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Analekten
zur
Naturwissenschaft
und
Heilkunde.
Seiner Königlichen Hoheit
Friedrich August,
Herzoge zu Sachsen,
in dankbarer Verehrung und Unterthänigkcit
gewidmet
V e r f a s s
e r
Inhalt.
Seite
I. V on den vulkanischen Phänomenen in Unter-Italien und
von dem vulkanischen Bildungstypus insbesondere . . 1
II. Fragmente über die Vegetation in Italien im Allgemei-
nen und den Anbau des Oelbaumes insbesondere ... 26
III. Bemerkungen zur Naturwissenschaft und Heilkunde ,
und zu deren gegenwärtigem Stande in Italien ... 47
IV. lieber die Stimmungswerkzeuge der italiänischen Cicaden 141
V. Ueber das Licht der italiänischen Leuchtkäfer . . . 169
<
I.
Von den vulkanischen Phänomenen in Unter
Italien und von dem vulkanischen Bildungs-
typus insbesondere.
C Gelesen in der zur Feier der Decennalien der Gesellschaft für
Natur- und Heilkunde zu Dresden gehaltenen öffentlichen
Sitzung, am 15. Oktober 1323.)
Indem ich beabsichtige, dieser verehrten Versamm-
lung einige Bemerkungen vorzulegen, zu welchen mir
eine im verflossnen Sommer im Gefolge Sr. Königl.
Hoheit des Prinzen Friedrich gemachte Reise Gele-
genheit gegeben, so bitte ich mir zu gestatten, dass
jch unter den vielfältigen so höchst merkwürdigen
Phänomenen, welche Italien dem Fremden darbietet,
heute bei denjenigen verweile, von welchen eigne
lebendige Anschauung erhalten zu haben, mir, unter
vielem Merkwürdigen, in naturwissenschaftlicher Hin-
sicht die merkwürdigste Ausbeute dieser Reise gewe-
sen ist. Ich meine die vulkanischen Phänomene, wel-
che Italien, noch abgesehen von Sicilien, in allen
ihren verschiedenen Abstufungen zur Anschauung
bringt. — ■ Will man einen Vulkan in Thätigkeit sehen,
das Kochen seiner aus unermessnen Tiefen heraufstei-
genden geschmolzenen Massen gewahren, der Vesuv
bietet es dar; will man den halb erstorbenen Vulkan
beobachten, der nur noch die flüchtigeren Substanzen,
Schwefel, Chlorsalze und Gassarten ausstösst, dessen
1
noch immer erhitzter Krater aber schon mit lockern
erdigten Schichten bedeckt ist und der Vegetation zu-
gänglich wird, die Solfatara bietet es dar; will man
den in sich zusammengestürzten Krater, welcher, nur
noch wenig in seinen Wandungen erhitzt, sich mit
Süsswasser erfüllt hat, der See von Agnano bietet es
dar; will man den ganz erloschenen, nicht mehr vul-
kanische Wärme ausstrahlenden, zum See gewordnen
Krater, die Seen von Nemi, Albano, Vico, und an-
dere bieten es dar ; will man Emporhebungen des Bo-
dens sehen durch vulkanische oder plutonische Kräfte
in wunderbar kurzer Zeit bewirkt, so betrachte man
den Monte nuovo bei Pozzuoli, welcher 1538 im Sep-
tember mit Erdbeben und heftigem Ungewitter, Feuer-
und Steinauswürfen sich plötzlich hervorhob. Fragt
man nach Lavaströmen , die schwarzen, erstarrten,
zackigen Flüsse vom \ esuv nach Torre del Greco und
vom Epomeo auf Ischia bis ins Meer herab lassen
auch diese gewaltigen Erscheinungen in ihrer ganzen
Ausdehnung überblicken, und will man endlich die
Trümmer ungeheurer Krateren erforschen, welche
schon in den frühesten Epochen der Bildung des Pla-
neten in sich zusammengestürzt sind und den Mee-
resfluthen freien Eintritt vergönnt haben, so überzeugt
sich der aufmerksam vergleichende Beobachter bald,
dass der ganze Golf von Neapel auf diese Weise ent-
standen ist, dass die schroffen Wandungen des Tuffo
am Pausilipp und die jähen Abstürze gegenüber an
Sorrento , die zackigen Felsen von Capri und der noch
innerlich arbeitende Epomeo auf Ischia, die ausge-
brochnen Ränder eines Ungeheuern Kraters bildeten.
— Hatte ich aber sofort Gelegenheit, die verschiede-
nen Zustände des vulkanischen Erdlebens in manchen
merkwerthen Beispielen begreifen zu lernen, so musste
der traurige Anblick des erst im März dieses Jahres
durch Erdbeben zerstörten» Fleckens auf Ischia Casa-
micciola genannt, zu manchen Betrachtungen über die
Einwirkung solcher Revolutionen auf menschliche Ver-
hältnisse veranlassen.
Wie es nun aber unverkennbar ist, dass bei Ver-
ständniss der grossen geologischen Naturerscheinungen
gerade der enge, beschränkte, menschliche Gesichts-
kreis uns an der wesentlichen Erkenntniss der Eigen-
thümlichkeit grösserer Erdtheile hindern muss, so dass
wir nöthig haben, auf alle Weise den Blick auszudeh-
nen, und das geistige Auge zu Hülfe zu nehmen, wo
das leibliche nicht ausreicht ; wie man sich überzeu-
gen muss, dass namentlich nur auf solche Weise die
grossen Resultate erlangt werden konnten, welche
Leopold v. Buch und Alexander v. Humboldt
über die verschiedenen Systeme von Vulkanen uns
mitgetheilt haben, so ist es auch um die Eigenthüm-
lichkeiten des vulkanischen Erdlebens in Italien auf-
zufassen, nicht überflüssig, einen Blick auf die Ver-
hältnisse des Bodens in ganz Europa zuwerfen. Rit-
ter sagt schon sehr richtig: „Europa selbst ist durch
ein- und ausspringende Küstenbegrenzungen und Mee-
resbuchten vielfacher , als irgend ein anderer Theil
der Erde , unter sich in Glieder getheilt , und zwar
immer mehr und mehr, je weiter es von seinem brei-
ten Zusammenhange mit Asien sich entfernt" und wei-
terhin : „ So bietet sich in der auf dem kleinern Räu-
me am weitesten vorgeschrittenen Theilung und phy-
sischen Entwickelung der festen und flüssigen Formen
dieses Erdtheiles, und in der Ueberschaulichkeit die-
ses Erdindividuums, in Beziehung der auf den Kreis-
lauf des Jahres angewiesenen Natur - und Völkerver-
hältnisse, der eigenthümliche Charakter des europäi-
schen Erdtheils in der alten Welt dar, durchweichen
er schon von der Naturseite aus betrachtet, zu einer
1*
andern Bestimmung als derjenige , mit welchem er wie-
der auf eine ganz eigentümliche \A eise zusammenge-
stellt ist, vom Anfang an berufen zu seyn scheint."
So gewiss es nun ist, dass gerade durch die schö-
nen Gliederungen seines terrestriscl.en Baues Europa
die geistige Entwickelung der seinen Boden bewoh-
nenden Völkerschaften begünstigen musste, A ölker-
scl aften, welche nur gerade bei solchen Begünstigun-
gen zu jener Höhe der geistigen Bildung sich erheben
konnten, welche für die ganze Erde den Mittelpunkt
der Cultur hieher verlegen halfen, so wenig ist doch
noch im Einzelnen die wirklich schön und organisch
gegliederte, und was hiervon die Folge ist, symme-
trisch gebildete Form dieses Erdtheils beachtet wor-
den. Ohne nun hier auf einen so weitschichtigen Ge-
genstand näher eingehen zu können, gebe ich nur zu
bedenken , wie schön und regelmässig Europa von der
Kette seiner Hochgebirge seiner Länge nach von
Osten nach "W esten durchzogen wird , wie gleichmäs-
sig die Wässer zu beiden Seiten nach Norden und
Süden abfiiessen, so dass zwar die grössere Zahl star-
ker Flüsse auf die Nord! älfte, die gross te Länge und
Stärke eines einzelnen fDonau) aber auf die Südhälfte
fällt, bis am portugiesischen Ende des Welttheils ganz
symmetrisch zwei Ströme nördlich (Tajo und Duero)
und zwei Ströme südlich Guadiana und Guadalquivir)
die \A asserentladungen beschliessen ; ferner wie die
Landausstrahlungen nach Norden und Süden symme-
trisch sich ansetzen, wie das, was als Dänemark mit
Norwegen und Schweden sich nördlich ausdehnt, süd-
lich durch die Erstrecknngen der europäischen Türkei
und Griechenlands compensirt wird, wenn hingegen
zur Ausdehnung von Italien mit Sardinien, Corsica
und Sicilien, Britannien mit Irland und Island das Ge-
gengewicht bildet, ein Gegengewicht, welches, wie
sehr es auch in jeder andern Beziehung, in ganz ent-
gegengesetzter geistiger Entwickelung z. B , sich nach-
weisen lässt, hier kaum berührt werden kann. Nicht
minder zeigen die Meere und Meeresbuchten diese Ge-
gensätze; denn wenn die Spitze Europa's vom Atlan-
tischen Ocean bespühlt wird, so drängt er sich südlich
als Mittelmeer zwischen Europa und Africa wie nörd-
lich als Ocean und Eismeer zwischen Europa und Asien.
Wenn östlich von England die Fortsetzung des Ocean's
die Nordsee bildet, so buchtet östlich von Italien das
Mittelmeer sich als adriatisches Meer ein. Wenn end-
lich südlich der griechische Archipel bis zum schwar-
zen Meere sic'i ausdehnt, so finden wir nördlich die
Ausdehnungen des Cattegat bis zur Ostsee. — Doch
zu weit schon habe ich ein Feld verfolgt, dessen
•Inhalt nur von Einer Seite uns hier bemerklich wer-
den sollte , nämlich um darauf aufmerksam zu machen,
wie auch die einzigen noch lebensthätigen euro-
päischen Vulkane in symmetrischem Verhältniss nörd-
lich und südlich vom Festlande Europa's gelagert sind,
denn die Basaltmassen von Schottland, als Resultate
feuriger Processe, die basaltischen Inseln der Nord-
see bis hinauf zu dem ganz vulkanischen Island mit
noch thätigen Feuerbergen, stehen rein gegenüber den
vulkanischen Bildungen Italiens mit dem dem Erlö-
schen schon nähern Vesuv und dem noch kräftig wirk-
samen Aetna Siciliens.
Sagte ich nun aber vorher im Allgemeinen, dass
Italien, indem es eine so merkwürdige Reihenfolge
vulkanischer Erscheinungen darbietet, dem Reisenden
ein besonderes Interesse darbieten müsse, so kommt
es mir jetzt zu, diess im Einzelnen näher darzulegen.
— Seit uns nämlich die Arbeiten eines Laplace,
Freisleben und Cordier über die in grössern Tie-
fen um so mehr zunehmende Wärme im Innern der
0
Erde (nach Cordier's Beobachtungen und Berech-
nungen, welcher für 25 Metres 1° Wärme-Zunahme
fand, Hegt die Temperatur des siedenden "Wassers
schon 2503 Metres unter Paris), seit die bessern Be-
obachtungen über Vulkane, so Avie die Arbeiten eines
Mitscherlich über die feurige Entstehung mehrerer
auf Gängen vorkommenden Krystallisationen die im
Feuer thätigen Naturkräfte als die wesentlichsten Zeu-
gungskräfte für diesen Boden nachgewiesen und das,
was ein Leibnitz und Buffon nur als Hypothesen
geben konnten, zur wohlbegründeten Theorie erhoben
haben, seit endlich die Chemie durch Entdeckung der
den Kalien und Erden zu Grunde liegenden Metalle
und ihrer Neigung, unter Feuererscheinungen in die
Irdenform überzugehen, einen wichtigen Aufschluss
über die Quellen dieses Feuers gegeben hat, muss die»
Kenntniss alles dessen, was auf innere tellurische
Feuerscheinungen Bezug hat, Jedem, der einigermas-
sen sich über das Leben der Erde unterrichten will,
von höchstem Interesse seyn. — > Nun ist aber früher
schon erwähnt worden, wie wenig der Mensch bei der
Enge und Kürze seines Gesichtskreises der unmittel-
baren Anschauung eines im Räume, wie in der Zeit
Ungeheuern tellurischen Processes fähig sey : will er
sich daher diesen Erscheinungen näher bringen , so
muss er sie zuerst da zu fassen suchen, wo sie in
beschränktem! Räume und in kürzerer Zeit sich gleich-
sam mehr übersichtlich darbieten. Auf diese Weise ist
es sehr lehrreich, neu entstandene Anschwemmungen,
Kies - und Erdschichten in ihrer Lagerung zu beach-
ten, die Wirkung der Wasserzüge auf solche beweg-
liche Schichten zu studiren, um die Bildungsgeschichte
der Ungeheuern Lagerungen von Flötzgebirgen , wel-
che, aus uralten Wasserbedeckungen hervorgegangen,
so wesentlichen Antheil an der eigenthümlichen Phy-
siognomie der Erdfläche haben, sich verständlicher zu
machen. — Auf dieselbe Weise aber ist es auch un-
umgänglich nothwendig, die vulkanische Thätigkeit in
übersichtlichem Räume lebendig aufgefasst zu haben,
um die Wirkungen derselben auch da zu erkennen,
wo die Thätigkeit selbst bereits längst erloschen und
durch tausenderlei andere Phänomene des Erdlebens
gleichsam maskirt ist. „Videre est nosse" dürfen
wir auch hier sagen, wie bei so vielem andern, und
die weitläufigste Beschreibung wird das nicht geben,
was eine einzige deutliche Sinnesanschauung gewährt.
— Führe man doch zum Beispiel den unvorbereiteten
Fremden an die reizenden Ufer des Sees von Albano,
wo die Ufer mit den kräftigsten immergrünen und
Stein-Eichen, Rüstern und Ahorn umlaubt sind, wo
Pinien und Cypressen aufragen, das Kloster Pallazuolo
und Castell Gandolfo die trefflichsten Aussichten dar-
bieten , an grasreichen Abhängen Ziegenheerden wei-
den, während oft über dem grünlichblauen Spiegel des
Sees ein Mövenpaar ihre Kreise zieht, und nun trete
man zu ihm, der in einen noch thätigen vulkanischen
Krater nie hinabgeblickt, und sage ihm: diese sanf-
ten Abhänge waren die Wände eines furchtbaren Kra-
ters ; an der Stelle dieses schönen Wasserspiegels
tobten einst die feurigen Wellen geschmolzener La-
ven, und diese klare Luft war einst von Rauch und
Steinauswürfen geschwärzt; und unser Fremder wird
mit skeptischen Blicken diese Hypothese kalt anhö-
ren, wie so Yiele kalt auf ausgesprochene Erkennt-
nisse herabsehen, wenn in ihrem eignen Innern das
Licht selbstthätiger Erkenntniss sich noch nicht er-
schlossen hat. — Wie doppelt merkwürdig wird dage-
gen, wenn das Auge sich einmal für Wahrnehmung
der gewaltigen Wirkungen der vulkanischen Kräfte
des Erdlebens geöffnet hat, der Boden Italiens und
8
jedes Landes, wo diese primitiven Kräfte weniger
durch die Erscheinungen nachfolgender Wasserbede-
ckungen versteckt sind! — Es würde auch nicht feh-
len, dass diese Seite Italiens häufiger, als bisher ge-
schehen, beachtet worden wäre, würde nicht durch
so grossen Reichthum an anderm Merkwürdigen und
Sehenswerthen hier die Aufmerksamkeit des Reisen-
den mehr als in andern Ländern gefesselt.
Man erlaube mir denn hier zuvörderst über das
organische Princip in der Gestaltung vulkanischer Ge-
genden im Allgemeinen einige Bemerkungen voraus-
zuschicken und dann die Eigenthümlichkeiten etwas
näher zu schildern, welche an den vulkanischen Um-
gegenden von Neapel und Rom mir vorzüglich bemer-
kenswerth geschienen haben.
Was das Princip vulkanischer Gestaltungen be-
trifft, so erinnere man sich, dass, inwiefern es sich
auch hier von Gestaltung aus einem flüssigen, ge-
schmolzenen Zustande zum festen handelt , sogleich
sich wieder das bedeutungsvolle Gesetz bewähren
müsse, „x\lle erste organische Gestaltung, welche aus
einem räumlich Unbegränzten zum räumlich Begränz-
ten übergeht, muss zuerst im Typus der Kugel er-
scheinen," So zeigt das schon in der geineinen Tem-
peratur der Atmosphäre geschmolzene Quecksilber in
jeder noch flüssigen Absonderung , gleich allen Flüs-
sigkeiten, die Kugelfonn, so erstarrt der Tropfen ei-
nes andern geschmolzenen Metalls, indem er aus be-
trächtlicher Höhe herabfällt, zur festen Kugel, und so
zeigt auch eine geschmolzene Masse, wenn innerhalb
derselben Gasarten oder Dämpfe sich entwickeln und
aufsteigend, die Masse aufblähend, einzelne Theile
absondern wollen, die kugliche Oberfläche, die Bla-
senform, und wäre das Aufstreben des eingeschlossenen
Dämpfe so mächtig, dass sie die einschliessende Masse
9
gänzlich loszureisseri und fortzuführen vermöchte, so
Würde diese Masse nur in der Forin der Hohlkugel,
als Ballon, aufsteigen; (so steigt z. B. eine Seifen-
blase mit Wasserstoffgas auf;) überwiegt dagegen der
Zusammenhang der Blase mit ihrer Hauptmasse , so
wird entweder durch immer weiteres Aufstreben die
Halbkugel sich zum Kegel ausdehnen, oder sie wird
an der Spitze sich öffnen und das eingeschlossene
Flüchtige entweichen lassen, wobei denn die Wan-
dungen entweder Festigkeit genug haben, sich zuhal-
ten, oder bei mangelnder Festigkeit in sich zusam-
mensinken und den kreisförmigen Rand der Blase stec-
hen lassen (so z. B. die Blasen, welche Schlacken an
ihrer Oberfläche aufwerfen). Können nun von diesem
Standpunkte aus über die Gestalt der Erde im Allge-
meinen wichtige Aufschlüsse sich entnehmen lassen,
so ist dagegen hier insbesondere hervorzuheben , wie
wichtig die Berücksichtigung dieser Ur-Phänomene für
die Erklärung der Physiognomie vulkanischer Gegen-
den wird, denn man sieht leicht ein, dass die Erhe-
bung in Kegelform und der Krater, als die beiden ei-
gentlichen Grundgestalten vulkanischer Gegenden, ganz
auf jene Urphänomene zurückgeführt werden können,
und dass die kleinen Oeffnungen an der Spitze einer
Schlackenblase, und der zackige Kreisrand einer an-
dern in sich zusammengesunkenen, im Wesentlichen
dasselbe ist, was die Kraterenöffnung eines Vulkans,
oder das Ringgebirge, welches von einem zusammen-
gestürzten , oft nun zum See gewordenen Vulkan übrig
geblieben ist; so wie die kegliche Erhebung der nicht
geplatzten Schlackenblase dasselbe , was der ohne
Auswurfsöffnung gebliebene gewaltig emporgehobene
vulkanische Kegelberg*). Man darf es daher ausspre-
*) Sehr deutlich gestalten sich in dieser halbkuglichen Bla-
10
chen, das 8 der Typus der Kugel und der von
ihr abgeleiteten Formen, der Halbkugel und
des daraus hervorgehenden Kegels und Krei-
ses das eigentliche Gestaltungsprincip je-
der vulkanischen Gegend sei, und wie nun ein
geAvisser Typus, welcher als Grundgestalt für irgend
ein Individuelles anerkannt ist, nie etwa allein in der
äusserlichen Forin herrschen kann, sondern sie innig
durchdringen nmss, so dass er sich in ihren einzelnen
Theilen immer wieder und immer in mannigfaltigem
und feinern Modifikationen und Combinationen wieder-
holt, so ist es von höchster Merkwürdigkeit, wie jene
immer zuletzt aus der Kugelform hervorgehende Bil-
dung, welche wir im Ganzen als charakteristisch für
vulkanische Erdtheile erkannt haben, sich hier nun
vom Grössern ins Kleinere in höchster Mannigfaltig-
keit zu wiederholen strebt und wirklich wiederholt.
So wie daher der Typus des Kegels und Ringgebirges
sich dergestalt zu wiederholen pflegt, dass an grosse
oft viele Meilen im Durchmesser haltende Gebirgs-
kreise sich kleinere und an diese wieder kleinere an-
schliessen, welche in ihren Kraterenöffnungen dann
immer neue Wiederholungen jener Grundform darstel-
len, so wird der kugliche Typus selbst in der Erstar-
rung der ausgeflossenen geschmolzenen Massen oft
genug deutlich erkennbar, wovon namentlich Zeugniss
geben die basaltischen Kugeln , welche sowohl im Klei-
nen, als in enormer Grösse (man sehe z. B. die Ab-
bildung des kuglichen Basaltberges in Göthes Heften
zur Naturwissenschaft Bd. 2. Heft 2. Tafel 2. 3.) nicht
scnforni auch die Erhebungen der Schlammvulkane , wie diess
Dolomieu ( Reise nach den Liparischen Inseln, deutsch von
Lichtenberg, Leipzig 1783, S. 164) vom Macaluba in Sici-
lien sehr ausführlich beschrieben hat.
11
selten angetroffen werden. — Unterlassen kann ich
übrigens nicht zu bemerken, erstens: dass einer der
interessantesten Ueberblicke der in verschiedenen Po-
tenzen aneinandergereihten Wiederholungen des pri-
mitiven vulkanischen Typus durch Betrachtung der
Oberfläche des Mondes erlangt werden kann, dessen
Ringgebirge mit neuen kleinern Ringgebirgen in der
Peripherie jener, und abermals erhobenen, becherför-
mig geöffneten Kegeln in Mitten dieser, die erwähn-
ten Fortbildungen auf das Deutlichste zeigen, eine
Betrachtung, welche um so wichtiger ist, da ich über-
zeugt bin, dass auf der Erdfläche, wenn wir die spä-
tem neptunischen Bildungen uns überall wegdenken
können , ein ganz ähnlicher Typus als der herrschende
gefunden wird, und selbst, so wie er jetzt ist, der
untere Theil von Italien , in einer guten Situations-
zeichnung aufgenommen, auffallend gleiche Physiogno-
mie mit manchen Mondgegenden, wie wir sie auf
Lohrmanns trefflichen Situationszeichnungen vom
Monde sehen, haben würde. — Zweitens, wie merk-
werth es sey, dass dieselbe primitive Gestaltung, wel-
che wir als Grundlage aller organischen Einzelwesen
anerkennen müssen, d. i. die Kugel, welche im Ei,
im Blutkügelchen , Nervenknoten und ersten Knochen-
punkt*) wie im Fruchtkeim, Knospe und Knolle sich
stets wiederholt, zugleich die Grundgestalt dieser Re-
sultate der Ur- Phänomene des Erdlebens sämmtlich
bedingt.
Wenn es übrigens schon im Wesen eines Bil-
diingsgesetzes liegt, dass dadurch nicht blos an einer
Stelle etwa Gestaltung geregelt werde, sondern dass
*) Ueber die merkwürdigen Umbildungen und Fortbildungen
der Kugel im Knochensystem s. meine Schrift von den Ur-Thei-
len des Knochen- und Schalengerüstes. Leipzig, 1828. fol.
12
dessen Wirksamkeit das Ganze der Gestaltung aussen
und innen durchdringe, so ist in den vulkanischen
Gebirgen die Nothwendigkeit der Wiederholung der
Kugel- und Kreisform vom Grossen ins immer Klei-
nere an sich schon deutlich , indess lässt sich diese
Nothwendigkeit der oben geschilderten Wiederholun-
gen einer und derselben Grundform hier auch noch
auf eine andere Weise darthun :
Bedenken "wir nämlich , dass jene blasenförmigen
Erhebungen yi einer geschmolzenen Masse Statt
finden müssen, und dass jedes Mal die am heftigsten
erhitzte Stelle auch die stärkste Erhebung machen
werde, so lässt sich wohl begreifen, dass, wenn ein
grosses Lager entzündlicher Stoffe, z. B. Irdmetalle,
in Schmelzung geräth, zuerst die Stelle, von welcher
aus die Entzündung sich excentrisch verbreitete, also
der Mittelpunkt, sich auch am stärksten erheben werde.
Erlischt oder mässigt sich nun aber hier auch zuerst
der Entzündungsprozess im Produkt der Eruption, so
wird dagegen im Umfange, wohin die Krisis der mitt-
lem Eruption nicht gewirkt hat, die Tendenz vorhan-
den bleiben, durch eigene peripherische Eruptionen
sich gleichfalls zu entladen, deren jede abermals als
Mitte erscheinen wird, in deren Peripherie sich noch-
mals neue Eruptionen bilden werden; eine Kette, die
nun bis zum völligen Abbrennen alles Entzündungs-
stoffes fortwirken muss, und aus welcher es sich zu-
gleich erklärt, warum immer (wovon hier mehrere
Beispiele beigebracht werden) die Mitten der Kratern
diejenigen Gegenden sind , wo die Entzündung zuerst
erlöscht, wenn dagegen in den Wänden die Feuerpro-
zesse noch am längsten fortdauern.
Was nun die Anwendung der obigen Grundsätze
auf die Umgegend von Neapel betrifft, so kann hier
zuvörderst dem aufmersamen Beobachter nicht entge-
13
hen, wie im Allgemeinen, je weiter man in Italien
gen Süden hin von der Kette der Urgebirge der
Schweitz sich entfernt, um so deutlicher die vulkani-
schen Phänomene hervortreten , so dass auf den nur
einzelne vulkanische Erscheinungen zeigenden Boden
der Lombardey und Toscana's , der schon grösstentheils
vulkanische Boden Roms folgt, an welchen sich endlich
das fast ganz vulkanische Gebiet Neapels anschliesst.
Wobei man beachten möge, dass fast auf gleiche
Weise in dem jenseits des Continents entgegenstehen-
den England und Schottland bis Island hinauf, der
Vulkanismus so mehr hervortritt, jemehr man gen
Norden vom Hochrücken von Europa abweicht; eine
Bemerkung, welche das, was oben über die polaren
Bildungsverhältnisse von Europa gesagt ist, noch mehr
ins Licht stellen kann. — Betrachtet man nun auf einer
hinreichend grossen und genauen Karte die Gebirgs-
züge des untern Italiens, so bemerkt man unter der
Menge von ringförmigen oder halbringförmigen Ge-
birgszügen und Buchten, in welche das ganze untere
Italien zu zerfallen scheint, zuvörderst den Halbmond
eines gewaltigen 40 — 45 deutsche Meilen im Durch-
messer haltenden Kreises von Gebirgen, welcher ober-
halb Salerno, vom Capo di campanella anfangend,
gegen Eboli Cosenza, bis zur Meerenge von Messina,
und auf Sicilien von Messina durch Val Demona bis
Corleone und Palermo sich erstreckt, so dass dann
das Kreissegment von Palermo wieder bis Cap Cam-
panella vom Meere bedeckt wird, wie der Halbmond
selbst durch die Meerenge von Messina einmal durch-
schnitten ist. In diesem colossalen Ringgebirge , wel-
ches indess im Verhältniss zur Erde immer noch nicht
so gross ist, als etwa das 22 Meilen im Durchmesser
haltende Mondringgebirge des Ptolomäus zum Mon-
de, ragen noch Trümmer des in seiner Mitte in der
14
Urzeit aufstrebenden vulkanischen Kegels als soge-
nannte Liparische Inseln herauf, und noch herrscht
auf mehrern derselben in eigenen , aus den Rändern
dieses primitiven Kegels sich entwickelt habenden
Krateren lebhafte vulkanische Thätigkeit. So auf
Volcano und "Stromboli. — In der Peripherie jenes
colossalen Ringgebirges, vom Meere zwischen Cala-
brien und Sicilien erfüllt, zeigen sich nun mehrere
untergeordnete Kegel und Gebirgskreise , wir wollen
sie hier Ringgebirge und Krateren zweiter Formation
nennen. Hierher gehört der an die Kette des Yalde-
mona sich anschliessende so hoch heraufgehobeno
Aetna selbst , dann wahrscheinlich die Felsenkessel,
welche den See zwischen Romagnano und Contursi,
und den südlicher gelegenen Lago negro umgeben,
hierher endlich muss auch der Gebirgskreis gerechnet
werden, dessen wieder zum Theil vom Meere zer-
störte oder wenigstens überdeckte Felsmauern den
Golf von Neapel einschliessen , eine Kette von Ge-
birgen, welche wieder mit Capo Campanella beginnt,
an Sorrento bis zum Monte Sant' Angelo sich hinzieht,
hinter Sarno und Avella sich fortsetzt und dann durch
das Thal von Acerra unterbrochen, zum Pausilippo
und Capo Miseno fortgeht, wo sie dann, wieder durch
Meeresarme getrennt, in den Höhen von Nisida, Pro-
cida und Ischia bemerklich wird, und endlich durch
die lange Felsmauer von Capri sich wieder gen Capo
Campanella herumbiegt. Dieses ungefähr 5, und in
der grössten Weite etwa 8 Meilen im Durchmesser
haltende Ringgebirge (es ist also noch kleiner als das
Ringgebirge des Aristillus auf dem Monde, welches
nach Lohrmann überhaupt acht Meilen Durchmesser
hat) ist wieder in seiner Peripherie mit abermaligen
Wiederholungen vulkanischer Einsenkungen und Er-
hebungen umgeben. Zu diesen, die wir mit dem Na-
15
men der dritten Formationsreihe bezeichnen wollen,
gehören die Erhebungen des Epomeo auf Ischia, der
Krater des Sees von Agnano , Astruni und die Solfa-
tara (in. s. d. Plan der Campi Flegrei von Hamil-
ton), dahin gehört der Avieder mit Meereswasser ge-
füllte Golf von Bajä, das Mare morto und der Vesuv
selbst, welcher mit dem Monte Somma als ein Gan-
zes betrachtet werden muss , von welchem dann die
westliche den Krater des eigentlichen Vesuvs bildende
Erhebung wieder eine untergeordnete Bildung vierter
Formation darstellt, ähnlich etwa der des Seitenkraters,
welcher am östlichen Rande des Epomeo vor mehr
als 4 Jahrhunderten den grossen noch sichtbaren La-
vastrom zum Meere sendete. Es ist daher, was den
Vesuv b e trifft j sehr lehrreich, auf die aufsteigenden
Linien zu achten, welche den Fuss desselben begren-
zen, namentlich wenn er von Neapel oder vom Pau-
silipp aus gesehen wird, inwiefern diese Linien, ihrer
Neigung gegeneinander nach , auf eine 2 bis 3fach
höhere Spitze als die jetzige deuten, welche indess
nicht nur selbst schon seit undenklichen Zeiten fehlt,
sondern wo sogar von den übrig gebliebenen Rändern
der eine, jetzt ausschli essend der Kegel des Vesuvs
genannte , fast mit jedem bedeutenden Ausbruche nie-
driger geworden ist , wie schon die verschiedenen,
wenn auch mangelhaften Darstellungen, welche Ha-
milton in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts
vom Vesuv stechen liess , bezeugen. — Muss man je-
doch somit den äussern Krater des Vesuvs, dessen
Umfang etwa 4 Stunden geschätzt werden mag, als
Ringgebirge 4ter Formation betrachten, so sind dage-
gen die kleinen Nebenkrateren, welche mit ihren ke-
gelförmigen Erhebungen ganz die Form des grossen
Aschenkegels wiederholen , zu einer 5ten Formations-
reihe gehörig, indess Nebenöffnungen der letztern,
le
Fummajuoli (Essen) nennt man sie dort, sogar eine
Cte Darbildung jenes primitiven Typus geben können.
Hat man nun einmal aus diesem Gesichtspunkte
die Gegend von Neapel betrachten lernen, so ist es
höchst interessant, die gleichartigen Glieder aus ver-
schiedenen Formationsreihen untereinander zu verglei-
chen. So z. B. ist es höchst auffallend, wie die schrof-
fen innern Wände des äussern grossen Kraters vom
Vesuv in ihren wellenförmigen , aus kleinern und
grössern Lavastücken und vulkanischer Asche gebil-
deten Schichtungen ihrer ganzen Physiognomie nach
den Schichtungen gleichen, welche man an den senk-
recht abgestürzten Tuff- Wänden des Pausilipp , der
Insel Nisida u. s. w., als Stücken der Wände des gros-
sen Ringgebirges vom Golf von Neapel , wahrnimmt.
— Ferner ist es merkwürdig, eine gleiche Ordnung
im Erlöschen der vulkanischen Prozesse und im Er-
kalten bei den vulkanischen Gebirgskreisen sowohl
der ersten als zweiten, dritten und vierten Formation
Statt finden zu sehen, eine Ordnung, welche sich
darin ausspricht, dass besonders in den Wandungen
der Krateren die Feuerprozesse noch lange sich be-
merklich machen , selbst Avenn sie in der Mitte durch
Verschüttung oder Eindringen des Wassers unkennt-
lich geworden sind. So ist es am Vesuv auffallend,
wenn man sich am Rande des grossen äussern Kra-
ters befindet, wo man die kochende, rauchende Lava,
durch die 5 bis 600 Fuss tiefer liegende Oeffnung des
innern kleinern Kraters unter sich erblickt, doch
den so weit entfernten Rand des Aschenkegels an vie-
len Stellen so heiss zu finden, dass, sobald die Ther-
mometerkugel in eine kleine Vertiefung weggescharr-
ter Asche gehalten wurde , sogleich das Quecksilber
auf 28 bis 30 und 35° R. stieg. —
Eben so ist am Krater von Agnano , obwohl seine
17
Mitte gänzlich von einem grossen nnd kalten See ausge-
füllt wird, die Seitenwandung noch so thätig, dass sich
nicht allzuweit von der bekannten Grotta del cane die
im Felsen ausgehauenen Schwitzbäder von St. Ger-
mano finden, wo die lebhaftesten Wärme- und Dampf-
entwickelungen dem Gesunden kaum einen momenta-
nen Aufenthalt gestatten. Dasselbe wiederholt sich in
dem kleinen Ringgebirge des Golfs von Bajä, wo nicht
nur die nicht allzusehr verjährte Erhebung des Monte
nuovo und die ältere des Monte Barbaro, sondern
auch die fürchterlich heissen Schwitzbäder des Nero
bei Bajä auf fortgesetzte Thätigkeit in diesem alten
Kraterrande deuten. Nicht minder ist in dem Ringge-
birge des gesammten neapolitanischen Golfs nicht zu
verkennen, dass die vulkanische Thätigkeit wieder
nur an seinen Rändern noch als lebendig erscheint,
da sie hingegen in diesem ungeheuren Kessel selbst
bis in unergründliche Tiefen zurückgezogen ist, und
nur selten sich noch durch unterseeische Erdbeben
oder plötzliche Wärmeentwickelungen zu erkennen
giebt.
Ein Phänomen der letzteren Art war es, als im
Jahre 1804 gleichzeitig mit einem stärkern Ausbruche
des Vesuvs der Seeboden vom Golf von Neapel plötz-
lich so erhitzt wurde, dass die Fische schaarenweise
an die Oberfläche und gegen das Ufer hinschwammen,
um sich dieser Wärme zu entziehen , und ein herauf-
gewundener Anker noch heiss an die Oberfläche des
Meeres kam. — Es sey mir erlaubt , bei dieser Gele-
genheit noch des Phänomens der Thalbildung in Folge
vulkanischer Erhebungen und Erschütterungen des Bo-
dens zu gedenken, welches an einem der Ränder des
Ringgebirges vom Golf von Neapel, d. i. auf Ischia,
mit besonderer Deutlichkeit sich bemerklich macht.
Steigt man nämlich an der westlichen Seite der Insel
2
18
von Furi aus gegen den Epomeo auf, so trifft man in
der mittleren Höhe des Berges eine wohlbebaute, mit
Weinbergen und grössern Bäumen gezierte Gegend,
welche von den gewaltigsten Schluchten zerrissen ist.
Diese Schluchten selbst befinden sich in einer lockern
Tuffart , welche schichtenweise aus zusammengesetz-
ten Massen von vulkanischer Asche und Rapilli gebil-
det ist , und nur durch ihren festern Zusammenhang
sich wesentlich von den Aschen- und Rapilli -Schich-
ten unterscheidet, welche die neuern Bedeckungen
von Pompeji ausmachen. Erwägt man nun die ver-
schiedenartigen Richtungen und das Entsprechende der
gegenseitigen Wände dieser Schluchten, so wird man
bald die entschiedene Ueberzeugung erhalten, dass die
Entstehung derselben sich nur begreifen lässt , wenn
man der ursprünglichen Heraufhebung des Epomeo
selbst gedenkt, und bedenkt, dass eine schon fest zu-
sammengesetzte Masse nothwendig Risse und Spalten
bekommen müsse , wenn sie an irgend einer Stelle von
einer unter ihr wirkenden Kraft gewaltsam zu einer
gewissen Höhe heraufgehoben wird. Ich gestehe, dass
mir die Betrachtung dieser Thäler um so merkwürdi-
ger gewesen, je mehr sie mich an die Spalten und
Schluchten der in unserer Nähe vorkommenden Sand-
steinlager erinnerte. So sehr mir nämlich auch die
Anschauung dieser letztern es früher schon deutlich
gemacht hatte , dass hier nicht bloss von Auswaschun-
gen durch Wasser die Rede seyn könne, so deutlich
an vielen Orten diese Thäler durch das Entsprechende
ihrer Wände , durch die Abstürzungen von Felsmas-
sen, welche in der Art, wie ihre Blöcke, an Abhän-
gen herabgeschüttelt sind, die Wirkungen gewaltiger
unterirdischer Erschütterungen verrathen, so konnte
doch nur erst die Anschauung verwandter Bildungen,
neben welchen die Ursache noch wahrhaft in Thätig-
19
keit sich befand, mir deutlichere Vorstellungen geben.
Dort aber, wenige Meilen von jenen über Furi gele-
genen Schluchten, hatte ich ja die ganz neuen zer-
trümmernden Wirkungen eines nur geringen Erdbe-
bens auf die Gebäude von Casamicciola gesehen; die
vulkanische Erhebung des Epomeo war unleugbar,
grosse Lavaströme waren nicht allzu entfernt , und so '
gab diess mir nun gleichsam den Muth, auch jene
Sandsteinschluchten unserer Gegenden in ihrer Ent-
stehung zu denken, wobei dann die Ueberzeugung des
Heraufhebens der mächtigen Basaltmassen des Winter-
berges, des Heilsberges, der Walthersdorfer Basalt-
berge u. s. w. das Verständniss noch mehr aufklären
musste. — Wie sehr aber die Erhebungen und Er-
schütterungen des Bodens nicht blos auf die feste Erd-
fläche, sondern auch auf den Stand des Meeres Ein-
fluss geübt haben, wird insbesondere im Umkreise des
Nebenringgebirges vom Golf von Neapel, d. i. am
Golf von Bajä sichtlich, indem hier bei Pozzuoli die
bekannten merkwürdigen Trümmer des Serapistem-
pels stehen, dessen Säulen, jetzt einige hundert Schritt
vom Meere gelegen, weit über Mannshöhe mit den
durch eingebohrte Pholaden (Modiola lithophaga) ent-
standenen Löchern bezeichnet sind, zum unleugbaren
Beweise, dass diese Ruinen einst bis zu solcher Höhe
unter Seewasser gestanden haben. Interessant ist es
mir hierbei gewesen, von einem englischen Gelehrten,
welchem zu ausführlichen Untersuchungen dort die
nöthige Zeit vergönnt war, zu vernehmen, dass er
auch unterhalb Pozzuoli, gegen Neapel hin, an den
dem Meere nahen Felsen, in gleichem Niveau mit den
Pholadenlöchern jener Säulen, dieselben Pholadenlö-
cher, zuweilen noch mit inliegenden Muschelschalen
des Thieres , ziemlich häufig angetroffen habe , wor-
aus hervorgeht, dass diess Ansteigen des Meeres und
20
zeitweise Erhaltung desselben in so hohem Stande,
nicht etwa blos auf eine einzelne Stelle , wo durch
Stürme ins Land geworfenes Meerwasser vielleicht
hinter Mauern und Trümmerhaufen einige Zeit zu-
rückgehalten seyn konnte, sondern auf eine weite
Ausdehnung dieser Küste sich bezogen haben müsse.
Dass übrigens diese Anschwellung mit den grossen Revo-
lutionen, deren Folge die Erhebung des nicht Aveit
von Pozzuoli gelegenen Monte nuovowar, zusammen-
gehangen haben möge, ist jedenfalls mindestens als
eine sehr wahrscheinliche Hypothese zu betrachten.
Ist nun nach allem diesen die Umgegend von Nea-
pel in vielen Stellen noch Zeuge lebensthätiger , vul-
kanischer Zustände, so sind dagegen die Umgebungen
von Rom mehr der Schauplatz längst erloschener vul-
kanischer Vorgänge, und mehr mit anderen, ja mit
deutlichem, zum Theil jetzt noch fortgehenden Süss-
wasserbildungen überlagert. Je weiter aber die vul-
kanischen Vorgänge in der Urzeit zurück liegen, je
mehr seitdem andere , und namentlich neptunische
Vorgänge sich ereignet haben , desto unkenntlicher
müssen auch die Gestalten geworden seyn, welche
vulkanische Gegenden bezeichnen, und zwar um so
unkenntlicher, je weiter zurück die Zeit ihrer Bil-
dung fällt. Nun ist aber aus dem Frühern klar, dass
die Ungeheuern Ringgebirge, welche wir die erste
Formation nannten, eben sowohl früherer Entstehung
seyn müssen, als z. B. der eigentliche Kegel des Ve-
suvs älter ist, als seine Seitenauswurfskegel, und eben
desshalb werden wir das grosse Ringgebirge , dessen
Peripherie die Gegend von Rom etwa eben so zur
Hälfte einschliesst, wie das berührte grosse, einige
40 Meilen im Durchmesser haltende, Ringgebirge bei
Neapel die liparischen Inseln, hier mehr verwüstet
finden und mit geringerer Deutlichkeit als andersMo
21
zu erkennen im Stande seyn. Es scheint jedoch al-
lerdings, als ob der Kreisabschnitt von Gebirgen, wel-
cher mit dem noch ganz inselmässig abgesonderten Capo
Circello südlich anfängt, über die Lateiner-Gebirge
bis Tivoli, und dann, vom Tiberthal durchschnitten,
bis an die Höhen von Viterbo sich hinzieht, wo er
endlich gegen das Meer vor Crvita vecchia sich ver-
liert, der Rest des uralten vulkanischen Gebirges sey,
in dessen Peripherie nun eine Menge späterer vul-
kanischer Erhebungen , Gebirgskreise zweiter Forma-
tion, und kleinere, noch jetzt erkennbare Krateren
sich gebildet haben. Zu diesen peripherischen Bil-
dungen können gerechnet werden die Berge , welche
den See von Vico einschliessen , und in deren Mitte
noch deutlich eine centrale kegelförmige Erhebung
als ehemaliger Aschenkegel aus dem See heraufragt;
hierher gehört der Soracte, hierher der Monte cavo,
als die Mitte des ganz vulkanischen und isolirten
Albanergebirges mit den beiden in seiner mittleren
Höhe liegenden gewaltigen Krateren, dem See von
Neini und dem See von Albano, in welche beide
vom Monte cavo herab, man wie in zwei neben ein-
ander eingemauerte Kessel verschiedener Grösse her-
absieht. Ja vielleicht ist noch der höher in den Apen-
ninen gelegene See von Celano, nebst so vielen an-
dern, mir gleich diesem unbekannt gebliebenen Ge-
birgskreisen und Erhebungen, hierhin zu rechnen.
Betrachtet man nun die eingeschlossene Fläche
vor jenem grossen Halbkreise, so wird zuerst bemerk-
lich, dass diese Fläche nicht mehr so weit, wie jene
Halbmonde von Neapel und Bajä, vom Meere ausge-
füllt sey, welches wieder auf höheres Alter dieser
Erdbildungen zu deuten ist, indem sichtlich theils
Anhäufungen vulkanischer Asche , als Peperin oder
vulkanischer Tuff, theils Niederschläge aus Süsswas-
22
ser, welche um Tivoli und Terni noch täglich sich
fortbilden, theils Anschwemmungen von Meeressand
diese ursprüngliche Bucht völlig ausgefüllt haben, da
in die ähnlichen von Neapel und Bajä das Meer noch
frei hereinfluthet. Betrachten wir nun nach diesen
Vorbegriffen die Campagna von Rom (diesen Namen
in weiterer Ausdehnung genommen, so dass es die
Flächen von Civita vecchia bis zu den pontinischen
Sümpfen mit einbegreift) von diesem Standpunkte aus,
so wird uns vieles im Charakter dieser Gegend ver-
ständlich werden. Zuvörderst ihre geringe Erhebung
über das Meer. So ist der Boden von Rom am Fusse
der Trajans-Säule nur 40 Fuss über der doch noch
7 Stunden entfernten Meeresfiäche, und selbst die Höhe
des Capitols ist nur l4i Fuss über dem Meere erha-
ben. Ferner die Neigung zum Versumpfen in dieser
ganzen Fläche; denn der ponlinischen Sümpfe nicht zu
gedenken, welche seit Pius VI. grossentheils in üp-
pige Wiesen und Felder verwandelt sind (wenn auch
die dort aufgerichtete Inschrift: olim palus ponlina
nunc ager pontinus noch etwas zu zeitig ist), so zeigt
Brocchi in seiner Schrift: Sul stato fisico del suolo
di Roma. Rom. 1820. , dass im alten Rom, selbst in der
Nähe der Tiber., 4 bedeutende Sümpfe waren, welche
Velabrum majus, Velabrum minus mit dem Lacus Cur-
tii, Palus Capraea und Vada Terenti genannt wurden,
und noch heutiges Tages ist die Campagna di Roma
mit vielen sumpfigen Stellen unterbrochen. Ferner,
als Folge von jetzt nicht mehr vorhandenen beträcht-
lichen Aufstauungen süssen kalkhaltigen Wassers
die beträchtlichen Lager von aus solchem Gewässer
niedergeschlagenen Kalktuff. Eine merkwürdige Stelle
dieser Art ist der sogenannte Lago di tartaro zwi-
schen Rom und Tivoli , wo man in einer beträchtli-
chen Ausdehnung den Boden init zackigen Massen die-
23
ses Gesteins bedeckt sieht, welches noch durch tau-
sendfältig modificirte Röhrenbildung beweist, dass es
sich einst um Sumpfpflanzen, namentlich um Schilf-
rohre niederschlug. Endlich hängt hiermit selbst die,
auf die physische Constitution der Eimvohner der Cam-
pagna so eigentümlich einwirkende Beschaffenheit
der Atmosphäre zusammen, welche, als Afia cattiva
gefürchtet, das Heer von Fiebern erzeugt, welche im
hohen Sommer viele Einwohner Roms und der Cam-
pagna in die Berge von Albano und Tivoli treiben,
und dessen ungeachtet Epidemieen erzeugen, welche
veranlassen, dass in dem eigends für diesen Zweck,
obwohl nicht eben vortheilhaft eingerichteten und zur
übrigen Zeit leer stehenden Ospedale S. Carlo , zu-
weilen gegen und über tausend Fieberkranke sich be-
finden , so z. B. im Jahre 1819. — Um es übrigens be-
greiflich zu finden, wie eine halbmondförmige Fläche,
wie die im Halbkreis eingeschlossene zwischen Capo
circello und Civita vecchia (eine gerade Entfernung
von etwa 18 deutschen Meilen ) von vulkanischen
Aschenauswürfen erfüllt werden könne, welche durch
Wasser gebunden zu den in dieser ganzen Gegend
herrschenden Tuffbildungen erstarrten, muss man der
in neuern Zeiten beobachteten Eruptionen z. B. der
Americanischen Vulkane gedenken, wo z. B. im
J. 1797 eine Eruption solcher mit Wasser vermengten
vulkanischen Asche die Gegend von Pelileo in solchem
Umfange bedeckte , dass gegen 40,000 Menschen dabei
umkamen, oder bei dem Ausbruch und Einsturz des
Carguazo am Chimborasso im J. 1698, wo 18 Quadrat-
meilen mit vulkanischem Schlamm (D'Aubuisson sagt
mit Recht, man könne diess aufgeschwemmte vulka-
nische Gebirge nennen) überdeckt wurden. — Dass
übrigens der Boden Roms und der Umgegend eine von
solchen vulkanischen Aschen erfüllte Meeresbucht ge-
24
wesen, wird auch aus der Menge aufgefundener calcinir-
ter Muscheln und Schneckenschalen deutlich, von wel-
chen man auf der unter Aufsicht des Prof. Carpi stehen-
den Sammlung der Universität oder sogen. Sapienza zu
Rom eine schöne Reihenfolge wahrnimmt, eben so wie
anderntheils die vulkanische Beschaffenheit des Bodens
auch den weniger Achtsamen bemerklich werden muss,
sowohl durch die überall dem Boden beigemengten vul-
kanischen Krystalltheilchen von Leucit, Augit u. s. w.,
welche auf allen Wegen ein Flimmern der Erdfläche im
Sonnenlicht, wie von Glassplitterchen, veranlassen, als
auch durch die Lava-Platten des Steinpflasters vom
alten Rom, welches gewöhnlich etwa in der Tiefe
vonlOFuss unter dem jetzigen Pflaster gefunden wird,
so wie durch die ähnlichen Platten der alten via Ap-
pia und der via triumphalis auf dem Monte cavo. —
Und so gelangen wir denn zur Begründung der merk-
würdigen Thatsache, dass Rom, dieser politische Vul-
kan, der zu verschiedenen Zeiten und auf verschiedne
Weise das gesammte alte Festland erschütterte, eben
so wie es in der Geschichte des Menschheitlebens drei
grosse Perioden durchlaufen hat, die Periode der That-
kraft der alten Republik, die Periode schwelgerischer
ausgebreiteter Despotie der Kaiser und die Periode
geistlicher Gewalt unter den Päbsten, so auch seinem
Boden nach durch drei gewaltige Lebenskräfte der Erde
begründet sey ; nämlich zu unterst durch die Unge-
heuern 'Feuerkräfte jetzt längst erloschner Vulkane,
sodann durch die Anschwemmungen der beweglichen
Wogen des alten Meeres , und drittens durch die noch
heutiges Tages fortwirkenden Absetzungen süsser kalk-
haltiger Gewässer; Bildungen, welche in Rom selbst
dergestalt sich vertheilen, dass die sieben Hügel des
alten Roms, der mons Capitolinus, Palatinus, Aven-
tinus, Caelius, Esquilinus, Viminalis und Quirinalis,
25
so wie der neuerlich angebaute Monte Pincio aus vul-
kanischem Tuff mit untermengtem Bimstein bestehen,
wenn hingegen der Mons Janiculus von Meeressand
überlagert ist, während die von der Tiber durch-
strömte Ebene zwischen diesen Hügeln und nament-
lich das alte Marsfeld, welches den bessern Theil des
neuen Roms trägt, Kalk-, selten Kieselsandlager ist,
und Entstehung aus Anschwemmung durch Fluss Was-
ser anzeigt.
II.
Fragmente über die Vegetation in Italien im All-
gemeinen und den Anbau des Oelbaumes
insbesondere.
( Vorgelesen am 9. Decbr. 1828. in der Gesellschaft der Flora
zu Dresden.)
"er Weg des Deutschen zu den schönen Gefilden
des eigentlichen Italiens, führt, kann man sagen,
durch drei Pforten. Mit jeder dieser Pforten hebt eine
wesentliche Veränderung an in der Natur des Bo-
dens und in den Einflüssen des Klimas, mit jeder än-
dert sich die Physiognomie der Vegetation und der
Thierwelt, ja selbst eine neue Eigentümlichkeit des
bewohnenden Menschenstammes macht sich dem auf-
merksamen Beobachter kenntlich. Als solche drei
Pforten bezeichnen wir: zum ersten die Pässe über
die hohen Mauern der Alpen; zum andern, den Weg
über die Höhenzüge der Apenninen, welche das weite
Thal des Po vom übrigen Italien absondern, und zum
dritten, den schmalen Pass, welcher zwischen Meer
und Felsen sich hinziehend , dem von Rom kommen-
den Wanderer das Königreich beider Sicilien eröff-
net. — Insonderheit merklich ist der Unterschied zwi-
27
sehen der verlassenen und der nun betretenen Umge-
bung, wenn man über das Joch der Alpen in das Thal
der Lombardei, oder in das Friaul herabsteigt. Schon
ist das Blau des Himmels reiner, die Kraft der Sonne
grösser, die Luft milder; und geschieht es, dass man
diese Glänzen im Frühjahr überschreitet, so wird es
stets sehr merklich seyn, um wie viel weiter hier die
Vegetation sich vorgeschritten findet. Noch aber ist
die Pflanzenwelt selbst nicht zu auffallend in ihrem
Charakter von der jenseits der Alpen verlassenen ver-
schieden. Die reichere Ausbreitung des Weinstockes,
die langen Anpflanzungen der Maulbeerbäume, das
freiere Wachsthum der Feigen- und der Mandelbäume,
die üppigen Behänge des Epheus, nebst den an Ber-
gesabhängen vorkommenden Castanienwaldungen, ge-
ben noch am entschiedensten den neuen Himmelsstrich
kund. Nichts desto weniger fühlt der Fremdling schon
eine mildere Natur, so dass es ihm halb und halb wie
eine Ungerechtigkeit klingt, wenn er am Fusse der
Apenninen, wie ich in Bologna, aussprechen hört,
dass Italien erst jenseits dieser Berge beginne. Und
doch wie sehr muss man diesen Ausspruch rechtferti-
gen, wenn man nach den überstiegenen Höhenzügen
von Pietra mala in das Thal des Arno eintritt, oder
später über die Gebirgsrücken des Santa Fiore und
Radicofani, ja zuletzt über die alten erloschenen Vul-
kane von Viterbo in die Campagna von Rom herab-
steigt. Obwohl das Thal des Arno noch nicht jener
Klarheit und Milde der Luft geniesst, welche einen
wesentlichen Buchstaben in der Zauberformel der al-
ten Roma bildet, so begrüsst doch den Eintretenden
zuerst um Florenz die unendliche Verbreitung des
Oelbaumes, welche der Physiognomie der Vegetation
im Grossen sogleich einen ganz neuen und südlichen
Charakter aufdrückt. Ich werde den Eindruck nicht
28
vergessen, den es auf mich machte, als ich am 18ten
April 1828 bei einem von leichtem Gewölk umflohrten
Himmel, angenehm warmer Luft, und bei feinem vor-
sommerlichen Regen in das anmuthige Thal herabfuhr;
mit Lust erblickt das Auge die weit hingestreckten,
abgerundeten Hügel sämmtlich mit dem Silberlaube
dieses der Minerva geheiligten Baumes bekleidet,
unter welchem , einen dunkeln Gegensatz bildend,
Massen und Reihen von bald gespitzten, bald tannen-
artig ausgebreiteten Cypressen emporragen. Nicht
minder beurkunden Castanien, immergrüne Eichen,
Feigen, Mandelbäume, und unendlich ausgebreitete
Anpflanzungen des Weinstockes die grössere Fülle der
Vegetation, während um die noch so kleinen Häuser
der Landleute nie die Anpflanzungen der schönblättri-
gen Artischocken fehlen. Rechnet man nun hinzu,
den Anblick der im Grunde des Thaies gelegenen al-
ten, um Künste und Wissenschaften so hoch verdien-
ten Stadt, die unzähligen, die Hügel bedeckenden
und in der Fortsetzung des Thaies gelegenen Land-
häuser und kleinern Ortschaften, so ergiebt sich ein
Gemälde, dessen Anmuth von Manchem erst dann
recht erkannt wird, wenn er längst oder vielleicht für
immer davon geschieden ist. Die grössern Begünsti-
gungen der Vegetation in diesem Klima empfinden
insbesondere auch die Gärten, und namentlich die bo-
tanischen Gärten, wo so vieles frei und fröhlich im
Lande gedeiht, was bei uns mühsam in Treibhäusern
gezogen werden muss. Auch verschaffte P. A. Mi-
cheli bereits im Anfange des achtzehnten Jahrhun-
derts dem botanischen Garten zu Florenz einen unge-
wöhnlichen Ruf, und im botanischen Garten zu Pisa
fand ich mich, ausser durch eine im Allgemeinen rei-
chere Pflanzenkultur, gleich am Eingange durch drei
Bäume von 1t — 3 Fuss Durchmesser überrascht, von
29
denen der eine eine hochstämmige mit schön sich entfal-
tenden Aesten prangende Ginko oder Salisburia war,
während ich in dem zweiten eine nicht minder grosse
mit schönen Blüthen bedeckte Magnolia , und in dem
dritten die Ceder des Libanon erkannte, welche in 35
Jahren einen Durchmesser des Stammes von 3 Fuss
erreicht hatte. Ausserdem ist die mit ihren feder-
buschartigen Blüthen geschmückte Acacia Julibrisin,
die kleine Fächerpalme (Chamaerops humilis), die
Aloe, die uneigentlich sogenannte Stechpalme (Yucca),
der Granatbaum, der Lorbeer, Viburnum Tinus, der
Kirschlorbeer (Prunus Laurocerasus) , die letztern ge-
wöhnlich zu hohen Hecken und Boskets geordnet, ei-
ne sehr häufige Zierde der Gärten, Avährend die im-
mergrüne Eiche (Quercus Hex) und die Pinie (Pinus
Pinea) schon gleichsam allgemeines Bürgerrecht auf
diesem Boden sich erworben haben. Ich will bei die-
ser Gelegenheit bemerken, dass jetzt Professor Tar-
gioni Tozzetti in Florenz in dem Coli egio zu Santa
Maria nuova, und Professor Sa vi der Vater zu Pisa
die Botanik vortragen, während an dem mit dem
Museo di storia naturale verbundenen botanischen
Garten zu Florenz der Aufseher desselben Piccioli
durch Herausgabe einiger botanischer Kupferwerke
bekannt ist, und ausserdem zu Florenz ein der hie-
sigen Gesellschaft der Flora ähnlicher Verein, unter
dem Namen Imp. e R. Accademia economico - agraria
dei Georgofili di Firenze besteht.
Was die Umgebung von Rom betrifft, so scheint
hier trotz des unendlich klaren Himmels die Natur,
gleichsam als ob sie über eine grosse Vergangenheit
trauerte, in der Ueppigkeit der Vegetation einen Rück-
schritt gemacht zu haben. Weite Strecken der Cam-
pagna di Roma sieht man blos mit dem melancholi-
schen Adlerfarrenkraut (Pteris aquilina) überzogen,
30
und selbst der häufige zu hohen Büschen mit armstar-
ken Stämmen anschiessende Ginster (Spartium scopa-
rium), giebt der Gegend, wenn man ihn gerade nicht
in Blüthe trifft, ein steppenartiges Ansehn, welches
nur durch den, in den ersten Tagen des Maies in
lustiger Blüthe stehenden Asphodelus ramosus, wel-
cher oft grosse Flecken überdeckt, und an die zu den
Schatten der Unterwelt führende Asphodeluswiese
beim Homer erinnert, am meisten aber freilich , durch
das unendlich heitere Sonnenlicht gemildert , ja ver-
schönert Avird. Freundlicher hingegen, und selbst die
Toscanische übertreffend, ist die Vegetation auf den
Gebirgen der Umgebung von Rom. Hier wechseln
wieder Olivengärten, gleichzeitig Wein und Getreide
tragend, mit Castanienwaldungen, deren Bäume ich
nirgends von so ehrwürdigem Alter und von solcher
Stärke gefunden habe, wie bei Rocca di Papa in der
Umgegend des Sees von Albano, einer überhaupt durch
herrliche Bewaldungen von immergrünen und Steinei-
chen, Ahorn, Ulmen und Platanen reich gesegneten
Landschaft. Zugleich werden die windenden Pflanzen,
wie Epheu uud wilder Wein, immer wuchernder, und
üherziehn mit ungemeiner Ueppigkeit Mauerwerk und
Stämme, während in den Wäldern der Gebirge die
zierlichsten Blüthenpflanzen, wie Orchideen (z.B. Sa-
tyrium abortivum und Orchis fusca), wohlriechende
Narcissen (Narcissus poeticus) Anemonen und andere
häufig sich finden. Was die Hesperideen betrifft, so
ist für sie auch Rom noch kein recht heimathlicher
Boden, da nur die kleinern bittern Orangen im Win-
ter ohne weitere Sorge aushalten, und die edlern Sor-
ten noch immer die Pflege des Gärtners sehr in An-
spruch nehmen. Professor der Botanik in Rom ist
Mauri, welcher jetzt mit Vollendung einer Flora von
Rom sich beschäftigt.
31
Hie und da kündigt nun schon zu Rom eine ein-
zelne Dattelpalme (Phoenix dactylifera), jedoch hier
noch nie Früchte bringend, den dritten Abschnitt Ita-
liens an, und abermals wird der Fremde betroffen,
wenn ihm gesagt wird, wie es mir zu Rom geschah,
dass das rechte und eigentliche Italien erst bei Ter-
racina, als jener früher bezeichneten dritten Pforte,
anfange. Auf dem Wege dahin, wo dieser sich hinter
Velletri in die pontinischen Sümpfe herabsenkt, ver-
liert man die bisher zur Gewohnheit gewordenen Oli-
vengärten allmählich ganz aus den Augen. Erst durch
mit Eichen bewaldete Hügel , mit Farrenkraut und Gin-
ster unterwachsen, durch Wiesen häufig mit Cistus-
röschen (Cistus albidus) bedeckt, gelangt man in das
grosse sumpfige , durch Abzugsgräben entwässerte Ter-
rain, welches unter dem Namen der pontinischen
Sümpfe bekannt ist, und wo eine Vegetation beginnt,
welche der unserer fetten, feuchten Wiesenländer
nicht unähnlich ist. Während des Durchfahrens im
Monat May sah ich die ganzen weiten Wiesenfiä-
chen mit gelben Ranukeln bedeckt, und am Wege
Doldenpflanzen, wie Chaerophyllum hirsuturn, unter-
mischt mit Galega officinalis , Ampferarten etc. , so wie
an den Gräben Schilfarten und Schwerdtlilien mit
ausserordentlicher Ueppigkeit wuchern. Jetzt aber
öffnet sich die dritte Pforte , welche die dem südlichen
Italien eigne Natur aufschliesst, und ausserordentlich
scharf abgeschnitten , ändert sich der Charakter der
Gegend und der Vegetation, so wie man Terracina
erreicht. Auf den felsigen Anhöhen über der Stadt,
welche die Ruinen der Burg des Theodorich tra-
gen und denen das reizende Vorgebirge der Circe
gegenüber liegt, fühlt man sich allerdings zuerst in
einer ganz anderen Natur. Gräser, Blüthenpflan-
zen und Bäume, alles ist anders; Myrthensträucher,
32
Johannisbrodbäume (Ceratonia siliqua), baumartige
Wolfsmilcharten (Euphorbia dendroides) üppige Acan-
thusstauden, nicht windende Convolvulusarten (Con-
volvulus altheoides und cantabrica) , Psoralea palesti-
na, Orobanche elatior und hundert andere mir noch
neue Pflanzenformen schimmerten im heitersten Son-
nenlicht, während der Fuss dieser Felsen, mit Cactus
Opuntia, Anlagen von Citronen und süssen Orangen-
bäumen, Oel- und Feigenbäumen, so wie mit mehre-
ren Dattelpalmen geziert war. Auf den Rücken die-
ser Felsen war es auch, wo ich am dritten May zum
erstenmale dem Einsammeln der reifen Oliven begeg-
nete, indem Landleute mit grossen flachen Körbender
schwarzblauen, fast schleeenähnlichen Oliven heran-
kamen, welche man hier länger als nöthig auf den
Bäumen zu lassen scheint, da doch selbst in den obern
Gegenden Italiens, Ende Aprils, diese Erndte schon
überall vorbei war, ja weiter hinunter gegen Itri und
Mola di Gaeta zuweilen Bäume gesehn wurden, schon
wieder mit neuen Blüthen bedeckt, während darneben
andere noch mit den schwarzen Früchten in Menge
behangen waren. — Sei es mir erlaubt, um wenigstens
über einen Gegenstand einige speciellere Bemerkun-
gen mitzutheilen, hierzu den durch graues Alterthum
geheiligten, und von Griechenland in diese Gegenden
eingewanderten Anbau des Oelbaums zu wählen. Ich
werde hierbei theils das, was ich selbst gesehen und
erfahren habe, theils die Bemerkungen, welche Carl
Ulysses von Salis Marschlins in seinen Reisen
durch die verschiedenen Provinzen des Königreichs
Neapel (Zürich und Leipzig 1793.) mitgetheilt hat,
benutzen, theils einen Auszug aus den interessanten
Osservazioni su gl'insetti dell olivo e delle
olive, von Oronzo Gabriele Costa, einem vor-
züglichen Entomologen Neapels, geben: —
33
Nicht unberücksichtigt kann es aber zuerst blei-
ben, dass von dem Oelbaum, so wie von den meisten
Obstbäumen, eine Menge Varietäten existiren, wel-
che theils Grimaldi, theils Giovani Presta in
eigenen Schriften beschrieben haben, und von denen
ich hier nur, als die wichtigsten Varietäten, den ver-
wilderten Oelbaum (Olivastro) und die beiden culti-
virten Arten Oliarola und Cellina , deren erstere man
zum Anbau am vortheilhaftesten hält, namhaft machen
will. Die Vermehrung des Oelbaumes betreffend, so
geschieht sie entweder durch Veredeln alter verwilder-
ter Stämme , durch Oculiren nutzbarer Arten , oder
indem man abgeschnittene Aeste oder kleine Wasser-
schösslinge guter Art , in fruchtbares Land eingegra-
ben, unter sorgfältigem Begiessen, nach und nach zu
selbstständigen Bäumen erzieht, so dass dieser Baum,
der in seinem ganzen Habitus mit unsern Weiden
manches ähnliche hat, auch rücksichtlich der Vermeh-
rungsfähigkeit mittelst abgeschnittener Zweige mit
ihnen übereinstimmt. —
Die Arbeiten, welche an den Olivenbäumen vor-
genommen werden, bestehen theils in dem im Anfange
des Jahres vorgenommenen Umhacken der Erde in der
Nähe des Stammes, und der damit verbundenen Dün-
gung, welche schon Columella empfahl, und Avelche
nur von einigen Neuern, als dem Geschmacke des
Oels nachtheilig verworfen wird; ferner in dem vor-
sichtigen Ausschneiden desselben. — Dieses Beschnei-
den pflegt gewöhnlich im ersten Frühjahr vorgenom-
men zu werden. In Florenz fand ich die Leute in den
Olivengärten in der zweiten Hälfte des Aprils damit
beschäftigt, erfuhr, dass man es sich zur Hauptauf-
gabe machte, die Bäume in der Mitte auszulichten,
und die Krone mehr in die Breite zu ziehn, und sah
hierbei ein sehr zweckdienliches 15 bis 16 Zoll lan-
3
34
ges Werkzeug benutzen , welches , eine Vereinigung
vom grossem Gartenmesser und Beil darstellend, sich
sehr bequem beim Besteigen des Baumes, mittelst ei-
nes Hakens am Gürtel anhängen lässt , und dessen
ohngefähre Zeichnung ich hier beifüge.
~U
Nur in Calabrien soll das Schneiden der Oelbäu-
me ungewöhnlich, ja das Volk überzeugt seyn, dass
sich der des Kirchenbannes schuldig mache , der einen
einzigen Ast vom Olivenbaume abhaue ; weshalb man
dort auch die ehrwürdigsten, obgleich Aveniger nutz-
baren Olivenwaldungen vorfindet. Das Blühen der
Olivenbäume fällt im Monat May und Juny, und es
gewähren dann die gelblichen Blüthentrauben unter
dem silberfarbenen Laube einen angenehmen Anblick.
Im Oktober fangen die Früchte an zu reifen, sind in-
dess noch grün, werden aber auch so bereits in Menge
gesammelt, eingesetzt, und dienen in dieser Gestalt,
als eine häufige auf den öffentlichen Plätzen ausgebo-,
tene, und fast auf allen Tischen vorkommende Speise,
welcher man eine die Verdauung stärkende Kraft zu-
schreibt. Schon bei den alten Römern war der Ge-
nuss dieser etwas herben Kost sehr gewöhnlich, und
Marschlins hat mit Sorgfalt die Stellen aus Colu-
mella, Cato, Varro und Palladius*) gesammelt,
*) Palladius Lib. XII. Cap. 22. Columbares Olivae fiunt
sie : Alternis cratibus olivarum pulejum spargis et mel et acetunt
et sales modice stratura intercedente suffundes. Item sternes
olivas supra surcülos foeniculi vel aneti sive lentisci et ramis
35
in welchen sie das Einmachen der Oliven beschrei-
ben. Auch ein eigenes Oel (Olio onfacino oder Oleum
strictivum bei den Alten) kann um diese Zeit aus den
Oliven gepresst werden. — Eigentliche Reife erlangt
diese Frucht erst im December, und von hier an bis
zum März oder April pflegt das Einsammeln derselben
und zwar auf verschiedene Weise zu geschehn , in-
dem von sorgfältigem Anbauern sie vorsichtig abgele-
sen werden, während von Nachlässigem das freiwil-
lige Abfallen abgewartet wird, so dass dann das Ein-
tragen oft erst im May, ja im Juny (wie namentlich
in Calabrien) geschieht, welches jedoch keineswegs
zum Vortheil der Oelbereitung gereichen soll. Der
Geschmack der reifen Oliven ist ein widerlich fetti-
ges Bitter, und was die Benutzung derselben zur Oel-
bereitung anbelangt, so erfordert sie einen doppelten
Process : nehmlich,
1) die Zerquetschung der Oliven zu einem hin-
reichend geschmeidigen Teige, und
2) das Auspressen dieses Teiges entweder an und
für sich oder je nachdem derselbe mit warmem Was-
ser überschüttet worden ist.
Die Vorrichtungen zur Quetschung der Oliven,
oder die Oelmühlen (Trappeti) bestehen gewöhnlich
in einem grössern ausgehöhlten steinernen Behälter,
in welchem ein einziger mühlsteinartiger Stein, und
zwar aufrechtstehend, an einem, einer beweglichen
Spindel angefügten Querarme, sich im Kreis herum-
bewegt, oder wohl auch zwei halbkugliche Mahlsteine
zugleich , durch eine ähnliche Vorrichtung herumge-
trieben werden. Um das Auspressen der Oliven zu
bewerkstelligen, wird der gequetschte Teig in Cylin-
olivae subditis aceti heminam et muriam suffundis , et has con-
structiones usque ad vasculi plenitudinem patieris insurgere.
3*
36
der gethan, die aus auf einander gesetzten Stroh -
oder Binsenringen (Fischioli) aufgebaut sind, und de-
ren mehrere zugleich unter einem starken Pressbau-
me dergestalt zusammengedrückt werden, dass das
Oel zu den Seiten dieser Cylinder hervorläuft. Das
erste am leichtesten ausfliessende Oel ist dann das
beste, während das erst mit Beihülfe des warmen
Wassers ausgeschiedene schon um vieles geringer ist,
und das letzte nebst dem Satz nur zu dem gemeinsten
Gebrauch, z. B. für die Seifenfabriken anwendbar ist.
Zum Auspressen des Oeles hat neuerlich übrigens der
Grossherzog von Toscana, auf einigen seiner Güter,
die Brama'sche Wasserpresse in Anwendung bringen
lassen, und es war mir höchst interessant, mich, an
einer zu Florenz selbst gebauten sehr schönen Ma-
schine dieser Art von der Ungeheuern Kraft dieses
doch so einfachen Werkzeuges überzeugen zu können.
Man wird sich von dieser Kraft eine Vorstellung ma-
chen können, wenn ich anführe, dass ein zwei und
einen halben Fuss langes Stück eines 12 bis 13 Zoll
im Durchmesser haltenden alten Olivenstammes, trotz
der ausnehmenden Festigkeit und Trockenheit seines
Holzes, mittelst einer solchen Presse seiner Länge
nach um einen ganzen Zoll zusammengedrückt wor-
den war.
Was nun die dem Oelbaum feindlichen Insekten
betrifft; so beschreibt Costa in der oben erwähnten,
im Jahre 1827 gedruckten Abhandlung, zuerst den
Coccus oleae, welcher nach der Weise der an unserer
Orangerie so häufig vorkommendeu Coccusart, seinen
höchst einfachen Lebenslauf, doch nicht ohne Nach-
theil des Baumes und der Zweige, vollführt. Merk-
würdig ist es insbesondere, wie das Weibchen mit
seinem grössern Schilde, über der davon beschirmten
Eiermasse abstirbt, und den Winter über mit seinem
37
Leichnam die Brut des künftigen Jahres fortwährend
bedeckend, endlich als unnütze Hülle abfällt, wenn
die, von Costa zuerst ausführlich beschriebenen und
abgebildeten Jungen herauszukommen beginnen. Wie
indess in der Natur, und so oft auch im menschlichen
Leben nichts so klein ist, das nicht seinen noch
kleinern Feind hätte; so berichtet auch Costa noch
von einigen fast microscopischen Schlupfwespen (einer
dem Ichneumon coccorum Fab. verwandten Art, und
einem neuen Cinips), welche diesen Coccus wieder,
wie andere Schlupfwespen etwa unsere Raupenarten
anstechen, Eier hineinlegen, deren ausgekrochene
Larven den Coccus auszehren und tödten, sich selbst
aber unterhalb seines Schildes zu Puppen verwandeln,
und endlich als vollkommene Insecten den Coccus
durchbrechend, davon fliegen. Ausser jenem Coccus
erwähnt Costa noch eine besondere, den Blüthen
und ersten Fruchtkeimen gefährliche Noctua, so wie
er den, von Angelini und Briganti beschriebenen
Arten : Tinea olaeella und Tinea olivella noch eine
dritte Art Tinea zuzählt, wrelche er zwar gleich jener
Noctua beschreibt, ohne sie jedoch mit besondern
Namen zu bezeichnen. Endlich werden noch, ausser
den Larven des Nashorn- und Maikäfers, der Hyle-
sinus oleae , Bostrichus Oleiperda nebst einem Curcu-
lio, einer Coconiella, und einer Altica, als gefährli-
che Feinde dieses nützlichen Baumes durch Costa
aufgeführt.
Doch es ist Zeit, dass ich von dieser Digression
zurückkehre, um die letzten Striche zu diesen Um-
rissen einer Charakteristik italienischer Vegetation
hinzuzufügen, welche von Terracina an, wo man in
näherer Berührung mit dem Meere bleibt, nicht mehr
als blosse Vegetation des Landes i sondern zugleich als
Vegetation der Gewässer erscheint. — Findet man es
38
daher auch nur als eine Fortsetzung der Vegetation
von Terracina, wenn auf dem Wege nach Neapel um
Fondi und Mola di Gaeta dichtere Orangen-Boskets
vorkommen, wenn eine neue mit schönen Cistusarten
untermengte Bergflora die Engpässe bei Itri ziert, hin-
ter Mola di Gaeta die Felder mit grossen Agavestau-
den (von den Neapolitanern Sempreviva genannt) ein-
gefasst sind, und in der Campagna felice bei minder
grosser landschaftlicher Schönheit der Gegend, die
ausserordentlichste Fruchtbarkeit des Bodens erfreut,
als welche immer auf einem und demselben Boden
wenigstens drei Erndten zugleich gewährt, so eröffnet
sich doch schon auf der letzten Station vor Neapel,
von wo an zugleich mit einemmale die Dächer von
den Häusern verschwinden, wenn auch nicht eine neue
Flora, doch eine neue eigenthümliche Art der Bebau-
ung des Landes. Sind wir nämlich bei uns gewohnt
die Getreidefelder frei in weiten Flächen sich hinstrek-
ken zu sehen , und sieht man sie im obern Italien nur
mit niedrigen Bäumen bepflanzt, so sehen wir sie hier
mit hochstämmigen Ulmen und Obstbäumen überall
besetzt, in deren Wipfel hinauf Weinstöcke sich schlin-
gen, welche in weiten Gehängen über dem wallenden
Weitzen und üppigen Maispflanzungen schweben , um
durch ihren Schatten die Austrocknung des Bodens
wenigstens in etwas zu mindern. Was aber die Ve-
getation des Meeres betrifft, so wird sie in doppelter
Hinsicht merkwürdig, einmal weil sie in den mannig-
faltigen Ulven, Zonarien und Fucusarten, so höchst
eigenthümliche Gestaltungen, und die zierlichsten,
vorzüglich glänzend violettblauen und grünlichen Fär-
bungen enthält, und ein andermal weil sie sich auf
das innigste mit den niedrigsten Formen des Thier-
reichs, den Gorgonien, Sertularien, Acetabuln und
Corallen durchdringt und verbindet.
39
Wie sehr endlich die allgemeine Ueppigkeit der
Vegetation in und um Neapel auch den Gärten wieder
zu Gute komme, bedarf nach dem Vorhergehenden
kaum der Bemerkung, und ich erlaube mir nur noch
über den botanischen Garten zu Neapel einige Worte
beizufügen. Es ist aber derselbe ohnfehlbar als eins
der schönsten Institute seiner Art zu betrachten, und
sein würdiger sehr kenntnissvoller, und insbesondere
um die Flora von Neapel sehr verdienter Director,
Prof. Tenor e geniesst die Freude ein Werk jetzt im
eigentlichen Sinn in schönster Blüthe zu erblicken,
zu welchem er den Plan zuerst entworfen und dessen
Entwickelung er geleitet hat. In einer sehr bedeuten-
den Ausdehnung und bei geschmackvoller eleganter
Anlage erfüllt dieser Garten einen doppelten Zweck,
einmal in seinen weitläuftigen offnen Gängen einen
angenehmen Spaziergang dem Publicum zu bieten, ein
anderesmal in verschlossenen Gehegen und einem
schön ja grossartig angelegten Treibhause eine grosse
Menge merkwürdiger Pflanzen zu ziehn. Für den Nord-
länder ist es eine besondere Freude, eine Menge Pflan-
zen , welche bei uns nur unter mühseliger Pflege in
Treibhäusern aufkommen, unter diesem milden Him-
mel freudig im Lande gedeihen zu sehn, so dass denn
eben dadurch der Umfang des Treibhauses , welches
trotz seiner Geräumigkeit doch nach unserm Maass-
stabe viel zu klein für eine Anlage dieser Art er-
scheinen müsste, eine grosse Beschränkung zulässt.
Wie schön standen nicht in einem besondern Gehege
die neuholländischen Bäume und Sträucher : Metroside-
ros, Casuarina, Accacia, Eugenia, Eucalyptus und
dergleichen, grösstentheils in Blüthe, wie interessant
war es nicht, unweit davon mehrere von Tenore
als neu beschriebene und benannte neapolitanische
Bäume, Alnus cordata, Acer neapolitanum, Acer Lo-
40
belii, und dann wieder ganz fremdartige wie Styrax
officinale, Laurus Camphora und dergleichen kräftig
sich ausbreiten zu sehen, während in dem schon jetzt
im May längst ganz offnen Hallen des Treibhauses
eine Reihe Caffeesträucher voll reifer Beeren hing,
und auf der andern Seite des Hauses ein Paar grosse
Pisangbäume ihre saftigen Früchte von fast feigenar-
tigem Geschmacke darboten. Ist dagegen auch etwas,
dessen Pflege auch hier einigermaassen Mühe kostet,
so sind es die nördlichen, und die Pflanzen aus hö-
hern Gebirgen, und ich war nicht wenig verwundert,
als mir Tenore z. B. ein massiges Exemplar von
Rhododendron ponticum in Blüthe als eine besondere
Merkwürdigkeit vorzeigte.
Doch es sei genug dieser fragmentarischen nur zu
unvollkommenen Schilderungen! und nur eins will ich
am Schlüsse noch erwähnen , wie nämlich doch der
höchste Reiz dieser neapolitanischen Gefilde die
schöne Klarheit des Himmels , mit ihrer milden gleich-
massig erwärmten Luft und der unendlichen Fülle des
herrlichen Sonnenlichtes sei; denn diese ist es, wel-
che jedem Empfänglichen die Wahrheit von Göthe's
Ausspruch verständlich machen muss, nämlich: „ dass
es unmöglich sei, dass der Mensch ganz unglücklich
werde , dem die Erinnerung von Neapel bleibend ge-
worden ist."
41
Verzeichniss einiger auf der Reise durch Italien
, gesammelten und eingelegten Pflanzen*) als
Anhang zu obiger Vorlesung.
Ober-Italien.
Hyacynthus comosus .... Verona
Leucoium aestivum .... Mestre.
Tnula salicina Lago di Como.
Bupthalnium salicifolium . . —
Chlora perfoliata ..... —
Scolopendrium officinarum . —
Cyclamen europaeum .... Lago maggiore.
Saxifraga Burseriana . . . . ^ Buonterra.
Rosa arvensis Domo d'Ossola.
Phytolacca decandra .... Magadino.
Anthericum Liliago. .... —
Ulva intestinalis Venedig.
— lactuca ....... —
Mittel-Italien.
Florenz.
Iris florentina ...
Gnaphalium augustifolium
Prunella laciniata . . .
Erysimum diffusum . .
Oenanthe pimpinelloides
Parietaria judaica . . .
Vinca major
Hordeum vulgare var. steril. . —
(das zum Strohflechten, als einer wichtigen Industrie
Toscana's , benöthigte Material liefernd. )
*) Durch Herrn Hofrath und Prof. Reichenbach syste-
matisch bestimmt.
42
Sonchus tenerrimus
Trifolium angustifoliuni
Centaurea Calcitrapa
Lotus hirsutus . .
Sisymbrium tenuifolium
Ophrys arachnites
Stachys silvatica
Laurus nobilis .
Viburnum Tinus
Quercus Cerris .
Andromeda arborea
Asplenium Adiantum nigrum
Ceterach officinalis
Asplenium trichomanes
Sedum cepaea
Ajuga Chamaepitis
Xanthium italicum
Statice sinuata .
Orobanche elatior
Hyoseris radiata
Bupthalmum spinosum
Calendula stellata .
Anthemis tinctoria .
Anacyclus tomentosus
Arnopogon Dalecampii
Linaria spuria
Fumaria capreolata
Centaurium Erithraea
Heliotropium europaeum
Verbascum sinuatum
Scabiosa setifera
Echium italicum
Cineraria maritima
Poterium hybridum
Tordvlium officinale
Florenz.
— (bort.)
— (hört )
— (hört )
Fiesole.
43
flor. lut.
Gladiolus segetum .
Polygala comosa var.
Cochlearia Drapa .
Onobrychis sativa .
Lathyrus silvestris
Arum italicum . .
Sambucus Ebulus .
Erica arborea . .
Aristolochia rotunda
Euphorbia neapolitana
Cistus albidus . .
Galium purpureum
Thymus vulgaris
Narcissus poeticus
Asphodelus ramosus
Valantia muralis
Coronilla securidaca
Teucrium chamaedrys
— flavum
Punica Granatum .
Ziziphus vulgaris .
Quercus austriaca .
Melia Azedarach
Adiantum capillus Veneris
Stachys hirta
Acanthus mollis .
Campanula Erinus
Melissa officinalis
Lotus corniculatus var
Orchis fusca . . .
Satyrium abortivum
Satureja Juliana
Ferula nodiflora . .
Smyrnium Olusatrum
Olea europaea . .
Montefiascone.
vill.
Siena.
Bolsena.
Lucca.
Viterbo.
Rom.
— (hört.)
— (hört.)
Terni.
44
Lavatera Olbia Albano.
Iris spuria —
Serapias rubra Orvieto.
Anemone hortensis .... —
Galega officinalis Pont. Sümpfe.
Unter-Italien
Allium hirsutum . .
Trifolium ligusticum .
Convolvulus altheoides
— cantabrica
Stachys maritima . .
Chrysanthemum coronarium
Astragalus monspessulanus
Juniperus Lycia
Buxus sempervirens
Myrthus communis
Cerinthe aspera
Briza maxima . >
Ceramium rubrum .
Fucus selaginoides
Pelargonium longicaule
Acer opulifolium
— neapolitanum
— Lobelii „ .
Styrax officinalis
Alnus neapolitana .
Metrosideros lanceolata
CofFea arabica . .
Quercus Hex . .
Asparagus tenuifolius
Fucus foeniculaceus
— natans . . .
Delesseria membranacea
Terracina.
Neapel.
— (hört.)
— (hört.)
45
Zonaria pavonica .. . .
Neapel.
Campanula speculum . .
Pompeji
Doroconium herbaceum .
—
Ornithopus scorpioides .
—
Anagallis coerulea . . .
Vesuv.
Paestum.
III.
Bemerkungen zur Naturwissenschaft und Hei!
künde, und zu deren gegenwärtigem Stande
in Italien.
W enn ich es unternehme hier zusammenzustellen, was
in obgenannter Beziehung bei einem kurzen Aufent-
halte in Florenz, Born, Neapel und einigen anderen
Orten Italiens mir wichtig geschienen hat, so ge-
schieht diess zunächst um in der Erinnerung in ein
überschaubares Bild zu vereinigen, was in der Wirk-
lichkeit nur in Bruchstücken ergriffen und aufgezeich-
net werden konnte , eben aber in diesem fragmentari-
schen Zustande am wenigsten festzuhalten gewesen
wäre. — Die Beise an sich, so wie meine Stellung auf
derselben, hatte allerdings einen ganz andern Zweck
als wissenschaftliche und gründliche Untersuchungen
anzustellen, und es musste mir bei einem so schnellen
Durchzuge offenbar mehr als Aufgabe erscheinen, we-
nigstens von der Gesammteigenthümlichkeit dieser
schönern südlichen Natur , dieses merkwürdigen Bo-
dens und dieser anders lebenden Menschen eine mög-
lichst deutliche Vorstellung mir einzuprägen, als dass
ich hätte glauben dürfen zu dem Vielen, was über Ita-
lien auch in wissenschaftlicher Beziehung gearbeitet
worden ist, wirklich neue und bedeutende Beiträge ge-
ben zu können. — Ich Averde daher hier nur ganz ein-
47
fach aus meinen Tagebüchern ausziehen, was in den
genannten Kreis von Gegenständen gehört und mir in-
teressant erschienen oder früher nicht bekannt gewor-
den war, und sollte darunter Einer oder der Andere
etwas auch ihn ansprechendes oder sonst merkwerthes
finden, so gebrauche er es mit mir, und begünstigt ihn
die Gelegenheit, so suche er es zu vervollständigen
oder auch, wo es dessen bedürfen sollte, zu berichtigen.
Der erste Ort, an welchem mir nur einige Zeit
vergönnt war mich um Gegenstände medicinischen
Wissens zu bekümmern, war Parma. Wohnend im
Pallast Ihro Kaiserl. Hoheit der Erzherzogin Maria
Luise, wurde es mir leicht eine Stunde zu finden , um
die Einrichtung der Hofapotheke , welche gleich Biblio-
thek, Gallerie, Akademie der Künste, Theater u. s. w.
mit in den weitläufigen Gebäuden des Pallastes be-
griffen ist, etwas näher kennen zu lernen, und den
Mittheilungen eines mit der Leitung derselben beauf-
tragten Deutschen, Namens Lange, welcher seine
Studien in Prag gemacht hat, verdanke ich mehrere
belehrende Bemerkungen : — So ist z. B. schon für den
fremden Arzt, welcher aus einer italiänischen Officin
Arzneyen verordnet, die Beachtung der Verschieden-
heit des Gewichtes unerlässlich , da das italiänische
Gewicht um so viel kleiner ist, dass der Gran nur
ohngefähr 4 des deutschen Gran beträgt, indem der
Scrupel zu 24 gr, statt zu 20 gerechnet wird, und 12
Unzen italiänischen Gewichts nur etwa 9 Unzen 3
Quentchen österreichischen Gewichts gleichkommen.
— Nächstdem ist besondere Aufmerksamkeit des Arz-
tes auf gehörigen Gebrauch der Medicamente zu rich-
ten, da es durchaus nicht üblich ist, die Medicamente,
wie sie aus den Apotheken verabfolgt werden, weder
mit gehörigen Signaturen zu versehen, noch überhaupt
sorgfältig zu verwahren.
48
Obwohl diese unter einem Deutschen stehende
Apotheke eine der am besten eingerichteten war , die
mir in Italien vorgekommen , so wurden doch z. B. die
Mixturen in dünnhälsigen Gläsern blos mit etwas Pa-
pier oder Baumwolle verstopft und ohne alle Signatur
über Gebrauch und Person, für welche das Mittel be-
stimmt war, verabfolgt. Eben so die Pillen und Pul-
ver, und zwar gewöhnlich nur in Papier eingepackt.
Von den Nachlässigkeiten, welche überdiess in andern
italiänischen Apotheken bei Bereitung der Arzneyen
häufig vorfallen , werde ich weiter unten einige Bei-
spiele anführen können. Unter den bei uns weniger
oder gar nicht üblichen, dort aber häufig angewende-
ten Mitteln erwähne ich insbesondre die Datisca can-
nabina, welche als Ueblichkeit, Brechen und Abfüh-
rung erregendes Mittel bei gastrischen, scrophulösen
und ähnlichen Krankheiten öfters gegeben wird und
zwar zu 3 bis 7 oder 8 Gran , z. B. nach folgender Formel :
R. Folior. Cannabinae gr. iij.
Sulphat. martis gr. ij.
Electuar. lenitiv q. s. ut f. bolus, dent. tal.
dos. Nr. XII. •)
Die Pflanze pflegt daher zum Arzneygebrauch in
botanischen Gärten gezogen zu werden. — Eben so
wird die Murias calcis nicht selten als inneres Mittel
angewendet, und zwar insbesondere bei scrophulösen
Zufällen in destillirtem Wasser aufgelöst zu 6 bis 10
Gran täglich etwa. Ein Mittel, mit welchem übrigens
häufig das Decoct der Blätter des Wallnussbaumes
(etwa 3 Drachmen auf 1 Pfund Wasser) verbunden zu
werden pflegt. — Vor weniger als einem Jahre war
*) Die Form des Bolus und grösserer Pillen von 4 bis 6
Gran, welche nur Aveich bereitet und in kleinen Quantitäten ver-
schrieben werden , wird überhaupt besonders beliebt.
49
ausserdem ein Anhang zur eingeführten Pharmakopoe
erschienen (Additamenta codici medicamentario Par-
mensi, Parmae 1827) in welchem folgende Mittel noch
gesetzlich eingeführt werden: — Borussias Potassae
et ferri s. Ferrocyanas potassae, Coeruleum beroli-
nense, Jodium, Morphium, Acetas morphinae, Acidum
hydrocyanicum juxta method. Gay-Lussac. , Acidum
hydrocyanicum alcoholicum, Cyanuretumpotassii, Cya-
nuretum hydrargyri, Acidum hydriiodicum, Hydriiodas
Potassae, Hydriiodas joduratus Potassae, Pomata cum
hydriiodate Potassae, Pomata cum Jodio., Jodas potas-
sae, Hydras deutoxydi Potassii, Emetina, Strychnina,
Extractum alcoholicum nucis vomicae, Extractum opii
sine narcotina. — Unterzeichnet ist dieser Nachtrag
von zwölf Medicinalpersonen, theils Medicinalräthen,
theils Professoren der Medicin, Chirurgen und Phar-
maceuten. Ihre Namen sind: Antonio, Cajetano,
Morigi, Guidotti, Gottardi, Mazza, Toschi,
Lorenzini, Saglia, Rasori, Basili undFragni.
— Was Mineralwasser betrifft, so werden von Parma
aus namentlich der Brunnen von Reccoaro unweit
Vicenza, welcher wesentlich Kohlensäure, Eisen und
schwefelsaure Magnesie enthält und blos getrunken
wird, so wie die warmen schwefelig-salzigen Quel-
len von Abano (sie brechen in einer Temperatur von
60 bis 97° R. hervor, und waren unter dem Namen
Aquae Aponi schon den Römern sehr bekannt) zu
Wasser- und Schlammbädern benutzt, häufig besucht.
Als blos abführendes Wasser pflegt das Bitterwasser
von Corvi bei Piacenza getrunken zu werden. — : So-
viel ich aus einer Unterhaltung mit dem Professor der
höhern Chirurgie und Intendanten der Spitäler Mo-
rigi abnehmen konnte, finden sich auch in Parma
einzelne Aerzte dem homoiopathischen Verfahren nicht
abgeneigt. —
4
50
Eine andere Gelegenheit, um Gegenstände der Na-
tur- und Heilkunde mich näher zu bekümmern, fand
ich in Bologna, einer bekanntlich dein Kirchenstaat
angehörigen Stadt, wo somit die Universität unter die
speciellste Aufsicht der höhern Geistlichkeit gestellt
ist, ein Verhältniss, welches namentlich bei Kranken-
anstalten fast in ganz Italien herrschend ist, und die-
sen nicht eben zum besondern Vortheil gereicht. Ich
besuchte die dortige aus der ersten Hälfte des öten
Jahrhunderts ihre Begründung datirende Universität am
17. April. Das Gebäude ist sehr anständig. Im Vor-
zimmer der physikalischen Sammlung erblickt man das
Bild des gelehrten Pabstes Benedict XIV (Lam-
bertini) in Mosaik. Die physikalische Sammlung
selbst, welche unter Orioli's Aufsicht steht, ist sehr
reich. Weniger bedeutend und nach zum Theil noch
vorlinneeischen Ansichten geordnet ist die Natura-
lien-Gallerie. Sie muss nur in so fern die Aufmerk-
samkeit des Fremden fesseln, als sie noch grossentheils
das Werk des alten zu seiner Zeit um Zoologie wohl-
verdienten Aldrovandi ist. — Wichtiger wieder ist
das Cabinet für physiologische und pathologische Anato-
mie , welches schöne Wachspräparate enthält. — Unter
den pathologischen Präparaten hatte ich mir als bemer-
kenswerth aufgezeichnet : ein Exemplar eines ausseror-
dentlich grossen Schädels, an welchem fast alles in Rip-
penbogen (so Oberkiefer und Jochbogen) und Gliedmas-
senbildung (so Unterkiefer) aufging, da hingegen die ei-
gentliche Wirbelbildung keinesweges in hohem Grade
entwickelt war. Nie habe ich ähnliche Fortsätze zur
Muskelanheftung, gleiche Dicke und Breite der Ant-
litzknochen als hier in diesem ganz zum Thierischen
sich hinneigenden Kopfskelet gesehen. Ferner ver-
diente Beachtung der aufbewahrte offene Magen einer
Frau, welche mehrere Jahre mit einem Loch im Ma-
51
gen gelebt hatte. — Wie doch der Organismus Abnor-
mitäten unter gewissen Umständen lange erträgt, wel-
che unter andern ihm augenblicklichen Tod bringen !
— Auch ein fast gänzlich verknöchertes Herz, enorm
vergrösserte Ovarien u. dergl. enthielt die Sammlung.
Ich wandte mich dann zur Klinik, welche Toma-
sini *) leitet, und folgte fast zwei Stunden hindurch
seinem Vortrage am Krankenbette. — Eine solche ita-
lienische Klinik unterscheidet sich in Manchem von
deutschen ähnlichen Anstalten; schon das immer ge-
wissermassen klösterliche mit Kruzifix und Weihwas-
ser versehene Lokal , die Reihen von Betten mit ihren
Betthimmeln, der Arzt und die Assistenten mit ihren
Wärter-Schürzen, die einfachen nie signirten Medica-
mente geben eine andere Physiognomie. Tomasini
spricht am Krankenbett mit einer angenehmen Elo-
quenz, welche überhaupt in Italien eine häufigere Gabe
der Lehrer ist als bei uns, und leitet seine Schüler
nicht ohne Umsicht; nur ist es mir erschienen, als ob
er weniger hinführe auf die Erkenntniss , wie gewisse
Systeme und Organe in einzelnen, namentlich chroni-
schen Krankheiten leiden, mehr bei allgemeinen Dis-
cussionen über Sensibilität und Irritabilität (als womit
man sich gern herumträgt, wenn man zur Erkenntniss des
Erkrankens einzelner Gebilde noch nicht durchgedrun-
gen ist) verweile, und sein Heilverfahren aus der Theo-
rie von Broussais und der des Contrastimolo
zusammensetze. — Die chirurgische Klinik unter Ven-
turoli habe ich nicht besucht, und eben so wenig
Gelegenheit gehabt Rotati welcher Pathologie , Bar-
tolini welcher Botanik, und Medici, welcher Phy-
*) Er ist neuerdings, so wie Prof. Orioli, seines Postens
entsetzt worden, und zwar wegen freimaurerischer Verbin-
dungen,
4*
52
siologie lehrt, kennen zu lernen. Dagegen habe ich
theils des Mondini, welcher Professor der Anatomie,
theils des Alessandrini, welcher vergleichende Ana-
tomie und die leider! in Italien immer damit vereinte
Veterinärkunde vorträgt, Bekanntschaft gemacht. Letz-
terer insbesondre ist mir als ein äusserst wissen-
schaftlicher, mit der Literatur, sogar mit der deutschen,
fortgeschrittener Mann erschienen. Die Sammlung für
vergleichende Anatomie, welche er in einer kleinen
Reihe von Jahren zusammengebracht hat, ist für mich
vom höchsten Interesse gewesen, da ich nicht nur die
ausnehmend schöne und saubere Aufstellung der Prä-
parate , sondern auch zum Theil ihre Seltenheit bewun-
dern musste. Eine besondere Geschicklichkeit sah ich
namentlich bewährt im trocknen Aufstellen der Einge-
weide z. B. vomKameel, Strauss, Delphin, Schildkrö-
ten u. s. w. von Fetushüllen u. dergl. Alle diese Sa-
chen werden hier vor dem Autstellen in Auflösung des
Sublimat (5iß auf ftbj Wasser) geweicht , auch wohl mit
solcher mit Essig versetzten Sublimatlösung bestrichen,
und halten sich trefflich. Dass man sie nach dem
Trocknen und vor dem Firnissen mit ihren natürlichen
Farben wieder hie und da anmalt, ist in rein wissen-
schaftlichem Sinne allerdings zu tadeln , indess zum
Gebrauch des Vorzeigens bei Vorlesungen oftmals sehr
instruktiv. — Schöner Wallfisch- und Nilpferdschädel
so wie ein schönes Straussenskelett können nicht un-
angemerkt bleiben.
Unter den pathologischen Präparaten war mir ein
Fall vollkommner Melanose am Hirn, und einer
Kalbsmissgeburt an welcher das Hintertheil mit sei-
nen Extremitäten ganz ohne Rückenmarkende, Ner-
ven und Muskeln sich entwickelt hatte, von besondrer
Wichtigkeit.
In der Nähe dieser ausgezeichneten Sammlung, zu
53
welcher dem Professor mehr Aufmunterung und Un-
terstützung zu wünschen wäre als er geniesst, befin-
det sich noch eine Sammlung alter obstetricischer
Wachs-Präparate, welche indess äusserst dürftig und
um so unzureichender genannt werden muss, da sie
eine geburtshülfliche Klinik, welche gar nicht existirt,
ersetzen soll.
Ich kann nicht umhin bei Bologna noch zu bemer-
ken, dass ich das Vergnügen hatte hier an der Tafel
Ihro Kaiserl. Hoheit der verwittweten Grossherzogin
von Toscana die Bekanntschaft des als Sprachgenie
bekannten als Bibliothekar angestellten Abbate Mez-
zofanti zu machen, welcher durch die Gewandtheit,
so er sich in 36 theils altern theils neuern Sprachen
erworben hat, aufs neue beweist, dass dem Italiäner
immer noch jener Fond von Geisteskraft einwohnt,
welcher angewendet auf irgend einen entschiedenen
Punkt, häufig die ausserordentlichsten Resultate her-
vorbringt.
Der Ort auf welchen unser längster Aufenthalt
fiel, war Florenz. Es besteht zwar in Florenz keine
eigentliche Universität mehrerer Facultäten, sondern
nur eine Art von Collegium medico-chirurgicum. Aber
die Aerzte der Universität von Pisa müssen hier ihren
zweijährigen Cursus als eine Art von Staatsprüfung
machen*), da hingegen in Siena, der zweiten Univer-
sität Toscana's , ein eigenes Collegium medicum für die-
sen Zweck festgesetzt ist. In dem florentiner Colle-
gium med. chir. studiren etwa gegen 100 Chirurgen
und Aerzte, und aus diesen werden eine Anzahl in dem
*) Bei einem Examen , welchem ich hier beiwohnte , sah ich
die Fragen, welche für jeden Examinator zum Thema des Exa-
mens dienten, als Loose aus einem Vorrath von vielen ähnlichen
gezogen werden.
54
grossen Arcispedale di Santa Maria nnova, in dessen
Locale zugleich die Hörsäle enthalten sind , als Sti-
pendiaten zum Krankendienst gestellt. Die Mitglieder
des Collegiura, deren Bekanntschaft ich gemacht und
deren Vorträge, in wiefern sie zugleich Professoren zu
Santa Maria nuova sind, ich grösstentheils besucht
habe, waren: 1) Dr. Fr. Torrigiani, Leibarzt Sr.
Kaiserl. Hoheit des Grossherzogs und vorsitzendes
Mitglied des Collegii, ein bejahrter etwas schwer-
höriger Mann, dem weit vorgerückte Jahre eine sehr
eingreifende Thätigkeit erschweren. 2) Targioni
Tozzetti, Professor der Botanik und Materia medica,
ebenfalls sehr bejahrt ; die Vorträge desselben habe
ich nicht gehört. 3) Giov. Bigeschi, Prof. der Ge-
burtshülfe, Director der Maternität und Hebammen-
lehre , ein thätiger , umsichtiger Mann mit klarem
Vortrage für seine Schülerinnen. 4) Luigi Ma-
gheri, Professor der Physiologie und Pathologie, mit
sehr rhetorischem Vortrage. 5) Nespoli, Prof. der
Klinik, sehr beschäftigter praktischer Arzt. (Diese
fünf von der medicinischen Facultät). — 6) Nicc.
Bruni, nicht Professor sondern Arzt des Irren- und
Krankenhauses S. Bonifacio, ein Mann welchen ich
noch später erwähnen werde. 7) VincenzMiche-
1 a c c i , Professor der Geburtshülfe , etwas ältlich und
von etwas vagem Vortrage, in welchem mancherlei
eingestreute Erzählungen einzelner Fälle doch keine
feste Aufmerksamkeit der Zuhörer herbeiführen konnten.
8)Filippo Uccelli, Professor der Anatomie, trug ge-
rade die Nerven des Rückens vor, und ich war nicht
wenig verwundert, auch am 18. Juni bei bedeutender
Wärme alles an frischen Präparaten vorzeigen zu se-
hen, welche, eben weil sie von den im Spital Ver-
storbenen immer neu genommen werden können, gleich
Behufs der Vorlesung zwar etwas roh , doch deutlich
55
präparirt waren. 9) Giov. Battist. Mazzoni, Prof.
der gerichtlichen Arzneykunde , welche er nach Foder e
vorträgt. Seinen Vortrag habe ich nicht gehört, ihn
selbst aber als einen lebhaften auch sehr beschäftigten
Mann kennen lernen. 10) Vincenz Andreini, Pro-
fessor der operativen Chirurgie, ein sehr regsamer, de-
terminirter und kenntnissreicher Mann, dessen guter
Einfluss auf seine Zuhörer sich in fertigen Antworten
und gutem Operiren ' derselben am Leichnam, deren
Menge auch hier zu Statten kommt, sehr wohl dar-
stellte. Ein von demselben im verflossenen Jahre ge-
machter Kaiserschnitt an einer sehr rhachitischen
Person, welche bei einer einfachen Nachbehandlung
mit häufigen Blutentziehungen glücklieh geheilt wurde,
so dass sie am 32. Tage entlassen werden konnte,
wird von ihm in einer kleinen Schrift geschildert,
welche den Titel führt: Di una operazione cesarea
relazione del Dr. V. Andreini. Firenze 1827. (Lei-
der war das Kind schon längere Zeit vorher abge-
storben, und man vermisst eine genaue Angabe darü-
ber, ob dasselbe nicht vielleicht doch durch Perforation
hätte geboren werden können. Eigentliche Messungen
des Beckens wurden, wie es scheint, gar nicht ange-
gestellt.)— 11) Pietro Betti, Prof. der Chirurgie, *)
*) Er ist zugleich Chirurgo fiscale, und hatte vor einigen
Jahren als solcher beigetragen eine Betrügerei zu entlarven, wel-
che über vorgeblich durch ein Wunder bewirkte Heilung einer
Taubstummheit von einer Frauensperson angesponnen worden
war. M. s. Betti sopra una pretesa sanazione istantanea da
congenita sordo-muta. Voto medico-forense. Firenze 1822. Nicht
minder verdient eine andere kleine Abhandlung desselben Beach-
tung, welche er unter dem Titel Sul croup dei bovi, me-
moria del D. P. Betti socio ord. dell'Accad. dei Georgofili letta
il di 3. Settembr. 1823. hat drucken lassen. Er beschreibt hier
einen wirklichen Croup bei einem Ochsen, wobei nach in die Na-
56
welchen ich die Lehre von den Hernien sehr klar und
geordnet vortragen hörte, und welchen ich überhaupt
als kenntnissvollen Arzt und sehr geachteten und ge-
fälligen Mann habe schätzen lernen. (Diese fünf von
der chirurgischen Facultät.) — Giuseppe Gazzeri,
Prof. der Chemie , dessen Vorträge von einer grossen
Anzahl Zuhörer verschiedener Klassen, auch von
Geistlichen, besucht werden. Sein Vortrag ist äusserst
klar und bündig, und seine Ansichten scheinen von
dem Veralteten eben so als von dem Allerneuesten
entfernt zu seyn. (Er gehört der dritten, nämlich der
pharmaceutischen Facultät an.) —
Es veranlasst mich diese Aufzählung, sogleich hier
eine nähere Betrachtung der Florentiner Spitäler ein-
treten zu lassen. Das grösste unter diesen ist das
schon erwähnte Arcispedale di St. Maria nuova, des-
sen Geschichte und ganze Einrichtung man findet in:
Regolamento del Regio Arcispedale di St. Maria nuova
di Firenze. Firenze 1783. 4. Es wurde durch eine
fromme Stiftungeines gewissen Folco di Ricovero
Portinari am 23 Juni 1288 begründet; ein Mann,
welcher ausser durch seine Frömmigkeit und seinen
Reichthum noch dadurch berühmt ist dass er der Va-
ter war jener Beatrice, welche der Leitstern für
Dantes unsterbliche Werke gewesen ist. Da nun
iiberdiess Beatrice in ihrem 26. Jahre im Juni 1290
verstorben ist, so wäre es nicht unmöglich, dass viel-
leicht schon ein früheres Erkranken dieses geliebten
Kindes den Vater zur Stiftung jener Kirche und Kran-
kenpflege bestimmt hätte , in welchem Falle denn Flo-
renz nächst dem berühmtesten Dichterwerke auch die
senlöcher eingegossenem Essig eine membranöse Concretion aus-
geworfen wurde, welche die Form der Luftröhrenverästung hatte,
worauf das Thier genass.
57
grösste wohlthätigste Krankenanstalt dieser Beatrice
verdanken würde.
Von jener Zeit an allmählig -immer mehr erwei-
tert und. bereichert, erhielt endlich diese Anstalt ihren
gegenwärtigen Umfang, Plan und Bau durch den Erz-
herzog Peter Leopold I um das Jahr 1780. Gele-
gen an der Strasse della Pergola, nimmt sie sich mit
ihren bedeutenden Arkaden gut aus, und verpflegte um
die Zeit als ich sie besuchte gegen 900 Personen,
(doch sollen über 2000 Kranke aufgenommen werden
können;) 24 Aerzte und Unterärzte und 12 Chirurgen
und Unterchirurgen sind zur Besorgung dieser Kran-
ken bestimmt, wobei Nespoli die eigentliche Klinik,
Ucelli und Andreini die chirurgische Klinik leiten,
während Michelacci die Aufsicht über die ebenfalls
hier Zuflucht findenden Schwangern, Kreisenden und
Wöchnerinnen führt. — Wie in allen italienischen
Spitälern , findet man auch hier die Kranken in gros-
sen kaum abzusehenden Sälen vereint, welche nur
durch ihre Höhe und ihre hochangebrachten, fast stets
offen erhaltenen Fenster eine reine Luft erhalten kön-
nen. Kirchliche Anstalten, Altäre, Capuciner und
geistliche Commissarien sind auch hier mit den rein
medicinischen Einrichtungen verflochten. Reinlichkeit
könnte strenger gehandhabt werden; zumal vermisste
ich sie in der Apotheke. Unter den vielfältigen Krank-
heiten kommt auch in Florenz wie überhaupt in Ita-
lien ziemlich häufig die Steinkrankheit vor, und ein
schöner lithotriptischer Apparat von Civiale war
durch die Munifizenz des Grossherzogs angeschafft,
indess noch nicht in Gebrauch gesetzt worden. — Ei-
nige merkwürdige Fälle , deren Mittheilung ich der
Güte des Professor Betti verdanke, scheinen mir
hier nicht unerwähnt bleiben zu dürfen. So sah ich
z. B. die Schädeldecke eines Mannes, welche in ihrer
58
ganzen Scheitelfläche, und zwar im länglichen Umfange
einer Manneshand durch Nekrosis zerstört , und in die-
ser Ausdehnung sonach blos durch eine aus harter
Hirnhaut und sehniger Kopfdecke gebildete Haut ge-
schlossen war, wobei nichts desto weniger, nach auf-
hörender Eiterung, das Leben bei ziemlichem Unge-
störtsein aller Funktionen noch 14 Jahre bestanden
hatte. Nicht minder interessant für Nachweisung der
unter gewissen Bedingungen grossen Unempfindlich-
keit des Hirns gegen äussere Schädlichkeiten war ein
zweiter Fall : — Ein Mann war durch den Stoss eines
dreischneidigen Stilets am Schädel verwundet worden ;
die Wunde heilte jedoch nach einiger Zeit, und er
lebte 10 Jahre ohne irgend über besondere Zufälle zu
klagen. Als er späterhin an einer fieberhaften Krank-
heit verstarb, wurde eine Sektion vorgenommen, und
zwar ohne weitere Rücksicht auf jene frühere Ver-
letzung. Als der Chirurg jedoch die Kopfhöhle öffnete,
wurde man auf eine vorstehende scharfe Spitze an der
innern Schädelhöhle aufmerksam, und erkannte darin
alsbald die abgebrochene 4 Zoll vorragende Stilet-
spitze, wekhe durch das linke Os bregmatis hindurch
gedrungen, und noch im Knochen festsitzend, sonach
tief in die Hemisphäre des grossen Hirns hereingeragt
hatte, ohne dessungeachtet besondere Lebensstörun-
gen zu erzeugen. — Merkwürdig war mir, an dem mit
dem Knochenstück aufbewahrten Eisen keine Spur
von Zerstörung durch Rost zu finden. — Derselbe
Betti hatte noch den Fall eines Hirnbruchs in Be-
handlung, welcher bei einem geistig vollkommen ent-
wickelten, aber an Epilepsie leidenden Kinde Statt
fand, und beobachtete dabei die merkwürdige Erschei-
nung, dass jedesmal dem Eintreten der Anfälle ein
Hervortreten des Hirnbruchs vorausging, und dass er
nach dem Anfalle ganz zurückging. Eine Erscheinung,
59
die , wenn sie mehreremale Statt finden sollte , zu man-
chen Folgerungen über das Wesen der Epilepsie ver-
anlassen müsste. — Zu derselben Zeit wurde eine merk-
würdige Sektion einer in der Anstalt verstorbenen
Frau gemacht, deren Uterus durch steatomatöse Ver-
grösserung die Grösse * eines 8monatlich schwangern
Uterus erreicht hatte, wobei mir auffiel, dass die birn-
förmige Gestalt dieses Organs, trotz der enormen
Vergrösserung, ziemlich dieselbe wie im Normalzu-
stände geblieben war. Endlich gedenke ich des merk-
würdigen Skelets eines neugebornen Kindes, mit all-
gemeiner Verdickung der langen Knochen, wodurch
die Gliedmassen ein fast Elephantenfuss-ähnliches An-
sehen erhielten, so wie einer fractura femoris spon-
tanea, in Folge eiteriger Zerstörung des Knochens,
letzterer besonders wegen der trefflichen Nachbildung
dieses Präparates in Wachs, indem ich überhaupt
meine Ueberzeugung ausspreche, dass es zu wünschen
sei, die Kunst anatomische Präparate in Wachs dar-
zustellen, welche in Italien so vollkommen geübt wird,
sei am besten zum Zweck der Nachbildung pathologi-
scher Präparate zu verwenden, da die Anatomie des
Gesunden doch, um wissenschaftlich betrieben zu wer-
den , die Natur selbst fordert. Jeder pathologische Fall
hingegen ist an sich eigenthümlich , kann aber auf
solche Weise zur Belehrung nicht nur vervielfältigt,
sondern auch seinem eigenthümlichen Ansehn , seiner
Färbung und Oberfläche nach, erhalten werden, wel-
ches beim Aufbewahren von vielen Verbildungen ganz
verschwindet.
Was die Hörsäle zu Santa Maria nuova betrifft,
so sind sie hinlänglich geräumig, einfach und passend
mit der Büste des sorgfältigen Beschützers aller die-
ser Anstalten, des Grossherzog Leopold II., verziert,
auch gegen die Hitze durch hoch oder in der Decke
60
angebrachte Fenster , steinerne oft besprengte Fussbö-
den und Abhaltung des Sonnenlichts geschützt. Nur
der Hörsal für Chemie , obwohl 'gerade der besuch-
teste, ist weniger zu loben. Beim Beginn der Vorle-
sungen findet jedesmal ein Verlesen der Zuhörer Statt,
welches, durch einen alten Custode verrichtet, zu
manchen Neckereyen Anlass giebt. Ueberhaupt herrscht
nicht immer gerade grosse Ordnung unter den Zuhö-
rern , und es kommt einem Deutschen etwas sonderbar
vor, die Studenten, selbst zuhörende Geistliche (wie
bei Gazzeri) mit grossen Fächern in den Vorlesun-
gen sitzen und wedeln zu sehen, ein Instrument, wel-
ches meistens auch der Professor neben sich liegen
hat. Selbst die langen, grauen, oft ziemlich unrein-
lichen Oberröcke, welche das Dienstkleid der als As-
sistenten angestellten Hospital- Chirurgen sind, bei
überhaupt sehr nachlässiger Kleidung, missfallen den
an grössere Ordnung gewöhnten Deutschen. Der Vor-
trag geschieht meistens frei; nachgeschrieben wird we-
nig, dahingegen Repetitionen nicht vernachlässigt sind,
und ich selbst verschiedene aufgerufene, junge Leute,
besonders im anatomischen und chirurgischen Fache,
sehr gute und von Kenntniss zeugende Antworten ge-
ben hörte, wie denn überhaupt nicht zu läugnen war,
dass die mehr expressiven , geistreichern Gesichter und
schärfer blickenden Augen der Zuhörer mir wieder
andeuteten, es sei in diesem Volke allerdings noch
jene geistige Energie vorhanden, welche im Mittelal-
ter in Italien eine neue Fackel für Europa aufsteckte,
und welche jetzt nur freieren Raum zur Entfaltung
und grössere Pflege forderte, um immerfort die schön-
sten Blüthen und Früchte zu tragen.
Ich wende mich nun zum Ospizio S. Bonifazio;
eine Anstalt, welche in mehrern zusammenhängenden
Gebäuden die Irrenanstalt, die Verpflegungsanstalt für
61
alte gebrechliche Leute und Unheilbare (Invalid! e
Incurabili), ferner die Heilanstalt für Ausschlagskrank-
heiten, namentlich Scabiosi, und zum Theil auch für
kranke Soldaten umfasst. Sie steht unter Direction
des Dr. Bruni, eines sehr thätigen, kräftigen Man-
nes, dem auch die deutsche Literatur nicht fremd ist,
durch welchen namentlich für die bessere Einrichtung
der Irrenanstalt bereits manches geschehen ist, und
von welchem, unter einem für alles Gute gern wirk-
samen Regenten, noch grössere Verbesserungen zu
hoffen stehen. Das Local, welches der Irrenanstalt
bestimmt wurde, ist ein ehemaliger Pallast, in wel-
chem der grossartige Eintritt mit schönen Treppen,
die vielfältigen , reinlich gehaltenen Gänge , die unter-
mischten Freiplätze und ein anstossender Garten einen
guten Eindruck machen. — Was dagegen eine weit
bessere Einrichtung erhalten sollte, sind die Zellen
für einzelne Kranke, zumal da diese als die einzige
hiesige Irrenanstalt, auch Kranke aus höhern Ständen
aufnimmt, welche an grössere Bequemlichkeit gewöhnt
sind. Man denke sich einen massig grossen, vier-
eckigen Raum mit vier kahlen geweissten Wänden,
durch eine schwere, eisenbeschlagene Thüre und ein
mit einem ähnlichen Laden versehenes Gitterfenster
mit dem Corridor in Verbindung gesetzt, und ein
zweites, mit gleichem Laden versehenes, hoch ange-
brachtes Gitterfenster (jedoch wie das vorige ohne
alle Scheibenflügel, eigentlich eine blosse Maueröff-
nung) gegen Hof oder Garten, darin einen vorragen-
den Mauerstein als Tisch, und in der Wand eine Art
offen stehender Gussstein , welcher als Abtritt dient,
so wie ein Bett mit Strohmatratze und wollener Decke,
und man hat gewiss weit mehr ein Gefängniss als ein
Krankenzimmer vor sich. Ich werde nicht vergessen,
wie in einer solchen, durch SchHessen des obern La-
62
dens verfinsterten Zelle eine alte hässliche halb-
nackte Frau, die weissen Haare gleich einer Furie um
den Kopf hängend, aus dem Dunkel an das Gitter zum
Corridor hervorsprang, mit wüthender Gebehrde die
Eisenstangen fasste , schreiend „ io son un serpente,
io son un serpente ! " — Kurz die Kranken sind wirk-
lich in diesen Zellen mehr gleich wilden Thieren oder
Verbrechern, als gleich Personen, die unsers Mitleids
im höchsten Grade bedürfen, eingesperrt. Uebrigens
bringen sie bei ruhigem Zuständen allerdings meistens
ihre Tageszeit auf den Gängen und den Freiplätzen
zu, und essen auch grossentheils in bestimmten Ab-
theilungen zusammen ; immer aber fehlt es auch hier
an Mitteln, sie auf eine angemessene Weise zu be-
schäftigen. Noch ist zu bemerken, dass die Ge-
schlechter vollkommen gesondert sind, dass es an
Krankenwärtern nicht zu fehlen scheint, und Ketten
und körperliche Züchtigungen gänzlich verbannt sind.
Die angewendeten Zwangsmittel bestehen in umgeleg-
ten Zwangsriemen und Gürteln , im Einbinden der Wü-
thenden im Bette, Einschliessen derselben in ein ganz
finsteres , überall ausgepolstertes Zimmer, und einer
Drehmaschine, welche namentlich für solche, welche
hartnäckig sich weigern Nahrung zu sich zu nehmen,
bestimmt ist und, wie mir Bruni versicherte, selten
ihren Zweck verfehlt. — Ich sah die Listen, welche
über die Anstalt geführt werden, und fand, dass im
Jahre 1827 im Ganzen 428 Geisteskranke verpflegt
worden waren. Entlassen hatte man 48 Männer, 52
Frauen, gestorben waren 40 Männer, 33 Frauen. Wel-
che ungemein grosse Sterblichkeit für ein Irrenhaus!
— Lob verdienen die zweckmässig eingerichteten Ba-
deanstalten, dagegen wurden Vorrichtungen zum Ab-
halten der Winterkälte, welche bei dem Mangel an
Glasfenstern und bei dem steinernen Fussboden selbst
63
in dem geringeren Grade, in welchem sie hier vor-
kommt, empfindlich genug seyn muss, fast gänzlich
vermisst.
Was die übrigen Anstalten bei S. Bonifazio,
z.B. für Alte, Gebrechliche und Unheilbare,*) betrifft,
so tragen sie mehr die gewöhnliche Physiognomie der
italiänischen Spitäler, und die Kranken scheinen durch-
aus einer gesunden Luft , reinlicher Umgebung und
guter Pflege und Nahrung sich zu erfreuen.
Eine andere wichtige Anstalt ist die Maternita
und das damit verbundene Ospizio degli innocenti,
beide unter Bigeschi's Leitung gestellt. Die Ent-
bindungsanstalt der Maternitä ist sehr einfach und
klein; 6 bis 8 Niederkünften kommen etwa monatlich
vor , und 6 Betten bestehen zur Aufnahme der Schwan-
gern und Wöchnerinnen. Das von Bigeschi con-
struirte und benutzte Geburtsbett hat die grösste Aehn-
lichkeit von dem von Faust bekannt gemachten Ge-
burtslager, und theilt dessen Vorzüge und Nachtheile.
12 lernende Hebammen aus der Provinz geniessen
hier Nahrung und Wohnung, und zwar auf Kosten
ihrer respectiven Ortsbehörden; ihr Lehrcursus dauert
gegen 5 Monat , jedoch hat eine Jede diesen Cursüs
dreimal durchzumachen. Ueberhaupt finden sich ei-
gentliche Hebammenschulen in Toscana fünf, nämlich
in Arezzo, Pistoja, Pisa, Portoferraio und Firenze;
nur in letzterer ist jedoch eine Entbindungsanstalt da-
*) Unter diesen befand sich damals ein merkwürdiges leben-
des, pathologisches Präparat, eine gegen 60 Jahre alte, kleine,
skeletartig abgemagerte Frauensperson , welche durch jahrelange
Krämpfe dergestalt zusammengezogen und in allen Gelenken ver-
dreht war, dass ich mich, etwas Aehnliches gesehen zu haben,
nicht erinnere. Merkwürdigerweise bestand bei völlig physischer
Unbehülflichkeit eine grosse Integrität der geistigen Verrich-
tungen.
64
mit verbunden. Die Stadthebammen von Florenz wer-
den übrigens durch Bigeschi besonders, und zwar
im Local von Santa Maria nuova unterrichtet. — Ich
habe einem seiner Vorträge in der Maternitä beige-
wohnt und von einigen Schülerinnen des 2. oder 3.
Cursus sehr gute Antworten geben hören. Bemerkens-
werth ist übrigens, dass den Hebammen in der Provinz
Wendung und Nachgeburtsoperationen gelehrt werden,
so wie ihnen der Gebrauch von mehrern Arzneimitteln,
auch der leichten Abführungen und des Seeale cornu-
tum (ein von B. sehr gerühmtes Mittel) gestattet ist.
Den Stadthebammen werden jene Operationen nicht
gelehrt. Ich hörte ihn die Behandlung der Wöchne-
rinnen vortragen, und fand auch hier, wie überhaupt
in Italien, die stärkende Diät der Wöchnerinnen eben
so allgemein empfohlen, als bei uns die magere Kost
gerühmt zu werden pflegt. — Als Hülfsmittel für den
Unterricht werden mehrere schöne Wachspräparate, *)
Pelviarien und Fantome, nebst einer nicht eben sehr
besonderen Präparatensammlung, benutzt. Nützlich
für Versinnlichung mancher normalen und abnormen
Verhältnisse des Uterus erschien mir ein kleines von
B. gebrauchtes Fantom, bestehend in einem weibli-
chen Becken, in welchem ein lederner Uterus mit sei-
nen Ligamenten und der aufgeschnittenen .Vagina be-
weglich hereingehangen war, an welchem sich sofort
*) Was den Preis dieser Arbeiten betrifft, so will ich be-
merken , dass ein junger , sehr geschickter Mann , Namens R i c-
ci, welcher für S. Maria nuova arbeitet, am billigsten ist. Man
erhält von ihm z. B. ein Präparat über die Bauchhöhle mit
schwangerm Uterus , alles zum Auseinandernehmen , für 38 Duca-
ten; ein Präparat des Beckens mit seinen Weichgebilden und
schwangerem Uterus für 26 Ducaten; Brusthöhle und ihre Ein-
geweide für 26 Ducaten u. s. w.
65
namentlich die mancherlei Lagenänderungen des nicht
schwangern Uterus sogleich sehr deutlich darstellen
liessen.
Mit der Maternitä in Verbindung steht das Ospi-
zio degli Innocenti, eigentlich ein Findelhaus, wo in
der Vorhalle, neben dem Eingange zu der damit ver-
bundenen Kirche, sich ein Gitterfenster befindet, in
welchem eine Quadratöffnung der Eisenstangen den
Dimensionen des Kopfes eines starken, neugebornen
Kindes entspricht. Hier, durch die von vielem Ge-
brauch ganz abgerundeten und polirten Eisen,, wer-
den zur Nachtzeit Kinder eingeschoben und man sagte
mir, dass nicht leicht eine Nacht verginge, wo nicht
3 bis 6 Kinder gebracht würden. Legitime Kinder
können auch am Tage dorthin gebracht werden und
alle werden ohne Widerrede angenommen, und der
Staat übernimmt nun die Pflicht, für ihre Ernährung
zu sorgen. Es geschieht diess , indem die Kinder so-
gleich auf das Land vertheilt werden, so dass die An-
stalt gewöhnlich gegen oder über 2000 dergleichen
Kostgänger bei Landleuten ernährt. — Zur Zeit drin-
gender Feldarbeit unterbleibt oft das Abholen der Kin-
der, und dann müssen 80 bis 100 Kinder in der An-
stalt selbst verpflegt werden, welches durch gemie-
thete Ammen geschieht. — Auch eine Abtheilung für
kranke Kinder ist vorhanden, in welche die auf dem
Lande erkrankten Kinder wieder zurückgebracht und
weiter verpflegt werden. Skropheln und Rhachitis
machten auch hier die gangbarsten Leiden aus. Au-
genentzündungen sind nicht häufig. Die Zahl der To-
desfälle ist, nach Bigeschi's Angabe, in der Anstalt
5, ausser der Anstalt 30 vom 100. Die aufwachsen-
den Kinder werden, ohne viel besondere Aufmerk-
samkeit auf ihren Unterricht zu Avenden, zu Hand-
und Feldarbeiten oder zum Gesindedienst gebraucht.
5
66
— Ich musste übrigens von Bigeschi vielfältige, wie
es schien, nicht ungegründete Klagen über den ihm
vorgesetzten geistlichen Comniissarius hören, und es
ist wahr, dass manche Seiten dieser, einmal dem Staate
so bedeutenden Aufwand verursachenden Anstalt, wohl
auf eine würdigere Weise sich darstellen sollten.
Indem ich nun einige kleinere Krankenanstalten,
so wie die nicht eben zu lobenden Krankensäle des
grossen Arbeitshauses für Arme, eine Anstalt, in wel-
cher zwischen 6 und 700 Personen beschäftigt werden,
übergehe, erlaube ich mir zuvörderst noch über das Apo-
thekerwesen in Florenz einige Bemerkungen und wen-
de mich dann zu den naturwissenschaftlichen Institu-
ten. — Die Apotheken betreffend so befinden sich hier
auf eine Zahl von circa 80,000 Einwohnern nicht we-
niger als 53 Apotheken, abgerechnet noch die Fon-
derie mehrerer Klöster, in welchen, wie zu S. Marco
und S. Maria novella eine Menge Arzneimittel, Li-
queure, Parfüms, Schönheitsmittel u. dergl. öffentlich
von den Mönchen verkauft werden. — \A ie wenig nun,
bei dieser Menge , die einzelnen Apotheken vorzüglich
sein können, lässt sich wohl erachten, und in Wahr-
heit haben auch die meisten bei weitem mehr das An-
sehen kleiner Droguerei-Gewölbe oder schlechter Cafe's,
als wohleingerichteter Officinen. — Die beste Anstalt
dieser Art scheint die Hofapotheke zu seyn , welche
in der Nähe des Palazzo Pitti sich befindet und ein
schönes geräumiges Lokal hat; auch hat der Sohn des
Besitzers einige Zeit in Wien conditionirt, um sich
mit der Einrichtung deutscher Officinen bekannt zu
machen. Nichts desto weniger war auch hier nicht zu
erlangen eine selbst auf dem Recepte bemerkte Signa-
tur dem Medicamente beizufügen, und bei wenigen
Verordnungen, die ich dorthin gegeben, fiel die Ver-
mengung von Dingen vor, die gesondert verschrieben
67
worden waren, auch wurden die Medicamente nie ge-
hörig verwahrt oder versiegelt verahfolgt, so dass ich
z.B. nicht vergessen werde, wie verschriebene Pillen
mit einer Menge Magnesie, in welche sie geworfen
waren (anstatt sie mit dem verordneten, aber in die-
sen Apotheken fast nie zu findenden Semen lycopodii
zu bestreuen) in einer schlecht schliessenden, unor-
dentlich mit buntem Papiere beklebten Pappschachtel
aus dieser Hofapotheke mir zugeschickt wurden. —
Interessant war es mir übrigens die dem Besitzer der
Hofapotheke gehörigen Pflanzungen von Iris florentina
zu besuchen. Gegen die gewöhnliche Annahme, der
zu Folge diese Iris weiss blüht, fand ich sie alle (in
der zweiten Hälfte des April) blau blühend und ihrer
ganzen Physiognomie nach von der Iris germanica nicht
unterscheidbar. Ich lernte dass die Wurzelknollen,
wenn sie stark genug geworden sind, allezeit erst im
Herbst ausgegraben werden , dass sie frisch noch ganz
geruchlos sind (eine frisch ausgestochene Wurzel über-
zeugte mich davon), und dass der liebliche Veilchen-
geruch erst nach und nach beim Trocknen sich ein-
stellt. *)
Wie ganz Italien (eben seines vulkanischen Bo-
dens wegen) so ist auch Toscana reich an Mineral-
quellen, von welchen die meisten von P. Paganini
(Notizia compendiata di tutte le acque minerali e bagni
*) Bei dieser Gelegenheit will ich noch einer Pflanze erwäh-
nen, welche um Florenz viel gebaut eine sehr veränderte Phy-
siognomie zeigt, ohne docli in Wahrheit von der unsern Gegen-
den angehörigen sich zu unterscheiden: diess ist die Gerste
( Horduni vulgare ) , Avelche zur Fabrikation der feinen Stroh-
hüte auf den schlechtesten Boden gesät, die Aehren fast ganz ver-
liert, am meisten als Sommersaat (Grano marzuolo) im März
gesät wird, um im Anfang Juni grün ausgerauft, gebleicht und
verarbeitet zu werden.
5*
68
d'Italia con ricerehe analitiche sulla loro natura e sulla
medicinale loro applicazione. Milano 1827.) aufgezählt
worden sind; ich will hier nur noch bemerken, dass
neuerlich mehreres von der Regierung geschehen ist,
um die auch von den Römern schon gebrauchten Bä-
der von Rosselle wieder in Aufnahme zu bringen. Man
sehe hierüber die kleine Schrift von D. Gualberto
Uccelli: Saggio sulle terme Rosselaiie. Firenze 1826.
Nach dieser ist die Temperatur 29 ° R. Das AVasser
ist klar, schwach salzig und enthält wenig kohlensau-
res Gas. Die Bestandtheile in 10 Pfund AVasser:
schwefelsaurer Kalk 21\ gr. , kohlensaurer Kalk 814-
gr. , salzsaure Soda 33| gr. , kohlensaure Magnesia
13ygr. , schwefelsaure Magnesie 11^ gr. , schwefelsaure
Soda 4| gr. , salzsaurer Kalk 2 gr. , salzsaure Magne-
sia 1^ gr. — Gelegenheitlich führe ich auch an , dass
J. Laur. Cantu (essai de l'existence du Jode dans
les eaux mineraux sulphureuses , particulierement dans
Celles de Cas'anovo d'Asti (Memorie della Accad. d.
Turino. Vol. 29. pag. 221) die Jode als wesentlichen
Bestandtheil aller schwefeligen Mineralwasser auf-
stellt.
Ich komme nun zu dem grossen Museum für Phy-
sik, Astronomie und Naturwissenschaften überhaupt,
(Museo di fisica e d'istoria naturale), welches von der
damit verbundenen Sternwarte gewöhnlich la Specola
genannt zu werden pflegt, und unter der Direction
des Conte Bardi steht, eines kenntnissvollen Man-
nes, welcher mit grösster Bereitwilligkeit und Unei-
gennützigkeit mich in meinen ZAvecken unterstützt hat,
und welchem ich mich für viele Gefälligkeiten sehr
verbunden fühle. — Diese Anstalt begann unter dem
französischen Gouvernement als Unterrichtsmittel für
akademische Vorträge benutzt zu werden ; eigene Pro-
fessoren der Physik, Astronomie, Zoologie, verglei-
69
chenden Anatomie wurden ernannt und die schönen,
vorhandenen Sammlungen erhielten dadurch eine ge-
wisse lebenvolle Bedeutung. Mit Herstellung der
frühern Regierung fand man indess gut, diese Einrich-
tungen wieder erlöschen zu lassen, und so dienen jetzt
diese reichen Vorträge nur dazu, die oft ziemlich un-
nütze Neugier der Fremden und Einheimischen zu stil-
len , indem an gewissen Tagen die Säle dem Publi-
kum geöffnet werden. — Die Umsicht und der Sinn
für Förderung der Wissenschaft, welche den gegen-
wärtigen Regenten Toscana's beseelen, lassen indess
hoffen, dass auch hierin bald eine Aenderung eintre-
ten und man diesen Sammlungen wieder einmehr-wis-
senschaftliches Leben verschaffen werde. Was das
in mittelbarer Verbindung mit dem Pallast Pitti ste-
hende Local desselben betrifft, so wäre auch dieses
mancher Verbesserungen fähig, da die meisten Zim-
mer klein und ziemlich heiss sind , so dass namentlich
die hier aufgestellten trefflichen Wachspräparate all-
mählig leiden müssen. Schon während meiner Anwe-
senheit geschah indess auch hierfür manches , wie denn
z. B. im Erdgeschoss eine schöne Zimmerreihe herge-
stellt wurde, um ein Kabinet fossiler Ergebnisse des
Bodens von Toscana aufzunehmen. — Die beträchtliche
Ausdehnung der Anstalt, mit welcher auch ein eige-
ner botanischer Garten verbunden ist, ergiebt sich
übrigens schon einigermaassen aus dem dabei besol-
deten Personal, indem ausser dem Director ein Pre-
fetto, der als Zoolog und Mineralog geschätzte Dr. Fi-
lippo Nesti, ein Conservatore, Dr. C. Passerini,
ein Astronom, der als Kometenentdecker bekannte
Professor Giov. Luigi Pons, ein Mechanikus, Fe-
iice Gori, ein Arbeiter in Wachs, Francesco
Calenzoli, ein botanischer Gärtner, Guis. Pic-
cioli, nebst Rechnungsführer, Copisten, Gehülfen
70
Hnd mehrern Aufwärtern angestellt sind. — Was die
Sammlungen selbst betrifft, so zerfallen sie in mehrere
Abtheilungen; es sind: — 1) das Cabinet physikali-
scher Instrumente mit einer der grössten elektrischen
und einer dergl. galvanischen Batterie, vielfältigen,
hydraulischen und pneumatischen Apparaten, Mikro-
skopen, Teleskopen (hierauch ein altes Fernrohr aus
dem Nachlasse des Galilei als merkwerthe Antiqui-
tät) u. s. W; 2) Eine allerdings nicht gerade ausge-
zeichnet eingerichtete, jedoch mit mehrern schönen
Instrumenten versehene Sternwarte. 3) Eine zoologi-
sche Sammlung, Avelche namentlich eine interessante,
grösstentheils ^urch Risso erlangte und bestimmte
Suite von Fischen, nebst mancherlei Merkwürdigem
aus den übrigen Klassen, obwohl meistens nach alten
Bestimmungen enthält. *) 4) Eine nicht unwichtige
Skeletsammlung (z. B. das Skelet eines jungen Ele-
phanten enthaltend ) , nebst einem Anfange zu einer
Nachbildung frischer Präparate zur vergleichenden
Anatomie in Wachs , unter welchen sich die Anatomie
des Seidenwurms und seine Entwickelungsgeschichte,
die Anatomie der Sepie, des Huhns und der Sinnes-
organe höherer Thiere vortheilhaft auszeichnen. 5)
Die weitberühmte, ausserordentlich grosse, eine lange
Reihe von Zimmern füllende Sammlung anatomischer
Wachspräparate, zur Erläuterung des innern mensch-
lichen Baues. Sie ist grösstentheils unter Fontana
von demente Susini während einer Reihe von
*) Dabei kann ich nicht unterlassen, zu bemerken, dass da-
mals eine interessante Sammlung lebender Säugethiere und Vö-
gel auf der Villa Dimidoff bei Florenz unterhalten wurde , wel*
ehe jedoch nach dem Tode ihres Besitzers zerstreut seyn mag.
Ich fand daselbst besonders einige schöne Antilopen (Antilope
oryx, A. gibbosa, Dorcas gazella;.
71
30 Jahren gearbeitet, enthält jedoch auch noch die
für die Geschichte dieser Kunst Avichtigen Arbeiten
des Sicilianers Zummo, welche das Fortschreiten der
Fäulniss darstellen und noch unter den Medicäern ge-
macht wurden. — Alle Systeme des Körpers sind hier
durchgegangen, die Organe, wo es nöthig, in ver-
größertem Maasstabe dargestellt, und auf eine oft
Erstaunen erregende Weise die verschlungensten Netze
feiner Gefässe und Nerven nachgearbeitet. Darüber
aufgehangene Zeichnungen mit Beschreibung vermeh-
ren noch die Gelegenheit zur Belehrung, und wenn
auch diese Präparate sonach, wie schon oben bemerkt,
keineswegs zum gründlichen Studium der Anatomie
allein ausreichen können, so gewähren sie doch zur
Repetition, wie zur allgemeinen Uebersicht unbestreit-
bar eine vortreffliche Gelegenheit. Am mangelhafte-
sten dürfte die Darstellung der ersten Entwickelung
des Fetus seyn, so wie zu tadeln ist, dass häufig bei
diesen schönen Arbeiten mehr Abbildungen, als die
Natur selbst, zu Vorbildern genommen worden sind.
6) Eine bedeutende Mineraliensammlung nach Hauy
geordnet, an welche sich eine schöne Suite fossiler
Knochen, namentlich aus dem Val d'Arno anschliesst.
7) Eine Sammlung in Wachs nachgebildeter fettblät-
teriger nicht wohl einzulegender Pflanzen und Pilze.
8) Der Anfang einer ethnographischen Sammlung.
Fehlt es nun sonach in Florenz keinesweges an Samm-
lungen, welche als Material für die Thätigkeit einer
grösseren Universität dienen könnten, und denen eben-
desshalb eine lebendigere Benutzung zu wünschen wäre,
so sind auch literarische Hülfsmittel in reichem Maasse
vorhanden, da ausser den drei öffentlichen Bibliothe-
ken, der Lorenzischen, Maruccellischen und Magliabec-
chianischen (zum Theil durch ihre merkwürdigen Codi-
ces berühmt) eine Privat-Bibliothek Sr. Kais Höh. des
72
Grossherzogs sich im Pallast Pitti befindet , welche
gegen 300,000 Bände geschätzt werden mag und be-
sonders durch ihren Reichthum an neu er n Prachtwer-
ken , die Menge naturhistorischer, geographischer und
Gesellschaftsschriften , dem Gelehrten eine Fundgrube
darbietet, welche um so mehr zu ehren ist, davon der
Liberalität des erhabenen Besitzers die Erlaubniss zur
Benutzung derselben so leicht zu erhalten ist.
Ich kann die Aufzeichnungen von Florenz nicht
beschliessen, ohne einen Blick auf dessen gelehrte
Gesellschaften zu werfen, welche hier, wie in Italien
überhaupt, viel zum Aufblühen der Wissenschaften
beigetragen haben. (M. s. Tiraboschi Storia della
letteratura italiana, welche circa 170 dergl. Gesell-
schaften aufzählt.) Noch jetzt besteht aber in Florenz
eine der ältesten und berühmtesten dieser Gesellschaf-
ten, die Academia della crusca, welche 1572 durch
Bern. Canigiani, Giambatista Deti, Anto-
francesco Grazini, Bern. Zanchini und Bapt.
dei Rossi gegründet wurde , mit welchen sich Lion.
Salviati verband, welcher die Gesetze derselben
entworfen, hat. Es war mir merkwürdig im Sitzungs-
säle dieses namentlich um die italiänische Sprache so
verdienten Vereins die Namen und Symbole ihrer Mit-
glieder auf vergoldeten Wurfschaufeln geschrieben und
gemalt, und überhaupt in allen Verzierungen sogar der
Sessel die Allegorien auf ihren Namen beibehalten zu
finden. — Von einer andern, um physikalische Wissen-
schaft sehr verdienten, aber nur kurze Zeit bestande-
nen Verbindung war es mir interessant, die hand-
schriftlichen Aufzeichnungen auf der Bibliothek des
Grossherzogs neuerlich angekauft und somit gerettet
zu finden; diess war die Accademia delcimento, wel-
che den 19. Jan. 1657 durch Leopold dei Medici
gestiftet wurde, nachdem Ferdinand II. schon 1651
73
den Grund dazu gelegt hatte. Sie entstand somit drei
Jahre früher als die Akademie der Wissenschaften zu
London und neun Jahre früher als die von Paris. Ein
Borelli, Renaldini, Redi und Andere machten
sie durch ihre Arbeiten berühmt, und 1666 erschienen
Saggi di naturali sperienze fatte nell' Accademia del
cimento, welche von Muschenbroek mit Anmer-
kungen übersetzt wurden. Dieser schöne Verein hielt
seine Sitzungen im Pallast des Medicäers, ihres Stif-
ters, erlosch aber leider, als dieser Cardinal wurde
und Florenz verlies. Im Ganzen steht zu vermuthen,
dass er durch eine andere merkwürdige Verbindung
veranlasst worden sei, welcjhe den 18. Aug. 1603 in
Rom unter dem Vorsitze eines für die Wissenschaf-
ten begeisterten jungen Fürsten Federigo Cesi
Marchese di S. Angelo eDuca di Aqua Sparta
durch Francesco Stelluti di Fabrioni, Ana-
stasi o de Filiis aus Terni und Joh. Eik aus De-
venter gegründet worden war und den Namen Acca-
demia de' Lincei annahm. Hier sollte ein von allem
nichtigen zurückgezogenes Leben in den durch den
Fürsten gegebenen Gebäuden geführt, gelehrte Arbei-
ten und Reisen gemacht und der grössten Reinheit des
Lebens und der Wissenschaft nachgestrebt werden.
Jeder der Mitglieder erhielt von dem Fürsten einen
Ring, auf welchem das Symbol der Gesellschaft, der
Luchs , und der Name des Mitgliedes eingegraben war,
und noch wird in der Familie Nelli der aus diesem
Verein stammende Ring des Galilei aufbewahrt. —
Es hat mich sehr interessirt auch über diesen Verein
ein altes Manuscript unter dem Titel Lyceographum
auf der Bibliothek des Grossherzogs vorzufinden, und
ich kann mich nicht enthalten ein Paar Stellen der
Gesetze, welche beweisen, wie grossartig die Mei-
nung hei Gründung dieses Vereins gewesen, hier bei-
71
Eilfugen. — Es heisst hier von den Lynceis : „ Corpore
„ menteque sani, aetate decem et octo annis non mi-
„ nores nee majores triginta qui scientiis solununodo
„ initiati fuerint, doctissimi vero quavis majori aetate,
„ praesertim si lynceis posterisque plurimum prodesse
„ possint. Laborum amici , otii praeterquam literarii
„ minime. —
„ Solitudini magis quam nimiis conversationibus,
„et praesertim vulgaribus, silentio quam multiloquio
„ obnoxii.
„Lucro, ludis, crapulae deliciis, venereis volu-
„ptatibus, rixis, similibusque profanis nullo pacto de-
„ diti.
„ Fortes , non facile in actionibus metuentes , opes-
„ que propriaque commoda non magni facientes.
„ Dent operam ergo omnibus scientiis aptis serio,
„ in iisque sedulo versentur , ut sapientiam perfecte
„ adipiscantur. " *) — Der Prinz starb im J. 1630, und
nach der Herausgabe einer Naturgeschichte von Me-
xiko durch Stell uti im J. 1651 findet man keine
weitern Spuren von Thätigkeit dieser Gesellschaft.
Nur erst neuerlich hat sich in Rom wieder ein Verein
unter diesem Namen gebildet, von dessen Wirksamkeit
mir indess keine weitern Notizen zugekommen sind.
Von dieser Digression zurückkehrend bemerke
ich, dass allerdings Vereine jener strengen Art in Flo-
renz jetzt nicht blühen, dagegen beschäftigt sich auf
*) Unter der fast zu grossen Menge der übrigen Gesetze
will ich doch noch eines bemerklich machen, welches jedem, der
da für sich ein Lynceus zu seyn beabsichtigt, wohl zu empfeh-
len ist , nämlich allezeit und überall mit einem Blatt und Stift
zur Aufzeichnung von irgend etwas Merkwerthem versehen zu
seyn. Mehr von der Geschichte und den Mitgliedern der Lyn-
ceorum s. m. in Fabi Columnae <[vroßuoavos cui accessit vita
Fabi et Lynceorum notitia Jan. Planco auet. Florent. 1744. 4.
75
eine dem Lande manniehfach nützliche Weise die Ac-
cademia de' Georgofili, deren einer Sitzung ich bei-
gewohnt habe, mit Förderung der Agricultur, Garten-
kunst und damit verbundener Kenntnisse , so wie für
Medicin insbesondre sich eine ärztliche Gesellschaft
gebildet hat, Avelche in einem eigenen Local in- und
ausländische medicinische Zeitschriften gemeinschaft-
lich ankaufen und lesen, auch dort zugleich eine Samm-
lung von pathologischen Präparaten angelegt haben,
welche als Ergebnisse aus der Praxis einer Menge sehr
beschäftigter Aerzte bereits sehr merkwürdige Präpa-
rate enthält; wie ich denn unter andern einen der
voluminösesten Fälle von Scyrrhus pylori dort gese-
hen zu haben mich erinnere.
Die beiden eigentlichen Universitäten Toscana's,
Siena und Pisa, habe ich bei sehr kurzem Aufent-
halte nur im Allgemeinen,' ihrer Oertlichkeit und ihren
auffallendsten Merkwürdigkeiten nach kennen lernen,
so dass ich über wissenschaftliche Institute derselben
nur wenig mir aufzeichnen konnte. Namentlich von
Siena mussten mir bei eiliger Fortsetzung der Reise
die academischen Anstalten ganz fremd bleiben, und
nur durch besondere Veranlassung Sr. Kaiserl. Höh.
des Grossherzogs geschah es , dass ich bei einem Be-
suche , welcher in dem wohl eingerichteten Lyceum
von Siena gemacht wurde (einer Anstalt, in welcher
die Söhne vieler adlicher Familien Toscana's, so auch
zu jener Zeit der Sohn des ehemaligen Königs ,von
Westphalen, Jerome Buonaparte, erzogen wer-
den), zur Bekanntschaft "eines würdigen alten Geist-
lichen Namens Ricca gelangte, welcher daselbst Leh-
rer der Physik ist und eine interessante naturhistori-
sche Sammlung, namentlich für Mineralogie und Geo-
gnosie, besitzt. Es war mir merkwürdig, auf diese
Weise wenigstens einen Ueberblick dieser durch ihre
76
häufigen Erdbeben berüchtigten Gegend zu erhalten,
welche, wie viele andere Italiens, jene sonderbare
Vermischung vulkanischer und neptunischer Producte
darbietet, in deren Folge, mitten in vulkanischen
Aschen, unendliche Trümmer von Kalkschalen unter-
gegangener Meeresbewohner sich darbieten Ich er-
hielt von Herrn Ricca aus dem Valle di Elza aus
dem Flussbett der Staggia und einem dritten nahe bei
Siena gelegenen Fundorte , so wie aus der Gegend
von Volterra Proben solcher vulkanischen Aschen,
welche unglaubliche Mengen von Muschelschalentrüm-
mern , kleine fast mikroskopische Schneckengehäuse
und dergleichen in calcinirtem, oft auch wie halb-
gebrannt aussehendem Zustande, vermischt mit grauen
oder gelblichen vulkanischen Aschen enthalten. Eben
so auch Kieselsinter in Hyalit übergehend , kalkige
Bruchstücke mit einer glasigen traubigen Masse über-
ziehend, als deutliches Produkt heisser vulkanischer
Quellen , wie eine dergleichen zu S. Filippo hinter Ra-
dicofani (einem von Siena aus schon sichtbaren vul-
kanischen Berge an der Gränze des Kirchenstaats )
noch jetzt in Menge absetzt , so dass dort Abdrücke
von Gemmen und Münzen in nicht allzulanger Zeit
durch Ablagernlassen dieses Kieselsinters (Thermo-
phyt) erhalten werden. Eine Erscheinung, in welcher
sich wieder die Produkte Islands und Italiens begeg-
nen. *) — Um übrigens doch etwas von dem medicini-
schen und naturwissenschaftlichen Theile der Univer-
sität anzumerken, will ich hier die Professoren dieser
Fächer, wie sie im Almanacco della Toscana per l'an-
no 1827 namhaft gemacht sind, aufzeichnen. Klini-
sche Medicin — D. Stanislao Grotanelli; Anato-
mie und Physiologie — Giov. Battista Vaselli;
*) S. die erste Vorlesung S. 5.
77
klinische Chirurgie — Bened. Sabbatini; medici-
nische Institutionen — Ant. Mattei; chirurgische
Institutionen und gerichtliche Medicin — Gasp.
Mazzi; Geburtshülfe — Giov. B. Vannini; Expe-
rimentalphysik— Maxim. Ricca; Chemie — Pietr.
Tommi; Botanik und Naturgeschichte — Guis. Giuli.
Kaum etwas ausführlicher als Siena habe ich Pisa
kennen lernen, diesen angenehmen etwa zwei Stun-
den vom Meere gelegenen Ort", welcher von Osten
nach Westen vom Arno durchzogen wird und des
milden Clima's wegen, dessen man namentlich an
dem immer den Sonnenstrahlen ausgesetzten nördlich
des Arno gelegenen Theile der Stadt auch im Winter
geniesst, der Aufenthalt vieler Fremden ist, die ihrer
Gesundheit halber einen längern Aufenthalt in Italien
machen. — Ich hatte gehofft hier die persönliche Be-
kanntschaft des als gründlichen Zoologen auch im Aus-
lande geschätzten Prof. Paolo Savi zumachen, fand
ihn jedoch abwesend und sah- mich an dessen Statt
vom Prof. Cajetano Savi, dem Vater des erstem
und Prof. der Botanik, sehr freundlich aufgenommen
und in den Sammlungen des naturhistorischen Museums
und des botanischen Gartens orientirt. Beide sind von
grossem Interesse und namentlich ist die zoologische
Sammlung die einzige , welche ich in Italien auf eine
dem gegenwärtigen Stande der Wissenschaft ange-
messene Weise geordnet und bestimmt gefunden habe.
Sie beginnt mit systematischer sehr übersichtlicher
Aufstellung der versteinerten oder calcinirten Reste
einer durch frühe Revolutionen der Erdfläche unterge-
gangenen Thierwelt und enthält sehr viele und sehr
merkwürdige namentlich aus dem Lande selbst ent-
nommene Stücke. Vorzüglich interessirten mich die
grossen Bruchstücke der Knochen -Breccien von Oli-
veto, welche hauptsächlich aus Knochen von Nage-
78
thieren und Wiederkäuern bestehen, und ferner die
von Savi in der Höhle von Ca.ssana aufgefundenen
und beschriebenen Höhlenbärenknochen, die ersten,
welche in Italien angetroffen worden. Auch sah ich
hier zuerst die interessanten Gypsmodelle aufgestellt,
welche Dessalines d' Orbig ny nach den mikrosko-
pischen im Meeressande enthaltenen Cephalopoden-
Schalen im vergrösserten Maasstabe hat fertigen las-
sen. Conchylien, Polymeirien und Insekten sind
lehrreich und nett aufgestellt , und wenn die Samm-
lung von Fischen, Vögeln und Säugethieren noch
nicht sehr zahlreich ist, so muss man bedenken dass
fast diess alles erst das Werk von P. Savi ist, des-
sen Eifer und Kenntnissen man eine rasche Vervoll-
ständigung zutrauen darf. Nichts destoweniger fan-
den sich auch in den höheren Klassen merkwürdige
Sachen. So sind z. B. die Vögel , deren namentlich
die weite hie und da sumpfige Maremhie viele Arten
darbietet, fleissig und mit Eiern und Nestern gesam-
melt; ich fand z. B. dort nebst ihren Bewohnern das
schön gewebte Nest der Sylvia cisticola und das zwi-
schen Rohrstengeln verschiebbar aufgehangene und so
immer (auch bei wechselndem Wasserstande) auf dem
Wasserspiegel bleibende Nest der Sylvia turdoides.
Dann sah ich ein schönes Exemplar der Aquila impe-
rialis von der Insel Elba, welches zwei Jahre lebend
hier erhalten worden war u. s. w. — Unter den Säu-
gethieren war mir am merkwürdigsten das grosse wohl-
erhaltene Skelet eines im J. 1824 am Forte di Marmi
auf Elba gestrandeten Hyperodon dentulus. Der Ueber-
gang , den hier die Kopfform des Wallfisches durch 2
im Zwischenkiefer erscheinende spitze Zähne zum
Delphin macht , ist höchst bemerkenswerth. Das Ske-
let Hess 7 Halswirbel, 9 rippentragende und 28 rip-
penlose Wirbel zählen, indem von den 9 Rippenpaa-
79
ren 8 zu dem breiten Brustbeine sich vereinigten.
Auch ein paar schöne Exemplare des Argali oder
Mufflon (O. Ammon), welches als Stammrasse unserer
Zuchtschafe betrachtet wird und auf den Gebirgen von
Corsica noch wild umherschweift, sah ich hier ausge-
stopft, so wie ich sie später auf der Villa Marli bei
Lucca lebend gehalten fand. Als eine nicht unzweck-
mässige Anordnung erwähne ich noch , dass im Mu-
seum die Liste der jährlich erhaltenen Geschenke mit
dem Namen der Geber stets aufgehangen bleibt. —
Was die botanischen Gärten dieser südlichen Gegen-
den betrifft, so erfreut es den Nordländer immer, eine
Menge von Pflanzen, welche bei uns nur mühsam in
Treibhäusern gepflegt werden können, frei und fröh-
lich im Lande gedeihen zu sehen, und wie sehr diess
auch von dem botanischen Garten zu Pisa gilt, davon
habe ich in den Fragmenten über die Vegetation Ita-
liens gesprochen.
Was die eigentlich medicinischen Institute der
Universität betrifft, so haben sie durch den Tod von
Vacca Berlingheri (Profess. der Chirurgie) einen
empfindlichen noch nicht ersetzten Verlust erlitten
und scheinen in keinerlei Hinsicht besonders ausge-
zeichnet Studiati, Barzelloti, Morelli, sind
die Professoren, welche über Therapie lesen, indess
der letztere zugleich in Ospizio St. Clara Klinik hält;
die Anatomie wird von Peretti, die Physiologie und
gerichtliche Medicin von Polydori, die Geburtshülfe
von Menici vorgetragen. — Auch die vielbesuchten
vier Miglien vor der Stadt liegenden Bäder zu sehen
fehlte es mir an Zeit; dagegen gelang es noch das
Dromedar-Gestüt zu besuchen, welches gegen das Meer
hin, noch aus den Zeiten der Kreuzzüge abstammend,
besteht. — Vierzig gezähmte, zum Lasttragen benutzte
Thiere weiden in der Nähe des Gestütes, während
80
über sechzig frei durch die Maremme umherstreifen.
Die Gestütwärter gaben zwanzig Jahr als das gewöhn-
lich äusserste Alter dieser sonderbaren Thiere an.
Nach derselben Angabe fällt die Brunstzeit vom De-
cember bis März, die Tragezeit ist ein Jahr. Castri-
ren der Hengste ist jetzt nicht gewöhnlich. Das Vor-
treiben der rothen drüsigen Gaumenblase war beim
Niederknieen eines» Hengstes deutlich wahrnehmbar.
Es ist offenbar eine Duplicatur der Schleimhaut der
Mundhöhle, am Gaumensegel, entsprechend den viel-
fältigen Duplicaturen und Falten der unteren Theile
des Dauungskanals , welche dieses ganze Geschlecht
charakterisiren. —
Die Fortsetzung der Reise führte mich von Pisa
in das nur einige Meilen entfernte Livorno, und wenn
es daselbst für mich schon von besonderem Interesse
seyn musste die verschiedenen Quarantaineanstalten
kennen zu lernen, so hatte dagegen das Besuchendes
Militairspitals für Augenkranke noch einen besondern
Zweck, dessen ich später gedenken werde. Die Qua-
rantaineanstalten betreffend, so besitzt Livorno deren
drei. Die erste ist für Schiffe bestimmt, welche über-
haupt von Orten kommen, in welchen die Pest und
ähnliche Krankheiten öfter vorzukommen pflegen:
die zweite für Schiffe, welche von Orten kommen wo
der Verdacht besteht, dass daselbst wohl dergleichen
Krankheiten zur Zeit vorkommen möchten; und die
dritte für Schiffe aus Orten in denen die Pest zur
Zeit wirklich herrscht. Die letztere liegt ziemlich
entfernt von der Stadt und wird auch durch ein eige-
nes kleines Fort S. Rocca vertheidigt. In alle gehen
Kanäle vom Meere herein, um das Ausschiffen der
Mannschaft und Effekten möglich zu machen, ja an
der ersten grössern Anstalt befindet sich eine am Ka-
näle gelegene Kapelle, an welche der Geistliche von
81
der Stadt aus hinanfahren kann, um die heiligen
Funktionen dort im Angesicht des vor der Kapelle
versammelten eingeschlossenen Schiffsvolkes zu voll-
bringen, ohne desshalb mit ihnen in nähere Berüh-
rung treten zu müssen. Die Gesetze zur Unterhaltung
strengster Absonderung werden auf das genaueste ge-
handhabt, und es reicht hin (namentlich in der zwei-
ten oder dritten Anstalt) einen der Eingeschlossenen
nur berührt zu haben, um selbst die Quarantaine (näm-
lich wirklich 40 Tage) aushalten zu müssen. Einrich-
tung zur Absonderung von Personen, welche mit den
in der Contumaz Begriffenen zu verkehren haben, An-
stalten zum Waschen des Geldes und Durchräuchern
der Briefe u. s. w. sind Gegenstände, welche sämmtlich,
als der öffentlichen Gesundheitspflege höchst wichtig,
mich mannichfaltig interessirt haben. — Was die Be-
sichtigung des Spitals für Augenkranke betrifft, so ge-
schah diese durch folgende Veranlassung. Bereits in
Florenz hatten Sr. Kaiserl. Höh. der Grossherzog mit
mir über ein häufiges Vorkommen der contagiösen
Augenentzündungen unter dem Militair gesprochen und,
nachdem ich der vielfachen, durch ähnliches Vorkom-
men veranlassten deutschen Arbeiten über diesen Ge-
genstand gedacht hatte, den Wunsch geäussert, dass
ich die Verpflegungsanstalten für diese Kranken in Flo-
renz und in Livorno besuchen möge, um so mehr, da
D. Paoli in Livorno eine besondere von mehrern flo-
rentiner Äerzten keinesweges gebilligte Curmethode
anwende. — Ich erfuhr ferner, dass diese Krankheit
bereits seit mehreren Jahren bestehe und unter dem
kleinen Heere von etwa 3000 Dienstthuenden sich
schon gegen 90 Erblindete auf den Pensionslisten be-
fänden. — Da es mich sehr interessiren musste , eine
Krankheit, welche früher meine Aufmerksamkeit na-
mentlich wegen ihrer Aehnlichkeit mit der bösartigen
6
82
oft auch epidemischen Augenlidentzündung der Neu-
gebornen erregt hatte, in der Natur zu beobachten,
so ergriff ich gern diese Gelegenheit mich hierüber
näher zu unterrichten, und stelle desshalb jetzt das
zusammen, was mir in den beiden Militairspitäleru
für Augenkranke in Florenz* (wo ich früher es dess-
halb absichtlich unerwähnt gelassen) und Livorno, be-
merklich geworden ist. — In Florenz besuchte ich dies
Spital am 8 Juli in den Vormittagsstunden, in Beglei-
tung des Prof. Betti. Es ist befindlich innerhalb der
nördlich von Florenz gelegenen Citadelle und von sehr
mangelhafter Einrichtung. Die blos mit Läden ge-
schlossenen Fensteröffnungen, die ärmlichen Lagerstät-
ten , das in den obern Sälen unmittelbar die Decke
bildende Sparrwerk des Dach's , so wie das wüste An-
sehen und rohe Mauerwerk in den untern Sälen ge-
ben ihm mehr das Ansehen eines in der Eile auf Bö-
den und in geräumten Ställen eingerichteten Feldspi-
lals, als einer stehenden Heilanstalt für Augenkranke.
Ueberdiess fand ich die Krankensäle völlig verfinstert,
welches allerdings gleich der nicht genügsamen Son-
derung und Ordnung der Wasch - und Reinigungsap-
parate für die einzelnen Kranken zu missbilligen war.
Die Zahl der eigentlichen Kranken war 21, und aus-
serdem wurden noch 22 als suspect, worunter noch
einige Dienstthuende, hier zurückgehalten. Der Zu-
stand der einzelnen Kranken war meist übel, die
Krankheit schon durch viele Monate, ja durch Jahre,
andauernd, und hatte in den Mehrsten entweder gänz-
liche oder doch theilweise Zerstörung und Verbildung
der Sehorgane herbeigeführt. Ueber die Einzelnen
werden folgende Notizen Auskunft geben:
Nr. 1. Bereits seit 2 Monaten in leichterm Grade
krank, seit 14 Tagen heftig leidend, seit 8 Tagen
kann er die Atigen nicht mehr öffnen. Die Conjun-
83
ctiva ungeheuer geschwollen , fortwährend abtrÖpfelnder
Eiterabfluss.
Nr. 2. Krank seit dem Anfang des Jahres, seit
14 Tagen in demselben Zustande wie der vorige.
Nr. 3. Seit 1 Monat leidend. Auf der Conjunctrva
bulbi beider Augen sind Eiterpusteln.
Nr. 4. War schon 9 Monat in Livorno leidend ;
hier recidiv geworden und seit 20 Tagen im Spital.
Conjunctiva sehr geschwollen.
Nr. 5. Seit 22. Tagen krank , in leichterm Grade.
Nr. 6. Schon früher war ihm durch eine heftige
Ophthalmie das rechte Auge verdunkelt, welches jetzt
bei neu eingetretener ziemlich heftiger Entzündung
sich etwas aufgehellt.
Nr. 7. Seit 37 Tagen krank, besonders das rechte
Auge heftig ergriffen.
Nr. 8. Leicht.
Nr. 9. Seit 3 Monat leidend, einen Monat hin-
durch äusserst heftig, 20 Tage konnte er die Augen
nicht Öffnen. Man sieht Staphylome auf beiden Augen.
Nr. 10. Seit 22 Monaten theils hier, theils in Li-
vorno krank. Das rechte Auge ist schon früher ge-
borsten und ganz zerstört, das linke noch heftig ent-
zündet. ,
Nr. 11. War 38 Tage sehr krank, jetzt ziemlich
geheilt.
Nr. 12. Seit 18 Monaten dreimal rückfällig, der
letzte jetzt beschwichtigte Anfall sehr heftig, aber
Trübung der Cornea beider Augen.
Nr. 13. Bereits 15 Monat in Livorno krank gewe-
sen. Seit 2 Monaten ist er hier. Das rechte Auge
ist getrübt.
Nr. 14. Auch schon früher an Ophthalmie leidend,
jetzt seit 3 Monaten hier , das linke Auge ist ver-
loren.
6*
84
Nr. 15. Befindet sich seit 10 Monaten hier in Be-
handlung, während av elcher Zeit fünf Rückfälle. Ist
früher syphilitisch gewesen. Auch bei ihm sind Fle-
cken auf der Hornhaut.
Xr. 16. Krankt seit 23 Monaten , ist abwechselnd
hier, in Pistoja und in seiner Heimath gewesen. Jetzt
seit 2 Monaten hier in Behandlung und ist jetzt Re-
convalescent.
Nr. 17. Hat 10 Monate in den Spitälern von Li-
vorno verbracht und befindet sich seit 20 Tagen hier.
Die Krankheit leicht.
Nr. 18. Ist zu Portoferrajo mehrern sehr acuten
Ophthalmien unterworfen gewesen. Das rechte Auge
ist getrübt, übrigens in der Convalescenz.
Nr. 19 — 21. waren nur leicht afficirt.
Was die Zahl der 22 Suspekten betraf, so zeig-
ten die Augen der Meisten noch einen eigentümli-
chen aufgelockerten Zustand der Conjunctiva palpe-
bralis , so wie auch die Venen der Bindehaut des Aug-
apfels eine eigene schmutzig gelbliche Farbe hatten
und theilweise -erweitert waren. Mehrere darunter
waren noch wirklich krank, und ein übrigens Geheil-
ter hatte sogar ein grosses Staphylom, und hätte somit
längst verabschiedet seyn sollen.
Rücksichtlich der Behandlung war wenig rühmli-
ches zu bemerken , ein nicht eben vorsichtig bereite-
tes und reingehaltenes Malvendekokt zum "Waschen,
einige Pilulae laxantes , zuweilen Blutentziehung, aber
ohne gehörige Consequenz und Kraft (so hatte man
z. B. bei Nr. 3. an jeden Process. mastoideus 4 Blut-
egel gelegt), und viel zu seltne Anwendung der Ab-
leitungsmitrel war das Hauptsächliche der Cur. — Bei
der suspekten Klasse pflegte das Malvendekokt mit
etwas Essig vernetzt zu werden.
Am 10. Juli sah ich hierauf das Militairspital der
85
Augenkranken in Livorno in Begleitung des D. Paoli.
Es ist in einigen ebenfalls höchst unzulänglichen Ge-
bäuden, welche von einem der Aussenwerke der Fe-
stung gegen die Landseite, umschlossen werden, be-
findlich. Die Säle hatten mit denen in Florenz das-
selbe Aeussere, doch schien eine grössere Ordnung
der Krankenpflege zu herrschen, und die Räume waren
nicht in dem Grade verfinstert. Im Ganzen fanden
sich 70 Kranke vor, von denen 30 im ersten Saal,
36 im zweiten Saal, und 4 in zwei kleinen abgesonder-
ten Gebäuden verweilten. Unter allen diesen fanden
sich nur 2 mit höhern Graden der Entzündung und
ein schon früher öfters an Ophthalmie Leidender mit
beginnender Catarrhacta vor, die übrigen waren theils.
schon ziemlich genesen, theils nur im ersten Stadio
der Krankheit, welches Paoli auf seine Weise *)
durch sehr schwache Sublimatauflösung, nach seiner
Versicherung und nach dem Ergebnisse seiner Tabel-
len fast immer so glücklich behandelt, dass das Ueber-
gehen in höhere Grade nicht leicht vorkommt. — In
Wahrheit ergaben die mir vorgelegten Bücher das Re-
sultat, dass vom 11. März bis zu dem Tage, wo ich
das Spital sah, 299 Kranke aufgenommen Worden wa-
ren, von welchen nur 6 von einer gefährlichen Form
der Entzündung ergriffen worden waren, indess keiner
von allen erblindet war. Was das Allgemeine der
Behandlung betrifft, so legt Paoli besonderes Ge-
wicht auf öftere Waschungen mit reinem Wasser**).
*) Von ihm beschrieben in : Süll' ottalmia che hanno sofferto
i militari di Livorno osservazioni di Ludovico Paoli, Chi-
rurgo maggiore di Reggimento etc. Livorno 1824. Eine kleine
Schrift, die ich nicht ohne Interesse gelesen habe und die einen
klaren , umsichtigen Blick des Verf. ausspricht.
**) Hierüber führt Paoli eine interessante Stelle aus Virey
an, avo esheisst; „J'ai entendu dire au General Bonaparte , qu'il
86
An den Eingängen der Säle fanden sich jedesmal zwei
grosse Wassergefässe, ein oberes mit reinem Wasser,
wozu ein Schöpflöffel, um Wasser in die hohle Hand
zu giessen und diess zum Waschen zu benutzen, wo-
bei denn das Wasser in das andere untergestellte
Gefäss ablief. Ausserdem wird einigemal des Tages
die aufgelockerte Conjunctiva (deren gleichsam wolli-
ges oder sammtiges Ansehen er überhaupt als charak-
teristisches Zeichen dieser contagiösen Augenentzün-
dung ansieht) mit der Auflösung des Quecksilbersubli-
mats (gr. j bis jj auf 1 Pf. dest. Wasser) mittelst ei-
nes weichen Haarpinsels überfahren, schwächere Diät
und Schonung des angegriffenen Organes angeordnet,
und so gross tentheils die Krankheit auf ihrer ersten
Stufe zur Heilung gebracht. Bei heftigen Graden tritt
dann noch die in jenem Schriftchen erörterte antiphlo-
gistische Behandlung ein, welche von der gewöhnli-
chen nicht wesentlich abweicht. — Ich habe allerdings
die Resultate dieser Behandlung nicht genug im Detail
verfolgen können, um ein entscheidendes Urtheil dar-
über zu haben, halte sie jedoch der Aufmerksamkeit
Her Aerzte überhaupt, und insbesondere derer, welche
die epidemische contagiöse Ophthalmie zu behandeln
haben , im höchsten Grade würdig. — Was das Anste-
ckende dieser auch von Paoli von Egypten hergelei-
teten und in Livorno zuerst im März 1817 erschiene-
nen Krankheit betrifft, so werden darüber vielfältige
unläugbare Beispiele angeführt, und ich habe selbst
nicht unterlassen alle diese Kranken mit grosser Vor-
sicht zu sehen, wobei ich nicht verschweigen darf,
trotz dem 6 — 8 Tage nach diesem Besuche noch ein
eigenes Gefühl von Druck und Spannung in den Au-
s'etait pri'serve de inaux d'yeux en Egypte , en se Ics lavant
avee l'eau acidinVe par l'acide du citron. "
87
genlidern behalten zu haben, welches mich um so
mehr etwas beunruhigen durfte, da ein „incommodo
peso sul sopraciglio e dentro la palpebra superiore u
als eins der ersten Zeichen der Krankheit gilt.
Und so weit denn diese Aufzeichnungen über Na-
turwissenschaft und Heilkunde in Toskana! ich kom-
me nun zu dem, was während eines dreiwöchentli-
chen Aufenthalts mitten unter vielfältigen andern Be-
trachtungen in der alma Roma über dergleichen Ge-
genstände mir bemerklich werden konnte. Es ist aber
hier bekanntlich der Sitz der andern von den beiden grös-
sern Universitäten des Kirchenstaates , und obwohl die
theoretischen medicinischen Studien auch zu Mace-
rato, Perugia, Camerino oder Urbino, als die soge-
nannten kleinern Universitäten oder Collegien gemacht
werden können (wozu, sie mögen dort oder auf den
grössern Universitäten gemacht werden, 4 Jahre ge-
hören), so ist doch ein zweijähriges Verfolgen des
praktischen Cursus zu Rom oder Bologna noch uner-
lässlich , um den Doctorgrad nehmen zu dürfen. Die
römische Universität führt den Beinamen della Sa-
pienza, und besteht innerhalb eines grossen und schö-
nen, nur wie die meisten römischen Palläste nicht
ehen sauber gehaltenen Gebäudes. Für die Heilkunde
sind fünfzehn Lehrstühle bestimmt. Die Anatomie
lehrt Lupi, die Physiologie Bomba, zugleich einer
der ersten und am meisten beschäftigten Aerzte Roms,
die Chemie Morichini, bekannt durch seine interes-
santen Beobachtungen über die magnetisirenden Wir-
kungen des blauen und violetten Lichtstrahles , und
sich mit Bomba in die erste Praxis der Stadt thei-
lend. Seiner freundschaftlichen Aufnahme und beson-
dern Gefälligkeit verdanke ich mehrere mir Avichtige
Mittheilungen, und ich zweifle nicht, dass seine viel-
fachen Kenntnisse so wie sein durchaus wohlwollen-
88
und humanes Aeusserc ihn zu einem glücklichen Prak-
tiker machen. Die Botanik lehren Poggioli und
Mauri. Indem ich des letztern persönliche Bekannt-
schaft «naehte, erfuhr ich dass er mit Bearbeitung ei-
ner Flora von Rom beschäftigt sei, hörte ihn jedoch
gleich den mehrsten Naturforschern , namentlich Un-
teritaliens, über das Abgeschnittensein von der Lite-
ratur des Auslandes klagen, welches davon abhängt,
dass der Buchhändler -Verkehr überhaupt in Italien
sehr unvollkommen ist und die Bibliotheken auf An-
schaffung neuerer Werke, und naturwissenschaftlicher
insbesondere , gar keinen Bedacht nehmen. Hierzu
kommt nun noch die allgemeine Unkenntniss der deut-
schen Sprache, welche, so viel mir bekannt gewor-
den ist, kein einziger der römischen oder neapolita-
nischen Aerzte und Naturforscher gründlich versteht,
und es stellt sich somit dar, dass, was in den genann-
ten Fächern hier gearbeitet wird , nicht wohl dem
Stande der Wissenschaft in dem übrigen Europa ent-
sprechen könne, obwohl hiermit nicht in Abrede ge-
stellt werden soll, dass zuweilen gerade dadurch, und
bei dem eigenthümlichen Genius der Italiäner, ihre
Arbeiten wieder eine besondere und nicht selten sehr
interessante Physiognomie erhalten müssen. Allgemeine
Pathologie trägt Celi, Hygiene, allgemeine Thera-
pie und Materia medica Folchi vor. Ueber theore-
tisch-praktische JYIedicin liest Valentini, über Staats-
arzneykunde Falcioni. Die medicinische Klinik hal-
ten abwechselnd Tagliabö und de Matthaeis im
Ospedale St. Spirito. Während meines Aufenthaltes
leitete der letztere die Klinik und ich werde hierauf
bei jenem Spitale zurückkommen, während der erstere
das Spedale degli Incurabili besorgte. Die verglei-
chende Anatomie wird auch hier, wie in den andern
italiänjschen Universitäten , auf das Unpassendste mit
89
der Veterinärwissenschaft verbunden und von Me-
taxa, dem auch die Aufsicht über das noch später zu
erwähnende zoologische Cabinet zusteht, vorgetragen.
Theoretische Chirurgie lehrt Trasmondi, Geburts-
hülfe Manni, während der schon sehr bejahrte S i s c o
im Spedale degli Incurabili die chirurgische Klinik
hält, und der geschickte, namentlich mit der neuern
französischen Literatur vertraute Chemiker Peretti
die praktische Pharmacie vorträgt. — Hierzu kommen
rtbch aus der philosophischen Facultät die Experimen-
talphysik, welche vonBarlocci, dem ein wohlge-
ordnetes physikalisches Cabinet auf der Sapienza zu
Gebote steht, vorgetragen wird, und die Mineralogie,
welche Carpi lehrt, ein noch jüngerer und sehr
kenntnissvoller Mann, dem zugleich die Aufsicht über
das reiche und gutgeordnete oryktognostische und geo-
gnostische Cabinet auf der Sapienza übertragen ist.
Der Gebrauch ist in den Vorlesungen lateinisch die
Hauptsachen zu dictiren, und italiänisch dann darüber
erklärend zu sprechen. Die Professoren scheinen
übrigens die Verpflichtung zu haben, ihre Hefte selbst
dem Druck zu übergeben *).
Eine theils für die Einheimischen , namentlich aber
auch für die Fremden äusserst angenehme Einrichtung
ist es, welche die meisten der Genannten und meh-
rere andere Gelehrte unter sich getroffen haben, näm-
lich einen gemeinschaftlichen Versammlungsort zu wäh-
len, wo sie die einfachen gegen Abend bei diesem
warmen Klima immer ein Bedürfniss ausmachenden
Erfrischungen nehmen. — Dieser Ort ist der Cafe al
*) Die Lectionsverzeichnisse enthalten desshalb bei der An-
kündigung jeder Vorlesung den Zusatz „Textus: Scripta ejusdem
Professoris intra triennium ( oder biennium ) typis evulganda. "
Doch geschieht es wohl selten.
90
nionte citorio, wo man Abends nach dem Ave Maria
(gegen und nach 8 Uhr) sicher ist, immer einen Cirkel
unterrichteter Männer zu finden, und wo der Fremde
schneller als in anderen Städten zur Bekanntschaft
der einheimischen Gelehrten gelangt. Ich verdanke
diesem Cirkel, wo der würdige Morichini eine Art
von ungenirendem Präsidium führte, und jeder geht,
kommt, auch wegbleibt, wie es ihm gerade angenehm
ist, mehrere sehr angenehme und unterrichtende
Abende.
Indem ich nun die im Einzelnen gemachten Bemer-
kungen mitzutheilen unternehme , gedenke ich zuerst der
Besuche in verschiedenen der wichtigern Krankenan-
stalten, und werde später das , was über andere Gegen-
stände noch aufgezeichnet worden ist, folgen lassen.
Die erste dieser Anstalten, die ich ausführlich
gesehen habe, war das Spedale di St. Spirito , am
rechten Ufer der Tiber , nicht allzuweit von der En-
gelsburg gelegen. — Die Einrichtung desselben unter-
scheidet sich im Ganzen durchaus nicht von der der
Florentiner Spitäler. Es enthält gewöhnlich ungefähr
300 männliche Kranke in den grossen Krankensälen
(in welchen übrigens in der Regel chirurgische und
syphilitische Kranke nicht aufgenommen Werden, als
für welche das Spedale degli Incurabili bestimmt ist )
und ausserdem einige für die therapeutische Klinik
bestimmte Zimmer, in welchen 12 männliche und 6
weibliche Kranke zum Behufe des Unterrichts der
Studirenden verpflegt werden. Director der Klinik
war gegenwärtig de Matthaeis, ausser welchem
jedoch noch 4 Primarärzte und 10 Praktikanten zum
Dienste der Kranken geschäftig sind. Ich folgte dem
Director in der Behandlung seiner Kranken, und fand
dabei die Einrichtung in so fern von andern Kliniken
z. B. der zu Bologna abweichend , als am Kranken-
91
bett nur ganz kurze Krankenexamina angestellt und
die nöthigsten Anordnungen gemacht wurden , worauf
dann der Lehrer mit den Zuhörern in das nahe ansto-
ßende Auditorium sich verfügte , um dort nun erst aus-
führlich über die vorgekommenen Fälle sich zu ver-
breiten. Als ich seinem Vortrage beiwohnte, sprach
er insbesondere über die Behandlung der hier, na-
mentlich im Sommer, ausnehmend häufigen Wechsel-
fieber und den damit verbundenen Zufällen von Gelb-
suchten, Milz- und Gallenkrankheiten, wobei er, die
Meinung von lange nothwendiger Anwendung vorbe-
reitender und resolvirender Mittel bestreitend, insbe-
sondere darauf drang, die kräftige Anwendung der
Specifisch antifebril i sehen Mittel, der China und des
Chinins, nie zu lange zu verschieben und stets als
Hauptsache zu betrachten. In welcher Menge denn
auch diese Mittel hier, namentlich während bedeuten-
der Epidemieen verbraucht werden , erhellt schon aus
der nöthig gewordenen Anlegung einer eigenen China-
Mühle, welche im Stande ist in 6 Stunden 30 Pfund
des feinsten Chinapulvers zu bereiten. Ueberhaupt
scheint die Officin und das Laboratorium dieses Ho-
spitals in ziemlich gutem Zustande. Eine Einrichtung
die Helme der Destillirapparate durch laufendes Was-
ser abzukühlen, war nicht minder sinnreich als jene
Mühle; Dinge, bei welchen der gewandte praktische
Sinn für das gerade Zweckmässige , welchen die Ita-
liäner in so vielem andern beurkunden, sehr kennt-
lich wird. — Dieses Spital besitzt ausserdem eine ganz
zweckmässig nach der Tiber hin angelegte anatomi-
sche Anstalt, mit Marmortafeln als Secirtischen, Vor-
richtungen zum Ablauf des Wassers, Oefen nebst nö-
thigen Apparaten zum Injiciren u. s. w. ; einzig und
allein zu grosse Sonnenwärme mag oft die Arbeiten
stören, welche übrigens häufig genug sein mögen, da,
92
wie mir wenigstens versichert Ward, alle Leichen ge-
öffnet werden. Ferner befindet sich hier eine nicht
unbedeutende, aber sehr nach alter Art und Weise auf-
gestellte anatomische Sammlung. — Einen besonders
merkwürdigen Fall unter den pathologischen Präpara-
ten etwas näher anzuführen, kann ich nicht unterlas-
sen , zumal da er einen vollkommenen Pendant zu dem
bei Florenz angeführten Falle von Betti abgiebt. Es
Avar die Schädeldecke eines Mannes von 40 bis 50 Jah-
ren, in deren Sichelfortsatze der harten Hirnhaut eine
starke Nähnadel perpendikular dergestalt eingewach-
sen war, dass die Spitze noch gegen 4 Zoll her-
vorragte und offenbar in den Hirnbalken eingedrun-
gen gewesen sein musste. Der Mann selbst hatte
auch hier durchaus keine Zufälle besondern Hirnlei-
dens gehabt, und da aussen der Schädel vollkommen
geschlossen war , auch die Nadel der Gegend der gros-
sen Fontanelle entsprach, so konnte man nicht anders
als annehmen, dass diesem Menschen als neugebornem
Kinde die Nadel in den Kopf gestossen worden sei,
wahrscheinlich um ihn zu tödten , dass jedoch diess
fehlgeschlagen und die Nadel auf diese merkwürdige
Weise, ohne wesentliche Störungen zu machen, ver-
wachsen sei. — Nur da wo sie den Blutleiter durch-
bohrte , war sie mit einem bräunlichen Ansatz wie
Rost und angelegtes geronnenes Blut umgeben. —
Auch unter den Skeleten war das einer kleinen
menschlichen Doppelmissgeburt, wegen den ganz nahe
neben einander verlaufenden und doch nicht verwach-
senen Rückgrat- Wirbelsäulen , einer mittlem Clavi-
kel und einem einzigen kreisrunden und platten Ster-
nalknochen (fast wie bei gewissen Amphibien) merk-
würdig. — Endlich ist mit dem Spedale St. Spirito
auch eine dem Gebrauche der Studirenden offen ste1
hende, von dem ehemaligen päpstlichen Leibarzteden
93
Namen führende Biblioteca Lancisiana vereinigt, in
welcher doch auch noch einige neuere italiänische,
französische oder lateinisch geschriebene Schriften
nachgekauft werden.
Mehrere nahe liegende besondere , und nur zum
Theil, namentlich durch Entnehmen ihrer Medicamen-
te, mit dem genannten Spital vereinigte Anstalten
sind : das Spedale S. Carlo , das Conservatorio für Er-
ziehung unehlich geborner Kinder weiblichen Ge-
schlechts , und das Spedale S. Boiiifazio für Aufnahme
der Geisteskranken bestimmt. — Was das Spedale S.
Carlo betrifft, so liegt es dem Spedale St. Spirito ge-
rade gegenüber und ist vorzüglich bestimmt die Fie-
berkranken aufzunehmen, welche aus der Campagna
di Koma und aus den ungesunden Stadtth eilen Roms
selbst, im Sommer in ausserordentlicher Menge sich
einfinden. Den Winter über und zu jeder Zeit, wo
nicht die Influenza die Zahl der Kranken häuft, ste-
hen desshalb diese Ungeheuern, in mehrerer Hinsicht
doch nicht sehr zweckmässig angelegten Krankensäle
ganz leer, und so fand ich sie noch am Ende des Monat
Mai ; dahingegen im Sommer 1819 an 1000 Fieberkranke
hier auf einmal verpflegt worden sind. — Das Conser-
vatorio für die unehlichen Mädchen konnte ich damals
nicht sehen , da eine besondere Erlaubniss dazu erfor-
dert wird , welche zu nehmen es mir an Zeit fehlte ;
doch wurde über sehr schlechten Zustand, namentlich
wegen schlechter Verwaltung der an sich bedeutenden
Fonds geklagt. — Dagegen habe ich, obwohl auch mit
einigen Schwierigkeiten , ' den Zutritt zu dem Irren-
hause S. Bonifazio erlangt. — Gleich der Eintritt in
den mit gewaltigen, gefängnissmässigen Thüren ver-
wahrten Hof gab ein abschreckendes Bild von dem
Zustande dieses Spitals. — Unter den Bogengängen
gingen oder lagen in schmutzige Lumpen gehüllt ein
94
Theil der Kranken umher, während gegenüber dem
Einlange ein Wahnsinniger, mit Ketten an eine Säule
gefesselt, gleich einem Hunde an seinen Banden zerr-
te. Dahei drang ein mephitischer amoniakalischer
Dunst dem Eintretenden entgegen, und lies, verbun-
den mit dem Anblicke selbst darauf schliessen , wie
weit man hier von Bedachtnahme auf Erhaltung
einer gehörigen Reinlichkeit und Ordnung entfernt
sey. Die Zahl der Kranken, welche hier eingesperrt
sind, beträgt gewöhnlich ohngefähr 350, und auf diese
bedeutende Zahl sind nur sechzehn Wärter gerechnet.
Ich konnte nur die für die männlichen Kranken be-
stimmten Zimmer (wenn man diese leeren Räume, wo
weder Stuhl noch Tisch, sondern nur auf dem viel-
fach verunreinigten Estrich des Fussbodens hie und
da hingeworfene Strohsäcke als Lagerstätten erblickt
werden, mit solchem Namen belegen darf) durchge-
hen , da zu den weiblichen Kranken der Zutritt ver-
weigert wurde, aus dem Grunde, „es werde ihnen
eben Messe gelesen!!" — Bei einem Lokale solcher
Art nun die Kranken selbst, im äussersten Schmutz,
oft nur zur Hälfte bekleidet und ganz unbeschäftigt
hie und da sich herumtreiben oder hingestreckt zu
sehen, dort von ihren Zudringlichkeiten, hier von
ihren tückischen Gesichtern sich verfolgt zu finden,
machte einen höchst peinlichen Eindruck. Besonderes
Mitleid aber erregte mir ein melancholischer Englän-
der, welcher durch, ich konnte nicht erfahren welches
Missgeschick in dieses Inferno gerathen war, und mit
stieren Augen unter diesen auch noch im Wahnsinn
eigenthümlichen Physiognomieen des Landes einher-
ging. — Endlich werde ich nicht vergessen, durch
welchen Gestank und Schmutz ich zu passiren hatte,
um ein höchst dürftiges Lokal für Bäder zu sehen, -r-
Man dankt dem Himmel , wenn man das verriegelte
95
Hofthor wieder im Rücken hat nnd sich von Anbli-
cken solcher Art befreit findet ! —
Am 3. Juni besuchte ich das Spedale S. Giacoino
dei Incurabili, welches sowohl weibliche als männli-
che Kranke, auch chirurgische und syphilitische Fälle
aufnimmt, und zwischen zwei und dreihundert Kranke
gewöhnlich verpflegt. Prof. Tagliabö behandelt die
innern, Prof. Sisco die chirurgischen Kranken. Die
Säle sind auf die gewöhnliche Weise für eine Menge
Kranke zugleich bestimmt, und die Betten sogar in
mehrere Reihen nebeneinander gestellt. Die Luft
fand ich ziemlich rein, obwohl sonst die Säle nichts
weniger als schön sind. — Ich begleitete den Prof.
Tagliabö auf seinen Visiten und bemerkte eine äus-
serst einfache, wenig abwechselnde Anordnung von
Mitteln. Als eben vorliegende merkwürdige Fälle
machte er unter andern mir eine Frau mit Bauchwas-
sersucht bemerklich, welche bereits 40mal die Opera-
tion der Paracentese ausgestanden hatte, vor 6 Ta-
gen abermals operirt worden war, und schon von Neu-
em eine ausserordentliche Wasseransammlung wahrneh-
men Hess. Ferner ein Mädchen von etwa 14 Jahren
mit einer Sackwassersucht in der Lebergegend, wel-
che durch einen Abscess nach aussen sich entleert
hatte , so dass noch jetzt fortwährend aus der Oeff-
nung ein schlechtes Eiter ausfloss, und die höchst ab-
gemagerte Kranke ihrem Ende entgegenging. Die
Bandwurmkrankheit (Bothriocephalus latus) soll ziem-
lich häufig vorkommen. Die Granatbaumrinde hatte
sich auch hier unwirksam gezeigt. Eben so erzählte
mir Prof. Sisco, dass auch hier die Fälle von Stein-
krankheit sehr häufig vorkommen, dass er bereits in
diesem Jahre in dem Spital 7 Operationen dieser Art
gemacht habe , von welchen nur eine , und zwar bei
einer Frau, wo man den Stein adhärirend fand, tödt>-
96
lieh ablief. Die Abnahme einer skirrhösen Brust hatte
er mit Nutzen ohne alle Unterbindung der Gefässe
verrichtet, und kürzlich ein merkwürdiges Aneurysma
der Aorta descendens, welches blos durch seinen Druck
getödtet hatte, beobachtet. Die Anstalt enthält übri-
gens eine wohlversehene Apotheke, zwei zum Behuf e
der chirurgischen Klinik recht wohl eingerichtete
Zimmer, und einige zu Sektionen und anatomischen
Präparationen eingerichtete Kammern, jedoch keine
Sammlung pathologischer Präparate, so leicht eine
solche auch gerade hier anzulegen wäre.
Eine Krankenanstalt von besonders vorzüglicher
äusserer Einrichtung ist das auf dem rechten Ufer der
Tiber gelegene Spedale S. Gallicano. Es ist nament-
lich für Aufnahme der an chronischen Hautkrankhei-
ten Leidenden bestimmt ; und es finden sich desshalb
die Schlafstellen sowohl als die Bäder nach drei Ab-
theilungen : Tinea , Lepra und Scabies unterschieden.
Fratocchi leitet die chirurgische oder äussere Be-
handlung, indess bei innern Krankheitszuständen, na-
mentlich Fiebern, D. Bern ardin i die Cur dirigirt.
Einige Primar-Assistenten und Studirende , in der weib-
lichen Abtheilung aber Klosterfrauen sind zur beson-
dern Aufsicht der Kranken bestimmt, so wie auch ei-
nige bejahrte Geistliche den Unterricht der in der An-
stalt oft sehr lange verweilenden kranken Kinder be-
sorgen. Die Architektur des ganzen Hospitals ist präch-
tig zu nennen. Zwei gewaltige Säle, der eine für
männliche, der andere für weibliche Kranke bestimmt,
jeder ohngefähr 60 schöne eiserne Bettgestelle mit guten
Matratzen von den dünnhäutigen Hüllen der Maisähre
gestopft, enthaltend, stossen dergestalt an einander,
dass sie nur durch eine Kapelle getrennt sind, so
durch grosse Glassfenster gegen beide Säle sich öff-
net. Die Kranken beider Säle sehen auf diese Weise
97
den Messe lesenden Priester und verrichten in den
Sälen selbst ihre Andacht. — Sehr schön ferner sind
die mit weissen Marmorwannen versehenen Bäder,
ein Garten dient zur Bewegung in freier Luft, grosse
von den Klosterfrauen sehr ordentlich gehaltene Wäsch-
und Kleidermagazine fehlen keinesweges , und so ist
auch die sehr geräumige Küche und der grosse zweck-
mässig eingerichtete Waschapparat, alles im Ueber-
fluss mit Zuleitungen laufenden Wassers versehen (in
der Küche treibt sogar das in einer Röhre strömende
Wasser den Bratenwender, fiiesst von selbst in die
Kessel des Heerdes u. s. w.) sehr zu loben. Noch ist
zu bemerken , dass zur Seite des Saales für männliche
Kranke eine eigene etwa 30 Betten fassende Abthei-
lung für die mit Tinea behafteten Knaben besteht, so
wie dass auch hier eine eigene Apotheke sich befindet,
welche jedoch, gleich den übrigen Apotheken der Spi-
täler, aus dem Laboratorio von S. Spirito ihre Präpa-
rate bezieht. Besonders bemerkenswerth hat mir die
seit vielen Jahren hier übliche Behandlung des Kopf-
grindes geschienen, namentlich deshalb, weil bei die-
ser zwar langen, ein halbes Jahr bis 2 Jahr Zeit brau-
chenden Behandlung doch das Ansehen der Kinder so
blühend und kräftig war , dass man eine wohlthätige
Einwirkung auf den Gesammi-Organismus annehmen
durfte, obwohl es keinen Zweifel leidet, dass dersel-
be Zweck auf eine kürzere und angemessenere Weise
auch erreicht Averden könnte. — Die Cur wird aber
auf folgende Weise vorgenommen: — denen mit Tinea
behafteten Kindern werden zuerst die kranken Stellen
des Kopfes mit Oel aufgeweicht und gereinigt, dann
wird der ganze Kopf geschoren und nun mit einer
kleinen breiten Zange alle Kopfhaare nach und nach
ausgerissen. Diese Dienste erweisen sich die Kran-
ken wechselseitig, und es war merkwürdig, wie ein
7
98
solcher kleiner Kranke sich dem andern in den Schoos
legte, um mit besonderer Fertigkeit solchergestalt sich
rupfen zu lassen, welches übrigens nicht auf einmal,
sondern stellenweis geschieht, bis nach ein oder zwei
Wochen der ganze Kopf kahl ist. Ist der Kranke so
weit, so wird von nun an alle acht Tage der ge-
sammte vorher behaarte Kopftheil scarificirt. Auch
diess verrichten die Kranken wechselseitig, und es be-
durfte nur eines Wortes vom Primar-Assistenten , um
einen Knaben zu vermögen, diese Operation sich von
einem andern verrichten zu lassen. Es geschieht diess
in dem Waschzimmer , wo mehrere in der Wand an-
gebrachte Hähne reichliches Wasser ergiessen, wel-
ches von dem steinernen geneigten Fussboden schnell
wieder abläuft. Mit grosser Ruhe stellte sich der Auf-
gerufene vorwärtsgebückt vor den wenig grösseren
Operateur , welcher mit gewetztem kurzen Scheer-
messer nun in grosser Schnelligkeit über den ganzen
Kopf eine Menge leichte Schnitte machte, aus denen
ein dickliches Blut reichlich tropfenweise hervorquoll.
Ein gewisser ich möchte sagen variköser Zustand der
Hautgefässe dieser Fläche war übrigens als Ursache
jener chronischen die Tinea bedingenden Entzündun-
gen unverkennbar. — So lässt man nun die Scarifica-
tionen ausbluten, der Kopf wird fleissig mit frischem
Wasser gewaschen, mit Butter bestrichen und mit
einem Stück Thierblase wie mit einer Mütze für be-
ständig bedeckt. Selten wird etwas Unguentum oxy-
genatum zu Hülfe genommen , und wenn nun diese
Methode den Krankheitszustand endlich völlig besei-
tigt hat, so bildet sich auch ein sehr gesunder Haar-
wuchs wieder aus.
Gelegentlich hatte ich mich auch nach dem Vor-
kommen des Aussatzes als Lepra oder Elephantiasis
erkundigt, erfuhr aber durch Morien ini, dass er in
99
Rom fast gar nicht mehr gesehen werde, und nur in
Comachio unter den Fischern eine ihm einigermassen
verwandte Hautkrankheit, als Schuppenkrankheit (Ich-
thyosis) vorkomme.
Ich wende mich nun zu dem ausschliesslich zur
Aufnahme von chirurgischen Kranken, namentlich für
alle Arten von Verletzungen, bestimmten Spedale a
la Consolazione , welches zwischen dem capitolini-
schen und palatinischen Berge in der Gegend des al-
ten Lacus Curtii gelegen, keiner sehr guten Luft ge-
messt und zur Entwickelung der endemischen Fieber
leicht Veranlassung giebt. — Die Anstalt besteht in
einem etwas grösseren Gebäude für männliche , und
einem kleineren für weibliche Kranke. Der ersteren
waren 62, der letzteren 22 anwesend. Das Local selbst
ist schön und die Ordnung zu loben, nur fehlt es an
manchen den Kranken sonst sehr zur Erleichterung
gereichenden Apparaten. Ich rechne dahin nament-
lich die Vorrichtungen zum Aufheben der Kranken
und zum Selbstaufheben derselben, Vorrichtungen,
welche an einer Anstalt, wo so viele Knochenbrüche
vorkommen, sicher nicht fehlen sollten. — Erster
Wundarzt der Anstalt ist Prof. Trasmondi, während
D. Lupi als Arzt für innere Krankheitszustände an-
gestellt ist, und ausserdem 4 Assistenten, so wie 8 als
Praktikanten angesehene und auch in der Anstalt woh-
nende Studirende, nebst 6 Wärtern und Wärterinnen,
zum Dienste der Kranken bestimmt sind. Dass die
alte Neigung zur Selbsthülfe bei den Römern noch
nicht erloschen ist , bewiesen vier damals vorhandene
Kranke, welche durch Messerstiche mehr oder weni-
ger gefährlich verletzt waren. Ein merkwürdiger Fall
von anhaltendem Tetanus durch den Bruch eines Fin»
gergliedes veranlasst, war kürzlich vorgekommen, wo
100
die Heilung durch Amputation des Fingers, Opium
und Bäder erreicht worden war.
Die letzte der von mir besuchten römischen Kran-
kenanstalten war das Spedale S. Giovanni, welches
blos zur Aufnahme weihlicher Kranken bestimmt ist
und ebenfalls zwei Häuser begreift. Es ist dieses ei-
nes der ältesten hiesigen Spitäler , und eine Menge
Inschriften und Wappen zeigen in dem grossen Saale,
in welchen man zuerst eintritt , die zu verschiedenen
Zeiten demselben gemachten Schenkungen an. Dr.
Mucchielli und D. Testa sind die Aerzte, D. Le-
on ardi der Wundarzt des Spitals, ein Marchese del
Drago ist mit der Direction der Verwaltung beauf-
tragt. Die Zahl der Anwesenden soll ohngefähr 50
chronische und 100 Fieberkranke betragen , indess be-
finden sich unter den letztern auch noch viele, mehr
zu den chronischen Uebeln zu rechnende Fälle. Zwei
obere und zwei untere Assistenten, nebst 4 Prakti-
kanten aus den Studirenden finden sich auch hier zum
Dienste der Kranken geordnet. Ausserdem verweilte
in jedem Saale unter den Wärterinnen eine Nonne,
welche zugleich zur Ausübung der niedern chirurgi-
schen Hülfsleistungen bis zum Aderlassen unterrichtet
ist. Alle 6 Stunden erfolgt das Ablösen der Wachha-
benden. — Die Säle ' sind hoch und sehr geräumig.
Einige derselben stehen immer leer, um Wechseln
derselben für die Kranken möglich zu machen, wor-
auf die geräumten dann sorgfältig gereinigt werden.
Die Hektischen, so wie die Kranken mit anstecken-
den Fiebern werden abgesondert; dass sie indess dann
nicht immer sehr sorgfältig gepflegt sind, bewies mir
eine mit Petechien behaftete irreredende Tvphuskran-
ke , welche wir ganz allein fanden. Die Pocken sind
auch hier wieder bemerkt worden, ja bei einer im
Stadio des Ausbruchs Verstorbenen wollte man sogar
101
(leren im Darmkanale beobachtet haben. — Die herge-
brachte Ordnung führt es übrigens mit sich, dass,
nachdem die Kranken gegen 11 Uhr ihr Mittagessen
erhalten haben , die Fensterläden geschlossen und die
Säle verdunkelt werden, bis gegen 5 Uhr, nach vor-
übergegangener Zeit der Sieste , man sie wieder er-
öffnet.
Wende ich mich nun zu andern Gegenständen der
Natur- und Heilkunde, so ist zuerst wieder der Ein-
richtung des Apothekerwesens zu gedenken. Auch
hier ist die Menge der Apotheken sehr gross ; in Rom
allein sind 54 Apotheken , ausserdem dass nicht nur
die Spitäler, sondern auch mehrere Klöster ihre ei-
genen Apotheken haben und ungescheut Arzneyen aus-
geben *). Von besonderer medicinischer Polizei ist
überhaupt nicht die Rede, denn bestände nur einige
mit executiver Gewalt versehene Aufsicht dieser Art,
so würde das Begraben in den Kirchen, welches man-
chen Antheil an Erzeugung der verrufenen Aria catti-
va haben mag, sicher nicht Statt finden, um so mehr,
da hier nicht bloss vom Beisetzen in Erbbegräbnissen
die Rede ist, sondern in den meisten Kirchen sich
grosse unterirdische Gewölbe finden, durch deren
Decke, mittelst einer mit einer Steinplatte im Fuss-
boden der Kirche zu verschliessenden Oeffnung, die
Leichen geringerer Personen geradezu hinuntergelas-
sen oder gestürzt werden. — Zwar hatte man zur Zeit
des französischen Gouvernements ein Campo santo
(Kirchhof) ausserhalb der Stadt angelegt, allein nur
gezwungen wurde es benutzt , und alsbald nach der
*) Nur das Verkaufen der Gifte ist untersagt, und selbst als
ich nach einem Recept Arsenicum album zum Ausstreuen einer
abgezogenen Thierhaut verlangen Hess, wurde der Verkauf ver-
weigert.
102
Wiederherstellung der alten Herrschaft kehrte man
zum Begraben in den Kirchen zurück. — Merkwürdig
ist auch die Ordnung oder vielmehr Unordnung, wel-
che bei den Preisbestimmungen der Arzneymittel Statt
rindet, da es ganz gewöhnlich ist, dass ein Apotheker
eine sehr hochangesetzte Rechnung giebt, und dann es
sich gefallen lässt, dass man ^ ja -3- davon abhandelt.
Man sagte mir, dass sogar bei der Apothekertaxe,
welche öfters erneuert wird, auf dieses Abhandeln vom
Preise Rücksicht genommen sei, weshalb die Preise
höher als verhältnissmässig nach den Waarenpreisen
im Handel allein gestellt werden. Es liegt mir die
übrigens noch eine Menge obsoleter Dinge enthaltende
Taxe vom J. 1820 vor, welche den Titel führt: Ta-
riffa de' prezzi costituiti alli medicinali e robe di Spe-
zeria fuori di Roma , e suo distretto, dal Protomedico
e suoi consiglieri avanti l'eminentissimo e reverendis-
simo signor Cardinal Bartolomeo Pacca, Camer-
lengo di santa chiesa. Hiernach sollen sich bei 20
Scudi Strafe alle Apotheker richten, und bei 10 Scudi
Strafe diesen Tarif in ihren Officinen vorräthig haben.
Es scheint mir nicht uninteressant die Preise ei-
niger Arzneymittel nach dieser Taxe mit den Preisen
nach unserer Taxe zu vergleichen, woraus sich erge-
ben wird, dass allerdings die mehrcsten Mittel dort
bedeutend theurer angesetzt sind (zumal wenn man
das kleinere Gewicht berücksichtigt), dass jedoch keine
völlige Consequenz besteht, da einige auch wieder
offenbar wohlfeiler gestellt sind.
103
Acetum rosarum
— scilliticum
Alumen ustum
Aloe soccotarina
Aqua Rabelii
Asa foetida
Extractum aconiti
— rhei
Galbanum
Gummi arabicum pul-
veratum
Cortex Chinae rubrae
pulveratus
Liehen Island, electus
Mercurius vivus depu-
ratus
Mercurius praeeipita-
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104
Uebrigens ist die Behandlungsweise der römi-
schen Aerzte in der Regel sehr einfach und nicht von
der Art, dem Apotheker die Bereitung sehr compli-
cirter Mittel zuzumuthen. Limonaden, Eiswasser, Ge-
frornes verschiedener Art, etwas Ricinus- oder Man-
delöl, Blutlassen und China, diess ist so ziemlich
der Heilapparat, mit welchem die meisten Krankheiten
bekämpft, und grossentheils glücklich bekämpft wer-
den.— Selbst Krankheiten, welche wir mit stark küh-
lenden Dingen nicht leicht zu behandeln pflegen, wie
Diarrhöen , Coliken u. dergl. , vertragen nicht nur die
Limonaden und Sorbetti gut, sondern werden dadurch
gewöhnlich bald gebessert. Ein Mittel, welches bei
chronischen Zuständen, namentlich in Rom, noch häu-
fig angewendet zu werden pflegt, ist das Decoct von
Vipern. Man lässt etwa 31J bis 5ÜJ& des frischen Vi-
pernfleisches *) auf 5VJ bis 5VÜJ Wasser-Rückstand
kochen und allein oder mit Kräuter Zusätzen vermischt
täglich verbrauchen. Dieses Dekokt macht, nach Mo-
richini's Versicherung, bei gelähmten Zuständen,
chronischen Hautübeln u. dergl. sehr gute Wirkung.
— Dass die stehende Krankheitsform von Rom die
Wechselfieber seien, ist eine bekannte Sache, obwohl
die Entstehung derselben und namentlich der Ausbruch
oft so sehr heftiger Epidemieen **) dieser Art gerade
in den trockensten warmen Sommermonaten viel
Räthselhaftes hat, um so mehr, da der Boden des jet-
zigen Roms und seiner nächsten Umgebungen nicht
eigentlich sumpfig genannt werden kann, und sonach
mehr auf die, in dem Aufsatze über die vulkanischen
*) Vom getrockneten ist etwas mehr zu nehmen.
**) Nach Valentin (s. Heusingers Zeitschrift f. organ.
Physik Bd. I. S. 552) dürfte man die Zahl der auf der ganzen"
Westküste Italiens durch solche Fieber Verstorbenen auf 60,000
jahrlich berechnen.
105
Gegenden Italiens angedeutete, ehemalige Beschaffen-
heit desselben und die eigenthümliche Natur des aus
Meeressand und vulkanischen Aschen gemischten Bo-
dens Rücksicht genommen werden muss, von welchen
sich vielleicht auch die Ausströmungen von gekohltem
Wasserstoffgas aus dem Boden, welche Gonel beob-
achtet haben will, und denen er wesentlichen Antheil
an Entstehung dieser Miasmen zuschreibt , herleiten
liesse. — Merkwürdig bleibt es indess, dass aus äl-
teren Zeiten, wo gerade die Versumpfung, sogar in
Rom's Umfange, stärker gewesen ist, keine Kenntniss
von so bestimmtem endemischen Fiebercharakter uns
zugekommen ist, als Avovon die Ursache gewiss weni-
ger mit Lancisi im Niederhauen der heiligen Wäl-
der angenommen werden kann, dahingegen Beachtung
verdient, was in dem Discorso sulla condizione dell'
aria di Roma negli antichi tempi (Brocchi sull stato
fisico del suolo di Roma p. 215) angeführt wird.' Es
ist hier nämlich bemerklich gemacht, wie wichtig für
die Erhaltung der Gesundheit beiden Alten ihre wol-
lene.Kleidung gewesen sei, als wodurch der Kör-
per gegen die häufigen, gerade in diesem wärmeren
Clirna so leicht möglichen Erkältungen am meisten ge-
sichert wurde, eine Bekleidung, welche auch jetzt
noch von vorsichtigen Fremden, welche längere Zeit
in Rom leben (insbesondere an den Füssen) nicht ver-
absäumt wird, und durch welche auch erklärlich wird,
warum unter den Klostergeistlichen , welchen stätes
Tragen wollener Kutten zur Pflicht gemacht ist, diese
Fieber weniger herrschen *). — Die Zeit, in welche
*) Manche interessante Bemerkungen über diese Fieber fin-
den sich übrigens noch in Bailly traite anatomico-pathologique
des fievres intermittentes. Im Auszuge in Heusinger's Zeit-
schrift f. org. Physik I. Bd, S. 528.
106
unser dreiwöchentlicher Aufenthalt zu Rom fiel (Ende
Mai und Anfang Juni), wird, nächst der zweiten Hälfte
des Decembers , für eine der gesündesten gehalten;
dessenungeachtet war die Hitze schon bedeutend. Den
3. Juni Nachmittags 4^ Uhr war ein sehr genaues
Reisethermometer noch im Schatten 22 ° R. , den 4.
Juni Mittags i\ Uhr im Schatten 24°. — Dabei die
Luft sehr mild und die Abende von ausserordentlicher
Schönheit — Es ist auch mir sehr wahrscheinlich,
was Clark (über Südeuropa in climatischer Hinsicht
deutsch von Fischer, Hamm 1826. p. 22) von dem
römischen Clima behauptet, nämlich dass es für
Schwindsüchtige, namentlich der ausnehmend schönen
und milden Wintermonate wegen , besonders empfoh-
len zu werden verdiene , und selbst der Anblick der
kräftigen wohlgebauten Gestalten der Römer und ins-
besondere der Römerinnen scheint einen Beleg mehr
hierfür abzugeben. — In Wahrheit unterscheidet sich
der hiesige Menschenschlag sehr von dem schwächli-
chen und ich möchte sagen nervösen Charakter der
Florentiner, und hinsichtlich der Frauen wurde es mir
als eine allgemeine Erfahrung dargestellt, dass sie
nach mehreren Wochenbetten und dem gewöhnlich 1|
bis 2 Jahr und länger fortgesetzten Stillen, anstatt zu
veralten und abzumagern, immer völliger und stärker
würden.
Es ist jetzt noch nachzutragen , was ich über die
physikalischen und naturwissenschaftlichen Sammlun-
gen auf dem Universitätsgebäude mir aufgezeichnet
habe. Zuerst gedenke ich des zoologischen Cabinets,
welches Prof. Metaxa vielfältig bereichert und auf
zweckmässige Weise aufgestellt hat. Derselbe hat
sich namentlich mit Untersuchung der Schlangen in
der Campagna von Rom beschäftigt , und er hatte die
Gefälligkeit die dort vorkommenden und hier zusam-
107
mengestellten Arten mir selbst vorzuzeigen. Es wa-
ren nach seiner Bestimmung:**) Coluber quadrilinea-
tus (sie wird am grössten, ist dabei etwas träger als
die übrigen, und es gelang mir, ein ziemlich grosses
42" langes Exemplar dieser Art mit nach Dresden zu
führen, wo es jetzt, nach 6 Monaten,' noch lebt.)
Colub. atrovirens (die häufigste, ist sehr lebhaft und
bissig, obwohl nicht giftig ; ein lebendes Exemplar
derselben starb mir auf der Reise). Colub. Aescula-
*) Eine kleine Abhandlung desselben : Monografia de* ser-
pentrdi Roma e suoi contorni. Roma 1823. enthält hierüber man-
che dankenswerthe Bemerkung. Ich gedenke hierbei zugleich
einer andern Abhandlung desselben Verfassers über die Heu-
schrecken der römischen Gegend, welche erschien unter dem
Titel: Osservazioni naturali intorno alle cavalette nocive della
campagna Romana. Roma 1825. Es werden hier nicht nur die
verschiedenen Invasionen dieser Gegend geschichtlich aufgeführt,
sondern es wird auch nachgewiesen, wie irrigerweise man seit
Plinius angenommen habe, dass diese Heuschreckenschwärme
von Afrika herüberkämen, da sie doch vielmehr, ohngefähr gleich
den Maikäfern in Deutschland, sich nur zu gewissen Zeiten mit
einemmale in ungeheurer Menge an gewissen Orten entwickeln.
Die Jahre, welche durch diese Landplage um Rom sich in den
letztern Jahrhunderten vorzüglich ausgezeichnet haben , sind :
1577, 1612, 1653 bis 55, worauf dann 1656 die Pest folgte,
1637, 1717, 1807, 1815, 1321. Die Thiere der letztern Invasion,
welche der Verf. als Acrydium italicum bestimmt (obwohl wahr-
scheinlich mehrere Species dahin gehören) machen den Gegen-
stand dieser Abhandlung.
Endlich hat Prof Metaxa als Lehrer der Veterinärkunde,
und oftmals mit Untersuchung von Epizootien beauftragt, auch
über hierhin gehörige Gegenstände manche interessante Bemer-
kung gesammelt. Merkwürdig war mir vorzüglich seine Behaup-
tung, dass die Büffel (Bos bubalus), diese aus den heissen Ge-
genden Indiens und Africa's in Italien acclimatisirten wasserlie-
benden Thiere nicht der Ansteckung durch die Rinderpest aus-
gesetzt seyen, wohl aber häufig an Anthrax und eigenthüml Lehen
Drüsenübeln litten.
108
pii, C. viperinus, C. natrix (scheint doch auch von
der unsrigen noch verschieden). C. gabinus (Metaxa),
C. Riccioli (Metaxa) , C. Austriacus (selten und klein).
Von dem Genus Vipera kommen berus , aspis, Redi,
chersea vor, und werden gleichmässig alle zum Arz-
neygebrauch Verwendet. Von Gekonen ist der Fasci-
cularis der häufigste, und es werden ihm gemeinhin
giftige Eigenschaften zugeschrieben. Von Schildkröten
kömmt Testudo graeca am häufigsten vor. — Unter
den im Meere an römischen Küsten gefangenen und
gesammelten Fischen interessirte mich besonders die
sonst nur bei den Antillen vorkommende, aber diess
Jahr hier gefangene Raja cephaloptera, von welcher
indess nur der ziemlich 1 Fuss breite Kopf aufbewahrt
worden war.
Mit nicht minderer Gefälligkeit als Pr. Metaxa
die naturhistorische, zeigten mir Prof. Barlocci*) die
physikalische, Prof. Carpi die mineralogische, und
Peretti die pharmaceutische Sammlung. — Das phy-
sikalische Cabinet ist mit Instrumenten ziemlich reich-
lich ausgerüstet und man zeigte mir bei dieser Gele-
genheit als mittleren Barometerstand von Rom die Hö-
he von 28", als mittlere Abweichung der Magnetnadel
17f ° , als mittlere Inclination derselben 58y ° an. —
Von besonderem Interesse war für mich das minera-
logische Cabinet, da es ausser einer nach Hauy ge-
ordneten, sehr zweckmässig und ziemlich vollständig
(wenn auch meistens nur in kleineren Exemplaren)
aufgestellten oryktognostischen Sammlung, sehr merk-
würdige geognostische Folgereihen der fossilen Pro-
ducte des Bodens in der Umgegend von Rom enthielt:
*) Es hat sich derselbe neuerlich viel mit dem Elektro-Mag-
netismus beschäftigt, worüber man seine Schrift sehe: Saggio di
Elcttio-Magnetismo. Roma 1826. 8.
109
Folgereihen, welche namentlich für die Ausarbeitung
des angeführten freilich immer noch sehr unzulängli-
chen Werkes von Brocchi über den Boden von
Rom die Materialien geliefert haben. Die grosse Man-,
nichfaltigkeit der vulkanischen Produkte (zu welchen
auch die schönen Melaniten von Frascati, so wie
eine vom Prof. Carpi neuerlich unter dem Namen
Gismundina oder Abrazites beschriebene, und bei Tre
fontane vorkommende Lavenart *) gehört) , so wie die
Reihen verschiedener, mehr calcinirter als versteiner-
ter, fossiler tConchylien, verdienen ein ausführliches
Studium.
Auch das pharmaceutische Cabinet habe ich dem
neuern Stande der Wissenschaft entsprechend gefun-
den und mit Interesse die vom Prof. Peretti gezoge-
nen Resultate der Untersuchung mehrerer arzneylicher
und Farbesubstanzen erfahren. Es hat derselbe na-
mentlich eine ausführliche Arbeit über die Bestand-
teile der Rhabarber unternommen, und aus derselben
insbesondere das Harz , als den eigentlich abführend
wirkenden Bestandtheil, sehr rein dargestellt. Was
die Natur der vegetabilischen Farbestoffe betrifft, na-
mentlich derjenigen, welche, wie Lackmus, durch
Säuren und Alkalien geändert werden, so hielt er,
nach Beobachtungen über Einwirkungen der galvani-
schen Säule auf jene Flüssigkeiten, dafür, dass eine
durch Alkalien neutralisirte Säure das eigentliche fär-
bende Princip derselben ausmache **).
Ich wende mich nun zu den Bemerkungen, welche
*) Die Bestandteile derselben sind: Kieselerde 41, Kalk 48
Theile, ausserdem Thon- und Talkerde und etwas Eisen.
**) Peretti hat von diesen Untersuchungen eine Notiz gev
geben in einer gedruckten Lettera diretta alli Signori Redattori
del Giornale di farmacia di Parigi.
110
in hier zu beachtenden Beziehungen über Neapel,
während eines leider nur vierzehntägigen, noch dazu
von mehreren Excursionen unterbrochenen Aufenthal-
tes aufgezeichnet wurden. Auch in Neapel besteht eine
Universität, in welcher jährlich ein achtmonatlicher
Cursus in den vier Facultäten gelesen werden soll
(obwohl in Wahrheit wenig Collegia wirklich gelesen
werden), während die Zeit vom Ende Juni bis Mitte
.November den Ferien bestimmt ist. Nach dem Le-
ctionskatalog sollten damals lesen: Tondi über Ory-
ktognosie und Oreognosie, Scotti über die Fieber,
Ferrara über Geschichte der Medicin, Santoro,
Mancini, Boccanera und de Horatiis über Chi-
rurgie, Briganti und Macri über Arzneimittellehre,
Monticelli (bekannt durch seine Beobachtungen und
Sammlungen über den Vesuv und die vulkanische Um-
gegend Neapels überhaupt) Anthropologie, de Furno
Toxicologie , N a z a r i u s über des Hippokrates Apho-
rismen, Ruggiero über Pathologie, Prof. Quadri
( dessen Klinik für Augenkranke *) in grosser Achtung
steht) über Augenkrankheiten, Sementini und Lan-
cellotti über Chemie, Prof. Antonucci über Thera-
pie (hält zugleich das Klinikum für innere Krankhei-
ten), Pinto und Folinea über Anatomie, Prof. Cat-
tolica über Geburtshülfe , Prof. Gambale über Ex-
perimental-Physik, Prof. Tenore, Director des schö-
nen botanischen Gartens, über Botanik, Prof. Pe-
tagna über Zoologie (nach Linne!). Ausserdem ge-
hören der Leibmedicus Dr. Ronchi und mehrere ad-
jungirte Professoren der niedicinischen Facultät an.
*) INI. s. hierüber Annotazioni pratiche sulle malattie degli
occhi racc. e ord. da GB. Quadri nella R. scuola clinica di Na-
poli. Vol. I. Nap. 1819, dem späterhin noch mehrere Bände ge-
folgt sind.
111
Der Ort, wo das therapeutische, chirurgische, ge-
burtshülfliche und ophthalmologische Klinikum gehal-
ten werden, ist das Spedale dei Incurabili, mit wel-
chem noch ein eigenes medicinisch-chirurgisches Col-
legium verbunden ist, worin gegen 30 bis 40 Studenten
Wohnung und Kost gegen den sehr geringen monatli-
chen Beitrag von 10, ja selbst nur von 5 Ducati (1 Du-
cato =s= 1 Thlr. 3 Gr. 3 Pf.) gemessen, und- dabei zu-
gleich ihre Vorlesungen hören und ihre Studien so
weit vollenden, dass sie zu Doctoren promovirt wer-
den können, jedoch während der Studien sich in dem
Collegio wie in einem Kloster eingeschlossen finden
und es ohne besondere Erlaubniss nicht verlassen dür-
fen. Was das Spital selbst betrifft, so ist es von
grossem Umfange und grösstenteils sehr vortheilhaf-
ter Einrichtung. Gewöhnlich werden hier gegen 1000
Kranke auf einmal verpflegt, und ausserdem wird es
vielen Kranken, welche sich, da die Anstalt eines
grossen Zutrauens geniesst, dorthin wenden um blos
einen ärztlichen Rath zu verlangen, nützlich. Auch
hier sind die Kranken in grosse meist gewölbte
Säle vereinigt, in welchen gewöhnlich ein oder zwei
steinerne Vasen zum Anzünden von etwas Räucher-
werk befindlich sind. Die Krankheiten sind übrigens
keinesweges gesondert , und chronische und fieberhafte
Kranke jeder Art, einzig und allein mit Ausnahme der
Phthisischen, welche in besondere Säle vereinigt sind,
liegen hier neben einander. - — Merkwürdig ist das sehr
häufige Vorkommen der Steinkrankheit, und zwar na-
mentlich auch bei Kindern sogar schon im vierten
Jahre. Ich selbst fand dort einen Knaben von 6 Jah-
ren vor, welcher vor kurzem durch den Seitenschnitt
von einem ziemlich grossen Steine befreit worden und
wo die Operationswunde bereits grösstentheils geheilt
war. Ueber die Ursachen dieser häufigen Steinerzeu-
112
gung scheinen auch die dortigen Aerzte nicht im Reinen
zu sein, doch sind sie nicht abgeneigt, einengrossen
Antheil hiervon der groben Nahrung und dem Genüsse
von vielem Käse insbesondere, so wie der hieraus sich
entwickelnden Scrophelkrankheit zuzuschreiben. Kran-
ke dieser Art werden übrigens, namentlich im Mai und
Oktober, zur Operation aufgenommen. — Das Spital,
wie es im Allgemeinen zur Aufnahme von Kranken
jedes Geschlechts und Alters bestimmt ist, hat auch
eine eigene Abtheilung kleinerer, jedoch weniger or-
dentlich gehaltener Zimmer für Schwangere und Ge-
bärende, in welchen gewöhnlich ohngefähr 30 Betten
besetzt sind. — Abschreckend hing gleich im ersten
Zimmer dieser Reihe das in Oel gemalte lebens-
grosse Bild einer nackt dargestellten, höchst verkrüp-
pelten rhachitischen Schwangern , an welcher der Kai-
serschnitt, jedoch mit tödtlichem Ausgange für sie
selbst verrichtet worden war. Neuerlich war auch der
Schamfugenschnitt zweimal gemacht worden. — Ein
kleiner zwischen den Gebäuden des Krankenhauses
eingeschlossener botanischer Garten verdient kaum
erwähnt zu werden.
Die übrigen Krankenhäuser der Stadt genauer
kennen zu lernen, hinderte mich die Kürze der Zeit,
und ich musste zufrieden sein , dass sich ein Tag aus-
mitteln Hess, um mit Dr. Vulpes, einem sehr unter-
richteten und gefälligen Arzte*), die Fahrt nach dem
*) Er ist Profess. an dem bereits erwähnten Collegio med.-
chir. und unter Dr. Ronchi besorgender Arzt des Irrenhauses
zu Aversa. Es sind von ihm: „ Institutiones pathologicae in
usuni regii Ephebei medici atque chirurgici (latine redditae a
Dom. Minichini) zu Neapel 1820 erschienen, desgleichen ein
Discorso per la solenne inaugurazione del busto in marmo di
Dom. Cotugno. Nap. 1824., -worin das Leben und die Ver-
dienste dieses ausgezeichneten Arztes geschildert «erden.
113
eine Poststation entfernten Aversa (dem Atella der Al-
ten) zu machen, wohin mich der Ruf der daselbst be-
stehenden Irrenanstalt zog, als welche mich um so
mehr interessiren musste, da so verschiedene Urtheile
über dieselbe mir vorgekommen waren.
Es zerfällt aber diese Anstalt in drei Abtheilun-
gen, von welchen die eine, innerhalb der Stadt in ei-
nem ehemaligen Kloster befindliche die Frauen ent-
hält, während eine zweite, nahe vor der Stadt gele-
gene den männlichen Kranken bestimmt ist und die
Abtheilung ausmacht, welche als die äusserlich am
meisten verschönerte , den Fremden in der Regel al-
lein gezeigt zu werden pflegt. Die dritte Abtheilung
ist den Epileptischen und Unheilbaren angewiesen,
liegt mehrere Miglien von der Stadt entfernt, und hier-
hin geführt zu werden wurde auch mir verweigert. —
Man scheint übrigens das Unzweckmässige einer sol-
chen Zersplitterung und der so weiten Entfernung von
der Hauptstadt, aus welcher der eigentliche Arzt nur
etwa zweimal Avöchentlich hinauskommt, sehr zu füh-
len, und es ist nach einer Aeusserung des Dr. Vul-
pes im Werke, in Neapel selbst eine grosse Irren-
anstalt einzurichten und dann die von Aversa ganz
aufzuheben. — Die jetzt noch seit dem Jahre 1813 be-
stehende Einrichtung rührt namentlich von dem nun
auch verstorbenen Cav. Linguiti her, welcher, ohne
selbst Arzt zu sein, die Anwendung einer mehr psy-
chischen Behandlung einführen wollte , und insbesondre
auf die Heilkraft der Musik einen grossen Werth
legte. — Versuche ich nun zusammenzustellen, wie
mir diese Anstalt erschienen, so muss ich immer der
männlichen Abtheilung (Casa della Maddalena) das
Lob ertheilen, sie als eine der am besten gehaltenen,
reinlichsten und ihrem Lokale nach angemessensten
Irrenanstalten Italiens gefunden zu haben. Schon von
8
114
aussen machen die von Gärten umgebenen Gebäude
einen angenehmen Eindruck , und wenn man statt der
gewöhnlichen Eisengitter vor den Fenstern buntge-
malte , von dickem Eisenblech ausgeschnittene Blumen-
töpfe und Blumen angebracht hat, um einen noch
freundlichem Eindruck zu gewähren, so ist nur zu
bedauern, dass die Eingesperrten selbst von Innen
nichts als das schwarze Eisen gewahr werden, wäh-
rend die bunten Farben blos den Vorübergehenden zu
gelten scheinen; eine Anordnung, welche in mancher
Hinsicht eine Allegorie auf mehrere andere Einrich-
tungen der Anstalt genannt werden könnte. — Was
die einzelnen Zellen betrifft , so sind die vorzüglichem
denen Kranken bestimmt, deren Familien für ihren
dortigen Aufenthalt bezahlen. Die Einrichtung aller
Zellen, in welchen gewöhnlich immer einige Kranke
zusammenschlafen, so wie die der Betten selbst, fand
ich sehr einfach aber doch reinlich, und erstere nicht
von so gefängnissartigem Ansehen wie in Florenz. Am
Tage findet man die meisten Kranken in den Hofräu-
men unter den Arkaden und in den Sälen des Par-
terres , wo auch gemeinschaftlich gegessen wird , ver-
sammelt. An eine gewisse regelmässige Beschäftigung
derselben ist auch hier nicht zu denken , da man es
nicht dahin rechnen wird, wenn einzelne Kranke dann
und wann Musik treiben und einige derselben, unter
Leitung ihres Maestro di capella dem Fremden eine
nicht sehr harmonische Militair- Musik hören lassen.
Ein im Gartensale eingerichtetes kleines Theater und
ähnliche oft zu kindisch ausfallende Zerstreuungen
(wohin z. B. die Aufstellung einer Menge hölzerner
Puppen zu rechnen) bleiben jetzt billig unbenutzt. —
Die meisten Irren treiben sich nach Gefallen unter
einander herum, schreien und gesticuliren oder mur-
meln für sich hin , wie es die Natur ihres Leidens
115
mit sich bringt, und ich bemerkte hier, was dem ru-
higen Beobachter noch für ein weites Feld auch darin
offen stehe, nachzuweisen, wie die Eigenthümlichkeit
des Landes und der Nation sich in besondern Formen
der Geisteskrankheit offenbare; ja wie selbst nach
den verschiedenen Nationen die Verhältnisse der Zahl
von Kranken, weiblichen oder männlichen Geschlechts,
verschieden sind, da man z. B. hier gewöhnlich zwei
Drittel männliche und nur ein Drittel weibliche See-
lenkranke zählt, während in Frankreich ziemlich das
umgekehrte Verhältniss , in England aber eine ziem-
liche Gleichzahl der Geschlechter unter den Kranken
vorkommen soll. — Die tägliche Besorgung der Kran*
ken wird durch einige in Aversa selbst wohnhafte As-
sistenzärzte geleitet, und in der Anstalt finden sich
eine genügende Anzahl Krankenwärter, welche mit
den Kranken auf eine sehr humane Weise umzugehen
scheinen. Von Zwangsmitteln für Tobsüchtige u. s. w.
werden vorzüglich Zwangs westen und Einschnallen der
Kranken im Bette angewendet; auch existirt eine fin-
stere ausgepolsterte Kammer, und zuweilen wird ein
Schreckbad angewendet , welches in einem im Boden
eines Parterre-Zimmers angebrachten , mit Wasser ger-
füllten Bassin besteht, über welches ein starker Tep-
pich gebreitet ist; man führt dann) dem Kranken in
diess Zimmer, bringt ihn auf den Teppich, welcher
plötzlich frei gelassen wird und lässt ihn so in kaltes
oder laues Wasser stürzen , aus welchem er leicht
wieder hexvorgezogen werden kann. — Ausserdem wer-
den den leichtern Kranken Spaziergänge in der Um-
gegend unter Begleitung eines Krankenwärters, ja
selbst Spazierfahrten nach Neapel nicht versagt, xind
überhaupt, wenn man die neuerlich über Behandlung
der Irren gegebenen Anordnungen durchgeht (s. d. R«-
golamento per la direzione sanitaria delle Reali Case
8*
116
de' Matti nel Regno di IVapoli. Nap. 1826), so sieht
man, dass es überhaupt an zweckmässigen Maassre-
geln nicht fehlt, und dass' die Anstalt mehr dadurch
leidet, dass diese Maassregeln nicht durchgängig ge-
hörig in Ausübung gebracht werden. Würde daher
ein thätiger, menschenfreundlicher, durch Kenntniss
ausländischer Anstalten gebildeter Arzt, wie Dr. Vul-
pes, zu stäter Aufsicht an Ort und Stelle gesetzt,
würde für eine regelmässige angemessene Beschäfti-
gung der Kranken mehr Sorge getragen, und für die
einzelnen Kranken ein umsichtig eingeleiteter Curpl an
mit mehr Bestimmtheit verfolgt, so würde sicher der
Zweck einer ähnlichen wirklichen Heilanstalt auch
mit lobensAverther Vollständigkeit hier erreicht werden.
Was ich indess jetzt über die Abtheilung der
männlichen Kranken bemerkt habe, gilt keinesweges
von der der weiblichen Kranken oder der Casa di
Montevergine. Diese Anstalt, in welche man eigent-
lich auch nicht gern Fremde zuzulassen scheint, fand
ich im Allgemeinen unreinlich, und die Locale für
die einzelnen Kranken weit unfreundlicher als in der
männlichen Abtheilung. Die Kranken selbst, meistens
alte Weiber mit schmutzigen unvollständigen Anzügen
und verwirrten Haaren, drängten sich in den Höfen
schreiend unter einander, und nirgends waren jene
sorgfältigem auf Heilung der Kranken abzweckenden
Einrichtungen sichtbar, welche in der Casa della Mad-
dalena doch nicht verkannt werden dürfen.
Nach dem gedruckten Berichte über die Thätig-
keit der Anstalt im Jahr 1826 ( Giornale del Real sta-
bilimento de' folli in Aversa, per l'anno 1826. dalla
Tipografia dello Stabilimento 1827.) theile ich hier
noch einige Angaben über die Zahlenverhältnisse der
Kranken mit , inwiefern man daraus die Wirksamkeit
der Anstalt besser beurtheilen kann.
117
Es war aber den 1. Januar 1826 der Bestand der
Anstalt 408 Männer und 236 Frauen, also im Ganzen
644 Personen. Von den Männern waren Maniaci 122,
Melancholici 163, Blödsinnige 87, Epileptische (wel-
che wieder in Maniaci, Melancholici und Stupidi ein-
geteilt werden) 36. — Von den Frauen waren Ma-
niacae 69, Melancholicae 120, Stupidae 33, Epilepti-
cae 14. — Hinzugekommen sind im Laufe des Jahres
1826 an Männern 156, nämlich Maniaci 49, Melan-
cholici 79, Stupidi 17, Epileptici 11. — Unter dieser
Summe waren 25 Rückfällige. — An Weibern 63, näm-
lich Maniacae 23, Melancholicae 31, Stupidae 8, Epi-
leptica i. — Unter dieser Summe waren 19 Rückfäl-
lige. — Entlassen wurden im Laufe des Jahres von
den Männern 96 als geheilt, 21 als gebessert, in
Summa 117; von den Weibern 45 als geheilt, 21 als
gebessert, in Summa 66. Gestorben sind von den
Männern 33, von den Weibern 14, in Summa 47.
Also von 863 überhaupt Verpflegten sind 141 als ge-
heilt, 42 als gebessert entlassen worden, 47 gestorben
und 633 in der Behandlung geblieben. Resultate , wel-
che, verglichen mit denen anderer Anstalten , nament-
lich der von Florenz, immer günstig zu nennen sind.
Eine von den an sich nicht unpassenden Vorschrif-
ten des Regolamento von Aversa ist auch: dass alle
Kranke, bevor sie in die Anstalt selbst kommen, zu-
erst in Neapel in ein zu ihrer Beobachtung geeignetes
Local gebracht werden sollen, um erst dann, wenn
das Avirkliche Bestehen einer Geisteskrankheit und die
Art derselben sattsam ausgemittelt worden ist, in die
Anstalt versetzt zu werden. Indess auch davon, dass
diese Maassregel öfters auf eine sehr unzweckmässige
Weise ausgeführt wird, konnte ich mich überzeugen,
da eine merkwürdige Kranke mir Veranlassung gab,
jenen Aufbewahrungsort in Neapel zu besuchen. Es
118
war diess eine höchst unglückliche junge Frau, wel-
che durch langwierigen Kummer und leidenschaftliche
Qual in eine Art von starrsüchtiger Melancholie ver-
fallen war, in welcher sie unter andern, nach mehre-
ren verhinderten anderweitigen Versuchen sich das
Leben zu nehmen, hartnäckig Nahrung zu sich zu neh-
men verweigerte. Als Wahnsinnige wurde sie nun
dem Irrenhause bestimmt und zuvörderst in die Casa
di Osservazione in Napoli gebracht. Bereits mehrere
Tage zuvor hatte sie schon ohne jede Art von Nah-
rung in starrem vor sich Hinbrüten zugebracht und
Dr. Vulpes fand sie demnach in einem höchst abge-
magerten, elenden, ja bedenklichen Zustande. Da
alle Mittel ihr Nahrung beizubringen fruchtlos blieben,
so entschloss sich jetzt der genannte Arzt ihr mittels
der Magenspritze von Bush kräftigen Bouillon gerade-
zu in den Magen einzuspritzen. Diess wurde sofort
ausgeführt und achtzehn Tage war sie, als ich sie sah,
bereits dadurch ernährt worden , dass man ihr täglich
einmal eine Schale voll Bouillon und etwas Wein auf
diesem Wege zuführte. Das Experiment wurde in
meiner Gegenwart wiederholt; das eine ausgiessende
elastische Rohr wurde durch einen Nasenkanal leicht
bis in den Magen geführt, das andere einsaugende
hing in den untergehaltenen Napf Bouillon oder Wein,
und mit Leichtigkeit schaffte nun die Bewegung des
Stempels die ganze Flüssigkeit in Zeit von etwa fünf
Minuten in den Magen; eine Operation, während wel-
cher die Kranke ohne alle Regung starr auf ihrem
Stuhle sitzen blieb > — Vergebens jedoch fragte ich
nach andern zur Heilung dieser Starrsucht angestellten
Versuchen , und gewiss konnte auch von dergleichen
in dem Locale, wo ich die Kranke sah, nicht die
Rede seyn. Sie befand sich nämlich in einem Stadt-
Cefängniss, wo erkrankte Arrestanten und ange-
119
steckte öffentliche Dirnen verwahrt werden , San Fran-
cesco genannt, mitten unter zum Theil auch wahnsin-
nigen oder wegen andrer Krankheiten hier eingesperr-
ten Weibern, in einem schmutzigen, engen und heis«
sen Gefängniss , mehr geeignet um Gesunde verwirrt
als Verwirrte gesund zu machen — Dass nun eine
solche Casa di Osservazione ihrem Zwecke nicht ent-
sprechen könne,, liegt am Tage. — Kurz es bestätigt
sich bei allen mit dem Irrenhause von Aversa zusam-
menhängenden Einrichtungen, was in so vielen andern
Dingen wahrzunehmen, dass die Anordnungen allein
Avenig Gutes bewirken können, wenn es an einer ge-
nauen und kräftigen Ausführung fehlt.
Es bleibt mir jetzt noch übrig von der anatomi-
schen Sammlung des Prof. Nanola, von der minera-
logischen Sammlung der Universität, und von dem
grossen botanischen Garten, welcher unter Aufsicht
des Prof. Tenor e steht, einige Bemerkungen mitzu-
theilen. Die erste ist erwähnenswerth , schon weil
sie manches Interessante enthaltend das Werk eines
einzigen Mannes ist, und dann weil sie beim Mangel
eines eigentlichen anatomischen Theaters im deutschen
Sinn hier die einzige, etwas beträchtlichere anatomi-
sche Sammlung genannt werden muss.
Nächst einer Reihe instructiver und meistens gut
aufgestellter Präparate aus der physiologischen und
selbst aus der vergleichenden Anatomie finden sich
manche interessante pathologische Fälle. Besonders
merkwürdig und eine ausführliche Untersuchung in
hohem Grade verdienend ist ein fünfmonatlicher Fe-
tus, welchem die Reste eines andern, kleinen, sehr
unvollkommen entwickelten Fetus vom Gaumen her-
abhängen. Der Fall war mir besonders wichtig, weil
er abermals beweist, wie sehr das Gaumengewölbe
mit dem Rippengewölbe der Brust gleichbedeutend sei,
120
und in ihm sich eben so die von den Kopfgliedmaas-
sen , d. i. den beiden Unterkieferästen, umfasste Vor-
derfläche der animalen Leibesliälfte sich darstelle,
wie die Vorderfläche der vegetativen Leibeshälfte (vor
welcher die in ihren Enden getrennten Rumpf-Glied-
maassenpaare sich eben so vereinen können), durch
Brust, Bauch und Schambogenfläche. Da es nun klar
ist, dass, wenn zwei zugleich erzeugte Embryonen mit
einander verwachsen , d. i. sich einander theilweise in
sich aufnehmen, diess namentlich in der Linie ge-
schehen müsse, wohin die vereinende (synthetische)
Bildungsthätigkeit vorzüglich wirkt, d. i. in der Vor-
der- oder Hinter-Mittellinie , so muss auch, je länger
in diesen Linien die Vereinigung zögert, um so leich-
ter das in sich Aufnehmen eines andern Körpers ge-
schehen können. Nun wird aber die volle Einigung
(Synthesis) früher an der Rücken - oder ursprünglichen
Lichtseite, wo das die Einheit repräsentirende Mark
liegt, geschehen, als an der Bauch- oder Erdseite,
wo die vegetativen Gebilde vorherrschen , und wie wir
daher das Offenbleiben oder die sogenannten Spaltun-
gen letzterer Fläche (als Oberkiefer- und Gaumen-
spalte, biosliegendes Herz, Bauch- und Schambogen-
spalte) am häufigsten wahrnehmen, so kommt auch
das völlige oder theilweise Hineinwachsen eines Fetus
in den andern durchaus nur an der Vorderfläche vor,
und wenn man gesehen, dass ein Kind die Reste ei-
nes andern im Scrotum oder in der Bauchhöhle trug,
oder sah, dass der Thorax des einen den Oberkörper
des andern so aufgenommen hatte, dass nur Becken
und Unter-Gliedmaassen des kleinern aus der Herz-
grube ngegend hervorhingen, so sieht man nun, wie
sehr diess in Parallele steht mit dem Falle bei Na-
nola , wo der kleinere Fetus zum Theil vom Thorax
des Kopfes, d. i. vom Gaumengewölbe, umschlossen
121
war, so dass der übrige Theil hier eben so vor dem
Unterkiefer herabhängt, wie man zuweilen halb in
dem Bauche eingeschlossene Fetus vor den Schenkeln
herabhängen sieht *). Ein anderes merkwürdiges Prä-
parat ist der Schädel eines Blödsinnigen, wegen des
ungleichen Verwachsens der Nähte, welche auf einer
seitlichen Kopfhälfte offen geblieben sind, während
sie sich auf der andern auf das Vollkommenste ge-
schlossen haben. — Endlich muss ich auch ein Blut-
konkrement aus der Herzkammer eines Mannes, in
dessen Leichnam eine Menge widernatürlicher Verknö-
cherungen gefunden wurden, deshalb anführen, weil
dasselbe selbst mit einer Knochenrinde umschlossen
war, und die Bildung von frei liegenden Verknöche-
rungen im Herzen zu den seltensten Erscheinun-
gen gehört. — Das Local dieser Sammlung ist ein
Saal im Erdgeschoss von der erwähnten Casa di S.
Francesco.
Was das Mineralienkabinet der Universität be-
trifft, so ist es mehr durch ein sehr schönes Local
und eine Reihe ausgezeichneter Prachtstücke einzel-
ner Fossilien, als durch grosse Vollständigkeit und
eine dem neuern Standpunkte der Wissenschaft an-
gemessene Aufstellung ausgezeichnet.
Hinsichtlich des botanischen Gartens (orto bota-
nico) endlich, beziehe ich mich auf das in den Frag-
menten über die Vegetation von Italien Mitgetheilte.
Neapel hat, wie es der vulkanische Boden wohl
erklärlich macht, eine Menge mineralischer Quel-
len und ausgezeichnete natürliche Dampfbäder. Nahe
*) Ich kann nicht umhin, über die auch in medicinischer Hin-
sicht so äusserst wichtige Parallele zwischen Kopf und Rumpf
auf mein grösseres Werk über die Ur-Theile des Knochen - und
Schalengerüstes. Leipzig 1828. fol. zu verweisen.
122
an dem schönen Casino Reale an Chiaüamone , in
welchem wir wohnten, entsprangen dicht am Ufer des
Meeres mehrere Mineralwässer, welche vom Volke
häufig benutzt AVerden. Hierhin gehören die Quellen
am Castello dell' uovo, von welchen die eine in der
Temperatur 17° R. hält und eisenhaltig ist, während
die andere 15 ° hat und salinische und schwefliche Be-
stamitheile enthält. Desgleichen ist unweit davon an
St. Lucia eine warme salinische schwefliche Quelle,
und alle werden namentlich gegen passive Profluvien,
herpetische Ausschläge, Drüsenleiden und Stockungen
häufig getrunken. Ferner ziehen in der heissen Jah-
reszeit eine Menge der wohlhabenden neapolitanischen
Familien nach dem jenseits des Golfs gelegenen fri-
schere Seeluft erhaltenden Castellamare, avo ebenfals
warme sulphurisch-salinische Quellen sich finden , wel-
che dann häufig zur Cur getrunken werden. Die Be-
standteile der am meisten gebrauchten sind nach
Andria Schwefelwasserstoffgas, kohlensaurer Kalk,
salzsaurer Kalk, salzsaurer Talk und salzsaures Na-
tron. Die Temperatur ist 30 ° R. — Wie in den gros-
sen Bädern bei uns hört man dort Klagen über Man-
gel an Unterkommen und fast unerschwingliche Theu-
rung der Wohnungen — Auch die warmen Quellen
von Ischia , deren 16 auf der Insel gezählt werden,
sind häufig zum Baden im Gebrauche. Die wichtig-
sten sind Giurgitella, eine halbe Miglie von Casamic-
ciola (der grosse Badesaal mit einer Menge von stei-
nernen Wannen, welche, in den Boden eingelassen
längs der Wände wie die Betten der italiänischen
Spitäler gereiht sind, gewährt einen sonderbaren An-
blick), Cappone, Olmitello und Citara. — Diese Quel-
len sind namentlich von Andria, Lancelloti und
Pitaro untersucht worden, und enthalten vorzüglich
kohlensaures und salzsaures Natron , kohlensauren
123
Kalk, schwefelsauren Kalk und Talk und kohlensau-
res Gas. — Endlich werden auch die Mineralwässer
von Pozzuolo häufig von dem nahen Neapel aus be-
nutzt. — Die wichtigsten dortigen Quellen sind: 1)
Aqua della pietra von 26° R. Wärme. 2) Aqua dei
Cavalcanti von 30° R. Wärme. 3) Aqua Subveniho-
mini von 31 ° R. 4) Aqua dal Cantarello 24 bis 25 °
R und 5) die Quelle in dem wegen ihrer Pholaden-
durchbohrten Säulen so berühmten Tempel des Sera-
pis, von 31 bis 35° R. Letztere, welche einen deut-
lichen Schwefelgeruch hat, enthält: kohlensaures Gas,
kohlensauren Kalk, Talk, Thon, Eisen und Natron,
salzsaures Natron, schwefelsauren Kalk und Kiesel-
erde. — Endlich enthält auch Salerno eine Mineral-
quelle, einen eisenhaltigen Säuerling; mehr jedoch als
dieserhalb interessirte mich der Ort seiner Bedeut-
samkeit für die Geschichte der Medicin wegen, und
es war mir wichtig diesen Namen endlich einmal mit
dem Bilde sinnlicher Anschauung und noch dazu einer
so reitzenden vereinen zu können. Wirklich liegt es
an dem blauen Spiegel des Meeres höchst anmuthig
gegen die Berge hinan, dieses Salerno; Orangenbäume
und Dattelpalmen spriessen in seiner Umgebung, ein
normannisches altes Kastell ragt vor seinen Mauern auf,
und prachtvoll zieht sich die Bergkette östlich von
ihm über Amalfi gegen Capo di campanello am Meere
hinaus. Es zählt jetzt ohngefähr 10,000 Einwohner.
Was Dampfbäder betrifft, so würden die Grotten,
welche am Rande des See's von Agnano mit dem Na-
men der Bäder von St. Germano benannt werden, wo
die stärksten Dämpfe sich entwickeln und die Hitze
von 31 bis 32 ° in der Nähe der Wände, den Gesunden
bald zurücksckreckt, sich mit einiger Sorgfalt zu den
trefflichsten Dampfbädern einrichten lassen, obwohl
sie auch in gegenwärtiger unvollkommener Gestalt vom
124
Volke häufig benutzt werden Dasselbe gilt von den
Schwitzbädern des Nero unterhalb Bajä*).
Sehr hätte ich gewünscht, über die im Volke am
meisten herrschenden Krankheiten, über die gewöhn-
lichen Curmethoden der Aerzte und dergl. Erfahrungen
einsammeln zu können, jedoch reichte hierzu die Zeit
durchaus nicht hin. Indess will ich doch einige mir
genugsam bestätigte Bemerkungen , welche gewisse
Eigentümlichkeiten in der Behandlung der Wöchnerin-
nen betreffen, initzutheilen nicht unterlassen. Zuvör-
derst nämlich erlaubt man sogleich nach der Entbin-
dung unbedenklich den Genuss von Eiswasser, und ich
glaube allerdings , dass hieraus auch um so weniger
Nachtheil entstehen wird, da die starken innern Ab-
kühlungen durch Gefrornes , Eiswasser und dergl. in
einem Clima, wo die Haut immer offen und thätig
bleibt, wie mir eigene Erfahrung oft bewiesen hat, in
der Regel durchaus nicht nachtheilig wirken, da plötz-
liche Unterdrückungen der Hautthätigkeit hingegen so
leicht und schnell Krankheiten hervorrufen. — Eben
so wenig fürchtet man bei Wöchnerinnen bald eine
kräftigere Nahrung eintreten zu lassen, hütet sie da-
gegen (eben so wie Menstruirende) auf das ängst-
lichste vor Wohlgerüchen, namentlich Blumengerü-
chen, und pflegt wohl gleichsam als Schutz gegen der-
gleichen hier ein Sträuschen Raute , wie in Mailand
einen aus Juchtenleder künstlich gefertigten Blumen-
straus unter das Kopfkissen zu legen. — Es wurde mir
ein Fall erzählt und verbürgt, wo eine junge Wöch-
nerin, zu welcher eine besuchende Dame mit einem
schönen starkriechenden Bouquet eintrat, ihr zurief:
,, Ihr habt mir den Tod gebracht ! " von der Zeit an
*) S. Michele Attumonelli delle acque minerali di Na-
poli, de' bagni a vapori etc. Nap. 1808.
125
Krämpfe und Fieber bekam und wirklich starb. —
Diese Abneigung gegen stärkere Wohlgerüche ist übri-
gens im italiänischen Volke allgemein. — Die Frauen
pflegen auch hier ihre Kinder meistens selbst, und
gewöhnlich sehr lange, 2 ja 3 Jahr, zu stillen. Sehr
selten entschliessen sie sich zu Ammen.
Ich kann bei diesen Bemerkungen über Neapel
nicht unterlassen, auch der jetzt in der Accademia
Reale degli Studii, früher aber inPortici, verwahrten
Ausgrabungen aus Pompeji, Herkulanum und Stabiae
zu gedenken, und zwar hier in doppelter Hinsicht.
Einmal ist das Ansehen der ausgegrabenen Bronzen
(Lampen, tragbare Heerde, Dreifüsse u. dergl.) we-
gen der Veränderung des Metalls selbst höchst merk-
würdig und einer genauem Untersuchung werth. Da
nämlich, wo, wie vorzüglich bei den ausgegrabenen
Gegenständen aus Herkulanum, die Hitze der vulka-
nischen Auswürfe lebhafter eingewirkt hat, so dass
mitunter ganze Massen von Rapilli oder bimssteinar-
tigen Auswürflingen an das Metall angeschmolzen ge-
funden werden, zeigte sich oft, insbesondere bei
Kupfergehalt der Metallmischung, die äusserliche
Fläche völlig vom krystallinischen Ansehen der bun-
ten Kupferlasur oder des Malachits, und zwar so täu-
schend, dass ein einzelnes Fragment einer solchen
Bronze gewiss unbedenklich für jene Fossilien selbst
anerkannt werden würde. Inwiefern nun aber hier
die Entstehung durch Verwandlung des Metalls auf
dem Wege des Feuers unverkennbar ist, so lässt diess
offenbar auch einen Schluss zu auf die Entstehung
jener Fossilien selbst, und könnte als ein Beitrag zur
Lehre von den durch Mitscher lieh neuerlich künst-
lich erlangten Nachbildungen anderer fossiler Kry-
stalle auf dem Wege des Feuers sehr wohl angese-
hen werden.
126
Eine andere Rücksicht, welche mir diese Ausgra-
bungen äusserst merkwerth machte , waren die hier
aufbewahrten chirurgischen Instrumente der Alten.
Mehrere lange Fächer eines grossen Schrankes sind
fast ganz mit diesen Gegenständen angefüllt. Die zum
Theil erst neuerlich ausgegrabenen Instrumente sehr
verschiedener Art, Lanzetten, Pincetten, Katheter,
Spatel, Brenneisen u. s. w. sind grösstentheils mehrfach
beschrieben worden. Was mich betraf, so interessirte
mich insbesondere ein Werkzeug, welches mir der
kenntnissvolle und sehr gefällige Aufseher dieser Samm-
lung, Abbate Jurio, als ein geburtshülfliches Instru-
ment bemerklich machte. — Die Form desselben , wie
ich mir sie im Vorübergehen flüchtig in meiner Schreib-
tafel angeben konnte, ist ohngefähr folgende, und die
Grösse desselben etwa die der kleinen ßoer'schcn
Geburtszange : —
Man sieht hieraus, dass dieses Werkzeug, wel-
ches im Wesentlichen völlig die Construction hat, so
wir an dem altern von Osiander beschriebenen und
abgebildeten Speculum uteri noch vorfinden , als ein
Erweiterungswerkzeug (Dilatatorium) muss gebraucht
worden sein, indem je mehr die Schraube « zurück-
127
gedreht wird, um so mehr drei im rechten Winkel
aufgerichtete Blätter b sich von einander entfernen
müssen, da sie im Gegentheil bei vorwärts gedrehter
Schraube dicht an einander schliessen. Ob dies Werk-
zeug indess gerade zu geburtshülflichen Zwecken
oder ob es nicht zugleich oder hauptsächlich zu Er-
weiterungen bei Krankheiten am Intestino recto u. s. w.
benutzt worden ist, lässt sich natürlich nicht mehr
genügend ausmitteln *)
Von den öffentlichen Versergungs- und Armenan-
stalten, deren Neapel viele, jedoch, wie die Menge
der die Landstrassen belagernden Bettler zeigt, im-
mer noch nicht genug besitzt, habe ich bei so kur-
zem Aufenthalte nur die grösste und schönste, nämlich
das Reale Albergo de' Poveri (auch Reclusorio ge-
nannt) sehen können. In Wahrheit ist dieses von
Carl III. gestiftete Regium totius regni pauperum
hospitium (wie es die Inschrift nennt) eins der grössten
Gebäude in Europa und von trefflicher grossartiger
Architektur. Am 24. Mai war die Zahl der darin ver-
pflegten Kinder und Erwachsenen 2200 Personen männ-
lichen Geschlechts , worunter 29 Taubstumme , und 1112
Personen weiblichen Geschlechts, worunter 7 Taub-
stumme. Als gesunde Anwesende wurden von dieser
Zahl 1948 männliche und 927 weibliche Individuen
aufgeführt, während 33 als Beurlaubte, 63 als in Spi-
täler geschickte, und die übrigen 338 (worunter die
Taubstummen sämmtlich begriffen) als anwesende
Kranke aufgeführt waren. — Besonderes Lob würde
überall, muss aber namentlich in Italien, wo man sie
*) In den „Wanderungen durch Pompeji von L. Goro von
Agyagfalva, Wien 1825. Seite 91" ist dieses Werkzeug als zur
Ausziehung des Fetus bestimmt erwähnt, wozu es indess kei-
nesweges gedient haben kann.
1»
so oft vermisst, die im Innern dieser Anstalt herr-
schende Ordnung und Reinlichkeit verdienen. Die
Art, wie man diess hier erreicht hat, ist die Einführung
einer durchaus militairischen Disciplin, und es war
mir merkwürdig, unter Anführung eines ehemaligen
Militairs, welcher mit Napoleon' s Heeren auch un-
sere Gegenden durchzogen hatte und dem der alte
französische Pli noch anhing, eine lange Schaar von
kleinern und grössern Knaben, Tambour und Pfei-
fer voraus, zu Tische marschiren zu sehen. Uebri-
gens ist freilich das Resultat einer solchen Behand-
lung nur eine gewisse oberflächliche Dressur, wozu
dann die eingeführte Bell-Lancastersche Methode das
Ihrige beiträgt. — Mit dem Albergo Reale stehen übri-
gens noch folgende Anstalten in Verbindung und unter
gemeinsamer Aufsicht, von welchen ich indess nur
die Anzahl der an demselben Tage in ihnen ver-
pflegten Personen mittheilen kann, da ich sie selbst
nicht gesehen. Sie sind u) S. Francesco Sales mit 50
männlichen, 484 weiblichen Individuen; b) das Hospi-
tal Cesarea mit 41 Kranken ; c) S. Maria del' Arco
mit 316 Männern; d) S. Giuseppa e Lucia oder Casa
dei Ciechi mit 177 Blinden; e) S. Maria della Fede mit
287 Bettlerinnen und 284 weiblichen Kranken (na-
mentlich Syphilitischen) und 23 Züchtungen; f) Car-
cere provisorio mit 282 Personen; g) S. Maria di Lo-
reto mit 458 Männern und 125 Frauen. — Im Ganzen
also war der Bestand der in diesen verschiedenen
Versorgungsanstalten Verpflegten am 24. Mai 5839. —
Zu den in naturwissenschaftlicher Beziehung in-
teressantesten Bekanntschaften, so ich in Neapel ma-
chenkonnte, rechne ich ausser Tenore, dessen schon
oben rühmlichst gedacht worden ist, den Prof. Ste-
fano delle Chiaje und D. Costa. Der erste, ein
Schüler des trefflichen Poli, hat sich durch mehrere
129
Schriften und einzelne Abhandlungen *) , vorzüglich im
Felde der vergleichenden Anatomie bekannt gemacht,
und zwar auch in Deutschland , nämlich durch die
Mittheilungen des D. Albert v. Schönberg, wel-
cher zehn Jahre in Neapel als praktischer Arzt und
von der Regierung für bedeutende Zweige des Medi-
cinalwesens Angestellter gelebt hat, dem auch ich
während meines dortigen Aufenthaltes manche schätz-
bare Mittheilung verdanke, und Avelcher sich gerade
damals anschickte Neapel zu verlassen, auch es bald
nachher wirklich verlassen hat. Von delle Chiaje
haben wir jetzt die Fortsetzung der Testacea utrius-
que Siciliae zu erwarten, welche unter dem Titel er-
scheinen wird : „ Poli Testac. utr. Sic. Tom. III. cum
additamentis et annotationibus Stephan i delle
Chiaje. Unter den für diesen Zweck bereits gemach-
ten Vorarbeiten hat mich eine Tafel über die Gestalt,
Anatomie und Eier der Argonauta Argo besonders
desshalb interessirt, weil sie am Embryo innerhalb
des Eies bereits das Schalen -Rudiment nachweist,
wodurch denn die Frage , ob die zarte Schale , in wel-
cher das Thier lebt, sein eigen oder ein fremdes Ge-
häuse sei , am bestimmtesten entschieden wird, —
Costa betreffend , so zeichnet sich dieser insbeson-
*) Wir zählen hiervon auf: Iconografia ad uso delle piante
medicinali osia trattato di farmacologia vegetabile. 2 Theile. P.
mit 10 Kupfern 4. Nap. 1824. Memoria sul ciclamino Poliano. 8.
Nap. 1824. Compendio di Elmintografia umana, Nap. 1825. mit
einem Heft Kupf. Sunto del Fascicolo III. e IV. delle memorie
su la storia e notomia degli animali scnza vertebre nel Regno
di Napoli. Nap. 1824. Memorie sulla storia e notomia degli ani-
mali senza vertebre del Regno di Napoli. 4. Fase. I. IV. Nap.
1823. mit einem Heft Kupfer. De Vita praestantiss. equit. Jos.
Xav. Polii Plinii Neapolit. fol. Neap. 1826. Osservazioni su
la struttura della epidermide umana. 4. Nap. 1827.
9
130
dere durch schärfere systematische Kenntniss der in
dortigen Gegenden vorkommenden niederen Thiere
(insbesondere Weichthiere, Krabben und Kerfe) aus,
besitzt eine von ihm selbst mit grosser Sorgfalt ange-
legte bedeutende zoologische Sammlung, und ist Frem-
den und Auswärtigen auch desshalb insbesondre wich-
tig, weil man von ihm theils richtigere systematische
Bestimmung der dort vorkommenden niedern Thiere,
theils für massige Preise *) schön erhaltene Exemplare
von dergleichen Naturalien bekommen kann. Auch
verdankt man Costa mehrere interessante Abhand-
lungen, von welchen die eine über die Insekten an
den Oliven früher erwähnt Avorden ist.
Ueberhaupt wenn nicht gerade der Reichthum so
oft den Menschen nachlässig und bequem machte , so
müsste man mit Recht darüber erstaunen, dass in
Neapel, wo Meer und Land durch die Fülle seiner
Erzeugnisse zu den vielfachsten Forschungen unabläs-
sig einladet , nicht mehr in dieser Beziehung gethan
wird. Wie höchst merkwürdig ist es nicht für mich
gewesen, alle die Stunden, welche Avährend unseres
kurzen Aufenthaltes mir für dergleichen Studien irgend
gegönnt sein konnten, der Beobachtung und Untersu-
chung der mannichfaltigen niedern Seethiere (Frutti di
mare von den Fischern genannt) zu widmen, unter
welchen, so wie unter den Fischen, viele Formen
vorkommen, welche ich hier zuerst in ihrem frischen
*) AVie wenig man anderwärts in Italien bei solchen Gegen-
ständen auf dergleichen rechnen kann , bewies mir ein Natura-
liensammler und Händler in Rom, Namens Riccioli, welcher
ohne alle systematische Kenntnisse eine Masse der heterogensten
Gegenstände zusammengebracht hat , und mir für ein in Spiritus
aufbewahrtes Exemplar einer weniger häufigen Coluberart aus
der Gegend von Rom die Summe von li Zechinen (42 Thalern)
abverlangte.
131
und lebendigen Zustande gewahr wurde, ein Zustand,
mit dessen langer und wiederholter Anschauung eigent-
lich die Kenntniss eines solchen Thieres allemal be-
ginnen sollte, dahingegen wir gewöhnlich mit dürfti-
gen Abbildungen, dürren Beschreibungen und Betrach-
tung ärmlicher Exuvien oder zusammengeschrumpfter
Exemplare dieser Geschöpfe in unsern Sammlungen
den Anfang machen. — Welch' einen andern Begriff
als durch Zeichnungen und Beschreibungen erhält man
von der Daseinsform eines Rhizostoma Cuvieri (ei-
gentlich ist jedoch die grosse Meduse, Avelche um
Neapel unter dem Namen Capello di mare vorkommt,
durch deutliche Kennzeichen von dem an den franzö-
sischen Küsten vorkommenden Bh. C. , dessen Anato-
mie Eichwald in den Actis nat. cur. Acad. Leopold,
so schön gegeben hat, wesentlich verschieden, und
verdiente nach ihrem ersten Beschreiber den Namen
Rhizostoma Macri), wenn man diese grosse Gallert-
glocke mit ihren herrlichen violetten und orangegelben
Zeichnungen und ihren wunderbaren Armen und Fran-
sen lebendig vor sich im Kübel voll Seewasser schwim-
mend beobachtet, oder einer Holothuria tubulosa,
wenn man sie mit ihrem gleich Sehneckenfühlfäden
ausgestreckten Fühlerkranze und den unzähligen am
Körper vortretenden Röhrchen im Becken mit See-
wasser umherkriechen sieht, und plötzlich bei einer
oder der andern auf einigermaassen unsanfte Berüh-
rung das freiwillige Auswerfen des ganzen Darmka-
nals und halben Athemwerkzeugs gewahr wird; oder
einer Actinie, wenn sie, gleich Blumen ihre Staub-
fäden, so ihre in einigen schön meergrün und violett
gefärbten Arme ausbreiten! Dann nun die die Kanten
der Felsen nahe unter dem Wasserspiegel bedecken-
den Balanen, welche ausser ihren hornigen geglie-
derten Fühlfäden auch dadurch ihre Annäherung an
9*
132
die allmählig zur Luftathmung sich entwickelnden
Gliederthiere beweisen, dass sie schon lange ausser-
halb des Wassers fortleben , wie ich denn Thiere die-
ser Art, welche schon acht bis neun Tage trocken im
Zimmer lagen , immer noch ihre ans der offenen Spitze
des pyramidalen Gehäuses vorragenden Arme lebhaft
bewegen sah. Ferner die auf dem Meeresboden wie
unsere Wegschnecken auf dem Lande herumkriechen-
den Aplasien, welche oft eine Menge eines so dun-
keln Purpursaftes (wenn man das Thier mit etwas
Seewasser auf einer flachen Schüssel hält) von sich
geben, dass ich mich des Gedankens nicht erwehren
konnte, es müsse die Jodine einen wesentlichen Be-
standteil desselben ausmachen; worüber chemische
Untersuchungen zu wünschen wären. Dann nun die
Asterien und Echiniden mit dem sonderbaren
schwer nach der Organisation anderer Thiere zu ver-
stehenden Mechanismus ihrer Bewegung, wobei ich
noch bemerken muss, dass ich am Echinus edulis in
demjenigen zarthäutigen Zellgeweb- und Wasserröhren-
Gewebe, welches den Raum zwischen den äusserst
feinen Löcherchen der Fühlergänge (Ambulacra) innen
bekleidet, eine merkwürdige Circulation wahrgenom-
men habe , welche zu erwähnen und zu weiterer Beob-
achtung zu empfehlen ich auf keine Weise unterlas-
sen darf*). Löst man nämlich aus dem frisch aufgebro-
chenen und dadurch von dem Seewasser , so er ent-
hält, entleerten Seeigel ein Stück des beschriebenen
Gewebes los , um es unter das Mikroskop zu bringen,
so zeigt schon die Vergrösserung von etwa zwanzig-
mal im Durchmesser eine Menge in den nierenför-
*) In dem kürzlich erschienenen II. Vol. der erwähnten Me-
morie des Delle Chiaje beschreibt auch dieser Seite 341 den
Kreislauf von Blutkügelchen im Echinus.
133
migen Anschwellungen dieser Gewebe lebhaft kreisen-
der Kügelchen, welche (und diess ist das Sonderbare)
nicht einem grössern Kreislaufe anzugehören, sondern
in jeder Rand-Anschwellung ihren besondern Kreis zu
vollenden scheinen. Dadurch dass solche Kreisbewe-
gung selbst in kleinen abgerissenen Stückchen dieses
Gewebes eine Zeitlang fortdauert, nähert sich das Phä-
nomen sehr dem, was Schultz im Schöllkraut gese-
hen haben will; auf welche Weise indess hier eine
solche Bewegung in die innere Oekonomie des Thie-
res eingreife, ob es nicht blos eine Anziehung und
Abstossung der aufgesaugten Theilchen des im Thiere
enthaltenen Meerwassers sei u. s. av. , darüber müssen
fernere vielfach Aviederholte Beobachtungen Aufschluss
geben, zu welchen mir leider keine Zeit vergönnt war,
da es mich schon freuen musste , wenigstens eine
ziemlich interessante Auswahl von Echinodermen,
Mollusken , Polymerien und Fischen sammeln , wohl-
verwahren und mitnehmen zu können.
Und so weit denn meine hierher gehörigen Auf-
zeichnungen über Neapel! — Es bleibt mir jetzt nur
noch übrig, von dem auf der Rückreise berührten Mai-
land einige Worte über dort gesehene medicinische
Anstalten beizufügen, und hiermit diese Bemerkungen
überhaupt zu schliessen.
Es war mir erfreulich, bei meinem diessmaligen
Aufenthalte in Mailand die persönliche Bekanntschaft
des D. Omodei zu machen, welcher durch Heraus-
gabe seiner auch von ausgebreiteter Kenntniss der aus-
ländischen medicinischen Literatur zeugenden Annalen
einen wichtigen Einfluss auf den Stand der italiäni-
schen Heilkunde gewonnen hat. Er selbst ist ein leb-
hafter umsichtiger Mann , dem ich mich durch seine
besondere, mir bewiesene Gefälligkeit sehr verpflich-
tet fühle, und welchem ich vorzüglich die Begleitung
134
zu der im Auslande wenig gekannten sehr zweckmäs-
sigen Irrenanstalt des D. Lombard i verdanke. Xicht
minder erfreute ich mich seiner Begleitung bei der
wiederholten Besichtigung des grossen Spitals (Spe-
dale maggiore), welches ich gegen das Jahr 1821, wo
ich es zum erstenmale sah, in mehrerer Hinsicht ver-
bessert gefunden habe. — Die bedeutende Grösse und
allgemeine Einrichtung dieses Spitals ist so oft be-
schrieben worden, dass ich hier nur einige specielle
Angaben über die Zahl der verpflegten Kranken auf-
führen will, welches die beste Uebersicht über die
ausserordentliche Masse hier verpflegter Kranken
gewähren wird: — Es wurden aber am 15. Juli 1828
in den Sälen für innere Krankheiten verpflegt: Män-
ner 544, Frauen 717; in den Sälen für chirurgische
Krankheiten Männer 222, Frauen 141. Hierzu noch
48 weibliche Geisteskranke, giebt für einen Tag die
Summe von 1672 Kranken , unter welchen sich 46
syphilitische befanden. Eingetreten waren an diesem
Tage 73, entlassen 72, gestorben 1. — Von den Zah-
lenverhältnissen eines ganzen Jahres giebt folgende
mir mitgetheilte Tabelle über das Jahr 1827 einen
bestimmtem U eberblick: —
135
1827.
Mesi di
Gennajo
Febbrajo
Marzo
Aprile
Maggio
Giugno
Luglio
Agosto
Settembre
Ottobre
Norefiibre
Decembre
Totale
Entrati.
üo- ,Don-| To-
mini, ne. tale.
748
706
85?
819
821
829
1165
1754
1329
967
826
712
11533
488
419
559
479
543
632
849
1023
763
634
572
451
7412
1236
1125
1416
1298
1364
1461
2014
2777
2092
1601
1398
1163
18945
Sortiti.
Uo-
mini.
iüon-1
ne.
To-
tale.
515
559
769
692
728
720
898
1434
1463
977
662
634
10151
303
324
424
459
463
409
630
883
856
590
482
394
815
883
1193
1151
1191
1129
1578
2367
2319
1567
1144
1078
Morti.
6264 16415
Uo-
mini.
iDon-
ne.
113
105
125
89
125
86
124
72
91
67
90
67
101
84
95
81
125
95
104
81
129
118
127
125
1349
1070
To-
tale.
218
214
211
196
158
157
185
176
220
185
247
252
2419
Die österreichische Regierung hatte seit Kurzem
dieser Anstalt einen neuen Director , in der Person
des aus dem Friaul dorthin versetzten Dr. Lucca ge-
geben, welcher für Herstellung grösserer Reinlichkeit,
Zuführung reinerer Luft in die Krankensäle, bessere
Vertheilung der Kranken und angemessnere Einrich-
tung der Bäder bereits mehrere zweckmässige Anord-
nungen getroffen hatte. Bei alledem bleibt noch man-
ches zu thun übrig , und freilich bei einer so unge-
heuren Anstalt, deren Gebäude einen ausnehmend
grossen mittlem, und acht Seitenhöfe umschliessen,
ist die Arbeit nicht gering, mit Aenderungen und Ver-
besserungen, welche ins Wesentliche eingreifen,
durchzudringen. Wie aber überhaupt eine der schwäch-
sten Seiten der italiänischen Medicin das Apotheker-
wesen ist, so war ich begierig zu erfahren, wie die
Apotheke des Spitals, welche oft täglich gegen 2000
136
Verordnungen besorgen muss (da sie auch das Gebar-,
Findel- und Irrenhaus versieht) jetzt eingerichtet sei,
fand indess wenig oder keine Veränderungen vor,
Xoch immer stand eine lange Reihe von grossen offe-
nen (!!) Kübeln mit verschiedenen Aufgüssen von
Dekokten von Valeriana, Flor. Chamomillae, Senega,
Sarsaparilla, China, Quassia u. s. w. im Laboratorio
aufgestellt, aus welchen dann nach Ermessen geschöpft
und die Mixturen zusammengefüllt werden. Ja als
ich mich nach den üblichen Pillenmaschinen erkun-
digte, und der Director D. Lucca dieselben vorzei-
gen lies, fand sich's, dass die bloss messingenen Ma-
schinen wahrscheinlich seit mehreren Monaten nicht
gereinigt, und folglich noch mit den vertrockneten
Resten aller indess bereiteten Pillen bedeckt waren.
Im Spital selbst fanden sich auch diessmal eine
beträchtliche Anzahl am Pellagra Leidender vor, jener
bekannten endemischen Krankheit Ober-Italiens, deren
Entstehung gewöhnlich, und auch nach Dr. Lucca's
Ansicht, den schlechten Nahrungsmitteln, insbesondre
der Polenta und dem schlechten Brode der Landbe-
wohner zugeschrieben wird. Der genannte Arzt wav
noch insbesondre der Meinung, dass dieser Zustand
im Wesentlichen auf einer von jenen schlechten Nah-
rungsmitteln veranlassten Gastroenteritis beruhe, eine
Meinung, welche vielleicht etwas zu sehr nach der
neuern französischen Schule schmeckt, und welcher
ich, wenn irgend einem an solchen Fällen nur Vorü-
bergehenden ein Lrtheil erlaubt sein kann, lieber die
Ansicht substituiren möchte, dass durch dergleichen
Einflüsse, Unreinlichkeit und allgemeines Elend, ein
Zustand krankhafter Mischung und Bewegung, ja
chronischer Entzündung in den Lymphdrüsen und
Lymphgefässen , kurz eine besondere, in eigenthümli-
chen Hautleiden sich äusserlich anzeigende Modiüca-
137
tion des skrofulösen Uebels erzeugt werde, welches
durch Untergrabung der allgemeinen Vegetation end-
lich allerdings tödtlich werden muss.
Nicht umgehen kann ich noch zu erwähnen, dass
mir mitgetheilt wurde, wie man in der syphilitischen
Abtheilung jetzt beschäftigt sei, über die Anwendung
der Heilmethode von Dzondi Versuche zu veranstal-
ten, welches als nähere Beachtung einer deutschen
Lehrmeinung und Erfahrung schon nebst vielen andern
den Fremden bemerken lässt, wie er sich selbst hier
bereits halb auf deutschem Boden befinde. — ; Auch ist
gelegentlich zu erwähnen, dass die Zwangsmaassregeln
zur Kuhpocken-Impfung, welche durch das ehemalige
französische Gouvernement eingeführt worden sind,
unter dem gegenwärtigen in voller Kraft fortbestehen.
Mit dem grossen Spital stehen noch das Gebär-
und Findelhaus St. Caterina della Ruota und die Irren-
Anstalt (La Senavra) dergestalt in Verbindung, dass
sie auch ihre Medicamente von jenem beziehen. Beide
ihrer Einrichtung nach nicht sehr zu lobenden Anstal-
ten habe ich diessmal nicht besuchen können , füge
jedoch die Angabe über die an einem Tage in beiden
verpflegten Personen hier bei, um einen Ueberblick
ihrer Wirksamkeit zu gestatten.
Was die Anstalt St. Caterina alla Ruota betrifft,
so verpflegte sie den 15. Juli 1828: Säuglinge 114,
Ammen 44, Knaben 83, Mädchen bis und über 15 Jahre
86, Dienstpersonal 53, Kranke 14, Schwangere 27,
Wöchnerinnen 18, lernende Hebammen 37, mit chro-
nischen Ausschlägen (Tignosi), männliche Individuen
13, weibliche 14, Knaben über 7 Jahre in S. Anto-
nino 14, also in Summa 520. (8 Kinder waren allein
an diesem Tage im Drehkorbe des Findelhauses aus-
gesetzt und in die Anstalt aufgenommen worden.)
In dem Irrenhause (La Senavra), von welchem
138
Loder schon 1811 ein ausführliches nicht eben er-
freuliches Bild entworfen hat, welches nach erhalte-
nen Angaben auch grösstenteils noch jetzt passen
mag, haben sich am 15. Juli 1828 befunden : 260 Män-
ner, von welchen 52 noch ausserdem an andern Krank-
heiten litten, und 208 Frauen, unter welchen 37 an-
derweitig Erkrankte. — Gerade die in mehrerer Be-
ziehung fühlbare Mangelhaftigkeit dieser Anstalt hat
indess Veranlassung gegeben zu Errichtung einer Pri-
vat-Irren-Anstalt, deren Einrichtung kennen gelernt zu
haben mir um so wichtiger gewesen ist, je mehr ich
sie nicht nur für die beste Anstalt dieser Art in Ita-
lien, sondern für eine der besten Irren-Anstalten über-
haupt erklären muss. Da ich sie nun in den Berich-
ten von Loder, Morgan, Otto ganz übergangen
finde, so wird eine etwas nähere Angabe über dieselbe
hoffentlich nicht unerwünscht sein: — Es wurde aber
dieselbe vor ohngefähr 40 Jahren durch einen geAvis-
sen Andrea Rossi gestiftet, welcher jedoch, da er
selbst nicht Arzt war, sie mehr als einen auf humane
Weise eingerichteten Aufenthalts- und Verpflegungs-
ort für Geisteskranke anlegte. Im Mai 1823, nach-
dem Rossi selbst hochbejahrt geworden, und über-
diess die Regierung angeordnet hatte, dass nur Aerzten
die Direction von Anstalten solcher Art gestattet sein
solle , überlies der Stifter das Ganze an den gegen-
wärtigen Director D. Pietro Lombardi, wobei je-
doch die Tochter des erstem, Marg. Rossi, die be-
sondere Aufsicht über moralische Behandlung der weib-
lichen Abtheilung beibehalten hat. Was das seit die-
ser Zeit ebenfalls erweiterte *) und verbesserte Local
anbetrifft, so hat es eine sehr gesunde Lage in der
*) Noch -während meiner Anwesenheit war eben wieder ein
neu angebautes Haus beendigt worden.
139
Vorstadt, zwischen Gärten mit anstossenden Feldern.
Die nur ein bis zwei Gestock hohen Gebäude haben
selbst mehr das Ansehen von freundlichen Gartenwoh-
nungen als von Spitälern, und umschliessen mehrere
mit Bäumen und Blumenbeeten bepflanzte Höfe. Männ-
liche und weibliche Abtheilung sind vollkommen ge-
schieden, wohleingerichtete warme und kalte Bäder,
mit Vorrichtungen zur Douche sind vorhanden, und
die hübsche Einrichtung der kleinen Wohn - und
Schlafzimmer der Kranken, jedes mit anständigen
Meubles und Betten versehen, die mit bunten Tape-
ten verzierten Unterhai tungs - und Speisezimmer, alles
trägt dazu bei, das Elend eines Irrenhauses wenig
fühlbar zu machen. — Der D. Lombardi selbst, ein
gebildeter Mann in mittlem Jahren, behandelt die
Kranken auf so schonende und vorsichtige Weise,
dass ich bei mannichfaltigen Gesprächen nie das nö-
thige Vertrauen, noch die nöthige Achtung vermisste.
— Mit besonderer Zweckmässigkeit aber sind die
Wärter und Wärterinnen unter die Kranken vertheilt,
so zwar, dass sie sich äusserlich, z. B. in Kleidung,
durchaus nicht von den Kranken unterscheiden, doch
aber in jeder grösseren Abtheilung immer mehrere an-
wesend sind, um, sobald sie gebraucht werden , gleich
zur Hand sein zu können. — Vortheilhaft für die Er-
haltung besserer Ordnung und einer zweckmässigem
Behandlung eines jeden Einzelnen ist es freilich,
dass die Masse der aufgenommenen Kranken nicht
zu gross ist (etwa 50 bis 80), und dass bei einer
vom Director nicht nur geführten, sondern auch auf
sein Risico bestehenden Anstalt ihm selbst immer
noch besonders daran liegen muss , die möglichst guten
Resultate der Behandlung zu erlangen; auch ist die
Einrichtung sehr lobenswerth, dass es den Angehört
gen der Kranken frei steht, zur Mitbehandlung der-
140
selben in der Anstalt einen oder mehrere andere Aerzte
zu Rathe zu ziehen, ja sogar die gesammte ärztliche
Behandlung eines solchen einem andern Arzte zu über-
geben, und nur die Sorge für Verpflegung und zweck-
mässige moralische Behandlung dem Director zu über-
lassen, obwohl letzteres, da D. Lombardi auch nach
dem Zeugnisse Omodei's vielen Vertrauens geniesst
und viele glückliche Resultate seiner Behandlung be-
reits erhalten hat, gewiss selten vorkommen wird.
Die Bedingungen, unter welchen die Kranken
aufgenommen werden , sind übrigens sehr billig ange-
setzt, indem für die erste Klasse der Verpflegten,
wo jeder ein besonderes wohleingerichtetes Zimmer
und eine sehr gute Kost erhält, 3 Convent. Gulden
täglich, für die zweite, wo jeder Kranke ein eigenes,
obwohl etwas weniger gutes Zimmer und immer noch
recht gute Kost erhält, 2 Conv. Gulden täglich, und
für die dritte , in welcher zuweilen zwei in einem Zim-
mer wohnen und ordinairere Kost erhalten , 1 Conv.
Gulden täglich bezahlt werden, welches, da medici-
nische und chirurgische Behandlung, so wie Bäder,
dabei einbegriffen sind , äusserst gering genannt wer-
den muss.
Es bedarf nach dem Vorhergehenden endlich kaum
der Erwähnung, dass zur Erheiterung und Zerstreu-
ung der Kranken es nicht an mannichfaltigen Unter-
haltungen, Spielen, Büchern und Arbeiten fehlt, so
wie dass Spaziergänge im Freien und nach der Stadt,
in Begleitung des Directors oder zuverlässiger Aufse-
her fleissig benutzt werden, um die Irren wieder nach
und nach in den Kreis des gewöhnlichen Lebens ein-
zuführen , und es macht mir somit wahre Freude, hier,
nachdem ich der Mangelhaftigkeit so vieler italiäni-
scher wissenschaftlicher und insbesondre medicinischer
Institute habe gedenken müssen, mit der Aufführung
141
einer Anstalt schliessen zu können, welche vielen
Ausländischen zum Muster empfohlen werden kann.
Schriften über italienische Medicin.
J. Chr. G. Seh äff er, Briefe auf einer Reise durch Frankreich,
England, Holland und Italien, geschrieben in den Jahren
1787 und 88. Regensburg, 1794.
Ed. v. Loder, Bemerkungen über ärztliche Verfassung und
Unterricht in Italien während des Jahres 1811. Leipzig i812.
Italy by Lady Morgan in II. Vol. — I. Vol. London 1821. p. Sil
Dr. Ch. Morgan, Appendix on the State of medecine in
Italy, with brief notices of some of the universities and
hospitals.
D. C. Otto, Reise durch die Scbweitz , Italien, Frankreich,
Gross-Brittannien und Holland, mit besonderer Rücksicht
auf Spitäler u. s. w. Hamburg 1825.
IV.
Ueber die Stimmwerkzeuge der italiänischen
Cicaden.
W enn der Verfasser der interessanten Abhandlung
über den Charakter der Vegetation auf den Inseln des
Indischen Archipels *) im Eingange jener Mittheilung
sagt: „Es giebt darum wohl kein Land, das auch
nur einen einzigen deutlichen lautsprechenden Cha-
rakter von seinen Thieren erhält", so scheint dieser
Satz nur darauf zu deuten, dass dem Verfasser, ver-
möge seiner individuellen Neigung, das eigenthümliche
Leben der Thierwelt weit weniger Interesse, als das
Leben der Pflanzenwelt eingeflöst hat. Wir aber kön-
nen diesen Satz hier um so weniger gelten lassen, je
mehr wir eben im Begriff sind , unsere Aufmerksam-
keit auf eine Gattung von Thieren zu wenden, welche
den südeuropäischen Gegenden und namentlich Italien,
wenn auch nicht einen lautsprechenden, doch
wenigstens einen nur zu sehr hörbaren Charakter auf-
drücken. — Denn gewiss, wer in diesen Gegenden
einige Zeit gelebt hat, wird uns zugestehen, dass das
Eigenthümliche eines italiänischen Sommer-Nachmit-
*) C. Rein war dt über den Charakter der Vegetation auf
den Inseln d. Ind. Archip. Vorlesung in der Versammlung deut-
scher Naturforscher und Aerzte. Berlin 1328. 4. S. 1.
143
tags oder Sommer- Abends in freier Natur, ohne das
laute Geschrill der Cicaden eben so wenig gerade
diesen Charakter haben würde, als die einbrechende
Nacht dortiger Gegenden ohne das tausendfache blit-
zende Leuchten der Leuchtkäfer, von welchen im
nächsten Aufsatze die Rede sein wird. — Wer aber
endlich müsste nicht zugestehen, dass die hochnord-
lichen Inseln , zum grössten Theil von aller Vegeta-
tion entblöst , von den gleich Blättern an Bäumen an
ihnen in den dichtesten Schwärmen haftenden und sie
gleich Wolken umschwebenden Wasservögeln einen
entschiedenem Charakter bekommen, als irgend ein
anderes Land durch seine Pflanzenwelt? — Indem wir
somit hoffen, dass man uns rechtfertigen werde, wenn
wir die Cicaden und ihre hellen Stimmen als einen
wesentlichen Charakter des italienischen Bodens mit
annehmen, so wenden wir uns, nach einigen Vorbe-
merkungen über die Kenntnisse , welche die Alten von
den Cicaden hatten, zu dem, was eine nähere Unter-
suchung uns MerkAverthes an diesen sonderbaren
Thierchen zu zeigen vermag.
In Wahrheit ist aber merkwürdig , wie häufig die-
ser Sänger in den Schriften der Alten Erwähnung ge-
schieht, ja zu wie viel besondern Bemerkungen, Ver-
gleichungen und Fabeln sie Veranlassung gegeben ha-
ben.— Einiges hiervon hat bereits Rössel (Insekten-
belustigungen Thl. 2. Bd. 2. S. 160 u. f.) gesammelt,
auch einige wenig erspriessliche Versuche über die
Etymologie des Wortes Cicada (z. B. nach Beck-
mann von „yJ^xco «Je«/," auf einer Schale, einer
Fruchthülse singen, oder gar von „quod cito cadat!")
beigefügt. Ein weiteres Nachsuchen hat mich nun in
der altern Literatur über diese Thierchen noch Man-
cherlei finden lassen, wovon ich einen kurzen Aus-
zug mitzutheilen nicht für unpassend halte. — So muss
144
es z, B. allerdings dem Reisenden in Italien nicht sel-
ten auffallen, dass in gewissen Gegenden ein so gewalti-
ger Lärm dieser Thierchen gehört wird , während in an-
dern, nicht weit von den vorigen entfernten, sie ganz
schweigen. Da erzählt denn Antigonus (liistoriarum
mirahilium collectanea Cap. II. ) , dass um Rhegium
(dem heutigen Reggio) die Cicaden stumm seien, wäh-
rend sie in dem nur durch den Fluss Alex getrennten
Gebiete der Lokrier um so lauter sich hören Hessen,
und wie das erstere von den Verwünschungen des einst
dort ruhenden und durch Cicadengeschrill am Schlafe
gehinderten Herkules herrühre. — So beobachtet man
immer noch, dass die Cicaden nur im hohen Sommer um
die Sonnenwende sich lebhaft hören lassen, und so
sagt schon Plinius Hist. nat. Lib. XI. cap. 29. „Lo-
custae stridorem edunt circa duo aequinoctia maxime,
sicut cicadae circa solstitium," und eben so der
Pseudo-Aristoteles (de mirabilibus auscultationi-
bus Cap. 65:) „ Soxovoi de y.ui 61 rernyig adeiv (.itrü
TQonüg. — Auf das Obige bezieht sich ferner die von
Strabo (Lib. VI.) erzählte und vom Antigonus
(Cap. I.) wiederholte artige Geschichte vom Wettstreit
zu Delphi zwischen dem Ariston aus Rhegium und
dem Lokrier Eunomos. Der letztere, der dem Ari-
ston schon vorgeworfen, dass in seinem Lande ja so
wenig Musik sei, dass nicht einmal die Cicaden Stim-
me hätten, gewann den Preis noch dadurch, dass, als
ihm eine Saite gesprungen war, eine Cicade auf seine
Lyra flog, um mit ihrem Gesänge den fehlenden Ton
zu ersetzen. Eine Statue soll dem Eunomos des-
halb im Vaterlande errichtet worden sein, an wel-
cher die Cicade der Lyra nicht fehlte; ja auf 3Iün-
zen der Lokrier wurde die Cicade gefunden, und
wenn schon hieraus hervorgeht, dass von den Alten
dieses Thierchen gern als Gegenstand der Poesie be-
145
trachtet worden sei (so trugen auch die Athenienser
goldne Cicaden, weil man meinte, die Cicaden ent-
ständen aus der Erde, jener Stamm aber sich ähnli-
chen Ursprungs glaubte), so erscheint jene poetische
Bedeutung noch mehr in der zierlichen 43. Ode des
Anakreon, welcher man hier immer noch einmal
eine Stelle vergönnen möge:
„ Glücklich nenn' ich dich , Cicade ,
Dass du auf den höchsten Bäumen,
Von ein wenig Thau Degeistert,
Aehnlich einem König singest :
Dein gehöret all' und jedes,
Was du in den Feldern schauest,
Was die Jahreszeiten bringen:
Dir sind Freund die Landbebauer,
Weil du keinem lebst zu Leide;
Und die Sterblichen verehren
Dich , des Sommers holden Boten ;
Und es lieben dich die Musen ,
Und es liebt dich Phöbus selber;
Er gab dir die klare Stimme,
Und das Alter dich nicht dränget,
Seher, Erdgeborne, Sänger!
Leidenlos, ohn' Blut im Fleische —
Schier bist du den Göttern ähnlich!''
Endlich können wir nicht umhin anzuführen, wie
auch der göttliche Piaton der Cicaden rühmlich ge-
denkt, und setzen die darauf sich beziehende Stelle
aus dem Phädros her: — „Man sagt nämlich, diese
wären Menschen gewesen aus der Zeit, ehe noch die
Musen waren. Als aber diese erzeugt worden und
der Gesang erschienen, wären Einige von den Dama-
ligen so entzückt worden von dieser Lust, dass sie
singend Speise und ,Trank vergessen, und so, ohne
dessen wahrzunehmen, gestorben wären. Aus welchen
nun seitdem das Geschlecht der Cicaden entstanden
10
146
wäre, mit dieser Gabe von den Musen ausgestattet,
dass sie von der Geburt an keiner Nahrung bedürfen,
sondern ohne Speise und Trank sogleich singen bis
sie sterben , dann aber zu den Musen kommen und
ihnen verkündigen , wer hier jede von ihnen verehrt.
Der Terpsichore melden und empfehlen sie die,
welche sie in Chören verehren; der Erato, die sie
durch Liebesgesänge feiern , und so den übrigen , jeder
nach der ihr eigentümlichen Verehrung."
Es war übrigens den Alten sehr wohl bekannt,
dass nur die männlichen Cicaden singen, sodass Xe-
narchos beim Athenaeus sie im Scherz glücklich
preist, als solche, bei denen die Weiber keine Stimme
hätten. Eben deshalb wurden auch die Männchen
uxtrai, die Tönenden genannt, *) und es ist sinnreich,
dass man hier gerade dieses Wort wählte, welches
abgeleitet ist von tj/hov (eine Art von Pauke oder
auch ein Instrument zur Verstärkung des Schalles),
indem wir bald finden werden, dass die Stimme der
Cicaden wirklich durch kleine paukenartige Organe
erzeugt wird.
Was nun aber das Feinere in der Bildung der
Stimmwerkzeuge der Cicaden betrifft, so findet man
freilich darüber bei den Alten noch keine ausreichende
Vorstellung. Was Aristoteles davon gewusst hat,
möchte aus folgenden beiden Stellen zu entnehmen
sein: „quae canorae (achetae) appellantur, ad prae-
cincturae locum divisae (apertae) sunt, membranamque
*) Wie Schneider in den (anonymen) Anmerkungen über
den Anakreon, Leipzig 1770 S. 63 anführt , darf Acheta bei
den Alten nicht als besondere Gattung angesehen werden, ob-
wohl die Stelle bei Aristoteles (hist. animal. Lib. IV. c. 7,7.)
auf einen Gattungsunterschied deutet, und auch wir jetzt eine
eigene Gattung dieses Namens aufstellen.
147
habent conspicuam" (de animal. hist. Lib. IV. c. 7, 7.),
und: „Igitur insecta neque vocem neque sermonem
edunt, sed interiore spiritu sonant, non exteriore; si
quidem eorum nullum spirat, sed partim murraurare
dicuntur, ut apes et alia alata; partim canere, ut ci-
cadae: quae omnia sonum cient membrana, quae ob-
tenta est ad praecincturae aperturam, quemadmodum
cicadae aliquae attritu Spiritus." (1. cit. c. 9, 2.). —
Eben so unzureichend ist, was im Plinius hierüber
vorkommt, indem er sich darauf beschränkt zu sa-
gen: „Pectus ipsum fistulosum: hoc canunt achetae. "
(Hist. nat. Lib. XI. c. XXVI ). Dagegen ist es merk-
würdig, dass gleich hierauf die Stelle folgt: '„de ce-
tero in ventre nihil est," da wir späterhin finden
werden, dass wirklich der ganze Hinterleib der Männ-
chen, namentlich bei Testigonia orni, zu einer leeren
luftgefüllten Blase austrocknet.
Unter den Naturforschern im Mittelalter ist es jeden-
falls zuerst der scharfsichtige Julius Casserius zu
nennen , welcher in seinem Werke : De vocis auditusque
organis, Ferrara 1600. auch den Stimmwerkzeugen der
Cicaden seine Aufmerksamkeit zuwendet, und für die-da-
malige Zeit sie sehr gut und richtig beschreibt und abbil-
det (p. 116 Tab. XXI.). Er spricht zuerst ganz bestimmt
aus: die trockne, muschelförmige , durch einen Muskel
eingezogene Muschelhaut erzeuge den Ton ohngefähr
so wie das Rauschen des Rauschgoldes durch Ein-
und Herausdrücken erzeugt wird („BracteaKs membra-
na soni auctor" p. 117) — Des Casserius Untersu-
chungen scheinen jedoch bald vergessen worden zu
sein , da die spätem Forscher wieder weit unvoll-
kommnere Kenntniss dieser Stimmbildung verrathen.
Was aber diese spätere Zeit betrifft, so ist der
Schriftsteller, welcher wohl am ausführlichsten sich
mit diesen Thierchen beschäftigt hat, Ul. Adrovandi
10*
148
in seinem Werke de animalibus insectis (Bonon. 1638),
wo von S. 307 bis 341 auf 35 Folio-Seiten alles, was
dem Verf. nur irgend über diesen Gegenstand bekannt
geworden war, aber freilich weit weniger von eigent-
licher Anatomie und Physiologie des Thieres selbst
zusammengetragen ist. — Sehr dürftig fällt auch hier
aus , was S. 317 und 318 über das Hervorbringen des
Gesanges gesagt wird, indem es sich in der Haupt-
sache ganz auf dasselbe zurückführen lässt, was
Aristoteles und Plinius angeben, nämlich dass
die später zu beschreibenden zarten Membranen, wel-
che in der Form von ein paar Trommelhäutchen am
Vorderrande des Hinterleibes gefunden werden, der
Sitz der Klangbildung seien, und das Einzige ist zu
erwähnen, dass nach Cardanus und Alb. Magnus
angeführt wird, die Cicade sänge auch noch einige
Zeit, nachdem man ihr den Kopf abgeschnitten habe,
welches beweise, wie irrig der von Horus angeführte
Glaube der Aegypter sei, die Cicade bringe ihren Ge-
sang durch den Saugstadhel , gleichwie mittels eines
Plectrum hervor. Ferner hatten Pontedera und
Laurenti, nebst einigen andern italiänischen Gelehr-
ten ihre Aufmerksamkeit diesem Gegenstande zugewen-
det; allein nach dem, was ich in dem Auszuge aus
ihren Arbeiten verzeichnet finde (de Bononiensi scien-
tiar. et art. instituto atque academia Commentarii.
Bonon. 1731. Vol. I. p. 80.) ist doch auch durch ihre
Bemühungen die Kenntniss der Stimmwerkzeuge nicht
wesentlich gefördert worden, denn auch hier sind die
erwähnten Trommelhäutchen als die stimmbildenden
Organe beschrieben, obwohl sie in Wahrheit nicht als
solche betrachtet werden dürfen.
Man darf daher wohl sagen, dass es zuerst dem
trefflichen Beobachter und Zergliederer der Insekten,
Reaumur, gelungen sei, das, was Casserius be-
149
gönnen hatte, zu vervollständigen, und es ist, dass
ihm diess so vollkommen gelungen , um so rühmlicher,
da er von den Cicaden sagt: „je me suis trouve en-
gage a ecrire leur histoire sans en avoir jamais en-
tendu chanter une , et sans en avoir jamais possede
une en vie. " (Memoires pour servir ä l'histoire des
insectes. T. V. p. I. Amsterdam 1741. p. 186.) — In
Wahrheit, als ich während meines Aufenthaltes zu
Florenz, nach vielfältigen Zergliederungen und Beob-
achtungen lebender und todter Cicaden , ohne noch
von den Arbeiten der Vorgänger Kenntniss genommen
zu haben , endlich dahin gelangte , mir den Mechanis-
mus und die physiologische Beziehung dieser Stimm-
bildung völlig deutlich zu machen , und nun die frü-
hern Arbeiten Anderer zu vergleichen begann, so fand
ich die Untersuchungen von Reaumur so genau und
schön, dass ich die Bekanntmachung meiner eigenen
Arbeit für ganz überflüssig gehalten haben würde,
wäre ihm nicht theils doch noch Einiges in der Bil-
dung dieser Theile entgangen, und hätte mir nicht
die Nachweisung der Beziehung dieser Stimmbildung
auf den Stand der Athmungsfunktion bei diesen Thie-
ren einer grossen Vervollständigung fähig geschienen.
Nicht minder hat unser trefflicher Rösel (a. a. O.)
die Cicaden ausführlich beschrieben, ihr Stimmorgan
zergliedert und ziemlich gut abgebildet; auch er hatte
indess nur todte, vertrocknete Cicaden zur Unter-
suchung vor sich, und daher kommt es, dass er eines
Theils nur wiederholen konnte, was Reaumur ge-
sagt hat, anderntheils hat er sogar die richtige Dar-
stellung seines Vorgängers wieder etwas verdunkelt,
indem er an den muschelförmigen Schallhäuten die
Muskelsehne nicht mehr angeheftet fand, und nun die
Vermuthung aufstellte , diese harte Sehne könne wohl
auch wie ein „Federkiel , mit welchem man die Saiten
150
einer Zither erklingen macht" auf jene gefaltete Schall-
haut wirken. — Eine irrige Ansicht, welche neuerlich
auch Oken (Zoologie Bd. I. S. 432) als eine gleich-
wahrscheinliche Ansicht neben die des Reaumur ge-
stellt hat, so dass also auch in Hinsicht dieses Zwei-
fels eine auf neue Untersuchungen an lebenden Thie-
ren gegründete Entscheidung nicht unerwünscht sein
wird.
Nachdem ich somit dem Leser eine Uebersicht
des Wissenswürdigsten aus frühem Untersuchungen
über den fraglichen Gegenstand gegeben zu haben
glaube, wird es Zeit sein zur Geschichte der von mir
selbst unternommenen Untersuchungen überzugehen.
Inwiefern es mir aber Hauptaufgabe gewesen ist,
zur Vervollständigung der Anatomie und Physiologie
dieser Thiere beizutragen, konnte mich das Aufsuchen
sämmtlicher um Florenz vorkommenden Specierum
weniger beschäftigen, und ich bemerke daher hier nur,
dass Tettigonia orni (abgebildet bei I. ) und Tettigo-
nia plebeja (abgebildet bei VII.), die vorzüglich in
grosser Menge dort vorkommenden Arten sind , und
daher hauptsächlich den Gegenstand dieser Untersu-
chungen ausgemacht haben , dass jedoch auch Tetti-
gonia sanguinea häufig vorkommt und ebenfalls der
Zergliederung unterworfen wurde (bei XV ). — Uebri-
gens ist es sehr merkwürdig, wie übereinstimmend die
Stimmwerkzeuge der Cicaden selbst in den verschie-
densten Arten sind: denn an zwei sehr grossen Arten
südamerikanischer Tettigonien, welche ich vor mir
habe, so wie an kleinern Arten aus Java, welche ich
vergleichen konnte, erscheint der Bau dieser Organe
im Wesentlichen mit dem der italiänischen gleich.
Eben so scheinen die Stimmwerkzeuge der nord-
amerikanischen Cicaden (im Staate Ohio und Neu-
York) wesentlich dieselben zu sein, wie die der hier
151
erwähnten. Es geht dies wenigstens hervor aus den
Abhandlungen von Hildreth und Booth (s. Fro-
riep Notizen für Natur- und Heilkunde 1828. August
Nr. 465., September 468., nach Aufsätzen in Silli-
mann's Journal Nr. 22. und Revue britannique Nr.
34. 1828. April), welche beide des am Männchen un-
ter den Flügeln befindlichen Stimmwerkzeugs geden-
ken. Jene Beobachter wollen übrigens gefunden ha-
ben, dass nur alle 17 Jahre grosse Schwärme dieser
Cicaden aus der Erde hervorkommen, welches auf ein
so langes Leben der Larve in der Erde schliessen
liesse. Booth hat deshalb den schwerlich zu billi-
genden Namen Cicada septemdecim für dieselbe in
Vorschlag gebracht.
Es wird nun am zweckmässigsten sein, zuerst den
Bau der Organe, welche der Sitz der Stimmbildung
sind, zu beschreiben, dann. aber den physiologisch
merkwürdigen Zusammenhang, welcher zwischen die-
sen Bildungen und dem Stande der Athmungswerk-
zeuge Statt findet, zu entwickeln, ein Verhältniss,
welches von den bisherigen Beobachtern gänzlich über-
sehen worden ist.
I. Beschreibung der Stimmwerkzeuge.
Wenn man eine männliche Cicade (denn nur diese
sind die Tönenden, die Achetae der Alten) in der
Gegend, wo Brust und Unterleib sich verbinden, auf-
merksam betrachtet, so gewahrt man alsbald jederseits
zwei besondere Organe, welche dem weiblichen Thiere
beinahe ganz fehlen, von denen eins jederseits ander
Bauchfläche, eins an der Seitenfläche unter den Flü-
geln gelegen ist, und welche beide innerhalb des
ersten und zweiten der 9 Hinterleibsringe sich befin-
den oder vielmehr Theile derselben ausmachen. —
Das Paar der an der Bauchfläche liegenden Organe
152
(Fig. VII. b und a b1, Fig. XV. a, Fig. X. a a) hat
folgenden Bau: — Zwischen dem ersten und zweiten
Hinterleibsringe bleiben, gleichsam als wären diese
Ringe durch eine innere Gewalt von einander getrie-
ben , rechts und links je eine Lücke von ovalem Uia-
fange (aa Fig. X ), welche mit einem sehr zarten, ganz
trocknen, in schönen entoptischen Farbenkreisen
schimmernden Häutchen überzogen sind, so dass sie
schon von altern Schriftstellern mit zwei Fensterchen,
welche in das Innere des Thieres blicken lassen,
schicklich verglichen worden sind. Auch wir wer-
den sie der Kürze halber künftig die eirunden Fen-
ster nennen. Ihre Grösse ist nach der Art verschie-
den ; bei den grossen südamerikanischen Arten sind
sie verhältnissmässig sehr klein. — Von aussen wer-
den diese Häutchen geschützt durch zwei Hornblätter,
welche Fortsetzungen des letzten Brustringes sind und
sich demselben unmittelbar hinter dem letzten Fuss-
paare anfügen (Fig. VII. b, das linke b' ist losgebro-
chen , um das darunter verborgene Fensterchen zu zei-
gen).— Bemerkenswerth ist, dass unter diesen grös-
sern Hornklappen (wie wir sie künftig bezeich-
nen wollen) noch ein Paar kleinere (Fig. VII. XV.
b") vorragen, welche dicht vor der Wurzel der hin-
tern Fusspaare ausgehen, und bei den verschiedenen
Arten in einem Gegensatze mit jenen zu stehen schei-
nen, so dass z. B. bei Tettigonia sanguinea, wo die
erstem sehr klein werden (Fig. XV. b), die letztern
an Grösse beträchtlich gewinnen (£",), bei Tettigonia
orni sind es dagegen nur ein Paar nadeiförmige Spitzen.
— Uebrigens bemerkt man noch, dass zwischen dem
hintersten Brustringe und vordersten Hinterleibsringe
unmittelbar vor den eirunden Fensterchen eine weiche
muskulöse Haut besteht (Fig. VII. XV. «')) welche
die Verbindung und Bewegung zwischen Brust und
i5a
Hinterleib wesentlich bedingt, so dass man nur, wenn
der Hinterleib stark aufwärts gebogen wird (wie bei
XV.), sie deutlich zu Gesicht bekommt. — Und so
weit von diesen untern Organen, welche von altern
Schriftstellern oftmals für die eigentlichen Stimmor-
gane gehalten worden sind, denen aber höchstens, und
zwar mittels jener straffen elastischen Membranen der
eirunden Fenster, die Wirkung Schall verstärkender
Organe beigelegt werden kann.
Wir kommen nun zur Betrachtung der seitlichen,
unterhalb der Flügel gelegenen Organe , welche der
wahre Sitz der Stimmbildung sind, und einen sehr zu-
sammengesetzten Bau zeigen. Der erste sehr schmale
Ring des Hinterleibes nämlich , zeigt sich fast eben so
nach beiden Seiten aus einander getrieben und in die-
ser von oben nach unten ovalen Lücke mit einer tro-
ckenen feinen Membran ausgefüllt, wie wir dies an
seiner Grundfläche bemerkt hatten, nur dass die Sei-
tenmembran auswärts convex und in sich selbst gefal-
tet ist, da jene der eirunden Fenster eben und spie-
gelglatt ist. Wir wollen diese convexe Membran,
welche eigentlich den Schall giebt, und welche von
Casserius membrana bractealis genannt wird, die
Trommelhaut nennen. Sie liegt in einigen Arten
ziemlich frei , so bei Tettigonia orni (Fig. I. IV. c) und
sanguinea (Fig. XV. c), in andern wird sie eben so
durch ein vom zweiten Hinterleibsringe nach oben und
vorwärts vorragendes Hornblatt (Fig. XIV. d Fig. X. d)
überwölbt, wie die eirunden Fenster von den grössern
Hornklappen in der Richtung von vorn nach hinten
bedeckt werden. Auf diese Weise entsteht nament-
lich bei Tettigonia plebeja eine Art von Schallhöhle
(Fig. XIV. ist sie bei e durch Wegbrechen des über-
wölbenden Hornblattes, welches wir hinführo Deck-
blatt nennen werden, geöffnet )3 welche nur nach
154
abwärts mit einer geräumigen Mündung ausgeht (Fig.
X. e'). Bei T. sanguinea fällt das Deckblatt bis auf
eine kleine Andeutung (Fig. XV. d) ganz weg, bei
T. orni hingegen ist es grösser , lässt jedoch eben
sowohl als unten freien Zutritt zur Trommelhaut (g.
Fig. III. IV. d). — Bricht man den die Trommelhaut
enthaltenden Seitentheil des ersten Hinterleibringes
los, so sieht man deutlich, wie diese convexe gefal-
tete Membran in eine ringförmige Erweiterung der
Hornsubstanz förmlich eingefasst ist (s. Fig. V. und
XI ) ; dieser Hornring selbst ist dann durch eine Fort-
setzung jener schon erwähnten weichen Muskelhaut
an die Seitentheile des hintersten Brustringes gehef-
tet, und es wird diese Stelle insbesondere dadurch
merkwürdig, dass hier eine eigene Athemmündung
(Stigma) sich befindet (welches weder von Reaumur
noch sonst erwähnt wird), von welcher später die
Rede sein wird (sie ist Fig. XVI. XVII. durch die
Sonde bezeichnet und Fig. XVIII. vergrössert darge-
stellt). — Die Trommelhaut selbst ist von sehr zartem
unter dem Mikroskop (Fig. VI, XIII.) punktförmig
erscheinenden Gewebe und bei T. plebeja unterschei-
det man in deren Substanz selbst feine Luftröhrenver-
zweigungen (XIII.) Bei ihrer Convexität und Tro-
ckenheit hat sie die Eigenschaft, wenn eine Stelle an
ihr einwärts gedrückt wird, sie elastisch alsbald wie-
der herausspringen zu lassen, welches dann, wie eine
ähnliche Bewegung an einer dünnen Metallplatte, einen
Klang giebt, und auf diese Weise wird sie, wie
Casserius zuerst richtig und deutlich bemerkt hat,
der eigentliche Sitz der Stimmbildung, Avelche Stimme
dann durch die Schallhaut der eirunden Fenster, durch
die Höhlen unter den Deckplatten , am meisten aber
durch die innern Atheiuhöhlen verstärkt wird — Was
nun den innern Mechanismus betrifft, welcher jenes
155
Einziehen und Ausspringen einer Stelle der Trommel-
haut vermittelt, so besteht er in folgendem: — von
einer einwärts etwas vorspringenden scharfen Horn-
kante an der untern Mittellinie des ersten und zwei-
ten Hinterleibringes, gleichwie von einem Abdominal-
Sternum entspringen, inwendig zwei starke, nach den
beiden Wirbeln, an denen sie entspringen, in zwei
Portionen getheilte, ziemlich unter rechtem Winkel
auseinanderweichende, jeder nach einer Seite schief-
aufwärts laufende Muskeln (Fig. II., IX., X , XVI.,
XVII. ff.), welche auf höchst merkwürdige Weise
jeder an einer frei liegenden ovalen Hornplatte (gg)
sich endigen, welche mittelst einer feinen aber der-
ben Sehne (hh) an die Trommelhaut sich oberwärts
anheften. Diese Muskeln also (wir wollen sie Span-
ner der Trommelhaut nennen) sind es, deren Zusam-
menziehungen zu beiden Seiten zugleich die Trommel-
haut da, wo die Sehne (h) in sie eingewachsen ist,
einwärts ziehen und bei ihrer Erschlaffung durch ei-
gene Elasticität jener Membran sie auswärts springen
machen und so den Schall erzeugen, dessen Wieder-
hall die Felder Italiens im Sommer erfüllt. *) Inwie-
fern jedoch eine vollkommene Trockenheit der Trom-
melhaut nöthig ist, wenn sie den Klang erzeugen soll,
ist es erforderlich, dass sie innerlich sowohl als äus-
serlich nur von Luft umgeben sei und mit keinen von
Saftmasse durchdrungenen Organen in Berührung
komme. Es setzt dieses sonach eine besondere Bil-
*) Es ist übrigens ganz richtig, dass man auch an einer tod-
ten Cicade durch Ziehen dieser Muskeln mittels einer Pincette
ganz denselben Ton hervorbringen kann, welchen die lebende
hören lässt. Eben daher auch das Forttönen der lebendig zer-
schnittenen Cicade, selbst nach abgetrenntem Kopfe, so lange
nur jene Muskeln noch zittern.
156
düng der innern Luft- oder Athemorgane voraus, zu
deren Betrachtung wir nun übergehen.
Es ist aber zuvörderst zu bemerken , dass bei den
Orthoptern überhaupt eine ausserordentliche Entwicke-
lung der Athemorgane im Hinterleibe eine gewöhnli-
che Erscheinung ist; man kennt die Menge von Luft-
säcken, welche den Hinterleib der Locusten ausfüllen,
und bereits vor 11 Jahren habe ich (Lehrbuch der
Zootomie S. 478) darauf aufmerksam gemacht, wie
bei Locusta verrucivora wirklich eine deutliche Athem-
bewegung der Urwirbelbögen des Hautskelets am Hin-
terleibe, völlig der Bewegung der Rippen höherer
Thiere vergleichbar, Statt finde. — Auf ähnliche Weise
verhält sich's nun bei den Tettigonien, und nament-
lich bei den männlichen, von welchen jetzt einzig die
Rede ist.
Es besteht nämlich der Hinterleib dieser Thiere,
wie schon oben bemerkt wurde, aus 9 Ringen. Yon
diesen sind die 6 mittlem am einfachsten und voll-
ständigsten in der gewöhnlichen Form der Urwirbel-
ringe des hornigen Hautskelets, oberwärts stark ge-
wölbt, unterwärts etwas abgeflachter, ja an den Sei-
ten einwärts gebogen, entwickelt; die beiden vorder-
sten Ringe oder Urwirbel sind am meisten zusammen-
geschoben und enthalten die beschriebenen Stimmor-
gane, während der letzte der kleinste wird und sich
unter dem achten verbirgt (dahingegen im weiblichen
Thiere gerade dieser auf die Geschlechtsglieder sich
beziehende Wirbel an Grösse bedeutend gewinnt, und
den vorletzten eben so sehr übertrifft, als er im Männ-
chen von ihm übertroffen Avird). — An den 6 mittlem
Ringen gewahrt man auf der unteren Fläche durch-
gängig und nur mit Ausfall des hintersten oder im
Ganzen achten Ringes, zu beiden Seiten an den ge-
wöhnlichen Stellen die sehr kleinen Stigmata (s. Fig. IX.)
157
Merkwürdiger Weise zeigen sich jedoch diese Stig-
mata so von einer weisslichen faserigen Substanz ver-
stopft, dass man schwerlich einen wirklichen Luftzu-
tritt durch dieselben annehmen darf; selbst bei den
grossen südamerikanischen Arten, bei deren einer der
Hinterleib allein ziemlich einen pariser Zoll misst,
entdeckt man keine eigentliche Oeffnung, oder sieht
sie vielmehr durch die erwähnte weisse Substanz ver-
schlossen. Oeffnet man jedoch das Thier, so sieht
man nichts destoweniger von jedem Stigma innerlich
baumartig verzweigte Trachäen an den seitlichen Ab-
dominalwänden aufsteigen. Was ferner die vordersten
beiden Ringe betrifft, so scheint der hintere und brei-
tere von beiden beim ersten Anblick ohne alle Spur
eines Stigma zu sein, man müsste denn annehmen,
dass jene beschriebenen eirunden Fenster Metamor-
phosen derselben wären. Untersucht man jedoch ge-
nauer, so findet man äusserlich neben jedem eirunden
Fenster in der Grube, nach welcher der Buchstabe o
Fig. X. hinzeigt, ein ziemlich grosses Stigma, dessen
trichterförmige Vertiefung weniger als bei den übrigen
verschlossen scheint, und einem ziemlich bedeutenden
Trachäenstamme den Ursprung gewährt. Auch am vor-
dersten, als Ring am schwächsten entwickelten Ur-
wirbel gewahrt man bei erster, auch sorgfältiger Be-
trachtung nicht leicht die Stigmata; sieht man jedoch
recht genau nach , so findet man vor der Trommelhaut
allerdings jederseits, wie bereits oben beiläufig be-
merkt wurde , ein wirklich offenes Stigma , dessen
stark vergrösserte Abbildung von der innern Fläche
Fig. XVIII. gegeben ist, so wie die Sonden Fig. XVI.
m und XVII. m seine Lage anschaulich machen. —
Dieses Paar von Stigmaten, welches äusserlich durch
eine Reihe feiner stachlicher Haare geschirmt wird
(s. Fig.- XVIII. r) , ist nun vorzüglich dadurch merk-
158
würdig, dass es innen nicht zu einem besondern Tra-
chäenstamm sich fortsetzt, sondern sogleich zu einer
lungenähnlichen Blase oder einem Luftsacke sich er-
weitert (Fig. XVIII. n Anfang dieser Blasenhaut),
welcher mehr und mehr sich vergrössernd mit dem
gegenüberliegenden sich vereinigt und eine grosse
Lufthöhle bildet, welche etwas gegen die Brust hin-
ein sich ausdehnt, vorzüglich aber, indem sie sich
zwischen den starken Muskeln der Trommelhäute
durchdrängt, einen beträchtlichen Theil des Hinter-
leibes ausfüllt, welcher dadurch sonach endlich gröss-
tentheils als lufthohl erscheinen muss. (Fig. XVI. p q
zeigt die Ausdehnung dieser grossen Lufthöhle bei
Tettigonia plebeja, Fig. XVII. p q bei Tett. orni, die
punktirte Linie q Fig. XV. bei Tett. sanguinea.) Die
Wandungen dieses Luftsackes bestehen aus einer zar-
ten Haut (/* Fig. IX. X.), welche ursprünglich, wie
alle innere Organe der Kerfe, feucht und weich ist,
jedoch, indem sie sich ausdehnt, zuvörderst an eini-
gen Stellen , wo sie mit der äussern Luft in Berüh-
rung tritt, trocknet und spröde wird, endlich aber,
wenn sie den Leib (wie namentlich bei Tett. orni) im
höchsten Grade ausgedehnt hat, nicht nur selbst die
Trockenheit eines feinen Papierblattes überall annimmt,
sondern den ganzen Abdominalwandungen sie in sol-
chem Maasse mittheilt, dass das Abdomen wie eine
hohle trockne leere Blase erscheint, wenn man es am
lebenden oder am ebengetödteten Thiere aufschneidet.
— Die Vergrösserung dieser Blasen scheint mit dem
Entleeren der Samengefässe durch die Begattung zu-
sammenzuhängen, weshalb schon die Alten die männ-
lichen Cicaden nach der Begattung als Speise ver-
warfen , indem sie dann leer seien ; und so findet man
denn auch die verschlungenen Gefässe, welche die
innern Geschlechtsorgane darstellen (* Fig. IX. X\I.
159
XVII.), um so mehr gegen die Spitze des Hinterlei-
bes zurückgedrängt oder zusammengezogen, je mehr
jene Luftblase sich ausgedehnt hat. — Die Stellen, wo
nun die Haut der sich auftreibenden Athemblase am
ersten mit der äussern Luft in Berührung tritt, sind
jene auseinandergetriebenen Gegenden der Hornringe,
welche als eirunde Fenster und Trommelhäute be-
schrieben worden sind, und namentlich ist das spie-
gelnde Häutchen, welches die eirunden Fenster aus-
füllt, durchaus nichts anderes als ein getrocknetes
Stückchen jener Lungenblase, und man sieht an ge-
trockneten Thieren deutlich, dass, wo man im Innern
etwas von der Wand dieser Luftblase ablösen kann,
es sogar auch dieselbe farbenschillernde Beschaffen-
heit hat, welche wir an den Häuten der eirunden
Fenster gewahr werden. Was die Trommelhäute be-
trifft, so sind diese dicker auch gelblich gefärbt, und
deuten hierdurch , so wie durch ihre Faltung darauf,
dass sie durch Zusammentreten der Blasenhaut mit
den äussern Hautbedeckungen gebildet werden. Höchst
merkwürdig ist es nun bei dieser Ungeheuern Ausdeh-
nung von zwei in eine zusammenfliessenden Trachäen-
blasen das Verhalten der übrigen Hinterleibs -Einge-
weide zu beobachten. Es finden sich nämlich Magen
(man sieht dessen Durchschnitt bei k Fig. IX ), Darm,
Ganglienkette, Rückengefäss, Gallgefässe und Luft-
röhrenverzweigungen durch die aufgetriebene Blase
dicht an die Wandungen des Hinterleibes angepresst,
und im Zustande, wenn auch nicht vollkommner, doch
angehender Vertrocknung, während die entleerten Sa-
mengefässe der Geschlechtsorgane sich noch am läng-
sten einigermassen feucht erhalten , und auch die star-
ken saftigen Muskeln , welche durch die Luftblasen-
haut einen feinen äussern Ueberzug bekommen, ob-
wohl sie mitten in der Lufthöhle liegen und sich be-
160
wegen, im lebenden Thiere nie im völlig trocknen
Zustande angetroffen werden. — Kurz wir können als
Resultat dieser Betrachtungen aussprechen, dass die
Athemorgane hier ein so ausserordentliches Ueberge-
wicht über die übrigen Eingeweide erhalten , wie uns
sonst, sogar bei den im Allgemeinen durch ein sol-
ches Uebergewicht bezeichneten Kerfen, nirgends be-
kannt geworden ist.
Bevor ich nun diese Beschreibungen schliesse,
wird es unerlässlich , nachdem wir im Vorhergehenden
immer nur das männliche Thier im Auge behalten hat-
ten, auch der Organisation der weiblichen Individuen
zu gedenken. — Betrachtet man aber das Weibchen
z. B. von Tettig. plebeja an der untern Fläche des
Hinterleibes, so bemerkt man wieder die 9 Hinter-
leibsringe, von welchen jedoch der 7. und 8. unter-
wärts zu einer Querplatte verschmolzen sind (welche
Vereinigung übrigens auch im Männchen Statt findet),
und der hier sehr breite 9. Ring durch den vortreten-
den Lagestachel gespalten wird. Der 2. bis 7. Ring
haben feine kaum sichtbare Stigmata, und wieder ist
das Paar des 2. Ringes neben den Rudimenten der
eirunden Fenster verborgen, an sich aber am bedeu-
tendsten. Ferner bemerkt man deutlich die Rudimente
der vom hintern Brustringe ausgehenden Hornklappen,
von Avelchen jedoch die, welche wir die grössern ge-
nannt haben, hier sehr klein erscheinen, dahingegen
die, welche wir die kleinern nannten, hier eben so
antagonistisch, wie es schon von dem Verhalten in
verschiedenen Arten angegeben wurde, grösser als im
Männchen gefunden werden. — Von alle dem hinge-
gen, was wir im Männchen als eigentliche Stimm-
werkzeuge beschrieben haben, also von den Trom-
melhäuten und ihren Deckblättern, und von den Span-
nern der Trommelhaut mit ihren Hornplatten und Seh-
161
nen , findet sich im Weibchen keine Spur, und nur die
eirunden Fenster sind, jedoch sehr verkümmert, vor-
handen und auch hier mit ihren feinen Spiegelhäutchen
überzogen (s. Fig. VIII. a" a").
Was die Verhältnisse der innern Organe betrifft,
so finden sich allerdings auch beim Weibchen die bei-
den grossen Luftblasen, welche bei den Männchen, zu
einer verschmelzend, so ausserordentliche Ausdehnung
annehmen, allein hier in weit geringerem Umfange,
und so, dass die Scheidewand zwischen beiden, so
viel ich gesehen habe, bleibend ist, ja noch im tod-
ten trocknen Thiere deutlich, und ganz von derselben
Beschaffenheit, wie die in den Rudimenten der eirun-
den Fenster befindlichen, erkannt Avird. — Es ist übri-
gens sehr wahrscheinlich, dass auch im Weibchen
sich der Umfang der Luftblasen etwas vergrössert,
sobald die Ovarien von den zahlreichen ziemlich gros-
sen Eiern entleert werden ; indess habe ich in dieser
Hinsicht nicht genügsame in gewisser Ordnung sich
einander folgende Untersuchungen anstellen können,
so wie namentlich auch über das allmählige stärkere
Ausbilden der Athmungsorgane im Uebergange vom
Larvenzustande zum Zustande des vollkommnen In-
sekts noch eine sehr merkwürdige Folgereihe von Un-
tersuchungen angestellt werden könnte, welche ins-
besondre auch über die eigentliche Genesis der Stimm-
werkzeuge, auf deren Art und Weise wir jetzt nur
schliessen können, sehr interessante Erscheinungen
enthüllen würde.
II. Physiologische Bemerkungen über Ei-
genthümlichkeit von Stimm- und Ath-
mungswerkzeugen der Cicaden.
Es ist jedenfalls eine höchst beachtenswerthe Er-
scheinung, dass überhaupt bei den Kerfen das Ver-
11
162
mögen Töne von sich zn geben oder Stimme zu er-
zeugen , zuerst in der Thierreihe vorkommt , um so
beachtenswerther, weil die Stimmbildung in ihrer
höchsten, d. i. menschlichen Vollkommenheit genau
an die Respirationsorgane geknüpft ist, und die Kerfe
die erste grosse Abtheilung des Thierreiches bilden,
wo die Respiration als Luftathmung eine grössere
Ausdehnung erlangt. — Es würde daher schon man-
nichfaches Interesse gewähren, die verschiedenen Ar-
ten von Stimmbildungen bei den Kerfen sämmtlich
zusammenzustellen und untereinander zu vergleichen,
inwiefern die Stimme der Kerfe wirklich in verschie-
denen Gattungen auf sehr verschiedene Weise hervor-
gebracht wird. So geben die Grillen ihren dem der
Cicaden einigermassen ähnlichen Ton durch Reiben
der Flügeldecken von sich , so erzeugt bei verschiede-
nen Käfern das Reiben der Hautskelettheile von Brust
und Bauch den eigenthümlichen Klang, so scheint gar
bei Sphinx atropos ein besonderes Organ am Kopfe
das eigenthümliche, ziemlich laute Geschrei dieses
Thieres zu erregen *). Das Stimmorgan der Cicaden
steht indess wohl unter allen diesen deshalb unwider-
sprechlich oben an, Aveil dasselbe wirklich einen inte-
grirenden Theil der inneren Respirationsorgane aus-
macht, und die Muskulatur, welche eigends diesem
Stimmorgane bestimmt ist, allerdings zugleich der zum
Athemholen bestimmten Bewegung dienen mnss. — In-
wiefern nun überdies , wie wir gefunden haben , nir-
*) S. hierüber Passerini's Bemerkungen in Heusinger 's
Zeitschrift für die organische Physik. 2. Bd. Hft. 4. S. 442. —
Dass es wenigstens gewiss nicht, wie man angenommen hat,
durch das Reiben des Rüssels entsteht, davon habe ich mich an
zwei lebenden Individuen überzeugt, indem ich den Rüssel mit
einer Nadel aufrollte und ausdehnte, und das Geschrei doch
fortdauerte.
163
gends unter den Kerfen das Reich der Luft im Innern
des Körpers eine solche Ausdehnung erlangt als hier,
so stimmt dies auf eine sehr merkwürdige Weise mit
dem auch in dieser Gattung am vollkommensten ent-
wickelten Organe zur Stimmerzeugung überein.
Ferner steht die Vertrocknung , welche die Hin-
terleibseingeweide durch die Ausdehnung der zu den
Stimmwerkzeugen gehörigen Respirationsblasen erlei-
den, ganz in Verhältniss zu dem, was auch in ande-
rer Reziehung, und namentlich hinsichtlich des Blut-
systems bei der allmähligen Ausbildung des vollkom-
menen Kerfs überhaupt Statt findet. Ich habe näm-
lich früher in meiner Schrift: „Entdeckung eines ein-
fachen, vom Herzen aus beschleunigten Blutkreislau-
fes in den Larven netzflügelicher Insekten, Leipzig
1827." S. 33 u. f. mich über das Verschwinden des
Blutkreislaufes antagonistisch dem Hervortreten stär-
kerer Athmung ausführlich ausgesprochen , und wie
es sich da ergab, dass durch das Ausdehnen des Ath-
mungsprocesses und das damit verbundene Trocken-
werden (z. B. der Flügel und ihrer kiemenartigen Ge-
fässe) der Blutlauf aufhöre und seine Gefässe er-
starren (woraus wir dort schon die Kürze des Kerf-
lebens und das nicht mehr Wachsen und Regeneriren
des fertigen Kerfs ableiteten), so sehen wir hier so-
gar das erste Ernährungsgefäss des Körpers , den
Darmkanal, an die Wand der Abdominalringe gleich-
sam antrocknen und alle Funktion aufgeben, Avovon
denn der bald nach der vollkommenen Entwickelung
eintretende Tod eine nothwendige Folge- sein muss. —
Es ist diese Erscheinung um so beachtenswerther, da
sie auch rückwärts wieder die Richtigkeit jener frü-
her am angeführten Orte angegebenen Thatsache hin-
sichtlich des Verhaltens des Kreislaufes in helleres
Licht zu setzen dient.
11*
164
Den Bau dieser Stimmorgane genauer ins Auge
fassend, kann sodann auch eine merkwürdige Aehn-
lichkeit nicht unerwähnt bleiben, welche zwischen
ihnen, den vollkommensten Stimmorganen der Thiere
ohne Hirn und Rückenmark, und den vollkommnein
Hörwerkzeugen der Thiere mit Hirn und Rückenmark
besteht. Wie bei diesen eine lufterfüllte Höhle, mit
elastischer Haut geschlossen, das Wesen des Hörap-
parats macht, und festere, in die elastische Haut ver-
wachsene Körper durch Muskeln und Sehnen regiert
werden, so auch bei jenen. Ist es nun auch gewiss,
dass diese Aehnlichkeit, welche wir schon durch die
gewählten Namen suchten deutlich zu machen, uns
nicht verleiten darf, zu glauben, dass in der Fortbil-
dungsreihe der Organe das Hörorgan der höheren
Thiere durch Metamorphose dieser Stimmorgane ent-
stände (so wenig als etwa die Hörknöchelchen der
Säugethiere aus den von Weber beschriebenen Rip-
penrudimenten, welche bei den Fischen zwischen
Schwimmblase und Ohr liegen, hervorgehn), so ist
doch die Beachtung der Analogie, welche die Natur
bei verwandten Funktionen auch durch verwandte Bil-
dung der Organe ausspricht, sehr interessant, um so
mehr, da die Gehörhöhle des Kopfes in den höheren
Thieren wirklich die Bedeutung der hinteren Ath-
mungshöhle des Kopfes hat, und somit der hinteren,
d. i. Abdominal- Athmungsgegend des Rumpfes parallel
gegenüber steht. (S. hierüber S. 55 in meinem Werke
von den Ur-Theilen des Knochen- und Schalenge-
rüstes Leipzig, 1828.)
Wie sehr übrigens wirklich die zur Stimmerzeu-
gung nöthige Bewegung mit der Athmungsbewegung,
welche man am Hintcrleibe der Locusten wahrnimmt,
übereinstimme, wird bei Beobachtung eines lebenden
und tönenden Thieres sehr auffallend. — Betrachtet
165
man nämlich ein solches (wie ich dies an den warmen
Abenden in den Olivengärten bei Florenz so häufig
gethan habe), so sieht man, wie das etwa auf einem
Zweiglein sitzende Insekt bei jedem Klange , den es
ausstösst, das Abdomen etwas erhebt (welches die
Wirkung der Contraktion von den starken Spannern
der Trommelhaut ist) um es gleich darauf wieder sin-
ken zu lassen, eine Bewegung, welche immer rascher
sich folgt, um dann in ein sehr schnelles Erzittern
überzugehen, wobei der Ton in ein blosses Schwirren
sich verliert, mit welchem es endlich aufhört, und so
auch der Körper zur Ruhe zurückkehrt. Inwiefern
nun jede Zusammenziehung jener Muskeln , welche
wir Trommelhautspanner genannt haben, eine gewisse
Verengerung der grossen Lufthöhle des Abdomens be-
wirken muss, indem sie die Trommelhaut einwärts
und die Grundfläche des ersten und zweiten Bauch-
ringes aufwärts hebt, und inwiefern auf diese Veren-
gerung, bei dem Nachlass der Zusammenziehung, eine
Erweiterung der Lufthöhle folgt, so kann und muss
das Ganze eine wahre Athmungsbewegung genannt
werden, welche in rhythmischer Verengerung und Er-
weiterung der Athmungshöhle besteht, und es findet
hier nur das Eigenthümliche Statt , dass jede Ath-
mungsbewegung, welche man bei Locusten blos sieht,
hier gehört wird, da der Nachlass jeder Muskelcon-
traktion mit dem klingenden Zurückspringen des ela-
stischen Blattes des Trommelhäutchens verbunden ist.
— Man könnte demnach sagen: das Singen der
Cicaden ist ein gleichsam fieberhaft schnel-
les klingendes Athemholen, während wel-
chem der Bereich der Athmung im Innern
des Thieres sich dergestalt ausdehnt, dass
das fortbildende Leben des Individuums
damit nur kurze Zeit bestehen kann, und,
166
nach begründeter Fortbildung der Gattung
erlöschen muss.
Erklärung der Abbildungen, Fig. I. bis XVIII.
(Die Buchstaben gelten für alle Figuren gleich.)
Fig. I. Die Eschen-Cicade (Tettigonia orni). Ein
Männchen von der Seite, mit aufgehobenen linken Flü-
geln gezeichnet um die Trommelhaut zu zeigen.
Fig. II. Erster und zweiter Hinterleibsring des-
selben Thieres etwas vergrössert und von den Brust-
ringen aus gesehen.
Fig. III. Dieselben Ringe in Verbindung mit 3.
und 4., von oben gesehen.
Fig. IV. Dieselben Ringe einzeln, von der linken
Seite gesehen, um die Lage der Trommelhaut zu zeigen.
Fig. V. Ein Theil des ersten Ringes , an welchem
die Trommelhaut befindlich, von der linken Seite ge-
sehen und stärker vergrössert
(Das Maass der natürlichen Grosse ist diesen 4
Figuren zur Seite gestellt.)
Fig. VI. Mikroskopisch dargestellt ein Theil der
Trommeln aut Fig. V.
Fig. VII. Die gemeine Cicade (Tettigonia plebeja).
Ein Männchen von der Bauchseite gezeichnet, um die
Lage der eirunden Fenster mit ihren Hornklappen,
von denen die linke grössere abgebrochen und ent-
fernt ist, darzustellen.
Fig. VIII. Erster und zweiter Bauchring der weib-
lichen gemeinen Cicade, um die daran befindlichen
Rudimente von eirunden Fenstern mit ihren Spiegel-
häutchen zu zeigen.
Fig. IX. Der etwas vergrössert gezeichnete Hin-
terleib der männlichen, gemeinen Cicade von unten,
geöffnet, um die Trommelhautspanner, so wie die
167
grosse Trachäenblase und die Geschlechtsorgane in
ihrer Lage zu zeigen.
Fig. X. Erster und zweiter Hinterleibsring des-
selben Thieres von den Brustringen aus , mit den in
ihnen enthaltenen Organen vergrössert gezeichnet.
Fig. XI. Die linke Trommelhaut desselben Thie-
res. Das natürliche Maass daneben XII.
Fig. XIII. Ein mikroskopisch vergrößerter Theil
dieser Trommelhaut.
Fig. XIV. Hinterleib der männlichen Tettigonia
plebeja, etwas vergrössert, von oben gesehen. Auf
der linken Seite ist das Deckblatt weggebrochen, um
die Trommelhaut zu zeigen.
Fig. XV. Hintere Brustringe und Abdominal-
ringe von der männlichen blutigen Cicade (Tettigo-
nia sanguinea), stark vergrössert, um die freiliegende
Trommelhaut zu zeigen.
Fig. XVI. Rumpf und Kopf von der männlichen
gemeinen Cicade (Tettigonia plebeja) , der Länge nach
senkrecht durchschnitten und etwas vergrössert ge-
zeichnet, um die Ausdehnung der Lufthöhle zu
zeigen.
Fig. XVII. Dieselbe Darstellung von der Eschen-
Cicade (Tettigonia orni).
Fig. XVIII. Das Stigma neben der Trommelhaut
von der gemeinen Cicade (Fig. XVI. m) mikrosko-
pisch vergrössert von Innen gezeichnet.
a Eirundes Fenster mit seinem Spiegelhäutchen
«' Weiche Verbindungshaut von Brust und Abdomen.
a" Eirunde Fenster im Weibchen, b Grosse Horn-
klappe; b' dieselbe losgebrochen; b" kleine Horn-
klappe. c Trommelhaut. d Deckblatt, e Höhle unter
168
dem Deckblatt, e' dieselbe geöffnet, f Spanner der
Trommelhaut, an welchem jederseits zwei Portionen
zu unterscheiden: g deren Hornplatte; h deren Sehne.
k Magen, m Stigma neben der Trommelhaut. »Wand
der inneren grossen Luftblase, o Stelle, wo sich das
Stigma neben den eirunden Fenstern befindet, p Vor-
derer Raum der inneren Lufthöhle, q hinterer Raum
derselben, r Borsten am Eingange des grossen Stig-
ma, s Hinterleibseingeweide, namentlich Hoden und
Samenkanäle. 1 bis 9 Hinterleibsringe.
V.
Ueber das Licht der italiänischen Leuchtkäfer.
His tandem studiis transegimus hyemcm illam,
Ver rediit, jam sylva viret, jam vinea frondcs,
Jam spicata Ceres, jam cogitat hordea messor,
Splendidulis jam nocte volant lampyrides alis.
Baptista Mantuanas vid. Ul. Aldrovandi
lib. d. lnsectis p. 497.
JCis war am dritten Mai zu Terracina, wo bei schö-
nem, warmem und durch Wolkenbedeckung ziemlich
dunklem Abende uns zuerst das Phänomen des eigen-
thümlichen Leuchtens dieser Leuchtkäfer bemerklich
wurde, ein Phänomen, welches sich späterhin immer
häufiger darbot, und namentlich bei unserer Rückkehr
nach Rom und dann nach Florenz , und während des
Aufenthaltes an diesen Orten im Monat Mai und Juni
uns jeden Abend zu Gesichte kam. Insbesondre wa-
ren die Adlerfarrenkrautbüsche in der Campagna um
Rom ausserordentlich belebt von diesen Thierchen,
und nicht minder manche schattige Gänge um Florenz,
wo sie sich jedoch im Anfange des Monat Juli anfin-
gen seltener zu zeigen. — Die Species war fast durch-
gängig Lampyris italica (dort Lucciola genannt) , durch
ihre bräunlichen oder glänzend schwarzen Flügeldecken
und das rothe Brustschild ausgezeichnet. Einigemal
habe ich auch Lampyris splendidula erhalten, doch
170
sind die Beobachtungen über das eigentümliche
blitzende Leuchten alle an Lampyris italica gemacht,
von welcher Fig. XIX. *) eine um das Doppelte vergrös-
serte Abbildung, und Fig. XX. das ebenfalls um das
Doppelte vergrösserte Abdomen von der Unterseite,
an welcher sich die beiden letzten leuchtenden Ringe
bemerklich machen , darstellt. — Auch bemerke ich,
dass ich um Rom und Florenz einzelne vollkommen
entwickelte, aber flügellose Lampyriden-Weibchen ge-
funden hatte, welche mit eben dem ruhigen Lichte
leuchten, als in unseren Gegenden.
Es wird nun zuerst nöthig sein, das Phänomen
des blitzenden Leuchtens selbst, wodurch es sich von
dem Leuchten der Lampyriden unserer Gegenden un-
terscheidet, dem Leser deutlich zu beschreiben, und
dann erst über Ursache und Bedeutung dieser Erschei-
nung die weiteren Erörterungen beizufügen.
In ersterer Hinsicht beachte man zunächst, dass
nicht blos wie bei unserer Lampyris splendidula, eine
kleine Stelle der hinteren Abdominalringe, sondern
die ganze untere Hälfte der letzten beiden leuchtet;
wenn daher bei der deutschen Art die kleinen leuch-
tenden Stellen «chon dadurch verändert und fast ganz
verdunkelt werden können , dass das Thier die Hin-
terleibsringe zusammenzieht und so die leuchtende
Stelle eines Ringes grossentheils unter dem anderen
zunächstliegenden Ringe verbirgt, so ist diess hier,
wo das ganze hintere Drittheil des Abdomens an der
unteren Fläche leuchtend ist, nicht wohl möglich, und
die Bewegungen des Abdomens haben sonach hier auf
*) Die gewöhnlich citirte Abbildung des De Geer (Menioi-
res sur les insectes T. IV. Tab. XVII. Fig. 9. 10.) ist so uenig
genau, dass ich eine eigene Abbildung nicht für überflüssig ge-
halten habe.
171
das Leuchten wenig oder gar keinen unmittelbaren
Einfluss. Hält man nun etwa Abends im Dunkeln ein
lebendes Insekt an den Flügeldecken so vor sich, dass
die Bauchseite uns zugekehrt ist, und beobachtet man
die unteren leuchtenden Ringe entAveder mit blossen
Augen oder noch besser mittels einer Lupe, so ist
der Anblick ohngefähr der, als ob man hinter einer
Hornscheibe oder einem Milchglase ein Licht brennen
sähe, in welches immer von Zeit zu Zeit Semen ly-
copodii geworfen würde , so dass die Flamme hellauf-
schlagen und weit stärker durch das Glas leuchten
müsste. Es ist jedoch bald wahrzunehmen, dass, je
mehr das Thier sich eingezwängt und geängstigt fühlt,
dieses Aufleuchten des inneren Lichtes unordentlicher
und ungleicher erfolgt, und dass überhaupt die Ener-
gie des Lichtes mit der Energie des Lebens immer
mehr abnimmt, obwohl ein gleichmässiges schwaches
Leuchten selbst noch eine Zeit lang nach dem Tode
fortdauert. Beobachtet man dagegen einen solchen
Leuchtkäfer während eines ruhigen Fluges oder beim
langsamen Fortkriechen auf einem Zweige, so sind
die stärkeren Lichtausstrahlungen weit gleichförmiger,
rhythmischer, und man kann ohngefähr 45 bis 55 auf
eine Minute rechnen. — Es ergiebt sich also leicht,
dass, wenn in der Dunkelheit mehrere dergleichen
Insekten herumfliegen, das abwechselnde Ausstrahlen
ihres Lichtes ein sehr zierliches Schauspiel gewäh-
ren müsse.
Ich gestehe, dass, als ich die ersten Beobachtun-
gen über dieses innerlich hell aufflammende Leuchten
gemacht habe, es mir sehr auffallend gewesen ist,
hierüber von frühern Beobachtern italiänischer Leucht-
käfer keine Wahrnehmungen aufgezeichnet gefunden
zu haben, und es scheint hierin fast so wie bei vie-
len andern Gegenständen in der Physik und Physiolo-
172
gie gegangen zu sein, dass man nämlich, anstatt wie
man immer thun sollte, erst der vollkommensten An-
schauung des sinnlich erkennbaren, reinen Naturphä-
nomens nachzustreben , sogleich zu einer Menge com-
plicirter Experimente übergegangen ist, welche häufig
mehr irre machen als aufklären, wenn jene Anschau-
ung nicht vorausgegangen ist. — Wie mir scheint, sind
diese Bemerkungen grossentheils, und nur bald mehr,
bald weniger anwendbar auf die von J. Murray *)
und die von J. Macaire**) angestellten Untersuchun-
gen über das Leuchten der Leuchtkäfer, und gelten
auch von den Untersuchungen des Theodor von
Grotthuss *{"), welcher letztere gerade an Lampyris
italica seine Beobachtungen anstellte , und doch des
merkwürdigen, oben beschriebenen Phänomens nicht
gedacht hat. — Eine einzige Andeutung einer solchen
Wahrnehmung habe ich bei einem altern Schriftsteller,
Fougeroux de Bondaroy ~\"\~) gefunden, indem er
von der römischen Lucciola sagt: „il jette un trait
de lumiere a chaque coup d'ailes , " womit das rhyth-
mische Lichtausstrahlen gemeint zu sein scheint, ob-
wohl es keineswegs jedem Flügelschlage entspricht.
Nachdem ich nun die obigen Beobachtungen viel-
fältig wiederholt und mir das Phänomen selbst wohl
eingeprägt hatte, musste mich natürlich die Frage be-
*) Ueber das Licht und die leuchtende Materie der Lam-
pyris noctiluca aus den Experimental Researches des Verf. in
Heusingers Zeitschr. f. organ. Physik II. Bd. I. Hft. S. 94.
**) Ueber die Phosphorescenz der Leuchtkäfer übers, von
Kunze in Gilberts Annalen der Physik J. 1822. 3. St.
f) Physisch-chemische Forschungen. Nürnberg 1820. I.Band.
Seite 111.
-{■-{-) Histoire de l'Academie royale des sciences. An. 1766.
p. 343, wobei auch eine nicht üble, doch immer noch nicht ganz
naturgetreue Abbildung gegeben ist.
173
schäftigen: 1) von welchem Einflüsse, von dem des
Nerven- oder des Gefässsystemes wohl diese Bewegun-
gen des Lichtes geleitet würden? und 2) durch wel-
ches Medium nun in der leuchtenden Substanz seihst
das stärkere Leuchten hervorgerufen werde? — Die
erste Frage betreffend, so sprach allerdings der Um-
stand, dass der natürliche und der geängstigte Zustand
des Thieres einen auffallenden Einfluss auf die Licht-
ausstrahlungen hatte, für eine deutliche Einwirkung
des Nervensystems ; bedenkend jedoch , dass ausser-
dem dergleichen rhythmisch geregelte Bewegungen
weit mehr dem vegetativen Leben des Thieres als sei-
nem Nervenleben eigen zu sein pflegen, und mich er-
innernd, wie ganz auf ähnliche Weise der Pulsschlag
in höheren Thieren durch den Einfluss der Gemüths-
zustände perturbirt wird, musste mir alsbald der Ge-
danke kommen, ob nicht das Gefässsystem, dessen
Thätigkeit, wie mir aus andern und frühern Beobach-
tungen bekannt war , gerade in den Lampyriden und
zwar in deren völlig entwickeltem Zustande noch sehr
lebhaft ist, der wesentlichste Factor für die Erschei-
nung dieser rhythmischen Lichtentwickelungen sei? —
Nachdem ich nämlich zuerst meine „Entdeckung
eines einfachen vom Herzen aus beschleunigten Kreis-
laufes in den Larven netzflüglicher Insekten" (Leip-
zig bei Voss, 1827) bekannt gemacht, und auch dort
bereits das Uebrigbleiben dieses durch Pulsschläge
bewegten Kreislaufes in einigen vollkommen entwi-
ckelten Insekten beschrieben hatte, gelang es mir
bald nachher das rhythmisch pulsirende Fortströmen
des Blutes mit grösster Deutlichkeit in den Flügel-
decken von Lampyris noctiluca wahrzunehmen, woran
sich dann Wahrnehmungen ähnlicher Blutbewegung in
andern Käfern anschloss (m. s. hierüber meine Mit-
theilung an die Versammlung der Naturforscher zu
174
München, Isis 1828. S. 477.). — Es war natürlich,
dass ich mich jetzt bei diesen pulsirenden Lichtaus-
strahlungen, der pulsirenden Blutströmungen, die ich
in den Flügeldecken unserer Leuchtkäfer gesehen hatte,
erinnern musste, und es war daher meine erste Ar-
beit in Neapel, nachdem ich mich nur etwas einge-
richtet und mein Mikroskop aufgestellt hatte, die in
Terracina gesammelten, lebenden Leuchtkäfer diesen
Untersuchungen zu unterwerfen. Ich fand sehr bald,
dass die Sache bei Lampyris italica sich ganz eben so
wie bei unserer Lampyris noctiluca verhielt, die Flü-
geldecken zeigten auch hier sehr starke Adernetze,
und deutlich pulsirend bewegte sich die Blutmasse in
den arteriösen Gefässen vorwärts, wobei nicht zu ver-
kennen war, dass der Rhythmus der Pulsschläge mit
dem, nach welchem Abends das Ausstrahlen des Lich-
tes wahrgenommen wurde, sehr übereinstimmte, da
auch hier etwa fünfzig Pulsationen in der Minute zu
zählen waren. Den strengsten Beweiss indess dafür
zu führen, dass stärkere Lichtausstrahlung und Puls-
schlag vollkommen synchronisch sei, und die erstere
durch die andere bedingt werde, dies hätte freilich
erfordert, dass man beides zugleich zu beobachten im
Stande gewesen wäre. — Eine Aufgabe, welche jedoch
überall schwer zu erfüllen sein wird , und für mich bei
geringen Vorrichtungen gar nicht zu erfüllen war, da
das eine Phänomen nur im Dunkeln, das andere nur
im hellsten Tages- oder Lampenlichte, und nur unter
dem Mikroskope wahrgenommen werden kann. —
Um daher noch auf andere Weise zu versuchen
darzuthun , dass die Lichtausstrahlungen wirklich von
den Pulsschlägen des Gefässsystems bedingt Averden,
gehe ich jetzt zur Beantwortung der zweiten oben
aufgestellten Frage über, und es wird sich dabei Zei-
gen, dass auch die Eigenschaften der leuchtenden
175
Substanz selbst die Wahrscheinlichkeit des Einflusses
von Blutausströmung in dieselbe auf stärkere Licht-
entwickelung bezeuge, und es so wohl zur Gewissheit
erheben müsse, dass jene Lichtblitze von den Puls-
schlägen des Herzens abhängen. — Eine genauere Un-
tersuchung der leuchtenden Substanz selbst war sofort
mein erstes Augenmerk! — Die bisherigen Kenntnisse
über Eigenschaften derselben lassen sich aber ziem-
lich auf folgende Sätze reduciren, welche die Resul-
tate der von Macaire gegebenen und oben angeführ-
ten Abhandlung ausmachen : —
i) Die leuchtende Substanz besteht hauptsächlich
aus Eiweiss.
2) Alle Substanzen, welche Eiweiss coaguliren,
entziehen der phosphorescirenden Materie die leuch-
tende Eigenschaft.
3) Ein gewisser Wärmegrad ist erforderlich zum
Leuchten.
4) Mehr Wärme erregt das Leuchten, zu viel zer-
stört es unwiederbringlich.
5) Leuchten findet nur Statt in Gas, welches freien
oder schwach gebundenen Sauerstoff enthält.
6) Das Leuchten wird durch die Voltaische Säule
erregt, aber nicht durch Elektricität.
Um eine genügende Menge der leuchtenden Sub-
stanz zu erhalten, öffnete ich mehrere dieser Insekten.
— Wie bei den unsrigen, nur in einer grösseren An-
häufung, liegt die weisse, zähe Substanz unmittelbar
auf den beiden unteren Segmenten der beiden letzten
Hornringe des Abdomens auf, und wie bei den un-
srigen besteht sie , wenn man sie unter dem Mikroskop
betrachtet, aus einer Anhäufung feiner Kügelchen,
zwischen welchen einzelne Trachäenästchen sich ver-
breiten. — Als ich nun aber diese Substanz ferner nn-
176
ter mancherlei Verhältnissen im hellen und dunklen,
warmen und kalten, trocknen und feuchten zu be-
trachten fortfuhr, bemerkte ich eine Eigenschaft, wel-
che für die Erklärung jenes blitzenden Leuchtens von
einem besonders wichtigen Einflüsse ist. Streicht man
nämlich jene leuchtende Substanz auf Glas , so be-
merkt man, dass, so lange sie noch feucht ist, man
allerhand Figuren und Schriftzüge damit ziehen kann,
welche im Dunkeln mit einem angenehmen , hellen,
grünlichen Lichte leuchten, sobald indess die Substanz
anfängt zu vertrocknen, so wird auch das Licht
schwächer und hört beim völligem Vertrocknen ganz
auf. — Um es indess von neuem zu erregen, bedarf
es nichts weiter , als die Glastafel und die Leuchtsub-
stanz mit Wasser anzufeuchten: — ein Versuch,
welchen man mehreremale wiederholen kann, bis end-
lich nach zu langer Austrocknung das Leuchtvermö-
gen dieser Substanz völlig erlischt. — Es ging also
aus diesem Phänomen mit Bestimmtheit hervor, dass
Anfeuchtung der Leu cht Substanz eine not-
wendige Bedingung ist, wenn überhaupt
Leuchten erfolgen soll, Austrocknen der-
selben hingegen das Leuchten aufhebt.
Auch dieser, weder von Macaire noch Grott-
huss gedachten Erscheinung fand ich späterhin von
dem angeführten älteren Beobachter Fougeroux de
Bondaroy schon Erwähnung gethan, welcher (a a.
O. S. 344) sagt: „im papier frotte avec le corps de
cet insecte, donne de la lumiere. En mouillant le
papier qui ne luit plus, la lumiere reparait pour dis-
paraitre ensuite totalement. "
Bedenkt man nun, dass die Leuchtsubstanz dieser
Insekten gerade an der Stelle liegt, wo die Pulsation
der Rückenader bei den Insekten überhaupt am stärk-
sten ist, und von wo aus, gegen den Kopf hin, sie
177
beginnt, dass also hier auch ein besonders lebhaftes
Einströmen von Blutmasse in die Leuchtsubstanz bei
jedem Pulsschlage sehr wohl angenommen werden
kann und muss , da selbst in so entfernten Organen
als die Flügeldecken, das Pulsiren der Gefässe noch
so deutlich ist, und beachtet man ferner, dass gerade
das Anfeuchten der Leuchtsubstanz allemal das Leuch-
ten derselben hervorruft, welches aus den obigen
Versuchen hervorgeht, so bleibt wohl kaum ein Zwei-
fel übrig, dass das rhythmisch aufblitzende Leuchten
nur die Folge der stärkeren Bluteinströmung, oder
mit anderen Worten , dass es ein leuchtender Puls-
schlag ist.
Es ist übrigens wohl keinem Zweifel unterwor-
fen, dass das Einströmen des Blutes in die Leucht-
substanz noch auf eine mehr erregende Weise wirken
muss, als blosses Anfeuchten mit Wasser; einmal
wirkt hierzu wohl nothwendig der vitale Einfluss einer
zur Ernährung des Körpers überhaupt bestimmten
Flüssigkeit, ein andermal wäre nicht unmöglich, dass
die Säuerung, welche den Säften der Insekten über-
haupt zukommt, auch als chemisches Agens diePhos-
phorescenz dieses Leuchtstoffes erhöhte. Es stimmt
wenigstens damit die von Theod. von Grotthuss
(a. a. O. S. 112) angegebene Wirkung der rauchenden
Salpetersäure überein , deren Dampf auch an dem
todten Leuchtkäfer die lebhafteste Phosphorescenz her-
vorruft. — Was nun aber den Umstand betrifft, dass
unsere Leuchtkäfer, in welchen doch, wie die mikro-
skopische Beobachtung der Flügeldecken zeigt, der
Blutumlauf ebenfalls so lebhaft ist, jenes blitzende
Leuchten nicht zeigen, so scheint diess mir theils
darin begründet, dass hier die leuchtende Masse selbst
von sehr geringem Umfange, und schon deshalb in
weniger genauer Berührung mit dem Rückengefäss ist,
12
178
iheils darin, dass bei der geringeren Wärme unserer
Gegenden und dem Leben dieser Insekten an feuchten
schattigen Orten ihr Körper immerfort so vollsaftig
bleibt, dass die Blutwelle kein besonderes Erhöhen
des Lichtes in der Leuchtsubstanz hervorbringen kann
— Ueberhaupt erkennt man aus der durch den obigen
Versuch dargethanen Notwendigkeit der Feuchtigkeit
zur Lichterzeugung, theils wie innig die Phospho-
rescenz dieser Thiere mit ihrer Lebensweise zusam-
menhängt, zu Folge welcher sie sich dem Tageslichte
entziehen und im Feuchten und Schattigen, unter Gras
und Laub, im Moos u. dergl. sich aufhalten; theils
warum die ungeflügelten Lampyriden- Weibchen , eben
weil sie sich von der feuchten Erde gar nicht entfer-
nen, überhaupt mit besonders hellem Licht leuchten
und warum sie selbst unter dem warmen italienischen
Himmel nicht mit einem pulsirenden Lichte leuchten;
eben weil in ihrem überhaupt grösseren und mehr
saftigen Körper die Blutwelle keinen so lichterhöhen-
den Einfluss haben kann, wie in einem übrigens tro-
ckenen Körper; theils und endlich, warum nach dem
Zeugnisse mehrerer Beobachter das Licht der Leucht-
käfer am Tage nicht blos abnimmt, sondern oft ganz
erlöscht, wo der Einfluss von Sonnenlicht und Wärme
wahrscheinlich durch Austrocknung die Phospho-
rescenz schwächt, Umstände, über welche ich mir noch
genauere Versuche mit den hieländischen Leuchtkä-
fern zu machen vorbehalte.
Sehr wünschenswerth würde es sein, über die
aussereuropäischen , z. B. amerikanischen Leuchtin-
sekten genauere Beobachtungen angestellt zu sehen,
indem dieselben theils ihrer Grösse, theils ihres star-
ken Lichtes wegen zu mannichfaltigen Versuchen
Raum geben. — Was das pulsirende Leuchten betrifft,
so ist wenigstens vom Elater noctilucus (der Feuer-
179
fliege Westindiens, wie er von J. Curtis*) genannt
wird), dessen Leuchten eben Curtis und Fouge-
r o u x de B o n d a r o y **) ausführlicher beschrieben
haben, ein dergleichen rhythmisches Ausstrahlen nicht
bekannt, vielleicht deshalb, Aveil hier die vorzüglich-
ste Anhäufung der Leuchtsubstanz an zwei Punkten
der Oberfläche des Thorax, also an einer von der
eigentlichen Herzgegend sehr entfernten Stelle Statt
findet.
*) Zoological Journal 1827 Nr. XI.' p. 379 und Heusinger
Zeitschrift für organische Physik III. Bd. 1. Heft S. 137.
**) A. a. O. Er hatte einen sonderbarer Weise in Paris ein-
gefangenen Leuchtkäfer dieser Art längere Zeit lebend zu beob-
achten Gelegenheit. Wahrscheinlich war die Larve in einer
oder der andern von Pariser Ebenisten verarbeiteten Holzart, in
welcher sie lebt, mit nach Europa gekommen.
Auszug aus dem Cataloge der Verlagshandlung.
Medicin und Naturwissenschaft.
Amman , Dr. F. A. v. , die ersten Mutterpflichten und die erste
Kindespflege zur Belehrung junger Frauen und Mütter dar-
gestellt. 8. 1827. 1 Thlr.
— — Brunnendiätetik, oder Anweisung zum zweckmässigen
Gebrauche der Mineralwasser. Nebst einem Anhange über
den zweckmässigen Gebrauch der Mineralbäder. 2te verb.
Aufl. 8. 1828. 20 gr.
Carus, Dr. Carl Gustav, Grundzüge der vergleichenden Anato-
mie und Physiologie. 3 Bändchen. Mit Kupfern. 8. 1828.
1 Thlr. 3 gr.
Choulant, Dr. Ludwig, Anthropologie oder Lehre von der Natur
des Menschen für Nichtärzte fasslich dargestellt. 2 ßdchen.
8. 1828. 18 gr.
Dupuytren' s, G., allgemeine operative Chirurgie, herausgege-
ben von L. J. Sanson , Doktor der Chirurgie der medic. Fa-
kultät zu Paris , Hülfswundarzte des dritten Dispensaire, und
L. J. Begin, Oberwundarzte an dem Lehr-Militairhospitale
zu Metz. Aus dem Französischen übersetzt, mit Anmer-
kungen und Zusätzen begleitet von Dr. Carl Christian Hille.
Auch unter dem Titel:
Sabatier's, R. B., operative Chirurgie. Neue Ausgabe, un-
ter Dupuytren's Leitung herausgegeben von L. J. Sanson
und L. J. Begin. Aus dem Französischen übersetzt, mit
Anmerkungen und Zusätzen begleitet von Dr. C. Chr. Hille.
lr Th. gr. 8. 1826. 2 Thlr. 8 gr.
Ficinus , Dr. Heinrich, Optik oder Versuch eines folgerechten
Umrisses der gesammten Lehre vom Licht, wie sie dem ge-
genwärtigen Stande unserer physiologischen und physikali-
schen Kenntnisse angemessen ist. Mit Kupfern. 8. 18iJ8. 12 gr.
Physik, allgemein fasslich dargestellt, ls u. 2s Bändchen.
Mit Kupfern. 8. 1828. 18 gr.
Chemie. 8.
Himmer, E. W. , über die Verschleimung als Ursache vieler
Krankheiten , durch Krankheitsgeschichten erläutert. Nebst
einer Abhandlung über die eigentliche Bedeutung, den Um-
fang und die Bedingungen der sogenannten gastrischen Me-
thode, von F. L. Kreisig. 8. 182ö. 1 Thlr.
Klose, Dr. Friedr. Aug., Sammlung physiologischer, pathologi-
scher und therapeutischer Abhandlungen über die Sinne. Js
Heft. 8. 1821. 16 gr.
Reichenbach, H. O. L., Taschenbuch für Gartenfreunde. Eine
Erläuterung von 1960 Zierpflanzen, nach natürlichen Fami-
lien geordnet und mit Nachweisungen zu ihrer Cultur be-
gleitet. 8. 1827. 2 Thlr.
- - Zoologie. 1s und 2s Bändchen. 8. 1328. 18 gr.
Botanik. 8.
Taschenbibliothek, allgemeine, der Naturwissenschaften. Erste
.Lieferung, 1 — 10s Bändchen. 8. 1828. Pränumerationspreis
n. 2 Thlr. 12 gr.
Enthält: Physik, allgemein fasslich dargestellt vom Dr. Fi -
cinus. ls und 2s Bdch. Ladenpr. 18 gr. Optik oder Versuch
eines folgerechten Umrisses der gesammten Lehre vom Licht,
wie sie dem gegenwärtigen Stande unserer physiologischen
und physikalischen Kenntnisse angemessen ist, vom Dr. Fi-
cinus. Ladenpr. 12 gr. Anthropologie oder Lehre von der
Natur des Menschen für Nichtärzte fasslich dargestellt vom
Dr. Ludwig Choulant, in 2 Bdch. Ladenpr. 18 gr. Grund-
züge der vergleichenden Anatomie und Physiologie, in 3
Bdchn. , vom Hofrath Dr. Carus. Ladenpr 1 Thlr. 3 gr.
Zoologie, ls und 2s Bändch. , vom Hofrath Reichenbach.
Ladenpr. 18 gr.
TaiiBcher, A. HI., Parallelismus und Antagonismus der zerstören-
den und schaffenden Naturkräfte in Absicht auf Entstehn
und Vergehn des Erdkörpers. 10 gr.
Heber die Erhaltung der Lebenskräfte in Hinsicht des Zeugungs-
triebes. Ein Verwahrungsmittel für Eheliche und Ehelose.
8. broch. 4 gr.
Erdbeschreibung.
Beschreibung des Plauischen Grundes bei Dresden, mit 6 Kupf.
in q. Folio. 1 Thlr.
Hullock, W., sechs Monate in Mexiko, oder Bemerkungen über
den gegenwärtigen Zustand Neu-Spaniens. Aus dem Engli-
schen übersetzt von Friedrich Schott. 2 Bände. 8. 1825.
2 Thlr. 8 gr.
Cannabich, J. G. Fr., statistisch-geographische Beschreibung des
Königreichs Preussen. 6 Bändchen. 8. 1827 — 28. 2 Thlr.
Cannabich, J. O. Fr., statistisch-geographische Beschreibung des
Königreichs Würtemberg. 2 Bändchen. 8. 1828. 16 gr.
Chateaubriand, F. A.von, Erinnerungen aus Italien, England und
Amerika. Aus dem Französischen übersetzt von W. A. Lin-
dau. 8. 1816. 1 Thlr.
Heusinger, J. H. G., Professor, die Elementar-Geographie, oder
die Topogi'aphie des Erdbodens als Grundlage jeder beson-
deren Geographie dargestellt, und sowohl zum Gebrauchan
Schulanstalten als zum Selbstgebrauche eingerichtet. Mit
einem Atlas von 16 Blättern. 8. 1826. 1 Thlr. 18 gr.
Hunter, J. D., der Gefangene unter den Wilden, oder Denk-
würdigkeiten seines Aufenthaltes unter den Wilden in Nord-
Amerika, von seiner Kindheit bis zu seinem neunzehnten
Jahre , nebst einer Schilderung der Sitten und Gebräuche
der westlich vom Missisippi wohnenden Stämme. Aus dem
Englischen übersetzt von W. A. Lindau. 3 Theile. 8. 1824.
2 Thlr. 20 gr.
Lisclike, P. M. , Morea und seine Bewohner, nebst einigen Be-
merkungen über Konstantinopel. Aus den neuesten Quellen
gesammelt. 8. 1827. 14 gr.
Lüdemann , Wilhelm v. , Neapel wie es ist. 8. 1827. 1 Thlr. 12 gr.
— — Stambul oder Konstantinopel wie es ist. 8. 1827.
1 Thlr. 12 gr.
— — Venedig , wie es war und wie es ist. 8. 1828.
1 Thlr. 12 gr.
Plan der königlich sächsischen Haupt - und Residenz-Stadt Dres-
den mit der Neustadt, Friedrichstadt und den übrigen Vor-
städten, nebst dem neuen Anbau, den Scheunen-Höfen und
einem Theile des grossen Gartens. In 9 grossen Folio-Blät-
tern. (Commission.) n. 3 Thlr. 18 gr.
Santo- Domingo, Verfasser Rom's wie es ist, Paris wie es ist.
Für deutsche Leser bearbeitet vom Dr. F. Philippi. 8. 1826.
1 Thlr. 8 gr.
Spaziergänge in Rom. Aus dem Englischen mit Zusätzen und Er-
weiterungen , bearbeitet von W. von Lüdemann. 8. 1828.
1 Thlr. 12 gr.
Stein, Dr. Christ. Gottf. Dan. , statistisch-geographische Beschrei-
bung des Königreichs Sachsen. 2 Bdchen. 8. 1827. 16 gr.
Tagebuch eines Invaliden, auf einer Reise durch Portugal, Ita-
lien, die Schweiz- und Frankreich, in den Jahren 1817, 1818
und 1819. Aus dem Englischen des Hrn. Matthews, Esq.,
2 Theile, 2. Auflage. 8. 1825. 2 Thlr. 16 gr.
Taschenbibliothek, allgemeine geographisch-statistische, d. i. Dar-
stellungen der merkwürdigsten europäischen und aussereuro-
päischen Staaten und Reiche, im Lichte der Gegenwart,
nach ihrer geographischen und volklichen Grundmacht, Cul-
tur, Verfassung, Verwaltung, politischen Stellung und Ge-
sammtheit aller geltenden Verträge. Erste Lieferung. 1 — 5s
Bändchen. 8. 1827. Pränumerationspreis n. 1 Thlr. 6 gr.
Enthält : statistisch-geographische Beschreibung des Königreichs
Sachsen, in 2 Bändchen, vom Dr. Daniel Gottfried Stein.
Ladenpr. 16 gr.
Statistisch-geographische Beschreibung des Königreichs Preus-
sen, 1 — 3s Bdchen, v. J. G. Fr. Cannabick. Ldnpr. 1 Thlr.
Zweite Lieferung, 6 — lOtes Bändchen. 8. 1828.
Pränumerationspreis n. 1 Thlr. 6 gr.
Enthält: Statistisch - geographische Beschreibung des König-
reichs Preussen. 4 — 6tes Bändchen , von J. G. Ff. Canna-
bick. Ladenpr. 1 Thlr.
Statistisch-geographische Beschreibung des Königreichs Wür-
temberg, in 2 Bdchen, v. J. G. Fr. Cannabick. Ldnpr. 16 gr.
Weinart», topographische Geschichte der Stadt Dresden und der
um dieselbe herumliegenden Gegenden, 8 Hefte mit 28 Ku-
pfern. 1777 — 81. 6 Thlr. 16 gr.
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