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WJEN UND LEIPZIG.
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Verlag von Wilhelm Braumüller in Wien.
Neu erschienen :
TAKTISCHE AUFGABE
nebst Lösung.
Applicatorische Reglement-Studie
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C. E.
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Von
E. V. D,
Gr. 8. 1892. 47 Seiten. Preis 60 kr. --- 1 M.
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ZUR PSYCHOLOGIE
DES
GROSSEN KRIEGES
VON
C. von B.-K.
ARCOLE.
STUDIE
AUS DEN LEHRJAHREN EINES GROSSEN GENERALS.
"WIEN UND LEIPZIG.
WILHELM BRAUMÜLLER
k. u. k. Hof- und UniversitäLs-Buchhändler.
1893.
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D,
■ie Kritik befindet sich dem ersten Feldzuge Napoleon
Bonapartes in Italien (1796/97) gegenüber in einer schwierigen
Lage ; wohl kaum eine zweite Periode der modernen Kriegs-
geschichte zeigt uns Wahrheit und Dichtung so innig vermengt
wie diese. Der Gefangene von St. Helena hat dafür gesorgt, dass
das Dunkel, welches sein erstes Auftreten umgibt, den ihm gün-
stigsten Farbenton erhalte und corrigiert zu diesem Zwecke die
Geschichte; die österreichischen Berichte sind spärlich, beson-
ders an Namen und Daten ; die Verwirrung jener Tage ent-
schuldigt dies.
So kommt es, dass einzelne Theile dieses merkwürdigen
Feldzuges bis heute nicht völlig geklärt sind ; insbesonders fehlen
häufig die Motive zu den Erscheinungen. Die Kritik hat viel ge-
leistet und manches erhellt; aber welcher Kritiker dieses Feld-
zuges ist nicht zuweilen in den Zunftjargon verfallen, um sich
mittelst des Prädicates „Genius", das er Napoleon Bonaparte gibt,
über unklare Partien der Ereignisse und ungeklärte Motive hin-
wegzuhelfen? Das Wort sollte in einem kriegs wissenschaftlichen
Werke nicht zu finden sein ; denn es sagt zuviel oder zuwenig ;
es ist nicht genügend bestimmt. Der Lückenbüßer „Genius" ist
es auch, vor dem die Kritik beständig zagt, und trotz ihrer zur
Schau getragenen Objectivität ist sie es doch, die, ohne es viel-
leicht gewahr zu werden, aus den überlieferten Erfolgen die be-
wussten Motive ableitend, auf Abwege geräth. So wenig es zur
Klärung des Urtheils dienlich ist, wenn der Kritiker an die Be-
trachtung eines Krieges mit dem Instrument des Systems, der
Theorie, geht und dasselbe ä tout prix gebraucht, ebenso ver-
C. von B.-K. Zur Psychologie des großen Krieges I 1
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ij/lL-
- 2 -
wirrend wirkt die Devise: Rien ne reussit que le succes. Aus
dem Erfolge darf nicht mit apodictischer Sicherheit auf die be-
wusste Vorbereitung desselben durch den Sieger immer und ewig
rückgeschlossen werden.
Dann beschäftigt sich die Kritik stets zu wenig mit den
Massen ; sie untersucht fast nie in erschöpfender Weise das Werk-
zeug, das die Streiche thut, sondern fast allein die Hand, die
dasselbe fuhrt, ja nicht einmal die, sondern den Geist, der die
Bewegungen leitet; so enthalten die meisten kriegsgeschichtlichen
Werke Karten und Pläne, aber keine Charakteristiken des gemeinen
Mannes, keine Schilderungen des Geistes im subalternen Officiers-
corps, keine Biographien der Unterführer. Ein Appendix von ver-
bürgten Anekdoten, kleiner Züge des Krieges, belehrender Episo-
den, sollte niemals fehlen ; hier möchte vielleicht der Schlüssel zur
Lösung manchen Räthsels liegen, den eine schematische Skizzierung
der Stellungen und eine detaillierte ordre de hataille nicht geben.
Man weiß ja, dass eine bessere Truppe eine gewagtere
Taktik verträgt als eine von minderem Wert; dass eine Muster-
truppe die gröbsten taktischen Fehler des Führers manchmal wett
zu machen vermag.
Aber die schematische, geometrische Kritik — etwa im Sinne
weiland Bülows — übersieht noch immer die moralischen Factoren
der Massen, die unwägbaren Einflüsse von Zeit und Ort auf die
lebendigen Elemente des Kampfes, auf die Seele der Truppe, nur
allzusehr und schiebt in mystischer Unklarheit dem Sieger „Genius'',
dem Besiegten „Unfähigkeit*' zu.
Einer der Grundpfeiler napoleonischen Kriegsruhms war
seinerzeit die Brücke von Arcole; der Name hat in Europa wie-
dergehallt und noch heute erweckt die Erinnerung an jenen Kampf
tausend Manen gesunkener Größe. Arcole galt nebst Lodi als
die bedeutendste WafTenthat des jungen Generals ; von ihr aus
geht ein gut Theil jenes wunderbaren Prestiges, das den Sultan
Kebir nach St. Jean d^Acre, den ersten Consul nach Marengo
führt und dem Kaiser durch alle Wechselfälle des Schicksals treu
geblieben ist.
In der Beurtheilung dieser Kriegsbegebenheit berühren sich
nun die Extreme. Welch ein Abstand vom Bilde der Schlacht, wie
wir es in Napoleons Memoiren finden bis zum kritischen Resume
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— 3
Clausewitz' : . . . müssen wir aber die Anordnungen am ersten Tage
als durchaus verfehlt, an den beiden andern Tagen als eine Folge
des Eigensinns und im Widerspruch mit den einfachsten Grund-
sätzen der Taktik betrachten u. s. w. ? Wir wollen daher ver-
suchen, zu einem Urtheil über das militärische Verdienst des
Siegers zu gelangen und zwar mit der Devise : Sine ira et studio.
Bevor wir jedoch zum eigentlichen Thema kommen, sei es
uns verstattet, einige Worte über die Charaktere der handelnden
Personen — gewiss nicht der geringste unter den Factoren, die
Sieg und Niederlage mitbestimmen — zu sprechen.
Zunächst vom kaiserlichen Heer, und wir beginnen mit den
Truppen: Zusammengewürfelt aus den Trümmern Wurmsers,
dann Verstärkungen vom deutschen Kriegsschauplatz, weiters
Recruten, die nach der Katastrophe von Bassano und Wurmsers
Einschließung in Mantua die Cadres der Armee gefüllt hatten,
endlich irregulären croatischen und tiroler Aufgeboten, gebrach
es denselben zweifelsohne an Homogenität. Der kriegerische Geist
hatte nicht Zeit gehabt, die Massen zu durchdringen, das Vertrauen
zur Führung hatten sie noch zu erwerben. Der Wechsel in vielen
höhern Commanden musste nachtheilig auf den Geist der Truppen
wirken. Es ist nicht zu übersehen, dass die Gaben der öster-
reichischen Armee dazumal in der Defensive lagen. Schon Lloyd*)
findet die kaiserlichen Truppen seiner Zeit vorzugsweise für die
Vertheidigung geeignet; die schlesischen Kriege hatten dem Heere
einen Geist des Abwartens, einen Instinct für Positionen bei-
gebracht, der noch lange in den höheren Stellen sowohl als bei
den Truppen ein Moment der strategischen und taktischen Vor-
sicht und Langsamkeit, ein Überrest jener passiven Haltung blieb,
die dem großen Friedrich gegenüber wohl angebracht war. Und
jetzt sollten die Truppen plötzlich Initiative und Offensive zeigen:
denn die Regierung verlangte den Entsatz von Mantua. Aber
auch die Auspicien, unter denen sie den Kampf beginnen sollten,
mussten ihnen ungünstig scheinen. Der Tag von Lodi — durch
die Fama überdies entstellt — war in aller Mund; die bisherigen
Erfolge des Gegners grenzten an das Unglaubliche; die republi-
•; Military Memoirs, London 1783.
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kanische Armee mit ihren Eigenthümlichkeiten erschien als drohende
Sphinx, für die ein Analogon nicht zu finden war. Nichts gibt
die Stimmung der Armee in jenen Tagen besser wieder als folgende
Anekdote*): Ein gefangener kaiserlicher Officier zu den französi-
schen Officieren: „Euch commandiert ja der Satan in Person;
Bonaparte greift uns von vorn und rückwärts, von allen Seiten
zugleich an und stellt jede Kriegskunst auf den Kopf." Die
Truppen waren sichtlich erschüttert; auch fehlten ihnen die mei-
sterhaften Armeebefehle Napoleons, und zündende Haranguen, wie
die seinen, kannten sie nicht.
Die Unterführer: Quosdanowitsch und Dawidowitsch waren
tapfere Degen; ob sie ein selbständiges Commando mit Erfolg
zu fuhren vermochten, sollte sich erst zeigen; es steht indessen fest,
dass in diesem Feldzuge beide, der erste anfangs August in den
Gefechten am Gardasee, der zweite einen Monat später an der
Sarca und am Lavis unglücklich gewesen waren.
Alvintzy kam soeben zur Armee, war hier, in der Stellung
des Obercommandanten, ein homo novus, erfuhr alle Schwierig-
keiten einer solchen Stellung und hatte seine Proben erst zu
geben.
Nun zur französischen Armee : Sie war, en bloc betrachtet,
noch immer die Armee von Lodi und Castiglione; die 8000
Mann Verstärkungen aus der Vendee waren nach Bonapartes
eigenem Ausspruch vom besten Geist beseelt. Den Tag von
Caldiero hatte die Armee als Unbill des Wetters, nicht als Nieder-
lage empfunden. Die überwältigenden Erfolge des Feldzugs, die
erreichten Genüsse, waren den Truppen zu Kopf gestiegen, gaben
ihrem Elan gedoppelte Kraft und unbegrenztes Vertrauen zu den
Führern. Die Namen Augereau und Massena hatten einen guten
Klang beim gemeinen Mann, er erkannte des letzteren persön-
liche Bravour und des ersteren mit Wohlwollen für ihn gepaarte
Strenge; beides Momente von großem Gewicht: das Beispiel
reißt mit sich fort, die Nöthigung zwingt nach vorwärts. Man
darf wohl aus dem Studium der Quellen entnehmen, dass Bona-
partes Unterführer jenen Alvintzys an Initiative, Rücksichtslosig-
keit, Einflussnahme auf die Truppen überlegen waren. Ein wei-
teres Element der Überlegenheit auf französischer Seite ist nach
*) Memorial de Sainte-Wlene.
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— o —
Clausewitz*; der „Sansculottismus" der republikanischen Armee
gewesen; wenn man den Begriff im weitesten, rücksichtslosesten
Umfang seiner Bedeutung erwägt, so erkennt man sogleich dessen
militärischen Wert.
Endlich der französische Obergeneral! Die ausgedehnte
napoleonische Literatur gibt uns sein Bild ; doch einige Züge,
vielleicht weniger allgemein bekannt, zum Verständnis des folgen-
den nothwendig, mögen hier Platz finden ; vielleicht vermögen sie
die Tage vom 13. bis 18. November zu erklären.
Wir erkennen an Bonaparte die höchste Thatkraft in Durch-
führung eines fertiggestellten Plans; Nachdruck und Schnelligkeit
der Bewegung erhebt er dann auf die Grenze physischer Mög-
lichkeit; darin bleibt er sich vom Anfang bis zum Ende gleich;
es war die Entschiedenheit und Kraft in Durchführung seiner
Pläne ein Theil seines Systems. Aber die entscheidenden Ent-
schlüsse kamen ihm nicht, wie man glauben möchte, blitzartig,
durch Eingebung seines „Genius". Er musste das Wägen erst
lernen. Erinnern wir uns an das Dunkel, das über den
Kriegsrath von Roverbella gebreitet ist, und aus dem
vereinzelte Enthüllungen der Zeitgenossen die Rath-
losigkeit, Muthlosigkeit, ja Hilflosigkeit des Obergene-
rals angesichts der drohenden Vernichtung auf die Nach-
welt bringen.**) Suchen wir nach Analogien in seiner spätem
Laufbahn und überzeugen wir uns, dass auch er nicht stets
bewusst, auf Grund einer geklärten Überlegung, gehandelt hat,
sondern dass er in verzweifelten politischen und militärischen
Situationen ohne Calcul den naheliegenden Weg rücksichtsloser
Energie, unbekümmerten Beharrens einschlägt, den seine Natur
ihm anweist: der 18. Brumaire ist solch ein Beispiel aus der
Politik,***) Belle-Alliance eines aus der Kriegsgeschichte. Ihm war
eben sehr bekannt, dass gegen sterbliche Menschen weniger die
Richtigkeit als die Vehemenz der Mittel wirkt; dass ein ver-
fehlter Entschluss, kraftvoll durchgeführt, noch wirkt, wo ein
Suchen nach dem richtigen Zeitverlust und Verderben heißt.
•) Der Feldzug von 1796 in Italien ; hinterlassenes Werk des Generals Carl von Clause-
witz. Berlin 1858.
••) Die ersten Feldztlge Napoleon Bonapartes in Italien und Deutschland von W.
Rüstow; Zürich 1867.
*•*) Litcicn Bonaparte, Mcmoires.
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6 —
Wenn am Ende seiner Laufbahn, nach einer kriegerischen Erfahrung
ohnegleichen, der Kaiser Napoleon in den Fehler , eiserner
Wille ohne die zügelnde Vernunft" verfallen ist, warum soll es
der General Bonaparte nicht früher auch schon sein? Steht
nicht anzunehmen, dass die Qualität des militärischen Ent-
schlusses hier wie dort die gleiche war und dass äußere,
vom obersten Führer unabhängige Momente hier den
Sieg und dort die Niederlage gaben? Dass die Qualität der
Truppen hier trotz taktischer Fehler gesiegt und dort eben wegen
derselben sich nimmer bewährt hat? Denn die war zur Zeit
der hundert Tage sicherlich geringer als 1796, sowohl absolut,
als relativ gegenüber der gesteigerten Disciplin, verbesserten Or-
ganisation und Taktik, endlich der vermehrten Zahl der Gegner.
Solche Erwägungen werden uns bei der Beurtheilung der Be-
gebenheiten begleiten und das Schlussergebnis mitbestimmen.
Aber noch eines ist in den Calcul zu stellen; kein Kritiker
hat es bisher beachtet: Bonaparte hat von Lodi an den Krieg
nicht wie ein gewöhnlicher General, als Träger des Willens seiner
Nation, als Mandatar der Executivgewalt geführt; er führte ihn für
sich, für seine Person, für seine Zukunft allein; deshalb
hat auch keiner vor ihm den Erfolg, sagen wir den Augenblicks-
erfolg, das lärmende Aufsehen kriegerischen Ruhms, das persön-
liche Prestige mit solcher Leidenschaft gesucht. Zum Verständnis
citieren wir ihn selbst*): Vendemiaire et meme Monienoite ve
me portcrent pas encore ä nie croirc im komme sttpcrienr. Ce
n'est qtCaprcs Lodi qne me vhit dans Videe que je pouvais
devenir apres tont im acteur decisif snr notre scene politiqne. Alors
naqtiit la premiere etincelle de la grande ambition .... elc. Er
war demnach, man kann es dreist so nennen, von der fixen
Idee an seinen Stern, seine Sendung, erfüllt und hat von einer
Verantwortlichkeit irgend jemandem gegenüber kaum etwas ge-
ahnt; hier kann man ihm wohl Glauben schenken; denn seine
Handlungsweise bestätigt seine Intention. Man studiere nur die
Art, wie er die eroberten italienischen Landestheile — den Ab-
sichten des Directoriums entgegen — administriert; wie er, seiner
Regierung zum Trotz, den Papst immer und immer schont; wie
er ihm den Frieden von Tolentino verhältnismäßig leicht zu machen
*J Memorial de Sainte-Helene.
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- 7
sucht; es bestehen Briefe aus dieser Zeit, von ihnn selbst geschrie-
ben, die der Ansicht überzeugend Recht geben : Schon hier muss
man ihn in der Rolle des Spielers um die höchste Macht be-
trachten; dann lässt er sich erklären.
Ist es nur ein einfaches avis au lecteur, wenn er sagt*):
La gloire et rhonneur des armes est le premier deuoir qH'un
general qui livre hataille doit considerer; le salut et la conser-
vation des hommes n'esi qne secondaire; mais c'est dans cette
atidace, dans cette opiniätrete, qne se trouvent le salut et la
conservation des hommes; par cette conduite on oblient et on
meriie d'obtenir la victoire . . . etc. Oder sind ihm hier nicht
die Erinnerungen an sein erstes Auftreten in Italien im Sinne
gelegen?
Der Angriff* auf Caldiero war gescheitert; Alvintzys off'ensive
Defensive hatte sich bewährt; über Calderino hinaus erstreckte sie
sich nicht; und so trat Bonaparte unter den Schnee- und Regen-
schauern des Abends seinen Rückzug nach Verona an.
Die französische Armee stand in der Nacht vom 12. auf den 13.
Xovember — die Stärkeverhältnisse durch vergleichendes Rechnen
aus dem Quellenmaterial der Wirklichkeit möglichst nahe gebracht
' — wie folgt:
Die beiden Divisionen Augereau und Massena, von Caldiero
zurückmarschiert, in und um Verona-San Giacomo; 14.000 Mann.
Kilmaine mit dem Blokade-Corps vor Mantua; 8000 Mann.
Vaubois ist in die Stellung Rivoli-Bussolengo zurückgedrängt
und erwartet stündlich angegriffen zu werden, und zwar von
überlegener Macht; 6000 Mann.
Einige Reserven unter Maquere und Dumas scheinen irgendwo
in der Gegend zwischen Verona und Peschiera, nach Clausewitz
bei Villafranca, gestanden zu sein; 3000 Mann?
Die österreichische Armee stand um dieselbe Zeit — Stärke-
angaben wie oben gerechnet — wie folgt:
Alvintzy (Quosdanowitsch) mit der Hauptmacht in der
Stellung von Caldiero; 25.000 Mann.
*) Maximes de guerre et pensecs de Napoleon /«. Paris, Dumaine 1874.
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8 -
Dawidowitsch ist nach den Erfolgen von Segonzano und
Caliano bei Serravalle, Vaubois gegenüber, stehen geblieben und
steht noch daselbst; 16.000 Mann.
Laudon im Chiesethal; 3000 Mann.
Wurmser endlich ist in Mantua eingeschlossen, bestrebt sich
mit Alvintzy ins Einverständnis zu gelangen und hat von seinen
22.000 Mann etwa 10.000 intakt und für den Kampf verfügbar.
Ein Blick auf das strategische Verhältnis: Das Herausgehen
aus der innern Linie gegen die Brenta hatte Bonaparte nicht den
gesuchten Erfolg gegeben ; nach Caldiero stand er wieder auf der
innern Linie, doch war die Lage höchst ernst. Die Österreicher
waren bisher stetig, wenn auch langsam vorgedrungen, und jetzt
standen Alvintzy und Davidowitsch- — Wurmser gar nicht in
Betracht gezogen — einander so nahe, Vaubois hatte seine Auf-
gabe so schlecht erfüllt und die Stärkeverhältnisse waren solche,
dass nach Massenas Heranziehung von Castelnuovo zu Bonapartes
Corps (11. Nov.) an eine weitere eifolgverheißende Operation auf
der innern Linie kaum mehr gedacht werden konnte.
Operationen auf der „innern Linie" versprechen bekanntlich
nur dann Erfolg, wenn man voraussehen kann, die Vereinigung
auf einem Punkt, die Entscheidung und das Verkehren oder Ändern
der Front reichlich in jener Zeit bewirken zu können, die jener Theil
des Gegners, den man refusirt hat, braucht, um heranzukommen.
Ein Blick auf die Karte genügt, um zu zeigen, dass diese
Bedingungen hier und jetzt nicht mehr vorhanden waren.
Nun schrieb Bonaparte in der Nacht des 12./ 13. Nov. an das
Directorium beiläufig folgendes:*)
„Er zweifle, den Entsatz von Mantua noch verhindern zu
können; demselben müsse der Rückzug an die Adda folgen; die
Armee sei decimiert, der Geist der Truppen leide unter dem Mangel
an Erfolgen und der Ungunst der Witterung : jede Stunde könne
eine neue Hiobspost bringen u. s. w.
In wenig Tagen wolle er eine neue Anstrengung
versuchen; vielleicht gelinge die Erobemng von Mantua und
mit ihr jene Italiens. Mit dem Belagerungscorps verstärkt gebe es
nichts, was er nicht unternehmen könnte."
*) Correspondance de Napoleon /•«•.
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— 9 -
Man sieht, die Fabrication von Bulletins und Relationen, wie
nachmals jener für die große Armee, war Bonaparte hier noch
nicht geläufig.
Was soll nun dieser Brief? Was wollte Bonaparte mit ihm?
War derselbe aufrichtig geschrieben, unter dem Druck der nahen
Gefahr, unter dem Bleigewicht der Ungewissheit , der Unent-
schlossenheit — etwa als vorweggenommene Rechtfertigung im
Falle des Misserfolgs? Die Klagen über das Nichteintreffen der
erwarteten Verstärkungen scheinen dies anzudeuten. Ist dieser
Brief wohl wirklich das fixierte, für die Nachwelt bewahrte Conterfei
von Bonapartes Seelenzustand vor dem Entschluss? Oder aber
ist derselbe eine berechnete, wohlüberdachte Stilübung, die dem
nahen Erfolg, den Bonaparte bereits voraussieht, als Folie zu
dienen die Bestimmung hat? War es der Zweck der Botschaft vom
13. Nov., jene vom 19. durch ihren Contrast in umso helleres
Licht zu stellen ? War der Brief nur eine Mache, die, wie Clause-
witz meint, die theatralische Wirkung des zu erwartenden Erfolges
erhöhen sollte?
Klarheit hierüber zu gewinnen ist für die Folge von höchster
Wichtigkeit. Den Entschluss, der zum Sieg geführt hat, kennen
wir ; aber wie mag er entstanden sein ?
Wusste Bonaparte in der Nacht des 12./13. Nov. so ziemlich
genau, was er wollte und was er erreichen werde, so wie nach-
mals bei Jena, vor Jena beispielsweise?*) Clausewitz sagt
mit Berufung auf die „Größe eines Feldherrn" ja. Allein diese
Motivierung kann — wie es scheint — nicht genügen.
Oder wusste er es nicht, wie kürzlich erst vor Castiglione ?
Lassen wir die Frage offen ; um nicht vorzugreifen, bringen
wir die Thatsachen zunächst; die Erwägung mag ihnen dann folgen.
Der 13. und 14. November zeigen einen nahezu vollstän-
digen Stillstand in den Operationen ; Bewegungen^ die zur neuen
Gruppierung der Kräfte führen, sind die folgenden gewesen :
Robert zieht die zur Beobachtung der Etsch unterhalb Verona
bisher verwendete Halbbrigade langsam bei Ronco zusammen
Kilmaine, der, wie wir uns erinnern, vor Mantua steht,
kommt auf Bonapartes Befehl nach Verona und entsendet gleich-
zeitig eine Halbbrigade vom Blokadecorps nach Ronco.
•) Corr. Brief an den König v. Preußen, dd. Gera, 12. Oct. 1806.
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10 -
Guyeux endlich geht von Bussolengo, wo er als V'aubois*
Reserve für dessen Stellung von Rivoli bisher betrachtet werden
konnte, mit 2 Halbbrigaden nach Verona ; eine Halbbrigade wird
zu 1500 Mann angenommen werden dürfen.
Strategisches Resume für den Abend des 14. No-
vember:
Das Hauptcorps in und um Verona ist möglichst concen-
triert und um etwa 3000 Mann verstärkt;
Bei Ronco steht nunmehr ein neues Corps von circa
3000 Mann, mit dem Befehl, daselbst eine Brücke über die Etsch
zu schlagen und deren Bau zu decken ; dasselbe Corps bestreitet
die Bewachung der Etsch von Verona bis Ronco ;
Vaubois steht noch in der Stellung von Rivoli, hat aber
jetzt keine Reserve mehr hinter sich ;
Das Blokadecorps vor Mantua ist durch Abgabe einer
Halbbrigade nach Ronco bis zur äußersten Grenze der Zulässig-
keit geschwächt.
Tendenz: Übergang über die Etsch bei Ronco mit der
Hauptmacht und Wirken auf Flanke und Rücken des Gegners ;
also „einfache strategische Umgehung".
Die österreichische Armee befindet sich zur selben Zeit:
Wurmser und Dawidowitsch vollkommen unverändert;
Alvintzy hat sein Hauptquartier in Gombione ; das Gros
steht bei St. Martino ; Oberst Brigido mit 4 Bat. und 1 Esc. steht
bei Arcole mit dem Befehl, gegen Ronco-Albaredo-Legnago zu
demonstrieren ; soviel ist sicher ;
General Mitrowsky wird von Bassano herangerufen, mit
dem Befehl, sich mit Oberst Brigido zu vereinigen ; wo er jedoch
am Abend des 14. November stand, ist nicht mit Sicherheit zu
ermitteln ; wie wir aber in der Folge sehen werden, so lässt
sich annehmen, dass er auf der Strai3e von Vicenza, etwa in
der Gegend von Montebello gestanden haben muss ; 3 Bat. und
3 Esc. ist seine wahrscheinliche Stärke.
Strategisches Resume: Das Hauptcorps steht geschlossen
und intact Verona, mithin Bonapartes Stärke gegenüber; numeri-
sches Verhältnis : 5:3.
Ein Nebencorps von mindestens 4000 Mann jenem Bonapartes,
von ihm durch die Etsch-Alpone-Sümpfe getrennt — vis-ä-vis : 4 : 3.
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11
Tendenz: Das Hauptcorps sucht den Übergang über die
Etsch und zwar bei Zevio mit der einen Hälfte; mit der andern
wird es Verona berennen ; mit Rücksicht darauf, dass die zu
schlagende Kriegsbrücke bei Zevio bis zum 15. nicht fertig
werden kann, wird die Ausführung für den 16. festgesetzt; die
Truppen haben am 15. zu ruhen.
Der Zweck des Detachements bei Arcole konnte nicht mit
Bestimmtheit ermittelt werden; die Berichte schwanken zwischen:
Demonstration und Deckung des Brückenschlags von Zevio.
Hinzuzufügen ist, dass Alvintzy von Bonapartes Plan
nichts, von seinen Aufstellungen sehr wenig wusste; und ganz
das Gleiche gilt von Bonaparte inbezug auf Alvintzy.
Die Nacht des 14./15. und der Tag des 15. November.*)
Bonaparte führt am späten Abend des 14. seine Truppen
aus Verona über die Etsch zurück, marschiert die ganze Nacht
längs deren rechtem Ufer hinab und gelangt am Morgen des 15.
nach Ronco ; ein Detachement von circa 2000 Mann war unter
Kilmaines Befehl in Verona geblieben. Die Tete der Colonne bildet
Augereau mit 2, das Gros Massena mit 6 Halbbrigaden, die
Queue Beaumont mit 3 Reiterregimentern.
Der Bataillonschef Andreossy vom Detachement des Generals
Robert, der, wie wir wissen, bei Ronco steht, schlägt während der
Nacht eine Schiffbrücke über die Etsch.
Im Morgengrauen, dasselbe tritt um diese Jahreszeit spät
ein, beginnt die Armee ihren Übergang ; gegen 9 Uhr vormittags
hat Augereau mit 4 Halbbrigaden von seinen und Roberts
Truppen denselben bewirkt, passiert Ponte Zerpa und geht nun
auf dem Damm, der den Alpone rechts begleitet, auf die Brücke
von Arcole vor.
Da stößt die Tete seiner Colonne an dieser Brücke auf
den ersten Widerstand; es hat Oberst Brigido an diesem Punkt
2 Bataillone und einige Geschütze und zwar in einer für die
Vertheidigung des Übergangs mustergiltigen Weise aufgestellt;
die ganze lange Colonne Augereaus stockt demnach und bleibt
•) Wir folgen hier größtentheiLs der Darstellung RQstows, welche an Verlässlichkeit und
Genauigkeit der Angaben bis heute unübertroffen ist.
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in der Marschformation am Damme stehen ; sogleich besetzt
Brigido das linke Ufer des Alpone von Arcole bis gegen Ponte
Zerpa mit Infanterie und beschießt die Colonne Augereaus über
den Strom in die Flanke ; in derselben entstand nunmehr Un-
ordnung, die in diesen Verhältnissen wohl begreiflich ist.
Zwei rasche Angriffe Augereaus — mit je einer Halbbri-
gade — ^ auf die Brücke von Arcole misslingen ; er wirft nun
2 Bat. über den Alpone, das heißt sie durchwaten den Torrent
mit viel Mühe und Gefahr und greifen Arcole vom linken Ufer
und vom Süden an ; gleichzeitig oder unmittelbar darauf geht
Augereau am rechten Ufer mit 2 Bat. zum dritten Male vor,
wird zurückgeschlagen, nochmals mit 2 Bat., wieder ohne Kr-
folg, greift endlich mit allem, was er zur Hand hat — wie es
scheint — die Brücke an, exponiert sich dabei persönlich und wird
nun zum fünften Male blutig zurückgewiesen ; das Vorgehen der
Bataillone am linken Ufer ist gleichfalls ohne Erfolg geblieben.
Über alledem ist Mittag herum und es tritt von beiden
Seiten eine Pause ein.
Inzwischen hat Bonaparte, der sich noch rückwärts befindet,
den Misserfolg Augereaus bei Arcole erfahren und beeilt sich,
einzugreifen.
Er hat, wie wir uns erinnern, noch sechs Halbbrigaden
verfügbar; vier von ihnen hat er unter den Befehl Massenas ge-
stellt, der nach dem Übergang bei Ronco gegen Bionde di Porcile
vorgerückt ist und eben jetzt den Kampf mit österreichischen
Truppen unter Gavasini nördlich des letztgenannten Ortes beginnt;
es bleiben also noch zwei Halbbrigaden zu Bonapartes Disposi-
tion; die Hiobspost von Arcole entscheidet über ihre Bestimmung:
unter Guyeux' Befehl marschieren sie nach Albaredo, setzen dort
mittelst einer Fähre über die Etsch und rücken am linken Ufer
des Alpone gegen Arcole vor. Nun wird eine flüchtige Betrach-
tung der Karte zeigen, dass diese Bewegung mehrere Stunden
in Anspruch nehmen musste.
Alvintzy, anfangs den Kampf bei Arcole für eine bloße De-
monstration haltend, ist jetzt, d. h. zu Mittag, orientiert und sendet
eine Brigade von 3 Bat. (Gavasini) auf Belfiore di Porcile.
welche Truppen wir zwischen diesem Orte und Bionde bereits
im Kampfe mit Massena wissen;
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eine Brigade unmittelbar darauf (4 Bat. unter Brabeck) eben
falls über Belfiore zur Unterstützung Gavasinis;
dem General Mitrowsky den Befehl, seinen Anmarsch zu
beschleunigen; derselbe ist zu dieser Zeit in San Bonifacio mit
einem Bataillon angekommen und setzt nach kurzer Rast seine
Vorrückung auf Arcole fort.
Wir müssen festhalten, dass gleichzeitig oder doch nahezu
gleichzeitig, und zwar zu Mittag,
1. bei Arcole eine Pause eintritt;
2. der Kampf zwischen Belfiore und Bionde beginnt;
3. Alvintzy seinen rechten Flügel (Gavasini) verstärkt und
Mitrowsky zur Verstärkung des linken (Brigido in Arcole) be-
fiehlt und zu Schnelligkeit mahnt;
4. Bonaparte die Diversion über Albaredo befiehlt und be-
ginnen lässt.
Die Pause im Kampf um Arcole wird nun durch Bonaparte
unterbrochen, der in der dritten Nachmittagsstunde, zu einer Zeit,
da Guyeux noch weit von dem Ort seiner Bestimmung, Arcole,
entfernt sein musste, Mitrowsky dagegen das von San Bonifacio
herangeführte Bataillon eben hineingeworfen hatte, einen verzeifel-
ten Versuch macht, die Brücke von Arcole mit den Truppen
Augereaus wegzunehmen. Man kennt genugsam den Legenden-
kranz, der von der napoleonischen Literatur um dieses Ereignis
gewoben wurde. Thatsache ist, dass der Angriif blutig abgewiesen
wurde, sowie der gleichzeitige Angriff der ans linke Ufer über-
gesetzten Truppen, welche sogar durch einen raschen Gegen-
angriff Brigidos von der seit vormittag gehabten Aufstellung ans
rechte Ufer und zwar durch die Wellen des Alpone zurückge-
worfen wurden.
Damit war für heute der Hauptkampf zu Ende; wir müssen
uns nur noch nach Massena und Guyeux, die wir zu Mittag
verfassen haben, umsehen.
Massena hatte ein an Wechselfällen reiches Gefecht zwischen
Bionde und Belfiore di Porcile geführt, den Gegner in diesen Ort
zurückgeworfen und sich in jenem behauptet.
Guyeux kam gegen fünf Uhr, also schon in der Dunkel-
heit, in die Gegend von Arcole; griff dieses unverzüglich an und
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eroberte den Ort fast ohne Blutvergießen; zog sich aber, da er
von Augereaus Truppen nichts bemerken konnte und keine Nach-
richten erhielt, alsbald wieder nach Albaredo und hier ans rechte
Ufer der Etsch zurück.
Dass Guyeux keine französischen Truppen bei Arcole fand,
hat seinen Grund darin, dass sämmtliche Halbbrigaden der beiden
Divisionen Massena und Augereau mit Eintritt der Dunkelheit auf
Bonapartes Befehl aus den Sümpfen über die Brücke von Ronco
ans rechte Etschufer zurückgegangen waren und hier lagerten;
ein unbedeutendes Detachement blieb zur Bewachung der Brücke
am linken Ufer.
Taktisches Resume für den 15. Abends. Trotz eines
zweifelsohne verlustreichen Kampfes steht die Armee nahezu genau
dort und derart, wo und wie sie am Morgen gestanden hat; nicht
ein Schritt Terrain ist gewonnen worden ; die Armee ist concentriert.
Anders stehen die Dinge bei den Österreichern ; mit einem
Wort: Alvintzy hat Front gegen die Linie Arcole-Ronco gemacht
und steht:
mit 12 Bat. unter Hohenzollern vor Verona, Front gegen
die Stadt;
mit 6 Bat. unter Provera bei Belfiore, Front gegen Süden :
mit 14 Bat. unter Mitrowsky in und südlich San Bonifacio,
Front gegen Arcole; von diesen 14 Bat. gehören 11 zum Gros
Alvintzys und sind im Laufe des 15. über den Alpone bei Villa-
nova zurückgegangen ; mit ihnen waren alle Trains hinter den
Alpone auf die Straße nach Vicenza zurückgenommen worden.
Taktisches Resume: Die Armee hat:
1. eine Frontveränderung — nach Süden — gemacht;
2. sich getheilt in :
a) ein Beobachtungscorps (Hohenzollern) vor Verona,
b) ein Corps bei Belfiore,
c) ein Corps — vom vorigen durch die Beschaffenheit
des Terrains vollkommen getrennt — vor Arcole;
3. ihre Trains zurückgesendet und zwar über das Brücken-
defile von San Bonifacio-Villanova.
4. Arcole verloren.
Die Ziffern der Veriuste sind für einzelne Tage nicht zu
ermitteln gewesen.
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Der 16. November.
Bonaparte wiederholt mit Tagesanbruch genau die Manöver
des vorhergehenden Tages: Augereau geht auf Ponte Zerpä,
Massena auf Bionde di Porcile vor; von Guyeux sagen die
Quellen nichts.
Nicht so Alvintzy ; er disponiert wie folgt :
Hohenzollern bleibt mit seinen 12 Bat. Verona gegenüber
beobachtend stehen ;
Provera geht mit seinen 6 Bat. von Belfiore di Porcile über
Bionde auf Zerpa ;
Mitrowsky mit seinen 14 Bat. debouchiert bei Arcole und geht
über Ponte Zerpa gleichfalls auf Zerpa vor.
Diese Dispositionen mussten, wie man sieht, zu partiellen
Zusammenstößen und einer Reihe von Einzelgefechten auf den
Dämmen mitten zwischen den Sümpfen führen.
Massena und Provera treffen in der Nähe von Bionde auf-
einander, und die Wagschale der Entscheidung schwankt lange
hin und her; endlich gelingt es Massena, die Österreicher über
Belfiore zurückzuwerfen, von wo sie weiter nach Caldiero in
ziemlicher Unordnung, wie es scheint, zurückgegangen sind. Er
erobert fünf Geschütze und macht einige hundert Gefangene, kann
sich also mit Recht des Sieges rühmen.
Augereau und Mitrowsky treffen bei Ponte Zerpa zusammen,
die Franzosen werden zunächst zurückgetrieben und setzen sich
am großen Damm von Ponte Zerpa nach Volta-Vicentina, wo
sie Massenas Erfolg, die Österreicher Proveras Niederlage er-
fahren. Sogleich geht Mitrowsky nach Arcole zurück; vorher
jedoch hat derselbe schon ein Detachement unter Major Milorado-
witsch (2 Bat.) das linke Ufer des Alpone herabgesendet, welche
Truppen nunmehr zwischen Desmonta-Albaredo verzettelt stehen.
Lebhaft folgt nun Augereau den weichenden Bataillonen
Mitrowskys auf Arcole und wird an der Brücke zum Stehen ge-
bracht; das Spiel des Vortages erneuert sich, indem Augereau
sich in vergeblichen Versuchen auf die Brücke erschöpft und zu-
gleich von den Schützen Milorado witsch' in die Flanke ge-
nommen wird.
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Bonaparte, der sich bei Augereau aufhält, erkennt, dass es
so nicht weiter gehen kann; dass irgend etwas geschehen muss;
zunächst placirt er eine Batterie bei Ponte Zerpa, um Augereau
nöthigenfalls aufzunehmen ; dann wiederholt er den Versuch des
vorigen Tags, Arcole vom linken Ufer des Alpone aus anzugreifen,
befiehlt, eine Brücke über den Unterlauf des Torrent zu werfen
und, als dies misslingt, dem Generaladjutanten Vial, mit einer Halb-
brigade auf einer Furt überzugehen.
Allein Miloradowitsch verhinderte den Übergang durch sein
Feuer; es war schon gegen fünf Uhr und der Kampf erlosch in
der Dämmerung des Novemberabends. Massenas Erfolg gegen
Provera hatte Alvintzy bewogen, Hohenzollern nach Caldiero zu-
zückzurufen und dieser hatte Mitrowsky zwei Bat. zugesendet,
wie es scheint, am Damme des rechten Alponeufers von San Boni-
facio nach Arcole ; dieselben griffen jedoch ins eigentliche Gefecht
nicht mehr ein, sondern verfolgten nur, und zwar in ziemlich
lauer Weise, die zurückgehenden Truppen Bonapartes.
Denn dieser nahm, so wie Tags vorher, alle seine Truppen
über Ronco ans rechte Etschufer zurück mit Ausnahme von :
einem Bat., welches den beabsichtigten Übergangspunkt des
Generaladjutanten Vial besetzt hält;
einer Halbbrigade, welche den Damm gegen Bionde besetzt
und sichert.
Taktisches Resume: Die Armee steht abermals dort,
wo sie 24 Stunden vorher gestanden hat, am Brückendefile von
Ronco ; nur ist diesmal ihr Debouchieren durch das Bat. am Alpone
und die Halbbrigade am Damme gegen Bionde gesichert und
vorbereitet.
Alvintzy hat nach schwacher Verfolgung gegen Ponte Zerpa
seine Truppen für die Nacht in ihren Stellungen belassen und zwar:
Hohenzollern, von Verona rückmarschiert, mit 12 Bat. in
Caldiero ;
Provera, wie tags vorher in Belfiore, mit 6 Bat. ;
Mitrowsky mit 14 Bat. in und bei Arcole;
Miloradowitsch mit 2 Bat. bei Desmonta.
Taktisches Resume: Der rechte Flügel (Hohenzollern)
der Armee hat sich rückwärts concentriert und dabei dem
ursprünglich gewählten Übergangspunkt Zevio genähert;
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das Centrum bei Belliore (Provera) hat eine Schlappe erlitten,
steht jedoch am selben Platz wie tags vorher und hat bedeutende
Kräfte nahe hinter sich;
der linke Flügel bei Arcole (Mitrowsky) ist ungeschwächt,
concentriert und nunmehr, im glücklichen Gegensatz zum Vor-
tage, im Besitz des soi disant Brückenkopfes von Arcole ;
ein neues Detachement (Milorado witsch) verlängert den
linken Flügel um ein bedeutendes; seine Stärke (2 Bat.) -befähigt
es wohl nur zur Beobachtung, höchstens ersten Vertheidigung
der der Front vorliegenden Wasserlinie (des Alpone).
Also : Die Front ist verlängert und die Stärke dort, wo der
Gegner 48 Stunden hindurch nur lau angegriffen hat, die Schwäche
am äußersten linken Flügel, wohin der Gegner im Laufe des Tages
wiederholte Versuche gemacht hat, vorzudringen. (Brückenschlag,
Versuch den Alpone zu durchfurten).
Der 17. November,
In der Nacht des 16./ 17. lässt Bonaparte dort, wo der Über-
gang am 16. gescheitert war, eine Brücke über den Alpone
schlagen ; ferners entsendet er ein Detachement auf Legnago mit
dem Befehl, sich mit der dortigen Garnison zu vereinigen und
am 17. gegen Arcole am linken Ufer der Etsch und des Alpone
vorzumarschieren.
Diese Maßnahmen bereiten folgende Anordnungen vor:
Massena lässt diesmal die Gegend gegen Belfiore di Porcile
nur mit einer Halbbrigade beobachten, deckt die Brücke von
Ronco und den Damm von Ponte Zerpa mit zwei Halbbrigaden
gegen etwaige Unternehmungen der Österreicher von Bionde
aus, und verwendet den Rest seiner Truppen gegen Arcole.
Augereau übersetzt mit seiner Division und der Cavallerie-
reserve den Alpone auf der in der Nacht vollendeten Brücke.
Alvintzy seinerseits scheint durch einen Spion *) benach-
richtigt worden zu sein, Bonaparte habe alle seine Truppen hinter
die Etsch zurückgenommen und beschließt, demselben nachzu-
dringen; wie dies geschah, werden wir sogleich sehen.
*; Memorial de SU-Hclcne.
C. von B.-K. Zur Psychologie des großen Krieges I. 2
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Schon während des Überganges der Franzosen bei Ronco
versuchten österreichische Bataillone gegen die Brücke vorzu-
dringen, wurden aber zurückgewiesen ; es gingen nun
3 Halbbrigaden auf dem Damm nach Bionde zur Sicherung
der französischen linken Flanke vor ;
Augereau mit zwei Halbbrigaden und einem Theil der
Cavallerie über Ponte Zerpa und die Bockbrücke ans linke Ufer
des Alpone;
General Robert mit zwei Halbbrigaden auf dem Damm von
Ponte Zerpa nach ArcoJe zum Angriffe auf letzteres.
Was von Truppen noch übrig blieb, es mögen etwa zwei
Halbbrigaden mit 6 Bat. gewesen sein, blieb bei Zerpa, am Ver-
einigungspunkt beider Dämme stehen ; hier hielt sich auch zunächst
Bonaparte aut.
Das Detachement von Legnago war bereits während des Über-
ganges Augereaus über den Alpone erschienen und es wurde
daher Miloradowitsch von Mitrowsky auf 4 Bataillone verstärkt.
Die nun folgenden Ereignisse sind bis auf den heutigen Tag
ziemlich verworren und ungeklärt geblieben.
Zunächst greift Robert Arcole an und wird zurückgewiesen ;
die Österreicher dringen ihm nach, seine Bataillone weichen über
Ponte Zerpa gegen die Brücke von Ronco und dieser Anblick
erregt ein bedenkliches Schwanken unter den Truppen Augereaus,
die, wie wir wissen, bereits am linken Alpone-Ufer stehen ; ja,
einzelne Bataillone weichen wieder über die Brücke zurück. Nun
stehen noch zwei Halbbrigaden bei Zerpa, beziehungsweise der
Brücke von Ronco unter Bonapartes persönlichem Befehl. Er
wirft rasch drei Bataillone in einen Hinterhalt — es scheint dies ein
Weidengebüsch südlich des Dammes Ronco-Zerpa-Arcole gewesen
zu sein; zugleich kommt Kilmaine von Verona mit zwei Bataillonen
heran und wirft sich gleichfalls in die Gestrüppe. Massena sendet
eine Halbbrigade am großen Damm von Volta-Vicentina gegen
Ponte Zerpa und schneidet dergestalt der österreichischen Colonne
den Rückzug ab. Augereau hat unterdessen seine Bataillone ge-
ordnet und wieder über den Alpone vorgeführt.
Nach diesen Vorbereitungen konnte die österreichische, von
Arcole gegen die Brücke von Ronco vorgedrungene Colonne wohl
empfangen werden ; und in der That, von allen Seiten beschossen.
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unfähig ihren Rückzug anzutreten, scheint diese tapfere Schaar —
es waren etwa 3000 Croateh — im vollen Sinne des Wortes ver-
nichtet worden zu sein.
Sogleich drangen die Franzosen erneuert auf Arcole vor,
mussten aber wie so oft schon, an der Brücke halt machen.
Mittlerweile ist Augereau vereint mit dem Umgehungs-
detachement von Legnago auf Miloradowitsch in dessen Stellung
von Desmonta vorgegangen, gewinnt aber nur wenig Terrain.
Es war um die dritte Nachmittagsstunde, als Mitrowsky —
von allen Seiten bedrängt — Alvintzy um eine Diversion auf Bel-
fiore di Porcile bat; nun steht dort nur mehr eine Halbbrigade
Massenas, da Bonaparte soeben
die übrigen Truppen Massenas auf dem uns bekannten Lei-
denswege Augereaus vom 15. und 16. gegen Arcole vorsendet;
dem Officier der Guiden Hercule befiehlt, mit einer kleinen
Abtheilung auserlesener Reiter und Trompeter über Albaredo-
Cucca in den Rücken Miloradowitsch' zu gehen und hier den
größtmöglichsten Lärm zu machen.
Provera beginnt auf Alvintzys Befehl die von Mitrowsky erbe-
tene Diversion; sie scheitert an dem tapfern Widerstand der 18.
Halbbrigade, welche schließlich Belfiore di Porcile besetzt und hält.
Da — in diesem Augenblick — ertheilt Alvintzy an Provera und
Hohenzollern den Befehl, den Rückzug auf San Bonifacio anzutreten.
Mitrowsky sieht sich nun der vereinigten Macht Bonapartes
gegenüber. Alsbald erhebt sich zwischen Arcole und Desmonta
das Trompetengeschmetter der Abtheilung Hercules. Milorado-
witsch von vorn, in der Flanke gedrängt, und wie er jetzt
glauben muss oder vielmehr darf, von Arcole abgeschnitten,
zieht sich mit Verlust von einigen hundert Mann nach Osten
zurück. Aber auch Mitrowsky räumt gleichfalls — circa 5 Uhr —
Arcole und wendet sich gegen Norden ; bei San Bonifacio trifft er
endlich mit Alvintzys Hauptmacht zusammen.
Arcole wird sogleich von den Franzosen besetzt.
Die Schlacht war zu Ende ; von einer nachdrücklichen Ver-
folgung erfahren wir nichts ; die Verluste für alle drei Tage sind
nach Rüstow:
Österreicher: 535 todt, 1535 verwundet, 4141 gefangen,
11 Kanonen, 10 Munitionswagen.
2*
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Franzosen: 1000 todt, 1300 verwundet, 1200 gefangen
(approximativ).
Taktisches Resume für den 17.: Die französische Armee
hat des Gegners rechten Flügel hingehalten, sein Centrum ange-
griflfen, dann gleichfalls hingehalten, seinen linken Flügel umfasst ;
durch den Theatercoup Hercules hat sie den äußersten linken
Flügel von der Armee und der beabsichtigten Rückzugslinie ab-
gedrängt. Sie ist in den Besitz von Arcole und des linken Alpone-
ufers gekommen. Die österreichische Armee hat eine starke Re-
serve (HohenzoUern) während der Schlacht nicht verwendet; das
Resultat ist Rückwärtsconcentrierung bei San Bonifacio-V^illanova:
ein Theil der Armee (Miloradowitsch) ist von derselben getrennt.
Es erübrigt noch, einiges über die Folgen der Schlacht, be-
ziehungsweise die Ereignisse der nächsten Tage zu sagen.
Dawidowitsch schlug am 17., also während bei Arcole um
die Entscheidung gekämpft wurde, den General Vaubois ziemlich
gründlich bei Rivoli und drängte ihn nach Castelnuovo, von wo
derselbe am 18. über den Mincio zurückging.
Alvintzy ging am 18., ohne besonders verfolgt zu werden,
mit der Avantgarde bis Montebello, Miloradowitsch nach Lonigo.
Bonaparte stellte am 18. Massena mit seiner Division bei
Caldiero und eine Halbbrigade nebst zwei Reiterregimentern bei
Villanova zur Beobachtung Alvintzys auf; Augereau ward an-
gewiesen, über San Martine auf Dolce und Peri in Dawidowitsch'
linke Flanke zu marschieren.
Der Kriegsrath Alvintzys zu Olmo vom 19. Nov. entschied
sich für neuerliches Vorrücken an der Etsch. Das Weitere, wie
der glänzende Marsch Bonapartes nach Villafranca und von da
nach Norden, den er durch den ersten Sieg von Rivoli krönt,
gehört nicht mehr in den Rahmen unserer Darstellung.
Wir sind bei der Erwägung stehen geblieben, ob Bonaparte
in der Nacht des 12./13. November bereits einen Entschluss ge-
fasst hatte, und ob er diesen Entschluss mit der Schärfe geklärten
Zweckbewusstseins durchzuführen sich anschickt.
Clausewitz tritt dafür mit dem ganzen Gewichte seiner Auto-
rität ein; er sagt sogar. Bonaparte habe am 12. seine Truppen
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nach Verona in der wohlerwogenen Absicht zurückgeführt, die
Umgehung auf Arcole zu machen; er führt an, dass ein so rath-
loser Zustand, wie er sich in Bonapartes Brief vom 23. Brumaire
(13. Nov.) ausspricht, mit der „Größe" eines Feldherrn unver-
träglich sei, Was heißt nun „Größe" eines Feldherm.^ Was ist
„Größe" überhaupt? Es möchte vielleicht wohl anzunehmen sein,
dass der Feldherr einer Entscheidung, die für seine Zukunft, für
seinen Platz in der Geschichte von Wichtigkeit ist, so wie andere
Individuen einer für sie wichtigen Entscheidung als Mensch gegen-
übersteht, als Mensch mit seinen Zweifeln, seinem Bangen und
Zagen. Vorurtheilslose Überlegung zeigt, dass die „Größe" eines
Feldherrn zumeist ein Attribut ist, das sich eher auf die Aus-
dehnung der Mittel, mit welchen er rechnet, und die Größe seiner
Ziele, als auf die Qualität seiner Seele anwenden lässt. Wer weiß
nicht, dass großes Unglück einen großen Mann ebenso beugt,
wie quantitativ geringeres Missgeschick das Durchschnittsindivi-
duum ? dass der Stoicismus, der allen Wechselfallen des Schicksals
gleichmüthig trotzt und nahe an Indifferentismus streift, gerade
bei Männern der That fast nie zu finden ist ? d a s s e i n F e 1 d-
herr nicht darum Erfolge erringt, weil er sich
mit dem Gedanken an die Niederlage vertraut
macht und ihre Möglichkeit philosophisch kühl
ins Auge fasst, sondern weil er die Mittel zum Er-
folge erkennt und diesen mit aller Leidenschaft
sucht?
Wir dürfen daher wohl glauben, und aufrichtige historische
Gestalten vom Schlage Napoleons — um nur ein Beispiel zu
nennen : Friedrich der Große*) — bestätigen uns in ihren Er-
innerungen, dass ein Feldherr leichtlich in die Lage kommen kann,
rathlos zu werden und durch einige Zeit rathlos zu sein.
Allein zu weit schon hat uns die seelische Erwägung, ab-
gezogen, man wird auch vielleicht sagen, dieselbe sei an einen
Mann wie Bonaparte nicht anzuwenden, weil sein Charakter zu
groß ist, um mit Alltagsmaßen gemessen zu werden.
Gut; aber eines möchte in die Wagschale zu werfen sein ;
ist der Mann psychologisch nicht zu beurtheilen, so kennen wir
*) ^Histoire de mon iemps' aus ^Oeuvres de Frederic le Grand." Berlin 1846—1857.
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seine Geschichte, und aus der ersehen wir zur Genüge, dass er
zu wiederholten Malen vor überwältigenden Ereignissen gebangt
und gezagt hat Betrachten wir ihn, um nur ein paar Beispiele
anzuführen, nach Leipzig ! bei Hanau,*) wo er geradezu in Apathie
verfallt; auf seiner Reise von Fontainebleau nach Elba, wo er vor
den Verwünschungen des Pöbels zittert; endlich am Abend von
Belle-Alliance, wo er selbst das verhängnisvolle „Alles ist ver-
loren" ruft.
Es ist daher mindestens nicht ohne Beispiel, dass ein großer
Mann, sobald er von Unglücksfallen und Widerwärtigkeiten be-
droht oder getroffen wird, die im Verhältnis zu seiner Gröüe
stehen, Mensch wird und der Gewalt der Eindrücke unterliegt.
Vielleicht wird der Rationalismus kommender Jahrhunderte erkennen,
dass der einfache Stoiker, der Mönch, der seine Gelübde über-
zeugungstreu hält, in der Beherrschung der eigenen Seele weit
mehr leistet, als mancher der großen Heroen des Menschenge-
schlechtes; vielleicht kommt eine skeptische Zeit, die aus der
blendenden Masse der Erfolge den wahren Antheil des Hel-
den herauszufinden weiß und nicht in den ewigen Fehler ver-
fällt, aus dem Platz, auf dem ein Mann steht, aus der Art, wie
er ihn ausfüllt, unverständige Rückschlüsse auf seine
Natur zu ziehen, Rückschlüsse, die ihm eine organisch höhere
Seele geben, als dem Durchschnitt des Menschengeschlechtes.
Die Erscheinung, dass der Feldherr mit größeren Massen in Zeit
und Raum disponiert, als der Unterführer, dass er ein höheres
Ziel erstrebt als jener, gestattet nicht, zu glauben, dass er speci-
fisch anders denkt und fühlt; ja nicht einmal quantitativ ist stets
ein großer Unterschied zu finden.
Wir wollten mit alledem nur zeigen, dass es recht wohl
denkbar ist, Bonaparte sei in der Nacht des 13. November unent-
schlossen, ja gewissermaßen rathlos gewesen.
Aber er bestätigt uns dies selbst in überzeugender Weise :
sein Brief ans Directorium gestattet tief und viel zu sehen: An-
jourd'hui repos attx troupes, demain, sehn les mouvefnents de
rennemi, nous agirons .... etc. Er sagt hier also selbst, dass
er je nach dem, was der Feind unternimmt, erst handeln werde; er
ist also noch nicht entschlossen; wir glauben auch, dass, wenn
*J Le marechal Macdonald par CamiUe Rousset; Revue des deux mondes 1891.
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er es gewesen wäre, er seine Zeit sicher nicht mit dieser Epistel
verschwendet hätte, und eben deswegen acceptieren wir sie im
allgemeinen als bona fide concipiert. Nun weiter: er hoffe, wenn
das Glück ihm lächle, Mantua zu erobern und damit Italien.
Was hat er sich dabei gedacht? Was hat die Eroberung Mantuas
mit seiner jetzigen Lage unmittelbar zu thun? Hier waltet ein
Geheimnis, das seine Absicht, wenn er eine hatte, in einer ganz
unerwarteten Richtung durchschimmern lässt.
Endlich warum wartet er, wenn Clausewitz mit seiner Ver-
muthung, er habe den fertigen Plan für Arcole schon von Cal-
diero zurückgebracht, recht hat, zwei Tage mit der Ausführung?
Clausewitz, in seinem Eifer für die gute Sache, sucht nach Gründen,
muss aber gestehen, keinen stichhältigen mit Sicherheit gefunden
zu haben.
Aus alledem glauben wir den natürlichen Schluss ziehen zu
können, dass Bonaparte zwei Tage oder deren mindestens andert-
halb unentschlossen, rathlos gewesen ist, und dass er dem für
alle Menschen geltenden Gesetz, dass zur Erwägung Zeit noth-
wendig ist, zu folgen genöthigt war. Wir werden in dieser Ansicht
bestärkt durch den Schleier, den Bonaparte in seinen Memoiren
auf den 13. und 14. November wirft, und durch den Mangel an
Aufklärung und Rechtfertigung für eine Verzögerung von 48
Stunden.
Halten wir also fest: Bonaparte war nach Caldiero decon-
tenanciert, wie früher schon zu Roverbella;*) und seine Ent-
schlüsse geschehen unter dem Druck dieser Verstimmung.
Sehen wir nun zu, was Bonaparte beschließt, oder viel-
mehr, nicht was er beschließt, sondern was er thut.
Nach zweitägigem Stillstand in den Operationen leitet er
mittelst eines raschen Nachtmarsches die einfache strategische
Umgehung ein ; dass er rechts der Etsch und eben auf die Ge-
gend von Ronco-Albaredo marschirt, ist durch die localen Ver-
hältnisse sowohl als durch die strategische Gesammtsituation er-
klärt. Wenn das Wesen der Kritik zur einen Hälfte in der Frage
nach dem wie und warum der Begebenheiten, zur zweiten in
dem Problem „hätte etwas besseres geschehen können ?" besteht,
V Comment s^est forme le ginie miliiaire de Napoleon !•'? par le general Pierrou;
Paris 1889.
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— 24 —
SO ist auf den vorliegenden Fall ihre Anwendung wohl deplaciert :
wenn eine strategische Umgehung unter diesen Verhältnissen
auf diesem Terrain geschah, so konnte sie wohl nicht anders
durchgeführt werden.
Locale Richtung und militärische Tendenz des Zuges an
die Etsch leuchten uns daher ein.
Als Richtungspunkt war durch den Brückenschlag Ronco
designiert und wenn wir uns in die Lage Bonapartes am 14.
abends denken, so begreifen wir vollkommen, dass er für den
Übergang Ronco wählen muss, weil
der Gegner zwischen Etsch und Alpone steht, daher der
Übergang bei Albaredo einen neuerlichen Übergang und zwar
über den Alpone — um an den Gegner zu gelangen — voraussetzt :
bei einer strategischen Umgehung mit Übergang über einen
Strom der nächste mögliche Übergang in Hinsicht auf den Wert
der Zeit gewählt werden muss, und außerdem ein weites Aus-
holen bei Umgehungen gegen den natürlichen Instinkt des Feld-
herrn, der seinen Gegner sucht — sein muss ;
die Sümpfe zwischen Etsch und Alpone die Wahrschein-
lichkeit geringerer Bewachung durch den Gegner boten, mithin
die Aussicht gewährten, man werde hier einen geringeren Wi-
derstand seitens der Schutztruppen finden als anderswo und
daher rascher und fließender vordringen als in offener Gegend ;
die Speculation auf sogenannte natürlich gesicherte Flanken und
Anlehnungspunkte des Gegners ist, wie die Kriegsgeschichte zeigt,
oft von Erfolg gekrönt gewesen ;
endlich der thatsächliche Angriff zwischen Etsch und Alpone
mehr Aussicht auf Erreichung des strategischen Zwecks zu bie-
ten schien, als die bloße Bedrohung der Rückzugslinie Villanova-
Vicenza, indem
im ersten Falle der Gegner überrascht werden konnte, im
zweiten dagegen nicht ;
derselbe wieder im ersten Falle seinen Rückzug über ein
Brückendefile (San Bonifacio-\'illanova) antreten musste, welches
von der eigenen Macht mindestens bedroht wurde ;
endlich der Gegner, wenn er zum Schlagen wirklich Stand
hielt , dies ohne gesicherte Rückzugslinie , mit des Gegners
Brückenkopf Verona in der Flanke that, er jedoch, falls er über
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Albaredo umgangen und von Villanova her angegriffen wurde,
bei Caldiero oder am Alpone selbst gute Stellungen mit Annähe-
rungshindernissen vor der Front behielt, und zum Überfluss
Herr der Etsch blieb.
Die strategischen und taktischen Vor- und Nachtheile beider
Eventualitäten sind zu evident, als dass wir sie noch weiter ver-
folgen sollten.
Wir verstehen daher Bonaparte bis nunzu vollkommen ;
wir finden seine Tendenz logisch und gut, die Anordnungen zum
Marsch und Übergang von jenem Geist der Offensive und des
Impromptus durchweht, den wir bis jetzt an ihm wahrgenommen
haben; betrachten wir nun den taktischen Schlag, der
das strategische Manöver krönen und wirksam machen
wird.
Der Übergang von Ronco vollzieht sich, wie anzunehmen
war, ohne Störung ; ein starkes Corps — Augereau mit 4 Halb-
brigaden — wird zunächst über Ponte Zerpa auf Arcole vorgesen-
det und legt durch seine stürmische Bravour den festen Willen
an den Tag, sich Arcoles zu bemächtigen; der Führer exponiert
sich persönlich, doch ohne Erfolg.
Massena, später übergegangen, wendet sich gegen Bionde
di Porcile mit ebenfalls 4 Halbbrigaden und gelangt ungefähr um
jene Zeit ins Feuer, um welche Augereau nothgedrungen eine
Ruhepause macht.
Bonaparte selbst mit 2 Halbbrigaden hat die Rolle der Re-
serve übernommen.
Vor allem drängt sich uns nun die Wahrnehmung auf: Das
zum Schlagen bestimmte Corps ist in zwei gleiche Theile und
eine Reserve getheilt und operiert divergierend; wahrlich eine selt-
same Erscheinung, die sich mit dem strategischen Calcul, den
wir gemacht, und den Anordnungen des Oberfeldherrn in einen
logischen Zusammenhang nicht bringen lässt. Denn will Bona-
parte .Alvintzy thatsächlich angreifen, so muss die Hauptmacht
auf beide Porcile und nur eine secundäre Kraft auf Arcole zur
Sicherung des dortigen Überganges, mithin der rechten Flanke
gehen; und will er das nicht, sondern Alvintzy hinter dem Al-
pone umgehen, so muss die Hauptkraft auf Arcole und nur ein
Xebendetachement auf Porcile zur Sicheamg der linken Flanke
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diesmal disponiert werden, ganz abgesehen davon, dass sich in
diesem Falle die Erwägung nicht abweisen lässt, ob zwecks einer
Umgehung die Maßnahmen: doppelter Übergang statt des ein-
fachen; Inmarschsetzen von Colonnen auf beschränkten Commu-
nicationen ; Debouchieren in einen Ort, der möglicherweise vom
Gegner besetzt sein kann, wohl angebracht erscheinen.
Wir stehen hier vor einer Erscheinung so auffal-
lender Art — Theilen der Kraft als Einleitung zum tak-
tischen Schlag — und vor Dispositionen so seltsamer
Natur — divergierendes Vorgehen — dass nur das sorg-
fältigste Zerfasern von Für und Wider zur Wahrschein-
lichkeit, das ist Nähe der Wahrheit — führen kann.
Nun denn ! warum die Theilung der Kraft, eine Anomalie fast
ohne Beispiel in diesen Verhältnissen, zumal hier, wo kaum eine
Möglichkeit der folgenden Vereinigung, kein Convergenzpunkt zu
finden ist? Hier müssen wir uns in Bonapartes Lage versetzen
und Kritik a priori treiben ; und da springen uns vor allem die
beschränkten und spärlichen Communicationen in die Augen.
Offenbar sah Bonaparte, dass er auf einem Damm seine Gesammt-
oder mindestens Hauptmacht nicht leicht werde bewegen können ;
kaum hat er die Etsch passiert, so wirken die Erscheinungen auf
seinen Geist und als Reflexe bleiben die voraussichtlichen Fric-
tionen des Marsches auf einer Straße, die Gefahren des Angriffs
auf eine allzulange Colonne, endlich das Schreckgespenst des
„sich in eine Sackgasse Verrennens*^ in seiner Seele zurück ; das
Anschauen der widerwärtigen Wirklichkeit und die Ahnung
möglichen Unheils treiben ihn hier zu halben Maßregeln ; zu-
mindest zu Maßregeln des Suchens und Tastens; er sendet seine
Kräfte nach divergierenden Richtungen als Fühler aus, die er je-
doch — verfolgt von der Erinnerung an seinen vor-
gesetzten Zweck — möglichst stark macht. Psychologisch
von höchster Bedeutung ist sein eigener Standpunkt: Zerpa an
der Convergenz beider Dämme; das ist geometrisch skizziert die
Unentschlossenheit, das heißt die Unentschlossenheit für diesen
Augenblick.
Das scheint nach Studium der Berichte und Abwägen der
Kritiken gegeneinander das Resultat zu sein ; strategisch — der
erklärten bisherigen Tendenz — entspricht das Vorgehen des 15.
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— 27 —
November nicht; taktisch ist es ein Verstoß gegen alle Regeln
und lässt sich nur mit viel gutem Willen für Bonapartes Sache
durch die Beschaffenheit des Terrains nothdürftig — zum Theile —
erklären. Aber dann geräth der Feldherr in Widerspruch mit sich
selbst, denn der abschließende taktische Schlag verlangt vor
allem entsprechende Wahl des Terrains. In ein System lassen
sich die besprochenen Erscheinungen nicht bringen.
Noch mehr! Bonaparte hatte vor dem Übergang ganz sicher
eine bestimmte Absicht: entweder Arcole oder Porcile. Nach
dem Übergang trübt sich durch den Einfluss der Anschauung
sein Plan; die Conturen desselben verschwimmen; durch die
Schwierigkeiten wird die Energie der Absicht gelähmt; die Ten-
denz verblasst. Und diese Seelenstimmung zeigt sich in den Dis-
positionen, die mit halben Mitteln auf halbe Ziele gerichtet sind.
Warum weiters sendet Bonaparte zuerst Truppen auf Arcole
und in dieser Stärke? und nicht auf Porcile, wie erwartet werden
muss? Ist seine Hauptabsicht auf Arcole gerichtet, warum dann
der Übergang bei Ronco und er selbst nicht dort, wo die Ent-
scheidung fallen wird? Dafür ist die Erklärung übrigens bald ge-
funden: vor allem will er seine rechte Flanke sichern, will den
Weg Ponte Zerpa - Volta - Vicentina, die einzige Communication
seiner getrennten Flügel, decken, um dann beruhigt nach Norden
vorgehen zu können. Gerade die Kraftentwicklung auf Arcole
scheint hier abermals auf die Haupttendenz Porcile zu deuten.
Unter Bonapartes eigenen Augen ist nach und nach die
Division Massena übergegangen und gegen Bionde di Procile ab-
marschiert; sie hat während dieser Zeit in ihrer Flanke den Lärm
des Gefechtes von Arcole gehört, und dieser ist jetzt, da Massena
selbst in Action tritt, verstummt.
Da erhält der Obergeneral den Bericht von Augeraus Miss-
erfolg bei Arcole; es handelt sich jetzt darum, den Mann zu
studieren, zu betrachten, was er angesichts der Krise beginnt.
Zunächst wird die Vorstellung: „Frontangriff abgeschlagen,
daher Umgehung und Flankenangriff," eine Form, die er in der
Kriegsgeschichte des öftern gefunden, in seiner Seele lebendig und
von diesem Augenblick bis zum Beginn der Ausführung sind es
nur Minuten; Guyeux marschiert mit den 2 Halbbrigaden der
Reserve nach Albaredo ab. Diese Gedankenreihe gehört zur Tech-
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28
nik des Krieges, ist concret. Ebenso gehört es zur Technik des
Krieges, den wir eben betrachten, dass der Obergeneral sich an
jenen Punkt begibt, oder mindestens demselben sich nähert, wo
seine Gegenwart militärisch oder moralisch nothwendig erscheint
Bonaparte begibt sich daher zu Augereau, um sich von der Lage
zu unterrichten und die Truppen durch seine Gegenwart zu ani-
mieren; all dies ist nichts als natürlich.
Aber was soll der Beobachter zu der Theaterscene sagen,
zu der Bonaparte plötzlich den Vorhang lüftet? Der Obergeneral
muss, bei Arcole angekommen, den Eindruck eigener Stärke und
gegnerischer relativer Schwäche in taktischer und moralischer
Beziehung empfangen haben, und es tritt an ihn, den Großmeister
kriegerischen Enthusiasmus, die Versuchung heran, denselben
wieder einmal zu erproben. Die Vorstellung „Lodi" wird in seiner
Seele lebendig, sie füllt dieselbe ganz aus, die befohlene Coope-
ration ist vergessen, der berühmte Name fällt von seinen Lippen
und die Grenadiere gehen neuerdings vor.
Der Misserfolg ist bekannt.
Es liegt hier ein Beispiel vor, das erwiesenermaßen mit den
Lehren der Kriegswissenschaft, sowie den goldenen Regeln der
kriegerischen Erfahrung im Widerspruche steht: eine Diversion
ist befohlen und bevor dieselbe wirksam werden kann, packt der
Feldherr den Stier bei den Hörnern. Entweder also ist die Diver-
sion zwecklos gewesen, oder der Angriff ein unnützes Blutver-
gießen; denn die Situation hat sich nicht verändert. Die Legende
und der bewegliche Sinn der Franzosen hat Bonapartes Vor-
gehen auf die Brücke gutgeheißen und insbesondere seine per-
sönliche Bravour ihm hoch angerechnet, trotz des Dementis, das
dieselbe durch mehrere Augenzeugen, vor allem den spätem
Marschall Marmont, Herzog von Ragusa, in seinen Denkwürdig-
keiten unerbittlich und satirisch erfahrt; Bonaparte hat hier trotz
allem zweifelsohne Bravour markirt, vielleicht sogar in einem für
den Obercommandanten ganz unnothwendigen Ausmaß; mag
ihm dies immerhin als Verdienst angerechnet werden. Aber nach
dem, was Rüstow die unveränderiichen Grundgesetze der Feld-
herrnkunst nennt, also nach der aus der Praxis abgeleiteten
Theorie des Krieges, ist Bonapartes Vorgehen hier in mehrfacher
Richtung zweifellos fehlerhaft gewesen.
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— 29 —
Wenn man jedoch in der Seele eines Feldherrn, vom Schlage
Napoleons, zu lesen sucht, so findet man seinen Monolog : Es
gibt Situationen, in denen der Feldherr das falsche Ansetzen des
Widders am besten dadurch corrigiert, dass er ihn in der einmal
angenommenen Richtung rücksichtslos anrennt; es gibt Lagen,
in denen der Feldherr höherer Ordnung — sich über die Regel
erhebend — dann, wenn die Moral seiner Truppen vollwichtig
ist, durch Originalität des Entschlusses und Vehemenz des An-
pralls den verfahrenen Karren rascher, intensiver, entscheidender,
und, was die Hauptsache ist, „eclatanter'^ freizumachen vermag,
als durch Anwendung der überlieferten Mittel der Kunst ; die Origi-
nalität überrascht den Gegner; die Beharrlichkeit wird seine Moral
zerstören ; ein Feldherr kann in Fällen, wie der vorliegende, sich
mit guten Gründen exponieren; denn ein großes Beispiel thut noth.
Aus dem Gebäude der Theorie auf die Höhe des soge-
nannten „genialen" Entschlusses gelangt, verstehen wir nunmehr
Bonaparte vollkommen ; er ist inconsequent gewesen und wird
jetzt dafür tollkühn.
Aber der tollkühne Vorstoß scheitert, wie so oft schon, an
der Schwierigkeit der Örtlichkeit und dem tapfern Widerstände
des Vertheidigers; es steht also die Theorie mit ihren ewigen
Gesetzen doch über allem Enthusiasmus und jedem Elan.
Nun gibt es Unternehmungen, deren Rechtfertigimg im er-
zielten Erfolg, und deren Verurtheilung im Misslingen liegt; die
menschliche Natur ist geneigt nach dem Erfolge zu urtheilen und
hat dabei das dunkle Gefühl, der Erfolg müsse — bis zu einem
gewissen Grade wenigstens — auf Rechnung desjenigen gesetzt
werden, dem er zufällt, sowie sie beim Misslingen eines Planes
die Gründe des Misslingens in erster Linie in der handelnden
Person sucht. Und wahrlich, wenn man erwägt, dass die Ur-
sachen des Gelingens oder Scheiterns einer Unternehmung wie
diese so außerordentlich filigraner Natur sind, dass der in der
Handlung stehende Mithandelnde selbst sich in so grober Weise
über Erfolg und Aussichtslosigkeit täuschen kann, so bleibt der
richtenden Nachwelt nichts anderes zu sagen als : Ein va banque-
Spiel wie dieses steht außer der Kritik; es kann der Erfolg kein
Material zur Theorie pro und das Misslingen keinen Beweis für
die Doctrin contra geben.
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— 30 -
Genug nun von dem Sturm auf die Brücke von Arcole.
Wir wissen, dass dies das letzte eigentliche Gefecht an diesem
Tage war; sehr bald nach dem letzten Misserfolg bei Arcole nahm,
wie bekannt, Bonaparte fast alle seine Truppen an das rechte
Ufer der Etsch zurück, um sie bivouakieren zu lassen. Im Dunkel
des Abends eroberte Guyeux endlich Arcole, räumte es aber so-
gleich wieder und ging über Albaredo zurück.
Dass Bonaparte seine Truppen hinter die Etsch zurücknahm,
ohne Arcole und Bionde zu besetzen, nennt Clausewitz unver-
zeilich — falls er die Absicht hatte, am nächsten Morgen neuer-
dings anzugreifen ; und fürwahr, die schematische Kritik wird ver-
gebens nach den Gründen suchen.
Und doch hat Bonaparte seine Gründe gehabt und zwar
gute Gründe ; freilich nicht die, welche wir in seinen Memoiren
finden, haben ihn am 15. November bestimmt; andere, zwingendere,
weniger gut darzustellende, weil nüchterne Gründe der bittern
Nothwendigkeit. Erstens konnte er Arcole nicht besetzen, weil ihm
dessen Eroberung zu jener Zeit, als er den Rückzug antrat, noch
nicht gelungen war; dass und wann Guyeux Arcole erobert,
erfahrt Bonaparte ja erst im Bivouak jenseits der Etsch. Bionde
allerdings war von Massena besetzt und auf den ersten Blick
würde es also als wohl angebracht erscheinen, wenn der Ort
über Nacht besetzt geblieben wäre.
Aber die Betrachtung des Terrains zeigt uns sogleich den
zweiten Grund : Zweifellos ist, dass der Raum, auf welchem die
Franzosen gekämpft hatten, sich zum Lagern ganz und gar nicht
eignete; zwei schmale Dämme zwischen ungesunden Sümpfen,
mit der ganzen Schwierigkeit der Communication und der Trans-
porte erklären hinlänglich den Entschluss, die Truppen zurück-
zunehmen. Ja noch mehr: es wäre denkbar gewesen, die Truppen
auf den Dämmen lagern zu lassen ; aber dann mussten sie Stütz-
punkte und Anlehnung finden. Fanden sie aber diese Postulate
in den Kanonen von Arcole oder in dem Stück des Dammes
Ponte Zerpa-Arcole, welches den ganzen Tag von österreichischen
Kugeln durchfegt worden war?
Nochmals: die schließliche Eroberung Arcoles durch Guyeux
war ja Bonaparte unbekannt geblieben.
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— al-
so erklärt es sich auch , dass Bionde geräumt wurde ; ein
kleines Detachement, ohne die Möglichkeit wirksam unterstützt
zu werden, hätte eine willkommene Beute für den Gegner und
ein Moment nächtlicher Beunruhigung gegeben.
Aber gewichtiger als alle bisherigen Gründe ist der: Die
Truppen hatten einen Nachtmarsch und einen heißen Tag hinter
sich ; sie brauchten Ruhe, Bequemlichkeit, relative Sicherheit durch
einige Stunden. Gerade wenn und weil Bonaparte am
nächsten Tage anzugreifen willens war, musste er seine
Truppen zur Erholung hinter die Etsch führen. Der be-
rühmte Schöpfer des Begriffes Friction hat bei dieser seiner Kritik
auf dieselbe vergessen.
Die Kritik im Nachhinein, welche mit Kenntnis der That-
sachen und Erfolge über die im vorhinein gefassten Entschlüsse
des Feldherm richtet, findet also an Bonapartes Benehmen am
15. Nov. wahrhaftig genug zu tadeln. Allein die Kritik muss, wenn
sie belehren soll — a priori arbeiten; sie muss in der Seele
des Feldherrn lesen, seine Entschlüsse chronologisch in
der Ordnung betrachten, wie sie entstanden sind und dabei das
ihr bekannte Resultat vergessen oder mindestens außer dem Be-
reiche der Reflexion lassen. Nur diese Kritik ist wahrhaft objectiv ;
ihr Amt ist nicht das Verurtheilen auf Grund der Resultate,
sondern das Erklärlichmachen der Motive.
Nun zu den Resultaten des Tages:
Vor allem ist zu sagen, dass Alvintzy, sobald er erkannte, es
sei den Franzosen mit ihrem Vorgehen zwischen Etsch und Alpone
Ernst, die in der Erzählung der Schlacht skizzierte Verschiebung der
Kräfte vornahm. Beträchtliche Kräfte stehen nunmehr ostwärts des
Alpone, seine Trains sind auf die Straße von Vicenza zurückgegan-
gen. Eine merkliche Verschiebung der strategischen Lage, wie wir
sehen, und ein glänzendes Dementi des Satzes, dass die strate-
gische Combination ohne den abschließenden taktischen Schlag
wirkungslos ist; denn an einen Etschübergang vermag Alvintzy
am Abend des 15. thatsächlich nicht mehr zu denken; und er
hatte ihn doch, wie uns bekannt ist, geplant; ohne einen Zoll
Terrain erobert zu haben, hat Bonaparte es erreicht, Alvintzy
von Verona zu entfernen. Die Erfahrung straft hier alle Theo-
rien Lügen. Gerade bei Operationen in dem Rücken des
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— 32 —
Gegners, auf seine Rückzugs- und Etapenlinien genügt
manchmal das bloße Drohen mit dem taktischen Schlag,
um den strategischen Zweck zu erreichen; das strate-
gische Manöver wird, mit Maß und Ziel gebraucht, trotz allem
auch in Zukunft noch seine Schuldigkeit thun.
Aber Alvintzy ist nur halb von Verona entfernt worden :
Hohenzollern musste vor der Festung stehen bleiben. Wir haben
hier das Beispiel einer jenen Anordnungen „für alle Fälle", wie sie so
häufig gebraucht werden, weil sie so bequem sind; denn das
Disponieren „für alle Fälle" engagiert zu nichts und erzeugt in
der Seele das beruhigende Gefühl, seine Kraft nicht auf eine
Karte gesetzt zu haben. Im vorliegenden Falle ist nun freilich
die Theilung der Kraft eine Consequenz davon gewesen ; allein
es begreift sich vollkommen, dass Alvintzy mit Misstrauen auf
die Mauern von Verona blicken musste.
Im Ganzen betrachtet hat also Bonaparte am Abend des 15.
November von der strategischen Umgehung immerhin einen
wahrnehmbaren Erfolg gehabt. Dieser Erfolg ist bisher zwar wohl
nur ein Embryo ; er zeigt sich im Schwanken des Gegners und
wächst im Laufe des Tages zur bekannten Verschiebung der Kraft.
Wenn Napoleon in seinen Memoiren sagt, es sei ihm
schmerzlich gewesen, vom Kirchthurm von Ronco aus die Öster-
reicher über den Alpone zurückgehen zu sehen, so muss man
sich billig fragen, was er denn eigentlich wollte; wir kommen
hier nun immer und immer wieder auf das strategische Verhält-
nis zurück, wie denn überhaupt in dieser Schlacht besonders
deutlich strategische Absicht und taktischer Effect beständig in-
einanderfließen. Was wollte er? Wenn er Alvintzy angreifen
wollte, so musste der Schwerpunkt der Unternehmungen nach
den beiden Porcile verlegt werden, das Anstürmen auf Arcole
ist dann unverständlich. Und doch — Bonaparte konnte am Abend
des 15. wahrlich zufrieden sein, Alvintzy wenigstens zum halb
unwillkürlichen Zurückzucken gebracht zu haben; er durfte da-
rin ein günstiges Omen auch in taktischer Beziehung für die
Fortsetzung des Kampfes sehen. Warum also das Bedauern.'
Aber man weiß, dass die von Napoleon gelieferten histori-
schen Materialien nahezu wertlos sind; die Person des Verfassers
guckt überall zu stark hervor; und wir begreifen die erwähnte
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Stelle seiner Memoiren ganz gut, wenn wir weiterhin lesen : Die
feindliche Armee konnte kaum noch ihrem Untergang entgehen ;
das vom Abend des 15. November zu sagen! Es passt allerdings
zu diesem Schluss die citierte Prämisse ganz ; aber eben deswegen
ist sie nicht ernst zu nehmen.
Wir wollen nun sehen, wie Bonaparte die Erfahrungen des
15. November am nächsten Tage verwertet, inwieweit er seine
Entschlüsse ändert oder beibehält.
Es disponiert Bonaparte am 16. genau so wie Tags vorher:
er sendet seine Divisionen in der gleichen Ordnung und Stärke
wie am Vortage auf die bekannten Punkte Bionde und Arcole vor.
Dies fuhrt nothwendig zu folgenden Schlüssen :
Der Obergeneral findet das getheilte Vor-
gehen auf divergierenden Linien auf diesem Ter-
rain und zu dieser Zeit für gut.
Er strebt daher ein überlegenes Auftreten,
mit concentrierterKraft — mit einem Worte — die
Entscheidung für jetzt auf keinem Punkte an.
Es hat also Bonaparte offenbar seine ursprünglichen Dispo-
sitionen für zweckentsprechend gefunden, nachdem er sie wieder-
holt; nun können halbe Maßregeln nur halben Zwecken ent-
sprechen ; sie können nur auf halbe Zwecke zielen, sobald sie, wie
hier, beharrlich und mit Bewusstsein festgehalten werden.
Bonaparte sucht also am 16. keine Entscheidung im großen
Styl ; die wäre offenbar nur — von seinem Standpunkte aus —
zwischen Etsch und Alpone zu geben gewesen, denn er wusste
überlegene österreichische Kräfte noch immer in der Gegend
von Caldiero;
durfte aber dieselben, da ihm Caldiero noch in den Gliedern
lag, nicht angreifen ;
durfte weiters eine Umgehung mit seiner ganzen Kraft über
Albaredo- Arcole auf die Straße von Vicenza nicht wagen, weil
er hiedurch thatsächlich die Etsch aufgegeben hätte ;
hatte wahrgenommen, dass der Kampf vom 15. schon eine
Rückwärtsbewegung Alvintzys bewirkt hatte ;
und beschließt „für alle Fälle" das Vorgehen des vorigen
Tages, wobei nichts zu verderben ist, zu wiederholen.
C. von B.-K. Zur Psychologie des großen Krieges I.
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- 34 -
Und in der That, es scheint so zu sein , immer die stra-
tegische Absicht als leitendes Licht weist ihm hier mit seltenei
Klarheit die richtige taktische Form. Er wählt die dilatorische
Methode, weil er weiß, dass seine Truppen dieselbe
voraussichtlich länger ertragen werden, als jene de-
Gegners, und eine sofortige Entscheidung zu suchen ihm füi
den Augenblick taktisch inopportun erscheint, wenn sie ihm auch
strategisch mehr als genehm wäre; er engagiert sich in keir.
entscheidendes Gefecht, weil ihm der höhere strategische Zweck fii-*
jetzt Sparen mit der Kraft zur Nothwendigkeit macht. Er ist — wir
bemerken dies sogleich — hier nicht mit vollem Bewusstsein vor
Anfang an vorgegangen ; das Meisterstück, wie es hier skizziert wird,
hat er im vorhinein nicht ausgedacht; wäre dem so, so hätte er
es gewiss in seinen Memoiren dargelegt und aufgebauscht. Er hat,
das ist gewiss, am Morgen des 16. „eben für alle Fälle'' disponien,
und dass hier und jetzt gerade die Halbheit das Richtige war, i:?:
ihm selbst erst im Laufe der Begebenheiten klar geworden. Wir
sehen hier ein Beispiel, wie der Feldherr durch die Verhältnisse,
die ihn umgeben, und die Ereignisse, die er erlebt, erst zu den
Maßregeln geführt wird, die dem Zwecke entsprechen. Hier ver-
liert der berühmte Satz „man gebe dem Gegner das Gesetz "^ viel
von seiner überkommenen Autorität.
Nun zu den taktischen Einzelheiten und Besonderheiten des
Tages :
Massenas Gefecht gegen Provera ist eine vergrößerte Copie
des Vortages und seine Trophäen sind ziemlich ansehnlich ; die
österreichischen Truppen gingen, wie wir wissen, bis gegen Caldien»
zurück, ohne jedoch von Massena nachdrücklich, das heißt über
Belfiore hinaus, verfolgt zu werden. Es hat also hier, auf dem
Punkte, wo die Franzosen zum zweiten Male siegreich waren,
an der Energie der Verfolgung gefehlt, welche den errungenen
Vortheil in dieser Richtung vergrößert und vervollkommnet hätte.
Ist diese Unterlassungssünde wohl auf Rechnung des
tapfern Massena zu setzen, oder aber hat er nicht
Weisungen gehabt, welche das Nachdrängen seiner Trup-
pen und seine eigene Thatkraft scharf im Zügel hielten?
Mitrowskys, auf die Nachricht von Massenas Erfolg ge-
fasster Entschluss, von Ponte Zerpa auf Arcole zurückzugehen.
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— 35 -
ist auf die Regel basiert, sich nicht zu exponieren und wird erklärt
durch die goldene Doctrin, dass Vorsicht die Mutter der Weisheit
sei. Die schematische Kritik könnte von ihm verlangen, er hätte
gerade wegen Proveras Niederlage energisch vorgehen und damit
wo möglich das Gefecht herstellen sollen ; jedoch mussten die
V'orstellungen „Cooperation mit Provera aussichtslos, Bedrohung
meiner rechten Flanke möglich, bin allein nicht imstande durchzu-
dringen, endlich der sattsam bekannte Vortheil des Vertheidigers
auf Dämmen" ihn in die Defensive drängen.
Hier ist der Ort, einiges über die so hoch gerühmten Vor-
theile des Vertheidigers auf Dämmen, welche in der dreitägigen
Schlacht am Alpone eine so große Rolle gespielt haben, zu sa-
gen. Vorerst ist zu erkennen, dass auf dem beschränkten Raum
des Dammes der Vertheidiger allerdings den Vortheil über den
Angreifer insofern besitzt,
als dieser naturgemäß in seinen Bewegungen gehemmt und be-
hindert ist; doch ist dieser Vortheil des Vertheidigers nur ein recipro-
kes Product vom Nachtheil des Angreifers, mithin negativer Natur ;
und der Vertheidiger selbst nicht umfasst oder umgangen,
und nicht in die Flanke genommen werden kann.
Dem ist nun zu entgegnen, dass die Beschränktheit des
Raumes auch für den Vertheidiger nicht günstig ist; denn in
passivem Abwarten des Anpralls besteht die Vertheidigung be-
kanntlich nicht; das ganze System der Aufnahmsstellungen und
' taktischen Reserven kommt auf beschränktem Raum in Frage ;
dass, wenn der Vertheidiger nicht umgangen werden kann, er
selbst den Angreifer nicht mit Feuer zu flankieren, ihm überhaupt
nicht jene Fülle des Feuers entgegenzusetzen vermag, die das
Element der Vertheidigung bildet; dass die active Defensive, die
ihr überraschendes Spiel blitzschnell gegen die Flanken des An-
greifers richten soll, hier zur Unmöglichkeit wird; dass endlich
die moralischen Kräfte des Vertheidigers auf beschränktem Raum
weit mehr in Anspruch genommen werden, als in normalem
Terrain. Denn die defensiv fechtende Truppe ver-
langt logischerweiseRaum hinter sich zum allen-
fallsigen Weichen, sowie der vertheidigende Füh-
rer Raum vor sich zum Gegenstoß verlangt. Man
unterschätze nicht den Instinkt der vertheidigenden Truppe, welche
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- 36 -
das Bewusstsein eines Rückhaltes im Terrain, eines Abschnittes,
einer gesicherten Rückzugslinie braucht; das Verbrennen der
Schiffe hinter seinem Rücken ist ein gefährliches Ex-
periment.
Wenn der Angreifer jedoch die aus dem Terrain entsprin-
genden und seine Taktik beengenden Nachtheile auch mit dein
Vertheidiger theilt, so empfindet er im Vorgehen, in der Bewe-
gung des Angriffs das moralische Missbehagen jenes, dem die
relative Ruhe Zeit zum Schauen und Nachdenken gibt, weniger;
und das ist nicht zu unterschätzen.
Die Voilheile der Vertheidigung auf Dämmen scheinen da-
her wohl nur an jenen Punkten zu liegen, wo der Damm ins
Terrain übergeht, oder sich mit einem zweiten Damme kreuzt,
weil der Vertheidiger hier sein Element, das überlegene Feuer,
anzubringen vermag; Arcole ist ein schlagender Beweis hiefür.
Arcole wird — es ist dies schon fast eine Tradition —
auch heute wieder mehrmals angegriffen. Die misslungenen Ver-
suche Bonapartes, Truppen ans linke Ufer des Torrent zu wei-
fen, zeigen überzeugend die sattsam bekannte Schwierigkeit von
Flussübergängen angesichts des Gegners. Recapitulieren .wir nun-
mehr die Wahrnehmungen des zweiten Schlachttages.
Bonapartes leitende Idee ist die: Ohne mich ganz engagiejt
zu haben, ist Alvintzy am 15. zum Theile schon zurückgegan-
gen; bleibe ich nur dort, wo ich stehe, stehen, und beschäftige
ich den Gegner, zumal an mehreren Punkten, so darf ich — sowie
ich ihn kenne — erwarten, dass er heute wieder ein Stück zurück-
gehen wird; wenn es gelingt, Arcole wegzunehmen, so kann
dies auf die Rückwärtsbewegung des Gegners nur beschleuni-
gend wirken ; also will ich's wenigstens versuchen.
So scheint und so muss Bonapartes Calcul gewesen sein ;
wenn auch Clausewitz sagt, der Angriff am 16. bleibe uns ganz
unerklärt, da Bonaparte auf den Rückzug der Österreicher nicht
gerechnet haben könne, indem in keinem Bericht davon etwas
angedeutet sei, so übersieht er gerade hier, dass die Motive in
den Berichten, wie er selbst an anderer Stelle erwähnt, fast durch-
wegs fehlen ; und die Dictate des Gefangenen von St. Helena
sind wohl so romanhafter Natur, dass man in ihnen Aufklärung
und Wahrheit nicht suchen, noch erwarten darf
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Nun erinnern wir uns aus der Darstellung der Schlacht,
dass am Morgen des 16. keineswegs ein Zurückgehen der Öster-
reicher, sondern das Gegentheil eintrat, indem Alvintzy den An-
griflf und das concentrische Vorgehen auf die Brücke von Ronco
befahl ; der österreichische Feldherr zeigt also hier die Tendenz,
den Gegner über die Etsch zurückzuwerfen und dieses offen-
bare Missbehagen über Bonapartes Anwesenheit
zwischen Etsch und Alpone musste daher für die-
sen ein gewichtiger Grund sein, das erwähnte
Terrain mindestens nicht zu verlassen.
Und dieses bloße Behaupten des Errungenen ohne Offen-
sive über die Punkte Bionde und Arcole hinaus hat seine Früchte
getragen ; denn wir sehen im Laufe des Tages Hohenzollern von
Verona zurückmarschieren ; ein Erfolg, der ganz in der strategi-
schen Intention Bonapartes lag und welchen er für heute mit
halben Maßregeln erreicht hat. Der Sieg Massenas über Provera
ist trotz seiner Trophäen wegen der Mattigkeit der Verfolgung
gewiss keine ganze Maßregel zu nennen.
Dieser zweite Tag zeigt uns also Bonaparte auf seinen
Dispositionen vom 15. in Form und Inhalt beharren; wir sehen
hier den Feldherrn auf strategischen Maßnahmen und taktischen
Anordnungen bestehen, die mit dem Zwecke, „um jeden Preis
an den Feind kommen, um ihn zu schlagen," im Widerspruche
stehen, und dies, nachdem er sich Tags vorher über Zeiten,
Räume, und die Gesammtheit der Gegenkräfte orientiert haben
kann. Ja, wir sehen den Feldherrn seine Truppen sowie Tags
vorher, hinter die Etsch zurücknehmen, allerdings, nachdem dies-
mal die wichtigsten Punkte des Vorterrains besetzt worden sind;
die Gründe hiefür werden zum Theil jene des 15. sein. Aber
auch die Betrachtung, wie die am 16. morgens offensiv vor-
gehenden Österreicher erst mit Tagesanbmch sich in das Laby-
rinth der Dämme wagen, mag Bonaparte bestimmt haben, zu
glauben, die Nacht an sich werde den Gegner von den Dämmen
entfernt halten. Die von Bonaparte in seinen Memoiren gemachte
Begründung, er sei des Nachts über die Etsch zurückgegangen,
um einem möglichen Übergangsversuch Alvintzys bei Zevio be-
gegnen zu können, ist im Widerspruch mit der Wahrschein-
lichkeit.
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Die Angriffe auf Arcole tragen an diesem Tage
nicht mehr den Charakter verzweifelten Hinüberwollens,
wie 24 Stunden vorher; aber die Anstrengungen sind
heute planvoller und fortgesetzten Es muss also Arcole
im Auge des Obergenerals immerhin eine ziemliche
Wichtigkeit haben; jedesfalls liegt der Schwerpunkt des Kam-
pfes in dem berühmten Dorf und nicht im leicht zu nehmenden
Bionde di Porcile; man könnte annehmen, dass es so ist, weil
jetzt eine ansehnliche Macht um Arcole versammelt ist, die zu
schlagen sich jedesfalls verlohnt.
Bonaparte hat also im großen Ganzen das Verfahren des
Vortages für gut befunden und dasselbe fortgesetzt; man sollte
daher zugleich erwarten, dass er am 17. consequent bleibt.
Allein wir finden das gerade Gegentheil. In der Nacht trifft
Bonaparte Anordnungen und lässt dieselben ausführen, die auf
veränderte Dispositionen weisen, und mit dem Morgen des 17.
November bricht er mit allen bisherigen Maßnahmen, um die uns
bekannten Anordnungen zu trefifen.
Wir müssen uns zunächst über die Ursachen dieser Wand-
lung klar werden.
War in der allgemeinen Lage etwas verschoben worden?
Gewiss! HohenzoUern ist, wie wir wissen, am Vortage nach
Caldiero zurückgerufen worden und steht nun als starke Reserve
hinter Provera, also im Centrum des Gegners, den er um seine
zwölf Bataillone verstärkt; es hat also die von Bonaparte rich-
tig vorausgesehene Rückwärtsbewegung und Entfernung des
Gegners von Verona eine wesentliche Verstärkung seiner Haupt-
macht zur Folge gehabt. Aus dieser Thatsache allein erklärt
sich Bonapartes Benehmen, der entschiedene Angriff allerdings
noch nicht.
Aber ein zweiter Grund zum endlichen Handeln war da
und zwar einer von schwerstem Gewicht: Vaubois konnte sich
kaum mehr halten und seine Cassandrarufe mussten Bonaparte
zu der Überzeugung bringen, dass mit der taktischen Führung
der zwei Vortage und ihren mäßigen Erfolgen das Auslangen
nicht mehr zu finden war; wenn so weitergethan wurde, wie
bisher, so mochte Alvintzy wohl am Vorgehen, am Etschüber-
gang, an der Deblokierung Mantuas gehindert, ja vielleicht sogar
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ij^ezwungen werden, sich noch eine halbe Meile weiter zurückzu-
ziehen und noch energischer zu concentrieren, aber dann brachte
auch der unbedeutendste Sieg Dawidowitsch' auf den Höhen von
Rivoli, welcher ja am 17. wirklich erfolgte, Bonapartes Wagschale
entscheidend zum Sinken, während er sich bei Arcole bemüht,
dieselbe im Equiliber zu erhalten. Die Natur der Dinge dictierte
nunmehr Bonaparte das verhängnisvolle „Bis hieher und nicht
weiter"; auch die Rolle eines Cunctator muss ihr Ende
haben.
Den Moment, über den hinaus die Entscheidung nicht
hinausgeschoben werden durfte, hat Bonaparte hier in meister-
hafter ^Veise erkannt.
Soviel über das strategische Motiv für das Provocieren der
Entscheidung; es liegt klar zu Tage.
Aber begegnen wir nicht auch Motiven rein taktischer Natur ?
Es scheint, sie drängen sich fast auf. Alvintzy hat, seit zwei
Tagen von Bonaparte gereizt und unaufhörlich beschäftigt, seine
Streitkräfte allmählich um die Gegend von Arcole concentriert,
oder vielmehr, die Punkte, welche Bonaparte angegriffen hat, mit
Truppen immer stärker garniert; er ist dem natürlichen Impuls
gefolgt, um den Entscheidungspunkt seine Bataillone zu massieren ;
es vollzog sich auf österreichischer Seite der allmähliche Process
des localen Haufens der Kräfte, der zur bekannten Clausewitz-
schen Spannung führt. Während Bonaparte keine nennenswerten
Reserven an sich gezogen hat, ist nunmehr die ganze österrei-
chische Armee ihm gegenüber angekommen; sie hat durch die
Kämpfe zweier Tage die Localität kennen gelernt und sich im
Terrain orientiert. Der Angriff Alvintzys vom 16. morgens lässt
Bonaparte mit Recht einem zweiten baldigst entgegensehen und
— die Qualität seiner Truppen noch so hoch taxiert — so muss
er sich doch gestehen, dass bei einem Misserfolg in der Defen-
sive für ihn kaum ein Rückzug übrig bleibt (Brückendefile von
Ronco).
Also auch taktisch zeigt sich das Bedürfnis nach der Ent-
scheidung, das heißt Hejr ausgelangen aus der bisheri-
gen Situation. Es ist klar, dass den taktischen Er-
folg hier und jetzt nu r mehr die Initiative geben
konnte, sowie nur sie allein imstande war, das
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haarscharf ausbalancierte strategische Verhältnis zum
Einspielen im Sinne ßonapartes zu bringen.
Und nun zu dieser Initiative.
Endlich wird auf einem Flügel nur beobachtet und sich
defensiv verhalten, während auf dem anderen alles, was Bona-
parte zusammenbringen kann — selbst Kilmaine als letzte Re-
serve, der nunmehr in Verona entbehrlich ist, wird herangeru-
fen — verwendet wird.
^ Endlich geschieht eine Umgehung gegen Arcole, die im
Gegensatz zu ihren Vorläuferinnen nicht, wie diese, vom Anfani:
an den Keim des Misslingens in sich trägt.
Endlich tritt eine einzige, bestimmte Tendenz, die Eroberuni^
Arcoles mit aller Schärfe und größtem Nachdruck hervor.
Die uns bekannte Gruppierung der Kräfte auf österreichi-
scher Seite erklärt es vollkommen, dass Bonaparte seinen An-
griff gegen den fast in der Luft stehenden äußersten linken Flü-
gel des Gegners richtet. Wohl springt der Umstand in die Augen,
dass Arcole eigentlich kein Flügel der österreichischen Gesammt-
front ist, weil dieser Ort, räumlich vom Centrum getrennt, tak-
tisch dasselbe auch nicht tangiert; dass eine unmittelbare Reaction
des geschlagenen linken Flügels auf das Centrum — der Typ
„aufrollen'* — nicht zu erwarten steht; denn eine Action bei
Arcole und eine bei Porcile-Caldiero sind nicht Glieder einer
Kette, sondern locale Extreme, die nur in dem verallgemeinern-
den Blick des Feldherrn lose verbunden erscheinen.
Geht Bonaparte daher auf Arcole allein vor, so bezweckt
er off'enbar nicht das Schlagen der österreichischen Armee ; denn
die weiß er ja noch immer zwischen Etsch und Alpone mit
beträchtlichen Theilen ihrer Kraft stehen ; und der Weg an die
österreichische Hauptmacht — über Arcole gesucht — wäre ein
veriorener Pfad gewesen. Genug davon ; die Argumente liegen
auf der Hand. Es findet sich also im Veriegen des Hauptangriffes
auf Arcole — wie es scheint — noch immer eine gewisse Ge-
bundenheit und Einseitigkeit des Entschlusses, der sich mit dem
naheliegenden Zweck : Eroberung des Ortes im vorhinein be-
gnügt. Wir deuten dies hier voriäufig nur an, um zu den Schluss-
sätzen das F'undament des endgiltigen Urtheils mitzubringen.
Das taktische Detail des Tages zeigt uns manches Besondere.
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Massenas Vertheidigung des Dammes von Porcile ist in
Anbetracht seiner numerischen Schwäche meisterhaft zu nennen.
Das oscillierende Widerspiel von Angriff und Vertheidigung auf
dem Damme von Arcole zeigt eine Fülle plastischen Materials
für die Darstellung des lebendigen Kriegs ; das Schwanken und
die beginnende Debandade von Augereaus Truppen beim An-
blick der in ihrem Rücken vorgehenden österreichischen Colonne
ist ein drastisches Exempel, welcher Popanz — und manchmal
eigentlich nur eingebildeter und im Grunde recht inoffensiver Po-
panz — das Bewusstsein, den Gegner im Rücken zu haben, für
die argwöhnische Seele der Truppe ist; wie — wir kommen
darauf zurück — das Drohen und die leere Demonstration auch
iz;egen brave Tnjppen des öftern wirken kann ; und erst gegen
Franzosen, die, sobald sich eine feindliche Patrouille in Flanke
und Rücken zeigt, Verrath schreien ! Und hier ist auch der Ein-
wirkung des Führers, der die Dinge durch das reduzierende
Glas der Erkenntnis und Überlegung sieht, ein schwieriges Pro-
blem gegeben ; er kann nicht erklären, er muss beruhigen. Ge-
wisse Forderungen stellt die Truppe instinctiv ; dahin gehört die
Forderung, nur in einer Richtung — wenn auch bis zur Er-
schöpfung — verwendet zu werden ; sie wird leichter zum Vor-
gehen im heftigsten Feuer, als zum mhigen Stehen mit gefähr-
detem Rücken zu bringen sein,
Massenas Cooperation, um der österreichischen Colonne den
Rückzug abzuschneiden, ist trefflich und beweist seinen ,yCOHp
d'oeil", sowie Bonapartes Maßnahmen zu deren Empfang: ihr Unter-
gang ein Beispiel der vollständigen Hilflosigkeit geschlossener Mas-
sen gegen convergierendes Feuer, zumal auf beschränktem Raum.
Die Episode Hercules endlich ist ein neuerlicher Beweis,
wie in der Spannung um die Entscheidung ein Tropfen das Ge-
fäß zum Überfließen bringen kann; wie auf die Moral der
Tnjppen unter Umständen ein Nichts, ein krafl- und markloses
Stratagem, ein Schreckschuss reißend, zerstörend wirken und
physisches Weichen hervorzubringen vermag; und dabei ist das
Mittel so billig; schlägt der Versuch fehl, so ist der Verlust nicht
groß. Das ist wahrhaft Öconomieder Kräfte; frei-
lich nicht immer und nicht gegen jeden Gegner
anwendbar.
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Mitrowskys Bitte um eine Diversion auf Porcile ist eine
oft wiederkehrende Erscheinung, eine Erfahrung, die jeder com-
mandierende General machen wird; wohl ihm, wenn er diese
Erfahrung nicht allzu häufig macht. Es ist um Diversionen, die
von Unterfeldherren begehrt werden, überhaupt ein eigen Ding:
sie werden meist in einem Augenblicke der Herabstimmung ange-
fordert, der zeitlich zu weit vorgerückt ist, um eine erfolgreiche
entlastende Operation noch zuzulassen. Zeiten und Räume ge-
winnen im Augenblicke der Krise einen Wert, den zu ^erfassen
und festzuhalten der Apparat der Befehlsgebung kaum mehr ver-
mag; und dann, wo eine Diversion nothwendig wird und erst
von subalterner Stelle begehrt werden muss, trägt dieselbe die
Zeichen einer dem Feldherrn abgerungenen, von ihm nicht er-
kannten nothwendigen Maßregel. Die Initiative, selbst die Autorität,
des Feldherrn muss durch sie angegriffen werden; sie ist und
bleibt ein Moment der Verstimmung und Verlegenheit zwischen der
ersten und der zweiten Stelle. Daher das Misstrauen, das der Ober-
general jeder Bitte um eine Diversion entgegenbringt und sein
instinctives Zögern mit dem gewährenden Befehl.
Auffallen muss Alvintzys Disponieren mit seiner Reserve:
denn als solche darf Hohenzollern fuglich angesehen werden. Er
greift am Morgen an und stellt sie daher sinngemäß auf seinen
rechten Flügel; aber im Laufe der Begebenheiten wird er in die
Defensive gedrängt, und anstatt, wie man mit Recht erwarten
sollte, die Reserve
entweder zum offensiven Gegenstoß zu verwenden ;
oder dieselbe an seine Rückzugslinie zu ziehen ;
oder endlich dieselbe zur Verstärkung seines stark bedrängten
linken Flügels zu verwenden,
lässt er dieselbe ruhig auf ihrem Platz stehen und macht
keinen Gebrauch von ihr.
Unstreitig war seine Meinung die, die Reserve für alle
Eventualitäten — und die günstigen schwebten seiner Phantasie
offenbar vor — dort, wo sie stand, zu belassen. Der Gedanke,
man könne eine Reserve kaum zu lange in der Hand behalten,
hat hier seine verwirrende Rolle gespielt. Gerade für die Zeit,
deren Schlagwort die Reserve und deren Evangelium die Öco-
nomie der Kräfte ist, mag die Figur, die Alvintzys Reserve
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hier spielt, eine äußerst lehrreiche sein ; denn die taktische Reserve
an sich ist nichts, als ein oft ziemlich unklarer, überkommener,
gewohnter Factor der Beruhigung für Truppen und Führer; erst
ihre Verwendung, also das Aufgeben ihrer Natur als Re-
serve, dem Raum, der Zeit, der taktischen Lage angepasst, macht
sie zum Werkzeug der Zerstörung. Allein der Moment und die
Art des Einsetzens der Reserve sind bei ihrer Größe und dem
Trägheitsmoment jeder bereitgestellten, der Verwendung harren-
den Kraft äußerst delicate Gewichte auf der Wage des Kampfes.
Zur Lösung dieses Problems wird mehr als Meisterschaft, wird wohl
oft Glück gehören und die Kunst wird nach diesem extremen
Excurs ins Gebiet der Zufälligkeiten naturgemäß in bescheidene
Grenzen und feste Normen zurückgezwungen werden. Die Re-
serve ist gut, solange der Gegner keine hat und
bei uns keine vermuthen kann; denn, wenn er sie
hat und weiß, dass auch wir sie haben, mag viel-
leicht das Absehen von diesem ererbten napoleo-
nischen Waffenstück dann von Vortheil sein,
wenn man die Kraft der Reserve, die der Gegner
vorerst auch bei uns latent und gebunden glau-
ben muss, von Anfang an impulsiv verwendet. Ein
gewisses Qantum an Reserven wird wohl immer nöthig sein ; aber
es fragt sich, wohin ein übertriebenes Reservensystem, welches
die Räume des Schlachtfeldes ins Endlose dehnt, und die Zeit der
Entscheidung lange hinausschiebt, indem es dieselbe gründlich und
methodisch vorbereitet, führen, und ob nicht die elementare
Gewalt eines rücksichtsloseren Krieges diese Theorie, wie
so viele andere modiflcieren wird. Liegt nicht so eigentlich die
erhabenste Philosophie des Krieges in dem Worte Wallensteins,
man thue immer das Gegentheil von dem, was dem Gegner be-
kannt und woran er gewohnt ist, was er uns thun zu sehen
erwartet ?
Ein schwerer Vorwurf für den österreichischen Feldherrn
ist das Vernachlässigen seines linken Flügels. Er fühlt durch drei
Tage die Tendenz des Gegners, Arcole zu nehmen, die sich in
tollkühnen Stürmen auf die Brücke, in stets wachsenden Um-
gehungsversuchen zeigt und alle Mittel der Taktik zur Erreichung
dieses Zweckes in Anspruch nimmt; er hört in jedem Schuss an
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den Ufern des Alpone den prodamierten Entschluss des Gegners,
hier durchzudringen; er sieht durch dreimal 24 Stunden das
geometrische Element des Angriffs, dessen Spitze auf seine Rück-
zugsiinie weist : und wendet nicht alle Kraft an, um des Gegners
Absicht zu vereiteln. Nur in dem Falle ließe sich dies erklären,
wenn er wirklich energisch auf des Gegners linken Flügel und
seine Rückzugslinie gewirkt hätte; wenn er ihm Gleiches mit
Gleichem vergolten haben würde; dass er dies nicht gethan hat.
muss zu dem Schlüsse führen, dass Alvintzy, im Gegensatz zu
Bonaparte, aus den Lehren dreier Tage die Consequenzen nicht
gezogen hat; und erklärt seine Herabstimmung, seine Rathlosigkeit,
die ihn am Abend des 17. zum Rückzuge bewegen.
Was kommen musste, kam: Der österreichische Flügel, der
sich wahrlich brav genug gehalten hatte, wird endlich dermaf.1en
cernirt, dass Alvintzy begreift, sein Stützpunkt Arcole könne auf
ja und nein verloren gehen ; und er ruft Hohenzollern und Provera
nach San Bonifacio zurück, Mitrowsky die Sorge überlassend.
Arcole noch möglichst lange zu halten. \'iel wäre über diesen
Rückzug zu sagen, beziehungsweise zu fragen: Ob denn derselbe
notwendig war, auch wenn Arcole verloren ging; ob denn
die Straße von Vicenza gewonnen werden musste, sobald der
Gegner den Alpone überschritt; was denn geschehen hätte können,
wenn die Armee westwärts des Alpone, und im Besitz des Brücken-
kopfes San Bonifacio- Villanova geblieben wäre; ob denn die That-
sache, dass die Trains zurückgeschickt waren, Motiv sein konnte,
dass die ganze Armee ihnen nachziehen musste, gleichsam als
ausgiebige Bedeckung; und noch vieles andere mehr. Allein für
unsere Betrachtung von Wert ist nur das Factum : Alvintzy geht
zurück; es muss ihm daher der Rückzug gut erschienen sein:
oder er hat geglaubt, er sei zu demselben gezwungen. Dieser
Glaube nun, das Weichen sei nothvvendig, er möge der Wirk-
lichkeit entsprochen haben oder nicht, war das Entscheidende;
diesen Glauben hat Bonaparte in seinem Gegner hervorzurufen
gewusst, er hat es verstanden, ihn bis zur Überzeugung von der
Nothwendigkeit des Weichens in der Seele seines Gegners groß-
zuziehen. Das eben ist Kriegführung im großen Styl.
Hier finden wir nun den natürlichen Anknüpfungspunkt, um
uns zu resümieren.
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Wir haben Bonaparte den Übergang bei Ronco bewirken sehen
und die Voraussetzungen, sowie die Tendenz entwickelt, die ihn
bei der Wahl dieses Übergangspunktes geleitet und bestimmt haben
können. Wenn man auch im Übergehen bei Ronco die natürliche
Folge des natürlichen Widerstrebens des Feldherrn, sich behufs
einer Umgehung allzuweit seitwärts auszudehnen, sehen und den
Gedankengang begreifen kann, der einen ungünstigen nahen Über-
gangspunkt einem entfernten günstigen vorzieht, so sehen wir
doch in dem folgenden Beharren /»arJ^/?// in der selbstgeschaffenen
ungünstigen Lage einen Widerspruch und eine Inconsequenz.
Die vorausgegangene Analyse des historischen Materials
führt uns zu folgendem Urtheil.
Bonapartes Absicht bei Beginn der strategischen Umgehung
ist die Entscheidung durch die Schlacht, die den Gegner in die
Flanke treffen, die durch ihre Richtung und die Überraschung
den taktischen Erfolg gewährleisten soll; die Bedrohung dei
gegnerischen Rückzugslinie läuft hier als begleitende Idee mit.
Im Augenblicke, in dem Bonaparte die Etsch hinter sich
hat, trifft er auf Schwierigkeiten des Terrains, die ihn im Drange
der Umstände zu vorläufigen derartigen Anordnungen bestimmen,
dass seine Absicht: Debouchieren aus den Sümpfen und Vor-
gehen gegen Caldiero, zunächst unausführbar wird.
Ein Zufall — wenn wir es so nennen wollen — designiert
den Punkt Arcole als sogenannten entscheidenden Punkt; davon
noch später mehr; genug, bei Arcole findet er zunächst einen
Widerstand, der ihm den Angriff, vorerst vielleicht nur in mora-
lischer Beziehung, von Wert erscheinen lässt, und er sucht mit
dem historischen republikanischen Elan hier den partiellen Erfolg,
der seiner Phanfeisie sich als eine, wenn auch ziemlich ungewisse
Promesse für den Totalerfolg zeigt. Die Idee von der Bedro-
hung der feindlichen Rückzugslinie gewinnt dabei eine neue
und feste Gestalt, ohne noch entscheidend zu werden, da die
Orientierung über sie und der Calcul mit ihren Chancen in der
Kürze der Zeit nicht möglich ist.
Ein vollkommener Misserfolg ist die Frucht des republikani-
schen Entschlusses und mit matten Segeln zieht die Erkenntnis
in die noch vom Kampf erhitzte Seele des Obergenerals. Der-
selbe erkennt:
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seine Absicht, zu schlagen, entscheidend zu schlagen, für
heute durch sein eigenes Disponieren gründlich vereitelt;
zugleich den überraschenden indirecten Erfolg seines bloßen
Versuches auf Arcole, der sich im beginnenden Zurückgehen dei>
Gegners auf die Alponelinie zeigt und damit
die Thatsache, dass Arcole in dem Auge des gegnerischen
Feldherrn als wichtiger, gefährdeter, entscheidender Punkt er-
scheint.
Ja! ein entscheidender Punkt! Nun mögen die Ansichten
über entscheidende Punkte verschiedenartig und des öftem sehr
heterogen sein. Wir wollen dies an Arcole erhärten. Es konnte
sich Bonaparte, wenn er sich in die Lage seines Gegners dachte,
sehr wohl sagen, dass für ihn die Eroberung Arcoles mehr
moralischen als materiellen Wert hatte; er hatte sich vielleicht
schon beim Entwurf des Umgehungsplanes gestanden, dass er
ostwärts des Alpone entscheidend vorzugehen nicht willens oder
nicht imstande sei; die Gründe sind wohl sehr durchsichtiger
Natur. Nun musste er sich sagen, dass ihn der Gewinn von
Arcole in die Lage versetzen musste, eine Bahn zu verfolgen,
die er nicht beschreiten konnte oder wollte; dass die Wegnahme
Arcoles für ihn ein entbarras de richesses war, dessen hohen
Aspirationen zu folgen er nicht vermochte; zu deutsch: er konnte
und wollte nicht ernstlich die Straße von Vicenza gewinnen :
denn hätte er es gewollt, dann lag der Übergangspunkt bei
Albaredo, und die Folge hat gezeigt, dass es ihm um die Straße
von Vieenza wirklich nicht zu thun war. Aber, Arcole einmal
genommen, war die Auffordemng, auf diese Straße vorzugehen,
also konnte ihm füglich an dessen Wegnahme nicht viel liegen,
und der Anfall vom 15. ist die Augenblickserregung seines Natu-
rells gewesen, welches den für sein Heer so nöthigen moralischen
Erfolg um jeden Preis gesucht hat.
Allein jetzt, da er sieht, dass der berühmte Flecken
in dem Auge seines Gegners eine Wichtigkeit besitzt,
die er, Bonaparte, vor dem Forum der eigenen Über-
legung nicht anerkennen kann, aber jenen zu bestimmen
geeignet ist und wirklich bestimmt; da er mit froher
Überraschung erfährt, wie der Gegner der Terminologie
„Rückzugslinie bedroht" schematisch folgt, was er nicht
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erwartet hat; als er zu ahnen beginnt, dass er den Gegner
überschätzt hat, und desselben System durch das billige
Mittel der Demonstration zu Fall zu bringen sein mag:
entschließt er sich, die Achillesferse, die ihm der Gegner
durch sein Zucken verrathen hat, zum Objecte seines
ganzen Thuns zu machen.
Hier haben wir die großen Züge des Tages : Vor allem.
Bonaparte hat Fehler gemacht und zwar ungeheuere Fehler;
Fehler taktischer Natur ; Nichtübereinstimmen strategischen Zwecks
und taktischen Schlags; Fehler des Temperaments; zuviel Elan,
sowie 48 Stunden vorher dessen zu wenig. Allein, wir wieder-
holen es, die Truppen sind es und werden es in alle Zukunft
sein, die die Fehler des Führers gutzumachen vermögen ; sie
retten seine Reputation. Die Nachwelt freilich hört nur vom Er-
folg und reicht der aus der Vergangenheit einsam zurückgeblie-
benen Gestalt des Feldherrn den Lorbeer. Seine Truppen sind
vergessen, und dass diese keine Fehler gemacht haben, keine
machen durften, dass sie nicht erst vom -Kriege lernen und an
ihm sich bilden konnten, dass sie ihre Schuldigkeit stets gethan
haben, das übersieht die Historie, wenn sie den Feldherrn mit
dieser kostbaren Maschine experimentieren, sich in ihrem Ge-
brauche bis zur Fertigkeit (die ersten Versuche sind ja meist so
übel angebrachte Hiebe, dass sie das Werkzeug hart erproben)
üben sieht; dieser Feldherr hat Truppen gehabt, die
das Experimentieren mit ihnen vertrugen, er hat
sich gebildet, zur Meisterschaft emporgeübt und
die Nachwelt bewahrt seinen Namen; jener hat
das Gleiche versucht, aber das Werkzeug ging
unter seiner Hand inTi^ümmer; die Truppen gönnten
ihm nicht die Zeit, sich zu bilden, und er ist vergessen oder
genießt den Ruhm eines zwölften Karls ; und vielleicht hätte er
geradeso seine Fähigkeiten, die Feldherrengaben seiner Natur dar-
zulegen vermocht, hätten ihn die Truppen nicht verfassen; mög-
lich, dass auch er den Ruhm, durch Übung gelernt zu haben,
erreicht hätte.
Diesen Ruhm nun müssen wir Bonaparte für den 15. wahr-
lich zugestehen; er hat im Laufe des Tages unendlich viel ge-
lernt und ohne Zögern geht er an die Nutzanwendung. Die An-
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Ordnungen des ersten Tages waren für den Zweck dieses Ta-
ges schlecht; der Zweck hat gewechselt und nunmehr sind die-
selben Anordnungen gut; der gewaltige Umschwung in den
Ideen des Obergenerals spiegelt sich in dem Satze seiner Me-
moiren : Alors les officiers et soldais qtu\ du temps qnils pour-
suivaient Wurmser, avaient iraverscs ces licnx, coinfnencerciü
ä deviner Viniention de lenr general, ü vent ionrner Caldter^»,
qitil n'a pti enlei'er de front: avec 13000 hommes ne ponvaui
Intter en plaine contre 40000; il porte son champ de hatailh
sur des chaussccs entoxirces de vastes marais, on le nontbre uc
pottrra rieft, mais on le conrage des tetes de colounes decidera
de tont .... etc. Abgesehen nun von den unwahren Einkleidungen,
in welche diese Erkenntnis nachträglich gehüllt wurde, ist zw-ei-
felsohne eine Erkenntnis da; aber zu dieser Erkenntnis kam er
eben erst im Laufe des Tages ; die Ereignisse haben ihn auf die-
selbe geführt; der 15. November hat ihn belehrt, dass
er mit geringeren Mitteln — Vorgehen au fArcol e —
seinen strategischen Zweck — Zurückdrängen
Alvintzys — ebenso als durch die beabsichtigte
Schlacht erreichen könne.
Die Leichtigkeit, mit der er dies erkannt und die
Entschlossenheit, mit der er diese Erkenntnis verwertet,
sind nun sein erstes unsterbliches Verdienst
Die Erfahmngen des ersten Tages bestimmen die moditi-
cierten Entschlüsse für den zweiten. Bonaparte bleibt vor allem
stehen, wo er steht, weil Alvintzy ihm sein Missbehagen darüber
verrathen hat; die Idee, Arcole wegzunehmen, wird durch die
abermaligen Rückschläge des 16. bis zur Vorstellung von der
Aussichtslosigkeit des frontalen Angriffes abgedämpft, und aus
diesem Zufallsproduct erwächst die Idee der taktischen Umgehung.
Wir sehen hier Bonaparte versuchen, experimentieren und sich
belehren; der ganze Tag ist mit taktischen Experimenten angefüllt,
zu denen die Truppen mit seltener Bravour das Übungsmaterial
stellen; und der Obergeneral lernt zusehends; er überzeugt sich
von der Schwierigkeit, angesichts des Gegners über den Torrent
zugehen; er erkennt die numerische Unzulänglichkeit der eigenen,
gegen Arcole entwickelten Kraft; und hat dabei stets ein offenes
Auge für das langsame Weichen des Gegners.
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Wie wir die Tendenz des Obergenerals nunmehr kennen,
so begreifen wir das Nichtausbeuten von Massenas Erfolg bei
Porcile vollkommen; und da wir es begreifen, so heißen wir es
gut; ja noch mehr: wir bewundem in Bonapartes Zurückhaltung
nach der gedachten Richtung die bewusste, so schwierige Aus-
übung der Theorie von der öconomie der Kräfte und die Energie
des entschiedenen, auf einen Punkt gerichteten Willens.
Erkennen wir daher in Bonapartes Benehmen am 16. das
consequente, ausdauernde Unterhöhlen des Gegners in materieller
und moralischer Beziehung, so müssen wir dem Feldherrn Lob
spenden ; bedenken wir, dass er zum Schlüsse doch zu anderen
Mitteln greifen musste, dass die des 16. nicht hinreichten, um
den Erfolg zu geben, so sehen wir ihn in der Rolle des Schülers,
und die darf, wie es scheint, in seiner Function, der eines Feld-
herm, historischen Beifall nicht beanspruchen. Fragen wir uns
iedoch, ob die Thätigkeit des 16. nicht etwa eine noth wendige,
durch die Verhältnisse gebotene, vorbereitende Arbeit war, so
bleibe in der heutigen Entfernung von den Ereignissen die Ent-
scheidung dahingestellt; hier mag die Individualität richten, so-
wie sie damals bestimmt und entschieden hat. Auf gewissen
Punkten macht die wahrhaft objective Kritik Halt.
Die dilatorische Methode, ob gut oder nicht, findet mit dem
Abend des 16. ihr Ende.
Bonaparte hat hier einen Beweis gegeben, in wie hohem
Grade ihm der Instinkt für den Wert des Augenblicks, im Kriege,
für die Wahl des Zeitpunktes, welcher die auf den Höhepunkt
getriebene Spannung durch den leisesten Anstoß löst und im
eigenen Sinn verwertet, für den Moment, in welchem ein geringes
zu früh oder zu spät alles verderben kann, eigen war; wir sind
ihm Schritt für Schritt auf dem Wege der Erkenntnis gefolgt,
und wie oben erwähnt wurde, hat uns ein leises Missbehagen
über sein hinhaltendes Benehmen am zweiten Schlachttage er-
fasst, wenn wir den Blick zur allgemeinen taktischen und beson-
ders der strategischen Lage erhoben; wir mussten, falls Bona-
parte sein System beibehielt, und das stand zu erwarten, mit
hoher Besorgnis auf die Lösung der Krise und daher auf jeden
folgenden Tag blicken.
C. von B.-K. Zur Psychologie des großen Krieges I. 4
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Aber jetzt zeigt sich Bonaparte wahrhaft als Meister, ^^'ie
denn der ganze dritte Tag ein wahrer Ehrentag für den fran-
zösischen Feldherrn ist.
Mit jener seltenen Sicherheit, die in dem verwirrenden
Chaos der Eindrücke, der wechselnden Bilder und Ereignisse,
der tausend sich kreuzenden Wahrnehmungen des Augenblicks
die leisen Anzeichen der Reife in den Ereignissen sieht; die in
dem schwankenden Bilde der Begebenheiten den Culminations-
punkt erkennt, rasch und entschieden erkennt: erkennt er in den
Anzeichen, die wir im Nachhinein mühsam aufgespürt haben, die
Nothwendigkeit der Entscheidung, ihre nothwendige Richtung
Afcole, und wendet nunmehr alles daran, um dem Winke seiner
militärischen Eingebung zu folgen.
Er thut es mit Entschlossenheit; ohne sich viel um Arcoles
Wahre Bedeutung zu fragen, entschließt er sich auf dessen ein-
gebildeten Wert in der Vorstellung des Gegners, den Ort um
jeden Preis zu nehmen; wohl wissend, wie wichtig für ihn die
Sicherheit seiner linken Flanke ist, aber durch die Erfahrung
zweier Tage belehrt, dass der Gegner dieselbe mit aller Macht
nicht zu gewinnen sucht, entblößt er sie rücksichtslos bis zur
Grenze des Möglichen, um alle Kraft auf das vom Gegner
selbstverrathene entscheidende Object zu werfen. Durch
die Versuche des Vortages über dessen Widerstandsfähigkeit
hinreichend orientiert, wählt er die ausgiebigste, erfolgverheißendste
taktische Form, gebraucht sie im großen Styl und mit aller Energie.
Als er wieder und wieder erkennt, dass die Entscheidung dem
Gegner theuer abgerungen werden müsse , entschließt er sich
zum primitivsten Stratagem , der Täuschung durch List, und
erreicht, wie wir sehen, endlich seinen Zweck.
Der Zweck: Alvintzy muss hinter den Alpone, ist erreicht.
Ferne liegt es dem Feldherrn nunmehr, durch eine von den
Kriegslehrern als Axiom hingestellte energische Verfolgung über
diesen endlich erreichten Zweck hinauszuschießen; es ist zum
einladenden Auslaufenlassen des strategischen Gegenangriffs nicht
der Ort und nicht die Zeit; der vorgesetzte Zweck ist erfüllt, er be-
gnügt sich mit dem Resultat, denn es winkt ihm jetzt ein höherer,
weil sicherer. Wir halten hier Bonapartes strategische
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Defensive für ein Meisterstück, für ein unerreichtem
Beispiel, wie der Krieg zu führen ist und stets zu führ
ren sein wird. Denn welcher General hätte am Abend
des 17- der Versuchung wohl widerstanden, den Schlag,
der soeben geführt worden war, durch eine Verfolgung
auszubeuten; die mühelose Ausbeutung eines bedeu-
tenden Erfolges zu beginnen, statt sie mit einer neuen
strategischen Bewegung zu vertauschen, deren erstes
Postulat der Rückzug, die Operation auf der innern
Linie war; die Hs^uptkraft und noch dazu die geschla-
gene Hauptmacht des Gegners zu verfolgen, statt sich
sogleich zu einer neuen Schlacht, wenn auch secundä+
rer Natur, umzuwenden; seinen vom Elan nach vorn
lancierten Colonnen Halt und den Rückmarsch zuzu^
muthen? Der Obergeneral befand sich ja bei seinem siegreicheo
Heer, welches ihm auch vermöge des numerischen Verhältnisses
vielleicht gestattet hätte, den Gegner, den er nur zurückzumanöv^
rieren gedachte, nunmehr gründlich zu schlagen ! Aber Bonaparte
kannte und wir kennen jetzt aus der Kriegsgeschichte die Gründe
zur Mäßigung, zum Beharren beim ersten bescheidenen Plan, uncj
da^s er dieser Erkenntnis so vorurtheilslos gefolgt ist, ist nicht
minder unsterbliches Verdienst, als die Leichtigkeit, mit der er
gelernt und die Sicherheit, mit der wir ihn das Gelernte anwenr
den sahen.
Ziehen wir nun die Summe alles Gesagten, so möchten
wir den nachmals so berühmt gewordenen Feldherrn in dieser
Episode seiner Lehrjahre etwa in folgendem. Lichte sehen:
Der Erfolg, den er mit Leidenschaft sucht, ist ihm bei
Caldiero zum ersten Mal im großen Styl untreu geworden, und
das Bewusstsein, sein Prestige, die Gloriole militärischen Ruhms,
welche Effecten bald zu seiner persönlichen Ausrüstung gehören
sollen, seien ihm am 12. November hart erschüttert worden,
beugt ihn zu Boden, zumal er mit seinem kriegstheoretischen
Latein zu Ende ist. Er bedarf zweier Tage, um militärisch zu
sich zu kommen, und als er sich endlich entschließt, führt ihn
der unter dem Drange der Umstände gefasste Entschluss zu
halben, zu schlechten Maßregeln, insbesonders in taktischer
Beziehung. Nach dem Aufflammen seines Intellects, als er sic?h
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in den Vorstellungsreihen der Strategie bewegt (Concipierung der
strategischen Umgehung) trübt sich derselbe, sobald der drohende
Contact mit dem Gegner ihn ins Gebiet der Taktik drängt
Die ungeheure Größe der Fehler des ersten Tages führt
ihn zurück in jene Situation, in welcher alles Andern oder
Modificieren der Entschlüsse — wie er glaubt — verderblich ist,
und seine besorgte Seele, vom Netz der Widerwärtigkeiten um-
spannt, im Durchhauen des Knotens ihr Heil zu finden wähnt ; es
kommt „Vhonnenr des armes*' in Frage, die Parole, von der er
weiß, dass sie seine Truppen elektrisiert und halb unbewusst
reißt ihn der Wille zum Sieg, der Drang nach der heißbegehrten
Entscheidung zum verzweifelten — taktisch unmöglichen, vom
Erfolg desavouierten — Anrennen, aus dem die Legende des Krieges
den Lorbeer für sein Haupt gewunden hat, das von der kühlen
Kritik jedoch nicht gutgeheißen werden kann; das heißt, die
Kritik kann hier finden, dass der Feldherr die Mittel zum Zweck
nicht richtig zu taxieren vermocht hat. Es sind dergleichen Ver-
suche ja stets nichts als eine Frage an die Truppen ; sie haben
ihn bei Lodi verwöhnt^ um ihn an der Brücke von Arcole im
Stich zu lassen ; bei Marengo hatten sie wieder ihren guten
Tag, um bei Waterloo complet zu versagen.
Das Nichtwissen, wie weit der Feldherr mit
seinen Truppen hier und jetzt gehen konnte, das
kann ihm die Kritik mit Recht zum Vorwurf
m achen.
Allein das Übermaß der Rückschläge gibt ihm die Kühle der
Überlegung zurück und der Gegner thut nichts, um ihn in seinem
Nachdenken zu stören. Leise beginnt in ihm die Idee zu wachsen,
dass der Elan nicht das höchste der Mittel ist, dass über dem
Enthusiasmus die Berechnung steht: er erkennt, dass er dem
nachmaligen berühmten Talleyrand'schen „surtout pas trop de
zele" soeben direct entgegengehandelt hat; die Reaction tritt ein
und diese spiegelt sich mit überzeugender Klarheit im hinhalten-
den Princip des zweiten Tags ; die relative Ruhe, die der Gegner
und die Verhältnisse ihm gönnen, benützt er voll zum Beobachten
und Vergleichen. Das verzweiflungsvolle Jagen nach dem Erfolg
macht nunmehr dem ausdauernden Nachspüren desselben und
dem schweren, anhaltenden Pressen auf des Gegners selbstver-
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rathene Schwäche Platz. War der erste Tag das Auflodern des
Impulses, so zeigt uns der zweite das Glimmen der Beharr-
lichkeit.
In vierundzwanzig Stunden also ein voll-
ständigerWechsel des Systems: er war zumTheil
durch die Verhältnisse erzwungen, zum Theil
nach reiflichem Oberlegen angeordnet, weil er
nothwendig war. Dies scheint wohl ein überzeu-
genderBeweis von Bonapartes außerordentlicher
militärischer Capacität.
Allein die Conturen des Kriegsbildes schwanken stets ; das
Bedürfnis des Krieges verwirft das Princip von gestern, um das
vorgestern als wertlos beiseitegelegte zurückzuverlangen; Licht
und Schatten ziehen vorüber und die Reflexe von beiden bleiben
in der Seele des Feldherrn zurück. Seine militärische Begabung
übt sich, indem sie das Mittel der Extreme sucht, und sie steht
auf ihrer Höhe, wenn sie dieses Mittel richtig und rasch zu
finden weiß.
Zu dieser Höhe der Anschauung erhebt sich
nun Bonaparte am dritten Tag, indem er im Ein-
schlagen de^ goldenen Mittelwegs das taktische
und im sofortigen Betreten desselben das stra-
tegischeBedürfnis der Lage erkennt. Wir wollen uns
nicht wiederholen und haben genug vorausgeschickt, dass es
erklärlich scheint, wenn wir endlich sagen: Das Vorgehen des
17. November ist das abgeklärte Product der widrigen Erfahrun-
gen zweier langer Tage; endlich hat der Feldherr begriffen, was
noththut und übergeht zur entscheidenden That. Und gerade
darin, in dieser seltenen Auffassungsfahigkeit, in diesem raschen
Assimilationsvermögen , in dieser Fähigkeit mit einem Wort,
mitten unter dem Lärm des Kampfes und den schwankenden
Erscheinungen des Krieges, in diesem Chaos zu lernen, und so
zu lernen, und das Gelernte so rasch und richtig zu verwerten,
erblicken wir die Stammeskennzeichen der historischen Feldherren
und durch sie die Anwartschaft auf eine kriegerische Zukunft
seltener Art. Wir haben ferner gesagt, wir seien von der An-
schauung durchdrungen. Bonapartes Mäßigung im Ausbeuten
seiner Erfolge sei ein Meisterstück der strategischen Defensive;
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un d wah rlich, wir sehen den Soldatenkaiser kaum
jemals zweckbewusster als hier, wo er die ver-
pönte goldene Brücke des Vegez dem abziehen-
den Gegner aus guten Gründen und ohneVorur-
theil baut.
Allein wahr wird es trotz alledem stets bleiben, dass die
Gelegenheit zum Tasten nach dem Richtigen, zum Suchen nach
dem rechten Mittel eine Gabe ist, die nicht jedem Feldherrn in
gleichem Umfang wird; denn sie liegt meist außer ihm; er kann
sich dieselbe kaum verschaffen ; sie hängt von zahllosen Um-
ständen ab, die mit der militärischen Intelligenz und dem mili-
tärischen Charakter des Feldherrn oft nichts gemein und nichts zu
schaffen haben ; und sie ist endlich relativ, indem sie zwei sich
bekämpfenden Führern fast stets in verschiedenem Maße von dem
Geschicke zugemessen wird. Hier sprechen ja die Truppen das
letzte Wort; denn diese Truppen ertragen das Experi-
rnentieren und jene ertragen es nicht; sie ertragen es
heute und vielleicht morgen nicht mehr. Die Erkennt-
nis, wie weit der Feldherr mit seinen Truppen gehen
kann^ die Energie, sie bis an die erkannte Grenze des
Möglichen zu führen, sind selten und ein großes Ver-
dienst; und wer sie heute gehabt hat, kann sie morgen
verlieren.
Dieses Bild glauben wir aus der objectiven Betrachtung
gewonnen zu haben ; insoweit die Betrachtung objectiv sein
kann. Wir halten das Resultat den Apologien der napoleonischen
Literatur und der vernichtenden Kritik des Vaters der Kritik,
Clausewitz, entgegen; ein Stück des lebendigen Krieges, dessen
verworrenes, unklares Bild nicht durch Citieren von Genius und
Mangel an solchem, wohl aber durch sorgfältigste Analyse von
der Seele des Obergenerals bis zum Naturell des letzten han-
delnden Mannes herab erkläriich und verständlich wird.
So weisen alle Resultate convergierend auf das Endresultat:
Der Feldherr, in welchem die Geschichte die Verkörperung mili-
tärischer Fähigkeit, das fleischgewordene kriegerische Genie
sieht,, unterliegt den endlichen Gesetzen jeder menschlichen Natur,
dass er, wie alle andern, sein Handwerk durch Üben lernen
muss; dass. besonders sein Gemüth den grob sinnlichen und
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fein intellectuellen Einflüssen unterworfen ist, die der Krieg erregt,
und ohne Nachtheil unterworfen sein kann. Damit fällt die fable
convenue von der erhabenen, olympischen Seelenruhe des Feld-
herrn, und wir sehen ihn als übendes und lernendes, schwankendes
und zagendes Geschöpf inmitten seiner Erfolge. Sein Genie ist
für den vorliegenden Fall analysiert und in seine fass-
baren Bestandtheile zerlegt; der größte Feldherr der
modernen Zeit wurde auf Herz und Nieren geprüft als
Anfänger in seiner Kunst und wir stehen nicht an, das
Resultat auf Vorgänger wie Epigonen gleichermaßen
auszudehnen.
Jede Art von Meditation wird erst fruchtbar durch die
Nutzanwendung. Ist die Erwägung Leben und Wachsen am Baume
der Erkenntnis, so bildet das Resultat; in verallgemeinernde Sätze
gebracht, die reife, brauchbare Frucht.
Eine der Terminologien, die zur größten Einseitigkeit der
Erkenntnis und zur größten Gebundenheit der Entschlüsse ge-
führt haben, ist die von den entscheidenden Punkten. Die Theorie
erklärt, dass auf jedem Kriegstheater, auf jedem Schlachtfelde
a priori ein entscheidender Punkt vorhanden sei, und verlangt
vom Feldherm, er solle denselben erkennen, um ihn zum Objecte
seiner Operationen zu machen: sie nimmt die entscheidenden
Pimkte als etwas Gegebenes, durch welches kriegerische Opera-
tionen geographisch, politisch, militärisch, ja sogar traditionell
bestimmt und begrenzt, angeregt und gebunden werden; sie
proclamiert, dass die Kunst des Feldherrn im Erkennen des ent-
scheidenden Punktes vornehmlich liegt.
Nichts ist nun falscher, als die Vorstellung vom
Vorhandensein eines gleichsam durch die Gesetze des
Krieges Vorherbestimmten entscheidendenPunktes, nichts
irrationeller als das Suchen nach demselben und das Be-
streben, einen solchen Punkt um jeden Preis zu finden.
Denn wie die sogenannten beherrschenden Punkte außer-
ordentlich sparsam gesät sind, so sind es die wahrhaft entschei-
denden auch; wohl gibt es Punkte, die, falls der Krieg sich in
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ihre Umgebung zieht, immer entscheidende Bedeutung haben
werden; aber auch diese Punkte erhalten ihre Bedeutung
erst durch das Häufen der Kriegsmittel an oder aut
ihnen; durch die Vortheile oder die Hemmnisse, die sie
dem Angreifer gewähren oder dem Vertheidiger bieten;
durch die Resultate, die ihr Besitz verspricht. Die
Attractionskraft, die ein Punkt auf die oder einen der
Gegner übt, stempelt ihn erst zum entscheidenden Punkt;
und trotz alledem entscheidet er allein niemals, sondern
auf ihm, mit ihm, durch ihn fällt die Entscheidung; er
ist kein entscheidender, sondern ein Entscheidungs-
punkt.
Nun muss aber immer festgehalten werden, dass der ent-
scheidende Punkt als Punkt a priori fix und die Mittel des Krieges
bewegliche sind; dass der Krieg aus jeder Localität einen ent-
scheidenden Punkt zu machen vermag, wenn der Gegner da-
rauf eingeht, sowie derselbe nahezu allen Punkten, die das
Monopol der entscheidenden Eigenschaft in der Vorstellung
des Gegners haben, ausweichen kann; wir sagen nahezu; denn
es gibt Punkte, die der Gegner angreifen oder vertheidigen muss.
sowie wir dieselben erobern oder festhalten müssen, wenn wir
weitergehen oder uns behaupten wollen; die sind jedoch sehr
selten. Im allgemeinen wird der entscheidende Punkt dort
liegen, wohin ihn der eine der Gegner verlegen will; er
kann hier und muss nicht dort liegen; er mag verschleien
und bis zur Entscheidung verborgen werden ; der Gegner hat
ihn dann gar nicht oder zu spät, und zwar nur aus unseren
Bewegungen, nicht aus seinen Eigenschaften und seiner Lage
erkannt; in der Absicht, zu täuschen, kann der entscheidende
Punkt als Lockspeise verwendet werden, und während sich der
Gegner mit ihm beschäftigt, von ihm binden lässt, geben wir
anderswo die wirkliche Entscheidung. Hier nun muss der Feld-
herr mit wahrer Vorurtheilslosigkeit und großer Reserve han-
deln; aber, wenn er mit den entscheidenden Punkten richtig
hauszuhalten weiß, wenn er es versteht, solche heute aus dem
Boden zu stampfen und morgen von der Bühne des Krieges wie-
der verschwinden zu lassen, kurz die hiitiative über sie und die
öconomie mit ihnen in der Hand behält, und der Gegner über-
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dies in der erlernten Theorie von den entscheidenden Punkten
befangen ist, so wird und muss er sicher Erfolge erreichen.
Man kann im Kriege den entscheidenden Punkt
designieren, vielleicht nimmt ihn der Gegner zu seinem
Nachtheil an; man kann den vom Gegner designierten
entscheidenden Punkt refusieren und belässt ihn ruhig in
dessen Besitz; er sehe zu, was er weiter mit demselben
beginne; man kann die entscheidenden Punkte wechseln,
wie man Operationslinien zu wechseln vermag; man
kann den vom Gegner selbst verrathenen schwachen
Punkt spontan zum entscheidenden machen. Plastik
und Bedeckung des Terrains, die Operationszone, sind
ein Feld, auf welchem der moderne Krieg sich die ent-
scheidenden Punkte wählt von Fall zu Fall, und nicht
von der Terrainlehre, der formalen Taktik, der Cabinets-
politik, der Tradition — denn auch dies ist schon ge-
schehen — am allerwenigsten aber vom Gegner geben
lässt.
Nächst der materiellen Schwäche des Gegners suche der
Feldherr sein Manco an Erkenntnis, die Gebundenheit seiner
Entschlüsse, zumal wenn dieselbe in einem angenommenen
System liegt, die Schwäche seiner Energie auf und beute all dies
ohne Scrupel aus; nichts ist leichter zu Fall zu bringen,
als ein theoretisch fixiertes System, nichts verspricht
mehr Erfolg, als das Irreführen des Glaubens' beim
Gegner, das Stratagem, und das Erhalten des Gegners
in vorgefassten Entschlüssen sowie Vorurtheilen, sobald
sie uns angenehm sind.
Dies führt gerade auf das oftgenannte Schlagwort : man gebe
dem Gegner das Gesetz; es wird meist mit „Initiative" übersetzt,
und führt zur Einseitigkeit. Man gibt dem Gegner das Gesetz, indem
man ihn veranlasst, das zu thun, was wir wollen ; dass hier die
Initiative nicht ausreichen kann, ist klar; denn der Mittel zu
obigem Zweck gibt es viele und sehr verschiedener Art.
Der Feldherr, der, in der strategischen Vertheidigung
befindlich, durch ein Manöver, ohne die Absicht zu schla-
gen, den Gegnerzurückzudrängen weiß; der den so belieb-
ten excentrischenRückzug ohneZögern vollführt, indem er
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auf den wesenlosen Glauben des Gegners, er könne nun-
mehr nicht nachdringen, baut, und mit Erfolg baut; der
vorurtheilslos, unter dem unzufriedenen Murren seiner
Untergenerale durch Passivität und Abwartenden Gegner
ermüdet, zur Theilung, zum Zurückgehen bringt; der
Organisator des Volkskriegs, der seine Guerillabander
zum kleinen Krieg, dessen Princip das Vermeiden des
entscheidenden Zusammentreffens, das Weichen Schritt
für Schritt, der divergierende Rückzug ist, verwendet;
der General, der auf Grund geklärter Überlegung sich
in eine Festung wirft und den Gegner zur Cernierung
veranlasst, mithin festhält, seine Kräfte bindet: Sie alle
geben durch Passivität, durch berechnetes Zögern, durch
zur Schau getragenen Indifferentismus, durch die Maske
der Ohnmacht wahrlich und erfolgreich dem Gegner das
Gesetz.
Nicht der physische Druck, nicht das materielle Zusammen-
stoßen allein entscheiden im Kriege: der Glaube an das, was
möglich und nicht möglich, was durchführbar und nicht
zu wagen ist, bildet den Träger der Entscheidungen:
der Glaube schwankt, weil er eben Glaube und nicht
Wissen ist; der Glaube des einen Gegners muss das Haupt-
operationsobject für den andern sein und die intellectuellen Re-
serven beider sehen wir in der Anzahl und Qualität der Argumente
und Hintergedanken, über die jeder der Gegner nächst seinem
Glauben verfugt : ein richtiges Argument, ein Hintergedanke mehr,
kann die Entscheidung geben.
Der Entschluss des Gegners fordert, dass man nach ihm
rathe; dieses Rathen kann das Schwarze treffen, sowie es auch
weit von der Wirklichkeit entfernt bleiben kann. Das Rathen und
Suchen nach dem Entschluss, der Willensmeinung des
Gegners wird umso schwieriger sein, je neuer, je ori-
gineller, je näher den ausgedehnten Grenzen des Mög-
lichen und je weiter vom Centrum des Bekannten und
Gewohnten der Entschluss des Gegners liegt; hier kann
das Treffen des Richtigen manchmal unmöglich werden ; ein deut-
licher Beweis für den Ungeheuern Einfluss, den die
Originalität, die vorurtheilslose Neuerung auf die Seele
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des Menschen und mithin auf kriegerische Unternehmun-
gen hat. Der Gegner erwartet das Bekannte, er glaubt, das Gewohnte
müsse kommen, da überrascht ihn der Feldherr mit einer Form
der Strategie und mit einer Art der Taktik, die ihm neu und
unerwartet sind; jene bringt seinen Calcul in Verwirrung und
reißt ein Loch in sein strategisches System, diese erschüttert
seine Truppen und nimmt ihnen die Contenance; denn im Kampfe
erschreckt das Ungewohnte, Unbekannte an sich.
Diese Originalität, dieses zweckbewusste Ändern des aner-
kannten Systems, die berechnete Neuerung, gehören wieder zu
den Stammeskennzeichen der historischen Feldherren; sie haben
den Krieg studiert und sein Hauptelement in psychologischen
Motiven gefunden; denn es ist so und kann nicht anders sein.
Die Formen und Mittel, die sie erfunden oder aus dem
Schutte der Vergangenheit — sie waren von der Welt
eben vergessen worden, wie Friedrichs schiefe Ordnung
oder Napoleons System der verbundenen Waffen — her-
vorgesucht haben, waren lediglich das sinnliche Mittel
zum seelischen Zweck; der neue sinnliche Eindruck
sollte wirken und hat, wie die Erfahrung zeigt, fast
immer rapid und in stupender Weise gewirkt. Dann wurde
die Neuerung zum System und damit verlor sie ihre ursprüng-
liche Kraft; ihre moralische Zerstörungsfahigkeit ging durch die
Zeit und den allgemeinen Gebrauch verloren; sie wurde nach-
geahmt, erst unvollkommen, dann immer vollkommener, dann
gelehrt, endlich geübt, ihre Schlagworte wurden Gemeingut aller,
auch des Gegners, der sich heute al pari mit seinem Meister
von gestern befand, um ihn morgen schon vielleicht zu übertreffen.
Das jüngste System bleibt stets solange bestehen, bis ein neues
entsteht, dessen Schöpfer durch die elementare Gewalt seiner
erneuerten Mittel zu einem Heros des Krieges emporsteigt. Und
wenn Napoleon, der Vater der heutigen Renaissance des Krieges,
zu der sublimen Erkenntnis kommt : // faut changer la tactique
de la guerre ious les dix ans, si Von veut garder un peu de
superioriie, so hat er damit nur bekannt, worauf das Wesen des
Krieges in letzter Linie beruht: auf seelischen Motiven.
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&/uc£^*
^10-
albai'edo
Verlag von Wilhelm Branmüller, >^eaQgfeLeipzig.
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Verlag von Wilhelm Braumüller in Wien.
Der Heldenberg,
Radetzky's letzte Ruhestätte
und
Schloss Wetzdorf.
Von
Slairl 3Z€izid.elsd.orfar
k. u. k. Hauptmann.
Zweite vermehrte Auflage. Mit lö Vollbildern in Autotypie. 8. 1891. fl. MX) - M. 2—.
Strefflenr's isterreichisclie
Militärische Zeitschrift.
Redigirt von
KARL KANDELSDORFER
k. u. k. Hauptmann.
Strefneur's österreichische militärische Zeitschrift, gegenwärtig im 70. Jahr-
gange stehend, ist das älteste und angesehenste militär-wissenschaftliche Organ
Österreichs. — In monatlichen Heften von mindestens 7 Druckbogen gr.-8 er-
scheinend, bietet diese Zeitschrift, welche die hervorragendsten Fachschriftstcller
zu ihren Mitarbeitern zählt, eine Fülle der interessantesten Originalaufsätze und
Mittheilungen aus dem Gebiete des gcsammten Militarismus, und bildet ein wahres
Archiv der militärischen Wissenschaften. Jedem Hefte ist ein Literatur-Blatt bei-
gegeben, welches den Inhalt der wichtigsten Fachzeitschriften des In- und Aus-
landes anzeigt, sämmtliche militärischen und die interessanteren, allgemein wissen-
schaftlichen Publicationen des Büchermarktes bespricht.
Streffleur's österreichische militärische Zeitschrift
erscheint jährlich in 12 Heften ; 3 Hefte bilden einen Band.
Das Jahres-Abonnement beträgt :
Für die activen Herren Subaltern-Officiere, Cadetten. Unterofliciere etc. 9 fl. ö. \V-
Für die activen Herren Abnehmer von der IX. Diätenclasse aufwärts,
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Die Administration der Zeitschrift befindet sich
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ZUR PSYCHOLOGIE
DES
GROSSEN KRIEGES
VON
C. VON B.-K.
II.
EIN KRIEG OHNE CHANCEN.
MIT 3 KARTENBEILAGEN.
AVIEN UND LEIPZIG.
WILHELM BRAUMÜLLER
k. u. k. Hof- und Universitäts-Buchhändler.
1898.
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ALLE RECHTE VORBEHALTEN.
Druck von BruDo Bartelt, Wien, IX.
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Uebersicht
Seite
I. Die Gegner und ihre Mittel 1
II. Politik und Strategie 65
III. Die Entscheidung 113
IV. Resultate 246
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Verzeichnis der benützten Werke.
Beiträge zur Geschichte des Feldzuges von 1806, nach den Quellen des Archivs
Marburg, von Dechend ; Berlin, 1887.
Catnpagne de Prusse (1806), Jena, d' apres les archives de laguerre, par P. Foucart,
capitaine etc.: Paris, 1887.
Campagne de Prusse (1806), Prenlzlow- Lübeck, par Je commandant Foucart;
Paris, 1890.
Correspondance de Napoleon Ter; XI, XII, XIII, XIV.
Das militärische Testament Friedrichs des Großen. Herausgegeben und erläutert
von A. V. Taysen; Berlin, 1879.
Das Zeitaller der Revolution, des Kaiserreiches und der Befreiungskriege, von
Dr. Wilhelm Oncken ; Berlin, 1886; II.
Denkwürdigkeiten des Staatskanzlers Fürsten von Hardenberg, herausgegeben
von Leopold von Ranke; Leipzig, 1877.
Der Einfluss Frankreichs auf die preußische Politik etc., historische Studie von
Bruno Bauer: Hannover, 1888.
Der Krieg von 1806 und 1807; von Oberst v. Hoepfner, Berlin, 1850; I, II.
/Vr Krieg von 1806 und 1807, bearbeitet von Oscar v. Lettow- Vorbeck;
Berlin, 1891/92; I, IL
Diplomatische Correspondenzen ; Preußen und Frankreich II; herausgegeben von
P. Bailleu, kgi. geheimen Staatsarchivar; Leipzig 1887. (Publicationen
aus den k. preußischen Staatsarchiven XXIX.)
Geschichte der Kriege in Europa seit dem Jahre 1792. Berlin, Posen, Bromberg; \^I.
Geschichte der Kriegswissenschaften, vornehmlich in Deutschland, von Max Jahns,
München und Leipzig, 1891; IIL
Histoire du Consulat et de V Empire par M. Ä. Thiers; VI, VII ,
Memoires du Prince de Talleyrand; Paris, 1891.
Militärische Schriften von Scharnhorst, erläutert durch Frh. v. d. Goltz;
Berlin, 1881.
Mittheilungendes k. k. Kriegs -Archivs, Wien; Jahrgang 1881; daraus: Zwei
zeitgenössische Stimmen (Gentz und Mayer) über die Schlacht bei Jena
und Auerstädt im Jahre 1806.
Nachrichten über Preußen in seiner großen Katastrophe von v. Clausewitz;
Berlin 1888. (Kriegsgeschichtliche Einzelschriften, Heft 10).
Napoleon als Feldherr, von Graf York von Wartenburg; Berlin, 1885; I.
Napoleon I. Eine Biographie, von Dr. August Fournier, 1889, IL
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— VIII —
Neue militärische Blätter; 1892, XXXIX; daraus: Denkwürdigkeiten aus dem
Kriegsleben Napoleons I.
Oesterreichiscke militärische Zeilschrifl; Wien, 1886; III, IV; daraus: Das fran-
zösische Heer der I. Republik und des I. Kaiserreiches.
ParalUle entre Cesar, CharUmagne et Napoleon; l'Empire et la dcmocratit,
Philosophie de la legende Imperiale, par M. Castille; Paris, 1858.
Rossbach und Jena; Studien über die Zustftnde und das geistige Leben in der
preußischen Armee während der Uebergangszeit vom XVHI. zum XIX. Jahr-
hundert, von Colmar Freiherr v. d. Goltz; Berlin, 1883.
Strategische Briefe von Kraft Prinz zu Hohenlohe-Ingelfingen ; Berlin, 1887; L
Taktische Beurtheilung größerer Schlachten» von Wilhelm Reinländer, k. k. Oberst,
Generalstabs-Oflicier ; Wien, 1872; daraus: Die Schlacht von Jena; die
Schlacht von Auerstädt.
Vom Kriege, Hinterlassenes Werk des Generals Carl von Clausewitz; Berlin,
1832—1834; I, H, HI.
Weltgeschichte für das deutsche Volk (Fr. Chr. Schlossers), 1874; XV.
Nur gelegentlich benutzte Werke sind in den FuOnoten besonders angeführt.
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Die Gegner und ihre Mittel.
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Frankreich.
In runder Summe betrug 1806 die Bevölkerung des Kaiser-
reiches und seiner Dependenzen (der größte Theil von Italien,
die Schweiz, Holland, der Rheinbund u. s. w.) etwa 55 Millionen
Seelen und aus dieser Menschenmasse zog Napoleon seine Mittel
zum Kampfe.
Für einen OfiFensivkrieg auf deutschem Gebiet war hievon
wohl nicht alles in Rechnung zu stellen; und die Betrachtung
der Ereignisse wird zeigen, dass vorerst Frankreich allein die
Basis ist, aus der sich wirklich schlagende Kräfte entwickeln.
Es wird daher für unsern Zweck vornehmlich Frankreich
ins Auge zu fassen sein.
Die Nation und das Empire, Willig hatte die erschöpfte
Nation sich der Führung desjenigen anvertraut, der sie führen zu
wollen versprach und eine ungeheure Fülle an Macht in seiner
Hand vereint. Ein Meisterwerk der Centralisation war der Neu-
bau des französischen Staates geworden und diese Centralisation
bis zum Äußersten für seine Zwecke zu gebrauchen, war das
Haupt dieses Staates gewillt. Mit bemerkenswerter Kürze gehen
die Memoiren seiner Paladine über eine Zeit hinweg, in welcher
lediglich ein einziger, höchster Wille gegolten. Schon vor Austerlitz
weiß der Kaiser, sobald ihm dies angemessen erscheint, die
legalen Formen ungescheut zu verletzen.*) In seiner Person ver-
einigt er alle Befugnis an Macht, übt dieselbe ohne Unterlass und
gedenkt sie, selbst was die Details betrifft, auch im Felde weiter-
*) Thiers VI, 42; Bewilligung des Recrutencontingents durch den Senat mit Über-
gehung des Corps lägislatlf.
1 •
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- 4 —
zuüben.*) Wo er seinem Zweck zu dienen glaubt, gebraucht er
seine Macht ohne irgendwelche Scrupel und rücksichtslos.
Die Staatsmaschine war jung und functionierte bislang ohne
Klage; der einzige schwarze Punkt war die finanzielle Verlegen-
heit des Jahres XIII (Sept. 1804 bis Sept. 1805) mit seinem
Deficit von 80 Millionen und dem Mangel an haaren Zahlmitteln
gewesen ; Napoleon hatte indessen schon im September 1 805
durch Einziehung der dem Senat und der Ehrenlegion gehörigen
Nationalgüter der wirtschaftlichen Krise vorgebeugt. Dann war
Austerlitz gefolgt und nicht so sehr die mäßige Kriegscontribution
Österreichs, sondern der moralische Erfolg hatten den Staats-
credit erheblich gehoben. Und wohl muss billig bemerkt werden,
dass finanzielle Verlegenheiten an sich den, der zum Kriege ent-
schlossen ist, wohl nicht oft von demselben abhalten werden :
zum Kampfe findet ein Staat verhältnismäßig unschwer die Mittel ;
und scheint der Glaube an das Gegentheil vielmehr eine jener
Illusionen zu sein, in denen sich der Optimismus der Beherrschten
naturgemäß zu wiegen pflegt.
Das Kaiserreich war nicht der langersehnte Friede; «dies
war der Nation schon seit Boulogne sehr klar; Paris hatte schon
im September 1805 dem Kaiser sein Missvergnügen über den
neuen Krieg unzweifelhaft gezeigt.**) Aber seither war Austerlitz
gefolgt und vor der Größe des Erreichten verstummte fiirderhin
der Tadel. Wohl vernehmen wir noch vor Beginn der neuen
Campagne von der gedrückten Stimmung in Paris***); doch der
Pariser Meinung konnte füglich unbeachtet bleiben, seit und so-
lange die Armee außerhalb der Grenzen stand. Der kriegerische
Genius der Franzosen ist, man sage was man wolle, ein aner-
kanntes Ding, und begreiflich ist, dass er sich zeigen musste,
wenn der Krieg stets außer Landes erfolgreich geführt ward.
Jeder Franzose sah, dass fast nur durch die Armee der Weg
zu hoher socialer Stellung und materiellem Wohlsein führte; der
Egoismus des Individuums musste daher den militärischen Geist
im Individuum wecken.
•) Corresp. XIII, Nr. 10874; Ordre de Service pendani Vabsence de rEmpereur,
Saini-Cloud, 24 Septembre 1806.
•') Thiers, VI, 46.
*••) Bailleu, II, Urkunde Nr. :<.'J0; Bericht des preußischen Gesandten Marquis v.
Lucchesini vom 16. Jänner „. . . ses peuples rassasics de gloire lui demandeni du repos et
de Vaisance ..."
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— 5 -
Das Gesetz vom 19. Fructidor des Jahres VI (1798) war
die Grundlage der Heeresergänzung unter dem Consulat und
Kaiserreich geblieben;*) es hatte die Conscription eingeführt,
welcher jeder Franzose vom 20. bis 25. Lebensjahr unterworfen
war in gewöhnlichen Zeiten zur Ergänzung des Heeres auf den
vollen Stand, und daneben die Werbung fortbestehen lassen;
zugleich wurde bestimmt, dass, wenn das Vaterland in Gefahr
erklärt würde, jeder Franzose ausnahmslos zum Waffendienst
verpflichtet sei. Das jährliche Recrutencontingent war nicht genau
bestimmt; 1805 betrug dasselbe 60.000 Mann**), wovon die
Hälfte zu den Fahnen eingestellt, der Rest im Verhältnis der
Reserve belassen werden sollte. Allein schon im September 1805
hatte der Kaiser das gesammte Contingent des Jahres XIV nebst
der Ergänzung bis zum I.Jänner 1807 vorweggenommen, sowie
die Reserx'-en der Jahre IX — XIII zum Dienst herangezogen, und
die so erhaltenen 80.000 Mann während des Krieges den Depots
zur Ausbildung überwiesen; für den Herbst 1806 standen ihm
diese somit als fertige Soldaten zur Verfügung.
Eine auch nur beiläufig richtige Zahl für die Gesammt-
streitkräfte des Empire im Jahre 1806 zu geben, ist äußerst
schwer; die Angaben weichen bedeutend von einander ab, bis zu
200.000 Mann***) Auch Oberst von Lettow-Vorbeck gibt in
seinem wahrhaft classisch geschriebenen Werk durchaus keine
Übersicht der Gesammtstreitkräfte, sondern lediglich eine Ordre
de bataille der „Großen Armee"; und in der That, wir werden
auf französischer Seite uns nur mit der mobilen Feldarmee fürs
Erste zu befassen haben. Indessen liegt am Tage, dass bei einem
Kampf voraussichtlich so folgenschwerer Art wohl alle Mittel,
auch die secundären, zu betrachten sind. Ein Blick in des Kaisers
Correspondenz belehrt uns, in welch umfangreicher Weise für
die Reichsvertheidigung, dann für den Ersatz der Abgänge in der
mobilen Feldarmee, endlich für Nebenoperationen vorgesorgt wor-
den war und welche Mittel neben der Großen Armee noch ver-
fugbar blieben. An 140.000 Mann standen in Localverwendung,
dann in den Depots von Boulogne, wo der alte Marschall Brune
•) Ost. MUit. Ztschrft. 1886; III, 27 ff.
••) Thiers, VI, 41 ff.
•••) Thiers, VII, 22 und Hohcnlohe, I, 14.
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6 -
commandierte über König Ludwigs Corps bei Wesel nach Mainz
zu dem in der Bildung begriffenen VIII. Corps unter Mortier, und
von da an beginnt die ununterbrochene Reihe von Depots längs
des Rheines, deren Thätigkeit zu überwachen, sowie im Jahre
vorher, dem Veteranen Kellermann anvertraut wird. Diese Reihe
von Depots heißt deutlich genug Reservearmee und es wird
ihr für allenfallsige Bedrohung der Reichsgrenze von Hannover
her eine gewisse Actionsfreiheit gewährt; die Organisierung der
Nationalgarden in den Grenzbezirken wird, wenn auch vorerst
gleichsam nur als Versuch, befohlen.*) Jenseits der Alpen stan-
den in den Depots und mobil an 130.000 Mann, unter dem Vice-
könig von Italien, dem König von Neapel und Marmont, der
angewiesen wird, sich schon jetzt auf den Kriegsfall Österreich
gefasst zu machen.**) Alles in allem scheint der Kaiser weit über
eine halbe Million Mann zu seiner Verfügung gehabt zu haben,
und der umfassende Blick, mit welchem er seine Mittel vertheilt
und ordnet, muss wahrhaft Erstaunen erwecken; von Boulogne
bis Toulon und Zara prüft er die Vertheidigungsföhigkeit der
Grenzgebiete und Küsten und strenge werden die königlichen
Brüder angewiesen, mit den die Landesvertheidigung fuhrenden
Generalen in dauerndem Rapport zu bleiben; der Erzkanzler wird
aufs genaueste von den Einzelheiten der Reichsvertheidigung
unterrichtet und ihm tägliche Correspondenz mit König Ludwig
und Marschall Brune befohlen;***) die Selbstthätigkeit der obersten
Führer wird, wenn auch nicht ostensibel, doch vernehmlich
genug, geweckt.f) Fast unerschöpfliche Reserven bieten sich
dem Kaiser in seinen Depots; und wir haben gesehen, dass er
auch schon an die Nationalgarden denkt. Ein wahrhaft groß-
artig vorbereitetes System des successiven Kräftegebrauches, und,
so unwahrscheinlich dem Kaiser die Möglichkeit erscheint, zu
seinen Reserven greifen zu müssen, so fasst er auch doch diese
Möglichkeit vorurtheilslos in's Auge.ff)
Was nun das eigentliche Werkzeug zum Kriege, die mobile
Feldarmee, betrifft, so war es die Armee von Austerlitz, und
•) Instruction pour le ntarechäl Kellermann, Mayence, 30 Sept.
••) Organisation de l'armee d' Italic, Saini-Ctoud, 23 Sept.
•*•) An Carobaceres, Mainz, 30. Sept.
t) An den König von Holland, St. Cloud, 22. Sept.
tt) An denselben, Mainz, 30. Sept.
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besser noch als diese.*) Unter denselben Führern , wie ein
Jahr vorher, standen dieselben Truppen (die Garde in Paris,
Marmont in Dalmatien sind hievon abzurechnen) seit geraumer
Zeit in Süddeutschland, und ließen sich's in den Quartieren der
deutschen Fürsten wohl ergehen. Indem wir die Stärkeangaben,
Aufstellungsart u. s. w. der Truppen im Capitel der Operationen
besprechen wollen, so sei vorerst ein Bild der Armee des Kaiser-
reiches gegeben.
Die Große Armee, Durch mehrjährige Übung in den Stand-
lagem des Reiches hatte sich diese Armee einen außerordentlich
vollkommenen Grad der kriegerischen Mechanik angeeignet;**)
die Feldzüge von Ulm und Austerlitz hatten den Truppen die
Überzeugung gegeben von der Vorzüglichkeit dessen, was man
sie im Frieden gelehrt, was sie geübt und sich angewöhnt hatten.
Hat sich das Mechanische des Krieges als solches im Kriege
bewährt, so entsteht sogleich der ungleich kostbarere Nieder-
schlag hievon in der Seele des Soldaten, das Vertrauen, und
dieses Vertrauen zu sich und den Führern ist so recht die Stärke
einer Armee.
Infanterie. Dieselbe theilt sich in Linien- und leichte Infan-
terieregimenter von 2 — 3 Bataillonen;***) bei ersteren besteht jedes
Bataillon aus einer Grenadier-, einer Voltigeur- und acht Füsi-
liercompagnien, bei letzteren aus einer Carabinier- und neun
Jägercompagnien. Der Kaiser fasst eine gleichmäßigere Organi-
sation der Fußtruppen in's Auge,f) dieselbe bleibt jedoch wegen
der beginnenden Campagne Project.
Den verschiedenen Typen der Infanterie entspricht deren
verschiedene Bestimmung. Am Schlachttage werden die Grena-
diere in Reservecorps vereint, um mittelst eines Massenstoßes
die Entscheidung zu bewirken; die Voltigeure, körperlich ge-
wandte Leute, im Aufsprunge auf die Pferdecroupe geübt, haben
den raschen Bewegungen der Reiterei zu folgen; die leichte
Infanterie kämpft in zerstreuter Ordnung — es sind die bekann-
ten, vorbildlich gewordenen Tirailleurs der napoleonischen Armee
— und strenge wird ihnen aufgetragen, sich in keine großem
•) Thiers, VI, 416.
**) Marmont, Denkwtlrdigkeiten, II, 186 ff.
••*) Ein BataiUon blieb in den Depots.
t) An General Dejean, St. Cloud, 4. Sept.
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Trupps zu sammeln und aus dem Terrain soweit als möglich
Vortheiie zu ziehen.*) Die Infanterie der Linie kämpft vor-
nehmlich in geschlossener Ordnung nach den Bestimmungen des
alten Reglements von 1791, das nicht allzusehr von den übirgen
europäischen Reglements, und diese fußten ganz auf den An-
schauungen der alten Zeit, verschieden ist; nur die Colonne tritt
uns in denselben häufiger entgegen; die Formationen und Evo-
lutionen sind oft sehr complicierter Natur und fuglich sträubt sich
der von dem überkommenen Bilde napoleonischer Stoß- und
Massentaktik verwirrte Geist, diese Dinge als praktisch durch-
geführt, anzuerkennen, und doch ist dem zum Theile wirklich so
gewesen; die Masse der Infanterie focht in geschlossener Ord-
nung — offlciell und oft thatsächlich — während die Thätigkeit
der Tirailleurs reglementarisch keineswegs geordnet war und ihr
Auftreten am Schlachtfelde durchaus nicht immer ein umfassendes,
großartiges gewesen ist; ihre Rolle wird in den Gefechten analy-
siert und beurtheilt werden. Indessen bestand ihre Kriegspraktik
in den Traditionen der Infanterie, sie hatte sich oft schon glän-
zend bewährt, und das war auch außerhalb Frankreichs bekannt,
hätte den Gegner füglich anregen können.
Wir nehmen in dem Wesen der Fußtruppen, dem Nerv
der Armeen, wie sie Napoleon nennt, als besondere Eigenschaften
wahr: strenge Scheidung in Classen mit besonderen Bestimmungen;
offenbare Abstufung der Truppen-Gattungen in Hinsicht ihres
militärisch-moralischen Wertes, welche stark an die so berühmte
Eintheilung „Velites, Hastates, Principes, Triarii" des alten Rom
gemahnt — kurz, das System der Reserve wird auch
moralisch zum Ausdruck gebracht. Den natürlichen Volks-
gaben des französischen Geistes ist sehr Rechnung getragen in
allem, was das Gefecht der Fußtruppen betrifft; verworfen wird
das Gliederfeuer langer Linien mit Hinsicht auf die Kaltblütigkeit
der deutschen Soldaten, dagegen den Obersten der Infanterie
nahegelegt, „ihre Soldaten in dem der Lebhaftigkeit und dem
Charakter des Franzosen — diesen ihn vor anderen Nationen
auszeichnenden Eigenschaften — zusagenden Bajonnetangriff ein-
zuüben**); die Offensive, so wird erklärt, erschließt dem Soldaten
•) Ost. Milit Ztschrft. 1886, IV, 256.
••) Ebenda.
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unerschöpfliche Hilfsquellen und gedenkt man eben durch sie die
Truppen im Kampfe eher zu schonen, als durch gewissenhaftes
Feuergefecht mit einem zäheren, schwerfalligeren Gegner. Welche
Philosophie des Krieges! Ohne in die Gemeinplätze jener Ideologen
zu verfallen, welche Wirkungen des Nationalgefühles für den
Gefechtszweck unter dem Donner der Kanonen erwarten, wird
dennoch jene Form gewählt, die dem Soldaten gestattet, seine
natürlichen im Blute liegenden Gaben, oder vielmehr die Reste
von ihnen, die er doch immer in den Kampf mitbringen wird,
frei zur Geltung zu bringen. Das ist wahre Taktik, die mit der
Seele des Mannes rechnet, mit ihren Impedimenten wie Friedrich»
mit ihren treibenden Kräften wie der Franzosenkaiser. Am Tage
liegt, dass diese Taktik vom Nachbar freilich immer nur unvoll-
kommen nachgeahmt werden kann; er zwänge sich immerhin in
die Rüstung des Gegners; sie wird ihn, im Beginne zumal, beengen
und hindern, erfüllt ihren Zweck nicht so ihm, wie sie's jenem
gethan. Und dies gilt — wie es scheint — für alle Epochen.
Cavallerie. Man unterschied schwere — Carabiniere und
Cürassiere — dann leichte Reiterei — Dragoner, Jäger zu Pferd
Husaren — ; jedes Regiment zählte vier Escadrons (nicht durch-
wegs). Das Reglement vom Jahre 1788 wurde 1804 durch eine
Commission hervorragender Reitergenerale unwesentlich modificiert.
Napoleon hatte auf den ursprünglichen Charakter der Dragoner
als berittene Fußtruppe hingewiesen und diese Bestimmung wurde
maßgebend für die Ausbildung dieser Truppe. Trotz der Sorgfalt,
die auf die ReiterwaflFe verwendet wurde, war sie in ihrem Pferde-
material, der Wartung der Thiere, dann der Reiterausbildung
keineswegs auf der wünschenswerten Höhe; wenigstens scheint
aus den Quellen hervorzugehen, dass sie sich, was das Mechanische
betrifft, nicht ganz mit der preußischen vergleichen konnte*) und
die Sorge hierüber klingt, wenn auch verschleiert, aus Napeleons
Correspondenz**). Aber aus allen Vorschriften über die Ver-
wendung der Reiterei klingt stets als oberster Grundsatz jene
rückhaltslose Offensive heraus, die das eigentliche Element dieser
Waffe bildet: das Princip der Reserven Verwendung wird fort-
während in Erinnerung gebracht; kurz, man glaubt in einem Re-
•) V. Lettow-Vorbeck, I, 180.
*") An Soull, Würzburg, 5. Oct.
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glement unserer Tage zu blättern. Der Unternehmungsgeist, der
Sinn für kühnes Wagen wird stets und mit Erfolg geweckt und
diesen Geist hat die Cavallerie der Großen Armee trotz mancher
innerer Mängel materieller Natur sich zu bewahren gewusst.
Artillerie. Dieselbe befand sich in einem Übergangsstadium,
welches erst durch die Reorganisation von 1809 abgeschlossen
wurde. Der erste Consul war so recht der Schöpfer dieser Waffe,
aus der er selbst hervorgegangen war; 1803 änderte er das System
Gribeauval und führte in der Feldartillerie öpfünder (kurze und
lange), 12pfünder (kurze und lange), 8 und 6zöllige Haubitzen ein.
Die Kriegsstärke der fahrenden Compagnien verhält sich zu jener
der reitenden wie 8 : 5 und jede Compagnie bemannt eine Batterie
von 6 Piecen. Die glorreiche Erinnerung an Castiglione führte
dahin, dass fortwährend Mittel und Wege gesucht wurden, die
taktische Verwendbarkeit der Artillerie zu erhöhen; schon 1797
war sie zur Hauptwaffe erhoben worden und eine Ordonnanz
von 1805 decretierte ihre Verwendung in Massen. Indessen tritt
die Artillerie keineswegs in jener Weise auf, wie man es füglich
erwarten konnte; ihre Auftheilung auf die Corps ist höchst
ungleichmäßig, wir finden sechs Caliber und veraltete Muster
vor, endlich scheint nicht einmal eine feststehende Eintheilung in
Batterien stattgefunden zu haben.*) — 1801 war das Corps des
Artillerietrains gebildet worden und hatte sich dasselbe gut bewährt.
Knapp vor Beginn des Feldzuges fehlte ein großer Theil der
Bespannung beim Artilleriepark, musste dieselbe in aller Eile
durch Ankauf beschafft und trotzdem die Zahl der mitzunehmen-
den Fuhrwerke stark reduciert werden.
An technischen Truppen gab es Pontoniere, die ihr Material
beim Kriegsausbruch keineswegs vorbereitet zur Hand hatten,
dann Sappeure und Mineure.
Manövrieren. Schwierig ist es, was die großen Evolutionen
der verschiedenen Waffen betrifft, reglementarische Bestimmungen,
also die eigentliche Basis der Kriegsvorbereitung, nachzuweisen
und bedenklich erscheint es, das System post festum aus der
Praxis des Krieges mit kritischer Unverletzlichkeit hervorzuziehen.
Nicht ganz genau scheint es zu sein, wenn behauptet wird, die
Form, in welcher gekämpft wurde, sei Napoleon unwesentlich
*) V. Lcitow- Vorbeck, I, 64.
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erschienen und er habe sich um sie nicht interessiert*), ebenso-
wenig kann der Satz bona fide hingenommen werden, die napo-
leonischen Heere hätten weit öfter durch die auf dem Schlacht-
felde ausgeführten taktischen Bewegungen und deren Präcision
als durch die Anlage der großen strategischen Bewegungen
gesiegt.**) Die Wahrheit wird wohl zwischen den Extremen
liegen, wie sie es meistens thut; doch wo sie liegt, ist heute mit
Sicherheit kaum mehr anzugeben. Eine seltsame Zeit, fürwahr,
und innerer Widersprüche voll! Festzustehen scheint, dass das
Reglement von 1791 auch für die großen Evolutionen in den
Grundzügen in Kraft geblieben ist, trotz gelegentlicher Neuein-
fuhrung officieller Formen, wie die „Instruction concernant les
maneuvres de V Infanterie, donnee par Vinspecteur gener al de
V Infanterie de Varmee du Rhin, an VIII. " Allein mit der Praxis
der Revolutionskriege war denn die Armee doch wohl so vertraut
geworden, dass man nicht glauben kann, die Generale hätten für
die großen Manöver vornehmlich aus den officiellen Reglements
ihre Weisungen geschöpft. Die Tirailleurs wurden sicherlich genug
geübt, und dennoch ist es bekannt, dass für sie keine geschriebene
Theorie bestand. Und so wird wohl auch das Reglement von
1 79 1 auf dem Manöverfelde selbst praktisch erheblich abgeändert
wordensein. Voneinigen grundsätzlichenDirectivenseien die folgen-
den genannt : Die Bewegungen mehrerer Bataillone haben nach
den Bestimmungen für ein Bataillon zu geschehen ; die Bewe-
gungen in der Colonne bilden den wesentlichsten Theil der Kriegs-
taktik ; da die ganze Kriegstaktik auf dem Wissen und Können
beruht, die Truppen mit Schnelligkeit in Colonnen zu brechen und
in entwickelter Linie marschieren zu lassen, so beschränkt man
sich darauf, den einfachen Mechanismus dieser Evolution festzu-
stellen. Der Cavallerie wird für die Attaque das Überflügeln
und Umfassen mittelst ihrer Reserven eingeschärft. Von den
Artillerieofficieren wird verlangt, sie sollen das Wesen der Infanterie-
und Cavalleriemanöver völlig innehaben und schon aus den allge-
meinen Dispositionen des befehligenden Generals sogleich die für die
Geschütze günstigste Stellung erkennen. Man sieht, die Vorschriften
haben stets den Kriegszweck im Auge und alle zielen sie auf
•) V. Lettow- Vorbeck. I, 83.
••) Ost Milit Ztschrft. 1886, III, 2.
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das, was man den Ernstfall zu nennen pflegt. Anerkannt ^vird,
dass die im Abgeben was immer für eines Feuers bestgedrillte
Infanterie deswegen allein für den Krieg noch nicht die beste ist,
und es wird an das Bajonnet (trotz der Schwierigkeit seines Ge-
brauches in drei Gliedern) appelliert ; gelehrt wird, die Schlachten -
taktik umfasse zwei Combinationen : einheitliche Verwendung der
verbundenen Waffen ; zweckmäßigste Formationsart der ins
Gefecht zu führenden Truppen ; letztere muss innerhalb gewisser
Grenzen normiert sein. Die Normalgefechtsform der Infanterie-
division ist die flügel weise Aufstellung in zwei gleichstarken
Treffen, das erste in entwickelter, das zweite in Colonnenlinie:
sämmtliche leichten Truppen des ersten Treffens befinden sich
ungefähr 200 Schritte vor der Front als Tirailleurs; die normale
Gliederung ist:
Tirailleurlinie 14 Comp.
1. Treffen 22 „
2. Treffen 30 „
Grenadierreserve 12 „
es konnten jedoch die Tirailleurs nach Bedarf vermehrt werden.
Die Cavallerie stand hinter den Brigaden (je eine Escadron), die
Geschütze stets auf den Flügeln. Im Angriff formirt sich die Di-
vision in Bataillonscolonnen, die des zweiten Treffens 300 Schritte
hinter jenen des ersten, auf die Intervalle derselben gedeckt; das
wichtigste im Angriffe ist und bleibt Terraingewinn, denn das
Tirailleurgefecht an sich kann nie zu einem Resultate
führen.
Die Reiterdivision von fünf Regimentern hat folgende Auf-
stellung: zwei Regimenter in entwickelter Linie, drei unmittelbar
anschließend in Colonne; zwischen den Abtheilungen bleiben
mindestens halbe Entwicklungsintervalle. Die Corpscavallerie ist
für den eigentlichen Kampf nur von secundärer Bedeutung; die
Masse der Reiterei ist in eine Reserve vereint und wird die Art
ihrer Verwendung später besprochen werden.
Wohl war die Scheidung der Artillerie in Divisions- und
Reservegeschütze normiert, und galten für die Verwendung der
Waffe die Grundsätze: Massengebrauch, Zurückhalten eines Theiles
der Geschütze außer dem Feuerbereich bis zum entscheidenden
Moment ; concentrische Wirkung auf die Einbruchsstelle, Deckung
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- 13 ~
der Geschütze durch Tirailleurs, officiell und theoretisch ; dennoch
sehen wir vorerst von alledem sehr wenig. Die taktische Ver-
wendung der Artillerie war, sowie ihre Organisation, noch nicht
ganz durchgebildet und geübt, wie jene der Schwesterwaffen, und
erst bei Eylau wieder spielt sie eine entscheidende Rolle.
Es klingt aus allen Weisungen über das Manövrieren
größerer Truppenkörper der Appell an die Selbstthätigkeit der
Führer vernehmlich heraus; wohl wird gelegentlich aufs Regle-
ment gewiesen, aber stets schlägt die Absicht auf richtiges Er-
kennen des Gefechtsbedürfnisses und angemessenes Disponieren
innerhalb weitester Grenzen vor. Noch viel mehr gilt dies für
die Manöver der verbundenen Waffen, für die es Normen durch-
aus nicht gab. Es müsse überhaupt dem Genie der höheren
Führer überlassen bleiben, die großen Manöver der vereinigten
Waffen nach eigenem Ermessen zweckmäßig zu leiten.*)
Thätigkeit der Commandanteh, Wir übergehen hier die
reglementarischen Weisungen über Ertheilen und Abnehmen des
Commandos, die Technik der Befehlsgebung u. s. w., um einige
besondere Züge anzuführen. Ein Hauptgewicht wird auf rasches
Formieren aller Truppentheile durch ihre Führer gelegt; verant-
wortlich ist der Capitän, dass die Compagnie, der Bataillonschef,
dass das Bataillon, der Brigadier, dass die Brigade in je fünf Mi-
nuten, der letzte Truppenkörper somit in einer Viertelstunde vom
ersten Trommelstreiche an ralliiert sei. Genaue Kenntnis der unter-
stehenden Mannschaften, besonders der Officiere, dann der Pferde
in Hinsicht des Alters, der Eigenschaften, des Charakters, wird den
Führern aller Grade zur strengen Pflicht gemacht. Es wird ver-
langt, dass man den Einfluss des Führers auf seine Truppe stets
und ganz wahrzunehmen in der Lage sei. Für das Gefecht selbst
werden minutiöse Meldevorschriften erlassen und der Instanzenzug
peinlich vorgeschrieben ; stets hat der Führer seine Untergebenen
von dem Zwecke, der erreicht werden soll, zu unterrichten; stets
bleibt ein Commandant bei seiner Truppe ; er muss sein fort-
währendes Interesse für den gemeinen Mann nicht allein bethätigen,
sondern es vielmehr zur allgemeinen Erbauung ostentativ zur
Schau zu tragen wissen, indem er mit seinen Leuten am Marsch,
im Lager, persönlich und leutselig verkehrt.
•) ösL Milit. Ztschrft 1886, III, 49.
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Gefechtspsychologie. Hierin, und es wurde über dieses
Thema, wie es scheint, mit den Commandanten förmlich Schule
abgehalten, beruht so recht, was man als Überlegenheit eines
Heeres zu bezeichnen pflegt. Sehen wir uns diese officielle
Psychologie etwas genauer an. Es wurde bereits darauf hin-
gewiesen, wie die Elementartaktik und die Vorschriften für das
Gefecht darauf berechnet waren, die dem französischen Soldaten
innewohnenden natürlichen Gaben thätlich zu verwerten; wahr-
haftig, man darf mit Fug und Recht die Colonnen und Tirailleurs
eine nationale Taktik nennen, wenn auch mit dem stillen Vor-
behalt, dass nicht das National bewusstsein, sondern die
unbewussten Merkzeichen der Nationalität als Hilfen heran-
gezogen werden; so enthusiastisch und naiv ist der Corse nicht
gewesen, dass er das Nationalbewusstsein als Motor im Kampfe
für den Kampf betrachtet, oder gar auf dasselbe gerechnet hätte.
Aber die Eigenthümlichkeiten des Stammes weiß er in dem Kunst-
product militärischer Erziehung wohl zu verwerten. Vor der
Action lässt er die Truppen durch ihre Führer haranguiren, wo-
bei der Appell an die Ideale von Patriotismus, Dynastentreue u. s. w.
sehr gegen kurze Angabe dessen, was erreicht werden soll und
das Deutlichmachen der Art, wie dies mit größtmöglichster
Schonung der Truppen zu vereinen sei, zurückzutreten pflegt.
Nicht dumpfe Resignation zu seinem möglichen Schicksal wird
vom Manne verlangt, vielmehr ihm die zu lösende Aufgabe als
leicht, wenig gefährlich, oft in humoristischer Weise erklärt,
wenngleich auch sehr darauf hingewiesen wird, man dürfe hierin
durchaus nicht so weit gehen, dass der Soldat beim ersten
ernsten Widerstand des Gegners sich von seinen Führern düpiert
glauben kann. Stets sollen die Truppen durch Aussicht auf den
Frieden als Preis des Kampfes, auf Belohnung und materiellen
Gewinn angefeuert werden. Zum Manne wird in jenen
Zungen geredet, die er verstehen kann; aber keines-
wegs wird der Wert der Harangue überschätzt, vielmehr nur
als zierender Flitter betrachtet. Obwohl das Sanitäts- und Ambu-
lanzwesen jener Zeit nach unseren heutigen humanen Begriffen
ein ganz unzulängliches war, so wird doch als Grundsatz auf-
gestellt, dem Manne sei die feste Überzeugung beizubringen, dass
ihm im Falle der Verwundung alle erdenkliche Hilfe und die
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größte Sorgfalt zu Theii werde; die Todten sind so rasch als
möglich aus der Sicht der Truppen zu entfemerr, über die Ge-
bliebenen viel Worte zu verlieren, soll nicht üblich sein, als
nicht am Platze gelten*); während des Kampfes haben die
Musiken kriegerische Weisen zu spielen; wenn die Gefechts-
lage dies gestattet, so wird Wein oder Branntwein an die Truppen
zu vertheilen sein. Für ihre Adler wusste Napoleon seine Truppen
geradezu zu fanatisieren — insoweit dieses Wort der nüchternen
Kühle des menschlichen Herzens in Nützlichkeitsfragen ange-
messen ist — sie hielten thatsächlich große Stücke auf ihre Feld-
zeichen und anzunehmen ist, dass bei drohendem Verlust eines
solchen im Gefechte, die bösen Folgen hievon auf die Bravour
der Truppen immerhin stimulierend rückgewirkt haben mögen**).
Als Regel gilt, dass die Mannschaften vor der Action stets
abzuessen haben und darf diese Norm nur bei offenbarer Un-
möglichkeit , ihr nachzukommen , übergangen werden. Wir
sehen in allem, was das Gefecht betrifft, jene tiefe seelische Be-
rechnung liegen, welche, mit den Schwächen der menschlichen
Natur rechnend, dieselbe eben bei diesen Schwächen packt, um
sie auf Umwegen dem gewünschten Zwecke zuzuzwingen. Nicht
soll hier eine Lanze gebrochen werden, blind und enthusiastisch
für ein psychologisches System, wie es in der Gefechtsroutine
napoleonischer Armeen aus jener Zeit zu Tage tritt: als ob das-
selbe immer und ewig am Platze, überall durchführbar sei. Aber
der Vergleich mit den Gegnern jener Zeit wird die skizzierten
Elemente der Überlegenheit plastisch erscheinen lassen. Die dem
kritischen Verstände trotz allem oft unglaublich erscheinende
Hingebung der Soldaten des Empire floss, wie wir bis nunzu
sahen, aus sehr materiellem, greifbarem Ursprünge her.
Märsche und Lager, Während der strategische Charakter
der napoleonischen Märsche noch lange nicht völlig gewürdigt
erscheint, weiß man doch, dass er den Mechanismus derselben
bis zur erreichbaren Grenze des Möglichen ausgebildet hatte. Es
gibt Reise- und Kriegsmärsche, letztere können zu Gewaltmärschen
werden. Gewöhnlich findet man zwei Corps auf einer Straße
mit einem halben Tagmarsch Abstand instradiert; das heute
•) Neue milit. Blätter, XXXIX, 372.
••> General Thoumas, causeries miliiaires, I, 176 ff»
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typische Echiquier, das allen Anfängern in der Strategie als
Norm größerer Heeresbewegungen gelehrt zu werden pflegt,
findet sich bereits im Feldzuge von Ulm in seiner Ur- und voll-
kommensten Form. Als oberste Regel galt für Kriegsnnärsche
stete Gefechtsbereitschaft und Schlagfertigkeit, weshalb allen
Commandanten auf das strengste verboten wird, sich auch nur
vorübergehend von den Truppen zu entfernen: bei denselben hat
die größte Ordnung zu herrschen, die Gewehre dürfen nicht ge-
laden sein, die Arrestanten marschieren vereint, und sind äußer-
lich ostentativ kenntlich gemacht. An der Spitze der Tnippen-
säule besorgen stets Officiere des Generalstabes die Führung.
Die Marschlängen sind für Kriegsmärsche 25 — 30 Km., für
Gewaltmärsche 50—60 Km. Das Marschtempo 3 — 4 Km. bei der
Infanterie, 4*8 — 5 Km. bei der Cavallerie, Rasten eingerechnet:
diese wurden bei Kriegsmärschen alle zwei, bei Gewaltmärschen
alle vier Stunden im Ausmaß von je einer halben Stunde ge-
währt. In Wirklichkeit wurden diese Normen oft bedeutend über-
schritten: so war die Armee 1805 von den Küsten des Oceans
bis Brunn in 78 Tagen marschirt, hatte täglich im Mittel 21 Km.
zurückgelegt und eine ganze Reihe von Schlachten und Treffen
dabei geliefert; indess kommen noch weit höhere Leistungen
einzelner Truppenkörper gelegentlich vor. Wir erwähnen diese
Daten in Absicht des Vergleiches mit der preußischen Armee.
Es wurde grundsätzlich gelagert und der Lagerdienst war durch
strenge Vorschriften geregelt. Die Aufstellung der Truppenkörper
erfolgt nach ihren Dienstnummern, um Eifersüchteleien wegen
des Ehrenplatzes hintanzuhalten. Die leichte Infanterie hat stets
den Umkreis des Lagers zu sichern; alle Commandanten bivakieren
mit der Truppe; Cavallerie und Artillerie sind, soweit es angeht,
in Quartiere zu verlegen. Täglich um vier Uhr morgens machen
sich die Truppen marschbereit, werden visitiert (Appell) und
rücken, falls nicht marschiert wird, sodann in ihren Lagerbereich
ab; die Fassungen sind durch besondere Commandos zu be-
wirken u. s. w.
Verpflegung, Train, Etapen. Die Art der Verpflegung war
eine wohldurchdachte Verbindung der lebensfähigen Formen des
alten Magazins- mit dem modernen Requisitionssystem und deckt
sich in allem wesentlichen mit dem, was heute gang und gäbe
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ist. So lange es angeht, lebt die Armee vom Lande, wobei stets
auf Ordnung in den Beitreibungen, gleichmäßige Vertheilung der
Lasten auf die Bevölkerung, thunlichste Schonung des Einzelnen,"^)
sowie ausnahmslose Abgabe von Bons für die gefassten Artikel
gedrungen wird. Es war somit das Requisitionssystem keines-
wegs als Raubsystem gedacht, und zwar aus Gründen der Politik
gerade auf dem Operationstheater von 1806 durchaus auf keinen
Fall, wenn auch in Wirklichkeit mancher Missbrauch getrieben
worden sein mag. Im Allgemeinen galt als Norm, dass die
operierenden Truppen ihre Mittel zum Unterhalte aus dem Lande
zu ziehen haben; am Tage liegt, dass diese Art der Verpflegung
in nianchen Verhältnissen (Zusammenschieben der strategischen
Front, rasche und plötzliche Bewegungen u. dgl.) nicht glattweg
durchzuführen sein werde und daher hat jedem Armeecorps eine
mäßige Proviantcolonne zu folgen, welche leicht transportables
und dauerhaftes Brod, ebensolche Gemüse, wie Reis, dann Schlacht-
vieh fuhrt, aus dem Lande gefüllt wird (in der Regel) und für
deren Vorhandensein und Dotierung die Corpscommandanten zu
sorgen haben werden; sowie für das Vorhandensein von vier
eisernen Portionen beim Manne und vier weiteren auf den Wagen.
Indess hat es damit sein Bewenden nicht; es sind Magazine zu
errichten an Punkten, die jeweilig vom Generalstabe bekannt ge-
geben werden (es sollten womöglich sturmfreie Städte sein) und
aus dem Lande unter Heranziehung von Landesfuhren zu füllen;
sie dienen den durchziehenden Truppen sowohl, als auch ge-
legentlich den Proviantcolonnen zur Ergänzung ihrer Bedürfnisse,
dürfen aber stets nur dann angegriffen werden, wenn diese Be-
dürfnisse direct vom Lande nicht zu beschaffen sind. In den
Depotplätzen werden Feldbäckereien oft in wenig Stunden activiert
und verarbeiten ganz gewaltige Mengen von Mehl. Alle Vor-
theile des Requisitionssystems ohne dessen Mängel — Zer-
splitterung der Truppen, Hemmung der Bewegungen — sind in
diesem System mit den brauchbaren Elementen der Magazins-
verpflegung vereint,**) und es hat dieser Mechanismus trotz
geringfügiger Stockungen im großen Ganzen zweckentsprechend
functioniert. Heute sind wir mit diesen Einrichtungen vertraut
♦> Foucart, 1,311.
•*) W. Rüstow, Fcldherrnkunst des XIX. Jahrhunderts, I, 248.
C. von B.-K. Zur Psychologie des großen Krieges II.
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— 18 -
und sie des breiten darzulegen, würde ermüdend sein. Zu jener
Zeit waren sie neu und es wird sich der Contrast mit dem, was
wir beim Gegner kennen lernen werden, als höchst auffallenc
erweisen.
Das Fuhrwesen der Armee wurde durch eine Privatunter-
nehmung, die Compagnie Breidt, versehen; bedeutende Mängel lasser
sich dabei keineswegs verkennen: Die Compagnie hat fast stets
ein den militärischen Zwecken entgegenstehendes Interesse, mach:
Geschäfte mit den höheren Officieren,*) Zahl und Beschaffenheit
des Materials erweisen sich als unzulänglich**) und muss et
zur Unzukömmlichkeit der Landesfuhren Zuflucht genommen
werden. Es schreitet daher der Kaiser in der That im März 1807
zur Bildung der Traintruppe. Indessen sind während der erster.
Zeit des Feldzuges die angezogenen Mängel in den reichen
Gegenden Deutschlands nicht störend oder hemmend hervor-
getreten.
Die Etapenlinien sind genau und meist vom Kaiser selbst.
je nach der Kriegslage bestimmt; er weiß dieselben rasch nach
Bedarf zu verlegen und hat ein wachsames Auge darauf, dass
sie womöglich solche Plätze berühren, die sturmfrei sind; woher
denn kommt, dass die Länge der einzelnen Etapen eine sehr
ungleiche ist.
Bewaffnung und Bekleidung, Die Infanterie besaß das ver-
besserte Gewehr M. 1787; dessen ausgiebigste Wirkung reichte
bis 136 m und hielten die Läufe 25.000 Schüsse aus; die Kriegs-
taschenmunition betrug 50 Patronen, daneben wurden 30 per
Mann in den Caissons geführt; das Ausmaß an Übungsmunition
war ein äußerst reichliches. Die Cavallerie hatte Säbel, Drago-
nergewehr und Pistole, die Cürassiere nur Pallasch und Pistolen:
die Artillerie war mit dem Dragonergewehr sammt verlängerten
Bajonnet versehen u. s. w.
So mangelhaft nun auch die Feuerwaffen als solche waren,
so waren sie doch die besten in Europa zur damaligen Zeit***'
und ihre Überiegenheit über jene der Preußen steht außer allem
Zweifel.
•) Der Kaiser an Berthier, St. Cloud, 10. Sept.
") An General Dejean, Osterode, 6. März 1807.
•••) Ost. milit. Ztschrft., 1886, III, 45.
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Auch in Bezug auf die Bekleidung zeigt sich ein großer
Unterschied zu Gunsten der Franzosen; drei Paar Schuhe trägt
der Soldat mit sich, ein viertes soll ihm baldigst nachgesendet
werden; mit Mänteln sind die Truppen wohl versehen und ihre
Uniformen überhaupt in einem so guten Zustand, dass es keinem
Manne einfallt, nach den in der Heimat bereitliegenden neuen
Montierungsstücken zu fragen.*)
Abgesehen von einzelnen kleinen Mängeln, die sich aus
den Quellen nachweisen lassen, Mängeln, wie sie bei jeder Armee
unvermeidlich sind, kann angenommen werden, dass der fran-
zösische Soldat mit dieser Art von Bedürfnissen wohl aus-
gerüstet war.
Magen und Seele, Es galt dem obersten Kriegsherrn als
Grundsatz, dass seine Soldaten so gut, als nur immer möglich,
zu verpflegen seien. Vor Kurzem erst hatte er für die Ver-
besserung der Mannschaftskost gesorgt**) und in der That führte
die Große Armee in den deutschen Quartieren ein sehr behag-
liches Leben, das, entgegen der verbreiteten Anschauung von
willkürlicher Bedrückung der Bewohner, Erpressungen an den-
selben u. s. w., durch eine Reihe von fallweisen Bestimmungen
gewährt worden war. Der große Menschenkenner wusste eben
sehr genau, dass der Magen jene Werkstatt ist, in der das Feuer
kriegerischer Tugend, wo nicht erzeugt, so doch erhalten wird;
und wenn er sich im Siege befindet, dann allerdings zieht er
alle Mittel des Besiegten zum Besten seiner Truppen rücksichts-
los heran,***) um dem Manne die praktischen Früchte des Sieges
im Ruhme des Sieges zu bieten. Aber hinweggehend über solche
greifbare Belohnungen exceptioneller Natur, wird für das leibliche
Wohl des Mannes immer und überall sehr gut gesorgt; der Sold
war hoch für jene Zeit, 244*80 Francs dem Infanteristen, 292
dem Reiter pro Jahr, und wenn auch derselbe den Truppen nicht
voll ausgehändigt wurde, so wussten sie wohl, dass sie im
Augenblicke des Friedensschlusses relativ bedeutende Ersparnisse
zu empfangen haben würden. f)
*) Thiers, VI, 417, ff.
••) Decret vom 12. März 1806.
") An Daru, Berlin, 28. Oct. 1806.
t) Thiers, VI, 416,
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- 20 -
Disciplin, Nur allzu häufig wird der Missgriff begangen, bei
Prüfung dieser militärischen Potenz verschiedener Armeen die-
selben im Urtheile über einen Kamm zu scheeren; man findet
in den Quellen Haarsträubendes über die Indisciplin der fran-
zösischen Soldaten während der Campagne neben bedeutsamen
Blicken auf die scharfe Zucht preußischer Bataillone. Offenbar
wird hier mit einem Maß gemessen, das, unterschiedslos angelegte
ganz falsche Resultate gibt. Zu erkennen ist, dass die dem
Deutschen geläufige Strammheit, ja Steifheit im militärischen
Exterieur vom Franzosen nicht verfangt wird, weil man sie kaum
erreichen würde; dann erscheint bei dem lebhaften Charakter des
Franzosen manches Detail im dienstlichen Verkehr als Indisciplin,
während es doch nur der äußere Reflex einer gewissen Un-
gebundenheit ist, wie sie der Krieg erzeugt, und die man nicht
vermeiden kann; ließ sich doch der Kaiser selbst ein treffendes
Witzwort, eine schlagfertige Replik von Seite subalterner OfHciere,
ja gemeiner Leute, dann, wenn sie wohl angebracht erschienen,
gelegentlich gefallen. Manches wird in einem Kriegsheer ruhig
hingenommen, was in einem Friedensheer für strafbar angesehen
wird; und ein Kriegsheer war die Große Armee : Sie kam von
Austerlitz. Wohl hatte sie seit Boulogne an Strammheit verloren,
indessen ersetzte sie dies durch den unvergleichlichen Geist,*)
jenen Geist des französischen Soldaten, der, so lange die Dinge
leidlich gehen, in einer glücklichen Sorglosigkeit, einem unbe-
kümmerten Vertrauen culminiert. Was die von den betroffenen
Einwohnern erhobenen Klagen über Excesse anbetrifft,**) so ist
wohl zu beachten, dass Disciplin im Kampfe und solche im
Quartier zweierlei Dinge sind und in gewissem Sinne
nichts mit einander gemein, noch zu schaffen
haben; der gallische Geist der Offensive, am Schlachtfeld ein
mächtiges Mittel zum Sieg, schlägt in der Langeweile des Quartiers
naturgemäß über die Stränge. Ein gewisser Muthwille ist keine
schlechte Soldateneigenschafl. Und dennoch, wir finden mehr als
einen Beweis, wie scharf die Disciplin gehandhabt wurde; Plünde-
rung wird mit dem Tode bedroht, die schärfsten Strafen treffen
Marodeure. Sicher ist, dass das, was der französischen Armee
•) Thicrs, VII, 35.
'*) V. Lettow- Vorbeck, I, 75, Fußnote.
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— 21 -
an militärischer Disciplin fehlte, weit aufgewogen wurde durch
ihre Kriegsdisciplin.
Eigenart des Heeres, So skeptisch auch die kühle Erwägung
in seelischen Dingen jenen Begriffen gegenüberstehen muss, die
sich hinter den Schlagworten von Nationalgefühl, kriegerischem
Enthusiasmus u. s. w. wohlweislich verbergen, sobald diese
Begriffe als Potenzen für den Kampf ausgegeben werden, so ist
gleichwohl nicht zu verkennen, dass eben jene Potenzen in der
Armee des Kaiserreiches in hohem Grade vorhanden waren —
geweckt allerdings durch sehr praktische Gründe — und dass
starke Reste hievon aufs Schlachtfeld vom Quartier und dem
Marsche gelangten, wird zuzugeben sein. Der Ehrgeiz war durch
Aussicht auf Beförderung zum Offleier, ja höher hinauf, geweckt,
wenngleich oder vielmehr gerade weil das letzte Ziel dieses Ehr-
geizes bei der großen Mehrzahl mit epicuräischen Zielen sich
deckte. Durch Schaffung eines Schatzes für die Armee*) aus den
Kriegscontributionen und dem Erlöse des erbeuteten Materials
wies der oberste Kriegsherr die Utilitarier seiner Armee auf greif-
bare Resultate ihrer Anstrengung hin. Man muss sich diese Armee
vor's geistige Auge führen, wie sie, im Begriffe die Heimat zu
gewinnen, wo ihr herriiche Feste, klingende Belohnung und ma-
terielles Wohlsein winken, angerufen wird, noch eine letzte An-
strenguug für erhöhte Siegespreise zu thun; nicht der Kaiser
schickt sie recht eigentlich in den erneuerten Kampf, sondern der
böse Nachbar isfs, der die Abwehr unvermeidlich macht.**) So
rasch als möglich soll Friede gemacht werden, wann dies geschieht,
hängt wesentlich vom Verhalten der Truppen ab. Wohl muss
wieder zugegeben werden, dass die Wirkungen von Enthu-
siasmus sowohl als Berechnung dem Manne mit dem Pfeifen
der ersten Kugel zumeist verloren gehen; doch bleiben
ihm immerhin Reste davon, über die der Gegner nicht
verfügen wird; tritt ein gewisser activer Fatalismus — das
gallische Erbtheil des französischen Soldaten — hinzu, so ist
alles da, was an moralischen Potenzen nur immer verlangt werden
kann gegen einen Feind, wie der Feind jener Zeit es war.
•) Thiers, VI, 386.
'•) Proclamatioii, quartier Imperial Bamberg, 6 Od. lROf>.
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— 22 —
Wer verkennt hier den Soldatengeist, den wahren moralischen.
physischen und politischen Wert einer solchen Armee?*)
Organisation im Großen, Die Eintheilung in Divisionen der
Reiterei und Infanterie war ein Product der Revolution und von
Bonaparte im wesentlichen beibehalten worden; das Wesen der
Armeedivision ist allgemein bekannt; dazumal jedoch war die Er-
scheinung neu und erschien eigenthümlich fremd. Der Mitwelt
fehlt zumeist das kritische Auge, das, in der Epoche lebend, den
Wert oder Unwert der Mittel eben dieser Epoche durch freie Be-
trachtung mühelos erkennt; hier muss die Erfahrung, die bittere
Erfahrung selber sprechen und ihr weicht die menschliche Natur
solange als möglich aus.
Die Infanteriedivision bestand normal aus 6 — 12 Bataillonen
im Brigadeverband, 6 — 9 Escadrons und 8 — 12 Geschützen;
die Reiterdivision aus 12 — 18 Escadrons und 3 Geschützen:
es schwanken somit die Stärkeverhältnisse der Divisionen sehr.
Auch die Armeecorps, Napoleons eigentlichste Erfindung,
sind sehr verschieden organisiert; man findet zwei, drei, vier
Divisionen in einem solchen vereint. Bemerkenswert ist, dass die
Stärke eines Corps nach dem Geschicke des befehligenden Ge-
nerals bemessen worden ist.**)
Die große Masse der Reiterei wurde in eine Reserve ver-
eint, deren Commando ein- für allemal dem Großherzog von
Berg verblieb; die Cürassiere bildeten die Schlachtreserve, die
Dragoner waren vornehmlich zum Aufklärungsdienste bestimmt.
Man sieht, dass die große Reiterreserve keine eigentliche strategische
Einheit war.
Sowie die den Divisionen und Corps nicht beigegeber.e
Cavallerie einheitlich geführt wurde, so gab es auch einen großen
Artilleriepark für die Armee, der jedoch mit Geschützen sehr
dürftig ausgestattet war. Auf fast zweihundert sonstige Fahrzeuge
(Munitionskarren u. dgl.) kommen nur 24 complete Geschütze,
der Park folgt IV2 — 2 Tagemärsche hinter dem Hauptquartier
und kann somit nur Ersatz- nicht taktischen Zwecken gedient
haben.
-) Mitth. d. Kriegs- Arch. 1881, 185 ff. Mayer v. Heldensfeld in seiner gleich nach d«,T
Ereignissen geschriebenen meisterhaften Denkschrift.
••) Rüstow, I, 237
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— 23 —
Die Garde wurde als einheitliches Corps nicht verwendet;
Infanterie und Cavallerie derselben sind ganz getrennte Heeres-
körper unter zwei von einander unabhängigen Marschällen und
treffen zu verschiedenen Zeiten bei der Armee im Felde ein.
Generalstab und Adjutanten, Der napoleonische Generalstab
ist vorbildlich geworden für die Generalstäbe der heutigen Zeit.
Wir finden damals schon zwei Hauptabtheilungen unter einer
Centralstelle bestehen :*) die administrative und die taktisch-strate-
gische Abtheilung, Bureau- und operativer Dienst; und decken
sich die bezüglichen Functionen fast völlig mit dem, was heute
üblich ist. An der Spitze des großen Generalstabes steht der
Major-General, an der eines Corpsstabes der r/r^/^V/a/wo/or, die
Oflficiere des Generalstabes waren besonders fürgewählt und es
konnte keiner avancieren, so lange er nicht zwei Jahre bei
seiner Waffe Truppendienst gethan ;**) ja der Kaiser hob den
Grad des Bataillonschefs im Generalstabe auf, damit ja kein
Hauptmann durch Verbleiben in demselben Oberst werden könne;
der stete Contact und Rapport mit der Truppe wird vom Gene-
ralstabsoflficier verlangt ; im Felde werden sie auf bestimmte Zeit
zu den Avantgarden commandiert, auf dass sie der Eigenschaften
eines erfahrenen Frontofficiers durch die Specialverwendung nicht
verlustig würden. Man sieht, Napoleon hält sehr darauf, dass
der Generalstab nicht eine exclusive Kaste werde.
Die fortwährende Verbindung der Corps untereinander und
mit dem großen Hauptquartier, der ununterbrochene Rapport
zwischen den führenden Stellen, war als Grundsatz anerkannt.
So sehen wir von jedem Corpsstabe beständig einen Officier im
Hauptquartiere commandiert, welcher den officieilen Verkehr der
ersten und der zweiten Stelle ofTiciös zu completieren, vertraulich
zu vermitteln hatte. Ein großes Gewicht legt der Kaiser darauf,
dass eine möglichst ansehnliche Zahl von Adjutanten bei den
einzelnen Generalen vorhanden sei, dass sie zu Ordonnanz-
zwecken zu verwenden seien, jedoch durchaus nicht aus der
Front hiezu abcommandiert, sondern aus den Divisionen des
Innern und den Depots herangezogen werden sollten.***)
•) Rüstow, I, 256 ff.
*•) Kriegsministerial-Decret vom 15. Mai 180ö.
•••) An Berthier, St. Cloud, 17. Sept.
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— 24 —
Nicht genug bemerkt werden kann, dass der Chef des großen
Generalstabes der Armee diese Stelle seit dem Frühjahr 1796 bei
Napoleon bekleidete, in das militärische Denken seines Herrn —
soweit dieser eben sich mitzutheilen für angemessen fand — ein-
geweiht, endlich mit sehr umfassenden Befugnissen und Macht-
vollkommenheiten versehen war ; man durfte den Fürsten von
Neuchatel während der Abwesenheit des Kaisers von der Armee
wahrhaftig als dessen alter ego betrachten.
Die Marschälle. Sehr verschieden ist das Urtheil der Nach-
welt über die Paladine des ersten Kaisers der Franzosen aus-
gefallen und erklärt sich dies genugsam aus dem Zusammenbruch
jener gewaltigen Schöpfting, die so mancher von ihnen durch
eigene Schuld, aus Unzulänglichkeit, so mancher aus Berechnung
zu Grabe getragen; bitter sind zumeist die Urtheile gefärbt, die
der gestürzte Cäsar über seine dereinstigen Werkzeuge fallt und
ungerecht gegen sie ist er oft bis zur Evidenz. Der Major-
General der Großen Armee hätte wohl einen anderen Nachruf ver-
dient, als den süffisanten Vergleich des Adlers mit dem Gänserich,
denn trotz der ihm mit Recht zu machenden Vorwürfe*) steht
dennoch fest, dass ohne die Generalstabswissenschaft des in der
neuen Welt gebildeten Berthier Napoleon vieles sicher nicht ge-
leistet hätte.**)
Einen Typ für den Marechal de France des ersten Empire
zu geben, erscheint nicht ganz unmöglich; haben diese Männer
doch eine ganze Reihe von Eigenschaften gemein. Der lebhafte
Ehrgeiz, der, dazumal noch eine sehr greifbare Realität, desto
heftiger zu werden scheint, je mehr sein Träger auf
jenem Wege geht, der unbedingten Einsatz der
Person nicht mehr erheischt, je höher sich derselbe
somit auf der Stufenleiter militärischer Hierarchie befindet; ein
durchgängig geringes Lebensalter,***) in welchem die impulsiven
Elemente einer Natur noch nicht zu sehr gedämpft und abge-
stoßen sind; eine reiche Kriegserfahrung, gewonnen in langer
Schule des Krieges; eine gewisse summarische, von obenher an-
erkannte Kriegspraktik, neben der Raum für Specialanschauungen
*) V. Lettow- Vorbeck, I, 71.
•*) Jahns, in, 2127.
••) Gesch. d. Kriege in E. VII, 28.
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— 25 —
vom Kriege nicht gut bestehen kann; ein lebhaftes Verlangen,
den obersten Kriegsherrn zufrieden zu stellen, also ein Conver-
gieren aller Einzelbestrebungen auf das allgemeine Beste hin, das,
gerade weil es aus egoistischen Ursachen her-
kam, doppelt wirksam werden musste. Denn Napo-
leon verstand zu belohnen, sowie er zu strafen meisterlich ver-
stand; und mehr noch, er wusste seine Werkzeuge durch stete
Aussicht auf Belohnung gefügig und geschmeidig zu erhalten.
22 Herzogthümer hatte er im April 1806 geschaffen mit Renten
von zusammen 2*4 Millionen*) und ein Theil davon war bis-
lang noch nicht vergeben; gut genug wussten die Marschälle
und Generale, dass die nächste Campagne über deren Bestimmung
mit entscheiden werde.
Sehr verschieden allerdings war die Herkunft der ersten
Soldaten des Kaiserreiches gewesen und gerade die bedeutendsten
von ihnen waren aus den Tiefen der Gesellschaft mühsam
emporgestiegen, wie der Böttcherssohn Ney, oder Soult, der
Bauernknabe; alle waren sie aber durch die Wirren der Revolution
gegangen und sie sahen sich nunmehr in Stellungen, die sie
einzig dem gekrönten Soldaten an ihrer Spitze verdankten. Wahr-
lich, wenn anders guter Wille etwas gilt im Leben, hier und jetzt
muss er wirksam gewesen sein.
Und In der That, die Führer der Corps stimmen — mit
ganz vereinzelten Ausnahmen — vollkommen überein, arbeiten
sich in die Hände, wie sich im Verlaufe der Begebenheiten zeigen
wird; Reibereien waren vorgekommen, jedoch ganz vorüber-
gehender Natur und vieles musste noch geschehen , bis ein
Marschall von Frankreich sich bei seinem Souverän über den
andern bitterlich beklagt.**)
Es wird sich bei Betrachtung der Ereignisse zeigen, wie
hoch die militärische Capacität der napoleonischen Unterfeldherren
für diesen Feldzug anzuschlagen ist. Hatte er wirklich nur
thätige, fleißige, blind ergebene Mittelmäßigkeiten um sich, aber
sehr wenig denkende Führer?***) Mit dieser Termino-
logie, die gerade gegenwärtig sehr im Schwange
•) Thiers, VI, 494 ff.
•*) Marmont, V, 316.
••) York, I, 2r.O.
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— 26 —
ist, muss man ziemlich vorsichtig sein; denn
concret und anschaulich ist sie durchaus nicht:
zuviel muthet sie dem Wissen und Erkennen der Nachgeborenen
zu. Sicher ist, dass für jetzt der beste Wille der Marschälle
vorhanden war, ihr Bestes zu dem Gelingen beizutragen. Und der
gute Wille, der erzwungen war, war den Gegnern jener Zeit
im Angesicht gewiss unendlich viel.
Der Kaiser, Vor allem ist zu erkennen, dass seit Austerlitz
der Gedanke an das Reich des Abendlandes in der Seele dieses
außerordentlichen Mannes immer mehr platzzugreifen und be-
stimmte Formen anzunehmen begann.*) Es ist für die Beurtheilung
des Feldherrn so ziemlich irrelevant, wohin sein staatsmännischer
Blick über die Schärfe des gezückten Schwertes hinausgieng —
soweit das Ziel doch nur ein vages Project gewesen ist, das
klar zu erfassen er vielleicht noch gar nicht denkt — und so
scheint die Frage von geringem Interesse, ob der neue Krieg
wirklich nichts anderes hat sollen sein, als ein gewaltiges Mittel,
das ihn auf seiner gigantischen Bahn zu einer neuen — wenn
auch nur provisorischen Etape — führen wird.**) Aber die
Thatsache, dass von Austerlitz an ein neuer Abschnitt in seiner
persönlichen Entwicklung begann,***) mag immerhin — wenn
auch mit Vorbehalten — hingenommen sein; worin die Elemente
dieser Entwicklung bestehen, wird aus den Reflexen zu erkennen
sein, die von dem, was der Kaiser diesmal thut, auf das, was
er wollte, zurückführen.
Zweifellos ist, dass der Kaiser für dieses Jahr mehr denn
jemals früher der Hingabe seiner Armee sowohl als ihrer Generale
sicher war; mächtig stand er über allem, was ihn umgab und
Widerspruch gegen ihn beginnt unmöglich zu werden; mit
seltener Kunst weiß er seine Ausnahmsstellung jedermann gegen-
über zu wahren und der Ton, in dem er zu seinen Marschällen
spricht, kann gelegentlich ein äußerst scharfer, schneidiger sein.
Wir haben bereits gesehen, wie der Kaiser im Felde Sou-
verän und Staatsmann zu bleiben gedenkt und wie er — Friedrich
dem Großen vergleichbar — es meisterhaft versteht, Scepter und
•) Fournier, II, 86 ff.
••) Castille, 237.
••) York, I, 247.
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— Er-
schwert in einer Hand zu führen; es hieße wahrlich Eulen nach
Athen tragen, wollte man sich des langen und breiten über
das Princip der Centralisation aller Gewalten in seiner Hand
ergehen. Genug, er ist da und wirkt in kriegerischer Hinsicht
wahrhaft potenziert: Er befiehlt die großen Operationen, er erlässt
taktische Specialdispositionen, er entscheidet Details des Munitions-
ersatzes und Verpflegungswesens; er ist die Seele von Allem.
Niemand wird — ohne noch die Verhältnisse beim Gegner
zu kennen — sich bedenken, die erzwungene Einheitlichkeit
der Kriegshandlung an sich und ohne Hinblick auf die Person
des ersten Napoleon für einen Vortheil anzusehen.
Auch der Zeit, dieses mächtigen Verbündeten oft, doch
öfter noch unerbittlichen Gegners im Kriege, sucht der Kaiser so
weit als möglich Herr zu werden; am Marsche arbeitet er mit
dem Major-General und bei seinem Eintreffen im Quartier findet
er die Karte des Operationstheaters mit den die Truppenstellungen
weisenden Nadeln besteckt; mit unglaublicher Schnelligkeit dictiert
er das Material zu den Befehlen Berthiers, und seine Secretäre
bedienen sich einer Chiffernschrift, um keinen Verzug zu ver-
schulden.*)
Die Technik der Befehlsgebung Napoleons ist vielfach an-
gefochten worden, weil Ungenauigkeiten nicht allzuselten sind
und weil man anzunehmen liebt, als sei die „Selbstthätigkeit" der
Unterführer durch die Centralisation in der Person des Kaisers
bedenklich unterbunden worden; indessen ist gerade in letzterer
Beziehung aus jedem Stück seiner Correspondenz mit den
Marschällen die Aufforderung zu eigenem Denken und Thun
— als Princip hinausposaunt wohl nicht — doch indirect zu
lesen;**) und was die Mängel der Befehlsgebung betrifft, so steht
dahin, ob solche durchaus immer zu vermeiden sind; selbst das
vollkommenste Heer unter den vollkommensten Führern erfährt
diese Art von Friction auch mitten im Erfolg***). Und dann —
sowie alles relativ ist im Leben, so ist auch im Kriege alles
*) Neue militärische Blätter, XXXIX, 374.
••) An Soult, Würzburg, 5. und Ebersdorf 10. Oct.; an Murat, Gera, 13. Oct.; au
Lannes, Bamberg, 7. Oct.; u. a. a. O.
'••) HOnig, 24 Stunden Moltke'scher Strategie; für den Leser von gereiftem Urtheil
äußerst lesenswert.
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— 28 —
relativ, und nur bei Betrachtung dessen, was beim Gegner
geschieht, kann es sich zeigen, ob das, was an sich weit vom
Ideal erscheint, nicht nach gepflogenem Vergleiche wahrhaft ideal
genannt zu werden verdient.
Man kann wohl glauben, dass Napoleon für den Krieg mit
Preußen mindestens nicht schlechter disponiert gewesen ist, als
für seine früheren Kriege; jedesfalls tritt er vom Anbeginne in
warhaft militärischer Weise in denselben ein, was bekanntlich
nachmals nicht stets der Fall gewesen ist. Wie viel davon zu
halten sein wird, wenn wir hören, er sei mit einer Art von
Widerwillen in den Krieg gegangen,*") ja er habe sich einer
geheimen Unruhe kaum erwehrt,**) wird die Betrachtung der
Ereignisse zeigen.
Anschauungen über den Krieg, Dieselben flössen aus der
Praxis der Kriege her, waren während der Friedenszeit des Cön-
sulats gepflegt, 1805 aufgefrischt und in ihrer Zweckmäßigkeit
dargethan worden; in der That hat sich kaum jemals die An-
schauung vom Kriege in einer Armee besser mit dem, was diese
Armee im Kriege that, gedeckt, als in der Zeit von Austeriitz
bis Wagram im Heere des Empire. Indessen ist es nicht recht
thunlich, ein klares Bild der Art, wie man über den Krieg bei
den Franzosen dachte, aufzustellen; wir hören stets nur von dem,
was man im Kriege that, und sind darauf reduciert, im nach-
hinein aus der Kriegsgeschichte die leitenden Ideen zu gewinnen,
denn diese selbst sind uns nicht unmittelbar überliefert; Jom.ini
schrieb zum größten Theil im nachhinein, und was er schrieb, war
meist Speculation. Dann decken sich die Anschauungen der napo-
leonischen Führer über den Krieg in vielen, vielen Punkten fast
ganz genau mit dem, was uns heute bekannt und geläufig ist,
und so erscheint uns ihre Anschauung vom Kriege als der In-
begrifif der allgemeinen, einzig möglichen, weil einzig vernunft-
gemäßen, „unveränderlichen" Ansicht, mit der wir sehr vertraut,
in der wir heimisch sind. Somit fehlt uns — und das Urtheil
so zahlreicher Richter thut dies zur Genüge dar — der unpar-
teiische Platz, von dem aus der Vergleich des neuen Systems
') York, I, 251.
'•) Talleyrand, memohes, 1, 301
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- 29 -
mit dem alten billig ausfallen kann; denn wir leben ganz im
neuen, sehen und urtheilen durch dieses ; erst das nächste System
wird vermögen, klar im Urtheile über seinen zweiten Vorläufer
zu sein. Noch eins! Die selbstgefällige Terminologie des „Fort-
schrittes" in militärischen Dingen hat stets verwirrt, wird immer
verwirren, und ein besiegtes System wird stets in Bausch und
Bogen, als System, von uns, die wir über den „Fortschritt"
jubeln, und blindlings verdammt.
Die Anschauung der Franzosen vom Kriege war eine
unendlich praktische: Es galt, mit den reichlich vorhandenen
Mitteln auf dem raschesten Wege zum größten Erfolg zu gelangen.
Strategie, Zum angenommenen System gehörten: das be-
kannte Echiquier, das bei der Bewegung der Armee dort eine
breite Furche über den Boden zog, wo die Spur des Heeres der
alten Zeit nur ein dünner Streifen war;*) das proclamierte Princip
der Überlegenheit an Zahl als ersten und wichtigsten Garanten
zum Erfolge, zu welchem Ende die Beweglichkeit der Truppen
auf die Grenze physischer Möglichkeit gesteigert werden muss;
weitreichende strategische Aufklärung und förmliche Jagd nach
allem, was Aufschluss über des Gegners Stärke, Stellung, Ab-
sicht geben kann; das Land muss den Krieg ernähren, der auf
demselben spielt; jeder Erfolg ist möglichst auszunützen.
Große Taktik, Ohne dass es hier i^endwelche officieile
Weisungen gab, leuchtete doch den Führern aller Grade der
napoleonische Gedanke ein: Successiver Gebrauch der Streit-
kräfte,**) langsames Verzehren secundärer Machtmittel, die für
diesen Zweck in besonderen taktischen Formen aufzutreten haben,
und Herbeiführen der Entscheidung durch einen Massenstoß oder
das Drohen mit demselben; letztere Absicht ist 1806 noch nicht
zum Typ geworden und ebensowenig ist es die Verwendung
von Geschütz und Reiterei in Massen; indessen sind aus den
Campagnen der Revolution noch manche Ideen in die cäsarische
Zeit mitherübergenommen worden ; so die Tendenz zur taktischen
Umfassung, die, wie wir aber sehen werden, manchmal fast
Umgehung wird.
*) Rüstow, I, 243 ff.
••) Vom Kriege, II, 282.
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- 30 —
Dies lässt sich mit einiger Sicherheit als das Bild jener
Auffassung vom Kriege bieten, unter deren Zeichen die Marschälle
des Kaiserreiches einem neuen Krieg entgegensahen.
Bemerkenswert ist, wie der Kaiser von Fall zu Fall stra-
tegische und taktische Anweisungen für besondere Lagen gibt;*)
dass seine Marschälle eine erprobte Schablone besitzen, ist ihm
bekannt; er corrigiert sie, wo sie ihm nicht auszureichen scheint.
Wissenschaft und Krieg, Dieser Gegenstand soll hier nur
des Contrastes wegen mit dem , was wir in Preußen finden
werden, angezogen sein. In der That hatten die Generale und
Officiere des Empire wahrlich keine Zeit, sich als Gesammtheit
der Wissenschaft zu widmen; wohl waren einige der Marschälle
eifrige Leser der Kriegsgeschichte gewesen, die Masse der Offi-
ciere jedoch dachte an nichts weniger als an theoretische Studien
und befand sich wohl dabei. Es scheint in der That, als solle es
so sein. Stets sind es immer nur einzelne Ausnahmsnaturen, die
den Krieg nothdürftig aus Büchern verstehen und die, aus der
Studierstube auf die Bühne des Krieges tretend, nicht viel mehr
zu lernen haben, nur längst bekannte Dinge sehen. Die Mehr-
zahl treibt das Studium, wenn sie es treibt, völlig im Geiste ihrer
Zeit, blindlings und ohne Nutzen. Wozu soll dem niederen Officier
die Kenntnis großer Operationen dienen? Denn versteht er sie
nicht — das ist die Regel — so hat er zwecklos gelernt; und
fasst er den Geist des Krieges auf — ein äußerst seltener Fall —
so ergreift ihn die Welt, die sich ihm da aufgethan, mit solcher
Gewalt, dass er als niederes Werkzeug gründlich verdorben ist.
Die Intelligenz des niederen Officiers — in den gehörigen Schranken
— ist ein zierendes Attribut für ihn außerhalb der Dienstfunctionen;
jedoch sie kann nur allzuleicht voller Gefahren sein.
Der napoleonische Troupier lebte sowie physisch in den
vielen Kriegen, so auch intellectuell so recht von der Hand in
den Mund; sein Souverän und er, nochmals, befanden sich wohl
dabei. So schweigt auch die Militäriiteratur fast ganz und bleibt
es deutschen Autoren überlassen, Kriegswesen und Kriegfühmng
der Revolution sowie des Kaiserreiches kritisch zu beleuchten.**)
*) An Soult, Brunn, 26. Nov. 1800; an denselben. Mainz, 29. Sept. 1806 u. a. a. O.
••) Jahns, III, 2133 ff.
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- 31 —
Der monarchische Sanscnloliisntus. Diese Eigenschaft guckt
wohl aus allen Formen napoleonischen Kriegswesens hervor:
aus der Taktik, aus der Strategie, aus der Verpflegung, aus dem,
was man Kriegsusance nennen könnte, spricht jene gesunde
Rücksichtslosigkeit gegen seine Mittel, seine Umgebungen, vor
allem gegen sich selbst, die, vom Geiste der Zeit jeweilig mehr
oder minder beengt, doch zweifellos nothwendiges Attribut des
tüchtigen Soldaten ist im französischen Nationalcharakter liegend,
war diese Eigenschaft zwischen Austerlitz und Jena eine treibende
Potenz geworden, ohne dass noch erhebliche Unzukömmlich-
keiten aus derselben nachzuweisen sind; und wir werden sehr
bald Anlass haben zu Betrachtungen über ihren Wert und Ver-
gleichen mit dem Gegner.
Dies scheint somit eine Skizze des Werkzeuges zu sein,
das von Seite der Franzosen für den Kampf verwendet werden
sollte; eine Skizze sagen wir; denn erst der Vergleich mit
dem Kriegsinstrumente des Gegners kann ihr Leben und Formen
des deutlichen Bildes geben..
Preußen.
Die Mittel, über welche Preußen zunächst zum Kampfe
verfügte, zog es aus seiner eigenen Bevölkerung und der
seiner Verbündeten, von denen Sachsen allein merklich ins
Gewicht fällt. Die Staaten des Königs zählten etwa 9 Vi, jene des
Kurfürsten 2V2 Millionen Seelen; in Summe verfügte daher Preußen
über vielleicht 12 Millionen Menschen, wenn man die kleineren
deutschen Verbündeten hinzuzählt.*)
Preußen war niemals ein gesegnetes Land gewesen; nur
der außerordentliche Fleiß seiner Population und eine Staats-
verwaltung von seltener Strenge hielten das Land finanziell über
*) Die Zahlen nach Mayer v. Heldensfeld, 187.
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32
Wasser und das nur mit Mühe. Wenn auch die neuere histo-
rische Forschung das Andenken Friedrich Wilhelms IL vom
Vorwurfe, er habe sein Reich finanziell völlig zerrüttet, fast ganz
gereinigt hat, so steht immerhin fest, dass Preußen, dazumal
ohne starke innere Ressourcen, mit einem Kriegsschatze für den
lang vorausgeahnten Krieg keineswegs versehen war. Noth-
dürftig wurde durch unausgesetztes Sparen, in welchem der
Monarch persönlich das Beispiel gab, der Staatshaushalt im
Gleichgewicht gehalten ; einen Pfennig für den Fall der Noth
zurückzulegen, konnte nicht zu denken sein. Am 1. Juni 1806
musste, zum erstenmal in Preußen, Papiergeld ausgegeben werden.
Die Siaatsntaschine, Im Gegensatz zu den neuen Formen
des französischen Staates war die preußische Staatsmaschine in
ihrem ganzen Wesen das graugewordene ruhmreiche Product
einer ruhmvollen Zeit; sie gipfelte in der Cabinets regier ung, die
Friedrich so meisterhaft zu führen verstand, von der jedoch
wenig mehr als die äußere Form auf die neue Zeit gekommen
war. Unstreitig ist eine Cabinetsregierung, welche ihre Thätigkeit
auf alle Zweige der Staatsverwaltung und ihre Einflussnahme
auf alle Classen der Staatsangehörigen erstreckt, die kräftigste,
kürzeste, lebendigste aller Geschäftsformen, wo sie von einem
kräftigen, selbstthätigen Fürsten geführt wird.*) Allein in Preußen
bestand dazumal die Ingerenz des Monarchen auf die Staatsge-
schäfte in wenig mehr als gewissenhafter Erledigung der ihm
von den Cabinetsräthen vorgelegten Stücke, ohne seine eigene
Persönlichkeit geltend zu machen, was mit dem fast krankhaften
Misstrauen Friedrich Wilhelms III. in seine eigene Krafl innig zu-
sammenhängt. Wie oft mag er nicht seine hohe Stellung ver-
wünscht und nach der eines unbemerkten Privatmannes ver-
langt haben!**)
So erklärt es sich zur Genüge, dass die Leitung des preußi-
schen Staates fast ganz in den Händen einer einflussreichen Hof-
partei war, deren Mitglieder jedoch unter sich durchaus nicht
einig waren, und deren trostlose Zerfahrenheit aus jeder Zeile
der Denkwürdigkeiten des Staatskanzlers Fürsten von Harden-
berg zu lesen ist. Wenngleich die von den einflusshabenden
*) Clausewitz, Nachrichten, 422 ff.
*•) Hardenberg, II, 94.
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- 33 —
Menschen jener Zeit nach der Katastrophe erschienenen Memoiren
alle vom persönlichen Standpunkte aus persönliche Vorwürfe ge-
hässigster Art, persönliche Zwecke des Nebenbuhlers betreffend,
erheben, und sich ein verdammendes Urtheil über sie nachmals,
dem Fatum gleich, erhalten hat, so geht doch aus nüchterner An-
schauung der Thatsachen hervor, dass trotz allem weniger persön-
liche Sonderinteressen collidierten, vielmehr ein wahrer Gegensatz
von Überzeugungen vielfach stattgefunden hat Allein, wenn der
Souverän zwischen einander bekämpfenden Meinungen seiner
Berather schwankt, und das politische System heute umgestoßen
wird, um morgen wieder hergestellt zu werden, ist dies nicht
allein schon ein bedenkliches Symptom?
Auf diese Verhältnisse wird bei Darstellung der politischen
Vorgeschichte des Krieges näher eingegangen werden.
Es muss aber noch einer Thatsache gedacht werden, deren
Vorhandensein nicht ohne Gewicht in der Stunde der Entscheidung
war; wenngleich Muth dazu gehört, genug, und Vorsicht, um
nicht zuviel zu sagen : Fest steht, dass eine hohe Frau auf die
Leitung der Regierung beständig und mächtig Einfluss genommen
hat,*) sowohl was die inneren Angelegenheiten, dann militärische
Dinge, besonders aber was die auswärtigen Beziehungen betraf.
Es leuchtet ein, dass dieser Umstand, trotz des besten an den
Tag gelegten Willens, aus einer ganzen Reihe von Ursachen vor-
theilhaft auf den Gang der Staatsgeschäfte nicht eingewirkt
haben kann.
Volk und Heer, Während unter dem großen Friedrich das
Individuum erstaunlich wenig gegolten hatte,**) entwickelte sich
unter der liberal angehauchten Regierung Friedrich Wilhelms III.***)
und unter dem Einfluss der von Frankreich herüberwehenden
Begriffe von Freiheit und Menschenrechten die Idee von der
Würde des Individuums: der „biedere" Mann kam in Aufnahme.
Derselbe acceptierte sehr rasch die Laster der Revolution, die im
frostigen Norden nicht laut, desto nachhaltiger im Volke lebten,
ohne deren Tugenden mitzuübernehmen. Das Staatsinteresse, das
Friedrich so handgreiflich zu erwecken gewusst, trat, sobald es
•) Hardenberg, II, 412, 563; IN, 212 u. a. a. O.
**) V d. Goltz, 287.
*••) Clause Witz, Nachrichten, 424.
C. von B.-K. Zur Psychologie des großen Krieges II.
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— 34 -
auf den guten Willen des Individuums gestellt ward, gegen den
Cult des Individuums zurück; unter den milden Strahlen der Auf-
klärung griff das Streben nach persönlichem Wohlergehen um
sich. Wenn man auch dem Volksgeist einen noch so geringen
Antheil an der blutigen Entscheidung als solchen einzuräumen
gewillt ist, so geht doch aus allem hervor, dass der kriegerische
Genius jetzt bei den deutschen Stämmen insgesammt weit weniger
zuhause war, als bei ihren Gegnern, den Franzosen; bei diesen
liegt er gewissermaßen im Blut; bei jenen muss er stets künst-
lich geweckt werden.
So kam es, dass die Armee allgemach zum Stiefkinde des
Vaterlandes herabgesunken war.*) Wir werden aus den Daten
über ihre Ergänzung ersehen, dass sie nichts weniger als eine
nationale Institution gewesen ist, wozu allerdings der Kastengeist
der Officiere — an sich eine gewiss lobenswerte
Eigenschaft — manches beigetragen haben mag. Der Bürger
zehrte in seinen Mußestunden von den Erinnerungen Friedrichs
des Großen, allein er vermied die Berührung mit seinem nach-
gerade rostig gewordenen unsympathischen Kriegsinstrument. Im
Felde selbst fühlte sich der deutsche Bürger geradezu als natür-
lichen Feind des deutschen Soldaten, wenngleich uns rührende
Züge des Gegentheiles hin und wieder überliefert sind.**) Trat
der Bürger in Friedenszeiten mit Angehörigen des Heeres in
Berührung, so wusste er sich den Vorrang von amtswegen
garantiert. Überall und immer sah er im Soldaten lediglich einen
schlecht gelöhnten Schutzmann ohne die Rechte eines solchen,
und der Excedent sogar wusste gar wohl, dass gegen ihn mit
„Glimpf und Gelassenheit", „mäßiger** Strenge und „gebürender'
Weise vorgegangen werden müsse.***)
Man sieht: die erste Bedingung für wahrhaft
militärischen Geist in der Nation, die bevorzugte
Ausnahmsstellung der Armee, war dieser derzeit
keineswegs gegeben.
Ergänzung des Heeres. Das Heer bestand aus zwei Ele-
menten ganz verschiedenen Ursprungs, und hatte zu dieser Art
•) V. d. Goltz, 289.
") Dcchend, 78.
•") V. d. Goltz, 292.
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*
der Truppenaufbringung die Menschenarmut Preußens und der
Menschenverbrauch in den schlesischen Kriegen geführt, war
dieselbe endlich durch Friedrich sanctioniert. *) Den eigentlichen
Kern des stehenden Heeres bildeten geworbene Ausländer, die
aus alier Herren Länder bunt zusammengewürfelt waren. Dem
im Cantonreglement von 1792**) klar ausgesprochenen Grund-
satze allgemeiner Wehrpflicht gemäß wurde die kriegsdiensttaug-
liche männliche Bevölkerung zum Waffendienst herangezogen
und zwar auf 20 Jahre — nominell; in Wirklichkeit waren die
Inländer nur das erste Jahr und auch dieses oft nicht ganz bei
den Fahnen und wurden weiterhin nur alle zwei Jahre zur
Exercierzeit eingezogen, so dass der Fußsoldat auf nicht mehr
als P/4, der Reiter auf 2^/^ Jahre effectiven Dienstes höchstens
kamen;***) und so kann man das System der Königsurlauber
mit Recht als reine Miliz bezeichnen — für jene Zeit natürlich
nur, versteht sich. Aber auch von den geworbenen Ausländern
dienten durchaus nicht alle präsent; es war vielmehr den Com-
pagniechefs gestattet, von den 76 Ausländern der Compagnie bis zu
26 Freiwächter innerhalb der Garnison zu beurlauben, und es
wurde diese Zahl, da die Gebüren der Beurlaubten dem Com-
pagniechef zur Verfugung überiassen blieben, nur zu oft und er-
heblich überschritten. Bei mancher Compagnie verblieben nicht
mehr als 30 — 40 Mann zum Dienst, welche natürlich kaum zur
Bestreitung der Wachen, geschweige denn für die Ausbildung
genügten.
Im Kriegsfalle erforderte diese Heeresverfassung das, was
sich mit einer allgemeinen Mobilisierung unserer Tage vergleichen
lässt In vier bis sechs Wochen 100.000 Mann gegen Österreich
ins Feld stellen zu können, war der Triumph Friedrichs gewesen,
und die Epigonen hatten damit bescheiden vorlieb genommen, f)
Ehedem hatte sich diese Einrichtung, allerdings bevor sie
ein System geworden, als sie aus unmittelbarem Bedürfnisse der
Zeit hervorgegangen war, im großen Ganzen bewährt. Aber
dazumal waren Kräfte vorhanden gewesen, die das kunstvolle
♦) Milit Test, 4 ff.
") Jahns, III, 2248.
•••) V. d. Goltz. 88.
t) Clausewitz, Nachrichten, 468.
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Conglomerat innig zusammengehalten: die Disciplin im Heere,
der Wille Friedrichs des Großen; diese Kräfte fehlten jetzt.
Die Gesammtstärke der preußischen Armee wird für das
Jahr 1806 mit rund 200.CXX) Mann angenommen werden können.
Davon konnten zur Verfügung im freien Felde des thüringischen
Operationstheaters stehen etwa 140.000 Mann, da immobil im
Innern belassen wurden etwa 33.000 Mann, 16.000 zur Reserve-
armee gehörten und etwa 10.000 in Norddeutschland verzettelt
standen. Rechnet man das Contingent Sachsens (die übrigen
fallen nicht ins Gewicht) mit 20.000 Mann*) hinzu, so hätten
fuglich anfangs October weit über 150.000 Mann zur Entscheidung
bereitstehen können; wieso es kam, dass dies nicht geschah,
werden wir bei Besprechung der Operationen sehen.
Für eine eigentliche Reichsvertheidigung war in keiner
Weise vorgesorgt.**) Es fehlte, zumal bei den zahllosen Aus-
nahmen von der allgemeinen Wehrpflicht, die rechtliche und
organisatorische Grundlage zur Bildung starker Reserven und
das große Princip des successiven Kraftgebrauches***) war so
wie taktisch im Linearsystem, wehrpolitisch im alten Staat und
1806 ein ziemlich unbekanntes Ding. Wohl gab es viele, darunter
starke Festungen, und auf die konnte man, in den Anschauungen
vor der Katastrophe, immerhin mit einem Schein von gutem
Grunde zählen.
Die Truppen, Infanterie, Es gab Infanterieregimenter zu
zwei Bataillonen , dann Grenadier- und Füsilierbataillone, weiter
war ein Regiment Fußjäger zu drei Bataillonen vorhanden.
Eine Neuorganisation der Infanterie, mit Befehl vom 5. Juli 1806
angeordnet, konnte natürlich nicht mehr zur Durchführung ge-
langen. Für Ersatzzwecke bestanden 58 dritte Bataillone, die
jedoch nichts weniger als geeignet waren, kriegsbrauchbaren
Ersatz zu liefern.
Jede Feldcompagnie besaß 10 (bei den Füsilieren 20)
Schützen, die als leichte Infanterie verwendet werden sollten.
Die Formen nun, in denen diese Infanterie in's Gefecht
ging, waren jene des alten Linearsystems, die Art, wie die Fuß-
•) V. Lettow-Vorbeck, I, 96 und Clausewitz, Nachrichten, 476, Fußnote.
••) Mayer v. Heldensfdd, 195.
••) Vom Kriege, I, 256.
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truppen fochten, Friedrichs berühmte Combination von Feuer und
Bewegung, von welcher jedoch nicht viel mehr übrig geblieben
war, als der mechanische Chargierschritt und eine unglaubliche
Fertigkeit in Handhabung des Gewehrs. Das erste und Haupt-
gewicht wurde in der nachfriedericianischen Zeit auf Ordnung
und Geschlossenheit — Richtung und Alignement — der in drei
Gliedern rangierten Infanterie gelegt, bei den zerbrechlichen For-
men des Linearsystems allerdings zumindest ästhetische Noth-
wendigkeit, und gieng man zuletzt so weit, den Flügelunteroffi-
cieren Astrolabien an die Kurzgewehre zu geben , damit sie
geradeaus gehen konnten, wie an einer Schnur.*) Ein Blick in
die taktischen Lehrbücher und Reglements jener Tage zeigt, wie
verwickelt, ja geradezu verkünstelt die Bewegungen des Fuß-
volkes waren, und man begreift kaum, wie es möglich war, beim
Exercieren all dies wirklich auszuführen; dennoch geschah's bei
den Revuen , wenngleich im Felde von diesem Formen wüst
thatsächlich vieles abgefallen ist. Aber eben darin liegt das psy-
chologische Moment der Schwäche, wenn die Truppe erkennt,
dass das, was sie im Frieden gelernt und geübt, nicht für den
Kriegszweck passt; wenn jeder Füsilier die Wahrnehmung machen
kann, dass die Form, in der er kämpft, keine Kriegsform ist.
Ob und wann die Gefechtsformen der Infanterie dem Feinde
gegenüber thatsächlich nicht ausgereicht haben , wird an den
Gefechten zu ersehen sein.
Vor der Katastrophe war es angenommen, dass die Infan-
terie in ihrer geschlossenen Ordnung, mit dem gravitätischen
Stampfschritt in*s Gefecht eintreten solle; wohl hatte Friedrich
schon vernehmlich auf die immense Bedeutung der Tirailleurs
gewiesen,**) allein die tonangebenden Männer nach ihm wollten
durch die relative Unordnung zerstreut fechtender Truppen ihre
exacten Maneuvres nicht verdorben haben, und so schränkten
sie die Ausbildung der leichten Truppen auf ein möglichst be-
scheidenes Maß immer mehr ein. „Das Tiraillieren nährt den
natüriichen Hundsfott, der, wenn wir aufrichtig sein wollen, doch
in uns allen steckt, und diesen muss man zu unterdrücken
•) V. d. Goltz, 291.
•) MiliL Test. 27 ff.
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- 38 —
suchen",*) war das Argument, welches gegen den Schützenkampf
in's Treffen geführt wurde — mit bedeutsamen Seitenblicken auf
das „execrable Geschmeiß", so sich in den Freibataillonen (den
Vorgängern der Füsilierbataillone) von altersher zusammenfand.
Kein Zweifel kann bestehen, dass der obige Satz eminent
militärisch gedacht ist, und es steht sehr dahin, ob er nicht
in absehbarer Zeit seine Rehabilitierung erfahren müssen wird;
aber blieb man bei dieser Anschauung stehen, dann musste man
für den Kampf Imponderabilien mit sich bringen, deren Nicht-
vorhandensein die Führer hätten ahnen können , wie uns
heute scheint.
Reiterei, Man unterschied Cürassier-, Dragoner-, Husaren,
regimenter mit sehr variabler Zahl von Escadrons (Cürassiere 5.
zwei Dragonerregimenter ä 10 Escadrons u. s. w.); außerdem
die sogenannten Towarczys, vornehmlich aus polnischen Lanzen-
reitern bestehend. Jedes Regiment bildete ein Depot von circa
130 Pferden.
Die Reiterei war gut, das heißt besser als die der Franzosen
beritten, im Reiten und Waffengebrauche geübt, und im einzelnen
sowie in kleineren Verbänden trefflich ausgebildet. Allein sie war
nicht gewohnt, in großen Verbänden aufzutreten und ihre Ge-
nerale und Stabsofficiere waren sämmtlich zu alt. Recht an-
schaulich werden wir sehen, wie hier keineswegs die subalterne
Mechanik der Mittel, sondern die Art der Verwendung derselben,
der Geist, der sie führte, das Entscheidende war.
Artillerie, Jämmerlich war es mit derselben bestellt Es
bestand die Theilung in Bataillonskanonen und Batteriegeschütz.
Letzteres war im Frieden eingetheilt in Fußartillerieregimenter
(4 ä 9 Batt. zu 6 Zwölfpfündern nebst 2 Zehnpfünderhaubitzen)
und ein reitendes Artillerieregiment (20 Batt. zu 6 Sechspfündem
nebst 2 Siebenpfünderhaubitzen), außerdem bestanden 8 Reserve-
batterien zu Zwölfpfündern. Bespannt war bei der Fußartillerie
nur je eine Batterie in Breslau und Berlin, bei der reitenden die
Hälfte der Batterien. Das Material scheint mit Ausnahme der
Rohre sehr minderwertig gewesen zu sein; im Zeughause zu
Berlin wurde die Ausrüstung der Artillerie mit einer Sorgfalt auf-
•) V. d. Goltz, 209.
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— 39 —
bewahrt, dass jeder Strick und jeder Nagel vorräthig waren,
aber Stricke und Nägel waren gleich unbrauchbar.*) Sollte nun
mobilisiert werden, so wurden die Zugpferde vom Lande geliefert
und als Fahrer halbinvalide Cavalleristen und unausgebildete
Cantonisten als Stückknechte genommen. **) Taktische Vor-
schriften gab es für die Verwendung der Artillerie durchaus nicht;
kam doch das erste preußische Reglement für dieselbe erst im
Jahre 1812 heraus.***) An technischen Truppen bestanden ein
Ponton iercorps (2Vi Comp.) und ein Mineurcorps (4 Comp.); an
Material waren für die Armee im Felde vier Modderbrückencolonnen
zur lieber seh reitung von Gräben und drei Pontontrains vor-
handen.
Manövrieren. Die großen Manöver der preußischen Armee
galten in derselben allgemein als Vorschule für den Krieg, das,
was sie ergaben, gedachte man allen Ernstes im Felde anzu-
wenden, und es hat sich in der That das, was nachmals am
Gefechtsfelde geschah, meistens — wenn auch durchaus nicht
ausnahmslos — mit dem, was am Manöverfelde geübt worden,
gedeckt
Es muss bemerkt werden, dass es keineswegs angeht,
die Manöver der Zeit vor Jena post festum souverain für Spielerei
und eitlen Humbug zu erklären; billige Betrachtung zeigt, dass
sie sehr lebensfähige Elemente mitunter bargen, Dinge, auf die
man lange nach der Katastrophe vorurtheilslos zurückgekommen
ist.f) Und dann ist der gewaltige Umstand nicht zu übersehen,
dass der alternde Friedrich die Beschäftigung am Manöverfelde
wahrhaft zum Cult erhoben hatte.ff) Die Anerkennung des ge-
sammten Auslandes trat hinzu und wie sollten da die mitunter
enthusiastischen Urtheile fremdherrlicher Officiere auf das Ver-
trauen im eigenen Lande nicht rückwirkend gewesen sein?
Man unterschied Revuen und Manöver; erstere waren ein
einfaches Exercieren im Feuer ohne untergelegte Idee, während letz-
tere unseren heutigen Übungen mit markierten Gegnern glichen.
*) Clausewitz, Nachrichten, 425.
*♦) V. Lcttow- Vorbeck, I, 56.
••*) Jahns, III, 2679.
t) V. d. Goltz, 276 ff.
ff) Jahns. III, 2123.
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Die Hauptaufgabe bestand in möglichst rascher und tadelloser Aus-
führung der großen Evolutionen. Die Hauptabsicht gieng dahin,
eine möglichst große Zahl von Bataillonen möglichst geordnet
und gleichzeitig auf einen Punkt zu bringen — eine gewiss ge-
sunde Idee; allerdings war es gerade nicht zweckmäßig gedacht,
wenn es auch kriegerisch gedacht war, als Grundsatz anzunehmen,
der stärkste Punkt der gegnerischen Stellung wäre anzugreifen.*)
Vorbereitet wurden die Manöver durch umfangreiche, die
kleinsten Details regelnde Dispositionen, die oftmals Tage vorher
bekannt und studiert wurden, so dass der Initiative der Führer
allerdings wenig überlassen blieb und eine Aufforderung zur
Selbstthätigkeit keinesfalls zu spüren war. Und man verlangte
solche nicht; der Zweck war erreicht, wenn alles halbwegs
klappte und man begnügte sich damit, wenn die Zuschauer, von
der Großartigkeit des Schauspiels hingerissen, begeistert Beifall
riefen, welcher Beifall sich weiterhin manchmal sogar in Versen
ausgesprochen hat.**)
Was die nun zum Ausdruck gebrachten taktischen Formen
betrifft, so sah man stets und immerdar lange Linien und Echelons ;
die Colonne als Gefechtsform wurde ganz und gar verworfen und
zum Theil wohl auch mit Recht; erst die Verbindung mit aus-
giebiger Entwicklung von Schützen macht sie zum Kampfe
lebensfähig, und dass man von diesen nichts wissen wollte, haben
wir gesehen. Man fühlte wohl, dass die Institution der Tirailleurs
dem Geiste der preußischen Armee, und, man darf es sagen,
dem Geiste des preußischen Volkes ebenso entgegen war, als sie
dem französischen behagte. Dagegen wird dem Bajonnet sehr
das Wort geredet, sein Gebrauch fleißig eingeübt; allerdings ist
die Praktik des Bajonnetangriffes auf die Schlachtfelder an der
Saale nicht mitgenommen worden, wenn auch das Princip be-
stand; wir werden sehen, warum.
Alles in allem genommen, waren die preußischen Manöver
Haupt- und Staatsactionen wohl vorbereiteter Natur und nach
bestimmtem Programm, welche noch vielfach durch Rücksicht
auf die Culturen u. s. w. derart beengt wurden, dass man sie
wohl schon vor der Katastrophe und an sich, ohne Vergleiche
•) V. d. Goltz, 272.
•*) So that Gneisenau im Jahre 1786.
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mit dem, was anderswo geschah, als nicht kriegsmäßig erkennen
hätte können; so wie es auch hie und da, jedoch nicht von
maßgebender Stelle j geschehen zu sein scheint.*) Dann wurde
auf Imponderabilien fast gar nicht mehr geachtet, wie uns heute
scheint, trotz der goldenen Lehren, die Friedrich einst in seinen
„Principes generaux de la guerre"**) und manches Werk der
Militärliteratur kürzlich erst gegeben hatten;***) die Maschine
functionierte am Exercierplatz maschinal, man nahm an, sie
werde es auch im feindlichen Feuer thun.
Märsche und Lager, Es genügt hier anzuführen, dass ein
systematisches Training im Marschieren schon durch die Standes-
verhältnisse der präsent dienenden Mannschaft von vornherein
ausgeschlossen war ; auf keinen Fall konnte man erwarten, dass
sich die buntscheckigen Kriegsbataillone der preußischen Armee mit
den Soldaten von Boulogne, was die Technik des Marschierens
anbetraf, würden messen können. Der Marschsicherungs- und
Felddienst war durchaus nicht geübt, so dass die Linieninfanterie
in die allergrößte Verlegenheit gerieth, wenn es galt, Feldwachen
auszustellen. Bezüglich der Lager blieb man beim — wenn auch
nicht ausnahmslos gehandhabten — Grundsatz Friedrichs, soviel
als möglich diese, niemals Quartiere zu beziehen; es hieng dies
mit der bekannten Unzuverlässigkeit der Leute zusammen, die
man unter Aufsicht halten musste, wollte man ihrer sicher sein.
Verpflegung und Train, Hier blickt man — es kann dies
ohne Übertreibung gesagt werden — in einen wahren Abgrund
von Unzweckmäßigkeit, wie uns heute scheint. Bei der strengen
Einhaltung des Magazinssystems, das trotz des Emancipations-
versuches von 1805 im Principe fortbestanden hatte, blieb die
Armee an ihre Proviantcolonnen buchstäblich gefesselt und ent-
fernte sie sich aus operativen Gründen davon, so konnte es sehr
leicht geschehen, dass sie den allerbittersten Mangel litt. Das
angenommene System gestattete nur beschränkte Bewegungen
und es leuchtet der unheilvolle Einfluss derselben auf den Gang
der Operationen ein : er konnte sie zu Zeiten völlig unterbinden.
Aber weit über diesen Unzukömmlichkeiten steht die im Geiste
*) Betrachtungen über die Kriegskunst, 1797 (von Behrenhorst.)
••) Oeuvres, id. Preuß, XXVJII, 1.
♦••) Schamhorst, Handbuch für Officiere, Hannover 1787—90, IH, 288.
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der damaligen Zeit liegende Anschauung, als seien Beitreibungen
im eigenen Lande eine Barbarei, die zu vermeiden alles auf-
geboten werden müsse; lieber ließ man die Truppen vor dem
Gefechte hungern, als dass man aus dem Lande die Mittel zur
Ernährung zog und trieb die Sorge um den Schutz des Eigenthumes
zu wahrhaft drakonischer Strenge gegen die Soldaten. In den-
selben Gegenden, in denen das siegreiche französische Heer im
Überflusse lebte, darbte das preußische stets, sobald seine Proviant-
colonnen nicht zur Stelle waren, und wenn die ausgehungerten
Truppen vom Bauern Lebensmittel anzusprechen sich erkühnten,
so wurden ihre Commandanten von den oberen Führern in
schärfster Weise dahin zurechtgewiesen, dass „ein solches Raub-
system in der preußischen Armee nicht herkömmlich und dem
Geiste derselben zuwider sei.* *) Allein es sollte noch besser
kommen. In einem Augenblick hoher Verwirrung, als die Sicher-
stellung der Verpflegung sehr in Frage gestellt erschien, gedieh
eine Versammlung von Truppencommandeuren zu folgendem
unsterblichem Beschluss: Wenn kein Brot in den Magazinen
noch vom Lande zu haben ist, so soll der Brotgroschen aus-
gegeben werden.**)
Die Rückwirkung hievon auf die Seele des Soldaten, auf
seinen Willen, auf sein Feuer, auf Taktik und Strategie ist daher
unschwer zu ermessen.
Der „eigentliche Geist" der preußischen Armee wird auch
für die ganz ungeheuerlichen Train- und Bagageverhältnisse zum
Sündenbock gemacht. Gegen diesen Geist ist es erstens: sich
zum Requisitionssystem zu bekehren; zweitens, den Tross der
Infanterie-Regimenter — sie führten Zelte, umfangreiches Koch-
geschirr u. s. w. mit, zu dessen Fortbringung allein 150 Pferde
erforderiich waren — in Absicht der erhöhten Beweglichkeit der
Truppen zu reducieren ; drittens, den Subalternofficieren der In-
fanterie ihre Pferde — jeder hatte ein Reitpferd für den Marsch
und ein Bagagepferd mit — abzunehmen ; und so geht es fort.
Wohl hätten vielleicht nirgends und niemals Reformen schwerer
Eingang gefunden als im preußischen Heer der vorjena*schen Zeit
") Clausewitz. Nachrichten, 538.
••) Ebenda.
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Bewaffnung, Bekleidung, Ausrüstung. So verschieden auch
die Nachrichten über die preußische Armee von 1806 in vielen
Punkten lauten, in dem einen stimmen alle überein : Die Bewaff-
nung war die schlechteste, welche es in Europa gab.
Das Infanteriegewehr war 1782 eingeführt, schon damals
technisch keineswegs vollendet*) und hatte seitdem durch das
fortwährende, erst in elfter Stunde abgestellte **) Blankpolieren der
Läufe an Güte beständig abgenommen. — So ergab es sich,
dass bei einem Probeschießen der Garde 1805 in einer Compagnie
allein 28 Gewehre „nicht gut gethan'^ hatten und dass das Re-
giment v. Zweiffei noch im August 1806 sich zu der Meldung
veranlasst sah, die Gewehre würden das Schießen mit scharfen
Patronen voraussichtlich nicht vertragen. Die Schützen waren,
wenn auch nicht durchgängig, mit Büchsen bewaffnet, die besser
gewesen zu sein scheinen, als die Waffe der Linien-Infanterie.
Bei sämmtlichen Gewehren war die Schäftung für das Zielen
durchaus ungeeignet.
Das angenommene System, möglichst viel zu sparen, brachte
es weiters mit sich, dass das im Frieden zu Übungszwecken
bestimmte Munitionsausmaß sehr kärglich bemessen war, so
dass die Schießausbildung sehr im Argen lag.
Wie hier, so wurde auch an der Bekleidung gespart; wohl
wurden den Compagniechefs die Stoffe pünktlich geliefert, aber
in Zuschnitt und Macherlohn griff eine Öconomie sondergleichen
Platz. Die Infanterie besaß keine Mäntel für den Krieg und litt
dieselbe unter diesem Umstand in den kühlen Octobernächten viel.
Dagegen bestand die Ausrüstung, wie wir schon an anderer
Stelle sahen, noch ganz im Geiste der alten Zeit aus einer Fülle
meist ganz unnöthiger Dinge, die in den Fällen, wo man sich
ihrer mit Vortheil hätte bedienen können, meist nicht zur Stelle
waren.
Magen und Seele, Das in Preußen ehemals so wohlthätige,
traditionell gewordene Haushalten mit den kargen Mitteln des
Staates war jetzt ein Zerrbild und wirkte gerade auf die Armee
in allerbedenklichster Weise. In allem und an allem wurde ge-
•) Jahns, III, 3424.
••) Durch Befehl des Königs vom 25. Nov. 1805.
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knausert. Der Gehalt der Officiere war trotz gelegentlicher Auf-
besserungen ein äußerst kärglicher und brachte es dahin, dass
der Subalterne sich hie und da nach einem Freitische umsehen
musste, während der Junker aus der Mannschaftsküche aß.*)
Die Compagniechefs lebten in der That von den in der Abtheilung
gemachten Ersparnissen, unterstützten ihre Offleiere und war es
dem jungen Officier eine Frage der dringendsten Nothdurft, die
Hauptmannscharge zu erreichen. Noch schlechter stand es mit
der Mannschaft, die, oft verheiratet, bei 2 — 2V2 Thalern Monats-
löhnung auf allerlei unsaubern Nebenerwerb geradezu gewiesen
war; dieser fiel im Kriegsfalle natürlich weg, sowie den Com-
pagniechefs die Ersparnisse aus dem Freiwächterwesen abhanden
kamen, und so klingt es ganz glaublich, wenn wir hören, dass
mit Ausnahme der Subalternofficiere kein Individuum in der Armee
vorhanden war, welches nicht durch den Krieg seine halbe
Existenz verlor, ohne Aussicht, dafür etwas zu gewinnen,**)
woher begreiflicher Weise eine unüberwindliche Friedensliebe
in die Armee kam. Und noch mehr, im Felde, wo doch die ein-
fachste Klugheit gebot, die Seele des Mannes durch entsprechende
Nahrung munter zu erhalten, trieb es der „eigentliche Geist" der
preußischen Armee soweit, die hungernden Soldaten halbtodt zu
schlagen, als sie aus den schon abgeernteten Feldern Kartoffeln
zu ziehen sich vermaßen.***) Dass solche Truppen, trotz der
größten platonischen Hingebung an König und Vaterland, nichts
sonderliches leisten konnten, das vorauszusehen, hätte wohl der
allerbescheidenste seelische Blick genügt — sagen wir heute
voller Überzeugung.
Mannsztichi. Dieses flüchtige moralische Fluidum ist äußerst
schwer auf seinen wahren Gehalt im Augenblicke zu prüfen,
um wieviel schwerer muss dies dann wohl sein, wenn es gilt,
dasselbe aus historischen Materialien einer vergangenen und sehr
geschmähten Zeit richtig herauszufinden. Beschreiben kann man
es nicht eigentlich, es scheint die Erkenntnis von ihm vielmehr
eine Sache des Gefühls, Instincts zu sein. So lauten auch die
Nachrichten über die Mannszucht der preußischen Armee viel-
•) V. d. Goltz, 289.
♦•) Clausewitz. Nachrichten, 427, ff.
*••) V. Lettow-Vorbeck, I, CO.
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fach verschieden, Lob und Verdammung stehen oft unvermittelt
neben einander; wir hören in Correspondenzen jener Zeit mit
Stolz von der Disciplin der Truppen reden und in andern
Correspondenzen finden wir das gerade Gegentheil. Aus allem
scheint hervorzugehen, dass der Formalismus der preußischen
Armee vor Jena jene Art der mechanischen Disciplin herausge-
bildet hatte, die gute militärische Bilder in Friedenszeiten gibt, und
immerhin als Promesse für Kriegsdisciplin angesehen werden
kann. Die Mannszucht war nichts weniger als lax, sie ward im
Gegentheile oftmals hart geübt ; allein sie war, wenn dieses Bild,
das gegenwärtig Bürgerrecht besitzt, gegeben werden kann,
oberflächlich und nicht tief, mehr äußerlich und nicht durch-
dringend. Der Mann wusste für leichtere Vergehen Spießruthen
und Stockprügel sein Loos, allein kein militärisches Verbrechen
wurde mit dem Tod bestraft.*) Friedrich Wilhelm III. war stets
bemüht, Nachsicht und Milde nicht etwa selbst nur in Ausnahms-
fallen zu üben, sondern vielmehr zur allgemeinen Richtschnur
des Verhaltens Vorgesetzter ihren Untergebenen gegenüber zu
erheben. Es ist stets ein Verlust für die Disciplin, wenn die
Strafen in einer Armee aus Menschenliebe, Wohlwollen, Gut-
müthigkeit, vermindert und erleichtert werden ; zu solchen Con-
cessionen darf nur der sogenannte Geist der Zeit imperatorisch
zwingen und nur schrittweise und zögernd seien sie gewährt.
Die wohlwollende Humanität des Königs hat sicherlich viel
dazu beigetragen, die Disciplin im Heere, wenn auch nicht äußer-
lich vorerst, so doch im Innern zu zerstören. Die Oberfläche
blieb intact, und in seinen Fundamenten zerfiel das seelische
Kunstproduct Friedrichs des Großen, der von Humanität — so-
bald sie ihm nicht zweckmäßig erschien — wahriich weit genug
entfernt gewesen war.
Denn sehr rasch erkennt eine Armee, wie Jede Gemeinschaft
von Beherrschten, die leiseste Regung humaner Tendenz, die von
oberster Stelle weht; auf ihre Wirkungen wird vorweg gebaut
und der Missbrauch beginnt unverweilt zu keimen.
Ofßciere, Diese standen durch die Art ihres Ersatzes fast
vollkommen gesondert den Truppen gegenüber, sie hatten meist
*) V. Lettow-Vorbeck I, 50.
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durch ihre Geburt schon und nicht durch militärisches Verdienst
den Anspruch auf das Portepee erworben. Ob diese Art, Officiere
zu gewinnen, oder die, Unterofficiere zu befördern, an sich vor-
zuziehen sei, ist zwecklos zu erwägen, da die ganze Heeres-
verfassung Preußens auf die erste wies. In der That haben die
Truppenofficiere der Unglückszeit voll und ganz ihre Schuldigkeit
am Schlachtfelde gethan und die Vorwürfe gegen sie als Ver-
treter des Adels in der Armee sind wahrhaft abgeschmackt, im
übrigen auch ziffernmäßig erheblich abzuschwächen. Was den guten
Willen anbetrifft, so ist ihnen, besonders bei der jämmerlichen
materiellen Lage und dem trostlosen Avancement, nur volles Lob
zu spenden. Was das Wissen betrifft, so wird mit einiger Sicher-
heit anzunehmen sein, dass das Studium der Kriegslehre einen
bedeutenden Theil der Beschäftigung der Truppenofficiere bildete,
zumindest der preußische Troupier mehr wissenschaftlich thätig
war, als der Franzose, der über den Dienst in seiner Truppe
nicht hinaussah oder dachte. Es ward sogar die Klage laut, dass
die niederen Officiere zu viel Schreibsucht und kritische Neigun-
gen an den Tag lägen.*) Wahrlich, wenn man vorurtheilslos mit
der eigenen Epoche rechnet, so wird man es wohl verstehen,
wie diese zur Schau getragene Intelligenz als eine Form der
Überlegenheit über den Gegner angesehen werden konnte.**) Die
Idee, der Truppenofflcier solle einen weiteren Horizont besitzen,
als denjenigen, dessen er zur Erfüllung seiner dienstlichen Ob-
liegenheiten bedarf, kehrt in Friedenszeiten besonders immer wieder,
der Thatsache vergessend, dass gerade ein beschränkter Hori-
zont beschränkten Functionen angemessen ist.
Nicht Intelligenz ist die erste Tugend, deren
der niedere Officier für den Krieg bedarf
Geist des Heeres. Wir haben bereits genug über die Zu-
stände der preußischen Armee gehört, um den Satz glaubhaft zu
finden, dass der Geist derselben ein durchaus unkriegerischer
war. ***) Wenn auch ein bescheidenes Maß an Menschenkenntnis
genügt, um die Phrase vom kriegerischen Geist einer Armee in
•) V. d. Goltz, Anhang Nr. 26.
**) Friedrich der Grofie verbot seinen Oificieren geradezu das Bücherschreibeo;
welche Weisheit und welche Kenntnis des Menschen, welches Zweckbewusstsein liegt in
dieser Willensmeinung!
*••) Clause Witz, Nachrichten, 4, 28 11
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seinen W irkungen am Schlachtfelde auf ihren wahren
Wert zurückzuführen, so mag immerhin zugestanden
werden, dass der kriegerische Soldat unbekümmert ausmarschirt,
während der, der es nicht ist, dies muthlos und mit Bangen
thut; und Überbleibsel von der ersteren Stimmung mögen, trotz
aller Skepsis, doch unter das Feuer der Kanonen kommen.
Aus den Nachrichten über jene Zeit tönt uns femer das
Schlagwort entgegen, die Armee sei im Preußenthum befangen*)
und von der Erinnerung an Friedrich ganz und gar, bis zur
Blindheit erfüllt gewesen ; und es wird dieser Umstand der Armee
als solchen zum Vorwurfe gemacht. Nun analysiere man einmal
und vergesse nicht des menschlichen Herzens. Gibt es für die
Masse der Armee wohl eine angemessenere, glücklichere Gabe
als die Überzeugung, dass sie die erste und beste aller Armeen
sei, stets war und immer bleiben werde ? Wir sagen für die M a s s e
der Armee, denn für die Führer gelten andere Gesetze. Aber
für einHeer als solches taugt so recht derblinde
Glaube an den eigenen Wert. So gefahrlich es für einen
Führer ist, das eigene Wissen und Können höher anzuschlagen,
als es wirklich anzuschlagen ist, so wesentlich ist dies — aller-
dings mit gewissen Vorbehalten — für eine Kriegerschaar; sie
halte sich für besser als der Gegner, dann wird sie es in Wahr-
heit am Schlachtfelde auch sein. Der ganze Geist des Kriegswesens
gipfelt ja so recht in der Blindheit, dem gläubigen Vertrauen der
Masse in ihre sehenden, rechnenden Führer. Soll der Füsilier
Vergleiche zwischen sich und seinem Gegner thun, vor dem Zu-
sammentreffen, auf vages Quartiergeschwätz basiert ? Steht es ihm
an, auch nur über den Wert seiner Person zwecklos und flüchtig
nachzudenken? Er glaube, dass er der tüchtigste von allen
Soldaten der ganzen Erde sei; das Vertrauen — und nochmals,
blind darf es sein — das ist der Hebel, der die Masse eines
Kriegsheeres unwiderstehlich macht.
Es hat die bittere Kritik der Epigonen sich keinen Augen-
blick bedacht, der preußischen Armee den pietätvollen Glauben
an sich und ihren Wert als ein Verbrechen anzurechnen, weil
sie unterlegen war; nach dem Erfolge wird die Geschichte stets
gemacht und so wurde das verbissene Preußenthum in der Armee
♦) Clausewitz, Nachrichten, 428 ff.
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- 48 —
für Jena als Sündenbock gewaltsam hergezogen. Wir glauben,
dass dies an sich unbillig wäre, wenn dem wirklich so gewesen
war. Aber auch mit diesem blinden Glauben sah es in Wirklichkeit
wohl anders aus, als es die chargierten Schilderungen späterer
Zeit darzustellen suchen. Was ist dem Manne Tradition?
Was weiß der Füsilier von jenen Thaten, die das Heer vor einem
Menschenalter und ohne ihn vollbracht ? Wird die Erinnerung an
Großes, das ohne ihn geleistet wurde, vor langer, langer Zeit,
auch nur mit dem Gewicht eines Atoms für sein Benehmen
im Gefechte sprechen.? Die Kenntnis der menschlichen Natur
muss dies verneinen. Nur das, was der Soldat selbst
miterlebt und das, woran er mit sichtb arem Er-
folge selbst theilgenommen hat, wird ihm in der Er-
innerung Vertrauen zu sich und seinen Führern geben. Die un-
persönliche Tradition ist für die breite Masse der Truppen ein
wesenloser Schemen und kann niemals ein Motor im Kampfe sein.
Wenn die Tradition im Heere von amtswegen noch so
crass gepflegt und erhalten wird, so kann sie, wenn sie auch
nichts nützen wird, doch niemals schädlich sein; und kein ge-
dankenloserer Vorwurf kann gegen ein ganzes Heer erhoben
werden, als der, dass Eigendünkel als Product der Tradition seinen
Untergang verschuldet hat.
Der Geist einer Armee fließt, wie wir wissen, zum aller-
größten Theile aus deren Magen her. Im Quartier, am Marsche,
im Kampfe, ist diese Wechselbeziehung für den, der da Augen
hat zu sehen, gewiss deutlich sichtbar genug; und wenn man
auf Beispiele hervorragender Ausdauer verweist, die manche
Truppen zu allen Zeiten im Ertragen von Entbehrungen gegeben,
so erinnere man sich wohl, dass das menschliche Herz sich
willig in die Ausnahme, in die vorübergehende Nothwendigkeit
fügt, dass es jedoch das andauernde und als Regel festgesetzte
Darben nicht ungestraft erträgt.
Wie es in diesem Punkt mit dem preußischen Heere be-
stellt war, haben wir bereits genügend gesehen.
Organisation im Großen. Auch hierin war Preußen erheblich
im Rückstande geblieben. Es gab keine andere Eintheilung, als die
in Landschaften und Inspectionen für die verschiedenen Waffen, von
welchen letzteren es 13 für die Fußtruppen, 7 für die Reiterei und
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eine für die Artillerie gab. Man kam noch im letzten Augenblicke
vor dem Beginne der Feindseligkeiten — vornehmlich auf Be-
treiben Scharnhorst's — zur Einsicht und theilte Ende September
die preußisch-sächsische Armee in 14 Divisionen, die nach franzö-
sischem Muster organisiert, dennoch die Besonderheit unverhältnis-
mäßig starker Dotierung mit Reiterei besaßen. Es leuchtet ein,
dass diese überstürzte Maßregel alle Keime einer solchen in sich
barg.
Die Führer. Um es kurz zu sagen, die Führer von 1806
waren im Durchschnitt, sowohl was den Charakter, als was das
Wissen anbetraf, nicht schlechter, als die leitenden Personen
irgend einer Epoche, die, in den Anschauungen ihrer Epoche
lebend, in deren Vorurtheilen naturgemäß befangen sind. Was man
ihnen vorwerfen kann, ist, nicht erkannt zu haben, dass Preußen
zurückgeblieben war, obgleich auch dies keineswegs von allen
durchwegs gilt.*) Aber gerade dieser historisch gewordene Vor-
wurf ist gar sehr einzuschränken, wenn man erwägt: einerseits
die natürliche Scheu desjenigen, der nicht an allererster Stelle
steht, an Traditionen, wie jene Friedrichs, zu rühren, als
Besserwisser und Progressist zu erscheinen in einem so con-
servativen Kriegsstaat, wie Preußen damals war; und andererseits
bedenkt, dass von oberster Stelle eine gewissermaßen passive Ini-
tiative ausgegangen ist, die sich damit begnügte, das Recht der
Initiative für sich und gegen alle Niedern unbedingt zu fordern,
ohne sie recht eigentlich thätlich auszuüben ;**) es war eben
die Form von Friedrich überkommen worden, doch es fehlte ihr
der innere Gehalt. Anerkannt war, dass Friedrich Wilhelm III.
allein zu befehlen habe, oflficiell und in der Theorie; so dass die
Einflussnahme von unten her naturgemäß erlahmen hätte sollen.
Und da tritt die merkwürdige Erscheinung auf, dass gerade der
Fürst, der Selbstthun und Selbstdenken von seinen Untergebenen
keineswegs begehrt, von einer Anzahl unter ihnen intellectuell
wahrhaft beherrscht wird; das Verhängnis, wenn wir es so nennen
*) Scharnhorst zeigt in einer Denlcschrift vom April 1806 sich bis zu einer gewissen
Grenze in den Geist des napoleonischen Krieges, ja des Krieges überhaupt, überraschend
eingedrungen; v. d. Goltz, Anhang Nr. 48.
••) Aus dem unendlich reichen Material glauben wir mit vollem Rechte zu diesem
Resultat gelangen zu dürfen. Wir werden bei Erzfihlung der Begebenheiten historischen Be-
^veisen hlefür begegnen; indessen sei auf die treffliche Charakteristik Friedrich Wilhelms III.
in Clausewitzens Nachrichten hingewiesen.
C. von B.-K. Zur Psychologie des großen Krieges II. 4
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wollen, und um irgend etwas zu nennen, gibt ihm geschmeidige,
doch wenig fähige Diener in die Nähe seiner Person ; er lässt
sich von ihnen bestimmen und leiten, und die Willensmeinung
derselben, die er nunmehr für die eigene, ursprüngliche hält,
kann gelegentlich zu verhängnisvollem Eigenwillen, dort, wo er
nicht am Platze ist, werden.
Der Geist, der die leitenden Männer einer Nation zu einer
Epoche bewegt, fließt aus den Umständen jener Zeit und führt
deren Schwäche- und Stärkefactoren mit sich. Von dem Geiste
ihrer Zeit werden der Füsilier und der oberste Feldherr gleicher-
weise berührt; ihr Thun wird von diesem Geiste bestimmt; und
soll es auch; und schlecht stünde es dem Soldaten an, sich
gegen den militärischen Geist seiner Zeit zu sträuben. Nur der
Misserfolg kann dahin führen, dass die Nachwelt von jenen
Menschen gedankenlos verlangt, sie hätten sich über ihre Zeit
erheben sollen.
Von außen her wird wohl die Geistesrichtung dem Individuum
gegeben, sei es durch den Geist der Zeit, sei es durch den macht-
vollen Willen des Einen. Fügen müssÄT^sich die Individuen, sei
es der Tradition, sei es der Neuerung durch Einen; die Fähig-
keiten sind in aller Herren Länder so ziemlich
die gleichen und die Überlegenheit eines französischen
Generals über einen solchen aus der alten Schule floss keines-
wegs aus dessen Natur, sondern nur aus dem neuen
Systeme. Unfähig waren die preußischen Führer persönlich —
die Ausnahmen werden zur Sprache kommen — keineswegs;
Napoleon hätte aus einem Rüchel sicher einen vortrefflichen
Marschall gemacht; die Unfähigkeit kam, wo sie sich zeigte, von
ihrer Zeit; und diese aliein, da sie den Widerspruch ihrer Werk-
zeuge nicht duldet, wird verantwortlich zu machen sein.
Die greisen preußischen Feldherren jener Epoche besaßen
persönlichen Muth, trotz des jüngsten Generals des jungen Kaiser-
reiches; sie besaßen vollauf jenes Maß an Energie, das in der
preußischen Armee herkömmlich und üblich war, und
über das hinauszugehen , ihrer Gewissenhaftigkeit unthunlich
schien;*) sie waren ohne allen Zweifel vom allerbesten Willen
*) Die Richtigkeit dieses Raisonnements wird, obwohl es vorerst paradox erscheint,
erwiesen werden; einstweilen sei erinnert, dass der Begriff der Energie nach Zeit und Ort,
nach Volk und Sitte verschieden, ja ein conventioneller ist.
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— 51 -
für die gemeine Sache beseelt; sie dachten innerhalb des tradi-
tionellen wissenschafdichen Rahmens vielfach sehr eifrig über den
Krieg und das, was er erheischt. Als echte Kinder ihrer Zeit waren
sie die besten ihrer Zeit im Heere, sowohl was das Wollen, als
was das Wissen betraf.
Eine ruhmvolle kriegerische Vergangenheit hatte sie in ihre
hohen Stellungen geführt, sie füllten dieselben mit bestem Wissen
und Gewissen, ohne besonderen persönlichen Egoismus aus.
Braunschweig, ein regierender Herr, verlässt seine Staaten, um in
preußische Kriegsdienste noch einmal zu gehen; Blücher, der
einst von Friedrich so hart behandelt worden war, eilt bereit-
willig zum Dienste des Vaterlandes herbei. Wird man ihnen ihr
hohes Alter zum Vorwurf machen wollen?*) Im Gegentheil, Hut
ab vor solchen Männern, wenn man an jene französischen
Satrapen denkt, die ihrem Souverän nachmals gar oft recht un-
bequem geworden sind. Wird es ihnen zu verdenken sein, dass
gewisse Rivalitäten dann entstanden, wenn der König heute den
und morgen jenen um. Rath und Willensmeinung frug? Wie
kann man den lähmenden Einfluss verkennen, der in dem Wunsche,
den lange ruhmvoll bewahrten eigenen Ruf auch weiterhin zu er-
halten und in dem recht eigentlich preußischen Gefühl höchster
Verantwortlichkeit lag?
Die Billigkeit und das redliche Streben nach historischer
Wahrheit erfordern es, anzuerkennen, dass die preußischen Feld-
herren der vorjena'schen Periode voll und ganz das waren, was
von ihnen fuglich zu verlangen oder zu erwarten war: treue,
redliche, vom besten Geist beseelte Diener eines Staates, in dessen
Anschauungen zä leben für jeden Patrioten ein Ehrentitel war.
Wohl kann man von Männern in so hohen Stellungen mehr als
den Willen, man darf das Erkennen verlangen, und da wird uns
auch berichtet, dass es daran keineswegs gefehlt hat. Der Feldherr
von Valmy machte sich sehr seine Gedanken über die neue Art
des Krieges und so viele andere auch. Sie waren keineswegs blind,
vielmehr scheint gerade den obersten Führern die Überzeugung
der Unzulänglichkeit der preußischen Armee für einen Kampf mit
den Franzosen zum Bewusstsein gekommen zu sein. Aber der
*) MöUendorf zählte 82, Braunschweig 71, Kaikreuth 69, Hohenlohe 60, Sch mettau Ö4,
Blücher 62, Wartensleben 60 Jahre u. s. w. Gesch. d. Kr. in E. VIJ, 29.
4*
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Schritt von dem Erkennen der Nothwendigkeit einer Reform bis
zu deren praktischer Inangriffnahme war im preußischen Staate
jener Zeit nicht ohne persönliche Gefahr zu thun.
Wo ist also die historisch verantwortliche Stelle zu suchen ?
Vor allem sagen wir mit Freiherrn v. d. Goltz :*) Der Einfluss des
Zeitgeistes war unstreitig die wichtigste Ursache für die innere
Schwäche des preußischen Heeres. Dann muss ihm gewisser-
maßen beigestimmt werden, wenn er dem König selbst einen
großen Theil der Schuld an dem Ausbleiben der Heeresreform
zumessen zu dürfen glaubt; gewissermaßen, sagen wir. Denn es
erscheint nicht unbedenklich, gerade vom Souverän zu ver-
langen, dass er zuerst voll und ganz erkennen, und sich dann
spontan zum Brechen mit einem Systeme entschließen soll, dessen
ruhmvolle Vergangenheit mit dem Throne innig verbunden war.
Ist diese sachlich e Initiative so recht das Amt
jedes Souveräns, sagen wir des D u rch seh nitts-
Souveräns? Liegt der Be ruf des Her rscherthu ms
im allgemeinen nicht vielmehr im Vorhandensein des
Herrschers, als indessen Thätigkeit.^ Menschen wie
Friedrich und Napoleon verwirren durch ihr Thun das
Normalbild eines Souveräns, und sowie dasideal
nachmals von Souveränen unvollkommen copiert
zu werden pflegt, so trübt sich d as Ur theil der
Geschichte und verlangt sodann vom Herrscher
als solchen ein eTh ät ig keit, die lediglich vonAus-
nahmserscheinungen am Throne geboten worden ist.
Nichts kann gefährlicher in seiner Nutzanwendung und
historisch ungerechter sein, als ein Raisonnement, das vom Durch-
schnittsherrscher mehr als die Durchschnittsäußerungen des
Herrscherthums verlangt.
Anschauungen über den Krieg, Während die französische
Anschauung vom Kriege unmittelbares Product der Praxis war,
erkennen wir in ihr auf preußischer Seite ein Kunstproduct der
Wissenschaft.
Diese Wissenschaft hatte ihren Ausgang genommen von
der umfassenden Gedankenarbeit, die durch die Kriege und Er-
folge Friedrichs des Großen angeregt worden war. Aber nicht
•) 300.
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— 53 -
an die glänzendste Epoche des Königs knüpfte dieselbe an, sondern,
dem Gesetze folgend, das uns anweist, in den abschließenden
Thaten eines bedeutenden Mannes das von den Schlacken ge-
klärte Resultat langer Erfahrung zu sehen, wurzelte sie viel-
mehr in der Kriegführung und Kriegslehre von Friedrichs
Lebensabend. Die persönliche Reaction in der Anschauung vom
Kriege, die Friedrich erlebt, übertrug sich mählich auf den Geist
der Heer- und Truppenführer. Hand in Hand mit der proclamierten
Staatsöconomie gieng der strategische Grundsatz, mit möglichster
Vorsicht zu handeln. Friedrich hatte bei der politischen Lage
Europas stets nur den Krieg mit Habsburg im Auge gehabt,
und unumwunden bezeichnet er Österreichs Armee als den
einzigen ernsthaften Gegner.*) Wie man sich der unerhörten Er-
scheinung des neuen Krieges gegenüber zu verhalten habe, das
zu bestimmen war ihm nicht mehr vergönnt. Und die Worte,
mit denen er auf die V^eränderiichkeit der Natur des Krieges
weist, und die vorurtheilslose Veränderung der Art, ihn zu führen,
verfangt,**) sollte dies nothwendig werden, waren an Adressen
gerichtet, von deren Trägern ihn keiner verstand.
Ein Danaergeschenk zweifacher Natur hinterlässt jedweder
wahrhaft bedeutende Mann seiner Nation. Da es stets Wenigen
gegeben ist, in der Seele des Heroen mit Sicherheit zu lesen, die
Ursachen der Erfolge in dieser Seele eben klar zu er-
kennen, so klammert sich die Mehrheit an die Mechanik der
Mittel, deren er sich zu seinen Erfolgen bedient; sie sieht in
diesen seine Stärke und überschätzt sie sicherlich. Und dann ist
der Autoritätenglaube des Menschen ein besonders nachhaltig
wirkendes Impediment; wohl ist es gut, dass dem so ist; aber
unmerklich führt der Autoritätenglaube zu einer Trübung des
Urtheils, die ohne jene Autorität nicht eingetreten wäre.
Es ist eine seelische und sociale Nothwendigkeit, dass das
Bedeutende Mittelmäßiges zum Nachfolger hat; eine militärische
Nothwendigkeit ist, dass ein großer Soldat von kleinen Soldaten
gefolgt wird.
Die spät- und nachfriedericianische Zeit war eine frucht-
bare für die militärischen Wissenschaften. Ein Blick in die Denk-
— ^ \
•) Milit. Test. 26 ff.
••) MUit. Test. 37.
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— 54 —
Würdigkeiten der militärischen Gesellschaft zu Berlin genügt, um
zu zeigen, wie sehr man in der Armee wissenschaftlich thätig war.
Diese Wissenschaft überschätzte weit über alles Maß
mathematische und Terrainkenntnisse.*) Woher das kam, ist
unschwer zu erkennen, wenn man bedenkt, dass die Wissen-
schaft wissenschaftlicher Formen sich besonders dann bedient,
wenn die Größe der zu studierenden Gestalt ein Messen dieser
selbst unthunlich macht. Hat man doch Napoleon selbst den
Mathematiker des Erfolges und den Mechaniker des Sieges ge-
nannt. Der speculative Sinn des deutschen Nordens liebt es, den
Geist der Ereignisse in Schemas und Tabellen darzustellen; das
hält er für exact und unanfechtbar. Es übertrug sich diese Art,
den Krieg wissenschaftlich zu betrachten, wahrhaftig auf die An-
sicht der Führer, wie derselbe praktisch zu kämpfen sei, und
einzelne derselben hatten sich mit Punkten des Operationstheaters
im vorhinein derart vertraut gemacht, als ob sie glaubten, der
Krieg werde und müsse sich an jene Punkte ziehen; so Massen-
bach, der mit dem Ettersberge bei Weimar ein förmliches Ver-
hältnis zärtlicher Natur geknüpft; so Grawert, der für eine
„Stellung"' bei Coppanz heftig schwärmte.**) Es scheint indessen
pharisäerhaft zu sein, wenn wir mit Mitleid auf die Zeit hernieder-
blicken, die von strategischen Bastionen und Curtinen sprach. Ob
man diese Worte oder jene heute üblichen „strategische Front
und Flügel" gebraucht, ist für das Wesen des Begriffes
so ziemlich einerlei. Die militärischen Terminologien jeder
Zeit kommen aus dem Sprachgebrauche der Zeit und nicht
sie sind es, die an sich di e N iede rlagen herbei-
geführt haben. Gleichwohl liegt oft ein tiefer Sinn in ihnen,
und diesem heißt es auf die Spur zu gehen, bevor man wagen
darf, ein Urtheil abzugeben.
Insoferne man unter Anschauung vom Kriege einer Epoche
das versteht, was die Führer vor dem Kriege in demselben zu
thun und zu lassen gedachten, so kann man mit Sicherheit
annehmen, dass etwa folgende Glaubenssätze galten.
Strategie, Man muss niemals alles auf eine Karte setzen,
woher natürlich von allem Anfang an Zersplitterung der Kräfte
•) V. Lettow- Vorbeck. I, 57 ff.
••) V. d. Goltz, 217.
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- 55 —
kam ; die vornehmlichste Aufgabe eines Feldherm liegt darin,
mit möglichster Schonung der eigenen Mittel möglichst viel zu
erreichen, daher ziehe man das Manöver — auf dessen Macht
bestimmt auch gegen Napoleon gerechnet wird — als billigeres
Mittel, so lange als es geht, der blutigen Entscheidung vor.*)
Auch scheint in Erinnerung an Friedrich der Glaube an die
Überlegenheit des Manövers über die Zahl ein festgegründeter
gewesen zu sein. Es müssen aber alle diese Dinge durchaus
nicht so crass genommen werden, wie man es aus der zum
Verständnis nöthigen Deutlichkeit der Darstellung wohl möchte.
Große Taktik, Was diese betrifft, so hat auch die Legende
von Friedrichs unverstanden angewandter schiefer Ordnung weit
über Gebür verwirrend fortgespukt Richtig scheint zu sein,
dass das Linear - System als solches zu einer Art der Truppen-
aufstellung und Vertheilung zwang, von der aus der Truppen-
gebrauch in fest vorherbestimmter Form nur geschehen konnte.
Zur überraschenden Vereinigung einer überlegenen Zahl auf einen
bestimmten Punkt fehlte die taktische Beweglichkeit; wie der
preußische Soldat, so konnte auch das preußische Bataillon, ein-
mal ins Gefecht getreten, nur vorwärts mehr oder gerade rück-
wärts gehen. Wir wissen bereits, dass an eine Massenverwendung
der Reiterei und des Geschützes nicht gedacht, dieselbe weder
organisatorisch noch taktisch vorbereitet war.
Es wurde im preußischen Heere viel und tief gedacht. Allein
es ist zu bemerken, dass nur im officiellen Sinn zu denken ge-
stattet war. Nur mit größter Vorsicht durfte Kritik geübt werden.
Noch zu Friedrichs Lebzeiten hatten „ Frey müthige Gedanken" damit
beginnen müssen, ihr Dasein gewissermaßen zu entschuldigen.**)
Denkende Kriegsschriftsteller, wie Bülow, werden von den zünftigen
Militärliteraten aufs schärfste attakirt ;***) hatte er doch mit prophe-
tischem Geiste die Grundzüge des Krieges von 1806 vorher-
gesehen, f) Eine Besprechung der Mängel der preußischen
Cavallerie durch einen Officier dieser Waffe wird von der mili-
•) V. Massenbach in seinem Operationsentwurf vom Herbste 1805.
*•) V. d. Goltz, 103.
•••) Jahns, III, 2142.
t) Lehrsätze des neuern Krieges oder reine und angewandte Strategie etc. Berlin
1805; 728 ff.
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- 56 -
tärischen Gesellschaft rundweg abgelehnt.*) Dass der Anstoß zu
Reformen nicht von unten kommen darf, ist gewissermaßen billig.
Aber man durfte sich dann auch keiner sonderlichen Schaffens-
freudigkeit in der Armee versehen.
Man sieht: die wissenschaftliche Anschauung vom Kriege
war zum Theile von oben octroyirt; auch in dieser von
ihren Traditionen zehrenden Armee lebte viel gesunder Sinn, be-
sonders in den niederen Reihen.
Aufklärung und Krieg. Es wurde erwähnt, wie in Dingen
der Verpflegung, der Beitreibungen, Belegung von Quartieren, die
weitgehendste Rücksicht auf das Wohl des Bürgers genommen
war. Bis zu den höchsten Stellen war die Idee gedrungen, als
sei der Krieg mit größter Schonung für das Land zu führen —
ein unverstandener Rest von Friedrichs weiser Menschenöconomie
— und aus dieser Idee floss eine Gebundenheit aller Entschließungen
her, die wahrhaft lähmend gewirkt hat, zumal dem Sansculottismus
der Franzosen gegenüber. Umständliche Correspondenzen werden
darüber angefangen, ob dieser oder jener vorhandene Vorrath,
dessen die Truppe aufs allerdringen dste und sogleich bedarf, auch
wirklich angegriffen werden soll, und ehe der Bescheid zur Stelle
ist, hat sich desselben bereits der Gegner bemächtigt. Rücksichten
hier und Rücksichten dort führen zu einer, wie es heute scheint,
ganz philisterhaften Art des Krieges. Nur ganz sporadisch kommt
es vor, dass ein General sich von den beengenden Rücksichten
auf die Miniaturlandeshoheiten zu emancipieren gedenkt.**)
Reformbestrebungen. Schon während des Endes von Frie-
drichs Regierung hatten sich einzelne Stimmen platonisch für
Reformen erhoben. Friedrich Wilhelm II. fasste dieselben, angeregt
durch zum Theile fremde Kritik,***) näher in's Auge und wandte
sich zunächst der Verbesserung der materiellen Lage seines
Heeres zu. Bald nach seinem Regierungsantritt errichtete er das
Ober-Kriegs-Collegium, die Thatsache würdigend, dass er einer
so großen, umfassenden Thätigkeit nicht gewachsen sei, wie
Friedrich sie mühelos geübt. Allein schon die einzige bedeutende
That der neuen Aera, das Cantonreglement von 1792, war nur
•) V. d. Goltz, 303.
••) Rüchel an den Kurfürsten von Hessen, 26. Sept.; Dechend, 57.
•••) Mirabeau legte 1787 dem Könige in einem offenen Briefe Reformprojecte vor.
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57
eine halbe Reform wegen der zahllosen Begünstigungen, die bei
Erfüllung der Wehrpflicht zugestanden wurden. Im Jahre 1795
schuf der König die Immediat-Militärorganisations-Commission
unter dem Vorsitz Möllendorfs, dem Friedrich selbst dereinst ein
günstiges Horoskop gestellt,*) und deren Thätigkeit im großen
Ganzen im Erwägen der vorgelegten Entwürfe und sodann ad
acta Legen derselben bestand.
Friedrich Wilhelm III. blieb in dauernden Beziehungen zur
Organisations-Commission und es ist anzuerkennen, dass er ziem-
lich klar die bestehenden Mängel erkannte mit seinem „kritischen
Blick", der eben weiter nichts als kritisch war. Männer wie
Lecocq, Knesebeck, Courbiere reichten Denkschriften ein, bei deren
vorurtheilsloser Prüfung es sich zeigt, dass ihren Autoren eine
freie und unbefangene Würdigung der Dinge keineswegs gefehlt
hat ; hat Knesebeck doch gewagt, auf die Überlegenheit der fran-
zösischen Kriegsmacht hinzuweisen. Allein gerade die maßgeben-
den Persönlichkeiten verhielten sich jeder Reform streng ablehnend
gegenüber. Rüchel nennt Courbiere, der von dem namenlosen Elend
des Heeres sprach, in seiner Schrift „Kurze Beantwortung einiger
sonderbarer Zweifel" in jene traurige Hypochondrie verfallen, die
seine Arbeit bezeichnet, und habe es ihm an der „interieuren*'
preußischen Kenntnis gemangelt ; es ist bekannt, dass der oberste
Kriegsherr stark unter Rücheis Einflüsse stand. So füllten die
zahlreichen Denkschriften und Memoires allgemach die Manuscript-
bestände der Commission und wurden zum Theile wieder vergessen.
In einer Aufzeichnung aus dem Beginne des neuen Jahr-
hunderts fasst der König selbst den Krieg mit Frankreich in's
Auge und erklärt sich mit Entschiedenheit für Verwertung der
Volkskraft im künftigen Kriege. Man beginnt die Anläufe Frie-
drichs zu gelegentlicher Bildung von Milizen zu studieren, und
1803 hat Knesebeck eine umfangreiche Studie über die Volks-
bewaffnung vollendet, in der er eine „Vaterlandsreserve" und
„Vaterlandslegionen" begehrt, sowie er das taktische Thun dieser
Körper überraschend klar und zweckbewusst mit deren Eigenart
in Einklang bringt. Jedoch die Organisations-Commission verwarf
den Entwurf mit den Worten**): „Die preußische Militärverfassung
*) . . . MoelUndorf deviendra hon . . . Milit. test. 39.
••) V. d. Goltz, 155.
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und Staatswirtschafc ist ein denkwürdiges Original, rührt man ein
Glied an, so erhält die ganze Kette einen elektrischen Schlag**,
und so kam es, dass die durch Cabinetsordre vom 17. August
1805 nach langwierigen Verhandlungen und mit enormen Amende-
ments befohlene Bildung von Landreservetruppen (78 Bataillone
ä 600 Mann) ein reines Zerrbild der Originalentwürfe blieb;
und auch die Ausführung dieser angeordneten Reform wurde in-
folge des Widerstandes der Civilbehörden zum Theil so lau be-
trieben, dass im Jahre 1806 kein einziges Bataillon wirklich zur
Aufstellung gelangte.
Wir haben somit gesehen, dass die ganze papierene Reform-
arbeit so vieler Jahre zu keiner einzigen in der Stunde der Ent-
scheidung wirksam werdenden Reform geführt. Es fehlte eben
das an die Kehle gesetzte Messer, das allein in den allermeisten
Fällen zu durchgreifenden Verbesserungen führt; war doch die
Cabinetsordre von 1805 eigentlich nur durch die drohende poli-
tische Lage herbeigeführt worden.
Glaube an die Tradition und Cassandrarufe. Die passiven
Widerstände, denen wir bei Vorlage von Reformplänen immerdar
begegnen, flössen nicht (oder nicht vornehmlich) aus persönlicher
Indolenz und individuellem üblen Willen her, sondern fußten
ganz und gar auf dem blinden Glauben an die Vorzüglichkeit
jener Institutionen, die in ihrem Wesen von Friedrich überkommen
waren. Es ist der fatalistische Zug, der jedem großen Meister
des Erfolges nachziehen wird und er muss entschuldigend ge-
würdigt werden in seinem ganzen Gewicht, wenn wir officielle
Aussprüche wie den folgenden vernehmen : „Es erscheint ganz
unbegreiflich, wie jemand einer siegreichen Armee, die so lange
für ganz Europa ein unerreichtes Muster gewesen ist und bleiben
wird, eine totale Veränderung ihrer Verfassung zumuthen kann,
welche sie zu einer bloßen Landmiliz reducieren würde.**) In
diesem Ausspruche liegt der Schlüssel zu allem, was über Preußen
kam ; und doch, wer die menschliche Natur versteht, wird ihn
begreiflich und entschuldbar finden.
Wir haben gesehen, wie manche Männer anders dachten,
als dies officiell geschah, und die Mängel richtig erkannten; so
•) Bescheid der Organisations-Commission auf Knesebecks Reformproject.
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konnte es nicht fehlen, dass sich hie und da Stimmen erhoben,
die warnend und unglückdrohend klangen. Vor allem war es
der König selbst, der kein rechtes Vertrauen zur Armee hatte in
gewissen Momenten der Herabstimmung,*) um in anderen Mo-
menten wieder der Zuversicht voll zu sein. Braunschweig gruselte
es geradezu vor dem überlegenen Feldhermtalent Napoleons und
bei Übernahme des Oberbefehles ist er schlimmer Ahnungen
voll.**) Natürlich wurde nicht laut und öffentlich über derlei ge-
sprochen, vielmehr ostentativ eine Zuversicht zur Schau getragen,
die gar oft nichts als die Maske eines unruhigen Gewissens ist.
Aber in vergessenen Memoiren vor jener Zeit***) und in allerlei
Correspondenzen t) sieht man gar oft den bangen Zweifel über
das, was da kommen werde, entstehen.
Richtig ist, dass in der Ungewissheit angesichts eines drohen-
den Krieges meist auch in einem auf der Höhe des Bedürfnisses
stehenden Staate der Zweifel vereinzelt aufzutreten pflegt; aber
bei den leitenden Männern des Staates und Heeres soll er nach-
träglich nicht mit der Sicherheit nachweisbar sein, wie es hier
mühelos geschehen kann.
Von allen Arten der historischen Darstellung hat die Kriegs-
geschichte am erheblichsten unter dem Umstand zu leiden, dass
dem, der die Ereignisse und deren Ursachen und die Quellen,
aus denen die Ursachen kommen, im Nachhinein besieht, das
Ergebnis völlig bekannt ist. Rückwirkend verwirrt diese Kenntnis
stets und immerdar in der Betrachtung der Prämissen, die zu
dem Urtheil geführt, das die Geschichte gefallt. Es ist so und
kann nicht anders sein. Allein es scheint, als ob das Schwer-
gewicht dieser Wahrheit nicht stets erkannt worden sei.
•) Friedrich Wilhelm III. an Kaiser Alexander, Charlottenburg, 23. Juni 1806 ;
Baillcu, II, Urk. Nr. 358.
**) Ludwig V. Ompteda, Politischer Nachlass, I, 107.
•**) «FreymQthige Bemerkungen über die in der Gegenwart verborgene zukünftige
Lage Preufiens* aus dem Ende des alten Jahrhunderts schliefien wie folgt: . . . mein Vater-
land wird, wenn nicht schnellwirkende Mittel ergriffen werd n, seine bedeutende Rolle bald
ausgespielt haben und sich seinem Untergange nähern . . . . v. d. Goltz 142. Ähnlich äufiert
sich Schamhorst selbst in seinem Memoire vom April 1806.
t) Rachel an Hardenberg, Berlin, 15. August; Skizze des Augenblicks: .... gibt die
Vorsicht Glück, so können noch Evennements eintreten, die für uns günstig und glücklich
sind . . . . ; diese Sprache von einem Rüchel muss sehr sinister klingen. Hardenberg, V, 380.
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Möge man die Philosophie der Geschichte am Gängelbande
theistischer Weltanschauung erfassen, wie Joseph de Maistre in
seinen „Soirees de SL Petersbottrg" ; leite man sie aus der
freien Selbstbestimmung her, wie Condorcet in seiner Skizze über
den Fortschritt des menschlichen Geistes; führe man sie auf un-
erbittliche, unveränderliche Gesetze, wie Montesquieu, zurück:
stets klammert sich das Urtheil an das Resultat, fußt auf ihm,
schmeichelt ihm, fügt sich ihm, und führt, in die Enge getrieben,
für die Richtigkeit seiner Argumente — das Resultat in's Treffen.
Es kann nicht anders sein.
Erfassen wir nochmals das Bild beider Armeen und ver-
suchen wir — den Ausgang vergessend, ganz und ehrlich uns
in jene Zeit und in jedes der Kriegsheere hineinzudenken.
Wie hat die Anschauung jeder Armee über den bevor-
stehenden Kampf und dessen Resultate aussehen mögen?
Wohl ist wahr:
dass die Ansicht einer Armee über den Ausgang des be-
ginnenden Kampfes sich mit der Wirklichkeit nicht immer decken
wird; entmuthigt und missvergnügt war die zerlumpte Soldaten-
schaar, die der junge Bonaparte in jenen unsterblichen Apriltagen
des Jahres 96 von Sieg zu Sieg geführt; erhoben und' getragen
von dem Glauben an den Sieg war die Armee, die bei Kolin
erlag; gleichwohl scheint innerhalb gewisser Grenzen die in einer
Armee universelle Ahnung des Ausganges untrüglich zu sein;
dass das moralische Bild einer besiegten Armee vor der
Niederlage uns anders überliefert wird, als es thatsächlich war.
Die Zweifel, die in einem siegreichen Heer vor dem Kampfe
laut geworden sind, verzeichnet der Historiker fast nie; mit
dicken Strichen und grellem Farbenton bringt so manches Mit-
glied des überwundenen Theils sein klares Vorauserkennen des-
jenigen, was kommen musste, und sein sorgenvolles Ahnen des
Ausganges nachmals zu Papier; aus den Memoiren überfließt
dann das persönliche Motiv in die Geschichte;
dass die Meinung einer ganzen Truppenmasse über den
Gegner auf die blutige Entscheidung selbst nicht
wesentlich wirksam sein wird können ; die Schärfe subalterner
Kritik verstummt unter dem Donner der Geschütze und unter
diesem eben ergibt sich die Entscheidung; zumal dann, wenn die
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Kriegsheere einander lange nicht mehr gegenüberstanden oder über-
haupt zum ersten Male gegenüberstehen, wird ihre Schätzung
gegenseitig ihr Thun im Gefechte wenig bestimmend sein; unbe-
fangener tritt der Soldat jenem entgegen, mit dem er annoch nicht
zu thun gehabt, als dem, den er gestern besiegt, oder von dem
er unlängst überwunden wurde ; in seinen praktischen Wirkungen
sehr vag ist bei den Truppen das Gewicht fremden Renommees ;
obwohl der Ruf von der Tüchtigkeit des gegnerischen Heeres auch
immerhin manche Sorge beim gemeinen Mann erwecken mag.
Aber gleichwohl ist es, wenn man die Geschichte ver-
stehen will, nothwendig, sich in die Lage und das Denken der
Kämpfer von ehedem hineinzuleben; indessen scheint dies mehr
eine Sache des historischen Instincts als der exacten Forschung
zu sein.
Wir haben gehört, dass die Soldaten des Empire in diesen
Kampf voll froher Hoffnung zogen. Respect vor Friedrichs
Truppen haben sie wohl kaum gehabt; was wusste der Soldat
des Kaiserreichs von Friedrich überhaupt? Schon beginnt dagegen
leise sich der Glaube an die Unüberwindlichkeit Napoleons in
den Bivouakgesprächen zu entwickeln, der noch immer mächtig
wachsen' wird. Jedoch, nochmals, was ist die Meinung einer
Armee an sich?
Was die preußischen Truppen betrifft, so sind uns so
zahllose Urtheile über sie bewahrt, und dieselben widersprechen
sich so oft geradezu, dass es wahrhaft schwierig erscheint, ein
klares Bild der Stimmung in der Armee zu geben. Indessen kann
man wohl mit Freiherrn von der Goltz, der wahrlich alles auf-
geboten hat, um das Heer von Schuld und Schande reinzuwaschen,
zu dem Schlüsse kommen, dass trotz der zur Schau getragenen
Zuversicht in der Seele der Armee ein gewisses Misstrauen in die
oberste Leitung überwogen hat*).
Von einem solchen war auf Seite der Franzosen allerdings
durchaus nicht die Rede.
Unendlich wichtiger als die schlecht fundierten und wenig
wirklichen Einfluss habenden Urtheile der gegnerischen Truppen
über einander und das was kommen werde, muss die Meinung
sein, die an den leitenden Stellen beider Armeen platzgegriffen hatte.
•) 280, u. a. a. O.
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— 62 —
Hier ist nicht sehr vieles positiv historisch nachzuweisen:
auf preußischer Seite immerhin noch mehr, aber ein französisches
„Rossbach und Jena" besteht natürlich nicht.
Auf preußischer Seite steht fest, dass man die Erfolge der
Franzosen von lange her schon aufmerksam verfolgte. Die Frage,
ob die Franzosen mit dem Kriege in der neuen Zeit weitergekom-
men seien, als die deutschen Stämme, wird in der militärischen
Gesellschaft oft und gründlich ventiliert, wenngleich naturgemäß
nicht unbefangen. Ein paar Officiere waren im Laufe der Jahre in
Frankreich gewesen, wurden jedoch, wie es scheint, vom ersten
Consul schon, militärisch düpiert, ihre Berichte enthalten durchaus
nicht den Kern des Wissenswerten und wurden zumeist auch nicht
publik. Indessen konnte der, der Augen hatte zu sehen, die Sig-
natur der neuen kriegerischen Epoche aus ihrem Thun erkennen.
Wie man an den höchsten Stellen über den Ausgang des bevor-
stehenden Kampfes dachte, gelegentlich, heißt das, wurde bereits
ei*wähnt. Das böse Gewissen schlägt oftmals vor, es ist nicht
hinwegzuleugnen. Es bleibt somit nur anzunehmen, und die
Betrachtung der Ereignisse wird dies erweisen, dass man sich
nach Augenblicken der Entmuthigung in solchen der Hoflfnungs-
freudigkeit dem Zauber überließ, der in dem guten Glauben an
eine überkommene Tüchtigkeit liegt, trotzdem oder vielmehr
gerade weil man deren Elemente nicht mehr klar versteht.
Wenn man in. Preußen dachte, hoffte, Befürchtungen em-
pfand, so war dies bei den Franzosen nur Sache eines Mannes.
Es ist anzunehmen, dass er über die Verhältnisse der preußischen
Armee in allem Wesentlichen wohlunterrichtet war.*) Während
der Diplomat der alten Schule, Lucchesini, gar keinen militärischen
Blick besitzt, und seinem Hofe Nachrichten höchst unwesentlicher
Natur in militärischen Dingen zukommen lässt, benützt Napoleon
jede Gelegenheit, um auch im diplomatischen Verkehr durch seine
•) Zweifelsohne war dem Kaiser der Inhalt des Briefwechsels von Talleyrand
mit Hauterive bekannt ; folgendes möge aus demselben angeführt sein : Hauterive an Talley-
rand, 20. Nov. 1805 . . . qtt'on choisisse quelle armce Von vondra de Celles qui appariienneni
aux grandes puissanccs de VEurope, je n'en exceptc pas mime cellcs de Portugal ei
d'Espagne, il n'y ett a pas une qui ne soit en etat de donner des le^ons de courage, de fitrti
et d'elcvation ä cellc de Prusse . . . qui ne soit raisonuablement fondee ä esferer de
Vintimider, de Vaffaiblir par les desertions, et de la vaincrc; am 28. Nov. 1805 ... Grand
Frederic.' ä dix-huit ans de toi, voilä ce qu'on fait de cette grande armce, que tu avais
pris tant de peine ä former . . In diesem Tone sind alle Briefe abgefasst; Bailleu, II, 2. An-
hang, 609.
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— 63 -
Angestellten Aufschlüsse über Preußens Heer zu erhalten.*)
Wenn man seine Correspondenz noch so argwöhnisch prüft, so
muss man doch zu dem Schlüsse gelangen, dass er von Preußen,
wie in jeder Hinsicht, so auch in militärischer, aufrichtig gering
gedacht hat;**) trotz der angemessenen kriegspsychologischen
Vorsicht überträgt sich das Urtheil des obersten Kriegsherrn über
den Gegner auf seine Generale.
Es ist nach allem nicht zu zweifeln, dass in Hinsicht der
gegenseitigen Beurtheilung Frankreich — wenn man so sagen
darf — die Vorhand hatte; es glaubt überlegen zu sein und
rechnet auf Erfolg ; und zwar glaubt es dies fester, intensiver, ohne
Momente des Zweifels, wie sie bei seinen Gegnern zu finden
sind, und unerschütterlicher als eben sie.
Und wir wissen aus der historischen Kritik, dass seine
Mittel und Formen des Krieges jenen Preußens wirklich über-
legen waren.
Es ist daher überlegen ; und hat dies wohl g e w u s s t.
Nicht stets findet man diese beiden Potenzen vereint.
Denn Preußen hielt sich ja gewissermaßen auch für über-
legen; dass dies den Thatsachen nicht entsprach, dafür kann
man das Heer gar nicht und die leitenden Männer nur
bis zu einer gewissen Grenze verantwortlich
machen.
*) Schon 1801 ließ sich der erste Consul von Duroc über die preußischen Truppen
melden: , . . Je crois que le Soldat a plutöt de l'apparence et qu'il manque iout ä fait de
nerf et d^intelligence . . . Bailleu, I, 514, In den nicht chiffrierten Correspondenzen desselben
Generals anlässlich seiner Mission an den preußischen Hof 1805 finden sich dergleichen Be-
richte über die Armee ; Duroc an Talleyrand, 18. Sept. 1805 . . . certes, l'armie prnssienne
n'est rien moins que prefe ä entrer en campagne . . . , Bailleu, 11, Urkunde Nr. 285. Es ist
mit Bestimmtheit anzunehmen, dass dieser Vertraute Napoleons seinem Herrn mündlich die
aUerweitestgehenden Aufschlüsse über Preußens Kriegsmacht gegeben hat.
••) An den König von Neapel, St. Cloud, 13. Sept. 1806 . . . Sous peu de jours eile
(la PrusseJ aura desarme ou eile sera ecrasce . . . . ; an den Prinzen Eugen, ebenda,
15. Sept.; an den König von Holland, vom selben Datum; u. a. a. O. Diese überall unverkenn-
bar zutagetretende Ueberzeugung, der Sieg werde diesmal ein leichter sein, schließt doch
keineswegs aus, dass der Kaiser die Möglichkeit von Rückschlägen auch in's Auge fasste.
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IL
Politik und Strategie.
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Auch in der Staatspolitik, dieser so vorurtheiislosen — sie
soll es doch wohl sein — oftmals mit Impromptus und plötzlichen
Wendungen des Interesses arbeitenden Thätigkeit, dieser wahren
Kunst des Augenblicks manchmal, spielen die Ahnen gar oft eine
bedeutende Rolle.
Der Vergangenheit gedenkt der Staatsmann stets, oder soll
ihrer doch gedenken, wenn ihn der Drang des Augenblicks zu
folgenschweren Entscheidungen der Staatspolitik ruft.
Nicht zu pietätvoller, traditioneller Consequenz in seinem Thun
werden ihn die Ahnen der internationalen — oder interhöfischen,
je nachdem — Beziehungen vermögen, vielmehr ihm nichts
anderes sein, als das Material an Erfahrung, auf welches und
durch welches er zur Berechnung, dann zum Entschlüsse des
Augenblicks gelangt.
In diesem Sinne fasse sie der Geschichtsschreiber auf; am
Tage liegt, dass der praktische Wert der Ahnen mit ihrem Alter
abnehmen wird; und so gibt es des öftern einen Punkt in der
Geschichte, den man den todten Punkt der Beziehungen von
Volk zu Volk nennen möchte , wenn dies gestattet ist; von
demselben an hat die Geschichte der wechselseitigen Beziehungen
praktische Wirkung für die Gegenwart; Vergangenes reicht mit
seinem ganzen Schwergewicht in den Augenblick herein ; von
demselben zurück beschäftigt sich mit diesen Beziehungen nur
der gewissenhafte Chronist.
So wollen wir, Frankreichs und Preußens Gegenüber vor
Jena aufmerksamen Blicks verfolgend, mit jenem gewaltigen Zeit-
abschnitte beginnen, der am 5. Mai des Jahres 1789 eingeleitet
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worden ist; hier liegt der todte Punkt beider Staaten für die ganze
Zeit bis zum Congresse von Wien.
Gelegentlich der Reichenbacher Convention (27. Juli 1790)
bereits in*s Auge gefasst, war auf dem Congresse zu Pillnitz
(27. August 1791) die Idee eines bewaffneten Einschreitens zu
Gunsten der bedrohten Monarchie jenseits des Rheins zwischen
Leopold II. und Friedrich Wilhelm IL zur Reife gediehen. Mit
dem ganzen monarchischen Bewusstsein, welches dem Nachfolger
Friedrichs des Großen wohl anstand, sagte Friedrich Wilhelm 11.
Österreich seine Hilfe in dem Kriege zu, der am 20. April 1792
über Antrag Dumouriez von der gesetzgebenden Versammlung
an den König von Ungarn und Böhmen erklärt worden war. Er
selbst entwirft, des Sieges sicher, einen Plan zum Kriege.*) Vier
Monate später führt Karl Ferdinand von Braunschweig die
alliierten Heere über Frankreichs Grenzen und sogleich lässtsich
der König von Preußen durch Dumouriez' Scheinverhandlungen
gründlich düpieren; erbost befiehlt er, als ihm die Lage klar zu
werden beginnt, eine entscheidende Schlacht. Valmy war keine
solche in militärischer Beziehung, aber politisch entschied sie un-
endlich viel, als das preußische Heer am 30. September in
traurigster Verfassung den Rückzug anzutreten begann.
Mit dem militärischen Spaziergang nach Paris war's vorerst
nichts gewesen.
Da rüttelt William Pitt die continentalen Mächte auf und im
Frühjahr 1793 beginnt allen Ernstes der Krieg der ersten Coalition:
man weiß, wie derselbe geführt worden ist. Friedrich Wilhelms IL
Herz war stets zwischen der polnischen Angelegenheit und dem
französischen Kriege getheilt; als dieser nicht nach Wunsch aus-
fiel, dachte der König immer mehr an den Osten seines Reichs.**)
Nachdem die Franzosen noch einmal nothdürftig bei Pirmasens
geschlagen worden sind, geht er Ende September zur Armee nach
Polen ab. Und als im Winter dieses Jahres und dem Frühjahre
des nächsten hier die Dinge sich immer drohender gestalten,
empfindet Friedrich Wilhelm II. die Nothwendigkeit, sich im Westen
*) Schlosser, XV, 103.
••) Zweite Theilung Polens, 24. Sept. 1793.
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— 69 -
ZU degagieren und schließt, um nicht die Schmach des Verrathes
an der Coalition auf sich zu laden, jenen schmachvollen Subsidien-
vertrag,*) durch den er 62.000 Mann von Friedrichs des Großen
Truppen unter dem alten Feldmarschall Möllendorf als Söldner
in fremde Dienste und gegen Frankreich stellt.
Fleurus versetzte der Coalition den Todesstoß; im Herbst
1 794 stellte das Cabinet von St. James die Zahlung der Subsidien
ein und Möllendorf, der den Krieg als einen politisch verfehlten
ansah, fuhrt seine Truppen Ende October über den Rhein zurück;
sogleich beginnen in der Armee selbst Wünsche nach dem
Frieden laut zu werden,**) und wirklich wird die Negociation zu
demselben vom Hauptquartier und ohne Vorwissen des Königs
begonnerL Der hatte indess in Polen alle Hände voll zu thun;
am 6- September zog sich sein Heer in fluchtähnlicher Eile vor
den tapferen Vertheidigern Warschaus, Kosciuszko und Joseph
Poniatowsky zurück- Unter dem Eindrucke***) der russisch-öster-
reichischen Allianz vom 3. Jänner 1795, deren drohende Spitze
direct gegen Preußens Polenpläne gerichtet war, entsagt Friedrich
W^ilhelm IL seiner bisher zur Schau getragenen Rolle eines
Schützers der deutschen Reichsinteressen und strebt nunmehr
geradezu einen Particularfrieden mit Frankreich an.
In einer höchst gefährlichen innern Lage — finanzielle Er-
schöpfung — und äußeren Krise — Polen, gespanntes Verhältnis
zu Österreich, Eroberung Hollands durch die Franzosen — wird
der Friede von Basel nach langen Vorverhandlungen am
5. April 1795 durch Hardenberg geschlossen.
Dieser Friede ist, man sage was man wolle, ein ganz be-
deutender Erfolg der jungen Republik gewesen. Ohne dass Preußen
auf dem Schlachtfelde besiegt worderr war, gibt es seine links-
rheinischen Besitzungen auf und Holland preis, all dies gegen
Versprechungen künftiger Entschädigung; es erhält die Neutralität
für sich und Norddeutschland (für Hannover in einem Geheim-
*) Vertrag im Haag mit den Seemächten am 19. April 1794.
♦•) Hardenberg, I, 258.
***) Prinz Heinrich von Preufien, Oheim des Königs, hat hier auf dessen Haltung
bestimmend eingewirkt. In einer seiner Denkschriften aus dem Ende des Jahres 1794 findet
sich neben sachUcl}er Begründung der Nothwendigkeit des Friedens bereits der Hinweis auf
die Art, wie Preufien es verstehen mQsse, zwischen Russland und Frankreich stehend, der
gesuchte und willkommene Freund beider zu sein; wahrhaftig, die Politik der folgenden Jahre!
Hardenberg, V, (Actenstücke) 49 ff.
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artikel) zugestanden. Die Ausdehnung und unbequeme Lage der
von Hardenberg zustande gebrachten DemarcationsHnie wird so-
gleich nach Abschluss der Negociation vom König selbst in ihrer
ganzen Gefährlichkeit erkannt.*)
Nachdem durch die dritte Theilung Polens**) ein relativ stabiler
Zustand an Preußens Ostfront geschaffen worden war, beschloss
Friedrich Wilhelm IL, wohl hauptsächlich auf Frankreichs Drängen
und mit Rücksicht auf das gespannte Verhältnis zu Österreich,
das unfertige Basler Friedenswerk endgiltig zu vollenden. Der
Vertrag vom 5. August 1796 bedeutete nichts anderes als voll-
kommenen Verzicht Preußens auf die Integrität des Reiches und
bedingungslose Überlassung des linken Rheinufers an die Republik:
hiefur soll Preußen durch Säcularisationen späterhin entschädigt
werden; noch nichts Thatsächliches also; und der Schritt, den
Hardenberg auf eigene Faust zu Preußens Gunsten in seiner
süddeutschen Politik gethan, wird vom Könige alsbald gewissen-
haft zurückgenommen.***)
Allein für alle Opfer hatte Preußen neuerdings die Neu-
tralität besiegelt und verbrieft; was ein solcher Handel wert ist,
liegt wohl auf der Hand. Nicht ein sicherer, ehrenvoller, vortheil-
hafter Friede war der, den es geschlossen, sondern ein Act des
Selbstmordes, der es von nun an zur politischen Nichtigkeit
verdammtf)
Mit Misstrauen verfolgte Preußen aufmerksamen Blicks, was
da zu Campo Formio verhandelt wurde und mit mehr Misstrauen
noch erschienen seine Plenipotentiäre am Rastatter Congress. Drei
Wochen tt) vor Eröffnung ff f) desselben hatte Friedrich Wilhelm III.
den Thron bestiegen und während er in vielen Stücken gründ-
lich mit der Vergangenheit brach, übernahm er gewissenhaft und
überzeugungstreu das Erbe der Neutralität. Seine Liebe zum
Frieden betonte Preußen in Rastatt unentwegt; schwer wog,
dass es aufrichtig sprach. Denn Neutralität, die procla-
mirt man nicht, wenn man sie wirklich zu er-
•) Hardenberg, I, 298.
••) Vertrag ZMrischen Osterreich, Russland und Preußen vom 24. October 17Ö5.
•••) Hardenberg, I, 364, ff.
t) Bauer, 155.
t+) 16. November 1797.
ttt) ö. Decembcr 1797.
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— 71 —
reichen sucht. Standhaft blieb der König auf dem Boden dersel-
ben stehen, als Zar Paul den Fürsten Repnin nach Berlin gesandt,
um Preußen zum Eintritt in die eben entstehende zweite Coa-
lition zu vermögen; abgewiesen wurde Graf Cobenzl, als dieser,
von Thugut nach Petersburg gesandt, in Berlin für den neuen
Krieg zu wirken suchte; der kluge Sieyes spielte auf seiner
Sendung an den preußischen Hof ein paar demselben nicht
eben wohlwollende Geheimartikel Österreichs von Campo Formio
mit Glück und Geschick gegen die englisch-russischen Einflüsse
aus. Allein, wenn Gründe der Politik auch nicht vorhanden
gewesen wären, die Neutralität an sich lag in des Königs ganzem
Wesen; festhalten wollte er um jeden Preis an dem System des
Friedens, das ihm hinterlassen worden war.*)
In den Wirmissen des neuen Krieges ward der Congress
zu Grabe getragen ; nichts war endgiltig entschieden, für Preußen
nichts gewonnen worden. Wenngleich nicht ohne leises Schwan-
ken, so doch thatsächlich ohne einzugreifen, sah Friedrich Wil-
helm III. Marengo auf Novi, auf Stockach Hohenlinden folgen.
Sehr rasch hatte sich des Zaren Enthusiasmus für die Restauration
gekühlt; die Coalition zerfiel. Und im Jahre 1800 wendet sich
Russland um Erneuerung der historischen Allianz nach Beriin,
während fast gleichzeitig der erste Consul eine Annäherung an
Preußen beginnt.**) Dieser doppelte Schritt bringt Preußen zu-
nächst dahin, sich weit zu überschätzen, und dies wird für die
Politik dieses Staates von nun an verderblich sein.
Höchst verwickelt ist die Vorgeschichte des Friedens von
Luneville und die Rolle, die Preußen in derselben gespielt, nicht
immer klar zu sehen. Folgendes möchten die großen Züge sein:
Nachdem Preußen sich im ersten Augenblicke als den willkom-
menen Vermittler zwischen dem Zaren und dem ersten Consul ange-
sehen, wurde es durch die auf des Selbstbeherrschers aller Reußen
Gemüth berechnete Zurücksendung der Kriegsgefangenen ***)
von Seiten Bonapartes sogleich schon halb aus seiner Rolle ge-
drängt. Im Auftrage des Königs erscheint Marquis von Lucche-
sini am 28. October in Paris,t) erkennt jedoch sogleich in der
*) Hardenberg, I, 400 ff.
♦•) Ebenda, 419 «F.
••*) Correspond^ XXX, 474.
t) BaiUeu, II, Einleitung XI, ff.
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Audienz vom 8. November, dass es dem ersten Consul um die
Vermittlung Preußens durchaus nicht zu thun sei, indem er über
dieses hinweg bereits mit Russiand in Verbindung steht. Unter
dem Eindruck von Hohenlinden erneuert Preußen seine Anerbie-
tungen zur Mediation und führt zur Unterstützung sein Einver-
ständnis mit dem Zaren selbstgefällig an. Nun hatte aber Paul
indessen dem ersten Consul einen Brief des Dankes von wegen
seiner rückgeschickten Russen so warmen Tones voll geschrieben,
dass Bonaparte sofort in demselben eine Handhabe zur Verständi-
gung mit Russland sieht So musste daher Preußen mit seinen
Propositionen sich einen sehr empfindlichen diplomatischen Echec
zu holen im Begriffe stehen ; in der That weist der erste Consul
durch Talleyrand die Vermittlung Preußens in aller Form zu-
rück. Im Begriff, sich zu einer Macht ersten Ranges zu erheben,
war Preußen wieder zu der Rolle einer Macht zweiten Ranges
zurückgeworfen, deren Politik von derjenigen anderer Staaten
bedingt ist, ohne sie ihrerseits zu bedingen.
Von Frankreich und Russland mehr oder weniger zurück-
gewiesen, nichts weniger als eines Sinnes mit Österreich, muss
Preußen daran denken, bei der beginnenden territorialeif Umwand-
lung Deutschlands vor allem seine Interessen wahrzunehmen.
Haugwitz, leitender Minister, und Hardenberg stimmen dahin
überein, man müsse, um die Hegemonie in Norddeutschland
zu wahren, eine beherrschende Stellung nach Süddeutschland hin
nehmen. Dieser Auffassung pflichtet der König bei, macht sich
zu einer militärischen Besetzung der fränkischen Bisthümer bereit
und gibt diese seine Absicht in Paris sowohl als Petersburg be-
kannt. Aber noch bevor eine Antwort von der Newa erschien,
thut auf Pauls I. Befehl sein Gesandter in Beriin, Krüdener, den
Vorschlag,*) Preußen solle durch Hannover entschädigt werden
und möge daher das Land einstweilen occupieren ; obwohl wider-
strebend vor einem Schritt, der zu Verwicklungen mit England
führen konnte, ertheilt Friedrich Wilhelm III. dennoch zum Ein-
marsch den Befehl und dringt gleichzeitig neuerdings in Paris auf
den Consens zum Einrücken in Franken.
So schien sich alles aufs Fürtrefflichste anzulassen.
♦) 25. März 1801.
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— 73 —
Da wurde in der Nacht des 23./24. März 1801 Zar Paul
ermordet, und Alexander I. trat mit einem gänzlich veränderten
politischen Programm hervor : Er näherte sich England ganz ent-
schieden, und aus diesem Umschlag in Russlands Politik erfolgte
mächtig und sofort die Reaction auf Preußens ganze Stellung.
Der erste Consul war entsetzt gewesen über die Nachricht vom
Tode seines jüngsten warmen Freundes Paul und sogleich erkennt
derselbe, dass er sich Preußen wieder nähern müsse, da sich Russland
seinen Plänen gegen England voraussichtlich widersetzen wird.
Unum>vunden bietet er Friedrich Wilhelm III. Hannover als Ent-
schädigung an, das dieser jedoch definitiv anzunehmen sich nicht
entschließen kann. Alexander erklärt seinerseits, eine Besetzung
Frankens durch Preußen nicht billigen zu können, wodurch sich
dieses sogleich wieder zur Anlehnung an Frankreich bewogen
fühlt. Gleichzeitig kopfscheu gemacht durch die immer evidenter
werdende völlige Unzuverlässigkeit der Politik des ersten Consuls,
beginnt Preußen sich mit Österreichs Vertreter Stadion in Rapport
zu setzen und nun wird die Regelung der Entschädigungsfrage
der Reichsdeputation am Reichstage zu Regensburg vertraut,
welche diese Frage im Concert mit Frankreich „näher zu unter-
suchen, zu prüfen, zu erledigen hat."
Man sieht : Es schwankt die preußische Politik unsicher hin
und her; sucht bei allen Mächten Reihe herum Zustimmung
zu ihren Plänen zu erlangen, und als ihr dies bei keiner nach
Wunsch gelingt, vertraut sie ihr Heil den Berathungsresultaten
von Regensburg an.
Nun setzt eine wenig rühmliche, mehr als das, wenig zweck-
bewusste und zweckfördernde Phase der preußischen Staatskunst
ein ; je nachdem der erste Consul mit England besser oder übler
steht, lässt er größere oder geringere Erbietungen nach Berlin
ergehen, wo nian, im grundsätzlichsten Gegensatz zu Öster-
reich in Sachen der Säcularisationen stehend, sich von diesem
getrennt, und nur im Anschlüsse an Frankreich sein Heil zu finden
glaubt. Nachdem Bonaparte Preußen durch Vorschläge sachlich
unannehmbarer Natur -— Übergabe von Hannover an französische
Truppen — hingehalten, dann am 1. October über die Präliminarien
des Friedens mit England schlüssig geworden war, lässt er durch
Talleyrand rund und nett erklären, Preußen müsse auf jeden Fall
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vom Rhein zurück, er wolle es nicht in seiner Nähe haben. Die
diesem Gesichtspunkte sogleich gefügig angepassten Vorschläge
des Berliner Cabinets beachtet Bonaparte erst, als er dessen Unter-
stützung für seine italienischen Pläne nothwendig bedarf. In dem
Augenblick jedoch, da Preußen bereitwillig zugreifen will, hat er
sich unter dem Eindruck des nahen Friedens mit England neuer-
dings anders besonnen und rücksichtslos vertagt er nun die
Ordnung der deutschen Angelegenheiten bis nach Perfectwerden
des Friedens von Amiens.
Geduldig fugt sich Preußen wiederum, um schließlich vom
ersten Consul Vorschläge zu vernehmen, die wesentlich geringer
lauteten als alles das, was vordem versprochen worden war.
Da Lucchesini die Überzeugung gewann, es sei vom ersten
Consul durch Unterhandlungen schlechterdings nicht mehr zu
erreichen, als dieser zu gewähren von vornherein bei sich be-
schlossen hatte, so versteht er sich am 23. Mai 1802 zu einem
Vertrag, der die leidige Entschädigungsfrage endlich, endlich ge-
löst hat. Preußen erhielt Paderborn, Hildesheim, einen Theil von
Münster, Eichsfeld, Erfurt und die Abteien Elten, Essen und
Werden. Weder war seine Stellung in Norddeutschland hiedurch
wirklich befestigt worden, noch ihm ein Einfluss auf Süddeutsch-
land gewährt ; ein Fiasco war's offenkundigster Natur. Gleichwohl
wurde die Nachricht vom Abschluss in Berlin freudig und dank-
bar aufgenommen als eine an sich immerhin erhebliche Territorial-
vermehrung. Unter den Drohungen des ersten Consuls bequemte
sich der Kaiser dazu, die Neuordnung der Dinge gutzuheißen,
wie sie im Reichsdeputation shauptschluss vom 25. Februar 1803
nachmals festgesetzt worden ist.
Von nun an gedachte der Staat der Hohenzollern Frank-
reichs ehrlicher Freund zu sein.
Am 27. März 1802 warder Frieden von Amiens geschlossen
worden, der im Grunde nichts gewesen ist, denn ein Waffenstill-
stand von etwa einem Jahr. Rom und Carthago konnten nicht
im Frieden leben, behauptete Haugwitz nachmals, im vorhinein
gewusst zu haben, und in der That verhehlte sich im März des
Jahres 1803 niemand, dass ein neuer Krieg demnächst zu er-
warten sei. Da erschien am 20. März General Duroc im Auf-
trage des ersten Consuls in Berlin und ließ letzterer eröffnen,
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— 75 -
dass er im Falle des Wiederbeginnes des englischen Krieges
Hannover, Georgs III. deutsches Kurfürstenthum, besetzen werde.
Wenn dies geschah, so war Preußen um seinen ganzen
Nimbus als Schützer der norddeutschen Neutralität, mithin den letz-
ten Schein, als sei es eine Großmacht, endgiltig gebracht; sofort
begann das diplomatische Spiel zweckloser Vermittlung in London
und Paris, doch blieb Preußen irgend ein Erfolg versagt; dem
Ärgsten musste man, dem Kriege entgegensehen. Sofort tauchte in
Haugwitz der Gedanke auf, Frankreich in der Besetzung Hannovers
rasch zuvorzukommen, derselbe wurde jedoch vom Könige mit
Hinweis auf seine Neutralität sogleich rundweg abgelehnt ; vielleicht
hat auch Alexander abgerathen.*) Nach einem misslungenen Ver-
such, die Neutralität Hannovers von Frankreich zu erkaufen,**)
sieht sich Friedrich Wilhelm III. schließlich doch gezwungen,
militärische Rüstungen zumindest in's Auge zu fassen, für die
Haugwitz und gegen die die militärische Umgebung des Königs
stimmt***). Der Monarch entscheidet sich dahin, eigentliche
Rüstungen seien nicht zu thun; und unterdessen hat Mortier, von
Holland kommend, bei der beispiellosen Haltung der hannover-
schen Behörden f) mit etwa 12000 Mann das Land fast ohne
Widerstand besetzt. ff)
Eine unmhige Bewegung entstand sogleich unter der preußi-
schen Bevölkerung, die seit dem siebenjährigen Krieg keinen Feind
mehr im Herzen Deutschlands gesehen hatte. Bald liefen in Berlin
Anträge von Russland ein, die auf ein Zusammengehen beider
Mächte in Sachen der norddeutschen Neutralität hinzielten und
neuerdings empfiehlt Haugwitz dem König Rüstungen, da man
ja an Russland einen Rückhalt habe. Dieser jedoch vermeidet
ein näheres Eingehen auf Alexanders Pläne, sowie er Rüstungen
vorzunehmen gleichfalls nicht edaubt. Um jeden Preis will er
entscheidenden Schritten aus dem Wege gehen und triumphierend
meldet der französische Gesandte in Beriin unterm 7. Juli nach
Paris, dass Sa Majeste est iimide et entonree de gens timides.
•) Hardenberg, I, 404; II, 18.
•*) Bailleu 11, Urkunde Xr. 102; ostensibler Erlass an Lucchesini, Cörbelitz, 28. Mai.
•••) Ebenda, Einleitung, XXXIIl.
f) Oncken, II. 105, ff.
tt) Capitulation von Suhlingen, 3. Juni 1803.
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— 76 —
Der erste Consul ging nun rücksichtslos von Hannover
aus gegen den englischen Handel, der Deutschlands Producte an
den Mündungen der Elbe und Weser übernahm, vor. Am 30. Juni
überreichte Graf Haugwitz seinem Monarchen ein Memoire,*)
in welchem er den Ernst der Lage rückhaltslos enthüllt, und
wieder und wieder auf militärische Rüstungen dringt. Immer leb-
hafter wird Alexander in seinem Drängen zu einer Allianz, und
so entschließt sich Friedrich Wilhelm III. am 5. Juli 1803 den
Cabinetsrath Lombard mit einem eigenhändigen Schreiben an
Bonaparte, der sich gerade in Brüssel aufhielt, zu senden, um
vor allem Klarheit zwischen sich und den ersten Consul zu bringen.
Lombard, vom Freiherrn von Stein zu jener Zeit schon als
frivoler Mensch und physisch und moralisch ganz verkommen
hingestellt, von Clausewitz desgleichen später in denkbar schärfster
Weise stigmatisiert, war in Wahrheit nichts, als das Echo seines
Königs, sein willenloses Instrument, und als solches trat er seine
Sendung an. Bei Bonaparte erreichte er — natürlich darf man
mit Fug und Recht einschalten — nicht das allermindeste für
Preußen, trotz des mitgebrachten schönen Briefes, indess gewann
er den Eindruck, als habe Preußen von ihm vorläufig nichts
zu fürchten. Dies war die Basis, aufGrund deren man
in Berlin die Idee an Rüstungen erneuert von sich
wies.**) Dafür fasste Friedrich Wilhelm III. neuerdings den
Gedanken, zwischen Frankreich und Russland vermittelnd auf-
zutreten, welche Absicht von beiden Seiten jedoch alsbald Ab-
lehnung erfuhr; zu groß war der Gegensatz von Alexander und
Bonaparte bereits geworden und bald erkannte Preußen, dass,
wollte es nicht ganz vereinzelt stehen, es sich mit der Allianz
des einen Staates werde begnügen müssen. Man suchte sie beim
ersten Consul nach; derselbe wiederholte nun das Spiel, das er
mit Preußen 1802 gespielt; je mehr Preußen auf der Allianz be-
stand, desto geringer wurde das, was er gewähren wollte, und
desto größer wurde das, was Preußen zugestand. Als nun
Bonaparte Preußen ein, wenn auch nicht formelles, so doch in
seiner Wirkung effectives Offensiv- und Defensivbündnis weit-
gehendster Natur ansann, für welches er ganz lächerliche Vor-
•) Bailleu, II, Urkunde Nr. 120.
*) Bailleu, II, Einleitung, XL.
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— 77 —
theile zugestand, erkannte man denn endlich in Berlin, dass der
Liebe Müh' umsonst gewesen, und im Beginne des April wurden
die Negociationen endgiltig abgebrochen; von militärischen Vor-
kehrungen war wieder nicht die Rede.
Wohlwollend hatte Alexander zugesehen ; Preußen werde
in der Stunde der Gefahr Russland stets an seiner Seite sehen,
hatte er gesagt; als man nun mit Bonaparte zu Ende war, ver-
langte Haugwitz demgemäß Anschluss an den Zaren. Doch
Friedrich Wilhelm III. blieb bei der Neutralität; niemals wollte
er sich die Hände binden ; und Haugwitz, der seit so langer
Zeit den preußischen Staat gelenkt, trat, bekümmert über eine
Politik, die nicht mehr die seine war, von der Leitung der aus-
wärtigen Geschäfte zurück ; der Freiherr von Hardenberg trat an
seine Stelle.
Der Geist seiner Politik spiegelt sich, man sage was man
wolle, zunächst in seiner Antwort auf die königliche Berufung
zum auswärtigen Amt:*) wo er Zweifel haben sollte, gedenke
er des Königs Befehle zu erfragen. Mehr als conventioneile
Floskel war das Wort, war ernst gemeint und wurde vorerst
ernstlich gehalten.
Auf Andrängen Alexanders hatte Friedrich Wilhelm III. am
24. Mai ohne besonderes Empressement eine Erklärung dahin
abgegeben, er garantiere Russland gegenüber Norddeutschlands
Neutralität. Als nun infolge der Erschießung des Herzogs von
Enghien der gereizte Notenwechsel zwischen Paris und Petersburg
die Gefahr einer Verwicklung nach sich zu ziehen drohte, als
der erste Consul in Berlin anfragen ließ,**) ob Preußen die
Garantie der Neutralität dahin verstehe, dass es gesonnen sei,
fremden, das heißt russischen Truppen den Durchmarsch durch
seine Staaten zu verwehren; erklärte Hardenberg sich zu letzterem
bereit, wenn Frankreich seine Truppen in Hannover nicht ver-
stärke und sich gegen die neutralen Stände Norddeutschlands
keinen Übergriff erlaube. Wenn er nun auch an einen Krieg
durchaus nicht geglaubt, ja die Wiederberufung Pitts in's englische
Ministerium» sogar als Friedensgarantie ansah,***) so steht doch
*) II, 32.
••) Bericht Lucchesinis vom 17. Mai; Ballleu, II, Urkunde Nr. 176.
"•) Bailleu, Einleitung, L.
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— 78 -
fest, dass durch Garantie der norddeutschen Integrität nach beiden
Seiten hin Preußen sich in eine Lage versetzt hatte, in der ein
zwischen Russland und dem neugeschaffenen Empire ausbrechender
Krieg für dasselbe eine Existenzfrage werden musste von der
peinlichsten Art.
Doch nein, seit Hardenberg die Geschäfte führte, begann
Preußen — langsam zunächst, dann immer entschiedener — in
Frankreichs Kielwasser einzuschwenken. Friedrich Wilhelm IIL hatte
Napoleons Erhebung zum Kaiser der Franzosen als erster von
allen Souveränen anerkannt und dem neuen Monarchen persön-
lich herzlichst gratuliert. Dem Grafen von Lille (Ludwig XVIII.)
wird auf schonende Weise nahegelegt, sein ferneres Verbleiben
in Warschau, auf preußischem Gebiet, wünsche der König nicht*)
Schon denkt Hardenberg, während er sich mit Mühe nur der
erneuerten russischen Anträge erwehrt, daran, die im April ab-
gebrochenen Negociationen mit dem Kaiser der Franzosen wieder
zu beginnen.
Indessen gestaltete sich die allgemeine Lage Europas immer
drohender ; Russland hatte den diplomatischen Verkehr mit Frank-
reich abgebrochen; England war durch Napoleons Jagd auf seine
Gesandten am Continent erbitterter denn je, und Gustav IV. von
Schweden rüstete in Pommern gegen Napoleon : wir blicken
mitten in die Entstehungsgeschichte der dritten Coalition. Napoleon
empfand die Nothwendigkeit, mit Preußen Hand in Hand zu
gehen, und sandte im September 1804 den Grafen Arberg nach
Berlin, um sich den Hof geneigt zu machen; sogar von der
Erhebung Preußens zum Kaiserthum soll damals gesprochen
worden sein. Zugleich lässt der Kaiser der Franzosen den
Wunsch erkennen, Preußen als Vermittler zwischen sich und
dem Zaren auftreten zu sehen. Da Russland sich dem Wunsche
Preußens fügt, so eriebt dieses die Genugthuung, das Ziel seiner
sehnlichsten Wünsche, den Traum, den es so lange vergebens
geträumt, die willkommene Vermittlerrolle, in nahe Verwirk-
lichung gerückt.
Da traf am 28. October 1804 in Berlin die Nachricht ein,
französische Truppen hätten den Residenten Englands beim nieder-
•) Hardenberg, II, 86
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- 79 —
sächsischen Kreise, den Chevalier von Rumboldt, auf neutralem
Boden aufgehoben und gefangen fortgeführt.
Wir erinnern uns, dass Friedrich Wilhelm III. am 24. Mai
dem Kaiser Alexander die Neutralität Norddeutschlands garantierte;
sie war verletzt und somit trat der casus foederis ein, so dass
Preußen auf ja und nein vor einem Kriege stehen konnte. Doch
nicht in dem papierenen Concept mit Russland lag für Preußen die
Nothwendigkeit, nunmehr entscheidende Schritte zu thun; Friedrich
Wilhelm III. war Director des niedersächsischen Kreises und
daher Rumboldt bei ihm accreditiert. Wohl oder übel musste der
König etwas zur Wahrung seines Ansehens thun.
Und er that auch etwas, wenngleich er nur mit Mühe dahin
zu bringen war, und sich in seiner Verlegenheit an alle mög-
lichen Leute wandte, um bei diesem oder jenem moralische Unter-
stützung für sein System des Zögerns zu erhalten. Nachdem er
vor allem den Vorschlag einer militärischen Demonstration ab-
gelehnt, richtete er unterm 30. October an Napoleon einen Brief,*)
in welchem er die Freilassung des Gefangenen nachdrücklichst
begehrt; Lucchesini wird gleichzeitig angewiesen, durch münd-
liche, würdig gehaltene Vorstellungen in Paris des Königs Zweck
zu fördern. Und das Unerwartete geschah : sofort befahl Napoleon
die Freilassung des Chevaliers und im Moniteur ließ er erklären,
dieselbe sei auf des Königs von Preußen Verwendung hin erfolgt.
Nicht ganz klar liegen für diese Concilianz des Imperators die
Ursachen zu Tage ; die allgemeine politische Lage an sich hat
ihn zu derselben wohl kaum vermocht; indessen, wie es auch
gekommen sei, Rumboldt wurde freigelassen und die Nachricht
hievon brachte in Friedrich Wilhelm ein Gefühl der grenzenlosesten
Dankbarkeit hervor, so grenzenlos, dass er von Hardenberg ver-
anlasst werden musste, sein erstes Dankschreiben an Napoleon
als „zu unterwürfig, ja kriechend" abgefasst, gegen ein würdiger
gehaltenes zu tauschen.**) Der König hatte einen moralischen
Erfolg davongetragen ; hinzugefügt muss werden : in seinen
eigenen Augen vornehmlich.
Denn vergeblich verhallten weiterhin alle Bemühungen der
preußischen Politik, betreffs Hannovers mit Frankreich endgiltig
•) Bailleu, II, Urkunde Nr. 216.
••) Hardenberg, II, 108 ff. mit dem Text der beiden Briefe.
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Überein zu kommen, sowie ihre Versuche, die neue Coalition
durch Vermittlung einer Entente Frankreichs mit Russland im
Keime zu ersticken. Sie genoss eben eines wahren Vertrauens
nach keiner Seite hin, wie das Vertragswerk zwischen Österreich
und Russland vom 6. November 1804 beweist, dessen Artikel VIII
besagt, in einem beginnenden Kriege müsse Russland ein Ob-
servationscorps an Preußens Grenze lassen, „pour s'assurer que
la cour de Berlin reste passive,''^) Alexander seinerseits witterte
eben auch eine Geheimallianz Preußens mit Napoleon und Gründe
hiefür mochte er immerhin gehabt haben. Als am 11. April 1805
der russische Premier Fürst Czartoryski mit dem englischen Ge-
sandten über die Endzwecke der Coalition schlüssig geworden
war; als im Frühjahre ein letzter Versuch Preußens, Russland
und Frankreich durch Einführung des Unterhändlers Nowosiltzow
bei Napoleon zu versöhnen, an der Einverleibung Genuas in's
Empire gescheitert war, wiesen die Zeichen am politischen Himmel
auf nahen unvermeidlichen Krieg, und wohl oder übel musste
Preußen erkennen, ob es noch neutral überhaupt werde bleiben
können; sich entschließen, ob es Krieg oder Frieden wählte.
Wie einen im voraus geopferten Gladiator hatten William
Pitt und der Zar das zögernde und zagende Habsburgische Reich
auf den Wahlplatz vorgestoßen ; versucht ward, Preußen zum
Anschluss zu bewegen und schwer ward Preußen der Entschiuss
gemacht; ein wahres Werben von allen Seiten um seine Gunst
begann, wenngleich mitunter durch Drohungen gewürzt. Nachdem
Hardenberg, starr vor dem Idole der Neutralität auf den Knieen
liegend, unterm 15. Juli dem französischen Gesandten Laforest
eröffnet hatte, Preußen könne eine feindliche Landung in Han-
nover keinesfalls verhindern, mithin die Rolle Preußens als Pro-
tectors der norddeutschen Neutralität, die es durch die Erklärungen
vom 3. April und 24. Mai durchzuführen sich erboten, thatsäch-
lich zu Ende war, entschloss sich Napoleon, zum Theil aus rein
militärischen Gründen, Hannover bis zum Frieden Preußen zu
übergeben, indem er versprach, bei der allgemeinen Pacification
die Anerkennung von Preußens definitivem Anspruch auf das Land
bei England durchzusetzen. Sein Alliierter sollte Preußen dafür
werden und zwar in des Wortes allerverwegenstem Sinn ; unver-
*) Oncken, II, 158.
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- 81 —
hohlen ward dem König angesonnen, er solle dem Imperator
Heeresfolge leisten ; am 1 . September erschien Duroc in Berlin und
eröffnete zu diesem Zwecke die Negociation; sogleich erkannte
er, dass Preußen sehr wohl gesonnen sei, Hannover anzunehmen,
für ein Bündnis weitgehender Natur jedoch durchaus nicht zu
haben sei. Um eben diese Zeit erschien von österreichischer
Seite General Graf Meerveldt in Berlin, um Preußen auf Seite
der Coalition zu ziehen. Alexander war gleichfalls inzwischen
immer dringender geworden; um eine persönliche Zusammenkunft
hatte er Friedrich Wilhelm III. gebeten, und da der König der-
selben beharrlich aus dem Wege gieng, so musste der Zar, den
mit Österreich und England verabredeten Gesichtspunkten gemäß,
Truppen an Preußens Grenze aufmarschieren lassen. Erbittert
macht der König, der nun schon halb aus der Neutralität heraus-
gezwungen ist, am 7. September 80.000 Mann mobil, und so-
gleich laviert nun Hardenberg auf Frankreichs Seite hin. Am
12. September will er die Ruhe in Norddeutschland vollkommen
garantieren, sobald Hannover an Preußen übergeben wird ; Duroc
und Laforest sind, wie wir wissen, daraufhin nicht instruiert ; sie
sollten ja ein formelles Bündnis schließen, und, indem sie sich
neue Weisungen von Paris erbitten, erfahrt man in Berlin am
18. September mit aller Sicherheit, dass die russische Armee an-
gewiesen ist, Preußen zur Theilnahme an der Coalition nöthigen-
falls zu zwingen. Die Antwort ist sofortige Mobilisierung des
ganzen Heeres, und der König, der sich, von den Anträgen
Österreichs, Frankreichs, Russlands umdrängt, ungeduldig und
erbittert nach der Einsamkeit von Charlottenburg zurückgezogen
hat, gedenkt unerschütterlicher denn je an der Neutralität fest-
zuhalten.
Indem nun Haugwitz, der anlässlich der beginnenden Krise
von seinen Gütern nach Beriin gerufen worden war, im Verein
mit Hardenberg weitere Verhandlungen Hannovers wegen mit
den französischen Bevollmächtigten pflegt, traf am 6. October
eine Nachricht so überraschend allarmierenden Charakters ein,
dass mit einem Schlage die ganze politische Lage verändert ward.
Am 3. October waren französische Truppen unter Marmont
und Bernadotte, einem in früheren Kriegen gepflogenen Brauche
C. von B.-K. Zur Psychologie des großen Krieges IL 6
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- 82 -
gemäß*) und diesmal auf Napoleons besonderen Befehl, auf dem
Marsche zur Umgehung Macks ins preußische Territorium Ans-
bach eingerückt und hatten Husaren, die solches zu verhindern
suchten, sanft aber entschieden zurückgedrückt. Wie einen per-
sönlichen Affront empfand Friedrich Wilhelm III. diesen Übergriff
und aus seiner Augenblickserregung flössen die außerordentlichsten
Maßnahmen her. Sofort wurden die soeben nach dem Osten
dirigierten Truppen zurückgerufen und auf Hannover, das wegen
des Krieges mit Österreich fast ganz von französischen Truppen
entblößt war, in Marsch gesetzt, um das Land ohneweiters in
Besitz zu nehmen; unverweilt wird Russland erklärt, man nähere
sich der Coalition und gestatte daher den sogleichen Durchmarsch
russischer Armeen durch Schlesien nach Österreich; dem fran-
zösischen Gesandten wird die bevorstehende Occupation Hannovers
nicht notificiert, die Sanctionierung derselben im künftigen Frieden
als erste Bedingung eines Eintretens für die Verbündeten Russ-
land gegenüber gemacht.
Da hielt es Alexander nun für angemessen, von Pulawy.
dem Schlosse des Fürsten Czartoryski, nach Berlin zu kommen,
um seinen unentschlossenen königlichen Freund endlich zu einem
entscheidenden Schritte zu bringen. Am 25. October trifft der
Zar in Preußens Hauptstadt ein, bemerkt jedoch sehr bald, dass
die Nachricht von Ulm den Hof schon wieder wankend macht,
und beeilt sich, indem er alle Mittel persönlichen Einflusses
und traditioneller Freundschaft wirken lässt, einen bindenden
Vertrag zu schaffen. Am 3. November wird derselbe zu Potsdam
perfect gemacht**) und besagt im großen Ganzen Folgendes:
Preußen wird bei Napoleon sofort durch einen Unterhändler die
Unabhängigkeit, respective Räumung von Deutschland, Holland,
Schweiz, Neapel, die Trennung der Kronen Frankreichs und der
Lombardie, endlich eine Entschädigung für den König von
Sardinien verlangen, indem es als bewaffneter Vermittler spricht;
in vier Wochen müssen die Unterhandlungen beendigt sein; sind
sie es nicht oder nicht zu dem obigen Resultate gediehen, so
wird Preußen am Kriege gegen Frankreich thatsächlich Antheil
nehmen.*** ) In einem Geheimartikel bietet der Zar seine Ver-
•) Oncken, II. 190.
••) Vonständig mit den Geheimartikeln bei Hardenberg, II, 324, flf.
•*•) Article 7« . . le concours cffcctif ä la guerre . .
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- 83 —
mittlung an, um Hannover vom Könige von England für
Preußen zu erhalten.
In der Nacht des 4./5. November stieg Alexander mit dem
preußischen Königspaare zum Sarkophag des Großen Friedrich
herunter; besiegelt wurde hier der neugeschlossene Bund und
frohen Muthes voll verließ der Zar Berlin am nächsten Morgen,
um über Weimar zu seiner Armee zu gehen.
Kaum war Alexander fort, begannen die Bedenklichkeiten.
Der Herzog von Braunschweig entwickelte, wie Preußen sechs
Wochen brauche, um actionsfahig zu sein, und es sei daher der
Bruch bis zum 15. December hinauszuschieben, „wo hoffentlich
alles auf den Offensiv- und Defensivpunkten stehen werde, die
erforderlich erachtet sind." Nun entstand die Frage, wie man es
erreichen könne, die Negociationen zu verzögern. Vortrefflich
gelang dies durch die Langsamkeit, mit der Haugwitz, der
designierte Unterhändler, in der Abfassung seiner Instruction ver-
fuhr. Und nun kommt die neue Erscheinung hinzu, dass Friedrich
Wilhelm III. in Person dem Unterhändler, der — kein Zweifel
kann darüber bestehen — Napoleon ein Ultimatum überbringen
soll,, seine dringendsten Wünsche auf Erhaltung des Friedens
um jeden Preis auf den Weg mitgibt.*)
So reist Graf Haugwitz am 14. November ab und unter
dem Banne der doppelten Betrachtung: wie die preußischen
Generale bis zur Hälfte des December Frist für ihre Rüstung
brauchen; und wie die preußische Staatskunst durch eine Waffen-
entscheidung zwischen Napoleon und seinen Gegnern unter allen
Umständen eine wertvolle Handhabe ihrer Entschließungen ge-
winnen muss, reist er geflissentlich so langsam als möglich
seinem Ziele entgegen. Auf der Reise empfängt er Eindrücke
bedeutungsvoller Art von Napoleons militärischer Überlegenheit
über die Coalition. Während Haugwitz reist, wird nun Napoleon
von den Gesinnungen des Hofes zu Berlin theilweise, in allem
Wesentlichen mindestens, unterrichtet, das heißt, er erfuhr, dass
dieselben von heut auf morgen wechselten, keine Beständigkeit
in ihnen sei. Alexander schickt indessen Brief auf Brief an seinen
•) Graf Haugwitz wurde — wie bekannt — erst durch Bailleu's Publication von dem
Vorwurfe, seine Vollmachten in unerhörter Weise missbraucht zu haben, gereinigt, welcher
mehrere Menschenalter auf ihm gelastet hat.
6-
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— 84 -
königlichen Alliierten, in denen er ihm Situationsberichte gibt und
der bestehenden Verbindung voll Zuversicht gedenkt. Friedrich
Wilhelm III., um doch etwas zu thun, eröffnet in seinen schlesischen
Festungen den Heeren Franz' IL und Alexanders III. für den Fall
der Niederlage ein Asyl.
Indessen schürzte das Geschick den Knoten, den der
Imperator bei Austerlitz durchhieb; am 27. November erschien
Savary bei Alexander, um im Auftrage Napoleons den Zaren zu
sondieren ; sogleich kehrte Fürst Peter Dolgoroucky mit jenem
Briefe des Selbstbeherrschers aller Reußen „au chef de la nation
frangalse"^ zurück, der, im Verein mit dem wenig angemessenen
Benehmen seines Überbringers,*) Napoleon, vielleicht recht gegen
seinen Willen, zum Entscheidungskampf bestimmt. Am 28. end-
lich kann Haugwitz nicht mehr umhin, sich in Napoleons
Hauptquartier zu melden und hat sogleich eine Unterredung mit
demselben, deren Inhalt wir uns aus zwei verschiedenen Urkunden
zusammenlesen müssen.**) Aus denselben geht hervor, dass
Haugwitz unendlich vorsichtig aufgetreten ist, weil er, ^vohl
wissend von eben beginnenden Friedensunterhandlungen mit
Österreichs Plenipotentiär, dem Grafen Stadion, befürchten
musste, dass, wenn Preußen drohend spreche, Napoleon mit
Habsburg stehenden Fußes und um jeden Preis Frieden machen
werde, um sich mit seiner ganzen Kraft auf Preußens Heer zu
stürzen. Wenn man nun den Brief Napoleons an Talleyrand
vom 30. November liest,***) und hört, was er alles preiszugeben
willens ist, um Oesterreich zum Frieden zu bewegen, so bleibt
nichts, als anzunehmen, dass Preußen in diesen Tagen that^
sächlich sein und Europas Schicksal in der Hand gehabt.
Gleichsam, als wolle sich der Kaiser der hemmenden und
störenden Einwirkung Preußens entziehen, weist er Haugwitz
*) Thicrs, VI, 290 ff.
••) Hardenberg, V, 190 ff und Bailleu, II, Urkunde Nr. 311; ostensibler Hauptbericht:
. . son (Napoleons) parti elait pris, et ü aurait sujß de laisser echapper une paraU q$ti
Veüt convaincit, qu'il nc s'iiait pas trompe dans son attente, pour precifiier sa paix
particuliere avec VAutriche et pour porter toute la masse de sa putssance amtre !a
Prusse^ . . . Nachschrift chiffriert: . . . celles-ci (Friedensunterhandlungen mit Österreich)
seraienl bientöt reprises, car je sais, ä nen potwoir douter, qu'au montent, Sire, ou
VEmpereur Napoleon vous comptera au nombre de scs ennemis, il ferait un pont d*QT ä
VAutriche. Elle n'y resistera pas et vous atirez des lors sur les bras taute la puissamct
frangaise . . .
•••) Corresp. XI, Nr. 9532.
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— 86 —
für's erste nach Wien, da ein Feldlager der Platz für diplo-
matische Transactionen nicht sei.
Der Kanonendonner von Austerlitz veränderte das An-
gesicht des Continents ein neues mal und das Echo von ihm
klang Haugwitz in die Ohren, als er in Schönbrunn seine
Sendung an den Imperator zu einem gedeihlichen Abschluss zu
bringen unternahm. Nur die selbstgefällige Ueberhebung einer
späteren glücklicheren Zeit kann das verurtheilt haben, was nun-
mehr der preußische Minister that; was blieb ihm anderes zu
thun, ihm, der den Separatfrieden mit Österreich schon reifen
sieht, sieht, wie Alexander in Etapenmärschen entmuthigt Öster-
reich verlässt, als in Demuth die Beschlüsse des Triumphators
hinzunehmen? Man denke sich in seine Situation und bekenne
sich vorurtheilslos , ob ein Staatsmann, der seines Souveräns
Todesangst vor einem Kriege kennt, oft anders handeln möchte.
So kam am 15. December der Schönbrunner Vertrag mit
Preußen zustande, in welchem Friedrich Wilhelm III. gegen Ab-
tretung von Ansbach, Cleve, Neufschätel und Garantie des französi-
schen Besitzes Hannover zu erhalten hatte; wohl war man in
Berlin gewissermaßen überrascht; nicht wog Hannover jene Clausel
auf, durch welche Preußen dem Eroberer Heeresgefolgschaft zu
leisten übernahm; denn solches that es sicherlich, wenn es dem
ewig kämpfenden Napoleon Territorien garantierte. So entschloss
sich denn der König nach langen Conferenzcn, in welchen die
Gegensätze in den Anschauungen der Staatsmänner — Haugwitz
und Hardenberg — sowie der Militärs — Braunschweig und Schu-
lenburg — schroff zutage traten, den Vertrag mit Änderungen nur
hinzunehmen, welche dessen Rechtsfolgen vom Definitivfrieden
Napoleons mit England abhängig machen wollten. Der Graf
von Haugwitz stand dafür, Napoleon werde sich
die Modificationen unbedingt gefallen lassen, er
habe ihn bereits durchschaut, Ernst und Festigkeit
imponiertenihm. So gieng das Instrument, vom französischen
Gesandten nur mit Vorbehalten angenommen, an den Kaiser ab^
während sich Haugwitz nach Paris begab, um das Allianzwerk
abzuschließen. Mittlerweile wusste Talleyrand durch einen Brief
an Laforest,*) der ein Meisterwerk der Staatssprache genannt zu
•) Hardenberg, II, 435.
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— 86 -
werden verdient, die preußische Regierung derart in Sicherheit zu
wiegen, dass die Demobilisierung des größten Theiles der Armee
befohlen und die Heimkehr des bereitstehenden russischen Hilfs-
corps veranlasst wurde; im guten Glauben an Napoleon hatte
Preußen seine Wafifenrüstung abgelegt; büßen sollte es hiefür.
Denn Napoleon verwarf in allerschärfster Weise die Ände-
rungen am Schönbrunner Vertrag und zwang, die Lage meister-
haft benützend, Haugwitz, den er überdies persönlich schlecht
behandelte, zum Abschlüsse eines neuen Tractacts,*) in dem
sich Preußen geradezu zum Kriege gegen Jedermann mit dem
Empire verband. Wohl sträubte Friedrich Wilhelm sich, zu rati-
ficieren; wie stets, wenn er unschlüssig war, und er war's fast
immer, berief er eine Conferenz, in der die Einfluss habenden
Männer vom Militär für Annahme der Proposition — um dem
Kriege auszuweichen, wohlverstanden — stimmten.**) Am 25.
entschloss er sich zur Ratification und durch einen submissen
Brief***) an Napoleon krönte er dieselbe.
An demselben Tage warf ein jäher Sturm von der Statue
der Bellona, die dem Fenster des Königs gegenüber auf dem
Giebel des Zeughauses stand, das Haupt in den Koth der Straße
hernieder;!) Preußen war ein Militärstaat schon lange nicht mehr
gewesen ; so klar wie jetzt hatte sich dies indess noch nie gezeigt.
In der außerordentlichen Geschichtsepoche, die wir durch-
sprochen haben, nehmen wir heute wahr und konnte dies fast
vollinhaltlich schon der Kaiser der Franzosen, wie von der in Politik
sowohl als Krieg stets aggressiv agierenden französischen Nation,
Preußen, nachdem es vorübergehend militärisch aufgetreten, be-
ständig zurückgewichen war. Seitdem Napoleon die Leitung des
Staates übernommen, hatte er gesehen, wie Preußen offen ein-
gestand, es sei zu schwach, sich selbst zu schützen, indem es
unter der Maske der Neutralität doch stets und immer den Be-
darf nach Bündnissen verrieth; er hatte wahrgenommen, wie auf
Preußen nichts mächtiger zu wirken pflegte, als militärischer
Erfolg, und wie es, vor Siegen der Franzosen erschüttert, stets
diplomatisch in die Kniee sank; er hatte es dahin gebracht,
•) Paris, 15. Februar.
••) Hardenberg, II, 488.
••*) Ebenda, 501.
t) Ebenda, 502.
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Preußen auf dilatorischem Wege zu einer Allianz zu zwingen,
deren Zumuthung es vor gar nicht langer Zeit rundweg abgelehnt.
Er durfte somit billig erwarten, dass Preußen
sich ihm auch weiterhin geduldig fügen werde; an-
nehmen konnte er, es werde niemals gegen ihn
frondieren.
Wohl schließt beim Staat sowohl als beim Individuum der
ehrlich gemeinte und offen ausgesprochene Wunsch nach Neu-
tralität das Eingeständnis eigener Schwäche meist in sich und
liegt darin der Anreiz zum Angriffe von außen her; so ist es
wohl und wird es immer sein. Es fragt sich aber sehr, ob
Napoleon beim Tractact vom 15. Februar bereits an Krieg mit
Friedrich Wilhelm III. gedacht; es scheint nicht so zu sein, da
er ja desselben vorerst zum Kampfe gegen England bedarf, und
mit Alexander ja im Grunde auch in Fehde lebt. Eis fragt sich
weiters sehr, ob er überhaupt jemals Preußen zu bekriegen dachte.
Nicht hatte er, wie man oft äußern hört, gewisser-
maßen ein Programm, nach welchem er Europas
Souveräne, einen nach dem andern, abzuthun
plant; um desTriumphes Willen. Was konnte er, wenn
Preußen ihm nicht entgegentrat, von diesem zu gewinnen suchen?
Wenn auch nicht ganz verneint, auch nicht völlig bejaht kann
die Frage werden; sie muss offen bleiben.
Indem nun die Ereignisse entwickelt werden, die zum Kriege
führten, so erinnere man sich stets, dass Napoleon am 15. Februar
und von da ab in Preußen nichts anderes sieht, als eine Macht,
der er alles bieten darf, indem er sicher ist, sie nehme
auch das Ärgste ungestraft und ruhig hin.
Bemerkt muss werden, dass die Darstellung von nun an an
documentarischen Lücken krankt, die — wie bekannt — dadurch
entstanden sind, dass Haugwitz die Acten der Vorgeschichte des
Krieges von 1806 im Herbste jenes Jahres vernichtet hat.
Vollgefüllt ist die letzte Phase der preußischen Politik vor
dem Kriege mit den kleinen Zielen und kleinen Mitteln des Hand-
werkes Diplomatie; nur mit Mühe windet man sich durch
die Schlangengänge der Staatskunst jener Tage und wider-
strebend durch.
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Preußen war, wir wissen es, nunmehr Frankreichs Satellit
geworden und es sollte nach dem Geiste des Vertrages der
wechselvollen Bahn seines Planeten folgen. Einen Zwiespalt
zwischen den beiden leitenden Ministern hatte die jüngste Abkunft
in Paris nach sich gezogen, indem Hardenberg, auf Preußens
Stärke mehr als billig vertrauend, Haugwitz' Allianzwerk, das
vielleicht wieder zu sehr mit Preußens Schwäche rechnete, für
einen Beweis vom üblen Willen des Rivalen hielt Jeder singt
dem Könige in einer andern Tonart vor und Hardenberg, über
Haugwitz' Theilnahme an den Geschäften erbost, entschließt sich
schmollend, seinen Abschied nachzusuchen. Der König, wissend,
wie unbeliebt der Freiherr bei Napoleon ist, willfahrt der Bitte
und übergibt Haugwitz wieder allein die Leitung der auswärtigen
Angelegenheiten. Es verlässt Hardenberg die Stelle des Ministers
officiell und vor der Welt, um vom Könige sogleich und hinter
Haugwitz' Rücken mit einer neuen, besonderen Negociation be-
traut zu werden. Er hat am Petersburger Hofe beruhigende Er-
klärungen dahinabzugeben, dass Preußen durchaus nicht gesonnen
sei, die in Paris versprochene Gefolgschaft in Waffen, falls Napoleon
solche gegen den Zaren begehrte, jemals wirklich zu thun; ja,
er sucht geradezu ein geheimes Bündnis abzuschließen. Braun-
schweig geht nach Petersburg und unter dem ersten Juli erhielt
Alexander durch eine Declaration des Königs volle Sicherheit von
Preußen her. Der leitende Minister Haugwitz weiß nichts, oder
vielmehr nicht das Wesentliche hievon.
Hannover war und blieb besetzt. Und das Cabinet von
St James antwortete hierauf mit offenem Krieg an Preußen. Wie
stets, begann es denselben mit Wegnahme schwimmender Güter
und in einem Monat schon hat es einen Schaden von 20 Millionen
Preußens Handel zugefügt. Gustav IV. von Schweden, empört
über Preußens Abkommen mit dem Empire, nimmt am Kriege
theil und macht sich in Pommern missliebig bemerkbar.
Napoleon erfahrt indess mit hoher Wonne vom Tode seines
großen Gegners Pitt und wie der ihm persönlich ergebene Fox
ans Ruder gelangte. Sofort beginnen Friedensunterhandlungen
mit England einerseits, während sie mit Russland andererseits
eifrig fortbetrieben werden. Langsam nur gehen die Negociationen
vor sich und mittlerweile beginnt der Imperator die Dinge in
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Deutschland neu zu ordnen. Durch die Anwesenheit seiner Armee
im Herzen des alten germanischen Reiches übt er den nöthigen
Druck, der einem großen Theil der deutschen Fürsten Lostrennung
vom Reiche und Gründung eines neuen Bundes unter französischem
Protectorate nahelegen soll. Als Compensation hiefür bietet Napoleon
seinem Alliierten vom 15. Februar die Schaffung eines deutschen
Nordbundes unter Preußens Führung an. Jedoch die Relationen
der neuen Freunde waren keine ungetrübten mehr. Anfangs April
hatte der neue Großherzog von Berg, Fürst Joachim Murat, die
Preußen gehörigen Abteien Elten, Essen, Werden mit seinen
Truppen besetzt, worauf der in Westfalen commandierende General
Blücher, trotz der bestehenden Allianz, Repressalien übte ; und bei
der Schlichtung dieses Zwischenfalls hatte Preußen immer und
immer wieder vor der drohenden Sprache Napoleons den Rück-
zug angetreten. Ferners weiß man in Berlin, dass der Kaiser der
Franzosen mit Fox in Unterhandlung steht, bei der das Schick-
sal Hannovers nothwendig zur Sprache kommen muss; besorgt
fragt man sich, was Napoleon mit demselben zu thun gedenkt
Um das Ende des Juli erreichen die Beziehungen von Hof
zu Hof ihren Höhepunkt. Am 1. des Monats hatte, wie wir
wissen, Friedrich Wilhelm III. insgeheim mit Alexander sich derart
liiert, dass er ihm verspricht, das nicht zu thun, was zu
thun er im Februar Frankreich versprochen hat. Nun
war der Friede zwischen Russland und dem Kaiserreiche dem
Abschluss nahe und wahrlich, Preußen sehnte letzteren herbei;
denn gelang derselbe nicht, so war es in die peinlichste Verlegen-
heit gesetzt, indem es beider Staaten Alliierter und für jeden der-
selben einzutreten verpflichtet war. Dann kam der Augenblick,
in welchem es sich offen für einen der beiden Theile erklären
musste, indem es an dem anderen einen Treubruch beging; und
wo unter allen Umständen der Krieg unvermeidlich würde. Eine
Kriegsgefahr.
Am 12. Juli war zu Paris die Rheinbundsacte unterzeichnet
worden ; aber schon sehr bald weiß man in Berlin, dass Napoleon
Norddeutschland, Hessen zunächst, in seine Machtsphäre zu
ziehen strebt, was ihm augenscheinlich nur zu gut gelingt.*)
Jetzt, Ende Juli, hört man von stetiger Vermehrung französischer
•) Dechden, 8, «f.
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->- 90 —
Streitkräfte auf der Preußen umfassenden Basis von Holland bis
zum Inn, und wie die große Armee trotz aller Mahnungen
Deutschland immer noch nicht verlässt;*) wie an der west-
fälischen Grenze neue, drohende Truppenanhäufungen geschehen.
Dumpfe Gerüchte dringen aus Süd- und Mitteldeutschland nach
Berlin : in der großen Armee spreche man allgemein von einem
bevorstehenden Kriege; man rüste für denselben. Gegen wen
wohl als Preußen sollte er gerichtet sein ? Andere Kriegs-
gefahr.
Nun ist die Frage wichtig, ob Napoleon in der That den
Kampf mit Preußen, und wenn ja, von wann an suchte. Man
hat angenommen und noch nimmt man an,**) dass er diesen
Krieg schon lange in sein Programm aufgenommen hatte und
dass ihm der Beginn desselben lediglich als eine Frage der Zeit
und der Gelegenheit erschien. Man folgert dies aus seiner Corre-
spondenz, laut welcher er schon im April einen Kriegsfall Preußen
in*s Auge fasst, sowie aus mancherlei militärischen Maßnahmen,
die von der richtenden Geschichte alle insgesammt als ebenso-
viel wohlberechnete Schachzüge gegen Preußen hingestellt sind.
Indem es nun zu weit führen würde, das gesammte Quellen-
material hier darzulegen, geben wir nach sorgfältigster Prüfung
von Für und Wider unsere Meinung dahin ab, dass dies der
Fall nicht gewesen ist. Napoleon bedurfte der Anwesenheit
seiner Armee auf deutschem Gebiet allein schon aus dem Grunde,
um das Zustandekommen des Rheinbundes kategorisch durch-
zusetzen und einen immerhin möglichen Widerspruch Preußens
von Haus aus lahmzulegen ; er bedurfte ihrer sofortigen Schlag-
und Marschfertigkeit, so lange der Friede mit Alexander nicht
unterzeichnet war. Wer hat 1805 politisch und sogar strategisch
angegriffen? Die Coalition, wollen wir billig sein. Wohl verstand
Napoleon meisterhaft, zum Angriffe zu zwingen ; allein es scheint,
als ob man heute noch in ihm den Staatsmann über dem General
vergäße. Nur Mittel zu politischem Zweck sind ihm die Kriege,
die er geführt, gewesen ; eine Liebhaberei aus dem Kriege hat er
nie gemacht. Und wenn die Geschichte, am Gängelbande der
•) Berichte von GrafGoertz, Regensburg, 25. Juli; Blücher, Münster, 25. Juli; Lautier,
Dresden, 28. Juli; Blücher, Münster, 28. Juli; Schiaden, München, 29. Juli; Bailleu, IT, Urkun-
den Nr. 373, 374. 377, 378, 380.
-) V. Lettow-Vorbeck, I, 31 ff und 126 ff.
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— 91 —
Vorsehung über eine so gewaltige Epoche hinweggehend, in einer
socialen Colossalgestalt, wie Napoleon war, nichts er-
blickt, als einen neuen, blutig gestraften Dschingis-Khan, wenn
sie blind genug ist, um zu glauben, der Mann des 18. Brumaire,
des Concordats, des Code Napoleon, sei nichts gewesen, als ein
von der Kriegsmanie besessener General : so thut sie in diesen
ihren Urtheilen wieder und wieder die Hinfälligkeit der Schlüsse
dar, die über den Mitteln einer geschichtlichen Gestalt deren Ziele
völlig vergessen, besser, sie gar nicht verstehen.
Doch sei dem, wie ihm sei ; möge die Chronik zum Worte
gelangen. Am 20. Juli hatte der russische Staatsrath Oubril einen
Friedensvertrag mit Frankreich unterzeichnet, der zur Ratificierung
durch den Zaren nach Petersburg abgegangen war. Preußen
konnte somit erleichtert aufathmen in der frohen Hoffnung, die
eine Kriegsgefahr baldigst beseitigt zu sehen.
Da traf in der Nacht des 5./6. August in Berlin eine De-
pesche Lucchesinis ein, die „plötzlich helles Licht über Preußens
Lage gab."*) Gelegentlich eines Festmahles hatte Lord Yarmouth,
britischer Plenipotentiär zu Paris, scheinbar in einer Weinlaune,
dem preußischen Gesandten anvertraut, Napoleon habe England
für den Fall des Friedens die Rückgabe Hannovers unumwunden
zugesagt. Dieses unendlich wichtige Document existiert nicht
mehr ; was Lucchesini thatsächlich gemeldet, weiß man heute mit
Bestimmtheit nicht. Irrelevant erscheint es auf den ersten Blick,
zu prüfen, ob das, was hier gemeldet war, den Thatsachen ent-
sprach ; für die Wirkung in Berlin kam die Zuveriässigkeit der
Meldung vorerst nicht in Betracht ; und doch, die Geschichte hat
die That so unbedenklich in das Schuldbuch des großen Corsen
eingetragen, dass es sich wahrlich verlohnt, dieselbe, soweit die
bekannten Quellen dies gestatten, eingehender zu prüfen.
Dem Lord Yarmouth war befohlen worden, den Frieden im
Verein mit Russland abzuschließen.**) Während der einleitenden
Pourparlers hatte Talleyrand — akademisch, daran ist nicht zu
zweifeln — dahin Äußerungen gethan, die Rückgabe Hannovers
an England werde sich wohl ohne Schwierigkeit im Frieden be-
wirken lassen. Bald zeigte sich, dass Frankreich nicht mit Eng-
•) Bailleu, 11, Einleitung, LXXVf.
•*) Hardenberg, III, 75.
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- 92 -
land und Russland gleichzeitig und zugleich zu unterhandeln
wünschte, was Sehr natürlich scheint. So schloss Oubril am
20. Juli für Russland ab, trotz der lebhaften Gegenbemühung des
englischen Gesandten, dem der Franzose Clarke offen heraus
erklärte, der Separatfriede mit dem Zaren bedeute für England zu-
mindest soviel, wie eine erhebliche Niederlage im Kriege.*) Was ist
nun natürlicher, als dass Yarmouth einen Rückhalt suchen musste
irgendwo, da England isoliert zu werden drohte? und d€iss er,
in die Runde blickend, sofort an Preußen denkt? Wer erkennt
nicht sogleich britische Staatskunst in dieser zielbe-
wussten Rücksichtslosigkeit, die den Reichsinteressen
Interessen des Regentenhauses, wenn auch mit Vor-
behalten und vorübergehend, zum Opfer bringen will;
oder die den schwächeren Staat erbarmungslos in sein Verderben
hetzt, um vom Sieger dann die Beute als Lohn des Friedens zu
eriangen? Feststeht, dass England eines Conflictes der beiden
Freunde vom 15. Februar um jeden Preis bedurfte, um seine
überragende Stellung im Rathe des Continents nicht auf die Dauer
einzubüßen; und allsogleich brouilliert es sie, indem es sich des
vagen Inhalts vorläufiger Besprechungen bedient, um den Gegen-
satz der Interessen mächtig aufzuregen.
Des vagen Inhalts vorläufiger Besprechungen, jawohl, muss
sich der vorurtheilslose Beobachter eingestehen, wenn er in Na-
poleons Correspondenz die Note an Talleyrand vom 6. August
liest und wieder liest. Der Kaiser versieht das Project des Friedens-
instruments mit England mit Randbemerkungen und aus dem
Inhalt des Projects**) wie aus Napoleons Bemerkungen ergibt sich
äußerst klar, dass Frankreich bisher sorgsam vermieden hatte, in
Beziehung auf Hannover sich einseitig zu binden, am allerwenig-
sten jedoch sich anheischig gemacht, das Land für England Preußen
•) Hardenberg, III, 76.
••) Prcjet. — R, by Mr. Godard, august 1, 1806. [Foreign office, London J
ArHcles secrets, — Autre ariicle (2), S. M. VEmperenr ne s^oppose point ä ee qmg U
roi prenne le titre de grand~duc ou roi de Hanovre, ei le reconnaitra en ceiie qualite des
qu'il le desirera. Le roi s^engage ä indemniser les sujets prussiens des peries iprouvees sar
terre ou mer, (It was observed to MM. Talleyrand and Clarke, that this was absoluldjr
impraticable. Upon which M. Talleyrand said, that these stipulations were usual in treaties»
but seldom observed.)
Observation de VEmpereur: . . evidemmeni ridictüe ... S.M. le roi du royaume uni
de la Grande-Bretagne comme roi de Hanovre n'est rien; c*est avec le roi d'Angieterre que
je stipule. Tailleurs il n'y a pas assez de franchise dans cette redadion, Mettre dans ce
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abzunehmen. Diese Thatsache verdient wahrhaft Beachtung, denn
sie zeigt uns, wie hinfallig alles Gerede ist, als habe Napoleon
Preußen systematisch in den Krieg getrieben. Zum Greifen deut-
lich blickt in den Negociationen stets eine gewisse Rücksicht-
nahme auf Friedrich Wilhelm III. durch. Wohl muss zugegeben
werden, dass der Kaiser der Franzosen Preufien eine arge Zu-
muthung zu stellen sicherlich nicht zögern wird; dass er sich
militärisch rüstet, um durch Drohungen den Nachbarstaat — wie
so oft schon — einmal noch zum Nachgeben zu bringen. Aber
keineswegs suchte oder wünschte er jetzt gar den Krieg. Es
galt ihm, den politischen Zweck zu erreichen und er
glaubt, er könne dies jetzt auch wieder durch Drohen
allei n.
Dass nun hinter seinem Rücken die Diplomaten ihm einen
Streich gespielt, der ihn Preußen gegenüber weit ärger com-
promittieren musste, als dies in der Natur der Dinge lag; dass
England, kaum isoliert , an Preußen , auf Frankreichs Kosten,
erneuert Anschluss sucht, um dann sogleich mit seinen Forde-
rungen für den Frieden mit Frankreich stark hinaufzugehen, ist
ihm ein wahrer Riss durch alle seine Pläne, und indem sich sein
Zorn über den allzu eifrigen Lucchesini maßlos entlädt, sucht er
sogleich durch Friedensbetheuerungen nach allen Seiten hin dem
allarmierten Preußen Beruhigung zu geben ; jetzt wollte er ganz
sicher nicht den Krieg.
Allein in Berlin hielt man sich nunmehr, und sehr begreif-
lich ist dies wohl, fiir verrathen und verkauft, und vor allem
dachte man daran, sich gegen einen Überfall Napoleons zu sichern.
Am 9. August befiehlt Friedrich Wilhelm III., den größten Theil
der Armee mobil zu machen, bestimmt die Sammelpunkte der
Truppencorps und weist Blücher an, vor allen Dingen die West-
*tns: jLes deux Kaufes parties contractantes ^engagent ä reunir leurs efforts pour que
S, M, Je roi de Prusse resiitue le Hanovre ä VAngleterre, sans delai, moyennanl, i* uue
resiitution des toutes les prises eic, comme ä la fin de Varticle second; 11^ une indemnite
prise autour de lui ei iquivälant ä 400.000 dmes de population.' Surioui ne farler eu rien
d'Attspach, ni de CUves, ni de NeufchäUl,
Äriicles secrets. — Antre article (8.) les dispositions de Varticle des evacuations etc.,
sont diclarees communes aux habitanis des possessions de S, A/. Britannique en Allemagne,
lesquels voudront en sartir dans Vespace de trois ans. (It was observed to MM. Talleyrand
and Clarke that neither by the public nor secret articles was any engagement taken by the
Emperor to compel Prassia to evacuate Hanover; nor any time fixed for such evacuation.
They replied that the .bonae fioi de rErapereur* was a sufficient guarant, but that they
apprehended an article to this effect might be introduced.)
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— 94 -
grenze seiner Staaten zu sichern. Am Vortage wandte sich der
König in einem lamentabeln Schreiben *) an den Zaren um even-
tuelle Wafifenhilfe, den einzigen Bundesgenossen ei-sten Ranges,
den sich Preußen zur Theilnahme am Kampfe verbunden. Denn
nicht entfernt wagt man daran zu denken, Napoleons Angriff
rasch zuvorzukommen. Wie stets bisher, so stellt man sich auch
jetzt plump und ehrlich auf den Boden der Neutralität und Haug-
witz bietet alles auf, um diese Willensmeinung allgemein und in
Paris besonders an den Tag zu legen. Da Napoleon über
Lucchcsini heftig aufgebracht sein musste, beruft der König den-
selben unverzüglich ab und sendet den Napoleon von der
Krönung her bekannten und persönlich zugethanen General von
Knobelsdorff dem Imperator zu. Officiell wird nun im Laufe des
August in Preußen zugewartet, während die öffentliche Meinung
den Krieg bereits in nächster Nähe und unabwendbar sieht In elfter
Stunde versucht es eine Anzahl hochstehender und patriotisch
gesinnter Männer, in einer allerdings sachlich nicht einwandfreien
und ungeschickt an den Mann gebrachten Denkschrift, dem König
die UnZweckmäßigkeit der Cabinetsregierung sowie die vermeint-
liche Perfidie des Grafen Haugwitz zu Gemüth zu führen, um
ihn zum Bruche mit dem System des Zögems und der kleinen
Mittel zu vermögen.**) Zwecklos war dies Beginnen ; denn der
König, in dessen ganzer Natur das Warten eine Hauptpotenz
darstellte, beschloss auch jetzt, zu warten.
Der Kaiser der Franzosen hatte die Nachricht von Preußens
Waffenrüstung mit jenem Gleichmuth hingenommen, der der
Stärke ziemt; es erfolgen auf Seite der Franzosen keine neuen
Truppenverschiebungen, ja, unterm 26. schreibt er an Berthier,
die Truppen an den Grenzen Preußens seien möglichst zurück-
zuziehen und durch Baiern zu ersetzen ; er wartet auf seinen
Frieden, der eben jetzt von Petersburg täglich zurückerwartet
wird, und wahrhaft, man begreift es, wenn ihm der Gedanke,
Preußen könne es allein gegen ihn wagen, lächerlich erscheint.***)
Mit England zieht sich die Unterhandlung einstweilen resultat-
los hin.
*) BaiUeu, II, Urkunde Nr. 395.
••) Hardenberg. III, 116 ff.
•*•) An Talleyrand, Rambouillet, 22. August
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- 95 —
Und nun trat in den ersten Tagen des September jenes Er-
eignis ein, das den aus demselben folgenden Krieg wirklich als
das erscheinen lässt, als was ihn Scharnhorsts Biograph schon
vom 9. August an bezeichnet hat; er hält ihn für ein Miss-
verständnis.*)
Am 30. August ward in Berlin bekannt, dass Alexander
den von Oubril abgeschlossenen Frieden rundweg verworfen
hatte. An eben diesem Tage und dem folgenden marschierte die
Garnison der Residenz nach Sachsen ab. Am 3. September
erhält Napoleon die Nachricht von Alexanders Nichtratification
und jetzt erst wird ihm völlig klar, was Preußens Rüstungen
bedeuten. Indem er nun England gegenüber seine Offerte für den
Frieden bedeutend steigert, um sich von dieser Seite sicher-
zustellen, fasst er den continentalen Krieg, der ihm das Product
einer neuen Coalition zu sein scheint, als unvermeidlich ins Auge.
Ein Befehl an Berthier folgt dem andern, die Vorbereitung zur Cam-
pagne betreffend ; der Kaiser gedenkt unendlich rasch zu sein, um
die jüngste Liga des Continents gründlich zu sprengen.
Indessen hatte die Politik noch nicht ihr letztes Wort ge-
sprochen; Knobelsdorff, von dessen Instruction, wenn er eine
hatte, man nichts Bestimmtes weiß, hatte in Paris auf Rückkehr
der französischen Truppen über den Rhein vornehmlich zu dringen.
In der Audienz vom 7. September erklärte Napoleon, solange
der Friede mit Russland nicht geschlossen sei, könne er an die
gewünschte Zurückziehung seiner Armee nicht denken, forderte
dagegen ganz entschieden die Demobilisierung des preußischen
Heeres. Auf diesen abgebrauchten Scherz gieng man nun in Berlin,
als KnobelsdorfTs Bericht in der Nacht des 16./ 17. September
eintraf, allerdings nicht mehr ein. Am 21 . gieng Friedrich Wilhelm III.
zu seiner Armee, und zwar zunächst nach Naumburg ab. Indem
er einen letzten Versuch — derselbe war ehriich gemeint —
wagen wollte, um dem Kriege zu entgehen, erließ er am 26. aus
seinem Hauptquartier ein Ultimatum mit den bekannten Forde-
rungen an die französische Regierung, dessen Beantwortung bis
längstens den 8. October in*s Hauptquartier begehrt ward, und
demselben schloss er einen Brief**) an Napoleon bei, der nichts ent-
*) Max Lehmann, Schamhorst, I, S93.
**) Hardenberg, III, 179.
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— 96 -
hielt, als ein langathmiges Sündenregister alles dessen, was dieser
verbrochen haben sollte, von Enghiens Erschießung an, die offenbar
nicht hergehörte, bis zur jüngsten Absicht mit Hannover, die
durch nichts bewiesen war. So wenig man darauf rechnen konnte,
Napoleon werde sich urplötzlich dem Ultimatum fügen, ebenso
wenig konnte sich Friedrich Wilhelm IIL von diesem persönlichen
Schritte praktischen Erfolg versprechen. Die Historiker nehmen
an, derselbe sei eigentlich erfolgt, um Zeit zu Rüstungen zu
gewinnen.
Und so war, da niemand mehr einen friedlichen Ausgang
zu erwarten wagte, der Krieg denn doch endlich zur Wahrheit
geworden.
Wenn man nun einen Blick auf die Art, wie derselbe
schließlich entstanden ist, unbefangen wirft, so muss man sich
gestehen, dass derselbe, trotzdem er eigentlich schon lange gleichsam
in der Luft gehangen, im Grunde ein Rencontrekrieg gewesen ist
Soweit das allerdings lückenhafte Quellenmaterial seine Vor-
geschichte zu beurtheilen verstattet, muss man zu dem Schlüsse
kommen, dass Napoleon ihn mit Bewusstsein keineswegs herbei-
geführt. Höchst wahrscheinlich wohl ist, dass derselbe früher
oder später denn doch geführt worden wäre ; aber für den Herbst
von 1806 hatte ihn der Kaiser der Franzosen nicht auf dem
Programm. Und dass er auf Friedrich Wilhelms IIL Lebensplan
nicht figurierte, weiß wohl jedermann.
So ist also dieser Krieg recht accidentiell entstanden: ur-
plötzlich war er und für jedermann überraschend da. Und nicht
um einen Beweis für die Richtigkeit des Gemeinplatzes zu führen,
als ob eine schwankende, unentschlossene Politik nothwendig
eine schlechte Strategie im Gefolge haben müsse, sind wir länger,
als dies sonst wohl üblich, bei seinen Ahnen verweilt; sondern
in der Absicht, zu zeigen,
wie Preußens Verhalten seit so vielen Jahren Napoleon das
Material geliefert hat, aus dem er mit aller Sicherheit den Schluss
von dessen Ohnmacht zog, sowie Preußen selbst im Augen-
blicke der Gefahr die Stimme des bösen Gewissens nur zu
deutlich vernahm;
und wie die Politik des Hohenzollernstaates beschaffen war,
als der Kampf begann; noch immer mit der Hoffnung auf fried-
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- 97 -
liehen Vergleich zieht zögernd er und zagend nur das Schwert.
Die Idee einer Unterhandlung unter den Waffen beherrscht die
Situation *) und eine solche muss das kriegerische Thun wohl binden.
So treten uns die grofien Züge jener Zeit in der zwiefachen
Thatsache entgegen: Napoleon kennt Preußen durch und durch
und diese Kenntnis wird er im Kampfe zu Preußens Schaden
verwerten; während dieses sich über seine Mittel täuscht und
jene des Gegners nicht zu schätzen versteht. Napoleon hat freie
Wahl, wann und wie er kämpfen wolle, während Preußens Schwert
durch seinen König selbst angsterfüllt zurückgehalten wird, wäh-
rend es bereits losschlagen hätte sollen.
Napoleon verbindet die Kenntnis von der Natur des Gegners
mit voller Freiheit der Action ; aus dieser Vereinigung floss stets
die Anwartschaft zum Siege. Preußen besitzt das eine wie das
andere nicht; und das Quellenstudium lässt erkennen,
dass es sich seiner Schwäche zum Theil bewusst ge-
wesen ist, als es auf den Wahlplatz herniederstieg.
Drohend stand die Große Armee seit vielen Monaten schon
im Süden Deutschlands in Quartieren ; noch stand sie, als Lucche-
sinis Übereifer Preußens Rüstungen hervorgerufen hatte. Und der
Fürst von Hohenlohe konnte, als er Ende August seine Herr-
schaft Öhringen verließ, um sich in Friedrich Wilhelms III. Dienst
zu stellen, folgende Aufstellungsart (Siehe Skizze I) und folgende
Truppenstärken als thatsächlich bestehend melden:
I. Corps, Bernadotte, Prinz von Ponte -Corvo, ca. 40.000
Mann inclusive zwei schwere Cavalleriedivisionen ;
III. Corps, Marschall Davout, ca. 33.000 Mann;
IV. Corps, Marschall Soult, über 30.000 Mann ;
V. Corps, Marschall Lefebre (später Lannes), ca. 20.000 Mann ;
VI. Corps, Marschall Ney, ca. 30.000 Mann;
VII. Corps, Marschall Augereau 20.000 Mann;
Bayern und Württemberger, ca. 30.000 Mann, sollen im
Verein mit Soult Österreich bewachen ;
die Cavalleriedivisionen sind in den Zahlen einbegriffen ;
die Kaisergarde befindet sich im Innern Frankreichs.
•) Hardenberg, IV, 19.
C. von B.-K, Zur Psychologie des großen Krieges II. 7
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— 98 -
Am 3. September traf, wie wir wissen, die Nachricht von
der Nichtratificalion des Oubril'schen Friedens bei Napoleon ein:
jedoch er denkt durchaus nicht an sofortigen Krieg, was daraus
hervorgeht, dass er tags darauf*) den Marschällen Ney und Da-
vout Urlaube gewährt. Aber schon am 5. hat er sich die Sache
überlegt und unterrichtet den Major-General von der befohlenen
Einziehung der Conscription pro 1806, gibt ihm Weisungen be-
hufs Zurücksendung der 3. Bataillons-Cadres zu den Depots und
befiehlt ihm Recognoscierungen auf Dresden und Berlin vornehmen
zu lassen. Jedoch der Kaiser greift nicht an ; unterm 13. schreibt
er seinem alter ego, nur das Einrücken der Preußen in Sachsen
sei einer Kriegserklärung gleich zu achten und möge er selbst
hievon sofort über Straßburg telegraphisch benachrichtigt werden.
Inzwischen sei nicht provocierend aufzutreten, er glaube auch
noch nicht an den Krieg. Es scheint wirklich, dass die Große Armee
nicht völlig marschfertig gewesen ist und der Kaiser setzte alle Mittel
der Diplomatie in Bewegung, um einen Aufschub zu erreichen.
Am 9. August war in Berlin folgendes befohlen worden:
Die westfälischen Truppen unter Blücher (I6V2 Bat., 17 Esc,
3V2 Batt.) sammeln sich zwischen Weser und Ems und ziehen
sich, wenn dies nöthig wird, auf die hannoverischen Truppen
(20 Bat., 28 Esc, 5 Batt.), die in Braunschweig stehen, zurück:
beide Corps commandiert (vom 14. August an) Generallieutenant
von Rüchel;
die Magdeburger Inspection (10 Bat, 20 Esc, 2 BatL)
sammelt sich im Falle eines Rückzuges bei Magdeburg;
die Berliner und übrigen märkischen Truppen (18 Bat.,
15 Esc, 7 Batt.) machen sich marschbereit;
das Corps Kaikreuth an der schwedisch-pommer'schen
Grenze (I8V2 B^*-» 30 Esc, 4 Batt.) sammelt sich bei Prenzlau:
die schlesisch-südpreußischen Truppen (31 V2 Bat., 65 Esc,
11 Batt.) unter Generallieutenant von Grawert sammeln sich bei
Sagan ;
die westpreußischen Truppen (18 Bat., 20 Esc, 4 Batt.)
unter General von Natzmer bilden bei Küstrin ein Reservecorps;
in Bayreuth verbleibt ein Detachement (2V2 Bat, 5 Esc.)
unter General Graf Tauentzien.
•) An Bcrthier, St Cloud, 4. Sept.
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- 99 -
Alle diese Truppen wurden mobil gemacht; immobil ver-
blieben in Ostpreußen, Polen und Oberschlesien 33 Vj Bat, 55 Esc,
17 Batt., in Summa 33.000 Mann.
Die Festungen links der Elbe wurden in Vertheidigungs-
zustand gesetzt.
Man sieht, dass hier von einer vorbereitenden Versammlung
der Kräfte zur Action noch keine Rede ist. Um zu einer solchen
zu gelangen, wurde Braunschweig nach Berlin beschieden.
Dieser lehnte ab; besorgt um das Schicksal der eigenen
Souveränität im künftigen Kriege, wollte er sich Napoleon gegen-
über solange als möglich nicht compromittieren und Friedrich
Wilhelm III., obwohl peinlich berührt, sandte ihm aus seiner
Umgebung den General von Phull. Mit diesem, Rüchel und Scham-
hörst, dessen Vortrag uns als „widerlich und confus" bezeichnet
wird, bringt der Herzog ein „Concert" zustande, das unterm
22. dem König übergeben wird und dessen Inhalt fast wörtlich
in die Cabinetsbefehle vom 25. übergegangen ist. Während nun
diese in der Ausführung begriffen sind, werden dieselben durch
einen neuen Operationsplan Braunschweigs überholt.
Denn der vom 25. rechnete mit Machtfactoren, deren man
sich erst zu versichern hatte: nämlich der Bundesgenossen in
Norddeutschland. Während Sachsen erst Bedingungen stellte, von
deren Annahme seitens Preußens es seine Antheilnahme abhängig
machen wollte, und der Kurfürst von Hessen unentschieden hin
und wider schwankte, kleinere Staaten: Anhalt, Braunschweig,
Mecklenburg, ihre Neutralität mehr oder minder schroff betonten,
brachte es Friedrich Wilhelm III. nicht über sich, den Anschluss
der Kleinen durch gelinden Druck zur rechten Zeit herbeizuführen;
großmüthig gestand er ihnen die Neutralität zu und begab sich
auf diese Weise einer ungefähren Truppenmenge von 30.000 Mann.
Ein neuer Operationsplan wurde nöthig, zumal Hohenlohe eben
bestimmte Nachrichten über die Franzosen, — die oben an-
geführten — überbrachte.
Es schlug nun der Herzog von Braunschweig am 31. August
vor, die gesammte Armee, mit alleiniger Ausnahme des Blücher-
schen Corps bei Naumburg zu versammeln, von welcher centralen
Stellung aus man dem Feinde stets entgegentreten könne, woher
er immer komme. Es scheint, als ob dieser Vorschlag an sich
7*
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— 100 —
und besonders Napoleons Strategie gegenüber der erfolgver-
heißendste gewesen sei; obgleich wir weit davon entfernt bleiben
müssen, anzunehmen, dass er, wenn durchgeführt, den Erfolg
wirklich gegeben hätte. Indessnach unserer heutigen An-
schauung vom Kriege erkennen wir unumwunden diesen
Plan als den besten von allen vorgelegten an.
Wenn wir nun fragen, ob und wie derselbe ausgeführt
wurde, so stoßen wir sogleich auf eine Fülle von Thatsachen,
deren Betrachtung äußerst lehrreich erscheint. Braunschweig war
ein Soldat der alten Schule und wenngleich er mehr als andere
mit der Zeit fortgeschritten war, deren Bedürfnisse erkannt und
in sich aufgenommen hatte, sö existieren doch Operationspläne
von ihm*) die zeigen, wie ihm das Manöver als Mittel zur stra-
tegischen Entscheidung unglaublich stark am Herzen lag. Es
scheint, als ob das Manöver nur dann als lebendiger Factor in
die strategische Berechnung aufgenommen werden dürfe, wenn
dasselbe gleichsam improvisiert wird, neu und über-
raschend für den Gegner ist: mit einem Worte, wenn
er es nicht kennt. Kennt er es, so fürchtet er es nicht,
und gefürchtet zu werden ist wohl des Manövers vor-
nehmlichster Zweck. So darf das Manöver auch, wenn es
gebraucht wird, nicht die zünftigen Kennzeichen eines solchen
tragen, weil dieselben die drohende Rolle zu einer wesenlosen,
demonstrativen Geste verwandeln, die in ihrer Harmlosigkeit vom
Gegner alsbald durchschaut werden wird und überdies die Action
des Manövers vom Anbeginne lähmt. Die ein Manöver voll-
führende Truppe muss jeden Augenblick bereit und in der Lage
sein, wenn es die Lage erheischt, von der Manöverthätig-
keit zur scharfen Thätigkeit überzugehen; wird sie dies
wohl sein, wenn sie sich ihrer Aufgabe, ein Manöver zu voll-
führen, bewusst ist? Nein. Sie wisse nicht, dass sie manövriere,
sie glaube schlagen zu müssen, dann wird die Hand des Feld-
herrn zwecks eines Manövers zu hemmen berufen sein, wo
sie im Gegenfalle ein widerstrebendes Material treiben und
stoßen wird müssen. Man weiß, dass es gefahrlich ist, so
manchem höheren Führer ein Manöver zu befehlen, indem er
allzuleicht mit der Demonstration sich begnügt, und, wenn
*) V. Lettow-Vorbeck, I, 6 ff.
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- 101 -
man die menschliche Seele bedenkt, so kommt man fast zu dem
Schlüsse, dass es selbst für den obersten Feldherrn nicht ohne
Bedenken ist, sich zu gestehen, diese und jene Operation
werde ein Manöver und nichts anderes sein. Stets muss
er Reserven an Wissen und Willen besitzen, um, wenn es noth-
wendig wird, jene Operation spontan zur scharfen zu machen.
Und es scheint, als ob eine ganz außerordentliche militärische
Begabung nothwendig sei, um das Manöver mit Sicherheit und
mit vorausblickender, unfehlbarer Ironie zu gebrauchen ; denn von
dieser steckt im Manöver viel ; gebraucht man dasselbe allzuernst
und guten Glaubens voll, so kann es ein wirkendes Mittel nicht sein.
Indessen zeigt gerade dieser Operationsplan am wenigsten
von allen Elemente des Manövers und deren Mängel an. In
der Qualität des Entschlusses vom 31. liegt das Bedeutsame noch
nicht; wir müssen tiefer gehen. Der Herzog war, so paradox
dies klingen mag, recht eigentlich geborner Unterthan, und trotz
seines Alters, seiner hohen Stellung, seines Rufs als General,
wagte er es nie, auf seiner Meinung fest und sicher zu bestehen.
Zumal dem König gegenüber wollte er seine Entschließungen nur
als Vorschläge betrachtet wissen , deren Annahme, Verwerfung
oder selbst Modiiication er der bessern Einsicht des königlichen
Kriegsherrn immerdar anheimstellt. Zum Theile aus dem Wunsch,
die Verantwortung für das Unheil, das er, wie erwiesen ist,
vorausgeahnt hat, von sich zu wälzen, floss diese subalterne
Geistesrichtung her. Obwohl dieser Greis eine seltene persönliche
Bravour besaß, obwohl er vielleicht klarer in der Zukunft las,
als irgendwer in Preußens Staat und Heer, konnte er, der aus
Friedrichs strenger Schule hervorgegangen war, sich doch nim-
mermehr zum Selbstgefühl des Feldherm erheben ; sehr natür-
lich ist dies wohl, bei der Lehr- und Lernzeit, die er durchge-
macht; eine gewisse höfische Glattheit der Form, die bei ihm
das innerste Wesen ergriff, trat noch hinzu.
Wir wissen, dass Friedrich Wilhelm IIL alle Welt um Rath
zu fragen pflegte, wenn es galt, einen Entschluss zu fassen. Wir
kennen seine Concilianz und angeborene Milde, die anzustoßen
stets vermied. So wurde der Plan des Oberfeldherm der Be-
urtheilung eines Majors (v. Rauch) des Generalstabes unterbreitet
und in einer Denkschrift vom 5. September entwickelte der, wie
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' • * • ■ — 102 —
man nicht eine centrale, massierte Stellung nehmen, vielmehr
vor allem für Deckung der präsumptiven Alliierten, Sachsen und
Hessen, durch Aufstellung von Flügelcorps vorzusorgen habe;
vernehmlich schlägt schon hier in lauten Tönen der Defensiv-
gedanke vor. Nun wurde, auf Grund dieses Memoirs von unter-
geordneter Stelle, eine Conferenz gehalten, in welcher es unter der
leitenden Idee: „Krieg unvermeidlich, diplomatisches Hinhalten
behufs Rüstungen erwünscht** zu folgenden Beschlüssen kam:
Die Hauptarmee — aus märkisch-magdeburgischen Truppen
bestehend und durch je eine Division von Hohenlohe und Rüchel
verstärkt — steht unter dem Befehl des Herzogs von Braun-
schweig und wird nach Naumburg rücken.
Hohenlohe, dem der König aus Rücksicht für seine Person
durchaus ein selbstständiges Armeecommando zu geben wünscht,
concentriert die schlesisch-südpreußischen Truppen bei Zwickau —
vorläufig zum Schutze von Dresden — und zieht die Sachsen an sich.
Rüchel concentriert das hannoverische Corps und vereinigt
sich mit den Hessen — deren Mitwirkung man noch gar nicht
sicher war — bei Fritzlar - Melsungen, um von dort aus gegen
Flanke und Rücken der Franzosen vorzugehen.
Blücher verbleibt bei Münster und behält Holland im Auge.
Die Reserven — Herzog Eugen von Württemberg und
G. d. C. Graf Kaikreuth — werden über Leipzig, beziehungsweise
Torgau an die Armee heranzukommen haben.
Man stimme, sobald die Armee versammelt ist, für nach-
drückliche Offensive, sowie dafür, sobald als möglich eine Haupt-
schlacht zu liefern.
Am 8. September genehmigte der König diesen Operations-
entwurf.
Man sieht, dass die Vorschläge Braunschweigs durch zum'
Theil zwecklose politische und persönliche Rücksichten in das
gerade Gegentheil von dem verwandelt worden waren, was sie
ursprünglich bezweckten ; drei Armeen bestehen statt einer, zahl-
reiche Detachierungen ergeben sich wie von selbst; die Hand-
habe für die empfohlene kräftige Offensive — Versammlung der
Armee — ist nicht wohl abzusehen.
Während nun die Befehle vom 8. September unter mancherlei
Frictionen und Verzögerungen in der Ausführung begriffen waren,
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begann man sich in Hohenlohes Hauptquartier zu fühlen. Der
Fürst, von dem alle Berichte sagen, er sei eine echt militärische
Persönlichkeit, brav, entschlossen, von seltenem Feuer, von reicher
Kriegserfahrung, vielleicht nur etwas zu optimistisch angelegt ge-
wesen, stand, da er eigene festgegründete Anschauungen über
den Krieg nicht eigentlich besaß , unter dem Einflüsse seines
Generalquartiermeisters, des Obersten von Massenbach. Clause-
witz schildert diesen wie folgt:*) „. . . von kleiner, gedrungener
Gestalt, vollen runden Zügen, mit hoher bedeutender glänzender
Stirn, bloßem Schädel, kleinen, weit geöffneten braunen, sehr
feurigen Augen und frischer Camation, verrieth er auf den ersten
Blick den Enthusiasten, bei dem Gemüth und Phantasie vor-
herrschten . . . sein beständiges excentrisches Wirken hatte ihn
um alle ruhige Überlegung und die dem Soldaten so nöthige Be-
sonnenheit gebracht, und die Verwirrung seiner Ideen, die Schwäche
seines Kopfes that sich auf eine überraschende Art kund." Viel
wird von diesem Bilde, welches im Nachhinein entworfen ist,
wohl zu streichen sein ; immerhin bleibt genug von dem, was mit
den Functionen eines Generalstabchefs unvereinbar ist. Massen-
bach verstand zu blenden und, indem er selber schwärmte, riss
er andere fort. Dies ist im Verein mit seiner — wie aus ein-
zelnen Operationsentwürfen hervorgeht — auch für jene Zeit
höchst mittelmäßigen Anschauung vom Kriege wahrhaft ver-
derblich gewesen bei einem Vorgesetzten, wie Hohenlohe war.
Es gediehen nun die beiden, die sich sehr gut verstanden, zu
einem neuen Plan, der folgendes besagte:
Die Hauptarmee nimmt Stellung bei Fulda, die Hohenlohes
eine solche bei Hof, um sowohl eine breite Basis für die Offen-
sive als einen festen Abschnitt für die Vertheidigung zu haben;
aus dem Zunftjargon des Documents theilen wir folgendes mit:
. . . Wir bilden zwei furchtbare Bastione an den Endpunkten des
Thüringer- und Rhöngebirges, welche jeder feindlichen Armee
den Durchgang durch diese unwegsame und an Lebensmitteln
arme Courtine verwehren . . . Die Eigenthümlichkeiten dieses
Stils haben den Sündenbock gestellt, an dem die Weisheit der
Nachgebornen sich ihr Müthchen kühlte; obwohl nichts weniger
verantwortlich gemacht werden kann für die Fehler einer Zeit,
*) Nachrichten, 444 ff.
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— 104 —
als die Kunstsprache derselben; das Handwerk braucht eine be-
sondere Sprache und jede Zeit, die unsere auch, besitzt Termino-
logien, über die man nachmals lächeln wird.
Aber die Ideen , welche der angeführten Stylprobe inne-
wohnen, gestatten allerdings manchen Schluss zu ziehen; auf-
fällt die Trennung beider Heere durch einen Raum von zwanzig
Meilen und es scheint, als ob man in Hohenlohes Hauptquartier
diese Theilung nicht ungern gesehen hätte. Allein soweit gicng
selbst Friedrich Wilhelm III. in seiner Concilianz gegen Unter-
feldherren nicht, dass er ihnen seine Heere zu gesonderten Experi-
menten überließ, und befahl am 21., Hohlenlohe solle, die noch
nicht mobil gewordenen Sachsen einstweilen zurücklassend, auf
Hof vorgehen , während die Hauptarmee sich um Weimar-
Erfurt sammeln werde.
Am 22. jedoch hatte man in Hohenlohes Hauptquartier
einen neuen Plan gefasst : man wolle bei Chemnitz stehen bleiben
behufs eventueller Cooperation mit Österreich, falls dieses sich
an Preußen schließe. Der König, letzteres als sehr fraglich be-
zeichnend, gewährt dennoch den erbetenen Halt.
So sehen wir, wie unter den Wünschen eines Unterfeld-
herrn die Entschlüsse des obersten Kriegsherrn, der gleichwohl
über seine formelle Ingerenz auf die Operationen eifersüchtig
wacht, beständig abgeändert werden; und wie zuletzt ein Zug
des Zögerns und Abwartens die Operationen zu durchsetzen
beginnt, der mit der erklärten Tendenz „rasche Versammlung
und kräftige Offensive** im geraden Widerspruche steht
Nachdem* am 18. September Oberst von Krusemark nach
Petersburg abgegangen war, um ein russisches Hilfsheer zu er-
bitten, begab sich der Hof zur Armee, am 23. erschien das
Königspaar mit großem Gefolge in Naumburg und standen Ende
des Monats die Truppen folgendermaßen vertheilt: (siehe Skizze II).
Sogleich begannen nun in langen Conferenzen sehr gemischten
militärischen Publicums die Erwägungen, was anzufangen sei.
Inzwischen rüstete Napoleon, das heißt, man nimmt dies
an, da man sich sonst sein Zögern nicht recht erklären könnte.
Wenn man jedoch seine Correspondenz aufmerksam verfolgt, so
kann man sich des Eindruckes kaum erwehren, als sei er in der
ersten Hälfte des September noch nicht zum Kriege entschlossen
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- 105 —
gewesen oder vielmehr, als ob er nicht an dessen Unvermeidlich-
keit geglaubt hätte. Es scheint, dass die politische Geheimgeschichte
der ersten drei Septemberwochen noch immer nicht genügend
klar zu Tage liegt. Erst mit dem 19. und ganz urplötzlich beginnt
Napoleon eine überwältigende Thätigkeit nach allen Seiten zu
entwickeln ; die Befehle an Berthier jagen sich nur so, die Ver-
sammlung der Armee betreffend; Davout und Ney, auf Urlaub
in Paris, werden zu ihren Corps einrückend gemacht; der
Organisationsplan für die Garde wird an Bessieres hinausgegeben ;
Instruction auf Instruction betreffs der Reichsvertheidigung erfolgt ;
Handbillete des Kaisers laden die Rheinbundsfürsten zur Stellung
ihrer Truppencontingente ein; der Kaiser selbst entschließt sich
zur Armee zu gehen und gedenkt am 29. September in Mainz
zu sein. *)
Es befahl nun Napoleon unterm 19. September folgendes,
den Aufmarsch der Armee betreffend:
Augereau wird am 2. October in Frankfurt;
Lefebre (Lannes) am 3. in Königshofen;
Davout längstens am 3. in Bamberg;
Soult längstens am 4. in Amberg;
Bemadotte am 2. in Bamberg;
Ney am 2. in Anspach;
der König von Holland am 2. mit jenen Theilen seines
Corps, die marschfertig sind, in Wesel
concentrirt stehen ; die Garden gehen sofort auf Wagen nach
Mainz, wo in den letzten Tagen des September ihre Organisation
vollendet werden wird; die Division Dupont, bei Bonn stehend,
geht über Mainz nach Würzburg, wo sie am 2. einzutreffen hat,
die sechs Cavallerie-Divisionen nehmen Stellung längs des Mains
von Kronach bis Würzburg, bei welchem Orte auch der große
Artilleriepark und die Bagagen zu versammeln sind.
Von seinem Operationsplane spricht der Kaiser nicht; je
compte eire ä Mayence le 30 sepiembre et probablement le 2 ou
leS d Würzburg; lä, je deciderai mes Operations ulter teures —
ist alles, was seinem alter ego, dem Fürsten von Neuchatel, zu
wissen nöthig ist. Indessen finden wir doch schon gelegentlich
Andeutungen über das, was geschehen soll; dem König von
•) Ordre pour les generaux Duroc ei Caulaincourt.
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— 106 -
Holland schreibt er unterm 20. über seine Aufstellung bei Wesel,
que c'est une conire-attaque, que votis fcrez pour cUtirer V atten-
tion de Vennemi, pendant que je manceuvre pour le tourner \
allein dies ist, wie man sieht, sehr wenig Positives. Dafür wird
allen Generalen und Functionären der Armee wiederholt Geheim-
halten aller Bewegungen und möglichstes Verschleiern derselben
empfohlen. Immer und immer wieder kommt der Kaiser darauf
zurück, der Krieg sei ja noch nicht erklärt, man dürfe keine
übereilten Schritte thun. Auf ihren Versammlungsmärschen
haben die Corps die höchste Schnelligkeit zu entwickeln, ohne
auch nur eine Bewegung zu thun, welche verrathen könnte. In-
dem der Kaiser die vornehmlichste Sorge für Sicherstellung der
Verpflegung Berthier überlässt, weist er ihn schon*) an, die
Wege auf Magdeburg und Berlin unauffällig erkunden zu lassen,
dann die Plätze Königshofen, Kronach und Würzburg als künftige
Stützpunkte der Armee befestigen und approvisionieren zu lassen.
Aus allem geht des Kaisers Absicht deutlich hervor, den
größten Theil seiner Armee am oberen Main überraschend zu
versammeln, und gelangt seine Idee, von dort aus auf dem
kürzesten Wege gegen Preußens Centrum vorzugehen, ver-
schleiert allerdings, doch immerhin zum Ausdruck.
Unendlich interessant ist es, Napoleons Verhalten in dieser
Phase zu betrachten ; sein ganzes Streben geht darauf, nach allen
Richtungen zu imponieren und er entstellt in vorurtheilsloser
Weise die Wahrheit für diesen Zweck; die Stärke der Großen
Armee wird zu 300.000 Mann hinausposaunt, während sie in
Wirklichkeit kaum 200.000 zählt; Ludwig wird direct befohlen,
sein Corps bei Wesel durch Zeitungsberichte auf 80.000 Mann
angeben zu lassen, auf dass sich Preußen von dieser Seite her
bedroht glaube; man sieht, Napoleon kennt seinen Gegner sehr
genau. — Den großen Grundsatz, man stärke seine
eigenen Mittel, wenn man dieselben sowie den
Gegner glauben machen kann, sie seien ansehn-
licher, als sie eswirklich sind, ein Gru ndsatz, der
so oft verkannt und manchmal sogar aus Vor-
urtheilen schlecht angebrachter Wahrheitsliebe
verworfen worden ist, bringt der Kaiser der Franzosen
•) 20. September.
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- 107 -
hier voll und imposant zur Wirksamkeit. Aber so drohend die
angelegte Rüstung auch wirken muss, so wird doch gleichwohl
nicht geprahlt, auf dieselbe gepocht, wie's später öfters vor-
gekommen ist, da vielleicht weniger Anlass dazu vorhanden war.
Noch am 19. September ermächtigt*) Talleyrand den Gesandten
in Berlin Laforest, ausdrücklich zu betonen, que son (Napoleons)
Premier desir est la paix avec la Prasse, II ne confoit pas mime
qtiel pourrait etre le but de la guerre que la Prtisse pourrait
Uli faire . . . ; solche Äußerungen sind durch die Historiker von
der Vorsehung Gnaden als Beweise von Napoleons schwarzer
Perfidie angeführt und pharisäerhaft verurtheilt worden. Wenn
man nun dieselben auch für mehr ansehen will, als den con-
ventionellen Schwanengesang der Diplomatensprache in der
Agonie des Friedens, so lässt sich doch gerade für die Vor-
geschichte des Krieges von 1806 ein zweckbewusstes Provocieren
des Bruches durch Napoleon durchaus nicht beweisen, im Gegen-
theil, er hat den Krieg ganz sicher durchaus nicht gesucht; den
Kampf hat er des Kampfes wegen nicht gewünscht. Aber richtig
scheint zu sein, dass er sich über Preußens Staatsbewusstsein
täuschte, dass er in der Missachtung des Berliner
Cabinets zu weit gegangen war, und so u r-
plötzlichvor einem Kriege stand, der, wenn auch
wohl vorausgesehen, doch sicher nicht geplant
gewesen ist.
In Naumburg begannen inzwischen am 24. September die
Berathungen; an denselben nahmen neben Personen vom Ge-
neralstabe der Hauptarmee Officiere aus der Umgebung des
Königs theil. Zunächst entsann man sich, dass der Operations-
plan vom 8. September eine nachdrückliche Offensive in Aus-
sicht genommen hatte, und diese leitende Idee führte am 25. zu
folgenden Beschlüssen:
Um den Gegner zu einer Theilung seiner Streitkräfte zu
bringen, deren man bedarf, um ihn in der Mitte mit überlegener
Kraft in den Quartieren anzufallen, werden zwei Demonstrations-
corps auf den Flügeln und zwar
das Rüchersche Corps für den 7. October bei Eisenach, von
wo es gegen die Fulda und eventuell bis gegen die Lahn operiert;
*) Bailleu, II, Urkunde Nr. 434.
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— 108 —
und das Tauentzien'sche Corps (jetzt 10 Bat., 10 Esc, l BatL)
bei Hof zwecks Demonstration gegen Amberg-Nümberg
aufgestellt. Das Gros im Centrum besteht aus der Haupt-
armee und der an ihren linken Flügel sich heranziehenden
Hohenlohe'schen, welche beide am 10. October den Nordfuß des
Thüringerwaldes erreichen, am 11. und 12. denselben über-
schreiten und dann je nach Umständen agieren sollen. Das Re-
servecorps des Prinzen Eugen von Württemberg zieht sich über
Magdeburg an die Hauptarmee heran.
Nachdem schon am 16. September in Königsberg noch
einige Escadrons mobil gemacht worden waren, erfolgte am 30.
der Befehl zur Mobilisierung des Restes der Armee; 17 Bat,
30 Esc, 9 Batt. sollten sich bei Küstrin und Frankfurt a. d. 0.
vorerst zu sammeln haben, während alles Übrige in den östlichen
Provinzen nach wie vor verblieb. Mit der größten Schonung theilte
der König, nicht der Oberfeldherr Braunschweig selbst, seinem
„freundwilligen Vetter" Hohenlohe den Plan vom 25. mit, welcher
ihm die geträumte Selbstständigkeit einigermaßen nahm.
Wenn man nun einen Blick auf diesen Operationsplan thut,
so fallt wohl vor allem die Langsamkeit auf, die, einen über-
raschenden Anfall planend, mehr als 14 Tage zur Vorbereitung
desselben für nothwendig erklärt. Indessen war die Offensive
aus verschiedenen Gründen — Eintreffen von Truppen bei der
Armee, verspätete Mobilmachung der Sachsen — thatsächlich nicht
eher durchzuführen. Dann fällt, es ist nicht möglich, den Ge-
meinplatz zu übergehen, die Trennung und Vereinzelung der
Heereskörper, besonders der napoleonischen Geschlossenheit
gegenüber, bedeutend auf. Allein man muss bedenken, dass jetzt,
am 25. September, eine Offensive in Aussicht genommen ist,
bei der man selbstredend an ein Zusammenschließen der getrennten
Heereskörper nach vorne gedacht haben wird, wenngleich das-
selbe nur zu bald durch die Ereignisse unmöglich gemacht wurde.
Dies aber konnte man — nochmals — am 25. nicht sicher vor-
aussehen; hatte doch Napoleon bereits auffallend lang von sich
nichts sehen lassen und anzunehmen ist, dass, wäre er nicht bis
zum 10. October rechts vom Main erschienen, man im preußi-
schen Hauptquartier vielleicht doch, des Zögerns müde, zur ge-
planten Offensive gediehen wäre.
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109
Allein es sollte anders kommen ; am 28. erschien Napoleon in
Mainz und sogleich ergehen Befehle, welche ein vorerst unmerkliches
Verschieben der Corps nach dem rechten Flügel hin zum Zwecke
haben. In des Kaisers Schreiben an den König von Holland ge-
winnt das strategische Bild greifbare plastische Form
man iniention est de concentrer touies mes forces sur Vexire-
mite de nta droie en laissant tont Vespace entre le Rhin et Bam-
berg entierement degarni, de ntaniere ä avoir pres de 200,000
homntes reunis sur un meme champ de bataille Mes premieres
marches menacent le coeur de la monarchie prussienne et le
deploiement de mes forces sera si imposant et si rapide, qu* il
est probable que tout se mettra en marche ä grandes journees
pour defendre la capitale .... demgemäß werden die Befehle
an die Corpsfuhrer nunmehr hinausgegeben ; mit steter Erinnerung,
dass, da der Krieg noch nicht erklärt sei, man sich jeder Feind-
seligkeit bis auf weiteres sorgsam zu enthalten habe ; wenn auch
die Cavallerie an die Grenze vorgeschoben wird, so soll sie die-
selbe doch nur in einem ganz bestimmten Fall überschreiten ;*)
Augereau wird von Frankfurt aus ebenfalls auf Würzburg in
Marsch gesetzt und stehen in den ersten Tagen des October
die Corps wie folgt vertheilt: (Siehe Skizze III.)
Am 3. October trifft Napoleon in Würzburg ein und alsbald
ergehen die Befehle zur definitiven Concentrierung der Armee
am äußersten rechten Flügel, nachdem die Plätze Würzburg,
Kronach und Forchheim, wie befohlen war, zu Stützpunkten für
die Armee hergerichtet worden waren. Der Kaiser befiehlt Mu-
sterungen an und bestimmt den 7. als Termin für den Beginn
des Vormarsches gegen die obere Saale. Da jedoch der linke
Flügel noch bei Würzburg-Schweinfurth steht, so beginnt derselbe
sogleich (4. und 5.) eine Art von Flankenmarsch an den oberen
Main, welcher im großen Ganzen ohne erhebliche Frictionen
vor sich geht und am Abend des 7. zu folgender Vertheilung
führt: (Siehe Skizze IV.)
Aus derselben ist der Plan des Kaisers gewissermaßen ganz
herauszulesen; es wird auf den drei Straßen, über Bayreuth,
Kronach und Coburg vormarschiert, indem je zwei Armeecorps
auf einer Straße einander folgen; in der Mitte wird außerdem
*) An den Grofiherzog von Berg, Mainz, 29. September.
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- 110 —
die Division Dupont, die Garde und die Reservecavallerie folgen.
Was diese verhältnismäßig enge Vereinigung des Heeres bezweckt,
erkennen wir in des Kaisers Schreiben anSoult*) . . . avec cetU
immense superioriU de forces^ reunies sur un espace si etroit,
votis sentez que je suis dans la volonte de ne rien hasarder
ei d' attaquer Vennemi partout oü il voudra tenir, avec des forces
doubles . . . Wahrhaftig, dieser Plan erscheint geradezu roh;
denn kann es wohl etwas Primitiveres im Kriege geben, als dann,
wenn man in jeder Hinsicht stärker ist, dem Feinde geschlossen
und gerade auf den Leib zu gehen ?
Am 7. waren das Ultimatum Knobelsdorffs und Friedrich
Wilhelms III. Epistel bei Napoleon eingelangt ; begreiflich ist, dass
besonders letztere ihm nur ein mitleidiges Lächeln abgezwungen
hat. Den Tag darauf sagt er zu seiner Armee:**) on nous donne
un rendez-vous d'honneur pour le 8 : Jamals un Frangais n'y a
manque; mais comme on dit quHl ya une helle reine qui veut
etre temoin du combat, soyons courtois, et ntarchons, sans nous
coucher, pour la Saxe . . . Damit war der Krieg von Napoleons
Seite thatsächlich erklärt.
Auf Seite seiner Gegner war indessen folgendes geschehen:
Der Operationsplan vom 25. September, der, wie wir wissen,
eine Offensive für den ll./12.0ctober in Aussicht genommen hatte,
war sowohl von Hohenlohe selbst, den er erheblich unterordnete,
als von den Sachsen, die, auf Deckung ihres Landes bedacht,
nicht aufs linke Saale-Ufer übergehen wollten, unmuthig auf-
genommen worden. Musste ja doch die Theilnahme der Sachsen
an der Offensive durch den König selbst mittelst Sendung des
Generals von Phull an den Kurfüsten besonders erbeten werden.
Indessen begannen die Heereskörper im großen Ganzen wirklich
die befohlenen Bewegungen anzutreten, als man im Hauptquartier
zu Naumburg am 3. October die falsche Nachricht erhielt, der
Feind stehe mit ca. 70.000 Mann bei Neustadt-Königshofen, und
daraus den Schluss zog, Napoleon habe es auf eine überraschende
Besetzung des Thüringerwaldes abgesehen. Sofort taucht die Frage
auf, ob die in's Auge gefasste Offensive unter diesen Umständen
überhaupt noch ausführbar sei, und um darüber Klarheit zu ge-
•) WürzbUFK, ö. October.
*•) /« buUetin de la Grande Armee Bamberg, 8 octobre.
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— 111 —
winnen, beruft der König einen Kriegsrath nach Erfurt, wohin er
am 4. sein Hauptquartier verlegt und lädt Rüchel sowohl als
Hohenlohe, die jetzt nahe genug heran sind, zu demselben ein.
Hier entrollt sich uns nun ein ganz eigenthümliches Bild.
Am 4. schon trifft Massenbach in Erfurt ein und bearbeitet sofort
den Generaladjutanten von Kleist und den Major von Rauch, um
sie für seine Meinung, die entschieden gegen jede Offensive war,
vorweg zu gewinnen. In der abends stattfindenden Vorberathung
glaubt Braunschweig annehmen zu können, Napoleon werde bei
Königshofen eine Stellung beziehen, damit es scheine, als trete er
nicht als Angreifer auf; diese Ansicht stützt er auf Wahrnehmungen,
die Lucchesini ehedem in Paris an der Person des Kaisers ge-
macht. Man gelangt jedoch zu keinem Resultat. Am 5. werden
die Berathungen in Gegenwart des Königs fortgesetzt, und als
der Monarch, der unaufhörlichen Meinungsdifife»enzen müde, die
Conferenz verlässt, einigt man sich endlich am Abend des 6. Oc-
tober zu folgendem Operationsplan:
Es wird beschlossen, den Thüringerwald nicht zu über-
sch feiten; da alles darauf zu deuten scheint, dass der Gegner den
eigenen linken Flügel angreifen wird, so ist ein Concentrieren der
Armee nach demselben hin nothwendig und wird daher be-
fohlen, dass,
die Hauptarmee mit ihrem Gros in die Linie Gotha-Erfurt,
mit den Reservedivisionen nördlich Erfurt;
Hohenlohe in die Gegend von Hochdorf-Magdala;
Rüchel zwischen Eisenach und Langensalza
rückt, so dass man aus dieser Bereitschaftsstellung (leichte
Truppen befanden sich im Thüringerwald, Vorposten von Fulda
bis Stadt Um) sich rasch, sowohl nach rechts als nach links, con-
centrieren könne.
Die auf Grund dieser Beschlüsse eriassenen Befehle wurden
erst am 7. hinausgegeben. Nun hatten jedoch die Truppen, in
Befolg der früheren Befehle, an diesem Tage Stellungen erreicht,
die sich mit den jetzt neuerdings bestimmten nicht mehr deckten;
so dass von allen Seiten Verwirrung platzzugreifen begann. Am
Abend dieses memorabeln Tages schrieb Scharnhorst, düsterer
Ahnungen voll, „was man thun müsste, weiß ich wohl, was man
thun wird, wissen die Götter."
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— 112 -
Der 7. und 8. October brachten nun soviel Licht über die
Absichten Napoleons in's preußische Hauptquartier, dass kaum
jemals eine Heeresleitung für ihre Entschlüsse klarer gesehen hat.
Zunächst hatte sich Tauentzien vor den in's Bayreuthische ein-
rückenden Franzosen in der Nacht des 7./8. und an diesem
Tage selbst bis Schleiz zurückgezogen, wovon er Hohenlohe
mehrfach Meldung that. Dann wurde von den Avantgarden der
Hauptarmee gemeldet, bei Bamberg versammelten sich 75.000 Mann
Franzosen. Ein auf Erkundung ausgesandter Offleier brachte
sichere Kunde von dem Abmarsch der ganzen französischen
Armee nach deren rechten Flügel, so dass er sich nicht enthalten
konnte, seiner Meldung den Vorschlag hinzuzufügen, es möge
irgend etwas gegen die geradezu einen Flankenmarsch am Fuß
der eigenen Stellung vollführenden Franzosen unternommen
werden. Zum Greifen deutlich konnte man Napoleons Tendenz,
am rechten Saaleufer vorzugehen, jetzt erkennen, und hat sie
auch, zum Theile wenigstens, erkannt. Allein keineswegs wird
der Abmarsch an die Saale, der ja für diesen Fall in Aussicht
genommen war, unverweilt befohlen. Man entschloss sich nur
dazu, die Armee nahe am linken Saaleufer bereitzustellen, Jedoch
erst für den 10. und unternahm gleichzeitig durch Rüchel einen
Versuch , dem Gegner „Jalousie" für seine rückwärtigen Ver-
bindungen zu geben, indem man ein Corps, welches fiir diesen
Zweck entweder viel zu stark oder viel zu schwach bemessen
war, gegen den Main vorsandte. Es liegt in dieser Strategie eine
Behutsamkeit, die militärisch unerklärlich scheint, deren Ursachen
jedoch ziemlich klar zutage treten, wenn man sich erinnert, dass
Friedrich Wilhelm III. noch immer, immer an die Möglichkeit
friedlicher Lösung gedacht haben muss, wie aus seinem gewissen-
haften Abwarten der Antwort auf das Ultimatum Knobelsdorffs
zweifellos hervorgeht.
Sie traf, wie wir wissen, am 8. im Hauptquartier nicht ein;
und so musste der König tags darauf, ob er nun noch wollte
oder nicht, den Krieg erklären lassen.
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III.
Die Entscheidung.
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Am 8. October hatten französische Truppen bei Ebersdorf,
wenige Kilometer vor Saalburg, zuerst mit den Preußen Fühlung
genommen. Es stand in Saalburg ein Detachement von der Ab-
theilung Tauentziens, und zog sich dasselbe, als Murat, der die
Franzosen commandierte, zu umgehen Miene machte, zurück und
ab auf Schleiz. Saalburg wird von den Franzosen besetzt und
nimmt Bemadotte eine Infanteriedivision des I. Corps an's rechte
Ufer hinüber. Fächerförmig breitet sich die Cavallerie südlich der
Saale nach beiden Seiten aus, während von der linken Colonne
das V. Corps Coburg, das VII. Bamberg, von der rechten das
IV. Münchberg, das VI. Bayreuth und von der mittleren das III.
Kronach erreicht.
Wir kennen den Mangel an Entschiedenheit, der in den
Beschlüssen des preußischen Kriegsrathes vom 8. vorgeherrscht.
Die ganze Armee sollte zu eventuellem Uebergang über die Saale
in Napoleons linke Flanke in der Linie Gotha-Erfurt-Magdala-
Rudolstadt vereinigt, Tauentzien herangezogen, der Herzog von
Weimar und Rüchel zu Operationen auf die rückwärtigen Ver-
bindungen der Franzosen veranlasst, der Herzog von Württem-
berg mit dem Reservecorps auf Halle dirigiert werden. Durch die
Detachements, die man auf Napoleons Rücken vorsandte, und
die, wie hier im voraus bemerkt sein soll, nicht das Mindeste
erreichten, entzog man der versammelten Macht ca. 12.000 Manp,
die in der Linie Hünfeld-Schweinfurt mehr oder weniger unthätig
standen. Aber auch im Hauptquartier kam man zu keinem Ent-
schluss, ob und was zu thun sei. Man glaubte an zwei mögliche
Fälle: Entweder Napoleon „honorierte" die Stellung der preußi-
schen Armee hinter der Saale, das heißt er griff sie an; dann
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- 116 -
wollte man die Schlacht annehmen. Oder Napoleon sollte, während
er am rechten Ufer vormarschierte , durch Vorstoßen der preußi-
schen Armee in seine linke Flanke zur Schlacht unter ungünstigen
Verhältnissen genöthigt werden. Allein weit war man jetzt, am 8.
entfernt davon, wenn auch nur im Principe die Frage „Offensive-
Defensive" entschieden zu haben. Vorerst wollte man sehen, was
der Gegner that.
Der 9. October.
Wahrhaftig, wie nach dem uns bekannten Programm, rückt
die französische Armee an diesem Tage vor.
Auf dem rechten Flügel erreicht Soult abends die Gegend
zwischen Hof und der Elster, schiebt eine Avantgarde bis gegen
Plauen vor, erfährt, dass der Gegner sich mit circa 1000 Pferden
und einem Artillerietrain auf Gera abgezogen hat, eine Armee
von 50.000 Mann zum Schutze von Dresden bei Freiberg stehe
und meldet all dies um 6 Uhr dem Kaiser.
In der Mitte war das kaiserliche Hauptquartier während
der Nacht nach Nordhalben vorgerückt; von dort aus ergehen
die Befehle an Murat, Schleiz hinwegzunehmen und wird ihm zu
diesem Zweck eine Infanterie-Brigade des I. Corps gegeben. Mit
dieser Kraft führt er bei Oschitz ein mehrstündiges Gefecht mit
den Vortruppen Tauentziens, der, zuerst entschlossen, bei Schleiz
stehen zu bleiben, wovon er Hohenlohe Meldung thut, dann auf
Neustadt abzuziehen sich entschließt, jedoch hiezu den Umweg
über Auma wählt. Er überlässt die Führung seiner Arieregarde,
bei der ja doch sein Platz gewesen wäre, einem Untergeneral,
der, als Napoleon selbst erscheinend, Murat die sofortige Weg-
nahme des Ortes Schleiz befiehlt, durch taktisches Ungeschick
eine Panik einreißen macht, die zu einem übereilten Abmarsch
führt. 12 Offleiere, 554 Mann hatte dieses Nachhutgefecht eines
Detachements dem preußisch - sächsischen Heere gekostet, und
berichtet wird, die moralische Einbuße sei sehr erheblich ge-
wesen.*) Sofort nimmt das I. Corps Stellung vorwärts Schleiz,
während die übrigen Staffel der mittleren Colonne entsprechend
•) V. Lettow- Vorbeck, I, 215.
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— 117 —
folgen; III. Corps Lobenstein, ein Theil der Garde Steinwiesen,
Hauptquartier Ebersdorf, die Cavallerie überschreitet die Saale und
klärt von Mühltruff bis gegen Pösneck auf.
Auf dem linken Flügel ist das V. Corps bis Gräfenthal, das
VII. bis Coburg gekommen und ergeht vom großen Haupt-
quartier die Weisung an Lannes, Saalfeld womöglich zu nehmen,
sollten jedoch dort überlegene Kräfte stehen, so würden dieselben
von der mittleren Colonne in die Flanke genommen werden.
Bei den Preußen - Sachsen war indessen folgendes gesche-
hen : Hohenlohe betheuerte zunächst in einem Schreiben an den
Herzog, dass er gewillt sei, die Conferenzbeschlüsse auszu-
führen, das heißt, seine Armee nahe der Saale auf deren linkem
Ufer bereitzustellen. Kaum war dieses Schreiben abgefertigt, so
bewog Massenbach einen Wandel der Anschauungen beim Für-
sten, indem er darthat, es sei bei Kahla-Rudolstadt kein Raum,
das Corps zu versammeln, und der Fürst dürfe in seiner selb-
ständigen Lage als Armeecommandant empfangene Weisungen
und Befehle nicht zu wörtlich nehmen ; er bewies die Nothwen-
digkeit, an's rechte Ufer zu gehen und bestimmte Anstalten zu
treffen, um auf MittelpöUnitz, wenn auch sonst aus keinem Grunde,
so doch zur Aufnahme Tauentziens vorzumarschieren. Hohenlohe
pflichtet diesen Anschauungen bei, und um 5 Uhr morgens des 9.
meldet er seine Willensmeinung in das Hauptquartier. Aus dem-
selben erhält der Fürst um 3 Uhr nachmittags einen Brief von
Braunschweig, in welchem derselbe ganz bestimmt verlangt,
Tauentzien habe zur Deckung von Dresden über Gera-Altenburg
dahin abzugehen. Nun will dies Hohenlohe nicht, vielmehr ge~
denkt er den General an sich zu ziehen, und nicht wagend, dem
empfangenen Befehl geradezu entgegenzuhandeln, sendet er
Tauentzien einen Brief, in welchem er ihm die Wahl, ob er zu ihm,
dem Fürsten, oder nach Dresden gehen wolle, unbedenklich über-
lässt schlechterdings kann ich Ihnen nicht befehlen , dazu-
bleiben, und bitte daher Ew. Hochgeboren, nachdem Sie das
herzogliche Schreiben und meine Antwort*) darauf werden ge-
lesen und reiflich erwogen haben, Ihren Entschluss fassen zu
wollen. . . . Wahrhaftig, selbst in unseren Tagen der zum System
erhobenen Selbstthätigkeit und Selbstbestimmung bedarf dieses
*) Konnte bisher in den Akten nicht aufgefunden werden.
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Verhalten des Armeecommandanten einem Detachementsführer
gegenüber irgendwelchen Commentars.
Nun war, wie wir wissen, der Fürst entschlossen, an's
rechte Saaleufer zu gehen ; jedoch er hält die betreffenden Be-
fehle den ganzen Tag zurück bis abends ein Brief von Braun-
schweig und Tauentziens Bericht über das Gefecht von Schleiz
einlangen. Der erstere ist plötzlich kein Befehl mehr, ja nicht
einmal eine Directive, indem es „der Einsicht des Fürsten anheim-
gestellt wird," ob er die auf dem rechten Saaleufer stehenden
Sachsen an sich ziehen wolle oder nicht ; nur wird die Bestimmung
Tauentziens auf Dresden erneuert entschieden betont. Der zweite
relationiert in höchst günstiger Weise über das gehabte, wie
wir wissen ungünstige Rückzugsgefecht und stellt das Ein-
treffen von Tauentzien bei Hohenlohe für den nächsten Tag in
Aussicht. Hohenlohe entschließt sich nun, die Motive sind nicht
überliefert, seine preußischen Divisionen links der Saale und die
Sachsen rechts derselben stehen zu lassen, und in beweglichen
Tönen ist das Schreiben gehalten, in welchem Braunschweig ge-
meldet wird, er entsage seinem Plane, über die Saale zu gehen,
der, wenn zustande gekommen, wahrscheinlich zu großen Re-
sultaten geführt haben würde.
Und so steht denn der preußische linke Flügel am Abend
dieses Tages wie folgt: Die Sachsen zwischen Roda-Mittelpöllnitz,
bei Triptis Tauentzien, bei Neustadt- Pösneck ein schwaches De-
tachement aller Waffen ; die Division der Avantgarde unter Prinz
Louis Ferdinand zwischen Saalfeld-Rudolstadt, die Division Gra-
wert bei Orlamünde-Spahl, der Rest des Corps bei Jena-Magdala.
Den Divisionscommandanten wohnt keine bestimmte Tendenz
inne; der Fürst kündigt an, er werde am nächsten Tage seine
Entschlüsse fassen.
Die Hauptarmee stand bei Erfurt; der König erließ an diesem
Tage das übliche Manifest und eine Proclamation an die Armee.
Ein Entschluss, ob Offensive oder Defensive, auch nur in den
allerallgemeinsten Zügen, im Princip gleichsam, ist noch nicht
gefasst ; zwischen dem 10. und 11. gedenkt man zu einem solchen
zu gelangen.
Wenn man nun einen Blick auf die beiderseitige Lage an
diesem Tage thut, so erkennt man leichtlich folgendes: Das
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Mechanische betreffend, so scheint uns ein Gegensatz der alten
und neuen Strategie vorhanden zu sein, der in der größeren Ver-
sammlung der französischen Armee zum Ausdrucke gelangt; ein
Blick auf die Karte hilft über lange Gemeinplätze hinweg, die
man an das Verhältnis knüpfen könnte. Das Psychologische be-
treffend, so erhellt aus dem historischen Material, dass die Truppen
von Schleiz arg erschüttert waren ; dass bei der Armee Hohen-
lohes, die Sachsen inbegriffen, an diesem Tage zum erstenmal
gehungert ward; dies Factum gehört wohl eher in's Psycho-
logische als in's Mechanische des Krieges. Wir nehmen wahr,
wie, scheinbar accidentiell, die Kampfmittel auf verbündeter
Seite von der Thätigkeit des Krieges bereits angegriffen zu werden
beginnen. Die Führung ist, wie wir wissen, bei den Franzosen
ihrem Programme treu geblieben, sie geht unentwegt nach dem-
selben vor, von Zweifeln in den höchsten Stellen ist die Rede
nicht; wie es bei den Gegnern damit bestellt war, haben wir
gesehen ; noch heute weiß man nicht, was man will, und der
am Feinde befindliche Armeecommandant disponiert völlig nach
eigenem Ermessen.
Der 10. October.
Die französische Armee setzt im großen Ganzen ihren Marsch
gerade fort; mit dem linken Flügel trifft sie den Gegner und er-
folgt daselbst ein Gefecht.
Lannes setzte nämlich seinen Marsch auf Saalfeld fort mit
der offenbaren Absicht, sich rasch dieses Überganges zu bemäch-
tigen. In seinem Eifer unterlässt er es, Augereau, der hinter ihm
marschiert und schon zurückgeblieben war, hievon in Kenntnis
zu setzen. Indess gewinnt der Marschall, vor Saalfeld angekommen,
den Eindruck eigener Überlegenheit und ohne Zögern entschließt
er sich zum Angriff.
Am 8. October hatte Prinz Louis Ferdinand von Preußen,
eine von Thatendrang und kühnem Muth überschäumende Natur,
der es jedoch an scharfem und kritischem Verstände zweifellos
gefehlt hat, das Commando der Avantgardedivision Hohenlohes
übernommen. Am 9. stand er bei Rudolstadt und hier erhielt er
durch einen Officier des Generalstabes Nachrichten von Hohen-
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lohe dahin, derselbe gedenke über die Saale und in der Gegend
von Mittelpölinitz offensiv vorzugehen. Der Prinz erblickt nun
seine Aufgabe darin, diese Bewegung durch eine Stellung, etwa
bei Neustadt, gegen etwaige Störung von Schleiz her, wo der
Feind hauptsächlich sich befinden soll, zu verschleiern und zu
sichern. Dem König und dem Fürsten theilt er diese seine Ab-
sicht vom 9. mit und bittet zugleich um Sicherung des Saalfelder
Überganges durch Truppen der Hauptarmee, sobald er selbst auf
Neustadt abgezogen. Als nun die Recognoscirungen ergaben,
dass der directe Weg von Rudolstadt nach Pösneck nicht prakti-
kabel sei, erkennt der Prinz, er müsse den Umweg über Saal-
feld nehmen, und so disponiert er noch während der Nacht eine
Bereitstellung seiner Truppen für den nächsten Morgen auf der
Straße dahin. Indessen erwartete Prinz Louis Bescheid und
etwaige Befehle und als diese nicht kamen, geht er, annehmend,
der Offensivgedanke Hohenlohes bestehe weiter fort, am Morgen
des 10. auf Saalfeld vor, mit der Absicht, dort an*s rechte Ufer
und von da auf Pösneck-Neustadt zu gehen.
Auf dem Wege erhielt der Prinz die Meldung, das zum
Schutz des Saalfelder Überganges aufgestellte ' Detachement werde
stark gedrängt, es sei bis an die Stadt zurückgegangen und be-
drohe der Gegner die Straße. Nun ist über die Motive, die den
Prinzen zu dem bald erfolgenden Angriff bestimmten, nichts mit
Sicherheit bekannt. Hohenlohe hatte ihm einen Officier zugesandt,
der ihn zu verständigen hatte, die Offensive sei aufgegeben, und
möge der Prinz auf keinen Fall angreifend vorgehen ; man weiß
nun nicht, ob und wann, und wenn ja, ob in ihrem vollen Um-
fang Prinz Louis Ferdinand diese Nachricht erhielt; von Lettow-
Vorbeck nimmt an, der Prinz habe sie erhalten, dies gehe aus
der Richtung seines Rückzuges — Rudolstadt — hervor, den er
antrat, als sich das Blatt bei Saalfeld zu wenden begann. Allein
wer weiß, ob nicht die taktische Lage vor der Stadt an sich
schon eine solche war, dass Prinz Louis einen Übergang durch
dieselbe für unmöglich, oder wenigstens als gewagt ansah und
dass sein Rückzug zunächst eben ein rein taktischer, vielleicht
gegen seine bessere strategische Überzeugung war ? Es kommt
so häufig, man möchte fast sagen, meistentheils vor, dass der
Führer im Augenblicke, wo er erkennt, er müsse weichen, oder
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seine Truppen wichen schon, den strategischen Gedanken halb
unfreiwillig zurücktreten lässt gegen den taktischen Wunsch, durch
gerades Zurückgehen möglichst bald aus der Sphäre des Gegners
zu kommen. Die Erhaltung gefährdeter Truppen scheint das
Nächste zu sein ; ihre Verwendung weiterhin gedenkt man später
zu bestimmen ; und dies ist nichts als natürlich. Indessen muss
man gestehen, dass für Saalfeld die Lage, wie sie war, nicht
mehr völlig bekannt ist.
Der Marschall Lannes hatte gegen den Ort immer mehr
Kräfte entwickelt, und die, so durch das Defile nachfolgten, zog
er meist links heraus, sich stets verlängernd. Vor der Stadt
standen die preußischen Bataillone in ungleichem Kampf den
Schützen der Franzosen gegenüber und alles deutete darauf, der
Rückzug werde unvermeidlich sein. Da unternahm es denn der
preußische Alcibiades, durch einen offensiven Vorstoß den Abzug
seiner Truppen zu ermöglichen. Mit Echelons und bataillonsweise
wurde gegen die im coupirten Terrain befindlichen zahlreichen
Tirailleurs avanciert, und kein Wunder ist, dass die preußischen
Truppen erschüttert zu werden begannen. Sofort werfen sich
zwei französische Husarenregimenter auf die feindliche Artillerie;
es entwickelt sich ein Reiterkampf, in welchem die deutschen
Schwadronen geworfen und der ritterliche Führer selbst getödtet
wird. Nun entsteht eine unglaubliche Panik unter den Preußen,
die, heftig verfolgt, nach allen Richtungen fliehen; bald existirte
die Avantgardedivision nicht mehr; 29 Offtciere, 17 — 1800 Mann,
34 Geschütze von den 40, die am Gefechte theilgenommen, sind
ein schrecklicher Verlust, wenn man bedenkt, dass zur Offensive
eigentlich nicht mehr als 3V2 Bataillons und 10 Escadrons ver-
wendet worden sind. Auffallender wird diese Thatsache durch
das Nichtvorhandensein irgend einer Zahlüberlegenheit auf Seite
der Franzosen. Alles, was Lannes zur Verfügung hatte, die Divi-
sion Suchet nebst zwei Reiterregimentern betrug ca. 12.000 Mann,
wovon kaum mehr als die Hälfte am Gefechte theilgenommen
hat. Wenn man nun nach den Ursachen für diese Katastrophe
fragt, so sind bis vor kurzem die französischen Tirailleurs
als solche angesehen worden , während Oberst von Lettow-
Vorbeck, auf Quellen ersten Ranges gestützt, beweist, die Ent-
scheidung sei durch einen Angriff geschlossener französischer
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Massen erfolgt, mithin sei nicht die neue Taktik die Ursache ge-
wesen. Ersichtlich ist, dass beide Meinungen in Einseitigkeit be-
fangen sind. Der Geist der napoleonischen Taktik scheint nicht
stets völlig aufgefasst zu werden und nachdem decennienlang
nach dem Abgang des größten Generals der neuen Zeit die
Schützen seiner Schule kritiklos als das Arcanum der Erfolge hin-
genommen worden sind, erfolgt jetzt gemach die Reaction, die, auf
stets neu zutage tretende Quellen gestützt, uns glauben machen
will, die ultima ratio napoleonischer Taktik sei doch stets das
Ansetzen geschlossener Körper gewesen. Wir behalten uns vor,
später über diese Dinge zu reden und in umfassender Art; denn
so wie bei Saalfeld, ebenso haben auch bei Jena die Franzosen
gefochten.
Auf den Lärm des Kampfes von Saalfeld war von allen
Seiten und aufmerksamen Ohrs gehört worden. Napoleon ver-
nahm denselben, als er im Laufe des Tages mit seinem Haupt-
quartier von Ebersdorf auf Schleiz vorging. Um 8 Uhr morgens
spricht er in einem Briefe an Soult seine Gedanken über die Lage
aus ... er könne so rasch nicht vor, als er es gerne wollte;
indessen sei bei Schleiz ein gutes Schlachtfeld für 100.000 Mann
vorhanden; bald hoffe er mit Lannes, der die Saale demnächst
überschreiten soll, in Verbindung zu sein. Als Soult den Ab-
marsch des Gegners auf Plauen und vom Vorhandensein einer
Dresden deckenden Armee berichtet, glaubt der Kaiser mit aller
Sicherheit in Gera den Versammlungspunkt des Gegners zu sehen.
Demgemäß ergehen die Detailbefehle, welche die Hauptmasse
der Corps in der Erwartung, das bei Saalfeld gehörte Gefecht sei
glücklich abgelaufen, das heißt Lannes am rechten Saaleufer
angekommen, auf verschiedenen Wegen gegen Gera in Bewegung
setzten. Die französische Cavallerie leistet an diesem Tage nicht
das, was die Theorie heute von einer solchen ver-
langt und hat thatsächlich nicht genug gethan, um die strate-
gische Lage zu klären. Doch hatte dies zum Theil in marsch-
technischen Schwierigkeiten seinen Grund.
Am Abend haben die Truppen folgende Punkte erreicht:
linker Flügel V. Corps Saalfeld; VIL Neustadt;*) Mitte L Corps
Auma; IIL Schleiz; ein Theil der Garde Bamberg; rechter Flügel
•) An der Haide.
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IV. Corps (wegen Ausbleiben von Befehlen aus dem Haupt-
quartier) erst Plauen; VI. Tanna; Bayern Culmbach; die Cavallerie
steht von Pösneck bis Mittelpöllnitz.
Hohenlohe hatte, wie wir wissen, seine Entscheidungen für
den 10. in Aussicht gestellt. Zunächst verlegte er sein Haupt-
quartier von Jena nach Kahla, und äußerst bedächtig setzte er
sich sodann auf Neustadt*) in Bewegung, wo die sächsischen
Generale ihn zu erwarten hatten; um Mittag etwa trifft er in der
Nähe des Ortes ein und erfährt Thatsächliches über die Nieder-
lage Tauentziens von gestern und kann gleichzeitig aus dem
Kanonendonner von Saalfeld auf ein Gefecht des Prinzen Louis
schließen. Plötzlich entschließt sich der Fürst, alle seine Truppen,
auch die Sachsen, an's linke Saaleufer zu nehmen, und nachdem
er an General von Zetzschwitz die bezüglichen Befehle gegeben,
kehrt er nach Kahla zurück. Während er bei der Tafel sitzt, er-
hält er Nachricht von der Affaire zu Saalfeld und dem Tode des
Prinzen Louis. Nachdem der Fürst für Aufnahme der zersprengten
Truppenreste gesorgt und eine möglichst dichte Vereinigung seiner
Armee in*s Auge gefasst, ordnet er den Obersten von Massen-
bach mit der Hiobspost in's Hauptquartier ab.
Daselbst hatte man, da ein Vorgehen der Franzosen rechts
der Saale unzweifelhaft erschien, sich endlich entschlossen, die
Bewegung an den Fluss zu beginnen ; im Laufe des Tages rückt
die Armee von Erfurt nach Blankenhayn ab ; recht unkriegerisch
ist es, so hören wir, auf diesem Marsche zugegangen. Als nun
die Nachricht von der Saalfelder Katastrophe eintrifft, wirkt sie
wie ein Donnerschlag auf das Hauptquartier. Jeder gab, auch un-
gefragt, seine Meinung selbst dem Könige gegenüber ab
es ist unglaublich, wie schnell dabei fiir diesen Moment die
Schranken der bisher bestandenen Militärhierarchie schwankten ;
die Sache war wahrhaft trostlos . . . erzählt ein Augenzeuge.
Folgendes ist nun in dürren Worten das Resultat der Erwägung.
Offensiv aufs rechte Saaleufer zu gehen, daran wird nicht mehr
gedacht, erstens weil es zur Bereitstellung der Kraft hiezu zu
spät ist, und zweitens das Uebergehen über die Saale an sich ört-
liche Schwierigkeiten besitzt, die durch die Anwesenheit des Gegners
am rechten Ufer zu militärischen Unmöglichkeiten werden können ;
•) An der Orla.
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SO wird wohl eine Flankenstellung hinter dem Flusse das beste
sein, und rückt die Hauptarmee nach Weimar, Hohenlohe nach
Jena, Rüchel und Blücher zwischen Erfurt und Weimar, und der
Herzog von Weimar geht mit seiner Avantgarde nach Gotha zu-
rück. Es macht dieser Plan sehr den Eindruck, als ob man den-
selben mangels eines bessern , als Nothbehelf gewissermaßen,
gefasst haben würde; denn in der That konnte er nur ein
Provisorium sein.
In Wirklichkeit hatten am Abend des 10. die Truppen fol-^
gende Stellungen inne: Hohenlohe stand zwischen Spahl — Orla-
münde — Kahla; die Hauptarmee bei Blankenhayn, Reservedivi-
sionen Weimar; Rüchel in Erfurt, Blücher jenseits Gotha, Winnig
bei Vach und der Herzog von Weimar bei Meiningen; letzterer
wollte eine Demonstration auf Coburg thun. Berichtet wird, dass
an diesem Tage bereits in allen Theilen der Armee eine lebhafte
Missstimmung platzzugreifen begann infolge des resultatlosen Hin-
und Hermarschierens, sowie der Unglücksbotschaft von Saalfeld:
das Zutrauen zu den Führern begann sichtlich zu schwinden
und einzelne Generale verloren völlig den Kopf.
Versuchen wir es, mit allgemeinem Blick auf die Gesammt-
sachlage zu schauen. Feststeht, dass einer der aller-, aber schon
allerwichtigsten, vielleicht einer der wenigen wahrhaft „unverän-
derlichen** Grundsätze der Feldherrnkunst von der verbündeten
Heeresleitung verletzt worden war, indem der Krieg mit einem
erheblichen Echec, für den jene voll die Verantwortung trägt, be-
gann. Nothwendig ist es für eine Armee, die nicht
sehr kriegsgewo hnt und durch eigene Erfahrung
von ihrem Werte völlig überzeugt ist, dass sie für
den Krieg geradezu trainiert werde, indem der Feld-
herr um jeden Preis kleine Erfolge im Anfange sucht, Erfolge, welche
er durch Anwendung mechanischer Mittel erreicht und vorurtheils-
los verwertet. Nicht vom mechanischen Standpunkte leuchtet
dieser gewaltige Grundsatz ein, wohl aber von dem des Kriegs-
psychologen. Wenn man sieht, wie der Führer des von Sieges-
zuversicht erfüllten französischen Heeres seinen Marschällen stets
und stets wiederholt, sie hätten die taktische Entscheidung dann
nur anzunehmen, wenn es unzweifelhaft sei, sie werde eine gün-
stige sein ; wenn man sich jener unsterblichen Apriltage des Jahres
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1796 erinnert, in denen der junge Revolutionsgeneral sein zum
Kriege völlig ungeeignetes Heer im Kriege bildet, indem er zweck-
bewusst die Zahlübermacht dorthin fuhrt, wo sie vom örtlich un-
endlich schwächeren Gegner ganz einfach nicht geschlagen werden
kann, sondern ihn, ohne tapferer, kriegsgeschickter zu sein,
durch ihreStärke einfach schlagen muss; und, dies
wiederholend, sein Heer, ohne dass dasselbe recht klar darüber
wird, was mit ihm geschehe, von seinem eigenen Werte
gleichsam überzeugt, wodurch die kriegerische Tugend
im nachhinein hervorgerufen wird ; — dafür allerdings den Spott
der späteren Männer der Zunft zu tragen verurtheilt ist, die es
ihm nicht verzeihen, wenn er in seinen Ansprachen und Heer-
befehlen den Erfolg vergrößerte, das Missgeschick verdeckte, mit-
hin log, um seine Armee glauben zu machen, als ob
sie sehr tapfer sei, wodurch sie wirklich tapfer
wurde; — so fallt es einem wie Schuppen von den Augen, worin
in diesem Punkte die Kunst des Feldherrn liegt. Wahrhaftig, die
Kriege bis nunzu hat er derartig geführt, dass er vor allem sein
Heer moralisch erhob, indem er kleine, jedoch glänzende Erfolge
vorwegnahm, durch welche die Qualität der Truppen beständig
mächtig wuchs, Wohl klingt es paradox und doch mit vollster
Ueberzeugung sagen wir: Erst nach Ulm gab*s eine große
Armee ; das Dreifache von dem wog das Heer auf dem Wege
vom Lech nach Wien, was es von Boulogne an die Donau ge-
wogen. Hier ist das Feld, auf dem sich eine Feldherrnnatur ersten
Ranges bewährt. Sie sucht bewusst und zweckessicher einleitende
Erfolge auf, nicht wegen des mechanischen Gewinnes, sondern
aus seelischen Gründen ; während tüchtige, doch häufiger seiende
Soldatennaturen die Früchte des ersten accidentiellen Erfolges be-
friedigt und froh überrascht erkennen, vielleicht auch zu verwerten
wissen, ohne ihn jedoch bewusst und zweckessicher vorbereitet
und herbeigeführt zu haben.
Es lag in der ganzen Geistesrichtung im preußischen Heer,
dass man die Nothwendigkeit dieses gierigen Erhaschens einlei-
tender Erfolge nicht erkannt, vielleicht sogar, sich selbst über-
schätzend, unbewusst darauf verzichtet hat.
Was nun das Mechanische betrifft, so zeigt ein Blick auf
die Karte, dass die preußische Armee am Abend dieses
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Tages — man sage was man wolle — mindestens so gut,
wenn nicht besser versammelt war, als die
Truppen der Franzosen. Endlose Kritiken hat die Lage
hervorgerufen und nachmals hielt jeder dafür, es sei zu dieser
Zeit die Situation auf deutscher Seite so schlecht doch nicht ge-
wesen. Besonders die Frage, ob ein Übergang über die Saale
und ein Angriff auf Napoleon wohl auszuführen war, wurde mit
Zirkel und Lineal sowohl für als gegen entschieden. Vergessen
wir für einen Augenblick die innere Beschaffenheit beider Armeen
und den Geist, der an oberster Stelle hüben wie drüben ge-
herrscht ; fassen wir die lebendigen Kriegsmittel etwa so in's
Auge, — rein materiell — wie sie die Signaturen der Karte uns
zeigen ; nehmen wir an, die Qualität sei auf beiden Seiten die
gleiche gewesen, völlig die gleiche, und messen wir lediglich
Entfernungen und Zahlstärken ab : so kann kein Zweifel bestehen,
dass es physisch sehr wohl möglich war, mehr
deutsche als französische Truppen zum Kampfe
auf einem Punkte zu vereinen; es leuchtet aus dem
mechanischen Bilde ein, dass die Aussicht für den Erfolg der
Franzosen auf der Fläche des Papiers durchaus nicht zu sehen ist.
Aber ein großer Gegensatz der Tendenzen tritt anschaulich
hervor.
Stellen wir diesen in den Calcul, so sehen wir auf Seite
der Franzosen mit dürren Worten nichts als den Wunsch,
an den Gegner zu kommen; dieser Wunsch, einfach,
bescheiden, bar aller Zeichen der sogenannten Kunst, beherrscht
Napoleons gesammte Strategie. Bei den Verbündeten erkennen
wir, wie unter dem betäubenden Eindruck der ersten Niederlage
zunächst beschlossen wird, sich hinter einen festen Abschnitt, die
Saale, zu ziehen und, alle Vortheile des Terrains benutzend, die
Heere soviel als möglich vereinigt aufzustellen. Napoleon sucht
die taktische Entscheidung, die Verbündeten erwarten sie; auf
diese Entscheidung kommt es somit an.
Die Preußen - Sachsen bleiben stehen; kann es ein ange-
messeneres Benehmen geben — denken wir uns in die Lage
jenes Tages, indem wir, was kam, vergessen — als die Kampf-
mittel möglichst zusammenzuziehen, um sodann der „stärkeren
Form", der Defensive, die besten Seiten abzugewinnen?
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Man sage nicht : Die Defensive war hier erzwungen und so
hat sie in sich den Keim des Misserfolges gehabt; das sagen
wir, die wir den Ausgang kennen, und haben im nachhinein den
Angriff als die rettende That angesehen. Die Defensive ist ja fast
stets aufgezwungen, das heißt, die Umstände verlangen
sie und doch führt sie gar oft zum Erfolge; um der Defen-
sive willen begibt sich niemand in die Defensive; stets
glaubt man zu derselben genöthigt zusein. War
die große Defensivschlacht Austerlitz nicht Napoleon aufge-
zwungen? und doch gewann er sie. Wo ist der Krankheitskeim
einer unfreiwilligen Defensive in dieser als solchen zu sehen?
Bekennen wir es nur immer frank und frei heraus: keiner von
uns hätte an Braunschweigs Stelle anders gehandelt; die Ver-
theidigung, als nothwendig erkannt, musste vorurtheilslos hin-
genommen werden.
Es ist jedoch ein großer Unterschied der Art, in der wir
das Gesetz des Gegners empfangen. Thut man es mit stillen,
wohldurchdachten Vorbehalten, so verliert es viel
von der am Tage liegenden Gefahr; nimmt man es wohl-
berechnet, provisorisch gleichsam, auf sich, so kann
es recht eigentlich die Handhabe zum Enderfolge sein. Bedenklich
jedoch ist, wenn man sich willenlos, absichtslos, unbewusst,
mangels eines bessern, ohne jeden Hintergedanken in
die Vertheidigung begibt.
Auch dies war bei der preußischen Armee keineswegs der
Fall; weitgehende Pläne tauchten mehrfach auf, man nahm die
Lage nur als Übergang zu neuem, entscheidendem Thun.
Auch wenn man das Bild mit allen seinen Tönen auf beiden
Seiten erfasst, muss sich die Aufrichtigkeit des Nachgeborenen
gestehen, dass er jetzt, am 10. October abends, den Ausgang
keineswegs vorhersehen, kaum vorausahnen kann.
Der einzige Lichtstrahl in dem Chaos, welches den auf-
richtig und vorurtheilslos nach der Wahrheit Forschenden annoch
umfängt, ist der in Napoleons Brief an Marschall Soult fast
leidenschaftlich ausgesprochene Wunsch nach einer Schlacht,
möge sie ihm nun aufgenöthigt werden oder er selbst der An-
greifer sein.
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Der 11. October.
Der Glaube Napoleons, als stünde die feindliche Haupt-
macht bei Gera, war in seinem Reiterführer Murat, eben weil
dieser Glaube der des Kaisers war, zur vollsten Überzeugung
geworden und blieb er derselben treu, als die von allen Seiten,
besonders von Roda her, den Abmarsch der Sachsen nach Westen
meldenden Nachrichten der Reiterei bereits errathen ließen, dass
dem nicht so sei. Um sich Klarheit über die Lage zu verschaffen,
eilt Napoleon selbst auf Gera vor und nach einer sofort befohlenen
scharfen Recognoscierung gegen eine eben abrückende feindliche
Colonne erkennt er bis zur Evidenz, dass er sich getäuscht und
der Gegner höchstwahrscheinlich jenseits der Saale stehe; nach-
dem der Kaiser anbefohlen hatte, alles aufzubieten, um zu erfahren,
wo der Gegner sei, begibt er sich gegen Abend nach Auma
zurück, wo sich heute das Hauptquartier befindet.
Indessen waren die französischen Corps gemäß den früheren
Befehlen auf Gera vormarschiert und standen sie am Abende
des Tages wie folgt vertheilt: Murat und Bernadotte in Gera,
Soult vor Weida, Ney in Schleiz, Davout in Mittelpöllnitz, Lannes
in Neustadt, Augereau bei Saalfeld, die Baiern in Kronach, die
Garde bei Lichtenfels.
Nachdem nun während des Abends Nachrichten im Haupt-
quartier eingegangen sind, erlässt der Kaiser um die Mitternacht
seine Dispositionen für den folgenden Tag; dieselben werden in
den ersten Morgenstunden des 12. — auf welche Nachrichten
hin, ist nicht ganz klar — theilweise wieder abgeändert; sie
bezwecken im allgemeinen eine Linksschwenkung der ganzen
Armee gegen die Saale, hinter der der Gegner stehen soll, und
gewinnt die Idee des Kaisers, denselben nördlich zu umgehen,
beziehungsweise von seinen Staaten abzuschneiden, dadurch
greifbare Gestalt, dass er eine förmliche selbstständige Armee
bildet und auf Naumburg ausholen lässt. Befohlen wird, dass
Davout direct, Murat und Bernadotte über Zeiz auf Naumburg
gehen sollen, wobei sie alles aufzubieten haben, festzustellen, ob
der Gegner wirklich bei Erfurt steht; Lannes geht auf Jena,
Augereau auf Kahla, Ney nach Mittelpöllnitz, Soult nach Gera,
wohin das Hauptquartier verlegt wird und alle noch rückwärts
befindlichen Truppen sowie Parks zu dirigieren sind.
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In Briefen an die Marschälle spricht sich des Kaisers Auf-
fassung von seiner Lage aus. Mit einem Wort, er hofft sehr
bald den Feind zu fassen und zweifelt keinen Augenblick am
glücklichen Erfolg. Wie wohl er von den Vorgängen im Haupt-
quartiere des Gegners unterrichtet ist, zeigt eine Stelle seines Briefes
an Lannes vom 12. 4 Uhr morgens: . . . iouies les lettres inter-
ceptees foni voir que Vennemi a perdu la Ute, Ils tiennent
conseil jour et nuit et ne savent quel parti prendre . . . Die
bisherigen Erfolge hält er seinen Unterführern, dieselben zweck-
mäßig übertreibend und aufbauschend, als Aussichten zu neuen
Erfolgen vor, wenngleich sich Mahnungen finden, vorsichtig zu
sein, um nicht etwa einzeln im Marsch geschlagen zu werden.
Traurig und augenscheinlich immer unglückdrohender ver-
lief der Tag bei der preußisch-sächsischen Armee.
Die Truppentheile führten die Befehle des Vortages, die
Versammlung betreffend, aus ; in niedergeschlagener Stimmung,
denn Saalfeld war allenthalben bekannt geworden und es begann
offen und ungescheut die Kritik der Unfähigkeit der obersten
Führer. Verpflegungsschwierigkeiten führten dahin, dass viele
Truppen hungerten, und so fielen bei der Hauptarmee, nach Be-
ziehen der Biwaks, gröbliche Excesse vor.
Braunschweig begann den Kopf zu verlieren; sehr zur
Unzeit, wie es scheint, trat Scharnhorst mit allerlei Plänen hervor,
die der Greis natürlich ohneweiters anzunehmen sich nicht ent-
schließen konnte, und die Folge davon waren Auseinandersetzungen
heftiger Natur zwischen dem Feldherm und seinem Generalstabs-
chef Wohl regte sich das Bedürfnis, Nachrichten über den Feind
zu gewinnen; der König selbst griff, wie anzunehmen ist, in
diesem Punkte ein ; indessen war das positive Resultat der Re-
cognoscierungen, weil zu spät am kurzen Octobertage befohlen,
gleich null.
Hohenlohe verlegte sein Quartier von Kahla nach Jena
zurück und suchte sich unterwegs über die augenblickliche Lage
Aufklärung zu verschaffen; er empfing die Truppenreste der
Avantgarde- Division und gab ihnen seine Zufriedenheit mit ihrem
Verhalten bei Saalfeld zu erkennen. In Jena angekommen,
setzte er sich eben zur Tafel, als ihm der Anmarsch Tauentziens
gemeldet ward. Kaum hatte er sich erhoben, um die Tapferen
C. von B.-K. Zur Psychologie des grofien Krieges II. 9
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von Schleiz zu begrüßen, als in den Straßen der Stadt sich
urplötzlich ein gewaltiger Tumult erhob; die Franzosen sollten
vor den Thoren angekommen sein, und so entsetzend wirkte
diese Nachricht auf die Truppen, dass sogleich die heilloseste
Unordnung entstand; alles floh; Geschütze wurden im Stiche
gelassen ; die Waffen warf man weg ; kurz es war eine Panik,
die in der ganzen Kriegsgeschichte kaum ihresgleichen hat.*)
Als die Ordnung nothdürftig wieder hergestellt war, war
an ein geordnetes Lagern nicht mehr zu denken und bunt biwakirte
alles dort durcheinander, wo es gerade stand; dazu hungerten
die Truppen in empfindlicher Weise.
Verschiedene Nachrichten hatte Hohenlohe erhalten, die auf
eine bereits begonnene, vielleicht sogar schon ausgeführte Um-
gehung gegen Naumburg wiesen ; jedoch nichts geschah, um
sich Klarheit hierüber zu verschaffen, und wahrscheinlich ist so-
gar, dass die vom König selbst auf Recognoscierung ausge-
sandten Officiere, in den Jenaer Allarm hineingerissen, auf ihre
Bestimmung völlig vergaßen.
Am Abend standen die Truppen etwa wie folgt : Hohenlohe
mit Tauentzien und den Sachsen um Jena, linkes Saaleufer, die
Übergänge zwischen Kahla-Dornburg werden besetzt; die Haupt-
armee steht bei Umpferstädt; Rüchel und Blücher vereinigt
östlich von Weimar; Winnig noch immer bei Vach; der
Herzog von Weimar, den man zuerst angewiesen hatte, sich
zur Hauptarmee zu ziehen und dann, er solle eine Demonstra-
tion in des Gegners linke Flanke thun, stand zersplittert zwischen
Vessra- Römhild-Hildburghausen.
Wieder fällt uns an diesem Tage, wenn wir den Blick zur
allgemeinen Lage erheben, die größere Versammlung
der deutschen Heerestheile auf. Allein nicht erhellt, wozu man
dieselbe zu benützen gedenkt; an einen Angriff denkt man nicht;
den Abzug will man nicht ohne entscheidenden Kampf beginnen;
mit ungläubigem Hochmuth und abweisend nimmt Hohenlohe
die Nachricht von einer feindlichen Umgehung hin. Ersichtlich
fühlt man, dass sich etwas vorbereitet; man ahnt, die Entschei-
dung stehe vor der Thür. Allein, nicht in der Lage, wie man
zu sein glaubt, zwecks einer energischen Offensive über die
•) V. Lettow-Vorbeck, I, 274.
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Saale, die man eben zwischen sich und den Gegner gebracht,
zu gehen, wartet man in fatalistischer Ruhe die Entwicklung der
Dinge ab. Man war, wie historisch erwiesen ist, an diesem
Tage bereits rathlos geworden und wusste nicht, was anzufangen
sei. Eine Passivität, der man sich willenlos überlässt, lässt
sicherlich nichts Gutes ahnen.
Mächtig hatte der Zersetzungsprocess, den die kriegerische
Friction in jedem Heereskörper erregt, an diesem Tage Fort-
schritte gemacht. Schwerer noch als die Ermüdung der Truppen,
als der Mangel und die Noth wog die Nervosität des Soldaten-
materials, die am Nachmittag in Jena so traurig zur Darlegung
gekommen war. Ohne mit der menschlichen UnvoUkommenheit
allzu hart in*s Gericht zu gehen, muss festgestellt werden, dass
Paniken dieser Art im Biwak oder Quartier fast unverzeihlich
sind, indem sie den gänzlichen Mangel an Einfluss beweisen,
den der Officier auf seine Leute, in so übersichtlichen und leichten
Verhältnissen schon, hat.
Napoleon sehen wir weiter auf der Suche nach dem Gegner,
Die Wissenschaft hat nicht gezögert, ihm daraus, dass er ihn
nicht dort fand, wo er ihn suchte, einen Vorwurf zu machen.
Den Schleier über eine solche Wissenschaft, die, von den Er-
folgen einer unerhörten kriegerischen Gestalt blind und verwirrt
gemacht, nicht weiß, wie mühevoll und ungewiss gar oft der
Weg sein kann, den der Meister zum Erfolge gieng. Wohl bleibt
die Thätigkeit der Cavallerie in diesem Kriege erheblich hinter
dem strategischen Aufklärungsphantom der Wissenschaft unserer
Tage zurück; Napoleon kann manches vorgeworfen werden;
warum hat er das strategische Reiterideal, das wir heute noch
lange nicht so erreicht haben, wie die Wissenschaft es wünscht,
nicht damals schon erreicht? Stets vergisst man bei solcher Kritik,
dass die Reiterei des ersten Kaiserreiches vor allem eine Schlachten-
waffe war, die für die Schlacht möglichst zu erhalten, dem Feld-
herm am Herzen lag und am Herzen liegen musste; mag sie
immerhin nicht genug gehört und gesehen, erspäht und er-
schnüffelt haben. Aber gibt es wohl einen imposanteren Beweis
von Napoleons Fähigkeit, die Wahrheit herauszuahnen, als die
Thatsache, wie er, in Gera angelangt, sofort den wahren Sach-
verhalt erräth? und von seinem zweckbewussten Können, indem
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er, die neue Lage blitzschnell erfassend, dieselbe durch eine rasche
Umgehung soweit als möglich auszubeuten sucht?
Der Geist des 11. October auf napoleonischer Seite ist: Hier
habe ich den Gegner nicht gefunden; dort wird er stehen; sofort
und auf den kürzesten Wegen an ihn; denn ich erinnere mich,
dass ich um jeden Preis eine Entscheidungsschlacht suche.
Nicht in den Truppensignaturen sieht man heute abermals
den Schatten, den das Kommende vorauswirft. Doch in dem
bereits mächtig hervortretenden Contrast der siegessicheren Offen-
sivtendenz mit der rath- und thatlosen matten Defensive vermag
ein nüchterner Geist auch bereits die Conturen des Ausganges
zu sehen ; nicht wir allein thun dies und jetzt : wir haben gesehen,
wie auf Seite der Preußen der Glaube an den Misserfolg be-
reits allgemein zu werden begann.
Der 12. October.
Es vollzieht sich im Laufe des Tages die durch die Befehle
der Nacht angeordnete Linksschwenkung der französischen Armee,
die, trotzdem Corps der Mitte nunmehr auf den rechten Flügel
und die des frühern rechten Flügels in die Mitte gelangen, ohne
erhebliche Friction geschieht. Trotzdem der Kaiser überzeugt ist,
die Preußen links der Saale zu finden, ordnet er eine weitrei-
chende Aufklärung der Cavallerie auf Leipzig an, um ganz
sicher zu gehen. Ebenso will er durch die Meldungen der Rei-
terei einen von ihm gefürchteten etwaigen Abzug des Gegners
nach Norden baldigst festgestellt haben.
Die leichten Reiter Davouts, die ihrem Corps weit voraus-
geeilt, Naumburg bereits in der dritten Nachmittagsstunde erreichten,
nehmen 24 Stück Pontons vom Armeetrain Hohenlohes, während
den übrigen nach Freiburg zu entfliehen gelingt ; Lannes auf
jdem linken Flügel geht bei Kahla an's linke Saaleufer, von Au-
gereau gefolgt und vertreibt in einem geringfügigen Gefecht bei
Winzerle Vortruppen des Fürsten Hohenlohe.
Am Abend haben die Truppen folgende Stellungen erreicht:
Murat steht mit seinen Reitern im Räume Pegau-Naumburg-Weißen-
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fels; Bernadotte bei Meinweh, Davout mit einer Division bei
Naumburg, während die beiden anderen südlich zurückgeblieben
sind; Soult und die Garde stehen in Gera, wo sich das Haupt-
quartier befindet; Ney vorwärts Auma, Lannes südlich Lobeda,
Augereau bei Kahla am linken Ufer der Saale.
Der Kaiser genießt an diesem Tage einer relativen Ruhe
und correspondiert dementsprechend viel ; das 2. Bulletin der
großen Armee, übrigens sehr würdig gehalten, besonders was
das tragische Ende des Prinzen Louis betrifft, athmet volle Sieges-
zuversicht An Talleyrand schreibt Napoleon in der bekannten, für
die Pariser berechneten Manier, fugt jedoch die Mahnung hinzu,
die Bulletins seien nicht sogleich zu drucken, aus militärpolitischen
Rücksichten ; im Auslande könnte man sonst zu rasch von seinen
Maßregeln Wind bekommen. Wegwerfend spricht er von der
preußischen Armee und ist des Sieges völlig sicher. Höhnend
wirft ihm der Kriegshistoriker vor, er lüge und übertreibe nach
gewohnter Art, wenn er sage: . , , les affaires vont ici tont ä
fait cofnme je les avais calculees, il y a deux mois, ä Paris,
mar che par mar che, presque evenement par evenement; je ne
me suis trompe en rien . . ; soeben habe er ja bei Gera einen
Luftstoß gemacht Wir werden diesen Hohn und die Basis, auf
welcher er ruht, später erwägen.
An den König von Preußen richtet Napoleon gleichfalls einen
Brief, als Antwort auf Friedrich Wilhems III. lange Vorwurfs-
Epistel. Dieser Brief ist, wie es scheint, oft missverstanden worden.
Indess, da der König denselben weder an diesem, noch am fol-
genden Tage, sondern erst unter dem Kanonendonner von Auer-
städt erhielt, so soll er erst später mitgetheilt sein.
Die preußisch-sächsische Armee war, wie wir wissen, end-
lich am linken Saaleufer concentriert; zur Schlacht, die bald er-
wartet ward, gedachte man sich an diesem Tage vorzubereiten,
allein die Vorbereitung des Soldatenmateriales ließ sehr zu wünschen
übrig; methodisch und langsam wurden Lager für die Truppen
abgesteckt, die man zur Beziehung derselben zu beordern mehrfach
vergaß; die Verpflegung blieb an vielen Stellen gänzlich aus und
so wuchs der Kleinmuth und die Verzagtheit unter den Soldaten
immer mehr; dazu waren die taktischen Verbände bereits erheb-
lich gelockert.
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Der Vormarsch von Lannes am linken Saaleufer, der zum Ge-
fecht vonWinzerle — auf preußischer Seite unglaublicher taktischer
Fehler voll — führte, brachte die Ansicht, die man im deutschen
Hauptquartier vorgefasst und in der man sich gefiel: Napoleon
werde über die Saale gehen und dann angreifen, völlig zur Reife.
Man nahm an, er werde von Süden, aus der Gegend von Saal-
feld kommen, und bezog somit eine Front, die, so ziemlich nach
Süden gerichtet von Weimar bis Jena stand. Der König, trotzdem
er vom Kriege nichts zu verstehen selbst überzeugt war, nahm
nun, nach Unterredungen mit Braunschweig und Hohenlohe, von
deren Inhalt der Generalstabschef des ersteren diesmal nichts er-
fuhr, die Initiative, um festzustellen, ob es dem Gegner denn
nicht doch eingefallen sei, rechts der Saale und nordwärts zur
Umgehung vorzugehen und befahl Erkundungsritte. Es hatten
mittlerweile — am Nachmittag — die zur Deckung der Saale-
übergänge nördlich Jena aufgestellten Truppen bereits den Marsch
Davouts nach Norden entdeckt, doch waren die Meldungen
hievon nicht zeitgerecht an Hohenlohe weitergegeben worden.
Als sich der Fürst in Jena zur Tafel setzen wollte, veranlasste
das Erscheinen einzelner französischer Reiter am rechten Saale-
ufer einen neuerlichen Allarm in der Stadt, der jedoch, wenn-
gleich nicht ohne persönliches Eingreifen des Fürsten, ungleich
rascher als der vom Vortage beschwichtigt ward. Als Hohenlohe
um 8 Uhr abends in seinem neuen Hauptquartier Capellendort
eingetroffen war, wusste er noch nicht die Resultate von den
befohlenen Erkundungsritten. Am Nachmittage schon waren bei
der Hauptarmee dunkle Gerüchte im Umlauf gewesen, die Franzosen
seien in Naumburg eingerückt; jetzt brachte ein Trainofficier, der
aus diesem Orte kam, sichere Kunde, dem sei so, und sogleich
befahl der König ein Detachement zur Aufklärung des Sachver-
haltes dahin abzusenden. Als nun ein von Naumburg kommender
Kaufmann die Meldung des Officiers dementierte, unterblieb die
eben befohlene Recognoscierung. Um 1 1 Uhr abends jedoch lief
im Hauptquartier endlich die positive Nachricht von der Besetzung
Naumburgs durch den Gegner ein.
Wie ein Donnerschlag wirkte die Nachricht, dass man um-
gangen sei. Allein das schnelle Handeln, das nun am Platze war,
erfolgte keineswegs; es ergingen vielmehr Einladungen zu einer
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Conferenz für den nächsten Morgen an die uns zum Theile be-
kannten Personen, auch Rüchel wird herangerufen und Hohen-
lohe soll „den Obersten von Massenbach fördersamst anhersenden,
um das nöthige mit ihm communicieren zu können."
Am Abend des 12. October hatten die Truppen folgende
Stellungen inne : Hohenlohe bei Capellendorf, Vortruppen an den
Saaleübergängen von Domburg bis Jena; Hauptarmee bei Umpfer-
städt; Rüchel halbwegs Erfurt -Weimar; Winnig nördlich Vach;
der Herzog von Weimar, der die Operationen in die Flanke des
Gegners auf falsche Nachrichten hin aufgegeben und sich nun
an die Armee heranzog, bei Frauenwald.
Hohenlohe hatte am späten Abend nach Eingang der Mel-
dung über die AflFaire von Winzerle, ganz unter dem Bann der
Idee, der Gegner komme von Süden, Tauentzien, der die bei
Jena an der Saale stehenden Truppen commandierte, dahin in-
struiert, er habe in dem Falle, als Jena aufgegeben werden müsse,
bei Lützeroda - Cioswitz eine Stellung zu nehmen, um Angriffe
von Dornburg auf des Fürsten linke Flanke abzuwehren. Während
nun im Hauptquartier über die zu fassenden Entschlüsse be-
rathen wurde — also in der Nacht — vollzogen sich auf dem
äußersten, an der Saale stehenden Flügel der Armee — also den
Vorposten — Dinge, deren Einzelheiten sowohl als Motive nicht
völlig klargestellt sind. Genug, auf Meldungen des Majors v. Kolin,
der bei Dornburg den Übergang besetzt hielt, er werde sich da-
selbst nicht halten können, gab Tauentzien in den ersten Morgen-
stunden des 13. October das Saalethal auf und zog sich und die
Truppen, die geringen Kräfte überdies zersplitternd, von Dornburg
in die ihm angewiesene Stellung nordwestlich Jena zurück. Doch
von alledem konnte man in den entscheidenden Conferenzen
nichts wissen. Es ist nun sehr richtig, wenn die Kritik sagt,
dieses Aufgeben des Saalethaies, von dem allein man den An-
marsch des Gegners beobachten und eventuell auch hindern
konnte, sei ein schwerer militärischer Fehler gewesen. Indessen
erhellt aus den Quellen, dass Tauentzien die Saale aufgab, weil er
starke feindliche Kräfte anrücken sah, oder zu sehen glaubte;
sich gegen dieselben zu halten zu schwach glaubte ;
im Sinne seiner Instruction verfuhr, wenn er sich an Hohen-
lohe heranzog. Also nicht er, sondern der Fürst hat den Fehler
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begangen ; aber der Fürst selbst empfing, wie wir wissen, von
der Heeresleitung die strategische Idee
der Gegner komme von Süden ;
und die Absicht,
ihm die Schlacht, falls er angriffe, anzubieten. Somit ver-
fuhr auch er im Sinne des allgemeinen Plans, wenn er beschloss,
seine Vortruppen vor dem Gegner langsam zurückzuziehen, um
sie zur Schlacht, die erwartet wurde, bei der Hand zu haben.
Erinnern wir uns: nicht das Verwehren des Saaleüber-
ganges plante man im Hauptquartier; nichts we-
niger als das; man wollte schließlich doch eine Schlacht und.
um die zu schlagen, musste die preußische Taktik eine offene Ge-
gend suchen ; an den Brückendefileen der Saale hätte die preußische
Armee eine regelrechte Schlacht gar nicht zu schlagen vermocht ; sie
dachte gar nicht daran, es zu versuchen, sondern wählte seitab des
Flusses ein anderes geeignetes Terrain, wie es ein Heer des XVIII.
Jahrhunderts zur „Bataille" gebrauchte. Vom Standpunkte der
preußischen Heeresleitung vor dem 13. October war ein Halten der
Saaledefileen um jeden Preis keineswegs geplant; um den Gegner
zu schlagen, musste man ihm erlauben, an's
eigene Ufer herüberzugehen, da man auf das an-
dere zu gehen sich nicht entschließen konnte. Im
Sinne der obersten Heeresleitung handelte Tauentzien, disponierte
Hohenlohe, als sie die Vortruppen vor der Übermacht des Gegners
langsam zurückzogen ; denn ihren Zweck des Sehens und Mel-
dens hatten sie erfüllt. Zum Schlagen an den Deflieen waren sie
keineswegs bestimmt, und auch ihre Zahlenstärken befähigten
sie nicht dazu.
Bis zum 12. October abends, beziehungsweise in der Nacht
des 12./13, wollte man dem Gegner die Saaleübergänge nicht
streitig machen, da man ihn zur Schlacht erwartete ; dieser Ge-
danke war entsprechend der inneren Beschaffenheit der Kriegs-
mittel, über die man gebot, und leuchtet auch uns vollinhaltlich
ein. Am 13. jedoch werden wir sehen, ist dem allem nicht
mehr so.
Wieder zeigt uns an diesem Tage das mechanische Bild
der Kräftevertheilung den Vortheil scheinbar auf Seite der mas-
sierten Deutschen, den augenfälligen Nachtheil der weit zerstreuten
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Franzosen. Eine mühsam nur unterdrückte Lust, mit den preußi-
schen Truppen zu schlagen, erfasst den Beschauer, wenn er die
z^vei Corps der linken französischen Colonne, weit von jeder
Unterstützung getrennt, auf die versammelten eigenen Kräfte los-
marschieren sieht. Allein man nahm, wie wir wissen, auf preußi-
scher Seite an, die Hauptkraft komme von Süden, und rüstete sich
demgemäß gläubig zur Abwehr. Ist dieser Glaube ein Verschulden ?
Soeben hat sich, wie wir sehen, Napoleon selbst gröblich ge-
täuscht; die Kriegsgeschichte, ihres richtenden Amtes bewusst,
Avirft dem Kaiser der Franzosen sowohl als Hohenlohe und
Braunschweig, dass sie sich täuschen ließen, vor.
Was ist Täuschung und von wo kommt dieselbe her? Sie
kann entstehen durch die Unvollkommenheit der den Eindruck
der Dinge empfangenden Mittel und die ungenügende Art, wie
man solche gebraucht. Sie kann entstehen aus dem Unvermögen,
aus den richtigen Meldungen der den Eindruck der Dinge gebenden
Mittel das Bild der Dinge zu ziehen. Oder aus beiden zugleich.
Was die den Eindruck der Dinge gebenden Mittel betrifft
— in einem Kriegsheer der gesammte Aufklärungs- und Nach-
richtenapparat — so kann der Feldherr für desselben Functionie-
rung nicht stets und voll verantwortlich gemacht werden. Dass
die preußische Reiterei den strategischen Aufklärungsdienst nicht
verstand, daran tragen Hohenlohe und Braunschweig wohl sicher
nicht die Schuld; ebensowenig wie ruhiges Nachdenken Napoleon
daraus einen Vorwurf machen wird, dass seine Reiterdivisionen
in diesem Stücke nicht so ausgebildet waren, wie es die gegen-
wärtige Wissenschaft verlangt. Die preußischen Führer em-
pfingen das Instrument zur strategischen Erkundung erst im Be-
ginne des Kampfes; hat sie dasselbe ungenügend bedient, so
wissen wir, woher das kam ; es hatte sie niemand die von Napoleon
eben erst entdeckte neue Verwendung desselben vorweg gelehrt. Der
Kaiser hatte das Instrument sich selbst herangebildet ; schon früher
wiesen wir darauf, wie es, den neuen strategischen Dienst erst
beginnend, nicht auf der Höhe des Ideals stehen gekonnt. Es em-
pfingen somit die preußischen Führer infolge der von ihnen keines-
wegs verschuldeten Inferiorität des Aufklärungsapparates weniger
und weniger richtige Vorstellungen über den Gegner, als Napoleon
durch seinen Aufklärungsapparat empfing. Wenn sich die Kriegs-
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geschichte auf das Amt des Richters verlegt: kann sie hier wohl
schuldig sprechen?
Und nun die Unfähigkeit, aus richtigen Nachrichten die
Wahrheit herauszufühlen, mehr als das, mit Sicherheit hervor-
zuziehen ! Was ist das, was man Unfähigkeit eines besiegten
Feldherrn im nachhinein zu nennen pflegt? Mangel an Erkenntnis;
Mangel an Willen trotz der Erkenntnis. Der erstere bildet einen
Entschuldigungsgrund für viele Fehler in Dingen des socialen
Verkehrs; denn über seine Gaben kann das Individuum niemals
hinaus. Wenn beispielsweise Hohenlohe aus den allerrichtigsten
Meldungen seiner Aufklärungstruppen die Züge des strategischen
Bildes nicht erfasst haben würde, so lagen die Gründe hieven
in den Grenzen seiner militärischen Fähigkeit und nicht in seinem
üblen Willen ; zudem wissen wir, dass er nur unzulängliche und
theilweise falsche Nachrichten erhielt Können — wir fragen es
nochmals — Mängel des Intellects dem Träger dieses Intellects
als Verschulden angerechnet werden ? Führt der eiserne
Wille, man wolle erkennen, dann, wenn die Fähig-
keit versagt, auch nur um eine Linie an die Er-
kenntnis heran? Mancher besiegte Feldherr hat
vor der Entscheidung über die Lage sicherlich
eifriger, verzweiflungs voller, angestrengter nach-
gedacht, als sein glücklicher Gegner, der, die Wege
die zum Erfolge fähren spielend und ohne Selbstzwang erkennend,
jenen, als ob sich das von selbst verstünde, schlägt. Über eine
gewisse Grenze des Erkennens vermag der gute Wille nicht viel ;
und wenn der Nachgeborene dem besiegten Feldherrn Mängel
des Intellects vorwirft, so zeigt er nur damit, dass er nicht die
leiseste Ahnung hat von dem, was man billigerweise und mit
Aussicht auf Erreichung von Menschen fordern kann.
Wir wollen diese Erwägung nicht weiter ausspinnen und
uns nicht erinnern, dass das Bemühen, zu erkennen, mit einem
Worte Denkfleiß oft weiter führt, als es gemeiniglich erwartet
wird; denn anzunehmen ist, dass in 99 Fällen von 100 der vor
dem Feinde stehende Feldherr von selbst das Menschenmögliche
thut , um auf Grund des Datenmaterials zu erkennen ; dass
geistige Indolenz eines Armeecommandanten eine äußerst seltene
Sache ist, obwohl die Geschichte auch hievon Beispiele kennt.
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Unmerklich fuhrt uns dies auf die zweite und wichtigere
Sache: Mangel an Willen trotz der Erkenntnis es müsse dies
und das geschehen. Mangel an Willen, den kann die Geschichte,
falls er zweifellos nachgewiesen ist, einem Feldherrn gewisser-
maßen zum Vorwurf machen ; gewissermaßen, sagen wir, nicht
stets und immer. Wie steht es nun damit in unserem Fall ? Wir
sahen den Kaiser der Franzosen, als er von seiner Reiterei nicht
genügend aufgeklärt wird, am Morgen des 11. October unbe-
kümmert vorwärts eilen, um selbst an Ort und Stelle zu sehen.
Die höchste Thätigkeit entwickelt er, um neue Anhaltspunkte zu
gewinnen, da ihm die alten nicht genügend sind. Er ist bereit,
ganz unerwartete Dinge zu hören , unangenehme Dinge ; die
widrigen Nachrichten sucht er geradezu auf. Diese Bereit-
willigkeit, denEreignissen entgegen zukommen;
dieser feste Entschluss, sich der Thatsache füg-
sam anzuschmiegen, um sie im nächsten Augen-
blick kraftvoll zu beherrschen; dieses unaus-
gesetzte Streben, den Abwandlungen der That-
sachengeschicktzu folgen, um dieselben alsbald
in die Hand zu bekommen: zeichnen sämmtlich
den seinesZweckesbewusstenMann des mensch-
lichen Verkehrs, insonderheit den Feldherrn aus,
der, wissend, alles Thun sei lediglich ein Compromiss, ein solches
vorurtheilslos und vorübergehend schließt, um sich zur Höhe des
Führens und Bestimmens dadurch zu erheben.
Obgleich nicht unbedingt, so doch schwer genug lastet der
Beweis, dass sie dies nicht verstanden, auf den Führern des
preußischen Heeres. Dies mag ihnen als Schuld angerechnet
werden: denn es ist noch mehr ein Fehler des menschlichen
Charakters, denn ein specifisch militärischer Mangel; obgleich
zugegeben werden muss, dass er durch das ganze Wesen der
preußischen Heereseinrichtungen und besonders durch die Tra-
dition sehr erklärlich ist ; man war sozusagen intransigeant
mit dem Gegner und wich seiner Berührung — solange er sich
nicht zur rangierten Schlacht gestellt — oder doch den Nach-
richten von ihm, geflissentlich aus. Man wollte sich von ihm
das Gesetz nicht geben lassen! Man nahm an, Napoleon
werde von Süden kommen und wollte nicht, als man vom
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Gegentheil vernahm, und wieder nicht dran glauben.
Das Streben, sich der Nachricht des Unangenehmen, der Kunde
von der Widerwärtigkeit, dem Eindrucke der Gefahr zu ver-
schließen, ist eine Eigenschaft, die stets auf Schwäche des Cha-
rakters weist. In den Nachmittagsstunden des 12. October wies
man im deutschen Hauptquartier die unbequeme Nachricht von
der Besetzung Naumburgs wieder und wieder von sich. Wohl
muss man wieder billig sein und glauben, es sei den leitenden
Männern die gemeldete Thatsache höchst unwahrschein-
lich erschienen und sie hätten, des Principes eingedenk, nicht
jede Nachricht im Kriege dürfe sofort in die Beine der Soldaten
fahren, dieselbe im guten Glauben an ihre Fälschlichkeit bei Seite
gelegt. Allein sie thaten, wie wir sahen, nichts, um der Wider-
wärtigkeit entgegenzukommen ; wichen derselben aus ; zogen sich
vor ihr auf die zu Recht bestehende genehmere Meinung zurück.
Indessen wieder, jeder Charakter darf nur mit den Maßen seiner
Zeit und seiner Umgebung gemessen werden, soll das Urtheil,
so man über ihn fällt, nicht unbillig sein ; wer weiß, wie
viel höfische Rücksichten, wie viel Scheu vor der Rolle des
Trägers einer Hiobspost, Braunschweig sowohl als Hohenlohe
davon abgehalten haben, ernstlich Beweise des Unheils von
Naumburg zu suchen und damit als unbequemer Gast im Haupt-
quartier zu erscheinen.
Man versetze sich in jene Zeit ! Man lebe das Leben dieses
Hauptquartiers; man fühle mit einem hochgebornen Herrn, wie
Braunschweig oder Hohenlohe war; die Rücksichtnahme des
einen auf den andern — äußerlich wenigstens — war ja in dieser
iflustren Gesellschaft oberstes Gesetz, das das Thun jedes ein-
zelnen der Glieder so lange völlig beherrschte. Es war nicht Mangel
an absoluter Energie, weshalb die Erkundung unterblieb; nicht
sträfliche, weil ungewöhnliche Unterlassung. Sie war von nieman-
dem kategorisch anbefohlen ; niemand wünschte sie und mit ihr
das Gespenst der Verantwortung, das hinter ihr drohend erschien ;
nichts ist natürlicher, als dass sie unterblieb ; und ist diese Un-
terlassungssünde auch rein militärisch zu verdammen, so
ist sie kriegshistorisch mehr als genügend erklärt.
Denn nicht damit, dass die Kriegshistorie sagt: Dies und
das geschah, dieses und jenes wurde unterlassen ; der Misserfolg
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war da ; und somit ist es schlecht gewesen — hat sie genug ge-
than. Damit schaßt sie nichts, als eine Reihe dürrer, schemati-
scher, farbenleerer Warnungstafeln, die, aus ihrer Umgebung ge-
rissen und auf den Boden seither veränderter Anschauung
vom Kriege gestellt, unverstanden bleiben müssen und, was wohl
mehr nebensächlich ist, doch immerhin bedenklich bleibt, historisch
ungerecht erscheinen.
Berufen kann der sein, der Kriegsgeschichte liest, einstmals
ein Heer oder doch Heerestheile zu führen. Man macht ihm durch
unerbittliche, rein militärische Kritik von vornherein die Sache
schwer. Stets muss die Kritik historisch bleiben und ihre Local- und
Zeitfarbe behalte sie bei. So wird der Nachgeborene erkennen, dass
jede Zeit besondere und neue Kriegsgesetze, veränderte Postulate
hat, wenn auch alle Zeiten gewisse Züge gemeinsam tragen. Und
die heilige Scheu vor dem, was die Zunft „ewige, unveränder-
liche* Grundgesetze der Feldherrnkunst nennt, oft in Wahrheit
nichts als die Nutzanwendung der letzten Kriegsepoche oder gar
nur des letzten Krieges, wird freierer, umfassenderer, natürlicherer
Auffassung auch des zeitgenössischen Krieges weichen.
Leise beginnt uns nun nach und nach klar zu werden,
wie die preußischen Feldherren mit der thatsächlich vorhandenen
Vereinigung der Kraft den getrennten Heersäulen Napoleons ge-
genüber voraussichtlich nichts erreichen werden. Es fehlt ihnen
eben die Erkenntnis der Lage, und begreiflich ist, dass ihnen die-
selbe gefehlt : sie wissen ja von des Gegners Stellungen und Be-
wegungen nichts. Die Idee allein, ihn getrennt und einzeln
zu schlagen, bestand in den leitenden Köpfen nicht; dieselbe
gehörte nicht zur Geistesrichtung der Zeit. Und hätte sie akade-
misch bestanden , die Kühnheit, derselben Ausdruck zu geben,
lebte in keinem der Höflinge, die unter den prüfenden Augen
des Königs das Heer zu führen bestimmt waren.
. . . touies les teures inierceptees disettt que la consternation
est ä Erfurt, ou se irouvent encore le Rot, la Reine, le duc de
Brunswick, et qu*on discute sur le parti ä prendre sans pouvoir
s'accorder . . . verkündet in seinem 3. Bulletin Napoleon an
diesem Tage der großen Armee. Er weiß : wohl haben Eugen
und Marlborough vor ihren größten Siegen Kriegsrath abgehalten ;
erinnert sich, dass er selbst ehedem zu solchen seine Zuflucht
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nehmen musste, um wenige Stunden darauf von Erfolg zu Erfolg
zu eilen. Warum erblickt er nun in seines Gegners Conferen-
zen die Bahn, die zum Verderben führen muss?*)
Es ist dies ein der eigenthümlichsten Probleme der Kriegs-
psychologie. Er weiß eben, dass seine Gegner Kriegs-
rath halten, erkennt ode r weni gsten s ahnt, was
ihre Beschlüsse sind; nach diesen kann er seine Ent-
schließungen thun. Das bloße Bewusstsein, dem Gegner in
die Karten zu sehen, die Kunde allein, er schwanke und be-
stimme seine Entschlüsse auf jenem Wege der Mehrheit, von dem
man sagt, dass er zum Unsinn führt, verzehnfacht die Stärke
dessen, der sich als Stärkerer fühlt.
Indessen ist diese Potenz auf den Kriegsplänen bildlich dar-
zustellen nicht wohl möglich.
Der 13. October.
Wir haben das deutsche Hauptquartier verlassen^ als es,
die niederschlagende Kunde von der Umgehung vernehmend,
sich zu Conferenzen rüstete. Die Mitglieder dieser Conferenz
traten nun mit scharf einander entgegenstehenden Meinungen
hervor. Besonders Scharnhorst vertrat heftig seine Meinung, die
dahin ging , man solle nur ruhig links der Saale bleiben, um
Napoleons AngrifiF auf sich zu ziehen und sollte er diesen nicht
thun, ihm in die Flanke fallen. Indessen überwog die Meinung
des Herzogs diesesmal, und es kam, allerdings nach langen Pour-
parlers, um 10 Uhr morgens des 13. October zu folgenden Ent-
schließungen:
Man wolle sich an die Elbe ziehen und nach Vereinigung
mit dem Reservecorps des Herzog Eugen von Württemberg in
einer Stellung mit senkrechter Rückzugslinie die Entscheidungs-
schlacht erwarten. Daher marschiert die Hauptarmee am 13. links
ab nach Auerstädt; am 14., nachdem der Pass von Kosen ge-
sichert wurde, marschiert sie weiter nach Freiburg ab, passiert
hier die Unstrut und bezieht auf den Höhen des nördlichen
*) Wir wissen sehr wohl, dass viele Stellen in Napoleons Bulletins nicht ernst ge-
nommen werden dürfen; hier jedoch lassen die Quellen erkennen, dass der Kaiser thatsfich-
lich solche Nachrichten empfangen hat.
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Ufers eine Stellung, Front nach Süden; Graf Kaikreuth mit den
Reservedivisionen passiert die Unstrut bei Laucha, worauf er
gleichfalls Stellung nimmt; Rüchel rückt in die von der Haupt-
armee verlassene Position ostwärts Weimar; der Herzog von
Weimar wird Stellung nehmen und Verbindung herstellen zwischen
Rüchel und Hohenlohe, welch letzterer bis auf weiteres bei Jena
bleibt und die Saaleübergänge bis Naumburg abwärts deckt;
sobald Hohenlohe und Weimar vereinigt sind, zieht sich dieser
Heerestheil — vorausgesetzt, dass die Hauptarmee bereits ge-
sichert vor einem Anfall während des Marsches ist — ihr nach
und nördlich ab.
Wir sehen somit: Die Deutschen glauben einen parallelen
Rückzug anzutreten, und in Wahrheit begannen sie einen Flanken-
marsch. Urplötzlich war die oberste Heeresleitung von der An-
schauung durchdrungen, die Saale, die man selbst zu über-
schreiten sich vorher die Fähigkeit nicht zuerkannt, von
der man bis nunzu erwartete, Napoleon werde über dieselbe gehen
oder habe dies bereits zum Theile schon gethan, werde infolge
der örtlichen Schwierigkeiten, die jeder ihrer Übergänge bot, mit
geringer Truppenkraft und lediglich defensiv verfahrend, leicht
zu vertheidigen sein.
Infolge der Schwerfälligkeit des deutschen Befehlsmechanismus
begann der Abmarsch erst kurz vor der Mittagsstunde.
Dem Fürsten zu Hohenlohe ward am Morgen dieses Tages,
als er noch im Bette lag, eine ganz eigene Überraschung zu-
theil; General von Zetzschwitz, Commandant der Sachsen, ließ,
erbost über die Zurücksetzung der kurfürstlichen Truppen in
Dingen der Verpflegung, seinen Entschluss erklären, falls seine
Truppen nicht noch an diesem Tage Brot erhielten, auf Dresden
zurückgehen , mithin sich von den bisherigen Alliierten trennen
zu wollen. Mit Mühe nur beschwor Hohenlohe diesen Schritt,
der von unberechenbaren Folgen, wie er sich eingestand, sein
hätte können.
Wir erinnern uns, dass Tauentzien die Saaleübergänge auf-
gegeben und sich in eine Stellung nördlich und westlich Jena zurück-
gezogen hatte ; ein Bataillon von ihm stand auf dem Landgrafen-
berg. Vortruppen von Lannes, welche inzwischen Jena passiert
und deren Führer sogleich die Nothwendigkeit erkannt hatte, die
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jenseitigen Höhen zu gewinnen, griffen Tauentzien auf diesem
Berge an. Wenngleich dies mit geringen Kräften und lau geschah,
sah sich der General doch veranlasst, Hohenlohe um Unter-
stützung zu bitten; und solche gewährte der Fürst Mit zum Theil
sich freiwillig meldenden Leuten kam er heran und rüstete sich
eben zum Angriff auf die schwache französische Macht, als sein
Generalstabschef, der, wie wir wissen, in's Hauptquartier beschieden
worden war, mit den Conferenzbeschlüssen zurückerschien.
Sogleich nahm der Oberst v. Massenbach Hohenlohe bei Seite,
sprach eindringlich mit ihm und die Folge hievon war, dass die
eben in's Auge gefasste Offensive unterblieb. Aus der Summe
alles dessen, was über die Instructionen, deren Träger Massen-
bach gewesen, behauptet und gestritten worden ist, geht als
Thatsache hervor: Braunschweig weist den Fürsten an, die Saale-
übergänge nördlich Jena um jeden Preis zu halten, doch solle er
sich, so wird ihm eingeschärft, in keinen ernsten Kampf ver-
wickeln lassen. Anzunehmen ist, dass der Fürst durch Massen-
bach genau von der eingebildeten strategischen Lage und der
Tendenz des Hauptquartiers unterrichtet worden ist, deren große
Züge in dem obigen Befehl erkennbar sind. Es lag dem Fürsten
ob, den Abmarsch der Hauptarmee zu decken, ohne ein erheb-
liches Gefecht zu engagieren. Überraschend wirkt es, nach der
vor wenig Tagen noch bethätigten Selbstthätigkeitsmanie des
Fürsten, dass er jetzt auf einmal dem Buchstaben des Befehles
kritiklos folgt; um ein ernsthaftes Gefecht zu vermeiden, zieht er
seine Truppen vom Landgrafenberge zurück, und begibt sich
somit völlig der Aussicht in*s Thal und der Controle, was in dem-
selben geschieht. Dagegen, seiner Mission, den Abzug der Haupt-
armee zu decken, sich entsinnend, marschiert er jetzt mit einem
verhältnismäßig schwachen Detachement nach Dornburg zur
Sicherung der Übergänge; es hieß 12.000 Mann Franzosen hätten
für diesen Tag dortselbst Essen besteilt, mithin stand zu erwarten,
sie würden kommen, dasselbe zu verzehren. Nachdem nun der
Fürst bei Dornburg und Umgebung nichts vom Feinde gefunden,
zieht er die Truppen des Detachements zum größten Theile
wieder vom Flusse zurück und versplittert sie in 12 verschiedene
Cantonnements, trotz der Bedenken des Führers, Generals von
Holzendorff; Hohenlohe hatte die Überzeugung gewonnen, das
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Detachement stehe in den Cantonnements, die er ihm aus Rück-
sichten der Bequemlichkeit gewährte, vollkommen sicher.*) Die
näheren Details der Dislocation sind nicht bekannt; auch über
die Instructionen des Detachementsführers liegt nichts eigentlich
Positives vor. Indessen steht fest, dass die Franzosen am nächsten
Tage die Saaleübergänge thatsächlich unbesetzt gefunden haben,
worüber sie selbst sehr erstaunt gewesen zu sein später be-
kannten. Es scheint somit außer allem Zweifel zu sein, dass der
Fürst zu Hohenlohe diesmal einen gemessenen Befehl der Heeres-
leitung, dessen Tragweite er vollkommen erkennen musste, nicht
befolgt hat. Indessen, es steht fest, dass er an Ort und Stelle die
Anschauung gewann, das Detachement werde, wenn auch zum
größten Theile abseits des Flusses stehend, nichts zu befürchten
haben; er glaubte annehmen zu können, die Anschauung, welche
die Heeresleitung aus der Entfernung gewonnen, die Franzosen
marschierten über Dornburg vor, sei falsch; und gewährte so
— es werden auch noch andere, nicht überlieferte Gründe mit-
gesprochen haben — eine Bequemlichkeit, deren Unschädlichkeit
*ür den Zweck der Detachements ihm erwiesen schien. Sodann
begab sich der Fürst in's Hauptquartier Capellendorf. Dort fertigte
er einen französischen Kammerherrn ab, der mit dem bereits er-
wähnten Briefe Napoleons auf der Suche nach dem König war.
Rüchel meldet das Eintreffen seiner Truppen im Lager ostwärts
Weimar; am Abend läuft ein Brief von Braunschweig beim
Fürsten ein, in welchem erneuert auf die ungemeine Wichtigkeit
der Übergänge zwischen Jena-Naumburg hingewiesen und die
Vermuthung ausgesprochen wird, der Fürst könne nur ein Corps,
das Augereaus sich gegenüber haben; indessen wusste Hohen-
lohe schon seit nachmittag, dass Lannes und Augereau ihm
gegenüber standen.
Die Hauptarmee brach gegen Mittag auf, um nach Auerstädt
zu gehen ; die Division des Generallieutenants Graf Schmettau
bildete die Tete und sollte dieselbe, der Armee voraufgehend,
das Brückendefile von Kosen an diesem Tage noch besetzen,
hinter welchem dann am nächsten Morgen weiter nach Norden
abmarschiert werden sollte. In unzweckmäßiger Weise wurden
die Divisionen der Hauptarmee auf einer Straße in Marsch gesetzt,
•) Reinländer, 96.
C. von B.-K. Zur Psychologie des großen Krieges II.
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- 146 —
was zu vielen Reibungen Anlass gegeben hat. In der Nähe von
Apolda erfuhr Schmettau, französische Truppen — vom Corps
Davouts — hätten den Pass von Kosen bereits besetzt; und
meldet dies dem Herzog. Derselbe sah nun ein Zusammentreffen
mit dem Gegner am nächsten Tage voraus und die Königin,
welche die Mühsalen der Campagne bisher mit ihrem erlauchten
Gemahl getheilt, wurde schleunigst nach Weimar zurückgesandt,
um von da auf Umwegen nach Berlin zu gehen. Unterdessen
wurde weitermarschiert; als Schmettau über Auerstädt glücklich
hinausgekommen war, dachte er nicht mehr, auf Kosen vorzu-
gehen, wie ihm dies doch stricte befohlen worden war, sondern
lagerte nördlich der Stadt mit Vorposten bei Gernstädt.
Die Stimmung der Armee war an diesem Tage im großen
Ganzen gut. Als aber wiederum die Verpflegung auf sich warten
ließ, geschahen abends im Hauptquartier des Königs, in Auerstädt,
und unter dessen Augen gröbliche Excesse.
Die Stellung der Truppen war wie folgt: Die Masse der
Hauptarmee stand südlich Auerstädt, die Division Schmettau nörd-
lich der Stadt ; Hohenlohe steht nördlich der Straße Jena- Weimar
von Jena (Landgrafenberg) bis Capellendorf vertheilt ; das Detache-
ment Holtzendorf westlich Camburg-Dornburg mit schwachen Ca-
valleriepikets an den Übergängen. Rüchel hat die frühere Stellung
der Hauptarmee Weimar - Umpferstädt inne und ist bereit, sich
Hohenlohe anzuschließen ; General von Winning stand vorwärts
Eisenach, der Herzog von Weimar ist an diesem Tage, trotz der
Befehle , die ihn zur Eile mahnten , erst bis Ilmenau ge-
kommen.
Wir kennen die Tendenz der obersten Heeresleitung; sie
stand darauf, sich der drohenden Umgehung durch den Abmarsch
nach Norden zu entziehen. Wie weit die Umgehung und mit
welcher Macht dieselbe vorgeschritten sei, wusste man nicht an-
nähernd genau; allein es ergibt sich als gewiss, dass man die
größte Furcht vor einem Durchbrechen Napoleons bei Camburg-
Dornburg hegte, während man bei Kosen sowohl als Jena nur
secundäre Kräfte des Gegners annahm.
Wenden wir uns nun zu Napoleon, um zu sehen, inwie-
weit die Auffassung der deutschen Heeresleitung von ihrer Lage
der Wirklichkeit entsprach.
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— 147 —
Der Kaiser hatte die Hauptmacht des Feindes als bei Erfurt
stehend angenommen ; aus welchen Nachrichten er diese Ansicht
zog, ist nicht mehr festzustellen ; genug, er nahm ein solches an.
Was gedachte er zu thun? . . . mon intention est de mar eher
droit ä Vennemi . . . schreibt er um 7 Uhr morgens des 13. Oc-
tober an den Großherzog von Berg. Dies bedingt — wie ersicht-
lich — in Verfolg der schon begonnenen Linksschwenkung der
Armee einen Übergang über die Saale. Da nun die Corps seit
sechs Tagen .mindestens und ununterbrochen im Marsche sind,
da manches noch für die Entscheidungsschlacht vorzubereiten
sein mag, so bestimmt der Kaiser den 13. October als allge-
meinen Ruhetag, indem er am 16. jenseits Weimar anzugreifen
gedenkt Doch sendet er eine Anzahl von Ordonnanzofficieren
an die der Saale zunächst stehenden Marschälle, um Nachrichten
zurückzubringen, und er selbst gedenkt in den ersten Nachmittags-
stunden in Jena zu sein, um mit eigenen Augen zu sehen.
Da erhält der Kaiser zu Gera um 9 Uhr vormittags Nach-
richten, die seine Auffassung von der Lage plötzlich völlig verän-
dern; welcher Art diese Nachrichten waren, ist gleichfalls nicht mehr
bekannt; wichtig und zutreffend genug müssen sie indess ge-
wesen sein: . . . enfin le volle est dechire; Vennemi commence
sa retraite sur Magdeburg .... schreibt er unverzüglich an
Murat, welchen er anweist, sofort auf Dornburg mit der Reserve-
reiterei und dem I. Corps zur eventuellen Unterstützung von
Lannes vorzugehen. Die noch südlich Auma befindlichen Reiter-
divisionen werden auf Roda dirigiert; ebendahin soll sofort die
Garde und ein Theil des Soult' sehen Corps von Gera aus auf-
brechen. Eine Stunde, nachdem der Kaiser die neue Wendung
der Dinge überschaut, gibt er im 4. Bulletin seiner Gewissheit des
Sieges ohne Rückhalt sehr beredten Ausdruck: V anniversaire des
affaires d'Ulm sera celehre dans Vhistoire de France,
Interessant ist bei alledem, dass Napoleon den Feind bereits
im Rückzug glaubt, während er es doch noch gar nicht ist ; um
9 Uhr morgens war man mit den Conferenzen im deutschen
Hauptquartier noch kaum zu Ende und Truppenbewegungen
waren noch keine erfolgt. Man kann, wie es geschehen ist,
Napoleons Ausdrucks weise für unbewusst übertrieben halten ; er
habe nur sagen wollen, der Feind wolle oder werde auf Magde-
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— 148 -
bürg gehen. Gut denn ! Aber wie hatte der Kaiser auch nur von
der Absicht des Rückzugs erfahren? Erst in den frühen Morgen-
stunden des 13. gedieh man zu derselben ; und Zeit und Raum
in's Auge gefasst, so kann man durchaus nicht glauben, eine
Nachricht davon hätte Napoleon schon vor 9 Uhr erreichen
können. Nochmals, das Material an Nachrichten, das der Kaiser
empfing, ist uns hier nicht erhalten; möge man daher immerhin
annehmen, er habe die Nachricht vom Abzüge des Gegners
schon früher empfangen, als jener die Absicht zu demselben
überhaupt gefasst. Aber alles dies sind nur vage Conjecturen:
wie und welche Aufschlüsse der Kaiser erhielt, weiß man nicht
mehr ; es scheint physisch unmöglich, dass er richtige Nachrichten
zu dieser Zeit — 9 Uhr — erhalten haben kann. So bleibt nichts
übrig als zu glauben, das Geschick habe ihn, indem es ihn
täuschte, auf die richtige Fährte gefuhrt ; oder er sei allwissend
gewesen. Beides ist nicht recht ernst genug. Begnügen wir uns
mit dem Factum.
„Wie ein Tiger stürzt er auf die Beute, welche sich ihm
zu entziehen droht." *) Sogleich eilt er nach Jena voraus, um
sich Klarheit zu verschaffen. Auf dem Wege dahin sendet er
Befehl auf Befehl an seine Marschälle zur Beschleunigung des
Marsches an die Saale. Gegen vier Uhr nachmittags erreicht der
Kaiser Jena und nun erkennt er, wie uns berichtet wird, die
exponierte Lage des V. Corps, als er von der Höhe des Land-
grafenberges, den er sofort ersteigt, das Hohenlohe'sche Lager
über den Kirchthurm von Cospeda hinweg erblickt. Sofort ergeht
der Befehl : das ganze Corps Lannes habe die Höhe zu besetzen.
Persönlich hebt der Kaiser durch sein Eingreifen die Schwierigkeit,
Artillerie heraufzubringen, und als er die Position für haltbar
erkennt, beschließt er, es für den nächsten Tag auf eine Ent-
scheidung ankommen zu lassen. Auf der Höhe schlägt er sein
Zelt unter den Grenadieren des 40. Regiments auf, um die Nacht
zu verbringen, in der er, von Schlaflosigkeit gequält, ein paar-
mal sich erhebt, um durch das Lager und die Vorpostenlinie
zu gehen.
An Davout ergeht der Befehl, über Apolda in den Rücken
des Feindes am nächsten Tage zu marschieren, während Napoleon
•) V. Lettow-Vorbeck, I, 305.
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— 149 — ^
Murat und Bernadotte, den ihnen gesandten Befehlen gemäß, bei
Domburg befindlich glaubt.
Lannes war, wie wir aus dem Gefecht am Landgrafenberge
bereits gesehen haben, an diesem Tage auf Jena vorgegangen;
jetzt, in der Nacht, hat er mit seinen Truppen die Höhe im Be-
sitz ; Augereau ist dem V. Corps gefolgt und steht nun zwischen
Jena-Lichtenhayn, Vortruppen bis Magdala : Ney hatte sich infolge
eines Umweges verspätet und verbrachte die Nacht bei Roda;
die von Gera abmarschierten Truppen waren nicht gleichzeitig
aufgebrochen und so traf in der Nacht die Garde noch am
Landgrafenberg, die Division St. Hilaire vom IV. Corps bei
Wenigenjena ein, während der Rest des Corps beim Kloster
Lausnitz blieb. Auf dem rechten Flügel stand Davout zwischen
Naumburg-Kösen, Murat marschierte während der Nacht des 13./14.
mit seinen Reiterdivisionen auf Dornburg-Camburg vor, und Ber-
nadotte hatte sich nach einigem Schwanken, ob er sich nicht
Davout anschließen solle, um 4 Uhr morgens des 14. October
gleichfalls auf die Saaleübergänge in Marsch gesetzt.
Wir kennen die leitende Idee des Kaisers; vom Landgrafen-
berge aus glaubt er vor sich die Hauptmacht des Gegners —
wenn auch nicht unmittelbar und versammelt — zu haben; und
beschließt, dieselbe anzugreifen, indem er alle Truppen, die auf
einem weiten Bogen zerstreut sind, concentrisch und so rasch
als möglich auf die Wahlstatt ruft; und die Marschälle th eilen
seine Idee; selbst Davout, der am Abend des 13. schon — aller-
dings ohne es zu wissen — der ganzen preußischen Hauptarmee
gegenübersteht, gedenkt am nächsten Tage in des Feindes Rücken
vorzugehen.
Außerordentlich ist das militärische Bild, welches dieser
Tag uns zeigt, und höchst auffallend die Lage, zu der die Be-
wegungen hüben wie drüben geführt.
Napoleon vernimmt davon, dass die preußische Armee aus
der Stellung von Erfurt, wie er wähnt, nach Norden abzuziehen
ini Begriffe sei; sofort beherrscht ihn nur mehr der Gedanke,
ibr gerade auf den Leib zu gehen; unbedenklich setzt er alle
seine Corps auf die Saaleübergänge in Marsch, um vor allem
diese Schranke hinwegzuräumen, die zwischen ihm und dem
Gegner liegt; er schlägt die Entfernung seines rechten Flügels, die
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Schwierigkeit des Überganges, für nicht viel an, und an eine
„Parallelverfolgung", um sich dem Gegner weiter nördlich vor-
zulegen, denkt er keinen Augenblick. Was jenseits der Saale vor-
geht, weiß er annoch nicht und so eilt er persönlich hinüber,
um es zu sehen. Als er den Gegner — dessen Stärke ihm zu
erkennen nicht möglich ist — gewahr geworden ist, beschließt er,
trotz der materiellen Schwierigkeit der Lage (seine Kräfte sind
ja noch weit zurück und zerstreut, das Terrain für den Kampf
selbst muss erst erobert werden, Defile im Rücken) unbedenklich
zum Entscheidungskampf. Alles, was er an Truppen verfügbar
hat, soll zu demselben herangezogen werden.
Lebhaft und unerwartet ist die Bewegung, die sich auf
deutscher Seite vollzieht. Die Armee, kaum versammelt, wird
erneuert getheilt und soll der ansehnlichere Theil vorläufig von
dannen ziehen, während der geringere Rest diesen Abzug deckt,
um sodann zu folgen. Eine Masse von Papier und Tinte ist ver-
wendet worden, um die Frage zu entscheiden, ob es nicht besser
für das Heer gewesen wäre, ruhig stehen zu bleiben, um, durch
die Vortheile des Terrains geschützt, den Angriff Napoleons
festen Blickes zu erwarten. Man muss zugestehen: Ja; wenn
man erwägt, dass es auch in diesem Falle kaum
übler ausgehen hätte können, als dies th-atsäch-
lich geschah; aber müßig erscheint dieser Streit aus folgenden
einfachen Gründen : Als die Besetzung Naumburgs im preußischen
Hauptquartier bekannt geworden war, bedeutete dies nichts
geringeres als die Überzeugung, Napoleon habe die Flanken-
stellung, die einzunehmen man sich so gewünscht, einfach nicht
„honoriert". Man denke sich, was das für Friedrich Wilhelm IIL
bedeuten musste, wenn er vernahm, der Gegner lasse ihn und
sein Heer, geringschätzig sozusagen, bei Seite liegen, um mit
der rohen Masse seine Kräfte auf jene ehrwürdigen Provinzen
selber loszugehen, denen eben das Heer den Krieg ersparen
sollte. Noch kannte man damals und zumal in Preußen die
Rücksichtslosigkeit nicht, die ein Souverän mit dem ersten
Tage der Campagne auch dem eigenen Land entgegen bringen
muss. Wie ein durch die Tradition geheiligtes Ding erschien der
Staat Friedrichs des Großen, und dass er das Object von Kriegs-
operationen würde, erschien unerhört. Wahrlich, es genügt ein
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geringes Maß an historischem Instinkt, um das verzweiflungs-
volle Nachjagen der preußischen Armee, als sie erfuhr, der Gegner
sei an ihr vorbeigegangen, völlig zu erklären. Man hat im nach-
hinein gleichfalls die Frage aufgeworfen, warum denn die
preußische Macht, sobald sie sich umgangen sah, nicht schnur-
gerade über die Saale in des Gegners Rücken vorgegangen ist,
um ihn so selber zu umgehen? Viel Scharfsinn wurde aufgeboten,
um darzuthun , dass dies materiell und physisch that-
sächlich möglich war. Allein die Quellen zeigen zur Genüge,
dass man es im deutschen Hauptquartier materiell und phy-
sisch nicht für möglich hielt. Dieselben Übergänge, die
Napoleon anstandslos benützt, glaubten die preußischen Führer
nicht benützen zu können. Wieder schwelgt die rein militärische
Kritik allhier in jenem Selbstgefühl, welches die Kenntnis der
Thatsachen, der Zeiten und der Räume, man möchte sagen, der
Statistik des Krieges erzeugt. Nun denke man aber ein wenig
an jene Zeit zurück. Braunschweig beherrschte, man sage was
man wolle, der Wunsch vereint zu stehen; Hohenlohe war, er-
schreckend vor der Größe der Verantwortung, auf den Wunsch
des Herzogs vom rechten an's linke Ufer gegangen, indem er
selbst widerstrebte und dazu noch die widerstrebenden Sachsen
nach sich zog. Nun sollte man, im Drange der Gefahr, neuer-
dings über die Saale gehen? Wahrhaftig, man musste fühlen, die
Truppen hätten den Führern in's Gesicht gelacht; schon tagelang
vorher hatten sie nicht übel Lust gehabt, solches zu thun. Doch
weiter: man kannte nicht die Stellungen und Marschlinien des
Gegners, man ahnte nicht wie stark er sei; sobald die Gefahr
erscheint, ist man geneigt, den Gegner zu überschätzen; und
kommt der Drang der Zeit hinzu, so wird und muss ein Greis,
der der taktischen Verlässlichkeit seiner Kriegsmittel nicht
allzusehr und der Größe der Verantwortung nur allzusehr
sich bewusst ist, den Weg der Vorsicht wählen. Selbst heute,
stellen wir uns den jüngsten, kühnsten Führer vor, wird
derselbe, wenn er vor die Wahl gestellt wird zwecks entschei-
denden Schiagens Defileen, von denen er hört, sie seien zum
Theile bereits vom Gegner besetzt oder könnten es auf ja und
nein sein, mit stürmender Hand zu nehmen, um sodann in's
Unbekannte zu debouchieren, in's Ungewisse sich zu entwickeln.
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- 152 —
in's Undurchforschte aufzumarschieren, sich leichtlich zu diesem
entschließen ? Denn dies war und nichts anderes die Lage. Mili-
tärische Kritik wird meistens so gemacht: der Autor, das
mechanische rein physisch betrachtend, sucht die
glänzendste, die schönste, die kühnste Combina-
tion, die er nur immer zu finden weiß, hervor, und
voll des Glaubens, er hätte die Stärke des Charak-
ters, sie auch zurThatzu machen, vollauf gehabt,
stellt er sie hin als das, was zu thun war; der Leser,
bestochen von der zweifellosen Richtigkeit der mechanischen Com-
bination, mitfühlend und sich selbst natürlich zuerkennend die
Charakterstärke, deren die Ausführung bedurfte, stimmt fast stets
geschmeichelt und befriedigt zu. Dies verwirrt das Urtheil des-
jenigen, der den Krieg studiert, er wird ihn an der Hand rein
militärischer Kritik niemals verstehen ; denn diese gibt uns Ideale,
die erwiesenermaßen nicht und nie erreicht worden sind ; während
sie vielmehr das zeigen und erklären soll, was die handeln-
den Personen jeder Epoche mit bestem Willen und
ihren Fähigkeiten zustande gebracht und das,
was sie nicht vermocht haben. Zweifellos ist, dass die
preußische Armee am 13. noch übergehen konnte; dahingestellt
möge bleiben, wohin diese Maßregel geführt. Aber man frage
sich, ob die preußischen Führer als Charaktere, ob sie
auf Grund ihrer Anschauung vom Kriege, vornehmlich ihrer
Kenntnis der strategischen Figur des Gegners
wie sie eben war, ihrer Beziehungen zum Monarchen
und untereinander, endlich, und dies keineswegs in letzter
Linie wohl überhaupt imstande waren, jenen Ent-
schluss zu fassen? Die Antwort scheint zu lauten: Nein. Als
Charaktere muss man sie zum Durchschnitt rechnen, der zu jeder
Epoche gerade soviel und keinen Deut mehr Kraft und Kenntnis
bewährt, als die harmlose Vergangenheit begehrte. Die Anschau-
ung vom Kriege verbot die ganze Operation allein schon aus
technischen Gründen — Schwierigkeit des Ueberganges — ; die
Kenntnis von der Lage des Gegners lud zu einer so gewagten
Maßregel keineswegs ein ; denn im Grunde wusste man gar nicht
recht, wo die französische Hauptkraft sei ; und will man einen
Fluss überschreiten, so ist die Nachricht von der Kraftvertheilung
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- 153 -
des Gegners am andern Ufer wohl in der Regel conditio sine qua
non. Der Geist der alten Monarchie erlaubte es
nicht, den Monarchen hinter dem Feinde in seine
Staaten zurückzuführen; mit heißer Sehnsucht musste
des Königs Auge auf Berlin gerichtet sein, indem er ahnen konnte,
bald werde er in seiner Hauptstadt nöthig sein !
Dies scheint, wenn man versucht, sich auf den Boden jener
Zeit zu stellen, das Resultat zu sein. Rein militärisch war
das Thun des 13. October ganz zweifellos ein großer Fehler;
denn die Theilung der Kraft, wo man erwarten konnte — wollte
man nicht allzu optimistisch sein und glauben, Napoleons Um-
gehung sei lediglich Manöver und schlagen wolle er nicht — an-
gegriffen zu werden; die ganze Idee des parallelen Rückzuges,
der an den Verzögerungen durch Hohenlohes Aufnahmsstellung
und der offenbaren Inferiorität der preußisch-sächsischen Truppen
in der Technik des Marschierens allein schon scheitern musste,
mithin bereits an Raum und Zeitverhältnissen fehlschlug: können
an der Hand unserer heutigen Anschauung vom
Kriege beliebig zerfasert und verurtheilt werden. Kriegs-
historisch verstehen wir dieses Thun jedoch bis zu dem
Grade, dass wir davon durchdrungen sind, es konnte nicht anders
sein; unter den vorhandenen Verhältnissen, werde hinzugefügt;
diese also sind die wahren, eigentlichen Fehler und die schlechte
Beschaffenheit des militärischen Entschlusses ging nothwendig
aus ihnen hervor. So muss die Kriegsgeschichte, wenn sie be-
lehren will, den Dingen auf den Grund beständig gehen ; nicht
richtig ist, wenn man uns Braunschweigs Thun mit überlegener
Miene als Aberwitz und Thorheit malt ; denn dass es solche war,
beweist man einzig durch den Misserfolg, der jenem folgte. Wer,
kriegshistorischer Erfahrung und Erkenntnis voll, nachmals im
Kriege Entschlüsse fassen soll, kennt ja den zukünftigen
Ausgang nicht, auf welchem stets und immerdar
das Urtheil der Geschichte fußt.
Betrachten wir nun die beiden strategischen Figuren am
Abend dieses Tages, so ist — erstaunlich scheint es wohl zu
sein — der Ausgang in. Ziffern und Zahlen noch keineswegs
vorauszusehen ; nur die Contraste der Tendenz auf beiden Seiten
laden uns ein, für die Verbündeten den Misserfolg zu wittern ;
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denn der Rückzug ist doch schon an sich der Keim des Miss-
erfolges, wenn, wie es hier geschieht, er mangels eines
Bessern angetreten wird ; doch das erste sind die Macht-, Zeit-
und Raumverhältnisse im Kriege; halten wir uns concret an
die. Hohenlohe sehen wir bei Jena in einer Position und Stärke,
die es ihm — rein militärisch genommen — wahrlich erlaubt,
seinen Zweck, Deckung des Abzuges der Hauptarmee, Punkt für
Punkt zu erfüllen. Bei Kosen sehen wir, wie Davout der nahezu
doppelten Überlegenheit des Herzogs gegenübersteht, mit dem er
— sowie wir seine Weisungen für morgen kennen — unfehlbar
zusammenstoßen muss. Befremdlich ist und bleibt uns Nach-
geborenen, trotz allen Bemühens, uns in Hohenlohes Lage hinein-
zudenken, wie er die Saaleübergänge, die ausgiebig zu besetzen
er angewiesen war, ganz unzulänglich mit Truppen versah. Ab-
gesehen von der früher berichteten falschen Anschauung des
Fürsten über die strategische Lage erinnere man sich, dass die
preußischen Führer einen Saaleübergang für schwierig und
bedenklich hielten; dasselbe, erwartete plötzlich Hohenlohe,
werde der Gegner thun, da man ja eben erfahren hatte, dass er zu
umgehen begann! Es erfordert in der That viel Vorurtheilslosig-
keit, dem Gegner eben das zuzutrauen, was wir zu unternehmen
nicht in der Lage sind, oder vielmehr nicht imstande zu
sein glauben; diese Vorurtheilslosigkeit scheint der Fürst —
ein Soldat des XVIII. Jahrhunderts — nicht besessen zu haben.
Dass überhaupt von Vorurtheilslosigkeit nicht allzuviel in ihm
lebte, bewies sein williges und blindes Folgen jenem Befehl, der
ihm ein ernsthaftes Gefecht zu vermeiden vorschrieb, eben als er
ein solches mit Aussicht aufs Gelingen begann. Allein, wer weiß,
welche Spuren unangenehmer Erinnerung die Emancipations-
versuche Hohenlohes vom Beginne des Krieges in seiner Seele
zurückgelassen hatten ? Man entsinne sich, dass er Plane gehegt,
die von der Heeresleitung nicht gutgeheißen worden waren und
auf die er bedauernd Verzicht geleistet hat. Sehr
bald kommt, zumal für eine einigermaßen selbst-
bewusste Natur, der Moment, wo sie, der Repri-
manden überdrüssig, sich aus persönlicher Be-
rechnung an den Wortlaut des Befehles hält, um
gedeckt in jedem Fall zu sein. Es scheint, ein ähnlicher Wandel
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sei in Hohenlohe damals erfolgt. Denn wie reimt sich sonst der
nur zu selbstthätige Führer von neulich mit dem willenlosen
"Werkzeuge von jetzt zusammen? Accidentiell sind ent-
scheidende Entschließungen der Feldherren fast
nie; widersprechen sie sich, so liegt der Grund
verborgen, doch da muss er sein ; und wo Contraste ent-
stehen , muss eine Brücke vorhanden sein , die uns von einem
Extrem erklärend zum anderen führt. Es mag somit sein, dass
Hohenlohe jetzt, da er eine ganz bestimmte Weisung kategorisch
erhält, in dem Gehorsam sich selbst übertreffen zu müssen glaubte,
da er durch die frühere Selbstthätigkeit zu keinem Erfolge gedieh.
Spuren von Cberdrüssigkeit und Indifferentismus mögen in jenem
Augenblicke in der Seele des Feldherrn wachgeworden sein ;
ganz gut verstehen wir es, wie er das Gefecht, dessen Früchte
er auch bei glücklichem Erfolge nicht nahe und verlockend genug
absah, willig vermied.
Aber eine gewisse leise Scheu, an den Gegner heranzu-
gehen, ist gleichwohl auf deutscher Seite nicht zu verkennen. Han-
delte Hohenlohe noch zum Theil im Sinne seiner Instruction, so
that dies Schmettau bei Auerstädt nicht, sondern vielmehr das
Gegen theil ; und es ist kein Beweis zu finden, dass dies noth-
wendig gewesen, ja auch nur nothwendig oder nur angemessen
erschienen sei. Übler Wille kann bei Schmettau füglich nicht ange-
nommen werden ; Mangel an Energie mag die Ursache seiner Unter-
lassung gewesen sein. Allein man handelt einem gemessenen Be-
fehle nicht entgegen, ohne einen Scheingrund mindestens. Einen
solchen bietet gar oft Mangel an Er kennt n is dar.
Nicht zu leugnen ist, dass, wie Hohenlohe dort, Schmettau hier
den Wert der Uebergänge nicht erkannte. Jedoch — nochmals
— für Preußens Heer nahm man sie als „unpraktikabel" an ; und
dasselbe glaubte man, werde der Gegner thun. Der Glaube an die
Stärke des Locals an sich und die Meinung von seiner Wirkungs-
fähigkeit auf die Kriegsoperation sind stets und immerdar
Zeichen einer verderbten Anschauung vom Kriege; haben doch
gerade die Meister im Ueberwinden der größten materiellen Schwie-
rigkeiten uns gezeigt, wie unabhängig von der Örtlichkeit der
Krieg zu machen sei. Noch hervorzuheben ist, dass die Taktik
der preußischen Truppen zum Festhalten von Defileen, zum Stehen
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in coupiertem und schwierigem Terrain ganz offenbar nicht taugte.
Stets finden wir, wie die Generale die Ebene, den freien Raum
aufsuchen, um einen unzugänglichen Ort mittelbar zu decken.
Es hat dieser Umstand auf Schmettau am 13. abends offenbar
mit eingewirkt. Der offenbare Ungehorsam von selten eines Ge-
nerals — wenn wir füglich einen solchen trotzdem gelten lassen
wollen — würde darauf schließen lassen, die Disciplin der Führer
habe dazumal nach oben beständig abgenommen ; wenn dies
nicht schon an anderen Orten genügend überliefert wäre.
Gleichwohl — aus der strategischen Figur, wie uns die
Kriegskarte solche fixiert, aus der Stellung, Zahl und sogar der
Bestimmung der beiderseitigen Heeresiheile kann ein mit sich auf-
richtiger Geist jetzt, am Abend des 13. October — wenn er von
dem Contraste „Offensive-Defensive", dessen Prüfstein erst
die taktische Entscheidung sein kann, absieht —
nicht entfernt erkennen, wie sich wohl der Ausgang gestalte ; s o w i e
er es beispielsweise aus der Kri egskarte vonUlm,
oder aus dervonMontenotte-Millesimo-Degoauf
den ersten Blick vermag.
Die Ueberlegenheit *) Napoleons ist am Abend vor der
Schlacht mit dem allerbesten Willen graphisch nicht zum Aus-
drucke zu bringen; und am Morgen dieses Tages hatte er sieges-
bewusst und siegessicher sich derselben gerühmt. Wir erinnern
uns einer Stelle seiner Correspondenz, wo er die Absicht äußert,
den Gegner seinerseits mit doppelten Kräften anzufallen, er stelle
sich ihm, wo er wolle, zur Schlacht. Was ist von dieser Zahl-
überlegenheit voriäufig zu sehen ? Wo sind die Vortheile, die dem
Kaiser das Terrain, das er selbst zum Schlagen gewählt, gewährt,
wo die doch geradezu typische Napoleon'sche Versammlung der
*) Nach den maßgebenden Berechnungen von v. Lettow- Vorbeck stehen am Abend
des 13. October: bei Jena auf annähernd gleichen Räumen von dieser Stadt 55.000 Preuften,
die lediglich defensiv agieren sollen, gegen 65.000 Franzosen, die heranmarschieren, so-
weit sie nicht schon an Ort und Stelle sind. (Lannes und Augereau ca. 37.000 Mann); bei
Auerstädt 50.000 Preußen gegen höchstens 50.000 Franzosen (Davout, Bemadotte, Murat)
bei Naumburg, von denen 2 Heerestheile, Bernadotte und Nfurat, auf Domburg-Camburg gehen
sollen, mithin wegen Raum und Zeit zur Schhicht bei Jena stets verspätet ankommen müssen,
so dass hier nur Davout mit ca. 27.000 verbleibt. Zu einer Schlacht kann daher Preufien am
Vormittage ca. 100.000 Mann gegen etwa 90.000 im besten Fall des Gegners stellen. Sehr ver-
schiebt sich das Verhältnis, wenn man erwägt, was von den übrigen Truppen Napoleons nach-
mittags herangekommen sein kann.
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Kraft ? Sie kann in jedem Falle erst im Laufe des morgenden Tages
zustande kommen, und angegriffen soll in der Frühe werden.
Man sieht: der, welchen man den Mechaniker des Sieges,
den Mathematiker des Erfolges genannt hat, ist, mechanisch und
mathematisch, jetzt, am Abend des 13. October, keineswegs, und
wird morgen in der Frühe ebensowenig seinem Gegner über-
legen sein.
Falls er am 14. morgens angreift, so muss er offenbar seine
Stärke zunächst nicht in der Zahl, nicht im Terrain, denn dies
ist bei Jena entschieden ungünstig für ihn, erblicken.
Jedoch vergessen wir nicht, dass dem Kaiser die Daten, die
wir heute kennen, unbekannt gewesen sind, er hat einfach ge-
glaubt, bei Jena die Hauptmacht des Gegners vor sich zu sehen,
und gedenkt sie, die er sich ganz ohne allen Zweifel stärker vor-
gestellt haben muss, als sich später erwies, mit dem, was er zur
Stelle hat, vorläufig anzugreifen. •
Wenn man nun einen Blick auf den Charakter der Stra-
tegie thut, wie sie in diesem Kriege bis nunzu erscheint, und sich
bemüht, diesen Blick vorurtheilslos zu thun, so leuchtet fol-
gendes ein :
Napoleon greift seinen Gegner an und dieser lässt solches
geschehen. Wohl nehmen wir auf beiden Seiten die leisen Schwan-
kungen wahr, welche die Unklarheit und Verwirrung eines be-
ginnenden Krieges in den Tendenzen hüben wie drüben erregt.
Napoleon hält eine Offensive der Preußen für möglich, und auch
diese nehmen gelegentlich an, er werde sich angreifen lassen.
Ein himmelhoher Unterschied jedoch ist in der Art, wie das
Ungewisse des Krieges auf jeden Gegner wirkt. Napoleon zieht
die Möglichkeit, ja selbst die verschiedenen Formen, wie er an-
gegriffen werde könne, ruhig und kühl in Erwägung; so lang
er es nicht wird, gedenkt er offensiv zu bleiben. Das preußische
Hauptquartier, des preußischen Heeres Vergangenheit gedenkend,
beginnt mit dem Plane des Angriffs. Innere Schwierigkeiten in
dem Mechanismus des Wehrsystems, des Heeres, der Heeres-
bewegung hindern und hemmen denselben ; abräth von ihm eine
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wahrhaft naive Staatspolitik, die lediglich als das Resultat persönlicher
Stimmungen und Gefühle betrachtet werden muss ; er unterbleibt :
von mehr als einer Seite rathen Untergebene des leitenden Feld-
herrn stets wieder zu ihm; der Gedanke an die Offen-
sive bleibt gleichsam latent in der thatsäch-
lichen Inaction; denn als solche muss die Defensive der
verbündeten Armee ganz und gar bezeichnet werden. Doch ge-
langt die Führung endlich soweit, die Mehrzahl der verfugbaren
Kräfte hinter einem Abschnitt zu vereinen, der alle Vortheile für
die Defensive, aber auch nur für diese hat.
Dies bleibt also von dem wissenschaftlichen Fluche, den
man auf Preußens schwankende, unentschlossene Strategie lädt.
Wenn man die Marschverluste in Abrechnung bringt, die bei einer
Offensive der Verbündeten größer ausgefallen wären, und über
die moralische Schädigung, die aus der Katastrophe von Saalfeld
hervorging, — welche keineswegs in das Programm der Defen-
sive passte und von derselben auch nicht veranlasst ward —
hinwegsieht, so reduciert sich das Ergebnis der verpönten
schwankenden Strategie trotz des Mangels an Einheit im Befehl,
trotz der unzulänglichen Art, wie räumlich getrennte Führer über
die leitenden Ideen belehrt worden sind schließlich darauf, dass
die Armee versammelt in derFlanke eines relativ
zerstreuten Gegners und hinter einem starken
Fronthindernissteht.
Die Führer nehmen an, man werde angegriffen werden:
sie wünschen es gewissermaßen und rüsten sich zur Gegen-
wehr. Als die Nachricht eintrifft, der Gegner gehe an der Armee
vorbei, schneide ihr die Verbindungen ab und bedrohe direct
einen Staatskörper, den man durch mancheriei Missgriffe gegen
den Krieg äußerst empfindlich gemacht, beginnt man unter dem
Drange der Umstände den Abmarsch nach Norden, um sich dem
Gegner erneuert vorzulegen. Warum man nur an dies Manöver
dachte und nicht daran, den Knoten zu durchhauen, das heii3t
über die Saale offensiv zu gehen, haben wir gezeigt; man glaubte
dazu nicht imstande zu sein. Es begibt sich somit das Heer im
Augenblicke, da es zu schlagen gedachte, aller Vortheile, die es
bisher aus der Versammlung und der Defensive zog, um eine
neue Stellung aufzusuchen. Aufgibt die Führung, um den Ab-
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marsch zu maskieren, die Versammlung der materiellen Macht,
sie glaubt eben, hiezu gezwungen zu sein; mangelhaft wird der
Führer belehrt, der den Abzug des größeren Theiles der Armee
zu decken bestimmt ist, und infolge der ihm von erster Stelle aus
nahegelegten strategischen Meinung von der Lage des Augenblicks
unterlässt er die Sperrung des Jenadefiles, um gleich darauf trotz
der Weisungen, die er erhielt, ein gleiches bei Dornburg zu
thun. Gefragt muss man sich im deutschen Hauptquartier denn
doch wohl haben, ob die Marschfähigkeit und Marschübung des
Heeres dasselbe zu einem parallelen Rückzug Napoleon gegen-
über überhaupt befähigte. Die Marschleistungen der großen Armee
konnte man füglich vom Vorjahre kennen; Zahlen und Daten
galt es zu Rathe zu ziehen, und da diese concret und allgemein
verständlich sind, so scheint es, als ob man den Sinn, der sich
hinter ihnen barg, denn doch auffassen hätte können. Gleich-
wohl — wir wissen zum Theile warum — bleibt's beim parallelen
Rückzug, und stellt sich derselbe somit als das geringere Übel
dar, welches die verbündete Heeresleitung in ihrer Lage wählen
zu sollen geglaubt. Es ist bekannt, wie die Anregungen zu
OfTensivoperationen in des Feindes Flanke und Rücken zeitweilig
zu wirklichen Versuchen geworden sind, wie Truppen infolge-
dem entsendet worden waren, die, nicht imstande ihrer Be-
stimmung zu entsprechen, noch nicht herangekommen sind und
sich als Bleigewichte dem abziehenden Heere anhängen werden;
zu deren Aufnahme ein ganzes Heer stehen bleiben muss. Stellt
uns der Geist des Thuns vom 13. October somit einen Act der
Rathlosigkeit, den einzigen möglichen Ausweg aus widriger Lage
dar, so zeigt uns das Materielle, wie die Kräfte getrennt und
die zum Schutze der abziehenden Hauptmacht aufgestellten Kräfte
ihrer Bestimmung nicht nachgekommen sind.
Wir haben uns bemüht zu zeigen, wie der Entschluss des
verbündeten Hauptquartiers — auf die Nachrichten, die man vom
Gegner hatte, gefasst und gemäß dem virtuellen Bilde der Lage
im Auge der Heeresleitung — dieser sachlich wohl angebracht,
das heißt, als der wenigst nachtheilige erschien;
trotzdem man auch — rein militärisch — den Angriff über die
Saale als das bessere Theil akademisch in Erwägung zog. Voll
würdigen die Gründe wir, die für den Abmarsch sprachen ; und
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die Billigkeit des Urtheils legt uns nahe, auch Hohenlohe zum
allergrößten Theil von dem Vorwurf freizusprechen, den man
wegen der Unterlassungssünde des 13. October wider ihn erhoben
hat und noch immer erhebt.
Und wirft man nun einen Blick auf die Vertheilung der
Kräfte, wie sie am 13. Abends bestand, so ist nicht zu verkennen,
wie schon erwähnt, dass die deutsche Sache nichts weniger
als verderbendrohend zu stehen scheint; wirklich
stand , wie wir's heute wissen ; der verbündeten Führung zu
stehen schien, wie aus den Quellen hervorgeht
Es hat also die nach rein militärischen Be-
griffen geradezu erbärmlich schlechte Strategie
zu einer nichts weniger als schlechten strategi-
schen Lage am Abend des 13. October geführt,
zu einer Lage, aus der ein mit sich aufrichtiger
Geist den Misserfolg durchaus nicht nothwendig
erkennt; und die deutsche Führung hielt sich
auch nicht für unmittelbar in Gefahr.
Was hat Napoleon gethan? Mit einem Wort: Er sucht
ganz einfach seinen Gegner ; in den Formen, die er vornehmlich
der Mechanik des Krieges gegeben, geht er, soweit es die
Bewegungsfreiheit erlaubt, möglichst vereint, beiläufig in jene
Gegend vor, wo der Gegner stehen soll, um festzustellen, wo er
in Wahrheit sei. Die Richtung seines Marsches scheint ihm da-
für zu bürgen, dass, wenn die preußische Armee sich nicht auf
seinem Wege finde, die Drohung auf das Herz der Monarchie
dieselbe auf ihn ziehen müsse; und unverzüglich soll in jedem
Fall der Gegner, wo immer er sich zum Kampfe stelle, mit über-
legenen Kräften angegriffen werden.
Die Abwandlungen, welche die Auffassung des Kaisers und
durch sie sein Thun in diesen Tagen unter dem Eindruck der
verschiedenen Nachrichten erfuhr, haben einen reichen Stoff ge-
liefert, an dem die Kritik ihre Kraft erprobte. Dass er sich täu-
schen ließ, wurde dem Kaiser vorgeworfen, dass er auf Dresden
oder Berlin statt senkrecht auf den Gegner — von welchem, er, wie
wir wissen, bis zuletzt nichts positives wusste — ^ging, hat zu
wissenschaftlichen Ausfallen Anlass genug gegeben. Es wäre
zwecklos, solchen Vorwurf, den die Wissenschaft — lediglich
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um nicht vor Bewunderung verstummen zu müssen — leicht-
fertig erhebt, langathmig zu entkräften. Man lese aufmerksamen
Sinnes die Details des Krieges und da findet man, wie vom An-
fang bis nunzu der Kaiser nichts gethan, als in der ursprüng-
lichen Richtung Berlin auf jene nahe derselben liegenden Punkte,
wo ihm die Nachrichten des Krieges den Gegner stehend melden,
rasch und geschlossen vorzugehen. Indess, man stutzt, wenn
man in der Correspondenz die Note liest, die umdatiert, von des
Kaisers eigner Hand geschrieben, durch die mit der Herausgabe
des imposanten Werkes betraute Commission auf den 10. Octo-
ber nachträglich verlegt wurde. Dieselbe stellt ein Marschschema
dar für die Corps, welches überzeugend deutlich eine Versamm-
lung der Armee für den 16. vor Weimar zum Gegenstande hat;
und stellt die Details des Saaleüberganges mit bemerkenswerter
Klarheit und Präcision fest; der Kaiser glaubt, wie dies aus
seinem Briefe an Soult von diesem Tage ersichtlich ist, den
Gegner auf der linken Seite der Saale. Nun steht fest, dass an
eben diesem 10. October Napoleon Nachrichten erhielt, die ihn
bewogen, plötzlich Gera am rechten Saaleufer als Vereinigungs-
punkt der preußisch-sächsischen Armee anzusehen und dass er
erst 24 Stunden später zur ersten, richtigen Auffassung zurück-
gekehrt ist, worauf dann die entsprechenden Befehle für die Links-
schwenkung der Armee erfolgten. Oberst von Lettow- Vorbeck
kann nicht glauben, dass der Kaiser schon am 10. October über
eine eventuelle Schlacht am 16. schlüssig geworden sei und datiert
somit eigenmächtig und gewaltsam den zweiten Theil der Note
auf den 12./13., wo sie natüdicher erscheint. Warum dies, fragen
wir? Schon vor dem 10. October zeigen Stellen aus Napoleons
Correspondenz, dass sein umfassender Blick einen eventuellen
Saaleübergang, wenn der Gegner links derselben steht, in's Auge
fasst, allerdings jedoch nicht souverain und dictatorisch; warum
soll er nicht auch am 10. October diesen Gedanken gepflegt und
seine Maßregeln gewissermaßen unpräjudicirlich zu Papier gebracht
haben? Erst um die 9. Morgenstunde etwa läuft der Bericht
von Soult ein, der darauf schließen lässt, Gera sei der Versamm-
lungspunkt der feindlichen Armee; und sogleich wird die Armee
^ahin in Marsch gesetzt. In diesem Thun nun erkennen wir ihn
ganz und voll; mit der Note sei es, wie dem sei; er hat keine
C von B.-K. Zur Psychologie des großen Krieges II. 1 1
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Absicht bindend vorgefasst, . als bis zu einem gewissen Grade
die, auf den Gegner loszugehen, um ihn zur Schlacht zu zwingen:
willig und geschmeidig folgt er dem Wechsel der Lage, wie ihm
solche die Nachrichten geben und stets wendet er sich dahin,
wo, wie er auf Grund derselben glaubt, der Gegner sich befindet.
Viel muthet er allerdings den Truppen in Hinsicht des Marschierens
zu; sie gehen rasch und stets in Fühlung untereinander vor:
immer beherrscht den Kaiser die Sorge, für die Entscheidungs-
schlacht, die nicht mehr lange auf sich warten lassen kann, alle
Kräfte zur Hand zu haben.
Als der Kaiser in Gera erkennt, dass er übel berichtet ist
und die verbündete Armee nicht hier, sondern jenseits der Saale
steht, erinnert er sich sofort seiner ursprünglichen strategischen
Idee, und da er dieselbe fortwährend im Auge behalten, über-
rascht sie ihn nicht und kehrt er zu ihr als einer alten Bekannten
zurück; er erlebt die Genugthuung, sein Herausahnen des Wahren
bestätigt zu sehen und die materielle Lage der Dinge — möglich
werdende Umgehung, die feindliche Armee schlägt mit verwandter
Front — sowohl als der Sinn, der im Stehenbleiben — wie er
glauben muss — des verbündeten Heeres liegt, eröffnet ihm die
Aussicht auf neue große Erfolge. Dreimal im Rechte ist Napoleon,
wenn er Talleyrand am 12. schreibt, er habe alles vorher-
gesehen, in nichts habe er sich getäuscht. Nicht dass wir eine
Ehrenrettung des politisch zweckbewussten Lügners hier ver-
suchen wollen: denn für den Mann von Geist wäre sie abge-
schmackt. Aber um den ganz eigenthümlichen Charakter dieses
Krieges plastisch sichtbar zu machen, sei constatiert, dass hier
Napoleon sachlich aufrichtig gesprochen haben kann; denn
nicht auf die — allerdings von der Wissenschaft über alles
wertgeschätzte — Thatsache kam es hier an, ob die
Preußen bei Gera oder Weimar angetroffen
werden würden, um sofort angegriffen zu sein,
sondern auf den ganzen Eindruck, den Napoleon
von derLageempfingundderihm darthat, wie der
Gegner rath- und thatlos, bösen Gewissens voll
nicht mit Hintergedanke n, s o n de rn aus bitterm
Mangel etwas Besseren, irgendwo den Angriff
des Kaisers erwartet.
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Und die mechanische Seite des Napoleon'schen Krieges
bewundern wir in der Art, wie er rasch und sicher seine Armee-
front verändert, um nun endlich an den Gegner heranzugehen,
den er zugleich strategisch umgeht, um ihn dann taktisch zu
umfassen. Die bis auf heute unerreichte, vorbildlich gebliebene
Lebendigkeit der Mittel spricht aus diesem Thun ; und gehen
dieselben geradenwegs auf die Barriere der Saale und unbe-
kümmert vor, welche jener Krieg, der sich in des Gegners Thun
welthistorisch carikiert, unüberschreitbar wähnt. Weit ausholt
Napoleon, um getrennt heranzumarschieren, weniger aus
strategischen Gründen der Umgehung, wie es
scheint, sondern einfach, um rascher zur takti-
schen Entscheidung zu marschieren. Unbändig
wächst der Glaube an den Sieg in seiner Seele zur Gewissheit an.
Und als er am 13. October nachmittags den Gegner endlich
erblickt und stehend erblickt, entschließt er trotz aller Schwierig-
keit der Gegend, trotz der eigenen zur Stelle befindlichen geringen
Kraft, trotz der infolge der Annahme des Gegners bei Weimar-Erfurt
geschehenen Trennung der Kräfte, sich unbedenklich zum Ent-
scheidungskampf. Er weiß nicht, was vor ihm steht,*) bis zu
dem Grade, dass er es mit der Hauptmacht des Gegners zu
ihun zu haben glaubt, und gleichwohl gedenkt er, seine entfernten
Kräfte heranrufend, am nächsten Morgen mit dem, was er zur
Hand hat, den Angriff zu thun. Nicht ein Anhaltspunkt bietet
sich ihm, ob er der seinerzeit in Aussicht genommenen doppelten
Zahlüberlegenheit für morgen sicher ist. Und trotz alledem, diese
Gewissheit des Sieges!
Wir werden sehen, woher sie kam.
Zurückbleibt der Eindruck des Ungewissen über den Gegner
und der prekären eigenen Situation, den Napoleon empfangen
musste, weit hinter der Wirklichkeit. Am nächsten Morgen wird
er 50.000 Mann gegen zunächst 40.000 Hohenlohes bei Jena
allerdings zu setzen haben, welcher sich, wie uns bekannt, ledig-
•) V. Lettow- Vorbeck hat nachgewiesen, dass der Brief des M^jor-Generals an Ney,
der aus dem Biwak von Jena datirt ist und den Gegner auf 40.000 Mann taxiert, nicht von da
aus, sondern am frühen Nachmittag abgesandt sein muss, als der Kaiser noch nichts gesehen
und nur Meldungen empfangen hatte. Es ist sicher, dass Napoleon am Abend des 13. October
wenigstens gefasst war, am nächsten Tag die ganze preußische Armee vor sich zu haben:
daher das Heranziehen aller Corps ausnahmslos.
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lieh abwehrend verhalten soll. Bei Kosen aber steht Davout der
fast doppelten Übermacht der Hauptarmee entgegen, der er den
nächsten Tag unfehlbar begegnen muss. Was Napoleon bei Jena
noch in's Gefecht bringen kann, wird erst im Laufe des Tages
und allmählich zu erscheinen in der Lage sein. Ob Davout kommen
kann, ist wegen des Gegners fraglich, ob Murat und Bernadotte,
nicht als sicher anzusehen.
Allerdings weiß der Kaiser von den Hindernissen nicht, die
seiner Unterführer warten, und glaubt vorerst ihrer Mitwirkung
an der morgenden Schlacht vollkommen sicher zu sein.
Wir erkennen somit, wie Napoleon, der bisher mit wahrer
Meisterschaft den Gegner strategisch gesucht, nun taktisch einem
Theile nur von ihm Auge im Auge gegenübersteht und keine
Kenntnis hat von dem, dass die preußische Hauptarmee sich
ihm bereits entzogen hat und im Begriffe steht, eines seiner ver-
einzelten Corps auf dem Marsche nach Norden, so nebenher, mit
erdrückender Übermacht anzufallen.
Genug ist, dass er nicht recht weiß, mit wem er morgen zu
thun haben wird. Und doch das felsenfeste Vertrauen
endlichen Erfolges. Ist dasselbe nichts als 4ie
vor der Armee aus wahrhaft sublimer Kenntnis
der menschlichen Natur und zweckbewusst ange-
legte Maske?
Jena und Auerstädt.
Am Morgen stand die Armee Hohenlohes folgendermaßen
vertheilt :
Das Detachement des Generals Graf Tauentzien zwischen
Lützeroda-Closwitz, rechts und links bis gegen Isserstädt und das
Rauhthal ausgedehnt, also Front nach Süden, leichte Truppen vor
der Front ; das Zwätzenholz durch Jäger besetzt ; die sächsische
Brigade Cerrini hinter der Mitte gegen den Dornberg zu mit 5
Bataillons. Das Detachement war aus Truppen der verschiedensten
Verbände (Reserve, Sachsen, Trümmer der Avantgardedivision)
bunt zusammengewürfelt, zählte 12Vj Bat., 2 Jägercompagnien,
7 Esc, IVj Batt. und war nicht über 8000 Mann stark.
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Das Detachement des Generals von Holtzendorf stand, wie
uns bekannt, in der Nacht sehr verzettelt, und waren der In-
fanterie Rödigen und der Cavallerie Stiebritz als eventuelle Allarm-
plätze zugewiesen; es zählte 4V2 Bat., 21 Esc, eine 12pfdge.
und IV2 reitende Batterien; ca. 6000 Mann.
Hohenlohes Gros — Division Grawert, Brigade Dyherrn
und eine Anzahl einzelner Bataillone — stand im Lager bei Ca-
pellendorf; es zählt etwa 20 Bat., 34 Esc, 3 Fuß- und 2 reitende
Batterien; in Summe ca. 15.000 Mann.
Die Sachsen unter General von Zetzschwitz (Division Niese-
meuschel) standen auf der Schnecke vorwärts Kötschau-Isserstädt;
mit vier ehemals zu Tauentzien gehörigen Bataillonen betrug dies
Corps 15 Bat, 16 Esc, 2 fahrende und 2 reitende Batterien; in
Summe ca. 10.000 Mann.
Ein schwaches Detachement unter Oberst von Boguslawski
stand südlich der großen Straße nach Weimar vorwärts Schwab-
hausen.
Rüchel stand im Lager am Webicht mit 18 Bat., 18 Esc,
3^2 Batt., ca. 15.000 Mann.
Die sorgfältigen Berechnungen der jüngsten Zeit ergeben,
dass Hohenlohe zunächst über etwa 40.000 Mann, und nach der
Vereinigung mit Rüchel über deren 55.000 verfügen konnte. An
Reiterei hatte er in ca. 90 Escadrons 10.500 Säbel, an Artillerie
104 Stücke Batteriegeschütz und 71 Stücke der Infanterie zur
Stelle.
Napoleon verfügte am Morgen über folgende Truppen,
welche zum Theile die Nacht hindurch marschiert waren :
Das V. Corps auf der Höhe des Landgrafenberges ; 20 Bat,
9 Esc, in Summe etwas über 20.000 Mann.
Das Vn. Corps, welches am Galgenberg biwakiert hat,
steht im Mühlthal bereit mit 17 Bat., 6 Esc, etwas über 16.000
Mann.
Von der Garde waren in der Nacht 5000 Mann heran-
gekommen und befanden sich hinter Lannes am Landgrafenberg.
Vom IV. Corps ist die Cavallerie und die Division St. Hi-
laire heran, welche um Wenigjena lagern; 8 Bat., 9 Esc, 9000
Mann.
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Vom VI. Corps, das, wie wir wissen, am Vortage irre ge-
gegangen war, treffen 5 Bat., 6 Esc, 4500 Mann in der Frühe ein.
Nach Oberst von Lettow-Vorbeck gelangten rund 50.00D
Mann Franzosen in's Gefecht. Weit überwog in dieser Zahl die
Infanterie, da nur 30 Escadrons vorhanden waren. Wie viel an
Artillerie am Morgen zur Verfugung stand, ist in den Einzelheiten
nicht bekannt ; es ist jedoch anzunehmen, dass nicht mehr als
höchstens 50 Piecen feuerbereit gestanden haben ; zählte doch die
ganze französische Artillerie, die im Laufe des Tages aufs Schlacht-
feld kam, im besten Fall 108 Geschütze.
Hohenlohe hat außer Rüchel keine Unterstützung zu er-
warten. Napoleon weiß folgende eigene Truppen im Anmarsch
auf Jena :
2. und 3. Division des IV. Corps,
2. und 3. Division des VI. Corps,
die Dragonerdivisionen Klein, Hautpoul und Nansouty;
und glaubt Murat, Davout und Bernadotte über Dornburg und
Apolda in des Gegners Flanke und Rücken vorgehend.
Der Fürst von Hohenlohe hatte um 6 Uhr morgens dem
Könige geschrieben, er erwarte heute in seiner linken Flanke
angegriffen zu werden, trage jedoch keine Sorge, da ihm Rüchel
nahe sei. Um jene Zeit hatte Napoleon schon längst seine Schlacht-
disposition dictiert; folgendes besagt dieselbe dem Sinne nach:
„Der Marschall Augereau stellt sich im Mühlthal derart
auf, dass er sein Corps, sobald Lannes oben durch sein Vorgehen
Luft macht, auf die Höhen*) hinaufführen kann, um den linken
Flügel der Armee zu bilden ;
Der Marschall Lannes formiert sein Corps auf eben jenem
Flecke, wo er die Nacht gelagert hat;
Die Garde stellt sich hinter dem V. Corps, die Artillerie
derselben auf der Höhe**) auf.
Die Artillerie der Division Suchet (V. Corps) beschießt
Cioswitz, welches sodann auf das Zeichen des Kaisers ange-
griffen und genommen wird;
Der Marschall Ney ersteigt, sobald seine Truppen heran
sind, gleichfalls die Höhen und geht rechts von Lannes vor, so-
•) Südwestlich Cospeda.
*•) Der Windknollen.
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bald durch Wegnahme von Cioswitz Raum, zur Entwicklung ge-
wonnen wurde.
Der Marschall Soult geht durch das Rauhthal vor, sucht
die Verbindung mit der Mitte und bildet so den rechten Flügel
der Armee.
Die Verwendung der leichten Cavallerie bleibt den Corps-
fuhrern überlassen ; die schwere hingegen stellt sich, sowie sie
ankommt, hinter der Garde als Reserve auf.
Vor allem handelt es sich darum, Raum zur Entfaltung
der Armee in der Ebene zu gewinnen ; die bezüglichen Anord-
nungen werden sodann nach der sich ergebenden Lage erlassen
werden."
Was nehmen wir, die wir die verschiedenen wissenschaft-
lichen Kritiken dieser Schlachtdisposition nicht gelesen haben,
ohne viel zu grübeln, einfach und natürlich an derselben wahr?
In Hinsicht der Vertheilung der Kräfte wahrhaftig nichts als den
Eindruck, wie der Kaiser, unter dem Gedanken, möglichst ver-
sammelt zu sein, dieselben der Plastik des Terrains und der
schon bestehenden Gruppierung ganz natürlich anpasst ; ein
Armecorps stellt sich , soweit es der Raum erlaubt , einfach
und ohne Künstelei neben dem andern auf. In Hinsicht der
Bestimmung der Kraft lässt des Kaisers Disposition vorerst
nichts erkennen, als das Streben, den nächsten naheliegenden
Zweck, Raumgewinn für den Aufmarsch, zu erreichen. Das Wie,
Wo und Wann des Angriffs behält sich der Feldherr persön-
lich vor.
Um 6 Uhr etwa gibt er das Zeichen zu demselben ; ein
dichter Herbstnebel lag auf der Gegend ; derselbe verdeckte die
beiderseitigen Truppen und so entspann sich ein anhaltendes
Feuergefecht ohne besondere Resultate zwischen den Divisionen
Suchet und Gazan des V. Corps und den Truppen Tauentziens;
die Division St. Hilaire des IV. Corps nahm v.om Rauhthal her
an diesem Kampfe einigen Antheil ; elf französische Bataillone
kamen effectiv in 's Gefecht, und nach drei Stunden sah sich
Tauentzien auf der ganzen Linie zum Rückzuge gezwungen.
Auf Hohenlohes inzwischen eingetroffenen Befehl gedachte er
denselben auf Klein-Romstädt zu nehmen ; jedoch die Truppen
hatten denselben zum Theile bereits unfreiwillig angetreten ; sie
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waren sehr arg mitgenommen worden. Die sächsische Brigade,
die gegen Isserstädt zurückgewichen war, war völlig zersprengt,
die Batterie derselben genommen ; einzelne Compagnien waren
vollkommen abgedrängt und nahmen ihren Rückzug auf Punkte,
die sie vom eigentlichen Orte des Kampfes mehr oder weniger
entfernten.
Napoleon hatte um die neunte Morgenstunde seinen ersten
Gefechtszweck völlig erreicht ; offen lag vor ihm die Ebene.
Aber er konnte zunächst doch nicht so rasch vorgehen, wie er
es wohl wünschte ; General von Holtzendorf war, nachdem er
sein Detachement, wenn auch infolge von Fehlmärschen einzelner
zum Rendezvous kommender Truppentheile nicht vollzählig, so
doch ziemlich vereinigt hatte, auf den Kanonendonner von Clos-
witz losmarschiert und traf etwa um 9 Uhr oder kurz darauf
auf die Flanke der Tauentzien verfolgenden Division St. Hilaire.
Dieselbe war gezwungen, sich gegen ihn zu wenden, um diesen
Feind in ihrem Rücken vorerst abzuthun. An Infanterie schwächer,
an Reiterei und besonders Artillerie dem Gegner weit über-
legen, wurde der General gerade durch einen raschen Angriff
der französischen Cavallerie — die mit allem, was vorhanden
war, zwei Regimentern im ersten, einem im zweiten Treffen, die
schwadronweise attakierende preußische Reiterei nacheinander
schlug — übel zugerichtet ; nachdem sie geworfen worden, war
die deutsche Reiterei nicht mehr zu halten und ritt im Zurück-
gehen eigene Infanterie nieder. Mit bedeutendem Verlust zog
sich Holtzendorf zunächst auf Stobra, weiter auf Apolda, also
direct hinweg vom Orte der Entscheidung, zurück und die Truppen
Soults gewannen sogleich wieder nach links vorwärts freie Hand.
Um 7 Uhr hatte General von Grawert, den Lärm des Ge-
fechtes vernehmend, seine Division unter das Gewehr treten und
die Reiterei auf Klein-Romstädt vorausgehen lassen. Da erschien
der Fürst im Lager und war im ersten Augenblick über das
Beginnen des Generals sehr aufgebracht ; aber sehr bald hatte ihn
derselbe umgestimmt und jetzt willigte Hohenlohe darein, dass sich
die Truppen Grawerts auf Klein-Romstädt in Bewegung setzten.
Es mag etwa 8 Uhr gewesen sein, als er, dem jetzt die Ahnung
aufzudämmern beginnt, er könne trotz seiner Instruction, die ihn
auf Vermeidung des Gefechtes wies, denn doch gegen seinen
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Willen zu einem solchen gezwungen werden, die Bewegung zur
Unterstützung Tauentziens begann. Gleichzeitig wendet sich der
Fürst schriftlich an Rüchel mit der Bitte um Unterstützung, da er
eben heftig angegriffen werde.
Sodann, erfahren wir, verlor der Fürst die allgemeine Lage
völlig aus den Augen und machte sich fortwährend bei der Divi-
sion Grawert allein zu thun. Er unterließ das Bilden und Bereit-
stellen einer Reserve und sandte keinen Befehl an die Sachsen,
die mittlerweile gleichfalls aus dem Lager gerückt waren und mit
der Infanterie auf der Schnecke, der Cavallerie hinter Isserstädt
aufgestellt waren. Die Frage stand ganz einfach darauf, ob der
Fürst ein Gefecht annehmen oder sich zurückziehen solle, doch
ist aus dem überlieferten Materiale durchaus nicht zu erkennen,
ob sich der Fürst diese Frage überhaupt gestellt
hat. Und da muss man nun wohl erwägen, ob dies möglich,
und wenn das ja, ob es wahrscheinlich ist und damals
naheliegend war. Hohenlohe wusste nicht, wer und was
ihm gegenüberstand, mit wie viel Truppen des Gegners er zu
thun bekommen könne. Er vernahm den Lärm des Gefechtes
vom Dornberge her, und da kann, so scheint es, der Entschluss
füglich nicht getadelt werden, mit einer entsprechenden Macht
persönlich vorzugehen und Aufklärung zu gewinnen. Nochmals,
erinnern wir uns wohl, die Heeresleitung selbst hatte dem Fürsten
mitgetheilt, es stehe nicht zu erwarten, dass er von überlegenen
Kräften angegriffen werde ; der Fürst gedachte daher mit eigenen
Augen zu sehen, um schlüssig zu werden, was zu thun sei, und
dass er sich dabei in Person nach vorwärts begab, zumal bei
dem auch jetzt noch die Landschaft beherrschenden Nebel, ver-
dient Anerkennung und nicht den bisher gedankenlos ausge-
sprochenen Tadel. Er commandierte ja nicht, jetzt,
um 9 Uhr morgens, eine Bataille rangee, in
^' elcher man des Gegners Stärke, Stellung, Plan,
sowie die eigene Lage im allgemeinen übersehen
kann, sondern einen Heerestheil, der zunächst als Arrieregarde
zu dienen die Bestimmung hatte ; ersichtlich gehört der Führer
in solch relativ kleinen Verhältnissen zu dem am Feinde befind-
lichen Theil. Wohl mag eine gewisse Nervosität Hohenlohes mit
im Spiele gewesen sein, die ihn sich zu sehr mit den Truppen
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beschäftigen, an ihnen kleben ließ; jedoch man bedenke stets,
dass es ein Heer des XVIII. Jahrhunderts war, das unter seinen
Befehlen stand. Napoleon hat niemand daraus einen Vorw^urf
gemacht, dass er die Nacht des 13./14. October auf der Höhe
des Landgrafenberges sehr exponiert zugebracht hat ; nehmen
wir als ausgemacht an, dass der Kaiser der Franzosen sich -
wenn auch wohl materiell , zahlen- und stellungsmäßig —
doch kriegspsychologisch nicht gefährdet glaubte, dass
er davon durchdrungen war, der Gegner werde nicht
die Erkenntnis und nicht die Energie, auch
wenn er stärker sei, ihn anzufallen haben; gut,
nehmen wir an, dass Napoleon — materiell exponiert — so doch
psychologisch nicht exponiert gewesen ist, und dies voll er-
kannte; so loben wir sein Thun, denn er war dann trotz des
äußeren Scheines, in Wahrheit nicht exponiert. Aber gleichwohl
lässt sich nicht verkennen, dass Hohenlohe, als er sich am
nächsten Tage in die gefährdete Zone begab, auch seinerseits
mancherlei und gute Gründe dafür gehabt haben mag ; Gründe,
die bei seiner Mission : den Rückzug der Armee zu decken, und
seiner mangelhaften Kenntnis über den Gegner wohl klar am
Tage liegen. Und dann ist der Vorwurf: ein Feldherr sei, um
zu sehen, zu weit persönlich vorgegangen ein Vorwurf, der
erst auf dem in neuerer Zeit gebotenen Schau-
spiel fußt, wie der Führer der Armee fern der-
selben bleiben muss, wenn er sie ersprießlich
führen soll; dieses Schauspiel war dazumal noch unbekannt
und hatte man, besonders im preußischen Heer, eine sozu-
sagen naivere Meinung von den Pflichten des
Führers. Wahrhaftig, alles Thun der besiegten Feld-
herren jener Zeit hat die Kritik der Epigonen rein,
das heißt actuell militärisch prüfend, zum Sün-
denbock des Misserfolges gemacht; und ver-
urtheilt sie hier ihren Mangel an Energie und die
egoistischen Motive, so bricht sie dort, wo That-
kraft un d R ücksich tslosigkeit gegen sich selbst
erscheinen, ebenfalls den Stab.
Nun denn, der Fürst setzte sich an die Spitze der Reiterei
und ging mit ihr auf Vierzehnheiligen vor. Die 10 Bataillone
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der Grawert*schen Division folgten in ausgedehnter L'nie auf dem
Räume Isserstädt- Vierzehnheiligen. Bei diesem Orte angekommen,
machte der Fürst, da der Nebel noch immer über die Gegend
zog, mit seinen Truppen Halt, um abzuwarten. Eben traf Tau-
entzien mit den Resten seines Detachements beim Orte ein und
wurde alsbald nach Klein-Romstädt zurückgenommen, worauf
einige Ordnung in die Truppen der preußischen zweiten Linie
zu bringen versucht ward, indem einige Bataillone unter Befehl
des Generals Cerrini gestellt wurden. Hohenlohe erfuhr von Tau-
entzien das Nachdrängen feindlicher Truppen und übersandte
Holtzendorf den Befehl, denselben in die Flanke zu fallen ; es
ist uns bekannt, dass Holtzendorf, bereits in einen Sonderkampf
verwickelt und bald geschlagen, diesen Befehl auszufuhren nicht
in der Lage sein wird. Inzwischen waren bei Vierzehnheiligen
die Gegner aufeinandergetroffen, das heißt, mitten im Nebel, der
noch immer nicht gewichen war, entwickelte sich eine lärmende
Kanonade, während die beiderseitigen Truppen zunächst ziemlich
unbeweglich standen. Tirailleurschwärme der Franzosen gingen
mit ihren Batterien vor und begannen auf die preußischen Truppen
zu feuern. Die Franzosen entwickelten um diese Zeit, gegen 10
Uhr, in dem Räume Krippendorf- Vierzehnheiligen-Isserstädter Forst
das Corps von Lannes und links von diesem die eben eingetroffenen
fünf Bataillone der Avantgarde Ney s. Eine starke Artillerie-
masse, 25*) Geschütze, stand gegen Isserstädt. St. Hilaire war
eben mit Holtzendorf beschäftigt ; Augereau mit einer Division
im Isserstädter Forst, mit der anderen noch im Mühlthale zurück.
Da gab nun ein Angriff Neys mit seiner Avantgarde auf eine
preußische reitende Batterie Anlass zu einem Reiterkampf bei
Vierzehnheiligen, der trotz der Zahlüberlegenheit auf deutscher
Seite infolge des Nacheinanderauftretens der Regimenter, die eines
nach dem andern vom 10. Chasseurregiment geworfen wurden,
zunächst unglücklich für die Preußen ausfiel, welche, wie dies
in solchen Fällen wohl häufig vorzukommen pflegt, die eigene
Infanterie niederritten. Jedoch bald wandte sich das Blatt, da die
preußische Reiterei der französischen dreimal überlegen war. Die
genommenen Geschütze wurden nach Hinwegführung der Protzen
wieder im Stiche gelassen und zogen sich die Ney*schen Chasieure
•) Davon 14 von der Garde-ArtiUerie.
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172
auf ihre Infanterie zurück. Hohenlohe hatte einen üblen Eindruck
von der Haltung seiner Reiterei gewonnen und nahm dieselbe
hinter Vierzehnheiligen zurück. Sogleich wurde nun dieser Ort
von den Voltigeuren Neys besetzt.
Der Fürst war, wie bekannt, mit der Division Grawert vor-
gegangen; 10 Bataillone zählte diese; ebensoviel etwa waren
zwischen Groß-Romstädt und Kötschau zurückgeblieben, die, ver-
schiedenen Verbänden angehörend, unter ein einheitliches Commando
noch immer nicht gestellt waren. Es mag lOUhr vorbei gewesen sein,
als der Nebel wie eine Wandeldeco ration urplötzlich in die Höhe
ging und Hohenlohe gestattete, die Lage der Dinge zu sehen.
Nicht historisch überliefert ist, was er gesehen hat; jedoch wir
können ziemlich genau berechnen, was er von der Kraft des Gegners
nicht gesehen haben kann: die Garde, St. Hilaire, Augereau; es
bleiben somit im bestenFalle Lannes, von dessen höchstens 20 Batail-
lonen 6 noch in Reserve standen, und die 5 Bataillone von Ney, also in
Summe 19 Bataillone zurück. Bedenkt man nun, dass ein wesent-
licherTheil diese r T ru p p en in Tirailleurs aufge-
löst und die geschlossenen Verbände über einen weiten Raum
zerstreut gewesen sind, der schließlich auch nicht wie ein Tisch
glatt und eben war, so muss man zu dem Schlüsse kommen,
dass Hohenlohe den Eindruck der absoluten Uebermacht
nicht empfangen haben kann. Den Blick für dieselbe besaß der
kriegserfahrene Fürst sicherlich ; sie muss daher wohl nicht recht
sichtbar gewesen sein, denn nunmehr gab er den Befehl, gegen
die Stellung von Vierzehnheiligen zum Angriff vorzugehen. In
Echelons mit zwei Bataillonen vom linken Flügel wurde derselbe
wie auf dem Exercierplatz von den Truppen des ersten Treffens
ausgeführt, während rückwärts circa 7 Bataillone verschiedener
Verbände dem Impuls nach vorne folgten. Sogleich gingen nun
die geschlossenen französischen Truppen zurück, während sich
die Tirailleurs in Vierzehnheiligen und dem Wäldchen südlich da-
von erfolgreich zu behaupten wussten. Die Sachsen, das Vor-
gehen Hohenlohes bemerkend, gingen zum Theile von der Schnecke
gegen Isserstädt vor, ohne jedoch den Ort zu besetzen. Wir
nehmen also wahr: Die Franzosen, local nicht in der
Uebermacht, gehen mit ihren geschlossenen
Truppen zurück, während die Tirailleurs an jenen
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- 173 —
Punkten des Terrains, die Schutz gewähren, zähe
hängen bleiben. Nochnirgends ist diese Lage wahr-
haft präcisiert worden ; Hohenlohe sah ganz einfach nichts
nahe vor sich, was ermit seinen starren und ges chlos-
senen Linien im Chargierschritt angreifen hätte
k önnen. Nichts stand zunächstvor ih m, als Tir ail-
leurs, in Orten, die ein geschlossener Verband nicht
wohl betreten kann; das ist die Lage gewesen und sie
zwang zu dem Entschluss des Fürsten, den die
Kritik als einen freiwilligen ansieht und demgemäß
für unbegreiflich hält ; den n i m Angriffe mit dem Ba-
jonnett gipfelte doch die alte Form. Hohenlohe stellte
ganz einfach die Vorbewegung ein, ersah eben nichts, was
anzugreifen sei.
Man hat nach Gründen für dieses Stoppen in der allgemeinen
Lage geforscht*) doch wird zugegeben, dass es nur eine Ver-
muthung sein kann, Hohenlohe habe vom Vorrücken Augereaus,
St. Hilaires u. s. w. Kenntnis gehabt. Es scheint, dass, wären
um diese Zeit Nachrichten über das Nahen feindlicher Verstär-
kungen beim Fürsten eingelangt, diese Thatsache doch da oder
dort überliefert hätte werden müssen; es ist bisher keineswegs
geschehen; und so spricht die Wahrscheinlichkeit — die wir je-
doch weit entfernt sind, als Thatsache behandeln zu wollen —
dafür, dass Hohenlohe ganz naturgemäß aus dem Grunde stutzte,
da er sich plötzlich nur Tirailleuren zunächst gegenüber sah,
welche in ihren Stellungen anzugreifen seine Truppen, wie er-
wiesen ist, durchaus nicht geeignet waren; geschlossene Massen
standen ihm augenblicklich nicht apör/^'^ gegenüber; denn uns wird
erzählt, sie wichen dem Stoße aus. Dieses Stutzen Hohen -
lohes ist daher in Wahrheit nichts, als das Stutzen des Bedenkens
und der Überlegung, was angesichts einer taktisch scheinbar un-
möglichen Lage zu beginnen sei; diese Art des Stutzens
ist dem Feldherrn wohl erlaubt; doch ist es sein
Beruf, dasselbe rasch zu überwinden. Indessen hatten
Bataillone, die Grawerts rechtem Flügel folgten, im Verein mit
der sächsischen Artillerie den Ort Isserstädt genommen. Napoleon
hatte die retrograde Bewegung seiner Truppen wohl wahr-
*) Reinländer, 123.
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— 174 -
genommen und warf zunächst die leichte Cavallerie-Brigade des
V. Corps in den rechten Flügel der feindlichen Infanterie, doch
wurde diese Truppe durch preußische und sächsische Reiter
völlig geworfen. So war der preußische rechte Flügel bis an den
Isserstädter Forst vorgezogen, die Mitte stand im stehenden Feuer-
gefecht vor Vierzehnheiligen und der linke Flügel dehnte sich
nördlich des Ortes umfassend aus.
Äußerst günstig war die Meinung des Fürsten von seiner
Situation, wie aus der Thatsache erhellt, dass er eben jetzt die
Beglückwünschungen des Generals von Grawert entgegennahm.
Gleichzeitig traf der an Rüchel gesandte Officier mit der Ver-
sicherung des Generals ein, er sei bereit, aus Kräften und als
Freund gern zu helfen. Der Fürst antwortet, indem er, des Dankes
voll, Rüchel einen „braven Freund und rechtschaffenen Mann*
nennt, zugleich sich jedoch verleiten lässt, jenem die Eroberung von
Geschützen, die durchaus nicht stattgefunden hat, zu melden.*)
Aus alledem geht hervor, dass Hohenlohe in diesem Augenblick
aufrichtig und ehrlich an den Erfolg geglaubt haben muss, er
kann fast nichts von dem Herannahen überlegener feindlicher
Kräfte vernommen gehabt haben. Ein scharfes Licht wirft der
Ton, in welchem Hohenlohe und Rüchel miteinander verkehren,
auf das Verhältnis der Führer im preußischen Heer . . . jeder
darf, den bestehenden Anschauungen gemäß, so ziemlich thun, was
er will und der General der Infanterie hat nicht das Recht, den
nahe hinter ihm stehenden Generallieutenant einfach zum Gefechte
heranzubefehlen, sondern er muss ihn um seine Hilfe bitten und
dankbar sein, wenn jener sie gewährt. So war es Brauch in der
preußischen Armee; bekannt genug ist, dass das, was lange
genug geübt worden ist, unter dem Donner der Kanonen nicht
plötzlich abgelegt zu werden pflegt, besonders was die Führung
betrifft; denn mit dem Thun der Truppen im Gefechte ist's oft ein
anderes Ding. Die Führer werden durch den Kampf nicht in dem
Maße seelisch hergenommen, wie das Truppenmaterial, und so
bleibt in ihnen die Gewohnheit länger, lebendiger wirksam. Hohen-
lohe hatte kein Recht, Rüchel Befehle zu geben ; er hatte nicht
die Macht dazu, da im hierarchischen Verkehre, solange
derselbe besteht, Macht und Recht sich so ziemlich decken.
*) V. Lettow- Vorbeck, I, 357.
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- 175 -
Niemand, der verständig denkt, kann es somit dem Fürsten zum
Vorwurfe machen, wenn er zur Entscheidung, von der er gar
nicht wissen konnte, wie nahe sie war, das Detachement von
Rüchel nicht unmittelbar zur Verfügung hatte. Was er thun
konnte — eine entente cordiale — hat er vollkommen gethan.
Lannes führte nun auf Napoleons Befehl mit seiner Corps-
reserve einen Stoß gegen den preußischen linken Flügel, der
jedoch, da sich ihm einzelne Truppentheile von rückwärts all-
mählich angeschlossen hatten, abgewiesen wurde. Grawert nahm
auf seinem rechten Flügel Truppen der zweiten Linie, besonders
die Brigade Dyherrn, in die erste vor und verlängerte sich immer
mehr nach rechts und vorwärts. Die beiden Flügel Hohenlohes
waren nun nicht unerheblich vorgerückt und die Stellung gegen
Vierzehnheiligen zu einer umfassenden geworden. Hier hielt
Hohenlohe und erörterte mit Officieren seines Stabes, wie der
Ort hinwegzunehmen sei. Immer klarer liest man aus den Ge-
fechtsberichten die Thatsache heraus, wie der preußische Feldherr
nicht vorgehen zu können glaubte, bevor der Ort genommen sei;
diesen zu erobern gebrach es ihm an der taktischen
Fähigkeit. Ersichtlich wird dies, wenn man hört, er habe
dem Vorschlage nicht zugestimmt, das Dorf mit Infanterie hin-
wegzunehmen, vielmehr sollte der Artillerie die Aufgabe zu Theil
werden, durch ihr Feuer das zuwege zu bringen, wozu die In-
fanterie die Eignung nicht besaß. Fast stets kann man es für
ein Krankheitssymptom der großen Taktik halten, wenn die Artillerie
als Lückenbüßer herangezogen wird. Nicht heute nur, sondern
dazumal schon und vielleicht noch mehr als heute, selbst in der
preußischen Armee, wies die Bestimmung des Geschützes auf
Unterstützung des Fußvolkskampfes und nicht auf Ersatz
desselben. Gerade der Zweck, den Gegner aus einem Dorfe,
Walde, zu vertreiben, war zu jener Zeit mit den unvollkommenen
Geschossen schwierig zu lösen. Und so kann diese Maßregel
wohl billig als Ausflucht betrachtet werden, die man rathlos er-
griff, während man, wie es scheint, ungeduldig das Herrannahen
Rücheis erwartete.
Er kam noch immer nicht. Inzwischen litten die geschlosse-
nen preußischen Linien sehr durch das Feuer der französischen
Tirailleure, denen mit Bataillonssalven nicht beizukommen war.
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- 176 -
Man denke sich in die Lage. Verächtlich sah man in der preußi-
schen Armee das Tiraillieren an; auszog man in den Kampf mit
dem beharrlich festgehaltenen Glauben, die Kriegsdisciplin der
preußischen Bataillone werde, wenn auch die Leute materiell,
durch ihre taktische Form, dem Gegner vis-a-vis im Nachtheil
waren, mittelst ihres Überschusses an Kriegsmoral, die eben mit
der alten Form innig verwachsen war, endlich zum Erfolge führen.
Es muss hervorgehoben werden: Nicht verschlossman
sich der Einsicht, dass der Tirailleur dem im ge-
schlossenen Verbände fechtendenSoldaten mecha-
nisch überlegen war; indem er ein geringeres Ziel
bot als jener. Mit Blindheit war man keine swegs
geschlagen und diese Thatsache sah man völlig
ein. Aber man hielt die kriegerischen Eigenschaften
des preußischen Soldaten für so hoch, dass er,
trotzdem er in mechanisch schlechten Formen
focht, sich bewähren und den materiellen Nach-
theil reichlich wettmachen werde. Die alte Form be-
hielt man wegen der Macht der Tradition bei; man rechnete mit
dem deutschen Volkscharakter, der zum Einzelkampfe nicht tauge:
alles Ewägungen eminent militärischer Natur, die man heute, da
in der Form alles zu liegen scheint, kaum mehr in ihrem ganzen
und eigenthümlichen Gewichte von dazumal pflegt ; indem man
es heutzutage, sehr gewitzigt, vorzieht, sich um jeden Preis
und vor allen Dingen auf der Höhe der modernen Kriegsform
zu erhalten. Aber damals dachte man nicht so. Obwohl man die
Mängel der alten Form zweifellos erkannte, hielt man sich doch
immer noch für stärker durch den Geist, der in der alten Kriegs-
form lag und von ihr nicht wohl zu trennen schien. Gewisser-
maßen hielt man in Preußen die überkommene Kampfesweise für
eine historisch „berechtigte Eigenthümlichkeit", die auch noch in
der Gegenwart ihre Schuldigkeit erfüllen werde. Und viel Wahr-
heit lag fürwahr in dieser Erwägung während der vorjena'schen
Zeit; sie rechnete nicht mit militärischen Motiven allein, sondern
zugleich mit der socialen und politischen, ja selbst der wirtschaft-
lichen Lage der eigenen Nation. Jedoch man täuschte sich über
den Wert der Imponderabilien im Mann, die nicht hoch genug
sein konnten, wollte man einen Kampf mit der alten gegen die
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neue Form ehrenvoll bestehen. Diese Imponderabilien bewährten
sich jetzt, bei der blutigen Probe, nicht mehr in dem Grade, wie
dies nothwendig gewesen war; dahingestellt möge
bleiben, ob der Geist irgend einer Truppe zu
irgend einer Zeit trotz der Mängel der Kampfes-
form sich länger und besser bewährte; denn noch
immer standen die preußischen Bataillone und empfingen ohne
Wanken das Blei, das sie nicht, oder unvollkommen nur, er-
widern konnten. Inzwischen vollzogen sich auf der Seite der
Franzosen Abwandlungen der großen taktischen Lage, die bald
fühlbar oder wenigstens sichtbar werden mussten. St. Hilaire hatte,
nachdem er Holtzendorf abgethan, sich gegen den linken preußischen
Flügel gewandt; Napoleon hatte, vielleicht nicht ohne innere Sorge,
doch erfolgreich mit den geringen vorhandenen Truppen und vor-
nehmlich durch ihre Kampfesart — das Schützengefecht — das
Terrain vor Vierzehnheiligen gehalten. Nun kamen allmählich seine
Verstärkungen heran. Es waren dies: Augereau, dessen eine
Division bisher, ziemlich ohne etwas besonderes zu leisten, im
Isserstädter Forst gesteckt, entwickelte seine zweite endlich gegen
die Schnecke ; beiläufig um 1 1 Uhr trafen die 2. und 3. Division
von Ney — 15,000 Mann — am Schlachtfelde ein; die Reiter-
divisionen Klein, Nansouty, Hautpoul kamen eben heran ; gegen
Mittag erschienen die zwei letzten Divisionen von Soult, die den
Weg St. Hilaires genommen, auf dem rechten Flügel der Armee;
in Summe etwa 33.000 Mann nebst 7000 Pferden. Allein diese
Macht war noch lange nicht eingesetzt ; zum Theil war sie über
das Schlachtfeld im Vorrücken begriffen, zum Theil formierte sie
sich zum Kampf; sie war noch keineswegs gefechtsbereit; und
nichts weniger als am Orte des Gefechtes, wo jetzt — ca. 1 Uhr
— die Entscheidung zu fallen begann. Drei Stunden hatten die
preußischen Bataillone im stehenden Feuergefecht, trotz der Nach-
theile der eigenen Form, gegen die Schützen von Lannes und
^^ey gestanden ; kurz nach Mittag, so wird berichtet, begannen
die Verluste unerträglich zu werden. Hohenlohe zögerte, den
Befehl zum Rückzuge zu geben, und wer militärisch fühlt, be-
greift, dass er gezögert hat ; auch wenn uns nicht bekannt wäre,
dass er auf Verstärkungen — Rüchel — wartete. Allein der
Überschuss an Kriegsmoral, der in seinen Bataillonen stak, war
C. von B.-K. Zur Psychologie des großen Krieges II. 12
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durch die Ungleichheit der kriegerischen Formen bereits mehr als
ausgeglichen worden, und wider seinen Willen, trotz seiner Ein-
sprache, wandte sich nun ein Bataillon nach dem andern, um
zurückzugehen. Was das bedeutet, leuchtet ein ; schwer schädigt
es den Geist der Truppe, wenn sie sieht, der Führer habe sich
in seinen Berechnungen getäuscht und halte sich gezwungen,
den Rückzug zu befehlen ; Flucht nennt man es, wenn die Truppe
gegen den Willen des Führers den Rückzug anzutreten beginnt.
Und eine solche begann nun mit allen Schrecken im Hohen-
lohe'schen Heer. Der Fürst, in seiner Verzweiflung bemüht
durch sein persönliches Beispiel die Truppen zum Stehen zu
bringen, vergaß und unterließ fast ganz Dispositionen für den
Rückzug, den er nun endlich befahl, zu erlassen; widerstands-
los wälzten sich die aufgelösten preußischen Truppen, zu deren
Aufnahme nichts von Gehalt vorhanden war, der Straße von
Weimar zu. Unmöglich, physisch unmöglich war
es, der Flucht, die eben begonnen, die strategisch
naheliegende Richtung Apolda zu geben. General
von Zetzschwitz mit den Sachsen blieb, obwohl er das Zurückgehen
Hohenlohes sah, auf der Schnecke stehen, auch nachdem die
Franzosen Isserstädt bereits genommen hatten. Er hatte keine
Befehle erhalten. Einen schweren Vorwurf hat ihm die Kriegs-
geschichte daraus gemacht; denn in der That bekam ihm sein
Ausharren übel. Jedoch man versteht auch ihn, wenn man sich
in seine Lage denkt, ganz gut. Er blieb eben als Aufnahms-
truppe stehen oder glaubte als solche zu dienen, wenn er ledig-
lich nicht vom Platze wich; hätte er in dem Augenblicke der bei
Hohenlohe beginnenden Debandade auch seinerseits vor dem
Gegner weichen sollen? Der moralischen Wirkung wegen that er
es einmal nicht und dann der mechanischen Aussicht zu Liebe,
in die Flanke der verfolgenden Franzosen später vorzugehen.
Nach 1 Uhr war endlich die Spitze des RücheFschen De-
tachements westlich Capellendorf erschienen. Dieser General war
durchdrungen von der felsenfesten Überzeugung, die preußischen
Truppen seien, wie jedem anderen Heer, so auch dem Napoleons
unendlich überiegen ; in ihm verkörperte sich jenes blinde Selbst-
vertrauen, das dem einfachen Kämpfer so wohl an-
steht, indem es ihn ohneUeberlegunginden Kampf
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vertrauend führt, dem Führer jedoch und zwar je
höher er steht, umso gefährlicher wird. In Friedens-
zeiten liebt man solche Führer und meist unterscheidet man nicht,
ob ihr Enthusiasmus für die Sache nur geheuchelt, oder, wie hier,
aufrichtig ist. Den Skepticismus, der der unweltmännischen und
wenig lebensklugen Fähigkeit auf der Stirn geschrieben steht, den
liebt man nicht und will von ihm nichts hören ; und in mancher
Hinsicht wohl auch sehr mit Recht, denn der Skepticismus, wo
er vorhanden ist, werde nicht geäußert, man treibe als Soldat, und
stehe man noch so hoch, nie pessimistische Kannegießerei; in
der Zurückhaltung und Decenz des gesprochenen Urtheils zeigt
sich ja der Mann der That, während der Denker sich durch seine
Offenheit und naive Überzeugungstreue des Anspruchs auf das
Feld praktischen Thuns mehr oder weniger begibt. Doch hier
haben wir*s mit einem Extrem zu thun, dem militärischen Chau-
vinisten unverfälschter Qualität; auf günstigem Boden, heimat-
lichem Boden, und unter der Sonne des Friedens, schießt diese
Sorte üppig in das Kraut. So war es auch mit Rüchel, der ein
großes Ansehen in der Armee genoss. Ersichtlich ist an diesem
Mann, dass ihm das dem Feldherrn nicht ersten Ranges und
selbst diesem oft unentbehrliche Misstrauen in die eigene
Kraft und in den Wert der eigenen Mittel gänzlich
abgegangen ist. Indem er der Wahlstatt nahte, betrachtete er sich
als den Fels, an welchem die Uebermacht des Feindes unfehlbar
zerschellen müsse. In der Nähe von Capellendorf traf er mit
Massenbach zusammen, der ihm Aufschluss über die Lage gab
und sogleich schickte er sich an, durch einen energischen Stoß
die Verfolgung aufzuhalten. Nachdem er eine unverhältnismäßig
starke Reserve bei Wiegendorf, also erstaunlich weit, zurückge-
lassen hatte, ging er durch den Ort und formierte sich auf dem
jenseitigen steilen Hange zum Angriff in Echelons ; 1 1 Bataillone
waren hier vereint und hängten sich noch einzelne geschlossene
Truppentheile von Hohenlohe an. Soeben erschien französische
Artillerie auf dem Kamm der Höhe und feuerte sogleich Kartätschen
in diese Masse hinein, die nicht zu verfehlen war; in einem
Augenblick gab es den bedeutendsten Veriust; die feindliche In-
fanterie griff ein und als Rüchel selbst durch die Brust geschossen
war, obwohl mit seltenem Heroismus bei seinen Bataillonen ver-
12»
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blieb, stutzten dieselben auf der halben Höhe des steilen Hanges,
um sich unverweilt auf das Ortschaftsdefile in ihrem Rücken auf-
gelöst zurückzuwerfen. Kaum eine halbe Stunde hatte das Ge-
fecht gedauert und mit der Niederlage schwand die letzte Mög-
lichkeit, der Verfolgung Einhalt zu gebieten.
Es war etwa 3 Uhr nachmittags; muthig hatten sich einzelne
deutsche Schwadronen den französischen Cavalleriebrigaden, natür-
lich ohne jeden Erfolg, vereinzelt entgegengeworfen ; ein sächsi-
sches Bataillon nahm den unglücklichen Feldherrn in seine Mitte
und geleitete ihn unter stetem Kampf mit den französischen Reitern
aus dem Getümmel zurück. Die Infanterie aller Verbände war
nicht mehr zu halten und floh regellos Weimar zu. Endlich
sah auch General von Zetzschwitz ein, er müsse zurück; alles,
was noch vorne stand, schloss sich den Sachsen an ; aber bei
Kötschau wurde die Division, nachdem sie in französisches Ar-
tilleriefeuer gerathen, von Reiterei auf allen Seiten angefallen ; die
Leute verloren gänzlich ihre Haltung und da die Feuerdisciplin
nicht mehr herzustellen war, so wurde die ganze Division zer-
sprengt ; was nicht fiel, wurde gefangen ; und nur dem Com-
mandanten glückte es, sich mit einem Theil der Reiterei auf die
Weimarer Straße zu retten.
Wir wissen, dass Napoleon im Augenblicke der Entschei-
dung bei Vierzehnheiligen keineswegs über weit überlegene Kräfte
an Ort und Stelle gebot; so wurde, als Hohenlohe wich, die Ver-
folgung zunächst durch jene Truppen aufgenommen, die bisher
gefochten hatten ; der Kampf mit Rüchel hatte ihren Eifer etwas
abgekühlt und so zogen sich die Truppen der preußisch-sächsi-
schen Armee eine Zeitlang, ohne scharf verfolgt zu werden, zurück.
Ein von Rüchel zurückgelassenes Detachement stand am Webicht-
forst bei Weimar, und als der Fürst von Hohenlohe um 4 Uhr
hier erschien, war daselbst bereits ein Theil der geschlagenen
Truppen neuerdings gesammelt. Jedoch es geschah nichts, um
sich hinter die Um zu ziehen und diesen Abschnitt zu halten.
Man berieth, den Fluss im Rücken, hin und her, wohin der Rück-
zug anzutreten sei, und kaum katte man ihn in der Richtung auf
Liebstädt begonnen, so schmetterten schon französische Artillerie-
geschosse in die Truppen ein; nun ging der letzte Rest von Halt
verloren und bald waren nur mehr chaotische Massen in wilder
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Flucht zu sehen. Der Fürst, jenseits der Um angekommen, er-
fuhr den Ausgang der Schlacht von Auerstädt, vernahm von der
tödtlichen Verwundung des Herzogs und floh nun verzweifelnd
und unaufhaltsam vor der französischen Reiterei dahin, seine zer-
sprengte Armee ihrem Schicksale überlassend.
Bis an die Um im großen Ganzen folgte Napoleon an diesem
Tage; es standen seine Truppen abends wie folgt: Murat mit
zwei Reiterdivisionen in und einer vorwärts Weimar. Ney eben-
daselbst ; Soult bei Ulrichshalben ; bei Apolda Bernadotte ; auf dem
Schlachtfelde von Jena lagerten Lannes und Augereau ; die Division
Dupont und eine Dragonerdivision bei Dornburg; Hauptquartier
in Jena. Als sich der Kaiser zur Ruhe begab, hatte er noch
keine Kenntnis davon, dass er heute zwei Schlachten statt einer
gewonnen hatte.
In der Schlacht traten von französischen Truppen insgesammt
auf 95.000 Mann, von denen jedoch nicht mehr als 54.000 höch-
stens in*s Gefecht gekommen sind; aus der Darstellung der Schlacht
wissen wir, woher dies kam. Preußen und Sachsen nahmen
etwa 54.000 Mann an der Schlacht theil, die fast ausnahmslos
wirklich gefochten haben.
Die Verluste sind auf keiner Seite auch nur annähernd be-
kannt. Während bei den Franzosen die Verlustausweise nur für
einen Theil der eingesetzten Truppen noch vorhanden sind, und
dieselben Verluste zwischen 7 und 23Vo erkennen lassen, ent-
zieht sich das, was die preußisch-sächsische Armee verlor, völlig
jeder Controle.
Wenn man diese Schlacht rein, das heißt modern mi-
litärisch betrachtet, so ist zweifellos, dass sich eine lange
Reihe der erheblichsten Fehler auf verbündeter Seite in derselben
nachweisen lässt. Das Annehmen derselben überhaupt, das Nach-
einandereinsetzen geringer Kräfte gegen einen vereinten Feind,
der dieselben in aller Ruhe und Gemächlichkeit eine nach der
andern schlägt ; der Mangel an Einheit in der kriegerischen
Handlung und noch vieles andere mehr, womit die verschiedenen
Bearbeitungen an- und überfüllt erscheinen. Versucht man es
jedoch, ehrlich und ohne Vorurtheil sich in die Lage zu ver-
setzen, wie sie am Morgen war und auf beiden Seiten erschien,
so enthüllt sich immer mehr ihr wahrer, nicht hinwegzuleugnender
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Charakter: Sie weist die Merkzeichen des Verhäng-
nisses äußerst deutlich auf; insofern man als
Verhängnis die Unmöglichkeit anerkennen will,
in elfter Stunde plötzlich allwissend und all-
mächtig zu werden.
Gehen wir noch einmal das Bild der Ereignisse durch. Der
Fürst von Hohenlohe wird durch die Heeresleitung belehrt er
habe den Abmarsch der Hauptarmee zu decken, und tröstlich
wird hinzugefugt, er könne nur mit geringen Kräften des Gegners
zu thun bekommen ; woher solche im Anmärsche sind, kann
man ihm mit Sicherheit nicht sagen ; jedoch müsse er auf jeden
Fall einem ernsten Gefechte aus dem Wege gehen. Daneben hat
der Fürst das Eintreffen des Herzogs von Weimar abzuwarten.
Diese Weisungen, besonders jene, ein ernsthaftes Gefecht
zu vermeiden, erhält der Fürst, als er eben im Begriffe steht, den
ihm durch scheinbar schwache Vortruppen des Feindes entrissenen
Beobachtungsposten am Landgrafenberge zurückzuerobern ; er
gibt den Angriff auf und wendet sich, der strategischen Idee,
die er soeben empfing, gemäß, nach Dornberg, wo er die
Saaleübergänge sichern soll ; die verschiedensten Motive — wir
haben sie angedeutet — bestimmen ihn, die Festhaltung der
Saaledefileen nicht eigentlich zu bewirken.
Am nächsten Morgen beginnt das Gefecht bei Tauentzien,
von dem er anfangs glaubt, es sei nicht ernsthafter Natur, von
neuem und hält an. So beschließt der Fürst, mit einer, wie er
glaubt, entsprechend starken Macht zur Aufklärung vorzugehen ;
die Witterungsverhältnisse verhindern ihn längere Zeit, etwas zu
sehen. Indessen erfährt er durch Tauentzien vom Vorgehen fran-
zösischer Kräfte und allsogleich leitet Hohenlohe die Cooperation
mit Holtzendorf ein, der jedoch bald nicht mehr in der Lage ist,
den Befehl des Fürsten auszuführen ; geschlagen zieht sich dieser
General andiepräsumptive Rückzugslinie der Armee.
Des Generals von Rüchel Mitwirkung, im Fall der Kampf ein
ernster werden sollte, hatte sich der Fürst bereits versichert;
als nun der Nebel schwand, erblickte er Kräfte des Gegners vor
sich stehen, die, wie es schien, mit der eigenen schwachen Kraft
doch immerhin zu schlagen waren ; das zu versuchen, entschließt
sich Hohenlohe ; der Gegner weicht mit seinen vitalen Theilen
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unverzüglich aus, während er Orte, die vor Hohenlohes Front
liegen, mit Schützen besetzt, welche der Fürst mit seinem Truppen-
niaterial erfolgreich nicht bekämpfen zu können fühlt ; und, man
muss zugestehen, thatsächlich nicht bekämpfen konnte.
Er überlegt ; während er überlegt, leiden seine Truppen ;
er wartet; denn Rüchel soll ja kommen. Indessen glaubt der
Fürst an den Erfolg, denn noch immer vermag er überlegene
feindliche Kräfte nirgends zu sehen. Ersichtlich denkt der
Fürst heute, den 14., anders über das Selbst-
bestimmungsrecht eines Feldherrn, als er's ge-
stern, den 13. that. Allein man müsste die menschliche
Natur wahrlich schlecht verstehen, fände man diesen Contrast
nicht völlig begreiflich : der gemessene Befehl kann den, der ihn
empfängt, für den Augenblick erblinden machen; er
fügt sich willenlos demselben unter der Wucht des „kategorischen
Imperativs"; denkt er über denselben nach, hat er
Muße dies zu thun, so wird derEmpfänger natur-
gemäß, besonders unter dem Drucke der Verant-
wortlichkeit, zu einem Compromiss zwischen
dem Buchstaben des Befehls und dem scheinbaren
Bedürfnis der Lage nach und nach gelangen,
auch wenn diese seit Erhalt des Befehls sich in
nichts verändert hat. Dass der Fürst am 13. den Landgrafen-
berg nicht zurückeroberte, kam daher, dass er kein „großer Feld-
herr" war, der erhaltene Befehle, des Erfolges sicher, ungescheut
verletzt ; dass er am 14. angriff, kam daher, dass er ein tüch-
tiger Soldat und selbständig denkender Führer gewesen ist.
Und während der Fürst noch immer wartet, wohl die Er-
schütterung seiner Truppen zu bemerken beginnt, doch, selbst
von seltener Bravour, ein gleiches Maß derselben in seinen
Truppen voraussetzt, löst sich deren Wille zum Kampfe immer
stärker auf; es ist nicht zu erkennen, inwieweit der bloße An-
blick der heranrückenden Verstärkungen Napoleons auf die
Haltung der deutschen Bataillone wirkte; es wird anzunehmen
sein, sie seien durch das Bewusstsein, mit ungleichen Waffen
zu kämpfen, allein schon genügend heruntergebracht worden,
dass sich das Blatt von selber gleichsam wandte. Wider den
Willen des Fürsten gehen die Truppen zurück und der Fluch,
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der jenem Führer wird, der das Weichen seiner Truppen nach-
träglich sanctionieren muss, trifft den ritterlichen Fürsten. Ur-
plötzlich erkennt er zudem die wie aus dem Boden wachsende
feindliche Zahlüberlegenheit, und was jetzt erfolgt, daran den
Maßstab der Kritik zu legen, verbietet wahrhaftig das Mitgefühl
oder vielmehr die Kenntnis der menschlichen Seele, welche aus
der Kriegsgeschichte beiläufig weiß, wann es wohl die Lage ge-
stattet, Rückzugs-Dispositionen kalten Blutes zu erlassen. Das
verbündete Heer war vor einer Stunde noch immerhin ein brauch-
bares Werkzeug zum Kampfe gewesen, und jetzt ein solches
nicht mehr. Größere Feldherren , als Hohenlohe war, haben
nach geringeren Niederlagen die Zügel der Führung verloren;
und so erschiene es wahrhaft abgeschmackt, jetzt, das glatte
Papier der Kriegskarte vor den Augen, anzugeben, was Hohen-
lohe zu thun gehabt.
Zu spät erkennt er, dass er, ohne es zu ahnen, in
eine Entscheidungsschlacht hineingerat hen ist;
eine solche wollte er ja nicht, dachte nicht an sie, hielt sie nicht
für möglich ; die oberste Heeresleitung selbst hatte ihm ja ge-
sagt, eine solche stehe ihm nicht bevor. Aus dieser Unkenntnis
der Lage erklären sich die Dispositionen des Fürsten, die eine
entscheidende Schlacht, und gar gegen Überzahl, nicht in Be-
tracht gezogen hatten ; ja thatsächlich nicht in Betracht nehmen
gekonnt. So darf man seine Anordnungen nicht verdammen,
indem man sagt: Wie konnte er sich en detail und
nacheinander schlagen lassen, er hätte seine
Kräfte vereinen sollen u. s. w. ; denn daraus lernt
der, der Kriegsgeschichte liest, wahrhaftig nicht
viel für die Praxis des Krieges; in dieser kann
er dereinst in ein e ähnli ch e L age kom men ; und
wird ebenso, wie Hohenlohe dazumal, nicht im
voraus wissen, wie der Ausgang sei, um so-
dann, des warnenden Beispieles eingedenk, im
vorhinein klüger zu verfahren. Aber erklären kann
die Kriegsgeschichte, wie der Gang der Dinge war; und jener,
der zwischen ihren Zeilen zu lesen versteht, wird zweifellos die
einzige, allerdings nicht mit Zirkel und Farbstift darzustellende,
strategische, wenn man will, Lehre aus derselben ziehen: Nie
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— 185 -
und nimmer könne ein Feldherr zu misstrauisch
sein.
Was wir bei Hohenlohe die psychologische Überschätzung
der Truppen nennen könnten, sehen wir bei Rüchel noch schärfer
wiederholt; die eigene Bravour lässt ihn die relative Schwäche
der Seele seiner Truppen völlig übersehen ; weil er selbst von
ausgezeichneter Tapferkeit ist, nimmt er an, der Soldat besitze
dieselbe auch; nichts Tragischeres kann es für einen Führer
geben, als die Erkenntnis, wie einsam er auf der Höhe kriegerischer
Tugend steht, zu der seine Leute zu folgen nicht vermögen.
Indess, es deutet dieses Verkennen vernehmlich genug auf den
tüchtigen Soldaten, dem» die Gabe des Feldherrn fehlt ;
denn dieser, die Menschen kennend, kann durch von
den Truppen an den Tag gelegte Bravour stets nur über-
rascht sein, seine Erwartungen übertroffen sehen;
während er das Gegentheil für selbstverständlich hält, und mit
demselben rechnet.
Wenden wir uns nun zum Kaiser der Franzosen und zu
seinem Heer. Der erste Gefechtsact, Eroberung der Linie Clos-
witz-Lützeroda verlief im allgemeinen völlig so, wie es Napoleons
Schlachtdisposition in Aussicht nahm, nur erheblich langsamer
unter der Ungunst der Witterung. Kaum weicht Tauentzien, so
drängt Lannes kräftig und beharrlich nach, bis ihm das Vor-
rücken Hohenlohes Halt gebot. In dem sich nun entwickelnden
Feuergefecht um Vierzehnheiligen erkennen wir klar, worin die
elemenlartaktische Überlegenheit der Franzosen bestand; indem
der Corpsführer seine geschlossenen Verbände, von denen er
nicht sicher ist, ob sie es im Feuergefechtmit den
preußischen Bataillonen auf die Dauer aufnehmen
können, der Einwirkung des Gegn ers zunäch s t
entzieht, lässt er demselben seine Schützen gegen-
über. Von diesen weiß der letzte Tirailleur und
sie.htbis zur Evidenz, wie ihm die wohlgerichteten
Bataillone des Gegners nichts anzuhaben imstande
sind. Nicht überlegener Math, nicht hohe Intelligenz hält
den französischen Tirailleur an den taktisch wichtigen Punkten
fest, sondern die ihm werdende Gewissheit, dass er durch
seine Art zu kämpfen im Vortheile gegen den Gegner
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sei ; wohl ist ihm das Stehenbleiben, trotzdem er klar die Über-
legenheit der eigenen Kriegsform fühlt, gerade kein Genuss und
ließe man ihm freie Wahl, so ginge er zurück ; aber die Führer
haben mit ihm unvergleichlich leichteres Spiel, als ihre Geg-
ner mit ihrem Material: sie haben nur einen Bru cht heil von
jenem psychologischen Widerstand im Mann zu
überwinden, den der deutsche Führer in seinen Leuten zu
besiegen hat. Das Bewusstsein, die eigene KampflForm schütze,
beruhigt ungemein, und nach einigem Erfolg erzeugt es in dem
lebenden Material des Krieges eine Art von Sorglosigkeit, ja Über-
muth, angesichts der Gefahr. Und dies ist ja doch das psycholo-
gische Problem des Krieges in allererster Linie: die Massen
zum Kampfe willig zu machen; heute versucht er's
durch imaginären Zwang unter der Erscheinungsform erhöhter
Kriegsdisciplin ; morgen entdeckt er triumphierend eine eigen-
thümliche Form, die den Zwang zum Theil entbehrlich macht,
indem sie die seelischen Ansprüche an die Truppe
herabsetzt. Also durchaus nicht tapferer brauchte
der französische Schütze zu sein, als der Linien-
soldat der preußischen Armee, und er ist es in der
That auch lange nicht gewesen. Für überlegen sah er
sich an und dieser Glaube in ihm dauerte zunächst
auch dort und dann weiter fort, wo und als er thatsächlich
nicht überlegen war. Auf dieses eben kommt es vor allem
im Kriege an.
Es wäre jedoch den Thatsachen nicht entsprechend, an-
zunehmen, als ob das Schützengefecht die Normal- und vor-
herrschende Form des französischen Fußvolkskampfes gewesen
sei. Im Gegentheile, wie schon bei dem Bilde der französischen
Armee bemerkt, war der Kampf in geschlossenen Verbänden
durchwegs vorgeschrieben; und in der That focht am 14. October
die große Masse der französischen Infanterie in dieser letzteren
Form. Aus diesem ergibt sich nun bei einigem guten Willen sehr
klar der Geist der Taktik jener Zeit. Die Schützen, die nur immer
einen Bruchtheil der fechtenden Truppen darstellen dürfen, haben
den Zweck, den Feind moralisch zugrunde zu richten, ihn für
den Stoß mit Colonnen empfänglich, das heißt widerstandsunfähig
gegen ihn zu machen ; sie sind kein Mittel zur Schlachtentscheidung,
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sondern nichts als ein Instrument, welches, weniger leidend als
der Gegner, denselben ermüdet und entnervt, bevor der End-
stoß erfolgt Nur gewissermaßen geduldet ist das
Tiraillieren als ein Nothbehelfy soll im Auge des Soldaten
eine ihm gewährte Wohlthat sein, die er dankbar hinnehmen,
keineswegs missbrauchen darf; denn sehr wohl weiß Napoleon,
welche große taktische Gefahr der Übertreibung des Tiraillierens
innewohnen muss; seine geschlossenen Truppen hat er bei der
Hand, setzt sie ein, lässt sie kämpfen, aber das Zünglein an
der Wage bilden doch jene gleichsam nur improvisierten
Schützen, deren unscheinbare Thätigkeit von so unend-
lichem taktischem Gewichte ist; die Thatsache, dass von
20.000 Mann, die kämpften, nur 1000 im Schützengefechte
standen, während der Rest geschlossen focht; also das wirkliche
numerische Verhältnis, welches den Tirailleurs nur einen Bruch-
theil der Kämpfer einräumt, ist nicht das äußere Bild dessen,
was sie wirkten; sie nahmen trotz ihrer relativ geringen Zahl
mehr Einfluss auf das Gefecht, als es eine trockene Relation
gemeiniglich erkennen lässt; denn diese verzeichnet die moralische
Verwüstung nicht, die nur wenige Tirailleurs jener Zeit besonders
einem Gegner, wie die Preußen waren, zuzufügen wussten,
welche Zerstörungsarbeit eben nur von ihnen geleistet werden
konnte, und zu der die große Überzahl geschlossener Truppen-
theile füglich nicht so sehr wie sie geeignet war. Klar scheint es
uns nun mit einemmal zu werden, woher es kam, dass das
Tiraillieren in der französischen Armee nicht officiell geregelt war.
Und wahrhafte Ehrfurcht vor dem Menschenkenner Napoleon
muss uns hier ergreifen, wenn, wie es wohl noch dahinsteht,
wir ihn diesmal errathen: Er erkennt genau, welch unge-
heuren Vortheil das Tirailleurgefecht im Kampfe ver-
spricht: jedoch er sanctioniert es nicht; nichts kann ihm
ferner liegen, als das Bestreben, dieses hervorragende
Kriegsinstrument öffentlich zum System zu erheben;
er proclamiert sein Recept zum Siege nicht. Denn erstens
will er das Tiraillieren in der eigenen Armee nur als eine be-
dingte und gewünschte Wohlthat angesehen wissen, die nicht
übertrieben ausgebeutet werden dürfe; zweitens, und dies scheint
fast der gewichtigere Grund für sein Schweigen in diesem Punkt
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ZU sein, liegt ihm daran, dass man im Ausland nicht erfahre,
was die Stärke seiner Taktik sei; er verschleiert klug
das, was ihm Überlegenheit verschaffen kann, als Menscnen-
kenner sehr wohl wissend, dass die Menschen nicht im
Stande sind, aus den Ereignissen und besonders den
Vorgängen des Kampfes die entscheidenden Motive,
wenn solche nicht geradezu in die Augen springen, mit
Klarheit und voller Überzeugung herzuleiten; sondern
vielmehr nur das zunächst verstehen und jenes glauben,
was an irgend einer Stelle schwarz auf weiß verzeichnet
steht. Indess, wozu erschöpfen wir uns in Worten? Hier eine
Probe, wie man über Napoleons Taktik in der vorjena'schen Zeit
gedacht: Die Mitglieder der militärischen Gesellschaft in Berlin
kamen Ende 1804 über die Kampfweise der Franzosen zu folgen-
dem Resultat: „Man könne nicht sagen, die neueren Franzosen
hätten das Tirailleursystem absichtlich eingeführt. — Es
entstand durch den Drang der Umstände. Das Terrain des letzten
Kriegsschauplatzes trug viel dazu bei; in jedem offenen Terrain
würden sie gewiss zur geschlossenen Ordnung zurückkehren . . ." *).
Welche Blicke thut man da in jene Zeit! Wie verständlich, so
verständlich, dass man billig sagen muss, es konnte nicht anders
sein , erscheint uns jetzt das taktische Thun der preußischen
Feldherren wohl! Aber welch einen Blick erschließen uns auch
diese wenigen, halbvergessenen und kaum beachteten Zeilen in
die Werkstatt jener gewaltigen seelischen Hebel, deren sich der
größte Feldherr der modernen Zeit bedient, die jedoch nicht so
deutlich und klar und plausibel zu machen sind, als etwa die
Principien der Mechanik seiner Strategie.
Ein Mann, der in g roßartigere r Weise seine
Gegner zu täuschen und hinter's Licht zu führen
verstanden hat, wird in der ganzen Geschichte
schwer zu finden sein.
Doch nun zu den Tirailleuren zurück ; bei Jena scheint —
es lässt sich dies aus dem Materiale nicht völlig erkennen, doch
scheint es so zu sein, als ob das Tirailleurgefecht allein durch
seine Dauer schon die Entscheidung herbeigeführt hätte. Zu be-
merken ist hierzu, dass der Unterschied der alten und der neuen
*) V . d. Goltz, 204.
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Taktik noch nie so scharf hervorgetreten war, als eben jetzt bei
Vierzehnheiligen. Das Jahr vorher war Buxhoewden mit seiner
Übermacht gegen Legrand und Davout, die hinter dem Goldbach
standen,*) wenn auch mit erheblichem Verlust, doch immer vor-
gegangen ; und hier blieb Hohenlohe stehen ; hinzukam der For-
malismus der preußischen Armee, der aus den Bataillonen eine
kaum zu verfehlende Reihe von Scheiben machte. Wenn man
erwägt, dass Hohenlohe in dem Moment, als seine Bataillone sich
wandten, noch immer stehen zu bleiben gesonnen war, so muss
man zu der Anschauung gelangen, dass sich gewiss nicht gerade
in feuerwirksamer Nähe überlegene geschlossene Truppen des
Feindes gezeigt haben.
Fassen wir nun das Bild des Fußvolkskampfes, wie es hier
erscheint, noch einmal in's Auge, so kann man ruhig sagen : Na-
poleon versteht es meisterhaft, den Gegner durch Truppen, die
für ihren Zweck — aber auch fast nur für diesen —
eine ganz besondere Taktik haben, derart zu erschüttern, dass
dieser seine Überlegenheit im nachfolgenden geschlossenen Feuer-
gefecht nicht mehr anzuwenden vermag.
Gleichwie im Embryo jetzt, 1806, schließt sich daran eine
zweite Napoleon'sche Idee, die wir aus dem Bilde der Schlacht
gewinnen. Wir wissen wohl, man muss vorsichtig mit solchem
Urtheil sein, das in den Acten und den Quellen nicht verzeichnet
steht. Allein der Gedanke lässt sich nicht abweisen : Napoleon be-
ginnt zu erkennen, dass das Tirailleurgefecht hinreichen
kann, den Gegner derart zu erschüttern, dass er weichen
wird, sobald man ihm geschlossene Massen auch nur
zeigt. Wir sagen nicht, dass der Kaiser mit dieser Thatsache
rechnet; aber bemerkt und erwogen hat er sie sicherlich. Es ist
dies eine der selteneren, aber auch manchmal wirkungsvollsten
Erscheinungsformen der Kriegspsychologie ; selten, denn nur ein
sehr gefürchteter Feldherr wendet sie mit Bewusstsein und einiger
Sicherheit des Erfolges an. Aber hier, wo die taktische Über-
legenheit der den Gegner vorbearbeitenden Kriegsmittel eine so
bedeutende ist, dass dieser schon vor dem Ansetzen des mecha-
nischen Stoßes, der zum endlichen mechanischen Ausringen führen
soll, fast schon widerstandsunfähig geworden ist : gewinnt der
•) In der Schlacht von Austerlitz.
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Glaube Raum, es sei in jener Vorbearbeitung eben das
Schwergewicht der Kampfesthätigkeit gelegen und sei es
Plan gewesen, durch bloßes Zurschaustellen frischer Kräfte den
Umschwung zu den eigenen Gunsten zu bewirken ; es ist indess,
nochmals, nicht nachgewiesen, ob dem hier thatsächlich so war ;
und noch weniger, ob es Napoleons Calcul also gewünscht
Was die Verwendung der Schwesterwafifen auf französischer
Seite betrifTt, so sehen wir die Reiterei durch den Grundsatz
der Gefechtsreserve — also einer neuen Form — überall im
Vortheile. Gerade bei dieser Waffe tritt der, wenn man so sagen
darf, taktische Sansculottismus scharf hervor. Sie reitet unbe-
kümmert an, und eine wilde Jagd beginnt, sobald der Gegner
weicht; während die preußischen Schwadronen nach dem Choc
zunächst auf das Signal Ralliieren warten, um Richtung und
Alignement, die leider verloren gegangen, wieder zu gewinnen,
dringen die französischen Geschwader von allen Seiten nach und
nehmen die Unordnung, die dabei entsteht, gleichmüthig in den
Kauf. Auch trat die französische Cavallerie durchwegs in starken,
geordneten, meist Brigadeverbänden in den Kampf, während die
deutschen Schwadronen vielfach vereinzelt fochten. In dieser
Waffe hat sich der Altersunterschied der beiderseitigen Führer
besonders fühlbar gemacht.
Von der Artillerie ist wenig zu berichten; Napoleon ver-
suchte vor Vierzehnheiligen die Bildung einer Geschützmasse,
doch gelang dieselbe nicht in dem gewünschten Umfang.
Die Schlachtführung im Großen betreffend, nehmen wir
folgendes wahr: Die Corpsführer lösen die ihnen übertragenen
Aufgaben strenge im Sinne der Schlachtdisposition und wo diese
nicht ausreicht, im Sinne des „an den Feind und schlagen". Sie
handeln so, wozu die Mittel, die sie in die Hand
bekommen haben, geschickt und geeignet sind;
viel muthen sie ihnen zu, doch was der Führer von der Truppe
verlangt, ist dieser aus langer Erfahrung sehr genau bekannt
Alle Marschälle und Generale zeigen das lebhafteste, ja heiße
Verlangen, den Intentionen des Kaisers nachzukommen, sie suchen
dieselben sogar im voraus zu errathen, gehen, wo es ihnen am
Platze scheint, über dieselben hinaus ; ein durch guten Willen
für die Sache erzeugtes lebendiges Convergieren aller Einzelbe-
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Strebungen . auf den Kampfeszweck hin tritt überall hervor; nur
Augeraus langes Säumen ist nicht ganz erklärt.
Der Kaiser leitet persönlich den Gang des Gefechtes und
greift vor Vierzehnheiligen persönlich ein, als die Truppen Lannes
zurückgehen. Was die Anlage der Schlacht im Großen betrifft,
so sehen wir, wie er mit den geringen vorhandenen Kräften
unbedenklich angreift, indem er den Rest, der noch am Marsche
ist, erwartet. Hervorgeht klar daraus, wie Napoleon sicher zu
sein glaubt, unter allen Umständen das Gefecht zu halten, bis
er versammelt ist. Das ist in dürren Worten Überzeugung von
der Innern taktischen Überlegenheit der eigenen
Mittel über jene des Gegners. Der Gedanke kommt
Napoleon gar nicht, er könne auf das Defile in seinem Rücken
zurückgeworfen werden. Wir finden bei Jena in noch höherem
Maße als bei Austerlitz, wie der Kaiser in währender Schlacht
seine Macht auf dem Schlachtfeld vereint. Nicht stellt er
seine Reserven gewissenhaft vor dem Kampfe
und diesem möglichst nahe auf, sondern er zieht
sie aus dem strategischen Marsch in den tak-
tischen Marsch hinüber. Er weiß , dass die taktische
Reserve am besten heranmarschiert, bevor sie zur Verwendung
kommt, um durch die lebendige Kraft, die ihr vom
Marsche her noch innewohnt, ohne lange und
gefährliche Reflexion auf den Kampfort getragen
zu werden; während die lange bereitstehende Reserve, auch
wenn sie materiell nicht veriiert, doch moralisch unter der
zersetzenden Unthätigkeit leidet. Auch drängt sich uns hier wie-
der der Gedanke auf, als seien jene Reserven zum Theil
bestimmt gewesen, durch ihr Erscheinen allein auf den Ge-
fechtszweck einzuwirken.
Wir verfolgen somit ein taktisches Thun des Kaisers, jene
Siegessicherheit, die er in seinem strategischen Thun bis nunzu
verrieth ; und wie wir sehen, gibt der Erfolg ihm Recht — bei
Jena, wo er einem halb so starken Gegner nur gegenüberstand.
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Auf dem rechten strategischen Flügel Napoleons standen.
wie bekannt, am Abend des 13. October: Davout bei Naumburg-
Kösen; Bernadotte vor Naumburg; und bei Naumburg-Weißenfels
der Großherzog von Berg mit den Dragonerdivisionen Beaumont
und Sahuc, der Chasseurbrigade Milhaud und der Husarenbrigade
Lasalle. Alle diese Truppen gedachte der Kaiser zur Schlacht
heranzuziehen und sandte im Laufe des 13. die bezüglichen Be-
fehle. Murat und Bernadotte sollten über Dornburg in des Feindes
linke Flanke, eventuell seinen Rücken marschieren. Um 10 Uhr
abends ergeht dieselbe Weisung an Davout, dem jedoch die Wahl
des einzuschlagenden Weges überlassen blieb.
Bernadotte hatte, da Davout, dem er zunächst stand, ur-
sprünglich angewiesen war, zu warten, die Idee gefasst, er
müsse diesem Marschall nahe sein, um ihn vorkommendenfalls
unterstützen zu können. Aus welcher Kenntnis der allgemeinen
Lage dieser strategische Entschluss hervorgegangen ist, weiß man
nicht recht. Als jedoch in der Nacht des 13./ 14. der Befehl Napoleons
an Davout bei diesem Marschall eintraf, in welchem Befehle Ber-
nadotte bereits bei Dornburg stehend angenommen wird, marschiert
der Fürst von Ponte-Corvo schleunigst dahin ab, obwohl ihm
jetzt bekannt geworden ist, dass dem III. Corps ein Feind gegen-
übersteht, dessen Stärke allerdings nicht bekannt und eher unter-
schätzt worden ist. Der Marsch, verspätet angetreten, wurde von
Bernadotte indolent geführt; zwischen Camburg-Dornburg ver-
nahm er den Kanonendonner, der von Jena sowohl als Auerstädt
nunmehr herüberscholl; beeilte sich jedoch, wie feststeht, durch-
aus nicht mit dem Entschluss, wohin er sich zu wenden habe:
und als ersieh endlich entschieden hatte, Napoleon zuzumarschieren,
that er dies mit soviel Gemächlichkeit, dass er erst etwa um vier
Uhr Apolda erreichte, wo er Quartiere bezog. Er hat nach keiner
Seite in den Kampf eingegriffen, ja es nicht einmal ernstlich ver-
sucht. Neben der für den Durchschnitt eines französischen Mar-
schalls jener Tage auffallenden Entschlusslosigkeit und dem noch
mehr auffallenden Mangel an Energie hat man ihm auch noch
unlautere Gründe für seine Handlungsweise vorgeworfen; Eifer-
süchteleien gegen Davout sollen im Spiele gewesen sein. Er-
sichtlich ist, dass der spätere Kronprinz von Schweden nicht auf
der Höhe der übrigen Corpsführer stand.
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Murat erreichte in Befolgung der erhaltenen Befehle am
Abend des 14. October mit der Masse seiner Reiterei Apolda,
während Sahuc in Dornburg blieb. Der Marschall hatte sich
für seine Person zum Kaiser aufs Schlachtfeld von Jena
begeben und mag vielleicht die relative Langsamkeit des Mar-
sches seiner Divisionen auf Rechnung seiner Abwesenheit zu
setzen sein ; nichts kam von dieser ganzen Reiterei zur Ver-
wendung.
Davouts Vortruppen hatten am Abend des 13. ein leichtes
Geplänkel bei Kosen gehabt und der Marschall sodann diesen
Übergang besetzt; da er auf der Straße des rechten Saaleufers
Murat im Marsch aufs Jenaer Schlachtfeld wusste, so entschloss
er sich, als ihn der Befehl Napoleons, die Theilnahme an der
Schlacht bezweckend, traf, auf dem linken Ufer über Auerstädt-
Apolda zu marschieren und ging mit dem Frühsten des 14. auf
dieser Straße vor. Da jedoch seine Divisionen die Nacht hindurch
ziemlich vereinzelt gestanden hatten, so brachen sie nicht gleich-
zeitig auf und schlössen nicht knapp hintereinander in der Marsch-
colonne an, sondern es ergaben sich vielmehr sehr erhebliche
Abstände zwischen denselben.
Das dritte Corps bestand aus folgenden Truppen und hatte
am 14. October folgende Zahlen:
1. Division, General Morand, 10 Bat.
2. „ „ Friant, 8 „
3. ,, „ Gudin, 8 „
Leichte Cavalleriebrigade, General Vialannes, 9 Esc.
27.300 Mann
nebst 44 Geschützen.
Von diesen Truppen hatte die Division Gudin die Nacht
bei Kosen zugebracht und überschritt die Saale etwa um halb
7 Uhr.
Die preußische Hauptarmee hatte, wie bekannt, mit ihrem
Gros die Nacht südlich Auerstädt zugebracht, während die Avant-
gardedivision Schmettau, die dem Befehl, Kosen zu besetzen,
nicht nachgekommen war, nördlich der Stadt gelagert hatte. Am
14. October 6 Uhr morgens trat nun die Armee den Marsch nach
Norden an.
C. von B.-K. Zur Psychologie des großen Krieges II. 13
. 10.000
Mann
. 7.500
n
. 8.500
n
c. 1.300
n
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10 Bat. 20 Esc.
i 10 .
10 .
10 ,
10 ,
8 ,
15 ,
10 „
«
4 „
25 ,
52 Bat.
80 Esc.
— 194 -
Sie bestand an diesem Tage aus :
3. (Avantgarde-) Division, GL. Graf Schmettau .
1. „ GL. Prinz von Oranien
2. „ GL. Graf Wartensleben
Reservecorps ; G. d. C. Graf Kaikreuth.
1. Reservedivision, GL, Graf Kunheim . . .
2. „ GL. von Arnim
leichte Truppen (bis zum 13. October GL. von
Blücher) 4
"52"
Die Bataillone zählten 750 Gewehre, die Escadronen 115 Säbel.
An Artillerie war vorhanden: 16 Batterien mit 136 Geschützen,
dann 94 Stücke der Infanterie. In runder Summe betrug der
Combattantenstand 50.000 Mann.
GL. von Blücher erhielt am Morgen den Befehl über die
gesammte Reiterei der Avantgardedivision ; doch kaum hatte er
denselben übernommen, als ihm der Herzog auch schon wieder
einen Theil der Escadronen entzog ; einige derselben gingen als
Avantgarde der Division Schmettau auf Kosen voraus und
nachdem sie bei Poppel eine Cavalleriespitze des Gegners zurück-
geworfen hatten, passierten sie mit der ihnen beigegebenen
Batterie das Dorf Hassenhausen.
Am Ausgange desselben empfing sie das Kartätschenfeuer
einer aufgefahrenen französischen Batterie ; die preußischen Ge-
schütze, kaum in die Stellung gebracht, wurden von französi-
scher Infanterie und Chasseuren genommen und so warfen sich
die Dragoner sofort wieder in das Dorf zurück. Blücher war
inzwischen mit den ihm verbliebenen 7 Escadronen auf den Ran-
zenhügel vorgegangen ; plötzlich erkannte er in einem schwarzen
Streifen, den er im Nebel für eine Hecke angesehen, feindliche
Infanterie ; und vorsichtig stand er von einem Angriff ab. Es
waren bei Hassenhausen 11 Escadronen und 1 Batterie preußi-
scherseits auf die Avantgarde Davouts von 2 Bat., 1 Esc. und
einer Batterie gestoßen. Der Nebel vornehmlich veranlasste die
preußischen Führer, die local getrennt und ohne Übereinstimmung
handelten, zu dem übereinstimmenden Entschluss, vorerst abzu-
warten und vor allem sich um Verstärkung umzusehen.
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Rasch folgten nun die Ereignisse aufeinander. Der Mar-
schall, der sich bei der Avantgarde befand, beeilte den Aufmarsch
der zunächst folgenden Division Gudin, deren größten Theil er,
da Blücher sich immer mehr von Hassenhausen nördlich zog,
und südlich des Ortes noch keine Preußen zu erblicken waren,
rechts vom Orte aufmarschieren ließ. Blücher hatte unterdessen,
nicht ohne Reibungen auf dem Instanzenwege, einige Schwa-
dronen der Division Wartensleben, die auf Schmettau folgte, zu-
gewiesen erhalten und, nachdem er, östlich von Spielberg vor-
gedrungen fast schon im Rücken der Franzosen stand, atta-
kirte er. Er traf auf intakte Infanterie und wurde abgewiesen ;
unaufhaltsam eilten trotz seines persönlichen energischen Ein-
greifens die Kürassiere und Dragoner bis zu dem schützenden
Wald nördlich Spielberg zurück ; nur eine reitende Batterie blieb
feuernd auf ihrem Platze stehen. Auf Seite der Franzosen traf
nun die Division Friant und die Cavalleriebrigade ein. Davout
zog die Mehrzahl dieser Truppen gleichfalls auf seinen rechten
Flügel und erkannte sogleich die günstige Gelegenheit, die Ver-
einsamte deutsche Batterie zu nehmen ; es gelang und die fran-
zösischen Reiter prallten in ihrem Übereifer mitten in die preußi-
sche Division Schmettau hinein, welche sich eben jetzt nördlich
der Straße gegen Hassenhausen zu entwickeln begann. Es wirft
kein günstiges Licht auf die deutschen Truppen, wenn wir hören,
die Bataillone Schmettaus hätten auf die in ihre Intervallen vor-
gedrungenen wenigen feindlichen Reiter blindlings kreuz und quer
geschossen ohne Rücksicht darauf, dass sie die eigenen Truppen
hiedurch gefährdeten.
Vor Hassenhausen traf eben jetzt, etwa 9 Uhr, der Herzog
. ein. In den Höhen südlich des Ortes, erklärte er, liege der Schlüssel
der Stellung, also nach modernem Jargon der entscheidende Punkt;
nachdem er seinen Generalstabschef Scharnhorst zur Division
Schmettau dauernd abbefohlen hatte, sandte er einen Officier
zurück, um den nachrückenden Truppen die Direction auf die
bezeichnete Höhe zu geben. Dieser Officier traf zunächst die
Division Wartensleben nördlich Auerstädt in einem deplorablen
Zustand an : die Verbände durchwegs zerstört und zerrissen, die
Leute jetzt schon nirgends in der Hand der Führer. Diese Un-
ordnung war durch technische Schwierigkeiten entstanden, welche
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die Division beim Marsche durch das vom Tross des Hauptquartiers
überfüllte Auerstädt gefunden ; und durch den eigenthümlichen
Umstand, dass beim Passieren des Emsbaches jedermann über
die Brücke und niemand durch die Furt zu gehen gesonnen
war, wodurch heillose Verwirrung platzgegrififen hatte. Dennoch
begann die Division endlich ihren Aufmarsch ; eine Brigade ging
über Gernstädt und den Meerrettiggrund, die andere über Reh-
hausen vor.
Inzwischen gewannen bei Hassenhausen die Dinge eine
ernste Gestalt. Schmettau machte Anstalt, mit seiner Division den
französischen rechten Flügel anzugreifen. Davout — ein echter
Adept der napoleonischen Schule — will diesen Stoß durch eine
Umfassung parieren und sendet 5 Bataillone auf Spielberg, von wo
sie in des Gegners linke Flanke fallen sollen ; diese Truppen
scheinen hier jedoch durch die neuerdings gesammelten Reste von
Blüchers Reiterei festgehalten worden zu sein. Eben begann auf
des Marschalls linkem Flügel das Herannahen von Wartensleben
sichtbar und bald fühlbar zu werden, so dass er aus seiner
Schlachtlinie nördlich des Ortes 4 Bataillone auf seinen linken
Flügel und südlich nach Hassenhausen zog, wo das 85. Regiment
bisher ziemlich exponiert gestanden. Von den vorhandenen 16 Ba-
taillonen blieben dem Marschall somit nur 7 unmittelbar zur Hand,
um den Stoß der 10 Bataillone Schmettaus abzuwehren: einge-
leitet wurde derselbe durch einen gelungenen kleinen Reiterkampf,
in welchem ein paar Geschütze der Franzosen genommen wurden:
die preußischen Bataillone gingen ernstlich vor; und dieses
einleitende Vorgehen allein schon wirkte auf
die Führer so erhebend, ja es scheint, tast uner-
wartet ein, dass Scharnhorst den Truppen zuzu-
rufen sich nicht enthalten konnte, sie hätten die
preußische Monarchie gerettet. Wir wollen hier nicht
darauf verweisen, wie Lob, das erst zu verdienen und blutig zu
verdienen ist, auf die Truppen, denen es vorweg gespendet wird.
nicht oft befeuernd, sondern vielmehr genugthuend, mithin däm-
pfend und zügelnd einwirken würde ; indem man ja genugsam weiß.
dass solche Worte, wo sie gesprochen werden, höchstens von
einem verschwindenden Bruchtheile jener, denen sie der naive
Enthusiasmus eines Neulings im Kriege bestimmt, gehört und
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verstanden werden. Aber bezeichnend ist dieser unverhohlen zu
Tage tretende dankbare Sanguinismus des Generalstabschefs für
die Erwartung, die er bezüglich der Haltung der Truppen im
vorhinein gehegt; denn kein objectiver Thatbestand lag vor, der
einen derartigen Gefühlsausbruch uns begreiflich erscheinen lassen
könnte; für Scharnhorst lag er in der simplen Thatsache, dass
die Truppen überhaupt vorzugehen Willen zeigten ; man ermisst,
wie naiv diese Dankbarkeit erscheinen muss. Ein Feldherr oder
jener, der an seiner Stelle steht, darf sich zu einer solchen, auch
wenn sie aufrichtig gemeint ist, nie hinreißen lassen.
Schmettau griff mit Echelons vom linken Flügel an.*) Wenn-
gleich nun die Einzelheiten des Kampfes nicht völlig bekannt sind,
so geht doch aus der Darstellung hervor, dass wir im großen
Ganzen hier demselben Bild begegnen, das wir bei Jena sahen.
Die Franzosen, local und momentan in der Minderheit, klammern
sich an einen Ort — hier Hassenhausen, während die geschlos-
senen preußischen Bataillone, im freien Felde nördlich des Ortes,
keine vitalen Theile des Gegners erblickend, das Object, zu dessen
Eroberung ihnen das taktische Geschick nicht innewohnt, anzu-
greifen sich nicht entschließen können. So kommt der Angriff in
jener Situation zum Stehen, die den Franzosen das Bewusstsein
taktischen Übergewichtes und den Preußen mit dem Fühlbar-
werden des Gegentheils erhebliche Verluste bringt. In dieser Lage,
die an das, was man Kriegsdisciplin der Truppen nennt, weit
höhere Ansprüche auf preußischer Seite als auf
französischer stellt, dauern vorerst die Bataillone Schmet-
taus mit unübertrefflichem Muthe aus. Die preußischen Führer
besitzen in den Formen ihrer Taktik kein bekanntes und ge-
wohntes Mittel, sich aus der precären Lage durch rasche Er-
oberung des vor der Front liegenden störenden Objectes zu ziehen;
und ein solches improvisiert man nicht in einem regulären und
wohlgedrillten Heer.
Wenig später als Schmettau gelangte Wartensleben in's Ge-
fecht und veranlasste die uns bekannte Kräfteverschiebung der
französischen Schlachtlinie. Auf dem rechten preußischen Flügel
attakierte Reiterei das 85. Regiment, welches Davouts äußerste
Linke bildete. Die Franzosen zogen sich, da sie zum Theil über-
•) Reinländer, 152.
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rascht worden waren, auf das Dorf zurück. So drang der rechte
Flügel Wartenslebens vor, während der linke, längs der Straße
bleibend, vor Hassenhausen in den ungleichen Kampf mit den
Tirailleurs gerieth; hier muss nun die Haltung der deutschen
Truppen unter der Ungleichheit der taktischen Lage sich nicht
allzusehr bewährt haben, denn dieOfficiere hatten sehr zu thun^um
Ruhe zu erhalten. Der Herzog von Braunschweig in Person kam
herbei, um durch seine Anwesenheit die Stimmung der Truppen
zu heben. Man hat ihm dies sehr verargt und hat nachmals
nicht scharf genug betonen können, wo der Standpunkt des
Feldherrn in einem Treffen sei. Begreiflich ist dieser Tadel wohl.
denn der alte Held wurde hier durch beide Augen geschossen,
auf den Tod verwundet, und schreibt diesem Umstände die
patriotische Legende die Niederlage zu. Alle Führung sei nun-
mehr verloren gegangen. Man bedenke jedoch, um von allem
Anderen abzusehen, welchen Zeitalters der Herzog war; ein ritter-
licher Soldat des XVIII. Jahrhunderts, vermochte er in seinen
alten Tagen sich nicht zur Höhe der nüchternen Auffassung
unserer Zeit von den Pflichten eines Feldherrn im Gefechte zu
erheben; und wusste er und konnte ihm bekannt sein, was wir
wissen, dass der Feldherr einzig und allein aus sicherer Ferne
kühl disponieren soll, ohne je, wenn auch aus guten
kriegspsychologischen Gründen (natürlich nicht
Enthusiasmieren der Truppen ist hier g emeint.
sondern persönlicher Verkehr und unmittelbare
Einwirkung auf die untergeordneten Führer an-
gesichts der unmittelbaren taktischen Lage der-
selben) in die gefährdete Zone zu gehen? Wahrhaftig,
man muss zu dem Schlüsse kommen, man könne den Manen eines
ritterlich Gefallenen jener Zeit keinen unbilligeren Vorwurf und,
was schwerer wiegt, keinen unverständigeren thun, als
den, sich exponiert zu haben. Ja, es steht sehr dahin, ob die
moderne Lehre der persönlichen Nichtintervention eines Feldherrn
in der Schlacht mit der Zeit und angesichts der modernen balli-
stischen Mittel, nicht sehr verderblich werden kann.
In der That hörte nun nach der Verwundung des Herzogs
die Einheit der Handlung fast vollkommen auf. Der König über-
nahm weder selbst den Oberbefehl, noch übertrug er ihn einem
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Anderen. So that jeder der Generale das, was ihm zunächst gut
erschien. Um jene Zeit — im Laufe des Vormittags — hat
Friedrich Wilhelm III. endlich den Brief Napoleons aus Gera vom
12. erhalten; erhebend hat diese Epistel auf ihn sicher nicht
gewirkt; es mag die Sprache des Imperators den von Natur
zaghaft und pessimistisch angelegten König hier vielleicht noch
rathloser gemacht haben, als er es ohnehin schon war; jedoch
ist dies historisch nicht erwiesen. Diesen Brief theilen wir später
mit: er enthält so viel, dass seine Kenntnis augenblicklich noch
nicht am Platze scheint.
Die Lage war nun etwa folgende : Der rechte preußische
Flügel, weit ausgedehnt, hat Hassenhausen völlig umfasst, der
linke, kürzere, desgleichen ; vor dem Orte bildet die preußische
Schlachtlinie einen scharfen Haken, der nicht imstande ist, über
die Örtlichkeit hinaus sich vorzuschieben. Davout steht im großen
Ganzen in und nahe um den Ort mit convexer Front. Die Preußen
haben im Gefechte mindestens 20 Bat. und 20 Esc, Davout höch-
stens 11 Bat, 9 Esc; die artilleristische Überlegenheit ist gleich-
falls stark auf deutscher Seite. Jedoch ist bereits wahrzunehmen,
dass in den deutschen Truppen die verschiedenen Verbände sehr
durcheinandergewürfelt sind ; so besonders bei der Reiterei, wo
einzelne Regimenter nur mit einzelnen Escadronen am Platze
sind, von denen ein Theil ursprünglich zu Schmettau, ein anderer
zu Wartensleben, ein dritter zu den leichten Truppen, noch einer
zur Reserve gehörte. Es findet sich kein General, der die Rei-
terabtheilungen unter einem Befehl vereint und einheitlich
verwendet.
Die Division Oranien war im Anmarsch über Gernstädt,
ihre Reiterei voraus ; zuerst zur Verstärkung des linken preußi-
schen Flügels bestimmt, erhielt sie weiterhin Gegenbefehl und so
ging eine Brigade über Poppel und die andere über Rehhausen
vor. Während nun diese 10 Bataillone, deren Reiterei schon bei
Hassenhausen stand, auf dieses im Anmärsche waren, erhielt
Davout durch das Teteregiment der endlich nahenden Division
Morand eine leichte Unterstützung. Er gesteht in seinem Gefechts-
berichte selbst, dass sein linker Flügel nahe daran
gewesen sei, zu unterliegen; war doch schon die
Lisiere von Hassenhausen aufgegeben worden. Verwunderlich
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ist dies wahrlich nicht, wenn man die Stärkeverhältnisse in Rech-
nung zieht ; zudem trafen am preußischen rechten Flügel be-
ständig Escadronen ein, so dass hier eine ungeheure cavalleri-
stische Überlegenheit der Zahl, wenn auch keineswegs in takti-
scher Hinsicht, vorhanden war. Sehr kritisch war die Lage für
Davout. Doch schon zwei Bataillone mit zwei Geschützen ge-
nügten, um Hassenhausen zu halten, und wieder hergestellt war
damit das Gefecht. Ein Regiment der Division Morand traf nun
nach dem andern ein, und fast alle wurden von der zahlreichen
preußischen Reiterei, der der Marschall dieselbe Waffe nicht ent-
gegenstellen konnte, im Aufmarsch attakirt ; nirgends drangen die
deutschen Reiter durch und so wurden sie bald an den Emsbach
zurückgenommen. Dafür trat auf den beiden preußischen Flügeln
je eine Brigade Oraniens in den Kampf, welche infolge von De-
tachierungen nur mit je 4 Bat. einzugreifen in der Lage waren.
Es stellt sich nun das Verhältnis der Kräfte der Preußen und
Franzosen neuerdings wie folgt : 28 Bat. zu 20 *) ; das ist
erhebliche Überzahl an taktischen Einheiten, und wenn man den
Standesunterschied der französischen und preußischen Bataillone,
dann die Artilleriebedienung auf beiden Seiten in Rechnung stellt,
immerhin noch merkliche Zahlüberlegenheit der Preußen an In-
fanterie. Doch eben jetzt begann sich der Anfang des Endes zu
zeigen. Die bisher im Kampf gestandenen preußischen Truppen,
hören wir, waren sehr erschüttert, ja begannen bereits langsam
zu weichen. Die Umgehungscolonne Davouts näherte sich Poppel
und allgemach fühlte die preußische Führung dieselbe. In der
Führung sowohl, im Bereiche wo die leitenden Ideen sich bewegen,
als in dem Materiale des Kampfes nehmen wir die Zeichen be-
ginnender Auflösung wahr ; oben dachte man, man könne
sich nicht halten; unten fühlte man es bitter; wie konnte da
der Ausgang sein ? Nicht immer begegnen sich Truppen und
Führung in ihrem Glauben an Erfolg oder Aussichtlosigkeit ;
hier thaten sie es nur zu sehr.
Um die Mittagsstunde trat die Entscheidung ein. Erst wich
der rechte preußische Flügel und bald darauf der linke. Sofort
drängte Davout in breiter Front nach. Nun wissen wir, dass die
*) 1 Bat. Morand war zur Sicherung des Übergangs bei Kosen geblieben ; fast
1000 Mann.
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preußische Armee ja noch starke Reserven besaß. Das Reserve-
corps Graf Kaikreuth, dann die leichten Truppen unter General
von Oswald — mindestens 20 Bat. — waren im Laufe des Tages
procul negotiis geblieben. Der Commandant der Reserve hielt sich
beim König auf, um eventuelle Befehle zu empfangen und ohne
sein Vorwissen, mithin natürlich auch ohne seine Einwilligung
waren ihm bereits Theile seiner Reiterei entzogen worden, um
im Kampfe verwendet zu werden, während die zurückgebliebenen
Verbände, ohne Befehl geblieben, zumeist auf eigene Faust
agierten. General von Oswald war nach Suiza gerückt, um die
limübergänge zu besetzen und stand auf der Höhe zwischen
diesem Ort und Auerstädt. GL. Graf von Kunheim, Führer der
1. Reservedivision, war mit der Gardebrigade ebendahin gegangen,
während die andere bei der Division Arnim verblieben war, die
vorwärts Auerstädt stand. General von Kaikreuth selbst hatte die
Reservecavalleriebrigade — 15 Esc. — mit sich genommen. Als
nun der König das allgemeine Weichen wahrnahm, genehmigte
er das Vorgehen der Reserven auf beide Flügel. Zunächst ging
Prinz August von Preußen mit einem schwachen Detachement auf
Poppe! vor und, indem er den Ort der eben eingedrungenen Spitze
von Davouts Umgehungscolonne abnahm, sicherte er den Rückzug
von dieser Seite her. In dem ganzen Raum Tauschwitz-Rehhausen-
Sonnendorf fluteten die Trümmer der Divisionen Schmettau, War-
tensleben und Oranien zurück, auf dem Fuße und in der ganzen
Breite gefolgt von den Franzosen. Es gelang durch partielles Ein-
setzen frischer Truppentheile, den Marschall in der Höhe jener Orte
einen Moment im Nachdringen aufzuhalten, so dass der Rückzug
noch nicht in Flucht ausartete. Auf dem Sonnenberge hatten in-
dess, um den Rückzug zu decken, Truppen von Kunheim und
Oswald Aufstellung genommen; acht Bataillone mit Cavallerie
und Artillerie befanden sich hier, gegen welche sich General
Morand mit 3 Bataillonen und der Divisions - Artillerie verbiss.
Langsam wich die preußische Übermacht über den Emsbach zu-
rück, worauf sie auf dem jenseitigen Hange endlich doch zum
Stehen kam.
Indess verschob sich die Lage immer mehr zu Ungunsten
der preußischen Armee, oder es schien vielmehr, als
sei es so. Der König sah, dass sein V'orsenden frischer Truppen
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das Gefecht noch immer nicht zum Stehen bringen konnte und
gab die Hoffnung eines erträglichen Ausganges auf. Noch standen
auf der Gernstädter Höhe die Reservedivisionen von Arnim und
die Reste der Brigade Pletz, circa 10.000 Mann. Allein der Ein-
druck von der Übermacht des stetig vordringenden Gegners, so-
wie die Nachricht, eine Umgehungs - Colonne desselben dringe
auf Lisdorf vor, endlich das wüste Durcheinander der Truppen
ließen jeden Gedanken an ferneren Widerstand verschwinden.
Nur Blücher fasste die Idee, mit Reiterei einen Gegenstoß durch-
zuführen und bat den König um seine Genehmigung. Allein
als er Escadronen sammeln wollte, fand er kaum welche mehr.
So „ließ der König endlich den Rückzugge-
währen;"*) die Richtung desselben wurde vorerst nicht ange-
geben ; jedoch mussten die geschlagenen Truppen zum größten Theü
zunächst durch Auerstädt zurück; und, der Einwirkung des Feindes
weichend, zog sich, was vorne war, geradewegs dahin zurück.
Auf den Höhen von Eckartsberga hielt Friedrich Wilhelm III.
und erwog, wohin der Rückzug gehen solle. Man schlug vor,
zunächst auf Buttelstädt zu marschieren, um dann zu versuchen,
von dort aus erneuert die Elbe zu gewinnen ; denn der besseren
strategischen Lage und der Vereinigung mit dem Reservecorps**}
zuliebe sei man ja von Weimar abmarschiert. Allein der König
verwarf diesen Plan als zu gewagt und beschloss vor allen
Dingen die Wiedervereinigung mit Hohenlohe und Rüchel anzu-
streben. Dann wollte er neuerdings eine Schlacht versuchen,
am Ettersberg womöglich, wie sich von selbst versteht. All dies
bezeugt Scharnhorst, der an der Verhandlung theilnahm und
fügt hinzu, der Glaube sei allgemein gewesen, Hohenlohe wäre
völlig intakt. Über diesen Entschluss ist nun die Kritik mit uner-
hörter Schärfe hergefallen und selbst der in Ruhe des Ur-
t h e i 1 s und Takt der Diction so ausgezeichnete neueste Bear-
beiter des Krieges betrachtet den Rückzug nach Weimar als
„ganz fehlerhaft". Wir weichen geflissentlich einer Polemik aus;
denn, wenn wir offen sind, jede Polemik ist mehr oder weniger
gehässig gegen die Person, und, was wichtiger, scheint es
zu sein. Aber indem wir uns auf die Daten stützen, führen
") V. Lettow-Vorbeck, I, 396.
••) Des Prinzen Eugen von Württemberg.
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wir folgendes an : Der Eindruck, den man auf preußischer Seite
in der Schlacht empfangen, war der der Überlegenheit
des Gegners in jeder Hinsicht, sogar in der der
Zahl. Man war effectiv geschlagen und hatte Nachricht von
einer taktisch sehr weitreichenden Umgehung (über Lisdorf); so
wich man, zunächst um sich zu sammeln und zu ordnen, auf
die eigenen Kräfte zurück ; von diesen sich noch weiter weg-
ziehen, wahrlich, das konnte man nicht. Bekannt ist die Schwierig-
keit von Rückzügen in jeder Situation ; die Erfahrung
scheint zu zeigen, dass, je übler ein Kriegsheer
im Kampfe mitgen ommen wird, es desto rascher
auf eben jenem Wege geradeaus zurückweicht,
auf welchem es herankam. Wir sehen : es wies die
taktische Niederlage des 14., besonders bei den mechanischen
Schwierigkeiten und Reibungen aller Art, die im preußischen
Heere gang und gäbe waren, mit unwiderstehlichem Gewicht
auf die strategische Rückzugslinie nach Weimar,
wenigstens für diesen Abend noch und diese Nacht; mit
einem Wort, man wurde taktisch schon in die strategische
Richtung zurückgenöthigt und gedrückt. Wir wissen wohl,
dass die mechanische Kritik sich hier darauf berufen kann, die
Wein-Straße auf Buttelstädt sei für einen Rückzug ebenso central,
wie die auf Apolda- Weimar und müsse sie für weichende Truppen
mindestens ebenso einladend gewesen sein, wie jene; Thatsache
sei es ja, dass ein erheblicher Theil der preußischen Armee, vor-
wiegend Theile des linken Flügels, diese Richtung nahm. Dazu
ist zu bemerken, dass Truppen, die geschlagen sind, vor allem
jene Rückzugsrichtung wählen, auf der sie herangekommen sind
und jene Straßen, die sie vom Vormarsch kennen. Wird diese
Straße durch das Zusammentreffen größerer Massen unpraktikabel,
dann erst weichen die Truppen fächerförmig zurück. Ein ähn-
liches geschah hier, wo der von den Höhen westlich Auerstädt
herabgeworfene linke Flügel keinen Raum gefunden hat, um
direct zurückzugehen. Gerade die Richtung der letzten fran-
zösischen Stöße wies sehr nach der Richtung Weimar hin. Man
besehe die Karte unbefangen und frage sich, ob es nicht klar
am Tage liegt, wie die sozusagen erzwungene Rückzugsrichtung
für die Masse der Armee Weimar gewesen ist. Doch sei dem
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wie ihm sei; so gering denken wir denn doch von der preußi-
schen Führung an diesem Tage nicht, dass wir glauben könnten,
sie hätte den strategischen Gedanken an den Rückzug
dort angeknüpft, wo die taktische Idee des Rückzugs
abgerissen war; sie hätte sich die strategische Richtung der
Retraite von der einmal vorhandenen Gravitation geschlagener
Heerestheile ohne Widerstand dictieren lassen. Im Gegentheil,
der Rückzug auf Weimar wurde nach reiflicher Überlegung auf
rein strategischer Basis und nicht so sehr auf Grund der Ein-
drücke des taktischen Augenblickes beschlossen. Es leuchtet ein,
dass nach einem unglücklichen Kampfe der vereinzelt geschlagene
Heerestheil Anschluss an die noch unberührten suchen muss,
falls er es kann, sie stehen wo sie wollen, und nicht sich der
Wahrscheinlichkeit, erneuert in seiner Vereinzelung geschlagen zu
werden, aussetzt. Wie, hier sollte das Princip der Versammlung
im Raum nicht am Platze gewesen sein, bloß deswegen, weil
man — wie wir heute wissen — im Verfolg des Rückzugs
nur mehr auf Trümmer stoßen konnte, was nicht bekannt sein
konnte und in Wirklichkeit auch nicht bekannt gewesen ist?
Erinnern wir uns, dass erst den Tag vorher sich die preußischen
Heere getrennt und sogleich das des Königs — gleichsam wie
zur Witzigung — empfindlich geschlagen worden war. Wahr-
lich, der Gedanke des Königs — die leider aufgegebene Ver-
sammlung so rasch als möglich um jeden Preis wiederzugewinnen,
wird nicht einmal rein militärisch irgend zu tadeln sein. Man
hat gefragt: Was gewann der König, wenn er sich bei Weimar
mit seiner ganzen Kraft vereinte und welche Aussicht bot sich
ihm für glücklichen Erfolg, wenn er am Ettersberg die Schlacht
erneuerte? Die Antwort lautet so: Kein Zweifel ist, dass
die Armee auch dann, wenn si e v e rsam m elt wurde
— nach dem, waswir bisher von ihrem taktischen
Verhalten kennen gelernt haben — geschlagen
worden wäre; allein noch weniger ist zweifelhaft,
dass derKönig den weitern Vormarsch an die Elbe
ganz einfach für unmöglich hielt, und nachdenEr-
fahrungen des heutigen Tages wohl für unmög-
lich halten durfte: dass ihm — rein militärisch —
der Gedanke nicht nahe treten konnte, mit seiner
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geschlagenen Armee — vom anderen Theile des
Heeres getrennt — Manöver auszuführen, um ver-
einzelt die Elbe zu gewinnen; dieser Fehler wäre
so ungeheuerlicher Natur, dass nicht Mangel an
militärischem Urtheil genügt hätte, umihnhervor-
zurufen, sondern ganz einfach Tollkü h nh eit mit
Unverstand vermischt; nach dem, was wir heute von der
Lage wissen, konnte der Plan allerdings Aussicht aufs Gelingen,
das heißt, augenblickliches Entweichen vor dem erschöpften Da-
vout bieten; nach dem, was der König wusste, und ebenso sehr
nach dem, was ihm unbekannt geblieben war, musste er aus-
sichtslos erscheinen; bei Hassenhausen galt's zu siegen, mithin
nach Norden durchzudringen und gelang dies nicht, so konnte
man, da man die Hälfte der Armee im Rücken hatte, nicht daran
denken, allein auf dem Bogen, dessen Sehne der Gegner beherrschte,
nach Norden abzuziehen. Es erscheint somit zunächst der Rück-
zug auf Weimar als ein Product der eisernen Nothwendigkeit
und ergriff der König die Idee zu solchem gewiss zum größten
Theile deswegen, weil er sich in einer Zwangslage zu befinden
glaubte, die ihm die Wahl zwischen zwei Übeln gebot, von denen
er das kleinere naturgemäß ergreift. Aber auch, wenn wir rein
militärisch urtheilen, und die materielle Möglichkeit für die
Hauptarmee, nach Norden zu entkommen, gelten lassen wollen,
so fragt sich sehr, was an dem Entschluss des Königs denn zu
tadeln sei? Wer wird behaupten wollen, dass es zweckmäßig sei,
die Trennung der Kräfte nach dem ersten entscheidenden und
unglücklich verlaufenen Schlag weiter zu erhalten, wo
jeden Augenblick ein neuer Schlag erwartet werden
m u s s ? Ein Blick auf die Karte genügt, um zu zeigen, dass
ein anderer Vereinigungspunkt als eben Weimar schon aus marsch-
technischen Gründen nicht in*s Auge zu fassen war. Am nächsten
Morgen konnte man mit höchster Wahrscheinlichkeit bei Weimar
vereinigt stehen, während dies, wenn man einen anderen Punkt
zur Vereinigung wählte,
erstens nicht möglich war, indem der Marsch zu diesem
Punkt länger dauern musste ;
zweitens sich die Schwierigkeit, Hohenlohe erst heranzu-
ziehen, mithin Elemente der Ungewissheit ergaben ;
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und dann, man hatte soeben gesehen, wie geschickt der Gegner
sei, getrennte Kräfte anzufallen und zog daraus den natürlichen
Schluss: es sei nicht gut, getrennt zu sein.
Wir begreifen es nur zu wohl, wenn nur der eine Gedanke
die Situation beherrschte: sich wieder und sofort zu ver-
sammeln; dieser Gedanke schien der beste zu
sein. Wir bekennen offen, dass wir glauben, er sei in der That
der beste gewesen, der zu fassen war. Und wenn der Kriegs-
historiker wieder und wieder darthut, dass der König von einer
neuen Schlacht bei Weimar doch keinen Erfolg erhoffen konnte,
mithin gefehlt hat, als er den Marsch dahin antrat: so antworten
wir, dass der Entschluss des Abends vom 14. October
erstens ein nothgedrungener,
und zweitens ein provisorischer
war und nur sein konnte. Wie soll man vom Könige verlangen, er
hätte jetzt schon die Chancen einer neuen Schlacht erwägen sollen,
zu deren Beurtheilung ihm augenblicklich fast gar kein Material zur
Verfügung stand? Wer den Krieg kennt, weiß, wie er auch in
seiner glänzendsten Form so recht von der Hand in den Mund
lebt und dass zumal die Strategie gar oft dann am klügsten handelt,
wenn sie nur ihren nächsten Zweck zu erreichen strebt und das,
was folgen wird, der Zukunft überlässt ; wenn der nächste Zweck
ein so eminent wichtiger ist, versteht sich, wie der vorliegende
dem Könige erscheinen musste.
Nachdem die Richtung des Rückzuges beschlossene Sache
war, verließ der König die Eckartsberger Höhe, ging durch Auer-
städt und sandte an Kaikreuth den Befehl, die Armee zurück-
zuführen. Reserven standen dem General hierzu wahrlich genug
zur Verfügung. Bei Sultza hatte die preußische Übermacht dem
Nachdrängen Morands endlich Halt geboten. Auf den Höhen von
Gernstädt-Eckartsberga standen mindestens 10.000 Mann der Re-
servedivisionen mit 50 Geschützen, wenn auch auf weitem Raum
zerstreut, doch immerhin so imponierend, dass das Vordringen
der Franzosen , die an Zahl weit unterlegen waren, hier nur
langsam vor sich ging. Kaikreuth ließ den Abzug auf dem
rechten Flügel bei Sultza beginnen, wo die Sachen für Preußen
im allgemeinen günstiger als auf dem anderen Flügel standen;
derselbe ging ordnungsmäßig vor sich und drängte der Gegner
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wenig. Auf dem linken Flügel war die Lage wesentlich ver-
schieden. Auch hier zog zuerst der rechte, Auerstädt nähere
Theil der Truppen ab, während infolge von Mängeln in der Be-
fehlsertheilung die linke Flügelbrigade der Übermacht des Gegners
nunmehr vereinzelt gegenüber stehen blieb. Das Umgehungs-
Detachement Davouts begann sich fühlbar zu machen ; die Brigade
war durch den Abzug der rechts anschließenden Truppen in
dieser Flanke entblößt, wurde nun von allen Seiten angegriffen
und mit erheblichem Verlust und aufgelöst auf Reisdorf herunter-
geworfen. Davout, dessen Truppen durch die vorausgegangenen
anstrengenden Märsche und den blutigen Kampf aufs äußerste
erschöpft waren, verfolgte nicht über das Schlachtfeld hinaus. Nur
die Cavalleriebrigade fiel noch in der Dunkelheit des Abends über
den zurückgegangenen, preußischen linken Flügel her, nahm ihm
eine Menge Geschütze und Gefangene ab, und verfolgte die
Trümmer bis in die späte Nacht.
Wie für Jena, so sind auch für Auerstädt die Verluste nicht
recht bekannt; der preußische Verlust muss natürlich ein sehr
beträchtlicher gewesen sein; 115 Geschütze fielen in Feindes-
hand. Davout verlor etwa 25 Percent seines Standes.
Es gibt wenig so auffallende Siege in der Kriegsgeschichte
wie die Schlacht von Auerstädt; die fast doppelte Überzahl an
Streitern, vermehrt durch die geradezu erdrückende Übermacht
an Reiterei und Artillerie, wird vollständig besiegt, ja ihre Auf-
lösung angebahnt Man muss die Ursachen hievon zu erforschen
suchen.
Im Morgennebel geriethen die beiderseitigen Vortruppen mit-
einander in den Kampf Die Ungunst der Witterung wirkt jedoch
nicht auf beide in gleicher Weise ein; auffallend hemmt
und bindet sie die Preußen, während davon bei
den Franzosen nichts zu spüren ist. Ein Misserfolg
der preußischen Vortruppen eröffnet die Schlacht, von welcher
keiner der Gegner weiß, wie viel sich ihm entgegenstellen wird.
Nun folgt der Kampf Schmettaus um Hassenhausen, den
Davout durch eine Umgehung zu parieren sucht. Bedeutend ist
die Übermacht auf preußischer Seite und mit dem Eintreffen von
Verstärkungen gehen die geschlossenen preußischen ßataillone
tapfer gegen die im freien Felde stehenden vitalen Theile des
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Gegners vor, der, diesem Stoße weichend, im Orte Zuflucht sucht.
Weit überflügelt, ja un^asst die preußische Armee das Dorf auf
beiden Seiten, vor welchem ihr Centrum im aussichtslosen Kampfe
steht. Diesen Ort zu nehmen, verbeißen sich die Führer und ver-
blutet sich die Truppe, während niemand der Gedanke kommt,
das gegen die eigene Taktik unempfindliche Object, statt anzu-
greifen, einzuschließen, indem die Flügel weiter vorgezogen
werden. Die materielle Möglichkeit hiezu war da, als sich die
am linken französischen Flügel geworfenen Bataillone nach
Hassenhausen und an dasselbe zogen. Obwohl man nun diese
Unterlassung auf Rechnung der Verwundung des Herzogs setzen
kann, so fragt sich's sehr, ob diesem die Idee hiezugekommen wäre;
man muss sich diese Frage stellen, denn sonst erscheint
der Ausgang der Schlacht von Auerstädt mehr eine Folge
des Zufalls, denn eine innere Nothwendigkeit, wozu sich
zu bequemen wirklich schwierig ist. Hätte Braunschweig
diesen Gedanken gehabt und, was mehr ist, auch wirklich aus-
geführt? Es scheint nicht so, wenn man sein Thun vor der Lisiere
des Ortes sieht. Wir nehmen wahr, wie der preußische Feldherr
seine Truppen plump zum gewissenhaften Abmessen mit dem
Gegner führt, der augenblicklich und an diesem Ort mit scharfen
Waffen kämpft. Die Taktik der Franzosen ballt sie in der Gefahr
um die Objecte des Terrains zusammen und der Gegner lässt sich
sodann herbei, diesen von den Franzosen gewünschten und
gesuchten, ihnen so vortheilhaften „entscheidenden Punkt" in
unzweckmäßigster Manier zum Objecte seines Thuns zu machen;
der Franzose dictiert den „entscheidenden Punkt", der ihm genehm
und voller Vortheil ist; der Preuße folgt diesem Gesetz und nimm:
den „entscheidenden Punkt" des Gegners aussichtslos aufs Korn;
was jener ja nur wünscht. Die Preußen finden in und um den Ort
den Feind uhd gläubig greifen sie ihn an , mit ihren weit vorge-
zogenen Flügeln vorläufig haltend, bis jener weichen wird. Wenn-
gleich es nun nach unseren Begriffen nicht taktisch gedacht er-
schiene, beiderseits eines vom Gegner besetzten Ortes, wie Hassen-
hausen, vorzugehen, so lange dieser nicht genommen ist; und
gerade der linearen Taktik dieses Beginnen als Aberwitz erscheinen
musste, SiP wird doch nicht wegzuleugnen sein, dass ein frisches,
unbekümmertes, vielleicht taktisch „unrichtiges'' Vorwärts mit dem,
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was nicht beschäftigt war, als das erscheint, was anzuwenden
war : Preußen musste die Entscheidung außerhalb
des Ortes suche n, wenn es in denselben einzu-
dringen sich nicht geeignet hielt. Doch dort stellte sich
ihm, wie wir sahen, der Gegner wohlweislich nicht; und die nicht
beschäftigten Theile, anstatt zwecks — vielleicht lediglich mora-
lischen — Eindruckes solange vorzugehen, bis sie endlich einen
Gegner finden, bleiben stehen, sehen zu, wie das Centrum, wieder
auf die Flügel vertrauend, seinerseits leidend vor dem Orte steht, wo
es der Gegner haben will. Es ist eine erschreckliche Philisterhaftig-
keit in dieser Art von Krieg zu spüren, der die Rollen gewissenhaft
vertheilt, und wo der eine Theil nicht das Geringste thut, solange
er nicht nach Ordnung und Usance vom anderen sein Stichwort
erhalten. Die Flügel, froh, dass sie vorgegangen sind, bleiben
nach dem Programme stehen, sie zeigen nicht den absoluten
Willen, an den Feind zu kommen, die unbedingte Tendenz zum
Kampf, sondern bleiben im Rahmen der erhaltenen Befehle und
gehen beileibe nicht über dieselben hinaus; die psychologische
Vorhand fehlt, die, Wagnisse, ja sogar taktische Fehler in den Kauf
nehmend, durch den zur Schau getragenen Willen zum Kampfe
den Gegner stutzen macht. Die psychologische Vorhand nehmen
wir beim Gegner an allen Orten wahr; anmarschieren seine Di-
visionen und werfen sich sogleich so weit als möglich nach vor-
wärts in den Kampf. Jedoch dieser Impuls muss überhaupt vor-
handen sein ; zufällig legt er sich nicht dar ; er muss gewisser-
maßen den Truppen natürlich innewohnen. Gewiss hatten nun
die Franzosen alle Ursache, Elan zu "zeigen, denn sie wissen
sich, falls sie zu weit und heftig vo rgegang e n,
durch Übergehen in den S ch ü tz en kam pf allso-
gleich geschützt; obgleich man sich nicht bedenken darf,
den französischen Elan mehr als eine Sache des zeitgenössischen
militärischen Geistes, denn als ein Product kühler, taktischer Er-
wägung anzusehen. Es spricht sich eben auf Seite der Franzosen
in ihrem Thun im Gefechte eine Unbekümmertheit seltener Art aus,
die den schwersten taktischen Fehler begeht, den man begehen
kann : von Reserven abzusehen.
Jawohl, Davout hatte im Höhepunkte des Gefechtes auch
nicht den Schatten einer Gefechtsreserve zur Hand und konnte
C. von B.-K. Zur Psychologie des großen Krieges II. 14
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keine mehr erwarten. Er zog eben seine Truppen, wie sie an-
marschierten, in den Kampf, da es das unmittelbare Bedürfnis
des Kampfes so verlangte: und denkt nicht daran, eine Reser\-e
auszuscheiden. Dies gibt zu denken. Was wusste der Marschall
von der Lage ? Hielt er den Misserfolg, das nothgedrungene Auf-
geben Hassenhausens, den Zwang zum Rückzug für unmöglich ;
frug er sich nicht, was aus ihm ward, wenn er zu weichen doch
genöthigt wurde ? man weiß von dem Gedankengange des Mar-
schalls nichts; nicht, ob er mit vollem Bewusstsein dessen, was
er wagte, die Bereitstellung von Rückhaltstruppen unterließ ; oder
ob ihm seine Bataillone nicht gleichsam von selbst in das Ge-
fecht entglitten. Jedoch das ganze Bild der Schlacht spricht als
nackte Thatsache schon eine sehr beredte Sprache. Der franzö-
sische Marschall emancipiert sich in wahrhaft kriegerischer V'or-
urtheilslosigkeit von allem Hergebrachten in der Form, da die
besondereLageAufgebenderselben zue r heischen
scheint. In dieser Fähigkeit der französischen Führer, die
Form zu opfern, um dem Zwecke zu genügen, in ihrer Bereit-
willigkeit, alles zu wagen, was ein Feldherr wagen kann, sobald
dies ihm nur halbwegs vernünftig scheint, in ihrer wahren Sucht
zu kämpfen, zu vernichten, was gegenüberstand, lag — gerecht-
fertigt durch die taktische Überlegen h ei t im Kampf
unddeneinigermaßen hervortretenden Willen der
Truppen zum Kampfe — was zu jener Zeit und in jenen
Verhältnissen den Heeren Napoleons das Übergewicht auf dem
Schlachtfelde gegeben hat. — Hassenhausen, das muss der Marschall
gesehen haben, war als Ort mehr wie eine Reserve, denn un-
angreifbar schien es der preußischen Führung und, sollte er sich
doch zurückzuweichen gezwungen sehen, so war der Ort mehr
wie eine lebende Reserve: da er stabiler war und die Fernsicht,
sowie das Durchdringen verhinderte. Indessen, wenn wir auch den
Löwenantheil an dem Entschlüsse des Marschalls dessen Erkennt-
nis der Lage zuzusprechen uns entschließen, so ist gleichwohl
klar, dass das Kriegstemperament seiner Mittel — natürlich ver-
stehen wir hier die Gefechtsroutine der Unterführer und unend-
lich weniger den Geist der Truppe selbst — eine große Rolle gespielt.
Vorging man eben in der französischen Armee, und war man
nicht mehr imstande, noch weiter vorzugehen, so blieb man doch-
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wenn auch um den Preis taktischer Fehler, stehen, ohne an die
Sicherung des Rückzuges, Aufnahme im Fall des Weichens und
dergleichen zunächst zu denken. Anzuerkennen ist, dass
dies in dem vorliegenden Fall das Richtige gewesen ist.
Wie nehmen sich entgegen dem die überstarken preußischen
Reserven aus! Da sie keinen Befehl erhielten, vorzugehen, so
blieben sie eben stehen ; ihnen darf daraus ein Vorwurf nicht ge-
macht sein. Denn der taktischen Reserve Los war stets und ist,
willenlos abzuwarten, bis sie der Feldherr zur taktischen Ent-
scheidung ruft. Ihren Nichtgebrauch kann man auf Rechnung der
Verwundung Braunschweigs setzen; wenn man bemüht ist dar-
zuthun, Auerstädt sei wissenschaftlich nicht als
eine verlorene Schlacht für Preußen anzusehen.
Allein wenn man bedenkt: Einerseits das überall und stets zutage
tretende Sparen und Zurückhalten mit der Kraft, welches ebensosehr
in der linearen Schule als in dem Charakter der preußischen Feld-
herrngreise infolge jener Schule begründet lag; das überall er-
scheinende Zögern und methodische Verfahren beim Angriff, wo
man ihn schon beschlossen hatte; und andererseits, wie die vor
Hassenhausen stehenden Divisionen bereits total kampfunfähig,
„Schlacke** waren, als die vom König gesandten Reserven anlangten;
und die unerhörte Art, wie die frische Übermacht, die zur Auf-
nahme der geschlagenen Truppen auf dominierender Höhe stand,
von den erschöpften Bataillonen Davouts ohne sonderliche Mühe
zurückgetrieben wird: so muss man wohl zu dem Endschlusse
gelangen, dassjeneZeit eben indemVorhandensein
der Gefechtsreserve ihren Daseinszweck vor-
nehmlich erblickte, und deren wirkliche Ver-
wendung, zu der übrigens die taktischen Formen
des Linearsystems sehr wenig taugten, in zweite
Linie stellte. Indem wir sicher sind, unsere Leser werden
beim Lesen des Folgenden angemessene Vorsicht üben, sagen
wir: Die preußische Führung gedachte ihre starken Reserven
gleichsam alsStaffage zu gebrauchen und mit ihr
zu drohen. Obwohl klar ist, dass dieses Zurschaustellen der
Rückhaltstruppen zum allergrößten Theile aus dem Ungeschick
sie zu verwenden, floss, wandte sich die Führung diesem Aus-
kunftsmittel zu. Ohne Erfolg. Nurder Stärkere in takti-
14 •
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sehen Dingen mag sich ungestraft und mit Aus-
sicht aufs Gelingen der bloßen Schaustellung
seiner Mittel als taktischer Handlung bedienen.
Ahmt der taktisch Schwächere dieses Stratagemes Form und nichts
als diese nach, so werden seine Kräfte, die zur Schau gestellt,
dem Gegner imponieren sollen, meist nichts anderes für jenen
sein, denn ein neues Motiv, auf dieselben vorzugehen. Napoleon
brauchte bei Jena Reserven nur zu zeigen, und Hohenlohe
ging zurück. Aufdringlich stellte bei Eckartsberga
Friedrich Wilhelm III. die seinen auf, um sofort
vom Gegner und soweit dies physisch möglich
war, mit Erfolg angegriffen zu werden.
Denn der psychologische Gehalt der Kriegsheere wechselt
im Laufe eines Tages vor und nach der Entscheidung in einem
Maße, das graphisch darzustellen gar nicht möglich ist. Das reale
Zahlen- und Machtverhältnis, wie es vor der Entscheidung be-
stand, existiert nach derselben nicht mehr, auch wenn beide
Gegner haargenau dasselbe an Truppen und Geschützen ver-
loren haben sollten. Der siegende Theil verstärkt auf allen
Punkten seine Kraft mit jedem Augenblick ; der besiegte verliert,
wenn auch nicht materiell, doch seelisch ungeheuer. Wir wissen
wohl, dass dies ein Gemeinplatz ist ; gleichwohl wiederholen wir
ihn ; denn ihn bedenkt man so gar oft ganz und gar nicht,
wenn die Kritik an die Prüfung dessen geht, was
eines besiegten Heeres Pflicht gewesen wäre.
Der Sieg verzehnfacht die Mittel, sagen wir, er macht dieselben
in jeder Hinsicht unendlich kriegerisch. Im Siege kann eine der
seltensten Erscheinungen entstehen, welche die Kriegs-
psychologie verzeichnet : Der siegende Soldat kämpft
plötzlich gewissermaßen von selbst. Wenn auch
das legendäre Triumph- und Siegesgefuhl der Massen eine Sache
ist, die in der Regel keineswegs auf dem Schlachtfelde selbst ent-
steht oder sich äußert, sondern vielmehr erst nach ausgiebiger
Nahrung und körperlicher Ruhe in dem Behagen des Biwaks und
an der Hand des Heerbefehls erscheint, so wird doch nicht zu
verkennen sein, dass der Erfolg den Mann im Kampfe selbst erhebt,
das heißt, ihn unbekümmert, leichtsinnig, ja manchmal sogar
tollkühn macht. Mit einem Wort, er denkt nicht mehr, sondern
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übermüthig und gedankenlos reißt ihn der Glaube an die Wehr-
losigkeit des Gegners sowie die Evidenz der eigenen Stärke zu
neuem Kampfe fort. Und für den einfachen Kämpfer
scheint im Gefechte Gedankenlosigkeit das
bessere Theil zu sein.
Überschauen wir nochmals die großen Züge des Tages
und fragen wir, woher die Entscheidung kam, so müssen wir
Nachgeborene gestehen: Die Kriegsform der Preußen stellte an
den psychologischen Gehalt der Truppen , der Kampfesweise
der Franzosen gegenüber, Anforderungen, denen sie nicht
entsprachen. Nochmals, es steht dahin, ob ein so schneidender
Gegensatz der Form durch Imponderabilien überhaupt je wett-
zumachen ist Die preußische Form wich vor der stärkeren
französischen Form. Worin lag die Stärke dieser letzteren
Form ? Darin , dass sie den Kampf vereinfacht, ursprünglicher,
roher gemacht hatte, und das Individuum eben dadurch
kriegspsychologisch entlastete und erhob. Die
französische Form verlangte weit weniger Muth von
ihrem Material, als jene des preußischen Heeres,
und so siegte sie. Jene verbündete sich gleichsam mit dem
Willen des Individuums und erleichterte ihm den Kampf; diese
unterdrückte den Willen des Kampfmoleküls, um dasselbe rein
mechanisch zu gebrauchen. Wir kennen zur Genüge die Gründe,
warum dazumal und unter jenen Verhältnissen
gerade die erste Form sich besser bewährt hat.
Ist somit der Ausgang des Kampfes der einander zunächst
gegenüberstehenden Theile hinlänglich erklärt, so bleibt zu erklären,
warum die preußische Führung darauf verzichtet hat, ihre Reserven
einzusetzen, ßraunschweigs Verwundung scheint, wie
erwähnt, diese Unterlassung zu einer accidentiellen zu
stempeln. Allein, im Kriege sind die Motive zu den Ent-
schlüssen und Unterlassungen fast niemals accidentiell;
stets fußen sie auf vorhandenen Basen; und alle Erscheinungen
hängen logisch zusammen. Wer wird behaupten wollen, Auer-
städt wäre vom Könige gewonnen worden, lebte sein Vertrauens-
mann bis zum Abende des Tages? Wir haben diesem Gegenstand
bereits einleitende Worte gewidmet und uns darzuthun bemüht,
dass die Ursache des Nichtgebrauches der Reserven in der
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deutschen Kriegspraktik und in dem Geiste ihrer Führer begründet
lag. Indess noch mehr. Die preußische Führung verkannte in
einem hohen Grade den taktischen Wert der Überzahl; die
örtliche Zahlüberlegenheit im Gefechte erschien weniger wichtig,
als die gebräuchliche taktische Form , die im Echelonsangriff
culminierte; mit Echelons gedachte man zu siegen und
nicht mit Truppenstärke; wahrhaftig trat die kriegerische
Masse gegen die kriegerische Form in der Meinung der deutschen
Führer zurück. Jedoch ganz so crass war die Sache wieder nicht;
dass es gut sei, mehr Kräfte im Kampfe zu haben als der Gegner,
das hat man dazumal in Preußen auch gewusst Allein, und hier
berühren wir den Kern der Frage, die lineare Taktik besaß
die Eignung nicht, gegen einen Feind, der sich schlechter-
dings 'nicht weit im freien Felde in die Breite dehnte,
mit numerischer Übermacht in den Kampf zu gehen.
Denn nur eine Linie vermag Feuer zu geben, während die, die
hinter dieser ersten Linie stehen, in der Regel auch zu feuern
nicht in der Lage sind. Mit Truppen, die an zweiter Stelle stehen,
jene der ersten physisch vorzudrängen, ein Gedanke, der in
der althellenischen und selbst der Legionartaktik klar am Tage
liegt, so recht ein mechanisches Mittel und doch unendlich tief
psychologisch gedacht, davon hielt im preußischen Herre ab: vor
allem und überhaupt das Formelle der linearen Taktik, deren erste
Lebensbedingung das Aufrechterhalten der Abstände und
Zwischenräume schien; dann das anspruchsvolle Ver-
trauen, welches man in die Truppen der ersten Linie
setzte und das gerade hier bei Auerstädt besonders
verderblich geworden ist; und zweitens wieder im allgemeinen
jenes undefinierbare Etwas, das in der Kriegsgeschichte so oft
wiederkehrt: der Gedanke , vor allem müsse mit den Kräften
gespart werden; das Erste und Wichtigste sei nicht der
Endzweck des Gefechtes, sondern die Sicherstellung
gegen den Misserfolg. Dieser Gedanke, eine Regel im preußi-
schen Heer jener Zeit, gedieh unter der Unklarheit der taktischen
Lage vor Hassenhausen zum verderblichsten Princip, auch wenn
die Verlegenheit der Führung, mit den Reserven zu agieren,
nicht allein schon das Stehenbleiben derselben nothwendig herbeige-
führt haben würde. Der zum System erhobene Gedanke der Öcono-
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mie der Kraft, das heißt das Streben, mit möglichst wenig
Einsatz, möglichst viel zu gewinnen, scheint sich
besonders dann im kriegerischen Thun der Führer darzulegen,
wenn der materielle Wert der Kriegsmittel hoch
im Course steht; vor allem gilt es, das Material zu schonen.
Es knüpft sich, wie wir sehen, ein Motiv an's andere, um uns
den Nichtgebrauch der preußischen Reserven damals zu erklären ;
die H eeres verfassun g spielt in die Strategie
hinüber und Spuren von ihrem Einfluss sind
am Schlacht felde zu sehen; alles hängt zusammen in
dieser Anhäufung von scheinbar unzusammenhängenden Ursachen
für die große Unterlassung am Schlachttage von Auerstädt. Wohl
liegt Tendenz darin, wenn wir die Gründe aufzusuchen uns be-
mühen, die zum Nichteinsetzen der Reserven geführt, ohne jene
an das Licht zu ziehen, die dagegen sprachen und die man
nicht beachtet hat. Doch ist diese Tendenz nichts als das
Streben, die Thatsache logisch zu erklären, indem man sich
billig dagegen sträuben muss, zu glauben, dieselbe sei zufällig
und durch sie zufallig der Verlust der Schlacht erfolgt. Und
dann, wenn dieser Reichthum an Gründen, die man zur Er-
klärung der Unterlassung in's Treffen führen kann, durch ihre
Zahl verdächtig und bei den Haaren herbeigezogen scheint, so
bedenke man, dass einer oder der andere schon ge-
nügend ist, jene zu erklären; dadurch, dass mehrere
genannt sind, soll nicht gesagt sein, alle hätten und gleichmäßig
eingewirkt; doch da 'sich nicht feststellen lässt, welche die
eigentliche Ursache war, so scheint es das Amt der erklärenden
kriegsgeschichtlichen Betrachtung zu sein, alle bekannten zu
nennen.
Im Grunde müßig ist die Frage, ob die Sache bei Auerstädt
durch das Einsetzen der Reserven noch herzustellen wohl ge-
wesen wäre; wenn wir eine Gefechtsroutine der
preußischenFührung annehmen wollen, die diese
damals nicht besaß, so könnte man zu dem Er-
gebniskommen, dass Preußen nicht hätte weichen
müssen; ja dass Davout schließlich erlegen wäre; man könnte
hier mit viel Aufwand an Gelehrsamkeit den lendenlahmen Gaul
rein militärischer Kritik sich fröhlich tummeln lassen. Ungleich
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bedeutender erscheint die Frage, was an der Unterlassung un-
begreiflich war, was wir an ihr nicht verstehen,
inwieferne sie im Rahmen der preußischen Anschauung
vom Kriege ungewöhnlich war. Und da muss man sich
gestehen, dass sich die Unterlassung, wenn auch nicht als eiserne
Consequenz verfehlter Anschauung vom Kriege beweisen, so doch
wohl als sehr natürlich und ganz im Rahmen der Anschauung jener
Zeit erklären lässt. Was das Nichteinsetzen der Reserven zur
Entscheidung anbetrifft, so wissen wir, dass, übei-wand man auch
deren Trägheitsmoment und functionierte der Befehlgebungsapparat
ohne Klage, für dieselben Platz und Gelegenheit nicht vorhanden
war, wirksam in den Kampf zu treten, sowie auch, dass die stra-
tegischen Gedanken der Führung sie an den Platz gebannt, an
dem sie — außerhalb der Zone der Zerstörung — glücklicher-
weise stand; denn sie war ein entscheidender Factor im etwaigen
Entscheidungskampf an anderm Ort zu anderer Zeit. Sehr wohl
begreiflich ist, dass man nicht auch noch sie gegen einen Ort
verwandte, von dem man sah, der Gegner kämpfe in ihm wie
hinter geschlossenem Visir. Aber auch das Nichteinsetzen der-
selben, nachdem die Entscheidung bei Hassenhausen gefallen
war, kann nicht Wunder nehmen, ja bei diesem fragt es sich
sehr, ob es nicht sogar rein militärisch sehr wohl gerechtfertigt
ist. Denn thatsächlich haben Kaikreuths Bataillone durch ihr
bloßes Vorhandensein auf dominierender Höhe die Trüm-
mer des preußischen Heeres gerettet. Ohne Conjecturenmacherei zu
treiben, so muss man sich wohl billig fragen, was daraus geworden
wäre, wenn die Reservedivisionen, dem Strom der Flüchtlinge ent-
gegen und durch denselben durch einen Angriff" auf die lange und
zerstreute Front Davouts gewagt haben würden. Um den Abzug
geschlagener Truppen durch ein Ortschaftsdefile zu decken,
unternimmt man doch wahrlich nicht mit der ganzen, hier einen
so erheblichen Theil des Heeres darstellenden Kraft der Reserve
einen förmlichen Angriff in's Blaue hinein.
Wir haben uns bemüht zu zeigen, wie Hohenlohe bei Jena
in erster Linie deshalb unterlag, weil er strategisch auf eine Haupt-
schlacht nicht gefasst sein konnte und demgemäß nicht vor-
bereitet war ; wir haben erklärt, wie die ihm von der Heeresleitung
übermachten Nachrichten und Befehle ihn mit dazu vermochten.
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die größten taktischen Fehler zu begehen. Wir nahmen wahr,
wie er, ohne es zu ahnen, in eine große Schlacht mit weit über-
legenen Kräften hineingerathen ist. Wir konnten hier somit
glauben, dass die strategische Vorgeschichte der Schlacht allein
schon den Keim der Niederlage in sich getragen hat ; dass diese
gewissermaßen accidentiell, infolge falsche r Nach-
richten, von Missverständnissen etc. für Preußen
so übel ausgefallen ist, indem ja doch das taktische Thun
vor allem anderen die Entscheidungen im Kriege gibt, welches
Thun hier im vorhinein durch die Strategie gehemmt und ge-
bunden war.
Mit einem Wort, bei Jena ward die preußische
Strategie besiegt und zog die Taktik mit in ihren
Fall. —
Bei Auerstädt jedoch erkennen wir, wie sich der Taktik
freies Feld zur Entfaltung bietet; wie ihr Gelegenheit geboten ist,
ihr Bestes darzuthun. In grellen Tönen leuchten uns aus dem
Bilde der Schlacht die Mängel der preußischen Kriegspraktik ent-
gegen, die trotz der auffallend günstigen strategischen Lage nicht
zu siegen weiß.
Und so ergänzen beide Schlachten sich. Wahr-
lich, wer nach alledem uns glauben machen will, die Gründe für
die Doppelniederlage seien, wenn auch nur zum Theile acci-
dentiell gewesen : versteht nichts vom Kriege ; oder ist blind
im Vaterlandsgefiihl. Hier eriag die Strategie ; dort fiel die Taktik
unter Bedingungen, wie sie ein Kriegsheer kaum jemals günstiger
erfuhr. Sicherlich, ganz sicherlich lässt sich
zahlen- und ziffermäßig beweisen, dass es nicht
so kommen musste; doch kri egshisto risch wird
uns, wenn wir nochmals das Bild der Lage und
seine Vorgeschichte erfassen, die Nothwendig-
keit des Ausgangs äußerst deutlich klar.
Der Stil, die Schreibweise zwingt, um plastisch zu sein,
zu Übertreibungen ; es ergeht auch uns hier so. Stellen wir
daher fest, dass trotz allem der Ausgang der Schlacht von Auer-
städt an einem Haare hing und wir uns keineswegs verwundern
würden, wenn in der Kriegsgeschichte da zu lesen stünde : Da-
vout hätte, während sein Kaiser bei Jena siegte, bei Auerstädt
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seinerseits keineswegs gesiegt; wir sagen keineswegs
gesiegt; denn zu dem Glauben an die Möglichkeit einer völligen
Niederlage des Marschalls vermag man wohl nicht zu gelangen.
Die Schlachtführung beider Theile allein spricht schon dagegen.
Es steht fest,*) dass Napoleon am Abend des 14. October
der Meinung war, die gesammte preußisch-sächsische Armee oder
doch deren Hauptmasse besiegt zu haben. Mit dieser angenehmen
Überzeugung legte er sich am Abend in Jena zur Ruhe. Und
erst der um 9 Uhr morgens des anderen Tages eingehende Be-
richt Davouts belehrte ihn, dass er sich völlig getäuscht und
strategisch höchst unvorsichtig gehandelt hatte, indem er eines
seiner Corps der Gefahr, einzeln geschlagen zu werden, ausge-
setzt. Allein, er gesteht dies keineswegs ein. Es wird officiell**)
nur von einer Schlacht bei Jena geredet, in welcher der Marschall,
welcher bald zum Herzog von Auerstädt erhoben werden soll,
den rechten Flügel commandierte.
Wir wissen, dass die ganze Strategie Napoleons in diesem
Kriege bisher lediglich darauf gerichtet war, den Feind zu suchen,
um ihn, wo er ihn fände, mit Überlegenheit zur Schlacht zu
zwingen. Es ist die Strategie Napoleons nichts als die Art,
seine Kräfte an den Gegner heranzuführen und kein eigent-
liches Instrument zum Kampfe ; er bedient sich ihrer
nicht als WaflFe, sondern lediglich als eines Mittels
zum Transport der Kräfte; er marschiert und ma-
növriert nicht.
Wir registrieren vorläufig diese Thatsache; sie spricht aus
jeder Phase, die der Krieg bisher gemacht.
Wer sucht, ist nicht sicher, wohin er gelangen werde ; wer
tastet, sieht noch nicht das Ziel; Änderungen der Bewegungs-
richtung sind da unvermeidlich ; schon dann, wenn das gesuchte
Ding in Ruhe fst ; noch mehr, wenn dieses sich bewegt.
Unzählig sind die falschen Nachrichten im Kriege. Doch
erst im nachhinein erfährt man, dass sie falsch
•) V. Lettow-Vorbeck, II, 26.
•) 5. Bulletin, Jena, 15. October.
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gewesen; und selbst der kritischeste Geist ist in dem Augen-
blick, da er eine Nachricht empfängt, nicht gegen Täuschung
gefeit.
Marschtechnische Gründe von unbestreitbarem Gewicht —
Erwägungen, deren praktisches Inslebentreten den Mechanismus
der napoleonischen Strategie bilden, und an denen man noch
heute zehrt, ohne sie wesentlich verändert zu haben, — wiesen
Napoleon darauf, sein Heer auch dort, wo er nicht strategisch
manövrierte, sondern lediglich Ortsveränderungen vornahm, und
gerade da, zu theilen. Den Corpsverband schafft er vor-
nehmlich für diesen Zweck und stattet das Corps derartig aus,
dass der einzelne Theil voraussichtlich derartig stark sein wird,
den Kampf mit stärkeren Kräften solange hinzuhalten, bis Unter-
stützung kommt. Darauf, auf die nicht in der bloßen
Zahlenstärke, sondern vielmehr in der Kriegs-
geschicklichkeit des Corps liegende Stärke desselben
baut Napoleon, indem er seine Kräfte theilt.
Wenngleich er sich wohl hütet, seinen Marschällen Überschätzung
der Kampfkraft ihrerCorps nahezulegen, ihnen stets das Zusammen-
handeln mit dem Reste der Armee zur Vernunftpflicht macht, so ist
er gleichwohl überzeugt, ein französisches Corps besitze in seiner
Zusammensetzung, Stärke, insbesonders seiner Art zu kämpfen,
hinreichende Mittel, um einen ungleichen Kampf so lange zu führen,
bis die andern Corps dasselbe unterstützen. Vornehmlich in der
französischen Taktik, die im langsamen Verzehren der Kräfte des
Gegners, indem man die eigenen möglichst schont, und folgendem
Entscheidungsstoß frischer Massen gipfelt, erkennt der Kaiser
die Gewähr für die, wenn man so sagen darf, strategische
Immunität seiner Corps.
Wir haben gesehen, wie falsche Nachrichten den Kaiser
dazu bewogen haben, drei Heereseinheiten weit rechts ausholen
zu lassen, um sich vielleicht dem Gegner strategisch vorzulegen.
Genau fast nach dem vorgezeichneten Programm benimmt sich
der rechte französische Flügel bis zum 13. nachmittags. Aissich
nun der Kaiser bei Jena zur Schlacht für den nächsten Tag ent-
schließt, ergehen die Befehle an Murat, Dav(iut und Bernadotte,
heranzukommen. Auf die Immunität der 50.000 Mann, die er am
Morgen des 14. vorwärts Jena beisammen haben wird, baut
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Napoleon den taktischen Plan zur Schlacht sowohl als die Co-
operation mit dem eigenen rechten Flügel. Auf die Immunität der
detachierten Heerestheiie rechnet er, indem er sie in Rücken und
Flanke eines undurchschauten Gegners vorzugehen anweist. Es
scheint jedoch, wenn man die Räume auf der Karte misst, als
ob Napoleon diese Kräfte hauptsächlich zur Ausbeutung des
morgenden Sieges und nicht so sehr zu dessen eigentlicher Er-
langung bestimmt gedacht haben mag.
Wer strategisch sucht, muss darauf gefasst sein, taktisch zu
tasten; die Strategie braucht Fühler, die einen Puff vertragen:
die Napoleons vertrugen einen solchen sicherlich; sobald er sie dort
nicht mehr zu brauchen glaubt, zieht er sie, die bisher treffliche
Erkundungsinstrumente waren, dahin, wo seiner Meinung nach
die Entscheidung fallen soll. Wir kennen die Ursachen, warum
die Einheiten des rechten Flügels zur Schlacht am 14. nicht zeit-
gerecht erschienen sind. Ersichtlich ist, dass hiebei Handlungen
und Unterlassungen wirkend gewesen sind, die im Wider-
spruch mit der napoleonischenKriegspraktik ge-
standen sind; bei Murat Unkenntnis der Schwierigkeit und
Länge des zu durchmessenden Terrains; bei ßemadotte die für
einen Marschall von Frankreich erstaunliche Entschlusslosigkeit,
welche zwischen zwei Kanonendonnern unentschieden stehen
bleibt, ohne auf einen davon loszumarschieren. Was mit der
augenblicklichen Kriegspraktik der militärischen
Umgebungen, somit des Heeres, in dem man dient,
im Widerspruche steht, kann billig als Fehler an-
gesehen werden. Ist dies jedoch auch bei Davout der Fall?
Auf die relative Immunität seines Heerestheiles bauend, überlässt
ihm der Kaiser die Wahl des Anmarschweges und das Corps
trifft auf demselben den weit überlegenen Feind. Konnte der
Marschall dem entgehen? Nein! War es Napoleon möglich, dies
vorherzusehen? Ebensowenig! So ist vom strategischen Stand-
punkte Napoleons vor der Schlacht die Schlacht von Auerstädt
kein Fehler, wenngleich sie, rein militärisch betrachtet, wahrhaftig
als solcher erscheint.
Niemand, der verständig urtheilt, wird zögern, zuzugeben,
Davout hätte, sowie die Sachen lagen, bei Hassenhausen unter-
liegen können — wegen und infolge der Art, wie man beim
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Armeecommando mit seinem Corps ahnungslos verfuhr. Klar ist,
dass ihn Napoleons Strategie in eine höchst prekäre
Lage gebracht, aus der ihn Napoleons Taktik
Aviederum befreite. Genug, nehmen wir an, Napoleon erfuhr
am 14. um 10 Uhr vormittags : Davout stehe bei Hassenhausen im
Kampfe gegen doppelte Übermacht, so wird jedermann der Über-
zeugung sein, der Kaiser hätte einen Augenblick des Schreckens
erlebt ; er hätte jetzt urplötzlich erkannt, dass er doch strategisch
gefehlt ; er hat dies bekannt durch sein Negieren einer Schlacht
von Auerstädt. Allein es wird wohl sicherlich auch niemand
behaupten wollen, eine Niederlage Davouts würde das Resultat
des Krieges wesentlich verändert haben ; wir bitten, jene Raison-
nements, die dies behaupten, durchzulesen, um zu sehen, dass
sie eigentlich nichts anderes thun, als annehmen, die preußi-
sche Führung und die preußische Armee hätten
sich vom 14. an urplötzlich in ihrem ganzen Thun
und Denken bekehrt und, nachdem ihnen die Schup-
pen von den Augen gefallen, klug und energisch
handeln können, um sich aus der Lage, in welche
sie gerath en , wied e r herauszuziehen; diese Rai-
sonnements lauten alle rein militärisch; wir hören
von entschieden en Entschlü sse n; vernehmen von
der Versammlung der Kraft; man gibt uns zu
bedenken, welche Märsche und mit welcher
S chnelligkeit wohl auszuführen gewesen wären;
kurz, rein militärisch wird geurtheilt und es
steht die ganze Frage nur darauf, ob die Armee
aus der am 14. innehabenden Lage herauszube-
kommen gewesen wäre, sobald man sie zu allem
fähig und geschickt und willens anzunehmen
beliebt, wozu fähig, geschickt und willens wir
nach den Erfahrungen der jüngsten Zeit uns zu
halten belieben. Kurz, nicht kriegshistorisch ist diese Art
der Argumentation, und so kann man sagen, sie sei in der That
hinfällig. Nach allem, was wir bisher gesehen, müssen wir
glauben, die preußische Kriegführung wäre einfach nicht imstande
gewesen :
Auerstädt, wenn sie siegte, auszunützen ;
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die Nothwendigkeit veränderten Gebarens unter dem Drange
der Ereignisse einzusehen ;
von der Gewohnheit und Tradition urplötzlich abzulassen,
wenn es nicht hinlänglich und allgemein bekannt schon
wäre, dass ein ganzes Heer die Ruhe des Friedens braucht und
eine lange Ruhe, um die Moral des letzten Krieges zu ziehen;
noch mehr, diese Moral zur That zu machen ; und durchaus
nicht — in der Regel — in der Lage ist, im Kriege und von
ihm zu lernen. Ein Kriegsheer ändert seine Kriegspraktik nicht
mit einem Schlage. Und so muss Vorurtheilslosigkeit wohl zu-
gestehen, dass der Kaiser der Franzosen durch die Verfolgung
von Jena allein schon es sehr rasch verstanden hätte, den Pyrrhus-
sieg des Königs über Davout zu rächen.
Rein militärisch aufgefasst, ist das strategische Doppelenga-
gement Jena-Auerstädt mehrfach anzufechten. Kriegshistorisch be-
trachtet reduciert es sich auf eine von Napoleon nicht
vorhergesehene unbewusste Probe des Gegners
auf die Festigkeit des Systems: Getrennt zu nnar-
schieren um vereint zu schlagen. Diese Probe prallt
an der staunenswerten Immunität des strategisch exponirten Heeres-
theiles ab; dieser findet in seiner Taktik das Mittel, Unerhörtes
zu thun. Es wäre indess nicht den Thatsachen entsprechend,
wenn man sagen würde: Napoleon baute^und rechnete darauf,
dass eines seiner Corps die doppelte Übermacht mit Sicherheit
einzeln schlagen würde; und disponierte somit strategisch von
seinem Standpunkt vorwurfsfrei, indem er den taktischen Wert
seiner Heereseinheiten ganz außerordentlich hoch annahm. Die
Wahrheit scheint folgendes zu sein : Napoleon erwartet in der
That von einem seiner Corps, das mit überlegenen Kräften in
den Kampf geräth, es werde sich taktisch mit Ehren aus der
Affaire ziehen; so disponiert er strategisch immerhin gewagt.
Seine Strategie, durchkreuzt, wie sie vom unerwarteten Thun des
Gegners wird, führt ihn hier hart bis an jene Grenze, der seine
Taktik noch gewachsen ist; oder vielmehr, um genau zu
sein, nicht seineTaktik, sondern speciell jene des
Corps Davout. Der Marschall, auf seine Mittel vertrauend,
gibt diesen eine harte Nuss zu knacken, sie knacken sie, wie
der Erfolg es zeigt; obwohl der Kaiser dies für diesen Fall im
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Vorhinein zu hoffen nicht gewagt haben würde. Denn es steht
historisch fest, dass ihm die Nachricht von Auerstädt sehr ge-
mischte Gefühle erregte. Die Freude am Triumph verschwamm mit
der Erkenntnis, er habe strategisch so viel verlangt, dass nur
gerade der Marschall Davout mit seinem Corps die taktische
Lösung fand.
Des Kaisers Siegeszuversicht am Morgen des 14. kennen wir
und vermochten sie strategisch nicht recht zu erklären, wenn wir,
was Napoleon nicht wusste, die V^ertheilung des Gegners besahen.
Aber auch wenn wir uns in seine Lage dachten, sahen wir in
der Anzahl und Stellung der vorhandenen Kräfte Napoleons, der
es überdies, wie man weiß, mit einem stärkeren Gegner zu thun
zu haben glaubte, als dies der Fall gewesen ist, keine klare
Garantie des Sieges. Denn der Kaiser hat am Morgen nichts
weniger als Übermacht zur Verfügung; er steht mit seiner
massirten Kraft, ein Defile im Rücken, das er unter allen Um-
ständen halten muss, bis die übrigen Heersäulen folgen; erst
allmählich, im Laufe des Tages, wenn alles glatt von statten
geht, können sie zur Stelle sein. Und noch einmal, Napoleon
glaubte stärkere Kräfte sich gegenüber zu haben, als in Wahrheit
der Gegner besaß. Dennoch griff er ohne Zögern an.
Was bleibt somit übrig, als in dem taktischen Ge-
halt der napoleonischen Truppen die Gewähr zu
sehen, auf der die Siegeszuversicht des Kaisers
fußt? Wohl nur für den Beginn, wird man sagen, denn im
Laufe der Schlacht gedenkt Napoleon die Zahl Überlegenheit zur
Stelle zu schaffen ; gleichviel, für den Beginn. Denn kann man
sich wohl eine nach unseren Begriffen taktisch ungünstigere Lage
denken, als die, wo Napoleon gegen unbekannte gegnerische
Kräfte erst den Platz erkämpfen muss, auf dem er schlagen wird?
Und zugleich die Anmarschlinie seiner Kräfte deckt? Ohne das
Bewusstsein taktischer Überlegenheit war dies nicht zu thun. Der
Kaiser kennt sie, baut auf sie, vertraut ihr unbedingt. Und der
Erfolg hat ihm recht gegeben. Der taktische Wert seiner Truppen
bewährte sich bei Jena, während er bei Auerstädt alle Erwartung
weithin übertraf.
Also nicht so recht aus der Strategie als Waffe schöpft der
Kaiser diesmal die Aussicht auf Erfolg, sondern aus dem beab-
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sichtigten taktischen Thun ; und so hat seine ganze Stra-
tegie darauf gezielt, seine Mittel so rasch und
natürlich als möglich mitjenen des Gegners tak-
tisch zusammenzuführen.
In dem Unterschied der Taktik gipfelt dieser Krieg.
Rückzug und Verfolgung.
Da wir weit entfernt sind davon, Kriegsgeschichte zu
schreiben, so können wir in dem, was jetzt noch folgt, kurz
sein ; indem wir nicht die Masse kriegshistorischer Einzelheiten,
sondern die uns charakteristisch scheinenden Ereignisse ver-
zeichnen.
Die Nacht des 14./ 15. October war verderblich für das ver-
bündete Heer. Bei Hohenlohe-Rüchel war keine Disposition für
den Fall des Rückzuges ausgegeben und an einen Zusammen-
bruch, wie er jetzt erfolgte, hatte niemand gedacht. Während
die aufgelösten Truppen der Hohenlohe'schen Armee hinter der
Um nach allen Richtungen auseinanderstoben, geriethen die Ge-
nerale, denen es gelungen war, aus einzelnen Bataillonen marsch-
und führungsfähige Theile zusammenzustellen, mangels einer In-
struction, wo sich der Ralliierungspunkt der Armee befinde, nach
divergierenden Richtungen ab und auf dem Marsche trennten sich
ganze Bataillone wieder ab, blieben zurück und lösten sich auf.
Die Hauptarmee hatte sich bereits am Abend des 14. süd-
lich Auerstädt ohne Vorwissen der Heeresleitung getheilt. Die
Trümmer der Divisionen, die bei Hassenhausen gekämpft, wichen
auf Buttelstädt zurück, wo General von Wartensleben das Com-
mando über 18 reducierte Bataillone übernahm, während der Rest,
besonders die Reservedivisionen, mit dem Monarchen den Rück-
zug auf Weimar begann ; dieselbe Straße, die die Truppen gestern
hergekommen, gingen sie nun zurück. Nachdem man nun die
Um nördlich Apolda überschritten, gewahrte man die daselbst
biwakierenden Truppen des I. französischen Corps und war
somit gezwungen, umzukehren ; der König befahl, am linken
Ufer der Um nach Weimar zu marschieren, wo er Hohenlohe.
Rüchel und den Herzog von Weimar, denen er weitere Befehle
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zugesandt, zu finden hoffte. Möllendorf erhielt nun das Com-
mando der Armee und der König selbst machte im Dunkel der
Nacht die Avantgarde. Kurz vor Weimar erfuhr man, dass es
vom Feinde besetzt sei ; und so entschloss man sich auf Erfurt
zu marschiren , beharrlich und absichtlich festhaltend an der
Illusion, man werde dort die bei Weimar offenbar nicht Anwesen-
den finden. Ein fürchterlicher Schlag war es für Friedrich Wil-
helm III., als er bald darauf durch Versprengte von Hohenlohes
Armee den Sachverhalt erfuhr. Es galt zu handeln ; allein wäh-
rend der König und die ihm unmittelbar folgenden Truppen
naturgemäß nach Norden ausbogen und Boten nach allen Rich-
tungen gesandt wurden, um den Trümmern der Armee Söm-
merda als Sammelpunkt bekannt zu geben, vermisste man noch
manches, was von erster Wichtigkeit war; Möllendorf und
Oranien erhielten keine Befehle und marschierten ahnungslos
weiter auf Erfurt fort, so dass die noch gefechtsfahigen Truppen
der Reserve auseinandergerissen wurden. Die Auflösung ward
unbeschreiblich und hatte die preußisch-sächsische Armee that-
sächlich aufgehört, ein brauchbares Kriegswerkzeug in der Hand
ihrer Führer zu sein.*)
Als der König am Morgen des 15. um 7 Uhr in Sömmerda
eingetroffen war, erkannte er, dass ein Widerstand diesseits der
Elbe nicht mehr thunlich sei ; und nachdem er Dispositionen zum
Rückzug der Armee nach Magdeburg gegeben, wandte er sich
in einem Schreiben an Napoleon, um Unterhandlungen wegen
eines Waffenstillstandes anzubahnen. Dies ist natürlich scharf
getadelt worden, **) als Eingeständnis der Schwäche, denn man
hätte dem siegenden Napoleon vielmehr imponieren sollen. Nun,
es scheint, als ob kein Vorwurf, den die Kritik der neuen glück-
lichen preußischen Zeit gegen die preußische Heerführung jener
Tage im Nachhinein erheben kann, der Begründung weniger
entbehrte. Man bittet um einen Waffenstillstand, wenn man glauben
kann, derselbe werde dem eigenen Heer mehr als jenem des
Gegners nützen ; wenn man keinen anderen Ausweg weiß ; und
dies war hier der Fall. Napoleon, der siegt, zu imponieren, dazu
bedurfte es, wie männiglich bekannt, zu allen Zeiten wahrlich
•) V. Lettow- Vorbeck, II, 12.
•*) Ebenda, II, 14.
C. von B.-K. Zur Psychologie des großen Krieges II. 15
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mehr als einer bloßen Attitüde dazu ; man hemmte seinen Sieges-
lauf nur durch Unterwerfung oder mit Kanonen; die letzteren
fehlten jetzt, wie nachgewiesen ist ; so blieb nur mehr das „Sub-
mittieren". Wohl liegt es nahe, von Friedrich Wilhelm III. zu ver-
langen, er hätte seinen Gegner denn doch schon soweit kennen
sollen, um die Aussichtslosigkeit von Negociationen einzusehen,
hinter denen keine Stärke steht. Jedoch noch unmöglicher erschien
es ihm und musste ihm erscheinen, auch nur den allergeringsten
Widerstand zu wagen, als dass Napoleon ihm entgegenkommen
würde, so unwahrscheinlich auch dieses war; und so ver-
suchte er im Interesse seines Staates und Heeres
die Bitte, um das Unmögliche, die doch noch
stets das kleinere Übel war.
Im Laufe des Tages sammelte der König persönlich bei
10.000 Mann in und um Sömmerda. Nachrichten vom Nahen der
Franzosen bewogen ihn, nach Sondershausen aufzubrechen.
Kaikreuth erhielt das Commando der Armee, da Möllendorf nach
Erfurt abgerathen war, auf welchen Punkt sich eben auch der
Herzog von Weimar im Anmärsche befand. Reißende Fortschritte
machte der Verfall der Moral bei den Truppen an diesem Tage ;
ein Beispiel möge genügen : Die ganze Bedienung einer Batterie
ergriff die wildeste Flucht, als zwei feindliche Chasseurs erschienen.
Der Mangel stieg und es wurde viel geplündert. All dies bemerkten
die französischen Vortruppen und französische Führer meldeten
in*s Hauptquartier: es scheine, der preußische Soldat wolle sich
um keinen Preis mehr schlagen. In, beziehungsweise um Erfurt
sammelten sich indess immer mehr Truppen und Versprengte. Die
Stadt war stark befestigt, wohl armiert und approvisioniert und so
erklärt sich ihre Anziehungskraft auf die Flüchtlinge. Der Herzog
von Weimar hatte sich dem Platze am linken Geraufer stark
genähert ; da traf ein Befehl des Königs ein, sogleich mit den
vorhandenen Truppen auf Sömmerda zu gehen. Möllendorf, der
von rechtswegen zu commandieren hatte, entzog sich der Befehl-
gebung und der Verantwortung, die sie im Gefolge hat und ent-
hielt sich jedes Einflusses auf den Gang der Dinge. Während
nun die preußischen Führer über den Abmarsch beriethen.
erschienen Escadronen von Murat und warfen sofort die rechts
der Gera stehenden deutschen Truppen in die Stadt zurück:
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jetzt meldete der Herzog von Weimar, dass er in Befolg der
königlichen Befehle bereits im Marsch nach Norden sei. Unerhörte
Niedergeschlagenheit bemächtigte sich sogleich der Generale, die
sich in der Stadt befanden. Der Großherzog von Berg, der bei
seiner Reiterei nur zwei Haubitzen hatte, wählte den Weg der
Einschüchterung, um zum Ziele zu gelangen ; den Platz in Brand
zu schießen, drohte er. Nachdem Möllendorf, vollkommen ent-
kräftet, das Commando nicht etwa übergeben, sondern nur
officiell aufgegeben hatte, übernahm dasselbe der Prinz von
Oranien. Nun trafNey zum Überfluss auch noch vor der Festung
ein und verlangte seinerseits die Übergabe. Und das durch das
Mechanische des Krieges unmöglich zu Erklärende geschah :
ohne eine Berennung abzuwarten, auf bloße Drohungen hin,
capitulierte der starke Platz fast bedingungslos, nur die Officiere
durften nach Hause gehen und auch diese nur gegen ihr Ehren-
wort, vorerst nicht zu dienen.
Kaum erwacht, hatte Napoleon an den Großherzog den Befehl
ergehen lassen, mit seiner Cavallerie die Verfolgung aufzunehmen.
Besonders legte er ihm an's Herz, Erfurt noch im Laufe des
Tages zu nehmen. Nachdem der Bericht Davouts über die Schlacht
von gestern eingetroffen war, dem bald andere Berichte seiner zur
Verfolgung vorgegangenen Cavalleriebrigade folgten, durchschaute
der Kaiser mit gewohntem Scharfblick das Bild der strategischen
Lage, und es beginnt die Idee der strategischen Verfolgung auf
der Sehne des Bogens, welch' letzteren selbst der besiegte Feind
fast nothwendigerweise gehen, muss , welche Idee schon im Be-
fehle von 10 Uhr vormittags an Davout zum Ausdruck gekommen
war*), in der Seele des Kaisers zu reifen. Jedoch sie tritt noch
nicht in der Stellung der Heereskörper hervor. Wir registrieren
hier die Thatsache, dass in den Dispositionen Murats, seine
Reiterei betreffend, Fehler der Mechanik nachzuweisen sind, und
dass sich die Kritik mit der Frage beschäftigt hat, ob Napoleon
nicht schon in der Nacht des 14./15. die Verfolgung zu beginnen
hatte. Indessen steht fest, dass das offenbare Streben der fran-
zösischen Marschälle, dem Feinde hart an der Ferse zu bleiben,
•) Der Major-General an Davout . . die Absicht des Kaisers ist noch immer, Ihr Corps
in einer Stellung zu haben, aus welcher Sie vor dem Feinde in Leipzig oder an der Elbe sein
Itönnen.
15*
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ein Bestreben, das nur durch die unfreiwillige Schnelligkeit des
Rückzuges der geschlagenen Armee vereitelt worden ist, überall
zu Tage tritt. Und dies ist doch alles, was eine Heeresleitung von
den Heerestheilen in einem solchen Falle erwarten und verlangen
kann ; hiebei sind noch die vorausgegangenen, wahrhaft impo-
santen Märsche der französischen Corps in die Rechnung einzu-
stellen. Am Abend, beziehungsweise in der Nacht, stehen die
Corps wie folgt: I. Bibra, III. zwischen Naumburg-Freiburg-Eck-
artsberga, IV. Buttelstädt , V. und VII. Weimar, VI. östlich
Erfurt. Die Reiterdivisionen Murats bilden einen großen Bogen
nördlich Erfurt. Betreffs der Cavalleriedivisionen könnte es auf-
fallen , dass sie nicht an der Unstrut , etwa bei Sömmerda,
stehen, was zeigen würde, sie seien dem Gegner auf dem Fuße
gefolgt. Allein wir wissen, dass der Großherzog von Berg ganz
bestimmt zur Wegnahme von Erfurt angewiesen worden war;
dazu war doch Reiterei nicht zu verwenden, wird man sagen;
aber Murat war durch einen Befehl des Major-Generals zur Ver-
folgung überhaupt auf die strategische Richtung Erfurt gewiesen,
mit der Begründung, dies sei der Weg, den der Gegner nehmen
müsse, wolle er nach Magdeburg. Es scheint, als ob hier ein
geographischer Lapsus der obersten Heeresleitung thatsächlich
nachzuweisen sei. Immerhin wog die Hinwegnahme von Erfurt
ein augenblickliches Abbleiben der Reiterdivisionen vom verfolgten
Gegner sicherlich auf.
Napoleon hatte an diesem Tage in Jena viel zu thun. Zwei
Bulletins*) wurden abgefasst, eines über die gestrige Schlacht, das
andere, die sächsischen Truppen betreffend. Der Kaiser beeilt
sich, die geschlagenen Officiere des Kurfürsten moralisch zu er-
obern, da er ihres Kriegsherrn zu politischen Zwecken bedarf.
Der Gedanke, Sachsen in die französische Macht- und Interessen-
sphäre zu ziehen, der bisher latent gewesen, tritt unmittelbar
nach der blutigen Entscheidung praktisch hervor. Der Kaiser
empfängt die sächsischen Oflficiere und dieselben versprechen ihm
auf ihren Eid, nie wieder gegen ihn zu fechten, auch wenn der
Kurfürst dies befehlen sollte. Dann setzt Napoleon die Kriegscon-
tributionen fest; er thut dies in folgender Weise:
*) Er pflegte dieselben persönlich zu dictieren; Foucart II, 546.
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229
Beeret,
Napoleon, Empereur des Frangais, Rot d' Halte,
considerant qtie le restiltat de la bataille d'hier est la eonqtiete
de ious les pays appartenani au rot de Prusse en degä de la
Visttile,
Noiis avons decrete et decretons . . . folgen die Ziffern, in
Summe 159,425.000 Francs, wovon die preußischen Staaten dies-
seits der Weichsel allein 100 Millionen, Hannover 9'1 Millionen
zu zahlen haben.
Erstaunt, ja geradezu verblüfft fragt man sich, woher die
fast mathematische Gewissheit kommt, mit der Napoleon die Trag-
weite des eben erfochtenen Sieges, in geographischer Beziehung
mindestens, zu ermessen weiß. Offenbar war er in Kenntnis von
dem Zustande, in welchem sich die preußische Armee befand,
dass eine Reichsvertheidigung nicht vorbereitet war, konnte er
gleichfalls wissen; vielleicht wusste er, wie gute Wege es noch
mit der russischen Hilfe hatte. Grundsatz war es ihm,
die Resultate stets möglichst hoch erscheinen zu lassen, nicht
aus gedankenlosem Be dürf nis*) nach Uebertreibung
undLüge, sondern aus sehr praktischen Erwägungen,
einzuschüchtern und das eigene Heer bei gutem
Muthzu erhalten. Offenbar erkannte der Kaiser, dass er
die Preußen doch immer noch für widerstandsfähiger gehalten,
als sie es wirklich waren; dies hatte ihn wahrlich Auerstädt ge-
lehrt. Und sofort knüpft er die weitgehendsten Pläne an den
Gedanken der strategischen Verfolgung, Pläne, die in seiner
Correspondenz schon tagelang vor der Entscheidung bereits skiz-
zirt worden waren. Dennoch ist ein so staunenswerter Scharf-
blick im Abwägen der Resultate für uns, wenn wir aufrichtig
sind, nicht völlig verständlich.
Dieser erste Tag der Verfolgung zeigt uns nach dem Durch-
einander, welches durch den Fehlmarsch der Hauptarmee auf
Weimar entstand, dann den schweren Mängeln mangelnder Ein-
heit im Befehl nebst ihren natürlichen Folgen die ganz besondere
Thatsache, dass die preußischen Truppen geradezu
unerhört demoralisiert sind, selbst solche, die
*) Wie man hin und wieder sagt. Gen. Wille, Napoleonische Bulletins, 18d3, 5 bis
zum Schlüsse.
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nicht eigentlich im Gefechte gestanden. Woher
kommt dies wohl, als aus dem niederdrückenden Gefiihl für den
Soldaten, er habe mit ungleichen Waffen gekämpft,
seine Kriegsform als solche sei der des Gegners
nicht gewachsen? Wird ein Kriegsheer durch
Übermacht besiegt, so anerkennt der einzelne
Kämpfer willig und geduldig das durch denTages-
befehl ihm mundgerecht gemachte Missgeschick,
schwächer gewesen zu sein; und darf auf günstigere
Chancen in einem neuen Kampfe hoffen; wird
eine Schlacht durch ein Manöver der großen Tak-
tik entschieden, so weiß der einzelne nicht viel
davon, er sieht und erkennt nicht, was die Ursache
ist, er fühlt den Grund des Unterliegens nichtso
recht. Ein Anderes ist es, wenn der einfache
Kämpfer die Un zulänglichk eit de r eigenen Ele-
mentartaktik verspürt, das heißt den Umstand
wahrnimmt, seine Taktik verlange mehr Muth, Stand-
haftigkeity guten Willen, als jene des Gegners. Jeder
Füsilier weiß in einem solchen Falle genau, warum gewichen
wurde und die besonders in einem geschlagenen Heer mächtige
Fama trägt die Elemente der Entmuthigung von Ort zu Ort.
Solche Truppen wollen ganz einfach nicht mehr kämpfen;
besonders in neuerer Zeit hat man ein Ähnliches erlebt, doch
weniger infolge von taktischen Mängeln an sich, denn als Product
des Unterschiedes in der Bewaffnung. Dies scheint das allerver-
derblichste zu sein.
Jetzt, nach der Schlacht, machten sich, wie uns berichtei
wird, die schlechten Subjecte der Armee durch Fahnenflucht und
Marodieren in großer Zahl bemerkbar; zudem litten die Truppen
neuerdings Mangel an Verpflegung.
Napoleon sorgte dafür, dass seine den Gegner verfolgenden
Truppen demselben hart am Leibe blieben . . . Vepee dam Ics
reins . . . wird den Feldherren stets wiederholt. So war dies auch
die Tendenz der französischen Generale am 16.; wenn auch die
Ausführung dieser Tendenz nicht überall und ganz entsprach.
Nachdem Stadt und Citadelle von Erfurt am 16. mittags förmlich
übergeben wurden, so nahm Murat mit den Reiterdivisionen
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~ 231 —
und dem ihm jetzt unterstellten VI. Corps erst spät an diesem
Tage die Verfolgung wieder auf. Durch falsche Nachrichten irre-
geleitet, nahm er dieselbe auf Langensalza und nicht direct nach
Norden, dem strategischen Gedanken Napoleons entsprechend, er
solle sich zwischen den Feind und Naumburg schieben, um ihn
von seiner Rückzugslinie abzudrängen. Dieses Abdrängen des Geg-
ners von der Elbe ist Napoleons augenblickliches strategisches
Leitmotiv und in allen Befehlen an die Marschälle klingt es
wieder durch. Am 16. October abends steht die französische
Armee wie folgt: Murat mit dem Gros der Reiterei bei Langen-
salza-Gebesee südlich der Unstrut; Ney bei Groß-Fahner ; Soult,
der eben hinzukam, als General Klein mit 15 Escadronen sich in
in Confidencen mit den Führern eines preußischen Truppencorps,
Blücher, Tauentzien, Massenbach, eingelassen hatte, um sich von
ihnen mittelst Fingierung eines bereits abgeschlossenen Waffen-
stillstandes an der Nase herumführen zu lassen, hatte die Nachhut
dieses Truppencorps bei Greussen angegriffen und Gefangene
gemacht; dann stand er nebst zwei Reiterdivisionen bei Greussen-
Weissensee. Das VII. Corps stand bei Weimar, das V. auf dem
Schlachtfelde von Auerstädt, das III., welchem der Kaiser einen
besonderen Ruhetag zugesprochen hatte, befand sich bei Naum-
burg-Freiburg- Weissenfeis ; das I. Corps war, der strategischen
Absicht Napoleons gemäß, auf Querfurt vorgegangen, wo es eine
drohende Stellung gegen Halle und somit auch schon gegen das
Reservecorps des Herzogs Eugen von Württemberg einnahm ;
die Garde befand sich bei Naumburg. Die Communicationslinie
nach Frankreich wird nun über Erfurt nach Frankfurt a. M. ge-
legt, um sie abzukürzen. Zahlreich liefen an diesem Tage
Meldungen über den erbärmlichen Zustand der preußischen
Truppen bei Napoleon ein.
Am Vormittage beriethen zu Sondershausen Friedrich Wil-
helm III. und der Fürst zu Hohenlohe. Nachdem der Monarch dem
Fürsten mündlich den Befehl über die Trümmer der eigenen
Armee und die Corps von Rüchel und des Herzogs von Weimar
übertragen hatte, ferners Magdeburg als allgemeiner Sammelpunkt
bezeichnet worden war, verließ der König die Armee, um dahin
vorauszugehen. Schwer ist ihm dieser Schritt verübelt worden.*)
•) V. Lettow-Vorbeck, II, 65.
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denn es steht fest, dass derselbe einen sehr ungünstigen Eindruck
auf die Gemüther machte. Jedoch können wir, nach dem, was
wir bisher von Friedrich Wilhelm III. hörten, wahrhaftig kühn-
lich sagen : Der Leitung der Operationen konnte seine Entfernung
von der Armee nie und nimmer schaden ; und wenn man uns
sagt, der König sei gewissermaßen der einzige feste Punkt in dem
wogenden Durcheinander gewesen,*) so muss man dem an
der Hand der Geschichte entschieden wider-
sprechen. Wir haben diesen Monarchen kennen gelernt, wie
er, solange es auch noch leidlich ging, zu keinem Entschlüsse
gelangte ; wie sollte er jetzt auf einmal einer Aufgabe gewachsen
sein, die ganz besondere Stärke des Charakters und wahrhaß
kriegerische Fähigkeit erheischte? Stets übersieht die richtende
Geschichte, dass der Monarch, sobald er im Kriegslager sich
rein passiv verhält, nur schaden kann, fast niemals nützen; in-
dem er überall im Wege steht und nichts vollbringt ; passiv ver-
bleiben, das heißt, sich keinem fügen wollen, um allen
zu befehlen; und alle willig hören, ohne einem
einzigen fest und entschieden Gebieter zu sein.
Ist der Monarch nicht Feldherr zugleich, so kann er nichts thun,
als in vertrauenderEinseitigkeit jenem derWerk-
zeuge, dem er am meisten vertraut, gegen jeden
andern Einfluss Autorität zu schaffen; darauf lasse
er sich niemals ein, aus entgegengesetzten Meinungen durch Rech-
nung oder nach persönlichem Gefühl das arithmetische Mittel als
das richtige hervorzuziehen. Hier, 1806, muss man noch über-
dies den besonderen Charakter Friedrich Wilhelms III. hinzu be-
denken, der in seinem Pessimismus und tn seiner Zweifelsucht
nur niederdrückend wirkte.
Ein Nachtheil ist aus der Entfernung des Königs für die
preußische Armee keinesfalls nachzuweisen.
So ziemlich nach eigenem Ermessen zogen sich die ver-
schiedenen Führer an diesem Tage zurück. Der Herzog von
Weimar zog General von Winning an sich und marschierte auf
Mühlhausen. Kaikreuth ging von Sömmerda nach Sondershausen
und hatte unteiAvegs das Abenteuer mit Klein, der ganz erstaunt
über die freimüthige Art berichtet, mit welcher die preußischen
•) V. Lcttovv- Vorbeck, 65.
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Generale ihm, dem Feinde gegenüber, die Trostlosigkeit der
eigenen Lage eingestanden. Heftige Meinungsverschiedenheiten
entstanden zwischen Kaikreuth und seinen Untergebenen; der-
selbe wollte vor den 2000 Säbeln Kleins mit den beihabenden
10.000 Mann capitulieren, als ihm Prinz August von Preußen
bemerkbar machte, die Hundsfötter möchten sich ergeben, er,
der Prinz, werde die Truppen auffordern, ihm sich anzuschließen.
Nur wenige Führer widerstanden mehr der lawinenartig anwach-
senden Muthlosigkeit. Hohenlohe stand mit einem Trupp Ver-
sprengter bei Nordhausen, Wartensleben bei Benneckenstein,
kleinere Verbände gegen die Saale zu und das Reservecorps des
Herzogs Eugen von Württemberg bei Halle.
Wir sehen somit an diesem Tage ein radiales Auseinander-
stieben der deutschen Heeresreste, indem jeder Theil dem Drucke
des Gegners folgt; eine einheitliche Tendenz wohnt, mangels an
Befehlen, den Führern nicht inne. Weit übertrifft der psycho-
logische Zerfallsprocess, auch bei den höheren Führern, das
materielle Zermürben der Armee.
Der 17. October beschleunigte den Zusammenbruch der
preußischen Kriegsmittel sehr.
Am Morgen dieses Tages erfuhren die bei Nordhausen
stehenden preußischen Generale, dass Napoleon den Waffenstill-
stand abgelehnt, vielmehr willens sei, die erreichten Erfolge bis
Berlin zu verfolgen. Sogleich beschloss man, wie sehr begreif-
lich ist, so rasch als möglich unter die Kanonen von Magdeburg
zurückzugehen und es wurden die Truppen auf allen vorhandenen
Wegen recht geschickt dahin in Marsch gesetzt. Die Avantgarde
des IV. Corps griff Nordhausen an, als man sich eben zum Ab-
marsch rüstete, und beschleunigte denselben; er ging in den
unwirtlichen wegelosen Harz, wo viele Geschütze stehen blieben
und die Truppen neuerdings unter dem Verpflegungsmangel,
dann den Strapazen der ewigen Märsche bedeutend litten und
demzufolge vielfach auseinanderkamen. Scharnhorst, durch das
Wiedereintreffen Massenbachs beim Fürsten Hohenlohe als Chef
des Stabes entbehrlich geworden, übernahm mit General von
Blücher die Führung des Artillerietrains , der auf dem äußersten
linken Flügel der weichenden Armee an die Elbe marschieren
sollte, um sie zu überschreiten. Nach endlosen Strapazen machten
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die Truppen an folgenden Punkten Halt : Hohenlohe bei Stolberg,
Kaikreuth bei Hasselfelde, Wartensleben bei Blankenburg, Blücher
östlich Schwarzfeld. Wie stark die gesammelten Trümmer waren,
und ihre augenblickliche Organisation ist nicht bekannt Der
Herzog von Weimar, zum Übergang über die Elbe jetzt schon
einen Punkt nördlich Magdeburg in's Auge fassend, zog sich,
weit ausholend, nach Heiligenstadt. Der sächsische General von
Zezschwitz, der Tags vorher bei Mannsfeld gestanden war,
trennte sich nunmehr von der preußischen Sache aus politischen
Gründen, der Zustimmung des Kurfürsten, der sonst dem Unter-
gang entgegensah, im vorhinein gewiss, und erreichte Hettstädt
nahe der heimischen Grenze; seine Unterhandlungen mit Napo-
leon waren im vollen Gange.
Auf französischer Seite tritt eine scharfe Zweitheilung der
Armee mit zweifacher Bestimmung hervor. Während Murat.
Soult und Ney in der Verfolgung des Gegners weiter beharren,
und an diesem Tage das IV. Corps Nordhausen, das VI. und
die Reservereiterei Sondershausen erreichen, — was allerdings der
strategischen Intention Napoleons, den Gegner nicht zu Athem
kommen zu lassen, besonders bei Murat, nicht ganz entsprach —
entschließt sich Napoleon mit den übrigen Corps geradezu auf
Berlin zu marschieren. Aus dem Hauptquartier Naumburg er-
gehen die entsprechenden Befehle; Davout soll nach Leipzig,
der Rest der rechten Heeres-Gruppe direct nach Norden gehen.
Napoleon scheint vom Vorhandensein des preußischen Reserve-
corps unter dem Herzog Eugen von Württemberg nichts ge-
wusst zu haben, welches bei Halle stand. Dieses Corps hatte
nach den Schlachten keine bestimmten Befehle mehr erhalten und
stand es jetzt, selbst ein Product völligen strategischen Unver-
standes*), als strategische Reserve ohne recht in die ganze Situ-
ation hineinzupassen, ohne sie zu verstehen, ziemlich rathlos
und vereinzelt da. Es zählte in circa 18 Bataillonen, 20 Esca-
dronen und 4 Batterien 16.000 Mann, nebst 62 Geschützen.
Bernadotte, um seinen Fehler vom 14. wieder gut zu machen,
warf sich, sobald er von dem Vorhandensein des Corps erfuhr,
bei Halle auf dasselbe. Obgleich an Reiterei und Artillerie weit
überlegen, an Infanterie beinahe ebenbürtig, wurden die preußi-
*) Vom Kriege, I, 261.
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sehen Truppen, von denen sich ein Theil zur Vertheidigung der
in die Stadt führenden einzigen Brücke vor derselben aufgestellt
hatte, in die Stadt zurück, durch dieselbe und auf der anderen
Seite wieder herausgeworfen. Mit sehr starkem Verlust zog sich
der Herzog auf Magdeburg „excentrisch'' zurück. Das hätte er
nicht thun sollen , meint die Kritik*), sondern die Übergänge
der Elbe von Rosslau oder Wittenberg halten — gegen die
Hauptmasse der französischen Armee wohlverstanden, wie uns
jetzt bekannt ist Indessen ist von Seite des Hauptquartiers
ein früherer Befehl an den Herzog nachzuweisen, er solle sich
gegebenenfalls auf die Festung als den allgemeinen Ralliierungs-
punkt der Armee zurückziehen. Und wenn auch ein solcher
Befehl nicht ergangen wäre oder nicht bestellt worden sein sollte,
so lag für den Herzog mit seinem schwachen Corps wohl der
Gedanke nahe, vorerst die Vereinigung mit der Armee zu suchen
und sich nicht noch mehr von ihr zu entfernen. Sicherlich hat
der Herzog, wie v. Lettow- Vorbeck glaubt, die Möglichkeit eines
französischen Vormarsches auf Berlin nicht in Rechnung gezogen
und es überrascht, wenn wir lesen, es sei ihm daraus füglich
kein Vorwurf zu machen. Wozu also im nachhinein belehren,
was er zu thun gehabt? Die Argumentation, die man heut in's
Treffen führt, um zu beweisen, der Herzog hätte am 17. abends
die von Napoleon eben erst begonnene, durch nichts für jenen
erkennbare Bewegung errathen, und mehr als das, mit Sicher-
heit durchblicken sollen, kommt um ein Jahrhundert fast zu spät;
sie entbehrt jedweder historischen Berechtigung, da man sie da-
mals nicht aufzufassen, vorweg zu thun vermochte; und sie
entbehrt des Wertes für die Gegenwart, weil ihre Lehren heute
kriegsconventionell geworden sind, von jedermann gekannt und
geübt werden, um morgen schon vielleicht durch neue Formen
des Krieges überholt zu werden, für die kein Beispiel irgendwo
aufgezeichnet steht, und denen wir geradeso rathlos gegenüber
uns befinden werden, wie ehedem die Männer jener Zeit.
Die französischen Corps des rechten Flügels erreichten am
Abend folgende Position: I. Halle, III. Freiburg - Weissenfeis,
Garde und das V. Naumburg, VII. Auerstädt-Kösen. Der Kaiser
zog die in zweiter Linie folgenden Rheinbunds-Truppen näher an
•) V. Lettow-Vorbeck, II, 116.
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sich und wies König Ludwig an, in Hessen-Cassel einzurücken,
den Kurfürsten gefangen zu nehmen, und seine Truppen zu
entwaffnen.
Es wurde ziffernmäßig ausgerechnet*), dass Napoleon mit
dem rechten Flügel der Armee füglich einen Tag früher nach
Berlin aufbrechen hätte können. Zweierlei ist möglich, entweder
wir kennen mangels genügender Urkunden heute die Gründe
nicht mehr, die Napoleon zu diesem Zögern bestimmten, oder
Napoleon war von seinem Siege überrascht, gewissermaßen
perplex, womit jedoch die in seinem Brief an Soult schon am
10. October ausgesprochene Absicht ; . . . apres cette hataille, je
serai ä Dresde ou ä Berlin avant lui ... im Widerspruche
steht. Es erscheint verlockend, durch Anwendung rein mili-
tärischer Kritik hier dem Kaiser der Franzosen eine Unter-
lassungssünde nachzuweisen ; und sehr einladend winken wieder
Daten, die sein Zögern zu erklären und gutzuheißen scheinen.
Mit gutem Bedacht wollen wir uns einer Kritik dessen enthalten,
was der größte Feldherr der modernen Zeit thun hätte sollen,
um noch glänzender den Krieg zu Ende zu führen, vorausge-
setzt natu dich, dass dies überhaupt möglich war.
Rückzug und Verfolgung bewegen sich am 18. October in
den bezeichneten Bahnen fort. Getrennt ist die französische
Armee und bleibt es trotz eines Versuches von Murat, sich an
den rechten Flügel näher heranzuziehen; er bleibt auf dem linken
und drängt scharf dem Gegner nach, während der rechte seine
Bewegung an die Elbe- und Muldeübergänge beginnt. Es er-
reichten die Truppen folgende Stellungen: Das IV. Corps und die
Reservereiterei stehen mitten im Harz, das VI. bei Nordhausen.
Das I. Corps, dessen Führer nichts gethan, um den gestern ge-
schlagenen Feind zu verfolgen, vorwärts Halle, das V. südlich
derselben Stadt, die Garde und das VIL bei Merseburg, und das
III. in Leipzig. Napoleon lässt seinem linken Flügel völlig freie
Hand. Ney meldet, dass die Disciplin seiner Truppen unter dem
Einfluss der fortgesetzten Märsche sehr zu leiden beginne.
Auf deutscher Seite geschah folgendes: Der Herzog ^on
Württemberg hatte sich mit seinem Corps über die Brücke von
Rosslau, welche er hinter sich verbrannte, bis Gommern unweit
*) V. Lettow- Vorbeck, II, 100.
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Magdeburg gerettet Die übrigen Truppen entfernten sich weiter
von einander, indem der Herzog von Weimar und Blücher in die
Richtung von Braunschweig gingen, um von da die Elbe möglichst
weit von Magdeburg zu überschreiten, während der Rest mit
Aufgebot aller Kräfte auf diese Festung strebte. Wartensleben er-
reichte Hadmersleben, Kaikreuth Blankenburg, Hohenlohe Qued-
linburg, ein paar Generale, die abgekommen waren, führten
außerdem gesonderte Abtheilungen auf eigene Faust.
Friedrich Wilhelm III. übertrug endlich den Oberbefehl über
alle Truppen diesseits der Oder an den Fürsten von Hohenlohe
und jener in Preußen an den Grafen Kaikreuth. Während dieser,
der sich von seinem Corps entfernt hatte, diesen Befehl zunächst
nicht zugestellt erhielt, versammelte der Fürst in Quedlinburg
eine Conferenz, um über das, was zu geschehen habe, schlüssig
zu werden. Alles stimmte dafür, ohne in Magdeburg zu bleiben,
an die Oder zu marschieren, nur der Major von Knesebeck
wollte alle verfügbaren Truppen sammeln, mit ihnen an die Weser
gehen, Hessen und Westphalen insurgiren, Holland bedrohen
und dadurch Napoleon vom Herzen der preußischen Lande ab-
ziehen. Man kann wohl sagen, schon mechanisch nur betrachtet,
war der Plan völlig aussichtslos. Doch scheint es anderseits, als
hätte er zu schlechteren Erfolgen, als jene von Prenzlau-Ratkau
waren, auch nicht führen können. Allein Hohenlohe verwarf ihn
ganz. Der König sandte an diesem Tage von Magdeburg aus
den Marquis von Lucchesini, dem er abzuschließen schweren
Herzens carte blanche gab, um zu unterhandeln, an Napoleon.
Sodann verließ er endgiltig die Armee, um in aller Eile nach
Küstrin zu gehen. Militärisch betrachtet, ist Friedrich Wilhelms III.
Abreise gewiss nicht schädlich gewesen; wir glauben fest, er
hätte die Rolle, welche die Geschichte von ihm verlangte: der
Fels in der Flut des Zusammenbruches zu sein, aus Gründen,
die in seinem Charakter lagen, nicht zu spielen vermocht; was
er bisher gethan und unterfassen, spricht deutlich genug dafür.
Aber die Art, wie er sich hinwegbegab, war übereilt, es hatte den
Anschein, als fühlte er sich selbst in der Festung nicht mehr
sicher, wie der Befehl, Cassen, Bagage hinwegzubringen, beweist.
Wenngleich er den Ereignissen hier nicht persönlich beigewohnt,
so verdient Hardenberg in dem, was er über die Stimmung jener
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Tage sagt,*) volles Vertrauen aber es geschähe gar
nichts, man dachte nur an das Fliehen.
Napoleon hatte vom Marsche der preußischen Armee und
des Reservecorps auf Magdeburg vernommen und in den Be-
fehlen, die er am 19. morgens erlässt, erkennen wir den doppelten
strategischen Gedanken: den preußischen Resten vor ihrem Ein-
treffen in Magdeburg soviel als möglich Schaden noch zu thun,
beziehungsweise dieselben nach Norden abzudrängen und sich
der Elbeübergänge so rasch als möglich zu vergewissern. So soll
Bernadotte auf Aschersleben, Davout auf Wittenberg und Lannes
nach Dessau gehen. Womöglich sollen die Brücken von Witten-
berg und Dessau durch Überraschung genommen werden und
wenn dieses nicht gelingt, technische Vorbereitung zum Brücken-
schlage getroffen werden.
Auf dem linken Flügel setzten die Marschälle die Verfolgung
eifrig fort. Die französische Armee stand am Abend: IV. Corps
und die Murat*sche Reiterei bei Halberstadt-Quedlinburg, VI. Has-
selfelde, I. Alsleben, V. Zörbig, III. Düben, VII. vor, Garde, Haupt-
quartier in Halle.
Mit Ausnahme Blüchers und des Herzogs von Weimar, die
durch das Vorgehen der Franzosen im Harz von der Elbe direct
abgeschnitten waren und des sächsischen Corps, das sich, fried-
lichen Sinnes voll, der Heimat zu auf Barby an der Elbe zog,
strebten die geschlagenen Heerestheile von allen Seiten der Elbe-
festung zu. Wartensleben hatte Magdeburg erreicht; Hohenlohe
stand vorwärts Langen-Weddingen ; ein Truppencorps unter Ge-
neral V. Tschammer bei Dodendorf ; General von Hirschfeld über-
nahm für Kaikreuth, der noch knapp vor seinem Abgehen vom
Corps die verkehrtesten Befehle gab, das Commando und stand
bei Groß-Oschersleben ; der Herzog von Württemberg unter den
Wällen von Magdeburg rechts der Elbe.
Wir können aus dem Mechanischen in der strategischen
Lage heute noch nicht erkennen: Will Napoleon Magdeburg auf
beiden Ufern einschließen, oder gedenkt er, dieses nur beobach-
tend im Rücken lassend, auf Berlin zu gehen? Ist die feind-
licheMacht oder der „geographische"Punkt Berlin
heute sein Operationsobject?
*) III, 207.
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Indess erhielt der Kaiser bald Nachrichten von seinem
linken Flügel dahin, die Verfolgung lasse den Gegner nicht zu
Athem kommen. Sogleich tritt die Idee des Elbeüberganges bei
Dessau-Wittenberg kräftiger hervor. Bernadotte soll mit dem
größten Theile seines Corps an die Muldemündung gehen und
über die Elbe Brücken schlagen : . . . Magdeburg est une
soupiciere . . . schreibt der Kaiser zweimal an diesem Tage;
er glaubt alle Trümmer der preußischen Armee, auch Blücher
und der Herzog von Weimar, würden dahin ziehen. Mittlerweile
waren seine Befehle vom 19. in der Ausführung begriffen ; Lannes
gelang es, Truppen an's rechte Ufer zu werfen, während an der
Wiederherstellung der Brücke zu Rosslau eifrig gearbeitet ward.
Davout nahm ohne Schwierigkeit den Übergang von Wittenberg,
doch erhielt Napoleon die Meldung hievon an diesem Tage nicht.
Daher wurden für den nächsten Tag die Garden und Augereau
auf der Dessauer Straße bereitgestellt. Bernadotte stand erst bei
Calbe-Bernburg. Murat, der es unternommen hatte, sich zwischen den
auf Magdeburg fliehenden Feind und den eigenen rechten Flügel
zu werfen, war soweit rechts an die Elbe herangelangt, dass er,
zumal als ihm eine Weisung Napoleons zukam^ er solle nach
Calbe gehen, falls er am linken Elbeufer keine Gelegenheit mehr
fände, Reste des Gegners zu zersprengen oder gefangen zu
nehmen, in richtiger Würdigung der strategischen Lage von der
Verfolgung des 70 km. westwärts stehenden Herzogs von Wei-
mar abließ, um sich dem Kaiser zur Verfügung zu stellen. Die
Kritik hat es dem Reiterführer Napoleons verübelt, dass er nicht
den Herzog abgefangen hat, somit zu diesem Be-
hufseine Divisionen mindestens theilte, mit einer
Anzahl von ihnen sich weit von der Armee weg-
zog, mit einem Wort nicht überall zu gleicherZeit
gewesen ist. Die Kritik kann es nicht begreifen,
dass nicht wenige Stunden nach der D oppel seh lacht
alles, was an deutschenTruppen überhaupt noch vor-
handen war, in der Hand Murats gewesen. Dafür tadelt sie
den Großherzog. Die einfache Thatsache ist, dass er, durch seine
rastlose Verfolgung des wahrhaftig wichtigsten Theiles der preu-
ßischen Armee in die Nähe des Kaisers geführt, erfahrend, der-
selbe rüste sich zum Elbeübergang, erkennend, dass er Magde-
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— 240 —
bürg mit seiner Reiterei zu nehmen nicht imstande sei, sich
auch zum Übergang bereitstellt und sehr begreiflicherweise nicht
daran denkt, mit dem größten Theil der Reiterei — die man
in dem offenen Räume Elbe -Berlin sicher brauchen wird —
drei Märsche nach rückwärts zu thun, um ein noch intaktes
Corps des Gegners in's Ungewisse zu verfolgen. Dass es mög-
lich sei, meldet ja Murat dem Kaiser und erbietet sich dazu,
wenn dieser es verlangt ; er selbst jedoch kann sich auf eigene
Faust zu einer so gewagten „Selbstthätigkeit'^ nimmermehr er-
heben. Seine Reiter stehen am Abende des Tages bereits rechts
von Soult, der bei Hadmersleben nächtigt. Ney ist bis Halber-
stadt gefolgt.
Die preußischen Truppen erreichten an diesem Tage, dem
20., zum größten Theile Magdeburg. Bald sah Hohenlohe ein,
dass kein Ort zum Sammeln, Ordnen, Schlagfähigmachen weniger
geeignet sei, als eben diese Festung, die so bald als möglich zu
erreichen die vornehmste Aufgabe des Rückzuges gewesen war.
Die größte Unordnung herrschte in den Straßen, die Fuhrwerke
verstopften alle Ein- und Ausgänge, selbst das Glacis, so dass
nach dem Zeugnis eines Augenzeugen kein Geschütz vom ganzen
Wall anderswohin als auf Bagage hätte feuern können. Der
Gouverneur, General der Infanterie von Kleist, wollte mit Rück-
sicht auf die geringen Vorräthe von einem Verbleiben mobiler
Truppentheile in der Festung keinesfalls etwas wissen, und wies,
was nicht von Haus aus hergehörte, geradezu hinaus. So sah
der Fürst, dass hier seines Bleibens nicht sei, so lockend ihm
auch der Plan erscheinen mochte, ein verschanztes Lager bei
Magdeburg zu beziehen, um dem gegen die Monarchie vordrin-
genden Gegner „Jalousie gegen Flanke und Rücken zu geben."
Er entschloss sich zum Rückzuge hinter die Oder. Er wählte
Stettin zum Übergangspunkt als den voraussichtlich gesichertsten;
er beschloss seinen Weg über Genthin-Rathenow-Ruppin-Zehdenick-
Prenzlau als dem kürzesten und strategisch naheliegendsten zu
nehmen ; da an ein Behaupten von Berlin ohnehin nicht zu
denken war. Sofort, das heißt am nächsten Tage, dem 21., ge-
dachte der Fürst zu marschieren ; denn bekannt war ihm, der
Feind werde bald vor der Festung stehen. Wirklich begann der
Abmarsch am 21. früh.
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Dieser Abmarsch blieb Napoleon unbekannt, oder vielmehr
er glaubte nicht an ihn, hielt ihn für völlig unwahrscheinlich.
Die Ursache war, dass Bernadotte mit seinem Brückenschlag lange
nicht zustande kam, und weder er noch Murat, der gleichwohl
fest glaubte, Hohenlohe werde zurückgehen, eine kräftige Er-
kundung auf dem rechten Elbeufer thaten, mithin nichts positives
zu melden in der Lage waren. Napoleon thut nichts entschie-
denes, um den Fehler jener Unterführer wieder gut zu machen-,
vielmehr sanctioniert er ihn, indem er, an dem Brückenschlag
bei Barby verzweifelnd, die Corps mehr rechts, bei Rosslau
und Wittenberg überzugehen anweist, um den Vormarsch auf
Berlin endlich zu beginnen, unbekümmert um das, was in seiner
linken Flanke bei Magdeburg stehen bleiben kann. Soult und
Ney, welche ihrerseits stets auf den Befehl zum Abmarsch nach
Berlin gefasst sein müssen, werden nach dem Willen des Kaisers
genügen, um vor Magdeburg festzustellen, wie die Dinge beim
Gegner stehen, und eventuelle Ausfälle kräftig zurückzuweisen.
Immer schlägt jedoch die Bestimmung Berlin in den kaiserlichen
Befehlen deutlich durch ; so deutlich, dass Soult lange zögerte,
den Herzog von Weimar, der sich eben der Elbe näherte, anzu-
greifen und als er dies schließlich dennoch that, dem Feind in
dem Wahne entgegenging, derselbe ziehe nach Magdeburg; so
wurde dieser Marschall, ohne es zu wollen, zur Verfolgung auf
Tangermünde fortgerissen. Man sieht, es überwiegt in
Napoleon mächtig das Bestreben, nach Berlin
zu kommen die sogar uns und besonders jener Zeit mund-
gerechte Sorge um das, was er in der Flanke lässt ; obgleich
er selbst glaubt, der Feind könne in der Elbefestung immerhin
noch ein ganzes Armeecorps haben.
Thatsächlich bricht somit Napoleon, sobald er der Elbe-
übergänge sich versichert hat, die Verfolgung des Gegners ab,
um auf den „geographischen" Punkt Berlin vorzugehen. Dass
er dies mit solcher Sorglosigkeit that, ist der Sinn des Vor-
wurfes,*) den die Kriegsgeschichte hier gegen ihn erhebt.
Er tritt mit der Garde, vier Corps und der Reservereiterei
diesen Marsch am 22. October an, während Soult und Ney vor
Magdeburg verbleiben, und gelangt am Abend des 24. bis in die
•) V. Lettow-Vorbeck, II, 187.
C. von B.-K. Zur Psychologie des großen Krieges II. 16
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Nähe von Berlin, wo am nächsten Tage Davout zur Belohnung
für Auerstädt als Erster einziehen soll. Unbemerkt und vom Kaiser
gar nicht geahnt, vollzog sich mittlerweile der Rückzug Hohen-
lohes, der an diesem Tage mit dem größten Theile seiner Truppen
nordwärts der Havel, etwa bei Wusterhausen-Rhinow steht. Da
verbreitet sich am Nachmittag unter den französischen Truppen
zu Potsdam das dunkle Gerücht, eine preußische Colonne ziehe
auf Stettin. Sofort bietet Napoleon alles auf, um die Wahrheit
des Gerüchtes zu ermitteln, und wenn dasselbe Bestätigung er-
fährt, den Gegner abzufangen. Die sofort wieder aufgenommene
Verfolgung führt im Laufe der Begebenheiten zu den Capitulationen
von Prenzlau und Ratkau, durch welche „das Signal zu allen
anderen Capitulationen gegeben wird *)" und der jede Thatkraf:
lähmende Gedanke, dass doch alles verloren sei, dass Preußen
nicht mehr geholfen werden könne, mächtige Nahrung und weite
Verbreitung erfuhr. Prenzlau kostete ca. 10.000, Ratkau 9000
Mann organisierter Truppen, welche einen großen Theil dessen
darstellten, was Preußen überhaupt noch besaß. Diese 19.000
Mann haben Preußens Schicksal wahrlich nicht entschieden:
die Doppelkatastrophe war nur ein Epilog, den uns die gegen-
wärtige Kriegsgeschichte als von entscheidender Bedeutung unc
accidentiell entstanden darzustellen sich bemüht. Denn es stellt
sich heraus , „dass zu dem wahrhaft glänzenden Abschluss
des Feldzuges für die französischen Waffen dem Glück, welches
den korsischen Emporkömmling so oft begünstigt hat. ein nicht
unbedeutender Antheil gebührt" — wird uns gesagt.**)
Wir haben Rückzug und Verfolgung nur bis zur Elbe be-
trachtet. Der Leidensweg, den Preußen von da nach Prenzlau
und Ratkau ging, bietet kein eigentliches Material für die Be-
trachtung, die wir anzustellen wünschen; denn er war nur mehr
die unvermeidliche Consequenz dessen, was vorher geschehen
war. Allein wir wollen noch einen Blick auf die Thätigkeit von
Freund und Feind während der auf die Entscheidung folgenden
Tage thun.
Die geschlagene Armee weicht zunächst in der Richtung des
empfangenen Stoßes ohne Plan zurück, denn ein solcher bestand
•) V. Lettow- Vorbeck, 11, 277.
••) Ebenda, II, 215.
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thatsächlich nicht. Die Auflösung der Heerestheile sowohl von-
einander als in sich wächst erheblich an. Bald jedoch gewinnt
der strategische Gedanke des Rückzuges auf Magdeburg die Ober-
hand; und derselbe beginnt trotz aller Schwierigkeit auf dem
augenblicklich nächsten Wege. Einzelne Truppentheile, die wegen
der Bequemlichkeit des Marsches zu weit ausgeholt haben, ver-
lieren durch die Energie der französischen Verfolgung, die sich
zwischen sie und das Object des Rückzuges wirft, die Möglichkeit,
dieses zu gewinnen; jedoch die Hauptmacht erreicht dasselbe. Auf
diesem Marsche zeigen uns die Einzelnheiten das verworrene Bild
und die traurigen Verhältnisse des Rückzuges jedweder geschla-
genen Armee. Doch über allem Detail erblicken wir klar die That-
sache, dass Truppen sowohl als Führer die Aussichtslosigkeit
ferneren Kampfes einzusehen beginnen; von diesem Erkennen
bis zum nicht mehr kämpfen wollen ist es nur ein Schritt.
Der Sieger bietet zur Verfolgung des Besiegten nur einen
Theil, und zwar den kleineren seines Heeres auf. Der größere
Theil soll ruhen und Erholung finden, während zwei Corps und
die Reiterei vor allem die Auflösung des Gegners herbeizuführen
haben. Napoleon überlässt im großen Ganzen den linken ver-
folgenden Flügel sich selbst, ihm die Sorge überlassend, die un-
mittelbaren Früchte des Sieges einzuernten, welches Amt diesmal
der Kaiser nicht persönlich übernimmt; denn er selbst mit dem
Reste der Armee steht still und bereitet den Abmarsch nach Berlin,
den er schon vor der Schlacht als sicher in's Auge gefasst hat.
Ein Corps, welches er links vorwärts disponiert, um etwaige
Reste des Gegners von einem möglichen Marsche an die in Aus-
sicht genommenen Elbeübergänge abzuhalten, schlägt, ohne dass
die Heeresleitung dies vorhergesehen, das zwischen Napoleon
und seinen Übergängen befindliche preußische Reservecorps. Das-
selbe geht, wie es scheint, an die Elbe zurück; als der Kaiser
dies erfährt, entwickelt er sogleich eine ungeheure Thätigkeit, um
so rasch als möglich Herr des Stromes zu werden, und zwar
wieder zum Zwecke des Marsches auf Berlin. Als ihm der Über-
gang gelingt, tritt er mit einer gewissen Sorglosigkeit
um das, was noch vom Gegner bei Magdeburg
stehen kann, den Vormarsch an auf den „geographischen"
Punkt Berlin, zu welchem Marsche er jetzt bedeutende Theile des
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linken Flügels, der seinen Zweck der Verfolgung bisher glänzend
erreicht, heranzuziehen gedenkt und wirklich heranzieht
Wir sind überzeugt, dass unsere Leser die nöthige Vor-
sicht anwenden werden, wenn wir somit sagen: Vom Schlachi-
felde von Jena aus richtet Napoleon seinen strategischen Blick
auf die Hauptstadt des Gegners , während er das Einheimsen
der Früchte des Sieges, die eigentliche strategische Verfolgung,
secundären Kräften überlässt. Wir wissen aus seiner Correspon-
denz, dass er schon vor dem Siege den „geographischen" Punkt
Berlin zu seinem Operationsobject zu machen gedachte.
Diese Absicht behält er in dem Grade bei, dass ihm der
Abmarsch Hohenlohes füglich unbekannt, ja, man darf geradezu
sagen, ziemlich gleichgiltig geblieben ist; denn Andeutungen vom
Zuge Hohenlohes an die Oder hat er empfangen, wie nachzu-
weisen ist; dessen sich zu vergewissern, thut er nichts ent-
schiedenes; sondern marschiert unbekümmert auf Berlin. «In
dieser Unterlassung, in der Art, wie der Marsch angetreten wurde,
ist ein Fehler des großen Feldherrn zu erblicken."*)
Resümieren wir. Seit dem 15. October sucht sich d;e
preußische Armee nach Magdeburg zu retten, um sich daselbst
zu reorganisieren; in dieser Hoffnung getäuscht, rettet sie sich an
die Oder. Napoleon marschiert nach dem Siege auf Berlin, und
überlässt die Verfolgung des geschlagenen Feindes secundärer
Truppenzahl und Führerfahigkeit. Mit einem Wort, es er-
scheint ihm der geschlagene Gegner das neben-
sächliche Operationsobject, und das wichtigere
seine Hauptstadt zu sein.
Gehört dieses strategische Thun — Wahl eines „geogra-
phischen" Punktes zum Operationsobject — in das System des
XVIII. Jahrhunderts noch; oder mit welcher Erscheinung haben
wir es hier zu thun?
Die Folgen der Schlachten von Jena und Auerstädt sind aus
der Weltgeschichte, wo sie für immer aufgezeichnet stehen, hin-
länglich bekannt.
•) V. Lettow- Vorbeck, II, 187.
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— 245 -
Die Schlacht hatte wie ein Donnerschlag auf Preußen und
Europa gewirkt; niemand hatte einen solchen Ausgang für möglich
gehalten.
Denn derselbe bedeutete nicht mehr noch weniger als völlige
Wehrlosigkeit der preußischen Monarchie, die nur in Unterwerfung
unter das Gesetz des Siegers noch Rettung zu erblicken hoffte.
Wir wissen, dass Friedrich Wilhelm III. verschiedene und eifrige
Versuche machte, so rasch als möglich zum Frieden zu gelangen.
Thatsache ist, dass die Bevölkerung, aufgeklärt und kosmopolitisch
gesinnt wie sie war, dem Staatsgedanken nicht das geringste
Opfer brachte, sondern geradezu dadurch, dass sie den Franzosen
in allen Stücken aufs willfahrigste entgegenkam, das Ende des
Krieges herbeizuführen suchte.
Wir wollen es vermeiden, das Bild des Zusammenbruches
zwecklos auszumalen; denn überreich und ungezählt, wie die
Quellen hiezu fließen, tragen sie alle den Stempel der Kritik im
nachhinein allzu deutlich an sich ; und verfälschen die Geschichte.
Nur darauf sei verwiesen, wie das völlige Versagen des kriegeri-
schen Geistes an allen Orten vom 14. October an einfach und in
erster Linie auf den Glauben des Besiegten an die
ün widerst eh lichkeit des Siegerszurückzuführen
ist. Es ist erwiesen, dass so manche Capitulation und Festungs-
übergabe nicht auf Grund militärischen Calculs und nicht aus
ungewöhnlicher Feigheit der Führer erfolgte, sondern aus dem
Glauben an die Aussichtslosigkeit des Widerstehens.
Hier greift man die materiellen Wirkungen der Imponde-
rabilien wahrhaft mit Händen.
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IV.
Resultate.
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Uer Brief,*) den der Kaiser Napoleon zwei Tage vor den
Entscheidungsschlachten an den König Friedrich Wilhelm IIL
geschrieben hat, lautet in deutscher Übersetzung wie folgt:
Kaiserliches Lager Gera, 12. October 1806.
Mein Herr Bruder, erst den 7. habe ich den Brief Ew.
Majestät vom 25. September erhalten. Ich bedaure, dass man
Sie diese Art von Schmähschrift hat unterzeichnen lassen.
Ich antworte nur, um Ihnen zu betheuern, dass ich niemals
Ihnen die Dinge zuschreiben werde , die in demselben enthalten
sind; sämmtlich sind sie Ihrem Charakter und Ihrer Ehre zu-
wider. Ich beklage und verachte die Verfasser eines solchen
Machwerkes. Unmittelbar darauf erhielt ich die Note Ihres Mini-
sters vom 1. October. Sie haben mir ein Stelldichein für den
8. gegeben. Als guter Ritter hielt ich Wort; ich stehe mitten in
Sachsen. Möchten Sie mir glauben, ich habe solche Kräfte, dass
alle Ihre Kräfte den Sieg nicht lange schwanken machen können.
Aber warum soviel Blut vergießen? Zu welchem Zweck? Ich
will Ew. Majestät gegenüber dieselbe Sprache führen, die ich dem
Kaiser Alexander zwei Tage vor der Schlacht von Austerlitz
hielt. Möge der Himmel verhüten, dass verkaufte oder fanati-
sierte Menschen, mehr Feinde Ihrer Person und Ihrer Herrschaft
als meine und meines Volkes Feinde, Ihnen die gleichen Rath-
schläge geben, um Sie zum selben Resultat zu führen. Sire, seit
sechs Jahren bin ich Ihr Freund, gewesen. Ich will keinerlei
Vortheil ziehen aus dieser Art von Taumel, der Ihren Rath be-
herrscht, der Sie zu politischen Fehlern geführt hat, über die
Europa noch ganz erstaunt ist, und zu militärischen Fehlern, von
•) Corresp. XIII, 10990.
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deren ungeheurer Größe Europa bald wiederhallen wird. Hätten
Sie in Ihrer Note Mögliches von mir verlangt, ich hätte es ge-
währt ; Sie haben meine Entehrung verlangt und mussten meiner
Antwort sicher sein. So ist der Krieg zwischen uns zur That-
sache geworden und das Bündnis für immer zerstört. Doch wozu
sollen wir unsere Unterthanen morden lassen? Ich lege keinen
Wert auf einen Sieg, der mit dem Leben einer großen Zahl
meiner Kinder erkauft wird. Wenn ich im Beginne meiner mili-
tärischen Laufbahn stünde und die Wechselfälle der Schlachten
fürchten könnte, dann wäre diese Sprache durchaus nicht am
Platz. Sire, Ew. Majestät wird besiegt werden; Sie werden die
Ruhe Ihrer Tage, das Dasein Ihrer Unterthanen in Frage gestellt
haben, ohne auch nur den Schatten eines Vorwandes dazu. Sie
sind heute noch unverletzt und können mit mir in einer Weise
unterhandeln, die Ihrem Range angemessen ist; Sie werden, be-
vor ein Monat vergeht, in anderer Lage unterhandeln. Sie haben
sich fortreißen lassen zu einer Erregung, die man berechnet und
künstlich vorbereitet hat. Sie haben mir gesagt, dass Sie mir
oft Dienste erwiesen haben. Wohlan, ich will Ihnen beweisen,
wie gut ich derselben eingedenk bin. An Ihnen soll es sein,
Ihre Unterthanen vor den Verheerungen und dem Elend des
Krieges zu bewahren. Bei Ihnen steht es, diesem kaum begon-
nenen Kriege ein Ende zu machen, und damit vollbringen Sie
eine That, für die Europa Ihnen Dank wissen wird. Wenn Sie
Gehör jenen Wahnsinnigen geben, die vor 14 Jahren Paris er-
obern wollten, und die Sie heute in einen Krieg und unmittelbar
darauf in Angrififsplane verwickelten, die beide gleich unbegreif-
lich sind, so werden Sie Ihrem Volke ein Übel zufügen, das der
Rest Ihres Lebens zu heilen nicht vermögen wird. Sire, ich
habe nichts zu gewinnen von Ew. Majestät. Ich will nichts und
habe nichts von Ihnen gewollt. Der gegenwärtige Krieg ist ein
unpolitischer Krieg.
Wohl fühle ich, dass ich mit diesem Briefe vielleicht eine
gewisse Empfindlichkeit errege, die bei einem Souverän natürlich
ist; allein die Umstände lassen keine Schonung zu. Ich spreche
so zu Ihnen, wie ich über die Dinge denke. Und dann, gestatten
Ew. Majestät mir, es Ihnen zu sagen : Für Europa ist es keine
große Entdeckung, zu erfahren, Frankreich sei dreimal so volk-
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reich und ebenso tapfer und kriegerisch, als die Staaten Ew. Ma-
jestät. Ich habe Ihnen keinen wirklichen Grund zum Kriege
gegeben. Befehlen Sie diesem Schwärm von Schlechtgesinnten
und Tollköpfen angesichts des Thrones zu seh weigen , . in der
Ehrfurcht, die man Ihnen schuldig ist. Wenn Sie auch in mir
niemals mehr einen Bundesgenossen wiederfinden, so finden Sie
doch in mir einen Mann, der nur solche Kriege zu führen wünscht,
die unentbehrlich sind für die Staatswohlfahrt seiner Völker und
der kein Blut vergießen will im Kampfe mit jenen Souveränen,
die mit ihm in keinem industriellen, Handels- oder politischen
Gegensatze stehen. Ich bitte Ew. Majestät in diesem Briefe nichts
zu sehen als meinen Wunsch, Blutvergießen zu verhüten, und
einer Nation, die geographisch mein Feind nicht sein kann, die
bittere Reue zu- ersparen, zu sehr jenen flüchtigen Gefühlen
Gehör geschenkt zu haben, die unter den Völkern eben so leicht
erregt als wieder beschwichtigt werden.
Und so bitte ich Gott, mein Herr Bruder, dass er Sie in
seinen heiligen und würdigen Schutz nehmen möge.
Ew. Majestät guter Bruder
Napoleon.
Vor allem Skepsis. Die ist bei dem, was Napoleon schrieb,
bekanntlich immer und immer zu üben. Versuchen wir, sofern
dies nicht allzu verwegen scheint, in die Gedanken des Kaisers
einzudringen als er schrieb und in die Absichten, die ihn zu leiten
geeignet waren.
Wann entstand die Epistel ? Nachdem der Kaiser im Gewirre
der Nachrichten des Krieges die Gewissheit erlangt zu haben
glaubt, der Gegner stehe dort, wo es ihm, Napoleon, aus strate-
gischen Gründen am angenehmsten ist; wo er die heißbegehrte
taktische Entscheidung in nächster Nähe wähnt ; auf diese zählt
Napoleon und ist, wie zu lesen steht, völlig überzeugt, sie könne
seine Sprache nicht desavouieren.
Wo schrieb Napoleon? Hier fließt der Ort schon mit der
Zeit zusammen. Die strategischen Raisonnements — auf Ort und
Zeit basiert — bringen dem, der sich in dieselben vertieft, die Mei-
nung, ja die Überzeugung bei, auch ein Feldherr von weniger
Selbstbewusstsein, als der Kaiser der Franzosen, würde in gleicher
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Lage, erkennend, er habe den Gegner umgangen, einen Augen-
blick der Siegessicherheit erleben haben müssen.
Und nun warum und warum so ? Man muss sich zunächst
nach dem Zwecke fragen. Am Tage liegt, dass man in einem
solchen Ton die Verständigung nicht sucht, vielmehr geradezu
zum Äußersten drängt. Die Politik, welche den Krieg
als Mittel zum Zwecke betrachtet, hat diese
Zeilen sicher nicht dictiert; denn diese schnitten jede
friedliche Transaction in der That von Haus aus ab. Am 30. Octo-
ber wurde der Brief im Moniteur gedruckt und nimmt man gegen-
wärtig an, derselbe sei eben für die Franzosen berechnet gewesen
und für Europa, als weithin vernehmliches Merks. Wir nehmen
an, Napoleon habe, als er denselben schrieb, vorsorglichen Blickes
auf eine eventuelle spätere Publication desselben Rücksicht ge-
nommen und seine Worte so gesetzt, dass sie seinerzeit auf
Freund und Feind in der gewünschten Weise wirken möchten.
Aber der Brief kann nicht ausschließlich oder auch
nur vornehmlich als ein vorweggenommener Motivenbericht
für und eine Drohung an Europa angesehen werden: denn die
Umstände, die ihn lebensfähig, das heißt publicierbar machen
konnten, waren noch im Schleier der Zukunft und einer blutigen
Zukunft verborgen, als Napoleon schrieb. Somit muss man zu
dem Schlüsse kommen, der Kaiser habe wirklich gemeint, der
Umstände völlig Herr zu sein. Etwas anderes sagt er nun nicht
in seinem Briefe und es deckt sich somit das, was er sagt —
innerhalb der Sprache höfischen Verkehrs und der für die Welt
bestimmten Worte von Menschenliebe, Ehre u. s. w., deren sich
ein Souverän mehr als andere bedienen muss — völlig mit dem,
was er meint. Hat Napoleon diesen Brief, als er ihn schrieb, als
einen politischen Hebel für die Zukunft angesehen, so kann man
daher nur glauben, derselbe müsse der Meinung entsprochen haben,
die der Kaiser augenblicklich von sich und dem Gegner gehabt.
Man kann natürlich beliebig weiter gehen in diesem Rai-
sonnement. Der forschende Geist desjenigen, der die Ereignisse
im nachhinein besieht, bleibt bei jenem Resultate meistens stehen,
das seinem individuellen Gefühle, ja, nennen wir das Ding beim
rechten Namen, seiner vorgefassten Meinung am besten ent-
spricht; davon vermag sich auch der objectivste Geist nicht immer
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völlig frei zu machen; und deshalb ist Geschichte und ganz be-
sonders Kriegsgeschichte richtig darzustellen, eine sehr seltene
und wie bekannt geschätzte Eigenschaft. Der Muth, von
einem eben gewonnenen genehmen Resultate neue
Fäden der Erwägung aus zus pi n ne n , di-e mögli-
cherweise zu neuen Resultaten führen, welche
in diegroßen Züge des halb vo 1 len d et e n Bildes
urplötzlich nicht mehr passen, ist nicht so häufig,
wie es scheint. Und in der That, welcher Schluss, der nicht
aktenmäßig feststeht, welche Meinung, fragen wir, die nicht zur
allgemeinen Evidenz geworden ist, wäre denn nicht anzufechten,
wenn man über sie hinausgeht? Mehr als in irgend einer Wissen-
schaft ist in der Geschichte die Gelegenheit auf Schritt und Tritt
zu finden, mit scheinbar größter Folgerichtigkeit dies, und nach
Belieben jenes zu beweisen. Eine gewisse naive Wahrheitsliebe,
die, ein Urtheil fällend, nach allen Seiten Vorbehalte macht, ist
erste Bedingung auch einer landestreuen und staatserhaltenden
Geschichte, wenn sie den Augenblick überdauern will. Jedoch es
findet das Suchen nach Wahrheit seine natürlichen Grenzen in
der Befähigung des Suchenden, den schon der nächste Sucher
spielend überholen kann. Wir bitten daher, wenn eine weitere
Analyse der Genesis von Napoleons Brief versucht werden soll,
nicht zu glauben, wir proclamierten unsere Meinung als die
richtige; wir führen den Leser nur so weit, als uns das eigene
Erkennen führt. Ob wir am Ziele sind, muss fremdes Urtheil
lehren.
Was ließe sich nicht alles gegen unsere eben besprochene
Meinung sagen? Napoleon war durch nichts veranlasst, am 12.
gerade seinem Gegner zu schreiben, denn die politische Lage
war jene vom Tage, da Knobeisdorfs Ultimatum erschienen war,
und das, was Napoleon bisher vom Kriege gesehen, sicher nicht
darnach angethan, ihm die Hand zur Versöhnung zu führen,
wogegen wieder der Text des Briefes spricht. Wer kann glau-
ben, der Feldherr habe gerade die Zeit knapp vor einer Ent-
scheidungsschlacht gewählt, um für seine Pariser und Europa
ein Document zu redigieren , das noch gar nicht spruchreif
war? Man mag nunmehr die Sache drehen wie man will, man
sieht die Nothwendigkeit, oder auch nur den bescheidensten
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politischen oder militärischen Zweck der Epistel nicht ein. Und
von Napoleon wissen wir doch, dass er niemals irgend etwas
ohne Berechnung that, wie die Legende pro und mehr noch die
Legende contra sagt. Dieser Brief scheint uns plötzlich in der Luft
zu hängen, gewissermaßen unmotiviert, accidentiell zu sein, und
so sehr man sich bemüht, so findet man nicht seinen Zweck
und damit begreift man nicht, warum ihn der Kaiser schrieb.
Erheben wir uns in der Betrachtung um eine Stufe höher.
Wer Napoleons Geschichte einigermaßen kennt, weiß, dass der
junge Mann gelegentlich äußerst offen sein, reden, ja handeln
konnte. Wahre Ausbrüche des Affectes, die ganz aufrichtig
waren, hatten dem jungen Mann nicht selten Unannehmlichkeiten
gemacht, bis er sich beherrschen, und endlich, was das schwerste
ist, Affecte täuschend heucheln lernte. Die Jahre, die ihn zur
Größe führen, sind mit Beispielen geheuchelten Zornes und simu-
lierter Liebe wahrhaft angefüllt. Im Zenith und später nimmt man
wahr, wie der reife Mann, sich seiner völlig sicher wähnend, die
Maske, wo sie ihm zwecklos oder doch unbequem erscheint,
öfters abzulegen pflegt; er ließ sich eben auch mitunter gehen und,
manchmal zu seinem Schaden, war er als gereifter Mann ebenso
offen, wie es der Jüngling war. Ausbrüche des Affectes, die ohne
Zweck entstanden, dem Zwecke Eintrag thun, sind zur Zeit, da
Metternich im Palaste Marcolini bei Napoleon erschien, keine
Seltenheit. Zwischen diesen beiden seelischen Contrasten muss
eine Brücke sein. Es scheint so, als ob sie über Jena führe.
Und fürwahr, wenn man sich die Umstände bis zum
12. October und an diesem Tage in's Gedächtnis ruft, so scheint
es über jedem Zweifel, dass der Kaiser, in dem bisher — vielleicht
über seine Erwartung hinaus — Erreichten nur Sicherheiten des
glücklichen Erfolges sehend, sich das seiner Seele allmählich
wieder zum Bedürfnis werdende Vergnügen gönnt, als Trium-
phator vor dem Triumphe aufzutreten. Man müsste keinen Funken
jenes verzehrenden Feuers in sich fühlen, das man Ehrgeiz
nennt, wollte man Napoleon hier nicht ganz verstehen. — Ob
man ihn billigt, ist ein anderes Ding. — Des Erfolges sicher, wie
er glaubt, steht er nicht an, seinem Gegner denselben grausam zu
verkünden und vielleicht bemäntelt er vor der eigenen Seele
diesen Erguss mit der Erwägung, derselbe werde auf den Gegner
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militärisch niederdrückend sein, mithin zugleich dem Zwecke
dienen; und hüllt denselben in jene Form, die vorkommendenfalls
tür ganz Europa taugt. Nicht die Politik hat jenen Brief dictiert;
nicht das militärisctie Bedürfnis. Er floss aus der Seele des Kaisers,
war eine Offenheit, die er sich, da sie nicht schaden konnte,
immerhin gewährt. Denn dieser Mann, die Menschen kennend,
und wissend, dass man einem Lügner nicht auf die Länge glaubt,
hat es meisterhaft verstanden, gelegentlich sehr offen zu sein,
indem er sicher war, man werde ihm das, was er sage, niemals
glauben, vielmehr stets etwas anderes dahinter suchen, wenn
nichts zu suchen war. Doch hievon ist hier wohl nicht die Rede.
Nochmals, Napoleon hatte keinen unmittelbaren Zweck, als er
dem König schrieb; er platzte gewissermaßen heraus, wie er
dachte; jetzt, vor Jena, aber wohl erwägend, dass politischer
Zweck und militärischer Zweck seinem Ergüsse nicht im Wege
standen.
Der Brief ist somit — unserer Meinung gemäß — vor-
wiegend das Product der Stimmung und nicht irgend eines
Calculs; Politik und kriegerischer Zweck laufen fast unbeachtet
nebenher, doch im selben Sinn.
Wozu diese Längen, wird man fragen; mit viel Wort-
aufwand kamen wir zu einem Resultat, das man als objectiv
feststehend nicht anerkennen kann. Wir wollen versuchen, die
übrigen Glieder der Kette zu finden, die zu den eigenthümlichsten
Schlüssen führt. Angenommen, der Brief sei Sache des Gefühls
gewesen, so war er, oder vielmehr das, was darin stand, von
Napoleon — soweit dies möglich war — so gesagt, wie er es
dachte. Die dem Könige mitgetheilten Ansichten sind der Inbegriff
von dem, was Napoleon vor der Entscheidung über die politisch-
militärische Lage denkt. Am Tage liegt, dass die Meinung
des Feldherrn vor der En tsch eidu ng ken n en zu
lernen für den, der Kriegsgeschichte liest, weit
wertvoller ist, als der trockene Bericht des Resul-
tates; derjenige, der Kriegsgeschichte zu seinem
Nutzen liest, wird viellei ch t vo r ei n er Entsch ei-
dung selber einmal stehen, und da werden ihm
die aus der kriegerischen Betrachtung bekann-
ten Elemente, welche die Stimmung des Feldherrn
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vor der Entscheidung durchziehen, unendlich
mehr Handhaben geben für sein Thun, als die
warnenden Beispiele kriegshistorischen Miss-
erfolges. In die Werkstatt — um uns eines Gemein-
platzes zu bedienen— wo Entschlüsse reifen,
hineinzusehen, bildet weit mehr für den Krieg,
als das D e tai 1 s t udium des fertig vorliegenden
Productes, das starr und todt und nicht lebendig
scheint, und doch gelebt und sich entwickelt hat. —
Schade, dass das Material zu solchen Betrachtungen eben kein
reiches ist und diese selbst mehr Sache des historisch-militärischen
Instinkts erscheinen, als aktenmäßiger Forschung, weswegen
sie billigerweise von allen Seiten angefochten werden
können. — Da nun schlechterdings nicht nachzuweisen ist.
Napoleon habe den Brief aufrichtig gemeint, was wir loyal zu-
gestehen — so müssen wir zur Ultima ratio, dem Erfolge zu-
rückkehren, um zu sehen, ob er sich mit den Erwartungen des
Feldherrn deckte. Nun, auffallender als hier kann der Glaube des
Feldherrn vor der Entscheidung mit dieser selbst kaum im Ein-
klang stehen; es ist bekannt genug, dass der Erfolg den von
Napoleon gehegten Erwartungen voll und ganz entsprach.
(Zuzugeben ist, dass gerade Napoleon später in ähnlichen Lagen
ähnlich geprahlt hat, und der Erfolg ihn verrieth; wir wissen
es wohl, wir werden zu gelegener Zeit und an anderem Orte zu
dieser Erscheinung zurückkehren, die uns beweist, dass der
Glaube an den Sieg für diesen selbst manchmal ganz ohne Ge-
wicht sein kann, trotz allem, was die Kriegspsychologie in diesem
Punkte sagt und glaubt. Für jetzt nehmen wir mit der Thatsache
vorlieb.) Mit einem Worte also, der Kaiser der Franzosen wusste
— es ist dies die höchste Form des Glaubens, im Kriege
die oftmals nur um ein Geringeres stärkere Form — dass
er siegen werde, und da er dies bestimmt zu wissen glaubt, so
sagt er es ganz unumwunden seinem Gegner, den er dadurch
nicht warnen, nur noch verwirren kann.
Ein Blick in Napoleons Correspondenz belehrt uns, dass diese
Meinung des Kaisers zu verschiedenen Malen und an verschiedene
Personen zum Ausdrucke gekommen ist. Doch stets kann ein
kritischer Geist den Zweck, die Absicht, somit die Lüge wittern.
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Wir reden nicht von den Bulletins, denn es versteht sich wohl
von selbst, dass in den Heerbefehl die Übertreibung passt ; *) nicht
von den diplomatischen und militärischen Weisungen mancher
Art, denn die Absicht zu erschrecken, einzuschüchtern, liegt am
Tage; sogar von harmlosen Privatbriefen reden wir nicht, wo
Xapoleon erklärt, Preußen züchtigen zu wollen ; überall ist er
noch weit von der blutigen Entscheidung, und so mag in der
Sphäre der Politik und des europäischen Klatsches, der so innig
mit der Politik im Zusammenhange war, seine drohende Sprache
als Mittel zum Zwecke erklärbar sein. Aber völlig rathlos stehen
wir dem Briefe vom 12. October gegenüber, wenn wir ihn für
berechnet anzusehen uns bestreben und so muss er nach unserer
heutigen Kenntnis der Quellen als ein Product der Stimmung
erscheinen.
Ist er das, so bietet er zum Studium des Krieges mehr, als
es zunächst den Anschein hat. Wir gestehen, dass, als wir zum
erstenmale eine Darstellung des Krieges von 1806 lasen, in
welcher von obigem Briefe nichts gestanden hat, wir nicht bis
zur Evidenz begriffen, woher und wie die ungeheure Katastrophe
kam; wir waren nicht befriedigt und zu befriedi-
gen, das scheint der erste Zweck der Kriegs-
geschichte zu sein. Wir registrierten in unserem Gedächt-
nisse den Erfolg, doch ließ uns der Wunsch keine Ruhe, zu
ergründen, wie er entstanden war; um uns zu belehren, wandten
wir uns zu Napoleons Correspondenz ; es fiel uns plötzlich wie
Schuppen von den Augen, als wir den Brief aus Gera lasen ;
wir glaubten mit einem Male die Wahrheit zu sehen ; unser-
schien das Räthsel, das wir durch die Mechanik
des Krieges allein nicht zu lösen vermocht, durch
das Seelenleben des Krieges plötzlich gelöst.
Nicht gedenken wir, ja wir hüten uns, uns in rein moralischer
Betrachtung zu verlieren und die Imponderabilien des Krieges zu
einem Range zu erheben, der ihnen nicht gebürt, indem sie ja
von der Materie des Krieges beständig geweckt und gebunden,
immer und ewig bestimmt, von ihr abhängig sind. Allein die
Zeilen Napoleons bildeten für uns den Grund- und Schlussstein
*) Trotz General Wille's Urtheil hierüber ; wir sind überzeugt, dass sie am Platze
sein kann.
C. von B.-K. Zur Psychologie des großen Krieges II. 17
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- 258 -
des ganzen Gebäudes , das ohne sie nicht aufgefasst werden
kann, außer vielleicht von einem besonders scharfen Auge.
Wir nehmen also — wenn dies uns verstattet wird, vor-
greifend an, Napoleon habe vor Jena felsenfest geglaubt, und für
ihn war das einfach Wissen, dass er siegen werde.
Ist dem so, so erblicken wir in diesem Kriege
einen Typ, der äußerst selten und in langen Zwi-
schenräumen nur in der Geschichte des Krieges
wiederkehrt.
Dass es wie für die Gefechte verschiedene Typen, so auch
solche in Hinsicht ganzer Kriege gibt, wird man zugestehen.
Wenn wir lediglich nach dem Erfolge urtheilen, so ist klar, dass
ein Krieg, in welchem der Vortheil stets auf einer Seite blieb.
nicht mit demselben Maß gemessen werden kann, wie den in
welchem Sieg und Niederlage vertheilt zu sehen sind. Es sträub:
sich die Vernunft, dem Glücke einen allzugroßen Platz im Kriege
anzuweisen ; Ursache und Wirkung hängen logisch zusammen
und wenn auch hie und da Ereignisse wahrzunehmen sind, die
scheinbar auf Rechnung des Zufalles — das ist ein von keiner
Seite vorhergesehenes Ereignis — zu setzen sind, so werden
solche Ereignisse doch immer nur Ausnahmen sein, und nur
nach sorgfältigster Prüfung wird man den Zufall anerkennen
dürfen. Widersinnig wäre es, in einem Kriege, der uns nur Siege
auf einer Seite weist, dem Glücke seinen Platz als einen ange-
stammten beim Sieger anzuweisen ; vielmehr fordert ein solcher
Krieg geradezu heraus, die unsichtbare Ursache der deutlich
sichtbaren Wirkung in etwas anderem als einer Reihe von
Glückszufällen darzuthun. Finden wir einen Krieg, in welchem der
Sieger vor dem Siege seinen Sieg verkündet, so bleibt nur anzu-
nehmen, dass dies eine ganz besondere Form des Krieges ist, die
zu erklären nicht Berufung auf das Glück, nicht die gewöhnlichen
Raisonnements der zeitgenössischen Wissenschaft genügen, son-
dern wo man tiefer gehen muss, um zur Wahrheit zu gelangen.
Um den Weg, der, wie wir glauben, zur Wahrheit führen
wird, zu betreten, zerreißen wir hier den Faden der Erwägung,
schweifen ab und werden das Resultat dort anzuknüpfen suchen,
wo wir eben stehen geblieben sind.
Wir werfen einen Blick auf die Kriegsgeschichte aller Zeiten
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- 259 -
und Völker und nehmen wahr, wie man den Kriegszweck mit
sehr verschiedenartigen Mitteln zu erreichen sucht. Die Urform,
in der man den Gegner zur Erfüllung des eigenen Willens zwingt,
ist das gewissenhafte Abmessen unserer Kräfte mit den seinen,
also der Kampf, die taktische Action. Welcher der Gegner wird
dieselbe suchen? Derjenige, der stärker zu sein glaubt.
Wer ist stärker und wer kann glauben , stärker zu sein ? Der-
jenige, der mehr, oder tapferere, oder kriegsgeübtere Truppen
überhaupt und auf dem Schlachtfelde zu besitzen hofift, als
der Gegner. Er fuhrt seine Kräfte beruhigt und vertrauensvoll
dahin, wo sie durch irgend eine von ihren Überlegenheiten
oder mehrere vereint, den Feind besiegen müssen; kennt nur
den Wunsch wirklich zu kämpfen, da ihm seine Stärke ein
Garant des Sieges scheint ; er ist wie der Mann, der einen Knaben
züchtigt. Was wird sein Gegner thun, falls er nicht blind ist und
die eigene Schwäche kennt? Er sucht verzweiflungsvoll nach
einem Mittel, seine Schwäche in der taktischen Action irgend wett
zu machen; fühlend, er werde im gewissenhaften Ringen unter-
liegen müssen, hascht er nach der List ; er strebt darnach, dieses
Ringen zu einem ungleichen zu machen, in welchem er Vortheile
hat. Diese Absicht bringt ihn dahin, ein Motiv zu suchen, das
zu diesem Ende führt. Mit eiserner Logik verfolgen wir nun weiter.
Wodurch sichert sich der Schwächere denn doch die Überlegen-
heit? Mehr Truppen erlangt er ganz einfach nicht, er muss sich
mit den vorhandenen begnügen; sie tapferer durch ein Decret
oder durch die Bitte, sie möchten tapferer sein, zu machen, ist
nicht thunlich, wie er fühlt; Kriegsübung im Kampfe ihnen
beizubringen, dazu fehlt gar oft die Zeit und erscheint
an sich prekär; die Mittel sind füglich nicht mehr zu ändern, sie
müssen hingenommen werden, wie sie eben sind. Da drängt sich
nun dem Schwächern der Gedanke auf, durch die Art, wie er
seine Mittel gebraucht, die Schwäche wett zu machen; er ahnt
bereits das Manöver. Sofort wird ihm klar, dass es gewagt
sein muss, in der taktischen Action, die dem Gegner erwünschte
Gelegenheit zu gewissenhaftem Abmessen der Kräfte gibt, ein
Manöver zu* improvisieren, das die eigene Schwäche herzu-
stellen vermag; erkennen wird er, dass es in währendem
Kampfe selbst höchst schwierig sein muss, durch die Form
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allein, in der man selber kämpft, den Sieg an sich zu ziehen:
wir sehen wohl Beispiele hievon in der Kriegsgeschichte, doch
sind sie selten und jenen Männern eigenthümlich, die man groüe
Feldherren nennt; Friedrich handelte, um eines der allerbekanntesten
Exempel zu citieren, bei Leuthen so; aber man ist überzeugt,
dass nur Friedrich mit seinem Ruhm und dem Schrecken, der
ihm voranging, also handeln konnte. In der Regel wird der
Schwächere suchen, seine Schwäche nicht durch das, was er
im Kampfe thut, sondern durch das, was er vor demsel-
ben thut, durch die Art, wie er ihn vorbereitet, möglichst
auszugleichen; nicht auf das taktische Verfahren wird der
Schwächere — in der Regel — seine Hoffnung setzen, sondern
er wird versuchen, Bedingungen zu schaffen, die ihn zur taktischen
Action schon stärker als den Gegner machen. Sofort entsteht in
ihm der Gedanke, durch irgend welche Künste jene Überlegenheit
über den Gegner vor der Schlacht für die Schlacht zu gewinnen.
die am meisten Aussicht auf Erfolg und die geringsten Schwierig-
keiten in der Ausführung darzubieten scheint, die Überlegenheit
an Zahl. Zum Greifen deutlich wird ihm der Gedanke, dass ja
in der taktischen Action das Schwergewicht des Krieges ruht und
nicht während derselben wird er suchen stärker zu werden,
sondern zu derselben schon stärker zu sein: Die Kriegspraktik
der relativen Überlegenheit erblickt das Licht der Welt.
Es ist bekannt, welche ungeheuren Erfolge dieselbe so oft gekrönt
haben. Allein wir nehmen wahr, dass sienichtsist
a 1 s e i n Auskunftsmittel für den Schwächern, das die Noth
der Umstände gebar. Wir erkennen, dass ein stra-
tegisches Thu n, das denZweck hat, dieeinegroße
Action, zu der man nicht stark genug zu sein
glaubt, in Neben- und Nacheinander aufzulösen,
in welch' jedem wir stärker zu sein hoffen, ein
Kind der Nothdurft, ein Product der Schwäche,
eine Maßregel der Verlegenheit — in der Regel —
ist und sein muss. Es scheint uns klar zu werden, dass die
sogenannte Kunst in der Strategie, ihr oberstes Gesetz : auf dem
entscheidenden Punkte stärker als der Gegner zu sein, wie man heut-
zutage sagt, ursprünglich nichts ist als ein Correctivfür
Mängel absoluter Stärke. Die großen Feldherren haben
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dieses Correctiv mit Meisterschaft in solchen Lagen ausgeübt, wo
ihnen eben kein anderes Mittel verblieb, die Überlegenheit zu
finden. Sie nahmen die Gefahren und Schwächen der Strategie, die
Winkelzüge macht, als das geringere Übel in den Kauf, da ihnen
ihre absolute Unterlegenheit als das größere Übel erschien. Die
Wissenschaft greift solche Beispiele mit Begierde auf, weil sie pla-
stisch sind, und posaunt als „ewige, unveränderliche Grundgesetze"
der Feldherrnkunst das aus, was ein heroisches Ausnahmsverfahren
in dem Bedrängnis des Augenblicks und der Umstände war.
Streifen wir ohne Vorurtheil den Geist der Zeit, in dem wir
— seltsam genug, wie wir sehen werden — trotz allem noch
zum Theile befangen sind, von uns ab: Das Manövrieren in seiner
weitesten Bedeutung sowohl strategisch — Aufsuchen der relativen
Überlegenheit —, als taktisch, wird in der Regel Sache desjenigen
sein, der zum gewissenhaften Abmessen derKräfte
nicht stark genug zu sein glaubt. Derjenige, der im
Glauben lebt, seine Truppen werden in der taktischen Action,
sei es durch ihre Zahl, oder ihre Kriegsgeschicklichkeit — ihr
taktisches Verfahren — oder ihre Tapferkeit, oder ihre Bewaffnung
oder endlich durch zwei oder mehrere dieser Umstände vereint,
sicher Sieger bleiben, wird — in der Regel — nicht an's Manöv-
rieren denken. Jedes Manöver öffnet dem Element der Ungewissheit,
des Wagnisses, somit den Vorläufern der Gefahr das Thor. Wer
des Manövers nicht nothwendig bedarf, wer im gewissenhaften
Abmessen der Kräfte die Aussicht aufs Gelingen seiner Zwecke
sieht, wird wohl diesem zustreben und ohne Bedauern verzichtet
er auf die Bravourstücke einer Strategie, die nur dann motiviert
erscheint, wenn sie das einzige Auskunftsmittel des Schwächeren
ist. Werder taktischenAction vertraut, such t diese
und betrachtet die s tr ategis che Action nurals eine
Über gangsform, als Transport der Kräfte zum Ab-
messen der Kräfte; er wird sich diesen Trans-
port, so weit es möglich ist, sicher, rasch, bequem
einzurichten suchen.
Das scheinen uns wahrhaftig ewige Gesetze des Krieges
zu sein.
Jedoch wir gewannen sie, wie man klar und deutlich sieht,
durch Meditation und so sind sie abstract und gehen in's Extreme.
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Betrachten wir die Kriegsgeschichte, so sehen wir, dass hier der
Stärkere manövrierte, und dort der Schwächere zum Kampfe lief:
dass hie und da der Stärkere, seine Kräfte zum Kampfe trans-
portierend, zu bequem und sorgenlos verfuhr, bis ihm der Gegner
die relative Überlegenheit mit einem male abgewann — das heilet.
dass auch der Stärkere auf Wahrung derselben stets bedacht sein
muss. Die Thatsachen strafen gar oft durch ihr Schwergewicht das
Ergebnis des Nachdenkens Lügen. In diesen hier angeregten Dinger.
liegt Material genug für das Denken eines ganzen Lebens; und
wir wollen ja vorerst nur bei einem Beispiele bleiben. Indess ge-
stehen wir: der obige Gegensatz zeigt das, was im
Kriege zuthun und zu lassen, unter entgegen-
gesetzten Bedingungen Vernunft ig oder vielmehr
natürlich erscheint. Jedoch, er deckt sich mit dem, was
man im Kriege that, nicht immer, ja, seien wir ehrlich, fast nie.
Der Grund liegt in dem Unterschiede zwischen Praxis und
Theorie, um keinen anderen Grund, der uns zu weit abführen
würde, zu nennen. Beschränken wir uns und sagen wir: Es gab
Kriege, in welchen das Streben eines Theiles oder beider Theile
nach der taktischen Action, dem Abmessen der Kräfte, v o r-
herrschend war; und andere Kriege gab's, in welchen der
eine oder beide Theile durch die Vorbereitung der taktischen
Action den Sieg zu sichern suchten ; in diesen herrschte der
strategische Gedanke vor , relativ überlegen zu sein, in
jenen der taktische, da man schon überlegen war, oder
solches zu sein glaubte. Nicht war der eine ein plumpes
Führen der Truppen zum Kampf, während der andere ein fortge-
setztes Manövrieren ohne den Wunsch, zu kämpfen, war; aber
nicht hinwegzuleugnen ist, dass in dem einen Kriege jenes und
in dem anderen dieses Motiv überwog.
Was geht aus alledem hervor? Zwei Typen des Krieges
sehen wir bis jetzt; jenen, in welchem der Wunsch nach Ab-
messen der Kräfte durch die taktische Action vorherrschend ist
bei einem oder beiden der Gegner; jenen, in welchem die Strategie
als solche gleichsam zur Waffe wird, um durch ihre Schnelligkeit.
Schärfe und die Drohung, das zu ersetzen, was dem Materiale
zum taktischen Thun an vorhandener Stärke fehlt.
Wir glauben gezeigt zu haben, dass der offen
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ausgesprochene und bethätigte Wunsch nach der
taktischen Action daraufschließen lassen muss,
derjenige, der diesem Wunsche Ausdruck gibt,
halte sich für stärker.
Dieses Ergebnis knüpfen wir nun dort an, wo wir der
Meinung Ausdruck gaben, der Krieg von 1806 sei ein ganz be-
sonderer Krieg, geradezu ein Typ; wir finden in Napoleons
Correspondenz — der ehrlich gemeinten, wohlverstanden, ehrlich
gemeint, weil sie an seine Marschälle gerichtet war, denen er
Directiven gab — zu wiederholten Malen den Wunsch nach
einer Schlacht, somit den Glauben an die absolute Überlegenheit
seiner Kriegsmittel deutlich ausgedrückt. Wann wäre je der Krieg
mehr Urbegriff des Krieges gewesen, als hier, wo der Kaiser der
Franzosen nur zu wirklichem Abmessen der Kräfte eilt? Auf die
seinen vertraut er unbedingt; und so sagen wir vorweg: Dieser
Krieg ist von Napoleons Seite aus das Ideal des Krieges gewesen,
der Krieg mit möglichst vollkommener Sicherheit glücklichen Er-
folges, mit einem Wort, ein Krieg ohne Chancen.
Um jedoch irrthümlichen Auffassungen von Haus aus vor-
zubeugen, sei hier bemerkt, dass wir unter einem Krieg
ohne Chancen durchaus nicht einen solchen ver-
stehen, in welchem derSieger mit mathematischer
Gewissheit seinen Weg zum Siege geht, auf wei-
chem Wege Wider seh läge, ja selbst Unfälle ausge-
schlossen sind: denn einen solchen Krieg kann es
überhaupt nicht geben; zu compliciert ist ein so
gewaltiger Act wie der Krieg, auch zu beweglich
in seinen Vorgängen, als dass er wie ein physi-
kalisches oder mathematisches Problem ange-
sehen werden könnte. Wenn wir für denKrieg von
1806 diesen Titel wählten, der immerhin Irrthü-
mer wecken kann, sodachten wir damit einCharak-
teristikon zu geben: das Bild eines Krieges, der,
soweit dies in der Natur der Dinge und der histori-
schenWahrheit liegt, vom einenTheil mit völliger
Sicherheit des Gelingens geführt worden ist.
Am Tage liegt, dass ein solcher Krieg nicht an der Hand
zunftmäßiger, actuell wissenschaftlicher Betrachtung verstanden
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— 264 —
werden kann ; für ihn reichen die gewöhnlichen strategischen
und taktischen Raisonnements nicht aus.
Aber noch eine Betrachtung von höchstem Gewicht ist an-
zustellen, bevor wir es wagen, mit einigem Schein logischer
Geschlossenheit ein Urtheil zu geben.
Die fortschreitende Veränderung in der Natur des Krieges
kommt aus zwei Ursachen vornehmlich her : der fortschreitenden,
fast möchte man sagen natürlichen Veränderung seiner Be-
dingungen, die mit dem Geiste der Zeit und dem Kriegsmaterial
der Zeit innig verbunden sind; und den gewaltsamen, unvorher-
gesehenen, fast möchte man sagen accidentiellen Umwäl-
zungen, welche die Praxis des Krieges durch einzelne Feldherren
erfährt. Im ersteren Falle tritt das veränderte Aussehen des
Krieges nach und nach, als Folge-Erscheinung hervor; all-
mählich schließt — und vor aller Augen — die Gegenwart ein Com-
promiss mit der Vergangenheit und das Heute findet sich fast ohne
Schwankungen mit dem Gestern ab. Im andern Falle ist diese
Veränderung Motiv; die Wirkung des von seinem Schöpfer
wohlerwogen und zweckbewusst veränderten Krieges macht sich
allerorten fühlbar, während man die Ursachen jener
Wirkungen zunächst nicht versteht, da sie mit
ihrer Wurzel nicht auf zeitgenössischem Boden
stehen, und den Krieg von gestern nicht vervollkommnet,
sondern einfach über Bord geworfen haben. Indess es tritt
die Veränderung der Wirkung nicht immer klar
und überzeugend in der Veränderung der Form
hervor; denn in der That kann eine geringe Veränderung der
Form ganz unproportioniert veränderte Wirkungen thun. Wie
man auf ein paar Schritt Entfernung nicht mehr unterscheiden
kann, welche von zwei Klingen geschliffen oder stumpf, so
ist es auch mit der Physiognomie, die der Krieg von gestern
und der von heute oder morgen zeigt ; man kann durch
bloße Betrachtung nicht ganz leicht ermessen, welch ungeheurer
Abstand in der Wirkung liegt, besonders liegen wird. Wir
bitten dieses Gleichnis völlig ernst zu nehmen , denn oft hat es
sich wiederholt, und wird sich wiederholen. Wir wissen, dass
es paradox erscheint; wir werden weiterhin denselben Punkt
berühren.
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- 265 —
Wie jede menschliche Thätigkeit, so unterliegt auch der
Krieg von altersher den jeweilig geltenden Gesetzen conven-
tioneller Übereinkunft. Unbewusst leitet zu derselben: der Wunsch,
die gleichen Waffen zu besitzen, die der Nachbar hat ; das
Bestreben, dem Kriege gewisse Grenzen zu ziehen, die zu allge-
meinem Nutz und Frommen nicht zu überschreiten man sich
stillschweigend gelobt. Kriegsconventionelle Übereinkunft wird
am leichtesten dort zu schließen sein, wo keine allzugroßen Gegen-
sätze herrschen ; und meistens wird derjenige nach ihr begehren,
den der Erfolg des anderen geblendet hat, oder der gar unter
demselben gelitten. Um reif zu werden braucht solch ein Com-
promiss immerhin einige Zeit ; denn man will die Zweckmäßigkeit
jener Elemente zweifellos erwiesen sehen, die man vom Nachbar
in das eigene Kriegswerkzeug übernehmen soll. Viel wird nach-
gedacht in Friedensjahren, die dem Kriege folgen, bis sich ein
Ausgleich vollzieht zwischen dem Kriegswesen der verschiedenen
Staaten, der gewissermaßen die von allen respectierte Mode des
zeitgenössischen Krieges bleibt. Sehr tief wurzelt dieser Aus-
gleichsprocess in seelischem sowohl als materiellem Boden.
Jede Conventionelle Übereinkunft, — auch die auf
die Spitze getriebene des Krieges unserer Tage,
nebenbei bemerkt — kann nur so lange bestehen, als sich
ihr jedermann fügt; sie ist zerrissen, sobald dies von irgend einer
Seite nicht der Fall mehr ist. Jede conventionelle Übereinkunft
verbietet Dinge, die möglich sind, die zu unterlassen Rück-
sicht auf andere und keineswegs die Natur der Dinge begehrt.
Das Fügen in Dingen kriegsconventioneller Übereinkunft
ist jedoch keineswegs ein Product des guten Willens, der sich
schärferer Mittel begibt, um ein Gleiches von anderen zu erlangen ;
so harmlos sind wir Soldaten doch auch im tiefsten Frieden
nicht. Dieses scheinbar freiwillige Fügen kommt eben aus dem
Glauben her, es gäbe keine schärferen Mittel, aus dem Nicht-
verstehen, man sei bereits unbewusst kriegsconventionell ge-
bunden, aus dem Nichterkennen, dass man mitten in Be-
schränkungen lebt, die zu durchbrechen nichts als der Wille fehlt.
Wird nun die kriegsconventionelle Form von irgend einer
Seite — die Gründe warum sind vorerst nicht zu suchen —
aufgegeben, um eine neue Form zur Hand zu nehmen, so ist
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es sehr natürlich, dass die neue Form vor allem im Kampfe und
durch Siege ihre Zweckmäßigkeit darzuthun hat, bevor sie an-
genommen und Gemeingut aller wird; ebenso natürlich ist, dass
eine neue Form, welche die kriegsconventionelle Übereinkunft
stört, nicht im Fluge auch nur aufgefasst, geschweige denn nach-
geahmt werden kann. Denn wie viel Menschen vermögen
es, im Kampfe, wo sich doch die neue Form in erster
Linie darzulegen pflegt, ruhig und kritisch Be-
trachtungen zu thun? Begegnet man nicht sogleich
nach de m Insleb en treten einer n euen For m deren
officieUem Conterfei in amtlichen Publicationen,
so glaubt man vorerst nicht an ihre bleibende Wirk-
samkeit, da man die Ursachen derselben nicht versteht
und diese Ursachen nicht stets hinausposaunt
zu werden pflegen, (wie dies heutzutage geschieht, da ein
wahres Fieber platzgegrififen hat, es einander im Nivellieren und
Gleichmachen der Kriegsmittel möglichst zuvorzuthun und da
operative Ansichten und Plane durch die Canäle der Militärliteratur
zwischen den einzelnen Heeren mehr als nöthig hin und her er-
örtert werden).
Das Zerreißen der kriegsconventionellen Form pflegt nun
im ersten Augenblick bei dem, der zurückblieb, Überraschung
und sodann Skepsis hervorzurufen. Es liegt in der menschlichen
Natur, dass man sich die Erfahrung persönlich holen will.
Sind nun die so geschaffenen Contraste besonders nicht
auffallender, doch wirksamer Natur, so ist klar, dass in
einem Zusammentreffen der alten mit der neuen Form der ganze
Kampf ein Gepräge erhalten muss, das wesentlich verschieden
ist von jenem Bild, welches ein Krieg gewährt zwischen Gegnern,
die beide der kriegsconventionellen Übereinkunft
unterthan sind.
Am Tage liegt, dass ein solcher Krieg nicht an der Hand
zunftmäßiger, actuell militärischer Betrachtung verstanden werden
kann; für ihn reichen die gewöhnlichen strategischen und taktischen
Raisonnements nicht aus.
Nachdem wir nun diese beiden unendlich wichtigen kriegs-
historischen Thatsachen genügend festgestellt: dass der vorliegende
Krieg vom Sieger im vorhinein als ein Krieg ohne Chancen an-
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gesehen worden ist; und dass derselbe den höchsten Contrast
zweier Kriegssysteme wies; und wir diese Gesichtspunkte niemals
vergessen wollen: sei es versucht, ihn zusammenfassend zu er-
klären. Denn vergebens wendet man, das heißt die Wissenschaft,
ein, nicht in einigen großen Zügen, die auf einige wenige Schlag-
worte und Sentenzen abgezogen sind, lasse sich ein Krieg er-
klären; das Detail, die Summe der Einzelheiten gebe allein das
richtige Bild. Es gibt im Kriege viel, sehr viel Motive; doch nur
sehr wenige findet man stets dieselben Wirkungen gebend, und
auf diese wenigen, sozusagen vorherrschenden Motive kommt es,
wie wir glauben, an." Mit auffallender Deutlichkeit trägt jeder
Krieg einen eigenen Charakter, den das chronologische und Orts-
detail nicht, sondern nur das zusammenfassende Anschauen zu
sehen erlaubt; und der Krieg von 1806 gerade mehr wie viele
andere.
Das Verhalten Preußens seit so manchem Jahr musste
einem so aufmerksamen Beobachter, wie Napoleon es war, ganz
gewiss die Anschauung von dessen Ohnmacht geben und von
dessen Streben nach einer europäischen Rolle, die wohl in seinen
Traditionen, doch nicht in der Gegenwart begründet lag. Daraus
folgt jedoch noch keineswegs, dass Preußen wirklich ohn-
mächtig war. Man hat Staaten gesehen, die, politisch zaghaft
bis zur Schwäche, dann, wenn der Krieg einmal erklärt war,
ungewöhnliche kriegerische Kraft entwickelten. Indess, Napoleon
hielt Preußen für keinen ebenbürtigen Gegner, dem es einfallen
könnte, sich mit ihm vernünftigerweise zu messen. Er behandelte es
darnach.
Die politische Vorgeschichte des Krieges hat wohl gezeigt,
dass Preußen denselben gescheut hat; sowie, dass Napoleon den-
selben nicht suchte ; derselbe ihm gleichsam aufgenöthigt ward. Es
ist ein starker Kern von Wahrheit darin, wenn uns berichtet wird,
derselbe sei infolge eines Missverständnisses entstanden. Als aber
Napoleon sich zu demselben entschloss, gedachte er ihn wohl nicht
viel anders wie einen Executionskrieg zu führen. Wo steht nun
geschrieben, dass ein Krieg von demjenigen, dem er aufgezwungen
wird — hier haben wir Preußen im Auge, das sich seinerseits
in dieser Lage glaubte, wie Napoleon in eben derselben — dieser
Thatsache wegen verloren werden muss? Oder, dass derjenige.
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der nur zögernd und widerstrebend zum Schwerte greift, der
Niederlage nicht entgehen kann ? Gegenwärtig beherrscht uns die
Idee, die sich hinter der vagen Formel birgt: Die Politik müsse
mit der Strategie auf's engste Hand in Hand gehen ; man glaubt,
ein Krieg werde verhängnisvoll für jenen sein, dessen Politik
demselben nicht präludierte und bei dessen Ausbruch sie nicht Ge-
vatter stand ; der Überraschte sei dieserwegen schon besiegt
Doch bleiben wir concret und bei der Sache. Dass die Politik
auf's engste mit der Strategie Hand in Hand gehen müsse, bedeutet
wohl nichts anderes, als dass diese sich jener fügen, ihr dienen,
von ihr abhängig sein, mithin im Einklänge mit jener
handeln soll. Dies gilt heute als dasRecept zu ersprießlichem
kriegspolitischem Thun, von welchem im Kriege so vieles ab-
hängen muss. Wohlan, wenden wir den Blick auf 1806
zurück, und wir nehmen in dem Verfahren Preußens
ein ungeheures Beispiel wahr, wie es nicht gut gewesen
ist, dass die Politik mit der Strategie auf's
engste Hand in Hand ging. Stets blieb das strategische
Thun unmittelbar beeinflusst von Erwägungen der Politik und
zügelnd griff diese mehrmals ein, wo die Strategie sich zu eman-
cipieren strebte. Kühl bis an's Herz hinan dämpfte und überwog
der politische Gedanke, der Krieg möchte denn doch noch zu
vermeiden sein, den Kampfesruf der Kriegspartei, die zur Action
hindrängte. Aber Hand in Hand gingen Politik und Strategie dabei
aufs Engste ! Wo, wie hier, der Souverän so Alles, Alles sein
und thun will, ist klar, dass sein politischer Gedanke, ihm selber
unbewusst, in die kriegerischen Entschüsse überfließen muss.
wenn dies auch nicht bis zur Evidenz stets nachzuweisen ist, und
man heute sich bemüht, solches abzustreiten. Wer Friedrich
Wilhelm IH. kennt, und wir kennen ihn doch wohl, kann
ermessen, was sein politischer Gedanke war. Nichts widerstrebte
ihm so sehr, als ein kühner Griff in das Rad des Schicksals,
nichts lag ihm ferner, als die Idee des Überfalls; und so hat seine
Staatskunst wahrhaftig noch in elfter Stunde das Schwert ge-
hemmt, das nur durch sofortigen Gebrauch vielleicht noch wirken
konnte. Fest steht, dass die Politik des Königs zum Kriege nicht
entschlossen war, zu dem sein Heer sich rüstete und dann auch
noch, als es bereits gerüstet war. Zeit ging verloren, weil
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der Krieg abhängig blieb von der Politik, die ihn
zu entfesseln sich nicht entschließen konnte, und
verd erblich wurde dieser Zeitverlust dem Krieg,
wie solcher geführt werden hätte sollen, doch
nicht dem Krieg, wie er thatsächlich geführt
worden ist. Darin liegt ein erheblicher Unterschied, den man
beachten muss. Ohne Conjecturenmacherei treiben zu wollen,
fragen wir: Hätte es wohl schlechter gehen können, wenn sich
der König am 9. August zum Kriege entschied, denselben zu
führen gänzlich, aber auch gänzlich einem seiner Feldherren über-
ließ und sich mit seinen politischen Berathern in die Einsamkeit
zurückzog, um das Ende abzuwarten ? wenn er mit scharfem
Schnitt die kriegerische Handlung von der politischen Action
getrennt, da diese füglich wohl zu Ende war, und jene gleichsam
wie eine aus dem Rohr geschossene Kugel ihrem eigenen Schwer-
gewichte überließ ? Es hat Lagen gegeben, wo ein Staatsmann es
am Platze fand, den Feldherrn ohne politische Instructionen
abzusenden, auf dass er unbeeinflusst von fremden Erwägungen
thue, was seines rein militärischen Amtes sei, als Werkzeug, das,
wohl angesetzt und gebraucht, doch durchaus nicht von allem
unterrichtet zu sein braucht, was Motiv gewesen war, dass man
es eben brauchte. Sahen wir nicht auch erfolgerreichende Führer
gleichsam als blinde Werkzeuge gebraucht ? Feldherren, die nichts
verstanden, als eben zu kämpfen, da es befohlen war, ohne um
das wie und warum und wenn und aber der Politik zu fragen ?
Seien wir offen mit uns selbst und sagen wir : Nicht dass
die Strategie mit der Politik auf's engste Hand
in Hand geht, ist an sich was wert, sondern es
kommt eben auf diese Politik und auf diese
Strategie, das heißt vor allem auf den Charakter
der leitenden Personen an. Der obige Satz wurde, um
nicht zu sagen, abgeschrieben, denn wir wissen wohl, woher er
stammt, an der Hand von Beispielen gewonnen, in denen sich ge-
rade ein verlorener Krieg nachher als von der Politik nicht voraus-
gesehen, nicht vorausgewollt erwies; wie an der Hand von ein paar
andern Beispielen, von welchen die Legende sagt, jenes Zusammen-
gehen von Politik und Strategie sei ein auffallendes gewesen, da
Souverän, Staatsmann und Feldherr im Felde gleichsam unter einem
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Dache schliefen; mehr nämlich sieht die Gegenwart
noch nicht, als eben solche Nebensächlichkeiten.
Diese Beispiele haben dahin geführt, obigen Satz zu einem
Axiom der kriegsconventionellen Übereinkunft
unserer Tage zu machen; und an sich posaunt man ihn
als ein ewiges, unveränderliches Grundgesetz der Feldherrnkunst
hinaus. Wir wollen beileibe nicht die praktischen Wirkungen der
Kriegstheorie überschätzen; nicht gläubig glauben wollen wir,
Staatsmann und Feldherr der nächsten Zeit werden zu ihrem
Thun obiges Axiom als Leitmotiv wählen, zu ungeheuer ist hiezu
der Abstand von dem, was eine Epoche thut, und von dem, was
sie. denkt und schreibt. Jedoch, es gibt, oder vielmehr es kann im
Thun des wirklichen Lebens, besonders im Thun des Krieges mit-
unter böse Lesefrüchte geben, wofür uns 1806 wahrlich ein
warnendes Beispiel ist. Wer weiß, wohin das Proclamieren
dieses Satzes führen kann, wenn man ihn naiv und glaubens-
eifrig seiner selbst wegen befolgt.^ Zur Übertreibung kann es
führen, die es nicht verstehen wird, die Politik von der
Strategie zeitgerecht zu trennen, um diese so frei
gewähren zu lassen, wie es die Natur der Dinge wohl verlangt.
Doch bleiben wir bei 1806. Wohl ging durch den Einfluss
der Politik auf den Krieg die Zeit zu einer Überraschung ver-
loren, wie wir heute die Sachen besehen; somit müssen wir den
Einfluss der Politik auf den Krieg jener Tage verdammen. Das
wäre nun ebenso doctrinär, wie das heute geltende Axiom. Man
hat eben 1806 den Plan eines Überfalles nur akademisch erwogen,
doch zu demselben gedieh man nicht, er war bei seiner Geburt
schon nicht mehr lebensfähig! Klar wird uns die Lage, wenn
wir uns sagen, dass der Krieg jener Zeit auch dann wohl kaum
zu einem Überfall gelangt wäre, wenn einen solchen die Politik
sorgsam ermöglicht hätte. So sehen wir, wie eines aus dem
andern fließt, der Krieg an sich nicht überraschungsfähig war,
und ihm die beste Politik wohl kaum dazu verholfen hätte. Heer-
wesen und Staatsgedanke wiesen gleichermaßen auf vorsichtiges
Thun. Allein , schlecht und recht marschiert die verbündete
Armee doch so auf, dass sie bei einem Haar die Offensive noch
ergriffen hätte, von der die Politik jetzt mehr als früher rieth.
Wir nehmen wahr, dass die Zögerpolitik immerhin soviel er-
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reichte, dass Napoleon lange ungewiss darüber blieb, ob Preußen
Ernst zu machen Willens sei. Mit einem Male steht somit das
ganze Raisonnement, das wir gethan, verkehrt: das Zögern hatte
den Gegner getäuscht, war somit gut gewesen. Nun, überlegen
wir, soweit dies möglich ist, weiterhin vorurtheilsfrei. War die
Zögerpolitik bewusst, berechnend vorgegangen , was hatte sie
nunmehr zu thun? Die Offensive musste sie befehlen, das heißt,
sie musste ehrlich von der Scene treten, um der kriegerischen
Handlung Raum zu geben, dass sie sich entfalte. That sie dies ?
Nein ! Kleben blieb die Politik auch dann noch an dem kriege-
rischen Thun, als ihre einleitende kriegspolitische Rolle zu Ende
gespielt und es ihr angemessen war, das Weitere dem Kriege zu
überlassen. Wir erkennen, dass hier die Verbindung von Politik
und Strategie so verderblich war, weil sie sich zeitgerecht
nicht zu trennen wussten; und somit kehren wir zu dem
erstgemachten Schlüsse zurück. Es muss indess betont werden,
dass nicht allein das Warten der Politik auf die Antwort des
Ultimatums Knobeisdorfs, sondern rein militärische Mängel des
Kriegswesens dazu beigetragen haben, von der Offensive abzu-
stehen. Gleichviel , die Feldherren dachten an die Offensive,
auch mit nicht ganz gerüsteten Mitteln, und diese verbot eine
Politik, die nicht schlagen wollte, ihr Ja und Amen zu einem
Kampfe nicht zu geben sich entschloss, der, wie wir gegenwärtig
wissen, unvermeidlich war.
Von Napoleons Art, Politik und Strategie mit einander zu
verbinden, wollen wir nicht weiter reden. Wir sahen, dass er,
glaubend an den Krieg, denselben beginnt, ohne die Politik weiter
um Erlaubnis zu fragen. Niemand verband wie er in diesem
Falle Politik und Krieg. Aber er gestattet der Politik nur, ihm
zu sagen, dass er zu handeln hat, und verweist sie alsodann
auf den zweiten Platz. Wohl behält er sie im Auge auch in der
militärischen Action. Zu Rathe zieht er sie jedoch erst wieder nach
erfochtenem Siege.
Jedesfalls lässt er sich von ihr nicht binden und beschrän-
ken in jenem Grade , wie dies sein Gegner thut. Er handelt
initiativer, rücksichtsloser, rascher, sicherer. Ganz einfach deshalb
handelt er so, weil er der Stärkere zu sein glaubt,
und, wie der Erfolg bewies, auch wirklich der Stärkere war.
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272
Nicht in de m U nte r schied des Syste m s: Verbindung
von Politik und Strategie; Mangel an solcher Ver-
bindung; liegt die Er klärung; diese sagt n ichts, ob-
wohl sie billig ist. Derjenige, der stärker zu sein
glaubt, der hat und wird wohl immer anders
handeln, als derjenige, der sich vom Beginne an
unterlegen fühlt. Und Stärkere und Schwächere wird's
wohl in alle Zukunft geben.
Wir treten zunächst in die strategische Phase des Krieges.
Wenden wir uns zum Allerconcretesten : der Zahl. Wir haben be-
reits gesagt, dass Napoleon über weit 'mehr Soldaten überhaupt
verfügte, als die Monarchie Friedrichs des Großen. Wie stellt sich
nun das Verhältnis der Zahl im Beginne der Operationen dar,
also in der zweiten Woche des October, und auf dem Theater
der Operation Die große Armee zählte etwa 160.000 Mann
mobil und zur Action bereit; die preußisch-sächsische Macht
überhaupt etwa 130.000 Mann ohne das Reservecorps. Wir
sehen somit eine keineswegs auffallende oder gar erdrückende
Zahlüberlegenheit auf französischer Seite. Es fragt sich nun,
warum Napoleon nicht eine bedeutendere Überlegenheit
bereitgestellt hat, und ob er es vermochte. Beides ist leicht und
schwer zu beantworten, je nachdem man eben will. Leicht, wenn
man sagt, der Kaiser der Franzosen habe die Etats von beiden
Seiten nicht genau gekannt; er habe kein fertiges, den Soldaten
der großen Armee gleichwertiges Truppenmaterial zunächst be-
sessen, sondern nur Recruten, die er mit jenen nicht vermischen
wollte, aus operativen Gründen u. dgl. m.; der Krieg sei ihm
überraschend gekommen, er habe somit keine lange Wahl ge-
habt, sondern war genöthigt zu schlagen, mit dem, was eben
zunächst schlagfertig war. Allein allen diesen Gründen kann man
scheinbar ganz gleich plausible entgegensetzen für das Gegentheil,
wenn man vernimmt*), dass Preußen freiwillig darauf ver-
zichtet hat, 70.000 Mann zur entscheidenden Schlacht zu fuhren;
wie immobile Truppen der preußischen Feldarmee, ebensolche
der sächsischen, die hessischen und sonstigen kleinen deutschen
Contingente u. s. w., durch deren Aufbietung es der großen
Armee erheblich überlegen hätte werden müssen. Es scheint nicht
•) V. Leitow-Vorbeck, I, 96.
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glaublich, dass Napoleon bewussterweise auf die Übermacht ver-
zichtete. Für secundäre Unternehmungen sind auch Recruten
zu gebrauchen ; wollte Napoleon Zeit gewinnen, um sich völliger
zu rüsten, so ist wohl kein Zweifel, dass dieser eminente Staats-
mann den Weg hiezu gefunden hätte. Die Überlegenheit an
Zahl zu gewinnen war doch, wie man weiß, stets seine allererste
Sorge. Detaillieren wir. Man wird nicht fehlgehen, wenn man
glaubt, Napoleon habe im Moment des Ausbruches des Krieges
thatsächlich nicht viel mehr augenblicklich ganz kriegsfähige, sagen
wir, napoleonische Truppen ä portee gehabt, als die große Armee
solche enthielt. Die Ausdehnung des Reiches verbot von ferne
her in aller Schnelligkeit Augmentation heranzuziehen, die in das
organisatorische Gefüge der Feldarmee erst einzupassen war.
Jedoch dies alles verschwindet gegen die Anschauung, dass Na-
poleon auf alle diese Hilfen Verzicht geleistet haben kann,
indem er glaubte, für den Kriegszweck genüge die große Armee.
Worauf kann dieser Glaube, den wir nicht bewiesen sehen,
sondern bloß von Napoleons Thun gewinnen, basiert gewesen
sein ? V. Lettow weist uns quellenmäßig nach , dass die
preußische Heeresleitung 70.000 Mann nicht verwendet hat,
dass sie sich freiwillig derselben begab. Konnte Napoleon
dies wissen und rechnete er darauf? Er wird wohl manches er-
fahren haben über die halben Maßregeln der preußischen Mo-
bilisierung, über die Mängel eines Wehrsystems, das vom ersten
Mobilisierungstage an mit ganz enormen Manquements zu rechnen
hatte; mit der Schwerfälligkeit in der Versammlung der Kräfte
u. dgl. m. Aber wir müssen uns auch das freiwillige Verzichten der
preußischen Heeresleitung auf 70.000 Mann näher besehen, um
zuerkennen, ob denn dies für Napoleon gar so accidenti eil,
unvermuthet sein musste, als man es uns glauben machen
will, oder ob er nicht vielmehr mit aller Sicherheit daraufzählen
konnte. In diesen 70.000 Mann ist vorerst alles enthalten, was
Preußen (Sachsen) an nicht mobilgemachten Feldtruppen in den
Provinzen beließ (33.000 -f- 8000); es muss bemerkt werden,
dass man in Polen starker Garnisonen zu bedürfen glaubte, und
es scheint, vom Standpunkte der Regierung, nicht ohne guten
Grund; dann zählen wir zu obiger Summe die Contingente von
Hessen und anderer kleiner deutscher Staaten. Mit ersterem war
C. von B.-K. Zur Psychologie des großen Krieges II. 18
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— 274 —
Napoleon in regem diplomatischem Verkehr und hat bestimmt
darauf gezählt, es werde neutral verbleiben; die anderen fallen
füglich nicht in's Gewicht. Soweit die mitunter sehr ungenauen
Etats die Gesammtsachlage zu beurtheilen erlauben, so kann
Napoleon die preußische Macht etwa wie folgt berechnet haben,
wenn er den ihm selbst ungünstigsten Fall annahm : Feldtruppen
Preußens 180.000 + 20.000 Sachsen = 200.000 Mann auf dem
Papiere. Wenn er nun die Erwägungen, die wir gemacht, eben-
falls in dem ihm ungünstigsten Sinne machte, so sagte er sich
wohl mit einiger Sicherheit, dass Preußen nicht mehr als höchstens
180.000 Mann im Krieg verwenden werde und die weitgehendsten
Schlüsse mussten sich für ihn daraus ergeben, wenn er die
preußische Strategie, die ihm in ihrem Wesen wohl bekannt wa:.
erwog, welche sicher nicht im Stande sei, alle diese Kräfte auf
einem Schlachtfelde zu vereinen. So lässt es sich erklären, dass
Napoleon es unterlassen hat, eine „erdrückende*' Übermacht heran-
zuführen, besonders wenn er an das Übergewicht der eigenen
taktischen Kampfform dachte. Indess gestehen wir unumwunden
zu, in dieser Sache nicht völlig klar zu sehen.
Denn gerade Napoleon hat uns gelehrt : keinen Mann, der
in der Schlacht verwendet werden kann, zurückzulassen: mit
einem Worte, möglichst stark zu sein. So fällt es uns bei diesem
Kriege selbstverständlich auf, dass Napoleon keine auffallende
Übermacht verwandte, da es uns scheint, er hätte dies immerhin
so oder so vermocht. Die Energie, alles aus dem Lande
zu ziehen, was kämpfen kann, verlangen wir, die
wir von Napoleon gelernt, nunmehr im nachhinein
von diesem; und wo wir zu erkennen glauben, er habe
diese Energie nicht völlig angewandt, stutzen wir naturgemäß.
Es ist wohl höchst interessant und lehrreich, festzustellen, wie
weit in jedem Kriege die Population zum Kampfe herangezogen
ward. Unter diesem Gesichtspunkte erscheint uns das Verhalten
Preußens plötzlich sehr verständlich, und nicht mehr können wir
uns jenen Stimmen zugesellen, die das „freiwillige* Verzichten
auf 70.000 Mann als Aberwitz ausgeben wollen. Preußen be-
waffnete 1806 im Verhältnis weit mehr Männer
als Frankreich unter Napoleon. Von den über-
haupt vorhandenen Soldaten verwandte es in den
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Entscheidungsschlachten verhältnismäßig mehr
als die Franzosen; obwohl hier zugegeben werden muss,
dass der Vergleich wegen der großen Ausdehnung und der
Grenzverhältnisse Frankreichs nicht unerheblich hinkt. Daheim
beh ielt Preußen im Verhältnis weniger Truppen
als Napoleon und hatte von seinem Standpunkte aus hiezu
manchen guten Grund, wie beispielsweise Polen. Der einzige auf-
fallende Unterschied zu Gunsten der Franzosen ist, dass deren
Souverän ein Gefolge von Verbündeten hinter sich herzog, während
Preußen — sich über seine eigene Stärke täuschend und auf-
geklärt und philanthropisch — niemand zur Liebe zwingen wollte.
Vorurtheilslosigkeit ergibt, dass Preußen nicht deshalb
schwächer auf den Kampfplatz trat, weil es unzweckmäßig
verfuhr, sondern weil es so unendlich kleiner als eben Frank-
reich war. Im Verhältnis hat es mehr Material zum Kriege ge-
stellt als dieses ; und ihm vorzuwerfen, dass es überhaupt noch
Material zum Kriege zurückbehalten hat ist einfach, oder viel-
mehr doppelt unverständig. Historisch angesehen, ist bekannt,
dass Preußen, sowie in seinem Staatshaushalte, so auch im Kriege,
ökonomisch verfuhr und verfahren zu müssen glaubte ; dies war
eine Tradition, hing mit den Einrichtungen des Staates innig zu-
sammen und lag im Geiste der Zeit. Militärisch angesehen, wird
einem das Ding indess noch besser klar. Die Truppenstämme und
Truppentheile, die man zuhause ließ, sie waren eben damals
nichts als das, was heutzutage unsere Truppen zweiter und
dritter Linie sind; erkennen wir heute für uns die Nothwendig-
keit derartiger Truppen, so müssen wir den Glauben daran jener
entfernten Zeit auch zugestehen. Rein militärisch stehen wir auch
heute noch lange nicht auf der Höhe der Anschauung, alles, was
bewaffnet ist, müsse auch sogleich marschieren ; dies ist materiell
unmöglich und kann, wenn es erzwungen werden soll, verderblich
werden. Wir huldigen heute dem Princip wehrpolitischer Reserven,
wir, die wir so ungeheure Erfahrungen über den Krieg seither ge-
macht; es muss für Jena auch verstanden werden. Sowie es
heute im GeisteunsererZeit liegt, dass man Leute
unter dem Maß, Schwäch linge, alternde Soldaten,
die gestern Bürger waren, also physisch schlechte
Truppen, zuhause lässt, oder in Festungen ver-
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theilt, ebenso lag es im Geiste jener Zeit, dass
man das Gleiche mit den moralisch minder-
wertigen Truppen that. Ist der militärische Gedanke so
gar nicht zu verstehen, wie es besser sei, lieber weniger als
weniger gute Truppen in's Gefecht zu führen? Periodisch kehrt
dieser Gedanke wieder, und dazumal regierte er. Aber
das war es nicht allein, wird man erwidern ; Preußen that den
ungeheuren Fehler, der Reserve in der Strategie Bürgerrecht zu
geben; fertige Streitkräfte stellte es zurück. Man weiß nicht, wo
man anfangen soll, um alle Motive zu erklären, die Preußen 1806
auf die strategische Reserve wiesen. Wieder war es vor allem
das eingefleischte Sparsystem des Staates, welches es als sehr
begreiflich erscheinen lässt, dass man für alle Fälle Truppenkeme
zurückbehalten wollte: — niemand wird leugnen, dass sowohl
vor als seit Jena Fälle vorgekommen sind, in welchen strate-
gische Reserven durch ihr Vorhandensein allein
bedeutend auf den Gegner und sein Thun gewirkt-:
es waren, wie bekannt, Gründe der inneren Politik ebenfalls im
Spiel. Aber auch das militärische Raisonnement, das zu derselben
führte, wenn nicht Indolenz allein dazu geführt, muss begriffen wer-
den. Es lag nichts ferner, als die Idee, mit gesammelter Kraft
ehrlich und plump eine Hauptschlacht mit der Hauptmacht des
Gegners zu suchen (w i e man vorgibt, dass es gegenwär-
tig Zweck des Krieges und nicht anders möglich
und vernünftig sei); man gedachte, — die Strategie zur
Kunst erhebend — strategisch von der Hand in den Mund zu
leben, zu demonstrieren, zu drohen, Manöver auszuführen.
Warum dieses so war, werden wir später sehen ; indessen war
es so. So schien es in der That nicht von erster Wichtigkeit,
alle vorhandenen Mittel, hinweggehend über manche innere
Schwierigkeit, zur Hauptentscheidung in rangierter Schlacht zu
führen. Immer muss man sich hiebei daran erinnern, dass die
Mobilmachung des Restes der preußischen Armee am 30. September
fast contre coetir erfolgte und somit das Zurückbleiben schlag-
fhäiger Truppen nicht Product vorgeblichen kriegerischen
Unverstandes allein, sondern mit die böseFrucht
einer Politik gewesen ist, die allzulange und ail-
zuenge mitderStrategieHandin Hand gegangen war.
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— 277 —
Trotzdem, es kann dies nicht genug bemerkt werden, be-
steht die bedeutsame Erscheinung, dass in der zweiten October-
woche, dem Beginn der Operationen, Preußen nur unerheblich
schwächer auf den Wahlplatz trat, als Napoleon. Die denkbar
mustergiltigste und die rückhaltslos verdammte Strategie haben
fast die gleichen Kräfte einander gegenüber geführt; und noch-
mals hinzuzufügen ist, dass Preußen somit im Verhältnisse un-
endlich mehr geleistet hat, sowohl was Aufbringung als Heran-
führen der Mittel betrifft, denn sein gewaltiger Gegner.
Und nun treten wir mit wahrem Bangen vor der Größe
des Wagnisses, solches, wie es hier geschah, erklären zu wollen,
in das innerste Getriebe des großen Krieges.
Vorerst stellen wir fest: Jeder der Gegner gedenkt nach
einem System, nach einer Schablone, nicht so sehr nach einem
ad hoc bestimmten Programm, aber doch in einer ganz bestimmten
und eigenthümlichen Art zu kämpfen. Will man — da wir heute
über die Idee, im Kriege ein „System" zu befolgen, lächeln —
ein solches für Napoleon nicht zugestehen, so sagen wir, er und
sein Heer handelten nach einer Schule; denn am Worte selbst,
das man gebraucht, liegt hier, in der kriegerischen Betrachtung,
die nur ein matter Widerschein des Krieges ist, füglich nicht sehr
viel. Gestehen wir es ein : Schule und System stak in Napoleons
Heer geradesoviel wie in jenem seiner Gegner, und wenn es auch
nur das System gewesen ist, keine festen Regeln dauernd zu be-
folgen, so war doch dies ganz sicher auch System. Denn einer
sehr bestimmten Norm, wie es im Kriegesich ver-
halten soll, bedarf ein Kriegsheer unbedingt,
wenn es nicht in Selbstthätigkeit und Selbstbe-
stimmung nach allen Richtungen zerflattern soll.
Manche Dinge liegen derart auf der Hand, dass die Wissenschaft
sich scheut, dieselben auszusprechen. Manches Wort für manchen
Begriff wurde so oft mit unglücklichem Thun im Kriege in Zu-
sammenhang gebracht, dass die Wissenschaft es nicht über sich
gewinnen kann, dasselbe Wort im Rahmen erfolgreichen Thuns
zu gebrauchen. So ist es mit dem, was man gemeinhin „System"
in der Kriegführung nennt. Wahrhaftig, sogar Napoleon und
ganz besonders seine Unterführer handelten nach einem System
— dem napoleonischen — denn ihr Thun trägt auffallende, stets
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wiederkehrende Züge, die logisch zusammenhängen, sohin Theile
eines wohldurchdachten Ganzen, mit einem Worte eines Systemes
sind. Nichts kann falscher sein, als zu glauben, die
napoleonischen Marschälle — oder wenigstens
die meisten von ihnen — hätten kein System ge-
kannt und jeder hätte, wie Proteus, seine Er-
scheinungsform im Kampfe von Fall zu Fall ge-
wechselt, sie seien hervorragende Militärs, das
heißt Menschen von kriegerischem Genius —
um ein con ve ntio nell es Wort zu gebrauchen —
gewesen, und in ih nen allesam mt sei meh r krie-
ge rischer V erstan d, und der i s t in 1 etzt er Li nie
nichts als überhaupt Verstand, anzutreffen ge-
wesen, als in einer gleichgroßen Zahl deutscher,
russischer oder englischer Generale. Was ihre
Stärke war, hatte ihnen ihre Umgebung, der Krieg,
in dem sie lebten, das neue System, und den letz-
ten Schliff Napoleon gegeben; in diesem System
war jeder stärker, überhaupt war eres nicht.*) Sie
waren alle — wie dies nicht anders möglich
ist, nur Kinder ihrer Zeit und staken in den An-
schauungen, die diese ihnen gab. Nur ist ihr System
verschieden von dem System des XVIII. Jahrhunderts, liegt uns
so nahe, beherrscht uns so, dass wir in demselben jetzt die Voll-
endung des Krieges sehen, über die hinaus nichts auszudenken
ist, und somit verkennen, auch sie sei ein System. Nicht darf
das Wort „System", Preußens Thun aufgepfropft, gemissbraucht
werden. Beide Gegner verfuhren nach Systemen, und nicht darin,
dass einer von ihnen ein solches besaß und der andere keines,
sondern in dem Unterschied derselben ist der Schlüssel zur
Lösung zu suchen.
Diesen Unterschied nun aufzuspüren, ist für den, der die
Wahrheit sucht, das allerwichtigste.
Doch vorher sei noch darauf verwiesen, dass Napoleon
seinem System treu geblieben ist ;
•) Daher Napoleons, des Besiegten, Wort: U me fallait eire partout oh je vonlais
vaincre, c'est la le defaut de ma cuirasse. Wir werden, falls es die Umstände erlauben, ic
einer der folgenden Studien eine Analyse dieses difaut versuchen, in einem Kriege, wo es
plötzlich erschien und wo Napoleon nicht gefasst darauf war.
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die preußischen Führer schon in den ersten Stadien des
Krieges von dem ihrigen wichen. Freiwillig thaten sie dies nicht.
Sie wichen von dem ihrigen ab, indem sie zu ahnen begannen,
es werde vielleicht doch nicht ersprießlich sein, ohne jedoch, wie
dies wohl sehr natürlich ist, spontan zum neuen System über-
zugehen. Es liegt sehr viel darin, wenn eine anerkannte Kriegs-
form schon in den ersten Augenblicken des Krieges als nicht ge-
nügend erkannt, oder vielmehr vermuthet wird; indem der erste
Versuch, dieselbe anzuwenden, unverhofTterweise fehlschlägt. Je
fester man an diese Form geglaubt, desto heftiger ist dann die
Reaction
sowohl moralisch als Entmuthigung und Rathlosigkeit,
als auch materiell, indem man zu einem Compromisse zu
gelangen sucht, das, durch die Noth herbeigeführt, nur unvoll-
kommen sein kann. Diese philosophischen Betrachtungen scheinen
für praktische Zwecke ohne Wert zu sein. So ist es nicht. Die
Kriegsgeschichte zeigt, dass manches Kriegsheer mit deswegen
besiegt worden ist, weil es im Kriege, den es eben
kämpfte, die als nothwendig erkannte neue Form
anzunehmen ganz einfach nicht vermochte. Was
sehen wir hieraus ? Dass es in der Regel als ein Erfordernis der
Form, in der man kämpft, erscheint, sie möge gefasst und fähig
sein, Neuerungen anzunehmen ; bereit, sich zu verändern, falls
dies nothwendig wird. Jedoch es scheint dies wohl nicht mehr
als ein frommer Wunsch zu sein, der noch lange keine Hand-
habe für die Praxis in sich schließt.
Das preußische System war vorwiegend darauf berechnet,
durch den Schein , das Drohen , die Finte, das Manöver , das
Heucheln der Absicht, als wolle man kämpfen, auf den Gegner
Wirkungen zu thun. Friedrich hatte eine ökonomische Form
des Krieges schließlich zum System erhoben, die sozusagen mehr
darauf zielte, auf des Gegners Seele und durch sie unmittelbar
auf seine Politik, als materiell und mittelbar auf seine Mittel ein-
zuwirken. Ein großer Feldherr kann sich mit Erfolg dieser Form
bedienen, und einiges Studium der großen Feldherren zeigt, dass
sie sich mitunter dieser Form mit ungeheurem Erfolge bedient
Sofort kommt uns das bekannte Schlagwort in den Sinn, die
Epigonen eines großen Feldherrn gebrauchten dessen Waffen
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schlecht und dieserwegen unterlägen sie; nicht aus der Beibe-
haltung des Systems an sich, sondern durch die Fehler, die inner-
halb und trotz des Systems von den Schülern begangen worden
sind, die gewissermaßen in dasselbe nicht hineingepasst, pflegt
man ihr Unterliegen zu erklären ; während man anderswo es
wieder für erwiesen hält, dass das alte System trotz seiner
Stärken und seiner Schwächen nicht wesentlich verändert, über-
lebt und von einem neuen überholt worden sei, dem es wei-
chen musste. Hier muss die sorgfältigste Erwägung angewendet
werden, und der Gedanke kämpft beständig mit der Sprache, die
ihn nur unvollkommen wiedergibt. So pueril die Frage klingt,
so hat man sie doch gestellt : ob Preußen gegen Napoleon
gleichfalls unterlag, wenn es der große Friedrich commandierte ?
und in den Schriften über diesen Krieg ist der Gedanke aus-
gesprochen, es hätte nicht so kommen müssen, wenn man bei
Friedrichs ureigentlichen Maximen treu verblieben wäre. Wir
wollen uns bemühen, logisch zu sein. Zum Schlüsse seines Feld-
herrnthums hatte Friedrich bewusst und wohlerwogen aus der
Furcht seiner Gegner vor ihm eine kriegerische Dynamis gemacht:
es liegt sehr viel Material zum Erkennen, welche Natur der Krieg
mitunter weisen kann , in jenem Verse : . . . und wenn der
große Friedrich kommt und klopft nur auf die Hosen, so
läuft die ganze Reichsarmee, Panduren und Franzosen ... Er
setzte die Drohung in der That an Stelle des Kampfes, doch
wohlgemerkt nur dort, wo sie sich ausreichend erwies, den Erfolg
zu geben, während er, wo dies der Fall nicht war, zum Ab-
messen der Kräfte schritt.*) Mit unvergleichlicher Menschen-
kenntnis übertrug er durch die bis auf den heutigen
Tag noch immer nicht in ihrem tiefen Sinn er-
*) Der Verfasser fühlt, dass der Leser hier die Empfindung haben werde, er lasse
seiner Phantasie zu sehr die Zügel schießen. Das, was er niederschreibt, ist jedoch das ge-
wissenhafte Resultat vom Studium der Kriege Friedrichs des Großen, gewissenhaft, \»^enü
auch ganz sicher fehlbar. Diese Kriege kennt man gegenwärtig wenig, wie der bekannte
Streit über Friedrichs Strategie, der förmlich zwei Parteien schuf, hinlänglich beweist; ihre
Geschichte wird — wie bekannt — eben erst begonnen. Indessen besitzen wir ja, was Fried-
richs Motive und leitende Ideen betrifft, in seinen mit edelstem Freimuth, mit wahrhaft könig-
licher Anschauung geschriebenen Memoiren die allerklarste Quelle. HOren wir ihn — ^
hier der Ort nicht ist, um allzulang zu werden — wenigstens einmal selber sprechen: No-
vember 1760, Daun bei Torgau, der König in Düben, nahezu verzweifelnd, was zu beginnen
sei, da er nicht einmal sichere Winterquartiere hat . . . apris avoir bien mürement examinc
et pese toutes ces raisons, il fut resolu de commeitre la fortnne de la Pitisse au sorl dune
bataille, si touiefois on ne pouvail parvenir par des manoeitires ä deposfer le Marc-
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- 281 —
kannten Exercierplatzk Uns teleien den Glauben der
Gegner an seine persönliche Furchtbarkeit auf die
Mittel, deren er sich bediente, und die er seinen Nachfolgern
überließ. Er testierte wahrhaft eine Fülle kriegsmoralischer Güter,
als guter Rechner nur an das Morgen nach seinem Tode denkend.
Darin liegt viel von seiner Größe, wenngleich sie hier nicht
glänzt und gleißt. Es ist nun müssig zu untersuchen, wie lange
und wie sehr sein Prestige in seinem Nachlass wirksam bleiben
konnte. Man kommt darauf zurück zu sagen, dass seine Art,
den Krieg zu führen, ein unter der Noth der Umstände geborenes
Meisterwerk kriegerischer Ökonomie gewesen ist, welches von
seinem Prestige am Gängelbande geführt, ja geradezu von ihm
aufrecht erhalten ward. Friedrichs Krieg ist in seiner Art ein
ganz besonderer Krieg, der mit ihm stand, ohne ihn nicht bestehen
konnte. Diese Ausnahmserscheinung musste nach seinem
Tode, da füglich nichts anderes an ihre Stelle zu setzen war, wohl
oder übel zur Norm erhoben werden. Dass sie in das Prokru-
stesbett der Regel gezwängt werden musste, veränderte allmählich
ihre ursprüngliche Form. Diese Form hatte die strategische
Action vorübergehend zu einer Waffe gemacht, indem sie, wie wir
oben entwickelten , es oftmals vorgezogen hat, durch das
drohende Vorbereiten der taktischen Action diese
selbst entbehrlich zu machen. Aus innerer Schwäche
griff sie zum Manöver ; kaum ein Marsch war nicht von strate-
gischen Gedanken durchsetzt; auf dem Schlachtfelde selbst herrschte
das Manöver, die Drohung, als billigeres Mittel vor, so lang es
thunlich war. All dies wurde, wie es nicht anders kommen
konnte, zum System erhoben, Regel, Norm, während
es doch nur ein Correctiv und Ausnahmsmittel
chal Dann de Torgau qu'il occupoU . . . Histoire de la guerre de sept ans, Oeuvres, ed.
Preuß, V, 85. Deutlicher kann man wohl nicht mehr sprechen. Es ist nun lehrreich zu sehen,
wie die nachnapoleonischen Kritiker des großen Königs, die alle unter dem Banne der napo-
leonischen Schlachtenstrategie stehen, sich drehen und winden, um nicht zuzugeben, dass
Friedrich, der ja fast immer schwächer war, die Hauptschlacht zu vermeiden suchte und nur
im äußersten Falle zu ihr griff, was unserer Meinung nach gerade ein Beweis ist seiner
PeldhermgrOfie; denn nicht die Schlacht ist der Zweck des Krieges, sondern das poli-
tische Ziel; weise derjenige, der es, wie Friedrich so oft, durch die Drohung allein
erreicht! Indess im XIX. Jahrhundert will man von nichts, als von Hauptschlachten hören,
sogar in der barmlosen Wissenschaft. Vgl. zu dem oben Gesagten Jominis und Bemhardis
Unheil, ^Kritische und militärische Geschichte der Feldzüge Friedrichs II. etc." (Deutsche Aus-
gabe von Voclderndorf, 1811), III, 376 und ^Friedrich der Große als Feldherr," II, 180 ff.
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ursprünglich gewesen war. Das Schwergewicht des Krieges sollte
jetzt noch, 1806, vorwiegend in der Drohung — sowohl kriegs-
politisch als strategisch — und erst im äußersten Fall im Ab-
messen der Kräfte liegen, in welchem auch noch immer der
Drohung ein breiter Raum angewiesen blieb.
Hieran ändert die Thatsache nichts, dass man in Preußen
so unendlich viel Gewicht auf die taktische Ausbildung der Truppen,
mithin auf ihr Geschick im Abmessen der Kräfte legte; wir
kommen, um diesen scheinbaren Widerspruch zu lösen, später
auf denselben zurück.
Vorurtheilslos betrachtet, ist dieser ökonomische Krieg nicht
ein sehr vernünftiger Krieg? Sollte man nicht glauben, er sei die
Krone des Krieges in seiner welthistorischen Entwicklung? Das
war die Meinung in Preußen vor der Katastrophe.
Und wahrlich, man versteht es, wenn man in Preußen zu dem Glau-
ben kam, ein vollkommenerer Krieg sei nicht mehr auszudenken.
Um nicht zu lang zu werden, beschränken wir uns
nun auf die Idee: Diese Form des Krieges, die von kriegscon-
ventionellen Einschränkungen wimmelt, ja, ohne sie geradezu
nicht bestehen kann, wie wird sie sich verhalten, wenn ein Gegner
die kriegsconventionellen Bedingungen derselben zerbricht ?
Einzuschalten ist, dass Friedrich drohte, doch sich nicht
drohen und imponieren ließ, wenn seine Gegner seine eigenen
Waffen gegen ihn gebrauchten. Er wich nur vor der Nöthigung,
die physisch war, und jene wichen schon vor moralischer Nöthi-
gung. Anders erklärt man dies nicht, als eben durch Berufung auf
Friedrichs Kriegsgenie. Nach ihm, als sein Krieg conventioneil
geworden war, ist der preußische Krieg gegen Drohungen, wie
er sie übte, falls sie vom Gegner kamen, bald ebenso em-
pfindlich selbst geworden, als er es wünschte,
dass sie dem Gegner seien. Dies kann nicht anders sein,
oder correcter ausgedrückt, es ist sehr natürlich. Waffen, die
man selbst mit besonderem Erfolge brauchte, erschrecken, wenn
man sie plötzlich in der Hand des Gegners sieht, umso mehr.
Wenn nun daran geschritten werden soll, den Charakter
des napoleonischen Krieges auf einige klare Sätze abzuziehen, so
stört und hindert uns die große Mannigfaltigkeit, in der wir ihn
zu Tage treten sehen. 1796 verlegte Napoleon das
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— 283 -
Schwergewicht desKrieges in die vorbereitende
strategische Action, in das Manöver, dieDrohung,
weil er beständig schwächer war. Es verschob sich
nun dieses Verhältnis mit dem Fortschreiten sei-
ner Mittel an Zahl sowohl als an Güte immer
mehr dahin, dass der große Feldherr immer mehr an die
taktische Action als ultima ratio, als sicherste Form des
Kampfes appellierte. Jetzt, 1806, denkt er, wie wir sahen,
nichtan's Umgehen, nicht an strategische Künste
mancherlei Art, sondern einzig und allein an's Ab-
messen der Kräfte, weil er der stärkere ist, und weiß,
dass er es ist. Er nähert sich auffallend der Urform des
Kampfes zwischen Menschen, die im taktischen Messen der Kräfte
culminiert und betrachtet die Strategie vorwiegend nur als Mittel,
seine Kräfte in's Gefecht zu führen; dieser Zweck be-
stimmt die Form seiner Strategie.
Hierin liegt nun , unserer innersten Überzeugung nach,
ohne ein doctrinäres Schema aufzustellen, ein fundamentaler Ge-
gensatz. Die Feldherren Preußens gedenken das Schwergewicht des
Krieges in das, was außer der taktischen Action geschieht
und geschehen soll, zu verlegen, indem sie glauben, der Geg-
ner verharre in der ihnen genehmen kriegsconventionellen Form,
die sich des Appells an's Gefecht, an's Messen der Kräfte zwar
nicht grundsätzlich begibt, denselben jedoch nicht zum Haupt- und
einzigen Motiv erhebt, welchem sie rücksichtslos nachstrebt. Wir
sehen, immer enger werden die Grenzen, die zwischen zwei Con-
trasten lagen, die noch vor wenig Seiten die Theorie fixiert. Im
wirklichen Kriege sehen wir nur mehr Nuancen. Denn Preußen
denkt nicht zuletzt, es denkt nur nicht zunächst an das
Gefecht, während Napoleon dieses thatsächlich thut. Gering ist
der Unterschied in den Symptomen, welche der alten
Strategie und der neuen eigenthümlich sind ; doch in den W i r-
kungen soll dieser Unterschied ein auffallender sein.
In diesem Gegensatze scheint nun die Aufklärung noch
immer nicht zu liegen. Worauf kommt es an ? Doch offenbar
darauf, ob der, welcher die kriegsconventionellen Beschränkungen
durchbricht, auch stark genug sein wird, sie unge-
straft zu verletzen; ob er hier — 1806 — überhaupt
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zum Abmessen der Kräfte gelangt; und ob er in
demselben Sieger bleiben wird.
Hier nun beginnt das Bild Leben und Töne zu gewinnen.
Wir sehen zunächst, dass die deutsche Strategie, als die Drohung
nicht sofort wirkt, nicht zu dem Entschlüsse kommt, an das Ge-
fecht zu appellieren, obwohl sie ihn erwägt; treu bleiben will
sie der Idee, strategisch zu drohen, zu manövrieren, wie das
Verbleiben hinter der Saale klar beweist, doch fühlt sie schon,
es werde vergebens sein. Bald wird sie in der That gewaltsam
aus ihrer Rolle der Abstinenz in taktischen Dingen gedrängt, da
ihr der Gegner auf den Leib rückt und sie in dem kriegscon-
ventionellen Repertoire des XVIII. Jahrhunderts kein weiteres
Mittel sieht, um diesem zu entgehen.
Doch bis es dazu kam, müssen wir betrachten, wieso es
kam. Leider liegt es in der Natur der Dinge, dass wir uns bei
Betrachtungen der vorliegenden Art öfters wiederholen müssen;
das Wichtige muss auch in der Menge an Druckerschwärze, die
darauf verwendet wird, es darzustellen, klar ersichtlich sein. In
Napoleons Correspondenz ist zu lesen, dass er darauf baut, die
strategischen Manöver seiner Gegner würden ohne Wirkung sein,
indem er entschlossen ist, sie herauszufordern, den taktischen
Punkt auf das strategische I zu setzen, mithin in der That zu
kämpfen; der Drohung füge er sich nicht. Klar ist, sehr klar,
dass er dies nur dann thun konnte , wenn er seiner
Überlegenheit im Kampfe sicher zu sein glaubte.
Auch im XVIII. Jahrhundert wich man vor Friedrich nicht, bloß
weil er strategisch manövrierte, sondern weil man befürch-
tete, in der taktischen Action den Kürzern zu
ziehen, die am Ende von Friedrichs strategischem
Thun drohend erschien; es ist nie htJLJnverstand,
wie man so oft behaupten hört — nicht Formalismus,
nicht blindes Fügen in die Scheingesetze krieg s-
convention eilen T hu ns, wenn österreichische Feld-
herren im siebenjährigen Krieg durch ein strate-
gisches Manöver Friedrichs sich schon besiegt
erachteten; alle gingen sie eben dem unvermeid-
lichen taktischen Echec aus dem Wege, den das
Manöver der gegnerischen Strategie drohendvor-
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bereitet hatte und ihre Positionstaktik bestätigt
dies sehr klar. Indem sie glaubten, Friedrich
werde schlagen, fügten sie sich dem Gesetz, das er
ihnen durch das ökonomischere Mittel der Drohung
gab.*) Wir sagen hier ohne Selbstüberhebung : Das ist kriegerische
Betrachtung, wie sie gemacht sein soll. Erklären muss man,
nachdem man erwog und wieder erwog, ob denn nicht so man-
ches, was scheinbar unerklärlich ist, doch noch erklärt werden
kann. Hier, 1806, sehen wir, wie Napoleon vorwiegend aus dem
Grunde, weil er seiner taktischen Stärke sicher zu
sein glaubt, die Drohung des Gegners verachtet
und zum Kampfe eilt. Er kann dies eben vernünf-
tigerweise thun, weil er der Stärkere ist. Er treibt
nicht Strategie. Er hält sich an die Taktik hier. Und transportiert
nur seine Mittel.
Sogleich zeigt uns diese Betrachtung die Nichtigkeit des Vor-
wurfes, Napoleon habe den „geographischen" Punkt Berlin und
nicht das feindliche Hauptquartier zum Ziele seiner Operationen
gemacht, ein Vorwurf, der bisher mit mehr gutem Willen als
Geschick widerlegt worden ist. Es kann wohl kaum mehr Ini-
tiative im Kriege geben, als den an den Tag gelegten und zur
That gemachten Willen, das politische Ziel des Krieges, die Er-
oberung der feindlichen Hauptstadt, sogleich und unbekümmert
anzustreben. Nichts besseres, so scheint es, kann man thun ;
man muss hiezu jedoch befähigt sein
durch die geographische Unmöglichkeit für den Gegner,
uns Gleiches mit Gleichem zu vergelten; man muss unempfind-
lich bleiben können, wenn der Gegner gleichfalls strategisch droht,
kurz der Stratege muss sich bewusst sein dessen, dass die Dro-
hung, die er gebraucht, vom Gegner nicht erwidert werden kann,
und, würde sie erwidert, nur eine solche Drohung ist, die keine
Stärke hat. Drohung! Wir sagten doch soeben, Napoleon ver-
zichte auf dieselbe, da er der Stärkere sei. Sogleich soll der Ge-
danke weiter entwickelt werden. Vorher noch eins. Ersichtlich
ist, dass es nicht dasselbe sein kann, ob von Thüringen aus
♦) Wie dies die Verhandlungen Dauns mit Soltikow nach der Schlacht von Kuners-
dorf bis zur Evidenz beweisen , deren negatives Resultat der französische MilitärbevoUmach-
tigte bei Österreich mit den einfachen Worten erklärt: . . le rot de Prusse est, en viriti,
irop redouie. Oncken, Zeitalter Friedrichs des Großen, 11, 279.
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einer der Gegner auf Berlin und der andere auf Paris demon-
striert. Hier fließt das moralische Gefühl der Überlegenheit oder
der Schwäche zum Theile aus einer simplen Berechnung in Zeit
und Raum ; Siegessicherheit und Nervosität kommt auf beiden
Seiten aus der Erwägung oftmals ganz materieller Factoren, wie
Entfernung, Kraft und Zeit ;
durch die Bereitwilligkeit, die taktische Action zu wagen,
welche Bereitwilligkeit aus dem Bewusstsein eigener Stärke kommt.
Gefasst muss man sein und bereit, das Abmessen der Kräfte zu
beginnen, sobald der Gegner, was wahrscheinlich ist, herbeieilt,
um das bedrohte Object zu schützen. In diesem Sinne aufgefasst,
kann das Vorgehen auf die Hauptstadt des Gegners, die
Drohung, nichts anderes sein als der Befehl, der
Zwang für jenen, zur Schlacht herbeizueilen. Es
ist hier die Drohung nichts als ein indirectes
Suchen, welches den Feind, er wolle oder nicht,
zum Abmessen der Kräfte treibt; diese Drohung
ist, wie wir sehen, ein Mittel, die taktische Action
herbeizuführen, während die Drohung, wie sie
Preußen übte, jene zu vermeiden strebte. Um ganz
genau zu sein, muss man wieder sagen, dass dies hier und
jetzt der Fall so war. Denn was dann, wenn der Gegner
seine Hauptstadt opferte? Dann verflacht sich diese Art, den Feind
zu suchen, zu wesenloser Demonstration, wie sie vor Jena und
nach Jena vorgekommen ist. Doch hier und jetzt folgte der
Gegner der Aufforderung zum Kampfe, die ihm Napoleon gab.
Wohl kam er ihm nicht entgegen , doch blieb er vorläufig
stehen. Sucht in dieser Weise der Stärkere seinen Gegner, so
vermeidet er dabei mögliche' Irrthümer im directen Suchen des-
selben; er räumt alle Schwierigkeiten hinweg, die namentlich in
einem großen Heere, sobald es hin und wider sich bewegt,
indem es sucht, aufzutreten pflegen. Die eigene Kriegshandlung
wird klarer, mhiger, präciser, je mehr sie zugleich den Gegner
zwingt, unfreiwillig, gezwungen, mit allen materiellen und morali-
schen Hindernissen einer Zwangslage zur Schlacht sich ein-
zustellen. Es kann dies alles sein. Wann und wo es ist, stellt
sich heraus, dass der, der solches versucht, sicher sein muss,
im voraussichtlichen Abmessen der Kräfte im Vortheile zu bleiben.
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Jedoch es muss nicht so sein, denn es war nicht immer so. Ein
sehr gefürchteter Feldherr kann diese Form gebrauchen, auch
ohne Absicht zur taktischen Action, wenn er des Glaubens in
seinem Gegner, er sei zu schwach, sich mit ihm zu messen,
völlig sicher ist; wenn er darauf rechnen kann, der Gegner werde
im Rahmen der eben her rsch enden An seh auun g
vom Kriege die Hauptstadt dem Verluste einer
Feldschlacht unbedenklich opfern, sich aber doch
dabei dera politischen Zwecke fügen. Diese Form ist naturgemäß
sehr selten, eine Ausnahmsform, und wir führen sie nur an, weil
sie möglich ist, vorkam, und vielleicht wiederkehren wird. In der
Regel jedoch muss der, welcher auf die feindliche Hauptstadt
operiert, der Waffenentscheidung gewärtig und zu derselben ge-
willt sein.
Noch ein Begriff ist klarzustellen. Wenn man sagt, Berlin
sei ein geographischer Punkt gewesen -— und man sagt dies im
vollen Ernste, heute, und namhafte Kriegsschriftsteller sagen es;
man erlasse uns die Stellen anzuziehen , die jeder , der das
Quellenmaterial zum Kriege von 1806 gelesen, unschwer finden
wird — so liegt darin ein gut Stück militärischer Scholastik, die
verwirren kann. Die Hauptstadt Preußens war dazumal vor allem
ein politischer Punkt ersten Ranges und ihr Fall musste
von höchstem Einfluss auf das politische End-
ziel des Krieges, ih r e Bed rohun g so m i t in rück-
wirkender Weise von schwerstem Gewicht auf
das kriegerfsche Thun auf beiden Seiten sein:
man denke nur daran, dass Napoleon Russland im Anmarsch
glaubte. Die Hauptstadt eines Reiches in der militärischen Zunft-
sprache als geographischen Punkt zu bezeichnen , geht nicht
immer an und umso weniger darf dies — soll das Urtheil nicht
ein schiefes sein -— geschehen, je bedeutender die Rolle ist, welche
die Hauptstadt im Staate spielt. Klar ist, dass man bei-
spielsweise Wien und Paris nicht beide gleicher-
weise als geographische Punkte für die Krieg-
führung bezeichnen kann. Dieses, wahrhaft der Nabel
der Nation, ist gegen den Krieg unendlich empfindlich ; ein Kampf
an diesem Mittelpunkt bestimmt die Geschicke des ganzen Reiches;
seine Bedrohung allein hat ein paarmal die allerheftigsten Er-
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Schütterungen politischer Natur hervorgerufen und damit die Ziele
des Krieges um ein bedeutendes verrückt. Jenes ist nichts —
in den napoleonischen Kriegen — gewesen, als die Residenz des
Souveräns, die er zum Kriege ohnehin vielfach verließ. So blieb der
Krieg, den der Gegner nach Wien getragen, von weit geringerem
Einfluss auf die Politik des Kaiserstaates, als jene Wirkung, die
durch die Bedrohung oder gar Besetzung von Paris auf die fran-
zösische Politik entstand. Nicht lediglich mit der Thatsache allein,
dass Paris das Centrum der Staatsmaschinerie, der Gravitations-
punkt aller Interessen, kurz das Object von Nützlichkeits-Erwä-
gungen war, sondern mit dem Unterschied des Volkscharakters
auch, der dort als Schmach empfindet, was hier als bittere Noth-
wendigkeit und resigniert empfunden wird, und dem Unterschied
von dessen Äußerung, hängt alles dies zusammen. Man sieht,
es besteht ein ganz gewaltiger Unterschied zwi-
schen den sogenannten geographischen Punkten
strategischer Kategorie. Was nun Berlin betrifft, wie es
im Jahre 1806 gewesen ist, so begnügen wir uns aus dem
Quellenmaterial als Resultat hervorzuziehen, dass es insofern
gegen den Krieg äußerst empfindlich war, als Friedrich Wil-
helm III. sich — innerhalb gewisser Grenzen — eher im Kampfe
zerschmettern lassen wollte, als dass er es einnehmen ließ. Die
kühle Anschauung des Kaisers Franz über den.Antheil, den die
Residenz an der Politik des Staates zugestanden haben solle, die
Anschauung, der Österreichs Monarch 1805 und 1809 so deut-
lich Ausdruck lieh, die hatte Preußens König Acht und konnte
sie nicht haben. Um von allem andern abzusehen, genügt es
darauf hinzuweisen, welche Tradition Preußen zu bewahren hatte,
um es klar zu legen, warum es sich wohl vor den Thoren von
Berlin besiegen , aber wegmanövrieren durchaus nicht lassen
konnte. So schließt sich die Kette der Erwägung. Die preußi-
sche Strategie kann keine geographischen Punkte
Napoleons bedrohen, was doch vo rnehmlich ihres
Amtes ist und wozu sie geschickt erscheint; be-
drohte nun Napoleon Berlin, gebrauchte er somit
ein Leitmotiv des XVIII. Jahrhunderts in seiner
Strategie, so fand die preußische kein Mittel
mehr, solches anders zu parieren, als indem sie
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früher und später zum Abmessen der Kräfte
schritt; was eben Napoleon wünschte. Insoweit es
nicht doctrinär klingt, gegenüber dem lebendigen, vielfaltigen Thun
im • Kriege aller Zeiten die Bedrohung geographischer Punkte zu
dem „System*^ des XVIII. Jahrhunderts zu rechnen, so sagen wir
hier ohne Zögern : Napoleon wandte ein Motiv der alten Zeit aus
guten Gründen an. Die Bedrohung Berlins ist ihm nur Mittel zum
Zweck ; er erspart sich das Suchen des Gegners und diesem
fällt das Vorbereiten der taktischen Action unter dem Banne der
Bedrohung seiner Capitale schwer. Man hat sich bemüht, zu
beweisen, Napoleon habe an Berlin gar nicht gedacht, da es ein
geographischer Punkt gewesen sei. Genug. Der Mann hat es
wahrlich verstanden, nichts, was zweckmäßig war, zu ver-
schmähen, und habe es aus noch so grauer Vorzeit, und aus
einem noch so überlebten Systeme hergestammt.
Nachdem wir nun die Richtung des Angriffes betrachtet,
und erkannt, dieselbe sei — doch im gewissen Sinne nur — eine
seltsame Mischung gewesen aus einem strategischen Gedanken
der alten Zeit, der zum taktischen Thun der neuen Zeit zu führen
hatte ; und entwickelten : die Abwehr und der Ort, den Preußen
sich dazu ersah, sei gegen das alte Kriegssystem, das ja Drohen
verlangte, gewesen, und geschehen sei sie unter Mängeln in den
Mitteln, die historisch waren, sowie durch die im Augenblick des
beginnenden Kampfes zutage tretenden Bedenken der Armeeleitung,
die unter ihren Füßen den kriegsconventionellen Boden, auf dem
sie schon nicht ganz mehr sicher stand, verlor: wollen wir die
Art, in der altes ujid neues System aufeinandertrafen, vorurtheilslos
besehen.
Aber vorher sei nochmals sehr darauf verwiesen, dass man
im Beginne der zweiten Octoberwoche die äußeren, sichtbaren
Zeichen der Überlegenheit des neuen Systems keineswegs ver-
spürt. Denn die Kräfte sind nicht auffallend verschieden und die
Stellungen an sich lassen nicht voraus erkennen, wohin sich die
Wage der Entscheidung senken müssen wird.
Wir sehen, dass Napoleon zum Angriff getrennt marschiert,
um vereint zu schlagen ; nicht mit Armeen, natürlich, jedoch mit
Corps in Heeressäulen. Ist dem nicht so? Wir kennen heute höheres,
C. von B.-K. Zur Psychologie des großen Krieges II. 19
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- 290 -
weil vollendeteres; doch hier ist das Original, der Embryo.*) Beson-
ders in den ersten Stadien des AngrifFsmarsches liegt am Tage,
dass Napoleon seine getrennten Heerestheile nicht in jener Zeit —
wir treiben hier rein militärische Betrachtung, um sie dann zu
widerlegen — bestimmt vereinen kann, die mehr als hinreicht,
dass ein Theil von ihnen angegriffen, besiegt, zurückgeworfen
werden kann. Es scheint, als ob dies immer und ewig — rein
militärisch angesehen — möglich sein muss, wenn man die Kräfte
trennt. Es ist nichts als Selbstberuhigung um jeden Preis, wenn
man sagt, Napoleon konnte seine Corps in 24 oder 48 Stunden
längstens auf jedem Punkt des Echiquiers vereinen ; denn diese
Zeit ist sehr hinreichend — rein militärisch angesehen — damit
ein Theil der Corps zu einem verderblichen Kampf gezwungen
werden kann. Es lag aber der Modus, getrennt zu marschieren,
um vereint zu schlagen, in Napoleons System ; somit muss er
wohlbedacht gewesen sein. Rechnete der Kaiser mit dem Glück
allein, das ihn bewahren werde, einzeln attakiert zu werden?
Das ist seine Art, wie männiglich bekannt, wohl nicht gewesen.
Glaubte er daran, der Gegner werde deswegen, weil er ge-
trennt marschierte , um vereint zu schlagen , wovon man auf
deutscher Seite bislang nur wenig Kenntnis hatte — man hatte sie,
doch war sie kein vorherrschendes, kein Leitmotiv, sie war
im Repertoire der Strategie vorhanden, doch
regierte sie nich t**) — gleichsam aus Aberglauben vor der
Macht der neuen Form auf die Gelegenheit verzichten , ihm,
*) Wir sind darauf gefasst, dass man uns erstaunt erwidern wird, ob uns denn tiä:
bekannt sei, dass Napoleon hier auf „einer Linie operiere", mithin vom getrennt marschierec
keine Rede sei. Nun denn, nicht darin, ob man seine Heereseinheiten Corps oder Armeen
nennt, sie zwei oder zwanzig Meilen zum Vormarsch auseinanderzieht, liegt das Kriteriooi
jener Strategie, sondern in der Möglichkeit einzeln angefallen zu werden, während
man marschiert. Dass diese Möglichkeit hier vorhanden war, gesteht Napoleon aaf je^er
Seite der Correspondenz unumwunden ein. Man denke an Blüchers Vormarsch nach Pah<i
im Februar 1814, man denke an den Tag von Ligny, man denke an Mortara, und gestehe
sich, dass kein essentieller Unterschied ist in der Gefahr für getrennte Corps oder ge-
trennte Armeen, angeMen zu werden, kein essentieller Unterschied ob zwei oitt
mehr Meilen sie trennen; die Erscheinung ist dieselbe, die Dimensionen wechseln nur.
**) Die strategische Idee, getrennt zu marschieren, um vereint zu schlagen und ihn
Anwendung im Kriege hat auch das XVIII. Jahrhundert gekannt. Wenn man Friedrichs des
Großen Einmarsch nach Böhmen 1757 studiert, so erkennt ein vorurtheilsloser Geis;
dass sein Verfahren das fleischgewordene Bestreben, getrennt zu marschieren, um vereint za
schlagen, war. Man studiere die FeldzUge Eugens und Marlboroughs und man wird ein paar-
mal diese Strategie unzweideutig zu Tage treten sehen.
Warum nun ward sie nicht ein Leitmotiv des XVIII. Jahrhunderts? Kein Zweifel
ist, dass Friedrich das kriegerische Denken jener Zeit bestimmt hat; verfolgen wir soaiii
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WO es irgend möglich war, Abbruch anzuthun? Jeder seiner
Briefe an die Marschälle beweist das Gegentheil, denn stets fasst
er die Möglichkeit, ja die Wahrscheinlichkeit, im einzelnen ange-
griffen zu werden, vorurtheilslos in's Auge. Nun denn, worin
ruht die Stärke der neuen strategischen Praktik ?
Napoleon besitzt und glaubt zu besitzen :
Die Überlegenheit an Zahl ;
Die Überlegenheit an Schnelligkeit in der Bewegung
seiner Heereskörper, folglich besitzt er und glaubt zu besitzen
als Verbündeten die Zeit;
Die Überlegenheit im Befehlsgebungs- und Vermitt-
lungsapparat, die erst die größere Schnelligkeit der Mittel wirksam
und lebendig machen kann ;
Die Überlegenheit der einzelnen Heereseinheiten für
den Kampf durch
ihre Stärke und Zusammensetzung,
ihre Taktik, ihr Thun im Gefecht,
ihren kriegerischen Geist.
Nachdem wir aus dem concreten kriegsgeschichtlichen Detail
— jedermann möge sich überzeugen, dass es vorhanden ist —
diese zerstreuten Daten als die uns wichtig scheinenden hervor-
geholt, und in dies Schema, das man uns wohl verzeihen wird,
zusammengefügt; sagen wir geradezu: Getrennt marschierte,
um vereint zu schlagen Napoleon, weil er aller
dieser Überlegenheiten sicher war. Hätteer diese
sein Thun. Getrennt marschierte er nach Böhmen und schlug vereint (oder doch nahezu)
bei Prag; so konnte er verfahren, weil er dazumal der stärlcere war, sowohl
an Zahl als an Beschaffenheit der Mittel, und der politische Zweck rasche
Erfolge verlangte. Allein auf Prag folgte gar bald Kolin, und schneller als er gekom-
men, verließ Friedrich die Staaten der Kaiserin. Nachmals war er beständig schwächer
als seine Gegner und die Strategie der ManOver ward ihm zum System, indem er, bittrer
Reue voll, oftmals des Feldzugs von Prag gedachte.
Die Methode des Siegers nimmt die Mitwelt an. So nahm sie Friedrichs Strategie
der ManOver als ihr Leitmotiv, ohne zu bedenken, dass er so handeln musste, da er beständig
schwächer war; sein Thun 1757 bis Prag sah sie als ein abschreckendes Beispiel an und
ferne lag es ihr, ein Leitmotiv daraus zu machen. Der Gedanke blieb latent, nirgends erhob
man ihn jedoch wirklich zum System.
Was aber sagt Friedrich selbst tiber die Idee, getrennt zu marschieren, um vereint zu
schlagen? . . . rien n'itait, plus important que de cacher ce projet, il ne pouvoit reussir
^M 'en en derobant la connoissance et le soup^on mime attx ennemis et ä ta cour de Saxe,
qui trahissoit les Prttssiens, et ä l'armee, pour que l'imprudence ne le divulgudt pas . .!
Und nun denke man an die Gegenwart!
Sie zu verstehen bedarf man der Kenntnis der Vergangenheit
So lese man die Kriegsgeschichte; allein vorurtheilslos lese man sie.
19*
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nicht gehabt, so steht dahin, ob er die moderne
Strategie geübt, denn er hat sie nicht geübt, so-
lange er nicht, wie hier, der absolut Stärkere war.
Diese Überlegenheiten waren dazumal, 1806, die erste Vorbe-
dingung für die neue Strategie, und wären jene nicht dagewesen,
so hätte sich Napoleon dieser nicht bedient.
Jawohl, wir glauben, dass dem so war. Die früher schon
von uns bemerkte Immunität der Heereseinheiten — wir zeigten,
doch ist es ja genügend bekannt, worin dieselbe lag — ; die
Überlegenheit an Zahl; die schnellere und sicherere Bewegung:
waren für Napoleon die Basis, auf welche erst er die neue
Strategie zu stellen vermochte. An sich bedeutete sie
nichts und konnte nichts bedeuten. Erst darin, dass
diese Strategie so gar nichts war, als ein Mittel, die Kräfte zum
Abmessen zu führen, weil sie der taktischen Über-
legenheit ihrer Mittel sicher war, lag ihre eigenthümliche
Kraft. Nur dann konnte sie bestehen, wenn sie von der
taktischen Überlegenheit der Truppen gekrönt
ward. So sehen wir, wie dieser Krieg, in welchem die Strategie
so räumlich ausgedehnt und breit zu handeln scheint, kein
eigentlich strategischer Krieg ist, in welchem dieselbe als Zweck
dominiert; sondern vor allem ein taktischer Krieg, der vor allem
zum Abmessen der Kräfte zu gelangen sucht, weil er der
Stärkere ist.
Dieser Tendenz bleibt der Kaiser der Franzosen unentwegt
beständig treu. Wir sehen, wie er ein Compromiss zwischen der
strategischen Richtung Berlin und dem Wunsche zu schlagen
schließt, indem er während des Vorschreitens beiläufig seinen
Gegner sucht, ohne sich jedoch von der allgemeinen Richtung
ziehen zu lassen. Als er den Gegner bei Gera zu erblicken
glaubt, also auf seiner Anmarschlinie, zeigt uns die plötzliche
Bewegung seiner Heereseinheiten nichts anderes, als den Wunsch,
hier, auf dem Wege nach Berlin, den Gegner taktisch abzuthun.
Als er mit Sicherheit erfährt, der Gegner stehe einen Marsch von
ihm jenseits der Saale, wendet er sich zu ihm, um ihn zu er-
drücken. Wenn er „strategisch" in diesem Kriege verfuhr, zog
er es da nicht vor, den Gegner völlig zu umgehen, wie es ja
unbewusst schon halb geschehen war? Er führte taktisch Krie^,
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er suchte nichts als die Schlacht, er nimmt offenbare Mängel, die
die neue Strategie ihm bot, als er sich versammeln wollte, ruhig
in den Kauf, weil er weiß, er werde im Abmessen der Kräfte
der Stärkere sein.
Wenn nun um jeden Preis strategische Raisonnements für
diesen Krieg gepflogen werden müssen, so sei erwähnt, dass
gröi3ere Stärke, schnellere Bewegung, einheitlicheres Thun, als es
beim Gegner war und nicht Terrainlehre und Geometrie Stoff
zur Betrachtung bieten. Doch halt ! Bei der Terrainlehre müssen
wir ein Weniges verweilen. Die Saaleübergänge, die der preußi-
schen Armee nicht passierbar schienen, als der Gegner im Flan-
kenmarsche vor dem Flusse war, auf die geht der Kaiser der
Franzosen frontal und einzeln vor. Er that mehr in Überwin-
dung der localen Schwierigkeit als sein deutscher Gegner über
sich gewann. Dies ist ein alter, wohlbekannter Scherz, der sich
im Kriege öfters wiederholt. Die kriegsconventionelle
Übereinkunft irgend einer Zeit decretiert, diese
und jene und eine solche Örtlichkeit müsse der
Krieg vermeiden, und thue er es nicht, so litte er.
Wer es wagt, Hindernisse des Terrains, die allgemein als un-
praktikabel angesehen sind, zu betreten und zu durchziehen, zerreißt
die kriegsconventionelle Form und diese That, die nichts zu sein
scheint als Energie und guter Wille, kann entscheidende Folgen
nach sich ziehen , wenn sich der Gegner nicht zu ihr erhebt.
Jedoch, das Ding ist nicht so crass, wie es hier der Deutlichkeit
wegen leider dargestellt werden muss ; freiwillig und aus
Unverstand fügt sich niemand der k ri egsco n v en-
tionellen Form; man glaubt nicht nur zu derselben
gezwungen zu sein, sondern es sind Umstände vorhanden, die
mit hohem Ernste auf die Nothwendigkeit weisen, in der-
selben wie bisher weiterzuthun ; wer sie überschreiten will, wird
vorher — in der Regel — die Umstände, die zu derselben führen,
heben müssen, wenn möglich unbemerkt. Dieses Hinausgehen
über das, was als allgemein möglich und ausführbar im Kriege
gilt, ist nicht stets, oder vielmehr fast niemals eine Improvisation,
wie Hannibals und Napoleons Alpenübergänge in gewissem Sinne
waren. Wenn, wie hier, kriegerischer Widerstand auf dem schwie-
rigen Terrain erwartet werden muss oder zumindest erwartet werden
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kann, so ist vorurtheilsloseres Thun in Hinsicht des Terrains wohl
nur dann vernünftigerweise zu wagen, wenn man sicher zu sein
glaubt der erheblichen eigenen Überlegenheit der Truppen im Ge-
fechte um die örtlichkeit. Nie fast*war dies mehr der Fall, als eben
jetzt bei Napoleon ; wir kennen ja die Kriegspraktik der deutschen
Infanterie, die ebene, gerade Flächen suchte, um zu kämpfen und
schwieriges Terrain vermied. Man wird mit Recht ungläubig fragen :
Hat denn Napoleon all diese Details gekannt? Wie muss sein Denk-
vermögen beschaffen gewesen sein, wenn er, wie man hier glauben
machen will, alle Details sorgsam erwog? Wir wollen hier mit der
Erwägung noch vorläufig genügsam sein, da in den Schlusssätzen
davon geredet werden wird, und besser als es jetzt und hier
geschehen könnte. Wir wissen wohl , dass der napoleonische
Krieg sich über die Hindernisse und Schwierigkeiten des Ter-
rains weit mehr hinwegzusetzen pflegte, als der alte, sparsame,
wohlalignierte Krieg. Die Truppen des Empire kämpften in
jedem Terrain ; das hat Napoleon gewusst , er kannte und
würdigte den allgemeinen Zug, der sich aus dem
Verachten von Terrainschwierigkeiten ergab.
Dies setzt jedoch stets voraus, dass der Feldherr die nöthige Vor-
sicht von Fall zu Fall angewendet haben müsse, indem er wohl
erwog und sich immer frug, ob denn seine Truppen für alles
und jedes geschickt und befähigt, ob denn die Schwierigkeiten
nicht allzu große seien. Dem kann in einem großen Kriege nicht
so sein. Der Feldherr, den Geist seiner Überlegen-
heit wohl würdigend, erwartet und muss von
seinen Unterfüh rern erwarten, sie handelten im
Sinne dieser Überlegenheit; er kann sich mit den
Einzelheiten nicht befassen, sondern verlässt sich darauf, die
Wirksamkeit seines Systemes als solchen werde auch im Detail
wirksam sein. In der That, es ist so. Welcher höhere Truppen-
führer , der ein Gefecht eriebte, hat nicht die Wahrnehmung
gemacht, dass er erst nach glücklichem Erfolge so
vieles und manches erfuhr, das zum Erfolge bei-
getragen hatte, weil es im angenommenen Sy-
steme lag, und in dessen Sinne wirkte; so vieles
und manches, was er selber im Augenblicke des
Kampfes nicht voll und ganz und kühl durch-
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dacht? Welcher Truppenführer hat es im Kriege nicht erlebt,
dass ihm im nachhinein gemeldet ward, der oder jener seiner
Untergebenen habe mehr gethan, als er erwartet hatte, und welcher
Officier, der im Gefechte stand, kennt nicht das eigenthümliche
Gefühl, da oder dort sei etwas zweckmäßig geschehen, und
glücklich abgelaufen, das er nicht vorausgesehen, ja vielleicht gar
nicht veranlasst hätte, wäre ihm die Lage der Dinge vorher
bekannt gewesen? Das System, in welchem ein Führer zu
kämpfen genöthigt ist, bringt ihm Tag für Tag seltsame Über-
raschungen, die oftmals seiner Initiative sich gänzlich entziehen,
an denen er keinen Antheil hatte, da er sie nicht vorhersah und
befahl, weil er einfach nicht alles zu wissen und zu thun ver-
mochte ; Überraschungen, sagen wir, denn es gibt auch solche
unangenehmer Natur, die sich beim Schwächeren einzustellen
pflegen, und die, von ihm nicht vorhergesehen, weil er nicht
alles wissen konnte, erst nach und nach den Gedanken in ihm
wecken, das System als solches tauge nichts, und keineswegs
die Personen ; diesen Eindruck empfangt ein Feldherr oft ; und
viele Feldherren vermögen sich ihm nicht zu entziehen, auch vor
der Untersuchungscommission, wo sie Lob auf die Per-
sonen und Schweigen, N i ch terklär e n auf die Vor-
gänge häufen. Indess ist die Kriegsgeschichte da, um die
Personen im nachhinein äußerst scharf zu packen, die der besiegte
Feldherr — und der hätte wohl den meisten Anlass hiezu — nicht
über sich gewann zu packen, wenn er ein Ritter und mit sich
aufrichtig war. Indess, das sind die Schattenseiten, und hier haben
wir Licht. Das Hinausgehen über das Erwartete ist — wie es
hier geschah — oft ein Ausfluss besonders kriegerischen Geistes,
der sich in gutem Willen manifestiert. Historisch fest steht, dass
fast alle Führer der napoleonischen Armee zu jener Zeit — 1806
— vom besten Willen beseelt gewesen sind, das Unmögliche zu
versuchen. So konnte ihnen der Feldherr und Monarch manche
Nuss zu knacken geben, deren Festigkeit er selber gar nicht
kannte ; zu knacken war sie durch größere, noch größere
Intensität in Anwendung des eben herrschen-
den Systemsund nicht durch Felherrnkunst; jene
hing vom guten Willen ab. Dieser war vohanden und manches
gelang, was ein anderesmal gar nicht versucht wurde.
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So sehr man sich bemüht, in der eigentlichen Sphäre der
positiven Strategie, den Räumen, Zeiten, Zahlen zu verbleiben,
stets drängt es uns von dem rein materiellen weg in jene Region,
wo, wie wir glauben, das Wesentliche der Entscheidungen des
Krieges liegt. Man werfe einen Blick auf die Karte und sei offen
mit sich: Erkennen wir am Abende des 13. October mit aller
Sicherheit, Napoleon werde siegen, und zwar doppelt siegen?
Durchdrungen sind wir davon, es kann nicht sein. Aber wenn
wir das Leben und die Natur der beiden Heere und ihre Vor-
geschichte kennen, und die kennen wir, dann wohl begreifen wir,
woher der Ausgang kam. Um uns nicht zu wiederholen, bitten
wir, man möge sich aus dem Abriss der Operationen das Bild
der Lage holen, wie es eben war. Nicht in der strategischen
Lage, denn die war am Abende vor der Entscheidung an sich für
Napoleon sehr prekär, liegt der Geist des Krieges von 1806, trotz
allem, was man darüber schrieb und noch darüber schreibt. Er
gipfelt von Napoleons Seite ganz einfach in dem Wunsche zu
kämpfen, die Kräfte abzumessen, und die Strategie, welche jene
Kräfte in der Nacht des 13. heranführt, konnte nur bestehen,
weil seine Mittel eben stärkere waren. Nicht die
Thatsache, dass er umging, dass er getrennt heranmarschierte,
schien ihm Aussicht auf Erfolg, sondern die kindlich rohe Absicht
seiner Mittel, in der That zu kämpfen, ihre ausgezeichnete Be-
fähigung hiezu und die relative Sicherheit, mit der er solche
Mittel strategisch exponieren konnte.
Denn die Wissenschaft hat in gewissem Sinne völlig recht,
wenn sie Napoleons strategischen Anmarsch zu den Schlachten
tadelt. Die Wissenschaft erblickt sehr klar die Mängel jener Stra-
tegie, die in dem Wunsche gipfelt, getrennt zu marschieren, um
vereint zu schlagen, sowie die Gefahren, die sie — wenn man sich
an die Mechanik hält — im Gefolge haben kann. Napoleon selbst
zeigt jedem, der ein offenes Auge hat, in seinen Briefen an die
Marschälle, wie gut und wie ganz er die Mängel und Gefahren
seiner Strategie durchschaut. Sehr deutlich steht ihm das Be-
wusstsein vor der Seele, dass Kriegsmittel, die man transportiert,
und noch dazu relativ bequem transportiert, nicht augenblicklich
schlagfertig sein können, besonders dann, wenn man sie rasch
transportiert. Warum Raschheit und Bequemlichkeit, muss man
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unerbittlich weiter fragen, wenn man die Wahrheit sehen will.
Wo sind die Motive und wie heißen sie ? Warum fehlen sie dem
Gegner? Wir berühren hier den springenden Punkt. Vor allem:
Sie fehlen nicht dem Gegner, und er kennt und handhabt sie;
doch in geringerem Maße. Dies thut er, weil er in der kriegs-
conventionellen Form des XVIII. Jahrhunderts steckt. Der neue Krieg
verstärkte nur die Raschheit der Action, und dies blieb dem Gegner
in der Action füglich unbemerkt, nützte ihm die Erkenntnis hievon
nicht, da er langsame Mittel hatte. Und nun Raschheit. Materielle
Motive. Die eigene Armee ist ein fertiges Kriegswerkzeug, nichts,
was ihr gleich an Wert ist, folgt ihr auf dem Fuße; sie kann
durch Warten in der Inaclion sicherlich nicht besser werden. Der
Gegner zieht noch immer tropfenweise Verstärkungen an sich;
er ist nicht völlig versammelt, oder zum mindesten, es ist
möglich, dass er es nicht sei. Wem kommt die Zeit zugute, die
verloren wird, als jenem, der noch verbesserungsbedürftig ist?
Diese Zeit darf man ihm nicht lassen. In dem inneren Unter-
schied der beiden Kriegswerkzeuge, der im Principe Napoleon
bekannt genug gewesen ist, liegt die deutliche Aufforderung für
ihn, schnell zur Schlacht zu eilen. Jedoch im rein Materiellen —
welches schon oft und viel erschöpfender als es hier geschehen
kann, — gewürdigt worden ist, liegt der Antrieb zur Schnelligkeit
nicht allein. Vor allem sprechen wir unumwunden aus, dass ein
gewaltiges moralisches Motiv ihn zu derselben trieb. Es ist der
Wunsch zu überraschen; das Streben darnach, durch den Über-
fall dem Gegner die Zeit zu benehmen, deutlich zu sehen,
zu erwägen, und sein eigenes Thun jetzt zu corri-
gieren oder, wenn dies auch nicht, fürdieZukunft
klare Lehren zu ziehen. Es kann kein Zweifel darüber sein ,
dass Napoleon vor allem deshalb so schnell zu kämpfen suchte,
damit man die Art, wie er es that, nicht deutlich sehen
könne. Dies will völlig ernst genommen sein. Wir sahen, wie die
preußische Führung zusammenzuckte, welches Zucken auf die
ganze Armee überging, als sie den raschen, rücksichtslosen Krieg
zu ahnen begann, ohne jedoch zu erkennen, worin seine Stärke
sei. Das ist Vorhand und Activität, die dem Gegner die Zeit zum
Schauen benimmt , wovon noch immer ein weiter Weg zur
Meditation und ein noch viel weiterer zur That ausgeht. Dann
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waren Rücksichten mancherlei anderer Art für Napoleon maß-
gebend. Die Schnelligkeit war schon eine Tradition in der franzö-
sischen Armee; noch mehr war sie es im französischen Volk.
Die berechtigten Eigenthümlichkeiten der gallischen Stämme passten
vortrefflich für die Schnelligkeit, während sie für das Abwarten
weniger passten. Löhnung und Verpflegung erscheinen auch
daneben ; und im Hintergrunde steht der politische Gedanke, das
Moment der Schnelligkeit, das in dem Heere stak, zum Zwecke
des Krieges möglichst auszunützen; wie musste ein Feldzug
von acht Tagen auf Europa wirken, das hat sich Napoleon
sicherlich gesagt und deshalb beschloss er schnell zu sein. Be-
quemlichkeit ist nun nichts, als ein Mittel zur Schnelligkeit.
Alle strategischen Werke der gegenwärtigen Zeit suchen nach
der besten Art und Weise, wie man durch das Nebeneinander-
bewegen der Kräfte Zeit gewinnen kann. Heute erst ist die so-
genannte Logistik des vorigen Jahrhunderts eine Wissenschaft
für sich, die der Armeetechnik geworden. Hier, 1806, sehen
wir das praktische Original. Das Leitmotiv desjenigen, der seine
Kräfte parallel instradiert, ist Zeitgewinn, und dass er sie parallel
instradiert, also im Räume theilt, das Mittel nur dazu. Es
ist dies die grundlegende Idee, doch nicht die einzige. In den
Kriegen des I. Kaiserreichs scheint sie uns geradezu die vor-
herrschende gewesen zu sein. Der Grad der Bequemlichkeit, in
der man sich bewegen kann, hängt, wie sattsam bekannt, von
dem Straßennetze, der eigenen Kraft, der Entfernung vom Gegner,
der innern Schnelligkeit der Heerestheile u. dgl. ab. Daher er-
scheinen Bequemlichkeit und Schnelligkeit keineswegs als Gegen-
sätze, sondern sie hängen innig zusammen und greifen an allen
Orten in einander über. Wer schnell marschieren will, muss bis
zu einem gewissen Grade bequem marschieren. Wir sahen die
Gründe, warum Napoleon so schnell zu marschieren gedachte;
vorherrschend war die Thatsache, dass seine Armee be-
reits einmarschiert war; zu der Schnelligkeit mahnte
der politische Zweck des Augenblickes; auf dieselbe wies die
Natur des neuen Krieges, der rasch zu schlagen willens war,
damit man nicht erkennen könne, w i e er schlug. Allein, was
ist Schnelligkeit im Kriege? Siegt man mit ihr? Ist sie
ein Axiom des Krieges? Napoleon operierte nicht jeder-
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zeit schnell ; oft hat er gezögert und ist langsam verfahren.
Werden wir in der Erwägung so einfach als nur immer möglich,
und fragen wir: Wohin führt es, die eigenen Mittel besonders
rasch an jene des Gegners zu bringen, wenn man nicht sicher
ist der Überlegenheit im Abmessen der Mittel? Es scheint uns
klar zu sein, dass Schnelligkeit im Angriffe vor-
nehmlich dem ziemt, der feste Truppen hat, oder der im-
stande ist, sie ehebaldigst fest zu machen ; gerade wenn sie nur um
Nuancen stärker sind, so erhöht unter Umständen die Schnelligkeit
ihre Stärke; während Schnelligkeit um jeden Preis, zu der man
schwache Mittel zwingt, auflösend wirken kann. Doch genug
der Theoreme. Schnelligkeit an sich, als Doctrin, ist nichts; sie
ist nur ein Mittel für besondere Zwecke ; eine Form, die mächtig
wirken kann , doch die sorgsam gehandhabt werden muss , um
nicht die eigenen Mittel zu zerstören. Hier, 1806, waren
Napoleons Mittel stärker, sie vertrugen Schnelligkeit, wie aus
Vergleichung der Marschleistungen jener Tage mit denen von
1870 deutlich zutage tritt; aber nicht nur die Schnelligkeit, auch
die aus ihr fließende Bequemlichkeit in der Bewegung vertrugen
sie jetzt, und konnten sie vertragen. Man sieht, es hängt hier
alles in sich zusammen und nicht so sehr das Detaillieren als
die Anschauung des Ganzen gibt das richtige Bild. In Napoleon
überwiegt eben jetzt der Glaube, er und seine Mittel seien stark
genug, um eine des politischen und kriegerischen Zweckes willen
rasche Strategie zu vertragen, die wegen ihrer Schnelligkeit, rein
militärisch angesehen, wunde Punkte weist. Es ist dies dieselbe
Überlegung, die späterhin Moltke einmal gemacht und deren
imposante Einfachheit die Wissenschaft auch heute noch nicht
zu interpretieren versteht.*) Hier, 1806, erlaubt Napoleon seine
ungeheure Überlegenheit — nicht an Zahl, sondern in
der Natur derMittel — eine Strategie, die bei gleichen
Mitteln eine Reihe offenbarer Mängel hat, die zu
Unerwünschtem führen können. Das muss die Wissen-
schaft bedenken und darnach urtheile sie. Sie muss sich zu der
Anschauung erheben, dass die napoleonische Strate-
gie ureigentlich aus der napoleonischen Taktik
*) Kanngiefiers Werk über den Krieg von 1866, um nur eines von den zahlreichen
Beispielen ähnlicher Art zu citieren.
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kam, welche auch die Basis für alles war, was
Organisation, Heeres -Verpflegung und dgl. an-
betraf; ja dass die napoleonische Strategie ohne
napoleonische Truppen ein Unding und undenk-
bar ist. Das ist Zusammenhang von Taktik und Strategie im
wahren Sinne des Wortes. Dies übersieht man viel und oft, ja
man stellt die napoleonische Strategie oft geradezu als ein
Muster hin, welches man als solches befolgen müsse; nur
bei Überlegenheit der Mittel hat sie Napoleon befolgt,
hatte er dieselbe nicht, so kehrte er, wie 1814, zu den ureigent-
lichen Grundsätzen des XVIII. Jahrhunderts, dem Manöver, der
Drohung, zurück. Hierin gerade liegt seine Feldherrngröße. Doch
davon ein andermal. Hier, 1 806, in dem besonderen Falle.
war die moderne Strategie gut, weil die Neuheit und Stärke der
Mittel Hand in Hand mit ihr gingen ; sie war gut, weil sie zum
Erfolge führte und dieser vorhergesehen und vorausberechnet
war. Immer wieder kehrt man zum Gemeinplatze zurück, die
Wissenschaft möge vorurtheilslos beim besonderen Falle bleiben,
ohne allgemeine, abstracte Vorstellungen über die Vorgänge des
Kneges, und besonders einer Kriegsepoche, zum Urtheil mitzu-
bringen ; denn für den besonderen Fall taugen sie oftmals nicht,
das heißt, sie können das Urtheil verwirren. Hier beispiels-
weise kommt die Doctrin zum Schluss, Napoleon habe strate-
gisch schlecht verfahren, und fragt man sie, warum er siegte,
so zuckt sie die Achseln oder beruft sich auf des Corsen Glück.
Dass nichts falscher ist, glauben wir gezeigt zu haben. Es kann
aber auch verderblich sein für den, der den Krieg der Vergangen-
heit studiert, um zu jenem der Zukunft gerüstet dazustehen. Bis
zum äußersten, bis zur Plattheit, wenn es sein muss, gehe die
Betrachtung und nichts lasse sie unerklärt. Sie hüte sich, das
Glück, den Zufall, dort als Urgrund der Entscheidung anzuführen,
wo ihr zu derselben der Schlüssel fehlt. Aus der einfachen Be-
rechnung thue sie dies, dass man in Zukunft auf das Glück, den
Zufall, nicht wird rechnen können.
Wir nahmen wahr, wie von den ersten Tagen der Ver-
sammlung der Armee die deutsche Führung, an der Hand der
alten Strategie agierend, mit derselben in Widerspruch geräth.
Wohl herrscht die Absicht, leitet der Gedanke, jedoch die Mittel
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entsprechen nicht mehr. An diesem innern Widerspruch
zwischen Wille und Vermögen — beides inner-
halb der alten Form — leiden während der Opera-
tionen Führung sowohl als die Mi ttel. Wer sieht nicht
ein, wie Operationen strategischer Natur, die befohlen sind, und
an der inneren Unzulänglichkeit der Mittel scheitern, verderblich
sein und bleiben müssen für die Kriegshandlung als solche,
welche durch sie gestört, getäuscht und enttäuscht, als für die
Mittel, welche durch sie ermüdet und vorzeitig zerstört werden?
An der innern Schwäche der preußischen Mittel, das heißt, an
ihrer Wertveränderung gegen ehedem, keineswegs an ihrem
Wertunterschied gegen die neuen Mittel, scheitern
strategische Operationen aus der alten Schule im Keime schon;
sie scheitern, sobald man sie überhaupt versucht und bevor man
mit dem Gegner zusammentraf. Dies ist von allererster Wichtig-
keit. Schon lange vor dem Zusammentreffen mit der neuen Kriegs-
form des Gegners, also vor der zweiten Woche des October,
klappert und knarrt die deutsche Heeresmaschine an allen Ecken
und Enden, als sie, wie gleichsam nur zur Probe, in Gang ge-
setzt ward. Wir haben hier nicht die Verpflegungsschwierigkeiten,
Mängel in Befehlsertheilung und Befehlsempfang, die Abgänge
der Etats und dergleichen vorwiegend im Auge: denn diese
Dinge weist man mit leichter Mühe in jedem Heere nach, und es
kommt vor, dass man sehr viel davon in einem Heere findet, das
bald darauf siegreich war. Das Versagen des Geistes, der den
alten Krieg beherrscht, wollen wir betrachten. Sehen wir, wie
alle Operationen aus der alten Schule, wie Demonstration, Be-
drohen der Verbindungen, insgesammt im Beginne schon sich
als nicht ausfuhrbar erweisen, oder besser, nicht ausgeführt worden
sind. Das Erkennen der Heeresleitung, der Geist des Krieges aus
der alten Zeit, den man mit Absicht und im Bewusstsein seiner
Stärke dem neuen Kriege des Gegners gegenüberstellt, versage
im Beginne schon, ist von mehr Einfluss auf die Führung ge-
wesen, als man gemeinhin glaubt. Alle Zögerungen, Schwan-
kungen in Ertheilung des Befehles, alle Regungen nicht wohl an-
gebrachter Selbstthätigkeit der Unterführer, und sohin das ganze
strategische Thun floss aus der Rathlosigkeit her, in die man
hinein gerieth, als man erkannte, die alte Form tauge nicht mehr.
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Die unabweisbare Evidenz, der alte Krieg verfüge nicht mehr
über die alten Mittel, führte zunächst zum Zweifel, was nun zu
thun sei. Sogleich entsteht im ganzen Heer, im Arbeitscabinet des
Feldherrn, der rathlos, im Biwak der Truppen, die muthlos werden,
ein Widerstreit von heftigen Empfindungen. Hier steift ein Führer
sich auf die alte Form, erklärt ihr augenblickliches Versagen bloß
für accidentiell, proclamiert solches aus guten kriegspsycholo-
gischen Gründen, und glaubt wohl gar selbst daran. Dort will
ein anderer mit derselben brechen, um spontan zur neuen Form
überzugehen, nach welcher er im Drange der Ereignisse vergebens
hascht, sie gar nicht erkennt, geschweige denn sie zur That zu
machen vermöchte. Ein dritter, kühl und skeptisch, glaubt und
anerkennt den himmelhohen Unterschied in den Wirkungen von
zwei Kriegsformen nicht , da die Ursachen jener verschiedenen
Wirksamkeit ihm nicht so vor den Augen stehen können, wie
uns, die wir die Elemente dieses Unterschiedes nachmals ge-
mächlich aufgesucht. Kurz, es entsteht ein vielfaches Auseinan-
dergehen in Denken und Gefühl, das jetzt, 1806, in der preußi-
schen Armee aus uns bekannten Gründen nicht zögern wird,
zur That zu werden. Damit ist dem Zufall, dem Accidentiellen,
dem Unvorhergesehenen Thür und Thor geöffnet. In der That,
es kann keine Lage im Kriege geben, die reicher ist an Er-
schütterungen verhängnisvoller Art, als jene, wo die krieg s-
con V entionelle Anschauung in*s Schwanken ge-
räth. Jeder thut so ziemlich das, was ihm das Beste scheint,
zwar mit dem besten Willen, doch bei jedem ist das, was er thut,
verschieden von dem, was die andern thun. Man versteht die
preußische Armee. Hier stößt Überzeugung eines Führers, der
klarer zu sehen vermeint, als seine Kameraden, auf Zweifel und
Rathlosigkeit und mit sich reißt er jene fort, ohne sie jedoch bis
zur That zu führen, die er als die richtige erkennt, da sie, sich
ihrer Pflicht erinnernd, bebend vor der Verantwortlichkeit, wieder
zurückgeblieben sind. Hier ist der Moment, wo man sagen kann,
ein Kriegsheer thue das Schlechteste, so es thun kann, allein es
zögere und überlege nicht. Denn es ist nahezu unmög-
lich für sterbliche Menschen, unter dem Donner-
grollen eines beginnenden Krieges mit der ge-
wohnten Vergangenheit zu brechen, und aus den
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Wunden, die der Gegner rasch und unerbittlich schlägt, das was
notthut, zu lernen. Man lernt im Kriege nicht, wenn es auch
einzelne gethan ; man lernt zur Noth, was man unterlassen
soll, wenn man gewitzigt wird, allein was zu thun, wenn man
bedroht oder gar schon geschlagen ist, das lernt man nicht im
Handumdrehen, wenn es auch einzelne gethan. Je schneidender
der Gegensatz von zwei Kriegsformen ist, von denen die eine
soeben erkennt, sie stehe nicht mehr fest auf altem kriegscon-
ventionellem Boden, um zu erschrecken, als sie sieht, sie stehe
plötzlich außerhalb desselben, desto erschrecklicher ist die Reaction
für den sich schwächer fühlenden Theil. Daraus kann man den
deutschen Feldherren jener Tage keinen Vorwurf machen, dass sie
nicht, als sie erkannten, die alte Form tauge nicht mehr, spon-
tan zur neuen griffen; sie hätten jetzt, in der zweiten October-
Woche, die Principien des napoleonischen Krieges improvisieren
sollen. Darauf laufen — unbewusst muss man wohl glauben —
im Grunde alle Kritiken über diesen Krieg hinaus, welche Kri-
tiken ausgerüstet sind mit Lehren, Doctrinen und Regeln, welche
jahrelange Gedankenarbeit aus der napoleonischen Epoche müh-
sam zog. Man thut dies und es ist nur zu oft geschehen. Wer
solches verlangt, und wäre er der erfahrenste
Soldat, beweist, dass er den Krieg und in letzter
Linie die menschliche Natur nicht versteht. Mühe
hat die Führung, die wohl vorbereitet und mit einer Fülle von
Absichten und Gedanken auf den Kampfplatz tritt, sich nicht von
ihrer Anschauung und von ihrem Thun abdrängen zu lassen und
dies sogar, wenn sie andauernd glücklich ficht. Es ist fast nie-
mals geschehen, dass die Führung, gezwungen, den ganzen
Apparat an Wissen und an Wollen, den sie mitgebracht, als
wertlos bei Seite zu legen, es verstanden hat, in so kurzer Zeit,
als es hier nothwendig war, brauchbaren Ersatz zu schaffen.
Vage Phrasen ! wird man sagen. Gut, erwägen wir. Was
thut die deutsche Führung.? Sie hat einen Angriff geplant und
sieht sich genöthigt, von demselben abzustehen, da ihr zu ihm
die Zeit, die Kraft und die Gelegenheit fehlt. Sie befiehlt Opera-
tionen in des Feindes Rücken und auf seine Flanke, von welchen
sie glaubt, er werde empfindlich sein gegen sie, und der Feind
kehrt sich an die Drohung ganz einfach nicht, während sie an
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anderm Orte über den Versuch gar nicht hinaus gedeiht. Die
Ursachen liegen hier wieder in Raum, Stärke, Zeit, zum Theile
auch in der Indolenz von Führern, die echt preußisch war für
die damalige Zeit; das heißt, die Intensität der Kriegshandlung
war dazumal in Preußen nicht so hoch bemessen, wie im französi-
schen Heer, was mit den inneren Verhältnissen des Heeres, Marsch,
Lager, Verpflegung, innig zusammenhing. Jene Indolenz ist alsö
nur rein militärisch zu verdammen, denn sie lag im Geiste der
Zeit, die das Element der Ordnung auf dem Marsche um ein
weniges höher ansetzte, als man dies heute thut ; an alle
dem scheitern die einleitenden Operationen mit der Absicht zu
drohen. Stets ist der Feind nicht dort, wo man ihn vermuthet, und
da taucht er auf, wo es der preußischen Führung — als sich Napo-
leons Vorgehen rechts der Saale ausgesprochen hatte — am wider-
wärtigsten sein muss. Die Ursache liegt darin, dass die deutsche
Kriegsmethode nicht zu schauen, nicht strategisch aufzuklären ver-
stand, was mit der Kriegspraktik des XVIII. Jahrhunderts im Zu-
sammenhange war, wo sich die Armeen sozusagen Rendezvous
gegeben hatten, um sich zur Schlacht zu finden. Die Führung
schwankt unter dem Einflüsse der verschiedensten Stimmen, die laut
werden in der Gefahr, zwischen Angriff und Vertheidigung unent-
schieden hin und her. Sie wagt jenen nicht und will sich doch mit
dieser nicht bescheiden. Die Ursachen liegen außer in dem Tem-
perament der verschiedenen Führer und dem Ansehen, somit
dem Einfluss, den mancher von ihnen genoss, in dem natürlichen
Bestreben einer Armee, wie die Preußens dazumal, offensiv zu
werden, und der Evidenz, dass dies nicht möglich sei. Auf die
Offensive verwies sie die Tradition und in die Defensive bannte
sie das Bewusstsein nicht stark genug zu sein, um die Tradition
zu wahren, welches Bewusstsein über Nacht hereingebrochen war,
um noch stets zuwachsen. Das Hin und Her zwischen der Absicht,
die Saale zu passieren und dem Verzicht darauf ist sehr natürlich
bei einem Heer, das mit seiner Kriegspraktik und durch sie mit
seinen Hoffnungen plötzlich gleichsam im freien Räume schwebte,
und zunächst der Zeit bedurfte, um kriegstheoretisch Boden zu
gewinnen, worauf dann die That nicht lange ausbleiben sollte.
Das zu erklären, dazu braucht man die Charaktere der Führer
nicht an den Pranger zu stellen, denn jeder von ihnen vertrat ja
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nichts als eine von den Ideen, die sich aus derLage
naturgemäß von selbst ergaben, bei dem einen aus
der einen, bei dem andern aus einer andern Lage. Man lese die
Correspondenz dieser schwergeschmähten Männer vor den Ent-
scheidungstagen nach, da findet man, wie keiner von ihnen mit
seiner Absicht an oberster Stelle kategorisch und bestimmt zurück-
gewiesen wurde, sondern wie jede geäußerte Meinung eine ver-
wandte Fiber im Hirne des obersten Führers berührte, die aus
Ansehung der Lage schon von selbst zu schwingen anfing.
Alles, was seine Unterfeldherren bewegte, empfand der Herzog
von Braunschweig gleichfalls instinctiv ; er musste es empfinden,
denn alles drängte sich in die Erwägung zusammen : Es geht
nicht gut; was ist zu thun? Bleiben wir bei der alten Form?
Entschließen wir uns zur neuen? Und wie sieht sie aus? In
letzter Linie, drohen wir weiter, oder entschließen
wir uns die Kräfte abzumessen? Gehen wir über die
Saale und suchen wir die taktische Entscheidung, oder versuchen
wir das Äußerste in Demonstration, das heißt Stehenbleiben in
der Flanke des heranmarschierenden Gegners? Mit einerfi Wort,
befehlen wir gewaltsam die Kriegspraktik des XIX. Jahrhunderts,
stellen wir uns plump und mit deutscher Geradheit zur Schlacht,
da doch die Lage von diesem Plane räth, oder bleiben wir weiterhin
dem XVIIL Jahrhundert treu, um, schwächer, wie wir einmal sind,
die Hauptschlacht noch immer zu vermeiden, oder wenigstens Orte
(Saale-Barriere) zu gewinnen, die uns Schutz und Stärke geben?
Das war die Lage; erkennen wir sie an. Es ist unendlich
schwer, dieselbe mit wenig Worten präcis und doch historisch
treu zu geben, wie denn in der subalternen Thätigkeit den Krieg
zu schreiben, gar vieles äußerst schwierig ist. In großen Zügen
zeigt uns indess der Depeschenwechsel zwischen Braunschweig
und Hohenlohe thatsächlich dieses Bild. Der Fürst, gemäß seinem
Charakter, will zum Kampfe eilen ; der greise Herzog, skeptisch
wie er ist, schiebt und schiebt denselben immer auf Nicht sagen wir,
er wollte einem Gefechte oder auch der Hauptschlacht überhaupt
aus dem Wege gehen. Aber schon in dem Hinaus-
schieben der Entscheidung, wobei man materiell
und mo ral isch n ich t s zu gewinnen vorhersehen
konnte, in dem Wunsche, sie zu meiden, solang es
C. von B.-K. Zur Psychologie des großen Krieges IL 20
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eben ging, scheint ein Cha rakte ristiko n des alten
conventioneilen Krieges zu liegen, der von Friedrich
vornehmlich das gelernt hatte, was er selbst nur
als Zuthat, als Auskunftsmittel ansah und wozu er
sich nur aus Nothwendigkeit e n t s c h 1 o s s. Geflissent-
lich vermeiden wir, das Für und Wider zu erwägen, welcher der
Plane mehr Aussicht auf Erreichung des Kriegszweckes bot. Uns
lag daran zu zeigen, dass ein fundamentaler Gegensatz im
preußischen Heere bestand zwischen zwei der hervorragendsten
Fährer. Der eine drängte zur Schlacht; der andere wollte sie.
wenn auch nur vorläufig, meiden. Der eine war, als der Gegner
nahte, und da er ihm von Haus aus näher stand, zum Abmessen
der Kräfte willig und bereit, während der andere, den unmittel-
baren Eindrücken des Krieges entrückt, kühl hin und her erwog,
da er wahrlich genug zu erwägen hatte, und, man sage was
man wolle, bei der Schlachtenabstinenz seiner Lehrjahre verblieb.
Natürlich gedachte er nicht ohne Schlacht den Krieg zu Ende zu
führen. Aber das Vorwiegen des strategischen Gedankens, das
Warten *auf eine Gelegenheit, die nicht erschien, geben, von allem
Materiellen abgesehen, wahrhaft einen Typ des Krieges, der von
dem Napoleons sehr verschieden ist. Beständig lag der Wille zu
kämpfen mit der Frage, ob dies von Vortheil sei, in auffal-
lendem Hader. Wir glauben gezeigt zu haben, dass der Mei-
nungsgegensatz, den wir entstehen sahen, sehr erklärlich ist, ja
geradezu als historisch nothwendig, als unvermeidlich angesehen
werden muss. Die von verschiedenen Führern geäußerten An-
sichten über das, was zu thun war, welche Ansichten zum Theile
in Thaten Überflossen, waren nichts als Glieder in dem ge-
waltsamen Ausgleichs p rocess, der sich unter der
Hast und dem Drange einesKrieges zu vollziehen
begann zwischen dem Willen zur alten Form und
der vom Gegner aufgezwungenen Nöthigungzur
neuen. Die Personen sind nichts als die Opfer, die eine alte,
abtretende Zeit der neuen bringen muss. Sie sind es voll und
ganz; nicht gewissermaßen, wie hie und da schüchtern an-
gedeutet wird. Daher das Zerrissene, Schwankende, Widerspruchs-
volle, Accidentielle, welches in diesem Kriege deutscherseits an
nllen Orten wiederkehrt; der Mangel an Einheit der Ideen, durch
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sie an Einheit in der Kriegsaction, gab dem Zufall Raum. So ist
manches in einen logischen Zusammenhang scheinbar nicht zu
bringen, was geschah; manches, bisher unerklärt, suchten wir
zu erklären, wie den Wandel in Hohenlohes Anschauung über
die Selbstbestimmung und Selbstthätigkeit, welche ihm zukam.
Dieser Wandel ist nothwendig gewesen, und dass er im Fürsten
entstand, ist — innerhalb gewisser Grenzen — nicht desselben
persönliche Schuld. Wo, wie hier, die Wirkungen einer neuen
Kriegsform des Gegners, welcher neuen Kriegsform Symptome
man nicht genug gewürdigt hatte, weil sie für jene Zeit nicht
klar am Tage liegen konnten, so auffallend erscheinen, da ist es
eine Nothwendigkeit, dass der Mensch rathlos werde. An den
obersten Führer stürmen Fragen und Vorstellungen heran, und
dieser, eingedenk des militärischen Gesetzes, jeder
Entschluss müsse wohl erwogen sein, zögert mit
demselben, während sich der Unterführer Thätigkeit, denen nichts
bestimmt befohlen wird , in zusammenhangslose , oft wider-
sprechende Acte löst. Wie in jeder Thätigkeit des Menschen, so
bedarf ganz vornehmlich im Kriege das Urtheil und der Glaube
des Erfolges. Bleibt derselbe, wie hier, beharrlich aus, so muss ein
Schwanken in der Anschauung zutage treten, wenn nicht der
Führer, sowie Rüchel that, gewaltsam bei der mitgebrachten An-
schauung verbleibt. Dieses Schwanken in der Meinung, was zu
thun sei, diese bewegliche Procession von Hoffnung und Ver-
zagen, von bestimmter Absicht und Rathlosigkeit nehmen wir
in der Regel auch beim Sieger wahr. Hier, wo Preußen
unterlag, hilft sich die Weisheit der Epigonen mit der billigen
Lehre hinweg : der oberste Führer hätte einfach einen Entschluss,
und wenn auch einen schlechten, fassen sollen. Das Beste
sei der Feind des Guten, wird uns als Richt-
schnur für unser Thun in einem solchen Falle,
bündig h inge wo rfen. Wer als h 5h er e r Tru p p e n-
führer im Kriege je einen Entschluss von Wich-
tigkeit zu fassen hatte, und mit sich selbst
nachher aufrichtig ist, wird zugestehen, dass
solche Anhaltspunkte in einer Krise nichts be>
deuten, nicht das Allermindeste. Denn, wenn der
Führer sich zu entscheiden hat, da kennt er das
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Gute noch nicht; es kreuzen sich im Augenblicke
der Krise im Geist des Truppenführers die ver-
schiedensten Gedanken als Reste von Studien
über den Krieg, vorausgesetzt, dass er solche
überhaupt machte; kaum denkt er daran, obiger
strategischer Wei sheit zu folgen, so erinnerter
sich des Satzes: jeder Entschluss müsse wohl-
erwogen sein, und niemals dürfe ein solcher
übereilt geschehen. Er zögert, muss es, kann
nichts anders thun; und von den Eindrücken, die
die vor schreitend e Handlung des Krieges in ihm
erregt, hängt es ab, wozu er sich entschließt.
Wer weiß nicht, mit welchem Gefühle ein Truppen-
führer dann, wenn er sich entschlossen hat, die
Ausführung beginnt, mit welcher steten Sorge,
ob es doch das Rechte war, ober nicht etwage-
fehlt; der Energie, die er entwickeln muss, beim
einmal Beschlossenen zu bleiben, von welchem
ihn wieder abzuziehen das wechselvolle Bild des
Krieges nicht lange zögern wird? Nachsicht im U r-
theil der Besiegten scheint erste Pflicht der
Kriegshistorie zu sein. Denn mit der Abschreckungs-
theorie erreicht man, wir behaupten dies, nichts oder nicht viel.
Auf das Erkennen wirkt man nicht durch Schärfe der Krijik :
denn diese ist unendlich leicht, und deswegen ist sie
so oft und oft discreditiert. In einem so gewaltigen
Rigorosum der Seele , wie es der Krieg erregt , hängt der
Wille zum Entschluss beständig vom Erkennen ab , was
das Beste sei. Wer nicht hinreichend erkannt und begriffen hat,
kann ja verurtheilt werden ; aber sind wir davon erbaut, wenn
wir hören, der und jener sei so beschränkt gewesen? Zeigen
muss man, warum er nicht erkannte. Welchen Schluss
zieht der, der Kriegsgeschichte liest, und welche Lehren aus dem
Axiom, das man so häufig gibt : der Feldherr solle bei den Ent-
schließungen, die er fasst, nichts zu Rathe ziehen, als die ge-
sunde Vernunft? Unanfechtbar scheint dieser Satz zu sein
und doch bedeutet er nichts, gar nichts, ist taub und
hohl wie eine klingende Schelle und töne.ndes
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Erz und ein Sacrileg am Ernste des Krieges. Denn
seine eigene Vernunft hält der Feldherr stets für
die gesunde, und er muss sie dafür halten; nach
ihr handelt er; er hatte damals, als er hande Ite,
das reiche Materiale nicht, aus welchem wir heute
im nachhinein die für den zeitgenössischen Krieg
geltende gesunde Vernunft construieren; abgesehen
davon, dass sich niemand aus bösem Willen oder Indolenz seiner
Vernunft begibt, und kein Feldherr die gesunde in einen Winkel
seines Hirnes weist, um nach einer andern zu verfahren. Gesunde
Vernunft anerzieht man nicht, und niemand von uns kann sagen,
wie über das, was uns heute gesunde Vernunft erscheint, eine
spätere Zeit urtheilen werde. Die Vernunft, die er besitzt, hält der
Feldherr stets für die gesunde und nach ihr handelt er, bis ihm
der Erfolg dies bestätigt hat, oder der Misserfolg ihn eines
Besseren belehrt. Doch nein, nicht des Besseren. Niemand ist
weniger imstande, über die Motive einer Nieder-
lage Klarheit und Li cht zu geben, als der Feldherr,
der sie erlitt. Allem, dem Zufalle, dem Unbekannten, kurz
lauter Dingen außer ihm, schiebt der Besiegte die Ursache des
Misslingens zu, da er nur ein Denkvermögen hat, und seine
eigenen Fähigkeiten nicht vom Standpunkte des Lehrers und Mei-
sters aus prüfen kann, wie dies ein Dritter vermag.
Das Suchen nach dem richtigen Entschluss im Kriege ist
wohl die erste Thätigkeit desjenigen, der im Kriege führt. Wir
haben dargethan, dass dieses Suchen jetzt, in den Octobertagen
des Jahres 1806, der deutschen Führung unendlich schwer, fast
aussichtslos erscheinen musste. Die alten Mittel des Krieges ver-
sagten und die neuen kannte man noch nicht, jene zu ersetzen.
So ward lange kein Entschluss gefasst; der Oberfeldherr gelangte
nicht zu demselben, so lange ihm noch freie Wahl dazu verblieb
und ihn der Feind noch nicht in eine Situation versetzt hatte, wo
Entschlüsse aus Verzweiflung reifen. Und will man, streifend an
Aberwitz, den Monarchen schuldig sprechen, der nicht verbot und
nicht befahl? Persönliche Veranlagung sowohl als Tradition wies
ihn in diese Rolle. Auch nicht darin an sich liegt ein ewiges
Gesetz des Krieges, dass der Monarch dem Feld-
herrn blind vertraue, und alles, was dieser wünscht.
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aus seiner Machtvollkommenheit wirksam und
lebendig mache; dass er sich den Anschauungen
des Feldherrn immer blindlings füge. Nicht im Prin-
cipe liegt das Recept zu erfolgreichem Thun, es kann nur in den
Personen, im Wissen und Wollen von Herrscher, Feldherr und
Heer zu finden sein. Sah man nicht zögernde, zagende Führer,
die ein Machtwort des Souveräns zum Siege brachte ? War
Eingreifen des Monarchen in die bessere Überzeugung des Feld-
herrn nicht auch schon vom Erfolge gekrönt? Wer die Kriegs-
geschichte kennt, außerhalb der letzten 30 Jahre, wird Beispiele
genug hievon finden. Nicht damit schlägt und ge-
winnt man Schlachten, dass Monarch und Feld-
herr vertrauend und gläubig zusammenstehen,
sondern mit dem Kriegssystem, das man eben
hat. Ist dieses ein ganz unzulängliches, wie hier, so wird
die höchste Eintracht von Monarch und Führer
nicht zum Siege führen, sowie dann, wenn das System
besondere Stärke hat, jene Eintracht den Erfolg erleichtern,
doch ohne diese Stärke niemals geben kann. Doch abgesehen von
dieser Erwägung, so ist wohl klar, dass diese Eintracht nicht be-
fohlen, nicht decretiert werden kann ; sie muss im Geiste der leiten-
den Personen liegen, und von selbst entstehen, wofür eine Anwei-
sung, wie es geschehen solle, wohl nicht zu finden ist. Entsteht
das gegenseitige Vertrauen nicht von selbst, so kann der Geist
der Zeit nur ein äußerliches Compromiss befehlen, das ohne Stärke
ist, weil es allein die Form betrifft. Wenn wir, fortbauend aul
den Erfahrungen aus neuerer Zeit, es zum Princip erheben, der
Monarch dürfe im Felde nichts als eine Art Executivorgan des
Feldherrn sein, und andere Feldherren als die einer neueren Zei:
in anderen Verhältnissen nicht den Weg zum Siege gehen, so
wird man in wenigen Decennien angeblich nicht
verstehen, wie sich ein Monarch trotz besserer
Erkenntnis zu solcher Rolle fügen gekonnt. Dann
wird man ebenso blind nach dem Erfolge richten, wie man es
heute thut. Nicht entfernt soll hier der Meinung Ausdruck ge-
geben werden, als müsse der Monarch selbstthätig sein, und die
Entschlüsse seiner Führer, bevor er sie zur That zu machen
befiehlt, vor dem eigenen Geiste überprüfen; denn wir sind weit
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entfernt davon, Recepte geben zu wollen. Nur zu zeigen streben
wir, wie so manches Axiom des Krieges, das heute als unbe-
stritten existiert, nur hervorgezogen wurde aus dem Erfolge einer
ganz besonderen Zeit, von der niemand sagen kann, ob sie
wiederkehren werde. Sah man einmal Fürst und Feldherr in auf-
fallender Weise zusammengehen, oder glaubt man wenig-
stens heute noch, dass dem so war, so ist das Urtheil
sogleich bei der Hand, um dies flugs zu einer ewigen Regel des
Krieges zu erheben und misst dem Princip an sich
Giltigkeit und Stärke bei. Stets wird es abhängig
sein von den Umständen der Zeit und den Menschen der Zeit.
Beide fabriciert man gleicherweise nicht, ja die Gegenwart vermag
sie gar nicht nach ihrem wahren Werte zu taxieren.
Es ist historisch erklärt, dass Friedrich Wilhelm III. nicht
urplötzlich zur Vorsehung und Allmacht emporgestiegen ist. Wohl
geben wir zu, es musste nicht so sein; es würde uns füglich nicht
unbegreiflich scheinen, wenn er es gethan ; wohl würden wir dies
verstehen; sowie uns das Gegentheil sehr verständlich ist: Er
nähme dann eben einen anderen Platz in der Geschichte ein.
Aber fordern kann man von ihm nicht im nachhinein, was viele
Decennien nach ihm erst zum System erhoben wurde. Man wird
uns wohl entgegnen, der Gedanke, um den es sich hier dreht,
sei ein sehr, sehr alter gewesen, und konnte vor Jena füglich
auch bekannt sein. Wohl, er mag bekannt gewesen sein; doch
herrschte er nicht vor; jede Zeit hat ihre Leitmotive,
die nicht allzu zahlreich sind; denn sie nimmt aus den Erfahrungen
des Krieges das hervor, was ihr für den Augenblick zu passen
scheint, und lässt das Übrige für eine andere Zeit vorerst bei
Seite liegen. So ist es in der That. Doch nicht zu viel dürfen
wir Speculieren. Der Umstand, warum Friedrich Wilhelm III.
eine so passive Rolle spielte, erklärt sich ganz einfach aus der
schiefen Stellung, in der er sich befand, da die Tradition verlangte,
er solle beim Heere sein, und er doch nicht Feldherr selber war,
sondern nur gerade soviel Scharfblick hatte, um manches zu
sehen, was offenbar nicht gut war. Dass ein Monarch, um den
Feldherrn nicht zu stören, sich zum Schweigen resigniert, wo
es seiner eigenen Macht und Herrlichkeit an Kopf und Kragen
geht, ist einfach undenkbar; das kann keine Methode und kein
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Geist der Zeit uns geben. Dies kann nur dann geschehen, wenn
der Monarch dem Feldherrn blindlings vertraut, und
nicht allzu scharfe Augen hat, um Gefahren zu sehen; verein-
bar ist dies nur mit ganz besonderen Eigenschaften in Fürst.
Feldherr und den Umständen der Zeit. Nur für diese kann es
vernünftig sein.
Ziehen wir die logischen Schlüsse aus der Betrachtung,
wie der fühlbar werdende Unterschied der Kriegsform, den man
nicht genug gewürdigt hatte, auf Entschluss und Thun in diesem
Kriege nach allen Seiten hin auflösend wirken musste, und wen-
den wir diese Schlüsse auf die Ereignisse des Krieges an. so
stellt es sich heraus , dass die kriegsgeschichtliche
Betrachtung hier unendlich vorsichtig und in-
dulgent sein muss, will sie vernünftig bleiben.
Die Theorie des Krieges verfügt über eine solche Masse
verschiedener Glaubenssätze, merklich und unmerklich nuancierter
Regeln, dass es dem einfachsten Geiste nicht schwer fallen kann.
auf die überlieferten Vorgänge des Krieges je nach Bedarf und
Wunsch eine derselben zu passen. Es scheint fast, als ob der-
jenige, der nichts als Kriegsgeschichte, eine trockene Relation
dessen, was geschah , gelesen hat, den Krieg eher verstehen
werde, als an der Hand und beeinflusst von der Theorie, deren
Handwerk, die Kritik, in Ansehung der überreichen Mittel, die
ihr zu Gebote stehen, ein wahrhaft leichtes ist.
Die deutsche Führung hat im großen Ganzen nichts ge-
than, als abgewartet, um zu erkennen, was zu thun sei.
Daher die Katastrophe von Saalfeld des Prinzen Louis Ferdinand,
der, beeinflusst von Hohenlohe, nicht warten wollte. Daher
der endliche Rückzug an's linke Saaleufer und die Versammlung
der Armee. Daher die Scheu, neuerdings und offensiv über die
Saale zu gehen, welche Scheu noch unterstützt und vermehrt
worden ist durch die kriegsconventionelle Anschauung des XVIII.
Jahrhunderts über die Passierbarkeit von Flussthälern und
Brückendefileen. Daher mit einem Wort das Mechanische der
Strategie bis zum Abende des 13. October. Diese Strategie hatte
bisher noch keine Todsünde begangen; nicht endigte sie in oflfen-
barer Aussicht zu unterliegen. Man hatte sich ja nur auf die
Defensive resigniert, die Clausewitz für die stärkere Form an-
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sieht, und welche Anschauung — wenigstens in taktischen Din-
gen — man heute, gestützt auf das Wort eines Feldherrn von
außerordentlicher Gestalt , gläubig wiederholt. Nochmals , die
Stellung, wie sie war, ist durchaus nicht so gewesen, dass man
sagen könnte, sie musste zum Verderben führen, — Daher der
Glaube, der Gegner müsse von Süden kommen, indem man ihm
die Kühnheit, an der eigenen Stellung vorbeizugehen, nicht zu-
getraut hat; eine ganze Reihe sachlicher Fehler hat , wie be-
kannt, dieser falsche Glaube erzeugt. — Daher das jähe Er-
schrecken im deutschen Hauptquartier, als man erfuhr, Napoleon
habe bereits umgangen. Ein charakteristisches Zeichen ist dieses
Erschrecken für den Krieg, den man eben kämpfte. Die deutsche
Kriegsform , die so vorwiegend auf das Manöver , auf die
Drohung, als ein Mittel zur Kriegsentscheidung rechnet, wird
starr vor Schrecken, als sie sieht oder zu sehen glaubt, der
Gegner wende die Drohung gegen sie selber an. Sie ist unendlich
empfindlich gegen Umgehungen, das lag im Geiste des XVIII.
Jahrhunderts und musste in ihm liegen; während sie sich zur
Anschauung „wer umgeht ist selbst umgangen" infolge der Un-
zulänglichkeit der eigenen Mittel nicht erhebt. Daher die Thei-
lung der Armee am 13., man wusste nicht mehr, wo ein und
aus. Alles, was vom 13. October an auf deutscher Seite ge-
schah, entzieht sich ganz und gar einer abfalligen Kritik. Denn
keiner von uns, die wir kritisieren, davon kann man wohl
durchdrungen sein, hätte die Fähigkeit gehabt, das Richtige zu
treffen. Nicht sagen, was zu geschehen hatte, wollen wir, es
ist genug an dem , zu sehen , was geschah und unterlassen
wurde. Und dann, der Entschluss war von Seite der deutschen
Heeresleitung, gemäß dem virtuellen Bilde, das man vom Gegner
hatte, nicht unbedingt zu tadeln; er bewegte sich im Geiste jener
Zeit. Erstaunlich viel und eifrig wurde noch gedacht, bis man
zu dem Entschlüsse des Abmarsches und der Deckung desselben
durch Hohenlohe kam; wir bitten, nachzulesen, was wir dort über
die Qualität des Entschlusses vom 13. gesagt; für eine Maßregel
der Verzweiflung war er noch auffallend wohl durchdacht.
Durchdacht mit dem Material an Nachrichten, die man eben
besass; sie waren falsch und mangelhaft und es ist bekannt,
warum dies war. Die strategischen Augen fehlten der preußi-
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sehen Armee. Ersichtlich ist, dass man der Führung Vorwürfe
strategischer Natur wohl nur dann wird machen können, wenn
sie ihre Mittel innerhalb der Anschauung ihrer
Zeit in einer Art verwendet hat, die unzweck-
mäßig war. Hier fehlten jene Mittel zum Theile ganz und gar.
Und in der Luft hängt jedes Raisonnement, das man an der Hand
der gegenwärtigen Strategie hier thut.
Wir sahen, wie Napoleon beständig die taktische Entscheidung
suchte. Wir nahmen wahr, wie die Heerführung Braunschweigs
sich endlich doch zur Energie erhob, Hohenlohe, der seinerseits
der Schlacht zustrebte, in die Defensive gleichfalls zu ziehen.
Diese Defensive schien nun keine schlechte gewesen zu sein.
Die Führung wich vorerst noch immer einem Kampfe aus.
Wir sahen, wie in den Gefechten, die vor dem 14. geschahen,
die Franzosen immer Sieger blieben und keineswegs durch Über-
legenheit an Zahl, sondern durch die Art zu kämpfen. Wir
fühlten im Getriebe und Gehaben des deutschen Heeres die Keime
der Entmuthigung, welche die Erfahrungen von Schleiz und Saal-
feld geweckt, bedenklich und gefährlich wachsen.
Die deutsche Führung theilt endlich ihre Kräfte, um Raum,
Zeit und Gelegenheit zum Rücktransport zu gewinnen.
Nun zwingt Napoleon am 14. October auf zwei verschiedenen
Schlachtfeldern zur taktischen Action, als sein Gegner, eben im
Begriffe sich dieser zu entziehen, auf dieselbe nicht vorbereitet
ist und an sie nicht glaubt.
Wir wissen, dass dort, wo Napoleon selbst angriff, die
Führung auf Gefechte gefasst war, Gefechte immerhin defensiver
Natur, mit dem Zwecke, zu erhalten, doch immerhin Gefechte,
wenn auch keine Hauptaction ; während bei Auerstädt ernster
Widerstand des Feindes nicht erwartet wurde, und man diesen
Widerstand im ersten Augenblicke auch nicht für ernst ansah.
Wir kennen das Zahlenverhältnis, die Localität und wissen,
dass eine Überraschung, ein Überfall, ein Anpacken im Marsche,
den Franzosen auf keinem Punkte gelang ; sondern dass sich erst
allmählich förmliche Schlachten entwickelten , Schlachten , die
anzunehmen gewissermaßen im freien Entschlüsse der preußi-
schen Führung lag. Mit einem Wort, es ist weder bei Jena, noch
bei Auerstädt zu sehen, dass der Stärkere den Schwächern einfach
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abthut, ob dieser wolle oder nicht. Denn da wie dort entschloss
sich die deutsche Führung selbst zum Kampfe.
Nur die Scholastik kann behaupten, dass der Umstand,
zum Schlagen genöthigt zu sein, an sich schon zur Niederlage
führen müsse; obwohl gerade heute durch die herrschende Doctrin,
man nehme niemals das Gesetz des Gegners an, der Boden für
jenen Glauben vorbereitet ist.
Man überschätze nicht den Begriff, der sich hinter der
Terminologie „Initiative, Vorhand'' birgt. Derselbe ist in der
Regel nichts als ein rück wirken der Refl e x vom
Erfolge, dem sich der Leser der Geschieh te nur
schwer entziehen kann; er i st didak tis ch, doch
kriegshistorisch ist er nicht. In der Regel ist die „Vorhand"
zur Action eine nichts und alles sagende sprachliche Figur, welche
der Kriegsschriftsteller aus dem verfügbaren Materiale compiliert
und, wohlgemerkt, dem didaktischen Zwecke zu Liebe, nur dem
Sieger zuschreibt. Dass sowohl Sieger wie Besiegter beide vor der
Entscheidung sowohl Vorhand als Nachhand zu haben glaubten,
und der eine enttäuscht, der andere wahrhaft überrascht wurde,
lässt sich mühelos an so manchem Beispiel des Krieges beweisen;
man denke an Scherer, den sein Sieg bei Loano geradezu perplex
gemacht hat, da er nichts weniger erwartete, als dass er siegen
werde; man denke an das Erstaunen des Marschalls d'Estrees als
er bei Hastenbeck erfuhr, dass er gesiegt. Für 1806 denke man an
die Fanfaronaden preußischer Generale, man denke an die Sieges-
zuversicht Braunschweigs sowohl als Hohenlohes in den einleiten-
den Phasen der Schlacht, die jeder schlug. Die Stimmungen, die der
Krieg erregt, wechseln sehr oft, und so schneidend contrastieren sie
in derselben Seele, dass ein billig denkender Betrachter zu dem
Schlüsse kommen muss, Hoffnung und Muth lo sigkeit
seien auf beiden Seiten in der Regel annähernd
gleich vertheilt; in der Regel, sagen wir, denn Ausnahmen
kommen vor ; doch sind dies Ausnahmen und in der Mehrzahl der
Fälle wird auf beiden Seiten dieselbe Fülle an Hoffen und Verzagen
nachzuweisen sein. Dies sagt uns eine kriegspsychologische Me-
thode, die aufrichtig mit sich selber ist und sehr wohl weiß, dass
man in die Kriegsgeschichte die schwarzen Punkte im Seelen-
leben des Siegers — didaktischen Zwecken zuliebe — nicht oft
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aufzunehmen pflegt. Nun, für jetzt, 1806, sind solche schwarze
Punkte moralischer Natur auf Napoleons Seite füglich nicht nach-
zuweisen. Jedoch, zu psychologisch werde die Betrachtung nicht:
bewegt der Geist den Krieg, so wurzelt er doch in dem Ma-
teriellen des Krieges und kommt aus demselben her. Der Glaube
Napoleons , er werde siegen, der umgab den Landgrafenberg in
der Nacht des 13./14. October nicht mit Wall und Graben gegen
den Gegner zu; zu naiv würde die Betrachtung werden, wollte
man dies zugestehen. Er rechnete sehr materiell auf die Artillerie,
die er heraufgebracht, auf die festen Truppen Lannes, auf die
Scheu der Preußen, in der Nacht zu kämpfen und noch vieles
andere mehr; man sieht, dass der Glaube Napoleons an den
Sieg vor allem aus der Überzeugung von der Güte seiner Mittel
floss, und nur durch sie bestand ; wir nehmen wahr, dass das,
was die Wissenschaft in Napoleons Thun , Initiative, Vorhand"
nennt, für diesmal, 1806, aus dem Glauben, seine Mittel
seien überlegene, floss. Die Vorhand ergibt sich
hier von selbst; sie ist beim Feldherrn eine Folge-
erscheinung des Vertrauens in sich und seine Mittel,
auf Erfahrung und Realitäten basiert, doch ein
Motiv, das ist sie nicht; man kann sienichtum
ihretwillen befehlen; ohneGefühl der Überlegen-
heit ist sie nichts und kann sie nicht bestehen. In
der Regel, muss hier natürlich eingeschaltet werden ; denn es
gab Fälle, wo die Initiative um ihretwillen da war, ohne Rück-
sicht auf die Mittel, gleichsam instinctiv; sie ist mitunter Aus-
fluss des Gemüths der Feldherren und nicht Product des Calcüls;
sie garantiert nicht den Sieg und muss nicht vor der Niederlage
schützen ; denn die werden durch die Mittel herbeigeführt
Mollwitz, Solferino (nach der bisherigen Kenntnis) ; — Austerlitz
(Alexander) , Champeaubert, Montmirail-Etoges — sind sehr be-
lehrende Beispiele hiefür. Hier, 1806, bestand sie durch den
Glauben an die Mittel. Die taktische Action wird von Napoleon
in einer Weise eingeleitet, die — rein militärisch betrachtet —
verurtheilt werden muss ; denn sie erscheint ganz einfach tollkühn,
sie ist auch in der That nicht nachzuahmen ; aber verstehen
muss die Kriegsgeschichte auch das Außerordentlichste, damit sie
dem Adepten zeigen kann, wohin er unter gewissen Bedingungen
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gehen darf und soll. Die auffallende innere Stärke von Napoleons
Mitteln gestattete ihm hier ein Experiment, wie er es am 13.
abends wagte, oder vielmehr nicht wagte, sondern wohlberechnend
unternahm.
Nachdem wir so das geistige Fluidum „Vorhand" im Kriege
— denn ein geistiges ist es doch wohl — in Napoleon genügend
festgestellt, verlangt die Geschichte, wie sie einmal mit ihren That-
sachen unverrückbar feststeht, das Gleiche auf Seite des Gegners,
nur mit dem andern Motiv, der „Nachhand" zu thun. Nicht leicht
wird dies sein; denn allzu nahe liegt es, dass sich die Erwägung
in reiner Moral verliert, oder an dem Materiellen des Krieges un-
fruchtbar kleben bleibt, wenn man concret sein will. Bei Hohen-
lohe wird die Nachhand wohl nichts gewesen sein, als der Be-
fehl, den er erhielt, dem Kampfe auszuweichen. Er, der Fürst,
seine Seele, seine Individualität waren mit dem Streben nach der
Vorhand im Kriege, nach Initiative, Activität wahrhaft überfüllt,
wie es sein strategisches Thun schon früher und sein taktisches
am 14. bewies. Er, für seine Person, dies stellt sich aus der
Correspondenz mit dem Hauptquartiere heraus, fühlte sich nicht
bedroht; nichts lag im Blicke dieses Feldherrn, das an die gar
oft romanhafte und doch so oft geglaubte Vorahnung des Un-
glückes im Kriege gemahnt. Wir müssen, wenn wir das, was
ihm an Vorhand fehlen konnte, finden wollen, auf Realitäten
gehen. Nun denn: Der Fürst war mit sich selbst in Wider-
spruch gerathen, in eine wahre Coilision von Wunsch und
Pflicht, von Entsagung und Begehren. Es leuchtet ein, wie
verderblich es werden kann, wenn eine Natur wie diese, nach-
dem sie heute nach dem Befehl — in unserem Falle die Defen-
sive — verfuhr, morgen, der Eingebung des Augenblickes folgend,
geradezu das Gegentheil von dem beginnt , worauf sie vorbe-
reitet war. Wir wissen aus der Darstellung der Ereignisse, dass
dies hier der Fall gewesen ist, und erklärt worden ist, dass
der Entschluss des Fürsten, offensiv zu werden, sehr verständ-
lich scheint. Inconsequenz und zweckbewusstes
Ändern derEntschlüsse und durch sie des Thuns
Hießen in dem Geiste desjenigen, der vor dem
Entschlüsse steht, so eng zusammen, dass er
wahrhaftig nicht erkennen kann, wo die Grenze
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liegt;*) wozu von beiden er gelangen wird, das kann nur
der Erfolg darthun, den er jetzt, vor dem Entschlüsse ja
noch gar nicht kennt. Ein kräftiger Entschluss sei das Höchste
im Kriege, sagt man uns! Nun wohl, an hunderten von Bei-
spielen weist man leichtlich nach, wieder kräftigste Ent-
schluss zum Verderben führte; nicht die Art, wie
wir zu unserm Thun gelangen, nicht der Weg
des Wollens und Erkennens, der zur That uns
führt, wirkt im Kriege auf den Gegner, sondern
diese selbst, und oft ist die Frage , wie sie entstanden
sei, praktisch ohne Belang;**) deutlicher; ein Entschluss, unter
Zögern , wider Willen , zagend gefasst, der den Truppen Ge-
legenheit gewährt, vortheilhaft zu kämpfen, wirkt, wo der un-
richtige, um jeden Preis kräftige Entschluss, wenn er die Mittel
übel ansetzt, wirkungslos und verderblich bleiben kann. Dass der
Entschluss kräftig sein müsse, ist ein vages Wort, das ebenso
wenig besagt, als dass er wohlerwogen oder aber, dass er ver-
nünftig sei; alle diese Abstractionen, sobald sie didaktisch sind,
verwirren nur, wenn sie nicht ganz dem praktischen Zwecke
versagen. Demjenigen, der vor einem Entschlüsse steht, glei-
chen Inconsequenz — ein Schreckbild — und
zweckb e wusste Modification — eine Verlockung
— beide auf ein Haar; wer den Krieg erlebt hat, wird dies
verstehen, und wer ihn einmal erleben wird, wird zugestehen,
dass hier an dieser Stelle die Wahrheit gesagt ist über den
Entschluss im Kriege. Bedenken wir diese Wahrheit, so kann
man füglich aus der Lage des Fürsten keine andere Lehre
ziehen, als die wohlbekannte alte Lehre, ein Feldherr könne
•) Wie beispielsweise der arme Grouchy am 17. Juni 1815. Siehe den hochdramati-
sehen Bericht hierüber in Charras, Hisioire de la campagiie de 1815, 348.
•*) Der Leser wird finden, wir gingen hier zu weit; wohlan, man lese einmal nach in
der Kriegsgeschichte, wie es sich mit dem kräftigen Entschlüsse und dessen Gegentheil ver-
hält! Man lese beispielsweise, wie Eugen und Marlborough zum Entschluss der Schlacht
von Audenarde gediehen: während Marlborough verzagte, riss Eugen ihn fort! Feldzüge des
Prinzen Eugen von Savoyen (Geschichte der Kämpfe Österreichs), X, 330 ff. Man lese, um
eine uns näherliegende Zeit zu betrachten, in einer der Chroniken der Freiheitskriege nach,
wie die siegreichen Feldherren, und zwar Blücher, Bülow, ihre Entschltlsse fasstenl Und
welches Schwanken und welches Zagen und welche »Fehler" am Morgen von Katzbach und
Dennewitz stattgefunden haben! Förster, Preußens Helden, V, (Befreiungskriege), 662 ft.
Sporschil, Freiheitskriege, II, 199 iT. einstweilen als Belege; denn wir gedenken, falls es die
Umstände erlauben, ein andermal über den Entschluss im Kriege und umfassend zu
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niemals zu argwöhnisch sein, wenn es nicht viele Lagen wieder
gäbe, die das gerade Gegentheil beweisen und äußerst laut er-
heischen. Nochmals, den Krieg so zu schreiben, wie er wirklich
ist, scheint unendlich schwer. Es gibt keinen, aber auch gar
keinen Satz, den die Kriegstheorie aufstellt, — und sei er noch
so allgemein gehalten — der nicht an der Hand eines oder
mehrerer Beispiele des Krieges widerlegt zu werden vermag. Bei
allen Schlüssen, die unter der Feder des Kriegsschriftstellers ent-
stehen , sollte er stets und immer hinzufügen „im allgemeinen,
gewöhnlich, in der Regel ist es so". Um nur das Nächste aufzu-
greifen, wohin wäre Davout gekommen, wenn er bei Auerstädt
argwöhnisch verfuhr.' Doch nehmen wir den Satz und dessen
Tendenz als richtig und ersprießlich an, so muss zugegeben
werden, dass man einem Feldherrn Argwohn, Bedächtigkeit füg-
lich nicht lehren kann. Manche Individualität glaubt noch vor-
sichtig zu handeln, wenn andere meinen überkühn zu sein. Hohen-
lohe gewann eben in den Morgenstunden des 14. die Anschauung,
bei einem Angriffe wage er füglich nicht viel und so griff er an;
denn um die Schlacht zu verlieren begann er sie wohl nicht.
Es läge also der Grund, weshalb Jena für Preußen eine verlorene
Schlacht gewesen ist, vornehmlich in des Fürsten Charakter,
wäre somit accidentiell; denn wo stand im Buche des
Schicksals geschrieben, Hohenlohe müsse am 14.
hier Feldherr sein? Die Geschichte zögert nicht, obiges
anzunehmen und in einem Athem ruft sie aus, bei
Jena verlor de rDraufgänger die Schlacht, während
bei Auerstädt die Vorsicht unterlag. Sehr billig ist ein
solches Urtheil nicht. Es scheint, was schwerer wiegt, — wir sagen
reden. Das eine wird man indess hier schon zugestehen: der Besiegte sieht die leisen
Schwankungen, die ihn vor dem ungltlcklichen Entschlüsse bewegten, von der Geschichte
als Langsamkeit und Schwäche des Entschlusses aufgefasst. Von ganz demselben Seelen-
vorgange im Sieger spricht die Geschichte nicht, oder sie sagt, er überlegte reiflich. Der
Sieger, der sich rasch entschloss, wird angestaunt, und dem Besiegten, der schnell und
kräftig mit sich in's Reine kam, dem wirft man Halsstarrigkeit und Mangel an Einsicht vor,
^ie etwa Napoleon für seinen bewundernswerten Entschluss am Abende des 18. Juni 1815!
l&t dem nicht so?
Und dann — jede Zeit, und die Wissenschaft jeder Zeit hat ihre Leitmotive und
Terminologien. Heute herrscht in Hinsicht des Entschlusses der Wunsch und der Gedanke
vor, derselbe möge rasch und kräftig sein, während in der Zeit vor Jena — man Über-
züge sich hievon — die Wissenschaft vor allem darauf hielt, dass derselbe wohler-
^•ogen sei.
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es mit voller Überzeugung — nicht logisch geschlossen , nicht
richtig zu sein. Die Wahrheit ist ganz einfach die: War das
preußische Heerj enerTage dem Gegner nicht an
Zahl erdrückend über legen, wie Peter etwa bei
Pult a wa wa r,*) so führte es Elan so wenig als
Zögern und Vorsicht zum Siege. Wohl scheint die Indi-
vidualität des Führers auf die Entscheidungen des Krieges von
höchstem Einflüsse zu sein ; doch hier setzt eine Gedankenreihe
an, die nicht genügsam unterbrochen werden darf. Nicht die
Individualität des Führers bringt allein die Entscheidung, sondern
vereint mit dem Thun der Mittel ; je gleichartiger die beider-
seitigen Mittel sind, mit einem Worte, je conventioneller der
Krieg augenblicklich ist, desto mehr wird hinter der
Gleichheit der Mittel die Individualität des Feld-
herrn sichtbar und durch sie wirksam sein. Je un-
gleichartiger jedoch die Mittel sind, je mehr die einen den andern
als überlegen angesehen werden müssen, desto mehr liegt
die Entscheidung des Kampfes eben bei den Mitteln
und dieses Verhältnis kann sich soweit verschieben, dass
keine Individualität des Führers die Ungleichheit
der Mittel ausgleichen kann, das heißt, in ihnen
merkbar wirksam werde; ein grobes Beispiel, damit man
sich verstehe: Wird die Individualität eines Zuluhäuptlings, der
gegen eine britische Truppe in den Kampf tritt, irgend wirksam
sein? Wird Initiative, Energie des Häuptlings irgend etwas auf
die Seele seiner Leute vermögen, gegenüber dem europäischen
Gewehr ! Entschieden nein. Aber die Individualität eines euro-
päischen Führers, der mit etwa gleichen Waffen und mit etwa
gleicher Kampfesart der britischen Truppe entgegengeht, die wird
hervortreten, und kann entscheidend sein. Es gibt eine Un-
gleichheit der Kriegsmittel, die durch nichts aus-
zugleichen ist, nicht einmal durch die Indivi-
dualität eines gottbegnadeten Führers. Viel wiegt
im Kriege, die Seele des Feldherrn, aber man vergesse über dem
Feldherrn seine Mittel nicht. Nur insofern als sich der Geist des
•) Joh. B. Schels gibt (Schlacht von Pultawa, Wien, 1842, 12 £f.) das Verhältnis der
Russen zu den Schweden wie 3 : 1, während es sich bei „Sarauw, FeldzQge Karls XII."
270, wie 4 : 1 stellt.
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Führers in dem Thun der Truppen ganz und gar manifestiert,
dieses Thun Fleisch und Blut von seinem Geiste ist; wenn
der Kampf der Truppen völlig den Absichten der Führung ent-
spricht, sich mit ihnen deckt; wenn der Wille der Führung sich
bis in die Seele jedes Füsiliers ganz und voll erstreckt, dann
kann man sagen, der Löwenantheil der Entscheidung lag beim
Führer. Ein solches Harmonieren, innerhalb der Grenze, welche
durch die Wirklichkeit gezogen ist, kommt äußerst selten vor
und wo es vorkommt, ist es ein Product gegenseitigen Ver-
trauens, in gemeinsamen Erfolgen erprobt; indess es kommt
niemals vollkommen vor. Wenn Truppen und Führer sich in
dieser Weise nahestehen, dann kann man wahrhaft im Erfolge ein
Verdienst des Führers und sein Verschulden in der Niederlage sehen ;
er hat das Werkzeug, das ihm willig und völlig gehorchte, gut
oder übel geführt. Wenn und wo dies nicht der Fall gewesen
ist — und es ist fast nie der Fall gewesen — da zwingt Nach-
denken zu dem Schlüsse, dass Verdienst und Schuld
gewissermaßen getrennt und auf beiden Seiten
liegen; entweder die Truppen corrigieren durch ihr Thun rein
militärische Fehler, die der Führer begeht, oder sie brechen unter
diesen Fehlern zusammen. Dies wieder soll kein Schema sein,
sondern nur Extreme, zwischen denen die Wirklichkeit in tausend
Nuancen abgetönt erscheint. Man könnte wahrhaft Bände mit
der Betrachtung füllen : dass das Kriegswerkzeug der
Absicht des Feldher rn fast niemals soentspricht
und entsprechen kann, wie jener es erwartete.
Ersichtlich ist, dass nur die Analyse, wie Verdienst und Schuld
in Führer und Truppen vertheilt war, zu einem billigen Ur-
iheile führen kann. Oft, fast stets, wir sagen es mit Überzeugung,
klammert sich das Urtheil vorwiegend an die Führung und hält
sich nur an diese, ja, hält dies für wissenschaftlich, correct, exact,
genau ; nichts kann ungenauer sein ; der complicierte, schwan-
kende, wechselvolle Charakter, den der Krieg trägt und immer
tragen wird, der muss in seinem geschichtlichen Abbilde klar er-
kennbar sein. Wir wollen somit, absehend von der Wissenschaft,
für 1806 ganz naiv die Grenze aufzufinden suchen, wo die Schuld
der Führung in die Schuld der Mittel überzugehen begann. Doch
wird dies erst nach endgiltiger Betrachtung der Schlachten mög-
(:. von B.-K. Zur Psychologie des großen Krieges II. 21
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lieh sein. Hier sei, um Hohenlohes „Nachhand" festzustellen, aber-
mals gesagt: Der Fürst befand sich in einem inneren Wider-
spruche, indem ihm Passivität befohlen, und er selbst zum An-
griffe geneigt war; seine Truppen, wahrlich von denen kann man
sagen, dass sie zur Vorhand nicht geneigt gewesen sind, nach
allem, was bisher geschehen war. Doch was ist die Stim-
mung der Truppen als solche? Manches Regiment, das im
Biwak entmuthigt murrte , benahm sich brav , als es zum
Kampfe ging. Wechselnder als die Seele der Armeen ist auch
die öffentliche Meinung nicht. Und dann, wo ist der Führer.
der sich bloß durch Rücksicht auf die Stimmung der Truppen,
sobald sie noch geschlossen, geordnet, brauchbar zum Kampfe
sind, von einem solchen, den er für aussichtsvoll ansieht, abhalten
lassen wird? Man überschätze auch die truppenseelischen Mo-
mente nicht; denn flüchtig können sie zuweilen sein, wie eitel
Wind. In unserem Falle hier wird ein anderes Raisonnemeni
wohl mehr am Platze sein. Entsprach das Materielle der Truppen,
über die Hohenlohe gebot, besser der ihm befohlenen Veilheidi-
gung, oder dem Angriff, den er wünschte ? Waren sie mehr zu
jener oder zu diesem materiell geeignet und local bereit? Befand sich
der Fürst dann, wenn er sich zum Angriffe entschied, im Wider-
spruch mit seinen Mitteln, von denen er mehr begehrte, als sie zu
leisten fähig waren, und konnte er dies irgend vorher wissen ? Hier
wird die Betrachtung des so unendlich wichtigen Zustandes von
Feldherr und Armee vor der Entscheidung unendlich compliciert und
nur mit Mühe bannt man die Fülle an Erwägung in eine räum-
lich angemessene Form. Es ist bekannt, dass Hohenlohe der
Oflfensivkraft seiner Truppen sehr vertraute , ja in ihr das tak-
tische Compensationsmittel strategischer Missgriflfe sah ; noch am
Abende des 13. October beherrschte und vielleicht mehr als je
den Fürsten der Gedanke, im Angriff sei der Preuße unerreicht.
Wir begreifen sofort, wie er die Idee, aus seiner gezwungenen
strategischen Defensive gelegentlich einen offensiven Schlag her-
auszuthun, in sich verborgen weitertrug. Wir nehmen ur-
plötzlich beim Fürsten die Vorhand hinter der
scheinbaren Passivität, den Hintergedanken unter
erzwungener Unthätigkeit wahr. Mit einem raschen
Griffe ist der Fürst gerichtet, wenn man darauf verweist, seine
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Truppen seien 24 Stunden später im Angriff unterlegen, er habe
geirrt, sich über ihre Offensivkraft getäuscht. Doch wer von uns
wird glauben, in ähnlicher Lage kalten Blutes den Gedanken an
das einzige Rettungsmittel, das noch verblieb, aufgeben zu können,
in unserem Falle die taktische Offensive ? Man erkenne vorur-
theilslos, dass es Dinge im Kriege gibt, über die einzig und allein
der Versuch, die Probe, das Wagnis, mit einem Worte der Erfolg
das Urtheil sprechen kann ; dass es Principien gibt, deren Wert-
bestimmung nicht im vorhinein aus der Erwägung, sondern
im nachhinein vom Schlachtfelde geholt sein will, aus zahllosen
Gründen. Wer wollte sich vermessen zu verlangen, Hohenlohe
hätte, weil er genöthigt war, strategisch defensiv zu verfahren,
jeden Versuch grundsätzlich von sich weisen sollen, die in der
preußischen Armee großgezogene taktische Offensive dann, wenn
sie ihm günstig schien, endlich zu versuchen? Günstig erschien
dem Fürsten die Gelegenheit, als er zum Angriff schritt, nicht
wusste er, dass sie ungünstig war. Wahrlich, man versteht
Hohenlohe völlig, ja wohl, ganz und gar, und desto völliger ver-
steht man ihn, je mehr man den Krieg und seine Bedürfnisse
selbst versteht. Wir sahen, wie er die Vorhand noch immer auf
seiner Seite zu haben glaubte; es stellt sich nun heraus, warum ;
am Tage liegt, dass dieses warum erklärlich und verständlich ist.
Von der Vorhand der Hauptarmee sprechen wir füglich
nicht; denn nur an Abmarsch dachte sie, und nur ein Mittel
zum Abmarsch schien ihr zunächst der Kampf zu sein, den sie
mit Davout begann.
Wir sahen, wie bei Napoleon die Vorhand materiell zur
That ward durch sein Verfahren in der Nacht des 13./ 14. October.
Wir sahen, wie dieselbe bei Hohenlohe gleichsam in Bereitschaft
blieb, während sie, wie aus der Darstellung bekannt, in der Auf-
stellung und Bestimmung seiner Truppen nicht wohl zum Aus-
dnick kam. Diese befanden sich eben in einer Art von Provi-
sorium, aus welchem sie der Wille des Feldherrn zum Angriffe
und zur Abwehr gleicherweise rufen konnte, während sie doch
— nach unserer heutigen Kenntnis — für beides gleich wenig vor-
bereitet waren. Gleichwohl legen wir Gewicht darauf: Auch
Hohenlohe glaubte die Vorhand zu haben; wie
es denn überhaupt den Anschein hat, als ob die Vorhand im
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Feldherrn fast stets so lange vorhielte, bis sein Heer auf regel-
loser Flucht begriffen ist. Man denke nur an Mack und an
seine felsenfeste Überzeugung, er handle initiativ !*) So sehen
wir, wie mit der Terminologie „Vor- und Nachhand* für die
Praxis, die zukünftige Praxis des Krieges wahrhaftig nichts ge-
sagt ist. Denn kein Feldherr, von dem man nachmals sagte,
ihm gab der Gegner das Gesetz, hat dazumal daran ge-
glaubt, er empfange es; wäre dem so, so wäre das
Kriegführen leicht Stillschweigende Vorbehalte hat auch Gyulai
in der Lomellina gemacht und meinte sie ernst und glaubte an
sie. Und in der That, nicht die Nachhand ist es,
die einenFeldherrn in's Verderben führ t, sondern
der Umstand, dass er eben weniger Vorhand als
der Gegner besitzt, weil er beide nicht im Kriege
vergleichend nebeneinander stellen kann, da ihm
die des Gegners fehlt. Hierin liegt, soweit die Abstrac-
tion überhaupt lebensfähig ist, Philosophie des Krieges; wohl ist
sie, bis zur Einfalt fast, aufrichtig mit sich selbst; allein, es
scheint, als ob sie geeignet sei, zu erklären.
Doch zu Concreterem. Die taktische Entscheidung ist nun
endlich da. Wir wissen sattsam, dass Napoleon diese gesucht
hat, bewusst seiner Stärke, wie er war. Wir sehen, wie über-
liefert ist, dass die deutschen Führer im Augenblicke, da ihnen
die Schlacht aufgezwungen wird, plötzlich wieder Hoffnung fassen.
Jene siegesfrohe Stimmung des greisen Herzogs vor Hassen-
hausen, sowie jene Hohenlohes vor Vierzehnheiligen, wollen wir
die, souverän herniedersehend auf die beiden Männer, für den
Ausdruck der zweckbewussten Heuchelei, des Galgenhumors
oder aber der wahren Überzeugung halten.? Genug, feststeht,
dass unter dem Donner der Kanonen Feldherr und Armee sich
wieder fanden ; es steht fest, dass die Truppen willig zum Angriffe
schritten ; dass die Führer aller Grade befriedigt waren, als man
sah, es komme nun doch noch zur taktischen Action. Das alte
Preußen Friedrichs erwachte für einen Augenblick und erinnerte
sich, dass es Aug' im Auge mit dem Gegner fast stets im Vor-
theil blieb. Alles hielt dafür, die taktische Action werde für die
*) „Ulm und Austerlitz" von Moritz v. Angeli. Mitth. des Kriegsarchivs 1877, kann
geradezu als ein Stück hoher Schule für Tnippenführer angesehen werden.
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bisherigen Fehler der Strategie entschädigen; man fühlte den
Boden wieder unter sich, auf welchem man stärker zu sein
glaubte.
Wir constatieren dies aus dem Quellenmaterial, um noch
einmal zu zeigen, es sei kein ewiges Gesetz des Krieges, dass
die Nachhand, einem Kriegsheer aufgezwungen, Böses fortzeugen
müsse, und somit bis auf das Schlachtfeld wirksam sei. Wohl
ist wahr, dass keine der beiden deutschen Armeen mit der Ab-
sicht in den Kampf getreten ist, eine entscheidende Schlacht zu
schlagen, und dass von einer Zahlüberlegenheit nirgends etwas
bekannt war. Dennoch kann diese relative Bereitwilligkeit von
Führer und Truppen zum Kampfe nicht genug gewürdigt werden ;
denn kommen konnte sie bis zu einem gewissen Grade nur aus
dem Glauben, dass man im Gefechte stärker sei. Und wenn
man uns erinnert, dass die preußische Strategie, wie wir es
bisher stets behaupteten, die Schlacht vermeiden wollte; und
uns somit des Widerspruches mit uns selber zeiht, so ant-
worten wir nur, dass derjenige, der das menschliche Herz
versteht, auch seine Widersprüche kennt, Wider-
sprüche, die der Krieg in Masse erregt und die
sehr erklärlich sind; hatte die unsichtbare Ge-
fahr bisher zum Zögern geführt, so ermannte man
sich, als sie sichtbar wurde! Das freudige Ein-
gehen auf den Kampf zeigt uns keinen Wechsel
des Systems in der deutschenKriegspraktik, son-
dern im Grunde nichts, als die Befriedigung, die
man empfand, als man sah, der Gegner nehme
auf seine Schultern die Sorge und Gefahr, zur
taktischen Action zu kommen, und zwar, wie es
der Führung augenblicklich schien, unter un-
günstigen Bedingungen für ihn.
Wir haben bereits über die Mechanik beider Schlachten
gesprochen. Wir kamen zu dem Schlüsse, dass bei Jena Hohen-
lohe unterliegen musste, weil ihn falsche Nachrichten des Haupt-
quartiers über den Gegner zu unrichtiger Vertheilung der Kräfte
brachten; und dass bei Auerstädt der Sansculottismus des
Corps Davout den Sieg davongetragen hat über das ökonomische
Verfahren der preußischen Generale, nachdem der Herzog ver-
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wandet worden war. Wir fanden zwei verschiedene Motive,
warum Preußen an beiden Orten unterlag, und dass diese Motive
vermeidlich waren, mithin sozusagen zufällige Ereig-
nisse die Entscheidung gegeben haben sollen, erscheint und muss
uns jetzt unwahrscheinlich erscheinen, da nicht zugegeben werden
kann, das Glück verbünde sich im Kriege ausschließlich dem
Sieger und verlasse ganz den, dem es die Niederlage bestimmt.
Je näher eine Kriegsepoche ist, desto mehr hält man in den
Entscheidungen dieser Epoche das Glück für ein Agens im
Kriege, und nur sehr allmählich führt Erkennen dahin, die ehedem
nicht sichtbaren Ursachen beständig gleicher Wirkungen an's
Tageslicht zu ziehen.
Immer uns erinnernd, dass
Napoleon die taktische Action von Haus aus suchte;
die deutsche Führung vor derselben zögerte und schwankte,
um sie endlich doch freudig anzunehmen, als sie unvermeidlich war,
fassen wir das Wahrgenommene zusammen.
In beiden Schlachten tritt neben und außer den Nach-
wirkungen der Strategie in der taktischen Action,
den Principien Offensive-Defensive,
der Individualität der Führer,
dem Verhältnisse an Zahl,
dem Gefechtszwecke,
dem Geist der Truppen,
und vielfach unabhängig, in seinen Wirkungen gleichsam losge-
löst davon, mächtig hervor
der Unterschied der Kampfform
beider Armeen.
Man muss hier unerbittlich sein.
Bei Jena garantierte die einleitende Strategie Preußen eine
Niederlage; bei Auerstädt war's umgekehrt.
Bei Jena glaubte Hohenlohe den Gegner schwächer, als
er thatsächlich war, bei Auerstädt überschätzte die deutsche
Führung denselben.
Bei Jena überging Preußen aus der Vertheidigung zum An-
griff, bei Auerstädt griff es an und ward dann defensiv.
Bei Jena wiegt vor der Elan in der Person des Fürsten, bei
Auerstädt die Vorsicht und Ökonomie.
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Bei Jena steht Preußen zu Frankreich, wie 1 : 2, bei Auer-
städt ist's umgekehrt.
Bei Jena soll geliefert werden und wird geliefert ein Arriere-
gardegefecht, bei Auerstädt ein Durchbruch nach vorn.
Bei Jena sowohl als Auerstädt bewährte sich der Geist der
Truppen gut, bis mit dem ersten Schritt zum Rückzug eine förm-
liche Panik begann.
Dies ist der, beiden so verschiedenen Schlachten
gemeinsame Zug:
Bei Jena befindet sich Napoleon infolge seiner Strategie in
einer Lage, die ganz besondere Festigkeit der Truppen heischte,
wollte er die zur taktischen Entscheidung nothwendige Überzahl
anstandslos zur Stelle schaffen ; bei Auerstädt Davout desgleichen.
Bei Jena weiß Napoleon nicht, was ihm gegenübersteht, bei
Auerstädt Davout desgleichen.
Bei Jena greift Napoleon von allem Anfang an ; bei Auer-
städt Davout vor und nach dem Höhepunkte des Gefechtes des-
gleichen.
Napoleon trägt bei Jena die Maske, die wir kennen. Davouts
Individualität tritt, da er in Napoleons strenger Schule gebildet
war, nicht viel anders hervor, als in der Richtung, auf
die der napoleonische Krieg eben wies, nämlich
Initiative, ja Sanscuiottismus im Gefechte.
Das Zahlenverhältnis ist bekannt.
Der Geist der Truppen ist, soweit sich dies erkennen lässt,
hier wie dort so ziemlich der gleiche gewesen.
Dies ist ein Schema ; obwohl es ein solches ist. so glauben
wir dennoch, es liege der Geist des Krieges von 1806 darin.
Man wird zugeben, dass es — soweit dies in der Kürze mög-
lich ist — den Kern der Sache, das heißt die kriegshistorischen
Thatsachen getreulich wiedergibt.
Es gilt nun zu erklären.
Zum allergrößten Theile ist dies bereits geschehen.
So gilt es, die letzten Striche an dem Gemälde zu thun.
Wenn wir vorurtheilslosen Blickes aus den eigenthümlich
verwickelten Verhältnissen, denen wir hier begegnen, die, beiden
Schlachten gemeinsamen Züge loszulösen suchen , so stellt
es sich heraus, dass sie nur einen gemeinsam tragen, somit
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logischerweise nur dieser eine als Urgrund der Entscheidung
angesehen werden kann : die im Principe gleiche Art, wie man
dort und hier gekämpft hat, und ganz besonders der elementare
Kampf. Der Unterschied der Taktik, der ragt als einziges ge-
meinsames Symptom aus den auffallenden Gegensätzen hervor,
welche beide Schlachten in ihrer Vorbereitung und in ihrer
Führung im Großen weisen. In der That, wir müssen sagen :
führte die strategische Vorgeschichte von Jena zum Verderben für
das deutsche Heer, so gelangte es bei Auerstädt trotz guter stra-
tegischer Vorbereitung der Schlacht zum gleichen Resultate; un-
terlag Preußen da wie dort, weil es nichts vom Gegner wusste,
so siegte jener, trotzdem er sich in gleicher Unkenntnis be-
fand; also liegt die Ursache wohl tiefer; nicht Offensive oder
Defensive, die in beiden Schlachten seltsam vermischt erscheinen,
führten — insofern sie Principien waren — den Ausgang her-
bei, sondern Frankreich siegte und Preußen unterlag mit und
in denselben Principien; die Ursache muss eine andere
sein ; nicht weil Hohenlohe ein Draufgänger und der König ein
Cunctator war, unterlag ein jeder, sondern trotzdem sie ver-
schiedenen Sinnes waren ; die Ursache muss außerhalb der Per-
sonen zu suchen sein ; nicht weil Preußen bei Jena schwächer
war, unterlag es hier, denn läge die Entscheidung bei der Zahl,
so musste es bei Hassenhausen siegen; der Urgrund muss
auch hier ein tieferer sein; nicht weil man nach Norden
durchzubrechen willens war, unterlag man bei Auerstädt, während
man bei Jena auch geschlagen wurde, wo man abzuwehren sich
entschloss ; die Gründe müssen innerliche, wesentlichere gewesen
sein. Und endlich, wir schreiben es der alten preußischen Armee
zu ihrem Ruhm und Preis, aus vollster Überzeugung, nicht von
irgend einer Tendenz geleitet, sondern der Wahrheit wegen, die
zum Erkennen der Natur des Krieges führt, nicht darf die Nieder-
lage dem Mangel an Kriegsmoral der Truppen zugeschrieben
werden, sondern sie unterlagen eben trotz ihrer Kriegsmoral.
Wir verzichten hier, um die logische Geschlossenheit der
Erwägung zu bewahren, auf die weitere Ausführung aller dieser
Details, die ein ganzes Buch erfordern würde. Es liegt
am Tage, dass, wo in denselben Stunden nur
wenige Meilen von einander entfernt zwei Kriegs-
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beere des einen Theiles von zwei Kriegsheeren
des andern so völlig besiegt werden, wie es hier
geschah, man bis zum Äußersten gehen muss, um
darzuthun, dass nicht zufällige, von den augen-
blicklichen Abwandlungen der kriegerischen
Lage erzeugte Umstände entscheidend gewesen
sind, sondern dass die Gründe tiefer liegen müssen,
dass sie seit ge räum er Zeit scho n in den Mitteln
des Krieges gelebt.
Mit einem Wort, wir glauben — obwohl wir sicher sind,
damit auf Widerspruch zu stoßen — dass nicht die Strategie,
nicht die Ungewissheit der Gegner über einander, nicht das
Princip Angriff oder Vertheidigung, nicht die Individualität der
Führer, nicht die Zahl auf beiden Seiten, nicht die Tendenz
des Kampfes — jedes einzeln oder alle vereint vorwiegend als Er-
klärungen für den Ausgang heranzuziehen sind, indem leichtlich
wahrzunehmen ist, dass Preußen, wenn es in diesen Dingen
hier im Nachtheil war , doch dort den Vortheil hatte , sowie
Napoleon seinerseits auf günstige und Davout auf fast aussichts-
lose Vorbedingungen des Kampfes traf Rein militärisch ange-
sehen gleicht sich Gunst und Ungunst des — Kriegsglückes, sagen
wir, um irgend etwas zu sagen — am 14. October morgens auf
beiden Seiten aus. Und da wir wahrnehmen, dass Preußen
trotzdem so völlig unterlag, so bleibt nur anzunehmen, dass
es wohl zu einer anderen Zeit, an einem anderen
Orte, unter anderen Verhältnissen gleicherweise
unterlegen wäre, solange seine Kriegsform und
seine Kriegsmittel dieselben blieben, welche am
14. vernichtet worden sind.
Denn diese Mittel und diese Formen versagten überall, unge-
achtet der Art, wie man sie verwandte, durch Minderzahl
und trotz Überlegenheit, kurz, in allen Fällen und in jedem
Stücke.
So culminirt — unbeschadet der Wahrnehmungen von Stärke
und Schwäche in kriegspolitischer, strategischer, kriegspsycho-
logischer Hinsicht, die wir vor dem 14. October gemacht — die
Entscheidung dieses Krieges vornehmlich, nicht ausschließlich, wir
wissen es wohl, doch vornehmlich in der taktischenAction.
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Alle anderen Wahrnehmungen, die aus dem Unterschied der beider-
seitigen Taktik organisch sich ergeben und, von der elementaren
Kampfform aus rückschreitend, die beiderseitige Strategie bis zur
beiderseitigen Politik durchziehen, verblassen mehr und mehr, da
sie sozusagen Zusätze sind, und so spitzt sich die Frage, wo-
her der Ausgang kam, bis zu dem Punkte zu, wo wir die beiden
Gegner Aug* im Auge sehen.
Dieses Resultat scheint heute, da man gläubig proclamiert,
das Abmessen der Kräfte im Kriege sei einzig vernunftgemäß,
die Hauptschlacht mit der Hauptmacht des Gegners ehrlich und
plump zu suchen, der erste Zweck im Kriege, ein Gemeinplatz
zu sein. Allein, für jene Zeit war dies nichts weniger als ein
solcher, und jene Zeit betrachten wir.
Und so schließen wir die Frage, woher der Ausgang in
letzter Linie kam, in die Betrachtung der taktischen Action, die
von Napoleon begierig gesucht und von seinen Gegnern ge-
zwungen aufgenommen wurde; viel sprachen wir bereits davon;
so wollen wir nun schließen.
Wir wollen gründlich sein.
Lösen wir aus den Erscheinungen des Kampfes vom
14. October alles Unvermuthete, alles Zufällige, alles Nebensäch-
liche ab, so bleibt als oberstes Princip in der taktischen Action,
wie sie Preußen übte, jene Ökonomie der Kräfte zurück, jenes
Sparen und Schonen des Truppenmaterials, welches wir aus
den Verhältnissen der preußischen Monarchie in die Politik, in
die Strategie, und von dieser auf das Schlachtfeld verderblich
dringen sahen. Das ist der geistige Extrakt von der mecha-
nischen Erscheinung, wie man niemals alle Kräfte zur tak-
tischen Action vereinte, wie man überstarke Reserven zurück-
behielt, wie man nacheinander kämpfte, da man beständig
hoffte, mit dem engagierten Theil schon stark genug zu
sein. Wohl hat die Kriegsgeschichte recht , wenn sie uns
belehrt, dass die zu weit entfernte Aufstellung der preußi-
schen Reserven auf dem falschen Flügel Davout den Sieg er-
möglicht hat; doch muss sehr h inzu gefügt w erden,
wieso und woher dies kam, warumes so geschah;
und nicht der Mangel anEinheit imBefehl, hervor-
gerufe n durch ein acci den tielles Ereignis, B raun-
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schweigsVerwundung, darf als Lückenbüßer an-
geführtwerden, wo wir Typen sehen. Da wir die-
selbe Erscheinung in allen Gefechten erblicken, so muss sie ein
gemeinsames Merkmal der preußischen Schule, ein Glied ihres
Systems, somit speci fisch und keineswegs accidentiell gewesen
sein. Der mechanische Urgrund der fortwährenden Niederlagen
ist, jedermann erkennt dies an, das Zurückstellen zu starker
Kräfte gewesen; zuviel Ökonomie der Kräfte; Geiz mit der Kraft.
Wir sahen, dass er aus den Verhältnissen des Staates floss und
überdies historisch war. Jedoch genügt dies, um eine völlig
unzureichende Form zu erklären; können wir wohl glauben,
Preußen behielt sie , trotzdem es ihre Mängel kannte ^ bloß aus
Pietät und Gewohnheit bei, behalf sich mit derselben, da es
nicht Energie genug besaß, Neues an ihre Stelle zu setzen , da
dieses Neue entschieden kostspielig war? Die Kriegsgeschichte
schreibt der Indolenz in Preußen diese Unterlassung zu. Jedoch
es scheint, als ob dies nicht völlig richtig sei. In einem Heere,
wo man so viel dachte, wie im preußischen der vorjena'schen
Zeit, konnte Tradition und Indolenz als solche nicht für Beibehalt
von Formen sprechen, die man als ungenügend ansah. Die
Lösung liegt darin, dass man, mit bestem Wissen und Gewissen,
diese Formen eben für genügend, ja für vorzüglich hielt; folglich
muss sich die Erwägung um eine Stufe höher erheben. Wir
sprachen in der Strategie von dem preußischen Leitmotiv, als
müsse man, solange es eben ginge, drohen; wir blieben bei
der Thatsache stehen , dass man auf die taktische Schulung der
Truppen, mithin ihr Geschick zum Abmessen der Kräfte das
größte Gewicht gelegt hat, was als Widerspruch erschien. Nun
denn, auch in der Taktik setzt sich die Idee, zu drohen, äußerst
deutlich fort. Das Sparen mit den Kräften ist nichts anderes
und kann nichts anderes sein, als ein Ausfluss der Idee, auch
auf dem Schlachtfelde zu drohen, sowie man strategisch
auf dem Kriegstheater drohte. Jedoch darf dies nur mit größter
Vorsicht hingenommen werden , wenn man sich sagt , dass Nach-
einanderverbrauchen der Kräfte das Drohen wohl erleichtern, dass
es aber ebensowohl zu einer Katastrophe führen kann. Worin
kann nun die eigenthümliche Berechnung, mit einem Theile seiner
Kraft zu drohen, begründet sein? Offenbar in dem Gedanken,
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der eingesetzte Theil sei stark genug und kriegsgeschickt
und kriegsgewillt genug, um das Gefecht so lange
zu halten, bis das Blatt sich von selber wendet,
oder wenn es schon sein muss, die Kraft, die nur zu
drohen hat, eintreten kann, um einzugreifen. Die
Absicht, mit einem Theile der Kräfte zu drohen, ist an den
Glauben gebunden, der andere Theil sei speci fisch
stärker, als es der gleiche Theil des Gegners ist, und somit
ebenbürtig auch einem größeren Theil des Gegners. (Uns scheint dies
wenn auch kein ewiges, so doch ein sehr, sehr oft wiederkehrendes
Gesetz des Krieges zu sein.) Dieser Glaube war in Preußen da-
zumal vorhanden, er hat in allen Führern, und soweit die nüch-
terne Wirklichkeit dies erlaubte, auch in den Truppen gelebt.
Man betrachte nur die Mechanik vom Angriff Hohenlohes und
man liest mit Flammenschrift daraus die Gewissheit, wie der
Fürst von der Unüberwindlichkeit einiger preußischer Bataillone
überzeugt gewesen ist und sie daher in einer Weise zum Ge-
fechte führte, die rein militärisch zu verwerfen, und nur, wenn
sich der Stärkere derselben bedient, nothdürftig gutzuheißen ist.
Man erwartete von den eingesetzten Truppen
Außerordentliches*) und gebrauchte sie gleichsam für sich,
getrennt von der Reserve, ohne Zusammenhang mit ihr, die ja
in erster Linie eine Staffage sein sollte. Aus dieser Erwägung
erklärt sich alles, worüber die Nachwelt so unerbittlich gelacht,
sehr natürlich und klar. Um zu drohen, um zu imponieren —
man verstehe das Preußen jener Zeit — dazu brauchte man,
wenn man uns das Bild verzeiht, doch es trifft den Kern der
Frage, Puppen, Marionetten, die leicht und sicher und eflfectvoll
zu bewegen waren; um zu drohen glaubte man zu brauchen
jene Richtung und jenes Alignement, mit welchem Friedrich so
oft erfolgreich gedroht. Und in dieser eminent militärischen Idee
gipfelte die preußische Taktik der vorjena'schen Zeit.
Es ist so. Man lese die Reglements und Instructionen der
damaligen preußischen Armee und man wird, obwohl es mit
so dürren Worten, wie wir es hier der Deutlichkeit zuliebe thun,
*) Wieder sind diese Meinungen nicht Phantasien des Verfassers. Es war ein Merk-
mal der linearen Taktik, dass sie darauf rechnete, die Truppen der ersten Linie wQrdeo die
Entscheidung geben. Siehe hierüber „Die Kriege Friedrichs des Großen, herausgegeben vom
großen Generalstabe etc.," I, 149.
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nirgends ausgesprochen ist, erkennen, dass der Formalismus
jener Zeit nur ein wohldurchdachtes Mittel zu
einem wohldurchdachten Zwecke war. Viel zu
sehr von oben her ist über jene Zeit geurtheilt worden ! Ein
tief seelischer Gedanke, zu dem der Krieg in
Perioden wiederkehrt, liegt dem Formalismus zu
Grunde; weit mehr Psychologie des Krieges
findet der, der offene Augen hat, im verhöhnten
Formalismus, als im individualisierenden Princip
unserer Tage; Schablone und Erziehung sind
einander nicht entgegengesetzt, sondern nur
zwei verschiedene Wege zu demselben Zweck,
von denen der eine die Seele des zum Kampfe be-
stimmten Menschen skeptisch und der andere
enthusiastisch ansieht. Ein Mann wie Saldern, über
den sich heute jeder Lieutenant lustig macht, ist für den, der die
Menschen kennt, eine verständliche, und, weil sie zweckbewusst
gewesen ist, sympathische Gestalt. Worin liegt der Geist des
Krieges, als darin, die Massen zum Kampfe willig zu machen?
Es gibt verschiedene Mittel hierzu, und jede Zeit hat ihre eigenen
Mittel. Cäsar und Napoleon machten ihre Heere zu Beutege-
nossen des Kampfes , den sie zusammen fochten , erleich-
terten ihnen den Kampf und gewannen derart — obwohl
alles das sehr cum grano salis zu nehmen ist — ihren guten
Willen zum Kampfe. Friedrich musste auf solches nothwendig
verzichten, und so schuf er den Formalismus, oder vervoll-
kommnete ihn doch , welcher sich des Zwanges an Stelle
des Appells an den Egoismus oder die Hingebung bedient,
doch manchmal mit gleichem Erfolge. Man lacht heute, in der
Ära der Selbstthätigkeit und Initiative über Saldern, der da glaubte,
es sei das höchste für den Füsilier, „wenn er als Maschine
fleht" ; man verstehe die menschliche Natur und bekenne, dass
dies für jene Zeit und jene Verhältnisse das Richtige und wohl-
angebracht war. Der Formalismus der preußischen Armee, auf
guten seelischen Basen aufgebaut, war nichts als ein Mittel zum
Zwecke der Drohung, des Marionettenspiels, das wieder nicht
geistlos mechanisch wirkte, sondern auf den Feind moralische
Wirkungen that. Es ist so. Denn wenn in einem Krieg s-
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beer das Bajonnett so hoch gehalten wird, wie
dazumal in der preußischen Armee, und der
Anlauf an den Feind als ultima ratio des Gefechtes
gilt, so ist klar, dass die Taktik dieses Heeres
in der Drohung gipfelt. Nochmals, man lese die militärischen
Schriften jener Zeit und da findet man den Satz stets wieder-
holt : der Gegner werde, wenn ein preußisches Bataillon, wohl
aligniert, mit dem Bajonnett angriffe, sicherlich nicht auf den Ein-
bruch warten. Erst werde er wackeln, und dann wende er sich
zur Flucht.
Sofort erinnern wir uns, dass auch die französische Fuß-
volktaktik im Bajonnettangriffe culminierte; auch dort herrschte also
die Drohung vor. Begnügen wir uns vorläufig mit dieser That-
sache, die nicht zu leugnen ist, um späterhin zu sehen, ob, wenn
zwei dasselbe thun, es auch dasselbe ist.
Wir sind somit bei den Verhältnissen der elementaren
Taktik angelangt und wenden uns mit allgemeinerem Blick zur
großen Taktik zurück. Wahrlich, die Drohung schien der
deutschen Führung auch in der taktischen Action ein Surrogat
für wirkliches Abmessen der Kräfte zu sein. Ist dies, nach dem,
was wir darüber zur Aufklärung mitgetheilt, wohl unverständig,
oder etwa gar nicht einzusehen.^ Lag nicht zu allen Zeiten darin
die Kunst des Truppenführers, mit möglichst wenig Aufwand an
Mitteln möglichst viel zu erreichen? So löst sich der Vorwurf
des Geizes mit den Kräften allgemach und sehr natürlich in die
Betrachtung auf, wie man in Preußen nicht deshalb vor allem
mit den Mitteln geizte, weil sie spärlich waren, nicht weil es so
in der Tradition begründet lag, sondern im guten Glauben daran,
auch die Drohung als ökonomischere Form werde ihre Schuldig-
keit thun. Und wer uns dies nicht glauben will und es widersinnig
findet, der denke an die Gegenwart, und an die Apostel des
ungestümen Angriffs mit dem Bajonnett gegen das Magazinge-
wehr, da die Erfahrung zeige, zum Kampfe Mann an Mann
komme es heute nicht mehr; der Gegner werde weichen, wenn
man damit droht!
Wenn wir noch hinzufügen, dass man, um mit seinen
Mitteln zu drohen, eine Art von Bühne brauchte, also eine freie,
offene Gegend und Raum zur Evolution, so ist in den gemachten
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Erwägungen der Geist jener Zeit sine ira et studio bündig
wiedergegeben.
Lösen wir aus den Erscheinungen des Kampfes vom 14. Oc-
tober alles Unwesentliche, alles Zufällige, alles Nebensächliche ab,
so bleibt als leitendes Princip in der taktischen Action, wie sie
Frankreich übte, möglichstes Einsetzen der vorhandenen Kraft,
also wahrhaftes Abmessen der Kräfte im Kampfe zurück. Doch
hier muss die Erwägung wieder äußerst deutlich sein, um Alles
klarzulegen. Liegt in der Idee, seineKräfte mit jenen
des Gegners abzumessen, irgend eine Garantie des
Sieges? Es scheint wohl nur dann, wenn die eigenen Kräfte
eben stärkere sind. Und so war es hier. Weil die na-
poleonische Taktik — das elementare Abmessen
der Kräfte — unvergleichlich stärker als der
Gegner war, darum schritt der napoleonische
Krieg zum Abmessen der Kräfte, und keineswegs,
weil dies ein Axiom desKiegesist oder sein soll.
Jetzt, 1806, bleibt Napoleon, im Vertrauen auf die Kraft seiner
Mittel, beim kunstlosen Abmessen derselben, sicher wie er ist, er
müsse in demselben Sieger werden und greift nicht zum Manöver
als einem billigeren Mittel. Die napoleonische Schlachtentaktik war
somit eine Folgeerscheinung von der specifischen Stärke
der Mittel, war an sie gebunden, und keineswegs durch das bloße
Princip, das sie bewegte, wirksam; sie hing geradezu von der
Stärke ihrer Mittel ab. Worin lag nun die Stärke ihrer Mittel gegen
die der alten Zeit ? In einem Unterschied der elemen-
taren Kampf form der Infanterie, der nicht auffallend,
aber doch sehr wirksam w a r : dem Gefecht mit Schützen;
und nebenher in einem Auftreten von Reiterei und
Geschütz in Massen, die man vordemnichtkannte.
Wir thaten bereits früher dar, worin das Wesen der napoleoni-
schen Fuß Volkstaktik lag. Sie gab dem einfachen Kämpfer das
Gefühl seiner Stärke und dieses hielt ihn fester, sicherer auf seinem
Platz im Kampfe, als guter Wille, Begeisterung, ja sogar der
Drill es vermag. Wir sehen somit, wie die napoleonische
Taktik, die so sehr auf das Abmessen der Kräfte zielte, ein
heroisches Product der tiefsten Menschenkenntnis war; sie er-
leichterte den Kampf und so führte sie ihn leichter. Hier nun
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kann eine Erwägung nicht übergangen werden, die von aller-
erster Wichtigkeit ist für den, der die Natur des Krieges kennen
lernen will. Preußen besaß ja auch seine Schützen , und auch
die verstanden es, als Tirailleurs zu fechten ; stets bisher musste
unsere Darstellung die Meinung erwecken, als sei immer nur eine
geschlossene deutsche Linie gegen einzelne Tirailleurs des Gegners
in ohnmächtigem Kampfe gestanden. Es war nicht so, und, was
das belehrende ist, man sah damals nicht, was und wie es war.
Frankreich hatte eben mehr, nicht erdrückend mehr, nur
überhaupt mehr Tirailleurs, als die preußische Führung zu
entwickeln für gut fand. Nicht auffallend war dieser Unterschied
dem, der im Gefechte stand, jedoch unendlich deutlich fühlte
er ihn. In der That hat ein geringes Mehr an Tirailleurs, ein nicht
principielles Hinausgehen, nur ein relativ geringes Überschreiten der
kriegsconventionellen Praktik mit Tirailleurs die Entscheidung ge-
geben; um dies klar zu machen, denke man an ein Manöver unserer
Tage, und gestehe sich, ob Tirailleurs, die hinter Büschen liegen,
auffallen und drohend aussehen. Die deutschen Feldherren müssen,
die Ungeheuern Verluste ihrer Reihen sehend, ganz einfach nicht
begriffen haben, dass dies von einem geringen Mehr an Tirailleurs
auf des Feindes Seite kam. Auffallender kann der Unterschied zwi-
schen Symptom und Wirkung kaum sein als hier. Wir kennen
heute sehr genau die Wirkung der Tirailleurs, haben aber lange,
lange nicht gesehen, dass diese Wirkung nahezu nur aus einer
Nuance des Kampfes kam, die uns heute entgangen ist und von
der man nicht verlangen kann, die deutschen Führer hätten sie im
Kampfe selbst dazumal wahrnehmen sollen. Warum nun in einem
Kampfe, wo Tirailleurs gegen dichte Linien ein wohlgezieltes Feuer
aus relativer Sicherheit abgeben, die letzteren schließlich doch
wohl weichen müssen, wurde dargethan. Die Franzosen kämpften
bequemer, sicherer, und darum siegten sie. Sofort tritt als
Folgeerscheinung der offe nsive Geist hervor bei
Truppen und Führern, der, wenn man ihn aner-
zieht, versagen, wenn man ihn imVolkscharakter
liegend wähnt, bitterlich enttäuschen kann, aber
dann wohl mächtig auftreten wird, wenn erder
Ausfluss eines Kraftgefühles ist, das man sich im
Kampfe holte, das heißt, wenn die eigene Kampfform augenschein-
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lieh überlegen ist. Jetzt verstehen wir die Offensivtendenz der fran-
zösischen Infanterie. Sie ist keine Manie; ist keine Doctrin;
sie kommt von selbst als einProduct derEvidenz,
stärker zu sein, aus der elementartaktischen Action. Jetzt
verstehen wir, dass der französische und der preußische Gebrauch
des Bajonnettes zwei ganz verschiedene Dinge sind, wenngleich
sie im Principe ähneln. Der Franzose hat dann das Bajonnett
gebraucht, wenn es galt, einen bereits erschütterten Gegner völlig
umzurennen; es war der Punkt auf dem I, die Vollendung, die
Krönung der taktischen Action, die durch den Schützen-
kampf wohl vorbereitet war. Und der Preuße ? Auch er sollte
dann das Bajonnett gebrauchen, wenn es galt, einen bereits er-
schütterten Gegner völlig umzurennen; es war der Punkt auf
dem I, die Vollendung, die Krönung der taktischen Action, die
durch den Kampf von Linien wohl vorbereitet war! Hier
liegt der Gegensatz, und hiemit die Erklärung : was das Bajonnett
betrifft, so ist im Principe die Absicht beider Heere haar-
genau die gleiche; beide denken, mit demselben zu drohen;
beide, nachdem sie den Gegner erschüttert. Darin nun, dass
Preußen mit seinen Bataillonssalven den Gegner nicht derart
erschüttern konnte, als zum Angriff mit dem Bajonnette uner-
lässlich schien, dagegen selber durch des Feindes Schützen
unverhältnismäßig litt — darin, in dieser Nuance in den Sym-
ptomen dessen, was man auf beiden Seiten that, liegt die Erklä-
rung, wieso es kam, dass Preußen nicht zum Bajonnett-
angriffe schritt.*) Die verhältnismäßig wenig Schützen mehr auf
Seite der Franzosen, und die relativ kurze Spanne Zeit, die
zwischen dem deutschen und französischen Bajonnettangriff liegt,
waren geringe Symptome und hatten die gewaltigsten Wirkungen
gehabt; wohl droht auch die französische Taktik mit dem
Bajonnett, aber sie erschüttert den Gegner, bevor sie droht,
während die preußische mit der Drohung auf einen intakten
•) Darauf mussten wir Gewicht legen, durch eingehendstes Zerfasern des Infmterip-
?efechtes der beiden Gegner diese Wahrheit darzuthun. Denn in den Urtheilen über diesen
^eg zögern die Kriegsschriflsteller nicht, die Personen, somit die Führer dafür zur
^Rechenschaft zu ziehen, dass sie nicht „im Sinne des großen Königs" rücksichtslos zum
Angriff schritten.
Friedrich hätte, dess sind wir überzeugt, seine Bataillone zu einem so ungleichen
Kampfe sicher nicht gelührt, denn er hat sehr genau gewusst, was man von Truppen im
^ege billig verlangen — das heißt erreichen — kann.
C. von B.-K. Zur Psychologie des großen Krieges II. 22
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— 338 -
Gegner stößt. In diesen Nuancen , die dazumal im Kriege
nicht auffielen , die heute noch lange nicht völlig auf ihren
wahren Wert gewürdigt sind, ruhte der Keim der Entschei-
dung. An diese feinen Züge des Krieges muss man sich
halten, um zu sehen, wie schwierig er ohne praktische Ver-
suche , oder vielmehr vor dem Versuche zu verstehen ist.
Doch genug. Ein nicht auffallender, doch sehr wirk-
samer Unterschied der elementaren Taktik brachte es dahin,
dass die deutschen Truppen unverhältnismäßig litten, wo die
französischen Zermürbungstruppen verhältnismäßig wenig litten;
die deutsche Drohung übereilte sich, wo sie sich an den intakten
Gegner wagte, und vom Erfolge gekrönt war die französische
Drohung, die nach einem ungleichen Abmessen der Kräfte zur
Vollendung der Arbeit an die deutschen Truppenreste heranrückt.
Wenn wir nun bedenken, dass beide Gegner, was die große
Taktik angeht, successive kämpften, so führt die logische Erwä-
gung zu dem Schlüsse, dass dies für Preußen schlecht und gut
für Frankreich war. Napoleons Absicht, seine Kräfte abzumessen,
ist daher nicht buchstäblich zu nehmen. Jeder Kenner der napo-
leonischen Taktik weiß , dass Napoleon gerade den Gebrauch
der Reserve zum System erhob, mithin sein Abmessen der
Kräfte kein unbedingtes war. Wohl ist dies zuzugeben,
aber wer könnte blind dagegen sein, dass der succesive Gebrauch
der Kräfte auf Napoleons Seite eben auch nichts anderes war,
als ein Sicherheitsfactor in einem Kampfe, wo schon geringe
eigene Kraft hinreichend war, den Erfolg zu geben? Die napo-
leonische Reserve- Verwendung wird vielfach nicht völlig aufge-
fasst. Seine Reserven stellte Napoleon oftmals nicht so sehr
infolge des Principe s, Reserven zu haben, zurück, son-
dern mit der Überzeugung, er bedürfe in dem Kampfe,
den er eben kämpfte, derselben nicht unmittel-
bar. Es war eine Art von Sparsamkeit, wenn
man will, die aus der Ungleichheit der beidersei-
tigen Form nat ü rlich entsta nd; mit den Garden
trieb Napoleon, wie bekannt, diese Sparsamkeit
oftmals bedenklich weit. Davout gestattete sich bei
Auerstädt die Ökonomie einer Gefechtsreserve nicht, obwohl sie
Princip gewesen ist. So sehen wir, dass die napoleonische Ge-
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fechtsreserve ursprünglich eine natürliche Folge des
eigenen Überschusses an Kraft, an Zahl, an
Kampfesform, oder an beiden vereint gewesen ist, und sich
hier gewissermaßen von selbst aus diesem Überschusse ergab,
während dies in der linearen Taktik keineswegs der Fall war.
Natürlich ist nicht zu verkennen, dass die Gefechtsreserve Princip
gewesen ist, sowie heute beiläufig die Gefechtsreserve als conditio
sine qua non jedes Gefechtes gilt. Aber festgestellt muss werden,
dass die neue französische Kampfesform, specifisch stärker
wie sie war, von selbst auf die Reserve wies,
während dies bei der linearen Form der Fall nicht war,
hier die Reserve künstlich geschaffen werden
m u s s t e und, wie erwiesen ist, oft gehindert hat, oder wenig-
stens schwierig zu gebrauchen war.
Diese Erwägungen mussten wir thun, um die mechanische
Erscheinung, dass Frankreich ebenso wie Preußen nacheinander
kämpfte, in's rechte Licht zu stellen ; doch halt, hier ist ein
wesentlicher Unterschied. Frankreich kämpfte in derThat
successiv, während diese Absicht bei Preußen
oftmals nicht über den Versuch hinaus gedieh.
Warum? Die französische Reserve sah sich wahrhaft als Triarier
an, obgleich die Führung hoffte, die engagierten Truppen
schon würden, wie es so oft geschah, die Entscheidung geben.
Die deutschen Reserven handelten ebenso ; auch sie betrachteten
sich als Triarier, wenngleich sie vielleicht um eines Haares
Breite weniger gewillt waren, deren Rolle wirklich durch-
zuführen , vielmehr sich nur zu zeigen gedachten ; man
weiß, dass sie mechanisch ungeschickter dazu waren, thatsäch-
lich in's Gefecht zu gehen, als ihre französischen Gegner. Auch
sie erwarteten, nur vielleicht um eines Haares
Breite mehr und fester, die Entscheidung durch die engagierten
Truppen schon fallen 'zu sehen. Alles nur Nuancen, wie man
sich ehrlich eingestehen muss. Noch tiefer heißt es also hier zu
gehen, soll der Unterschied gefunden sein. Die französische Reserve
erhoffte von den engagierten Truppen den Sieg; die preußische
erwartete gleichfalls denselben. Es ist wohl klar, dass eine der
beiden Reserven enttäuscht werden musste. Nun war die
französische Kampfesform für das Heranziehen von Reserven
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ungleich günstiger beschaffen, als die preußische; hier schlägt
stark der mechanische Unterschied von Linie und Colonne vor.
Waren die deutschen Bataillone der ersten Linie besiegt, so
waren sie aufgelöst und trugen die Verwirrung in die Reihen
der Reserve, die, kämpfend mit den Hindernissen des Terrains,
ihnen aus weiter Ferne wohl aligniert zu Hilfe kam. Die fran-
zösische schloss in diesem Falle tropfenweise an, während die
unvergleichlichen Schützen, dann Reiterei und Artillerie ihren
Anmarsch deckten. So sehen wir, wie es nicht das-
selbe ist, wenn zwei dasselbe thun; und wie hier
die Praktik der Reserve sich bewährte, während sie dort an
inneren Schwierigkeiten fast immer scheitern musste. Es ist nicht
zu verkennen, dass die französische Reserve mehr zum Kampf
und die preußische mehr zur Drohung bereit war;
der letztern mechanische Fehler sind zum großen Theile Producte
dieser Idee. Und so schließt sich die Erwägung dahin, dass
der ganze taktische Mechanismus beider Heere, ebenso wie ihre
Strategie, den Unterschied erkennen lässt, der in der Tendenz zu
kämpfen und in der zu drohen liegt.
Wir nehmen dieses Resultat vorweg, da sich das Bild der
großen Taktik an das strategische Bild organisch fügt. Wir wissen
jetzt, dass in einem Kampfe der beiden Heere die Entscheidung
des Kampfes in den beiderseits zunächst engagierten
Truppen liegen muss, da hier besonders die Schwäche
der deutschen Kriegsform lag; und dass von da aus der Zu-
sammenhang der Dinge immer erheblichere Übel auf deutscher,
minder erhebliche auf französischer Seite zeigt. Wir wissen, dass
Preußen , um einen Misserfolg der engagierten Truppen weit
zu machen, vorwiegend an die Drohung denkt, während
Frankreich mehr dazu bereit und geschickt ist, wirklich zu
kämpfen. Man wird uns hier ganz sicherlich und immerhin
nicht ohne Grund des Mangels an concreter Überlegung zeihen:
doch bleiben wir bei dem, was wir gesagt. Alle Details der
Taktik auf beiden Seiten sind mehr oder weniger der sinnliche
Ausdruck der beiden so entgegengesetzten Ideen, von denen die
eine ihre Stärke aus dem Bewusstsein ihrer Überle-
genheit und die andere aus der Tradition gewinnt.
Frankreich droht und kämpft; Preußen kann nur
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drohen, ist viel zu extrem gesagt, jedoch es gibt den Geist
der Lage. Dieser eigenthümliche Gegensatz setzt sich auf beiden
Seiten von der taktischen Action in die strategische, von dieser in
die kriegspolitische rückwirkend fort und wurzelt tief im Gegensatz
der Heere, ja der beiden Staaten, die im Kampfe stehen. Dieser
Krieg ist, man vergesse dies nicht, ein Ausnahmskrieg gewesen,
wie er lange vorher nicht da war und nicht sobald wiederkehren
wird. Er muss in scharfen Umrissen gezeichnet sein, soll sein
Bild ein historisch entsprechendes werden. Nun wissen wir,
dass Preußen auf seine Offensive, auf den Kampf der einge-
setzten Truppen felsenfest vertraut, und ein Schimmer von
Hoffnung blitzte auf in Führern und Armeen, als der sinkende
Nebel des 14. October zum endlichen Kampfe rief, in letzter
Linie, muss daher zugestanden werden, hing die Entscheidung
von dem Verhalten der engagierten Theile ab.
Wir kennen dieses Verhalten.
Wir haben gesehen, dass die deutschen Führer in Un-
kenntnis darüber waren, was wohl die Truppen zu leisten
vermöchten. Der taktische Gedanke Braunschweigs sowohl als
Hohenlohes war auf den Angriff gerichtet, und sie befahlen den-
selben, erzwangen ihn, bis die Mittel versagten. Hier stehen wir
auf einem Punkt von erster Wichtigkeit, den wir bereits berührten.
Die Truppen entsprachen der Absicht der Führer nicht und so
scheint es, es müsse die Schuld der Niederlage den Truppen zu-
geschrieben werden. Es wurde die allgemein verbreitete Anschau-
ung widerlegt, dass Braunschweig und Hohenlohe, jener vor
Hassenhausen, dieser vor Vierzehnheiligen gleichsam aus Un-
verstand stehen geblieben wären und es zwecklos ver-
sucht hätten, die Objecte durch Umfassen wegzunehmen. Die
Thatsache ist die, dass ihre Mittel ganz einfach versagten, dass
sie taktisch nicht geschickt im Kampf um Örtlichkeiten waren,
was klar daraus hervorgeht, dass beide Führer auf die ver-
schiedensten Mittel verfielen,^ um die gelähmte Angriffskraft der
Infanterie durch Geschützgebrauch, Reiteranfall und dergleichen
wettzumachen. Der Gedanke beider Feldherren ist der richtige
gewesen, aber ihre Truppen besaßen die Stärke nicht, ihn zur
That zu machen.
Wir haben gesehen, wie die deutsche Infanterie unter einer
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mechanisch sehr empfindlichen, moralisch äußerst auflösenden
Ungleichheit der Kriegsform litt. Man stelle sich vor, was es heißt,
wenn Truppen, denen man so oft wiederholte, ihren Bataillons-
salven und ihrem Bajonnettangriff widerstehe der Gegner nicht,
plötzlich inne werden, dass jener doch nicht weicht und noch
dazu in einer Art und Weise kämpft, die es unmöglich macht,
ihm Gleiches mit Gleichem zu vergelten, der gleichsam hinter der
Deckung über die deutsche Geradheit lacht, die ohne Deckung
steht. Man erwägt die Dauer des Gefechtes und erstaunt fragt
man sich, wieso es kam, dass die deutschen Truppen überhaupt
solange Stand gehalten haben. In der That, wo ist der moralische
Wertunterschied beider Armeen zu spüren, den der Unterschied
an Behandlung, Löhnung, Verpflegung, Bekleidung geradezu er-
warten lässt? Wo sind die verderblichen Früchte, die ein Spar-
und Knauser- und Stocksystem in einem Heere unfehlbar tragen
muss, und wo sind Muth, Begeisterung und guter Wille, die man
vom französischen füglich erwarten sollte, als auffallende
Contraste zu sehen? Wir müssen es — 1806 ist ja neun Jahr-
zehnte von uns entfernt — gestehen, dass man im Gefechte selbst
verderbliche Folgen aller jener Sünden, die man vor Jena durch
lange Jahre an Preußens Heer begangen haben soll, nicht evident
erblicken kann. Wir lernen daraus — und dies ist äußerst lehr-
reich für die Kriegspsychologie der heutigen Zeit — wie ein Kriegs-
heer im Gefechte selbst keineswegs alles Unrecht
verhängnisvoll vergilt, das man ihmangethan, oder
überschäumt von Dank, wenn man es human und
gut behandelte; wie einige Heller Löhnung, ein
paar Lothe Fle is ch rati o n, ein paar Mo nturstü cke
mehr oder weniger im Kampfe nicht den Aus-
schlag geben müssen. Ein tiefer, seelischer Sinn liegt in
dieser Erscheinung, die allerdings in die Gegenwart nicht passt,
wo man den Soldaten durch gute Behandlung in materiellen
Dingen vor allem zum Kampfe zu captivieren sucht. Die auf-
fallenden Folgen von Darben und Entbehrung, so sehen wir,
äußern sich im preußischen Heere außerhalb der tak-
tischen Actio n, vor den Schlachten symptomatisch,
und nach denselben universell. Diesen auflösenden Folgen
begegnen wir am Marsche, im Quartier, auf dem Rückzuge, und
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in der That sind sie mehr strategischer als taktischer
Natur. Wohl fließt der Geist der Kriegsheere zum allergrößten Theile
aus deren Magen her, doch im Gefechte selbst denkt der Soldat nicht
oft an seinen Magen. Was daraus zu schließen sei ? Nicht entfernt
denken wir daran, Proselyten zu machen für Rückkehr zu einer
Zeit, wo der Soldat systemmäßig darbte und weit sind wir da-
von, den ungemeinen Einfluss abzuleugnen, den die Lebensweise
eines Heeres auf dessen Thun hat. Aber uns lag daran zu zeigen,
wie die Folgen des preußischen Sparsystems nicht entfernt als Grund
der Niederlage anzuführen sind; wohl treten solche böse Früchte
vereinzelt in der strategischen Sphäre des Krieges hervor, und sie
mögen daselbst vielfach moralisch sowohl als materiell geschadet
haben. Aber im Kampfe selbst vergaß das Heer, dass es hun-
gerte und darbte. Es schlug sich brav. Und so sehen wir, dass,
da die taktische Action doch vor allem im Kriege entscheidet,
die Lebensweise eines Heeres für dieselbe nicht
von entscheidendem Einflüsse sein muss. Wohl mag
in der strategischen Sphäre des Krieges manches Atom des
Kampfes infolge des Mangels und der Nothdurft des Lebens für
den Kampf verloren gegangen sein. Aber von solchem Belang,
wie eine neue, humane Zeit dies glauben machen- will, ist
dieses Motiv nicht gewesen.
Man gewinnt auch aus der Erzählung so vieler Zeugen das
anschauliche Bild, dass die deutschen Truppen viel Bravour ent-
wickelten und sehr nahe liegt es, anzunehmen, dass der Gegner
nicht soviel entwickeln musste, da ihn seine starke Kampfesform
dieser Mühe überhob. Nun denn, diese Kampfesform war so
wesentlich verschieden von der Preußens, dass der Unterschied mit
Imponderabilien nicht auszugleichen war. Wohl befahl die deutsche
Führung vorzugehen, wohl griffen die Feldherren an, allein die
Truppen versagten, und man muss gestehen, es konnte nicht
anders sein. So bleibt von den taktischen Dispositionen beider Feld-
herren, soweit sie nicht durch das eben herrschende System schon
entschuldigt sind, füglich nichts zu tadeln, als dass sie die Truppen,
selbe überschätzend, in eine Lage brachten, der sie nicht ge-
wachsen waren. Die Kunst, die Mittel, die man hat, haarscharf
zu taxieren, ist eine unendlich seltene und sehr schwierige Kunst,
und um so schwieriger muss sie dann sein, wenn T r a-
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dition und Heergeschichte die Truppen miteinem
Nimbus umgibt, nach welchem, wie im preußischen
Heer jener Tage, ihre ganzeTaktik zugeschnitten
ist. Es gab kein anderes Mittel, sich aus der Affaire zu ziehen
als endlich und schließlich das Drohen mit dem Bajonnett; an
dieses appellierte die Fühmng nicht mehr ; es waren die Truppen
keine Scharen unerreichter Helden, die sicherem Tode tollkühn
entgegengehen. Nun können wir den Antheil, den die Führung
und jenen, den die Truppen an der Niederlage hatten, klar und
deutlich sehen: Jene gebrauchte das einzige system-
mäßige Mittel, das ihr zu Gebote stand, nicht
mehr, weil die Truppen, innerlich erschüttert,
nicht mehr stark genug, es auszufü h ren, waren.
Wir haben gesehen, wie in beiden Schlachten zwei Prin-
cipien, die Heere zum Kampfe willig zu machen, aneinander ge-
rathen sind. Das eine gründete sich darauf, den Truppen den
Kampf durch die Form des Kampfes möglichst leicht zu machen ;
es gewann den Willen des Einzelnen durch die Evidenz des Vor-
theils, den er im Kampfe besaß, welche Evidenz laut und ver-
nehmlich sprach. Das andere zwang seine Truppen zum Kampfe.
Doch halt, hier setzt sich unwillkommenerweise eine Gedanken-
reihe an. Was war der Sinn des Drills, was ist, was kann er
sein ? Es scheint, als ob er nicht so sehr imaginärer Zwang zum
Kampfe, als vielmehr ein Ablenken der geängstigten Seele von
den Vorgängen des Kampfes durch mechanische Verrichtung sei.
Denn wäre dem nicht so, so würde ja das einfache Verlesen
der Kriegsartikel vor dem Gefechte das beste Mittel sein, die
Truppen zum Kampfe zu zwingen. Dem Drill liegt ein
tief seelischer Calcul zu Grunde, trotz allem, was
die Kriegspsychologie der heutigen Zeit dagegen
sagt. Er soll den Willen des Kämpfers gleichsam über-
tölpeln, letzteren seines Willens, das heißt der praktischen Con-
sequenz des Zögerns, des Zagens, der Furcht, möglichst ent-
kleiden, und letztere, so weit dies geht, unschädlich machen.
Auch der Drill ist eine Art, dem Manne denKampf
zu erleichtern. Doch wohl fühlt man den Unterschied des
französischen und deutschen Principes zutage treten, wenn man
den Unterschied der Kampfesart erwägt. Innig hing diese auf
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beiden Seiten mit der Kriegsdisciplin und dem Volkscharakter zu-
sammen. Blind konnte der Drill bis zu einem gewissen Grade
machen ; bis zu demGrade, der hier nothwendigwar,
vermochte er es nicht; und so fiel hier, bei Jena,
jetzt, 1806, das Kunstproduct des Drills vor der
Evidenz des Gegners, dass er selber stärker sei.
Dieser Umstand muss wohl erwogen werden,
wenn man dem Drill das Urtheil sprechen will.
Hier hatte er eine Ausnahmsprobe zu bestehen, die, wir können
es wohl glauben, Erziehung auch nicht bestanden haben würde.
Diese Extreme, Worte, die extrem klingen, brauchten wir hier,
um deutlich zu sein. Man weiß indessen, dass die Grenze zwischen
Drill und Erziehung keine so scharfe ist, und jene zwei Motive
nicht so grundsätzliche Gegensätze sind, wie man es, um dem
didaktischen Zwecke zu dienen, oftmals glauben machen will.
Wir haben gesehen, wie die französische Kampfmethode
der preußischen jene Orte zudictierte als entscheidende Punkte, die
ihr selbst genehm gewesen sind. Preußen ging auf dieselben
gläubig und vertrauend los. Wie hat die Kriegsgeschichte an
dem preußischen Heer jener Tage gesündigt und wie sündigt sie
noch daran! Billige Betrachtung zeigt, dass die lineare Taktik
Raum und freie Räume brauchte ; der Gegner, im freien Felde,
vom Nahen geschlossener Bataillone bedroht, wirft sich instinctiv
in Objecte des Terrains, die ihm Schutz gewähren und welche
die lineare Taktik, da sie mit Feinden angefüllt, nicht unbe-
achtet liegen lassen kann. Die lineare Taktik glaubte genöthigt zu
sein, Hassenhausen sowohl als Vierzehnheiligen zu nehmen, be-
vor sie weiterging, und an den vergeblichen Versuchen, solches
zu erreichen, hat sie sich verblutet. Nicht Unverstand der
Führung, nicht blindes Vertrauen auf den Geist
der deutschen Truppen hat dies allein bewirkt.
Dass die entscheidenden Punkte dort liegen mussten, wo sie
Frankreich brauchte, lag ganz und gar im Unterschied der beiden
Kriegssysteme, von denen das eine auf dem Boden, wo man
eben kämpfte, manches lassen konnte, was ihm nicht genehm
war, während das andere solches thun musste, was ihm ver-
derblich ward ; wenn mit dieser vagen Phrase irgend etwas ge-
sagt ist. Frankreich konnte im freien Felde kämpfen und in
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Orten des Terrains, die zahlreich waren. Preußen verstand es
nur, im ersten Fall zu fechten und war genöthigt, da sich ihm
der Gegner hier nicht stellte, dort ihn aufzusuchen, wo er es
eben that, und es unterlag. Die ganze Führung der Schlachten
zeigt doch so klar, dass alles, was auf deutscher Seite geschah,
ein unverfälschter Ausfluss der alten Schule war, zu der man
sich, als die Kanonen zu donnern begannen, nach den strate-
gischen Nieten der jüngsten Zeit vertrauend zurückgewendet hat:
wenngleich zugegeben werden muss, dass die deutsche Führung,
die Offensive auf die Spitze treibend, diese in Sackgassen ge-
leitet hat, aus denen es keine Umkehr gab.
Es steht fest, dass in beiden Schlachten auf deutscher Seite
die Principien des XVIII. Jahrhunderts viel stricter befolgt worden
sind, als in der strategischen Vorgeschichte derselben ; als das
Thun des Gegners noch Zweifel und Befürchtungen aller Art
wachgerufen hatte. Natürlich ist das wohl. Gelangte man
schon in der Sphäre der Strategie zu keinem
annehmbaren Compromiss der neuen mit der
alten Form, so leuchtet ein, dass man in der
taktischen Action nicht an dasselbe denken konnte.
Wir haben gesehen, wie das Verhalten der von beiden
Seiten engagierten Truppen auf die Entscheidung der Actionen
von erstem Einflüsse gewesen ist ; und in welch' verderblicher
Art das Unterliegen der vorderen deutschen Kräfte auf die Re-
serven zurückgewirkt hat. Die Glieder der Kette sahen wir pla-
stisch ineinandergreifen, die von dem ersten leisen Schwanken
der alignierten Bataillone verhängnisvoll zur Flucht geführt.
Nach unserem Erkennen glauben wir in der That, dass
dem so ist. Man wird wohl sehr bemerken, dass die Analyse des
elementaren Infanteriegefechtes der beiden Gegner einen unver-
hältnismäßig breiten Raum unserer Erwägung eingenommen hat;
und dass wir dem Unterschied dieser Kampfesarten die Haupt-
ursache der Entscheidung beigemessen haben. Dies wird viel-
fachem Widerspruch begegnen. Wir haben demselben bereits, so
weit wir es vermochten, dadurch vorgebeugt, dass wir darauf
wiesen, wie himmelhoch der Unterschied zwischen Symptom
und Wirkung der neuen französischen Kriegsform war. In der
That, die große Masse der französischen Infanterie focht in ge-
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schlossener Ordnung und nur ein Theil als Tirailleurs, allein ein
geringes Mehr an Tirailleurs, die noch in ihrem Geschäfte ge-
schickter waren, als die deutschen Schützen, trug unverhält-
nismäßig viel zur Entscheidung bei. Es ist nicht zu verkennen,
dass alle unsere Raisonnements insoferne unselbständig sind,
als sie auf Detailkenntnissen fußen, die in den Quellen nur zu
finden sind; dort möge man nachlesen, um zu sehen, ob unsere
Schlüsse falsche sind. Wir glauben, dass gar oft die Entscheidung
eines Gefechtes in der unscheinbaren Vorbereitung des-
selben ruhen kann, und der geräuschvoll in Scene gesetzte letzte
Stoß nur mehr der Schluss- und Endpunkt einer langen und ent-
scheidenden, doch unmerklichen Arbeit war. Wir glauben, dass dem
so in der neuen französischen Taktik war. In der unschein-
baren Vorbereitung des Gefechtes lag das Ent-
scheidende. Wenn wir bedenken, wie die Männer jener Zeit
das Symptom nicht gewürdigt haben, das im Schützenkampfe
lag, und wie lange es gedauert hat, bis er, unvollkommen nur,
nachgeahmt wurde, so gewinnt immer mehr der Glaube, ja die
Überzeugung Raum , dass diese Kampfform , die äußerst ver-
derblich auf den Gegner wirkte, in ihren Symptomen nicht so er-
kennbar war, wie sie es heute ist, und der Widerstreit an Mei-
nungen über die Natur des Entscheidungsgefechtes und die Rolle,
die es in den napoleonischen Kriegen gespielt, scheint dies zu
bestätigen.
Wenn wir sehen, wie in beiden Schlachten die Entscheidung
des Kampfes in so völlig gleicher Weise geschieht, beidemale vor
Objecten, welche die neue Taktik besetzt und umklammert hält,
wie das Wellenspiel auf beiden Seiten hier beweglich eine Zeit
lang schwankt, um von hier aus plötzlich in den reißenden Strom
von Flucht und Verfolgung überzugehen, so muss man zu dem
Schlüsse kommen, dass beide Schlachten recht eigentliche I n-
fanteri eschlachten gewesen sind, in welchen eine
Nuance der elementaren Taktik den Sieg und die
Niederlage herbeigeführt hat.
Der Epilog weist gleichfalls darauf Wir haben gesehen,
wie die taktische Action des 14. October für das preußische Heer,
Truppen sowohl als Führer, eine letzte Probe gewesen ist, in
der man sein Bestes versuchte. Auffallend ist die Reaction, die
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sich ergibt, als das Heer Friedrichs des Großen, welches in der
Schlacht das Correctiv für manche strategische Fehler gesehen,*)
erfährt , dass es auch hier, und noch dazu in solcher Weise,
den Kürzern ziehen muss. Hingewiesen haben wir darauf, dass
diese Reaction wohl unvermeidlich war. Sofort treten nach der
Entscheidung die inneren Schäden der preußischen Armee ver-
zehnfacht hervor. Jetzt sieht man Deserteure, jetzt entsteht
die Fahnenflucht, jetzt greift Raub und Plünderung um sich,
jetzt lösen sich die Bande des Gehorsams, was zu erklären
das lange Sündenregister, welches die Geschichte für Friedrich
Wilhelm IL und Friedrich Wilhelm III. angefertigt hat, nicht
angezogen werde! Wir wiederholen: Im Kampfe thaten die
Tmppen ihre Schuldigkeit; nach demselben genügt es, auf
die Entmuthigung zu weisen, die ein Heer erfahren muss, das
solches erlebt, wie Preußens Heer bei Jena-Auerstädt, um die
heftige Reaction zu erklären. Ein Ähnliches kam in der Geschichte
auch bei Heeren vor, die unlängst glücklich gekämpft. Nicht soll
geleugnet werden, dass große Mängel in der Armee vorhanden
waren, und dass sie sich nach dem 14. October verderblich fühl-
bar machten. Aber zur Steuer der Wahrheit, und mehr als das,
als Wegweiser für den, der die Wahrheit als Mittel zu einstigen
Zwecken des Krieges sucht, muss daran erinnert werden, dass
im Kampfe selbst diese Schäden moralischer Natur, besonders
bei den Truppen, fast gar nicht nachzuweisen sind. An einem
Haare hing bei Auerstädt die Entscheidung, was den Geist
der Truppen anbetraf.
So sehen wir, indem wir zusammenfassen, nicht detaillieren
und erschöpfen, sondern den Geist der Dinge ziehen, dass bei
Jena-Auerstädt vor allem ein altes Princip einem neuen wich,
und wie erst lange nach der Fülle an Erwägung, die daran zu
knüpfen ist, das Urtheil über die handelnden und leidenden
Menschen mit großer Vorsicht gefällt werden^ darf; obwohl die
Geschichte bisher es vorgezogen hat, aus der bissigen Memoiren-
literatur der folgenden Zeit und Kriegstagebüchern, die nachmals
am warmen Kamine verfertigt worden sind, das Material zur
Verdammung der Opfer von 1806 zu ziehen.
Nicht vage Gerechtigkeitsliebe, kein ephemerer Zweck führt
*) Dies steht historisch fest
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uns zu obigem Urtheil, sondern der furchtbar ernste Gedanke,
dass auch wir, die wir uns , sowie die Männer Preußens zu
jener Zeit, für die Besten unserer Zeit ansehen, nicht sicher davor
sind, einstmals ebenso gerichtet zu werden; und die praktische
Erwägung, wie dies zu vermeiden sei.
Napoleon hat die heißbegehrte taktische Entscheidung end-
lich gefunden und ihm verblieb der Sieg. Um denselben einzu-
leiten, marschierte er rasch und daher bequem ; er bediente sich
der modernen Strategie. Wir sahen ihre rein militärischen Mängel.
Uns scheint, als hätte Davout bei Auerstädt immerhin unterliegen
können, wie die Sachen lagen. Können. Darin liegt der Geist
des Krieges von 1806. Er unterlag nicht. Ist darum ein ver-
dammendes Urtheil über eine Strategie zu fällen, die ihre Heeres-
einheiten in solche Lagen brachte, wie Davout? Für 1806 ganz
sicher nein; ein Krieg, dessen Strategie so bequem
sein kann, wie dieser, weil seine Mittel so hervor-
ragend starke sind, ein solcher Krieg ist eine
sichere Form des Krieges, die stärkste, die es
geben kann. Denn rein militärisch gibt es einen Krieg
ohne Chancen nicht; nur kriegshistorisch gibt es ihn;
versprechen kann niemand und zu keiner Zeit, ihn zu führen ;
gehört er der Geschichte an, so mag er ohne Vorurtheil be-
trachtet werden. Wir ersehen aber aus diesem Kriege, wie in
ihm die Strategie mit der Taktik so innig wie kaum je zuvor,
Hand in Hand gegangen ist. Die Strategie Napoleons
im Jahre 1806 ist ohne genaue Kenntnis ihrer
Natur und der taktischen Natur derselben, über-
haupt nicht zu verstehen. Denn nur dann erkennen wir,
wie eben diese Strategie einzig möglich war, wenn die Mittel,
so wie hier, unendlich stärker waren.
So stellt sich der achttägige Krieg von 1806 wahrhaftig als
ein Ausnahmstyp des großen Krieges dar, und von »diesem Ge-
sichtspunkte aus muss er betrachtet sein. Nichts könnte ge-
fährlicher sein, als aus Napoleons strategischem
Thun, das nur für einen Ausnahmsfall zuge-
schnitten war, Axiome des Krieges zu machen.
Wenn man auch ohne Vorurtheil zugesteht, Auerstädt hätte für
Davout eine Niederlage werden können — denn von welcher
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Schlacht könnte man ersteres nicht verstehen, wenn sie anders
ausgefallen wäre, als sie eben ausgefallen ist — so wiesen wir
darauf und hier sind wir wohl sicher, keinem Widerspruche zu
begegnen, dass die Niederlage des einen französischen Corps
gewiss nicht eine völlige gewesen und von Napoleon gar bald
und glänzend wettgemacht worden wäre ; dass sie nicht vermocht
haben würde, den Ausgang des Kampfes entscheidend zu be-
stimmen. Und wenn wir den Blick noch höher erheben und be-
trachten die ungeheure Überlegenheit Frankreichs in jeder Hin-
sicht an Kriegsmitteln, so kann man wohl, wenn dem Satze
überhaupt eine Berechtigung zugrunde liegt, zu dem Schlüsse
kommen, der Krieg sei schon strategisch entschieden gewesen,
bevor er zur taktischen Action gedieh ; mehr als das, mit dem
Augenblicke, da er erklärt ward.
Hier liegt die große Lehre von 1806.
Nicht das, was man gerade in diesem Kriege, gerade an
der Saale, gerade im October that, nicht die Geschichte dieses
Krieges, sondern seine Vo rge seh ich te, die Vorbereitung
von Staat und Heer der feindlichen Parteien, hat die Entschei-
dung herbeigeführt.
Zwei grundverschiedene Formen des Krieges prallen auf-
einander und die Personen hüben wie drüben sehen wir
nichts anderes thun, als was sie die Vergangenheit hüben und
drüben gelehrt.
Und diese beiden Formen?
In Preußens Kriegführung und Heer erkennen wir die auf
die Spitze getriebenen Principien des XVIII. Jahrhunderts.
In Frankreichs Kriegführung und Heer die des XIX.
Wir sehen in Napoleons großer Armee ein
Heer, dem es durch seine Zahl, durch die Art, wie
es ergänzt, verpflegt, gelöhnt, bekleidet und be-
waffnet ward, und durch die Art, in der es kämpfte
— leicht gemacht war, zu kämpfen und zu siegen.
Leicht heißt im Kriege: leichter als dem Gegner.
So sehen wir, wie Schnelligkeit, Initiative, Kühnheit der
Action, und ganz besonders der kräftige Entschluss in
diesem Heere natürlich aus der Überzeugung kamen, dass
es stärker sei.
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Sein Heer vor allem denen des alten Europa dadurch über-
legen zu gestalten, dass es in jedem S t ü c k e *) leichter als
jene zum Kampfe ging und schlug, das war des
großen Menschenkenners Leitmotiv, als er die Heere Frankreichs
schuf.
Jedoch nicht darf dies Leitmotiv, wie es wohl verlockend
scheint, zu einem „ewigen" Gesetz des Krieges umgestempelt
werden.
Dort und dazumal war es wohl angebracht; dahin-
steht, ob es anderswo, zu einer andern Zeit, auch am
Platze wäre.
Nun ist noch eine Erwägung anzustellen, die von Wich-
tigkeit erscheint. Es kann wohl nicht geglaubt werden, dass der
Kaiser der Franzosen so systematisch, wie wir es hier thaten,
die Chancen des Kampfes abgewogen hat. Niemand wird be-
haupten wollen, dass er alle Schwächemomente seiner Gegner
so durchschaute, wie wir, denen eine gewissenhafte historische
Prüfung solches erlaubt. Der Kriegsschriftsteller fühlte wohl oft
bisher den Blick des Lesers fragend auf sich ruhen, ob denn der
Sieger von 1806 seine Gründe für den Sieg so methodisch ent-
wickeln, so analysieren konnte, wie es hier in behaglicher Breite
geschah. Die Antwort dessen, der den Krieg kennt und der da
weiß, wie dessen leitende Gedanken aus Erwägung und
Erfahrung zusammengesetzt sind, ist ein vernehmliches Nein.
Und, dies zu erklären und Napoleons Siegessicherheit in jedem
Stücke gleichwohl zu verstehen, ist nicht schwer. Jedes Kriegs-
system, doch halt, nicht jedes, fast jedes sagen wir, ist ein Misch-
product der Empirie und schaffender Gedanken. Besonders in
der taktischen Sphäre überwiegt meistentheils die lebendige
Erfahrung, während in dem Zug der großen Operationen meist
der schöpferische Gedanke eines Einzelnen zu erblicken ist, der
theoretisch baute, oder aber große Muster aus der Kriegsge-
schichte nahm, um völlig neues oder aber lange nicht mehr geübtes
auf die Bühne des Krieges zu tragen. Doch wir wollen bei der
Sache bleiben. Die Vorzüge der französischen Kriegsform seit
der Revolution waren auffallende gewesen und die Erfahrung
so vieler Schlachten hatte Napoleon gezeigt, dass die neue Taktik
*) Pleonasmus, den der Leser unschwer corrigieren wird.
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wahrhaft unübertrefflich sei. Das war Empirie, sie kam aus vier-
zehn Jahren fast unausgesetzten Krieges. Es ist ein Zeichen
praktischer Veranlagung, die Güte eines Mittels,
welche die Erfahrung beweist, nicht weiter theo-
retisch zu erhärten. Wohl kannte Napoleon die leitenden
Gedanken, die er sogleich mühelos aus der Empirie der neuen
Taktik zog, während wir sie lange im nachhinein mühsam aus der-
selben zogen. Wohl hatte ihn die Empirie belehrt, seine Taktik sei
die stärkere; aber es lag keine Veranlassung für ihn vor, die Sache
wissenschaftlich zu zergliedern und, so wie wir, bis in das De-
tail des Kampfes, und jedes einzelnen Kampfes herunterzugehen.
So blieb ihm vom Detail, wie historisch feststeht, manches un-
bekannt und musste ihm, dem Vielbeschäftigten, unbekannt bleiben.
Er begnügte sich mit der Erfahrung, seine Truppen seien in
jedem Stücke stärker, ohne sich um das wie und warum über
Gebür zu quälen. Der Feldherr arbeitet mit einem
weit geringeren Apparat an Gedanken, als es die
Kriegsgeschichte thut, und als die Kriegsge-
schichte ihm gemeiniglich zu im put ieren pflegt.
Er fragt sich nicht vor jeder Action, die einer seiner Unterführer
unternehmen will, wie die Chancen im Detail sein möchten;
sondern, sein Kriegssystem im großen Ganzen kennend, über-
lässt er es dem Unterführer, im Rahmen dieses Kriegs-
systems das Richtige zu thun. Alles und jedes kann der Feld-
herr ganz einfach nicht wissen und erwägen; vorkommen
kann, sowie es 1806 vorkam, dass der Feldherr insoferne
überrascht wird, als da oder dort ein Führer mit einem Truppen-
theile soviel geleistet hat, als er, der Feldherr selbst, nicht er-
wartete. Dann lag aber der Grund hiefür so recht eigentlich in
der Stärke des eigenen Systems — wenngleich nicht stets,
doch meistentheils, — des Systems, das der Feldherr im großen
Ganzen kennt. So war es hier mit Davout, und sehr ge-
mischt, wie wir oben sahen, waren Napoleons Empfindungen bei
Erhalt der Siegespost; er sah, wie stark seine Mittel im an-
genommenen Systeme waren, so stark, dass sie seine persön-
lichen strategischen Fehler gut zu machen vermochten. Dieses
universelle Stärkegefühl zeitigt Gefühl der Stärke im Detail bei
allen Unterführern. In der That, die Leistungen der Marschälle
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des ersten Kaiserreiches flössen zum allergrößten Theile aus der
Kriegspraktik des K aise rr eiche s und keineswegs
aus den persönlichen Eigenschaften der Führer.
Es ist ein Abglanz des napoleonischen Systems, welches den
Herzog von Auerstädt verklärt und fast tritt seine persönliche
Physiognomie dagegen zurück. Nicht weil die Marschälle Helden,
ideale Heerführer waren , zeigten sie an allen Orten Initiative,
Vorhand, Activität; sondern sie erhoben sich zu diesen kriegeri-
schen Tugenden, weil ihre Mittel eben stärkere waren.
Nichts als Phrasen scheint alles dies zu sein, und wohl liegt
darin Stoff zu actueller Erwägung genug. Und bis zur höchsten
Stelle uns erhebend, nehmen wir ein Gleiches wahr. Napoleon
glaubt einfach, diesesmal der specifisch Stärkere zu sein und
handelt demgemäß; obwohl er sein Siegesbewusstsein nicht so
ad hoc analysiert, wie wir, denen die Muße eines langen Friedens
die Zeit dazu gewährt.
Dass dieses Siegesbewusstsein seit Austerlitz mächtig ge-
wachsen war, steht geschichtlich fest. Wir sahen, wie es in
diesem Kriege Napoleon in eine prekäre Lage brachte, prekärer
als die Mortiers am Dürrenstein das Jahr vorher. Allein gerade
dadurch, dass solche Lagen glücklich überwunden wurden, er-
hält sein Glaube an sich und seine Mittel neue, mächtige Nahrung.
Die Überzeugung von der Unbesiegbarkeit seiner Mittel, der
Übermuth auf ihre Stärke, das Pochen auf dieselbe, gehen vom
14. October aus, und dies ist wahrhaft der Beginn einer Phase
in des Kaisers persönlicher Entwicklung, die von nun an mächtig
wachsen wird. Doch soll dieser unendlich interessante seelische
Abwandlungsprocess an anderer Stelle aufgezeichnet werden,
sofern uns dies gelingt. Für 1806 ist die Phase der Entwicklung
in Napoleons Feldhermthum, wie wir sattsam sahen, der Appell
an*s Abmessen der Kräfte, nachdem er jetzt, 1806,
angesichts derStärke seiner Mitte 1, der heroischen
strategischen Künste seiner Lehrjahre nicht
mehr bedarf.
Wir haben bereits — soweit wir es vermochten — dar-
gethan, dass ein Kampf, wie ihn Preußen bei Jena-Auerstädt be-
stand, auf das ganze Heer, Führung sowohl als Truppen, auf-
lösend wirken musste, nachdem wir, wie wir glauben, genügend
C. von B.-K. Zur Psychologie des großen Krieges II. 23
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354
und erschöpfend dargethan, dass er auflösend war und warum
er es war. Die ungeheure Reaction in der Seele eines Heeres,
dem man immerfort und beharrlich wiederholte, man führe es
zum Sieg, dem man Verachtung des Gegners geflissentlich an-
erzog, und das so bittere Erfahrungen machte, wie das preußi-
sche am 14. October, ist begründet im Wesen des Krieges und
wir kennen kein Heer aus keiner Zeit, das sich einer so furcht-
baren Enttäuschung gegenüber gleichmüthig verhalten hätte.
Nicht darf daraus jedoch, beileibe nicht, gefolgert werden, es sei
das Princip, die Heere an sich glauben zu machen, ein ver-
werfliches. Diesmal, dieses eine Mal, war die Ungleichheit
in der Mechanik so gewaltig, dass Imponderabilien sie nicht
wett zu machen vermochten, und dass diese jetzt fielen sehr
erklärlich, doch sind sie selbst nicht zu verwerfen. Wohl
traten nach der Entscheidung verderbliche Folgen der Selbst-
überschätzung ein ; aber welche Zeit erzieht ihre Mittel vor
allem für die Niederlage? Gerecht und milde muss man sein,
will man die unverhüllte Wahrheit des Krieges sehen. Alles
wandte man zu jener Zeit in Preußen an, um den Sieg zu
erhalten, in Vorbereitung der Mittel; sie auch noch dazu
gegen das Missgeschick immun zu machen, ging nicht gleicher-
weise an, so wie man es heute noch nicht, aus kriegspsycho-
logischen Rücksichten thut. Um das jammervolle Bild des Rück-
zuges zu erklären, um die Festungsübergaben und Capitulationen
im freien Felde, die damals förmlich Mode wurden, zu verstehen,
dazu genügt nur Objectivität, bei der man immer weit entfernt
davon sein kann, jene gut zu heißen. Es würde uns nicht über-
raschen und überrascht uns nicht, wo wir Muth, Entschlossen-
heit, Widerstand zum äußersten begegnen. Aber wir schlagen
nicht pharisäerhaft die Hände über dem Kopfe zusammen, wo
wir natürliche Wirkungen natürlicher Ursachen sehen. „Wohl
muss zugegeben werden, dass die Zeit vor Jena mit der Phi-
lanthropie und ihrem Cosmopolitismus und ihrem Biedersinn viel
dazu beigetragen habe, Jena zu erklären," wird uns verblümt
gesagt, so nebenher. Der Geist der Zeit, in der die
Entscheidung fiel, der ist die allererste Potenz, die
wir betrachten müssen, wollen wir ihre Folgen
verstehen; er ist der Schlüssel zu so manchem,
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was ohne solchen unverständlich scheint. Alle
preußischen Führer handelten im Geiste ihrer Zeit, denn sie waren
Kinder ihrer Zeit und mussten es wohl sein. Jede Zeit hat
andere Ideen über den Punkt, wohin der Krieg
auf seinem Wege zum äußersten vordringen
kann und soll. Auch unsere Zeit kennt solche
Grenzen, die man Völkerrecht, die man Humani-
tät, die man Gesittung nennt. Wie stünden wir
wohl einem Kriege gegenüber, der sich über
diese Grenzen — kr iegsco n ven tionelle Grenzen
des XIX. Jahrhunderts — rücksichtslos erhebt?
Wir würden einfach rath- und that- und hilflos seini Das
war die Lage 1806. Die Rücksichtslosigkeit des
napoleonischen Krieges, die wir uns seither zum
Muster nahmen, und die man heute für selbst-
verständlich hält, erschien den Männern jener
Tage als eine Barb arei, gegen die nicht anzukäm-
pfen sei, und sie senkten das Panier. Wer über
die eigene militärische Epoche hinwegzusehen vermag, wer die
Vergangenheit des Krieges und die Unveränderlichkeit der mensch-
lichen Seele kennt, entsinnt sich der Veränderlichkeit in der
Natur des Krieges, die uns ebenso wie unseren Vätern die aller-
ungeahntesten Überraschungen zu bringen immerhin vermag.
Nicht sagen wir, das Verhalten des deutschen Volkes und des
deutschen Heeres sei 1806 ein rühmliches oder auch nur ein für
den Augenblick opportunes gewesen. Aber wir verstehen, dass
es natürlich war.
Rückzug und Verfolgung tragen den weltgeschichtlichen
Typ dieses Krieges. Wir verstehen Friedrich Wilhelms III. angst-
erfülltes Flehen um einen Waffenstillstand, denn jeder Monarch,
der nicht eine Ausnahmserscheinung ist, hätte gehandelt wie er.
Wir würdigen den Umstand, dass der Wille des Königs, nicht
mehr zu kämpfen, in Truppen und Führer, die sehr gewillt sein
mussten, dem Wunsche des Königs entgegenzukommen, überfloss.
Wir begreifen den Innern Widerspruch, in welchen die ganze Kriegs-
handlung durch das stolze Ablehnen jeder Verständigung seitens
Napoleons gerathen musste. Wieder floss hier die Poli-
tik, die im Hauptquartier verfertigt wurde, ver-
23»
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derblich in die Kriegsaction. Wenn Generale, die
nur den beschränkten Zweck: zu kämpfen oder sich kämpfend
zurückzuziehen, kennen und befolgen sollen, durch die diploma-
tischen Schmarotzer des Hauptquartiers beständig auf dem Lau-
fenden erhalten werden von den Abwandlungen einer Politik,
die den Frieden sucht, so werden sie, falls sie nicht so urwüchsige
Degen sind wie Blücher, den Wunsch ihres Monarchen vorweg-
zunehmen suchen. Sie werden dies, wie wohl am Tage liegt,
der Kriegshandlung zum Vortheile nicht thun. Ein solches ge-
schah hier;^ es lag im Geiste jener Zeit und muss gleichfalls
verstanden sein. Dies lehrt uns, wie sehr in manchen Fällen
beschränkte, blinde Werkzeuge wohl zu gebrauchen sind; und
wie es oftmals gut für den Zweck des Soldaten ist, wenn er, ohne
an die Politik zu denken, streng bei seinem Handwerk bleibt. Wir
sagen dies nicht allein mit einem Blicke auf die Truppenführer, die
sozusagen auf Schleichwegen von der Politik des Königs sich
Kenntnis zu verschaffen wussten ; denn diese Kenntnis, somit dies
Thun, war illegal. Es gilt dies jedoch gleicherweise für den Führer
der Armee, wenn er nicht ganz besondere Gaben hat ; Aushilfs-
führer, wie solche der König hier auf seinem Rückzug wählte.
lassen, wie der Franzose treffend sagt, jede von oben empfangene
Idee in die Maschine transpirieren. Es ist um Aushilfsführer über-
haupt ein eigen Ding, und man darf sie nicht mit jenem Maße
messen, mit dem man andere Führer misst. Unkenntnis, Un-
geübtheit, Verdruss mit der Aushilfsrolle, die ihnen, nothdürftig
als Vertrauensrolle ausstaffiert, überwiesen ward, wirken auf solche
Feldherren ein. Die ganze Verwirrung, die sich auf dem Rück-
zuge ergab, war zum Theile die Folge des Wechsels im Befehl.
Und hier müssen wir zum erstenmal aufrichtig gestehen, dass
es nicht hinwegzuleugnen ist, die Blessur des Herzogs, also ein
accidentielles Ereignis, habe verderbliche Folgen gehabt. Jedoch
diese Folgen erhöhten nur mehr die Auflösung, sie führten
dieselbe nicht herbei, sondern vervollkommneten
sie nur. Wir sehen auf diesem Rückzuge, aber auch erst auf
diesem, die bösen Früchte reifen böser Saat, die Irrthümer ver-
gangener Jahre in die Armee gestreut. Wir betrachteten die Mechanik
der Retraite und wenn wir uns auch gestanden , wir würden
sie nicht in jedem Stücke so befohlen haben, wie sie geschah.
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falls wir das vom Gegner wussten, was wir heute wissen, so
verstehen wir sie doch. Wir sahen in ihr nur unvermeidliche
Consequenzen der Schlachten. Die Idee, nach Magdeburg zu
gehen, die wird wohl niemand verdammen wollen. Wir sahen
die materielle Unmöglichkeit für Hohenlohe, hier zu bleiben, und
billigen mussten wir es, wenn er abmarschierte. Wir sprachen
kein Wort von der strategischen Heilmethode, die Clausewitz nach-
mals für jene Tage ausgedacht und die vor ein paar Jahren in
seinen Nachrichten zum Vorschein gekommen ist. Wir zögern
nicht zu sagen, dass wir hier den berühmten Autor des Buches
vom Kriege nicht wiedererkennen ; mit der geschlagenen Armee
will er in drei Tagen 18 deutsche Meilen machen, er glaubt, das
wäre die Medicin gewesen, die eine vernunftgemäße Strategie
dem todeswunden Heere zu reichen gehabt. Wir bitten sehr,
darüber in dem bekannten Werke nachzulesen und dann ent-
scheide man, ob unsere Kühnheit wohlberechtigt sei. Wäre
dieser Marsch angetreten und beendigt worden,
so würde er als ein Markstein in der Kriegsge-
schichte stehen; man würde ihn ganz einfach für
übermenschlich halten. Begann man ihn und versagten die
Mittel, so trüge heute Hohenlohe zu den Vorwürfen moralischer
Xatur, mit welchen man ihn überlud, auch den des Wahnsinnes.
Wir haben hier ein seltenes und auffallendes Beispiel vor uns,
wie ein seiner Kraft bewusster Geist individuell Kriegsgeschichte
schreibt. Er selbst traut sich die Fähigkeit zum
Unmöglichen zu, und so lehrt er dasUnmögliche;
wohl ist ein gesunder Kern darin, wenn der Lehrer von dem
Schüler das Unmögliche verlangt. Allein gefährlich kann es sein,
niit Illusionen zu spielen, die vor dem Auge dessen, der im
Kriege stehen und sich entschließen sollen wird, vor der er-
barmungslosen Wirklichkeit des Krieges in nichts zerrinnen
werden. Solche Illusionen macht nur eine Ausnahmsnatur zur
That, diese bedarf eines Ausnahmscharakters, und diesen er-
zeugt man nicht durch schonungslose Kritik. So darf die Kriegs-
geschichte — Clausewitz in Ehren — nicht geschrieben sein.
Wir sind wohl überzeugt, dass niemand es fälschlich deuten
wird, wenn wir uns sowohl im ersten als im zweiten Hefte des vor-
liegenden Werkes gegen den unvergleichlichen Lehrer des Krieges
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gewandt. Nicht Polemik kann es sein, wenn sich der Schüler in
einzelnen Fällen mitunter gegen den Lehrer erhebt, sondern der
Umstand, dass er ihn nicht beiseite liegen lassen kann, und es
nicht über sich gewinnt, ihn einfach abzuschreiben.
Wir wollen hiermit die Betrachtung des Rückzuges schließen.
Denn nur ganz außerordentliche Kraft eines hervorragenden
Charakters, der die anderen Charaktere zwang, über das im
System der Zeit liegende Maß an Energie hinauszugehen, hätte
hier Rath zu schaffen vermocht. Dass ein solcher Charakter
nicht zur Stelle war, ist uns hinreichend bekannt. Und kann es
bilden, wenn wir aus sicherer Ferne anzugeben uns vermessen
sollten, was hier zu thun war? Charaktere, die über das, was
ihre Zeit als Maß für den Charakter festgesetzt hat, sich erheben,
nochmals, die bildet man durch Belehrung nicht, sie bilden sich
selbst und ziehen aus der bloßen Betrachtung dessen, was ge-
schah und unterblieb, stets ein richtigeres Resultat hervor, als es
fremde individuelle Betrachtung jemals zu bieten vermag.
Was Napoleons Verfolgung anbetrifft, so geht — trotz allem
was die Wissenschaft dagegen gesagt hat und noch dagegen
sagt — aus dem Materiellen derselben die Thatsache hervor, dass
der Kaiser sofort nach den Schlachten Berlin als Operationsobject
in*s Auge gefasst hat, und die Ausbeutung des Sieges secundären
Kräften überließ, da ihm der Sieg zu vollständig erschien, um
ihn selber auszubeuten. Wahrhaftig, Napoleon sah nach dem
14. Ocfober in der geschlagenen Macht des Gegners kein Ope-
rationsobject, sondern nur eine hochwillkommene Beute für ein
paar seiner Corps; wahrhaftig, er ruhte aus und gab seinen
Mitteln, die sich so vorzüglich bewährt, ein paar Tage der Er-
holung, rein militärisch angesehen, vielleicht sogar einen zuviel;
wahrhaftig, er wählte den geographischen Punkt Berlin zu seinem
Operationsobject. Unglaublich ist, wie zeitgenössische
Kriegstheorie die Kriegsgeschichtsschreibung vergangener
Zeiten bestimmt, und wie sehr sie das Urtheil gelegentlich ver-
wirren kann. Weil man aus Napoleons Kriegen die doctrinäre
Lehre zog, er habe immer nur die Hauptmacht des Gegners
zu seinem Operationsobjecte gemacht; seine Schnelligkeit und
Beweglichkeit seien immer gleich unermüdlich gewesen ; immer
habe er verächtlich auf geographische Punkte heruntergesehen:
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SO dreht und windet sich die Kriegsgeschichte dann, wenn sie das
Gegentheil wahrnimmt, nach allen Richtungen, um den Contrast
in das System, so gut oder so schlecht es eben geht, zu pressen.
Sie übersieht die ungeheure Mannigfaltigkeit, in welcher der Krieg
überhaupt und ganz besonders in der Hand eines
Feldherrn von erstem Range, wie der erste Na-
poleon es war, und unter verschiedenen Verhält-
nissen, wie solche die napoleonischen Kriege
weisen, aufzutreten pflegt. Sie nimmt nicht wahr, oder
hütet sich wahrzunehmen, dass kein Krieg dem andern
gleicht, so dass diese, sogar was die leitenden Ideen betrifft,
so große Unterschiede zeigen, wie die Individuen derselben Art.
Und hier trafen zwei Arten des Krieges zusammen.
So stellen wir — des Widerspruchs gewärtig — indem
wir hoffen, es werde eine Zeit erscheinen, die unserer Meinung
beipflichten wird, folgende Thatsachen fest, die das Bild des
Krieges vollenden.
Napoleon unterlässt die Verfolgung mit dem größten Theile
seiner Macht, weil er erkennt, der Gegner sei so total besiegt,
dass er als ein würdiges Operationsobject nicht mehr anzusehen
sei. Wohl mahnt der Kaiser die Marschälle, das Möglichste zu
thun, um die Zerstörung zu vollenden ; doch er selbst greift nicht
mehr ein. Es lesen sich die bezüglichen Befehle wie die Direc-
tiven eines Commandanten, der einem Untergebenen eine Neben-
operation befiehlt; auch jener schärft diesem Gewissenhaftig-
keit, Beharrlichkeit u. s. w. ein ; allein trotzdem hält er den Zweck
für eine Nebenoperation. Man muss nicht der Doctrin zuliebe
das in Napoleons Correspondenz ernst nehmen, was in dieselbe
passt, sondern nur das, was sich mit dem, was er that, gedeckt
hat. Für den Menschenkenner liegt es klar am Tage, wie Na-
poleon mit seinen Gedanken nicht so intensiv bei der Verfolgung
war, wie es das militärische Ideal, das er uns sein soll, erheischt.
Und darauf kommt es an. Erheben wir uns über die Doctrin
und erkennen wir, dass, wie dieser Krieg ein Ausnahmskrieg
gewesen ist, auch Napoleon ausnahmsweise handelt; wahrlich,
dass er dessen fähig sei, davon hat er sowohl früher als später
Beweise genug gegeben.
Napoleon unteriässt die legendäre Activität der Kriegführung,
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indem er seinen Truppen ein paar Tage Ruhe gönnt. Klar sehen
wir, warum er's that. Er glaubte vor sich bis nach Berlin ofifenen
Weg zu haben und erwog, ein Tag früheren Erscheinens da-
selbst wiege die Vortheile nicht auf, die sein Heer aus der Ruhe
gewann ; ja, materielle Vortheile sind nachzuweisen, wenn man
an die natürliche Dankbarkeit für seine Truppen durchaus nicht
glauben will. Noch klarer sehen wir, wie aus der Sorglosigkeit,
mit der Napoleon ruhte, ihn die Nachricht des Gefechts von Halle
rief und der Argwohn, die Elbe sei gesperrt. Jetzt kommt Leben
und Bewegung in die Armee und sofort bricht sie auf, um die
so wichtigen Übergänge zu gewinnen. So klar, so deutlich
sehen wir, wie der Kaiser der Franzosen hier wieder nicht nach
der Doctrin, welche ihm die Epigonen imputierten,
sondern nach dem Augenblicksbedürfnisse des Krieges handelte.
Ein paar Tage der Ruhe schienen ihm zulässig, als der Feind
zerschmettert war ; er gewährte sie, da der Krieg sie ja eben
erlaubte. Sofort eilt er zu neuem Thun, als es der Krieg verlangt.
Diese beiden Züge vollenden das Bild des Krieges von 1806.
Napoleon trägt eine gewisse, eine gewisse, sagen
wir, Sorglosigkeit zur Schau; er argwohnt keine
großen Widerschläge ; nach den Schlachten benimmt er sich
sozusagen behäbig, denn er ruht. Sein ganzes Thun nach dem
14. October athmet das Bewusstsein, die Arbeit sei rasch und
gänzlich gethan, und es bliebe nur mehr die Consequenz aus
dem Erreichten zu ziehen.
Napoleon wählt endlich Berlin als Operations- Object, das
er im Beginne des Krieges schon als Endziel des Krieges ansah.
Schon früher wiesen wir darauf, dass Berlin, die Hauptstadt der
preußischen Monarchie, auch 1806 kein „geographischer" Punkt
gewesen ist, sondern ein Object von erster kriegspolitischer
Attraction. Wir stehen nicht an zu glauben, dass
der Zweck des Krieges auch in unseren Tagen
es manchmal erheischen kann, gewisse mili-
tärische Vortheile der Besetzung eines „geogra-
phischen" Punktes, wie die Capitale des gegne-
rischen Staates, ohne Vorurtheil zu opfern. Wir
halten uns für überzeugt, dass hier, im Jahre 1806, von Seite
Napoleons ein Ähnliches geschah. Bekanntlich hat er das Gleiche
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1813 ZU wiederholen versucht, als er Oudinot doch wahrlich
nur aus politischen Gründen — seine Feinde sagen, aus Rach-
sucht gegen Preußen — mit einem starken Heere auf Berlin ge-
sandt. Wir haben hier somit die historische Analogie. Bedenke
man, dass sich Napoleon wohl den Eindruck ausmalen konnte,
welchen die Besetzung von Berlin auf Europa, mithin auf die
Russen machen musste , und man wird begreifen , dass er
wohl von Haus aus entschlossen sein konnte, einige Tausend
Gefangene und einige Beutekanonen mehr diesem Zwecke zu
opfern. Hier dictierte oder konnte doch die Politik militärische
Unterlassungen dictieren, welche rein militärisch, an der Hand
der Doctrin, nicht zu erklären sind, welche jedoch die Politik
mehr als genügend erklärt. Aber bemerkt muss werden und
stets erinnere man sich, dass nur, wer stärker ist, militärische
Unterlassungen politischen Zwecken zuliebe in der Regel straflos
begeht.
Wir glauben, es werde nach alledem nicht mehr nöthig
sein, das Urtheil der Kriegsgeschichte, dessen wir Erwähnung
thaten, als gebüre dem Glücke Napoleons ein großer Antheil am
endlichen Erfolge, indem es reiner Zufall war, dass er vom Marsche
des Fürsten zu Hohenlohe erfuhr, auf seinen wahren Wert zu-
rückzuführen. Jener lief ihm an der Havel geradezu in's Garn.
Wohl erfuhr Napoleon zufällig hievon, und dieser Zufall führte
nach Prenzlau und Lübeck. Aber er hätte sicherlich, wie die
Dinge lagen, früher oder später, so oder so, in Erfahrung ge-
bracht, Hohenlohe ziehe nach der Oder. Wir wollen hier auf
die Bereitwilligkeit der preußischen Bevölkerung, den Sieger mit
Nachrichten zu versehen, nicht mehr als nöthig verweisen ; klar
liegen die Dinge Ziffern- und datenmäßig, ja geographisch für
den, der sehen will. Und dann, was waren das für Trümmer,
die an der Ucker und an der Trave in seine Hände fielen.^ an
Zahl sowohl als an Beschaffenheit? Nur Epiloge weist uns die
Geschichte noch und so glänzend sie auch für Frankreich waren,
das Resultat haben sie nicht wesentlich mitbestimmt und dem
welthistorischen Charakter des Krieges würden sie, wenn nicht
geschehen, keinen Eintrag thun.
Die Entscheidung des Krieges lag bei Jena-Auerstädt. W i r
sehen, wie der materielle Krieg diesmal über jene
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Form des Krieges, die vornehmlich mit geistigen
Hebeln wirkt oder wirken will, glänzend obsiegt.
Denn auf den Contrast von wirklichem Kampfe
und Drohen im Kampfe laufen die Extreme hier
wie dort in letzter Linie hinaus.
So bliebe uns denn noch die Moral des Krieges aus der
Erzählung des Krieges abzuklären übrig.
Man begreift unter dieser Moral jene Summe an Erfahrungs-
sätzen, die, aus dem Kriege von dazumal geschöpft, und in
didaktische Form gegossen, auch für die Gegenwart noch geltend
sind.
Der menschliche Geist hat immerdar darnach gestrebt, die
Lehren der Erfahrung in allgemeine Thesen umzugießen. So
sucht er es auch für den Krieg zu thun. Es liegt dieses Be-
streben in der menschlichen Natur, welche Ordnung und Zu-
sammenhang in das Urtheil bringen will. Was den Krieg betrifft,
so entstehen jene Sätze, welche jede Zeit die unveränderlichen
Grundsätze der Kunst des Krieges nennt, zum Theile aus diesem
registrierenden und ordnenden Motiv. Der Geist des Kriegs-
schriftstellers nimmt sich vor, die allgemeinen Grundsätze des
Krieges aus den so heterogenen Erscheinungen des Krieges zu
gewinnen und dieses nivellierende Bestreben beherrscht ihn auch,
wenn er Contraste sieht. Es geht nicht an für den didaktischen
Zweck der Kriegsgeschichte, die Kriege als Individuen anzu-
sehen, deren Leben besonders studiert sein will; denn sie ge-
riethe zu einer Sammlung von Besonderheiten und nicht zu
einem Sammelbild; denn es gilt Axiome, ein Bündel von solchen
zu gewinnen und nicht eine Reihe von Lehren für den Aus-
nahmsfall; denn es handelt sich darum, dem Autodidakten, der
den Krieg studiert, das Gemeinsame des Krieges und nicht das
Besondere desselben zu zeigen.
Ersichtlich tritt hiebei zu Tage, dass der Krieg als Individuum
— und ein solches wird er auch in der Zukunft bleiben —
hierunter leiden muss.
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Wir stehen nicht an zu glauben, dass das Studium eines
Krieges im Detail mitunter weit mehr bilden kann, als das Durch-
arbeiten eines Abrisses der ganzen Kriegsperiode.
Indess, es ist so ; der Lehr- und Lernzweck erheischt es
so. Rückwirkend ist auch der Geist, den man aus der Kriegs-
periode zog, auf die Betrachtung eines ihrer Kriege.
Wer heute einen Krieg des ersten Kaiserreiches schreiben will,
der muss vor allem dessen Interpreten wohl gelesen haben, auf
dass er wisse, welche leitenden Ideen an die Vorgänge des
Krieges anzupassen sind. Er betrachtet das Besondere; und die
allgemeinen Ideen, die er mitgebracht, beherrschen ihn bei Be-
trachtung des Besonderen; er sucht die abgeleitete
Theorie mit der überlieferten Wirklichkeit auf
jeden Fall zu reimen. Das kennt er, was man Napoleons
Maximen nennt, unantastbar scheinen sie ihm zu sein, und um
solche nicht anzutasten, corrigiert er, nicht die Geschichte selbst,
denn die steht fest, sondern das historische Urtheil.
Und doch — wir sagen es mit Überzeugung — gibt es
wohl keine größeren Contraste in der Natur des Krieges, als wir
sie in den Kriegen finden, die der erste Kaiser der Franzosen
gefuhrt hat. Die einfache Erwägung, wie verschieden die Mittel,
wie heterogen die Zwecke, und wie von einander abweichend
die Resultate waren, führt geradewegs zum Schluss, jeder Krieg
Napoleons müsse ein besonderes Aussehen weisen.
Wir haben der Meinung wiederholt Ausdruck gegeben, der
Krieg von 1806 sei eine Ausnahmserscheinung und müsse von
diesem Gesichtspunkte aus betrachtet werden.
Aber ein anderes Motiv, praktischer, scheinbar zweckbe-
wusster, und doch vor allem instinctiv, weist die Kriegsgeschichte
auf den Pfad, der zu allgemeinen Lehren, zu unveränderlichen
Grundgesetzen des Krieges führen soll. Thatsache ist, dass sie
sich beeifert, aus den Kriegen jeder Epoche die unveränderlichen
Grundsätze hervorzusuchen, und hoch ist sie erfreut, wenn ihr
dies gelingt. Neuerdings sagt man nicht mit Rüstow „unverän-
derliche Grundgesetze'', sondern „Axiome'% wenigstens was die
Strategie betrifft. Welches ist nun das zweite Motiv ? Es ist das
instinctive Streben, sich Geisteswaffen zu verschaffen, von
denen man die Hoffnung hegt, sie würden auch in Zukunft wirk-
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sam sein. Das Suchen nach Axiomen um jeden Preis ist nicht
so doctrinär, als es den Anschein hat, sondern es ist das bange
Haschen nach einer Richtschnur und nach einer Norm zum Thun
im künftigen Kriege, von welcher Norm man hofft, die Zukunft
gehöre ihr. Es ist das Forschen nach den unveränderlichen Grund-
gesetzen der Feldherrnkunst in letzter Linie nichts als der u n-
bewusste Protest gegen die Veränderlichkeit in
d er Natur des Krieges, die sich so oft verhäng-
nisvoll geäußert und vor der die Gegenwart be-
ständig zagen muss.
Zugeben muss man, dass dieses Streben sehr natürlich, ja
dass es sogar didaktisch wohl angebracht sein kann. Jedoch
es zeigt den Krieg nicht so, wie er in derVergan-
genheit gewesen ist, sondern wie man gerne möchte,
dass er in Hinkunft sei. Es ist das wissenschaft-
liche Forschen nach Axiomen für den Krieg mit
einem Worte nichts, als die Bitte an die Zeitge-
nossen, über die kriegsconventionelle Überein-
kunft, die eben herrschend ist, ni c ht hina uszu-
gehen.
Dieses Bitten wird, angesichts der welthistorischen Noth-
wendigkeit, dass sich der Krieg verändere, meist vergeblich sein.
Ist der Krieg conventionell geworden, so eilt die Wissenschaft,
ihn als die vollendetste Form des Krieges darzuthun. Üppig
wuchert an allen Orten die Euphemie oder besser die ungeheure
Lüge vom Fortschritt, den der Krieg bisher gemacht. Es ist ein
eigenthümliches Problem, wieso es kommt, dass man für eine
so zerstörende und unglückbringende Action der Weltgeschichte,
wie der Krieg, das harmlose Wort vom Fortschritte braucht:
es liegt Genugthuung und Selbstberuhigung darin, von dem durch
den Fortschritt Erreichten zu reden, ohne näher darauf einzu-
treten, wie die nächste Stunde schon den Fortschritt von heute
in's alte Eisen werfen kann. Gefährlich ist es in der That, daran
zu erinnern, und es öffentlich zu sagen, der Krieg stehe nicht
still und alles, was bisher erreicht ward, sei vielleicht nichts
anderes als Übergang zu Neuem.
Der Zweck dieser Philosopheme rückt sofort in's rechte
Licht, wenn wir an die Zeit von Jena denken.
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Wir nahmen an, dass dieser Krieg als Ausnahmserschei-
nung zu betrachten sei; und so wollen wir, oder besser, wie
wir eingestehen, können wir sehr wenige, nur ein paar un-
veränderliche Grundgesetze der Feldherrnkunst mit gutem Wissen
und Gewissen aus demselben ziehen.
Man lese die Militärliteratur aus der Zeit vor Jena und
man wird sehen, dass Preußen dazumal, sowie heute wir, im
conventioneilen Kriege seiner Zeit jenen Krieg erblickte, der
grundsätzlich nicht mehr zu verändern sei. Die Axiome
für jene Zeit trugen die Männer jener Zeit aus der Kriegs-
geschichte der ganzen Zeit vorher zusammen und hervorragend
beeinflusst waren diese Sätze durch den Fortschritt, den Fried-
rich eingeführt ; sowie wir heute wieder unsere Axiome
aus der Vergangenheit bis zu unseren Tagen suchen und be-
friedigt darauf sehen, wie herrlich weit wir es zuletzt gebracht.
Unsere Gegenwart erscheint uns als Vollendung*),
sowie ihre Gegenwart un s eren Vätern als Vollen-
dung e rschien. Um zu verstehen, wieso es kam,
dass die Männer der vo rjen a'schen Zeit nicht
vorausgesehen haben, was sich vorbereitete, be-
denke man, wer von uns in der Lage ist, auch nur
zu ahnen, was uns die Zukunft b ringen w erde ;
und doch ist nicht zu zweifeln, dass auch unser
Krieg sich sehr verändern wird. Daraus leitet
man ohne Mühe ein Axiom, das wohl für alle
Zei ten G eltu ng haben wird: Jede Zeit sieht ihre
Art zu kämpfen als die vollendetste an und kaum
kann sie verstehen, was an deren Stelle gesetzt
zu werden vermöchte; indem, wie männiglich bekannt,
man nicht in der Zukunft lesen kann.
Man muss sich allen Ernstes auf den Standpunkt stellen •
Jede Epoche hält ihren Krieg für den vollendetsten Krieg; wir
thun es für unsere Zeit; es muss für jene gelten !
*) Die Sprache muss mit solchen Abstractionen naturgemäß im Hader sein. Vollen-
dang bedeutet hier soviel, dass die ungeheure Mehrheit der Zeitgenossen unsern Krieg als
einen solchen, der nicht mehr grundsätzlich zu verändern ist, ansehen und die Praxis
sich dieser Anschauung durch That und Unterlassung fQgt; nicht schließt dies vereinzelte
Meinungsgegensätze, Propheten einer neuen Zeit, unbequeme' Warner u. dgl. aus.
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— 366 —
Fast unbemerkbar sind die Symptome, die, in der Gegen-
wart allmählich keimend, die Wiege eines künftigen Krieges zu
bilden bestimmt sind; unmerklich, leise treten die Ursachen auf,
die unbedeutend sind dem Anscheine nach und doch zu den
mächtigsten Wirkungen führen. Das scheint uns ein ewiges Ge-
setz des Krieges in der That zu sein: dass Veränder-
ungen der Bedingungen zum Kriege nicht voraus-
sehenden Geistes, in ihren Folgen scharf und sicher
abzuwägen sind. Es liegt, wie wir an Jena sahen, der große
Unterschied an Wirkung wahrhaftig oft in einem geringen Un-
terschied der Form, der an sich nicht gewürdigt werden kann,
sondern über den einzig der Versuch belehrt. Wir haben das
Bild der beiden Heere mit guten Gründen breiter ausgemalt, als
es der Umfang dieser Studie zu erheischen schien ; wohl dachten
wir zuerst daran, auch das Bild der Heere historisch zu
geben, indem zuerst das alte Kriegssystem, ohne Blicke auf das
neue, aus dem Thun des XVIII. Jahrhunderts logisch entwickelt
ward, bis es uns allen plausibel, zweckmäßig, gut, erschien ;*)
bis wir es für den unveränderlichen Krieg ange-
sehen haben würden; und dann das neue ohne Blicke auf das
alte, als eine Improvisation, ein Gemisch von Noth und zweckbe-
wusstem Wollen, von dem Bedarf bedrohter Zeit und sieghafter
Aussicht auf eine neue, dessen Wert erst zu erweisen sei;
wir dachten lange daran, ob dieses, eine wahrhaft historische
Art den Krieg zu betrachten , nicht doch durchführbar sei, und
überzeugten uns, dass es doch nicht gut möglich war, denn wir
leben eben noch selbst im neuen Systeme und es fehlt uns somit
das Verständnis fiir's alte, das erst mit einem wieder neuen
wiederkehren kann. So gaben wir das Bild der Heere rein
militärisch und ziemlich breit, um — das Leitmotiv verkehrend —
den großen, den ungeheuren, den aufaUenden
Unterschied zu zeigen, der zwischen altem und
neuem Kriege nach der Auffassung von heute bestand.
Wir thaten dies, um die furchtbar ernste Lehre daraus abzu-
*) Der Verfasser glaubt, dass dieses nicht ganz unmöglich ist Sehr lebhaft ist ihm Iq
Erinnerung, wie er, zu einer Zeit, da er tlber den Krieg zu denken begann, doch dos Wesen
des Krieges von heute in dem Mafle kennend, wie dies allgemein und üblich ist, BQlows
Sätze ganz plausibel fand und ihm zustimmen musste, da er nicht imstande war, ihn zu
widerlegen; er schämt sich nicht, dies einzugestehen.
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— 367 —
leiten, wie die Menschen jener Zeit trotz eines so auffallenden
Contrastes der Ursachen die Wirkungen mit voller Sicherheit
nicht abzumessen wussten. Kann man glauben, jene Menschen
seien blind gewesen gegen die Gefahr, und unser geistiges Auge
habe sich seither geschärft, wie etwa die Kanonen verbessert
worden sind? Der Mensch, seine Seele, sein Verstand, bleiben
zu allen Zeiten gleich und um die Dinge ringsherum richtig abzu-
wägen, dazu bieten sich dem Zeitgenossen nur jene Anhaltspunkte
dar, die im Geiste seiner Zeit vorhanden und bekannt
sind. Wir stehen dem Kriege von morgen geradeso mit Zweifeln
gegenüber, und ebenso vermessen nennt man den, der den Pro-
phetert heute spielt, wie jene Männer dem Kriege des XIX.
Jahrhunderts gegenüberstanden und wie sie die neue Form des
Krieges, die zum Bruch mit der bewährten alten drängte, miss-
trauischen Auges sahen. Wenn wir bedenken, dass ein so auf-
fallender Unterschied dazumal füglich nicht erkannt worden ist,
so muss man sich eingestehen, dass er dazumal so auffallend
nicht gewesen sein kann. Wenn wir erwägen , dass ein Geist
wie Clausewitz lange Jahre ungestörten Denkens brauchte, um
nur die Hauptgrundzüge des Krieges, den er selbst erlebt, einiger-
maßen festzustellen; wenn wir uns erinnern, wie zögernd, tastend,
unvollkommen, die ersten Versuche ausgefallen sind, die Lehren,
die Napoleon gab, praktisch anzuwenden, und wie nur ganz
ungeheure Zahlüberlegenheit es ermöglicht hat, ihn mit seinen
eigenen Waffen — wie man damals wähnte — schließlich zu
besiegen: so nimmt man wahr, dass die Symptome eines in
seinen Wirkungen vom alten auffallend verschiedenen Kriegs-
systems für den Zeitgenossen nicht auffallende sind. Es fließt
dies aus der Unvollkommenheit der menschlichen Natur. Erst
eine spätere Zeit erklärt die Gegensätze und sie thut
oftmals zuviel darin, indem sie glauben machen will,
jene Gegensätze seien dazumal ebenso sichtbar ge-
wesen, wie sie es heute sind. Sie sind es nicht gewesen,
auch zur Zeit von Jena nicht und man nahm sie nur mit Mühe
und unvollkommen wahr, wie ein Blick in das militärische Denken
vor Jena zeigt, aus dem wir ein paar Proben gaben. Wohl er-
sehen wir, dass es Männer gab, die einzelnes vom Unterschied
erkannten ; jedoch sie waren weiße Raben, unbequeme Prediger
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einer neuen Zeit, der man die alte nicht ohneweiters opfern
wollte. Wieder fließt dies aus dem Wunsche her, in der vor-
handenen Form des Krieges, der wohlbekannten, vielgeübten,
weiter fortzuthun. Jedoch es kommt dieser Wunsch nicht aus der
Trägheit allein, und nicht ist er gewissermaßen selber Zweck:
auch er ist logisch fundiert, ja opportun begründet; er kommt
aus dem guten Glauben an die alte Form, an ihre Wirksamkeit,
die man im Geiste prüfend neben die neue stellt, welchen Ver-
gleich aber erst der praktische Versuch in der Regel zum
klaren Urtheil wandeln kann.
Man, das ist die Wissenschaß, erklärt und zeigt uns einen
Contrast zwischen dem alten und dem neuen Kriege, wie er
auffallender kaum jemals in der Kriegsgeschichte zu erblicken
ist. Nur Pydna weist ein gleich auffallendes Bild der Gegensätze.
Nun wissen wir, dass die Männer jener Zeit die Chancen des
Kampfes nicht mit Deutlichkeit zu erkennen vermochten, obwohl
sie gute, erfahrene, auch kriegsgewohnte Soldaten der alten
Schule und mancher von ihnen ein tiefer Kriegsdenker war. Im
Rahmen der Anschauung vom Kriege, die vor Jena in Preußen
gang und gäbe war, galten diese Männer für Autoritäten, sowie
gegenwärtig im Rahmen unserer Anschauung vom Kriege Männer
für Autoritäten gelten. Doch die Welt schritt seitdem vor. Heute
kennen sich die Gegner; heute, in der Ära der Militärbevoll-
mächtigten; heute, da die internationalen militärischen Feste —
Armeemanöver, zu denen man sowohl Freund als Gegner lädt
— wieder in Schwung gekommen sind; heute, wo eine unend-
lich reiche militärische Literatur, der sich fast keine Militärmacht
entzieht, einen Austausch von Gedanken nach allen Seiten möglich
macht; heute, da das Ideal des alten guten Lloyd, den Krieg inter-
national wissenschaftlich zu pflegen, auf der Tagesordnung steht:
gibt es keine Gegensätze, kann es keine geben, somit sehen wir sie
nicht, können sie nicht sehen, und der Vergleich mit Jena hinkt!
Ist dem so? Bestehen wirklich keine fundamentalen Gegensätze.^
Sie bestehen. Fundamental genug, um zur Ent-
scheidung im künftigen Kriege zu führen. Denn
wer ist wohl naiv genug zu glauben, die Entscheidung werde
nicht erfolgen, da die Mittel scheinbar gleiche sind? Es glaubt
dies niemand, doch indessen nimmt man an, die Entscheidung
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werde sich im künftigen Kriege etwas in die Länge ziehen. Es
mag dem ja so sein; jedoch es muss nicht sein, und verhängnis-
voll ist es, darauf zu bauen. Der Krieg, wenn er zu conven-
tioneil geworden, strebt nach einer neuen Form, oft unbewusst,
und wer dieselbe vorwegzunehmen weiß, oder beiläufig findet,
schafft sich eine Promesse zum Siege. Was kann diese neue
Form wohl sein? Sie muss nicht wesentlich verschieden sein
von dem , was wir heute kennen. Ein unmerkliches
Mehr an kriegerischem Geist auf einer Seite kann
— beso n ders wenn alle ande ren Mittel undFormen
gleiche sind, — denAusschlag geben. Eine Nuance
in der Führung des Gefechte s, die hier als System
und dort accidentiell erscheint, kann — beson-
ders wenn alle anderen Mittel undFormen gleiche
sind — den Ausschlag geben. Und welch ein Blick
eröffnet sich, wenn man an die Führung denkt?
Wer controliert wohl heute den Gedankengang,
in welchem sich derGeist desFührers im künftigen
Kriege bewegt ? Eine Änderung in der Natur der
Strategie, von der jener nicht spricht, von der die
Zeitgenossen nichts erfahren, das zum Sy ste m-
erheben einer Form, die wir bisher als acci-
dentiell ansahen, kann — besonders wenn alle
anderen Mittel und Formen gleiche sind — den
Ausschlag geben. Man denke nur an den Contrast der
Gegner von 1870, wie er heute wissenschaftlich festgelegt er-
scheint, von dem aber vor der Entscheidung nur äußerst wenig
Menschen wussten! Klar ist, dass hier die Extreme wohl nicht
aufrecht zuhalten sind, die, der Deutlichkeit zuliebe, in der Kriegs-
lehre angewendet werden. In der kriegsconventionellen Form, ganz
in ihr, fechten niemals beide Gegner; unmerklich verschieden sind
sie auch jetzt, Ende des Jahrhunderts; und es verwischt sich sehr
die Grenze, wo das Abwandeln in der kriegsconventionellen Form
zu einer grundsätzlich neuen wird. Doch wozu die Abstraction.
Wenn wir, wie nach den Erfahrungen aller Zeiten wohl zu-
gegeben werden kann, vorurtheilslos zugeben, dass, wenn in
etwa fünf Decennien über einen großen Krieg, den wir heute
führen, zu Gericht gesessen wird, die Epigonen die Contraste,
C, von B.-K. Zur Psychologie des großen Krieges II. 24
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- 370 -
die wir heute noch gar nicht sehen, zum Greifen klar und
deutlich sehen werden, wie dies wohl stets geschah: so be-
kennen wir offen und ehrlich und frei, es sei ein Axiom des
Krieges, dass jede Epoche über ihren Krieg in Irrthü-
mern befangen sein und bleiben muss, bis sie die Er-
fahrung belehrt.
Wir erkennen aus der Ängstlichkeit*), mit der Napoleon
zu verhindern suchte und zum Theil thatsächlich verhindert hat.
dass sein Kriegssystem von einem Eingeweihten literarisch fest-
gelegt und aufgezeichnet werde, den tiefen Gedanken dieses großen
Menschenkenners: wie es für die ungeheure Mehr-
zahl der Besiegten fast unmöglich ist, aus den
Schlägen, die sie empfingen, allein schon klug zu
werden und Lehren zu ziehen. Wahrhaftig, käme die
militärische Wissenschaft des Siegers, der mit
dem Triumphe prunkt, nicht so gefällig dem Be-
siegten entgegen, wie sie dies heute thut, so
brauchte der unendlich längere Zeit, um das Er-
lebte und Erduldete zu verstehen. Wo ist der Ge-
neral, der am Abende einer verlorenen Schlacht klar und be-
stimmt zu sagen weiß, warum er unterlag ? Ein Gleiches gilt —
innerhalb gewisser Grenzen — auch für den ganzen Krieg. Aus
dem, was uns der Feind zufügt, allein zu lernen, ist unendlich
schwer, wenn er sein Thun nicht auch commentiert; der Be-
siegte will die Gewissheit haben, ob er dem Missgeschicke,
dem Zufalle im Kriege, oder aber der Übe rlege n h eit, einem
Systeme wich; er hascht nach Material, um dieses festzu-
*) Soeben nahm der Verfasser den ersten Band der gegenwärtig erscheinenden
Schriften Erzherzog Carls zur Hand und fand darin, was ihm von erster Wichtigkeit erschien.
Kurz nach Austerlitz ließ sich Napoleon von Maret in Jominis ^Tratte de grande iacHque* vor-
lesen, dessen ersten zwei Bände gerade herausgekommen waren; er wurde bald zornig und
rief aus . . . wie konnte Fouche solche Bücher drucken lassen? Das heißt ja geradezu unser
Geheimnis dem Feinde verrathen. . . . Dieser eminent wichtige Zug des großen Feldhcrm ist
actenmäßig, wie es scheint, nur ganz vereinzelt festgestellt Erzherzog Carl, Ausgewählte
Schriften, I, Einleitung, XIX.
Dass übrigens nicht Napoleon allein mit „corsischer Tücke" auf die Geheimhaltung
dessen, was seine Stärke war, eifersüchtig hielt, davon hier ein Beispiel:
. . Sometimes, when a new manoeuvre or tactical invention of importance is to be
tried by experiment, you will find for many miles the environs of Potsdam, which is usually
the scene of such experiments, carefully shut in; sentries on ever}' road, no unfrieadly
eye admitted ; the thing done as with closed doors . . . Histor>' of Friedrich II. of Prussia,
called Frederick the Great, by Thomas Carlyle, XIII, 203 (Tauchnitz edition).
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Stellen. Vor Jena lieferte Napoleon dem Continent solches Ma-
terial wohl nicht. Und so ist Nachsicht am Platze für eine Zeit,
die es nicht vermochte, aus den Schlägen, die Napoleon Öster-
reich zugefügt, und über deren leitende Ideen Napoleon kein
Wort verlor, die Überzeugung abzuschöpfen, dieselben lägen in
einem neuen und stärkeren Kriegssystem.
Aber noch eine Betrachtung, und die ist die wichtigste, muss,
wenn auch schon mehrfach gestreift, klar und scharf zum Ab-
schlüsse gebracht sein. Wir sahen, wie die Symptome, die zu
großen Wirkungen führten, den Männern ihrer Zeit nicht auffal-
lend erschienen; wir stellten dies, wie es aus dem histori-
schen Materiale hervorgeht, fest, und haben das warum erwogen.
Nicht bis zum Äußersten ging die Erwägung; nun möge sie
es thun. Es erschienen nicht nur die Symptome der neuen
Kriegsform den Männern jener Zeit nicht auffallend, sondern sie
sind es auch überhaupt gar nicht gewesen. Um dies
zu erklären denke man, dass auch das Mechanische des Krieges
(mit Ausnahme vielleicht der Waffentechnik) niemals grund-
sätzlich neues, noch niemals dagewesenes bringt.
Den getrennten Anmarsch, um vereint zu schlagen, den kannte
man in Preußen auch vor Jena schon, sowie man in den
deutschen Heeren Schützen kannte und den Schützenkampf. Ein
Weniges kann hier den Ausschlag geben. Und dieses Wenige ?
Es ist einfach das Vorherrschen einer der längst bekannten
Formen; es ist der Umstand, dass ein Gedanke, allen bekannt,
sich plötzlich zum System bei einem der Gegner er-
hebt, mit allen Stärken eines Systems und dessen sachlicher
Geschlossenheit. In der Strategie trat 1806 Preußen eine Form,
die man sehr wohl kannte, doch nur für eine exceptionelle
Form in exceptionellen Lagen hielt, plötzlich als Sy-
stem und mit der Schärfe desselben entgegen; was
nirgends schwarz auf weiß zu lesen stand. In der Taktik ent-
schied — wenn wir bei der Mechanik bleiben wollen — ein
geringes Weniger an Linien- und ein geringes Mehr
an Säulenformen, sowie ein nicht auffallendes Mehr
und Weniger an Tirailleurs. So sehen wir, wie, wahrhaftig,
die Betrachtung steigt bis zur Naivetät herab, kleine Ursachen
große Wirkungen geben. Auch dies ist eine Lehre, deren jede
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Zeit, auch die Gegenwart, und diese vielleicht mehr als andere
Zeiten, sehr bedarf. Ein paar Erscheinungen, die wir selbst
kennen und besitzen, können in der Hand des Gegners, der
sie nicht einmal wesentlich umformt, die Ent-
scheidung geben, falls er sie zum System und zweckbe-
wusst erhebt. Die Mittel des Krieges sind so ziemlich allge-
mein zugänglich und allgemein dieselben; nicht auffallend muss
es sein, wenn man sie anders gebraucht als sie der Gegner
gebraucht, und voraussichtlich im Kriege gebrauchen wird. Diese
Erwägung, die von der Geschichte so klar bestätigt wird, muss
zu dem Wunsche führen, Leitmotive aufzufinden für den Krieg,
vor dem wir stehen.
Doch von der Erkenntnis, dass man für den Krieg deutlicher
Leitmotive bedarf, wohlerwogener Formen der Überlegenheit, bis
zu dem Recept zu solchen, ist ein Schritt, den die Wissen-
schaft, wenn sie verständig, und wenn sie patriotisch
ist, nicht unbesonnen thut. —
An der Vergangenheit sündigt die Kriegsgeschichte oftmals
viel. Um plastisch darzustellen, übertreibt sie oft die Ursache,
welche die Entscheidung gab, und desto mehr pflegt sie dieselbe
zu übertreiben, und desto materieller sieht sie dieselbe an, je
näher sie selbst dem zu erklärenden Kriege steht. Sie bringt uns
zu dem Wahne, als müsse man die Symptome für oder gegen
bis zum Greifen deutlich dazumal gesehen haben, und
verlangt, dass wir desgleichen thun. Nicht soll hiemit ein vor-
witziger Tadel ausgesprochen sein ; nur festgestellt wird eine
Form derUnvollkommenheit, in der die Kriegsgeschichte sichnoth-
wendig bewegen muss, des didaktischen Zweckes wegen, der
eine prägnante Darstellung heischt. Dieser didaktische Zweck
mag bei Betrachtung schon entfernter Dinge immerhin etwas
verschwinden ; dieser unmittelbar, actuell didaktische natüriich ;
man braucht vom Kriege 1806 nicht für morgen
um jeden Preis Concretes zu lernen, es ist genug,
sobald man ihn versteht. — Welch ein Cult ist mit
Napoleons Tirailleuren als einer völlig neuen Erscheinung, und
entscheidenden Erscheinung lange Zeit getrieben worden ! Grund-
sätzlich unterschied Napoleon sich, so wies man nach, von
Friedrichs Art zu kämpfen und diesen registrierte die Geschichte
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— pedantisch wie sie für Schulzwecke einmal ist — unter die
Feldherren des XVIII. Jahrhunderts. Gerade Friedrich hat
über den Schützenkampf viel und tief gedacht,
und umfassender, als man es heute zugesteht,
erhob er ihn zur That; nur ganz geringe Kenntnis
dessen, was er schrieb^ lässt genugsam erkennen, wie ihn das
Problem des Schützenkampfes so beschäftigt hat, dass man in
seinen Gedanken alles findet, was die nationalfranzösische Taktik
nachmals verwirklicht hat. Die Strategie der relativen Überlegenheit
zog man wissenschaftlich (oder meinte es doch zu thun) aus Napo-
leons anfänglichem Thun, und doch hat dieselbe fortgesetzter,
planmäßiger, mehr nach einem Systeme, niemand geübt
als Friedrich der Große, Es bedarf die Wissenschaft einer jeden
Zeit eines Schatzes an Schlagworten, welche die nächste Zeit
allmählich corrigiert. Und endlich, spricht nicht gerade der Wandel,
den die Anschauung der kriegerischen Vergangenheit beständig er-
fährt, dafür, deuten nicht die fortgesetzten Richtigstellungen, welche
die Wissenschaft am Überlieferten übt, vernehmlich darauf, w i e
schwankend und wie wenig klar zu sehen die
Motive der V ergangenheit. gewesen , da wir heute
über dieselben noch lange nicht einig sind?
Wie, das nicht erkannt zu haben, worüber man
heutzutage Federkriege führt, soll ein Vorwurf
für jene Menschen sein? Der Gedanke, wie man
heute noch über Friedrichs Kriegführung prin-
cipielle Meinungsgegensätze sieht; wie Napo-
leons kriegerisches Thun noch lange nicht bis
zur allgemeinen Evidenz erklärt worden ist: lässt
genugsam erkennen, wie schwer im nachhinein
zu prüfen und lässt ahnen, wie unendlich schwer
im vorhinein zu wägen ist.
So sehen wir, wie dem zeitgenössischen Krieg jeder Zeit
der kritische Boden fehlt und fehlen muss, um den eigenen Wert
und die eigene Wirksamkeit kritisch abzumessen ; denn er ist
nur ein Glied einer beweglichen Reihe, das eben der Vergangen-
heit entstieg, um morgen in der Zukunft zu verschwinden. Als
Provisorium hat bisher in der Weltgeschichte jedes Kriegssystem
figuriert und — seltsam genug und doch so natürlich — ein
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jedes hielt sich für die unveränderliche Höhe, die der Krieg auf
dem Wege zum Fortschritt bis nunzu erreicht.
Wenn wir diesen Satz vorurtheilslosen Blickes, so gut es
eben geht, an den Krieg von 1806 anlegen wollen, so wird
uns die bisher noch nicht genügend festgestellte Thatsache klar,
dass er ein Versuch gewesen ist, wie solche in
der Geschichte des Krieges periodisch wieder-
kehren; ein Ausgleich, der sich durch die Um-
stände der Zeit bedingt, auffallend und gewalt-
sam vollzog.
Wir erkennen, dass er nothwendig war; nicht, dass auf
Friedrich, und gerade 1806, und gerade in Thüringen,
ein Jena folgen musste; aber wir sind nicht erstaunt,
nicht überrascht, nicht betroffen von dem, was
wir sahen; früher oder später musste es — falls Preußen
nicht Männer ersten Ranges erzeugte, die noch dazu auf den
rechten Platz zur rechten Zeit gestellt wurden — zu irgend
etwas ähnlichem kommen.
Aber zum warnenden Beispiel brauchen wir jetzt, neun
Jahrzehnte nach Jena, diesen Krieg und ganz besonders seine
Opfer nicht mehr zu stempeln, aus didaktischen Zwecken. Ihn
zu verstehen, wird mehr dem didaktischen Zwecke entsprechen,
als Handhabung der Abschreckungs-Theorie.
Die paar Axiome des Krieges, die bis nunzu aufzufinden uns
mühsam genug gelungen ist, sind negativer Natur ; sie warnen
bloß und machen argwöhnisch, doch nennen sie kein Correctiv.
Es scheint, als ob sich ein solches denn doch wohl finden
lassen musste.
Man könnte leichtlich sagen, die beste Schutzwehr gegen
unwillkommene Neuerung im Kriege möge darin liegen, dass
das angenommene Kriegssystem für dieselbe empfindlich sei,
dass es bereit und willens zu sein habe, sich der neuen Form
rasch und sicher anzuschmiegen, soferne man nicht selbst ent-
schlossen ist, durch Vorwegnahme der Neuerung initiativ zu sein.
Also empfiadlich, aufnahm sfähig für das Neue
soll die Kriegsform, die wir eben haben, sein.
Sie wird dies sein, wenn sie sich auf der Höhe der krieg^-
conventionellen Anschauung erhält.
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Sie wird dies sein für die leisen Abwandlungen inner-
halb der kriegsconventionellen Form, welche der Fortschritt
des Krieges — auch im Frieden — erregt.
Es scheint somit, als ob gewissenhaftes Vorschreiten mit
den Wandlungen der kriegsconventionellen Form gegen die
Neuerung immun machen müsse.
Wir ahnen, dass es ein anderes ist, hinter der kriegs-
conventionellen Form , doch innerhalb derselben , um ein
Geringes im Rückstande zu bleiben, und ein anderes, wenn
diese irgendwo von fundamentaler Neuerung durchbrochen
wird ; dann ist plötzlich aller Halt verloren.
Der erste Gedanke ist noch nicht reif für jetzt und hier;
sehr hüten wir uns davor, in der Speculation zu viel zu thun ;
denn sie trügt, wenn sie auch blenden kann. An anderer Stelle,
bei Betrachtung eines anderen Krieges wollen wir, wenn es die
Umstände erlauben, jenen Gedanken an der Hand der Kriegs-
geschichte auszuspinnen suchen.
Dem zweiten begegnen wir schon hier.
Aber vorher erinnern wir uns stets, dass die beiden ange-
zogenen Extreme eben sprachliche Figuren mehr als
wirkliche Begriffe sind. Denn zwischen ihnen liegt
die Wirklichkeit; erst eine spätere Zeit stellt die Wirklichkeit,
die kriegsgeschichtlich überliefert ist, näher dem einen oder dem
anderen Extreme. Und in der Gegenwart fehlt jeder Anhalts-
punkt, um zu erkennen, ob uns das Morgen nichts als eine
neue Phase in der kriegsconventionellen Form oder aber gänzlich
Neues, mitunter absurd aussehendes außer derselben bringt.
Um zu verstehen, was es heißt, und dass es möglich,
den kriegsconventionellen Boden urplötzlich ganz zu verlieren,
brauchen wir nichts als einen Blick auf Jena zu thun.
Die Kriegsprincipien der französischen Revolution erschienen
jener Zeit, die im Sinne des XVIIl. Jahrhunderts dachte geradezu
als die Negierung gesunder Anschauung vom
Kriege. Man sah sie, wie der Forscher aus den Quellen für die
Zeit vor Jena deutlich sieht, für einen Auswuchs an, für ein Pasquill
am Kriege, das bald in sich zusammenstürzen müsse, das nicht
haltbar sei. So unmilitärisch, mehr als das, so unkriegerisch
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— 376 —
erachtete man den neuen Krieg, dass man wähnte, er könne
nicht lebensfähig sein. So ist, so war es; darüber hilft keine
Afterweisheit einer glücklicheren Zeit hinweg. Es wird uns klar,
warum man nicht dazu geeilt ist, den neuen Krieg, der eine
Ausgeburt des Zufalls schien und eine Missgeburt, gläubig anzu-
nehmen, um den alten, bewährten, dafür hinzugeben. So unver-
ständlich war der neue Krieg den Männern jener Zeit, wie es
uns heute unverständlich wäre, würde irgendwo die allgemeine
Wehrpflicht — diese einzige für den Krieg wahrhaft passende
Institution, wie heute allgemein als ausgemacht gilt — abge-
schafft und das Berufsheer wieder angenommen. Dies soll bei-
leibe nichts als ein Vergleich, ein akademisch gemeintes Beispiel
sein. Aber möchte man uns glauben, dass es die
Lage jener Tage nicht übertrieben wiedergibt
In der Erwägung, dass man den Weit grundsätzlicher
Neuerungen in Dingen des Krieges erst erwiesen sehen will :
und der historischen Evidenz, dass dies fast jederzeit also ge-
halten wurde: liegt die Beantwortung der Frage, wie es
mit der Empfänglichkeit des Krieges fiir die Neuerung
bestellt sei.
Nur dann nimmt er sie — in der Regel — an, wenn ihre
Überiegenheit in die Augen springt.
Diese Überlegenheit documentiert sich in der Regel — nur
durch den Erfolg.
So muss auf diesen — in der Regel — füglich gewartet sein.
So sehen wir, dass gewissenhaftes Vorschreiten
innerhalb des angenommenen Systems für das
Neue nicht vorbereiten muss. So wird uns klar,
dass gewissenhaftes Mitleben in unserer Zeit
uns keine Sicherheit dafür gewähren muss, für
eine neue Zeit gerüstet zu sein.
Auch dieses Axiom ist negativer Natur.
Man wird bemerken, dass Jena eben ein Ausnahmskrieg
gewesen ist, in welchem der Unterschied der Kriegssysteme, die
aufeinandertrafen, ein so grundsätzlicher war, dass sich die Fort-
bildung im alten dem neuen nicht nähern konnte ; und
dass bei einem weniger auffallenden Unterschied der Kriegssysteme
— und das ist doch die Regel — der gezogene Schluss, man könne
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nicht sicher sein der Empfänglichkeit für einen neuen Krieg,
hinfallig sei.
Wenn wir uns erinnern, wie wenig auffallend den Männern
jener Zeit so auffallende Contraste erschienen;
dass diese Contraste uns erst heute aus der Vogelperspec-
tive so bedeutend erscheinen, nachdem die Kriegsgeschichte uns
dieselben mundgerecht gemacht;
und wir zugeben müssen, dass die Grenze zwischen
altem Conventionellen Kriege und neuem Kriege thatsächlich stark
verschwimmen kann, wie sie ja für manche Kriegsepoche noch
heute nicht fest gezogen ist;
und die Symptome einer neuen Form nicht — immer —
mit Posaunen in die Welt hinausgetragen werden, sondern in
der That oft ganz unbemerkt entstehen:
So müssen wir wohl offen bekennen*, dass
auch wir nicht sicher sind, was sich heute vor-
bereitet, dass wir es nicht sehen, mithin nicht
kennen, und endlich darauf nicht vorbereitet
sein können oder vorbereitet sein müssen.
Hier kämpft die Sprache mit der Abstraction. In der That,
das Raisonnement bleibt nicht mehr klar genug. Ein praktisches
Problem, das wir schon mehrfach gestreift, sei hier noch einmal
angezogen.
Wenn heute in Europa ein Krieg entsteht, so wird der be-
siegt und jener Sieger sein.
Ohne Zweifel wird ein kommendes Geschlecht mit aller
Deutlichkeit die Principien sehen, die den zur Niederlage
und jenen zum Siege gefuhrt.
Kennen wir heute diese Principien oder
ahnen wir sie auch nur.^ Heute, da uns wahrlich genug
Materiale zur Verfügung steht, den künftigen Gegner zu kennen?
Damit ist alles gesagt.
Noch zwingt ein Umstand zu ernster Betrachtung.
Ist ein Kriegsheer siegreich gewesen, so ergießt die öffent-
liche Meinung auf dasselbe einen Strom von Lob, der nichts ist
als der Abglanz des Erfolges und im nachhinein verfertigt wird.
Wohlangebracht ist dieses Lob, wenn es den Muth, den guten
Willen, die Kriegsgeschicklichkeit des Heeres betrifft.
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Schlecht angebracht kann es sein, wenn es den Geist und
den Verstand des Heeres gleichfalls in sich begreift.
Denn sowie eine Versammlung von Indivi-
duen niemals klüger ist als eine andere Versamm-
lung annähernd gleicher Individuen, so kann
auch ein Kriegsheer als solches dem andern an
Intelligenz niemals überlegen sein.
Diese Intelligenz ist gebannt und muss gebannt sein in die
Grenzen der Anschauung vom Kriege, wie sie im Heere eben
lebt und bethätigt wird und bewegt sich in deren Bahnen,
durch sie lebend. Nicht weil ein Heer intelligenter
war, als das andere, hat jenes dieses besiegt, son-
dern Stärke und Schwäche kamen aus dem Unterschiede der
Systeme, oft aus sehr materiellen Gründen, nicht durch, oft
trotz der Intelligenz.
So sehen wir, wie Friedrich willige, folgsame, geduldige
Soldaten von schlichtem Verstände in seinem Heere liebte.
So sehen wir, wie Napoleons große Armee ein fiir den
napoleonischen Krieg einseitig gedrilltes Instrument gewesen ist,
in welchem der Einzelne nichts anderes begriff und zu begreifen
brauchte, als innerhalb der herrschenden Anschau-
ung vom Kriege seine Schuldigkeit zu thun.
Dass die Mittel, die man zum Kampfe führen will, eines
ailzuweiten Horizontes nicht bedürfen, das scheint uns wohl ein
ewiges Gesetz des Krieges zu sein.
Fürwahr — wir sahen 1806 ein Heer, in welchem die
Wissenschaft zu Hause war, und von dem man gleichsam sagen
konnte, jeder Lieutenant kenne seinen Vegez.
Dieses Heer kannte die Wissenschaft des Krieges vor
Jena; mit diesem Material, gehandhabt im Geiste der Zeit, wie
dies in einem Heere aus zahllosen Gründen wohl unerläss-
lich ist, stand man dem neuen Kriege rathlos gegenüber.
Und doch befahl man die Wissenschaft allgemein zu pflegen
nichts weniger als aus Manie; man gedachte sich — innerhalb
gewisser Grenzen — durch die geschaffene Intelligenz
für den Krieg zu rüsten.
Intelligenz* zieht man nicht in Massen groß, sie entsteht
nur im Geiste des Autodidakten. Durch Decrete und Befehle kann
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man zur Noth einige Kenntnisse allgemein verbreiten. Jede
Kriegsepoche kann nur jene Kenntnisse verbreiten, die sie
selbst bis zum letzten Kriege besitzt, und jene,
die ihr das Morgen geben wird, oder doch geben
kann, vermag sie nicht vorwegzunehmen. Auf
diese aber kommt es vor allem an.
So sehen wir, wie Instruction und theore-
tische Belehrung über die eigentliche Thätig-
keit der breiten Heermasse hinaus, ein Heer, dem
sie aufgezwungen wird, nicht nothwendig immun
machen muss gegen eine neue Zeit.
Jedoch schaden wird sie andererseits, innerhalb gewisser
Grenzen und unter gewissen Bedingungen, wohl nicht.
Nur täusche man sich nicht über ihren Wert
für die wirklichen Zwecke des Krieges.
Wir haben, strebend zu erklären, manches Axiom, dessen
Richtigkeit man am Kriege von 1806 erhärtete, fallen sehen und
somit im Grunde destructiv gewirkt, nur negative Resultate ge-
wonnen. Uns führte eben das Erkennen bis zu diesem Punkt;
Recepte abzuleiten, wornach ein Feldherr im Zukunftskriege es
besser machen soll, und sie zu p r oclamieren, das ver-
mochten wir nicht.
Es würde auch vermessen sein.
Denn vor allem muss der Kriegsschriftsteller davon durch-
drungen sein: In keiner Thätigkeit des Menschen kann ein
größerer Unterschied bestehen zwischen Theorie und Wirklich-
keit, als in der Thätigkeit des Krieges.
Eine große Erscheinung, das Mechanische dieses Krieges
betreffend, sahen wir. Der Stärkere führt seine stär-
keren Mittel geradewegs zur Schlacht mit der
Hauptmacht desGegners, so wiewir's heute natür-
lich und selbstverständlich finden, was heute als
oberstes Gesetz des Krieges vom XIX. Jahrhun-
d ert gilt.
Dieses Führen der Kräfte zur Schlacht stellte sich dar in
der Strategie getrennt zu marschieren und vereint
zu schlagen.
Ein Blick auf die Gegenwart möge uns noch gestattet sein.
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Napoleon marschierte getrennt, um vereint zu schlagen ; er
besaß :
die Überlegenheit an Truppenzahl,
die Überlegenheit in der Form des Gefechtes,
die Überlegenheit an Schnelligkeit und Sicherheit in
Bewegung und Befehl,
die Überlegenheit an Kriegsmoral der Truppen.*)
Er siegte.
In den Befreiungskriegen wandten die Alliierten die Strategie
getrennt zu marschieren, um vereint zu schlagen, gegen Napo-
leon an ; sie besaßen nachweisbar auffallende Überlegenheit
an Truppenzahl.
Große Widerschläge erfuhren sie und mehrmals waren sie
nahe daran zu unterliegen, wie etwa Davout bei Auerstädt.
Indess,
Sie siegten.
Ein halbes Jahrhundert lang ruhte der strategische Gedanke,
getrennt zu marschieren, um vereint zu schlagen, in den Rollen
der Kriegsgeschichte, während ihn die Praxis des Krieges nir-
gends zum Leitmotiv erhob.**)
*) Wenn aus keinem anderen Grunde, schon allein aus dem, dass ihr Gefecht das
augenscheinlich stärkere war.
**) Auf das Sorgfältigste wog der Verfasser jedes Wort, ja jede Silbe dieses Satzes
ab, ehe er ihn niederschrieb; nothwendig war's, denn, nicht ganz scharf durchdacht, wäre
der darin enthaltene Gedanke leichtlich anfechtbar.
Denn — in der That — oftmals seit Napoleon, wie vor ihm schon und zu allen Zeiten,
sind Heere getrennt marschiert und schlugen vereint.
Oftmals kam es vor, dass getrennte Armeen sich zur Schlacht vereinten, doss
eine Armee in sich getrennt marschierte und vereint schlug.
Wie Napoleon es that, haben wir gesehen. Sehen wir zu, wie man es seit ihm und
vor Moltke that.
Wo es mehrere Armeen gab, die vereint geschlagen haben, da geschah solches
beiläufig, im Laufe der Begebenheiten, accidentiell: zur plötzlich nothwendig werdenden
Verstärkung des einen Heeres, wie die Vereinigung Diebitschs mit Schachowskoi bei
Wawer-Bialolenka-Grochow, oder des ersteren Anschluss an Großfürst Michael zur Schlacht
von Ostrolenka; zur Verlegung des Operationstheaters, wie die Vereinigung Görgeys
mit Klapka bei Kaschau, von welcher Operation wohl niemand sagen wird, sie sei als der
getrennte Anmarsch zur Schlacht von Kapolna anzusehen; zur Verwertung eines frei-
gewordenen Überschusses an Kraft, wie die combinierte Operation Shofields und Sher-
mans gegen Johnston in North Carolina 1865; zum Wiederanschlusse durch Specialauf-
gaben abgezweigter Heere, wie die Vereinigung Wittgensteins mit Woinow und Rudje-
witsch am Trajanswalle zwecks Vormarsches auf Hussein Pascha 1828 u. s. w.
Man wird uns hier verstehen. In diesen sozusagen exotischen Beispielen der Kriege
seit Napoleon sehen wir die Heere, wie zu allen Zeiten, durch geographische Nöthigung,
kriegerisches Missgeschick und tausend andere Umstände getrennt; doch niemals mit dem
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Moltke nahm ihn auf; bildete ihn aus; vervollkommnete
ihn; wandte ihn praktisch im Kriege an. Er marschierte getrennt,
um vereint zu schlagen und besaß :
das eine Mal:
die Ü berlegenheit in der Form des Gefechtes,
wohlerwogenen Zwecke, sich zur Schlacht zu finden. Exotische Beispiele mussten wir wählen,
weil in den rangierten Kriegen Europas zu dieser Zeit wir die Heere den Zusammenhalt
der Kräfte, das Operieren «auf einer Linie" fast stets ausüben sehen (und wo ausnahmsweise
zwei absichtlich getrennte Heere einem Ziele zuzustreben haben, diese Absicht Ober den Ver-
such nicht hinausgedeiht — Carl Albert und Ramorino 1849).
Ohne zu schematisieren darf man somit sagen: Die Idee mit Armeen getrennt zu
marschieren, um vereint zu schlagen, wird von 1816—1866 nirgends Leitmotiv.
Die einzelne Armee indess konnte sich von der durch Napoleon gezeigten Tren-
nung der Heereseinheiten im Marsche nicht mehr und stets grundsätzlich wenden.
Sieht man von den Operationen Paskiewitschs ab, der womöglich in einer Colonne
auf einer Straße vorging, so sehen wir die Heere fast stets in Colonnen nebeneinander
Ortsveränderungen thun.
Es liegt jedoch der Wunsch, schnell zu sein, somit sich zu th eilen, mit dem
Bedürfnis nach Versammeltsein in auftauendem Hader; leichtlich nimmt man wahr,
dass letzteres aberwiegt. (Wer erinnert sich hier nicht sogleich des Marsches Napoleons HI.
von Mailand an die Mella? Die Masse der Armee marschiert auf einer Strafie! Kann man
die aus französischen Quellen geschöpfte Angabe des Osterreichischen Generalstabswerk.«.
II, 63, dies sei der leichteren Verpflegung wegen geschehen, wohl ohneweiters hinnehmen?
Wir glauben, nein; hier überwog ganz einfach das instinctive Bedürfnis nach Versammlung
den Wunsch nach Schnelligkeit.)
Nähert sich ein Heer dem Gegner, so marschiert es möglichst so, dass — ganz wie
im XVIII. Jahrhundert — durch gerades, paralleles Vorrücken der Corps man die
Schlachtaufstellung nimmt (Radetzky bei Sona-Sommacampagna, beide Theile bei Solferino);
falls nicht, wie hie und da geschah, ein Hecrestheil nach geschehener Vereinigung
des Heeres zur taktischen Umgehung, zur taktischen Umfassung, erneuert abgezweigt wird
(Radetzky bei Curtatone und Novara, Napoleon III. bei Magenta).
Die methodische Concentrie rung der Armeen vor der Schlacht für die Schlacht
wiegt trotz ihrer Reibungen und Zeitverluste vor. Wo sie nicht geschiebt, sehen wir Nieder-
lagen (Carl Albert bei Custozza).
Man wird uns auch hier verstehen. Ein unmittelbares, unbekümmertes Hinüberziehen
der Heereseinheiten aus dem strategischen Marsch in den taktischen, wie's etwa bei Jena und
bei Wörth geschah, kennt die Zeit von 1816—1866 nur exceptionell.
Ohne zu schematisieren darf man somit sagen: Die Idee, mit einer Armee getrennt
zu marschieren, um vereint zu schlagen, wird in der besprochenen Zeit nirgends Leit-
motiv.
In der That, es zeigt die Kriegsgeschichte in der besprochenen Zelt füglich
keine Beispiele, wie man mit Armeen getrennt marschierte, um vereint zu schlagen, während
die einzelne Armee in ihrer Art, zum Kampf zu gehen, etwa die Mitte hält zwischen der
Geschlossenheit des XVIII. Jahrhunderts und der kühnen Trennung von Napoleons System.
Die hier gemachten Erwägungen bilden ein Gerippe, welches der Kundige sich zur
plastischen Gestalt unschwer ergänzen wird. Da diese Studie schon ungebürlich lang ge-
worden, so muss. falls es die Umstände erlauben, die erschöpfende Erwägung des hier Ange-
regten auf ein ander Mal verschoben werden.
Was sagte nun die Wissenschaft von 1816—1866 über unsem Gegenstand? Wohl
hatte Schamhorst gelehrt: Marschiert getrennt und schlagt vereint, aber auch der Unkundige
weifl, dass dieser Satz erst seit den Erfolgen der modernen Strategie ein tausendfaches Echo
in deren Lehre wachriet
Man findet ihn bei Qausewitz, Joraini; doch erst seit 1870/71 herrscht er deut-
lich vor.
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die Überlegenheit an Schnelligkeit und Sicherheit in
Bewegung und Befehl,
die Überlegenheit an Kriegsmoral der Truppen,*)
das andere Mal :
die Überlegenheit an Truppenzahl,
die Überlegenheit in der Form des Gefechtes,
die Überlegenheit an Schnelligkeit und Sicherheit in
Bewegung und Befehl,
die Überlegenheit an Kriegsmoral der Truppen.**)
Er siegte beidemale.
Dies soll kein Schema sein. Es stellt sich heraus, wie die
besprochene strategische Praktik , hier in ihrer Vollendung, wie
dort in ihrem Beginn, mit unterschiedlichen Formen
der Überlegenheit in Verbindung steht.
Sollte diese Verbindung eine nothwendige, etwa gar
eine u nerlässliche gewesen sein?
Heute ist die strategische Absicht , getrennt
zu marschieren, um vereint zu schlagen, kriegs-
conventionell geworden und wird es wohl im prakti-
schen Kriege thatsächlich sein.
Wir haben an einigen Beispielen gesehen, wie sie der
Stärkere übte.
Die Fragen geben sich hiernach von selbst.
Doch sind es nichts als Fragen für den, der ehrlich mit
sich selber ist.***)
*) Wenn aus keinem anderen Grunde, schon allein aus dem, dass ihr Gefecht das
augenscheinlich stärkere war.
••) Indem sie, wie wohl außer Zweifel, höhere KriegsdiscipUn als der Gegner besaßen.
***) Wenn der Verfasser, trotzdem «es selbstverständlich ist, dass eine Heeresmacht,
wie die gegen Frankreich aulzustellende, nur in mehrere Armeen gegliedert operieren kann'
(Generalstabswerk 1870/71, J, 78), den Muth gefunden hat, nicht zu ^viderlegen, sondern nur
zu fragen, so fand er diesen Muth in der Betrachtung der Vergangenheit.
Sie lehrt uns, dass die Lehren der großen Feldherren oft, indem man sie recht
befolgen will, tibertrieben angewendet werden; in einer Ausdehnung und in einem Sinne,
die der Meister ursprUnghch gar nicht gemeint.
Noch etwas möge hier angedeutet sein.
Die Vorbereitung der Kriegsmittel scheint heute von mehr Gewicht als je für die
Kriegführung zu sein. Zu dieser Vorbereitung gehört auch die Kriegs lehre.
Diese muss, um bestimmt zu klingen, bis zu gewissem Grade einseitig sein.
Sie geht manchmal her\'or aus den Erfahrungen einer Zeit, die ganz besondere
Verhältnisse aufwies.
Niemand kann verhindern, dass sie Gemeingut aller Heere werde.
Wir streifen hier an die höchsten Probleme der Kunst; mehr, als sie anzu-
deuten, wäre nicht am Platz.
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Leicht erscheint es im nachhinein, denn Erfolge das Wort zu
reden; diesen als innerlich nothwendig und den Misserfolg
als unvermeidlich darzuthun; langathmig zu beweisen die Güte
von Dingen, die zum Erfolge, der historisch feststeht, führten;
und die Unzweckmäßigkeit von solchen, die das Gegentheil er-
regten; sich zu resignieren und das wissenschaftliche Amen den
Thatsachen zuzufügen, weil solche nicht zu ändern sind.
Leicht erscheint es, an die Fehler vergangener Zeiten den
Maßstab seither erworbener Lehren und rigoros zu legen; mit
diesen Lehren dem Erfolge von dazumal etwas am Zeuge zu
flicken, da die Thatsachen als solche nicht zu ändern sind.
Jenes entmuthigt; dieses verwirrt.
In der Mitte liegt das Erklären.
Das Erklären gehe nur so weit, dass es das Materiale
gewissenhaft, ja unerbittlich zusammenträgt, ohne vorgefasste
Meinung, ohne ein Handwerkzeug zeitgenössischer Axiome, ohne
Liebe und Hass, soferne dies irgend thunlich ist; dann schließe
es ab und überlasse es dem Geiste des Lesers oder des Adepten,
die Schlüsse und die letzte Consequenz aus dem, was er
hörte, zu ziehen.
Dies zu thun, muss dessen Individualität überlassen werden
und kann es auch und ohne Nachtheil sein.
Denn der echte Adept lernt von selbst; man braucht ihm
keine Axiome als unwillkommene Zuthat zur lebendigen Erfahrung
scholastisch mitzugeben. Sein Urtheil bildet sich an der Erfahrung
und, soweit dies möglich ist, ohne den Einfluss des Kriegslehrers
allzu sehr zu spüren.
Es liegt am Tage, dass diese Art, den Krieg zu zeigen —
und sie zeigt ihn, soferne dies überhaupt möglich, annähernd
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SO, wie er wirklich ist — dem Leser und dem Adepten die größere
Arbeit zu thun übrig lässt; indem sie ihn zu derselben un-
gezwungen lädt.
Sie krankt an Unvollkommenheiten ; es sind dies jene
Un Vollkommenheiten, welche der wirkliche Krieg
in der Seele des Menschen erregt: Schwanken
des Urtheils, Zagen, Widerspruch; diese sind ein —
wenn auch wahres — Spiegelbild vom Kriege; somit bereiten
sie immerhin vor.
Wer sich bestrebt, den Geist der eigenen Zeit von sich
zu streifen, sobald er an die Betrachtung vergangener Zeiten geht ;
und abschüttelt die Axiome für den Krieg, die heute gang und
gäbe sind, wenn er einen Krieg erzählt, in welchem diese Axiome
noch nicht gegolten haben : der wird, sofern dies irgend möglich
ist, mit der Zeit, die er betrachtet, sozusagen eines Sinnes
werden; ihre Mängel, ihreFehler, ihre Verirrungen
muss er liebevoll verstehen, da er sie erklären
will; und dann, die Gedankenarbeit jener Tage wiederholend,
streift er sie wieder ab, so weit sie jene Zeit noch abzustreifen
vermochte.
Am Tage liegt, dass eine solche Art den Krieg zu be-
trachten, zu Schwankungen im Urtheil führen muss. Es
fehlt der zeitgenössische Boden, der uns Halt und
Stellung gibt, den wir jedoch für jene Zeit — davon sind wir
durchdrungen — soweit sich dies vermeiden lässt, nicht be-
treten sollen.
So scheut sich der Verfasser nicht, einzugestehen, dass in
währender Arbeit Wandlungen in seinem Urtheil vorgegangen
sind, die zum Widerspruche geführt haben können. Man wird
wohl solche in dieser Studie finden ; wir wollten zeigen, woher
sie kamen, und da wir dies gethan, so lassen wir sie stehen.
Solche Widersprüche erregt der wirkliche Krieg und muss sie
erregen; den Kriegslehrer zu widerlegen schärft
das Urtheil, und ist sehr am Platz; denn eine
Autorität mit dem decretierten Nimbus einer sol-
chen, etwa wie ein Vorgesetzter, darf er nicht
s ein; er kann es niemals sein; es wäre gänzlich ohne
Zweck. Die Widersprüche sind historisch und in der Zukunft
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werden wir sie wiedersehen; an dieselben gewöhne man
sich. Sie mögen bestehen. Was würde aus dem lebendigen
historischen Bild des Krieges, wie es jetzt erscheint, wollte man die
Feile gegenwärtiger abgeklärter Meinungen an dasselbe legen.
Ferners liegt am Tage, dass des Verfassers Art, den Krieg
zusehen, zu ungewöhnlicher Nachsicht im Urtheil
führen muss; wir glauben, dargethan zu haben, wie banger
Zweifel voll wir heute vor der Zukunft stehen ; dies ist wohl
Veranlassung genug, für eine vergangene Zeit nachsichtig zu
sein. Indulgenz im Urtheile ist keine Manie. Sie
ist Wahrheit; Kenntnis der menschlichen Seele;
vorurtheilslose Anschauung der Dinge, wie sie
eben sind.
Wohl ist nicht zu verkennen : Allzuweit getriebene
Indulgenz des Urtheiles kann gefährlich sein.
Allein, allzuweit wird die Indulgenz wohl nur dann getrieben
sein, wenn man den Misserfolg zu billigen und seine Ursachen
gutzuheißen strebt; wir glauben, solche nur erklärt zu
haben ; und erklärbar müssen sie wohl sein.
Wieder bleibt hier dem Geiste des Adepten die größere
und schwierigere Arbeit zu thun. Er wird sie thun. Denjenigen
verwirrt die Indulgenz des Urtheils nicht, der aus eigenem An-
triebe den Krieg studiert; denn sie regt ihn an und ermuthigt
ihn. Während Schärfe der Kritik das Urtheil der Hörers so
oft verzagen macht.
Wie soll sich ein selbstdenkender Geist mit einer Kritik
abfinden, die, oft obskurer Provenienz, in jeder Zeile Menschen
bitter tadelt, welche die besten ihrer Zeit gewesen sind?
Möge man uns glauben , denn nicht pro domo sprechen
wir: Schärfe der Kritik am Kriege ist ein deut-
licher Beweis, dass man den Krieg und in letzter
Linie das menschliche Herz nicht versteht. Ver-
gegenwärtigen wir uns den souveränen Blick, mit dem ein Moltke
auf jene Blinden heruntersehen muss, die nachzuweisen suchen,
sein Einmarsch in Böhmen 1866 sei sehr gewagt gewesen, er
habe Glück und wieder Glück gehabt. Noch heute sucht man
ihm gelegentlich zu zeigen, wie unvorsichtig er verfuhr. Aber
denken wir uns auch, mit welchem Gefühle, hier dem der
C. von B.-K. Zur Psychologie des grofien Krieges II. 25
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— 386 -%
bittersten Verachtung, ein besiegter Feldherr das Gekläffe ver-
nehmen muss, das sich alsbald um ihn erhebt , sobald er
fiel! Die leitende Idee, von der ein Kriegsschrift-
steller ausgehen muss, um die Entschlüsse der
Feldherren historisch treu zugeben, muss die
sein, deren furchtbarer Er nst noch immer nicht
genügend erkannt und gewürdigt zu werden
scheint: Auch ein besiegter Feldherr glaubte das zu thun,
was zum Siege führte« Auch in Zukunft wird jeder
der Feldherren das zu thun glauben, was zum
Siege führt, und einer nur wird siegen! Wohl hat
die kritische Methode einen didaktischen Zweck; sie will für die
Gegenwart und Zukunft erziehen und so nimmt sie zuerst die
Axiome der Gegenwart, um sie sodann an die Vorgänge der
Vergangenheit zu passen. Es scheint in der That, als ob es
nicht so sehr auf das Exempel als solches ankomme, als viel-
mehr darauf, ob dasselbe für die Gegenwart zu Lehrzwecken
zu gebrauchen sei. Ein guter Kern steckt in dieser wenig
wählerischen Manier und oftmals kann dieselbe unentbehrlich
sein.
Voraussetzung ist jedoch dabei, der Lehrer handle zweck-
bewusst, er sage sich frank und frei und ehrlich, er thue der
Geschichte Gewalt an, um aus ihr ein brauchbares Studienobject
des Augenblicks zu machen. Mit einem Wort, der Lehrer, der
so verfährt, muss sich gestehen, er handle, gezwungen durch
den Zweck, gleichsam wie ein Charlatan, und dementsprechend
wende er Vorsicht an und halte beständig Maß.
Solch ein Lehrer kann ein guter Lehrer sein. Was die
Technik der Heeresbewegungen betrifft, den mechanischen Theil
des Krieges, und für Zwecke der Schule ist diese Methode am
Platz und durch nichts zu ersetzen.
Aber nahe liegt der Glaube, dass es solcher Lehrer nur
sehr wenige gibt. -Die große Mehrzahl derer, die den Krieg zu
lehren das Bedürfnis fühlen, handeln nicht so zweckbewusst.
Sie täuschen sich selber unbewusst, indem sie gläubig und ohne
Wahl die Instrumente der Kritik, welche die Gegenwart ihnen
reichlich bietet, naiv an vergangenen Dingen erproben. Sie
sind echte Kinder ihrer Zeit, sehen jede andere Zeit mit
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gleichen Augen an, und werden ihren Ungeheuern Irrthum nicht
gewahr.
Genug.
Der Umstand, dass von zwei sich messenden
Heeren eines füglich besiegt werden muss ; die
Thatsache, dass jedes zweite Beispiel in der Ge-
schichte des Krieges ein böses, abschreckendes
ist: und die logische Gewissheit, dassdies inHin-
kunft auch der Fall sein werde: beherrscht die
Art, wie man Kriegsgeschichte schreibt undmuss
sie beherrschen. Vor allem, es gilt abzuschrecken, und
<iiesem Zwecke opfert die Kriegslehre oftmals weit mehr, als sie
vor dem Genius der Geschichte, das ist die menschliche Natur,
billig verantworten kann.
Trotz des praktischen Zweckes — denn die Afterweisheit
<ies Kriegsschriftstellers darf nur ein subalternes Mittel zum Zwecke
sein — fragt es sich indess, ob sich der Genius der Geschichte
nicht etwa dafür rächen kann.
Denn die entscheidenden Gewichte im Kriege kommen aus
<ler Seele des Menschen und sie übergehen, nachdem sie das
Materielle des . Krieges durchsetzt und durchzogen , in die
Seele des Menschen, wo sie Wirkungen thun.
Und diese Seele gilt es zu verstehen.
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Berichtigungen.
Seite 8, Zeile 1 1 v. u. lies kasiaii statt hastates
n 109, , 7 V. o. , äroite , droie
, 239, » 7 , , ^ souricürc „ soupicicre
, 318, Fußnote, 1. Zeile lies 18. Juni statt 17. Juni.
Im I. Heft.
•Seite 48, Zeile 9 v. u. lies Zerfallsproduct statt Zufallsproduct.
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Di^^
-_- -^ ., .., i.^Liiuiijyj Li«j;iiiigen nauen, wtt iiier, jedoch tiuch
tiw Keiner Thittigkeil so vieles gdcmt haben,
. , . , Wir konnai nur den Wunsch hingen» dass cl wag weniger geschrieben uiul
mehr nachgcüeicht werde, und dass sich um des Verfassers * Methode« huld emc
>obar von Jüngern bilden möge, djimit wir wieder dem Wesen der KHegskunst
-the kommen. Erschcmen doch unter der heuligen ntvelliercnden Flachheit die
' Mherien, ihre Psychologie und ihr Werdcprocess gar nicht mehr auf dem
'■ V. Man könnte sie eigentlich nach der heutigen Metheide einfach nummcricicn,
'» wir kennen ja nichts weiter als — Methode, wahrend dach jede Kunst
mü Krj^rundung des Künsllers undenkbar ist* Wie man aber irgend einen
'^>Uen I^ntschluss verstehen soll, nhne alles nach Kräften zu ergründen, was
''■^ dahin in der Seele des Feldherrn vorgegangen ist, begreifen wir einfach nichl,
^^'cr nur einen derartigen Fall erschöpft, lernt an einem Beispiele mehfi als durch
^nxe Bibliotheken unseres AlltagÄkrames. Und da in dem ersteren Geiste diese
-hrUt gehalten ist, so müssen wir sie warm empfehlen. Genau, wie mit den
« '-Idherren steht es mit ihren Truppen r Armeen sind Armcei^ Truppen sind
Iiuppen, und doch wird die Ausführung erst verständlich, wenn man die Truppen
^-beiiralls kb^n steht. Aber — leb^n — Gott bewahre» das ist gefährlich.*
Neue preuS« Kreuz-Zeitung, 1893, Nr, 73 ; »L'nserc Miiitär-Litlcratur
"oigi viel fleißigds und recht versiändigcs Mittelgut, wie unser iVlatt dieses mit
iner gewissen Genugthuung wiederholt beslaiigen konnte. In diesem Werkchen
ines ijsterreichischcn OfHetcrs finden wir mehr als das* Schon das Lesen der
i-^ten Seile zwingt, wk der erste SalK einer Ueethoven'schen Symphonie xum
A'titeihorchcni so hier aum W^eiLüi lesen r>as Studieren d^r geistvollen
SkizKc war uns ein wahrer Genuiis.*
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^
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(Fortsetzung von Seite 2 des Umschlages.)
originellen Weg, auf dem ihn zu begleiten, jedem kriegswissenschaftlich gebildeten
Ofrtcier ein Genuss sein wird. Wer sich also ernsthaft für Kriegswissenschaft
interessirt, der lese die kleine Schrift, er wird sicherlich dabei lernen, sogar viel
lernen, dafür verbürgen wir uns ihm. Da diese Studie mit Nr. 1 bezeichnet ist,
darf man wohl hoffen, dass der Verfasser weitere Studien der ersten folgen lassen
will. Wir wünschen ihm dazu von Herzen Glück auf. Ein Feldherr muss vor
allen Dingen ein vollendeter Menschenkenner sein. Wer in sich die Befähigung
zu großen Dingen ahnen zu dürfen glaubt, muss vor allem in dieser Beziehung
sorgfältige Studien machen. Dazu leitet die Schrift sehr schön an.«
Deutsche Heeres-Zeitung, 1893, Nr. 30 : »Endlich einmal ein denkende
Mensch, ein muthiger und doch maßvoller Kritiker unter der Flut von Alltags-
menchen, welche den Büchermarkt mit ihrer Alltagsware geradzu überschwemmen.
Der eine constrüiert sich dies Schema, der andere jenes, aber statt in das Seelen-
leben der Feldherren hinabzusteigen und zu erforschen, wie sie sich entwickelt
haben, wie ihre Feldherrnkunst entstanden ist, werden die Dienstvorschriften
kommentiert und wieder kommentiert, werden die Dinge fast nur mechanisch
behandelt und man athmet schon allein auf, wenn man einen Schriftsteller über-
haupt einen eigenen Weg gehen sieht. Ist dieser Weg noch dazu so vortrefflich
zu übersehen wie hier, so fühlt man sich ordentlich erfrischt. Das Buch, welches
eine I trägt, also jedenfalls fortgesetzt werden soll, hat einen großen Fehler,
nämlich, dass der Verfasser seinen Namen uns vorzuenthalten für gut fand, und
einen störenden Mangel, nämlich die unzureichende Karte, sowohl vom operativen,
wie vom taktischen Gesichtspunkte aus. Sonst aber folgt man dem Verfasser
überrall mit Freude und Genuss, in den meisten Fällen unter stiller Zustimmung.
Um Arcole hat sich ein wahrer Sagenkreis gebildet und es wird wohl nur
wenige geben, welche die ganze bezügliche Litteratur, welche durch Napoleons
Memoiren übrigens eher eine Verdunkelung als eine Klärung erfahren hat, kennen.
Dies ist auch nicht nöthig, aber es genügt ebensowenig, sich mit der in diesem
I^inkte völlig antiquierten Beurtheilung Clausevvitz* abzufinden. Die Auffassung
des letzteren hat zwar vor den Augen manches denkenden Officiers nicht mehr
Stand halten können, allein wir wüssten keinen Autor zu nennen, der sich die
Widerlegung Clausewitz* zum Ziel gesetzt und dem dies geglückt wäre. Um dies
zu erkennen, muss die Schrift selbst studiert werden. Bonaparte trug den
Keim des gottbegnadeten Feldherrn zwar in sich, aber der General Bonapartc
dürfte kaum jemals so schwere Irrthümer begangen haben, wie hier, jedoch auch
aus keiner Thätigkeit so vieles gelernt haben.
.... Wir können nur den Wunsch hegen, dass etwas weniger geschrieben und
mehr nachgedacht werde, und dass sich um des Verfassers ».Methode« bald eine
Schar von Jüngern bilden möge, damit wir wieder dem Wesen der Kriegskunst
nahe kommen. Erscheinen doch unter der heutigen nivellierenden Flachheit die
Feldherren, ihre Psychologie und ihr Werdeprocess gar nicht mehr auf dem
Plane. Man könnte sie eigentlich nach der heutigen Methode einfach nummerieren,
denn wir kennen ja nichts weiter als — Methode, während doch jede Kunst
ohne Ergründung des Künstlers undenkbar ist. Wie man aber irgend einen
großen Entschluss verstehen soll, ohne alles nach Kräften zu ergründen, was
bis dahin in der Seele des Feldherrn vorgegangen ist, begreifen wir einfach nicht.
Wer nur einen derartigen Fall erschöpft, lernt an einem Beispiele mehr, als durch
^^anzc Bibliotheken unseres Alltagskrames. Und da in dem ersteren Geiste diese
Schrift gehalten ist, so müssen wir sie warm empfehlen. Genau, w^e mit den
Feldherren steht es mit ihren Truppen : Armeen sind Armeen, Truppen sind
Truppen, und doch wird die Ausführung erst verständlich, wenn man die Truppen
ebenfalls leben sieht. Aber — leben — Gott bewahre, das ist gefährlich.«
Neue preuß. Kreuz-Zeitung, 1893, Nr. 73 : »Unsere Militär-Litteratur
zeigt viel fleißiges und recht verständiges Mittelgut, wie unser Blatt dieses mit
einer gewissen Genugthuung wiederholt bestätigen konnte. In diesem Werkchen
eines österreichischen Officiers finden wir mehr als das. Schon das Lesen der
ersten Seite zwingt, wie der erste Satz einer Beethoven'schen Symphonie zum
Weiterhorchen, so hier zum Weiterlesen Das Studieren der geistvollen
Skizze war uns ein wahrer Genuss.«
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