neuerlich wiederholt 
erörtert. Sir Fr. Milner hat sich kürzlich in einem Brief an die Times sehr stark 
dagegen ausgesprochen, daß man diesen Leuten irgendwelche Ansprüche verweigern 
will. Er führte einen Fall an, wo ein Mann eine gute Stellung, wo er wöchentlich 
35 sh. verdiente, aufgab, um ins Heer einzutreten; später wurde er dann wegen 
Schwindsucht entlassen. Der Chef des Sanitätswesens (Director General of Medical 
Services), an den die Sache kam, gab zu, daß der Mann bei der Einschreibung 
zweifellos ganz gesund gewesen sei, daß bei seinen Angehörigen keine Spur von 
Schwindsucht bekannt sei, und daß die Krankheit im Dienst entstanden sei. Aber 
er fügte hinzu, daß die Sanitätsbehörde (Medical Board) entschieden habe, daß das 
Leiden nicht auf den Dienst zurückgehe, und wies also dieser Behörde die Ver- 
antwortlichkeit zul Am 17. II. 1916 wurde im Unterhaus ein Antrag erörtert, der 
mit Bedauern feststellte, daß die Regierung nirgends auch nur eine Absicht erwähne, 
die Verantwortung und Verpflichtung von Renten und Erleichterungen für alle Leute 
zu übernehmen, die wegen Krankheiten aus dem Heer oder der Flotte entlassen 
werden, die während des Dienstes unter den Waffen entstanden sind. M. Forster 
erinnerte daran, daß nach einer Königlichen Verfügung (Royal Warrant) Krankheit 
oder Verletzung, die zu einer Entschädigung berechtigen soll, auf erwiesener Dienst- 
beschädigung als Ursache beruhen muß, und daß eine Sanitätsbehörde darüber 
entscheiden solle. Man nehme aber irrtümlich an, daß es gegen diese Ent- 
scheidung keinen Einspruch gebe: Die ärztlichen Autoritäten wie die maßgeben- 


Ze © 
Ey 


394 VERSCHIEDENES. a i 


den Persönlichkeiten im Kriegsministerium ständen der Frage sehr wohlwollend 
gegenüber. Vielleicht seien auch die Sanitätsbehörden unnötig hart und engherzig 
in der Auslegung der Bestimmungen der genannten Königlichen Verfügung gewesen: 
Man müsse jeden Fall für sich, nicht nach allgemeinen Regeln betrachten, die 
schwierig festzulegen seien. Ein Mann, der nur 3—4 Monat im Dienst war und 
sich dann als schwindsüchtig erweist, kann das Leiden kaum auf den Dienst zurück- 
führen. Es sei bekannt, daß manche frühern Heilstätteninsassen ins Heer eingetreten 
sind, einzelne davon mit offener Tuberkulose, sogar mit Blutauswurf. Hat ander- 
seits ein Mann bereits mehrere Jahre gedient, ohne jemals Zeichen von Lungen- 
erkrankung darzubieten, und entwickelt sich dann, nachdem er 12 Monate in Frank- 
reich gestanden hat, Schwindsucht, dann liegt ohne Zweifel Dienstbeschädigung mit 
vollem Anspruch auf Rente vor. Das sind aber Extreme, die meisten zu beurtei- 
lenden Fälle liegen dazwischen, und die Entscheidung ist oft schwer. Auch ist ja 
mit der Verschlimmerung einer bis dahin gutartigen, latenten Tuberkulose infolge 
der Anstrengungen und Schädlichkeiten des Dienstes zu rechnen. Das ist aber 
doch wohl die allerhäufigste und die gewöhnliche Entstehung der Tuberkulose im 
Heer! (Ref. Für die Leute, die vor dem Eintritt in den Dienst nach der Insu- 
rance Act versichert waren, kann nach der Entlassung auch diese staatliche Versicherung 
eintreten, obwohl Verheiratete nicht immer gern Gebrauch davon machen, weil sie 
nicht wissen, wer für ihre Angehörigen sorgt. Forster erklärt deshalb zur Genug- 
tuung der Schriftleitung, daß die Regierung einen neuen Ausschuß einsetzen werde, 
der über alle zweifelhaften Fällen wohlwollend entscheiden solle. 

Es unterliegt keinem Zweifel, daß unsere entsprechenden Einrichtungen in 
Deutschland viel klarer, abgeschlossener und weitherziger sind, daß wir im wesent- 
lichen bereits haben was die Engländer erst anstreben. Meißen (Essen). 


G. S. Banks: Tuberculous cases on active service. (The Lancet, 5. II. 1916, 
P. 323.) 

Banks, amtlicher Tuberkulosearzt in Aberdeen, macht seiner Versicherungs- 
behörde einige bemerkenswerte Angaben über die Anzahl tuberkulöser Versicherter 
des Bezirkes, die früher in Heilstättenbehandlung waren und jetzt in Kriegsdienst 
(Heer und Flotte) getreten sind. Bis 12. I. 1916 waren es 64 Leute, wovon 57 
im Heer, 7 bei der Flotte (Minensucher) dienten. Von den 64 litten 58 an Lungen- 
tuberkulose, und von diesen waren 34 wiederholt in Heilstätten und Krankenhäusern 
gewesen. Ein Mann hatte sich einschreiben lassen, als er in der Tuberkulose- 
abteilung eines städtischen Krankenhauses war. rọ Leute von den 64, die sich 
einreihen ließen, waren jüngst im Frontdienst, 14 an der Westfront, 5 auf Minensuchern. 
Von 6 Leuten, die aus dem Dienst entlassen wurden, hatte sich einer nicht weniger 
als dreimal einschreiben lassen, bevor er als untauglich endgültig ausschied, und 
drei wurden bei der einen Waffe entlassen, um sich bei einer anderen wieder ein- 
reihen zu lassen. Was die Schwere der Fälle anlangt, so waren von 48 Fällen von 
Lungentuberkulose ı im I., 12 im Il. und 35 im III. Stadium.(!) Von 43, deren 
Auswurf untersucht wurde, hatten 20 positiven Bazillenbefund. Von den 14 Leuten 
an der Westfront waren 4 drüsen-, 10 lungenkrank und von diesen IO waren 6 
im II., 4 im III. Stadium; 3 hatten Bazillen im Auswurf. Von denselben 14 Leuten 
waren nur einer im Dienst zusammengebrochen, und auch der nur zeitweilig. Banks 
schließt hieraus, daß die Lebensbedingungen im Feld für die allgemeine Gesundheit 
Tuberkulöser nicht ungünstig sind, wenn das Leiden nicht ausgesprochen aktiv und 
nicht zu weit vorgeschritten ist. Die gewöhnliche Annahme, daß die fortgesetzte Eiu- 
wirkung des rauhen Winters unvermeidlich große gesundheitliche Gefahren bringe, 
wird also durch diese Erfahrungen nicht bestätigt, und die etwa vorhandenen Ge- 
fahren werden durch die günstigen Einflüsse des fortgesetzten Freiluftlebens mehr 
als ausgeglichen. Es ist sehr wahrscheinlich, daß Banks mit diesen letzten Schluß- 
folgerungen nicht so unrecht hat. Auffallend ist die große Zahl der Leute im 


BD. 25, . h 
D. 25, HEFT 6 ' VERSCHIEDENES. č č  ć < = 395 | 


III. Stadium, die gleichwohl den Dienst gut vertragen sollen. Es wird aber wohl 
so sein wie bei uns, wo die vorgerückten Stadien von vielen Ärzten bereits erkannt 
worden, wo nüchterne Untersucher anders urteilen. ' Außerdem ist immer wieder 
zu bedenken, daß die Lungentuberkulose sich sehr verschieden gestaltet und sehr 
verschieden ertragen wird. Es würde geradezu ein Fehler sein, alle und jede tu- 
berkulöse Lungenerkrankung 'vom Dienst zu befreien oder aus dem Dienst zu ent- 
lassen: das muß von Fall zu Fall entschieden werden. Offene Tuberkulosen frei- 
lich gehören nach der Auffassung des Ref. und vieler anderer nicht ins Heer, 
obschon es auch viele dieser „Bazillenträger“ gibt, die durchaus und jahrelang 
kräftig und leistungsfähig sind, sei es nun daß ihre Bazillen kaum noch virulent 
sind, oder daß virulente Bazillen nur von einer bestimmten, abgegrenzten Stelle 
ausgeschieden werden. Ref. kannte eine ganze Anzahl derartiger Fälle. Es sollte 
allgemeiner auf solche Vorkommnisse geachtet werden, die bisher nur gelegentlich 
erwähnt wurden. i Meißen (Essen). 


J. L. Thomas: Segregation of consumptive soldiers and others. (Bris. Med. 
Journ., 19. II. 1916, p. 292.) 

Thomas, Tuberkulosearzt für West Monmouth, hebt hervor, daß die Für- 
sorgestellen eine zunehmende Anzahl von tuberkulösen Soldaten melden, und daß 
die Krankenhäuser eine stetig wachsende Menge von Lungenkranken aufzunehmen 
gezwungen sind. In England scheint man also unliebsamere Erfahrungen mit der 
Tuberkulose im Krieg zu machen, als, wenigstens bisher, wir in Deutschland. Er 
fordert Isolierung der Tuberkulösen in „segregation camps“ nach dem berüchtigten 
Muster der „concentration camps“, und meint, daß man geeignete Räumlichkeiten 
in den nach der Ausbildung freiwerdenden Truppenlagern finden würde. Er weist 
auch auf die mittelalterlichen Aussatzhäuser hin, von denen an alten Kirchen noch 
Reste vorhanden sind, Man kann voraussagen, daß Thomas’ Anregungen schwer- 
lich durchgeführt werden, auch in England nicht. Meißen (Essen). 


Edward E. Prest: Tuberculosis and the war. (The Lancet, 4. III. 1916, p. 532.) 

Die Überschrift ist nicht ganz zutreffend: Prests Tuberkulosebrief an die 
Schriftleitung des Lancet — er ist Arzt am Ayrshire Sanatorium zu New Cumnock 
— beschäftigt sich ausschließlich mit Wünschen und Vorschlägen für die Einrichtung 
der Lungenheilstätten. Er behauptet, daß unglücklicherweise (in England) sehr wenig 
Sanatorien vorgesehen seien, die für die Aufnahme heilbarer Fälle eingerichtet sind, 
und selbst die es sind, verfügten nicht immer über Einrichtungen zur Behandlung 
beginnender Fälle. Das wäre also ungefähr das umgekehrte Verhältnis wie in 
Deutschland, wo für die schweren Fälle noch besser gesorgt werden könnte. Prest 
meint aber mehr die Art der Behandlung der Frühformen der Lungentuberkulose, 
die ihm ungenügend oder unrichtig erscheint. Er ist Anhänger der abgestuften 
Ruhe und Bewegung etwa wie es Brehmers Grundsatz war, und führt einen Passus 
aus dem alten Niemeyerschen Handbuch aus dem Jahre 1866 an, der zeigt, daß 
man die gleiche Methode je nach dem Stande unseres Wissens recht verschieden 
begründen kann. Prest fordert, daß man Örtlichkeiten schaffe für Tuberkulöse, die 
nicht manifest krank sind; solche Kranke dürften nicht mit Schwerkranken zusammen- 
gebracht werden, und sie müßten soweit gebracht werden, daß sie wirklich geheilt 
sind und ihrer früheren Beschäftigung ohne weiteres nachgehen können, ohne „Nach- 
fürsorge“ (after-care) Diese Nachfürsorge, von der so viel geredet wird, komme 
offenbar eigentlich nur für die recht wenig befriedigenden Formen der Tuberkulose 
(very unsatisfactory type of cases) in Betracht. Sie muß ins Auge fassen die Ver- 
hinderung der Ansteckung der Angehörigen und Hausgenossen. Die schwierige 
Belehrung der Kranken über ihr Tun und Lassen, und die Ausschaltung oder Un- 
schädlichmachung von chronischen Bazillenträgern („chronics“), die, anscheinend ge- 
sund und nicht selten durchaus arbeitsfähig, leicht die Hauptvertreter der Ansteckung 


} 


ZEITSCHR, f, 


werden. Die „chronics“ sind die Leute, die häufig nicht an ihrer Tuberkulose, 
sondern mit ihrer Tuberkulose an anderen Krankheiten sterben, und gerade da- 
durch gefährlich werden. Prests Ausführungen enthalten zweifellos etwas Wahres. 
Der Gedanke ist in ähnlicher Weise von Jane Walker in dem hier besprochenen 
Svmposium des 1. Heftes, X. Bandes des Brit. Journ. of Tuberculosis ausgesprochen 
worden. Ein amerikanischer Autor, den wir unlängst hier erwähnten, hielt nicht 
mit Unrecht ein fortgesetztes „gottesfürchtig Leben“ für ausreichend zur Heilung der 
gemeinten Fälle, und bei uns in Deutschland mehren sich die Stimmen, die es für 
ein Unrecht oder einen Widersinn halten, daß unsere Heilstätten einen so hohen 
Prozentsatz von ganz Leichtkranken oder nur Verdächtigen beherbergen, für die die 
durchschnittliche schematische Kur sicher nicht die richtige oder bestmögliche ist. 
Freilich „Leicht wohnen beieinander die Gedanken, doch hart im Raume stoßen 
sich die Sachen!“ Es ist nicht so leicht, gute Gedanken in die Tat umzusetzen. 
Vielleicht aber hat hier der Krieg sein Gutes, der an sich der Tuberkulosebekämp- 
fung manche Hemmung gebracht hat. Er gibt dadurch Zeit und Anlaß zum Nach- 
denken, und hernach könnte sich dann die nötige Reform unseres Heilstätten- 
wesens leichter vollziehen. Meißen (Essen). 


Tuberculosis in London. Brit. Med. Journ., 4. III. 1916, p. 358.) 

Die Organisierung der Tuberkulosebekämpfung in London, wie sie beabsichtigt 
und nach dem Gesetz vorgesehen ist, stößt, wohl infolge des Kriegs, auf Schwierig- 
keiten. Man muß sich mit vorläufigen Einrichtungen begnügen, aus denen aber die 
endgültigen sich bald entwickeln sollen. Es stehen einstweilen 231 Betten für Kinder 
und roo für Erwachsene zur Verfügung. Für die gesamten Ausgaben sind aber 
16800 £ bereitgestellt. l Meißen (Essen). 


Small-pox and tuberculosis (Brit. Med. Journ., 4. III. 1916, p. 358.) 

In Salford kam eine kleine Pockenepidemie zum Ausbruch. Um die Kranken 
und die zahlreichen, mit ihnen in Berührung gewesenen, vielleicht angesteckten 
Leute zu isolieren, blieb nichts übrig, als die Tuberkuloseabteilung des Kranken- 
hauses vollständig zu räumen und diese Kranken anderweitig unterzubringen! Das 
gab allerlei Mißlichkeiten; man tröstet sich aber damit, daß die Pockenepidemie 
anscheinend rasch erlischt: es waren nur 4— 5 Fälle, von denen nur einer starb; die 
Quarantäne der gesunden Isolierten muß abgewartet werden. Meißen (Essen). 


E. G. Reeve: Nascent jodine in phthisis. (Brit. Med, Journ., 26.11.1916, p. 332.) 
Das Verfahren Reeves, der die Tuberkulose mit Jod in statu nascendi heilen 
will, ist bereits in Bd. 23 dieser Zeitschrift, S. 284 besprochen worden. Reeve gibt 
erst eine Lösung von Jodkalium und vier Stunden später frisch bereitetes Chlor- 
wasser. Es ist anzunehmen, daß durch die Medikation jedenfalls der Magen des 
Kranken gründlich geschädigt wird. Meißen (Essen). 


Health of the United States Army in 1915. (The Lancet, 4. III. 1916, p. 524.) 

Ein in mancher Hinsicht lehrreicher Bericht über die Gesundheitsverhältnisse 
im nordamerikanischen Heer, dem wir nur einige wenige Angaben entnehmen, auf 
die wir aber verweisen.‘ Die Kopfstärke der weißen und farbigen Truppen der 
Vereinigten Staaten war IgI4 zusammen 88133 gegen 81697 in 1913. Davon 
stehen 61362 im Lande selbst, der Rest auswärts, besonders auf den Philippinen 
(10253). Im gesamten Heer ist die Haupttodesursache die Tuberkulose: die Todes- 
ziffer beträgt 0,47°/,, und ist fast dreimal so groß wie die Sterblichkeit durch 
Lungenentzündung oder Herzleiden (je 0,17°/,,), Im englischen Heer war für das 
Jahrfünft 1907—ıgıı die Todesziffer für Tuberkulose 0,26°/,,, für Lungenentzün- 
dung 0,34 °/,,, für Herzkrankheiten 0,12 /,,- 

Bemerkenswert ist, daß unter den an der mexikanischen Grenze und in Texas 
seit IgI2 verteilten Truppen kein Fall von Typhus bei typhusgeimpften Leuten 


BD. 26, HEFT 6. ! 
1916. VERSCHIEDENES. 397 


vorgekommen ist. Die Impfungen sind seit 1911 zwangsmäßig, ebenso die Wieder- 
impfungen. Der Rückgang der Erkrankungen ist sehr auffällig. Meißen (Essen). 


Garment making and some dangers to- health. U. St. Public Health Service, Bul- 
letin 71. (The Journ. A. M, A., 18. XII. 1915, p.2169.) | 
Mit den Gesundheitsverhältnissen des Kleidermacher- oder Schneidergewerbes 
in den Vereinigten Staaten haben sich mehrere Veröffentlichungen beschäftigt, die 
wir bereits besprochen haben. Die vorliegende beruht auf Untersuchungen des 
amerikanischen Öffentlichen Gesundheitsamtes. In Amerika ist das Kleidermacher- 
gewerbe fast ganz aus den Händen kleiner Schneidermeister gekommen, und auch 
die Heimarbeit ist ziemlich verschwunden. Große Gesellschaften (concerns) haben 
sich seiner bemächtigt und beschäftigen Massen von Arbeitern und Arbeiterinnen 
in oft sehr engen und überfüllten Räumen. Die gesundheitlichen Verhältnisse sind 
deshalb wenig günstig, und namentlich Lungentuberkulose ist sehr häufig, wie der 
Bericht erwähnt, zehnmal so häufig (bei den männlichen Arbeitern) wie im ameri- 
kanischen Heer, wo die Todesziffer 0,47 o beträgt. Als Gründe werden angegeben: 
eingewurzelte ungesunde Gewohnheiten, die reichliche Gegenwart feinen fliegenden 
Staubes in den Werkstätten, „woolen fly“, Wollfliege wird es bei den Leuten ge- 
nannt, und schlechter Stoffumsatz infolge dauernder sitzender Lebensweise, unge- 
nügender Nahrung und Löhnung. Es werden Vorschläge erwogen, um hier Abhilfe 
und Besserung zu schaffen, die an sich nahe liegen, deren Durchführung aber 
schwierig ist. Meißen (Essen). 


The control of tuberculosis. (Med. Record [New York], 8. I. 1916, p. 67.) 

Der Artikel der Schriftleitung erwähnt, daß auf der unlängst stattgehabten 
Jahresversammluug der North Atlantic and New York State Conference on Tubercu- 
losis V. G. Heiser berichtete, daß man in Victoria (Australien) die Tuberkulose 
völlig ausgerottet habe (stamped out), indem man einfach jeden einzelnen Kranken, 
ob er wollte oder nicht, sofort in Behandlung brachte. Die Behandlung geschah 
in der eigenen Wohnung, wenn der Fall sicher nicht ansteckend war und Heilung 
erwarten ließ. Ist der Kranke der Ernährer der Angehörigen und bedürftig, so 
tritt die Gemeinde ein. Frauen und Kinder unterliegen dem gleichen Zwange, 
d.h. sie werden aus ihren Wohnungen entfernt, sobald sie nach der Meinung der 
Sachverständigen eine Gefahr für ihre Umgebung bilden, und einem Sanatorium 
oder Krankenhaus überwiesen. Die Schriftleitung der amerikanischen Wochenschrift 
knüpft hieran Betrachtungen, ob ein derartiges Verfahren auch in Amerika möglich 
wäre, und bezweifelt es sehr: dann müsse erst die Auffassung durchdringen, daß 
Staat und Gemeinde alles, der Einzelne nichts sei, oder die Phthiseophobie müsse 
erst so groß werden, daß sie zu derselben hysterischen Unmenschlichkeit (hysterical 
inhumanity) führe wie es die Leprophobie getan hat und noch tut. Heiser ist 
aber optimistischer, und meint man könne das Ziel wie in Australien doch auch 
anderswo erreichen: es sei nichts weiter nötig als eine weise und gerechte Regierung, 
eine praktische und geschickte Gemeindeverwaltung, gut ausgebildete Hygieniker und 
Ärzte, sowie ein intelligentes Volk! Die Schriftleitung bemerkt dazu, daß, wenn 
das alles gegeben ist, allerdings jedes beliebige sanitäre Ziel erreicht werden kann! 

Meißen (Essen). 


Institute for tuberculosis workers. (Boston Med. and Surg. Journal, 13.1.1916, p.66.) 

Die Zeitschrift lenkt die Aufmerksamkeit auf das „Institute for Tuberculosis 
Workers“, d.h. eine Art Schule, um geeignete Leute in der allgemeinen Bekämpfung 
der Tuberkulose praktisch auszubilden. Das Unternehmen soll im Juni d. J. ins 
Leben treten und wird von Ph. P. Jacobs, dem 2. Sekretär der National Association 
for the Study and Prevention of Tuberculosis. geleitet. Die Mitarbeit zahlreicher 
Fachleute ist gesichert. Die Kosten sind auf ro f! angesetzt. Es sind Vorträge 
mit freier Erörterung und Besuche von Fürsorgestellen, Heilstätten usw. in Aussicht 


| ZEITSCHR. f. 
398 VERSCHIEDENES, TUBERKULOSE 


genommen, also theoretischer und praktischer Unterricht. Zweck und Absicht des 
Unternehmens ist: i 

I1. Leute heranzubilden, die als Sekretäre oder sonstige ausführende Angestellte 
auf dem Gebiete der Tuberkulosebekämpfung wirken sollen. 

2. Den Zuhörern die hohe Bedeutung der Tuberkulose und ihrer Bekämpfung 
für das Volk, den Staat, die Gemeinden und den Einzelnen darzulegen. 

8. Die besten Wege der Tuberkulosebekämpfung festzulegen. Meißen (Essen). 


Physicians for tuberculosis clinics. (Med. Record [New York], 22. I. 1916, p. 159.) 
Das Department of Health (Gesundheitsamt) des Staates New York bemüht 
sich um Ärzte, die sich für die Tuberkulosebewegung interessieren, um sie als frei- 
willige Assistenten in den einzurichtenden Tuberkulosekliniken zu verwenden. Die 
angestellten Ärzte bekommen 300 ‚f für die Mühewaltung, und die freiwilligen As- 
sistenten sollen bald fest angestellt werden, wenn sie eine einfache Prüfung be- 
standen haben. Das Anerbieten bezieht sich wohl auf junge Ärzte, die sich zeit- 
weilig mit der Tuberkulosebehandlung beschäftigen wollen. Das Angebot wäre sonst 
nicht sehr verlockend. Meißen (Essen). 


Tuberculosis in New York. 

Die Zahl der Tuberkulösen in der Stadt Neu York wird auf etwa 50000 ge- 
schätzt. Dem städtischen Gesundheitsamt sind 37000 bekannt. Davon sind aber 
nur 3200 in privatärztlicher Behandlung und 6000 in städtischen Einrichtungen 
(Fürsorgestellen u. dgl... Es wird angenommen, daß etwa 15000 in Kliniken (Kranken- 
häusern) behandelt werden. Meißen (Essen). 


Tuberculous patients and the law. 

Die amerikanischen Gesetze sind ziemlich streng gegenüber Tuberkulösen. Es 
bestehen Verfügungen über Maßnahmen zur Verhinderung der Ansteckung, deren 
Befolgung unter Umständen durch Bestrafung erzwungen werden kann. Das kam 
kürzlich in mehreren Fällen zu Buffalo vor. Widerspenstige Tuberkulöse können 
sogar ins Gefängnis gesteckt werden, wo besondere Abteilungen für sie vorgesehen sind. 

Meißen (Essen). 


Miß Edythe L. M. Tate, Sekretärin der California Association for the Prevention 
of Tuberculosis, gewann in einer Prüfung vor der California Civil Service Commission 
den ı. Platz für die Stellung als Leiterin des Tuberkulosebureaus des State Board 
of Health, mit der ein Gehalt von 3000 § verbunden ist. Miß Tate hat sich sehr 
verdient gemacht um die Annahme eines Gesetzes, um dem genannten Bureau 
75000 ‚f staatlichen Zuschuß zu bewilligen, Meißen (Essen). 


Report of the tuberculosis committee in Maryland. 

Der bundesstaatliche Tuberkuloseausschuß, der im Mai 1915 mit der Untere 
suchung der Tuberkuloseverhältnisse im Staate Maryland beauftragt war, um Vor- 
schläge zur bestmöglichen Bekämpfung der Krankheit zu gewinnen, hatte am 15, Jan. 
1916 eine Versammlung unter dem Vorsitz von J.S. Fulton. Der Ausschuß be- 
fürwortete die Errichtung von Krankenhäusern auf dem Lande für tuberkulöse Neger 
im Anschluß an vorhandene Einrichtungen. Auch sollen Abteilungen für kranke 
Neger in den Krankenhäusern von Baltimore und den acht anderen Städten (Cumber- 
land, Hegerston, Frederik, Annapolis, Elkton, Easton, Cambridge und Salisbury), 
die staatliche Beihilfe für ihre Krankenhäuser bekommen. Der Ausschuß ist der 
Ansicht, daß die für den Staat billigste Maßnahme zur Einschränkung der Tuber- 
kulose darin bestehen würde, ‘daB er jeder der genannten acht Städte 20000 $ und 
Baltimore 50000 ff überwiese zur Einrichtung von Tuberkuloseabteilungen in den 
Krankenhäusern, und außerdem eine Beihilfe von ı ‚f täglich für jeden dort be- 
handelten Tuberkulösen. Diese Maßnahme ist ganz besonders für- vorgeschrittene 
Fälle nötig, die die größte Gefahr für die Umgebung bilden. Für weniger schwere 


BD. 25, HEFT 6. 
1916. VERSCHIEDENES. | 399 


Fälle ist die Einrichtung von ländlichen Kolonien mit geeigneter Beschäftigung im 
Anschluß an die Krankenhäuser ins Auge zu fassen. Meißen (Essen). 


Bill for the care of the tuberculous in the United States. 

Am 8. Jan. 1916 brachte der amerikanische Abgeordnete (Congressman) Kent 
eine Bill ein, um die Behandlung der Tuberkulose in den Vereinigten Staaten zu 
heben, vor allem die Versorgung bedürftiger Tuberkulöser durch staatliche Hilfe zu 
sichern. Der Schatzsekretär soll hiernach beauftragt werden, den: Behörden der 
Einzelstaaten Unterstützung zu gewähren zur Fürsorge und Behandlung solcher 
‚Kranker, soweit sie Bürger der Vereinigten Staaten sind, ohne daß sie dauernden 
Wohnsitz in dem betreffenden Staate zu haben brauchen, Es sollen öffentliche und 
private Krankenhäuser und Heilanstalten zur Aufnahme der Leute bestimmt werden, 
und von Zeit zu Zeit sollen Beamte des. Public Health Service (Staatliches Gesund- 
heitsamt) diese Einrichtungen besichtigen und prüfen. Die Höhe der Unterstützung 
soll alljährlich vom Schatzsekretär bestimmt werden. Der Höchstbetrag soll 75 cents- 
(etwa 3 M.) auf Tag und Kopf sein, der unmittelbar an die Krankenhäuser und 
Heilstätten für die behandelten Tuberkulösen ‚bezahlt wird, einen ähnlichen Betrag 
sollen die Einzelstaaten hergeben. Die Kranken müssen beweisen, daß sie ihren 
Wohnsitz nicht verlassen haben, um anderswo die Wohltat dieses neuen Gesetzes 
zu genießen. Die Öffentlichkeit soll durch regelmäßige Mitteilungen über die Wirk- 
samkeit der geplanten Maßnahmen unterrichtet werden. Meißen (Essen). 


Eine Tuberkuloseausstellung in Brüssel soll auf Anregung des Generalgou- 
verneurs von Belgien im Zusammenhang mit den zur Förderung der Volkswohlfahrts- 
pflege in den besetzten Gebieten gerichteten Bestrebungen des Generalgouvernements 
vorgeführt werden. Die Vorbereitungen hierzu hat das Deutsche Zentral-Komitee 
zur Bekämpfung der Tuberkulose übernommen. Die Ausstellung wird voraussichtlich 
im Mai eröffnet werden und außer Brüssel auch einige andere Städte besuchen. 
Sie wird ein vollständiges Wandermuseum des Deutschen Zentral-Komitees und zahl- 
reiche Ausstellungsgegenstände enthalten, die vom Kaiserlichen Gesundheitsamt in 
Berlin, von einer Reihe von Landesversicherungsanstalten und den größeren Tuber- 
kulosevereinen Deutschlands beigesteuert werden. Es wird auf diese Weise möglich 
sein, der belgischen Bevölkerung eine Vorstellung davon zu geben, was in Deutsch- 
land während der letztem 20 Jahre auf dem Gebiete der Tuberkulosebekämpfung 
geschehen ist und welche Erfolge durch das Zusammenwirken der sozialen Ver- 
sicherung mit den Staats- und Gemeindebehörden und den BUDEIEUIOSENELEIBER auf 
diesem Gebiete erzielt worden sind. 


Die Jahresversammlung des Deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung 
der Tuberkulose findet am ı9. Mai in Berlin statt. Ministerialdirektor Kirchner 
wird über die Aufgaben der Tuberkulosebekämpfung während des Krieges sprechen. 


Neue Tuberkuloseanstalten in Gießen. Unter dem Vorsitz von Geheimrat 
Dr. Dietz aus Darmstadt hat in Gießen eine Konferenz zur Beratung des Projekts 
der Errichtung neuer Heilanstalten stattgefunden. An der Beratung nahmen u. a. 
teil der Präsident des Reichsversicherungsamtes Kaufmann aus Berlin, Geheimrat 
Prof, Pannwitz, z. Zt. Chef der Sanitätsverwaltung für Belgien, aus Brüssel, die 
Universitätsprofessoren Jesionek und v. Eicken sowie der Oberbürgermeister von 
‚Gießen. Es wurden die Pläne zur Errichtung einer Lichtheilstätte nach dem Ver- 
fahren von Prof. Jesionek (s. dessen Artikel in diesem Band S. r), sowie einer 
Anstalt für Kehlkopftuberkulöse nach Prof. v. Eicken besprochen. Die Stadt Gießen 
hat für die Errichtung dieser Anstalten Baugelände im Werte von 180000 M. 
kostenfrei zur Verfügung gestellt. 


Wien. Für lungenkranke Soldaten sind durch Sammlung an zwei Tuberku- 
losetagen 600000 Kr. aufgebracht worden. 


ZEITSCHR. f. 
40 VERSCHIEDENES, Z TOBERKUDOSE 


Personalien. 


Von Neuem hat die medizinische Wissenschaft und speziell die Tuberkulose- 
forschung einen schweren Verlust durch den Krieg erlitten. Am 30. März ist im 
40. Lebensjahre Prof, Dr. Paul Römer, beratender Hygieniker bei einem Reserve- 
korps im Osten, dem Flecktyphus erlegen. Römer, ein Schüler und Mitarbeiter 
v. Behrings, wurde vor wenigen Jahren Nachfolger Löfflers auf dem Lehrstuhl der 
Hygiene in Greifswald und erhielt während des Krieges einen Ruf nach Halle als 
Nachfolger des kürzlich verstorbenen Professor Karl Fränkel. — Die Verdienste 
Römers um die Tuberkuloseforschung werden im nächsten Hefte gewürdigt werden. 


Geh. Sanitätsrat Dr. Arnold Libbertz, ein Jugendfreund Robert Kochs, ist 
in Frankfurt a. M. im Alter von 73 Jahren gestorben. Libbertz wurde im Jahre 1890 
zusammen mit Cornet und Pfuhl zur praktischen Erprobung des Tuberkulins von 
- Koch herangezogen. Als nach Behrings Entdeckung des Diphtheriserums dieses von 
den Höchster Farbwerken fabrikatorisch hergestellt wurde, übernahm Libbertz die 
Serumabteilung der Farbwerke, die bald nachher auch die Herstellung des Tuber- 
kulins besorgte. Es ist Libbertz Verdienst, diese Abteilung, die nach seinem Rück- 
tritt vor einigen Jahren von Prof. Ruppel geleitet wird, zu ihrer Höhe gebracht zu 
haben, um die uns die feindlichen Völker beneiden. Libbertz, der mit Koch in 
ständiger Verbindung und selbstverständliich auf dem Tuberkuloseforschungsgebiet 
wohl vertraut war, ist publizistisch kaum hervorgetreten. Nur die s. Zt. von F. F. Fried- 
mann in Höchst ausgeführten Rinderimmunisierungsversuche, über welche der Autor 
angeblich günstige Resultate mitteilte, veranlaßten Libbertz in Gemeinschaft mit 
Ruppel sehr energisch dagegen Stellung zu nehmen (Deutsche med. W. 1905), so daß 
jenes Verfahren schneller abgetan wurde, als die ro Jahre später von Friedmann 
angepriesene Immunisierungsmethode beim Menschen. — Im Jahre 1906 begleitete 
Libbertz die Kochsche Expedition zur Erforschung der Schlafkrankheit nach Afrika. 


Dr. J. F. Schmidt, der Vorstand des schweizerischen Gesundheitsamtes, ist in 
Bern am 17. Februar im Alter von 66 Jahren gestorben. Als langjähriger Präsident 
der schweizerischen Zentralkommission zur Bekämpfung der Tuberkulose, die er ins 
Leben gerufen, hat Schmidt nicht nur in der Schweiz, sondern auch über sein 
engeres Heimatland hinaus sich große Verdienste erworben. 


Stabsarzt d. L. Professor Dr. Meissen, unser geschätzter Mitarbeiter, der 
gerade während der Kriegszeit durch seine zahlreichen Beiträge die Zeitschrift in 
dankenswerter Weise unterstützt hat, ist zum Oberstabsarzt befördert worden. Meissen 
ist seit Kriegsbeginn als diensttuender Sanitätsoffizier beim Bezirkskommando in Essen 
sowie als stelivertretender Lazarettdirektor tätig und wurde später noch zum fach- 
ärztlichen Beirat für innere Krankheiten ernannt. 


Oberstabsarzt Dr. Brecke-Überruh, Chefarzt eines Feldlazaretts im Westen 
(s. H. 3, S. 240), wurde im März das Ritterkreuz 1. Klasse des Württembergischen 
Friedrichs-Ordens mit Schwertern verliehen. 


Hofrat Dr. Wolff-Reiboldsgrün, der Vorsitzende des Sächsischen Volksheil- 
stättenvereins für Lungenkranke, wurde in Anerkennung seiner Verdienste um die 
Tuberkulosebekämpfung mit der goldenen Rote Kreuz-Medaille ausgezeichnet. Die- 
selbe wurde ihm auf der Januar-Tagung obigen Vereins in Dresden namens des 
stellvertretenden Inspektors der freiwilligen Krankenpflege Fürsten Hatzfeld überreicht. 


ER er m Sm Dass 


Druck von Metzger & Wittig in Leipzig. 


Band 25. es | Heft 6. 


ZEITSCHRIFT FÜR TUBERKULOSE. 


HERAUSGEGEBEN VON 
G. GAFFKY, M. KIRCHNER, F. KRAUS, W.v. LEUBE, J. ORTH, F. PENZOLDT. 
Redaktion: A. KUTTNER, L. RABINOWITSCH. 


L ORIGINAL-ARBEITEN. 


XXL 


Die Bedeutung der psychischen Momente für den Verlauf der 
Lungentuberkulose. 


(Mitteilung aus dem Boserup-Sanatorium, Roskilde-Kopenhagen, Dänemark) 
Von 
Dr. med. N. J. Strandgaard, Chefarzt, 


Se x ist allgemein bekannt, daß psychische Momente einen merkbaren 
er D7 Einfluß auf die Körpertemperatur der Brustkranken haben können, be- 
BA sonders daß. deprimierende Eindrücke leicht Temperaturerhöhung 
hervorrufen, In Sanatorien macht man oft die Beobachtung, daß vorüber- 
gehende Temperatursteigerung nach Gemütsbewegungen verschiedener Art auf- 
tritt, speziell bei schwereren, bettlägerigen Patienten. Zuweilen sind es ziemlich 
unbedeutende Veranlassungen, die solche Temperatursteigerungen verursachen, 
Eine mündliche oder schriftliche Mitteilung, daß ein Angehöriger krank ge- 
worden ist, Enttäuschung über das Ausbleiben eines erwarteten Briefes oder 
Besuches, eine Nichtübereinstimmung mit einem Zimmergenossen, Ärger darüber, 
in ein anderes Zimmer versetzt zu werden, oder darüber, daß der Arzt die 
Erlaubnis zu einer gewünschten Abweichung der Kurregeln usw. versagte, 
sind hinreichend, um die Temperatur mehrere Zehntelgrade zu erhöhen. Ge- 
wöhnlich fällt die Temperatur schnell wieder und wird normal. . Zuweilen 
können aber die psychischen Momente langandauernde Fieberperioden!) zur 
Folge haben. Weniger bekannt ist, daß durch die erwähnten Anlässe nicht 
allein Temperaturerhöhung entstehen karin, sondern auch ernstere Ver- 
schlimmerungen des Gesundheitszustandes im ganzen eintreten können. 
In der Literatur wird zwar erwähnt, daß Ärger, Kummer, Angst, Gemüts- 
bewegungen und ähnliche psychische und nervöse Momente als disponierende 
Ursachen zum Aufflammen einer latenten, passiven oder stationären Lungen- 
tuberkulose wirken können und im ganzen zur Verschlimmerung des Verlaufes 
dieser Krankheit beitragen. 2) Die meisten Verff. erwähnen es aber bloß ganz 


1) Siehe z, B. Köhler, Görbersdorfer Veröffentlichungen. Berlin 1902, S. 40; Ref. von 
Saugman in: Brauer, Schröder und Blumenfelds Handb, der Tuberkulose, 2. Bd., Leipzig 
1914, S, 287. 

” 9) Felix Wolff, Lungenschwindsucht, Wiesbaden 1894, S. 31 und 44i, Cornet, Tuber- 
kulose, Wien 1899, S. 292; Turban, Lungentuberkulose, Wiesbaden 1899, S. 89; Jacob und 


Zeitschr. f. Tuberkulose, 25. 26 


402 N. J. STRANDGAARD. ECR 


kurz und vorübergehend ohne nähere Beweise, und von anderen wird es über- 
haupt nicht erwähnt, so daß man leicht den Eindruck gewinnt, daß das Ver- 
hältnis eine ganz untergeordnete Rolle spielt, nur Felix Wolff erwähnt 3 be- 
stimmte, aber kurz referierte Fälle, in denen er meint, daß Sorgen, Ärger und 
ähnliche seelische Affekte eine ausgesprochene Verschlimmerung der vor- 
handenen Lungentuberkulose bewirkt haben. 

Nach Erfahrungen in dem Boserup-Sanatorium spielen die psychischen 
Ursachen eine ziemlich große Rolle für den Verlauf der Lungentuberkulose, 
und während eine Fraktur oder ein Vulnus ebenso gut heilen, ob der Patient 
froh oder betrübt ist, gilt dies nicht bei der Heilung von tuberkulösen Ulcerationen 
in den Lungen. Da dies Verhältnis, wie gesagt, nicht nach seiner Bedeutung 
erkannt oder beachtet wird, kann es vermutlich Interesse wecken, einige Bei- 
spiele vorzuführen. 

Die Gemütsbewegung, die am häufigsten als Ursache zur Verschlimme- 
rung des Zustandes bei Lungentuberkulose auftritt, ist die, welche bei jungen 
Mädchen mit Liebessorgen folgt; folgende Beispiele sollen hier genannt 
werden: 


I. Ein 23jähriges junges Mädchen lag hier 13 Monate lang im Jahre 1904—05. 
Sie hatte bei der Aufnahme eine bazilläre Affektion im I. Stadium, Die ersten 
3 Monate war sie afebril und erholte sich augenscheinlich gut. Ihr Bräutigam be- 
suchte sie zuweilen und sie sah der Zukunft mutig entgegen. Eines schönen Tages 
bekam sie jedoch einen Brief ihres Verlobten, in dem dieser seine Verlobung ganz 
unerwartet rückgängig machte, Sie wurde jetzt febril, verlor an Gewicht und ihr 
Zustand verschlimmerte sich zusehends. Zuletzt wurde sie in ein Spital überführt, 
wo sie !/, Jahr später starb. Bu Ä 


2. Eine 22jährige Verkäuferin lag hier von IgIo—ıI. Bei der Aufnahme 
wurde eine leichte, bazilläre Lungentuberkulose im I. Stadium, ohne Fieber, ge- 
funden. In den ersten 4 Monaten erholte sie sich in jeder Beziehung, und der 
Auswurf zeigte schon bei der 10. Untersuchung keine Bazillen mehr. Plötzlich 
wurde sie unerwartet febril, hustete stark mit reichlichem, bazillenhaltigem Auswurf; 
starke Gewichtsabnahme und schnelles Fortschreiten des Prozesses, zuerst in der 
einen, dann in der anderen Lunge. Sie starb ein paar Monate später, im ganzen 
7 Monate nach der Aufnahme. Am Schluß ihres Aufenthaltes wurde es bekannt, 
daß ihr Verlobter, mit dem sie auf bestem Fuße stand, und der sie sehr oft in 
dem Sanatorium besuchte, plötzlich geisteskrank geworden war. Er war ein tüch- 
tiger und arbeitsamer junger Mann, der früher nichts abnormes in mentaler Be- 
ziehung dargeboten hatte. Jetzt war er plötzlich vom Erfinderwahnsinn ergriffen 
worden und peinigte seine Braut bei den Besuchen mit seinen wilden Plänen über 
Konstruktion von Flugmaschinen und ähnlichem. Dies traf mit der akuten Ver- 
schlimmerung im Zustand der Patientin zusammen, so daß über den Zusammen- 
hang der Ursachen kein Zweifel bestehen kann. 

3. Ein ı8jähriges junges Mädchen lag !/, Jahr hier, von I9IO—II, mit einer 
leichten abazillären Affektion im II. Stadium. Sie besserte sich ziemlich schnell. 
Als sie ln Jahr hier gewesen war, verlangte sie entlassen zu werden, weil sie sich 
baldigst verheiraten wollte. Man riet ihr davon ab und stellte ihr vor, daß sie die 


Pannwitz, Entstehung und Bekämpfung der Lungentuberkulose, Leipzig ıgot, Bd. I, S. 370; 
Fritz Köhler, l. c. F. Jessen, Lungenschwindsucht und Nervensystem, Jena 1905, S. 99; 
Percy Kidd in Clifford Allbutt and Rolleston, System of Medicine, Vol. V, London 1909, 
S. 288; Alf. Möller, Lehrb. d. Lungentuberkulose, Wiesbaden 1919, S. 32; Bandelier und 
Roepke, Klinik der Tuberkulose, Würzburg 1911, S. 13. 


BD. 25, HEFT6. DIE BEDEUTUNG DER PSYCHISCHEN. MOMENTE USW. 403 


Kur fortsetzen sollte, um eine möglichst gute Gesundheit zu erlangen, bevor sie an 
die. Ehe dächte. Sie hielt aber an ihrem Verlangen fest und gab an, daß sie und 
ihr Verlobter schon Wohnung gemietet und alle Vorbereitungen zur Hochzeit ge- 
troffen hätten. Spätere Nachforschungen ergaben, daß ihr Verlobter 2 Tage vor 
der Hochzeit mit einem Schiff nach Grönland geflüchtet war, wodurch die Patientin 
sich plötzlich aller Zukunftsträume beraubt sah. Die Lungenkrankheit verschlimmerte 
sich schnell, sie kam ins Spital, woselbst die Krankheit kurze Zeit nachher einen 
tofichen Ausgang nahm, 


Ein 30jähriges Mädchen lag hier während ro Monate von 1913—14 
wegen « einer bazillären Affektion auf der Grenze zwischen dem II. und III. Stadium. 
Der Fall sah anfänglich ziemlich gutartig aus. Sie war afebril und erholte sich 
augenscheinlich in jeder Beziehung gut, das Gewicht stieg von 56,7 auf 63,8 kg 
im Laufe der ersten 4 Monate. Danach trat unerwartet Fieber ein und der Prozeß 
breitete sich in den Lungen stark aus. Sie wurde in verschlimmertem Zustand 
entlassen und starb ı Monat später zu Hause. Gegen Schluß ihres Aufenthaltes 
zeigte es sich, daß ihr Bräutigam, mit dem sie lange verlobt gewesen war, den sie 
sehr liebte und der sie anfangs häufig besuchte, wegen Ansteckungsgefahr vor ihr 
bange war. Er hatte sich deshalb mehr und mehr von ihr zurückgezogen, um sie 
zuletzt ganz im Stich zu lassen; dies ging ihr sehr nahe und spielte sicherlich eine _ 
entscheidende Rolle als Ursache zu der ungünstigen Wendung im Verlauf der 
Krankheit. 


5. Eine 28jährige unverheiratete Kontordame lag im Jahre 1913—1914 3/, Jahr 
lang wegen einer bazillären, augenscheinlich moderaten Lungentuberkulose im II. Sta- 
dium bei uns. Das Resultat "des ersten Monats war befriedigend, Patientin war 
afebril und erholte sich allem Anschein nach gut. Dann wurde sie aber nervös, 
weil ihr Bräutigam, mit dem sie viele Jahre lang verlobt gewesen war, sie gegen 
Erwarten nicht besuchte und ihr nicht einmal schrieb. Sie wurde febril, und 
schlimmer wurde es, als sie erfuhr, daß ihr Bräutigam sie nicht allein ignorierte, 
sondern seine Liebe einer Varietesängerin zugewendet hatte, mit der er sich später 
verheiratete. Das Fieber wurde höher und anhaltender, die Lungenaffektion breitete 
sich aus, es entwickelte sich eine schlimme tuberkulöse Laryngitis; sie wurde 
zuletzt nach Hause entlassen, wo sie einige Zeit nachher starb. Nach Aufklärung 
eines Angehörigen der Patientin hat die erwähnte Enttäuschung einen überaus tiefen 
Eindruck auf sie gemacht und sie in dem Grad beschäftigt, daß man kaum be- 
zweifeln kann, daß dieselbe die wesentliche Erklärung für den ungünstigen Verlauf 
der Krankheit gewesen ist. 


= Die hier mitgeteilten Krankengeschichten sind ziemlich gleichartig und 
typisch für die Verschlimmerung, die Liebeskummer verursachen kann. Wir 
erleben fast jedes Jalir ähnliche Fälle bei jungen Mädchen, die hinkränkelnd 
liegen, ohne sich erholen zu können, weil sie auf dem trügerischen Meer der 
Liebe Schiffbruch erlitten. Ein verwandter Fall ist folgender: 


6. Ein 18jähriges Mädchen lag hier während 5 Monate im Jahr 1914. Sie 
litt bei der Aufnahme an einer bazillären Affektion im II. Stadium von augenschein- 
. lich gutartiger Natur. Gegen Erwarten wollte sie sich nicht erholen. Es trat Fieber 
hinzu, das Gewicht nahm ab und „der Prozeß in den Lungen propagierte, so daß 
sie in -verschlimmertem Zustand entlassen wurde. Es zeigte sich nun, daß sie mit 
einem jungen Mann, der bei ihrer Mutter in Miete lebte, verlobt war. Der Bräutigam 
wurde während ihres Sanatoriumaufenthaltes kühler und kühler, so daß die Patientin 
ihn zu verlieren befürchtete und sich deswegen nach Hause entlassen ließ. Hier 
kam das Verhältnis. zwischen den Verlobten wieder ins alte Geleise und Patientin 
unterzog sich im Heim einer energischen modifizierten Sanatorienkur, unter kundiger 
Aufsicht eines Arztes. Nach. Verlauf kurzer Zeit wurde sie afebril, Husten und 

26” 


Auswurf verminderten sich, das Gewicht stieg im Lauf ı Jahres um 25 kg, und 
sie bekam ein gesundes, blühendes Aussehen. Trotzdem sie wohl zu elend war, 
um eine definitive Heilung möglich zu machen, und obgleich die Besserung im 
stetoskopischen Befund bei weitem nicht mit dem Allgemeinbefinden Schritt hielt, 
muß festgestellt werden, daß der Umstand, daß der Gemütszustand der Patientin 
zur Ruhe gebracht wurde, eine entscheidende Rolle für die günstige Wendung des 
Zustandes gespielt hat. 


Während Liebeskummer solcherweise in ziemlich hohem Grade das. weib- 
liche Geschlecht zu affızieren scheint, gilt etwas Entsprechendes wohl kaum 
dem männlichen. Auf jeden Fall hat man hier in dem Sanatorium kein 
entscheidendes Beispiel hierfür gehabt. Dagegen spielen eheliche Sorgen 
wohl eine ziemlich bedeutende Rolle als verschlimmernde Ursache, sowohl für 
Männer wie Frauen mit Lungentuberkulose, Folgende Krankengeschichten 
können dies beweisen. | 


7. Ein 30jähriger Schmied lag hier 8 Monate lang von 1901—1902 mit 
einer. bazillären Affektion im I, Stadium. Er wurde abazillär, nahm 13 kg zu, 
erholte sich in allen Beziehungen ausgezeichnet und wurde als bedeutend gebessert 
entlassen. Er besaß eine athletische Gestalt und hatte sich früher durch verschie- 
denen Sport gegen 20 Medaillen und Ehrenzeichen erworben, und man sollte er- 
warten, daß er alle Bedingungen besaß, um arbeitstüchtig zu bleiben, jedenfalls in 
einer Reihe von Jahren, um so mehr, da er das Glück hatte einen leichten Frei- 
luftplatz als Aufseher zu erhalten. Es ging ihm auch augenscheinlich einige Monate 
lang gut. Dann entdeckte er aber, daß seine Frau ihm untreu gewesen war. Es 
folgte eine lange peinliche Periode, in der er aus dem Anlaß vielen Gemüts- 
bewegungen ausgesetzt war, er fing an abzumagern, wurde müde, selbst bei leichter 
Arbeit, bekam von neuem Husten und Auswurf, und wurde im März 1904 wieder 
im Sanatorium aufgenommen. Die Krankheit befand sich jetzt in einem fortge- 
schrittenen III. Stadium, und obgleich der Patient sich ehrlich bestrebte, sich über 
Wasser zu halten, kränkelte er mehr und mehr hin und starb nach Verlauf von 
einigen Monaten. 

8. Ein 27jähriger Arbeitsmann lag hier während 9 Monate von 1901—1902 
mit einer leichten bazillären Affektion auf der Grenze zwischen dem I. und II. Stadium. 
Er erholte sich ausgezeichnet, nahm 10 kg zu, wurde bazillenfrei und als be- 
deutend gebessert entlassen. Nach seiner Heimkehr befand er sich im Anfang 
ganz besonders wohl und arbeitete ohne Beschwerden und bei voller Kraft einige 
Monate lang. Darnach zeigte sich indessen, daß seine Frau während seiner Ab- 
wesenheit von einem Mieter geschwängert worden war. Der Mann wurde darüber 
ganz verzweifelt. Eine Versöhnung zwischen den Eheleuten kam augenscheinlich zu- 
stande. Aber obgleich der Mann sich bemühte das Geschehene zu vergessen, nagte 
doch der Kummer darüber an ihm, er fing wieder an zu kränkeln, bekam im Jahr 1905 
eine heftige Pleuritis und kam im Jahr 1906 wieder ins Sanatorium. Die Lungen- 
affektion warjetzt bedeutend fortgeschritten und trotz halbjähriger sorgfältiger Kur blieb 
der Zustand wesentlich unverändert. Er wurde ohne sichtbare Besserung entlassen, der 
Zustand verschlimmerte sich nach der Heimkehr schnell und er starb !/, Jahr später. 

9. Ein 24jähriger verheirateter Handwerker lag 6 Monate hier, von 1914 bis 
1915 mit einer afebrilen, bazillären Lungentuberkulose im I. Stadium. Er nahm 
8 kg zu, wurde bazillenfrei und als bedeutend gebessert entlassen. Er liebte seine 
Frau, die ihn jeden Sonntag in dem Sanatorium besuchte, sehr. Er wurde des- 
halb ganz bestürzt, als er bei der Heimkehr das Nest leer fand; es zeigte sich, 
daß seine Frau mit einem andern Manne geflohen war. Der gewaltige Schreck 
führte rasch eine starke Verschlimmerung der Krankheit herbei, er bekam große 
Hämoptysen, kam ins Spital, wo er ein paar Monate später starb. 


BD. ©. HEFT ê DIE BEDEUTUNG DER PSYCHISCHEN MOMENTE USW. 405 


Die folgenden 4 Krankengeschichten berühren verheiratete F rauen, 
bei denen eheliche Kümmernisse den Veniant der Krankheit ungünstig bé- 
einflußt haben. 


10. Eine 28jährige Frau, die mit’ einem Arbeiter verheiratet war, lag hier 
ı2 Monate lang von 1909—19Io mit einer sehr ausgebreiteten bazillären. Lungen- 
affektion im III. Stadium. 'Sie war afebril, nahm ọ kg zu und, in Anbetracht des 
fortgeschrittenen Charakters der Krankheit bei der- Aufnahme, wurde sie.in uner- 
wartet gutem Zustande entlassen. Als sie nach Hause kam, fand sie die Wohnung 
ganz leer; der Mann war verschwunden, nachdem er die Möbel verkauft hatte, 
und ohne im geringsten für seine Frau gesorgt zu haben. Unter diesen verzweifelten 
Verhältnissen, wo sowohl seelische wie physische Momente dazu beigeträgen. haben 
die unglückliche Frau zu schwächen, kann es niemand verwundern, daß die Krank- 
heit schnell wieder überhand nahm und sie nach wenigen Monaten starb. 

ıı. Eine 46jährige Frau, die mit einem Kleinhändler verheiratet war, lag 
hier ein halbes Jahr lang im Jahre ıgı1ı mit einer bazillären Lungentuberkulose im 
II. Stadium. Im Laufe der ersten 4 Monate erholte sie sich gut, war afebril, nahm 
an Gewicht von 57,3—60,9 kg zu und befand sich völlig wohl. Eines Tages er- 
fuhr ‚sie aber, daß ihr Mann während ihrer Abwesenheit andern Göttern oder besser 
Göttinnen diente. Sie grübelte viel darüber nach, wurde nervöser und nervöser, weinte, 
wenn man sie bloß anredete, und bekam Zittern und Zähneklappern beim geringsten 
Anlaß. Gleichzeitig wurde sie febril, verlor an Gewicht, und die’ Lungenaffektion 
breitete sich aus. Es ging ihr schlechter und schlechter, und in verschlimmertem 
Zustande wurde sie in ein Spital übergeführt. Nach einem mehrmonatlichen Aufent- 
halt hierselbst, wurde sie nach Hause entlassen, wo sie einige Zeit später starb. 
| ı2. Eine 32jährige Frau, die mit einem Photographen verheiratet war, lag 
während 7 Monaten hier, im Jahre r911—ı912, mit einer bazillären Affektion im 
II, Stadium. In den ersten paar Monaten erholte sie sich gut, war afebril und 
nahm an Gewicht zu. Ihr Mann besuchte sie regelmäßig und alles sah den Um- 
ständen nach erfreulich aus. Dann fielen die Besuche des Mannes wegen Krank- 
heit aus, und die Patientin erfuhr auf Umwegen, daß er wegen einer venerischen 
Krankheit im Spital läge. Es kam zu peinlichen Verhandlungen zwischen den 
Eheleuten. Die Patientin nahm sich die Sache sehr zu Herzen, wurde febril, verlor 
an Gewicht, der Prozeß in den Lungen propagierte und der Zustand verschlimmerte 
sich zusehends. Sie wurde nach Hause entlassen und starb kurze Zeit darauf. 

ı3. Eine 38jährige Frau, die mit einem Maler verheiratet war, lag im Jahre 
1915 2 Monate lang bei uns, mit einer moderaten Affektion im II. Stadium. Ob- 
gleich man glauben sollte, daß sie gute Vorbedingungen hatte, um sich zu erholen, 
wurde sie schnell febril, nahm an Gewicht ab, und ihr Zustand verschlimmerte sich im 
allgemeinen. Sie vertraute ihrer Krankenpflegerin an, daß sie von ihrer Mutter, die 
vorläufig ihrem Heim vorstand, beunruhigende Briefe über den Zustand im Heim 
erhielte.e Der Mann ließ die Schwiegermutter und die Kinder für sich selbst sorgen, 
war gewöhnlich den ganzen Tag fort,. um erst spät in der. Nacht heimzukehren, 
oft von Alkohol beeinflußt. Die Patientin .wußte aus Erfahrung, daß sie den Mann 
daran verhindern konnte ausschweifend zu leben. Da es jetzt bei ihrer Abwesen- 
heit so schief ging, war es ihr unmöglich in dem Sanatorium Seelenruhe zu. finden, 
und sie war selbst davon überzeugt, daß der minder gute Verlauf der Krankheit 
von den Kümmernissen ‚stammte, von denen sie erfüllt war. Unter diesen Ver- 
hältnissen befand man es für gut sie nach Hause zu senden. Nachdem sie durch 
ihre Gegenwart im Heim erträgliche Verhältnisse geschaffen hatte, kam sie zur Ruhe, 
wurde afebril und es entstand eine merkbare Besserung in ihrem Zustande,.so daß 
sie außer Beft sein und ein einigermaßen erträgliches Dasein führen konnte. 


In den bisher angeführten Krankengeschichten sind also entweder Liebes- 


kummer oder eheliche Sorgen das psychische Moment, welches wohl auch das 


406 | N. J. STRANDGAARD, ARET ORD 


häufigste ist. : Es gibt aber auch viele andere Arten von Gemütsbewegungen, 
die auf ähnliche Weise hemmend auf die Heilung wirken können; hiervon 
sollen einige Beispiele genannt werden. Im folgenden Falle scheinen schwere 
Gewissensbisse eine Rolle zu spielen. - 


14. Ein 30jähriger Polizist lag hier vom Jahre IQI 3—I914 mit einem ziem- 
lich frischen, aber ziemlich ausgebreiteten Prozeß in der linken Lunge. Man sah 
die Prognose als unsicher an, er erholte sich aber im ersten Monat recht gut. 
Darnach trat eine starke Verschlimmerung mit: hohem Fieber, großen Hämoptysen 
und schneller Propagation in der früher gesunden Lunge ein. Er starb nach knapp 
einem halben Jahr. Jetzt erwies es sich, daß er starken Gemütsbewegungen aus- 
gesetzt gewesen war, weil er sich in ein verzweifeltes Liebesverhältnis verwickelt 
hatte. Er bekam in dem Sanatorium abwechselnd Besuche von seiner Frau und 
seiner Braut und hatte viel Beschwerden um zu verhindern, daß die beiden sich 
trafen. Seine Frau war gravid. Der Patient vertraute auf dem Sterbelager einem 
Bekannten an, daß er tief verzweifelt und von schweren Gewissensbissen geplagt 
sei, über die Lage, in die er sich selbst gebracht habe. 


Im folgenden Falle scheint der Kummer über den Tod einer ge- 
liebten Tochter die Ursache zur Verschlimmerung der Krankheit des brust- 
kranken Vaters gewesen zu sein. 


15. Ein 37jähriger Arbeitsmann lag im Jahr 1903 hier mit einer bazillären 
Affektion im II. Stadium. Während seiner 8monatlichen Kur erholte er sich aus- 
gezeichnet, wurde bazillenfrei, nahm 13 kg zu und wurde bedeutend’ gebessert ent- 
lassen. Er konnte darauf 5 Jahre lang seiner Arbeit ohne Beschwerden nachgehen, 
und da die Arbeit sehr leicht war und sein Vorgesetzter alles tat, um ihn zu 
schonen, weil er ein selten tüchtiger und zuverlässiger Mann war, hatte man er- 
wartet, daß er gesund bleiben würde. Im Jahre 1909 hatte er aber den großen 
Kummer, eine ı8jährige Tochter zu verlieren, welche die Eltern über alles geliebt 
hatten. Sie wurde unerwartet von einer bösartigen Lungentuberkulose ergriffen, 
welche nach wenigen Monaten mit dem Tode endete. Dem Vater ging dieser 
Verlust unbeschreiblich nahe, seine Lungenaffektion loderte auf, es entwickelte sich 
eine Nierentuberkulose, wegen welcher er operiert wurde. Er hat später ein ganz 
invalides Dasein geführt, ohne arbeiten zu können. | 


Humoristischer, aber als Illustration zur Bedeutung der psychischen Ur- 
sachen nicht weniger interessant ist folgender Fall, in dem eine vorüber- 
gehende gedrückte Gemütsstimmung hemmend auf die Gewichtszunahme 
eines Mannes wirkte. 


16. Ein 33jähriger Fuhrmann lag im Jahre ıg01— 1902 !/, Jahr lang hier 
mit einer bazillären Affektion im II. Stadium. Es war ein verständiger Mann, der 
seine Kur gewissenhaft durchführte. Trotzdem waren in den ersten 4 Monaten wohl 
einige Fortschritte zu vermerken, aber doch nicht so bedeutende, wie man erwartet 
hatte. Die Gewichtszunahme betrug nur 3,3 kg (von 68,4—71,7), und sein Zustand 
besserte sich im ganzen nur langsam. Es war, als ob etwas den Fortgang zurück- 
hielt, und eine durchgreifende Besserung verhinderte. Man erkannte, daß etwas 
den Patienten bedrückte. Als man ihn ausholte, klärte er auf, daß seine Frau 
gravid sei, und da sie zum erstenmal gebären sollte, machte er sich Sorgen, wie 
die Sache ablaufen würde, besonders jetzt, wo sie allein zu Hause sei. Als die 
Geburt glücklich überstanden war, erhielt er die Erlaubnis, einige Tage bei seiner 
Frau zu verbringen, von welchem Besuch er strahlend glücklich zurückkehrte. In 
den folgenden 2 Monaten stieg das Gewicht um 6,5 kg (von 71,7— 78,2), also um 
doppelt soviel, wie in den vorhergehenden 4 Monaten. Er blühte gleichzeitig in 
jeder Beziehung auf, so daß er als bedeutend gebessert entlassen werden konnte 
und ist seither unausgesetzt arbeitsfähig gewesen (während 14 Jahren). 


BD. 25 HEFT 6. DIE BEDEUTUNG DER PSYCHISCHEN MOMENTE USW. 407 


Man sieht also, daß eine verhältnismäßig geringe Depression auf den 
Verlauf der Krankheit einwirken kann. Etwas ähnliches gilt folgender Kranken- 
geschichte, die ein junges Mädchen berührt, bei welchem starkes Heimweh 
das. Resultat des Sanatoriumaufenthaltes schädigte. 


17: Ein I6jähriges junges Mädchen lag im Jahre 1904 'hier mit einer an- 
scheinend ziemlich gutartigen, bazillären Lungentuberkulose im II. Stadium. Gegen 
Erwarten, wurde sie febril, und ihr Zustand verschlimmerte sich, Es zeigte sich 
jetzt, daß die Patientin, die früher nie von zu Hause fort gewesen war, täglich ‘lag 
und vor Heimweh weinte. Um sie zu trösten, besuchte ihre Mutter sie regelmäßig, 
was indessen das Übel nur schlimmer machte. Sie saß nämlich und hielt die 
Patientin bei der Hand und weinte mit ihr, so daß es zum grauen Elend wurde. 
Unter diesen Verhältnissen kam man mit dem Arzt, der sie eingeschrieben, überein, 
daß eine Fortsetzung des Aufenthaltes im Sanatorium mehr Schaden als Nutzen 
bringen würde, und daß Behandlung im Heim versucht werden sollte. Hier wurde 
sie dann auch einer modifizierten Kur unter Aufsicht eines früheren Assistenzarztes des 
Sanatoriums unterworfen. Sie bekam ihre Seelenruhe zurück und erholte sich so 
gut, daß sie 2 Jahre lang einen Posten auf einem Kontor bekleiden konnte. Im 
Jahre 1910 bekam sie jedoch einen Rückfall und hat seither gekränkelt. 


| Endlich soll zuletzt ein Fall mitgeteilt werden, in dem bei einem jungen 
Mädchen eine akute Verschlimmerung im Anschluß an eine Gemütsbewegung 
über .eine Uneinigkeit mit einem andern Patienten auftrat. 


'ı8. Eine 22jährige unverheiratete Näherin wurde Mitte Juli 1915 hier auf- 
genommen mit einer leichten Lungentuberkulose im I. Stadium. Sie hatte keinerlei 
Veranlagung, war früher immer vollständig gesund gewesen und hat nur während 
4 Monaten leichte Brustsymptome ohne Fieber dargeboten. Es war Dämpfung und 
leichte Respirationsveränderung über der rechten Spitze vorhanden, aber .keine 
Rasselgeräusche, sehr sparsame T.B. im Auswurf. Sie war afebril, kam gleich in 
volle Kur. Es bestand nur unbedeutender Husten, auch waren gute Kräfte vorhanden; 
sie befand sich wohl, das Gewicht stieg in den ersten beiden Monaten von 52,5 
auf 58,9 kg und sie schien im ganzen die besten Aussichten zu einem günstigen 
und unkomplizierten Krankheitsverlauf zu haben. Sie lag in einem 2-bettigen 
Zimmer, zusammen mit einer 29jährigen verheirateten Frau, die eine afebrile, bazilläre, 
ziemlich stationäre Affektion im III. Stadium hatte. Die beiden Patientinnen hatten 
sich die ganze Zeit über gut vertragen. Aber nach 2monatlichem friedlichem Zu- 
sammenleben wurden sie wegen einer Bagatelle uneinig, welche eine heftige Zänkerei 
zur Folge hatte. Beim Abendbesuch traf man sie tief unter den Decken liegend, 
mit dem Rücken gegeneinander und das Gesicht der Wand zugekehrt. Die Näherin 
hatte eine Temperaturerhöhung von 38,7° erhalten, die verheiratete Frau eine von 
38%. Nachdem man sie voneineinander getrennt hatte, wurde letztere bald afebril; 
die Näherin blieb aber andauernd febril, und es entwickelte sich eine rechtsseitige 
Pleuritis mit zahlreichen Reibegeräuschen, die solange annielten, daß Patientin erst 
2 Monate später das Bett verlassen konnte. 


Wenn es sich hier nicht um ein merkwürdiges zufälliges Zusammentreffen 
handelt, scheint sich also bei der erwähnten Patientin eine reguläre Pleuritis 
entwickelt zu haben, welche durch die erwähnte Gemütsbewegung veranlaßt wurde. 

Die hier angeführten Krankengeschichten, von welchen einige ganz kleine 
Tragödien.: sind, von denen man leider nicht wenige in einem Sanatorium 
erlebt, werden vermeintlich dazu dienen können, einigermaßen die Bedeu- 
tung zu zeigen, welche die psychischen Momente für den Verlauf der 
Lungentuberkulose haben. Liebeskummer und eheliche Sorgen sind wohl 


_48 N]. STRANDGAARD, DIE BEDEUTUNG USW. _ _TUnERKULOSE 


diejenigen, welche die größte Rolle ‚spielen; wie man aber sehen kann, können 
auch einige andere, augenscheinlich ziemlich untergeordnete psychische Ur- 
sachen ihre ungünstige Wirkung auf auffällige Weise geltend machen. Wenn 
die Bedeutung dieser Verhältnisse wohl größer ist, als allgemein bekannt, ist 
die Ursache eine verschiedene. Fürs erste erzählen die Patienten selbst in der 
Regel nicht ihrem Arzt von den Gemütsbewegungen, die mit unglücklichen, 
ehelichen Verhältnissen und ähnlichem zusammenhängen. Ein junges Mädchen, 
welches eine Enttäuschung erlitten hat, verrät diese selbst nicht immer ihren 
Allernächsten. Erst wenn man die Bedeutung der erwähnten Ursachen kennt, 
kann man durch vorsichtiges Ausfragen Aufklärung über den Zusammenhang 
in denjenigen Fällen erhalten, wo man aus dem einen oder anderen Grunde zur 
Vermutung gelangt ist, daß sie existiert. Demnächst ist es selbstverständlich, 
daß die Aufklärungen, die man von den Patienten oder deren Angehörigen 
über diese Verhältnisse erhält, aus Diskretion in der Regel nicht in den 
Krankenprotokollen aufnotiert oder an jeden Beliebigen weitererzählt werden. 
Endlich muß bemerkt werden, daß es schwer ist, den ursächlichen Zusammen- 
hang in den einzelnen Fällen direkt zu beweisen, teils weil eine kurz referierte 
Krankengeschichte für andere. bei. weitem nicht dieselbe Beweiskraft besitzt, wie 
dieselben Begebenheiten für den Arzt, welcher sie ganz in der Nähe erlebt, 
oft mit fast dramatischer Spannung, teils weil ein ungünstiger Krankheitsverlauf 
‘nicht selten von mehreren zusammentreffenden, unglücklichen Umständen her- 
rühren, und weil solche psychische, wie physische Ursachen gleichzeitig. auf- 
treten können, so daß es unmöglich ist zu entscheiden, welcher man die größte 
Bedeutung beimessen soll. Bei einem 30jährigen verheirateten Schneider, der 
kürzlich in dem Sanatorium lag, war die Krankheit zu einem Zeitpunkt aus- 
gebrochen, an dem er großen Gemütsbewegungen ausgesetzt war, weil sein 
Geschäft, das früher solid und grundfest war, stark zurückgegangen war, so 
daß er nahe vor dem Bankerott stand und täglich von seinen Kreditoren hart 
bedrängt wurde. Er war indessen gleichzeitig zum Militärdienst einberufen - 
worden, so daß es sich unmöglich sagen läßt, ob psychische oder physische 
Ursachen als schwächendes Moment die größte Rolle gespielt haben. Aber nach 
den Erfahrungen, die wir hier in dem Sanatorium gemacht haben, kann die 
Bedeutung der psychischen Ursachen nicht bezweifelt werden. Am :meisten 
überzeugend sind ‘in dieser Beziehung wohl diejenigen Fälle, in denen eine 
günstige Wendung im Krankheitsverlauf eintrat, als die deprimierende Ursache 
entfernt war, wie es in den Krankengeschichten Nr. 6, 13, 16 und 17 geschah, 
die zugleich zeigen, daß es von praktischer u für die Behandlung ist, 
die Verhältnisse zu kennen. 


ee 
Psychische Momente spielen für den Verlauf der Lungentuberkulose eine 
ziemlich große Rolle. Speziell können Liebeskummer, eheliche Sorgen und 
ähnliche drückende Gemütsbewegungen den: Gesundheitszustand ernstlich ver- 
schlimmern, gleichwie andererseits die Entfernung derselben aen Zustand \ ver- 
bessern kann. A 


— 


BD. 26, REFT6. F, GLASER, ÜBER BESSERUNGSFÄHIGKEIT USW. 409 
Uber Besserungsfähigkeit ‚der durch einen Gehirn- 


tuberkel hervorgerufenen Lähmungserscheinungen. 


(Aus der II. inneren Abteilung 
des Auguste-Viktoria-Krankenhauses zu Berlin-Schöneberg.) 


Von 


Dr. F. Glaser, 
Oberarzt der Abteilung. 


wem Gegensatz zur Latenz der Gehirntuberkel ist über die Besserungs- 

252] fähigkeit der durch sie hervorgerufenen Symptome wenig bekannt. 

3 Die Latenz der Gehirntuberkel bespricht schon Virchow in seinem 
Werke e über die „Krankhaften Geschwülste“ und führt als besonders beweisend 
einen Fall von Cless(I) an, der einen kirschgroßen Tuberkel im Pons Varolii 
bei einem 4jährigen skrophulösen Knaben fand, der bis zum Beginn des töd- 
lichen Hydrocephalus acutus kein Zeichen von Hirnkrankheit darbot. Zappert(2), 
der neuerdings eine Zusammenstellung über die kindliche Hirntuberkulose ver- 
öffentlichte, fand, daß die Mehrzahl der Hirntuberkel im Kindesalter völlig 
latent verläuft; unter 62 obduzierten derartigen Fällen hatten 38 Gehirntuberkel 
keine Erscheinungen im Leben hervorgebracht. 

Wie nun in äußerst seltenen Fällen(3) die Erscheinungen der Meningitis 
tüberculosa auch einmal sich bessern können, kann auch beim Solitärtuberkel 
des Gehirns das schwere Krankheitsbild sich zurückbilden. Da ich in der 
Literatur nur einige derartige Beobachtungen fand, sei es mir erlaubt, über 
einen derartigen Fall zu berichten. 

Anamnese: 13.:4. 1913. Das 5 Jahre 3 Monate alte Kind E. A. (Recept.- 
Nr. 1719/1913) erkrankte vor ı5 Tagen unter starker Appetitlosigkeit, Müdig- 
keit, Erbrechen. Seit einigen Tagen trat Benommenheit hinzu. Zeitweise war 
Fieber vorhanden. Der Arzt verordnete außerhalb des Krankenhauses Abführ- 
mittel und Kopfeisblase. — Das Kind hat früher keine Infektionskrankheiten 
durchgemacht. Im Februar 1912 litt das Kind an einer Lähmung des linken 
Armes und linken Beines; die Lähmung des Armes war stärker als die der 
unteren Extremitäten; die rechte Gesichtshälfte war außerdem vollkommen ge- 
lähmt. In einem auswärtigen Krankenhause wurde das Kind behandelt und 


später elektrisiert; nach ca. 3 Monaten trat angeblich vollständige Heilung ein. 


Früher soll das Kind sonst nie krank gewesen sein. Keine Lungenkrankheiten 
in der Familie, keine Fehlgeburten er Mutton Ein 4jähriger Bruder lebt und 
ist gesund. 

Die Untersuchung am 13. 4. 1913 ergab, daB es sich um ein 5 Jahre 
3 Monate altes, vollkommen benommenes Kind handelt. Temperatur 37,8°, 
Puls 140, Respiration 30 (Cheyne Stokessches Atmen), Beide Pupillen 
maximal erweitert; lichtstarr. Beiderseitige Neuritis nervi optici. Trommelfell 
beiderseits normal. Deutliche Nackensteifigkeit, Kernig heiderseits positiv. 
Babinsky, Oppenheim Reflex beiderseits positiv. Leib kahnförmig eingezogen. 
Keine deutlichen Lähmungen der Extremitäten, wenn auch nur auf starke Reize 


u ZEITSCHR, £ 
410 F. GLASER.. : ; TUBERKULOSE 


Arme und Beine bewegt werden. Urin und Stuhlgang werden unter sich ge- 
lassen. Herz: Töne rein, keine Verbreiterung. Lungen: bronchitische Ge- 
räusche über beiden Unterlappen, keine Dämpfung. Leber, Milz nicht ver- 
größert. Urin: Spuren Eiweiß, kein Zucker, Diazo -Reaktion stark positiv. 
Sediment: o. B. Die Lumbalpunktion ergibt einen Druck von 26cm. Das 
Lumbalpunktat selber ist wasserklar. Nonne stark positiv. Lymphocyten im 
Lumbalpunktat vermehrt. 

14. 4. 1913. Temperatur schwankt zwischen 36,6 und 38°, Benommen- 
heit hält an. Im Lumbalpunktat können Tuberkelbazillen nicht gefunden 
werden. Verordnung: Bettruhe, Kopfeisblase, zweimal 0,5 g Jodkali täglich. 

15. 4. 1913. Status idem. 

16. 4. 1913. Wassermannsche Reaktion negativ (im Blut und im 
Lumbalpunktat). Pirquet und Ophtalmo Tuberkulin negativ. 

17. 4. 1913. Befinden stark verschlechtert. Nackensteifigkeit nimmt zu. 

18. 4. 1913. Exitus letalis. 

Die Sektion ergab Miliartuberkulose des Peritoneums, der Milz, der Leber, 
der Darmserosa. In der rechten Lungenspitze befand sich ein alter verkalkter 
Herd. Bronchialdrüsentuberkulose. Tuberkulöse Basilarmeningitis. Pflaumen- 
kerngroßer Konglomerattuberkel in der rechten Seite des Pons cerebri. — Die 
mikroskopische Untersuchung zeigte, daß es sich um einen typischen Gehirn- 
tuberkel handelte. 

Epikrise: Die im Krankenhause beobachteten Erscheinungen wiesen mit 
Sicherheit auf eine Gehirnhautentzündung hin. Die vollkommene Benommen- 
heit, die Nackensteifigkeit, der kahı förmig eingezogene Leib, das Kernigsche 
Symptom und der erhöhte Druck bei der Lumbalpunktion sprachen für obige 
Diagnose. Der tuberkulöse Charakter der Affektion konnte wegen der wasser- 
klaren Beschaffenheit des Lumbalpunktates und des starken Lymphocyten- 
gehaltes dieser Flüssigkeit angenommen werden. Die Sektion bestätigte unsere 
Annahme. Außerdem wurde jedoch bei der Autopsie ein Konglomerat- 
Tuberkel der rechten Brückenseite gefunden. Mit diesem Befunde stimmen die 
anamnestischen Angaben des Vaters zusammen, der angab, daß sein Kind 
ı Jahr vor der tödlichen Erkrankung an einer Lähmung der linken Körper- 
seite und rechten Gesichtshälfte erkrankt war, die nach einigen Monaten sich 
wieder zurückbildete. Auf unsere Anfrage, woran das Kind im Jahre 1912 in 
einem auswärtigen Krankenhause behandelt worden war, wurde uns geant- 
` wortet, daß es sich um eine sogenannte Hemiplegia alternans facialis (Millard- 
Gublersche Lähmung) handelte, die nach Aussagen der dortigen Ärzte sich 
nach einigen Monaten vollkommen zurückbildete. 

Ist es nun möglich, die damaligen auf einen rechtsseitigen Ponsherd mit 
Sicherheit hinweisenden Krankheitserscheinungen mit dem bei der Autopsie 
gefundenen Konglomerattuberkel der rechten Ponshälfte in- Verbindung zu 
bringen? Es wäre äußerst gezwungen anzunehmen, daß vor einem Jahre keine 
tuberkulöse Erkrankung an dieser Stelle des Gehirns sich abspielte, und daß 
es sich etwa zu dieser Zeit um einen Erweichungs- oder einen encephalitischen 
Herd handelte. Wir werden nicht fehlgelien, wenn wir annehmen, daß es sich 


BD. 25, HEFT 6. BESSERUNGSFÄHIGKEIT DER LÄHMUNGSERSCHEINUNGEN. 4711 


auch damals um eine tuberkulöse Erkrankung handelte, die sich im Beginn 
befand. Die erste Entwickelung des Tuberkels fand vermutlich in der Schleife 
statt, d. h. in dem Zwischenraum, der zwischen den Pyramidenbahnen und dem 
Facialiskern in der Brücke sich befindet. Vergegenwärtigen wir uns einen 
frontalen Brückendurchschnitt in der Höhe des Facialiskerns, so liegt letzterer 
dorsal und etwas lateral ziemlich weit entfernt von den ventral gelegenen 
Pyramidenbahnen. Wir müssen uns vorstellen, daß die Pyramidenbahnen und 
‘ der Facialis nur von einem kollateralen Oedem' ergriffen waren, so daß, nach- 
dem die ersten stürmischen Erscheinungen abklangen, -sich die Zirkulations- 
verhältnisse in diesem Gebiete wieder bessern konnten. Aller Wahrscheinlich- 
keit nach trat in dem verkästen zentralen Teile des Tuberkels eine Schrumpfung 
ein, die zusammen mit dem Zurückgange des kollateralen Oedems eine Besserung 
der Lähmungserscheinungen des Gesichts und der Extremitäten zur Folge 
hatte. Der Tuberkel blieb bestehen und fing wahrscheinlich, als die tödliche 
meningitische Erkrankung in Erscheinung trat, wieder an zu wachsen, so daß 
er bei der Sektion als pflaumenkerngroßer Konglomerattuberkel sich erwies. 

Der Tuberkel ist eine sehr häufige Geschwulstform des Gehirns im 
Kindesalter. Nach Allen Starr(4) ist die Hälfte der Geschwülste im jugend- 
lichen Alter tuberkulöser Natur. Unter 300 Geschwülsten im kindlichen Ge- 
hirn 'konnte Starr ı52mal Tuberkel finden. Zappert beschrieb 62 Fälle von 
Hirntuberkel. Trotzdem demnach der Solitärtuberkel des Gehirns eine im 
Kindesalter häufige Erkrankung darstellt, ist ein Zurückgehen der klinischen 
Erscheinungen, so wie wir es in unserem Falle sehen konnten, äußerst selten 
beobachtet worden und in der Literatur befinden sich in dieser Beziehung nur 
einige Beobachtungen. Die Fälle von Wernicke(5), Gowers(6), Knapp (7), 
Sternberg (8), Kallmeyer (9), Halban-Infeld, Foa (10), in denen eine 
regressive Metamorphose des Gehirntuberkels angenommen wird, übergehe ich, 
da der Beweis dafür nicht gebracht ist und kein Rückgang der klinischen 
Symptome beobachtet wurde. Naegeli(11) berichtete über einen latent ge- 
wordenen Gehirntuberkel bei einem Erwachsenen. Von März bis Mai 1907 
bestanden krampfartige Zuckungen im linken Arm, linken Bein und linken 
Facialis (Jacksonsche Epilepsie. Vom Mai bis Juli war eine Psychose vor- 
handen. Im Oktober trat der Tod ein. Bei der Sektion fand sich ein nuß- 
großer Tuberkel vor dem rechten Lobus parencentralis im Gyrus fornicatus. 
Darüber war eine lokalisierte Tuberkulose der Pia und Dura mater zu sehen. 
Von Mai bis Oktober war demnach der Hirntuberkel nach Naegeli latent ge- 
worden. Williamson (12) beobachtete einen 27 Jahre alten Mann, der an 
typischer Jacksonscher Epilepsie litt. 4 Jahre später erfolgte, nachdem nie 
mehr Krämpfe aufgetreten waren, der Tod. Die Autopsie ergab einen alten 
abgekapselten tuberkulösen Herd in der rechten Hirnhemisphäre und einen 
frischen kleinen Hirntuherkel, von dem die terminalen Erscheinungen aus- 
gegangen waren, die in Ataxie, Kopfschmerzen, Erbrechen, Pulsverlangsamung 
und doppelseitiger Sehnervenentzündung bestanden. .In diesem. Falle hatte 
demnach der Großhirntuberkel 4 Jahre keine Symptome mehr gemacht. 
Mingazzini(13) .schildert in einer Arbeit „Zur Diagnose und Therapie der 


412 F. GLASER. En 
Hirngeschwülste“ das Krankheitsbild eines 32 jährigen Mannes, bei dem seit 
dem 4. Lebensjahr eine Epilepsie bestand, die Mingazzini selber im letzten 
Jahre klinisch beobachten konnte. Bei der Sektion wurde. im rechten Corpus 
striatum und im rechten Vorderhorn ein Solitärtuberkel gefunden. Höchst 
wahrscheinlich handelte es sich in diesem Falle um eine jahrzehntelang loka- 
lisierte Gehirntuberkulose. Auch Kirnberger (14) konnte bei der Autopsie 
als Ursache von 2 Fällen Jacksonscher Epilepsie, bei denen ein jahrelanges 
spontanes Aufhören der Anfälle konstatiert worden war, eine lokalisierte Gehirn- 
tuberkulose feststellen. Oppenheim (15) verfügt außerdem über Beobachtungen 
von geheilter lokalisierter Meningoencephalitis tuberculosa und führt als Be- 
weis der Heilbarkeit des Gehirntuberkels einen Fall von Siemon (16) an, der 
bei einem 32 jährigen, seit der Kindheit an Schwachsinn und Hemiplegie 
leidenden Individuum eine knochenharte Geschwulst fand, die als verkäster und 
verknöcherter Tuberkel angesprochen wurde. Die Fälle von Clärke (17) und 
Baginski(18), die in der Literatur als Beweis von geheilten Gehirntuberkel 
angeführt werden, können deswegen mit Sicherheit nicht anerkannt werden, 
weil Sektionsbefunde fehlen. Wir ersehen demnach aus unserer Beobachtung 
und den in der Literatur niedergelegten Fällen, daß ein Gehirntuberkel nicht 
nur latent verlaufen kann, sondern, daß die von ihm ausgelösten schweren 
Krankheitssymptome sich zurückbilden und jahrelange Besserung resp. Heilung 
auftreten kann. Die Kenntnis dieser Tatsache ist auch für die Diagnose der 
Gehirnsyphilis unter Umständen wichtig. Sehr häufig wird letztere Diagnose 
aus dem therapeutischen Effekt gestellt; wenn man aber weiß, daß ein Gehirn- 
tuberkel auch einmal lange Zeit stationär bleiben kann, ja auch unter Um- 
ständen die Fähigkeit hat, sich zurückzubilden, so ist die entfernte Möglichkeit 
vorhanden, daß auch bei einem Solitärtuberkel des Gehirns unter Jodkali resp. 
Quecksilberkur Besserung eintritt. 


Schlußfolgerung: Abgesehen von der häufigen Latenz der Gehirn- 
tuberkel können die von ihm ausgelösten klinischen Symptome, wie einige bis 
jetzt beschriebene Fälle beweisen, vollkommen zurückgehen und jahrelang 
sistieren. Der in unserem Falle bei der Sektion des fünf Jahre alten Kindes 
gefundene Konglomerattuberkel der rechten Ponshälfte hatte ein Jahr vor dem 
Tode eine Hemiplegia alternans facialis hervorgerufen, die vollkommen wieder 
ausheilte. Die Besserung der Lähmungserscheinungen vor dem Tode muß mit 
Schrumpfungsprozessen im Tuberkel resp. mit dem Zurückgehen eines kolla- 
teralen Oedems in Zusammenhang gebracht werden. 


Literatur. 


1. Cless, Archiv für phys. Heilkunde 1844, Band 3, S. 620. 

2. Zappert, Obersteinerarbeiten 15. l 

3. Freyhan, Dtsch. med. Wchschr. 94, S. 36; Henkel, Münch. med. Wchschr. 1898; 
Thoamella, Jahresb. f. Neurolog. und Psychiat., Bd. 6, S. 538; Groß, ebenda, Bd. 6, S. 534; 
Rumpel, Med. Klinik 1907, Nr. 44. l 

4. Starr, Tumors of the brain in the children. Med. News 1886. 

5. Wernicke, Lehrb, d. Nervenkrankheiten. 

6. Gowers, On sudden paralysis in cerebral tumor. Brain I, 77/79. 


BD. 26, HEFT6. BESSERUNGSFÄHIGKEIT DER LÄHMUNGSERSCHEINUNGEN. 413 


7. Knapp, Intra cranial growth. 

8. Sternberg, Ein Fall von geheilter Sotaiete Gehirnerkrankung. Wien. med, Wchschr. 
1893, Nr. 25. 

9. Kallmeyer, Zur Kasuistik der ausgeheilten Fälle von Solitärtuberkel des Kleinhirns. 
Berl. klin. Wchschr. 99, Nr. ı 

10. Foa, Revue neurolog. 1903. 

I1. Naegeli, Schweiz. Korrespondenzblatt 1907. | 

12. Williamson, Americ. med. Assoc. 1896, S. 406. 

13. Mongazzini, Zeitschr. f. Nervenheilkunde, Bd. 19, Heft ı. 

14. Kirnberger, Inaug. Diss. Zur Kasuistik der Jacksonschen Epilepsie. Freiburg 1808. 

15. Oppenheim, Die Geschwülste des Gehirns (Nothnagel 1902, Spez. Pathol. u. Therap., 
Bd. IX, Nr. 2). 

16. Siemon, Ausgedehnter Defekt und teilweise verknöcherter Tumor der link, Großhirn- 
hemisph,, 1. D. Marbg. 1893. 

17. Clarke, Brit. med. Journ. 1897. 

18. Baginski, Berl. klin. Wchschr. 1881, Nr. 20. 


ZEITSCHR. f.' 
414 THEDERING. TUBERKULOSE 


| XXIII. 
Heliotherapie im Tieflande. 


Kasuistische Beiträge von 
Dr. Thedering in Oldenburg. 


Mit 2 Figuren. 


ie großen Erfolge Rolliers und Bernhards mit Heliotherapie bei 
; chirurgischer Tuberkulose würden den besten Teil ihres Wertes ein- 
| büßen, wenn nur die Sonne des Hochgebirges solche Wunder der 
Heilung vollbringen könnte. Denn wenn wir als Ärzte genötigt wären, unsere 
Kranken, denen wir die Wohltat der Sonnenbehandlung vermitteln wollen, in 
teure Hochgebirgskurorte zu schicken, so würde wohl gerade derjenige Teil 
unserer mit Tuberkulose behafteten Patienten dieselben entbehren müssen, 
welcher ihrer am dringendsten bedarf: Das große Heer der Tuberkulösen, 
welche den unbemittelten Bevölkerungsklassen entstammen. 

Nun ist freilich nicht zu leugnen, daß eine Lichtquelle um so mehr ge- 
eignet ist für Besonnungszwecke, je größer ihr Reichtum an kurzwelligen 
Strahlen. Das Sonnenspektrum erstreckt sich etwa bis zur Wellenlänge 300 uu; 
erheblich weiter nach rechts reicht die Grenze der Quarzlichtstrahlung, bis 180, 
nach anderer Lesart gar bis 150 uu. Die therapeutische Bedeutung der über 
300 uu nach rechts hinaus liegenden Wellenlängen ist noch umstritten; wir 
wissen, daß diese sog. äußeren ultravioletten Strahlen vorwiegend die Pigment- 
bildung in der Haut anregen. Ferner wissen wir durch Berings und 
H. Meyers lichtbiologische Experimente, daß dies äußere, ganz kurzwellige 
Ultraviolett auf Oxydationsfermente (Peroxydase) in jeder Dosis schädigend 
einwirkt. Wird aber diese kurzwellige Strahlung nicht durch das Pigment in 
langwellige, tiefdringende, heilkräftige umgewandelt, wie Rollier annimmt? 
Ist nicht etwa das Pigment an sich eine Heilsubstanz nach Jesioneks Hypo- 
these, daß es doch vom Blut gelöst in den Säftestrom abtransportiert und vom 
Lichte immer neu erzeugt wird? 

Die große praktische Bedeutung dieser Frage erhellt sofort, wenn wir 
uns bei Verwendung der Quarzsonne für gefiltertes oder ungefiltertes Licht 
entscheiden sollen. Der Uviolfilm schneidet die ultraviolette Strahlung des 
Quarzlichtspektrums bekanntlich bei 280 uu ab. 

Besitzt die kräftige Bräunung der Haut, wie Bernhard und Rollier 
annehmen, lediglich prognostisch günstige Bedeutung, so ist der Pigmentierungs- 
vorgang in therapeutischer Hinsicht jedenfalls belanglos. 

Hat Jesionek recht, dann müssen wir durch möglichst intensive Ein- 
wirkung der pigmentbildenden kurzwellig ultravioletten Strahlen eine möglichst 
große Pigmentanreicherung in der Haut erstreben. 

Ist endlich nach Berings und H. Meyers Feststellung das äußere 
Ultraviolett lediglich ein gefäßschädigender, fermentlähmender Spektralbestand- 
teil, der nicht durch das Pigment in heilkräftigem Sinne transformiert wird, 
so ist die Ultraviolettfiltrierung der Quarzsonne als eine richtige Idee anzusehen. 


BD. 25, HEFT 6. HELIOTHERAPIE IM TIEFLANDE. 415 


Praktisch springen jedenfalls zwei nächstliegende Vorteile der Lichtfiltrierung 
durch Uviolfilm deutlich ins Auge: Die Ausschaltung der lästigen Wärme- 
strahlung’ und der Fortfall der Hautreizung durch das kurzwellige Ultraviolett. 
So sind auch sehr lang ausgedehnte Lichtbäder mit der Quarzsonne unter 
dem Schutze des Uviolschirms ohne die mindeste Belästigung für den Kranken, 
während die Heilwirkung keinerlei Einbuße zu erleiden scheint, etwa durch ein 
Minus an heilkräftigen Strahlen, welche das Filter abschneidet. 

Bis zur Klärung dieser wichtigen Vorfragen befindet sich die theoretische 
Betrachtung dieses Problems jedenfalls auf unsicherem Boden. - | 

Andererseits scheint bei dem Versuch, die Wirkungsweise des Lichts zu 
deuten, der Schwerpunkt der Erklärung gar zu einseitig auf den rechtsliegen- 
den Teil des Spektrums verschoben zu sein, so daß der Gedanke, ob nicht 
etwa das Sonnenspektrum als Ganzes zu nehmen ist, unberechtigterweise in 
den Hintergrund gedrängt wurde. So konnte sich leicht die Anschauung fest- 
setzen, daß die Sonne des Tieflandes lediglich deshalb für Heliotherapie 
nicht in Betracht kommen kann, weil ihr Gehalt an kurzwelligen Strahlen ge- 
ringer ist als im Spektrum der Höhensonne. 

Freilich hätten schon die Ergebnisse, welche Bering und H. Meyer 
über die Wirkung der einzelnen Spektralabschnitte auf das Oxydationsferment, 
die Peroxydase, ermittelt haben, diesen theoretischen Fehlschluß unmöglich 
machen sollen. Ergeben diese wichtigen Versuche doch klärlich, daß alle 
Strahlenarten im Spektrum fördernd auf den Oxydationsvorgang einwirken, mit 
einziger Ausnahme des Rot, das erst durch Sensibilisatoren aktiviert werden 
muß. Aber auch die Existenz dieser letzteren ist durchaus erwiesen. 

Hieraus folgt aber, daß die natürliche Höhensonne vermöge ihres größeren 
Reichtums an Ultraviolett der Tieflandssonne heliotherapeutisch wohl überlegen 
ist, keineswegs jedoch, daß mit der letzteren Heilerfolge bei Tuberkulose nicht 
zu erzielen sind. 

Einer solchen Schlußfolgerung würden auch die praktischen Resultate 
der Sonnenbehandlung in der Ebene durchaus widersprechen. 


Ich erinnere an die Erfolge, welche Bardenheuer in Cöln, Schmerz 
in Graz (chirurg. Klinik), Vulpius. in Rappenau bei Heidelberg, Jesionek 


in Gießen, Dr. Felten-Stolzenberg in ‘Wyk auf Foehr, Verf. in Oldenburg 


mit natürlicher Besonnung bei den mannigfachen Formen der chirurgischen 
Tuberkulose erzielt haben. 

Da jedoch die in der Literatur mitgeteilten Fälle immerhin noch gering 
an Zahl sind, so mag die außerordentliche Wichtigkeit des Gegenstandes die 
nachstehende ausführliche Beschreibung zweier neuer Beobachtungen recht- 
fertigen, welche die gewaltige Heilkraft der Sonne bei. äußerer Tuberkulose 
auch im Tieflande nach meiner Ansicht so zwingend wie möglich beweisen 


Fall I. Am 7. VL 1915 kam ein junger Mann in meine Sprechstunde, der 
Schreiber eines Rechtsanwalts, an dessen r. Oberschenkel sich 4, ‘an dessen :r. Fuß 
sich 3 eiternde tuberkulöse Geschwüre befanden. Die Größe derselben wechselte 
von 1—5 Markstückumfang. An Hals und Wangen waren noch virulente und. ver- 


narbte Scrophulodermata vorhanden. Aussehen abgemagert und äußerst blutarm. 


kF 
F 


ZEITSCHR. í. 
416 THEDERING. | TUBERKULOSE 


Die Therapie bestand zunächst nur darin, daß der Kranke aus der dumpfen Luft 
der Schreibstube ins Freie verpflanzt wurde mit der Anweisung, sich draußen täglich 
stundenlang zu sonnen. Nachts wurden die Geschwüre mit Borsalbe verbunden. 
Schon nach einer Woche war eine deutlich fortschreitende Verheilung erkennbar; 
am Schluß der 6. Woche waren sämtliche Geschwüre fest vernarbt. 
Gewichtszunahme 12 Pfund, das Aussehen erheblich gebessert. 


Fall II. Am 23. III. 1915 kam ein kleines Mädchen in meine Behandlung 
in dem traurigen Zustande, den Fig. ı veranschaulicht. Das Gesicht und die Unter- 
kinngegend von Lupus in ganzer Ausdehnung zerfressen, Lippen und Wangen 
skrophulös geschwollen, die Augen durch schweren skrophulösen Katarrh eitrig ent- 


NE A 


Fig. 1. 


zündet (Conjunktivitis, Keratitis), hochgradige Lichtscheu; ausgedehnte Hauttuber- 
kulose der r. Hand, des r. Vorderarmes, des r. Unterschenkels; an beiden Ellbogen 
je ein fluktuierendes Scrophuloderma, verschiedener kleinerer Lupusherde nicht zu 
gedenken. Die rechte Hand konnte wegen starrer torpider Schwellung nicht be- 
wegt werden. Das Aussehen denkbar blutarm, abgemagert, das arme Geschöpf 
konnte sich vor Hinfälligkeit kaum aufrecht halten. 

Die Therapie bestand zunächst in der Anordnung einer kräftigenden Allgemein- 
pflege (Bäder, reichliche Ernährung, Reinigung der Augen mit Borwasser) Von 
jeder örtlichen Behandlung der äußeren tuberkulösen Herde wurde jedoch anfäng- 
lich ganz abgesehen, sondern das Kind nur täglich am ganzen Körper besonnt, 


2 


S rl HELIOTHERAPIE IM TIEFLANDE, _ 417 


+ 


Wenn die Sonne. draußen schien, wurde natürliche, an dunkeln Tagen künstliche 
(Quarz-) Sonne benutzt. Die natūrlichen Sonnenbäder mußten in den ersten ' 


a 


Fig. 2. . 


Monaten in der geheizten, geschlossenen Veranda vorgenommen werden, etwa, 
vom Mai ab wurde die Kleine ins Freie verlegt. Da die Jahreszeit sonnig war, 
wurde die Quarzsonne nur ausnahmsweise benutzt. 

Zeitschr. f. Tuberkulose. 25, i 27 


el 


ZEITSCHR. f. 
418 | THEDERING. TUBERKULOSE 


Der Erfolg bestand zunächst in einer raschen Abnahme der torpiden Schwel- 
lungen der r. Hand und des Gesichts, in der Aufhellung der schwer entzündeten 
Augen und einer andauernd steigenden Gewichtszunahme. Auch wurde der ge- 
drückte Gemütszustand des bedauernswerten "Kindes sichtlich aufgeheitert. Die 
zahlreichen großen Geschwürsflächen. begannen frischer zu granulieren. und zu ver- 
narben. Nachdem so zunächst durch die Sonnenbäder eine erhebliche Kräftigung 
des Allgemeinzustandes erzielt war, wurden einzelne Röntgenbestrahlungen der Hand 
eingeschoben, im ganzen sechs in den ersten fünf Monaten. Außerdem drei Quarz- 
licht- und zwei Finsenbestrahlungen. Anfang September, also nach !/, Jahr, war 
das Gesamtbefinden des Kindes so weit gehoben und die örtlichen Prozesse derart 
gebessert, daß eine Lokalbehandlung mit einer Kombinierung aus Quarzlicht, Finsen- 
licht, Röntgen, Kupfersalbe mit Aussicht auf Erfolg in Angriff genommen werden 
konnte. Nebenbei wurde die Sonnenbehandlung im Freien bis zum Eintritt des 
Spätherbstes fortgeführt und dann durch die Quarzsonne ersetzt. Im übrigen trat 
während des Winters die örtliche Therapie in den Vordergrund. Die Behandlung 
hat bislang den Erfolg gehabt, den Fig. 2 veranschaulicht. Der Gesamtzustand 
des Kindes ist unvergleichlich gebessert. Die Gewichtszunahme beträgt 15 Pfund. 
Die Haltung ist frisch und kraftvoll, das Aussehen blühend. Die Augen sind klar, 
keine Spur der abgelaufenen schweren Entzündung ist zurückgeblieben. Die ört- 
lichen Tuberkuloseherde der Haut sind sämtlich abgeheilt bis auf Reste je eines 
Scrophulodermas am r. Vorderarm und l. Unterschenkel. Außerdem sind am |. 
Nasenflügel noch wenige lupusverdächtige Knötchen unter der Epidermis zu- sehen. 
Sonst erwecken die blassen, glatten Narben allerorts den Eindruck völliger 
Abheilung. Die früher  unbeweglich versteifte r. Hand ist spielend gelenkig 


geworden. 

Dieser zweite Fall ist in mehrfacher Hinsicht lehrreich. Er ist ein Schul- 
beispiel für die durch die neuere Lupusstatistik erwiesene Tatsache, daß der 
Lupus in der: Jugend fast ausnahmslos aus inneren, konstitutionellen Quellen, 
hämatogen, erwächst. Er lehrt ferner, daß in derartigen Fällen die Allgemein- 
behandlung an erster Stelle stehen muß und die örtliche Behandlung erfolg- 
reich erst dann in Angriff genommen werden kann, wenn durch die Allgemein- 
behandlung eine gesunde Reaktionsfähigkeit der Gewebe erzielt ist. Es liegt 
auf der Hand, daß auf dem umgekehrten Wege, durch primäre örtliche Be- 
handlung, im vorliegenden Falle offenbar nicht der geringste Erfolg von Belang 
zu erzielen gewesen wäre. Endlich wird die erstaunliche Heilkraft des Sonnen- 
lichts, auch in unsern nordischen Breiten, selbst mitten in staubreicher Stadt- 
luft, wo vorliegender Fall behandelt wurde, so klar wie möglich offenbar. 
Wer möchte den gewaltigen Nutzen verkennen, den die Sonne uns in der Be- 
handlung kindlichen Lupus und konstitutioneller Tuberkulose leisten kann! 
Es ist wahrlich nicht nötig, ins Hochgebirge oder an die See kostbare Bade- 
reisen zu unternehmen; ich stelle auf Grund vorliegender und zahlreicher ähn- 
licher Erfahrungen die kühnliche Behauptung auf, daß man Heliotherapie mit 
Erfolg betreiben kann an jedem Fleck, wo die Sonne scheint, in der Stadt 
und auf dem Lande und zu jeder Jahreszeit! Seit Jahren behandle ich meine 
sämtlichen an Lupus und äußerer Tuberkulose leidenden Kranken mit Be- 
sonnung, indem ich der natürlichen Sonne vor der künstlichen den Vorzug 
gebe, ohne den 'schätzbaren Wert der letzteren im geringsten zu verkennen. 
Aber die natürliche Besonnung hat den unberechenbaren Vorteil, daß die 
Kranken tagelang im Freien sich aufhalten, abgesehen davon, daß jede Nach- 


BD. Ei ie 6. HELIOTHERAPIE IM TIEFLANDE., 419 


ahmung eines Naturprodukts aus erklügelter Berechnung und nicht durch das 
Zusammenwirken organischer Bildungskräfte entsteht. Den beliebten Einwand, 
daß die Sonne hierzulande zu selten scheint, halte ich für sehr fadenscheinig. 
Die Tuberkulose ist immer ein Leiden, dessen Heilung sich über Jahre erstreckt: 
wer gewissenhaft jeden Sonnentag im Jahre heliotherapeutisch ausnutzt, wird 
sehr bald zur Erkenntnis kommen, welcher gesundheitliche Nutzen ihm daraus 
erwächst, und daß sogar der Winter durchaus mit Vorteil zu Besonnungs- 
therapie ausgebeutet werden kann. So gelang Verf. mitten im Winter allein 
durch Heliotherapie im Zimmer die Ausheilung eines wallnußgroßen Scro- 
phulodermas am Halse eines Kindes im ersten Lebensjahr. 

Sollte die Sonne, die Jahr für Jahr in jedem Frühling unsere nordisch- 
nebelkalte Zone mit prangender Vegetation bedeckt, der Kraft ermangeln, 
welke Menschenkinder zur Blüte zu bringen!? 


27° 


ZEITSCHR. f. 


XXIV. 
Genügt die heutige Fürsorge für unsere unbemittelten Lungen- 
kranken den an sie gestellten Anforderungen? 


Von 


Dr. Eg. Hartmann, 
stellv. ärztl. Leiter der Lungenheilstätte Waldbreitbach, 


Swen seiner Rede vom 25. Febr. 1916 im Preußischen Abgeordnetenhause 

SE Fe legte Herr Ministerialdirektor Prof. Dr. Kirchner dar, daß noch heute 
CA allein in Preußen jährlich etwa 51000 Menschen an Tuberkulose 
sterben, und daß es nötig wäre, mit größerer Energie als bisher gegen die 
Tuberkulose vorzugehen. 

Da erhebt sich nun die Frage: Ist unser heutiges Heilstättenwesen 
wirklich imstande, der Tuberkulosenot in dem erforderlichen Maße 
zu steuern? 

Es ist den Lungenheilstätten wiederholt der Vorwurf gemacht worden, 
daß sich unter ihren Insassen ein nicht zu kleiner Prozentsatz Nichttuber- 
kulöser befinde. Woher kommt es nun aber, daß soviel Nichttuberkulöse 
in Heilstätten eingeliefert werden? 

Viele Personen werden nur auf Grund einer positiven Krankheits- 
anamnese in Heilstätten geschickt, ohne daß objektive Anzeichen für Tuber- 
kulose vorliegen. Gewichtsabnahme, Müdigkeit, Auswurf, evtl. mit „Blutstreifen“, 
Nachtschweiße werden auf Lungentuberkulose gedeutet, während eine gründ- 
liche Untersuchung aller Organe, namentlich auch des Nervensystems ergeben 
hätte, daß die Erscheinungen auf anderen Ursachen, wie Bleichsucht, Neuras- 
thenie, Hysterie, Basedow, Rheumatismus (namentl. Interkostalneuralgie), chron. 
Gastritis, chron. Nasenleiden, Rachenkatarrh u. a. oft zurückzuführen sind. Ich 
habe Patienten gehabt, die schon drei Kuren in anderen Lungenheilstätten durch- 
gemacht hatten, bei denen objektiv auf der Lunge nicht der geringste krankhafte 
Befund festzustellen war, wo aber eine Untersuchung des Nervensystems einwand- 
frei das Vorliegen eines nervösen Leidens ergab, aus dem sich die Beschwerden 
mit Leichtigkeit erklären ließen. Bisher war noch nie eine Nervenuntersuchung 
vorgenommen worden. Nicht selten erlebt man bei Versicherten, daß sie 
solche auf ihre Wahrheit schwer nachzuprüfende Angaben von Beschwerden 
aus der Luft greifen, um ein Heilverfahren zu bekommen. Der Anamnese 
darf also, so wichtig sie in manchen Fällen sein kann, doch nicht immer 
allzugroßer Wert beigemessen werden. 

Es kommt auch vor, daß Leute lediglich deshalb in Heilstätten ein- 
gewiesen werden (namentlich von Lungenfürsorgestellen aus), weil Erkrankungs- 
oder Todesfälle an Tuberkulose bei Eltern oder Geschwistern vorgekommen 
sind, ohne daß bei den Eingelieferten auch nur die geringsten klinischen Zeichen 
einer tuberkulösen Erkrankung oder subjektive Beschwerden vorhanden waren. 
Das ist m. E. ganz unstatthaft. Zur Vorbeugung der Erkrankung bei diesen 
Personen genügen andere geeignetere und billigere Maßnahmen. Bei der 
Lungenuntersuchung werden häufig leichte Schallunterschiede über den 


e GENÜGT DIE HEUTIGE FÜRSORGE USW. | 421 


Spitzen, geringe -Veränderungen des Atmungsgeräusches: rauhes Atmen oder 
verlängertes Exspirium über der rechten Spitze, (das in den meisten Fällen 
physiologisch ist) gefunden; oder es werden im Röntgenbilde diffuse leichte 
Spitzentrübungen, Stränge, verstärkte Hiluszeichnung entdeckt. Man muß 
sich hüten, solche kleinen Veränderungen gleich für Zeichen einer 
aktiven Tuberkulose zu halten. Sie können auf allen möglichen anderen 
Ursachen beruhen: stärker entwickelte Muskulatur auf der einen Seite, Skoliose, 
fehlerhafte Haltung, Spitzenatelektase infolge ungenügender Atmungstätigkeit 
der Lunge (behinderte Nasenatmung, Vernachlässigung der Atemtechnik) u.a. m. 
Ich habe z.B. verschiedentlich beobachten können, wie solche bei der Röntgen- 
durchleuchtung anfangs sichtbare und für tuberkulös gehaltene Spitzenverschleie- 
rungen nach einige Zeit fortgesetzten Atemübungen nicht mehr vorhanden 
waren und .die Spitzen schöne Aufhellung zeigten, also nur Atelektase vorlag. 
Andererseits können die erwähnten Veränderungen Reste einer früheren, längst 
zur Abheilung gekommenen tuberkulösen Erkrankung sein und stellen dann 
Endergebnisse des Heilungsprozesses dar. | 

Wenn es auch besser ist, daß eine Diagnose ‚„Lungentuberkulose‘“ zuviel 
als zu wenig gestellt wird, so darf man doch in der Abgabe der Diagnose 
auch nicht zu weitherzig sein. Man kann im allgemeinen sagen: die Dia- 
gnose „Tuberkulose“ wird heutzutage viel zu häufig gestellt. Unsere 
verfeinerte Untersuchungstechnik ist vielleicht selbst mit Schuld daran. 

Die Feststellung der beginnenden Lungentuberkulose ist bekanntlich 
manchmal recht, schwierig. Von vielen Ärzten werden nun „zur Sicherung 
der Diagnose“ die verschiedenen Tuberkulinproben herangezogen; ja, gar 
nicht so selten geschieht es, daß Personen fast nur auf Grund einer positiven 
Tuberkulinreaktion bei fehlendem klinischen Befund in Heilstätten eingewiesen 
werden. Das Tuberkulin ist aber, auch nach meinen Erfahrungen, leider 
nicht imstande, zweifelsfrei die Frage zu entscheiden, ob eine aktive 
behandlungsbedürftige tuberkulöse Erkrankung — denn darauf kommt 
es allein an — vorliegt, oder ob es sich in dem gegebenen Falle nur um 
einen inaktiven bedeutungslosen, durch eine frühere tuberkulöse Infektion her- 
vorgerufenen Zustand handelt, der einer Behandlung nicht bedarf. Kommen 
doch die meisten Menschen in ihrem Leben mit Tuberkelbazillen in Berührung 
und sind am Ende des Kindesalters als infiziert zu betrachten, ohne im klinischen 
Sinne tuberkulosekrank sein zu müssen. Während man in diagnostischer Hin- 
sicht von der Wertlosigkeit des positiven. Ausfalles der Pirquetschen Haut- 
probe beim Erwachsenen jetzt fast allgemein überzeugt ist, besteht immer 
noch der alte Streit, ob eine positive Subkutanprobe beweisend für das 
Vorhandensein aktiver Tuberkulose sei oder nicht. Ich bin auf Grund eigener 
Erfahrungen zu der Ansicht gekommen, daß die Subkutanprobe ebenso- 
wenig wie der Pirquet über die Aktivität des Prozesses etwas aus- 
zusagen vermag. Selbst aus der Herdreaktion lassen sich keine sicheren 
Schlüsse ziehen. Nicht allein daß die Feststellung einer Herdreaktion immer 
etwas Unsicheres an sich hat, kann es unter Umständen noch zweifelhaft bleiben, 
ob der jetzt reagierende Herd vor der Injektion aktiv oder inaktiv war. Es 


422 EG. HARTMANN. TUBERKULÖSE 
kann sich wohl um einen frischen Herd handeln, ebensogut aber auch um 
einen alten, ruhenden, der durch die Tuberkulininjektion mobilisiert wurde. 
Ähnlicher Ansicht über den diagnostischen Wert des Tuberkulins sind auch 
Römer, Goldscheider, Meißen, Schröder u.a. — Es wäre noch zu be- 
merken, daß auch klinisch Gesunde, bei denen gar keine tuberkulösen Prozesse 
im Körper bestehen, auf Tuberkulin manchmal reagieren (vgl. Klein, Die 
kritische Verwertung der Tuberkulindiagnostik in der Unfallbegutachtung, 
Ztschr. f. Tuberk., Bd. 20, Heft 1) Ebenso sind von anderen und mir Tempe- 
ratursteigerungen nach injectio vacua beobachtet worden. 

Von verschiedener Seite wird die Tuberkulinprobe auch angewandt, um 
ihren negativen Ausfall zu dem Schlusse zu verwerten, daß keine aktive 
Tuberkulose vorliegt. Auch dieser Schluß ist unberechtigt, denn es gibt 
Fälle, die auf Tuberkulin nicht reagieren und bei denen doch echte, 
aktive Tuberkulose vorliegt, wie ich verschiedene Male selbst festgestellt 
habe — ohne daß es sich etwa um Fälle im Endstadium handelt, wo die 
Tuberkulinreaktion ja sehr häufig fehlt. 

Da man also weder aus dem positiven noch aus dem negativen Ausfall 
der Tuberkulinproben erkennen kann, ob aktive, d. h. behandlungsbedürftige 
Tuberkulose vorliegt oder nicht, so ist die Tuberkulinreaktion zur Sicherung 
der Diagnose wertlos. Die Frage der Notwendigkeit einer Heilstätten- 
behandlung darf keinesfalls von einer positiven Tuberkulinreaktion 
abhängig gemacht werden, wie dies leider häufig geschieht. 

Bekommt man solche Nichttuberkulöse in die Heilstätte eingeliefert, so 
kann man sie aus Gründen der Menschlichkeit nicht sofort wieder entlassen; 
denn sie haben Beschwerden — oft recht erhebliche — und, nach Hause ge- 
schickt, sind sie zur Arbeit gezwungen, um ihren Lebensunterhalt zu ver- 
dienen. Die für sie in Betracht kommenden Heilverfahren, wie Kur in Nerven- 
heilstätte oder Erholungsheim sind z. Zt. nicht möglich, da die betreffenden 
Anstalten zumeist geschlossen oder in Lazarette umgewandelt sind; aus diesem 
Grunde schickt jetzt mancher Arzt eine nervenschwache, unterernährte oder 
aus anderen Gründen erholungsbedürftige Person in eine Lungenheilstätte, um 
ihr Gelegenheit zur Erholung zu verschaffen. In Friedenszeiten kommt hinzu, 
daß sich die Entscheidung der Übernahme eines anderen, geeigneteren Heil- 
verfahrens leider meist längere Zeit hinzieht, und eine unmittelbare Überweisung 
von der Heilstätte aus in ein Erholungsheim oder dergl. nicht gestattet ist. 
Läßt man sie aber einige Zeit in der Heilstätte in der Absicht, ihnen die Be- 
schwerden zu nehmen und die Arbeitsfähigkeit zurückzugeben, so nehmen sie 
dadurch den wirklich Lungenkranken die Plätze in den Heilstätten fort, und 
das ist namentlich jetzt im Kriege, wo die Zahl der Tuberkulösen wieder im 
Anwachsen begriffen ist, sehr unangebracht. Mehr denn je müssen wir gerade 
jetzt bestrebt sein, die Plätze in unseren Heilstätten nur den wirklich tuber- 
kulösen behandlungsbedürftigen Lungenkranken vorzubehalten, damit soviel 
wie nur irgendmöglich von ihnen Gelegenheit zur Wiederherstel- 
lung ihrer Gesundheit und Arbeitskraft haben und die Angehörigen 
durch die Entfernung der Infektionsquelle vor Ansteckung ge- 


Pi © GENÜGT DIE HEUTIGE FÜRSORGE USW. 423 


schützt werden. Auch vom Gesichtspunkte des. a ist 
diese Forderung dringend notwendig. 

Das längere Verbleiben von Nichttuberkulösen -oder nur etwas Verdäch- | 
tigen in Lungenheilstätten gibt aber noch in anderer Richtung zu Bedenken - 
Anlaß. Einmal ist nicht zu leugnen, daß für diese bleichsüchtigen, unter- 
ernährten, durch schwere Arbeit oder seelische Erschütterung geschwächten 
Personen trotz aller hygienischer Disziplin und räumlicher Absonderung durch 
ein anderes Schlafzimmer doch eine Ansteckungsgefahr besteht, da ja die 
Patienten bei den Mahlzeiten, im Tagesraum und auch sonst zusammenkommen 
und auf diese Weise mit Bazillenhustern in nähere Berührung treten. Ferner 
bestärkt man sie in ihrem Glauben lungenkrank zu sein, den sie sich nicht 
ganz ausreden lassen, und gibt ihnen durch einen längeren Aufenthalt in einer. 
Lungenheilstätte einen Freibrief für Schonungsbedürftigkeit in die Hand. Bei 
den geringsten körperlichen Beschwerden, die später wieder einmal auftreten, 
denken diese Menschen an eine neue Erkrankung ihrer Lunge und leiden tat- 
sächlich unter ihrer durch den- Heilstättenaufenthalt genährten Krankheits- 
einbildung und werden häufig Hypochonder, so daß sie die Arbeit aussetzen, 
weil sie sich ihrer infolge ihrer : „Lungenkrankheit“ nicht mehr gewachsen 
fühlen. Andere legen ihre Arbeit nieder, weil sie ihnen nicht mehr schmeckt, 
nachdem sie in der Heilstätte. ein so bequemes Leben gehabt haben. Ist es 
mir doch wiederholt vorgekommen, daß Patienten, besonders solche, die schon. 
einmal eine Heilstättenkur durchgemacht hatten, durchaus nicht erfreut waren, 
wenn ich ihnen nach längerer Beobachtungszeit erklärte, sie wären gesund 
und vollkommen arbeitsfähig. Ä 

Aus vorgenannten Gründen erscheint es mir geboten, im Inter- 
esse der wirklich Lungenkranken, den erholungsbedürftigen Nichttuber- 
kulösen geeignete Erholungsstätten, die Sommer und Winter geöffnet 
sind, wieder zugänglich zu machen. 

Unter den jetzigen Zuständen leiden besonders die Kranken 
mit vorgeschrittener Tuberkulose, die in drei Monaten nicht wieder 
arbeitsfähig werden und daher in- Heilstätten keine Aufnahme finden. Solche 
Patienten, die ich von hier wieder entlassen mußte, haben mit großen Schwierig- 
keiten zu kämpfen, in Krankenhäusern aufgenommen zu werden. Sie werden 
vielfach abgewiesen, da die Krankenhäuser zum größten Teil mit Verwundeten 
belegt sind und für Tuberkulöse keine Plätze freigeben. Auch Kranke, die 
meiner Überzeugung nach durch Pneumothoraxbehandlung hätten gebessert 
werden können, mußten von hier fortgeschickt werden, da die Landesversiche- 
rungsanstalt dieses Verfahren bei ihren Versicherten nicht gestattet. In der 
Heimat konnte diese Behandlung ebenfalls meist nicht ‚erfolgen — trotzdem 
ich mich bemühte, durch Empfehlungsschreiben u. dgl. die Kranken zu unter- 
stützen —, da es an spezialistisch vorgebildeten Ärzten mangelt. 

So bleiben viele Schwerkranke in ihrer Familie, fristen notdürftig ihr 
Dasein und bilden eine stete Ansteckungsquelle für ihre Angehörigen. 

. Statt der vielen Fälle des I. Stadiums, unter denen sich meist 
eine große Anzahl nur Verdächtiger befindet, könnten, besonders 


r ZEITSCHR. f. 
424 = EG. HARTMANN. | ME RE 


jetzt in der Kriegszeit, mehr Schwererkranke in Heilstätten aufge- 
nommen werden; natürlich keine ganz aussichtslosen Fälle, wohl aber solche, 
die so weit besserungsfähig sind, daß durch eine längere Kur die Arbeitsfähig- 
` keit (wenigstens teilweise) wieder hergestellt werden kann. Dementsprechend 
müßte für solche Fälle die Kurzeit von den üblichen 3 Monaten auf 
mindestens 6 Monate verlängert werden. Die Mehrkosten für solche 
längere Kur wiegen, meiner Ansicht nach, die sonst für erwerbsunfähige Kranke 
oft lange Jahre ausgegebenen Invalidengelder auf. Es sollte dem Heilstätten- 
arzte überlassen sein, die Dauer der Behandlungszeit zu bestimmen, wie es 
doch bei jeder anderen Krankheit geschieht. Gerade bei einer so verschieden- 
artig verlaufenden Krankheit, wie der Lungentuberkulose, ist nichts schädlicher 
. als Schematismus. 

Auch die Behandlung mit künstlichem Pneumothorax sollte in Heilstätten 
bei geeigneten Fällen zur Anwendung kommen. 

Mehrfach sind Durchgangs- oder Vorstationen eingerichtet worden, auf 
denen die für ein Heilstättenverfahren vorgeschlagenen Fälle zunächst beob- 
achtet und gesiebt werden. Jetzt im Kriege sind sie zumeist aufgehoben. 
Ich möchte diesen Vorstationen nicht so sehr das Wort reden; sie müßten 
wenigstens unter der Leitung eines auf dem Gebiete der Lungentuberkulose 
vorgebildeten Arztes stehen, was leider nicht immer der Fall ist. Für die 
Kranken ist auch der mehrmalige Wechsel des Aufenthaltes mit anderem Arzt, 
anderer Umgebung und Lebensweise nicht angenehm. Zudem kommt es häufig 
genug vor, daß für Heilstättenbehandlung ungeeignete Fälle doch mit unter- 
laufen, und das ist für solche nochmals fortgeschickten Patienten doppelt un- 
angenehm. Einfacher erscheint es mir, wenn man zweifelhafte Fälle ruhig 
gleich in Heilstätten schickt, wo nach kurzer Beobachtungszeit auf einer ab- 
getrennten Beobachtungsstation die Entscheidung getroffen wird, was mit ihnen 
geschehen soll. Kommt eine Lungenheilstättenkur nicht in Betracht, so erfolgt, 
falls überhaupt eine Behandlung nötig ist, Überweisung in eine geeignete An- 
stalt z. B. Erholungsheim. Die Überweisung sollte von der Heilstätte aus un- 
mittelbar geschehen können, ohne daß der Kranke erst nach Hause geschickt 
und dort ein neuer Antrag gestellt zu werden braucht. Man erspart dadurch 
Zeit, Geld, Mühe und dem Patienten viele Unbequemlichkeiten. 

Vorgeschrittene Fälle, die keine Aussicht bieten, daß sie in abseh- 
barer Zeit wieder arbeitsfähig werden, Kranke mit schwereren Komplikationen, 
bei denen längere Bettruhe erforderlich ist und ganz hoffnungslose, rasch pro- 
grediente Fälle werden am besten in Krankenhäusern und Invalidenheimen für 
Tuberkulöse untergebracht. Vielleicht kann man durch Anwendung gewisser 
Zwangsmaßnahmen (Entziehung der Invalidenrente oder sonstiger Unterstützung) 
erreichen, daß Schwerkranke mit offener Tuberkulose Kranken- oder Invaliden- 
häuser aufsuchen. Denn sonst bleiben sie in ihrer Familie und bilden eine 
ständige Ansteckungsgefahr. Dadurch, daß man diese Kranken in ihrer Familie 
beläßt und sie durch Invalidengelder und sonstige Maßnahmen unterstützt, 
stellt man meiner Ansicht nach den ganzen Erfolg der Tuberkulosefürsorge in 
Frage. Vielleicht kommt es dazu, daß, wie auch Herr Ministerialdirektor 


BD: REET G; GENÜGT DIE HEUTIGE FÜRSORGE USW. 425 


Kirchner erhofft, -die Anzeigepflicht für offene Tuberkulose recht bald ein- 
geführt wird. - Denn mit ihrer Hilfe wird es am ehesten gelingen, der Ver- 
breitung weiterer Ansteckungen vorzubeugen. 

Ich komme zu dem Schlusse, daß die am -Anfang meiner Ausführungen 


gestellte Frage, ob das Heilstättenwesen imstande sei, im erforderlichen Maße 


der Tuberkulosenot zu steuern, bejaht werden kann, > wenn es in der von mir 
angegebenen Weise betrieben wird: 2 | 

I. Baldige Entfernung von Nichttuberkulösen und Fällen von inaktiver 
Tuberkulose, die einer Heilstättenkur nicht bedürfen, aus den Lungenheilstätten 
und, falls Behandlung nötig ist, Überweisung in geeignete Anstalten wie Er- 


holungsheime, Nervenheilstätten u. dgl, die wieder für solche Kranke freizu- 


geben sind. 

2. Aufnahme auch vorgeschrittener Fälle von Tuberkulose in Lungen- 
heilstätten unter Verlängerung der Kurzeit, wenn dadurch Aussicht auf Wieder- 
erlangung der Arbeitsfähigkeit besteht. 

3. Unterbringung weit vorgeschrittener Falle, die in absehbarer Zeit nicht 
wieder arbeitsfähig werden, oder bei.denen das Ableben bald zu erwarten ist, 
in Krankenhäuser oder Invalidenheime‘ — bei offener Tuberkulose nötigenfalls 
unter Anwendung von Zwangsmaßnahmen. 

Bei dem heutigen Stellungskriege, wo glücklicherweise kein Massen- 
andrang von Verwundeten auf die Krankenhäuser der inneren Heimat statt- 
findet, ließe es sich gewiß ermöglichen, manches als Reservelazarett eingerichtete 
Krankenhaus, Erholungsheim o. dgl. freizumachen und seiner früheren Be- 
stimmung zurückzugeben. 


ww 


| ZEITSCHR. f. 
.426 PAUL RÖMER } TURERKULOSE 


Paul Römer T 


Ohne sittlichen Adel keine Weisheit. 
lato. 


S=lömers Leben gehört zu denen, die rein menschlich so fein sind, daß 
5) demgegenüber alles übrige, auch die berufliche Leistung, nur den 
S| Wert von Begleiterscheinungen hat. Somit ist es verständlich, daß 
eine ine Betrachtung dieses Lebens nur mit einem gewissen Zwange bei den rein 
beruflichen und äußerlich sichtbaren Leistungen verweilen mag und fortwährend 
versucht ist, auf das Wesen zurückzukommen und die Schilderung des Beruf- 
lichen beiseite zu schieben. Nun ist ‘aber diese Zeitschrift nicht der Platz für 
eine dichterische Zergliederung und Zusammenfassung eines Lebens, das ein 
sittliches Meisterwerk genannt werden muß. Hier will man vielmehr mit Recht 
die Bedeutung des Mannes für ‘die Wissenschaft, zumal für ein großes Sonder- 
gebiet der Wissenschaft, behandelt sehen. Wäre sein Leben weniger wertvoll 
gewesen, könnte sich ein Nachruf rein auf die wissenschaftliche Tätigkeit be- 
schränken; der tiefe Gehalt aber mag es entschuldigen, daß wir, wenn auch 
nur zu flüchtiger Berührung, an der Gesamtheit dieses Manneslebens nicht 
vorübergehen können. Die Geschichte lehrt, daß das rein Wissenschaftliche 
ebenso wie das rein Künstlerische nur auf eine kurze Spanne weiterwirkt; das 
rein Sittliche dagegen, mag es im Leben von der Umwelt erkannt sein oder 
nicht, gehört zur Weltenergie; es wirkt nicht nur nach, es leuchtet auch, 
und aus seinen Strahlen webt sich das Gewebe wahrer Wesenskultur, gleich- 


BD. 28, HEFT 6. 
1916. PAUL RÖMER } 427 


gültig, ob sie von den trüben Augen der Masse wahrgenommen werden 
oder nicht. | 

Sein Tod, so schmerzlich er für. uns ist, die wir ihn liebten, und einen 
wie herben Kulturverlust er auch für die Jetztzeit bedeutet, hat insofern doch 
etwas Versöhnliches, als der Ring seines Daseins geschlossen erscheint. Sein 
Schicksal führte ihn auf einem großen Umwege, vom Boden zum Boden. Denn 
unzweifelhaft hätte von nun an seine Hauptarbeit der sozialen Hygiene und 
der Bodenreform gegolten, was nach den schönen Erfolgen auf anderen Ge- 
bieten verwunderlich sein mag, jetzt aber, wo wir die Fäden seines vorbe- 
stimmten Schicksals zu überblicken vermeinen, ganz :begreiflich erscheint. Und 
wenn er auch in diesem letzten Wirkungskreise, der seinem Wesen am eigensten 
entsprach, keine greifbaren Taten. mehr vollbringen konnte, der Ring ist doch 
geschlossen und die Linie seines Lebens endet nicht jäh und schrill. Der Er- 
folg liegt in unsichtbarer Hand. Nur die Absicht gibt dem Aufwand von 
Kräften Wert. 

Wir aber haben heute äicht das Ziel und die Fäden zu betrachten, die 
dies Ziel mit Anlage und Erlebnissen verbinden, sondern uns kommt es ge- 
rade auf den Umweg an, und was auf ihm geleistet wurde. 

In Kirchhain, einem kleinen Landstädtchen unfern Marburg, das seine 
Eigenart in einem einheitlichen Heimatsbilde gegen die Gleichmacherei neu- 
zeitlicher Verunstaltungen trefflich gewahrt hat, wurde Römer am 19. Mai 1876 
geboren. Sein Vater war Landarzt, äußerlich derb zugreifend, innerlich weich 
und gut; die Mutter, ein Landpfarrerskind, von fast fremdartiger Schönheit und 
durchsichtiger Zartheit, die in der Erinnerung ihrer Kinder ohne Musik nicht 
gedacht werden konnte. Die Schulzeit verlebte der in höchster äußerer Ein- 
fachheit erzogene Knabe in Marburg bei Verwandten in einem alten Hause, 
das mit seinen Ecken und Winkeln und dem Wohlklang der Bauverhältnisse 
dem Sinne des einsam Heranwachsenden stets neue Traulichkeit zu sagen 
wußte. Nach der Schulzeit trat er ins Korps Teutonia ein, dem auch. der 
Vater angehörte. Und wie er alles im Leben gründlich betrieb, faßte er schon 
hier die an ihn herantretenden Aufgaben ernster und tiefer als es andere zu 
tun pflegen, ohne die kindliche Heiterkeit seiner Seele zu verlieren oder gar 
Gefahr zu laufen, sich in den Äußerlichkeiten des Korpsstudententums zu ver- 
lieren. Schon damals schied sein Blick klar das Echte vom Unechten, das 
Wesentliche vom Unwesentlichen, und die Macht seiner lautern Persönlichkeit 
verschaffte ihm bald eine führende Stellung, obwohl ihn die Schmalheit seines 
Wechsels zu äußerster Wirtschaftlichkeit und Anspruchslosigkeit zwang. Er 
liebte das Korps zeitlebens, ohne die Schwächen des Verbindungswesens zu ver- 
kennen, und hat stets mehr als man bei dem stillen Mann vermuten konnte, 
mit Rat und Tat ausgeholfen. Die Marburger Studienzeit wurde nur einmal 
durch einen Würzburger Aufenthalt unterbrochen, und die Heimatliebe hielt 
ihn selbst nach der Staatsprüfung, die er 1898 bestand, in Marburg fest. Nach 
zweijähriger Tätigkeit ən der medizinischen Klinik ging er dann 1900 zu 
Behring. 1904 habilitierte er sich. Jahrelang führten wir da hoch über 
Marburg in einem verschlafenen Parke gemeinsamen Haushalt, gemeinsames 


Leben. Selig wahnvolle Zeit, als das schwimmende Auge überall Farben und 
schöne Gestaltung sah, wo jetzt der geklärte Blick nur noch schwankende 
Umrisse vor trübem Dämmergrau vorüberhuschen sieht! 

1907 erhielt er den Professortitel, ging dann ein Jahr nach Argentinien, 
um die Behringschen Tuberkulosemittel (Tulase usw.) im großen auszuproben. 
Trotz des wissenschaftlichen Mißerfolges sicherte er sich auch dort die allge- 
meine Achtung durch das freimütige Geständnis des verfehlten Unternehmens. 
Während der dann folgenden Krankheit Behrings leitete er jahrelang das 
Behringsche Institut, nachdem er 1909 außerordentlicher Professor ge- 
worden war. 

Wie in seiner ganzen Lebensführung, so stand ihm auch in seinen wissen- 
schaftlichen Werken eine ausgeprägte mathematische Klarheit helfend zur Seite. 
Schritt für Schritt entwirrte sich ihm die einzelne Erscheinung bis er in stetigem 
Vordringen den Faden fand, der zu den großen Zusammenhängen leitet. Ohne 
sich durch die Fülle der einzelnen Erscheinungen die leitende Idee verdecken 
zu lassen, gelangte er nicht in kühnem Geistesschwunge, sondern doch immer 
erst an der Hand der einzelnen Erscheinungen zur Erfassung und Gestaltung 
der abziehbaren Idee, die den eigentlichen Wert alles Schaffens bestimmt und 
‘ ausmacht. Seine Arbeiten knüpfen daher fast alle an vorhandene Erkenntnisse 
an, aber eine vortreffliche mathematische Begabung und der damit verbundene 
Blick für das Echte im einzelnen half ihm die mangelnde geniale Erfindungs- 
kraft ersetzen, so da er auf einem mühseligeren Wege doch zu trefflichen 
eigenen Schaffungen vordrang. Aus dieser Anlage erklärt sich auch die Breite 
und Menge seiner Schriften und ihre peinliche Ausführung bis ins einzelne. 

Seine Arbeiten lassen sich in vier Gruppen teilen. Da sind zunächst 
solche über besondere Immunitätsfragen, zumeist an Diphtherie und Tetanus 
vorgenommen, selbst in Fachkreisen wenig bekannt, in ihrer sicheren Art zum 
Teil kleine Musterwerke. 

Dann eine Gruppe über Milch, die wir z. T. gemeinsam bearbeiteten. 
Aus dem Verlangen nach einer keimfreien Rohmilch als Kindernahrung ent- 
sprang die Entdeckung der Perhydrasenmilch, deren Einführung im Groß- 
betriebe nicht an ihrer Unbrauchbarkeit, sondern an geschäftlichen Schwierig- 
keiten scheiterte. Auf der Suche nach den Milchschädigungen entstanden die 
abgeschlossenen Arbeiten über den Einfluß des Lichtes auf die Milch. Endlich 
reizte die Frage nach dem Übergange des Antitoxins von Mutter auf Kind, 
und es konnte gezeigt werden, wie auch hier die Muttermilch der artfremden 
Milch bedeutend überlegen ist, ja, daß das Milcheiweiß mit vorher unbekannten 
Kräften begabt ist. Denn selbst wenn das Antitoxin an arteigenes Eiweiß ge- 
bunden verabreicht wird, besteht doch ein großer Unterschied, ob es an art- 
eigenes Milcheiweiß oder an arteigenes Serumeiweiß gebunden ist. So ge- 
heimnisvolle Kräfte der Muttermilch lassen vermuten, daß die Überlegenheit 
der Muttermilch zum größten Teil auf den immunobiologischen Kräften beruht. 

Eine dritte Gruppe von Arbeiten beschäftigt sich mit der seuchenhaften 
Kinderlähmung, deren Ergebnisse in einem Buche zusammengefaßt sind. Bis 
zur scheinbar unüberschreitbaren Grenze der Erkenntnis sind hier die Fäden 


BD. 25, HEFT 6. 


verfolgt und wichtige Aufschlüsse über Übertragbarkeit und Immunität, die sich 
mit den früher und gleichzeitig entstandenen Arbeiten anderer Forscher 
decken, gewonnen. Auch die treffliche Arbeit über die Meerschweinchen- 
lähmung gehört in diese Gruppe. 

Die größte Zahl der Arbeiten gehört der Tuberkulosegruppe an. Die 
Habilitationsschrift behandelt in buchhafter Darstellung die damals noch heiß 
umstrittene Frage nach der Arteinheit der Tuberkelbazillenstämme, ‘und für 
einen Jünger des Lehrfaches gehörte schon eine gewisse Kühnheit dazu, wenn 
er entgegen der Schulmeinung ganz für die Arteinheit eintrat. Auf Einzel- 
heiten des in Stoff, Fleiß und Anlage gleich tüchtigen Werkes braucht nicht 
eingegangen zu werden. Jahrelange Arbeit verwandte er dann auf die Ver- 
tretung und Verbreitung der Behringschen Rindertuberkuloseschutzimpfung, 
für die er auch in auswärtigen Vorträgen häufig das Wort ergriff. Eine Zeit- 
lang schien es wirklich, als wollte sich das an sich durchaus brauchbare Ver- 
fahren im Großbetriebe einführen. Wenn jetzt fast alles davon schweigt, so 
liegt das an der Schwierigkeit der wiederholten Impfungen in die Blutbahn. 
Bekanntlich ist das Verfahren in den Grundzügen der Schutzpockenimpfung 
ähnlich, indem es sich lebender menschlicher Tuberkelbazillen bedient, die ja 
für das Rind einen abgeschwächten Erregerstamm bedeuten, und die in die 
Vene eingespritzt werden. Eine einmalige Impfung genügt nicht, aber auch 
eine Wiederholung der Impfung vermag die Tiere nicht dauernd zu schützen. 
Ein brauchbares Verfahren der Rindertuberkuloseschutzimpfung wird man 
meiner Meinung nach erst in Händen haben, wenn man über einen nicht ver- 
mehrungsfähigen, aufgeschlossenen Impfstoff verfügt, der mit Erfolg unter die 
Haut eingespritzt werden kann. Waren somit Römers jahrelange Bemühungen 
um die Behringsche Rinderschutzimpfung praktisch. erfolglos, so erwiesen sie 
doch einwandfrei, daß. die Behringsche Idee wissenschaftlich Recht hat, und 
bedeuten eine gute Vorarbeit für seine eigenen Forschungen über Tuberkulose- 
immunität, die seinen Namen über die Grenzen der Fachwissenschaft hinaus 
bekannt machen sollten. 

Bei diesen Arbeiten ging er von den Kochschen Feststellungen aus, 
daß sich tuberkulöse Meerschweinchen bei einer Wiederimpfung mit Tuberkel- 
bazillen ganz anders verhalten als normale Tiere. Er zeigte in durchaus ein- 
wandfreien, in großem Mäßstabe angestellten Tierversuchen, daß eine bestehende 
Tuberkulose, gleichgültig, ob sie natürlich oder künstlich entstand, gegen 
weitere, von außen kommende Ansteckungen schützt. Die Unrichtigkeit älterer 
widersprechender Untersuchungen wies er durch genaue Beobachtung der 
Mengenverhältnisse nach. Dieser Schutzzustand muß als Immunität bezeichnet 
werden, zumal durch meine Untersuchungen erwiesen ist, daß der Schutz des 
Tuberkulösen gegen eine zweite Ansteckung auf denselben Kräften beruht, 
wie der Schutz des künstlichen Tuberkuloseimmunen, der: durch nicht ver- 
mehrungsfähige, aufgeschlossene Tuberkelbazillenstoffe geschützt wurde. 

Diese Arbeiten sind die Grundlage für die Erkenntnis des natürlichen 
Tuberkuloseschutzes beim Menschen. In klarer Folge wurde dargetan, 
daß fast alle Menschen. die Schwelle des Kindesalters tuberkuloseangesteckt 


ZEITSCHR. f. 
430 | PAUL RÖMER t TOBERKULOSE 


überschreiten, daß eine Tuberkuloseansteckung aber längst nicht in allen Fällen 
zu fortschreitender Tuberkulose führt, daß sie vielmehr völlig ausheilen kann, 
und daß endlich der Mensch durch eine überstandene Tuberkuloseansteckung 
gleichzeitig immun wird. Es wäre das also ein selbsterworbener Schutz. Aus 
fremden und eigenen Beobachtungen schloß Römer alsdann, daß in einer Be- 
völkerung die Tuberkulosesterblichkeit um so größer ist, je weniger verbreitet 
die Tuberkulose ist, und daß die Tuberkulosesterblichkeit um so geringer: ist, 
je verbreiteter die Tuberkuloseansteckung ist, wobei unter Sterblichkeit das 
Verhältnis der Verstorbenen zu den Angesteckten zu verstehen ist. Diesen 
Satz konnte ich dann auf einer Forschungsreise in Palästina mathematisch 
beweisen. 

Somit wird auch die Schwindsuchtsentstehung in ein enges Ver- 
hältnis zur Immunität gerückt. Der durch Tuberkuloseansteckung in der Kind- 
heit gewonnene Schutz, mag die Ansteckung nun völlig ausgeheilt sein oder 
der Herd in Schach gehalten werden, ist sehr verbreitet und meist sehr 
hoch, so daß die meisten Menschen Zeit ihres Lebens gefeit sind. Aber auch 
bei den Tuberkulosekranken spricht der langsame Krankheitsverlauf für eine 
Auseinandersetzung mit den vorhandenen Abwehrkräften. Durch ungünstige 
Verhältnisse kann der in der Kindheit erworbene Schutz durchbrochen und 
ausgelöscht werden. Römer sah solche ungünstigen Verhältnisse vor allem 
in der Masse der vom Kinde zuerst aufgenommenen Keime und in schwächen- 
den äußeren Lebensbedingungen. Das sind aber nicht die einzigen, vielleicht auch 
nicht die wichtigsten. Jedenfalls ergibt sich mit Sicherheit, daß die Wieder- 
ansteckung des Körpers nicht von außen, sondern von innen her, von alten 
Herden aus erfolgt, was jüngsthin durch die Beobachtungen der Soldaten- 
tuberkulose in vollem Umfange bestätigt wird. Im übrigen wird selbst hoch- 
gradige Tuberkuloseimmunität von der Mutter auf das Kind nicht übertragen. 

-= Unauffällig führen diese Arbeiten zur Wohnungshygiene, von der dann 
der Schritt zur Bodenreform leicht getan erscheint. Sie aber beschäftigte nur 
noch sein Sinnen, nicht mehr sein Schaffen. 

Trotz dieser fruchtbaren Tätigkeit (seine Werke überschritten namhaft 
die Zahl 100), trotz seiner ausgezeichneten Rednergabe und einer ausgespro- 
chenen Lehrbegabung und trotz seiner umfassenden menschlichen Bildung 
wurde Römer mehrfach bei Lehrstuhlbesetzungen übergangen. Und er wäre 
wohl auch nie auf einen Lehrstuhl gekommen, hätte er sich nicht auf die ihm 
gestellte Bedingung eingelassen, die dahin lautete, wegen zu großer Einseitig- 
keit ein Jahr in Berlin tätig zu sein. Da er seine ganze Laufbahn auf die 
Lehrtätigkeit eingestellt hatte, entschloß er sich dazu, und nachdem er dort die 
höhere hygienische Weihe empfangen hatte, kam er denn auch 1913 nach 
Greifswald. Während des Krieges erhielt er den Ruf nach Halle, wohin er 
Frau und Kind übersiedeln ließ, fröhlich in der Hoffnung auf einen späteren 
großen sozialen Wirkungskreis. 

Den Krieg machte er zuerst als Regimentsarzt, später als Korpshygieniker 
im Osten mit. Er starb am 30. März am Fleckfieber. 

Dieser ruhige Mann entbehrte scheinbar des unselig-seligen germanischen 


BD. 25, HEFT 6. 


Erbteils, der Doppelnatur, die für den Träger oft so schwer, so schwer wird, 
ihn aber auch zu ungeahnten Höhen und Tiefen führt. Es war alles so klar 
an ihm, daß man bei ihm vergeblich nach dem funkengebenden Widerspruch 
zwischen Wähnen und Wissen, zwischen den beiden Naturen, die sich im 
Menschen einen, zu spähen schien. Aber er besaß genug Doppelnatur, nur 
daß eine keusche Scheu und das Streben nach mathematischer Sicherheit ihn 
vor den überfliegenden Forderungen des zweiten Ichs ebenso zurückhielten wie 
vor einer Offenbarung seiner inneren Kämpfe. So kam er unterstützt von 
einer angeborenen Bedachtsamkeit zu einer gebändigten Leidenschaft, mit der 
er zögernd, aber nicht rückwärtssehend, dem Wesen der Dinge nachging, 
dabei sein eigenes Wesen zu immer größerer Läuterung zwingend, dankbar 
für jeden Freundesdienst auf diesem Wege. Ein keuscher Mann, ohne Bitter- 
keit gegen die Welt und ihre Ungerechtigkeiten, aber ohne Nachsicht gegen 
sich selbst, ein rastloser Arbeiter, der in der Vervollkommnung seiner Persön- 
lichkeit sein höchstes Ziel erblickte, ein edles Gemüt, das dem Freunde bis: 
über seine eigenen Grenzen hinaus nachgehen konnte, das Weib und Kind 
mit unendlicher Liebe umschloß und sein Heim zu einer Stätte: stillen Friedens 
machte: ritterlich, ohne Furcht und Tadel, mit einer weichen kindlichen Seele. 

So war der Mann, dazu dem Schein und aller Lüge ebenso abhold, wie 
der Schaustellung und dem Geschäftssinn: ein wirklicher Kulturmensch in 
unserer kulturarmen Zeit. Aus Kunst, Religion und Philosophie holte er sich 
die Maßstäbe alles menschlichen Strebens, aus der Heimatsliebe die freie, fröh- 
liche Seele. Doch dem weiter nachzugehen ist hier nicht der Ort. 


Ich denke seiner, und siehe, es wird hell um mich. 
| Hans Much. 


432 


REFERATE. 


ZEITSCHR. f. 
TUBERKULOSE 


IL REFERATE ÜBER BÜCHER UND AUFSÄTZE. 


il. Epidemiologie und Pröphylaxe 
(Statistik). 


Klare - Waldhof - Elgershausen: Welche 
Aufgaben ergeben sich für den 
Heilstättenarzt aus der Fürsorge 
für seine Patienten auch nach 
ihrer Entlassung aus der Anstalt? 
(Dtsch. med. Wchschr. 1915, Nr. 50, 
S. 1492.) 

Die Fürsorge für den Kranken hört 
nicht mit der Behandlung in der Anstalt 
auf, sondern der Patient soll auch für die 
Zeit nach der Entlassung für die Ein- 
richtung seines ferneren Lebens so unter- 
wiesen und vorbereitet sein, daß er später 
nicht hilf- und ratlos sich selbst überlassen 
fühlt. In der Heilstätte des Verf.s werden 
in ganz bestimmten Zwischenräumen Vor- 
träge gehalten mit anschließender freier 
Fragestellung. Gleichzeitig ermöglicht ein 
Fragekasten schriftliche Anfragen, die bei 
den Vorträgen in allgemein verständlicher 
Weise beantwortet werden. Außer auf 
Belehrung wird auch Wert gelegt auf die 
Aufklärung über Kurpfuscherei. Gerade 
dieses letztere sollte überall systematisch 
zur Bekämpfung des Kurpfuschertums 
durchgeführt werden. (S. den Artikel des 
Verf.s in Heft 2, S. 112.) | 

C. Mocwes (Berlin-Lichterfelde). 


Bocher Illel: Beitrag zur Frage der 
Lungentuberkulose bei gleich- 
zeitiger Schwangerschaft. (L.-A. 
Dissertation, Jena 1915.) | 

Verf. behandelt die Beziehungen, die 
zwischen Tuberkulose und Schwangerschaft 
bestehen, indem er die drei Fragen zu 
beantworten sucht, wie die Tuberkulose 
auf die schwangere Frau wirkt, wie die 

Schwangerschaft auf die Tuberkulose ein- 

wirkt und welche therapeutischen Maß- 

nahmen zu treffen sind. Er verwertet 
dabei eine Reihe von Fällen aus der Heil- 
anstalt Carolagrün; speziell untersucht er 
dabei, welchen Einfluß die Heilstättenkur 
auf die Schwangerschaft ausübt. Er kommt 
zu dem Ergebnis, daß uns in der Heil- 


anstaltsbehandlung ein sehr wertvoller Fak- | den Krankheit leiden etc. 


tor zur Verfügung steht, um die Chancen 


für Mutter und Kind erheblich zu bes- 
sern, wenn sich freilich auch dadurch 
nicht immer der künstliche Abort umgehen 
läßt. Stern (Straßburg). 


A. Farani: Subsidio ao estudo da tu- 
berculose na puerperalidade. (Bra- 
zil-Medico, Rio de Janeiro, XXIX, 

= No. 40/43, 1915.) 

| Auf Grund zweier eigener und einer 

Anzahl in der Literatur veröffentlichter 

Fälle kommt Verf. zu dem Resultat, daß 

die Schwangerschaft einen verschlimmern- 

den Einfluß auf die Tuberkulose ausübt. 

Verbesserte Untersuchungsmethoden wer- 

den uns in der Zukunft zeigen, welche 

Fälle ohne jede therapeutische Beeinflus- 

sung günstig verlaufen werden. Bis da- 

hin aber müssen wir streben, das Befin- 
den der Mutter möglichst gut zu gestalten, 
ohne jede Rücksicht auf den Fötus und ge- 
gebenenfalls dessen Leben dem Wohl- 
befinden der Mutter opfern. Der Abort 
sollte dann möglichst frühzeitig ausgeführt 
werden, zu einer Zeit, wo Antikörper, 

Opsonine und andere Reaktionen sehr 

reichlich vorhanden sind. Nach Ausfüh- 

rung des Abortes gilt es, die Tuberkulose 
der Mutter zum Stillstand und zur Aus- 
heilung zu bringen. Sterilisation wegen 

Tuberkulose als generelle Maßnahme ver- 

wirft Verf, da eine tuberkulöse Frau ge- 

sunden und dann noch normale Schwanger- 
schaften und Geburten durchmachen könne. 

Bei Plazentartuberkulose ist Uterusexstir- 

pation indiziert. Stern (Straßburg). 


F. A. Ashford. The influence of im- 
migration on the dissemination 
of tuberculosis; and the impor- 
tance of detecting disease. (Mili- 
tary Surgeon, Chicago, February 1015, 
N. 2.) 

Den Gesetzen der Vereinigten Staaten 
von Nordamerika gemäß ist folgenden 
Klassen von Immigranten der Eintritt in 
die Vereinigten Staaten verboten: Fersonen, 
die tuberkulös sind, oder an einer Ekel 
erregenden oder gefährlichen anstecken- 
Falls ein tu- 


BD.25, HEFT 6. 
1916, 


berkulöser Immigrant, auf Grund der 
ärztlichen Untersuchung, von der speziellen 
Untersuchungskommission (Board of Spe- 
cial Inquiry) zurückgewiesen wird, kann 
keine Berufung eingelegt werden. Tuber- 
kulösen Patienten kann der Eintritt auf 
kurze Zeit zwecks einer Kur, gegen ge- 
nügende Bürgschaft gewährt werden. Die 
Vorschriften für die ärztliche Inspektion 
von Immigranten, vom Generalarzt des 
öffentlichen ‚Gesundheitsdienstes (Public 
Health Service) herausgegeben, enthalten 
nur folgende Formen der Tuberkulose: 
I. Tuberkulose der Atmungsorgane. 2. 
Tuberkulose des Darmkanals. 3. Tuber- 
kulose der Geschlechts- und Harnorgane. 
Im Jahre 1913 wurden 1574371 Im- 
migranten in den Vereinigten Staaten 
und Kanada inspiziert; von diesen wurden 
16r für tuberkulös erklärt. In 1912 
wurden unter 1143234 Personen 122 
als tuberkulös zurückgewiesen. Nach 
Osler sind die drei wichtigsten. Faktoren 
in der Verbreitung der Tuberkulose Armut, 
schlechte Behausung und übermäßiger 
Genuß von alkoholischen Getränken. Im- 
migranten, die zu einer Rasse gehören, 
sondern sich gewöhnlich von dem Rest 
der Bevölkerung ab, und leben unter den- 
selben Zuständen, an die sie in ihrer 
Heimat gewöhnt waren. Überfüllung der 
Räume und schlechte Behausung findet 
man sehr oft vor. In Verbindung damit 
macht der. Klimawechsel und die indu- 
striellen Beschwerden die Leute für die 
Tuberkulose sehr empfänglich. Daher ist 
es gefährlich sogar Fällen im frühen 
Stadium den Eintritt zu gewähren. Im- 
migranten, mit folgenden praedisponieren- 
den Zuständen behaftet, sollten der 
„Speziellen Untersuchungskommission“ an- 
gezeigt werden: Rachitis, chronischer Ent- 
zündung der Halsdrüsen, Masern, Keuch- 
husten, Typhus und anderen entkräftenden 
Krankheiten. Deportation tuberkulöser 
Personen und derjenigen, welche sie in- 
fiziert haben, verbreitet die Tuberkulose 
in Ländern, in welchen sie früher selten 
vorkam. Tüuberkulosefälle, die vor der 
Fahrt nicht erkannt werden, sind oft die 
Ursache der Infektion im Zwischendeck 
großer Dampfer, wo oft die hygienischen 
Zustände nicht gut sind (Überfüllung und 
schlechte Luft). Verdächtige Fälle sollten 


Zeitschr, f. Tuberkulose, 25. 


REFERATE. 


lose direkt am Kanal. 


433 


auf kurze Zeit zur Beobachtung zurück- 
gehalten werden. Das ist nur in den 
Plätzen möglich, wo sich Krankenhäuser 
befinden, z. B. in Neuyork, Boston, Bal- 
timore etc. An der kanadischen Grenze 
muß man sich auf eine weitere Unter- 
suchung verlassen. - 
B. S. Horowicz (Neuyork). 


H. C. Clark: Tuberculosis in negro of 
Panama canal zone. (Americ. Journ. 
of Tropical Diseases and Preventive 
Medicine, New Orleans, Dezember 1915. 
Vol. III, No. 6.) 

Verf. berichtet über das Vorkommen 
der Tuberkulose unter den Eingeborenen 
in der Gegend des Panamakanals. Nach. 
den Protokollen des anatomischen Insti- 
tutes zu Ancon ist die Tuberkulose bei 


weitem die häufigste Todesursache; im 


Vergleich mit früheren Untersuchungen 
scheint die Tuberkulose unter den Ein- 
geborenen im Zunehmen begriffen zu sein. 
Sie ist bei den Negern ausgebreiteter, als 
bei den anderen Bewohnern der Gegend. 
Ihr Verlauf bei den Negern ist fast stets 
progredient und zählt nur nach Monaten. 
Verf. berichtet nichts über stationäre oder 
ausgeheilte Herde, wie sie doch bei an- 
deren Rassen sehr häufig sind. Die un- 
günstige soziale Lage, Armut, Unwissen- 
heit, Rassedisposition begünstigen die Aus- 
breitung. Viele erwarben ihre Tuberku- 
Im allgemeinen 
sind Knochen-, Gelenk- und Hauttuber- 
kulose selten, am häufigsten ist die Lungen- 
tuberkulose in ihrer schnell fortschreiten- 
den Form unter den Negern in der Ge- 
gend des Panamakanals. 
Stern (Straßburg). 


ill. Allgemeine Pathologie und patho- 
logische Anatomie. 


Heinrich Gerhartz, Med. Univ.-Klin.Bonn: 
Die Abgrenzung der Lungentu- 
berkuloseformen nach klinischen, 
hauptsächlich röntgenologischen 
Zeichen. (Beitr. z. Klin. d. Tub. 1915, 
Bd. 34, Heft 2, S. 191, mit 29 Abb.) 

Gerhartz erläutert und zeigt im 

Bilde folgende Tuberkuloseformen: 1. die 

kleinknotige disseminierte Form mit den 
| 28 


_44__ 
Unterabteilungen Miliartuberkulose, akute 
sübmiliare disseminierte peribronchitische 
Knötchentuberkulose, chronische fibröse 
peribronchitische Lungentuberkulose, disse- 
minierte peribronchitische Greisentuber- 
kulose; 2. die großknotische Form; 3. die 
homogenherdige Form; 4. die vom Hilus 
ausgehende Form; 5. die fibröse zirrho- 
tische Form, zu der auch die katarrhalisch- 
asthmatische Form der langsam progre- 
dienten Alterstuberkulose gehört und 6. die 
atypischen Formen: die Lungentuberkulose 
der Diabetiker, die Typhobazillose (Lan- 
douzy), die Septikotuberkulose Neumanns, 
sowie endlich derSolitärknoten im Röntgen- 
bilde, dessen Deutung Schwierigkeiten 
verursacht. Gerhartz ist der Ansicht, 
daß es sich hierbei um tuberkulöse Lymph- 
drüsen handelt, da man in allen derartigen 
Fällen vom Hilus zum Solitärknoten hin- 
ziehende Verdichtungszüge erkennt, deren 
Deutung als Lymphgefäßkette wohl am 
nächstliegenden ist. C. Servaes. 


Charles J. Holeman. Stigmata of tu- 
berculosis; a study of certain 
anatomical defects, their origin 
and significance in relation to 
this disease. (Med. Record. Vol. 88. 
N. 25. 18.12. 15. p. 1037.) 

Bei den meisten tuberkulösen Indi- 
viduen sind Stigmata der Degeneration be- 
merkbar. Die gewöhnlichsten sind Ver- 
bildungen der Ohren, des Gaumens und 
gesichtliche Asymmetrie. Nach Levy 
findet man bei 75 °/, der Tuberkulösen 
Unregelmäßigkeiten der Nasenhöhlen. H. 
denkt, daß die äußerlichen Mängel An- 
zeichen einer schwachen Resistenz der 
inneren Organe sind, und die betreffen- 
den Individuen daher für die tuberkulöse 
Infektion leichter empfänglich sind, in 
groBer Gefahr tuberkulös zu werden. Die 
Tuberkulosesterblichkeit in Irrenanstalten 
ist zehn mal so groß wie bei der Be- 
völkerung außerhalb. (Stoddart- Britisch.) 
Nach Maurice Craig folgt die Tuberku- 
lose dem Wahnsinn bei den meisten 
Patienten in Irrenanstalten. Stigmata der 
Degeneration, Mängel des zentralen Nerven- 
systems uud der Lunge haben denselben 
blastophorischen Ursprung; Alkohol spielt 
dabei eine große Rolle. 

B. S. Horowicz (Neuyork). 


REFERATE. 


ZEITSCHR. f. 
TUBERKULOSE 


Paul A. Lewis and Arthur Georges Margot. 
The function of the spleen in the 
experimental infection of albino 
mice with bacillus tuberculosis. 
Third paper. (Journ. of Exper. Med., 

‚1915, Vol. XXII, No. 3, Sept., p. 359.) 

Nach früheren Mitteilungen der Au- 
toren (s. Ztsch. f. Tub., Bd. 23, S. 271 u. 
Bd. 24, S. 459) wird die Resistenz gegen 
Tuberkulose bei weißen Mäußen durch 
Splenektomie erhöht, und weiter kann 
diese durch Splenektomie erhöhte Re- 
sistenz durch Fütterung mit frischem Milz- 
gewebe wieder erniedrigt werden. Da die 
Fütterung von splenektomierten Mäusen 
mit frischem Milzgewebe damals eine 
Toxaemie verursachte, war der richtige 
Schluß aus den Experimenten schwer zu 
ziehen. 

Seit diesen früheren Ergebnissen 
haben Verff. sich weiter mit der Frage 
der Toxaemie beschäftigt. Es zeigte sich, 
daß weiße Mäuse gleich nach der Sple- 
nektomie an Toxaemie litten, nicht nur 
nach Milzgewebefütterung, sondern auch 
nach Fütterung mit frischer Schleimhaut 
des Magens oder Dünndarms. Diese 
Substanzen schienen alle gleich toxisch 
zu wirken. Einige Wochen nach der 
Splenektomie wurden die Tiere aber doch 
allmählich weniger empfindlich gegen diese 
Fütterung, bis sie endlich unempfindlich 
waren. Außerdem haben Verff. die Un- 
empfindiichkeit beschleunigen können, und 
zwar durch kontinuierliche Fütterung mit 
kleinen subletalen Dosen der frischen 
Organe, wenn mit der Fütterung wenige 
Tage nach der Splenektomie begonnen 
wird. In dieser Weise haben Verfi. ihre 
Mäuse in zwei bis drei Wochen nach 
der Splenektomie unempfindlich gegen die 
Organfütterung gemacht. 

Eine erste Versuchsreihe schließt 
drei Gruppen von Mäusen ein. Alle diese 
Tiere wurden in der dritten Woche nach 
Splenektomie mit I mg Perlsuchtbazillen 
intraperitoneal infiziert. 

Erste Gruppe: 7 Tiere. Gewöhnliche 
Fütterung. 

Zweite Gruppe: 18 Tiere; gewöhn- 
liche Fütterung und außerdem frisches 
verschiedenartiges Milzgewebe (von Rin- 
dern, Schafen, Menschen, Kaninchen). 

Dritte Gruppe: ı2 Tiere. Gewöhn- 


BD.25, HEFT 6, 
1916. 


liche Fütterung und außerdem Magen 
oder Dünndarm von Mäusen. 

Eine vierte Gruppe diente zur Kon- 
trolle. Sie wurde in gleicher Weise in- 
fiziert. Keine Splenektomie und nur ge- 
wöhnliche Fütterung. 

"Abgesehen von den Mäusen, welche 
Verf. wegen frühzeitigen exitus innerhalb 
Io Tagen unberücksichtigt lassen, waren 
die Resultate gruppenweise ziemlich scharf 
abgegrenzt. Die nichtsplenektomierten 
Kontrolltiere starben alle innerhalb 42 Ta- 
‘gen. Erste Gruppe blieb 42—89 Tage 
am Leben. Zweite Gruppe (abgesehen 
von zwei Ausnahmen) starben alle wie 
die normalen Tiere d. h. innerhalb 42 
Tagen. Dritte Gruppe blieb ebensolang 
am Leben wie die erste Gruppe und 
soll die Frage einer chronischen Milz- 
toxaemie entscheiden. : : 

Eine zweite Versuchsreihe zeigt, daß 
die Fütterung mit anderen Organen 
(Leber, Thymus, Schilddrüse, Lymph- 
knoten und Pankreas von Schafen) nach 
Splenektomie keine Wirkung auf die Re- 
sistenz gegen Tuberkulose hatte. 

Aus diesen Experimenten schließen 
Verf, daß die Fütterung mit frischem 
Milzgewebe die durch Splenektomie er- 
höhte Resistenz gegen Tuberkulose wieder 
erniedrigt. Verf. meinen, daß es eine 
spezifische Substanz gibt, welche auf die 
Milz etwa wie Adrenalin auf die Neben- 
niere wirkt. Daß diese Substanz für die 
Milz ohne Hinsicht auf die Tierart cha- 
rakteristisch sei, und daß sie in anderen 
Organen nicht vorkomme. Verff, haben 
diese Substanz Tuberculosplenatin genannt. 

Tuberculosplenatin soll entweder die 
Empfindlichkeit gegen Tuberkulose er- 
höhen oder die Resistenz erniedrigen. 
Der Mechanismus der Wirkung soll noch 
ganz unklar sein. Verf. nehmen Ab- 
stand von der Theorie, daß die vermin- 
derte Resistenz auf einer Herabsetzung 
der zirkulierenden Lymphozyten beruht. 

Soper (Saranac Lake, N. Y.). 


Alexander Klapsch: Miliartuberkulose 
nach Eröffnung eines erweichten 
polypösen Tuberkels des linken 
Vorhofs. (Inaug.- Diss., Gießen 1915, 

5 S.) 


REFERATE. 


Eine Halsdrüsentuberkulose hatte sich 


435 


im Anschluß an ein Wochenbett schnell 
verschlimmert und unter den Erschei- 
nungen einer hämorrhagischen Diathese 
den Tod herbeigeführt. Die Sektion deckte 
eine ausgedehnte Verkäsung besonders der 
trachealen und tracheobronchialen Lymph- 
drüsen mit mehrfachem Einbruch in den 
Oesophagus, die Trachea und Bronchien 
auf, weiterhin eine fortgeleitete tuberkulöse 
Perikarditis, die auf die Herzwand über- 
gegriffen und im linken Vorhofe einen 
polypösenEndokardtuberkelhatteentstehen 
lassen. Letzterer war eingerissen und so 
war es zu einer besonders an den großen 
Unterleibsorganen ausgesprochenen Miliar- 
tuberkulose gekommen. Auch eigenartige 
purpuraähnliche Flecke der Haut zeigten 
sich durch Embolisierung kleinster Ge- 


fäße hervorgerufen. 


Was die Beobachtung vor Allem in- 
teressant macht, ist der Befund an jenem 
Vorhofstuberkel. In der im wesentlichen 
nekrotischen Masse waren nämlich die 
Tuberkelbazillen in eigentümlichen bogen- 
förmigen und zopfartigen, an den Enden 
spitz ausgezogenen Verbänden gewachsen, 
in denen die einzelnen Bazillen ziemlich 
parallel und hintereinander geordnet lagen, 
also genau so, wie es R. Koch von den 
Tuberkelbazillenreinkulturen auf Blutserum 
beschrieben hat. Da Koch betont hat, 
daß dieses charakteristische Wachstum in 
Zöpfen nur in vollständig abgestorbenen 
Geweben zustande kommt, in denen 
keinerlei Einfluß lebender Zellen auf die 
Bazillen ausgeübt wird, wo also ihr Wachs- 
tum völlig ungestört vor sich geht, nimmt 
auch Verf. an, daß sein Befund sich ganz 
aus der Anwesenheit toter Fibrinmassen 
erkläre, die den Bazillen als Nährboden 
dienten. C. Hart (Berlin-Schöneberg). 


Michail Entin: Über Pneumono- 
koniosen. (Inaug. Diss. Basel 1915 
und Fortschr. auf d. Gebiete d. Rönt- 
genstr. 1915, Bd. 22.) 

An der Hand einiger Kranken- 
geschichten und sehr anschaulicher Rönt- 
genaufnahmen wird gezeigt, daß bei Er- 
kennung der Pneumonokoniosen die Rönt- 
genphotograpie gute Dienste leistet. Das 
Röntgenbild einer pneumonokoniotischen 
Lunge ist durch eine ziemlich gleichmäßige 
Marmorierung gekennzeichnet, ähnlich wie 

28°” 


436 


bei der Miliartuberkulose, doch sind die 
Flecken größer und weniger scharf. Selbst 
in den weniger typischen Fällen sind die 
Schatten bei der Pneumonokoniosis auf 
beiden Seiten ziemlich gleichmäßig stark 
und groß. Zur Differentialdiagnose gegen- 
über dem Emphysem dient das von 
Bäumler angegebene Zeichen der Re- 
traktion der Lungenränder bei Pneumono- 
koniosis. Bei Komplikation mit Tuber- 
kulose, deren Entstehung in der Staub- 
lunge ja sehr begünstigt ist, stößt natur- 
gemäß auch die Röntgendiagnose der 
Pneumonokoniosis auf erhebliche Schwie- 
rigkeiten, was aber deshalb wenig ins 
Gewicht fällt, weil die Tuberkulose als 
hauptsächlichste Krankheit anzusehen ist. 
Bei dem Versagen der älteren Mittel zur 
Diagnosenstellung sollte das Röntgenver- 
fahren stärker herangezogen werden, denn 
die Pneumonokoniosis zeigt bei Fortdauer 
der meist beruflichen Staubinhalation 
weder Besserung noch Stillstand und er- 
fordert wegen der Gefahr der Kompli- 
kationen womöglich einen frühzeitigen 
Berufswechsel. 


C. Hart (Berlin-Schöneberg). 


D. v. Hansemann: Die Lymphangitis 
reticularis der Lungen als selb- 
ständige Erkrankung. (Virch. Arch. 
220, 1915, Heft 3, S. 311.) 

Unter Lymphangitis reticularis ver- 
steht Verf. einen progressiven Prozeß, der 
sich makroskopisch als Bildung eines feinen 
fibrösen Netzwerkes, mikroskopisch als eine 
bindegewebige Verdickung und Verödung 
der Lymphspalten innerhalb der einzelnen 
Lungenläppchen darstellt. Infolge der 
Erschwerung der Lymphzirkulation stellt 
sich allmählich eine Hiypertrophie des 
rechten Herzventrikels ein, dessen Ver- 
sagen schließlich den Tod herbeiführt. 
Die vorwiegend im höheren Lebensalter 
auftretende, ätiologisch wahrscheinlich ver- 
schieden bedingte Affektion hat unver- 
kennbare Beziehungen zur tuberkulösen 
Phthise. Die tuberkulöse Infektion ist 
eine sekundäre und wird durch das Be- 
stehen der Lymphgefäßerkrankung ebenso 
wie durch Pneumonokoniose, Lues usw. 
begünstigt. l 

C. Hart (Berlin - Schöneberg). 


REFERATE. 


ZEITSCHR. f. 
TUBERKULOSE 


S. Mircoli: Alterazioni nervose da 
tubercolosiextra-nervosa (Gazzetta 
degli Ospedali e delle Cliniche, Milan, 
XXXVI, No. 63, September 1915.) 

Nervöse Symptome können bei tu- 
berkulösen Erkrankungen innerer Organe 
sowohl infolge der Intoxikation als auch 
reflektorisch zustande kommen; sie treten 
meist frühzeitig, schon vor Manifestation 
der Organerkrankung auf. Verf. berichtet 
dann über einige Fälle, bei denen neu- 
rasthenische Symptome, wiederholtes Er- 
brechen, Hämorrhagien der oberen Luft- 
wege im Vordergrund der Erkrankung 
standen, bei denen sich aber später eine 

Tuberkulose der Lungenspitze als Ur- 

sache der Symptome erwies. Von ob- 

jektiven nervösen Zeichen erwähnt Verf. 
die Hypersensibilität und die gesteigerten 

Reflexe der oberen Extremität auf der 

erkrankten Seite. Neuritis mit Tendenz 

zur Polyneuritis kann als erstes Zeichen 
einer Spitzentuberkulose auftreten, wobei 
gewöhnlich die zum Pectoralis, Deltoides, 

Biceps oder die zur Bronchialmuskulatur 

gehörigen Nerven affıziert werden. Die 

Nerven sind dann im Zustand der Ent- 

zündung oder Entartung, während die 

Muskulatur sich völlig normal verhält. 


Hirn und Rückenmark sind ebenfalls oft 


mit ergriffen, die Libido sexualis ist ge- 
steigert. Zwischen der Schwere der ner- 
vösen Symptome und der Ausbreitung 
des krankhaften Prozesses besteht keine 
Beziehung, im Gegenteil macht gewöhn- 
lich ein kleiner gutartiger, abgekapselter 
Prozeß die schwersten nervösen Symptome. 
Stern (Straßburg). 


L. Sivori: Dimostrazione e dosaggio 
degli antigeni e degli anticorpi 
tubercolari. (Annali dell’ Istituto 
Maragliano, 20. 6. 1915, Vol. VIII, 
fasc. 2, p. 103.) 

Beschreibung der verschiedenen tech- 
nischen Methoden, die in der med. Klinik 
in Genua versucht wurden, um im Tbc.- 
serum und Tbc.-immunserum, sowie bei 
verschiedenen Mischinfektionen (Strepto-, 
Staphylo-, Diplococcen) die Tbc.-antigene 
und -antikörper qualitativ und quantitativ 
nachweisen. Es handelt sich um kom- 
plizierte Verfahren, denen jedoch im all- 
gemeinen die Wertmessungsbestimmung 


BD. 25, HEFT 6. 
1916, 


nach der Komplementbindungsmethode 
von Bordet und Gengou zu Grunde 
gelegt ist. 

Schaefer (M.-Gladbach-Hehn, z.Zt.Wahn). 


Gerald B. Webb and G. Burton Gilbert: 
Immunity in Tuberculosis. (Co- 
lorado State Med. Soc., Oktober 1915.) 

Verff. fanden, daß, abgesehen von 
groben Virulenzschwankungen, im all- 
gemeinen IO Tuberkelbazillen ' genügen, 
um beim Meerschweinchen eine Tuber- 
kulose hervorzubringen. Sie haben ver- 
schiedene Mittel versucht, um eine All- 

gemeininfektion zu vermeiden, so z. B. 

Injektion mit Blutplättchen, mit immunen 

Lymphocyten, immunen Serum, dann 

haben sie lokale Hautschädigungen ein- 

wirken lassen, aber fast immer kam es 
zur Allgemeinerkrankung, Immunität 
konnten sie erzeugen durch Verimpfen 
sehr weniger Tuberkelbazillen geringer 
Virulenz und allmähliches Steigern der 
injizierten Menge. Mit virulenten Kul- 
turen kann dies nicht gemacht werden, 
da es dabei zur Infektion kommt. Verff. 
suchen zurzeit eine Kultur zu züchten, 
die virulent genug ist, um Immunität zu 
EUSEN ohne zur Erkrankung zu führen. 
Stern (Straßburg). 


Leo Minder: Über morphologische 
und tinktorielle Besonderheiten 
bei Tuberkelbazillen vom Typus 
gallinaceus unter spezieller Be- 
rücksichtigung der Granula. (Zen- 
tralbl. f. Bakteriologie, Abt. I, Orig., 
Bd. 77, H. 2, 1915, S. 113—130.) 

Die bereits IgI2 abgeschlossenen 

Untersuchungen führten zu folgendem 

Ergebnis: Der Tuberkelbazillus vom Typ. 

gallinaceus zeichnet sich gegenüber den 

Bazillen des Typ. humanus und bovinus 

durch seinen Pleomorphismus und seine 

stark wechselnden Größenverhältnisse aus. 

Beim Vogeltuberkelbazillus sind die nach 

Ziehl-Neelsen und mittels einfacher 

bzw. prolongierter Gram-Färbung (säure- 

feste und granuläre Form Muchs) dar- 
stellbaren Substanzen identisch. Die Säure- 
festigkeit der Vogeltuberkelbazillen weist 
bei den einzelnen Individuen große 

Schwankungen auf: sie sind beständiger 

in der Festigkeit gegen Natriumhydroxyd 


REFERATE, 


437 


(Färbung nach Gasis)., Die Granula 
treten in jungen und alten Reinkulturen, 
wie auch im Tierkörper, stets auf: sie sind 
daher keine Degenerationserscheinungen. 
Die Granula kommen nie aus dem 
Stäbchenverbande gelöst (also sporen- 
ähnlich) vor und zeichnen sich durch 
besonders leichte Färbbarkeit aus: sie 
sind daher auch keine Sporen. Die 
Tuberkelbazillen vom Typus gallinaceus 
weisen (wie auch Typ. humanus und bo- 
vinus) nach Giemsa und nach der 
Diphtheriebazillenfärbung (Neisser) Pol- 
färbung auf. Diese Polkörner (die ver- 
einzelt oft auch im Bazillenleibe auftreten) 
sind nicht identisch mit den Muchschen 
Granula, doch’ sind sie wahrscheinlich 
auch durch die Muchsche Gram-Methode 
darstellbar. L. R. 


Paul Prym-Bonn: Tuberkulose und 
malignes Granulom der axillaren 
Lymphdrüsen. (Ein Beitrag zu 
ihrer Entstehung von der Lunge 
aus.) (Frankf. Ztschr. f. Path. 1915. 
Bd. 18. H. 1, S. 66—90.) 

Bei Leichen mit Lungentuberkulose 
fand sich überraschend häufig eine Tuber- 
lose der axillaren Lymphdrüsen mit, wahr- 
scheinlich auf dem Eindringen nur ein- 
zelner Bazillen beruhender, Neigung zu 
Vernarbung. Stets ließen sich auf der 
entsprechenden Seite entweder Verwach- 
sungen der tuberkulösen Lunge mit der 
Pleura costalis oder eine Tuberkulose der 
Pleura nachweisen, so daß eine Wande- 
rung von Bazillen durch die Verwach- 
sungsstränge oder direkt durch die Brust- 
wand von der Pleura aus angenommen 
werden mußte. Bewiesen wird diese An- 
nahme durch den Befund von Kohle- 
und Staubpartikelchen auf dem in Betracht 
kommenden Wege wie in den axillaren 
Lymphdrüsen selbst. Auch die Klinik 
kennt die Schwellung kleiner Lymph- 
drüsen an der seitlichen Brustwand und 
axillaren Lymphdrüsen bei Lungenerkran- 
kungen. Man muß also auch praktisch 
die Achsellymphdrüsen zum Abflußgebiet 
der Pleura und bei vorhandenen Ad- 
häsionen der Lungen selbst rechnen. Auf 
Grund mehrerer eigener Beobachtungen 
nimmt Verf. ferner an, daß das bekannt- 
lich nicht selten von den axillaren Lymph- 


438 


drüsen ausgehende maligne Granulom sich 
gern, vielleicht sogar ausschließlich auf 
der Basis einer latenten Tuberkulose ent- 
wickelt (s. Prym, Ztschr. f. Tub., Bd. 24, 
S. 62). C. Hart (Berlin-Schöneberg). 


Erich Conradi: Beitrag zur Patho- 
genese und Ätiologieder Lympho- 
granulomatosismaligna(Hodgkin- 
Sternberg) im Kindesalter. (Fest- 
schr. z. Feier d. rojähr. Best. d. Akad. 
f. prakt. Med. in Cöln, 1915, S. 594, 
Verl. Markus u. Weber, Bonn.) 

Nach Mitteilung zweier Kranken- 
geschichten geht Verf. unter besonderer 
Berücksichtigung der neueren Literatur 
näher auf die Ätiologie der rätselhaften 
Drüsenaffektion ein. Er selbst konnte 
weder Tuberkelbazillen noch grampositive 
granuläre Stäbchen nachweisen und stellt 
sich auf den Standpunkt, daß bisher ein 
solcher Befund wesentlich nur in Fällen 
mit klinisch oder anatomisch festgestellter 
Tuberkulose erhoben werden konnte, 
während in sicher tuberkulosefreien Fällen 
das Resultat ein ganz negatives war. Da 
in Fällen mit ‘gleichzeitig bestehender 
Tuberkulose es wahrscheinlich ist, daß 
die gefundenen Granula identisch sind 
mit den granulären, nicht säurefesten 
Formen des Tuberkelbazillus, so verliert 
die Annahme von Fraenkel und Much, 
daB die von ihnen beschriebenen granu- 
lären Stäbchen als Erreger der Lympho- 
granulomatosis anzusprechen seien, ihre 
Berechtigung, solange nicht ihr konstantes 
Vorkommen in allen, klinisch und ana- 
tomisch als frei von Tuberkulose erkannten 
Fällen sichergestellt ist. Speziell die An- 
sicht, daß ein abgeschwächtes Tuberkulose- 
virus ätiologisch in Betracht komme, lehnt 
Verf. ab, hält vielmehr neueste Angaben 


REFERATE. 


von de Negri und Mieremet über die | 


Züchtung eines nicht antiforminfesten 
Corynebakteriums mit Neigung zur Körner- 
bildung aus granulomatösen Drüsen für 
bedeutsam. Die weitere Forschung wird 
sich nur auf ganz sicher nicht mit Tuber- 
kulose vergesellschaftete Fällen von Gra- 
nulom der ILymphdrüsen stützen dürfen. 
C. Hart (Berlin-Schöneberg). 


Riedel- Jena: Größere tuberkulöse 
Bronchialdrüsengeschwülste, in 


ZEITSCHR. f. 
TUBERKULOSE 


einem Falle Durchbruch am Rip- 
penbogen. (Dtsch. Ztschr. f. Chir. 
1915, Bd. 134, S. 547—552.) 

Verf. beschreibt einige Fälle größerer 
tuberkulöser Bronchialdrüsengeschwülste, 
von denen einige chirurgisches Eingreifen 
erforderten. Ein 77jähriger Mann er- 
krankte an Schmerzen in der linken 
Schulter; das Gelenk war frei. . Später 
traten Lungenerscheinungen hinzu; man 
dachte an Neoplasma in der Lunge. Die 
Sektion ergab faustgroße tuberkulöse Bron- 
chialdrüsen neben anderen Zeichen von 
Tuberkulose. Die Schmerzen waren wohl 
durch Druck auf die Interkostalnerven 
zu erklären. DBei einem anderen Fall 
trat nach Rippenresektion wegen Rippen- 
tuberkulose exitus ein; die Sektion ergab 
hühnereigroße tuberkulöse Geschwülste der 
Trachealdrüsen. Bei einem Kind trat 
plötzlich starke Atemnot auf, es wurde 
Tracheaschnitt gemacht, das Kind hustete 
dann tuberkulöse Massen aus, es war 
eine Drüse in die Trachea perforiert. 
Häufig ist der Durchbruch in die Pleura, 
wonach dann eine disseminierte tuber- 
kulöse Pleuritis entsteht. Am interessan- 
testen ist der folgende Fall, in dem sich 
6 Monate nach einem Huftritt gegen die 
Brust eine Geschwulst unter dem rechten 
Rippenbogen vorwölbte, der Abszeß wurde 
gespalten, fistelte dann aber immer wieder, 
drei Jahre später erfolgte dann Resektion 
der 6.—9. Rippe, die Höhle ging bis 
zum Hilus pulmonum, wo dann einige 
tuberkulöse Drüsen von ungewöhnlicher 
Größe exstirpiert wurden, wonach völlige 
Heilung erfolgte. Der Patient ist schon 
seit Jahren gesund und völlig leistungs- 
fähig. Stern (Straßburg). 


Riedel-Jena: Rippenknorpel und Rip- 
penknochen gegenüber Infektio- 
nen, auch tuberkulösen. (Dtsch. 
Arch. f. Chir. 1915, Bd. 134, S. 537 
bis 546.) 

Rippen werden von Tuberkulose, 
Osteomyelitis und Typhus befallen; uns 
interessiert aus der Arbeit des Verf. hier 
nur die erstgenannte Infektion. Verf. hat 
so Fälle beobachtet, davon war der 
Knorpel 34mal, der Knochen ı6mal er- 
griffen. Je älter ein Individuum, umso 
häufiger wird der Knorpel ergriffen. Dabei 


BD. 25, HEFT 6, 
1916. 


nn nn 


spielt die Verkalkung kaum eine Rolle, 
sondern nach Ansicht des Verf. die im 
‘Alter zunehmende Gefäßverengerung. In 
Bezirken mit verengten Gefäßen lokali- 
sieren sich Infekte besonders gern. Oft 
istnur das Periost oder das Perichondrium 
erkrankt und erst sekundär der Knochen 
oder Knorpel . arrodiert. Bei primärer 
Erkrankung von Knochen oder Knorpel 
kommt es zu größeren oder kleineren 
Hohlräumen, selten zu Sequesterbildung. 
Die Therapie besteht in vollständiger 
Fortnahme alles Erkrankten. Bei Sitz 
des Prozesses am Rippenbogen kann es 
zu Zerstörung desselben kommen. Bei 
eitrigen Prozessen ist die Prognose immer 
mit Vorsicht zu stellen. 
Stern (Straßburg). 


Paul A. Lewis and Robert B. Krauss 
(Phipps Institute, Philadelphia): Fur- 
ther observations on the presence 
of iodine in tuberculous tissues 
and in the thyroid gland. (Journal 
of Biol. Chem. 1915, Vol. 22, No. 1, 
p. 159—163.) 

In einer früheren Arbeit (Ztschr. f. 
Tub., Bd. 24, S. 219) konnten Verff. zei- 
gen, daß das Gewebe tuberkulöser Ka- 
ninchen nachweisbare Mengen von Jod 
enthält, obgleich die Tiere kein Jod er- 
halten hatten. Dieses Ergebnis wurde 
von Verff. nach dem neueren Verfahren 
von Krauss (s. voriges Referat) nachge- 
prüft. Kaninchen wurden durch korneale 
Infektion tuberkulös gemacht. Auf Jod 
untersucht wurde die erkrankte Cornea, 
die Schilddrüse und vergleichsweise nor- 
males Gewebe. In der normalen Cornea 
finden sich schon häufig nachweisbare 
Mengen Jod. Wo dies der Fall ist, zeigt 
die tuberkulös erkrankte Cornea einen 
besonders hohen Jodgehalt. Die im tuber- 
kulösen Gewebe gefundene Menge Jod 
zeigt keine direkte Beziehung zum Jod- 
gehalt der Schilddrüse. Auch die Unter- 
suchung des ganzen tuberkulösen Auges 
lieferte relativ hohe Jodwerte. So zeigten 
fünf Kaninchen am normalen Auge fol- 
gende Werte für Jod: 0,000, 0,0312, 
0,0100, 0,0070, 0,004. Demgegenüber 
stehen folgende Werte für die tuberku- 
lösen Augen: 0,030, 0,0326, 0,0189, 
0,0231, '0,02I. Die Untersuchung käsiger 


REFERATE, 


439 


Lymphknoten lieferte folgende Jodziffern: 
0,000, 0,062, 0,424, 0,160, 0,0132. Im 
allgemeinen ergibt sich, daß zuweilen 
sclbst mit der empfindlichsten Methode 
Jod im tuberkulösen Gewebe nicht nach- 
zuweisen ist. In zahlreichen Fällen findet 
es sich aber ganz unabhängig von jeg- 
licher Jodmedikation. Es geht aber aus 
den gefundenen Werten keineswegs her- 
vor, daß das tuberkulöse eine besondere 
Affinität zum Jod besitzt. 
Robert Lewin. 


Robert B. Krauss (Phipps Institute, Univ. 
Pennsylvania): The determination 
of iodine in the presence of or- 
ganic matter. (Journal of Biol. Chem. 
IgI5, Vol. 22, No. I, p. 151.) 

Die Versuche des Verf. zur quanti- 
tativen Bestimmung des Jod in Organ- 
geweben verfolgten vornehmlich den Zweck, 
das Jod in tuberkulösem Gewebe zu be- 
stimmen. Die Baumannsche Methode 
hat sich vielfach-als unzulänglich erwiesen. 
Für das Verfahren nach Bourcet bedarf 
es einer zu großen Menge Gewebe. Auch 
die Methoden von Hunter und Kendall 
werden aus mancherlei Gründen als un- 
befriedigend bezeichnet. Nach Verf. mub 
ein einwandfreies Verfahren folgende Be- 
dingungen erfüllen. Die geringsten Spuren 
Jod müssen nachweisbar sein, ein Mini- 
mum an zu untersuchendem Gewebe muß 
ausreichen; es dürfen keine Jodate oder 
Jodide eingeführt werden, ebenso müssen 
auch andere aktive Halogene als Rea- 
gentien entbehrlich sein. Schließlich soll 
die Methode schnell arbeiten und weit- 
gehende allgemeine Anwendung gestatten. 

Nun gestattet bekanntlich die Aus- 
fällung von Palladium-Jodid die Trennung 
des Jod von Brom und Chlor. Palladium- 
Jodid ist unlöslich in Wasser, Alkohol, 
Aceton und Äther, ebenso in verdünnter 
Salzsäure. Die Methode der Jodbestim- 
mung beruht danach auf der Tatsache, 
daß bei Zusatz von Palladiumchlorid in 
der Kälte zu einer verdünnten Lösung 
von Jodid eine durch die Bildung von 
Palladium-Jodid bedingte tiefbraune Fär- 
bung eintritt. Mittels eines Duboscq- . 
schen Kolorimeters ist die quantitative 
Bestimmung möglich. Schon ein durch 
0,01 mg Jod bedingter Farbumschlag ist 


440 


wahrnehmbar. Es lassen sich sehr leicht 
0,0001 mg Jod pro ı ccm nachweisen. 
Die Technik der Methode wird noch ge- 
nau beschrieben. Robert Lewin. 


Arthur M. Stimson: Complement fixa- 
tion in tuberculosis. (Bull. 101, Hy- 
gienic Laboratory, U. S. Public Health 
Service IQIS5.) | 

Da die Komplementbindungsreaktion 
sich bei der Syphilisdiagnose so gut be- 
währt hat, so liegt der Gedanke nahe, 
etwas ähnliches für andere Infektions- 
krankheiten, insbesondere für die Tuber- 
kulose zu suchen. Hier ist die Multi- 
plizität der Antigene ein sehr störender 

Faktor. Da die Antigene nicht nur nach 

dem Grade, sondern auch nach der Art 

ihrer Wirksamkeit variieren, so ist die 

Auswahl derselben sehr wichtig, und nur 

gemeinsame Arbeit in Laboratorium und 

Klinik kann zu befriedigenden Ergebnissen 

führen. Verf, beschreibt dann die Dar- 

stellung der verschiedenen Arten Antigene 
sowie die Wirksamkeit verschiedener Sera. 

Die Technik ist die gleiche wie bei der 

Wassermannschen Reaktion. Praktisch 

läßt die Methode noch viel zu wünschen 

übrig, aber zunehmende Erfahrung, An- 
wendung einer einheitlicheren Technik, 

Schätzung des Wertes der Antigene und 

der Resultate, wird die Methode zu einem 

wertvollen Hilfsmittel machen. Besondere 

Schwierigkeiten macht die richtige Inter- 

pretation der Ergebnisse und die Würdi- 

gung des Einflusses der verschiedenen 

Faktoren, die das Ergebnis beeinflussen. 

Nach bisherigen Untersuchungen ist 
die Reaktion bis zu 95°/, der Fälle bei 

Tuberkulose positiv. Die Antigene, die 

mehr positive Resultate geben, sind von 

größerer Wichtigkeit für die Diagnose, 
die, welche weniger positive Resultate 
geben, sind für die Bestimmung von Stand, 

Ausdehnung und Aktivität des Prozesses 

von größerer Wichtigkeit. Positiver Aus- 

fall der Reaktion ist nicht ein Zeichen 
von Immunität, die Reaktion ist keine 

Immunitätsreaktion, ebenso spricht Zu- 

nahme der komplementbindenden Körper 

nach Behandlung mit Bazillenprodukten 
nicht unbedingt für Besserung. Eine 
öftere Wiederholung der Reaktion unter 

Würdigung aller klinischen Zeichen allein 


REFERATE. 


ZEITSCHR. f., 
TUBERKULOSE 


kann Aufschluß geben. Dabei ist zu be- 
merken, daß negativer Ausfall Tuberkulose 
nicht ausschließt. Interessant ist noch 
die Mitteilung, daß bisweilen in Exsudaten 
und Exkrementen Antigene vorkommen, 
was für die Diagnose der Tuberkulose 
des Urogenitalapparates von Wichtigkeit ist. 
Stern (Straßburg). 


A. v. Szily u. Luciani-Freiburg i. Br.: 
Anaphylaxieversuche mittels Alt- 
tuberkulin (Koch) bei verschie- 
dener Anwendungsweise, nebst 
Bemerkungen über sog. „sympa- 
thische spezifische Sensibilisie- 
rung“. (Klin. Monatsblätter für Augen- 
heilkunde, Jahrg. 1915, Juli- August, 
LV. Bd., S. 34—61.) 

Die Arbeit bildet eine Nachprüfung 
der Versuche von Dold und Rados 
(H. Dold u. A. Rados, Versuche über 
sympathische spezifische und unspezifische 
Sensibilisierung, Ztschr. für Immunitäts- 
forschung, 1914, Orig. Bd. XX, S. 273), 
welche durch Tuberkulininjektionen in das 
Auge eine Sensibilisierung des anderen 
Auges zu erzielen vermochten, welche 
stärker war, wie eine Sensibilisierung nach 
Vorbehandlung von der Subkutis aus. 
Ähnliche Resultate fanden sie nach Vor- 
behandlung des einen Auges mit Krotonöl- 
injektionen. Dold und Rados glaubten 
darin eine Erklärung der sympathisch auf- 
tretenden Entzündungen, besonders auch 
der Ophthalmia sympathica gefunden zu 
haben. 

Im Gegensatz dazu fanden die Verfl. 
der vorliegenden Arbeit durch Erweite- 
rung der Versuche von Dold und Rados: 

I. Weder durch intralamelläre In- 
jektion, noch durch Vorderkammerimpfun- 
gen kann das Alttuberkulin für das zweite 
unberührte Auge stärker wirksam gemacht 
werden. Die Entzündungstitergrenze ist 
vielmehr bei normalen und vorbehandelten 
Tieren dieselbe und liegt genau bei 
0,1 ccm der Verdünnung 1:750. 

2. Die Sensibilisierung von Auge zu 
Auge ist ebenso unwirksam, wie die sub- 
kutane Vorbehandlung mit Alttuberkulin; 
die letztere scheint eher noch eine mini- 
male Wirkung erkennen zu lassen. 

3. Es ist daher unstatthaft, aus den 
Tuberkulinversuchen einen Beweis für eine 


BD.25, HEFT 6. 


REFERATE. 


441 


besondere, elektiv wirksame „sympathische 
Sensibilisierung“ von Auge zu Auge ab- 
leiten zu wollen. 

4. Zusammen mit den an anderer 
Stelle niedergelegten Krotonölversuchen 
ergibt sich also, daß die Möglichkeit einer 
entzündlichen unspezifischen Sensibilisie- 
rung „symmetrisch angelegter Organe“ 
vorläufig noch vollkommen unerwiesen ist. 

5. Alle aus ihren bisherigen Tuber- 
kulin- und Krotonölversuchen von Dold 
' und Rados für die sympathisch auf- 
tretenden Entzündungen symmetrischer 
Organe, insbesondere auch der Ophthal- 
mia sympathica abgeleiteten Konsequenzen 
schweben somit vorläufig in der Luft. 

Hans Müller. 


A. v. Szily: Über das Verhalten der 
Entzündungstitergrenze des Alt- 
tuberkulinsbeiReizübertragungs- 
versuchen mittels Krotonöls von 
Auge zu Auge. (Zeitschrift f. Im- 
munitätsforschung und experimentelle 
Therapie, 1916, Bd. 24, H.4, S. 387.) 

Nach Zerstörung des einen Auges 
mittels Krotonöls ist der Entzündungstiter 
des Alttuberkulins, geprüft nach 14 tägigem 

Intervall am zweiten Auge, vollkommen 

unverändert und ebenso hoch, wie bei 

‚unvorbehandelten Kaninchen (0,1 ccm der 

Verdünnung 1:750), im Gegensatz zu 

den Angaben von Dold und Rados, die 

eine wesentliche Erhöhung (bis zu 0,I ccm 
der Verdünnung I: 1000000) festgestellt 
haben wollen. 

W. Kempner (Berlin-Lichterfelde). 


Brustdrüsensekretion. (Ztschr. f. 
Geburtsh. u. Gynäk., 1915, Bd. 76, 
S. 726.) 

Auffallend viele virginelle tuberkulöse 
Mädchen bzw. nullipare Frauen zeigen 
(wie alte krebskranke Frauen) eine Sekretion 
einer oder beider Brustdrüsen, die sich 
in keiner Weise durch physiologische von 
der Genitalsphäre, namentlich von den 
: Ovarien ausgehende Reize erklären läßt. 
Das Sekret ist bald kolostrumähnlich, 
bald echte Milch und entleert sich in 
geringer Menge meist tropfenförmig. Nicht 
selten zeigt das Sekret auch eine grüne 


oder blaugrüne Farbe. Mangels jeder 


Paul Lindig: Zur Pathologie der 


anderen befriedigenden Erklärung meint 
Verf., daß vielleicht bazilläre toxische 
Körper oder bei dem tuberkulösen Ge- 
webszerfall entstehende Eiweißzerfallspro- 
dukte in die Blutbahn gelangen und ent- 
weder unmittelbar oder auf dem Wege 
über die Ovarien die Mammasekretion . 
auslösen. — Die Beobachtung sollte an 
einem größeren Heilstättenmaterial nach- 
geprüft werden. Ä 
C. Hart (Berlin-Schöneberg). 


R. Staehelin-Basel: Pathogenese und 
Therapie des Lungenemphysems. 
(Ergebnisse der Inn. Med. und Kinder- 
heilkunde 1915, Bd. XIV, S. 516—575.) 

Die Zusammenstellung Staehelins 
über die Pathologie des Emphysems zeigt, 
wie sehr wir hier in den wichtigsten Fragen 
noch der Aufklärung bedürfen. So in 
der Frage des Elastizitätsverlustes. Die 

Erschwerung der Exspiration (Versuche 

von Volhard), die Vermehrung der Lun- 

genventilation (Versuche von Staehelin 
und Schütze) sind als erwiesen anzu- 
sehen. Ein großer Teil der Atmungs- 
störung beruht stets auf der begleitenden 

Bronchitis. Daneben spielt die Einengung 

der atmenden Oberfläche eine Rolle. 

Unter den Veränderungen des Körper- 

kreislaufs findet der Tiefstand und die 

Funktionsänderung des Zwerchfells die 

diesen Tatsachen gebührende Erwähnung. 

Die Pathogenese des Emphysems 
ist ausführlich behandelt. Die Bohrsche 

Hypothese der primären Bedeutung der 

Atrophie wird abgelehnt. Neben einer 

wahrscheinlich primären Gewebsschwäche 

wird eine Störung der nervösen Regulierung 
der Atemtechnik, in manchen Fällen eine 
primäre Veränderung des Brustkorbes 
oder ein mechanisches Atmungshindernis 

(in erster Linie chronische Bronchitis) als 

Ursache der Emphysementwicklung an- 

genommen. | 

Der therapeutische Teil enthält unter 
anderem eine Würdigung der Freund- 
schen Operation, die nach den bisherigen 

Erfahrungen als entschiedener Fortschritt 

gewertet wird. Staehelin will die In- 

dikation der Operation auch auf den 
sekundär starr dilatierten Brustkorb aus- 
dehnen. 

H. Grau (Heilstätte Rheinland-Honnef). 


442 


Charles Hunter Dunn-Boston: Tuber- 
culosis in infancy. (Philadelphia Pe- 
diatric Society Sektion on Pediatrics 
of the NewYork Academy of Medecine, 
and the New England Pediatric Society, 
held at Philadelphia, Nov. 9, 1915 u. 
Americ. J. of Dis. of Children, 1916, 
XI, p. 85). 

Die Wichtigkeit der Tuberkulose als 
Todesursache erhellt aus der Tatsache, 
daß in einer Reihe von 62 Autopsien von 
Kindern unter zwei Jahren in 25 Fällen 
Tuberkulose, davon in 23 Fällen als di- 
rekte Todesursache gefunden wurde. Die 
Ansichten über Infektionsquelle und Ein- 
trittspforte sind verschieden. Man nimmt 
einerseits das Vorwiegen der Infektion mit 
dem Typus bovinus mit Tonsillen und Darm 
als Eintrittspforte, andererseits mit dem 
Typus humanus mit den Lungen als Ein- 
trittspforte an. Klarheit hierüber schafft 
bakteriologische und postmortale anato- 
mische Untersuchung. Bei letzterer finden 
sich nun häufiger peribronchiale und in 
den Bronchialdrüseu lokalisierte Herde. 
Die Annahme, daß die mit der Milch auf- 
genommenen Bazillen den Darmtraktus 
passieren, ohne irgendeine Läsion zu set- 
zen, ist nach Verf. unhaltbar. Vielmehr 
sind nur die Fälle als bovine Infektion 
anzusehen, wo die primäre Läsion im 
Darmtraktus lokalisiert ist. Nach der all- 
gemeinen Ansicht werden zuerst die Drü- 
sen befallen; nach seinen Beobachtungen 
trifft das nicht zu. Die primäre, aber oft 
übersehene Läsion findet sich stets an der 
Eintrittsstelle. Verf. fand diese in 20 Fällen 
in der Lunge, in 2 Fällen primäre Bron- 
chialdrüsentuberkulose; mithin 22mal In- 
fektion von der Lunge aus. Nur zweimal 
fand er primäre Darmtuberkulose. Außer- 
dem fand er 7mal tuberkulöse Ulzeratio- 
nen im Darm, wahrscheinlich sekundär 
durch verschlucktes, bazillenhaltiges Spu- 
tum bedingt; in diesen Fällen fand er 
auch Mesenterialdrüsentuberkulose. Die 
Bazillen passieren den Darm also nicht, 
ohne Läsionen zu machen. In 23 von 
den 25 Fällen war klinisch die Diagnose 
Tuberkulose gestellt worden. Als wich- 
tigste diagnostische Hilfsmittel führt Verf. 
an: Physikalische Symptome am Thorax, 
Tuberkulinreaktion, Röntgendurchleuch- 
tung. Stern (Straßburg). 


nn Tee ——— 
aama e e e ln lm m n 


ZEITSCHR. f. 
TUBERKULOSE 


D. M. Griswold-Detroit: Method of ste- 
rilizing sputum before examina- 
tion. (Journ. of Laboratory and Cli- 
nical Medicine, St. Louis, Dec. 19015, 
Vol. I, No. 3) 

Verf. hat zuerst das Sputum unter- 
sucht, es dann in Flaschen fest verschlos- 
sen mit Dampf sterilisiert. Danach wurde 
das Sputum wieder untersucht. Bei einer 
Reihe von 200 Sputa fand sich, daß alle, 
in denen vorher Tuberkelbazillen gefun- 
den werden konnten, auch nachher solche 
zeigten, von den vorher negatives Er- 
gebnis gebenden ließen sich nachher in 
3 Fällen Bazillen nachweisen. In dem 
färberischen Verhalten der Bazillen war 
durch das Sterilisieren keine Änderung 
eingetreten. Stern (Straßburg). 


D. Cerqueira: Sombre um novo me- 
thodo de coloração do bacillo de 
Koch. (Brazil-Medico, Rio de Janeiro, 
XXIX, No. 41, Oktober 1915.) 

Verf. berichtet über eine neue Me- 
thode der Färbung der Tuberkelbazillen. 
Zuerst wird das Präparat wie gewöhnlich 
mit Karbolfuchsin gefärbt und mit !/, °/, 
Salpetersäure entfärbtt. Nach Wässern 
kommt es ohne zu trocknen direkt in Jod- 
tinktur. Darauf wieder Wässern und kur- 
zes Eintauchen in reines Ammoniak. Dann 
Abspülen mit einer 0,2°/, Lösung von 
Natriumhypposulid und Trocknen über 
einer Flamme. Die Tuberkelbazillen er- 
scheinen dann deutlicher auf dem blassen 
bläulich-violett gefärbtem Hintergrunde. 
Außerdem werden alle anderen Keime, 
die durch Säure, Alkohol, Alkali zerstört 
werden, ausgeschaltet. 

Stern (Straßburg). 


M. Damask u. F. Schweinburg - Wien: 
Beschleunigter Nachweis der Tu- 
berkulose im Tierversuch durch 
Milzimpfung. (Zeitschr. f experiment. 
Patholog. u. Therap. 1915, Bd. 17, 
H.2, S. 274.) [Zeitschr. f. Tuberkulose, 
Bd. 24, S. 381.) 

Ausführliche Mitteilung der bereits 
erwähnten Methode. Da aus einer Arbeit 
von Oppenheimer (Münch. med. Wchschr. 
IQII, S. 2164 und 1912, S. 2817) her- 
vorging, daß bei intrahepatischer Impfung 
tuberkulösen Materials regelmäßig auch 


BD. 25, HEFT 6. 
1916. 


Tuberkulose der Milz bestand, die häufig 
ausgesprochener war als die der Leber 
und bereits früher auftrat, so entschlossen’ 
sich die Verf. als Impfstelle die Milz zu 
wählen. Die Bauchhöhle der Versuchs- 
tiere wird durch einen linksseitigen Flan- 
kenschnitt geöffnet, das Versuchsmaterial 
in einer Menge von !/,—ı!/, ccm direkt 
vorsichtig in die Milz injiziert: Exsudate, 
Harnsedimente und Eiter ohne weitere 
Vorbehandlung, Sputum am zweckmäßig- 
sten nach eingetretener Autolyse in ro°/, 
Antiforminlösung homogenisiert. Bei Ver- 
suchen mit Aufschwemmung von Tuber- 
kelbazillen wurden regelmäßig schon in 


der ersten Woche, frühestens am 5. Tage 


ausgesprochene tuberkulöseVeränderungen 

mit positivem Bazillenbefund nachgewiesen. 
Die Versuche mit Sputum, Exsudat, Harn, 
verliefen entsprechend; in einer Reihe 
von Fällen, in denen die Laparotomie 
nach einer Woche noch kein Ergebnis 
zeitigte, fand man bei einer zweiten bzw. 
dritten Laparotomie ein positives Resultat. 
Aus Parallelversuchen zwischen intralie- 
naler und intraheputaler Impfung ging 
hervor, daß die Tuberkulose bei intralie- 
naler Impfung im allgemeinen früher und 
ausgedehnter zur Entwicklung gelangte als 
bei intrahepatischer. In durchschnittlich 
zwei Wochen konnte mit der Milzimpfung 
ein Nachweis der Tuberkulose erbracht 
werden, mit Hilfe der Intrakutanreaktion 
eine weitere Abkürzung des Nachweises 
zu erreichen, glückte nicht. 

C. Moewes (Berlin-Lichterfelde). 


F. Saltzman: Tuberkulöser Leberab- 
„szeß. (Finska Läkaresällskapets Hand- 
lingar, Helsingfors, LVII, No. 1, 1915.) 
Verf. beschreibt den Fall eines 50- 
jährigen Mannes, der seit 10 Jahren an 
einer leichten Tuberkulose leidet und seit 
3 Jahren Nierensymptome und chronische 
Diarrhoe hatte. Im Sputum keine Tu- 
berkelbazillen. Die Sektion zeigte einen 
großen Abszeß in der Leber, umgeben 
von cirrhotischem Gewebe. Der Verlauf 
des tuberkulösen Leberabszesses ist schlei- 
chend und chronisch. Außer unbestimm- 
ten gastro-intestinalen Beschwerden lenkt 
nichts die Aufmerksamkeit auf die Leber. 
Das hektische Fieber wird gewöhnlich auf 
denLungenprozeß bezogen, bis der Durch- 


REFERATE. 


443 


brucli des Äbszesses ins Peritoneum eine 
Klärung schafft. Stern (Straßburg). 


Chesley and Wade: The Widal re- 
action in tuberculous persons. 
(Trans. of the XI. Annual Meeting, Na- 
tional Assoc. Study and Prev. Tuberc., 
1915, pg: 250) 

Es ist bekannt, daß in vielen Fällen 
von Tuberkulose die Widalsche Reaktion 
positiv ausfällt. Einigen Autoren ist es 
gelungen, aus den Fäzes solcher Patienten 
in einigen Fällen Typhus- oder Paratyphus- 
bazillen zu isolieren. Verff. suchen nun 
an der Hand von Untersuchungen bei 
1017 Patienten mit Tuberkulose zu er- 
mitteln, wie viele die Widalsche Reaktion 
geben und was die Ursache hierfür’ ist. 
28 = 2,7°/, hatten einen positiven Widal, 
bei 7 fand sich partielle Reaktion. In 
7 Fällen konnte der Bazillus typhosus oder 
paratyphosus aus Fäzes oder Urin isoliert 
werden. Verff. kommen zu dem Schluß, 
daß allem Anschein nach der positive 
Ausfall der Widalschen Reaktion bei Tu- 
berkulose anzeigt, daß der Patient eine 
Infektion mit Keimen der Typhusgruppe 
durchgemacht hat. Stern (Straßburg). 


H. G. Wetherill: Heart disease and 
pulmonary tuberculosis as con- 
traindications to surgery. (Colo- 
rado Medicine, Denver, Vol. XIII, No. I, 
Januar 1916.) 

Schwere, fortgeschrittene Lungentu- 
berkulose und Herzkrankheiten sind keine 
Kontraindikation für dringliche Operatio- 
nen; allerdings sollte man bei diesen Kran- 
ken besonders vorsichtig sein und die 
Dauer der Operation so kurz als nur mög- 
lich bemessen. Bei derartigen Kranken 
sind Operationen in einem gemäßigten, 
trockenen Klima weniger gefährlich, als 
in einem feuchten, heißen; sie erholen 
sich dort sicher schneller. Bisweilen hat 
Verf. bedeutende Besserung des Allge- 
mein- und Lungen-, bezw. Herzbefundes 
nach Operationen gesehen, welche der 
Entfernung eines infektiösen Herdes gal- 
ten. Der Chirurg sollte in allen derar- 
tigen Fällen stets einen erfahrenen Inter- 
nisten zuziehen, der den Allgemeinzustand 
und das Lungen- oder Herzleiden des 
Patienten vor der Operation und während 


444 REFERATE. ZEITSCHR. f. 


der Zeit nach derselben überwachen und 
behandeln sollte. Stern (Straßburg). 


E. A. Gray and 0. Pickmann. Pancre- 
atic ferment determination in 
pulmonary tuberculosis. (Journ. 
of the Amer. Med. Assoc. 1915. Vol. 
LXV, No. 15, Oktober 9, p. 1271.) 


Verf. haben Pankreasfermentebestim- 


mungen bei zwei Serien von tuberkulösen 
Patienten durchgeführt. Bei allen Fällen 
haben sie die Methode von Fuld - Gros 
auf Trypsin und die Methode von Wohl- 
gemuth auf Amylopsin angewendet. 

Die Bestimmungen der ersten Serie 
wurden an 24 beginnenden und mäßig 
vorgeschrittenen und weiter an 139 vor- 
geschrittenen Fällen, ohne Hinsicht auf 
Diät gemacht, die der zweiten Serie da- 
gegen an 60 Fällen mit genauer Rück- 
sicht auf Eiweißaufnahme. 

Verff. ziehen folgende Schlüsse: 

I. Pankreasabsonderungen nehmen 
bei allen Stadien der Tuberkulose wegen 
der Toxinwirkung bedeutend ab. 

2. Ruhe (Bettlage oder Pneumo- 
thorax, um die Toxinproduktion zu ver- 
mindern) wirkt günstig für die Rückkehr 
zu normalen Verhältnissen der Pankreas- 
fermente. 

3. Dauernde verminderte Trypsin- 
werte sind für die Prognose ungünstig. 

4. Niedrige Amylopsinwerte haben 
für die Prognose weniger Bedeutung. 

5. Alle diese Bestimmungen müssen 
die Anorexie, wie allzu reichliche Nah- 
rungszufuhr und die Diarrhoe sehr in 
Betracht ziehen. 

Soper (Saranac Lake, N.Y.). 


IV. Diagnose und Prognose. 


Carl Coerper: Über die Palpation 
peripherer Drüsen und deren 
klinische Bedeutung bei Kindern 
der ersten zwei Lebensjahre. 
(Monatsschrift für Kinderheilkunde 1915, 
Bd. XIII, Nr. 10, S. 458—476.) 

Die Untersuchungen würden in sehr 
sorgfältiger und fleißiger Weise an einem 

Material von 1000 Kindern des Barmer 


TUBERKULOSE 


Säuglingsheims, sowie an 100 Neugebo- 
renen vorgenommen. Sie ergaben, dab 
tastbare Drüsen nur bei Frühgeburten 
fehlen, bei Neugeborenen aber fast immer 
vorhanden sind. Am frühesten und regel- 
mäßigsten erscheint als Folge der physio- 
logischen Brustdrüsenschwellung der Neu- 
geborenen eine palpable Achseldrüse. 
Nach einigen Tagen läßt sich bedingt 
durch die erste in der Regel den Nasen- 
rachenvenen befallende Infektion eine 
zervikale Drüse fühlen. Seltener sind 
die Leistendrüsen vergrößert, entweder 
als Folge von Störungen in der Wund- 
heilung des Nabels oder in der Ernährung 
(Zusammenhang der inguinalen mit den 
mesenterialen Drüsen auf dem Wege über. 
die Lgl. iliacae und aorticae). Die Zahl 
der palpablen Drüsen steigt langsam an, 
so daß am Ende des ersten Lebensjahres 
normalerweise vier vorhanden sind. Mit 
über 50°/, ist die Kopf-Halsgruppe am 
meisten beteiligt, 30°/, entfallen auf die 
Arm-Brustgruppe und I15°/, auf die In- 
guinaldrüsen. Verhältnismäßig wenige 
Drüsen weisen Brustkinder auf, weil sie 
sich einer durch die Frauenmilch gestei- 
gerten Immunität erfreuen. Zahlreich 
sind Drüsenschwellungen bei chronischen 
Ernährungsstörungen, bei Ekzem, Furun- 
kulose, Sepsis und kongenitaler Lues (auf- 
fallende Härte). Dagegen sind bei der 
Tuberkulose die äußeren Lymphdrüsen 
verhältnismäßig selten vergrößert. Palpable 
Supraklavikulardrüsen sind für Tuberkulose 
nicht spezifisch. Auch die akuten Infek- 
tionen der Lunge und der Luftwege 
zeigen keine erhöhten Drüsenzahlen, da 
sich bei ihnen die entzündlichen Prozesse 
wahrscheinlich in den Drüsen der Bauch- 
und Brusthöhle abspielen, die der Pal- 
pation nicht zugänglich sind. 
Simon (Aprath). 


Herbert Koch: Initialfieber der Tu- 
berkulose. (Zeitschr. für Kinderheil- 
kunde IgI5, 13. Bd., 1. und 2. Heft, 
S. 89.) 

Klinische Erfahrungen über die An- 
fangssymptome der tuberkulösen Infektion 
fehlen uns noch so gut wie vollkommen, 
da wir ihren allerersten Beginn nur in 
jenen seltenen Fällen feststellen können, 
die systematisch auf ihre Tuberkulinfähig- 


lassen. 


BD, 25, HEFT 6. 
1916. 


keit geprüft, im Laufe der Beobachtung 
eine Tuberkulinempfindlichkeit entwickeln. 
Koch beschreibt drei Fälle dieser Art, 
die das Gemeinsame hatten, daß 7 Wochen 
nach dem vermutlichen Eintritt der In- 
fektion gleichzeitig mit dem Positivwerden 
der Kutanreaktion Fieber von mäßiger 
Höhe und 8—ı4tägiger Dauer auftrat, 
ohne daß sich irgendein anderes Allgemein- 
symptom gefunden hätte. Nur bei einem 
besonders interessanten Fall einer Hospital- 
infektion zeigte eine zurzeit des Auftretens 
der Hautreaktion gemachte Röntgenauf- 
nahme Schatten von Hilusdrüsen, die 
eine frühere Aufnahme hatte vermissen 
Simon (Aprath). 


Arthur T. Laird. The need for de- 
tailed sputum reports. Supple- 
mentary report. (Jorn. of the Amer. 
Med. Assoc., 1915, Vol. LXIV, No.5, 
q: 427.) 

Verf. betont die Wichtigkeit der Be- 
schreibung der Sputumbestandteile beim 
Bericht von Sputumuntersuchungen auf 
Tuberkelbazillen. Sonst kann der Kliniker 
nicht unterscheiden, ob das Sputum von 
den Lungen oder von den oberen Luft- 
wegen herstammt. 

Man sollte das makroskopische 
Aussehen beschreiben, die vorwiegenden 
Zellbestandteile, die Anzahl und Art der 
Begleitbakterien, und endlich das Vor- 
handensein von Tuberkelbazillen. 

Laut einer Reihe von 2509 Sputum- 
untersuchungen nach dieser Einteilung 
kann man, in den meisten Fällen, den 
Schluß ziehen, daß ein mukopurulentes 
Sputum, welches viele eitrige Zellen und 
nur wenige sekundäre Bakterien enthält, 
bronchialen oder Lungenursprungs ist; 
daß ein Sputum, welches vorwiegend epi- 
theliale Zellen und viele sekundäre Bak- 
terien enthält, aus dem Rachen oder der 
Nase stammt: und daß die wässerigen 
und schleimigen Sputa nicht aus den 
Lungen stammen und keine Tuberkel- 
bazillen enthalten. ' 

Soper (Saranac Lake, N. Y.). 


J. Allen Jackson: Infectious diseases 
of the intramural insane: their 
prevention and treatment, (Med. 
Record 30. 10. 1915, Vol. 88.) 


REFERATE. 


445 


Eins der wichtigsten Symptome der 
Tuberkulose bei Irren ist Gewichtsabnahme. 
Sie husten und spucken nur selten, und 
nur wenige haben Darmsymptome in den 
Anfangsstadien. Viele Patienten wollen 
weder atmen noch husten und sind eigen- 
sinnig, es ist daher schwer, sie zu unter- 
suchen. B. S. Horowicz (Neuyork). 


Lawrason Brown: Tuberculosis apho- 
risms. (Brit. Journ. of Tuberculosis, 
October 1915, Vol. IX, No. 4, p. 225.) 

L. Brown, Lungenarzt zu Saranac 
Lake (Staat Neuyork), hat seine Be- 
obachtungen und Anschauungen über 
Tuberkulose in Aphorismen zusammen- 
gefaßt (Journ. of the American Med. 
Association, June 12, 1915), die in ihrer 
prägnanten Kürze wert sind, auch hier 
wiedergegeben zu werden. 

I. Auch anscheinend blühende Ge- 
sundheit schließt tuberkulöse Erkrankung 
nicht aus. 

2. Klagtein Krankerüberirgendwelche 
konstitutionelle Symptome, so soll man 
stets an die Möglichkeit von Tuberkulose 
denken. 

3. Daß ein Kranker zu irgendwelcher 
Lebenszeit, zumal aber in der Kindheit, 
zuhause oder in der Werkstatt u. dgl. 
länger und enger mit einem Tuberkulösen 
zusammengelebt hat, ist für die Diagnose 
weit wichtiger als die vage „erbliche Be- 
lastung‘“ ohne erweislichen Kontakt. 

4. Längerer Kontakt mit Tuber- 
kulösen mag zu Infektion führen, aber 
allermeist sind schwächende Einflüsse 
nötig, wenn es zu tuberkulöser Erkrankung 
kommen soll. 

5. Konstitutionelle und allgemeine 
Symptome leiten uns zur Diagnose der 
Tuberkulose, örtliche Symptome zeigen 
uns das erkrankte Organ. 

6. Überstandene oder vorhandene 
Zustände wie Mastdarmfistel, Pleuritis 
(trocken, besonders aber mit Erguß), 
Drüsenschwellung, Ohrlaufen, das sich 
ohne Schmerzen entwickelte, sind alle 
stark verdächtig auf Tuberkulose. 

7. Auftreten von Blässe und Blut- 
armut bei Leuten, die länger tuberkulöser 
Infektion ausgesetzt waren, zumal in der 
Kindheit, damals auch an Drüsenschwel- 
lungen litten, die zurzeit sich schwächen- 


446 


den Einflüssen aussetzen müssen, ver- 
dächtige konstitutionelle und örtliche 
Symptome, vielleicht auch die vorgenannten 
Zustände darbieten, spricht für Lungen- 
tuberkulose, auch wenn keine krankhaften 
Veränderungen über den Lungen nach- 
weislich sind. 

8. Deine Kranken, Deine Freunde, 
Deine Angehörigen unterliegen ebenso 
der tuberkulösen Infektion und gelangen 
ebenso zu tuberkulöser Erkrankung wie 
hundert andere! 

9. Die Bedeutung der physikalischen 
Untersuchung für die Diagnostik der 
Lungentuberkulose ist übertrieben worden. 

10. Klinische Symptome geben bes- 
seren und genaueren Anhalt für die Er- 
kennung tuberkulöser Erkrankung als 
physikalische Zeichen. 

II. Klinische Symptome ohne phy- 
sikalische Zeichen verlangen Behandlung, 


physikalische Zeichen ohne klinische 
Symptome verlangen nur sorgfältige Über- 
wachung. 


I2. Leicht, aber anhaltend erhöhte 
Körperwärme und beschleunigter Puls 
finden sich häufig im Frühstadium der 
Tuberkulose, 

13. Das gewöhnliche Gewicht eines 
Kranken mit beginnender Lungentuber- 
kulose ist oft ıo Pfd. unter dem seiner 
Länge und seinem Alter entsprechenden 
Normalgewicht. 

I4. Uhnrichtige Auffassung der Be- 
deutung von klinischen Symptomen oder 
das Übersehen vorhandener regelwidriger 
physikalischer Zeichen kann verziehen 
werden; nicht nach dem Auswurf zu 
fragen und diesen nicht wiederholt zu 
untersuchen bei irgendeinem Kranken mit 
chronischem Husten, ist ein unverzeih- 
licher Fehler. 

15. Das Fehlen von Tuberkelbazillen 
im Auswurf bedeutet nur, daß es noch 
nicht zu geschwürigem Zerfall der Luft- 
röhrchen gekommen ist. 

16. Die Auskultation und die In- 
spektion sind die wichtigsten Unter- 
suchungsmethoden, um krankhafte physi- 
kalische Zeichen zu entdecken. 

17. Die Inspektion zeigt uns Örtliche 
Einziehung (Retraktion) der Brustwand 
und Beschränkung ihrer Beweglichkeit. 

18. Die Auskultation ist wichtiger 


REFERATE. 


m ma 


ZEITSCHR, f, 
TUBERKULOSE 


und wertvoller als die Inspektion, und 
der auskultatorische Nachweis von Rassel- 
geräuschen bei der Einatmung nach 
Husten ist das wichtigste Moment für 
die Entdeckung physikalischer Zeichen 
bei beginnender Lungentuberkulose. 

19. Veränderungen der relativen 
Länge und Stärke der Einatmung und 
der Ausatmung sind wertvolle, aber weniger 
leicht zu erkennende Zeichen. 

20. Die Erkrankung ist in Wirklich- 
keit immer ausgedehnter, als die physi- 
kalischen Zeichen vermuten lassen! 

21. Regelwidrige physikalische Zeichen 
über den Lungenspitzen sollten auf Lungen- 
tuberkulose bezogen werden bis zum 
Gegenbeweis durch den Verlauf; Ver- 
änderungen an der Basis dürfen als nicht 
tuberkulös angesehen werden, bis der 
Verlauf anderes lehrt. 

22. Der Röntgenschirm und die 
Röntgenplatte, zumal stereoskopische Auf- 
nahmen, erlauben zuweilen die Erkennung 
und die Lokalisierung von pathologischen 
Veränderungen der Lungen, die aufandere 
Weise nicht nachzuweisen sind. 

23. Wenn Auswurf nicht vorhanden 
ist, oder wenn Tuberkelbazillen auch bei 
wiederholten Untersuchungen nicht ge- 
funden werden, ist an die Möglichkeit 
des Vorhandenseins von Bronchiaktesie, 
Schilddrüsenerkrankung, Syphilis, Influenza, 
seltener auch an Lungengeschwülste oder 
Hodgkinsche Krankheit zu denken. 

24. Keine bisher angegebene Form 
der Tuberkulinproben gestattet die sichere 
Unterscheidung der klinischen Tuber- 
kulose, die ernstliche Behandlung erfordert, 
von der nicht-klinischen Tuberkulose, die 
nur eine „gottesfürchtige“ Lebensweise 
(a God-fearing life) nötig macht. 

25. Es kann unmöglich sein zu 
entscheiden, ob klinische Tuberkulose 
vorliegt oder nicht („Es ist manchmal 
schwer zu sagen, ob jemand tuberkulös 
ist, aber es ist häufiger noch schwerer 
zu sagen, ob jemand nicht tuberkulös ist“). 

Man kann an diesen knappen Sätzen, 
die fast sämtlich den Nagel auf den 
Kopf treffen, seine Freude haben. Sie 
umfassen ziemlich das ganze Gebiet der 
Diagnostik und sind für junge und alte 
Lungenärzte anregend: Vielleicht wirken 
sie als Anreiz zu noch besserer Fassung 


BD., 25, HEFT 6. 
1916. 


REFERATE. 


BE 


. und Ergänzung auch für die Prognostik. | Lucius B. Morse: Rest in the treat- 


Die Aufgabe ist dankenswerter als lange 
Abhandlungen. Meißen’ (Essen). 


vV. Therapie. 


a) Verschiedenes. 


0. Amrein-Arosa: Liegekur im Hoch- 
gebirge. (Correspondenzbl. f. Schweizer 
Ärzte 1915, Nr. 47, S. 1493.) 

Der Verf. betont nachdrücklich den 
Wert der Freiluftliegekur für die Be- 
handlung der Lungentuberkulose, warnt 
aber vor jedem Schematisieren. Mit 
vollem Recht wendet er sich besonders 
gegen das völlige Ruhighalten von Pa- 
tienten, deren Temperatursteigerungen 
nervösen Ursprungs sind, In manchen 
Fällen mit Sekretstauungen sah er sọgar 
bei vorsichtig‘ dosierten Bewegungen Ent- 
fieberung eintreten. Größte Beachtung 
bei der Bemessung von Ruhe und Be- 
wegung verdient die richtige Beurteilung 
„der individuellen Resistenzkraft, der in- 
dividuellen Betätigung vor der Erkrankung 
und der Rassenbeschäffenheit“. Verf. 
glaubt, daß bei einer stufenweisen und 
angepaßten Wiederaufnahme von Arbeit 
in manchen Fällen bessere Resultate als 
bisher erreicht werden könnten. Besonders 
erfolgreich ist die Freiluftliegekur im 
Hochgebirge, und zwar außer bei Tuber- 
kulösen auch bei Neurasthenikern und 
übermüdeten Kopfarbeitern, ferner bei 
gewissen Herzkranken, insbesondere bei 
Herzmuskelschwäche jüngerer Leute nicht 
myokarditischer Natur. Ferner bei Herz- 
schwäche nach akuten Krankheiten und 
nach Operationen. Die ersten vier bis 
sechs Wochen müssen allerdings solche 
Patienten ganz ruhig liegen. Verf. nimmt 
an, daß unter dem Einfluß des Hoch- 
gebirges der Herzmuskel neue Muskel- 
substanz ansetzt; dafür spricht, daß die 
Resultate viel besser sind bei zu kleinem 
Herzen als bei Hypertrophien. Letztere 
werden wohl nur indirekt durch Er- 
weiterung der peripheren Gefäße mitunter 
günstig beeinflußt. Von Trainingsversuchen 


wird abgeraten, das Hochgebirge selbst ; 


wirkt als Training des Herzens. 
Gustav Baer (Davos). 


ment oftuberculosis. (Lancet-Clinic, 
Nov. 27, 1915.) 

Ruhe ist als einer der wesentlichsten 
Faktoren in der Behandlung der Tuber- . 
kulose anerkannt. Beschränkung des Hu- 
stens auf das Mindestmaß, Verminderung 
der Tiefe und Frequenz der Atmung sind 
wichtig. In der Mehrzahl der Fälle läßt 
sich der Husten willkürlich auf ?/, oder 
mehr reduzieren. Patienten, die unter der 
Vorstellung leiden, daß das Sputum immer 
ausgehustet werden muß, wenn sie es in 
den Bronchien merken, sind zu belehren, 
daß dasselbe durch die Wirkung der Bak- 
terien rasch verflüssigt und so bei Unter- 
drückung des Hustens schnell entfernt 
wird. Zur Unterstützung der Verflüssigung 
des Sputums gebe man heiße alkalische 
Getränke, Liquor ammoni anisati, Emetin, 
Pilocarpin, Apomorphin. Verminderung 
der Respiration wird hauptsächlich durch 
Körperruhe. bewirkt. Jeder beginnende 
Fall mit Temperatursteigerungen über 37,2 ° 
sollte im. Bett gehalten werden, und zwar 
möglichst lange, bis zu 30 Tagen. Auch 
auf viele ältere Fälle wirkt Bettruhe sehr 
günstig. Vieles Sprechen und Lachen sind 
zu vermeiden. Auch bei Komplikationen 
von seiten des Magen-Darmkanals ist Bett- 
ruhe sehr wesentlich, unterstützt von einer 
leichten, keine Gärung verursachenden 
Kost. Kupferarsen (0,013 gr) vor dem Es- 
sen vermindert peristaltische Schmerzen. 
Der Patient sollte auch nach Möglichkeit 
geistige Anstrengung und Aufregungen ver- 
meiden. Eine zweistündliche Temperatur- 
messung ist angezeigt. 

Stern (Straßburg). 


Max Böhm-Berlin: Meine Erfahrungen 
mit dem Friedmannschen Tuber- 
kulosemittel bei derGelenktuber- 
kulose. (Verhandlg. der Deutsch. ortho- 
päd. Gesellschaft. 13. Kongreß. Berlin 
IQI4. Stuttgart, Enke, 1915. S. 92.) 

Definitive Angaben sind bei der Kürze 
der Beobachtungsdauer noch nicht zu ma- 
chen, doch hat sich der Verf. bis jetzt 
wenigstens noch nicht von einer beson- 
deren Heilwirkung außer in einem Falle 
von synovialer Gelenktuberkulose über- 
zeugen können. Im Gegenteil hat er den 

Eindruck gewonnen, daß er mit den bis- 


E: eE 
her üblichen Behandlungsmethoden in der- 
selben Zeit weiter gekommen wäre. Wenn 
er auch schwere Schädigungen, wie sie 
Vulpius beobachtete, unter seinem Ma- 
terial nicht gesehen hat, so ist dennoch 
das Mittel nicht als harmlos anzusehen, 
im Hinblick auf die schweren Reaktionen, 
die es verursacht, sowie auf oft nach den 
Injektionen auftretende Gewichtsabnahme 
und langdauernde Appetitlosigkeit. 
W. V. Simon (Frankfurt a. M.). 


Karl Frumerie: Ein Fall von später 
Abszedierung nach der Injektion 


von Friedmanns Tuberkulose- 
vakzine. (Hygiea 1915, Heft 17, 
S. 989—993.) 


Von den in der I. Medizin. Klinik 
Stockholm (Prof. I. Holmgren) mit 
Friedmanns Vakzine behandelten Fällen 
bekam bei Simultaninjektion ein 35jähr. 
Mann (suspekte spondylitis) die subku- 
tane Injektion in den Musc. rect. abdo- 
minis. Nach einigen Tagen trat ca. 5 cm? 
abwärts von der Injektionsstelle ein roter, 
schmerzender, nachher hervorbuchtender, 
nach 4 Monaten pflaumengroßer Knoten 
auf. Probepunktion: keine Verflüssigung. 
Ulzeration über dem Knoten nach Probe- 
exzision vom größeren Teile, gute Heilungs- 
tendenz. Mikroskopische Untersuchung: 
Unspezifische Granulationsgewebe mit Epi- 
theloid- und spärlichen Riesenzellen. Keine 
Tuberkelbazillen bei Antiforminmazeration. 
Meerschweinchenimpfung negativ nach 
6 Wochen, Wassermannreaktion negativ. 
Die Abszedierung wurde vielleicht durch 
das Injektionsverfahren, in die dünne Bauch- 
muskulatur (statt der glutäalen), begünstigt 
und von mechanischem, chemischem oder 
(nach der oft geschilderten Vakzinever- 
unreinigung zu urteilen) bakteriellem Reiz 
bedingt. Der Knoten nach Friedmann- 
injektionen wurde sonst in 3—4 Monaten 
resorbiert und eine Abszedierung trat, 
wie in einigen Fällen, immer nur in 
den ersten Tagen ein. 

-Tillgren (Stockholm), 


M. Gutstein-Berlin: Über die Ent- 
stehung des Hustens und seine 
Bekämpfung mit Thyangolpastil- 
len. (Med. Klin. 1915, Nr. 47, S. 1295.) 

Um den Hustenreiz an seinen aus- 


REFERATE. ZEITSCHR. f. ` 


TUBERKULOSE 


lösenden Stellen (Pharynx, obere Teile 
des Larynx) erfolgreich zu bekämpfen, 
eignen sich die Thyangolpastillen, die als 
wirksames Agens Anästhesin und Phen- 
acetin enthalten, von der Firma Dr. Thilo- 
Mainz in den Handel gebracht werden. 
Man gibt sie in Dosen von 6—10 Pa- 
stillen pro die. Husten bei Rachen- 
erkrankungen, bei Lungen- und Bronchial- 
erkrankungen wird günstig beeinflußt. 
Dysphagiebeschwerden der Larynxtuber- 
kulösen werden beseitigt. 
C. Moewes (Berlin-Lichterfelde). 


b) Spezifische. 


Herbert Koch: Die Tuberkulinbe- 
handlung im Kindesalter. (Zeitschr. 
für Kinderheilkunde 1915, 13. Bd., I. 
und 2. Heft, S. 1.) 

Verf., Assistent der Wiener Kinder- 
klinik, bespricht in ausführlicher Weise an 
Hand von 45 eingehend beschriebenen 
Fällen von Kindern im Alter von 1—15 
Jahren die Tuberkulinbehandlung des 
Kindesalters. Er bediente sich vorzugs- 
weise des Alttuberkulins, das er nach 
einer besonderen Methode anwandte. Das 
wesentliche derselben besteht darin, daß 
er die Tuberkulindosen in größeren Flüssig- 
keitsmengen von 20, später IOccm Koch- 
salzlösung einspritzte. Er beabsichtigt da- 
durch, das Tuberkulin mit möglichst vie- 
len Zellen in Berührung zu bringen und 
so einen ziemlich allgemeinen Reiz zur 
Bildung von Abwehrstoffen zu setzen, 
nicht aber eine stärkere Lokal- (soll heißen 
Herd-) Reaktion zu erzeugen. Ferner sol 
die Aufschwemmung in größerer Flüssig- 
keitsmenge durch rein physikalische Er- 
leichterung des Abströmens, sowie durch 
die spätere Wechselwirkung zwischen Zelle 
und Tuberkulin infolge der stärkeren Ver- 
dünnung Reaktionen an der Einstichstelle 
vermeiden. Dem gleichen Zwecke dient 
ein ständiger Wechsel der Injektionsstelle, 
für die Koch die Rückengegend, insbe- 
sondere den Raum zwischen und unter 
den Schulterblättern bevorzugt. Die zur 
Behandlung angewandten Alttuberkulin- 
mengen betrugen !/ 0 —ı Mg. Die Stei- 
gerung erfolgt in drei Reihen zu 7, 13 
oder 25 Dosen. Von dem zeitweilig ver- 
wandten albumosenfreien Tuberkulin wer- 
den die zehnfachen Quanten benötigt. 


BD. 25, HEFT 6. y 
1916. 


Höhere Einzeldosen sind für die Kinder- 
praxis nicht geeignet, sie können sogar 
durch stärkere Reaktionen gefährlich wer- 
den. Die Reaktionsfähigkeit der Zellen 
soll erhalten bleiben, da eben der Effekt 
der Tuberkulinbehandlung auf der Mög- 
lichkeit, einen Reiz auf die Zellen aus- 
` zuüben, beruht. Die Enddosis wurde nur 
in 57°/, der Fälle erreicht; in 4 Fällen 
mußte die Kur wegen starker Reaktionen 
und Beeinträchtigung des Allgemeinbefin- 
dens abgebrochen werden. In nicht we- 
niger als ı2 Fällen wurden nach Ein- 
spritzungen Höchsttemperaturen über 39° 
erhalten. Herdreaktionen traten zweimal 
an der äußeren Haut, dreimal an der 
Lunge auf, davon zweimal als exsudative 
Pleuritis. Endzündliche Erscheinungen 
an den Einstichstellen wurden 17 mal be- 
obachtet. Hieraus ergibt sich, daß dem 
Verf, seine Absicht, durch seine besondere 
Methodik Herd- und Lokalreaktionen zu 
vermeiden, keineswegs besonders gut ge- 
lungen ist. Denn mehr Reaktionen wer- 
den auch bei vorsichtigem Vorgehen nach 
Sahli nicht erzielt. 

Schlechte Erfahrungen hat Koch bei 
schweren phthisischen Prozessen beider 
Lungen, sowie beischweren Degenerationen 
der parenchymatösen Organe (Amyloidose, 
Nephritis) gemacht, die er deshalb als 
Kontraindikationen aufstellt. Ref. möchte 
hierin noch beträchtlich weiter gehen und 
dringend davon abraten, alle irgendwie 
destruierenden Lungenprozesse, mögen sie 
auch örtlich begrenzt sein, sowie alle in 
deutlichem Fortschreiten begriffenen mit 
Tuberkulin zu behandeln. 

Über die Ergebnisse wird löblich zu- 
rückhaltend geurteilt, da Verf. mit seinen 
45 Fällen kein abschließendes Urteil fällen, 
sondern nur einen Beitrag leisten will. 
Hervorgehoben wird die günstige Beein- 
flussung des Allgemeinzustandes, die Ge- 
wichtszunahme, die Besserung des psy- 
chischen Verhaltens und die bis auf eine 
Ausnahme gute Beeinflussung des Fiebers, 
In mehreren Fällen ergab sich eine Besse- 
rung des physikalischen Lungenbefundes, 
namentlich wurde eine günstige Wirkung 
auf tuberkulöse Pleuritiden und Bronchial- 
drüsentuberkulose, teilweise auch auf 
Knochen- und Drüsenerkrankungen be- 
obachtet. Nach den beigefügten Kranken- 


Zeitschr, f. Tuberkulose. 25. 


REFERATE, 


449 


geschichten scheint allerdings der Verf. 
hier und da zu günstig geurteilt und von 
den erzielten Besserungen zuviel auf das 
Konto des Tuberkulins gesetzt zu haben. 
Simon (Aprath). 


VI. Kasuistik. 


G. E. Permin: Hämoptysis bei Pneu- 
monia crouposa. (Hospitalstidende 
No. 49, 1915.) 

Verf. hat 2 Fälle von Pneumonie 
mit kleineren reinen Hämoptoen beobachtet, 
beide waren wegen dem Bluthusten in 
eine Abteilung für Lungentuberkulose auf- 
genommen worden; der eine Patient hatte 
obendrein vor 5 Jahren eine typische 
Pneumonie, und zwar.auch mit Hämoptoe, 
durchgemacht. Eine genaue Beobachtung 
zeigte keine Zeichen von Tuberkulose, 
Solche Fälle seien sehr selten, aber diffe- 
rentialdiagnostisch wichtig, Zum Vergleich: 
führt Verf. eine Krankengeschichte an, 
wo eine Tuberkulose akut mit pneumo- 
nischen Symptomen anfing. | 

Kay Schäffer, 


C. L. Cummer: Recurrent pneumo- 
thorax: report of a case, with 
review of the literature. (Amer. 
Journ. of Med. Sciences, 1915, Vol.CL, 
No. 2, p. 222.) 

Verfs. Patient war ein 23 Jahre alter 
Landmesser. Er war gesund bis Februar 
ı9ı2. Damals, als er im Bade war, trat 
plötzlich ein heftiger Schmerz in der 
rechten Brusthälfte auf. Patient ging zu 
Fuß zum Verf. Familiengeschichte nega- 
tiv, ein Bruder hatte früher an Ellbogen- 
tuberkulose gelitten. Es waren die phy- 
sikalischen Zeichen eines Pneumothorax 
der linken Brusthälfte mit Verschiebung 
des Herzens nach rechts vorhanden. 
8 Tage später nach einer Tonsillitis waren 
die physikalischen Zeichen fast völlig ver- 
schwunden. Es waren aber Reibegeräusche 
in der linken Achsel und unterhalb des 
Herzens zu hören. Drei Wochen nach 
dem Anfall nahm der Patient seine Arbeit 
wieder auf, 

Im Juli 1913 trat der Schmerz in 


29 


BR re den, 
der rechten Brusthälfte wieder auf. Unter- 
suchung zeigte nochmals Pneumothorax 
der linken Brusthälfte. Stereoskopische 
Röntgenbilder zeigten auch Pneumothorax 
mit Schatten in der rechten Lunge, welche 
für abgeheilte Tuberkulose gehalten wurde. 
Im August waren die physikalischen Zei- 
chen wieder im wesenlichen geschwunden. 
Patient war ganz wohl. Ein Jahr später 
waren nur noch Schatten in der rechten 
Lunge zu sehen. 

Verf. hält den Pneumothorax für 
tuberkulösen Ursprungs, weil eine geheilte 
Tuberkulose zu konstatieren war und weil 
Reibegeräusche in der linken Achsel 
während Resorption des ersten Pneumo- 
thorax zu hören waren. Gegen diese 
Auffassung spricht die dauernde Gesund- 
heit des Patienten. Der Pneumothorax 
selbst hat vielleicht die Heilung der linken 
Lunge beschleunigt. 

Eine Analyse von fünf aus der Lite- 
ratur gesammelten Fällen zeigt große Ver- 
schiedenheiten in der Anzahl der Anfälle 
und in den Intervallen. Die stete Be- 
schränkung des Prozesses auf dieselbe 
Seite, sei es rechts oder links, spricht 
gegen die Auffassung eines emphysema- 
tösen Ursprungs. Obwohl Tuberkulose 
nur bei einem Falle zu konstatieren war, 
waren drei andere Fälle anamnestisch 
tuberkuloseverdächtig. 

Soper (Saranac Lake, N. Y.) 


B. Tuberkulose anderer Organe. 


ll. Tuberkulose der Knochen und 
Gelenke. 


Julius Finck-Charkow: Über die kli- 
nisch latente Wirbeltuberkulose. 
(Verhandig. der Deutsch. Orthop. Ge- 
sellsch. 13. Kongreß. Berlin 1914. 
Stuttgart, Enke, 1915. S. 102.) 

F. geht zuerst auf die Lokalisation 
der Wirbeltuberkulose ein. Die Zerstörung 
betriflt stets zwei Wirbelkörper und vor 
allem die Zwischenwirbelscheibe, von der 
die Erkrankung ihren Ausgang nimmt, und 
die am ersten zerstört is. Der Knick 
(Gibbus) an der Wirbelsäule kommt erst 


REFERATE. 


ZEITSCHR. f. 
~ TUBERKULOSE 


dann zustande, wenn die Intervertebral- 
scheibe zerstört ist. Der prominente Dorn- 
fortsatz gehört zu dem oberhalb der zer- 
störten Bandscheibe liegenden Wirbelkör- 
per, die zwischen den auseinanderweichen- 
den Dornfortsätzen erscheinende Diastase, 
die in der Regel unterhalb des Gibbus 
gefunden wird, entspricht der zerstörten 
Bandscheibe. 

Die multiplen Fälle, also jene, bei 
denen mehr als zwei Wirbel erkrankt sind, 
sind häufiger, als angenommen wird. Der 
bei der initialen, etagenförmigen Erkran- 
kung vorhandene flache, dorsal- oder la- 
teralwärts konvexe Bogen kommt dadurch 
zustande, daß die Intervertrebalscheiben 
mehrerer Etagen durch ihre Erkrankung 
zwar noch nicht vollkommen zerstört, aber 
doch insuffizient geworden sind und da- 
durch ihre Elastizität verloren haben. Erst 
wenn die Zerstörung wèiter um sich greift, 
wird der flache Bogen gibbusartiger. Die 
Diagnose eines solchen multiplen Falles 
ohne Gibbus kann klinisch recht schwierig 
sein. Die zweite Gruppe der multiplen 
Erkrankung wird von den Fällen gebildet, 
in denen die einzelnen Herde zeitlich wie 
räumlich auseinanderliegen. Diese tuber- 
kulösen Metastasen in der Wirbelsäule 
bleiben sehr oft unbemerkt, scheinen aber 
sehr häufig zu sein. Besonders müssen 
auch die internen Mediziner bei Lungen- 
tuberkulosen stets an die Möglichkeit des 
Vorhandenseins einer Wirbelmetastase 
denken. 

An Stelle der Kyphose kann bei 
spondylitischen Prozessen auch eine patho- 
logisch vertiefte Lordose eintreten; diese 
wird bei Erkrankung der kranialen und 
kaudalen Endverbindungen der Wirbel- 
säule beobachtet. 

Verf. macht auf zwei wichtige Symp- 
tome der Spondylitis aufmerksam. Das 
erste ist die bekannte Kontraktur der 
langen Rückenmuskeln, die aber nicht als 
auf Spasmen beruhend, sondern als Angst- 
oder Schutzkontraktur aufzufassen ist. 
Diese Muskelkontrakturen erstrecken sich 
daher nie über den ganzen Rücken, son- 
dern nehmen nur den beweglichen Teil 
der Wirbelsäule ein; sie überbrücken also 
die lordotischen Teile und lassen die ky- 
photischen Teile frei. Sie sind für die 
Tuberkulose nicht pathognomonisch, son- 


BD, 25, HEFT 6. 
1916. 


dern sind allen schmerzhaften Erkrankun- 
gen der Wirbelsäule eigen. Das andere 
Symptom ist aber pathognomonisch. Es 
ist dies, der Nachweis des im Mediasti- 
num sitzenden Dorsalabszesses mittels der 
Perkussion. Von 50 untersuchten Fällen 
von dorsaler Spondylitis war in jedem 
Fall, auch bei den initialen Fällen, ein 
Abszeß perkutorisch nachweisbar. Dieser 
- ist fast stets doppelseitig, mit Ausnahme 
einiger initialer Fälle. Ihre Ausdehnung 
weist auf die Zahl der erkrankten Wirbel 
hin. Es ist anzunehmen, daß die dorsale 
Spondylitis immer mit Abszeßbildung ein- 
hergeht und zwar wahrscheinlich schon 
im Latenzstadium, und daß bei Nicht- 
vorhandensein eines solchen Abszesses eine 
Spondylitis mit aller Wahrscheinlichkeit 
auszuschließen ist. Ä | 
W. V. Simon (Frankfurt a. M.). 


A. Maffi: Le punte di fuoco nella 
‘terapia delle cosi dette tuber- 
colosi inflammatorie. (Policlinico, 
17. Oktober 1915, XXII, No. 42.) 

Verf. hat auf Drängen eines Patienten 
in einem Falle von Kniegelenkstuberku- 
lose Ableitung durch Kauterisation ange- 
wandt und ist an etwa 50 Punkten rund 
um das Kniegelenk herum mit dem 

Thermokauter eingegangen. Der Erfolg 

war überraschend. Nach 6 Wochen konnte 

der Patient aufstehen und noch einen 

Monat später ohne Schmerzen oder wei- 

tere Beschwerden gehen. Er hat dann 

die Methode weiter in Fällen sog. ent- 
zündlicher Tuberkulose, z. B. Gelenk- 
tuberkulose, Ostitis, Synovitis, ferner bei 

Neuralgien angewandt und war stets mit 

sem Erfolg voll zufrieden. Die Anwen- 

dung ist vollkommen ungefährlich und 
wird von den empfindlichsten Patienten 
vertragen. Stern (Straßburg). 


Il. Tuberkulose der anderen Organe. 


G. Ekehorn-Upsala: Über die Primär- 
lokalisation und die Ausbreitungs- 
weise des tuberkulösen Prozesses 
bei der chronischen hämatogenen 
Nierentuberkulose. (Ztschr. f. Uro- 
logie 1915, Bd. IX, 9. Heft, 5.321 u. 
Nord. med. Ark. 1915, Nr. 14). 


REFERATE. 


451 


Eckehorn bemerkt; daß trotz der 
hochentwickelten Untersuchungsmethoden 
der Urologie bisher nur wenige Nieren 
im Frühstadium der chronischen Tuber- 
kulose zur mikroskopischen Untersuchung 
gelangt sind, da die Symptome der Er- 
krankung anfangs gelinde und schleichend 
sind. Er diskutiert die zur Beobachtung 
gelangten Fälle und erörtert die Fragen: 
welcher Teil der Niere zuerst der’ Sitz 
des tuberkulösen Prozesses wird (Rinde, 
Mark, Papille, Calixwand usw.); auf wel- 
chem Wege die Tuberkelbazillen an eine 
Stelle der Niere, die von der Tuberkulose 
ergriffen worden ist, gelangt sind. Bei der 
hämatogenen Infektion kann man drei 
Möglichkeiten annehmen: den direkt hä- 
matogenen Weg, Infektion direkt von den 
Blutgefäßen; den indirekt hämatogenen 
Weg, wobei die Tuberkelbazillen zwar durch 
das Blut in die Niere befördert werden, 


‘aber durch die Arbeit der Niere zusammen 


mit dem Urin aus dem Blut ausgeschie- 
den werden und erst auf dem Wege (mit 
dem Urin) sich in der Niere ansiedeln 
(Ausscheidungstuberkulose); ist nur ein 
hämatogener Ursprungsherd anzunehmen, 
von dem aus dann der übrige Teil der 
Niere, auch die (von diesem Herd) weiter 
entfernten Partien sekundär infiziert‘ wer- 
den oder wird die ganze Niere, ein Teil 
derselben nach dem anderen in derselben 
Weise infiziert und ergriffen auf hämato- 
genem Wege? Auf Grund zweier von 
E. 1908 veröffentlichter Fälle und eines 
Falles von Bazy 1913 kommt der Autor 
zu dem Schluß, daß sich bei der chro- 
nischen Nierentuberkulose der ganze tu- 
berkulöse Prozeß im großen ganzen in 
toto von einem einzigen Ursprungsherd 
aus entwickelt, einem in der Niere uni- 
lokulären Infektionsherd. Dieser Herd ist 
gewöhnlich direkt hämatogen, wenn auch 
die Möglichkeit der Ausscheidung nicht 
ausgeschlossen werden kann, Ein solcher 
Ursprungsherd wird nur zufällig und in 
sehr wenigen Ausnahmefällen zu finden 
sein. Dieser Herd ist wahrscheinlich von 
einem infizierten Embolus entstanden und 
wird vielleicht in Gestalt einer Kaverne 
zu finden sein. Die Kaverne bricht nach 
den entsprechenden Papillenspitzen durch 
mittels eines Fistelganges, der den Urin- 
kanälchen oder der Richtung derselben 
29* 


452 


folgt. Von dem infektiösen Inhalt dieser 
Kaverne wird die erste Papillenspitze in- 
fiziert und ulzeriert; die von dieser Pa- 
pillenulzeration abfallenden Bakterien in- 
fizieren und ulzerieren die angrenzenden 
Papillenspitzen im gleichen Kelch und 
vermittels des Urins die anderen Kelche 
mit ihren Papillen und Kelchwänden. 
Zur Zeit der Operation sind diese Primär- 
herde durch Ulzeration der betreffenden 
Papille und der Pyramiden meist schon bis 
zur Unkenntlichkeit weggefressen. Die 
Infektion der Papillen und Kelchwände 
ist somit sekundär, aufsteigend, urinogen. 
Mankiewicz (Berlin). 


E. Micheli: Signe de Colombino pour 
le diagnostic rapide de la tuber- 
culose uro-g£Enitale. (Journ. d’Uro- 
logie, Paris Tom. 6, No. 4, 1915.) 

Für die Frühdiagnose der Tuber- 


kulose des Urogenitalapparates ist das’ 


Auffinden deformierter Leukozyten, an 
denen einige rote Blutkörperchen haften 
(Colombinosches Zeichen) im Harnsedi- 
ment von Wichtigkeit. Verf. konnte dies 
für einen Fall zeigen, bei dem keine 
Bazillen gefunden werden konnten, aber 
das Combinosche Zeichen vorhanden war. 
Verf. diagnostizierte Blasentuberkulose und 
leitete entsprechende Behandlung ein, wo- 
rauf Besserung eintrat. Eine spätere 
Untersuchung zeigte tuberkulöse Granu- 
lationen in der Blase. Stern(Straßburg). 


P. Starr Pelouze: New growths of the 
prostatic urethra in relation to 
tuberculosis. (New York Med. Journ. 
16. I0. IQI5, Vol. 102, p. 792.) 

CystoskopischeUntersuchungen wiesen 
in neun tuberkulösen Fällen gewisse eigen- 
artige Gewächse in dem prostatischen Teil 
der Harnröhre auf; und P. glaubt, daß 
ein Zusammenhang zwischen der Tuber- 
kulose und den Tumoren besteht. Sie 
waren ungefähr !/ „—!/, so groß wie das 
normale Verumontanum, sahen bleicher 
aus als die Schleimhaut, von der sie 
stammten, und waren meistens gehäuft, 
manchmal aber auch einzeln. Kleine Blut- 
gefäße konnten auf der glatten Oberfläche 
deutlich unterschieden werden. Analyse 
der Fälle: Prostatische Tumoren, wahr- 
scheinlich tuberkulös. 


j REFERATE. 


ZEITSCHR, f. 


TUBERKULOSE 
Fälle: 

1. 2. 3. 4.5.6.7. 8. 9. 

Häufiger Harndrang — + + +— +—- - + 
Brennender Schmerz 

am Blasenhals.. +++ +++- —- — 

Harnbrennen . . ++++++- ++ 
Tuberkelbazillen im 

Harn....... +++--- +++ 

Tuberkulose inande- 

ren Teilen des 

Körpers ..... -- +++++r++ 


B. S. Horowicz (Neuyork). 


Joseph Rilus Eastman: Tuberculosis 
of the urachus. (Americ. Journ. of 
Obstetrics and Diseases of Woman and 
Children, Vol. LXXII, No. 4, p. 640, 
IQI5.) 

In der ganzen Literatur ist bisher 
nur ein Fall von Tuberkulose des Urachus 
bekannt. Es handelte sich um eine junge 
Frau. In dem vom Verf. beschriebenen 
Fall handelte es sich ebenfalls um eine 
Frau von 19 Jahren, die früher nie 
Zeichen von Tuberkulose aufgewiesen 
hatte; auch in der Familie war keine 
Tuberkulose vorgekommen. Menstruation 
seit dem zwölften Lebensjahre, normal. 
Verheiratet, ein lebendes, gesundes Kind. 
Zehn Monate vor Eintritt in das Spital 
bemerkte die Frau eine kleine Geschwulst 
zwischen Symphyse und Nabel, die 
schmerzhaft war. Dieselbe wuchs nicht, 
blieb aber schmerzhaft. Nach 3 Monaten 
feine Öffnung in der Mitte, aus der sich 
klare, wässerige Flüssigkeit entleerte, und 
die sich nach einer Woche wieder schloß. 
Wiederholt Öffnen und Schließen der 
Öffnung. Keine Störung von Seiten der 
inneren Organe. | 

Bei der Aufnahme kein Befund über 
den inneren Organen, Urin frei von patho- 
logischen Bestandteilen. Sonde konnte 
durch die Öffnung bis hinter die Sym- 
physe geführt werden. Operation, Spaltung 
der Fistel, dabei wurde Fehlen von ent- 
zündlichen Erscheinungen festgestellt, so- 
wie tubulärer Aufbau. Mikroskopisch 
miliare Tuberkel. Cystoskopie ergab durch- 
aus normalen Befund. Nach der Ope- 
ration Urin frei, glatte Heilung, kein 
Recidiv. 

Es handelt, sich nach Ansicht des 
Verf. um Tuberkulose des persistierenden 
Urachus, Stern (Straßburg). 


BD. 25, HEFT 6. 
1916. 


C. Schneider- Bad Brückenau-Wiesbaden: 
Nierentuberkulose bei Feldzugs- 
soldaten. (Münch. med. Wchschr. 
1915, Nr. 47, S. 1627.) l 

Verf. weist darauf hin, daß die Nieren- 
tuberkulose häufiger ist, als man im all- 
gemeinen annimmt, und daß bisher latent 
verlaufende Fälle unter den Anstrengungen 
des Feldzuges leicht akut werden können. 
Leichte aber lang dauernde Blasenkatarrhe 
mit geringen Blutungen am Ende der 
Miktion sind auf Tuberkulose verdächtig. 
Sorgfältige Durchmusterung des Urinsedi- 
ments auf Tuberkelbazillen sichert die 
Diagnose: Funktionelle Nierenuntersuchung 
mit doppelseitigem Ureterenkatheterismus 
entscheidet die Art der Behandlung, die 
bei einseitigen Erkrankungen nur chirur- 

gisch sein kann. 

C. Moewes (Berlin-Lichterfelde). 


Oliver Lyons-Denver: Tuberculosis 
of the kidney. (Colorado State Med. 
Society, Oktober 1915.) 

Verf. spricht über die Diagnose der 

Nierentuberkulose. Nach seiner Ansicht 


ist ein Palpationsbefund nicht zu ver- |. 


werten, vor allem kann Verkleinerung 
der Niere, wie sie oft infolge Narben- 
schrumpfung nach Verkäsung vorkommt, 
irreführen, besonders wenn die andere 
Niere kompensatorisch hypertrophiert ist. 
Anämie, Kräfteverfall, Cachexie treten 
meist erst sehr spät, nach Monaten und 
Jahren auf. Schweiß, Schüttelfrost und 
Fieber sprechen für Sekundärinfektion, 
insbesondere für Eiterungen. Dann ist 
Appetitlosigkeit, rapide Gewichtsabnahme, 
allgemeine Schwäche sehr ausgesprochen. 
Im allgemeinen kann man sagen, daß die 
Diagnose auf Nierentuberkulose viel häu- 
figer gestellt würde, wenn die Möglichkeit 
einer solchen berücksichtigt würde. 
Stern (Straßburg). 


Maurice Laverridre: Proliferating tu- 
berculous cystitis. (N. Y. Medical 
Journ. Vol. 102, 20. 11. 1915, No. 21, 
p. 1044.) 

Bei allen Fällen von proliferativer, 
tuberkulöser Entzündung der Harnblase, 
welche Verf. sah, waren die Lungen an- 
gegriffen. Die funktionellen Symptome 
waren sehr leicht, aber die cystoskopische 


REFERATE, 


453 


Untersuchung war schmerzvoll. Die Er- 
krankung erklärt sich durch eine descen- 
dierende Infektion von einer tuberkulösen 
Niere aus. Die Blasenschleimhaut ist 
intakt und weist rötliche, himbeerähnliche 
Granulationen auf. Nephrektomie soll 
eine sehr bemerkliche Besserung des loka- 
len. und allgemeinen Zustandes hervor- 
rufen. B. S. Horowicz (Neuyork. 


D. Berichte. 


Louis Hamman- Baltimore: Dispensaries 
in the fight against tuberculosis. 

David R. Lyman-Gaylord Farm Sanato- 
rium, Conn.: The visiting nurse in the 
fight against tuperculosis. 

L. A. La Garde-Washington: National 
board of examiners. 

Lawrason Brown-Saranac Lake: Sanato- 
riums in fight against tuberculosis. 
Charles L. Minor- Asheville: Control of 

the poor consumptive. 

The state versus tuberculosis. (Me- 
dical Society of Virginia, Annual Meeting, 
held at Richmond, Oct. 26—29, 1915.) 

Hamman. Im Kampfe gegen die 

Tuberkulose nimmt die Fürsorgestelle mit 

den ersten Platz ein; zunächst hat sie zu 

sehen, Kranke zu bekommen. Die Für- 

sorgeschwester muß das Vertrauen der . 

Kranken zu gewinnen suchen. Weitere 

Aufgaben der Fürsorgestelle sind: früh- 

zeitige Erkennung der Tuberkulose, Auf- 

stellen eines Heilplanes. Die Fürsorge- 
stelle soll nicht große Mengen behandeln. 

Die Schwester ist sehr wichtig, um Unter- 

weisung zu erteilen. Es sollte zur Lösung 

wirtschaftlicher, durch die Tuberkulose be- 
dingterSchwierigkeiten beigetragen werden. 

Wenn genug Zeit und Personal vorhanden, 

kann auch wissenschaftliche Arbeit geleistet 

werden. In den Schulen fehlt Unterricht 

über die Tuberkulose. In Baltimore sind 

zurzeit I8 Fürsorgeschwestern tätig. 
Lyman. Als wichtigsten Faktor in 

der Tuberkulosebekämpfung betrachtet L. 

die Fürsorgeschwester. Wenn sie irgendwo 

eine kranke Familie besucht, hört sie meist 
noch von anderen, die krank sind und 
kann dann auch dort hingehen, In zehn 

Jahren verdienten 1122 entlassene Pa- 

tienten I 339 000 Dollar. 


454 


Discussion on the State versus 
Tuberculosis. Stephen Harnsberger- 
Cattles vertritt die Ansicht, daß sich Tuber- 
kulose hauptsächlich bei den armen Leu- 
ten findet; ihre Bekämpfung ist Sache des 
Staates, ihre Ausrottung geht parallel mit 
Verschwinden der Armut. 

John I. Lloyd-Catawba Sanatorium 
teilt mit, daß in seiner Anstalt 168 Betten 
sind, die wohl für Jahre genügen, um be- 
ginnende Fälle aufzunehmen. Viele Pa- 
tienten glauben, daß sie in ein, zwei oder 
drei Monaten wieder gesund sein wür- 
den, wenn sie einmal in der Woche zum 
Arzt gehen und den Rest der Zeit tun, was 
ihnen gefällt. Man bedarf guter Schwestern, 
und die besten sind die, welche selbst ein- 
mal Tuberkulose hatten. Ein sehr schwie- 
riges Problem ist die Negertuberkulose. 

W. A. Plecker-Richmond spricht 
über die Zahl der Todesfälle an Tuber- 
kulose. Im allgemeinen wird ihre Zahl 
zu hoch angegeben. 

P. S. Schenck-Norfolk. Im allge- 
meinen wird zu viel geredet und zu wenig 
getan. Vor allem ist Geld erforderlich 
und die Möglichkeit, den Kranken aus 
seiner Familie herauszunehmen. Nur in 
5 Staaten ist die Tuberkulosesterblichkeit 
größer als in Virginia. 

R. W. Brown- Roanoke hat den Ein- 
druck, daß die Patienten, die in die Sana- 
torien überwiesen werden, meist schon eine 
zu weit fortgeschrittene Tuberkulose auf- 
weisen. Man sollte auch Gelegenheit ha- 
ben, fortgeschrittene Fälle zur Behandlung 
fortzuschicken. 

L. A. La Garde spricht über die man- 
gelhafte Organisation des Sanitätswesens 
im Heere, was in einer Zeit wie jetzt sehr 
ernst ist und schlägt Maßnahmen vor, den 
Ärztemangel zu beseitigen. 

Lawrason Brown. In den acht- 
ziger Jahren des vorigen Jahrhunderts ka- 
men die Sanatorien in Amerika auf. Tuber- 
kulose ist heilbar, meist aber kommt es 
nur zu einem dauernden Stillstand. Der 
Kranke muß das Leben, wie er es im 
Sanatorium geführt und gelernt hat, drau- 
Ben fortsetzen. Schwere Arbeit, schlechte 
Ernährung und Schlaf in Räumen, die 
nicht genügend gelüftet werden können, 
tragen zur Ausbreitung der Tuberkulose 
bei. Es gibt eine große Zahl von Tuber- 


REFERATE. 


ZEITSCHR. f. 
TUBERKULOSE 


kulösen, die trotz aller Ermahnungen weiter 
arbeiten und dadurch ihre Leiden ver- 
schlimmern. Sie übertragen dann oft die 
Bazillen auf ihre Kinder. Hier können 
die Nachtsanatorien von Nutzen sein. 13 
Staaten haben die Errichtung von Tuber- 
kulosespitälern beschlossen. 

Charles L. Minor. M. schildert 
das Elend der ärmeren Klassen, beson- 
ders auch der Neger und Einwanderer. 
Die Wohnungen sind feucht, dunkel, 
schmutzig, ohne frische Luft. Die schmut- 
zigen Kinder spielen auf dem noch schmut- 
zigeren Boden, auf den die anderen sorg- 
los ausspucken. Überläßt man denKranken 
sich selbst, so wird er sterben und seine 
Angehörigen krank machen. Man muß 
ihn fortbringen, seine Wohnung desinfi- 
zieren, über seine Kinder wachen. Es ist 
dazu nötig, daß die Gesundheitspolizei die 
Gewalt hat, ihn fortzubringen in das Tuber- 
kulosespital. Wenn in Virginia jährlich 
3500 Menschen an Tuberkulose sterben, 
so hat jeder einen Infektionsherd gebildet. 
Eine Versorgung in ihrer Wohnung ist bei 
armen Kranken unmöglich, wie jeder, der 
solche Wohnungen gesehen hat, weiß. 

Stern (Straßburg). 


(Southern Medical Association, IX An- 
nual Meeting, held et Dallas, Tex. No- 
vember 8— 11. 1915): 


John J. Loyd-Catawba Sanatorium, Ar- 
tificial pneumothorax. 

Verf. kommt auf Grund seiner Unter- 
suchungen zu dem Schluß, daß man bei 
Auswahl der Fälle zur Pneumothorax- 
behandlung sehr sorgfältig verfahren müsse, 
wenn man Erfolg erzielen wolle. Trotz 
eingehender Untersuchungen, Röntgen- 
untersuchung eingeschlossen, sind wir nicht 
immer in der Lage, vor Anwendung der 
Kompression Pleuraverwachsungen festzu- 
stellen. Im Beginn der Behandlung soll 
der Patient unbedingt das Bett hüten. 
Um vollen Erfolg zu erzielen, muß die 
Lunge längere Zeit hindurch komprimiert 
gehalten werden. Die Gefahren sind ge- 
ring und bestehen bei guter Technik fast 
überhaupt nicht. Der künstliche Pneu- 
mothorax führt selbst in Fällen, die früher 
ais aussichtslos bezeichnet wurden, noch 
manchmal zum Ziele. 


BD, 25, HEFT 6. i 
1916. 


Mary E. Lapham-Highlands, Bronchial 
gland tuberculosis. 

Verf. berichtet, daß in einer Gegend, 
in der r0 Jahre lang kein Todesfall an 
Tuberkulose vorgekommen war, 25 bis 
50°/, der Kinder eine positive Tuber- 
kulinreaktion gaben. Meist wurden keine 
tuberkulösen Herde gefunden. Man dachte 
in diesem Falle, daß die Bronchialdrüsen 
infiziert seien. Dabei muß Anwesenheit 
von Bazillen in denselben nicht notwen- 
dig zur Entwicklung tuberkulöser Prozesse 
führen, wie auch Autopsien gezeigt ha- 
ben, die ja im übrigen auch ergaben, daß 
die Bronchialdrüsen am häufigsten infi- 
ziert sind. Dies gilt aber nur bis zur Pu- 
bertätszeit, dann müssen wir die Ausbil- 
dung der Tuberkulose annehmen, wobei 
der Prozeß sich von den Drüsen auf die 
Lunge fortsetzen kann. Es ist natürlich 
von Wichtigkeit, diese infizierten Kinder 
zu erkennen und zu behandeln. Bei 
schlecht genährten breitet sich der Prozeß 
eher aus als bei gesunden, gutgenährten 
Kindern. Daher findet man unter diesen 
häufiger derartige okkulte Fälle. 


S. E. Thompson-Carlsbad, Tex.: Com- 
mon sense and the fever thermo- 
meter versus the stethoscope and 
the mikroscope in the diagnosis 
of early pulmonary tuberculosis. 

Nach Ansicht des Verf. finden wir 

nur einen geringen Teil der beginnenden 
Fälle von Lungentuberkulose heraus, weil 
wir einen falschen Weg einschlagen. Ste- 
toskop und Mikroskop führen nicht im- 
mer zum Ziele. Man sollte mehr den 
allgemeinen Eindruck und das Fieberther- 
mometer sprechen lassen und die Tuber- 
kulose ständig argwöhnen; dann würde 
sicher eine größere Zahl beginnender Fälle 
erkannt werden. 


Tompson Frazer-Asheville: Rest and 
exercise in tuberculosis. 

Eine genaue Kenntnis der Wirkung 
von Ruhe und Bewegung ist für die Be- 
handlung der Tuberkulose erforderlich. 
Ruhe ist vor allem bei einem überan- 
strengten Organismus anzuwenden und 
dann mit der Besserung der Betrag der 
Körperarbeit langsam zu steigern; bei zu 
rascher Steigerung kann wieder ein Rück- 
fall eintreten. Dabei sollte der Patient 


REFERATE. 


455 


ständig vom Arzte überwacht werden. Auf 
diese Weise kann man leichter den Pa- 
tienten wieder für die Rückkehr in seinen 
Beruf vorbereiten, als bei kritikloser Ver- 
ordnung von Ruhe für alle Fälle. 


Sylvio von Ruck-Asheville: The reco- 
gnition and treatment of occult 
tuberculosis. 

In vielen Fällen hängt die Diagnose 
eines Krankheitszustandes ab von der Tat- 
sache, ob der Arzt an die Möglichkeit 
dieser oder jener Erkrankung überhaupt 
denkt. Das gilt auch für die Tuberkulose. 


Man muß sjch dabei vergegenwärtigen, 


daß die Resistenz zeitlich oder dauernd 
herabgesetzt sein kann, daß eine Infektion 
latent sein kann, ohne Symptome zu ma- 
chen, daß diese atypisch sein können, 
daß eine Intoxikation tuberkulösen Ur- 
sprungs vorliegen kann. Auch die Wir- 
kungslosigkeit der üblichen Therapie sollte 
zu denken geben; z. B. Salizyl bei rheu- 
matischen Beschwerden. In solchem Falle 
denke man an Tuberkulose, mache die Tu- 
berkulinprobe, wobei von Wert ist, daß 
das Tuberkulin gleichzeitig therapeutische 
Wirkung hat. Stern (Straßburg). 


E. Bücherbesprechungen. 


Max Backer-Riezlern (Allgäu): Die 
Sonnen-Freiluftbehandlung der 
Knochen-, Gelenk- wie Weich- 
teiltuberkulosen. (Kommissionsver- 
lag von Ferd. Encke, Stuttgart 1916, 
68 Seiten, zahlreiche Abbild., Taf. u. 
Kartenskizzen. Preis 3. M.) 

Das Büchlein stellt keine eigentliche 
wissenschaftliche Arbeit dar, die speziell 
für den Arzt bestimmt ist. Der Verf. 
hat es vielmehr als Werbeschrift bzw. 
Werbevortrag für die Bestrebungen des 
modernsten und besten Heilverfahrens 
der chirurgischen Tuberkulose geschrieben. 
Im Gegensatz zu dem hohen Aufschwung, 
den die Therapie der internen Tbc. durch 
die Heilstättenbehandlung genommen hat, 
ist ja bisher die chirurgische Tuberkulose 
noch immer stiefmütterlich behandelt wor- 
den. Nur wenigen Patienten stehen die 
Mittel zur Verfügung, zu ihrer Heilung 
Kurorte wie Leysin u. & aufzusuchen. 


456 


Daher muß der Versuch begrüßt werden, 
auch nicht medizinische Kreise für diese 
Frage zu interessieren, sowie zu zeigen, 
daß es auch in Deutschland Gegenden 
gibt, die zur Einrichtung von Heilstätten 
für minderbemittelte Patienten, die an 
chirurgischer Tuberkulose leiden, geeignet 
sind. Eine solche Gegend ist der Allgäu, 
wo der Verf. seine Freiluftklinik eingerich- 
tet hat. 

Die Abbildungen sind nicht immer 
sehr überzeugend gewählt, auch über 
manche wissenschaftlichen Punkte läßt 
sich streiten. So z.B. kann die Beweis- 
führung nicht anerkannt werden, die Verf. 
an Hand der Abbildung einer Impfreak- 
tion zu geben sucht, daß die bei einem 
Knaben bestehende Halslymphdrüsen-Tbc. 
auf Perlsuchtinfektion, die gleichzeitig be- 
stehende Fußgelenk-Tbc. auf Infektion mit 
typ. humanus beruhen sollte (Taf. III, Fig. 1). 

Auch scheint es mir, als ob das 
Buch von dem bei allen derartigen Ver- 
öffentlichungen naheliegenden Fehler nicht 
ganz frei ist, daß dem Laienpublikum zu- 
viel fachärztliche Wissenschaft geboten 
wird. Doch soll anerkannt werden, daß 
es sehr schwer ist, diesen Fehler zu ver- 
meiden und daß die Schrift viel Nutzen 
stiften und der guten Sache auch unter 
den praktischen Ärzten viel Freunde er- 
werben kann. 

W. V. Simon (Frankfurt a. M.). 


Hugo Bayer-Wien: Eine neue Heil- 
methode gegen Erkrankungen der 
Lunge und desHerzens. (Im Selbst- 
verlag des Heilinstitus f. Vibroinhalation. 
Wien 1916, 46 Seiten, 1,20 Kr. In 
Kommission bei F. Hölder, Wien.) 

Mehr als sonst einer kleinen Schrift 
von 46 Seiten möge aus grundsätzlichen 

Erwägungen der vorliegenden gewidmet 

sein. Einerseits könnte man sie ganz 

rasch abtun. Ist sie für den Laien oder 
für den Arzt geschrieben? Für ersteren 
ist sie als irreführend abzulehnen, wie 
überhaupt alles, was irgendein Mittel oder 
eine Methode als alleiniges Heilmittel an- 
preis. Einen „vollwertigen Ersatz“ für 
die übrigen Heilmethoden wagt der Verf. 
die seine zu nennen und scheut sich 
nicht, dem Arzte sehr unkollegiale Seiten- 
hiebe zu geben. Was soll ferner ein 


REFERATE. 


ZEITSCHR. f. 
TUBERKULOSE 


Laie mit den mitgeteilten wissenschaft- 
lichen Krankengeschichten anfangen? Wir 
müssen also annehmen, daß die Schrift 
für den Arzt sein soll. Für diesen ist 
sie aber reichlich populär gehalten. Ein- 
zelne Punkte fordern die Kritik geradezu 
heraus. Röntgenbilder, schlecht wieder- 
gegeben, haben nur Zweck, wenn man 
Vergleichsbilder vom früheren Zustande 
hat. Einiges, was in den früheren Kranken- 
geschichten angegeben wird, glauben wir 
ja einfach nicht, und für manche Röntgen- 
befunde (S. 18!) dürfte wohl der dort ge- 
nannte Prof. Dr. Kienböck die Verant- 
wortung nicht übernehmen; ebenso über 
den durch die Bayersche Behandlung 
verschwundenen Pneumothorax. Über die 
Schilderung der sich allmählich aufhellen- 
den Dämpfungen lächelt der ältere Lungen- 
arzt und denkt dabei an jenen längst ver- 
storbenen alten Fachkollegen, der die 
Spitzendämpfung bei jeder Untersuchung 
etwas kleiner zeichnete, bis sie zuletzt 
ganz oben als stecknadelkopfgroßes Knöt- 
chen sich in Nichts auflöste. Und so 
könnte man gegen die ärztlich gedachte 
Schrift noch eine Reihe von Dingen an- 
führen. Zum mindesten ist die Ausdrucks- 
weise häufig durchaus unklar (Seite 17 u. 
40). Wir glauben nicht, daß ein erwach- 
sener Rumpf, dessen Knochengerüst ge- 
schrumpft ist, durch irgendeine Methode 
wieder zur normalen Beschaffenheit zurück- 
kehrt; wir bestreiten die Möglichkeit einer 
vollständigen Ausheilung, wie sie Seite 35 
mitgeteilt wird trotz Ernis Kontrolle. 
Geht aus alledem hervor, daß die 
Schrift als solche wenig wertvoll und viel 
zu wenig sorgfältig bearbeitet ist, so ist 
doch die ganze Frage des Interesses wert. 
Ich möchte ohne weiteres glauben, daß die 
Vibroinhalation (die mir allerdings, da ich 
den Apparat nicht kenne, aus der sehr 
unklaren Beschreibung durchaus noch 
nicht klar geworden ist) bei Emphysem 
ganz gut wirkt (Seite 12—13). Ich glaube 
auch, daß die Expektoration erleichtert 
wird (Seite 20), ja, ich halte jeden Ver- 
such, auf diesem Wege therapeutisch vor- 
zugehen, für beachtenswert. (Verf. führt 
auch einen ähnlichen Ausspruch von 
Cornet an.) In einer seiner Übersichten 
über neuere Medikamente (Ztschr. f. Tub., 
Bd. 25, Heft4, S.283) erwähnt Schrö- 


BD. 26, HEFT 6. 
1916. ' 


der diese Bayerschen Apparate mit dem 
Satze: „Die Gedankengänge des Autors 
muten etwas seltsam an“, Abgesehen von 
den mit der Vibroinhalation benutzten 
Medikamenten, über die ich nicht urteilen 
möchte, ohne den Apparat zu kennen, 
glaube ich doch, daß wir uns bemühen 
‘sollten, alle mechanischen Heilmittel recht 
genau kennen zu lernen und zu prüfen. 
Ich selbst habe schon vor vielen Jahren 
die sonst wohl garnicht bekannte Ernische 
Klopfkur angewendet, wirklich manchmal 
mit dem von ihrem Erfinder natürlich 
viel zu begeistert gepriesenen Erfolge. 
Ich darf auch auf mein Referat über den 
kürzlich in dieser Zeitschrift erschienenen 
Artikel von Kuhn über die Saugmaske 
hinweisen. Bayer sollte seinen Apparat 
in einer der nächsten Versammlungen 
der Tuberkuloseärzte vorführen und sich 
überhaupt nur mit Ärzten in Verbindung 
setzen, was nach Berichten österreichischer 
Kollegen durchaus nicht geschieht. 
Auch die Anwendung bei Blutungen 
gibt zu denken. Wir weisen die etwas 
vollmündige Äußerung zurück, daß die 
Vibroinhalation von Adrenalin — In- 
halant (Parkes- Davis) — Blutungen zum 
Stillstand gebracht habe, die jeder anderen 
Therapie trotzten. Denn die Auguren 
wissen, daß schließlich jede Blutung steht, 
wenn sie nicht zum Tode führt. Aber 


VERSCHIEDENES, 


457 


liegt nicht in dem Gedankengange des 
alten Niemeyer, der jede Blutung mit 
Tiefatmung behandelte und doch sicher 
in seiner Praxis die Leute nicht dadurch 
sterben sah, ein wahrer Kern, der sich 
vielleicht dadurch jetzt herausschält, daß 
man die Blutung nicht mehr so ganz wie 
ein rohes Ei ansieht? In dieser Zeitschrift 
wurde vor kurzem als neue Behandlungs- 
weise angegeben, Blutende aufzusetzen. 
Und in meinem Referate in der Münch. 
med. Wchschr. sagte ich dazu: Wenn wir 
jetzt die Beine abbinden, so ist das nur 
eine stärkere Form der Blutableitung, als 
sie das Aufrechtsitzen mit sich bringt. 
Wenn wir die Bluter nicht flach, sondern 
hoch liegend im Bett halten, so ist das 
auch schon die Annäherung an völliges 
Aufsitzen. Ich weiß nicht, ob von fach- 
ärztlicher Seite das Gefühl geteilt wird: 
Mir scheint es immer, als ob wir gerade 
auf dem Gebiete der Lungenblutung noch 
andere Wege suchen müßten, als die bis- 
herigen ausgetretenen. 

Nach der anfangs gegebenen Charak- 
teristik des vorliegenden Schriftchens kann 
nach meiner Meinung der Verf. zufrieden 
sein, wenn es trotzdem derartige Gedanken 
über mechanische Behandlung angeregt 
hat, die ich auch für die Leser dieser 
Zeitschrift für beachtenswert halte. 

Liebe (Waldhof-Elgershausen). 


nn aa 


VERSCHIEDENES. 


Tuberkulose-Versammlung. 


Am 19. Mai d. J. fand die alljährliche Tagung des Deutschen Zentral- 
komitees zur Bekämpfung der Tuberkulose im Reichstage statt, — zum 
zweiten Male in der Kriegszeit, welche der hohen Aufgabe keinen Eintrag tun durfte. 
Und trotz der Kriegszeit aus allen Gauen des Reiches zahlreich besucht! Aller- 
dings war diesmal von einer Aussprache, die sonst den größten Teil der Tagung 
zu beherrschen pflegte, Abstand genommen worden; man erledigte nur die Formalien 
und nahm dann einen eindrucksvollen Vortrag des Ministerialdirektors Kirchner 
entgegen. Der gedruckt vorliegende Jahresbericht war ebenfalls wesentlich einge- 
schränkt. Immerhin ist ihm zu entnehmen, daß auch gegenwärtig eine Anzahl von 
neuen Heilstätten und Erweiterungsbauten fertiggestellt und dem Betriebe übergeben 
werden konnte, eine andere Anzahl geplant und vorbereitet wird. Wir waren 
allerdings bereits vor Jahr und Tag zu der Überzeugung gekommen, daß genügend 


ZEITSCHR, f. 
458 VERSCHIEDENES. TUBERKULOSE 


Heilstätten vorhanden sind, aber es ist immerhin möglich, daß wir trotz aller Ab- 
wehr künftig durch die Verhältnisse, die der Krieg mit sich gebracht hat, wieder 
mit einer Zunahme — hoffentlich nur einer mäßigen! — der Tuberkulösen zu 
rechnen haben. Jedenfalls werden die vorhandenen Anstalten in immer steigerndem 
Maße von der Heeresverwaltung für die Behandlung lungenkranker Militärpersonen in 
Anspruch genommen. — Die Geldleistungen des Zentralkomitees bewegen sich in an- 
sehnlichen Höhen: die gesamten Einnahmen betrugen im Jahre 1915 über 631000 M. 
(einschl. eines Lotterieergebnisses von 125000 M.), die Ausgaben über 544000 M.) 

Herr Kirchner erwies an der Hand von lehrreichen Tafeln, daß die Tuber- 
kulosesterblichkeit, welche seit Jahren sich stetig verringert hatte, im Jahre 1914 
zum ersten Male wieder eine geringe Erhöhung zeigte: sie betrug 1913 auf 10000 
Lebende 13,65, im Jahre 1914 13,87. Nun war aber 1914 nur zu fünf Zwölf- 
teilen ein „Kriegsjahr“, die eigentlichen Schädigungen der Bevölkerung können sich 
erst später geltend gemacht haben, und die Ausbreitung der Tuberkulose kann in 
der Erhöhung der Sterbeziffer ja erst nach Jahr und Tag zum Ausdruck kommen. 
Über die Sterblichkeit im ersten vollen Kriegsjahre 1915 liegen Angaben noch nicht 
vor, Beweise für eine weitere Zunahme der Tuberkulose sind also nicht vorhanden, 
` lassen sich auch aus Beobachtungen nach früheren Kriegen nicht herleiten. Immer- 
hin muß die Knappheit an Nahrungsmitteln, zumal an Milch, Butter und Fleisch, 
als ernster Übelstand gerade bei der Bekämpfung der Tuberkulose dauernd im Auge 
behalten werden und deshalb ist es eine Hauptaufgabe, die Fürsorge immer 
weiter auszugestalten. Die größeren Städte haben sicherlich bereits sämtlich 
Fürsorgestellen, aber jeder Kreis, jede Gemeinde muß eine besitzen, die Zahl der 
Fürsorgerinnen muß beträchtlich vermehrt werden. Die Stadt Köln bildet in einer 
Wohlfahrtsschule solche Fürsorgerinnen aus, und der Staat wird darauf hinwirken 
müssen, solche Schulen überall anzustreben und zu fördern. Referent möchte 
glauben, daß die Lehrzeit in solchen „Schulen“ garnicht sehr ausgedehnt zu sein 
braucht und bei geschickter Einrichtung trotzdem die Fürsorgerinnen mit allen 
Zweigen der Fürsorge vertraut machen kann — mit der Fürsorge für Tuber- 
kulöse nicht bloß, sondern auch für Säuglinge, mit der Abwehr aller 
Ansteckungsgefahr, mit jeder sozialen Hilfe überhaupt. Die Tausende 
und Abertausende von Mädchen und Frauen aus allen Ständen haben seit Beginn 
dieses Krieges bis heute gezeigt, daß das möglich ist, und daß sie ziemlich rasch 
die besten Leistungen ohne zu lange Vorbereitung erzielen können. 

In unserem Heere dürfte eine größere Ausbreitung kaum angenommen werden, 
wenn auch freilich darüber bestimmte Anschauungen sich erst späterhin werden ge- 
winnen lassen. Und man wird dabei berücksichtigen müssen, daß das Heer sonst 
nur die: 20—23jährigen, jetzt aber die I9—45jährigen umfaßt, daß eine Anzahl 
Schwächerer als sonst — freilich nur im Besatzungs-, nicht im Feldheer — ein- 
gestellt ist, daß durch die militärztliche Fürsorge erst Tuberkulöse entdeckt wurden, 
die von einer Krankheit bisher garnichts gewußt haben. Von großem Interesse war 
die von Herrn Generalarzt Schultzen gemachte Angabe, daß sehr viele im Heere 
dienen, die früher in einer Lungenheilstätte gewesen, und daß ihnen der Dienst, 
worauf besonders geachtet wird, durchaus gut bekommt. 

Fürsorge, überall Fürsorge ist die Parole, wenn unser Volk die Schäden des 
unheilvollen Krieges überwinden und zu neuem Aufschwung nach dem Frieden 
fähig sein soll. In der Generalversammlung lag ein Antrag von Dohrn und Pannwitz 
vor, der die Wichtigkeit der Überwachung der Schulkinder hervorhob und deshalb 
ein Schularztgesetz verlangte, weil auch das flache Land dringend solcher Ver- 
sorgung bedarf. Herr Kirchner wies mit Recht darauf hin, daß derartige Ein- 
richtungen kein Gesetz erfordern, sondern Aufgabe der Verwaltung sind. 

Landsberger (Charlottenburg). 


BD. 25, HEFT 6, | | 
26, HEFT 6 VERSCHIEDENES, OS ë ëO 


Bericht über die Besprechung der Tuberkuloseärzte am Freitag den 19. Mai 
nachmittags im Kaiserin Friedrich-Hause, Berlin NW., Luisenplatz. 


1. Kriegsernährung in Lungenheilstätten. 


Berichterstatter: Dr. Schröder-Schömberg, 
Dr. Libawski-Landeshut. 


Schröder-Schömberg. — Nach kurzen Bemerkungen über die Pathologie des 
Stoffwechsels des Tuberkulösen bezeichnet Sch. als die Hauptaufgabe für die Ernährung 
des besserungsfähigen Lungentuberkulösen die reichliche Verabreichung von Eiweiß und 
Fett. Seine Tafeln zeigen in übersichtlicher Weise, wie das Friedenskostmaß von 150 bis 
180g E., 200—250 g F. und 500—550 g K.H. zurückgegangen ist, ebenso die 
Kalorienmenge, die für den einzelnen Kranken zur Verfügung steht. Es ging die Ge- 
wichtszunahme um etwa 50°/, gegenüber der früheren zurück. Als Mindestkostmaß 
für die jetzige Zeit für den in der Ernährung herabgekommenen, noch besserungs- 
fähigen Tuberkulösen bezeichnet Sch. 120 g E, ı25g F., 500g K.H., im ganzen 
3704 Kalorien. Er gewann den Eindruck, daß, im Gegensatz zu der Verminderung 
der Gewichtszunahmen, die Heilerfolge nicht schlechter wurden. Nur die fiebern- 
den Tuberkulösen zeigten eine verminderte Neigung zur Abfieberung. 

Von größter Wichtigkeit ist unter den gegenwärtigen Verhältnissen die Technik 
des Küchenbetriebes. Auch auf die Bedeutung des Kauaktes ist hinzuweisen. Mit 
künstlichen Ernährungsmitteln soll Zurückhaltung geübt werden. 

Libawski-Landeshut berichtet in seinen Mitteilungen eingehend über die 
praktische Seite der Ernährungsfrage. Vor allem muß Sparsamkeit geübt werden. 
Die Abfälle müssen ganz gering werden. Von der Regierung wird die. Entbindung 
von der Einhaltung fleischfreier Tage für die Heilstätten gefordert. Die Kochkunst 
ist- entscheidend wichtig. Auf die Bedeutung des Schlachtblutes, der Gelatine, der 
Leguminosen und des Fischeiweißes wird hingewiesen. Milch wird als Trockenmilch 
empfohlen. Das Fett kann teilweise durch K.H. ersetzt werden. 

Das Gesamturteil des Redners geht dahin, daß ein eigentlicher Notstand für 
die Heilstätten zurzeit noch nicht vorliegt. Es werden behördliche Maßnahmen ge- 
fordert, die es ermöglichen sollen, dem Tuberkulösen !/,—?/, der Friedensmenge 
an Eiweiß und Fett zu geben. 

Wolff-Reiboldsgrün. In den Anstalten W.s sind bei 1200 g Fleisch in der 
Woche (2 fleischfreien Tagen) die Zunahmen fast dieselben geblieben wie früher. 
Die jetzige Zeit gibt eine Lehre in der Frage der vielfach noch herrschenden Über- 
ernährung der Tuberkulösen. 


Silberstein-Blankenhain. Angesichts der Tatsache, daß die Heilerfolge die _. 


gleichen geblieben sind, wird eine Sammelforschung angeregt. 

Carl Mayer-Berlin weist auf die Bedeutung der wildwachsenden Gemüse . 
hin. Dabei wird in dankenswerter Weise ein farbiger Abdruck einer Tafel verteilt. 
(Verlag von J. Jakoby, Berlin NW., Bachstraße 2). 

Freymuth-Berlin betont die Wichtigkeit eigener Tierzucht (Hühner und 
Schweine) für die Heilstätten. 

Gebser-Carolagrün berichtet über die. Erfahrungen aus seiner Anstalt, die 
eine vertrauensvolle Auffassung der Lage gestatten. 

‘ Bärwald-Berlin. Die Untersuchungen Hornemanns über den Verlauf 
künstlicher Ansteckungsversuche bei Tieren mit und ohne Eiweißfütterung weisen 
auf die Bedeutung einer genügenden Eiweißmenge hin. 

Hauser-Karlsruhe berichtet über die badischen Verhältnisse. 

Starkloff-Müllrose bringt persönliche Erfahrungen. 

Weger-Dresden wünscht eine unterschiedsiose Behandlung der verschiedenen 
Gegenden, eine gleichmäßige Versorgung aller Anstalten. 

Neynaber-Braunschweig regt an, daß die Versammlung eine bestimmte 
Eiweißmenge als notwendig für den Tuberkulösen erklären möge. 


ZEITSCHR, f. 
460 VERSCHIEDENES, TUBERKULOSE 


Liebe-Waldhof-Elgershausen klagt über die ungleichmäßige Verteilung der 
Ernährungsmittel. Die Kleinstaaterei, die auf diesem Gebiete herrsche, schildert er 
in erfrischenden Worten. 

Harms-Mannheim wünscht eine Bevorzugung der fiebernden Kranken in der 
Eiweißkost, während die Durchschnittskranken wie die Gesunden gehalten werden sollen. 

Schröder-Schömberg (Schlußwort), regt an, von einer Zentralstelle aus ein- 
heitliche Normen festzusetzen. 

In einem Nachworte beklagt der Vorsitzende Kirchner-Berlin die Ver- 
schiedenheit der geforderten Kostmaße. 


2. Was können die Fürsorgestellen während der Kriegszeit zur Unterstützung 
der Ernährung der Tuberkulösen tun? 
Berichterstatter: Dr. Ranke-München, 
Med.-Rat Dr. Lembke- Duisburg. 


Ranke-München bemängelt die Forderungen Schröders als zu hoch. Die 
vorhandenen Fleischmengen genügen. Neben Fleisch, Fett und Kohlehydraten sind 
auch Salze und gewisse andere Körper von Bedeutung. Die grünen Gemüse haben 
jetzt erhöhte Wichtigkeit. Die vegetarische Küche ist schwierig. Der Berichterstatter 
fordert die Einrichtung von Musterküchen und Suppenküchen und von Zentralen 
für die Abgabe von vegetarischer Nahrung. Der Leitsatz seiner Ausführungen ist: 
Wir kommen aus, wir müssen aber sorgsam mitarbeiten, damit wir auskommen. 

Lembke-Duisburg geht näher auf die wirtschaftliche Lage tuberkulöser Fa- 
milien ein. Seine Forderungen sind: Überweisung der schwerkranken Tuberkulösen 
in Anstalten, Belehrung der Hausfrauen, bessere Auswahl und Ausnutzung der 
Lebensmittel (Sojabohne, Magermilch, Magerkäse), Freitische für arme Kinder in 
begüterten Familien, endlich Kriegsküchen als sicherstes Mittel zur Verhütung der 
Unterernährung des Volkes, sogar Zentralküchen. 

Petruschky- Danzig beklagt die gewerbliche Herstellung von Malzkaffee. 
Statt des Malzkaffees sollen Suppen gegeben werden. Eine Empfehlung des Tu- 
berkulins als Unterstützungsmittel der Tuberkulosebehandlung schließt seine Aus- 
führungen (albumosefreies T. oder Rosenbach oder ein Linement). 

Pütter-Berlin betont die Wichtigkeit die der Erziehung der Familien zur 
Anpassung an die Zeitverhältnisse zukommt. 

Harms-Mannheim berührt die Frage der Übernahme Kriegsbeschädigter 
durch die Fürsorgestellen. 

Helm-Berlin macht einige Mitteilungen über die bevorstehende Neuregelung 
der Bestimmungen über die Kriegsbeschädigtenfürsorge. 

Wolff-Reiboldsgrün als stellvertretender Vorsitzender spricht das Schlußwort. 
Seine Ausführungen sind von dem festen Vertrauen getragen, daß auch das Tuber- 
kulosewerk trotz aller Gefährdungen die ihm durch das unmenschliche Verfahren 
unserer Feinde drohen, zum Segen des Volkes, wenn auch unter Schwierigkeiten, 
durchgehalten wird. H. Grau (Heilstätte Rheinland-Honnef) 


Die Einweihung des Robert Koch-Denkmals in Berlin fand am 27. Mai, dem 
6. Todestage des großen Meisters statt. Das Denkmal aus weißem Marmor erhebt 
sich auf dem Luisenplatz gegenüber dem Kaiserin Friedrich-Haus für das ärztliche 
Fortbildungswesen, es ist eine Schöpfung des Bildhauers Tuaillon und stellt Koch 
in einer Art Talar in’ sitzender Stellung dar. Der Sockel trägt auf den verschiedenen 
Seiten folgende Inschriften: „Dem siegreichen Führer im Kampfe gegen Seuche und 
Tod“, „Dem bahnbrechenden Erforscher der Krankheitserreger‘“ und den Ausspruch 
Robert Kochs: „Ich wünsche, daß im Kriege gegen die kleinsten, aber gefähr- 
lichsten Feinde des Menschengeschlechts eine Nation die andere immer überflügeln 
möge“. Die Mitherausgeber der Zeitschrift f. Tuberkulose Kirchner und Gaffky 
hielten Ansprache und Gedächtnisrede, 


BD. 25, HEFT 6. | 
1916. VERSCHIEDENES. 46 I 


Against tuberculosis in Paris. (The Lancet, 22. IV. 1916, p. 880.) , 
Die Schriftleitung berichtet in einem Briefe ihres Korrespondenten aus Paris, 
daß sich dort ein „Comité Central d’Assistance aux Militaires Tuberculeux“ gebildet 
hat, mit der Absicht aus Gründen der Menschlichkeit wie der öffentlichen Gesund- 
heit den Soldaten beizustehen, die seit dem Kriegsbeginn wegen Tuberkulose dienst- 
unbrauchbar wurden. Die Tätigkeit der Vereinigung soll sich über das ganze Land 
erstrecken, im Zusammenwirken mit örtlichen Ausschüssen, die von ihr Anweisungen 
und Anregungen erhalten. In Frankreich steht die Tuberkulose ganz obenan in 
der allgemeinen Sterblichkeit. Es ist dringend notwendig, die öffentliche Aufmerk- 
samkeit darauf zu lenken und schlummernde Kräfte zu wecken, um die Tuberku- 
lose zu verhüten und zu beseitigen. Alle Klassen der Bevölkerung müssen über 
das Wesen und die Bedeutung der Tuberkulose soweit unterrichtet werden, daß sie 
bei ihrer Bekämpfung mitwirken. Das sind Worte, die wir in Deutschland bereits vor 
Jahrzehnten gehört, aber auch seit Jahrzehnten befolgt haben, mit dem Erfolge einer Ver- 
minderung der Tuberkulose als Volkskrankheit bis über die Hälfte. In Frankreich ist 
man mit Phrasen stets an der Spitze der Menschheit gewesen; wir Barbaren sind aber 
doch die bessern Menschen, wo es den wirklichen Fortschritt gilt! Meißen (Essen). 


Tuberculosis in the army. (The Lancet, r1. III. 1916, p. 595.) 

Im Unterhaus fragte Anderson, wieviele von den im Jahre 1915 wegen 
Tuberkulose als dienstunbrauchbar aus dem Heer entlassenen 2770 Leuten eine 
staatliche Rente zuerkannt bekommen hätten. Der Unterstaatssekretär Tennant 
antwortete, daß 1641 eine Rente bewilligt worden sei; die Ansprüche der 1129 
anderen Leute wurden abgeschlagen. Wir erfahren hier bestimmte Zahlen, die sich 
später vielleicht einmal mit den unsrigen vergleichen lassen. Die Nichtbewilligung 
einer Rente in etwa zwei Fünfteln sämtlicher Fälle erscheint nach unserem Begriff 
hart. Vielleicht erwiesen sich allerdings viele Leute schon bald nach dem Eintritt 
als tuberkulös und wurden deshalb zeitig entlassen. Meißen (Essen). 


The tuberculosis order 1914. (The Lancet, ır. III. 1916, p. 596.) 

Hogge fragte im Unterhaus, ob die 1914 erlassenen Bestimmungen zur Be- 
kämpfung der Tuberkulose in Schottland (Tuberculosis Order) während des Krieges 
nicht durchgeführt werden sollten, wie er vernommen habe; welche anderen Schritte 
in Aussicht genommen seien oder ob man die Bestimmungen nicht wenigstens in 
anderer Form durchführen könne. Acland vom Landeskultur-Ministerium (Board 
of Agriculture) antwortete, daß die Bestimmungen in der Tat bis nach dem Krieg 
ruhen sollten; nur die Stadt Edinburgh habe sich dagegen gewandt; Abänderungen 
der Bestimmungen seien nicht möglich. Es scheint, daß wir „Hunnen“ auf diesem 
Gebiete doch weitherziger sind, da wir einen Stillstand der Bekämpfung der Tuber- 
kulose auch in der Kriegszeit nicht dulden! Meißen (Essen). 
Soldiers and tuberculosis. (The Lancet, 18. III. 1916, p. 650.) 

Im Unterhaus fragte Partington, ob Leute, die sich im aktiven Dienste 
Tuberkulose zugezogen haben, keine gesetzlichen Ansprüche auf eine Rente hätten. 
Der Unterstaatssekretir Tennant erwiderte, daß das doch der Fall sei, und daß 
gegenteilige Angaben unrichtig seien. Von 87 Leuten, die im Januar 1916 wegen 
Tuberkulose, die sie in Frankreich bekamen, entlassen wurden, ist 70 eine Rente zu 
. Kriegssätzen zugebilligt worden, 9 sollen sie noch bekommen und 8 sind noch nicht 
entschieden. Booth fragt weiter, ob nicht Hunderte von solchen Fällen Ansprüche auf 
Grund des Versicherungsgesetzes (Insurance Act) machen würden. Tennant verneinte 
das: Wenn man den Januar 1916 als Durchschnitt nehme, so würden von 87 Leuten 79 
Rente vom Kriegsamt bekommen. Die Zahlen scheinen nicht ganz übereinzustimmen 
mit denen einer anderen Anfrage, die hier besprochen wurde. Meißen (Essen). 


Tuberculous soldiers and national insurance. (Brit. Med. Journ., 1.IV. 1916, p. 497; 
The Lancet, r. III. 1916, p. 754.) 
Auf eine Anfrage von Major Astor am 22. III. 1916 antwortete Tennant, 


‘ 


ZEITSCHR. f. 
462 VERSCHIEDENES. ER 


daß die Zahl der wegen Lungentuberkulose auf Kosten der Heeresverwaltung in 
Krankenhäusern des Vereinigten Königreichs behandelten Leute am 29. II. 1916 
zusammen 632 betrug. Aus dieser Angabe wird nicht klar, wie die Schriftleitung 
hinzufügt, welche Leute nur an irgendwie erworbener Lungentuberkulose und welche 
an dieser Krankheit und an Wunden oder sonstigen im Krieg entstandenen Stö- 
rungen litten. Auf eine zweite Anfrage Astors am selben Tage antwortete der 
Vertreter der vereinigten Versicherungsämter, daß etwa 2000 tuberkulöse Soldaten 
seit den Abmachungen vom April 1915 den verschiedenen Ausschüssen gemeldet 
und in Behandlung genommen seien. Diese Abmachungen bezogen sich auf Kranken- 
hausbehandlung der wegen Tuberkulose entlassenen Leute. Außerdem aber sei be- 
kannt, daß eine große Zahl Leute, die bei oder nach ihrer Entlassung Anspruch auf 
das Sanatorium Benefit hatten, sich unmittelbar an die örtlichen Ausschüsse gewandt 
und auch Behandlung gefunden hätten. Die genaue Zahl dieser Fälle könnte nicht ange 
geben werden ohne Umfrage bei allen Ausschüssen im Vereinigten Königreich. Es ist 
hiernach schwer zu sagen, ob die Zahl der Kriegstuberkulösen in England groß ist. Das 
wird allerdings überall, auch bei uns, einstweilen kaum möglich sein. Meißen (Essen). 


Sanatorium Benefit in Devonshire. (Brit. Med. Journ., 22. IV. 1916, Supplement, p. 69.) 
Der Versicherungsausschuß der Grafschaft Devon (County of Devon) hat einen 
Bericht über die Zubilligung des „Sanatorium Benefit“ in seinem Bezirk bis Ende 
Dezember 1915 herausgegeben. Es wurden bis da 630 Fälle von Tuberkulose in 
Behandlung genommen, von denen 244 Besserung, ıgı Stillstand erreichten, und 
175 starben. Die Zahl der schweren Fälle, die hiernach sehr groß gewesen sein 
muß, war im Anfang, wo nur die Kränksten Hilfe suchten, viel größer als später: 
Vom ersten Hundert erreichten 31 Besserung, 20 Stillstand und 44 starben, vom 
sechsten Hundert aber erreichten 44 Besserung, 45 Stillstand und nur 6 starben. 
Die Besprechung des Berichts weist mit Recht darauf hin, daß eine solche Statistik 
nur ein sehr ungenaues, ja falsches Bild der Verhältnisse geben kann, besonders 
weil unter der Rubrik Stillstand auch die Fälle einbegriffen sind, die noch in Be- 
handlung stehen oder rückfällig wurden, oder keine Besserung, gar Verschlechterung 
zeigten! Unter „Besserung“ wird dann mancher Fall untergebracht sein, der sich 
zeitweilig etwas erholte. Eine derartige Statistik ist allerdings wertlos und in keiner 
Weise geeignet ein Urteil über die Leistungen des Gesetzes zugunsten der Tuber- 
kulösen zu ermöglichen. Meißen (Essen). 


Home and dispensary treatment of tuberculosis. (Brit. Med. Journ., 22. IV. 1916, 
Supplement, p. 70.) 

Man ist in England noch nicht einig, ob der weite Begriff des „Sanatorium 
Benefit“ besser im Wortsinn durch Heilstättenbehandlung oder durch Behandlung 
im: eigenen Heim und von den Fürsorgestellen aus erfüllt wird. H.A. Ellis, Tu- 
berkulosearzt für den Versicherungsausschuß von Middlesborough meint zunächst, 
daß die Anzeigepflicht für die beginnende Tuberkulose noch lange nicht genügend 
durchgeführt werde. Diese sei aber das eigentliche Gebiet für eine erfolgreiche Be- 
handlung. Wenn man sich auf sie beschränke, erreiche man mit wenig Geld durch 
häusliche Behandlung und die Fürsorgestellen sehr viel Gutes. Man spare dann 
das Geld für die Versorgung der Schwerkranken, die eine reine Geldfrage sei. An 
diesem Gedankengang ist viel Richtiges. Auch bei uns könnte die Behandlung der 
leichten, beginnenden Fälle weit billiger und zudem besser gestaltet werden als es 
bisher geschieht, und es bliebe dann mehr Geld für die Schwerkranken, die doch 
an sich hilfebedürftiger sind und zugleich die eigentliche Gefahr der Infektion vor- 
stellen. Meißen (Essen). 
A new method of auscultation for the early diagnosis of phthisis. (The Lancet, 

18. III. 1916, p. 634.) 

In einem Bericht aus Paris wird eine neue Methode der Auskultation zur 

frühen Erkennung der Lungentuberkulose erwähnt, die Clover am Höpital Beaujon 


BD, 25, HEFT 6. 
rn VERSCHIEDENES. 463 - 


vorführte. Die Methode soll die geringsten Veränderungen der regelrechten Resonanz, 
sei es daß sie auf Verdichtung des Lungengewebes durch Tuberkulose und andere 
Krankheiten oder auf Verwundungen zurückgehen, mit Sicherheit angeben. : Der 
Apparat Clovers gibt gleichzeitig zwei verschiedene Schalleindrücke, die gemessen 
werden können, und von denen der eine als Kontrolle dient. Um welches Ver- 
' fahren es sich handelt, worauf es beruht, ist aus der kurzen Anführung nicht er- 
sichtlich. Wichtig erscheint, daß es’ sich um objektives Verfahren handelt oder 
handeln soll: Unsere sog. physikalische Untersuchung, die Perkussion und Auskul- 
tation, enthält soviel subjektive Momente, daß sie ihren Namen garnicht recht ver- 
dient. Vielleicht hat Clover eine bessere Methode gefunden, die freilich einen 
besonderen Apparat erfordert, also recht umständlich sein muß. Meißen (Essen). 


Antituberculosis work in Lucknow (India). (The Lancet, 4. III. 1915, p. 530.) 
Einige Angaben über die Bestrebungen zur Bekämpfung der Tuberkulose in 
Lucknow (Ostindien). Das gute Werk knüpft sich an den Namen des Militärarztes 
C. A.Sprawson in Lucknow, der ihm auf der Grundlage eines Tuberculosis Hospital 
und der Lucknow Antituberculosis League Form und Richtung gab. Das Kranken- 
haus ist einstweilen bescheiden, man hofft aber es an das King Georges Hospital 
anzuschließen und dadurch zu verbessern. Es werden Kranke vorzugsweise ambu- 
lant behandelt und belehrt durch mündliche Unterweisung und durch Merkblätter. 
Die aufgenommenen Patienten sind meist vorgeschrittene, aussichtlose Fälle, die 
man aber nicht abweist, um die Gefahr für die Angehörigen zu vermindern. Der 
Verein hat sich im Februar 1914 gebildet, auf Sprawsons Anregung und Be- 
mühung. Um die öffentliche Teilnahme und Unterstützung zu gewinnen, wurden von 
Sprawson und den Ärzten der Stadt Vorträge mit Lichtbildern gehalten, zum Teil 
in den Schulen und sogar in Privathäusern. Man hofft auf diese Weise die Be- 
teiligung allgemeiner zu machen und ähnliche Vereine auch in anderen Städten des 
Landes ins Leben zu rufen. Diese würden untereinander in Verbindung stehen 
und sich allmählich über ganz Indien ausdehnen. Meißen (Essen). 


Tuberculosis in India. (The Lancet, 29. IV. 1916, p. 930.) 

Dr. Arthur Lankester, der mit der Erforschung der Ursachen und der 
Verbreitung der Tuberkulose in Indien, einschl. Burma, beauftragt war, sagte in 
einem kürzlich am Rangoon College zu Kalkutta, daß die Zahl der jährlichen Opfer 
dieser Volksseuche in Indien der Bevölkerung von Kalkutta (bereits 1901 über eine 
Million) gleichkäme. In Kalkutta selbst verursacht sie eine rasch ansteigende Sterb- 
lichkeit. Die großen Handelsstädte und die Wallfahrtsorte (pilgrim centres), be- 
sonders im nördlichen Indien, sind die Hauptherde der Krankheit. Die indischen 
Häuser mit ihren dicken Mauern und Dächern und ihren kleinen und wenigen 
Fenstern haben sehr schlechte Lüftung und sind wahre Brutkammern für den Tu- 
berkelpilz. Die Wohnungen, vielfach auch die Schulräume und die Kontore sind 
überfüllt, die Frauen werden abgeschlossen und leben fast nur im engen Haus, so 
daß gerade unter ihnen die Tuberkulose ungewöhnlich häufig ist, und sich von ihnen 
auf die Kinder überträgt. Die jungen Mädchen, die mehr an ein Freiluftleben ge- 
wöhnt waren, fallen dem Feinde in der früh geschlossenen Ehe rasch zur Beute. 
Sollen Fortschritte erreicht werden, so ist der Nachdruck auf die kräftige Durch- 
führung hygienischer Grundsätze zu legen, zumal bei der weiblichen Bevölkerung. 
Das ist aber schwer zu erreichen. Meißen (Essen). 


Personalien. | 
| Dr. Georg Liebe, Leiter der Heilstätte Waldhof-Elgershausen, wurde zum 
Sanitätsrat ernannt. 
Stabsarzt Prof. Dr. Köhler-Holsterhausen, z. Zt. Chefarzt des Reservelazaretts 
Mühlhausen im Vogtland, wurde das sächsische Kriegsverdienstkreuz am weiß-grünen 


Bande verliehen. 
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Band 25. Heft 6. 


ZEITSCHRIFT FÜR TUBERKULOSE. 


Beilage für Heilstätten und Wohlfahrtseinriehtungen. 


INHALT: Der Stand der Tuberkulosebekämpfung in den Niederlanden Anfang 1915. Von 
Arzt C. Dekker, Sekretär-Schatzmeister der Niederländischen zentralen Vereinigung gegen die Tuber- 
kulose. Hierzu eine Figur. 464. 


Der Stand 
der Tuberkulosebekämpfung in den Niederlanden Anfang 1915.. 


Von 


Arzt C. Dekker, 
© Sekretär-Schatzmeister der Niederländischen zentralen Vereinigung gegen die Tuberkulose. 


Hierzu eine Figur. 


er Kampf gegen die Tuberkulose konnte im ersten Jahre des europäischen 

Ze Krieges fortgesetzt werden, wenn sich auch, und besonders in den ersten 
MEZA Monaten die gewaltige Erschütterung der ökonomischen Verhältnisse be- 
===) merkbar machte und die finanzielle Unsicherheit zum Teil die Arbeit lähmte. 

Die erfreuliche Nachricht, daß die Unterstützung des Staates völlig bewilligt 
wurde, hob den Mut der Vereinigungen, und die Warnung Seiner Exzellenz des 
Ministers des Innern, daß vielleicht für Igı5 nicht derselbe Betrag verliehen werden 
könne, stimmte zur Vorsicht, aber war nicht imstande, das Zutrauen dazu zu er- 
schüttern, daß die Unterstützung des Staates so groß wie möglich sein werde, da 
ja seitens der Regierung immer so warmes Interesse für die Tuberkulosebekämpfung 
an den Tag gelegt worden war. | 

Auch meinte man darauf rechnen zu können, daß die Hilfe von privater Seite 
nicht ausbleiben würde, da sie jetzt doppelt nötig geworden sei. 

Als eine große Störung infolge der gewaltigen Ereignisse um uns herum war 
die Aufhebung der internationalen Konferenz zu betrachten, und an dieser Stelle 
sei der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß sobald die Umstände es erlauben, diese 
hoch geschätzten und lehrreichen Zusammenkünfte wieder zu neuem Leben auf- 
erstehen werden mögen. Die Bitte des verstorbenen Stifters der Norwegischen 
Zentralvereinigung, Klaus Hansen, auch an den Vorsitzenden unserer Vereinigung 
gerichtet, um dafür sorgen zu wollen, daß die kleinen neutralen Staaten nach dem 
Kriege energische Bestrebungen machen möchten, die internationale Tuberkulose- 
bekämpfung fortzusetzen, wird nicht vergessen werden. 

Selbstverständlich stand die propagandistische Arbeit, insofern sie durch Ver- 
breitung von kleinen Schriften, Wandtafeln u. dgl., Vorträgen mit Lichtbildern und. 
Ausstellung des Tuberkulosemuseums stattfindet, bis ungefähr Neujahr ganz stille. 
Die Gedanken der Menschen waren von anderen Dingen in Anspruch genommen, 
und dann war durch die Mobilmachung der Verkehr sehr beschränkt. Die Aus- 
gabe der Zeitschrift „Tuberculose“ wurde fortgesetzt. 

Am Ende des Jahres war eine Besserung festzustellen, und es traten sogar 
einige neu errichtete Vereinigungen der zentralen Vereinigung bei. 

In den Monaten unfreiwilliger Ruhe meinte die Zentralvereinigung dadurch 
nützliche Arbeit zu tun, daß sie den Mobilgemachten, die gezwungen waren, in ganz 
außerordentlichen Verhältnissen zu leben, auf dem Gebiete der allgemeinen Hygiene 
und der Tuberkulose und deren Bekämpfung, Belehrung angedeihen ließ. 

Nach Verständigung mit dem Oberbefehlshaber von Heer und Flotte wurden 
Flugblätter in großer Menge unter die Soldaten verbreitet, kleine Schriften und 


BD. 25, HEFT6. C, DEKKER, STAND DER TUBERKULOSEBEKÄMPFUNG USW. 465 


Winke in alle Räume, wo 'sie untergebracht waren, niedergelegt und auf Wunsch 
'belehrende Vorträge abgehalten. 

Auf ganz andere Weise konnte die Vereinigung sich nützlich machen, als uns‘ 
im Oktober eine Bitte des Vorsitzenden der Abteilung „Antwerpen“ der Belgischen 
Ligue gegen die Tuberkulose erreichte, um 190 tuberkulöse Kinder aus dem See- 
hospiz „Wenduyne‘“ in niederländische Kindersanatorien unterzubringen. Glück- 
licherweise konnte nach einigen Tagen berichtet werden. daß die gewünschten Plätze 
für alle Kinder zur Verfügung seien. 

Die ernste Zeit brachte nicht nur für die Zentrale Vereinigung Schwierigkeiten 
mit, sondern auch für ihre Unterabteilungen. Viele Jahresberichte von ihr sprechen 


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Tuberkulosesterblichkeit in den Niederlanden pro 10000 Einwohner in den Jahren 1901—1914. 


von verminderten Einnahmen, von Abnahme der Zahl der Besucher der Fürsorge- 
stellen, die in einigen Städten sogar bis auf die Hälfte der normalen zurückging. 
Demgegenüber stand eine Zunahme der Ausgaben wegen Hilfeleistung in 
Flüchtlings- und Internierungslagern und ferner in den vielen Familien, wo die Not so 
sehr viel größer wegen der Arbeitsiosigkeit und Teuerung der Lebensmittel als sonst war. 
| Die Sanatorien für Erwachsene und Kinder erlebten beim Anfang des Krieges 
einen wahren Exodus. Die Unruhe und Angst bei den Kranken und ihren Ver- 
wandten verursachte ein Freimachen. der Betten bis 50°/ und mehr. Sehr all- 
mählich trat die Rückkehr der Kranken wieder ein, so daß am Ende des Jahres 
ungefähr die normale Belegung erreicht war. | 
Zeitschr. f. Tuberkulose. 25. 30 


466 C. DEKKER. TUBERKULOSE 

Im ganzen konnte festgestellt werden, daß der Einfluß der weltgeschichtlichen 

Ereignisse vorübergehender Art gewesen war, und im Jahre 1915 die Arbeit unter 
ziemlich guten Auspizien fortgesetzt werden konnte. 

Aus dem graphischen Bild (S. 465) erhellt, daß eine Zunahme der Tuber- 
kulosesterblichkeit nicht beobachtet wurde. 

Die Arbeitsweise der Zentralen Vereinigung wurde 1914 nicht geändert. Der 
Nachlebung einer rationellen Bekämpfung der Tuberkulose als Volksseuche wurde 
weiter nachgestrebt durch genaue Ausführung von Maßnahmen prophylaktischer Art, 
Förderung einer hygienischen Lebensweise in den Familien von Tuberkulösen und 
Sorge für die infolge der Infektion Erkrankten. 

Die Meinung, daB vor allem Kinder-Infektion vorgebeugt werden müsse, findet 
mehr und mehr Anerkennung, und in dieser Richtung wurde vor allem durch Aus- 
breitung und Vervollkommnung des Hausbesuchs-Dienstes fortgearbeitet, um die 
Infektionsmöglichkeit in den Familien einzuschränken und die Lebensverhältnisse von 
bedrohten Kindern zu bessern. 

Zu diesem Zwecke wurde mit der Ausbildung gut unterrichteter Hausbesu- 
cherinnen in regelmäßigen theoretischen und praktischen Kursen fortgefahren, die 
für Krankenschwestern 6, für private Personen 9 Monate dauern. Eine wichtige 
Maßnahme wurde auf Anregung der Zentralvereinigung eingeführt, wodurch die 
Kontrolle über die Arbeit der Hausbesucherinnen den Angestellten der Provinzialen 
Vereinigungen gegen die Tuberkulose übertragen wurde, Personen, die selbst Haus- 
besucherinnen sind und ein fortgesetztes Studium durchgemacht haben und auch 
bei der praktischen Ausbildung der Krankenschwestern an ihren Standorten Hilfe 
leisten. Durch diese Maßnahme ist es möglich, alljährlich eine auf einheitlichen 
Angaben beruhende Übersicht der Erfolge des Hausbesuchs zusammenzustellen, 
und es wird eine richtige Ausführung des überaus wichtigen prolongierten Haus- 
besuchs, zum Schutze der Kinder, gesichert. 

Die Zahl der an die Zentrale Vereinigung angeschlossenen Vereinigungen, 
unter ihnen die provinzialen und örtlichen Vereinigungen, welche die Bekämpfung 
der Tuberkulose ausführen in der von der Regierung nach Überlegung mit der 
Zentralen Vereinigung festgestellten Richtung, und ferner der Sanatorien für die 
Erwachsenen und Kinder, welche die Subvention des Reiches genießen, stieg in 
I9gI4 von 199 auf 220. Hierunter waren 40 Vereinigungen, die eine Fürsorge- 
stelle besitzen, | 

Im ganzen Lande wurde Hausbesuch in 12400 Familien abgelegt, eine Zahl, 
die gewiß noch zu klein ist, aber doch als beträchtlich anzusehen ist, wenn man 
ins Auge faßt, daß in dem Jahre ı914 die Zahl der an Tuberkulose Verstorbenen 
8875 betrug und daß Meldepflicht nicht besteht. 

Aus den Angaben der medizinischen Angestellten der Zentralen Vereinigung, 
die aut Wunsch der Regierung mit der Kontrolle aller deren Vereinigungen beauf- 
tragt sind, die die Unterstützung des Staates zur Bekämpfung der Tuberkulose ge- 
nießen, erhellt, daß ein gut ausgeführter Hausbesuchsdienst imstande ist, große 
Besserungen zu erzielen, sowohl in der Isolierung der Kranken in der eigenen 
Wohnung, wie auch in der Hebung der Lebensverhältnisse auf hygienischem Gebiet 
in ihren Familien. 

Behufs dieser Kontrolle wurden 761 Familien in allen Teilen des Landes be- 
sucht, wobei festgestellt werden konnte, daß 534 oder 70°/, der Kranken Sputum 
aushusteten, wovon in 324 Fällen Isolierung in abgesonderten Wohnräumen erreicht 
wurde; daß in 250 Fällen der Kranke in demselben Zimmer schlief mit anderen, 
doch in einer eigenen Schlafstelle und daß in 193 Fällen das Bett mit anderen ge- 
teilt wurde. | 

In 551 Fällen wurden durchlaufend geöffnete Fenster gefunden; in 516 waren 
die Fußboden von abwaschbarem Material. 

Von 2930 Kindern in diesen Familien konnten 2392 als augenscheinlich 


BD, 25, REFT6. DER STAND DER TUBERKULOSEBEKÄMPFUNG USW. _ 467 


gesund festgestellt werden; 321 als tuberkuloseverdächtig, während 217 verstor- 
ben waren. 

Von 1729 Kindern schliefen 599 mit den Kranken in demselben Zimmer, 
in anderen Räumen 1130. 

Hausbesuch wurde ein oder meer Mal pro Woche gemacht in 328 Familien, 
zwei- oder. dreimal pro Monat in 179 Familien, einmal pro Monat in 146 Familien. — 
Fortgesetzter Hausbesuch, zur dauernden Überwachung von Familien, wo Tuberkulose 
vorgekommen war, wurde in 72 Familien aller zwei oder drei Monate ausgeübt. 

Weiter konnte festgestellt werden, daß in 508 Fällen die prophylaktischen 
Maßnahmen gut bekannt waren, in 189 Fällen mäßig und in 30 Fällen fast nicht. 

Behufs der ganzen Zahl von diesen 761 kontrollierten Familien waren von 
den Vereinigungen mit Subvention des Reiches ọr Wohnungsverbesserungen aus- 
geführt; für 103 Familien war durch Übersiedlung in eine bessere Wohnung Hilfe 
geleistet; 60 Familien war es durch Mietezusteuer möglich gemacht, bei Verschlech- 
terung der ökonomischen Verhältnisse in einer guten Wohnung zu bleiben. 

Wo die mit der Kontrolle beauftragten Ärzte der Zentralen Vereinigung in 
diesen willkürlich auserlesenen Familien diese Tatsache feststellen konnten, besteht 
keine Veranlassung anzunehmen, daß in den Familien, welche nicht besucht wurden, 
der Sachverhalt anders sein würde. Deshalb kann angenommen werden, daß auch 
die Angaben der Vereinigungen, daß im ganzen bei 12400 Familien gı8mal Besse- 
rung der Wohnungsverhältnisse und 3447mal Desinfektion stattfand, mit dem reellen 
Zustand im Einklang sind. 

In bezug auf die Behandlung konnte festgestellt werden, daß durch die Ver- 
einigungen 472 Kranke in Sanatorien geschickt wurden, daß in Liegehallen (Tages- 
sanatorien) und Liegezelten 1097 Kranke verpfiegt wurden und 675 Kinder in 
Ferienkolonien und Erholungsstätten befördert wurden. 

Die Zahl der Sanatorien für Erwachsene und für Kinder, die der Zentralen 
Vereinigung angegliedert sind, wurde nicht verändert. Es kommen vor 7 Sanatorien 
für Erwachsene mit + 700 Betten und 4 Sanatorien für Kinder mit + 275 Betten. 
In den ersten, wozu das Niederländische Sanatorium in Davos mitgerechnet ist, 
wurden 1654 Kranke verpflegt, in den letzten 697. 

Insofern aus den Angaben dieser Anstalten festgestellt werden konnte, waren 
bei der Aufnahme von 884 Kranken in Stadium I 116, in Stadium II 171, in Sta- 
dium III 597. 

Für das Niederländische Sanatorium in Davos-Platz waren diese Zahlen Q, 
2I und 18, 

Die große Zahl der Kranken im III. Stadium wird zum Teil erklärt durch 
die Aufnahme von solchen Kranken in eine besondere Abteilung des Sanatoriums 
Hellendoorn und in einige andere Sanatorien. 

Von 597 Kranken, welche Tuberkelbazillen im Sputum aufwiesen, verloren 
136 oder durchschnittlich 22,3°/, die Bazillen während der Verpflegung. 

Zunahme des Körpergewichts wurde in 85°/, der Fälle konstatiert; sie betrug 
durchschnittlich 6,5 kg. 


Der Kurerfolg war in 215 Fällen im I. Stadium positiv, in 8 Fällen negativ ` 
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” „ 2? „ 2 7 4 ” „ ITI. 29 ” „ I 55 39 3? 


Für alle Stadien zusammen war der Erfolg in 79,7°/, der Fälle positiv. 

Die durchschnittliche Verpflegungsdauer war 145 Tage; die Verpflegungskosten 
pro Tag uud pro Person ungefähr fi 2,— oder + 3,50 M. 

Von den 697 in Seehospizen und Kindersanatorien verpflegten Kindern (320 
Knaben und 377 Mädchen) zeigten einen positiven Erfolg der Behandlung 85°/, 
bei einer Verpflegungsdauer von 128 Tagen. Die Kosten pro Tag und pro Person 
waren ungefähr fi 1,65 oder + 2,75 M. 


30* 


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468 C. DEKKER, STAND DER TUBERKULOSEBEKÄMPFUNG USW. TUBERKULOSE 


In den meisten Sanatorien wird neben der'hygienisch-diätetischen Behandlung, 
Tuberkulinbehandlung in verschiedenem Maße angewendet. Pneumothorax artificialis 
wurde im ganzen ungefähr romal gemacht. Sowohl in den Anstalten für Erwachsene 
als in den Kinderhospizen wird immer mehr die Heliotherapie und, da das. natür- 
liche Sonnenlicht an vielen Tagen nicht zu Dane ist, das künstliche Sonnenlicht 
angewendet. 

Eine besondere Stelle nehmen, soweit uns bekannt ist, die Niederländischen 
Tagsanatorien für Erwachsene ein, weil in diesen ausschließlich nur an Tuberkulose 
Erkrankte aufgenommen werden und keine anderen Kranken noch Rekonvaleszenten 
verschiedener Krankheiten. Es sind dies auf billige Weise von den örtlichen Ver- 
einigungen gebaute Anstalten, in denen den Kranken tagsüber Gelegenheit geboten 
wird, eine Liegekur durchzumachen und eine gute Ernährung zu genießen. Über 
Nacht leben die Kranken in der durch die Hausbesucherinnen der Vereinigungen 
so hygienisch wie möglich eingerichteten Wohnung. Ein Teil der Kranken des 
Tagsanatoriums im Haag genießt sogar Nachtverpflegung. 

Aus einer Übersicht der Behandlung in diesen Anstalten, die über die Jahre 
1905— 1914 zusammengestellt ist, geht hervor, daß von den sieben größeren drei 
das ganze Jahr hindurch geöffnet waren, während vier 3—6 Monate geschlossen 
wurden. 

Die Zahl der ausgesetzten Tage war sehr gering, nämlich + 7°/, und kamen 
gewöhnlich auf Rechnung von interkurrenten Krankheiten. 

Von 1844 auf diese Weise und in dieser Periode verpflegten Lungenkranken 
wurden 1529 nach einer regelmäßigen Kur entlassen, wovon der Erfolg bei 1057 
oder 69°/, positiv war, bei 373 oder 24,4°/, blieb der Zustand unverändert und 
bei 99 oder 6,6°/, verschlimmerte sich die Krankheit. Die Verpflegungsdauer be- 
trug im Durchschnitt 108 Tage = etwa 3!/, Monat. Die Verpflegungskosten pro 
Tag und pro Person waren ungefähr fl 1,—, gut 1,50 M. 

Wenn auch die Zahl der Pfieglinge noch zu klein ist, und die ärztliche Unter- 
suchung nicht immer auf einheitliche und kontrollierte Weise stattfand — um schon 
jetzt einen Schluß über diese Behandlungsweise machen zu können — hat es vor- 
läufig den Anschein, daß auf diese Weise mit relativ wenigen Kosten gutes zu er- 
reichen ist. 

Die Gelder, die für die Tuberkulosebekämpfung im ganzen, mit Ausnahme 
der Exploitationskosten der Sanatorien für Erwachsene und Kinder gespendet 
wurden, beliefen sich auf ungefähr 675000 M. {fl 400000), wovon seitens des Staates 
280000 M. (fl 165000), von Provinzen, Gemeinden und Eisenbahnverwaltungen 
60000 M. (fl 35000) und von privater Seite 350000 M. (fl 200000), 

In dem letzten Betrag ist mit einbegriffen die Summe des Verkaufs des Emma- 
blümchens, das nach der hohen Protektorin der Zentralen Vereinigung, I. M. der 
Königin -Mutter benannt, beim Verkauf ungefähr 90000 M. {fi 50000) einbrachte. 


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Druck von Metzger & Wittig in Leipzig. 


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