Skip to main content

Full text of "Zur Psychologie des grossen Krieges"

See other formats


This is a digital copy of a book that was preserved for generations on library shelves before it was carefully scanned by Google as part of a project 
to make the world's books discoverable online. 

It has survived long enough for the Copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject 
to Copyright or whose legal Copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books 
are our gateways to the past, representing a wealth of history, culture and knowledge that 's often difficult to discover. 

Marks, notations and other marginalia present in the original volume will appear in this file - a reminder of this book's long journey from the 
publisher to a library and finally to you. 

Usage guidelines 

Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the 
public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken Steps to 
prevent abuse by commercial parties, including placing technical restrictions on automated querying. 

We also ask that you: 

+ Make non-commercial use of the file s We designed Google Book Search for use by individuals, and we request that you use these files for 
personal, non-commercial purposes. 

+ Refrain from automated querying Do not send automated queries of any sort to Google's System: If you are conducting research on machine 
translation, optical character recognition or other areas where access to a large amount of text is helpful, please contact us. We encourage the 
use of public domain materials for these purposes and may be able to help. 

+ Maintain attribution The Google "watermark" you see on each file is essential for informing people about this project and helping them find 
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it. 

+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are responsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just 
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other 
countries. Whether a book is still in Copyright varies from country to country, and we can't off er guidance on whether any specific use of 
any specific book is allowed. Please do not assume that a book's appearance in Google Book Search means it can be used in any manner 
any where in the world. Copyright infringement liability can be quite severe. 

About Google Book Search 

Google's mission is to organize the world's Information and to make it universally accessible and useful. Google Book Search helps readers 
discover the world's books white helping authors and publishers reach new audiences. You can search through the füll text of this book on the web 



at |http : //books . google . com/ 




über dieses Buch 

Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Regalen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im 
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfügbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde. 

Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch, 
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann 
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles 
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist. 

Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei - eine Erin- 
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat. 

Nutzungsrichtlinien 

Google ist stolz, mit Bibliotheken in partnerschaftlicher Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse 
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nichtsdestotrotz ist diese 
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch 
kommerzielle Parteien zu verhindern. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen. 

Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien: 

+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche für Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese 
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden. 

+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen 
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen 
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials für diese Zwecke und können Ihnen 
unter Umständen helfen. 

+ Beibehaltung von Google -Markenelementen Das "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über 
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht. 

+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein, 
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA 
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist 
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig 
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der 
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben. 

Über Google Buchsuche 

Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google 
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser Welt zu entdecken, und unterstützt Autoren und Verleger dabei, neue Zielgruppen zu erreichen. 



Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter http : //books . google . com durchsuchen. 



Digitized by VjOOQ IC 





Digitized by 



Google 



Digitized by VjOOQIC 



^ 



• • • , * 



Digiljzed by VjOOQIC 



* 



y.m vHYv]\i>\Am\K 



hl N 



(im)smN KRIEGES 



HRIAJ 



I. 

A R C O L E, 

STL'UIK 

!NES GROSSEN r.ENT:RAL-. 




äZc<. t ^^^Za^^ 



t 




WJEN UND LEIPZIG. 
KV t L H K f. M üRAÜ M Ü L L K K 



ü 



Digitized by VjOOQ IC 



Verlag von Wilhelm Braumüller in Wien. 

Neu erschienen : 

TAKTISCHE AUFGABE 

nebst Lösung. 

Applicatorische Reglement-Studie 

von 

C. E. 

Gr. 8. 1892. 55 Seiten und 1 Knrtc. 70 kr. = I M. 20 Pf. 

SCHIESS-TABLEAUX 

und 

Schiess-Spiel 

fCtr den I^epetir - OaralDiiier 2s^. ISOO 

und 

Schiesstableau für den Revolver 



Carl Högg 

k. u. k. Hauptmann im Infanterie-Regimcnte Nr. 101 
und 

Eduard Edler von Dietrich 

k. k. Oberlieutenant im Landwehr-Bataillon Wien Nr. 1, 

3 Tablctiux in großem Placalformal sammt Schiess-Spiel 3 fl. 40 kr. -^- 5 M. 60 Pf. 
Kinzelpreis für Tableau lu. U. (für den Repetir-Carnbiner M. 1890) 

1 n. 60 kr. -- 2 M. 80 Pf. 

HI (Tür den Revolver) . , . . 80 kr. -- I M. 40 Pf. 

• das Schiess-Spiel l fl. -- l.M. 80 Pf. 



Die Ausbllduns!" 



des 



Soldaten zum Schützen 

lind der 

wagrechte Anschlag. 

Von 

E. V. D, 

Gr. 8. 1892. 47 Seiten. Preis 60 kr. --- 1 M. 



Digitized by VjOOQIC 



ZUR PSYCHOLOGIE 



DES 



GROSSEN KRIEGES 



VON 



C. von B.-K. 

ARCOLE. 

STUDIE 

AUS DEN LEHRJAHREN EINES GROSSEN GENERALS. 




"WIEN UND LEIPZIG. 
WILHELM BRAUMÜLLER 

k. u. k. Hof- und UniversitäLs-Buchhändler. 
1893. 



Digitized by VjOOQIC 









Digitized by VjOOQIC 



D, 



■ie Kritik befindet sich dem ersten Feldzuge Napoleon 
Bonapartes in Italien (1796/97) gegenüber in einer schwierigen 
Lage ; wohl kaum eine zweite Periode der modernen Kriegs- 
geschichte zeigt uns Wahrheit und Dichtung so innig vermengt 
wie diese. Der Gefangene von St. Helena hat dafür gesorgt, dass 
das Dunkel, welches sein erstes Auftreten umgibt, den ihm gün- 
stigsten Farbenton erhalte und corrigiert zu diesem Zwecke die 
Geschichte; die österreichischen Berichte sind spärlich, beson- 
ders an Namen und Daten ; die Verwirrung jener Tage ent- 
schuldigt dies. 

So kommt es, dass einzelne Theile dieses merkwürdigen 
Feldzuges bis heute nicht völlig geklärt sind ; insbesonders fehlen 
häufig die Motive zu den Erscheinungen. Die Kritik hat viel ge- 
leistet und manches erhellt; aber welcher Kritiker dieses Feld- 
zuges ist nicht zuweilen in den Zunftjargon verfallen, um sich 
mittelst des Prädicates „Genius", das er Napoleon Bonaparte gibt, 
über unklare Partien der Ereignisse und ungeklärte Motive hin- 
wegzuhelfen? Das Wort sollte in einem kriegs wissenschaftlichen 
Werke nicht zu finden sein ; denn es sagt zuviel oder zuwenig ; 
es ist nicht genügend bestimmt. Der Lückenbüßer „Genius" ist 
es auch, vor dem die Kritik beständig zagt, und trotz ihrer zur 
Schau getragenen Objectivität ist sie es doch, die, ohne es viel- 
leicht gewahr zu werden, aus den überlieferten Erfolgen die be- 
wussten Motive ableitend, auf Abwege geräth. So wenig es zur 
Klärung des Urtheils dienlich ist, wenn der Kritiker an die Be- 
trachtung eines Krieges mit dem Instrument des Systems, der 
Theorie, geht und dasselbe ä tout prix gebraucht, ebenso ver- 

C. von B.-K. Zur Psychologie des großen Krieges I 1 



J3 4 7 ti r4 ^'^'^'"^"^ ^^ Google 



ij/lL- 



- 2 - 

wirrend wirkt die Devise: Rien ne reussit que le succes. Aus 
dem Erfolge darf nicht mit apodictischer Sicherheit auf die be- 
wusste Vorbereitung desselben durch den Sieger immer und ewig 
rückgeschlossen werden. 

Dann beschäftigt sich die Kritik stets zu wenig mit den 
Massen ; sie untersucht fast nie in erschöpfender Weise das Werk- 
zeug, das die Streiche thut, sondern fast allein die Hand, die 
dasselbe fuhrt, ja nicht einmal die, sondern den Geist, der die 
Bewegungen leitet; so enthalten die meisten kriegsgeschichtlichen 
Werke Karten und Pläne, aber keine Charakteristiken des gemeinen 
Mannes, keine Schilderungen des Geistes im subalternen Officiers- 
corps, keine Biographien der Unterführer. Ein Appendix von ver- 
bürgten Anekdoten, kleiner Züge des Krieges, belehrender Episo- 
den, sollte niemals fehlen ; hier möchte vielleicht der Schlüssel zur 
Lösung manchen Räthsels liegen, den eine schematische Skizzierung 
der Stellungen und eine detaillierte ordre de hataille nicht geben. 

Man weiß ja, dass eine bessere Truppe eine gewagtere 
Taktik verträgt als eine von minderem Wert; dass eine Muster- 
truppe die gröbsten taktischen Fehler des Führers manchmal wett 
zu machen vermag. 

Aber die schematische, geometrische Kritik — etwa im Sinne 
weiland Bülows — übersieht noch immer die moralischen Factoren 
der Massen, die unwägbaren Einflüsse von Zeit und Ort auf die 
lebendigen Elemente des Kampfes, auf die Seele der Truppe, nur 
allzusehr und schiebt in mystischer Unklarheit dem Sieger „Genius'', 
dem Besiegten „Unfähigkeit*' zu. 

Einer der Grundpfeiler napoleonischen Kriegsruhms war 
seinerzeit die Brücke von Arcole; der Name hat in Europa wie- 
dergehallt und noch heute erweckt die Erinnerung an jenen Kampf 
tausend Manen gesunkener Größe. Arcole galt nebst Lodi als 
die bedeutendste WafTenthat des jungen Generals ; von ihr aus 
geht ein gut Theil jenes wunderbaren Prestiges, das den Sultan 
Kebir nach St. Jean d^Acre, den ersten Consul nach Marengo 
führt und dem Kaiser durch alle Wechselfälle des Schicksals treu 
geblieben ist. 

In der Beurtheilung dieser Kriegsbegebenheit berühren sich 
nun die Extreme. Welch ein Abstand vom Bilde der Schlacht, wie 
wir es in Napoleons Memoiren finden bis zum kritischen Resume 



Digitized by VjOOQIC 



— 3 



Clausewitz' : . . . müssen wir aber die Anordnungen am ersten Tage 
als durchaus verfehlt, an den beiden andern Tagen als eine Folge 
des Eigensinns und im Widerspruch mit den einfachsten Grund- 
sätzen der Taktik betrachten u. s. w. ? Wir wollen daher ver- 
suchen, zu einem Urtheil über das militärische Verdienst des 
Siegers zu gelangen und zwar mit der Devise : Sine ira et studio. 

Bevor wir jedoch zum eigentlichen Thema kommen, sei es 
uns verstattet, einige Worte über die Charaktere der handelnden 
Personen — gewiss nicht der geringste unter den Factoren, die 
Sieg und Niederlage mitbestimmen — zu sprechen. 

Zunächst vom kaiserlichen Heer, und wir beginnen mit den 
Truppen: Zusammengewürfelt aus den Trümmern Wurmsers, 
dann Verstärkungen vom deutschen Kriegsschauplatz, weiters 
Recruten, die nach der Katastrophe von Bassano und Wurmsers 
Einschließung in Mantua die Cadres der Armee gefüllt hatten, 
endlich irregulären croatischen und tiroler Aufgeboten, gebrach 
es denselben zweifelsohne an Homogenität. Der kriegerische Geist 
hatte nicht Zeit gehabt, die Massen zu durchdringen, das Vertrauen 
zur Führung hatten sie noch zu erwerben. Der Wechsel in vielen 
höhern Commanden musste nachtheilig auf den Geist der Truppen 
wirken. Es ist nicht zu übersehen, dass die Gaben der öster- 
reichischen Armee dazumal in der Defensive lagen. Schon Lloyd*) 
findet die kaiserlichen Truppen seiner Zeit vorzugsweise für die 
Vertheidigung geeignet; die schlesischen Kriege hatten dem Heere 
einen Geist des Abwartens, einen Instinct für Positionen bei- 
gebracht, der noch lange in den höheren Stellen sowohl als bei 
den Truppen ein Moment der strategischen und taktischen Vor- 
sicht und Langsamkeit, ein Überrest jener passiven Haltung blieb, 
die dem großen Friedrich gegenüber wohl angebracht war. Und 
jetzt sollten die Truppen plötzlich Initiative und Offensive zeigen: 
denn die Regierung verlangte den Entsatz von Mantua. Aber 
auch die Auspicien, unter denen sie den Kampf beginnen sollten, 
mussten ihnen ungünstig scheinen. Der Tag von Lodi — durch 
die Fama überdies entstellt — war in aller Mund; die bisherigen 
Erfolge des Gegners grenzten an das Unglaubliche; die republi- 



•; Military Memoirs, London 1783. 



Digitized by VjOOQIC 



- 4 - 

kanische Armee mit ihren Eigenthümlichkeiten erschien als drohende 
Sphinx, für die ein Analogon nicht zu finden war. Nichts gibt 
die Stimmung der Armee in jenen Tagen besser wieder als folgende 
Anekdote*): Ein gefangener kaiserlicher Officier zu den französi- 
schen Officieren: „Euch commandiert ja der Satan in Person; 
Bonaparte greift uns von vorn und rückwärts, von allen Seiten 
zugleich an und stellt jede Kriegskunst auf den Kopf." Die 
Truppen waren sichtlich erschüttert; auch fehlten ihnen die mei- 
sterhaften Armeebefehle Napoleons, und zündende Haranguen, wie 
die seinen, kannten sie nicht. 

Die Unterführer: Quosdanowitsch und Dawidowitsch waren 
tapfere Degen; ob sie ein selbständiges Commando mit Erfolg 
zu fuhren vermochten, sollte sich erst zeigen; es steht indessen fest, 
dass in diesem Feldzuge beide, der erste anfangs August in den 
Gefechten am Gardasee, der zweite einen Monat später an der 
Sarca und am Lavis unglücklich gewesen waren. 

Alvintzy kam soeben zur Armee, war hier, in der Stellung 
des Obercommandanten, ein homo novus, erfuhr alle Schwierig- 
keiten einer solchen Stellung und hatte seine Proben erst zu 
geben. 

Nun zur französischen Armee : Sie war, en bloc betrachtet, 
noch immer die Armee von Lodi und Castiglione; die 8000 
Mann Verstärkungen aus der Vendee waren nach Bonapartes 
eigenem Ausspruch vom besten Geist beseelt. Den Tag von 
Caldiero hatte die Armee als Unbill des Wetters, nicht als Nieder- 
lage empfunden. Die überwältigenden Erfolge des Feldzugs, die 
erreichten Genüsse, waren den Truppen zu Kopf gestiegen, gaben 
ihrem Elan gedoppelte Kraft und unbegrenztes Vertrauen zu den 
Führern. Die Namen Augereau und Massena hatten einen guten 
Klang beim gemeinen Mann, er erkannte des letzteren persön- 
liche Bravour und des ersteren mit Wohlwollen für ihn gepaarte 
Strenge; beides Momente von großem Gewicht: das Beispiel 
reißt mit sich fort, die Nöthigung zwingt nach vorwärts. Man 
darf wohl aus dem Studium der Quellen entnehmen, dass Bona- 
partes Unterführer jenen Alvintzys an Initiative, Rücksichtslosig- 
keit, Einflussnahme auf die Truppen überlegen waren. Ein wei- 
teres Element der Überlegenheit auf französischer Seite ist nach 

*) Memorial de Sainte-Wlene. 



Digitized by VjOOQIC 



— o — 



Clausewitz*; der „Sansculottismus" der republikanischen Armee 
gewesen; wenn man den Begriff im weitesten, rücksichtslosesten 
Umfang seiner Bedeutung erwägt, so erkennt man sogleich dessen 
militärischen Wert. 

Endlich der französische Obergeneral! Die ausgedehnte 
napoleonische Literatur gibt uns sein Bild ; doch einige Züge, 
vielleicht weniger allgemein bekannt, zum Verständnis des folgen- 
den nothwendig, mögen hier Platz finden ; vielleicht vermögen sie 
die Tage vom 13. bis 18. November zu erklären. 

Wir erkennen an Bonaparte die höchste Thatkraft in Durch- 
führung eines fertiggestellten Plans; Nachdruck und Schnelligkeit 
der Bewegung erhebt er dann auf die Grenze physischer Mög- 
lichkeit; darin bleibt er sich vom Anfang bis zum Ende gleich; 
es war die Entschiedenheit und Kraft in Durchführung seiner 
Pläne ein Theil seines Systems. Aber die entscheidenden Ent- 
schlüsse kamen ihm nicht, wie man glauben möchte, blitzartig, 
durch Eingebung seines „Genius". Er musste das Wägen erst 
lernen. Erinnern wir uns an das Dunkel, das über den 
Kriegsrath von Roverbella gebreitet ist, und aus dem 
vereinzelte Enthüllungen der Zeitgenossen die Rath- 
losigkeit, Muthlosigkeit, ja Hilflosigkeit des Obergene- 
rals angesichts der drohenden Vernichtung auf die Nach- 
welt bringen.**) Suchen wir nach Analogien in seiner spätem 
Laufbahn und überzeugen wir uns, dass auch er nicht stets 
bewusst, auf Grund einer geklärten Überlegung, gehandelt hat, 
sondern dass er in verzweifelten politischen und militärischen 
Situationen ohne Calcul den naheliegenden Weg rücksichtsloser 
Energie, unbekümmerten Beharrens einschlägt, den seine Natur 
ihm anweist: der 18. Brumaire ist solch ein Beispiel aus der 
Politik,***) Belle-Alliance eines aus der Kriegsgeschichte. Ihm war 
eben sehr bekannt, dass gegen sterbliche Menschen weniger die 
Richtigkeit als die Vehemenz der Mittel wirkt; dass ein ver- 
fehlter Entschluss, kraftvoll durchgeführt, noch wirkt, wo ein 
Suchen nach dem richtigen Zeitverlust und Verderben heißt. 



•) Der Feldzug von 1796 in Italien ; hinterlassenes Werk des Generals Carl von Clause- 
witz. Berlin 1858. 

••) Die ersten Feldztlge Napoleon Bonapartes in Italien und Deutschland von W. 
Rüstow; Zürich 1867. 

*•*) Litcicn Bonaparte, Mcmoires. 



Digitized by VjOOQIC 



6 — 



Wenn am Ende seiner Laufbahn, nach einer kriegerischen Erfahrung 
ohnegleichen, der Kaiser Napoleon in den Fehler , eiserner 
Wille ohne die zügelnde Vernunft" verfallen ist, warum soll es 
der General Bonaparte nicht früher auch schon sein? Steht 
nicht anzunehmen, dass die Qualität des militärischen Ent- 
schlusses hier wie dort die gleiche war und dass äußere, 
vom obersten Führer unabhängige Momente hier den 
Sieg und dort die Niederlage gaben? Dass die Qualität der 
Truppen hier trotz taktischer Fehler gesiegt und dort eben wegen 
derselben sich nimmer bewährt hat? Denn die war zur Zeit 
der hundert Tage sicherlich geringer als 1796, sowohl absolut, 
als relativ gegenüber der gesteigerten Disciplin, verbesserten Or- 
ganisation und Taktik, endlich der vermehrten Zahl der Gegner. 
Solche Erwägungen werden uns bei der Beurtheilung der Be- 
gebenheiten begleiten und das Schlussergebnis mitbestimmen. 
Aber noch eines ist in den Calcul zu stellen; kein Kritiker 
hat es bisher beachtet: Bonaparte hat von Lodi an den Krieg 
nicht wie ein gewöhnlicher General, als Träger des Willens seiner 
Nation, als Mandatar der Executivgewalt geführt; er führte ihn für 
sich, für seine Person, für seine Zukunft allein; deshalb 
hat auch keiner vor ihm den Erfolg, sagen wir den Augenblicks- 
erfolg, das lärmende Aufsehen kriegerischen Ruhms, das persön- 
liche Prestige mit solcher Leidenschaft gesucht. Zum Verständnis 
citieren wir ihn selbst*): Vendemiaire et meme Monienoite ve 
me portcrent pas encore ä nie croirc im komme sttpcrienr. Ce 
n'est qtCaprcs Lodi qne me vhit dans Videe que je pouvais 
devenir apres tont im acteur decisif snr notre scene politiqne. Alors 
naqtiit la premiere etincelle de la grande ambition .... elc. Er 
war demnach, man kann es dreist so nennen, von der fixen 
Idee an seinen Stern, seine Sendung, erfüllt und hat von einer 
Verantwortlichkeit irgend jemandem gegenüber kaum etwas ge- 
ahnt; hier kann man ihm wohl Glauben schenken; denn seine 
Handlungsweise bestätigt seine Intention. Man studiere nur die 
Art, wie er die eroberten italienischen Landestheile — den Ab- 
sichten des Directoriums entgegen — administriert; wie er, seiner 
Regierung zum Trotz, den Papst immer und immer schont; wie 
er ihm den Frieden von Tolentino verhältnismäßig leicht zu machen 



*J Memorial de Sainte-Helene. 



Digitized by VjOOQIC 



- 7 



sucht; es bestehen Briefe aus dieser Zeit, von ihnn selbst geschrie- 
ben, die der Ansicht überzeugend Recht geben : Schon hier muss 
man ihn in der Rolle des Spielers um die höchste Macht be- 
trachten; dann lässt er sich erklären. 

Ist es nur ein einfaches avis au lecteur, wenn er sagt*): 
La gloire et rhonneur des armes est le premier deuoir qH'un 
general qui livre hataille doit considerer; le salut et la conser- 
vation des hommes n'esi qne secondaire; mais c'est dans cette 
atidace, dans cette opiniätrete, qne se trouvent le salut et la 
conservation des hommes; par cette conduite on oblient et on 
meriie d'obtenir la victoire . . . etc. Oder sind ihm hier nicht 
die Erinnerungen an sein erstes Auftreten in Italien im Sinne 
gelegen? 



Der Angriff* auf Caldiero war gescheitert; Alvintzys off'ensive 
Defensive hatte sich bewährt; über Calderino hinaus erstreckte sie 
sich nicht; und so trat Bonaparte unter den Schnee- und Regen- 
schauern des Abends seinen Rückzug nach Verona an. 

Die französische Armee stand in der Nacht vom 12. auf den 13. 
Xovember — die Stärkeverhältnisse durch vergleichendes Rechnen 
aus dem Quellenmaterial der Wirklichkeit möglichst nahe gebracht 
' — wie folgt: 

Die beiden Divisionen Augereau und Massena, von Caldiero 
zurückmarschiert, in und um Verona-San Giacomo; 14.000 Mann. 

Kilmaine mit dem Blokade-Corps vor Mantua; 8000 Mann. 

Vaubois ist in die Stellung Rivoli-Bussolengo zurückgedrängt 
und erwartet stündlich angegriffen zu werden, und zwar von 
überlegener Macht; 6000 Mann. 

Einige Reserven unter Maquere und Dumas scheinen irgendwo 
in der Gegend zwischen Verona und Peschiera, nach Clausewitz 
bei Villafranca, gestanden zu sein; 3000 Mann? 

Die österreichische Armee stand um dieselbe Zeit — Stärke- 
angaben wie oben gerechnet — wie folgt: 

Alvintzy (Quosdanowitsch) mit der Hauptmacht in der 
Stellung von Caldiero; 25.000 Mann. 



*) Maximes de guerre et pensecs de Napoleon /«. Paris, Dumaine 1874. 



Digitized by VjOOQIC 



8 - 



Dawidowitsch ist nach den Erfolgen von Segonzano und 
Caliano bei Serravalle, Vaubois gegenüber, stehen geblieben und 
steht noch daselbst; 16.000 Mann. 

Laudon im Chiesethal; 3000 Mann. 

Wurmser endlich ist in Mantua eingeschlossen, bestrebt sich 
mit Alvintzy ins Einverständnis zu gelangen und hat von seinen 
22.000 Mann etwa 10.000 intakt und für den Kampf verfügbar. 

Ein Blick auf das strategische Verhältnis: Das Herausgehen 
aus der innern Linie gegen die Brenta hatte Bonaparte nicht den 
gesuchten Erfolg gegeben ; nach Caldiero stand er wieder auf der 
innern Linie, doch war die Lage höchst ernst. Die Österreicher 
waren bisher stetig, wenn auch langsam vorgedrungen, und jetzt 
standen Alvintzy und Davidowitsch- — Wurmser gar nicht in 
Betracht gezogen — einander so nahe, Vaubois hatte seine Auf- 
gabe so schlecht erfüllt und die Stärkeverhältnisse waren solche, 
dass nach Massenas Heranziehung von Castelnuovo zu Bonapartes 
Corps (11. Nov.) an eine weitere eifolgverheißende Operation auf 
der innern Linie kaum mehr gedacht werden konnte. 

Operationen auf der „innern Linie" versprechen bekanntlich 
nur dann Erfolg, wenn man voraussehen kann, die Vereinigung 
auf einem Punkt, die Entscheidung und das Verkehren oder Ändern 
der Front reichlich in jener Zeit bewirken zu können, die jener Theil 
des Gegners, den man refusirt hat, braucht, um heranzukommen. 

Ein Blick auf die Karte genügt, um zu zeigen, dass diese 
Bedingungen hier und jetzt nicht mehr vorhanden waren. 

Nun schrieb Bonaparte in der Nacht des 12./ 13. Nov. an das 
Directorium beiläufig folgendes:*) 

„Er zweifle, den Entsatz von Mantua noch verhindern zu 
können; demselben müsse der Rückzug an die Adda folgen; die 
Armee sei decimiert, der Geist der Truppen leide unter dem Mangel 
an Erfolgen und der Ungunst der Witterung : jede Stunde könne 
eine neue Hiobspost bringen u. s. w. 

In wenig Tagen wolle er eine neue Anstrengung 
versuchen; vielleicht gelinge die Erobemng von Mantua und 
mit ihr jene Italiens. Mit dem Belagerungscorps verstärkt gebe es 
nichts, was er nicht unternehmen könnte." 



*) Correspondance de Napoleon /•«•. 



Digitized by VjOOQIC 



— 9 - 

Man sieht, die Fabrication von Bulletins und Relationen, wie 
nachmals jener für die große Armee, war Bonaparte hier noch 
nicht geläufig. 

Was soll nun dieser Brief? Was wollte Bonaparte mit ihm? 
War derselbe aufrichtig geschrieben, unter dem Druck der nahen 
Gefahr, unter dem Bleigewicht der Ungewissheit , der Unent- 
schlossenheit — etwa als vorweggenommene Rechtfertigung im 
Falle des Misserfolgs? Die Klagen über das Nichteintreffen der 
erwarteten Verstärkungen scheinen dies anzudeuten. Ist dieser 
Brief wohl wirklich das fixierte, für die Nachwelt bewahrte Conterfei 
von Bonapartes Seelenzustand vor dem Entschluss? Oder aber 
ist derselbe eine berechnete, wohlüberdachte Stilübung, die dem 
nahen Erfolg, den Bonaparte bereits voraussieht, als Folie zu 
dienen die Bestimmung hat? War es der Zweck der Botschaft vom 
13. Nov., jene vom 19. durch ihren Contrast in umso helleres 
Licht zu stellen ? War der Brief nur eine Mache, die, wie Clause- 
witz meint, die theatralische Wirkung des zu erwartenden Erfolges 
erhöhen sollte? 

Klarheit hierüber zu gewinnen ist für die Folge von höchster 
Wichtigkeit. Den Entschluss, der zum Sieg geführt hat, kennen 
wir ; aber wie mag er entstanden sein ? 

Wusste Bonaparte in der Nacht des 12./13. Nov. so ziemlich 
genau, was er wollte und was er erreichen werde, so wie nach- 
mals bei Jena, vor Jena beispielsweise?*) Clausewitz sagt 
mit Berufung auf die „Größe eines Feldherrn" ja. Allein diese 
Motivierung kann — wie es scheint — nicht genügen. 

Oder wusste er es nicht, wie kürzlich erst vor Castiglione ? 

Lassen wir die Frage offen ; um nicht vorzugreifen, bringen 
wir die Thatsachen zunächst; die Erwägung mag ihnen dann folgen. 

Der 13. und 14. November zeigen einen nahezu vollstän- 
digen Stillstand in den Operationen ; Bewegungen^ die zur neuen 
Gruppierung der Kräfte führen, sind die folgenden gewesen : 

Robert zieht die zur Beobachtung der Etsch unterhalb Verona 
bisher verwendete Halbbrigade langsam bei Ronco zusammen 

Kilmaine, der, wie wir uns erinnern, vor Mantua steht, 
kommt auf Bonapartes Befehl nach Verona und entsendet gleich- 
zeitig eine Halbbrigade vom Blokadecorps nach Ronco. 

•) Corr. Brief an den König v. Preußen, dd. Gera, 12. Oct. 1806. 



Digitized by VjOOQIC 



10 - 



Guyeux endlich geht von Bussolengo, wo er als V'aubois* 
Reserve für dessen Stellung von Rivoli bisher betrachtet werden 
konnte, mit 2 Halbbrigaden nach Verona ; eine Halbbrigade wird 
zu 1500 Mann angenommen werden dürfen. 

Strategisches Resume für den Abend des 14. No- 
vember: 

Das Hauptcorps in und um Verona ist möglichst concen- 
triert und um etwa 3000 Mann verstärkt; 

Bei Ronco steht nunmehr ein neues Corps von circa 
3000 Mann, mit dem Befehl, daselbst eine Brücke über die Etsch 
zu schlagen und deren Bau zu decken ; dasselbe Corps bestreitet 
die Bewachung der Etsch von Verona bis Ronco ; 

Vaubois steht noch in der Stellung von Rivoli, hat aber 
jetzt keine Reserve mehr hinter sich ; 

Das Blokadecorps vor Mantua ist durch Abgabe einer 
Halbbrigade nach Ronco bis zur äußersten Grenze der Zulässig- 
keit geschwächt. 

Tendenz: Übergang über die Etsch bei Ronco mit der 
Hauptmacht und Wirken auf Flanke und Rücken des Gegners ; 
also „einfache strategische Umgehung". 

Die österreichische Armee befindet sich zur selben Zeit: 

Wurmser und Dawidowitsch vollkommen unverändert; 

Alvintzy hat sein Hauptquartier in Gombione ; das Gros 
steht bei St. Martino ; Oberst Brigido mit 4 Bat. und 1 Esc. steht 
bei Arcole mit dem Befehl, gegen Ronco-Albaredo-Legnago zu 
demonstrieren ; soviel ist sicher ; 

General Mitrowsky wird von Bassano herangerufen, mit 
dem Befehl, sich mit Oberst Brigido zu vereinigen ; wo er jedoch 
am Abend des 14. November stand, ist nicht mit Sicherheit zu 
ermitteln ; wie wir aber in der Folge sehen werden, so lässt 
sich annehmen, dass er auf der Strai3e von Vicenza, etwa in 
der Gegend von Montebello gestanden haben muss ; 3 Bat. und 
3 Esc. ist seine wahrscheinliche Stärke. 

Strategisches Resume: Das Hauptcorps steht geschlossen 
und intact Verona, mithin Bonapartes Stärke gegenüber; numeri- 
sches Verhältnis : 5:3. 

Ein Nebencorps von mindestens 4000 Mann jenem Bonapartes, 
von ihm durch die Etsch-Alpone-Sümpfe getrennt — vis-ä-vis : 4 : 3. 



Digitized by VjOOQIC 



11 



Tendenz: Das Hauptcorps sucht den Übergang über die 
Etsch und zwar bei Zevio mit der einen Hälfte; mit der andern 
wird es Verona berennen ; mit Rücksicht darauf, dass die zu 
schlagende Kriegsbrücke bei Zevio bis zum 15. nicht fertig 
werden kann, wird die Ausführung für den 16. festgesetzt; die 
Truppen haben am 15. zu ruhen. 

Der Zweck des Detachements bei Arcole konnte nicht mit 
Bestimmtheit ermittelt werden; die Berichte schwanken zwischen: 
Demonstration und Deckung des Brückenschlags von Zevio. 

Hinzuzufügen ist, dass Alvintzy von Bonapartes Plan 
nichts, von seinen Aufstellungen sehr wenig wusste; und ganz 
das Gleiche gilt von Bonaparte inbezug auf Alvintzy. 

Die Nacht des 14./15. und der Tag des 15. November.*) 

Bonaparte führt am späten Abend des 14. seine Truppen 
aus Verona über die Etsch zurück, marschiert die ganze Nacht 
längs deren rechtem Ufer hinab und gelangt am Morgen des 15. 
nach Ronco ; ein Detachement von circa 2000 Mann war unter 
Kilmaines Befehl in Verona geblieben. Die Tete der Colonne bildet 
Augereau mit 2, das Gros Massena mit 6 Halbbrigaden, die 
Queue Beaumont mit 3 Reiterregimentern. 

Der Bataillonschef Andreossy vom Detachement des Generals 
Robert, der, wie wir wissen, bei Ronco steht, schlägt während der 
Nacht eine Schiffbrücke über die Etsch. 

Im Morgengrauen, dasselbe tritt um diese Jahreszeit spät 
ein, beginnt die Armee ihren Übergang ; gegen 9 Uhr vormittags 
hat Augereau mit 4 Halbbrigaden von seinen und Roberts 
Truppen denselben bewirkt, passiert Ponte Zerpa und geht nun 
auf dem Damm, der den Alpone rechts begleitet, auf die Brücke 
von Arcole vor. 

Da stößt die Tete seiner Colonne an dieser Brücke auf 
den ersten Widerstand; es hat Oberst Brigido an diesem Punkt 
2 Bataillone und einige Geschütze und zwar in einer für die 
Vertheidigung des Übergangs mustergiltigen Weise aufgestellt; 
die ganze lange Colonne Augereaus stockt demnach und bleibt 



•) Wir folgen hier größtentheiLs der Darstellung RQstows, welche an Verlässlichkeit und 
Genauigkeit der Angaben bis heute unübertroffen ist. 



Digitized by VjOOQIC 



- 12 - 

in der Marschformation am Damme stehen ; sogleich besetzt 
Brigido das linke Ufer des Alpone von Arcole bis gegen Ponte 
Zerpa mit Infanterie und beschießt die Colonne Augereaus über 
den Strom in die Flanke ; in derselben entstand nunmehr Un- 
ordnung, die in diesen Verhältnissen wohl begreiflich ist. 

Zwei rasche Angriffe Augereaus — mit je einer Halbbri- 
gade — ^ auf die Brücke von Arcole misslingen ; er wirft nun 
2 Bat. über den Alpone, das heißt sie durchwaten den Torrent 
mit viel Mühe und Gefahr und greifen Arcole vom linken Ufer 
und vom Süden an ; gleichzeitig oder unmittelbar darauf geht 
Augereau am rechten Ufer mit 2 Bat. zum dritten Male vor, 
wird zurückgeschlagen, nochmals mit 2 Bat., wieder ohne Kr- 
folg, greift endlich mit allem, was er zur Hand hat — wie es 
scheint — die Brücke an, exponiert sich dabei persönlich und wird 
nun zum fünften Male blutig zurückgewiesen ; das Vorgehen der 
Bataillone am linken Ufer ist gleichfalls ohne Erfolg geblieben. 

Über alledem ist Mittag herum und es tritt von beiden 
Seiten eine Pause ein. 

Inzwischen hat Bonaparte, der sich noch rückwärts befindet, 
den Misserfolg Augereaus bei Arcole erfahren und beeilt sich, 
einzugreifen. 

Er hat, wie wir uns erinnern, noch sechs Halbbrigaden 
verfügbar; vier von ihnen hat er unter den Befehl Massenas ge- 
stellt, der nach dem Übergang bei Ronco gegen Bionde di Porcile 
vorgerückt ist und eben jetzt den Kampf mit österreichischen 
Truppen unter Gavasini nördlich des letztgenannten Ortes beginnt; 
es bleiben also noch zwei Halbbrigaden zu Bonapartes Disposi- 
tion; die Hiobspost von Arcole entscheidet über ihre Bestimmung: 
unter Guyeux' Befehl marschieren sie nach Albaredo, setzen dort 
mittelst einer Fähre über die Etsch und rücken am linken Ufer 
des Alpone gegen Arcole vor. Nun wird eine flüchtige Betrach- 
tung der Karte zeigen, dass diese Bewegung mehrere Stunden 
in Anspruch nehmen musste. 

Alvintzy, anfangs den Kampf bei Arcole für eine bloße De- 
monstration haltend, ist jetzt, d. h. zu Mittag, orientiert und sendet 

eine Brigade von 3 Bat. (Gavasini) auf Belfiore di Porcile. 
welche Truppen wir zwischen diesem Orte und Bionde bereits 
im Kampfe mit Massena wissen; 



Digitized by VjOOQIC 



- 13 - 

eine Brigade unmittelbar darauf (4 Bat. unter Brabeck) eben 
falls über Belfiore zur Unterstützung Gavasinis; 

dem General Mitrowsky den Befehl, seinen Anmarsch zu 
beschleunigen; derselbe ist zu dieser Zeit in San Bonifacio mit 
einem Bataillon angekommen und setzt nach kurzer Rast seine 
Vorrückung auf Arcole fort. 

Wir müssen festhalten, dass gleichzeitig oder doch nahezu 
gleichzeitig, und zwar zu Mittag, 

1. bei Arcole eine Pause eintritt; 

2. der Kampf zwischen Belfiore und Bionde beginnt; 

3. Alvintzy seinen rechten Flügel (Gavasini) verstärkt und 
Mitrowsky zur Verstärkung des linken (Brigido in Arcole) be- 
fiehlt und zu Schnelligkeit mahnt; 

4. Bonaparte die Diversion über Albaredo befiehlt und be- 
ginnen lässt. 

Die Pause im Kampf um Arcole wird nun durch Bonaparte 
unterbrochen, der in der dritten Nachmittagsstunde, zu einer Zeit, 
da Guyeux noch weit von dem Ort seiner Bestimmung, Arcole, 
entfernt sein musste, Mitrowsky dagegen das von San Bonifacio 
herangeführte Bataillon eben hineingeworfen hatte, einen verzeifel- 
ten Versuch macht, die Brücke von Arcole mit den Truppen 
Augereaus wegzunehmen. Man kennt genugsam den Legenden- 
kranz, der von der napoleonischen Literatur um dieses Ereignis 
gewoben wurde. Thatsache ist, dass der Angriif blutig abgewiesen 
wurde, sowie der gleichzeitige Angriff der ans linke Ufer über- 
gesetzten Truppen, welche sogar durch einen raschen Gegen- 
angriff Brigidos von der seit vormittag gehabten Aufstellung ans 
rechte Ufer und zwar durch die Wellen des Alpone zurückge- 
worfen wurden. 

Damit war für heute der Hauptkampf zu Ende; wir müssen 
uns nur noch nach Massena und Guyeux, die wir zu Mittag 
verfassen haben, umsehen. 

Massena hatte ein an Wechselfällen reiches Gefecht zwischen 
Bionde und Belfiore di Porcile geführt, den Gegner in diesen Ort 
zurückgeworfen und sich in jenem behauptet. 

Guyeux kam gegen fünf Uhr, also schon in der Dunkel- 
heit, in die Gegend von Arcole; griff dieses unverzüglich an und 



Digitized by VjOOQIC 



14 - 



eroberte den Ort fast ohne Blutvergießen; zog sich aber, da er 
von Augereaus Truppen nichts bemerken konnte und keine Nach- 
richten erhielt, alsbald wieder nach Albaredo und hier ans rechte 
Ufer der Etsch zurück. 

Dass Guyeux keine französischen Truppen bei Arcole fand, 
hat seinen Grund darin, dass sämmtliche Halbbrigaden der beiden 
Divisionen Massena und Augereau mit Eintritt der Dunkelheit auf 
Bonapartes Befehl aus den Sümpfen über die Brücke von Ronco 
ans rechte Etschufer zurückgegangen waren und hier lagerten; 
ein unbedeutendes Detachement blieb zur Bewachung der Brücke 
am linken Ufer. 

Taktisches Resume für den 15. Abends. Trotz eines 
zweifelsohne verlustreichen Kampfes steht die Armee nahezu genau 
dort und derart, wo und wie sie am Morgen gestanden hat; nicht 
ein Schritt Terrain ist gewonnen worden ; die Armee ist concentriert. 

Anders stehen die Dinge bei den Österreichern ; mit einem 
Wort: Alvintzy hat Front gegen die Linie Arcole-Ronco gemacht 
und steht: 

mit 12 Bat. unter Hohenzollern vor Verona, Front gegen 
die Stadt; 

mit 6 Bat. unter Provera bei Belfiore, Front gegen Süden : 

mit 14 Bat. unter Mitrowsky in und südlich San Bonifacio, 
Front gegen Arcole; von diesen 14 Bat. gehören 11 zum Gros 
Alvintzys und sind im Laufe des 15. über den Alpone bei Villa- 
nova zurückgegangen ; mit ihnen waren alle Trains hinter den 
Alpone auf die Straße nach Vicenza zurückgenommen worden. 

Taktisches Resume: Die Armee hat: 

1. eine Frontveränderung — nach Süden — gemacht; 

2. sich getheilt in : 

a) ein Beobachtungscorps (Hohenzollern) vor Verona, 

b) ein Corps bei Belfiore, 

c) ein Corps — vom vorigen durch die Beschaffenheit 
des Terrains vollkommen getrennt — vor Arcole; 

3. ihre Trains zurückgesendet und zwar über das Brücken- 
defile von San Bonifacio-Villanova. 

4. Arcole verloren. 

Die Ziffern der Veriuste sind für einzelne Tage nicht zu 
ermitteln gewesen. 



Digitized by VjOOQIC 



- 15 - 

Der 16. November. 

Bonaparte wiederholt mit Tagesanbruch genau die Manöver 
des vorhergehenden Tages: Augereau geht auf Ponte Zerpä, 
Massena auf Bionde di Porcile vor; von Guyeux sagen die 
Quellen nichts. 

Nicht so Alvintzy ; er disponiert wie folgt : 

Hohenzollern bleibt mit seinen 12 Bat. Verona gegenüber 
beobachtend stehen ; 

Provera geht mit seinen 6 Bat. von Belfiore di Porcile über 
Bionde auf Zerpa ; 

Mitrowsky mit seinen 14 Bat. debouchiert bei Arcole und geht 
über Ponte Zerpa gleichfalls auf Zerpa vor. 

Diese Dispositionen mussten, wie man sieht, zu partiellen 
Zusammenstößen und einer Reihe von Einzelgefechten auf den 
Dämmen mitten zwischen den Sümpfen führen. 

Massena und Provera treffen in der Nähe von Bionde auf- 
einander, und die Wagschale der Entscheidung schwankt lange 
hin und her; endlich gelingt es Massena, die Österreicher über 
Belfiore zurückzuwerfen, von wo sie weiter nach Caldiero in 
ziemlicher Unordnung, wie es scheint, zurückgegangen sind. Er 
erobert fünf Geschütze und macht einige hundert Gefangene, kann 
sich also mit Recht des Sieges rühmen. 

Augereau und Mitrowsky treffen bei Ponte Zerpa zusammen, 
die Franzosen werden zunächst zurückgetrieben und setzen sich 
am großen Damm von Ponte Zerpa nach Volta-Vicentina, wo 
sie Massenas Erfolg, die Österreicher Proveras Niederlage er- 
fahren. Sogleich geht Mitrowsky nach Arcole zurück; vorher 
jedoch hat derselbe schon ein Detachement unter Major Milorado- 
witsch (2 Bat.) das linke Ufer des Alpone herabgesendet, welche 
Truppen nunmehr zwischen Desmonta-Albaredo verzettelt stehen. 

Lebhaft folgt nun Augereau den weichenden Bataillonen 
Mitrowskys auf Arcole und wird an der Brücke zum Stehen ge- 
bracht; das Spiel des Vortages erneuert sich, indem Augereau 
sich in vergeblichen Versuchen auf die Brücke erschöpft und zu- 
gleich von den Schützen Milorado witsch' in die Flanke ge- 
nommen wird. 



Digitized by VjOOQIC 



- 16 - 

Bonaparte, der sich bei Augereau aufhält, erkennt, dass es 
so nicht weiter gehen kann; dass irgend etwas geschehen muss; 
zunächst placirt er eine Batterie bei Ponte Zerpa, um Augereau 
nöthigenfalls aufzunehmen ; dann wiederholt er den Versuch des 
vorigen Tags, Arcole vom linken Ufer des Alpone aus anzugreifen, 
befiehlt, eine Brücke über den Unterlauf des Torrent zu werfen 
und, als dies misslingt, dem Generaladjutanten Vial, mit einer Halb- 
brigade auf einer Furt überzugehen. 

Allein Miloradowitsch verhinderte den Übergang durch sein 
Feuer; es war schon gegen fünf Uhr und der Kampf erlosch in 
der Dämmerung des Novemberabends. Massenas Erfolg gegen 
Provera hatte Alvintzy bewogen, Hohenzollern nach Caldiero zu- 
zückzurufen und dieser hatte Mitrowsky zwei Bat. zugesendet, 
wie es scheint, am Damme des rechten Alponeufers von San Boni- 
facio nach Arcole ; dieselben griffen jedoch ins eigentliche Gefecht 
nicht mehr ein, sondern verfolgten nur, und zwar in ziemlich 
lauer Weise, die zurückgehenden Truppen Bonapartes. 

Denn dieser nahm, so wie Tags vorher, alle seine Truppen 
über Ronco ans rechte Etschufer zurück mit Ausnahme von : 

einem Bat., welches den beabsichtigten Übergangspunkt des 
Generaladjutanten Vial besetzt hält; 

einer Halbbrigade, welche den Damm gegen Bionde besetzt 
und sichert. 

Taktisches Resume: Die Armee steht abermals dort, 
wo sie 24 Stunden vorher gestanden hat, am Brückendefile von 
Ronco ; nur ist diesmal ihr Debouchieren durch das Bat. am Alpone 
und die Halbbrigade am Damme gegen Bionde gesichert und 
vorbereitet. 

Alvintzy hat nach schwacher Verfolgung gegen Ponte Zerpa 
seine Truppen für die Nacht in ihren Stellungen belassen und zwar: 

Hohenzollern, von Verona rückmarschiert, mit 12 Bat. in 
Caldiero ; 

Provera, wie tags vorher in Belfiore, mit 6 Bat. ; 

Mitrowsky mit 14 Bat. in und bei Arcole; 

Miloradowitsch mit 2 Bat. bei Desmonta. 

Taktisches Resume: Der rechte Flügel (Hohenzollern) 
der Armee hat sich rückwärts concentriert und dabei dem 
ursprünglich gewählten Übergangspunkt Zevio genähert; 



Digitized by VjOOQIC 



17 - 



das Centrum bei Belliore (Provera) hat eine Schlappe erlitten, 
steht jedoch am selben Platz wie tags vorher und hat bedeutende 
Kräfte nahe hinter sich; 

der linke Flügel bei Arcole (Mitrowsky) ist ungeschwächt, 
concentriert und nunmehr, im glücklichen Gegensatz zum Vor- 
tage, im Besitz des soi disant Brückenkopfes von Arcole ; 

ein neues Detachement (Milorado witsch) verlängert den 
linken Flügel um ein bedeutendes; seine Stärke (2 Bat.) -befähigt 
es wohl nur zur Beobachtung, höchstens ersten Vertheidigung 
der der Front vorliegenden Wasserlinie (des Alpone). 

Also : Die Front ist verlängert und die Stärke dort, wo der 
Gegner 48 Stunden hindurch nur lau angegriffen hat, die Schwäche 
am äußersten linken Flügel, wohin der Gegner im Laufe des Tages 
wiederholte Versuche gemacht hat, vorzudringen. (Brückenschlag, 
Versuch den Alpone zu durchfurten). 

Der 17. November, 

In der Nacht des 16./ 17. lässt Bonaparte dort, wo der Über- 
gang am 16. gescheitert war, eine Brücke über den Alpone 
schlagen ; ferners entsendet er ein Detachement auf Legnago mit 
dem Befehl, sich mit der dortigen Garnison zu vereinigen und 
am 17. gegen Arcole am linken Ufer der Etsch und des Alpone 
vorzumarschieren. 

Diese Maßnahmen bereiten folgende Anordnungen vor: 
Massena lässt diesmal die Gegend gegen Belfiore di Porcile 
nur mit einer Halbbrigade beobachten, deckt die Brücke von 
Ronco und den Damm von Ponte Zerpa mit zwei Halbbrigaden 
gegen etwaige Unternehmungen der Österreicher von Bionde 
aus, und verwendet den Rest seiner Truppen gegen Arcole. 

Augereau übersetzt mit seiner Division und der Cavallerie- 
reserve den Alpone auf der in der Nacht vollendeten Brücke. 

Alvintzy seinerseits scheint durch einen Spion *) benach- 
richtigt worden zu sein, Bonaparte habe alle seine Truppen hinter 
die Etsch zurückgenommen und beschließt, demselben nachzu- 
dringen; wie dies geschah, werden wir sogleich sehen. 

*; Memorial de SU-Hclcne. 

C. von B.-K. Zur Psychologie des großen Krieges I. 2 



Digitized by VjOOQIC 



- 18 - 

Schon während des Überganges der Franzosen bei Ronco 
versuchten österreichische Bataillone gegen die Brücke vorzu- 
dringen, wurden aber zurückgewiesen ; es gingen nun 

3 Halbbrigaden auf dem Damm nach Bionde zur Sicherung 
der französischen linken Flanke vor ; 

Augereau mit zwei Halbbrigaden und einem Theil der 
Cavallerie über Ponte Zerpa und die Bockbrücke ans linke Ufer 
des Alpone; 

General Robert mit zwei Halbbrigaden auf dem Damm von 
Ponte Zerpa nach ArcoJe zum Angriffe auf letzteres. 

Was von Truppen noch übrig blieb, es mögen etwa zwei 
Halbbrigaden mit 6 Bat. gewesen sein, blieb bei Zerpa, am Ver- 
einigungspunkt beider Dämme stehen ; hier hielt sich auch zunächst 
Bonaparte aut. 

Das Detachement von Legnago war bereits während des Über- 
ganges Augereaus über den Alpone erschienen und es wurde 
daher Miloradowitsch von Mitrowsky auf 4 Bataillone verstärkt. 

Die nun folgenden Ereignisse sind bis auf den heutigen Tag 
ziemlich verworren und ungeklärt geblieben. 

Zunächst greift Robert Arcole an und wird zurückgewiesen ; 
die Österreicher dringen ihm nach, seine Bataillone weichen über 
Ponte Zerpa gegen die Brücke von Ronco und dieser Anblick 
erregt ein bedenkliches Schwanken unter den Truppen Augereaus, 
die, wie wir wissen, bereits am linken Alpone-Ufer stehen ; ja, 
einzelne Bataillone weichen wieder über die Brücke zurück. Nun 
stehen noch zwei Halbbrigaden bei Zerpa, beziehungsweise der 
Brücke von Ronco unter Bonapartes persönlichem Befehl. Er 
wirft rasch drei Bataillone in einen Hinterhalt — es scheint dies ein 
Weidengebüsch südlich des Dammes Ronco-Zerpa-Arcole gewesen 
zu sein; zugleich kommt Kilmaine von Verona mit zwei Bataillonen 
heran und wirft sich gleichfalls in die Gestrüppe. Massena sendet 
eine Halbbrigade am großen Damm von Volta-Vicentina gegen 
Ponte Zerpa und schneidet dergestalt der österreichischen Colonne 
den Rückzug ab. Augereau hat unterdessen seine Bataillone ge- 
ordnet und wieder über den Alpone vorgeführt. 

Nach diesen Vorbereitungen konnte die österreichische, von 
Arcole gegen die Brücke von Ronco vorgedrungene Colonne wohl 
empfangen werden ; und in der That, von allen Seiten beschossen. 



Digitized by VjOOQIC 



- 19 - 

unfähig ihren Rückzug anzutreten, scheint diese tapfere Schaar — 
es waren etwa 3000 Croateh — im vollen Sinne des Wortes ver- 
nichtet worden zu sein. 

Sogleich drangen die Franzosen erneuert auf Arcole vor, 
mussten aber wie so oft schon, an der Brücke halt machen. 

Mittlerweile ist Augereau vereint mit dem Umgehungs- 
detachement von Legnago auf Miloradowitsch in dessen Stellung 
von Desmonta vorgegangen, gewinnt aber nur wenig Terrain. 

Es war um die dritte Nachmittagsstunde, als Mitrowsky — 
von allen Seiten bedrängt — Alvintzy um eine Diversion auf Bel- 
fiore di Porcile bat; nun steht dort nur mehr eine Halbbrigade 
Massenas, da Bonaparte soeben 

die übrigen Truppen Massenas auf dem uns bekannten Lei- 
denswege Augereaus vom 15. und 16. gegen Arcole vorsendet; 

dem Officier der Guiden Hercule befiehlt, mit einer kleinen 
Abtheilung auserlesener Reiter und Trompeter über Albaredo- 
Cucca in den Rücken Miloradowitsch' zu gehen und hier den 
größtmöglichsten Lärm zu machen. 

Provera beginnt auf Alvintzys Befehl die von Mitrowsky erbe- 
tene Diversion; sie scheitert an dem tapfern Widerstand der 18. 
Halbbrigade, welche schließlich Belfiore di Porcile besetzt und hält. 

Da — in diesem Augenblick — ertheilt Alvintzy an Provera und 
Hohenzollern den Befehl, den Rückzug auf San Bonifacio anzutreten. 

Mitrowsky sieht sich nun der vereinigten Macht Bonapartes 
gegenüber. Alsbald erhebt sich zwischen Arcole und Desmonta 
das Trompetengeschmetter der Abtheilung Hercules. Milorado- 
witsch von vorn, in der Flanke gedrängt, und wie er jetzt 
glauben muss oder vielmehr darf, von Arcole abgeschnitten, 
zieht sich mit Verlust von einigen hundert Mann nach Osten 
zurück. Aber auch Mitrowsky räumt gleichfalls — circa 5 Uhr — 
Arcole und wendet sich gegen Norden ; bei San Bonifacio trifft er 
endlich mit Alvintzys Hauptmacht zusammen. 

Arcole wird sogleich von den Franzosen besetzt. 

Die Schlacht war zu Ende ; von einer nachdrücklichen Ver- 
folgung erfahren wir nichts ; die Verluste für alle drei Tage sind 
nach Rüstow: 

Österreicher: 535 todt, 1535 verwundet, 4141 gefangen, 
11 Kanonen, 10 Munitionswagen. 

2* 



Digitized by VjOOQIC 



- 20 - 

Franzosen: 1000 todt, 1300 verwundet, 1200 gefangen 
(approximativ). 

Taktisches Resume für den 17.: Die französische Armee 
hat des Gegners rechten Flügel hingehalten, sein Centrum ange- 
griflfen, dann gleichfalls hingehalten, seinen linken Flügel umfasst ; 
durch den Theatercoup Hercules hat sie den äußersten linken 
Flügel von der Armee und der beabsichtigten Rückzugslinie ab- 
gedrängt. Sie ist in den Besitz von Arcole und des linken Alpone- 
ufers gekommen. Die österreichische Armee hat eine starke Re- 
serve (HohenzoUern) während der Schlacht nicht verwendet; das 
Resultat ist Rückwärtsconcentrierung bei San Bonifacio-V^illanova: 
ein Theil der Armee (Miloradowitsch) ist von derselben getrennt. 

Es erübrigt noch, einiges über die Folgen der Schlacht, be- 
ziehungsweise die Ereignisse der nächsten Tage zu sagen. 

Dawidowitsch schlug am 17., also während bei Arcole um 
die Entscheidung gekämpft wurde, den General Vaubois ziemlich 
gründlich bei Rivoli und drängte ihn nach Castelnuovo, von wo 
derselbe am 18. über den Mincio zurückging. 

Alvintzy ging am 18., ohne besonders verfolgt zu werden, 
mit der Avantgarde bis Montebello, Miloradowitsch nach Lonigo. 

Bonaparte stellte am 18. Massena mit seiner Division bei 
Caldiero und eine Halbbrigade nebst zwei Reiterregimentern bei 
Villanova zur Beobachtung Alvintzys auf; Augereau ward an- 
gewiesen, über San Martine auf Dolce und Peri in Dawidowitsch' 
linke Flanke zu marschieren. 

Der Kriegsrath Alvintzys zu Olmo vom 19. Nov. entschied 
sich für neuerliches Vorrücken an der Etsch. Das Weitere, wie 
der glänzende Marsch Bonapartes nach Villafranca und von da 
nach Norden, den er durch den ersten Sieg von Rivoli krönt, 
gehört nicht mehr in den Rahmen unserer Darstellung. 



Wir sind bei der Erwägung stehen geblieben, ob Bonaparte 
in der Nacht des 12./13. November bereits einen Entschluss ge- 
fasst hatte, und ob er diesen Entschluss mit der Schärfe geklärten 
Zweckbewusstseins durchzuführen sich anschickt. 

Clausewitz tritt dafür mit dem ganzen Gewichte seiner Auto- 
rität ein; er sagt sogar. Bonaparte habe am 12. seine Truppen 



Digitized by VjOOQIC 



- 21 - 

nach Verona in der wohlerwogenen Absicht zurückgeführt, die 
Umgehung auf Arcole zu machen; er führt an, dass ein so rath- 
loser Zustand, wie er sich in Bonapartes Brief vom 23. Brumaire 
(13. Nov.) ausspricht, mit der „Größe" eines Feldherrn unver- 
träglich sei, Was heißt nun „Größe" eines Feldherm.^ Was ist 
„Größe" überhaupt? Es möchte vielleicht wohl anzunehmen sein, 
dass der Feldherr einer Entscheidung, die für seine Zukunft, für 
seinen Platz in der Geschichte von Wichtigkeit ist, so wie andere 
Individuen einer für sie wichtigen Entscheidung als Mensch gegen- 
übersteht, als Mensch mit seinen Zweifeln, seinem Bangen und 
Zagen. Vorurtheilslose Überlegung zeigt, dass die „Größe" eines 
Feldherrn zumeist ein Attribut ist, das sich eher auf die Aus- 
dehnung der Mittel, mit welchen er rechnet, und die Größe seiner 
Ziele, als auf die Qualität seiner Seele anwenden lässt. Wer weiß 
nicht, dass großes Unglück einen großen Mann ebenso beugt, 
wie quantitativ geringeres Missgeschick das Durchschnittsindivi- 
duum ? dass der Stoicismus, der allen Wechselfallen des Schicksals 
gleichmüthig trotzt und nahe an Indifferentismus streift, gerade 
bei Männern der That fast nie zu finden ist ? d a s s e i n F e 1 d- 
herr nicht darum Erfolge erringt, weil er sich 
mit dem Gedanken an die Niederlage vertraut 
macht und ihre Möglichkeit philosophisch kühl 
ins Auge fasst, sondern weil er die Mittel zum Er- 
folge erkennt und diesen mit aller Leidenschaft 
sucht? 

Wir dürfen daher wohl glauben, und aufrichtige historische 
Gestalten vom Schlage Napoleons — um nur ein Beispiel zu 
nennen : Friedrich der Große*) — bestätigen uns in ihren Er- 
innerungen, dass ein Feldherr leichtlich in die Lage kommen kann, 
rathlos zu werden und durch einige Zeit rathlos zu sein. 

Allein zu weit schon hat uns die seelische Erwägung, ab- 
gezogen, man wird auch vielleicht sagen, dieselbe sei an einen 
Mann wie Bonaparte nicht anzuwenden, weil sein Charakter zu 
groß ist, um mit Alltagsmaßen gemessen zu werden. 

Gut; aber eines möchte in die Wagschale zu werfen sein ; 
ist der Mann psychologisch nicht zu beurtheilen, so kennen wir 



*) ^Histoire de mon iemps' aus ^Oeuvres de Frederic le Grand." Berlin 1846—1857. 



Digitized by VjOOQIC 



- 22 - 

seine Geschichte, und aus der ersehen wir zur Genüge, dass er 
zu wiederholten Malen vor überwältigenden Ereignissen gebangt 
und gezagt hat Betrachten wir ihn, um nur ein paar Beispiele 
anzuführen, nach Leipzig ! bei Hanau,*) wo er geradezu in Apathie 
verfallt; auf seiner Reise von Fontainebleau nach Elba, wo er vor 
den Verwünschungen des Pöbels zittert; endlich am Abend von 
Belle-Alliance, wo er selbst das verhängnisvolle „Alles ist ver- 
loren" ruft. 

Es ist daher mindestens nicht ohne Beispiel, dass ein großer 
Mann, sobald er von Unglücksfallen und Widerwärtigkeiten be- 
droht oder getroffen wird, die im Verhältnis zu seiner Gröüe 
stehen, Mensch wird und der Gewalt der Eindrücke unterliegt. 
Vielleicht wird der Rationalismus kommender Jahrhunderte erkennen, 
dass der einfache Stoiker, der Mönch, der seine Gelübde über- 
zeugungstreu hält, in der Beherrschung der eigenen Seele weit 
mehr leistet, als mancher der großen Heroen des Menschenge- 
schlechtes; vielleicht kommt eine skeptische Zeit, die aus der 
blendenden Masse der Erfolge den wahren Antheil des Hel- 
den herauszufinden weiß und nicht in den ewigen Fehler ver- 
fällt, aus dem Platz, auf dem ein Mann steht, aus der Art, wie 
er ihn ausfüllt, unverständige Rückschlüsse auf seine 
Natur zu ziehen, Rückschlüsse, die ihm eine organisch höhere 
Seele geben, als dem Durchschnitt des Menschengeschlechtes. 
Die Erscheinung, dass der Feldherr mit größeren Massen in Zeit 
und Raum disponiert, als der Unterführer, dass er ein höheres 
Ziel erstrebt als jener, gestattet nicht, zu glauben, dass er speci- 
fisch anders denkt und fühlt; ja nicht einmal quantitativ ist stets 
ein großer Unterschied zu finden. 

Wir wollten mit alledem nur zeigen, dass es recht wohl 
denkbar ist, Bonaparte sei in der Nacht des 13. November unent- 
schlossen, ja gewissermaßen rathlos gewesen. 

Aber er bestätigt uns dies selbst in überzeugender Weise : 
sein Brief ans Directorium gestattet tief und viel zu sehen: An- 
jourd'hui repos attx troupes, demain, sehn les mouvefnents de 
rennemi, nous agirons .... etc. Er sagt hier also selbst, dass 
er je nach dem, was der Feind unternimmt, erst handeln werde; er 
ist also noch nicht entschlossen; wir glauben auch, dass, wenn 



*J Le marechal Macdonald par CamiUe Rousset; Revue des deux mondes 1891. 



Digitized by VjOOQIC 



— 23 - 

er es gewesen wäre, er seine Zeit sicher nicht mit dieser Epistel 
verschwendet hätte, und eben deswegen acceptieren wir sie im 
allgemeinen als bona fide concipiert. Nun weiter: er hoffe, wenn 
das Glück ihm lächle, Mantua zu erobern und damit Italien. 
Was hat er sich dabei gedacht? Was hat die Eroberung Mantuas 
mit seiner jetzigen Lage unmittelbar zu thun? Hier waltet ein 
Geheimnis, das seine Absicht, wenn er eine hatte, in einer ganz 
unerwarteten Richtung durchschimmern lässt. 

Endlich warum wartet er, wenn Clausewitz mit seiner Ver- 
muthung, er habe den fertigen Plan für Arcole schon von Cal- 
diero zurückgebracht, recht hat, zwei Tage mit der Ausführung? 
Clausewitz, in seinem Eifer für die gute Sache, sucht nach Gründen, 
muss aber gestehen, keinen stichhältigen mit Sicherheit gefunden 
zu haben. 

Aus alledem glauben wir den natürlichen Schluss ziehen zu 
können, dass Bonaparte zwei Tage oder deren mindestens andert- 
halb unentschlossen, rathlos gewesen ist, und dass er dem für 
alle Menschen geltenden Gesetz, dass zur Erwägung Zeit noth- 
wendig ist, zu folgen genöthigt war. Wir werden in dieser Ansicht 
bestärkt durch den Schleier, den Bonaparte in seinen Memoiren 
auf den 13. und 14. November wirft, und durch den Mangel an 
Aufklärung und Rechtfertigung für eine Verzögerung von 48 
Stunden. 

Halten wir also fest: Bonaparte war nach Caldiero decon- 
tenanciert, wie früher schon zu Roverbella;*) und seine Ent- 
schlüsse geschehen unter dem Druck dieser Verstimmung. 

Sehen wir nun zu, was Bonaparte beschließt, oder viel- 
mehr, nicht was er beschließt, sondern was er thut. 

Nach zweitägigem Stillstand in den Operationen leitet er 
mittelst eines raschen Nachtmarsches die einfache strategische 
Umgehung ein ; dass er rechts der Etsch und eben auf die Ge- 
gend von Ronco-Albaredo marschirt, ist durch die localen Ver- 
hältnisse sowohl als durch die strategische Gesammtsituation er- 
klärt. Wenn das Wesen der Kritik zur einen Hälfte in der Frage 
nach dem wie und warum der Begebenheiten, zur zweiten in 
dem Problem „hätte etwas besseres geschehen können ?" besteht, 



V Comment s^est forme le ginie miliiaire de Napoleon !•'? par le general Pierrou; 
Paris 1889. 



Digitized by VjOOQIC 



— 24 — 

SO ist auf den vorliegenden Fall ihre Anwendung wohl deplaciert : 
wenn eine strategische Umgehung unter diesen Verhältnissen 
auf diesem Terrain geschah, so konnte sie wohl nicht anders 
durchgeführt werden. 

Locale Richtung und militärische Tendenz des Zuges an 
die Etsch leuchten uns daher ein. 

Als Richtungspunkt war durch den Brückenschlag Ronco 
designiert und wenn wir uns in die Lage Bonapartes am 14. 
abends denken, so begreifen wir vollkommen, dass er für den 
Übergang Ronco wählen muss, weil 

der Gegner zwischen Etsch und Alpone steht, daher der 
Übergang bei Albaredo einen neuerlichen Übergang und zwar 
über den Alpone — um an den Gegner zu gelangen — voraussetzt : 

bei einer strategischen Umgehung mit Übergang über einen 
Strom der nächste mögliche Übergang in Hinsicht auf den Wert 
der Zeit gewählt werden muss, und außerdem ein weites Aus- 
holen bei Umgehungen gegen den natürlichen Instinkt des Feld- 
herrn, der seinen Gegner sucht — sein muss ; 

die Sümpfe zwischen Etsch und Alpone die Wahrschein- 
lichkeit geringerer Bewachung durch den Gegner boten, mithin 
die Aussicht gewährten, man werde hier einen geringeren Wi- 
derstand seitens der Schutztruppen finden als anderswo und 
daher rascher und fließender vordringen als in offener Gegend ; 
die Speculation auf sogenannte natürlich gesicherte Flanken und 
Anlehnungspunkte des Gegners ist, wie die Kriegsgeschichte zeigt, 
oft von Erfolg gekrönt gewesen ; 

endlich der thatsächliche Angriff zwischen Etsch und Alpone 
mehr Aussicht auf Erreichung des strategischen Zwecks zu bie- 
ten schien, als die bloße Bedrohung der Rückzugslinie Villanova- 
Vicenza, indem 

im ersten Falle der Gegner überrascht werden konnte, im 
zweiten dagegen nicht ; 

derselbe wieder im ersten Falle seinen Rückzug über ein 
Brückendefile (San Bonifacio-\'illanova) antreten musste, welches 
von der eigenen Macht mindestens bedroht wurde ; 

endlich der Gegner, wenn er zum Schlagen wirklich Stand 
hielt , dies ohne gesicherte Rückzugslinie , mit des Gegners 
Brückenkopf Verona in der Flanke that, er jedoch, falls er über 



Digitized by VjOOQIC 



25 



Albaredo umgangen und von Villanova her angegriffen wurde, 
bei Caldiero oder am Alpone selbst gute Stellungen mit Annähe- 
rungshindernissen vor der Front behielt, und zum Überfluss 
Herr der Etsch blieb. 

Die strategischen und taktischen Vor- und Nachtheile beider 
Eventualitäten sind zu evident, als dass wir sie noch weiter ver- 
folgen sollten. 

Wir verstehen daher Bonaparte bis nunzu vollkommen ; 
wir finden seine Tendenz logisch und gut, die Anordnungen zum 
Marsch und Übergang von jenem Geist der Offensive und des 
Impromptus durchweht, den wir bis jetzt an ihm wahrgenommen 
haben; betrachten wir nun den taktischen Schlag, der 
das strategische Manöver krönen und wirksam machen 
wird. 

Der Übergang von Ronco vollzieht sich, wie anzunehmen 
war, ohne Störung ; ein starkes Corps — Augereau mit 4 Halb- 
brigaden — wird zunächst über Ponte Zerpa auf Arcole vorgesen- 
det und legt durch seine stürmische Bravour den festen Willen 
an den Tag, sich Arcoles zu bemächtigen; der Führer exponiert 
sich persönlich, doch ohne Erfolg. 

Massena, später übergegangen, wendet sich gegen Bionde 
di Porcile mit ebenfalls 4 Halbbrigaden und gelangt ungefähr um 
jene Zeit ins Feuer, um welche Augereau nothgedrungen eine 
Ruhepause macht. 

Bonaparte selbst mit 2 Halbbrigaden hat die Rolle der Re- 
serve übernommen. 

Vor allem drängt sich uns nun die Wahrnehmung auf: Das 
zum Schlagen bestimmte Corps ist in zwei gleiche Theile und 
eine Reserve getheilt und operiert divergierend; wahrlich eine selt- 
same Erscheinung, die sich mit dem strategischen Calcul, den 
wir gemacht, und den Anordnungen des Oberfeldherrn in einen 
logischen Zusammenhang nicht bringen lässt. Denn will Bona- 
parte .Alvintzy thatsächlich angreifen, so muss die Hauptmacht 
auf beide Porcile und nur eine secundäre Kraft auf Arcole zur 
Sicherung des dortigen Überganges, mithin der rechten Flanke 
gehen; und will er das nicht, sondern Alvintzy hinter dem Al- 
pone umgehen, so muss die Hauptkraft auf Arcole und nur ein 
Xebendetachement auf Porcile zur Sicheamg der linken Flanke 



Digitized by VjOOQIC 



diesmal disponiert werden, ganz abgesehen davon, dass sich in 
diesem Falle die Erwägung nicht abweisen lässt, ob zwecks einer 
Umgehung die Maßnahmen: doppelter Übergang statt des ein- 
fachen; Inmarschsetzen von Colonnen auf beschränkten Commu- 
nicationen ; Debouchieren in einen Ort, der möglicherweise vom 
Gegner besetzt sein kann, wohl angebracht erscheinen. 

Wir stehen hier vor einer Erscheinung so auffal- 
lender Art — Theilen der Kraft als Einleitung zum tak- 
tischen Schlag — und vor Dispositionen so seltsamer 
Natur — divergierendes Vorgehen — dass nur das sorg- 
fältigste Zerfasern von Für und Wider zur Wahrschein- 
lichkeit, das ist Nähe der Wahrheit — führen kann. 

Nun denn ! warum die Theilung der Kraft, eine Anomalie fast 
ohne Beispiel in diesen Verhältnissen, zumal hier, wo kaum eine 
Möglichkeit der folgenden Vereinigung, kein Convergenzpunkt zu 
finden ist? Hier müssen wir uns in Bonapartes Lage versetzen 
und Kritik a priori treiben ; und da springen uns vor allem die 
beschränkten und spärlichen Communicationen in die Augen. 
Offenbar sah Bonaparte, dass er auf einem Damm seine Gesammt- 
oder mindestens Hauptmacht nicht leicht werde bewegen können ; 
kaum hat er die Etsch passiert, so wirken die Erscheinungen auf 
seinen Geist und als Reflexe bleiben die voraussichtlichen Fric- 
tionen des Marsches auf einer Straße, die Gefahren des Angriffs 
auf eine allzulange Colonne, endlich das Schreckgespenst des 
„sich in eine Sackgasse Verrennens*^ in seiner Seele zurück ; das 
Anschauen der widerwärtigen Wirklichkeit und die Ahnung 
möglichen Unheils treiben ihn hier zu halben Maßregeln ; zu- 
mindest zu Maßregeln des Suchens und Tastens; er sendet seine 
Kräfte nach divergierenden Richtungen als Fühler aus, die er je- 
doch — verfolgt von der Erinnerung an seinen vor- 
gesetzten Zweck — möglichst stark macht. Psychologisch 
von höchster Bedeutung ist sein eigener Standpunkt: Zerpa an 
der Convergenz beider Dämme; das ist geometrisch skizziert die 
Unentschlossenheit, das heißt die Unentschlossenheit für diesen 
Augenblick. 

Das scheint nach Studium der Berichte und Abwägen der 
Kritiken gegeneinander das Resultat zu sein ; strategisch — der 
erklärten bisherigen Tendenz — entspricht das Vorgehen des 15. 



Digitized by VjOOQIC 



— 27 — 

November nicht; taktisch ist es ein Verstoß gegen alle Regeln 
und lässt sich nur mit viel gutem Willen für Bonapartes Sache 
durch die Beschaffenheit des Terrains nothdürftig — zum Theile — 
erklären. Aber dann geräth der Feldherr in Widerspruch mit sich 
selbst, denn der abschließende taktische Schlag verlangt vor 
allem entsprechende Wahl des Terrains. In ein System lassen 
sich die besprochenen Erscheinungen nicht bringen. 

Noch mehr! Bonaparte hatte vor dem Übergang ganz sicher 
eine bestimmte Absicht: entweder Arcole oder Porcile. Nach 
dem Übergang trübt sich durch den Einfluss der Anschauung 
sein Plan; die Conturen desselben verschwimmen; durch die 
Schwierigkeiten wird die Energie der Absicht gelähmt; die Ten- 
denz verblasst. Und diese Seelenstimmung zeigt sich in den Dis- 
positionen, die mit halben Mitteln auf halbe Ziele gerichtet sind. 

Warum weiters sendet Bonaparte zuerst Truppen auf Arcole 
und in dieser Stärke? und nicht auf Porcile, wie erwartet werden 
muss? Ist seine Hauptabsicht auf Arcole gerichtet, warum dann 
der Übergang bei Ronco und er selbst nicht dort, wo die Ent- 
scheidung fallen wird? Dafür ist die Erklärung übrigens bald ge- 
funden: vor allem will er seine rechte Flanke sichern, will den 
Weg Ponte Zerpa - Volta - Vicentina, die einzige Communication 
seiner getrennten Flügel, decken, um dann beruhigt nach Norden 
vorgehen zu können. Gerade die Kraftentwicklung auf Arcole 
scheint hier abermals auf die Haupttendenz Porcile zu deuten. 

Unter Bonapartes eigenen Augen ist nach und nach die 
Division Massena übergegangen und gegen Bionde di Procile ab- 
marschiert; sie hat während dieser Zeit in ihrer Flanke den Lärm 
des Gefechtes von Arcole gehört, und dieser ist jetzt, da Massena 
selbst in Action tritt, verstummt. 

Da erhält der Obergeneral den Bericht von Augeraus Miss- 
erfolg bei Arcole; es handelt sich jetzt darum, den Mann zu 
studieren, zu betrachten, was er angesichts der Krise beginnt. 

Zunächst wird die Vorstellung: „Frontangriff abgeschlagen, 
daher Umgehung und Flankenangriff," eine Form, die er in der 
Kriegsgeschichte des öftern gefunden, in seiner Seele lebendig und 
von diesem Augenblick bis zum Beginn der Ausführung sind es 
nur Minuten; Guyeux marschiert mit den 2 Halbbrigaden der 
Reserve nach Albaredo ab. Diese Gedankenreihe gehört zur Tech- 



Digitized by VjOOQIC 



28 



nik des Krieges, ist concret. Ebenso gehört es zur Technik des 
Krieges, den wir eben betrachten, dass der Obergeneral sich an 
jenen Punkt begibt, oder mindestens demselben sich nähert, wo 
seine Gegenwart militärisch oder moralisch nothwendig erscheint 
Bonaparte begibt sich daher zu Augereau, um sich von der Lage 
zu unterrichten und die Truppen durch seine Gegenwart zu ani- 
mieren; all dies ist nichts als natürlich. 

Aber was soll der Beobachter zu der Theaterscene sagen, 
zu der Bonaparte plötzlich den Vorhang lüftet? Der Obergeneral 
muss, bei Arcole angekommen, den Eindruck eigener Stärke und 
gegnerischer relativer Schwäche in taktischer und moralischer 
Beziehung empfangen haben, und es tritt an ihn, den Großmeister 
kriegerischen Enthusiasmus, die Versuchung heran, denselben 
wieder einmal zu erproben. Die Vorstellung „Lodi" wird in seiner 
Seele lebendig, sie füllt dieselbe ganz aus, die befohlene Coope- 
ration ist vergessen, der berühmte Name fällt von seinen Lippen 
und die Grenadiere gehen neuerdings vor. 

Der Misserfolg ist bekannt. 

Es liegt hier ein Beispiel vor, das erwiesenermaßen mit den 
Lehren der Kriegswissenschaft, sowie den goldenen Regeln der 
kriegerischen Erfahrung im Widerspruche steht: eine Diversion 
ist befohlen und bevor dieselbe wirksam werden kann, packt der 
Feldherr den Stier bei den Hörnern. Entweder also ist die Diver- 
sion zwecklos gewesen, oder der Angriff ein unnützes Blutver- 
gießen; denn die Situation hat sich nicht verändert. Die Legende 
und der bewegliche Sinn der Franzosen hat Bonapartes Vor- 
gehen auf die Brücke gutgeheißen und insbesondere seine per- 
sönliche Bravour ihm hoch angerechnet, trotz des Dementis, das 
dieselbe durch mehrere Augenzeugen, vor allem den spätem 
Marschall Marmont, Herzog von Ragusa, in seinen Denkwürdig- 
keiten unerbittlich und satirisch erfahrt; Bonaparte hat hier trotz 
allem zweifelsohne Bravour markirt, vielleicht sogar in einem für 
den Obercommandanten ganz unnothwendigen Ausmaß; mag 
ihm dies immerhin als Verdienst angerechnet werden. Aber nach 
dem, was Rüstow die unveränderiichen Grundgesetze der Feld- 
herrnkunst nennt, also nach der aus der Praxis abgeleiteten 
Theorie des Krieges, ist Bonapartes Vorgehen hier in mehrfacher 
Richtung zweifellos fehlerhaft gewesen. 



Digitized by VjOOQIC 



— 29 — 

Wenn man jedoch in der Seele eines Feldherrn, vom Schlage 
Napoleons, zu lesen sucht, so findet man seinen Monolog : Es 
gibt Situationen, in denen der Feldherr das falsche Ansetzen des 
Widders am besten dadurch corrigiert, dass er ihn in der einmal 
angenommenen Richtung rücksichtslos anrennt; es gibt Lagen, 
in denen der Feldherr höherer Ordnung — sich über die Regel 
erhebend — dann, wenn die Moral seiner Truppen vollwichtig 
ist, durch Originalität des Entschlusses und Vehemenz des An- 
pralls den verfahrenen Karren rascher, intensiver, entscheidender, 
und, was die Hauptsache ist, „eclatanter'^ freizumachen vermag, 
als durch Anwendung der überlieferten Mittel der Kunst ; die Origi- 
nalität überrascht den Gegner; die Beharrlichkeit wird seine Moral 
zerstören ; ein Feldherr kann in Fällen, wie der vorliegende, sich 
mit guten Gründen exponieren; denn ein großes Beispiel thut noth. 

Aus dem Gebäude der Theorie auf die Höhe des soge- 
nannten „genialen" Entschlusses gelangt, verstehen wir nunmehr 
Bonaparte vollkommen ; er ist inconsequent gewesen und wird 
jetzt dafür tollkühn. 

Aber der tollkühne Vorstoß scheitert, wie so oft schon, an 
der Schwierigkeit der Örtlichkeit und dem tapfern Widerstände 
des Vertheidigers; es steht also die Theorie mit ihren ewigen 
Gesetzen doch über allem Enthusiasmus und jedem Elan. 

Nun gibt es Unternehmungen, deren Rechtfertigimg im er- 
zielten Erfolg, und deren Verurtheilung im Misslingen liegt; die 
menschliche Natur ist geneigt nach dem Erfolge zu urtheilen und 
hat dabei das dunkle Gefühl, der Erfolg müsse — bis zu einem 
gewissen Grade wenigstens — auf Rechnung desjenigen gesetzt 
werden, dem er zufällt, sowie sie beim Misslingen eines Planes 
die Gründe des Misslingens in erster Linie in der handelnden 
Person sucht. Und wahrlich, wenn man erwägt, dass die Ur- 
sachen des Gelingens oder Scheiterns einer Unternehmung wie 
diese so außerordentlich filigraner Natur sind, dass der in der 
Handlung stehende Mithandelnde selbst sich in so grober Weise 
über Erfolg und Aussichtslosigkeit täuschen kann, so bleibt der 
richtenden Nachwelt nichts anderes zu sagen als : Ein va banque- 
Spiel wie dieses steht außer der Kritik; es kann der Erfolg kein 
Material zur Theorie pro und das Misslingen keinen Beweis für 
die Doctrin contra geben. 



Digitized by VjOOQIC 



— 30 - 

Genug nun von dem Sturm auf die Brücke von Arcole. 

Wir wissen, dass dies das letzte eigentliche Gefecht an diesem 
Tage war; sehr bald nach dem letzten Misserfolg bei Arcole nahm, 
wie bekannt, Bonaparte fast alle seine Truppen an das rechte 
Ufer der Etsch zurück, um sie bivouakieren zu lassen. Im Dunkel 
des Abends eroberte Guyeux endlich Arcole, räumte es aber so- 
gleich wieder und ging über Albaredo zurück. 

Dass Bonaparte seine Truppen hinter die Etsch zurücknahm, 
ohne Arcole und Bionde zu besetzen, nennt Clausewitz unver- 
zeilich — falls er die Absicht hatte, am nächsten Morgen neuer- 
dings anzugreifen ; und fürwahr, die schematische Kritik wird ver- 
gebens nach den Gründen suchen. 

Und doch hat Bonaparte seine Gründe gehabt und zwar 
gute Gründe ; freilich nicht die, welche wir in seinen Memoiren 
finden, haben ihn am 15. November bestimmt; andere, zwingendere, 
weniger gut darzustellende, weil nüchterne Gründe der bittern 
Nothwendigkeit. Erstens konnte er Arcole nicht besetzen, weil ihm 
dessen Eroberung zu jener Zeit, als er den Rückzug antrat, noch 
nicht gelungen war; dass und wann Guyeux Arcole erobert, 
erfahrt Bonaparte ja erst im Bivouak jenseits der Etsch. Bionde 
allerdings war von Massena besetzt und auf den ersten Blick 
würde es also als wohl angebracht erscheinen, wenn der Ort 
über Nacht besetzt geblieben wäre. 

Aber die Betrachtung des Terrains zeigt uns sogleich den 
zweiten Grund : Zweifellos ist, dass der Raum, auf welchem die 
Franzosen gekämpft hatten, sich zum Lagern ganz und gar nicht 
eignete; zwei schmale Dämme zwischen ungesunden Sümpfen, 
mit der ganzen Schwierigkeit der Communication und der Trans- 
porte erklären hinlänglich den Entschluss, die Truppen zurück- 
zunehmen. Ja noch mehr: es wäre denkbar gewesen, die Truppen 
auf den Dämmen lagern zu lassen ; aber dann mussten sie Stütz- 
punkte und Anlehnung finden. Fanden sie aber diese Postulate 
in den Kanonen von Arcole oder in dem Stück des Dammes 
Ponte Zerpa-Arcole, welches den ganzen Tag von österreichischen 
Kugeln durchfegt worden war? 

Nochmals: die schließliche Eroberung Arcoles durch Guyeux 
war ja Bonaparte unbekannt geblieben. 



Digitized by VjOOQIC 



— al- 
so erklärt es sich auch , dass Bionde geräumt wurde ; ein 
kleines Detachement, ohne die Möglichkeit wirksam unterstützt 
zu werden, hätte eine willkommene Beute für den Gegner und 
ein Moment nächtlicher Beunruhigung gegeben. 

Aber gewichtiger als alle bisherigen Gründe ist der: Die 
Truppen hatten einen Nachtmarsch und einen heißen Tag hinter 
sich ; sie brauchten Ruhe, Bequemlichkeit, relative Sicherheit durch 
einige Stunden. Gerade wenn und weil Bonaparte am 
nächsten Tage anzugreifen willens war, musste er seine 
Truppen zur Erholung hinter die Etsch führen. Der be- 
rühmte Schöpfer des Begriffes Friction hat bei dieser seiner Kritik 
auf dieselbe vergessen. 

Die Kritik im Nachhinein, welche mit Kenntnis der That- 
sachen und Erfolge über die im vorhinein gefassten Entschlüsse 
des Feldherm richtet, findet also an Bonapartes Benehmen am 
15. Nov. wahrhaftig genug zu tadeln. Allein die Kritik muss, wenn 
sie belehren soll — a priori arbeiten; sie muss in der Seele 
des Feldherrn lesen, seine Entschlüsse chronologisch in 
der Ordnung betrachten, wie sie entstanden sind und dabei das 
ihr bekannte Resultat vergessen oder mindestens außer dem Be- 
reiche der Reflexion lassen. Nur diese Kritik ist wahrhaft objectiv ; 
ihr Amt ist nicht das Verurtheilen auf Grund der Resultate, 
sondern das Erklärlichmachen der Motive. 
Nun zu den Resultaten des Tages: 

Vor allem ist zu sagen, dass Alvintzy, sobald er erkannte, es 
sei den Franzosen mit ihrem Vorgehen zwischen Etsch und Alpone 
Ernst, die in der Erzählung der Schlacht skizzierte Verschiebung der 
Kräfte vornahm. Beträchtliche Kräfte stehen nunmehr ostwärts des 
Alpone, seine Trains sind auf die Straße von Vicenza zurückgegan- 
gen. Eine merkliche Verschiebung der strategischen Lage, wie wir 
sehen, und ein glänzendes Dementi des Satzes, dass die strate- 
gische Combination ohne den abschließenden taktischen Schlag 
wirkungslos ist; denn an einen Etschübergang vermag Alvintzy 
am Abend des 15. thatsächlich nicht mehr zu denken; und er 
hatte ihn doch, wie uns bekannt ist, geplant; ohne einen Zoll 
Terrain erobert zu haben, hat Bonaparte es erreicht, Alvintzy 
von Verona zu entfernen. Die Erfahrung straft hier alle Theo- 
rien Lügen. Gerade bei Operationen in dem Rücken des 



Digitized by VjOOQIC 



— 32 — 

Gegners, auf seine Rückzugs- und Etapenlinien genügt 
manchmal das bloße Drohen mit dem taktischen Schlag, 
um den strategischen Zweck zu erreichen; das strate- 
gische Manöver wird, mit Maß und Ziel gebraucht, trotz allem 
auch in Zukunft noch seine Schuldigkeit thun. 

Aber Alvintzy ist nur halb von Verona entfernt worden : 
Hohenzollern musste vor der Festung stehen bleiben. Wir haben 
hier das Beispiel einer jenen Anordnungen „für alle Fälle", wie sie so 
häufig gebraucht werden, weil sie so bequem sind; denn das 
Disponieren „für alle Fälle" engagiert zu nichts und erzeugt in 
der Seele das beruhigende Gefühl, seine Kraft nicht auf eine 
Karte gesetzt zu haben. Im vorliegenden Falle ist nun freilich 
die Theilung der Kraft eine Consequenz davon gewesen ; allein 
es begreift sich vollkommen, dass Alvintzy mit Misstrauen auf 
die Mauern von Verona blicken musste. 

Im Ganzen betrachtet hat also Bonaparte am Abend des 15. 
November von der strategischen Umgehung immerhin einen 
wahrnehmbaren Erfolg gehabt. Dieser Erfolg ist bisher zwar wohl 
nur ein Embryo ; er zeigt sich im Schwanken des Gegners und 
wächst im Laufe des Tages zur bekannten Verschiebung der Kraft. 

Wenn Napoleon in seinen Memoiren sagt, es sei ihm 
schmerzlich gewesen, vom Kirchthurm von Ronco aus die Öster- 
reicher über den Alpone zurückgehen zu sehen, so muss man 
sich billig fragen, was er denn eigentlich wollte; wir kommen 
hier nun immer und immer wieder auf das strategische Verhält- 
nis zurück, wie denn überhaupt in dieser Schlacht besonders 
deutlich strategische Absicht und taktischer Effect beständig in- 
einanderfließen. Was wollte er? Wenn er Alvintzy angreifen 
wollte, so musste der Schwerpunkt der Unternehmungen nach 
den beiden Porcile verlegt werden, das Anstürmen auf Arcole 
ist dann unverständlich. Und doch — Bonaparte konnte am Abend 
des 15. wahrlich zufrieden sein, Alvintzy wenigstens zum halb 
unwillkürlichen Zurückzucken gebracht zu haben; er durfte da- 
rin ein günstiges Omen auch in taktischer Beziehung für die 
Fortsetzung des Kampfes sehen. Warum also das Bedauern.' 

Aber man weiß, dass die von Napoleon gelieferten histori- 
schen Materialien nahezu wertlos sind; die Person des Verfassers 
guckt überall zu stark hervor; und wir begreifen die erwähnte 



Digitized by VjOOQIC 



- 33 - 

Stelle seiner Memoiren ganz gut, wenn wir weiterhin lesen : Die 
feindliche Armee konnte kaum noch ihrem Untergang entgehen ; 
das vom Abend des 15. November zu sagen! Es passt allerdings 
zu diesem Schluss die citierte Prämisse ganz ; aber eben deswegen 
ist sie nicht ernst zu nehmen. 

Wir wollen nun sehen, wie Bonaparte die Erfahrungen des 
15. November am nächsten Tage verwertet, inwieweit er seine 
Entschlüsse ändert oder beibehält. 

Es disponiert Bonaparte am 16. genau so wie Tags vorher: 
er sendet seine Divisionen in der gleichen Ordnung und Stärke 
wie am Vortage auf die bekannten Punkte Bionde und Arcole vor. 

Dies fuhrt nothwendig zu folgenden Schlüssen : 

Der Obergeneral findet das getheilte Vor- 
gehen auf divergierenden Linien auf diesem Ter- 
rain und zu dieser Zeit für gut. 

Er strebt daher ein überlegenes Auftreten, 
mit concentrierterKraft — mit einem Worte — die 
Entscheidung für jetzt auf keinem Punkte an. 

Es hat also Bonaparte offenbar seine ursprünglichen Dispo- 
sitionen für zweckentsprechend gefunden, nachdem er sie wieder- 
holt; nun können halbe Maßregeln nur halben Zwecken ent- 
sprechen ; sie können nur auf halbe Zwecke zielen, sobald sie, wie 
hier, beharrlich und mit Bewusstsein festgehalten werden. 

Bonaparte sucht also am 16. keine Entscheidung im großen 
Styl ; die wäre offenbar nur — von seinem Standpunkte aus — 
zwischen Etsch und Alpone zu geben gewesen, denn er wusste 

überlegene österreichische Kräfte noch immer in der Gegend 
von Caldiero; 

durfte aber dieselben, da ihm Caldiero noch in den Gliedern 
lag, nicht angreifen ; 

durfte weiters eine Umgehung mit seiner ganzen Kraft über 
Albaredo- Arcole auf die Straße von Vicenza nicht wagen, weil 
er hiedurch thatsächlich die Etsch aufgegeben hätte ; 

hatte wahrgenommen, dass der Kampf vom 15. schon eine 
Rückwärtsbewegung Alvintzys bewirkt hatte ; 

und beschließt „für alle Fälle" das Vorgehen des vorigen 
Tages, wobei nichts zu verderben ist, zu wiederholen. 

C. von B.-K. Zur Psychologie des großen Krieges I. 



Digitized by VjOOQIC 



- 34 - 

Und in der That, es scheint so zu sein , immer die stra- 
tegische Absicht als leitendes Licht weist ihm hier mit seltenei 
Klarheit die richtige taktische Form. Er wählt die dilatorische 
Methode, weil er weiß, dass seine Truppen dieselbe 
voraussichtlich länger ertragen werden, als jene de- 
Gegners, und eine sofortige Entscheidung zu suchen ihm füi 
den Augenblick taktisch inopportun erscheint, wenn sie ihm auch 
strategisch mehr als genehm wäre; er engagiert sich in keir. 
entscheidendes Gefecht, weil ihm der höhere strategische Zweck fii-* 
jetzt Sparen mit der Kraft zur Nothwendigkeit macht. Er ist — wir 
bemerken dies sogleich — hier nicht mit vollem Bewusstsein vor 
Anfang an vorgegangen ; das Meisterstück, wie es hier skizziert wird, 
hat er im vorhinein nicht ausgedacht; wäre dem so, so hätte er 
es gewiss in seinen Memoiren dargelegt und aufgebauscht. Er hat, 
das ist gewiss, am Morgen des 16. „eben für alle Fälle'' disponien, 
und dass hier und jetzt gerade die Halbheit das Richtige war, i:?: 
ihm selbst erst im Laufe der Begebenheiten klar geworden. Wir 
sehen hier ein Beispiel, wie der Feldherr durch die Verhältnisse, 
die ihn umgeben, und die Ereignisse, die er erlebt, erst zu den 
Maßregeln geführt wird, die dem Zwecke entsprechen. Hier ver- 
liert der berühmte Satz „man gebe dem Gegner das Gesetz "^ viel 
von seiner überkommenen Autorität. 

Nun zu den taktischen Einzelheiten und Besonderheiten des 
Tages : 

Massenas Gefecht gegen Provera ist eine vergrößerte Copie 
des Vortages und seine Trophäen sind ziemlich ansehnlich ; die 
österreichischen Truppen gingen, wie wir wissen, bis gegen Caldien» 
zurück, ohne jedoch von Massena nachdrücklich, das heißt über 
Belfiore hinaus, verfolgt zu werden. Es hat also hier, auf dem 
Punkte, wo die Franzosen zum zweiten Male siegreich waren, 
an der Energie der Verfolgung gefehlt, welche den errungenen 
Vortheil in dieser Richtung vergrößert und vervollkommnet hätte. 
Ist diese Unterlassungssünde wohl auf Rechnung des 
tapfern Massena zu setzen, oder aber hat er nicht 
Weisungen gehabt, welche das Nachdrängen seiner Trup- 
pen und seine eigene Thatkraft scharf im Zügel hielten? 

Mitrowskys, auf die Nachricht von Massenas Erfolg ge- 
fasster Entschluss, von Ponte Zerpa auf Arcole zurückzugehen. 



Digitized by VjOOQIC 



— 35 - 

ist auf die Regel basiert, sich nicht zu exponieren und wird erklärt 
durch die goldene Doctrin, dass Vorsicht die Mutter der Weisheit 
sei. Die schematische Kritik könnte von ihm verlangen, er hätte 
gerade wegen Proveras Niederlage energisch vorgehen und damit 
wo möglich das Gefecht herstellen sollen ; jedoch mussten die 
V'orstellungen „Cooperation mit Provera aussichtslos, Bedrohung 
meiner rechten Flanke möglich, bin allein nicht imstande durchzu- 
dringen, endlich der sattsam bekannte Vortheil des Vertheidigers 
auf Dämmen" ihn in die Defensive drängen. 

Hier ist der Ort, einiges über die so hoch gerühmten Vor- 
theile des Vertheidigers auf Dämmen, welche in der dreitägigen 
Schlacht am Alpone eine so große Rolle gespielt haben, zu sa- 
gen. Vorerst ist zu erkennen, dass auf dem beschränkten Raum 
des Dammes der Vertheidiger allerdings den Vortheil über den 
Angreifer insofern besitzt, 

als dieser naturgemäß in seinen Bewegungen gehemmt und be- 
hindert ist; doch ist dieser Vortheil des Vertheidigers nur ein recipro- 
kes Product vom Nachtheil des Angreifers, mithin negativer Natur ; 
und der Vertheidiger selbst nicht umfasst oder umgangen, 
und nicht in die Flanke genommen werden kann. 

Dem ist nun zu entgegnen, dass die Beschränktheit des 
Raumes auch für den Vertheidiger nicht günstig ist; denn in 
passivem Abwarten des Anpralls besteht die Vertheidigung be- 
kanntlich nicht; das ganze System der Aufnahmsstellungen und 
' taktischen Reserven kommt auf beschränktem Raum in Frage ; 
dass, wenn der Vertheidiger nicht umgangen werden kann, er 
selbst den Angreifer nicht mit Feuer zu flankieren, ihm überhaupt 
nicht jene Fülle des Feuers entgegenzusetzen vermag, die das 
Element der Vertheidigung bildet; dass die active Defensive, die 
ihr überraschendes Spiel blitzschnell gegen die Flanken des An- 
greifers richten soll, hier zur Unmöglichkeit wird; dass endlich 
die moralischen Kräfte des Vertheidigers auf beschränktem Raum 
weit mehr in Anspruch genommen werden, als in normalem 
Terrain. Denn die defensiv fechtende Truppe ver- 
langt logischerweiseRaum hinter sich zum allen- 
fallsigen Weichen, sowie der vertheidigende Füh- 
rer Raum vor sich zum Gegenstoß verlangt. Man 
unterschätze nicht den Instinkt der vertheidigenden Truppe, welche 



Digitized by VjOOQIC 



- 36 - 

das Bewusstsein eines Rückhaltes im Terrain, eines Abschnittes, 
einer gesicherten Rückzugslinie braucht; das Verbrennen der 
Schiffe hinter seinem Rücken ist ein gefährliches Ex- 
periment. 

Wenn der Angreifer jedoch die aus dem Terrain entsprin- 
genden und seine Taktik beengenden Nachtheile auch mit dein 
Vertheidiger theilt, so empfindet er im Vorgehen, in der Bewe- 
gung des Angriffs das moralische Missbehagen jenes, dem die 
relative Ruhe Zeit zum Schauen und Nachdenken gibt, weniger; 
und das ist nicht zu unterschätzen. 

Die Voilheile der Vertheidigung auf Dämmen scheinen da- 
her wohl nur an jenen Punkten zu liegen, wo der Damm ins 
Terrain übergeht, oder sich mit einem zweiten Damme kreuzt, 
weil der Vertheidiger hier sein Element, das überlegene Feuer, 
anzubringen vermag; Arcole ist ein schlagender Beweis hiefür. 

Arcole wird — es ist dies schon fast eine Tradition — 
auch heute wieder mehrmals angegriffen. Die misslungenen Ver- 
suche Bonapartes, Truppen ans linke Ufer des Torrent zu wei- 
fen, zeigen überzeugend die sattsam bekannte Schwierigkeit von 
Flussübergängen angesichts des Gegners. Recapitulieren .wir nun- 
mehr die Wahrnehmungen des zweiten Schlachttages. 

Bonapartes leitende Idee ist die: Ohne mich ganz engagiejt 
zu haben, ist Alvintzy am 15. zum Theile schon zurückgegan- 
gen; bleibe ich nur dort, wo ich stehe, stehen, und beschäftige 
ich den Gegner, zumal an mehreren Punkten, so darf ich — sowie 
ich ihn kenne — erwarten, dass er heute wieder ein Stück zurück- 
gehen wird; wenn es gelingt, Arcole wegzunehmen, so kann 
dies auf die Rückwärtsbewegung des Gegners nur beschleuni- 
gend wirken ; also will ich's wenigstens versuchen. 

So scheint und so muss Bonapartes Calcul gewesen sein ; 
wenn auch Clausewitz sagt, der Angriff am 16. bleibe uns ganz 
unerklärt, da Bonaparte auf den Rückzug der Österreicher nicht 
gerechnet haben könne, indem in keinem Bericht davon etwas 
angedeutet sei, so übersieht er gerade hier, dass die Motive in 
den Berichten, wie er selbst an anderer Stelle erwähnt, fast durch- 
wegs fehlen ; und die Dictate des Gefangenen von St. Helena 
sind wohl so romanhafter Natur, dass man in ihnen Aufklärung 
und Wahrheit nicht suchen, noch erwarten darf 



Digitized by VjOOQIC 



- 37 — 

Nun erinnern wir uns aus der Darstellung der Schlacht, 
dass am Morgen des 16. keineswegs ein Zurückgehen der Öster- 
reicher, sondern das Gegentheil eintrat, indem Alvintzy den An- 
griflf und das concentrische Vorgehen auf die Brücke von Ronco 
befahl ; der österreichische Feldherr zeigt also hier die Tendenz, 
den Gegner über die Etsch zurückzuwerfen und dieses offen- 
bare Missbehagen über Bonapartes Anwesenheit 
zwischen Etsch und Alpone musste daher für die- 
sen ein gewichtiger Grund sein, das erwähnte 
Terrain mindestens nicht zu verlassen. 

Und dieses bloße Behaupten des Errungenen ohne Offen- 
sive über die Punkte Bionde und Arcole hinaus hat seine Früchte 
getragen ; denn wir sehen im Laufe des Tages Hohenzollern von 
Verona zurückmarschieren ; ein Erfolg, der ganz in der strategi- 
schen Intention Bonapartes lag und welchen er für heute mit 
halben Maßregeln erreicht hat. Der Sieg Massenas über Provera 
ist trotz seiner Trophäen wegen der Mattigkeit der Verfolgung 
gewiss keine ganze Maßregel zu nennen. 

Dieser zweite Tag zeigt uns also Bonaparte auf seinen 
Dispositionen vom 15. in Form und Inhalt beharren; wir sehen 
hier den Feldherrn auf strategischen Maßnahmen und taktischen 
Anordnungen bestehen, die mit dem Zwecke, „um jeden Preis 
an den Feind kommen, um ihn zu schlagen," im Widerspruche 
stehen, und dies, nachdem er sich Tags vorher über Zeiten, 
Räume, und die Gesammtheit der Gegenkräfte orientiert haben 
kann. Ja, wir sehen den Feldherrn seine Truppen sowie Tags 
vorher, hinter die Etsch zurücknehmen, allerdings, nachdem dies- 
mal die wichtigsten Punkte des Vorterrains besetzt worden sind; 
die Gründe hiefür werden zum Theil jene des 15. sein. Aber 
auch die Betrachtung, wie die am 16. morgens offensiv vor- 
gehenden Österreicher erst mit Tagesanbmch sich in das Laby- 
rinth der Dämme wagen, mag Bonaparte bestimmt haben, zu 
glauben, die Nacht an sich werde den Gegner von den Dämmen 
entfernt halten. Die von Bonaparte in seinen Memoiren gemachte 
Begründung, er sei des Nachts über die Etsch zurückgegangen, 
um einem möglichen Übergangsversuch Alvintzys bei Zevio be- 
gegnen zu können, ist im Widerspruch mit der Wahrschein- 
lichkeit. 



Digitized by VjOOQIC 



- 38 - 

Die Angriffe auf Arcole tragen an diesem Tage 
nicht mehr den Charakter verzweifelten Hinüberwollens, 
wie 24 Stunden vorher; aber die Anstrengungen sind 
heute planvoller und fortgesetzten Es muss also Arcole 
im Auge des Obergenerals immerhin eine ziemliche 
Wichtigkeit haben; jedesfalls liegt der Schwerpunkt des Kam- 
pfes in dem berühmten Dorf und nicht im leicht zu nehmenden 
Bionde di Porcile; man könnte annehmen, dass es so ist, weil 
jetzt eine ansehnliche Macht um Arcole versammelt ist, die zu 
schlagen sich jedesfalls verlohnt. 

Bonaparte hat also im großen Ganzen das Verfahren des 
Vortages für gut befunden und dasselbe fortgesetzt; man sollte 
daher zugleich erwarten, dass er am 17. consequent bleibt. 

Allein wir finden das gerade Gegentheil. In der Nacht trifft 
Bonaparte Anordnungen und lässt dieselben ausführen, die auf 
veränderte Dispositionen weisen, und mit dem Morgen des 17. 
November bricht er mit allen bisherigen Maßnahmen, um die uns 
bekannten Anordnungen zu trefifen. 

Wir müssen uns zunächst über die Ursachen dieser Wand- 
lung klar werden. 

War in der allgemeinen Lage etwas verschoben worden? 
Gewiss! HohenzoUern ist, wie wir wissen, am Vortage nach 
Caldiero zurückgerufen worden und steht nun als starke Reserve 
hinter Provera, also im Centrum des Gegners, den er um seine 
zwölf Bataillone verstärkt; es hat also die von Bonaparte rich- 
tig vorausgesehene Rückwärtsbewegung und Entfernung des 
Gegners von Verona eine wesentliche Verstärkung seiner Haupt- 
macht zur Folge gehabt. Aus dieser Thatsache allein erklärt 
sich Bonapartes Benehmen, der entschiedene Angriff allerdings 
noch nicht. 

Aber ein zweiter Grund zum endlichen Handeln war da 
und zwar einer von schwerstem Gewicht: Vaubois konnte sich 
kaum mehr halten und seine Cassandrarufe mussten Bonaparte 
zu der Überzeugung bringen, dass mit der taktischen Führung 
der zwei Vortage und ihren mäßigen Erfolgen das Auslangen 
nicht mehr zu finden war; wenn so weitergethan wurde, wie 
bisher, so mochte Alvintzy wohl am Vorgehen, am Etschüber- 
gang, an der Deblokierung Mantuas gehindert, ja vielleicht sogar 



Digitized by VjOOQIC 



- 39 - 

ij^ezwungen werden, sich noch eine halbe Meile weiter zurückzu- 
ziehen und noch energischer zu concentrieren, aber dann brachte 
auch der unbedeutendste Sieg Dawidowitsch' auf den Höhen von 
Rivoli, welcher ja am 17. wirklich erfolgte, Bonapartes Wagschale 
entscheidend zum Sinken, während er sich bei Arcole bemüht, 
dieselbe im Equiliber zu erhalten. Die Natur der Dinge dictierte 
nunmehr Bonaparte das verhängnisvolle „Bis hieher und nicht 
weiter"; auch die Rolle eines Cunctator muss ihr Ende 
haben. 

Den Moment, über den hinaus die Entscheidung nicht 
hinausgeschoben werden durfte, hat Bonaparte hier in meister- 
hafter ^Veise erkannt. 

Soviel über das strategische Motiv für das Provocieren der 
Entscheidung; es liegt klar zu Tage. 

Aber begegnen wir nicht auch Motiven rein taktischer Natur ? 
Es scheint, sie drängen sich fast auf. Alvintzy hat, seit zwei 
Tagen von Bonaparte gereizt und unaufhörlich beschäftigt, seine 
Streitkräfte allmählich um die Gegend von Arcole concentriert, 
oder vielmehr, die Punkte, welche Bonaparte angegriffen hat, mit 
Truppen immer stärker garniert; er ist dem natürlichen Impuls 
gefolgt, um den Entscheidungspunkt seine Bataillone zu massieren ; 
es vollzog sich auf österreichischer Seite der allmähliche Process 
des localen Haufens der Kräfte, der zur bekannten Clausewitz- 
schen Spannung führt. Während Bonaparte keine nennenswerten 
Reserven an sich gezogen hat, ist nunmehr die ganze österrei- 
chische Armee ihm gegenüber angekommen; sie hat durch die 
Kämpfe zweier Tage die Localität kennen gelernt und sich im 
Terrain orientiert. Der Angriff Alvintzys vom 16. morgens lässt 
Bonaparte mit Recht einem zweiten baldigst entgegensehen und 
— die Qualität seiner Truppen noch so hoch taxiert — so muss 
er sich doch gestehen, dass bei einem Misserfolg in der Defen- 
sive für ihn kaum ein Rückzug übrig bleibt (Brückendefile von 
Ronco). 

Also auch taktisch zeigt sich das Bedürfnis nach der Ent- 
scheidung, das heißt Hejr ausgelangen aus der bisheri- 
gen Situation. Es ist klar, dass den taktischen Er- 
folg hier und jetzt nu r mehr die Initiative geben 
konnte, sowie nur sie allein imstande war, das 



Digitized by VjOOQIC 



- 40 — 

haarscharf ausbalancierte strategische Verhältnis zum 
Einspielen im Sinne ßonapartes zu bringen. 

Und nun zu dieser Initiative. 

Endlich wird auf einem Flügel nur beobachtet und sich 
defensiv verhalten, während auf dem anderen alles, was Bona- 
parte zusammenbringen kann — selbst Kilmaine als letzte Re- 
serve, der nunmehr in Verona entbehrlich ist, wird herangeru- 
fen — verwendet wird. 

^ Endlich geschieht eine Umgehung gegen Arcole, die im 
Gegensatz zu ihren Vorläuferinnen nicht, wie diese, vom Anfani: 
an den Keim des Misslingens in sich trägt. 

Endlich tritt eine einzige, bestimmte Tendenz, die Eroberuni^ 
Arcoles mit aller Schärfe und größtem Nachdruck hervor. 

Die uns bekannte Gruppierung der Kräfte auf österreichi- 
scher Seite erklärt es vollkommen, dass Bonaparte seinen An- 
griff gegen den fast in der Luft stehenden äußersten linken Flü- 
gel des Gegners richtet. Wohl springt der Umstand in die Augen, 
dass Arcole eigentlich kein Flügel der österreichischen Gesammt- 
front ist, weil dieser Ort, räumlich vom Centrum getrennt, tak- 
tisch dasselbe auch nicht tangiert; dass eine unmittelbare Reaction 
des geschlagenen linken Flügels auf das Centrum — der Typ 
„aufrollen'* — nicht zu erwarten steht; denn eine Action bei 
Arcole und eine bei Porcile-Caldiero sind nicht Glieder einer 
Kette, sondern locale Extreme, die nur in dem verallgemeinern- 
den Blick des Feldherrn lose verbunden erscheinen. 

Geht Bonaparte daher auf Arcole allein vor, so bezweckt 
er off'enbar nicht das Schlagen der österreichischen Armee ; denn 
die weiß er ja noch immer zwischen Etsch und Alpone mit 
beträchtlichen Theilen ihrer Kraft stehen ; und der Weg an die 
österreichische Hauptmacht — über Arcole gesucht — wäre ein 
veriorener Pfad gewesen. Genug davon ; die Argumente liegen 
auf der Hand. Es findet sich also im Veriegen des Hauptangriffes 
auf Arcole — wie es scheint — noch immer eine gewisse Ge- 
bundenheit und Einseitigkeit des Entschlusses, der sich mit dem 
naheliegenden Zweck : Eroberung des Ortes im vorhinein be- 
gnügt. Wir deuten dies hier voriäufig nur an, um zu den Schluss- 
sätzen das F'undament des endgiltigen Urtheils mitzubringen. 

Das taktische Detail des Tages zeigt uns manches Besondere. 



Digitized by VjOOQIC 



41 



Massenas Vertheidigung des Dammes von Porcile ist in 
Anbetracht seiner numerischen Schwäche meisterhaft zu nennen. 
Das oscillierende Widerspiel von Angriff und Vertheidigung auf 
dem Damme von Arcole zeigt eine Fülle plastischen Materials 
für die Darstellung des lebendigen Kriegs ; das Schwanken und 
die beginnende Debandade von Augereaus Truppen beim An- 
blick der in ihrem Rücken vorgehenden österreichischen Colonne 
ist ein drastisches Exempel, welcher Popanz — und manchmal 
eigentlich nur eingebildeter und im Grunde recht inoffensiver Po- 
panz — das Bewusstsein, den Gegner im Rücken zu haben, für 
die argwöhnische Seele der Truppe ist; wie — wir kommen 
darauf zurück — das Drohen und die leere Demonstration auch 
iz;egen brave Tnjppen des öftern wirken kann ; und erst gegen 
Franzosen, die, sobald sich eine feindliche Patrouille in Flanke 
und Rücken zeigt, Verrath schreien ! Und hier ist auch der Ein- 
wirkung des Führers, der die Dinge durch das reduzierende 
Glas der Erkenntnis und Überlegung sieht, ein schwieriges Pro- 
blem gegeben ; er kann nicht erklären, er muss beruhigen. Ge- 
wisse Forderungen stellt die Truppe instinctiv ; dahin gehört die 
Forderung, nur in einer Richtung — wenn auch bis zur Er- 
schöpfung — verwendet zu werden ; sie wird leichter zum Vor- 
gehen im heftigsten Feuer, als zum mhigen Stehen mit gefähr- 
detem Rücken zu bringen sein, 

Massenas Cooperation, um der österreichischen Colonne den 
Rückzug abzuschneiden, ist trefflich und beweist seinen ,yCOHp 
d'oeil", sowie Bonapartes Maßnahmen zu deren Empfang: ihr Unter- 
gang ein Beispiel der vollständigen Hilflosigkeit geschlossener Mas- 
sen gegen convergierendes Feuer, zumal auf beschränktem Raum. 
Die Episode Hercules endlich ist ein neuerlicher Beweis, 
wie in der Spannung um die Entscheidung ein Tropfen das Ge- 
fäß zum Überfließen bringen kann; wie auf die Moral der 
Tnjppen unter Umständen ein Nichts, ein krafl- und markloses 
Stratagem, ein Schreckschuss reißend, zerstörend wirken und 
physisches Weichen hervorzubringen vermag; und dabei ist das 
Mittel so billig; schlägt der Versuch fehl, so ist der Verlust nicht 
groß. Das ist wahrhaft Öconomieder Kräfte; frei- 
lich nicht immer und nicht gegen jeden Gegner 
anwendbar. 



Digitized by VjOOQIC 



— 42 — 

Mitrowskys Bitte um eine Diversion auf Porcile ist eine 
oft wiederkehrende Erscheinung, eine Erfahrung, die jeder com- 
mandierende General machen wird; wohl ihm, wenn er diese 
Erfahrung nicht allzu häufig macht. Es ist um Diversionen, die 
von Unterfeldherren begehrt werden, überhaupt ein eigen Ding: 
sie werden meist in einem Augenblicke der Herabstimmung ange- 
fordert, der zeitlich zu weit vorgerückt ist, um eine erfolgreiche 
entlastende Operation noch zuzulassen. Zeiten und Räume ge- 
winnen im Augenblicke der Krise einen Wert, den zu ^erfassen 
und festzuhalten der Apparat der Befehlsgebung kaum mehr ver- 
mag; und dann, wo eine Diversion nothwendig wird und erst 
von subalterner Stelle begehrt werden muss, trägt dieselbe die 
Zeichen einer dem Feldherrn abgerungenen, von ihm nicht er- 
kannten nothwendigen Maßregel. Die Initiative, selbst die Autorität, 
des Feldherrn muss durch sie angegriffen werden; sie ist und 
bleibt ein Moment der Verstimmung und Verlegenheit zwischen der 
ersten und der zweiten Stelle. Daher das Misstrauen, das der Ober- 
general jeder Bitte um eine Diversion entgegenbringt und sein 
instinctives Zögern mit dem gewährenden Befehl. 

Auffallen muss Alvintzys Disponieren mit seiner Reserve: 
denn als solche darf Hohenzollern fuglich angesehen werden. Er 
greift am Morgen an und stellt sie daher sinngemäß auf seinen 
rechten Flügel; aber im Laufe der Begebenheiten wird er in die 
Defensive gedrängt, und anstatt, wie man mit Recht erwarten 
sollte, die Reserve 

entweder zum offensiven Gegenstoß zu verwenden ; 

oder dieselbe an seine Rückzugslinie zu ziehen ; 

oder endlich dieselbe zur Verstärkung seines stark bedrängten 
linken Flügels zu verwenden, 

lässt er dieselbe ruhig auf ihrem Platz stehen und macht 
keinen Gebrauch von ihr. 

Unstreitig war seine Meinung die, die Reserve für alle 
Eventualitäten — und die günstigen schwebten seiner Phantasie 
offenbar vor — dort, wo sie stand, zu belassen. Der Gedanke, 
man könne eine Reserve kaum zu lange in der Hand behalten, 
hat hier seine verwirrende Rolle gespielt. Gerade für die Zeit, 
deren Schlagwort die Reserve und deren Evangelium die Öco- 
nomie der Kräfte ist, mag die Figur, die Alvintzys Reserve 



Digitized by VjOOQIC 



- 43 — 

hier spielt, eine äußerst lehrreiche sein ; denn die taktische Reserve 
an sich ist nichts, als ein oft ziemlich unklarer, überkommener, 
gewohnter Factor der Beruhigung für Truppen und Führer; erst 
ihre Verwendung, also das Aufgeben ihrer Natur als Re- 
serve, dem Raum, der Zeit, der taktischen Lage angepasst, macht 
sie zum Werkzeug der Zerstörung. Allein der Moment und die 
Art des Einsetzens der Reserve sind bei ihrer Größe und dem 
Trägheitsmoment jeder bereitgestellten, der Verwendung harren- 
den Kraft äußerst delicate Gewichte auf der Wage des Kampfes. 
Zur Lösung dieses Problems wird mehr als Meisterschaft, wird wohl 
oft Glück gehören und die Kunst wird nach diesem extremen 
Excurs ins Gebiet der Zufälligkeiten naturgemäß in bescheidene 
Grenzen und feste Normen zurückgezwungen werden. Die Re- 
serve ist gut, solange der Gegner keine hat und 
bei uns keine vermuthen kann; denn, wenn er sie 
hat und weiß, dass auch wir sie haben, mag viel- 
leicht das Absehen von diesem ererbten napoleo- 
nischen Waffenstück dann von Vortheil sein, 
wenn man die Kraft der Reserve, die der Gegner 
vorerst auch bei uns latent und gebunden glau- 
ben muss, von Anfang an impulsiv verwendet. Ein 
gewisses Qantum an Reserven wird wohl immer nöthig sein ; aber 
es fragt sich, wohin ein übertriebenes Reservensystem, welches 
die Räume des Schlachtfeldes ins Endlose dehnt, und die Zeit der 
Entscheidung lange hinausschiebt, indem es dieselbe gründlich und 
methodisch vorbereitet, führen, und ob nicht die elementare 
Gewalt eines rücksichtsloseren Krieges diese Theorie, wie 
so viele andere modiflcieren wird. Liegt nicht so eigentlich die 
erhabenste Philosophie des Krieges in dem Worte Wallensteins, 
man thue immer das Gegentheil von dem, was dem Gegner be- 
kannt und woran er gewohnt ist, was er uns thun zu sehen 
erwartet ? 

Ein schwerer Vorwurf für den österreichischen Feldherrn 
ist das Vernachlässigen seines linken Flügels. Er fühlt durch drei 
Tage die Tendenz des Gegners, Arcole zu nehmen, die sich in 
tollkühnen Stürmen auf die Brücke, in stets wachsenden Um- 
gehungsversuchen zeigt und alle Mittel der Taktik zur Erreichung 
dieses Zweckes in Anspruch nimmt; er hört in jedem Schuss an 



Digitized by VjOOQIC 



- 44 — 

den Ufern des Alpone den prodamierten Entschluss des Gegners, 
hier durchzudringen; er sieht durch dreimal 24 Stunden das 
geometrische Element des Angriffs, dessen Spitze auf seine Rück- 
zugsiinie weist : und wendet nicht alle Kraft an, um des Gegners 
Absicht zu vereiteln. Nur in dem Falle ließe sich dies erklären, 
wenn er wirklich energisch auf des Gegners linken Flügel und 
seine Rückzugslinie gewirkt hätte; wenn er ihm Gleiches mit 
Gleichem vergolten haben würde; dass er dies nicht gethan hat. 
muss zu dem Schlüsse führen, dass Alvintzy, im Gegensatz zu 
Bonaparte, aus den Lehren dreier Tage die Consequenzen nicht 
gezogen hat; und erklärt seine Herabstimmung, seine Rathlosigkeit, 
die ihn am Abend des 17. zum Rückzuge bewegen. 

Was kommen musste, kam: Der österreichische Flügel, der 
sich wahrlich brav genug gehalten hatte, wird endlich dermaf.1en 
cernirt, dass Alvintzy begreift, sein Stützpunkt Arcole könne auf 
ja und nein verloren gehen ; und er ruft Hohenzollern und Provera 
nach San Bonifacio zurück, Mitrowsky die Sorge überlassend. 
Arcole noch möglichst lange zu halten. \'iel wäre über diesen 
Rückzug zu sagen, beziehungsweise zu fragen: Ob denn derselbe 
notwendig war, auch wenn Arcole verloren ging; ob denn 
die Straße von Vicenza gewonnen werden musste, sobald der 
Gegner den Alpone überschritt; was denn geschehen hätte können, 
wenn die Armee westwärts des Alpone, und im Besitz des Brücken- 
kopfes San Bonifacio- Villanova geblieben wäre; ob denn die That- 
sache, dass die Trains zurückgeschickt waren, Motiv sein konnte, 
dass die ganze Armee ihnen nachziehen musste, gleichsam als 
ausgiebige Bedeckung; und noch vieles andere mehr. Allein für 
unsere Betrachtung von Wert ist nur das Factum : Alvintzy geht 
zurück; es muss ihm daher der Rückzug gut erschienen sein: 
oder er hat geglaubt, er sei zu demselben gezwungen. Dieser 
Glaube nun, das Weichen sei nothvvendig, er möge der Wirk- 
lichkeit entsprochen haben oder nicht, war das Entscheidende; 
diesen Glauben hat Bonaparte in seinem Gegner hervorzurufen 
gewusst, er hat es verstanden, ihn bis zur Überzeugung von der 
Nothwendigkeit des Weichens in der Seele seines Gegners groß- 
zuziehen. Das eben ist Kriegführung im großen Styl. 

Hier finden wir nun den natürlichen Anknüpfungspunkt, um 
uns zu resümieren. 



Digitized by VjOOQIC 



45 



Wir haben Bonaparte den Übergang bei Ronco bewirken sehen 
und die Voraussetzungen, sowie die Tendenz entwickelt, die ihn 
bei der Wahl dieses Übergangspunktes geleitet und bestimmt haben 
können. Wenn man auch im Übergehen bei Ronco die natürliche 
Folge des natürlichen Widerstrebens des Feldherrn, sich behufs 
einer Umgehung allzuweit seitwärts auszudehnen, sehen und den 
Gedankengang begreifen kann, der einen ungünstigen nahen Über- 
gangspunkt einem entfernten günstigen vorzieht, so sehen wir 
doch in dem folgenden Beharren /»arJ^/?// in der selbstgeschaffenen 
ungünstigen Lage einen Widerspruch und eine Inconsequenz. 

Die vorausgegangene Analyse des historischen Materials 
führt uns zu folgendem Urtheil. 

Bonapartes Absicht bei Beginn der strategischen Umgehung 
ist die Entscheidung durch die Schlacht, die den Gegner in die 
Flanke treffen, die durch ihre Richtung und die Überraschung 
den taktischen Erfolg gewährleisten soll; die Bedrohung dei 
gegnerischen Rückzugslinie läuft hier als begleitende Idee mit. 

Im Augenblicke, in dem Bonaparte die Etsch hinter sich 
hat, trifft er auf Schwierigkeiten des Terrains, die ihn im Drange 
der Umstände zu vorläufigen derartigen Anordnungen bestimmen, 
dass seine Absicht: Debouchieren aus den Sümpfen und Vor- 
gehen gegen Caldiero, zunächst unausführbar wird. 

Ein Zufall — wenn wir es so nennen wollen — designiert 
den Punkt Arcole als sogenannten entscheidenden Punkt; davon 
noch später mehr; genug, bei Arcole findet er zunächst einen 
Widerstand, der ihm den Angriff, vorerst vielleicht nur in mora- 
lischer Beziehung, von Wert erscheinen lässt, und er sucht mit 
dem historischen republikanischen Elan hier den partiellen Erfolg, 
der seiner Phanfeisie sich als eine, wenn auch ziemlich ungewisse 
Promesse für den Totalerfolg zeigt. Die Idee von der Bedro- 
hung der feindlichen Rückzugslinie gewinnt dabei eine neue 
und feste Gestalt, ohne noch entscheidend zu werden, da die 
Orientierung über sie und der Calcul mit ihren Chancen in der 
Kürze der Zeit nicht möglich ist. 

Ein vollkommener Misserfolg ist die Frucht des republikani- 
schen Entschlusses und mit matten Segeln zieht die Erkenntnis 
in die noch vom Kampf erhitzte Seele des Obergenerals. Der- 
selbe erkennt: 



Digitized by VjOOQIC 



46 



seine Absicht, zu schlagen, entscheidend zu schlagen, für 
heute durch sein eigenes Disponieren gründlich vereitelt; 

zugleich den überraschenden indirecten Erfolg seines bloßen 
Versuches auf Arcole, der sich im beginnenden Zurückgehen dei> 
Gegners auf die Alponelinie zeigt und damit 

die Thatsache, dass Arcole in dem Auge des gegnerischen 
Feldherrn als wichtiger, gefährdeter, entscheidender Punkt er- 
scheint. 

Ja! ein entscheidender Punkt! Nun mögen die Ansichten 
über entscheidende Punkte verschiedenartig und des öftem sehr 
heterogen sein. Wir wollen dies an Arcole erhärten. Es konnte 
sich Bonaparte, wenn er sich in die Lage seines Gegners dachte, 
sehr wohl sagen, dass für ihn die Eroberung Arcoles mehr 
moralischen als materiellen Wert hatte; er hatte sich vielleicht 
schon beim Entwurf des Umgehungsplanes gestanden, dass er 
ostwärts des Alpone entscheidend vorzugehen nicht willens oder 
nicht imstande sei; die Gründe sind wohl sehr durchsichtiger 
Natur. Nun musste er sich sagen, dass ihn der Gewinn von 
Arcole in die Lage versetzen musste, eine Bahn zu verfolgen, 
die er nicht beschreiten konnte oder wollte; dass die Wegnahme 
Arcoles für ihn ein entbarras de richesses war, dessen hohen 
Aspirationen zu folgen er nicht vermochte; zu deutsch: er konnte 
und wollte nicht ernstlich die Straße von Vicenza gewinnen : 
denn hätte er es gewollt, dann lag der Übergangspunkt bei 
Albaredo, und die Folge hat gezeigt, dass es ihm um die Straße 
von Vieenza wirklich nicht zu thun war. Aber, Arcole einmal 
genommen, war die Auffordemng, auf diese Straße vorzugehen, 
also konnte ihm füglich an dessen Wegnahme nicht viel liegen, 
und der Anfall vom 15. ist die Augenblickserregung seines Natu- 
rells gewesen, welches den für sein Heer so nöthigen moralischen 
Erfolg um jeden Preis gesucht hat. 

Allein jetzt, da er sieht, dass der berühmte Flecken 
in dem Auge seines Gegners eine Wichtigkeit besitzt, 
die er, Bonaparte, vor dem Forum der eigenen Über- 
legung nicht anerkennen kann, aber jenen zu bestimmen 
geeignet ist und wirklich bestimmt; da er mit froher 
Überraschung erfährt, wie der Gegner der Terminologie 
„Rückzugslinie bedroht" schematisch folgt, was er nicht 



Digitized by VjOOQIC 



- 47 - 

erwartet hat; als er zu ahnen beginnt, dass er den Gegner 
überschätzt hat, und desselben System durch das billige 
Mittel der Demonstration zu Fall zu bringen sein mag: 
entschließt er sich, die Achillesferse, die ihm der Gegner 
durch sein Zucken verrathen hat, zum Objecte seines 
ganzen Thuns zu machen. 

Hier haben wir die großen Züge des Tages : Vor allem. 
Bonaparte hat Fehler gemacht und zwar ungeheuere Fehler; 
Fehler taktischer Natur ; Nichtübereinstimmen strategischen Zwecks 
und taktischen Schlags; Fehler des Temperaments; zuviel Elan, 
sowie 48 Stunden vorher dessen zu wenig. Allein, wir wieder- 
holen es, die Truppen sind es und werden es in alle Zukunft 
sein, die die Fehler des Führers gutzumachen vermögen ; sie 
retten seine Reputation. Die Nachwelt freilich hört nur vom Er- 
folg und reicht der aus der Vergangenheit einsam zurückgeblie- 
benen Gestalt des Feldherrn den Lorbeer. Seine Truppen sind 
vergessen, und dass diese keine Fehler gemacht haben, keine 
machen durften, dass sie nicht erst vom -Kriege lernen und an 
ihm sich bilden konnten, dass sie ihre Schuldigkeit stets gethan 
haben, das übersieht die Historie, wenn sie den Feldherrn mit 
dieser kostbaren Maschine experimentieren, sich in ihrem Ge- 
brauche bis zur Fertigkeit (die ersten Versuche sind ja meist so 
übel angebrachte Hiebe, dass sie das Werkzeug hart erproben) 
üben sieht; dieser Feldherr hat Truppen gehabt, die 
das Experimentieren mit ihnen vertrugen, er hat 
sich gebildet, zur Meisterschaft emporgeübt und 
die Nachwelt bewahrt seinen Namen; jener hat 
das Gleiche versucht, aber das Werkzeug ging 
unter seiner Hand inTi^ümmer; die Truppen gönnten 
ihm nicht die Zeit, sich zu bilden, und er ist vergessen oder 
genießt den Ruhm eines zwölften Karls ; und vielleicht hätte er 
geradeso seine Fähigkeiten, die Feldherrengaben seiner Natur dar- 
zulegen vermocht, hätten ihn die Truppen nicht verfassen; mög- 
lich, dass auch er den Ruhm, durch Übung gelernt zu haben, 
erreicht hätte. 

Diesen Ruhm nun müssen wir Bonaparte für den 15. wahr- 
lich zugestehen; er hat im Laufe des Tages unendlich viel ge- 
lernt und ohne Zögern geht er an die Nutzanwendung. Die An- 



Digitized by VjOOQIC 



- 48 — 

Ordnungen des ersten Tages waren für den Zweck dieses Ta- 
ges schlecht; der Zweck hat gewechselt und nunmehr sind die- 
selben Anordnungen gut; der gewaltige Umschwung in den 
Ideen des Obergenerals spiegelt sich in dem Satze seiner Me- 
moiren : Alors les officiers et soldais qtu\ du temps qnils pour- 
suivaient Wurmser, avaient iraverscs ces licnx, coinfnencerciü 
ä deviner Viniention de lenr general, ü vent ionrner Caldter^», 
qitil n'a pti enlei'er de front: avec 13000 hommes ne ponvaui 
Intter en plaine contre 40000; il porte son champ de hatailh 
sur des chaussccs entoxirces de vastes marais, on le nontbre uc 
pottrra rieft, mais on le conrage des tetes de colounes decidera 
de tont .... etc. Abgesehen nun von den unwahren Einkleidungen, 
in welche diese Erkenntnis nachträglich gehüllt wurde, ist zw-ei- 
felsohne eine Erkenntnis da; aber zu dieser Erkenntnis kam er 
eben erst im Laufe des Tages ; die Ereignisse haben ihn auf die- 
selbe geführt; der 15. November hat ihn belehrt, dass 
er mit geringeren Mitteln — Vorgehen au fArcol e — 
seinen strategischen Zweck — Zurückdrängen 
Alvintzys — ebenso als durch die beabsichtigte 
Schlacht erreichen könne. 

Die Leichtigkeit, mit der er dies erkannt und die 
Entschlossenheit, mit der er diese Erkenntnis verwertet, 
sind nun sein erstes unsterbliches Verdienst 

Die Erfahmngen des ersten Tages bestimmen die moditi- 
cierten Entschlüsse für den zweiten. Bonaparte bleibt vor allem 
stehen, wo er steht, weil Alvintzy ihm sein Missbehagen darüber 
verrathen hat; die Idee, Arcole wegzunehmen, wird durch die 
abermaligen Rückschläge des 16. bis zur Vorstellung von der 
Aussichtslosigkeit des frontalen Angriffes abgedämpft, und aus 
diesem Zufallsproduct erwächst die Idee der taktischen Umgehung. 
Wir sehen hier Bonaparte versuchen, experimentieren und sich 
belehren; der ganze Tag ist mit taktischen Experimenten angefüllt, 
zu denen die Truppen mit seltener Bravour das Übungsmaterial 
stellen; und der Obergeneral lernt zusehends; er überzeugt sich 
von der Schwierigkeit, angesichts des Gegners über den Torrent 
zugehen; er erkennt die numerische Unzulänglichkeit der eigenen, 
gegen Arcole entwickelten Kraft; und hat dabei stets ein offenes 
Auge für das langsame Weichen des Gegners. 



Digitized by VjOOQIC 



- 49 - 

Wie wir die Tendenz des Obergenerals nunmehr kennen, 
so begreifen wir das Nichtausbeuten von Massenas Erfolg bei 
Porcile vollkommen; und da wir es begreifen, so heißen wir es 
gut; ja noch mehr: wir bewundem in Bonapartes Zurückhaltung 
nach der gedachten Richtung die bewusste, so schwierige Aus- 
übung der Theorie von der öconomie der Kräfte und die Energie 
des entschiedenen, auf einen Punkt gerichteten Willens. 

Erkennen wir daher in Bonapartes Benehmen am 16. das 
consequente, ausdauernde Unterhöhlen des Gegners in materieller 
und moralischer Beziehung, so müssen wir dem Feldherrn Lob 
spenden ; bedenken wir, dass er zum Schlüsse doch zu anderen 
Mitteln greifen musste, dass die des 16. nicht hinreichten, um 
den Erfolg zu geben, so sehen wir ihn in der Rolle des Schülers, 
und die darf, wie es scheint, in seiner Function, der eines Feld- 
herm, historischen Beifall nicht beanspruchen. Fragen wir uns 
iedoch, ob die Thätigkeit des 16. nicht etwa eine noth wendige, 
durch die Verhältnisse gebotene, vorbereitende Arbeit war, so 
bleibe in der heutigen Entfernung von den Ereignissen die Ent- 
scheidung dahingestellt; hier mag die Individualität richten, so- 
wie sie damals bestimmt und entschieden hat. Auf gewissen 
Punkten macht die wahrhaft objective Kritik Halt. 

Die dilatorische Methode, ob gut oder nicht, findet mit dem 
Abend des 16. ihr Ende. 

Bonaparte hat hier einen Beweis gegeben, in wie hohem 
Grade ihm der Instinkt für den Wert des Augenblicks, im Kriege, 
für die Wahl des Zeitpunktes, welcher die auf den Höhepunkt 
getriebene Spannung durch den leisesten Anstoß löst und im 
eigenen Sinn verwertet, für den Moment, in welchem ein geringes 
zu früh oder zu spät alles verderben kann, eigen war; wir sind 
ihm Schritt für Schritt auf dem Wege der Erkenntnis gefolgt, 
und wie oben erwähnt wurde, hat uns ein leises Missbehagen 
über sein hinhaltendes Benehmen am zweiten Schlachttage er- 
fasst, wenn wir den Blick zur allgemeinen taktischen und beson- 
ders der strategischen Lage erhoben; wir mussten, falls Bona- 
parte sein System beibehielt, und das stand zu erwarten, mit 
hoher Besorgnis auf die Lösung der Krise und daher auf jeden 
folgenden Tag blicken. 

C. von B.-K. Zur Psychologie des großen Krieges I. 4 



Digitized by VjOOQIC 



- 50 - 

Aber jetzt zeigt sich Bonaparte wahrhaft als Meister, ^^'ie 
denn der ganze dritte Tag ein wahrer Ehrentag für den fran- 
zösischen Feldherrn ist. 

Mit jener seltenen Sicherheit, die in dem verwirrenden 
Chaos der Eindrücke, der wechselnden Bilder und Ereignisse, 
der tausend sich kreuzenden Wahrnehmungen des Augenblicks 
die leisen Anzeichen der Reife in den Ereignissen sieht; die in 
dem schwankenden Bilde der Begebenheiten den Culminations- 
punkt erkennt, rasch und entschieden erkennt: erkennt er in den 
Anzeichen, die wir im Nachhinein mühsam aufgespürt haben, die 
Nothwendigkeit der Entscheidung, ihre nothwendige Richtung 
Afcole, und wendet nunmehr alles daran, um dem Winke seiner 
militärischen Eingebung zu folgen. 

Er thut es mit Entschlossenheit; ohne sich viel um Arcoles 
Wahre Bedeutung zu fragen, entschließt er sich auf dessen ein- 
gebildeten Wert in der Vorstellung des Gegners, den Ort um 
jeden Preis zu nehmen; wohl wissend, wie wichtig für ihn die 
Sicherheit seiner linken Flanke ist, aber durch die Erfahrung 
zweier Tage belehrt, dass der Gegner dieselbe mit aller Macht 
nicht zu gewinnen sucht, entblößt er sie rücksichtslos bis zur 
Grenze des Möglichen, um alle Kraft auf das vom Gegner 
selbstverrathene entscheidende Object zu werfen. Durch 
die Versuche des Vortages über dessen Widerstandsfähigkeit 
hinreichend orientiert, wählt er die ausgiebigste, erfolgverheißendste 
taktische Form, gebraucht sie im großen Styl und mit aller Energie. 
Als er wieder und wieder erkennt, dass die Entscheidung dem 
Gegner theuer abgerungen werden müsse , entschließt er sich 
zum primitivsten Stratagem , der Täuschung durch List, und 
erreicht, wie wir sehen, endlich seinen Zweck. 

Der Zweck: Alvintzy muss hinter den Alpone, ist erreicht. 
Ferne liegt es dem Feldherrn nunmehr, durch eine von den 
Kriegslehrern als Axiom hingestellte energische Verfolgung über 
diesen endlich erreichten Zweck hinauszuschießen; es ist zum 
einladenden Auslaufenlassen des strategischen Gegenangriffs nicht 
der Ort und nicht die Zeit; der vorgesetzte Zweck ist erfüllt, er be- 
gnügt sich mit dem Resultat, denn es winkt ihm jetzt ein höherer, 
weil sicherer. Wir halten hier Bonapartes strategische 



Digitized by VjOOQIC 



- 51 - 

Defensive für ein Meisterstück, für ein unerreichtem 
Beispiel, wie der Krieg zu führen ist und stets zu führ 
ren sein wird. Denn welcher General hätte am Abend 
des 17- der Versuchung wohl widerstanden, den Schlag, 
der soeben geführt worden war, durch eine Verfolgung 
auszubeuten; die mühelose Ausbeutung eines bedeu- 
tenden Erfolges zu beginnen, statt sie mit einer neuen 
strategischen Bewegung zu vertauschen, deren erstes 
Postulat der Rückzug, die Operation auf der innern 
Linie war; die Hs^uptkraft und noch dazu die geschla- 
gene Hauptmacht des Gegners zu verfolgen, statt sich 
sogleich zu einer neuen Schlacht, wenn auch secundä+ 
rer Natur, umzuwenden; seinen vom Elan nach vorn 
lancierten Colonnen Halt und den Rückmarsch zuzu^ 
muthen? Der Obergeneral befand sich ja bei seinem siegreicheo 
Heer, welches ihm auch vermöge des numerischen Verhältnisses 
vielleicht gestattet hätte, den Gegner, den er nur zurückzumanöv^ 
rieren gedachte, nunmehr gründlich zu schlagen ! Aber Bonaparte 
kannte und wir kennen jetzt aus der Kriegsgeschichte die Gründe 
zur Mäßigung, zum Beharren beim ersten bescheidenen Plan, uncj 
da^s er dieser Erkenntnis so vorurtheilslos gefolgt ist, ist nicht 
minder unsterbliches Verdienst, als die Leichtigkeit, mit der er 
gelernt und die Sicherheit, mit der wir ihn das Gelernte anwenr 
den sahen. 

Ziehen wir nun die Summe alles Gesagten, so möchten 
wir den nachmals so berühmt gewordenen Feldherrn in dieser 
Episode seiner Lehrjahre etwa in folgendem. Lichte sehen: 

Der Erfolg, den er mit Leidenschaft sucht, ist ihm bei 
Caldiero zum ersten Mal im großen Styl untreu geworden, und 
das Bewusstsein, sein Prestige, die Gloriole militärischen Ruhms, 
welche Effecten bald zu seiner persönlichen Ausrüstung gehören 
sollen, seien ihm am 12. November hart erschüttert worden, 
beugt ihn zu Boden, zumal er mit seinem kriegstheoretischen 
Latein zu Ende ist. Er bedarf zweier Tage, um militärisch zu 
sich zu kommen, und als er sich endlich entschließt, führt ihn 
der unter dem Drange der Umstände gefasste Entschluss zu 
halben, zu schlechten Maßregeln, insbesonders in taktischer 
Beziehung. Nach dem Aufflammen seines Intellects, als er sic?h 



Digitized by VjOOQIC 



52 



in den Vorstellungsreihen der Strategie bewegt (Concipierung der 
strategischen Umgehung) trübt sich derselbe, sobald der drohende 
Contact mit dem Gegner ihn ins Gebiet der Taktik drängt 

Die ungeheure Größe der Fehler des ersten Tages führt 
ihn zurück in jene Situation, in welcher alles Andern oder 
Modificieren der Entschlüsse — wie er glaubt — verderblich ist, 
und seine besorgte Seele, vom Netz der Widerwärtigkeiten um- 
spannt, im Durchhauen des Knotens ihr Heil zu finden wähnt ; es 
kommt „Vhonnenr des armes*' in Frage, die Parole, von der er 
weiß, dass sie seine Truppen elektrisiert und halb unbewusst 
reißt ihn der Wille zum Sieg, der Drang nach der heißbegehrten 
Entscheidung zum verzweifelten — taktisch unmöglichen, vom 
Erfolg desavouierten — Anrennen, aus dem die Legende des Krieges 
den Lorbeer für sein Haupt gewunden hat, das von der kühlen 
Kritik jedoch nicht gutgeheißen werden kann; das heißt, die 
Kritik kann hier finden, dass der Feldherr die Mittel zum Zweck 
nicht richtig zu taxieren vermocht hat. Es sind dergleichen Ver- 
suche ja stets nichts als eine Frage an die Truppen ; sie haben 
ihn bei Lodi verwöhnt^ um ihn an der Brücke von Arcole im 
Stich zu lassen ; bei Marengo hatten sie wieder ihren guten 
Tag, um bei Waterloo complet zu versagen. 

Das Nichtwissen, wie weit der Feldherr mit 
seinen Truppen hier und jetzt gehen konnte, das 
kann ihm die Kritik mit Recht zum Vorwurf 
m achen. 

Allein das Übermaß der Rückschläge gibt ihm die Kühle der 
Überlegung zurück und der Gegner thut nichts, um ihn in seinem 
Nachdenken zu stören. Leise beginnt in ihm die Idee zu wachsen, 
dass der Elan nicht das höchste der Mittel ist, dass über dem 
Enthusiasmus die Berechnung steht: er erkennt, dass er dem 
nachmaligen berühmten Talleyrand'schen „surtout pas trop de 
zele" soeben direct entgegengehandelt hat; die Reaction tritt ein 
und diese spiegelt sich mit überzeugender Klarheit im hinhalten- 
den Princip des zweiten Tags ; die relative Ruhe, die der Gegner 
und die Verhältnisse ihm gönnen, benützt er voll zum Beobachten 
und Vergleichen. Das verzweiflungsvolle Jagen nach dem Erfolg 
macht nunmehr dem ausdauernden Nachspüren desselben und 
dem schweren, anhaltenden Pressen auf des Gegners selbstver- 



Digitized by VjOOQIC 



- 53 - 

rathene Schwäche Platz. War der erste Tag das Auflodern des 
Impulses, so zeigt uns der zweite das Glimmen der Beharr- 
lichkeit. 

In vierundzwanzig Stunden also ein voll- 
ständigerWechsel des Systems: er war zumTheil 
durch die Verhältnisse erzwungen, zum Theil 
nach reiflichem Oberlegen angeordnet, weil er 
nothwendig war. Dies scheint wohl ein überzeu- 
genderBeweis von Bonapartes außerordentlicher 
militärischer Capacität. 

Allein die Conturen des Kriegsbildes schwanken stets ; das 
Bedürfnis des Krieges verwirft das Princip von gestern, um das 
vorgestern als wertlos beiseitegelegte zurückzuverlangen; Licht 
und Schatten ziehen vorüber und die Reflexe von beiden bleiben 
in der Seele des Feldherrn zurück. Seine militärische Begabung 
übt sich, indem sie das Mittel der Extreme sucht, und sie steht 
auf ihrer Höhe, wenn sie dieses Mittel richtig und rasch zu 
finden weiß. 

Zu dieser Höhe der Anschauung erhebt sich 
nun Bonaparte am dritten Tag, indem er im Ein- 
schlagen de^ goldenen Mittelwegs das taktische 
und im sofortigen Betreten desselben das stra- 
tegischeBedürfnis der Lage erkennt. Wir wollen uns 
nicht wiederholen und haben genug vorausgeschickt, dass es 
erklärlich scheint, wenn wir endlich sagen: Das Vorgehen des 
17. November ist das abgeklärte Product der widrigen Erfahrun- 
gen zweier langer Tage; endlich hat der Feldherr begriffen, was 
noththut und übergeht zur entscheidenden That. Und gerade 
darin, in dieser seltenen Auffassungsfahigkeit, in diesem raschen 
Assimilationsvermögen , in dieser Fähigkeit mit einem Wort, 
mitten unter dem Lärm des Kampfes und den schwankenden 
Erscheinungen des Krieges, in diesem Chaos zu lernen, und so 
zu lernen, und das Gelernte so rasch und richtig zu verwerten, 
erblicken wir die Stammeskennzeichen der historischen Feldherren 
und durch sie die Anwartschaft auf eine kriegerische Zukunft 
seltener Art. Wir haben ferner gesagt, wir seien von der An- 
schauung durchdrungen. Bonapartes Mäßigung im Ausbeuten 
seiner Erfolge sei ein Meisterstück der strategischen Defensive; 



Digitized by VjOOQIC 



- 54 - 

un d wah rlich, wir sehen den Soldatenkaiser kaum 
jemals zweckbewusster als hier, wo er die ver- 
pönte goldene Brücke des Vegez dem abziehen- 
den Gegner aus guten Gründen und ohneVorur- 
theil baut. 

Allein wahr wird es trotz alledem stets bleiben, dass die 
Gelegenheit zum Tasten nach dem Richtigen, zum Suchen nach 
dem rechten Mittel eine Gabe ist, die nicht jedem Feldherrn in 
gleichem Umfang wird; denn sie liegt meist außer ihm; er kann 
sich dieselbe kaum verschaffen ; sie hängt von zahllosen Um- 
ständen ab, die mit der militärischen Intelligenz und dem mili- 
tärischen Charakter des Feldherrn oft nichts gemein und nichts zu 
schaffen haben ; und sie ist endlich relativ, indem sie zwei sich 
bekämpfenden Führern fast stets in verschiedenem Maße von dem 
Geschicke zugemessen wird. Hier sprechen ja die Truppen das 
letzte Wort; denn diese Truppen ertragen das Experi- 
rnentieren und jene ertragen es nicht; sie ertragen es 
heute und vielleicht morgen nicht mehr. Die Erkennt- 
nis, wie weit der Feldherr mit seinen Truppen gehen 
kann^ die Energie, sie bis an die erkannte Grenze des 
Möglichen zu führen, sind selten und ein großes Ver- 
dienst; und wer sie heute gehabt hat, kann sie morgen 
verlieren. 

Dieses Bild glauben wir aus der objectiven Betrachtung 
gewonnen zu haben ; insoweit die Betrachtung objectiv sein 
kann. Wir halten das Resultat den Apologien der napoleonischen 
Literatur und der vernichtenden Kritik des Vaters der Kritik, 
Clausewitz, entgegen; ein Stück des lebendigen Krieges, dessen 
verworrenes, unklares Bild nicht durch Citieren von Genius und 
Mangel an solchem, wohl aber durch sorgfältigste Analyse von 
der Seele des Obergenerals bis zum Naturell des letzten han- 
delnden Mannes herab erkläriich und verständlich wird. 

So weisen alle Resultate convergierend auf das Endresultat: 
Der Feldherr, in welchem die Geschichte die Verkörperung mili- 
tärischer Fähigkeit, das fleischgewordene kriegerische Genie 
sieht,, unterliegt den endlichen Gesetzen jeder menschlichen Natur, 
dass er, wie alle andern, sein Handwerk durch Üben lernen 
muss; dass. besonders sein Gemüth den grob sinnlichen und 



Digitized by VjOOQIC 



- 55 — 

fein intellectuellen Einflüssen unterworfen ist, die der Krieg erregt, 
und ohne Nachtheil unterworfen sein kann. Damit fällt die fable 
convenue von der erhabenen, olympischen Seelenruhe des Feld- 
herrn, und wir sehen ihn als übendes und lernendes, schwankendes 
und zagendes Geschöpf inmitten seiner Erfolge. Sein Genie ist 
für den vorliegenden Fall analysiert und in seine fass- 
baren Bestandtheile zerlegt; der größte Feldherr der 
modernen Zeit wurde auf Herz und Nieren geprüft als 
Anfänger in seiner Kunst und wir stehen nicht an, das 
Resultat auf Vorgänger wie Epigonen gleichermaßen 
auszudehnen. 



Jede Art von Meditation wird erst fruchtbar durch die 
Nutzanwendung. Ist die Erwägung Leben und Wachsen am Baume 
der Erkenntnis, so bildet das Resultat; in verallgemeinernde Sätze 
gebracht, die reife, brauchbare Frucht. 

Eine der Terminologien, die zur größten Einseitigkeit der 
Erkenntnis und zur größten Gebundenheit der Entschlüsse ge- 
führt haben, ist die von den entscheidenden Punkten. Die Theorie 
erklärt, dass auf jedem Kriegstheater, auf jedem Schlachtfelde 
a priori ein entscheidender Punkt vorhanden sei, und verlangt 
vom Feldherm, er solle denselben erkennen, um ihn zum Objecte 
seiner Operationen zu machen: sie nimmt die entscheidenden 
Pimkte als etwas Gegebenes, durch welches kriegerische Opera- 
tionen geographisch, politisch, militärisch, ja sogar traditionell 
bestimmt und begrenzt, angeregt und gebunden werden; sie 
proclamiert, dass die Kunst des Feldherrn im Erkennen des ent- 
scheidenden Punktes vornehmlich liegt. 

Nichts ist nun falscher, als die Vorstellung vom 
Vorhandensein eines gleichsam durch die Gesetze des 
Krieges Vorherbestimmten entscheidendenPunktes, nichts 
irrationeller als das Suchen nach demselben und das Be- 
streben, einen solchen Punkt um jeden Preis zu finden. 

Denn wie die sogenannten beherrschenden Punkte außer- 
ordentlich sparsam gesät sind, so sind es die wahrhaft entschei- 
denden auch; wohl gibt es Punkte, die, falls der Krieg sich in 



Digitized by VjOOQIC 



— 56 - 

ihre Umgebung zieht, immer entscheidende Bedeutung haben 
werden; aber auch diese Punkte erhalten ihre Bedeutung 
erst durch das Häufen der Kriegsmittel an oder aut 
ihnen; durch die Vortheile oder die Hemmnisse, die sie 
dem Angreifer gewähren oder dem Vertheidiger bieten; 
durch die Resultate, die ihr Besitz verspricht. Die 
Attractionskraft, die ein Punkt auf die oder einen der 
Gegner übt, stempelt ihn erst zum entscheidenden Punkt; 
und trotz alledem entscheidet er allein niemals, sondern 
auf ihm, mit ihm, durch ihn fällt die Entscheidung; er 
ist kein entscheidender, sondern ein Entscheidungs- 
punkt. 

Nun muss aber immer festgehalten werden, dass der ent- 
scheidende Punkt als Punkt a priori fix und die Mittel des Krieges 
bewegliche sind; dass der Krieg aus jeder Localität einen ent- 
scheidenden Punkt zu machen vermag, wenn der Gegner da- 
rauf eingeht, sowie derselbe nahezu allen Punkten, die das 
Monopol der entscheidenden Eigenschaft in der Vorstellung 
des Gegners haben, ausweichen kann; wir sagen nahezu; denn 
es gibt Punkte, die der Gegner angreifen oder vertheidigen muss. 
sowie wir dieselben erobern oder festhalten müssen, wenn wir 
weitergehen oder uns behaupten wollen; die sind jedoch sehr 
selten. Im allgemeinen wird der entscheidende Punkt dort 
liegen, wohin ihn der eine der Gegner verlegen will; er 
kann hier und muss nicht dort liegen; er mag verschleien 
und bis zur Entscheidung verborgen werden ; der Gegner hat 
ihn dann gar nicht oder zu spät, und zwar nur aus unseren 
Bewegungen, nicht aus seinen Eigenschaften und seiner Lage 
erkannt; in der Absicht, zu täuschen, kann der entscheidende 
Punkt als Lockspeise verwendet werden, und während sich der 
Gegner mit ihm beschäftigt, von ihm binden lässt, geben wir 
anderswo die wirkliche Entscheidung. Hier nun muss der Feld- 
herr mit wahrer Vorurtheilslosigkeit und großer Reserve han- 
deln; aber, wenn er mit den entscheidenden Punkten richtig 
hauszuhalten weiß, wenn er es versteht, solche heute aus dem 
Boden zu stampfen und morgen von der Bühne des Krieges wie- 
der verschwinden zu lassen, kurz die hiitiative über sie und die 
öconomie mit ihnen in der Hand behält, und der Gegner über- 



Digitized by VjOOQIC 



- 57 - 

dies in der erlernten Theorie von den entscheidenden Punkten 
befangen ist, so wird und muss er sicher Erfolge erreichen. 

Man kann im Kriege den entscheidenden Punkt 
designieren, vielleicht nimmt ihn der Gegner zu seinem 
Nachtheil an; man kann den vom Gegner designierten 
entscheidenden Punkt refusieren und belässt ihn ruhig in 
dessen Besitz; er sehe zu, was er weiter mit demselben 
beginne; man kann die entscheidenden Punkte wechseln, 
wie man Operationslinien zu wechseln vermag; man 
kann den vom Gegner selbst verrathenen schwachen 
Punkt spontan zum entscheidenden machen. Plastik 
und Bedeckung des Terrains, die Operationszone, sind 
ein Feld, auf welchem der moderne Krieg sich die ent- 
scheidenden Punkte wählt von Fall zu Fall, und nicht 
von der Terrainlehre, der formalen Taktik, der Cabinets- 
politik, der Tradition — denn auch dies ist schon ge- 
schehen — am allerwenigsten aber vom Gegner geben 
lässt. 

Nächst der materiellen Schwäche des Gegners suche der 
Feldherr sein Manco an Erkenntnis, die Gebundenheit seiner 
Entschlüsse, zumal wenn dieselbe in einem angenommenen 
System liegt, die Schwäche seiner Energie auf und beute all dies 
ohne Scrupel aus; nichts ist leichter zu Fall zu bringen, 
als ein theoretisch fixiertes System, nichts verspricht 
mehr Erfolg, als das Irreführen des Glaubens' beim 
Gegner, das Stratagem, und das Erhalten des Gegners 
in vorgefassten Entschlüssen sowie Vorurtheilen, sobald 
sie uns angenehm sind. 

Dies führt gerade auf das oftgenannte Schlagwort : man gebe 
dem Gegner das Gesetz; es wird meist mit „Initiative" übersetzt, 
und führt zur Einseitigkeit. Man gibt dem Gegner das Gesetz, indem 
man ihn veranlasst, das zu thun, was wir wollen ; dass hier die 
Initiative nicht ausreichen kann, ist klar; denn der Mittel zu 
obigem Zweck gibt es viele und sehr verschiedener Art. 

Der Feldherr, der, in der strategischen Vertheidigung 
befindlich, durch ein Manöver, ohne die Absicht zu schla- 
gen, den Gegnerzurückzudrängen weiß; der den so belieb- 
ten excentrischenRückzug ohneZögern vollführt, indem er 



Digitized by VjOOQIC 



- 58 - 

auf den wesenlosen Glauben des Gegners, er könne nun- 
mehr nicht nachdringen, baut, und mit Erfolg baut; der 
vorurtheilslos, unter dem unzufriedenen Murren seiner 
Untergenerale durch Passivität und Abwartenden Gegner 
ermüdet, zur Theilung, zum Zurückgehen bringt; der 
Organisator des Volkskriegs, der seine Guerillabander 
zum kleinen Krieg, dessen Princip das Vermeiden des 
entscheidenden Zusammentreffens, das Weichen Schritt 
für Schritt, der divergierende Rückzug ist, verwendet; 
der General, der auf Grund geklärter Überlegung sich 
in eine Festung wirft und den Gegner zur Cernierung 
veranlasst, mithin festhält, seine Kräfte bindet: Sie alle 
geben durch Passivität, durch berechnetes Zögern, durch 
zur Schau getragenen Indifferentismus, durch die Maske 
der Ohnmacht wahrlich und erfolgreich dem Gegner das 
Gesetz. 

Nicht der physische Druck, nicht das materielle Zusammen- 
stoßen allein entscheiden im Kriege: der Glaube an das, was 
möglich und nicht möglich, was durchführbar und nicht 
zu wagen ist, bildet den Träger der Entscheidungen: 
der Glaube schwankt, weil er eben Glaube und nicht 
Wissen ist; der Glaube des einen Gegners muss das Haupt- 
operationsobject für den andern sein und die intellectuellen Re- 
serven beider sehen wir in der Anzahl und Qualität der Argumente 
und Hintergedanken, über die jeder der Gegner nächst seinem 
Glauben verfugt : ein richtiges Argument, ein Hintergedanke mehr, 
kann die Entscheidung geben. 

Der Entschluss des Gegners fordert, dass man nach ihm 
rathe; dieses Rathen kann das Schwarze treffen, sowie es auch 
weit von der Wirklichkeit entfernt bleiben kann. Das Rathen und 
Suchen nach dem Entschluss, der Willensmeinung des 
Gegners wird umso schwieriger sein, je neuer, je ori- 
gineller, je näher den ausgedehnten Grenzen des Mög- 
lichen und je weiter vom Centrum des Bekannten und 
Gewohnten der Entschluss des Gegners liegt; hier kann 
das Treffen des Richtigen manchmal unmöglich werden ; ein deut- 
licher Beweis für den Ungeheuern Einfluss, den die 
Originalität, die vorurtheilslose Neuerung auf die Seele 



Digitized by VjOOQIC 



- 59 — 

des Menschen und mithin auf kriegerische Unternehmun- 
gen hat. Der Gegner erwartet das Bekannte, er glaubt, das Gewohnte 
müsse kommen, da überrascht ihn der Feldherr mit einer Form 
der Strategie und mit einer Art der Taktik, die ihm neu und 
unerwartet sind; jene bringt seinen Calcul in Verwirrung und 
reißt ein Loch in sein strategisches System, diese erschüttert 
seine Truppen und nimmt ihnen die Contenance; denn im Kampfe 
erschreckt das Ungewohnte, Unbekannte an sich. 

Diese Originalität, dieses zweckbewusste Ändern des aner- 
kannten Systems, die berechnete Neuerung, gehören wieder zu 
den Stammeskennzeichen der historischen Feldherren; sie haben 
den Krieg studiert und sein Hauptelement in psychologischen 
Motiven gefunden; denn es ist so und kann nicht anders sein. 
Die Formen und Mittel, die sie erfunden oder aus dem 
Schutte der Vergangenheit — sie waren von der Welt 
eben vergessen worden, wie Friedrichs schiefe Ordnung 
oder Napoleons System der verbundenen Waffen — her- 
vorgesucht haben, waren lediglich das sinnliche Mittel 
zum seelischen Zweck; der neue sinnliche Eindruck 
sollte wirken und hat, wie die Erfahrung zeigt, fast 
immer rapid und in stupender Weise gewirkt. Dann wurde 
die Neuerung zum System und damit verlor sie ihre ursprüng- 
liche Kraft; ihre moralische Zerstörungsfahigkeit ging durch die 
Zeit und den allgemeinen Gebrauch verloren; sie wurde nach- 
geahmt, erst unvollkommen, dann immer vollkommener, dann 
gelehrt, endlich geübt, ihre Schlagworte wurden Gemeingut aller, 
auch des Gegners, der sich heute al pari mit seinem Meister 
von gestern befand, um ihn morgen schon vielleicht zu übertreffen. 
Das jüngste System bleibt stets solange bestehen, bis ein neues 
entsteht, dessen Schöpfer durch die elementare Gewalt seiner 
erneuerten Mittel zu einem Heros des Krieges emporsteigt. Und 
wenn Napoleon, der Vater der heutigen Renaissance des Krieges, 
zu der sublimen Erkenntnis kommt : // faut changer la tactique 
de la guerre ious les dix ans, si Von veut garder un peu de 
superioriie, so hat er damit nur bekannt, worauf das Wesen des 
Krieges in letzter Linie beruht: auf seelischen Motiven. 



Digitized by VjOOQIC 



Digitized by VjOOQIC 



&/uc£^* 



^10- 




albai'edo 



Verlag von Wilhelm Branmüller, >^eaQgfeLeipzig. 



Digitized by VjOOQIC 



Verlag von Wilhelm Braumüller in Wien. 

Der Heldenberg, 
Radetzky's letzte Ruhestätte 

und 

Schloss Wetzdorf. 

Von 

Slairl 3Z€izid.elsd.orfar 

k. u. k. Hauptmann. 
Zweite vermehrte Auflage. Mit lö Vollbildern in Autotypie. 8. 1891. fl. MX) - M. 2—. 



Strefflenr's isterreichisclie 

Militärische Zeitschrift. 

Redigirt von 

KARL KANDELSDORFER 

k. u. k. Hauptmann. 

Strefneur's österreichische militärische Zeitschrift, gegenwärtig im 70. Jahr- 
gange stehend, ist das älteste und angesehenste militär-wissenschaftliche Organ 
Österreichs. — In monatlichen Heften von mindestens 7 Druckbogen gr.-8 er- 
scheinend, bietet diese Zeitschrift, welche die hervorragendsten Fachschriftstcller 
zu ihren Mitarbeitern zählt, eine Fülle der interessantesten Originalaufsätze und 
Mittheilungen aus dem Gebiete des gcsammten Militarismus, und bildet ein wahres 
Archiv der militärischen Wissenschaften. Jedem Hefte ist ein Literatur-Blatt bei- 
gegeben, welches den Inhalt der wichtigsten Fachzeitschriften des In- und Aus- 
landes anzeigt, sämmtliche militärischen und die interessanteren, allgemein wissen- 
schaftlichen Publicationen des Büchermarktes bespricht. 

Streffleur's österreichische militärische Zeitschrift 

erscheint jährlich in 12 Heften ; 3 Hefte bilden einen Band. 

Das Jahres-Abonnement beträgt : 

Für die activen Herren Subaltern-Officiere, Cadetten. Unterofliciere etc. 9 fl. ö. \V- 

Für die activen Herren Abnehmer von der IX. Diätenclasse aufwärts, 

dann für die Bibliotheken, Vereine, Commanden etc 10 > » » 

Für Buchhandlungen, Postämter, Private des Inlandes, Officierc des 
Ruhestandes, in der Reserve, Beamte etc. bei Bezug durch die 
Administration 12 » » » 

Für Abnehmer im Auslande 28 M. R.-W. 

Pränumerationen werden nnr anf den ganzen Jahrgang angenommen. 

Die Administration der Zeitschrift befindet sich 

Wien, I., Graben Nr. 21 

(k. u. k. Hof- und Universitäts-Buchhandlung W. Braumüller). 



Digitized by VjOOQIC 



-yy'C Xhtick V. Briin« Bftrttit. Wlun, IJC., UMsIiuMlunpUU «©^X* ■'£^<'-"« . 



Digitizedby Google// 



ZUR PSYCHOLOGIE 



DES 



GROSSEN KRIEGES 



VON 

C. VON B.-K. 



II. 

EIN KRIEG OHNE CHANCEN. 



MIT 3 KARTENBEILAGEN. 




AVIEN UND LEIPZIG. 

WILHELM BRAUMÜLLER 

k. u. k. Hof- und Universitäts-Buchhändler. 
1898. 



Digitized by VjOOQIC 



ALLE RECHTE VORBEHALTEN. 



Druck von BruDo Bartelt, Wien, IX. 



Digitized by VjOOQIC 



Uebersicht 



Seite 

I. Die Gegner und ihre Mittel 1 

II. Politik und Strategie 65 

III. Die Entscheidung 113 

IV. Resultate 246 



Digitized by VjOOQIC 



Digitized by VjOOQIC 



Verzeichnis der benützten Werke. 



Beiträge zur Geschichte des Feldzuges von 1806, nach den Quellen des Archivs 

Marburg, von Dechend ; Berlin, 1887. 
Catnpagne de Prusse (1806), Jena, d' apres les archives de laguerre, par P. Foucart, 

capitaine etc.: Paris, 1887. 
Campagne de Prusse (1806), Prenlzlow- Lübeck, par Je commandant Foucart; 

Paris, 1890. 
Correspondance de Napoleon Ter; XI, XII, XIII, XIV. 
Das militärische Testament Friedrichs des Großen. Herausgegeben und erläutert 

von A. V. Taysen; Berlin, 1879. 
Das Zeitaller der Revolution, des Kaiserreiches und der Befreiungskriege, von 

Dr. Wilhelm Oncken ; Berlin, 1886; II. 
Denkwürdigkeiten des Staatskanzlers Fürsten von Hardenberg, herausgegeben 

von Leopold von Ranke; Leipzig, 1877. 
Der Einfluss Frankreichs auf die preußische Politik etc., historische Studie von 

Bruno Bauer: Hannover, 1888. 
Der Krieg von 1806 und 1807; von Oberst v. Hoepfner, Berlin, 1850; I, II. 
/Vr Krieg von 1806 und 1807, bearbeitet von Oscar v. Lettow- Vorbeck; 

Berlin, 1891/92; I, IL 
Diplomatische Correspondenzen ; Preußen und Frankreich II; herausgegeben von 

P. Bailleu, kgi. geheimen Staatsarchivar; Leipzig 1887. (Publicationen 

aus den k. preußischen Staatsarchiven XXIX.) 
Geschichte der Kriege in Europa seit dem Jahre 1792. Berlin, Posen, Bromberg; \^I. 
Geschichte der Kriegswissenschaften, vornehmlich in Deutschland, von Max Jahns, 

München und Leipzig, 1891; IIL 
Histoire du Consulat et de V Empire par M. Ä. Thiers; VI, VII , 
Memoires du Prince de Talleyrand; Paris, 1891. 
Militärische Schriften von Scharnhorst, erläutert durch Frh. v. d. Goltz; 

Berlin, 1881. 
Mittheilungendes k. k. Kriegs -Archivs, Wien; Jahrgang 1881; daraus: Zwei 

zeitgenössische Stimmen (Gentz und Mayer) über die Schlacht bei Jena 

und Auerstädt im Jahre 1806. 
Nachrichten über Preußen in seiner großen Katastrophe von v. Clausewitz; 

Berlin 1888. (Kriegsgeschichtliche Einzelschriften, Heft 10). 
Napoleon als Feldherr, von Graf York von Wartenburg; Berlin, 1885; I. 
Napoleon I. Eine Biographie, von Dr. August Fournier, 1889, IL 



Digitized by VjOOQIC 



— VIII — 

Neue militärische Blätter; 1892, XXXIX; daraus: Denkwürdigkeiten aus dem 
Kriegsleben Napoleons I. 

Oesterreichiscke militärische Zeilschrifl; Wien, 1886; III, IV; daraus: Das fran- 
zösische Heer der I. Republik und des I. Kaiserreiches. 

ParalUle entre Cesar, CharUmagne et Napoleon; l'Empire et la dcmocratit, 
Philosophie de la legende Imperiale, par M. Castille; Paris, 1858. 

Rossbach und Jena; Studien über die Zustftnde und das geistige Leben in der 
preußischen Armee während der Uebergangszeit vom XVHI. zum XIX. Jahr- 
hundert, von Colmar Freiherr v. d. Goltz; Berlin, 1883. 

Strategische Briefe von Kraft Prinz zu Hohenlohe-Ingelfingen ; Berlin, 1887; L 

Taktische Beurtheilung größerer Schlachten» von Wilhelm Reinländer, k. k. Oberst, 
Generalstabs-Oflicier ; Wien, 1872; daraus: Die Schlacht von Jena; die 
Schlacht von Auerstädt. 

Vom Kriege, Hinterlassenes Werk des Generals Carl von Clausewitz; Berlin, 
1832—1834; I, H, HI. 

Weltgeschichte für das deutsche Volk (Fr. Chr. Schlossers), 1874; XV. 



Nur gelegentlich benutzte Werke sind in den FuOnoten besonders angeführt. 



Digitized by VjOOQIC 



Die Gegner und ihre Mittel. 



Digitized by VjOOQIC 



Digitized by VjOOQIC 



Frankreich. 



In runder Summe betrug 1806 die Bevölkerung des Kaiser- 
reiches und seiner Dependenzen (der größte Theil von Italien, 
die Schweiz, Holland, der Rheinbund u. s. w.) etwa 55 Millionen 
Seelen und aus dieser Menschenmasse zog Napoleon seine Mittel 
zum Kampfe. 

Für einen OfiFensivkrieg auf deutschem Gebiet war hievon 
wohl nicht alles in Rechnung zu stellen; und die Betrachtung 
der Ereignisse wird zeigen, dass vorerst Frankreich allein die 
Basis ist, aus der sich wirklich schlagende Kräfte entwickeln. 

Es wird daher für unsern Zweck vornehmlich Frankreich 
ins Auge zu fassen sein. 

Die Nation und das Empire, Willig hatte die erschöpfte 
Nation sich der Führung desjenigen anvertraut, der sie führen zu 
wollen versprach und eine ungeheure Fülle an Macht in seiner 
Hand vereint. Ein Meisterwerk der Centralisation war der Neu- 
bau des französischen Staates geworden und diese Centralisation 
bis zum Äußersten für seine Zwecke zu gebrauchen, war das 
Haupt dieses Staates gewillt. Mit bemerkenswerter Kürze gehen 
die Memoiren seiner Paladine über eine Zeit hinweg, in welcher 
lediglich ein einziger, höchster Wille gegolten. Schon vor Austerlitz 
weiß der Kaiser, sobald ihm dies angemessen erscheint, die 
legalen Formen ungescheut zu verletzen.*) In seiner Person ver- 
einigt er alle Befugnis an Macht, übt dieselbe ohne Unterlass und 
gedenkt sie, selbst was die Details betrifft, auch im Felde weiter- 

*) Thiers VI, 42; Bewilligung des Recrutencontingents durch den Senat mit Über- 
gehung des Corps lägislatlf. 

1 • 



Digitized by VjOOQIC 



- 4 — 

zuüben.*) Wo er seinem Zweck zu dienen glaubt, gebraucht er 
seine Macht ohne irgendwelche Scrupel und rücksichtslos. 

Die Staatsmaschine war jung und functionierte bislang ohne 
Klage; der einzige schwarze Punkt war die finanzielle Verlegen- 
heit des Jahres XIII (Sept. 1804 bis Sept. 1805) mit seinem 
Deficit von 80 Millionen und dem Mangel an haaren Zahlmitteln 
gewesen ; Napoleon hatte indessen schon im September 1 805 
durch Einziehung der dem Senat und der Ehrenlegion gehörigen 
Nationalgüter der wirtschaftlichen Krise vorgebeugt. Dann war 
Austerlitz gefolgt und nicht so sehr die mäßige Kriegscontribution 
Österreichs, sondern der moralische Erfolg hatten den Staats- 
credit erheblich gehoben. Und wohl muss billig bemerkt werden, 
dass finanzielle Verlegenheiten an sich den, der zum Kriege ent- 
schlossen ist, wohl nicht oft von demselben abhalten werden : 
zum Kampfe findet ein Staat verhältnismäßig unschwer die Mittel ; 
und scheint der Glaube an das Gegentheil vielmehr eine jener 
Illusionen zu sein, in denen sich der Optimismus der Beherrschten 
naturgemäß zu wiegen pflegt. 

Das Kaiserreich war nicht der langersehnte Friede; «dies 
war der Nation schon seit Boulogne sehr klar; Paris hatte schon 
im September 1805 dem Kaiser sein Missvergnügen über den 
neuen Krieg unzweifelhaft gezeigt.**) Aber seither war Austerlitz 
gefolgt und vor der Größe des Erreichten verstummte fiirderhin 
der Tadel. Wohl vernehmen wir noch vor Beginn der neuen 
Campagne von der gedrückten Stimmung in Paris***); doch der 
Pariser Meinung konnte füglich unbeachtet bleiben, seit und so- 
lange die Armee außerhalb der Grenzen stand. Der kriegerische 
Genius der Franzosen ist, man sage was man wolle, ein aner- 
kanntes Ding, und begreiflich ist, dass er sich zeigen musste, 
wenn der Krieg stets außer Landes erfolgreich geführt ward. 
Jeder Franzose sah, dass fast nur durch die Armee der Weg 
zu hoher socialer Stellung und materiellem Wohlsein führte; der 
Egoismus des Individuums musste daher den militärischen Geist 
im Individuum wecken. 

•) Corresp. XIII, Nr. 10874; Ordre de Service pendani Vabsence de rEmpereur, 
Saini-Cloud, 24 Septembre 1806. 

•') Thiers, VI, 46. 

*••) Bailleu, II, Urkunde Nr. :<.'J0; Bericht des preußischen Gesandten Marquis v. 
Lucchesini vom 16. Jänner „. . . ses peuples rassasics de gloire lui demandeni du repos et 
de Vaisance ..." 



Digitized by VjOOQIC 



— 5 - 

Das Gesetz vom 19. Fructidor des Jahres VI (1798) war 
die Grundlage der Heeresergänzung unter dem Consulat und 
Kaiserreich geblieben;*) es hatte die Conscription eingeführt, 
welcher jeder Franzose vom 20. bis 25. Lebensjahr unterworfen 
war in gewöhnlichen Zeiten zur Ergänzung des Heeres auf den 
vollen Stand, und daneben die Werbung fortbestehen lassen; 
zugleich wurde bestimmt, dass, wenn das Vaterland in Gefahr 
erklärt würde, jeder Franzose ausnahmslos zum Waffendienst 
verpflichtet sei. Das jährliche Recrutencontingent war nicht genau 
bestimmt; 1805 betrug dasselbe 60.000 Mann**), wovon die 
Hälfte zu den Fahnen eingestellt, der Rest im Verhältnis der 
Reserve belassen werden sollte. Allein schon im September 1805 
hatte der Kaiser das gesammte Contingent des Jahres XIV nebst 
der Ergänzung bis zum I.Jänner 1807 vorweggenommen, sowie 
die Reserx'-en der Jahre IX — XIII zum Dienst herangezogen, und 
die so erhaltenen 80.000 Mann während des Krieges den Depots 
zur Ausbildung überwiesen; für den Herbst 1806 standen ihm 
diese somit als fertige Soldaten zur Verfügung. 

Eine auch nur beiläufig richtige Zahl für die Gesammt- 
streitkräfte des Empire im Jahre 1806 zu geben, ist äußerst 
schwer; die Angaben weichen bedeutend von einander ab, bis zu 
200.000 Mann***) Auch Oberst von Lettow-Vorbeck gibt in 
seinem wahrhaft classisch geschriebenen Werk durchaus keine 
Übersicht der Gesammtstreitkräfte, sondern lediglich eine Ordre 
de bataille der „Großen Armee"; und in der That, wir werden 
auf französischer Seite uns nur mit der mobilen Feldarmee fürs 
Erste zu befassen haben. Indessen liegt am Tage, dass bei einem 
Kampf voraussichtlich so folgenschwerer Art wohl alle Mittel, 
auch die secundären, zu betrachten sind. Ein Blick in des Kaisers 
Correspondenz belehrt uns, in welch umfangreicher Weise für 
die Reichsvertheidigung, dann für den Ersatz der Abgänge in der 
mobilen Feldarmee, endlich für Nebenoperationen vorgesorgt wor- 
den war und welche Mittel neben der Großen Armee noch ver- 
fugbar blieben. An 140.000 Mann standen in Localverwendung, 
dann in den Depots von Boulogne, wo der alte Marschall Brune 



•) Ost. MUit. Ztschrft. 1886; III, 27 ff. 
••) Thiers, VI, 41 ff. 
•••) Thiers, VII, 22 und Hohcnlohe, I, 14. 



Digitized by VjOOQIC 



6 - 



commandierte über König Ludwigs Corps bei Wesel nach Mainz 
zu dem in der Bildung begriffenen VIII. Corps unter Mortier, und 
von da an beginnt die ununterbrochene Reihe von Depots längs 
des Rheines, deren Thätigkeit zu überwachen, sowie im Jahre 
vorher, dem Veteranen Kellermann anvertraut wird. Diese Reihe 
von Depots heißt deutlich genug Reservearmee und es wird 
ihr für allenfallsige Bedrohung der Reichsgrenze von Hannover 
her eine gewisse Actionsfreiheit gewährt; die Organisierung der 
Nationalgarden in den Grenzbezirken wird, wenn auch vorerst 
gleichsam nur als Versuch, befohlen.*) Jenseits der Alpen stan- 
den in den Depots und mobil an 130.000 Mann, unter dem Vice- 
könig von Italien, dem König von Neapel und Marmont, der 
angewiesen wird, sich schon jetzt auf den Kriegsfall Österreich 
gefasst zu machen.**) Alles in allem scheint der Kaiser weit über 
eine halbe Million Mann zu seiner Verfügung gehabt zu haben, 
und der umfassende Blick, mit welchem er seine Mittel vertheilt 
und ordnet, muss wahrhaft Erstaunen erwecken; von Boulogne 
bis Toulon und Zara prüft er die Vertheidigungsföhigkeit der 
Grenzgebiete und Küsten und strenge werden die königlichen 
Brüder angewiesen, mit den die Landesvertheidigung fuhrenden 
Generalen in dauerndem Rapport zu bleiben; der Erzkanzler wird 
aufs genaueste von den Einzelheiten der Reichsvertheidigung 
unterrichtet und ihm tägliche Correspondenz mit König Ludwig 
und Marschall Brune befohlen;***) die Selbstthätigkeit der obersten 
Führer wird, wenn auch nicht ostensibel, doch vernehmlich 
genug, geweckt.f) Fast unerschöpfliche Reserven bieten sich 
dem Kaiser in seinen Depots; und wir haben gesehen, dass er 
auch schon an die Nationalgarden denkt. Ein wahrhaft groß- 
artig vorbereitetes System des successiven Kräftegebrauches, und, 
so unwahrscheinlich dem Kaiser die Möglichkeit erscheint, zu 
seinen Reserven greifen zu müssen, so fasst er auch doch diese 
Möglichkeit vorurtheilslos in's Auge.ff) 

Was nun das eigentliche Werkzeug zum Kriege, die mobile 
Feldarmee, betrifft, so war es die Armee von Austerlitz, und 



•) Instruction pour le ntarechäl Kellermann, Mayence, 30 Sept. 
••) Organisation de l'armee d' Italic, Saini-Ctoud, 23 Sept. 
•*•) An Carobaceres, Mainz, 30. Sept. 

t) An den König von Holland, St. Cloud, 22. Sept. 
tt) An denselben, Mainz, 30. Sept. 



Digitized by VjOOQIC 



— 7 



besser noch als diese.*) Unter denselben Führern , wie ein 
Jahr vorher, standen dieselben Truppen (die Garde in Paris, 
Marmont in Dalmatien sind hievon abzurechnen) seit geraumer 
Zeit in Süddeutschland, und ließen sich's in den Quartieren der 
deutschen Fürsten wohl ergehen. Indem wir die Stärkeangaben, 
Aufstellungsart u. s. w. der Truppen im Capitel der Operationen 
besprechen wollen, so sei vorerst ein Bild der Armee des Kaiser- 
reiches gegeben. 

Die Große Armee, Durch mehrjährige Übung in den Stand- 
lagem des Reiches hatte sich diese Armee einen außerordentlich 
vollkommenen Grad der kriegerischen Mechanik angeeignet;**) 
die Feldzüge von Ulm und Austerlitz hatten den Truppen die 
Überzeugung gegeben von der Vorzüglichkeit dessen, was man 
sie im Frieden gelehrt, was sie geübt und sich angewöhnt hatten. 
Hat sich das Mechanische des Krieges als solches im Kriege 
bewährt, so entsteht sogleich der ungleich kostbarere Nieder- 
schlag hievon in der Seele des Soldaten, das Vertrauen, und 
dieses Vertrauen zu sich und den Führern ist so recht die Stärke 
einer Armee. 

Infanterie. Dieselbe theilt sich in Linien- und leichte Infan- 
terieregimenter von 2 — 3 Bataillonen;***) bei ersteren besteht jedes 
Bataillon aus einer Grenadier-, einer Voltigeur- und acht Füsi- 
liercompagnien, bei letzteren aus einer Carabinier- und neun 
Jägercompagnien. Der Kaiser fasst eine gleichmäßigere Organi- 
sation der Fußtruppen in's Auge,f) dieselbe bleibt jedoch wegen 
der beginnenden Campagne Project. 

Den verschiedenen Typen der Infanterie entspricht deren 
verschiedene Bestimmung. Am Schlachttage werden die Grena- 
diere in Reservecorps vereint, um mittelst eines Massenstoßes 
die Entscheidung zu bewirken; die Voltigeure, körperlich ge- 
wandte Leute, im Aufsprunge auf die Pferdecroupe geübt, haben 
den raschen Bewegungen der Reiterei zu folgen; die leichte 
Infanterie kämpft in zerstreuter Ordnung — es sind die bekann- 
ten, vorbildlich gewordenen Tirailleurs der napoleonischen Armee 
— und strenge wird ihnen aufgetragen, sich in keine großem 



•) Thiers, VI, 416. 

**) Marmont, Denkwtlrdigkeiten, II, 186 ff. 
••*) Ein BataiUon blieb in den Depots. 

t) An General Dejean, St. Cloud, 4. Sept. 



Digitized by VjOOQIC 



- 8 - 

Trupps zu sammeln und aus dem Terrain soweit als möglich 
Vortheiie zu ziehen.*) Die Infanterie der Linie kämpft vor- 
nehmlich in geschlossener Ordnung nach den Bestimmungen des 
alten Reglements von 1791, das nicht allzusehr von den übirgen 
europäischen Reglements, und diese fußten ganz auf den An- 
schauungen der alten Zeit, verschieden ist; nur die Colonne tritt 
uns in denselben häufiger entgegen; die Formationen und Evo- 
lutionen sind oft sehr complicierter Natur und fuglich sträubt sich 
der von dem überkommenen Bilde napoleonischer Stoß- und 
Massentaktik verwirrte Geist, diese Dinge als praktisch durch- 
geführt, anzuerkennen, und doch ist dem zum Theile wirklich so 
gewesen; die Masse der Infanterie focht in geschlossener Ord- 
nung — offlciell und oft thatsächlich — während die Thätigkeit 
der Tirailleurs reglementarisch keineswegs geordnet war und ihr 
Auftreten am Schlachtfelde durchaus nicht immer ein umfassendes, 
großartiges gewesen ist; ihre Rolle wird in den Gefechten analy- 
siert und beurtheilt werden. Indessen bestand ihre Kriegspraktik 
in den Traditionen der Infanterie, sie hatte sich oft schon glän- 
zend bewährt, und das war auch außerhalb Frankreichs bekannt, 
hätte den Gegner füglich anregen können. 

Wir nehmen in dem Wesen der Fußtruppen, dem Nerv 
der Armeen, wie sie Napoleon nennt, als besondere Eigenschaften 
wahr: strenge Scheidung in Classen mit besonderen Bestimmungen; 
offenbare Abstufung der Truppen-Gattungen in Hinsicht ihres 
militärisch-moralischen Wertes, welche stark an die so berühmte 
Eintheilung „Velites, Hastates, Principes, Triarii" des alten Rom 
gemahnt — kurz, das System der Reserve wird auch 
moralisch zum Ausdruck gebracht. Den natürlichen Volks- 
gaben des französischen Geistes ist sehr Rechnung getragen in 
allem, was das Gefecht der Fußtruppen betrifft; verworfen wird 
das Gliederfeuer langer Linien mit Hinsicht auf die Kaltblütigkeit 
der deutschen Soldaten, dagegen den Obersten der Infanterie 
nahegelegt, „ihre Soldaten in dem der Lebhaftigkeit und dem 
Charakter des Franzosen — diesen ihn vor anderen Nationen 
auszeichnenden Eigenschaften — zusagenden Bajonnetangriff ein- 
zuüben**); die Offensive, so wird erklärt, erschließt dem Soldaten 

•) Ost. Milit Ztschrft. 1886, IV, 256. 
••) Ebenda. 



Digitized by VjOOQIC 



— 9 - 

unerschöpfliche Hilfsquellen und gedenkt man eben durch sie die 
Truppen im Kampfe eher zu schonen, als durch gewissenhaftes 
Feuergefecht mit einem zäheren, schwerfalligeren Gegner. Welche 
Philosophie des Krieges! Ohne in die Gemeinplätze jener Ideologen 
zu verfallen, welche Wirkungen des Nationalgefühles für den 
Gefechtszweck unter dem Donner der Kanonen erwarten, wird 
dennoch jene Form gewählt, die dem Soldaten gestattet, seine 
natürlichen im Blute liegenden Gaben, oder vielmehr die Reste 
von ihnen, die er doch immer in den Kampf mitbringen wird, 
frei zur Geltung zu bringen. Das ist wahre Taktik, die mit der 
Seele des Mannes rechnet, mit ihren Impedimenten wie Friedrich» 
mit ihren treibenden Kräften wie der Franzosenkaiser. Am Tage 
liegt, dass diese Taktik vom Nachbar freilich immer nur unvoll- 
kommen nachgeahmt werden kann; er zwänge sich immerhin in 
die Rüstung des Gegners; sie wird ihn, im Beginne zumal, beengen 
und hindern, erfüllt ihren Zweck nicht so ihm, wie sie's jenem 
gethan. Und dies gilt — wie es scheint — für alle Epochen. 

Cavallerie. Man unterschied schwere — Carabiniere und 
Cürassiere — dann leichte Reiterei — Dragoner, Jäger zu Pferd 
Husaren — ; jedes Regiment zählte vier Escadrons (nicht durch- 
wegs). Das Reglement vom Jahre 1788 wurde 1804 durch eine 
Commission hervorragender Reitergenerale unwesentlich modificiert. 
Napoleon hatte auf den ursprünglichen Charakter der Dragoner 
als berittene Fußtruppe hingewiesen und diese Bestimmung wurde 
maßgebend für die Ausbildung dieser Truppe. Trotz der Sorgfalt, 
die auf die ReiterwaflFe verwendet wurde, war sie in ihrem Pferde- 
material, der Wartung der Thiere, dann der Reiterausbildung 
keineswegs auf der wünschenswerten Höhe; wenigstens scheint 
aus den Quellen hervorzugehen, dass sie sich, was das Mechanische 
betrifft, nicht ganz mit der preußischen vergleichen konnte*) und 
die Sorge hierüber klingt, wenn auch verschleiert, aus Napeleons 
Correspondenz**). Aber aus allen Vorschriften über die Ver- 
wendung der Reiterei klingt stets als oberster Grundsatz jene 
rückhaltslose Offensive heraus, die das eigentliche Element dieser 
Waffe bildet: das Princip der Reserven Verwendung wird fort- 
während in Erinnerung gebracht; kurz, man glaubt in einem Re- 

•) V. Lettow-Vorbeck, I, 180. 
*") An Soull, Würzburg, 5. Oct. 



Digitized by VjOOQIC 



- 10 - 

glement unserer Tage zu blättern. Der Unternehmungsgeist, der 
Sinn für kühnes Wagen wird stets und mit Erfolg geweckt und 
diesen Geist hat die Cavallerie der Großen Armee trotz mancher 
innerer Mängel materieller Natur sich zu bewahren gewusst. 

Artillerie. Dieselbe befand sich in einem Übergangsstadium, 
welches erst durch die Reorganisation von 1809 abgeschlossen 
wurde. Der erste Consul war so recht der Schöpfer dieser Waffe, 
aus der er selbst hervorgegangen war; 1803 änderte er das System 
Gribeauval und führte in der Feldartillerie öpfünder (kurze und 
lange), 12pfünder (kurze und lange), 8 und 6zöllige Haubitzen ein. 
Die Kriegsstärke der fahrenden Compagnien verhält sich zu jener 
der reitenden wie 8 : 5 und jede Compagnie bemannt eine Batterie 
von 6 Piecen. Die glorreiche Erinnerung an Castiglione führte 
dahin, dass fortwährend Mittel und Wege gesucht wurden, die 
taktische Verwendbarkeit der Artillerie zu erhöhen; schon 1797 
war sie zur Hauptwaffe erhoben worden und eine Ordonnanz 
von 1805 decretierte ihre Verwendung in Massen. Indessen tritt 
die Artillerie keineswegs in jener Weise auf, wie man es füglich 
erwarten konnte; ihre Auftheilung auf die Corps ist höchst 
ungleichmäßig, wir finden sechs Caliber und veraltete Muster 
vor, endlich scheint nicht einmal eine feststehende Eintheilung in 
Batterien stattgefunden zu haben.*) — 1801 war das Corps des 
Artillerietrains gebildet worden und hatte sich dasselbe gut bewährt. 
Knapp vor Beginn des Feldzuges fehlte ein großer Theil der 
Bespannung beim Artilleriepark, musste dieselbe in aller Eile 
durch Ankauf beschafft und trotzdem die Zahl der mitzunehmen- 
den Fuhrwerke stark reduciert werden. 

An technischen Truppen gab es Pontoniere, die ihr Material 
beim Kriegsausbruch keineswegs vorbereitet zur Hand hatten, 
dann Sappeure und Mineure. 

Manövrieren. Schwierig ist es, was die großen Evolutionen 
der verschiedenen Waffen betrifft, reglementarische Bestimmungen, 
also die eigentliche Basis der Kriegsvorbereitung, nachzuweisen 
und bedenklich erscheint es, das System post festum aus der 
Praxis des Krieges mit kritischer Unverletzlichkeit hervorzuziehen. 
Nicht ganz genau scheint es zu sein, wenn behauptet wird, die 
Form, in welcher gekämpft wurde, sei Napoleon unwesentlich 

*) V. Lcitow- Vorbeck, I, 64. 



Digitized by VjOOQIC 



- u - 

erschienen und er habe sich um sie nicht interessiert*), ebenso- 
wenig kann der Satz bona fide hingenommen werden, die napo- 
leonischen Heere hätten weit öfter durch die auf dem Schlacht- 
felde ausgeführten taktischen Bewegungen und deren Präcision 
als durch die Anlage der großen strategischen Bewegungen 
gesiegt.**) Die Wahrheit wird wohl zwischen den Extremen 
liegen, wie sie es meistens thut; doch wo sie liegt, ist heute mit 
Sicherheit kaum mehr anzugeben. Eine seltsame Zeit, fürwahr, 
und innerer Widersprüche voll! Festzustehen scheint, dass das 
Reglement von 1791 auch für die großen Evolutionen in den 
Grundzügen in Kraft geblieben ist, trotz gelegentlicher Neuein- 
fuhrung officieller Formen, wie die „Instruction concernant les 
maneuvres de V Infanterie, donnee par Vinspecteur gener al de 
V Infanterie de Varmee du Rhin, an VIII. " Allein mit der Praxis 
der Revolutionskriege war denn die Armee doch wohl so vertraut 
geworden, dass man nicht glauben kann, die Generale hätten für 
die großen Manöver vornehmlich aus den officiellen Reglements 
ihre Weisungen geschöpft. Die Tirailleurs wurden sicherlich genug 
geübt, und dennoch ist es bekannt, dass für sie keine geschriebene 
Theorie bestand. Und so wird wohl auch das Reglement von 
1 79 1 auf dem Manöverfelde selbst praktisch erheblich abgeändert 
wordensein. Voneinigen grundsätzlichenDirectivenseien die folgen- 
den genannt : Die Bewegungen mehrerer Bataillone haben nach 
den Bestimmungen für ein Bataillon zu geschehen ; die Bewe- 
gungen in der Colonne bilden den wesentlichsten Theil der Kriegs- 
taktik ; da die ganze Kriegstaktik auf dem Wissen und Können 
beruht, die Truppen mit Schnelligkeit in Colonnen zu brechen und 
in entwickelter Linie marschieren zu lassen, so beschränkt man 
sich darauf, den einfachen Mechanismus dieser Evolution festzu- 
stellen. Der Cavallerie wird für die Attaque das Überflügeln 
und Umfassen mittelst ihrer Reserven eingeschärft. Von den 
Artillerieofficieren wird verlangt, sie sollen das Wesen der Infanterie- 
und Cavalleriemanöver völlig innehaben und schon aus den allge- 
meinen Dispositionen des befehligenden Generals sogleich die für die 
Geschütze günstigste Stellung erkennen. Man sieht, die Vorschriften 
haben stets den Kriegszweck im Auge und alle zielen sie auf 



•) V. Lettow- Vorbeck. I, 83. 
••) Ost Milit Ztschrft. 1886, III, 2. 



Digitized by VjOOQIC 



— 12 - 

das, was man den Ernstfall zu nennen pflegt. Anerkannt ^vird, 
dass die im Abgeben was immer für eines Feuers bestgedrillte 
Infanterie deswegen allein für den Krieg noch nicht die beste ist, 
und es wird an das Bajonnet (trotz der Schwierigkeit seines Ge- 
brauches in drei Gliedern) appelliert ; gelehrt wird, die Schlachten - 
taktik umfasse zwei Combinationen : einheitliche Verwendung der 
verbundenen Waffen ; zweckmäßigste Formationsart der ins 
Gefecht zu führenden Truppen ; letztere muss innerhalb gewisser 
Grenzen normiert sein. Die Normalgefechtsform der Infanterie- 
division ist die flügel weise Aufstellung in zwei gleichstarken 
Treffen, das erste in entwickelter, das zweite in Colonnenlinie: 
sämmtliche leichten Truppen des ersten Treffens befinden sich 
ungefähr 200 Schritte vor der Front als Tirailleurs; die normale 
Gliederung ist: 

Tirailleurlinie 14 Comp. 

1. Treffen 22 „ 

2. Treffen 30 „ 

Grenadierreserve 12 „ 

es konnten jedoch die Tirailleurs nach Bedarf vermehrt werden. 
Die Cavallerie stand hinter den Brigaden (je eine Escadron), die 
Geschütze stets auf den Flügeln. Im Angriff formirt sich die Di- 
vision in Bataillonscolonnen, die des zweiten Treffens 300 Schritte 
hinter jenen des ersten, auf die Intervalle derselben gedeckt; das 
wichtigste im Angriffe ist und bleibt Terraingewinn, denn das 
Tirailleurgefecht an sich kann nie zu einem Resultate 
führen. 

Die Reiterdivision von fünf Regimentern hat folgende Auf- 
stellung: zwei Regimenter in entwickelter Linie, drei unmittelbar 
anschließend in Colonne; zwischen den Abtheilungen bleiben 
mindestens halbe Entwicklungsintervalle. Die Corpscavallerie ist 
für den eigentlichen Kampf nur von secundärer Bedeutung; die 
Masse der Reiterei ist in eine Reserve vereint und wird die Art 
ihrer Verwendung später besprochen werden. 

Wohl war die Scheidung der Artillerie in Divisions- und 
Reservegeschütze normiert, und galten für die Verwendung der 
Waffe die Grundsätze: Massengebrauch, Zurückhalten eines Theiles 
der Geschütze außer dem Feuerbereich bis zum entscheidenden 
Moment ; concentrische Wirkung auf die Einbruchsstelle, Deckung 



Digitized by VjOOQIC 



- 13 ~ 

der Geschütze durch Tirailleurs, officiell und theoretisch ; dennoch 
sehen wir vorerst von alledem sehr wenig. Die taktische Ver- 
wendung der Artillerie war, sowie ihre Organisation, noch nicht 
ganz durchgebildet und geübt, wie jene der Schwesterwaffen, und 
erst bei Eylau wieder spielt sie eine entscheidende Rolle. 

Es klingt aus allen Weisungen über das Manövrieren 
größerer Truppenkörper der Appell an die Selbstthätigkeit der 
Führer vernehmlich heraus; wohl wird gelegentlich aufs Regle- 
ment gewiesen, aber stets schlägt die Absicht auf richtiges Er- 
kennen des Gefechtsbedürfnisses und angemessenes Disponieren 
innerhalb weitester Grenzen vor. Noch viel mehr gilt dies für 
die Manöver der verbundenen Waffen, für die es Normen durch- 
aus nicht gab. Es müsse überhaupt dem Genie der höheren 
Führer überlassen bleiben, die großen Manöver der vereinigten 
Waffen nach eigenem Ermessen zweckmäßig zu leiten.*) 

Thätigkeit der Commandanteh, Wir übergehen hier die 
reglementarischen Weisungen über Ertheilen und Abnehmen des 
Commandos, die Technik der Befehlsgebung u. s. w., um einige 
besondere Züge anzuführen. Ein Hauptgewicht wird auf rasches 
Formieren aller Truppentheile durch ihre Führer gelegt; verant- 
wortlich ist der Capitän, dass die Compagnie, der Bataillonschef, 
dass das Bataillon, der Brigadier, dass die Brigade in je fünf Mi- 
nuten, der letzte Truppenkörper somit in einer Viertelstunde vom 
ersten Trommelstreiche an ralliiert sei. Genaue Kenntnis der unter- 
stehenden Mannschaften, besonders der Officiere, dann der Pferde 
in Hinsicht des Alters, der Eigenschaften, des Charakters, wird den 
Führern aller Grade zur strengen Pflicht gemacht. Es wird ver- 
langt, dass man den Einfluss des Führers auf seine Truppe stets 
und ganz wahrzunehmen in der Lage sei. Für das Gefecht selbst 
werden minutiöse Meldevorschriften erlassen und der Instanzenzug 
peinlich vorgeschrieben ; stets hat der Führer seine Untergebenen 
von dem Zwecke, der erreicht werden soll, zu unterrichten; stets 
bleibt ein Commandant bei seiner Truppe ; er muss sein fort- 
währendes Interesse für den gemeinen Mann nicht allein bethätigen, 
sondern es vielmehr zur allgemeinen Erbauung ostentativ zur 
Schau zu tragen wissen, indem er mit seinen Leuten am Marsch, 
im Lager, persönlich und leutselig verkehrt. 

•) ösL Milit. Ztschrft 1886, III, 49. 



Digitized by VjOOQIC 



- 14 - 

Gefechtspsychologie. Hierin, und es wurde über dieses 
Thema, wie es scheint, mit den Commandanten förmlich Schule 
abgehalten, beruht so recht, was man als Überlegenheit eines 
Heeres zu bezeichnen pflegt. Sehen wir uns diese officielle 
Psychologie etwas genauer an. Es wurde bereits darauf hin- 
gewiesen, wie die Elementartaktik und die Vorschriften für das 
Gefecht darauf berechnet waren, die dem französischen Soldaten 
innewohnenden natürlichen Gaben thätlich zu verwerten; wahr- 
haftig, man darf mit Fug und Recht die Colonnen und Tirailleurs 
eine nationale Taktik nennen, wenn auch mit dem stillen Vor- 
behalt, dass nicht das National bewusstsein, sondern die 
unbewussten Merkzeichen der Nationalität als Hilfen heran- 
gezogen werden; so enthusiastisch und naiv ist der Corse nicht 
gewesen, dass er das Nationalbewusstsein als Motor im Kampfe 
für den Kampf betrachtet, oder gar auf dasselbe gerechnet hätte. 
Aber die Eigenthümlichkeiten des Stammes weiß er in dem Kunst- 
product militärischer Erziehung wohl zu verwerten. Vor der 
Action lässt er die Truppen durch ihre Führer haranguiren, wo- 
bei der Appell an die Ideale von Patriotismus, Dynastentreue u. s. w. 
sehr gegen kurze Angabe dessen, was erreicht werden soll und 
das Deutlichmachen der Art, wie dies mit größtmöglichster 
Schonung der Truppen zu vereinen sei, zurückzutreten pflegt. 
Nicht dumpfe Resignation zu seinem möglichen Schicksal wird 
vom Manne verlangt, vielmehr ihm die zu lösende Aufgabe als 
leicht, wenig gefährlich, oft in humoristischer Weise erklärt, 
wenngleich auch sehr darauf hingewiesen wird, man dürfe hierin 
durchaus nicht so weit gehen, dass der Soldat beim ersten 
ernsten Widerstand des Gegners sich von seinen Führern düpiert 
glauben kann. Stets sollen die Truppen durch Aussicht auf den 
Frieden als Preis des Kampfes, auf Belohnung und materiellen 
Gewinn angefeuert werden. Zum Manne wird in jenen 
Zungen geredet, die er verstehen kann; aber keines- 
wegs wird der Wert der Harangue überschätzt, vielmehr nur 
als zierender Flitter betrachtet. Obwohl das Sanitäts- und Ambu- 
lanzwesen jener Zeit nach unseren heutigen humanen Begriffen 
ein ganz unzulängliches war, so wird doch als Grundsatz auf- 
gestellt, dem Manne sei die feste Überzeugung beizubringen, dass 
ihm im Falle der Verwundung alle erdenkliche Hilfe und die 



Digitized by VjOOQIC 



— 15 — 

größte Sorgfalt zu Theii werde; die Todten sind so rasch als 
möglich aus der Sicht der Truppen zu entfemerr, über die Ge- 
bliebenen viel Worte zu verlieren, soll nicht üblich sein, als 
nicht am Platze gelten*); während des Kampfes haben die 
Musiken kriegerische Weisen zu spielen; wenn die Gefechts- 
lage dies gestattet, so wird Wein oder Branntwein an die Truppen 
zu vertheilen sein. Für ihre Adler wusste Napoleon seine Truppen 
geradezu zu fanatisieren — insoweit dieses Wort der nüchternen 
Kühle des menschlichen Herzens in Nützlichkeitsfragen ange- 
messen ist — sie hielten thatsächlich große Stücke auf ihre Feld- 
zeichen und anzunehmen ist, dass bei drohendem Verlust eines 
solchen im Gefechte, die bösen Folgen hievon auf die Bravour 
der Truppen immerhin stimulierend rückgewirkt haben mögen**). 
Als Regel gilt, dass die Mannschaften vor der Action stets 
abzuessen haben und darf diese Norm nur bei offenbarer Un- 
möglichkeit , ihr nachzukommen , übergangen werden. Wir 
sehen in allem, was das Gefecht betrifft, jene tiefe seelische Be- 
rechnung liegen, welche, mit den Schwächen der menschlichen 
Natur rechnend, dieselbe eben bei diesen Schwächen packt, um 
sie auf Umwegen dem gewünschten Zwecke zuzuzwingen. Nicht 
soll hier eine Lanze gebrochen werden, blind und enthusiastisch 
für ein psychologisches System, wie es in der Gefechtsroutine 
napoleonischer Armeen aus jener Zeit zu Tage tritt: als ob das- 
selbe immer und ewig am Platze, überall durchführbar sei. Aber 
der Vergleich mit den Gegnern jener Zeit wird die skizzierten 
Elemente der Überlegenheit plastisch erscheinen lassen. Die dem 
kritischen Verstände trotz allem oft unglaublich erscheinende 
Hingebung der Soldaten des Empire floss, wie wir bis nunzu 
sahen, aus sehr materiellem, greifbarem Ursprünge her. 

Märsche und Lager, Während der strategische Charakter 
der napoleonischen Märsche noch lange nicht völlig gewürdigt 
erscheint, weiß man doch, dass er den Mechanismus derselben 
bis zur erreichbaren Grenze des Möglichen ausgebildet hatte. Es 
gibt Reise- und Kriegsmärsche, letztere können zu Gewaltmärschen 
werden. Gewöhnlich findet man zwei Corps auf einer Straße 
mit einem halben Tagmarsch Abstand instradiert; das heute 

•) Neue milit. Blätter, XXXIX, 372. 
••> General Thoumas, causeries miliiaires, I, 176 ff» 



Digitized by VjOOQIC 



- 16 - 

typische Echiquier, das allen Anfängern in der Strategie als 
Norm größerer Heeresbewegungen gelehrt zu werden pflegt, 
findet sich bereits im Feldzuge von Ulm in seiner Ur- und voll- 
kommensten Form. Als oberste Regel galt für Kriegsnnärsche 
stete Gefechtsbereitschaft und Schlagfertigkeit, weshalb allen 
Commandanten auf das strengste verboten wird, sich auch nur 
vorübergehend von den Truppen zu entfernen: bei denselben hat 
die größte Ordnung zu herrschen, die Gewehre dürfen nicht ge- 
laden sein, die Arrestanten marschieren vereint, und sind äußer- 
lich ostentativ kenntlich gemacht. An der Spitze der Tnippen- 
säule besorgen stets Officiere des Generalstabes die Führung. 
Die Marschlängen sind für Kriegsmärsche 25 — 30 Km., für 
Gewaltmärsche 50—60 Km. Das Marschtempo 3 — 4 Km. bei der 
Infanterie, 4*8 — 5 Km. bei der Cavallerie, Rasten eingerechnet: 
diese wurden bei Kriegsmärschen alle zwei, bei Gewaltmärschen 
alle vier Stunden im Ausmaß von je einer halben Stunde ge- 
währt. In Wirklichkeit wurden diese Normen oft bedeutend über- 
schritten: so war die Armee 1805 von den Küsten des Oceans 
bis Brunn in 78 Tagen marschirt, hatte täglich im Mittel 21 Km. 
zurückgelegt und eine ganze Reihe von Schlachten und Treffen 
dabei geliefert; indess kommen noch weit höhere Leistungen 
einzelner Truppenkörper gelegentlich vor. Wir erwähnen diese 
Daten in Absicht des Vergleiches mit der preußischen Armee. 
Es wurde grundsätzlich gelagert und der Lagerdienst war durch 
strenge Vorschriften geregelt. Die Aufstellung der Truppenkörper 
erfolgt nach ihren Dienstnummern, um Eifersüchteleien wegen 
des Ehrenplatzes hintanzuhalten. Die leichte Infanterie hat stets 
den Umkreis des Lagers zu sichern; alle Commandanten bivakieren 
mit der Truppe; Cavallerie und Artillerie sind, soweit es angeht, 
in Quartiere zu verlegen. Täglich um vier Uhr morgens machen 
sich die Truppen marschbereit, werden visitiert (Appell) und 
rücken, falls nicht marschiert wird, sodann in ihren Lagerbereich 
ab; die Fassungen sind durch besondere Commandos zu be- 
wirken u. s. w. 

Verpflegung, Train, Etapen. Die Art der Verpflegung war 
eine wohldurchdachte Verbindung der lebensfähigen Formen des 
alten Magazins- mit dem modernen Requisitionssystem und deckt 
sich in allem wesentlichen mit dem, was heute gang und gäbe 



Digitized by VjOOQIC 



— 17 — 

ist. So lange es angeht, lebt die Armee vom Lande, wobei stets 
auf Ordnung in den Beitreibungen, gleichmäßige Vertheilung der 
Lasten auf die Bevölkerung, thunlichste Schonung des Einzelnen,"^) 
sowie ausnahmslose Abgabe von Bons für die gefassten Artikel 
gedrungen wird. Es war somit das Requisitionssystem keines- 
wegs als Raubsystem gedacht, und zwar aus Gründen der Politik 
gerade auf dem Operationstheater von 1806 durchaus auf keinen 
Fall, wenn auch in Wirklichkeit mancher Missbrauch getrieben 
worden sein mag. Im Allgemeinen galt als Norm, dass die 
operierenden Truppen ihre Mittel zum Unterhalte aus dem Lande 
zu ziehen haben; am Tage liegt, dass diese Art der Verpflegung 
in nianchen Verhältnissen (Zusammenschieben der strategischen 
Front, rasche und plötzliche Bewegungen u. dgl.) nicht glattweg 
durchzuführen sein werde und daher hat jedem Armeecorps eine 
mäßige Proviantcolonne zu folgen, welche leicht transportables 
und dauerhaftes Brod, ebensolche Gemüse, wie Reis, dann Schlacht- 
vieh fuhrt, aus dem Lande gefüllt wird (in der Regel) und für 
deren Vorhandensein und Dotierung die Corpscommandanten zu 
sorgen haben werden; sowie für das Vorhandensein von vier 
eisernen Portionen beim Manne und vier weiteren auf den Wagen. 
Indess hat es damit sein Bewenden nicht; es sind Magazine zu 
errichten an Punkten, die jeweilig vom Generalstabe bekannt ge- 
geben werden (es sollten womöglich sturmfreie Städte sein) und 
aus dem Lande unter Heranziehung von Landesfuhren zu füllen; 
sie dienen den durchziehenden Truppen sowohl, als auch ge- 
legentlich den Proviantcolonnen zur Ergänzung ihrer Bedürfnisse, 
dürfen aber stets nur dann angegriffen werden, wenn diese Be- 
dürfnisse direct vom Lande nicht zu beschaffen sind. In den 
Depotplätzen werden Feldbäckereien oft in wenig Stunden activiert 
und verarbeiten ganz gewaltige Mengen von Mehl. Alle Vor- 
theile des Requisitionssystems ohne dessen Mängel — Zer- 
splitterung der Truppen, Hemmung der Bewegungen — sind in 
diesem System mit den brauchbaren Elementen der Magazins- 
verpflegung vereint,**) und es hat dieser Mechanismus trotz 
geringfügiger Stockungen im großen Ganzen zweckentsprechend 
functioniert. Heute sind wir mit diesen Einrichtungen vertraut 



♦> Foucart, 1,311. 

•*) W. Rüstow, Fcldherrnkunst des XIX. Jahrhunderts, I, 248. 
C. von B.-K. Zur Psychologie des großen Krieges II. 



Digitized by VjOOQIC 



— 18 - 

und sie des breiten darzulegen, würde ermüdend sein. Zu jener 
Zeit waren sie neu und es wird sich der Contrast mit dem, was 
wir beim Gegner kennen lernen werden, als höchst auffallenc 
erweisen. 

Das Fuhrwesen der Armee wurde durch eine Privatunter- 
nehmung, die Compagnie Breidt, versehen; bedeutende Mängel lasser 
sich dabei keineswegs verkennen: Die Compagnie hat fast stets 
ein den militärischen Zwecken entgegenstehendes Interesse, mach: 
Geschäfte mit den höheren Officieren,*) Zahl und Beschaffenheit 
des Materials erweisen sich als unzulänglich**) und muss et 
zur Unzukömmlichkeit der Landesfuhren Zuflucht genommen 
werden. Es schreitet daher der Kaiser in der That im März 1807 
zur Bildung der Traintruppe. Indessen sind während der erster. 
Zeit des Feldzuges die angezogenen Mängel in den reichen 
Gegenden Deutschlands nicht störend oder hemmend hervor- 
getreten. 

Die Etapenlinien sind genau und meist vom Kaiser selbst. 
je nach der Kriegslage bestimmt; er weiß dieselben rasch nach 
Bedarf zu verlegen und hat ein wachsames Auge darauf, dass 
sie womöglich solche Plätze berühren, die sturmfrei sind; woher 
denn kommt, dass die Länge der einzelnen Etapen eine sehr 
ungleiche ist. 

Bewaffnung und Bekleidung, Die Infanterie besaß das ver- 
besserte Gewehr M. 1787; dessen ausgiebigste Wirkung reichte 
bis 136 m und hielten die Läufe 25.000 Schüsse aus; die Kriegs- 
taschenmunition betrug 50 Patronen, daneben wurden 30 per 
Mann in den Caissons geführt; das Ausmaß an Übungsmunition 
war ein äußerst reichliches. Die Cavallerie hatte Säbel, Drago- 
nergewehr und Pistole, die Cürassiere nur Pallasch und Pistolen: 
die Artillerie war mit dem Dragonergewehr sammt verlängerten 
Bajonnet versehen u. s. w. 

So mangelhaft nun auch die Feuerwaffen als solche waren, 
so waren sie doch die besten in Europa zur damaligen Zeit***' 
und ihre Überiegenheit über jene der Preußen steht außer allem 
Zweifel. 



•) Der Kaiser an Berthier, St. Cloud, 10. Sept. 
") An General Dejean, Osterode, 6. März 1807. 
•••) Ost. milit. Ztschrft., 1886, III, 45. 



Digitized by VjOOQIC 



— 19 — 

Auch in Bezug auf die Bekleidung zeigt sich ein großer 
Unterschied zu Gunsten der Franzosen; drei Paar Schuhe trägt 
der Soldat mit sich, ein viertes soll ihm baldigst nachgesendet 
werden; mit Mänteln sind die Truppen wohl versehen und ihre 
Uniformen überhaupt in einem so guten Zustand, dass es keinem 
Manne einfallt, nach den in der Heimat bereitliegenden neuen 
Montierungsstücken zu fragen.*) 

Abgesehen von einzelnen kleinen Mängeln, die sich aus 
den Quellen nachweisen lassen, Mängeln, wie sie bei jeder Armee 
unvermeidlich sind, kann angenommen werden, dass der fran- 
zösische Soldat mit dieser Art von Bedürfnissen wohl aus- 
gerüstet war. 

Magen und Seele, Es galt dem obersten Kriegsherrn als 
Grundsatz, dass seine Soldaten so gut, als nur immer möglich, 
zu verpflegen seien. Vor Kurzem erst hatte er für die Ver- 
besserung der Mannschaftskost gesorgt**) und in der That führte 
die Große Armee in den deutschen Quartieren ein sehr behag- 
liches Leben, das, entgegen der verbreiteten Anschauung von 
willkürlicher Bedrückung der Bewohner, Erpressungen an den- 
selben u. s. w., durch eine Reihe von fallweisen Bestimmungen 
gewährt worden war. Der große Menschenkenner wusste eben 
sehr genau, dass der Magen jene Werkstatt ist, in der das Feuer 
kriegerischer Tugend, wo nicht erzeugt, so doch erhalten wird; 
und wenn er sich im Siege befindet, dann allerdings zieht er 
alle Mittel des Besiegten zum Besten seiner Truppen rücksichts- 
los heran,***) um dem Manne die praktischen Früchte des Sieges 
im Ruhme des Sieges zu bieten. Aber hinweggehend über solche 
greifbare Belohnungen exceptioneller Natur, wird für das leibliche 
Wohl des Mannes immer und überall sehr gut gesorgt; der Sold 
war hoch für jene Zeit, 244*80 Francs dem Infanteristen, 292 
dem Reiter pro Jahr, und wenn auch derselbe den Truppen nicht 
voll ausgehändigt wurde, so wussten sie wohl, dass sie im 
Augenblicke des Friedensschlusses relativ bedeutende Ersparnisse 
zu empfangen haben würden. f) 



*) Thiers, VI, 417, ff. 
••) Decret vom 12. März 1806. 
") An Daru, Berlin, 28. Oct. 1806. 
t) Thiers, VI, 416, 



Digitized by VjOOQIC 



- 20 - 

Disciplin, Nur allzu häufig wird der Missgriff begangen, bei 
Prüfung dieser militärischen Potenz verschiedener Armeen die- 
selben im Urtheile über einen Kamm zu scheeren; man findet 
in den Quellen Haarsträubendes über die Indisciplin der fran- 
zösischen Soldaten während der Campagne neben bedeutsamen 
Blicken auf die scharfe Zucht preußischer Bataillone. Offenbar 
wird hier mit einem Maß gemessen, das, unterschiedslos angelegte 
ganz falsche Resultate gibt. Zu erkennen ist, dass die dem 
Deutschen geläufige Strammheit, ja Steifheit im militärischen 
Exterieur vom Franzosen nicht verfangt wird, weil man sie kaum 
erreichen würde; dann erscheint bei dem lebhaften Charakter des 
Franzosen manches Detail im dienstlichen Verkehr als Indisciplin, 
während es doch nur der äußere Reflex einer gewissen Un- 
gebundenheit ist, wie sie der Krieg erzeugt, und die man nicht 
vermeiden kann; ließ sich doch der Kaiser selbst ein treffendes 
Witzwort, eine schlagfertige Replik von Seite subalterner OfHciere, 
ja gemeiner Leute, dann, wenn sie wohl angebracht erschienen, 
gelegentlich gefallen. Manches wird in einem Kriegsheer ruhig 
hingenommen, was in einem Friedensheer für strafbar angesehen 
wird; und ein Kriegsheer war die Große Armee : Sie kam von 
Austerlitz. Wohl hatte sie seit Boulogne an Strammheit verloren, 
indessen ersetzte sie dies durch den unvergleichlichen Geist,*) 
jenen Geist des französischen Soldaten, der, so lange die Dinge 
leidlich gehen, in einer glücklichen Sorglosigkeit, einem unbe- 
kümmerten Vertrauen culminiert. Was die von den betroffenen 
Einwohnern erhobenen Klagen über Excesse anbetrifft,**) so ist 
wohl zu beachten, dass Disciplin im Kampfe und solche im 
Quartier zweierlei Dinge sind und in gewissem Sinne 
nichts mit einander gemein, noch zu schaffen 
haben; der gallische Geist der Offensive, am Schlachtfeld ein 
mächtiges Mittel zum Sieg, schlägt in der Langeweile des Quartiers 
naturgemäß über die Stränge. Ein gewisser Muthwille ist keine 
schlechte Soldateneigenschafl. Und dennoch, wir finden mehr als 
einen Beweis, wie scharf die Disciplin gehandhabt wurde; Plünde- 
rung wird mit dem Tode bedroht, die schärfsten Strafen treffen 
Marodeure. Sicher ist, dass das, was der französischen Armee 



•) Thicrs, VII, 35. 
'*) V. Lettow- Vorbeck, I, 75, Fußnote. 



Digitized by VjOOQIC 



— 21 - 

an militärischer Disciplin fehlte, weit aufgewogen wurde durch 
ihre Kriegsdisciplin. 

Eigenart des Heeres, So skeptisch auch die kühle Erwägung 
in seelischen Dingen jenen Begriffen gegenüberstehen muss, die 
sich hinter den Schlagworten von Nationalgefühl, kriegerischem 
Enthusiasmus u. s. w. wohlweislich verbergen, sobald diese 
Begriffe als Potenzen für den Kampf ausgegeben werden, so ist 
gleichwohl nicht zu verkennen, dass eben jene Potenzen in der 
Armee des Kaiserreiches in hohem Grade vorhanden waren — 
geweckt allerdings durch sehr praktische Gründe — und dass 
starke Reste hievon aufs Schlachtfeld vom Quartier und dem 
Marsche gelangten, wird zuzugeben sein. Der Ehrgeiz war durch 
Aussicht auf Beförderung zum Offleier, ja höher hinauf, geweckt, 
wenngleich oder vielmehr gerade weil das letzte Ziel dieses Ehr- 
geizes bei der großen Mehrzahl mit epicuräischen Zielen sich 
deckte. Durch Schaffung eines Schatzes für die Armee*) aus den 
Kriegscontributionen und dem Erlöse des erbeuteten Materials 
wies der oberste Kriegsherr die Utilitarier seiner Armee auf greif- 
bare Resultate ihrer Anstrengung hin. Man muss sich diese Armee 
vor's geistige Auge führen, wie sie, im Begriffe die Heimat zu 
gewinnen, wo ihr herriiche Feste, klingende Belohnung und ma- 
terielles Wohlsein winken, angerufen wird, noch eine letzte An- 
strenguug für erhöhte Siegespreise zu thun; nicht der Kaiser 
schickt sie recht eigentlich in den erneuerten Kampf, sondern der 
böse Nachbar isfs, der die Abwehr unvermeidlich macht.**) So 
rasch als möglich soll Friede gemacht werden, wann dies geschieht, 
hängt wesentlich vom Verhalten der Truppen ab. Wohl muss 
wieder zugegeben werden, dass die Wirkungen von Enthu- 
siasmus sowohl als Berechnung dem Manne mit dem Pfeifen 
der ersten Kugel zumeist verloren gehen; doch bleiben 
ihm immerhin Reste davon, über die der Gegner nicht 
verfügen wird; tritt ein gewisser activer Fatalismus — das 
gallische Erbtheil des französischen Soldaten — hinzu, so ist 
alles da, was an moralischen Potenzen nur immer verlangt werden 
kann gegen einen Feind, wie der Feind jener Zeit es war. 



•) Thiers, VI, 386. 
'•) Proclamatioii, quartier Imperial Bamberg, 6 Od. lROf>. 



Digitized by VjOOQIC 



— 22 — 

Wer verkennt hier den Soldatengeist, den wahren moralischen. 
physischen und politischen Wert einer solchen Armee?*) 

Organisation im Großen, Die Eintheilung in Divisionen der 
Reiterei und Infanterie war ein Product der Revolution und von 
Bonaparte im wesentlichen beibehalten worden; das Wesen der 
Armeedivision ist allgemein bekannt; dazumal jedoch war die Er- 
scheinung neu und erschien eigenthümlich fremd. Der Mitwelt 
fehlt zumeist das kritische Auge, das, in der Epoche lebend, den 
Wert oder Unwert der Mittel eben dieser Epoche durch freie Be- 
trachtung mühelos erkennt; hier muss die Erfahrung, die bittere 
Erfahrung selber sprechen und ihr weicht die menschliche Natur 
solange als möglich aus. 

Die Infanteriedivision bestand normal aus 6 — 12 Bataillonen 
im Brigadeverband, 6 — 9 Escadrons und 8 — 12 Geschützen; 
die Reiterdivision aus 12 — 18 Escadrons und 3 Geschützen: 
es schwanken somit die Stärkeverhältnisse der Divisionen sehr. 

Auch die Armeecorps, Napoleons eigentlichste Erfindung, 
sind sehr verschieden organisiert; man findet zwei, drei, vier 
Divisionen in einem solchen vereint. Bemerkenswert ist, dass die 
Stärke eines Corps nach dem Geschicke des befehligenden Ge- 
nerals bemessen worden ist.**) 

Die große Masse der Reiterei wurde in eine Reserve ver- 
eint, deren Commando ein- für allemal dem Großherzog von 
Berg verblieb; die Cürassiere bildeten die Schlachtreserve, die 
Dragoner waren vornehmlich zum Aufklärungsdienste bestimmt. 
Man sieht, dass die große Reiterreserve keine eigentliche strategische 
Einheit war. 

Sowie die den Divisionen und Corps nicht beigegeber.e 
Cavallerie einheitlich geführt wurde, so gab es auch einen großen 
Artilleriepark für die Armee, der jedoch mit Geschützen sehr 
dürftig ausgestattet war. Auf fast zweihundert sonstige Fahrzeuge 
(Munitionskarren u. dgl.) kommen nur 24 complete Geschütze, 
der Park folgt IV2 — 2 Tagemärsche hinter dem Hauptquartier 
und kann somit nur Ersatz- nicht taktischen Zwecken gedient 
haben. 



-) Mitth. d. Kriegs- Arch. 1881, 185 ff. Mayer v. Heldensfeld in seiner gleich nach d«,T 
Ereignissen geschriebenen meisterhaften Denkschrift. 
••) Rüstow, I, 237 



Digitized by VjOOQIC 



— 23 — 

Die Garde wurde als einheitliches Corps nicht verwendet; 
Infanterie und Cavallerie derselben sind ganz getrennte Heeres- 
körper unter zwei von einander unabhängigen Marschällen und 
treffen zu verschiedenen Zeiten bei der Armee im Felde ein. 

Generalstab und Adjutanten, Der napoleonische Generalstab 
ist vorbildlich geworden für die Generalstäbe der heutigen Zeit. 
Wir finden damals schon zwei Hauptabtheilungen unter einer 
Centralstelle bestehen :*) die administrative und die taktisch-strate- 
gische Abtheilung, Bureau- und operativer Dienst; und decken 
sich die bezüglichen Functionen fast völlig mit dem, was heute 
üblich ist. An der Spitze des großen Generalstabes steht der 
Major-General, an der eines Corpsstabes der r/r^/^V/a/wo/or, die 
Oflficiere des Generalstabes waren besonders fürgewählt und es 
konnte keiner avancieren, so lange er nicht zwei Jahre bei 
seiner Waffe Truppendienst gethan ;**) ja der Kaiser hob den 
Grad des Bataillonschefs im Generalstabe auf, damit ja kein 
Hauptmann durch Verbleiben in demselben Oberst werden könne; 
der stete Contact und Rapport mit der Truppe wird vom Gene- 
ralstabsoflficier verlangt ; im Felde werden sie auf bestimmte Zeit 
zu den Avantgarden commandiert, auf dass sie der Eigenschaften 
eines erfahrenen Frontofficiers durch die Specialverwendung nicht 
verlustig würden. Man sieht, Napoleon hält sehr darauf, dass 
der Generalstab nicht eine exclusive Kaste werde. 

Die fortwährende Verbindung der Corps untereinander und 
mit dem großen Hauptquartier, der ununterbrochene Rapport 
zwischen den führenden Stellen, war als Grundsatz anerkannt. 
So sehen wir von jedem Corpsstabe beständig einen Officier im 
Hauptquartiere commandiert, welcher den officieilen Verkehr der 
ersten und der zweiten Stelle ofTiciös zu completieren, vertraulich 
zu vermitteln hatte. Ein großes Gewicht legt der Kaiser darauf, 
dass eine möglichst ansehnliche Zahl von Adjutanten bei den 
einzelnen Generalen vorhanden sei, dass sie zu Ordonnanz- 
zwecken zu verwenden seien, jedoch durchaus nicht aus der 
Front hiezu abcommandiert, sondern aus den Divisionen des 
Innern und den Depots herangezogen werden sollten.***) 



•) Rüstow, I, 256 ff. 

*•) Kriegsministerial-Decret vom 15. Mai 180ö. 
•••) An Berthier, St. Cloud, 17. Sept. 



Digitized by VjOOQIC 



— 24 — 

Nicht genug bemerkt werden kann, dass der Chef des großen 
Generalstabes der Armee diese Stelle seit dem Frühjahr 1796 bei 
Napoleon bekleidete, in das militärische Denken seines Herrn — 
soweit dieser eben sich mitzutheilen für angemessen fand — ein- 
geweiht, endlich mit sehr umfassenden Befugnissen und Macht- 
vollkommenheiten versehen war ; man durfte den Fürsten von 
Neuchatel während der Abwesenheit des Kaisers von der Armee 
wahrhaftig als dessen alter ego betrachten. 

Die Marschälle. Sehr verschieden ist das Urtheil der Nach- 
welt über die Paladine des ersten Kaisers der Franzosen aus- 
gefallen und erklärt sich dies genugsam aus dem Zusammenbruch 
jener gewaltigen Schöpfting, die so mancher von ihnen durch 
eigene Schuld, aus Unzulänglichkeit, so mancher aus Berechnung 
zu Grabe getragen; bitter sind zumeist die Urtheile gefärbt, die 
der gestürzte Cäsar über seine dereinstigen Werkzeuge fallt und 
ungerecht gegen sie ist er oft bis zur Evidenz. Der Major- 
General der Großen Armee hätte wohl einen anderen Nachruf ver- 
dient, als den süffisanten Vergleich des Adlers mit dem Gänserich, 
denn trotz der ihm mit Recht zu machenden Vorwürfe*) steht 
dennoch fest, dass ohne die Generalstabswissenschaft des in der 
neuen Welt gebildeten Berthier Napoleon vieles sicher nicht ge- 
leistet hätte.**) 

Einen Typ für den Marechal de France des ersten Empire 
zu geben, erscheint nicht ganz unmöglich; haben diese Männer 
doch eine ganze Reihe von Eigenschaften gemein. Der lebhafte 
Ehrgeiz, der, dazumal noch eine sehr greifbare Realität, desto 
heftiger zu werden scheint, je mehr sein Träger auf 
jenem Wege geht, der unbedingten Einsatz der 
Person nicht mehr erheischt, je höher sich derselbe 
somit auf der Stufenleiter militärischer Hierarchie befindet; ein 
durchgängig geringes Lebensalter,***) in welchem die impulsiven 
Elemente einer Natur noch nicht zu sehr gedämpft und abge- 
stoßen sind; eine reiche Kriegserfahrung, gewonnen in langer 
Schule des Krieges; eine gewisse summarische, von obenher an- 
erkannte Kriegspraktik, neben der Raum für Specialanschauungen 



*) V. Lettow- Vorbeck, I, 71. 
•*) Jahns, in, 2127. 
••) Gesch. d. Kriege in E. VII, 28. 



Digitized by VjOOQIC 



— 25 — 

vom Kriege nicht gut bestehen kann; ein lebhaftes Verlangen, 
den obersten Kriegsherrn zufrieden zu stellen, also ein Conver- 
gieren aller Einzelbestrebungen auf das allgemeine Beste hin, das, 
gerade weil es aus egoistischen Ursachen her- 
kam, doppelt wirksam werden musste. Denn Napo- 
leon verstand zu belohnen, sowie er zu strafen meisterlich ver- 
stand; und mehr noch, er wusste seine Werkzeuge durch stete 
Aussicht auf Belohnung gefügig und geschmeidig zu erhalten. 
22 Herzogthümer hatte er im April 1806 geschaffen mit Renten 
von zusammen 2*4 Millionen*) und ein Theil davon war bis- 
lang noch nicht vergeben; gut genug wussten die Marschälle 
und Generale, dass die nächste Campagne über deren Bestimmung 
mit entscheiden werde. 

Sehr verschieden allerdings war die Herkunft der ersten 
Soldaten des Kaiserreiches gewesen und gerade die bedeutendsten 
von ihnen waren aus den Tiefen der Gesellschaft mühsam 
emporgestiegen, wie der Böttcherssohn Ney, oder Soult, der 
Bauernknabe; alle waren sie aber durch die Wirren der Revolution 
gegangen und sie sahen sich nunmehr in Stellungen, die sie 
einzig dem gekrönten Soldaten an ihrer Spitze verdankten. Wahr- 
lich, wenn anders guter Wille etwas gilt im Leben, hier und jetzt 
muss er wirksam gewesen sein. 

Und In der That, die Führer der Corps stimmen — mit 
ganz vereinzelten Ausnahmen — vollkommen überein, arbeiten 
sich in die Hände, wie sich im Verlaufe der Begebenheiten zeigen 
wird; Reibereien waren vorgekommen, jedoch ganz vorüber- 
gehender Natur und vieles musste noch geschehen , bis ein 
Marschall von Frankreich sich bei seinem Souverän über den 
andern bitterlich beklagt.**) 

Es wird sich bei Betrachtung der Ereignisse zeigen, wie 
hoch die militärische Capacität der napoleonischen Unterfeldherren 
für diesen Feldzug anzuschlagen ist. Hatte er wirklich nur 
thätige, fleißige, blind ergebene Mittelmäßigkeiten um sich, aber 
sehr wenig denkende Führer?***) Mit dieser Termino- 
logie, die gerade gegenwärtig sehr im Schwange 



•) Thiers, VI, 494 ff. 
•*) Marmont, V, 316. 
••) York, I, 2r.O. 



Digitized by VjOOQIC 



— 26 — 

ist, muss man ziemlich vorsichtig sein; denn 
concret und anschaulich ist sie durchaus nicht: 
zuviel muthet sie dem Wissen und Erkennen der Nachgeborenen 
zu. Sicher ist, dass für jetzt der beste Wille der Marschälle 
vorhanden war, ihr Bestes zu dem Gelingen beizutragen. Und der 
gute Wille, der erzwungen war, war den Gegnern jener Zeit 
im Angesicht gewiss unendlich viel. 

Der Kaiser, Vor allem ist zu erkennen, dass seit Austerlitz 
der Gedanke an das Reich des Abendlandes in der Seele dieses 
außerordentlichen Mannes immer mehr platzzugreifen und be- 
stimmte Formen anzunehmen begann.*) Es ist für die Beurtheilung 
des Feldherrn so ziemlich irrelevant, wohin sein staatsmännischer 
Blick über die Schärfe des gezückten Schwertes hinausgieng — 
soweit das Ziel doch nur ein vages Project gewesen ist, das 
klar zu erfassen er vielleicht noch gar nicht denkt — und so 
scheint die Frage von geringem Interesse, ob der neue Krieg 
wirklich nichts anderes hat sollen sein, als ein gewaltiges Mittel, 
das ihn auf seiner gigantischen Bahn zu einer neuen — wenn 
auch nur provisorischen Etape — führen wird.**) Aber die 
Thatsache, dass von Austerlitz an ein neuer Abschnitt in seiner 
persönlichen Entwicklung begann,***) mag immerhin — wenn 
auch mit Vorbehalten — hingenommen sein; worin die Elemente 
dieser Entwicklung bestehen, wird aus den Reflexen zu erkennen 
sein, die von dem, was der Kaiser diesmal thut, auf das, was 
er wollte, zurückführen. 

Zweifellos ist, dass der Kaiser für dieses Jahr mehr denn 
jemals früher der Hingabe seiner Armee sowohl als ihrer Generale 
sicher war; mächtig stand er über allem, was ihn umgab und 
Widerspruch gegen ihn beginnt unmöglich zu werden; mit 
seltener Kunst weiß er seine Ausnahmsstellung jedermann gegen- 
über zu wahren und der Ton, in dem er zu seinen Marschällen 
spricht, kann gelegentlich ein äußerst scharfer, schneidiger sein. 

Wir haben bereits gesehen, wie der Kaiser im Felde Sou- 
verän und Staatsmann zu bleiben gedenkt und wie er — Friedrich 
dem Großen vergleichbar — es meisterhaft versteht, Scepter und 



•) Fournier, II, 86 ff. 
••) Castille, 237. 
••) York, I, 247. 



Digitized by VjOOQIC 



— Er- 
schwert in einer Hand zu führen; es hieße wahrlich Eulen nach 
Athen tragen, wollte man sich des langen und breiten über 
das Princip der Centralisation aller Gewalten in seiner Hand 
ergehen. Genug, er ist da und wirkt in kriegerischer Hinsicht 
wahrhaft potenziert: Er befiehlt die großen Operationen, er erlässt 
taktische Specialdispositionen, er entscheidet Details des Munitions- 
ersatzes und Verpflegungswesens; er ist die Seele von Allem. 

Niemand wird — ohne noch die Verhältnisse beim Gegner 
zu kennen — sich bedenken, die erzwungene Einheitlichkeit 
der Kriegshandlung an sich und ohne Hinblick auf die Person 
des ersten Napoleon für einen Vortheil anzusehen. 

Auch der Zeit, dieses mächtigen Verbündeten oft, doch 
öfter noch unerbittlichen Gegners im Kriege, sucht der Kaiser so 
weit als möglich Herr zu werden; am Marsche arbeitet er mit 
dem Major-General und bei seinem Eintreffen im Quartier findet 
er die Karte des Operationstheaters mit den die Truppenstellungen 
weisenden Nadeln besteckt; mit unglaublicher Schnelligkeit dictiert 
er das Material zu den Befehlen Berthiers, und seine Secretäre 
bedienen sich einer Chiffernschrift, um keinen Verzug zu ver- 
schulden.*) 

Die Technik der Befehlsgebung Napoleons ist vielfach an- 
gefochten worden, weil Ungenauigkeiten nicht allzuselten sind 
und weil man anzunehmen liebt, als sei die „Selbstthätigkeit" der 
Unterführer durch die Centralisation in der Person des Kaisers 
bedenklich unterbunden worden; indessen ist gerade in letzterer 
Beziehung aus jedem Stück seiner Correspondenz mit den 
Marschällen die Aufforderung zu eigenem Denken und Thun 
— als Princip hinausposaunt wohl nicht — doch indirect zu 
lesen;**) und was die Mängel der Befehlsgebung betrifft, so steht 
dahin, ob solche durchaus immer zu vermeiden sind; selbst das 
vollkommenste Heer unter den vollkommensten Führern erfährt 
diese Art von Friction auch mitten im Erfolg***). Und dann — 
sowie alles relativ ist im Leben, so ist auch im Kriege alles 



*) Neue militärische Blätter, XXXIX, 374. 

••) An Soult, Würzburg, 5. und Ebersdorf 10. Oct.; an Murat, Gera, 13. Oct.; au 
Lannes, Bamberg, 7. Oct.; u. a. a. O. 

'••) HOnig, 24 Stunden Moltke'scher Strategie; für den Leser von gereiftem Urtheil 
äußerst lesenswert. 



Digitized by VjOOQIC 



— 28 — 

relativ, und nur bei Betrachtung dessen, was beim Gegner 
geschieht, kann es sich zeigen, ob das, was an sich weit vom 
Ideal erscheint, nicht nach gepflogenem Vergleiche wahrhaft ideal 
genannt zu werden verdient. 

Man kann wohl glauben, dass Napoleon für den Krieg mit 
Preußen mindestens nicht schlechter disponiert gewesen ist, als 
für seine früheren Kriege; jedesfalls tritt er vom Anbeginne in 
warhaft militärischer Weise in denselben ein, was bekanntlich 
nachmals nicht stets der Fall gewesen ist. Wie viel davon zu 
halten sein wird, wenn wir hören, er sei mit einer Art von 
Widerwillen in den Krieg gegangen,*") ja er habe sich einer 
geheimen Unruhe kaum erwehrt,**) wird die Betrachtung der 
Ereignisse zeigen. 

Anschauungen über den Krieg, Dieselben flössen aus der 
Praxis der Kriege her, waren während der Friedenszeit des Cön- 
sulats gepflegt, 1805 aufgefrischt und in ihrer Zweckmäßigkeit 
dargethan worden; in der That hat sich kaum jemals die An- 
schauung vom Kriege in einer Armee besser mit dem, was diese 
Armee im Kriege that, gedeckt, als in der Zeit von Austeriitz 
bis Wagram im Heere des Empire. Indessen ist es nicht recht 
thunlich, ein klares Bild der Art, wie man über den Krieg bei 
den Franzosen dachte, aufzustellen; wir hören stets nur von dem, 
was man im Kriege that, und sind darauf reduciert, im nach- 
hinein aus der Kriegsgeschichte die leitenden Ideen zu gewinnen, 
denn diese selbst sind uns nicht unmittelbar überliefert; Jom.ini 
schrieb zum größten Theil im nachhinein, und was er schrieb, war 
meist Speculation. Dann decken sich die Anschauungen der napo- 
leonischen Führer über den Krieg in vielen, vielen Punkten fast 
ganz genau mit dem, was uns heute bekannt und geläufig ist, 
und so erscheint uns ihre Anschauung vom Kriege als der In- 
begrifif der allgemeinen, einzig möglichen, weil einzig vernunft- 
gemäßen, „unveränderlichen" Ansicht, mit der wir sehr vertraut, 
in der wir heimisch sind. Somit fehlt uns — und das Urtheil 
so zahlreicher Richter thut dies zur Genüge dar — der unpar- 
teiische Platz, von dem aus der Vergleich des neuen Systems 



') York, I, 251. 
'•) Talleyrand, memohes, 1, 301 



Digitized by VjOOQIC 



- 29 - 

mit dem alten billig ausfallen kann; denn wir leben ganz im 
neuen, sehen und urtheilen durch dieses ; erst das nächste System 
wird vermögen, klar im Urtheile über seinen zweiten Vorläufer 
zu sein. Noch eins! Die selbstgefällige Terminologie des „Fort- 
schrittes" in militärischen Dingen hat stets verwirrt, wird immer 
verwirren, und ein besiegtes System wird stets in Bausch und 
Bogen, als System, von uns, die wir über den „Fortschritt" 
jubeln, und blindlings verdammt. 

Die Anschauung der Franzosen vom Kriege war eine 
unendlich praktische: Es galt, mit den reichlich vorhandenen 
Mitteln auf dem raschesten Wege zum größten Erfolg zu gelangen. 

Strategie, Zum angenommenen System gehörten: das be- 
kannte Echiquier, das bei der Bewegung der Armee dort eine 
breite Furche über den Boden zog, wo die Spur des Heeres der 
alten Zeit nur ein dünner Streifen war;*) das proclamierte Princip 
der Überlegenheit an Zahl als ersten und wichtigsten Garanten 
zum Erfolge, zu welchem Ende die Beweglichkeit der Truppen 
auf die Grenze physischer Möglichkeit gesteigert werden muss; 
weitreichende strategische Aufklärung und förmliche Jagd nach 
allem, was Aufschluss über des Gegners Stärke, Stellung, Ab- 
sicht geben kann; das Land muss den Krieg ernähren, der auf 
demselben spielt; jeder Erfolg ist möglichst auszunützen. 

Große Taktik, Ohne dass es hier i^endwelche officieile 
Weisungen gab, leuchtete doch den Führern aller Grade der 
napoleonische Gedanke ein: Successiver Gebrauch der Streit- 
kräfte,**) langsames Verzehren secundärer Machtmittel, die für 
diesen Zweck in besonderen taktischen Formen aufzutreten haben, 
und Herbeiführen der Entscheidung durch einen Massenstoß oder 
das Drohen mit demselben; letztere Absicht ist 1806 noch nicht 
zum Typ geworden und ebensowenig ist es die Verwendung 
von Geschütz und Reiterei in Massen; indessen sind aus den 
Campagnen der Revolution noch manche Ideen in die cäsarische 
Zeit mitherübergenommen worden ; so die Tendenz zur taktischen 
Umfassung, die, wie wir aber sehen werden, manchmal fast 
Umgehung wird. 



*) Rüstow, I, 243 ff. 
••) Vom Kriege, II, 282. 



Digitized by VjOOQIC 



- 30 — 

Dies lässt sich mit einiger Sicherheit als das Bild jener 
Auffassung vom Kriege bieten, unter deren Zeichen die Marschälle 
des Kaiserreiches einem neuen Krieg entgegensahen. 

Bemerkenswert ist, wie der Kaiser von Fall zu Fall stra- 
tegische und taktische Anweisungen für besondere Lagen gibt;*) 
dass seine Marschälle eine erprobte Schablone besitzen, ist ihm 
bekannt; er corrigiert sie, wo sie ihm nicht auszureichen scheint. 

Wissenschaft und Krieg, Dieser Gegenstand soll hier nur 
des Contrastes wegen mit dem , was wir in Preußen finden 
werden, angezogen sein. In der That hatten die Generale und 
Officiere des Empire wahrlich keine Zeit, sich als Gesammtheit 
der Wissenschaft zu widmen; wohl waren einige der Marschälle 
eifrige Leser der Kriegsgeschichte gewesen, die Masse der Offi- 
ciere jedoch dachte an nichts weniger als an theoretische Studien 
und befand sich wohl dabei. Es scheint in der That, als solle es 
so sein. Stets sind es immer nur einzelne Ausnahmsnaturen, die 
den Krieg nothdürftig aus Büchern verstehen und die, aus der 
Studierstube auf die Bühne des Krieges tretend, nicht viel mehr 
zu lernen haben, nur längst bekannte Dinge sehen. Die Mehr- 
zahl treibt das Studium, wenn sie es treibt, völlig im Geiste ihrer 
Zeit, blindlings und ohne Nutzen. Wozu soll dem niederen Officier 
die Kenntnis großer Operationen dienen? Denn versteht er sie 
nicht — das ist die Regel — so hat er zwecklos gelernt; und 
fasst er den Geist des Krieges auf — ein äußerst seltener Fall — 
so ergreift ihn die Welt, die sich ihm da aufgethan, mit solcher 
Gewalt, dass er als niederes Werkzeug gründlich verdorben ist. 
Die Intelligenz des niederen Officiers — in den gehörigen Schranken 
— ist ein zierendes Attribut für ihn außerhalb der Dienstfunctionen; 
jedoch sie kann nur allzuleicht voller Gefahren sein. 

Der napoleonische Troupier lebte sowie physisch in den 
vielen Kriegen, so auch intellectuell so recht von der Hand in 
den Mund; sein Souverän und er, nochmals, befanden sich wohl 
dabei. So schweigt auch die Militäriiteratur fast ganz und bleibt 
es deutschen Autoren überlassen, Kriegswesen und Kriegfühmng 
der Revolution sowie des Kaiserreiches kritisch zu beleuchten.**) 



*) An Soult, Brunn, 26. Nov. 1800; an denselben. Mainz, 29. Sept. 1806 u. a. a. O. 
••) Jahns, III, 2133 ff. 



Digitized by VjOOQIC 



- 31 — 

Der monarchische Sanscnloliisntus. Diese Eigenschaft guckt 
wohl aus allen Formen napoleonischen Kriegswesens hervor: 
aus der Taktik, aus der Strategie, aus der Verpflegung, aus dem, 
was man Kriegsusance nennen könnte, spricht jene gesunde 
Rücksichtslosigkeit gegen seine Mittel, seine Umgebungen, vor 
allem gegen sich selbst, die, vom Geiste der Zeit jeweilig mehr 
oder minder beengt, doch zweifellos nothwendiges Attribut des 
tüchtigen Soldaten ist im französischen Nationalcharakter liegend, 
war diese Eigenschaft zwischen Austerlitz und Jena eine treibende 
Potenz geworden, ohne dass noch erhebliche Unzukömmlich- 
keiten aus derselben nachzuweisen sind; und wir werden sehr 
bald Anlass haben zu Betrachtungen über ihren Wert und Ver- 
gleichen mit dem Gegner. 



Dies scheint somit eine Skizze des Werkzeuges zu sein, 
das von Seite der Franzosen für den Kampf verwendet werden 
sollte; eine Skizze sagen wir; denn erst der Vergleich mit 
dem Kriegsinstrumente des Gegners kann ihr Leben und Formen 
des deutlichen Bildes geben.. 



Preußen. 



Die Mittel, über welche Preußen zunächst zum Kampfe 
verfügte, zog es aus seiner eigenen Bevölkerung und der 
seiner Verbündeten, von denen Sachsen allein merklich ins 
Gewicht fällt. Die Staaten des Königs zählten etwa 9 Vi, jene des 
Kurfürsten 2V2 Millionen Seelen; in Summe verfügte daher Preußen 
über vielleicht 12 Millionen Menschen, wenn man die kleineren 
deutschen Verbündeten hinzuzählt.*) 

Preußen war niemals ein gesegnetes Land gewesen; nur 
der außerordentliche Fleiß seiner Population und eine Staats- 
verwaltung von seltener Strenge hielten das Land finanziell über 



*) Die Zahlen nach Mayer v. Heldensfeld, 187. 



Digitized by VjOOQIC 



32 



Wasser und das nur mit Mühe. Wenn auch die neuere histo- 
rische Forschung das Andenken Friedrich Wilhelms IL vom 
Vorwurfe, er habe sein Reich finanziell völlig zerrüttet, fast ganz 
gereinigt hat, so steht immerhin fest, dass Preußen, dazumal 
ohne starke innere Ressourcen, mit einem Kriegsschatze für den 
lang vorausgeahnten Krieg keineswegs versehen war. Noth- 
dürftig wurde durch unausgesetztes Sparen, in welchem der 
Monarch persönlich das Beispiel gab, der Staatshaushalt im 
Gleichgewicht gehalten ; einen Pfennig für den Fall der Noth 
zurückzulegen, konnte nicht zu denken sein. Am 1. Juni 1806 
musste, zum erstenmal in Preußen, Papiergeld ausgegeben werden. 

Die Siaatsntaschine, Im Gegensatz zu den neuen Formen 
des französischen Staates war die preußische Staatsmaschine in 
ihrem ganzen Wesen das graugewordene ruhmreiche Product 
einer ruhmvollen Zeit; sie gipfelte in der Cabinets regier ung, die 
Friedrich so meisterhaft zu führen verstand, von der jedoch 
wenig mehr als die äußere Form auf die neue Zeit gekommen 
war. Unstreitig ist eine Cabinetsregierung, welche ihre Thätigkeit 
auf alle Zweige der Staatsverwaltung und ihre Einflussnahme 
auf alle Classen der Staatsangehörigen erstreckt, die kräftigste, 
kürzeste, lebendigste aller Geschäftsformen, wo sie von einem 
kräftigen, selbstthätigen Fürsten geführt wird.*) Allein in Preußen 
bestand dazumal die Ingerenz des Monarchen auf die Staatsge- 
schäfte in wenig mehr als gewissenhafter Erledigung der ihm 
von den Cabinetsräthen vorgelegten Stücke, ohne seine eigene 
Persönlichkeit geltend zu machen, was mit dem fast krankhaften 
Misstrauen Friedrich Wilhelms III. in seine eigene Krafl innig zu- 
sammenhängt. Wie oft mag er nicht seine hohe Stellung ver- 
wünscht und nach der eines unbemerkten Privatmannes ver- 
langt haben!**) 

So erklärt es sich zur Genüge, dass die Leitung des preußi- 
schen Staates fast ganz in den Händen einer einflussreichen Hof- 
partei war, deren Mitglieder jedoch unter sich durchaus nicht 
einig waren, und deren trostlose Zerfahrenheit aus jeder Zeile 
der Denkwürdigkeiten des Staatskanzlers Fürsten von Harden- 
berg zu lesen ist. Wenngleich die von den einflusshabenden 



*) Clausewitz, Nachrichten, 422 ff. 
*•) Hardenberg, II, 94. 



Digitized by VjOOQIC 



- 33 — 

Menschen jener Zeit nach der Katastrophe erschienenen Memoiren 
alle vom persönlichen Standpunkte aus persönliche Vorwürfe ge- 
hässigster Art, persönliche Zwecke des Nebenbuhlers betreffend, 
erheben, und sich ein verdammendes Urtheil über sie nachmals, 
dem Fatum gleich, erhalten hat, so geht doch aus nüchterner An- 
schauung der Thatsachen hervor, dass trotz allem weniger persön- 
liche Sonderinteressen collidierten, vielmehr ein wahrer Gegensatz 
von Überzeugungen vielfach stattgefunden hat Allein, wenn der 
Souverän zwischen einander bekämpfenden Meinungen seiner 
Berather schwankt, und das politische System heute umgestoßen 
wird, um morgen wieder hergestellt zu werden, ist dies nicht 
allein schon ein bedenkliches Symptom? 

Auf diese Verhältnisse wird bei Darstellung der politischen 
Vorgeschichte des Krieges näher eingegangen werden. 

Es muss aber noch einer Thatsache gedacht werden, deren 
Vorhandensein nicht ohne Gewicht in der Stunde der Entscheidung 
war; wenngleich Muth dazu gehört, genug, und Vorsicht, um 
nicht zuviel zu sagen : Fest steht, dass eine hohe Frau auf die 
Leitung der Regierung beständig und mächtig Einfluss genommen 
hat,*) sowohl was die inneren Angelegenheiten, dann militärische 
Dinge, besonders aber was die auswärtigen Beziehungen betraf. 
Es leuchtet ein, dass dieser Umstand, trotz des besten an den 
Tag gelegten Willens, aus einer ganzen Reihe von Ursachen vor- 
theilhaft auf den Gang der Staatsgeschäfte nicht eingewirkt 
haben kann. 

Volk und Heer, Während unter dem großen Friedrich das 
Individuum erstaunlich wenig gegolten hatte,**) entwickelte sich 
unter der liberal angehauchten Regierung Friedrich Wilhelms III.***) 
und unter dem Einfluss der von Frankreich herüberwehenden 
Begriffe von Freiheit und Menschenrechten die Idee von der 
Würde des Individuums: der „biedere" Mann kam in Aufnahme. 
Derselbe acceptierte sehr rasch die Laster der Revolution, die im 
frostigen Norden nicht laut, desto nachhaltiger im Volke lebten, 
ohne deren Tugenden mitzuübernehmen. Das Staatsinteresse, das 
Friedrich so handgreiflich zu erwecken gewusst, trat, sobald es 



•) Hardenberg, II, 412, 563; IN, 212 u. a. a. O. 
**) V d. Goltz, 287. 
*••) Clause Witz, Nachrichten, 424. 
C. von B.-K. Zur Psychologie des großen Krieges II. 



Digitized by VjOOQIC 



— 34 - 

auf den guten Willen des Individuums gestellt ward, gegen den 
Cult des Individuums zurück; unter den milden Strahlen der Auf- 
klärung griff das Streben nach persönlichem Wohlergehen um 
sich. Wenn man auch dem Volksgeist einen noch so geringen 
Antheil an der blutigen Entscheidung als solchen einzuräumen 
gewillt ist, so geht doch aus allem hervor, dass der kriegerische 
Genius jetzt bei den deutschen Stämmen insgesammt weit weniger 
zuhause war, als bei ihren Gegnern, den Franzosen; bei diesen 
liegt er gewissermaßen im Blut; bei jenen muss er stets künst- 
lich geweckt werden. 

So kam es, dass die Armee allgemach zum Stiefkinde des 
Vaterlandes herabgesunken war.*) Wir werden aus den Daten 
über ihre Ergänzung ersehen, dass sie nichts weniger als eine 
nationale Institution gewesen ist, wozu allerdings der Kastengeist 
der Officiere — an sich eine gewiss lobenswerte 
Eigenschaft — manches beigetragen haben mag. Der Bürger 
zehrte in seinen Mußestunden von den Erinnerungen Friedrichs 
des Großen, allein er vermied die Berührung mit seinem nach- 
gerade rostig gewordenen unsympathischen Kriegsinstrument. Im 
Felde selbst fühlte sich der deutsche Bürger geradezu als natür- 
lichen Feind des deutschen Soldaten, wenngleich uns rührende 
Züge des Gegentheiles hin und wieder überliefert sind.**) Trat 
der Bürger in Friedenszeiten mit Angehörigen des Heeres in 
Berührung, so wusste er sich den Vorrang von amtswegen 
garantiert. Überall und immer sah er im Soldaten lediglich einen 
schlecht gelöhnten Schutzmann ohne die Rechte eines solchen, 
und der Excedent sogar wusste gar wohl, dass gegen ihn mit 
„Glimpf und Gelassenheit", „mäßiger** Strenge und „gebürender' 
Weise vorgegangen werden müsse.***) 

Man sieht: die erste Bedingung für wahrhaft 
militärischen Geist in der Nation, die bevorzugte 
Ausnahmsstellung der Armee, war dieser derzeit 
keineswegs gegeben. 

Ergänzung des Heeres. Das Heer bestand aus zwei Ele- 
menten ganz verschiedenen Ursprungs, und hatte zu dieser Art 

•) V. d. Goltz, 289. 
") Dcchend, 78. 
•") V. d. Goltz, 292. 



Digitized by VjOOQIC 



- 35 - 

* 

der Truppenaufbringung die Menschenarmut Preußens und der 
Menschenverbrauch in den schlesischen Kriegen geführt, war 
dieselbe endlich durch Friedrich sanctioniert. *) Den eigentlichen 
Kern des stehenden Heeres bildeten geworbene Ausländer, die 
aus alier Herren Länder bunt zusammengewürfelt waren. Dem 
im Cantonreglement von 1792**) klar ausgesprochenen Grund- 
satze allgemeiner Wehrpflicht gemäß wurde die kriegsdiensttaug- 
liche männliche Bevölkerung zum Waffendienst herangezogen 
und zwar auf 20 Jahre — nominell; in Wirklichkeit waren die 
Inländer nur das erste Jahr und auch dieses oft nicht ganz bei 
den Fahnen und wurden weiterhin nur alle zwei Jahre zur 
Exercierzeit eingezogen, so dass der Fußsoldat auf nicht mehr 
als P/4, der Reiter auf 2^/^ Jahre effectiven Dienstes höchstens 
kamen;***) und so kann man das System der Königsurlauber 
mit Recht als reine Miliz bezeichnen — für jene Zeit natürlich 
nur, versteht sich. Aber auch von den geworbenen Ausländern 
dienten durchaus nicht alle präsent; es war vielmehr den Com- 
pagniechefs gestattet, von den 76 Ausländern der Compagnie bis zu 
26 Freiwächter innerhalb der Garnison zu beurlauben, und es 
wurde diese Zahl, da die Gebüren der Beurlaubten dem Com- 
pagniechef zur Verfugung überiassen blieben, nur zu oft und er- 
heblich überschritten. Bei mancher Compagnie verblieben nicht 
mehr als 30 — 40 Mann zum Dienst, welche natürlich kaum zur 
Bestreitung der Wachen, geschweige denn für die Ausbildung 
genügten. 

Im Kriegsfalle erforderte diese Heeresverfassung das, was 
sich mit einer allgemeinen Mobilisierung unserer Tage vergleichen 
lässt In vier bis sechs Wochen 100.000 Mann gegen Österreich 
ins Feld stellen zu können, war der Triumph Friedrichs gewesen, 
und die Epigonen hatten damit bescheiden vorlieb genommen, f) 

Ehedem hatte sich diese Einrichtung, allerdings bevor sie 
ein System geworden, als sie aus unmittelbarem Bedürfnisse der 
Zeit hervorgegangen war, im großen Ganzen bewährt. Aber 
dazumal waren Kräfte vorhanden gewesen, die das kunstvolle 



♦) Milit Test, 4 ff. 
") Jahns, III, 2248. 
•••) V. d. Goltz. 88. 

t) Clausewitz, Nachrichten, 468. 



Digitized by VjOOQIC 



— 36 - 

Conglomerat innig zusammengehalten: die Disciplin im Heere, 
der Wille Friedrichs des Großen; diese Kräfte fehlten jetzt. 

Die Gesammtstärke der preußischen Armee wird für das 
Jahr 1806 mit rund 200.CXX) Mann angenommen werden können. 
Davon konnten zur Verfügung im freien Felde des thüringischen 
Operationstheaters stehen etwa 140.000 Mann, da immobil im 
Innern belassen wurden etwa 33.000 Mann, 16.000 zur Reserve- 
armee gehörten und etwa 10.000 in Norddeutschland verzettelt 
standen. Rechnet man das Contingent Sachsens (die übrigen 
fallen nicht ins Gewicht) mit 20.000 Mann*) hinzu, so hätten 
fuglich anfangs October weit über 150.000 Mann zur Entscheidung 
bereitstehen können; wieso es kam, dass dies nicht geschah, 
werden wir bei Besprechung der Operationen sehen. 

Für eine eigentliche Reichsvertheidigung war in keiner 
Weise vorgesorgt.**) Es fehlte, zumal bei den zahllosen Aus- 
nahmen von der allgemeinen Wehrpflicht, die rechtliche und 
organisatorische Grundlage zur Bildung starker Reserven und 
das große Princip des successiven Kraftgebrauches***) war so 
wie taktisch im Linearsystem, wehrpolitisch im alten Staat und 
1806 ein ziemlich unbekanntes Ding. Wohl gab es viele, darunter 
starke Festungen, und auf die konnte man, in den Anschauungen 
vor der Katastrophe, immerhin mit einem Schein von gutem 
Grunde zählen. 

Die Truppen, Infanterie, Es gab Infanterieregimenter zu 
zwei Bataillonen , dann Grenadier- und Füsilierbataillone, weiter 
war ein Regiment Fußjäger zu drei Bataillonen vorhanden. 
Eine Neuorganisation der Infanterie, mit Befehl vom 5. Juli 1806 
angeordnet, konnte natürlich nicht mehr zur Durchführung ge- 
langen. Für Ersatzzwecke bestanden 58 dritte Bataillone, die 
jedoch nichts weniger als geeignet waren, kriegsbrauchbaren 
Ersatz zu liefern. 

Jede Feldcompagnie besaß 10 (bei den Füsilieren 20) 
Schützen, die als leichte Infanterie verwendet werden sollten. 

Die Formen nun, in denen diese Infanterie in's Gefecht 
ging, waren jene des alten Linearsystems, die Art, wie die Fuß- 



•) V. Lettow-Vorbeck, I, 96 und Clausewitz, Nachrichten, 476, Fußnote. 
••) Mayer v. Heldensfdd, 195. 
••) Vom Kriege, I, 256. 



Digitized by VjOOQIC 



- 37 — 

truppen fochten, Friedrichs berühmte Combination von Feuer und 
Bewegung, von welcher jedoch nicht viel mehr übrig geblieben 
war, als der mechanische Chargierschritt und eine unglaubliche 
Fertigkeit in Handhabung des Gewehrs. Das erste und Haupt- 
gewicht wurde in der nachfriedericianischen Zeit auf Ordnung 
und Geschlossenheit — Richtung und Alignement — der in drei 
Gliedern rangierten Infanterie gelegt, bei den zerbrechlichen For- 
men des Linearsystems allerdings zumindest ästhetische Noth- 
wendigkeit, und gieng man zuletzt so weit, den Flügelunteroffi- 
cieren Astrolabien an die Kurzgewehre zu geben , damit sie 
geradeaus gehen konnten, wie an einer Schnur.*) Ein Blick in 
die taktischen Lehrbücher und Reglements jener Tage zeigt, wie 
verwickelt, ja geradezu verkünstelt die Bewegungen des Fuß- 
volkes waren, und man begreift kaum, wie es möglich war, beim 
Exercieren all dies wirklich auszuführen; dennoch geschah's bei 
den Revuen , wenngleich im Felde von diesem Formen wüst 
thatsächlich vieles abgefallen ist. Aber eben darin liegt das psy- 
chologische Moment der Schwäche, wenn die Truppe erkennt, 
dass das, was sie im Frieden gelernt und geübt, nicht für den 
Kriegszweck passt; wenn jeder Füsilier die Wahrnehmung machen 
kann, dass die Form, in der er kämpft, keine Kriegsform ist. 

Ob und wann die Gefechtsformen der Infanterie dem Feinde 
gegenüber thatsächlich nicht ausgereicht haben , wird an den 
Gefechten zu ersehen sein. 

Vor der Katastrophe war es angenommen, dass die Infan- 
terie in ihrer geschlossenen Ordnung, mit dem gravitätischen 
Stampfschritt in*s Gefecht eintreten solle; wohl hatte Friedrich 
schon vernehmlich auf die immense Bedeutung der Tirailleurs 
gewiesen,**) allein die tonangebenden Männer nach ihm wollten 
durch die relative Unordnung zerstreut fechtender Truppen ihre 
exacten Maneuvres nicht verdorben haben, und so schränkten 
sie die Ausbildung der leichten Truppen auf ein möglichst be- 
scheidenes Maß immer mehr ein. „Das Tiraillieren nährt den 
natüriichen Hundsfott, der, wenn wir aufrichtig sein wollen, doch 
in uns allen steckt, und diesen muss man zu unterdrücken 



•) V. d. Goltz, 291. 
•) MiliL Test. 27 ff. 



Digitized by VjOOQIC 



- 38 — 

suchen",*) war das Argument, welches gegen den Schützenkampf 
in's Treffen geführt wurde — mit bedeutsamen Seitenblicken auf 
das „execrable Geschmeiß", so sich in den Freibataillonen (den 
Vorgängern der Füsilierbataillone) von altersher zusammenfand. 
Kein Zweifel kann bestehen, dass der obige Satz eminent 
militärisch gedacht ist, und es steht sehr dahin, ob er nicht 
in absehbarer Zeit seine Rehabilitierung erfahren müssen wird; 
aber blieb man bei dieser Anschauung stehen, dann musste man 
für den Kampf Imponderabilien mit sich bringen, deren Nicht- 
vorhandensein die Führer hätten ahnen können , wie uns 
heute scheint. 

Reiterei, Man unterschied Cürassier-, Dragoner-, Husaren, 
regimenter mit sehr variabler Zahl von Escadrons (Cürassiere 5. 
zwei Dragonerregimenter ä 10 Escadrons u. s. w.); außerdem 
die sogenannten Towarczys, vornehmlich aus polnischen Lanzen- 
reitern bestehend. Jedes Regiment bildete ein Depot von circa 
130 Pferden. 

Die Reiterei war gut, das heißt besser als die der Franzosen 
beritten, im Reiten und Waffengebrauche geübt, und im einzelnen 
sowie in kleineren Verbänden trefflich ausgebildet. Allein sie war 
nicht gewohnt, in großen Verbänden aufzutreten und ihre Ge- 
nerale und Stabsofficiere waren sämmtlich zu alt. Recht an- 
schaulich werden wir sehen, wie hier keineswegs die subalterne 
Mechanik der Mittel, sondern die Art der Verwendung derselben, 
der Geist, der sie führte, das Entscheidende war. 

Artillerie, Jämmerlich war es mit derselben bestellt Es 
bestand die Theilung in Bataillonskanonen und Batteriegeschütz. 
Letzteres war im Frieden eingetheilt in Fußartillerieregimenter 
(4 ä 9 Batt. zu 6 Zwölfpfündern nebst 2 Zehnpfünderhaubitzen) 
und ein reitendes Artillerieregiment (20 Batt. zu 6 Sechspfündem 
nebst 2 Siebenpfünderhaubitzen), außerdem bestanden 8 Reserve- 
batterien zu Zwölfpfündern. Bespannt war bei der Fußartillerie 
nur je eine Batterie in Breslau und Berlin, bei der reitenden die 
Hälfte der Batterien. Das Material scheint mit Ausnahme der 
Rohre sehr minderwertig gewesen zu sein; im Zeughause zu 
Berlin wurde die Ausrüstung der Artillerie mit einer Sorgfalt auf- 



•) V. d. Goltz, 209. 



Digitized by VjOOQIC 



— 39 — 

bewahrt, dass jeder Strick und jeder Nagel vorräthig waren, 
aber Stricke und Nägel waren gleich unbrauchbar.*) Sollte nun 
mobilisiert werden, so wurden die Zugpferde vom Lande geliefert 
und als Fahrer halbinvalide Cavalleristen und unausgebildete 
Cantonisten als Stückknechte genommen. **) Taktische Vor- 
schriften gab es für die Verwendung der Artillerie durchaus nicht; 
kam doch das erste preußische Reglement für dieselbe erst im 
Jahre 1812 heraus.***) An technischen Truppen bestanden ein 
Ponton iercorps (2Vi Comp.) und ein Mineurcorps (4 Comp.); an 
Material waren für die Armee im Felde vier Modderbrückencolonnen 
zur lieber seh reitung von Gräben und drei Pontontrains vor- 
handen. 

Manövrieren. Die großen Manöver der preußischen Armee 
galten in derselben allgemein als Vorschule für den Krieg, das, 
was sie ergaben, gedachte man allen Ernstes im Felde anzu- 
wenden, und es hat sich in der That das, was nachmals am 
Gefechtsfelde geschah, meistens — wenn auch durchaus nicht 
ausnahmslos — mit dem, was am Manöverfelde geübt worden, 
gedeckt 

Es muss bemerkt werden, dass es keineswegs angeht, 
die Manöver der Zeit vor Jena post festum souverain für Spielerei 
und eitlen Humbug zu erklären; billige Betrachtung zeigt, dass 
sie sehr lebensfähige Elemente mitunter bargen, Dinge, auf die 
man lange nach der Katastrophe vorurtheilslos zurückgekommen 
ist.f) Und dann ist der gewaltige Umstand nicht zu übersehen, 
dass der alternde Friedrich die Beschäftigung am Manöverfelde 
wahrhaft zum Cult erhoben hatte.ff) Die Anerkennung des ge- 
sammten Auslandes trat hinzu und wie sollten da die mitunter 
enthusiastischen Urtheile fremdherrlicher Officiere auf das Ver- 
trauen im eigenen Lande nicht rückwirkend gewesen sein? 

Man unterschied Revuen und Manöver; erstere waren ein 
einfaches Exercieren im Feuer ohne untergelegte Idee, während letz- 
tere unseren heutigen Übungen mit markierten Gegnern glichen. 



*) Clausewitz, Nachrichten, 425. 
*♦) V. Lcttow- Vorbeck, I, 56. 
••*) Jahns, III, 2679. 

t) V. d. Goltz, 276 ff. 
ff) Jahns. III, 2123. 



Digitized by VjOOQIC 



- 40 - 

Die Hauptaufgabe bestand in möglichst rascher und tadelloser Aus- 
führung der großen Evolutionen. Die Hauptabsicht gieng dahin, 
eine möglichst große Zahl von Bataillonen möglichst geordnet 
und gleichzeitig auf einen Punkt zu bringen — eine gewiss ge- 
sunde Idee; allerdings war es gerade nicht zweckmäßig gedacht, 
wenn es auch kriegerisch gedacht war, als Grundsatz anzunehmen, 
der stärkste Punkt der gegnerischen Stellung wäre anzugreifen.*) 

Vorbereitet wurden die Manöver durch umfangreiche, die 
kleinsten Details regelnde Dispositionen, die oftmals Tage vorher 
bekannt und studiert wurden, so dass der Initiative der Führer 
allerdings wenig überlassen blieb und eine Aufforderung zur 
Selbstthätigkeit keinesfalls zu spüren war. Und man verlangte 
solche nicht; der Zweck war erreicht, wenn alles halbwegs 
klappte und man begnügte sich damit, wenn die Zuschauer, von 
der Großartigkeit des Schauspiels hingerissen, begeistert Beifall 
riefen, welcher Beifall sich weiterhin manchmal sogar in Versen 
ausgesprochen hat.**) 

Was die nun zum Ausdruck gebrachten taktischen Formen 
betrifft, so sah man stets und immerdar lange Linien und Echelons ; 
die Colonne als Gefechtsform wurde ganz und gar verworfen und 
zum Theil wohl auch mit Recht; erst die Verbindung mit aus- 
giebiger Entwicklung von Schützen macht sie zum Kampfe 
lebensfähig, und dass man von diesen nichts wissen wollte, haben 
wir gesehen. Man fühlte wohl, dass die Institution der Tirailleurs 
dem Geiste der preußischen Armee, und, man darf es sagen, 
dem Geiste des preußischen Volkes ebenso entgegen war, als sie 
dem französischen behagte. Dagegen wird dem Bajonnet sehr 
das Wort geredet, sein Gebrauch fleißig eingeübt; allerdings ist 
die Praktik des Bajonnetangriffes auf die Schlachtfelder an der 
Saale nicht mitgenommen worden, wenn auch das Princip be- 
stand; wir werden sehen, warum. 

Alles in allem genommen, waren die preußischen Manöver 
Haupt- und Staatsactionen wohl vorbereiteter Natur und nach 
bestimmtem Programm, welche noch vielfach durch Rücksicht 
auf die Culturen u. s. w. derart beengt wurden, dass man sie 
wohl schon vor der Katastrophe und an sich, ohne Vergleiche 



•) V. d. Goltz, 272. 
•*) So that Gneisenau im Jahre 1786. 



Digitized by VjOOQIC 



— 41 — 

mit dem, was anderswo geschah, als nicht kriegsmäßig erkennen 
hätte können; so wie es auch hie und da, jedoch nicht von 
maßgebender Stelle j geschehen zu sein scheint.*) Dann wurde 
auf Imponderabilien fast gar nicht mehr geachtet, wie uns heute 
scheint, trotz der goldenen Lehren, die Friedrich einst in seinen 
„Principes generaux de la guerre"**) und manches Werk der 
Militärliteratur kürzlich erst gegeben hatten;***) die Maschine 
functionierte am Exercierplatz maschinal, man nahm an, sie 
werde es auch im feindlichen Feuer thun. 

Märsche und Lager, Es genügt hier anzuführen, dass ein 
systematisches Training im Marschieren schon durch die Standes- 
verhältnisse der präsent dienenden Mannschaft von vornherein 
ausgeschlossen war ; auf keinen Fall konnte man erwarten, dass 
sich die buntscheckigen Kriegsbataillone der preußischen Armee mit 
den Soldaten von Boulogne, was die Technik des Marschierens 
anbetraf, würden messen können. Der Marschsicherungs- und 
Felddienst war durchaus nicht geübt, so dass die Linieninfanterie 
in die allergrößte Verlegenheit gerieth, wenn es galt, Feldwachen 
auszustellen. Bezüglich der Lager blieb man beim — wenn auch 
nicht ausnahmslos gehandhabten — Grundsatz Friedrichs, soviel 
als möglich diese, niemals Quartiere zu beziehen; es hieng dies 
mit der bekannten Unzuverlässigkeit der Leute zusammen, die 
man unter Aufsicht halten musste, wollte man ihrer sicher sein. 

Verpflegung und Train, Hier blickt man — es kann dies 
ohne Übertreibung gesagt werden — in einen wahren Abgrund 
von Unzweckmäßigkeit, wie uns heute scheint. Bei der strengen 
Einhaltung des Magazinssystems, das trotz des Emancipations- 
versuches von 1805 im Principe fortbestanden hatte, blieb die 
Armee an ihre Proviantcolonnen buchstäblich gefesselt und ent- 
fernte sie sich aus operativen Gründen davon, so konnte es sehr 
leicht geschehen, dass sie den allerbittersten Mangel litt. Das 
angenommene System gestattete nur beschränkte Bewegungen 
und es leuchtet der unheilvolle Einfluss derselben auf den Gang 
der Operationen ein : er konnte sie zu Zeiten völlig unterbinden. 
Aber weit über diesen Unzukömmlichkeiten steht die im Geiste 



*) Betrachtungen über die Kriegskunst, 1797 (von Behrenhorst.) 
••) Oeuvres, id. Preuß, XXVJII, 1. 
♦••) Schamhorst, Handbuch für Officiere, Hannover 1787—90, IH, 288. 



Digitized by VjOOQIC 



— 42 — 

der damaligen Zeit liegende Anschauung, als seien Beitreibungen 
im eigenen Lande eine Barbarei, die zu vermeiden alles auf- 
geboten werden müsse; lieber ließ man die Truppen vor dem 
Gefechte hungern, als dass man aus dem Lande die Mittel zur 
Ernährung zog und trieb die Sorge um den Schutz des Eigenthumes 
zu wahrhaft drakonischer Strenge gegen die Soldaten. In den- 
selben Gegenden, in denen das siegreiche französische Heer im 
Überflusse lebte, darbte das preußische stets, sobald seine Proviant- 
colonnen nicht zur Stelle waren, und wenn die ausgehungerten 
Truppen vom Bauern Lebensmittel anzusprechen sich erkühnten, 
so wurden ihre Commandanten von den oberen Führern in 
schärfster Weise dahin zurechtgewiesen, dass „ein solches Raub- 
system in der preußischen Armee nicht herkömmlich und dem 
Geiste derselben zuwider sei.* *) Allein es sollte noch besser 
kommen. In einem Augenblick hoher Verwirrung, als die Sicher- 
stellung der Verpflegung sehr in Frage gestellt erschien, gedieh 
eine Versammlung von Truppencommandeuren zu folgendem 
unsterblichem Beschluss: Wenn kein Brot in den Magazinen 
noch vom Lande zu haben ist, so soll der Brotgroschen aus- 
gegeben werden.**) 

Die Rückwirkung hievon auf die Seele des Soldaten, auf 
seinen Willen, auf sein Feuer, auf Taktik und Strategie ist daher 
unschwer zu ermessen. 

Der „eigentliche Geist" der preußischen Armee wird auch 
für die ganz ungeheuerlichen Train- und Bagageverhältnisse zum 
Sündenbock gemacht. Gegen diesen Geist ist es erstens: sich 
zum Requisitionssystem zu bekehren; zweitens, den Tross der 
Infanterie-Regimenter — sie führten Zelte, umfangreiches Koch- 
geschirr u. s. w. mit, zu dessen Fortbringung allein 150 Pferde 
erforderiich waren — in Absicht der erhöhten Beweglichkeit der 
Truppen zu reducieren ; drittens, den Subalternofficieren der In- 
fanterie ihre Pferde — jeder hatte ein Reitpferd für den Marsch 
und ein Bagagepferd mit — abzunehmen ; und so geht es fort. 
Wohl hätten vielleicht nirgends und niemals Reformen schwerer 
Eingang gefunden als im preußischen Heer der vorjena*schen Zeit 



") Clausewitz. Nachrichten, 538. 
••) Ebenda. 



Digitized by VjOOQIC 



- 43 - 

Bewaffnung, Bekleidung, Ausrüstung. So verschieden auch 
die Nachrichten über die preußische Armee von 1806 in vielen 
Punkten lauten, in dem einen stimmen alle überein : Die Bewaff- 
nung war die schlechteste, welche es in Europa gab. 

Das Infanteriegewehr war 1782 eingeführt, schon damals 
technisch keineswegs vollendet*) und hatte seitdem durch das 
fortwährende, erst in elfter Stunde abgestellte **) Blankpolieren der 
Läufe an Güte beständig abgenommen. — So ergab es sich, 
dass bei einem Probeschießen der Garde 1805 in einer Compagnie 
allein 28 Gewehre „nicht gut gethan'^ hatten und dass das Re- 
giment v. Zweiffei noch im August 1806 sich zu der Meldung 
veranlasst sah, die Gewehre würden das Schießen mit scharfen 
Patronen voraussichtlich nicht vertragen. Die Schützen waren, 
wenn auch nicht durchgängig, mit Büchsen bewaffnet, die besser 
gewesen zu sein scheinen, als die Waffe der Linien-Infanterie. 
Bei sämmtlichen Gewehren war die Schäftung für das Zielen 
durchaus ungeeignet. 

Das angenommene System, möglichst viel zu sparen, brachte 
es weiters mit sich, dass das im Frieden zu Übungszwecken 
bestimmte Munitionsausmaß sehr kärglich bemessen war, so 
dass die Schießausbildung sehr im Argen lag. 

Wie hier, so wurde auch an der Bekleidung gespart; wohl 
wurden den Compagniechefs die Stoffe pünktlich geliefert, aber 
in Zuschnitt und Macherlohn griff eine Öconomie sondergleichen 
Platz. Die Infanterie besaß keine Mäntel für den Krieg und litt 
dieselbe unter diesem Umstand in den kühlen Octobernächten viel. 
Dagegen bestand die Ausrüstung, wie wir schon an anderer 
Stelle sahen, noch ganz im Geiste der alten Zeit aus einer Fülle 
meist ganz unnöthiger Dinge, die in den Fällen, wo man sich 
ihrer mit Vortheil hätte bedienen können, meist nicht zur Stelle 
waren. 

Magen und Seele, Das in Preußen ehemals so wohlthätige, 
traditionell gewordene Haushalten mit den kargen Mitteln des 
Staates war jetzt ein Zerrbild und wirkte gerade auf die Armee 
in allerbedenklichster Weise. In allem und an allem wurde ge- 



•) Jahns, III, 3424. 
••) Durch Befehl des Königs vom 25. Nov. 1805. 



Digitized by VjOOQIC 



— 44 — 

knausert. Der Gehalt der Officiere war trotz gelegentlicher Auf- 
besserungen ein äußerst kärglicher und brachte es dahin, dass 
der Subalterne sich hie und da nach einem Freitische umsehen 
musste, während der Junker aus der Mannschaftsküche aß.*) 
Die Compagniechefs lebten in der That von den in der Abtheilung 
gemachten Ersparnissen, unterstützten ihre Offleiere und war es 
dem jungen Officier eine Frage der dringendsten Nothdurft, die 
Hauptmannscharge zu erreichen. Noch schlechter stand es mit 
der Mannschaft, die, oft verheiratet, bei 2 — 2V2 Thalern Monats- 
löhnung auf allerlei unsaubern Nebenerwerb geradezu gewiesen 
war; dieser fiel im Kriegsfalle natürlich weg, sowie den Com- 
pagniechefs die Ersparnisse aus dem Freiwächterwesen abhanden 
kamen, und so klingt es ganz glaublich, wenn wir hören, dass 
mit Ausnahme der Subalternofficiere kein Individuum in der Armee 
vorhanden war, welches nicht durch den Krieg seine halbe 
Existenz verlor, ohne Aussicht, dafür etwas zu gewinnen,**) 
woher begreiflicher Weise eine unüberwindliche Friedensliebe 
in die Armee kam. Und noch mehr, im Felde, wo doch die ein- 
fachste Klugheit gebot, die Seele des Mannes durch entsprechende 
Nahrung munter zu erhalten, trieb es der „eigentliche Geist" der 
preußischen Armee soweit, die hungernden Soldaten halbtodt zu 
schlagen, als sie aus den schon abgeernteten Feldern Kartoffeln 
zu ziehen sich vermaßen.***) Dass solche Truppen, trotz der 
größten platonischen Hingebung an König und Vaterland, nichts 
sonderliches leisten konnten, das vorauszusehen, hätte wohl der 
allerbescheidenste seelische Blick genügt — sagen wir heute 
voller Überzeugung. 

Mannsztichi. Dieses flüchtige moralische Fluidum ist äußerst 
schwer auf seinen wahren Gehalt im Augenblicke zu prüfen, 
um wieviel schwerer muss dies dann wohl sein, wenn es gilt, 
dasselbe aus historischen Materialien einer vergangenen und sehr 
geschmähten Zeit richtig herauszufinden. Beschreiben kann man 
es nicht eigentlich, es scheint die Erkenntnis von ihm vielmehr 
eine Sache des Gefühls, Instincts zu sein. So lauten auch die 
Nachrichten über die Mannszucht der preußischen Armee viel- 



•) V. d. Goltz, 289. 
♦•) Clausewitz. Nachrichten, 427, ff. 
*••) V. Lettow-Vorbeck, I, CO. 



Digitized by VjOOQIC 



- 45 - 

fach verschieden, Lob und Verdammung stehen oft unvermittelt 
neben einander; wir hören in Correspondenzen jener Zeit mit 
Stolz von der Disciplin der Truppen reden und in andern 
Correspondenzen finden wir das gerade Gegentheil. Aus allem 
scheint hervorzugehen, dass der Formalismus der preußischen 
Armee vor Jena jene Art der mechanischen Disciplin herausge- 
bildet hatte, die gute militärische Bilder in Friedenszeiten gibt, und 
immerhin als Promesse für Kriegsdisciplin angesehen werden 
kann. Die Mannszucht war nichts weniger als lax, sie ward im 
Gegentheile oftmals hart geübt ; allein sie war, wenn dieses Bild, 
das gegenwärtig Bürgerrecht besitzt, gegeben werden kann, 
oberflächlich und nicht tief, mehr äußerlich und nicht durch- 
dringend. Der Mann wusste für leichtere Vergehen Spießruthen 
und Stockprügel sein Loos, allein kein militärisches Verbrechen 
wurde mit dem Tod bestraft.*) Friedrich Wilhelm III. war stets 
bemüht, Nachsicht und Milde nicht etwa selbst nur in Ausnahms- 
fallen zu üben, sondern vielmehr zur allgemeinen Richtschnur 
des Verhaltens Vorgesetzter ihren Untergebenen gegenüber zu 
erheben. Es ist stets ein Verlust für die Disciplin, wenn die 
Strafen in einer Armee aus Menschenliebe, Wohlwollen, Gut- 
müthigkeit, vermindert und erleichtert werden ; zu solchen Con- 
cessionen darf nur der sogenannte Geist der Zeit imperatorisch 
zwingen und nur schrittweise und zögernd seien sie gewährt. 

Die wohlwollende Humanität des Königs hat sicherlich viel 
dazu beigetragen, die Disciplin im Heere, wenn auch nicht äußer- 
lich vorerst, so doch im Innern zu zerstören. Die Oberfläche 
blieb intact, und in seinen Fundamenten zerfiel das seelische 
Kunstproduct Friedrichs des Großen, der von Humanität — so- 
bald sie ihm nicht zweckmäßig erschien — wahriich weit genug 
entfernt gewesen war. 

Denn sehr rasch erkennt eine Armee, wie Jede Gemeinschaft 
von Beherrschten, die leiseste Regung humaner Tendenz, die von 
oberster Stelle weht; auf ihre Wirkungen wird vorweg gebaut 
und der Missbrauch beginnt unverweilt zu keimen. 

Ofßciere, Diese standen durch die Art ihres Ersatzes fast 
vollkommen gesondert den Truppen gegenüber, sie hatten meist 



*) V. Lettow-Vorbeck I, 50. 



Digitized by VjOOQIC 



— 46 - 

durch ihre Geburt schon und nicht durch militärisches Verdienst 
den Anspruch auf das Portepee erworben. Ob diese Art, Officiere 
zu gewinnen, oder die, Unterofficiere zu befördern, an sich vor- 
zuziehen sei, ist zwecklos zu erwägen, da die ganze Heeres- 
verfassung Preußens auf die erste wies. In der That haben die 
Truppenofficiere der Unglückszeit voll und ganz ihre Schuldigkeit 
am Schlachtfelde gethan und die Vorwürfe gegen sie als Ver- 
treter des Adels in der Armee sind wahrhaft abgeschmackt, im 
übrigen auch ziffernmäßig erheblich abzuschwächen. Was den guten 
Willen anbetrifft, so ist ihnen, besonders bei der jämmerlichen 
materiellen Lage und dem trostlosen Avancement, nur volles Lob 
zu spenden. Was das Wissen betrifft, so wird mit einiger Sicher- 
heit anzunehmen sein, dass das Studium der Kriegslehre einen 
bedeutenden Theil der Beschäftigung der Truppenofficiere bildete, 
zumindest der preußische Troupier mehr wissenschaftlich thätig 
war, als der Franzose, der über den Dienst in seiner Truppe 
nicht hinaussah oder dachte. Es ward sogar die Klage laut, dass 
die niederen Officiere zu viel Schreibsucht und kritische Neigun- 
gen an den Tag lägen.*) Wahrlich, wenn man vorurtheilslos mit 
der eigenen Epoche rechnet, so wird man es wohl verstehen, 
wie diese zur Schau getragene Intelligenz als eine Form der 
Überlegenheit über den Gegner angesehen werden konnte.**) Die 
Idee, der Truppenofflcier solle einen weiteren Horizont besitzen, 
als denjenigen, dessen er zur Erfüllung seiner dienstlichen Ob- 
liegenheiten bedarf, kehrt in Friedenszeiten besonders immer wieder, 
der Thatsache vergessend, dass gerade ein beschränkter Hori- 
zont beschränkten Functionen angemessen ist. 

Nicht Intelligenz ist die erste Tugend, deren 
der niedere Officier für den Krieg bedarf 

Geist des Heeres. Wir haben bereits genug über die Zu- 
stände der preußischen Armee gehört, um den Satz glaubhaft zu 
finden, dass der Geist derselben ein durchaus unkriegerischer 
war. ***) Wenn auch ein bescheidenes Maß an Menschenkenntnis 
genügt, um die Phrase vom kriegerischen Geist einer Armee in 

•) V. d. Goltz, Anhang Nr. 26. 

**) Friedrich der Grofie verbot seinen Oificieren geradezu das Bücherschreibeo; 
welche Weisheit und welche Kenntnis des Menschen, welches Zweckbewusstsein liegt in 
dieser Willensmeinung! 

*••) Clause Witz, Nachrichten, 4, 28 11 



Digitized by VjOOQIC 



- 47 - 

seinen W irkungen am Schlachtfelde auf ihren wahren 
Wert zurückzuführen, so mag immerhin zugestanden 
werden, dass der kriegerische Soldat unbekümmert ausmarschirt, 
während der, der es nicht ist, dies muthlos und mit Bangen 
thut; und Überbleibsel von der ersteren Stimmung mögen, trotz 
aller Skepsis, doch unter das Feuer der Kanonen kommen. 

Aus den Nachrichten über jene Zeit tönt uns femer das 
Schlagwort entgegen, die Armee sei im Preußenthum befangen*) 
und von der Erinnerung an Friedrich ganz und gar, bis zur 
Blindheit erfüllt gewesen ; und es wird dieser Umstand der Armee 
als solchen zum Vorwurfe gemacht. Nun analysiere man einmal 
und vergesse nicht des menschlichen Herzens. Gibt es für die 
Masse der Armee wohl eine angemessenere, glücklichere Gabe 
als die Überzeugung, dass sie die erste und beste aller Armeen 
sei, stets war und immer bleiben werde ? Wir sagen für die M a s s e 
der Armee, denn für die Führer gelten andere Gesetze. Aber 
für einHeer als solches taugt so recht derblinde 
Glaube an den eigenen Wert. So gefahrlich es für einen 
Führer ist, das eigene Wissen und Können höher anzuschlagen, 
als es wirklich anzuschlagen ist, so wesentlich ist dies — aller- 
dings mit gewissen Vorbehalten — für eine Kriegerschaar; sie 
halte sich für besser als der Gegner, dann wird sie es in Wahr- 
heit am Schlachtfelde auch sein. Der ganze Geist des Kriegswesens 
gipfelt ja so recht in der Blindheit, dem gläubigen Vertrauen der 
Masse in ihre sehenden, rechnenden Führer. Soll der Füsilier 
Vergleiche zwischen sich und seinem Gegner thun, vor dem Zu- 
sammentreffen, auf vages Quartiergeschwätz basiert ? Steht es ihm 
an, auch nur über den Wert seiner Person zwecklos und flüchtig 
nachzudenken? Er glaube, dass er der tüchtigste von allen 
Soldaten der ganzen Erde sei; das Vertrauen — und nochmals, 
blind darf es sein — das ist der Hebel, der die Masse eines 
Kriegsheeres unwiderstehlich macht. 

Es hat die bittere Kritik der Epigonen sich keinen Augen- 
blick bedacht, der preußischen Armee den pietätvollen Glauben 
an sich und ihren Wert als ein Verbrechen anzurechnen, weil 
sie unterlegen war; nach dem Erfolge wird die Geschichte stets 
gemacht und so wurde das verbissene Preußenthum in der Armee 

♦) Clausewitz, Nachrichten, 428 ff. 



Digitized by VjOOQIC 



- 48 — 

für Jena als Sündenbock gewaltsam hergezogen. Wir glauben, 
dass dies an sich unbillig wäre, wenn dem wirklich so gewesen 
war. Aber auch mit diesem blinden Glauben sah es in Wirklichkeit 
wohl anders aus, als es die chargierten Schilderungen späterer 
Zeit darzustellen suchen. Was ist dem Manne Tradition? 
Was weiß der Füsilier von jenen Thaten, die das Heer vor einem 
Menschenalter und ohne ihn vollbracht ? Wird die Erinnerung an 
Großes, das ohne ihn geleistet wurde, vor langer, langer Zeit, 
auch nur mit dem Gewicht eines Atoms für sein Benehmen 
im Gefechte sprechen.? Die Kenntnis der menschlichen Natur 
muss dies verneinen. Nur das, was der Soldat selbst 
miterlebt und das, woran er mit sichtb arem Er- 
folge selbst theilgenommen hat, wird ihm in der Er- 
innerung Vertrauen zu sich und seinen Führern geben. Die un- 
persönliche Tradition ist für die breite Masse der Truppen ein 
wesenloser Schemen und kann niemals ein Motor im Kampfe sein. 

Wenn die Tradition im Heere von amtswegen noch so 
crass gepflegt und erhalten wird, so kann sie, wenn sie auch 
nichts nützen wird, doch niemals schädlich sein; und kein ge- 
dankenloserer Vorwurf kann gegen ein ganzes Heer erhoben 
werden, als der, dass Eigendünkel als Product der Tradition seinen 
Untergang verschuldet hat. 

Der Geist einer Armee fließt, wie wir wissen, zum aller- 
größten Theile aus deren Magen her. Im Quartier, am Marsche, 
im Kampfe, ist diese Wechselbeziehung für den, der da Augen 
hat zu sehen, gewiss deutlich sichtbar genug; und wenn man 
auf Beispiele hervorragender Ausdauer verweist, die manche 
Truppen zu allen Zeiten im Ertragen von Entbehrungen gegeben, 
so erinnere man sich wohl, dass das menschliche Herz sich 
willig in die Ausnahme, in die vorübergehende Nothwendigkeit 
fügt, dass es jedoch das andauernde und als Regel festgesetzte 
Darben nicht ungestraft erträgt. 

Wie es in diesem Punkt mit dem preußischen Heere be- 
stellt war, haben wir bereits genügend gesehen. 

Organisation im Großen. Auch hierin war Preußen erheblich 
im Rückstande geblieben. Es gab keine andere Eintheilung, als die 
in Landschaften und Inspectionen für die verschiedenen Waffen, von 
welchen letzteren es 13 für die Fußtruppen, 7 für die Reiterei und 



Digitized by VjOOQIC 



- 49 - 

eine für die Artillerie gab. Man kam noch im letzten Augenblicke 
vor dem Beginne der Feindseligkeiten — vornehmlich auf Be- 
treiben Scharnhorst's — zur Einsicht und theilte Ende September 
die preußisch-sächsische Armee in 14 Divisionen, die nach franzö- 
sischem Muster organisiert, dennoch die Besonderheit unverhältnis- 
mäßig starker Dotierung mit Reiterei besaßen. Es leuchtet ein, 
dass diese überstürzte Maßregel alle Keime einer solchen in sich 
barg. 

Die Führer. Um es kurz zu sagen, die Führer von 1806 
waren im Durchschnitt, sowohl was den Charakter, als was das 
Wissen anbetraf, nicht schlechter, als die leitenden Personen 
irgend einer Epoche, die, in den Anschauungen ihrer Epoche 
lebend, in deren Vorurtheilen naturgemäß befangen sind. Was man 
ihnen vorwerfen kann, ist, nicht erkannt zu haben, dass Preußen 
zurückgeblieben war, obgleich auch dies keineswegs von allen 
durchwegs gilt.*) Aber gerade dieser historisch gewordene Vor- 
wurf ist gar sehr einzuschränken, wenn man erwägt: einerseits 
die natürliche Scheu desjenigen, der nicht an allererster Stelle 
steht, an Traditionen, wie jene Friedrichs, zu rühren, als 
Besserwisser und Progressist zu erscheinen in einem so con- 
servativen Kriegsstaat, wie Preußen damals war; und andererseits 
bedenkt, dass von oberster Stelle eine gewissermaßen passive Ini- 
tiative ausgegangen ist, die sich damit begnügte, das Recht der 
Initiative für sich und gegen alle Niedern unbedingt zu fordern, 
ohne sie recht eigentlich thätlich auszuüben ;**) es war eben 
die Form von Friedrich überkommen worden, doch es fehlte ihr 
der innere Gehalt. Anerkannt war, dass Friedrich Wilhelm III. 
allein zu befehlen habe, oflficiell und in der Theorie; so dass die 
Einflussnahme von unten her naturgemäß erlahmen hätte sollen. 
Und da tritt die merkwürdige Erscheinung auf, dass gerade der 
Fürst, der Selbstthun und Selbstdenken von seinen Untergebenen 
keineswegs begehrt, von einer Anzahl unter ihnen intellectuell 
wahrhaft beherrscht wird; das Verhängnis, wenn wir es so nennen 

*) Scharnhorst zeigt in einer Denlcschrift vom April 1806 sich bis zu einer gewissen 
Grenze in den Geist des napoleonischen Krieges, ja des Krieges überhaupt, überraschend 
eingedrungen; v. d. Goltz, Anhang Nr. 48. 

••) Aus dem unendlich reichen Material glauben wir mit vollem Rechte zu diesem 
Resultat gelangen zu dürfen. Wir werden bei Erzfihlung der Begebenheiten historischen Be- 
^veisen hlefür begegnen; indessen sei auf die treffliche Charakteristik Friedrich Wilhelms III. 
in Clausewitzens Nachrichten hingewiesen. 

C. von B.-K. Zur Psychologie des großen Krieges II. 4 



Digitized by VjOOQIC 



- 50 — 

wollen, und um irgend etwas zu nennen, gibt ihm geschmeidige, 
doch wenig fähige Diener in die Nähe seiner Person ; er lässt 
sich von ihnen bestimmen und leiten, und die Willensmeinung 
derselben, die er nunmehr für die eigene, ursprüngliche hält, 
kann gelegentlich zu verhängnisvollem Eigenwillen, dort, wo er 
nicht am Platze ist, werden. 

Der Geist, der die leitenden Männer einer Nation zu einer 
Epoche bewegt, fließt aus den Umständen jener Zeit und führt 
deren Schwäche- und Stärkefactoren mit sich. Von dem Geiste 
ihrer Zeit werden der Füsilier und der oberste Feldherr gleicher- 
weise berührt; ihr Thun wird von diesem Geiste bestimmt; und 
soll es auch; und schlecht stünde es dem Soldaten an, sich 
gegen den militärischen Geist seiner Zeit zu sträuben. Nur der 
Misserfolg kann dahin führen, dass die Nachwelt von jenen 
Menschen gedankenlos verlangt, sie hätten sich über ihre Zeit 
erheben sollen. 

Von außen her wird wohl die Geistesrichtung dem Individuum 
gegeben, sei es durch den Geist der Zeit, sei es durch den macht- 
vollen Willen des Einen. Fügen müssÄT^sich die Individuen, sei 
es der Tradition, sei es der Neuerung durch Einen; die Fähig- 
keiten sind in aller Herren Länder so ziemlich 
die gleichen und die Überlegenheit eines französischen 
Generals über einen solchen aus der alten Schule floss keines- 
wegs aus dessen Natur, sondern nur aus dem neuen 
Systeme. Unfähig waren die preußischen Führer persönlich — 
die Ausnahmen werden zur Sprache kommen — keineswegs; 
Napoleon hätte aus einem Rüchel sicher einen vortrefflichen 
Marschall gemacht; die Unfähigkeit kam, wo sie sich zeigte, von 
ihrer Zeit; und diese aliein, da sie den Widerspruch ihrer Werk- 
zeuge nicht duldet, wird verantwortlich zu machen sein. 

Die greisen preußischen Feldherren jener Epoche besaßen 
persönlichen Muth, trotz des jüngsten Generals des jungen Kaiser- 
reiches; sie besaßen vollauf jenes Maß an Energie, das in der 
preußischen Armee herkömmlich und üblich war, und 
über das hinauszugehen , ihrer Gewissenhaftigkeit unthunlich 
schien;*) sie waren ohne allen Zweifel vom allerbesten Willen 

*) Die Richtigkeit dieses Raisonnements wird, obwohl es vorerst paradox erscheint, 
erwiesen werden; einstweilen sei erinnert, dass der Begriff der Energie nach Zeit und Ort, 
nach Volk und Sitte verschieden, ja ein conventioneller ist. 



Digitized by VjOOQIC 



— 51 - 

für die gemeine Sache beseelt; sie dachten innerhalb des tradi- 
tionellen wissenschafdichen Rahmens vielfach sehr eifrig über den 
Krieg und das, was er erheischt. Als echte Kinder ihrer Zeit waren 
sie die besten ihrer Zeit im Heere, sowohl was das Wollen, als 
was das Wissen betraf. 

Eine ruhmvolle kriegerische Vergangenheit hatte sie in ihre 
hohen Stellungen geführt, sie füllten dieselben mit bestem Wissen 
und Gewissen, ohne besonderen persönlichen Egoismus aus. 
Braunschweig, ein regierender Herr, verlässt seine Staaten, um in 
preußische Kriegsdienste noch einmal zu gehen; Blücher, der 
einst von Friedrich so hart behandelt worden war, eilt bereit- 
willig zum Dienste des Vaterlandes herbei. Wird man ihnen ihr 
hohes Alter zum Vorwurf machen wollen?*) Im Gegentheil, Hut 
ab vor solchen Männern, wenn man an jene französischen 
Satrapen denkt, die ihrem Souverän nachmals gar oft recht un- 
bequem geworden sind. Wird es ihnen zu verdenken sein, dass 
gewisse Rivalitäten dann entstanden, wenn der König heute den 
und morgen jenen um. Rath und Willensmeinung frug? Wie 
kann man den lähmenden Einfluss verkennen, der in dem Wunsche, 
den lange ruhmvoll bewahrten eigenen Ruf auch weiterhin zu er- 
halten und in dem recht eigentlich preußischen Gefühl höchster 
Verantwortlichkeit lag? 

Die Billigkeit und das redliche Streben nach historischer 
Wahrheit erfordern es, anzuerkennen, dass die preußischen Feld- 
herren der vorjena'schen Periode voll und ganz das waren, was 
von ihnen fuglich zu verlangen oder zu erwarten war: treue, 
redliche, vom besten Geist beseelte Diener eines Staates, in dessen 
Anschauungen zä leben für jeden Patrioten ein Ehrentitel war. 
Wohl kann man von Männern in so hohen Stellungen mehr als 
den Willen, man darf das Erkennen verlangen, und da wird uns 
auch berichtet, dass es daran keineswegs gefehlt hat. Der Feldherr 
von Valmy machte sich sehr seine Gedanken über die neue Art 
des Krieges und so viele andere auch. Sie waren keineswegs blind, 
vielmehr scheint gerade den obersten Führern die Überzeugung 
der Unzulänglichkeit der preußischen Armee für einen Kampf mit 
den Franzosen zum Bewusstsein gekommen zu sein. Aber der 



*) MöUendorf zählte 82, Braunschweig 71, Kaikreuth 69, Hohenlohe 60, Sch mettau Ö4, 
Blücher 62, Wartensleben 60 Jahre u. s. w. Gesch. d. Kr. in E. VIJ, 29. 

4* 



Digitized by VjOOQIC 



— 52 — 

Schritt von dem Erkennen der Nothwendigkeit einer Reform bis 
zu deren praktischer Inangriffnahme war im preußischen Staate 
jener Zeit nicht ohne persönliche Gefahr zu thun. 

Wo ist also die historisch verantwortliche Stelle zu suchen ? 
Vor allem sagen wir mit Freiherrn v. d. Goltz :*) Der Einfluss des 
Zeitgeistes war unstreitig die wichtigste Ursache für die innere 
Schwäche des preußischen Heeres. Dann muss ihm gewisser- 
maßen beigestimmt werden, wenn er dem König selbst einen 
großen Theil der Schuld an dem Ausbleiben der Heeresreform 
zumessen zu dürfen glaubt; gewissermaßen, sagen wir. Denn es 
erscheint nicht unbedenklich, gerade vom Souverän zu ver- 
langen, dass er zuerst voll und ganz erkennen, und sich dann 
spontan zum Brechen mit einem Systeme entschließen soll, dessen 
ruhmvolle Vergangenheit mit dem Throne innig verbunden war. 
Ist diese sachlich e Initiative so recht das Amt 
jedes Souveräns, sagen wir des D u rch seh nitts- 
Souveräns? Liegt der Be ruf des Her rscherthu ms 
im allgemeinen nicht vielmehr im Vorhandensein des 
Herrschers, als indessen Thätigkeit.^ Menschen wie 
Friedrich und Napoleon verwirren durch ihr Thun das 
Normalbild eines Souveräns, und sowie dasideal 
nachmals von Souveränen unvollkommen copiert 
zu werden pflegt, so trübt sich d as Ur theil der 
Geschichte und verlangt sodann vom Herrscher 
als solchen ein eTh ät ig keit, die lediglich vonAus- 
nahmserscheinungen am Throne geboten worden ist. 

Nichts kann gefährlicher in seiner Nutzanwendung und 
historisch ungerechter sein, als ein Raisonnement, das vom Durch- 
schnittsherrscher mehr als die Durchschnittsäußerungen des 
Herrscherthums verlangt. 

Anschauungen über den Krieg, Während die französische 
Anschauung vom Kriege unmittelbares Product der Praxis war, 
erkennen wir in ihr auf preußischer Seite ein Kunstproduct der 
Wissenschaft. 

Diese Wissenschaft hatte ihren Ausgang genommen von 
der umfassenden Gedankenarbeit, die durch die Kriege und Er- 
folge Friedrichs des Großen angeregt worden war. Aber nicht 

•) 300. 



Digitized by VjOOQIC 



— 53 - 

an die glänzendste Epoche des Königs knüpfte dieselbe an, sondern, 
dem Gesetze folgend, das uns anweist, in den abschließenden 
Thaten eines bedeutenden Mannes das von den Schlacken ge- 
klärte Resultat langer Erfahrung zu sehen, wurzelte sie viel- 
mehr in der Kriegführung und Kriegslehre von Friedrichs 
Lebensabend. Die persönliche Reaction in der Anschauung vom 
Kriege, die Friedrich erlebt, übertrug sich mählich auf den Geist 
der Heer- und Truppenführer. Hand in Hand mit der proclamierten 
Staatsöconomie gieng der strategische Grundsatz, mit möglichster 
Vorsicht zu handeln. Friedrich hatte bei der politischen Lage 
Europas stets nur den Krieg mit Habsburg im Auge gehabt, 
und unumwunden bezeichnet er Österreichs Armee als den 
einzigen ernsthaften Gegner.*) Wie man sich der unerhörten Er- 
scheinung des neuen Krieges gegenüber zu verhalten habe, das 
zu bestimmen war ihm nicht mehr vergönnt. Und die Worte, 
mit denen er auf die V^eränderiichkeit der Natur des Krieges 
weist, und die vorurtheilslose Veränderung der Art, ihn zu führen, 
verfangt,**) sollte dies nothwendig werden, waren an Adressen 
gerichtet, von deren Trägern ihn keiner verstand. 

Ein Danaergeschenk zweifacher Natur hinterlässt jedweder 
wahrhaft bedeutende Mann seiner Nation. Da es stets Wenigen 
gegeben ist, in der Seele des Heroen mit Sicherheit zu lesen, die 
Ursachen der Erfolge in dieser Seele eben klar zu er- 
kennen, so klammert sich die Mehrheit an die Mechanik der 
Mittel, deren er sich zu seinen Erfolgen bedient; sie sieht in 
diesen seine Stärke und überschätzt sie sicherlich. Und dann ist 
der Autoritätenglaube des Menschen ein besonders nachhaltig 
wirkendes Impediment; wohl ist es gut, dass dem so ist; aber 
unmerklich führt der Autoritätenglaube zu einer Trübung des 
Urtheils, die ohne jene Autorität nicht eingetreten wäre. 

Es ist eine seelische und sociale Nothwendigkeit, dass das 
Bedeutende Mittelmäßiges zum Nachfolger hat; eine militärische 
Nothwendigkeit ist, dass ein großer Soldat von kleinen Soldaten 
gefolgt wird. 

Die spät- und nachfriedericianische Zeit war eine frucht- 
bare für die militärischen Wissenschaften. Ein Blick in die Denk- 
— ^ \ 

•) Milit. Test. 26 ff. 
••) MUit. Test. 37. 



Digitized by VjOOQIC 



— 54 — 

Würdigkeiten der militärischen Gesellschaft zu Berlin genügt, um 
zu zeigen, wie sehr man in der Armee wissenschaftlich thätig war. 

Diese Wissenschaft überschätzte weit über alles Maß 
mathematische und Terrainkenntnisse.*) Woher das kam, ist 
unschwer zu erkennen, wenn man bedenkt, dass die Wissen- 
schaft wissenschaftlicher Formen sich besonders dann bedient, 
wenn die Größe der zu studierenden Gestalt ein Messen dieser 
selbst unthunlich macht. Hat man doch Napoleon selbst den 
Mathematiker des Erfolges und den Mechaniker des Sieges ge- 
nannt. Der speculative Sinn des deutschen Nordens liebt es, den 
Geist der Ereignisse in Schemas und Tabellen darzustellen; das 
hält er für exact und unanfechtbar. Es übertrug sich diese Art, 
den Krieg wissenschaftlich zu betrachten, wahrhaftig auf die An- 
sicht der Führer, wie derselbe praktisch zu kämpfen sei, und 
einzelne derselben hatten sich mit Punkten des Operationstheaters 
im vorhinein derart vertraut gemacht, als ob sie glaubten, der 
Krieg werde und müsse sich an jene Punkte ziehen; so Massen- 
bach, der mit dem Ettersberge bei Weimar ein förmliches Ver- 
hältnis zärtlicher Natur geknüpft; so Grawert, der für eine 
„Stellung"' bei Coppanz heftig schwärmte.**) Es scheint indessen 
pharisäerhaft zu sein, wenn wir mit Mitleid auf die Zeit hernieder- 
blicken, die von strategischen Bastionen und Curtinen sprach. Ob 
man diese Worte oder jene heute üblichen „strategische Front 
und Flügel" gebraucht, ist für das Wesen des Begriffes 
so ziemlich einerlei. Die militärischen Terminologien jeder 
Zeit kommen aus dem Sprachgebrauche der Zeit und nicht 
sie sind es, die an sich di e N iede rlagen herbei- 
geführt haben. Gleichwohl liegt oft ein tiefer Sinn in ihnen, 
und diesem heißt es auf die Spur zu gehen, bevor man wagen 
darf, ein Urtheil abzugeben. 

Insoferne man unter Anschauung vom Kriege einer Epoche 
das versteht, was die Führer vor dem Kriege in demselben zu 
thun und zu lassen gedachten, so kann man mit Sicherheit 
annehmen, dass etwa folgende Glaubenssätze galten. 

Strategie, Man muss niemals alles auf eine Karte setzen, 
woher natürlich von allem Anfang an Zersplitterung der Kräfte 



•) V. Lettow- Vorbeck. I, 57 ff. 
••) V. d. Goltz, 217. 



Digitized by VjOOQIC 



- 55 — 

kam ; die vornehmlichste Aufgabe eines Feldherm liegt darin, 
mit möglichster Schonung der eigenen Mittel möglichst viel zu 
erreichen, daher ziehe man das Manöver — auf dessen Macht 
bestimmt auch gegen Napoleon gerechnet wird — als billigeres 
Mittel, so lange als es geht, der blutigen Entscheidung vor.*) 
Auch scheint in Erinnerung an Friedrich der Glaube an die 
Überlegenheit des Manövers über die Zahl ein festgegründeter 
gewesen zu sein. Es müssen aber alle diese Dinge durchaus 
nicht so crass genommen werden, wie man es aus der zum 
Verständnis nöthigen Deutlichkeit der Darstellung wohl möchte. 
Große Taktik, Was diese betrifft, so hat auch die Legende 
von Friedrichs unverstanden angewandter schiefer Ordnung weit 
über Gebür verwirrend fortgespukt Richtig scheint zu sein, 
dass das Linear - System als solches zu einer Art der Truppen- 
aufstellung und Vertheilung zwang, von der aus der Truppen- 
gebrauch in fest vorherbestimmter Form nur geschehen konnte. 
Zur überraschenden Vereinigung einer überlegenen Zahl auf einen 
bestimmten Punkt fehlte die taktische Beweglichkeit; wie der 
preußische Soldat, so konnte auch das preußische Bataillon, ein- 
mal ins Gefecht getreten, nur vorwärts mehr oder gerade rück- 
wärts gehen. Wir wissen bereits, dass an eine Massenverwendung 
der Reiterei und des Geschützes nicht gedacht, dieselbe weder 
organisatorisch noch taktisch vorbereitet war. 

Es wurde im preußischen Heere viel und tief gedacht. Allein 
es ist zu bemerken, dass nur im officiellen Sinn zu denken ge- 
stattet war. Nur mit größter Vorsicht durfte Kritik geübt werden. 
Noch zu Friedrichs Lebzeiten hatten „ Frey müthige Gedanken" damit 
beginnen müssen, ihr Dasein gewissermaßen zu entschuldigen.**) 
Denkende Kriegsschriftsteller, wie Bülow, werden von den zünftigen 
Militärliteraten aufs schärfste attakirt ;***) hatte er doch mit prophe- 
tischem Geiste die Grundzüge des Krieges von 1806 vorher- 
gesehen, f) Eine Besprechung der Mängel der preußischen 
Cavallerie durch einen Officier dieser Waffe wird von der mili- 



•) V. Massenbach in seinem Operationsentwurf vom Herbste 1805. 
*•) V. d. Goltz, 103. 
•••) Jahns, III, 2142. 
t) Lehrsätze des neuern Krieges oder reine und angewandte Strategie etc. Berlin 
1805; 728 ff. 



Digitized by VjOOQIC 



- 56 - 

tärischen Gesellschaft rundweg abgelehnt.*) Dass der Anstoß zu 
Reformen nicht von unten kommen darf, ist gewissermaßen billig. 
Aber man durfte sich dann auch keiner sonderlichen Schaffens- 
freudigkeit in der Armee versehen. 

Man sieht: die wissenschaftliche Anschauung vom Kriege 
war zum Theile von oben octroyirt; auch in dieser von 
ihren Traditionen zehrenden Armee lebte viel gesunder Sinn, be- 
sonders in den niederen Reihen. 

Aufklärung und Krieg. Es wurde erwähnt, wie in Dingen 
der Verpflegung, der Beitreibungen, Belegung von Quartieren, die 
weitgehendste Rücksicht auf das Wohl des Bürgers genommen 
war. Bis zu den höchsten Stellen war die Idee gedrungen, als 
sei der Krieg mit größter Schonung für das Land zu führen — 
ein unverstandener Rest von Friedrichs weiser Menschenöconomie 
— und aus dieser Idee floss eine Gebundenheit aller Entschließungen 
her, die wahrhaft lähmend gewirkt hat, zumal dem Sansculottismus 
der Franzosen gegenüber. Umständliche Correspondenzen werden 
darüber angefangen, ob dieser oder jener vorhandene Vorrath, 
dessen die Truppe aufs allerdringen dste und sogleich bedarf, auch 
wirklich angegriffen werden soll, und ehe der Bescheid zur Stelle 
ist, hat sich desselben bereits der Gegner bemächtigt. Rücksichten 
hier und Rücksichten dort führen zu einer, wie es heute scheint, 
ganz philisterhaften Art des Krieges. Nur ganz sporadisch kommt 
es vor, dass ein General sich von den beengenden Rücksichten 
auf die Miniaturlandeshoheiten zu emancipieren gedenkt.**) 

Reformbestrebungen. Schon während des Endes von Frie- 
drichs Regierung hatten sich einzelne Stimmen platonisch für 
Reformen erhoben. Friedrich Wilhelm II. fasste dieselben, angeregt 
durch zum Theile fremde Kritik,***) näher in's Auge und wandte 
sich zunächst der Verbesserung der materiellen Lage seines 
Heeres zu. Bald nach seinem Regierungsantritt errichtete er das 
Ober-Kriegs-Collegium, die Thatsache würdigend, dass er einer 
so großen, umfassenden Thätigkeit nicht gewachsen sei, wie 
Friedrich sie mühelos geübt. Allein schon die einzige bedeutende 
That der neuen Aera, das Cantonreglement von 1792, war nur 



•) V. d. Goltz, 303. 

••) Rüchel an den Kurfürsten von Hessen, 26. Sept.; Dechend, 57. 
•••) Mirabeau legte 1787 dem Könige in einem offenen Briefe Reformprojecte vor. 



Digitized by VjOOQIC 



57 



eine halbe Reform wegen der zahllosen Begünstigungen, die bei 
Erfüllung der Wehrpflicht zugestanden wurden. Im Jahre 1795 
schuf der König die Immediat-Militärorganisations-Commission 
unter dem Vorsitz Möllendorfs, dem Friedrich selbst dereinst ein 
günstiges Horoskop gestellt,*) und deren Thätigkeit im großen 
Ganzen im Erwägen der vorgelegten Entwürfe und sodann ad 
acta Legen derselben bestand. 

Friedrich Wilhelm III. blieb in dauernden Beziehungen zur 
Organisations-Commission und es ist anzuerkennen, dass er ziem- 
lich klar die bestehenden Mängel erkannte mit seinem „kritischen 
Blick", der eben weiter nichts als kritisch war. Männer wie 
Lecocq, Knesebeck, Courbiere reichten Denkschriften ein, bei deren 
vorurtheilsloser Prüfung es sich zeigt, dass ihren Autoren eine 
freie und unbefangene Würdigung der Dinge keineswegs gefehlt 
hat ; hat Knesebeck doch gewagt, auf die Überlegenheit der fran- 
zösischen Kriegsmacht hinzuweisen. Allein gerade die maßgeben- 
den Persönlichkeiten verhielten sich jeder Reform streng ablehnend 
gegenüber. Rüchel nennt Courbiere, der von dem namenlosen Elend 
des Heeres sprach, in seiner Schrift „Kurze Beantwortung einiger 
sonderbarer Zweifel" in jene traurige Hypochondrie verfallen, die 
seine Arbeit bezeichnet, und habe es ihm an der „interieuren*' 
preußischen Kenntnis gemangelt ; es ist bekannt, dass der oberste 
Kriegsherr stark unter Rücheis Einflüsse stand. So füllten die 
zahlreichen Denkschriften und Memoires allgemach die Manuscript- 
bestände der Commission und wurden zum Theile wieder vergessen. 

In einer Aufzeichnung aus dem Beginne des neuen Jahr- 
hunderts fasst der König selbst den Krieg mit Frankreich in's 
Auge und erklärt sich mit Entschiedenheit für Verwertung der 
Volkskraft im künftigen Kriege. Man beginnt die Anläufe Frie- 
drichs zu gelegentlicher Bildung von Milizen zu studieren, und 
1803 hat Knesebeck eine umfangreiche Studie über die Volks- 
bewaffnung vollendet, in der er eine „Vaterlandsreserve" und 
„Vaterlandslegionen" begehrt, sowie er das taktische Thun dieser 
Körper überraschend klar und zweckbewusst mit deren Eigenart 
in Einklang bringt. Jedoch die Organisations-Commission verwarf 
den Entwurf mit den Worten**): „Die preußische Militärverfassung 



*) . . . MoelUndorf deviendra hon . . . Milit. test. 39. 
••) V. d. Goltz, 155. 



Digitized by VjOOQIC 



- 58 - 

und Staatswirtschafc ist ein denkwürdiges Original, rührt man ein 
Glied an, so erhält die ganze Kette einen elektrischen Schlag**, 
und so kam es, dass die durch Cabinetsordre vom 17. August 
1805 nach langwierigen Verhandlungen und mit enormen Amende- 
ments befohlene Bildung von Landreservetruppen (78 Bataillone 
ä 600 Mann) ein reines Zerrbild der Originalentwürfe blieb; 
und auch die Ausführung dieser angeordneten Reform wurde in- 
folge des Widerstandes der Civilbehörden zum Theil so lau be- 
trieben, dass im Jahre 1806 kein einziges Bataillon wirklich zur 
Aufstellung gelangte. 

Wir haben somit gesehen, dass die ganze papierene Reform- 
arbeit so vieler Jahre zu keiner einzigen in der Stunde der Ent- 
scheidung wirksam werdenden Reform geführt. Es fehlte eben 
das an die Kehle gesetzte Messer, das allein in den allermeisten 
Fällen zu durchgreifenden Verbesserungen führt; war doch die 
Cabinetsordre von 1805 eigentlich nur durch die drohende poli- 
tische Lage herbeigeführt worden. 

Glaube an die Tradition und Cassandrarufe. Die passiven 
Widerstände, denen wir bei Vorlage von Reformplänen immerdar 
begegnen, flössen nicht (oder nicht vornehmlich) aus persönlicher 
Indolenz und individuellem üblen Willen her, sondern fußten 
ganz und gar auf dem blinden Glauben an die Vorzüglichkeit 
jener Institutionen, die in ihrem Wesen von Friedrich überkommen 
waren. Es ist der fatalistische Zug, der jedem großen Meister 
des Erfolges nachziehen wird und er muss entschuldigend ge- 
würdigt werden in seinem ganzen Gewicht, wenn wir officielle 
Aussprüche wie den folgenden vernehmen : „Es erscheint ganz 
unbegreiflich, wie jemand einer siegreichen Armee, die so lange 
für ganz Europa ein unerreichtes Muster gewesen ist und bleiben 
wird, eine totale Veränderung ihrer Verfassung zumuthen kann, 
welche sie zu einer bloßen Landmiliz reducieren würde.**) In 
diesem Ausspruche liegt der Schlüssel zu allem, was über Preußen 
kam ; und doch, wer die menschliche Natur versteht, wird ihn 
begreiflich und entschuldbar finden. 

Wir haben gesehen, wie manche Männer anders dachten, 
als dies officiell geschah, und die Mängel richtig erkannten; so 



•) Bescheid der Organisations-Commission auf Knesebecks Reformproject. 



Digitized by VjOOQIC 



- 59 - 

konnte es nicht fehlen, dass sich hie und da Stimmen erhoben, 
die warnend und unglückdrohend klangen. Vor allem war es 
der König selbst, der kein rechtes Vertrauen zur Armee hatte in 
gewissen Momenten der Herabstimmung,*) um in anderen Mo- 
menten wieder der Zuversicht voll zu sein. Braunschweig gruselte 
es geradezu vor dem überlegenen Feldhermtalent Napoleons und 
bei Übernahme des Oberbefehles ist er schlimmer Ahnungen 
voll.**) Natürlich wurde nicht laut und öffentlich über derlei ge- 
sprochen, vielmehr ostentativ eine Zuversicht zur Schau getragen, 
die gar oft nichts als die Maske eines unruhigen Gewissens ist. 
Aber in vergessenen Memoiren vor jener Zeit***) und in allerlei 
Correspondenzen t) sieht man gar oft den bangen Zweifel über 
das, was da kommen werde, entstehen. 

Richtig ist, dass in der Ungewissheit angesichts eines drohen- 
den Krieges meist auch in einem auf der Höhe des Bedürfnisses 
stehenden Staate der Zweifel vereinzelt aufzutreten pflegt; aber 
bei den leitenden Männern des Staates und Heeres soll er nach- 
träglich nicht mit der Sicherheit nachweisbar sein, wie es hier 
mühelos geschehen kann. 



Von allen Arten der historischen Darstellung hat die Kriegs- 
geschichte am erheblichsten unter dem Umstand zu leiden, dass 
dem, der die Ereignisse und deren Ursachen und die Quellen, 
aus denen die Ursachen kommen, im Nachhinein besieht, das 
Ergebnis völlig bekannt ist. Rückwirkend verwirrt diese Kenntnis 
stets und immerdar in der Betrachtung der Prämissen, die zu 
dem Urtheil geführt, das die Geschichte gefallt. Es ist so und 
kann nicht anders sein. Allein es scheint, als ob das Schwer- 
gewicht dieser Wahrheit nicht stets erkannt worden sei. 



•) Friedrich Wilhelm III. an Kaiser Alexander, Charlottenburg, 23. Juni 1806 ; 
Baillcu, II, Urk. Nr. 358. 

**) Ludwig V. Ompteda, Politischer Nachlass, I, 107. 

•**) «FreymQthige Bemerkungen über die in der Gegenwart verborgene zukünftige 
Lage Preufiens* aus dem Ende des alten Jahrhunderts schliefien wie folgt: . . . mein Vater- 
land wird, wenn nicht schnellwirkende Mittel ergriffen werd n, seine bedeutende Rolle bald 
ausgespielt haben und sich seinem Untergange nähern . . . . v. d. Goltz 142. Ähnlich äufiert 
sich Schamhorst selbst in seinem Memoire vom April 1806. 

t) Rachel an Hardenberg, Berlin, 15. August; Skizze des Augenblicks: .... gibt die 
Vorsicht Glück, so können noch Evennements eintreten, die für uns günstig und glücklich 
sind . . . . ; diese Sprache von einem Rüchel muss sehr sinister klingen. Hardenberg, V, 380. 



Digitized by VjOOQIC 



- 60 - 

Möge man die Philosophie der Geschichte am Gängelbande 
theistischer Weltanschauung erfassen, wie Joseph de Maistre in 
seinen „Soirees de SL Petersbottrg" ; leite man sie aus der 
freien Selbstbestimmung her, wie Condorcet in seiner Skizze über 
den Fortschritt des menschlichen Geistes; führe man sie auf un- 
erbittliche, unveränderliche Gesetze, wie Montesquieu, zurück: 
stets klammert sich das Urtheil an das Resultat, fußt auf ihm, 
schmeichelt ihm, fügt sich ihm, und führt, in die Enge getrieben, 
für die Richtigkeit seiner Argumente — das Resultat in's Treffen. 

Es kann nicht anders sein. 

Erfassen wir nochmals das Bild beider Armeen und ver- 
suchen wir — den Ausgang vergessend, ganz und ehrlich uns 
in jene Zeit und in jedes der Kriegsheere hineinzudenken. 

Wie hat die Anschauung jeder Armee über den bevor- 
stehenden Kampf und dessen Resultate aussehen mögen? 

Wohl ist wahr: 

dass die Ansicht einer Armee über den Ausgang des be- 
ginnenden Kampfes sich mit der Wirklichkeit nicht immer decken 
wird; entmuthigt und missvergnügt war die zerlumpte Soldaten- 
schaar, die der junge Bonaparte in jenen unsterblichen Apriltagen 
des Jahres 96 von Sieg zu Sieg geführt; erhoben und' getragen 
von dem Glauben an den Sieg war die Armee, die bei Kolin 
erlag; gleichwohl scheint innerhalb gewisser Grenzen die in einer 
Armee universelle Ahnung des Ausganges untrüglich zu sein; 

dass das moralische Bild einer besiegten Armee vor der 
Niederlage uns anders überliefert wird, als es thatsächlich war. 
Die Zweifel, die in einem siegreichen Heer vor dem Kampfe 
laut geworden sind, verzeichnet der Historiker fast nie; mit 
dicken Strichen und grellem Farbenton bringt so manches Mit- 
glied des überwundenen Theils sein klares Vorauserkennen des- 
jenigen, was kommen musste, und sein sorgenvolles Ahnen des 
Ausganges nachmals zu Papier; aus den Memoiren überfließt 
dann das persönliche Motiv in die Geschichte; 

dass die Meinung einer ganzen Truppenmasse über den 
Gegner auf die blutige Entscheidung selbst nicht 
wesentlich wirksam sein wird können ; die Schärfe subalterner 
Kritik verstummt unter dem Donner der Geschütze und unter 
diesem eben ergibt sich die Entscheidung; zumal dann, wenn die 



Digitized by VjOOQIC 



- 61 - 

Kriegsheere einander lange nicht mehr gegenüberstanden oder über- 
haupt zum ersten Male gegenüberstehen, wird ihre Schätzung 
gegenseitig ihr Thun im Gefechte wenig bestimmend sein; unbe- 
fangener tritt der Soldat jenem entgegen, mit dem er annoch nicht 
zu thun gehabt, als dem, den er gestern besiegt, oder von dem 
er unlängst überwunden wurde ; in seinen praktischen Wirkungen 
sehr vag ist bei den Truppen das Gewicht fremden Renommees ; 
obwohl der Ruf von der Tüchtigkeit des gegnerischen Heeres auch 
immerhin manche Sorge beim gemeinen Mann erwecken mag. 
Aber gleichwohl ist es, wenn man die Geschichte ver- 
stehen will, nothwendig, sich in die Lage und das Denken der 
Kämpfer von ehedem hineinzuleben; indessen scheint dies mehr 
eine Sache des historischen Instincts als der exacten Forschung 
zu sein. 

Wir haben gehört, dass die Soldaten des Empire in diesen 
Kampf voll froher Hoffnung zogen. Respect vor Friedrichs 
Truppen haben sie wohl kaum gehabt; was wusste der Soldat 
des Kaiserreichs von Friedrich überhaupt? Schon beginnt dagegen 
leise sich der Glaube an die Unüberwindlichkeit Napoleons in 
den Bivouakgesprächen zu entwickeln, der noch immer mächtig 
wachsen' wird. Jedoch, nochmals, was ist die Meinung einer 
Armee an sich? 

Was die preußischen Truppen betrifft, so sind uns so 
zahllose Urtheile über sie bewahrt, und dieselben widersprechen 
sich so oft geradezu, dass es wahrhaft schwierig erscheint, ein 
klares Bild der Stimmung in der Armee zu geben. Indessen kann 
man wohl mit Freiherrn von der Goltz, der wahrlich alles auf- 
geboten hat, um das Heer von Schuld und Schande reinzuwaschen, 
zu dem Schlüsse kommen, dass trotz der zur Schau getragenen 
Zuversicht in der Seele der Armee ein gewisses Misstrauen in die 
oberste Leitung überwogen hat*). 

Von einem solchen war auf Seite der Franzosen allerdings 
durchaus nicht die Rede. 

Unendlich wichtiger als die schlecht fundierten und wenig 
wirklichen Einfluss habenden Urtheile der gegnerischen Truppen 
über einander und das was kommen werde, muss die Meinung 
sein, die an den leitenden Stellen beider Armeen platzgegriffen hatte. 

•) 280, u. a. a. O. 



Digitized by VjOOQIC 



— 62 — 

Hier ist nicht sehr vieles positiv historisch nachzuweisen: 
auf preußischer Seite immerhin noch mehr, aber ein französisches 
„Rossbach und Jena" besteht natürlich nicht. 

Auf preußischer Seite steht fest, dass man die Erfolge der 
Franzosen von lange her schon aufmerksam verfolgte. Die Frage, 
ob die Franzosen mit dem Kriege in der neuen Zeit weitergekom- 
men seien, als die deutschen Stämme, wird in der militärischen 
Gesellschaft oft und gründlich ventiliert, wenngleich naturgemäß 
nicht unbefangen. Ein paar Officiere waren im Laufe der Jahre in 
Frankreich gewesen, wurden jedoch, wie es scheint, vom ersten 
Consul schon, militärisch düpiert, ihre Berichte enthalten durchaus 
nicht den Kern des Wissenswerten und wurden zumeist auch nicht 
publik. Indessen konnte der, der Augen hatte zu sehen, die Sig- 
natur der neuen kriegerischen Epoche aus ihrem Thun erkennen. 
Wie man an den höchsten Stellen über den Ausgang des bevor- 
stehenden Kampfes dachte, gelegentlich, heißt das, wurde bereits 
ei*wähnt. Das böse Gewissen schlägt oftmals vor, es ist nicht 
hinwegzuleugnen. Es bleibt somit nur anzunehmen, und die 
Betrachtung der Ereignisse wird dies erweisen, dass man sich 
nach Augenblicken der Entmuthigung in solchen der Hoflfnungs- 
freudigkeit dem Zauber überließ, der in dem guten Glauben an 
eine überkommene Tüchtigkeit liegt, trotzdem oder vielmehr 
gerade weil man deren Elemente nicht mehr klar versteht. 

Wenn man in. Preußen dachte, hoffte, Befürchtungen em- 
pfand, so war dies bei den Franzosen nur Sache eines Mannes. 
Es ist anzunehmen, dass er über die Verhältnisse der preußischen 
Armee in allem Wesentlichen wohlunterrichtet war.*) Während 
der Diplomat der alten Schule, Lucchesini, gar keinen militärischen 
Blick besitzt, und seinem Hofe Nachrichten höchst unwesentlicher 
Natur in militärischen Dingen zukommen lässt, benützt Napoleon 
jede Gelegenheit, um auch im diplomatischen Verkehr durch seine 

•) Zweifelsohne war dem Kaiser der Inhalt des Briefwechsels von Talleyrand 
mit Hauterive bekannt ; folgendes möge aus demselben angeführt sein : Hauterive an Talley- 
rand, 20. Nov. 1805 . . . qtt'on choisisse quelle armce Von vondra de Celles qui appariienneni 
aux grandes puissanccs de VEurope, je n'en exceptc pas mime cellcs de Portugal ei 
d'Espagne, il n'y ett a pas une qui ne soit en etat de donner des le^ons de courage, de fitrti 
et d'elcvation ä cellc de Prusse . . . qui ne soit raisonuablement fondee ä esferer de 
Vintimider, de Vaffaiblir par les desertions, et de la vaincrc; am 28. Nov. 1805 ... Grand 
Frederic.' ä dix-huit ans de toi, voilä ce qu'on fait de cette grande armce, que tu avais 
pris tant de peine ä former . . In diesem Tone sind alle Briefe abgefasst; Bailleu, II, 2. An- 
hang, 609. 



Digitized by VjOOQIC 



— 63 - 

Angestellten Aufschlüsse über Preußens Heer zu erhalten.*) 
Wenn man seine Correspondenz noch so argwöhnisch prüft, so 
muss man doch zu dem Schlüsse gelangen, dass er von Preußen, 
wie in jeder Hinsicht, so auch in militärischer, aufrichtig gering 
gedacht hat;**) trotz der angemessenen kriegspsychologischen 
Vorsicht überträgt sich das Urtheil des obersten Kriegsherrn über 
den Gegner auf seine Generale. 

Es ist nach allem nicht zu zweifeln, dass in Hinsicht der 
gegenseitigen Beurtheilung Frankreich — wenn man so sagen 
darf — die Vorhand hatte; es glaubt überlegen zu sein und 
rechnet auf Erfolg ; und zwar glaubt es dies fester, intensiver, ohne 
Momente des Zweifels, wie sie bei seinen Gegnern zu finden 
sind, und unerschütterlicher als eben sie. 

Und wir wissen aus der historischen Kritik, dass seine 
Mittel und Formen des Krieges jenen Preußens wirklich über- 
legen waren. 

Es ist daher überlegen ; und hat dies wohl g e w u s s t. 
Nicht stets findet man diese beiden Potenzen vereint. 

Denn Preußen hielt sich ja gewissermaßen auch für über- 
legen; dass dies den Thatsachen nicht entsprach, dafür kann 
man das Heer gar nicht und die leitenden Männer nur 
bis zu einer gewissen Grenze verantwortlich 
machen. 



*) Schon 1801 ließ sich der erste Consul von Duroc über die preußischen Truppen 
melden: , . . Je crois que le Soldat a plutöt de l'apparence et qu'il manque iout ä fait de 
nerf et d^intelligence . . . Bailleu, I, 514, In den nicht chiffrierten Correspondenzen desselben 
Generals anlässlich seiner Mission an den preußischen Hof 1805 finden sich dergleichen Be- 
richte über die Armee ; Duroc an Talleyrand, 18. Sept. 1805 . . . certes, l'armie prnssienne 
n'est rien moins que prefe ä entrer en campagne . . . , Bailleu, 11, Urkunde Nr. 285. Es ist 
mit Bestimmtheit anzunehmen, dass dieser Vertraute Napoleons seinem Herrn mündlich die 
aUerweitestgehenden Aufschlüsse über Preußens Kriegsmacht gegeben hat. 

••) An den König von Neapel, St. Cloud, 13. Sept. 1806 . . . Sous peu de jours eile 
(la PrusseJ aura desarme ou eile sera ecrasce . . . . ; an den Prinzen Eugen, ebenda, 
15. Sept.; an den König von Holland, vom selben Datum; u. a. a. O. Diese überall unverkenn- 
bar zutagetretende Ueberzeugung, der Sieg werde diesmal ein leichter sein, schließt doch 
keineswegs aus, dass der Kaiser die Möglichkeit von Rückschlägen auch in's Auge fasste. 



Digitized by VjOOQIC 



Digitized by VjOOQIC 



IL 



Politik und Strategie. 



Digitized by VjOOQIC 



Digitized by VjOOQIC 



Auch in der Staatspolitik, dieser so vorurtheiislosen — sie 
soll es doch wohl sein — oftmals mit Impromptus und plötzlichen 
Wendungen des Interesses arbeitenden Thätigkeit, dieser wahren 
Kunst des Augenblicks manchmal, spielen die Ahnen gar oft eine 
bedeutende Rolle. 

Der Vergangenheit gedenkt der Staatsmann stets, oder soll 
ihrer doch gedenken, wenn ihn der Drang des Augenblicks zu 
folgenschweren Entscheidungen der Staatspolitik ruft. 

Nicht zu pietätvoller, traditioneller Consequenz in seinem Thun 
werden ihn die Ahnen der internationalen — oder interhöfischen, 
je nachdem — Beziehungen vermögen, vielmehr ihm nichts 
anderes sein, als das Material an Erfahrung, auf welches und 
durch welches er zur Berechnung, dann zum Entschlüsse des 
Augenblicks gelangt. 

In diesem Sinne fasse sie der Geschichtsschreiber auf; am 
Tage liegt, dass der praktische Wert der Ahnen mit ihrem Alter 
abnehmen wird; und so gibt es des öftern einen Punkt in der 
Geschichte, den man den todten Punkt der Beziehungen von 
Volk zu Volk nennen möchte , wenn dies gestattet ist; von 
demselben an hat die Geschichte der wechselseitigen Beziehungen 
praktische Wirkung für die Gegenwart; Vergangenes reicht mit 
seinem ganzen Schwergewicht in den Augenblick herein ; von 
demselben zurück beschäftigt sich mit diesen Beziehungen nur 
der gewissenhafte Chronist. 

So wollen wir, Frankreichs und Preußens Gegenüber vor 
Jena aufmerksamen Blicks verfolgend, mit jenem gewaltigen Zeit- 
abschnitte beginnen, der am 5. Mai des Jahres 1789 eingeleitet 



Digitized by VjOOQIC 



- 68 - 



worden ist; hier liegt der todte Punkt beider Staaten für die ganze 
Zeit bis zum Congresse von Wien. 



Gelegentlich der Reichenbacher Convention (27. Juli 1790) 
bereits in*s Auge gefasst, war auf dem Congresse zu Pillnitz 
(27. August 1791) die Idee eines bewaffneten Einschreitens zu 
Gunsten der bedrohten Monarchie jenseits des Rheins zwischen 
Leopold II. und Friedrich Wilhelm IL zur Reife gediehen. Mit 
dem ganzen monarchischen Bewusstsein, welches dem Nachfolger 
Friedrichs des Großen wohl anstand, sagte Friedrich Wilhelm 11. 
Österreich seine Hilfe in dem Kriege zu, der am 20. April 1792 
über Antrag Dumouriez von der gesetzgebenden Versammlung 
an den König von Ungarn und Böhmen erklärt worden war. Er 
selbst entwirft, des Sieges sicher, einen Plan zum Kriege.*) Vier 
Monate später führt Karl Ferdinand von Braunschweig die 
alliierten Heere über Frankreichs Grenzen und sogleich lässtsich 
der König von Preußen durch Dumouriez' Scheinverhandlungen 
gründlich düpieren; erbost befiehlt er, als ihm die Lage klar zu 
werden beginnt, eine entscheidende Schlacht. Valmy war keine 
solche in militärischer Beziehung, aber politisch entschied sie un- 
endlich viel, als das preußische Heer am 30. September in 
traurigster Verfassung den Rückzug anzutreten begann. 

Mit dem militärischen Spaziergang nach Paris war's vorerst 
nichts gewesen. 

Da rüttelt William Pitt die continentalen Mächte auf und im 
Frühjahr 1793 beginnt allen Ernstes der Krieg der ersten Coalition: 
man weiß, wie derselbe geführt worden ist. Friedrich Wilhelms IL 
Herz war stets zwischen der polnischen Angelegenheit und dem 
französischen Kriege getheilt; als dieser nicht nach Wunsch aus- 
fiel, dachte der König immer mehr an den Osten seines Reichs.**) 
Nachdem die Franzosen noch einmal nothdürftig bei Pirmasens 
geschlagen worden sind, geht er Ende September zur Armee nach 
Polen ab. Und als im Winter dieses Jahres und dem Frühjahre 
des nächsten hier die Dinge sich immer drohender gestalten, 
empfindet Friedrich Wilhelm II. die Nothwendigkeit, sich im Westen 



*) Schlosser, XV, 103. 
••) Zweite Theilung Polens, 24. Sept. 1793. 



Digitized by VjOOQIC 



— 69 - 

ZU degagieren und schließt, um nicht die Schmach des Verrathes 
an der Coalition auf sich zu laden, jenen schmachvollen Subsidien- 
vertrag,*) durch den er 62.000 Mann von Friedrichs des Großen 
Truppen unter dem alten Feldmarschall Möllendorf als Söldner 
in fremde Dienste und gegen Frankreich stellt. 

Fleurus versetzte der Coalition den Todesstoß; im Herbst 
1 794 stellte das Cabinet von St. James die Zahlung der Subsidien 
ein und Möllendorf, der den Krieg als einen politisch verfehlten 
ansah, fuhrt seine Truppen Ende October über den Rhein zurück; 
sogleich beginnen in der Armee selbst Wünsche nach dem 
Frieden laut zu werden,**) und wirklich wird die Negociation zu 
demselben vom Hauptquartier und ohne Vorwissen des Königs 
begonnerL Der hatte indess in Polen alle Hände voll zu thun; 
am 6- September zog sich sein Heer in fluchtähnlicher Eile vor 
den tapferen Vertheidigern Warschaus, Kosciuszko und Joseph 
Poniatowsky zurück- Unter dem Eindrucke***) der russisch-öster- 
reichischen Allianz vom 3. Jänner 1795, deren drohende Spitze 
direct gegen Preußens Polenpläne gerichtet war, entsagt Friedrich 
W^ilhelm IL seiner bisher zur Schau getragenen Rolle eines 
Schützers der deutschen Reichsinteressen und strebt nunmehr 
geradezu einen Particularfrieden mit Frankreich an. 

In einer höchst gefährlichen innern Lage — finanzielle Er- 
schöpfung — und äußeren Krise — Polen, gespanntes Verhältnis 
zu Österreich, Eroberung Hollands durch die Franzosen — wird 
der Friede von Basel nach langen Vorverhandlungen am 
5. April 1795 durch Hardenberg geschlossen. 

Dieser Friede ist, man sage was man wolle, ein ganz be- 
deutender Erfolg der jungen Republik gewesen. Ohne dass Preußen 
auf dem Schlachtfelde besiegt worderr war, gibt es seine links- 
rheinischen Besitzungen auf und Holland preis, all dies gegen 
Versprechungen künftiger Entschädigung; es erhält die Neutralität 
für sich und Norddeutschland (für Hannover in einem Geheim- 



*) Vertrag im Haag mit den Seemächten am 19. April 1794. 
♦•) Hardenberg, I, 258. 
***) Prinz Heinrich von Preufien, Oheim des Königs, hat hier auf dessen Haltung 
bestimmend eingewirkt. In einer seiner Denkschriften aus dem Ende des Jahres 1794 findet 
sich neben sachUcl}er Begründung der Nothwendigkeit des Friedens bereits der Hinweis auf 
die Art, wie Preufien es verstehen mQsse, zwischen Russland und Frankreich stehend, der 
gesuchte und willkommene Freund beider zu sein; wahrhaftig, die Politik der folgenden Jahre! 
Hardenberg, V, (Actenstücke) 49 ff. 



Digitized by VjOOQIC 



— 70 — 

artikel) zugestanden. Die Ausdehnung und unbequeme Lage der 
von Hardenberg zustande gebrachten DemarcationsHnie wird so- 
gleich nach Abschluss der Negociation vom König selbst in ihrer 
ganzen Gefährlichkeit erkannt.*) 

Nachdem durch die dritte Theilung Polens**) ein relativ stabiler 
Zustand an Preußens Ostfront geschaffen worden war, beschloss 
Friedrich Wilhelm IL, wohl hauptsächlich auf Frankreichs Drängen 
und mit Rücksicht auf das gespannte Verhältnis zu Österreich, 
das unfertige Basler Friedenswerk endgiltig zu vollenden. Der 
Vertrag vom 5. August 1796 bedeutete nichts anderes als voll- 
kommenen Verzicht Preußens auf die Integrität des Reiches und 
bedingungslose Überlassung des linken Rheinufers an die Republik: 
hiefur soll Preußen durch Säcularisationen späterhin entschädigt 
werden; noch nichts Thatsächliches also; und der Schritt, den 
Hardenberg auf eigene Faust zu Preußens Gunsten in seiner 
süddeutschen Politik gethan, wird vom Könige alsbald gewissen- 
haft zurückgenommen.***) 

Allein für alle Opfer hatte Preußen neuerdings die Neu- 
tralität besiegelt und verbrieft; was ein solcher Handel wert ist, 
liegt wohl auf der Hand. Nicht ein sicherer, ehrenvoller, vortheil- 
hafter Friede war der, den es geschlossen, sondern ein Act des 
Selbstmordes, der es von nun an zur politischen Nichtigkeit 
verdammtf) 

Mit Misstrauen verfolgte Preußen aufmerksamen Blicks, was 
da zu Campo Formio verhandelt wurde und mit mehr Misstrauen 
noch erschienen seine Plenipotentiäre am Rastatter Congress. Drei 
Wochen tt) vor Eröffnung ff f) desselben hatte Friedrich Wilhelm III. 
den Thron bestiegen und während er in vielen Stücken gründ- 
lich mit der Vergangenheit brach, übernahm er gewissenhaft und 
überzeugungstreu das Erbe der Neutralität. Seine Liebe zum 
Frieden betonte Preußen in Rastatt unentwegt; schwer wog, 
dass es aufrichtig sprach. Denn Neutralität, die procla- 
mirt man nicht, wenn man sie wirklich zu er- 



•) Hardenberg, I, 298. 
••) Vertrag ZMrischen Osterreich, Russland und Preußen vom 24. October 17Ö5. 
•••) Hardenberg, I, 364, ff. 
t) Bauer, 155. 
t+) 16. November 1797. 
ttt) ö. Decembcr 1797. 



Digitized by VjOOQIC 



— 71 — 

reichen sucht. Standhaft blieb der König auf dem Boden dersel- 
ben stehen, als Zar Paul den Fürsten Repnin nach Berlin gesandt, 
um Preußen zum Eintritt in die eben entstehende zweite Coa- 
lition zu vermögen; abgewiesen wurde Graf Cobenzl, als dieser, 
von Thugut nach Petersburg gesandt, in Berlin für den neuen 
Krieg zu wirken suchte; der kluge Sieyes spielte auf seiner 
Sendung an den preußischen Hof ein paar demselben nicht 
eben wohlwollende Geheimartikel Österreichs von Campo Formio 
mit Glück und Geschick gegen die englisch-russischen Einflüsse 
aus. Allein, wenn Gründe der Politik auch nicht vorhanden 
gewesen wären, die Neutralität an sich lag in des Königs ganzem 
Wesen; festhalten wollte er um jeden Preis an dem System des 
Friedens, das ihm hinterlassen worden war.*) 

In den Wirmissen des neuen Krieges ward der Congress 
zu Grabe getragen ; nichts war endgiltig entschieden, für Preußen 
nichts gewonnen worden. Wenngleich nicht ohne leises Schwan- 
ken, so doch thatsächlich ohne einzugreifen, sah Friedrich Wil- 
helm III. Marengo auf Novi, auf Stockach Hohenlinden folgen. 
Sehr rasch hatte sich des Zaren Enthusiasmus für die Restauration 
gekühlt; die Coalition zerfiel. Und im Jahre 1800 wendet sich 
Russland um Erneuerung der historischen Allianz nach Beriin, 
während fast gleichzeitig der erste Consul eine Annäherung an 
Preußen beginnt.**) Dieser doppelte Schritt bringt Preußen zu- 
nächst dahin, sich weit zu überschätzen, und dies wird für die 
Politik dieses Staates von nun an verderblich sein. 

Höchst verwickelt ist die Vorgeschichte des Friedens von 
Luneville und die Rolle, die Preußen in derselben gespielt, nicht 
immer klar zu sehen. Folgendes möchten die großen Züge sein: 
Nachdem Preußen sich im ersten Augenblicke als den willkom- 
menen Vermittler zwischen dem Zaren und dem ersten Consul ange- 
sehen, wurde es durch die auf des Selbstbeherrschers aller Reußen 
Gemüth berechnete Zurücksendung der Kriegsgefangenen ***) 
von Seiten Bonapartes sogleich schon halb aus seiner Rolle ge- 
drängt. Im Auftrage des Königs erscheint Marquis von Lucche- 
sini am 28. October in Paris,t) erkennt jedoch sogleich in der 

*) Hardenberg, I, 400 ff. 
♦•) Ebenda, 419 «F. 
••*) Correspond^ XXX, 474. 
t) BaiUeu, II, Einleitung XI, ff. 



Digitized by VjOOQIC 



— 72 — 

Audienz vom 8. November, dass es dem ersten Consul um die 
Vermittlung Preußens durchaus nicht zu thun sei, indem er über 
dieses hinweg bereits mit Russiand in Verbindung steht. Unter 
dem Eindruck von Hohenlinden erneuert Preußen seine Anerbie- 
tungen zur Mediation und führt zur Unterstützung sein Einver- 
ständnis mit dem Zaren selbstgefällig an. Nun hatte aber Paul 
indessen dem ersten Consul einen Brief des Dankes von wegen 
seiner rückgeschickten Russen so warmen Tones voll geschrieben, 
dass Bonaparte sofort in demselben eine Handhabe zur Verständi- 
gung mit Russland sieht So musste daher Preußen mit seinen 
Propositionen sich einen sehr empfindlichen diplomatischen Echec 
zu holen im Begriffe stehen ; in der That weist der erste Consul 
durch Talleyrand die Vermittlung Preußens in aller Form zu- 
rück. Im Begriff, sich zu einer Macht ersten Ranges zu erheben, 
war Preußen wieder zu der Rolle einer Macht zweiten Ranges 
zurückgeworfen, deren Politik von derjenigen anderer Staaten 
bedingt ist, ohne sie ihrerseits zu bedingen. 

Von Frankreich und Russland mehr oder weniger zurück- 
gewiesen, nichts weniger als eines Sinnes mit Österreich, muss 
Preußen daran denken, bei der beginnenden territorialeif Umwand- 
lung Deutschlands vor allem seine Interessen wahrzunehmen. 
Haugwitz, leitender Minister, und Hardenberg stimmen dahin 
überein, man müsse, um die Hegemonie in Norddeutschland 
zu wahren, eine beherrschende Stellung nach Süddeutschland hin 
nehmen. Dieser Auffassung pflichtet der König bei, macht sich 
zu einer militärischen Besetzung der fränkischen Bisthümer bereit 
und gibt diese seine Absicht in Paris sowohl als Petersburg be- 
kannt. Aber noch bevor eine Antwort von der Newa erschien, 
thut auf Pauls I. Befehl sein Gesandter in Beriin, Krüdener, den 
Vorschlag,*) Preußen solle durch Hannover entschädigt werden 
und möge daher das Land einstweilen occupieren ; obwohl wider- 
strebend vor einem Schritt, der zu Verwicklungen mit England 
führen konnte, ertheilt Friedrich Wilhelm III. dennoch zum Ein- 
marsch den Befehl und dringt gleichzeitig neuerdings in Paris auf 
den Consens zum Einrücken in Franken. 

So schien sich alles aufs Fürtrefflichste anzulassen. 



♦) 25. März 1801. 



Digitized by VjOOQIC 



— 73 — 

Da wurde in der Nacht des 23./24. März 1801 Zar Paul 
ermordet, und Alexander I. trat mit einem gänzlich veränderten 
politischen Programm hervor : Er näherte sich England ganz ent- 
schieden, und aus diesem Umschlag in Russlands Politik erfolgte 
mächtig und sofort die Reaction auf Preußens ganze Stellung. 
Der erste Consul war entsetzt gewesen über die Nachricht vom 
Tode seines jüngsten warmen Freundes Paul und sogleich erkennt 
derselbe, dass er sich Preußen wieder nähern müsse, da sich Russland 
seinen Plänen gegen England voraussichtlich widersetzen wird. 
Unum>vunden bietet er Friedrich Wilhelm III. Hannover als Ent- 
schädigung an, das dieser jedoch definitiv anzunehmen sich nicht 
entschließen kann. Alexander erklärt seinerseits, eine Besetzung 
Frankens durch Preußen nicht billigen zu können, wodurch sich 
dieses sogleich wieder zur Anlehnung an Frankreich bewogen 
fühlt. Gleichzeitig kopfscheu gemacht durch die immer evidenter 
werdende völlige Unzuverlässigkeit der Politik des ersten Consuls, 
beginnt Preußen sich mit Österreichs Vertreter Stadion in Rapport 
zu setzen und nun wird die Regelung der Entschädigungsfrage 
der Reichsdeputation am Reichstage zu Regensburg vertraut, 
welche diese Frage im Concert mit Frankreich „näher zu unter- 
suchen, zu prüfen, zu erledigen hat." 

Man sieht : Es schwankt die preußische Politik unsicher hin 
und her; sucht bei allen Mächten Reihe herum Zustimmung 
zu ihren Plänen zu erlangen, und als ihr dies bei keiner nach 
Wunsch gelingt, vertraut sie ihr Heil den Berathungsresultaten 
von Regensburg an. 

Nun setzt eine wenig rühmliche, mehr als das, wenig zweck- 
bewusste und zweckfördernde Phase der preußischen Staatskunst 
ein ; je nachdem der erste Consul mit England besser oder übler 
steht, lässt er größere oder geringere Erbietungen nach Berlin 
ergehen, wo nian, im grundsätzlichsten Gegensatz zu Öster- 
reich in Sachen der Säcularisationen stehend, sich von diesem 
getrennt, und nur im Anschlüsse an Frankreich sein Heil zu finden 
glaubt. Nachdem Bonaparte Preußen durch Vorschläge sachlich 
unannehmbarer Natur -— Übergabe von Hannover an französische 
Truppen — hingehalten, dann am 1. October über die Präliminarien 
des Friedens mit England schlüssig geworden war, lässt er durch 
Talleyrand rund und nett erklären, Preußen müsse auf jeden Fall 



Digitized by VjOOQIC 



— 74 — 

vom Rhein zurück, er wolle es nicht in seiner Nähe haben. Die 
diesem Gesichtspunkte sogleich gefügig angepassten Vorschläge 
des Berliner Cabinets beachtet Bonaparte erst, als er dessen Unter- 
stützung für seine italienischen Pläne nothwendig bedarf. In dem 
Augenblick jedoch, da Preußen bereitwillig zugreifen will, hat er 
sich unter dem Eindruck des nahen Friedens mit England neuer- 
dings anders besonnen und rücksichtslos vertagt er nun die 
Ordnung der deutschen Angelegenheiten bis nach Perfectwerden 
des Friedens von Amiens. 

Geduldig fugt sich Preußen wiederum, um schließlich vom 
ersten Consul Vorschläge zu vernehmen, die wesentlich geringer 
lauteten als alles das, was vordem versprochen worden war. 

Da Lucchesini die Überzeugung gewann, es sei vom ersten 
Consul durch Unterhandlungen schlechterdings nicht mehr zu 
erreichen, als dieser zu gewähren von vornherein bei sich be- 
schlossen hatte, so versteht er sich am 23. Mai 1802 zu einem 
Vertrag, der die leidige Entschädigungsfrage endlich, endlich ge- 
löst hat. Preußen erhielt Paderborn, Hildesheim, einen Theil von 
Münster, Eichsfeld, Erfurt und die Abteien Elten, Essen und 
Werden. Weder war seine Stellung in Norddeutschland hiedurch 
wirklich befestigt worden, noch ihm ein Einfluss auf Süddeutsch- 
land gewährt ; ein Fiasco war's offenkundigster Natur. Gleichwohl 
wurde die Nachricht vom Abschluss in Berlin freudig und dank- 
bar aufgenommen als eine an sich immerhin erhebliche Territorial- 
vermehrung. Unter den Drohungen des ersten Consuls bequemte 
sich der Kaiser dazu, die Neuordnung der Dinge gutzuheißen, 
wie sie im Reichsdeputation shauptschluss vom 25. Februar 1803 
nachmals festgesetzt worden ist. 

Von nun an gedachte der Staat der Hohenzollern Frank- 
reichs ehrlicher Freund zu sein. 

Am 27. März 1802 warder Frieden von Amiens geschlossen 
worden, der im Grunde nichts gewesen ist, denn ein Waffenstill- 
stand von etwa einem Jahr. Rom und Carthago konnten nicht 
im Frieden leben, behauptete Haugwitz nachmals, im vorhinein 
gewusst zu haben, und in der That verhehlte sich im März des 
Jahres 1803 niemand, dass ein neuer Krieg demnächst zu er- 
warten sei. Da erschien am 20. März General Duroc im Auf- 
trage des ersten Consuls in Berlin und ließ letzterer eröffnen, 



Digitized by VjOOQIC 



— 75 - 

dass er im Falle des Wiederbeginnes des englischen Krieges 
Hannover, Georgs III. deutsches Kurfürstenthum, besetzen werde. 

Wenn dies geschah, so war Preußen um seinen ganzen 
Nimbus als Schützer der norddeutschen Neutralität, mithin den letz- 
ten Schein, als sei es eine Großmacht, endgiltig gebracht; sofort 
begann das diplomatische Spiel zweckloser Vermittlung in London 
und Paris, doch blieb Preußen irgend ein Erfolg versagt; dem 
Ärgsten musste man, dem Kriege entgegensehen. Sofort tauchte in 
Haugwitz der Gedanke auf, Frankreich in der Besetzung Hannovers 
rasch zuvorzukommen, derselbe wurde jedoch vom Könige mit 
Hinweis auf seine Neutralität sogleich rundweg abgelehnt ; vielleicht 
hat auch Alexander abgerathen.*) Nach einem misslungenen Ver- 
such, die Neutralität Hannovers von Frankreich zu erkaufen,**) 
sieht sich Friedrich Wilhelm III. schließlich doch gezwungen, 
militärische Rüstungen zumindest in's Auge zu fassen, für die 
Haugwitz und gegen die die militärische Umgebung des Königs 
stimmt***). Der Monarch entscheidet sich dahin, eigentliche 
Rüstungen seien nicht zu thun; und unterdessen hat Mortier, von 
Holland kommend, bei der beispiellosen Haltung der hannover- 
schen Behörden f) mit etwa 12000 Mann das Land fast ohne 
Widerstand besetzt. ff) 

Eine unmhige Bewegung entstand sogleich unter der preußi- 
schen Bevölkerung, die seit dem siebenjährigen Krieg keinen Feind 
mehr im Herzen Deutschlands gesehen hatte. Bald liefen in Berlin 
Anträge von Russland ein, die auf ein Zusammengehen beider 
Mächte in Sachen der norddeutschen Neutralität hinzielten und 
neuerdings empfiehlt Haugwitz dem König Rüstungen, da man 
ja an Russland einen Rückhalt habe. Dieser jedoch vermeidet 
ein näheres Eingehen auf Alexanders Pläne, sowie er Rüstungen 
vorzunehmen gleichfalls nicht edaubt. Um jeden Preis will er 
entscheidenden Schritten aus dem Wege gehen und triumphierend 
meldet der französische Gesandte in Beriin unterm 7. Juli nach 
Paris, dass Sa Majeste est iimide et entonree de gens timides. 



•) Hardenberg, I, 404; II, 18. 

•*) Bailleu 11, Urkunde Xr. 102; ostensibler Erlass an Lucchesini, Cörbelitz, 28. Mai. 
•••) Ebenda, Einleitung, XXXIIl. 

f) Oncken, II. 105, ff. 
tt) Capitulation von Suhlingen, 3. Juni 1803. 



Digitized by VjOOQIC 



— 76 — 

Der erste Consul ging nun rücksichtslos von Hannover 
aus gegen den englischen Handel, der Deutschlands Producte an 
den Mündungen der Elbe und Weser übernahm, vor. Am 30. Juni 
überreichte Graf Haugwitz seinem Monarchen ein Memoire,*) 
in welchem er den Ernst der Lage rückhaltslos enthüllt, und 
wieder und wieder auf militärische Rüstungen dringt. Immer leb- 
hafter wird Alexander in seinem Drängen zu einer Allianz, und 
so entschließt sich Friedrich Wilhelm III. am 5. Juli 1803 den 
Cabinetsrath Lombard mit einem eigenhändigen Schreiben an 
Bonaparte, der sich gerade in Brüssel aufhielt, zu senden, um 
vor allem Klarheit zwischen sich und den ersten Consul zu bringen. 

Lombard, vom Freiherrn von Stein zu jener Zeit schon als 
frivoler Mensch und physisch und moralisch ganz verkommen 
hingestellt, von Clausewitz desgleichen später in denkbar schärfster 
Weise stigmatisiert, war in Wahrheit nichts, als das Echo seines 
Königs, sein willenloses Instrument, und als solches trat er seine 
Sendung an. Bei Bonaparte erreichte er — natürlich darf man 
mit Fug und Recht einschalten — nicht das allermindeste für 
Preußen, trotz des mitgebrachten schönen Briefes, indess gewann 
er den Eindruck, als habe Preußen von ihm vorläufig nichts 
zu fürchten. Dies war die Basis, aufGrund deren man 
in Berlin die Idee an Rüstungen erneuert von sich 
wies.**) Dafür fasste Friedrich Wilhelm III. neuerdings den 
Gedanken, zwischen Frankreich und Russland vermittelnd auf- 
zutreten, welche Absicht von beiden Seiten jedoch alsbald Ab- 
lehnung erfuhr; zu groß war der Gegensatz von Alexander und 
Bonaparte bereits geworden und bald erkannte Preußen, dass, 
wollte es nicht ganz vereinzelt stehen, es sich mit der Allianz 
des einen Staates werde begnügen müssen. Man suchte sie beim 
ersten Consul nach; derselbe wiederholte nun das Spiel, das er 
mit Preußen 1802 gespielt; je mehr Preußen auf der Allianz be- 
stand, desto geringer wurde das, was er gewähren wollte, und 
desto größer wurde das, was Preußen zugestand. Als nun 
Bonaparte Preußen ein, wenn auch nicht formelles, so doch in 
seiner Wirkung effectives Offensiv- und Defensivbündnis weit- 
gehendster Natur ansann, für welches er ganz lächerliche Vor- 



•) Bailleu, II, Urkunde Nr. 120. 
*) Bailleu, II, Einleitung, XL. 



Digitized by VjOOQIC 



— 77 — 

theile zugestand, erkannte man denn endlich in Berlin, dass der 
Liebe Müh' umsonst gewesen, und im Beginne des April wurden 
die Negociationen endgiltig abgebrochen; von militärischen Vor- 
kehrungen war wieder nicht die Rede. 

Wohlwollend hatte Alexander zugesehen ; Preußen werde 
in der Stunde der Gefahr Russland stets an seiner Seite sehen, 
hatte er gesagt; als man nun mit Bonaparte zu Ende war, ver- 
langte Haugwitz demgemäß Anschluss an den Zaren. Doch 
Friedrich Wilhelm III. blieb bei der Neutralität; niemals wollte 
er sich die Hände binden ; und Haugwitz, der seit so langer 
Zeit den preußischen Staat gelenkt, trat, bekümmert über eine 
Politik, die nicht mehr die seine war, von der Leitung der aus- 
wärtigen Geschäfte zurück ; der Freiherr von Hardenberg trat an 
seine Stelle. 

Der Geist seiner Politik spiegelt sich, man sage was man 
wolle, zunächst in seiner Antwort auf die königliche Berufung 
zum auswärtigen Amt:*) wo er Zweifel haben sollte, gedenke 
er des Königs Befehle zu erfragen. Mehr als conventioneile 
Floskel war das Wort, war ernst gemeint und wurde vorerst 
ernstlich gehalten. 

Auf Andrängen Alexanders hatte Friedrich Wilhelm III. am 
24. Mai ohne besonderes Empressement eine Erklärung dahin 
abgegeben, er garantiere Russland gegenüber Norddeutschlands 
Neutralität. Als nun infolge der Erschießung des Herzogs von 
Enghien der gereizte Notenwechsel zwischen Paris und Petersburg 
die Gefahr einer Verwicklung nach sich zu ziehen drohte, als 
der erste Consul in Berlin anfragen ließ,**) ob Preußen die 
Garantie der Neutralität dahin verstehe, dass es gesonnen sei, 
fremden, das heißt russischen Truppen den Durchmarsch durch 
seine Staaten zu verwehren; erklärte Hardenberg sich zu letzterem 
bereit, wenn Frankreich seine Truppen in Hannover nicht ver- 
stärke und sich gegen die neutralen Stände Norddeutschlands 
keinen Übergriff erlaube. Wenn er nun auch an einen Krieg 
durchaus nicht geglaubt, ja die Wiederberufung Pitts in's englische 
Ministerium» sogar als Friedensgarantie ansah,***) so steht doch 



*) II, 32. 

••) Bericht Lucchesinis vom 17. Mai; Ballleu, II, Urkunde Nr. 176. 
"•) Bailleu, Einleitung, L. 



Digitized by VjOOQIC 



— 78 - 

fest, dass durch Garantie der norddeutschen Integrität nach beiden 
Seiten hin Preußen sich in eine Lage versetzt hatte, in der ein 
zwischen Russland und dem neugeschaffenen Empire ausbrechender 
Krieg für dasselbe eine Existenzfrage werden musste von der 
peinlichsten Art. 

Doch nein, seit Hardenberg die Geschäfte führte, begann 
Preußen — langsam zunächst, dann immer entschiedener — in 
Frankreichs Kielwasser einzuschwenken. Friedrich Wilhelm IIL hatte 
Napoleons Erhebung zum Kaiser der Franzosen als erster von 
allen Souveränen anerkannt und dem neuen Monarchen persön- 
lich herzlichst gratuliert. Dem Grafen von Lille (Ludwig XVIII.) 
wird auf schonende Weise nahegelegt, sein ferneres Verbleiben 
in Warschau, auf preußischem Gebiet, wünsche der König nicht*) 
Schon denkt Hardenberg, während er sich mit Mühe nur der 
erneuerten russischen Anträge erwehrt, daran, die im April ab- 
gebrochenen Negociationen mit dem Kaiser der Franzosen wieder 
zu beginnen. 

Indessen gestaltete sich die allgemeine Lage Europas immer 
drohender ; Russland hatte den diplomatischen Verkehr mit Frank- 
reich abgebrochen; England war durch Napoleons Jagd auf seine 
Gesandten am Continent erbitterter denn je, und Gustav IV. von 
Schweden rüstete in Pommern gegen Napoleon : wir blicken 
mitten in die Entstehungsgeschichte der dritten Coalition. Napoleon 
empfand die Nothwendigkeit, mit Preußen Hand in Hand zu 
gehen, und sandte im September 1804 den Grafen Arberg nach 
Berlin, um sich den Hof geneigt zu machen; sogar von der 
Erhebung Preußens zum Kaiserthum soll damals gesprochen 
worden sein. Zugleich lässt der Kaiser der Franzosen den 
Wunsch erkennen, Preußen als Vermittler zwischen sich und 
dem Zaren auftreten zu sehen. Da Russland sich dem Wunsche 
Preußens fügt, so eriebt dieses die Genugthuung, das Ziel seiner 
sehnlichsten Wünsche, den Traum, den es so lange vergebens 
geträumt, die willkommene Vermittlerrolle, in nahe Verwirk- 
lichung gerückt. 

Da traf am 28. October 1804 in Berlin die Nachricht ein, 
französische Truppen hätten den Residenten Englands beim nieder- 



•) Hardenberg, II, 86 



Digitized by VjOOQIC 



- 79 — 

sächsischen Kreise, den Chevalier von Rumboldt, auf neutralem 
Boden aufgehoben und gefangen fortgeführt. 

Wir erinnern uns, dass Friedrich Wilhelm III. am 24. Mai 
dem Kaiser Alexander die Neutralität Norddeutschlands garantierte; 
sie war verletzt und somit trat der casus foederis ein, so dass 
Preußen auf ja und nein vor einem Kriege stehen konnte. Doch 
nicht in dem papierenen Concept mit Russland lag für Preußen die 
Nothwendigkeit, nunmehr entscheidende Schritte zu thun; Friedrich 
Wilhelm III. war Director des niedersächsischen Kreises und 
daher Rumboldt bei ihm accreditiert. Wohl oder übel musste der 
König etwas zur Wahrung seines Ansehens thun. 

Und er that auch etwas, wenngleich er nur mit Mühe dahin 
zu bringen war, und sich in seiner Verlegenheit an alle mög- 
lichen Leute wandte, um bei diesem oder jenem moralische Unter- 
stützung für sein System des Zögerns zu erhalten. Nachdem er 
vor allem den Vorschlag einer militärischen Demonstration ab- 
gelehnt, richtete er unterm 30. October an Napoleon einen Brief,*) 
in welchem er die Freilassung des Gefangenen nachdrücklichst 
begehrt; Lucchesini wird gleichzeitig angewiesen, durch münd- 
liche, würdig gehaltene Vorstellungen in Paris des Königs Zweck 
zu fördern. Und das Unerwartete geschah : sofort befahl Napoleon 
die Freilassung des Chevaliers und im Moniteur ließ er erklären, 
dieselbe sei auf des Königs von Preußen Verwendung hin erfolgt. 
Nicht ganz klar liegen für diese Concilianz des Imperators die 
Ursachen zu Tage ; die allgemeine politische Lage an sich hat 
ihn zu derselben wohl kaum vermocht; indessen, wie es auch 
gekommen sei, Rumboldt wurde freigelassen und die Nachricht 
hievon brachte in Friedrich Wilhelm ein Gefühl der grenzenlosesten 
Dankbarkeit hervor, so grenzenlos, dass er von Hardenberg ver- 
anlasst werden musste, sein erstes Dankschreiben an Napoleon 
als „zu unterwürfig, ja kriechend" abgefasst, gegen ein würdiger 
gehaltenes zu tauschen.**) Der König hatte einen moralischen 
Erfolg davongetragen ; hinzugefügt muss werden : in seinen 
eigenen Augen vornehmlich. 

Denn vergeblich verhallten weiterhin alle Bemühungen der 
preußischen Politik, betreffs Hannovers mit Frankreich endgiltig 



•) Bailleu, II, Urkunde Nr. 216. 
••) Hardenberg, II, 108 ff. mit dem Text der beiden Briefe. 



Digitized by VjOOQIC 



- 80 - 

Überein zu kommen, sowie ihre Versuche, die neue Coalition 
durch Vermittlung einer Entente Frankreichs mit Russland im 
Keime zu ersticken. Sie genoss eben eines wahren Vertrauens 
nach keiner Seite hin, wie das Vertragswerk zwischen Österreich 
und Russland vom 6. November 1804 beweist, dessen Artikel VIII 
besagt, in einem beginnenden Kriege müsse Russland ein Ob- 
servationscorps an Preußens Grenze lassen, „pour s'assurer que 
la cour de Berlin reste passive,''^) Alexander seinerseits witterte 
eben auch eine Geheimallianz Preußens mit Napoleon und Gründe 
hiefür mochte er immerhin gehabt haben. Als am 11. April 1805 
der russische Premier Fürst Czartoryski mit dem englischen Ge- 
sandten über die Endzwecke der Coalition schlüssig geworden 
war; als im Frühjahre ein letzter Versuch Preußens, Russland 
und Frankreich durch Einführung des Unterhändlers Nowosiltzow 
bei Napoleon zu versöhnen, an der Einverleibung Genuas in's 
Empire gescheitert war, wiesen die Zeichen am politischen Himmel 
auf nahen unvermeidlichen Krieg, und wohl oder übel musste 
Preußen erkennen, ob es noch neutral überhaupt werde bleiben 
können; sich entschließen, ob es Krieg oder Frieden wählte. 

Wie einen im voraus geopferten Gladiator hatten William 
Pitt und der Zar das zögernde und zagende Habsburgische Reich 
auf den Wahlplatz vorgestoßen ; versucht ward, Preußen zum 
Anschluss zu bewegen und schwer ward Preußen der Entschiuss 
gemacht; ein wahres Werben von allen Seiten um seine Gunst 
begann, wenngleich mitunter durch Drohungen gewürzt. Nachdem 
Hardenberg, starr vor dem Idole der Neutralität auf den Knieen 
liegend, unterm 15. Juli dem französischen Gesandten Laforest 
eröffnet hatte, Preußen könne eine feindliche Landung in Han- 
nover keinesfalls verhindern, mithin die Rolle Preußens als Pro- 
tectors der norddeutschen Neutralität, die es durch die Erklärungen 
vom 3. April und 24. Mai durchzuführen sich erboten, thatsäch- 
lich zu Ende war, entschloss sich Napoleon, zum Theil aus rein 
militärischen Gründen, Hannover bis zum Frieden Preußen zu 
übergeben, indem er versprach, bei der allgemeinen Pacification 
die Anerkennung von Preußens definitivem Anspruch auf das Land 
bei England durchzusetzen. Sein Alliierter sollte Preußen dafür 
werden und zwar in des Wortes allerverwegenstem Sinn ; unver- 

*) Oncken, II, 158. 



Digitized by VjOOQIC 



- 81 — 

hohlen ward dem König angesonnen, er solle dem Imperator 
Heeresfolge leisten ; am 1 . September erschien Duroc in Berlin und 
eröffnete zu diesem Zwecke die Negociation; sogleich erkannte 
er, dass Preußen sehr wohl gesonnen sei, Hannover anzunehmen, 
für ein Bündnis weitgehender Natur jedoch durchaus nicht zu 
haben sei. Um eben diese Zeit erschien von österreichischer 
Seite General Graf Meerveldt in Berlin, um Preußen auf Seite 
der Coalition zu ziehen. Alexander war gleichfalls inzwischen 
immer dringender geworden; um eine persönliche Zusammenkunft 
hatte er Friedrich Wilhelm III. gebeten, und da der König der- 
selben beharrlich aus dem Wege gieng, so musste der Zar, den 
mit Österreich und England verabredeten Gesichtspunkten gemäß, 
Truppen an Preußens Grenze aufmarschieren lassen. Erbittert 
macht der König, der nun schon halb aus der Neutralität heraus- 
gezwungen ist, am 7. September 80.000 Mann mobil, und so- 
gleich laviert nun Hardenberg auf Frankreichs Seite hin. Am 
12. September will er die Ruhe in Norddeutschland vollkommen 
garantieren, sobald Hannover an Preußen übergeben wird ; Duroc 
und Laforest sind, wie wir wissen, daraufhin nicht instruiert ; sie 
sollten ja ein formelles Bündnis schließen, und, indem sie sich 
neue Weisungen von Paris erbitten, erfahrt man in Berlin am 
18. September mit aller Sicherheit, dass die russische Armee an- 
gewiesen ist, Preußen zur Theilnahme an der Coalition nöthigen- 
falls zu zwingen. Die Antwort ist sofortige Mobilisierung des 
ganzen Heeres, und der König, der sich, von den Anträgen 
Österreichs, Frankreichs, Russlands umdrängt, ungeduldig und 
erbittert nach der Einsamkeit von Charlottenburg zurückgezogen 
hat, gedenkt unerschütterlicher denn je an der Neutralität fest- 
zuhalten. 

Indem nun Haugwitz, der anlässlich der beginnenden Krise 
von seinen Gütern nach Beriin gerufen worden war, im Verein 
mit Hardenberg weitere Verhandlungen Hannovers wegen mit 
den französischen Bevollmächtigten pflegt, traf am 6. October 
eine Nachricht so überraschend allarmierenden Charakters ein, 
dass mit einem Schlage die ganze politische Lage verändert ward. 
Am 3. October waren französische Truppen unter Marmont 
und Bernadotte, einem in früheren Kriegen gepflogenen Brauche 

C. von B.-K. Zur Psychologie des großen Krieges IL 6 



Digitized by VjOOQIC 



- 82 - 

gemäß*) und diesmal auf Napoleons besonderen Befehl, auf dem 
Marsche zur Umgehung Macks ins preußische Territorium Ans- 
bach eingerückt und hatten Husaren, die solches zu verhindern 
suchten, sanft aber entschieden zurückgedrückt. Wie einen per- 
sönlichen Affront empfand Friedrich Wilhelm III. diesen Übergriff 
und aus seiner Augenblickserregung flössen die außerordentlichsten 
Maßnahmen her. Sofort wurden die soeben nach dem Osten 
dirigierten Truppen zurückgerufen und auf Hannover, das wegen 
des Krieges mit Österreich fast ganz von französischen Truppen 
entblößt war, in Marsch gesetzt, um das Land ohneweiters in 
Besitz zu nehmen; unverweilt wird Russland erklärt, man nähere 
sich der Coalition und gestatte daher den sogleichen Durchmarsch 
russischer Armeen durch Schlesien nach Österreich; dem fran- 
zösischen Gesandten wird die bevorstehende Occupation Hannovers 
nicht notificiert, die Sanctionierung derselben im künftigen Frieden 
als erste Bedingung eines Eintretens für die Verbündeten Russ- 
land gegenüber gemacht. 

Da hielt es Alexander nun für angemessen, von Pulawy. 
dem Schlosse des Fürsten Czartoryski, nach Berlin zu kommen, 
um seinen unentschlossenen königlichen Freund endlich zu einem 
entscheidenden Schritte zu bringen. Am 25. October trifft der 
Zar in Preußens Hauptstadt ein, bemerkt jedoch sehr bald, dass 
die Nachricht von Ulm den Hof schon wieder wankend macht, 
und beeilt sich, indem er alle Mittel persönlichen Einflusses 
und traditioneller Freundschaft wirken lässt, einen bindenden 
Vertrag zu schaffen. Am 3. November wird derselbe zu Potsdam 
perfect gemacht**) und besagt im großen Ganzen Folgendes: 
Preußen wird bei Napoleon sofort durch einen Unterhändler die 
Unabhängigkeit, respective Räumung von Deutschland, Holland, 
Schweiz, Neapel, die Trennung der Kronen Frankreichs und der 
Lombardie, endlich eine Entschädigung für den König von 
Sardinien verlangen, indem es als bewaffneter Vermittler spricht; 
in vier Wochen müssen die Unterhandlungen beendigt sein; sind 
sie es nicht oder nicht zu dem obigen Resultate gediehen, so 
wird Preußen am Kriege gegen Frankreich thatsächlich Antheil 
nehmen.*** ) In einem Geheimartikel bietet der Zar seine Ver- 

•) Oncken, II. 190. 

••) Vonständig mit den Geheimartikeln bei Hardenberg, II, 324, flf. 
•*•) Article 7« . . le concours cffcctif ä la guerre . . 



Digitized by VjOOQIC 



- 83 — 

mittlung an, um Hannover vom Könige von England für 
Preußen zu erhalten. 

In der Nacht des 4./5. November stieg Alexander mit dem 
preußischen Königspaare zum Sarkophag des Großen Friedrich 
herunter; besiegelt wurde hier der neugeschlossene Bund und 
frohen Muthes voll verließ der Zar Berlin am nächsten Morgen, 
um über Weimar zu seiner Armee zu gehen. 

Kaum war Alexander fort, begannen die Bedenklichkeiten. 
Der Herzog von Braunschweig entwickelte, wie Preußen sechs 
Wochen brauche, um actionsfahig zu sein, und es sei daher der 
Bruch bis zum 15. December hinauszuschieben, „wo hoffentlich 
alles auf den Offensiv- und Defensivpunkten stehen werde, die 
erforderlich erachtet sind." Nun entstand die Frage, wie man es 
erreichen könne, die Negociationen zu verzögern. Vortrefflich 
gelang dies durch die Langsamkeit, mit der Haugwitz, der 
designierte Unterhändler, in der Abfassung seiner Instruction ver- 
fuhr. Und nun kommt die neue Erscheinung hinzu, dass Friedrich 
Wilhelm III. in Person dem Unterhändler, der — kein Zweifel 
kann darüber bestehen — Napoleon ein Ultimatum überbringen 
soll,, seine dringendsten Wünsche auf Erhaltung des Friedens 
um jeden Preis auf den Weg mitgibt.*) 

So reist Graf Haugwitz am 14. November ab und unter 
dem Banne der doppelten Betrachtung: wie die preußischen 
Generale bis zur Hälfte des December Frist für ihre Rüstung 
brauchen; und wie die preußische Staatskunst durch eine Waffen- 
entscheidung zwischen Napoleon und seinen Gegnern unter allen 
Umständen eine wertvolle Handhabe ihrer Entschließungen ge- 
winnen muss, reist er geflissentlich so langsam als möglich 
seinem Ziele entgegen. Auf der Reise empfängt er Eindrücke 
bedeutungsvoller Art von Napoleons militärischer Überlegenheit 
über die Coalition. Während Haugwitz reist, wird nun Napoleon 
von den Gesinnungen des Hofes zu Berlin theilweise, in allem 
Wesentlichen mindestens, unterrichtet, das heißt, er erfuhr, dass 
dieselben von heut auf morgen wechselten, keine Beständigkeit 
in ihnen sei. Alexander schickt indessen Brief auf Brief an seinen 



•) Graf Haugwitz wurde — wie bekannt — erst durch Bailleu's Publication von dem 
Vorwurfe, seine Vollmachten in unerhörter Weise missbraucht zu haben, gereinigt, welcher 
mehrere Menschenalter auf ihm gelastet hat. 

6- 



Digitized by VjOOQIC 



— 84 - 

königlichen Alliierten, in denen er ihm Situationsberichte gibt und 
der bestehenden Verbindung voll Zuversicht gedenkt. Friedrich 
Wilhelm III., um doch etwas zu thun, eröffnet in seinen schlesischen 
Festungen den Heeren Franz' IL und Alexanders III. für den Fall 
der Niederlage ein Asyl. 

Indessen schürzte das Geschick den Knoten, den der 
Imperator bei Austerlitz durchhieb; am 27. November erschien 
Savary bei Alexander, um im Auftrage Napoleons den Zaren zu 
sondieren ; sogleich kehrte Fürst Peter Dolgoroucky mit jenem 
Briefe des Selbstbeherrschers aller Reußen „au chef de la nation 
frangalse"^ zurück, der, im Verein mit dem wenig angemessenen 
Benehmen seines Überbringers,*) Napoleon, vielleicht recht gegen 
seinen Willen, zum Entscheidungskampf bestimmt. Am 28. end- 
lich kann Haugwitz nicht mehr umhin, sich in Napoleons 
Hauptquartier zu melden und hat sogleich eine Unterredung mit 
demselben, deren Inhalt wir uns aus zwei verschiedenen Urkunden 
zusammenlesen müssen.**) Aus denselben geht hervor, dass 
Haugwitz unendlich vorsichtig aufgetreten ist, weil er, ^vohl 
wissend von eben beginnenden Friedensunterhandlungen mit 
Österreichs Plenipotentiär, dem Grafen Stadion, befürchten 
musste, dass, wenn Preußen drohend spreche, Napoleon mit 
Habsburg stehenden Fußes und um jeden Preis Frieden machen 
werde, um sich mit seiner ganzen Kraft auf Preußens Heer zu 
stürzen. Wenn man nun den Brief Napoleons an Talleyrand 
vom 30. November liest,***) und hört, was er alles preiszugeben 
willens ist, um Oesterreich zum Frieden zu bewegen, so bleibt 
nichts, als anzunehmen, dass Preußen in diesen Tagen that^ 
sächlich sein und Europas Schicksal in der Hand gehabt. 
Gleichsam, als wolle sich der Kaiser der hemmenden und 
störenden Einwirkung Preußens entziehen, weist er Haugwitz 



*) Thicrs, VI, 290 ff. 

••) Hardenberg, V, 190 ff und Bailleu, II, Urkunde Nr. 311; ostensibler Hauptbericht: 
. . son (Napoleons) parti elait pris, et ü aurait sujß de laisser echapper une paraU q$ti 
Veüt convaincit, qu'il nc s'iiait pas trompe dans son attente, pour precifiier sa paix 
particuliere avec VAutriche et pour porter toute la masse de sa putssance amtre !a 
Prusse^ . . . Nachschrift chiffriert: . . . celles-ci (Friedensunterhandlungen mit Österreich) 
seraienl bientöt reprises, car je sais, ä nen potwoir douter, qu'au montent, Sire, ou 
VEmpereur Napoleon vous comptera au nombre de scs ennemis, il ferait un pont d*QT ä 
VAutriche. Elle n'y resistera pas et vous atirez des lors sur les bras taute la puissamct 
frangaise . . . 

•••) Corresp. XI, Nr. 9532. 



Digitized by VjOOQIC 



— 86 — 

für's erste nach Wien, da ein Feldlager der Platz für diplo- 
matische Transactionen nicht sei. 

Der Kanonendonner von Austerlitz veränderte das An- 
gesicht des Continents ein neues mal und das Echo von ihm 
klang Haugwitz in die Ohren, als er in Schönbrunn seine 
Sendung an den Imperator zu einem gedeihlichen Abschluss zu 
bringen unternahm. Nur die selbstgefällige Ueberhebung einer 
späteren glücklicheren Zeit kann das verurtheilt haben, was nun- 
mehr der preußische Minister that; was blieb ihm anderes zu 
thun, ihm, der den Separatfrieden mit Österreich schon reifen 
sieht, sieht, wie Alexander in Etapenmärschen entmuthigt Öster- 
reich verlässt, als in Demuth die Beschlüsse des Triumphators 
hinzunehmen? Man denke sich in seine Situation und bekenne 
sich vorurtheilslos , ob ein Staatsmann, der seines Souveräns 
Todesangst vor einem Kriege kennt, oft anders handeln möchte. 
So kam am 15. December der Schönbrunner Vertrag mit 
Preußen zustande, in welchem Friedrich Wilhelm III. gegen Ab- 
tretung von Ansbach, Cleve, Neufschätel und Garantie des französi- 
schen Besitzes Hannover zu erhalten hatte; wohl war man in 
Berlin gewissermaßen überrascht; nicht wog Hannover jene Clausel 
auf, durch welche Preußen dem Eroberer Heeresgefolgschaft zu 
leisten übernahm; denn solches that es sicherlich, wenn es dem 
ewig kämpfenden Napoleon Territorien garantierte. So entschloss 
sich denn der König nach langen Conferenzcn, in welchen die 
Gegensätze in den Anschauungen der Staatsmänner — Haugwitz 
und Hardenberg — sowie der Militärs — Braunschweig und Schu- 
lenburg — schroff zutage traten, den Vertrag mit Änderungen nur 
hinzunehmen, welche dessen Rechtsfolgen vom Definitivfrieden 
Napoleons mit England abhängig machen wollten. Der Graf 
von Haugwitz stand dafür, Napoleon werde sich 
die Modificationen unbedingt gefallen lassen, er 
habe ihn bereits durchschaut, Ernst und Festigkeit 
imponiertenihm. So gieng das Instrument, vom französischen 
Gesandten nur mit Vorbehalten angenommen, an den Kaiser ab^ 
während sich Haugwitz nach Paris begab, um das Allianzwerk 
abzuschließen. Mittlerweile wusste Talleyrand durch einen Brief 
an Laforest,*) der ein Meisterwerk der Staatssprache genannt zu 

•) Hardenberg, II, 435. 



Digitized by VjOOQIC 



— 86 - 

werden verdient, die preußische Regierung derart in Sicherheit zu 
wiegen, dass die Demobilisierung des größten Theiles der Armee 
befohlen und die Heimkehr des bereitstehenden russischen Hilfs- 
corps veranlasst wurde; im guten Glauben an Napoleon hatte 
Preußen seine Wafifenrüstung abgelegt; büßen sollte es hiefür. 

Denn Napoleon verwarf in allerschärfster Weise die Ände- 
rungen am Schönbrunner Vertrag und zwang, die Lage meister- 
haft benützend, Haugwitz, den er überdies persönlich schlecht 
behandelte, zum Abschlüsse eines neuen Tractacts,*) in dem 
sich Preußen geradezu zum Kriege gegen Jedermann mit dem 
Empire verband. Wohl sträubte Friedrich Wilhelm sich, zu rati- 
ficieren; wie stets, wenn er unschlüssig war, und er war's fast 
immer, berief er eine Conferenz, in der die Einfluss habenden 
Männer vom Militär für Annahme der Proposition — um dem 
Kriege auszuweichen, wohlverstanden — stimmten.**) Am 25. 
entschloss er sich zur Ratification und durch einen submissen 
Brief***) an Napoleon krönte er dieselbe. 

An demselben Tage warf ein jäher Sturm von der Statue 
der Bellona, die dem Fenster des Königs gegenüber auf dem 
Giebel des Zeughauses stand, das Haupt in den Koth der Straße 
hernieder;!) Preußen war ein Militärstaat schon lange nicht mehr 
gewesen ; so klar wie jetzt hatte sich dies indess noch nie gezeigt. 

In der außerordentlichen Geschichtsepoche, die wir durch- 
sprochen haben, nehmen wir heute wahr und konnte dies fast 
vollinhaltlich schon der Kaiser der Franzosen, wie von der in Politik 
sowohl als Krieg stets aggressiv agierenden französischen Nation, 
Preußen, nachdem es vorübergehend militärisch aufgetreten, be- 
ständig zurückgewichen war. Seitdem Napoleon die Leitung des 
Staates übernommen, hatte er gesehen, wie Preußen offen ein- 
gestand, es sei zu schwach, sich selbst zu schützen, indem es 
unter der Maske der Neutralität doch stets und immer den Be- 
darf nach Bündnissen verrieth; er hatte wahrgenommen, wie auf 
Preußen nichts mächtiger zu wirken pflegte, als militärischer 
Erfolg, und wie es, vor Siegen der Franzosen erschüttert, stets 
diplomatisch in die Kniee sank; er hatte es dahin gebracht, 

•) Paris, 15. Februar. 
••) Hardenberg, II, 488. 
••*) Ebenda, 501. 
t) Ebenda, 502. 



Digitized by VjOOQIC 



- 87 - 

Preußen auf dilatorischem Wege zu einer Allianz zu zwingen, 
deren Zumuthung es vor gar nicht langer Zeit rundweg abgelehnt. 
Er durfte somit billig erwarten, dass Preußen 
sich ihm auch weiterhin geduldig fügen werde; an- 
nehmen konnte er, es werde niemals gegen ihn 
frondieren. 

Wohl schließt beim Staat sowohl als beim Individuum der 
ehrlich gemeinte und offen ausgesprochene Wunsch nach Neu- 
tralität das Eingeständnis eigener Schwäche meist in sich und 
liegt darin der Anreiz zum Angriffe von außen her; so ist es 
wohl und wird es immer sein. Es fragt sich aber sehr, ob 
Napoleon beim Tractact vom 15. Februar bereits an Krieg mit 
Friedrich Wilhelm III. gedacht; es scheint nicht so zu sein, da 
er ja desselben vorerst zum Kampfe gegen England bedarf, und 
mit Alexander ja im Grunde auch in Fehde lebt. Eis fragt sich 
weiters sehr, ob er überhaupt jemals Preußen zu bekriegen dachte. 
Nicht hatte er, wie man oft äußern hört, gewisser- 
maßen ein Programm, nach welchem er Europas 
Souveräne, einen nach dem andern, abzuthun 
plant; um desTriumphes Willen. Was konnte er, wenn 
Preußen ihm nicht entgegentrat, von diesem zu gewinnen suchen? 
Wenn auch nicht ganz verneint, auch nicht völlig bejaht kann 
die Frage werden; sie muss offen bleiben. 

Indem nun die Ereignisse entwickelt werden, die zum Kriege 
führten, so erinnere man sich stets, dass Napoleon am 15. Februar 
und von da ab in Preußen nichts anderes sieht, als eine Macht, 
der er alles bieten darf, indem er sicher ist, sie nehme 
auch das Ärgste ungestraft und ruhig hin. 

Bemerkt muss werden, dass die Darstellung von nun an an 
documentarischen Lücken krankt, die — wie bekannt — dadurch 
entstanden sind, dass Haugwitz die Acten der Vorgeschichte des 
Krieges von 1806 im Herbste jenes Jahres vernichtet hat. 

Vollgefüllt ist die letzte Phase der preußischen Politik vor 
dem Kriege mit den kleinen Zielen und kleinen Mitteln des Hand- 
werkes Diplomatie; nur mit Mühe windet man sich durch 
die Schlangengänge der Staatskunst jener Tage und wider- 
strebend durch. 



Digitized by VjOOQIC 



- 88 - 

Preußen war, wir wissen es, nunmehr Frankreichs Satellit 
geworden und es sollte nach dem Geiste des Vertrages der 
wechselvollen Bahn seines Planeten folgen. Einen Zwiespalt 
zwischen den beiden leitenden Ministern hatte die jüngste Abkunft 
in Paris nach sich gezogen, indem Hardenberg, auf Preußens 
Stärke mehr als billig vertrauend, Haugwitz' Allianzwerk, das 
vielleicht wieder zu sehr mit Preußens Schwäche rechnete, für 
einen Beweis vom üblen Willen des Rivalen hielt Jeder singt 
dem Könige in einer andern Tonart vor und Hardenberg, über 
Haugwitz' Theilnahme an den Geschäften erbost, entschließt sich 
schmollend, seinen Abschied nachzusuchen. Der König, wissend, 
wie unbeliebt der Freiherr bei Napoleon ist, willfahrt der Bitte 
und übergibt Haugwitz wieder allein die Leitung der auswärtigen 
Angelegenheiten. Es verlässt Hardenberg die Stelle des Ministers 
officiell und vor der Welt, um vom Könige sogleich und hinter 
Haugwitz' Rücken mit einer neuen, besonderen Negociation be- 
traut zu werden. Er hat am Petersburger Hofe beruhigende Er- 
klärungen dahinabzugeben, dass Preußen durchaus nicht gesonnen 
sei, die in Paris versprochene Gefolgschaft in Waffen, falls Napoleon 
solche gegen den Zaren begehrte, jemals wirklich zu thun; ja, 
er sucht geradezu ein geheimes Bündnis abzuschließen. Braun- 
schweig geht nach Petersburg und unter dem ersten Juli erhielt 
Alexander durch eine Declaration des Königs volle Sicherheit von 
Preußen her. Der leitende Minister Haugwitz weiß nichts, oder 
vielmehr nicht das Wesentliche hievon. 

Hannover war und blieb besetzt. Und das Cabinet von 
St James antwortete hierauf mit offenem Krieg an Preußen. Wie 
stets, begann es denselben mit Wegnahme schwimmender Güter 
und in einem Monat schon hat es einen Schaden von 20 Millionen 
Preußens Handel zugefügt. Gustav IV. von Schweden, empört 
über Preußens Abkommen mit dem Empire, nimmt am Kriege 
theil und macht sich in Pommern missliebig bemerkbar. 

Napoleon erfahrt indess mit hoher Wonne vom Tode seines 
großen Gegners Pitt und wie der ihm persönlich ergebene Fox 
ans Ruder gelangte. Sofort beginnen Friedensunterhandlungen 
mit England einerseits, während sie mit Russland andererseits 
eifrig fortbetrieben werden. Langsam nur gehen die Negociationen 
vor sich und mittlerweile beginnt der Imperator die Dinge in 



Digitized by VjOOQIC 



- 89 - 

Deutschland neu zu ordnen. Durch die Anwesenheit seiner Armee 
im Herzen des alten germanischen Reiches übt er den nöthigen 
Druck, der einem großen Theil der deutschen Fürsten Lostrennung 
vom Reiche und Gründung eines neuen Bundes unter französischem 
Protectorate nahelegen soll. Als Compensation hiefür bietet Napoleon 
seinem Alliierten vom 15. Februar die Schaffung eines deutschen 
Nordbundes unter Preußens Führung an. Jedoch die Relationen 
der neuen Freunde waren keine ungetrübten mehr. Anfangs April 
hatte der neue Großherzog von Berg, Fürst Joachim Murat, die 
Preußen gehörigen Abteien Elten, Essen, Werden mit seinen 
Truppen besetzt, worauf der in Westfalen commandierende General 
Blücher, trotz der bestehenden Allianz, Repressalien übte ; und bei 
der Schlichtung dieses Zwischenfalls hatte Preußen immer und 
immer wieder vor der drohenden Sprache Napoleons den Rück- 
zug angetreten. Ferners weiß man in Berlin, dass der Kaiser der 
Franzosen mit Fox in Unterhandlung steht, bei der das Schick- 
sal Hannovers nothwendig zur Sprache kommen muss; besorgt 
fragt man sich, was Napoleon mit demselben zu thun gedenkt 
Um das Ende des Juli erreichen die Beziehungen von Hof 
zu Hof ihren Höhepunkt. Am 1. des Monats hatte, wie wir 
wissen, Friedrich Wilhelm III. insgeheim mit Alexander sich derart 
liiert, dass er ihm verspricht, das nicht zu thun, was zu 
thun er im Februar Frankreich versprochen hat. Nun 
war der Friede zwischen Russland und dem Kaiserreiche dem 
Abschluss nahe und wahrlich, Preußen sehnte letzteren herbei; 
denn gelang derselbe nicht, so war es in die peinlichste Verlegen- 
heit gesetzt, indem es beider Staaten Alliierter und für jeden der- 
selben einzutreten verpflichtet war. Dann kam der Augenblick, 
in welchem es sich offen für einen der beiden Theile erklären 
musste, indem es an dem anderen einen Treubruch beging; und 
wo unter allen Umständen der Krieg unvermeidlich würde. Eine 
Kriegsgefahr. 

Am 12. Juli war zu Paris die Rheinbundsacte unterzeichnet 
worden ; aber schon sehr bald weiß man in Berlin, dass Napoleon 
Norddeutschland, Hessen zunächst, in seine Machtsphäre zu 
ziehen strebt, was ihm augenscheinlich nur zu gut gelingt.*) 
Jetzt, Ende Juli, hört man von stetiger Vermehrung französischer 

•) Dechden, 8, «f. 



Digitized by VjOOQIC 



->- 90 — 

Streitkräfte auf der Preußen umfassenden Basis von Holland bis 
zum Inn, und wie die große Armee trotz aller Mahnungen 
Deutschland immer noch nicht verlässt;*) wie an der west- 
fälischen Grenze neue, drohende Truppenanhäufungen geschehen. 
Dumpfe Gerüchte dringen aus Süd- und Mitteldeutschland nach 
Berlin : in der großen Armee spreche man allgemein von einem 
bevorstehenden Kriege; man rüste für denselben. Gegen wen 
wohl als Preußen sollte er gerichtet sein ? Andere Kriegs- 
gefahr. 

Nun ist die Frage wichtig, ob Napoleon in der That den 
Kampf mit Preußen, und wenn ja, von wann an suchte. Man 
hat angenommen und noch nimmt man an,**) dass er diesen 
Krieg schon lange in sein Programm aufgenommen hatte und 
dass ihm der Beginn desselben lediglich als eine Frage der Zeit 
und der Gelegenheit erschien. Man folgert dies aus seiner Corre- 
spondenz, laut welcher er schon im April einen Kriegsfall Preußen 
in*s Auge fasst, sowie aus mancherlei militärischen Maßnahmen, 
die von der richtenden Geschichte alle insgesammt als ebenso- 
viel wohlberechnete Schachzüge gegen Preußen hingestellt sind. 
Indem es nun zu weit führen würde, das gesammte Quellen- 
material hier darzulegen, geben wir nach sorgfältigster Prüfung 
von Für und Wider unsere Meinung dahin ab, dass dies der 
Fall nicht gewesen ist. Napoleon bedurfte der Anwesenheit 
seiner Armee auf deutschem Gebiet allein schon aus dem Grunde, 
um das Zustandekommen des Rheinbundes kategorisch durch- 
zusetzen und einen immerhin möglichen Widerspruch Preußens 
von Haus aus lahmzulegen ; er bedurfte ihrer sofortigen Schlag- 
und Marschfertigkeit, so lange der Friede mit Alexander nicht 
unterzeichnet war. Wer hat 1805 politisch und sogar strategisch 
angegriffen? Die Coalition, wollen wir billig sein. Wohl verstand 
Napoleon meisterhaft, zum Angriffe zu zwingen ; allein es scheint, 
als ob man heute noch in ihm den Staatsmann über dem General 
vergäße. Nur Mittel zu politischem Zweck sind ihm die Kriege, 
die er geführt, gewesen ; eine Liebhaberei aus dem Kriege hat er 
nie gemacht. Und wenn die Geschichte, am Gängelbande der 



•) Berichte von GrafGoertz, Regensburg, 25. Juli; Blücher, Münster, 25. Juli; Lautier, 
Dresden, 28. Juli; Blücher, Münster, 28. Juli; Schiaden, München, 29. Juli; Bailleu, IT, Urkun- 
den Nr. 373, 374. 377, 378, 380. 

-) V. Lettow-Vorbeck, I, 31 ff und 126 ff. 



Digitized by VjOOQIC 



— 91 — 

Vorsehung über eine so gewaltige Epoche hinweggehend, in einer 
socialen Colossalgestalt, wie Napoleon war, nichts er- 
blickt, als einen neuen, blutig gestraften Dschingis-Khan, wenn 
sie blind genug ist, um zu glauben, der Mann des 18. Brumaire, 
des Concordats, des Code Napoleon, sei nichts gewesen, als ein 
von der Kriegsmanie besessener General : so thut sie in diesen 
ihren Urtheilen wieder und wieder die Hinfälligkeit der Schlüsse 
dar, die über den Mitteln einer geschichtlichen Gestalt deren Ziele 
völlig vergessen, besser, sie gar nicht verstehen. 

Doch sei dem, wie ihm sei ; möge die Chronik zum Worte 
gelangen. Am 20. Juli hatte der russische Staatsrath Oubril einen 
Friedensvertrag mit Frankreich unterzeichnet, der zur Ratificierung 
durch den Zaren nach Petersburg abgegangen war. Preußen 
konnte somit erleichtert aufathmen in der frohen Hoffnung, die 
eine Kriegsgefahr baldigst beseitigt zu sehen. 

Da traf in der Nacht des 5./6. August in Berlin eine De- 
pesche Lucchesinis ein, die „plötzlich helles Licht über Preußens 
Lage gab."*) Gelegentlich eines Festmahles hatte Lord Yarmouth, 
britischer Plenipotentiär zu Paris, scheinbar in einer Weinlaune, 
dem preußischen Gesandten anvertraut, Napoleon habe England 
für den Fall des Friedens die Rückgabe Hannovers unumwunden 
zugesagt. Dieses unendlich wichtige Document existiert nicht 
mehr ; was Lucchesini thatsächlich gemeldet, weiß man heute mit 
Bestimmtheit nicht. Irrelevant erscheint es auf den ersten Blick, 
zu prüfen, ob das, was hier gemeldet war, den Thatsachen ent- 
sprach ; für die Wirkung in Berlin kam die Zuveriässigkeit der 
Meldung vorerst nicht in Betracht ; und doch, die Geschichte hat 
die That so unbedenklich in das Schuldbuch des großen Corsen 
eingetragen, dass es sich wahrlich verlohnt, dieselbe, soweit die 
bekannten Quellen dies gestatten, eingehender zu prüfen. 

Dem Lord Yarmouth war befohlen worden, den Frieden im 
Verein mit Russland abzuschließen.**) Während der einleitenden 
Pourparlers hatte Talleyrand — akademisch, daran ist nicht zu 
zweifeln — dahin Äußerungen gethan, die Rückgabe Hannovers 
an England werde sich wohl ohne Schwierigkeit im Frieden be- 
wirken lassen. Bald zeigte sich, dass Frankreich nicht mit Eng- 



•) Bailleu, 11, Einleitung, LXXVf. 
•*) Hardenberg, III, 75. 



Digitized by VjOOQIC 



- 92 - 

land und Russland gleichzeitig und zugleich zu unterhandeln 
wünschte, was Sehr natürlich scheint. So schloss Oubril am 
20. Juli für Russland ab, trotz der lebhaften Gegenbemühung des 
englischen Gesandten, dem der Franzose Clarke offen heraus 
erklärte, der Separatfriede mit dem Zaren bedeute für England zu- 
mindest soviel, wie eine erhebliche Niederlage im Kriege.*) Was ist 
nun natürlicher, als dass Yarmouth einen Rückhalt suchen musste 
irgendwo, da England isoliert zu werden drohte? und d€iss er, 
in die Runde blickend, sofort an Preußen denkt? Wer erkennt 
nicht sogleich britische Staatskunst in dieser zielbe- 
wussten Rücksichtslosigkeit, die den Reichsinteressen 
Interessen des Regentenhauses, wenn auch mit Vor- 
behalten und vorübergehend, zum Opfer bringen will; 
oder die den schwächeren Staat erbarmungslos in sein Verderben 
hetzt, um vom Sieger dann die Beute als Lohn des Friedens zu 
eriangen? Feststeht, dass England eines Conflictes der beiden 
Freunde vom 15. Februar um jeden Preis bedurfte, um seine 
überragende Stellung im Rathe des Continents nicht auf die Dauer 
einzubüßen; und allsogleich brouilliert es sie, indem es sich des 
vagen Inhalts vorläufiger Besprechungen bedient, um den Gegen- 
satz der Interessen mächtig aufzuregen. 

Des vagen Inhalts vorläufiger Besprechungen, jawohl, muss 
sich der vorurtheilslose Beobachter eingestehen, wenn er in Na- 
poleons Correspondenz die Note an Talleyrand vom 6. August 
liest und wieder liest. Der Kaiser versieht das Project des Friedens- 
instruments mit England mit Randbemerkungen und aus dem 
Inhalt des Projects**) wie aus Napoleons Bemerkungen ergibt sich 
äußerst klar, dass Frankreich bisher sorgsam vermieden hatte, in 
Beziehung auf Hannover sich einseitig zu binden, am allerwenig- 
sten jedoch sich anheischig gemacht, das Land für England Preußen 



•) Hardenberg, III, 76. 

••) Prcjet. — R, by Mr. Godard, august 1, 1806. [Foreign office, London J 
ArHcles secrets, — Autre ariicle (2), S. M. VEmperenr ne s^oppose point ä ee qmg U 
roi prenne le titre de grand~duc ou roi de Hanovre, ei le reconnaitra en ceiie qualite des 
qu'il le desirera. Le roi s^engage ä indemniser les sujets prussiens des peries iprouvees sar 
terre ou mer, (It was observed to MM. Talleyrand and Clarke, that this was absoluldjr 
impraticable. Upon which M. Talleyrand said, that these stipulations were usual in treaties» 
but seldom observed.) 

Observation de VEmpereur: . . evidemmeni ridictüe ... S.M. le roi du royaume uni 
de la Grande-Bretagne comme roi de Hanovre n'est rien; c*est avec le roi d'Angieterre que 
je stipule. Tailleurs il n'y a pas assez de franchise dans cette redadion, Mettre dans ce 



Digitized by VjOOQIC 



abzunehmen. Diese Thatsache verdient wahrhaft Beachtung, denn 
sie zeigt uns, wie hinfallig alles Gerede ist, als habe Napoleon 
Preußen systematisch in den Krieg getrieben. Zum Greifen deut- 
lich blickt in den Negociationen stets eine gewisse Rücksicht- 
nahme auf Friedrich Wilhelm III. durch. Wohl muss zugegeben 
werden, dass der Kaiser der Franzosen Preufien eine arge Zu- 
muthung zu stellen sicherlich nicht zögern wird; dass er sich 
militärisch rüstet, um durch Drohungen den Nachbarstaat — wie 
so oft schon — einmal noch zum Nachgeben zu bringen. Aber 
keineswegs suchte oder wünschte er jetzt gar den Krieg. Es 
galt ihm, den politischen Zweck zu erreichen und er 
glaubt, er könne dies jetzt auch wieder durch Drohen 
allei n. 

Dass nun hinter seinem Rücken die Diplomaten ihm einen 
Streich gespielt, der ihn Preußen gegenüber weit ärger com- 
promittieren musste, als dies in der Natur der Dinge lag; dass 
England, kaum isoliert , an Preußen , auf Frankreichs Kosten, 
erneuert Anschluss sucht, um dann sogleich mit seinen Forde- 
rungen für den Frieden mit Frankreich stark hinaufzugehen, ist 
ihm ein wahrer Riss durch alle seine Pläne, und indem sich sein 
Zorn über den allzu eifrigen Lucchesini maßlos entlädt, sucht er 
sogleich durch Friedensbetheuerungen nach allen Seiten hin dem 
allarmierten Preußen Beruhigung zu geben ; jetzt wollte er ganz 
sicher nicht den Krieg. 

Allein in Berlin hielt man sich nunmehr, und sehr begreif- 
lich ist dies wohl, fiir verrathen und verkauft, und vor allem 
dachte man daran, sich gegen einen Überfall Napoleons zu sichern. 
Am 9. August befiehlt Friedrich Wilhelm III., den größten Theil 
der Armee mobil zu machen, bestimmt die Sammelpunkte der 
Truppencorps und weist Blücher an, vor allen Dingen die West- 

*tns: jLes deux Kaufes parties contractantes ^engagent ä reunir leurs efforts pour que 
S, M, Je roi de Prusse resiitue le Hanovre ä VAngleterre, sans delai, moyennanl, i* uue 
resiitution des toutes les prises eic, comme ä la fin de Varticle second; 11^ une indemnite 
prise autour de lui ei iquivälant ä 400.000 dmes de population.' Surioui ne farler eu rien 
d'Attspach, ni de CUves, ni de NeufchäUl, 

Äriicles secrets. — Antre article (8.) les dispositions de Varticle des evacuations etc., 
sont diclarees communes aux habitanis des possessions de S, A/. Britannique en Allemagne, 
lesquels voudront en sartir dans Vespace de trois ans. (It was observed to MM. Talleyrand 
and Clarke that neither by the public nor secret articles was any engagement taken by the 
Emperor to compel Prassia to evacuate Hanover; nor any time fixed for such evacuation. 
They replied that the .bonae fioi de rErapereur* was a sufficient guarant, but that they 
apprehended an article to this effect might be introduced.) 



Digitized by VjOOQIC 



— 94 - 

grenze seiner Staaten zu sichern. Am Vortage wandte sich der 
König in einem lamentabeln Schreiben *) an den Zaren um even- 
tuelle Wafifenhilfe, den einzigen Bundesgenossen ei-sten Ranges, 
den sich Preußen zur Theilnahme am Kampfe verbunden. Denn 
nicht entfernt wagt man daran zu denken, Napoleons Angriff 
rasch zuvorzukommen. Wie stets bisher, so stellt man sich auch 
jetzt plump und ehrlich auf den Boden der Neutralität und Haug- 
witz bietet alles auf, um diese Willensmeinung allgemein und in 
Paris besonders an den Tag zu legen. Da Napoleon über 
Lucchcsini heftig aufgebracht sein musste, beruft der König den- 
selben unverzüglich ab und sendet den Napoleon von der 
Krönung her bekannten und persönlich zugethanen General von 
Knobelsdorff dem Imperator zu. Officiell wird nun im Laufe des 
August in Preußen zugewartet, während die öffentliche Meinung 
den Krieg bereits in nächster Nähe und unabwendbar sieht In elfter 
Stunde versucht es eine Anzahl hochstehender und patriotisch 
gesinnter Männer, in einer allerdings sachlich nicht einwandfreien 
und ungeschickt an den Mann gebrachten Denkschrift, dem König 
die UnZweckmäßigkeit der Cabinetsregierung sowie die vermeint- 
liche Perfidie des Grafen Haugwitz zu Gemüth zu führen, um 
ihn zum Bruche mit dem System des Zögems und der kleinen 
Mittel zu vermögen.**) Zwecklos war dies Beginnen ; denn der 
König, in dessen ganzer Natur das Warten eine Hauptpotenz 
darstellte, beschloss auch jetzt, zu warten. 

Der Kaiser der Franzosen hatte die Nachricht von Preußens 
Waffenrüstung mit jenem Gleichmuth hingenommen, der der 
Stärke ziemt; es erfolgen auf Seite der Franzosen keine neuen 
Truppenverschiebungen, ja, unterm 26. schreibt er an Berthier, 
die Truppen an den Grenzen Preußens seien möglichst zurück- 
zuziehen und durch Baiern zu ersetzen ; er wartet auf seinen 
Frieden, der eben jetzt von Petersburg täglich zurückerwartet 
wird, und wahrhaft, man begreift es, wenn ihm der Gedanke, 
Preußen könne es allein gegen ihn wagen, lächerlich erscheint.***) 
Mit England zieht sich die Unterhandlung einstweilen resultat- 
los hin. 



*) BaiUeu, II, Urkunde Nr. 395. 
••) Hardenberg. III, 116 ff. 
•*•) An Talleyrand, Rambouillet, 22. August 



Digitized by VjOOQIC 



- 95 — 

Und nun trat in den ersten Tagen des September jenes Er- 
eignis ein, das den aus demselben folgenden Krieg wirklich als 
das erscheinen lässt, als was ihn Scharnhorsts Biograph schon 
vom 9. August an bezeichnet hat; er hält ihn für ein Miss- 
verständnis.*) 

Am 30. August ward in Berlin bekannt, dass Alexander 
den von Oubril abgeschlossenen Frieden rundweg verworfen 
hatte. An eben diesem Tage und dem folgenden marschierte die 
Garnison der Residenz nach Sachsen ab. Am 3. September 
erhält Napoleon die Nachricht von Alexanders Nichtratification 
und jetzt erst wird ihm völlig klar, was Preußens Rüstungen 
bedeuten. Indem er nun England gegenüber seine Offerte für den 
Frieden bedeutend steigert, um sich von dieser Seite sicher- 
zustellen, fasst er den continentalen Krieg, der ihm das Product 
einer neuen Coalition zu sein scheint, als unvermeidlich ins Auge. 
Ein Befehl an Berthier folgt dem andern, die Vorbereitung zur Cam- 
pagne betreffend ; der Kaiser gedenkt unendlich rasch zu sein, um 
die jüngste Liga des Continents gründlich zu sprengen. 

Indessen hatte die Politik noch nicht ihr letztes Wort ge- 
sprochen; Knobelsdorff, von dessen Instruction, wenn er eine 
hatte, man nichts Bestimmtes weiß, hatte in Paris auf Rückkehr 
der französischen Truppen über den Rhein vornehmlich zu dringen. 
In der Audienz vom 7. September erklärte Napoleon, solange 
der Friede mit Russland nicht geschlossen sei, könne er an die 
gewünschte Zurückziehung seiner Armee nicht denken, forderte 
dagegen ganz entschieden die Demobilisierung des preußischen 
Heeres. Auf diesen abgebrauchten Scherz gieng man nun in Berlin, 
als KnobelsdorfTs Bericht in der Nacht des 16./ 17. September 
eintraf, allerdings nicht mehr ein. Am 21 . gieng Friedrich Wilhelm III. 
zu seiner Armee, und zwar zunächst nach Naumburg ab. Indem 
er einen letzten Versuch — derselbe war ehriich gemeint — 
wagen wollte, um dem Kriege zu entgehen, erließ er am 26. aus 
seinem Hauptquartier ein Ultimatum mit den bekannten Forde- 
rungen an die französische Regierung, dessen Beantwortung bis 
längstens den 8. October in*s Hauptquartier begehrt ward, und 
demselben schloss er einen Brief**) an Napoleon bei, der nichts ent- 



*) Max Lehmann, Schamhorst, I, S93. 
**) Hardenberg, III, 179. 



Digitized by VjOOQIC 



— 96 - 

hielt, als ein langathmiges Sündenregister alles dessen, was dieser 
verbrochen haben sollte, von Enghiens Erschießung an, die offenbar 
nicht hergehörte, bis zur jüngsten Absicht mit Hannover, die 
durch nichts bewiesen war. So wenig man darauf rechnen konnte, 
Napoleon werde sich urplötzlich dem Ultimatum fügen, ebenso 
wenig konnte sich Friedrich Wilhelm IIL von diesem persönlichen 
Schritte praktischen Erfolg versprechen. Die Historiker nehmen 
an, derselbe sei eigentlich erfolgt, um Zeit zu Rüstungen zu 
gewinnen. 

Und so war, da niemand mehr einen friedlichen Ausgang 
zu erwarten wagte, der Krieg denn doch endlich zur Wahrheit 
geworden. 

Wenn man nun einen Blick auf die Art, wie derselbe 
schließlich entstanden ist, unbefangen wirft, so muss man sich 
gestehen, dass derselbe, trotzdem er eigentlich schon lange gleichsam 
in der Luft gehangen, im Grunde ein Rencontrekrieg gewesen ist 
Soweit das allerdings lückenhafte Quellenmaterial seine Vor- 
geschichte zu beurtheilen verstattet, muss man zu dem Schlüsse 
kommen, dass Napoleon ihn mit Bewusstsein keineswegs herbei- 
geführt. Höchst wahrscheinlich wohl ist, dass derselbe früher 
oder später denn doch geführt worden wäre ; aber für den Herbst 
von 1806 hatte ihn der Kaiser der Franzosen nicht auf dem 
Programm. Und dass er auf Friedrich Wilhelms IIL Lebensplan 
nicht figurierte, weiß wohl jedermann. 

So ist also dieser Krieg recht accidentiell entstanden: ur- 
plötzlich war er und für jedermann überraschend da. Und nicht 
um einen Beweis für die Richtigkeit des Gemeinplatzes zu führen, 
als ob eine schwankende, unentschlossene Politik nothwendig 
eine schlechte Strategie im Gefolge haben müsse, sind wir länger, 
als dies sonst wohl üblich, bei seinen Ahnen verweilt; sondern 
in der Absicht, zu zeigen, 

wie Preußens Verhalten seit so vielen Jahren Napoleon das 
Material geliefert hat, aus dem er mit aller Sicherheit den Schluss 
von dessen Ohnmacht zog, sowie Preußen selbst im Augen- 
blicke der Gefahr die Stimme des bösen Gewissens nur zu 
deutlich vernahm; 

und wie die Politik des Hohenzollernstaates beschaffen war, 
als der Kampf begann; noch immer mit der Hoffnung auf fried- 



Digitized by VjOOQIC 



- 97 - 

liehen Vergleich zieht zögernd er und zagend nur das Schwert. 
Die Idee einer Unterhandlung unter den Waffen beherrscht die 
Situation *) und eine solche muss das kriegerische Thun wohl binden. 

So treten uns die grofien Züge jener Zeit in der zwiefachen 
Thatsache entgegen: Napoleon kennt Preußen durch und durch 
und diese Kenntnis wird er im Kampfe zu Preußens Schaden 
verwerten; während dieses sich über seine Mittel täuscht und 
jene des Gegners nicht zu schätzen versteht. Napoleon hat freie 
Wahl, wann und wie er kämpfen wolle, während Preußens Schwert 
durch seinen König selbst angsterfüllt zurückgehalten wird, wäh- 
rend es bereits losschlagen hätte sollen. 

Napoleon verbindet die Kenntnis von der Natur des Gegners 
mit voller Freiheit der Action ; aus dieser Vereinigung floss stets 
die Anwartschaft zum Siege. Preußen besitzt das eine wie das 
andere nicht; und das Quellenstudium lässt erkennen, 
dass es sich seiner Schwäche zum Theil bewusst ge- 
wesen ist, als es auf den Wahlplatz herniederstieg. 



Drohend stand die Große Armee seit vielen Monaten schon 
im Süden Deutschlands in Quartieren ; noch stand sie, als Lucche- 
sinis Übereifer Preußens Rüstungen hervorgerufen hatte. Und der 
Fürst von Hohenlohe konnte, als er Ende August seine Herr- 
schaft Öhringen verließ, um sich in Friedrich Wilhelms III. Dienst 
zu stellen, folgende Aufstellungsart (Siehe Skizze I) und folgende 
Truppenstärken als thatsächlich bestehend melden: 

I. Corps, Bernadotte, Prinz von Ponte -Corvo, ca. 40.000 
Mann inclusive zwei schwere Cavalleriedivisionen ; 

III. Corps, Marschall Davout, ca. 33.000 Mann; 

IV. Corps, Marschall Soult, über 30.000 Mann ; 

V. Corps, Marschall Lefebre (später Lannes), ca. 20.000 Mann ; 
VI. Corps, Marschall Ney, ca. 30.000 Mann; 
VII. Corps, Marschall Augereau 20.000 Mann; 

Bayern und Württemberger, ca. 30.000 Mann, sollen im 
Verein mit Soult Österreich bewachen ; 

die Cavalleriedivisionen sind in den Zahlen einbegriffen ; 
die Kaisergarde befindet sich im Innern Frankreichs. 

•) Hardenberg, IV, 19. 
C. von B.-K, Zur Psychologie des großen Krieges II. 7 



Digitized by VjOOQIC 



— 98 - 

Am 3. September traf, wie wir wissen, die Nachricht von 
der Nichtratificalion des Oubril'schen Friedens bei Napoleon ein: 
jedoch er denkt durchaus nicht an sofortigen Krieg, was daraus 
hervorgeht, dass er tags darauf*) den Marschällen Ney und Da- 
vout Urlaube gewährt. Aber schon am 5. hat er sich die Sache 
überlegt und unterrichtet den Major-General von der befohlenen 
Einziehung der Conscription pro 1806, gibt ihm Weisungen be- 
hufs Zurücksendung der 3. Bataillons-Cadres zu den Depots und 
befiehlt ihm Recognoscierungen auf Dresden und Berlin vornehmen 
zu lassen. Jedoch der Kaiser greift nicht an ; unterm 13. schreibt 
er seinem alter ego, nur das Einrücken der Preußen in Sachsen 
sei einer Kriegserklärung gleich zu achten und möge er selbst 
hievon sofort über Straßburg telegraphisch benachrichtigt werden. 
Inzwischen sei nicht provocierend aufzutreten, er glaube auch 
noch nicht an den Krieg. Es scheint wirklich, dass die Große Armee 
nicht völlig marschfertig gewesen ist und der Kaiser setzte alle Mittel 
der Diplomatie in Bewegung, um einen Aufschub zu erreichen. 

Am 9. August war in Berlin folgendes befohlen worden: 

Die westfälischen Truppen unter Blücher (I6V2 Bat., 17 Esc, 
3V2 Batt.) sammeln sich zwischen Weser und Ems und ziehen 
sich, wenn dies nöthig wird, auf die hannoverischen Truppen 
(20 Bat., 28 Esc, 5 Batt.), die in Braunschweig stehen, zurück: 
beide Corps commandiert (vom 14. August an) Generallieutenant 
von Rüchel; 

die Magdeburger Inspection (10 Bat, 20 Esc, 2 BatL) 
sammelt sich im Falle eines Rückzuges bei Magdeburg; 

die Berliner und übrigen märkischen Truppen (18 Bat., 
15 Esc, 7 Batt.) machen sich marschbereit; 

das Corps Kaikreuth an der schwedisch-pommer'schen 
Grenze (I8V2 B^*-» 30 Esc, 4 Batt.) sammelt sich bei Prenzlau: 

die schlesisch-südpreußischen Truppen (31 V2 Bat., 65 Esc, 
11 Batt.) unter Generallieutenant von Grawert sammeln sich bei 
Sagan ; 

die westpreußischen Truppen (18 Bat., 20 Esc, 4 Batt.) 
unter General von Natzmer bilden bei Küstrin ein Reservecorps; 

in Bayreuth verbleibt ein Detachement (2V2 Bat, 5 Esc.) 
unter General Graf Tauentzien. 



•) An Bcrthier, St Cloud, 4. Sept. 



Digitized by VjOOQIC 



- 99 - 

Alle diese Truppen wurden mobil gemacht; immobil ver- 
blieben in Ostpreußen, Polen und Oberschlesien 33 Vj Bat, 55 Esc, 
17 Batt., in Summa 33.000 Mann. 

Die Festungen links der Elbe wurden in Vertheidigungs- 
zustand gesetzt. 

Man sieht, dass hier von einer vorbereitenden Versammlung 
der Kräfte zur Action noch keine Rede ist. Um zu einer solchen 
zu gelangen, wurde Braunschweig nach Berlin beschieden. 

Dieser lehnte ab; besorgt um das Schicksal der eigenen 
Souveränität im künftigen Kriege, wollte er sich Napoleon gegen- 
über solange als möglich nicht compromittieren und Friedrich 
Wilhelm III., obwohl peinlich berührt, sandte ihm aus seiner 
Umgebung den General von Phull. Mit diesem, Rüchel und Scham- 
hörst, dessen Vortrag uns als „widerlich und confus" bezeichnet 
wird, bringt der Herzog ein „Concert" zustande, das unterm 
22. dem König übergeben wird und dessen Inhalt fast wörtlich 
in die Cabinetsbefehle vom 25. übergegangen ist. Während nun 
diese in der Ausführung begriffen sind, werden dieselben durch 
einen neuen Operationsplan Braunschweigs überholt. 

Denn der vom 25. rechnete mit Machtfactoren, deren man 
sich erst zu versichern hatte: nämlich der Bundesgenossen in 
Norddeutschland. Während Sachsen erst Bedingungen stellte, von 
deren Annahme seitens Preußens es seine Antheilnahme abhängig 
machen wollte, und der Kurfürst von Hessen unentschieden hin 
und wider schwankte, kleinere Staaten: Anhalt, Braunschweig, 
Mecklenburg, ihre Neutralität mehr oder minder schroff betonten, 
brachte es Friedrich Wilhelm III. nicht über sich, den Anschluss 
der Kleinen durch gelinden Druck zur rechten Zeit herbeizuführen; 
großmüthig gestand er ihnen die Neutralität zu und begab sich 
auf diese Weise einer ungefähren Truppenmenge von 30.000 Mann. 
Ein neuer Operationsplan wurde nöthig, zumal Hohenlohe eben 
bestimmte Nachrichten über die Franzosen, — die oben an- 
geführten — überbrachte. 

Es schlug nun der Herzog von Braunschweig am 31. August 
vor, die gesammte Armee, mit alleiniger Ausnahme des Blücher- 
schen Corps bei Naumburg zu versammeln, von welcher centralen 
Stellung aus man dem Feinde stets entgegentreten könne, woher 
er immer komme. Es scheint, als ob dieser Vorschlag an sich 

7* 



Digitized by VjOOQIC 



— 100 — 

und besonders Napoleons Strategie gegenüber der erfolgver- 
heißendste gewesen sei; obgleich wir weit davon entfernt bleiben 
müssen, anzunehmen, dass er, wenn durchgeführt, den Erfolg 
wirklich gegeben hätte. Indessnach unserer heutigen An- 
schauung vom Kriege erkennen wir unumwunden diesen 
Plan als den besten von allen vorgelegten an. 

Wenn wir nun fragen, ob und wie derselbe ausgeführt 
wurde, so stoßen wir sogleich auf eine Fülle von Thatsachen, 
deren Betrachtung äußerst lehrreich erscheint. Braunschweig war 
ein Soldat der alten Schule und wenngleich er mehr als andere 
mit der Zeit fortgeschritten war, deren Bedürfnisse erkannt und 
in sich aufgenommen hatte, sö existieren doch Operationspläne 
von ihm*) die zeigen, wie ihm das Manöver als Mittel zur stra- 
tegischen Entscheidung unglaublich stark am Herzen lag. Es 
scheint, als ob das Manöver nur dann als lebendiger Factor in 
die strategische Berechnung aufgenommen werden dürfe, wenn 
dasselbe gleichsam improvisiert wird, neu und über- 
raschend für den Gegner ist: mit einem Worte, wenn 
er es nicht kennt. Kennt er es, so fürchtet er es nicht, 
und gefürchtet zu werden ist wohl des Manövers vor- 
nehmlichster Zweck. So darf das Manöver auch, wenn es 
gebraucht wird, nicht die zünftigen Kennzeichen eines solchen 
tragen, weil dieselben die drohende Rolle zu einer wesenlosen, 
demonstrativen Geste verwandeln, die in ihrer Harmlosigkeit vom 
Gegner alsbald durchschaut werden wird und überdies die Action 
des Manövers vom Anbeginne lähmt. Die ein Manöver voll- 
führende Truppe muss jeden Augenblick bereit und in der Lage 
sein, wenn es die Lage erheischt, von der Manöverthätig- 
keit zur scharfen Thätigkeit überzugehen; wird sie dies 
wohl sein, wenn sie sich ihrer Aufgabe, ein Manöver zu voll- 
führen, bewusst ist? Nein. Sie wisse nicht, dass sie manövriere, 
sie glaube schlagen zu müssen, dann wird die Hand des Feld- 
herrn zwecks eines Manövers zu hemmen berufen sein, wo 
sie im Gegenfalle ein widerstrebendes Material treiben und 
stoßen wird müssen. Man weiß, dass es gefahrlich ist, so 
manchem höheren Führer ein Manöver zu befehlen, indem er 
allzuleicht mit der Demonstration sich begnügt, und, wenn 

*) V. Lettow-Vorbeck, I, 6 ff. 



Digitized by VjOOQIC 



- 101 - 

man die menschliche Seele bedenkt, so kommt man fast zu dem 
Schlüsse, dass es selbst für den obersten Feldherrn nicht ohne 
Bedenken ist, sich zu gestehen, diese und jene Operation 
werde ein Manöver und nichts anderes sein. Stets muss 
er Reserven an Wissen und Willen besitzen, um, wenn es noth- 
wendig wird, jene Operation spontan zur scharfen zu machen. 
Und es scheint, als ob eine ganz außerordentliche militärische 
Begabung nothwendig sei, um das Manöver mit Sicherheit und 
mit vorausblickender, unfehlbarer Ironie zu gebrauchen ; denn von 
dieser steckt im Manöver viel ; gebraucht man dasselbe allzuernst 
und guten Glaubens voll, so kann es ein wirkendes Mittel nicht sein. 
Indessen zeigt gerade dieser Operationsplan am wenigsten 
von allen Elemente des Manövers und deren Mängel an. In 
der Qualität des Entschlusses vom 31. liegt das Bedeutsame noch 
nicht; wir müssen tiefer gehen. Der Herzog war, so paradox 
dies klingen mag, recht eigentlich geborner Unterthan, und trotz 
seines Alters, seiner hohen Stellung, seines Rufs als General, 
wagte er es nie, auf seiner Meinung fest und sicher zu bestehen. 
Zumal dem König gegenüber wollte er seine Entschließungen nur 
als Vorschläge betrachtet wissen , deren Annahme, Verwerfung 
oder selbst Modiiication er der bessern Einsicht des königlichen 
Kriegsherrn immerdar anheimstellt. Zum Theile aus dem Wunsch, 
die Verantwortung für das Unheil, das er, wie erwiesen ist, 
vorausgeahnt hat, von sich zu wälzen, floss diese subalterne 
Geistesrichtung her. Obwohl dieser Greis eine seltene persönliche 
Bravour besaß, obwohl er vielleicht klarer in der Zukunft las, 
als irgendwer in Preußens Staat und Heer, konnte er, der aus 
Friedrichs strenger Schule hervorgegangen war, sich doch nim- 
mermehr zum Selbstgefühl des Feldherm erheben ; sehr natür- 
lich ist dies wohl, bei der Lehr- und Lernzeit, die er durchge- 
macht; eine gewisse höfische Glattheit der Form, die bei ihm 
das innerste Wesen ergriff, trat noch hinzu. 

Wir wissen, dass Friedrich Wilhelm IIL alle Welt um Rath 
zu fragen pflegte, wenn es galt, einen Entschluss zu fassen. Wir 
kennen seine Concilianz und angeborene Milde, die anzustoßen 
stets vermied. So wurde der Plan des Oberfeldherm der Be- 
urtheilung eines Majors (v. Rauch) des Generalstabes unterbreitet 
und in einer Denkschrift vom 5. September entwickelte der, wie 



Digitized by VjOOQIC 



' • * • ■ — 102 — 

man nicht eine centrale, massierte Stellung nehmen, vielmehr 
vor allem für Deckung der präsumptiven Alliierten, Sachsen und 
Hessen, durch Aufstellung von Flügelcorps vorzusorgen habe; 
vernehmlich schlägt schon hier in lauten Tönen der Defensiv- 
gedanke vor. Nun wurde, auf Grund dieses Memoirs von unter- 
geordneter Stelle, eine Conferenz gehalten, in welcher es unter der 
leitenden Idee: „Krieg unvermeidlich, diplomatisches Hinhalten 
behufs Rüstungen erwünscht** zu folgenden Beschlüssen kam: 

Die Hauptarmee — aus märkisch-magdeburgischen Truppen 
bestehend und durch je eine Division von Hohenlohe und Rüchel 
verstärkt — steht unter dem Befehl des Herzogs von Braun- 
schweig und wird nach Naumburg rücken. 

Hohenlohe, dem der König aus Rücksicht für seine Person 
durchaus ein selbstständiges Armeecommando zu geben wünscht, 
concentriert die schlesisch-südpreußischen Truppen bei Zwickau — 
vorläufig zum Schutze von Dresden — und zieht die Sachsen an sich. 

Rüchel concentriert das hannoverische Corps und vereinigt 
sich mit den Hessen — deren Mitwirkung man noch gar nicht 
sicher war — bei Fritzlar - Melsungen, um von dort aus gegen 
Flanke und Rücken der Franzosen vorzugehen. 

Blücher verbleibt bei Münster und behält Holland im Auge. 

Die Reserven — Herzog Eugen von Württemberg und 
G. d. C. Graf Kaikreuth — werden über Leipzig, beziehungsweise 
Torgau an die Armee heranzukommen haben. 

Man stimme, sobald die Armee versammelt ist, für nach- 
drückliche Offensive, sowie dafür, sobald als möglich eine Haupt- 
schlacht zu liefern. 

Am 8. September genehmigte der König diesen Operations- 
entwurf. 

Man sieht, dass die Vorschläge Braunschweigs durch zum' 
Theil zwecklose politische und persönliche Rücksichten in das 
gerade Gegentheil von dem verwandelt worden waren, was sie 
ursprünglich bezweckten ; drei Armeen bestehen statt einer, zahl- 
reiche Detachierungen ergeben sich wie von selbst; die Hand- 
habe für die empfohlene kräftige Offensive — Versammlung der 
Armee — ist nicht wohl abzusehen. 

Während nun die Befehle vom 8. September unter mancherlei 
Frictionen und Verzögerungen in der Ausführung begriffen waren, 



Digitized by VjOOQIC 



- J03 — 

begann man sich in Hohenlohes Hauptquartier zu fühlen. Der 
Fürst, von dem alle Berichte sagen, er sei eine echt militärische 
Persönlichkeit, brav, entschlossen, von seltenem Feuer, von reicher 
Kriegserfahrung, vielleicht nur etwas zu optimistisch angelegt ge- 
wesen, stand, da er eigene festgegründete Anschauungen über 
den Krieg nicht eigentlich besaß , unter dem Einflüsse seines 
Generalquartiermeisters, des Obersten von Massenbach. Clause- 
witz schildert diesen wie folgt:*) „. . . von kleiner, gedrungener 
Gestalt, vollen runden Zügen, mit hoher bedeutender glänzender 
Stirn, bloßem Schädel, kleinen, weit geöffneten braunen, sehr 
feurigen Augen und frischer Camation, verrieth er auf den ersten 
Blick den Enthusiasten, bei dem Gemüth und Phantasie vor- 
herrschten . . . sein beständiges excentrisches Wirken hatte ihn 
um alle ruhige Überlegung und die dem Soldaten so nöthige Be- 
sonnenheit gebracht, und die Verwirrung seiner Ideen, die Schwäche 
seines Kopfes that sich auf eine überraschende Art kund." Viel 
wird von diesem Bilde, welches im Nachhinein entworfen ist, 
wohl zu streichen sein ; immerhin bleibt genug von dem, was mit 
den Functionen eines Generalstabchefs unvereinbar ist. Massen- 
bach verstand zu blenden und, indem er selber schwärmte, riss 
er andere fort. Dies ist im Verein mit seiner — wie aus ein- 
zelnen Operationsentwürfen hervorgeht — auch für jene Zeit 
höchst mittelmäßigen Anschauung vom Kriege wahrhaft ver- 
derblich gewesen bei einem Vorgesetzten, wie Hohenlohe war. 
Es gediehen nun die beiden, die sich sehr gut verstanden, zu 
einem neuen Plan, der folgendes besagte: 

Die Hauptarmee nimmt Stellung bei Fulda, die Hohenlohes 
eine solche bei Hof, um sowohl eine breite Basis für die Offen- 
sive als einen festen Abschnitt für die Vertheidigung zu haben; 
aus dem Zunftjargon des Documents theilen wir folgendes mit: 
. . . Wir bilden zwei furchtbare Bastione an den Endpunkten des 
Thüringer- und Rhöngebirges, welche jeder feindlichen Armee 
den Durchgang durch diese unwegsame und an Lebensmitteln 
arme Courtine verwehren . . . Die Eigenthümlichkeiten dieses 
Stils haben den Sündenbock gestellt, an dem die Weisheit der 
Nachgebornen sich ihr Müthchen kühlte; obwohl nichts weniger 
verantwortlich gemacht werden kann für die Fehler einer Zeit, 

*) Nachrichten, 444 ff. 



Digitized by VjOOQIC 



— 104 — 

als die Kunstsprache derselben; das Handwerk braucht eine be- 
sondere Sprache und jede Zeit, die unsere auch, besitzt Termino- 
logien, über die man nachmals lächeln wird. 

Aber die Ideen , welche der angeführten Stylprobe inne- 
wohnen, gestatten allerdings manchen Schluss zu ziehen; auf- 
fällt die Trennung beider Heere durch einen Raum von zwanzig 
Meilen und es scheint, als ob man in Hohenlohes Hauptquartier 
diese Theilung nicht ungern gesehen hätte. Allein soweit gicng 
selbst Friedrich Wilhelm III. in seiner Concilianz gegen Unter- 
feldherren nicht, dass er ihnen seine Heere zu gesonderten Experi- 
menten überließ, und befahl am 21., Hohlenlohe solle, die noch 
nicht mobil gewordenen Sachsen einstweilen zurücklassend, auf 
Hof vorgehen , während die Hauptarmee sich um Weimar- 
Erfurt sammeln werde. 

Am 22. jedoch hatte man in Hohenlohes Hauptquartier 
einen neuen Plan gefasst : man wolle bei Chemnitz stehen bleiben 
behufs eventueller Cooperation mit Österreich, falls dieses sich 
an Preußen schließe. Der König, letzteres als sehr fraglich be- 
zeichnend, gewährt dennoch den erbetenen Halt. 

So sehen wir, wie unter den Wünschen eines Unterfeld- 
herrn die Entschlüsse des obersten Kriegsherrn, der gleichwohl 
über seine formelle Ingerenz auf die Operationen eifersüchtig 
wacht, beständig abgeändert werden; und wie zuletzt ein Zug 
des Zögerns und Abwartens die Operationen zu durchsetzen 
beginnt, der mit der erklärten Tendenz „rasche Versammlung 
und kräftige Offensive** im geraden Widerspruche steht 

Nachdem* am 18. September Oberst von Krusemark nach 
Petersburg abgegangen war, um ein russisches Hilfsheer zu er- 
bitten, begab sich der Hof zur Armee, am 23. erschien das 
Königspaar mit großem Gefolge in Naumburg und standen Ende 
des Monats die Truppen folgendermaßen vertheilt: (siehe Skizze II). 
Sogleich begannen nun in langen Conferenzen sehr gemischten 
militärischen Publicums die Erwägungen, was anzufangen sei. 

Inzwischen rüstete Napoleon, das heißt, man nimmt dies 
an, da man sich sonst sein Zögern nicht recht erklären könnte. 
Wenn man jedoch seine Correspondenz aufmerksam verfolgt, so 
kann man sich des Eindruckes kaum erwehren, als sei er in der 
ersten Hälfte des September noch nicht zum Kriege entschlossen 



Digitized by VjOOQIC 



- 105 — 

gewesen oder vielmehr, als ob er nicht an dessen Unvermeidlich- 
keit geglaubt hätte. Es scheint, dass die politische Geheimgeschichte 
der ersten drei Septemberwochen noch immer nicht genügend 
klar zu Tage liegt. Erst mit dem 19. und ganz urplötzlich beginnt 
Napoleon eine überwältigende Thätigkeit nach allen Seiten zu 
entwickeln ; die Befehle an Berthier jagen sich nur so, die Ver- 
sammlung der Armee betreffend; Davout und Ney, auf Urlaub 
in Paris, werden zu ihren Corps einrückend gemacht; der 
Organisationsplan für die Garde wird an Bessieres hinausgegeben ; 
Instruction auf Instruction betreffs der Reichsvertheidigung erfolgt ; 
Handbillete des Kaisers laden die Rheinbundsfürsten zur Stellung 
ihrer Truppencontingente ein; der Kaiser selbst entschließt sich 
zur Armee zu gehen und gedenkt am 29. September in Mainz 
zu sein. *) 

Es befahl nun Napoleon unterm 19. September folgendes, 
den Aufmarsch der Armee betreffend: 

Augereau wird am 2. October in Frankfurt; 
Lefebre (Lannes) am 3. in Königshofen; 
Davout längstens am 3. in Bamberg; 
Soult längstens am 4. in Amberg; 
Bemadotte am 2. in Bamberg; 
Ney am 2. in Anspach; 

der König von Holland am 2. mit jenen Theilen seines 
Corps, die marschfertig sind, in Wesel 
concentrirt stehen ; die Garden gehen sofort auf Wagen nach 
Mainz, wo in den letzten Tagen des September ihre Organisation 
vollendet werden wird; die Division Dupont, bei Bonn stehend, 
geht über Mainz nach Würzburg, wo sie am 2. einzutreffen hat, 
die sechs Cavallerie-Divisionen nehmen Stellung längs des Mains 
von Kronach bis Würzburg, bei welchem Orte auch der große 
Artilleriepark und die Bagagen zu versammeln sind. 

Von seinem Operationsplane spricht der Kaiser nicht; je 
compte eire ä Mayence le 30 sepiembre et probablement le 2 ou 
leS d Würzburg; lä, je deciderai mes Operations ulter teures — 
ist alles, was seinem alter ego, dem Fürsten von Neuchatel, zu 
wissen nöthig ist. Indessen finden wir doch schon gelegentlich 
Andeutungen über das, was geschehen soll; dem König von 



•) Ordre pour les generaux Duroc ei Caulaincourt. 



Digitized by VjOOQIC 



— 106 - 

Holland schreibt er unterm 20. über seine Aufstellung bei Wesel, 
que c'est une conire-attaque, que votis fcrez pour cUtirer V atten- 
tion de Vennemi, pendant que je manceuvre pour le tourner \ 
allein dies ist, wie man sieht, sehr wenig Positives. Dafür wird 
allen Generalen und Functionären der Armee wiederholt Geheim- 
halten aller Bewegungen und möglichstes Verschleiern derselben 
empfohlen. Immer und immer wieder kommt der Kaiser darauf 
zurück, der Krieg sei ja noch nicht erklärt, man dürfe keine 
übereilten Schritte thun. Auf ihren Versammlungsmärschen 
haben die Corps die höchste Schnelligkeit zu entwickeln, ohne 
auch nur eine Bewegung zu thun, welche verrathen könnte. In- 
dem der Kaiser die vornehmlichste Sorge für Sicherstellung der 
Verpflegung Berthier überlässt, weist er ihn schon*) an, die 
Wege auf Magdeburg und Berlin unauffällig erkunden zu lassen, 
dann die Plätze Königshofen, Kronach und Würzburg als künftige 
Stützpunkte der Armee befestigen und approvisionieren zu lassen. 

Aus allem geht des Kaisers Absicht deutlich hervor, den 
größten Theil seiner Armee am oberen Main überraschend zu 
versammeln, und gelangt seine Idee, von dort aus auf dem 
kürzesten Wege gegen Preußens Centrum vorzugehen, ver- 
schleiert allerdings, doch immerhin zum Ausdruck. 

Unendlich interessant ist es, Napoleons Verhalten in dieser 
Phase zu betrachten ; sein ganzes Streben geht darauf, nach allen 
Richtungen zu imponieren und er entstellt in vorurtheilsloser 
Weise die Wahrheit für diesen Zweck; die Stärke der Großen 
Armee wird zu 300.000 Mann hinausposaunt, während sie in 
Wirklichkeit kaum 200.000 zählt; Ludwig wird direct befohlen, 
sein Corps bei Wesel durch Zeitungsberichte auf 80.000 Mann 
angeben zu lassen, auf dass sich Preußen von dieser Seite her 
bedroht glaube; man sieht, Napoleon kennt seinen Gegner sehr 
genau. — Den großen Grundsatz, man stärke seine 
eigenen Mittel, wenn man dieselben sowie den 
Gegner glauben machen kann, sie seien ansehn- 
licher, als sie eswirklich sind, ein Gru ndsatz, der 
so oft verkannt und manchmal sogar aus Vor- 
urtheilen schlecht angebrachter Wahrheitsliebe 
verworfen worden ist, bringt der Kaiser der Franzosen 



•) 20. September. 



Digitized by VjOOQIC 



- 107 - 

hier voll und imposant zur Wirksamkeit. Aber so drohend die 
angelegte Rüstung auch wirken muss, so wird doch gleichwohl 
nicht geprahlt, auf dieselbe gepocht, wie's später öfters vor- 
gekommen ist, da vielleicht weniger Anlass dazu vorhanden war. 
Noch am 19. September ermächtigt*) Talleyrand den Gesandten 
in Berlin Laforest, ausdrücklich zu betonen, que son (Napoleons) 
Premier desir est la paix avec la Prasse, II ne confoit pas mime 
qtiel pourrait etre le but de la guerre que la Prtisse pourrait 
Uli faire . . . ; solche Äußerungen sind durch die Historiker von 
der Vorsehung Gnaden als Beweise von Napoleons schwarzer 
Perfidie angeführt und pharisäerhaft verurtheilt worden. Wenn 
man nun dieselben auch für mehr ansehen will, als den con- 
ventionellen Schwanengesang der Diplomatensprache in der 
Agonie des Friedens, so lässt sich doch gerade für die Vor- 
geschichte des Krieges von 1806 ein zweckbewusstes Provocieren 
des Bruches durch Napoleon durchaus nicht beweisen, im Gegen- 
theil, er hat den Krieg ganz sicher durchaus nicht gesucht; den 
Kampf hat er des Kampfes wegen nicht gewünscht. Aber richtig 
scheint zu sein, dass er sich über Preußens Staatsbewusstsein 
täuschte, dass er in der Missachtung des Berliner 
Cabinets zu weit gegangen war, und so u r- 
plötzlichvor einem Kriege stand, der, wenn auch 
wohl vorausgesehen, doch sicher nicht geplant 
gewesen ist. 

In Naumburg begannen inzwischen am 24. September die 
Berathungen; an denselben nahmen neben Personen vom Ge- 
neralstabe der Hauptarmee Officiere aus der Umgebung des 
Königs theil. Zunächst entsann man sich, dass der Operations- 
plan vom 8. September eine nachdrückliche Offensive in Aus- 
sicht genommen hatte, und diese leitende Idee führte am 25. zu 
folgenden Beschlüssen: 

Um den Gegner zu einer Theilung seiner Streitkräfte zu 
bringen, deren man bedarf, um ihn in der Mitte mit überlegener 
Kraft in den Quartieren anzufallen, werden zwei Demonstrations- 
corps auf den Flügeln und zwar 

das Rüchersche Corps für den 7. October bei Eisenach, von 
wo es gegen die Fulda und eventuell bis gegen die Lahn operiert; 

*) Bailleu, II, Urkunde Nr. 434. 



Digitized by VjOOQIC 



— 108 — 

und das Tauentzien'sche Corps (jetzt 10 Bat., 10 Esc, l BatL) 
bei Hof zwecks Demonstration gegen Amberg-Nümberg 

aufgestellt. Das Gros im Centrum besteht aus der Haupt- 
armee und der an ihren linken Flügel sich heranziehenden 
Hohenlohe'schen, welche beide am 10. October den Nordfuß des 
Thüringerwaldes erreichen, am 11. und 12. denselben über- 
schreiten und dann je nach Umständen agieren sollen. Das Re- 
servecorps des Prinzen Eugen von Württemberg zieht sich über 
Magdeburg an die Hauptarmee heran. 

Nachdem schon am 16. September in Königsberg noch 
einige Escadrons mobil gemacht worden waren, erfolgte am 30. 
der Befehl zur Mobilisierung des Restes der Armee; 17 Bat, 
30 Esc, 9 Batt. sollten sich bei Küstrin und Frankfurt a. d. 0. 
vorerst zu sammeln haben, während alles Übrige in den östlichen 
Provinzen nach wie vor verblieb. Mit der größten Schonung theilte 
der König, nicht der Oberfeldherr Braunschweig selbst, seinem 
„freundwilligen Vetter" Hohenlohe den Plan vom 25. mit, welcher 
ihm die geträumte Selbstständigkeit einigermaßen nahm. 

Wenn man nun einen Blick auf diesen Operationsplan thut, 
so fallt wohl vor allem die Langsamkeit auf, die, einen über- 
raschenden Anfall planend, mehr als 14 Tage zur Vorbereitung 
desselben für nothwendig erklärt. Indessen war die Offensive 
aus verschiedenen Gründen — Eintreffen von Truppen bei der 
Armee, verspätete Mobilmachung der Sachsen — thatsächlich nicht 
eher durchzuführen. Dann fällt, es ist nicht möglich, den Ge- 
meinplatz zu übergehen, die Trennung und Vereinzelung der 
Heereskörper, besonders der napoleonischen Geschlossenheit 
gegenüber, bedeutend auf. Allein man muss bedenken, dass jetzt, 
am 25. September, eine Offensive in Aussicht genommen ist, 
bei der man selbstredend an ein Zusammenschließen der getrennten 
Heereskörper nach vorne gedacht haben wird, wenngleich das- 
selbe nur zu bald durch die Ereignisse unmöglich gemacht wurde. 
Dies aber konnte man — nochmals — am 25. nicht sicher vor- 
aussehen; hatte doch Napoleon bereits auffallend lang von sich 
nichts sehen lassen und anzunehmen ist, dass, wäre er nicht bis 
zum 10. October rechts vom Main erschienen, man im preußi- 
schen Hauptquartier vielleicht doch, des Zögerns müde, zur ge- 
planten Offensive gediehen wäre. 



Digitized by VjOOQIC 



109 



Allein es sollte anders kommen ; am 28. erschien Napoleon in 
Mainz und sogleich ergehen Befehle, welche ein vorerst unmerkliches 
Verschieben der Corps nach dem rechten Flügel hin zum Zwecke 
haben. In des Kaisers Schreiben an den König von Holland ge- 
winnt das strategische Bild greifbare plastische Form 

man iniention est de concentrer touies mes forces sur Vexire- 
mite de nta droie en laissant tont Vespace entre le Rhin et Bam- 
berg entierement degarni, de ntaniere ä avoir pres de 200,000 

homntes reunis sur un meme champ de bataille Mes premieres 

marches menacent le coeur de la monarchie prussienne et le 
deploiement de mes forces sera si imposant et si rapide, qu* il 
est probable que tout se mettra en marche ä grandes journees 
pour defendre la capitale .... demgemäß werden die Befehle 
an die Corpsfuhrer nunmehr hinausgegeben ; mit steter Erinnerung, 
dass, da der Krieg noch nicht erklärt sei, man sich jeder Feind- 
seligkeit bis auf weiteres sorgsam zu enthalten habe ; wenn auch 
die Cavallerie an die Grenze vorgeschoben wird, so soll sie die- 
selbe doch nur in einem ganz bestimmten Fall überschreiten ;*) 
Augereau wird von Frankfurt aus ebenfalls auf Würzburg in 
Marsch gesetzt und stehen in den ersten Tagen des October 
die Corps wie folgt vertheilt: (Siehe Skizze III.) 

Am 3. October trifft Napoleon in Würzburg ein und alsbald 
ergehen die Befehle zur definitiven Concentrierung der Armee 
am äußersten rechten Flügel, nachdem die Plätze Würzburg, 
Kronach und Forchheim, wie befohlen war, zu Stützpunkten für 
die Armee hergerichtet worden waren. Der Kaiser befiehlt Mu- 
sterungen an und bestimmt den 7. als Termin für den Beginn 
des Vormarsches gegen die obere Saale. Da jedoch der linke 
Flügel noch bei Würzburg-Schweinfurth steht, so beginnt derselbe 
sogleich (4. und 5.) eine Art von Flankenmarsch an den oberen 
Main, welcher im großen Ganzen ohne erhebliche Frictionen 
vor sich geht und am Abend des 7. zu folgender Vertheilung 
führt: (Siehe Skizze IV.) 

Aus derselben ist der Plan des Kaisers gewissermaßen ganz 
herauszulesen; es wird auf den drei Straßen, über Bayreuth, 
Kronach und Coburg vormarschiert, indem je zwei Armeecorps 
auf einer Straße einander folgen; in der Mitte wird außerdem 

*) An den Grofiherzog von Berg, Mainz, 29. September. 



Digitized by VjOOQIC 



- 110 — 

die Division Dupont, die Garde und die Reservecavallerie folgen. 
Was diese verhältnismäßig enge Vereinigung des Heeres bezweckt, 
erkennen wir in des Kaisers Schreiben anSoult*) . . . avec cetU 
immense superioriU de forces^ reunies sur un espace si etroit, 
votis sentez que je suis dans la volonte de ne rien hasarder 
ei d' attaquer Vennemi partout oü il voudra tenir, avec des forces 
doubles . . . Wahrhaftig, dieser Plan erscheint geradezu roh; 
denn kann es wohl etwas Primitiveres im Kriege geben, als dann, 
wenn man in jeder Hinsicht stärker ist, dem Feinde geschlossen 
und gerade auf den Leib zu gehen ? 

Am 7. waren das Ultimatum Knobelsdorffs und Friedrich 
Wilhelms III. Epistel bei Napoleon eingelangt ; begreiflich ist, dass 
besonders letztere ihm nur ein mitleidiges Lächeln abgezwungen 
hat. Den Tag darauf sagt er zu seiner Armee:**) on nous donne 
un rendez-vous d'honneur pour le 8 : Jamals un Frangais n'y a 
manque; mais comme on dit quHl ya une helle reine qui veut 
etre temoin du combat, soyons courtois, et ntarchons, sans nous 
coucher, pour la Saxe . . . Damit war der Krieg von Napoleons 
Seite thatsächlich erklärt. 

Auf Seite seiner Gegner war indessen folgendes geschehen: 
Der Operationsplan vom 25. September, der, wie wir wissen, 
eine Offensive für den ll./12.0ctober in Aussicht genommen hatte, 
war sowohl von Hohenlohe selbst, den er erheblich unterordnete, 
als von den Sachsen, die, auf Deckung ihres Landes bedacht, 
nicht aufs linke Saale-Ufer übergehen wollten, unmuthig auf- 
genommen worden. Musste ja doch die Theilnahme der Sachsen 
an der Offensive durch den König selbst mittelst Sendung des 
Generals von Phull an den Kurfüsten besonders erbeten werden. 
Indessen begannen die Heereskörper im großen Ganzen wirklich 
die befohlenen Bewegungen anzutreten, als man im Hauptquartier 
zu Naumburg am 3. October die falsche Nachricht erhielt, der 
Feind stehe mit ca. 70.000 Mann bei Neustadt-Königshofen, und 
daraus den Schluss zog, Napoleon habe es auf eine überraschende 
Besetzung des Thüringerwaldes abgesehen. Sofort taucht die Frage 
auf, ob die in's Auge gefasste Offensive unter diesen Umständen 
überhaupt noch ausführbar sei, und um darüber Klarheit zu ge- 



•) WürzbUFK, ö. October. 
*•) /« buUetin de la Grande Armee Bamberg, 8 octobre. 



Digitized by VjOOQIC 



— 111 — 

winnen, beruft der König einen Kriegsrath nach Erfurt, wohin er 
am 4. sein Hauptquartier verlegt und lädt Rüchel sowohl als 
Hohenlohe, die jetzt nahe genug heran sind, zu demselben ein. 
Hier entrollt sich uns nun ein ganz eigenthümliches Bild. 
Am 4. schon trifft Massenbach in Erfurt ein und bearbeitet sofort 
den Generaladjutanten von Kleist und den Major von Rauch, um 
sie für seine Meinung, die entschieden gegen jede Offensive war, 
vorweg zu gewinnen. In der abends stattfindenden Vorberathung 
glaubt Braunschweig annehmen zu können, Napoleon werde bei 
Königshofen eine Stellung beziehen, damit es scheine, als trete er 
nicht als Angreifer auf; diese Ansicht stützt er auf Wahrnehmungen, 
die Lucchesini ehedem in Paris an der Person des Kaisers ge- 
macht. Man gelangt jedoch zu keinem Resultat. Am 5. werden 
die Berathungen in Gegenwart des Königs fortgesetzt, und als 
der Monarch, der unaufhörlichen Meinungsdifife»enzen müde, die 
Conferenz verlässt, einigt man sich endlich am Abend des 6. Oc- 
tober zu folgendem Operationsplan: 

Es wird beschlossen, den Thüringerwald nicht zu über- 
sch feiten; da alles darauf zu deuten scheint, dass der Gegner den 
eigenen linken Flügel angreifen wird, so ist ein Concentrieren der 
Armee nach demselben hin nothwendig und wird daher be- 
fohlen, dass, 

die Hauptarmee mit ihrem Gros in die Linie Gotha-Erfurt, 
mit den Reservedivisionen nördlich Erfurt; 

Hohenlohe in die Gegend von Hochdorf-Magdala; 
Rüchel zwischen Eisenach und Langensalza 
rückt, so dass man aus dieser Bereitschaftsstellung (leichte 
Truppen befanden sich im Thüringerwald, Vorposten von Fulda 
bis Stadt Um) sich rasch, sowohl nach rechts als nach links, con- 
centrieren könne. 

Die auf Grund dieser Beschlüsse eriassenen Befehle wurden 
erst am 7. hinausgegeben. Nun hatten jedoch die Truppen, in 
Befolg der früheren Befehle, an diesem Tage Stellungen erreicht, 
die sich mit den jetzt neuerdings bestimmten nicht mehr deckten; 
so dass von allen Seiten Verwirrung platzzugreifen begann. Am 
Abend dieses memorabeln Tages schrieb Scharnhorst, düsterer 
Ahnungen voll, „was man thun müsste, weiß ich wohl, was man 
thun wird, wissen die Götter." 



Digitized by VjOOQIC 



— 112 - 

Der 7. und 8. October brachten nun soviel Licht über die 
Absichten Napoleons in's preußische Hauptquartier, dass kaum 
jemals eine Heeresleitung für ihre Entschlüsse klarer gesehen hat. 
Zunächst hatte sich Tauentzien vor den in's Bayreuthische ein- 
rückenden Franzosen in der Nacht des 7./8. und an diesem 
Tage selbst bis Schleiz zurückgezogen, wovon er Hohenlohe 
mehrfach Meldung that. Dann wurde von den Avantgarden der 
Hauptarmee gemeldet, bei Bamberg versammelten sich 75.000 Mann 
Franzosen. Ein auf Erkundung ausgesandter Offleier brachte 
sichere Kunde von dem Abmarsch der ganzen französischen 
Armee nach deren rechten Flügel, so dass er sich nicht enthalten 
konnte, seiner Meldung den Vorschlag hinzuzufügen, es möge 
irgend etwas gegen die geradezu einen Flankenmarsch am Fuß 
der eigenen Stellung vollführenden Franzosen unternommen 
werden. Zum Greifen deutlich konnte man Napoleons Tendenz, 
am rechten Saaleufer vorzugehen, jetzt erkennen, und hat sie 
auch, zum Theile wenigstens, erkannt. Allein keineswegs wird 
der Abmarsch an die Saale, der ja für diesen Fall in Aussicht 
genommen war, unverweilt befohlen. Man entschloss sich nur 
dazu, die Armee nahe am linken Saaleufer bereitzustellen, Jedoch 
erst für den 10. und unternahm gleichzeitig durch Rüchel einen 
Versuch , dem Gegner „Jalousie" für seine rückwärtigen Ver- 
bindungen zu geben, indem man ein Corps, welches fiir diesen 
Zweck entweder viel zu stark oder viel zu schwach bemessen 
war, gegen den Main vorsandte. Es liegt in dieser Strategie eine 
Behutsamkeit, die militärisch unerklärlich scheint, deren Ursachen 
jedoch ziemlich klar zutage treten, wenn man sich erinnert, dass 
Friedrich Wilhelm III. noch immer, immer an die Möglichkeit 
friedlicher Lösung gedacht haben muss, wie aus seinem gewissen- 
haften Abwarten der Antwort auf das Ultimatum Knobelsdorffs 
zweifellos hervorgeht. 

Sie traf, wie wir wissen, am 8. im Hauptquartier nicht ein; 
und so musste der König tags darauf, ob er nun noch wollte 
oder nicht, den Krieg erklären lassen. 



Digitized by VjOOQIC 



III. 



Die Entscheidung. 



Digitized by VjOOQIC 



Digitized by VjOOQIC 



Am 8. October hatten französische Truppen bei Ebersdorf, 
wenige Kilometer vor Saalburg, zuerst mit den Preußen Fühlung 
genommen. Es stand in Saalburg ein Detachement von der Ab- 
theilung Tauentziens, und zog sich dasselbe, als Murat, der die 
Franzosen commandierte, zu umgehen Miene machte, zurück und 
ab auf Schleiz. Saalburg wird von den Franzosen besetzt und 
nimmt Bemadotte eine Infanteriedivision des I. Corps an's rechte 
Ufer hinüber. Fächerförmig breitet sich die Cavallerie südlich der 
Saale nach beiden Seiten aus, während von der linken Colonne 
das V. Corps Coburg, das VII. Bamberg, von der rechten das 
IV. Münchberg, das VI. Bayreuth und von der mittleren das III. 
Kronach erreicht. 

Wir kennen den Mangel an Entschiedenheit, der in den 
Beschlüssen des preußischen Kriegsrathes vom 8. vorgeherrscht. 
Die ganze Armee sollte zu eventuellem Uebergang über die Saale 
in Napoleons linke Flanke in der Linie Gotha-Erfurt-Magdala- 
Rudolstadt vereinigt, Tauentzien herangezogen, der Herzog von 
Weimar und Rüchel zu Operationen auf die rückwärtigen Ver- 
bindungen der Franzosen veranlasst, der Herzog von Württem- 
berg mit dem Reservecorps auf Halle dirigiert werden. Durch die 
Detachements, die man auf Napoleons Rücken vorsandte, und 
die, wie hier im voraus bemerkt sein soll, nicht das Mindeste 
erreichten, entzog man der versammelten Macht ca. 12.000 Manp, 
die in der Linie Hünfeld-Schweinfurt mehr oder weniger unthätig 
standen. Aber auch im Hauptquartier kam man zu keinem Ent- 
schluss, ob und was zu thun sei. Man glaubte an zwei mögliche 
Fälle: Entweder Napoleon „honorierte" die Stellung der preußi- 
schen Armee hinter der Saale, das heißt er griff sie an; dann 



Digitized by VjOOQIC 



- 116 - 

wollte man die Schlacht annehmen. Oder Napoleon sollte, während 
er am rechten Ufer vormarschierte , durch Vorstoßen der preußi- 
schen Armee in seine linke Flanke zur Schlacht unter ungünstigen 
Verhältnissen genöthigt werden. Allein weit war man jetzt, am 8. 
entfernt davon, wenn auch nur im Principe die Frage „Offensive- 
Defensive" entschieden zu haben. Vorerst wollte man sehen, was 
der Gegner that. 



Der 9. October. 

Wahrhaftig, wie nach dem uns bekannten Programm, rückt 
die französische Armee an diesem Tage vor. 

Auf dem rechten Flügel erreicht Soult abends die Gegend 
zwischen Hof und der Elster, schiebt eine Avantgarde bis gegen 
Plauen vor, erfährt, dass der Gegner sich mit circa 1000 Pferden 
und einem Artillerietrain auf Gera abgezogen hat, eine Armee 
von 50.000 Mann zum Schutze von Dresden bei Freiberg stehe 
und meldet all dies um 6 Uhr dem Kaiser. 

In der Mitte war das kaiserliche Hauptquartier während 
der Nacht nach Nordhalben vorgerückt; von dort aus ergehen 
die Befehle an Murat, Schleiz hinwegzunehmen und wird ihm zu 
diesem Zweck eine Infanterie-Brigade des I. Corps gegeben. Mit 
dieser Kraft führt er bei Oschitz ein mehrstündiges Gefecht mit 
den Vortruppen Tauentziens, der, zuerst entschlossen, bei Schleiz 
stehen zu bleiben, wovon er Hohenlohe Meldung thut, dann auf 
Neustadt abzuziehen sich entschließt, jedoch hiezu den Umweg 
über Auma wählt. Er überlässt die Führung seiner Arieregarde, 
bei der ja doch sein Platz gewesen wäre, einem Untergeneral, 
der, als Napoleon selbst erscheinend, Murat die sofortige Weg- 
nahme des Ortes Schleiz befiehlt, durch taktisches Ungeschick 
eine Panik einreißen macht, die zu einem übereilten Abmarsch 
führt. 12 Offleiere, 554 Mann hatte dieses Nachhutgefecht eines 
Detachements dem preußisch - sächsischen Heere gekostet, und 
berichtet wird, die moralische Einbuße sei sehr erheblich ge- 
wesen.*) Sofort nimmt das I. Corps Stellung vorwärts Schleiz, 
während die übrigen Staffel der mittleren Colonne entsprechend 

•) V. Lettow- Vorbeck, I, 215. 



Digitized by VjOOQIC 



— 117 — 

folgen; III. Corps Lobenstein, ein Theil der Garde Steinwiesen, 
Hauptquartier Ebersdorf, die Cavallerie überschreitet die Saale und 
klärt von Mühltruff bis gegen Pösneck auf. 

Auf dem linken Flügel ist das V. Corps bis Gräfenthal, das 
VII. bis Coburg gekommen und ergeht vom großen Haupt- 
quartier die Weisung an Lannes, Saalfeld womöglich zu nehmen, 
sollten jedoch dort überlegene Kräfte stehen, so würden dieselben 
von der mittleren Colonne in die Flanke genommen werden. 

Bei den Preußen - Sachsen war indessen folgendes gesche- 
hen : Hohenlohe betheuerte zunächst in einem Schreiben an den 
Herzog, dass er gewillt sei, die Conferenzbeschlüsse auszu- 
führen, das heißt, seine Armee nahe der Saale auf deren linkem 
Ufer bereitzustellen. Kaum war dieses Schreiben abgefertigt, so 
bewog Massenbach einen Wandel der Anschauungen beim Für- 
sten, indem er darthat, es sei bei Kahla-Rudolstadt kein Raum, 
das Corps zu versammeln, und der Fürst dürfe in seiner selb- 
ständigen Lage als Armeecommandant empfangene Weisungen 
und Befehle nicht zu wörtlich nehmen ; er bewies die Nothwen- 
digkeit, an's rechte Ufer zu gehen und bestimmte Anstalten zu 
treffen, um auf MittelpöUnitz, wenn auch sonst aus keinem Grunde, 
so doch zur Aufnahme Tauentziens vorzumarschieren. Hohenlohe 
pflichtet diesen Anschauungen bei, und um 5 Uhr morgens des 9. 
meldet er seine Willensmeinung in das Hauptquartier. Aus dem- 
selben erhält der Fürst um 3 Uhr nachmittags einen Brief von 
Braunschweig, in welchem derselbe ganz bestimmt verlangt, 
Tauentzien habe zur Deckung von Dresden über Gera-Altenburg 
dahin abzugehen. Nun will dies Hohenlohe nicht, vielmehr ge~ 
denkt er den General an sich zu ziehen, und nicht wagend, dem 
empfangenen Befehl geradezu entgegenzuhandeln, sendet er 
Tauentzien einen Brief, in welchem er ihm die Wahl, ob er zu ihm, 
dem Fürsten, oder nach Dresden gehen wolle, unbedenklich über- 
lässt schlechterdings kann ich Ihnen nicht befehlen , dazu- 
bleiben, und bitte daher Ew. Hochgeboren, nachdem Sie das 
herzogliche Schreiben und meine Antwort*) darauf werden ge- 
lesen und reiflich erwogen haben, Ihren Entschluss fassen zu 
wollen. . . . Wahrhaftig, selbst in unseren Tagen der zum System 
erhobenen Selbstthätigkeit und Selbstbestimmung bedarf dieses 

*) Konnte bisher in den Akten nicht aufgefunden werden. 



Digitized by VjOOQIC 



— 118 — 

Verhalten des Armeecommandanten einem Detachementsführer 
gegenüber irgendwelchen Commentars. 

Nun war, wie wir wissen, der Fürst entschlossen, an's 
rechte Saaleufer zu gehen ; jedoch er hält die betreffenden Be- 
fehle den ganzen Tag zurück bis abends ein Brief von Braun- 
schweig und Tauentziens Bericht über das Gefecht von Schleiz 
einlangen. Der erstere ist plötzlich kein Befehl mehr, ja nicht 
einmal eine Directive, indem es „der Einsicht des Fürsten anheim- 
gestellt wird," ob er die auf dem rechten Saaleufer stehenden 
Sachsen an sich ziehen wolle oder nicht ; nur wird die Bestimmung 
Tauentziens auf Dresden erneuert entschieden betont. Der zweite 
relationiert in höchst günstiger Weise über das gehabte, wie 
wir wissen ungünstige Rückzugsgefecht und stellt das Ein- 
treffen von Tauentzien bei Hohenlohe für den nächsten Tag in 
Aussicht. Hohenlohe entschließt sich nun, die Motive sind nicht 
überliefert, seine preußischen Divisionen links der Saale und die 
Sachsen rechts derselben stehen zu lassen, und in beweglichen 
Tönen ist das Schreiben gehalten, in welchem Braunschweig ge- 
meldet wird, er entsage seinem Plane, über die Saale zu gehen, 
der, wenn zustande gekommen, wahrscheinlich zu großen Re- 
sultaten geführt haben würde. 

Und so steht denn der preußische linke Flügel am Abend 
dieses Tages wie folgt: Die Sachsen zwischen Roda-Mittelpöllnitz, 
bei Triptis Tauentzien, bei Neustadt- Pösneck ein schwaches De- 
tachement aller Waffen ; die Division der Avantgarde unter Prinz 
Louis Ferdinand zwischen Saalfeld-Rudolstadt, die Division Gra- 
wert bei Orlamünde-Spahl, der Rest des Corps bei Jena-Magdala. 
Den Divisionscommandanten wohnt keine bestimmte Tendenz 
inne; der Fürst kündigt an, er werde am nächsten Tage seine 
Entschlüsse fassen. 

Die Hauptarmee stand bei Erfurt; der König erließ an diesem 
Tage das übliche Manifest und eine Proclamation an die Armee. 
Ein Entschluss, ob Offensive oder Defensive, auch nur in den 
allerallgemeinsten Zügen, im Princip gleichsam, ist noch nicht 
gefasst ; zwischen dem 10. und 11. gedenkt man zu einem solchen 
zu gelangen. 

Wenn man nun einen Blick auf die beiderseitige Lage an 
diesem Tage thut, so erkennt man leichtlich folgendes: Das 



Digitized by VjOOQIC 



— 119 — 

Mechanische betreffend, so scheint uns ein Gegensatz der alten 
und neuen Strategie vorhanden zu sein, der in der größeren Ver- 
sammlung der französischen Armee zum Ausdrucke gelangt; ein 
Blick auf die Karte hilft über lange Gemeinplätze hinweg, die 
man an das Verhältnis knüpfen könnte. Das Psychologische be- 
treffend, so erhellt aus dem historischen Material, dass die Truppen 
von Schleiz arg erschüttert waren ; dass bei der Armee Hohen- 
lohes, die Sachsen inbegriffen, an diesem Tage zum erstenmal 
gehungert ward; dies Factum gehört wohl eher in's Psycho- 
logische als in's Mechanische des Krieges. Wir nehmen wahr, 
wie, scheinbar accidentiell, die Kampfmittel auf verbündeter 
Seite von der Thätigkeit des Krieges bereits angegriffen zu werden 
beginnen. Die Führung ist, wie wir wissen, bei den Franzosen 
ihrem Programme treu geblieben, sie geht unentwegt nach dem- 
selben vor, von Zweifeln in den höchsten Stellen ist die Rede 
nicht; wie es bei den Gegnern damit bestellt war, haben wir 
gesehen ; noch heute weiß man nicht, was man will, und der 
am Feinde befindliche Armeecommandant disponiert völlig nach 
eigenem Ermessen. 

Der 10. October. 

Die französische Armee setzt im großen Ganzen ihren Marsch 
gerade fort; mit dem linken Flügel trifft sie den Gegner und er- 
folgt daselbst ein Gefecht. 

Lannes setzte nämlich seinen Marsch auf Saalfeld fort mit 
der offenbaren Absicht, sich rasch dieses Überganges zu bemäch- 
tigen. In seinem Eifer unterlässt er es, Augereau, der hinter ihm 
marschiert und schon zurückgeblieben war, hievon in Kenntnis 
zu setzen. Indess gewinnt der Marschall, vor Saalfeld angekommen, 
den Eindruck eigener Überlegenheit und ohne Zögern entschließt 
er sich zum Angriff. 

Am 8. October hatte Prinz Louis Ferdinand von Preußen, 
eine von Thatendrang und kühnem Muth überschäumende Natur, 
der es jedoch an scharfem und kritischem Verstände zweifellos 
gefehlt hat, das Commando der Avantgardedivision Hohenlohes 
übernommen. Am 9. stand er bei Rudolstadt und hier erhielt er 
durch einen Officier des Generalstabes Nachrichten von Hohen- 



Digitized by VjOOQIC 



- 120 - 

lohe dahin, derselbe gedenke über die Saale und in der Gegend 
von Mittelpölinitz offensiv vorzugehen. Der Prinz erblickt nun 
seine Aufgabe darin, diese Bewegung durch eine Stellung, etwa 
bei Neustadt, gegen etwaige Störung von Schleiz her, wo der 
Feind hauptsächlich sich befinden soll, zu verschleiern und zu 
sichern. Dem König und dem Fürsten theilt er diese seine Ab- 
sicht vom 9. mit und bittet zugleich um Sicherung des Saalfelder 
Überganges durch Truppen der Hauptarmee, sobald er selbst auf 
Neustadt abgezogen. Als nun die Recognoscirungen ergaben, 
dass der directe Weg von Rudolstadt nach Pösneck nicht prakti- 
kabel sei, erkennt der Prinz, er müsse den Umweg über Saal- 
feld nehmen, und so disponiert er noch während der Nacht eine 
Bereitstellung seiner Truppen für den nächsten Morgen auf der 
Straße dahin. Indessen erwartete Prinz Louis Bescheid und 
etwaige Befehle und als diese nicht kamen, geht er, annehmend, 
der Offensivgedanke Hohenlohes bestehe weiter fort, am Morgen 
des 10. auf Saalfeld vor, mit der Absicht, dort an*s rechte Ufer 
und von da auf Pösneck-Neustadt zu gehen. 

Auf dem Wege erhielt der Prinz die Meldung, das zum 
Schutz des Saalfelder Überganges aufgestellte ' Detachement werde 
stark gedrängt, es sei bis an die Stadt zurückgegangen und be- 
drohe der Gegner die Straße. Nun ist über die Motive, die den 
Prinzen zu dem bald erfolgenden Angriff bestimmten, nichts mit 
Sicherheit bekannt. Hohenlohe hatte ihm einen Officier zugesandt, 
der ihn zu verständigen hatte, die Offensive sei aufgegeben, und 
möge der Prinz auf keinen Fall angreifend vorgehen ; man weiß 
nun nicht, ob und wann, und wenn ja, ob in ihrem vollen Um- 
fang Prinz Louis Ferdinand diese Nachricht erhielt; von Lettow- 
Vorbeck nimmt an, der Prinz habe sie erhalten, dies gehe aus 
der Richtung seines Rückzuges — Rudolstadt — hervor, den er 
antrat, als sich das Blatt bei Saalfeld zu wenden begann. Allein 
wer weiß, ob nicht die taktische Lage vor der Stadt an sich 
schon eine solche war, dass Prinz Louis einen Übergang durch 
dieselbe für unmöglich, oder wenigstens als gewagt ansah und 
dass sein Rückzug zunächst eben ein rein taktischer, vielleicht 
gegen seine bessere strategische Überzeugung war ? Es kommt 
so häufig, man möchte fast sagen, meistentheils vor, dass der 
Führer im Augenblicke, wo er erkennt, er müsse weichen, oder 



Digitized by VjOOQIC 



— 121 — 

seine Truppen wichen schon, den strategischen Gedanken halb 
unfreiwillig zurücktreten lässt gegen den taktischen Wunsch, durch 
gerades Zurückgehen möglichst bald aus der Sphäre des Gegners 
zu kommen. Die Erhaltung gefährdeter Truppen scheint das 
Nächste zu sein ; ihre Verwendung weiterhin gedenkt man später 
zu bestimmen ; und dies ist nichts als natürlich. Indessen muss 
man gestehen, dass für Saalfeld die Lage, wie sie war, nicht 
mehr völlig bekannt ist. 

Der Marschall Lannes hatte gegen den Ort immer mehr 
Kräfte entwickelt, und die, so durch das Defile nachfolgten, zog 
er meist links heraus, sich stets verlängernd. Vor der Stadt 
standen die preußischen Bataillone in ungleichem Kampf den 
Schützen der Franzosen gegenüber und alles deutete darauf, der 
Rückzug werde unvermeidlich sein. Da unternahm es denn der 
preußische Alcibiades, durch einen offensiven Vorstoß den Abzug 
seiner Truppen zu ermöglichen. Mit Echelons und bataillonsweise 
wurde gegen die im coupirten Terrain befindlichen zahlreichen 
Tirailleurs avanciert, und kein Wunder ist, dass die preußischen 
Truppen erschüttert zu werden begannen. Sofort werfen sich 
zwei französische Husarenregimenter auf die feindliche Artillerie; 
es entwickelt sich ein Reiterkampf, in welchem die deutschen 
Schwadronen geworfen und der ritterliche Führer selbst getödtet 
wird. Nun entsteht eine unglaubliche Panik unter den Preußen, 
die, heftig verfolgt, nach allen Richtungen fliehen; bald existirte 
die Avantgardedivision nicht mehr; 29 Offtciere, 17 — 1800 Mann, 
34 Geschütze von den 40, die am Gefechte theilgenommen, sind 
ein schrecklicher Verlust, wenn man bedenkt, dass zur Offensive 
eigentlich nicht mehr als 3V2 Bataillons und 10 Escadrons ver- 
wendet worden sind. Auffallender wird diese Thatsache durch 
das Nichtvorhandensein irgend einer Zahlüberlegenheit auf Seite 
der Franzosen. Alles, was Lannes zur Verfügung hatte, die Divi- 
sion Suchet nebst zwei Reiterregimentern betrug ca. 12.000 Mann, 
wovon kaum mehr als die Hälfte am Gefechte theilgenommen 
hat. Wenn man nun nach den Ursachen für diese Katastrophe 
fragt, so sind bis vor kurzem die französischen Tirailleurs 
als solche angesehen worden , während Oberst von Lettow- 
Vorbeck, auf Quellen ersten Ranges gestützt, beweist, die Ent- 
scheidung sei durch einen Angriff geschlossener französischer 



Digitized by VjOOQIC 



— 122 — 

Massen erfolgt, mithin sei nicht die neue Taktik die Ursache ge- 
wesen. Ersichtlich ist, dass beide Meinungen in Einseitigkeit be- 
fangen sind. Der Geist der napoleonischen Taktik scheint nicht 
stets völlig aufgefasst zu werden und nachdem decennienlang 
nach dem Abgang des größten Generals der neuen Zeit die 
Schützen seiner Schule kritiklos als das Arcanum der Erfolge hin- 
genommen worden sind, erfolgt jetzt gemach die Reaction, die, auf 
stets neu zutage tretende Quellen gestützt, uns glauben machen 
will, die ultima ratio napoleonischer Taktik sei doch stets das 
Ansetzen geschlossener Körper gewesen. Wir behalten uns vor, 
später über diese Dinge zu reden und in umfassender Art; denn 
so wie bei Saalfeld, ebenso haben auch bei Jena die Franzosen 
gefochten. 

Auf den Lärm des Kampfes von Saalfeld war von allen 
Seiten und aufmerksamen Ohrs gehört worden. Napoleon ver- 
nahm denselben, als er im Laufe des Tages mit seinem Haupt- 
quartier von Ebersdorf auf Schleiz vorging. Um 8 Uhr morgens 
spricht er in einem Briefe an Soult seine Gedanken über die Lage 
aus ... er könne so rasch nicht vor, als er es gerne wollte; 
indessen sei bei Schleiz ein gutes Schlachtfeld für 100.000 Mann 
vorhanden; bald hoffe er mit Lannes, der die Saale demnächst 
überschreiten soll, in Verbindung zu sein. Als Soult den Ab- 
marsch des Gegners auf Plauen und vom Vorhandensein einer 
Dresden deckenden Armee berichtet, glaubt der Kaiser mit aller 
Sicherheit in Gera den Versammlungspunkt des Gegners zu sehen. 
Demgemäß ergehen die Detailbefehle, welche die Hauptmasse 
der Corps in der Erwartung, das bei Saalfeld gehörte Gefecht sei 
glücklich abgelaufen, das heißt Lannes am rechten Saaleufer 
angekommen, auf verschiedenen Wegen gegen Gera in Bewegung 
setzten. Die französische Cavallerie leistet an diesem Tage nicht 
das, was die Theorie heute von einer solchen ver- 
langt und hat thatsächlich nicht genug gethan, um die strate- 
gische Lage zu klären. Doch hatte dies zum Theil in marsch- 
technischen Schwierigkeiten seinen Grund. 

Am Abend haben die Truppen folgende Punkte erreicht: 
linker Flügel V. Corps Saalfeld; VIL Neustadt;*) Mitte L Corps 
Auma; IIL Schleiz; ein Theil der Garde Bamberg; rechter Flügel 



•) An der Haide. 



Digitized by VjOOQIC 



— 123 - 

IV. Corps (wegen Ausbleiben von Befehlen aus dem Haupt- 
quartier) erst Plauen; VI. Tanna; Bayern Culmbach; die Cavallerie 
steht von Pösneck bis Mittelpöllnitz. 

Hohenlohe hatte, wie wir wissen, seine Entscheidungen für 
den 10. in Aussicht gestellt. Zunächst verlegte er sein Haupt- 
quartier von Jena nach Kahla, und äußerst bedächtig setzte er 
sich sodann auf Neustadt*) in Bewegung, wo die sächsischen 
Generale ihn zu erwarten hatten; um Mittag etwa trifft er in der 
Nähe des Ortes ein und erfährt Thatsächliches über die Nieder- 
lage Tauentziens von gestern und kann gleichzeitig aus dem 
Kanonendonner von Saalfeld auf ein Gefecht des Prinzen Louis 
schließen. Plötzlich entschließt sich der Fürst, alle seine Truppen, 
auch die Sachsen, an's linke Saaleufer zu nehmen, und nachdem 
er an General von Zetzschwitz die bezüglichen Befehle gegeben, 
kehrt er nach Kahla zurück. Während er bei der Tafel sitzt, er- 
hält er Nachricht von der Affaire zu Saalfeld und dem Tode des 
Prinzen Louis. Nachdem der Fürst für Aufnahme der zersprengten 
Truppenreste gesorgt und eine möglichst dichte Vereinigung seiner 
Armee in*s Auge gefasst, ordnet er den Obersten von Massen- 
bach mit der Hiobspost in's Hauptquartier ab. 

Daselbst hatte man, da ein Vorgehen der Franzosen rechts 
der Saale unzweifelhaft erschien, sich endlich entschlossen, die 
Bewegung an den Fluss zu beginnen ; im Laufe des Tages rückt 
die Armee von Erfurt nach Blankenhayn ab ; recht unkriegerisch 
ist es, so hören wir, auf diesem Marsche zugegangen. Als nun 
die Nachricht von der Saalfelder Katastrophe eintrifft, wirkt sie 
wie ein Donnerschlag auf das Hauptquartier. Jeder gab, auch un- 
gefragt, seine Meinung selbst dem Könige gegenüber ab 

es ist unglaublich, wie schnell dabei fiir diesen Moment die 
Schranken der bisher bestandenen Militärhierarchie schwankten ; 
die Sache war wahrhaft trostlos . . . erzählt ein Augenzeuge. 
Folgendes ist nun in dürren Worten das Resultat der Erwägung. 
Offensiv aufs rechte Saaleufer zu gehen, daran wird nicht mehr 
gedacht, erstens weil es zur Bereitstellung der Kraft hiezu zu 
spät ist, und zweitens das Uebergehen über die Saale an sich ört- 
liche Schwierigkeiten besitzt, die durch die Anwesenheit des Gegners 
am rechten Ufer zu militärischen Unmöglichkeiten werden können ; 

•) An der Orla. 



Digitized by VjOOQIC 



— 124 — 

SO wird wohl eine Flankenstellung hinter dem Flusse das beste 
sein, und rückt die Hauptarmee nach Weimar, Hohenlohe nach 
Jena, Rüchel und Blücher zwischen Erfurt und Weimar, und der 
Herzog von Weimar geht mit seiner Avantgarde nach Gotha zu- 
rück. Es macht dieser Plan sehr den Eindruck, als ob man den- 
selben mangels eines bessern , als Nothbehelf gewissermaßen, 
gefasst haben würde; denn in der That konnte er nur ein 
Provisorium sein. 

In Wirklichkeit hatten am Abend des 10. die Truppen fol-^ 
gende Stellungen inne: Hohenlohe stand zwischen Spahl — Orla- 
münde — Kahla; die Hauptarmee bei Blankenhayn, Reservedivi- 
sionen Weimar; Rüchel in Erfurt, Blücher jenseits Gotha, Winnig 
bei Vach und der Herzog von Weimar bei Meiningen; letzterer 
wollte eine Demonstration auf Coburg thun. Berichtet wird, dass 
an diesem Tage bereits in allen Theilen der Armee eine lebhafte 
Missstimmung platzzugreifen begann infolge des resultatlosen Hin- 
und Hermarschierens, sowie der Unglücksbotschaft von Saalfeld: 
das Zutrauen zu den Führern begann sichtlich zu schwinden 
und einzelne Generale verloren völlig den Kopf. 

Versuchen wir es, mit allgemeinem Blick auf die Gesammt- 
sachlage zu schauen. Feststeht, dass einer der aller-, aber schon 
allerwichtigsten, vielleicht einer der wenigen wahrhaft „unverän- 
derlichen** Grundsätze der Feldherrnkunst von der verbündeten 
Heeresleitung verletzt worden war, indem der Krieg mit einem 
erheblichen Echec, für den jene voll die Verantwortung trägt, be- 
gann. Nothwendig ist es für eine Armee, die nicht 
sehr kriegsgewo hnt und durch eigene Erfahrung 
von ihrem Werte völlig überzeugt ist, dass sie für 
den Krieg geradezu trainiert werde, indem der Feld- 
herr um jeden Preis kleine Erfolge im Anfange sucht, Erfolge, welche 
er durch Anwendung mechanischer Mittel erreicht und vorurtheils- 
los verwertet. Nicht vom mechanischen Standpunkte leuchtet 
dieser gewaltige Grundsatz ein, wohl aber von dem des Kriegs- 
psychologen. Wenn man sieht, wie der Führer des von Sieges- 
zuversicht erfüllten französischen Heeres seinen Marschällen stets 
und stets wiederholt, sie hätten die taktische Entscheidung dann 
nur anzunehmen, wenn es unzweifelhaft sei, sie werde eine gün- 
stige sein ; wenn man sich jener unsterblichen Apriltage des Jahres 



Digitized by VjOOQIC 



- 125 - 

1796 erinnert, in denen der junge Revolutionsgeneral sein zum 
Kriege völlig ungeeignetes Heer im Kriege bildet, indem er zweck- 
bewusst die Zahlübermacht dorthin fuhrt, wo sie vom örtlich un- 
endlich schwächeren Gegner ganz einfach nicht geschlagen werden 
kann, sondern ihn, ohne tapferer, kriegsgeschickter zu sein, 
durch ihreStärke einfach schlagen muss; und, dies 
wiederholend, sein Heer, ohne dass dasselbe recht klar darüber 
wird, was mit ihm geschehe, von seinem eigenen Werte 
gleichsam überzeugt, wodurch die kriegerische Tugend 
im nachhinein hervorgerufen wird ; — dafür allerdings den Spott 
der späteren Männer der Zunft zu tragen verurtheilt ist, die es 
ihm nicht verzeihen, wenn er in seinen Ansprachen und Heer- 
befehlen den Erfolg vergrößerte, das Missgeschick verdeckte, mit- 
hin log, um seine Armee glauben zu machen, als ob 
sie sehr tapfer sei, wodurch sie wirklich tapfer 
wurde; — so fallt es einem wie Schuppen von den Augen, worin 
in diesem Punkte die Kunst des Feldherrn liegt. Wahrhaftig, die 
Kriege bis nunzu hat er derartig geführt, dass er vor allem sein 
Heer moralisch erhob, indem er kleine, jedoch glänzende Erfolge 
vorwegnahm, durch welche die Qualität der Truppen beständig 
mächtig wuchs, Wohl klingt es paradox und doch mit vollster 
Ueberzeugung sagen wir: Erst nach Ulm gab*s eine große 
Armee ; das Dreifache von dem wog das Heer auf dem Wege 
vom Lech nach Wien, was es von Boulogne an die Donau ge- 
wogen. Hier ist das Feld, auf dem sich eine Feldherrnnatur ersten 
Ranges bewährt. Sie sucht bewusst und zweckessicher einleitende 
Erfolge auf, nicht wegen des mechanischen Gewinnes, sondern 
aus seelischen Gründen ; während tüchtige, doch häufiger seiende 
Soldatennaturen die Früchte des ersten accidentiellen Erfolges be- 
friedigt und froh überrascht erkennen, vielleicht auch zu verwerten 
wissen, ohne ihn jedoch bewusst und zweckessicher vorbereitet 
und herbeigeführt zu haben. 

Es lag in der ganzen Geistesrichtung im preußischen Heer, 
dass man die Nothwendigkeit dieses gierigen Erhaschens einlei- 
tender Erfolge nicht erkannt, vielleicht sogar, sich selbst über- 
schätzend, unbewusst darauf verzichtet hat. 

Was nun das Mechanische betrifft, so zeigt ein Blick auf 
die Karte, dass die preußische Armee am Abend dieses 



Digitized by VjOOQIC 



— 126 - 

Tages — man sage was man wolle — mindestens so gut, 
wenn nicht besser versammelt war, als die 
Truppen der Franzosen. Endlose Kritiken hat die Lage 
hervorgerufen und nachmals hielt jeder dafür, es sei zu dieser 
Zeit die Situation auf deutscher Seite so schlecht doch nicht ge- 
wesen. Besonders die Frage, ob ein Übergang über die Saale 
und ein Angriff auf Napoleon wohl auszuführen war, wurde mit 
Zirkel und Lineal sowohl für als gegen entschieden. Vergessen 
wir für einen Augenblick die innere Beschaffenheit beider Armeen 
und den Geist, der an oberster Stelle hüben wie drüben ge- 
herrscht ; fassen wir die lebendigen Kriegsmittel etwa so in's 
Auge, — rein materiell — wie sie die Signaturen der Karte uns 
zeigen ; nehmen wir an, die Qualität sei auf beiden Seiten die 
gleiche gewesen, völlig die gleiche, und messen wir lediglich 
Entfernungen und Zahlstärken ab : so kann kein Zweifel bestehen, 
dass es physisch sehr wohl möglich war, mehr 
deutsche als französische Truppen zum Kampfe 
auf einem Punkte zu vereinen; es leuchtet aus dem 
mechanischen Bilde ein, dass die Aussicht für den Erfolg der 
Franzosen auf der Fläche des Papiers durchaus nicht zu sehen ist. 

Aber ein großer Gegensatz der Tendenzen tritt anschaulich 
hervor. 

Stellen wir diesen in den Calcul, so sehen wir auf Seite 
der Franzosen mit dürren Worten nichts als den Wunsch, 
an den Gegner zu kommen; dieser Wunsch, einfach, 
bescheiden, bar aller Zeichen der sogenannten Kunst, beherrscht 
Napoleons gesammte Strategie. Bei den Verbündeten erkennen 
wir, wie unter dem betäubenden Eindruck der ersten Niederlage 
zunächst beschlossen wird, sich hinter einen festen Abschnitt, die 
Saale, zu ziehen und, alle Vortheile des Terrains benutzend, die 
Heere soviel als möglich vereinigt aufzustellen. Napoleon sucht 
die taktische Entscheidung, die Verbündeten erwarten sie; auf 
diese Entscheidung kommt es somit an. 

Die Preußen - Sachsen bleiben stehen; kann es ein ange- 
messeneres Benehmen geben — denken wir uns in die Lage 
jenes Tages, indem wir, was kam, vergessen — als die Kampf- 
mittel möglichst zusammenzuziehen, um sodann der „stärkeren 
Form", der Defensive, die besten Seiten abzugewinnen? 



Digitized by VjOOQIC 



- 127 — 

Man sage nicht : Die Defensive war hier erzwungen und so 
hat sie in sich den Keim des Misserfolges gehabt; das sagen 
wir, die wir den Ausgang kennen, und haben im nachhinein den 
Angriff als die rettende That angesehen. Die Defensive ist ja fast 
stets aufgezwungen, das heißt, die Umstände verlangen 
sie und doch führt sie gar oft zum Erfolge; um der Defen- 
sive willen begibt sich niemand in die Defensive; stets 
glaubt man zu derselben genöthigt zusein. War 
die große Defensivschlacht Austerlitz nicht Napoleon aufge- 
zwungen? und doch gewann er sie. Wo ist der Krankheitskeim 
einer unfreiwilligen Defensive in dieser als solchen zu sehen? 
Bekennen wir es nur immer frank und frei heraus: keiner von 
uns hätte an Braunschweigs Stelle anders gehandelt; die Ver- 
theidigung, als nothwendig erkannt, musste vorurtheilslos hin- 
genommen werden. 

Es ist jedoch ein großer Unterschied der Art, in der wir 
das Gesetz des Gegners empfangen. Thut man es mit stillen, 
wohldurchdachten Vorbehalten, so verliert es viel 
von der am Tage liegenden Gefahr; nimmt man es wohl- 
berechnet, provisorisch gleichsam, auf sich, so kann 
es recht eigentlich die Handhabe zum Enderfolge sein. Bedenklich 
jedoch ist, wenn man sich willenlos, absichtslos, unbewusst, 
mangels eines bessern, ohne jeden Hintergedanken in 
die Vertheidigung begibt. 

Auch dies war bei der preußischen Armee keineswegs der 
Fall; weitgehende Pläne tauchten mehrfach auf, man nahm die 
Lage nur als Übergang zu neuem, entscheidendem Thun. 

Auch wenn man das Bild mit allen seinen Tönen auf beiden 
Seiten erfasst, muss sich die Aufrichtigkeit des Nachgeborenen 
gestehen, dass er jetzt, am 10. October abends, den Ausgang 
keineswegs vorhersehen, kaum vorausahnen kann. 

Der einzige Lichtstrahl in dem Chaos, welches den auf- 
richtig und vorurtheilslos nach der Wahrheit Forschenden annoch 
umfängt, ist der in Napoleons Brief an Marschall Soult fast 
leidenschaftlich ausgesprochene Wunsch nach einer Schlacht, 
möge sie ihm nun aufgenöthigt werden oder er selbst der An- 
greifer sein. 



Digitized by VjOOQIC 



— 128 — 

Der 11. October. 

Der Glaube Napoleons, als stünde die feindliche Haupt- 
macht bei Gera, war in seinem Reiterführer Murat, eben weil 
dieser Glaube der des Kaisers war, zur vollsten Überzeugung 
geworden und blieb er derselben treu, als die von allen Seiten, 
besonders von Roda her, den Abmarsch der Sachsen nach Westen 
meldenden Nachrichten der Reiterei bereits errathen ließen, dass 
dem nicht so sei. Um sich Klarheit über die Lage zu verschaffen, 
eilt Napoleon selbst auf Gera vor und nach einer sofort befohlenen 
scharfen Recognoscierung gegen eine eben abrückende feindliche 
Colonne erkennt er bis zur Evidenz, dass er sich getäuscht und 
der Gegner höchstwahrscheinlich jenseits der Saale stehe; nach- 
dem der Kaiser anbefohlen hatte, alles aufzubieten, um zu erfahren, 
wo der Gegner sei, begibt er sich gegen Abend nach Auma 
zurück, wo sich heute das Hauptquartier befindet. 

Indessen waren die französischen Corps gemäß den früheren 
Befehlen auf Gera vormarschiert und standen sie am Abende 
des Tages wie folgt vertheilt: Murat und Bernadotte in Gera, 
Soult vor Weida, Ney in Schleiz, Davout in Mittelpöllnitz, Lannes 
in Neustadt, Augereau bei Saalfeld, die Baiern in Kronach, die 
Garde bei Lichtenfels. 

Nachdem nun während des Abends Nachrichten im Haupt- 
quartier eingegangen sind, erlässt der Kaiser um die Mitternacht 
seine Dispositionen für den folgenden Tag; dieselben werden in 
den ersten Morgenstunden des 12. — auf welche Nachrichten 
hin, ist nicht ganz klar — theilweise wieder abgeändert; sie 
bezwecken im allgemeinen eine Linksschwenkung der ganzen 
Armee gegen die Saale, hinter der der Gegner stehen soll, und 
gewinnt die Idee des Kaisers, denselben nördlich zu umgehen, 
beziehungsweise von seinen Staaten abzuschneiden, dadurch 
greifbare Gestalt, dass er eine förmliche selbstständige Armee 
bildet und auf Naumburg ausholen lässt. Befohlen wird, dass 
Davout direct, Murat und Bernadotte über Zeiz auf Naumburg 
gehen sollen, wobei sie alles aufzubieten haben, festzustellen, ob 
der Gegner wirklich bei Erfurt steht; Lannes geht auf Jena, 
Augereau auf Kahla, Ney nach Mittelpöllnitz, Soult nach Gera, 
wohin das Hauptquartier verlegt wird und alle noch rückwärts 
befindlichen Truppen sowie Parks zu dirigieren sind. 



Digitized by VjOOQIC 



- 129 - 

In Briefen an die Marschälle spricht sich des Kaisers Auf- 
fassung von seiner Lage aus. Mit einem Wort, er hofft sehr 
bald den Feind zu fassen und zweifelt keinen Augenblick am 
glücklichen Erfolg. Wie wohl er von den Vorgängen im Haupt- 
quartiere des Gegners unterrichtet ist, zeigt eine Stelle seines Briefes 
an Lannes vom 12. 4 Uhr morgens: . . . iouies les lettres inter- 
ceptees foni voir que Vennemi a perdu la Ute, Ils tiennent 
conseil jour et nuit et ne savent quel parti prendre . . . Die 
bisherigen Erfolge hält er seinen Unterführern, dieselben zweck- 
mäßig übertreibend und aufbauschend, als Aussichten zu neuen 
Erfolgen vor, wenngleich sich Mahnungen finden, vorsichtig zu 
sein, um nicht etwa einzeln im Marsch geschlagen zu werden. 
Traurig und augenscheinlich immer unglückdrohender ver- 
lief der Tag bei der preußisch-sächsischen Armee. 

Die Truppentheile führten die Befehle des Vortages, die 
Versammlung betreffend, aus ; in niedergeschlagener Stimmung, 
denn Saalfeld war allenthalben bekannt geworden und es begann 
offen und ungescheut die Kritik der Unfähigkeit der obersten 
Führer. Verpflegungsschwierigkeiten führten dahin, dass viele 
Truppen hungerten, und so fielen bei der Hauptarmee, nach Be- 
ziehen der Biwaks, gröbliche Excesse vor. 

Braunschweig begann den Kopf zu verlieren; sehr zur 
Unzeit, wie es scheint, trat Scharnhorst mit allerlei Plänen hervor, 
die der Greis natürlich ohneweiters anzunehmen sich nicht ent- 
schließen konnte, und die Folge davon waren Auseinandersetzungen 
heftiger Natur zwischen dem Feldherm und seinem Generalstabs- 
chef Wohl regte sich das Bedürfnis, Nachrichten über den Feind 
zu gewinnen; der König selbst griff, wie anzunehmen ist, in 
diesem Punkte ein ; indessen war das positive Resultat der Re- 
cognoscierungen, weil zu spät am kurzen Octobertage befohlen, 
gleich null. 

Hohenlohe verlegte sein Quartier von Kahla nach Jena 
zurück und suchte sich unterwegs über die augenblickliche Lage 
Aufklärung zu verschaffen; er empfing die Truppenreste der 
Avantgarde- Division und gab ihnen seine Zufriedenheit mit ihrem 
Verhalten bei Saalfeld zu erkennen. In Jena angekommen, 
setzte er sich eben zur Tafel, als ihm der Anmarsch Tauentziens 
gemeldet ward. Kaum hatte er sich erhoben, um die Tapferen 

C. von B.-K. Zur Psychologie des grofien Krieges II. 9 



Digitized by VjOOQIC 



— 130 — 

von Schleiz zu begrüßen, als in den Straßen der Stadt sich 
urplötzlich ein gewaltiger Tumult erhob; die Franzosen sollten 
vor den Thoren angekommen sein, und so entsetzend wirkte 
diese Nachricht auf die Truppen, dass sogleich die heilloseste 
Unordnung entstand; alles floh; Geschütze wurden im Stiche 
gelassen ; die Waffen warf man weg ; kurz es war eine Panik, 
die in der ganzen Kriegsgeschichte kaum ihresgleichen hat.*) 

Als die Ordnung nothdürftig wieder hergestellt war, war 
an ein geordnetes Lagern nicht mehr zu denken und bunt biwakirte 
alles dort durcheinander, wo es gerade stand; dazu hungerten 
die Truppen in empfindlicher Weise. 

Verschiedene Nachrichten hatte Hohenlohe erhalten, die auf 
eine bereits begonnene, vielleicht sogar schon ausgeführte Um- 
gehung gegen Naumburg wiesen ; jedoch nichts geschah, um 
sich Klarheit hierüber zu verschaffen, und wahrscheinlich ist so- 
gar, dass die vom König selbst auf Recognoscierung ausge- 
sandten Officiere, in den Jenaer Allarm hineingerissen, auf ihre 
Bestimmung völlig vergaßen. 

Am Abend standen die Truppen etwa wie folgt : Hohenlohe 
mit Tauentzien und den Sachsen um Jena, linkes Saaleufer, die 
Übergänge zwischen Kahla-Dornburg werden besetzt; die Haupt- 
armee steht bei Umpferstädt; Rüchel und Blücher vereinigt 
östlich von Weimar; Winnig noch immer bei Vach; der 
Herzog von Weimar, den man zuerst angewiesen hatte, sich 
zur Hauptarmee zu ziehen und dann, er solle eine Demonstra- 
tion in des Gegners linke Flanke thun, stand zersplittert zwischen 
Vessra- Römhild-Hildburghausen. 

Wieder fällt uns an diesem Tage, wenn wir den Blick zur 
allgemeinen Lage erheben, die größere Versammlung 
der deutschen Heerestheile auf. Allein nicht erhellt, wozu man 
dieselbe zu benützen gedenkt; an einen Angriff denkt man nicht; 
den Abzug will man nicht ohne entscheidenden Kampf beginnen; 
mit ungläubigem Hochmuth und abweisend nimmt Hohenlohe 
die Nachricht von einer feindlichen Umgehung hin. Ersichtlich 
fühlt man, dass sich etwas vorbereitet; man ahnt, die Entschei- 
dung stehe vor der Thür. Allein, nicht in der Lage, wie man 
zu sein glaubt, zwecks einer energischen Offensive über die 

•) V. Lettow-Vorbeck, I, 274. 



Digitized by VjOOQIC 



- 131 — 

Saale, die man eben zwischen sich und den Gegner gebracht, 
zu gehen, wartet man in fatalistischer Ruhe die Entwicklung der 
Dinge ab. Man war, wie historisch erwiesen ist, an diesem 
Tage bereits rathlos geworden und wusste nicht, was anzufangen 
sei. Eine Passivität, der man sich willenlos überlässt, lässt 
sicherlich nichts Gutes ahnen. 

Mächtig hatte der Zersetzungsprocess, den die kriegerische 
Friction in jedem Heereskörper erregt, an diesem Tage Fort- 
schritte gemacht. Schwerer noch als die Ermüdung der Truppen, 
als der Mangel und die Noth wog die Nervosität des Soldaten- 
materials, die am Nachmittag in Jena so traurig zur Darlegung 
gekommen war. Ohne mit der menschlichen UnvoUkommenheit 
allzu hart in*s Gericht zu gehen, muss festgestellt werden, dass 
Paniken dieser Art im Biwak oder Quartier fast unverzeihlich 
sind, indem sie den gänzlichen Mangel an Einfluss beweisen, 
den der Officier auf seine Leute, in so übersichtlichen und leichten 
Verhältnissen schon, hat. 

Napoleon sehen wir weiter auf der Suche nach dem Gegner, 
Die Wissenschaft hat nicht gezögert, ihm daraus, dass er ihn 
nicht dort fand, wo er ihn suchte, einen Vorwurf zu machen. 
Den Schleier über eine solche Wissenschaft, die, von den Er- 
folgen einer unerhörten kriegerischen Gestalt blind und verwirrt 
gemacht, nicht weiß, wie mühevoll und ungewiss gar oft der 
Weg sein kann, den der Meister zum Erfolge gieng. Wohl bleibt 
die Thätigkeit der Cavallerie in diesem Kriege erheblich hinter 
dem strategischen Aufklärungsphantom der Wissenschaft unserer 
Tage zurück; Napoleon kann manches vorgeworfen werden; 
warum hat er das strategische Reiterideal, das wir heute noch 
lange nicht so erreicht haben, wie die Wissenschaft es wünscht, 
nicht damals schon erreicht? Stets vergisst man bei solcher Kritik, 
dass die Reiterei des ersten Kaiserreiches vor allem eine Schlachten- 
waffe war, die für die Schlacht möglichst zu erhalten, dem Feld- 
herm am Herzen lag und am Herzen liegen musste; mag sie 
immerhin nicht genug gehört und gesehen, erspäht und er- 
schnüffelt haben. Aber gibt es wohl einen imposanteren Beweis 
von Napoleons Fähigkeit, die Wahrheit herauszuahnen, als die 
Thatsache, wie er, in Gera angelangt, sofort den wahren Sach- 
verhalt erräth? und von seinem zweckbewussten Können, indem 

9» 



Digitized by VjOOQIC 



- 132 — 

er, die neue Lage blitzschnell erfassend, dieselbe durch eine rasche 
Umgehung soweit als möglich auszubeuten sucht? 

Der Geist des 11. October auf napoleonischer Seite ist: Hier 
habe ich den Gegner nicht gefunden; dort wird er stehen; sofort 
und auf den kürzesten Wegen an ihn; denn ich erinnere mich, 
dass ich um jeden Preis eine Entscheidungsschlacht suche. 

Nicht in den Truppensignaturen sieht man heute abermals 
den Schatten, den das Kommende vorauswirft. Doch in dem 
bereits mächtig hervortretenden Contrast der siegessicheren Offen- 
sivtendenz mit der rath- und thatlosen matten Defensive vermag 
ein nüchterner Geist auch bereits die Conturen des Ausganges 
zu sehen ; nicht wir allein thun dies und jetzt : wir haben gesehen, 
wie auf Seite der Preußen der Glaube an den Misserfolg be- 
reits allgemein zu werden begann. 



Der 12. October. 

Es vollzieht sich im Laufe des Tages die durch die Befehle 
der Nacht angeordnete Linksschwenkung der französischen Armee, 
die, trotzdem Corps der Mitte nunmehr auf den rechten Flügel 
und die des frühern rechten Flügels in die Mitte gelangen, ohne 
erhebliche Friction geschieht. Trotzdem der Kaiser überzeugt ist, 
die Preußen links der Saale zu finden, ordnet er eine weitrei- 
chende Aufklärung der Cavallerie auf Leipzig an, um ganz 
sicher zu gehen. Ebenso will er durch die Meldungen der Rei- 
terei einen von ihm gefürchteten etwaigen Abzug des Gegners 
nach Norden baldigst festgestellt haben. 

Die leichten Reiter Davouts, die ihrem Corps weit voraus- 
geeilt, Naumburg bereits in der dritten Nachmittagsstunde erreichten, 
nehmen 24 Stück Pontons vom Armeetrain Hohenlohes, während 
den übrigen nach Freiburg zu entfliehen gelingt ; Lannes auf 
jdem linken Flügel geht bei Kahla an's linke Saaleufer, von Au- 
gereau gefolgt und vertreibt in einem geringfügigen Gefecht bei 
Winzerle Vortruppen des Fürsten Hohenlohe. 

Am Abend haben die Truppen folgende Stellungen erreicht: 
Murat steht mit seinen Reitern im Räume Pegau-Naumburg-Weißen- 



Digitized by VjOOQIC 



- 133 - 

fels; Bernadotte bei Meinweh, Davout mit einer Division bei 
Naumburg, während die beiden anderen südlich zurückgeblieben 
sind; Soult und die Garde stehen in Gera, wo sich das Haupt- 
quartier befindet; Ney vorwärts Auma, Lannes südlich Lobeda, 
Augereau bei Kahla am linken Ufer der Saale. 

Der Kaiser genießt an diesem Tage einer relativen Ruhe 
und correspondiert dementsprechend viel ; das 2. Bulletin der 
großen Armee, übrigens sehr würdig gehalten, besonders was 
das tragische Ende des Prinzen Louis betrifft, athmet volle Sieges- 
zuversicht An Talleyrand schreibt Napoleon in der bekannten, für 
die Pariser berechneten Manier, fugt jedoch die Mahnung hinzu, 
die Bulletins seien nicht sogleich zu drucken, aus militärpolitischen 
Rücksichten ; im Auslande könnte man sonst zu rasch von seinen 
Maßregeln Wind bekommen. Wegwerfend spricht er von der 
preußischen Armee und ist des Sieges völlig sicher. Höhnend 
wirft ihm der Kriegshistoriker vor, er lüge und übertreibe nach 
gewohnter Art, wenn er sage: . , , les affaires vont ici tont ä 
fait cofnme je les avais calculees, il y a deux mois, ä Paris, 
mar che par mar che, presque evenement par evenement; je ne 
me suis trompe en rien . . ; soeben habe er ja bei Gera einen 
Luftstoß gemacht Wir werden diesen Hohn und die Basis, auf 
welcher er ruht, später erwägen. 

An den König von Preußen richtet Napoleon gleichfalls einen 
Brief, als Antwort auf Friedrich Wilhems III. lange Vorwurfs- 
Epistel. Dieser Brief ist, wie es scheint, oft missverstanden worden. 
Indess, da der König denselben weder an diesem, noch am fol- 
genden Tage, sondern erst unter dem Kanonendonner von Auer- 
städt erhielt, so soll er erst später mitgetheilt sein. 

Die preußisch-sächsische Armee war, wie wir wissen, end- 
lich am linken Saaleufer concentriert; zur Schlacht, die bald er- 
wartet ward, gedachte man sich an diesem Tage vorzubereiten, 
allein die Vorbereitung des Soldatenmateriales ließ sehr zu wünschen 
übrig; methodisch und langsam wurden Lager für die Truppen 
abgesteckt, die man zur Beziehung derselben zu beordern mehrfach 
vergaß; die Verpflegung blieb an vielen Stellen gänzlich aus und 
so wuchs der Kleinmuth und die Verzagtheit unter den Soldaten 
immer mehr; dazu waren die taktischen Verbände bereits erheb- 
lich gelockert. 



Digitized by VjOOQIC 



— 134 — 

Der Vormarsch von Lannes am linken Saaleufer, der zum Ge- 
fecht vonWinzerle — auf preußischer Seite unglaublicher taktischer 
Fehler voll — führte, brachte die Ansicht, die man im deutschen 
Hauptquartier vorgefasst und in der man sich gefiel: Napoleon 
werde über die Saale gehen und dann angreifen, völlig zur Reife. 
Man nahm an, er werde von Süden, aus der Gegend von Saal- 
feld kommen, und bezog somit eine Front, die, so ziemlich nach 
Süden gerichtet von Weimar bis Jena stand. Der König, trotzdem 
er vom Kriege nichts zu verstehen selbst überzeugt war, nahm 
nun, nach Unterredungen mit Braunschweig und Hohenlohe, von 
deren Inhalt der Generalstabschef des ersteren diesmal nichts er- 
fuhr, die Initiative, um festzustellen, ob es dem Gegner denn 
nicht doch eingefallen sei, rechts der Saale und nordwärts zur 
Umgehung vorzugehen und befahl Erkundungsritte. Es hatten 
mittlerweile — am Nachmittag — die zur Deckung der Saale- 
übergänge nördlich Jena aufgestellten Truppen bereits den Marsch 
Davouts nach Norden entdeckt, doch waren die Meldungen 
hievon nicht zeitgerecht an Hohenlohe weitergegeben worden. 
Als sich der Fürst in Jena zur Tafel setzen wollte, veranlasste 
das Erscheinen einzelner französischer Reiter am rechten Saale- 
ufer einen neuerlichen Allarm in der Stadt, der jedoch, wenn- 
gleich nicht ohne persönliches Eingreifen des Fürsten, ungleich 
rascher als der vom Vortage beschwichtigt ward. Als Hohenlohe 
um 8 Uhr abends in seinem neuen Hauptquartier Capellendort 
eingetroffen war, wusste er noch nicht die Resultate von den 
befohlenen Erkundungsritten. Am Nachmittage schon waren bei 
der Hauptarmee dunkle Gerüchte im Umlauf gewesen, die Franzosen 
seien in Naumburg eingerückt; jetzt brachte ein Trainofficier, der 
aus diesem Orte kam, sichere Kunde, dem sei so, und sogleich 
befahl der König ein Detachement zur Aufklärung des Sachver- 
haltes dahin abzusenden. Als nun ein von Naumburg kommender 
Kaufmann die Meldung des Officiers dementierte, unterblieb die 
eben befohlene Recognoscierung. Um 1 1 Uhr abends jedoch lief 
im Hauptquartier endlich die positive Nachricht von der Besetzung 
Naumburgs durch den Gegner ein. 

Wie ein Donnerschlag wirkte die Nachricht, dass man um- 
gangen sei. Allein das schnelle Handeln, das nun am Platze war, 
erfolgte keineswegs; es ergingen vielmehr Einladungen zu einer 



Digitized by VjOOQIC 



— 135 - 

Conferenz für den nächsten Morgen an die uns zum Theile be- 
kannten Personen, auch Rüchel wird herangerufen und Hohen- 
lohe soll „den Obersten von Massenbach fördersamst anhersenden, 
um das nöthige mit ihm communicieren zu können." 

Am Abend des 12. October hatten die Truppen folgende 
Stellungen inne : Hohenlohe bei Capellendorf, Vortruppen an den 
Saaleübergängen von Domburg bis Jena; Hauptarmee bei Umpfer- 
städt; Rüchel halbwegs Erfurt -Weimar; Winnig nördlich Vach; 
der Herzog von Weimar, der die Operationen in die Flanke des 
Gegners auf falsche Nachrichten hin aufgegeben und sich nun 
an die Armee heranzog, bei Frauenwald. 

Hohenlohe hatte am späten Abend nach Eingang der Mel- 
dung über die AflFaire von Winzerle, ganz unter dem Bann der 
Idee, der Gegner komme von Süden, Tauentzien, der die bei 
Jena an der Saale stehenden Truppen commandierte, dahin in- 
struiert, er habe in dem Falle, als Jena aufgegeben werden müsse, 
bei Lützeroda - Cioswitz eine Stellung zu nehmen, um Angriffe 
von Dornburg auf des Fürsten linke Flanke abzuwehren. Während 
nun im Hauptquartier über die zu fassenden Entschlüsse be- 
rathen wurde — also in der Nacht — vollzogen sich auf dem 
äußersten, an der Saale stehenden Flügel der Armee — also den 
Vorposten — Dinge, deren Einzelheiten sowohl als Motive nicht 
völlig klargestellt sind. Genug, auf Meldungen des Majors v. Kolin, 
der bei Dornburg den Übergang besetzt hielt, er werde sich da- 
selbst nicht halten können, gab Tauentzien in den ersten Morgen- 
stunden des 13. October das Saalethal auf und zog sich und die 
Truppen, die geringen Kräfte überdies zersplitternd, von Dornburg 
in die ihm angewiesene Stellung nordwestlich Jena zurück. Doch 
von alledem konnte man in den entscheidenden Conferenzen 
nichts wissen. Es ist nun sehr richtig, wenn die Kritik sagt, 
dieses Aufgeben des Saalethaies, von dem allein man den An- 
marsch des Gegners beobachten und eventuell auch hindern 
konnte, sei ein schwerer militärischer Fehler gewesen. Indessen 
erhellt aus den Quellen, dass Tauentzien die Saale aufgab, weil er 
starke feindliche Kräfte anrücken sah, oder zu sehen glaubte; 
sich gegen dieselben zu halten zu schwach glaubte ; 
im Sinne seiner Instruction verfuhr, wenn er sich an Hohen- 
lohe heranzog. Also nicht er, sondern der Fürst hat den Fehler 



Digitized by VjOOQIC 



— 12 



begangen ; aber der Fürst selbst empfing, wie wir wissen, von 
der Heeresleitung die strategische Idee 

der Gegner komme von Süden ; 

und die Absicht, 

ihm die Schlacht, falls er angriffe, anzubieten. Somit ver- 
fuhr auch er im Sinne des allgemeinen Plans, wenn er beschloss, 
seine Vortruppen vor dem Gegner langsam zurückzuziehen, um 
sie zur Schlacht, die erwartet wurde, bei der Hand zu haben. 
Erinnern wir uns: nicht das Verwehren des Saaleüber- 
ganges plante man im Hauptquartier; nichts we- 
niger als das; man wollte schließlich doch eine Schlacht und. 
um die zu schlagen, musste die preußische Taktik eine offene Ge- 
gend suchen ; an den Brückendefileen der Saale hätte die preußische 
Armee eine regelrechte Schlacht gar nicht zu schlagen vermocht ; sie 
dachte gar nicht daran, es zu versuchen, sondern wählte seitab des 
Flusses ein anderes geeignetes Terrain, wie es ein Heer des XVIII. 
Jahrhunderts zur „Bataille" gebrauchte. Vom Standpunkte der 
preußischen Heeresleitung vor dem 13. October war ein Halten der 
Saaledefileen um jeden Preis keineswegs geplant; um den Gegner 
zu schlagen, musste man ihm erlauben, an's 
eigene Ufer herüberzugehen, da man auf das an- 
dere zu gehen sich nicht entschließen konnte. Im 
Sinne der obersten Heeresleitung handelte Tauentzien, disponierte 
Hohenlohe, als sie die Vortruppen vor der Übermacht des Gegners 
langsam zurückzogen ; denn ihren Zweck des Sehens und Mel- 
dens hatten sie erfüllt. Zum Schlagen an den Deflieen waren sie 
keineswegs bestimmt, und auch ihre Zahlenstärken befähigten 
sie nicht dazu. 

Bis zum 12. October abends, beziehungsweise in der Nacht 
des 12./13, wollte man dem Gegner die Saaleübergänge nicht 
streitig machen, da man ihn zur Schlacht erwartete ; dieser Ge- 
danke war entsprechend der inneren Beschaffenheit der Kriegs- 
mittel, über die man gebot, und leuchtet auch uns vollinhaltlich 
ein. Am 13. jedoch werden wir sehen, ist dem allem nicht 
mehr so. 

Wieder zeigt uns an diesem Tage das mechanische Bild 
der Kräftevertheilung den Vortheil scheinbar auf Seite der mas- 
sierten Deutschen, den augenfälligen Nachtheil der weit zerstreuten 



Digitized by VjOOQIC 



- 137 - 

Franzosen. Eine mühsam nur unterdrückte Lust, mit den preußi- 
schen Truppen zu schlagen, erfasst den Beschauer, wenn er die 
z^vei Corps der linken französischen Colonne, weit von jeder 
Unterstützung getrennt, auf die versammelten eigenen Kräfte los- 
marschieren sieht. Allein man nahm, wie wir wissen, auf preußi- 
scher Seite an, die Hauptkraft komme von Süden, und rüstete sich 
demgemäß gläubig zur Abwehr. Ist dieser Glaube ein Verschulden ? 
Soeben hat sich, wie wir sehen, Napoleon selbst gröblich ge- 
täuscht; die Kriegsgeschichte, ihres richtenden Amtes bewusst, 
Avirft dem Kaiser der Franzosen sowohl als Hohenlohe und 
Braunschweig, dass sie sich täuschen ließen, vor. 

Was ist Täuschung und von wo kommt dieselbe her? Sie 
kann entstehen durch die Unvollkommenheit der den Eindruck 
der Dinge empfangenden Mittel und die ungenügende Art, wie 
man solche gebraucht. Sie kann entstehen aus dem Unvermögen, 
aus den richtigen Meldungen der den Eindruck der Dinge gebenden 
Mittel das Bild der Dinge zu ziehen. Oder aus beiden zugleich. 
Was die den Eindruck der Dinge gebenden Mittel betrifft 
— in einem Kriegsheer der gesammte Aufklärungs- und Nach- 
richtenapparat — so kann der Feldherr für desselben Functionie- 
rung nicht stets und voll verantwortlich gemacht werden. Dass 
die preußische Reiterei den strategischen Aufklärungsdienst nicht 
verstand, daran tragen Hohenlohe und Braunschweig wohl sicher 
nicht die Schuld; ebensowenig wie ruhiges Nachdenken Napoleon 
daraus einen Vorwurf machen wird, dass seine Reiterdivisionen 
in diesem Stücke nicht so ausgebildet waren, wie es die gegen- 
wärtige Wissenschaft verlangt. Die preußischen Führer em- 
pfingen das Instrument zur strategischen Erkundung erst im Be- 
ginne des Kampfes; hat sie dasselbe ungenügend bedient, so 
wissen wir, woher das kam ; es hatte sie niemand die von Napoleon 
eben erst entdeckte neue Verwendung desselben vorweg gelehrt. Der 
Kaiser hatte das Instrument sich selbst herangebildet ; schon früher 
wiesen wir darauf, wie es, den neuen strategischen Dienst erst 
beginnend, nicht auf der Höhe des Ideals stehen gekonnt. Es em- 
pfingen somit die preußischen Führer infolge der von ihnen keines- 
wegs verschuldeten Inferiorität des Aufklärungsapparates weniger 
und weniger richtige Vorstellungen über den Gegner, als Napoleon 
durch seinen Aufklärungsapparat empfing. Wenn sich die Kriegs- 



Digitized by VjOOQIC 



— 138 — 

geschichte auf das Amt des Richters verlegt: kann sie hier wohl 
schuldig sprechen? 

Und nun die Unfähigkeit, aus richtigen Nachrichten die 
Wahrheit herauszufühlen, mehr als das, mit Sicherheit hervor- 
zuziehen ! Was ist das, was man Unfähigkeit eines besiegten 
Feldherrn im nachhinein zu nennen pflegt? Mangel an Erkenntnis; 
Mangel an Willen trotz der Erkenntnis. Der erstere bildet einen 
Entschuldigungsgrund für viele Fehler in Dingen des socialen 
Verkehrs; denn über seine Gaben kann das Individuum niemals 
hinaus. Wenn beispielsweise Hohenlohe aus den allerrichtigsten 
Meldungen seiner Aufklärungstruppen die Züge des strategischen 
Bildes nicht erfasst haben würde, so lagen die Gründe hieven 
in den Grenzen seiner militärischen Fähigkeit und nicht in seinem 
üblen Willen ; zudem wissen wir, dass er nur unzulängliche und 
theilweise falsche Nachrichten erhielt Können — wir fragen es 
nochmals — Mängel des Intellects dem Träger dieses Intellects 
als Verschulden angerechnet werden ? Führt der eiserne 
Wille, man wolle erkennen, dann, wenn die Fähig- 
keit versagt, auch nur um eine Linie an die Er- 
kenntnis heran? Mancher besiegte Feldherr hat 
vor der Entscheidung über die Lage sicherlich 
eifriger, verzweiflungs voller, angestrengter nach- 
gedacht, als sein glücklicher Gegner, der, die Wege 
die zum Erfolge fähren spielend und ohne Selbstzwang erkennend, 
jenen, als ob sich das von selbst verstünde, schlägt. Über eine 
gewisse Grenze des Erkennens vermag der gute Wille nicht viel ; 
und wenn der Nachgeborene dem besiegten Feldherrn Mängel 
des Intellects vorwirft, so zeigt er nur damit, dass er nicht die 
leiseste Ahnung hat von dem, was man billigerweise und mit 
Aussicht auf Erreichung von Menschen fordern kann. 

Wir wollen diese Erwägung nicht weiter ausspinnen und 
uns nicht erinnern, dass das Bemühen, zu erkennen, mit einem 
Worte Denkfleiß oft weiter führt, als es gemeiniglich erwartet 
wird; denn anzunehmen ist, dass in 99 Fällen von 100 der vor 
dem Feinde stehende Feldherr von selbst das Menschenmögliche 
thut , um auf Grund des Datenmaterials zu erkennen ; dass 
geistige Indolenz eines Armeecommandanten eine äußerst seltene 
Sache ist, obwohl die Geschichte auch hievon Beispiele kennt. 



Digitized by VjOOQIC 



- 139 - 

Unmerklich fuhrt uns dies auf die zweite und wichtigere 
Sache: Mangel an Willen trotz der Erkenntnis es müsse dies 
und das geschehen. Mangel an Willen, den kann die Geschichte, 
falls er zweifellos nachgewiesen ist, einem Feldherrn gewisser- 
maßen zum Vorwurf machen ; gewissermaßen, sagen wir, nicht 
stets und immer. Wie steht es nun damit in unserem Fall ? Wir 
sahen den Kaiser der Franzosen, als er von seiner Reiterei nicht 
genügend aufgeklärt wird, am Morgen des 11. October unbe- 
kümmert vorwärts eilen, um selbst an Ort und Stelle zu sehen. 
Die höchste Thätigkeit entwickelt er, um neue Anhaltspunkte zu 
gewinnen, da ihm die alten nicht genügend sind. Er ist bereit, 
ganz unerwartete Dinge zu hören , unangenehme Dinge ; die 
widrigen Nachrichten sucht er geradezu auf. Diese Bereit- 
willigkeit, denEreignissen entgegen zukommen; 
dieser feste Entschluss, sich der Thatsache füg- 
sam anzuschmiegen, um sie im nächsten Augen- 
blick kraftvoll zu beherrschen; dieses unaus- 
gesetzte Streben, den Abwandlungen der That- 
sachengeschicktzu folgen, um dieselben alsbald 
in die Hand zu bekommen: zeichnen sämmtlich 
den seinesZweckesbewusstenMann des mensch- 
lichen Verkehrs, insonderheit den Feldherrn aus, 
der, wissend, alles Thun sei lediglich ein Compromiss, ein solches 
vorurtheilslos und vorübergehend schließt, um sich zur Höhe des 
Führens und Bestimmens dadurch zu erheben. 

Obgleich nicht unbedingt, so doch schwer genug lastet der 
Beweis, dass sie dies nicht verstanden, auf den Führern des 
preußischen Heeres. Dies mag ihnen als Schuld angerechnet 
werden: denn es ist noch mehr ein Fehler des menschlichen 
Charakters, denn ein specifisch militärischer Mangel; obgleich 
zugegeben werden muss, dass er durch das ganze Wesen der 
preußischen Heereseinrichtungen und besonders durch die Tra- 
dition sehr erklärlich ist ; man war sozusagen intransigeant 
mit dem Gegner und wich seiner Berührung — solange er sich 
nicht zur rangierten Schlacht gestellt — oder doch den Nach- 
richten von ihm, geflissentlich aus. Man wollte sich von ihm 
das Gesetz nicht geben lassen! Man nahm an, Napoleon 
werde von Süden kommen und wollte nicht, als man vom 



Digitized by VjOOQIC 



- 140 — 

Gegentheil vernahm, und wieder nicht dran glauben. 
Das Streben, sich der Nachricht des Unangenehmen, der Kunde 
von der Widerwärtigkeit, dem Eindrucke der Gefahr zu ver- 
schließen, ist eine Eigenschaft, die stets auf Schwäche des Cha- 
rakters weist. In den Nachmittagsstunden des 12. October wies 
man im deutschen Hauptquartier die unbequeme Nachricht von 
der Besetzung Naumburgs wieder und wieder von sich. Wohl 
muss man wieder billig sein und glauben, es sei den leitenden 
Männern die gemeldete Thatsache höchst unwahrschein- 
lich erschienen und sie hätten, des Principes eingedenk, nicht 
jede Nachricht im Kriege dürfe sofort in die Beine der Soldaten 
fahren, dieselbe im guten Glauben an ihre Fälschlichkeit bei Seite 
gelegt. Allein sie thaten, wie wir sahen, nichts, um der Wider- 
wärtigkeit entgegenzukommen ; wichen derselben aus ; zogen sich 
vor ihr auf die zu Recht bestehende genehmere Meinung zurück. 
Indessen wieder, jeder Charakter darf nur mit den Maßen seiner 
Zeit und seiner Umgebung gemessen werden, soll das Urtheil, 
so man über ihn fällt, nicht unbillig sein ; wer weiß, wie 
viel höfische Rücksichten, wie viel Scheu vor der Rolle des 
Trägers einer Hiobspost, Braunschweig sowohl als Hohenlohe 
davon abgehalten haben, ernstlich Beweise des Unheils von 
Naumburg zu suchen und damit als unbequemer Gast im Haupt- 
quartier zu erscheinen. 

Man versetze sich in jene Zeit ! Man lebe das Leben dieses 
Hauptquartiers; man fühle mit einem hochgebornen Herrn, wie 
Braunschweig oder Hohenlohe war; die Rücksichtnahme des 
einen auf den andern — äußerlich wenigstens — war ja in dieser 
iflustren Gesellschaft oberstes Gesetz, das das Thun jedes ein- 
zelnen der Glieder so lange völlig beherrschte. Es war nicht Mangel 
an absoluter Energie, weshalb die Erkundung unterblieb; nicht 
sträfliche, weil ungewöhnliche Unterlassung. Sie war von nieman- 
dem kategorisch anbefohlen ; niemand wünschte sie und mit ihr 
das Gespenst der Verantwortung, das hinter ihr drohend erschien ; 
nichts ist natürlicher, als dass sie unterblieb ; und ist diese Un- 
terlassungssünde auch rein militärisch zu verdammen, so 
ist sie kriegshistorisch mehr als genügend erklärt. 

Denn nicht damit, dass die Kriegshistorie sagt: Dies und 
das geschah, dieses und jenes wurde unterlassen ; der Misserfolg 



Digitized by VjOOQIC 



— 141 - 

war da ; und somit ist es schlecht gewesen — hat sie genug ge- 
than. Damit schaßt sie nichts, als eine Reihe dürrer, schemati- 
scher, farbenleerer Warnungstafeln, die, aus ihrer Umgebung ge- 
rissen und auf den Boden seither veränderter Anschauung 
vom Kriege gestellt, unverstanden bleiben müssen und, was wohl 
mehr nebensächlich ist, doch immerhin bedenklich bleibt, historisch 
ungerecht erscheinen. 

Berufen kann der sein, der Kriegsgeschichte liest, einstmals 
ein Heer oder doch Heerestheile zu führen. Man macht ihm durch 
unerbittliche, rein militärische Kritik von vornherein die Sache 
schwer. Stets muss die Kritik historisch bleiben und ihre Local- und 
Zeitfarbe behalte sie bei. So wird der Nachgeborene erkennen, dass 
jede Zeit besondere und neue Kriegsgesetze, veränderte Postulate 
hat, wenn auch alle Zeiten gewisse Züge gemeinsam tragen. Und 
die heilige Scheu vor dem, was die Zunft „ewige, unveränder- 
liche* Grundgesetze der Feldherrnkunst nennt, oft in Wahrheit 
nichts als die Nutzanwendung der letzten Kriegsepoche oder gar 
nur des letzten Krieges, wird freierer, umfassenderer, natürlicherer 
Auffassung auch des zeitgenössischen Krieges weichen. 

Leise beginnt uns nun nach und nach klar zu werden, 
wie die preußischen Feldherren mit der thatsächlich vorhandenen 
Vereinigung der Kraft den getrennten Heersäulen Napoleons ge- 
genüber voraussichtlich nichts erreichen werden. Es fehlt ihnen 
eben die Erkenntnis der Lage, und begreiflich ist, dass ihnen die- 
selbe gefehlt : sie wissen ja von des Gegners Stellungen und Be- 
wegungen nichts. Die Idee allein, ihn getrennt und einzeln 
zu schlagen, bestand in den leitenden Köpfen nicht; dieselbe 
gehörte nicht zur Geistesrichtung der Zeit. Und hätte sie akade- 
misch bestanden , die Kühnheit, derselben Ausdruck zu geben, 
lebte in keinem der Höflinge, die unter den prüfenden Augen 
des Königs das Heer zu führen bestimmt waren. 

. . . touies les teures inierceptees disettt que la consternation 
est ä Erfurt, ou se irouvent encore le Rot, la Reine, le duc de 
Brunswick, et qu*on discute sur le parti ä prendre sans pouvoir 
s'accorder . . . verkündet in seinem 3. Bulletin Napoleon an 
diesem Tage der großen Armee. Er weiß : wohl haben Eugen 
und Marlborough vor ihren größten Siegen Kriegsrath abgehalten ; 
erinnert sich, dass er selbst ehedem zu solchen seine Zuflucht 



Digitized by VjOOQIC 



— !42 - 

nehmen musste, um wenige Stunden darauf von Erfolg zu Erfolg 
zu eilen. Warum erblickt er nun in seines Gegners Conferen- 
zen die Bahn, die zum Verderben führen muss?*) 

Es ist dies ein der eigenthümlichsten Probleme der Kriegs- 
psychologie. Er weiß eben, dass seine Gegner Kriegs- 
rath halten, erkennt ode r weni gsten s ahnt, was 
ihre Beschlüsse sind; nach diesen kann er seine Ent- 
schließungen thun. Das bloße Bewusstsein, dem Gegner in 
die Karten zu sehen, die Kunde allein, er schwanke und be- 
stimme seine Entschlüsse auf jenem Wege der Mehrheit, von dem 
man sagt, dass er zum Unsinn führt, verzehnfacht die Stärke 
dessen, der sich als Stärkerer fühlt. 

Indessen ist diese Potenz auf den Kriegsplänen bildlich dar- 
zustellen nicht wohl möglich. 



Der 13. October. 

Wir haben das deutsche Hauptquartier verlassen^ als es, 
die niederschlagende Kunde von der Umgehung vernehmend, 
sich zu Conferenzen rüstete. Die Mitglieder dieser Conferenz 
traten nun mit scharf einander entgegenstehenden Meinungen 
hervor. Besonders Scharnhorst vertrat heftig seine Meinung, die 
dahin ging , man solle nur ruhig links der Saale bleiben, um 
Napoleons AngrifiF auf sich zu ziehen und sollte er diesen nicht 
thun, ihm in die Flanke fallen. Indessen überwog die Meinung 
des Herzogs diesesmal, und es kam, allerdings nach langen Pour- 
parlers, um 10 Uhr morgens des 13. October zu folgenden Ent- 
schließungen: 

Man wolle sich an die Elbe ziehen und nach Vereinigung 
mit dem Reservecorps des Herzog Eugen von Württemberg in 
einer Stellung mit senkrechter Rückzugslinie die Entscheidungs- 
schlacht erwarten. Daher marschiert die Hauptarmee am 13. links 
ab nach Auerstädt; am 14., nachdem der Pass von Kosen ge- 
sichert wurde, marschiert sie weiter nach Freiburg ab, passiert 
hier die Unstrut und bezieht auf den Höhen des nördlichen 



*) Wir wissen sehr wohl, dass viele Stellen in Napoleons Bulletins nicht ernst ge- 
nommen werden dürfen; hier jedoch lassen die Quellen erkennen, dass der Kaiser thatsfich- 
lich solche Nachrichten empfangen hat. 



Digitized by VjOOQIC 



- 143 - 

Ufers eine Stellung, Front nach Süden; Graf Kaikreuth mit den 
Reservedivisionen passiert die Unstrut bei Laucha, worauf er 
gleichfalls Stellung nimmt; Rüchel rückt in die von der Haupt- 
armee verlassene Position ostwärts Weimar; der Herzog von 
Weimar wird Stellung nehmen und Verbindung herstellen zwischen 
Rüchel und Hohenlohe, welch letzterer bis auf weiteres bei Jena 
bleibt und die Saaleübergänge bis Naumburg abwärts deckt; 
sobald Hohenlohe und Weimar vereinigt sind, zieht sich dieser 
Heerestheil — vorausgesetzt, dass die Hauptarmee bereits ge- 
sichert vor einem Anfall während des Marsches ist — ihr nach 
und nördlich ab. 

Wir sehen somit: Die Deutschen glauben einen parallelen 
Rückzug anzutreten, und in Wahrheit begannen sie einen Flanken- 
marsch. Urplötzlich war die oberste Heeresleitung von der An- 
schauung durchdrungen, die Saale, die man selbst zu über- 
schreiten sich vorher die Fähigkeit nicht zuerkannt, von 
der man bis nunzu erwartete, Napoleon werde über dieselbe gehen 
oder habe dies bereits zum Theile schon gethan, werde infolge 
der örtlichen Schwierigkeiten, die jeder ihrer Übergänge bot, mit 
geringer Truppenkraft und lediglich defensiv verfahrend, leicht 
zu vertheidigen sein. 

Infolge der Schwerfälligkeit des deutschen Befehlsmechanismus 
begann der Abmarsch erst kurz vor der Mittagsstunde. 

Dem Fürsten zu Hohenlohe ward am Morgen dieses Tages, 
als er noch im Bette lag, eine ganz eigene Überraschung zu- 
theil; General von Zetzschwitz, Commandant der Sachsen, ließ, 
erbost über die Zurücksetzung der kurfürstlichen Truppen in 
Dingen der Verpflegung, seinen Entschluss erklären, falls seine 
Truppen nicht noch an diesem Tage Brot erhielten, auf Dresden 
zurückgehen , mithin sich von den bisherigen Alliierten trennen 
zu wollen. Mit Mühe nur beschwor Hohenlohe diesen Schritt, 
der von unberechenbaren Folgen, wie er sich eingestand, sein 
hätte können. 

Wir erinnern uns, dass Tauentzien die Saaleübergänge auf- 
gegeben und sich in eine Stellung nördlich und westlich Jena zurück- 
gezogen hatte ; ein Bataillon von ihm stand auf dem Landgrafen- 
berg. Vortruppen von Lannes, welche inzwischen Jena passiert 
und deren Führer sogleich die Nothwendigkeit erkannt hatte, die 



Digitized by VjOOQIC 



— 144 — 

jenseitigen Höhen zu gewinnen, griffen Tauentzien auf diesem 
Berge an. Wenngleich dies mit geringen Kräften und lau geschah, 
sah sich der General doch veranlasst, Hohenlohe um Unter- 
stützung zu bitten; und solche gewährte der Fürst Mit zum Theil 
sich freiwillig meldenden Leuten kam er heran und rüstete sich 
eben zum Angriff auf die schwache französische Macht, als sein 
Generalstabschef, der, wie wir wissen, in's Hauptquartier beschieden 
worden war, mit den Conferenzbeschlüssen zurückerschien. 
Sogleich nahm der Oberst v. Massenbach Hohenlohe bei Seite, 
sprach eindringlich mit ihm und die Folge hievon war, dass die 
eben in's Auge gefasste Offensive unterblieb. Aus der Summe 
alles dessen, was über die Instructionen, deren Träger Massen- 
bach gewesen, behauptet und gestritten worden ist, geht als 
Thatsache hervor: Braunschweig weist den Fürsten an, die Saale- 
übergänge nördlich Jena um jeden Preis zu halten, doch solle er 
sich, so wird ihm eingeschärft, in keinen ernsten Kampf ver- 
wickeln lassen. Anzunehmen ist, dass der Fürst durch Massen- 
bach genau von der eingebildeten strategischen Lage und der 
Tendenz des Hauptquartiers unterrichtet worden ist, deren große 
Züge in dem obigen Befehl erkennbar sind. Es lag dem Fürsten 
ob, den Abmarsch der Hauptarmee zu decken, ohne ein erheb- 
liches Gefecht zu engagieren. Überraschend wirkt es, nach der 
vor wenig Tagen noch bethätigten Selbstthätigkeitsmanie des 
Fürsten, dass er jetzt auf einmal dem Buchstaben des Befehles 
kritiklos folgt; um ein ernsthaftes Gefecht zu vermeiden, zieht er 
seine Truppen vom Landgrafenberge zurück, und begibt sich 
somit völlig der Aussicht in*s Thal und der Controle, was in dem- 
selben geschieht. Dagegen, seiner Mission, den Abzug der Haupt- 
armee zu decken, sich entsinnend, marschiert er jetzt mit einem 
verhältnismäßig schwachen Detachement nach Dornburg zur 
Sicherung der Übergänge; es hieß 12.000 Mann Franzosen hätten 
für diesen Tag dortselbst Essen besteilt, mithin stand zu erwarten, 
sie würden kommen, dasselbe zu verzehren. Nachdem nun der 
Fürst bei Dornburg und Umgebung nichts vom Feinde gefunden, 
zieht er die Truppen des Detachements zum größten Theile 
wieder vom Flusse zurück und versplittert sie in 12 verschiedene 
Cantonnements, trotz der Bedenken des Führers, Generals von 
Holzendorff; Hohenlohe hatte die Überzeugung gewonnen, das 



Digitized by VjOOQIC 



— 145 - 

Detachement stehe in den Cantonnements, die er ihm aus Rück- 
sichten der Bequemlichkeit gewährte, vollkommen sicher.*) Die 
näheren Details der Dislocation sind nicht bekannt; auch über 
die Instructionen des Detachementsführers liegt nichts eigentlich 
Positives vor. Indessen steht fest, dass die Franzosen am nächsten 
Tage die Saaleübergänge thatsächlich unbesetzt gefunden haben, 
worüber sie selbst sehr erstaunt gewesen zu sein später be- 
kannten. Es scheint somit außer allem Zweifel zu sein, dass der 
Fürst zu Hohenlohe diesmal einen gemessenen Befehl der Heeres- 
leitung, dessen Tragweite er vollkommen erkennen musste, nicht 
befolgt hat. Indessen, es steht fest, dass er an Ort und Stelle die 
Anschauung gewann, das Detachement werde, wenn auch zum 
größten Theile abseits des Flusses stehend, nichts zu befürchten 
haben; er glaubte annehmen zu können, die Anschauung, welche 
die Heeresleitung aus der Entfernung gewonnen, die Franzosen 
marschierten über Dornburg vor, sei falsch; und gewährte so 
— es werden auch noch andere, nicht überlieferte Gründe mit- 
gesprochen haben — eine Bequemlichkeit, deren Unschädlichkeit 
*ür den Zweck der Detachements ihm erwiesen schien. Sodann 
begab sich der Fürst in's Hauptquartier Capellendorf. Dort fertigte 
er einen französischen Kammerherrn ab, der mit dem bereits er- 
wähnten Briefe Napoleons auf der Suche nach dem König war. 
Rüchel meldet das Eintreffen seiner Truppen im Lager ostwärts 
Weimar; am Abend läuft ein Brief von Braunschweig beim 
Fürsten ein, in welchem erneuert auf die ungemeine Wichtigkeit 
der Übergänge zwischen Jena-Naumburg hingewiesen und die 
Vermuthung ausgesprochen wird, der Fürst könne nur ein Corps, 
das Augereaus sich gegenüber haben; indessen wusste Hohen- 
lohe schon seit nachmittag, dass Lannes und Augereau ihm 
gegenüber standen. 

Die Hauptarmee brach gegen Mittag auf, um nach Auerstädt 
zu gehen ; die Division des Generallieutenants Graf Schmettau 
bildete die Tete und sollte dieselbe, der Armee voraufgehend, 
das Brückendefile von Kosen an diesem Tage noch besetzen, 
hinter welchem dann am nächsten Morgen weiter nach Norden 
abmarschiert werden sollte. In unzweckmäßiger Weise wurden 
die Divisionen der Hauptarmee auf einer Straße in Marsch gesetzt, 

•) Reinländer, 96. 

C. von B.-K. Zur Psychologie des großen Krieges II. 



Digitized by VjOOQIC 



- 146 — 

was zu vielen Reibungen Anlass gegeben hat. In der Nähe von 
Apolda erfuhr Schmettau, französische Truppen — vom Corps 
Davouts — hätten den Pass von Kosen bereits besetzt; und 
meldet dies dem Herzog. Derselbe sah nun ein Zusammentreffen 
mit dem Gegner am nächsten Tage voraus und die Königin, 
welche die Mühsalen der Campagne bisher mit ihrem erlauchten 
Gemahl getheilt, wurde schleunigst nach Weimar zurückgesandt, 
um von da auf Umwegen nach Berlin zu gehen. Unterdessen 
wurde weitermarschiert; als Schmettau über Auerstädt glücklich 
hinausgekommen war, dachte er nicht mehr, auf Kosen vorzu- 
gehen, wie ihm dies doch stricte befohlen worden war, sondern 
lagerte nördlich der Stadt mit Vorposten bei Gernstädt. 

Die Stimmung der Armee war an diesem Tage im großen 
Ganzen gut. Als aber wiederum die Verpflegung auf sich warten 
ließ, geschahen abends im Hauptquartier des Königs, in Auerstädt, 
und unter dessen Augen gröbliche Excesse. 

Die Stellung der Truppen war wie folgt: Die Masse der 
Hauptarmee stand südlich Auerstädt, die Division Schmettau nörd- 
lich der Stadt ; Hohenlohe steht nördlich der Straße Jena- Weimar 
von Jena (Landgrafenberg) bis Capellendorf vertheilt ; das Detache- 
ment Holtzendorf westlich Camburg-Dornburg mit schwachen Ca- 
valleriepikets an den Übergängen. Rüchel hat die frühere Stellung 
der Hauptarmee Weimar - Umpferstädt inne und ist bereit, sich 
Hohenlohe anzuschließen ; General von Winning stand vorwärts 
Eisenach, der Herzog von Weimar ist an diesem Tage, trotz der 
Befehle , die ihn zur Eile mahnten , erst bis Ilmenau ge- 
kommen. 

Wir kennen die Tendenz der obersten Heeresleitung; sie 
stand darauf, sich der drohenden Umgehung durch den Abmarsch 
nach Norden zu entziehen. Wie weit die Umgehung und mit 
welcher Macht dieselbe vorgeschritten sei, wusste man nicht an- 
nähernd genau; allein es ergibt sich als gewiss, dass man die 
größte Furcht vor einem Durchbrechen Napoleons bei Camburg- 
Dornburg hegte, während man bei Kosen sowohl als Jena nur 
secundäre Kräfte des Gegners annahm. 

Wenden wir uns nun zu Napoleon, um zu sehen, inwie- 
weit die Auffassung der deutschen Heeresleitung von ihrer Lage 
der Wirklichkeit entsprach. 



Digitized by VjOOQIC 



— 147 — 

Der Kaiser hatte die Hauptmacht des Feindes als bei Erfurt 
stehend angenommen ; aus welchen Nachrichten er diese Ansicht 
zog, ist nicht mehr festzustellen ; genug, er nahm ein solches an. 
Was gedachte er zu thun? . . . mon intention est de mar eher 
droit ä Vennemi . . . schreibt er um 7 Uhr morgens des 13. Oc- 
tober an den Großherzog von Berg. Dies bedingt — wie ersicht- 
lich — in Verfolg der schon begonnenen Linksschwenkung der 
Armee einen Übergang über die Saale. Da nun die Corps seit 
sechs Tagen .mindestens und ununterbrochen im Marsche sind, 
da manches noch für die Entscheidungsschlacht vorzubereiten 
sein mag, so bestimmt der Kaiser den 13. October als allge- 
meinen Ruhetag, indem er am 16. jenseits Weimar anzugreifen 
gedenkt Doch sendet er eine Anzahl von Ordonnanzofficieren 
an die der Saale zunächst stehenden Marschälle, um Nachrichten 
zurückzubringen, und er selbst gedenkt in den ersten Nachmittags- 
stunden in Jena zu sein, um mit eigenen Augen zu sehen. 

Da erhält der Kaiser zu Gera um 9 Uhr vormittags Nach- 
richten, die seine Auffassung von der Lage plötzlich völlig verän- 
dern; welcher Art diese Nachrichten waren, ist gleichfalls nicht mehr 
bekannt; wichtig und zutreffend genug müssen sie indess ge- 
wesen sein: . . . enfin le volle est dechire; Vennemi commence 
sa retraite sur Magdeburg .... schreibt er unverzüglich an 
Murat, welchen er anweist, sofort auf Dornburg mit der Reserve- 
reiterei und dem I. Corps zur eventuellen Unterstützung von 
Lannes vorzugehen. Die noch südlich Auma befindlichen Reiter- 
divisionen werden auf Roda dirigiert; ebendahin soll sofort die 
Garde und ein Theil des Soult' sehen Corps von Gera aus auf- 
brechen. Eine Stunde, nachdem der Kaiser die neue Wendung 
der Dinge überschaut, gibt er im 4. Bulletin seiner Gewissheit des 
Sieges ohne Rückhalt sehr beredten Ausdruck: V anniversaire des 
affaires d'Ulm sera celehre dans Vhistoire de France, 

Interessant ist bei alledem, dass Napoleon den Feind bereits 
im Rückzug glaubt, während er es doch noch gar nicht ist ; um 
9 Uhr morgens war man mit den Conferenzen im deutschen 
Hauptquartier noch kaum zu Ende und Truppenbewegungen 
waren noch keine erfolgt. Man kann, wie es geschehen ist, 
Napoleons Ausdrucks weise für unbewusst übertrieben halten ; er 
habe nur sagen wollen, der Feind wolle oder werde auf Magde- 

10' 



Digitized by VjOOQIC 



— 148 - 

bürg gehen. Gut denn ! Aber wie hatte der Kaiser auch nur von 
der Absicht des Rückzugs erfahren? Erst in den frühen Morgen- 
stunden des 13. gedieh man zu derselben ; und Zeit und Raum 
in's Auge gefasst, so kann man durchaus nicht glauben, eine 
Nachricht davon hätte Napoleon schon vor 9 Uhr erreichen 
können. Nochmals, das Material an Nachrichten, das der Kaiser 
empfing, ist uns hier nicht erhalten; möge man daher immerhin 
annehmen, er habe die Nachricht vom Abzüge des Gegners 
schon früher empfangen, als jener die Absicht zu demselben 
überhaupt gefasst. Aber alles dies sind nur vage Conjecturen: 
wie und welche Aufschlüsse der Kaiser erhielt, weiß man nicht 
mehr ; es scheint physisch unmöglich, dass er richtige Nachrichten 
zu dieser Zeit — 9 Uhr — erhalten haben kann. So bleibt nichts 
übrig als zu glauben, das Geschick habe ihn, indem es ihn 
täuschte, auf die richtige Fährte gefuhrt ; oder er sei allwissend 
gewesen. Beides ist nicht recht ernst genug. Begnügen wir uns 
mit dem Factum. 

„Wie ein Tiger stürzt er auf die Beute, welche sich ihm 
zu entziehen droht." *) Sogleich eilt er nach Jena voraus, um 
sich Klarheit zu verschaffen. Auf dem Wege dahin sendet er 
Befehl auf Befehl an seine Marschälle zur Beschleunigung des 
Marsches an die Saale. Gegen vier Uhr nachmittags erreicht der 
Kaiser Jena und nun erkennt er, wie uns berichtet wird, die 
exponierte Lage des V. Corps, als er von der Höhe des Land- 
grafenberges, den er sofort ersteigt, das Hohenlohe'sche Lager 
über den Kirchthurm von Cospeda hinweg erblickt. Sofort ergeht 
der Befehl : das ganze Corps Lannes habe die Höhe zu besetzen. 
Persönlich hebt der Kaiser durch sein Eingreifen die Schwierigkeit, 
Artillerie heraufzubringen, und als er die Position für haltbar 
erkennt, beschließt er, es für den nächsten Tag auf eine Ent- 
scheidung ankommen zu lassen. Auf der Höhe schlägt er sein 
Zelt unter den Grenadieren des 40. Regiments auf, um die Nacht 
zu verbringen, in der er, von Schlaflosigkeit gequält, ein paar- 
mal sich erhebt, um durch das Lager und die Vorpostenlinie 
zu gehen. 

An Davout ergeht der Befehl, über Apolda in den Rücken 
des Feindes am nächsten Tage zu marschieren, während Napoleon 

•) V. Lettow-Vorbeck, I, 305. 



Digitized by VjOOQIC 



— 149 — ^ 



Murat und Bernadotte, den ihnen gesandten Befehlen gemäß, bei 
Domburg befindlich glaubt. 

Lannes war, wie wir aus dem Gefecht am Landgrafenberge 
bereits gesehen haben, an diesem Tage auf Jena vorgegangen; 
jetzt, in der Nacht, hat er mit seinen Truppen die Höhe im Be- 
sitz ; Augereau ist dem V. Corps gefolgt und steht nun zwischen 
Jena-Lichtenhayn, Vortruppen bis Magdala : Ney hatte sich infolge 
eines Umweges verspätet und verbrachte die Nacht bei Roda; 
die von Gera abmarschierten Truppen waren nicht gleichzeitig 
aufgebrochen und so traf in der Nacht die Garde noch am 
Landgrafenberg, die Division St. Hilaire vom IV. Corps bei 
Wenigenjena ein, während der Rest des Corps beim Kloster 
Lausnitz blieb. Auf dem rechten Flügel stand Davout zwischen 
Naumburg-Kösen, Murat marschierte während der Nacht des 13./14. 
mit seinen Reiterdivisionen auf Dornburg-Camburg vor, und Ber- 
nadotte hatte sich nach einigem Schwanken, ob er sich nicht 
Davout anschließen solle, um 4 Uhr morgens des 14. October 
gleichfalls auf die Saaleübergänge in Marsch gesetzt. 

Wir kennen die leitende Idee des Kaisers; vom Landgrafen- 
berge aus glaubt er vor sich die Hauptmacht des Gegners — 
wenn auch nicht unmittelbar und versammelt — zu haben; und 
beschließt, dieselbe anzugreifen, indem er alle Truppen, die auf 
einem weiten Bogen zerstreut sind, concentrisch und so rasch 
als möglich auf die Wahlstatt ruft; und die Marschälle th eilen 
seine Idee; selbst Davout, der am Abend des 13. schon — aller- 
dings ohne es zu wissen — der ganzen preußischen Hauptarmee 
gegenübersteht, gedenkt am nächsten Tage in des Feindes Rücken 
vorzugehen. 

Außerordentlich ist das militärische Bild, welches dieser 
Tag uns zeigt, und höchst auffallend die Lage, zu der die Be- 
wegungen hüben wie drüben geführt. 

Napoleon vernimmt davon, dass die preußische Armee aus 
der Stellung von Erfurt, wie er wähnt, nach Norden abzuziehen 
ini Begriffe sei; sofort beherrscht ihn nur mehr der Gedanke, 
ibr gerade auf den Leib zu gehen; unbedenklich setzt er alle 
seine Corps auf die Saaleübergänge in Marsch, um vor allem 
diese Schranke hinwegzuräumen, die zwischen ihm und dem 
Gegner liegt; er schlägt die Entfernung seines rechten Flügels, die 



Digitized by VjOOQIC 



'— 150 



Schwierigkeit des Überganges, für nicht viel an, und an eine 
„Parallelverfolgung", um sich dem Gegner weiter nördlich vor- 
zulegen, denkt er keinen Augenblick. Was jenseits der Saale vor- 
geht, weiß er annoch nicht und so eilt er persönlich hinüber, 
um es zu sehen. Als er den Gegner — dessen Stärke ihm zu 
erkennen nicht möglich ist — gewahr geworden ist, beschließt er, 
trotz der materiellen Schwierigkeit der Lage (seine Kräfte sind 
ja noch weit zurück und zerstreut, das Terrain für den Kampf 
selbst muss erst erobert werden, Defile im Rücken) unbedenklich 
zum Entscheidungskampf. Alles, was er an Truppen verfügbar 
hat, soll zu demselben herangezogen werden. 

Lebhaft und unerwartet ist die Bewegung, die sich auf 
deutscher Seite vollzieht. Die Armee, kaum versammelt, wird 
erneuert getheilt und soll der ansehnlichere Theil vorläufig von 
dannen ziehen, während der geringere Rest diesen Abzug deckt, 
um sodann zu folgen. Eine Masse von Papier und Tinte ist ver- 
wendet worden, um die Frage zu entscheiden, ob es nicht besser 
für das Heer gewesen wäre, ruhig stehen zu bleiben, um, durch 
die Vortheile des Terrains geschützt, den Angriff Napoleons 
festen Blickes zu erwarten. Man muss zugestehen: Ja; wenn 
man erwägt, dass es auch in diesem Falle kaum 
übler ausgehen hätte können, als dies th-atsäch- 
lich geschah; aber müßig erscheint dieser Streit aus folgenden 
einfachen Gründen : Als die Besetzung Naumburgs im preußischen 
Hauptquartier bekannt geworden war, bedeutete dies nichts 
geringeres als die Überzeugung, Napoleon habe die Flanken- 
stellung, die einzunehmen man sich so gewünscht, einfach nicht 
„honoriert". Man denke sich, was das für Friedrich Wilhelm IIL 
bedeuten musste, wenn er vernahm, der Gegner lasse ihn und 
sein Heer, geringschätzig sozusagen, bei Seite liegen, um mit 
der rohen Masse seine Kräfte auf jene ehrwürdigen Provinzen 
selber loszugehen, denen eben das Heer den Krieg ersparen 
sollte. Noch kannte man damals und zumal in Preußen die 
Rücksichtslosigkeit nicht, die ein Souverän mit dem ersten 
Tage der Campagne auch dem eigenen Land entgegen bringen 
muss. Wie ein durch die Tradition geheiligtes Ding erschien der 
Staat Friedrichs des Großen, und dass er das Object von Kriegs- 
operationen würde, erschien unerhört. Wahrlich, es genügt ein 



Digitized by VjOOQIC 



— 151 — 

geringes Maß an historischem Instinkt, um das verzweiflungs- 
volle Nachjagen der preußischen Armee, als sie erfuhr, der Gegner 
sei an ihr vorbeigegangen, völlig zu erklären. Man hat im nach- 
hinein gleichfalls die Frage aufgeworfen, warum denn die 
preußische Macht, sobald sie sich umgangen sah, nicht schnur- 
gerade über die Saale in des Gegners Rücken vorgegangen ist, 
um ihn so selber zu umgehen? Viel Scharfsinn wurde aufgeboten, 
um darzuthun , dass dies materiell und physisch that- 
sächlich möglich war. Allein die Quellen zeigen zur Genüge, 
dass man es im deutschen Hauptquartier materiell und phy- 
sisch nicht für möglich hielt. Dieselben Übergänge, die 
Napoleon anstandslos benützt, glaubten die preußischen Führer 
nicht benützen zu können. Wieder schwelgt die rein militärische 
Kritik allhier in jenem Selbstgefühl, welches die Kenntnis der 
Thatsachen, der Zeiten und der Räume, man möchte sagen, der 
Statistik des Krieges erzeugt. Nun denke man aber ein wenig 
an jene Zeit zurück. Braunschweig beherrschte, man sage was 
man wolle, der Wunsch vereint zu stehen; Hohenlohe war, er- 
schreckend vor der Größe der Verantwortung, auf den Wunsch 
des Herzogs vom rechten an's linke Ufer gegangen, indem er 
selbst widerstrebte und dazu noch die widerstrebenden Sachsen 
nach sich zog. Nun sollte man, im Drange der Gefahr, neuer- 
dings über die Saale gehen? Wahrhaftig, man musste fühlen, die 
Truppen hätten den Führern in's Gesicht gelacht; schon tagelang 
vorher hatten sie nicht übel Lust gehabt, solches zu thun. Doch 
weiter: man kannte nicht die Stellungen und Marschlinien des 
Gegners, man ahnte nicht wie stark er sei; sobald die Gefahr 
erscheint, ist man geneigt, den Gegner zu überschätzen; und 
kommt der Drang der Zeit hinzu, so wird und muss ein Greis, 
der der taktischen Verlässlichkeit seiner Kriegsmittel nicht 
allzusehr und der Größe der Verantwortung nur allzusehr 
sich bewusst ist, den Weg der Vorsicht wählen. Selbst heute, 
stellen wir uns den jüngsten, kühnsten Führer vor, wird 
derselbe, wenn er vor die Wahl gestellt wird zwecks entschei- 
denden Schiagens Defileen, von denen er hört, sie seien zum 
Theile bereits vom Gegner besetzt oder könnten es auf ja und 
nein sein, mit stürmender Hand zu nehmen, um sodann in's 
Unbekannte zu debouchieren, in's Ungewisse sich zu entwickeln. 



Digitized by VjOOQIC 



- 152 — 

in's Undurchforschte aufzumarschieren, sich leichtlich zu diesem 
entschließen ? Denn dies war und nichts anderes die Lage. Mili- 
tärische Kritik wird meistens so gemacht: der Autor, das 
mechanische rein physisch betrachtend, sucht die 
glänzendste, die schönste, die kühnste Combina- 
tion, die er nur immer zu finden weiß, hervor, und 
voll des Glaubens, er hätte die Stärke des Charak- 
ters, sie auch zurThatzu machen, vollauf gehabt, 
stellt er sie hin als das, was zu thun war; der Leser, 
bestochen von der zweifellosen Richtigkeit der mechanischen Com- 
bination, mitfühlend und sich selbst natürlich zuerkennend die 
Charakterstärke, deren die Ausführung bedurfte, stimmt fast stets 
geschmeichelt und befriedigt zu. Dies verwirrt das Urtheil des- 
jenigen, der den Krieg studiert, er wird ihn an der Hand rein 
militärischer Kritik niemals verstehen ; denn diese gibt uns Ideale, 
die erwiesenermaßen nicht und nie erreicht worden sind ; während 
sie vielmehr das zeigen und erklären soll, was die handeln- 
den Personen jeder Epoche mit bestem Willen und 
ihren Fähigkeiten zustande gebracht und das, 
was sie nicht vermocht haben. Zweifellos ist, dass die 
preußische Armee am 13. noch übergehen konnte; dahingestellt 
möge bleiben, wohin diese Maßregel geführt. Aber man frage 
sich, ob die preußischen Führer als Charaktere, ob sie 
auf Grund ihrer Anschauung vom Kriege, vornehmlich ihrer 
Kenntnis der strategischen Figur des Gegners 
wie sie eben war, ihrer Beziehungen zum Monarchen 
und untereinander, endlich, und dies keineswegs in letzter 
Linie wohl überhaupt imstande waren, jenen Ent- 
schluss zu fassen? Die Antwort scheint zu lauten: Nein. Als 
Charaktere muss man sie zum Durchschnitt rechnen, der zu jeder 
Epoche gerade soviel und keinen Deut mehr Kraft und Kenntnis 
bewährt, als die harmlose Vergangenheit begehrte. Die Anschau- 
ung vom Kriege verbot die ganze Operation allein schon aus 
technischen Gründen — Schwierigkeit des Ueberganges — ; die 
Kenntnis von der Lage des Gegners lud zu einer so gewagten 
Maßregel keineswegs ein ; denn im Grunde wusste man gar nicht 
recht, wo die französische Hauptkraft sei ; und will man einen 
Fluss überschreiten, so ist die Nachricht von der Kraftvertheilung 



Digitized by VjOOQIC 



- 153 - 

des Gegners am andern Ufer wohl in der Regel conditio sine qua 
non. Der Geist der alten Monarchie erlaubte es 
nicht, den Monarchen hinter dem Feinde in seine 
Staaten zurückzuführen; mit heißer Sehnsucht musste 
des Königs Auge auf Berlin gerichtet sein, indem er ahnen konnte, 
bald werde er in seiner Hauptstadt nöthig sein ! 

Dies scheint, wenn man versucht, sich auf den Boden jener 
Zeit zu stellen, das Resultat zu sein. Rein militärisch war 
das Thun des 13. October ganz zweifellos ein großer Fehler; 
denn die Theilung der Kraft, wo man erwarten konnte — wollte 
man nicht allzu optimistisch sein und glauben, Napoleons Um- 
gehung sei lediglich Manöver und schlagen wolle er nicht — an- 
gegriffen zu werden; die ganze Idee des parallelen Rückzuges, 
der an den Verzögerungen durch Hohenlohes Aufnahmsstellung 
und der offenbaren Inferiorität der preußisch-sächsischen Truppen 
in der Technik des Marschierens allein schon scheitern musste, 
mithin bereits an Raum und Zeitverhältnissen fehlschlug: können 
an der Hand unserer heutigen Anschauung vom 
Kriege beliebig zerfasert und verurtheilt werden. Kriegs- 
historisch verstehen wir dieses Thun jedoch bis zu dem 
Grade, dass wir davon durchdrungen sind, es konnte nicht anders 
sein; unter den vorhandenen Verhältnissen, werde hinzugefügt; 
diese also sind die wahren, eigentlichen Fehler und die schlechte 
Beschaffenheit des militärischen Entschlusses ging nothwendig 
aus ihnen hervor. So muss die Kriegsgeschichte, wenn sie be- 
lehren will, den Dingen auf den Grund beständig gehen ; nicht 
richtig ist, wenn man uns Braunschweigs Thun mit überlegener 
Miene als Aberwitz und Thorheit malt ; denn dass es solche war, 
beweist man einzig durch den Misserfolg, der jenem folgte. Wer, 
kriegshistorischer Erfahrung und Erkenntnis voll, nachmals im 
Kriege Entschlüsse fassen soll, kennt ja den zukünftigen 
Ausgang nicht, auf welchem stets und immerdar 
das Urtheil der Geschichte fußt. 

Betrachten wir nun die beiden strategischen Figuren am 
Abend dieses Tages, so ist — erstaunlich scheint es wohl zu 
sein — der Ausgang in. Ziffern und Zahlen noch keineswegs 
vorauszusehen ; nur die Contraste der Tendenz auf beiden Seiten 
laden uns ein, für die Verbündeten den Misserfolg zu wittern ; 



Digitized by VjOOQIC 



- 154 — 

denn der Rückzug ist doch schon an sich der Keim des Miss- 
erfolges, wenn, wie es hier geschieht, er mangels eines 
Bessern angetreten wird ; doch das erste sind die Macht-, Zeit- 
und Raumverhältnisse im Kriege; halten wir uns concret an 
die. Hohenlohe sehen wir bei Jena in einer Position und Stärke, 
die es ihm — rein militärisch genommen — wahrlich erlaubt, 
seinen Zweck, Deckung des Abzuges der Hauptarmee, Punkt für 
Punkt zu erfüllen. Bei Kosen sehen wir, wie Davout der nahezu 
doppelten Überlegenheit des Herzogs gegenübersteht, mit dem er 
— sowie wir seine Weisungen für morgen kennen — unfehlbar 
zusammenstoßen muss. Befremdlich ist und bleibt uns Nach- 
geborenen, trotz allen Bemühens, uns in Hohenlohes Lage hinein- 
zudenken, wie er die Saaleübergänge, die ausgiebig zu besetzen 
er angewiesen war, ganz unzulänglich mit Truppen versah. Ab- 
gesehen von der früher berichteten falschen Anschauung des 
Fürsten über die strategische Lage erinnere man sich, dass die 
preußischen Führer einen Saaleübergang für schwierig und 
bedenklich hielten; dasselbe, erwartete plötzlich Hohenlohe, 
werde der Gegner thun, da man ja eben erfahren hatte, dass er zu 
umgehen begann! Es erfordert in der That viel Vorurtheilslosig- 
keit, dem Gegner eben das zuzutrauen, was wir zu unternehmen 
nicht in der Lage sind, oder vielmehr nicht imstande zu 
sein glauben; diese Vorurtheilslosigkeit scheint der Fürst — 
ein Soldat des XVIII. Jahrhunderts — nicht besessen zu haben. 
Dass überhaupt von Vorurtheilslosigkeit nicht allzuviel in ihm 
lebte, bewies sein williges und blindes Folgen jenem Befehl, der 
ihm ein ernsthaftes Gefecht zu vermeiden vorschrieb, eben als er 
ein solches mit Aussicht aufs Gelingen begann. Allein, wer weiß, 
welche Spuren unangenehmer Erinnerung die Emancipations- 
versuche Hohenlohes vom Beginne des Krieges in seiner Seele 
zurückgelassen hatten ? Man entsinne sich, dass er Plane gehegt, 
die von der Heeresleitung nicht gutgeheißen worden waren und 
auf die er bedauernd Verzicht geleistet hat. Sehr 
bald kommt, zumal für eine einigermaßen selbst- 
bewusste Natur, der Moment, wo sie, der Repri- 
manden überdrüssig, sich aus persönlicher Be- 
rechnung an den Wortlaut des Befehles hält, um 
gedeckt in jedem Fall zu sein. Es scheint, ein ähnlicher Wandel 



Digitized by VjOOQIC 



— 155 — 

sei in Hohenlohe damals erfolgt. Denn wie reimt sich sonst der 
nur zu selbstthätige Führer von neulich mit dem willenlosen 
"Werkzeuge von jetzt zusammen? Accidentiell sind ent- 
scheidende Entschließungen der Feldherren fast 
nie; widersprechen sie sich, so liegt der Grund 
verborgen, doch da muss er sein ; und wo Contraste ent- 
stehen , muss eine Brücke vorhanden sein , die uns von einem 
Extrem erklärend zum anderen führt. Es mag somit sein, dass 
Hohenlohe jetzt, da er eine ganz bestimmte Weisung kategorisch 
erhält, in dem Gehorsam sich selbst übertreffen zu müssen glaubte, 
da er durch die frühere Selbstthätigkeit zu keinem Erfolge gedieh. 
Spuren von Cberdrüssigkeit und Indifferentismus mögen in jenem 
Augenblicke in der Seele des Feldherrn wachgeworden sein ; 
ganz gut verstehen wir es, wie er das Gefecht, dessen Früchte 
er auch bei glücklichem Erfolge nicht nahe und verlockend genug 
absah, willig vermied. 

Aber eine gewisse leise Scheu, an den Gegner heranzu- 
gehen, ist gleichwohl auf deutscher Seite nicht zu verkennen. Han- 
delte Hohenlohe noch zum Theil im Sinne seiner Instruction, so 
that dies Schmettau bei Auerstädt nicht, sondern vielmehr das 
Gegen theil ; und es ist kein Beweis zu finden, dass dies noth- 
wendig gewesen, ja auch nur nothwendig oder nur angemessen 
erschienen sei. Übler Wille kann bei Schmettau füglich nicht ange- 
nommen werden ; Mangel an Energie mag die Ursache seiner Unter- 
lassung gewesen sein. Allein man handelt einem gemessenen Be- 
fehle nicht entgegen, ohne einen Scheingrund mindestens. Einen 
solchen bietet gar oft Mangel an Er kennt n is dar. 
Nicht zu leugnen ist, dass, wie Hohenlohe dort, Schmettau hier 
den Wert der Uebergänge nicht erkannte. Jedoch — nochmals 
— für Preußens Heer nahm man sie als „unpraktikabel" an ; und 
dasselbe glaubte man, werde der Gegner thun. Der Glaube an die 
Stärke des Locals an sich und die Meinung von seiner Wirkungs- 
fähigkeit auf die Kriegsoperation sind stets und immerdar 
Zeichen einer verderbten Anschauung vom Kriege; haben doch 
gerade die Meister im Ueberwinden der größten materiellen Schwie- 
rigkeiten uns gezeigt, wie unabhängig von der Örtlichkeit der 
Krieg zu machen sei. Noch hervorzuheben ist, dass die Taktik 
der preußischen Truppen zum Festhalten von Defileen, zum Stehen 



Digitized by VjOOQIC 



- 156 ~ 

in coupiertem und schwierigem Terrain ganz offenbar nicht taugte. 
Stets finden wir, wie die Generale die Ebene, den freien Raum 
aufsuchen, um einen unzugänglichen Ort mittelbar zu decken. 
Es hat dieser Umstand auf Schmettau am 13. abends offenbar 
mit eingewirkt. Der offenbare Ungehorsam von selten eines Ge- 
nerals — wenn wir füglich einen solchen trotzdem gelten lassen 
wollen — würde darauf schließen lassen, die Disciplin der Führer 
habe dazumal nach oben beständig abgenommen ; wenn dies 
nicht schon an anderen Orten genügend überliefert wäre. 

Gleichwohl — aus der strategischen Figur, wie uns die 
Kriegskarte solche fixiert, aus der Stellung, Zahl und sogar der 
Bestimmung der beiderseitigen Heeresiheile kann ein mit sich auf- 
richtiger Geist jetzt, am Abend des 13. October — wenn er von 
dem Contraste „Offensive-Defensive", dessen Prüfstein erst 
die taktische Entscheidung sein kann, absieht — 
nicht entfernt erkennen, wie sich wohl der Ausgang gestalte ; s o w i e 
er es beispielsweise aus der Kri egskarte vonUlm, 
oder aus dervonMontenotte-Millesimo-Degoauf 
den ersten Blick vermag. 

Die Ueberlegenheit *) Napoleons ist am Abend vor der 
Schlacht mit dem allerbesten Willen graphisch nicht zum Aus- 
drucke zu bringen; und am Morgen dieses Tages hatte er sieges- 
bewusst und siegessicher sich derselben gerühmt. Wir erinnern 
uns einer Stelle seiner Correspondenz, wo er die Absicht äußert, 
den Gegner seinerseits mit doppelten Kräften anzufallen, er stelle 
sich ihm, wo er wolle, zur Schlacht. Was ist von dieser Zahl- 
überlegenheit voriäufig zu sehen ? Wo sind die Vortheile, die dem 
Kaiser das Terrain, das er selbst zum Schlagen gewählt, gewährt, 
wo die doch geradezu typische Napoleon'sche Versammlung der 



*) Nach den maßgebenden Berechnungen von v. Lettow- Vorbeck stehen am Abend 
des 13. October: bei Jena auf annähernd gleichen Räumen von dieser Stadt 55.000 Preuften, 
die lediglich defensiv agieren sollen, gegen 65.000 Franzosen, die heranmarschieren, so- 
weit sie nicht schon an Ort und Stelle sind. (Lannes und Augereau ca. 37.000 Mann); bei 
Auerstädt 50.000 Preußen gegen höchstens 50.000 Franzosen (Davout, Bemadotte, Murat) 
bei Naumburg, von denen 2 Heerestheile, Bernadotte und Nfurat, auf Domburg-Camburg gehen 
sollen, mithin wegen Raum und Zeit zur Schhicht bei Jena stets verspätet ankommen müssen, 
so dass hier nur Davout mit ca. 27.000 verbleibt. Zu einer Schlacht kann daher Preufien am 
Vormittage ca. 100.000 Mann gegen etwa 90.000 im besten Fall des Gegners stellen. Sehr ver- 
schiebt sich das Verhältnis, wenn man erwägt, was von den übrigen Truppen Napoleons nach- 
mittags herangekommen sein kann. 



Digitized by VjOOQIC 



- 157 — 

Kraft ? Sie kann in jedem Falle erst im Laufe des morgenden Tages 
zustande kommen, und angegriffen soll in der Frühe werden. 

Man sieht: der, welchen man den Mechaniker des Sieges, 
den Mathematiker des Erfolges genannt hat, ist, mechanisch und 
mathematisch, jetzt, am Abend des 13. October, keineswegs, und 
wird morgen in der Frühe ebensowenig seinem Gegner über- 
legen sein. 

Falls er am 14. morgens angreift, so muss er offenbar seine 
Stärke zunächst nicht in der Zahl, nicht im Terrain, denn dies 
ist bei Jena entschieden ungünstig für ihn, erblicken. 

Jedoch vergessen wir nicht, dass dem Kaiser die Daten, die 
wir heute kennen, unbekannt gewesen sind, er hat einfach ge- 
glaubt, bei Jena die Hauptmacht des Gegners vor sich zu sehen, 
und gedenkt sie, die er sich ganz ohne allen Zweifel stärker vor- 
gestellt haben muss, als sich später erwies, mit dem, was er zur 
Stelle hat, vorläufig anzugreifen. • 



Wenn man nun einen Blick auf den Charakter der Stra- 
tegie thut, wie sie in diesem Kriege bis nunzu erscheint, und sich 
bemüht, diesen Blick vorurtheilslos zu thun, so leuchtet fol- 
gendes ein : 

Napoleon greift seinen Gegner an und dieser lässt solches 
geschehen. Wohl nehmen wir auf beiden Seiten die leisen Schwan- 
kungen wahr, welche die Unklarheit und Verwirrung eines be- 
ginnenden Krieges in den Tendenzen hüben wie drüben erregt. 
Napoleon hält eine Offensive der Preußen für möglich, und auch 
diese nehmen gelegentlich an, er werde sich angreifen lassen. 
Ein himmelhoher Unterschied jedoch ist in der Art, wie das 
Ungewisse des Krieges auf jeden Gegner wirkt. Napoleon zieht 
die Möglichkeit, ja selbst die verschiedenen Formen, wie er an- 
gegriffen werde könne, ruhig und kühl in Erwägung; so lang 
er es nicht wird, gedenkt er offensiv zu bleiben. Das preußische 
Hauptquartier, des preußischen Heeres Vergangenheit gedenkend, 
beginnt mit dem Plane des Angriffs. Innere Schwierigkeiten in 
dem Mechanismus des Wehrsystems, des Heeres, der Heeres- 
bewegung hindern und hemmen denselben ; abräth von ihm eine 



Digitized by VjOOQIC 



— 158 — 

wahrhaft naive Staatspolitik, die lediglich als das Resultat persönlicher 
Stimmungen und Gefühle betrachtet werden muss ; er unterbleibt : 
von mehr als einer Seite rathen Untergebene des leitenden Feld- 
herrn stets wieder zu ihm; der Gedanke an die Offen- 
sive bleibt gleichsam latent in der thatsäch- 
lichen Inaction; denn als solche muss die Defensive der 
verbündeten Armee ganz und gar bezeichnet werden. Doch ge- 
langt die Führung endlich soweit, die Mehrzahl der verfugbaren 
Kräfte hinter einem Abschnitt zu vereinen, der alle Vortheile für 
die Defensive, aber auch nur für diese hat. 

Dies bleibt also von dem wissenschaftlichen Fluche, den 
man auf Preußens schwankende, unentschlossene Strategie lädt. 
Wenn man die Marschverluste in Abrechnung bringt, die bei einer 
Offensive der Verbündeten größer ausgefallen wären, und über 
die moralische Schädigung, die aus der Katastrophe von Saalfeld 
hervorging, — welche keineswegs in das Programm der Defen- 
sive passte und von derselben auch nicht veranlasst ward — 
hinwegsieht, so reduciert sich das Ergebnis der verpönten 
schwankenden Strategie trotz des Mangels an Einheit im Befehl, 
trotz der unzulänglichen Art, wie räumlich getrennte Führer über 
die leitenden Ideen belehrt worden sind schließlich darauf, dass 
die Armee versammelt in derFlanke eines relativ 
zerstreuten Gegners und hinter einem starken 
Fronthindernissteht. 

Die Führer nehmen an, man werde angegriffen werden: 
sie wünschen es gewissermaßen und rüsten sich zur Gegen- 
wehr. Als die Nachricht eintrifft, der Gegner gehe an der Armee 
vorbei, schneide ihr die Verbindungen ab und bedrohe direct 
einen Staatskörper, den man durch mancheriei Missgriffe gegen 
den Krieg äußerst empfindlich gemacht, beginnt man unter dem 
Drange der Umstände den Abmarsch nach Norden, um sich dem 
Gegner erneuert vorzulegen. Warum man nur an dies Manöver 
dachte und nicht daran, den Knoten zu durchhauen, das heii3t 
über die Saale offensiv zu gehen, haben wir gezeigt; man glaubte 
dazu nicht imstande zu sein. Es begibt sich somit das Heer im 
Augenblicke, da es zu schlagen gedachte, aller Vortheile, die es 
bisher aus der Versammlung und der Defensive zog, um eine 
neue Stellung aufzusuchen. Aufgibt die Führung, um den Ab- 



Digitized by VjOOQIC 



— 159 — 

marsch zu maskieren, die Versammlung der materiellen Macht, 
sie glaubt eben, hiezu gezwungen zu sein; mangelhaft wird der 
Führer belehrt, der den Abzug des größeren Theiles der Armee 
zu decken bestimmt ist, und infolge der ihm von erster Stelle aus 
nahegelegten strategischen Meinung von der Lage des Augenblicks 
unterlässt er die Sperrung des Jenadefiles, um gleich darauf trotz 
der Weisungen, die er erhielt, ein gleiches bei Dornburg zu 
thun. Gefragt muss man sich im deutschen Hauptquartier denn 
doch wohl haben, ob die Marschfähigkeit und Marschübung des 
Heeres dasselbe zu einem parallelen Rückzug Napoleon gegen- 
über überhaupt befähigte. Die Marschleistungen der großen Armee 
konnte man füglich vom Vorjahre kennen; Zahlen und Daten 
galt es zu Rathe zu ziehen, und da diese concret und allgemein 
verständlich sind, so scheint es, als ob man den Sinn, der sich 
hinter ihnen barg, denn doch auffassen hätte können. Gleich- 
wohl — wir wissen zum Theile warum — bleibt's beim parallelen 
Rückzug, und stellt sich derselbe somit als das geringere Übel 
dar, welches die verbündete Heeresleitung in ihrer Lage wählen 
zu sollen geglaubt. Es ist bekannt, wie die Anregungen zu 
OfTensivoperationen in des Feindes Flanke und Rücken zeitweilig 
zu wirklichen Versuchen geworden sind, wie Truppen infolge- 
dem entsendet worden waren, die, nicht imstande ihrer Be- 
stimmung zu entsprechen, noch nicht herangekommen sind und 
sich als Bleigewichte dem abziehenden Heere anhängen werden; 
zu deren Aufnahme ein ganzes Heer stehen bleiben muss. Stellt 
uns der Geist des Thuns vom 13. October somit einen Act der 
Rathlosigkeit, den einzigen möglichen Ausweg aus widriger Lage 
dar, so zeigt uns das Materielle, wie die Kräfte getrennt und 
die zum Schutze der abziehenden Hauptmacht aufgestellten Kräfte 
ihrer Bestimmung nicht nachgekommen sind. 

Wir haben uns bemüht zu zeigen, wie der Entschluss des 
verbündeten Hauptquartiers — auf die Nachrichten, die man vom 
Gegner hatte, gefasst und gemäß dem virtuellen Bilde der Lage 
im Auge der Heeresleitung — dieser sachlich wohl angebracht, 
das heißt, als der wenigst nachtheilige erschien; 
trotzdem man auch — rein militärisch — den Angriff über die 
Saale als das bessere Theil akademisch in Erwägung zog. Voll 
würdigen die Gründe wir, die für den Abmarsch sprachen ; und 



Digitized by VjOOQIC 



— 160 - 

die Billigkeit des Urtheils legt uns nahe, auch Hohenlohe zum 
allergrößten Theil von dem Vorwurf freizusprechen, den man 
wegen der Unterlassungssünde des 13. October wider ihn erhoben 
hat und noch immer erhebt. 

Und wirft man nun einen Blick auf die Vertheilung der 
Kräfte, wie sie am 13. Abends bestand, so ist nicht zu verkennen, 
wie schon erwähnt, dass die deutsche Sache nichts weniger 
als verderbendrohend zu stehen scheint; wirklich 
stand , wie wir's heute wissen ; der verbündeten Führung zu 
stehen schien, wie aus den Quellen hervorgeht 

Es hat also die nach rein militärischen Be- 
griffen geradezu erbärmlich schlechte Strategie 
zu einer nichts weniger als schlechten strategi- 
schen Lage am Abend des 13. October geführt, 
zu einer Lage, aus der ein mit sich aufrichtiger 
Geist den Misserfolg durchaus nicht nothwendig 
erkennt; und die deutsche Führung hielt sich 
auch nicht für unmittelbar in Gefahr. 

Was hat Napoleon gethan? Mit einem Wort: Er sucht 
ganz einfach seinen Gegner ; in den Formen, die er vornehmlich 
der Mechanik des Krieges gegeben, geht er, soweit es die 
Bewegungsfreiheit erlaubt, möglichst vereint, beiläufig in jene 
Gegend vor, wo der Gegner stehen soll, um festzustellen, wo er 
in Wahrheit sei. Die Richtung seines Marsches scheint ihm da- 
für zu bürgen, dass, wenn die preußische Armee sich nicht auf 
seinem Wege finde, die Drohung auf das Herz der Monarchie 
dieselbe auf ihn ziehen müsse; und unverzüglich soll in jedem 
Fall der Gegner, wo immer er sich zum Kampfe stelle, mit über- 
legenen Kräften angegriffen werden. 

Die Abwandlungen, welche die Auffassung des Kaisers und 
durch sie sein Thun in diesen Tagen unter dem Eindruck der 
verschiedenen Nachrichten erfuhr, haben einen reichen Stoff ge- 
liefert, an dem die Kritik ihre Kraft erprobte. Dass er sich täu- 
schen ließ, wurde dem Kaiser vorgeworfen, dass er auf Dresden 
oder Berlin statt senkrecht auf den Gegner — von welchem, er, wie 
wir wissen, bis zuletzt nichts positives wusste — ^ging, hat zu 
wissenschaftlichen Ausfallen Anlass genug gegeben. Es wäre 
zwecklos, solchen Vorwurf, den die Wissenschaft — lediglich 



Digitized by VjOOQIC 



- 161 — 

um nicht vor Bewunderung verstummen zu müssen — leicht- 
fertig erhebt, langathmig zu entkräften. Man lese aufmerksamen 
Sinnes die Details des Krieges und da findet man, wie vom An- 
fang bis nunzu der Kaiser nichts gethan, als in der ursprüng- 
lichen Richtung Berlin auf jene nahe derselben liegenden Punkte, 
wo ihm die Nachrichten des Krieges den Gegner stehend melden, 
rasch und geschlossen vorzugehen. Indess, man stutzt, wenn 
man in der Correspondenz die Note liest, die umdatiert, von des 
Kaisers eigner Hand geschrieben, durch die mit der Herausgabe 
des imposanten Werkes betraute Commission auf den 10. Octo- 
ber nachträglich verlegt wurde. Dieselbe stellt ein Marschschema 
dar für die Corps, welches überzeugend deutlich eine Versamm- 
lung der Armee für den 16. vor Weimar zum Gegenstande hat; 
und stellt die Details des Saaleüberganges mit bemerkenswerter 
Klarheit und Präcision fest; der Kaiser glaubt, wie dies aus 
seinem Briefe an Soult von diesem Tage ersichtlich ist, den 
Gegner auf der linken Seite der Saale. Nun steht fest, dass an 
eben diesem 10. October Napoleon Nachrichten erhielt, die ihn 
bewogen, plötzlich Gera am rechten Saaleufer als Vereinigungs- 
punkt der preußisch-sächsischen Armee anzusehen und dass er 
erst 24 Stunden später zur ersten, richtigen Auffassung zurück- 
gekehrt ist, worauf dann die entsprechenden Befehle für die Links- 
schwenkung der Armee erfolgten. Oberst von Lettow- Vorbeck 
kann nicht glauben, dass der Kaiser schon am 10. October über 
eine eventuelle Schlacht am 16. schlüssig geworden sei und datiert 
somit eigenmächtig und gewaltsam den zweiten Theil der Note 
auf den 12./13., wo sie natüdicher erscheint. Warum dies, fragen 
wir? Schon vor dem 10. October zeigen Stellen aus Napoleons 
Correspondenz, dass sein umfassender Blick einen eventuellen 
Saaleübergang, wenn der Gegner links derselben steht, in's Auge 
fasst, allerdings jedoch nicht souverain und dictatorisch; warum 
soll er nicht auch am 10. October diesen Gedanken gepflegt und 
seine Maßregeln gewissermaßen unpräjudicirlich zu Papier gebracht 
haben? Erst um die 9. Morgenstunde etwa läuft der Bericht 
von Soult ein, der darauf schließen lässt, Gera sei der Versamm- 
lungspunkt der feindlichen Armee; und sogleich wird die Armee 
^ahin in Marsch gesetzt. In diesem Thun nun erkennen wir ihn 
ganz und voll; mit der Note sei es, wie dem sei; er hat keine 

C von B.-K. Zur Psychologie des großen Krieges II. 1 1 



Digitized by VjOOQIC 



— 162 — 

Absicht bindend vorgefasst, . als bis zu einem gewissen Grade 
die, auf den Gegner loszugehen, um ihn zur Schlacht zu zwingen: 
willig und geschmeidig folgt er dem Wechsel der Lage, wie ihm 
solche die Nachrichten geben und stets wendet er sich dahin, 
wo, wie er auf Grund derselben glaubt, der Gegner sich befindet. 
Viel muthet er allerdings den Truppen in Hinsicht des Marschierens 
zu; sie gehen rasch und stets in Fühlung untereinander vor: 
immer beherrscht den Kaiser die Sorge, für die Entscheidungs- 
schlacht, die nicht mehr lange auf sich warten lassen kann, alle 
Kräfte zur Hand zu haben. 

Als der Kaiser in Gera erkennt, dass er übel berichtet ist 
und die verbündete Armee nicht hier, sondern jenseits der Saale 
steht, erinnert er sich sofort seiner ursprünglichen strategischen 
Idee, und da er dieselbe fortwährend im Auge behalten, über- 
rascht sie ihn nicht und kehrt er zu ihr als einer alten Bekannten 
zurück; er erlebt die Genugthuung, sein Herausahnen des Wahren 
bestätigt zu sehen und die materielle Lage der Dinge — möglich 
werdende Umgehung, die feindliche Armee schlägt mit verwandter 
Front — sowohl als der Sinn, der im Stehenbleiben — wie er 
glauben muss — des verbündeten Heeres liegt, eröffnet ihm die 
Aussicht auf neue große Erfolge. Dreimal im Rechte ist Napoleon, 
wenn er Talleyrand am 12. schreibt, er habe alles vorher- 
gesehen, in nichts habe er sich getäuscht. Nicht dass wir eine 
Ehrenrettung des politisch zweckbewussten Lügners hier ver- 
suchen wollen: denn für den Mann von Geist wäre sie abge- 
schmackt. Aber um den ganz eigenthümlichen Charakter dieses 
Krieges plastisch sichtbar zu machen, sei constatiert, dass hier 
Napoleon sachlich aufrichtig gesprochen haben kann; denn 
nicht auf die — allerdings von der Wissenschaft über alles 
wertgeschätzte — Thatsache kam es hier an, ob die 
Preußen bei Gera oder Weimar angetroffen 
werden würden, um sofort angegriffen zu sein, 
sondern auf den ganzen Eindruck, den Napoleon 
von derLageempfingundderihm darthat, wie der 
Gegner rath- und thatlos, bösen Gewissens voll 
nicht mit Hintergedanke n, s o n de rn aus bitterm 
Mangel etwas Besseren, irgendwo den Angriff 
des Kaisers erwartet. 



Digitized by VjOOQIC 



— 163 — 

Und die mechanische Seite des Napoleon'schen Krieges 
bewundern wir in der Art, wie er rasch und sicher seine Armee- 
front verändert, um nun endlich an den Gegner heranzugehen, 
den er zugleich strategisch umgeht, um ihn dann taktisch zu 
umfassen. Die bis auf heute unerreichte, vorbildlich gebliebene 
Lebendigkeit der Mittel spricht aus diesem Thun ; und gehen 
dieselben geradenwegs auf die Barriere der Saale und unbe- 
kümmert vor, welche jener Krieg, der sich in des Gegners Thun 
welthistorisch carikiert, unüberschreitbar wähnt. Weit ausholt 
Napoleon, um getrennt heranzumarschieren, weniger aus 
strategischen Gründen der Umgehung, wie es 
scheint, sondern einfach, um rascher zur takti- 
schen Entscheidung zu marschieren. Unbändig 
wächst der Glaube an den Sieg in seiner Seele zur Gewissheit an. 
Und als er am 13. October nachmittags den Gegner endlich 
erblickt und stehend erblickt, entschließt er trotz aller Schwierig- 
keit der Gegend, trotz der eigenen zur Stelle befindlichen geringen 
Kraft, trotz der infolge der Annahme des Gegners bei Weimar-Erfurt 
geschehenen Trennung der Kräfte, sich unbedenklich zum Ent- 
scheidungskampf. Er weiß nicht, was vor ihm steht,*) bis zu 
dem Grade, dass er es mit der Hauptmacht des Gegners zu 
ihun zu haben glaubt, und gleichwohl gedenkt er, seine entfernten 
Kräfte heranrufend, am nächsten Morgen mit dem, was er zur 
Hand hat, den Angriff zu thun. Nicht ein Anhaltspunkt bietet 
sich ihm, ob er der seinerzeit in Aussicht genommenen doppelten 
Zahlüberlegenheit für morgen sicher ist. Und trotz alledem, diese 
Gewissheit des Sieges! 

Wir werden sehen, woher sie kam. 

Zurückbleibt der Eindruck des Ungewissen über den Gegner 
und der prekären eigenen Situation, den Napoleon empfangen 
musste, weit hinter der Wirklichkeit. Am nächsten Morgen wird 
er 50.000 Mann gegen zunächst 40.000 Hohenlohes bei Jena 
allerdings zu setzen haben, welcher sich, wie uns bekannt, ledig- 

•) V. Lettow- Vorbeck hat nachgewiesen, dass der Brief des M^jor-Generals an Ney, 
der aus dem Biwak von Jena datirt ist und den Gegner auf 40.000 Mann taxiert, nicht von da 
aus, sondern am frühen Nachmittag abgesandt sein muss, als der Kaiser noch nichts gesehen 
und nur Meldungen empfangen hatte. Es ist sicher, dass Napoleon am Abend des 13. October 
wenigstens gefasst war, am nächsten Tag die ganze preußische Armee vor sich zu haben: 
daher das Heranziehen aller Corps ausnahmslos. 

11» 



Digitized by VjOOQIC 



— 164 — 

lieh abwehrend verhalten soll. Bei Kosen aber steht Davout der 
fast doppelten Übermacht der Hauptarmee entgegen, der er den 
nächsten Tag unfehlbar begegnen muss. Was Napoleon bei Jena 
noch in's Gefecht bringen kann, wird erst im Laufe des Tages 
und allmählich zu erscheinen in der Lage sein. Ob Davout kommen 
kann, ist wegen des Gegners fraglich, ob Murat und Bernadotte, 
nicht als sicher anzusehen. 

Allerdings weiß der Kaiser von den Hindernissen nicht, die 
seiner Unterführer warten, und glaubt vorerst ihrer Mitwirkung 
an der morgenden Schlacht vollkommen sicher zu sein. 

Wir erkennen somit, wie Napoleon, der bisher mit wahrer 
Meisterschaft den Gegner strategisch gesucht, nun taktisch einem 
Theile nur von ihm Auge im Auge gegenübersteht und keine 
Kenntnis hat von dem, dass die preußische Hauptarmee sich 
ihm bereits entzogen hat und im Begriffe steht, eines seiner ver- 
einzelten Corps auf dem Marsche nach Norden, so nebenher, mit 
erdrückender Übermacht anzufallen. 

Genug ist, dass er nicht recht weiß, mit wem er morgen zu 
thun haben wird. Und doch das felsenfeste Vertrauen 
endlichen Erfolges. Ist dasselbe nichts als 4ie 
vor der Armee aus wahrhaft sublimer Kenntnis 
der menschlichen Natur und zweckbewusst ange- 
legte Maske? 

Jena und Auerstädt. 

Am Morgen stand die Armee Hohenlohes folgendermaßen 
vertheilt : 

Das Detachement des Generals Graf Tauentzien zwischen 
Lützeroda-Closwitz, rechts und links bis gegen Isserstädt und das 
Rauhthal ausgedehnt, also Front nach Süden, leichte Truppen vor 
der Front ; das Zwätzenholz durch Jäger besetzt ; die sächsische 
Brigade Cerrini hinter der Mitte gegen den Dornberg zu mit 5 
Bataillons. Das Detachement war aus Truppen der verschiedensten 
Verbände (Reserve, Sachsen, Trümmer der Avantgardedivision) 
bunt zusammengewürfelt, zählte 12Vj Bat., 2 Jägercompagnien, 
7 Esc, IVj Batt. und war nicht über 8000 Mann stark. 



Digitized by VjOOQIC 



- 165 — 

Das Detachement des Generals von Holtzendorf stand, wie 
uns bekannt, in der Nacht sehr verzettelt, und waren der In- 
fanterie Rödigen und der Cavallerie Stiebritz als eventuelle Allarm- 
plätze zugewiesen; es zählte 4V2 Bat., 21 Esc, eine 12pfdge. 
und IV2 reitende Batterien; ca. 6000 Mann. 

Hohenlohes Gros — Division Grawert, Brigade Dyherrn 
und eine Anzahl einzelner Bataillone — stand im Lager bei Ca- 
pellendorf; es zählt etwa 20 Bat., 34 Esc, 3 Fuß- und 2 reitende 
Batterien; in Summe ca. 15.000 Mann. 

Die Sachsen unter General von Zetzschwitz (Division Niese- 
meuschel) standen auf der Schnecke vorwärts Kötschau-Isserstädt; 
mit vier ehemals zu Tauentzien gehörigen Bataillonen betrug dies 
Corps 15 Bat, 16 Esc, 2 fahrende und 2 reitende Batterien; in 
Summe ca. 10.000 Mann. 

Ein schwaches Detachement unter Oberst von Boguslawski 
stand südlich der großen Straße nach Weimar vorwärts Schwab- 
hausen. 

Rüchel stand im Lager am Webicht mit 18 Bat., 18 Esc, 
3^2 Batt., ca. 15.000 Mann. 

Die sorgfältigen Berechnungen der jüngsten Zeit ergeben, 
dass Hohenlohe zunächst über etwa 40.000 Mann, und nach der 
Vereinigung mit Rüchel über deren 55.000 verfügen konnte. An 
Reiterei hatte er in ca. 90 Escadrons 10.500 Säbel, an Artillerie 
104 Stücke Batteriegeschütz und 71 Stücke der Infanterie zur 
Stelle. 

Napoleon verfügte am Morgen über folgende Truppen, 
welche zum Theile die Nacht hindurch marschiert waren : 

Das V. Corps auf der Höhe des Landgrafenberges ; 20 Bat, 
9 Esc, in Summe etwas über 20.000 Mann. 

Das Vn. Corps, welches am Galgenberg biwakiert hat, 
steht im Mühlthal bereit mit 17 Bat., 6 Esc, etwas über 16.000 
Mann. 

Von der Garde waren in der Nacht 5000 Mann heran- 
gekommen und befanden sich hinter Lannes am Landgrafenberg. 

Vom IV. Corps ist die Cavallerie und die Division St. Hi- 
laire heran, welche um Wenigjena lagern; 8 Bat., 9 Esc, 9000 
Mann. 



Digitized by VjOOQIC 



- 166 - 

Vom VI. Corps, das, wie wir wissen, am Vortage irre ge- 
gegangen war, treffen 5 Bat., 6 Esc, 4500 Mann in der Frühe ein. 

Nach Oberst von Lettow-Vorbeck gelangten rund 50.00D 
Mann Franzosen in's Gefecht. Weit überwog in dieser Zahl die 
Infanterie, da nur 30 Escadrons vorhanden waren. Wie viel an 
Artillerie am Morgen zur Verfugung stand, ist in den Einzelheiten 
nicht bekannt ; es ist jedoch anzunehmen, dass nicht mehr als 
höchstens 50 Piecen feuerbereit gestanden haben ; zählte doch die 
ganze französische Artillerie, die im Laufe des Tages aufs Schlacht- 
feld kam, im besten Fall 108 Geschütze. 

Hohenlohe hat außer Rüchel keine Unterstützung zu er- 
warten. Napoleon weiß folgende eigene Truppen im Anmarsch 
auf Jena : 

2. und 3. Division des IV. Corps, 

2. und 3. Division des VI. Corps, 

die Dragonerdivisionen Klein, Hautpoul und Nansouty; 
und glaubt Murat, Davout und Bernadotte über Dornburg und 
Apolda in des Gegners Flanke und Rücken vorgehend. 

Der Fürst von Hohenlohe hatte um 6 Uhr morgens dem 
Könige geschrieben, er erwarte heute in seiner linken Flanke 
angegriffen zu werden, trage jedoch keine Sorge, da ihm Rüchel 
nahe sei. Um jene Zeit hatte Napoleon schon längst seine Schlacht- 
disposition dictiert; folgendes besagt dieselbe dem Sinne nach: 

„Der Marschall Augereau stellt sich im Mühlthal derart 
auf, dass er sein Corps, sobald Lannes oben durch sein Vorgehen 
Luft macht, auf die Höhen*) hinaufführen kann, um den linken 
Flügel der Armee zu bilden ; 

Der Marschall Lannes formiert sein Corps auf eben jenem 
Flecke, wo er die Nacht gelagert hat; 

Die Garde stellt sich hinter dem V. Corps, die Artillerie 
derselben auf der Höhe**) auf. 

Die Artillerie der Division Suchet (V. Corps) beschießt 
Cioswitz, welches sodann auf das Zeichen des Kaisers ange- 
griffen und genommen wird; 

Der Marschall Ney ersteigt, sobald seine Truppen heran 
sind, gleichfalls die Höhen und geht rechts von Lannes vor, so- 



•) Südwestlich Cospeda. 
*•) Der Windknollen. 



Digitized by VjOOQIC 



— 167 — 

bald durch Wegnahme von Cioswitz Raum, zur Entwicklung ge- 
wonnen wurde. 

Der Marschall Soult geht durch das Rauhthal vor, sucht 
die Verbindung mit der Mitte und bildet so den rechten Flügel 
der Armee. 

Die Verwendung der leichten Cavallerie bleibt den Corps- 
fuhrern überlassen ; die schwere hingegen stellt sich, sowie sie 
ankommt, hinter der Garde als Reserve auf. 

Vor allem handelt es sich darum, Raum zur Entfaltung 
der Armee in der Ebene zu gewinnen ; die bezüglichen Anord- 
nungen werden sodann nach der sich ergebenden Lage erlassen 
werden." 

Was nehmen wir, die wir die verschiedenen wissenschaft- 
lichen Kritiken dieser Schlachtdisposition nicht gelesen haben, 
ohne viel zu grübeln, einfach und natürlich an derselben wahr? 
In Hinsicht der Vertheilung der Kräfte wahrhaftig nichts als den 
Eindruck, wie der Kaiser, unter dem Gedanken, möglichst ver- 
sammelt zu sein, dieselben der Plastik des Terrains und der 
schon bestehenden Gruppierung ganz natürlich anpasst ; ein 
Armecorps stellt sich , soweit es der Raum erlaubt , einfach 
und ohne Künstelei neben dem andern auf. In Hinsicht der 
Bestimmung der Kraft lässt des Kaisers Disposition vorerst 
nichts erkennen, als das Streben, den nächsten naheliegenden 
Zweck, Raumgewinn für den Aufmarsch, zu erreichen. Das Wie, 
Wo und Wann des Angriffs behält sich der Feldherr persön- 
lich vor. 

Um 6 Uhr etwa gibt er das Zeichen zu demselben ; ein 
dichter Herbstnebel lag auf der Gegend ; derselbe verdeckte die 
beiderseitigen Truppen und so entspann sich ein anhaltendes 
Feuergefecht ohne besondere Resultate zwischen den Divisionen 
Suchet und Gazan des V. Corps und den Truppen Tauentziens; 
die Division St. Hilaire des IV. Corps nahm v.om Rauhthal her 
an diesem Kampfe einigen Antheil ; elf französische Bataillone 
kamen effectiv in 's Gefecht, und nach drei Stunden sah sich 
Tauentzien auf der ganzen Linie zum Rückzuge gezwungen. 
Auf Hohenlohes inzwischen eingetroffenen Befehl gedachte er 
denselben auf Klein-Romstädt zu nehmen ; jedoch die Truppen 
hatten denselben zum Theile bereits unfreiwillig angetreten ; sie 



Digitized by VjOOQIC 



— 168 — 

waren sehr arg mitgenommen worden. Die sächsische Brigade, 
die gegen Isserstädt zurückgewichen war, war völlig zersprengt, 
die Batterie derselben genommen ; einzelne Compagnien waren 
vollkommen abgedrängt und nahmen ihren Rückzug auf Punkte, 
die sie vom eigentlichen Orte des Kampfes mehr oder weniger 
entfernten. 

Napoleon hatte um die neunte Morgenstunde seinen ersten 
Gefechtszweck völlig erreicht ; offen lag vor ihm die Ebene. 
Aber er konnte zunächst doch nicht so rasch vorgehen, wie er 
es wohl wünschte ; General von Holtzendorf war, nachdem er 
sein Detachement, wenn auch infolge von Fehlmärschen einzelner 
zum Rendezvous kommender Truppentheile nicht vollzählig, so 
doch ziemlich vereinigt hatte, auf den Kanonendonner von Clos- 
witz losmarschiert und traf etwa um 9 Uhr oder kurz darauf 
auf die Flanke der Tauentzien verfolgenden Division St. Hilaire. 
Dieselbe war gezwungen, sich gegen ihn zu wenden, um diesen 
Feind in ihrem Rücken vorerst abzuthun. An Infanterie schwächer, 
an Reiterei und besonders Artillerie dem Gegner weit über- 
legen, wurde der General gerade durch einen raschen Angriff 
der französischen Cavallerie — die mit allem, was vorhanden 
war, zwei Regimentern im ersten, einem im zweiten Treffen, die 
schwadronweise attakierende preußische Reiterei nacheinander 
schlug — übel zugerichtet ; nachdem sie geworfen worden, war 
die deutsche Reiterei nicht mehr zu halten und ritt im Zurück- 
gehen eigene Infanterie nieder. Mit bedeutendem Verlust zog 
sich Holtzendorf zunächst auf Stobra, weiter auf Apolda, also 
direct hinweg vom Orte der Entscheidung, zurück und die Truppen 
Soults gewannen sogleich wieder nach links vorwärts freie Hand. 

Um 7 Uhr hatte General von Grawert, den Lärm des Ge- 
fechtes vernehmend, seine Division unter das Gewehr treten und 
die Reiterei auf Klein-Romstädt vorausgehen lassen. Da erschien 
der Fürst im Lager und war im ersten Augenblick über das 
Beginnen des Generals sehr aufgebracht ; aber sehr bald hatte ihn 
derselbe umgestimmt und jetzt willigte Hohenlohe darein, dass sich 
die Truppen Grawerts auf Klein-Romstädt in Bewegung setzten. 
Es mag etwa 8 Uhr gewesen sein, als er, dem jetzt die Ahnung 
aufzudämmern beginnt, er könne trotz seiner Instruction, die ihn 
auf Vermeidung des Gefechtes wies, denn doch gegen seinen 



Digitized by VjOOQIC 



- 169 — 

Willen zu einem solchen gezwungen werden, die Bewegung zur 
Unterstützung Tauentziens begann. Gleichzeitig wendet sich der 
Fürst schriftlich an Rüchel mit der Bitte um Unterstützung, da er 
eben heftig angegriffen werde. 

Sodann, erfahren wir, verlor der Fürst die allgemeine Lage 
völlig aus den Augen und machte sich fortwährend bei der Divi- 
sion Grawert allein zu thun. Er unterließ das Bilden und Bereit- 
stellen einer Reserve und sandte keinen Befehl an die Sachsen, 
die mittlerweile gleichfalls aus dem Lager gerückt waren und mit 
der Infanterie auf der Schnecke, der Cavallerie hinter Isserstädt 
aufgestellt waren. Die Frage stand ganz einfach darauf, ob der 
Fürst ein Gefecht annehmen oder sich zurückziehen solle, doch 
ist aus dem überlieferten Materiale durchaus nicht zu erkennen, 
ob sich der Fürst diese Frage überhaupt gestellt 
hat. Und da muss man nun wohl erwägen, ob dies möglich, 
und wenn das ja, ob es wahrscheinlich ist und damals 
naheliegend war. Hohenlohe wusste nicht, wer und was 
ihm gegenüberstand, mit wie viel Truppen des Gegners er zu 
thun bekommen könne. Er vernahm den Lärm des Gefechtes 
vom Dornberge her, und da kann, so scheint es, der Entschluss 
füglich nicht getadelt werden, mit einer entsprechenden Macht 
persönlich vorzugehen und Aufklärung zu gewinnen. Nochmals, 
erinnern wir uns wohl, die Heeresleitung selbst hatte dem Fürsten 
mitgetheilt, es stehe nicht zu erwarten, dass er von überlegenen 
Kräften angegriffen werde ; der Fürst gedachte daher mit eigenen 
Augen zu sehen, um schlüssig zu werden, was zu thun sei, und 
dass er sich dabei in Person nach vorwärts begab, zumal bei 
dem auch jetzt noch die Landschaft beherrschenden Nebel, ver- 
dient Anerkennung und nicht den bisher gedankenlos ausge- 
sprochenen Tadel. Er commandierte ja nicht, jetzt, 
um 9 Uhr morgens, eine Bataille rangee, in 
^' elcher man des Gegners Stärke, Stellung, Plan, 
sowie die eigene Lage im allgemeinen übersehen 
kann, sondern einen Heerestheil, der zunächst als Arrieregarde 
zu dienen die Bestimmung hatte ; ersichtlich gehört der Führer 
in solch relativ kleinen Verhältnissen zu dem am Feinde befind- 
lichen Theil. Wohl mag eine gewisse Nervosität Hohenlohes mit 
im Spiele gewesen sein, die ihn sich zu sehr mit den Truppen 



Digitized by VjOOQIC 



— 170 - 

beschäftigen, an ihnen kleben ließ; jedoch man bedenke stets, 
dass es ein Heer des XVIII. Jahrhunderts war, das unter seinen 
Befehlen stand. Napoleon hat niemand daraus einen Vorw^urf 
gemacht, dass er die Nacht des 13./14. October auf der Höhe 
des Landgrafenberges sehr exponiert zugebracht hat ; nehmen 
wir als ausgemacht an, dass der Kaiser der Franzosen sich - 
wenn auch wohl materiell , zahlen- und stellungsmäßig — 
doch kriegspsychologisch nicht gefährdet glaubte, dass 
er davon durchdrungen war, der Gegner werde nicht 
die Erkenntnis und nicht die Energie, auch 
wenn er stärker sei, ihn anzufallen haben; gut, 
nehmen wir an, dass Napoleon — materiell exponiert — so doch 
psychologisch nicht exponiert gewesen ist, und dies voll er- 
kannte; so loben wir sein Thun, denn er war dann trotz des 
äußeren Scheines, in Wahrheit nicht exponiert. Aber gleichwohl 
lässt sich nicht verkennen, dass Hohenlohe, als er sich am 
nächsten Tage in die gefährdete Zone begab, auch seinerseits 
mancherlei und gute Gründe dafür gehabt haben mag ; Gründe, 
die bei seiner Mission : den Rückzug der Armee zu decken, und 
seiner mangelhaften Kenntnis über den Gegner wohl klar am 
Tage liegen. Und dann ist der Vorwurf: ein Feldherr sei, um 
zu sehen, zu weit persönlich vorgegangen ein Vorwurf, der 
erst auf dem in neuerer Zeit gebotenen Schau- 
spiel fußt, wie der Führer der Armee fern der- 
selben bleiben muss, wenn er sie ersprießlich 
führen soll; dieses Schauspiel war dazumal noch unbekannt 
und hatte man, besonders im preußischen Heer, eine sozu- 
sagen naivere Meinung von den Pflichten des 
Führers. Wahrhaftig, alles Thun der besiegten Feld- 
herren jener Zeit hat die Kritik der Epigonen rein, 
das heißt actuell militärisch prüfend, zum Sün- 
denbock des Misserfolges gemacht; und ver- 
urtheilt sie hier ihren Mangel an Energie und die 
egoistischen Motive, so bricht sie dort, wo That- 
kraft un d R ücksich tslosigkeit gegen sich selbst 
erscheinen, ebenfalls den Stab. 

Nun denn, der Fürst setzte sich an die Spitze der Reiterei 
und ging mit ihr auf Vierzehnheiligen vor. Die 10 Bataillone 



Digitized by VjOOQIC 



— 171 - 

der Grawert*schen Division folgten in ausgedehnter L'nie auf dem 
Räume Isserstädt- Vierzehnheiligen. Bei diesem Orte angekommen, 
machte der Fürst, da der Nebel noch immer über die Gegend 
zog, mit seinen Truppen Halt, um abzuwarten. Eben traf Tau- 
entzien mit den Resten seines Detachements beim Orte ein und 
wurde alsbald nach Klein-Romstädt zurückgenommen, worauf 
einige Ordnung in die Truppen der preußischen zweiten Linie 
zu bringen versucht ward, indem einige Bataillone unter Befehl 
des Generals Cerrini gestellt wurden. Hohenlohe erfuhr von Tau- 
entzien das Nachdrängen feindlicher Truppen und übersandte 
Holtzendorf den Befehl, denselben in die Flanke zu fallen ; es 
ist uns bekannt, dass Holtzendorf, bereits in einen Sonderkampf 
verwickelt und bald geschlagen, diesen Befehl auszufuhren nicht 
in der Lage sein wird. Inzwischen waren bei Vierzehnheiligen 
die Gegner aufeinandergetroffen, das heißt, mitten im Nebel, der 
noch immer nicht gewichen war, entwickelte sich eine lärmende 
Kanonade, während die beiderseitigen Truppen zunächst ziemlich 
unbeweglich standen. Tirailleurschwärme der Franzosen gingen 
mit ihren Batterien vor und begannen auf die preußischen Truppen 
zu feuern. Die Franzosen entwickelten um diese Zeit, gegen 10 
Uhr, in dem Räume Krippendorf- Vierzehnheiligen-Isserstädter Forst 
das Corps von Lannes und links von diesem die eben eingetroffenen 
fünf Bataillone der Avantgarde Ney s. Eine starke Artillerie- 
masse, 25*) Geschütze, stand gegen Isserstädt. St. Hilaire war 
eben mit Holtzendorf beschäftigt ; Augereau mit einer Division 
im Isserstädter Forst, mit der anderen noch im Mühlthale zurück. 
Da gab nun ein Angriff Neys mit seiner Avantgarde auf eine 
preußische reitende Batterie Anlass zu einem Reiterkampf bei 
Vierzehnheiligen, der trotz der Zahlüberlegenheit auf deutscher 
Seite infolge des Nacheinanderauftretens der Regimenter, die eines 
nach dem andern vom 10. Chasseurregiment geworfen wurden, 
zunächst unglücklich für die Preußen ausfiel, welche, wie dies 
in solchen Fällen wohl häufig vorzukommen pflegt, die eigene 
Infanterie niederritten. Jedoch bald wandte sich das Blatt, da die 
preußische Reiterei der französischen dreimal überlegen war. Die 
genommenen Geschütze wurden nach Hinwegführung der Protzen 
wieder im Stiche gelassen und zogen sich die Ney*schen Chasieure 

•) Davon 14 von der Garde-ArtiUerie. 



Digitized by VjOOQIC 



172 



auf ihre Infanterie zurück. Hohenlohe hatte einen üblen Eindruck 
von der Haltung seiner Reiterei gewonnen und nahm dieselbe 
hinter Vierzehnheiligen zurück. Sogleich wurde nun dieser Ort 
von den Voltigeuren Neys besetzt. 

Der Fürst war, wie bekannt, mit der Division Grawert vor- 
gegangen; 10 Bataillone zählte diese; ebensoviel etwa waren 
zwischen Groß-Romstädt und Kötschau zurückgeblieben, die, ver- 
schiedenen Verbänden angehörend, unter ein einheitliches Commando 
noch immer nicht gestellt waren. Es mag lOUhr vorbei gewesen sein, 
als der Nebel wie eine Wandeldeco ration urplötzlich in die Höhe 
ging und Hohenlohe gestattete, die Lage der Dinge zu sehen. 
Nicht historisch überliefert ist, was er gesehen hat; jedoch wir 
können ziemlich genau berechnen, was er von der Kraft des Gegners 
nicht gesehen haben kann: die Garde, St. Hilaire, Augereau; es 
bleiben somit im bestenFalle Lannes, von dessen höchstens 20 Batail- 
lonen 6 noch in Reserve standen, und die 5 Bataillone von Ney, also in 
Summe 19 Bataillone zurück. Bedenkt man nun, dass ein wesent- 
licherTheil diese r T ru p p en in Tirailleurs aufge- 
löst und die geschlossenen Verbände über einen weiten Raum 
zerstreut gewesen sind, der schließlich auch nicht wie ein Tisch 
glatt und eben war, so muss man zu dem Schlüsse kommen, 
dass Hohenlohe den Eindruck der absoluten Uebermacht 
nicht empfangen haben kann. Den Blick für dieselbe besaß der 
kriegserfahrene Fürst sicherlich ; sie muss daher wohl nicht recht 
sichtbar gewesen sein, denn nunmehr gab er den Befehl, gegen 
die Stellung von Vierzehnheiligen zum Angriff vorzugehen. In 
Echelons mit zwei Bataillonen vom linken Flügel wurde derselbe 
wie auf dem Exercierplatz von den Truppen des ersten Treffens 
ausgeführt, während rückwärts circa 7 Bataillone verschiedener 
Verbände dem Impuls nach vorne folgten. Sogleich gingen nun 
die geschlossenen französischen Truppen zurück, während sich 
die Tirailleurs in Vierzehnheiligen und dem Wäldchen südlich da- 
von erfolgreich zu behaupten wussten. Die Sachsen, das Vor- 
gehen Hohenlohes bemerkend, gingen zum Theile von der Schnecke 
gegen Isserstädt vor, ohne jedoch den Ort zu besetzen. Wir 
nehmen also wahr: Die Franzosen, local nicht in der 
Uebermacht, gehen mit ihren geschlossenen 
Truppen zurück, während die Tirailleurs an jenen 



Digitized by VjOOQIC 



- 173 — 

Punkten des Terrains, die Schutz gewähren, zähe 
hängen bleiben. Nochnirgends ist diese Lage wahr- 
haft präcisiert worden ; Hohenlohe sah ganz einfach nichts 
nahe vor sich, was ermit seinen starren und ges chlos- 
senen Linien im Chargierschritt angreifen hätte 
k önnen. Nichts stand zunächstvor ih m, als Tir ail- 
leurs, in Orten, die ein geschlossener Verband nicht 
wohl betreten kann; das ist die Lage gewesen und sie 
zwang zu dem Entschluss des Fürsten, den die 
Kritik als einen freiwilligen ansieht und demgemäß 
für unbegreiflich hält ; den n i m Angriffe mit dem Ba- 
jonnett gipfelte doch die alte Form. Hohenlohe stellte 
ganz einfach die Vorbewegung ein, ersah eben nichts, was 
anzugreifen sei. 

Man hat nach Gründen für dieses Stoppen in der allgemeinen 
Lage geforscht*) doch wird zugegeben, dass es nur eine Ver- 
muthung sein kann, Hohenlohe habe vom Vorrücken Augereaus, 
St. Hilaires u. s. w. Kenntnis gehabt. Es scheint, dass, wären 
um diese Zeit Nachrichten über das Nahen feindlicher Verstär- 
kungen beim Fürsten eingelangt, diese Thatsache doch da oder 
dort überliefert hätte werden müssen; es ist bisher keineswegs 
geschehen; und so spricht die Wahrscheinlichkeit — die wir je- 
doch weit entfernt sind, als Thatsache behandeln zu wollen — 
dafür, dass Hohenlohe ganz naturgemäß aus dem Grunde stutzte, 
da er sich plötzlich nur Tirailleuren zunächst gegenüber sah, 
welche in ihren Stellungen anzugreifen seine Truppen, wie er- 
wiesen ist, durchaus nicht geeignet waren; geschlossene Massen 
standen ihm augenblicklich nicht apör/^'^ gegenüber; denn uns wird 
erzählt, sie wichen dem Stoße aus. Dieses Stutzen Hohen - 
lohes ist daher in Wahrheit nichts, als das Stutzen des Bedenkens 
und der Überlegung, was angesichts einer taktisch scheinbar un- 
möglichen Lage zu beginnen sei; diese Art des Stutzens 
ist dem Feldherrn wohl erlaubt; doch ist es sein 
Beruf, dasselbe rasch zu überwinden. Indessen hatten 
Bataillone, die Grawerts rechtem Flügel folgten, im Verein mit 
der sächsischen Artillerie den Ort Isserstädt genommen. Napoleon 
hatte die retrograde Bewegung seiner Truppen wohl wahr- 

*) Reinländer, 123. 



Digitized by VjOOQIC 



— 174 - 

genommen und warf zunächst die leichte Cavallerie-Brigade des 
V. Corps in den rechten Flügel der feindlichen Infanterie, doch 
wurde diese Truppe durch preußische und sächsische Reiter 
völlig geworfen. So war der preußische rechte Flügel bis an den 
Isserstädter Forst vorgezogen, die Mitte stand im stehenden Feuer- 
gefecht vor Vierzehnheiligen und der linke Flügel dehnte sich 
nördlich des Ortes umfassend aus. 

Äußerst günstig war die Meinung des Fürsten von seiner 
Situation, wie aus der Thatsache erhellt, dass er eben jetzt die 
Beglückwünschungen des Generals von Grawert entgegennahm. 
Gleichzeitig traf der an Rüchel gesandte Officier mit der Ver- 
sicherung des Generals ein, er sei bereit, aus Kräften und als 
Freund gern zu helfen. Der Fürst antwortet, indem er, des Dankes 
voll, Rüchel einen „braven Freund und rechtschaffenen Mann* 
nennt, zugleich sich jedoch verleiten lässt, jenem die Eroberung von 
Geschützen, die durchaus nicht stattgefunden hat, zu melden.*) 
Aus alledem geht hervor, dass Hohenlohe in diesem Augenblick 
aufrichtig und ehrlich an den Erfolg geglaubt haben muss, er 
kann fast nichts von dem Herannahen überlegener feindlicher 
Kräfte vernommen gehabt haben. Ein scharfes Licht wirft der 
Ton, in welchem Hohenlohe und Rüchel miteinander verkehren, 
auf das Verhältnis der Führer im preußischen Heer . . . jeder 
darf, den bestehenden Anschauungen gemäß, so ziemlich thun, was 
er will und der General der Infanterie hat nicht das Recht, den 
nahe hinter ihm stehenden Generallieutenant einfach zum Gefechte 
heranzubefehlen, sondern er muss ihn um seine Hilfe bitten und 
dankbar sein, wenn jener sie gewährt. So war es Brauch in der 
preußischen Armee; bekannt genug ist, dass das, was lange 
genug geübt worden ist, unter dem Donner der Kanonen nicht 
plötzlich abgelegt zu werden pflegt, besonders was die Führung 
betrifft; denn mit dem Thun der Truppen im Gefechte ist's oft ein 
anderes Ding. Die Führer werden durch den Kampf nicht in dem 
Maße seelisch hergenommen, wie das Truppenmaterial, und so 
bleibt in ihnen die Gewohnheit länger, lebendiger wirksam. Hohen- 
lohe hatte kein Recht, Rüchel Befehle zu geben ; er hatte nicht 
die Macht dazu, da im hierarchischen Verkehre, solange 
derselbe besteht, Macht und Recht sich so ziemlich decken. 

*) V. Lettow- Vorbeck, I, 357. 



Digitized by VjOOQIC 



- 175 - 

Niemand, der verständig denkt, kann es somit dem Fürsten zum 
Vorwurfe machen, wenn er zur Entscheidung, von der er gar 
nicht wissen konnte, wie nahe sie war, das Detachement von 
Rüchel nicht unmittelbar zur Verfügung hatte. Was er thun 
konnte — eine entente cordiale — hat er vollkommen gethan. 
Lannes führte nun auf Napoleons Befehl mit seiner Corps- 
reserve einen Stoß gegen den preußischen linken Flügel, der 
jedoch, da sich ihm einzelne Truppentheile von rückwärts all- 
mählich angeschlossen hatten, abgewiesen wurde. Grawert nahm 
auf seinem rechten Flügel Truppen der zweiten Linie, besonders 
die Brigade Dyherrn, in die erste vor und verlängerte sich immer 
mehr nach rechts und vorwärts. Die beiden Flügel Hohenlohes 
waren nun nicht unerheblich vorgerückt und die Stellung gegen 
Vierzehnheiligen zu einer umfassenden geworden. Hier hielt 
Hohenlohe und erörterte mit Officieren seines Stabes, wie der 
Ort hinwegzunehmen sei. Immer klarer liest man aus den Ge- 
fechtsberichten die Thatsache heraus, wie der preußische Feldherr 
nicht vorgehen zu können glaubte, bevor der Ort genommen sei; 
diesen zu erobern gebrach es ihm an der taktischen 
Fähigkeit. Ersichtlich wird dies, wenn man hört, er habe 
dem Vorschlage nicht zugestimmt, das Dorf mit Infanterie hin- 
wegzunehmen, vielmehr sollte der Artillerie die Aufgabe zu Theil 
werden, durch ihr Feuer das zuwege zu bringen, wozu die In- 
fanterie die Eignung nicht besaß. Fast stets kann man es für 
ein Krankheitssymptom der großen Taktik halten, wenn die Artillerie 
als Lückenbüßer herangezogen wird. Nicht heute nur, sondern 
dazumal schon und vielleicht noch mehr als heute, selbst in der 
preußischen Armee, wies die Bestimmung des Geschützes auf 
Unterstützung des Fußvolkskampfes und nicht auf Ersatz 
desselben. Gerade der Zweck, den Gegner aus einem Dorfe, 
Walde, zu vertreiben, war zu jener Zeit mit den unvollkommenen 
Geschossen schwierig zu lösen. Und so kann diese Maßregel 
wohl billig als Ausflucht betrachtet werden, die man rathlos er- 
griff, während man, wie es scheint, ungeduldig das Herrannahen 
Rücheis erwartete. 

Er kam noch immer nicht. Inzwischen litten die geschlosse- 
nen preußischen Linien sehr durch das Feuer der französischen 
Tirailleure, denen mit Bataillonssalven nicht beizukommen war. 



Digitized by VjOOQIC 



- 176 - 

Man denke sich in die Lage. Verächtlich sah man in der preußi- 
schen Armee das Tiraillieren an; auszog man in den Kampf mit 
dem beharrlich festgehaltenen Glauben, die Kriegsdisciplin der 
preußischen Bataillone werde, wenn auch die Leute materiell, 
durch ihre taktische Form, dem Gegner vis-a-vis im Nachtheil 
waren, mittelst ihres Überschusses an Kriegsmoral, die eben mit 
der alten Form innig verwachsen war, endlich zum Erfolge führen. 
Es muss hervorgehoben werden: Nicht verschlossman 
sich der Einsicht, dass der Tirailleur dem im ge- 
schlossenen Verbände fechtendenSoldaten mecha- 
nisch überlegen war; indem er ein geringeres Ziel 
bot als jener. Mit Blindheit war man keine swegs 
geschlagen und diese Thatsache sah man völlig 
ein. Aber man hielt die kriegerischen Eigenschaften 
des preußischen Soldaten für so hoch, dass er, 
trotzdem er in mechanisch schlechten Formen 
focht, sich bewähren und den materiellen Nach- 
theil reichlich wettmachen werde. Die alte Form be- 
hielt man wegen der Macht der Tradition bei; man rechnete mit 
dem deutschen Volkscharakter, der zum Einzelkampfe nicht tauge: 
alles Ewägungen eminent militärischer Natur, die man heute, da 
in der Form alles zu liegen scheint, kaum mehr in ihrem ganzen 
und eigenthümlichen Gewichte von dazumal pflegt ; indem man 
es heutzutage, sehr gewitzigt, vorzieht, sich um jeden Preis 
und vor allen Dingen auf der Höhe der modernen Kriegsform 
zu erhalten. Aber damals dachte man nicht so. Obwohl man die 
Mängel der alten Form zweifellos erkannte, hielt man sich doch 
immer noch für stärker durch den Geist, der in der alten Kriegs- 
form lag und von ihr nicht wohl zu trennen schien. Gewisser- 
maßen hielt man in Preußen die überkommene Kampfesweise für 
eine historisch „berechtigte Eigenthümlichkeit", die auch noch in 
der Gegenwart ihre Schuldigkeit erfüllen werde. Und viel Wahr- 
heit lag fürwahr in dieser Erwägung während der vorjena'schen 
Zeit; sie rechnete nicht mit militärischen Motiven allein, sondern 
zugleich mit der socialen und politischen, ja selbst der wirtschaft- 
lichen Lage der eigenen Nation. Jedoch man täuschte sich über 
den Wert der Imponderabilien im Mann, die nicht hoch genug 
sein konnten, wollte man einen Kampf mit der alten gegen die 



Digitized by VjOOQIC 



- 177 — 

neue Form ehrenvoll bestehen. Diese Imponderabilien bewährten 
sich jetzt, bei der blutigen Probe, nicht mehr in dem Grade, wie 
dies nothwendig gewesen war; dahingestellt möge 
bleiben, ob der Geist irgend einer Truppe zu 
irgend einer Zeit trotz der Mängel der Kampfes- 
form sich länger und besser bewährte; denn noch 
immer standen die preußischen Bataillone und empfingen ohne 
Wanken das Blei, das sie nicht, oder unvollkommen nur, er- 
widern konnten. Inzwischen vollzogen sich auf der Seite der 
Franzosen Abwandlungen der großen taktischen Lage, die bald 
fühlbar oder wenigstens sichtbar werden mussten. St. Hilaire hatte, 
nachdem er Holtzendorf abgethan, sich gegen den linken preußischen 
Flügel gewandt; Napoleon hatte, vielleicht nicht ohne innere Sorge, 
doch erfolgreich mit den geringen vorhandenen Truppen und vor- 
nehmlich durch ihre Kampfesart — das Schützengefecht — das 
Terrain vor Vierzehnheiligen gehalten. Nun kamen allmählich seine 
Verstärkungen heran. Es waren dies: Augereau, dessen eine 
Division bisher, ziemlich ohne etwas besonderes zu leisten, im 
Isserstädter Forst gesteckt, entwickelte seine zweite endlich gegen 
die Schnecke ; beiläufig um 1 1 Uhr trafen die 2. und 3. Division 
von Ney — 15,000 Mann — am Schlachtfelde ein; die Reiter- 
divisionen Klein, Nansouty, Hautpoul kamen eben heran ; gegen 
Mittag erschienen die zwei letzten Divisionen von Soult, die den 
Weg St. Hilaires genommen, auf dem rechten Flügel der Armee; 
in Summe etwa 33.000 Mann nebst 7000 Pferden. Allein diese 
Macht war noch lange nicht eingesetzt ; zum Theil war sie über 
das Schlachtfeld im Vorrücken begriffen, zum Theil formierte sie 
sich zum Kampf; sie war noch keineswegs gefechtsbereit; und 
nichts weniger als am Orte des Gefechtes, wo jetzt — ca. 1 Uhr 
— die Entscheidung zu fallen begann. Drei Stunden hatten die 
preußischen Bataillone im stehenden Feuergefecht, trotz der Nach- 
theile der eigenen Form, gegen die Schützen von Lannes und 
^^ey gestanden ; kurz nach Mittag, so wird berichtet, begannen 
die Verluste unerträglich zu werden. Hohenlohe zögerte, den 
Befehl zum Rückzuge zu geben, und wer militärisch fühlt, be- 
greift, dass er gezögert hat ; auch wenn uns nicht bekannt wäre, 
dass er auf Verstärkungen — Rüchel — wartete. Allein der 
Überschuss an Kriegsmoral, der in seinen Bataillonen stak, war 

C. von B.-K. Zur Psychologie des großen Krieges II. 12 



Digitized by VjOOQIC 



- 178 - 

durch die Ungleichheit der kriegerischen Formen bereits mehr als 
ausgeglichen worden, und wider seinen Willen, trotz seiner Ein- 
sprache, wandte sich nun ein Bataillon nach dem andern, um 
zurückzugehen. Was das bedeutet, leuchtet ein ; schwer schädigt 
es den Geist der Truppe, wenn sie sieht, der Führer habe sich 
in seinen Berechnungen getäuscht und halte sich gezwungen, 
den Rückzug zu befehlen ; Flucht nennt man es, wenn die Truppe 
gegen den Willen des Führers den Rückzug anzutreten beginnt. 

Und eine solche begann nun mit allen Schrecken im Hohen- 
lohe'schen Heer. Der Fürst, in seiner Verzweiflung bemüht 
durch sein persönliches Beispiel die Truppen zum Stehen zu 
bringen, vergaß und unterließ fast ganz Dispositionen für den 
Rückzug, den er nun endlich befahl, zu erlassen; widerstands- 
los wälzten sich die aufgelösten preußischen Truppen, zu deren 
Aufnahme nichts von Gehalt vorhanden war, der Straße von 
Weimar zu. Unmöglich, physisch unmöglich war 
es, der Flucht, die eben begonnen, die strategisch 
naheliegende Richtung Apolda zu geben. General 
von Zetzschwitz mit den Sachsen blieb, obwohl er das Zurückgehen 
Hohenlohes sah, auf der Schnecke stehen, auch nachdem die 
Franzosen Isserstädt bereits genommen hatten. Er hatte keine 
Befehle erhalten. Einen schweren Vorwurf hat ihm die Kriegs- 
geschichte daraus gemacht; denn in der That bekam ihm sein 
Ausharren übel. Jedoch man versteht auch ihn, wenn man sich 
in seine Lage denkt, ganz gut. Er blieb eben als Aufnahms- 
truppe stehen oder glaubte als solche zu dienen, wenn er ledig- 
lich nicht vom Platze wich; hätte er in dem Augenblicke der bei 
Hohenlohe beginnenden Debandade auch seinerseits vor dem 
Gegner weichen sollen? Der moralischen Wirkung wegen that er 
es einmal nicht und dann der mechanischen Aussicht zu Liebe, 
in die Flanke der verfolgenden Franzosen später vorzugehen. 

Nach 1 Uhr war endlich die Spitze des RücheFschen De- 
tachements westlich Capellendorf erschienen. Dieser General war 
durchdrungen von der felsenfesten Überzeugung, die preußischen 
Truppen seien, wie jedem anderen Heer, so auch dem Napoleons 
unendlich überiegen ; in ihm verkörperte sich jenes blinde Selbst- 
vertrauen, das dem einfachen Kämpfer so wohl an- 
steht, indem es ihn ohneUeberlegunginden Kampf 



Digitized by VjOOQIC 



— 179 -- 

vertrauend führt, dem Führer jedoch und zwar je 
höher er steht, umso gefährlicher wird. In Friedens- 
zeiten liebt man solche Führer und meist unterscheidet man nicht, 
ob ihr Enthusiasmus für die Sache nur geheuchelt, oder, wie hier, 
aufrichtig ist. Den Skepticismus, der der unweltmännischen und 
wenig lebensklugen Fähigkeit auf der Stirn geschrieben steht, den 
liebt man nicht und will von ihm nichts hören ; und in mancher 
Hinsicht wohl auch sehr mit Recht, denn der Skepticismus, wo 
er vorhanden ist, werde nicht geäußert, man treibe als Soldat, und 
stehe man noch so hoch, nie pessimistische Kannegießerei; in 
der Zurückhaltung und Decenz des gesprochenen Urtheils zeigt 
sich ja der Mann der That, während der Denker sich durch seine 
Offenheit und naive Überzeugungstreue des Anspruchs auf das 
Feld praktischen Thuns mehr oder weniger begibt. Doch hier 
haben wir*s mit einem Extrem zu thun, dem militärischen Chau- 
vinisten unverfälschter Qualität; auf günstigem Boden, heimat- 
lichem Boden, und unter der Sonne des Friedens, schießt diese 
Sorte üppig in das Kraut. So war es auch mit Rüchel, der ein 
großes Ansehen in der Armee genoss. Ersichtlich ist an diesem 
Mann, dass ihm das dem Feldherrn nicht ersten Ranges und 
selbst diesem oft unentbehrliche Misstrauen in die eigene 
Kraft und in den Wert der eigenen Mittel gänzlich 
abgegangen ist. Indem er der Wahlstatt nahte, betrachtete er sich 
als den Fels, an welchem die Uebermacht des Feindes unfehlbar 
zerschellen müsse. In der Nähe von Capellendorf traf er mit 
Massenbach zusammen, der ihm Aufschluss über die Lage gab 
und sogleich schickte er sich an, durch einen energischen Stoß 
die Verfolgung aufzuhalten. Nachdem er eine unverhältnismäßig 
starke Reserve bei Wiegendorf, also erstaunlich weit, zurückge- 
lassen hatte, ging er durch den Ort und formierte sich auf dem 
jenseitigen steilen Hange zum Angriff in Echelons ; 1 1 Bataillone 
waren hier vereint und hängten sich noch einzelne geschlossene 
Truppentheile von Hohenlohe an. Soeben erschien französische 
Artillerie auf dem Kamm der Höhe und feuerte sogleich Kartätschen 
in diese Masse hinein, die nicht zu verfehlen war; in einem 
Augenblick gab es den bedeutendsten Veriust; die feindliche In- 
fanterie griff ein und als Rüchel selbst durch die Brust geschossen 
war, obwohl mit seltenem Heroismus bei seinen Bataillonen ver- 

12» 



Digitized by VjOOQIC 



— 180 — 

blieb, stutzten dieselben auf der halben Höhe des steilen Hanges, 
um sich unverweilt auf das Ortschaftsdefile in ihrem Rücken auf- 
gelöst zurückzuwerfen. Kaum eine halbe Stunde hatte das Ge- 
fecht gedauert und mit der Niederlage schwand die letzte Mög- 
lichkeit, der Verfolgung Einhalt zu gebieten. 

Es war etwa 3 Uhr nachmittags; muthig hatten sich einzelne 
deutsche Schwadronen den französischen Cavalleriebrigaden, natür- 
lich ohne jeden Erfolg, vereinzelt entgegengeworfen ; ein sächsi- 
sches Bataillon nahm den unglücklichen Feldherrn in seine Mitte 
und geleitete ihn unter stetem Kampf mit den französischen Reitern 
aus dem Getümmel zurück. Die Infanterie aller Verbände war 
nicht mehr zu halten und floh regellos Weimar zu. Endlich 
sah auch General von Zetzschwitz ein, er müsse zurück; alles, 
was noch vorne stand, schloss sich den Sachsen an ; aber bei 
Kötschau wurde die Division, nachdem sie in französisches Ar- 
tilleriefeuer gerathen, von Reiterei auf allen Seiten angefallen ; die 
Leute verloren gänzlich ihre Haltung und da die Feuerdisciplin 
nicht mehr herzustellen war, so wurde die ganze Division zer- 
sprengt ; was nicht fiel, wurde gefangen ; und nur dem Com- 
mandanten glückte es, sich mit einem Theil der Reiterei auf die 
Weimarer Straße zu retten. 

Wir wissen, dass Napoleon im Augenblicke der Entschei- 
dung bei Vierzehnheiligen keineswegs über weit überlegene Kräfte 
an Ort und Stelle gebot; so wurde, als Hohenlohe wich, die Ver- 
folgung zunächst durch jene Truppen aufgenommen, die bisher 
gefochten hatten ; der Kampf mit Rüchel hatte ihren Eifer etwas 
abgekühlt und so zogen sich die Truppen der preußisch-sächsi- 
schen Armee eine Zeitlang, ohne scharf verfolgt zu werden, zurück. 
Ein von Rüchel zurückgelassenes Detachement stand am Webicht- 
forst bei Weimar, und als der Fürst von Hohenlohe um 4 Uhr 
hier erschien, war daselbst bereits ein Theil der geschlagenen 
Truppen neuerdings gesammelt. Jedoch es geschah nichts, um 
sich hinter die Um zu ziehen und diesen Abschnitt zu halten. 
Man berieth, den Fluss im Rücken, hin und her, wohin der Rück- 
zug anzutreten sei, und kaum katte man ihn in der Richtung auf 
Liebstädt begonnen, so schmetterten schon französische Artillerie- 
geschosse in die Truppen ein; nun ging der letzte Rest von Halt 
verloren und bald waren nur mehr chaotische Massen in wilder 



Digitized by VjOOQIC 



— 181 - 

Flucht zu sehen. Der Fürst, jenseits der Um angekommen, er- 
fuhr den Ausgang der Schlacht von Auerstädt, vernahm von der 
tödtlichen Verwundung des Herzogs und floh nun verzweifelnd 
und unaufhaltsam vor der französischen Reiterei dahin, seine zer- 
sprengte Armee ihrem Schicksale überlassend. 

Bis an die Um im großen Ganzen folgte Napoleon an diesem 
Tage; es standen seine Truppen abends wie folgt: Murat mit 
zwei Reiterdivisionen in und einer vorwärts Weimar. Ney eben- 
daselbst ; Soult bei Ulrichshalben ; bei Apolda Bernadotte ; auf dem 
Schlachtfelde von Jena lagerten Lannes und Augereau ; die Division 
Dupont und eine Dragonerdivision bei Dornburg; Hauptquartier 
in Jena. Als sich der Kaiser zur Ruhe begab, hatte er noch 
keine Kenntnis davon, dass er heute zwei Schlachten statt einer 
gewonnen hatte. 

In der Schlacht traten von französischen Truppen insgesammt 
auf 95.000 Mann, von denen jedoch nicht mehr als 54.000 höch- 
stens in*s Gefecht gekommen sind; aus der Darstellung der Schlacht 
wissen wir, woher dies kam. Preußen und Sachsen nahmen 
etwa 54.000 Mann an der Schlacht theil, die fast ausnahmslos 
wirklich gefochten haben. 

Die Verluste sind auf keiner Seite auch nur annähernd be- 
kannt. Während bei den Franzosen die Verlustausweise nur für 
einen Theil der eingesetzten Truppen noch vorhanden sind, und 
dieselben Verluste zwischen 7 und 23Vo erkennen lassen, ent- 
zieht sich das, was die preußisch-sächsische Armee verlor, völlig 
jeder Controle. 

Wenn man diese Schlacht rein, das heißt modern mi- 
litärisch betrachtet, so ist zweifellos, dass sich eine lange 
Reihe der erheblichsten Fehler auf verbündeter Seite in derselben 
nachweisen lässt. Das Annehmen derselben überhaupt, das Nach- 
einandereinsetzen geringer Kräfte gegen einen vereinten Feind, 
der dieselben in aller Ruhe und Gemächlichkeit eine nach der 
andern schlägt ; der Mangel an Einheit in der kriegerischen 
Handlung und noch vieles andere mehr, womit die verschiedenen 
Bearbeitungen an- und überfüllt erscheinen. Versucht man es 
jedoch, ehrlich und ohne Vorurtheil sich in die Lage zu ver- 
setzen, wie sie am Morgen war und auf beiden Seiten erschien, 
so enthüllt sich immer mehr ihr wahrer, nicht hinwegzuleugnender 



Digitized by VjOOQIC 



— 182 - 

Charakter: Sie weist die Merkzeichen des Verhäng- 
nisses äußerst deutlich auf; insofern man als 
Verhängnis die Unmöglichkeit anerkennen will, 
in elfter Stunde plötzlich allwissend und all- 
mächtig zu werden. 

Gehen wir noch einmal das Bild der Ereignisse durch. Der 
Fürst von Hohenlohe wird durch die Heeresleitung belehrt er 
habe den Abmarsch der Hauptarmee zu decken, und tröstlich 
wird hinzugefugt, er könne nur mit geringen Kräften des Gegners 
zu thun bekommen ; woher solche im Anmärsche sind, kann 
man ihm mit Sicherheit nicht sagen ; jedoch müsse er auf jeden 
Fall einem ernsten Gefechte aus dem Wege gehen. Daneben hat 
der Fürst das Eintreffen des Herzogs von Weimar abzuwarten. 

Diese Weisungen, besonders jene, ein ernsthaftes Gefecht 
zu vermeiden, erhält der Fürst, als er eben im Begriffe steht, den 
ihm durch scheinbar schwache Vortruppen des Feindes entrissenen 
Beobachtungsposten am Landgrafenberge zurückzuerobern ; er 
gibt den Angriff auf und wendet sich, der strategischen Idee, 
die er soeben empfing, gemäß, nach Dornberg, wo er die 
Saaleübergänge sichern soll ; die verschiedensten Motive — wir 
haben sie angedeutet — bestimmen ihn, die Festhaltung der 
Saaledefileen nicht eigentlich zu bewirken. 

Am nächsten Morgen beginnt das Gefecht bei Tauentzien, 
von dem er anfangs glaubt, es sei nicht ernsthafter Natur, von 
neuem und hält an. So beschließt der Fürst, mit einer, wie er 
glaubt, entsprechend starken Macht zur Aufklärung vorzugehen ; 
die Witterungsverhältnisse verhindern ihn längere Zeit, etwas zu 
sehen. Indessen erfährt er durch Tauentzien vom Vorgehen fran- 
zösischer Kräfte und allsogleich leitet Hohenlohe die Cooperation 
mit Holtzendorf ein, der jedoch bald nicht mehr in der Lage ist, 
den Befehl des Fürsten auszuführen ; geschlagen zieht sich dieser 
General andiepräsumptive Rückzugslinie der Armee. 
Des Generals von Rüchel Mitwirkung, im Fall der Kampf ein 
ernster werden sollte, hatte sich der Fürst bereits versichert; 
als nun der Nebel schwand, erblickte er Kräfte des Gegners vor 
sich stehen, die, wie es schien, mit der eigenen schwachen Kraft 
doch immerhin zu schlagen waren ; das zu versuchen, entschließt 
sich Hohenlohe ; der Gegner weicht mit seinen vitalen Theilen 



Digitized by VjOOQIC 



— 183 — 

unverzüglich aus, während er Orte, die vor Hohenlohes Front 
liegen, mit Schützen besetzt, welche der Fürst mit seinem Truppen- 
niaterial erfolgreich nicht bekämpfen zu können fühlt ; und, man 
muss zugestehen, thatsächlich nicht bekämpfen konnte. 

Er überlegt ; während er überlegt, leiden seine Truppen ; 
er wartet; denn Rüchel soll ja kommen. Indessen glaubt der 
Fürst an den Erfolg, denn noch immer vermag er überlegene 
feindliche Kräfte nirgends zu sehen. Ersichtlich denkt der 
Fürst heute, den 14., anders über das Selbst- 
bestimmungsrecht eines Feldherrn, als er's ge- 
stern, den 13. that. Allein man müsste die menschliche 
Natur wahrlich schlecht verstehen, fände man diesen Contrast 
nicht völlig begreiflich : der gemessene Befehl kann den, der ihn 
empfängt, für den Augenblick erblinden machen; er 
fügt sich willenlos demselben unter der Wucht des „kategorischen 
Imperativs"; denkt er über denselben nach, hat er 
Muße dies zu thun, so wird derEmpfänger natur- 
gemäß, besonders unter dem Drucke der Verant- 
wortlichkeit, zu einem Compromiss zwischen 
dem Buchstaben des Befehls und dem scheinbaren 
Bedürfnis der Lage nach und nach gelangen, 
auch wenn diese seit Erhalt des Befehls sich in 
nichts verändert hat. Dass der Fürst am 13. den Landgrafen- 
berg nicht zurückeroberte, kam daher, dass er kein „großer Feld- 
herr" war, der erhaltene Befehle, des Erfolges sicher, ungescheut 
verletzt ; dass er am 14. angriff, kam daher, dass er ein tüch- 
tiger Soldat und selbständig denkender Führer gewesen ist. 

Und während der Fürst noch immer wartet, wohl die Er- 
schütterung seiner Truppen zu bemerken beginnt, doch, selbst 
von seltener Bravour, ein gleiches Maß derselben in seinen 
Truppen voraussetzt, löst sich deren Wille zum Kampfe immer 
stärker auf; es ist nicht zu erkennen, inwieweit der bloße An- 
blick der heranrückenden Verstärkungen Napoleons auf die 
Haltung der deutschen Bataillone wirkte; es wird anzunehmen 
sein, sie seien durch das Bewusstsein, mit ungleichen Waffen 
zu kämpfen, allein schon genügend heruntergebracht worden, 
dass sich das Blatt von selber gleichsam wandte. Wider den 
Willen des Fürsten gehen die Truppen zurück und der Fluch, 



Digitized by VjOOQIC 



— 184 - 

der jenem Führer wird, der das Weichen seiner Truppen nach- 
träglich sanctionieren muss, trifft den ritterlichen Fürsten. Ur- 
plötzlich erkennt er zudem die wie aus dem Boden wachsende 
feindliche Zahlüberlegenheit, und was jetzt erfolgt, daran den 
Maßstab der Kritik zu legen, verbietet wahrhaftig das Mitgefühl 
oder vielmehr die Kenntnis der menschlichen Seele, welche aus 
der Kriegsgeschichte beiläufig weiß, wann es wohl die Lage ge- 
stattet, Rückzugs-Dispositionen kalten Blutes zu erlassen. Das 
verbündete Heer war vor einer Stunde noch immerhin ein brauch- 
bares Werkzeug zum Kampfe gewesen, und jetzt ein solches 
nicht mehr. Größere Feldherren , als Hohenlohe war, haben 
nach geringeren Niederlagen die Zügel der Führung verloren; 
und so erschiene es wahrhaft abgeschmackt, jetzt, das glatte 
Papier der Kriegskarte vor den Augen, anzugeben, was Hohen- 
lohe zu thun gehabt. 

Zu spät erkennt er, dass er, ohne es zu ahnen, in 
eine Entscheidungsschlacht hineingerat hen ist; 
eine solche wollte er ja nicht, dachte nicht an sie, hielt sie nicht 
für möglich ; die oberste Heeresleitung selbst hatte ihm ja ge- 
sagt, eine solche stehe ihm nicht bevor. Aus dieser Unkenntnis 
der Lage erklären sich die Dispositionen des Fürsten, die eine 
entscheidende Schlacht, und gar gegen Überzahl, nicht in Be- 
tracht gezogen hatten ; ja thatsächlich nicht in Betracht nehmen 
gekonnt. So darf man seine Anordnungen nicht verdammen, 
indem man sagt: Wie konnte er sich en detail und 
nacheinander schlagen lassen, er hätte seine 
Kräfte vereinen sollen u. s. w. ; denn daraus lernt 
der, der Kriegsgeschichte liest, wahrhaftig nicht 
viel für die Praxis des Krieges; in dieser kann 
er dereinst in ein e ähnli ch e L age kom men ; und 
wird ebenso, wie Hohenlohe dazumal, nicht im 
voraus wissen, wie der Ausgang sei, um so- 
dann, des warnenden Beispieles eingedenk, im 
vorhinein klüger zu verfahren. Aber erklären kann 
die Kriegsgeschichte, wie der Gang der Dinge war; und jener, 
der zwischen ihren Zeilen zu lesen versteht, wird zweifellos die 
einzige, allerdings nicht mit Zirkel und Farbstift darzustellende, 
strategische, wenn man will, Lehre aus derselben ziehen: Nie 



Digitized by VjOOQIC 



— 185 - 

und nimmer könne ein Feldherr zu misstrauisch 
sein. 

Was wir bei Hohenlohe die psychologische Überschätzung 
der Truppen nennen könnten, sehen wir bei Rüchel noch schärfer 
wiederholt; die eigene Bravour lässt ihn die relative Schwäche 
der Seele seiner Truppen völlig übersehen ; weil er selbst von 
ausgezeichneter Tapferkeit ist, nimmt er an, der Soldat besitze 
dieselbe auch; nichts Tragischeres kann es für einen Führer 
geben, als die Erkenntnis, wie einsam er auf der Höhe kriegerischer 
Tugend steht, zu der seine Leute zu folgen nicht vermögen. 
Indess, es deutet dieses Verkennen vernehmlich genug auf den 
tüchtigen Soldaten, dem» die Gabe des Feldherrn fehlt ; 
denn dieser, die Menschen kennend, kann durch von 
den Truppen an den Tag gelegte Bravour stets nur über- 
rascht sein, seine Erwartungen übertroffen sehen; 
während er das Gegentheil für selbstverständlich hält, und mit 
demselben rechnet. 

Wenden wir uns nun zum Kaiser der Franzosen und zu 
seinem Heer. Der erste Gefechtsact, Eroberung der Linie Clos- 
witz-Lützeroda verlief im allgemeinen völlig so, wie es Napoleons 
Schlachtdisposition in Aussicht nahm, nur erheblich langsamer 
unter der Ungunst der Witterung. Kaum weicht Tauentzien, so 
drängt Lannes kräftig und beharrlich nach, bis ihm das Vor- 
rücken Hohenlohes Halt gebot. In dem sich nun entwickelnden 
Feuergefecht um Vierzehnheiligen erkennen wir klar, worin die 
elemenlartaktische Überlegenheit der Franzosen bestand; indem 
der Corpsführer seine geschlossenen Verbände, von denen er 
nicht sicher ist, ob sie es im Feuergefechtmit den 
preußischen Bataillonen auf die Dauer aufnehmen 
können, der Einwirkung des Gegn ers zunäch s t 
entzieht, lässt er demselben seine Schützen gegen- 
über. Von diesen weiß der letzte Tirailleur und 
sie.htbis zur Evidenz, wie ihm die wohlgerichteten 
Bataillone des Gegners nichts anzuhaben imstande 
sind. Nicht überlegener Math, nicht hohe Intelligenz hält 
den französischen Tirailleur an den taktisch wichtigen Punkten 
fest, sondern die ihm werdende Gewissheit, dass er durch 
seine Art zu kämpfen im Vortheile gegen den Gegner 



Digitized by VjOOQIC 



— 186 — 

sei ; wohl ist ihm das Stehenbleiben, trotzdem er klar die Über- 
legenheit der eigenen Kriegsform fühlt, gerade kein Genuss und 
ließe man ihm freie Wahl, so ginge er zurück ; aber die Führer 
haben mit ihm unvergleichlich leichteres Spiel, als ihre Geg- 
ner mit ihrem Material: sie haben nur einen Bru cht heil von 
jenem psychologischen Widerstand im Mann zu 
überwinden, den der deutsche Führer in seinen Leuten zu 
besiegen hat. Das Bewusstsein, die eigene KampflForm schütze, 
beruhigt ungemein, und nach einigem Erfolg erzeugt es in dem 
lebenden Material des Krieges eine Art von Sorglosigkeit, ja Über- 
muth, angesichts der Gefahr. Und dies ist ja doch das psycholo- 
gische Problem des Krieges in allererster Linie: die Massen 
zum Kampfe willig zu machen; heute versucht er's 
durch imaginären Zwang unter der Erscheinungsform erhöhter 
Kriegsdisciplin ; morgen entdeckt er triumphierend eine eigen- 
thümliche Form, die den Zwang zum Theil entbehrlich macht, 
indem sie die seelischen Ansprüche an die Truppe 
herabsetzt. Also durchaus nicht tapferer brauchte 
der französische Schütze zu sein, als der Linien- 
soldat der preußischen Armee, und er ist es in der 
That auch lange nicht gewesen. Für überlegen sah er 
sich an und dieser Glaube in ihm dauerte zunächst 
auch dort und dann weiter fort, wo und als er thatsächlich 
nicht überlegen war. Auf dieses eben kommt es vor allem 
im Kriege an. 

Es wäre jedoch den Thatsachen nicht entsprechend, an- 
zunehmen, als ob das Schützengefecht die Normal- und vor- 
herrschende Form des französischen Fußvolkskampfes gewesen 
sei. Im Gegentheile, wie schon bei dem Bilde der französischen 
Armee bemerkt, war der Kampf in geschlossenen Verbänden 
durchwegs vorgeschrieben; und in der That focht am 14. October 
die große Masse der französischen Infanterie in dieser letzteren 
Form. Aus diesem ergibt sich nun bei einigem guten Willen sehr 
klar der Geist der Taktik jener Zeit. Die Schützen, die nur immer 
einen Bruchtheil der fechtenden Truppen darstellen dürfen, haben 
den Zweck, den Feind moralisch zugrunde zu richten, ihn für 
den Stoß mit Colonnen empfänglich, das heißt widerstandsunfähig 
gegen ihn zu machen ; sie sind kein Mittel zur Schlachtentscheidung, 



Digitized by VjOOQIC 



187 



sondern nichts als ein Instrument, welches, weniger leidend als 
der Gegner, denselben ermüdet und entnervt, bevor der End- 
stoß erfolgt Nur gewissermaßen geduldet ist das 
Tiraillieren als ein Nothbehelfy soll im Auge des Soldaten 
eine ihm gewährte Wohlthat sein, die er dankbar hinnehmen, 
keineswegs missbrauchen darf; denn sehr wohl weiß Napoleon, 
welche große taktische Gefahr der Übertreibung des Tiraillierens 
innewohnen muss; seine geschlossenen Truppen hat er bei der 
Hand, setzt sie ein, lässt sie kämpfen, aber das Zünglein an 
der Wage bilden doch jene gleichsam nur improvisierten 
Schützen, deren unscheinbare Thätigkeit von so unend- 
lichem taktischem Gewichte ist; die Thatsache, dass von 
20.000 Mann, die kämpften, nur 1000 im Schützengefechte 
standen, während der Rest geschlossen focht; also das wirkliche 
numerische Verhältnis, welches den Tirailleurs nur einen Bruch- 
theil der Kämpfer einräumt, ist nicht das äußere Bild dessen, 
was sie wirkten; sie nahmen trotz ihrer relativ geringen Zahl 
mehr Einfluss auf das Gefecht, als es eine trockene Relation 
gemeiniglich erkennen lässt; denn diese verzeichnet die moralische 
Verwüstung nicht, die nur wenige Tirailleurs jener Zeit besonders 
einem Gegner, wie die Preußen waren, zuzufügen wussten, 
welche Zerstörungsarbeit eben nur von ihnen geleistet werden 
konnte, und zu der die große Überzahl geschlossener Truppen- 
theile füglich nicht so sehr wie sie geeignet war. Klar scheint es 
uns nun mit einemmal zu werden, woher es kam, dass das 
Tiraillieren in der französischen Armee nicht officiell geregelt war. 
Und wahrhafte Ehrfurcht vor dem Menschenkenner Napoleon 
muss uns hier ergreifen, wenn, wie es wohl noch dahinsteht, 
wir ihn diesmal errathen: Er erkennt genau, welch unge- 
heuren Vortheil das Tirailleurgefecht im Kampfe ver- 
spricht: jedoch er sanctioniert es nicht; nichts kann ihm 
ferner liegen, als das Bestreben, dieses hervorragende 
Kriegsinstrument öffentlich zum System zu erheben; 
er proclamiert sein Recept zum Siege nicht. Denn erstens 
will er das Tiraillieren in der eigenen Armee nur als eine be- 
dingte und gewünschte Wohlthat angesehen wissen, die nicht 
übertrieben ausgebeutet werden dürfe; zweitens, und dies scheint 
fast der gewichtigere Grund für sein Schweigen in diesem Punkt 



Digitized by VjOOQIC 



— 188 — 

ZU sein, liegt ihm daran, dass man im Ausland nicht erfahre, 
was die Stärke seiner Taktik sei; er verschleiert klug 
das, was ihm Überlegenheit verschaffen kann, als Menscnen- 
kenner sehr wohl wissend, dass die Menschen nicht im 
Stande sind, aus den Ereignissen und besonders den 
Vorgängen des Kampfes die entscheidenden Motive, 
wenn solche nicht geradezu in die Augen springen, mit 
Klarheit und voller Überzeugung herzuleiten; sondern 
vielmehr nur das zunächst verstehen und jenes glauben, 
was an irgend einer Stelle schwarz auf weiß verzeichnet 
steht. Indess, wozu erschöpfen wir uns in Worten? Hier eine 
Probe, wie man über Napoleons Taktik in der vorjena'schen Zeit 
gedacht: Die Mitglieder der militärischen Gesellschaft in Berlin 
kamen Ende 1804 über die Kampfweise der Franzosen zu folgen- 
dem Resultat: „Man könne nicht sagen, die neueren Franzosen 
hätten das Tirailleursystem absichtlich eingeführt. — Es 
entstand durch den Drang der Umstände. Das Terrain des letzten 
Kriegsschauplatzes trug viel dazu bei; in jedem offenen Terrain 
würden sie gewiss zur geschlossenen Ordnung zurückkehren . . ." *). 
Welche Blicke thut man da in jene Zeit! Wie verständlich, so 
verständlich, dass man billig sagen muss, es konnte nicht anders 
sein , erscheint uns jetzt das taktische Thun der preußischen 
Feldherren wohl! Aber welch einen Blick erschließen uns auch 
diese wenigen, halbvergessenen und kaum beachteten Zeilen in 
die Werkstatt jener gewaltigen seelischen Hebel, deren sich der 
größte Feldherr der modernen Zeit bedient, die jedoch nicht so 
deutlich und klar und plausibel zu machen sind, als etwa die 
Principien der Mechanik seiner Strategie. 

Ein Mann, der in g roßartigere r Weise seine 
Gegner zu täuschen und hinter's Licht zu führen 
verstanden hat, wird in der ganzen Geschichte 
schwer zu finden sein. 

Doch nun zu den Tirailleuren zurück ; bei Jena scheint — 
es lässt sich dies aus dem Materiale nicht völlig erkennen, doch 
scheint es so zu sein, als ob das Tirailleurgefecht allein durch 
seine Dauer schon die Entscheidung herbeigeführt hätte. Zu be- 
merken ist hierzu, dass der Unterschied der alten und der neuen 

*) V . d. Goltz, 204. 



Digitized by VjOOQIC 



- 189 - 

Taktik noch nie so scharf hervorgetreten war, als eben jetzt bei 
Vierzehnheiligen. Das Jahr vorher war Buxhoewden mit seiner 
Übermacht gegen Legrand und Davout, die hinter dem Goldbach 
standen,*) wenn auch mit erheblichem Verlust, doch immer vor- 
gegangen ; und hier blieb Hohenlohe stehen ; hinzukam der For- 
malismus der preußischen Armee, der aus den Bataillonen eine 
kaum zu verfehlende Reihe von Scheiben machte. Wenn man 
erwägt, dass Hohenlohe in dem Moment, als seine Bataillone sich 
wandten, noch immer stehen zu bleiben gesonnen war, so muss 
man zu der Anschauung gelangen, dass sich gewiss nicht gerade 
in feuerwirksamer Nähe überlegene geschlossene Truppen des 
Feindes gezeigt haben. 

Fassen wir nun das Bild des Fußvolkskampfes, wie es hier 
erscheint, noch einmal in's Auge, so kann man ruhig sagen : Na- 
poleon versteht es meisterhaft, den Gegner durch Truppen, die 
für ihren Zweck — aber auch fast nur für diesen — 
eine ganz besondere Taktik haben, derart zu erschüttern, dass 
dieser seine Überlegenheit im nachfolgenden geschlossenen Feuer- 
gefecht nicht mehr anzuwenden vermag. 

Gleichwie im Embryo jetzt, 1806, schließt sich daran eine 
zweite Napoleon'sche Idee, die wir aus dem Bilde der Schlacht 
gewinnen. Wir wissen wohl, man muss vorsichtig mit solchem 
Urtheil sein, das in den Acten und den Quellen nicht verzeichnet 
steht. Allein der Gedanke lässt sich nicht abweisen : Napoleon be- 
ginnt zu erkennen, dass das Tirailleurgefecht hinreichen 
kann, den Gegner derart zu erschüttern, dass er weichen 
wird, sobald man ihm geschlossene Massen auch nur 
zeigt. Wir sagen nicht, dass der Kaiser mit dieser Thatsache 
rechnet; aber bemerkt und erwogen hat er sie sicherlich. Es ist 
dies eine der selteneren, aber auch manchmal wirkungsvollsten 
Erscheinungsformen der Kriegspsychologie ; selten, denn nur ein 
sehr gefürchteter Feldherr wendet sie mit Bewusstsein und einiger 
Sicherheit des Erfolges an. Aber hier, wo die taktische Über- 
legenheit der den Gegner vorbearbeitenden Kriegsmittel eine so 
bedeutende ist, dass dieser schon vor dem Ansetzen des mecha- 
nischen Stoßes, der zum endlichen mechanischen Ausringen führen 
soll, fast schon widerstandsunfähig geworden ist : gewinnt der 

•) In der Schlacht von Austerlitz. 



Digitized by VjOOQIC 



- 100 - 

Glaube Raum, es sei in jener Vorbearbeitung eben das 
Schwergewicht der Kampfesthätigkeit gelegen und sei es 
Plan gewesen, durch bloßes Zurschaustellen frischer Kräfte den 
Umschwung zu den eigenen Gunsten zu bewirken ; es ist indess, 
nochmals, nicht nachgewiesen, ob dem hier thatsächlich so war ; 
und noch weniger, ob es Napoleons Calcul also gewünscht 

Was die Verwendung der Schwesterwafifen auf französischer 
Seite betrifTt, so sehen wir die Reiterei durch den Grundsatz 
der Gefechtsreserve — also einer neuen Form — überall im 
Vortheile. Gerade bei dieser Waffe tritt der, wenn man so sagen 
darf, taktische Sansculottismus scharf hervor. Sie reitet unbe- 
kümmert an, und eine wilde Jagd beginnt, sobald der Gegner 
weicht; während die preußischen Schwadronen nach dem Choc 
zunächst auf das Signal Ralliieren warten, um Richtung und 
Alignement, die leider verloren gegangen, wieder zu gewinnen, 
dringen die französischen Geschwader von allen Seiten nach und 
nehmen die Unordnung, die dabei entsteht, gleichmüthig in den 
Kauf. Auch trat die französische Cavallerie durchwegs in starken, 
geordneten, meist Brigadeverbänden in den Kampf, während die 
deutschen Schwadronen vielfach vereinzelt fochten. In dieser 
Waffe hat sich der Altersunterschied der beiderseitigen Führer 
besonders fühlbar gemacht. 

Von der Artillerie ist wenig zu berichten; Napoleon ver- 
suchte vor Vierzehnheiligen die Bildung einer Geschützmasse, 
doch gelang dieselbe nicht in dem gewünschten Umfang. 

Die Schlachtführung im Großen betreffend, nehmen wir 
folgendes wahr: Die Corpsführer lösen die ihnen übertragenen 
Aufgaben strenge im Sinne der Schlachtdisposition und wo diese 
nicht ausreicht, im Sinne des „an den Feind und schlagen". Sie 
handeln so, wozu die Mittel, die sie in die Hand 
bekommen haben, geschickt und geeignet sind; 
viel muthen sie ihnen zu, doch was der Führer von der Truppe 
verlangt, ist dieser aus langer Erfahrung sehr genau bekannt 
Alle Marschälle und Generale zeigen das lebhafteste, ja heiße 
Verlangen, den Intentionen des Kaisers nachzukommen, sie suchen 
dieselben sogar im voraus zu errathen, gehen, wo es ihnen am 
Platze scheint, über dieselben hinaus ; ein durch guten Willen 
für die Sache erzeugtes lebendiges Convergieren aller Einzelbe- 



Digitized by VjOOQIC 



— 191 — 

Strebungen . auf den Kampfeszweck hin tritt überall hervor; nur 
Augeraus langes Säumen ist nicht ganz erklärt. 

Der Kaiser leitet persönlich den Gang des Gefechtes und 
greift vor Vierzehnheiligen persönlich ein, als die Truppen Lannes 
zurückgehen. Was die Anlage der Schlacht im Großen betrifft, 
so sehen wir, wie er mit den geringen vorhandenen Kräften 
unbedenklich angreift, indem er den Rest, der noch am Marsche 
ist, erwartet. Hervorgeht klar daraus, wie Napoleon sicher zu 
sein glaubt, unter allen Umständen das Gefecht zu halten, bis 
er versammelt ist. Das ist in dürren Worten Überzeugung von 
der Innern taktischen Überlegenheit der eigenen 
Mittel über jene des Gegners. Der Gedanke kommt 
Napoleon gar nicht, er könne auf das Defile in seinem Rücken 
zurückgeworfen werden. Wir finden bei Jena in noch höherem 
Maße als bei Austerlitz, wie der Kaiser in währender Schlacht 
seine Macht auf dem Schlachtfeld vereint. Nicht stellt er 
seine Reserven gewissenhaft vor dem Kampfe 
und diesem möglichst nahe auf, sondern er zieht 
sie aus dem strategischen Marsch in den tak- 
tischen Marsch hinüber. Er weiß , dass die taktische 
Reserve am besten heranmarschiert, bevor sie zur Verwendung 
kommt, um durch die lebendige Kraft, die ihr vom 
Marsche her noch innewohnt, ohne lange und 
gefährliche Reflexion auf den Kampfort getragen 
zu werden; während die lange bereitstehende Reserve, auch 
wenn sie materiell nicht veriiert, doch moralisch unter der 
zersetzenden Unthätigkeit leidet. Auch drängt sich uns hier wie- 
der der Gedanke auf, als seien jene Reserven zum Theil 
bestimmt gewesen, durch ihr Erscheinen allein auf den Ge- 
fechtszweck einzuwirken. 

Wir verfolgen somit ein taktisches Thun des Kaisers, jene 
Siegessicherheit, die er in seinem strategischen Thun bis nunzu 
verrieth ; und wie wir sehen, gibt der Erfolg ihm Recht — bei 
Jena, wo er einem halb so starken Gegner nur gegenüberstand. 



Digitized by VjOOQIC 



- 192 - 

Auf dem rechten strategischen Flügel Napoleons standen. 
wie bekannt, am Abend des 13. October: Davout bei Naumburg- 
Kösen; Bernadotte vor Naumburg; und bei Naumburg-Weißenfels 
der Großherzog von Berg mit den Dragonerdivisionen Beaumont 
und Sahuc, der Chasseurbrigade Milhaud und der Husarenbrigade 
Lasalle. Alle diese Truppen gedachte der Kaiser zur Schlacht 
heranzuziehen und sandte im Laufe des 13. die bezüglichen Be- 
fehle. Murat und Bernadotte sollten über Dornburg in des Feindes 
linke Flanke, eventuell seinen Rücken marschieren. Um 10 Uhr 
abends ergeht dieselbe Weisung an Davout, dem jedoch die Wahl 
des einzuschlagenden Weges überlassen blieb. 

Bernadotte hatte, da Davout, dem er zunächst stand, ur- 
sprünglich angewiesen war, zu warten, die Idee gefasst, er 
müsse diesem Marschall nahe sein, um ihn vorkommendenfalls 
unterstützen zu können. Aus welcher Kenntnis der allgemeinen 
Lage dieser strategische Entschluss hervorgegangen ist, weiß man 
nicht recht. Als jedoch in der Nacht des 13./ 14. der Befehl Napoleons 
an Davout bei diesem Marschall eintraf, in welchem Befehle Ber- 
nadotte bereits bei Dornburg stehend angenommen wird, marschiert 
der Fürst von Ponte-Corvo schleunigst dahin ab, obwohl ihm 
jetzt bekannt geworden ist, dass dem III. Corps ein Feind gegen- 
übersteht, dessen Stärke allerdings nicht bekannt und eher unter- 
schätzt worden ist. Der Marsch, verspätet angetreten, wurde von 
Bernadotte indolent geführt; zwischen Camburg-Dornburg ver- 
nahm er den Kanonendonner, der von Jena sowohl als Auerstädt 
nunmehr herüberscholl; beeilte sich jedoch, wie feststeht, durch- 
aus nicht mit dem Entschluss, wohin er sich zu wenden habe: 
und als ersieh endlich entschieden hatte, Napoleon zuzumarschieren, 
that er dies mit soviel Gemächlichkeit, dass er erst etwa um vier 
Uhr Apolda erreichte, wo er Quartiere bezog. Er hat nach keiner 
Seite in den Kampf eingegriffen, ja es nicht einmal ernstlich ver- 
sucht. Neben der für den Durchschnitt eines französischen Mar- 
schalls jener Tage auffallenden Entschlusslosigkeit und dem noch 
mehr auffallenden Mangel an Energie hat man ihm auch noch 
unlautere Gründe für seine Handlungsweise vorgeworfen; Eifer- 
süchteleien gegen Davout sollen im Spiele gewesen sein. Er- 
sichtlich ist, dass der spätere Kronprinz von Schweden nicht auf 
der Höhe der übrigen Corpsführer stand. 



Digitized by VjOOQIC 



— 193 — 

Murat erreichte in Befolgung der erhaltenen Befehle am 
Abend des 14. October mit der Masse seiner Reiterei Apolda, 
während Sahuc in Dornburg blieb. Der Marschall hatte sich 
für seine Person zum Kaiser aufs Schlachtfeld von Jena 
begeben und mag vielleicht die relative Langsamkeit des Mar- 
sches seiner Divisionen auf Rechnung seiner Abwesenheit zu 
setzen sein ; nichts kam von dieser ganzen Reiterei zur Ver- 
wendung. 

Davouts Vortruppen hatten am Abend des 13. ein leichtes 
Geplänkel bei Kosen gehabt und der Marschall sodann diesen 
Übergang besetzt; da er auf der Straße des rechten Saaleufers 
Murat im Marsch aufs Jenaer Schlachtfeld wusste, so entschloss 
er sich, als ihn der Befehl Napoleons, die Theilnahme an der 
Schlacht bezweckend, traf, auf dem linken Ufer über Auerstädt- 
Apolda zu marschieren und ging mit dem Frühsten des 14. auf 
dieser Straße vor. Da jedoch seine Divisionen die Nacht hindurch 
ziemlich vereinzelt gestanden hatten, so brachen sie nicht gleich- 
zeitig auf und schlössen nicht knapp hintereinander in der Marsch- 
colonne an, sondern es ergaben sich vielmehr sehr erhebliche 
Abstände zwischen denselben. 

Das dritte Corps bestand aus folgenden Truppen und hatte 
am 14. October folgende Zahlen: 

1. Division, General Morand, 10 Bat. 

2. „ „ Friant, 8 „ 

3. ,, „ Gudin, 8 „ 
Leichte Cavalleriebrigade, General Vialannes, 9 Esc. 

27.300 Mann 
nebst 44 Geschützen. 

Von diesen Truppen hatte die Division Gudin die Nacht 
bei Kosen zugebracht und überschritt die Saale etwa um halb 
7 Uhr. 

Die preußische Hauptarmee hatte, wie bekannt, mit ihrem 
Gros die Nacht südlich Auerstädt zugebracht, während die Avant- 
gardedivision Schmettau, die dem Befehl, Kosen zu besetzen, 
nicht nachgekommen war, nördlich der Stadt gelagert hatte. Am 
14. October 6 Uhr morgens trat nun die Armee den Marsch nach 
Norden an. 

C. von B.-K. Zur Psychologie des großen Krieges II. 13 



. 10.000 


Mann 


. 7.500 


n 


. 8.500 


n 


c. 1.300 


n 



Digitized by VjOOQIC 



10 Bat. 20 Esc. 


i 10 . 


10 . 


10 , 


10 , 


8 , 


15 , 


10 „ 


« 


4 „ 


25 , 


52 Bat. 


80 Esc. 



— 194 - 

Sie bestand an diesem Tage aus : 
3. (Avantgarde-) Division, GL. Graf Schmettau . 

1. „ GL. Prinz von Oranien 

2. „ GL. Graf Wartensleben 
Reservecorps ; G. d. C. Graf Kaikreuth. 

1. Reservedivision, GL, Graf Kunheim . . . 

2. „ GL. von Arnim 

leichte Truppen (bis zum 13. October GL. von 

Blücher) 4 

"52" 

Die Bataillone zählten 750 Gewehre, die Escadronen 115 Säbel. 
An Artillerie war vorhanden: 16 Batterien mit 136 Geschützen, 
dann 94 Stücke der Infanterie. In runder Summe betrug der 
Combattantenstand 50.000 Mann. 

GL. von Blücher erhielt am Morgen den Befehl über die 
gesammte Reiterei der Avantgardedivision ; doch kaum hatte er 
denselben übernommen, als ihm der Herzog auch schon wieder 
einen Theil der Escadronen entzog ; einige derselben gingen als 
Avantgarde der Division Schmettau auf Kosen voraus und 
nachdem sie bei Poppel eine Cavalleriespitze des Gegners zurück- 
geworfen hatten, passierten sie mit der ihnen beigegebenen 
Batterie das Dorf Hassenhausen. 

Am Ausgange desselben empfing sie das Kartätschenfeuer 
einer aufgefahrenen französischen Batterie ; die preußischen Ge- 
schütze, kaum in die Stellung gebracht, wurden von französi- 
scher Infanterie und Chasseuren genommen und so warfen sich 
die Dragoner sofort wieder in das Dorf zurück. Blücher war 
inzwischen mit den ihm verbliebenen 7 Escadronen auf den Ran- 
zenhügel vorgegangen ; plötzlich erkannte er in einem schwarzen 
Streifen, den er im Nebel für eine Hecke angesehen, feindliche 
Infanterie ; und vorsichtig stand er von einem Angriff ab. Es 
waren bei Hassenhausen 11 Escadronen und 1 Batterie preußi- 
scherseits auf die Avantgarde Davouts von 2 Bat., 1 Esc. und 
einer Batterie gestoßen. Der Nebel vornehmlich veranlasste die 
preußischen Führer, die local getrennt und ohne Übereinstimmung 
handelten, zu dem übereinstimmenden Entschluss, vorerst abzu- 
warten und vor allem sich um Verstärkung umzusehen. 



Digitized by VjOOQIC 



— 195 — 

Rasch folgten nun die Ereignisse aufeinander. Der Mar- 
schall, der sich bei der Avantgarde befand, beeilte den Aufmarsch 
der zunächst folgenden Division Gudin, deren größten Theil er, 
da Blücher sich immer mehr von Hassenhausen nördlich zog, 
und südlich des Ortes noch keine Preußen zu erblicken waren, 
rechts vom Orte aufmarschieren ließ. Blücher hatte unterdessen, 
nicht ohne Reibungen auf dem Instanzenwege, einige Schwa- 
dronen der Division Wartensleben, die auf Schmettau folgte, zu- 
gewiesen erhalten und, nachdem er, östlich von Spielberg vor- 
gedrungen fast schon im Rücken der Franzosen stand, atta- 
kirte er. Er traf auf intakte Infanterie und wurde abgewiesen ; 
unaufhaltsam eilten trotz seines persönlichen energischen Ein- 
greifens die Kürassiere und Dragoner bis zu dem schützenden 
Wald nördlich Spielberg zurück ; nur eine reitende Batterie blieb 
feuernd auf ihrem Platze stehen. Auf Seite der Franzosen traf 
nun die Division Friant und die Cavalleriebrigade ein. Davout 
zog die Mehrzahl dieser Truppen gleichfalls auf seinen rechten 
Flügel und erkannte sogleich die günstige Gelegenheit, die Ver- 
einsamte deutsche Batterie zu nehmen ; es gelang und die fran- 
zösischen Reiter prallten in ihrem Übereifer mitten in die preußi- 
sche Division Schmettau hinein, welche sich eben jetzt nördlich 
der Straße gegen Hassenhausen zu entwickeln begann. Es wirft 
kein günstiges Licht auf die deutschen Truppen, wenn wir hören, 
die Bataillone Schmettaus hätten auf die in ihre Intervallen vor- 
gedrungenen wenigen feindlichen Reiter blindlings kreuz und quer 
geschossen ohne Rücksicht darauf, dass sie die eigenen Truppen 
hiedurch gefährdeten. 

Vor Hassenhausen traf eben jetzt, etwa 9 Uhr, der Herzog 
. ein. In den Höhen südlich des Ortes, erklärte er, liege der Schlüssel 
der Stellung, also nach modernem Jargon der entscheidende Punkt; 
nachdem er seinen Generalstabschef Scharnhorst zur Division 
Schmettau dauernd abbefohlen hatte, sandte er einen Officier 
zurück, um den nachrückenden Truppen die Direction auf die 
bezeichnete Höhe zu geben. Dieser Officier traf zunächst die 
Division Wartensleben nördlich Auerstädt in einem deplorablen 
Zustand an : die Verbände durchwegs zerstört und zerrissen, die 
Leute jetzt schon nirgends in der Hand der Führer. Diese Un- 
ordnung war durch technische Schwierigkeiten entstanden, welche 

13* 



Digitized by VjOOQIC 



— 196 — 

die Division beim Marsche durch das vom Tross des Hauptquartiers 
überfüllte Auerstädt gefunden ; und durch den eigenthümlichen 
Umstand, dass beim Passieren des Emsbaches jedermann über 
die Brücke und niemand durch die Furt zu gehen gesonnen 
war, wodurch heillose Verwirrung platzgegrififen hatte. Dennoch 
begann die Division endlich ihren Aufmarsch ; eine Brigade ging 
über Gernstädt und den Meerrettiggrund, die andere über Reh- 
hausen vor. 

Inzwischen gewannen bei Hassenhausen die Dinge eine 
ernste Gestalt. Schmettau machte Anstalt, mit seiner Division den 
französischen rechten Flügel anzugreifen. Davout — ein echter 
Adept der napoleonischen Schule — will diesen Stoß durch eine 
Umfassung parieren und sendet 5 Bataillone auf Spielberg, von wo 
sie in des Gegners linke Flanke fallen sollen ; diese Truppen 
scheinen hier jedoch durch die neuerdings gesammelten Reste von 
Blüchers Reiterei festgehalten worden zu sein. Eben begann auf 
des Marschalls linkem Flügel das Herannahen von Wartensleben 
sichtbar und bald fühlbar zu werden, so dass er aus seiner 
Schlachtlinie nördlich des Ortes 4 Bataillone auf seinen linken 
Flügel und südlich nach Hassenhausen zog, wo das 85. Regiment 
bisher ziemlich exponiert gestanden. Von den vorhandenen 16 Ba- 
taillonen blieben dem Marschall somit nur 7 unmittelbar zur Hand, 
um den Stoß der 10 Bataillone Schmettaus abzuwehren: einge- 
leitet wurde derselbe durch einen gelungenen kleinen Reiterkampf, 
in welchem ein paar Geschütze der Franzosen genommen wurden: 
die preußischen Bataillone gingen ernstlich vor; und dieses 
einleitende Vorgehen allein schon wirkte auf 
die Führer so erhebend, ja es scheint, tast uner- 
wartet ein, dass Scharnhorst den Truppen zuzu- 
rufen sich nicht enthalten konnte, sie hätten die 
preußische Monarchie gerettet. Wir wollen hier nicht 
darauf verweisen, wie Lob, das erst zu verdienen und blutig zu 
verdienen ist, auf die Truppen, denen es vorweg gespendet wird. 
nicht oft befeuernd, sondern vielmehr genugthuend, mithin däm- 
pfend und zügelnd einwirken würde ; indem man ja genugsam weiß. 
dass solche Worte, wo sie gesprochen werden, höchstens von 
einem verschwindenden Bruchtheile jener, denen sie der naive 
Enthusiasmus eines Neulings im Kriege bestimmt, gehört und 



Digitized by VjOOQIC 



- 197 - 

verstanden werden. Aber bezeichnend ist dieser unverhohlen zu 
Tage tretende dankbare Sanguinismus des Generalstabschefs für 
die Erwartung, die er bezüglich der Haltung der Truppen im 
vorhinein gehegt; denn kein objectiver Thatbestand lag vor, der 
einen derartigen Gefühlsausbruch uns begreiflich erscheinen lassen 
könnte; für Scharnhorst lag er in der simplen Thatsache, dass 
die Truppen überhaupt vorzugehen Willen zeigten ; man ermisst, 
wie naiv diese Dankbarkeit erscheinen muss. Ein Feldherr oder 
jener, der an seiner Stelle steht, darf sich zu einer solchen, auch 
wenn sie aufrichtig gemeint ist, nie hinreißen lassen. 

Schmettau griff mit Echelons vom linken Flügel an.*) Wenn- 
gleich nun die Einzelheiten des Kampfes nicht völlig bekannt sind, 
so geht doch aus der Darstellung hervor, dass wir im großen 
Ganzen hier demselben Bild begegnen, das wir bei Jena sahen. 
Die Franzosen, local und momentan in der Minderheit, klammern 
sich an einen Ort — hier Hassenhausen, während die geschlos- 
senen preußischen Bataillone, im freien Felde nördlich des Ortes, 
keine vitalen Theile des Gegners erblickend, das Object, zu dessen 
Eroberung ihnen das taktische Geschick nicht innewohnt, anzu- 
greifen sich nicht entschließen können. So kommt der Angriff in 
jener Situation zum Stehen, die den Franzosen das Bewusstsein 
taktischen Übergewichtes und den Preußen mit dem Fühlbar- 
werden des Gegentheils erhebliche Verluste bringt. In dieser Lage, 
die an das, was man Kriegsdisciplin der Truppen nennt, weit 
höhere Ansprüche auf preußischer Seite als auf 
französischer stellt, dauern vorerst die Bataillone Schmet- 
taus mit unübertrefflichem Muthe aus. Die preußischen Führer 
besitzen in den Formen ihrer Taktik kein bekanntes und ge- 
wohntes Mittel, sich aus der precären Lage durch rasche Er- 
oberung des vor der Front liegenden störenden Objectes zu ziehen; 
und ein solches improvisiert man nicht in einem regulären und 
wohlgedrillten Heer. 

Wenig später als Schmettau gelangte Wartensleben in's Ge- 
fecht und veranlasste die uns bekannte Kräfteverschiebung der 
französischen Schlachtlinie. Auf dem rechten preußischen Flügel 
attakierte Reiterei das 85. Regiment, welches Davouts äußerste 
Linke bildete. Die Franzosen zogen sich, da sie zum Theil über- 

•) Reinländer, 152. 



Digitized by VjOOQIC 



198 



rascht worden waren, auf das Dorf zurück. So drang der rechte 
Flügel Wartenslebens vor, während der linke, längs der Straße 
bleibend, vor Hassenhausen in den ungleichen Kampf mit den 
Tirailleurs gerieth; hier muss nun die Haltung der deutschen 
Truppen unter der Ungleichheit der taktischen Lage sich nicht 
allzusehr bewährt haben, denn dieOfficiere hatten sehr zu thun^um 
Ruhe zu erhalten. Der Herzog von Braunschweig in Person kam 
herbei, um durch seine Anwesenheit die Stimmung der Truppen 
zu heben. Man hat ihm dies sehr verargt und hat nachmals 
nicht scharf genug betonen können, wo der Standpunkt des 
Feldherrn in einem Treffen sei. Begreiflich ist dieser Tadel wohl. 
denn der alte Held wurde hier durch beide Augen geschossen, 
auf den Tod verwundet, und schreibt diesem Umstände die 
patriotische Legende die Niederlage zu. Alle Führung sei nun- 
mehr verloren gegangen. Man bedenke jedoch, um von allem 
Anderen abzusehen, welchen Zeitalters der Herzog war; ein ritter- 
licher Soldat des XVIII. Jahrhunderts, vermochte er in seinen 
alten Tagen sich nicht zur Höhe der nüchternen Auffassung 
unserer Zeit von den Pflichten eines Feldherrn im Gefechte zu 
erheben; und wusste er und konnte ihm bekannt sein, was wir 
wissen, dass der Feldherr einzig und allein aus sicherer Ferne 
kühl disponieren soll, ohne je, wenn auch aus guten 
kriegspsychologischen Gründen (natürlich nicht 
Enthusiasmieren der Truppen ist hier g emeint. 
sondern persönlicher Verkehr und unmittelbare 
Einwirkung auf die untergeordneten Führer an- 
gesichts der unmittelbaren taktischen Lage der- 
selben) in die gefährdete Zone zu gehen? Wahrhaftig, 
man muss zu dem Schlüsse kommen, man könne den Manen eines 
ritterlich Gefallenen jener Zeit keinen unbilligeren Vorwurf und, 
was schwerer wiegt, keinen unverständigeren thun, als 
den, sich exponiert zu haben. Ja, es steht sehr dahin, ob die 
moderne Lehre der persönlichen Nichtintervention eines Feldherrn 
in der Schlacht mit der Zeit und angesichts der modernen balli- 
stischen Mittel, nicht sehr verderblich werden kann. 

In der That hörte nun nach der Verwundung des Herzogs 
die Einheit der Handlung fast vollkommen auf. Der König über- 
nahm weder selbst den Oberbefehl, noch übertrug er ihn einem 



Digitized by VjOOQIC 



- 199 - 

Anderen. So that jeder der Generale das, was ihm zunächst gut 
erschien. Um jene Zeit — im Laufe des Vormittags — hat 
Friedrich Wilhelm III. endlich den Brief Napoleons aus Gera vom 
12. erhalten; erhebend hat diese Epistel auf ihn sicher nicht 
gewirkt; es mag die Sprache des Imperators den von Natur 
zaghaft und pessimistisch angelegten König hier vielleicht noch 
rathloser gemacht haben, als er es ohnehin schon war; jedoch 
ist dies historisch nicht erwiesen. Diesen Brief theilen wir später 
mit: er enthält so viel, dass seine Kenntnis augenblicklich noch 
nicht am Platze scheint. 

Die Lage war nun etwa folgende : Der rechte preußische 
Flügel, weit ausgedehnt, hat Hassenhausen völlig umfasst, der 
linke, kürzere, desgleichen ; vor dem Orte bildet die preußische 
Schlachtlinie einen scharfen Haken, der nicht imstande ist, über 
die Örtlichkeit hinaus sich vorzuschieben. Davout steht im großen 
Ganzen in und nahe um den Ort mit convexer Front. Die Preußen 
haben im Gefechte mindestens 20 Bat. und 20 Esc, Davout höch- 
stens 11 Bat, 9 Esc; die artilleristische Überlegenheit ist gleich- 
falls stark auf deutscher Seite. Jedoch ist bereits wahrzunehmen, 
dass in den deutschen Truppen die verschiedenen Verbände sehr 
durcheinandergewürfelt sind ; so besonders bei der Reiterei, wo 
einzelne Regimenter nur mit einzelnen Escadronen am Platze 
sind, von denen ein Theil ursprünglich zu Schmettau, ein anderer 
zu Wartensleben, ein dritter zu den leichten Truppen, noch einer 
zur Reserve gehörte. Es findet sich kein General, der die Rei- 
terabtheilungen unter einem Befehl vereint und einheitlich 
verwendet. 

Die Division Oranien war im Anmarsch über Gernstädt, 
ihre Reiterei voraus ; zuerst zur Verstärkung des linken preußi- 
schen Flügels bestimmt, erhielt sie weiterhin Gegenbefehl und so 
ging eine Brigade über Poppel und die andere über Rehhausen 
vor. Während nun diese 10 Bataillone, deren Reiterei schon bei 
Hassenhausen stand, auf dieses im Anmärsche waren, erhielt 
Davout durch das Teteregiment der endlich nahenden Division 
Morand eine leichte Unterstützung. Er gesteht in seinem Gefechts- 
berichte selbst, dass sein linker Flügel nahe daran 
gewesen sei, zu unterliegen; war doch schon die 
Lisiere von Hassenhausen aufgegeben worden. Verwunderlich 



Digitized by VjOOQIC 



— 200 — 

ist dies wahrlich nicht, wenn man die Stärkeverhältnisse in Rech- 
nung zieht ; zudem trafen am preußischen rechten Flügel be- 
ständig Escadronen ein, so dass hier eine ungeheure cavalleri- 
stische Überlegenheit der Zahl, wenn auch keineswegs in takti- 
scher Hinsicht, vorhanden war. Sehr kritisch war die Lage für 
Davout. Doch schon zwei Bataillone mit zwei Geschützen ge- 
nügten, um Hassenhausen zu halten, und wieder hergestellt war 
damit das Gefecht. Ein Regiment der Division Morand traf nun 
nach dem andern ein, und fast alle wurden von der zahlreichen 
preußischen Reiterei, der der Marschall dieselbe Waffe nicht ent- 
gegenstellen konnte, im Aufmarsch attakirt ; nirgends drangen die 
deutschen Reiter durch und so wurden sie bald an den Emsbach 
zurückgenommen. Dafür trat auf den beiden preußischen Flügeln 
je eine Brigade Oraniens in den Kampf, welche infolge von De- 
tachierungen nur mit je 4 Bat. einzugreifen in der Lage waren. 
Es stellt sich nun das Verhältnis der Kräfte der Preußen und 
Franzosen neuerdings wie folgt : 28 Bat. zu 20 *) ; das ist 
erhebliche Überzahl an taktischen Einheiten, und wenn man den 
Standesunterschied der französischen und preußischen Bataillone, 
dann die Artilleriebedienung auf beiden Seiten in Rechnung stellt, 
immerhin noch merkliche Zahlüberlegenheit der Preußen an In- 
fanterie. Doch eben jetzt begann sich der Anfang des Endes zu 
zeigen. Die bisher im Kampf gestandenen preußischen Truppen, 
hören wir, waren sehr erschüttert, ja begannen bereits langsam 
zu weichen. Die Umgehungscolonne Davouts näherte sich Poppel 
und allgemach fühlte die preußische Führung dieselbe. In der 
Führung sowohl, im Bereiche wo die leitenden Ideen sich bewegen, 
als in dem Materiale des Kampfes nehmen wir die Zeichen be- 
ginnender Auflösung wahr ; oben dachte man, man könne 
sich nicht halten; unten fühlte man es bitter; wie konnte da 
der Ausgang sein ? Nicht immer begegnen sich Truppen und 
Führung in ihrem Glauben an Erfolg oder Aussichtlosigkeit ; 
hier thaten sie es nur zu sehr. 

Um die Mittagsstunde trat die Entscheidung ein. Erst wich 
der rechte preußische Flügel und bald darauf der linke. Sofort 
drängte Davout in breiter Front nach. Nun wissen wir, dass die 



*) 1 Bat. Morand war zur Sicherung des Übergangs bei Kosen geblieben ; fast 
1000 Mann. 



Digitized by VjOOQIC 



- 201 — 

preußische Armee ja noch starke Reserven besaß. Das Reserve- 
corps Graf Kaikreuth, dann die leichten Truppen unter General 
von Oswald — mindestens 20 Bat. — waren im Laufe des Tages 
procul negotiis geblieben. Der Commandant der Reserve hielt sich 
beim König auf, um eventuelle Befehle zu empfangen und ohne 
sein Vorwissen, mithin natürlich auch ohne seine Einwilligung 
waren ihm bereits Theile seiner Reiterei entzogen worden, um 
im Kampfe verwendet zu werden, während die zurückgebliebenen 
Verbände, ohne Befehl geblieben, zumeist auf eigene Faust 
agierten. General von Oswald war nach Suiza gerückt, um die 
limübergänge zu besetzen und stand auf der Höhe zwischen 
diesem Ort und Auerstädt. GL. Graf von Kunheim, Führer der 
1. Reservedivision, war mit der Gardebrigade ebendahin gegangen, 
während die andere bei der Division Arnim verblieben war, die 
vorwärts Auerstädt stand. General von Kaikreuth selbst hatte die 
Reservecavalleriebrigade — 15 Esc. — mit sich genommen. Als 
nun der König das allgemeine Weichen wahrnahm, genehmigte 
er das Vorgehen der Reserven auf beide Flügel. Zunächst ging 
Prinz August von Preußen mit einem schwachen Detachement auf 
Poppe! vor und, indem er den Ort der eben eingedrungenen Spitze 
von Davouts Umgehungscolonne abnahm, sicherte er den Rückzug 
von dieser Seite her. In dem ganzen Raum Tauschwitz-Rehhausen- 
Sonnendorf fluteten die Trümmer der Divisionen Schmettau, War- 
tensleben und Oranien zurück, auf dem Fuße und in der ganzen 
Breite gefolgt von den Franzosen. Es gelang durch partielles Ein- 
setzen frischer Truppentheile, den Marschall in der Höhe jener Orte 
einen Moment im Nachdringen aufzuhalten, so dass der Rückzug 
noch nicht in Flucht ausartete. Auf dem Sonnenberge hatten in- 
dess, um den Rückzug zu decken, Truppen von Kunheim und 
Oswald Aufstellung genommen; acht Bataillone mit Cavallerie 
und Artillerie befanden sich hier, gegen welche sich General 
Morand mit 3 Bataillonen und der Divisions - Artillerie verbiss. 
Langsam wich die preußische Übermacht über den Emsbach zu- 
rück, worauf sie auf dem jenseitigen Hange endlich doch zum 
Stehen kam. 

Indess verschob sich die Lage immer mehr zu Ungunsten 
der preußischen Armee, oder es schien vielmehr, als 
sei es so. Der König sah, dass sein V'orsenden frischer Truppen 



Digitized by VjOOQIC 



- 202 - 

das Gefecht noch immer nicht zum Stehen bringen konnte und 
gab die Hoffnung eines erträglichen Ausganges auf. Noch standen 
auf der Gernstädter Höhe die Reservedivisionen von Arnim und 
die Reste der Brigade Pletz, circa 10.000 Mann. Allein der Ein- 
druck von der Übermacht des stetig vordringenden Gegners, so- 
wie die Nachricht, eine Umgehungs - Colonne desselben dringe 
auf Lisdorf vor, endlich das wüste Durcheinander der Truppen 
ließen jeden Gedanken an ferneren Widerstand verschwinden. 
Nur Blücher fasste die Idee, mit Reiterei einen Gegenstoß durch- 
zuführen und bat den König um seine Genehmigung. Allein 
als er Escadronen sammeln wollte, fand er kaum welche mehr. 

So „ließ der König endlich den Rückzugge- 
währen;"*) die Richtung desselben wurde vorerst nicht ange- 
geben ; jedoch mussten die geschlagenen Truppen zum größten Theü 
zunächst durch Auerstädt zurück; und, der Einwirkung des Feindes 
weichend, zog sich, was vorne war, geradewegs dahin zurück. 

Auf den Höhen von Eckartsberga hielt Friedrich Wilhelm III. 
und erwog, wohin der Rückzug gehen solle. Man schlug vor, 
zunächst auf Buttelstädt zu marschieren, um dann zu versuchen, 
von dort aus erneuert die Elbe zu gewinnen ; denn der besseren 
strategischen Lage und der Vereinigung mit dem Reservecorps**} 
zuliebe sei man ja von Weimar abmarschiert. Allein der König 
verwarf diesen Plan als zu gewagt und beschloss vor allen 
Dingen die Wiedervereinigung mit Hohenlohe und Rüchel anzu- 
streben. Dann wollte er neuerdings eine Schlacht versuchen, 
am Ettersberg womöglich, wie sich von selbst versteht. All dies 
bezeugt Scharnhorst, der an der Verhandlung theilnahm und 
fügt hinzu, der Glaube sei allgemein gewesen, Hohenlohe wäre 
völlig intakt. Über diesen Entschluss ist nun die Kritik mit uner- 
hörter Schärfe hergefallen und selbst der in Ruhe des Ur- 
t h e i 1 s und Takt der Diction so ausgezeichnete neueste Bear- 
beiter des Krieges betrachtet den Rückzug nach Weimar als 
„ganz fehlerhaft". Wir weichen geflissentlich einer Polemik aus; 
denn, wenn wir offen sind, jede Polemik ist mehr oder weniger 
gehässig gegen die Person, und, was wichtiger, scheint es 
zu sein. Aber indem wir uns auf die Daten stützen, führen 



") V. Lettow-Vorbeck, I, 396. 
••) Des Prinzen Eugen von Württemberg. 



Digitized by VjOOQIC 



— 203 — 

wir folgendes an : Der Eindruck, den man auf preußischer Seite 
in der Schlacht empfangen, war der der Überlegenheit 
des Gegners in jeder Hinsicht, sogar in der der 
Zahl. Man war effectiv geschlagen und hatte Nachricht von 
einer taktisch sehr weitreichenden Umgehung (über Lisdorf); so 
wich man, zunächst um sich zu sammeln und zu ordnen, auf 
die eigenen Kräfte zurück ; von diesen sich noch weiter weg- 
ziehen, wahrlich, das konnte man nicht. Bekannt ist die Schwierig- 
keit von Rückzügen in jeder Situation ; die Erfahrung 
scheint zu zeigen, dass, je übler ein Kriegsheer 
im Kampfe mitgen ommen wird, es desto rascher 
auf eben jenem Wege geradeaus zurückweicht, 
auf welchem es herankam. Wir sehen : es wies die 
taktische Niederlage des 14., besonders bei den mechanischen 
Schwierigkeiten und Reibungen aller Art, die im preußischen 
Heere gang und gäbe waren, mit unwiderstehlichem Gewicht 
auf die strategische Rückzugslinie nach Weimar, 
wenigstens für diesen Abend noch und diese Nacht; mit 
einem Wort, man wurde taktisch schon in die strategische 
Richtung zurückgenöthigt und gedrückt. Wir wissen wohl, 
dass die mechanische Kritik sich hier darauf berufen kann, die 
Wein-Straße auf Buttelstädt sei für einen Rückzug ebenso central, 
wie die auf Apolda- Weimar und müsse sie für weichende Truppen 
mindestens ebenso einladend gewesen sein, wie jene; Thatsache 
sei es ja, dass ein erheblicher Theil der preußischen Armee, vor- 
wiegend Theile des linken Flügels, diese Richtung nahm. Dazu 
ist zu bemerken, dass Truppen, die geschlagen sind, vor allem 
jene Rückzugsrichtung wählen, auf der sie herangekommen sind 
und jene Straßen, die sie vom Vormarsch kennen. Wird diese 
Straße durch das Zusammentreffen größerer Massen unpraktikabel, 
dann erst weichen die Truppen fächerförmig zurück. Ein ähn- 
liches geschah hier, wo der von den Höhen westlich Auerstädt 
herabgeworfene linke Flügel keinen Raum gefunden hat, um 
direct zurückzugehen. Gerade die Richtung der letzten fran- 
zösischen Stöße wies sehr nach der Richtung Weimar hin. Man 
besehe die Karte unbefangen und frage sich, ob es nicht klar 
am Tage liegt, wie die sozusagen erzwungene Rückzugsrichtung 
für die Masse der Armee Weimar gewesen ist. Doch sei dem 



Digitized by VjOOQIC 



204 



wie ihm sei; so gering denken wir denn doch von der preußi- 
schen Führung an diesem Tage nicht, dass wir glauben könnten, 
sie hätte den strategischen Gedanken an den Rückzug 
dort angeknüpft, wo die taktische Idee des Rückzugs 
abgerissen war; sie hätte sich die strategische Richtung der 
Retraite von der einmal vorhandenen Gravitation geschlagener 
Heerestheile ohne Widerstand dictieren lassen. Im Gegentheil, 
der Rückzug auf Weimar wurde nach reiflicher Überlegung auf 
rein strategischer Basis und nicht so sehr auf Grund der Ein- 
drücke des taktischen Augenblickes beschlossen. Es leuchtet ein, 
dass nach einem unglücklichen Kampfe der vereinzelt geschlagene 
Heerestheil Anschluss an die noch unberührten suchen muss, 
falls er es kann, sie stehen wo sie wollen, und nicht sich der 
Wahrscheinlichkeit, erneuert in seiner Vereinzelung geschlagen zu 
werden, aussetzt. Wie, hier sollte das Princip der Versammlung 
im Raum nicht am Platze gewesen sein, bloß deswegen, weil 
man — wie wir heute wissen — im Verfolg des Rückzugs 
nur mehr auf Trümmer stoßen konnte, was nicht bekannt sein 
konnte und in Wirklichkeit auch nicht bekannt gewesen ist? 
Erinnern wir uns, dass erst den Tag vorher sich die preußischen 
Heere getrennt und sogleich das des Königs — gleichsam wie 
zur Witzigung — empfindlich geschlagen worden war. Wahr- 
lich, der Gedanke des Königs — die leider aufgegebene Ver- 
sammlung so rasch als möglich um jeden Preis wiederzugewinnen, 
wird nicht einmal rein militärisch irgend zu tadeln sein. Man 
hat gefragt: Was gewann der König, wenn er sich bei Weimar 
mit seiner ganzen Kraft vereinte und welche Aussicht bot sich 
ihm für glücklichen Erfolg, wenn er am Ettersberg die Schlacht 
erneuerte? Die Antwort lautet so: Kein Zweifel ist, dass 
die Armee auch dann, wenn si e v e rsam m elt wurde 
— nach dem, waswir bisher von ihrem taktischen 
Verhalten kennen gelernt haben — geschlagen 
worden wäre; allein noch weniger ist zweifelhaft, 
dass derKönig den weitern Vormarsch an die Elbe 
ganz einfach für unmöglich hielt, und nachdenEr- 
fahrungen des heutigen Tages wohl für unmög- 
lich halten durfte: dass ihm — rein militärisch — 
der Gedanke nicht nahe treten konnte, mit seiner 



Digitized by VjOOQIC 



~ 205 - 

geschlagenen Armee — vom anderen Theile des 
Heeres getrennt — Manöver auszuführen, um ver- 
einzelt die Elbe zu gewinnen; dieser Fehler wäre 
so ungeheuerlicher Natur, dass nicht Mangel an 
militärischem Urtheil genügt hätte, umihnhervor- 
zurufen, sondern ganz einfach Tollkü h nh eit mit 
Unverstand vermischt; nach dem, was wir heute von der 
Lage wissen, konnte der Plan allerdings Aussicht aufs Gelingen, 
das heißt, augenblickliches Entweichen vor dem erschöpften Da- 
vout bieten; nach dem, was der König wusste, und ebenso sehr 
nach dem, was ihm unbekannt geblieben war, musste er aus- 
sichtslos erscheinen; bei Hassenhausen galt's zu siegen, mithin 
nach Norden durchzudringen und gelang dies nicht, so konnte 
man, da man die Hälfte der Armee im Rücken hatte, nicht daran 
denken, allein auf dem Bogen, dessen Sehne der Gegner beherrschte, 
nach Norden abzuziehen. Es erscheint somit zunächst der Rück- 
zug auf Weimar als ein Product der eisernen Nothwendigkeit 
und ergriff der König die Idee zu solchem gewiss zum größten 
Theile deswegen, weil er sich in einer Zwangslage zu befinden 
glaubte, die ihm die Wahl zwischen zwei Übeln gebot, von denen 
er das kleinere naturgemäß ergreift. Aber auch, wenn wir rein 
militärisch urtheilen, und die materielle Möglichkeit für die 
Hauptarmee, nach Norden zu entkommen, gelten lassen wollen, 
so fragt sich sehr, was an dem Entschluss des Königs denn zu 
tadeln sei? Wer wird behaupten wollen, dass es zweckmäßig sei, 
die Trennung der Kräfte nach dem ersten entscheidenden und 
unglücklich verlaufenen Schlag weiter zu erhalten, wo 
jeden Augenblick ein neuer Schlag erwartet werden 
m u s s ? Ein Blick auf die Karte genügt, um zu zeigen, dass 
ein anderer Vereinigungspunkt als eben Weimar schon aus marsch- 
technischen Gründen nicht in*s Auge zu fassen war. Am nächsten 
Morgen konnte man mit höchster Wahrscheinlichkeit bei Weimar 
vereinigt stehen, während dies, wenn man einen anderen Punkt 
zur Vereinigung wählte, 

erstens nicht möglich war, indem der Marsch zu diesem 
Punkt länger dauern musste ; 

zweitens sich die Schwierigkeit, Hohenlohe erst heranzu- 
ziehen, mithin Elemente der Ungewissheit ergaben ; 



Digitized by VjOOQIC 



- 206 - 

und dann, man hatte soeben gesehen, wie geschickt der Gegner 
sei, getrennte Kräfte anzufallen und zog daraus den natürlichen 
Schluss: es sei nicht gut, getrennt zu sein. 

Wir begreifen es nur zu wohl, wenn nur der eine Gedanke 
die Situation beherrschte: sich wieder und sofort zu ver- 
sammeln; dieser Gedanke schien der beste zu 
sein. Wir bekennen offen, dass wir glauben, er sei in der That 
der beste gewesen, der zu fassen war. Und wenn der Kriegs- 
historiker wieder und wieder darthut, dass der König von einer 
neuen Schlacht bei Weimar doch keinen Erfolg erhoffen konnte, 
mithin gefehlt hat, als er den Marsch dahin antrat: so antworten 
wir, dass der Entschluss des Abends vom 14. October 
erstens ein nothgedrungener, 
und zweitens ein provisorischer 
war und nur sein konnte. Wie soll man vom Könige verlangen, er 
hätte jetzt schon die Chancen einer neuen Schlacht erwägen sollen, 
zu deren Beurtheilung ihm augenblicklich fast gar kein Material zur 
Verfügung stand? Wer den Krieg kennt, weiß, wie er auch in 
seiner glänzendsten Form so recht von der Hand in den Mund 
lebt und dass zumal die Strategie gar oft dann am klügsten handelt, 
wenn sie nur ihren nächsten Zweck zu erreichen strebt und das, 
was folgen wird, der Zukunft überlässt ; wenn der nächste Zweck 
ein so eminent wichtiger ist, versteht sich, wie der vorliegende 
dem Könige erscheinen musste. 

Nachdem die Richtung des Rückzuges beschlossene Sache 
war, verließ der König die Eckartsberger Höhe, ging durch Auer- 
städt und sandte an Kaikreuth den Befehl, die Armee zurück- 
zuführen. Reserven standen dem General hierzu wahrlich genug 
zur Verfügung. Bei Sultza hatte die preußische Übermacht dem 
Nachdrängen Morands endlich Halt geboten. Auf den Höhen von 
Gernstädt-Eckartsberga standen mindestens 10.000 Mann der Re- 
servedivisionen mit 50 Geschützen, wenn auch auf weitem Raum 
zerstreut, doch immerhin so imponierend, dass das Vordringen 
der Franzosen , die an Zahl weit unterlegen waren, hier nur 
langsam vor sich ging. Kaikreuth ließ den Abzug auf dem 
rechten Flügel bei Sultza beginnen, wo die Sachen für Preußen 
im allgemeinen günstiger als auf dem anderen Flügel standen; 
derselbe ging ordnungsmäßig vor sich und drängte der Gegner 



Digitized by VjOOQIC 



— 207 — 

wenig. Auf dem linken Flügel war die Lage wesentlich ver- 
schieden. Auch hier zog zuerst der rechte, Auerstädt nähere 
Theil der Truppen ab, während infolge von Mängeln in der Be- 
fehlsertheilung die linke Flügelbrigade der Übermacht des Gegners 
nunmehr vereinzelt gegenüber stehen blieb. Das Umgehungs- 
Detachement Davouts begann sich fühlbar zu machen ; die Brigade 
war durch den Abzug der rechts anschließenden Truppen in 
dieser Flanke entblößt, wurde nun von allen Seiten angegriffen 
und mit erheblichem Verlust und aufgelöst auf Reisdorf herunter- 
geworfen. Davout, dessen Truppen durch die vorausgegangenen 
anstrengenden Märsche und den blutigen Kampf aufs äußerste 
erschöpft waren, verfolgte nicht über das Schlachtfeld hinaus. Nur 
die Cavalleriebrigade fiel noch in der Dunkelheit des Abends über 
den zurückgegangenen, preußischen linken Flügel her, nahm ihm 
eine Menge Geschütze und Gefangene ab, und verfolgte die 
Trümmer bis in die späte Nacht. 

Wie für Jena, so sind auch für Auerstädt die Verluste nicht 
recht bekannt; der preußische Verlust muss natürlich ein sehr 
beträchtlicher gewesen sein; 115 Geschütze fielen in Feindes- 
hand. Davout verlor etwa 25 Percent seines Standes. 

Es gibt wenig so auffallende Siege in der Kriegsgeschichte 
wie die Schlacht von Auerstädt; die fast doppelte Überzahl an 
Streitern, vermehrt durch die geradezu erdrückende Übermacht 
an Reiterei und Artillerie, wird vollständig besiegt, ja ihre Auf- 
lösung angebahnt Man muss die Ursachen hievon zu erforschen 
suchen. 

Im Morgennebel geriethen die beiderseitigen Vortruppen mit- 
einander in den Kampf Die Ungunst der Witterung wirkt jedoch 
nicht auf beide in gleicher Weise ein; auffallend hemmt 
und bindet sie die Preußen, während davon bei 
den Franzosen nichts zu spüren ist. Ein Misserfolg 
der preußischen Vortruppen eröffnet die Schlacht, von welcher 
keiner der Gegner weiß, wie viel sich ihm entgegenstellen wird. 
Nun folgt der Kampf Schmettaus um Hassenhausen, den 
Davout durch eine Umgehung zu parieren sucht. Bedeutend ist 
die Übermacht auf preußischer Seite und mit dem Eintreffen von 
Verstärkungen gehen die geschlossenen preußischen ßataillone 
tapfer gegen die im freien Felde stehenden vitalen Theile des 



Digitized by VjOOQIC 



— 208 — 

Gegners vor, der, diesem Stoße weichend, im Orte Zuflucht sucht. 
Weit überflügelt, ja un^asst die preußische Armee das Dorf auf 
beiden Seiten, vor welchem ihr Centrum im aussichtslosen Kampfe 
steht. Diesen Ort zu nehmen, verbeißen sich die Führer und ver- 
blutet sich die Truppe, während niemand der Gedanke kommt, 
das gegen die eigene Taktik unempfindliche Object, statt anzu- 
greifen, einzuschließen, indem die Flügel weiter vorgezogen 
werden. Die materielle Möglichkeit hiezu war da, als sich die 
am linken französischen Flügel geworfenen Bataillone nach 
Hassenhausen und an dasselbe zogen. Obwohl man nun diese 
Unterlassung auf Rechnung der Verwundung des Herzogs setzen 
kann, so fragt sich's sehr, ob diesem die Idee hiezugekommen wäre; 
man muss sich diese Frage stellen, denn sonst erscheint 
der Ausgang der Schlacht von Auerstädt mehr eine Folge 
des Zufalls, denn eine innere Nothwendigkeit, wozu sich 
zu bequemen wirklich schwierig ist. Hätte Braunschweig 
diesen Gedanken gehabt und, was mehr ist, auch wirklich aus- 
geführt? Es scheint nicht so, wenn man sein Thun vor der Lisiere 
des Ortes sieht. Wir nehmen wahr, wie der preußische Feldherr 
seine Truppen plump zum gewissenhaften Abmessen mit dem 
Gegner führt, der augenblicklich und an diesem Ort mit scharfen 
Waffen kämpft. Die Taktik der Franzosen ballt sie in der Gefahr 
um die Objecte des Terrains zusammen und der Gegner lässt sich 
sodann herbei, diesen von den Franzosen gewünschten und 
gesuchten, ihnen so vortheilhaften „entscheidenden Punkt" in 
unzweckmäßigster Manier zum Objecte seines Thuns zu machen; 
der Franzose dictiert den „entscheidenden Punkt", der ihm genehm 
und voller Vortheil ist; der Preuße folgt diesem Gesetz und nimm: 
den „entscheidenden Punkt" des Gegners aussichtslos aufs Korn; 
was jener ja nur wünscht. Die Preußen finden in und um den Ort 
den Feind uhd gläubig greifen sie ihn an , mit ihren weit vorge- 
zogenen Flügeln vorläufig haltend, bis jener weichen wird. Wenn- 
gleich es nun nach unseren Begriffen nicht taktisch gedacht er- 
schiene, beiderseits eines vom Gegner besetzten Ortes, wie Hassen- 
hausen, vorzugehen, so lange dieser nicht genommen ist; und 
gerade der linearen Taktik dieses Beginnen als Aberwitz erscheinen 
musste, SiP wird doch nicht wegzuleugnen sein, dass ein frisches, 
unbekümmertes, vielleicht taktisch „unrichtiges'' Vorwärts mit dem, 



Digitized by VjOOQIC 



— 209 — 

was nicht beschäftigt war, als das erscheint, was anzuwenden 
war : Preußen musste die Entscheidung außerhalb 
des Ortes suche n, wenn es in denselben einzu- 
dringen sich nicht geeignet hielt. Doch dort stellte sich 
ihm, wie wir sahen, der Gegner wohlweislich nicht; und die nicht 
beschäftigten Theile, anstatt zwecks — vielleicht lediglich mora- 
lischen — Eindruckes solange vorzugehen, bis sie endlich einen 
Gegner finden, bleiben stehen, sehen zu, wie das Centrum, wieder 
auf die Flügel vertrauend, seinerseits leidend vor dem Orte steht, wo 
es der Gegner haben will. Es ist eine erschreckliche Philisterhaftig- 
keit in dieser Art von Krieg zu spüren, der die Rollen gewissenhaft 
vertheilt, und wo der eine Theil nicht das Geringste thut, solange 
er nicht nach Ordnung und Usance vom anderen sein Stichwort 
erhalten. Die Flügel, froh, dass sie vorgegangen sind, bleiben 
nach dem Programme stehen, sie zeigen nicht den absoluten 
Willen, an den Feind zu kommen, die unbedingte Tendenz zum 
Kampf, sondern bleiben im Rahmen der erhaltenen Befehle und 
gehen beileibe nicht über dieselben hinaus; die psychologische 
Vorhand fehlt, die, Wagnisse, ja sogar taktische Fehler in den Kauf 
nehmend, durch den zur Schau getragenen Willen zum Kampfe 
den Gegner stutzen macht. Die psychologische Vorhand nehmen 
wir beim Gegner an allen Orten wahr; anmarschieren seine Di- 
visionen und werfen sich sogleich so weit als möglich nach vor- 
wärts in den Kampf. Jedoch dieser Impuls muss überhaupt vor- 
handen sein ; zufällig legt er sich nicht dar ; er muss gewisser- 
maßen den Truppen natürlich innewohnen. Gewiss hatten nun 
die Franzosen alle Ursache, Elan zu "zeigen, denn sie wissen 
sich, falls sie zu weit und heftig vo rgegang e n, 
durch Übergehen in den S ch ü tz en kam pf allso- 
gleich geschützt; obgleich man sich nicht bedenken darf, 
den französischen Elan mehr als eine Sache des zeitgenössischen 
militärischen Geistes, denn als ein Product kühler, taktischer Er- 
wägung anzusehen. Es spricht sich eben auf Seite der Franzosen 
in ihrem Thun im Gefechte eine Unbekümmertheit seltener Art aus, 
die den schwersten taktischen Fehler begeht, den man begehen 
kann : von Reserven abzusehen. 

Jawohl, Davout hatte im Höhepunkte des Gefechtes auch 
nicht den Schatten einer Gefechtsreserve zur Hand und konnte 

C. von B.-K. Zur Psychologie des großen Krieges II. 14 



Digitized by VjOOQIC 



- 210 - 

keine mehr erwarten. Er zog eben seine Truppen, wie sie an- 
marschierten, in den Kampf, da es das unmittelbare Bedürfnis 
des Kampfes so verlangte: und denkt nicht daran, eine Reser\-e 
auszuscheiden. Dies gibt zu denken. Was wusste der Marschall 
von der Lage ? Hielt er den Misserfolg, das nothgedrungene Auf- 
geben Hassenhausens, den Zwang zum Rückzug für unmöglich ; 
frug er sich nicht, was aus ihm ward, wenn er zu weichen doch 
genöthigt wurde ? man weiß von dem Gedankengange des Mar- 
schalls nichts; nicht, ob er mit vollem Bewusstsein dessen, was 
er wagte, die Bereitstellung von Rückhaltstruppen unterließ ; oder 
ob ihm seine Bataillone nicht gleichsam von selbst in das Ge- 
fecht entglitten. Jedoch das ganze Bild der Schlacht spricht als 
nackte Thatsache schon eine sehr beredte Sprache. Der franzö- 
sische Marschall emancipiert sich in wahrhaft kriegerischer V'or- 
urtheilslosigkeit von allem Hergebrachten in der Form, da die 
besondereLageAufgebenderselben zue r heischen 
scheint. In dieser Fähigkeit der französischen Führer, die 
Form zu opfern, um dem Zwecke zu genügen, in ihrer Bereit- 
willigkeit, alles zu wagen, was ein Feldherr wagen kann, sobald 
dies ihm nur halbwegs vernünftig scheint, in ihrer wahren Sucht 
zu kämpfen, zu vernichten, was gegenüberstand, lag — gerecht- 
fertigt durch die taktische Überlegen h ei t im Kampf 
unddeneinigermaßen hervortretenden Willen der 
Truppen zum Kampfe — was zu jener Zeit und in jenen 
Verhältnissen den Heeren Napoleons das Übergewicht auf dem 
Schlachtfelde gegeben hat. — Hassenhausen, das muss der Marschall 
gesehen haben, war als Ort mehr wie eine Reserve, denn un- 
angreifbar schien es der preußischen Führung und, sollte er sich 
doch zurückzuweichen gezwungen sehen, so war der Ort mehr 
wie eine lebende Reserve: da er stabiler war und die Fernsicht, 
sowie das Durchdringen verhinderte. Indessen, wenn wir auch den 
Löwenantheil an dem Entschlüsse des Marschalls dessen Erkennt- 
nis der Lage zuzusprechen uns entschließen, so ist gleichwohl 
klar, dass das Kriegstemperament seiner Mittel — natürlich ver- 
stehen wir hier die Gefechtsroutine der Unterführer und unend- 
lich weniger den Geist der Truppe selbst — eine große Rolle gespielt. 
Vorging man eben in der französischen Armee, und war man 
nicht mehr imstande, noch weiter vorzugehen, so blieb man doch- 



Digitized by VjOOQIC 



— 211 — 

wenn auch um den Preis taktischer Fehler, stehen, ohne an die 
Sicherung des Rückzuges, Aufnahme im Fall des Weichens und 
dergleichen zunächst zu denken. Anzuerkennen ist, dass 
dies in dem vorliegenden Fall das Richtige gewesen ist. 
Wie nehmen sich entgegen dem die überstarken preußischen 
Reserven aus! Da sie keinen Befehl erhielten, vorzugehen, so 
blieben sie eben stehen ; ihnen darf daraus ein Vorwurf nicht ge- 
macht sein. Denn der taktischen Reserve Los war stets und ist, 
willenlos abzuwarten, bis sie der Feldherr zur taktischen Ent- 
scheidung ruft. Ihren Nichtgebrauch kann man auf Rechnung der 
Verwundung Braunschweigs setzen; wenn man bemüht ist dar- 
zuthun, Auerstädt sei wissenschaftlich nicht als 
eine verlorene Schlacht für Preußen anzusehen. 
Allein wenn man bedenkt: Einerseits das überall und stets zutage 
tretende Sparen und Zurückhalten mit der Kraft, welches ebensosehr 
in der linearen Schule als in dem Charakter der preußischen Feld- 
herrngreise infolge jener Schule begründet lag; das überall er- 
scheinende Zögern und methodische Verfahren beim Angriff, wo 
man ihn schon beschlossen hatte; und andererseits, wie die vor 
Hassenhausen stehenden Divisionen bereits total kampfunfähig, 
„Schlacke** waren, als die vom König gesandten Reserven anlangten; 
und die unerhörte Art, wie die frische Übermacht, die zur Auf- 
nahme der geschlagenen Truppen auf dominierender Höhe stand, 
von den erschöpften Bataillonen Davouts ohne sonderliche Mühe 
zurückgetrieben wird: so muss man wohl zu dem Endschlusse 
gelangen, dassjeneZeit eben indemVorhandensein 
der Gefechtsreserve ihren Daseinszweck vor- 
nehmlich erblickte, und deren wirkliche Ver- 
wendung, zu der übrigens die taktischen Formen 
des Linearsystems sehr wenig taugten, in zweite 
Linie stellte. Indem wir sicher sind, unsere Leser werden 
beim Lesen des Folgenden angemessene Vorsicht üben, sagen 
wir: Die preußische Führung gedachte ihre starken Reserven 
gleichsam alsStaffage zu gebrauchen und mit ihr 
zu drohen. Obwohl klar ist, dass dieses Zurschaustellen der 
Rückhaltstruppen zum allergrößten Theile aus dem Ungeschick 
sie zu verwenden, floss, wandte sich die Führung diesem Aus- 
kunftsmittel zu. Ohne Erfolg. Nurder Stärkere in takti- 

14 • 



Digitized by VjOOQIC 



— 212 — 

sehen Dingen mag sich ungestraft und mit Aus- 
sicht aufs Gelingen der bloßen Schaustellung 
seiner Mittel als taktischer Handlung bedienen. 
Ahmt der taktisch Schwächere dieses Stratagemes Form und nichts 
als diese nach, so werden seine Kräfte, die zur Schau gestellt, 
dem Gegner imponieren sollen, meist nichts anderes für jenen 
sein, denn ein neues Motiv, auf dieselben vorzugehen. Napoleon 
brauchte bei Jena Reserven nur zu zeigen, und Hohenlohe 
ging zurück. Aufdringlich stellte bei Eckartsberga 
Friedrich Wilhelm III. die seinen auf, um sofort 
vom Gegner und soweit dies physisch möglich 
war, mit Erfolg angegriffen zu werden. 

Denn der psychologische Gehalt der Kriegsheere wechselt 
im Laufe eines Tages vor und nach der Entscheidung in einem 
Maße, das graphisch darzustellen gar nicht möglich ist. Das reale 
Zahlen- und Machtverhältnis, wie es vor der Entscheidung be- 
stand, existiert nach derselben nicht mehr, auch wenn beide 
Gegner haargenau dasselbe an Truppen und Geschützen ver- 
loren haben sollten. Der siegende Theil verstärkt auf allen 
Punkten seine Kraft mit jedem Augenblick ; der besiegte verliert, 
wenn auch nicht materiell, doch seelisch ungeheuer. Wir wissen 
wohl, dass dies ein Gemeinplatz ist ; gleichwohl wiederholen wir 
ihn ; denn ihn bedenkt man so gar oft ganz und gar nicht, 
wenn die Kritik an die Prüfung dessen geht, was 
eines besiegten Heeres Pflicht gewesen wäre. 
Der Sieg verzehnfacht die Mittel, sagen wir, er macht dieselben 
in jeder Hinsicht unendlich kriegerisch. Im Siege kann eine der 
seltensten Erscheinungen entstehen, welche die Kriegs- 
psychologie verzeichnet : Der siegende Soldat kämpft 
plötzlich gewissermaßen von selbst. Wenn auch 
das legendäre Triumph- und Siegesgefuhl der Massen eine Sache 
ist, die in der Regel keineswegs auf dem Schlachtfelde selbst ent- 
steht oder sich äußert, sondern vielmehr erst nach ausgiebiger 
Nahrung und körperlicher Ruhe in dem Behagen des Biwaks und 
an der Hand des Heerbefehls erscheint, so wird doch nicht zu 
verkennen sein, dass der Erfolg den Mann im Kampfe selbst erhebt, 
das heißt, ihn unbekümmert, leichtsinnig, ja manchmal sogar 
tollkühn macht. Mit einem Wort, er denkt nicht mehr, sondern 



Digitized by VjOOQIC 



— 213 - 

übermüthig und gedankenlos reißt ihn der Glaube an die Wehr- 
losigkeit des Gegners sowie die Evidenz der eigenen Stärke zu 
neuem Kampfe fort. Und für den einfachen Kämpfer 
scheint im Gefechte Gedankenlosigkeit das 
bessere Theil zu sein. 

Überschauen wir nochmals die großen Züge des Tages 
und fragen wir, woher die Entscheidung kam, so müssen wir 
Nachgeborene gestehen: Die Kriegsform der Preußen stellte an 
den psychologischen Gehalt der Truppen , der Kampfesweise 
der Franzosen gegenüber, Anforderungen, denen sie nicht 
entsprachen. Nochmals, es steht dahin, ob ein so schneidender 
Gegensatz der Form durch Imponderabilien überhaupt je wett- 
zumachen ist Die preußische Form wich vor der stärkeren 
französischen Form. Worin lag die Stärke dieser letzteren 
Form ? Darin , dass sie den Kampf vereinfacht, ursprünglicher, 
roher gemacht hatte, und das Individuum eben dadurch 
kriegspsychologisch entlastete und erhob. Die 
französische Form verlangte weit weniger Muth von 
ihrem Material, als jene des preußischen Heeres, 
und so siegte sie. Jene verbündete sich gleichsam mit dem 
Willen des Individuums und erleichterte ihm den Kampf; diese 
unterdrückte den Willen des Kampfmoleküls, um dasselbe rein 
mechanisch zu gebrauchen. Wir kennen zur Genüge die Gründe, 
warum dazumal und unter jenen Verhältnissen 
gerade die erste Form sich besser bewährt hat. 

Ist somit der Ausgang des Kampfes der einander zunächst 
gegenüberstehenden Theile hinlänglich erklärt, so bleibt zu erklären, 
warum die preußische Führung darauf verzichtet hat, ihre Reserven 
einzusetzen, ßraunschweigs Verwundung scheint, wie 
erwähnt, diese Unterlassung zu einer accidentiellen zu 
stempeln. Allein, im Kriege sind die Motive zu den Ent- 
schlüssen und Unterlassungen fast niemals accidentiell; 
stets fußen sie auf vorhandenen Basen; und alle Erscheinungen 
hängen logisch zusammen. Wer wird behaupten wollen, Auer- 
städt wäre vom Könige gewonnen worden, lebte sein Vertrauens- 
mann bis zum Abende des Tages? Wir haben diesem Gegenstand 
bereits einleitende Worte gewidmet und uns darzuthun bemüht, 
dass die Ursache des Nichtgebrauches der Reserven in der 



Digitized by VjOOQIC 



- 214 — 

deutschen Kriegspraktik und in dem Geiste ihrer Führer begründet 
lag. Indess noch mehr. Die preußische Führung verkannte in 
einem hohen Grade den taktischen Wert der Überzahl; die 
örtliche Zahlüberlegenheit im Gefechte erschien weniger wichtig, 
als die gebräuchliche taktische Form , die im Echelonsangriff 
culminierte; mit Echelons gedachte man zu siegen und 
nicht mit Truppenstärke; wahrhaftig trat die kriegerische 
Masse gegen die kriegerische Form in der Meinung der deutschen 
Führer zurück. Jedoch ganz so crass war die Sache wieder nicht; 
dass es gut sei, mehr Kräfte im Kampfe zu haben als der Gegner, 
das hat man dazumal in Preußen auch gewusst Allein, und hier 
berühren wir den Kern der Frage, die lineare Taktik besaß 
die Eignung nicht, gegen einen Feind, der sich schlechter- 
dings 'nicht weit im freien Felde in die Breite dehnte, 
mit numerischer Übermacht in den Kampf zu gehen. 
Denn nur eine Linie vermag Feuer zu geben, während die, die 
hinter dieser ersten Linie stehen, in der Regel auch zu feuern 
nicht in der Lage sind. Mit Truppen, die an zweiter Stelle stehen, 
jene der ersten physisch vorzudrängen, ein Gedanke, der in 
der althellenischen und selbst der Legionartaktik klar am Tage 
liegt, so recht ein mechanisches Mittel und doch unendlich tief 
psychologisch gedacht, davon hielt im preußischen Herre ab: vor 
allem und überhaupt das Formelle der linearen Taktik, deren erste 
Lebensbedingung das Aufrechterhalten der Abstände und 
Zwischenräume schien; dann das anspruchsvolle Ver- 
trauen, welches man in die Truppen der ersten Linie 
setzte und das gerade hier bei Auerstädt besonders 
verderblich geworden ist; und zweitens wieder im allgemeinen 
jenes undefinierbare Etwas, das in der Kriegsgeschichte so oft 
wiederkehrt: der Gedanke , vor allem müsse mit den Kräften 
gespart werden; das Erste und Wichtigste sei nicht der 
Endzweck des Gefechtes, sondern die Sicherstellung 
gegen den Misserfolg. Dieser Gedanke, eine Regel im preußi- 
schen Heer jener Zeit, gedieh unter der Unklarheit der taktischen 
Lage vor Hassenhausen zum verderblichsten Princip, auch wenn 
die Verlegenheit der Führung, mit den Reserven zu agieren, 
nicht allein schon das Stehenbleiben derselben nothwendig herbeige- 
führt haben würde. Der zum System erhobene Gedanke der Öcono- 



Digitized by VjOOQIC 



— 215 — 

mie der Kraft, das heißt das Streben, mit möglichst wenig 
Einsatz, möglichst viel zu gewinnen, scheint sich 
besonders dann im kriegerischen Thun der Führer darzulegen, 
wenn der materielle Wert der Kriegsmittel hoch 
im Course steht; vor allem gilt es, das Material zu schonen. 
Es knüpft sich, wie wir sehen, ein Motiv an's andere, um uns 
den Nichtgebrauch der preußischen Reserven damals zu erklären ; 
die H eeres verfassun g spielt in die Strategie 
hinüber und Spuren von ihrem Einfluss sind 
am Schlacht felde zu sehen; alles hängt zusammen in 
dieser Anhäufung von scheinbar unzusammenhängenden Ursachen 
für die große Unterlassung am Schlachttage von Auerstädt. Wohl 
liegt Tendenz darin, wenn wir die Gründe aufzusuchen uns be- 
mühen, die zum Nichteinsetzen der Reserven geführt, ohne jene 
an das Licht zu ziehen, die dagegen sprachen und die man 
nicht beachtet hat. Doch ist diese Tendenz nichts als das 
Streben, die Thatsache logisch zu erklären, indem man sich 
billig dagegen sträuben muss, zu glauben, dieselbe sei zufällig 
und durch sie zufallig der Verlust der Schlacht erfolgt. Und 
dann, wenn dieser Reichthum an Gründen, die man zur Er- 
klärung der Unterlassung in's Treffen führen kann, durch ihre 
Zahl verdächtig und bei den Haaren herbeigezogen scheint, so 
bedenke man, dass einer oder der andere schon ge- 
nügend ist, jene zu erklären; dadurch, dass mehrere 
genannt sind, soll nicht gesagt sein, alle hätten und gleichmäßig 
eingewirkt; doch da 'sich nicht feststellen lässt, welche die 
eigentliche Ursache war, so scheint es das Amt der erklärenden 
kriegsgeschichtlichen Betrachtung zu sein, alle bekannten zu 
nennen. 

Im Grunde müßig ist die Frage, ob die Sache bei Auerstädt 
durch das Einsetzen der Reserven noch herzustellen wohl ge- 
wesen wäre; wenn wir eine Gefechtsroutine der 
preußischenFührung annehmen wollen, die diese 
damals nicht besaß, so könnte man zu dem Er- 
gebniskommen, dass Preußen nicht hätte weichen 
müssen; ja dass Davout schließlich erlegen wäre; man könnte 
hier mit viel Aufwand an Gelehrsamkeit den lendenlahmen Gaul 
rein militärischer Kritik sich fröhlich tummeln lassen. Ungleich 



Digitized by VjOOQIC 



— 216 — 

bedeutender erscheint die Frage, was an der Unterlassung un- 
begreiflich war, was wir an ihr nicht verstehen, 
inwieferne sie im Rahmen der preußischen Anschauung 
vom Kriege ungewöhnlich war. Und da muss man sich 
gestehen, dass sich die Unterlassung, wenn auch nicht als eiserne 
Consequenz verfehlter Anschauung vom Kriege beweisen, so doch 
wohl als sehr natürlich und ganz im Rahmen der Anschauung jener 
Zeit erklären lässt. Was das Nichteinsetzen der Reserven zur 
Entscheidung anbetrifft, so wissen wir, dass, übei-wand man auch 
deren Trägheitsmoment und functionierte der Befehlgebungsapparat 
ohne Klage, für dieselben Platz und Gelegenheit nicht vorhanden 
war, wirksam in den Kampf zu treten, sowie auch, dass die stra- 
tegischen Gedanken der Führung sie an den Platz gebannt, an 
dem sie — außerhalb der Zone der Zerstörung — glücklicher- 
weise stand; denn sie war ein entscheidender Factor im etwaigen 
Entscheidungskampf an anderm Ort zu anderer Zeit. Sehr wohl 
begreiflich ist, dass man nicht auch noch sie gegen einen Ort 
verwandte, von dem man sah, der Gegner kämpfe in ihm wie 
hinter geschlossenem Visir. Aber auch das Nichteinsetzen der- 
selben, nachdem die Entscheidung bei Hassenhausen gefallen 
war, kann nicht Wunder nehmen, ja bei diesem fragt es sich 
sehr, ob es nicht sogar rein militärisch sehr wohl gerechtfertigt 
ist. Denn thatsächlich haben Kaikreuths Bataillone durch ihr 
bloßes Vorhandensein auf dominierender Höhe die Trüm- 
mer des preußischen Heeres gerettet. Ohne Conjecturenmacherei zu 
treiben, so muss man sich wohl billig fragen, was daraus geworden 
wäre, wenn die Reservedivisionen, dem Strom der Flüchtlinge ent- 
gegen und durch denselben durch einen Angriff" auf die lange und 
zerstreute Front Davouts gewagt haben würden. Um den Abzug 
geschlagener Truppen durch ein Ortschaftsdefile zu decken, 
unternimmt man doch wahrlich nicht mit der ganzen, hier einen 
so erheblichen Theil des Heeres darstellenden Kraft der Reserve 
einen förmlichen Angriff in's Blaue hinein. 

Wir haben uns bemüht zu zeigen, wie Hohenlohe bei Jena 
in erster Linie deshalb unterlag, weil er strategisch auf eine Haupt- 
schlacht nicht gefasst sein konnte und demgemäß nicht vor- 
bereitet war ; wir haben erklärt, wie die ihm von der Heeresleitung 
übermachten Nachrichten und Befehle ihn mit dazu vermochten. 



Digitized by VjOOQIC 



— 217 — 

die größten taktischen Fehler zu begehen. Wir nahmen wahr, 
wie er, ohne es zu ahnen, in eine große Schlacht mit weit über- 
legenen Kräften hineingerathen ist. Wir konnten hier somit 
glauben, dass die strategische Vorgeschichte der Schlacht allein 
schon den Keim der Niederlage in sich getragen hat ; dass diese 
gewissermaßen accidentiell, infolge falsche r Nach- 
richten, von Missverständnissen etc. für Preußen 
so übel ausgefallen ist, indem ja doch das taktische Thun 
vor allem anderen die Entscheidungen im Kriege gibt, welches 
Thun hier im vorhinein durch die Strategie gehemmt und ge- 
bunden war. 

Mit einem Wort, bei Jena ward die preußische 
Strategie besiegt und zog die Taktik mit in ihren 
Fall. — 

Bei Auerstädt jedoch erkennen wir, wie sich der Taktik 
freies Feld zur Entfaltung bietet; wie ihr Gelegenheit geboten ist, 
ihr Bestes darzuthun. In grellen Tönen leuchten uns aus dem 
Bilde der Schlacht die Mängel der preußischen Kriegspraktik ent- 
gegen, die trotz der auffallend günstigen strategischen Lage nicht 
zu siegen weiß. 

Und so ergänzen beide Schlachten sich. Wahr- 
lich, wer nach alledem uns glauben machen will, die Gründe für 
die Doppelniederlage seien, wenn auch nur zum Theile acci- 
dentiell gewesen : versteht nichts vom Kriege ; oder ist blind 
im Vaterlandsgefiihl. Hier eriag die Strategie ; dort fiel die Taktik 
unter Bedingungen, wie sie ein Kriegsheer kaum jemals günstiger 
erfuhr. Sicherlich, ganz sicherlich lässt sich 
zahlen- und ziffermäßig beweisen, dass es nicht 
so kommen musste; doch kri egshisto risch wird 
uns, wenn wir nochmals das Bild der Lage und 
seine Vorgeschichte erfassen, die Nothwendig- 
keit des Ausgangs äußerst deutlich klar. 

Der Stil, die Schreibweise zwingt, um plastisch zu sein, 
zu Übertreibungen ; es ergeht auch uns hier so. Stellen wir 
daher fest, dass trotz allem der Ausgang der Schlacht von Auer- 
städt an einem Haare hing und wir uns keineswegs verwundern 
würden, wenn in der Kriegsgeschichte da zu lesen stünde : Da- 
vout hätte, während sein Kaiser bei Jena siegte, bei Auerstädt 



Digitized by VjOOQIC 



- 218 — 



seinerseits keineswegs gesiegt; wir sagen keineswegs 
gesiegt; denn zu dem Glauben an die Möglichkeit einer völligen 
Niederlage des Marschalls vermag man wohl nicht zu gelangen. 
Die Schlachtführung beider Theile allein spricht schon dagegen. 



Es steht fest,*) dass Napoleon am Abend des 14. October 
der Meinung war, die gesammte preußisch-sächsische Armee oder 
doch deren Hauptmasse besiegt zu haben. Mit dieser angenehmen 
Überzeugung legte er sich am Abend in Jena zur Ruhe. Und 
erst der um 9 Uhr morgens des anderen Tages eingehende Be- 
richt Davouts belehrte ihn, dass er sich völlig getäuscht und 
strategisch höchst unvorsichtig gehandelt hatte, indem er eines 
seiner Corps der Gefahr, einzeln geschlagen zu werden, ausge- 
setzt. Allein, er gesteht dies keineswegs ein. Es wird officiell**) 
nur von einer Schlacht bei Jena geredet, in welcher der Marschall, 
welcher bald zum Herzog von Auerstädt erhoben werden soll, 
den rechten Flügel commandierte. 

Wir wissen, dass die ganze Strategie Napoleons in diesem 
Kriege bisher lediglich darauf gerichtet war, den Feind zu suchen, 
um ihn, wo er ihn fände, mit Überlegenheit zur Schlacht zu 
zwingen. Es ist die Strategie Napoleons nichts als die Art, 
seine Kräfte an den Gegner heranzuführen und kein eigent- 
liches Instrument zum Kampfe ; er bedient sich ihrer 
nicht als WaflFe, sondern lediglich als eines Mittels 
zum Transport der Kräfte; er marschiert und ma- 
növriert nicht. 

Wir registrieren vorläufig diese Thatsache; sie spricht aus 
jeder Phase, die der Krieg bisher gemacht. 

Wer sucht, ist nicht sicher, wohin er gelangen werde ; wer 
tastet, sieht noch nicht das Ziel; Änderungen der Bewegungs- 
richtung sind da unvermeidlich ; schon dann, wenn das gesuchte 
Ding in Ruhe fst ; noch mehr, wenn dieses sich bewegt. 

Unzählig sind die falschen Nachrichten im Kriege. Doch 
erst im nachhinein erfährt man, dass sie falsch 



•) V. Lettow-Vorbeck, II, 26. 
•) 5. Bulletin, Jena, 15. October. 



Digitized by VjOO^IC 



- 219 — 

gewesen; und selbst der kritischeste Geist ist in dem Augen- 
blick, da er eine Nachricht empfängt, nicht gegen Täuschung 
gefeit. 

Marschtechnische Gründe von unbestreitbarem Gewicht — 
Erwägungen, deren praktisches Inslebentreten den Mechanismus 
der napoleonischen Strategie bilden, und an denen man noch 
heute zehrt, ohne sie wesentlich verändert zu haben, — wiesen 
Napoleon darauf, sein Heer auch dort, wo er nicht strategisch 
manövrierte, sondern lediglich Ortsveränderungen vornahm, und 
gerade da, zu theilen. Den Corpsverband schafft er vor- 
nehmlich für diesen Zweck und stattet das Corps derartig aus, 
dass der einzelne Theil voraussichtlich derartig stark sein wird, 
den Kampf mit stärkeren Kräften solange hinzuhalten, bis Unter- 
stützung kommt. Darauf, auf die nicht in der bloßen 
Zahlenstärke, sondern vielmehr in der Kriegs- 
geschicklichkeit des Corps liegende Stärke desselben 
baut Napoleon, indem er seine Kräfte theilt. 
Wenngleich er sich wohl hütet, seinen Marschällen Überschätzung 
der Kampfkraft ihrerCorps nahezulegen, ihnen stets das Zusammen- 
handeln mit dem Reste der Armee zur Vernunftpflicht macht, so ist 
er gleichwohl überzeugt, ein französisches Corps besitze in seiner 
Zusammensetzung, Stärke, insbesonders seiner Art zu kämpfen, 
hinreichende Mittel, um einen ungleichen Kampf so lange zu führen, 
bis die andern Corps dasselbe unterstützen. Vornehmlich in der 
französischen Taktik, die im langsamen Verzehren der Kräfte des 
Gegners, indem man die eigenen möglichst schont, und folgendem 
Entscheidungsstoß frischer Massen gipfelt, erkennt der Kaiser 
die Gewähr für die, wenn man so sagen darf, strategische 
Immunität seiner Corps. 

Wir haben gesehen, wie falsche Nachrichten den Kaiser 
dazu bewogen haben, drei Heereseinheiten weit rechts ausholen 
zu lassen, um sich vielleicht dem Gegner strategisch vorzulegen. 
Genau fast nach dem vorgezeichneten Programm benimmt sich 
der rechte französische Flügel bis zum 13. nachmittags. Aissich 
nun der Kaiser bei Jena zur Schlacht für den nächsten Tag ent- 
schließt, ergehen die Befehle an Murat, Dav(iut und Bernadotte, 
heranzukommen. Auf die Immunität der 50.000 Mann, die er am 
Morgen des 14. vorwärts Jena beisammen haben wird, baut 



Digitized by VjOOQIC 



— 220 — 

Napoleon den taktischen Plan zur Schlacht sowohl als die Co- 
operation mit dem eigenen rechten Flügel. Auf die Immunität der 
detachierten Heerestheiie rechnet er, indem er sie in Rücken und 
Flanke eines undurchschauten Gegners vorzugehen anweist. Es 
scheint jedoch, wenn man die Räume auf der Karte misst, als 
ob Napoleon diese Kräfte hauptsächlich zur Ausbeutung des 
morgenden Sieges und nicht so sehr zu dessen eigentlicher Er- 
langung bestimmt gedacht haben mag. 

Wer strategisch sucht, muss darauf gefasst sein, taktisch zu 
tasten; die Strategie braucht Fühler, die einen Puff vertragen: 
die Napoleons vertrugen einen solchen sicherlich; sobald er sie dort 
nicht mehr zu brauchen glaubt, zieht er sie, die bisher treffliche 
Erkundungsinstrumente waren, dahin, wo seiner Meinung nach 
die Entscheidung fallen soll. Wir kennen die Ursachen, warum 
die Einheiten des rechten Flügels zur Schlacht am 14. nicht zeit- 
gerecht erschienen sind. Ersichtlich ist, dass hiebei Handlungen 
und Unterlassungen wirkend gewesen sind, die im Wider- 
spruch mit der napoleonischenKriegspraktik ge- 
standen sind; bei Murat Unkenntnis der Schwierigkeit und 
Länge des zu durchmessenden Terrains; bei ßemadotte die für 
einen Marschall von Frankreich erstaunliche Entschlusslosigkeit, 
welche zwischen zwei Kanonendonnern unentschieden stehen 
bleibt, ohne auf einen davon loszumarschieren. Was mit der 
augenblicklichen Kriegspraktik der militärischen 
Umgebungen, somit des Heeres, in dem man dient, 
im Widerspruche steht, kann billig als Fehler an- 
gesehen werden. Ist dies jedoch auch bei Davout der Fall? 
Auf die relative Immunität seines Heerestheiles bauend, überlässt 
ihm der Kaiser die Wahl des Anmarschweges und das Corps 
trifft auf demselben den weit überlegenen Feind. Konnte der 
Marschall dem entgehen? Nein! War es Napoleon möglich, dies 
vorherzusehen? Ebensowenig! So ist vom strategischen Stand- 
punkte Napoleons vor der Schlacht die Schlacht von Auerstädt 
kein Fehler, wenngleich sie, rein militärisch betrachtet, wahrhaftig 
als solcher erscheint. 

Niemand, der verständig urtheilt, wird zögern, zuzugeben, 
Davout hätte, sowie die Sachen lagen, bei Hassenhausen unter- 
liegen können — wegen und infolge der Art, wie man beim 



Digitized by VjOOQIC 



— 221 — 

Armeecommando mit seinem Corps ahnungslos verfuhr. Klar ist, 
dass ihn Napoleons Strategie in eine höchst prekäre 
Lage gebracht, aus der ihn Napoleons Taktik 
Aviederum befreite. Genug, nehmen wir an, Napoleon erfuhr 
am 14. um 10 Uhr vormittags : Davout stehe bei Hassenhausen im 
Kampfe gegen doppelte Übermacht, so wird jedermann der Über- 
zeugung sein, der Kaiser hätte einen Augenblick des Schreckens 
erlebt ; er hätte jetzt urplötzlich erkannt, dass er doch strategisch 
gefehlt ; er hat dies bekannt durch sein Negieren einer Schlacht 
von Auerstädt. Allein es wird wohl sicherlich auch niemand 
behaupten wollen, eine Niederlage Davouts würde das Resultat 
des Krieges wesentlich verändert haben ; wir bitten, jene Raison- 
nements, die dies behaupten, durchzulesen, um zu sehen, dass 
sie eigentlich nichts anderes thun, als annehmen, die preußi- 
sche Führung und die preußische Armee hätten 
sich vom 14. an urplötzlich in ihrem ganzen Thun 
und Denken bekehrt und, nachdem ihnen die Schup- 
pen von den Augen gefallen, klug und energisch 
handeln können, um sich aus der Lage, in welche 
sie gerath en , wied e r herauszuziehen; diese Rai- 
sonnements lauten alle rein militärisch; wir hören 
von entschieden en Entschlü sse n; vernehmen von 
der Versammlung der Kraft; man gibt uns zu 
bedenken, welche Märsche und mit welcher 
S chnelligkeit wohl auszuführen gewesen wären; 
kurz, rein militärisch wird geurtheilt und es 
steht die ganze Frage nur darauf, ob die Armee 
aus der am 14. innehabenden Lage herauszube- 
kommen gewesen wäre, sobald man sie zu allem 
fähig und geschickt und willens anzunehmen 
beliebt, wozu fähig, geschickt und willens wir 
nach den Erfahrungen der jüngsten Zeit uns zu 
halten belieben. Kurz, nicht kriegshistorisch ist diese Art 
der Argumentation, und so kann man sagen, sie sei in der That 
hinfällig. Nach allem, was wir bisher gesehen, müssen wir 
glauben, die preußische Kriegführung wäre einfach nicht imstande 
gewesen : 

Auerstädt, wenn sie siegte, auszunützen ; 



Digitized by VjOOQIC 



222 



die Nothwendigkeit veränderten Gebarens unter dem Drange 
der Ereignisse einzusehen ; 

von der Gewohnheit und Tradition urplötzlich abzulassen, 

wenn es nicht hinlänglich und allgemein bekannt schon 
wäre, dass ein ganzes Heer die Ruhe des Friedens braucht und 
eine lange Ruhe, um die Moral des letzten Krieges zu ziehen; 
noch mehr, diese Moral zur That zu machen ; und durchaus 
nicht — in der Regel — in der Lage ist, im Kriege und von 
ihm zu lernen. Ein Kriegsheer ändert seine Kriegspraktik nicht 
mit einem Schlage. Und so muss Vorurtheilslosigkeit wohl zu- 
gestehen, dass der Kaiser der Franzosen durch die Verfolgung 
von Jena allein schon es sehr rasch verstanden hätte, den Pyrrhus- 
sieg des Königs über Davout zu rächen. 

Rein militärisch aufgefasst, ist das strategische Doppelenga- 
gement Jena-Auerstädt mehrfach anzufechten. Kriegshistorisch be- 
trachtet reduciert es sich auf eine von Napoleon nicht 
vorhergesehene unbewusste Probe des Gegners 
auf die Festigkeit des Systems: Getrennt zu nnar- 
schieren um vereint zu schlagen. Diese Probe prallt 
an der staunenswerten Immunität des strategisch exponirten Heeres- 
theiles ab; dieser findet in seiner Taktik das Mittel, Unerhörtes 
zu thun. Es wäre indess nicht den Thatsachen entsprechend, 
wenn man sagen würde: Napoleon baute^und rechnete darauf, 
dass eines seiner Corps die doppelte Übermacht mit Sicherheit 
einzeln schlagen würde; und disponierte somit strategisch von 
seinem Standpunkt vorwurfsfrei, indem er den taktischen Wert 
seiner Heereseinheiten ganz außerordentlich hoch annahm. Die 
Wahrheit scheint folgendes zu sein : Napoleon erwartet in der 
That von einem seiner Corps, das mit überlegenen Kräften in 
den Kampf geräth, es werde sich taktisch mit Ehren aus der 
Affaire ziehen; so disponiert er strategisch immerhin gewagt. 
Seine Strategie, durchkreuzt, wie sie vom unerwarteten Thun des 
Gegners wird, führt ihn hier hart bis an jene Grenze, der seine 
Taktik noch gewachsen ist; oder vielmehr, um genau zu 
sein, nicht seineTaktik, sondern speciell jene des 
Corps Davout. Der Marschall, auf seine Mittel vertrauend, 
gibt diesen eine harte Nuss zu knacken, sie knacken sie, wie 
der Erfolg es zeigt; obwohl der Kaiser dies für diesen Fall im 



Digitized by VjOOQIC 



- 223 - 

Vorhinein zu hoffen nicht gewagt haben würde. Denn es steht 
historisch fest, dass ihm die Nachricht von Auerstädt sehr ge- 
mischte Gefühle erregte. Die Freude am Triumph verschwamm mit 
der Erkenntnis, er habe strategisch so viel verlangt, dass nur 
gerade der Marschall Davout mit seinem Corps die taktische 
Lösung fand. 

Des Kaisers Siegeszuversicht am Morgen des 14. kennen wir 
und vermochten sie strategisch nicht recht zu erklären, wenn wir, 
was Napoleon nicht wusste, die V^ertheilung des Gegners besahen. 
Aber auch wenn wir uns in seine Lage dachten, sahen wir in 
der Anzahl und Stellung der vorhandenen Kräfte Napoleons, der 
es überdies, wie man weiß, mit einem stärkeren Gegner zu thun 
zu haben glaubte, als dies der Fall gewesen ist, keine klare 
Garantie des Sieges. Denn der Kaiser hat am Morgen nichts 
weniger als Übermacht zur Verfügung; er steht mit seiner 
massirten Kraft, ein Defile im Rücken, das er unter allen Um- 
ständen halten muss, bis die übrigen Heersäulen folgen; erst 
allmählich, im Laufe des Tages, wenn alles glatt von statten 
geht, können sie zur Stelle sein. Und noch einmal, Napoleon 
glaubte stärkere Kräfte sich gegenüber zu haben, als in Wahrheit 
der Gegner besaß. Dennoch griff er ohne Zögern an. 

Was bleibt somit übrig, als in dem taktischen Ge- 
halt der napoleonischen Truppen die Gewähr zu 
sehen, auf der die Siegeszuversicht des Kaisers 
fußt? Wohl nur für den Beginn, wird man sagen, denn im 
Laufe der Schlacht gedenkt Napoleon die Zahl Überlegenheit zur 
Stelle zu schaffen ; gleichviel, für den Beginn. Denn kann man 
sich wohl eine nach unseren Begriffen taktisch ungünstigere Lage 
denken, als die, wo Napoleon gegen unbekannte gegnerische 
Kräfte erst den Platz erkämpfen muss, auf dem er schlagen wird? 
Und zugleich die Anmarschlinie seiner Kräfte deckt? Ohne das 
Bewusstsein taktischer Überlegenheit war dies nicht zu thun. Der 
Kaiser kennt sie, baut auf sie, vertraut ihr unbedingt. Und der 
Erfolg hat ihm recht gegeben. Der taktische Wert seiner Truppen 
bewährte sich bei Jena, während er bei Auerstädt alle Erwartung 
weithin übertraf. 

Also nicht so recht aus der Strategie als Waffe schöpft der 
Kaiser diesmal die Aussicht auf Erfolg, sondern aus dem beab- 



Digitized by VjOOQIC 



- 224 - 

sichtigten taktischen Thun ; und so hat seine ganze Stra- 
tegie darauf gezielt, seine Mittel so rasch und 
natürlich als möglich mitjenen des Gegners tak- 
tisch zusammenzuführen. 

In dem Unterschied der Taktik gipfelt dieser Krieg. 

Rückzug und Verfolgung. 

Da wir weit entfernt sind davon, Kriegsgeschichte zu 
schreiben, so können wir in dem, was jetzt noch folgt, kurz 
sein ; indem wir nicht die Masse kriegshistorischer Einzelheiten, 
sondern die uns charakteristisch scheinenden Ereignisse ver- 
zeichnen. 

Die Nacht des 14./ 15. October war verderblich für das ver- 
bündete Heer. Bei Hohenlohe-Rüchel war keine Disposition für 
den Fall des Rückzuges ausgegeben und an einen Zusammen- 
bruch, wie er jetzt erfolgte, hatte niemand gedacht. Während 
die aufgelösten Truppen der Hohenlohe'schen Armee hinter der 
Um nach allen Richtungen auseinanderstoben, geriethen die Ge- 
nerale, denen es gelungen war, aus einzelnen Bataillonen marsch- 
und führungsfähige Theile zusammenzustellen, mangels einer In- 
struction, wo sich der Ralliierungspunkt der Armee befinde, nach 
divergierenden Richtungen ab und auf dem Marsche trennten sich 
ganze Bataillone wieder ab, blieben zurück und lösten sich auf. 

Die Hauptarmee hatte sich bereits am Abend des 14. süd- 
lich Auerstädt ohne Vorwissen der Heeresleitung getheilt. Die 
Trümmer der Divisionen, die bei Hassenhausen gekämpft, wichen 
auf Buttelstädt zurück, wo General von Wartensleben das Com- 
mando über 18 reducierte Bataillone übernahm, während der Rest, 
besonders die Reservedivisionen, mit dem Monarchen den Rück- 
zug auf Weimar begann ; dieselbe Straße, die die Truppen gestern 
hergekommen, gingen sie nun zurück. Nachdem man nun die 
Um nördlich Apolda überschritten, gewahrte man die daselbst 
biwakierenden Truppen des I. französischen Corps und war 
somit gezwungen, umzukehren ; der König befahl, am linken 
Ufer der Um nach Weimar zu marschieren, wo er Hohenlohe. 
Rüchel und den Herzog von Weimar, denen er weitere Befehle 



Digitized by VjOOQIC 



- 225 — 

zugesandt, zu finden hoffte. Möllendorf erhielt nun das Com- 
mando der Armee und der König selbst machte im Dunkel der 
Nacht die Avantgarde. Kurz vor Weimar erfuhr man, dass es 
vom Feinde besetzt sei ; und so entschloss man sich auf Erfurt 
zu marschiren , beharrlich und absichtlich festhaltend an der 
Illusion, man werde dort die bei Weimar offenbar nicht Anwesen- 
den finden. Ein fürchterlicher Schlag war es für Friedrich Wil- 
helm III., als er bald darauf durch Versprengte von Hohenlohes 
Armee den Sachverhalt erfuhr. Es galt zu handeln ; allein wäh- 
rend der König und die ihm unmittelbar folgenden Truppen 
naturgemäß nach Norden ausbogen und Boten nach allen Rich- 
tungen gesandt wurden, um den Trümmern der Armee Söm- 
merda als Sammelpunkt bekannt zu geben, vermisste man noch 
manches, was von erster Wichtigkeit war; Möllendorf und 
Oranien erhielten keine Befehle und marschierten ahnungslos 
weiter auf Erfurt fort, so dass die noch gefechtsfahigen Truppen 
der Reserve auseinandergerissen wurden. Die Auflösung ward 
unbeschreiblich und hatte die preußisch-sächsische Armee that- 
sächlich aufgehört, ein brauchbares Kriegswerkzeug in der Hand 
ihrer Führer zu sein.*) 

Als der König am Morgen des 15. um 7 Uhr in Sömmerda 
eingetroffen war, erkannte er, dass ein Widerstand diesseits der 
Elbe nicht mehr thunlich sei ; und nachdem er Dispositionen zum 
Rückzug der Armee nach Magdeburg gegeben, wandte er sich 
in einem Schreiben an Napoleon, um Unterhandlungen wegen 
eines Waffenstillstandes anzubahnen. Dies ist natürlich scharf 
getadelt worden, **) als Eingeständnis der Schwäche, denn man 
hätte dem siegenden Napoleon vielmehr imponieren sollen. Nun, 
es scheint, als ob kein Vorwurf, den die Kritik der neuen glück- 
lichen preußischen Zeit gegen die preußische Heerführung jener 
Tage im Nachhinein erheben kann, der Begründung weniger 
entbehrte. Man bittet um einen Waffenstillstand, wenn man glauben 
kann, derselbe werde dem eigenen Heer mehr als jenem des 
Gegners nützen ; wenn man keinen anderen Ausweg weiß ; und 
dies war hier der Fall. Napoleon, der siegt, zu imponieren, dazu 
bedurfte es, wie männiglich bekannt, zu allen Zeiten wahrlich 

•) V. Lettow- Vorbeck, II, 12. 
•*) Ebenda, II, 14. 

C. von B.-K. Zur Psychologie des großen Krieges II. 15 



Digitized by VjOOQIC 



- 226 - 

mehr als einer bloßen Attitüde dazu ; man hemmte seinen Sieges- 
lauf nur durch Unterwerfung oder mit Kanonen; die letzteren 
fehlten jetzt, wie nachgewiesen ist ; so blieb nur mehr das „Sub- 
mittieren". Wohl liegt es nahe, von Friedrich Wilhelm III. zu ver- 
langen, er hätte seinen Gegner denn doch schon soweit kennen 
sollen, um die Aussichtslosigkeit von Negociationen einzusehen, 
hinter denen keine Stärke steht. Jedoch noch unmöglicher erschien 
es ihm und musste ihm erscheinen, auch nur den allergeringsten 
Widerstand zu wagen, als dass Napoleon ihm entgegenkommen 
würde, so unwahrscheinlich auch dieses war; und so ver- 
suchte er im Interesse seines Staates und Heeres 
die Bitte, um das Unmögliche, die doch noch 
stets das kleinere Übel war. 

Im Laufe des Tages sammelte der König persönlich bei 
10.000 Mann in und um Sömmerda. Nachrichten vom Nahen der 
Franzosen bewogen ihn, nach Sondershausen aufzubrechen. 
Kaikreuth erhielt das Commando der Armee, da Möllendorf nach 
Erfurt abgerathen war, auf welchen Punkt sich eben auch der 
Herzog von Weimar im Anmärsche befand. Reißende Fortschritte 
machte der Verfall der Moral bei den Truppen an diesem Tage ; 
ein Beispiel möge genügen : Die ganze Bedienung einer Batterie 
ergriff die wildeste Flucht, als zwei feindliche Chasseurs erschienen. 
Der Mangel stieg und es wurde viel geplündert. All dies bemerkten 
die französischen Vortruppen und französische Führer meldeten 
in*s Hauptquartier: es scheine, der preußische Soldat wolle sich 
um keinen Preis mehr schlagen. In, beziehungsweise um Erfurt 
sammelten sich indess immer mehr Truppen und Versprengte. Die 
Stadt war stark befestigt, wohl armiert und approvisioniert und so 
erklärt sich ihre Anziehungskraft auf die Flüchtlinge. Der Herzog 
von Weimar hatte sich dem Platze am linken Geraufer stark 
genähert ; da traf ein Befehl des Königs ein, sogleich mit den 
vorhandenen Truppen auf Sömmerda zu gehen. Möllendorf, der 
von rechtswegen zu commandieren hatte, entzog sich der Befehl- 
gebung und der Verantwortung, die sie im Gefolge hat und ent- 
hielt sich jedes Einflusses auf den Gang der Dinge. Während 
nun die preußischen Führer über den Abmarsch beriethen. 
erschienen Escadronen von Murat und warfen sofort die rechts 
der Gera stehenden deutschen Truppen in die Stadt zurück: 



Digitized by VjOOQIC 



— 227 - 

jetzt meldete der Herzog von Weimar, dass er in Befolg der 
königlichen Befehle bereits im Marsch nach Norden sei. Unerhörte 
Niedergeschlagenheit bemächtigte sich sogleich der Generale, die 
sich in der Stadt befanden. Der Großherzog von Berg, der bei 
seiner Reiterei nur zwei Haubitzen hatte, wählte den Weg der 
Einschüchterung, um zum Ziele zu gelangen ; den Platz in Brand 
zu schießen, drohte er. Nachdem Möllendorf, vollkommen ent- 
kräftet, das Commando nicht etwa übergeben, sondern nur 
officiell aufgegeben hatte, übernahm dasselbe der Prinz von 
Oranien. Nun trafNey zum Überfluss auch noch vor der Festung 
ein und verlangte seinerseits die Übergabe. Und das durch das 
Mechanische des Krieges unmöglich zu Erklärende geschah : 
ohne eine Berennung abzuwarten, auf bloße Drohungen hin, 
capitulierte der starke Platz fast bedingungslos, nur die Officiere 
durften nach Hause gehen und auch diese nur gegen ihr Ehren- 
wort, vorerst nicht zu dienen. 

Kaum erwacht, hatte Napoleon an den Großherzog den Befehl 
ergehen lassen, mit seiner Cavallerie die Verfolgung aufzunehmen. 
Besonders legte er ihm an's Herz, Erfurt noch im Laufe des 
Tages zu nehmen. Nachdem der Bericht Davouts über die Schlacht 
von gestern eingetroffen war, dem bald andere Berichte seiner zur 
Verfolgung vorgegangenen Cavalleriebrigade folgten, durchschaute 
der Kaiser mit gewohntem Scharfblick das Bild der strategischen 
Lage, und es beginnt die Idee der strategischen Verfolgung auf 
der Sehne des Bogens, welch' letzteren selbst der besiegte Feind 
fast nothwendigerweise gehen, muss , welche Idee schon im Be- 
fehle von 10 Uhr vormittags an Davout zum Ausdruck gekommen 
war*), in der Seele des Kaisers zu reifen. Jedoch sie tritt noch 
nicht in der Stellung der Heereskörper hervor. Wir registrieren 
hier die Thatsache, dass in den Dispositionen Murats, seine 
Reiterei betreffend, Fehler der Mechanik nachzuweisen sind, und 
dass sich die Kritik mit der Frage beschäftigt hat, ob Napoleon 
nicht schon in der Nacht des 14./15. die Verfolgung zu beginnen 
hatte. Indessen steht fest, dass das offenbare Streben der fran- 
zösischen Marschälle, dem Feinde hart an der Ferse zu bleiben, 



•) Der Major-General an Davout . . die Absicht des Kaisers ist noch immer, Ihr Corps 
in einer Stellung zu haben, aus welcher Sie vor dem Feinde in Leipzig oder an der Elbe sein 
Itönnen. 

15* 



Digitized by VjOOQIC 



— 228 - 

ein Bestreben, das nur durch die unfreiwillige Schnelligkeit des 
Rückzuges der geschlagenen Armee vereitelt worden ist, überall 
zu Tage tritt. Und dies ist doch alles, was eine Heeresleitung von 
den Heerestheilen in einem solchen Falle erwarten und verlangen 
kann ; hiebei sind noch die vorausgegangenen, wahrhaft impo- 
santen Märsche der französischen Corps in die Rechnung einzu- 
stellen. Am Abend, beziehungsweise in der Nacht, stehen die 
Corps wie folgt: I. Bibra, III. zwischen Naumburg-Freiburg-Eck- 
artsberga, IV. Buttelstädt , V. und VII. Weimar, VI. östlich 
Erfurt. Die Reiterdivisionen Murats bilden einen großen Bogen 
nördlich Erfurt. Betreffs der Cavalleriedivisionen könnte es auf- 
fallen , dass sie nicht an der Unstrut , etwa bei Sömmerda, 
stehen, was zeigen würde, sie seien dem Gegner auf dem Fuße 
gefolgt. Allein wir wissen, dass der Großherzog von Berg ganz 
bestimmt zur Wegnahme von Erfurt angewiesen worden war; 
dazu war doch Reiterei nicht zu verwenden, wird man sagen; 
aber Murat war durch einen Befehl des Major-Generals zur Ver- 
folgung überhaupt auf die strategische Richtung Erfurt gewiesen, 
mit der Begründung, dies sei der Weg, den der Gegner nehmen 
müsse, wolle er nach Magdeburg. Es scheint, als ob hier ein 
geographischer Lapsus der obersten Heeresleitung thatsächlich 
nachzuweisen sei. Immerhin wog die Hinwegnahme von Erfurt 
ein augenblickliches Abbleiben der Reiterdivisionen vom verfolgten 
Gegner sicherlich auf. 

Napoleon hatte an diesem Tage in Jena viel zu thun. Zwei 
Bulletins*) wurden abgefasst, eines über die gestrige Schlacht, das 
andere, die sächsischen Truppen betreffend. Der Kaiser beeilt 
sich, die geschlagenen Officiere des Kurfürsten moralisch zu er- 
obern, da er ihres Kriegsherrn zu politischen Zwecken bedarf. 
Der Gedanke, Sachsen in die französische Macht- und Interessen- 
sphäre zu ziehen, der bisher latent gewesen, tritt unmittelbar 
nach der blutigen Entscheidung praktisch hervor. Der Kaiser 
empfängt die sächsischen Oflficiere und dieselben versprechen ihm 
auf ihren Eid, nie wieder gegen ihn zu fechten, auch wenn der 
Kurfürst dies befehlen sollte. Dann setzt Napoleon die Kriegscon- 
tributionen fest; er thut dies in folgender Weise: 



*) Er pflegte dieselben persönlich zu dictieren; Foucart II, 546. 



Digitized by VjOOQIC 



229 



Beeret, 

Napoleon, Empereur des Frangais, Rot d' Halte, 

considerant qtie le restiltat de la bataille d'hier est la eonqtiete 

de ious les pays appartenani au rot de Prusse en degä de la 

Visttile, 

Noiis avons decrete et decretons . . . folgen die Ziffern, in 
Summe 159,425.000 Francs, wovon die preußischen Staaten dies- 
seits der Weichsel allein 100 Millionen, Hannover 9'1 Millionen 
zu zahlen haben. 

Erstaunt, ja geradezu verblüfft fragt man sich, woher die 
fast mathematische Gewissheit kommt, mit der Napoleon die Trag- 
weite des eben erfochtenen Sieges, in geographischer Beziehung 
mindestens, zu ermessen weiß. Offenbar war er in Kenntnis von 
dem Zustande, in welchem sich die preußische Armee befand, 
dass eine Reichsvertheidigung nicht vorbereitet war, konnte er 
gleichfalls wissen; vielleicht wusste er, wie gute Wege es noch 
mit der russischen Hilfe hatte. Grundsatz war es ihm, 
die Resultate stets möglichst hoch erscheinen zu lassen, nicht 
aus gedankenlosem Be dürf nis*) nach Uebertreibung 
undLüge, sondern aus sehr praktischen Erwägungen, 
einzuschüchtern und das eigene Heer bei gutem 
Muthzu erhalten. Offenbar erkannte der Kaiser, dass er 
die Preußen doch immer noch für widerstandsfähiger gehalten, 
als sie es wirklich waren; dies hatte ihn wahrlich Auerstädt ge- 
lehrt. Und sofort knüpft er die weitgehendsten Pläne an den 
Gedanken der strategischen Verfolgung, Pläne, die in seiner 
Correspondenz schon tagelang vor der Entscheidung bereits skiz- 
zirt worden waren. Dennoch ist ein so staunenswerter Scharf- 
blick im Abwägen der Resultate für uns, wenn wir aufrichtig 
sind, nicht völlig verständlich. 

Dieser erste Tag der Verfolgung zeigt uns nach dem Durch- 
einander, welches durch den Fehlmarsch der Hauptarmee auf 
Weimar entstand, dann den schweren Mängeln mangelnder Ein- 
heit im Befehl nebst ihren natürlichen Folgen die ganz besondere 
Thatsache, dass die preußischen Truppen geradezu 
unerhört demoralisiert sind, selbst solche, die 



*) Wie man hin und wieder sagt. Gen. Wille, Napoleonische Bulletins, 18d3, 5 bis 
zum Schlüsse. 



Digitized by VjOOQIC 



- 230 - 

nicht eigentlich im Gefechte gestanden. Woher 
kommt dies wohl, als aus dem niederdrückenden Gefiihl für den 
Soldaten, er habe mit ungleichen Waffen gekämpft, 
seine Kriegsform als solche sei der des Gegners 
nicht gewachsen? Wird ein Kriegsheer durch 
Übermacht besiegt, so anerkennt der einzelne 
Kämpfer willig und geduldig das durch denTages- 
befehl ihm mundgerecht gemachte Missgeschick, 
schwächer gewesen zu sein; und darf auf günstigere 
Chancen in einem neuen Kampfe hoffen; wird 
eine Schlacht durch ein Manöver der großen Tak- 
tik entschieden, so weiß der einzelne nicht viel 
davon, er sieht und erkennt nicht, was die Ursache 
ist, er fühlt den Grund des Unterliegens nichtso 
recht. Ein Anderes ist es, wenn der einfache 
Kämpfer die Un zulänglichk eit de r eigenen Ele- 
mentartaktik verspürt, das heißt den Umstand 
wahrnimmt, seine Taktik verlange mehr Muth, Stand- 
haftigkeity guten Willen, als jene des Gegners. Jeder 
Füsilier weiß in einem solchen Falle genau, warum gewichen 
wurde und die besonders in einem geschlagenen Heer mächtige 
Fama trägt die Elemente der Entmuthigung von Ort zu Ort. 

Solche Truppen wollen ganz einfach nicht mehr kämpfen; 
besonders in neuerer Zeit hat man ein Ähnliches erlebt, doch 
weniger infolge von taktischen Mängeln an sich, denn als Product 
des Unterschiedes in der Bewaffnung. Dies scheint das allerver- 
derblichste zu sein. 

Jetzt, nach der Schlacht, machten sich, wie uns berichtei 
wird, die schlechten Subjecte der Armee durch Fahnenflucht und 
Marodieren in großer Zahl bemerkbar; zudem litten die Truppen 
neuerdings Mangel an Verpflegung. 

Napoleon sorgte dafür, dass seine den Gegner verfolgenden 
Truppen demselben hart am Leibe blieben . . . Vepee dam Ics 
reins . . . wird den Feldherren stets wiederholt. So war dies auch 
die Tendenz der französischen Generale am 16.; wenn auch die 
Ausführung dieser Tendenz nicht überall und ganz entsprach. 
Nachdem Stadt und Citadelle von Erfurt am 16. mittags förmlich 
übergeben wurden, so nahm Murat mit den Reiterdivisionen 



Digitized by VjOOQIC 



~ 231 — 

und dem ihm jetzt unterstellten VI. Corps erst spät an diesem 
Tage die Verfolgung wieder auf. Durch falsche Nachrichten irre- 
geleitet, nahm er dieselbe auf Langensalza und nicht direct nach 
Norden, dem strategischen Gedanken Napoleons entsprechend, er 
solle sich zwischen den Feind und Naumburg schieben, um ihn 
von seiner Rückzugslinie abzudrängen. Dieses Abdrängen des Geg- 
ners von der Elbe ist Napoleons augenblickliches strategisches 
Leitmotiv und in allen Befehlen an die Marschälle klingt es 
wieder durch. Am 16. October abends steht die französische 
Armee wie folgt: Murat mit dem Gros der Reiterei bei Langen- 
salza-Gebesee südlich der Unstrut; Ney bei Groß-Fahner ; Soult, 
der eben hinzukam, als General Klein mit 15 Escadronen sich in 
in Confidencen mit den Führern eines preußischen Truppencorps, 
Blücher, Tauentzien, Massenbach, eingelassen hatte, um sich von 
ihnen mittelst Fingierung eines bereits abgeschlossenen Waffen- 
stillstandes an der Nase herumführen zu lassen, hatte die Nachhut 
dieses Truppencorps bei Greussen angegriffen und Gefangene 
gemacht; dann stand er nebst zwei Reiterdivisionen bei Greussen- 
Weissensee. Das VII. Corps stand bei Weimar, das V. auf dem 
Schlachtfelde von Auerstädt, das III., welchem der Kaiser einen 
besonderen Ruhetag zugesprochen hatte, befand sich bei Naum- 
burg-Freiburg- Weissenfeis ; das I. Corps war, der strategischen 
Absicht Napoleons gemäß, auf Querfurt vorgegangen, wo es eine 
drohende Stellung gegen Halle und somit auch schon gegen das 
Reservecorps des Herzogs Eugen von Württemberg einnahm ; 
die Garde befand sich bei Naumburg. Die Communicationslinie 
nach Frankreich wird nun über Erfurt nach Frankfurt a. M. ge- 
legt, um sie abzukürzen. Zahlreich liefen an diesem Tage 
Meldungen über den erbärmlichen Zustand der preußischen 
Truppen bei Napoleon ein. 

Am Vormittage beriethen zu Sondershausen Friedrich Wil- 
helm III. und der Fürst zu Hohenlohe. Nachdem der Monarch dem 
Fürsten mündlich den Befehl über die Trümmer der eigenen 
Armee und die Corps von Rüchel und des Herzogs von Weimar 
übertragen hatte, ferners Magdeburg als allgemeiner Sammelpunkt 
bezeichnet worden war, verließ der König die Armee, um dahin 
vorauszugehen. Schwer ist ihm dieser Schritt verübelt worden.*) 

•) V. Lettow-Vorbeck, II, 65. 



Digitized by VjOOQIC 



— 232 — 

denn es steht fest, dass derselbe einen sehr ungünstigen Eindruck 
auf die Gemüther machte. Jedoch können wir, nach dem, was 
wir bisher von Friedrich Wilhelm III. hörten, wahrhaftig kühn- 
lich sagen : Der Leitung der Operationen konnte seine Entfernung 
von der Armee nie und nimmer schaden ; und wenn man uns 
sagt, der König sei gewissermaßen der einzige feste Punkt in dem 
wogenden Durcheinander gewesen,*) so muss man dem an 
der Hand der Geschichte entschieden wider- 
sprechen. Wir haben diesen Monarchen kennen gelernt, wie 
er, solange es auch noch leidlich ging, zu keinem Entschlüsse 
gelangte ; wie sollte er jetzt auf einmal einer Aufgabe gewachsen 
sein, die ganz besondere Stärke des Charakters und wahrhaß 
kriegerische Fähigkeit erheischte? Stets übersieht die richtende 
Geschichte, dass der Monarch, sobald er im Kriegslager sich 
rein passiv verhält, nur schaden kann, fast niemals nützen; in- 
dem er überall im Wege steht und nichts vollbringt ; passiv ver- 
bleiben, das heißt, sich keinem fügen wollen, um allen 
zu befehlen; und alle willig hören, ohne einem 
einzigen fest und entschieden Gebieter zu sein. 
Ist der Monarch nicht Feldherr zugleich, so kann er nichts thun, 
als in vertrauenderEinseitigkeit jenem derWerk- 
zeuge, dem er am meisten vertraut, gegen jeden 
andern Einfluss Autorität zu schaffen; darauf lasse 
er sich niemals ein, aus entgegengesetzten Meinungen durch Rech- 
nung oder nach persönlichem Gefühl das arithmetische Mittel als 
das richtige hervorzuziehen. Hier, 1806, muss man noch über- 
dies den besonderen Charakter Friedrich Wilhelms III. hinzu be- 
denken, der in seinem Pessimismus und tn seiner Zweifelsucht 
nur niederdrückend wirkte. 

Ein Nachtheil ist aus der Entfernung des Königs für die 
preußische Armee keinesfalls nachzuweisen. 

So ziemlich nach eigenem Ermessen zogen sich die ver- 
schiedenen Führer an diesem Tage zurück. Der Herzog von 
Weimar zog General von Winning an sich und marschierte auf 
Mühlhausen. Kaikreuth ging von Sömmerda nach Sondershausen 
und hatte unteiAvegs das Abenteuer mit Klein, der ganz erstaunt 
über die freimüthige Art berichtet, mit welcher die preußischen 

•) V. Lcttovv- Vorbeck, 65. 



Digitized by VjOOQIC 



- 233 - 

Generale ihm, dem Feinde gegenüber, die Trostlosigkeit der 
eigenen Lage eingestanden. Heftige Meinungsverschiedenheiten 
entstanden zwischen Kaikreuth und seinen Untergebenen; der- 
selbe wollte vor den 2000 Säbeln Kleins mit den beihabenden 
10.000 Mann capitulieren, als ihm Prinz August von Preußen 
bemerkbar machte, die Hundsfötter möchten sich ergeben, er, 
der Prinz, werde die Truppen auffordern, ihm sich anzuschließen. 
Nur wenige Führer widerstanden mehr der lawinenartig anwach- 
senden Muthlosigkeit. Hohenlohe stand mit einem Trupp Ver- 
sprengter bei Nordhausen, Wartensleben bei Benneckenstein, 
kleinere Verbände gegen die Saale zu und das Reservecorps des 
Herzogs Eugen von Württemberg bei Halle. 

Wir sehen somit an diesem Tage ein radiales Auseinander- 
stieben der deutschen Heeresreste, indem jeder Theil dem Drucke 
des Gegners folgt; eine einheitliche Tendenz wohnt, mangels an 
Befehlen, den Führern nicht inne. Weit übertrifft der psycho- 
logische Zerfallsprocess, auch bei den höheren Führern, das 
materielle Zermürben der Armee. 

Der 17. October beschleunigte den Zusammenbruch der 
preußischen Kriegsmittel sehr. 

Am Morgen dieses Tages erfuhren die bei Nordhausen 
stehenden preußischen Generale, dass Napoleon den Waffenstill- 
stand abgelehnt, vielmehr willens sei, die erreichten Erfolge bis 
Berlin zu verfolgen. Sogleich beschloss man, wie sehr begreif- 
lich ist, so rasch als möglich unter die Kanonen von Magdeburg 
zurückzugehen und es wurden die Truppen auf allen vorhandenen 
Wegen recht geschickt dahin in Marsch gesetzt. Die Avantgarde 
des IV. Corps griff Nordhausen an, als man sich eben zum Ab- 
marsch rüstete, und beschleunigte denselben; er ging in den 
unwirtlichen wegelosen Harz, wo viele Geschütze stehen blieben 
und die Truppen neuerdings unter dem Verpflegungsmangel, 
dann den Strapazen der ewigen Märsche bedeutend litten und 
demzufolge vielfach auseinanderkamen. Scharnhorst, durch das 
Wiedereintreffen Massenbachs beim Fürsten Hohenlohe als Chef 
des Stabes entbehrlich geworden, übernahm mit General von 
Blücher die Führung des Artillerietrains , der auf dem äußersten 
linken Flügel der weichenden Armee an die Elbe marschieren 
sollte, um sie zu überschreiten. Nach endlosen Strapazen machten 



Digitized by VjOOQIC 



- 234 - 

die Truppen an folgenden Punkten Halt : Hohenlohe bei Stolberg, 
Kaikreuth bei Hasselfelde, Wartensleben bei Blankenburg, Blücher 
östlich Schwarzfeld. Wie stark die gesammelten Trümmer waren, 
und ihre augenblickliche Organisation ist nicht bekannt Der 
Herzog von Weimar, zum Übergang über die Elbe jetzt schon 
einen Punkt nördlich Magdeburg in's Auge fassend, zog sich, 
weit ausholend, nach Heiligenstadt. Der sächsische General von 
Zezschwitz, der Tags vorher bei Mannsfeld gestanden war, 
trennte sich nunmehr von der preußischen Sache aus politischen 
Gründen, der Zustimmung des Kurfürsten, der sonst dem Unter- 
gang entgegensah, im vorhinein gewiss, und erreichte Hettstädt 
nahe der heimischen Grenze; seine Unterhandlungen mit Napo- 
leon waren im vollen Gange. 

Auf französischer Seite tritt eine scharfe Zweitheilung der 
Armee mit zweifacher Bestimmung hervor. Während Murat. 
Soult und Ney in der Verfolgung des Gegners weiter beharren, 
und an diesem Tage das IV. Corps Nordhausen, das VI. und 
die Reservereiterei Sondershausen erreichen, — was allerdings der 
strategischen Intention Napoleons, den Gegner nicht zu Athem 
kommen zu lassen, besonders bei Murat, nicht ganz entsprach — 
entschließt sich Napoleon mit den übrigen Corps geradezu auf 
Berlin zu marschieren. Aus dem Hauptquartier Naumburg er- 
gehen die entsprechenden Befehle; Davout soll nach Leipzig, 
der Rest der rechten Heeres-Gruppe direct nach Norden gehen. 
Napoleon scheint vom Vorhandensein des preußischen Reserve- 
corps unter dem Herzog Eugen von Württemberg nichts ge- 
wusst zu haben, welches bei Halle stand. Dieses Corps hatte 
nach den Schlachten keine bestimmten Befehle mehr erhalten und 
stand es jetzt, selbst ein Product völligen strategischen Unver- 
standes*), als strategische Reserve ohne recht in die ganze Situ- 
ation hineinzupassen, ohne sie zu verstehen, ziemlich rathlos 
und vereinzelt da. Es zählte in circa 18 Bataillonen, 20 Esca- 
dronen und 4 Batterien 16.000 Mann, nebst 62 Geschützen. 
Bernadotte, um seinen Fehler vom 14. wieder gut zu machen, 
warf sich, sobald er von dem Vorhandensein des Corps erfuhr, 
bei Halle auf dasselbe. Obgleich an Reiterei und Artillerie weit 
überlegen, an Infanterie beinahe ebenbürtig, wurden die preußi- 

*) Vom Kriege, I, 261. 



Digitized by VjOOQIC 



— 235 — 

sehen Truppen, von denen sich ein Theil zur Vertheidigung der 
in die Stadt führenden einzigen Brücke vor derselben aufgestellt 
hatte, in die Stadt zurück, durch dieselbe und auf der anderen 
Seite wieder herausgeworfen. Mit sehr starkem Verlust zog sich 
der Herzog auf Magdeburg „excentrisch'' zurück. Das hätte er 
nicht thun sollen , meint die Kritik*), sondern die Übergänge 
der Elbe von Rosslau oder Wittenberg halten — gegen die 
Hauptmasse der französischen Armee wohlverstanden, wie uns 
jetzt bekannt ist Indessen ist von Seite des Hauptquartiers 
ein früherer Befehl an den Herzog nachzuweisen, er solle sich 
gegebenenfalls auf die Festung als den allgemeinen Ralliierungs- 
punkt der Armee zurückziehen. Und wenn auch ein solcher 
Befehl nicht ergangen wäre oder nicht bestellt worden sein sollte, 
so lag für den Herzog mit seinem schwachen Corps wohl der 
Gedanke nahe, vorerst die Vereinigung mit der Armee zu suchen 
und sich nicht noch mehr von ihr zu entfernen. Sicherlich hat 
der Herzog, wie v. Lettow- Vorbeck glaubt, die Möglichkeit eines 
französischen Vormarsches auf Berlin nicht in Rechnung gezogen 
und es überrascht, wenn wir lesen, es sei ihm daraus füglich 
kein Vorwurf zu machen. Wozu also im nachhinein belehren, 
was er zu thun gehabt? Die Argumentation, die man heut in's 
Treffen führt, um zu beweisen, der Herzog hätte am 17. abends 
die von Napoleon eben erst begonnene, durch nichts für jenen 
erkennbare Bewegung errathen, und mehr als das, mit Sicher- 
heit durchblicken sollen, kommt um ein Jahrhundert fast zu spät; 
sie entbehrt jedweder historischen Berechtigung, da man sie da- 
mals nicht aufzufassen, vorweg zu thun vermochte; und sie 
entbehrt des Wertes für die Gegenwart, weil ihre Lehren heute 
kriegsconventionell geworden sind, von jedermann gekannt und 
geübt werden, um morgen schon vielleicht durch neue Formen 
des Krieges überholt zu werden, für die kein Beispiel irgendwo 
aufgezeichnet steht, und denen wir geradeso rathlos gegenüber 
uns befinden werden, wie ehedem die Männer jener Zeit. 

Die französischen Corps des rechten Flügels erreichten am 
Abend folgende Position: I. Halle, III. Freiburg - Weissenfeis, 
Garde und das V. Naumburg, VII. Auerstädt-Kösen. Der Kaiser 
zog die in zweiter Linie folgenden Rheinbunds-Truppen näher an 

•) V. Lettow-Vorbeck, II, 116. 



Digitized by VjOOQIC 



— 236 — 

sich und wies König Ludwig an, in Hessen-Cassel einzurücken, 
den Kurfürsten gefangen zu nehmen, und seine Truppen zu 
entwaffnen. 

Es wurde ziffernmäßig ausgerechnet*), dass Napoleon mit 
dem rechten Flügel der Armee füglich einen Tag früher nach 
Berlin aufbrechen hätte können. Zweierlei ist möglich, entweder 
wir kennen mangels genügender Urkunden heute die Gründe 
nicht mehr, die Napoleon zu diesem Zögern bestimmten, oder 
Napoleon war von seinem Siege überrascht, gewissermaßen 
perplex, womit jedoch die in seinem Brief an Soult schon am 
10. October ausgesprochene Absicht ; . . . apres cette hataille, je 
serai ä Dresde ou ä Berlin avant lui ... im Widerspruche 
steht. Es erscheint verlockend, durch Anwendung rein mili- 
tärischer Kritik hier dem Kaiser der Franzosen eine Unter- 
lassungssünde nachzuweisen ; und sehr einladend winken wieder 
Daten, die sein Zögern zu erklären und gutzuheißen scheinen. 
Mit gutem Bedacht wollen wir uns einer Kritik dessen enthalten, 
was der größte Feldherr der modernen Zeit thun hätte sollen, 
um noch glänzender den Krieg zu Ende zu führen, vorausge- 
setzt natu dich, dass dies überhaupt möglich war. 

Rückzug und Verfolgung bewegen sich am 18. October in 
den bezeichneten Bahnen fort. Getrennt ist die französische 
Armee und bleibt es trotz eines Versuches von Murat, sich an 
den rechten Flügel näher heranzuziehen; er bleibt auf dem linken 
und drängt scharf dem Gegner nach, während der rechte seine 
Bewegung an die Elbe- und Muldeübergänge beginnt. Es er- 
reichten die Truppen folgende Stellungen: Das IV. Corps und die 
Reservereiterei stehen mitten im Harz, das VI. bei Nordhausen. 
Das I. Corps, dessen Führer nichts gethan, um den gestern ge- 
schlagenen Feind zu verfolgen, vorwärts Halle, das V. südlich 
derselben Stadt, die Garde und das VIL bei Merseburg, und das 
III. in Leipzig. Napoleon lässt seinem linken Flügel völlig freie 
Hand. Ney meldet, dass die Disciplin seiner Truppen unter dem 
Einfluss der fortgesetzten Märsche sehr zu leiden beginne. 

Auf deutscher Seite geschah folgendes: Der Herzog ^on 
Württemberg hatte sich mit seinem Corps über die Brücke von 
Rosslau, welche er hinter sich verbrannte, bis Gommern unweit 

*) V. Lettow- Vorbeck, II, 100. 



Digitized by VjOOQIC 



- 237 — 

Magdeburg gerettet Die übrigen Truppen entfernten sich weiter 
von einander, indem der Herzog von Weimar und Blücher in die 
Richtung von Braunschweig gingen, um von da die Elbe möglichst 
weit von Magdeburg zu überschreiten, während der Rest mit 
Aufgebot aller Kräfte auf diese Festung strebte. Wartensleben er- 
reichte Hadmersleben, Kaikreuth Blankenburg, Hohenlohe Qued- 
linburg, ein paar Generale, die abgekommen waren, führten 
außerdem gesonderte Abtheilungen auf eigene Faust. 

Friedrich Wilhelm III. übertrug endlich den Oberbefehl über 
alle Truppen diesseits der Oder an den Fürsten von Hohenlohe 
und jener in Preußen an den Grafen Kaikreuth. Während dieser, 
der sich von seinem Corps entfernt hatte, diesen Befehl zunächst 
nicht zugestellt erhielt, versammelte der Fürst in Quedlinburg 
eine Conferenz, um über das, was zu geschehen habe, schlüssig 
zu werden. Alles stimmte dafür, ohne in Magdeburg zu bleiben, 
an die Oder zu marschieren, nur der Major von Knesebeck 
wollte alle verfügbaren Truppen sammeln, mit ihnen an die Weser 
gehen, Hessen und Westphalen insurgiren, Holland bedrohen 
und dadurch Napoleon vom Herzen der preußischen Lande ab- 
ziehen. Man kann wohl sagen, schon mechanisch nur betrachtet, 
war der Plan völlig aussichtslos. Doch scheint es anderseits, als 
hätte er zu schlechteren Erfolgen, als jene von Prenzlau-Ratkau 
waren, auch nicht führen können. Allein Hohenlohe verwarf ihn 
ganz. Der König sandte an diesem Tage von Magdeburg aus 
den Marquis von Lucchesini, dem er abzuschließen schweren 
Herzens carte blanche gab, um zu unterhandeln, an Napoleon. 
Sodann verließ er endgiltig die Armee, um in aller Eile nach 
Küstrin zu gehen. Militärisch betrachtet, ist Friedrich Wilhelms III. 
Abreise gewiss nicht schädlich gewesen; wir glauben fest, er 
hätte die Rolle, welche die Geschichte von ihm verlangte: der 
Fels in der Flut des Zusammenbruches zu sein, aus Gründen, 
die in seinem Charakter lagen, nicht zu spielen vermocht; was 
er bisher gethan und unterfassen, spricht deutlich genug dafür. 
Aber die Art, wie er sich hinwegbegab, war übereilt, es hatte den 
Anschein, als fühlte er sich selbst in der Festung nicht mehr 
sicher, wie der Befehl, Cassen, Bagage hinwegzubringen, beweist. 
Wenngleich er den Ereignissen hier nicht persönlich beigewohnt, 
so verdient Hardenberg in dem, was er über die Stimmung jener 



Digitized by VjOOQIC 



- 238 - 

Tage sagt,*) volles Vertrauen aber es geschähe gar 

nichts, man dachte nur an das Fliehen. 

Napoleon hatte vom Marsche der preußischen Armee und 
des Reservecorps auf Magdeburg vernommen und in den Be- 
fehlen, die er am 19. morgens erlässt, erkennen wir den doppelten 
strategischen Gedanken: den preußischen Resten vor ihrem Ein- 
treffen in Magdeburg soviel als möglich Schaden noch zu thun, 
beziehungsweise dieselben nach Norden abzudrängen und sich 
der Elbeübergänge so rasch als möglich zu vergewissern. So soll 
Bernadotte auf Aschersleben, Davout auf Wittenberg und Lannes 
nach Dessau gehen. Womöglich sollen die Brücken von Witten- 
berg und Dessau durch Überraschung genommen werden und 
wenn dieses nicht gelingt, technische Vorbereitung zum Brücken- 
schlage getroffen werden. 

Auf dem linken Flügel setzten die Marschälle die Verfolgung 
eifrig fort. Die französische Armee stand am Abend: IV. Corps 
und die Murat*sche Reiterei bei Halberstadt-Quedlinburg, VI. Has- 
selfelde, I. Alsleben, V. Zörbig, III. Düben, VII. vor, Garde, Haupt- 
quartier in Halle. 

Mit Ausnahme Blüchers und des Herzogs von Weimar, die 
durch das Vorgehen der Franzosen im Harz von der Elbe direct 
abgeschnitten waren und des sächsischen Corps, das sich, fried- 
lichen Sinnes voll, der Heimat zu auf Barby an der Elbe zog, 
strebten die geschlagenen Heerestheile von allen Seiten der Elbe- 
festung zu. Wartensleben hatte Magdeburg erreicht; Hohenlohe 
stand vorwärts Langen-Weddingen ; ein Truppencorps unter Ge- 
neral V. Tschammer bei Dodendorf ; General von Hirschfeld über- 
nahm für Kaikreuth, der noch knapp vor seinem Abgehen vom 
Corps die verkehrtesten Befehle gab, das Commando und stand 
bei Groß-Oschersleben ; der Herzog von Württemberg unter den 
Wällen von Magdeburg rechts der Elbe. 

Wir können aus dem Mechanischen in der strategischen 
Lage heute noch nicht erkennen: Will Napoleon Magdeburg auf 
beiden Ufern einschließen, oder gedenkt er, dieses nur beobach- 
tend im Rücken lassend, auf Berlin zu gehen? Ist die feind- 
licheMacht oder der „geographische"Punkt Berlin 
heute sein Operationsobject? 

*) III, 207. 



Digitized by VjOOQIC 



— 239 — 

Indess erhielt der Kaiser bald Nachrichten von seinem 
linken Flügel dahin, die Verfolgung lasse den Gegner nicht zu 
Athem kommen. Sogleich tritt die Idee des Elbeüberganges bei 
Dessau-Wittenberg kräftiger hervor. Bernadotte soll mit dem 
größten Theile seines Corps an die Muldemündung gehen und 
über die Elbe Brücken schlagen : . . . Magdeburg est une 
soupiciere . . . schreibt der Kaiser zweimal an diesem Tage; 
er glaubt alle Trümmer der preußischen Armee, auch Blücher 
und der Herzog von Weimar, würden dahin ziehen. Mittlerweile 
waren seine Befehle vom 19. in der Ausführung begriffen ; Lannes 
gelang es, Truppen an's rechte Ufer zu werfen, während an der 
Wiederherstellung der Brücke zu Rosslau eifrig gearbeitet ward. 
Davout nahm ohne Schwierigkeit den Übergang von Wittenberg, 
doch erhielt Napoleon die Meldung hievon an diesem Tage nicht. 
Daher wurden für den nächsten Tag die Garden und Augereau 
auf der Dessauer Straße bereitgestellt. Bernadotte stand erst bei 
Calbe-Bernburg. Murat, der es unternommen hatte, sich zwischen den 
auf Magdeburg fliehenden Feind und den eigenen rechten Flügel 
zu werfen, war soweit rechts an die Elbe herangelangt, dass er, 
zumal als ihm eine Weisung Napoleons zukam^ er solle nach 
Calbe gehen, falls er am linken Elbeufer keine Gelegenheit mehr 
fände, Reste des Gegners zu zersprengen oder gefangen zu 
nehmen, in richtiger Würdigung der strategischen Lage von der 
Verfolgung des 70 km. westwärts stehenden Herzogs von Wei- 
mar abließ, um sich dem Kaiser zur Verfügung zu stellen. Die 
Kritik hat es dem Reiterführer Napoleons verübelt, dass er nicht 
den Herzog abgefangen hat, somit zu diesem Be- 
hufseine Divisionen mindestens theilte, mit einer 
Anzahl von ihnen sich weit von der Armee weg- 
zog, mit einem Wort nicht überall zu gleicherZeit 
gewesen ist. Die Kritik kann es nicht begreifen, 
dass nicht wenige Stunden nach der D oppel seh lacht 
alles, was an deutschenTruppen überhaupt noch vor- 
handen war, in der Hand Murats gewesen. Dafür tadelt sie 
den Großherzog. Die einfache Thatsache ist, dass er, durch seine 
rastlose Verfolgung des wahrhaftig wichtigsten Theiles der preu- 
ßischen Armee in die Nähe des Kaisers geführt, erfahrend, der- 
selbe rüste sich zum Elbeübergang, erkennend, dass er Magde- 



Digitized by VjOOQIC 



— 240 — 

bürg mit seiner Reiterei zu nehmen nicht imstande sei, sich 
auch zum Übergang bereitstellt und sehr begreiflicherweise nicht 
daran denkt, mit dem größten Theil der Reiterei — die man 
in dem offenen Räume Elbe -Berlin sicher brauchen wird — 
drei Märsche nach rückwärts zu thun, um ein noch intaktes 
Corps des Gegners in's Ungewisse zu verfolgen. Dass es mög- 
lich sei, meldet ja Murat dem Kaiser und erbietet sich dazu, 
wenn dieser es verlangt ; er selbst jedoch kann sich auf eigene 
Faust zu einer so gewagten „Selbstthätigkeit'^ nimmermehr er- 
heben. Seine Reiter stehen am Abende des Tages bereits rechts 
von Soult, der bei Hadmersleben nächtigt. Ney ist bis Halber- 
stadt gefolgt. 

Die preußischen Truppen erreichten an diesem Tage, dem 
20., zum größten Theile Magdeburg. Bald sah Hohenlohe ein, 
dass kein Ort zum Sammeln, Ordnen, Schlagfähigmachen weniger 
geeignet sei, als eben diese Festung, die so bald als möglich zu 
erreichen die vornehmste Aufgabe des Rückzuges gewesen war. 
Die größte Unordnung herrschte in den Straßen, die Fuhrwerke 
verstopften alle Ein- und Ausgänge, selbst das Glacis, so dass 
nach dem Zeugnis eines Augenzeugen kein Geschütz vom ganzen 
Wall anderswohin als auf Bagage hätte feuern können. Der 
Gouverneur, General der Infanterie von Kleist, wollte mit Rück- 
sicht auf die geringen Vorräthe von einem Verbleiben mobiler 
Truppentheile in der Festung keinesfalls etwas wissen, und wies, 
was nicht von Haus aus hergehörte, geradezu hinaus. So sah 
der Fürst, dass hier seines Bleibens nicht sei, so lockend ihm 
auch der Plan erscheinen mochte, ein verschanztes Lager bei 
Magdeburg zu beziehen, um dem gegen die Monarchie vordrin- 
genden Gegner „Jalousie gegen Flanke und Rücken zu geben." 

Er entschloss sich zum Rückzuge hinter die Oder. Er wählte 
Stettin zum Übergangspunkt als den voraussichtlich gesichertsten; 
er beschloss seinen Weg über Genthin-Rathenow-Ruppin-Zehdenick- 
Prenzlau als dem kürzesten und strategisch naheliegendsten zu 
nehmen ; da an ein Behaupten von Berlin ohnehin nicht zu 
denken war. Sofort, das heißt am nächsten Tage, dem 21., ge- 
dachte der Fürst zu marschieren ; denn bekannt war ihm, der 
Feind werde bald vor der Festung stehen. Wirklich begann der 
Abmarsch am 21. früh. 



Digitized by VjOOQIC 



— 241 — 

Dieser Abmarsch blieb Napoleon unbekannt, oder vielmehr 
er glaubte nicht an ihn, hielt ihn für völlig unwahrscheinlich. 
Die Ursache war, dass Bernadotte mit seinem Brückenschlag lange 
nicht zustande kam, und weder er noch Murat, der gleichwohl 
fest glaubte, Hohenlohe werde zurückgehen, eine kräftige Er- 
kundung auf dem rechten Elbeufer thaten, mithin nichts positives 
zu melden in der Lage waren. Napoleon thut nichts entschie- 
denes, um den Fehler jener Unterführer wieder gut zu machen-, 
vielmehr sanctioniert er ihn, indem er, an dem Brückenschlag 
bei Barby verzweifelnd, die Corps mehr rechts, bei Rosslau 
und Wittenberg überzugehen anweist, um den Vormarsch auf 
Berlin endlich zu beginnen, unbekümmert um das, was in seiner 
linken Flanke bei Magdeburg stehen bleiben kann. Soult und 
Ney, welche ihrerseits stets auf den Befehl zum Abmarsch nach 
Berlin gefasst sein müssen, werden nach dem Willen des Kaisers 
genügen, um vor Magdeburg festzustellen, wie die Dinge beim 
Gegner stehen, und eventuelle Ausfälle kräftig zurückzuweisen. 
Immer schlägt jedoch die Bestimmung Berlin in den kaiserlichen 
Befehlen deutlich durch ; so deutlich, dass Soult lange zögerte, 
den Herzog von Weimar, der sich eben der Elbe näherte, anzu- 
greifen und als er dies schließlich dennoch that, dem Feind in 
dem Wahne entgegenging, derselbe ziehe nach Magdeburg; so 
wurde dieser Marschall, ohne es zu wollen, zur Verfolgung auf 
Tangermünde fortgerissen. Man sieht, es überwiegt in 
Napoleon mächtig das Bestreben, nach Berlin 
zu kommen die sogar uns und besonders jener Zeit mund- 
gerechte Sorge um das, was er in der Flanke lässt ; obgleich 
er selbst glaubt, der Feind könne in der Elbefestung immerhin 
noch ein ganzes Armeecorps haben. 

Thatsächlich bricht somit Napoleon, sobald er der Elbe- 
übergänge sich versichert hat, die Verfolgung des Gegners ab, 
um auf den „geographischen" Punkt Berlin vorzugehen. Dass 
er dies mit solcher Sorglosigkeit that, ist der Sinn des Vor- 
wurfes,*) den die Kriegsgeschichte hier gegen ihn erhebt. 

Er tritt mit der Garde, vier Corps und der Reservereiterei 
diesen Marsch am 22. October an, während Soult und Ney vor 
Magdeburg verbleiben, und gelangt am Abend des 24. bis in die 

•) V. Lettow-Vorbeck, II, 187. 

C. von B.-K. Zur Psychologie des großen Krieges II. 16 



Digitized by VjOOQIC 



— 242 — 

Nähe von Berlin, wo am nächsten Tage Davout zur Belohnung 
für Auerstädt als Erster einziehen soll. Unbemerkt und vom Kaiser 
gar nicht geahnt, vollzog sich mittlerweile der Rückzug Hohen- 
lohes, der an diesem Tage mit dem größten Theile seiner Truppen 
nordwärts der Havel, etwa bei Wusterhausen-Rhinow steht. Da 
verbreitet sich am Nachmittag unter den französischen Truppen 
zu Potsdam das dunkle Gerücht, eine preußische Colonne ziehe 
auf Stettin. Sofort bietet Napoleon alles auf, um die Wahrheit 
des Gerüchtes zu ermitteln, und wenn dasselbe Bestätigung er- 
fährt, den Gegner abzufangen. Die sofort wieder aufgenommene 
Verfolgung führt im Laufe der Begebenheiten zu den Capitulationen 
von Prenzlau und Ratkau, durch welche „das Signal zu allen 
anderen Capitulationen gegeben wird *)" und der jede Thatkraf: 
lähmende Gedanke, dass doch alles verloren sei, dass Preußen 
nicht mehr geholfen werden könne, mächtige Nahrung und weite 
Verbreitung erfuhr. Prenzlau kostete ca. 10.000, Ratkau 9000 
Mann organisierter Truppen, welche einen großen Theil dessen 
darstellten, was Preußen überhaupt noch besaß. Diese 19.000 
Mann haben Preußens Schicksal wahrlich nicht entschieden: 
die Doppelkatastrophe war nur ein Epilog, den uns die gegen- 
wärtige Kriegsgeschichte als von entscheidender Bedeutung unc 
accidentiell entstanden darzustellen sich bemüht. Denn es stellt 
sich heraus , „dass zu dem wahrhaft glänzenden Abschluss 
des Feldzuges für die französischen Waffen dem Glück, welches 
den korsischen Emporkömmling so oft begünstigt hat. ein nicht 
unbedeutender Antheil gebührt" — wird uns gesagt.**) 

Wir haben Rückzug und Verfolgung nur bis zur Elbe be- 
trachtet. Der Leidensweg, den Preußen von da nach Prenzlau 
und Ratkau ging, bietet kein eigentliches Material für die Be- 
trachtung, die wir anzustellen wünschen; denn er war nur mehr 
die unvermeidliche Consequenz dessen, was vorher geschehen 
war. Allein wir wollen noch einen Blick auf die Thätigkeit von 
Freund und Feind während der auf die Entscheidung folgenden 
Tage thun. 

Die geschlagene Armee weicht zunächst in der Richtung des 
empfangenen Stoßes ohne Plan zurück, denn ein solcher bestand 



•) V. Lettow- Vorbeck, 11, 277. 
••) Ebenda, II, 215. 



Digitized by VjOOQIC 



- 243 - 

thatsächlich nicht. Die Auflösung der Heerestheile sowohl von- 
einander als in sich wächst erheblich an. Bald jedoch gewinnt 
der strategische Gedanke des Rückzuges auf Magdeburg die Ober- 
hand; und derselbe beginnt trotz aller Schwierigkeit auf dem 
augenblicklich nächsten Wege. Einzelne Truppentheile, die wegen 
der Bequemlichkeit des Marsches zu weit ausgeholt haben, ver- 
lieren durch die Energie der französischen Verfolgung, die sich 
zwischen sie und das Object des Rückzuges wirft, die Möglichkeit, 
dieses zu gewinnen; jedoch die Hauptmacht erreicht dasselbe. Auf 
diesem Marsche zeigen uns die Einzelnheiten das verworrene Bild 
und die traurigen Verhältnisse des Rückzuges jedweder geschla- 
genen Armee. Doch über allem Detail erblicken wir klar die That- 
sache, dass Truppen sowohl als Führer die Aussichtslosigkeit 
ferneren Kampfes einzusehen beginnen; von diesem Erkennen 
bis zum nicht mehr kämpfen wollen ist es nur ein Schritt. 

Der Sieger bietet zur Verfolgung des Besiegten nur einen 
Theil, und zwar den kleineren seines Heeres auf. Der größere 
Theil soll ruhen und Erholung finden, während zwei Corps und 
die Reiterei vor allem die Auflösung des Gegners herbeizuführen 
haben. Napoleon überlässt im großen Ganzen den linken ver- 
folgenden Flügel sich selbst, ihm die Sorge überlassend, die un- 
mittelbaren Früchte des Sieges einzuernten, welches Amt diesmal 
der Kaiser nicht persönlich übernimmt; denn er selbst mit dem 
Reste der Armee steht still und bereitet den Abmarsch nach Berlin, 
den er schon vor der Schlacht als sicher in's Auge gefasst hat. 
Ein Corps, welches er links vorwärts disponiert, um etwaige 
Reste des Gegners von einem möglichen Marsche an die in Aus- 
sicht genommenen Elbeübergänge abzuhalten, schlägt, ohne dass 
die Heeresleitung dies vorhergesehen, das zwischen Napoleon 
und seinen Übergängen befindliche preußische Reservecorps. Das- 
selbe geht, wie es scheint, an die Elbe zurück; als der Kaiser 
dies erfährt, entwickelt er sogleich eine ungeheure Thätigkeit, um 
so rasch als möglich Herr des Stromes zu werden, und zwar 
wieder zum Zwecke des Marsches auf Berlin. Als ihm der Über- 
gang gelingt, tritt er mit einer gewissen Sorglosigkeit 
um das, was noch vom Gegner bei Magdeburg 
stehen kann, den Vormarsch an auf den „geographischen" 
Punkt Berlin, zu welchem Marsche er jetzt bedeutende Theile des 

16 • 



Digitized by VjOOQIC 



— 244 — 

linken Flügels, der seinen Zweck der Verfolgung bisher glänzend 
erreicht, heranzuziehen gedenkt und wirklich heranzieht 

Wir sind überzeugt, dass unsere Leser die nöthige Vor- 
sicht anwenden werden, wenn wir somit sagen: Vom Schlachi- 
felde von Jena aus richtet Napoleon seinen strategischen Blick 
auf die Hauptstadt des Gegners , während er das Einheimsen 
der Früchte des Sieges, die eigentliche strategische Verfolgung, 
secundären Kräften überlässt. Wir wissen aus seiner Correspon- 
denz, dass er schon vor dem Siege den „geographischen" Punkt 
Berlin zu seinem Operationsobject zu machen gedachte. 

Diese Absicht behält er in dem Grade bei, dass ihm der 
Abmarsch Hohenlohes füglich unbekannt, ja, man darf geradezu 
sagen, ziemlich gleichgiltig geblieben ist; denn Andeutungen vom 
Zuge Hohenlohes an die Oder hat er empfangen, wie nachzu- 
weisen ist; dessen sich zu vergewissern, thut er nichts ent- 
schiedenes; sondern marschiert unbekümmert auf Berlin. «In 
dieser Unterlassung, in der Art, wie der Marsch angetreten wurde, 
ist ein Fehler des großen Feldherrn zu erblicken."*) 

Resümieren wir. Seit dem 15. October sucht sich d;e 
preußische Armee nach Magdeburg zu retten, um sich daselbst 
zu reorganisieren; in dieser Hoffnung getäuscht, rettet sie sich an 
die Oder. Napoleon marschiert nach dem Siege auf Berlin, und 
überlässt die Verfolgung des geschlagenen Feindes secundärer 
Truppenzahl und Führerfahigkeit. Mit einem Wort, es er- 
scheint ihm der geschlagene Gegner das neben- 
sächliche Operationsobject, und das wichtigere 
seine Hauptstadt zu sein. 

Gehört dieses strategische Thun — Wahl eines „geogra- 
phischen" Punktes zum Operationsobject — in das System des 
XVIII. Jahrhunderts noch; oder mit welcher Erscheinung haben 
wir es hier zu thun? 



Die Folgen der Schlachten von Jena und Auerstädt sind aus 
der Weltgeschichte, wo sie für immer aufgezeichnet stehen, hin- 
länglich bekannt. 

•) V. Lettow- Vorbeck, II, 187. 



Digitized by VjOOQIC 



— 245 - 

Die Schlacht hatte wie ein Donnerschlag auf Preußen und 
Europa gewirkt; niemand hatte einen solchen Ausgang für möglich 
gehalten. 

Denn derselbe bedeutete nicht mehr noch weniger als völlige 
Wehrlosigkeit der preußischen Monarchie, die nur in Unterwerfung 
unter das Gesetz des Siegers noch Rettung zu erblicken hoffte. 
Wir wissen, dass Friedrich Wilhelm III. verschiedene und eifrige 
Versuche machte, so rasch als möglich zum Frieden zu gelangen. 
Thatsache ist, dass die Bevölkerung, aufgeklärt und kosmopolitisch 
gesinnt wie sie war, dem Staatsgedanken nicht das geringste 
Opfer brachte, sondern geradezu dadurch, dass sie den Franzosen 
in allen Stücken aufs willfahrigste entgegenkam, das Ende des 
Krieges herbeizuführen suchte. 

Wir wollen es vermeiden, das Bild des Zusammenbruches 
zwecklos auszumalen; denn überreich und ungezählt, wie die 
Quellen hiezu fließen, tragen sie alle den Stempel der Kritik im 
nachhinein allzu deutlich an sich ; und verfälschen die Geschichte. 
Nur darauf sei verwiesen, wie das völlige Versagen des kriegeri- 
schen Geistes an allen Orten vom 14. October an einfach und in 
erster Linie auf den Glauben des Besiegten an die 
ün widerst eh lichkeit des Siegerszurückzuführen 
ist. Es ist erwiesen, dass so manche Capitulation und Festungs- 
übergabe nicht auf Grund militärischen Calculs und nicht aus 
ungewöhnlicher Feigheit der Führer erfolgte, sondern aus dem 
Glauben an die Aussichtslosigkeit des Widerstehens. 

Hier greift man die materiellen Wirkungen der Imponde- 
rabilien wahrhaft mit Händen. 



Digitized by VjOOQIC 



Digitized by VjOOQIC 



IV. 



Resultate. 



Digitized by VjOOQIC 



Digitized by VjOOQIC 



Uer Brief,*) den der Kaiser Napoleon zwei Tage vor den 
Entscheidungsschlachten an den König Friedrich Wilhelm IIL 
geschrieben hat, lautet in deutscher Übersetzung wie folgt: 

Kaiserliches Lager Gera, 12. October 1806. 

Mein Herr Bruder, erst den 7. habe ich den Brief Ew. 
Majestät vom 25. September erhalten. Ich bedaure, dass man 
Sie diese Art von Schmähschrift hat unterzeichnen lassen. 

Ich antworte nur, um Ihnen zu betheuern, dass ich niemals 
Ihnen die Dinge zuschreiben werde , die in demselben enthalten 
sind; sämmtlich sind sie Ihrem Charakter und Ihrer Ehre zu- 
wider. Ich beklage und verachte die Verfasser eines solchen 
Machwerkes. Unmittelbar darauf erhielt ich die Note Ihres Mini- 
sters vom 1. October. Sie haben mir ein Stelldichein für den 
8. gegeben. Als guter Ritter hielt ich Wort; ich stehe mitten in 
Sachsen. Möchten Sie mir glauben, ich habe solche Kräfte, dass 
alle Ihre Kräfte den Sieg nicht lange schwanken machen können. 
Aber warum soviel Blut vergießen? Zu welchem Zweck? Ich 
will Ew. Majestät gegenüber dieselbe Sprache führen, die ich dem 
Kaiser Alexander zwei Tage vor der Schlacht von Austerlitz 
hielt. Möge der Himmel verhüten, dass verkaufte oder fanati- 
sierte Menschen, mehr Feinde Ihrer Person und Ihrer Herrschaft 
als meine und meines Volkes Feinde, Ihnen die gleichen Rath- 
schläge geben, um Sie zum selben Resultat zu führen. Sire, seit 
sechs Jahren bin ich Ihr Freund, gewesen. Ich will keinerlei 
Vortheil ziehen aus dieser Art von Taumel, der Ihren Rath be- 
herrscht, der Sie zu politischen Fehlern geführt hat, über die 
Europa noch ganz erstaunt ist, und zu militärischen Fehlern, von 

•) Corresp. XIII, 10990. 



Digitized by VjOOQIC 



- 250 - 

deren ungeheurer Größe Europa bald wiederhallen wird. Hätten 
Sie in Ihrer Note Mögliches von mir verlangt, ich hätte es ge- 
währt ; Sie haben meine Entehrung verlangt und mussten meiner 
Antwort sicher sein. So ist der Krieg zwischen uns zur That- 
sache geworden und das Bündnis für immer zerstört. Doch wozu 
sollen wir unsere Unterthanen morden lassen? Ich lege keinen 
Wert auf einen Sieg, der mit dem Leben einer großen Zahl 
meiner Kinder erkauft wird. Wenn ich im Beginne meiner mili- 
tärischen Laufbahn stünde und die Wechselfälle der Schlachten 
fürchten könnte, dann wäre diese Sprache durchaus nicht am 
Platz. Sire, Ew. Majestät wird besiegt werden; Sie werden die 
Ruhe Ihrer Tage, das Dasein Ihrer Unterthanen in Frage gestellt 
haben, ohne auch nur den Schatten eines Vorwandes dazu. Sie 
sind heute noch unverletzt und können mit mir in einer Weise 
unterhandeln, die Ihrem Range angemessen ist; Sie werden, be- 
vor ein Monat vergeht, in anderer Lage unterhandeln. Sie haben 
sich fortreißen lassen zu einer Erregung, die man berechnet und 
künstlich vorbereitet hat. Sie haben mir gesagt, dass Sie mir 
oft Dienste erwiesen haben. Wohlan, ich will Ihnen beweisen, 
wie gut ich derselben eingedenk bin. An Ihnen soll es sein, 
Ihre Unterthanen vor den Verheerungen und dem Elend des 
Krieges zu bewahren. Bei Ihnen steht es, diesem kaum begon- 
nenen Kriege ein Ende zu machen, und damit vollbringen Sie 
eine That, für die Europa Ihnen Dank wissen wird. Wenn Sie 
Gehör jenen Wahnsinnigen geben, die vor 14 Jahren Paris er- 
obern wollten, und die Sie heute in einen Krieg und unmittelbar 
darauf in Angrififsplane verwickelten, die beide gleich unbegreif- 
lich sind, so werden Sie Ihrem Volke ein Übel zufügen, das der 
Rest Ihres Lebens zu heilen nicht vermögen wird. Sire, ich 
habe nichts zu gewinnen von Ew. Majestät. Ich will nichts und 
habe nichts von Ihnen gewollt. Der gegenwärtige Krieg ist ein 
unpolitischer Krieg. 

Wohl fühle ich, dass ich mit diesem Briefe vielleicht eine 
gewisse Empfindlichkeit errege, die bei einem Souverän natürlich 
ist; allein die Umstände lassen keine Schonung zu. Ich spreche 
so zu Ihnen, wie ich über die Dinge denke. Und dann, gestatten 
Ew. Majestät mir, es Ihnen zu sagen : Für Europa ist es keine 
große Entdeckung, zu erfahren, Frankreich sei dreimal so volk- 



Digitized by VjOOQIC 



— 251 — 

reich und ebenso tapfer und kriegerisch, als die Staaten Ew. Ma- 
jestät. Ich habe Ihnen keinen wirklichen Grund zum Kriege 
gegeben. Befehlen Sie diesem Schwärm von Schlechtgesinnten 
und Tollköpfen angesichts des Thrones zu seh weigen , . in der 
Ehrfurcht, die man Ihnen schuldig ist. Wenn Sie auch in mir 
niemals mehr einen Bundesgenossen wiederfinden, so finden Sie 
doch in mir einen Mann, der nur solche Kriege zu führen wünscht, 
die unentbehrlich sind für die Staatswohlfahrt seiner Völker und 
der kein Blut vergießen will im Kampfe mit jenen Souveränen, 
die mit ihm in keinem industriellen, Handels- oder politischen 
Gegensatze stehen. Ich bitte Ew. Majestät in diesem Briefe nichts 
zu sehen als meinen Wunsch, Blutvergießen zu verhüten, und 
einer Nation, die geographisch mein Feind nicht sein kann, die 
bittere Reue zu- ersparen, zu sehr jenen flüchtigen Gefühlen 
Gehör geschenkt zu haben, die unter den Völkern eben so leicht 
erregt als wieder beschwichtigt werden. 

Und so bitte ich Gott, mein Herr Bruder, dass er Sie in 
seinen heiligen und würdigen Schutz nehmen möge. 
Ew. Majestät guter Bruder 

Napoleon. 

Vor allem Skepsis. Die ist bei dem, was Napoleon schrieb, 
bekanntlich immer und immer zu üben. Versuchen wir, sofern 
dies nicht allzu verwegen scheint, in die Gedanken des Kaisers 
einzudringen als er schrieb und in die Absichten, die ihn zu leiten 
geeignet waren. 

Wann entstand die Epistel ? Nachdem der Kaiser im Gewirre 
der Nachrichten des Krieges die Gewissheit erlangt zu haben 
glaubt, der Gegner stehe dort, wo es ihm, Napoleon, aus strate- 
gischen Gründen am angenehmsten ist; wo er die heißbegehrte 
taktische Entscheidung in nächster Nähe wähnt ; auf diese zählt 
Napoleon und ist, wie zu lesen steht, völlig überzeugt, sie könne 
seine Sprache nicht desavouieren. 

Wo schrieb Napoleon? Hier fließt der Ort schon mit der 
Zeit zusammen. Die strategischen Raisonnements — auf Ort und 
Zeit basiert — bringen dem, der sich in dieselben vertieft, die Mei- 
nung, ja die Überzeugung bei, auch ein Feldherr von weniger 
Selbstbewusstsein, als der Kaiser der Franzosen, würde in gleicher 



Digitized by VjOOQIC 



— 252 — 

Lage, erkennend, er habe den Gegner umgangen, einen Augen- 
blick der Siegessicherheit erleben haben müssen. 

Und nun warum und warum so ? Man muss sich zunächst 
nach dem Zwecke fragen. Am Tage liegt, dass man in einem 
solchen Ton die Verständigung nicht sucht, vielmehr geradezu 
zum Äußersten drängt. Die Politik, welche den Krieg 
als Mittel zum Zwecke betrachtet, hat diese 
Zeilen sicher nicht dictiert; denn diese schnitten jede 
friedliche Transaction in der That von Haus aus ab. Am 30. Octo- 
ber wurde der Brief im Moniteur gedruckt und nimmt man gegen- 
wärtig an, derselbe sei eben für die Franzosen berechnet gewesen 
und für Europa, als weithin vernehmliches Merks. Wir nehmen 
an, Napoleon habe, als er denselben schrieb, vorsorglichen Blickes 
auf eine eventuelle spätere Publication desselben Rücksicht ge- 
nommen und seine Worte so gesetzt, dass sie seinerzeit auf 
Freund und Feind in der gewünschten Weise wirken möchten. 
Aber der Brief kann nicht ausschließlich oder auch 
nur vornehmlich als ein vorweggenommener Motivenbericht 
für und eine Drohung an Europa angesehen werden: denn die 
Umstände, die ihn lebensfähig, das heißt publicierbar machen 
konnten, waren noch im Schleier der Zukunft und einer blutigen 
Zukunft verborgen, als Napoleon schrieb. Somit muss man zu 
dem Schlüsse kommen, der Kaiser habe wirklich gemeint, der 
Umstände völlig Herr zu sein. Etwas anderes sagt er nun nicht 
in seinem Briefe und es deckt sich somit das, was er sagt — 
innerhalb der Sprache höfischen Verkehrs und der für die Welt 
bestimmten Worte von Menschenliebe, Ehre u. s. w., deren sich 
ein Souverän mehr als andere bedienen muss — völlig mit dem, 
was er meint. Hat Napoleon diesen Brief, als er ihn schrieb, als 
einen politischen Hebel für die Zukunft angesehen, so kann man 
daher nur glauben, derselbe müsse der Meinung entsprochen haben, 
die der Kaiser augenblicklich von sich und dem Gegner gehabt. 

Man kann natürlich beliebig weiter gehen in diesem Rai- 
sonnement. Der forschende Geist desjenigen, der die Ereignisse 
im nachhinein besieht, bleibt bei jenem Resultate meistens stehen, 
das seinem individuellen Gefühle, ja, nennen wir das Ding beim 
rechten Namen, seiner vorgefassten Meinung am besten ent- 
spricht; davon vermag sich auch der objectivste Geist nicht immer 



Digitized by VjOOQIC 



- 253 - 

völlig frei zu machen; und deshalb ist Geschichte und ganz be- 
sonders Kriegsgeschichte richtig darzustellen, eine sehr seltene 
und wie bekannt geschätzte Eigenschaft. Der Muth, von 
einem eben gewonnenen genehmen Resultate neue 
Fäden der Erwägung aus zus pi n ne n , di-e mögli- 
cherweise zu neuen Resultaten führen, welche 
in diegroßen Züge des halb vo 1 len d et e n Bildes 
urplötzlich nicht mehr passen, ist nicht so häufig, 
wie es scheint. Und in der That, welcher Schluss, der nicht 
aktenmäßig feststeht, welche Meinung, fragen wir, die nicht zur 
allgemeinen Evidenz geworden ist, wäre denn nicht anzufechten, 
wenn man über sie hinausgeht? Mehr als in irgend einer Wissen- 
schaft ist in der Geschichte die Gelegenheit auf Schritt und Tritt 
zu finden, mit scheinbar größter Folgerichtigkeit dies, und nach 
Belieben jenes zu beweisen. Eine gewisse naive Wahrheitsliebe, 
die, ein Urtheil fällend, nach allen Seiten Vorbehalte macht, ist 
erste Bedingung auch einer landestreuen und staatserhaltenden 
Geschichte, wenn sie den Augenblick überdauern will. Jedoch es 
findet das Suchen nach Wahrheit seine natürlichen Grenzen in 
der Befähigung des Suchenden, den schon der nächste Sucher 
spielend überholen kann. Wir bitten daher, wenn eine weitere 
Analyse der Genesis von Napoleons Brief versucht werden soll, 
nicht zu glauben, wir proclamierten unsere Meinung als die 
richtige; wir führen den Leser nur so weit, als uns das eigene 
Erkennen führt. Ob wir am Ziele sind, muss fremdes Urtheil 
lehren. 

Was ließe sich nicht alles gegen unsere eben besprochene 
Meinung sagen? Napoleon war durch nichts veranlasst, am 12. 
gerade seinem Gegner zu schreiben, denn die politische Lage 
war jene vom Tage, da Knobeisdorfs Ultimatum erschienen war, 
und das, was Napoleon bisher vom Kriege gesehen, sicher nicht 
darnach angethan, ihm die Hand zur Versöhnung zu führen, 
wogegen wieder der Text des Briefes spricht. Wer kann glau- 
ben, der Feldherr habe gerade die Zeit knapp vor einer Ent- 
scheidungsschlacht gewählt, um für seine Pariser und Europa 
ein Document zu redigieren , das noch gar nicht spruchreif 
war? Man mag nunmehr die Sache drehen wie man will, man 
sieht die Nothwendigkeit, oder auch nur den bescheidensten 



Digitized by VjOOQIC 



- 254 — 

politischen oder militärischen Zweck der Epistel nicht ein. Und 
von Napoleon wissen wir doch, dass er niemals irgend etwas 
ohne Berechnung that, wie die Legende pro und mehr noch die 
Legende contra sagt. Dieser Brief scheint uns plötzlich in der Luft 
zu hängen, gewissermaßen unmotiviert, accidentiell zu sein, und 
so sehr man sich bemüht, so findet man nicht seinen Zweck 
und damit begreift man nicht, warum ihn der Kaiser schrieb. 

Erheben wir uns in der Betrachtung um eine Stufe höher. 
Wer Napoleons Geschichte einigermaßen kennt, weiß, dass der 
junge Mann gelegentlich äußerst offen sein, reden, ja handeln 
konnte. Wahre Ausbrüche des Affectes, die ganz aufrichtig 
waren, hatten dem jungen Mann nicht selten Unannehmlichkeiten 
gemacht, bis er sich beherrschen, und endlich, was das schwerste 
ist, Affecte täuschend heucheln lernte. Die Jahre, die ihn zur 
Größe führen, sind mit Beispielen geheuchelten Zornes und simu- 
lierter Liebe wahrhaft angefüllt. Im Zenith und später nimmt man 
wahr, wie der reife Mann, sich seiner völlig sicher wähnend, die 
Maske, wo sie ihm zwecklos oder doch unbequem erscheint, 
öfters abzulegen pflegt; er ließ sich eben auch mitunter gehen und, 
manchmal zu seinem Schaden, war er als gereifter Mann ebenso 
offen, wie es der Jüngling war. Ausbrüche des Affectes, die ohne 
Zweck entstanden, dem Zwecke Eintrag thun, sind zur Zeit, da 
Metternich im Palaste Marcolini bei Napoleon erschien, keine 
Seltenheit. Zwischen diesen beiden seelischen Contrasten muss 
eine Brücke sein. Es scheint so, als ob sie über Jena führe. 

Und fürwahr, wenn man sich die Umstände bis zum 
12. October und an diesem Tage in's Gedächtnis ruft, so scheint 
es über jedem Zweifel, dass der Kaiser, in dem bisher — vielleicht 
über seine Erwartung hinaus — Erreichten nur Sicherheiten des 
glücklichen Erfolges sehend, sich das seiner Seele allmählich 
wieder zum Bedürfnis werdende Vergnügen gönnt, als Trium- 
phator vor dem Triumphe aufzutreten. Man müsste keinen Funken 
jenes verzehrenden Feuers in sich fühlen, das man Ehrgeiz 
nennt, wollte man Napoleon hier nicht ganz verstehen. — Ob 
man ihn billigt, ist ein anderes Ding. — Des Erfolges sicher, wie 
er glaubt, steht er nicht an, seinem Gegner denselben grausam zu 
verkünden und vielleicht bemäntelt er vor der eigenen Seele 
diesen Erguss mit der Erwägung, derselbe werde auf den Gegner 



Digitized by VjOOQIC 



— 255 — 

militärisch niederdrückend sein, mithin zugleich dem Zwecke 
dienen; und hüllt denselben in jene Form, die vorkommendenfalls 
tür ganz Europa taugt. Nicht die Politik hat jenen Brief dictiert; 
nicht das militärisctie Bedürfnis. Er floss aus der Seele des Kaisers, 
war eine Offenheit, die er sich, da sie nicht schaden konnte, 
immerhin gewährt. Denn dieser Mann, die Menschen kennend, 
und wissend, dass man einem Lügner nicht auf die Länge glaubt, 
hat es meisterhaft verstanden, gelegentlich sehr offen zu sein, 
indem er sicher war, man werde ihm das, was er sage, niemals 
glauben, vielmehr stets etwas anderes dahinter suchen, wenn 
nichts zu suchen war. Doch hievon ist hier wohl nicht die Rede. 
Nochmals, Napoleon hatte keinen unmittelbaren Zweck, als er 
dem König schrieb; er platzte gewissermaßen heraus, wie er 
dachte; jetzt, vor Jena, aber wohl erwägend, dass politischer 
Zweck und militärischer Zweck seinem Ergüsse nicht im Wege 
standen. 

Der Brief ist somit — unserer Meinung gemäß — vor- 
wiegend das Product der Stimmung und nicht irgend eines 
Calculs; Politik und kriegerischer Zweck laufen fast unbeachtet 
nebenher, doch im selben Sinn. 

Wozu diese Längen, wird man fragen; mit viel Wort- 
aufwand kamen wir zu einem Resultat, das man als objectiv 
feststehend nicht anerkennen kann. Wir wollen versuchen, die 
übrigen Glieder der Kette zu finden, die zu den eigenthümlichsten 
Schlüssen führt. Angenommen, der Brief sei Sache des Gefühls 
gewesen, so war er, oder vielmehr das, was darin stand, von 
Napoleon — soweit dies möglich war — so gesagt, wie er es 
dachte. Die dem Könige mitgetheilten Ansichten sind der Inbegriff 
von dem, was Napoleon vor der Entscheidung über die politisch- 
militärische Lage denkt. Am Tage liegt, dass die Meinung 
des Feldherrn vor der En tsch eidu ng ken n en zu 
lernen für den, der Kriegsgeschichte liest, weit 
wertvoller ist, als der trockene Bericht des Resul- 
tates; derjenige, der Kriegsgeschichte zu seinem 
Nutzen liest, wird viellei ch t vo r ei n er Entsch ei- 
dung selber einmal stehen, und da werden ihm 
die aus der kriegerischen Betrachtung bekann- 
ten Elemente, welche die Stimmung des Feldherrn 



Digitized by VjOOQIC 



— 256 — 

vor der Entscheidung durchziehen, unendlich 
mehr Handhaben geben für sein Thun, als die 
warnenden Beispiele kriegshistorischen Miss- 
erfolges. In die Werkstatt — um uns eines Gemein- 
platzes zu bedienen— wo Entschlüsse reifen, 
hineinzusehen, bildet weit mehr für den Krieg, 
als das D e tai 1 s t udium des fertig vorliegenden 
Productes, das starr und todt und nicht lebendig 
scheint, und doch gelebt und sich entwickelt hat. — 
Schade, dass das Material zu solchen Betrachtungen eben kein 
reiches ist und diese selbst mehr Sache des historisch-militärischen 
Instinkts erscheinen, als aktenmäßiger Forschung, weswegen 
sie billigerweise von allen Seiten angefochten werden 
können. — Da nun schlechterdings nicht nachzuweisen ist. 
Napoleon habe den Brief aufrichtig gemeint, was wir loyal zu- 
gestehen — so müssen wir zur Ultima ratio, dem Erfolge zu- 
rückkehren, um zu sehen, ob er sich mit den Erwartungen des 
Feldherrn deckte. Nun, auffallender als hier kann der Glaube des 
Feldherrn vor der Entscheidung mit dieser selbst kaum im Ein- 
klang stehen; es ist bekannt genug, dass der Erfolg den von 
Napoleon gehegten Erwartungen voll und ganz entsprach. 
(Zuzugeben ist, dass gerade Napoleon später in ähnlichen Lagen 
ähnlich geprahlt hat, und der Erfolg ihn verrieth; wir wissen 
es wohl, wir werden zu gelegener Zeit und an anderem Orte zu 
dieser Erscheinung zurückkehren, die uns beweist, dass der 
Glaube an den Sieg für diesen selbst manchmal ganz ohne Ge- 
wicht sein kann, trotz allem, was die Kriegspsychologie in diesem 
Punkte sagt und glaubt. Für jetzt nehmen wir mit der Thatsache 
vorlieb.) Mit einem Worte also, der Kaiser der Franzosen wusste 
— es ist dies die höchste Form des Glaubens, im Kriege 
die oftmals nur um ein Geringeres stärkere Form — dass 
er siegen werde, und da er dies bestimmt zu wissen glaubt, so 
sagt er es ganz unumwunden seinem Gegner, den er dadurch 
nicht warnen, nur noch verwirren kann. 

Ein Blick in Napoleons Correspondenz belehrt uns, dass diese 
Meinung des Kaisers zu verschiedenen Malen und an verschiedene 
Personen zum Ausdrucke gekommen ist. Doch stets kann ein 
kritischer Geist den Zweck, die Absicht, somit die Lüge wittern. 



Digitized by VjOOQIC 



— 257 — 

Wir reden nicht von den Bulletins, denn es versteht sich wohl 
von selbst, dass in den Heerbefehl die Übertreibung passt ; *) nicht 
von den diplomatischen und militärischen Weisungen mancher 
Art, denn die Absicht zu erschrecken, einzuschüchtern, liegt am 
Tage; sogar von harmlosen Privatbriefen reden wir nicht, wo 
Xapoleon erklärt, Preußen züchtigen zu wollen ; überall ist er 
noch weit von der blutigen Entscheidung, und so mag in der 
Sphäre der Politik und des europäischen Klatsches, der so innig 
mit der Politik im Zusammenhange war, seine drohende Sprache 
als Mittel zum Zwecke erklärbar sein. Aber völlig rathlos stehen 
wir dem Briefe vom 12. October gegenüber, wenn wir ihn für 
berechnet anzusehen uns bestreben und so muss er nach unserer 
heutigen Kenntnis der Quellen als ein Product der Stimmung 
erscheinen. 

Ist er das, so bietet er zum Studium des Krieges mehr, als 
es zunächst den Anschein hat. Wir gestehen, dass, als wir zum 
erstenmale eine Darstellung des Krieges von 1806 lasen, in 
welcher von obigem Briefe nichts gestanden hat, wir nicht bis 
zur Evidenz begriffen, woher und wie die ungeheure Katastrophe 
kam; wir waren nicht befriedigt und zu befriedi- 
gen, das scheint der erste Zweck der Kriegs- 
geschichte zu sein. Wir registrierten in unserem Gedächt- 
nisse den Erfolg, doch ließ uns der Wunsch keine Ruhe, zu 
ergründen, wie er entstanden war; um uns zu belehren, wandten 
wir uns zu Napoleons Correspondenz ; es fiel uns plötzlich wie 
Schuppen von den Augen, als wir den Brief aus Gera lasen ; 
wir glaubten mit einem Male die Wahrheit zu sehen ; unser- 
schien das Räthsel, das wir durch die Mechanik 
des Krieges allein nicht zu lösen vermocht, durch 
das Seelenleben des Krieges plötzlich gelöst. 
Nicht gedenken wir, ja wir hüten uns, uns in rein moralischer 
Betrachtung zu verlieren und die Imponderabilien des Krieges zu 
einem Range zu erheben, der ihnen nicht gebürt, indem sie ja 
von der Materie des Krieges beständig geweckt und gebunden, 
immer und ewig bestimmt, von ihr abhängig sind. Allein die 
Zeilen Napoleons bildeten für uns den Grund- und Schlussstein 

*) Trotz General Wille's Urtheil hierüber ; wir sind überzeugt, dass sie am Platze 
sein kann. 

C. von B.-K. Zur Psychologie des großen Krieges II. 17 



Digitized by VjOOQIC 



- 258 - 

des ganzen Gebäudes , das ohne sie nicht aufgefasst werden 
kann, außer vielleicht von einem besonders scharfen Auge. 

Wir nehmen also — wenn dies uns verstattet wird, vor- 
greifend an, Napoleon habe vor Jena felsenfest geglaubt, und für 
ihn war das einfach Wissen, dass er siegen werde. 

Ist dem so, so erblicken wir in diesem Kriege 
einen Typ, der äußerst selten und in langen Zwi- 
schenräumen nur in der Geschichte des Krieges 
wiederkehrt. 

Dass es wie für die Gefechte verschiedene Typen, so auch 
solche in Hinsicht ganzer Kriege gibt, wird man zugestehen. 
Wenn wir lediglich nach dem Erfolge urtheilen, so ist klar, dass 
ein Krieg, in welchem der Vortheil stets auf einer Seite blieb. 
nicht mit demselben Maß gemessen werden kann, wie den in 
welchem Sieg und Niederlage vertheilt zu sehen sind. Es sträub: 
sich die Vernunft, dem Glücke einen allzugroßen Platz im Kriege 
anzuweisen ; Ursache und Wirkung hängen logisch zusammen 
und wenn auch hie und da Ereignisse wahrzunehmen sind, die 
scheinbar auf Rechnung des Zufalles — das ist ein von keiner 
Seite vorhergesehenes Ereignis — zu setzen sind, so werden 
solche Ereignisse doch immer nur Ausnahmen sein, und nur 
nach sorgfältigster Prüfung wird man den Zufall anerkennen 
dürfen. Widersinnig wäre es, in einem Kriege, der uns nur Siege 
auf einer Seite weist, dem Glücke seinen Platz als einen ange- 
stammten beim Sieger anzuweisen ; vielmehr fordert ein solcher 
Krieg geradezu heraus, die unsichtbare Ursache der deutlich 
sichtbaren Wirkung in etwas anderem als einer Reihe von 
Glückszufällen darzuthun. Finden wir einen Krieg, in welchem der 
Sieger vor dem Siege seinen Sieg verkündet, so bleibt nur anzu- 
nehmen, dass dies eine ganz besondere Form des Krieges ist, die 
zu erklären nicht Berufung auf das Glück, nicht die gewöhnlichen 
Raisonnements der zeitgenössischen Wissenschaft genügen, son- 
dern wo man tiefer gehen muss, um zur Wahrheit zu gelangen. 
Um den Weg, der, wie wir glauben, zur Wahrheit führen 
wird, zu betreten, zerreißen wir hier den Faden der Erwägung, 
schweifen ab und werden das Resultat dort anzuknüpfen suchen, 
wo wir eben stehen geblieben sind. 

Wir werfen einen Blick auf die Kriegsgeschichte aller Zeiten 



Digitized by VjOOQIC 



- 259 - 

und Völker und nehmen wahr, wie man den Kriegszweck mit 
sehr verschiedenartigen Mitteln zu erreichen sucht. Die Urform, 
in der man den Gegner zur Erfüllung des eigenen Willens zwingt, 
ist das gewissenhafte Abmessen unserer Kräfte mit den seinen, 
also der Kampf, die taktische Action. Welcher der Gegner wird 
dieselbe suchen? Derjenige, der stärker zu sein glaubt. 
Wer ist stärker und wer kann glauben , stärker zu sein ? Der- 
jenige, der mehr, oder tapferere, oder kriegsgeübtere Truppen 
überhaupt und auf dem Schlachtfelde zu besitzen hofift, als 
der Gegner. Er fuhrt seine Kräfte beruhigt und vertrauensvoll 
dahin, wo sie durch irgend eine von ihren Überlegenheiten 
oder mehrere vereint, den Feind besiegen müssen; kennt nur 
den Wunsch wirklich zu kämpfen, da ihm seine Stärke ein 
Garant des Sieges scheint ; er ist wie der Mann, der einen Knaben 
züchtigt. Was wird sein Gegner thun, falls er nicht blind ist und 
die eigene Schwäche kennt? Er sucht verzweiflungsvoll nach 
einem Mittel, seine Schwäche in der taktischen Action irgend wett 
zu machen; fühlend, er werde im gewissenhaften Ringen unter- 
liegen müssen, hascht er nach der List ; er strebt darnach, dieses 
Ringen zu einem ungleichen zu machen, in welchem er Vortheile 
hat. Diese Absicht bringt ihn dahin, ein Motiv zu suchen, das 
zu diesem Ende führt. Mit eiserner Logik verfolgen wir nun weiter. 
Wodurch sichert sich der Schwächere denn doch die Überlegen- 
heit? Mehr Truppen erlangt er ganz einfach nicht, er muss sich 
mit den vorhandenen begnügen; sie tapferer durch ein Decret 
oder durch die Bitte, sie möchten tapferer sein, zu machen, ist 
nicht thunlich, wie er fühlt; Kriegsübung im Kampfe ihnen 
beizubringen, dazu fehlt gar oft die Zeit und erscheint 
an sich prekär; die Mittel sind füglich nicht mehr zu ändern, sie 
müssen hingenommen werden, wie sie eben sind. Da drängt sich 
nun dem Schwächern der Gedanke auf, durch die Art, wie er 
seine Mittel gebraucht, die Schwäche wett zu machen; er ahnt 
bereits das Manöver. Sofort wird ihm klar, dass es gewagt 
sein muss, in der taktischen Action, die dem Gegner erwünschte 
Gelegenheit zu gewissenhaftem Abmessen der Kräfte gibt, ein 
Manöver zu* improvisieren, das die eigene Schwäche herzu- 
stellen vermag; erkennen wird er, dass es in währendem 
Kampfe selbst höchst schwierig sein muss, durch die Form 

17» 



Digitized by VjOOQIC 



— 260 - 

allein, in der man selber kämpft, den Sieg an sich zu ziehen: 
wir sehen wohl Beispiele hievon in der Kriegsgeschichte, doch 
sind sie selten und jenen Männern eigenthümlich, die man groüe 
Feldherren nennt; Friedrich handelte, um eines der allerbekanntesten 
Exempel zu citieren, bei Leuthen so; aber man ist überzeugt, 
dass nur Friedrich mit seinem Ruhm und dem Schrecken, der 
ihm voranging, also handeln konnte. In der Regel wird der 
Schwächere suchen, seine Schwäche nicht durch das, was er 
im Kampfe thut, sondern durch das, was er vor demsel- 
ben thut, durch die Art, wie er ihn vorbereitet, möglichst 
auszugleichen; nicht auf das taktische Verfahren wird der 
Schwächere — in der Regel — seine Hoffnung setzen, sondern 
er wird versuchen, Bedingungen zu schaffen, die ihn zur taktischen 
Action schon stärker als den Gegner machen. Sofort entsteht in 
ihm der Gedanke, durch irgend welche Künste jene Überlegenheit 
über den Gegner vor der Schlacht für die Schlacht zu gewinnen. 
die am meisten Aussicht auf Erfolg und die geringsten Schwierig- 
keiten in der Ausführung darzubieten scheint, die Überlegenheit 
an Zahl. Zum Greifen deutlich wird ihm der Gedanke, dass ja 
in der taktischen Action das Schwergewicht des Krieges ruht und 
nicht während derselben wird er suchen stärker zu werden, 
sondern zu derselben schon stärker zu sein: Die Kriegspraktik 
der relativen Überlegenheit erblickt das Licht der Welt. 
Es ist bekannt, welche ungeheuren Erfolge dieselbe so oft gekrönt 
haben. Allein wir nehmen wahr, dass sienichtsist 
a 1 s e i n Auskunftsmittel für den Schwächern, das die Noth 
der Umstände gebar. Wir erkennen, dass ein stra- 
tegisches Thu n, das denZweck hat, dieeinegroße 
Action, zu der man nicht stark genug zu sein 
glaubt, in Neben- und Nacheinander aufzulösen, 
in welch' jedem wir stärker zu sein hoffen, ein 
Kind der Nothdurft, ein Product der Schwäche, 
eine Maßregel der Verlegenheit — in der Regel — 
ist und sein muss. Es scheint uns klar zu werden, dass die 
sogenannte Kunst in der Strategie, ihr oberstes Gesetz : auf dem 
entscheidenden Punkte stärker als der Gegner zu sein, wie man heut- 
zutage sagt, ursprünglich nichts ist als ein Correctivfür 
Mängel absoluter Stärke. Die großen Feldherren haben 



Digitized by VjOOQIC 



— 261 — 

dieses Correctiv mit Meisterschaft in solchen Lagen ausgeübt, wo 
ihnen eben kein anderes Mittel verblieb, die Überlegenheit zu 
finden. Sie nahmen die Gefahren und Schwächen der Strategie, die 
Winkelzüge macht, als das geringere Übel in den Kauf, da ihnen 
ihre absolute Unterlegenheit als das größere Übel erschien. Die 
Wissenschaft greift solche Beispiele mit Begierde auf, weil sie pla- 
stisch sind, und posaunt als „ewige, unveränderliche Grundgesetze" 
der Feldherrnkunst das aus, was ein heroisches Ausnahmsverfahren 
in dem Bedrängnis des Augenblicks und der Umstände war. 

Streifen wir ohne Vorurtheil den Geist der Zeit, in dem wir 
— seltsam genug, wie wir sehen werden — trotz allem noch 
zum Theile befangen sind, von uns ab: Das Manövrieren in seiner 
weitesten Bedeutung sowohl strategisch — Aufsuchen der relativen 
Überlegenheit —, als taktisch, wird in der Regel Sache desjenigen 
sein, der zum gewissenhaften Abmessen derKräfte 
nicht stark genug zu sein glaubt. Derjenige, der im 
Glauben lebt, seine Truppen werden in der taktischen Action, 
sei es durch ihre Zahl, oder ihre Kriegsgeschicklichkeit — ihr 
taktisches Verfahren — oder ihre Tapferkeit, oder ihre Bewaffnung 
oder endlich durch zwei oder mehrere dieser Umstände vereint, 
sicher Sieger bleiben, wird — in der Regel — nicht an's Manöv- 
rieren denken. Jedes Manöver öffnet dem Element der Ungewissheit, 
des Wagnisses, somit den Vorläufern der Gefahr das Thor. Wer 
des Manövers nicht nothwendig bedarf, wer im gewissenhaften 
Abmessen der Kräfte die Aussicht aufs Gelingen seiner Zwecke 
sieht, wird wohl diesem zustreben und ohne Bedauern verzichtet 
er auf die Bravourstücke einer Strategie, die nur dann motiviert 
erscheint, wenn sie das einzige Auskunftsmittel des Schwächeren 
ist. Werder taktischenAction vertraut, such t diese 
und betrachtet die s tr ategis che Action nurals eine 
Über gangsform, als Transport der Kräfte zum Ab- 
messen der Kräfte; er wird sich diesen Trans- 
port, so weit es möglich ist, sicher, rasch, bequem 
einzurichten suchen. 

Das scheinen uns wahrhaftig ewige Gesetze des Krieges 
zu sein. 

Jedoch wir gewannen sie, wie man klar und deutlich sieht, 
durch Meditation und so sind sie abstract und gehen in's Extreme. 



Digitized by VjOOQIC 



- 262 - 

Betrachten wir die Kriegsgeschichte, so sehen wir, dass hier der 
Stärkere manövrierte, und dort der Schwächere zum Kampfe lief: 
dass hie und da der Stärkere, seine Kräfte zum Kampfe trans- 
portierend, zu bequem und sorgenlos verfuhr, bis ihm der Gegner 
die relative Überlegenheit mit einem male abgewann — das heilet. 
dass auch der Stärkere auf Wahrung derselben stets bedacht sein 
muss. Die Thatsachen strafen gar oft durch ihr Schwergewicht das 
Ergebnis des Nachdenkens Lügen. In diesen hier angeregten Dinger. 
liegt Material genug für das Denken eines ganzen Lebens; und 
wir wollen ja vorerst nur bei einem Beispiele bleiben. Indess ge- 
stehen wir: der obige Gegensatz zeigt das, was im 
Kriege zuthun und zu lassen, unter entgegen- 
gesetzten Bedingungen Vernunft ig oder vielmehr 
natürlich erscheint. Jedoch, er deckt sich mit dem, was 
man im Kriege that, nicht immer, ja, seien wir ehrlich, fast nie. 
Der Grund liegt in dem Unterschiede zwischen Praxis und 
Theorie, um keinen anderen Grund, der uns zu weit abführen 
würde, zu nennen. Beschränken wir uns und sagen wir: Es gab 
Kriege, in welchen das Streben eines Theiles oder beider Theile 
nach der taktischen Action, dem Abmessen der Kräfte, v o r- 
herrschend war; und andere Kriege gab's, in welchen der 
eine oder beide Theile durch die Vorbereitung der taktischen 
Action den Sieg zu sichern suchten ; in diesen herrschte der 
strategische Gedanke vor , relativ überlegen zu sein, in 
jenen der taktische, da man schon überlegen war, oder 
solches zu sein glaubte. Nicht war der eine ein plumpes 
Führen der Truppen zum Kampf, während der andere ein fortge- 
setztes Manövrieren ohne den Wunsch, zu kämpfen, war; aber 
nicht hinwegzuleugnen ist, dass in dem einen Kriege jenes und 
in dem anderen dieses Motiv überwog. 

Was geht aus alledem hervor? Zwei Typen des Krieges 
sehen wir bis jetzt; jenen, in welchem der Wunsch nach Ab- 
messen der Kräfte durch die taktische Action vorherrschend ist 
bei einem oder beiden der Gegner; jenen, in welchem die Strategie 
als solche gleichsam zur Waffe wird, um durch ihre Schnelligkeit. 
Schärfe und die Drohung, das zu ersetzen, was dem Materiale 
zum taktischen Thun an vorhandener Stärke fehlt. 

Wir glauben gezeigt zu haben, dass der offen 



Digitized by VjOOQIC 



263 



ausgesprochene und bethätigte Wunsch nach der 
taktischen Action daraufschließen lassen muss, 
derjenige, der diesem Wunsche Ausdruck gibt, 
halte sich für stärker. 

Dieses Ergebnis knüpfen wir nun dort an, wo wir der 
Meinung Ausdruck gaben, der Krieg von 1806 sei ein ganz be- 
sonderer Krieg, geradezu ein Typ; wir finden in Napoleons 
Correspondenz — der ehrlich gemeinten, wohlverstanden, ehrlich 
gemeint, weil sie an seine Marschälle gerichtet war, denen er 
Directiven gab — zu wiederholten Malen den Wunsch nach 
einer Schlacht, somit den Glauben an die absolute Überlegenheit 
seiner Kriegsmittel deutlich ausgedrückt. Wann wäre je der Krieg 
mehr Urbegriff des Krieges gewesen, als hier, wo der Kaiser der 
Franzosen nur zu wirklichem Abmessen der Kräfte eilt? Auf die 
seinen vertraut er unbedingt; und so sagen wir vorweg: Dieser 
Krieg ist von Napoleons Seite aus das Ideal des Krieges gewesen, 
der Krieg mit möglichst vollkommener Sicherheit glücklichen Er- 
folges, mit einem Wort, ein Krieg ohne Chancen. 

Um jedoch irrthümlichen Auffassungen von Haus aus vor- 
zubeugen, sei hier bemerkt, dass wir unter einem Krieg 
ohne Chancen durchaus nicht einen solchen ver- 
stehen, in welchem derSieger mit mathematischer 
Gewissheit seinen Weg zum Siege geht, auf wei- 
chem Wege Wider seh läge, ja selbst Unfälle ausge- 
schlossen sind: denn einen solchen Krieg kann es 
überhaupt nicht geben; zu compliciert ist ein so 
gewaltiger Act wie der Krieg, auch zu beweglich 
in seinen Vorgängen, als dass er wie ein physi- 
kalisches oder mathematisches Problem ange- 
sehen werden könnte. Wenn wir für denKrieg von 
1806 diesen Titel wählten, der immerhin Irrthü- 
mer wecken kann, sodachten wir damit einCharak- 
teristikon zu geben: das Bild eines Krieges, der, 
soweit dies in der Natur der Dinge und der histori- 
schenWahrheit liegt, vom einenTheil mit völliger 
Sicherheit des Gelingens geführt worden ist. 

Am Tage liegt, dass ein solcher Krieg nicht an der Hand 
zunftmäßiger, actuell wissenschaftlicher Betrachtung verstanden 



Digitized by VjOOQIC 



— 264 — 

werden kann ; für ihn reichen die gewöhnlichen strategischen 
und taktischen Raisonnements nicht aus. 

Aber noch eine Betrachtung von höchstem Gewicht ist an- 
zustellen, bevor wir es wagen, mit einigem Schein logischer 
Geschlossenheit ein Urtheil zu geben. 

Die fortschreitende Veränderung in der Natur des Krieges 
kommt aus zwei Ursachen vornehmlich her : der fortschreitenden, 
fast möchte man sagen natürlichen Veränderung seiner Be- 
dingungen, die mit dem Geiste der Zeit und dem Kriegsmaterial 
der Zeit innig verbunden sind; und den gewaltsamen, unvorher- 
gesehenen, fast möchte man sagen accidentiellen Umwäl- 
zungen, welche die Praxis des Krieges durch einzelne Feldherren 
erfährt. Im ersteren Falle tritt das veränderte Aussehen des 
Krieges nach und nach, als Folge-Erscheinung hervor; all- 
mählich schließt — und vor aller Augen — die Gegenwart ein Com- 
promiss mit der Vergangenheit und das Heute findet sich fast ohne 
Schwankungen mit dem Gestern ab. Im andern Falle ist diese 
Veränderung Motiv; die Wirkung des von seinem Schöpfer 
wohlerwogen und zweckbewusst veränderten Krieges macht sich 
allerorten fühlbar, während man die Ursachen jener 
Wirkungen zunächst nicht versteht, da sie mit 
ihrer Wurzel nicht auf zeitgenössischem Boden 
stehen, und den Krieg von gestern nicht vervollkommnet, 
sondern einfach über Bord geworfen haben. Indess es tritt 
die Veränderung der Wirkung nicht immer klar 
und überzeugend in der Veränderung der Form 
hervor; denn in der That kann eine geringe Veränderung der 
Form ganz unproportioniert veränderte Wirkungen thun. Wie 
man auf ein paar Schritt Entfernung nicht mehr unterscheiden 
kann, welche von zwei Klingen geschliffen oder stumpf, so 
ist es auch mit der Physiognomie, die der Krieg von gestern 
und der von heute oder morgen zeigt ; man kann durch 
bloße Betrachtung nicht ganz leicht ermessen, welch ungeheurer 
Abstand in der Wirkung liegt, besonders liegen wird. Wir 
bitten dieses Gleichnis völlig ernst zu nehmen , denn oft hat es 
sich wiederholt, und wird sich wiederholen. Wir wissen, dass 
es paradox erscheint; wir werden weiterhin denselben Punkt 
berühren. 



Digitized by VjOOQIC 



- 265 — 

Wie jede menschliche Thätigkeit, so unterliegt auch der 
Krieg von altersher den jeweilig geltenden Gesetzen conven- 
tioneller Übereinkunft. Unbewusst leitet zu derselben: der Wunsch, 
die gleichen Waffen zu besitzen, die der Nachbar hat ; das 
Bestreben, dem Kriege gewisse Grenzen zu ziehen, die zu allge- 
meinem Nutz und Frommen nicht zu überschreiten man sich 
stillschweigend gelobt. Kriegsconventionelle Übereinkunft wird 
am leichtesten dort zu schließen sein, wo keine allzugroßen Gegen- 
sätze herrschen ; und meistens wird derjenige nach ihr begehren, 
den der Erfolg des anderen geblendet hat, oder der gar unter 
demselben gelitten. Um reif zu werden braucht solch ein Com- 
promiss immerhin einige Zeit ; denn man will die Zweckmäßigkeit 
jener Elemente zweifellos erwiesen sehen, die man vom Nachbar 
in das eigene Kriegswerkzeug übernehmen soll. Viel wird nach- 
gedacht in Friedensjahren, die dem Kriege folgen, bis sich ein 
Ausgleich vollzieht zwischen dem Kriegswesen der verschiedenen 
Staaten, der gewissermaßen die von allen respectierte Mode des 
zeitgenössischen Krieges bleibt. Sehr tief wurzelt dieser Aus- 
gleichsprocess in seelischem sowohl als materiellem Boden. 

Jede Conventionelle Übereinkunft, — auch die auf 
die Spitze getriebene des Krieges unserer Tage, 
nebenbei bemerkt — kann nur so lange bestehen, als sich 
ihr jedermann fügt; sie ist zerrissen, sobald dies von irgend einer 
Seite nicht der Fall mehr ist. Jede conventionelle Übereinkunft 
verbietet Dinge, die möglich sind, die zu unterlassen Rück- 
sicht auf andere und keineswegs die Natur der Dinge begehrt. 

Das Fügen in Dingen kriegsconventioneller Übereinkunft 
ist jedoch keineswegs ein Product des guten Willens, der sich 
schärferer Mittel begibt, um ein Gleiches von anderen zu erlangen ; 
so harmlos sind wir Soldaten doch auch im tiefsten Frieden 
nicht. Dieses scheinbar freiwillige Fügen kommt eben aus dem 
Glauben her, es gäbe keine schärferen Mittel, aus dem Nicht- 
verstehen, man sei bereits unbewusst kriegsconventionell ge- 
bunden, aus dem Nichterkennen, dass man mitten in Be- 
schränkungen lebt, die zu durchbrechen nichts als der Wille fehlt. 

Wird nun die kriegsconventionelle Form von irgend einer 
Seite — die Gründe warum sind vorerst nicht zu suchen — 
aufgegeben, um eine neue Form zur Hand zu nehmen, so ist 



Digitized by VjOOQIC 



— 266 — 

es sehr natürlich, dass die neue Form vor allem im Kampfe und 
durch Siege ihre Zweckmäßigkeit darzuthun hat, bevor sie an- 
genommen und Gemeingut aller wird; ebenso natürlich ist, dass 
eine neue Form, welche die kriegsconventionelle Übereinkunft 
stört, nicht im Fluge auch nur aufgefasst, geschweige denn nach- 
geahmt werden kann. Denn wie viel Menschen vermögen 
es, im Kampfe, wo sich doch die neue Form in erster 
Linie darzulegen pflegt, ruhig und kritisch Be- 
trachtungen zu thun? Begegnet man nicht sogleich 
nach de m Insleb en treten einer n euen For m deren 
officieUem Conterfei in amtlichen Publicationen, 
so glaubt man vorerst nicht an ihre bleibende Wirk- 
samkeit, da man die Ursachen derselben nicht versteht 
und diese Ursachen nicht stets hinausposaunt 
zu werden pflegen, (wie dies heutzutage geschieht, da ein 
wahres Fieber platzgegrififen hat, es einander im Nivellieren und 
Gleichmachen der Kriegsmittel möglichst zuvorzuthun und da 
operative Ansichten und Plane durch die Canäle der Militärliteratur 
zwischen den einzelnen Heeren mehr als nöthig hin und her er- 
örtert werden). 

Das Zerreißen der kriegsconventionellen Form pflegt nun 
im ersten Augenblick bei dem, der zurückblieb, Überraschung 
und sodann Skepsis hervorzurufen. Es liegt in der menschlichen 
Natur, dass man sich die Erfahrung persönlich holen will. 

Sind nun die so geschaffenen Contraste besonders nicht 
auffallender, doch wirksamer Natur, so ist klar, dass in 
einem Zusammentreffen der alten mit der neuen Form der ganze 
Kampf ein Gepräge erhalten muss, das wesentlich verschieden 
ist von jenem Bild, welches ein Krieg gewährt zwischen Gegnern, 
die beide der kriegsconventionellen Übereinkunft 
unterthan sind. 

Am Tage liegt, dass ein solcher Krieg nicht an der Hand 
zunftmäßiger, actuell militärischer Betrachtung verstanden werden 
kann; für ihn reichen die gewöhnlichen strategischen und taktischen 
Raisonnements nicht aus. 

Nachdem wir nun diese beiden unendlich wichtigen kriegs- 
historischen Thatsachen genügend festgestellt: dass der vorliegende 
Krieg vom Sieger im vorhinein als ein Krieg ohne Chancen an- 



Digitized by VjOOQIC 



- 267 — 

gesehen worden ist; und dass derselbe den höchsten Contrast 
zweier Kriegssysteme wies; und wir diese Gesichtspunkte niemals 
vergessen wollen: sei es versucht, ihn zusammenfassend zu er- 
klären. Denn vergebens wendet man, das heißt die Wissenschaft, 
ein, nicht in einigen großen Zügen, die auf einige wenige Schlag- 
worte und Sentenzen abgezogen sind, lasse sich ein Krieg er- 
klären; das Detail, die Summe der Einzelheiten gebe allein das 
richtige Bild. Es gibt im Kriege viel, sehr viel Motive; doch nur 
sehr wenige findet man stets dieselben Wirkungen gebend, und 
auf diese wenigen, sozusagen vorherrschenden Motive kommt es, 
wie wir glauben, an." Mit auffallender Deutlichkeit trägt jeder 
Krieg einen eigenen Charakter, den das chronologische und Orts- 
detail nicht, sondern nur das zusammenfassende Anschauen zu 
sehen erlaubt; und der Krieg von 1806 gerade mehr wie viele 
andere. 

Das Verhalten Preußens seit so manchem Jahr musste 
einem so aufmerksamen Beobachter, wie Napoleon es war, ganz 
gewiss die Anschauung von dessen Ohnmacht geben und von 
dessen Streben nach einer europäischen Rolle, die wohl in seinen 
Traditionen, doch nicht in der Gegenwart begründet lag. Daraus 
folgt jedoch noch keineswegs, dass Preußen wirklich ohn- 
mächtig war. Man hat Staaten gesehen, die, politisch zaghaft 
bis zur Schwäche, dann, wenn der Krieg einmal erklärt war, 
ungewöhnliche kriegerische Kraft entwickelten. Indess, Napoleon 
hielt Preußen für keinen ebenbürtigen Gegner, dem es einfallen 
könnte, sich mit ihm vernünftigerweise zu messen. Er behandelte es 
darnach. 

Die politische Vorgeschichte des Krieges hat wohl gezeigt, 
dass Preußen denselben gescheut hat; sowie, dass Napoleon den- 
selben nicht suchte ; derselbe ihm gleichsam aufgenöthigt ward. Es 
ist ein starker Kern von Wahrheit darin, wenn uns berichtet wird, 
derselbe sei infolge eines Missverständnisses entstanden. Als aber 
Napoleon sich zu demselben entschloss, gedachte er ihn wohl nicht 
viel anders wie einen Executionskrieg zu führen. Wo steht nun 
geschrieben, dass ein Krieg von demjenigen, dem er aufgezwungen 
wird — hier haben wir Preußen im Auge, das sich seinerseits 
in dieser Lage glaubte, wie Napoleon in eben derselben — dieser 
Thatsache wegen verloren werden muss? Oder, dass derjenige. 



Digitized by VjOOQIC 



- 268 — 

der nur zögernd und widerstrebend zum Schwerte greift, der 
Niederlage nicht entgehen kann ? Gegenwärtig beherrscht uns die 
Idee, die sich hinter der vagen Formel birgt: Die Politik müsse 
mit der Strategie auf's engste Hand in Hand gehen ; man glaubt, 
ein Krieg werde verhängnisvoll für jenen sein, dessen Politik 
demselben nicht präludierte und bei dessen Ausbruch sie nicht Ge- 
vatter stand ; der Überraschte sei dieserwegen schon besiegt 
Doch bleiben wir concret und bei der Sache. Dass die Politik 
auf's engste mit der Strategie Hand in Hand gehen müsse, bedeutet 
wohl nichts anderes, als dass diese sich jener fügen, ihr dienen, 
von ihr abhängig sein, mithin im Einklänge mit jener 
handeln soll. Dies gilt heute als dasRecept zu ersprießlichem 
kriegspolitischem Thun, von welchem im Kriege so vieles ab- 
hängen muss. Wohlan, wenden wir den Blick auf 1806 
zurück, und wir nehmen in dem Verfahren Preußens 
ein ungeheures Beispiel wahr, wie es nicht gut gewesen 
ist, dass die Politik mit der Strategie auf's 
engste Hand in Hand ging. Stets blieb das strategische 
Thun unmittelbar beeinflusst von Erwägungen der Politik und 
zügelnd griff diese mehrmals ein, wo die Strategie sich zu eman- 
cipieren strebte. Kühl bis an's Herz hinan dämpfte und überwog 
der politische Gedanke, der Krieg möchte denn doch noch zu 
vermeiden sein, den Kampfesruf der Kriegspartei, die zur Action 
hindrängte. Aber Hand in Hand gingen Politik und Strategie dabei 
aufs Engste ! Wo, wie hier, der Souverän so Alles, Alles sein 
und thun will, ist klar, dass sein politischer Gedanke, ihm selber 
unbewusst, in die kriegerischen Entschüsse überfließen muss. 
wenn dies auch nicht bis zur Evidenz stets nachzuweisen ist, und 
man heute sich bemüht, solches abzustreiten. Wer Friedrich 
Wilhelm IH. kennt, und wir kennen ihn doch wohl, kann 
ermessen, was sein politischer Gedanke war. Nichts widerstrebte 
ihm so sehr, als ein kühner Griff in das Rad des Schicksals, 
nichts lag ihm ferner, als die Idee des Überfalls; und so hat seine 
Staatskunst wahrhaftig noch in elfter Stunde das Schwert ge- 
hemmt, das nur durch sofortigen Gebrauch vielleicht noch wirken 
konnte. Fest steht, dass die Politik des Königs zum Kriege nicht 
entschlossen war, zu dem sein Heer sich rüstete und dann auch 
noch, als es bereits gerüstet war. Zeit ging verloren, weil 



Digitized by VjOOQIC 



- 269 — 

der Krieg abhängig blieb von der Politik, die ihn 
zu entfesseln sich nicht entschließen konnte, und 
verd erblich wurde dieser Zeitverlust dem Krieg, 
wie solcher geführt werden hätte sollen, doch 
nicht dem Krieg, wie er thatsächlich geführt 
worden ist. Darin liegt ein erheblicher Unterschied, den man 
beachten muss. Ohne Conjecturenmacherei treiben zu wollen, 
fragen wir: Hätte es wohl schlechter gehen können, wenn sich 
der König am 9. August zum Kriege entschied, denselben zu 
führen gänzlich, aber auch gänzlich einem seiner Feldherren über- 
ließ und sich mit seinen politischen Berathern in die Einsamkeit 
zurückzog, um das Ende abzuwarten ? wenn er mit scharfem 
Schnitt die kriegerische Handlung von der politischen Action 
getrennt, da diese füglich wohl zu Ende war, und jene gleichsam 
wie eine aus dem Rohr geschossene Kugel ihrem eigenen Schwer- 
gewichte überließ ? Es hat Lagen gegeben, wo ein Staatsmann es 
am Platze fand, den Feldherrn ohne politische Instructionen 
abzusenden, auf dass er unbeeinflusst von fremden Erwägungen 
thue, was seines rein militärischen Amtes sei, als Werkzeug, das, 
wohl angesetzt und gebraucht, doch durchaus nicht von allem 
unterrichtet zu sein braucht, was Motiv gewesen war, dass man 
es eben brauchte. Sahen wir nicht auch erfolgerreichende Führer 
gleichsam als blinde Werkzeuge gebraucht ? Feldherren, die nichts 
verstanden, als eben zu kämpfen, da es befohlen war, ohne um 
das wie und warum und wenn und aber der Politik zu fragen ? 
Seien wir offen mit uns selbst und sagen wir : Nicht dass 
die Strategie mit der Politik auf's engste Hand 
in Hand geht, ist an sich was wert, sondern es 
kommt eben auf diese Politik und auf diese 
Strategie, das heißt vor allem auf den Charakter 
der leitenden Personen an. Der obige Satz wurde, um 
nicht zu sagen, abgeschrieben, denn wir wissen wohl, woher er 
stammt, an der Hand von Beispielen gewonnen, in denen sich ge- 
rade ein verlorener Krieg nachher als von der Politik nicht voraus- 
gesehen, nicht vorausgewollt erwies; wie an der Hand von ein paar 
andern Beispielen, von welchen die Legende sagt, jenes Zusammen- 
gehen von Politik und Strategie sei ein auffallendes gewesen, da 
Souverän, Staatsmann und Feldherr im Felde gleichsam unter einem 



Digitized by VjOOQIC 



-- 270 — 

Dache schliefen; mehr nämlich sieht die Gegenwart 
noch nicht, als eben solche Nebensächlichkeiten. 
Diese Beispiele haben dahin geführt, obigen Satz zu einem 
Axiom der kriegsconventionellen Übereinkunft 
unserer Tage zu machen; und an sich posaunt man ihn 
als ein ewiges, unveränderliches Grundgesetz der Feldherrnkunst 
hinaus. Wir wollen beileibe nicht die praktischen Wirkungen der 
Kriegstheorie überschätzen; nicht gläubig glauben wollen wir, 
Staatsmann und Feldherr der nächsten Zeit werden zu ihrem 
Thun obiges Axiom als Leitmotiv wählen, zu ungeheuer ist hiezu 
der Abstand von dem, was eine Epoche thut, und von dem, was 
sie. denkt und schreibt. Jedoch, es gibt, oder vielmehr es kann im 
Thun des wirklichen Lebens, besonders im Thun des Krieges mit- 
unter böse Lesefrüchte geben, wofür uns 1806 wahrlich ein 
warnendes Beispiel ist. Wer weiß, wohin das Proclamieren 
dieses Satzes führen kann, wenn man ihn naiv und glaubens- 
eifrig seiner selbst wegen befolgt.^ Zur Übertreibung kann es 
führen, die es nicht verstehen wird, die Politik von der 
Strategie zeitgerecht zu trennen, um diese so frei 
gewähren zu lassen, wie es die Natur der Dinge wohl verlangt. 
Doch bleiben wir bei 1806. Wohl ging durch den Einfluss 
der Politik auf den Krieg die Zeit zu einer Überraschung ver- 
loren, wie wir heute die Sachen besehen; somit müssen wir den 
Einfluss der Politik auf den Krieg jener Tage verdammen. Das 
wäre nun ebenso doctrinär, wie das heute geltende Axiom. Man 
hat eben 1806 den Plan eines Überfalles nur akademisch erwogen, 
doch zu demselben gedieh man nicht, er war bei seiner Geburt 
schon nicht mehr lebensfähig! Klar wird uns die Lage, wenn 
wir uns sagen, dass der Krieg jener Zeit auch dann wohl kaum 
zu einem Überfall gelangt wäre, wenn einen solchen die Politik 
sorgsam ermöglicht hätte. So sehen wir, wie eines aus dem 
andern fließt, der Krieg an sich nicht überraschungsfähig war, 
und ihm die beste Politik wohl kaum dazu verholfen hätte. Heer- 
wesen und Staatsgedanke wiesen gleichermaßen auf vorsichtiges 
Thun. Allein , schlecht und recht marschiert die verbündete 
Armee doch so auf, dass sie bei einem Haar die Offensive noch 
ergriffen hätte, von der die Politik jetzt mehr als früher rieth. 
Wir nehmen wahr, dass die Zögerpolitik immerhin soviel er- 



Digitized by VjOOQIC 



- 271 - 

reichte, dass Napoleon lange ungewiss darüber blieb, ob Preußen 
Ernst zu machen Willens sei. Mit einem Male steht somit das 
ganze Raisonnement, das wir gethan, verkehrt: das Zögern hatte 
den Gegner getäuscht, war somit gut gewesen. Nun, überlegen 
wir, soweit dies möglich ist, weiterhin vorurtheilsfrei. War die 
Zögerpolitik bewusst, berechnend vorgegangen , was hatte sie 
nunmehr zu thun? Die Offensive musste sie befehlen, das heißt, 
sie musste ehrlich von der Scene treten, um der kriegerischen 
Handlung Raum zu geben, dass sie sich entfalte. That sie dies ? 
Nein ! Kleben blieb die Politik auch dann noch an dem kriege- 
rischen Thun, als ihre einleitende kriegspolitische Rolle zu Ende 
gespielt und es ihr angemessen war, das Weitere dem Kriege zu 
überlassen. Wir erkennen, dass hier die Verbindung von Politik 
und Strategie so verderblich war, weil sie sich zeitgerecht 
nicht zu trennen wussten; und somit kehren wir zu dem 
erstgemachten Schlüsse zurück. Es muss indess betont werden, 
dass nicht allein das Warten der Politik auf die Antwort des 
Ultimatums Knobeisdorfs, sondern rein militärische Mängel des 
Kriegswesens dazu beigetragen haben, von der Offensive abzu- 
stehen. Gleichviel , die Feldherren dachten an die Offensive, 
auch mit nicht ganz gerüsteten Mitteln, und diese verbot eine 
Politik, die nicht schlagen wollte, ihr Ja und Amen zu einem 
Kampfe nicht zu geben sich entschloss, der, wie wir gegenwärtig 
wissen, unvermeidlich war. 

Von Napoleons Art, Politik und Strategie mit einander zu 
verbinden, wollen wir nicht weiter reden. Wir sahen, dass er, 
glaubend an den Krieg, denselben beginnt, ohne die Politik weiter 
um Erlaubnis zu fragen. Niemand verband wie er in diesem 
Falle Politik und Krieg. Aber er gestattet der Politik nur, ihm 
zu sagen, dass er zu handeln hat, und verweist sie alsodann 
auf den zweiten Platz. Wohl behält er sie im Auge auch in der 
militärischen Action. Zu Rathe zieht er sie jedoch erst wieder nach 
erfochtenem Siege. 

Jedesfalls lässt er sich von ihr nicht binden und beschrän- 
ken in jenem Grade , wie dies sein Gegner thut. Er handelt 
initiativer, rücksichtsloser, rascher, sicherer. Ganz einfach deshalb 
handelt er so, weil er der Stärkere zu sein glaubt, 
und, wie der Erfolg bewies, auch wirklich der Stärkere war. 



Digitized by VjOOQIC 



272 



Nicht in de m U nte r schied des Syste m s: Verbindung 
von Politik und Strategie; Mangel an solcher Ver- 
bindung; liegt die Er klärung; diese sagt n ichts, ob- 
wohl sie billig ist. Derjenige, der stärker zu sein 
glaubt, der hat und wird wohl immer anders 
handeln, als derjenige, der sich vom Beginne an 
unterlegen fühlt. Und Stärkere und Schwächere wird's 
wohl in alle Zukunft geben. 

Wir treten zunächst in die strategische Phase des Krieges. 
Wenden wir uns zum Allerconcretesten : der Zahl. Wir haben be- 
reits gesagt, dass Napoleon über weit 'mehr Soldaten überhaupt 
verfügte, als die Monarchie Friedrichs des Großen. Wie stellt sich 
nun das Verhältnis der Zahl im Beginne der Operationen dar, 
also in der zweiten Woche des October, und auf dem Theater 
der Operation Die große Armee zählte etwa 160.000 Mann 
mobil und zur Action bereit; die preußisch-sächsische Macht 
überhaupt etwa 130.000 Mann ohne das Reservecorps. Wir 
sehen somit eine keineswegs auffallende oder gar erdrückende 
Zahlüberlegenheit auf französischer Seite. Es fragt sich nun, 
warum Napoleon nicht eine bedeutendere Überlegenheit 
bereitgestellt hat, und ob er es vermochte. Beides ist leicht und 
schwer zu beantworten, je nachdem man eben will. Leicht, wenn 
man sagt, der Kaiser der Franzosen habe die Etats von beiden 
Seiten nicht genau gekannt; er habe kein fertiges, den Soldaten 
der großen Armee gleichwertiges Truppenmaterial zunächst be- 
sessen, sondern nur Recruten, die er mit jenen nicht vermischen 
wollte, aus operativen Gründen u. dgl. m.; der Krieg sei ihm 
überraschend gekommen, er habe somit keine lange Wahl ge- 
habt, sondern war genöthigt zu schlagen, mit dem, was eben 
zunächst schlagfertig war. Allein allen diesen Gründen kann man 
scheinbar ganz gleich plausible entgegensetzen für das Gegentheil, 
wenn man vernimmt*), dass Preußen freiwillig darauf ver- 
zichtet hat, 70.000 Mann zur entscheidenden Schlacht zu fuhren; 
wie immobile Truppen der preußischen Feldarmee, ebensolche 
der sächsischen, die hessischen und sonstigen kleinen deutschen 
Contingente u. s. w., durch deren Aufbietung es der großen 
Armee erheblich überlegen hätte werden müssen. Es scheint nicht 

•) V. Leitow-Vorbeck, I, 96. 



Digitized by VjOOQIC 



— 273 - 

glaublich, dass Napoleon bewussterweise auf die Übermacht ver- 
zichtete. Für secundäre Unternehmungen sind auch Recruten 
zu gebrauchen ; wollte Napoleon Zeit gewinnen, um sich völliger 
zu rüsten, so ist wohl kein Zweifel, dass dieser eminente Staats- 
mann den Weg hiezu gefunden hätte. Die Überlegenheit an 
Zahl zu gewinnen war doch, wie man weiß, stets seine allererste 
Sorge. Detaillieren wir. Man wird nicht fehlgehen, wenn man 
glaubt, Napoleon habe im Moment des Ausbruches des Krieges 
thatsächlich nicht viel mehr augenblicklich ganz kriegsfähige, sagen 
wir, napoleonische Truppen ä portee gehabt, als die große Armee 
solche enthielt. Die Ausdehnung des Reiches verbot von ferne 
her in aller Schnelligkeit Augmentation heranzuziehen, die in das 
organisatorische Gefüge der Feldarmee erst einzupassen war. 
Jedoch dies alles verschwindet gegen die Anschauung, dass Na- 
poleon auf alle diese Hilfen Verzicht geleistet haben kann, 
indem er glaubte, für den Kriegszweck genüge die große Armee. 
Worauf kann dieser Glaube, den wir nicht bewiesen sehen, 
sondern bloß von Napoleons Thun gewinnen, basiert gewesen 
sein ? V. Lettow weist uns quellenmäßig nach , dass die 
preußische Heeresleitung 70.000 Mann nicht verwendet hat, 
dass sie sich freiwillig derselben begab. Konnte Napoleon 
dies wissen und rechnete er darauf? Er wird wohl manches er- 
fahren haben über die halben Maßregeln der preußischen Mo- 
bilisierung, über die Mängel eines Wehrsystems, das vom ersten 
Mobilisierungstage an mit ganz enormen Manquements zu rechnen 
hatte; mit der Schwerfälligkeit in der Versammlung der Kräfte 
u. dgl. m. Aber wir müssen uns auch das freiwillige Verzichten der 
preußischen Heeresleitung auf 70.000 Mann näher besehen, um 
zuerkennen, ob denn dies für Napoleon gar so accidenti eil, 
unvermuthet sein musste, als man es uns glauben machen 
will, oder ob er nicht vielmehr mit aller Sicherheit daraufzählen 
konnte. In diesen 70.000 Mann ist vorerst alles enthalten, was 
Preußen (Sachsen) an nicht mobilgemachten Feldtruppen in den 
Provinzen beließ (33.000 -f- 8000); es muss bemerkt werden, 
dass man in Polen starker Garnisonen zu bedürfen glaubte, und 
es scheint, vom Standpunkte der Regierung, nicht ohne guten 
Grund; dann zählen wir zu obiger Summe die Contingente von 
Hessen und anderer kleiner deutscher Staaten. Mit ersterem war 

C. von B.-K. Zur Psychologie des großen Krieges II. 18 



Digitized by VjOOQIC 



— 274 — 

Napoleon in regem diplomatischem Verkehr und hat bestimmt 
darauf gezählt, es werde neutral verbleiben; die anderen fallen 
füglich nicht in's Gewicht. Soweit die mitunter sehr ungenauen 
Etats die Gesammtsachlage zu beurtheilen erlauben, so kann 
Napoleon die preußische Macht etwa wie folgt berechnet haben, 
wenn er den ihm selbst ungünstigsten Fall annahm : Feldtruppen 
Preußens 180.000 + 20.000 Sachsen = 200.000 Mann auf dem 
Papiere. Wenn er nun die Erwägungen, die wir gemacht, eben- 
falls in dem ihm ungünstigsten Sinne machte, so sagte er sich 
wohl mit einiger Sicherheit, dass Preußen nicht mehr als höchstens 
180.000 Mann im Krieg verwenden werde und die weitgehendsten 
Schlüsse mussten sich für ihn daraus ergeben, wenn er die 
preußische Strategie, die ihm in ihrem Wesen wohl bekannt wa:. 
erwog, welche sicher nicht im Stande sei, alle diese Kräfte auf 
einem Schlachtfelde zu vereinen. So lässt es sich erklären, dass 
Napoleon es unterlassen hat, eine „erdrückende*' Übermacht heran- 
zuführen, besonders wenn er an das Übergewicht der eigenen 
taktischen Kampfform dachte. Indess gestehen wir unumwunden 
zu, in dieser Sache nicht völlig klar zu sehen. 

Denn gerade Napoleon hat uns gelehrt : keinen Mann, der 
in der Schlacht verwendet werden kann, zurückzulassen: mit 
einem Worte, möglichst stark zu sein. So fällt es uns bei diesem 
Kriege selbstverständlich auf, dass Napoleon keine auffallende 
Übermacht verwandte, da es uns scheint, er hätte dies immerhin 
so oder so vermocht. Die Energie, alles aus dem Lande 
zu ziehen, was kämpfen kann, verlangen wir, die 
wir von Napoleon gelernt, nunmehr im nachhinein 
von diesem; und wo wir zu erkennen glauben, er habe 
diese Energie nicht völlig angewandt, stutzen wir naturgemäß. 
Es ist wohl höchst interessant und lehrreich, festzustellen, wie 
weit in jedem Kriege die Population zum Kampfe herangezogen 
ward. Unter diesem Gesichtspunkte erscheint uns das Verhalten 
Preußens plötzlich sehr verständlich, und nicht mehr können wir 
uns jenen Stimmen zugesellen, die das „freiwillige* Verzichten 
auf 70.000 Mann als Aberwitz ausgeben wollen. Preußen be- 
waffnete 1806 im Verhältnis weit mehr Männer 
als Frankreich unter Napoleon. Von den über- 
haupt vorhandenen Soldaten verwandte es in den 



Digitized by VjOOQIC 



- 275 — 

Entscheidungsschlachten verhältnismäßig mehr 
als die Franzosen; obwohl hier zugegeben werden muss, 
dass der Vergleich wegen der großen Ausdehnung und der 
Grenzverhältnisse Frankreichs nicht unerheblich hinkt. Daheim 
beh ielt Preußen im Verhältnis weniger Truppen 
als Napoleon und hatte von seinem Standpunkte aus hiezu 
manchen guten Grund, wie beispielsweise Polen. Der einzige auf- 
fallende Unterschied zu Gunsten der Franzosen ist, dass deren 
Souverän ein Gefolge von Verbündeten hinter sich herzog, während 
Preußen — sich über seine eigene Stärke täuschend und auf- 
geklärt und philanthropisch — niemand zur Liebe zwingen wollte. 
Vorurtheilslosigkeit ergibt, dass Preußen nicht deshalb 
schwächer auf den Kampfplatz trat, weil es unzweckmäßig 
verfuhr, sondern weil es so unendlich kleiner als eben Frank- 
reich war. Im Verhältnis hat es mehr Material zum Kriege ge- 
stellt als dieses ; und ihm vorzuwerfen, dass es überhaupt noch 
Material zum Kriege zurückbehalten hat ist einfach, oder viel- 
mehr doppelt unverständig. Historisch angesehen, ist bekannt, 
dass Preußen, sowie in seinem Staatshaushalte, so auch im Kriege, 
ökonomisch verfuhr und verfahren zu müssen glaubte ; dies war 
eine Tradition, hing mit den Einrichtungen des Staates innig zu- 
sammen und lag im Geiste der Zeit. Militärisch angesehen, wird 
einem das Ding indess noch besser klar. Die Truppenstämme und 
Truppentheile, die man zuhause ließ, sie waren eben damals 
nichts als das, was heutzutage unsere Truppen zweiter und 
dritter Linie sind; erkennen wir heute für uns die Nothwendig- 
keit derartiger Truppen, so müssen wir den Glauben daran jener 
entfernten Zeit auch zugestehen. Rein militärisch stehen wir auch 
heute noch lange nicht auf der Höhe der Anschauung, alles, was 
bewaffnet ist, müsse auch sogleich marschieren ; dies ist materiell 
unmöglich und kann, wenn es erzwungen werden soll, verderblich 
werden. Wir huldigen heute dem Princip wehrpolitischer Reserven, 
wir, die wir so ungeheure Erfahrungen über den Krieg seither ge- 
macht; es muss für Jena auch verstanden werden. Sowie es 
heute im GeisteunsererZeit liegt, dass man Leute 
unter dem Maß, Schwäch linge, alternde Soldaten, 
die gestern Bürger waren, also physisch schlechte 
Truppen, zuhause lässt, oder in Festungen ver- 



Digitized by VjOOQIC 



— 276 — 

theilt, ebenso lag es im Geiste jener Zeit, dass 
man das Gleiche mit den moralisch minder- 
wertigen Truppen that. Ist der militärische Gedanke so 
gar nicht zu verstehen, wie es besser sei, lieber weniger als 
weniger gute Truppen in's Gefecht zu führen? Periodisch kehrt 
dieser Gedanke wieder, und dazumal regierte er. Aber 
das war es nicht allein, wird man erwidern ; Preußen that den 
ungeheuren Fehler, der Reserve in der Strategie Bürgerrecht zu 
geben; fertige Streitkräfte stellte es zurück. Man weiß nicht, wo 
man anfangen soll, um alle Motive zu erklären, die Preußen 1806 
auf die strategische Reserve wiesen. Wieder war es vor allem 
das eingefleischte Sparsystem des Staates, welches es als sehr 
begreiflich erscheinen lässt, dass man für alle Fälle Truppenkeme 
zurückbehalten wollte: — niemand wird leugnen, dass sowohl 
vor als seit Jena Fälle vorgekommen sind, in welchen strate- 
gische Reserven durch ihr Vorhandensein allein 
bedeutend auf den Gegner und sein Thun gewirkt-: 
es waren, wie bekannt, Gründe der inneren Politik ebenfalls im 
Spiel. Aber auch das militärische Raisonnement, das zu derselben 
führte, wenn nicht Indolenz allein dazu geführt, muss begriffen wer- 
den. Es lag nichts ferner, als die Idee, mit gesammelter Kraft 
ehrlich und plump eine Hauptschlacht mit der Hauptmacht des 
Gegners zu suchen (w i e man vorgibt, dass es gegenwär- 
tig Zweck des Krieges und nicht anders möglich 
und vernünftig sei); man gedachte, — die Strategie zur 
Kunst erhebend — strategisch von der Hand in den Mund zu 
leben, zu demonstrieren, zu drohen, Manöver auszuführen. 
Warum dieses so war, werden wir später sehen ; indessen war 
es so. So schien es in der That nicht von erster Wichtigkeit, 
alle vorhandenen Mittel, hinweggehend über manche innere 
Schwierigkeit, zur Hauptentscheidung in rangierter Schlacht zu 
führen. Immer muss man sich hiebei daran erinnern, dass die 
Mobilmachung des Restes der preußischen Armee am 30. September 
fast contre coetir erfolgte und somit das Zurückbleiben schlag- 
fhäiger Truppen nicht Product vorgeblichen kriegerischen 
Unverstandes allein, sondern mit die böseFrucht 
einer Politik gewesen ist, die allzulange und ail- 
zuenge mitderStrategieHandin Hand gegangen war. 



Digitized by VjOOQIC 



— 277 — 

Trotzdem, es kann dies nicht genug bemerkt werden, be- 
steht die bedeutsame Erscheinung, dass in der zweiten October- 
woche, dem Beginn der Operationen, Preußen nur unerheblich 
schwächer auf den Wahlplatz trat, als Napoleon. Die denkbar 
mustergiltigste und die rückhaltslos verdammte Strategie haben 
fast die gleichen Kräfte einander gegenüber geführt; und noch- 
mals hinzuzufügen ist, dass Preußen somit im Verhältnisse un- 
endlich mehr geleistet hat, sowohl was Aufbringung als Heran- 
führen der Mittel betrifft, denn sein gewaltiger Gegner. 

Und nun treten wir mit wahrem Bangen vor der Größe 
des Wagnisses, solches, wie es hier geschah, erklären zu wollen, 
in das innerste Getriebe des großen Krieges. 

Vorerst stellen wir fest: Jeder der Gegner gedenkt nach 
einem System, nach einer Schablone, nicht so sehr nach einem 
ad hoc bestimmten Programm, aber doch in einer ganz bestimmten 
und eigenthümlichen Art zu kämpfen. Will man — da wir heute 
über die Idee, im Kriege ein „System" zu befolgen, lächeln — 
ein solches für Napoleon nicht zugestehen, so sagen wir, er und 
sein Heer handelten nach einer Schule; denn am Worte selbst, 
das man gebraucht, liegt hier, in der kriegerischen Betrachtung, 
die nur ein matter Widerschein des Krieges ist, füglich nicht sehr 
viel. Gestehen wir es ein : Schule und System stak in Napoleons 
Heer geradesoviel wie in jenem seiner Gegner, und wenn es auch 
nur das System gewesen ist, keine festen Regeln dauernd zu be- 
folgen, so war doch dies ganz sicher auch System. Denn einer 
sehr bestimmten Norm, wie es im Kriegesich ver- 
halten soll, bedarf ein Kriegsheer unbedingt, 
wenn es nicht in Selbstthätigkeit und Selbstbe- 
stimmung nach allen Richtungen zerflattern soll. 
Manche Dinge liegen derart auf der Hand, dass die Wissenschaft 
sich scheut, dieselben auszusprechen. Manches Wort für manchen 
Begriff wurde so oft mit unglücklichem Thun im Kriege in Zu- 
sammenhang gebracht, dass die Wissenschaft es nicht über sich 
gewinnen kann, dasselbe Wort im Rahmen erfolgreichen Thuns 
zu gebrauchen. So ist es mit dem, was man gemeinhin „System" 
in der Kriegführung nennt. Wahrhaftig, sogar Napoleon und 
ganz besonders seine Unterführer handelten nach einem System 
— dem napoleonischen — denn ihr Thun trägt auffallende, stets 



Digitized by VjOOQIC 



— 278 — 

wiederkehrende Züge, die logisch zusammenhängen, sohin Theile 
eines wohldurchdachten Ganzen, mit einem Worte eines Systemes 
sind. Nichts kann falscher sein, als zu glauben, die 
napoleonischen Marschälle — oder wenigstens 
die meisten von ihnen — hätten kein System ge- 
kannt und jeder hätte, wie Proteus, seine Er- 
scheinungsform im Kampfe von Fall zu Fall ge- 
wechselt, sie seien hervorragende Militärs, das 
heißt Menschen von kriegerischem Genius — 
um ein con ve ntio nell es Wort zu gebrauchen — 
gewesen, und in ih nen allesam mt sei meh r krie- 
ge rischer V erstan d, und der i s t in 1 etzt er Li nie 
nichts als überhaupt Verstand, anzutreffen ge- 
wesen, als in einer gleichgroßen Zahl deutscher, 
russischer oder englischer Generale. Was ihre 
Stärke war, hatte ihnen ihre Umgebung, der Krieg, 
in dem sie lebten, das neue System, und den letz- 
ten Schliff Napoleon gegeben; in diesem System 
war jeder stärker, überhaupt war eres nicht.*) Sie 
waren alle — wie dies nicht anders möglich 
ist, nur Kinder ihrer Zeit und staken in den An- 
schauungen, die diese ihnen gab. Nur ist ihr System 
verschieden von dem System des XVIII. Jahrhunderts, liegt uns 
so nahe, beherrscht uns so, dass wir in demselben jetzt die Voll- 
endung des Krieges sehen, über die hinaus nichts auszudenken 
ist, und somit verkennen, auch sie sei ein System. Nicht darf 
das Wort „System", Preußens Thun aufgepfropft, gemissbraucht 
werden. Beide Gegner verfuhren nach Systemen, und nicht darin, 
dass einer von ihnen ein solches besaß und der andere keines, 
sondern in dem Unterschied derselben ist der Schlüssel zur 
Lösung zu suchen. 

Diesen Unterschied nun aufzuspüren, ist für den, der die 
Wahrheit sucht, das allerwichtigste. 

Doch vorher sei noch darauf verwiesen, dass Napoleon 
seinem System treu geblieben ist ; 

•) Daher Napoleons, des Besiegten, Wort: U me fallait eire partout oh je vonlais 
vaincre, c'est la le defaut de ma cuirasse. Wir werden, falls es die Umstände erlauben, ic 
einer der folgenden Studien eine Analyse dieses difaut versuchen, in einem Kriege, wo es 
plötzlich erschien und wo Napoleon nicht gefasst darauf war. 



Digitized by VjOOQIC 



— 279 — 

die preußischen Führer schon in den ersten Stadien des 
Krieges von dem ihrigen wichen. Freiwillig thaten sie dies nicht. 
Sie wichen von dem ihrigen ab, indem sie zu ahnen begannen, 
es werde vielleicht doch nicht ersprießlich sein, ohne jedoch, wie 
dies wohl sehr natürlich ist, spontan zum neuen System über- 
zugehen. Es liegt sehr viel darin, wenn eine anerkannte Kriegs- 
form schon in den ersten Augenblicken des Krieges als nicht ge- 
nügend erkannt, oder vielmehr vermuthet wird; indem der erste 
Versuch, dieselbe anzuwenden, unverhofTterweise fehlschlägt. Je 
fester man an diese Form geglaubt, desto heftiger ist dann die 
Reaction 

sowohl moralisch als Entmuthigung und Rathlosigkeit, 

als auch materiell, indem man zu einem Compromisse zu 
gelangen sucht, das, durch die Noth herbeigeführt, nur unvoll- 
kommen sein kann. Diese philosophischen Betrachtungen scheinen 
für praktische Zwecke ohne Wert zu sein. So ist es nicht. Die 
Kriegsgeschichte zeigt, dass manches Kriegsheer mit deswegen 
besiegt worden ist, weil es im Kriege, den es eben 
kämpfte, die als nothwendig erkannte neue Form 
anzunehmen ganz einfach nicht vermochte. Was 
sehen wir hieraus ? Dass es in der Regel als ein Erfordernis der 
Form, in der man kämpft, erscheint, sie möge gefasst und fähig 
sein, Neuerungen anzunehmen ; bereit, sich zu verändern, falls 
dies nothwendig wird. Jedoch es scheint dies wohl nicht mehr 
als ein frommer Wunsch zu sein, der noch lange keine Hand- 
habe für die Praxis in sich schließt. 

Das preußische System war vorwiegend darauf berechnet, 
durch den Schein , das Drohen , die Finte, das Manöver , das 
Heucheln der Absicht, als wolle man kämpfen, auf den Gegner 
Wirkungen zu thun. Friedrich hatte eine ökonomische Form 
des Krieges schließlich zum System erhoben, die sozusagen mehr 
darauf zielte, auf des Gegners Seele und durch sie unmittelbar 
auf seine Politik, als materiell und mittelbar auf seine Mittel ein- 
zuwirken. Ein großer Feldherr kann sich mit Erfolg dieser Form 
bedienen, und einiges Studium der großen Feldherren zeigt, dass 
sie sich mitunter dieser Form mit ungeheurem Erfolge bedient 
Sofort kommt uns das bekannte Schlagwort in den Sinn, die 
Epigonen eines großen Feldherrn gebrauchten dessen Waffen 



Digitized by VjOOQIC 



- 280 - 

schlecht und dieserwegen unterlägen sie; nicht aus der Beibe- 
haltung des Systems an sich, sondern durch die Fehler, die inner- 
halb und trotz des Systems von den Schülern begangen worden 
sind, die gewissermaßen in dasselbe nicht hineingepasst, pflegt 
man ihr Unterliegen zu erklären ; während man anderswo es 
wieder für erwiesen hält, dass das alte System trotz seiner 
Stärken und seiner Schwächen nicht wesentlich verändert, über- 
lebt und von einem neuen überholt worden sei, dem es wei- 
chen musste. Hier muss die sorgfältigste Erwägung angewendet 
werden, und der Gedanke kämpft beständig mit der Sprache, die 
ihn nur unvollkommen wiedergibt. So pueril die Frage klingt, 
so hat man sie doch gestellt : ob Preußen gegen Napoleon 
gleichfalls unterlag, wenn es der große Friedrich commandierte ? 
und in den Schriften über diesen Krieg ist der Gedanke aus- 
gesprochen, es hätte nicht so kommen müssen, wenn man bei 
Friedrichs ureigentlichen Maximen treu verblieben wäre. Wir 
wollen uns bemühen, logisch zu sein. Zum Schlüsse seines Feld- 
herrnthums hatte Friedrich bewusst und wohlerwogen aus der 
Furcht seiner Gegner vor ihm eine kriegerische Dynamis gemacht: 
es liegt sehr viel Material zum Erkennen, welche Natur der Krieg 
mitunter weisen kann , in jenem Verse : . . . und wenn der 
große Friedrich kommt und klopft nur auf die Hosen, so 
läuft die ganze Reichsarmee, Panduren und Franzosen ... Er 
setzte die Drohung in der That an Stelle des Kampfes, doch 
wohlgemerkt nur dort, wo sie sich ausreichend erwies, den Erfolg 
zu geben, während er, wo dies der Fall nicht war, zum Ab- 
messen der Kräfte schritt.*) Mit unvergleichlicher Menschen- 
kenntnis übertrug er durch die bis auf den heutigen 
Tag noch immer nicht in ihrem tiefen Sinn er- 

*) Der Verfasser fühlt, dass der Leser hier die Empfindung haben werde, er lasse 
seiner Phantasie zu sehr die Zügel schießen. Das, was er niederschreibt, ist jedoch das ge- 
wissenhafte Resultat vom Studium der Kriege Friedrichs des Großen, gewissenhaft, \»^enü 
auch ganz sicher fehlbar. Diese Kriege kennt man gegenwärtig wenig, wie der bekannte 
Streit über Friedrichs Strategie, der förmlich zwei Parteien schuf, hinlänglich beweist; ihre 
Geschichte wird — wie bekannt — eben erst begonnen. Indessen besitzen wir ja, was Fried- 
richs Motive und leitende Ideen betrifft, in seinen mit edelstem Freimuth, mit wahrhaft könig- 
licher Anschauung geschriebenen Memoiren die allerklarste Quelle. HOren wir ihn — ^ 
hier der Ort nicht ist, um allzulang zu werden — wenigstens einmal selber sprechen: No- 
vember 1760, Daun bei Torgau, der König in Düben, nahezu verzweifelnd, was zu beginnen 
sei, da er nicht einmal sichere Winterquartiere hat . . . apris avoir bien mürement examinc 
et pese toutes ces raisons, il fut resolu de commeitre la fortnne de la Pitisse au sorl dune 
bataille, si touiefois on ne pouvail parvenir par des manoeitires ä deposfer le Marc- 



Digitized by VjOOQIC 



- 281 — 

kannten Exercierplatzk Uns teleien den Glauben der 
Gegner an seine persönliche Furchtbarkeit auf die 
Mittel, deren er sich bediente, und die er seinen Nachfolgern 
überließ. Er testierte wahrhaft eine Fülle kriegsmoralischer Güter, 
als guter Rechner nur an das Morgen nach seinem Tode denkend. 
Darin liegt viel von seiner Größe, wenngleich sie hier nicht 
glänzt und gleißt. Es ist nun müssig zu untersuchen, wie lange 
und wie sehr sein Prestige in seinem Nachlass wirksam bleiben 
konnte. Man kommt darauf zurück zu sagen, dass seine Art, 
den Krieg zu führen, ein unter der Noth der Umstände geborenes 
Meisterwerk kriegerischer Ökonomie gewesen ist, welches von 
seinem Prestige am Gängelbande geführt, ja geradezu von ihm 
aufrecht erhalten ward. Friedrichs Krieg ist in seiner Art ein 
ganz besonderer Krieg, der mit ihm stand, ohne ihn nicht bestehen 
konnte. Diese Ausnahmserscheinung musste nach seinem 
Tode, da füglich nichts anderes an ihre Stelle zu setzen war, wohl 
oder übel zur Norm erhoben werden. Dass sie in das Prokru- 
stesbett der Regel gezwängt werden musste, veränderte allmählich 
ihre ursprüngliche Form. Diese Form hatte die strategische 
Action vorübergehend zu einer Waffe gemacht, indem sie, wie wir 
oben entwickelten , es oftmals vorgezogen hat, durch das 
drohende Vorbereiten der taktischen Action diese 
selbst entbehrlich zu machen. Aus innerer Schwäche 
griff sie zum Manöver ; kaum ein Marsch war nicht von strate- 
gischen Gedanken durchsetzt; auf dem Schlachtfelde selbst herrschte 
das Manöver, die Drohung, als billigeres Mittel vor, so lang es 
thunlich war. All dies wurde, wie es nicht anders kommen 
konnte, zum System erhoben, Regel, Norm, während 
es doch nur ein Correctiv und Ausnahmsmittel 



chal Dann de Torgau qu'il occupoU . . . Histoire de la guerre de sept ans, Oeuvres, ed. 
Preuß, V, 85. Deutlicher kann man wohl nicht mehr sprechen. Es ist nun lehrreich zu sehen, 
wie die nachnapoleonischen Kritiker des großen Königs, die alle unter dem Banne der napo- 
leonischen Schlachtenstrategie stehen, sich drehen und winden, um nicht zuzugeben, dass 
Friedrich, der ja fast immer schwächer war, die Hauptschlacht zu vermeiden suchte und nur 
im äußersten Falle zu ihr griff, was unserer Meinung nach gerade ein Beweis ist seiner 
PeldhermgrOfie; denn nicht die Schlacht ist der Zweck des Krieges, sondern das poli- 
tische Ziel; weise derjenige, der es, wie Friedrich so oft, durch die Drohung allein 
erreicht! Indess im XIX. Jahrhundert will man von nichts, als von Hauptschlachten hören, 
sogar in der barmlosen Wissenschaft. Vgl. zu dem oben Gesagten Jominis und Bemhardis 
Unheil, ^Kritische und militärische Geschichte der Feldzüge Friedrichs II. etc." (Deutsche Aus- 
gabe von Voclderndorf, 1811), III, 376 und ^Friedrich der Große als Feldherr," II, 180 ff. 



Digitized by VjOOQIC 



- 282 — 

ursprünglich gewesen war. Das Schwergewicht des Krieges sollte 
jetzt noch, 1806, vorwiegend in der Drohung — sowohl kriegs- 
politisch als strategisch — und erst im äußersten Fall im Ab- 
messen der Kräfte liegen, in welchem auch noch immer der 
Drohung ein breiter Raum angewiesen blieb. 

Hieran ändert die Thatsache nichts, dass man in Preußen 
so unendlich viel Gewicht auf die taktische Ausbildung der Truppen, 
mithin auf ihr Geschick im Abmessen der Kräfte legte; wir 
kommen, um diesen scheinbaren Widerspruch zu lösen, später 
auf denselben zurück. 

Vorurtheilslos betrachtet, ist dieser ökonomische Krieg nicht 
ein sehr vernünftiger Krieg? Sollte man nicht glauben, er sei die 
Krone des Krieges in seiner welthistorischen Entwicklung? Das 
war die Meinung in Preußen vor der Katastrophe. 
Und wahrlich, man versteht es, wenn man in Preußen zu dem Glau- 
ben kam, ein vollkommenerer Krieg sei nicht mehr auszudenken. 

Um nicht zu lang zu werden, beschränken wir uns 
nun auf die Idee: Diese Form des Krieges, die von kriegscon- 
ventionellen Einschränkungen wimmelt, ja, ohne sie geradezu 
nicht bestehen kann, wie wird sie sich verhalten, wenn ein Gegner 
die kriegsconventionellen Bedingungen derselben zerbricht ? 

Einzuschalten ist, dass Friedrich drohte, doch sich nicht 
drohen und imponieren ließ, wenn seine Gegner seine eigenen 
Waffen gegen ihn gebrauchten. Er wich nur vor der Nöthigung, 
die physisch war, und jene wichen schon vor moralischer Nöthi- 
gung. Anders erklärt man dies nicht, als eben durch Berufung auf 
Friedrichs Kriegsgenie. Nach ihm, als sein Krieg conventioneil 
geworden war, ist der preußische Krieg gegen Drohungen, wie 
er sie übte, falls sie vom Gegner kamen, bald ebenso em- 
pfindlich selbst geworden, als er es wünschte, 
dass sie dem Gegner seien. Dies kann nicht anders sein, 
oder correcter ausgedrückt, es ist sehr natürlich. Waffen, die 
man selbst mit besonderem Erfolge brauchte, erschrecken, wenn 
man sie plötzlich in der Hand des Gegners sieht, umso mehr. 

Wenn nun daran geschritten werden soll, den Charakter 
des napoleonischen Krieges auf einige klare Sätze abzuziehen, so 
stört und hindert uns die große Mannigfaltigkeit, in der wir ihn 
zu Tage treten sehen. 1796 verlegte Napoleon das 



Digitized by VjOOQIC 



— 283 - 

Schwergewicht desKrieges in die vorbereitende 
strategische Action, in das Manöver, dieDrohung, 
weil er beständig schwächer war. Es verschob sich 
nun dieses Verhältnis mit dem Fortschreiten sei- 
ner Mittel an Zahl sowohl als an Güte immer 
mehr dahin, dass der große Feldherr immer mehr an die 
taktische Action als ultima ratio, als sicherste Form des 
Kampfes appellierte. Jetzt, 1806, denkt er, wie wir sahen, 
nichtan's Umgehen, nicht an strategische Künste 
mancherlei Art, sondern einzig und allein an's Ab- 
messen der Kräfte, weil er der stärkere ist, und weiß, 
dass er es ist. Er nähert sich auffallend der Urform des 
Kampfes zwischen Menschen, die im taktischen Messen der Kräfte 
culminiert und betrachtet die Strategie vorwiegend nur als Mittel, 
seine Kräfte in's Gefecht zu führen; dieser Zweck be- 
stimmt die Form seiner Strategie. 

Hierin liegt nun , unserer innersten Überzeugung nach, 
ohne ein doctrinäres Schema aufzustellen, ein fundamentaler Ge- 
gensatz. Die Feldherren Preußens gedenken das Schwergewicht des 
Krieges in das, was außer der taktischen Action geschieht 
und geschehen soll, zu verlegen, indem sie glauben, der Geg- 
ner verharre in der ihnen genehmen kriegsconventionellen Form, 
die sich des Appells an's Gefecht, an's Messen der Kräfte zwar 
nicht grundsätzlich begibt, denselben jedoch nicht zum Haupt- und 
einzigen Motiv erhebt, welchem sie rücksichtslos nachstrebt. Wir 
sehen, immer enger werden die Grenzen, die zwischen zwei Con- 
trasten lagen, die noch vor wenig Seiten die Theorie fixiert. Im 
wirklichen Kriege sehen wir nur mehr Nuancen. Denn Preußen 
denkt nicht zuletzt, es denkt nur nicht zunächst an das 
Gefecht, während Napoleon dieses thatsächlich thut. Gering ist 
der Unterschied in den Symptomen, welche der alten 
Strategie und der neuen eigenthümlich sind ; doch in den W i r- 
kungen soll dieser Unterschied ein auffallender sein. 

In diesem Gegensatze scheint nun die Aufklärung noch 
immer nicht zu liegen. Worauf kommt es an ? Doch offenbar 
darauf, ob der, welcher die kriegsconventionellen Beschränkungen 
durchbricht, auch stark genug sein wird, sie unge- 
straft zu verletzen; ob er hier — 1806 — überhaupt 



Digitized by VjOOQIC 



- 284 — 

zum Abmessen der Kräfte gelangt; und ob er in 
demselben Sieger bleiben wird. 

Hier nun beginnt das Bild Leben und Töne zu gewinnen. 
Wir sehen zunächst, dass die deutsche Strategie, als die Drohung 
nicht sofort wirkt, nicht zu dem Entschlüsse kommt, an das Ge- 
fecht zu appellieren, obwohl sie ihn erwägt; treu bleiben will 
sie der Idee, strategisch zu drohen, zu manövrieren, wie das 
Verbleiben hinter der Saale klar beweist, doch fühlt sie schon, 
es werde vergebens sein. Bald wird sie in der That gewaltsam 
aus ihrer Rolle der Abstinenz in taktischen Dingen gedrängt, da 
ihr der Gegner auf den Leib rückt und sie in dem kriegscon- 
ventionellen Repertoire des XVIII. Jahrhunderts kein weiteres 
Mittel sieht, um diesem zu entgehen. 

Doch bis es dazu kam, müssen wir betrachten, wieso es 
kam. Leider liegt es in der Natur der Dinge, dass wir uns bei 
Betrachtungen der vorliegenden Art öfters wiederholen müssen; 
das Wichtige muss auch in der Menge an Druckerschwärze, die 
darauf verwendet wird, es darzustellen, klar ersichtlich sein. In 
Napoleons Correspondenz ist zu lesen, dass er darauf baut, die 
strategischen Manöver seiner Gegner würden ohne Wirkung sein, 
indem er entschlossen ist, sie herauszufordern, den taktischen 
Punkt auf das strategische I zu setzen, mithin in der That zu 
kämpfen; der Drohung füge er sich nicht. Klar ist, sehr klar, 
dass er dies nur dann thun konnte , wenn er seiner 
Überlegenheit im Kampfe sicher zu sein glaubte. 
Auch im XVIII. Jahrhundert wich man vor Friedrich nicht, bloß 
weil er strategisch manövrierte, sondern weil man befürch- 
tete, in der taktischen Action den Kürzern zu 
ziehen, die am Ende von Friedrichs strategischem 
Thun drohend erschien; es ist nie htJLJnverstand, 
wie man so oft behaupten hört — nicht Formalismus, 
nicht blindes Fügen in die Scheingesetze krieg s- 
convention eilen T hu ns, wenn österreichische Feld- 
herren im siebenjährigen Krieg durch ein strate- 
gisches Manöver Friedrichs sich schon besiegt 
erachteten; alle gingen sie eben dem unvermeid- 
lichen taktischen Echec aus dem Wege, den das 
Manöver der gegnerischen Strategie drohendvor- 



Digitized by VjOOQIC 



- 285 - 

bereitet hatte und ihre Positionstaktik bestätigt 
dies sehr klar. Indem sie glaubten, Friedrich 
werde schlagen, fügten sie sich dem Gesetz, das er 
ihnen durch das ökonomischere Mittel der Drohung 
gab.*) Wir sagen hier ohne Selbstüberhebung : Das ist kriegerische 
Betrachtung, wie sie gemacht sein soll. Erklären muss man, 
nachdem man erwog und wieder erwog, ob denn nicht so man- 
ches, was scheinbar unerklärlich ist, doch noch erklärt werden 
kann. Hier, 1806, sehen wir, wie Napoleon vorwiegend aus dem 
Grunde, weil er seiner taktischen Stärke sicher zu 
sein glaubt, die Drohung des Gegners verachtet 
und zum Kampfe eilt. Er kann dies eben vernünf- 
tigerweise thun, weil er der Stärkere ist. Er treibt 
nicht Strategie. Er hält sich an die Taktik hier. Und transportiert 
nur seine Mittel. 

Sogleich zeigt uns diese Betrachtung die Nichtigkeit des Vor- 
wurfes, Napoleon habe den „geographischen" Punkt Berlin und 
nicht das feindliche Hauptquartier zum Ziele seiner Operationen 
gemacht, ein Vorwurf, der bisher mit mehr gutem Willen als 
Geschick widerlegt worden ist. Es kann wohl kaum mehr Ini- 
tiative im Kriege geben, als den an den Tag gelegten und zur 
That gemachten Willen, das politische Ziel des Krieges, die Er- 
oberung der feindlichen Hauptstadt, sogleich und unbekümmert 
anzustreben. Nichts besseres, so scheint es, kann man thun ; 
man muss hiezu jedoch befähigt sein 

durch die geographische Unmöglichkeit für den Gegner, 
uns Gleiches mit Gleichem zu vergelten; man muss unempfind- 
lich bleiben können, wenn der Gegner gleichfalls strategisch droht, 
kurz der Stratege muss sich bewusst sein dessen, dass die Dro- 
hung, die er gebraucht, vom Gegner nicht erwidert werden kann, 
und, würde sie erwidert, nur eine solche Drohung ist, die keine 
Stärke hat. Drohung! Wir sagten doch soeben, Napoleon ver- 
zichte auf dieselbe, da er der Stärkere sei. Sogleich soll der Ge- 
danke weiter entwickelt werden. Vorher noch eins. Ersichtlich 
ist, dass es nicht dasselbe sein kann, ob von Thüringen aus 

♦) Wie dies die Verhandlungen Dauns mit Soltikow nach der Schlacht von Kuners- 
dorf bis zur Evidenz beweisen , deren negatives Resultat der französische MilitärbevoUmach- 
tigte bei Österreich mit den einfachen Worten erklärt: . . le rot de Prusse est, en viriti, 
irop redouie. Oncken, Zeitalter Friedrichs des Großen, 11, 279. 



Digitized by VjOOQIC 



— 286 - 

einer der Gegner auf Berlin und der andere auf Paris demon- 
striert. Hier fließt das moralische Gefühl der Überlegenheit oder 
der Schwäche zum Theile aus einer simplen Berechnung in Zeit 
und Raum ; Siegessicherheit und Nervosität kommt auf beiden 
Seiten aus der Erwägung oftmals ganz materieller Factoren, wie 
Entfernung, Kraft und Zeit ; 

durch die Bereitwilligkeit, die taktische Action zu wagen, 
welche Bereitwilligkeit aus dem Bewusstsein eigener Stärke kommt. 
Gefasst muss man sein und bereit, das Abmessen der Kräfte zu 
beginnen, sobald der Gegner, was wahrscheinlich ist, herbeieilt, 
um das bedrohte Object zu schützen. In diesem Sinne aufgefasst, 
kann das Vorgehen auf die Hauptstadt des Gegners, die 
Drohung, nichts anderes sein als der Befehl, der 
Zwang für jenen, zur Schlacht herbeizueilen. Es 
ist hier die Drohung nichts als ein indirectes 
Suchen, welches den Feind, er wolle oder nicht, 
zum Abmessen der Kräfte treibt; diese Drohung 
ist, wie wir sehen, ein Mittel, die taktische Action 
herbeizuführen, während die Drohung, wie sie 
Preußen übte, jene zu vermeiden strebte. Um ganz 
genau zu sein, muss man wieder sagen, dass dies hier und 
jetzt der Fall so war. Denn was dann, wenn der Gegner 
seine Hauptstadt opferte? Dann verflacht sich diese Art, den Feind 
zu suchen, zu wesenloser Demonstration, wie sie vor Jena und 
nach Jena vorgekommen ist. Doch hier und jetzt folgte der 
Gegner der Aufforderung zum Kampfe, die ihm Napoleon gab. 
Wohl kam er ihm nicht entgegen , doch blieb er vorläufig 
stehen. Sucht in dieser Weise der Stärkere seinen Gegner, so 
vermeidet er dabei mögliche' Irrthümer im directen Suchen des- 
selben; er räumt alle Schwierigkeiten hinweg, die namentlich in 
einem großen Heere, sobald es hin und wider sich bewegt, 
indem es sucht, aufzutreten pflegen. Die eigene Kriegshandlung 
wird klarer, mhiger, präciser, je mehr sie zugleich den Gegner 
zwingt, unfreiwillig, gezwungen, mit allen materiellen und morali- 
schen Hindernissen einer Zwangslage zur Schlacht sich ein- 
zustellen. Es kann dies alles sein. Wann und wo es ist, stellt 
sich heraus, dass der, der solches versucht, sicher sein muss, 
im voraussichtlichen Abmessen der Kräfte im Vortheile zu bleiben. 



Digitized by VjOOQIC 



- 287 - 

Jedoch es muss nicht so sein, denn es war nicht immer so. Ein 
sehr gefürchteter Feldherr kann diese Form gebrauchen, auch 
ohne Absicht zur taktischen Action, wenn er des Glaubens in 
seinem Gegner, er sei zu schwach, sich mit ihm zu messen, 
völlig sicher ist; wenn er darauf rechnen kann, der Gegner werde 
im Rahmen der eben her rsch enden An seh auun g 
vom Kriege die Hauptstadt dem Verluste einer 
Feldschlacht unbedenklich opfern, sich aber doch 
dabei dera politischen Zwecke fügen. Diese Form ist naturgemäß 
sehr selten, eine Ausnahmsform, und wir führen sie nur an, weil 
sie möglich ist, vorkam, und vielleicht wiederkehren wird. In der 
Regel jedoch muss der, welcher auf die feindliche Hauptstadt 
operiert, der Waffenentscheidung gewärtig und zu derselben ge- 
willt sein. 

Noch ein Begriff ist klarzustellen. Wenn man sagt, Berlin 
sei ein geographischer Punkt gewesen -— und man sagt dies im 
vollen Ernste, heute, und namhafte Kriegsschriftsteller sagen es; 
man erlasse uns die Stellen anzuziehen , die jeder , der das 
Quellenmaterial zum Kriege von 1806 gelesen, unschwer finden 
wird — so liegt darin ein gut Stück militärischer Scholastik, die 
verwirren kann. Die Hauptstadt Preußens war dazumal vor allem 
ein politischer Punkt ersten Ranges und ihr Fall musste 
von höchstem Einfluss auf das politische End- 
ziel des Krieges, ih r e Bed rohun g so m i t in rück- 
wirkender Weise von schwerstem Gewicht auf 
das kriegerfsche Thun auf beiden Seiten sein: 
man denke nur daran, dass Napoleon Russland im Anmarsch 
glaubte. Die Hauptstadt eines Reiches in der militärischen Zunft- 
sprache als geographischen Punkt zu bezeichnen , geht nicht 
immer an und umso weniger darf dies — soll das Urtheil nicht 
ein schiefes sein -— geschehen, je bedeutender die Rolle ist, welche 
die Hauptstadt im Staate spielt. Klar ist, dass man bei- 
spielsweise Wien und Paris nicht beide gleicher- 
weise als geographische Punkte für die Krieg- 
führung bezeichnen kann. Dieses, wahrhaft der Nabel 
der Nation, ist gegen den Krieg unendlich empfindlich ; ein Kampf 
an diesem Mittelpunkt bestimmt die Geschicke des ganzen Reiches; 
seine Bedrohung allein hat ein paarmal die allerheftigsten Er- 



Digitized by VjOOQIC 



— 288 - 

Schütterungen politischer Natur hervorgerufen und damit die Ziele 
des Krieges um ein bedeutendes verrückt. Jenes ist nichts — 
in den napoleonischen Kriegen — gewesen, als die Residenz des 
Souveräns, die er zum Kriege ohnehin vielfach verließ. So blieb der 
Krieg, den der Gegner nach Wien getragen, von weit geringerem 
Einfluss auf die Politik des Kaiserstaates, als jene Wirkung, die 
durch die Bedrohung oder gar Besetzung von Paris auf die fran- 
zösische Politik entstand. Nicht lediglich mit der Thatsache allein, 
dass Paris das Centrum der Staatsmaschinerie, der Gravitations- 
punkt aller Interessen, kurz das Object von Nützlichkeits-Erwä- 
gungen war, sondern mit dem Unterschied des Volkscharakters 
auch, der dort als Schmach empfindet, was hier als bittere Noth- 
wendigkeit und resigniert empfunden wird, und dem Unterschied 
von dessen Äußerung, hängt alles dies zusammen. Man sieht, 
es besteht ein ganz gewaltiger Unterschied zwi- 
schen den sogenannten geographischen Punkten 
strategischer Kategorie. Was nun Berlin betrifft, wie es 
im Jahre 1806 gewesen ist, so begnügen wir uns aus dem 
Quellenmaterial als Resultat hervorzuziehen, dass es insofern 
gegen den Krieg äußerst empfindlich war, als Friedrich Wil- 
helm III. sich — innerhalb gewisser Grenzen — eher im Kampfe 
zerschmettern lassen wollte, als dass er es einnehmen ließ. Die 
kühle Anschauung des Kaisers Franz über den.Antheil, den die 
Residenz an der Politik des Staates zugestanden haben solle, die 
Anschauung, der Österreichs Monarch 1805 und 1809 so deut- 
lich Ausdruck lieh, die hatte Preußens König Acht und konnte 
sie nicht haben. Um von allem andern abzusehen, genügt es 
darauf hinzuweisen, welche Tradition Preußen zu bewahren hatte, 
um es klar zu legen, warum es sich wohl vor den Thoren von 
Berlin besiegen , aber wegmanövrieren durchaus nicht lassen 
konnte. So schließt sich die Kette der Erwägung. Die preußi- 
sche Strategie kann keine geographischen Punkte 
Napoleons bedrohen, was doch vo rnehmlich ihres 
Amtes ist und wozu sie geschickt erscheint; be- 
drohte nun Napoleon Berlin, gebrauchte er somit 
ein Leitmotiv des XVIII. Jahrhunderts in seiner 
Strategie, so fand die preußische kein Mittel 
mehr, solches anders zu parieren, als indem sie 



Digitized by VjOOQIC 



— 289 — 

früher und später zum Abmessen der Kräfte 
schritt; was eben Napoleon wünschte. Insoweit es 
nicht doctrinär klingt, gegenüber dem lebendigen, vielfaltigen Thun 
im • Kriege aller Zeiten die Bedrohung geographischer Punkte zu 
dem „System*^ des XVIII. Jahrhunderts zu rechnen, so sagen wir 
hier ohne Zögern : Napoleon wandte ein Motiv der alten Zeit aus 
guten Gründen an. Die Bedrohung Berlins ist ihm nur Mittel zum 
Zweck ; er erspart sich das Suchen des Gegners und diesem 
fällt das Vorbereiten der taktischen Action unter dem Banne der 
Bedrohung seiner Capitale schwer. Man hat sich bemüht, zu 
beweisen, Napoleon habe an Berlin gar nicht gedacht, da es ein 
geographischer Punkt gewesen sei. Genug. Der Mann hat es 
wahrlich verstanden, nichts, was zweckmäßig war, zu ver- 
schmähen, und habe es aus noch so grauer Vorzeit, und aus 
einem noch so überlebten Systeme hergestammt. 

Nachdem wir nun die Richtung des Angriffes betrachtet, 
und erkannt, dieselbe sei — doch im gewissen Sinne nur — eine 
seltsame Mischung gewesen aus einem strategischen Gedanken 
der alten Zeit, der zum taktischen Thun der neuen Zeit zu führen 
hatte ; und entwickelten : die Abwehr und der Ort, den Preußen 
sich dazu ersah, sei gegen das alte Kriegssystem, das ja Drohen 
verlangte, gewesen, und geschehen sei sie unter Mängeln in den 
Mitteln, die historisch waren, sowie durch die im Augenblick des 
beginnenden Kampfes zutage tretenden Bedenken der Armeeleitung, 
die unter ihren Füßen den kriegsconventionellen Boden, auf dem 
sie schon nicht ganz mehr sicher stand, verlor: wollen wir die 
Art, in der altes ujid neues System aufeinandertrafen, vorurtheilslos 
besehen. 

Aber vorher sei nochmals sehr darauf verwiesen, dass man 
im Beginne der zweiten Octoberwoche die äußeren, sichtbaren 
Zeichen der Überlegenheit des neuen Systems keineswegs ver- 
spürt. Denn die Kräfte sind nicht auffallend verschieden und die 
Stellungen an sich lassen nicht voraus erkennen, wohin sich die 
Wage der Entscheidung senken müssen wird. 

Wir sehen, dass Napoleon zum Angriff getrennt marschiert, 
um vereint zu schlagen ; nicht mit Armeen, natürlich, jedoch mit 
Corps in Heeressäulen. Ist dem nicht so? Wir kennen heute höheres, 

C. von B.-K. Zur Psychologie des großen Krieges II. 19 



Digitized by VjOOQIC 



- 290 - 

weil vollendeteres; doch hier ist das Original, der Embryo.*) Beson- 
ders in den ersten Stadien des AngrifFsmarsches liegt am Tage, 
dass Napoleon seine getrennten Heerestheile nicht in jener Zeit — 
wir treiben hier rein militärische Betrachtung, um sie dann zu 
widerlegen — bestimmt vereinen kann, die mehr als hinreicht, 
dass ein Theil von ihnen angegriffen, besiegt, zurückgeworfen 
werden kann. Es scheint, als ob dies immer und ewig — rein 
militärisch angesehen — möglich sein muss, wenn man die Kräfte 
trennt. Es ist nichts als Selbstberuhigung um jeden Preis, wenn 
man sagt, Napoleon konnte seine Corps in 24 oder 48 Stunden 
längstens auf jedem Punkt des Echiquiers vereinen ; denn diese 
Zeit ist sehr hinreichend — rein militärisch angesehen — damit 
ein Theil der Corps zu einem verderblichen Kampf gezwungen 
werden kann. Es lag aber der Modus, getrennt zu marschieren, 
um vereint zu schlagen, in Napoleons System ; somit muss er 
wohlbedacht gewesen sein. Rechnete der Kaiser mit dem Glück 
allein, das ihn bewahren werde, einzeln attakiert zu werden? 
Das ist seine Art, wie männiglich bekannt, wohl nicht gewesen. 
Glaubte er daran, der Gegner werde deswegen, weil er ge- 
trennt marschierte , um vereint zu schlagen , wovon man auf 
deutscher Seite bislang nur wenig Kenntnis hatte — man hatte sie, 
doch war sie kein vorherrschendes, kein Leitmotiv, sie war 
im Repertoire der Strategie vorhanden, doch 
regierte sie nich t**) — gleichsam aus Aberglauben vor der 
Macht der neuen Form auf die Gelegenheit verzichten , ihm, 

*) Wir sind darauf gefasst, dass man uns erstaunt erwidern wird, ob uns denn tiä: 
bekannt sei, dass Napoleon hier auf „einer Linie operiere", mithin vom getrennt marschierec 
keine Rede sei. Nun denn, nicht darin, ob man seine Heereseinheiten Corps oder Armeen 
nennt, sie zwei oder zwanzig Meilen zum Vormarsch auseinanderzieht, liegt das Kriteriooi 
jener Strategie, sondern in der Möglichkeit einzeln angefallen zu werden, während 
man marschiert. Dass diese Möglichkeit hier vorhanden war, gesteht Napoleon aaf je^er 
Seite der Correspondenz unumwunden ein. Man denke an Blüchers Vormarsch nach Pah<i 
im Februar 1814, man denke an den Tag von Ligny, man denke an Mortara, und gestehe 
sich, dass kein essentieller Unterschied ist in der Gefahr für getrennte Corps oder ge- 
trennte Armeen, angeMen zu werden, kein essentieller Unterschied ob zwei oitt 
mehr Meilen sie trennen; die Erscheinung ist dieselbe, die Dimensionen wechseln nur. 

**) Die strategische Idee, getrennt zu marschieren, um vereint zu schlagen und ihn 
Anwendung im Kriege hat auch das XVIII. Jahrhundert gekannt. Wenn man Friedrichs des 
Großen Einmarsch nach Böhmen 1757 studiert, so erkennt ein vorurtheilsloser Geis; 
dass sein Verfahren das fleischgewordene Bestreben, getrennt zu marschieren, um vereint za 
schlagen, war. Man studiere die FeldzUge Eugens und Marlboroughs und man wird ein paar- 
mal diese Strategie unzweideutig zu Tage treten sehen. 

Warum nun ward sie nicht ein Leitmotiv des XVIII. Jahrhunderts? Kein Zweifel 
ist, dass Friedrich das kriegerische Denken jener Zeit bestimmt hat; verfolgen wir soaiii 



Digitized by VjOOQIC 



— 291^ — 

WO es irgend möglich war, Abbruch anzuthun? Jeder seiner 
Briefe an die Marschälle beweist das Gegentheil, denn stets fasst 
er die Möglichkeit, ja die Wahrscheinlichkeit, im einzelnen ange- 
griffen zu werden, vorurtheilslos in's Auge. Nun denn, worin 
ruht die Stärke der neuen strategischen Praktik ? 

Napoleon besitzt und glaubt zu besitzen : 

Die Überlegenheit an Zahl ; 

Die Überlegenheit an Schnelligkeit in der Bewegung 
seiner Heereskörper, folglich besitzt er und glaubt zu besitzen 
als Verbündeten die Zeit; 

Die Überlegenheit im Befehlsgebungs- und Vermitt- 
lungsapparat, die erst die größere Schnelligkeit der Mittel wirksam 
und lebendig machen kann ; 

Die Überlegenheit der einzelnen Heereseinheiten für 
den Kampf durch 

ihre Stärke und Zusammensetzung, 

ihre Taktik, ihr Thun im Gefecht, 

ihren kriegerischen Geist. 

Nachdem wir aus dem concreten kriegsgeschichtlichen Detail 
— jedermann möge sich überzeugen, dass es vorhanden ist — 
diese zerstreuten Daten als die uns wichtig scheinenden hervor- 
geholt, und in dies Schema, das man uns wohl verzeihen wird, 
zusammengefügt; sagen wir geradezu: Getrennt marschierte, 
um vereint zu schlagen Napoleon, weil er aller 
dieser Überlegenheiten sicher war. Hätteer diese 

sein Thun. Getrennt marschierte er nach Böhmen und schlug vereint (oder doch nahezu) 
bei Prag; so konnte er verfahren, weil er dazumal der stärlcere war, sowohl 
an Zahl als an Beschaffenheit der Mittel, und der politische Zweck rasche 
Erfolge verlangte. Allein auf Prag folgte gar bald Kolin, und schneller als er gekom- 
men, verließ Friedrich die Staaten der Kaiserin. Nachmals war er beständig schwächer 
als seine Gegner und die Strategie der ManOver ward ihm zum System, indem er, bittrer 
Reue voll, oftmals des Feldzugs von Prag gedachte. 

Die Methode des Siegers nimmt die Mitwelt an. So nahm sie Friedrichs Strategie 
der ManOver als ihr Leitmotiv, ohne zu bedenken, dass er so handeln musste, da er beständig 
schwächer war; sein Thun 1757 bis Prag sah sie als ein abschreckendes Beispiel an und 
ferne lag es ihr, ein Leitmotiv daraus zu machen. Der Gedanke blieb latent, nirgends erhob 
man ihn jedoch wirklich zum System. 

Was aber sagt Friedrich selbst tiber die Idee, getrennt zu marschieren, um vereint zu 
schlagen? . . . rien n'itait, plus important que de cacher ce projet, il ne pouvoit reussir 
^M 'en en derobant la connoissance et le soup^on mime attx ennemis et ä ta cour de Saxe, 
qui trahissoit les Prttssiens, et ä l'armee, pour que l'imprudence ne le divulgudt pas . .! 

Und nun denke man an die Gegenwart! 

Sie zu verstehen bedarf man der Kenntnis der Vergangenheit 

So lese man die Kriegsgeschichte; allein vorurtheilslos lese man sie. 

19* 



Digitized by VjOOQIC 



— 292 — 

nicht gehabt, so steht dahin, ob er die moderne 
Strategie geübt, denn er hat sie nicht geübt, so- 
lange er nicht, wie hier, der absolut Stärkere war. 
Diese Überlegenheiten waren dazumal, 1806, die erste Vorbe- 
dingung für die neue Strategie, und wären jene nicht dagewesen, 
so hätte sich Napoleon dieser nicht bedient. 

Jawohl, wir glauben, dass dem so war. Die früher schon 
von uns bemerkte Immunität der Heereseinheiten — wir zeigten, 
doch ist es ja genügend bekannt, worin dieselbe lag — ; die 
Überlegenheit an Zahl; die schnellere und sicherere Bewegung: 
waren für Napoleon die Basis, auf welche erst er die neue 
Strategie zu stellen vermochte. An sich bedeutete sie 
nichts und konnte nichts bedeuten. Erst darin, dass 
diese Strategie so gar nichts war, als ein Mittel, die Kräfte zum 
Abmessen zu führen, weil sie der taktischen Über- 
legenheit ihrer Mittel sicher war, lag ihre eigenthümliche 
Kraft. Nur dann konnte sie bestehen, wenn sie von der 
taktischen Überlegenheit der Truppen gekrönt 
ward. So sehen wir, wie dieser Krieg, in welchem die Strategie 
so räumlich ausgedehnt und breit zu handeln scheint, kein 
eigentlich strategischer Krieg ist, in welchem dieselbe als Zweck 
dominiert; sondern vor allem ein taktischer Krieg, der vor allem 
zum Abmessen der Kräfte zu gelangen sucht, weil er der 
Stärkere ist. 

Dieser Tendenz bleibt der Kaiser der Franzosen unentwegt 
beständig treu. Wir sehen, wie er ein Compromiss zwischen der 
strategischen Richtung Berlin und dem Wunsche zu schlagen 
schließt, indem er während des Vorschreitens beiläufig seinen 
Gegner sucht, ohne sich jedoch von der allgemeinen Richtung 
ziehen zu lassen. Als er den Gegner bei Gera zu erblicken 
glaubt, also auf seiner Anmarschlinie, zeigt uns die plötzliche 
Bewegung seiner Heereseinheiten nichts anderes, als den Wunsch, 
hier, auf dem Wege nach Berlin, den Gegner taktisch abzuthun. 
Als er mit Sicherheit erfährt, der Gegner stehe einen Marsch von 
ihm jenseits der Saale, wendet er sich zu ihm, um ihn zu er- 
drücken. Wenn er „strategisch" in diesem Kriege verfuhr, zog 
er es da nicht vor, den Gegner völlig zu umgehen, wie es ja 
unbewusst schon halb geschehen war? Er führte taktisch Krie^, 



Digitized by VjOOQIC 



— 293 — 

er suchte nichts als die Schlacht, er nimmt offenbare Mängel, die 
die neue Strategie ihm bot, als er sich versammeln wollte, ruhig 
in den Kauf, weil er weiß, er werde im Abmessen der Kräfte 
der Stärkere sein. 

Wenn nun um jeden Preis strategische Raisonnements für 
diesen Krieg gepflogen werden müssen, so sei erwähnt, dass 
gröi3ere Stärke, schnellere Bewegung, einheitlicheres Thun, als es 
beim Gegner war und nicht Terrainlehre und Geometrie Stoff 
zur Betrachtung bieten. Doch halt ! Bei der Terrainlehre müssen 
wir ein Weniges verweilen. Die Saaleübergänge, die der preußi- 
schen Armee nicht passierbar schienen, als der Gegner im Flan- 
kenmarsche vor dem Flusse war, auf die geht der Kaiser der 
Franzosen frontal und einzeln vor. Er that mehr in Überwin- 
dung der localen Schwierigkeit als sein deutscher Gegner über 
sich gewann. Dies ist ein alter, wohlbekannter Scherz, der sich 
im Kriege öfters wiederholt. Die kriegsconventionelle 
Übereinkunft irgend einer Zeit decretiert, diese 
und jene und eine solche Örtlichkeit müsse der 
Krieg vermeiden, und thue er es nicht, so litte er. 
Wer es wagt, Hindernisse des Terrains, die allgemein als un- 
praktikabel angesehen sind, zu betreten und zu durchziehen, zerreißt 
die kriegsconventionelle Form und diese That, die nichts zu sein 
scheint als Energie und guter Wille, kann entscheidende Folgen 
nach sich ziehen , wenn sich der Gegner nicht zu ihr erhebt. 
Jedoch, das Ding ist nicht so crass, wie es hier der Deutlichkeit 
wegen leider dargestellt werden muss ; freiwillig und aus 
Unverstand fügt sich niemand der k ri egsco n v en- 
tionellen Form; man glaubt nicht nur zu derselben 
gezwungen zu sein, sondern es sind Umstände vorhanden, die 
mit hohem Ernste auf die Nothwendigkeit weisen, in der- 
selben wie bisher weiterzuthun ; wer sie überschreiten will, wird 
vorher — in der Regel — die Umstände, die zu derselben führen, 
heben müssen, wenn möglich unbemerkt. Dieses Hinausgehen 
über das, was als allgemein möglich und ausführbar im Kriege 
gilt, ist nicht stets, oder vielmehr fast niemals eine Improvisation, 
wie Hannibals und Napoleons Alpenübergänge in gewissem Sinne 
waren. Wenn, wie hier, kriegerischer Widerstand auf dem schwie- 
rigen Terrain erwartet werden muss oder zumindest erwartet werden 



Digitized by VjOOQIC 



- 294 - 

kann, so ist vorurtheilsloseres Thun in Hinsicht des Terrains wohl 
nur dann vernünftigerweise zu wagen, wenn man sicher zu sein 
glaubt der erheblichen eigenen Überlegenheit der Truppen im Ge- 
fechte um die örtlichkeit. Nie fast*war dies mehr der Fall, als eben 
jetzt bei Napoleon ; wir kennen ja die Kriegspraktik der deutschen 
Infanterie, die ebene, gerade Flächen suchte, um zu kämpfen und 
schwieriges Terrain vermied. Man wird mit Recht ungläubig fragen : 
Hat denn Napoleon all diese Details gekannt? Wie muss sein Denk- 
vermögen beschaffen gewesen sein, wenn er, wie man hier glauben 
machen will, alle Details sorgsam erwog? Wir wollen hier mit der 
Erwägung noch vorläufig genügsam sein, da in den Schlusssätzen 
davon geredet werden wird, und besser als es jetzt und hier 
geschehen könnte. Wir wissen wohl , dass der napoleonische 
Krieg sich über die Hindernisse und Schwierigkeiten des Ter- 
rains weit mehr hinwegzusetzen pflegte, als der alte, sparsame, 
wohlalignierte Krieg. Die Truppen des Empire kämpften in 
jedem Terrain ; das hat Napoleon gewusst , er kannte und 
würdigte den allgemeinen Zug, der sich aus dem 
Verachten von Terrainschwierigkeiten ergab. 
Dies setzt jedoch stets voraus, dass der Feldherr die nöthige Vor- 
sicht von Fall zu Fall angewendet haben müsse, indem er wohl 
erwog und sich immer frug, ob denn seine Truppen für alles 
und jedes geschickt und befähigt, ob denn die Schwierigkeiten 
nicht allzu große seien. Dem kann in einem großen Kriege nicht 
so sein. Der Feldherr, den Geist seiner Überlegen- 
heit wohl würdigend, erwartet und muss von 
seinen Unterfüh rern erwarten, sie handelten im 
Sinne dieser Überlegenheit; er kann sich mit den 
Einzelheiten nicht befassen, sondern verlässt sich darauf, die 
Wirksamkeit seines Systemes als solchen werde auch im Detail 
wirksam sein. In der That, es ist so. Welcher höhere Truppen- 
führer , der ein Gefecht eriebte, hat nicht die Wahrnehmung 
gemacht, dass er erst nach glücklichem Erfolge so 
vieles und manches erfuhr, das zum Erfolge bei- 
getragen hatte, weil es im angenommenen Sy- 
steme lag, und in dessen Sinne wirkte; so vieles 
und manches, was er selber im Augenblicke des 
Kampfes nicht voll und ganz und kühl durch- 



Digitized by VjOOQIC 



- 295 - 

dacht? Welcher Truppenführer hat es im Kriege nicht erlebt, 
dass ihm im nachhinein gemeldet ward, der oder jener seiner 
Untergebenen habe mehr gethan, als er erwartet hatte, und welcher 
Officier, der im Gefechte stand, kennt nicht das eigenthümliche 
Gefühl, da oder dort sei etwas zweckmäßig geschehen, und 
glücklich abgelaufen, das er nicht vorausgesehen, ja vielleicht gar 
nicht veranlasst hätte, wäre ihm die Lage der Dinge vorher 
bekannt gewesen? Das System, in welchem ein Führer zu 
kämpfen genöthigt ist, bringt ihm Tag für Tag seltsame Über- 
raschungen, die oftmals seiner Initiative sich gänzlich entziehen, 
an denen er keinen Antheil hatte, da er sie nicht vorhersah und 
befahl, weil er einfach nicht alles zu wissen und zu thun ver- 
mochte ; Überraschungen, sagen wir, denn es gibt auch solche 
unangenehmer Natur, die sich beim Schwächeren einzustellen 
pflegen, und die, von ihm nicht vorhergesehen, weil er nicht 
alles wissen konnte, erst nach und nach den Gedanken in ihm 
wecken, das System als solches tauge nichts, und keineswegs 
die Personen ; diesen Eindruck empfangt ein Feldherr oft ; und 
viele Feldherren vermögen sich ihm nicht zu entziehen, auch vor 
der Untersuchungscommission, wo sie Lob auf die Per- 
sonen und Schweigen, N i ch terklär e n auf die Vor- 
gänge häufen. Indess ist die Kriegsgeschichte da, um die 
Personen im nachhinein äußerst scharf zu packen, die der besiegte 
Feldherr — und der hätte wohl den meisten Anlass hiezu — nicht 
über sich gewann zu packen, wenn er ein Ritter und mit sich 
aufrichtig war. Indess, das sind die Schattenseiten, und hier haben 
wir Licht. Das Hinausgehen über das Erwartete ist — wie es 
hier geschah — oft ein Ausfluss besonders kriegerischen Geistes, 
der sich in gutem Willen manifestiert. Historisch fest steht, dass 
fast alle Führer der napoleonischen Armee zu jener Zeit — 1806 
— vom besten Willen beseelt gewesen sind, das Unmögliche zu 
versuchen. So konnte ihnen der Feldherr und Monarch manche 
Nuss zu knacken geben, deren Festigkeit er selber gar nicht 
kannte ; zu knacken war sie durch größere, noch größere 
Intensität in Anwendung des eben herrschen- 
den Systemsund nicht durch Felherrnkunst; jene 
hing vom guten Willen ab. Dieser war vohanden und manches 
gelang, was ein anderesmal gar nicht versucht wurde. 



Digitized by VjOOQIC 



— 296 - 

So sehr man sich bemüht, in der eigentlichen Sphäre der 
positiven Strategie, den Räumen, Zeiten, Zahlen zu verbleiben, 
stets drängt es uns von dem rein materiellen weg in jene Region, 
wo, wie wir glauben, das Wesentliche der Entscheidungen des 
Krieges liegt. Man werfe einen Blick auf die Karte und sei offen 
mit sich: Erkennen wir am Abende des 13. October mit aller 
Sicherheit, Napoleon werde siegen, und zwar doppelt siegen? 
Durchdrungen sind wir davon, es kann nicht sein. Aber wenn 
wir das Leben und die Natur der beiden Heere und ihre Vor- 
geschichte kennen, und die kennen wir, dann wohl begreifen wir, 
woher der Ausgang kam. Um uns nicht zu wiederholen, bitten 
wir, man möge sich aus dem Abriss der Operationen das Bild 
der Lage holen, wie es eben war. Nicht in der strategischen 
Lage, denn die war am Abende vor der Entscheidung an sich für 
Napoleon sehr prekär, liegt der Geist des Krieges von 1806, trotz 
allem, was man darüber schrieb und noch darüber schreibt. Er 
gipfelt von Napoleons Seite ganz einfach in dem Wunsche zu 
kämpfen, die Kräfte abzumessen, und die Strategie, welche jene 
Kräfte in der Nacht des 13. heranführt, konnte nur bestehen, 
weil seine Mittel eben stärkere waren. Nicht die 
Thatsache, dass er umging, dass er getrennt heranmarschierte, 
schien ihm Aussicht auf Erfolg, sondern die kindlich rohe Absicht 
seiner Mittel, in der That zu kämpfen, ihre ausgezeichnete Be- 
fähigung hiezu und die relative Sicherheit, mit der er solche 
Mittel strategisch exponieren konnte. 

Denn die Wissenschaft hat in gewissem Sinne völlig recht, 
wenn sie Napoleons strategischen Anmarsch zu den Schlachten 
tadelt. Die Wissenschaft erblickt sehr klar die Mängel jener Stra- 
tegie, die in dem Wunsche gipfelt, getrennt zu marschieren, um 
vereint zu schlagen, sowie die Gefahren, die sie — wenn man sich 
an die Mechanik hält — im Gefolge haben kann. Napoleon selbst 
zeigt jedem, der ein offenes Auge hat, in seinen Briefen an die 
Marschälle, wie gut und wie ganz er die Mängel und Gefahren 
seiner Strategie durchschaut. Sehr deutlich steht ihm das Be- 
wusstsein vor der Seele, dass Kriegsmittel, die man transportiert, 
und noch dazu relativ bequem transportiert, nicht augenblicklich 
schlagfertig sein können, besonders dann, wenn man sie rasch 
transportiert. Warum Raschheit und Bequemlichkeit, muss man 



Digitized by VjOOQIC 



- 297 — 

unerbittlich weiter fragen, wenn man die Wahrheit sehen will. 
Wo sind die Motive und wie heißen sie ? Warum fehlen sie dem 
Gegner? Wir berühren hier den springenden Punkt. Vor allem: 
Sie fehlen nicht dem Gegner, und er kennt und handhabt sie; 
doch in geringerem Maße. Dies thut er, weil er in der kriegs- 
conventionellen Form des XVIII. Jahrhunderts steckt. Der neue Krieg 
verstärkte nur die Raschheit der Action, und dies blieb dem Gegner 
in der Action füglich unbemerkt, nützte ihm die Erkenntnis hievon 
nicht, da er langsame Mittel hatte. Und nun Raschheit. Materielle 
Motive. Die eigene Armee ist ein fertiges Kriegswerkzeug, nichts, 
was ihr gleich an Wert ist, folgt ihr auf dem Fuße; sie kann 
durch Warten in der Inaclion sicherlich nicht besser werden. Der 
Gegner zieht noch immer tropfenweise Verstärkungen an sich; 
er ist nicht völlig versammelt, oder zum mindesten, es ist 
möglich, dass er es nicht sei. Wem kommt die Zeit zugute, die 
verloren wird, als jenem, der noch verbesserungsbedürftig ist? 
Diese Zeit darf man ihm nicht lassen. In dem inneren Unter- 
schied der beiden Kriegswerkzeuge, der im Principe Napoleon 
bekannt genug gewesen ist, liegt die deutliche Aufforderung für 
ihn, schnell zur Schlacht zu eilen. Jedoch im rein Materiellen — 
welches schon oft und viel erschöpfender als es hier geschehen 
kann, — gewürdigt worden ist, liegt der Antrieb zur Schnelligkeit 
nicht allein. Vor allem sprechen wir unumwunden aus, dass ein 
gewaltiges moralisches Motiv ihn zu derselben trieb. Es ist der 
Wunsch zu überraschen; das Streben darnach, durch den Über- 
fall dem Gegner die Zeit zu benehmen, deutlich zu sehen, 
zu erwägen, und sein eigenes Thun jetzt zu corri- 
gieren oder, wenn dies auch nicht, fürdieZukunft 
klare Lehren zu ziehen. Es kann kein Zweifel darüber sein , 
dass Napoleon vor allem deshalb so schnell zu kämpfen suchte, 
damit man die Art, wie er es that, nicht deutlich sehen 
könne. Dies will völlig ernst genommen sein. Wir sahen, wie die 
preußische Führung zusammenzuckte, welches Zucken auf die 
ganze Armee überging, als sie den raschen, rücksichtslosen Krieg 
zu ahnen begann, ohne jedoch zu erkennen, worin seine Stärke 
sei. Das ist Vorhand und Activität, die dem Gegner die Zeit zum 
Schauen benimmt , wovon noch immer ein weiter Weg zur 
Meditation und ein noch viel weiterer zur That ausgeht. Dann 



Digitized by VjOOQIC 



— 298 — 

waren Rücksichten mancherlei anderer Art für Napoleon maß- 
gebend. Die Schnelligkeit war schon eine Tradition in der franzö- 
sischen Armee; noch mehr war sie es im französischen Volk. 
Die berechtigten Eigenthümlichkeiten der gallischen Stämme passten 
vortrefflich für die Schnelligkeit, während sie für das Abwarten 
weniger passten. Löhnung und Verpflegung erscheinen auch 
daneben ; und im Hintergrunde steht der politische Gedanke, das 
Moment der Schnelligkeit, das in dem Heere stak, zum Zwecke 
des Krieges möglichst auszunützen; wie musste ein Feldzug 
von acht Tagen auf Europa wirken, das hat sich Napoleon 
sicherlich gesagt und deshalb beschloss er schnell zu sein. Be- 
quemlichkeit ist nun nichts, als ein Mittel zur Schnelligkeit. 
Alle strategischen Werke der gegenwärtigen Zeit suchen nach 
der besten Art und Weise, wie man durch das Nebeneinander- 
bewegen der Kräfte Zeit gewinnen kann. Heute erst ist die so- 
genannte Logistik des vorigen Jahrhunderts eine Wissenschaft 
für sich, die der Armeetechnik geworden. Hier, 1806, sehen 
wir das praktische Original. Das Leitmotiv desjenigen, der seine 
Kräfte parallel instradiert, ist Zeitgewinn, und dass er sie parallel 
instradiert, also im Räume theilt, das Mittel nur dazu. Es 
ist dies die grundlegende Idee, doch nicht die einzige. In den 
Kriegen des I. Kaiserreichs scheint sie uns geradezu die vor- 
herrschende gewesen zu sein. Der Grad der Bequemlichkeit, in 
der man sich bewegen kann, hängt, wie sattsam bekannt, von 
dem Straßennetze, der eigenen Kraft, der Entfernung vom Gegner, 
der innern Schnelligkeit der Heerestheile u. dgl. ab. Daher er- 
scheinen Bequemlichkeit und Schnelligkeit keineswegs als Gegen- 
sätze, sondern sie hängen innig zusammen und greifen an allen 
Orten in einander über. Wer schnell marschieren will, muss bis 
zu einem gewissen Grade bequem marschieren. Wir sahen die 
Gründe, warum Napoleon so schnell zu marschieren gedachte; 
vorherrschend war die Thatsache, dass seine Armee be- 
reits einmarschiert war; zu der Schnelligkeit mahnte 
der politische Zweck des Augenblickes; auf dieselbe wies die 
Natur des neuen Krieges, der rasch zu schlagen willens war, 
damit man nicht erkennen könne, w i e er schlug. Allein, was 
ist Schnelligkeit im Kriege? Siegt man mit ihr? Ist sie 
ein Axiom des Krieges? Napoleon operierte nicht jeder- 



Digitized by VjOOQIC 



— 299 — 

zeit schnell ; oft hat er gezögert und ist langsam verfahren. 
Werden wir in der Erwägung so einfach als nur immer möglich, 
und fragen wir: Wohin führt es, die eigenen Mittel besonders 
rasch an jene des Gegners zu bringen, wenn man nicht sicher 
ist der Überlegenheit im Abmessen der Mittel? Es scheint uns 
klar zu sein, dass Schnelligkeit im Angriffe vor- 
nehmlich dem ziemt, der feste Truppen hat, oder der im- 
stande ist, sie ehebaldigst fest zu machen ; gerade wenn sie nur um 
Nuancen stärker sind, so erhöht unter Umständen die Schnelligkeit 
ihre Stärke; während Schnelligkeit um jeden Preis, zu der man 
schwache Mittel zwingt, auflösend wirken kann. Doch genug 
der Theoreme. Schnelligkeit an sich, als Doctrin, ist nichts; sie 
ist nur ein Mittel für besondere Zwecke ; eine Form, die mächtig 
wirken kann , doch die sorgsam gehandhabt werden muss , um 
nicht die eigenen Mittel zu zerstören. Hier, 1806, waren 
Napoleons Mittel stärker, sie vertrugen Schnelligkeit, wie aus 
Vergleichung der Marschleistungen jener Tage mit denen von 
1870 deutlich zutage tritt; aber nicht nur die Schnelligkeit, auch 
die aus ihr fließende Bequemlichkeit in der Bewegung vertrugen 
sie jetzt, und konnten sie vertragen. Man sieht, es hängt hier 
alles in sich zusammen und nicht so sehr das Detaillieren als 
die Anschauung des Ganzen gibt das richtige Bild. In Napoleon 
überwiegt eben jetzt der Glaube, er und seine Mittel seien stark 
genug, um eine des politischen und kriegerischen Zweckes willen 
rasche Strategie zu vertragen, die wegen ihrer Schnelligkeit, rein 
militärisch angesehen, wunde Punkte weist. Es ist dies dieselbe 
Überlegung, die späterhin Moltke einmal gemacht und deren 
imposante Einfachheit die Wissenschaft auch heute noch nicht 
zu interpretieren versteht.*) Hier, 1806, erlaubt Napoleon seine 
ungeheure Überlegenheit — nicht an Zahl, sondern in 
der Natur derMittel — eine Strategie, die bei gleichen 
Mitteln eine Reihe offenbarer Mängel hat, die zu 
Unerwünschtem führen können. Das muss die Wissen- 
schaft bedenken und darnach urtheile sie. Sie muss sich zu der 
Anschauung erheben, dass die napoleonische Strate- 
gie ureigentlich aus der napoleonischen Taktik 



*) Kanngiefiers Werk über den Krieg von 1866, um nur eines von den zahlreichen 
Beispielen ähnlicher Art zu citieren. 



Digitized by VjOOQIC 



— 300 - 

kam, welche auch die Basis für alles war, was 
Organisation, Heeres -Verpflegung und dgl. an- 
betraf; ja dass die napoleonische Strategie ohne 
napoleonische Truppen ein Unding und undenk- 
bar ist. Das ist Zusammenhang von Taktik und Strategie im 
wahren Sinne des Wortes. Dies übersieht man viel und oft, ja 
man stellt die napoleonische Strategie oft geradezu als ein 
Muster hin, welches man als solches befolgen müsse; nur 
bei Überlegenheit der Mittel hat sie Napoleon befolgt, 
hatte er dieselbe nicht, so kehrte er, wie 1814, zu den ureigent- 
lichen Grundsätzen des XVIII. Jahrhunderts, dem Manöver, der 
Drohung, zurück. Hierin gerade liegt seine Feldherrngröße. Doch 
davon ein andermal. Hier, 1 806, in dem besonderen Falle. 
war die moderne Strategie gut, weil die Neuheit und Stärke der 
Mittel Hand in Hand mit ihr gingen ; sie war gut, weil sie zum 
Erfolge führte und dieser vorhergesehen und vorausberechnet 
war. Immer wieder kehrt man zum Gemeinplatze zurück, die 
Wissenschaft möge vorurtheilslos beim besonderen Falle bleiben, 
ohne allgemeine, abstracte Vorstellungen über die Vorgänge des 
Kneges, und besonders einer Kriegsepoche, zum Urtheil mitzu- 
bringen ; denn für den besonderen Fall taugen sie oftmals nicht, 
das heißt, sie können das Urtheil verwirren. Hier beispiels- 
weise kommt die Doctrin zum Schluss, Napoleon habe strate- 
gisch schlecht verfahren, und fragt man sie, warum er siegte, 
so zuckt sie die Achseln oder beruft sich auf des Corsen Glück. 
Dass nichts falscher ist, glauben wir gezeigt zu haben. Es kann 
aber auch verderblich sein für den, der den Krieg der Vergangen- 
heit studiert, um zu jenem der Zukunft gerüstet dazustehen. Bis 
zum äußersten, bis zur Plattheit, wenn es sein muss, gehe die 
Betrachtung und nichts lasse sie unerklärt. Sie hüte sich, das 
Glück, den Zufall, dort als Urgrund der Entscheidung anzuführen, 
wo ihr zu derselben der Schlüssel fehlt. Aus der einfachen Be- 
rechnung thue sie dies, dass man in Zukunft auf das Glück, den 
Zufall, nicht wird rechnen können. 

Wir nahmen wahr, wie von den ersten Tagen der Ver- 
sammlung der Armee die deutsche Führung, an der Hand der 
alten Strategie agierend, mit derselben in Widerspruch geräth. 
Wohl herrscht die Absicht, leitet der Gedanke, jedoch die Mittel 



Digitized by VjOOQIC 



— 301 — 

entsprechen nicht mehr. An diesem innern Widerspruch 
zwischen Wille und Vermögen — beides inner- 
halb der alten Form — leiden während der Opera- 
tionen Führung sowohl als die Mi ttel. Wer sieht nicht 
ein, wie Operationen strategischer Natur, die befohlen sind, und 
an der inneren Unzulänglichkeit der Mittel scheitern, verderblich 
sein und bleiben müssen für die Kriegshandlung als solche, 
welche durch sie gestört, getäuscht und enttäuscht, als für die 
Mittel, welche durch sie ermüdet und vorzeitig zerstört werden? 
An der innern Schwäche der preußischen Mittel, das heißt, an 
ihrer Wertveränderung gegen ehedem, keineswegs an ihrem 
Wertunterschied gegen die neuen Mittel, scheitern 
strategische Operationen aus der alten Schule im Keime schon; 
sie scheitern, sobald man sie überhaupt versucht und bevor man 
mit dem Gegner zusammentraf. Dies ist von allererster Wichtig- 
keit. Schon lange vor dem Zusammentreffen mit der neuen Kriegs- 
form des Gegners, also vor der zweiten Woche des October, 
klappert und knarrt die deutsche Heeresmaschine an allen Ecken 
und Enden, als sie, wie gleichsam nur zur Probe, in Gang ge- 
setzt ward. Wir haben hier nicht die Verpflegungsschwierigkeiten, 
Mängel in Befehlsertheilung und Befehlsempfang, die Abgänge 
der Etats und dergleichen vorwiegend im Auge: denn diese 
Dinge weist man mit leichter Mühe in jedem Heere nach, und es 
kommt vor, dass man sehr viel davon in einem Heere findet, das 
bald darauf siegreich war. Das Versagen des Geistes, der den 
alten Krieg beherrscht, wollen wir betrachten. Sehen wir, wie 
alle Operationen aus der alten Schule, wie Demonstration, Be- 
drohen der Verbindungen, insgesammt im Beginne schon sich 
als nicht ausfuhrbar erweisen, oder besser, nicht ausgeführt worden 
sind. Das Erkennen der Heeresleitung, der Geist des Krieges aus 
der alten Zeit, den man mit Absicht und im Bewusstsein seiner 
Stärke dem neuen Kriege des Gegners gegenüberstellt, versage 
im Beginne schon, ist von mehr Einfluss auf die Führung ge- 
wesen, als man gemeinhin glaubt. Alle Zögerungen, Schwan- 
kungen in Ertheilung des Befehles, alle Regungen nicht wohl an- 
gebrachter Selbstthätigkeit der Unterführer, und sohin das ganze 
strategische Thun floss aus der Rathlosigkeit her, in die man 
hinein gerieth, als man erkannte, die alte Form tauge nicht mehr. 



Digitized by VjOOQIC 



— 302 — 

Die unabweisbare Evidenz, der alte Krieg verfüge nicht mehr 
über die alten Mittel, führte zunächst zum Zweifel, was nun zu 
thun sei. Sogleich entsteht im ganzen Heer, im Arbeitscabinet des 
Feldherrn, der rathlos, im Biwak der Truppen, die muthlos werden, 
ein Widerstreit von heftigen Empfindungen. Hier steift ein Führer 
sich auf die alte Form, erklärt ihr augenblickliches Versagen bloß 
für accidentiell, proclamiert solches aus guten kriegspsycholo- 
gischen Gründen, und glaubt wohl gar selbst daran. Dort will 
ein anderer mit derselben brechen, um spontan zur neuen Form 
überzugehen, nach welcher er im Drange der Ereignisse vergebens 
hascht, sie gar nicht erkennt, geschweige denn sie zur That zu 
machen vermöchte. Ein dritter, kühl und skeptisch, glaubt und 
anerkennt den himmelhohen Unterschied in den Wirkungen von 
zwei Kriegsformen nicht , da die Ursachen jener verschiedenen 
Wirksamkeit ihm nicht so vor den Augen stehen können, wie 
uns, die wir die Elemente dieses Unterschiedes nachmals ge- 
mächlich aufgesucht. Kurz, es entsteht ein vielfaches Auseinan- 
dergehen in Denken und Gefühl, das jetzt, 1806, in der preußi- 
schen Armee aus uns bekannten Gründen nicht zögern wird, 
zur That zu werden. Damit ist dem Zufall, dem Accidentiellen, 
dem Unvorhergesehenen Thür und Thor geöffnet. In der That, 
es kann keine Lage im Kriege geben, die reicher ist an Er- 
schütterungen verhängnisvoller Art, als jene, wo die krieg s- 
con V entionelle Anschauung in*s Schwanken ge- 
räth. Jeder thut so ziemlich das, was ihm das Beste scheint, 
zwar mit dem besten Willen, doch bei jedem ist das, was er thut, 
verschieden von dem, was die andern thun. Man versteht die 
preußische Armee. Hier stößt Überzeugung eines Führers, der 
klarer zu sehen vermeint, als seine Kameraden, auf Zweifel und 
Rathlosigkeit und mit sich reißt er jene fort, ohne sie jedoch bis 
zur That zu führen, die er als die richtige erkennt, da sie, sich 
ihrer Pflicht erinnernd, bebend vor der Verantwortlichkeit, wieder 
zurückgeblieben sind. Hier ist der Moment, wo man sagen kann, 
ein Kriegsheer thue das Schlechteste, so es thun kann, allein es 
zögere und überlege nicht. Denn es ist nahezu unmög- 
lich für sterbliche Menschen, unter dem Donner- 
grollen eines beginnenden Krieges mit der ge- 
wohnten Vergangenheit zu brechen, und aus den 



Digitized by VjOOQIC 



— 303 — 

Wunden, die der Gegner rasch und unerbittlich schlägt, das was 
notthut, zu lernen. Man lernt im Kriege nicht, wenn es auch 
einzelne gethan ; man lernt zur Noth, was man unterlassen 
soll, wenn man gewitzigt wird, allein was zu thun, wenn man 
bedroht oder gar schon geschlagen ist, das lernt man nicht im 
Handumdrehen, wenn es auch einzelne gethan. Je schneidender 
der Gegensatz von zwei Kriegsformen ist, von denen die eine 
soeben erkennt, sie stehe nicht mehr fest auf altem kriegscon- 
ventionellem Boden, um zu erschrecken, als sie sieht, sie stehe 
plötzlich außerhalb desselben, desto erschrecklicher ist die Reaction 
für den sich schwächer fühlenden Theil. Daraus kann man den 
deutschen Feldherren jener Tage keinen Vorwurf machen, dass sie 
nicht, als sie erkannten, die alte Form tauge nicht mehr, spon- 
tan zur neuen griffen; sie hätten jetzt, in der zweiten October- 
Woche, die Principien des napoleonischen Krieges improvisieren 
sollen. Darauf laufen — unbewusst muss man wohl glauben — 
im Grunde alle Kritiken über diesen Krieg hinaus, welche Kri- 
tiken ausgerüstet sind mit Lehren, Doctrinen und Regeln, welche 
jahrelange Gedankenarbeit aus der napoleonischen Epoche müh- 
sam zog. Man thut dies und es ist nur zu oft geschehen. Wer 
solches verlangt, und wäre er der erfahrenste 
Soldat, beweist, dass er den Krieg und in letzter 
Linie die menschliche Natur nicht versteht. Mühe 
hat die Führung, die wohl vorbereitet und mit einer Fülle von 
Absichten und Gedanken auf den Kampfplatz tritt, sich nicht von 
ihrer Anschauung und von ihrem Thun abdrängen zu lassen und 
dies sogar, wenn sie andauernd glücklich ficht. Es ist fast nie- 
mals geschehen, dass die Führung, gezwungen, den ganzen 
Apparat an Wissen und an Wollen, den sie mitgebracht, als 
wertlos bei Seite zu legen, es verstanden hat, in so kurzer Zeit, 
als es hier nothwendig war, brauchbaren Ersatz zu schaffen. 

Vage Phrasen ! wird man sagen. Gut, erwägen wir. Was 
thut die deutsche Führung.? Sie hat einen Angriff geplant und 
sieht sich genöthigt, von demselben abzustehen, da ihr zu ihm 
die Zeit, die Kraft und die Gelegenheit fehlt. Sie befiehlt Opera- 
tionen in des Feindes Rücken und auf seine Flanke, von welchen 
sie glaubt, er werde empfindlich sein gegen sie, und der Feind 
kehrt sich an die Drohung ganz einfach nicht, während sie an 



Digitized by VjOOQIC 



— 304 — 

anderm Orte über den Versuch gar nicht hinaus gedeiht. Die 
Ursachen liegen hier wieder in Raum, Stärke, Zeit, zum Theile 
auch in der Indolenz von Führern, die echt preußisch war für 
die damalige Zeit; das heißt, die Intensität der Kriegshandlung 
war dazumal in Preußen nicht so hoch bemessen, wie im französi- 
schen Heer, was mit den inneren Verhältnissen des Heeres, Marsch, 
Lager, Verpflegung, innig zusammenhing. Jene Indolenz ist alsö 
nur rein militärisch zu verdammen, denn sie lag im Geiste der 
Zeit, die das Element der Ordnung auf dem Marsche um ein 
weniges höher ansetzte, als man dies heute thut ; an alle 
dem scheitern die einleitenden Operationen mit der Absicht zu 
drohen. Stets ist der Feind nicht dort, wo man ihn vermuthet, und 
da taucht er auf, wo es der preußischen Führung — als sich Napo- 
leons Vorgehen rechts der Saale ausgesprochen hatte — am wider- 
wärtigsten sein muss. Die Ursache liegt darin, dass die deutsche 
Kriegsmethode nicht zu schauen, nicht strategisch aufzuklären ver- 
stand, was mit der Kriegspraktik des XVIII. Jahrhunderts im Zu- 
sammenhange war, wo sich die Armeen sozusagen Rendezvous 
gegeben hatten, um sich zur Schlacht zu finden. Die Führung 
schwankt unter dem Einflüsse der verschiedensten Stimmen, die laut 
werden in der Gefahr, zwischen Angriff und Vertheidigung unent- 
schieden hin und her. Sie wagt jenen nicht und will sich doch mit 
dieser nicht bescheiden. Die Ursachen liegen außer in dem Tem- 
perament der verschiedenen Führer und dem Ansehen, somit 
dem Einfluss, den mancher von ihnen genoss, in dem natürlichen 
Bestreben einer Armee, wie die Preußens dazumal, offensiv zu 
werden, und der Evidenz, dass dies nicht möglich sei. Auf die 
Offensive verwies sie die Tradition und in die Defensive bannte 
sie das Bewusstsein nicht stark genug zu sein, um die Tradition 
zu wahren, welches Bewusstsein über Nacht hereingebrochen war, 
um noch stets zuwachsen. Das Hin und Her zwischen der Absicht, 
die Saale zu passieren und dem Verzicht darauf ist sehr natürlich 
bei einem Heer, das mit seiner Kriegspraktik und durch sie mit 
seinen Hoffnungen plötzlich gleichsam im freien Räume schwebte, 
und zunächst der Zeit bedurfte, um kriegstheoretisch Boden zu 
gewinnen, worauf dann die That nicht lange ausbleiben sollte. 
Das zu erklären, dazu braucht man die Charaktere der Führer 
nicht an den Pranger zu stellen, denn jeder von ihnen vertrat ja 



Digitized by VjOOQIC 



— 305 — 

nichts als eine von den Ideen, die sich aus derLage 
naturgemäß von selbst ergaben, bei dem einen aus 
der einen, bei dem andern aus einer andern Lage. Man lese die 
Correspondenz dieser schwergeschmähten Männer vor den Ent- 
scheidungstagen nach, da findet man, wie keiner von ihnen mit 
seiner Absicht an oberster Stelle kategorisch und bestimmt zurück- 
gewiesen wurde, sondern wie jede geäußerte Meinung eine ver- 
wandte Fiber im Hirne des obersten Führers berührte, die aus 
Ansehung der Lage schon von selbst zu schwingen anfing. 
Alles, was seine Unterfeldherren bewegte, empfand der Herzog 
von Braunschweig gleichfalls instinctiv ; er musste es empfinden, 
denn alles drängte sich in die Erwägung zusammen : Es geht 
nicht gut; was ist zu thun? Bleiben wir bei der alten Form? 
Entschließen wir uns zur neuen? Und wie sieht sie aus? In 
letzter Linie, drohen wir weiter, oder entschließen 
wir uns die Kräfte abzumessen? Gehen wir über die 
Saale und suchen wir die taktische Entscheidung, oder versuchen 
wir das Äußerste in Demonstration, das heißt Stehenbleiben in 
der Flanke des heranmarschierenden Gegners? Mit einerfi Wort, 
befehlen wir gewaltsam die Kriegspraktik des XIX. Jahrhunderts, 
stellen wir uns plump und mit deutscher Geradheit zur Schlacht, 
da doch die Lage von diesem Plane räth, oder bleiben wir weiterhin 
dem XVIIL Jahrhundert treu, um, schwächer, wie wir einmal sind, 
die Hauptschlacht noch immer zu vermeiden, oder wenigstens Orte 
(Saale-Barriere) zu gewinnen, die uns Schutz und Stärke geben? 
Das war die Lage; erkennen wir sie an. Es ist unendlich 
schwer, dieselbe mit wenig Worten präcis und doch historisch 
treu zu geben, wie denn in der subalternen Thätigkeit den Krieg 
zu schreiben, gar vieles äußerst schwierig ist. In großen Zügen 
zeigt uns indess der Depeschenwechsel zwischen Braunschweig 
und Hohenlohe thatsächlich dieses Bild. Der Fürst, gemäß seinem 
Charakter, will zum Kampfe eilen ; der greise Herzog, skeptisch 
wie er ist, schiebt und schiebt denselben immer auf Nicht sagen wir, 
er wollte einem Gefechte oder auch der Hauptschlacht überhaupt 
aus dem Wege gehen. Aber schon in dem Hinaus- 
schieben der Entscheidung, wobei man materiell 
und mo ral isch n ich t s zu gewinnen vorhersehen 
konnte, in dem Wunsche, sie zu meiden, solang es 

C. von B.-K. Zur Psychologie des großen Krieges IL 20 



Digitized by VjOOQIC 



- 306 — 

eben ging, scheint ein Cha rakte ristiko n des alten 
conventioneilen Krieges zu liegen, der von Friedrich 
vornehmlich das gelernt hatte, was er selbst nur 
als Zuthat, als Auskunftsmittel ansah und wozu er 
sich nur aus Nothwendigkeit e n t s c h 1 o s s. Geflissent- 
lich vermeiden wir, das Für und Wider zu erwägen, welcher der 
Plane mehr Aussicht auf Erreichung des Kriegszweckes bot. Uns 
lag daran zu zeigen, dass ein fundamentaler Gegensatz im 
preußischen Heere bestand zwischen zwei der hervorragendsten 
Fährer. Der eine drängte zur Schlacht; der andere wollte sie. 
wenn auch nur vorläufig, meiden. Der eine war, als der Gegner 
nahte, und da er ihm von Haus aus näher stand, zum Abmessen 
der Kräfte willig und bereit, während der andere, den unmittel- 
baren Eindrücken des Krieges entrückt, kühl hin und her erwog, 
da er wahrlich genug zu erwägen hatte, und, man sage was 
man wolle, bei der Schlachtenabstinenz seiner Lehrjahre verblieb. 
Natürlich gedachte er nicht ohne Schlacht den Krieg zu Ende zu 
führen. Aber das Vorwiegen des strategischen Gedankens, das 
Warten *auf eine Gelegenheit, die nicht erschien, geben, von allem 
Materiellen abgesehen, wahrhaft einen Typ des Krieges, der von 
dem Napoleons sehr verschieden ist. Beständig lag der Wille zu 
kämpfen mit der Frage, ob dies von Vortheil sei, in auffal- 
lendem Hader. Wir glauben gezeigt zu haben, dass der Mei- 
nungsgegensatz, den wir entstehen sahen, sehr erklärlich ist, ja 
geradezu als historisch nothwendig, als unvermeidlich angesehen 
werden muss. Die von verschiedenen Führern geäußerten An- 
sichten über das, was zu thun war, welche Ansichten zum Theile 
in Thaten Überflossen, waren nichts als Glieder in dem ge- 
waltsamen Ausgleichs p rocess, der sich unter der 
Hast und dem Drange einesKrieges zu vollziehen 
begann zwischen dem Willen zur alten Form und 
der vom Gegner aufgezwungenen Nöthigungzur 
neuen. Die Personen sind nichts als die Opfer, die eine alte, 
abtretende Zeit der neuen bringen muss. Sie sind es voll und 
ganz; nicht gewissermaßen, wie hie und da schüchtern an- 
gedeutet wird. Daher das Zerrissene, Schwankende, Widerspruchs- 
volle, Accidentielle, welches in diesem Kriege deutscherseits an 
nllen Orten wiederkehrt; der Mangel an Einheit der Ideen, durch 



Digitized by VjOOQIC 



— 307 — 

sie an Einheit in der Kriegsaction, gab dem Zufall Raum. So ist 
manches in einen logischen Zusammenhang scheinbar nicht zu 
bringen, was geschah; manches, bisher unerklärt, suchten wir 
zu erklären, wie den Wandel in Hohenlohes Anschauung über 
die Selbstbestimmung und Selbstthätigkeit, welche ihm zukam. 
Dieser Wandel ist nothwendig gewesen, und dass er im Fürsten 
entstand, ist — innerhalb gewisser Grenzen — nicht desselben 
persönliche Schuld. Wo, wie hier, die Wirkungen einer neuen 
Kriegsform des Gegners, welcher neuen Kriegsform Symptome 
man nicht genug gewürdigt hatte, weil sie für jene Zeit nicht 
klar am Tage liegen konnten, so auffallend erscheinen, da ist es 
eine Nothwendigkeit, dass der Mensch rathlos werde. An den 
obersten Führer stürmen Fragen und Vorstellungen heran, und 
dieser, eingedenk des militärischen Gesetzes, jeder 
Entschluss müsse wohl erwogen sein, zögert mit 
demselben, während sich der Unterführer Thätigkeit, denen nichts 
bestimmt befohlen wird , in zusammenhangslose , oft wider- 
sprechende Acte löst. Wie in jeder Thätigkeit des Menschen, so 
bedarf ganz vornehmlich im Kriege das Urtheil und der Glaube 
des Erfolges. Bleibt derselbe, wie hier, beharrlich aus, so muss ein 
Schwanken in der Anschauung zutage treten, wenn nicht der 
Führer, sowie Rüchel that, gewaltsam bei der mitgebrachten An- 
schauung verbleibt. Dieses Schwanken in der Meinung, was zu 
thun sei, diese bewegliche Procession von Hoffnung und Ver- 
zagen, von bestimmter Absicht und Rathlosigkeit nehmen wir 
in der Regel auch beim Sieger wahr. Hier, wo Preußen 
unterlag, hilft sich die Weisheit der Epigonen mit der billigen 
Lehre hinweg : der oberste Führer hätte einfach einen Entschluss, 
und wenn auch einen schlechten, fassen sollen. Das Beste 
sei der Feind des Guten, wird uns als Richt- 
schnur für unser Thun in einem solchen Falle, 
bündig h inge wo rfen. Wer als h 5h er e r Tru p p e n- 
führer im Kriege je einen Entschluss von Wich- 
tigkeit zu fassen hatte, und mit sich selbst 
nachher aufrichtig ist, wird zugestehen, dass 
solche Anhaltspunkte in einer Krise nichts be> 
deuten, nicht das Allermindeste. Denn, wenn der 
Führer sich zu entscheiden hat, da kennt er das 

20* 



Digitized by VjOOQIC 



— 308 — 

Gute noch nicht; es kreuzen sich im Augenblicke 
der Krise im Geist des Truppenführers die ver- 
schiedensten Gedanken als Reste von Studien 
über den Krieg, vorausgesetzt, dass er solche 
überhaupt machte; kaum denkt er daran, obiger 
strategischer Wei sheit zu folgen, so erinnerter 
sich des Satzes: jeder Entschluss müsse wohl- 
erwogen sein, und niemals dürfe ein solcher 
übereilt geschehen. Er zögert, muss es, kann 
nichts anders thun; und von den Eindrücken, die 
die vor schreitend e Handlung des Krieges in ihm 
erregt, hängt es ab, wozu er sich entschließt. 
Wer weiß nicht, mit welchem Gefühle ein Truppen- 
führer dann, wenn er sich entschlossen hat, die 
Ausführung beginnt, mit welcher steten Sorge, 
ob es doch das Rechte war, ober nicht etwage- 
fehlt; der Energie, die er entwickeln muss, beim 
einmal Beschlossenen zu bleiben, von welchem 
ihn wieder abzuziehen das wechselvolle Bild des 
Krieges nicht lange zögern wird? Nachsicht im U r- 
theil der Besiegten scheint erste Pflicht der 
Kriegshistorie zu sein. Denn mit der Abschreckungs- 
theorie erreicht man, wir behaupten dies, nichts oder nicht viel. 
Auf das Erkennen wirkt man nicht durch Schärfe der Krijik : 
denn diese ist unendlich leicht, und deswegen ist sie 
so oft und oft discreditiert. In einem so gewaltigen 
Rigorosum der Seele , wie es der Krieg erregt , hängt der 
Wille zum Entschluss beständig vom Erkennen ab , was 
das Beste sei. Wer nicht hinreichend erkannt und begriffen hat, 
kann ja verurtheilt werden ; aber sind wir davon erbaut, wenn 
wir hören, der und jener sei so beschränkt gewesen? Zeigen 
muss man, warum er nicht erkannte. Welchen Schluss 
zieht der, der Kriegsgeschichte liest, und welche Lehren aus dem 
Axiom, das man so häufig gibt : der Feldherr solle bei den Ent- 
schließungen, die er fasst, nichts zu Rathe ziehen, als die ge- 
sunde Vernunft? Unanfechtbar scheint dieser Satz zu sein 
und doch bedeutet er nichts, gar nichts, ist taub und 
hohl wie eine klingende Schelle und töne.ndes 



Digitized by VjOOQIC 



— 309 - 

Erz und ein Sacrileg am Ernste des Krieges. Denn 
seine eigene Vernunft hält der Feldherr stets für 
die gesunde, und er muss sie dafür halten; nach 
ihr handelt er; er hatte damals, als er hande Ite, 
das reiche Materiale nicht, aus welchem wir heute 
im nachhinein die für den zeitgenössischen Krieg 
geltende gesunde Vernunft construieren; abgesehen 
davon, dass sich niemand aus bösem Willen oder Indolenz seiner 
Vernunft begibt, und kein Feldherr die gesunde in einen Winkel 
seines Hirnes weist, um nach einer andern zu verfahren. Gesunde 
Vernunft anerzieht man nicht, und niemand von uns kann sagen, 
wie über das, was uns heute gesunde Vernunft erscheint, eine 
spätere Zeit urtheilen werde. Die Vernunft, die er besitzt, hält der 
Feldherr stets für die gesunde und nach ihr handelt er, bis ihm 
der Erfolg dies bestätigt hat, oder der Misserfolg ihn eines 
Besseren belehrt. Doch nein, nicht des Besseren. Niemand ist 
weniger imstande, über die Motive einer Nieder- 
lage Klarheit und Li cht zu geben, als der Feldherr, 
der sie erlitt. Allem, dem Zufalle, dem Unbekannten, kurz 
lauter Dingen außer ihm, schiebt der Besiegte die Ursache des 
Misslingens zu, da er nur ein Denkvermögen hat, und seine 
eigenen Fähigkeiten nicht vom Standpunkte des Lehrers und Mei- 
sters aus prüfen kann, wie dies ein Dritter vermag. 

Das Suchen nach dem richtigen Entschluss im Kriege ist 
wohl die erste Thätigkeit desjenigen, der im Kriege führt. Wir 
haben dargethan, dass dieses Suchen jetzt, in den Octobertagen 
des Jahres 1806, der deutschen Führung unendlich schwer, fast 
aussichtslos erscheinen musste. Die alten Mittel des Krieges ver- 
sagten und die neuen kannte man noch nicht, jene zu ersetzen. 
So ward lange kein Entschluss gefasst; der Oberfeldherr gelangte 
nicht zu demselben, so lange ihm noch freie Wahl dazu verblieb 
und ihn der Feind noch nicht in eine Situation versetzt hatte, wo 
Entschlüsse aus Verzweiflung reifen. Und will man, streifend an 
Aberwitz, den Monarchen schuldig sprechen, der nicht verbot und 
nicht befahl? Persönliche Veranlagung sowohl als Tradition wies 
ihn in diese Rolle. Auch nicht darin an sich liegt ein ewiges 
Gesetz des Krieges, dass der Monarch dem Feld- 
herrn blind vertraue, und alles, was dieser wünscht. 



Digitized by VjOOQIC 



- 310 - 

aus seiner Machtvollkommenheit wirksam und 
lebendig mache; dass er sich den Anschauungen 
des Feldherrn immer blindlings füge. Nicht im Prin- 
cipe liegt das Recept zu erfolgreichem Thun, es kann nur in den 
Personen, im Wissen und Wollen von Herrscher, Feldherr und 
Heer zu finden sein. Sah man nicht zögernde, zagende Führer, 
die ein Machtwort des Souveräns zum Siege brachte ? War 
Eingreifen des Monarchen in die bessere Überzeugung des Feld- 
herrn nicht auch schon vom Erfolge gekrönt? Wer die Kriegs- 
geschichte kennt, außerhalb der letzten 30 Jahre, wird Beispiele 
genug hievon finden. Nicht damit schlägt und ge- 
winnt man Schlachten, dass Monarch und Feld- 
herr vertrauend und gläubig zusammenstehen, 
sondern mit dem Kriegssystem, das man eben 
hat. Ist dieses ein ganz unzulängliches, wie hier, so wird 
die höchste Eintracht von Monarch und Führer 
nicht zum Siege führen, sowie dann, wenn das System 
besondere Stärke hat, jene Eintracht den Erfolg erleichtern, 
doch ohne diese Stärke niemals geben kann. Doch abgesehen von 
dieser Erwägung, so ist wohl klar, dass diese Eintracht nicht be- 
fohlen, nicht decretiert werden kann ; sie muss im Geiste der leiten- 
den Personen liegen, und von selbst entstehen, wofür eine Anwei- 
sung, wie es geschehen solle, wohl nicht zu finden ist. Entsteht 
das gegenseitige Vertrauen nicht von selbst, so kann der Geist 
der Zeit nur ein äußerliches Compromiss befehlen, das ohne Stärke 
ist, weil es allein die Form betrifft. Wenn wir, fortbauend aul 
den Erfahrungen aus neuerer Zeit, es zum Princip erheben, der 
Monarch dürfe im Felde nichts als eine Art Executivorgan des 
Feldherrn sein, und andere Feldherren als die einer neueren Zei: 
in anderen Verhältnissen nicht den Weg zum Siege gehen, so 
wird man in wenigen Decennien angeblich nicht 
verstehen, wie sich ein Monarch trotz besserer 
Erkenntnis zu solcher Rolle fügen gekonnt. Dann 
wird man ebenso blind nach dem Erfolge richten, wie man es 
heute thut. Nicht entfernt soll hier der Meinung Ausdruck ge- 
geben werden, als müsse der Monarch selbstthätig sein, und die 
Entschlüsse seiner Führer, bevor er sie zur That zu machen 
befiehlt, vor dem eigenen Geiste überprüfen; denn wir sind weit 



Digitized by VjOOQIC 



- 311 - 

entfernt davon, Recepte geben zu wollen. Nur zu zeigen streben 
wir, wie so manches Axiom des Krieges, das heute als unbe- 
stritten existiert, nur hervorgezogen wurde aus dem Erfolge einer 
ganz besonderen Zeit, von der niemand sagen kann, ob sie 
wiederkehren werde. Sah man einmal Fürst und Feldherr in auf- 
fallender Weise zusammengehen, oder glaubt man wenig- 
stens heute noch, dass dem so war, so ist das Urtheil 
sogleich bei der Hand, um dies flugs zu einer ewigen Regel des 
Krieges zu erheben und misst dem Princip an sich 
Giltigkeit und Stärke bei. Stets wird es abhängig 
sein von den Umständen der Zeit und den Menschen der Zeit. 
Beide fabriciert man gleicherweise nicht, ja die Gegenwart vermag 
sie gar nicht nach ihrem wahren Werte zu taxieren. 

Es ist historisch erklärt, dass Friedrich Wilhelm III. nicht 
urplötzlich zur Vorsehung und Allmacht emporgestiegen ist. Wohl 
geben wir zu, es musste nicht so sein; es würde uns füglich nicht 
unbegreiflich scheinen, wenn er es gethan ; wohl würden wir dies 
verstehen; sowie uns das Gegentheil sehr verständlich ist: Er 
nähme dann eben einen anderen Platz in der Geschichte ein. 
Aber fordern kann man von ihm nicht im nachhinein, was viele 
Decennien nach ihm erst zum System erhoben wurde. Man wird 
uns wohl entgegnen, der Gedanke, um den es sich hier dreht, 
sei ein sehr, sehr alter gewesen, und konnte vor Jena füglich 
auch bekannt sein. Wohl, er mag bekannt gewesen sein; doch 
herrschte er nicht vor; jede Zeit hat ihre Leitmotive, 
die nicht allzu zahlreich sind; denn sie nimmt aus den Erfahrungen 
des Krieges das hervor, was ihr für den Augenblick zu passen 
scheint, und lässt das Übrige für eine andere Zeit vorerst bei 
Seite liegen. So ist es in der That. Doch nicht zu viel dürfen 
wir Speculieren. Der Umstand, warum Friedrich Wilhelm III. 
eine so passive Rolle spielte, erklärt sich ganz einfach aus der 
schiefen Stellung, in der er sich befand, da die Tradition verlangte, 
er solle beim Heere sein, und er doch nicht Feldherr selber war, 
sondern nur gerade soviel Scharfblick hatte, um manches zu 
sehen, was offenbar nicht gut war. Dass ein Monarch, um den 
Feldherrn nicht zu stören, sich zum Schweigen resigniert, wo 
es seiner eigenen Macht und Herrlichkeit an Kopf und Kragen 
geht, ist einfach undenkbar; das kann keine Methode und kein 



Digitized by VjOOQIC 



- 312 — 

Geist der Zeit uns geben. Dies kann nur dann geschehen, wenn 
der Monarch dem Feldherrn blindlings vertraut, und 
nicht allzu scharfe Augen hat, um Gefahren zu sehen; verein- 
bar ist dies nur mit ganz besonderen Eigenschaften in Fürst. 
Feldherr und den Umständen der Zeit. Nur für diese kann es 
vernünftig sein. 

Ziehen wir die logischen Schlüsse aus der Betrachtung, 
wie der fühlbar werdende Unterschied der Kriegsform, den man 
nicht genug gewürdigt hatte, auf Entschluss und Thun in diesem 
Kriege nach allen Seiten hin auflösend wirken musste, und wen- 
den wir diese Schlüsse auf die Ereignisse des Krieges an. so 
stellt es sich heraus , dass die kriegsgeschichtliche 
Betrachtung hier unendlich vorsichtig und in- 
dulgent sein muss, will sie vernünftig bleiben. 

Die Theorie des Krieges verfügt über eine solche Masse 
verschiedener Glaubenssätze, merklich und unmerklich nuancierter 
Regeln, dass es dem einfachsten Geiste nicht schwer fallen kann. 
auf die überlieferten Vorgänge des Krieges je nach Bedarf und 
Wunsch eine derselben zu passen. Es scheint fast, als ob der- 
jenige, der nichts als Kriegsgeschichte, eine trockene Relation 
dessen, was geschah , gelesen hat, den Krieg eher verstehen 
werde, als an der Hand und beeinflusst von der Theorie, deren 
Handwerk, die Kritik, in Ansehung der überreichen Mittel, die 
ihr zu Gebote stehen, ein wahrhaft leichtes ist. 

Die deutsche Führung hat im großen Ganzen nichts ge- 
than, als abgewartet, um zu erkennen, was zu thun sei. 
Daher die Katastrophe von Saalfeld des Prinzen Louis Ferdinand, 
der, beeinflusst von Hohenlohe, nicht warten wollte. Daher 
der endliche Rückzug an's linke Saaleufer und die Versammlung 
der Armee. Daher die Scheu, neuerdings und offensiv über die 
Saale zu gehen, welche Scheu noch unterstützt und vermehrt 
worden ist durch die kriegsconventionelle Anschauung des XVIII. 
Jahrhunderts über die Passierbarkeit von Flussthälern und 
Brückendefileen. Daher mit einem Wort das Mechanische der 
Strategie bis zum Abende des 13. October. Diese Strategie hatte 
bisher noch keine Todsünde begangen; nicht endigte sie in oflfen- 
barer Aussicht zu unterliegen. Man hatte sich ja nur auf die 
Defensive resigniert, die Clausewitz für die stärkere Form an- 



Digitized by VjOOQIC 



— 313 — 

sieht, und welche Anschauung — wenigstens in taktischen Din- 
gen — man heute, gestützt auf das Wort eines Feldherrn von 
außerordentlicher Gestalt , gläubig wiederholt. Nochmals , die 
Stellung, wie sie war, ist durchaus nicht so gewesen, dass man 
sagen könnte, sie musste zum Verderben führen, — Daher der 
Glaube, der Gegner müsse von Süden kommen, indem man ihm 
die Kühnheit, an der eigenen Stellung vorbeizugehen, nicht zu- 
getraut hat; eine ganze Reihe sachlicher Fehler hat , wie be- 
kannt, dieser falsche Glaube erzeugt. — Daher das jähe Er- 
schrecken im deutschen Hauptquartier, als man erfuhr, Napoleon 
habe bereits umgangen. Ein charakteristisches Zeichen ist dieses 
Erschrecken für den Krieg, den man eben kämpfte. Die deutsche 
Kriegsform , die so vorwiegend auf das Manöver , auf die 
Drohung, als ein Mittel zur Kriegsentscheidung rechnet, wird 
starr vor Schrecken, als sie sieht oder zu sehen glaubt, der 
Gegner wende die Drohung gegen sie selber an. Sie ist unendlich 
empfindlich gegen Umgehungen, das lag im Geiste des XVIII. 
Jahrhunderts und musste in ihm liegen; während sie sich zur 
Anschauung „wer umgeht ist selbst umgangen" infolge der Un- 
zulänglichkeit der eigenen Mittel nicht erhebt. Daher die Thei- 
lung der Armee am 13., man wusste nicht mehr, wo ein und 
aus. Alles, was vom 13. October an auf deutscher Seite ge- 
schah, entzieht sich ganz und gar einer abfalligen Kritik. Denn 
keiner von uns, die wir kritisieren, davon kann man wohl 
durchdrungen sein, hätte die Fähigkeit gehabt, das Richtige zu 
treffen. Nicht sagen, was zu geschehen hatte, wollen wir, es 
ist genug an dem , zu sehen , was geschah und unterlassen 
wurde. Und dann, der Entschluss war von Seite der deutschen 
Heeresleitung, gemäß dem virtuellen Bilde, das man vom Gegner 
hatte, nicht unbedingt zu tadeln; er bewegte sich im Geiste jener 
Zeit. Erstaunlich viel und eifrig wurde noch gedacht, bis man 
zu dem Entschlüsse des Abmarsches und der Deckung desselben 
durch Hohenlohe kam; wir bitten, nachzulesen, was wir dort über 
die Qualität des Entschlusses vom 13. gesagt; für eine Maßregel 
der Verzweiflung war er noch auffallend wohl durchdacht. 

Durchdacht mit dem Material an Nachrichten, die man eben 
besass; sie waren falsch und mangelhaft und es ist bekannt, 
warum dies war. Die strategischen Augen fehlten der preußi- 



Digitized by VjOOQIC 



- 314 - 

sehen Armee. Ersichtlich ist, dass man der Führung Vorwürfe 
strategischer Natur wohl nur dann wird machen können, wenn 
sie ihre Mittel innerhalb der Anschauung ihrer 
Zeit in einer Art verwendet hat, die unzweck- 
mäßig war. Hier fehlten jene Mittel zum Theile ganz und gar. 
Und in der Luft hängt jedes Raisonnement, das man an der Hand 
der gegenwärtigen Strategie hier thut. 

Wir sahen, wie Napoleon beständig die taktische Entscheidung 
suchte. Wir nahmen wahr, wie die Heerführung Braunschweigs 
sich endlich doch zur Energie erhob, Hohenlohe, der seinerseits 
der Schlacht zustrebte, in die Defensive gleichfalls zu ziehen. 
Diese Defensive schien nun keine schlechte gewesen zu sein. 
Die Führung wich vorerst noch immer einem Kampfe aus. 
Wir sahen, wie in den Gefechten, die vor dem 14. geschahen, 
die Franzosen immer Sieger blieben und keineswegs durch Über- 
legenheit an Zahl, sondern durch die Art zu kämpfen. Wir 
fühlten im Getriebe und Gehaben des deutschen Heeres die Keime 
der Entmuthigung, welche die Erfahrungen von Schleiz und Saal- 
feld geweckt, bedenklich und gefährlich wachsen. 

Die deutsche Führung theilt endlich ihre Kräfte, um Raum, 
Zeit und Gelegenheit zum Rücktransport zu gewinnen. 

Nun zwingt Napoleon am 14. October auf zwei verschiedenen 
Schlachtfeldern zur taktischen Action, als sein Gegner, eben im 
Begriffe sich dieser zu entziehen, auf dieselbe nicht vorbereitet 
ist und an sie nicht glaubt. 

Wir wissen, dass dort, wo Napoleon selbst angriff, die 
Führung auf Gefechte gefasst war, Gefechte immerhin defensiver 
Natur, mit dem Zwecke, zu erhalten, doch immerhin Gefechte, 
wenn auch keine Hauptaction ; während bei Auerstädt ernster 
Widerstand des Feindes nicht erwartet wurde, und man diesen 
Widerstand im ersten Augenblicke auch nicht für ernst ansah. 

Wir kennen das Zahlenverhältnis, die Localität und wissen, 
dass eine Überraschung, ein Überfall, ein Anpacken im Marsche, 
den Franzosen auf keinem Punkte gelang ; sondern dass sich erst 
allmählich förmliche Schlachten entwickelten , Schlachten , die 
anzunehmen gewissermaßen im freien Entschlüsse der preußi- 
schen Führung lag. Mit einem Wort, es ist weder bei Jena, noch 
bei Auerstädt zu sehen, dass der Stärkere den Schwächern einfach 



Digitized by VjOOQIC 



- 315 - 

abthut, ob dieser wolle oder nicht. Denn da wie dort entschloss 
sich die deutsche Führung selbst zum Kampfe. 

Nur die Scholastik kann behaupten, dass der Umstand, 
zum Schlagen genöthigt zu sein, an sich schon zur Niederlage 
führen müsse; obwohl gerade heute durch die herrschende Doctrin, 
man nehme niemals das Gesetz des Gegners an, der Boden für 
jenen Glauben vorbereitet ist. 

Man überschätze nicht den Begriff, der sich hinter der 
Terminologie „Initiative, Vorhand'' birgt. Derselbe ist in der 
Regel nichts als ein rück wirken der Refl e x vom 
Erfolge, dem sich der Leser der Geschieh te nur 
schwer entziehen kann; er i st didak tis ch, doch 
kriegshistorisch ist er nicht. In der Regel ist die „Vorhand" 
zur Action eine nichts und alles sagende sprachliche Figur, welche 
der Kriegsschriftsteller aus dem verfügbaren Materiale compiliert 
und, wohlgemerkt, dem didaktischen Zwecke zu Liebe, nur dem 
Sieger zuschreibt. Dass sowohl Sieger wie Besiegter beide vor der 
Entscheidung sowohl Vorhand als Nachhand zu haben glaubten, 
und der eine enttäuscht, der andere wahrhaft überrascht wurde, 
lässt sich mühelos an so manchem Beispiel des Krieges beweisen; 
man denke an Scherer, den sein Sieg bei Loano geradezu perplex 
gemacht hat, da er nichts weniger erwartete, als dass er siegen 
werde; man denke an das Erstaunen des Marschalls d'Estrees als 
er bei Hastenbeck erfuhr, dass er gesiegt. Für 1806 denke man an 
die Fanfaronaden preußischer Generale, man denke an die Sieges- 
zuversicht Braunschweigs sowohl als Hohenlohes in den einleiten- 
den Phasen der Schlacht, die jeder schlug. Die Stimmungen, die der 
Krieg erregt, wechseln sehr oft, und so schneidend contrastieren sie 
in derselben Seele, dass ein billig denkender Betrachter zu dem 
Schlüsse kommen muss, Hoffnung und Muth lo sigkeit 
seien auf beiden Seiten in der Regel annähernd 
gleich vertheilt; in der Regel, sagen wir, denn Ausnahmen 
kommen vor ; doch sind dies Ausnahmen und in der Mehrzahl der 
Fälle wird auf beiden Seiten dieselbe Fülle an Hoffen und Verzagen 
nachzuweisen sein. Dies sagt uns eine kriegspsychologische Me- 
thode, die aufrichtig mit sich selber ist und sehr wohl weiß, dass 
man in die Kriegsgeschichte die schwarzen Punkte im Seelen- 
leben des Siegers — didaktischen Zwecken zuliebe — nicht oft 



Digitized by VjOOQIC 



— 316 — 

aufzunehmen pflegt. Nun, für jetzt, 1806, sind solche schwarze 
Punkte moralischer Natur auf Napoleons Seite füglich nicht nach- 
zuweisen. Jedoch, zu psychologisch werde die Betrachtung nicht: 
bewegt der Geist den Krieg, so wurzelt er doch in dem Ma- 
teriellen des Krieges und kommt aus demselben her. Der Glaube 
Napoleons , er werde siegen, der umgab den Landgrafenberg in 
der Nacht des 13./14. October nicht mit Wall und Graben gegen 
den Gegner zu; zu naiv würde die Betrachtung werden, wollte 
man dies zugestehen. Er rechnete sehr materiell auf die Artillerie, 
die er heraufgebracht, auf die festen Truppen Lannes, auf die 
Scheu der Preußen, in der Nacht zu kämpfen und noch vieles 
andere mehr; man sieht, dass der Glaube Napoleons an den 
Sieg vor allem aus der Überzeugung von der Güte seiner Mittel 
floss, und nur durch sie bestand ; wir nehmen wahr, dass das, 
was die Wissenschaft in Napoleons Thun , Initiative, Vorhand" 
nennt, für diesmal, 1806, aus dem Glauben, seine Mittel 
seien überlegene, floss. Die Vorhand ergibt sich 
hier von selbst; sie ist beim Feldherrn eine Folge- 
erscheinung des Vertrauens in sich und seine Mittel, 
auf Erfahrung und Realitäten basiert, doch ein 
Motiv, das ist sie nicht; man kann sienichtum 
ihretwillen befehlen; ohneGefühl der Überlegen- 
heit ist sie nichts und kann sie nicht bestehen. In 
der Regel, muss hier natürlich eingeschaltet werden ; denn es 
gab Fälle, wo die Initiative um ihretwillen da war, ohne Rück- 
sicht auf die Mittel, gleichsam instinctiv; sie ist mitunter Aus- 
fluss des Gemüths der Feldherren und nicht Product des Calcüls; 
sie garantiert nicht den Sieg und muss nicht vor der Niederlage 
schützen ; denn die werden durch die Mittel herbeigeführt 
Mollwitz, Solferino (nach der bisherigen Kenntnis) ; — Austerlitz 
(Alexander) , Champeaubert, Montmirail-Etoges — sind sehr be- 
lehrende Beispiele hiefür. Hier, 1806, bestand sie durch den 
Glauben an die Mittel. Die taktische Action wird von Napoleon 
in einer Weise eingeleitet, die — rein militärisch betrachtet — 
verurtheilt werden muss ; denn sie erscheint ganz einfach tollkühn, 
sie ist auch in der That nicht nachzuahmen ; aber verstehen 
muss die Kriegsgeschichte auch das Außerordentlichste, damit sie 
dem Adepten zeigen kann, wohin er unter gewissen Bedingungen 



Digitized by VjOOQIC 



- 317 — 

gehen darf und soll. Die auffallende innere Stärke von Napoleons 
Mitteln gestattete ihm hier ein Experiment, wie er es am 13. 
abends wagte, oder vielmehr nicht wagte, sondern wohlberechnend 
unternahm. 

Nachdem wir so das geistige Fluidum „Vorhand" im Kriege 
— denn ein geistiges ist es doch wohl — in Napoleon genügend 
festgestellt, verlangt die Geschichte, wie sie einmal mit ihren That- 
sachen unverrückbar feststeht, das Gleiche auf Seite des Gegners, 
nur mit dem andern Motiv, der „Nachhand" zu thun. Nicht leicht 
wird dies sein; denn allzu nahe liegt es, dass sich die Erwägung 
in reiner Moral verliert, oder an dem Materiellen des Krieges un- 
fruchtbar kleben bleibt, wenn man concret sein will. Bei Hohen- 
lohe wird die Nachhand wohl nichts gewesen sein, als der Be- 
fehl, den er erhielt, dem Kampfe auszuweichen. Er, der Fürst, 
seine Seele, seine Individualität waren mit dem Streben nach der 
Vorhand im Kriege, nach Initiative, Activität wahrhaft überfüllt, 
wie es sein strategisches Thun schon früher und sein taktisches 
am 14. bewies. Er, für seine Person, dies stellt sich aus der 
Correspondenz mit dem Hauptquartiere heraus, fühlte sich nicht 
bedroht; nichts lag im Blicke dieses Feldherrn, das an die gar 
oft romanhafte und doch so oft geglaubte Vorahnung des Un- 
glückes im Kriege gemahnt. Wir müssen, wenn wir das, was 
ihm an Vorhand fehlen konnte, finden wollen, auf Realitäten 
gehen. Nun denn: Der Fürst war mit sich selbst in Wider- 
spruch gerathen, in eine wahre Coilision von Wunsch und 
Pflicht, von Entsagung und Begehren. Es leuchtet ein, wie 
verderblich es werden kann, wenn eine Natur wie diese, nach- 
dem sie heute nach dem Befehl — in unserem Falle die Defen- 
sive — verfuhr, morgen, der Eingebung des Augenblickes folgend, 
geradezu das Gegentheil von dem beginnt , worauf sie vorbe- 
reitet war. Wir wissen aus der Darstellung der Ereignisse, dass 
dies hier der Fall gewesen ist, und erklärt worden ist, dass 
der Entschluss des Fürsten, offensiv zu werden, sehr verständ- 
lich scheint. Inconsequenz und zweckbewusstes 
Ändern derEntschlüsse und durch sie des Thuns 
Hießen in dem Geiste desjenigen, der vor dem 
Entschlüsse steht, so eng zusammen, dass er 
wahrhaftig nicht erkennen kann, wo die Grenze 



Digitized by VjOOQIC 



- 318 - 

liegt;*) wozu von beiden er gelangen wird, das kann nur 
der Erfolg darthun, den er jetzt, vor dem Entschlüsse ja 
noch gar nicht kennt. Ein kräftiger Entschluss sei das Höchste 
im Kriege, sagt man uns! Nun wohl, an hunderten von Bei- 
spielen weist man leichtlich nach, wieder kräftigste Ent- 
schluss zum Verderben führte; nicht die Art, wie 
wir zu unserm Thun gelangen, nicht der Weg 
des Wollens und Erkennens, der zur That uns 
führt, wirkt im Kriege auf den Gegner, sondern 
diese selbst, und oft ist die Frage , wie sie entstanden 
sei, praktisch ohne Belang;**) deutlicher; ein Entschluss, unter 
Zögern , wider Willen , zagend gefasst, der den Truppen Ge- 
legenheit gewährt, vortheilhaft zu kämpfen, wirkt, wo der un- 
richtige, um jeden Preis kräftige Entschluss, wenn er die Mittel 
übel ansetzt, wirkungslos und verderblich bleiben kann. Dass der 
Entschluss kräftig sein müsse, ist ein vages Wort, das ebenso 
wenig besagt, als dass er wohlerwogen oder aber, dass er ver- 
nünftig sei; alle diese Abstractionen, sobald sie didaktisch sind, 
verwirren nur, wenn sie nicht ganz dem praktischen Zwecke 
versagen. Demjenigen, der vor einem Entschlüsse steht, glei- 
chen Inconsequenz — ein Schreckbild — und 
zweckb e wusste Modification — eine Verlockung 
— beide auf ein Haar; wer den Krieg erlebt hat, wird dies 
verstehen, und wer ihn einmal erleben wird, wird zugestehen, 
dass hier an dieser Stelle die Wahrheit gesagt ist über den 
Entschluss im Kriege. Bedenken wir diese Wahrheit, so kann 
man füglich aus der Lage des Fürsten keine andere Lehre 
ziehen, als die wohlbekannte alte Lehre, ein Feldherr könne 



•) Wie beispielsweise der arme Grouchy am 17. Juni 1815. Siehe den hochdramati- 
sehen Bericht hierüber in Charras, Hisioire de la campagiie de 1815, 348. 

•*) Der Leser wird finden, wir gingen hier zu weit; wohlan, man lese einmal nach in 
der Kriegsgeschichte, wie es sich mit dem kräftigen Entschlüsse und dessen Gegentheil ver- 
hält! Man lese beispielsweise, wie Eugen und Marlborough zum Entschluss der Schlacht 
von Audenarde gediehen: während Marlborough verzagte, riss Eugen ihn fort! Feldzüge des 
Prinzen Eugen von Savoyen (Geschichte der Kämpfe Österreichs), X, 330 ff. Man lese, um 
eine uns näherliegende Zeit zu betrachten, in einer der Chroniken der Freiheitskriege nach, 
wie die siegreichen Feldherren, und zwar Blücher, Bülow, ihre Entschltlsse fasstenl Und 
welches Schwanken und welches Zagen und welche »Fehler" am Morgen von Katzbach und 
Dennewitz stattgefunden haben! Förster, Preußens Helden, V, (Befreiungskriege), 662 ft. 
Sporschil, Freiheitskriege, II, 199 iT. einstweilen als Belege; denn wir gedenken, falls es die 
Umstände erlauben, ein andermal über den Entschluss im Kriege und umfassend zu 



Digitized by VjOOQIC 



— 319 - 

niemals zu argwöhnisch sein, wenn es nicht viele Lagen wieder 
gäbe, die das gerade Gegentheil beweisen und äußerst laut er- 
heischen. Nochmals, den Krieg so zu schreiben, wie er wirklich 
ist, scheint unendlich schwer. Es gibt keinen, aber auch gar 
keinen Satz, den die Kriegstheorie aufstellt, — und sei er noch 
so allgemein gehalten — der nicht an der Hand eines oder 
mehrerer Beispiele des Krieges widerlegt zu werden vermag. Bei 
allen Schlüssen, die unter der Feder des Kriegsschriftstellers ent- 
stehen , sollte er stets und immer hinzufügen „im allgemeinen, 
gewöhnlich, in der Regel ist es so". Um nur das Nächste aufzu- 
greifen, wohin wäre Davout gekommen, wenn er bei Auerstädt 
argwöhnisch verfuhr.' Doch nehmen wir den Satz und dessen 
Tendenz als richtig und ersprießlich an, so muss zugegeben 
werden, dass man einem Feldherrn Argwohn, Bedächtigkeit füg- 
lich nicht lehren kann. Manche Individualität glaubt noch vor- 
sichtig zu handeln, wenn andere meinen überkühn zu sein. Hohen- 
lohe gewann eben in den Morgenstunden des 14. die Anschauung, 
bei einem Angriffe wage er füglich nicht viel und so griff er an; 
denn um die Schlacht zu verlieren begann er sie wohl nicht. 

Es läge also der Grund, weshalb Jena für Preußen eine verlorene 
Schlacht gewesen ist, vornehmlich in des Fürsten Charakter, 
wäre somit accidentiell; denn wo stand im Buche des 
Schicksals geschrieben, Hohenlohe müsse am 14. 
hier Feldherr sein? Die Geschichte zögert nicht, obiges 
anzunehmen und in einem Athem ruft sie aus, bei 
Jena verlor de rDraufgänger die Schlacht, während 
bei Auerstädt die Vorsicht unterlag. Sehr billig ist ein 
solches Urtheil nicht. Es scheint, was schwerer wiegt, — wir sagen 



reden. Das eine wird man indess hier schon zugestehen: der Besiegte sieht die leisen 
Schwankungen, die ihn vor dem ungltlcklichen Entschlüsse bewegten, von der Geschichte 
als Langsamkeit und Schwäche des Entschlusses aufgefasst. Von ganz demselben Seelen- 
vorgange im Sieger spricht die Geschichte nicht, oder sie sagt, er überlegte reiflich. Der 
Sieger, der sich rasch entschloss, wird angestaunt, und dem Besiegten, der schnell und 
kräftig mit sich in's Reine kam, dem wirft man Halsstarrigkeit und Mangel an Einsicht vor, 
^ie etwa Napoleon für seinen bewundernswerten Entschluss am Abende des 18. Juni 1815! 
l&t dem nicht so? 

Und dann — jede Zeit, und die Wissenschaft jeder Zeit hat ihre Leitmotive und 
Terminologien. Heute herrscht in Hinsicht des Entschlusses der Wunsch und der Gedanke 
vor, derselbe möge rasch und kräftig sein, während in der Zeit vor Jena — man Über- 
züge sich hievon — die Wissenschaft vor allem darauf hielt, dass derselbe wohler- 
^•ogen sei. 



Digitized by VjOOQIC 



— 320 — 

es mit voller Überzeugung — nicht logisch geschlossen , nicht 
richtig zu sein. Die Wahrheit ist ganz einfach die: War das 
preußische Heerj enerTage dem Gegner nicht an 
Zahl erdrückend über legen, wie Peter etwa bei 
Pult a wa wa r,*) so führte es Elan so wenig als 
Zögern und Vorsicht zum Siege. Wohl scheint die Indi- 
vidualität des Führers auf die Entscheidungen des Krieges von 
höchstem Einflüsse zu sein ; doch hier setzt eine Gedankenreihe 
an, die nicht genügsam unterbrochen werden darf. Nicht die 
Individualität des Führers bringt allein die Entscheidung, sondern 
vereint mit dem Thun der Mittel ; je gleichartiger die beider- 
seitigen Mittel sind, mit einem Worte, je conventioneller der 
Krieg augenblicklich ist, desto mehr wird hinter der 
Gleichheit der Mittel die Individualität des Feld- 
herrn sichtbar und durch sie wirksam sein. Je un- 
gleichartiger jedoch die Mittel sind, je mehr die einen den andern 
als überlegen angesehen werden müssen, desto mehr liegt 
die Entscheidung des Kampfes eben bei den Mitteln 
und dieses Verhältnis kann sich soweit verschieben, dass 
keine Individualität des Führers die Ungleichheit 
der Mittel ausgleichen kann, das heißt, in ihnen 
merkbar wirksam werde; ein grobes Beispiel, damit man 
sich verstehe: Wird die Individualität eines Zuluhäuptlings, der 
gegen eine britische Truppe in den Kampf tritt, irgend wirksam 
sein? Wird Initiative, Energie des Häuptlings irgend etwas auf 
die Seele seiner Leute vermögen, gegenüber dem europäischen 
Gewehr ! Entschieden nein. Aber die Individualität eines euro- 
päischen Führers, der mit etwa gleichen Waffen und mit etwa 
gleicher Kampfesart der britischen Truppe entgegengeht, die wird 
hervortreten, und kann entscheidend sein. Es gibt eine Un- 
gleichheit der Kriegsmittel, die durch nichts aus- 
zugleichen ist, nicht einmal durch die Indivi- 
dualität eines gottbegnadeten Führers. Viel wiegt 
im Kriege, die Seele des Feldherrn, aber man vergesse über dem 
Feldherrn seine Mittel nicht. Nur insofern als sich der Geist des 



•) Joh. B. Schels gibt (Schlacht von Pultawa, Wien, 1842, 12 £f.) das Verhältnis der 
Russen zu den Schweden wie 3 : 1, während es sich bei „Sarauw, FeldzQge Karls XII." 
270, wie 4 : 1 stellt. 



Digitized by VjOOQIC 



- 321 - 

Führers in dem Thun der Truppen ganz und gar manifestiert, 
dieses Thun Fleisch und Blut von seinem Geiste ist; wenn 
der Kampf der Truppen völlig den Absichten der Führung ent- 
spricht, sich mit ihnen deckt; wenn der Wille der Führung sich 
bis in die Seele jedes Füsiliers ganz und voll erstreckt, dann 
kann man sagen, der Löwenantheil der Entscheidung lag beim 
Führer. Ein solches Harmonieren, innerhalb der Grenze, welche 
durch die Wirklichkeit gezogen ist, kommt äußerst selten vor 
und wo es vorkommt, ist es ein Product gegenseitigen Ver- 
trauens, in gemeinsamen Erfolgen erprobt; indess es kommt 
niemals vollkommen vor. Wenn Truppen und Führer sich in 
dieser Weise nahestehen, dann kann man wahrhaft im Erfolge ein 
Verdienst des Führers und sein Verschulden in der Niederlage sehen ; 
er hat das Werkzeug, das ihm willig und völlig gehorchte, gut 
oder übel geführt. Wenn und wo dies nicht der Fall gewesen 
ist — und es ist fast nie der Fall gewesen — da zwingt Nach- 
denken zu dem Schlüsse, dass Verdienst und Schuld 
gewissermaßen getrennt und auf beiden Seiten 
liegen; entweder die Truppen corrigieren durch ihr Thun rein 
militärische Fehler, die der Führer begeht, oder sie brechen unter 
diesen Fehlern zusammen. Dies wieder soll kein Schema sein, 
sondern nur Extreme, zwischen denen die Wirklichkeit in tausend 
Nuancen abgetönt erscheint. Man könnte wahrhaft Bände mit 
der Betrachtung füllen : dass das Kriegswerkzeug der 
Absicht des Feldher rn fast niemals soentspricht 
und entsprechen kann, wie jener es erwartete. 
Ersichtlich ist, dass nur die Analyse, wie Verdienst und Schuld 
in Führer und Truppen vertheilt war, zu einem billigen Ur- 
iheile führen kann. Oft, fast stets, wir sagen es mit Überzeugung, 
klammert sich das Urtheil vorwiegend an die Führung und hält 
sich nur an diese, ja, hält dies für wissenschaftlich, correct, exact, 
genau ; nichts kann ungenauer sein ; der complicierte, schwan- 
kende, wechselvolle Charakter, den der Krieg trägt und immer 
tragen wird, der muss in seinem geschichtlichen Abbilde klar er- 
kennbar sein. Wir wollen somit, absehend von der Wissenschaft, 
für 1806 ganz naiv die Grenze aufzufinden suchen, wo die Schuld 
der Führung in die Schuld der Mittel überzugehen begann. Doch 
wird dies erst nach endgiltiger Betrachtung der Schlachten mög- 

(:. von B.-K. Zur Psychologie des großen Krieges II. 21 



Digitized by VjOOQIC 



- 322 - 

lieh sein. Hier sei, um Hohenlohes „Nachhand" festzustellen, aber- 
mals gesagt: Der Fürst befand sich in einem inneren Wider- 
spruche, indem ihm Passivität befohlen, und er selbst zum An- 
griffe geneigt war; seine Truppen, wahrlich von denen kann man 
sagen, dass sie zur Vorhand nicht geneigt gewesen sind, nach 
allem, was bisher geschehen war. Doch was ist die Stim- 
mung der Truppen als solche? Manches Regiment, das im 
Biwak entmuthigt murrte , benahm sich brav , als es zum 
Kampfe ging. Wechselnder als die Seele der Armeen ist auch 
die öffentliche Meinung nicht. Und dann, wo ist der Führer. 
der sich bloß durch Rücksicht auf die Stimmung der Truppen, 
sobald sie noch geschlossen, geordnet, brauchbar zum Kampfe 
sind, von einem solchen, den er für aussichtsvoll ansieht, abhalten 
lassen wird? Man überschätze auch die truppenseelischen Mo- 
mente nicht; denn flüchtig können sie zuweilen sein, wie eitel 
Wind. In unserem Falle hier wird ein anderes Raisonnemeni 
wohl mehr am Platze sein. Entsprach das Materielle der Truppen, 
über die Hohenlohe gebot, besser der ihm befohlenen Veilheidi- 
gung, oder dem Angriff, den er wünschte ? Waren sie mehr zu 
jener oder zu diesem materiell geeignet und local bereit? Befand sich 
der Fürst dann, wenn er sich zum Angriffe entschied, im Wider- 
spruch mit seinen Mitteln, von denen er mehr begehrte, als sie zu 
leisten fähig waren, und konnte er dies irgend vorher wissen ? Hier 
wird die Betrachtung des so unendlich wichtigen Zustandes von 
Feldherr und Armee vor der Entscheidung unendlich compliciert und 
nur mit Mühe bannt man die Fülle an Erwägung in eine räum- 
lich angemessene Form. Es ist bekannt, dass Hohenlohe der 
Oflfensivkraft seiner Truppen sehr vertraute , ja in ihr das tak- 
tische Compensationsmittel strategischer Missgriflfe sah ; noch am 
Abende des 13. October beherrschte und vielleicht mehr als je 
den Fürsten der Gedanke, im Angriff sei der Preuße unerreicht. 
Wir begreifen sofort, wie er die Idee, aus seiner gezwungenen 
strategischen Defensive gelegentlich einen offensiven Schlag her- 
auszuthun, in sich verborgen weitertrug. Wir nehmen ur- 
plötzlich beim Fürsten die Vorhand hinter der 
scheinbaren Passivität, den Hintergedanken unter 
erzwungener Unthätigkeit wahr. Mit einem raschen 
Griffe ist der Fürst gerichtet, wenn man darauf verweist, seine 



Digitized by VjOOQIC 



— 323 — 

Truppen seien 24 Stunden später im Angriff unterlegen, er habe 
geirrt, sich über ihre Offensivkraft getäuscht. Doch wer von uns 
wird glauben, in ähnlicher Lage kalten Blutes den Gedanken an 
das einzige Rettungsmittel, das noch verblieb, aufgeben zu können, 
in unserem Falle die taktische Offensive ? Man erkenne vorur- 
theilslos, dass es Dinge im Kriege gibt, über die einzig und allein 
der Versuch, die Probe, das Wagnis, mit einem Worte der Erfolg 
das Urtheil sprechen kann ; dass es Principien gibt, deren Wert- 
bestimmung nicht im vorhinein aus der Erwägung, sondern 
im nachhinein vom Schlachtfelde geholt sein will, aus zahllosen 
Gründen. Wer wollte sich vermessen zu verlangen, Hohenlohe 
hätte, weil er genöthigt war, strategisch defensiv zu verfahren, 
jeden Versuch grundsätzlich von sich weisen sollen, die in der 
preußischen Armee großgezogene taktische Offensive dann, wenn 
sie ihm günstig schien, endlich zu versuchen? Günstig erschien 
dem Fürsten die Gelegenheit, als er zum Angriff schritt, nicht 
wusste er, dass sie ungünstig war. Wahrlich, man versteht 
Hohenlohe völlig, ja wohl, ganz und gar, und desto völliger ver- 
steht man ihn, je mehr man den Krieg und seine Bedürfnisse 
selbst versteht. Wir sahen, wie er die Vorhand noch immer auf 
seiner Seite zu haben glaubte; es stellt sich nun heraus, warum ; 
am Tage liegt, dass dieses warum erklärlich und verständlich ist. 

Von der Vorhand der Hauptarmee sprechen wir füglich 
nicht; denn nur an Abmarsch dachte sie, und nur ein Mittel 
zum Abmarsch schien ihr zunächst der Kampf zu sein, den sie 
mit Davout begann. 

Wir sahen, wie bei Napoleon die Vorhand materiell zur 
That ward durch sein Verfahren in der Nacht des 13./ 14. October. 
Wir sahen, wie dieselbe bei Hohenlohe gleichsam in Bereitschaft 
blieb, während sie, wie aus der Darstellung bekannt, in der Auf- 
stellung und Bestimmung seiner Truppen nicht wohl zum Aus- 
dnick kam. Diese befanden sich eben in einer Art von Provi- 
sorium, aus welchem sie der Wille des Feldherrn zum Angriffe 
und zur Abwehr gleicherweise rufen konnte, während sie doch 
— nach unserer heutigen Kenntnis — für beides gleich wenig vor- 
bereitet waren. Gleichwohl legen wir Gewicht darauf: Auch 
Hohenlohe glaubte die Vorhand zu haben; wie 
es denn überhaupt den Anschein hat, als ob die Vorhand im 

21» 



Digitized by VjOOQIC 



— 324 - 

Feldherrn fast stets so lange vorhielte, bis sein Heer auf regel- 
loser Flucht begriffen ist. Man denke nur an Mack und an 
seine felsenfeste Überzeugung, er handle initiativ !*) So sehen 
wir, wie mit der Terminologie „Vor- und Nachhand* für die 
Praxis, die zukünftige Praxis des Krieges wahrhaftig nichts ge- 
sagt ist. Denn kein Feldherr, von dem man nachmals sagte, 
ihm gab der Gegner das Gesetz, hat dazumal daran ge- 
glaubt, er empfange es; wäre dem so, so wäre das 
Kriegführen leicht Stillschweigende Vorbehalte hat auch Gyulai 
in der Lomellina gemacht und meinte sie ernst und glaubte an 
sie. Und in der That, nicht die Nachhand ist es, 
die einenFeldherrn in's Verderben führ t, sondern 
der Umstand, dass er eben weniger Vorhand als 
der Gegner besitzt, weil er beide nicht im Kriege 
vergleichend nebeneinander stellen kann, da ihm 
die des Gegners fehlt. Hierin liegt, soweit die Abstrac- 
tion überhaupt lebensfähig ist, Philosophie des Krieges; wohl ist 
sie, bis zur Einfalt fast, aufrichtig mit sich selbst; allein, es 
scheint, als ob sie geeignet sei, zu erklären. 

Doch zu Concreterem. Die taktische Entscheidung ist nun 
endlich da. Wir wissen sattsam, dass Napoleon diese gesucht 
hat, bewusst seiner Stärke, wie er war. Wir sehen, wie über- 
liefert ist, dass die deutschen Führer im Augenblicke, da ihnen 
die Schlacht aufgezwungen wird, plötzlich wieder Hoffnung fassen. 
Jene siegesfrohe Stimmung des greisen Herzogs vor Hassen- 
hausen, sowie jene Hohenlohes vor Vierzehnheiligen, wollen wir 
die, souverän herniedersehend auf die beiden Männer, für den 
Ausdruck der zweckbewussten Heuchelei, des Galgenhumors 
oder aber der wahren Überzeugung halten.? Genug, feststeht, 
dass unter dem Donner der Kanonen Feldherr und Armee sich 
wieder fanden ; es steht fest, dass die Truppen willig zum Angriffe 
schritten ; dass die Führer aller Grade befriedigt waren, als man 
sah, es komme nun doch noch zur taktischen Action. Das alte 
Preußen Friedrichs erwachte für einen Augenblick und erinnerte 
sich, dass es Aug' im Auge mit dem Gegner fast stets im Vor- 
theil blieb. Alles hielt dafür, die taktische Action werde für die 

*) „Ulm und Austerlitz" von Moritz v. Angeli. Mitth. des Kriegsarchivs 1877, kann 
geradezu als ein Stück hoher Schule für Tnippenführer angesehen werden. 



Digitized by VjOOQIC 



— 325 — 

bisherigen Fehler der Strategie entschädigen; man fühlte den 
Boden wieder unter sich, auf welchem man stärker zu sein 
glaubte. 

Wir constatieren dies aus dem Quellenmaterial, um noch 
einmal zu zeigen, es sei kein ewiges Gesetz des Krieges, dass 
die Nachhand, einem Kriegsheer aufgezwungen, Böses fortzeugen 
müsse, und somit bis auf das Schlachtfeld wirksam sei. Wohl 
ist wahr, dass keine der beiden deutschen Armeen mit der Ab- 
sicht in den Kampf getreten ist, eine entscheidende Schlacht zu 
schlagen, und dass von einer Zahlüberlegenheit nirgends etwas 
bekannt war. Dennoch kann diese relative Bereitwilligkeit von 
Führer und Truppen zum Kampfe nicht genug gewürdigt werden ; 
denn kommen konnte sie bis zu einem gewissen Grade nur aus 
dem Glauben, dass man im Gefechte stärker sei. Und wenn 
man uns erinnert, dass die preußische Strategie, wie wir es 
bisher stets behaupteten, die Schlacht vermeiden wollte; und 
uns somit des Widerspruches mit uns selber zeiht, so ant- 
worten wir nur, dass derjenige, der das menschliche Herz 
versteht, auch seine Widersprüche kennt, Wider- 
sprüche, die der Krieg in Masse erregt und die 
sehr erklärlich sind; hatte die unsichtbare Ge- 
fahr bisher zum Zögern geführt, so ermannte man 
sich, als sie sichtbar wurde! Das freudige Ein- 
gehen auf den Kampf zeigt uns keinen Wechsel 
des Systems in der deutschenKriegspraktik, son- 
dern im Grunde nichts, als die Befriedigung, die 
man empfand, als man sah, der Gegner nehme 
auf seine Schultern die Sorge und Gefahr, zur 
taktischen Action zu kommen, und zwar, wie es 
der Führung augenblicklich schien, unter un- 
günstigen Bedingungen für ihn. 

Wir haben bereits über die Mechanik beider Schlachten 
gesprochen. Wir kamen zu dem Schlüsse, dass bei Jena Hohen- 
lohe unterliegen musste, weil ihn falsche Nachrichten des Haupt- 
quartiers über den Gegner zu unrichtiger Vertheilung der Kräfte 
brachten; und dass bei Auerstädt der Sansculottismus des 
Corps Davout den Sieg davongetragen hat über das ökonomische 
Verfahren der preußischen Generale, nachdem der Herzog ver- 



Digitized by VjOOQIC 



— 326 — 

wandet worden war. Wir fanden zwei verschiedene Motive, 
warum Preußen an beiden Orten unterlag, und dass diese Motive 
vermeidlich waren, mithin sozusagen zufällige Ereig- 
nisse die Entscheidung gegeben haben sollen, erscheint und muss 
uns jetzt unwahrscheinlich erscheinen, da nicht zugegeben werden 
kann, das Glück verbünde sich im Kriege ausschließlich dem 
Sieger und verlasse ganz den, dem es die Niederlage bestimmt. 
Je näher eine Kriegsepoche ist, desto mehr hält man in den 
Entscheidungen dieser Epoche das Glück für ein Agens im 
Kriege, und nur sehr allmählich führt Erkennen dahin, die ehedem 
nicht sichtbaren Ursachen beständig gleicher Wirkungen an's 
Tageslicht zu ziehen. 

Immer uns erinnernd, dass 

Napoleon die taktische Action von Haus aus suchte; 

die deutsche Führung vor derselben zögerte und schwankte, 
um sie endlich doch freudig anzunehmen, als sie unvermeidlich war, 

fassen wir das Wahrgenommene zusammen. 

In beiden Schlachten tritt neben und außer den Nach- 
wirkungen der Strategie in der taktischen Action, 

den Principien Offensive-Defensive, 

der Individualität der Führer, 

dem Verhältnisse an Zahl, 

dem Gefechtszwecke, 

dem Geist der Truppen, 
und vielfach unabhängig, in seinen Wirkungen gleichsam losge- 
löst davon, mächtig hervor 

der Unterschied der Kampfform 
beider Armeen. 

Man muss hier unerbittlich sein. 

Bei Jena garantierte die einleitende Strategie Preußen eine 
Niederlage; bei Auerstädt war's umgekehrt. 

Bei Jena glaubte Hohenlohe den Gegner schwächer, als 
er thatsächlich war, bei Auerstädt überschätzte die deutsche 
Führung denselben. 

Bei Jena überging Preußen aus der Vertheidigung zum An- 
griff, bei Auerstädt griff es an und ward dann defensiv. 

Bei Jena wiegt vor der Elan in der Person des Fürsten, bei 
Auerstädt die Vorsicht und Ökonomie. 



Digitized by VjOOQIC 



— 327 — 

Bei Jena steht Preußen zu Frankreich, wie 1 : 2, bei Auer- 
städt ist's umgekehrt. 

Bei Jena soll geliefert werden und wird geliefert ein Arriere- 
gardegefecht, bei Auerstädt ein Durchbruch nach vorn. 

Bei Jena sowohl als Auerstädt bewährte sich der Geist der 
Truppen gut, bis mit dem ersten Schritt zum Rückzug eine förm- 
liche Panik begann. 

Dies ist der, beiden so verschiedenen Schlachten 
gemeinsame Zug: 

Bei Jena befindet sich Napoleon infolge seiner Strategie in 
einer Lage, die ganz besondere Festigkeit der Truppen heischte, 
wollte er die zur taktischen Entscheidung nothwendige Überzahl 
anstandslos zur Stelle schaffen ; bei Auerstädt Davout desgleichen. 
Bei Jena weiß Napoleon nicht, was ihm gegenübersteht, bei 
Auerstädt Davout desgleichen. 

Bei Jena greift Napoleon von allem Anfang an ; bei Auer- 
städt Davout vor und nach dem Höhepunkte des Gefechtes des- 
gleichen. 

Napoleon trägt bei Jena die Maske, die wir kennen. Davouts 
Individualität tritt, da er in Napoleons strenger Schule gebildet 
war, nicht viel anders hervor, als in der Richtung, auf 
die der napoleonische Krieg eben wies, nämlich 
Initiative, ja Sanscuiottismus im Gefechte. 
Das Zahlenverhältnis ist bekannt. 

Der Geist der Truppen ist, soweit sich dies erkennen lässt, 
hier wie dort so ziemlich der gleiche gewesen. 

Dies ist ein Schema ; obwohl es ein solches ist. so glauben 
wir dennoch, es liege der Geist des Krieges von 1806 darin. 
Man wird zugeben, dass es — soweit dies in der Kürze mög- 
lich ist — den Kern der Sache, das heißt die kriegshistorischen 
Thatsachen getreulich wiedergibt. 
Es gilt nun zu erklären. 

Zum allergrößten Theile ist dies bereits geschehen. 

So gilt es, die letzten Striche an dem Gemälde zu thun. 

Wenn wir vorurtheilslosen Blickes aus den eigenthümlich 

verwickelten Verhältnissen, denen wir hier begegnen, die, beiden 

Schlachten gemeinsamen Züge loszulösen suchen , so stellt 

es sich heraus, dass sie nur einen gemeinsam tragen, somit 



Digitized by VjOOQIC 



- 328 — 

logischerweise nur dieser eine als Urgrund der Entscheidung 
angesehen werden kann : die im Principe gleiche Art, wie man 
dort und hier gekämpft hat, und ganz besonders der elementare 
Kampf. Der Unterschied der Taktik, der ragt als einziges ge- 
meinsames Symptom aus den auffallenden Gegensätzen hervor, 
welche beide Schlachten in ihrer Vorbereitung und in ihrer 
Führung im Großen weisen. In der That, wir müssen sagen : 
führte die strategische Vorgeschichte von Jena zum Verderben für 
das deutsche Heer, so gelangte es bei Auerstädt trotz guter stra- 
tegischer Vorbereitung der Schlacht zum gleichen Resultate; un- 
terlag Preußen da wie dort, weil es nichts vom Gegner wusste, 
so siegte jener, trotzdem er sich in gleicher Unkenntnis be- 
fand; also liegt die Ursache wohl tiefer; nicht Offensive oder 
Defensive, die in beiden Schlachten seltsam vermischt erscheinen, 
führten — insofern sie Principien waren — den Ausgang her- 
bei, sondern Frankreich siegte und Preußen unterlag mit und 
in denselben Principien; die Ursache muss eine andere 
sein ; nicht weil Hohenlohe ein Draufgänger und der König ein 
Cunctator war, unterlag ein jeder, sondern trotzdem sie ver- 
schiedenen Sinnes waren ; die Ursache muss außerhalb der Per- 
sonen zu suchen sein ; nicht weil Preußen bei Jena schwächer 
war, unterlag es hier, denn läge die Entscheidung bei der Zahl, 
so musste es bei Hassenhausen siegen; der Urgrund muss 
auch hier ein tieferer sein; nicht weil man nach Norden 
durchzubrechen willens war, unterlag man bei Auerstädt, während 
man bei Jena auch geschlagen wurde, wo man abzuwehren sich 
entschloss ; die Gründe müssen innerliche, wesentlichere gewesen 
sein. Und endlich, wir schreiben es der alten preußischen Armee 
zu ihrem Ruhm und Preis, aus vollster Überzeugung, nicht von 
irgend einer Tendenz geleitet, sondern der Wahrheit wegen, die 
zum Erkennen der Natur des Krieges führt, nicht darf die Nieder- 
lage dem Mangel an Kriegsmoral der Truppen zugeschrieben 
werden, sondern sie unterlagen eben trotz ihrer Kriegsmoral. 
Wir verzichten hier, um die logische Geschlossenheit der 
Erwägung zu bewahren, auf die weitere Ausführung aller dieser 
Details, die ein ganzes Buch erfordern würde. Es liegt 
am Tage, dass, wo in denselben Stunden nur 
wenige Meilen von einander entfernt zwei Kriegs- 



Digitized by VjOOQIC 



- 329 — 

beere des einen Theiles von zwei Kriegsheeren 
des andern so völlig besiegt werden, wie es hier 
geschah, man bis zum Äußersten gehen muss, um 
darzuthun, dass nicht zufällige, von den augen- 
blicklichen Abwandlungen der kriegerischen 
Lage erzeugte Umstände entscheidend gewesen 
sind, sondern dass die Gründe tiefer liegen müssen, 
dass sie seit ge räum er Zeit scho n in den Mitteln 
des Krieges gelebt. 

Mit einem Wort, wir glauben — obwohl wir sicher sind, 
damit auf Widerspruch zu stoßen — dass nicht die Strategie, 
nicht die Ungewissheit der Gegner über einander, nicht das 
Princip Angriff oder Vertheidigung, nicht die Individualität der 
Führer, nicht die Zahl auf beiden Seiten, nicht die Tendenz 
des Kampfes — jedes einzeln oder alle vereint vorwiegend als Er- 
klärungen für den Ausgang heranzuziehen sind, indem leichtlich 
wahrzunehmen ist, dass Preußen, wenn es in diesen Dingen 
hier im Nachtheil war , doch dort den Vortheil hatte , sowie 
Napoleon seinerseits auf günstige und Davout auf fast aussichts- 
lose Vorbedingungen des Kampfes traf Rein militärisch ange- 
sehen gleicht sich Gunst und Ungunst des — Kriegsglückes, sagen 
wir, um irgend etwas zu sagen — am 14. October morgens auf 
beiden Seiten aus. Und da wir wahrnehmen, dass Preußen 
trotzdem so völlig unterlag, so bleibt nur anzunehmen, dass 
es wohl zu einer anderen Zeit, an einem anderen 
Orte, unter anderen Verhältnissen gleicherweise 
unterlegen wäre, solange seine Kriegsform und 
seine Kriegsmittel dieselben blieben, welche am 
14. vernichtet worden sind. 

Denn diese Mittel und diese Formen versagten überall, unge- 
achtet der Art, wie man sie verwandte, durch Minderzahl 
und trotz Überlegenheit, kurz, in allen Fällen und in jedem 
Stücke. 

So culminirt — unbeschadet der Wahrnehmungen von Stärke 
und Schwäche in kriegspolitischer, strategischer, kriegspsycho- 
logischer Hinsicht, die wir vor dem 14. October gemacht — die 
Entscheidung dieses Krieges vornehmlich, nicht ausschließlich, wir 
wissen es wohl, doch vornehmlich in der taktischenAction. 



Digitized by VjOOQIC 



— 330 — 

Alle anderen Wahrnehmungen, die aus dem Unterschied der beider- 
seitigen Taktik organisch sich ergeben und, von der elementaren 
Kampfform aus rückschreitend, die beiderseitige Strategie bis zur 
beiderseitigen Politik durchziehen, verblassen mehr und mehr, da 
sie sozusagen Zusätze sind, und so spitzt sich die Frage, wo- 
her der Ausgang kam, bis zu dem Punkte zu, wo wir die beiden 
Gegner Aug* im Auge sehen. 

Dieses Resultat scheint heute, da man gläubig proclamiert, 
das Abmessen der Kräfte im Kriege sei einzig vernunftgemäß, 
die Hauptschlacht mit der Hauptmacht des Gegners ehrlich und 
plump zu suchen, der erste Zweck im Kriege, ein Gemeinplatz 
zu sein. Allein, für jene Zeit war dies nichts weniger als ein 
solcher, und jene Zeit betrachten wir. 

Und so schließen wir die Frage, woher der Ausgang in 
letzter Linie kam, in die Betrachtung der taktischen Action, die 
von Napoleon begierig gesucht und von seinen Gegnern ge- 
zwungen aufgenommen wurde; viel sprachen wir bereits davon; 
so wollen wir nun schließen. 

Wir wollen gründlich sein. 

Lösen wir aus den Erscheinungen des Kampfes vom 
14. October alles Unvermuthete, alles Zufällige, alles Nebensäch- 
liche ab, so bleibt als oberstes Princip in der taktischen Action, 
wie sie Preußen übte, jene Ökonomie der Kräfte zurück, jenes 
Sparen und Schonen des Truppenmaterials, welches wir aus 
den Verhältnissen der preußischen Monarchie in die Politik, in 
die Strategie, und von dieser auf das Schlachtfeld verderblich 
dringen sahen. Das ist der geistige Extrakt von der mecha- 
nischen Erscheinung, wie man niemals alle Kräfte zur tak- 
tischen Action vereinte, wie man überstarke Reserven zurück- 
behielt, wie man nacheinander kämpfte, da man beständig 
hoffte, mit dem engagierten Theil schon stark genug zu 
sein. Wohl hat die Kriegsgeschichte recht , wenn sie uns 
belehrt, dass die zu weit entfernte Aufstellung der preußi- 
schen Reserven auf dem falschen Flügel Davout den Sieg er- 
möglicht hat; doch muss sehr h inzu gefügt w erden, 
wieso und woher dies kam, warumes so geschah; 
und nicht der Mangel anEinheit imBefehl, hervor- 
gerufe n durch ein acci den tielles Ereignis, B raun- 



Digitized by VjOOQIC 



- 331 — 

schweigsVerwundung, darf als Lückenbüßer an- 
geführtwerden, wo wir Typen sehen. Da wir die- 
selbe Erscheinung in allen Gefechten erblicken, so muss sie ein 
gemeinsames Merkmal der preußischen Schule, ein Glied ihres 
Systems, somit speci fisch und keineswegs accidentiell gewesen 
sein. Der mechanische Urgrund der fortwährenden Niederlagen 
ist, jedermann erkennt dies an, das Zurückstellen zu starker 
Kräfte gewesen; zuviel Ökonomie der Kräfte; Geiz mit der Kraft. 
Wir sahen, dass er aus den Verhältnissen des Staates floss und 
überdies historisch war. Jedoch genügt dies, um eine völlig 
unzureichende Form zu erklären; können wir wohl glauben, 
Preußen behielt sie , trotzdem es ihre Mängel kannte ^ bloß aus 
Pietät und Gewohnheit bei, behalf sich mit derselben, da es 
nicht Energie genug besaß, Neues an ihre Stelle zu setzen , da 
dieses Neue entschieden kostspielig war? Die Kriegsgeschichte 
schreibt der Indolenz in Preußen diese Unterlassung zu. Jedoch 
es scheint, als ob dies nicht völlig richtig sei. In einem Heere, 
wo man so viel dachte, wie im preußischen der vorjena'schen 
Zeit, konnte Tradition und Indolenz als solche nicht für Beibehalt 
von Formen sprechen, die man als ungenügend ansah. Die 
Lösung liegt darin, dass man, mit bestem Wissen und Gewissen, 
diese Formen eben für genügend, ja für vorzüglich hielt; folglich 
muss sich die Erwägung um eine Stufe höher erheben. Wir 
sprachen in der Strategie von dem preußischen Leitmotiv, als 
müsse man, solange es eben ginge, drohen; wir blieben bei 
der Thatsache stehen , dass man auf die taktische Schulung der 
Truppen, mithin ihr Geschick zum Abmessen der Kräfte das 
größte Gewicht gelegt hat, was als Widerspruch erschien. Nun 
denn, auch in der Taktik setzt sich die Idee, zu drohen, äußerst 
deutlich fort. Das Sparen mit den Kräften ist nichts anderes 
und kann nichts anderes sein, als ein Ausfluss der Idee, auch 
auf dem Schlachtfelde zu drohen, sowie man strategisch 
auf dem Kriegstheater drohte. Jedoch darf dies nur mit größter 
Vorsicht hingenommen werden , wenn man sich sagt , dass Nach- 
einanderverbrauchen der Kräfte das Drohen wohl erleichtern, dass 
es aber ebensowohl zu einer Katastrophe führen kann. Worin 
kann nun die eigenthümliche Berechnung, mit einem Theile seiner 
Kraft zu drohen, begründet sein? Offenbar in dem Gedanken, 



Digitized by VjOOQIC 



— 332 - 

der eingesetzte Theil sei stark genug und kriegsgeschickt 
und kriegsgewillt genug, um das Gefecht so lange 
zu halten, bis das Blatt sich von selber wendet, 
oder wenn es schon sein muss, die Kraft, die nur zu 
drohen hat, eintreten kann, um einzugreifen. Die 
Absicht, mit einem Theile der Kräfte zu drohen, ist an den 
Glauben gebunden, der andere Theil sei speci fisch 
stärker, als es der gleiche Theil des Gegners ist, und somit 
ebenbürtig auch einem größeren Theil des Gegners. (Uns scheint dies 
wenn auch kein ewiges, so doch ein sehr, sehr oft wiederkehrendes 
Gesetz des Krieges zu sein.) Dieser Glaube war in Preußen da- 
zumal vorhanden, er hat in allen Führern, und soweit die nüch- 
terne Wirklichkeit dies erlaubte, auch in den Truppen gelebt. 
Man betrachte nur die Mechanik vom Angriff Hohenlohes und 
man liest mit Flammenschrift daraus die Gewissheit, wie der 
Fürst von der Unüberwindlichkeit einiger preußischer Bataillone 
überzeugt gewesen ist und sie daher in einer Weise zum Ge- 
fechte führte, die rein militärisch zu verwerfen, und nur, wenn 
sich der Stärkere derselben bedient, nothdürftig gutzuheißen ist. 
Man erwartete von den eingesetzten Truppen 
Außerordentliches*) und gebrauchte sie gleichsam für sich, 
getrennt von der Reserve, ohne Zusammenhang mit ihr, die ja 
in erster Linie eine Staffage sein sollte. Aus dieser Erwägung 
erklärt sich alles, worüber die Nachwelt so unerbittlich gelacht, 
sehr natürlich und klar. Um zu drohen, um zu imponieren — 
man verstehe das Preußen jener Zeit — dazu brauchte man, 
wenn man uns das Bild verzeiht, doch es trifft den Kern der 
Frage, Puppen, Marionetten, die leicht und sicher und eflfectvoll 
zu bewegen waren; um zu drohen glaubte man zu brauchen 
jene Richtung und jenes Alignement, mit welchem Friedrich so 
oft erfolgreich gedroht. Und in dieser eminent militärischen Idee 
gipfelte die preußische Taktik der vorjena'schen Zeit. 

Es ist so. Man lese die Reglements und Instructionen der 
damaligen preußischen Armee und man wird, obwohl es mit 
so dürren Worten, wie wir es hier der Deutlichkeit zuliebe thun, 

*) Wieder sind diese Meinungen nicht Phantasien des Verfassers. Es war ein Merk- 
mal der linearen Taktik, dass sie darauf rechnete, die Truppen der ersten Linie wQrdeo die 
Entscheidung geben. Siehe hierüber „Die Kriege Friedrichs des Großen, herausgegeben vom 
großen Generalstabe etc.," I, 149. 



Digitized by VjOOQIC 



- 333 — 

nirgends ausgesprochen ist, erkennen, dass der Formalismus 
jener Zeit nur ein wohldurchdachtes Mittel zu 
einem wohldurchdachten Zwecke war. Viel zu 
sehr von oben her ist über jene Zeit geurtheilt worden ! Ein 
tief seelischer Gedanke, zu dem der Krieg in 
Perioden wiederkehrt, liegt dem Formalismus zu 
Grunde; weit mehr Psychologie des Krieges 
findet der, der offene Augen hat, im verhöhnten 
Formalismus, als im individualisierenden Princip 
unserer Tage; Schablone und Erziehung sind 
einander nicht entgegengesetzt, sondern nur 
zwei verschiedene Wege zu demselben Zweck, 
von denen der eine die Seele des zum Kampfe be- 
stimmten Menschen skeptisch und der andere 
enthusiastisch ansieht. Ein Mann wie Saldern, über 
den sich heute jeder Lieutenant lustig macht, ist für den, der die 
Menschen kennt, eine verständliche, und, weil sie zweckbewusst 
gewesen ist, sympathische Gestalt. Worin liegt der Geist des 
Krieges, als darin, die Massen zum Kampfe willig zu machen? 
Es gibt verschiedene Mittel hierzu, und jede Zeit hat ihre eigenen 
Mittel. Cäsar und Napoleon machten ihre Heere zu Beutege- 
nossen des Kampfes , den sie zusammen fochten , erleich- 
terten ihnen den Kampf und gewannen derart — obwohl 
alles das sehr cum grano salis zu nehmen ist — ihren guten 
Willen zum Kampfe. Friedrich musste auf solches nothwendig 
verzichten, und so schuf er den Formalismus, oder vervoll- 
kommnete ihn doch , welcher sich des Zwanges an Stelle 
des Appells an den Egoismus oder die Hingebung bedient, 
doch manchmal mit gleichem Erfolge. Man lacht heute, in der 
Ära der Selbstthätigkeit und Initiative über Saldern, der da glaubte, 
es sei das höchste für den Füsilier, „wenn er als Maschine 
fleht" ; man verstehe die menschliche Natur und bekenne, dass 
dies für jene Zeit und jene Verhältnisse das Richtige und wohl- 
angebracht war. Der Formalismus der preußischen Armee, auf 
guten seelischen Basen aufgebaut, war nichts als ein Mittel zum 
Zwecke der Drohung, des Marionettenspiels, das wieder nicht 
geistlos mechanisch wirkte, sondern auf den Feind moralische 
Wirkungen that. Es ist so. Denn wenn in einem Krieg s- 



Digitized by VjOOQIC 



- 334 — 

beer das Bajonnett so hoch gehalten wird, wie 
dazumal in der preußischen Armee, und der 
Anlauf an den Feind als ultima ratio des Gefechtes 
gilt, so ist klar, dass die Taktik dieses Heeres 
in der Drohung gipfelt. Nochmals, man lese die militärischen 
Schriften jener Zeit und da findet man den Satz stets wieder- 
holt : der Gegner werde, wenn ein preußisches Bataillon, wohl 
aligniert, mit dem Bajonnett angriffe, sicherlich nicht auf den Ein- 
bruch warten. Erst werde er wackeln, und dann wende er sich 
zur Flucht. 

Sofort erinnern wir uns, dass auch die französische Fuß- 
volktaktik im Bajonnettangriffe culminierte; auch dort herrschte also 
die Drohung vor. Begnügen wir uns vorläufig mit dieser That- 
sache, die nicht zu leugnen ist, um späterhin zu sehen, ob, wenn 
zwei dasselbe thun, es auch dasselbe ist. 

Wir sind somit bei den Verhältnissen der elementaren 
Taktik angelangt und wenden uns mit allgemeinerem Blick zur 
großen Taktik zurück. Wahrlich, die Drohung schien der 
deutschen Führung auch in der taktischen Action ein Surrogat 
für wirkliches Abmessen der Kräfte zu sein. Ist dies, nach dem, 
was wir darüber zur Aufklärung mitgetheilt, wohl unverständig, 
oder etwa gar nicht einzusehen.^ Lag nicht zu allen Zeiten darin 
die Kunst des Truppenführers, mit möglichst wenig Aufwand an 
Mitteln möglichst viel zu erreichen? So löst sich der Vorwurf 
des Geizes mit den Kräften allgemach und sehr natürlich in die 
Betrachtung auf, wie man in Preußen nicht deshalb vor allem 
mit den Mitteln geizte, weil sie spärlich waren, nicht weil es so 
in der Tradition begründet lag, sondern im guten Glauben daran, 
auch die Drohung als ökonomischere Form werde ihre Schuldig- 
keit thun. Und wer uns dies nicht glauben will und es widersinnig 
findet, der denke an die Gegenwart, und an die Apostel des 
ungestümen Angriffs mit dem Bajonnett gegen das Magazinge- 
wehr, da die Erfahrung zeige, zum Kampfe Mann an Mann 
komme es heute nicht mehr; der Gegner werde weichen, wenn 
man damit droht! 

Wenn wir noch hinzufügen, dass man, um mit seinen 
Mitteln zu drohen, eine Art von Bühne brauchte, also eine freie, 
offene Gegend und Raum zur Evolution, so ist in den gemachten 



Digitized by VjOOQIC 



— 335 — 

Erwägungen der Geist jener Zeit sine ira et studio bündig 
wiedergegeben. 

Lösen wir aus den Erscheinungen des Kampfes vom 14. Oc- 
tober alles Unwesentliche, alles Zufällige, alles Nebensächliche ab, 
so bleibt als leitendes Princip in der taktischen Action, wie sie 
Frankreich übte, möglichstes Einsetzen der vorhandenen Kraft, 
also wahrhaftes Abmessen der Kräfte im Kampfe zurück. Doch 
hier muss die Erwägung wieder äußerst deutlich sein, um Alles 
klarzulegen. Liegt in der Idee, seineKräfte mit jenen 
des Gegners abzumessen, irgend eine Garantie des 
Sieges? Es scheint wohl nur dann, wenn die eigenen Kräfte 
eben stärkere sind. Und so war es hier. Weil die na- 
poleonische Taktik — das elementare Abmessen 
der Kräfte — unvergleichlich stärker als der 
Gegner war, darum schritt der napoleonische 
Krieg zum Abmessen der Kräfte, und keineswegs, 
weil dies ein Axiom desKiegesist oder sein soll. 
Jetzt, 1806, bleibt Napoleon, im Vertrauen auf die Kraft seiner 
Mittel, beim kunstlosen Abmessen derselben, sicher wie er ist, er 
müsse in demselben Sieger werden und greift nicht zum Manöver 
als einem billigeren Mittel. Die napoleonische Schlachtentaktik war 
somit eine Folgeerscheinung von der specifischen Stärke 
der Mittel, war an sie gebunden, und keineswegs durch das bloße 
Princip, das sie bewegte, wirksam; sie hing geradezu von der 
Stärke ihrer Mittel ab. Worin lag nun die Stärke ihrer Mittel gegen 
die der alten Zeit ? In einem Unterschied der elemen- 
taren Kampf form der Infanterie, der nicht auffallend, 
aber doch sehr wirksam w a r : dem Gefecht mit Schützen; 
und nebenher in einem Auftreten von Reiterei und 
Geschütz in Massen, die man vordemnichtkannte. 
Wir thaten bereits früher dar, worin das Wesen der napoleoni- 
schen Fuß Volkstaktik lag. Sie gab dem einfachen Kämpfer das 
Gefühl seiner Stärke und dieses hielt ihn fester, sicherer auf seinem 
Platz im Kampfe, als guter Wille, Begeisterung, ja sogar der 
Drill es vermag. Wir sehen somit, wie die napoleonische 
Taktik, die so sehr auf das Abmessen der Kräfte zielte, ein 
heroisches Product der tiefsten Menschenkenntnis war; sie er- 
leichterte den Kampf und so führte sie ihn leichter. Hier nun 



Digitized by VjOOQIC 



— 336 — 

kann eine Erwägung nicht übergangen werden, die von aller- 
erster Wichtigkeit ist für den, der die Natur des Krieges kennen 
lernen will. Preußen besaß ja auch seine Schützen , und auch 
die verstanden es, als Tirailleurs zu fechten ; stets bisher musste 
unsere Darstellung die Meinung erwecken, als sei immer nur eine 
geschlossene deutsche Linie gegen einzelne Tirailleurs des Gegners 
in ohnmächtigem Kampfe gestanden. Es war nicht so, und, was 
das belehrende ist, man sah damals nicht, was und wie es war. 
Frankreich hatte eben mehr, nicht erdrückend mehr, nur 
überhaupt mehr Tirailleurs, als die preußische Führung zu 
entwickeln für gut fand. Nicht auffallend war dieser Unterschied 
dem, der im Gefechte stand, jedoch unendlich deutlich fühlte 
er ihn. In der That hat ein geringes Mehr an Tirailleurs, ein nicht 
principielles Hinausgehen, nur ein relativ geringes Überschreiten der 
kriegsconventionellen Praktik mit Tirailleurs die Entscheidung ge- 
geben; um dies klar zu machen, denke man an ein Manöver unserer 
Tage, und gestehe sich, ob Tirailleurs, die hinter Büschen liegen, 
auffallen und drohend aussehen. Die deutschen Feldherren müssen, 
die Ungeheuern Verluste ihrer Reihen sehend, ganz einfach nicht 
begriffen haben, dass dies von einem geringen Mehr an Tirailleurs 
auf des Feindes Seite kam. Auffallender kann der Unterschied zwi- 
schen Symptom und Wirkung kaum sein als hier. Wir kennen 
heute sehr genau die Wirkung der Tirailleurs, haben aber lange, 
lange nicht gesehen, dass diese Wirkung nahezu nur aus einer 
Nuance des Kampfes kam, die uns heute entgangen ist und von 
der man nicht verlangen kann, die deutschen Führer hätten sie im 
Kampfe selbst dazumal wahrnehmen sollen. Warum nun in einem 
Kampfe, wo Tirailleurs gegen dichte Linien ein wohlgezieltes Feuer 
aus relativer Sicherheit abgeben, die letzteren schließlich doch 
wohl weichen müssen, wurde dargethan. Die Franzosen kämpften 
bequemer, sicherer, und darum siegten sie. Sofort tritt als 
Folgeerscheinung der offe nsive Geist hervor bei 
Truppen und Führern, der, wenn man ihn aner- 
zieht, versagen, wenn man ihn imVolkscharakter 
liegend wähnt, bitterlich enttäuschen kann, aber 
dann wohl mächtig auftreten wird, wenn erder 
Ausfluss eines Kraftgefühles ist, das man sich im 
Kampfe holte, das heißt, wenn die eigene Kampfform augenschein- 



Digitized by VjOOQIC 



— 337 — 

lieh überlegen ist. Jetzt verstehen wir die Offensivtendenz der fran- 
zösischen Infanterie. Sie ist keine Manie; ist keine Doctrin; 
sie kommt von selbst als einProduct derEvidenz, 
stärker zu sein, aus der elementartaktischen Action. Jetzt 
verstehen wir, dass der französische und der preußische Gebrauch 
des Bajonnettes zwei ganz verschiedene Dinge sind, wenngleich 
sie im Principe ähneln. Der Franzose hat dann das Bajonnett 
gebraucht, wenn es galt, einen bereits erschütterten Gegner völlig 
umzurennen; es war der Punkt auf dem I, die Vollendung, die 
Krönung der taktischen Action, die durch den Schützen- 
kampf wohl vorbereitet war. Und der Preuße ? Auch er sollte 
dann das Bajonnett gebrauchen, wenn es galt, einen bereits er- 
schütterten Gegner völlig umzurennen; es war der Punkt auf 
dem I, die Vollendung, die Krönung der taktischen Action, die 
durch den Kampf von Linien wohl vorbereitet war! Hier 
liegt der Gegensatz, und hiemit die Erklärung : was das Bajonnett 
betrifft, so ist im Principe die Absicht beider Heere haar- 
genau die gleiche; beide denken, mit demselben zu drohen; 
beide, nachdem sie den Gegner erschüttert. Darin nun, dass 
Preußen mit seinen Bataillonssalven den Gegner nicht derart 
erschüttern konnte, als zum Angriff mit dem Bajonnette uner- 
lässlich schien, dagegen selber durch des Feindes Schützen 
unverhältnismäßig litt — darin, in dieser Nuance in den Sym- 
ptomen dessen, was man auf beiden Seiten that, liegt die Erklä- 
rung, wieso es kam, dass Preußen nicht zum Bajonnett- 
angriffe schritt.*) Die verhältnismäßig wenig Schützen mehr auf 
Seite der Franzosen, und die relativ kurze Spanne Zeit, die 
zwischen dem deutschen und französischen Bajonnettangriff liegt, 
waren geringe Symptome und hatten die gewaltigsten Wirkungen 
gehabt; wohl droht auch die französische Taktik mit dem 
Bajonnett, aber sie erschüttert den Gegner, bevor sie droht, 
während die preußische mit der Drohung auf einen intakten 

•) Darauf mussten wir Gewicht legen, durch eingehendstes Zerfasern des Infmterip- 
?efechtes der beiden Gegner diese Wahrheit darzuthun. Denn in den Urtheilen über diesen 
^eg zögern die Kriegsschriflsteller nicht, die Personen, somit die Führer dafür zur 
^Rechenschaft zu ziehen, dass sie nicht „im Sinne des großen Königs" rücksichtslos zum 
Angriff schritten. 

Friedrich hätte, dess sind wir überzeugt, seine Bataillone zu einem so ungleichen 
Kampfe sicher nicht gelührt, denn er hat sehr genau gewusst, was man von Truppen im 
^ege billig verlangen — das heißt erreichen — kann. 

C. von B.-K. Zur Psychologie des großen Krieges II. 22 



Digitized by VjOOQIC 



— 338 - 

Gegner stößt. In diesen Nuancen , die dazumal im Kriege 
nicht auffielen , die heute noch lange nicht völlig auf ihren 
wahren Wert gewürdigt sind, ruhte der Keim der Entschei- 
dung. An diese feinen Züge des Krieges muss man sich 
halten, um zu sehen, wie schwierig er ohne praktische Ver- 
suche , oder vielmehr vor dem Versuche zu verstehen ist. 
Doch genug. Ein nicht auffallender, doch sehr wirk- 
samer Unterschied der elementaren Taktik brachte es dahin, 
dass die deutschen Truppen unverhältnismäßig litten, wo die 
französischen Zermürbungstruppen verhältnismäßig wenig litten; 
die deutsche Drohung übereilte sich, wo sie sich an den intakten 
Gegner wagte, und vom Erfolge gekrönt war die französische 
Drohung, die nach einem ungleichen Abmessen der Kräfte zur 
Vollendung der Arbeit an die deutschen Truppenreste heranrückt. 
Wenn wir nun bedenken, dass beide Gegner, was die große 
Taktik angeht, successive kämpften, so führt die logische Erwä- 
gung zu dem Schlüsse, dass dies für Preußen schlecht und gut 
für Frankreich war. Napoleons Absicht, seine Kräfte abzumessen, 
ist daher nicht buchstäblich zu nehmen. Jeder Kenner der napo- 
leonischen Taktik weiß , dass Napoleon gerade den Gebrauch 
der Reserve zum System erhob, mithin sein Abmessen der 
Kräfte kein unbedingtes war. Wohl ist dies zuzugeben, 
aber wer könnte blind dagegen sein, dass der succesive Gebrauch 
der Kräfte auf Napoleons Seite eben auch nichts anderes war, 
als ein Sicherheitsfactor in einem Kampfe, wo schon geringe 
eigene Kraft hinreichend war, den Erfolg zu geben? Die napo- 
leonische Reserve- Verwendung wird vielfach nicht völlig aufge- 
fasst. Seine Reserven stellte Napoleon oftmals nicht so sehr 
infolge des Principe s, Reserven zu haben, zurück, son- 
dern mit der Überzeugung, er bedürfe in dem Kampfe, 
den er eben kämpfte, derselben nicht unmittel- 
bar. Es war eine Art von Sparsamkeit, wenn 
man will, die aus der Ungleichheit der beidersei- 
tigen Form nat ü rlich entsta nd; mit den Garden 
trieb Napoleon, wie bekannt, diese Sparsamkeit 
oftmals bedenklich weit. Davout gestattete sich bei 
Auerstädt die Ökonomie einer Gefechtsreserve nicht, obwohl sie 
Princip gewesen ist. So sehen wir, dass die napoleonische Ge- 



Digitized by VjOOQIC 



— 339 — 

fechtsreserve ursprünglich eine natürliche Folge des 
eigenen Überschusses an Kraft, an Zahl, an 
Kampfesform, oder an beiden vereint gewesen ist, und sich 
hier gewissermaßen von selbst aus diesem Überschusse ergab, 
während dies in der linearen Taktik keineswegs der Fall war. 
Natürlich ist nicht zu verkennen, dass die Gefechtsreserve Princip 
gewesen ist, sowie heute beiläufig die Gefechtsreserve als conditio 
sine qua non jedes Gefechtes gilt. Aber festgestellt muss werden, 
dass die neue französische Kampfesform, specifisch stärker 
wie sie war, von selbst auf die Reserve wies, 
während dies bei der linearen Form der Fall nicht war, 
hier die Reserve künstlich geschaffen werden 
m u s s t e und, wie erwiesen ist, oft gehindert hat, oder wenig- 
stens schwierig zu gebrauchen war. 

Diese Erwägungen mussten wir thun, um die mechanische 
Erscheinung, dass Frankreich ebenso wie Preußen nacheinander 
kämpfte, in's rechte Licht zu stellen ; doch halt, hier ist ein 
wesentlicher Unterschied. Frankreich kämpfte in derThat 
successiv, während diese Absicht bei Preußen 
oftmals nicht über den Versuch hinaus gedieh. 
Warum? Die französische Reserve sah sich wahrhaft als Triarier 
an, obgleich die Führung hoffte, die engagierten Truppen 
schon würden, wie es so oft geschah, die Entscheidung geben. 
Die deutschen Reserven handelten ebenso ; auch sie betrachteten 
sich als Triarier, wenngleich sie vielleicht um eines Haares 
Breite weniger gewillt waren, deren Rolle wirklich durch- 
zuführen , vielmehr sich nur zu zeigen gedachten ; man 
weiß, dass sie mechanisch ungeschickter dazu waren, thatsäch- 
lich in's Gefecht zu gehen, als ihre französischen Gegner. Auch 
sie erwarteten, nur vielleicht um eines Haares 
Breite mehr und fester, die Entscheidung durch die engagierten 
Truppen schon fallen 'zu sehen. Alles nur Nuancen, wie man 
sich ehrlich eingestehen muss. Noch tiefer heißt es also hier zu 
gehen, soll der Unterschied gefunden sein. Die französische Reserve 
erhoffte von den engagierten Truppen den Sieg; die preußische 
erwartete gleichfalls denselben. Es ist wohl klar, dass eine der 
beiden Reserven enttäuscht werden musste. Nun war die 
französische Kampfesform für das Heranziehen von Reserven 

22 • 



Digitized by VjOOQIC 



— 340 — 

ungleich günstiger beschaffen, als die preußische; hier schlägt 
stark der mechanische Unterschied von Linie und Colonne vor. 
Waren die deutschen Bataillone der ersten Linie besiegt, so 
waren sie aufgelöst und trugen die Verwirrung in die Reihen 
der Reserve, die, kämpfend mit den Hindernissen des Terrains, 
ihnen aus weiter Ferne wohl aligniert zu Hilfe kam. Die fran- 
zösische schloss in diesem Falle tropfenweise an, während die 
unvergleichlichen Schützen, dann Reiterei und Artillerie ihren 
Anmarsch deckten. So sehen wir, wie es nicht das- 
selbe ist, wenn zwei dasselbe thun; und wie hier 
die Praktik der Reserve sich bewährte, während sie dort an 
inneren Schwierigkeiten fast immer scheitern musste. Es ist nicht 
zu verkennen, dass die französische Reserve mehr zum Kampf 
und die preußische mehr zur Drohung bereit war; 
der letztern mechanische Fehler sind zum großen Theile Producte 
dieser Idee. Und so schließt sich die Erwägung dahin, dass 
der ganze taktische Mechanismus beider Heere, ebenso wie ihre 
Strategie, den Unterschied erkennen lässt, der in der Tendenz zu 
kämpfen und in der zu drohen liegt. 

Wir nehmen dieses Resultat vorweg, da sich das Bild der 
großen Taktik an das strategische Bild organisch fügt. Wir wissen 
jetzt, dass in einem Kampfe der beiden Heere die Entscheidung 
des Kampfes in den beiderseits zunächst engagierten 
Truppen liegen muss, da hier besonders die Schwäche 
der deutschen Kriegsform lag; und dass von da aus der Zu- 
sammenhang der Dinge immer erheblichere Übel auf deutscher, 
minder erhebliche auf französischer Seite zeigt. Wir wissen, dass 
Preußen , um einen Misserfolg der engagierten Truppen weit 
zu machen, vorwiegend an die Drohung denkt, während 
Frankreich mehr dazu bereit und geschickt ist, wirklich zu 
kämpfen. Man wird uns hier ganz sicherlich und immerhin 
nicht ohne Grund des Mangels an concreter Überlegung zeihen: 
doch bleiben wir bei dem, was wir gesagt. Alle Details der 
Taktik auf beiden Seiten sind mehr oder weniger der sinnliche 
Ausdruck der beiden so entgegengesetzten Ideen, von denen die 
eine ihre Stärke aus dem Bewusstsein ihrer Überle- 
genheit und die andere aus der Tradition gewinnt. 
Frankreich droht und kämpft; Preußen kann nur 



Digitized by VjOOQIC 



— 341 — 

drohen, ist viel zu extrem gesagt, jedoch es gibt den Geist 
der Lage. Dieser eigenthümliche Gegensatz setzt sich auf beiden 
Seiten von der taktischen Action in die strategische, von dieser in 
die kriegspolitische rückwirkend fort und wurzelt tief im Gegensatz 
der Heere, ja der beiden Staaten, die im Kampfe stehen. Dieser 
Krieg ist, man vergesse dies nicht, ein Ausnahmskrieg gewesen, 
wie er lange vorher nicht da war und nicht sobald wiederkehren 
wird. Er muss in scharfen Umrissen gezeichnet sein, soll sein 
Bild ein historisch entsprechendes werden. Nun wissen wir, 
dass Preußen auf seine Offensive, auf den Kampf der einge- 
setzten Truppen felsenfest vertraut, und ein Schimmer von 
Hoffnung blitzte auf in Führern und Armeen, als der sinkende 
Nebel des 14. October zum endlichen Kampfe rief, in letzter 
Linie, muss daher zugestanden werden, hing die Entscheidung 
von dem Verhalten der engagierten Theile ab. 
Wir kennen dieses Verhalten. 

Wir haben gesehen, dass die deutschen Führer in Un- 
kenntnis darüber waren, was wohl die Truppen zu leisten 
vermöchten. Der taktische Gedanke Braunschweigs sowohl als 
Hohenlohes war auf den Angriff gerichtet, und sie befahlen den- 
selben, erzwangen ihn, bis die Mittel versagten. Hier stehen wir 
auf einem Punkt von erster Wichtigkeit, den wir bereits berührten. 
Die Truppen entsprachen der Absicht der Führer nicht und so 
scheint es, es müsse die Schuld der Niederlage den Truppen zu- 
geschrieben werden. Es wurde die allgemein verbreitete Anschau- 
ung widerlegt, dass Braunschweig und Hohenlohe, jener vor 
Hassenhausen, dieser vor Vierzehnheiligen gleichsam aus Un- 
verstand stehen geblieben wären und es zwecklos ver- 
sucht hätten, die Objecte durch Umfassen wegzunehmen. Die 
Thatsache ist die, dass ihre Mittel ganz einfach versagten, dass 
sie taktisch nicht geschickt im Kampf um Örtlichkeiten waren, 
was klar daraus hervorgeht, dass beide Führer auf die ver- 
schiedensten Mittel verfielen,^ um die gelähmte Angriffskraft der 
Infanterie durch Geschützgebrauch, Reiteranfall und dergleichen 
wettzumachen. Der Gedanke beider Feldherren ist der richtige 
gewesen, aber ihre Truppen besaßen die Stärke nicht, ihn zur 
That zu machen. 

Wir haben gesehen, wie die deutsche Infanterie unter einer 



Digitized by VjOOQIC 



- 342 — 

mechanisch sehr empfindlichen, moralisch äußerst auflösenden 
Ungleichheit der Kriegsform litt. Man stelle sich vor, was es heißt, 
wenn Truppen, denen man so oft wiederholte, ihren Bataillons- 
salven und ihrem Bajonnettangriff widerstehe der Gegner nicht, 
plötzlich inne werden, dass jener doch nicht weicht und noch 
dazu in einer Art und Weise kämpft, die es unmöglich macht, 
ihm Gleiches mit Gleichem zu vergelten, der gleichsam hinter der 
Deckung über die deutsche Geradheit lacht, die ohne Deckung 
steht. Man erwägt die Dauer des Gefechtes und erstaunt fragt 
man sich, wieso es kam, dass die deutschen Truppen überhaupt 
solange Stand gehalten haben. In der That, wo ist der moralische 
Wertunterschied beider Armeen zu spüren, den der Unterschied 
an Behandlung, Löhnung, Verpflegung, Bekleidung geradezu er- 
warten lässt? Wo sind die verderblichen Früchte, die ein Spar- 
und Knauser- und Stocksystem in einem Heere unfehlbar tragen 
muss, und wo sind Muth, Begeisterung und guter Wille, die man 
vom französischen füglich erwarten sollte, als auffallende 
Contraste zu sehen? Wir müssen es — 1806 ist ja neun Jahr- 
zehnte von uns entfernt — gestehen, dass man im Gefechte selbst 
verderbliche Folgen aller jener Sünden, die man vor Jena durch 
lange Jahre an Preußens Heer begangen haben soll, nicht evident 
erblicken kann. Wir lernen daraus — und dies ist äußerst lehr- 
reich für die Kriegspsychologie der heutigen Zeit — wie ein Kriegs- 
heer im Gefechte selbst keineswegs alles Unrecht 
verhängnisvoll vergilt, das man ihmangethan, oder 
überschäumt von Dank, wenn man es human und 
gut behandelte; wie einige Heller Löhnung, ein 
paar Lothe Fle is ch rati o n, ein paar Mo nturstü cke 
mehr oder weniger im Kampfe nicht den Aus- 
schlag geben müssen. Ein tiefer, seelischer Sinn liegt in 
dieser Erscheinung, die allerdings in die Gegenwart nicht passt, 
wo man den Soldaten durch gute Behandlung in materiellen 
Dingen vor allem zum Kampfe zu captivieren sucht. Die auf- 
fallenden Folgen von Darben und Entbehrung, so sehen wir, 
äußern sich im preußischen Heere außerhalb der tak- 
tischen Actio n, vor den Schlachten symptomatisch, 
und nach denselben universell. Diesen auflösenden Folgen 
begegnen wir am Marsche, im Quartier, auf dem Rückzuge, und 



Digitized by VjOOQIC 



— 343 — 

in der That sind sie mehr strategischer als taktischer 
Natur. Wohl fließt der Geist der Kriegsheere zum allergrößten Theile 
aus deren Magen her, doch im Gefechte selbst denkt der Soldat nicht 
oft an seinen Magen. Was daraus zu schließen sei ? Nicht entfernt 
denken wir daran, Proselyten zu machen für Rückkehr zu einer 
Zeit, wo der Soldat systemmäßig darbte und weit sind wir da- 
von, den ungemeinen Einfluss abzuleugnen, den die Lebensweise 
eines Heeres auf dessen Thun hat. Aber uns lag daran zu zeigen, 
wie die Folgen des preußischen Sparsystems nicht entfernt als Grund 
der Niederlage anzuführen sind; wohl treten solche böse Früchte 
vereinzelt in der strategischen Sphäre des Krieges hervor, und sie 
mögen daselbst vielfach moralisch sowohl als materiell geschadet 
haben. Aber im Kampfe selbst vergaß das Heer, dass es hun- 
gerte und darbte. Es schlug sich brav. Und so sehen wir, dass, 
da die taktische Action doch vor allem im Kriege entscheidet, 
die Lebensweise eines Heeres für dieselbe nicht 
von entscheidendem Einflüsse sein muss. Wohl mag 
in der strategischen Sphäre des Krieges manches Atom des 
Kampfes infolge des Mangels und der Nothdurft des Lebens für 
den Kampf verloren gegangen sein. Aber von solchem Belang, 
wie eine neue, humane Zeit dies glauben machen- will, ist 
dieses Motiv nicht gewesen. 

Man gewinnt auch aus der Erzählung so vieler Zeugen das 
anschauliche Bild, dass die deutschen Truppen viel Bravour ent- 
wickelten und sehr nahe liegt es, anzunehmen, dass der Gegner 
nicht soviel entwickeln musste, da ihn seine starke Kampfesform 
dieser Mühe überhob. Nun denn, diese Kampfesform war so 
wesentlich verschieden von der Preußens, dass der Unterschied mit 
Imponderabilien nicht auszugleichen war. Wohl befahl die deutsche 
Führung vorzugehen, wohl griffen die Feldherren an, allein die 
Truppen versagten, und man muss gestehen, es konnte nicht 
anders sein. So bleibt von den taktischen Dispositionen beider Feld- 
herren, soweit sie nicht durch das eben herrschende System schon 
entschuldigt sind, füglich nichts zu tadeln, als dass sie die Truppen, 
selbe überschätzend, in eine Lage brachten, der sie nicht ge- 
wachsen waren. Die Kunst, die Mittel, die man hat, haarscharf 
zu taxieren, ist eine unendlich seltene und sehr schwierige Kunst, 
und um so schwieriger muss sie dann sein, wenn T r a- 



Digitized by VjOOQIC 



— 344 — 

dition und Heergeschichte die Truppen miteinem 
Nimbus umgibt, nach welchem, wie im preußischen 
Heer jener Tage, ihre ganzeTaktik zugeschnitten 
ist. Es gab kein anderes Mittel, sich aus der Affaire zu ziehen 
als endlich und schließlich das Drohen mit dem Bajonnett; an 
dieses appellierte die Fühmng nicht mehr ; es waren die Truppen 
keine Scharen unerreichter Helden, die sicherem Tode tollkühn 
entgegengehen. Nun können wir den Antheil, den die Führung 
und jenen, den die Truppen an der Niederlage hatten, klar und 
deutlich sehen: Jene gebrauchte das einzige system- 
mäßige Mittel, das ihr zu Gebote stand, nicht 
mehr, weil die Truppen, innerlich erschüttert, 
nicht mehr stark genug, es auszufü h ren, waren. 
Wir haben gesehen, wie in beiden Schlachten zwei Prin- 
cipien, die Heere zum Kampfe willig zu machen, aneinander ge- 
rathen sind. Das eine gründete sich darauf, den Truppen den 
Kampf durch die Form des Kampfes möglichst leicht zu machen ; 
es gewann den Willen des Einzelnen durch die Evidenz des Vor- 
theils, den er im Kampfe besaß, welche Evidenz laut und ver- 
nehmlich sprach. Das andere zwang seine Truppen zum Kampfe. 
Doch halt, hier setzt sich unwillkommenerweise eine Gedanken- 
reihe an. Was war der Sinn des Drills, was ist, was kann er 
sein ? Es scheint, als ob er nicht so sehr imaginärer Zwang zum 
Kampfe, als vielmehr ein Ablenken der geängstigten Seele von 
den Vorgängen des Kampfes durch mechanische Verrichtung sei. 
Denn wäre dem nicht so, so würde ja das einfache Verlesen 
der Kriegsartikel vor dem Gefechte das beste Mittel sein, die 
Truppen zum Kampfe zu zwingen. Dem Drill liegt ein 
tief seelischer Calcul zu Grunde, trotz allem, was 
die Kriegspsychologie der heutigen Zeit dagegen 
sagt. Er soll den Willen des Kämpfers gleichsam über- 
tölpeln, letzteren seines Willens, das heißt der praktischen Con- 
sequenz des Zögerns, des Zagens, der Furcht, möglichst ent- 
kleiden, und letztere, so weit dies geht, unschädlich machen. 
Auch der Drill ist eine Art, dem Manne denKampf 
zu erleichtern. Doch wohl fühlt man den Unterschied des 
französischen und deutschen Principes zutage treten, wenn man 
den Unterschied der Kampfesart erwägt. Innig hing diese auf 



Digitized by VjOOQIC 



- 345 — 

beiden Seiten mit der Kriegsdisciplin und dem Volkscharakter zu- 
sammen. Blind konnte der Drill bis zu einem gewissen Grade 
machen ; bis zu demGrade, der hier nothwendigwar, 
vermochte er es nicht; und so fiel hier, bei Jena, 
jetzt, 1806, das Kunstproduct des Drills vor der 
Evidenz des Gegners, dass er selber stärker sei. 
Dieser Umstand muss wohl erwogen werden, 
wenn man dem Drill das Urtheil sprechen will. 
Hier hatte er eine Ausnahmsprobe zu bestehen, die, wir können 
es wohl glauben, Erziehung auch nicht bestanden haben würde. 

Diese Extreme, Worte, die extrem klingen, brauchten wir hier, 
um deutlich zu sein. Man weiß indessen, dass die Grenze zwischen 
Drill und Erziehung keine so scharfe ist, und jene zwei Motive 
nicht so grundsätzliche Gegensätze sind, wie man es, um dem 
didaktischen Zwecke zu dienen, oftmals glauben machen will. 

Wir haben gesehen, wie die französische Kampfmethode 
der preußischen jene Orte zudictierte als entscheidende Punkte, die 
ihr selbst genehm gewesen sind. Preußen ging auf dieselben 
gläubig und vertrauend los. Wie hat die Kriegsgeschichte an 
dem preußischen Heer jener Tage gesündigt und wie sündigt sie 
noch daran! Billige Betrachtung zeigt, dass die lineare Taktik 
Raum und freie Räume brauchte ; der Gegner, im freien Felde, 
vom Nahen geschlossener Bataillone bedroht, wirft sich instinctiv 
in Objecte des Terrains, die ihm Schutz gewähren und welche 
die lineare Taktik, da sie mit Feinden angefüllt, nicht unbe- 
achtet liegen lassen kann. Die lineare Taktik glaubte genöthigt zu 
sein, Hassenhausen sowohl als Vierzehnheiligen zu nehmen, be- 
vor sie weiterging, und an den vergeblichen Versuchen, solches 
zu erreichen, hat sie sich verblutet. Nicht Unverstand der 
Führung, nicht blindes Vertrauen auf den Geist 
der deutschen Truppen hat dies allein bewirkt. 
Dass die entscheidenden Punkte dort liegen mussten, wo sie 
Frankreich brauchte, lag ganz und gar im Unterschied der beiden 
Kriegssysteme, von denen das eine auf dem Boden, wo man 
eben kämpfte, manches lassen konnte, was ihm nicht genehm 
war, während das andere solches thun musste, was ihm ver- 
derblich ward ; wenn mit dieser vagen Phrase irgend etwas ge- 
sagt ist. Frankreich konnte im freien Felde kämpfen und in 



Digitized by VjOOQIC 



- 346 — 

Orten des Terrains, die zahlreich waren. Preußen verstand es 
nur, im ersten Fall zu fechten und war genöthigt, da sich ihm 
der Gegner hier nicht stellte, dort ihn aufzusuchen, wo er es 
eben that, und es unterlag. Die ganze Führung der Schlachten 
zeigt doch so klar, dass alles, was auf deutscher Seite geschah, 
ein unverfälschter Ausfluss der alten Schule war, zu der man 
sich, als die Kanonen zu donnern begannen, nach den strate- 
gischen Nieten der jüngsten Zeit vertrauend zurückgewendet hat: 
wenngleich zugegeben werden muss, dass die deutsche Führung, 
die Offensive auf die Spitze treibend, diese in Sackgassen ge- 
leitet hat, aus denen es keine Umkehr gab. 

Es steht fest, dass in beiden Schlachten auf deutscher Seite 
die Principien des XVIII. Jahrhunderts viel stricter befolgt worden 
sind, als in der strategischen Vorgeschichte derselben ; als das 
Thun des Gegners noch Zweifel und Befürchtungen aller Art 
wachgerufen hatte. Natürlich ist das wohl. Gelangte man 
schon in der Sphäre der Strategie zu keinem 
annehmbaren Compromiss der neuen mit der 
alten Form, so leuchtet ein, dass man in der 
taktischen Action nicht an dasselbe denken konnte. 
Wir haben gesehen, wie das Verhalten der von beiden 
Seiten engagierten Truppen auf die Entscheidung der Actionen 
von erstem Einflüsse gewesen ist ; und in welch' verderblicher 
Art das Unterliegen der vorderen deutschen Kräfte auf die Re- 
serven zurückgewirkt hat. Die Glieder der Kette sahen wir pla- 
stisch ineinandergreifen, die von dem ersten leisen Schwanken 
der alignierten Bataillone verhängnisvoll zur Flucht geführt. 

Nach unserem Erkennen glauben wir in der That, dass 
dem so ist. Man wird wohl sehr bemerken, dass die Analyse des 
elementaren Infanteriegefechtes der beiden Gegner einen unver- 
hältnismäßig breiten Raum unserer Erwägung eingenommen hat; 
und dass wir dem Unterschied dieser Kampfesarten die Haupt- 
ursache der Entscheidung beigemessen haben. Dies wird viel- 
fachem Widerspruch begegnen. Wir haben demselben bereits, so 
weit wir es vermochten, dadurch vorgebeugt, dass wir darauf 
wiesen, wie himmelhoch der Unterschied zwischen Symptom 
und Wirkung der neuen französischen Kriegsform war. In der 
That, die große Masse der französischen Infanterie focht in ge- 



Digitized by VjOOQIC 



— 347 — 

schlossener Ordnung und nur ein Theil als Tirailleurs, allein ein 
geringes Mehr an Tirailleurs, die noch in ihrem Geschäfte ge- 
schickter waren, als die deutschen Schützen, trug unverhält- 
nismäßig viel zur Entscheidung bei. Es ist nicht zu verkennen, 
dass alle unsere Raisonnements insoferne unselbständig sind, 
als sie auf Detailkenntnissen fußen, die in den Quellen nur zu 
finden sind; dort möge man nachlesen, um zu sehen, ob unsere 
Schlüsse falsche sind. Wir glauben, dass gar oft die Entscheidung 
eines Gefechtes in der unscheinbaren Vorbereitung des- 
selben ruhen kann, und der geräuschvoll in Scene gesetzte letzte 
Stoß nur mehr der Schluss- und Endpunkt einer langen und ent- 
scheidenden, doch unmerklichen Arbeit war. Wir glauben, dass dem 
so in der neuen französischen Taktik war. In der unschein- 
baren Vorbereitung des Gefechtes lag das Ent- 
scheidende. Wenn wir bedenken, wie die Männer jener Zeit 
das Symptom nicht gewürdigt haben, das im Schützenkampfe 
lag, und wie lange es gedauert hat, bis er, unvollkommen nur, 
nachgeahmt wurde, so gewinnt immer mehr der Glaube, ja die 
Überzeugung Raum , dass diese Kampfform , die äußerst ver- 
derblich auf den Gegner wirkte, in ihren Symptomen nicht so er- 
kennbar war, wie sie es heute ist, und der Widerstreit an Mei- 
nungen über die Natur des Entscheidungsgefechtes und die Rolle, 
die es in den napoleonischen Kriegen gespielt, scheint dies zu 
bestätigen. 

Wenn wir sehen, wie in beiden Schlachten die Entscheidung 
des Kampfes in so völlig gleicher Weise geschieht, beidemale vor 
Objecten, welche die neue Taktik besetzt und umklammert hält, 
wie das Wellenspiel auf beiden Seiten hier beweglich eine Zeit 
lang schwankt, um von hier aus plötzlich in den reißenden Strom 
von Flucht und Verfolgung überzugehen, so muss man zu dem 
Schlüsse kommen, dass beide Schlachten recht eigentliche I n- 
fanteri eschlachten gewesen sind, in welchen eine 
Nuance der elementaren Taktik den Sieg und die 
Niederlage herbeigeführt hat. 

Der Epilog weist gleichfalls darauf Wir haben gesehen, 
wie die taktische Action des 14. October für das preußische Heer, 
Truppen sowohl als Führer, eine letzte Probe gewesen ist, in 
der man sein Bestes versuchte. Auffallend ist die Reaction, die 



Digitized by VjOOQIC 



— 348 - 

sich ergibt, als das Heer Friedrichs des Großen, welches in der 
Schlacht das Correctiv für manche strategische Fehler gesehen,*) 
erfährt , dass es auch hier, und noch dazu in solcher Weise, 
den Kürzern ziehen muss. Hingewiesen haben wir darauf, dass 
diese Reaction wohl unvermeidlich war. Sofort treten nach der 
Entscheidung die inneren Schäden der preußischen Armee ver- 
zehnfacht hervor. Jetzt sieht man Deserteure, jetzt entsteht 
die Fahnenflucht, jetzt greift Raub und Plünderung um sich, 
jetzt lösen sich die Bande des Gehorsams, was zu erklären 
das lange Sündenregister, welches die Geschichte für Friedrich 
Wilhelm IL und Friedrich Wilhelm III. angefertigt hat, nicht 
angezogen werde! Wir wiederholen: Im Kampfe thaten die 
Tmppen ihre Schuldigkeit; nach demselben genügt es, auf 
die Entmuthigung zu weisen, die ein Heer erfahren muss, das 
solches erlebt, wie Preußens Heer bei Jena-Auerstädt, um die 
heftige Reaction zu erklären. Ein Ähnliches kam in der Geschichte 
auch bei Heeren vor, die unlängst glücklich gekämpft. Nicht soll 
geleugnet werden, dass große Mängel in der Armee vorhanden 
waren, und dass sie sich nach dem 14. October verderblich fühl- 
bar machten. Aber zur Steuer der Wahrheit, und mehr als das, 
als Wegweiser für den, der die Wahrheit als Mittel zu einstigen 
Zwecken des Krieges sucht, muss daran erinnert werden, dass 
im Kampfe selbst diese Schäden moralischer Natur, besonders 
bei den Truppen, fast gar nicht nachzuweisen sind. An einem 
Haare hing bei Auerstädt die Entscheidung, was den Geist 
der Truppen anbetraf. 

So sehen wir, indem wir zusammenfassen, nicht detaillieren 
und erschöpfen, sondern den Geist der Dinge ziehen, dass bei 
Jena-Auerstädt vor allem ein altes Princip einem neuen wich, 
und wie erst lange nach der Fülle an Erwägung, die daran zu 
knüpfen ist, das Urtheil über die handelnden und leidenden 
Menschen mit großer Vorsicht gefällt werden^ darf; obwohl die 
Geschichte bisher es vorgezogen hat, aus der bissigen Memoiren- 
literatur der folgenden Zeit und Kriegstagebüchern, die nachmals 
am warmen Kamine verfertigt worden sind, das Material zur 
Verdammung der Opfer von 1806 zu ziehen. 

Nicht vage Gerechtigkeitsliebe, kein ephemerer Zweck führt 

*) Dies steht historisch fest 



Digitized by VjOOQIC 



— 349 — 

uns zu obigem Urtheil, sondern der furchtbar ernste Gedanke, 
dass auch wir, die wir uns , sowie die Männer Preußens zu 
jener Zeit, für die Besten unserer Zeit ansehen, nicht sicher davor 
sind, einstmals ebenso gerichtet zu werden; und die praktische 
Erwägung, wie dies zu vermeiden sei. 

Napoleon hat die heißbegehrte taktische Entscheidung end- 
lich gefunden und ihm verblieb der Sieg. Um denselben einzu- 
leiten, marschierte er rasch und daher bequem ; er bediente sich 
der modernen Strategie. Wir sahen ihre rein militärischen Mängel. 
Uns scheint, als hätte Davout bei Auerstädt immerhin unterliegen 
können, wie die Sachen lagen. Können. Darin liegt der Geist 
des Krieges von 1806. Er unterlag nicht. Ist darum ein ver- 
dammendes Urtheil über eine Strategie zu fällen, die ihre Heeres- 
einheiten in solche Lagen brachte, wie Davout? Für 1806 ganz 
sicher nein; ein Krieg, dessen Strategie so bequem 
sein kann, wie dieser, weil seine Mittel so hervor- 
ragend starke sind, ein solcher Krieg ist eine 
sichere Form des Krieges, die stärkste, die es 
geben kann. Denn rein militärisch gibt es einen Krieg 
ohne Chancen nicht; nur kriegshistorisch gibt es ihn; 
versprechen kann niemand und zu keiner Zeit, ihn zu führen ; 
gehört er der Geschichte an, so mag er ohne Vorurtheil be- 
trachtet werden. Wir ersehen aber aus diesem Kriege, wie in 
ihm die Strategie mit der Taktik so innig wie kaum je zuvor, 
Hand in Hand gegangen ist. Die Strategie Napoleons 
im Jahre 1806 ist ohne genaue Kenntnis ihrer 
Natur und der taktischen Natur derselben, über- 
haupt nicht zu verstehen. Denn nur dann erkennen wir, 
wie eben diese Strategie einzig möglich war, wenn die Mittel, 
so wie hier, unendlich stärker waren. 

So stellt sich der achttägige Krieg von 1806 wahrhaftig als 
ein Ausnahmstyp des großen Krieges dar, und von »diesem Ge- 
sichtspunkte aus muss er betrachtet sein. Nichts könnte ge- 
fährlicher sein, als aus Napoleons strategischem 
Thun, das nur für einen Ausnahmsfall zuge- 
schnitten war, Axiome des Krieges zu machen. 
Wenn man auch ohne Vorurtheil zugesteht, Auerstädt hätte für 
Davout eine Niederlage werden können — denn von welcher 



Digitized by VjOOQIC 



— 350 - 

Schlacht könnte man ersteres nicht verstehen, wenn sie anders 
ausgefallen wäre, als sie eben ausgefallen ist — so wiesen wir 
darauf und hier sind wir wohl sicher, keinem Widerspruche zu 
begegnen, dass die Niederlage des einen französischen Corps 
gewiss nicht eine völlige gewesen und von Napoleon gar bald 
und glänzend wettgemacht worden wäre ; dass sie nicht vermocht 
haben würde, den Ausgang des Kampfes entscheidend zu be- 
stimmen. Und wenn wir den Blick noch höher erheben und be- 
trachten die ungeheure Überlegenheit Frankreichs in jeder Hin- 
sicht an Kriegsmitteln, so kann man wohl, wenn dem Satze 
überhaupt eine Berechtigung zugrunde liegt, zu dem Schlüsse 
kommen, der Krieg sei schon strategisch entschieden gewesen, 
bevor er zur taktischen Action gedieh ; mehr als das, mit dem 
Augenblicke, da er erklärt ward. 

Hier liegt die große Lehre von 1806. 

Nicht das, was man gerade in diesem Kriege, gerade an 
der Saale, gerade im October that, nicht die Geschichte dieses 
Krieges, sondern seine Vo rge seh ich te, die Vorbereitung 
von Staat und Heer der feindlichen Parteien, hat die Entschei- 
dung herbeigeführt. 

Zwei grundverschiedene Formen des Krieges prallen auf- 
einander und die Personen hüben wie drüben sehen wir 
nichts anderes thun, als was sie die Vergangenheit hüben und 
drüben gelehrt. 

Und diese beiden Formen? 

In Preußens Kriegführung und Heer erkennen wir die auf 
die Spitze getriebenen Principien des XVIII. Jahrhunderts. 

In Frankreichs Kriegführung und Heer die des XIX. 

Wir sehen in Napoleons großer Armee ein 
Heer, dem es durch seine Zahl, durch die Art, wie 
es ergänzt, verpflegt, gelöhnt, bekleidet und be- 
waffnet ward, und durch die Art, in der es kämpfte 
— leicht gemacht war, zu kämpfen und zu siegen. 

Leicht heißt im Kriege: leichter als dem Gegner. 

So sehen wir, wie Schnelligkeit, Initiative, Kühnheit der 
Action, und ganz besonders der kräftige Entschluss in 
diesem Heere natürlich aus der Überzeugung kamen, dass 
es stärker sei. 



Digitized by VjOOQIC 



— 351 — 

Sein Heer vor allem denen des alten Europa dadurch über- 
legen zu gestalten, dass es in jedem S t ü c k e *) leichter als 
jene zum Kampfe ging und schlug, das war des 
großen Menschenkenners Leitmotiv, als er die Heere Frankreichs 
schuf. 

Jedoch nicht darf dies Leitmotiv, wie es wohl verlockend 
scheint, zu einem „ewigen" Gesetz des Krieges umgestempelt 
werden. 

Dort und dazumal war es wohl angebracht; dahin- 
steht, ob es anderswo, zu einer andern Zeit, auch am 
Platze wäre. 

Nun ist noch eine Erwägung anzustellen, die von Wich- 
tigkeit erscheint. Es kann wohl nicht geglaubt werden, dass der 
Kaiser der Franzosen so systematisch, wie wir es hier thaten, 
die Chancen des Kampfes abgewogen hat. Niemand wird be- 
haupten wollen, dass er alle Schwächemomente seiner Gegner 
so durchschaute, wie wir, denen eine gewissenhafte historische 
Prüfung solches erlaubt. Der Kriegsschriftsteller fühlte wohl oft 
bisher den Blick des Lesers fragend auf sich ruhen, ob denn der 
Sieger von 1806 seine Gründe für den Sieg so methodisch ent- 
wickeln, so analysieren konnte, wie es hier in behaglicher Breite 
geschah. Die Antwort dessen, der den Krieg kennt und der da 
weiß, wie dessen leitende Gedanken aus Erwägung und 
Erfahrung zusammengesetzt sind, ist ein vernehmliches Nein. 
Und, dies zu erklären und Napoleons Siegessicherheit in jedem 
Stücke gleichwohl zu verstehen, ist nicht schwer. Jedes Kriegs- 
system, doch halt, nicht jedes, fast jedes sagen wir, ist ein Misch- 
product der Empirie und schaffender Gedanken. Besonders in 
der taktischen Sphäre überwiegt meistentheils die lebendige 
Erfahrung, während in dem Zug der großen Operationen meist 
der schöpferische Gedanke eines Einzelnen zu erblicken ist, der 
theoretisch baute, oder aber große Muster aus der Kriegsge- 
schichte nahm, um völlig neues oder aber lange nicht mehr geübtes 
auf die Bühne des Krieges zu tragen. Doch wir wollen bei der 
Sache bleiben. Die Vorzüge der französischen Kriegsform seit 
der Revolution waren auffallende gewesen und die Erfahrung 
so vieler Schlachten hatte Napoleon gezeigt, dass die neue Taktik 

*) Pleonasmus, den der Leser unschwer corrigieren wird. 



Digitized by VjOOQIC 



— 352 — 

wahrhaft unübertrefflich sei. Das war Empirie, sie kam aus vier- 
zehn Jahren fast unausgesetzten Krieges. Es ist ein Zeichen 
praktischer Veranlagung, die Güte eines Mittels, 
welche die Erfahrung beweist, nicht weiter theo- 
retisch zu erhärten. Wohl kannte Napoleon die leitenden 
Gedanken, die er sogleich mühelos aus der Empirie der neuen 
Taktik zog, während wir sie lange im nachhinein mühsam aus der- 
selben zogen. Wohl hatte ihn die Empirie belehrt, seine Taktik sei 
die stärkere; aber es lag keine Veranlassung für ihn vor, die Sache 
wissenschaftlich zu zergliedern und, so wie wir, bis in das De- 
tail des Kampfes, und jedes einzelnen Kampfes herunterzugehen. 
So blieb ihm vom Detail, wie historisch feststeht, manches un- 
bekannt und musste ihm, dem Vielbeschäftigten, unbekannt bleiben. 
Er begnügte sich mit der Erfahrung, seine Truppen seien in 
jedem Stücke stärker, ohne sich um das wie und warum über 
Gebür zu quälen. Der Feldherr arbeitet mit einem 
weit geringeren Apparat an Gedanken, als es die 
Kriegsgeschichte thut, und als die Kriegsge- 
schichte ihm gemeiniglich zu im put ieren pflegt. 
Er fragt sich nicht vor jeder Action, die einer seiner Unterführer 
unternehmen will, wie die Chancen im Detail sein möchten; 
sondern, sein Kriegssystem im großen Ganzen kennend, über- 
lässt er es dem Unterführer, im Rahmen dieses Kriegs- 
systems das Richtige zu thun. Alles und jedes kann der Feld- 
herr ganz einfach nicht wissen und erwägen; vorkommen 
kann, sowie es 1806 vorkam, dass der Feldherr insoferne 
überrascht wird, als da oder dort ein Führer mit einem Truppen- 
theile soviel geleistet hat, als er, der Feldherr selbst, nicht er- 
wartete. Dann lag aber der Grund hiefür so recht eigentlich in 
der Stärke des eigenen Systems — wenngleich nicht stets, 
doch meistentheils, — des Systems, das der Feldherr im großen 
Ganzen kennt. So war es hier mit Davout, und sehr ge- 
mischt, wie wir oben sahen, waren Napoleons Empfindungen bei 
Erhalt der Siegespost; er sah, wie stark seine Mittel im an- 
genommenen Systeme waren, so stark, dass sie seine persön- 
lichen strategischen Fehler gut zu machen vermochten. Dieses 
universelle Stärkegefühl zeitigt Gefühl der Stärke im Detail bei 
allen Unterführern. In der That, die Leistungen der Marschälle 



Digitized by VjOOQIC 



— 353 — 

des ersten Kaiserreiches flössen zum allergrößten Theile aus der 
Kriegspraktik des K aise rr eiche s und keineswegs 
aus den persönlichen Eigenschaften der Führer. 
Es ist ein Abglanz des napoleonischen Systems, welches den 
Herzog von Auerstädt verklärt und fast tritt seine persönliche 
Physiognomie dagegen zurück. Nicht weil die Marschälle Helden, 
ideale Heerführer waren , zeigten sie an allen Orten Initiative, 
Vorhand, Activität; sondern sie erhoben sich zu diesen kriegeri- 
schen Tugenden, weil ihre Mittel eben stärkere waren. 
Nichts als Phrasen scheint alles dies zu sein, und wohl liegt 
darin Stoff zu actueller Erwägung genug. Und bis zur höchsten 
Stelle uns erhebend, nehmen wir ein Gleiches wahr. Napoleon 
glaubt einfach, diesesmal der specifisch Stärkere zu sein und 
handelt demgemäß; obwohl er sein Siegesbewusstsein nicht so 
ad hoc analysiert, wie wir, denen die Muße eines langen Friedens 
die Zeit dazu gewährt. 

Dass dieses Siegesbewusstsein seit Austerlitz mächtig ge- 
wachsen war, steht geschichtlich fest. Wir sahen, wie es in 
diesem Kriege Napoleon in eine prekäre Lage brachte, prekärer 
als die Mortiers am Dürrenstein das Jahr vorher. Allein gerade 
dadurch, dass solche Lagen glücklich überwunden wurden, er- 
hält sein Glaube an sich und seine Mittel neue, mächtige Nahrung. 
Die Überzeugung von der Unbesiegbarkeit seiner Mittel, der 
Übermuth auf ihre Stärke, das Pochen auf dieselbe, gehen vom 
14. October aus, und dies ist wahrhaft der Beginn einer Phase 
in des Kaisers persönlicher Entwicklung, die von nun an mächtig 
wachsen wird. Doch soll dieser unendlich interessante seelische 
Abwandlungsprocess an anderer Stelle aufgezeichnet werden, 
sofern uns dies gelingt. Für 1806 ist die Phase der Entwicklung 
in Napoleons Feldhermthum, wie wir sattsam sahen, der Appell 
an*s Abmessen der Kräfte, nachdem er jetzt, 1806, 
angesichts derStärke seiner Mitte 1, der heroischen 
strategischen Künste seiner Lehrjahre nicht 
mehr bedarf. 

Wir haben bereits — soweit wir es vermochten — dar- 
gethan, dass ein Kampf, wie ihn Preußen bei Jena-Auerstädt be- 
stand, auf das ganze Heer, Führung sowohl als Truppen, auf- 
lösend wirken musste, nachdem wir, wie wir glauben, genügend 

C. von B.-K. Zur Psychologie des großen Krieges II. 23 



Digitized by VjOOQIC 



354 



und erschöpfend dargethan, dass er auflösend war und warum 
er es war. Die ungeheure Reaction in der Seele eines Heeres, 
dem man immerfort und beharrlich wiederholte, man führe es 
zum Sieg, dem man Verachtung des Gegners geflissentlich an- 
erzog, und das so bittere Erfahrungen machte, wie das preußi- 
sche am 14. October, ist begründet im Wesen des Krieges und 
wir kennen kein Heer aus keiner Zeit, das sich einer so furcht- 
baren Enttäuschung gegenüber gleichmüthig verhalten hätte. 
Nicht darf daraus jedoch, beileibe nicht, gefolgert werden, es sei 
das Princip, die Heere an sich glauben zu machen, ein ver- 
werfliches. Diesmal, dieses eine Mal, war die Ungleichheit 
in der Mechanik so gewaltig, dass Imponderabilien sie nicht 
wett zu machen vermochten, und dass diese jetzt fielen sehr 
erklärlich, doch sind sie selbst nicht zu verwerfen. Wohl 
traten nach der Entscheidung verderbliche Folgen der Selbst- 
überschätzung ein ; aber welche Zeit erzieht ihre Mittel vor 
allem für die Niederlage? Gerecht und milde muss man sein, 
will man die unverhüllte Wahrheit des Krieges sehen. Alles 
wandte man zu jener Zeit in Preußen an, um den Sieg zu 
erhalten, in Vorbereitung der Mittel; sie auch noch dazu 
gegen das Missgeschick immun zu machen, ging nicht gleicher- 
weise an, so wie man es heute noch nicht, aus kriegspsycho- 
logischen Rücksichten thut. Um das jammervolle Bild des Rück- 
zuges zu erklären, um die Festungsübergaben und Capitulationen 
im freien Felde, die damals förmlich Mode wurden, zu verstehen, 
dazu genügt nur Objectivität, bei der man immer weit entfernt 
davon sein kann, jene gut zu heißen. Es würde uns nicht über- 
raschen und überrascht uns nicht, wo wir Muth, Entschlossen- 
heit, Widerstand zum äußersten begegnen. Aber wir schlagen 
nicht pharisäerhaft die Hände über dem Kopfe zusammen, wo 
wir natürliche Wirkungen natürlicher Ursachen sehen. „Wohl 
muss zugegeben werden, dass die Zeit vor Jena mit der Phi- 
lanthropie und ihrem Cosmopolitismus und ihrem Biedersinn viel 
dazu beigetragen habe, Jena zu erklären," wird uns verblümt 
gesagt, so nebenher. Der Geist der Zeit, in der die 
Entscheidung fiel, der ist die allererste Potenz, die 
wir betrachten müssen, wollen wir ihre Folgen 
verstehen; er ist der Schlüssel zu so manchem, 



Digitized by VjOOQIC 



- 355 — 

was ohne solchen unverständlich scheint. Alle 
preußischen Führer handelten im Geiste ihrer Zeit, denn sie waren 
Kinder ihrer Zeit und mussten es wohl sein. Jede Zeit hat 
andere Ideen über den Punkt, wohin der Krieg 
auf seinem Wege zum äußersten vordringen 
kann und soll. Auch unsere Zeit kennt solche 
Grenzen, die man Völkerrecht, die man Humani- 
tät, die man Gesittung nennt. Wie stünden wir 
wohl einem Kriege gegenüber, der sich über 
diese Grenzen — kr iegsco n ven tionelle Grenzen 
des XIX. Jahrhunderts — rücksichtslos erhebt? 
Wir würden einfach rath- und that- und hilflos seini Das 
war die Lage 1806. Die Rücksichtslosigkeit des 
napoleonischen Krieges, die wir uns seither zum 
Muster nahmen, und die man heute für selbst- 
verständlich hält, erschien den Männern jener 
Tage als eine Barb arei, gegen die nicht anzukäm- 
pfen sei, und sie senkten das Panier. Wer über 
die eigene militärische Epoche hinwegzusehen vermag, wer die 
Vergangenheit des Krieges und die Unveränderlichkeit der mensch- 
lichen Seele kennt, entsinnt sich der Veränderlichkeit in der 
Natur des Krieges, die uns ebenso wie unseren Vätern die aller- 
ungeahntesten Überraschungen zu bringen immerhin vermag. 
Nicht sagen wir, das Verhalten des deutschen Volkes und des 
deutschen Heeres sei 1806 ein rühmliches oder auch nur ein für 
den Augenblick opportunes gewesen. Aber wir verstehen, dass 
es natürlich war. 

Rückzug und Verfolgung tragen den weltgeschichtlichen 
Typ dieses Krieges. Wir verstehen Friedrich Wilhelms III. angst- 
erfülltes Flehen um einen Waffenstillstand, denn jeder Monarch, 
der nicht eine Ausnahmserscheinung ist, hätte gehandelt wie er. 
Wir würdigen den Umstand, dass der Wille des Königs, nicht 
mehr zu kämpfen, in Truppen und Führer, die sehr gewillt sein 
mussten, dem Wunsche des Königs entgegenzukommen, überfloss. 
Wir begreifen den Innern Widerspruch, in welchen die ganze Kriegs- 
handlung durch das stolze Ablehnen jeder Verständigung seitens 
Napoleons gerathen musste. Wieder floss hier die Poli- 
tik, die im Hauptquartier verfertigt wurde, ver- 

23» 



Digitized by VjOOQIC 



— 356 — 

derblich in die Kriegsaction. Wenn Generale, die 
nur den beschränkten Zweck: zu kämpfen oder sich kämpfend 
zurückzuziehen, kennen und befolgen sollen, durch die diploma- 
tischen Schmarotzer des Hauptquartiers beständig auf dem Lau- 
fenden erhalten werden von den Abwandlungen einer Politik, 
die den Frieden sucht, so werden sie, falls sie nicht so urwüchsige 
Degen sind wie Blücher, den Wunsch ihres Monarchen vorweg- 
zunehmen suchen. Sie werden dies, wie wohl am Tage liegt, 
der Kriegshandlung zum Vortheile nicht thun. Ein solches ge- 
schah hier;^ es lag im Geiste jener Zeit und muss gleichfalls 
verstanden sein. Dies lehrt uns, wie sehr in manchen Fällen 
beschränkte, blinde Werkzeuge wohl zu gebrauchen sind; und 
wie es oftmals gut für den Zweck des Soldaten ist, wenn er, ohne 
an die Politik zu denken, streng bei seinem Handwerk bleibt. Wir 
sagen dies nicht allein mit einem Blicke auf die Truppenführer, die 
sozusagen auf Schleichwegen von der Politik des Königs sich 
Kenntnis zu verschaffen wussten ; denn diese Kenntnis, somit dies 
Thun, war illegal. Es gilt dies jedoch gleicherweise für den Führer 
der Armee, wenn er nicht ganz besondere Gaben hat ; Aushilfs- 
führer, wie solche der König hier auf seinem Rückzug wählte. 
lassen, wie der Franzose treffend sagt, jede von oben empfangene 
Idee in die Maschine transpirieren. Es ist um Aushilfsführer über- 
haupt ein eigen Ding, und man darf sie nicht mit jenem Maße 
messen, mit dem man andere Führer misst. Unkenntnis, Un- 
geübtheit, Verdruss mit der Aushilfsrolle, die ihnen, nothdürftig 
als Vertrauensrolle ausstaffiert, überwiesen ward, wirken auf solche 
Feldherren ein. Die ganze Verwirrung, die sich auf dem Rück- 
zuge ergab, war zum Theile die Folge des Wechsels im Befehl. 
Und hier müssen wir zum erstenmal aufrichtig gestehen, dass 
es nicht hinwegzuleugnen ist, die Blessur des Herzogs, also ein 
accidentielles Ereignis, habe verderbliche Folgen gehabt. Jedoch 
diese Folgen erhöhten nur mehr die Auflösung, sie führten 
dieselbe nicht herbei, sondern vervollkommneten 
sie nur. Wir sehen auf diesem Rückzuge, aber auch erst auf 
diesem, die bösen Früchte reifen böser Saat, die Irrthümer ver- 
gangener Jahre in die Armee gestreut. Wir betrachteten die Mechanik 
der Retraite und wenn wir uns auch gestanden , wir würden 
sie nicht in jedem Stücke so befohlen haben, wie sie geschah. 



Digitized by VjOOQIC 



— 357 — 

falls wir das vom Gegner wussten, was wir heute wissen, so 
verstehen wir sie doch. Wir sahen in ihr nur unvermeidliche 
Consequenzen der Schlachten. Die Idee, nach Magdeburg zu 
gehen, die wird wohl niemand verdammen wollen. Wir sahen 
die materielle Unmöglichkeit für Hohenlohe, hier zu bleiben, und 
billigen mussten wir es, wenn er abmarschierte. Wir sprachen 
kein Wort von der strategischen Heilmethode, die Clausewitz nach- 
mals für jene Tage ausgedacht und die vor ein paar Jahren in 
seinen Nachrichten zum Vorschein gekommen ist. Wir zögern 
nicht zu sagen, dass wir hier den berühmten Autor des Buches 
vom Kriege nicht wiedererkennen ; mit der geschlagenen Armee 
will er in drei Tagen 18 deutsche Meilen machen, er glaubt, das 
wäre die Medicin gewesen, die eine vernunftgemäße Strategie 
dem todeswunden Heere zu reichen gehabt. Wir bitten sehr, 
darüber in dem bekannten Werke nachzulesen und dann ent- 
scheide man, ob unsere Kühnheit wohlberechtigt sei. Wäre 
dieser Marsch angetreten und beendigt worden, 
so würde er als ein Markstein in der Kriegsge- 
schichte stehen; man würde ihn ganz einfach für 
übermenschlich halten. Begann man ihn und versagten die 
Mittel, so trüge heute Hohenlohe zu den Vorwürfen moralischer 
Xatur, mit welchen man ihn überlud, auch den des Wahnsinnes. 
Wir haben hier ein seltenes und auffallendes Beispiel vor uns, 
wie ein seiner Kraft bewusster Geist individuell Kriegsgeschichte 
schreibt. Er selbst traut sich die Fähigkeit zum 
Unmöglichen zu, und so lehrt er dasUnmögliche; 
wohl ist ein gesunder Kern darin, wenn der Lehrer von dem 
Schüler das Unmögliche verlangt. Allein gefährlich kann es sein, 
niit Illusionen zu spielen, die vor dem Auge dessen, der im 
Kriege stehen und sich entschließen sollen wird, vor der er- 
barmungslosen Wirklichkeit des Krieges in nichts zerrinnen 
werden. Solche Illusionen macht nur eine Ausnahmsnatur zur 
That, diese bedarf eines Ausnahmscharakters, und diesen er- 
zeugt man nicht durch schonungslose Kritik. So darf die Kriegs- 
geschichte — Clausewitz in Ehren — nicht geschrieben sein. 

Wir sind wohl überzeugt, dass niemand es fälschlich deuten 
wird, wenn wir uns sowohl im ersten als im zweiten Hefte des vor- 
liegenden Werkes gegen den unvergleichlichen Lehrer des Krieges 



Digitized by VjOOQIC 



— 358 — 

gewandt. Nicht Polemik kann es sein, wenn sich der Schüler in 
einzelnen Fällen mitunter gegen den Lehrer erhebt, sondern der 
Umstand, dass er ihn nicht beiseite liegen lassen kann, und es 
nicht über sich gewinnt, ihn einfach abzuschreiben. 

Wir wollen hiermit die Betrachtung des Rückzuges schließen. 
Denn nur ganz außerordentliche Kraft eines hervorragenden 
Charakters, der die anderen Charaktere zwang, über das im 
System der Zeit liegende Maß an Energie hinauszugehen, hätte 
hier Rath zu schaffen vermocht. Dass ein solcher Charakter 
nicht zur Stelle war, ist uns hinreichend bekannt. Und kann es 
bilden, wenn wir aus sicherer Ferne anzugeben uns vermessen 
sollten, was hier zu thun war? Charaktere, die über das, was 
ihre Zeit als Maß für den Charakter festgesetzt hat, sich erheben, 
nochmals, die bildet man durch Belehrung nicht, sie bilden sich 
selbst und ziehen aus der bloßen Betrachtung dessen, was ge- 
schah und unterblieb, stets ein richtigeres Resultat hervor, als es 
fremde individuelle Betrachtung jemals zu bieten vermag. 

Was Napoleons Verfolgung anbetrifft, so geht — trotz allem 
was die Wissenschaft dagegen gesagt hat und noch dagegen 
sagt — aus dem Materiellen derselben die Thatsache hervor, dass 
der Kaiser sofort nach den Schlachten Berlin als Operationsobject 
in*s Auge gefasst hat, und die Ausbeutung des Sieges secundären 
Kräften überließ, da ihm der Sieg zu vollständig erschien, um 
ihn selber auszubeuten. Wahrhaftig, Napoleon sah nach dem 
14. Ocfober in der geschlagenen Macht des Gegners kein Ope- 
rationsobject, sondern nur eine hochwillkommene Beute für ein 
paar seiner Corps; wahrhaftig, er ruhte aus und gab seinen 
Mitteln, die sich so vorzüglich bewährt, ein paar Tage der Er- 
holung, rein militärisch angesehen, vielleicht sogar einen zuviel; 
wahrhaftig, er wählte den geographischen Punkt Berlin zu seinem 
Operationsobject. Unglaublich ist, wie zeitgenössische 
Kriegstheorie die Kriegsgeschichtsschreibung vergangener 
Zeiten bestimmt, und wie sehr sie das Urtheil gelegentlich ver- 
wirren kann. Weil man aus Napoleons Kriegen die doctrinäre 
Lehre zog, er habe immer nur die Hauptmacht des Gegners 
zu seinem Operationsobjecte gemacht; seine Schnelligkeit und 
Beweglichkeit seien immer gleich unermüdlich gewesen ; immer 
habe er verächtlich auf geographische Punkte heruntergesehen: 



Digitized by VjOOQIC 



359 



SO dreht und windet sich die Kriegsgeschichte dann, wenn sie das 
Gegentheil wahrnimmt, nach allen Richtungen, um den Contrast 
in das System, so gut oder so schlecht es eben geht, zu pressen. 
Sie übersieht die ungeheure Mannigfaltigkeit, in welcher der Krieg 
überhaupt und ganz besonders in der Hand eines 
Feldherrn von erstem Range, wie der erste Na- 
poleon es war, und unter verschiedenen Verhält- 
nissen, wie solche die napoleonischen Kriege 
weisen, aufzutreten pflegt. Sie nimmt nicht wahr, oder 
hütet sich wahrzunehmen, dass kein Krieg dem andern 
gleicht, so dass diese, sogar was die leitenden Ideen betrifft, 
so große Unterschiede zeigen, wie die Individuen derselben Art. 
Und hier trafen zwei Arten des Krieges zusammen. 

So stellen wir — des Widerspruchs gewärtig — indem 
wir hoffen, es werde eine Zeit erscheinen, die unserer Meinung 
beipflichten wird, folgende Thatsachen fest, die das Bild des 
Krieges vollenden. 

Napoleon unterlässt die Verfolgung mit dem größten Theile 
seiner Macht, weil er erkennt, der Gegner sei so total besiegt, 
dass er als ein würdiges Operationsobject nicht mehr anzusehen 
sei. Wohl mahnt der Kaiser die Marschälle, das Möglichste zu 
thun, um die Zerstörung zu vollenden ; doch er selbst greift nicht 
mehr ein. Es lesen sich die bezüglichen Befehle wie die Direc- 
tiven eines Commandanten, der einem Untergebenen eine Neben- 
operation befiehlt; auch jener schärft diesem Gewissenhaftig- 
keit, Beharrlichkeit u. s. w. ein ; allein trotzdem hält er den Zweck 
für eine Nebenoperation. Man muss nicht der Doctrin zuliebe 
das in Napoleons Correspondenz ernst nehmen, was in dieselbe 
passt, sondern nur das, was sich mit dem, was er that, gedeckt 
hat. Für den Menschenkenner liegt es klar am Tage, wie Na- 
poleon mit seinen Gedanken nicht so intensiv bei der Verfolgung 
war, wie es das militärische Ideal, das er uns sein soll, erheischt. 
Und darauf kommt es an. Erheben wir uns über die Doctrin 
und erkennen wir, dass, wie dieser Krieg ein Ausnahmskrieg 
gewesen ist, auch Napoleon ausnahmsweise handelt; wahrlich, 
dass er dessen fähig sei, davon hat er sowohl früher als später 
Beweise genug gegeben. 

Napoleon unteriässt die legendäre Activität der Kriegführung, 



Digitized by VjOOQIC 



- 360 — 

indem er seinen Truppen ein paar Tage Ruhe gönnt. Klar sehen 
wir, warum er's that. Er glaubte vor sich bis nach Berlin ofifenen 
Weg zu haben und erwog, ein Tag früheren Erscheinens da- 
selbst wiege die Vortheile nicht auf, die sein Heer aus der Ruhe 
gewann ; ja, materielle Vortheile sind nachzuweisen, wenn man 
an die natürliche Dankbarkeit für seine Truppen durchaus nicht 
glauben will. Noch klarer sehen wir, wie aus der Sorglosigkeit, 
mit der Napoleon ruhte, ihn die Nachricht des Gefechts von Halle 
rief und der Argwohn, die Elbe sei gesperrt. Jetzt kommt Leben 
und Bewegung in die Armee und sofort bricht sie auf, um die 
so wichtigen Übergänge zu gewinnen. So klar, so deutlich 
sehen wir, wie der Kaiser der Franzosen hier wieder nicht nach 
der Doctrin, welche ihm die Epigonen imputierten, 
sondern nach dem Augenblicksbedürfnisse des Krieges handelte. 
Ein paar Tage der Ruhe schienen ihm zulässig, als der Feind 
zerschmettert war ; er gewährte sie, da der Krieg sie ja eben 
erlaubte. Sofort eilt er zu neuem Thun, als es der Krieg verlangt. 

Diese beiden Züge vollenden das Bild des Krieges von 1806. 
Napoleon trägt eine gewisse, eine gewisse, sagen 
wir, Sorglosigkeit zur Schau; er argwohnt keine 
großen Widerschläge ; nach den Schlachten benimmt er sich 
sozusagen behäbig, denn er ruht. Sein ganzes Thun nach dem 
14. October athmet das Bewusstsein, die Arbeit sei rasch und 
gänzlich gethan, und es bliebe nur mehr die Consequenz aus 
dem Erreichten zu ziehen. 

Napoleon wählt endlich Berlin als Operations- Object, das 
er im Beginne des Krieges schon als Endziel des Krieges ansah. 
Schon früher wiesen wir darauf, dass Berlin, die Hauptstadt der 
preußischen Monarchie, auch 1806 kein „geographischer" Punkt 
gewesen ist, sondern ein Object von erster kriegspolitischer 
Attraction. Wir stehen nicht an zu glauben, dass 
der Zweck des Krieges auch in unseren Tagen 
es manchmal erheischen kann, gewisse mili- 
tärische Vortheile der Besetzung eines „geogra- 
phischen" Punktes, wie die Capitale des gegne- 
rischen Staates, ohne Vorurtheil zu opfern. Wir 
halten uns für überzeugt, dass hier, im Jahre 1806, von Seite 
Napoleons ein Ähnliches geschah. Bekanntlich hat er das Gleiche 



Digitized by VjOOQIC 



— 361 — 

1813 ZU wiederholen versucht, als er Oudinot doch wahrlich 
nur aus politischen Gründen — seine Feinde sagen, aus Rach- 
sucht gegen Preußen — mit einem starken Heere auf Berlin ge- 
sandt. Wir haben hier somit die historische Analogie. Bedenke 
man, dass sich Napoleon wohl den Eindruck ausmalen konnte, 
welchen die Besetzung von Berlin auf Europa, mithin auf die 
Russen machen musste , und man wird begreifen , dass er 
wohl von Haus aus entschlossen sein konnte, einige Tausend 
Gefangene und einige Beutekanonen mehr diesem Zwecke zu 
opfern. Hier dictierte oder konnte doch die Politik militärische 
Unterlassungen dictieren, welche rein militärisch, an der Hand 
der Doctrin, nicht zu erklären sind, welche jedoch die Politik 
mehr als genügend erklärt. Aber bemerkt muss werden und 
stets erinnere man sich, dass nur, wer stärker ist, militärische 
Unterlassungen politischen Zwecken zuliebe in der Regel straflos 
begeht. 

Wir glauben, es werde nach alledem nicht mehr nöthig 
sein, das Urtheil der Kriegsgeschichte, dessen wir Erwähnung 
thaten, als gebüre dem Glücke Napoleons ein großer Antheil am 
endlichen Erfolge, indem es reiner Zufall war, dass er vom Marsche 
des Fürsten zu Hohenlohe erfuhr, auf seinen wahren Wert zu- 
rückzuführen. Jener lief ihm an der Havel geradezu in's Garn. 
Wohl erfuhr Napoleon zufällig hievon, und dieser Zufall führte 
nach Prenzlau und Lübeck. Aber er hätte sicherlich, wie die 
Dinge lagen, früher oder später, so oder so, in Erfahrung ge- 
bracht, Hohenlohe ziehe nach der Oder. Wir wollen hier auf 
die Bereitwilligkeit der preußischen Bevölkerung, den Sieger mit 
Nachrichten zu versehen, nicht mehr als nöthig verweisen ; klar 
liegen die Dinge Ziffern- und datenmäßig, ja geographisch für 
den, der sehen will. Und dann, was waren das für Trümmer, 
die an der Ucker und an der Trave in seine Hände fielen.^ an 
Zahl sowohl als an Beschaffenheit? Nur Epiloge weist uns die 
Geschichte noch und so glänzend sie auch für Frankreich waren, 
das Resultat haben sie nicht wesentlich mitbestimmt und dem 
welthistorischen Charakter des Krieges würden sie, wenn nicht 
geschehen, keinen Eintrag thun. 

Die Entscheidung des Krieges lag bei Jena-Auerstädt. W i r 
sehen, wie der materielle Krieg diesmal über jene 



Digitized by VjOOQIC 



— 362 — 

Form des Krieges, die vornehmlich mit geistigen 
Hebeln wirkt oder wirken will, glänzend obsiegt. 
Denn auf den Contrast von wirklichem Kampfe 
und Drohen im Kampfe laufen die Extreme hier 
wie dort in letzter Linie hinaus. 



So bliebe uns denn noch die Moral des Krieges aus der 
Erzählung des Krieges abzuklären übrig. 

Man begreift unter dieser Moral jene Summe an Erfahrungs- 
sätzen, die, aus dem Kriege von dazumal geschöpft, und in 
didaktische Form gegossen, auch für die Gegenwart noch geltend 
sind. 

Der menschliche Geist hat immerdar darnach gestrebt, die 
Lehren der Erfahrung in allgemeine Thesen umzugießen. So 
sucht er es auch für den Krieg zu thun. Es liegt dieses Be- 
streben in der menschlichen Natur, welche Ordnung und Zu- 
sammenhang in das Urtheil bringen will. Was den Krieg betrifft, 
so entstehen jene Sätze, welche jede Zeit die unveränderlichen 
Grundsätze der Kunst des Krieges nennt, zum Theile aus diesem 
registrierenden und ordnenden Motiv. Der Geist des Kriegs- 
schriftstellers nimmt sich vor, die allgemeinen Grundsätze des 
Krieges aus den so heterogenen Erscheinungen des Krieges zu 
gewinnen und dieses nivellierende Bestreben beherrscht ihn auch, 
wenn er Contraste sieht. Es geht nicht an für den didaktischen 
Zweck der Kriegsgeschichte, die Kriege als Individuen anzu- 
sehen, deren Leben besonders studiert sein will; denn sie ge- 
riethe zu einer Sammlung von Besonderheiten und nicht zu 
einem Sammelbild; denn es gilt Axiome, ein Bündel von solchen 
zu gewinnen und nicht eine Reihe von Lehren für den Aus- 
nahmsfall; denn es handelt sich darum, dem Autodidakten, der 
den Krieg studiert, das Gemeinsame des Krieges und nicht das 
Besondere desselben zu zeigen. 

Ersichtlich tritt hiebei zu Tage, dass der Krieg als Individuum 
— und ein solches wird er auch in der Zukunft bleiben — 
hierunter leiden muss. 



Digitized by VjOOQIC 



- 363 - 

Wir stehen nicht an zu glauben, dass das Studium eines 
Krieges im Detail mitunter weit mehr bilden kann, als das Durch- 
arbeiten eines Abrisses der ganzen Kriegsperiode. 

Indess, es ist so ; der Lehr- und Lernzweck erheischt es 
so. Rückwirkend ist auch der Geist, den man aus der Kriegs- 
periode zog, auf die Betrachtung eines ihrer Kriege. 
Wer heute einen Krieg des ersten Kaiserreiches schreiben will, 
der muss vor allem dessen Interpreten wohl gelesen haben, auf 
dass er wisse, welche leitenden Ideen an die Vorgänge des 
Krieges anzupassen sind. Er betrachtet das Besondere; und die 
allgemeinen Ideen, die er mitgebracht, beherrschen ihn bei Be- 
trachtung des Besonderen; er sucht die abgeleitete 
Theorie mit der überlieferten Wirklichkeit auf 
jeden Fall zu reimen. Das kennt er, was man Napoleons 
Maximen nennt, unantastbar scheinen sie ihm zu sein, und um 
solche nicht anzutasten, corrigiert er, nicht die Geschichte selbst, 
denn die steht fest, sondern das historische Urtheil. 

Und doch — wir sagen es mit Überzeugung — gibt es 
wohl keine größeren Contraste in der Natur des Krieges, als wir 
sie in den Kriegen finden, die der erste Kaiser der Franzosen 
gefuhrt hat. Die einfache Erwägung, wie verschieden die Mittel, 
wie heterogen die Zwecke, und wie von einander abweichend 
die Resultate waren, führt geradewegs zum Schluss, jeder Krieg 
Napoleons müsse ein besonderes Aussehen weisen. 

Wir haben der Meinung wiederholt Ausdruck gegeben, der 
Krieg von 1806 sei eine Ausnahmserscheinung und müsse von 
diesem Gesichtspunkte aus betrachtet werden. 

Aber ein anderes Motiv, praktischer, scheinbar zweckbe- 
wusster, und doch vor allem instinctiv, weist die Kriegsgeschichte 
auf den Pfad, der zu allgemeinen Lehren, zu unveränderlichen 
Grundgesetzen des Krieges führen soll. Thatsache ist, dass sie 
sich beeifert, aus den Kriegen jeder Epoche die unveränderlichen 
Grundsätze hervorzusuchen, und hoch ist sie erfreut, wenn ihr 
dies gelingt. Neuerdings sagt man nicht mit Rüstow „unverän- 
derliche Grundgesetze'', sondern „Axiome'% wenigstens was die 
Strategie betrifft. Welches ist nun das zweite Motiv ? Es ist das 
instinctive Streben, sich Geisteswaffen zu verschaffen, von 
denen man die Hoffnung hegt, sie würden auch in Zukunft wirk- 



Digitized by VjOOQIC 



- 364 — 

sam sein. Das Suchen nach Axiomen um jeden Preis ist nicht 
so doctrinär, als es den Anschein hat, sondern es ist das bange 
Haschen nach einer Richtschnur und nach einer Norm zum Thun 
im künftigen Kriege, von welcher Norm man hofft, die Zukunft 
gehöre ihr. Es ist das Forschen nach den unveränderlichen Grund- 
gesetzen der Feldherrnkunst in letzter Linie nichts als der u n- 
bewusste Protest gegen die Veränderlichkeit in 
d er Natur des Krieges, die sich so oft verhäng- 
nisvoll geäußert und vor der die Gegenwart be- 
ständig zagen muss. 

Zugeben muss man, dass dieses Streben sehr natürlich, ja 
dass es sogar didaktisch wohl angebracht sein kann. Jedoch 
es zeigt den Krieg nicht so, wie er in derVergan- 
genheit gewesen ist, sondern wie man gerne möchte, 
dass er in Hinkunft sei. Es ist das wissenschaft- 
liche Forschen nach Axiomen für den Krieg mit 
einem Worte nichts, als die Bitte an die Zeitge- 
nossen, über die kriegsconventionelle Überein- 
kunft, die eben herrschend ist, ni c ht hina uszu- 
gehen. 

Dieses Bitten wird, angesichts der welthistorischen Noth- 
wendigkeit, dass sich der Krieg verändere, meist vergeblich sein. 

Ist der Krieg conventionell geworden, so eilt die Wissenschaft, 
ihn als die vollendetste Form des Krieges darzuthun. Üppig 
wuchert an allen Orten die Euphemie oder besser die ungeheure 
Lüge vom Fortschritt, den der Krieg bisher gemacht. Es ist ein 
eigenthümliches Problem, wieso es kommt, dass man für eine 
so zerstörende und unglückbringende Action der Weltgeschichte, 
wie der Krieg, das harmlose Wort vom Fortschritte braucht: 
es liegt Genugthuung und Selbstberuhigung darin, von dem durch 
den Fortschritt Erreichten zu reden, ohne näher darauf einzu- 
treten, wie die nächste Stunde schon den Fortschritt von heute 
in's alte Eisen werfen kann. Gefährlich ist es in der That, daran 
zu erinnern, und es öffentlich zu sagen, der Krieg stehe nicht 
still und alles, was bisher erreicht ward, sei vielleicht nichts 
anderes als Übergang zu Neuem. 

Der Zweck dieser Philosopheme rückt sofort in's rechte 
Licht, wenn wir an die Zeit von Jena denken. 



Digitized by VjOOQIC 



- 365 — 

Wir nahmen an, dass dieser Krieg als Ausnahmserschei- 
nung zu betrachten sei; und so wollen wir, oder besser, wie 
wir eingestehen, können wir sehr wenige, nur ein paar un- 
veränderliche Grundgesetze der Feldherrnkunst mit gutem Wissen 
und Gewissen aus demselben ziehen. 

Man lese die Militärliteratur aus der Zeit vor Jena und 
man wird sehen, dass Preußen dazumal, sowie heute wir, im 
conventioneilen Kriege seiner Zeit jenen Krieg erblickte, der 
grundsätzlich nicht mehr zu verändern sei. Die Axiome 
für jene Zeit trugen die Männer jener Zeit aus der Kriegs- 
geschichte der ganzen Zeit vorher zusammen und hervorragend 
beeinflusst waren diese Sätze durch den Fortschritt, den Fried- 
rich eingeführt ; sowie wir heute wieder unsere Axiome 
aus der Vergangenheit bis zu unseren Tagen suchen und be- 
friedigt darauf sehen, wie herrlich weit wir es zuletzt gebracht. 
Unsere Gegenwart erscheint uns als Vollendung*), 
sowie ihre Gegenwart un s eren Vätern als Vollen- 
dung e rschien. Um zu verstehen, wieso es kam, 
dass die Männer der vo rjen a'schen Zeit nicht 
vorausgesehen haben, was sich vorbereitete, be- 
denke man, wer von uns in der Lage ist, auch nur 
zu ahnen, was uns die Zukunft b ringen w erde ; 
und doch ist nicht zu zweifeln, dass auch unser 
Krieg sich sehr verändern wird. Daraus leitet 
man ohne Mühe ein Axiom, das wohl für alle 
Zei ten G eltu ng haben wird: Jede Zeit sieht ihre 
Art zu kämpfen als die vollendetste an und kaum 
kann sie verstehen, was an deren Stelle gesetzt 
zu werden vermöchte; indem, wie männiglich bekannt, 
man nicht in der Zukunft lesen kann. 

Man muss sich allen Ernstes auf den Standpunkt stellen • 
Jede Epoche hält ihren Krieg für den vollendetsten Krieg; wir 
thun es für unsere Zeit; es muss für jene gelten ! 



*) Die Sprache muss mit solchen Abstractionen naturgemäß im Hader sein. Vollen- 
dang bedeutet hier soviel, dass die ungeheure Mehrheit der Zeitgenossen unsern Krieg als 
einen solchen, der nicht mehr grundsätzlich zu verändern ist, ansehen und die Praxis 
sich dieser Anschauung durch That und Unterlassung fQgt; nicht schließt dies vereinzelte 
Meinungsgegensätze, Propheten einer neuen Zeit, unbequeme' Warner u. dgl. aus. 



Digitized by VjOOQIC 



— 366 — 

Fast unbemerkbar sind die Symptome, die, in der Gegen- 
wart allmählich keimend, die Wiege eines künftigen Krieges zu 
bilden bestimmt sind; unmerklich, leise treten die Ursachen auf, 
die unbedeutend sind dem Anscheine nach und doch zu den 
mächtigsten Wirkungen führen. Das scheint uns ein ewiges Ge- 
setz des Krieges in der That zu sein: dass Veränder- 
ungen der Bedingungen zum Kriege nicht voraus- 
sehenden Geistes, in ihren Folgen scharf und sicher 
abzuwägen sind. Es liegt, wie wir an Jena sahen, der große 
Unterschied an Wirkung wahrhaftig oft in einem geringen Un- 
terschied der Form, der an sich nicht gewürdigt werden kann, 
sondern über den einzig der Versuch belehrt. Wir haben das 
Bild der beiden Heere mit guten Gründen breiter ausgemalt, als 
es der Umfang dieser Studie zu erheischen schien ; wohl dachten 
wir zuerst daran, auch das Bild der Heere historisch zu 
geben, indem zuerst das alte Kriegssystem, ohne Blicke auf das 
neue, aus dem Thun des XVIII. Jahrhunderts logisch entwickelt 
ward, bis es uns allen plausibel, zweckmäßig, gut, erschien ;*) 
bis wir es für den unveränderlichen Krieg ange- 
sehen haben würden; und dann das neue ohne Blicke auf das 
alte, als eine Improvisation, ein Gemisch von Noth und zweckbe- 
wusstem Wollen, von dem Bedarf bedrohter Zeit und sieghafter 
Aussicht auf eine neue, dessen Wert erst zu erweisen sei; 
wir dachten lange daran, ob dieses, eine wahrhaft historische 
Art den Krieg zu betrachten , nicht doch durchführbar sei, und 
überzeugten uns, dass es doch nicht gut möglich war, denn wir 
leben eben noch selbst im neuen Systeme und es fehlt uns somit 
das Verständnis fiir's alte, das erst mit einem wieder neuen 
wiederkehren kann. So gaben wir das Bild der Heere rein 
militärisch und ziemlich breit, um — das Leitmotiv verkehrend — 
den großen, den ungeheuren, den aufaUenden 
Unterschied zu zeigen, der zwischen altem und 
neuem Kriege nach der Auffassung von heute bestand. 
Wir thaten dies, um die furchtbar ernste Lehre daraus abzu- 



*) Der Verfasser glaubt, dass dieses nicht ganz unmöglich ist Sehr lebhaft ist ihm Iq 
Erinnerung, wie er, zu einer Zeit, da er tlber den Krieg zu denken begann, doch dos Wesen 
des Krieges von heute in dem Mafle kennend, wie dies allgemein und üblich ist, BQlows 
Sätze ganz plausibel fand und ihm zustimmen musste, da er nicht imstande war, ihn zu 
widerlegen; er schämt sich nicht, dies einzugestehen. 



Digitized by VjOOQIC 



— 367 — 

leiten, wie die Menschen jener Zeit trotz eines so auffallenden 
Contrastes der Ursachen die Wirkungen mit voller Sicherheit 
nicht abzumessen wussten. Kann man glauben, jene Menschen 
seien blind gewesen gegen die Gefahr, und unser geistiges Auge 
habe sich seither geschärft, wie etwa die Kanonen verbessert 
worden sind? Der Mensch, seine Seele, sein Verstand, bleiben 
zu allen Zeiten gleich und um die Dinge ringsherum richtig abzu- 
wägen, dazu bieten sich dem Zeitgenossen nur jene Anhaltspunkte 
dar, die im Geiste seiner Zeit vorhanden und bekannt 
sind. Wir stehen dem Kriege von morgen geradeso mit Zweifeln 
gegenüber, und ebenso vermessen nennt man den, der den Pro- 
phetert heute spielt, wie jene Männer dem Kriege des XIX. 
Jahrhunderts gegenüberstanden und wie sie die neue Form des 
Krieges, die zum Bruch mit der bewährten alten drängte, miss- 
trauischen Auges sahen. Wenn wir bedenken, dass ein so auf- 
fallender Unterschied dazumal füglich nicht erkannt worden ist, 
so muss man sich eingestehen, dass er dazumal so auffallend 
nicht gewesen sein kann. Wenn wir erwägen , dass ein Geist 
wie Clausewitz lange Jahre ungestörten Denkens brauchte, um 
nur die Hauptgrundzüge des Krieges, den er selbst erlebt, einiger- 
maßen festzustellen; wenn wir uns erinnern, wie zögernd, tastend, 
unvollkommen, die ersten Versuche ausgefallen sind, die Lehren, 
die Napoleon gab, praktisch anzuwenden, und wie nur ganz 
ungeheure Zahlüberlegenheit es ermöglicht hat, ihn mit seinen 
eigenen Waffen — wie man damals wähnte — schließlich zu 
besiegen: so nimmt man wahr, dass die Symptome eines in 
seinen Wirkungen vom alten auffallend verschiedenen Kriegs- 
systems für den Zeitgenossen nicht auffallende sind. Es fließt 
dies aus der Unvollkommenheit der menschlichen Natur. Erst 
eine spätere Zeit erklärt die Gegensätze und sie thut 
oftmals zuviel darin, indem sie glauben machen will, 
jene Gegensätze seien dazumal ebenso sichtbar ge- 
wesen, wie sie es heute sind. Sie sind es nicht gewesen, 
auch zur Zeit von Jena nicht und man nahm sie nur mit Mühe 
und unvollkommen wahr, wie ein Blick in das militärische Denken 
vor Jena zeigt, aus dem wir ein paar Proben gaben. Wohl er- 
sehen wir, dass es Männer gab, die einzelnes vom Unterschied 
erkannten ; jedoch sie waren weiße Raben, unbequeme Prediger 



Digitized by VjOOQIC 



— 368 — 

einer neuen Zeit, der man die alte nicht ohneweiters opfern 
wollte. Wieder fließt dies aus dem Wunsche her, in der vor- 
handenen Form des Krieges, der wohlbekannten, vielgeübten, 
weiter fortzuthun. Jedoch es kommt dieser Wunsch nicht aus der 
Trägheit allein, und nicht ist er gewissermaßen selber Zweck: 
auch er ist logisch fundiert, ja opportun begründet; er kommt 
aus dem guten Glauben an die alte Form, an ihre Wirksamkeit, 
die man im Geiste prüfend neben die neue stellt, welchen Ver- 
gleich aber erst der praktische Versuch in der Regel zum 
klaren Urtheil wandeln kann. 

Man, das ist die Wissenschaß, erklärt und zeigt uns einen 
Contrast zwischen dem alten und dem neuen Kriege, wie er 
auffallender kaum jemals in der Kriegsgeschichte zu erblicken 
ist. Nur Pydna weist ein gleich auffallendes Bild der Gegensätze. 
Nun wissen wir, dass die Männer jener Zeit die Chancen des 
Kampfes nicht mit Deutlichkeit zu erkennen vermochten, obwohl 
sie gute, erfahrene, auch kriegsgewohnte Soldaten der alten 
Schule und mancher von ihnen ein tiefer Kriegsdenker war. Im 
Rahmen der Anschauung vom Kriege, die vor Jena in Preußen 
gang und gäbe war, galten diese Männer für Autoritäten, sowie 
gegenwärtig im Rahmen unserer Anschauung vom Kriege Männer 
für Autoritäten gelten. Doch die Welt schritt seitdem vor. Heute 
kennen sich die Gegner; heute, in der Ära der Militärbevoll- 
mächtigten; heute, da die internationalen militärischen Feste — 
Armeemanöver, zu denen man sowohl Freund als Gegner lädt 
— wieder in Schwung gekommen sind; heute, wo eine unend- 
lich reiche militärische Literatur, der sich fast keine Militärmacht 
entzieht, einen Austausch von Gedanken nach allen Seiten möglich 
macht; heute, da das Ideal des alten guten Lloyd, den Krieg inter- 
national wissenschaftlich zu pflegen, auf der Tagesordnung steht: 
gibt es keine Gegensätze, kann es keine geben, somit sehen wir sie 
nicht, können sie nicht sehen, und der Vergleich mit Jena hinkt! 
Ist dem so? Bestehen wirklich keine fundamentalen Gegensätze.^ 
Sie bestehen. Fundamental genug, um zur Ent- 
scheidung im künftigen Kriege zu führen. Denn 
wer ist wohl naiv genug zu glauben, die Entscheidung werde 
nicht erfolgen, da die Mittel scheinbar gleiche sind? Es glaubt 
dies niemand, doch indessen nimmt man an, die Entscheidung 



Digitized by VjOOQIC 



- 369 — 

werde sich im künftigen Kriege etwas in die Länge ziehen. Es 
mag dem ja so sein; jedoch es muss nicht sein, und verhängnis- 
voll ist es, darauf zu bauen. Der Krieg, wenn er zu conven- 
tioneil geworden, strebt nach einer neuen Form, oft unbewusst, 
und wer dieselbe vorwegzunehmen weiß, oder beiläufig findet, 
schafft sich eine Promesse zum Siege. Was kann diese neue 
Form wohl sein? Sie muss nicht wesentlich verschieden sein 
von dem , was wir heute kennen. Ein unmerkliches 
Mehr an kriegerischem Geist auf einer Seite kann 
— beso n ders wenn alle ande ren Mittel undFormen 
gleiche sind, — denAusschlag geben. Eine Nuance 
in der Führung des Gefechte s, die hier als System 
und dort accidentiell erscheint, kann — beson- 
ders wenn alle anderen Mittel undFormen gleiche 
sind — den Ausschlag geben. Und welch ein Blick 
eröffnet sich, wenn man an die Führung denkt? 
Wer controliert wohl heute den Gedankengang, 
in welchem sich derGeist desFührers im künftigen 
Kriege bewegt ? Eine Änderung in der Natur der 
Strategie, von der jener nicht spricht, von der die 
Zeitgenossen nichts erfahren, das zum Sy ste m- 
erheben einer Form, die wir bisher als acci- 
dentiell ansahen, kann — besonders wenn alle 
anderen Mittel und Formen gleiche sind — den 
Ausschlag geben. Man denke nur an den Contrast der 
Gegner von 1870, wie er heute wissenschaftlich festgelegt er- 
scheint, von dem aber vor der Entscheidung nur äußerst wenig 
Menschen wussten! Klar ist, dass hier die Extreme wohl nicht 
aufrecht zuhalten sind, die, der Deutlichkeit zuliebe, in der Kriegs- 
lehre angewendet werden. In der kriegsconventionellen Form, ganz 
in ihr, fechten niemals beide Gegner; unmerklich verschieden sind 
sie auch jetzt, Ende des Jahrhunderts; und es verwischt sich sehr 
die Grenze, wo das Abwandeln in der kriegsconventionellen Form 
zu einer grundsätzlich neuen wird. Doch wozu die Abstraction. 
Wenn wir, wie nach den Erfahrungen aller Zeiten wohl zu- 
gegeben werden kann, vorurtheilslos zugeben, dass, wenn in 
etwa fünf Decennien über einen großen Krieg, den wir heute 
führen, zu Gericht gesessen wird, die Epigonen die Contraste, 

C, von B.-K. Zur Psychologie des großen Krieges II. 24 



Digitized by VjOOQIC 



- 370 - 

die wir heute noch gar nicht sehen, zum Greifen klar und 
deutlich sehen werden, wie dies wohl stets geschah: so be- 
kennen wir offen und ehrlich und frei, es sei ein Axiom des 
Krieges, dass jede Epoche über ihren Krieg in Irrthü- 
mern befangen sein und bleiben muss, bis sie die Er- 
fahrung belehrt. 

Wir erkennen aus der Ängstlichkeit*), mit der Napoleon 
zu verhindern suchte und zum Theil thatsächlich verhindert hat. 
dass sein Kriegssystem von einem Eingeweihten literarisch fest- 
gelegt und aufgezeichnet werde, den tiefen Gedanken dieses großen 
Menschenkenners: wie es für die ungeheure Mehr- 
zahl der Besiegten fast unmöglich ist, aus den 
Schlägen, die sie empfingen, allein schon klug zu 
werden und Lehren zu ziehen. Wahrhaftig, käme die 
militärische Wissenschaft des Siegers, der mit 
dem Triumphe prunkt, nicht so gefällig dem Be- 
siegten entgegen, wie sie dies heute thut, so 
brauchte der unendlich längere Zeit, um das Er- 
lebte und Erduldete zu verstehen. Wo ist der Ge- 
neral, der am Abende einer verlorenen Schlacht klar und be- 
stimmt zu sagen weiß, warum er unterlag ? Ein Gleiches gilt — 
innerhalb gewisser Grenzen — auch für den ganzen Krieg. Aus 
dem, was uns der Feind zufügt, allein zu lernen, ist unendlich 
schwer, wenn er sein Thun nicht auch commentiert; der Be- 
siegte will die Gewissheit haben, ob er dem Missgeschicke, 
dem Zufalle im Kriege, oder aber der Übe rlege n h eit, einem 
Systeme wich; er hascht nach Material, um dieses festzu- 



*) Soeben nahm der Verfasser den ersten Band der gegenwärtig erscheinenden 
Schriften Erzherzog Carls zur Hand und fand darin, was ihm von erster Wichtigkeit erschien. 
Kurz nach Austerlitz ließ sich Napoleon von Maret in Jominis ^Tratte de grande iacHque* vor- 
lesen, dessen ersten zwei Bände gerade herausgekommen waren; er wurde bald zornig und 
rief aus . . . wie konnte Fouche solche Bücher drucken lassen? Das heißt ja geradezu unser 
Geheimnis dem Feinde verrathen. . . . Dieser eminent wichtige Zug des großen Feldhcrm ist 
actenmäßig, wie es scheint, nur ganz vereinzelt festgestellt Erzherzog Carl, Ausgewählte 
Schriften, I, Einleitung, XIX. 

Dass übrigens nicht Napoleon allein mit „corsischer Tücke" auf die Geheimhaltung 
dessen, was seine Stärke war, eifersüchtig hielt, davon hier ein Beispiel: 

. . Sometimes, when a new manoeuvre or tactical invention of importance is to be 
tried by experiment, you will find for many miles the environs of Potsdam, which is usually 
the scene of such experiments, carefully shut in; sentries on ever}' road, no unfrieadly 
eye admitted ; the thing done as with closed doors . . . Histor>' of Friedrich II. of Prussia, 
called Frederick the Great, by Thomas Carlyle, XIII, 203 (Tauchnitz edition). 



Digitized by VjOOQIC 



- 371 — 

Stellen. Vor Jena lieferte Napoleon dem Continent solches Ma- 
terial wohl nicht. Und so ist Nachsicht am Platze für eine Zeit, 
die es nicht vermochte, aus den Schlägen, die Napoleon Öster- 
reich zugefügt, und über deren leitende Ideen Napoleon kein 
Wort verlor, die Überzeugung abzuschöpfen, dieselben lägen in 
einem neuen und stärkeren Kriegssystem. 

Aber noch eine Betrachtung, und die ist die wichtigste, muss, 
wenn auch schon mehrfach gestreift, klar und scharf zum Ab- 
schlüsse gebracht sein. Wir sahen, wie die Symptome, die zu 
großen Wirkungen führten, den Männern ihrer Zeit nicht auffal- 
lend erschienen; wir stellten dies, wie es aus dem histori- 
schen Materiale hervorgeht, fest, und haben das warum erwogen. 
Nicht bis zum Äußersten ging die Erwägung; nun möge sie 
es thun. Es erschienen nicht nur die Symptome der neuen 
Kriegsform den Männern jener Zeit nicht auffallend, sondern sie 
sind es auch überhaupt gar nicht gewesen. Um dies 
zu erklären denke man, dass auch das Mechanische des Krieges 
(mit Ausnahme vielleicht der Waffentechnik) niemals grund- 
sätzlich neues, noch niemals dagewesenes bringt. 
Den getrennten Anmarsch, um vereint zu schlagen, den kannte 
man in Preußen auch vor Jena schon, sowie man in den 
deutschen Heeren Schützen kannte und den Schützenkampf. Ein 
Weniges kann hier den Ausschlag geben. Und dieses Wenige ? 
Es ist einfach das Vorherrschen einer der längst bekannten 
Formen; es ist der Umstand, dass ein Gedanke, allen bekannt, 
sich plötzlich zum System bei einem der Gegner er- 
hebt, mit allen Stärken eines Systems und dessen sachlicher 
Geschlossenheit. In der Strategie trat 1806 Preußen eine Form, 
die man sehr wohl kannte, doch nur für eine exceptionelle 
Form in exceptionellen Lagen hielt, plötzlich als Sy- 
stem und mit der Schärfe desselben entgegen; was 
nirgends schwarz auf weiß zu lesen stand. In der Taktik ent- 
schied — wenn wir bei der Mechanik bleiben wollen — ein 
geringes Weniger an Linien- und ein geringes Mehr 
an Säulenformen, sowie ein nicht auffallendes Mehr 
und Weniger an Tirailleurs. So sehen wir, wie, wahrhaftig, 
die Betrachtung steigt bis zur Naivetät herab, kleine Ursachen 
große Wirkungen geben. Auch dies ist eine Lehre, deren jede 

24 • 



Digitized by VjOOQIC 



— 372 — 

Zeit, auch die Gegenwart, und diese vielleicht mehr als andere 
Zeiten, sehr bedarf. Ein paar Erscheinungen, die wir selbst 
kennen und besitzen, können in der Hand des Gegners, der 
sie nicht einmal wesentlich umformt, die Ent- 
scheidung geben, falls er sie zum System und zweckbe- 
wusst erhebt. Die Mittel des Krieges sind so ziemlich allge- 
mein zugänglich und allgemein dieselben; nicht auffallend muss 
es sein, wenn man sie anders gebraucht als sie der Gegner 
gebraucht, und voraussichtlich im Kriege gebrauchen wird. Diese 
Erwägung, die von der Geschichte so klar bestätigt wird, muss 
zu dem Wunsche führen, Leitmotive aufzufinden für den Krieg, 
vor dem wir stehen. 

Doch von der Erkenntnis, dass man für den Krieg deutlicher 
Leitmotive bedarf, wohlerwogener Formen der Überlegenheit, bis 
zu dem Recept zu solchen, ist ein Schritt, den die Wissen- 
schaft, wenn sie verständig, und wenn sie patriotisch 
ist, nicht unbesonnen thut. — 

An der Vergangenheit sündigt die Kriegsgeschichte oftmals 
viel. Um plastisch darzustellen, übertreibt sie oft die Ursache, 
welche die Entscheidung gab, und desto mehr pflegt sie dieselbe 
zu übertreiben, und desto materieller sieht sie dieselbe an, je 
näher sie selbst dem zu erklärenden Kriege steht. Sie bringt uns 
zu dem Wahne, als müsse man die Symptome für oder gegen 
bis zum Greifen deutlich dazumal gesehen haben, und 
verlangt, dass wir desgleichen thun. Nicht soll hiemit ein vor- 
witziger Tadel ausgesprochen sein ; nur festgestellt wird eine 
Form derUnvollkommenheit, in der die Kriegsgeschichte sichnoth- 
wendig bewegen muss, des didaktischen Zweckes wegen, der 
eine prägnante Darstellung heischt. Dieser didaktische Zweck 
mag bei Betrachtung schon entfernter Dinge immerhin etwas 
verschwinden ; dieser unmittelbar, actuell didaktische natüriich ; 
man braucht vom Kriege 1806 nicht für morgen 
um jeden Preis Concretes zu lernen, es ist genug, 
sobald man ihn versteht. — Welch ein Cult ist mit 
Napoleons Tirailleuren als einer völlig neuen Erscheinung, und 
entscheidenden Erscheinung lange Zeit getrieben worden ! Grund- 
sätzlich unterschied Napoleon sich, so wies man nach, von 
Friedrichs Art zu kämpfen und diesen registrierte die Geschichte 



Digitized by VjOOQIC 



— 373 — 

— pedantisch wie sie für Schulzwecke einmal ist — unter die 
Feldherren des XVIII. Jahrhunderts. Gerade Friedrich hat 
über den Schützenkampf viel und tief gedacht, 
und umfassender, als man es heute zugesteht, 
erhob er ihn zur That; nur ganz geringe Kenntnis 
dessen, was er schrieb^ lässt genugsam erkennen, wie ihn das 
Problem des Schützenkampfes so beschäftigt hat, dass man in 
seinen Gedanken alles findet, was die nationalfranzösische Taktik 
nachmals verwirklicht hat. Die Strategie der relativen Überlegenheit 
zog man wissenschaftlich (oder meinte es doch zu thun) aus Napo- 
leons anfänglichem Thun, und doch hat dieselbe fortgesetzter, 
planmäßiger, mehr nach einem Systeme, niemand geübt 
als Friedrich der Große, Es bedarf die Wissenschaft einer jeden 
Zeit eines Schatzes an Schlagworten, welche die nächste Zeit 
allmählich corrigiert. Und endlich, spricht nicht gerade der Wandel, 
den die Anschauung der kriegerischen Vergangenheit beständig er- 
fährt, dafür, deuten nicht die fortgesetzten Richtigstellungen, welche 
die Wissenschaft am Überlieferten übt, vernehmlich darauf, w i e 
schwankend und wie wenig klar zu sehen die 
Motive der V ergangenheit. gewesen , da wir heute 
über dieselben noch lange nicht einig sind? 
Wie, das nicht erkannt zu haben, worüber man 
heutzutage Federkriege führt, soll ein Vorwurf 
für jene Menschen sein? Der Gedanke, wie man 
heute noch über Friedrichs Kriegführung prin- 
cipielle Meinungsgegensätze sieht; wie Napo- 
leons kriegerisches Thun noch lange nicht bis 
zur allgemeinen Evidenz erklärt worden ist: lässt 
genugsam erkennen, wie schwer im nachhinein 
zu prüfen und lässt ahnen, wie unendlich schwer 
im vorhinein zu wägen ist. 

So sehen wir, wie dem zeitgenössischen Krieg jeder Zeit 
der kritische Boden fehlt und fehlen muss, um den eigenen Wert 
und die eigene Wirksamkeit kritisch abzumessen ; denn er ist 
nur ein Glied einer beweglichen Reihe, das eben der Vergangen- 
heit entstieg, um morgen in der Zukunft zu verschwinden. Als 
Provisorium hat bisher in der Weltgeschichte jedes Kriegssystem 
figuriert und — seltsam genug und doch so natürlich — ein 



Digitized by VjOOQIC 



— 374 - 

jedes hielt sich für die unveränderliche Höhe, die der Krieg auf 
dem Wege zum Fortschritt bis nunzu erreicht. 

Wenn wir diesen Satz vorurtheilslosen Blickes, so gut es 
eben geht, an den Krieg von 1806 anlegen wollen, so wird 
uns die bisher noch nicht genügend festgestellte Thatsache klar, 
dass er ein Versuch gewesen ist, wie solche in 
der Geschichte des Krieges periodisch wieder- 
kehren; ein Ausgleich, der sich durch die Um- 
stände der Zeit bedingt, auffallend und gewalt- 
sam vollzog. 

Wir erkennen, dass er nothwendig war; nicht, dass auf 
Friedrich, und gerade 1806, und gerade in Thüringen, 
ein Jena folgen musste; aber wir sind nicht erstaunt, 
nicht überrascht, nicht betroffen von dem, was 
wir sahen; früher oder später musste es — falls Preußen 
nicht Männer ersten Ranges erzeugte, die noch dazu auf den 
rechten Platz zur rechten Zeit gestellt wurden — zu irgend 
etwas ähnlichem kommen. 

Aber zum warnenden Beispiel brauchen wir jetzt, neun 
Jahrzehnte nach Jena, diesen Krieg und ganz besonders seine 
Opfer nicht mehr zu stempeln, aus didaktischen Zwecken. Ihn 
zu verstehen, wird mehr dem didaktischen Zwecke entsprechen, 
als Handhabung der Abschreckungs-Theorie. 

Die paar Axiome des Krieges, die bis nunzu aufzufinden uns 
mühsam genug gelungen ist, sind negativer Natur ; sie warnen 
bloß und machen argwöhnisch, doch nennen sie kein Correctiv. 

Es scheint, als ob sich ein solches denn doch wohl finden 
lassen musste. 

Man könnte leichtlich sagen, die beste Schutzwehr gegen 
unwillkommene Neuerung im Kriege möge darin liegen, dass 
das angenommene Kriegssystem für dieselbe empfindlich sei, 
dass es bereit und willens zu sein habe, sich der neuen Form 
rasch und sicher anzuschmiegen, soferne man nicht selbst ent- 
schlossen ist, durch Vorwegnahme der Neuerung initiativ zu sein. 

Also empfiadlich, aufnahm sfähig für das Neue 
soll die Kriegsform, die wir eben haben, sein. 

Sie wird dies sein, wenn sie sich auf der Höhe der krieg^- 
conventionellen Anschauung erhält. 



Digitized by VjOOQIC 



— 375 — 

Sie wird dies sein für die leisen Abwandlungen inner- 
halb der kriegsconventionellen Form, welche der Fortschritt 
des Krieges — auch im Frieden — erregt. 

Es scheint somit, als ob gewissenhaftes Vorschreiten mit 
den Wandlungen der kriegsconventionellen Form gegen die 
Neuerung immun machen müsse. 

Wir ahnen, dass es ein anderes ist, hinter der kriegs- 
conventionellen Form , doch innerhalb derselben , um ein 
Geringes im Rückstande zu bleiben, und ein anderes, wenn 
diese irgendwo von fundamentaler Neuerung durchbrochen 
wird ; dann ist plötzlich aller Halt verloren. 

Der erste Gedanke ist noch nicht reif für jetzt und hier; 
sehr hüten wir uns davor, in der Speculation zu viel zu thun ; 
denn sie trügt, wenn sie auch blenden kann. An anderer Stelle, 
bei Betrachtung eines anderen Krieges wollen wir, wenn es die 
Umstände erlauben, jenen Gedanken an der Hand der Kriegs- 
geschichte auszuspinnen suchen. 

Dem zweiten begegnen wir schon hier. 

Aber vorher erinnern wir uns stets, dass die beiden ange- 
zogenen Extreme eben sprachliche Figuren mehr als 
wirkliche Begriffe sind. Denn zwischen ihnen liegt 
die Wirklichkeit; erst eine spätere Zeit stellt die Wirklichkeit, 
die kriegsgeschichtlich überliefert ist, näher dem einen oder dem 
anderen Extreme. Und in der Gegenwart fehlt jeder Anhalts- 
punkt, um zu erkennen, ob uns das Morgen nichts als eine 
neue Phase in der kriegsconventionellen Form oder aber gänzlich 
Neues, mitunter absurd aussehendes außer derselben bringt. 

Um zu verstehen, was es heißt, und dass es möglich, 
den kriegsconventionellen Boden urplötzlich ganz zu verlieren, 
brauchen wir nichts als einen Blick auf Jena zu thun. 

Die Kriegsprincipien der französischen Revolution erschienen 
jener Zeit, die im Sinne des XVIIl. Jahrhunderts dachte geradezu 
als die Negierung gesunder Anschauung vom 
Kriege. Man sah sie, wie der Forscher aus den Quellen für die 
Zeit vor Jena deutlich sieht, für einen Auswuchs an, für ein Pasquill 
am Kriege, das bald in sich zusammenstürzen müsse, das nicht 
haltbar sei. So unmilitärisch, mehr als das, so unkriegerisch 



Digitized by VjOOQIC 



— 376 — 

erachtete man den neuen Krieg, dass man wähnte, er könne 
nicht lebensfähig sein. So ist, so war es; darüber hilft keine 
Afterweisheit einer glücklicheren Zeit hinweg. Es wird uns klar, 
warum man nicht dazu geeilt ist, den neuen Krieg, der eine 
Ausgeburt des Zufalls schien und eine Missgeburt, gläubig anzu- 
nehmen, um den alten, bewährten, dafür hinzugeben. So unver- 
ständlich war der neue Krieg den Männern jener Zeit, wie es 
uns heute unverständlich wäre, würde irgendwo die allgemeine 
Wehrpflicht — diese einzige für den Krieg wahrhaft passende 
Institution, wie heute allgemein als ausgemacht gilt — abge- 
schafft und das Berufsheer wieder angenommen. Dies soll bei- 
leibe nichts als ein Vergleich, ein akademisch gemeintes Beispiel 
sein. Aber möchte man uns glauben, dass es die 
Lage jener Tage nicht übertrieben wiedergibt 

In der Erwägung, dass man den Weit grundsätzlicher 
Neuerungen in Dingen des Krieges erst erwiesen sehen will : 
und der historischen Evidenz, dass dies fast jederzeit also ge- 
halten wurde: liegt die Beantwortung der Frage, wie es 
mit der Empfänglichkeit des Krieges fiir die Neuerung 
bestellt sei. 

Nur dann nimmt er sie — in der Regel — an, wenn ihre 
Überiegenheit in die Augen springt. 

Diese Überlegenheit documentiert sich in der Regel — nur 
durch den Erfolg. 

So muss auf diesen — in der Regel — füglich gewartet sein. 

So sehen wir, dass gewissenhaftes Vorschreiten 
innerhalb des angenommenen Systems für das 
Neue nicht vorbereiten muss. So wird uns klar, 
dass gewissenhaftes Mitleben in unserer Zeit 
uns keine Sicherheit dafür gewähren muss, für 
eine neue Zeit gerüstet zu sein. 

Auch dieses Axiom ist negativer Natur. 

Man wird bemerken, dass Jena eben ein Ausnahmskrieg 
gewesen ist, in welchem der Unterschied der Kriegssysteme, die 
aufeinandertrafen, ein so grundsätzlicher war, dass sich die Fort- 
bildung im alten dem neuen nicht nähern konnte ; und 
dass bei einem weniger auffallenden Unterschied der Kriegssysteme 
— und das ist doch die Regel — der gezogene Schluss, man könne 



Digitized by VjOOQIC 



— 377 — 

nicht sicher sein der Empfänglichkeit für einen neuen Krieg, 
hinfallig sei. 

Wenn wir uns erinnern, wie wenig auffallend den Männern 
jener Zeit so auffallende Contraste erschienen; 

dass diese Contraste uns erst heute aus der Vogelperspec- 
tive so bedeutend erscheinen, nachdem die Kriegsgeschichte uns 
dieselben mundgerecht gemacht; 

und wir zugeben müssen, dass die Grenze zwischen 
altem Conventionellen Kriege und neuem Kriege thatsächlich stark 
verschwimmen kann, wie sie ja für manche Kriegsepoche noch 
heute nicht fest gezogen ist; 

und die Symptome einer neuen Form nicht — immer — 
mit Posaunen in die Welt hinausgetragen werden, sondern in 
der That oft ganz unbemerkt entstehen: 

So müssen wir wohl offen bekennen*, dass 
auch wir nicht sicher sind, was sich heute vor- 
bereitet, dass wir es nicht sehen, mithin nicht 
kennen, und endlich darauf nicht vorbereitet 
sein können oder vorbereitet sein müssen. 

Hier kämpft die Sprache mit der Abstraction. In der That, 
das Raisonnement bleibt nicht mehr klar genug. Ein praktisches 
Problem, das wir schon mehrfach gestreift, sei hier noch einmal 
angezogen. 

Wenn heute in Europa ein Krieg entsteht, so wird der be- 
siegt und jener Sieger sein. 

Ohne Zweifel wird ein kommendes Geschlecht mit aller 
Deutlichkeit die Principien sehen, die den zur Niederlage 
und jenen zum Siege gefuhrt. 

Kennen wir heute diese Principien oder 
ahnen wir sie auch nur.^ Heute, da uns wahrlich genug 
Materiale zur Verfügung steht, den künftigen Gegner zu kennen? 

Damit ist alles gesagt. 

Noch zwingt ein Umstand zu ernster Betrachtung. 

Ist ein Kriegsheer siegreich gewesen, so ergießt die öffent- 
liche Meinung auf dasselbe einen Strom von Lob, der nichts ist 
als der Abglanz des Erfolges und im nachhinein verfertigt wird. 

Wohlangebracht ist dieses Lob, wenn es den Muth, den guten 
Willen, die Kriegsgeschicklichkeit des Heeres betrifft. 



Digitized by VjOOQIC 



— 378 — 

Schlecht angebracht kann es sein, wenn es den Geist und 
den Verstand des Heeres gleichfalls in sich begreift. 

Denn sowie eine Versammlung von Indivi- 
duen niemals klüger ist als eine andere Versamm- 
lung annähernd gleicher Individuen, so kann 
auch ein Kriegsheer als solches dem andern an 
Intelligenz niemals überlegen sein. 

Diese Intelligenz ist gebannt und muss gebannt sein in die 
Grenzen der Anschauung vom Kriege, wie sie im Heere eben 
lebt und bethätigt wird und bewegt sich in deren Bahnen, 
durch sie lebend. Nicht weil ein Heer intelligenter 
war, als das andere, hat jenes dieses besiegt, son- 
dern Stärke und Schwäche kamen aus dem Unterschiede der 
Systeme, oft aus sehr materiellen Gründen, nicht durch, oft 
trotz der Intelligenz. 

So sehen wir, wie Friedrich willige, folgsame, geduldige 
Soldaten von schlichtem Verstände in seinem Heere liebte. 

So sehen wir, wie Napoleons große Armee ein fiir den 
napoleonischen Krieg einseitig gedrilltes Instrument gewesen ist, 
in welchem der Einzelne nichts anderes begriff und zu begreifen 
brauchte, als innerhalb der herrschenden Anschau- 
ung vom Kriege seine Schuldigkeit zu thun. 

Dass die Mittel, die man zum Kampfe führen will, eines 
ailzuweiten Horizontes nicht bedürfen, das scheint uns wohl ein 
ewiges Gesetz des Krieges zu sein. 

Fürwahr — wir sahen 1806 ein Heer, in welchem die 
Wissenschaft zu Hause war, und von dem man gleichsam sagen 
konnte, jeder Lieutenant kenne seinen Vegez. 

Dieses Heer kannte die Wissenschaft des Krieges vor 
Jena; mit diesem Material, gehandhabt im Geiste der Zeit, wie 
dies in einem Heere aus zahllosen Gründen wohl unerläss- 
lich ist, stand man dem neuen Kriege rathlos gegenüber. 

Und doch befahl man die Wissenschaft allgemein zu pflegen 
nichts weniger als aus Manie; man gedachte sich — innerhalb 
gewisser Grenzen — durch die geschaffene Intelligenz 
für den Krieg zu rüsten. 

Intelligenz* zieht man nicht in Massen groß, sie entsteht 
nur im Geiste des Autodidakten. Durch Decrete und Befehle kann 



Digitized by VjOOQIC 



— 879 — 

man zur Noth einige Kenntnisse allgemein verbreiten. Jede 
Kriegsepoche kann nur jene Kenntnisse verbreiten, die sie 
selbst bis zum letzten Kriege besitzt, und jene, 
die ihr das Morgen geben wird, oder doch geben 
kann, vermag sie nicht vorwegzunehmen. Auf 
diese aber kommt es vor allem an. 

So sehen wir, wie Instruction und theore- 
tische Belehrung über die eigentliche Thätig- 
keit der breiten Heermasse hinaus, ein Heer, dem 
sie aufgezwungen wird, nicht nothwendig immun 
machen muss gegen eine neue Zeit. 

Jedoch schaden wird sie andererseits, innerhalb gewisser 
Grenzen und unter gewissen Bedingungen, wohl nicht. 

Nur täusche man sich nicht über ihren Wert 
für die wirklichen Zwecke des Krieges. 

Wir haben, strebend zu erklären, manches Axiom, dessen 
Richtigkeit man am Kriege von 1806 erhärtete, fallen sehen und 
somit im Grunde destructiv gewirkt, nur negative Resultate ge- 
wonnen. Uns führte eben das Erkennen bis zu diesem Punkt; 
Recepte abzuleiten, wornach ein Feldherr im Zukunftskriege es 
besser machen soll, und sie zu p r oclamieren, das ver- 
mochten wir nicht. 

Es würde auch vermessen sein. 

Denn vor allem muss der Kriegsschriftsteller davon durch- 
drungen sein: In keiner Thätigkeit des Menschen kann ein 
größerer Unterschied bestehen zwischen Theorie und Wirklich- 
keit, als in der Thätigkeit des Krieges. 

Eine große Erscheinung, das Mechanische dieses Krieges 
betreffend, sahen wir. Der Stärkere führt seine stär- 
keren Mittel geradewegs zur Schlacht mit der 
Hauptmacht desGegners, so wiewir's heute natür- 
lich und selbstverständlich finden, was heute als 
oberstes Gesetz des Krieges vom XIX. Jahrhun- 
d ert gilt. 

Dieses Führen der Kräfte zur Schlacht stellte sich dar in 
der Strategie getrennt zu marschieren und vereint 
zu schlagen. 

Ein Blick auf die Gegenwart möge uns noch gestattet sein. 



Digitized by VjOOQIC 



- 380 - 

Napoleon marschierte getrennt, um vereint zu schlagen ; er 
besaß : 

die Überlegenheit an Truppenzahl, 

die Überlegenheit in der Form des Gefechtes, 

die Überlegenheit an Schnelligkeit und Sicherheit in 
Bewegung und Befehl, 

die Überlegenheit an Kriegsmoral der Truppen.*) 

Er siegte. 

In den Befreiungskriegen wandten die Alliierten die Strategie 
getrennt zu marschieren, um vereint zu schlagen, gegen Napo- 
leon an ; sie besaßen nachweisbar auffallende Überlegenheit 
an Truppenzahl. 

Große Widerschläge erfuhren sie und mehrmals waren sie 
nahe daran zu unterliegen, wie etwa Davout bei Auerstädt. 
Indess, 

Sie siegten. 

Ein halbes Jahrhundert lang ruhte der strategische Gedanke, 
getrennt zu marschieren, um vereint zu schlagen, in den Rollen 
der Kriegsgeschichte, während ihn die Praxis des Krieges nir- 
gends zum Leitmotiv erhob.**) 



*) Wenn aus keinem anderen Grunde, schon allein aus dem, dass ihr Gefecht das 
augenscheinlich stärkere war. 

**) Auf das Sorgfältigste wog der Verfasser jedes Wort, ja jede Silbe dieses Satzes 
ab, ehe er ihn niederschrieb; nothwendig war's, denn, nicht ganz scharf durchdacht, wäre 
der darin enthaltene Gedanke leichtlich anfechtbar. 

Denn — in der That — oftmals seit Napoleon, wie vor ihm schon und zu allen Zeiten, 
sind Heere getrennt marschiert und schlugen vereint. 

Oftmals kam es vor, dass getrennte Armeen sich zur Schlacht vereinten, doss 
eine Armee in sich getrennt marschierte und vereint schlug. 

Wie Napoleon es that, haben wir gesehen. Sehen wir zu, wie man es seit ihm und 
vor Moltke that. 

Wo es mehrere Armeen gab, die vereint geschlagen haben, da geschah solches 
beiläufig, im Laufe der Begebenheiten, accidentiell: zur plötzlich nothwendig werdenden 
Verstärkung des einen Heeres, wie die Vereinigung Diebitschs mit Schachowskoi bei 
Wawer-Bialolenka-Grochow, oder des ersteren Anschluss an Großfürst Michael zur Schlacht 
von Ostrolenka; zur Verlegung des Operationstheaters, wie die Vereinigung Görgeys 
mit Klapka bei Kaschau, von welcher Operation wohl niemand sagen wird, sie sei als der 
getrennte Anmarsch zur Schlacht von Kapolna anzusehen; zur Verwertung eines frei- 
gewordenen Überschusses an Kraft, wie die combinierte Operation Shofields und Sher- 
mans gegen Johnston in North Carolina 1865; zum Wiederanschlusse durch Specialauf- 
gaben abgezweigter Heere, wie die Vereinigung Wittgensteins mit Woinow und Rudje- 
witsch am Trajanswalle zwecks Vormarsches auf Hussein Pascha 1828 u. s. w. 

Man wird uns hier verstehen. In diesen sozusagen exotischen Beispielen der Kriege 
seit Napoleon sehen wir die Heere, wie zu allen Zeiten, durch geographische Nöthigung, 
kriegerisches Missgeschick und tausend andere Umstände getrennt; doch niemals mit dem 



Digitized by VjOOQIC 



— 381 — 

Moltke nahm ihn auf; bildete ihn aus; vervollkommnete 
ihn; wandte ihn praktisch im Kriege an. Er marschierte getrennt, 
um vereint zu schlagen und besaß : 

das eine Mal: 

die Ü berlegenheit in der Form des Gefechtes, 

wohlerwogenen Zwecke, sich zur Schlacht zu finden. Exotische Beispiele mussten wir wählen, 
weil in den rangierten Kriegen Europas zu dieser Zeit wir die Heere den Zusammenhalt 
der Kräfte, das Operieren «auf einer Linie" fast stets ausüben sehen (und wo ausnahmsweise 
zwei absichtlich getrennte Heere einem Ziele zuzustreben haben, diese Absicht Ober den Ver- 
such nicht hinausgedeiht — Carl Albert und Ramorino 1849). 

Ohne zu schematisieren darf man somit sagen: Die Idee mit Armeen getrennt zu 
marschieren, um vereint zu schlagen, wird von 1816—1866 nirgends Leitmotiv. 

Die einzelne Armee indess konnte sich von der durch Napoleon gezeigten Tren- 
nung der Heereseinheiten im Marsche nicht mehr und stets grundsätzlich wenden. 

Sieht man von den Operationen Paskiewitschs ab, der womöglich in einer Colonne 
auf einer Straße vorging, so sehen wir die Heere fast stets in Colonnen nebeneinander 
Ortsveränderungen thun. 

Es liegt jedoch der Wunsch, schnell zu sein, somit sich zu th eilen, mit dem 
Bedürfnis nach Versammeltsein in auftauendem Hader; leichtlich nimmt man wahr, 
dass letzteres aberwiegt. (Wer erinnert sich hier nicht sogleich des Marsches Napoleons HI. 
von Mailand an die Mella? Die Masse der Armee marschiert auf einer Strafie! Kann man 
die aus französischen Quellen geschöpfte Angabe des Osterreichischen Generalstabswerk.«. 
II, 63, dies sei der leichteren Verpflegung wegen geschehen, wohl ohneweiters hinnehmen? 
Wir glauben, nein; hier überwog ganz einfach das instinctive Bedürfnis nach Versammlung 
den Wunsch nach Schnelligkeit.) 

Nähert sich ein Heer dem Gegner, so marschiert es möglichst so, dass — ganz wie 
im XVIII. Jahrhundert — durch gerades, paralleles Vorrücken der Corps man die 
Schlachtaufstellung nimmt (Radetzky bei Sona-Sommacampagna, beide Theile bei Solferino); 
falls nicht, wie hie und da geschah, ein Hecrestheil nach geschehener Vereinigung 
des Heeres zur taktischen Umgehung, zur taktischen Umfassung, erneuert abgezweigt wird 
(Radetzky bei Curtatone und Novara, Napoleon III. bei Magenta). 

Die methodische Concentrie rung der Armeen vor der Schlacht für die Schlacht 
wiegt trotz ihrer Reibungen und Zeitverluste vor. Wo sie nicht geschiebt, sehen wir Nieder- 
lagen (Carl Albert bei Custozza). 

Man wird uns auch hier verstehen. Ein unmittelbares, unbekümmertes Hinüberziehen 
der Heereseinheiten aus dem strategischen Marsch in den taktischen, wie's etwa bei Jena und 
bei Wörth geschah, kennt die Zeit von 1816—1866 nur exceptionell. 

Ohne zu schematisieren darf man somit sagen: Die Idee, mit einer Armee getrennt 
zu marschieren, um vereint zu schlagen, wird in der besprochenen Zeit nirgends Leit- 
motiv. 

In der That, es zeigt die Kriegsgeschichte in der besprochenen Zelt füglich 
keine Beispiele, wie man mit Armeen getrennt marschierte, um vereint zu schlagen, während 
die einzelne Armee in ihrer Art, zum Kampf zu gehen, etwa die Mitte hält zwischen der 
Geschlossenheit des XVIII. Jahrhunderts und der kühnen Trennung von Napoleons System. 

Die hier gemachten Erwägungen bilden ein Gerippe, welches der Kundige sich zur 
plastischen Gestalt unschwer ergänzen wird. Da diese Studie schon ungebürlich lang ge- 
worden, so muss. falls es die Umstände erlauben, die erschöpfende Erwägung des hier Ange- 
regten auf ein ander Mal verschoben werden. 

Was sagte nun die Wissenschaft von 1816—1866 über unsem Gegenstand? Wohl 
hatte Schamhorst gelehrt: Marschiert getrennt und schlagt vereint, aber auch der Unkundige 
weifl, dass dieser Satz erst seit den Erfolgen der modernen Strategie ein tausendfaches Echo 
in deren Lehre wachriet 

Man findet ihn bei Qausewitz, Joraini; doch erst seit 1870/71 herrscht er deut- 
lich vor. 



Digitized by VjOOQIC 



— 382 - 

die Überlegenheit an Schnelligkeit und Sicherheit in 
Bewegung und Befehl, 

die Überlegenheit an Kriegsmoral der Truppen,*) 

das andere Mal : 

die Überlegenheit an Truppenzahl, 

die Überlegenheit in der Form des Gefechtes, 

die Überlegenheit an Schnelligkeit und Sicherheit in 
Bewegung und Befehl, 

die Überlegenheit an Kriegsmoral der Truppen.**) 

Er siegte beidemale. 

Dies soll kein Schema sein. Es stellt sich heraus, wie die 
besprochene strategische Praktik , hier in ihrer Vollendung, wie 
dort in ihrem Beginn, mit unterschiedlichen Formen 
der Überlegenheit in Verbindung steht. 

Sollte diese Verbindung eine nothwendige, etwa gar 
eine u nerlässliche gewesen sein? 

Heute ist die strategische Absicht , getrennt 
zu marschieren, um vereint zu schlagen, kriegs- 
conventionell geworden und wird es wohl im prakti- 
schen Kriege thatsächlich sein. 

Wir haben an einigen Beispielen gesehen, wie sie der 
Stärkere übte. 

Die Fragen geben sich hiernach von selbst. 

Doch sind es nichts als Fragen für den, der ehrlich mit 
sich selber ist.***) 

*) Wenn aus keinem anderen Grunde, schon allein aus dem, dass ihr Gefecht das 
augenscheinlich stärkere war. 

••) Indem sie, wie wohl außer Zweifel, höhere KriegsdiscipUn als der Gegner besaßen. 

***) Wenn der Verfasser, trotzdem «es selbstverständlich ist, dass eine Heeresmacht, 

wie die gegen Frankreich aulzustellende, nur in mehrere Armeen gegliedert operieren kann' 

(Generalstabswerk 1870/71, J, 78), den Muth gefunden hat, nicht zu ^viderlegen, sondern nur 

zu fragen, so fand er diesen Muth in der Betrachtung der Vergangenheit. 

Sie lehrt uns, dass die Lehren der großen Feldherren oft, indem man sie recht 
befolgen will, tibertrieben angewendet werden; in einer Ausdehnung und in einem Sinne, 
die der Meister ursprUnghch gar nicht gemeint. 

Noch etwas möge hier angedeutet sein. 

Die Vorbereitung der Kriegsmittel scheint heute von mehr Gewicht als je für die 
Kriegführung zu sein. Zu dieser Vorbereitung gehört auch die Kriegs lehre. 

Diese muss, um bestimmt zu klingen, bis zu gewissem Grade einseitig sein. 

Sie geht manchmal her\'or aus den Erfahrungen einer Zeit, die ganz besondere 
Verhältnisse aufwies. 

Niemand kann verhindern, dass sie Gemeingut aller Heere werde. 

Wir streifen hier an die höchsten Probleme der Kunst; mehr, als sie anzu- 
deuten, wäre nicht am Platz. 



Digitized by VjOOQIC 



Leicht erscheint es im nachhinein, denn Erfolge das Wort zu 
reden; diesen als innerlich nothwendig und den Misserfolg 
als unvermeidlich darzuthun; langathmig zu beweisen die Güte 
von Dingen, die zum Erfolge, der historisch feststeht, führten; 
und die Unzweckmäßigkeit von solchen, die das Gegentheil er- 
regten; sich zu resignieren und das wissenschaftliche Amen den 
Thatsachen zuzufügen, weil solche nicht zu ändern sind. 

Leicht erscheint es, an die Fehler vergangener Zeiten den 
Maßstab seither erworbener Lehren und rigoros zu legen; mit 
diesen Lehren dem Erfolge von dazumal etwas am Zeuge zu 
flicken, da die Thatsachen als solche nicht zu ändern sind. 

Jenes entmuthigt; dieses verwirrt. 

In der Mitte liegt das Erklären. 

Das Erklären gehe nur so weit, dass es das Materiale 
gewissenhaft, ja unerbittlich zusammenträgt, ohne vorgefasste 
Meinung, ohne ein Handwerkzeug zeitgenössischer Axiome, ohne 
Liebe und Hass, soferne dies irgend thunlich ist; dann schließe 
es ab und überlasse es dem Geiste des Lesers oder des Adepten, 
die Schlüsse und die letzte Consequenz aus dem, was er 
hörte, zu ziehen. 

Dies zu thun, muss dessen Individualität überlassen werden 
und kann es auch und ohne Nachtheil sein. 

Denn der echte Adept lernt von selbst; man braucht ihm 
keine Axiome als unwillkommene Zuthat zur lebendigen Erfahrung 
scholastisch mitzugeben. Sein Urtheil bildet sich an der Erfahrung 
und, soweit dies möglich ist, ohne den Einfluss des Kriegslehrers 
allzu sehr zu spüren. 

Es liegt am Tage, dass diese Art, den Krieg zu zeigen — 
und sie zeigt ihn, soferne dies überhaupt möglich, annähernd 



Digitized by VjOOQIC 



- 384 - 

SO, wie er wirklich ist — dem Leser und dem Adepten die größere 
Arbeit zu thun übrig lässt; indem sie ihn zu derselben un- 
gezwungen lädt. 

Sie krankt an Unvollkommenheiten ; es sind dies jene 
Un Vollkommenheiten, welche der wirkliche Krieg 
in der Seele des Menschen erregt: Schwanken 
des Urtheils, Zagen, Widerspruch; diese sind ein — 
wenn auch wahres — Spiegelbild vom Kriege; somit bereiten 
sie immerhin vor. 

Wer sich bestrebt, den Geist der eigenen Zeit von sich 
zu streifen, sobald er an die Betrachtung vergangener Zeiten geht ; 
und abschüttelt die Axiome für den Krieg, die heute gang und 
gäbe sind, wenn er einen Krieg erzählt, in welchem diese Axiome 
noch nicht gegolten haben : der wird, sofern dies irgend möglich 
ist, mit der Zeit, die er betrachtet, sozusagen eines Sinnes 
werden; ihre Mängel, ihreFehler, ihre Verirrungen 
muss er liebevoll verstehen, da er sie erklären 
will; und dann, die Gedankenarbeit jener Tage wiederholend, 
streift er sie wieder ab, so weit sie jene Zeit noch abzustreifen 
vermochte. 

Am Tage liegt, dass eine solche Art den Krieg zu be- 
trachten, zu Schwankungen im Urtheil führen muss. Es 
fehlt der zeitgenössische Boden, der uns Halt und 
Stellung gibt, den wir jedoch für jene Zeit — davon sind wir 
durchdrungen — soweit sich dies vermeiden lässt, nicht be- 
treten sollen. 

So scheut sich der Verfasser nicht, einzugestehen, dass in 
währender Arbeit Wandlungen in seinem Urtheil vorgegangen 
sind, die zum Widerspruche geführt haben können. Man wird 
wohl solche in dieser Studie finden ; wir wollten zeigen, woher 
sie kamen, und da wir dies gethan, so lassen wir sie stehen. 
Solche Widersprüche erregt der wirkliche Krieg und muss sie 
erregen; den Kriegslehrer zu widerlegen schärft 
das Urtheil, und ist sehr am Platz; denn eine 
Autorität mit dem decretierten Nimbus einer sol- 
chen, etwa wie ein Vorgesetzter, darf er nicht 
s ein; er kann es niemals sein; es wäre gänzlich ohne 
Zweck. Die Widersprüche sind historisch und in der Zukunft 



Digitized by VjOOQIC 



•^ 385 - 

werden wir sie wiedersehen; an dieselben gewöhne man 
sich. Sie mögen bestehen. Was würde aus dem lebendigen 
historischen Bild des Krieges, wie es jetzt erscheint, wollte man die 
Feile gegenwärtiger abgeklärter Meinungen an dasselbe legen. 

Ferners liegt am Tage, dass des Verfassers Art, den Krieg 
zusehen, zu ungewöhnlicher Nachsicht im Urtheil 
führen muss; wir glauben, dargethan zu haben, wie banger 
Zweifel voll wir heute vor der Zukunft stehen ; dies ist wohl 
Veranlassung genug, für eine vergangene Zeit nachsichtig zu 
sein. Indulgenz im Urtheile ist keine Manie. Sie 
ist Wahrheit; Kenntnis der menschlichen Seele; 
vorurtheilslose Anschauung der Dinge, wie sie 
eben sind. 

Wohl ist nicht zu verkennen : Allzuweit getriebene 
Indulgenz des Urtheiles kann gefährlich sein. 
Allein, allzuweit wird die Indulgenz wohl nur dann getrieben 
sein, wenn man den Misserfolg zu billigen und seine Ursachen 
gutzuheißen strebt; wir glauben, solche nur erklärt zu 
haben ; und erklärbar müssen sie wohl sein. 

Wieder bleibt hier dem Geiste des Adepten die größere 
und schwierigere Arbeit zu thun. Er wird sie thun. Denjenigen 
verwirrt die Indulgenz des Urtheils nicht, der aus eigenem An- 
triebe den Krieg studiert; denn sie regt ihn an und ermuthigt 
ihn. Während Schärfe der Kritik das Urtheil der Hörers so 
oft verzagen macht. 

Wie soll sich ein selbstdenkender Geist mit einer Kritik 
abfinden, die, oft obskurer Provenienz, in jeder Zeile Menschen 
bitter tadelt, welche die besten ihrer Zeit gewesen sind? 

Möge man uns glauben , denn nicht pro domo sprechen 
wir: Schärfe der Kritik am Kriege ist ein deut- 
licher Beweis, dass man den Krieg und in letzter 
Linie das menschliche Herz nicht versteht. Ver- 
gegenwärtigen wir uns den souveränen Blick, mit dem ein Moltke 
auf jene Blinden heruntersehen muss, die nachzuweisen suchen, 
sein Einmarsch in Böhmen 1866 sei sehr gewagt gewesen, er 
habe Glück und wieder Glück gehabt. Noch heute sucht man 
ihm gelegentlich zu zeigen, wie unvorsichtig er verfuhr. Aber 
denken wir uns auch, mit welchem Gefühle, hier dem der 

C. von B.-K. Zur Psychologie des grofien Krieges II. 25 



Digitized by VjOOQIC 



— 386 -% 

bittersten Verachtung, ein besiegter Feldherr das Gekläffe ver- 
nehmen muss, das sich alsbald um ihn erhebt , sobald er 
fiel! Die leitende Idee, von der ein Kriegsschrift- 
steller ausgehen muss, um die Entschlüsse der 
Feldherren historisch treu zugeben, muss die 
sein, deren furchtbarer Er nst noch immer nicht 
genügend erkannt und gewürdigt zu werden 
scheint: Auch ein besiegter Feldherr glaubte das zu thun, 
was zum Siege führte« Auch in Zukunft wird jeder 
der Feldherren das zu thun glauben, was zum 
Siege führt, und einer nur wird siegen! Wohl hat 
die kritische Methode einen didaktischen Zweck; sie will für die 
Gegenwart und Zukunft erziehen und so nimmt sie zuerst die 
Axiome der Gegenwart, um sie sodann an die Vorgänge der 
Vergangenheit zu passen. Es scheint in der That, als ob es 
nicht so sehr auf das Exempel als solches ankomme, als viel- 
mehr darauf, ob dasselbe für die Gegenwart zu Lehrzwecken 
zu gebrauchen sei. Ein guter Kern steckt in dieser wenig 
wählerischen Manier und oftmals kann dieselbe unentbehrlich 
sein. 

Voraussetzung ist jedoch dabei, der Lehrer handle zweck- 
bewusst, er sage sich frank und frei und ehrlich, er thue der 
Geschichte Gewalt an, um aus ihr ein brauchbares Studienobject 
des Augenblicks zu machen. Mit einem Wort, der Lehrer, der 
so verfährt, muss sich gestehen, er handle, gezwungen durch 
den Zweck, gleichsam wie ein Charlatan, und dementsprechend 
wende er Vorsicht an und halte beständig Maß. 

Solch ein Lehrer kann ein guter Lehrer sein. Was die 
Technik der Heeresbewegungen betrifft, den mechanischen Theil 
des Krieges, und für Zwecke der Schule ist diese Methode am 
Platz und durch nichts zu ersetzen. 

Aber nahe liegt der Glaube, dass es solcher Lehrer nur 
sehr wenige gibt. -Die große Mehrzahl derer, die den Krieg zu 
lehren das Bedürfnis fühlen, handeln nicht so zweckbewusst. 
Sie täuschen sich selber unbewusst, indem sie gläubig und ohne 
Wahl die Instrumente der Kritik, welche die Gegenwart ihnen 
reichlich bietet, naiv an vergangenen Dingen erproben. Sie 
sind echte Kinder ihrer Zeit, sehen jede andere Zeit mit 



Digitized by VjOOQIC 



— 387 — 

gleichen Augen an, und werden ihren Ungeheuern Irrthum nicht 
gewahr. 

Genug. 

Der Umstand, dass von zwei sich messenden 
Heeren eines füglich besiegt werden muss ; die 
Thatsache, dass jedes zweite Beispiel in der Ge- 
schichte des Krieges ein böses, abschreckendes 
ist: und die logische Gewissheit, dassdies inHin- 
kunft auch der Fall sein werde: beherrscht die 
Art, wie man Kriegsgeschichte schreibt undmuss 
sie beherrschen. Vor allem, es gilt abzuschrecken, und 
<iiesem Zwecke opfert die Kriegslehre oftmals weit mehr, als sie 
vor dem Genius der Geschichte, das ist die menschliche Natur, 
billig verantworten kann. 

Trotz des praktischen Zweckes — denn die Afterweisheit 
<ies Kriegsschriftstellers darf nur ein subalternes Mittel zum Zwecke 
sein — fragt es sich indess, ob sich der Genius der Geschichte 
nicht etwa dafür rächen kann. 

Denn die entscheidenden Gewichte im Kriege kommen aus 
<ler Seele des Menschen und sie übergehen, nachdem sie das 
Materielle des . Krieges durchsetzt und durchzogen , in die 
Seele des Menschen, wo sie Wirkungen thun. 

Und diese Seele gilt es zu verstehen. 



Digitized by VjOOQIC 



Berichtigungen. 



Seite 8, Zeile 1 1 v. u. lies kasiaii statt hastates 
n 109, , 7 V. o. , äroite , droie 

, 239, » 7 , , ^ souricürc „ soupicicre 
, 318, Fußnote, 1. Zeile lies 18. Juni statt 17. Juni. 

Im I. Heft. 

•Seite 48, Zeile 9 v. u. lies Zerfallsproduct statt Zufallsproduct. 



Digitized by VjOOQIC 



1 



Digitized by VjOOQIC 



Digitized by 



Google 



Digitized by VjOOQIC 



t«A 



Di^^ 



-_- -^ ., .., i.^Liiuiijyj Li«j;iiiigen nauen, wtt iiier, jedoch tiuch 

tiw Keiner Thittigkeil so vieles gdcmt haben, 

. , . , Wir konnai nur den Wunsch hingen» dass cl wag weniger geschrieben uiul 

mehr nachgcüeicht werde, und dass sich um des Verfassers * Methode« huld emc 

>obar von Jüngern bilden möge, djimit wir wieder dem Wesen der KHegskunst 

-the kommen. Erschcmen doch unter der heuligen ntvelliercnden Flachheit die 

' Mherien, ihre Psychologie und ihr Werdcprocess gar nicht mehr auf dem 

'■ V. Man könnte sie eigentlich nach der heutigen Metheide einfach nummcricicn, 

'» wir kennen ja nichts weiter als — Methode, wahrend dach jede Kunst 

mü Krj^rundung des Künsllers undenkbar ist* Wie man aber irgend einen 

'^>Uen I^ntschluss verstehen soll, nhne alles nach Kräften zu ergründen, was 

''■^ dahin in der Seele des Feldherrn vorgegangen ist, begreifen wir einfach nichl, 

^^'cr nur einen derartigen Fall erschöpft, lernt an einem Beispiele mehfi als durch 

^nxe Bibliotheken unseres AlltagÄkrames. Und da in dem ersteren Geiste diese 

-hrUt gehalten ist, so müssen wir sie warm empfehlen. Genau, wie mit den 

« '-Idherren steht es mit ihren Truppen r Armeen sind Armcei^ Truppen sind 

Iiuppen, und doch wird die Ausführung erst verständlich, wenn man die Truppen 

^-beiiralls kb^n steht. Aber — leb^n — Gott bewahre» das ist gefährlich.* 

Neue preuS« Kreuz-Zeitung, 1893, Nr, 73 ; »L'nserc Miiitär-Litlcratur 

"oigi viel fleißigds und recht versiändigcs Mittelgut, wie unser iVlatt dieses mit 

iner gewissen Genugthuung wiederholt beslaiigen konnte. In diesem Werkchen 

ines ijsterreichischcn OfHetcrs finden wir mehr als das* Schon das Lesen der 

i-^ten Seile zwingt, wk der erste SalK einer Ueethoven'schen Symphonie xum 

A'titeihorchcni so hier aum W^eiLüi lesen r>as Studieren d^r geistvollen 

SkizKc war uns ein wahrer Genuiis.* 



Digitized by 



Google 



^ 



Digitized by VjOOQIC 



(Fortsetzung von Seite 2 des Umschlages.) 

originellen Weg, auf dem ihn zu begleiten, jedem kriegswissenschaftlich gebildeten 
Ofrtcier ein Genuss sein wird. Wer sich also ernsthaft für Kriegswissenschaft 
interessirt, der lese die kleine Schrift, er wird sicherlich dabei lernen, sogar viel 
lernen, dafür verbürgen wir uns ihm. Da diese Studie mit Nr. 1 bezeichnet ist, 
darf man wohl hoffen, dass der Verfasser weitere Studien der ersten folgen lassen 
will. Wir wünschen ihm dazu von Herzen Glück auf. Ein Feldherr muss vor 
allen Dingen ein vollendeter Menschenkenner sein. Wer in sich die Befähigung 
zu großen Dingen ahnen zu dürfen glaubt, muss vor allem in dieser Beziehung 
sorgfältige Studien machen. Dazu leitet die Schrift sehr schön an.« 

Deutsche Heeres-Zeitung, 1893, Nr. 30 : »Endlich einmal ein denkende 
Mensch, ein muthiger und doch maßvoller Kritiker unter der Flut von Alltags- 
menchen, welche den Büchermarkt mit ihrer Alltagsware geradzu überschwemmen. 
Der eine constrüiert sich dies Schema, der andere jenes, aber statt in das Seelen- 
leben der Feldherren hinabzusteigen und zu erforschen, wie sie sich entwickelt 
haben, wie ihre Feldherrnkunst entstanden ist, werden die Dienstvorschriften 
kommentiert und wieder kommentiert, werden die Dinge fast nur mechanisch 
behandelt und man athmet schon allein auf, wenn man einen Schriftsteller über- 
haupt einen eigenen Weg gehen sieht. Ist dieser Weg noch dazu so vortrefflich 
zu übersehen wie hier, so fühlt man sich ordentlich erfrischt. Das Buch, welches 
eine I trägt, also jedenfalls fortgesetzt werden soll, hat einen großen Fehler, 
nämlich, dass der Verfasser seinen Namen uns vorzuenthalten für gut fand, und 
einen störenden Mangel, nämlich die unzureichende Karte, sowohl vom operativen, 
wie vom taktischen Gesichtspunkte aus. Sonst aber folgt man dem Verfasser 
überrall mit Freude und Genuss, in den meisten Fällen unter stiller Zustimmung. 
Um Arcole hat sich ein wahrer Sagenkreis gebildet und es wird wohl nur 
wenige geben, welche die ganze bezügliche Litteratur, welche durch Napoleons 
Memoiren übrigens eher eine Verdunkelung als eine Klärung erfahren hat, kennen. 
Dies ist auch nicht nöthig, aber es genügt ebensowenig, sich mit der in diesem 
I^inkte völlig antiquierten Beurtheilung Clausevvitz* abzufinden. Die Auffassung 
des letzteren hat zwar vor den Augen manches denkenden Officiers nicht mehr 
Stand halten können, allein wir wüssten keinen Autor zu nennen, der sich die 
Widerlegung Clausewitz* zum Ziel gesetzt und dem dies geglückt wäre. Um dies 
zu erkennen, muss die Schrift selbst studiert werden. Bonaparte trug den 
Keim des gottbegnadeten Feldherrn zwar in sich, aber der General Bonapartc 
dürfte kaum jemals so schwere Irrthümer begangen haben, wie hier, jedoch auch 
aus keiner Thätigkeit so vieles gelernt haben. 

.... Wir können nur den Wunsch hegen, dass etwas weniger geschrieben und 
mehr nachgedacht werde, und dass sich um des Verfassers ».Methode« bald eine 
Schar von Jüngern bilden möge, damit wir wieder dem Wesen der Kriegskunst 
nahe kommen. Erscheinen doch unter der heutigen nivellierenden Flachheit die 
Feldherren, ihre Psychologie und ihr Werdeprocess gar nicht mehr auf dem 
Plane. Man könnte sie eigentlich nach der heutigen Methode einfach nummerieren, 
denn wir kennen ja nichts weiter als — Methode, während doch jede Kunst 
ohne Ergründung des Künstlers undenkbar ist. Wie man aber irgend einen 
großen Entschluss verstehen soll, ohne alles nach Kräften zu ergründen, was 
bis dahin in der Seele des Feldherrn vorgegangen ist, begreifen wir einfach nicht. 
Wer nur einen derartigen Fall erschöpft, lernt an einem Beispiele mehr, als durch 
^^anzc Bibliotheken unseres Alltagskrames. Und da in dem ersteren Geiste diese 
Schrift gehalten ist, so müssen wir sie warm empfehlen. Genau, w^e mit den 
Feldherren steht es mit ihren Truppen : Armeen sind Armeen, Truppen sind 
Truppen, und doch wird die Ausführung erst verständlich, wenn man die Truppen 
ebenfalls leben sieht. Aber — leben — Gott bewahre, das ist gefährlich.« 

Neue preuß. Kreuz-Zeitung, 1893, Nr. 73 : »Unsere Militär-Litteratur 
zeigt viel fleißiges und recht verständiges Mittelgut, wie unser Blatt dieses mit 
einer gewissen Genugthuung wiederholt bestätigen konnte. In diesem Werkchen 
eines österreichischen Officiers finden wir mehr als das. Schon das Lesen der 
ersten Seite zwingt, wie der erste Satz einer Beethoven'schen Symphonie zum 

Weiterhorchen, so hier zum Weiterlesen Das Studieren der geistvollen 

Skizze war uns ein wahrer Genuss.« 



Digitized by VjOOQIC 



' r^ • ^ — "- ' ff 



Digitized by VjOOQIC 



\ 



Digitized by VjOOQIC 



UNIVEE8ITY OT CALIFOBNIA LIBBABY, 
BEBKELET 



THI8 BOOK 18 DX7B OK THE LAST DATE 

8TAMPED BELOW 

Books not Tvtnmed on time are sulijeet to a fln« of 
60c per Toliunft. after the tlürd daj oradne^ iaenasins 
to 11.00 per ▼olnme after the sixth dmj, Booka not in 
demaod may be renewed if appiieation it made befors 
expiration of loan period. 



i-iy^ 






L 



! 

15111-4/24 j 



Digitized by 



Google 



VC 75389 




54701 ! 



UNIVERSmr OF CALIFORNIA LIBRARY 



I 




Digitized by V^QOQIC 

^ i 11 ,1 w^T 



Digitized by VJjOOQIC